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DEUTSCHES
WÖRTERBUCH
VIERTEE BAND
I. ABTEILUNG 6. TEIL
DEUTSCHES
WÖRTERBUCH
VON
JACOB GRIMM und WILHELM GRIMM
VIERTER BAND
I. ABTEILUNG 6. TEIL
GREANDER-GYMNASTIK
Bearbeitet von Arthur Hübner und Hans Neumann
in Verbindung mit der Arbeitsstelle des Deutschen Wörterbuches
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LEIPZIG
VERLAG VON S. HIRZEL
1935
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VORWORT
JLn diesem Bande steckt die beste Kraft meiner
jungen Jahre. Ich war kaum promoviert, als
mich Gustav Roethe aufforderte, das Schluß-
stück des G zu übernehmen. In 10 bis 12 Jahren
sollte es, laut Vertrag, geschafft sein . . . Die
erste Lieferung erschien 1914 (Greander —Grenz-
jörster), die zweite 1919 (Orenzf ort — Grille), die
dritte 1922 (Grille— groß), die vierte 1925 (groß
bis grün), die fünfte 1931 (grün — grundfest).
Ein schnelleres Tempo als jedes dritte Jahr eine
Lieferung war eben nicht zu erreichen, wenn
man das Werk nach alter Art auf Mitarbeiter
stellte, die sich von ihrem Hauptberuf die Zeit
für das Wörterbuch absparen mußten. So habe
ich am eignen Leibe erfahren, daß nur eine
grundsätzliche Änderung des Arbeitsverfahrens
das Wörterbuch zum Abschluß bringen könne :
es mußte versucht werden, eine Vielzahl von
Mitarbeitern, die möglichst ihre ganze Kraft
dem Wörterbuch widmeten, an einer mit allen
Hilfsmitteln ausgestatteten Stelle zusammen-
zufassen. Die Neuordnung gewann im Jahre 1930
Gestalt in der Gründung der Berliner ,Arbeits-
stelle des Deutschen Wörterbuches'. Nunmehr
konnte auch der vorliegende Band in schnellem
und regelmäßigem Fluß gefördert werden. 1932
erschien die sechste JjieieTung( grundfest — Grün-
span), 1933 die siebente (Grünspan — Gunst),
1934 die achte (Gunst — gut) und 1 9 3 5 die neunte
und letzte (gut— Gymnastik).
Innerhalb der Arbeitsstelle hat die nach Um-
fang und Gewicht weitaus bedeutsamste Arbeit
Hans Neumann geleistet, einer meiner besten
und mir am nächsten verbundenen Schüler. Er
hat mich in der fünften Lieferung abgelöst. Die
Wörter grün und Grund stammen noch von mir,
die Ableitungen und Komposita dazu hat Neu-
mann anfänglich zusammen mit mir, bald ganz
selbständig bearbeitet. Vor allem gehört ihm
die große Gruppe gui. Die Lücke zwischen den
grün- Zusammensetzungen und gut füllten fol-
gende Mitarbeiter: Karl Münzel (Gulden,
Gurgel, Gürtel), Kurt Ranke (Guß), Konstan-
tin Reichardt (Gruß), Ernst Scheunemann
(Gruppe, Gunst) und Hellmuth Thomas (Gülte).
Durch Ergänzung, Bearbeitung, manchmal auch
Neuformung von Artikeln anderer Verfasser
haben an dem Zwischenstück starken Anteil
Bernhard Beckmann, Hans-Holm Bielfeldt,
Peter Diepers und Wilhelm Wissmann, dieser
besonders durch die Überprüfung der etymo-
logischen Artikelköpfe.
1. Dezember 1935.
ARTHUR HÜBNER
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GREANDER-2GRECH
iGRECK — GREDE
GREANDER, m., alte nd. bezeichnung für den andom.
marrubium vulgare Pritzel-Jessen 231» aus den Syn-
onyma apothecariorum (ib. Jh.), Diefenbagh 850»; wie
andern auch für ballota nigra Pritzel- Jessen 54^
-ander = andern, gre- ursprünglich wohl zur Unterschei-
dung von ballota nigra, die oft schwarzer andern, brune
ander, brunader u. ä. genannt wird (Pritzel-Jessen 54).
gjg. __ green 'grün'f nebenformen greandon, greadon
Pritzel-Jessen 231».
IGREBE, m.. darf Vorsteher, specif hess.: schultheisz,
die man auf den dörfern im land zä Hessen greben
nennet Kirchhof wendunmuth i, 178 Österley ; vgl.
ViLMAR 186; aus grSve, der md. form für gräve. auch
als familienname in Hessen verbreitet.
2GREBE, /., in der Schweiz name des haubentauchera,
colymbus cristatus Staub-Tobler 2, 688; aus frz. grobe,
m.. doch vgl. Suolahti vogelnamen 4M; wohl dasselbe
wort lübeck. greber, gref 'säge-, haubentaucher' zeitschr.
f. d. wortf. 9, 3 beiheft; grebenhaut die zu muffen und
besatz verwendete haut dieses vogels Jacobsson 5, 735»;
Heinsius 2, 526».
iGREBEL, m., mhd. grebel, ahd. grebil; tu graben.
1) Werkzeug zum graben, bohren:
so er (der einbrecher) rltet über velt . . ,
hert Isen unde grebel,
örter zu den slozzen
füert der unverdrozzen
in dem einen ermel wol Seifr. Helbling 1, 184;
weil wir nit mochten ruben essen,
müsz wir zu-letzt den grebel fressen
H. Sachs 21, 312 Keller-Oötze ;
grebel sarculus vocabul. incipiens teuton. ante lat. ä 5»;
vgl. ScHMELLER 1, 982; kurstartige hacke Staub-Tobler
2, 688.
2) pfähl, pflock: grebil, crebil u. ä. = riutel, paxillum
Graff 4, 808/.; seine seile mit grebiln funiculosque il-
liua et paxillos Wenzel-bibel 2. Mos. 39, 40 nach Jelinek
mhd. wb. f. Böhmen 330 (dort falsch übersetzt).
3) totengräber: grebila, crepila polinctores Graff 4,
309; Staub-Tobler 2, 688 mit belegen aus dem a. jh.
2 GREBEL, m., körperlich oder moralisch häszlicher,
ekelhafter m,ensch, auch: magerer mansch Staub-Tobler
2, 687; dazu grSbelen abscheulich, häszlich sich betragen,
grSb(e)lig häszlich, garstig ib.
IGREBELN, vb., bohren, heimlich auf etwas hinarbei-
ten, iterativbildung zu graben: quia spiritus superbus
non quiescit, er bort und grebelt so lang, donec inve-
niat foramen Luther 25, 444 Weim.; quod lust haben
proximum zu honen . . , grebeln und lauren, ut eum
dedecorent 27, 358 ; für der weit heyst das eyn buben-
stück, wenn man den rechten grund eyner guten Sachen
verbirget und gröbbelt die weyle eyn loch dreyn zu
machen 18, 68, hier anscheinend lautlich durch grübeln
beeinßuszt.
2 GREBELN, vb., lärmen f
die bauem grebeln sehr und schrein auf offner bahn
der commiszarius, der kommt uns sauer an
Dan. V. CzEPKO satyr. ged. (ms<^t.).
GREBING, m., chirogrillus Diefenbagh 123»; nach
Frisch l, 369 •> der erdengerling (gryllotalpa) ; wenn gre-
binc auch bloszes grillus wiedergibt (Diefenbagh o. a. o.),
scheint das Frisghs deutung zu bestätigen, doch braucht
bei der m^hrdeutigkeit von chirogrillus (Du Gange 2, 310»)
die bedeutung nicht überall dieselbe geicesen zu sein ; im
jüngeren nd. für den dachs: grewing Schambach 68^;
grewink, gräwink Dähnert 161»; ebenso holl. greving,
dän. grävinge; vgl. Berghaus i, 611»; schon im Eeinke
de vos ist grevink stehender name des dachses, v. 30. 149.
405 u. ö.; zu graben.
IGRECH, adj., fertig, s. gerech.
2GRECH, m., bastard:
Eckerich sprach : du ungetriuwe wlp,
daz der grech sehende dlnen llp
Germ. 9, 336 aus Karl u. Elegast;
IV. 1. 6.
deminut. dazu grechel:
ouch hete er des vil grOzen ruom,
daz er dar an niht was betrogen
daz er daz göuchel {var. grechel) hsete gezogen
V. D. Hagen gesamtabenteuer 2, 384;
im thür. wird noch hie und da zu kindern gesagt: du
kleiner krechel (kröchel) ! Germ. 9, 336 ; anscheinend also
md. Seitenstücke zu gouch, göuchelin.
^GREGK, m. l) eiternde augenentzündung , abge-
schicächt: augenschleim; bair. wort; für pituita bei Die-
fenbagh 489»; für lippa ib. 332'', beides in obd. voca-
bularen des 15./16. jhs. ; gregge vertrockneter augenschleim
Lexer kämt. 123 ; kreko dspa, augenbutter Sghmeller
cimör. 138"; Gastelli 153; iJ^wr..- gregken g^ramif, oculo-
rumpituitf, lippa PimciAUVS prompt. (1516) G 2"; grieg-
ken Sghmeller i, 993; gregken, auch gragken Schöpf
210; vgl. gräcke Fischer schwäb. 3, 782; Sghmeller
und Schöpf verzeichnen als hauptbedeutung 'grieben, fett-
graupen' ; aber obgleich ie in der Stammsilbe alt ist (s. u
greckig), besteht schwerlich ein ursprünglicher Zusammen-
hang mtfgriebe, wie Schöpf a. a. o. will; die heutige ver-
mengung beider Worte tcird secundär sein, dazu gregk-
augat triefäugig Schöpf 211; greggaugat Lexer kämt.
123. — gregker person mit triefenden äugen; auch ver-
ächtlich: kleine unansehnliche person Schöpf 211.
2) gregge, etwas kleines, verkrüppeltes; ein schmäch-
tiges kind, an dem kein wachsthum zu bemerken ist
Lexer kämt. 123; deminut. greggile; ursprünglich selb-
ständiges wort (vgl. griggel); wie greckig erst nachträg-
lich mit der sippe greck vermengt.
2GRECK, m., falschspieler : denn die grecks, diese
groszen genies, haben vermöge der karten, den stein
der weisen gefunden Klinger werke l, 113; vgl. 105. 107.
110; aus frz. grec falschspieler, betrüget; die entlehnung
ist isoliert geblieben.
1 GRECKIG, adj.. lippus.
i) so sint diu ougen röt unde heiz unde griekich
zwei deutsche arzneibücher 38, 14 Pfeiffer (18. jh.) ; lippi-
tudo, zubachen oder grecket äugen Pinicianus prompt.
(1516) G 2^; die gregkete äugen haben lippientes Khüff-
ner Celsus (1531) 6»; so sich ein greckig rinnen der
äugen zuträgt orta lippitudine 91»; gregket triefäugig
Schöpf 2il. — greckigkeit,/., lippitudo: aber die
trucken und dürre greckigkeit, wiewol sie einen wee-
tage mitbringet, wirt sie doch zeitlicher geendet Kh Off-
ner Celsus (1531) 91».
2) gregget verkrüppelt, knorperig, ohne wachsthum
Lexer kämt. 123; ursprünglich selbständiges wort, vgl.
greck 2.
2 GRECKIG, adj.. mischfarbig, meliert: ein greckiges
zeug Frischbier l, 251".
GREDAMT und andere composita mit gred- s. unter
grede 2.
GREDE, /., stufe, treppe ; unmittelbarer Zusammenhang
mit lat. gradus kann nicht vorliegen; zum mindesten
weist der vocal auf frz. vermittelung. wohl von mlat.
*grada (erhalten in span. grada stufe, bank, freitreppe)
oder mit frz. vocalfärbung *greda (vgl. gredarium für
gradarium Du Gange 4, 109»). neben inlautendem d er-
scheint in alter zeit auch t, tcie es scheint, besonders md.;
vermengung mit mhd. grät, plur. grsete icird die Ursache
sein: grete Wartburgkr 69, 4. 5 Simrock; städtechron. 8,
95, 11 (Straszburg) ; grSde, grete Frankfurts reichscorresp.
2, in ff. Janssen; mehrfach im plur.: den (ketzer) bran-
ten sie vor den gretin an sente Steffans tage Rothe
Dür. chron. 597 ; uf den greten vor dem münster städte-
chron. 8, 477, 14 (Straszburg). mhd. stark und schwach
flectiert (mhd. wb. 1, 569»); später gewöhnlich stark.
l) treppe; so gewöhnlich im, mhd.:
vor dem palas an der grSde
si wurden wol enpfangen Parz. 794, 8;
d5 lief herab die grede
alt unde junge bede
WoLFR. V. Eschenbach Willeh. 139, 21;
GREDEL
GREDELHAMMER — GREGORIUS
besonders: die grosze freitreppe, estrade, namentlich vor
kirchen: auf der gred bey dem marektthurn städte-
chron. 15, 27, 14 {Regensburg) ; {der kaiser) lies alda ain
pün (bei Sant Heimeran porten, oben so man auf den
freithof gSt, auf der gred) aufmachen Aventin hayer.
chron. 5, 461 Lexer; sehr üblich im, schwäb.: uf die gred
gen sant Ulrich städtechron. 5, 179 {Augsburg); vgl.
Fischer schwäb. 3, 816/.; die grede diente auch als grab-
statte : leit begraben auf der grett bey irem man städte-
chron. 22, 390 {Augsburg) ; daher geradezu für 'grabstätte'
Fischer a. a.o.; alem,. auch der innerhalb der kirche
vor dem chor liegende platz mit den stufen, die zum
schiß hinunterführen : der pfarrer kam mit einem grossen
buch auf die grät und las daraus ; über die gräte zum
opfer gehen Staub-Tobler 2, 704 mit belegen seit dem
14. jh. ; noch heute im thür. grede, grsede für treppen, die
an der hinterseite eines hauses aufwärts führen Hertel
salz. 17 ; auch als eigenname GrSde, Gride für einen engen
treppenweg thür. 109.
2) stufenförmige unterläge, basis:
der toufnapf was ein rubbfn,
von jaspes ein grede sinwel,
dar üf er stuont Parz. 816, 21 ;
besonders: gerüst für darauf abzustellende waren : haben
wir den burgern zu Schongau erlaubt, gredt in ihr kauf-
haus zu machen, also das man nun fürbas alle kauf-
manschaft darin wol setzen mag Schmeller l, 986
(a. 1419); wein legen auf ein gred oder in ain gewelb
ib.; daraus entwickelte sich die bedeutung: warennie-
derlage, lagerhaus, kaujhaus; schwäb. und alem. seit
dem ii.jh. allgemein, vgl. Fischer schwäb. 3, 817; Staub-
Tobler 2, 704; bald synonym mit wage, bald davon ge-
schieden: {das haus) sollt nur ain gwelb haben, trey
leden, den hafner und die gret oder wag und ain
buxenstadel Bau mann quellen z. gesch. d. bauernkrieges
1, 202; da brachen sie auch das kaufhaus und die
wag und die gredt ab Seb. Frangk Germ, chron. 330;
in dieser bedeutung bildet grede den ersten bestandtheil
einer fülle von composita {bis auf gredstadel sämmtlich
bei Fischer schtväb. 3, 818/.).- gredamt, amt an der
grede; gredbrücke: in Überlingen-Meersburg war die
gredbrücke bis an das kugelwehr schiffstelle Birlinger
Augsb. ma. 202 ; g r e d g e 1 1, abgäbe für benutzung der grede,
auch Staub-Tobler 2, 704; gredhaus:= grede, auch ib.;
Schmeller i,986; gredkarren, karren im dienst der
grede, auch Staub-Tobler 2, 704; gredknecht, ange-
stellter an der grede, auch ib.; Schmeller 1, 986; gred-
lon = gredgeld; gredmeister, Vorsteher der grede,
auch ibb.; gredordnung, Verordnung für die grede;
gredschreiber, Schreiber an der grede; gredstadel
= grede, tautolog. bildung Schmeller i, 986; 2, 732;
gredzettel, preiszettel; gredzieher, männer, die das
überführen der guter aus der grede in die häuser be-
sorgten; gredzoll = gredgeld; gredzoller, der ein-
zieher des gredzolles.
3) namentlich im, bair.-österr. breite stufe längs der
Vorderseite eines gebäudes {besonders des bauernhauses),
erhöhter, fester gang um das haus herum, Schmeller
1,986; Unger-Khull steir. SOS**; Staub-Tobler 2,704;
erhöhter rand oder gepflasterter weg um die düngergrube
Höfer l, 321; Unger-Khull a. a. 0.; gepflasterter gang
im innern des hofraumes Loritza 54^; statt grede steir.
auch greche. dazu gredenbaum, baumstamm, der
zur einfassung eines solchen ganges dient Unger-Khull
«. a. 0.; gredenhochzeit, afterschm,aus, den die schma-
rotzenden gaste auf der grede abhalten ib.; grede n-
scheiszer, Stubenhocker ib.
4) hölzerne lagerstätte, in bauernhäusern um, den ofen
gebaut Schmeller l, 986; Fischer schwäb. 3, 817.
5) das an den wänden aufgeschichtete brennholz Schöpf
210; Lexer kämt. 123.
GREDEL, deminut. zu grede, mit doppeltem geschlecht:
l) /. ; sie {die hausotter) hat ihren wohnsitz gewöhn-
lich unter der gredel, dem freien, etwas erhöhten platze
zwischen dem hause und der traufrinne Peter volks-
thüml. aus Österr.- Schlesien 2, 33; ins haus kommen wir
am Erlitzgebirge über die gredel, eine steinlage zur
thüre hin Petters Stoffsammlung 25; vgl. grede 3.
2) n. : häufe aufgeschichteter holzscheiter, holzstosz
Unger-Khull steir. 305''; Schmeller l, 986; holzgredl
Schöpf 210; vgl. schon im iG.jh.: vacerre gredel an
dem zäun GoLius (1585) 51.
GREDELHAMMER, m., hammer für müller mit ge-
kerbten schlagflächen Unger-Khull 305*>.
GREDELN, vb., holz aufschichten Schmeller l, 986;
Schöpf 210; Unger-Khull 305^; im selben sinne grea-
den Lexer kämt. 123; vgl. grede 5; gredel 2.
GREDEN, vb., mit einer treppe versehen ; nur im, pari.
gegredet und nur mhd.; vgl. mhd. tob. 1,569*; Lexer
1, 1076.
GREDENWERK, s. gretenwerk.
GREDER, GREDNER, m., = gredmeister, s. grede 2;
greder ist die schicäb., gredner die ahm. form Fischer
schwäb. 3, 818; Staub-Tobler 2, 704.
GREDSCH, *. gretisch.
GREEDE, /., gras-, grün-, Weideland; besonders im
fries., doch auch in angrenzenden nd. dialecten verbreitet;
altfr. greed, gree; westfr. greyde, ostfr. gröde, greide,
mnd. gröt, grSdt Doornkaat-Koolman l, 676^; grijde,
griede Molema gron. 138''; greede, gröde Schütze holst.
2, 65; ut de gröde breeken grasland bepflügen ib.; vgl.
altfr., ostfr., ndsächs. groden angeschwemmtes land, auch
Weideland, ostfr, ettgrode, nordfr. ethgrow, dän. ette-
gröde Molema 138 *>; = mhd. gruot /.,■ vgl. greien.
GREEN, s. gran.
GREEN SAND, m., mineralogische bezeichnung eines
grünen Sandsteines Gehler 3, 1091 ; Beil l, 261.
GREEP, TM., am, schiff der theil des Vorstevens, der
das Wasser durchschneidet, engl, the gripe Bobrik 319*;
Stenzel 152*; dazu greeptau, greeptauswind Bobrik
a. a. 0.; nd. form für hd. greif, vgl. greife.
GREFF, /., gemeindeschreiberei, gerichtsschreiberei; aus
frz. greffe {lat. graphium) in den westlichsten dialecten
heimisch geworden, vgl. Martin-Lienhart i, 270^; der
schulmeischter muss a de greff kunne mache Foll-
mann lofhr. 214^; Autenrieth pfälz. 56; bei Gangler
luxemb. 188 greffe, m., kanzlei.
GREFFIER, m., gerichts- oder anderer Schreiber; aus
dem frz., seit anfang des 18. jhs. von den lexikographen
notiert Chr. Weise zeitungslex. 738; Gladow 283; die
Schriftsprache des 19. jhs. benutzt das wort wenig: der
damalige greffier hat es {das protokoll) in ganz unge-
schickten und abgeschmackten ausdrücken abgefaszt
Lassalle reden und Schriften 2, 266; aber in den west-
deutschen dialecten hat es vrie das Stammwort greff wurzel
gefaszt Martin-Lienhart l, 270''; Follmann lothr. 214'';
Autenrieth pfälz. 56; Gangler luxemb. I88.
GREGEL, m., lärm; lautes, schnelles, unverständliches
sprechen; froschquaken; grggeln solchen lärm erregen
Lexer kämt. 123 ; zu krägeln, alem. gregelen, ursprüng-
lich garrire, gracillare, dann auch lallen, schreien, zanken
{s. th. 5, 1953)? vgl. th. 5, 1977.
GREGELL, s. krakeel 2 c; 3 b th. 5, 1977.
GREGELN, vb., gackern: so die heimischen hennen
die leus suchen und stets greglen, als ob rägen-
tropfen herab fielen Heyden Plinius (1565) 429; ahd.
chragilon ; vgl. krägeln th. 5, 1955 m,it weiteren belegen.
GREGIER, n., helmzeichen:
eyn fliegend hertz ist dein gregier
Wickram 4, 40 BoUe-Seheel ;
entstellung von mhd. kroiier Lexer l, 1745; vgl. geregier
th. 4, 1, 2, 3619.
GREGORIUS. 1) der gregori ist nach Schmeller 1.
992 ursprünglich das Schulkinder fest, das am, tage Gre-
gors d. gr. (12. märz) zur feier des Schlusses der udnter-
schule mit spiel und mu7nmenschanz begangen wurde,
dann schulfest überhaupt; übertragen jede mummerei:
GREIBE — 1 GREIF
1 GREIF
6
das menschliche leben ist ganz maschkarad und purer
gregori und harlekinad Schmeller aus Marcell.
Sturm ; ähnlich in der gegend von Eichstätt für lärm,
aufzug, hinter dem nicht viel steckt zs. f. hd. maa. 5,
163; in gregori gehn vom Schulmeister, der am Grego-
riuatage milde gaben empfing Schöpf 2il ; dazu das vb.
gregörlen das Gregorsfest begehen Staub-Tobler 2, 724;
Birlinger wb. z. volhsthüml. 36; an die ausgelassen-
heit und maskerade des Gregorsfestes ist vermuthlich die
Verwendung des eigennamens in folgenden fällen anzu-
knüpfen {vgl. Müller-Fraureuth l, 439*>): ein rechter
gregori spasziger, seltsamer kerl, hanswurst zs. f. hd. maa.
5, 163 (Eichstätt); närr'scher guri (in harmlosem, scher-
zendem sinne) Müller-Fraureuth 1, 439*'; vgl. patseh-
gori gedankenloser Schwätzer Schmeller l, 415; göri,
knoUen-gorjes Spottname eines drollig aussehenden, un-
praktischen tölpels Staub-Tobler 2, 408. composita mit
Gregorius (dialect. Gregori): -engel maske für das Gre-
gorsfest Müller-Fraureuth i, 439»; -feierlichkeit
Görlitzer gymn.-progr. z. d.jan. 1826, s. l; -fest Adelung
2,792; Heinsius 2,526"; Müller-Fraureuth 1,438'';
-lied am, Gregorsfeste gesungenes lied Staub-Tobler 2,
724 ; -Schüler für das Gregorsfest herausgeputzter schüler
Müller-Fraureuth l, 439''; -singen singen der chor-
schüler auf den straszen am Gregorstage Adelung 2,
793; Heinsius 2, 526*; Schöpf 211 ; dasz . . . bei dem
Gregoriussingen brezeln an die schulknaben vertheilt
werden Böttiger kl. sehr. 1, 354; -tag 12. märz Hein-
sius 2,526»; Schmeller 1,992; -umgang umzug der
schüler am Gregorsfest Müller-Fraureuth l, 438'';
-wind tirol. nordwind, der in andern gegenden beisswind
heiszt Schöpf 211, nach dem datum Gregori benannt;
vgl. wenn an Gregori der biswind gät, so gät-er 40 tag
lang nach enand Staub-Tobler 2, 723; lebt in gregori-
wind umgedeutet die ältere bezeichnung des nordosttvindes
grego (Osw. v. Wolkenstein 17, 28 Schatz; aus ital.
greco) fort?
2) nd., auch md. ist Gregorius mehr oder iceniger be-
wuszte Verdrehung von chirurgus ; Gregur heilgehülfe
Berghaus 1, 608''; vgl. Schütze holst. 2, 66; Hertel
thür. 109; Jecht mansfeld. 44''; Jäschke lat.-roman.
fremdwb. der schles. ma. 55.
GREIBE, adj., scharf, herbe, säuerlich; hess. xcort:
iezö hete sih behaft
under in beidersit
der clebere unde der greibe nit
Pilatus 370 {zs. f. d. ph. 8, 282) ;
der spinat schmeckt greibe Vilmar 136; vgl. kreubeere
preiszelbeere Pritzel-Jessen 425*?
GREIBENSCHINDER, s. griebenschinder.
GREIDELN, s. greiteln.
GREIDENSTEIN, m., kreide:
schmierst du gleich salben an und scharfen greidenstein
grosze klunkermutz (1671) vorrede,
übersetzt psilothro viret aut acida latet oblita creta
Mart. 6, 93, 9.
GREIDIG, adj., von ansehnlicher gestalt, hoch, schlank:
eine greidige tanne, ein greidiges mädchen Frischbier
I, 251'^.
GREIF, m,.f, wachsthum, gedeihen, grünen; fries. als
greie, greue, groie, grei' Doornkaat-Koolman l, 676'';
Berghaus 1, 608''; nl. groci, m.; auch nd., denn hier-
her musz das in der gegend von Berlin erscheinende grei
gehören, womit alle kleinen fische bezeichnet werden, die
noch nicht grosz genug zum verspeisen sind, z. b. der
plötzen-grei , karpfen-grei ; nach Franck2 216'> junges
wort; vgl. greien.
GREIEN, vb., grünen, wachsen, gedeihen; fries. mit
den nebenformen greüen, groien Doornkaat-Koolman
1,676''; Berghaus 1,608''; nl. groeien; dazu greisam,
adj. Doornkaat-Koolman 1, 677''; greiwurm die made
der rinderbremse ib.; zur etymol. vgl. grün.
1 GREIF, m., fabelthier.
herkunft und form.
1) wort und begriff wurzeln im Orient, das griech.
yqvxp, gen. yqvno^ ist dem semit. entlehnt (vgl. assyr.
k'rub geflügeltes fabelwesen, hebr. kerüb geflügelter engel)
und steht ivahrscheinlich auszer Zusammenhang mit yqvnös
gekrümmt, ins lat. übernommen als gryps, grypis, daneben
grypus. das spätlat. bevorzugt spirantisierte formen mit
ph und flectiert das wort auch consonantisch mit dem
sziffix -on; daher im mlat. die formen griphus, griffus,
gripho, griffo (Diefenbach 270*; Du Gange 4,112*""'),
häufig auch griphes, gripes u. ä, (Diefenbach gloss.
270*; nov. gloss. 120''; Graff 4, 319). demgemäsz icird
das wort ahd. sowohl vocalisch wie consonantisch flec-
tiert: grif, acc. sg. grif neben grifo, griffo, crifo, grife,
plur. grifen Graff 4, 319. auch die romanischen sprachen
haben die entsprechenden doppelbildungen, z. th. mit diffe-
rencierter bedeutung : ital. grifo, grifone; span. grifo,
grifön; frz. griffen; provenc. grifö. in der mlid. litte-
ratur hat sich das sw. masc. durchgesetzt; nur in der
frühzeit ganz vereinzelt stark (sofern kein Schreibfehler
vorliegt) :
da {in Skythia) sint inne gerife (: uor rifen)
ged. d. 11. u. 12. jtis. 366, 15 Diemer.
2) im nd. dagegen hat die starke form geherrscht: eyn
dels hebben ze (die menschen) grypes houede Schiller-
Lübben 2, 148; vgl. den stadtnamen Gripeswolde. deswegen
hat auch das nordgerm., das das wort dem, nd. entlehnt
hat, das st. m,asc.: anord. gripr, schwed. grip, dän. grib.
auch das holländ. besitzt die alte nd. form grijp, TOghel-
grijp Dufflaeus (l599) I6I*; dazu kam durch entlehnung
aus dem, frz. griffoen. engl, nur das dem roman. ent-
lehnte griffin (älter griffon, gryphon), doch altir. auch grif.
das nd. kennt auch die formen mit schlieszender Spi-
rans, die die regel bilden sollten: soe hat der Leuiacon
vier voesse mit klauwen wie eyn %v]]a pilgerfahrt d. rit-
ters V. Sarff 137 v. Groote; Diefenbach notiert atis einem
lat.-nd. vocabular grife gloss. 270*; Berghaus kennt
neben griip auch die formen griif und grypf Sprachschatz
1, 612''; vgl. auch dän. grif neben grib. aber die form
mit p herrscht durchaus vor (vgl. noch grijp Diefenbach
gloss. 270* aus der gemma gemmarum; gryp nov. gloss.
120'') und erscheint auch in modernen nd. maa. (gr^ip
Bauer-Collitz 41*). das p erklärt sich aus secundärer
anlehnung an den verbalstamm grip-. auch im gebiet
des hd. hat die naive Sprachanschauung älterer zeit das
tcort geicisz stets mit greifen in Zusammenhang gebracht;
so ist nach Stieler der greif avis quaedam fabulosa,
dicta a greifen, quod uncis unguibus praedam surripiat
Stammbaum (i69i) 699. noch Adelung 2, 793 und Hein-
sius 2, 526* stehen auf demselben Standpunkt.
3) noch da^ nhd. läszt die ursprüngliche locale treii-
nung der starken und schwachen form erkennen; denn
das st. masc. flndet sich fast ausschlieszlich bei md. und
nd. autoren: die wapen . . . die einen fliegenden greiff
. . führten Micraelius Pommerland 2, 209; vor zeiten
pflegte man auf die leichensteine greiffe ab zu bilden
Ch. Weise polit. redner (i677) 572; Anthyrs bild . . hat
auf dem helme einen güldenen greiff Lohenstein Ar-
minius (1689/.) 1, 531*;
es wacheten greife Herder 27, 258 ;
Säulen . . . , die in den voluten greife haben Nicolai
reise d. Deutschland i, 152; die goldhütenden ungeheuer,
die greife des gebirgs Voss antisymb. 288;
vom hagem greif bewacht
Matthison sehr. 1, 207;
die greife der tausend und einen nacht Gutzkow säku-
larbilder (1846) 1, 237; GÖTHE kennt beide formen: Oke-
anus auf dem greif 47, 341 Weim. ; es stehen zwei greifen
an einem opfertische 20, 266; desgleichen Freiligrath:
der herold aber, mit dem greife
von Silber 4, 168 ;
(der nekromant, der) auf des greifen schwinge
durch die Sahara fliegt 1, 14.
obd. ist die starke form so vereinzelt, dasz sie auffällt:
da mit des griffes schwayn
erschuttelt sin gefider
und lies sich güetlich nyder
H. V. Sachsenheim Spiegel {meister Altswert 198, 38);
daneben schwach:
1 GREIF
«GREIF
8
man spricht, in Indien dort
da sin griffen wild 199, 36 ; vgl. 200, 4 ;
indifferent der griff 197, l. li. 23; 198, 30. bei Schiller
braucht die starke form nicht bodenwüchsig obd. zu sein :
zwey greife halten wache an der pforte
Piccolomini 1577 ;
mit dem 19. jh. imrd das st. masc. mehr und mehr zu-
rückgedrängt, und die ursprünglich obd. schwache form
wird auch bei norddeutschen Schriftstellern die übliche:
stürzt, brüder, gleich dem freien greifen,
euch muthig auf den süszen raub
Arndt werke 3, 141 ;
ich will den greifen, der sich an mein herz
mit seinen klauen hängt, besiegen
TiECK Schriften 1, 46 ;
im säum {des gewandes) . . sind nach hrn Schulz greifen
zu erkennen Ed. Gerhard akad. dbhandl. l, 96; auf
einem greifen Raabe Abu Telfan 2, 19.
4) das endungs-e der schw. form, erscheint nhd. nicht
häufig, aber noch recht spät:
wie seltzam füsse hat denn er,
gleich schier als er ein greiffe wer
Chryseus hoffteuf el d 7^;
der greife, der greife
must auf der hochzeit pfeifen
Uhland h.- u. nd. volksl. 36
nicht mehr regte sich der greife
TiECK Schriften 1, 117
tüie lange die form greife lebendig blieb, geht daraus her
vor, dasz noch H. Braun wb. 126'' sie ausdrücklich zu
rückweist, obd. erscheint gelegentlich das -en der obliquen
casus auch im nom.: ein greiffen See. Franck {s, u.
sp. 8, 2). in Basel heiszt das alte local einer ehrengesell-
sehaft nach ihrem wappenthier der grifen, zum grifen
Staub-Tobler 2, 709; hier könnte ein erstarrter dat.
zum nom. getvorden sein.
5) der stammsilbenvocat zeigt die dialectgemäszen Schwan-
kungen; im alem. des 16. jhs. das alte i:
volck aller handt
grülich als gryffen merck mich recht
Gen GENBACH 83;
Vögel mit oren, so von irem krumben schnabel gryffen
genennt werdend C. Gesner vogelb. LXVIIP; storcken,
falcken, gyren und gryffen Judas Nazarei 62 neudr.,-
bair. gelegentlich mit gerundetem vocal:
ich psorg des greuffen trueg und list
H. Sachs 22, 548, 18 Keller-Götze ;
böhmisch (f) grief = grephes lat.-deutsches vocabular 17"
Schröer (anfang 15. jh.).
6) nicht ganz selten ist die latinisierte form gryph:
den vogel Phoenix, Gryph, Harpyesche raub vogel halte
ich für gedichte Comenius ianua (i638) cap. 162 (im in-
dex: der vogel greiff); es ist so viel als arabesco, gro-
teskes, arabeskes laubwerk, in dergleichen dort beim
Manilli gryphe geflochten waren Lessing ll, 337 Lach-
mann (1839); dieselbe form nach Sanders 1, 622'' bei
Nicolai ; gelegentlich wird wenigstens die Schreibung durch
das lat. bestimmt:
man hat dem Plinius nicht gerne wollen glauben,
dass greiphe sind, die gold aus tiefer erde rauben
Logau 37 Eitner.
7) vereinzelt findet sich eine dem, part. praes. von grifen
entsprechende form,: was man des hordes nuisset, dar
uf die griffenden wonende sint Scherz-Oberlin 670.
bedeutung und gebrauch.
l) die mittelalterlichen Vorstellungen vom greifen:
swarz was ime {Alexander) daz ander (äuge),
näh einem grifen getan Straszb. Alexander 165 ;
wer könde gr6z wunder grözer grifen
mit kleinen worten wol begrlfen, , .
daz zwene künige offenbar,
binden lewen, vom adelar,
gemischet sint in einer hiute
H. V. Trimberg renner 19497 Ehrismann;
der vogel (sc. greif) ist vierfüezig und ist dem adlarn
gleich an dem haupt und an den flügeln, iedoch ist er
verr groezer. daz ander tail seines leibes ist ainem
lewen geleich, und wont auf den pergen, die da haizent
hyperborei K. v. Megenberg buch d. natur 190, 2; de
ghryp, de is vor eyn arne unde achter eyn louwe
Schiller-Lübben 2, 148 aus Loccumer bibl. erzähl.; die
anschauung ist also nicht fest; neben der antiken Vor-
stellung eines löwenleibes mit flügeln und vogelkopf (vgl.
Furtwängler in -Roschers mytholog. lex. i, ili^ff.)
entmckelt sich frühzeitig das bild, das in der heraldik
fest geworden ist: ein thier, dessen ganzer vorderleib ein-
schlieszlich der Vorderbeine vogelartig gestaltet ist;
smaracde sint in Cithia (Scythien);
die grifen wonent euch da,
die der gimmen hüten
H. V. Hesler apoc. 21646;
es schreiben auch vil von dem greiffen, den man in
India soll finden Seb. Münster cosmogr. 1156; dasz in
morenland vögel mit oren, so von irem krumben schna-
bel gryffen genennt werdend, wonind, halt Plinius für
ein fabel G. Gesner vogelbuch is**;
erstlich nennt die Arimaspos,
welche haben ein aug sehr gross
mitten an irer stiren breyt,
sie haben mit den greiffen streyt,
die das golt aus den bergen holn
H. Sachs 14, 201 Keller-Oötze;
all das ist schon antike fabelet; vgl. Paulys realencycl.
d. klass. alterthum,s 7, 1902 jf.
2) gern m,it anderen Ungeheuern zusammengestellt, na-
mentlich im mittelalter:
er (Achilles) hat die kraft an sich genomen,
daz er mit tracken stritet,
kein grtfe sin erbltet
noch kein löuwe noch kein her
K. V. Würzburg troj. 13578; vgl. 14334;
ausserhalben desz landes zil
ist greyffen und tracken vil
H. V. Neustadt Apollonius 10949;
da waren auch köstliche opfer käntlin, etlich gemacht
wie ein löwe, etlich wie ein drack, etlich wie ein
greiffen Seb. Franck Germ, chron. I7i; es liesz sich
sehen als wann ob dem circkel ein greiff oder drach
schwebet volksb. von dr. Faust 14 neudr.; Rom were
das rechte Babylon . . . und die officialen oder hof-
diener des römischen hofes weren teufelische harpeyen,
raubvögel oder greiffen Fisch art binenkorb 4:^ ;
die undurchdringlichen forste,
der drachen und greifen horste
Rückert 12, 46;
vereinzelt wird drache und greif gleichgesetzt:
ir (Heichen) troumte wie ein wilder tracke waere
gevlogen also balde
durch ir kemenäten dach,
und nam ir mit gewalde . . .
owe ! ir liebe süne beide.
er vuort si hin üf eine breite beide.
si hete in ir goume
waz den kinden geschach.
si sach in ir troume,
daz si der grife zebrach Babenschlacht 125, 4;
jünger ist die Zusammenstellung mit dem adler:
der adler aber wie ein greiff
die schlangen fasset grimmig steiff
Spreng Aneis 237";
da wir doch weder adler noch greiffen sind Mosche-
rosch gesichte 25; wenn der römische adler seine flügel
aus Europa strecket, so vermögen die asischen und
africanischen greiffen nicht sicher für ihme sein Prä-
TORIUS catastrophe muhammetica 180;
ein adler schwebt im himmelhohen,
ein greif ihm nach mit wildem drohen
GÖTHE 15 », 271 Weim.
3) während das mittelalter den greifen nur als loildes
raubthier kennt, wie ihn namentlich die sagen von her-
zog Ernst und von Alexander schildern (vgl. über die
mittelalterl. greifensagen Bartsch herzog Ernst CLllff.),
erscheint er seit der zeit des classicismus auch in ande-
ren functionen, die unmittelbar aus antiker kunst ge-
schöpft sind : ihr (Apollos leier) horcht der schwan, oder
greif zu seinen füszen Herder 17, 355; ein wagen, von
zwei greifen gezogen, deren einer vor sich hin, der
andre rück- und aufwärts blickte 23, 19; bei der 'ele-
ganten Zeitung' schlug er vor, den hüben, der die greifen
zügelt (auf der Vignette), umzukehren Göthe gespräche
I
9
1 GREIF
2 GREIF
10
1, 255; der Tieckische Apollo auf seinem von greifen
gezogenen wagen Hegel 10 2, mo; greifen und rosse zu-
sammenspannen, wird sich immer schlimm verlohnen
GuTZKOViT ges. werke 12, 164 (jungentur iam grypes equis
Vergil bucol. ed. 8, 27).
4) ebenfalls zur zeit des classieismus wird auch der
pegasus, der hippogryph, bisweilen greif genannt:
unwillig steigt der greif Schillek 11, 21 ;
es war ein groszer Zuwachs seiner schmerzen,
dasz er nunmehr den greifen auch vermiszt
A. W. Schlegel Athenäum 2, 263;
vgl.
ein greif erzeugt's {das flügelpferd) mit einem mutterpferd
Gries Ariostos ras. Roland 1, 91 ;
die alten sagen vom greifenritt mögen die bedeutungs-
übertragung erleichtert haben:
ich für vil tougenlichen
da her uf ewem griffen j. Titurel 4792;
es glaubt ihnen niemand mehr, dasz sie auf einem
greifen oder dem vogel Roch nach Nippenburg geritten
seien W. Raabe Abu Telfan 2, 19.
5) zu bildern und vergleichen dienen namentlich die
klauen des greifen:
ouch het der vil unsüeze {der drache)
als ein grife füeze Wigalois 132, 3 Pfeiffer;
als ein grffe het si {das weibsbild) klä
an den vingem allen 163, 13 ;
scherpfer, dann seind desz greiffen klawen
"Wickram 8, 189 Bolte-Scheel
{nach Albr. v. Halberstadt);
so wenig das kind klauen, wie ein greif, und eine
löwenmähne hat: so wenig kann es, wie greif und
löwe, denken Herder 5, 82 ; für das mittelalter war der
greif Symbol des geizes (vgl. Roethe Reinm. v. Zweier
anm. zu 100, 9); das wirkt in vergleichen lange nach:
wir beschlossen eine fahrt nach ihm, der wie ein ge-
heimniszvoUer greif über . . . schätzen waltete Göthe
36, 206 Weim.; da haust ein alter schwarzer magier, ein
astrologe, und brütet wie der greif über schätzen Immer-
mann 16, 20; vgl.:
wer mit gott und Vaterland sein liebstes nicht theilt,
den erwürget, der auf den schätzen verweilt,
der hagere greif mit der hungerkette Brentano 7, 319 ;
bildlich auch für personen :
ach Sünder, fliuch, dir jaget nach ein grlfe, ein freislich
bilde {der teufel)
Kolmarer hs. 116, 95 Bartsch ;
nu aber kan für den greiffen und lewen niemand blei-
ben, reissen alle hendel zu sich Luther 32, 451 Weim.;
landrauber, andere tyrannen, wahrfälscher, amptleut,
kaufleut, fürkäufer, Wucherer, falsche propheten . . .
dise greiffen müssen sein, und sind gottes geissei und
rüt schöne weise klugreden (1548) 106*; vom Vormund
eines mädchens:
der schätz . . , da ihn bei tag und nacht
ein alter greif, der selten schläft, bewacht
Wieland nach Sanders 1, 622i>;
lothr. ist greif verächtliche bezeichnung für eine grosze,
magere person Follmann 214^ {offenbar nach der heral-
dischen gestalt des thieres); sprichwörtlich:
bei hofe weisz ein greif zur taube sich zu machen
Lohenstein hyaeinthen 70;
die fabel kehrt sich um.
Apollo flieht, und Daphne setzt ihm nach,
die taube jagt den greif; die sanfte hindin
stürzt auf den tiger sich Shakespeare 1, 207.
6) eine grosze rolle spielt der greif in der heraldik:
gelicher baniere
man gein im fuorte viere, . .
an ieslicher eins grifen zagel Parz. 72, 21;
. . ainen schwartzen greyffen,
von rotem golde was das velt
H. V. Neustadt Apoll. 17928;
der kunig fürt den greyffen:
so fürt ener den dracken 18852;
den Schild ziert ein goldner greif Klinger werke 4, 18;
da steckte er die grosze herrschaftsfahne mit dem
springenden greifen auf den wimperg der bürg G. Kel-
ler 6, 225; auf dem heim stund ein greif mit offenem
rächen Bugholtz Herkuliskus 24; des Anthyrs bild . .
hat auf dem helme einen güldenen greiff Lohen stein
Arminius 531*; die heraldische bedeutung ist: weiszheit,
geschwind und tapfer zugleich, aufmercksamer rath
Schumacher wapen-kunst 61; vgl. welche (sc. schilder-
bilder) keiner nicht verstund, er verstund dann auch
die natur, kraft und eygenschaft der vorfigurirten . . .
natürlichen sachen. als der helfant ein keyser: ein
grosz ohr ein weyser . . greiff Schnelligkeit Fisghart
geschichtklitt. 188/9 neudr.; von einem orden: den gelben
greifen umgehangen Pügkler nach Sanders l, 622*;
häufig als münzzeichen, vgl. Halke 117; 'der greif war
das wappenbild des . . pommerschen fürstenhauses. die
fürsten nannten sich selbst nach demselben de gripen,
^oie aus vielen Urkunden erhellt, de under den grypfen
beseeten sint heiszt es u. a. in dem der stadt Olden-
Stettin . . 1449 ertheilten Privilegium' Berghaus l, 613.
aus der heraldik ist der greif seit dem, 12. jh. in die
ortsnamengebung eingedrungen; obd. und md. meist
bürgen : Greifenstein an der Donau, bei Zabern, auf dem
Eichsfeld u. ö., nd. städte: Greifswald, Greifenberg,
Greifenhagen.
7) in der magie und alchymie: dann oft bedeut . . .
ein königin, oder greiff, den planeten Lunam, oder das
metall silber Paracelsus opera 2, 304 b; greiff ist bey
den alchymisten ein sehr starckes allgemeines men-
struum, welches alle cörper auflösen, sonderlich aber
das gold ihrer liebhaber in ein nil, nihil, und nihilum,
oder in ein pures nichts verwandeln kan Chomel öcon.
u. physic. lex. 4, 1339.
8) in jüngerer zeit dient greif auch als ornithologische
bezeichnung; nach Adelung 2, 793 bei neueren Schrift-
stellern ebenso vrie greifgeier für den condor; desgl. bei
Heinsius 2, 526* und Sanders i, 622^; vgl.: ob übri-
gens Ludolffs muthmassung zutreffe, dasz der alten greiff
unser casuarius sey . . , stellet man dahin Chomel öcon.
u. physic. lex. 4, 1339. merkicürdig ist die vermengung
mit der giraffe : geyraff quasi geiziger, gieriger raff, der,
camelopardalis, . . . alii exponunt camelopardalim, den
vogel greif Stieler 1479; greif . . , gryps, gryphus, ca-
melopardalis Steinbach l, 637.
9) vogel greif scheint erst seit dem, 16. jh. vorzukom-
men; hier bleibt greif als eigenname stets unflectiert: vo-
ghel-grijp Dufflaeus (1599) 161"; der vogel greiff Co-
MENius janua (1638) im index; wie etwan von dem
schwanen-gesange also redet der Libarius . . vom vogel
greyf J Prätorius winter flucht 21; metallspiegel aus
Silber mit der getriebenen figur des vogel greif Ritter
erdkunde 8, 330 ; dann schau dich um und du siehst den
vogel greif am rothen meer sitzen Grimm kinder- u.
hausmärchen 2, 12; der geyer wird sich mit der hyäne
paaren, und madame Mollia wird den vogel greif be-
sitzen Holtei 2, 158;
flügelschläge hört er schallen,
rauschen langen federschweif,
und er ruht in eisenkrallen,
und ihn trägt der vogel greif
JuL. MosEN werke 1, 233.
auch auf menschen übertragen {vgl. oben 5) : das ist ein
rechter vogel greif heiszt es von einem diebischen koch
theater der Deutschen 13, 520; dat es en rechten vuagel-
grip loird von kleinen kindern gesagt, die nach allem
greifen Wo ESTE 85'*; auch das waldeckische kennt den
viugel griep Bauer-Collitz 220*; 'vagel grip' titel einer
gedichtsammlung von J. Bringkmann.
2 GREIF, m. 1) dreizinkige mist-, seltener heugabel
Follmann lothr. 214^; greef Gangler luxemb. 187; wb.
d. luxemb. ma. (1906) 152*; auch in der Eifel Martin-
Lienhart 1, 270*; das ausschleifen des mistes aus dem
stalle geschieht . . mit dem greif (misthaken) Schwerz
prakt. ackerbau (1882) 77; vgl. creagra eyn greiff Diefen-
bagh 155° (vocab. aus Mainz, 1414); dagegen elsäss., hess.
greife, nd. grepe /. in derselben bedeutung: greif Mar-
tin-Lienhart 1, 270*; greipe Vilmar 136; greif (greift)
Westerwald, greipe nördl. Kurhessen, grSwe Battenberg
Grecelius 1,435; greipe Bauer-Collitz 40*; graipe
Woeste 84*; grepe Sghambach 68*; greep Berghaus
11
3GREIF — GREIF-
GREIFAN
12
I, 608; vgl. creagra en grepe vel en gaffele myt dren
tacken Diefenbagh 155"; greef, m., auch für einen
wächsernen dreizach im liturg. gebrauch Gangler luxemb.
147.
2) hie und da erscheint greif an stellen, wo griff ge-
wöhnlich ist {vgl. unten greifel für griffel): der greiff
COMENIUS sprachentür (l638) index, aber an der entspr.
textstelle: mit dem gabelehen (welches du bey der scha-
len [dem griff] halten solt) cap. 558;
er brachte hier, toback, zwo karten, und vier pfeifen,
und ein kostbares stück, ein paszglas mit zween greifen
Zachariä poet. sehr. 1, 21;
vom edelwild köpf und hals . . vom Schwarzwild die
greif Schwappach hdb. d. forst- u. jagdgeseh. 2, 640 {vgl.
griff klaue).
3 GREIF, substantivierter imper.
1) kinderspiel : ich . . hätte . . noch lust, hier . . wie
ein bengel zu jauchzen, zu jodeln, 'greif (haschemann)
zu spielen Bog. Goltz ein jugendleben 3, 252; sie spiel-
ten dann greif oder haschemännchen miteinander Storm
ges. sehr. (1868^.) 8, 163; pretisz. greifchen Frischbier
1, 252».
2) auch der offenbar uralte, bis heute beliebte hunde-
name Greif wird urspr. imperativ sein {vgl. Greifan,
Packan, Rasp in dem folg. beleg), wenn der name auch
bisweilen nach dem gleichlautenden greif gryphus umge-
deutet sein mag:
in witem umbesweife
liuf Erg unde Greife
Rasp unde Gite
{vermuthlich : umbesweif : Grif)
Seifr. Helbling 4,434;
der Schäfer bald vergiszt das pfeiffen,
ruft seinem Strom, Trostrein und Greiffen
B. Waldis Esopus 2, 249 Kurz;
der dorfhund. Greif, hat es getan
LiCHTWER äsop. fabeln (1748) 140;
gewisz, lieber Greif, du wirst nicht zu kurz kommen!
du braver hund Hippel kreuz- u. querzüge l, 555; vgl.
greif, greyp, gryphond harpalus Diefenbagh-Wülcker
634.
3) satir. als eigenname:
darumb so stot hye doctor Gryff,
der ist eyn gelert und witzig man,
er grift eym yeden die oren an
Brant narrcnsch. 76, 72.
GREIF- als verbales compositionsglied ist besonders für
die spräche der Zoologie fruchtbar geworden, theils in be-
nennungen, theils in gelegenheitsbildungen : greif äffe,
m,., gattung der amerikanischen äffen oder breitnasen
{nach dem zum greifen geschickten schwänz) Oken allg.
naturgesch. 7, 1730. — greifarm, m.: ihre {der tinten-
fische) arme sind mittelmäszig lang, nur die greifarme
sind länger Brehm thierl. 10, 276 Pechuel- Lösche. —
greifbein, n. : auch bei den raubinsekten . . kommen
. . greifbeine vor Brehm 10, 57. — greifbewegung,
/..• durch diese greifbewegungen der zungenzähne wer-
den {von den bauchfüszern) beutetiere gefangen ib. —
greif extremität, /.; ein greiffusz ist eben eine
greifextremität, d. h. eine band Baer reden u. versch.
aufsätze 2, 313. — greiffalke, s. an alphab. stelle. —
greiffuszhüpf er, m., hypsiprym,nodon moschatus, zur
familie der beutelthiere gehörig Brehm 3, 665. — greif-
geier, gypaetus barbatus Cuvier Naumann naturgesch.
d. Vögel i, 180, also = lämmergeier, vgl. Brehm 6, 415;
früher auch = kondor Heinsius 2,526^; Hübner zei-
tungslex. 31 2, 83*; nach Heinsius 2, 526» bei einigen auch
für den greifen; bildlich: aber in unsere mittlere stände,
auf unsere lämmer schieszet, ihr greif- und lämmer-
geier, nicht herab Jean Paul l, 297 Sempel; die grösze
dieser zentimanen der Völker und greifgeier der weit
{sc. der Römer) 35, 60; vgl. 45 — 47, 385; dazu greifgeier-
klaue, /. ; die ganze Wappenkunde . . mit tiger-, löwen-
. . . tatzen, dann mit adler-, falken-, greifgeier-klauen
49 — 51, 293. — greifklaue, /., Waue der raubvögel
Heinsius 2,527». — greiforgan, n.: so wird er {der
fusz des gorillas) doch eben dadurch zu einem greif-
organ VKSCHKt. Völkerkunde i. — greifschnabel, m.;
{der schan sichert sich in einem stein vor feindlichen
fischen) mit ausnähme der scharben, deren . . . greif-
schnabel ihn . . . hervorzuziehen weisz Brehm 8, 151;
dagegen ist das wort in dem, sinne 'werkzeug der Wund-
ärzte, gemsenfusz' mit greif gryphus componiert; vgl.
greif enschnabel. — greifschwanz, m,., bei äffen Oken
allg. naturgesch. 7,1730; Brehm 1,57. — greifstach-
le r , m., cercolabes prehensibilis, zur familie der Stachel-
schweine gehörig, nach dem kletterschwanz benanntBREHM
2,575. — greifwerkzeug, n.: der rüssel des elefanten
ist ein greifwerkzeug l, 5. — greifzelle, /..- wie ver-
wertet nun . . die ctenophore {rippenqualle) ihre greif-
zellen 10, 545. im, selben sinne auch in der spräche der
gewerke: greifanker, m., dient dazu, kabel vom meeres-
gründe aufzuheben Blasghke wb. d. elektrotechnik 56.
— greifcylinder, m., Muspratt chemie 7, 932. —
greifmechanismus, m., an torfmaschinen 4,410. —
greifzirkel, m., zirkel m,it gebogenen schenkein, um
damit breite oder dicke eines gegenständes zu tnessen,
namentlich im gebrauch von tischlern und drechslern:
wird der diameter der abgewogenen kugel mit einem
greiff-circul gefast Gruber mathem. friedens- u. kriegs-
schillern; vgl. Jacobsson 2, 149*^; Blasghke 56; Unger-
Khull 306»; bei Ghomel öcon. u. physic. lex. 4, 1339
m,it dem, taster (s. d.) identifidert, bei Beil l, 261 mit
dem, dickzirkel, vgl. th. 2, 1084. selten hat greif- passiven
sinn : was oder worauf gegriffen wird : greifbrett, n.,
brett am hals der violine, über dem die saiten liegen {ge-
wöhnlich griffbrett) : alsdann brauchen sie die finger
der lincken band, wie auf dem greiff-brett der Violinen
Stranitzky Ollapatrida 75, 8 neudr. — greifholz,
n., die hölzernen griffe an der schere der tuchscherer
Jacobsson 2, 149^; Beil 1, 26l. alle anderen Substantiv-
composita sind bis auf einige bezeichnungen des polizisten
(greifhahn, -hummer) gelegenheitsbildungen: greifbote,
m., häscher: ich habe gesehen, dasz sie {Persephone) von
den Schergen und greif -bothen des gestrengen herrn
Pluto . . erhaschet worden Linden born Diogenes (1742)
1, 533. — greif fehler, m.: es gehört eben unter die
alten Irrlichter, welche diese vorrede vertreiben will,
dasz man druckfehler heiszt, was eigentlich setzfehler,
greif- oder sehfehler sind Jean Paul 55 — 58, 313 Hempel.
— greiffleisch, n. ; {der staat könnte durch wegschnei-
den fauler ferien erreichen) dasz er ein ordentliches
groszes raspel- und arbeitshaus würde überall mit
emsigem sitz- und greiffleisch ausgepolstert 19, 176.
— greifhahn, m., Spottname für Zollbeamte: ihr sollt
dank haben, herr greifhahn, dasz ihr nicht auch meine
hosen habt durchsuchen wollen Holberg dän. Schau-
bühne 4, 3. — greifhand, /. : besonders ist er {der
storch) ein arger bienendieb, die er im grase . . . zu-
sammenlieset, und wohl 6 bis 8 greifhände voll täglich
erhaschet Leopold hdwb. d. Ökonomie 503'^. — greif-
hummer, m., in Hamburg Spottname für die bettel-
vögte, die die gassenbettler zu greifen haben Schütze
holst. 2, 69. — greif knochen, m.: bei gaunern und
taschendieben sind die greifknochen des rechten armes
immer wunderbar schön und gelenkig geformt Gutz-
Kow^ 5, 338. — greifschere,/., der Engländer hatte
im eifer seiner dissertation ihn wie mit greifscheren
festgehalten Kürnberger ges. icerke 4, 240; es ist an
krebsscheren zu denken. — greifsucht,/.; die hab-
und greifsucht eines äffen Jean Paul 27 — 29, 18 Hempel.
— greifzange, /.: wenn man die haut mit einer
greifzange . . in die höhe ziehen würde Brehm thierl.
1, 370 Pechuel -Lösche. adjectivcomposita sind selten:
greiffähig: sie {die otter) kennzeichnet der . . . nur
ausnahmsweise greiffähige schwänz Brehm 7, 392. —
greiflustig: er benutzte jede gelegenheit, sich der
strengen zucht {seiner mutter) zu entziehen, und das
zwischen handwerk und feldbau geteilte schaffen des
Städtchens brachte dem greiflustigen solcher gelegen-
heiten genug 0. Ludwig 2, 323. — greifunfähig:
kleine . . äffen mit schlaffen, . . greifunfähigen schwän-
zen Brehm 1, 237.
GREIFAN, m., ital. sbirro, insidiator, ein spürer, aus-
Späher Stieler 46; hundename:
13
GREIFBAR
GREIFBARKEIT — GREIFEN
14
der bellende Greifan,
ein Windspiel Gleim 2, 374 ;
vgl. hauptmann der gwardi Jacob Grifsan N. Manuel
60 Bächtold.
GREIFBAR, adj., junges wort; schon bei Kramer
teutsch-italiän. (1700) 1, 559'' notiert, aber erst seit der zwei-
ten hälfte des IS.jhs. litterarisch verbreitet.
i) von den verschiedenen bedeutungen des verbums grei-
fen hat das adj. wesentlich nur die elementare des be-
greifens, fassens aufgenommen und weiterentivickelt.
a) nicht allein das sichtbare daran, sondern das hör-
bare, riechbare, greifbare . . weisz er sich anzueignen
und wiederzugeben Göthe 40, 300 Weim.; ihre maierei
neigt zu bildhauerartiger auffassung, rund und greifbar
wollen sie die dinge erscheinen lassen Grimm Michel-
angelo 2, 62; andere frauen können . . geheime Schub-
fächer aufschlieszen und mit einem schosz voll greif-
barer angedenken niedersitzen . W. Raabe Abu Telfan
1, 190; gern im gegensatz zum ideellen: die letzten hand-
griffe haben immer etwas geistiges, wodurch alles kör-
perlich greifbare eigentlich belebt und zum unbegreif-
lichen erhoben wird Göthe II 5 ', 302 Weim.; was der
mensch hier {in London) nicht haben kann, das suche
er beim urgroszvater seeliger, in dieser greifbaren weit
nicht Lichtenberg briefe l, 11; wir beschäftigen uns
mit der greifbaren sinnlichen weit Büchner kraft u.
Stoff (1856) 42; dem bis vor wenigen jähren nur in der
idee bestehenden pfefferkuchenhause greifbar zu be-
gegnen Fontane I 4, 302; so namentlich greifbare Wirk-
lichkeit: dasz sie das ideelle in greifbare Wirklichkeit
verwandelt Ludwig ges. sehr. 5, 181; so dasz für uns die
weit des traumes auf das engste mit der gegenwärtigen
und greifbarsten Wirklichkeit verbunden war Keller
1, 337.
b) die zugehörigen substantiva oder parallele adjectiva
weisen häufig auf den rein sinnlicheri ausgangspunkt der
bedeutung zurück: mit neugieriger liebe erfaszte sie alles
. . , was ihrer wogenden phantasie dargeboten wurde,
und sie bekleidete es alsbald mit den sinnlich greifbaren
formen der Volkstümlichkeit Keller l, 63; in dem aus-
zuge des Marsilius nimmt alles etwas greifbarere gestalt
an Scherer kl. sehr. 2, 208; nicht lange darauf verlieh
Ndega seiner freude über unser kommen greifbare ge-
stalt, indem er uns . . körbe mit höhnen überbringen
liesz Götzen durch Afrika 84; dasz man dasjenige auf
ein einfaches sichtbares und gleichsam greifbares gesetz
reduciren soll, was in der natur sich ewig verändert
Göthe II 6, 318 Weim.; der richter unter der linde spricht
nur über ruchbare und greifbare that G. Freytag 9, 300;
wenn gegenwärtig das übel sich ohne greifbare, fasz-
bare äuszerlichkeiten fortspann W. Raabe hungerpastor
2, 207; nicht die greif- und meszbare summe dessen, was
ein mensch leistet, ist das masz seines werths Justi
Winckelmann l, 373; aber die mehrheit . . ist die einzige
wirkliche und notwendige macht im lande, so greifbar
und fühlbar, wie die körperliche natur Keller 3, 247;
aber auch schon früh ohne solche hinweise auf den sinn-
lichen kern des adj. neben reinen abstr actis: sie haben
ein recht greifbares argument Arnim trösteinsamkeit 92;
doch tritt diese Verwendung erst in jüngerer zeit m,ehr in
den vordei-grund : aber wie fein {urtheilte er) doch auch
über die greifbaren schädlichen Wirkungen des katholi-
cismus Gervinus gesch. d. detitschen dichtung 5, 274;
die kaiserwürde gewährte ihm keinen unmittelbar greif-
baren Zuwachs an macht Döllinger akad. vortrage
1,46; das frühere vage heldenideal ward greifbar Sgherer
lit. gesch. ' 23 ; er . . verlangt aber auch zuweilen unge-
duldig eher greifbare ergebnisse, als . . Prutz preusz.
gesch. 3, 52; anders: in welchem grade Mozart {in der
zauberflöte) Situationen wie personen lebendig und in
greifbarer anschaulichkeit hingestellt hat Jahn Mozart
4, 670; er sah die heimat vor sich mit greifbarer deut-
lichkeit Polenz Orabenhäger 2, 66.
c) ebenfalls erst in jüngerer zeit gewinnt das adverbiale
greifbar ausbreitung; hier icird das verblassen der ur-
sprünglichen sinnlichen bedeutung am fühlbarsten : ab-
gesehen von der tendenz, die in herrn dr. 0. Jägers ge-
schichte der jähre 1848 und 1849 . . so offen und greifbar
zu tage tritt briefe von u. an Herwegh 835 ; nicht minder
bewundernswert tritt uns hier seine technische meister-
schaft entgegen, in mancher beziehung sogar greifbarer
als anderswo Jahn Mozart 4,549; indem es uns in sei-
nen Sprüchen, liedern, sagen und sitten genau und greif-
bar Urkunde gibt über viele seiner innersten gedanken
RiEHL deutsche arbeit 111; die stamme sind greifbar
noch heute da: die spräche zeigt es Lagarde deutsche
sehr. 10; {Haupt hat) dieses problem erst recht deutlich
und greifbar hingestellt Scherer kl. sehr, l, 121; die
von ihm gegründeten Volksschulen Litauens zeigen ihm
das {dasz Friedrich Wilhelm I. Preuszens erzieher war)
greifbar Meinecke Boyen l, 67.
d) vereinzelt kehren im adj. gewisse phrasenhafte Ver-
wendungen des verbums wieder: wenn die finsternis sicht-
bar und beinahe greifbar vor mir brütete Schubart
leben u. gesinnungen 2, 249 {vgl. greifen sp. 25); dasz wir
unsere narrheiten in utopische orte übersiedeln müssen,
die uns alle so greifbar nahe liegen Gervinus gesch.
d. deutschen dichtung 5, 627 {vgl. greifen sp. 2l).
2) nur sehr selten zeigt sich in dem adj. eine speciali-
sierte bedeutung des verbttms: etwas was sich fangen,
rauben läazt (vgl. greifen sp. 19):
ein mädchen ist's gewisz:
ein schönes zartes bildchen. laszt uns sehen,
ob es wohl greifbar und genieszbar ist?
Göthe 11,272 Weim.;
da waren sie {die kinder) den genossen der bände, welche
greifbares suchten, in die bände gefallen und der klei-
der entledigt worden Freytag verl. handschrift (1905)
1, 172.
GREIFBARKEIT, /. ; die färbe wirkt . . ungleich sinn-
licher, als, trotz der greifbarkeit der form, marmor und
erz ViscHER ästhetik 3, 520; diese greifbarkeit schien
den elementen des sinnlichen {den atomen) zu gebühren
Lange gesch. d. inaterialism,ua 364; also aubst. zu greif-
bar l), *. d.
GREIFE, s. 1 greif l).
^GREIFEL, m,., griff el; vereinzelte {in anlehnung an
greifen irrthümlich diphthongierte?) bildung: zweyerley
schreibtäfelin : eyns soll zimlich dick von schifersteyn
sein, mit eynem kleynen greiffei SEBiz/eWöaw (1579) 473.
2GREIFEL, /., preiszelbeere Grassmann 153; Schweiz.
griflen, grifli Staub-Tobler 2, 722.
GREIFELBEERE, /., heidelbeere Bürgel öcon. u. phys.
lex. 4, 1339; vgl. griffelbeere.
GREIFELN, vb., Schweiz., einen lärmenden umzug ab-
halten, der mit maskerade und possenspiel verbunden
war Staub-Tobler 2, 708; umsonst eiferten lange gegen
diesen wilden taumel oder gegen das 'greifein' priester
und Seelsorger Zschokke ausgew. sehr, 6, 26.
GREIFEN, vb., capere, palpare.
ursprtmg und form.
1) gemeingerm. wort: got. greipan; ahd. grifan, mhd,
grifen; alts. gripan, mnd. gripen; afries. gripa, ofries.
gripen, wfries. gryppjen; mnl. gripen, nnl. grijpen; ags.
gripan, engl, gripe; anord. gripa, norw. schwed. gripa,
dä7i. gribe. aus dem germ. entlehnt frz. gripper packen,
griffe klaue, griffer mit klauen ergreifen, lomb. grippä
wegschnappen, au^ einer idg. vmrzel ghrib-, die wieder-
kehrt in lit. grSbiü, grSpti greifen, dazu das iterat. grai-
baü, graibyti umhergreifen; lett. gribet verlangen, wollen,
griba tville.
2) neben dem starken vb. besaszen mehrere germ. dialecte
ein abgeleitetes schwaches, ahd. greifen, ags. gräpian, anord.
greipa. dem, sinne nach toaren beide verba ursprünglich
anscheinend in der weise geschieden, dasz das starke ca-
pere, fassen, ergreifen, das schwache palpare, tasten, fühlen
bedeutete, das ags. zeigt den unterschied noch intact,
anord. greipa die hände nach etwas ausstrecken, sich mit
etwas befassen, hat schon die bedeutung des starken vbs.
angenommen, dieselbe bedeutungsübertragung, die sich im
15
GREIFEN
GREIFEN
16
alid. vollzieht, in der regel zeigt dhd. greifön zwar noch
den ursprünglichen sinn; texte und glossen brauchen es
für palpare, manu tentare, temptare (Graff 4, 318);
'ih bin iz', quad er, 'uuizlt thäz, ther blint hiar betolönti
saz,
ih iö mit stäbu nöti giang uueges greifönti
zi männoliches uuenti Otfrid 3, 20, 38;
gisehet mino henti inti fuozi, thaz ich selbo bin, greifet
inti gisehet Tat. 230, 5. aber fälle wie greiphontem
prensantem und die composita kihantcreifon violasse, er-
greifota si iro brüste u. a. (Graff a. a. o.) lassen eine
vermengung mit grifan erkennen, andererseits greift auch
grifan in die bedeutungssphäre von greifön über: Notker
gebraucht regelmäszig grifen für tasten, fühlen 1, 337, 7.
339, 27. 359, 17. 436, 2. ibi, 18 u. ö. der bedeutungsver-
mengung tritt zuweilen eine formale zur seite: ich ge-
griffen dih (reprehendam) Williram 131, i. die aus-
gleichsbewegung setzt sich im mhd. fort, wesentlich in
der weise, dasz greifen seine bedeutung an grifen abgibt;
man vergleiche:
sus gieng er allez enbor
.und greifende mit henden
an müren unde an wenden,
biz er zir beider bette kam Tristan 13595;
swer birget s6 diu ougen sin, . .
der muoz grlfende gän Barlaam 136, 37;
wan unz dar so gangen wir als die blinden schlichen und
greifen umb uns H. Seuse deutsche sehr. 387, 12 Bihlm^i/er ;
aber: gangen wir also die blinden slichen und griffen
umb uns 468, 16. greifen tvird je später, je seltener {mhd.
wb. 1, 572*; Lexer 1, 1077). der durch die diphthongie-
rung von i hervorgerufene zusammenfall von grifen und
greifen in den präsensformen beschleunigte den unter-
gang des schwachen vbs., und m,it dem 14. jh. ist der
aufsaugungsprozesz im wesentlichen beendet, wenigstens
für die spräche der litteratur. in einzelnen dialeeten hat
sich die schwache form, aber noch lange gehalten; noch
ScHUPPius sagt: der artzt greiffete nach des krancken
puls sehr. 769 {also in der urspr. bedeutung 'fühlen'),
vielleicht nach dem muster einer nd. form {auch das fries.
kennt neben geivöhnlichem griip, griep ein prät. grypte
Winkler 477*); 7ioch ende des 18. jhs. weist H. Braun
das schwache prät. zurück: ich griff (nicht griffe, noch
minder greiffete) wb. 126''. auch alem.: sy habend hend
und könnend nit greyffen {manus habent et non palpa-
bunt) Zürcher bibel ps. 113 B {v. 7) ; noch in der modernen
ma. greifen vom, betasten der hühner, also ebenfalls mit
bewahrung des ursprünglichen sinnes Staub-Tobler 2,
708 ; in derselben bedeutung häufiger grifen ib. 713 ; auch
Schöpf kennt neben dem prät. griff' noch greiffet' tirol,
id. 211. den ersatz des alten greifön übernahm z. th.
tasten, das um 1200 aufgenommen wurde, zu einer zeit
also, als greifen schon stark zurückgedrängt war.
3) im nhd. findet sich der präsensvocal i Schwab, noch
ende des ib. jhs.: gryffen Stainhöwel de dar. mul. 335
Drescher; alem. herrscht i in den drucken des 16. jhs.
noch vor, z. b. bei Nicl. Manuel 46, 360; 143, 242; 184, I4il
Bächtold; in der ewigen vÄszheit betbüchlin (1518) 25". 142*,
bei Judas Nazarei 31, 37; 34, 6; 41, 35 neudr.; auch noch
bei Murner narrenbeschw. 5,119; 215, 80 Oödeke; bei Eb. v.
GÜNZBURG erscheinen beide formen: gryffen 1,113; 2,122,
greyffen aber auffälliger weise fast immer in der bedeu-
tung begreifen, erkennen: ir greiffen und befinden, das
1, 52 neudr.; so man yetz greyfft, wie 1, 204, ähnlich 3, 78;
da die bedeutung begreifen an tasten anzuknüpfen ist,
könnte hier statt diphthongierter formen das alte greifön
vorliegen; doch vgl.: so greyffent kecklich yn die klöster
zins 3, 31. seit 1600 herrscht ei, z. b. Stumpf Schwytzer-
chron. 312'» u. ö. md. bis ins 16. jh. griffen chron. d. Wi-
GAND Gerstenberg 80 Diemar; Alsfelder passionsspiel
V. 7802 Qrein. sehr auffällig ist der alte vocal bei Hars-
dörffer: ich will diesem velleisen meisterlich den puls
grieffen frauenz. gesprechsp. 2, 327; bevor ich . . ihm den
puls griffen lasse 5, 86 {gewöhnlich greiffen 2, 288 u. ö.),
anscheinend also an diese redensart geknüpft, hie und
da erscheint statt i im präs. ie, besonders alem. : grieffen
Wickram 2, ll BolteScheel; der ew. unszheit betbüchlin
(1518) 85»; auch md.: grieffen Diefenbach 430<=.
4) der vocal des sing. prät. steht in toechseltoirkung mit
dem des präs., insofern die dialecte, die das 1 des präs.
am festesten bewahren, auch das ei des prät. am längsten
halten, in der regel sogar länger als den vocal des präs.
alem. steht ei bis ins 17. jh. hinein fest, z. b. N. Manuel
221, 14 Bächtold; Wetzel söhne Giaffers 21 Mscher-Bolte ;
regelmäszig bei Stumpf Schwytzerchron. 339^. 369*. 427'';
die Straszburger drucke des 16. jhs. haben greiff: Pauli
schimpf u. ernst 220 Österley ; Arigo decam. 69, 36. 275, 21
Keller; im 17. jh. griff Paracelsus opera 2,258''; auch
rheinfr. im 16. jh. ursprünglich noch greiff E. Alberus
loider Jörg Witzeln mammelucken G 3*; Scheit frölich
heimfart B 2''; Amadis 290 Keller; daneben griff Scheit
Grob. 2258. 4818; fr öl. heimf. K 2'' {die herrschende form);
Amadis 372 Keller; buch d. liebe 98* u. ö.; herrschend bei
Fisch AKT flöhatz 169 neudr.; Eulenspiegel 1306 Hauff en.
am längsten, bis gegen ende des 17. jhs., hält sich ei im
ostmd.: Luther 3o1, 166; 32, 272 u. ö. {auch griff Diez
2, 162''); Lindener katzipori 74 Lichtenstein; Eyering
proverbia 2, 493; Rachel sat. ged. 90. 96 neudr.; Sgriver
seelen-schatz 1,219; aber griff Chemnitz schwed. krieg
2,665; Schwab, dagegen steht seit dem 16. jh. griS fest:
V. Warbeck Magelone ü, li Bolte; Schaidenreiszer
Odyssea 39*; Spreng Ilias 72*. 81*. 83'' u. ö. bair. er-
scheint i im, prät. schon früh im 15. jh.: gryff städte-
chron. 2, 38 {a. I42l) ; auch in Nürnberger drucken herrscht
griff: Maximilian Teuerdank 39, 19 Gödeke; H. Sachs 3,
486,25; selten greiff Val. Schumann nachtbüchl. 212 Bolte;
Forster frische teutsche liedlein 121 neudr. {aber die
2. ausg. [1552] hat gryff, die 3. [l563] grieff).
5) für das i im prät. und part. prät. erscheint vom,
16. bis ins 18. jh. auch ie, namentlich im md., und zwar
besonders ostmd.: grieffen N. Herman sontags evangelia
154 Wolkan; grieff Rollen hagen froschmeuseler (1595)
D V", LoGAU sinnged. 95 Kitner; Weise drei ärgsten
erznarren 76 neudr.; grief Lohenstein Armin. (1689/".)
1, 12*; grieffen 2, 337*; gegrieffen 2, 279''; grieff, griffen,
gegriffen Steinbagh 1, 639; auch ivestmd.: grieffen Kirch-
hof wendunm. 2, 842 Österley; gegrieffen 2, 550; grieffe
Moscherosch gesichte (l650) 5; nicht so häufig, aber um
so länger obd.: grief österr. weisth. 6, 149, 37; S. v. Bir-
ken forts. d. Pegnitz - schäferey (1645) 53; grieffe Grim-
melshausen 4, 531, 6 Keller; gegrieffen disc. d. mahlern
2, 163; griefen M. J. Schmidt gesch. d. Deutschen 3, 233;
grief Schubart briefe 2, 244 Strausz.
6) gerundete formen erscheinen im schwäb. und bair.:
greufft Schiltberger reisebuch 1O8, 3 Langmantel; inf.
greüfen Tauler sermones (1508) AIII''; häufig bei H.
Sachs: {er) greufft 8, 151, 15; 499, 37; imper. greüff ll,
314, 18; greuffet 22, 204, 3; part. grüffen österr. weisth. 6,
200, 16. vereinzelt und offenbar unter obd. einflusz auch
bei Luther: greufft 9, 557, 25; 560, 5 Weim.
7) das part. prät. verliert durch eine art ekthlipsis ge-
legentlich das präjix ge-; namentlich obd., bis ins 17. jh.:
griffen städtechron. 1, 142, 19 {Nürnberg, 1388) ; 23, 316, 9
{Augsburg, ca. 1534); altd. passionsspiele aus Tirol 423
Wackernell; Eb. v. Günzburg 3, 68 neudr.; Agricola
750 teutscher sprichw. (1534) LI*;
dieweil du hast gesehen mich
und griffen H. Sachs 6,349 Keller;
JOH. Nas antipap. eins u. hundert 2, B 8*; Mathesius
Sarepta (l57l) 10*; getast, griffen Paracelsus opera l,
325; vgl. 2, 480; grüffen österr. weisth. 6, 200, 16; nur sel-
ten md. : gefallen und griffen Luther 18, 19 Weim. {meist
gegriffen 16, 20, 23; 28, 342, 2. 20 u. ö.); Fischart flöhatz
30, 1005 neudr. {öfter gegriffen geschichtklitt. 87 neudr.;
Philosoph, ehzuchtbüchlin 191, 22 Hauffen).
8) sing. prät. zuweilen mit epithel, e: greiffe Arigo
decam. 31, 18 Keller; griffe Tabeus Mäynhincklers sack
(1612) B 1*; grieffe Moscherosch gesichte (1650) 5; griffe
S. V. Birken verm. Donau-strand (i684) 122; Hahn einl.
z. teutschen staats-hist. 2, 47.
9) in nhd. zeit herrscht die Schreibung mit ff auch nach
langem vocal bis in den anfang des 18. jhs. ; doch erscheint
seit altera daneben auch f, besonders im bair. und an-
J
17
GREIFEN
GREIFEN
18
grenzenden gebieten nicht ganz selten: imper. greift cod.
Teplensis l, 120 Huttier; (er) greifet Nürnberger polizei-
ordn. 35 Baader; greifen städtechron. 5, 317, 3 (Augsburg,
ca. 1468); österr. iceisth. 6, 27, 17; 428, 38 u. ö.; md. weit
spärlicher: greifst Fischart podagr. trostb. 43, 11 Haufen;
greifen A. U. v. Braunschweig Oct. 1,94; greift exempl.
priester (l690) 153; seit der 2. hälfte des il.jhs. empfehlen
die theoretiker greifen: Bellin hd. rechtschreibung a 7'';
Stieler Stammbaum (l69l) 698; aber erst in der zeit von
1720—50 setzt sich f durch: greift Weighmann poesie d.
Niedersachsen 2, 95; greifen Gottsched vernünft. tadl.
2, 154; (er) greifet Heppe aufrichtiger lehrprinz 34; grei-
fen 45; Gottsched ged. (l75i) 14; imper. greif Dusch
verm. werke 560; doch hält sich greiffen darüber hinaus
noch ziemlich lange: greiffen Döbel jäger practica (1754)
1, 96; Dusch verm. werke 470; Lessing 17, 420 ; er greifft
Schiller 2, 142; ich .. greiffe Güthe 38,282 Weim.;
greiffen Schubart leben u. gesinn. 2, 9; Stelzhamer
ausg. dicht. 2, 122 Rosegger; noch ende des 18. jhs. schreibt
Angerstein wenigstens für den imper. greiff doppel-i
vor, anweis. 170. wohl nicht ohne Zusammenhang mit die-
ser orthographischen beioegung ist eine andere parallel
laufende, die auch im, sing. prät. ff durch f ersetzt; im,
17. jh. spärlich: grif Zesen erhöhte majestät (I661) 153;
Butschky Pathmos (1677) 407 ; hauptsächlich in der 2. hälfte
des i8. jhs.: grif Schönaich Heinrich d. vogler (l757) 43;
Kästner verm. sehr. 2, 137; Kretschmann 2, 97; Her-
der 5, 63; 12, 176; Arnim trösteinsamkeit 80 Pf äff.
bedeutung.
die Vorgeschichte des mhd. grifen läszt ericarten, dasz
bei dem verbum, zwei bedeutung slinien getrennt werden
m,üssen, die sich zwar berühren, aber begrifflich klar
unterschieden sind.
I. m,it gekrümmten fingern ein ding oder nach einem
ding fassen.
A. absolut.
1) warumb haben die vinger glider ? Arestotiles
spricht das si füglich sein zu dem nemen, geben und
greiffen proplemata Arestoülis 9*; der hayden götter
sein . . . werch menschlicher hende, sy haben . . . hend
und greiffen nit Berth. v. Ghiemsee teutsche theologey
590; dasz der Intellekt . . . abhängt von . . . dem gehirn,
dessen funktion er ist, wie das greifen funktion der
band Schopenhauer 2, 287; dadurch wird die band
geschickt zum betasten, kneifen, greifen Sömmering
vom bau des menschl. körpers 2, 185; Zuckungen liefen
über stirn und mund und die bände griffen Jean Paul
45, 365 Hempel; auch von thieren: durch ihre . . . fühl-
losen schuhe, welche die zehen zum tasten und greifen
unfähig machen, sind die huftbiere auf pflanzenkost
gewiesen Vischer ästhetik 2, 145; die Säugetiere, welche
klettern . . . oder greifen Brehm thierleben l, 4; über-
tragen :
ktthn nach oben
greift aus nacht
waldespracht Eichendorff 1, 468;
es waren schwarze fahnen droben (a?n. himmel), aus
denen feurige zungen griffen Stifter 2, 112.
2) zugreifen: wan ir nun züchtig wölten greiffen . . ,
so wolt ich euch lassen greiffen einen griff usz diser
kannen Eulenspiegel 142 neudr.; er nimmt mit dem
löffel, wo er mit der gabel greifen soll Gutzkow Zau-
berer V. Rom 6, 102; dann nahm sie ein glas mit bon-
bons aus dem Schaufenster, 'nun greif einmal, aber
herzhaft!' Storm 2, 185; dialectisch: gript, wen 't ript!
Doornkaat-Koolman 1, 689;
8.S is nix zum greiffen,
für'n Schnabel kain wald!
Stelzhamer ausgeio. dichtungen 2,122;
anders: kumm Marthla, greif a wing . . . stitz mich a
wing Hauptmann Rose Bernd (i90i) 135; mit präpos.:
zu der apfel-verkäuferin
kamen kinder gelaufen, . .
mit munterm sinn
griffen sie aus dem häufen
GöTHE 3, 185 Weim.;
IV. 1. 6.
unsern schwager und Schwester, die wie ich höre glücks-
ritterlich aus lotteriebuden greiffen Sghubart briefe
2, 118 Strausz. leicht konnte sich die bedeutung des ge-
waltsamen greif ens entwickeln; vgl. schon ahd. cagrifu
arripio, kikrifant rapiu7it Graff 4, 315;
das t&nd si {landstricher) armen luten abstraiffen
mit hinken, biegen und graiifen teuf eis netz 6259;
unde worden so bequeme alse lammere, dede torvoren
weren alse gryppende wulfe städtechron. 16, 465, 18.
3) der gebrauch des wortes in Wendungen wie die säge,
der bohrer, der hobel greift (Heinsius 2, 526*') dürfte
älter sein, als die belege erkennen lassen: gleich der erste
ruck {beim anziehen der winden) griff vortrefflich: der
Obelisk erhob sich von der basis Ranke 37, 313; meist
ganz unsinnlich: warum diese redaction (vo7i Romeo u.
Julia) . . . auf dem deutschen theater nicht gegriffen
GÖTHE41 1, 71 Weim.; hätte Castels widersprach damals
gegriffen imd auch nur einen theil der gelehrten weit
überzeugt II 4, 151; bei Göthe häufig, vgl. IV 16, 57; 27,
220; ihre (der regierung) befehle und anordnungen griffen
nicht mehr Ranke 15, 405; vgl. 't gript nijt eine sache,
eine arbeit geht nicht vorioärts Molema Qroning. ma.
134.
B. transitiv.
1) ergreifen; mhd. gleichberechtigt mit ergrifen:
sinen staf greif er Rolandslied 2060/
glaser und müraere
muosten grifen dö zehant
gleser, mermel wol bekant
Jansen Enikel weltchr. 12853;
de en grep en bret, de ander en span
Gerh. V. Minden 115, 163 Leitzmann ;
Hato trinckt und greufft sein leib und spricht H. Sachs
8, 151, 15 Keller;
sie treten zu mit groszer freud
und greifen seine füsze
P. Gerhardt bei Fischer-Tümpel 3, 342"
er greif ein gläslein wein
J. Rachel satyr. ged. 96 neudr.
(der meerteufel) griff sie hinterrücklich in der mitten
. . . und kam so weit, dasz er sie schwängert Präto
Rius katzen-veit B3V; H. v. Kleist bevorzugt das harte
Simplex auffallend, z. b. die zügel greifen 2, 34; eine
knospe greifen 2, 60; den bogen greifen 2, 113; die kröne
greifen 2, 120;
doch sie sprach nicht,
griff leise meine band, und führte mich
durch viele lange leuchtende gemacher
Heine 1, 138;
im 19. jh. erlischt dieser gebrauch ; das verbum bekommt
den nebensinn des zufälligen, absichtslosen er greif ens:
der in den totenschädeln störte,
bald einen, bald den andern griff
Pfeffel poet. vers. 3, 19;
die Pfennige aber oder die von betrunkenen in der
Zerstreuung gegriffenen groschen . . . brachten jährlich
mindestens eben soviel ein Gutzkow ritter v. geist 4,
109; seit je auch mit unpersönlichem, subject:
Sigebandes vriunde greif disiu leide not
Gudrun 60, 1 ;
darinne wart in grifen
ein niuwe liebe passional 419, 30 Köpke ;
lasz uns fliehen recht,
das uns nit griff der gottes zorn
Seb. Brant narrensch. 26, 60;
und der hochmuth,
gleich einem gewaltgen adler, kam und grif mich
Kretschmann 2, 97 ;
ein fieber griff ihn dann
Ayrenhoff 2, 186 ;
auch die füsze greifen: da . . . die kameele mit den
fuszsohlen die hügel weichen sandes griffen Stifter
3, 20; (der diskobol) ruht auf dem rechten fusz, die
zehen krümmend wie um das erdreich zu greifen
Welgker alte denkm. l, 423.
2) schon frühzeitig tritt in uneigentlichem gebrauch
eine abschwächung der bedeutung ein: 'etwas aufnehmen,
sich an etivas machen':
diu junge greif die nächvart (kam hinterher)
Iwein 5670;
19
GREIFEN
GREIFEN
20
hyrna grepe wy unde de van Hamburg dit orleghe mit
der dat Schiller-Lübben 2, U9» aus hannöv. urh. v.
1S66; vergleichbar in neuerer zeit: nein, mein kind —
so gern ich die dinge leicht greife — so stehen wir . .
dennoch jetzt an dem offenen grabe unsrer ruhe Iff-
LAND theatral. werke 5, 195;
auf diesem weg', den ich im irrthum griff
Kleist 2, 418 ;
küsse, bisse,
das reimt sich, und wer recht von herzen liebt,
kann schon das eine für das andre greifen 2, 164.
zusammenhängender und weitgreifender tritt eine Steige-
rung der bedeutung in erscheinung: 'haschen, langen
nach': dann er (der delphin) kan nichts greiffen, er hab
sich dann umbgeworfen Eppendorff Plinius 9, 103;
die kleine hand griff, was das äuge reitzte Kästner
verm. Schriften 2, 2li;
zur sonne will er, möcht' sie greifen, drücken
FouQUE held d. nordens 1, 142;
Übertreter des gesetzes, und solche, so rechte greifen,
die nicht ihre sind Alexis Roland v. Berlin 2, 162; sie
sah, dasz alles schön war. sie versuchte es zu greifen,
mitzusummen, wiederzugeben ... sie griff in's leere
H. V. Kahlenberg Eva Sehring iS; 'packen': so kanstu
yhn {Qott) gewislich greiffen und haben Luther 23, 150
Weim. ;
greifs, oder fangs an,
so ists schon halb gethan
Wille Sittenlehre (1781) 73;
ich hatte teuer, wuszte wie die menschen zu greiffen
waren Sghubart leben u. gesinnungen 2, 9; von dieser
Seite griff ich meinen Faust maler Müller 2, 8.
s) fangen; so schon got.: {)ammei kukjau, sa ist:
greipij) J)ana Mc. 14, 44; ebenso 48. 49. 51 ; auf deutschem
boden ursprünglich nd.; vgl. die zahlreichen mnd. belege
bei Schiller-Lübben 2, 149"; ahd. und mhd. anschei-
nend ganz fehlend ; auf hd. gebiet zuerst in md. maa. :
sy weren also starg, das sy den torworten griffe und
dy tor uffene halde wolden Stolle thür. chron. 2; liss
den bobist griffen unde liss eme die ougen ussbrechin
chron. des Wigand Gerstenberg 80; erst seit dem
16. jh. auch obd. : sie liesz auch Constantinum 6. iren
eygen sun greiffen . . und in ein ewig gefengnusz wer-
fen Seb. Franck Germ, chron. 69; haben den Amphi-
damum in argwon gefasst, fürgenommen ihn zugreif-
fen und gefangen in Etolien zuschicken Xylander
Polybius 256; aber bis ins 18. jh. vorwiegend bei md.
autoren: als hernacher derselbige wegen eines mords
riffen . . worden Nigrinus von Zauberern 265;
ihr knechte, greift die magd, die fürsten trotz darf zeigen
A. U. V. Braunschweig Octavia 1, 1000;
deswegen er ihn a. 940 greiffen und blenden lassen
wolte Hahn einl. z. d. teutsch. Staats historie 2, 64; bis
ins 19. jh. poetisch wie prosaisch gleich gebräuchlich :
mich aber dort ein räuber griff, der phrygische
GöTiiE FauBt II 8512;
der bischof liesz sie spüren, liesz sie greifen,
die häuser, drin sie ünernacbtet, schleifen
Lenau 641 Barthd;
und wenn sie mich greifen, Zanga,
stosz' von rückwärts mir's in leib
Grillparzer 8, 183;
sie sind entflohen und haben uns im stiebe gelassen,
drum greifet die beiden da, wir wollen sie als geisein
behalten W. Hauff l, 256; wo sich eine (hexe) verspätet
beim tanz, ich greif sie Eichendorff 3, 255; die regie-
rung . . hat einige hundert handwerksbursche aus ihren
betten greifen und in's gefängnisz werfen lassen G.
Forster sämtl. sehr. 8, 131 ; die armen kerle (dänische
gefangene) waren sehr gekniffen und werden sich nicht
zum zweiten male greifen lassen Moltke Schriften u.
denkwürdigk. 6, 410; besondere Wendungen: ideo libenter
volo esse stultus und wollen uns fangen lassen und
gegreppen geben, quod Christus sit deus et homo con-
tra omnem rationem et sensum nostrum Luther tisch-
reden 12 Preger; sikk gripen als spiel Dähnert 161^;
unterwegs aber wollte man spielen und sich greifen
Fontane I 5, 177. noch mehr scheint greifen beim thier-
fang auf nd. und md. gebiet beschränkt zu sein:
gl werden dar müse bi hopen gripen
Reinke de vos 41;
entsprechend:
da kanstu frey
in groszer meng sie greiffen
Eeinicke fuchs (1650) 94 ;
da kündt ihr sie (die vögel) nach eurem sinn
greiffen und fangen wie ihr wolt
Sandrub histor. u. poet. kurzweil 118, 27 neudr. ;
dasz die thiere von natur so zahm waren, dasz sie der
mensch greifen konnte, wann er wollte Liscow sati/r.
u. ernsth. Schriften 621;
der bärin wegen
die Hermann jüngst im walde griff
H. V. Kleist 2, 436;
vgl.
wo bist du, glück, in himmelsbahnen ?
steig nieder, wo fass' ich die flügel,
dasz ich dich greife, dich binde
TiECK Schriften 2, 115 ;
auch von leblosen dingen: die granate entfiel und ich
griff sie geschickt Arnim trösteinsamkeit 80.
4) mit Präpositionen; namentlich bei, in älterer zeit
wie das greifen des vorigen abschnitts beschränkt auf
das nd. und m,d.:
Clemens ein guter man genant
den greif er liebliche bi der hant
passional 170, 58 Hahn ;
ther enne prestere bi tha here gripi Righthofen 787 ■
(vgl. noch im heutigen fries. licht bi 't hart gräpen
leicht gerührt Stürenberg 76);
he grep dat kannin bt der kele
Reinke de vos 4393;
und greiff den fordersten bei dem bar Eulenspiegel 12
neudr. ;
er greif mich bey den arm, er stiess, er rükkte mich
Rachel satyr. ged. 90 neudr.;
iemant by de kop grypen laten Kramer nider-hoch-
teutsch wb. (1719) 107''; iemant by de hand grypen ib.;
diese wendung am, häufigsten:
er griff mich bey der hand und hielt mich fest
Shakespeare 3, 192 ;
er greift Hannibal bei der hand, der sich davon schlei-
chen will Bauernfeld ges. sehr, i, 231 ;
greifest, wenn sie nun rennt durch den busch, die sau bei
den ohren Mörike 1,80;
die hexe hatte ihn noch nicht am schöpfe gegriffen
W. Alexis hosen l, 96; neue hunde kamen an, und
griffen es (das schwein) fest an den hinterläufen Laube
ges. sehr. 2, 9; do grep en schiltknecht ene schottein
van der taffeien Schiller-Lübben 2, 149* aus Herm,
Körners chron.; in hast griff ich das fläschchen von
dem tische Stifter 2, lll; wenn überhaupt die meisten
menschen ihr loos aus dem glückstopfe greifen J. J.
Engel Schriften 7, 164; wie er . . . sein achatenes dös-
chen zwischen den fingern wirbelte und eine feurige
prise nach der andern daraus griff Mörike 3, 71; da
bückte sie sich flugs und griff in ihre hand dorten und
dorant Grimm deutsche sagen l, 42.
5) formelhafte Wendungen.
einen muth, ein herz greifen, alte, wiederum ur-
sprünglich nd. redensart: do ward he sere entsettet,
doch so grep he enen mot Schiller-Lübben 2, 149»
aus Herm. Korners chron.; grypet ein herte ib.; dat
erste is, dat nemant schal vallen in twifelen mod, deme
bange is, men sik sulven trösten unde gripen einen
konen mod Reinke de vos 158 Prien;
0 Sünder greiff nun hertz und mut,
hör auf die sünd zu mehren
Spee trutznacht. (1649) 73 ;
so griff sie eines morgens . . . ein herz, und liesz jene
sonderbare aufforderung in die intelligenzblätter von
M . . . rücken H. v. Kleist 3, 275; seltene Variante: wir
brauchen es auch für frölich werden und zumüt greif-
fen oder getrost werden schöne weise klugreden (i548)
113*.
platz greifen u. ä. erst seit dem is.jh.; ursprüng-
lich ohne präpositionalen zusatz: darum griffen die vor-
schlage zu einem frieden endlich platz Hahn ein-
21
GREIFEN
GREIFEN
22
leit. z. d. teutsch. ataats-historie 4, 155; er . . zeigt . . ,
wie wenig die allgemeinheit dieses grundsatzes platz
greife allg. deutsche biblioth. 22, i57; es wäre denn, dasz
eine andre einrichtung . . platz gegriffen habe J. Moser
sämtl. werke 3, 212; später mit in: dass in Deutschland
der geist der chikane und eigennützigkeit . . nicht so
leicht hat platz greifen können J. Schmidt gesch. der
Deutschen 3, 261 ; die fixe idee . . griff immer mehr in
seinem kranken hirn platz Raabe leute aus d. ivalde 2,
115; dasz in einigen derselben (staaten) . . . andere be-
stimmungen platz greifen für die kommunalbesteuerung
MOLTKE Schriften und denkivürdigk. 7, 85. in anleh-
nung an platz greifen tritt auch in den Wendungen fusz,
Wurzel fassen gelegentlich greifen ein: das gefühl, das
im land anfängt fusz zu greifen Pestalozzi 7, 334; die
gröszten Unverschämtheiten des herrn v. Schele haben
da Wurzel gegriffen brieftv. zw. J. u. W. Grimm, Dahl-
MANN U. GeRVINUS 2, 160.
etwas aus der luft greifen u. ä. seit demlS.jh.;
besonders von frei erfundenen, willkürlichen angaben und
behauptungen : vom Plutarch versichert er uns gar, dasz
er dieses stück des Euripides für das rührendste . . .
gehalten habe, dieses letztere ist nun gänzlich aus der
luft gegriffen Lessing 9, 347; zahlen, die vollkommen
aus der luft gegriffen sind Niebuhr röm. gesch. 1, 160;
wenn auch deine argumente unläugbar aus der luft ge-
griffen sind B. V. Arnim Oünderode 2, 130; merkwürdige
geschichten, die gewisz, wenn man die Bettinaschen
zuthaten abrechnet, doch wol nicht alle aus der luft
gegriffen waren Hoffmann v. Fallersleben ges. sehr.
7, 265; anders: diese aus der luft gegriffene Unterhaltung
endigte dann gewöhnlich mit lustigen schimpfreden
EiCHENDORFF 2, 3; das war eine oratorische figur, eine
«edensart, aus der luft gegriffen, die heutzutage mit
solchen sätzen angefüllt ist Bauernfeld ges. sehr. 4,
118; gern in anwendung auf poetische Schöpfungen: kein
Charakter veranlaszt Situationen; alles ist aus der luft
gegriffen und kümmerlich zusammengestoppelt allgem.
deutsche biblioth. l2, 232; alle seine geschöpfe sind aus
der luft gegriffen Göthe 37, 215 Wdm.; aber eben dieser
Vorzug, dasz ich meine geschichten nicht aus der luft
greife, sondern aus depeschen Jean Paul 15, 51 Hempel;
ohne bibliothek hier, in einem groszen nackten zimmer,
ist es mir unmöglich, irgend einen stoff aus der luft
zu greifen Lev. Schücking bei A. v. Droste-Hülshoff
briefe 66 ; das gegentheil ist aus dem leben greifen : kein
Charakter ist individuel aus dem leben gegriffen Heinse
3, 571; kurz, wir machen hier soeben novelle . . was da
aufduckt in dem revier, italienische gräfin oder deut-
scher michel . . , wird ohne barmherzigkeit unmittelbar
aus dem leben gegriffen Eichendorff 3, 169; vgl. aber
noch mehr aus dem menschlichen leben gegriffen sind
die zahlreichen epitaphe J. Grimm kl. sehr. 2, 233; ver-
einzelt: es ist mit solchen bildern wie mit den degen
und helmen des Attila und Skanderbeg . . .; sie sind
aus der fantasie gegriffen oder nach münzen gemalt
E. M. Arndt Schriften für u. an s. l. Deutschen l, 215.
zum greifen nahe. jung; anscheinend erst im,
19. jh. : die wunderschönen, blauen, lockenden berge . . ,
gleichsam zum greifen nahe Stifter 3, 61; vgl. die
gallerie . . , die so nahe an den (ivasser) fall gebaut ist,
dasz man ihn beinahe . . greifen kann Pückler briefw.
u. tageb. 2, 121.
C. erweiterung durch adverbia.
l) weit, hoch, nahe, tief greifen intrans.: darumb
wer sich solchs unterstehet vom nehisten zu sagen,
greifft eben so weit als keyser und alle öberkeit Luther
30 1, 171 Weim.; indem sie (die verrätherei) auch so weit
grif, dasz sie den könig selbst vor einen verrähter er-
klähren durfte Zesen erhöhte majestät (l66l) 153; meist
comparativisch m,it der bedeutung des Überschreitens ir-
gend einer grenze, gebühr, befugnis, wie das moderne 'zu-
weit gehen': ye lenger ye weyter greyffen, für und für
rucken M aaler teutsch spraach (i56l) 192 •>; aber do der
anfenger fület, das man im schier in sattel geholfen.
greifft er ferner denn zuvor im angeben . . war Mathe-
sius Sarepta (l57l) cliiii»; da aber der hund zu weit
wolt greifen, hieb ihn die katz ... mit einer dappen
über die nas Kirchhof wendunm. (l603) 7, 109; diesem
nun vorzukommen {dasz die pastoren sich die Jurisdic-
tion über die stände anmaszen) und damit der herr ad-
ministrator nicht weiter greiffe acta publica verhandl.
der schles. fürsten u. stände 2, 261 ; seine {des kaisers)
eigene Überzeugung schien zu sein, dasz er seinerseits
bisher zu weit gegriffen habe Ranke 16, 60; der soldat
. . greift in seinen scheltworten weiter als ihm zusteht
Laube ges. sehr. 14, 216; anders und erst im 19. jh. er-
scheinend: Metellus zug . . durch eine noch weiter grei-
fende expedition zu verdunkeln Mommsen röm. gesch.
2, 152; (es entspann sich) ein nach und nach immer
weiter greifendes gefecht Moltke Schriften und denk-
würdigk. S, 217 ; das ältere, aber seltenere zu hoch greifen
steht dem zu weit greifen nahe:
wand im der sin entsUfet,
ob er ze höhe grifet
Lampr. V. Regensburg tochter Syon 2154;
denn da seyt yhr eyn tyrann und greyfft zu hoch, ge-
pietet, da yhr widder recht noch macht habt Luther
11, 267 Weim.; etlich artickel {der bauern), die zu viel
und zu hoch greyffen 18, 333 ; in der bedeutungsrichtung
mit den vorigen verwandt ist zu nahe greifen: niemand
sich in eines andern ainpt menge, noch andern zu nahe
greiffe, noch das ire nem Luther nach Diez 2, 163*;
die stand sollen sich dergleichen sr. churfrtl. drtl.
hochem respect ... zu nahe greiffender meisterlosen
reden enthalten {vgl. unser 'zu nahe treten') Schmeller
1, 990 (a. d.j. 1669). abseits steht tief greifen; diese iven-
düng ist auch darin von den vorgenannten unterschieden,
dasz sie, wenn auch früher vorbereitet, erst im Vd. jh.
zur vollen entfaltung gelangt: so mag ich nicht so tief
hyneyn greyffen und unsauber von der ehepflicht schrey-
ben {mich tief einlassen auf Pauli spruch) Luther nach
Diez 2, 162 »>; diese gleichheit tief greifender gefühle
Iffland theatral. werke 3, 62; ich habe wieder die er-
fahrung gemacht . . , dasz das . . wovon wir glauben,
enthüllt und erklärt müsse es eine völlige Umwand-
lung unsers gefühls . . nach sich ziehen, — nur sehr
selten so tief greift Solger nachgel. schrift. u. brieftc.
1, 486; noch tiefer griff der Vorgang in der hauptstadt,
welchen die zuchtlosigkeit eines ganzen regiments ver-
anlaszte Dahlmann gesch. d. franz. revolut. 220; eine
anfangende, wenn auch noch so tief greifende theorie
Steffens was ich erlebte 4, 180; dieser gedanke barg
zugleich einen dritten, tiefer greifenden titel Riehl
deutsche arbeit 9; vgl. Hütten ist kein groszer gelehrter:
seine gedanken greifen nicht sehr in die tiefe Ranke
reform, gesch. 1, 291.
2) daneben greifen u. ä. ursprünglich von dem misz-
greifen auf musikinstrumenten {vgl. unten IV)?: es greif-
fen nit alleyn sorglose, sonder auch zu vil fleiszig
hend darneben Seb. Franck spric/iw. l, 102»; aber noch
spät ganz concret: wie er die bände nach der schaufei
ausstreckte, zitterte er so stark, dasz er daneben griff
Ebner-Eschenbach 4, 206; jünger scheint fehl greifen:
{ein brief) in welchem er ihm den Attilio Regolo, wel-
chen er componiren sollte, ausführlich zergliedert, da-
mit er in der musikalischen Charakteristik nicht fehl
greife 0. Jahn Mozart i, 272; wir werden nicht fehl
greifen, wenn wir vermuthen, dasz Nitzsgh deutsche
Studien 163; dagegen transitiv: die idee, dasz er sein
lebensloos falsch gegriffen Gutzkow ges. werke 5, 63;
vergleichbar :
wenn nicht das rechte
mädchen zur stunde sich zeigt, so bleibt das wählen im
weiten,
und es wirket die furcht, die falsche zu greifen, am meisten
Göthe Herrn, u. Dor. 4, 206.
3) mannigfach schillert die bedeutung, wenn transitives
gveiien mit adverbieii verbunden ist ; 'bemessen, ansetzen':
sie {die auffassung) litt nur an dem fehler, dasz sie
die Wortbedeutung von nexum zu weit griff Jhering
geist. d. röm. rechts 2 2, 570; so kann das kind einer
hochgebildeten familie allerdings die ehre der arbeit zu
2*
23
GREIFEN
GREIFEN
24
tief greifen Riehl deutsche arbeit 31; ähnlich nament-
lich in participialein gebrauch : wenn sie nun eine ober-
flächliche berechnung machen und auch nur ... die
niedriger gegriffene ziffer annehmen Bismarck polit.
reden 4, 106 ; erst durch die praxis überzeugte ich mich,
dasz die juristischen einzelheiten psychologisch nicht
richtig gegriffen waren gedank. u. erinner. 2, 167 volks-
ausg.; der willkürlich gegriffene vertheilungsmaaszstab
der lex Huene Bennigsen nationallib. partei 132; an-
ders: um seine wähl zu verhindern, setzte Albero von
Trier in einer rasch und kühn gegriflenen intrigue die
wähl Konrads III. durch Nitzsch deutsche Studien 11;
in ariderem sinn, aber ebenfalls participial in anwen-
dung auf künstlerische production: zu fein ist in den
hymnen keine empfindung, keine pflicht, kein trost ge-
griffen Herder 18, 16; das ganze gesiebt überhaupt ist
unsicher gegriffen, und kömmt von keiner lebendigen
vollen anschauung (urtheil über eine büste) Heinse 10,
178; seine (Sallusts) beschreibungen von charaktern und
ländern (sind) tief gegriffen und anschaulich 5, 178; jene
oben erwähnte Situation . . wäre dramatisch interessant
genug, nur müszte die behandlung viel tiefer gegriffen
werden Göthe 40, 323 Wdm. ; dennoch musz ich unter
uns gestehen, dasz dessen Schilderung tief und wahr
gegriffen ist Pügkler briefw. u. tageb. 6, 123; vgl. das
zwingt ihn {den dichter) die personen und ihre motive
real zu greifen, dagegen räum und zeit ideal zu be-
handeln Ludwig ges. sehr. 5, 536.
II. fühlen, tasten, als bezeichnung des fünften sinnes;
diese bedeutung ist im ahd. v/rsprünglich auf greifön
beschränkt.
A. rein sinnlich.
l) iis man verstau mag s6hendo. hörendo. stinchendo.
sm6ehendo. crifendo. täz ist 6r. 6r s61biu verstäntnisseda
Notker 1, 436, 2;
swes herze die fünf sinne hat,
swaz ez beeret, smecket, siht,
draehet, grtfet, ist ein niht
Lampr. V. Regensburg tochter Syon 2795 ;
wenn kein äuge were, und wir allein die vier synnen
als greiffen, riechen, schmecken, hören heften Luther
26, 416 Weim.; dann wie man sagt von den fünf sinnen,
sehen, schmecken, hören, greiffen, versuchen Para-
CELSUS opera 2, 199''; daher gern in parallele mit an-
deren Sinnesbezeichnungen, namentlich sehen; vorwiegend
transitiv: gisehet mino henti inti fuozi, thaz ich selbo
bin, greifet inti gisehet Tat. 230, 5; chörondo infindgn
uuir des hönangis suezi. crifendo infinden uuir des zän-
derin h6izi Notker 1,454,18; änderis nemähti siu {cor-
poralia) nioman sdhen . ünde grifen l, 436, 16 {häufig bei
Notker; vgl. i, 837,7; 339, 27; 359, 17); und keyn kauf-
mann dem andern weyter trauen thar, denn er sihet und
greyfft Luther 15, 311 Weim.; und niemandts sieht ihn,
niemandts greifft ihn, und ist aber da Paracelsus opera
1, 241"; claine beulen, die man bas greiffen dann sehen
mag Mynsinger von den falken, pferden u. hunden 61 ;
eyn . . mensch, der . . solche gnade und gueter nicht
greyffet noch schmecket Luther 14, 22 Weim. (Bucer:
neque sentit neque olfaeit); wie solt ein blinder von
der färb vernünftig richten, der doch allein dieselbig
greiffen oder schmecken müsse Ayrer hist. proc. iuris
233 ; bis ins 17. jh. bleibt die bedeutung 'fühlen' durchaus
lebendig; später selten in formelhafter er starrung: die-
selbe {wirthschaftl. entwicklung) beginnt mit den gutem,
die man sehen und greifen kann Jhering geist d. röm.
rechts 2 2, 456; in demselben sinne dient greifen zur d^fi-
nition des materiellen: corpus heiszt ein ieglich ding
dasz man greifft oder greiffen kan Er.Alberus dict.9^;
auch mit abhäiigigem, satz:
ey, leg dein band uff mein hertz,
das prynnet recht, als ain kertz,
und greiff, wie kaum es lebt
HÄTZLERiN liederbuch 146;
(ich) bin ein loch in ruggen glägen,
darzü wol dry bülen in grind.
griff, lieber, wie ist es so lind
und allenthalben so gar scer!
Manuel weiiupiel 572 neudr.;
vergleichbar:
ouwe ouwe, frouwe Minne,
mir ist wg.
nu grif her, wie sere ich brinne
Ulr. V. Lichtenstein frauendienst 7, 27 Beckstein.
2) oft im, sinne des tastens, ohne zu sehen; ein beispiel
aus Otfrid ist sp. 14 angeführt; mhd. belege ebd.; und
du greiffest zu mittem tag als der blind hat gewon-
heit zegreiffen in der vinster erste deutsche bibel 4, 220,
46 ; so das gesehen ist . . , sol sie {die hebamme) . . .
höflich und mit züchten suchen, greiffen, und den ausz-
gang desz kinds erfahren mit iren fingern Ruoff heb-
amtnenbuch 53;
und greiff ein jede mit der handt,
ob si noch füll ein kalte wandt
Scheit frölich heimfart B II * ;
ein blinder . . harfenschläger . . sich mit greiffen und
tasten behelfen musz Dannhawer catechismus milch
4, 174; wan man nicht sieht, ist erlaubt zu greifen
Kirchhofer Schweiz, sprüchivörter 244; er . . griff sich
durch den gang, in welchem die lampe herabgeworfen
worden war Stifter 3, 26; tastend suchen:
{Eulenspiegel) wischt gleich mit der band hinausz,
greifft, ob der förderst hab kein lausz
Fischart Eulenspiegel 61, 929 Haufen;
er nahm das kalbfellränzchen, öffnete es und griff so-
lange, bis er das fläschchen fand Stifter ö^, 244.
3) vom betasten der frauen:
er begonde näher grifen {im brautbett)
H. V. Freiberg Tristan 753;
greiffen und küssen bewegt das fleisch Marq. vom Stein
Spiegel der tugent (1498) d 5^*; wer mit sehen, greiffen,
willigen gedancken sich reitzt und befleckt Luther
l, 253 Weim.; Allessander ein wenig höher greiff, do er
fände zwei . . prüstlein Arigo decam. 69, 36;
wann dir ein junckfrau auf der Strassen
begegnet, so mach dich zfithätig,
mit greiffen, tasten, nur unflätig
Scheit Grobianus 1151 neudr.;
hier wird ein hereinspielen der bedeutung 'fassen' fühl-
bar, zumal bei transitivem gebrauch:
ewer gröste wyszheit ist,
wie ir gredt müllerin gryfft die brüst
Murner narrenbeschw. 5, 119 neudr. ;
denn was hilft mich, ob ich keyn weyb sehe, höre
odder greyffe Luther 12, 98 Weim.; der jung gesell . .
bat sie, sie wolt ine doch das wertzlin greyffen laszen
MoNTANUS Schwankbücher 38.
4) einzelne Wendungen.
puls greifen u. ä. seit dem 15. jh. belegbar; bis ins
le.jh. meist in Verbindung mit dem harnbesehen: furbas
so künden die artzt . . die ursach und natur der krank-
hait so subtilglich fürheben, mit maisterlichem erzögen
desz brunnen senhens, mit gryffen desz puls Stain-
HÖVi^EL de dar. mulier. 835 Drescher; als aber die arczt
syne ädern griffent Esopus 170 Österley; doctor Rundegk
besah iro den harn, greif die bulzader N. Manuel 221, 14
Bächtold; (die arczte) sein krancheit beschauten, sein
pulsz und härm sachen und griffen Arigo decam. 131
Keller; sie besahen der junckfrawen ihren baren, grif-
fen ihr die puls und ädern Schümann nachtbüchlein
306 Bolte; du dann am montag etliche mahl den puls
greiffest Spee güld. tugend buch (1649) 625; seltener
nach und an: der artzt greiffete nach des krancken
puls Schupp Schriften 769; an den puls greifen Stein-
bach 1,639; auch bildlich für 'untersuchen, erforschen': ich
will diesem velleisen meisterlich den puls grieffen Hars-
dörffer frauenz. gesprechsp. 2, 327; einer sache die puls
greiffen . . . scandagliarlo e ponderarlo bene Kramer
teutsch.-ital. dict. (1700) 1, 558"; wie es das alter trägt, der
weit recht an dem puls zu greiffen Fleming vollk.
teutsche soldat 184 § 2. die wendung geht deutlich vom
obd. aus; greifen nach und an d. p. scheint md. im,
18. jh. erlöschend, ersetzt durch fühlen {vgl. th. VII 2213).
hennen greifen u. ä.: warumb geht ihr nicht in
die kuchen und kocht, . . greiffet die hennen obs eyer
haben Guarinonius grewel d. verivüstung (1610) 79; noch
heute dialecüsch: d' henne grife" Staub-Tobler 2, 708;
25
GREIFEN
GREIFEN
26
d hüehner grifen Martin -Lienhart 1,270; d' hihner
greifen Follmann lothr. 216"; viit dativ nur lexicalisch
zu belegen: den pfäwin greiffen i. e. experiri num gestant
ova CoRViNUS 1, 370*; den hünern greiffen tastare le
galline Kramer teutsch.-ital. dict. (l700) 1, 558"; den
hennen greiffen Dentzler (1716) 139'»; die Wendung
scheint specifisch obd., das heutige nd. sagt 'tasten', ver-
gleichbar: ein vieh greiffen {ob es fett ist) Kramer
hoch-nider-teutsch wb. (l719) 100".
die finsternis greifen können, aus der bibel
stammender ausdruck (et sint tenebrae super terram
Aegypti tarn densae, ut palpari queant ex. 10, 2l):
ez wirt vil vinster ze der zeswen unde ze der winstir
daz man si griffen mach als ez si tunchliu naht
genesis 150, 3 Diemer;
das so finster werde in Egyptenland, das mans greiffen
mag 2 Mos. 10, 21 ; egiptische finsternisz sind ubir und
yn yhn, die man greyffen mag mit fingern Luther
10^,1, 660 Weim.; von Luther als sprichwörtlich bezeich-
net: es komen so dicke finsternisse, das man sie greif-
fen möchte, wie wir Deudschen pflegen zu reden 16, 152 ;
es sind nun alle kühe schwartz, es ist so finster, dass
mans greiffen kan Harsdörffer frauenz. gesprechsp.
2, 288;
finsternis, die man betastet,
die man greifen kan wie jene,
die Ägypten einst belastet Heine 1,315;
da wurde es im ganzen himmel auf einmal so dunkel,
dasz man es ordentlich mit bänden greifen konnte
StORM 2, 210.
B. ins unsinnliche übertragen.
l) schritt für schritt läszt sich die entwicklung von
'tasten, fühlen' zum rein geistigen 'begreifen' verfolgen;
besonders bei substant. object ist die ursprüngliche sinn-
liche bedeutung noch durchaus lebendig: es bleyben eygen-
sinnige harte köpf, ob sie schon greyffen die warheyt
und wunder gottis Luther 8, 21 Weim.; man sagt die
new wal Ludowico, der wils nit glauben . . ., bis ers
greyffen müst See. Frangk Germ, chron. (1538) 199; das
man ye in Christo gott greiffen und sein art sehen solt
paradoxa (1558) 23^; gott fühlet, spüret und greifet man
in allen creaturen Mathesius evang. S. Joh. 21»; so
solches nit augenscheinlich were und getast, griffen ohn
allen zweiffei würde Paragelsus opera 2, 480; ähnlich
noch sehr spät:
lerntest du doch nur zu lügen,
lügtest nicht so ohne kunst,
dasz man greift den lügendunst
ROCKERT 1, 326;
in anderen fällen zeigt sich deutlich eine himcendung zu
der bedeutung 'erkennen, begreifen', namentlich bei abso-
lutem gebrauch: dieser psalm, wie man wol greyffen
kan, ist ein gemein gebet aller fromen Luther 19, 582
Weim.; disze lugen von den xxv. jar s. Peters zu Rom
wollen wir so klar machen, das auch Emser greyffen
musz 7, 671; die lesterung möchte den Juden nit zu
hertzen gen, wie du ausz dem evangelion greyffen kannst
flugschr. a. d. kämpf d. schicärm,er geg. Luther 31 neudr.;
ist bekandt . . ., und die tägliche erfahrung gibt es zu
greiffen Guarinonius gretcel d. Verwüstung (1610) 5;
den boltz (der himml. liebe) wer je gefühlet
geschmidt in süssem brand, . .
mags greiffen mit verstand
Spee trutz-nacht. (1649) 73;
am, klarsten tritt die bedeutung 'begreifen' zu tage, wenn
abhängige sätze folgen, aber auch hier noch fälle con-
creteren gebrauchs, etica: das man die sach aufs deut-
lichst an tag gebe, das es auch die jugent durch offne
spil sehen, hören und erkennen und gleichsam greiffen
möge, wie unrecht dem Hussen gesehen ist Vogelgesang-
CoGHLÄus heimlich gespräch 11 neudr. ; schon früh: ent-
schlüs din inren sinne, tu uf dinu geistlichen ogen . . ;
sich so mäht du grifen, daz ich minen vründen daz
aller minncklichest tun H. Seuse deutsche sehr. 237, 5
Bihlmeyer; so man yetz greyfft, wie grossen schaden
auch haiiger lerer biecher geborn haben Eb. v. Günz-
BURG 1, 204 neudr.; das sage ich darumb, das man
greiffe, wie der Zwingel mit gauckeley umb gehet Lu-
ther 26, 359 Weim.; denn an diesen Sprüchen greyfft
eyn kind wol, das 18, 310; hei hvTHER sehr häufig, vgl.
18, 164. 197; 26, 346. 379; 34*, 294; demnach greyffen sie
auch das war sein, nemlich das die religion der Christen
weit ein anders ist dann See. Frangk beschreibung d.
Turckey A 11^;
ja halt man ewer bücher doch
gen dem Trentisch concili noch,
da wird man greiffen deutlich eben,
das ir darwider gentzlich streben
Fisch ART von s. Dominici artl. leben 126, 125 Kurz;
ders nicht greifft, das die Ordnung in allen Sachen den
menschen . . gebüre Guarinonius grewel d. Verwüstung
(leio) 83; es können ja wohl die bauern greifen, dasz
Frankreich und Holland so vil als öffentliche feinde
seyn Leibniz deutsche sehr, l, 171; im 19. jh. ist das rein
geistige greifen anscheinend erloschen; ein merkwürdig
später nachhall bei Lenau :
dir sind zu eng des glaubens schranken,
dein Christus ist, greif ich dich recht,
die summe göttlicher gedanken
im ganzen menschlichen geschlecht
werke 498 Barthel.
2) dasz für greifen intellegere von der bedeutung con-
trectare, nicht von capere auszugehen ist, erhellt evident
axis Sätzen wie: auf das solch grobe blinde köpf greyf-
fen, wie weyszlich sie mit yhrem regiren faren Luther
12, 116 Weim.; kain haid ist nie so plind und unsinnig
gewest, der solches unpilt nit griff Aventin bayer. chron.
4, 402 Lexer; dann ein blinder griffe, dass die schritten
Avicennae nicht mögen ein warheit seyn Paragelsus
Chirurg, bücher 17"; dafür spricht auch die häufige Zu-
sammenstellung mit sehen, in der dieselbe enticicklung
zu beobachten ist wie beim, einfachen greifen, s. o. 1:
man sieht's und grift's, dass ich nit lügen
N. Manuel Barbali 242 Bächtold,
Barbali, du hast mich überkon !
du redst so gruntlich und wol darvon,
dass wir's sehen und grifen müessen
und drüber fallen mit den füessen 1411;
ich sihe und greiff das du zornig bist Murner an den
adel 53 neudr.; was darfstu uns leren, das diesz priester-
schaft durch gewonheit biszher blieben ist? wilch baur
und kind sihet und greyffet dasselb nit? Luther 7, 635
Weim., vgl. 15, 191; 26, 262; 34 S 288; derhalben nimpt
michs sehr frembd, dasz unser guter M. Gentian hier-
über den köpf prechen mag, zu beweisen . . als ob es
nicht vor klar genug sei, dieweil mans täglich sehen
und greiffen mag Fischart binenkorb (1588) 74>>;
du siehst und greifst, wie gut er sey
dem, der ihn ehrt und liebt
F. Gerhardt bei Fischer-Tümpel 3, 401*>;
nun siehe ichs wol, , . und greiff es wol, . . es musz
gestorben seyn Abr. a St. Clara mercks Wien (1680) 19 ;
im 18. jh. erlischt die bedeutung 'fühlen' im icesentlichen
{s. 0. A l); wenn also sehen u. gr. ganz spät plötzlich
wieder in stark concreter färbung erscheint, erklärt sich
das daher, dasz jetzt an greifen capere gedacht wird: du
sollst nur etwas erfinden, dadurch Tiefsinns thorheit so
klar an den tag kommt, dasz sie deine frau sehen und
greifen musz Petrasch lustsp. (i765) i, 64; ich werde
mich über manches aus dem gedächtnisse zu schwan-
kend, zu unbefriedigend ausgedrückt haben — unter
meinen büchern sollst du sehen und greifen Lessing
13, 410. andere doppelwendungen : das sie greyffen und
fülen möchten . ., wie blindt und verstockt sie handien
Luther 15, 254 Weim., vgl. 18, 367; wadurch der böse
feind sie dan . . in die stricke führet, daz sie es selbst
schier weder fühlen noch greiffen Moscherosgh in-
somnis cura 107 neudr.; und was ist not, das ich alle
unterscheydt . . . ertzele, so doch die unvernünftigen
thier solchs mercken und greyffen? Luthers, 521 Weim.,
vgl. 15, 128 ; hiebey merck und greyff doch lieber Christ,
was das müssen für leüt sein Joh. Nas antipap. eins
u. hundert 2, 160"; ir greiffen und befinden, das man
mit unfruchtbaren märlin uff der cantzel umb gat Eb.
V. Günzburg 1, 52 neudr.; warlich alle Vernunft mus
bekennen und yderman greyffen, das Luther 12, ii2
27
GREIFEN
GREIFEN
28
Weim.; das es alle Vernunft greiffen und tappen mag
28, 323.
8) an der wand greifen : man mocht es an der wandt
greiffen, das es des teufeis spill sey, noch will nymant
di äugen aufthun Luther 9, 543 Weim.; greiffs an der
wand, an rex sim 27, 113;
ha ha, das greifft man an der wandt,
solt gottes söhn in solchen standt
sich han begeben?
Kküger aktion v. d. anfang u. ende d. weit
(1580) D Villa;
und zwar es ist kund und bekant,
ein blinder griff es an der wand,
ich hab es lang bey mir gedacht,
dasz es der vatr nicht recht gemacht
RiNCKHART Christi, ritter 78 neudr. ;
vgl. : er soll ihnen den vater für die äugen stellen, das
sie ihnen (ihn) greiffen und dappen kondten wie die
wanth Luther 33, 557 Weim.
i) mit bänden greifen; da diese wendung in älterer
zeit genau so gebraucht wird, wie die unter l bis 3 ge-
nannten, liegt es nahe, auch sie an die bedeutung 'tasten'
anzuknüpfen: nu greyff du es selb mit der band ob das
nit eyn grosze tolle vorkerung ist Luther 9, 250 Weim.;
so wil ich euch dez unterweisen daz ir es mit euern
henden greiffen und äugen sechen sölt Arigo decam.
195 Keller; dass man es mit bänden greiffen kan, dass
das i für das u oder e . . gebrauchet werde Zesen rosen-
mänd (I65i) 92; hingegen niemand ist, der nicht mit
bänden greifen könne, wie es so gar anders im lande
stehen würde Leibniz deutsche sehr, i, 242; auch mit
fingern gr. : und das yderman muge mit fingern greyf-
fen, das sie zu Rom nit eine gedancken haben, die
warheit zuvorteydingen Luther 6,619 Weim.; vel coeco
adpareat. man möcht es mit fingern greiffen Seb.Franck
sprüchw. (l54i) 2, 16*; aber so mus man ligen, das mans
mit allen fünfen greifen könne, was man nicht kan
sonsten behaupten Beinicke fuchs (1650) 865; anscheinend
nicht übers 17. jh.; dagegen kommt mit bänden gr., das
im 16. /l7. jh. nicht sehr häufig ist, im 18. /l9. erst zu voller
blüthe; greifen vnrd nunmehr, da die bedeutung fühlen'
im 18. jh. erstirbt, als 'fassen' verstanden: hier sieht man
die Wahrheit in ihrer Wirklichkeit klar vor äugen, dasz
man sie mit bänden greifen kann Reimarus loahrheiten
d. nat. relig. (1766) 313;
wollt ihr mein wort nicht gelten lassen,
sollt ihr's mit bänden greifen und fassen
Schiller Wallensteins lager 867;
man glaubte mit bänden zu greifen, dasz der könig von
einem papistischen einflusz beherrscht werde Ranke
16, 96; ich will es nicht glauben, ob ich es gleich mit
bänden greife: den allermeisten fehlt das intellectuale
gewissen Nietzsche 5, 37; daneben stellt sich seit dem
18. jh. ein concreterer gebrauch m.it substant. object ein:
und da Gretchen den fremden in dem gütchen herum-
führte, und ihn alles schöne desselben mit aug und
bänden greifen lies Hippel lebensläufe 3, 287 ; ich könnte
einen gewissen jemand mit bänden greifen, der auf mich
gar nicht gut zu sprechen war Bäuerle kom. theater
2, 48; die . . Sternbilder . . hängen da in der klaren luft,
der geist kann sie mit bänden greifen, so deutlich nah
schimmern sie herab B. v. Arnim dies buch gehört d. könig
1, 198; als ob unsere luft sich beinahe mit bänden grei-
fen liesze Allmers marschenbuch l, 55; spunceise deutet
sich die auffassung von greifen als capere schon vor dem,
18. jh. an: lügen, die man wohl mit allen fünf fingern
hätte haschen und greiffen können Zend. a Zendoriis
teutsche winternächte 529 ; man möchts mit fingern greif-
fen Eyerin G proverbia 3,197; so wohl auch schon: woldet
yr myr nicht gleuben, so gehet hyn, höret, sehet yhn
und greyffet myt feusten, an non sit Christus ille Lu-
ther 29, 626 Weim.; Varianten:
da band und äuge greift und sieht,
wie gott und glück dich rückwärts führen
Stoppe Pamasz (1785) 2;
ich greife mit band' und füssen, wie freundlich der herr
sey, in der belebten und leblosen natur Bräker sämtl.
sehr. 2, 112.
III. präpositionale und adverbielle Zusätze neben dem
intransitiven verbum.
A. greifen zu.
i) auf gegenstände angewendet, der bedeutung 'ergrei-
fen' nahe stehend:
a) mit grimmegen muote greif Hagene zehant
vil balde ze einer scheide, da er ein wäfen vant
Mb. 1502, 2;
sie griffen zä der speyse
SCHAIDENREISZER Odyssca (1537) 15i>;
von hertzog Emsts bewartem schiff,
wie er zu dem carfunckel griff
Scheit Grobianus 2258 neudr.;
greift fröhlich dann zum wanderstabe
Schiller 11, 312;
als ich nun glaubte meine kräfte wären wieder herge-
stellt, griff ich zu meinen noch übrigen binden, und
wollte sie um einen zacken des mauerkranzes winden
Göthe 43, 330 Weim.;
ist euch schon der wind nicht günstig,
zu den rudern greifet brünstig 2, 39;
da griff ich zuo den blumen, die du siehst
Grillparzer 7, 13 ;
er griff also zu hut und stock Fontane I 6, 48; von je-
her auch verblaszt oder bildlich:
diu swert diu leiten si dernider
und griffen zu der stöle wider
W. V. D. Vogelweide 9, 31 ;
dieweil ich aber merckte, das es sehr kurtz . . so hab
ich zur feder griffen und eine völlige erklärung . . ge-
stelt Fischart binenkorb (1588) A 6"; die besondere fü-
gung, dasz ein mann . . in augenblicken wo uns die
sinne vergehen, . . zur feder greift, das unerträgliche in
der gegenwart zu schildern Göthe IV 36, 26 Weim.; Carl
der fünfte . . grif gemeiniglich zu einem buche, wenn
er das schwerdt . . . aus der hand gelegt Butschky
Pathmos (1677) 407; schicken sie mir sie {die neue schrift)
doch ; wenn es der mühe werth ist, will ich einmal zur
peitsche greifen {in einer kritik) Görres briefe 3, 167.
b) besonders vom ergreifen der waffen, und zwar han-
delt es sich immer um den degen oder ähnliche waffen:
ich war es, der zumahl der erste grief zum degen
S. V. Birken forts. d. Pegnitz-schäferey (1645) 58;
als griff der ungeschickte kerl zum sebel Ziegler asiat.
Banise (1689) 67 ; nicht allemabl greift der gedrückte unter-
than zum dolch Haller Alfred könig d. Angels. 125;
Wilhelm und Laertes griffen zu den rapieren Göthe
22, 37 Weim,.; selten und spät von anderen waffen:
was recht liebt, sollte zu den keulen greifen,
um dieses ungetüm der macht zu tilgen
Kleist 1, 380;
ich werde nicht auf alles einzelne eingehen, halte es
aber doch für pflicht, bei einigen ausfällen zum Schilde
zu greifen Vischer altes u. neues 2, 4. feste formein:
zur wehr greifen {vgl. die belege th. 14 *, 180), seit dem
16. Jh., vom 18. jh. an seltener; weniger gebräuchliche Va-
riante dazu zum gewebr gr. ; zum geweer greyffen, den
krieg anfahen Frisius diction. (i556) iig''; bey solcher
herannahung des feindes wurden auch die römisch-ca-
tholischen bauren im Brisgow aufrührisch, griffen zum
gewebr Chemnitz schtced. krieg 2, 250; will man dem
dichter dieses gefühl allgemeinen heiligen behagens rau-
ben . ., dann steht der friedliche mann auf, greift zum
gewebr und schreitet gegen die ihn so fürchterlich be-
drohenden irrsale Göthe 40, 274 Weim.; zu den waffen
greifen; seit dem 16. jh.; anfangs seltener, erst mit dem
18. jh. recht zur entfaltung gelangt: zu Iren waffen grif-
fen, von leder rückten Arigo decam. 341 Keller; eyn
junckfrawe . . umb der willen ich zu dem waffen und
Schwert greiff 275; so greiffen sie zu prügel und spie-
sen, zu wehr und waffen Eeinicke fuchs (1650) 392; er
. . begert, dass si {die fürsten) zun waafen griffen, ine
{den kaiser) erretten Tschudi chron. Helvet. 1, ¥i ; ohne
wenigstens eine partei unter ihnen {den churfürsten) zu
haben, konnte Franz I. doch nicht zu den waffen grei-
fen Ranke reform, gesch. 1, 259; welche dritten Staaten
werden um deshalb zu den waffen greifen weil Moltke
Schriften u. denkwürd. 5, 195; in einem kämpfe derart
I
29
GREIFEN
GREIFEN
30
. . sieht man die waffen, zu denen man greift, . . nicht
an BiSMARCK ged. u. erinn. 2, 78 volksausg. eine ähn-
liche entivicklung von der gegenständlichen zu einer mehr
oder minder bildlichen venoendung läszt sich bei zum
Schwert gr. beobachten:
d6 grifFen si z6 den swerten
Straszb. Alex. 1732 Kinzel;
man . . viel findet, welche vom pflüg . . zum schwert
gegriffen Grimmelshausen Simpl. 48 Kögel;
gilts deine ehre, greift zum schwert die band
BÖHME volksthüml. Ueder 64.
2) übertragen 'sich machen an, schreiten zu'.
a> er kom zeinem wazzer haizet Tuonouwe,
da greif er wol ze bouwe,
ain stat worht er da kaiserehron. 686 Schröder;
d6 man aber darzuo
wolt grifen mit den teidingen
Ottokar österr. reimchron. 37342, vgl. 7621; 35873;
also worden mannliche hertzen durch weiblich treher
. . bewegt, das sie von dem streit liessent und zu der
theyding griffen Carbach Titi Livii röm. hist. 6" (ad
foedus faciendum duces prodeunt Liv. 1, 13, 4); ob du
gleich unschuldig und der man schuld hat, so solstu
doch . . erstlich zur sönung greiffen Barth toeiberspiegel
(1565) FVI»;
greiff dapfer zu der gegen-webr
H. Sachs 1, 219 Keller;
wo anfangs nicht ein mann zur gegenwebre griff
Gottsched dUche. schaub. 1,385;
vergisz nit zu vermanen heut,
das wir all greiffen zu der Schlacht
Spreng Iliaa (1610) U^;
das er verzweifeln mus
und nicht mag greiffen zu der bus
Krüger aktion v. d. anfang u. ende d. weit (1580) G V ' ;
als den 20. februar 1629 Hanns Jäggler . . sein richter-
ambt aufkindet, hat ein löbl. magistrat ... zu einer
neuen richterwahl grüffen österr. weisth. 6, 200, 16 ; anders :
wenn sie (die richter) hernach zum ampt greiffen, das
sie . . kein person ansehen Luther 28, 537 Weim.; als er
Albrecht II.) zur keyserlichen regierung greiff, freweten
sich dieses herren alle reichsgenossen Hossmann von
keyserl. wähl u. krönung Sil; 'kommen auf, übergehen zu':
die red süIl wir läzen vam
unde grifen zuo den järn . .
Jansen Enikel weltchr. 6062;
ehe wir zur auszlegung greiffen, müssen wir zu vor
ausz dem weg reumen das unkraut falscher lere Lu-
ther 8, 344 Weim.; ich aber zä dem andern fürnem-
lichen theyl greyff Güttel evang. warheyt (1523) B P;
drumb lass dir die zeyt sein nicht lang I
wir wollen greiffen zum anefang {steht im prolog)
Schumann nachtbüchlem 177 Balte;
wider gr. zu 'sich wieder zuwenden':
nfi sult ir widir grifen
zu uwirme schepfere
unde lazit iu wesen unmere
die vil bösen abgot
Trierer Silvester 430 Kraus;
anders: diser Arnoldus bewegt das volck zu Rom, sie
söltend wider zu irm uralten regiment . . und irer statt
fryheiten gryiTen Tschudi chron. Helvet. i, 67.
b) besondere Wendungen.
zur ehe greifen, ohne dialectische unterschiede vom
14. bis in den anfang des 17. jhs. :
diz merke ouch du vil ebene,
e du grifes zu der e
passional 291, 79 Köpke;
er greiff widder zu der ee ader nit (sive contrahat ma-
trimonium sive non) oberrhein. stadtrechte I 1, 9 (urk.
von 1325);
wilt du mit ir zu der ee greifen?
fastnaehtsp. 513, 2;
darzü sag ich, das zö heuraten oder zä der ee greiffen
niendert geboten ist von got Murner an den adel deut-
scher nation 43 neudr.; wilche person mügen mit eyn-
ander zur ehe greyffen Luther 10^, 275 Weim.; die
zweymal zur ee griffen haben Casp. Hedio chron. Germ.
(1530) 237^; wann sy wider zu der andern ee greiffen
Sghaidenreiszer Odyssea (1537) 63»; in . . paten das
er zu götlicher ee griffe Arigo decam. 657 Keller; Hans
N. und Greta N. wollen . . zum heiligen stand der ehe
greiffen kircJienordn. f. Braunschweig (1569) 96; die . .
castriert seind, . . mögen nicht zur ehe greiffen Para-
CELSUS opera 2, 414; seltene Variante: derhalben soll sie
es gleich mit im wagen, und mit im in die ee greiffen
Bebel facetien (i558) M l»; bair. auch zu der konschaft,
zur heirat gr. Sghmeller 1, 989; hie und da taucht
im 16. jh. zun ehren greifen 'heirathen' auf: umb derer
willen, so dise fasznacht zun ehren greiffen wollen
Kirchhoff wendunm. l, 296 Österley, anscheinend eine
Vermischung von zur ehe greifen und zu ehren schreiten
{vgl. th. 3, 57). tcohl nicht ohne Zusammenhang m,it zur
ehe gr. mit ist folgende ivendung : ein man sali gelden
furo seine frawen . . und die fraw vor den mann,
wanne wer sich verändern will, der sehe sich vor, zu
weme er greife Purgold rechtsbuch 2, 344 Ortloff.
zur Sache greifen 'auf die sache kommet, die sache
angreifen': darnach greifft er mit ernst zur sachen und
wils aus dem text Johann. 6. beweisen, das Luther
26, 367 Weim.; da greyffet S. Petrus recht zu den sachen
und wil so viel sagen 14, 28;
wolan das ichs nicht zlang mache
so wöln wir greiffen zur sache
M. Agricola musica instrum. deudsch 150 Eibner;
yetzt wil ich zur sachen greiffen, und das gantz ge-
schwirm . . erklären Jon. Nas antipap. eins u. hundert
4, 71»; ähnlich, aber ungleich seltener: nun wollen wir
zum handel greyffen Eb. v. Günzburg 3, 260 neudr.;
aber wir wollen zum fürgenommenen handel greiffen
Begh Agricola bergtcerck buch (l62l) 2; auch 'sich thätig
einer sache annehmen, die sache in die hand nehmen':
ir liebn getrewn greifft zu den sachen
und rhatet mir mit gantzen trewen,
ir dörfft daran gar niemand schewen,
zu straffen die schendlichen that ,
H. Sachs 15, 94 Keller-Qötze ,
dann etlich wolten sein fridlich leben nit sehen noch
dulden, sonder eh selbs zur sach greyffen Stumpf
Schwytzer chron. 374'*;
lasz uns mit Worten nicht umbgehen,
dardurch das werck beleibt anstehen,
wir wollen greiffen zu der sach
Spreng Utas (1610) 21».
zum, werk greifen u. ä: welcher zu einem solchen
werck wil greyffen, der sol in seinem fürnemen wissen
was er machen wil Dürer vier bücher v. menschl. Pro-
portion TU»; sich nicht zu säumen, sondern zum werk
zu greifen Leibniz deutsche sehr, l, 205; nach dem rath
greiff zur that Seb. Franck sprüchw. (l54i) 1, 157»; vgl.
109'';
fürst Hector griff auch zu der that
Spreng Utas (1610) 83»>;
wan er {der bischof) zu euch (der haushälterin)
do wirt schleichen ;
haist euch die füchszkürssen weichen,
ee das er zu arbeit thut greiffen
Pfarrer v. Kaienberg 42, 847 neudr. ;
jedoch vollstreckt er das gebott,
60 ihm gegeben war von gott,
und bald bereiten liesz die schiff.
damit man zu der arbeit griff
Spreng Hias (1610) 72».
8) abzusondern ist der gebrauch von gr. zu, wo es sich
um eine wähl handelt: er (gott) hat dir feur und was-
ser fürgestellet, greiff zu welchem du wilt Sir. 15, 16;
darumb steet in des menschen freyem will, zegreyffen
zuo tyerischer oder zuo erster menschlicher art Berth.
V. Chiemsee teutsche theol. 369 Eeithmeyer; leidenschaft
und Zufall werden mir schon maasregeln an die hand
geben, wenn ich auch jetzt noch nicht weiss, wozu ich
greifen soll Meiszner skizzen l, 136; ähnlich und seit
dem 16. jh. häufig für das ergreifen einer maszregel u. dgl.
beim, versagen, fehlen, nichtgenügen anderer möglichkeiten,
'seine Zuflucht nehmen zu': will solches alles nicht hei
fen, so musz man zum scheiden greifen Luther br.
5, 667 de Wette; dass sie nicht leichtlich, ohne hoch
dringende noth zur nottaufe eilen oder greiffen sollen
kirchenordn. f. Braunschweig (l569) 70 ; bliebe endlich der
sieg dem Bardanes, und muste Gotarzes zur flucht grei-
31
GREIFEN
GREIFEN
32
fen A. ü. V. Braunschweig Octavia (1677) l, 94; und
vater und söhn muszten wieder zum handwerk greifen
Grimm kinder- u. hausmärchen (1812) i, 165; in der Ver-
zweiflung griff man mitunter zu ganz abenteuerlichen
. . konjekturen Gentz sehr. 2, 170; der arzt welcher . .
zaghaft zu palliativen greift, wird nie die krankheit heben
B. V. Arnim dies buch gehört d. könig 2, 382; man griff {bei
der rekrutenausliebung) zu unbärtigen knaben und fa-
milienvätern Häusser deutsche gesch. 2, 473; wir wären
dann nicht genöthigt, zur besteuerung der genuszmittel
zu greifen Bismargk polit. reden 4, 243; so mit Vorliebe
in Verbindung mit mittel, doch kommt diese phrase erst
mit dem 19. jh. recht in schwang: sie musten ihre wol-
fahrt beobachten, und zu andern mittein greifFen
Olearius reise-beschreib. (1696) 119; eine {philologische)
Schwierigkeit, bei der er {Klotz) so gar zum gefährlich-
sten mittel greifen musz Herder 3, 339; vermelde dem
guten Rehbein : . . dasz ich diese tage zu keinem ärzt-
lichen hülfsmittel greifen müssen Göthe IV 36,80 Weim.;
wirklich griff Brienne . . zu den mittein der Verzweif-
lung Dahlmann gesch. d. frz. revol. 138; die nothwen-
digkeit, im kämpfe gegen eine Übermacht des auslands
im äuszersten nothfall auch zu revolutionären mittein
greifen zu können Bismargk ged. u. erinn. 2, 78 Volks-
ausgabe.
4) isolierte Wendungen.
zu sinne gr. 'des sinnes werden, sich entschlieszen,
sich besinnen, zur besinnung kommen'; wesentlich nd.
ausdruck :
ich dachte an daz raegetin,
ich leyt swere gantze,
ich greyff hertlich doch zu syn,
ich hob uff myne lantze
Cersne minneregel 4221;
darum se to synne greppen,
des insampt do worden al eyn
gtüdtechron. 16, 196;
de hadde on seer vorschrecket
in dem haghen dar he do slcp,
dat he yo nicht to synne grep 16, 202;
das ein radt der altenstadt das Barfuesser kloster hat
lassen befehlen zuzustehen, bisz das rumorisch volck
wieder zu sinnen greiffe 27, 172 {aus der historia des
Magdeburgers Seb. Lanohans).
zu den zügen gr. 'in die agonie verfallen, sterben'
Schmeller 1, 990, seltene Variante zu in die z. gr. {vgl.
sp. 88); vielleicht veranlaszt durch Wendungen wie: als
einez zem töde grifende wirt, so hat man des site
Berth. V. Regensburg 43, 5 Pfeiffer.
gr. zu auf Personen angewendet 'gefangen nehmen',
specifisch alem.: wer anders liefe, . . zu dem wil man
griffen und in den turn legen Straszburger zunft- u. poli-
zeiverordn. 149 Brucker; do griff end die von Costentz
zu im und Sengen in und entran sin knecht Richen-
TAL chron. d. Constanzer conz. 90; zu einem greyffen
und in gefencklich an nemmen Maaler (i56i) 192*;
Dentzler (1716) 139*»; in anderen dialecten mit an-
derer bedeutung: botschaft . . . , daz der herren von
Bairn volk etlich dez reichs stet angriffen haben, e daz
man zu in griffen {sie angegriffen) hat städtechron. l,
142, 19 {Nürnberg, a. 1388) ; we ok myt deme andern gud-
liken ghelevet heft, de en schal nicht to om gripen
noch ienneghen schaden don Sghiller-Lübben 2, 148''
aus einem, landfrieden von 1391 ; nur im alem. auch von
gutem 'wegnehmen': darnach graif erst unsser herr der
küng zu hertzog Fridrichs gut Richental chron. d. Con-
stanzer conz. 70; darumb ist es so vil, man hat yhm
die kue genommen, als, man hat yhn zu yhrer narung
griffen Agricola 750 teutscher Sprichwörter (1534) LI»;
in solchem krieg greiff keyser Otho der 4. zu dem schloss
Rheynegk Stumpf Schwytzerchron. (1606) 339''; vgl. einem
zum seckel greiffen darausz zu stelen Galepinus undec.
ling. (1598) 866*'.
in der Jägersprache: da denn der Jäger bemühet
seyn musz, den hund hiervon hinweg zu bringen, da-
mit er wiederum zur erden greiffe Göchhausen nota-
bilia venatoris (l74i) 4 ; ein wohlgeführter leithund, der
wol zur färthe greifet, keine leichtlich überziehet
Heppe aufrichtiger lehrprinz 34; da lernt der hund
desto besser zu boden greiffen Döbel jäger-practica (1754)
1, 96.
B. greifen nach.
l) in eigentlichem sinn, mit dinglichem object.
a) im unterschiede von gr. zu liegt bei gr. nach das
gröszere gewicht auf der handlung des greifens als sol-
cher, dem, langen, haschen nach etwas; daher denn auch
das resultat nicht nothwendig ein ergreifen zu sein
braucht :
d5 rang er nach ir minne und zerfuorte ir diu kleit.
do greif nach eime gürtel diu herliche meit
Nib. 587, 2;
das h. öl ... , darmit man die krancken schmiert,
wann sie anfahen nach dem leilach greiffen und im
hals rochein Fisghart binenkorb (1588) 182'';
wann mir die sach gelücken thut,
das ich die männer beyd gewisz . .
werd überwinden unverdrossen,
so greiff du eylends nach den rossen
Spreng Ilias (1610) 57»;
indem der meisten herz von wollust überläuft,
imd bHndlings, ohn bedacht, nach einem gatten greift
Weichmann poesie d. Niedersachsen 2, 95 ;
retten sie das kindl rief sie; wir wollen nach dem
übrigen greifen Göthe 22, 214 Weim.; Achill erfreut sich
daran, indessen die frauen nach den gefälligen waaren
greifen 48, 19; er . . griff nach dem kettenzwickel und
machte den . . ziehhund los Fontane I 5, 125; planlos
griffen ihre bände nach diesem und jenem Storm i,
229; bisweilen klingt die bedeutung 'tasten, fühlen' an:
also begab es sich in einer nacht, daz der ritter aus
seinem schlaff erwachet, und wolt neben sich greiffen
nach seiner frauwen buch d. liebe (i587) 286"; wer was
wehes hat, der greifft darnach Henisgh 1738; ich greife
im finstern nach der klingel Brentano Godivi l, 160;
die begriffsgruppen, mit denen sich das verb. vorzugs-
iveise verbindet, lassen die ursprüngliche bedeutungsrich-
tung der formel klar erkennen:
dö greif er {der esel) sä durch gewin
nach dem haberen dar in Stricker Amis 276;
ow& my, owe Eva,
dattu iüwerlde greppest dar na (nach dem, apfet)
Sündenfall 1122 Schönemann;
'ja', sprach der Eulenspiegel, 'ja',
wolt nach dem braten greiffen da
Fischart Eulenspiegel 282, 7786 Hauffen ;
vgl. in einer wüsten, kahlen, menschenleeren zeit, greift
das herz nach jeder nahrung Börne ges. sehr, l, I8i;
die kisten schlosz er auf gedrot
nach dem gut griffen sie bhende
Gengenbach 36 Gödeke;
als die kaiserliche flotte . . auf allen selten nach reicher
und bequemer beute um sich griff RAUMER^escÄ. d. Hohen-
staufen 4, 109 ; das greifen des polypen nach der wahrge-
nommenen beute D.F.Strausz sehr. 6,138; ich griff nach
einer pistole Schiller 4, 216; ich muszte ihn lange
rütteln, plötzlich fuhr er auf und griff nach dem pistol
MoLTKE sehr. lt. denkwürdigk. 6, 15; ein offizier ward
über die Verwegenheit des Indianers so aufgebracht,
dass er nach einem gewehr griff J. G. Forster sämtl.
sehr. 2, 10; listig blickt er auf ihn hin, lauernd dasz
er ihn tödten könne, indem er heimtückisch nach dem
versteckten dolche greift Hegel 10*, 260; das gehen und
greifen nach der waffe dauerte doch länger, als der
eher zum umkehren und wiederangriff zeit gebraucht
hatte Laube ges. sehr. 2, 9; nicht selten verschwimmt der
unterschied, der gr. nach und gr. zu bei icaffen trennt:
dort hat ein paar
sich bey dem haar:
der greifft nach seinem degen;
Königsh. dichterkreis 31 neudr.,
auch ihr, o beiden rechter art!
die langsam nach dem Schwerte greifen
Gottsched ged. (1751) 14;
jung und erst bei erzahlern des 19. jhs. häufig in fällen
vne: Wurm, (greift nach hut und stock . .) Schiller 3,
365; einige griffen schnell nach ihren hüten Langbein
sämtl. sehr. 31, 143; Fanny und deren tante griffen nach
33
GREIFEN
GREIFEN
34
ihren Umschlagetüchern Holtei vierzig jähre l, 199;
älter: greiiJfen als die kind in die Spiegel nach dem
bild, das sie sehen Keisersberg irrig schaf (i5ii) 51";
das kind greift nach allem, betastet alles Salzmann
ameisenbücJdein 83; die kindische art, in die ich ver-
fallen, sofort nach dem glänzenden zu greifen Keller
3, 229.
b) in gewissen, z. th. formelhaften Wendungen zeigt
sich ein verblaszter oder bildlicher gebrauch: zuerst also
griff ich nicht nach werken, die er . . geschrieben hatte
Herder 17, 28; es kommt ein büchlein von ihm her-
aus . .; begegnet es dir, so greife darnach Göthe IV
35, 147 Weim.; will man nicht katholischen orten Cal-
deronische stücke geben, so greife man nach der groszen
Zenobia E. Th. A. Hoffmann 4, 76; wie entschieden das
Publikum vorzugsweise nach jenen darstellungen aus
zweiter band greift Schopenhauer i, 25; ich griff (bei
der lectüre Göthes) zuerst nach allem, was sich durch
den druck als dramatisch zeigte Keller 2, 11 ; wer
auf treume helt, der greifft nach dem schatten Sir.
34, 2;
wer sind sie (die larven)? — schatten von vergnügen. —
ihr greift nach ihnen. — sie verfliegen
Jon. E. Schlegel 4, 183;
ich bin zu sehr wachend, als dasz ich nicht fühlen
sollte, dasz ich nach schatten greife Göthe FV i, 263
Weim. ;
wer immerdar nach schatten greift,
kann stets nur leere luft erlangen 5, 44 ;
hernach lies der bapst Clemens eine bulle ausgehen . . ,
darinne er grieff nach aller könige und fürsten gelt
Luther (l56l) 6, 536"; ich liebe beydes: ich halte es
mit dem silber und greiffe auch nach dem golde Birken
ostländ. lorbeerhayn 10 ;
sie (die streber) haschen nach würde,
sie greifen nach geld
OvERBECK verm. gedickte 52;
vgl. der nit nach dem seckel stelt und greifft, . . . der
ist ein bider Christen mann schöne weise klugreden
(1548) 96*; als er . . einen dolch zu sehen glaubt, und
mit einem griff, wie man nur nach krönen greift,
nach dem hefte haschte Sturz sehr, i, 12; aus ehr-
geitz griff man itzt nach kutten wie nach krönen
Zimmermann einsamkeit i, 328;
hab ich
gefehlt, mein gnädigster gemahl, so sollte
die königskrone dieses reichs, womach
ich selber nie gegriffen habe, mich
zum mindesten für dem erröthen schüzen
Schiller 5, 51 ;
ich wagte . . ihm zu sagen, dasz wir uns liebten, und
der gebrochene mann griff danach wie nach einem
Strohhalm Storm i, 280; er stehe nicht hilflos da
und brauche nicht nach jedem Strohhalme zu greifen,
den man ihm hinhalte Polen z Qrabenhäger 2, 20.
c) von personen: als der aussatz greufft geren nach
dene, die do zertlich sein Luther 9, 557 Weim.; die
kalte hand des todes erstarrt den nicht schneller, nach
dem er greift, als Klinger werke 4, 35; anders: nun
aber wäre zu berathschlagen, was zu thun; ob bey
zelten nach der Griechin zu greiffen . . wäre? Lohen-
stein Arminius (1689/.) 2, 615*;
man greife nun nach mädchen, krönen, gold,
dem greifenden ist meist Fortuna hold
Göthe Faust II 7102 ;
häufig als 'gefangen nehmen', vortdegend bair. und
Schwab, (vgl. das alem. greifen zu oben sp. 3l): sonder
ein rath wil hie und anderswo, wo der betreten wir-
det, nach im greiffen, ine ein halbe höre an den pran-
ger stellen lassen Nürnb. polizeiordn. 240 Baader; öfter
in den österr. weisth., so 6,2,44; 18, 11 ; erlaupt mir,
so will ich nach in greifen und in fanknus pringen
städtechron. 2, 317, 3 (Augsb.); Nero liesz nach vielen
greiffen und hart umb Unschuld martern See. Frangk
Germ, chron. (1538) 20 ; also sol der profosz nach dem-
selbigen greifen Fronsperger kriegsbuch l, c 4V; dasz
die oberkeyt nicht nach ihm griffe des todtschlags hal-
ben Nigrinus von zäuberem (1592) 30.
IV. 1. 6.
2) von jeher auch uneigentlich, vielfach neben abstractis .-
slns herzen gir nach prise greif Parz. 15, 25 ;
das man erkenne, wöUicher recht oder unrecht gryffe
nach der freyhayt, so yetz gepredigt würdt in gottes
evangelio Eb. v. Günzburg sämtl. sehr. 2, 122 neudr.;
denn man ungern unterlasset, nach der occasion zu
greifen, die man . . gewünschet Leibniz deutsche sehr.
1, 249; die alten (arzneimittel und kleidertrachten) kom-
men ausser der mode, da ein jedweder begierig nach
dem neuen greift allg. deutsche bibl. i2, 126; sie . . ver-
achten das naheliegende gute, um nach fernen erschei-
nungen zu greifen Knigge timgang m. menschen (1796)
1, 206; wenn unsre höhere weit deutsch spricht, greift
sie nicht jeden augenblick nach einem französischen
Worte Arndt Schriften für u. an s. l. Deutschen 1, 426;
nach einem Zeitvertreib zu greifen Mörike 3, 29; der
dichter soll nach realistik greifen Pocci komödien-
büchlein (i859) 214; sich selbst zerfleischend, griff sie
nach den härtesten werten Storm 3, 65; haben die
Römer . . . damals erstlich nach den übrigen ländern
Italic gegriffen Xylander Polybius (1574) 4; an den
neuen zäunen . . . sieht man wie viele wohlhabende
leute in der letzten zeit nach gröszern und kleinern
stücken eines fruchtbaren bodens gegriffen haben Göthe
IV 12, 215 Weim.; biss sie auch nach dem zäum der
herrschaft griffen Stumpf Schwytzer chron. (16O6) 342'';
(die preuszische macht) die, in ihrer geltung im reiche
mächtig gewachsen, doch nicht nach dem kaisertum
greifen wollte Ranke 31, 452; ein guter genius hat seine
(des kindes) hand geführt, dasz es nicht nach dem tode
griff, der so nahe zubereitet stand Göthe 23, 299 Weim. ;
von allen selten gedrängt, greift er zerstreut und un-
willkührlich nach dem tode Tieck *cÄr. 7, 135; berech-
nungen einer nach allen mittein des Widerstandes greifen-
den gefährdeten existenz B-hNViE reform, gesch. 2, 112; ein
mensch, der hungert und friert . . greift nach den mit-
tein, welche die gegenwart ihm bieten kann Moltke
sehr. u. denkwürd. 7, 76; nicht selten in einem sinn, der
dem von gr. zu oben sp. 30, 3 sehr nahe kommt: Newton
griff also nach der ausflucht Göthe II 2, 134 Weim.;
als don Karlos fliehen muszte
mit der ganzen tafeirunde,
und die meisten paladine
nach honettem handwerk griffen
Heine 2, 356;
für ernstere fälle . . griff sie nach dem starken . . sal
volatile irgendeines kraftspruches Fontane I 1, 53.
3) m,it dat. der person:
sie kan dich singen lassen, pfiffen
und sie dir nach dem seckel greiffen
Murner die mülle 12, 235 Albrecht,
zih den balken vor ausz deim aug, eh aim andern nach
seim Splitter greifst Fischart podagr. trostb. 43, 11
Hauffen; mit besonderem sinn: satan greifft dem gott
stets nach der chron Luther 32, 155 Weim.; das sie .
Christo nach seinem rieht stuel greiffen 18, 529; das wir
uns nicht haddern über der gotheit, alioqui greiff ich
gott nach seim namen 27, 242; (die laffenprediger) die
leudt leren gantz gott entgegen, und ym nach seyner
eer greiffen 9, 186; dasz sie ihrer fürstl. durchlaucht
nach der oberbotmäszigkeit gegriffen acta publ., verhandl.
d. schles. fürsten u. stände 240; Adam und Eva (haben)
gleichsam als Absolon ihrem vater gott im himmel nach
scepter und cron gegriffen Dannhawer catechism. milch
1, 122; vornehmlich von theilen des körpers: nach der
gurglen greyffen Maaler (l56i) 192 1>;
will er da sitzen lang zu mausen,
so greiff im bald nach der kartausen
und wirff in ubern nächsten banck
Scheit Grob. 670 neudr. ;
erst hetzt es an mich seine hund,
die griffen mir nach kehl und mund
Rollenhagen froschmeuseler (1595) l v*;
Ehrenfried die alteration sehende, griff ihr nach der
hand mediz. maulaffe (1719) 17; sie . . wollte dem Gockel
mit gewalt nach der hand greifen und ihm den ring
wieder zurück drehen Brentano 5, lOi; gern bildlich:
quare tum non fecerunt (sc. vestes straverunt) ponti-
3
35
GREIFEN
GREIFEN
36
fices et Pharisaei, immo murmurabant und wolten yhm
nach dem köpf greiffen? Luther 27, 438 Weim.; ein
aufrürer aber greifTt der gewalt nach dem köpf und
nach dem schwerd 17 *, 266; dieser medicus Christus
greifft dieser kranckeit nach dem hals 3^2, 329; weil sie
(die weiber), die ohnedies allzeit den männern nach
dem hart zu greifen begehren, hierdurch die gewalt in
die bände bekamen deutsche Volksbücher 5, 7 Simrock;
besonders :
belegt er dich mit creutz und noth
und greifft dir nach dem hertzen
SiM. Dach 158 Oesterley;
du schickst mir einen brief und greiffst mir nach den
hertzen
H. V. HoFFMANNSWALDAU u. and. ged. 1, 1 Neukirch;
da greift ihm das verlangen nach der freundschaft wie
ein schmerz nach dem herzen Jean Paul flegeljahre
(iSOif.) 1, 139; selten ohne dativ: aber die stürme fahren
doch auf und greifen nach dem herzen Jean Paul 7,
100 Hempel.
4) nach als blosze richtungsbezeichmmg : betrachtungen
dieser art greifen freylich nach allen selten und sind
schwer zusammen zu fassen Göthe IV 28,135; ein enges
aber festes Frankreich, das nach allen selten greifen
konnte Laube ges. sehr. 4, 72.
C. greifen in.
l) im ursprünglichen sinn des fassens, langens.
a) zunächst bei hohlräumen verschiedenster art:
ist schon eyn edler do den ir,
des achtendt nit, greyfft in das geschir
Murner schelmenzunfl 35, 10 neudr. ;
die in krebslöcher greiffen, werden ein menschen band
heraus ziehen Fischart praktik 15 neudr.; immer tie-
fer greift sie in die tüte Holtei erzähl, sehr, l, 15;
sprichwörtlich: er mag mitten in die schüssel greiffen
er hat ein Vorrecht Eyering proverb. copia 2, 405; be-
sonders :
der krämer greifft in die wehr {in das degengefäsz) und
spricht H. Sachs 9,16;
sie lissen von den werten,
und griffen in die schwert
Mittler deutsche Volkslieder 4;
in de wunden greif eins arztes hant
Parz. 480, 5;
griff mir (Jesu) in mine wunden
und gleube zu dissen stunden
Alsfelder passionssptel 7802 Grein;
wohlan, mein herz ! in dieser stunde
will ich in dein geheimnisz schauen,
und greifen tiefst in deine wunde
Lenau 3, 187 Grün ;
mit was für einer edlen Unverschämtheit er nur ohn-
längst dem kammermädchen in den busen griff Rabener
sämtl, sehr. 4, 49 ;
in ihren busen greift der lose
und zieht ir schmeichelnd keck
das sanfte veilchen und die rose
hervor aus dem versteck Lenau 27;
jung: ein frischer wind griff unterdesz rüstig in die ge-
flickten segel Eichendorff 3, 229; in den beutel greifen
u. ä. seit alters für geld hervorholen: wenn ich helfen
. . solt, mus ich yn den beutel greiffen Luther 342,
334 Weim. ; dasz er in die tasche greife, wenn ers nöthig
hat Schwabe volleingeschancktes tintenfäszl 84; und du
antwortest ihrer scheuen bitte und greifst in deinen
säckel, greifst ziemlich tief Ebner-Esghenbach 4, 333;
d' brautführa greifan in sack und vosteht so hübsch
toif Stelzhamer ausgew. dicht. 3, 69 Eosegger ; hier ist
zu rechnen und nicht zu fühlen, zu erwägen und nicht
in einen loostopf zu greifen Göthe IV 9, 113 Weim.,-
greifen sie nie in den elenden loostopf B. v, Arnim
dies buch gehört d. könig 1, 274; vgl.
nicht ohne Schauder greift des menschen band
in des geschicks geheimniszvolle urne
Schiller 12, 216.
b) darüber hinaus in mannigfachen Verbindungen, den
verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten der präpos. ge-
mäsz: in dreck greiffen Kramer teutsch-italiän. (1700) l,
559*; wie die blinden, die nach dem wasser tappen und
greiffen yns teuer Luther 26, 148 Weim.; wie wir deud-
schen von den weybern sagen: sie ist so zart und ver-
zumpen, sie greiffe nicht yn ein kalt wasser 23, 609;
und wenn ich wolte was berührn,
so möcht ich keine entpfindung spüm,
greiff in die reine luft hinein
Ringwaldt Christi, wamung B V»;
ihre zitternden hände griffen umsonst in die leere fln-
sternisz Storm 1, 161; die wurtzel ist starck, und greifft
tief in den boden Chomel öcon. u. physic. lex. 5, 729;
bildlich:
aufblicken musz ich freudig zu den frohen,
und in den äther greifen über mir
mit freiem geist Schiller braut 2724;
doch nicht allein sind es kräfte . . der bewuszten natur,
welche land schaffen; auch der mensch greift mit star-
kem arm in die flut Allmers marschenbuch 1, 90; —
hie haben sie auch vier gelyd gesetzt, das ich nach
meyns weybs todt nicht mag widder yn yhre freund-
schaft greyffen Luther lO^, 281 Weim.; diese beide ge-
schlecht griffen in einander mit heirath 16, 102;
greiff hurtig in das geld
Olearius verm. reise-beschreib. 389;
zudem hatte onkel Nebendahl seine frau veranlaszt, in
die schätze ihrer rauch- und Vorratskammer zu greifen
Seidel Leberecht Hühnchen 253; jünger:
liebe greift auch in die ferne
Schiller 15', 7;
so weit in die Unendlichkeit hinaus
greift unser geist
Raupach dram. werke ernster gattung 5, 152 ;
er (Jean Paul) greift in die fernsten gegenstände der
kosmischen weit, um bilder für die geheimsten Stim-
mungen der Seele zu finden Gervinus gesch. d. deut-
schen dichtung (i853) 5, 215; der sänger greift . . mitten
in die materie Herder 24, 235; zudem hatte . . Mar-
siglio in seinem werke weit über die . . entwicklung
des kirchlichen Systems hinaus, in die christliche urzeit
gegriffen Döllinger akad. vortrage l, 130; specifisch
göthisch: weil ich aber gar wohl weisz, dasz dergleichen
in's ganze greifenden einrichtungen manches hinderliche
im wege steht IV 29, 200 Weim.; vgl. I 25, 6; II 6, 118; III 11,
64; isoliert: da hatte er sich wohl verkältet, und wie im
ersten augenblicke denn keine hilfe zu haben war, griff
er in die phantasie und wurde immer schlechter und
schlechter Grillparzer 13, 264
c) ineinander greifen urspr. vom rädergetriebe ; vgl.:
wie bey der uhr ein rad in das andere greift Rabener
sämtl. sehr. 4, 121; sieben kammräder, wovon jedes in
einen trilling greifet Nicolai reise d. Deutschland i, 265;
daher erst seit dem iS.jh. in schicang: eine stätige reihe
in einander greifender, aus einander gleichsam quellen-
der färben zu trennen . . . , ist eine schwere aufgäbe
Göthe II 2, 62 Weim.; es gehört heut zu tag ein ent-
setzlicher umfang dazu, um in den Wissenschaften kom-
plett zu sein . . und was hat man davon, nichts als
die ehre, dasz alles in einander greift mit leeren bän-
den Brentano 5, 57; ein fest in einander greifendes
kunstwerk E. M. Arndt werke l, 242 ; das werk vieler in
einander greifender umstände Ludwig 2, 570; die Solo-
stimmen und der chor greifen selbständig ineinander
Jahn Mozart 4, 587.
d) nu grifest du mir in min herz mit dem under-
gang miner eren Seuse deutsche sehr. 67, 2 Bihlmeyer;
darumb so ist gottes furcht nichts anders denn gottes
dienst, damit greiffen wir gott yns hertz, das wir yhn
fürchten Luther 19, 305 Weim.;
um sing und sang
schweifen die pfeifen, und greifen
in's herz,
mit freud' und mit schmerz Brentano 2, 333 ;
vgl. th. 4 ^, 1213 ; seit dem stürm und drang tritt die seele
daneben (ähnlich bei von grund der seele, s. grund) : un-
sinniger, warum greifst du so kühn in meine seele?
Klinger werke i, 5;
bey gott,
er greift in meine seele Schiller 5, 311 ;
37
GREIFEN
GREIFEN
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seltener: lasz mich tiefer in deinen busen greifen, ich
will mit stürm in die gluth blasen, die du in deinem
herzen gesammelt hast Klinger iverke 3, 275;
0 welch ein schauder greift mit kalter band
in meine brüst Mich. Beer iverke 88;
vergleichbar: aber ich halte, der prophet greiffe dem
könige und den seinen yns gewissen Luther 19, Ml
Weim.; in anderem sinne reflexiv: es heiszt: Hans nim
dich selbs bey der nasen und greiff in deinen eigen
bösen, wenn du wilt ein schalck suchen Luther 32,
479 Weim.; bei Luther häufig, vgl. 2, 122; 20, 142; 28, 530;
32, 478; greiff in dein eygen büsen. sihe dich selbs an
See. Franck sprüchiv. (I34l) 2, 120«' ; bis ins 18. jh. ge-
bräuchlich: jeder möge in seinen eignen busen greifen !
Göthe II 5I, 392 Weim.; wer doch immer in seinen
eignen busen griffe? G. Forster 8, 170; seit busen im
sinne 'inneres' zu veralten beginnt, treten andere worte
an seine stelle:
merkt, wenn ihr wollt, ein weises Sprüchlein euch,
und greift dabei in eure eigne brüst
Z. Werner söhne d. thales (1803) 1,102;
du wirfst mir falschheit vor ? . .
greif in dein eignes herz!
Bauernfeld 1, 243;
herr gensd'arm! jreifen sie in ihr herz, ob sie janz
fehlerfrei sind? Glaszbrenner Berlin icie es ist und —
tri7ikt 6, th. 3, 5.
e) ins haar, in den hart, ins maul, ins äuge greifen
u. ä. nur die erste dieser Wendungen ist seit alters auch
in wörtlichem sinne verbreitet:
er greif im aber in daz här
Stricker Amis 1971 ;
greifet aber ain gast ainem burger in sein har oder
sieht oder stoeret in, der ist darumb schuldig fünf pfunt
haller Nürnberger polizeiordn. B5 Baader; Wenski (greift
ihm in die haare) Fr. L. Schröder dram. werke 3, 12 ;
daneben bildlich: willtu nicht sein (des satans) eigen
sein, so were dich, greiff yhm yn die hare Luther
23, 70 Weim.; mit diesen werten hat dennoch Pilatus
den Juden viel in die har gegriffen, ob er schon scherfer
und herter mit inen bette reden sollen 28, 342; vgl. th. 4^
14; ähnlich: itzt wollt ich . . eym solchen man, der eyn
weyb also aufs narrn seyl füret, wol basz yn die wolle
greyffen 10'^, 279; vgl. 342, 76; {Witzel) trat auf und pre-
digt und greiff den hern und fürsten weidlich in die wol-
len, schalt und lestert greulich auf sie Alberus widder
Jörg Witzeln mammeUiken G 3"; anders: das gott redt,
er sey ein starcker eiferer, er lasse yhm nicht yn
hart greiffen Luther 16, 467 Weim.; vgl. 14, 341; die
fürsten . . greyffen godt zu frech yn den hart 17^, 390;
— Pharao sol bey seinem eigenen brot und mit seinen
gutem seinen eigenen feind auferziehen . . das heiszet
dem Pharao ins maul und nasen gegriffen und alle
seine anschlege . . zu schänden gemacht I6, 20; divina
potentia greyfft dem todt yns maul 17 1, 73; gern, wo
ein verdrehen oder meistern von geboten gottes, Christi
u. s. w. gescholten wird: das ist ye nit anders, denn
gottis willen und meynung wandeln und machen nach
unserm willen und meynung; das heyst denn gott yn
das maul greyffen Luther 10 1,1, 538 Weim.; weitere be-
lege th. 6, 1791 ; zartere gemüther milderten in solchem fall
die Wendung: will ein eeman parfottisch Christen wer-
den, müss er . . vom weyb geschayden seyn, das auch
trutzlych Jhesu von Nazareth in den mund griffen werde
Eb. V. GÜNZBURG 3, 58 neudr.; wahrend die genannten
Wendungen ivesentlich im 16. jh. blühen, bleibt die folgende
bis ins 18. durchaus lebendig: wer aber die {Christen)
berürt, der greifft gott yn sein augapfel Luther 20, 516
Weim.; wer im ein leids thüt, greifft mir in die äugen
Seb. Franck sprüchwörter (i54l) 2, 74^; es war auch . .
nicht ein geringes den falschen mönchen und der ehr-
würdigen geistlichkeit in die äugen zu greifen Zimmer-
mann über die einsamkeit 1, 288; wer meinem Evchen
was an der ehr abschneiden will, der greift mir ins
aug H. L. Wagner theaterstücke (1779) 95; vgl. th. i, 794;
seltener: sol den teufel lassen her rennen und . . greiffen
yhm yns fleisch Luther 32, 272 Weim.; der teufel greyff
yn dises Christi fleysch ebd.; welche fromme bischoff
aber dem laster in die zän griffen Stumpf Schwytzer-
chron. (16O6) 220*; in die haube gr. ist unursprünglich
und eine späte entstellung des echten auf d. h. gr. (s. u.) :
wil gegenpart sich gleichwol straube,
greiffe wir einander in die haube
GiLHUSius gramm. (1597) 112;
ich wolt ihnen auch wol in die hauben greiffen, und ihre
tück zu offenbaren einen sonderlichen tractat machen
Paracelsus opera 1, SSO''.
f) in die züge gr. in den letzten zügen liegen, in die
agonie verfalleti, vorzüglich bair., auch schwäb. (Edw.
Schröder vermuthet als ausgangspunkt der redensart:
in die zieche ins betttuch greifen):
man thut in manchem haus oft finden
fünf kranck, eins schreit, daz ander jemert,
das drit ächtzet und das viert wemert,
das fünft das greiffet in die züg
H. Sachs 10, 374 Keller;
als sie griff in die züg hernach
Spreng Rias (1610) 238 *>;
drumb seit fein still ! dann es dunckt mich,
ihr majestat greiff in die züg
Ayrer dramen 1, 719;
dasz ich . . ihn so lange bey dem hals würgete, bis er
in die zügen griff Hafner lustspiele l, 42; auch in die
letzten züge gr. Otho evang. krancken trost 520 U7id sehr
oft; vgl. Schmeller l, 990; Fischer schwäb. 3, 820; sel-
ten mit dativ: Achilles, der eben in seinen lezten zügen
grif Birlinger schwäb. -augsb. 201^ {aus d. j. 1540).
2) hemmend, hindernd, schädigend in etwas {ein)greifen ;
einen eingriff vornehmen.
a) ich aber stund im in den weg,
griff ihm in zäum H. Sachs 3, 486 Keller;
aber sie {Medea) zu ehren, greif ich dem Stürmer in
den zügel Klinger werke 2, 302;
aber fest griff sie in das milchweisze rosz
und risz seinen reiter zur erde Arndt 6, 238;
als ihm auch der schergen einer in den degen greiffen
wolte, hieb er ihm die faust lahm Bucholtz Herku-
liskus 7;
als schnöde raserey dir in dein richter-schwerdt
durch balgen und durch mord zu greiffen hat begehrt
Heraus ged. u. lat. inschr. 145;
greiff in die starken arme
den frieden -Stürmern, dasz sie doch das wehrte christen-
bluth
so grausam nicht vergieszen mehr
Rist d. friedewünschende Teutschland 35;
man musz . . dem schlechten in den arm greifen B. v.
Arnim Günderode 2, 28; dasz er allein das wehrlose
Frankreich vor einem deutschen Überfall bewahrt habe,
indem er uns mit einem quos egol in den arm gegriffen
. . habe Bismarck ged. u. erinn. 2, 200 volksausg.; mit
welchem rechte . . ein wurm wie du . . in die räder
dieser ungeheuren . . maschine greift Klinger werke
3, 269;
in Ixions rad möcht' ich greifen
Göthe 17, 42 Weim. ;
verwegener! greife nicht in das rad fremder Verhäng-
nisse! Eighendorff 3, 184; ein held, ein dem glücks-
rad in die Speichen greifender unüberwindlicher B. v.
Arnim dies buch gehört d. könig 1, 218.
b) abstr acter: ist das nicht eyn toll küner geyst, der
gott so frech yn seyne wort greyfft und eraus zwacket,
was yhm gefellet? Luther 18, 145 Weim.; es ist mehr
dann kündig, das sie eigentlich meineten . . , es würde
e. m. thätlich darein {in die reformation) greiffen Slei-
DANUS reden 159 Böhmer; ihr untersteht euch mir in
meine Werbung zu greifen Stephanie lustsp. 96;
0 zeit, du greifst in meinen furchtbam plan!
Schiller 13, 110;
doch dann kommt erst das gesetzegeben,
das greifet dem klügsten in das leben
Arnim 6, 9 ;
die bureaukratie mit ihren hundert armen griff in jeg-
liche Wissenschaft Riehl deutsche arbeit 43; auch re-
flexiv: wie selten sind indessen exempel von leuten,
die aus schmerz sich ins leben greifen Hippel lebens-
läufe 3, 66; meist vom eingreifen in rechte und compe-
3*
39
GREIFEN
GREIFEN
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tenzen irgend welcher art: er wölt in die krön ze Behem
nit grifen, wann sin brüder Wentzlau noch in leben
war RiCHENTAL chroii. d. Constanzer conz. 108; vil nei-
diger menschen, die nit wollen . . verzeihen, sie wollen
sich rechen, und greiffen got in seinen gewalt Pauli
schimpf u. ernst 30 Österley; wie viel mehr werden sie
tyrannen und reuber sein, so sie got yn sein reich
fallen und yn sein regiment greiffen Luther 26, 585
Weim.; die beichvetter wolten sich enthalden und nit
yn gottes gericht greiffen 7, 292; dazu greiffen sie auch
yn die bepstliche rechte und freyheit 26, 563; so greyff
ich aber in dein xirteyl, so ich mich nit lasz benügen
an der zal und gradt, daran dich benügt Eb. v. Günz-
BURG 2, 159 neudr.; uwer bischoff wolt mir in mein
recht griffen Tsghudi chron. Helvet. l, 149; dasz der hübe
in das heiligthum der gesetze griff Schiller 3, 34; man
musz nicht in die alimacht gottes greifen Kirghhofer
Schweiz, sprüchw. 131 ;
greif du nicht in der götter richteramt
Grillparzer 6, 167;
indem er klagte, dasz man ihm in die obrigkeit greife
Ranke reform, gesch. 1, 99; man nehme den klöstern . .
ihre barschaft und kleinodien, greife den geistlichen in
ihre freiheiten 2, 314; attch bei realen competenzen : uns
ist nicht zymlich noch fugelich, das wir dem . . bischoff
zu Bresslow . . in sein furstentum und lande die sein
veterlich erbe sein greiffen und in doran swechen lehns-
urk. u. iesitzurk. Schlesiens 1, 361 (a. 1413) ; solt er {Karl-
stadt) nicht . , dem fursten . . frechlich yn seyn gut
greyffen Luther 18,96 Weim.; der richter soll alsdann
auf anzaigen des glaubigers dem Schuldner in seine
gueter greiffen, und den glaubiger davon zalhaft machen
LoRi hair. bergrecht 226 (a. 1532) ; nun haben die von
Nürnberg mit dem bischoff zühandeln gehabt, dann sie
ainander zänahent in daz gebiet griffen heften Nas
antipap. eins u. hundert 2, B VIII*; dasz die burger mit
erweyterung ihrer vorstatt dem abt . . in das sein grif-
fen Stumpf Schwytzerchron. (1606) 375»; noch den land-
fürsten in ire gejaide . . mit purschen, jagen . . zue-
greiffen österr. weisth. 6, 18, 2; besondere formein: yhr
aufrurischen gottes diebe, die yhr mir yn mein ampt
greifft Luther 19, 641 Weim.,-
ich glaub, dasz sie auch han geschworn,
den ketzermeistem inquisitom
ins ehrlich henckerampt zugreiffen
Fischart nacht rab 26, 889 Kurz;
damit . . kein richter ohne schwere Verantwortung in
ein höher ambt greiffen . . darf Thomasius gedancken
u. erinn. 2, 5; (ich fürchte) der gütigen vorsieht durch
meine wünsche ins amt zu greifen Schiller br. l, 259 ;
doch herr pastorl ich hab' es gewagt, ihnen ins amt
zu greifen Kotzebue 2, 238;
welch schreckenslaut tönt durch die stille nacht
und greift dem schlaf verscheucher, kummer, in sein amt?
Grillparzer 4, 204;
— in das handwerk der kürsner greifen sich übergriffe
erlauben durch herstellung von kürschnerwaren Jelinek
mhd. wb. für Böhmen 330 (aus Iglauer stadtb., 15. jh) ;
der Sommer zu zelten dem winter in das handwerk
greifft Abr. a St. Clara mercks Wien (1680) 149 ; da kein
priester vorhanden war, griff ich der klerisei ins hand-
werk PÜCKLER briefw. u. tageb. 3,221; vgl. th. i^, i25;
ähnlich die materialisten . . den apoteekern in die kunst
greiffen wollen Moscherosch gesichte (1650) 344; — zum
andermal greiff ich got yn seyn ere und nim mich des
an, das got alleyn zugehört theologia deutsch 12 Mandel;
(man) erzürnet gott desto mehr, die weil man damit
yn sein ehre und werck greifft und wils den menschen
zu eigen Luther so 2, 130 Weim.; wie der mensch, so
er ihm selber etwas gutes zuschreibt oder zueignet, . .
greifft gott in seine ehre Jon. Arndt Thomas a Kempis
übers. (I63l) 5.
D. greifen an.
1) al zehant so leit man riemen und rüder zä und
griffent alle an den anker Tauler pred. 325, 10 Vetter;
darumb greiff an disen rimen, und hilf hinüber rügen
Hütten 4, 6 Böcking;
indem so griff er an das hun
und zog es strack vom spisz herab
Fischart Eulenspiegel 73, 1306 Hauffen ;
die diener griffen noch nicht an den abhub des ersten
ganges, da Laube 2,60; anders: an nestel gr. manus alicui
dare Frisius diction. (1556) 439; sie griffen denn zuvor
an das baret und zogen es abe Luther 16, 136 Weim.;
und der selb (der neu eingesetzte richter) sol an daz
stab grifen, ain gemainer richter ze sin, nach sinem
gewissen . . zu richten österr. weisth. 4, 343, 21 ; die misz-
theter sicher waren . . , wenn sie an die hörner des altars
griffen Mathesius Sarepta (l57l) 43^; greifet flugs an die
erde Grimm deutsche sagen l, 42;
drauf greift er mit der band an den geschärften stahl
Zachariä poet. sehr. 1, 13 ;
ich griff an's schwert vor ihrem anblick maler Müller
3, 283; die preuszischen officiere griffen an ihre waffen,
um den frechen Franzosen niederzuhauen Freytag 13,
110; frühzeitig entwickelte sich die bedeutung 'sich an et-
was machen':
hey, wie lichte man erbiten
mochte den vil guten man (die heiden zu taufen) !
er greif mit vreuden dar an
passional 394, 66 Köpke;
do greyfft er myt der tauf an seyn ampt Luther 34 1, 25
Weim.; mit rath und kenntniszen ausgestattet, griff er
ans werk Herder 24, 430; ähnlich zu verstehen:
wil das nicht helfen, ist zu schlecht,
so greiff ich an das fauste recht,
und brauch mich desz dich zu vertreibn
GiLHusius gramm. 105.
2) in anwendung auf personen :
sie lagen lang in groszer lust
ir freud thet sich nur mehren
er greyff ir lieblich an die brüst
Förster frische teutsche liedlein 121 neudr. ;
greift doch an euren steisz
GÖTHE 5, 121 Weim. ;
als wir uns aber, ohne ein wort zu sagen, an beiden
bänden griffen Storm ges. sehr. (1868^.) 9, 62; eine kühle
morgenluft griff stärkend an alle glieder Eichendorff
2, 303; dagegen:
die schuld des bösen fiebers,
das ganz erstaunlich an die nerven greift
Schiller 5, 323;
jung scheint: gott! gott! (greift sich an den köpf und
fällt auf die knie) Lenz 1, 70; sie griff sich an die stirn,
ein schmerzlicher ausdruck flog über ihr angesichtEsNER-
Esghenbach 4, 227; Stertinius sagte: dasz ihm hiermit
ans hertz gegrieffen würde Lohenstein Armin. (1689/.)
2, 279»; zurück! weg! greife nicht an das vaterherz,
knabe! Schiller 3, 483;
die reizende gestalt I der edle anstand I
wie mirs ans herz greift 13, 374;
lord Byron ist aber der wilde vater jener modernen
poesie ohne pietät, welche mit nackten bänden ans
herz greift Laube 8, 358; vgl. th. 42, 1213; Varianten: wer
diese angreift, der greift uns an die seele Dusch krit.
u. satyr. sehr. 199; ich musz dir etwas stark an deine
entnervte seele greifen Klinger werke 5, 69; das wieder-
sehen mit Peter . . hatte auch ihm ans gemüt gegriffen
Boy-Ed ABC des lebens, Velh. u. Klos, monatsh. 1901 I 546 ;
älter, aber selten auch reflexiv:
nu gripet an iuwe herte
unde denket an de smerte,
de god an dem cruce leit
osterspiel 25 Schönemann;
oft griff ich auch dem trotzer an die kehle
Schubart sämmtl. gedickte 2, 55;
greyfft man an deine ere, gut gerucht, gut und was
du hast, so greyfft man nit in deyn, syndern yn Christus
gut Luther 2, 91 Weim.;
den Frundsberg greift's an seine ehr'
Hoffmann v. Fallersleben gedickte' Si7 ;
jemand ans leben greiffen Kramer teutsch-italiän. (i700)
1, 558 <=.
E. greifen auf.
dem hat kinig Ferdinand alle wort nachgesprochen
und hat mit beiden henden auf das evangelibüch grif-
fen städtechron. 23, S16, 9; (der priester) geet herab von
I
41
GREIFEN
GREIFEN
42
dem altar, so geent man und frauen für in, so greufft
er in auf das haupt Sghiltberger reisebuch 108, 3 Lang-
mantel; hiebei griff er mit der freien band auf die
pistole und spannte beide bahne Stifter 5^ 363; über-
tragen: (Leo X.) schencket sie (die fürsten) alle dem
teufel . . gab yederman gewalt, auf sie, ihre lant und
leut zu greiffen Sleidanus reden 115 Böhiner; nament-
lich im, bair. fester rechts ausdruck : da von sullen all
die daigen die in der freiung gesessen sind vor dem
lantgericht von Wolkenstein, das ain richter noch sein
anwald in kainerlai weis auf seu nicht zu greifen hat
österr. weisth. 6, 27, 17 ; ob aber ein richter so stolz wehre
und grief freventlich auf die freiheit, so ist er verfallen
149, 37; 'mit beschlag belegen': eim auf sein gut gr. con-
fiscare Frisius diction. (1556) 292*'; wann ainer umb geld-
schuld oder ander erbar sach wich, auf des guet soll
niemant greifen, weder richter noch phleger 428, 38;
vgl. 24; es war eine gutthat des Sempronius Gracchus,
dasz man nur auf die guter griff Haller Fabius u.
Cato 156, 11; anders: auf diese weise müssen die weni-
gen, so noch gut stehen, und worauf man zur zeit der
noth doch greifen musz, nothwendig zu gründe gehen
J, Moser 3,276. feste formein: auf die haube gr.,
nicht nur drastisch volksmäszig, sondern auch litterarisch :
sihe Claus was hastu für ein buben?
du greiffst im nit gnug auf die hüben,
er hat uns schier hie all erschreckt
Fischart Eulenspiegel 36, 212 Hauffen;
dasz sie (die kaiserlichen) auch ihren feind auf die haube
greiffen, und offensive gehen dörfen Chemnitz schwed.
krieg l, 460, 2; weitere belege th. i^, 563; Varianten: dasz
kan ein groszer konig gesein, der der groszen konigen
darf also auf die krön greyffen Luther 32, 75 Weim.;
wer nicht bescheiden tuht,
dem greifft er mit der faust, wie billig, auf den hut
Rachel satyr. ged. 70 neudr. ;
auf die haut gr. 'auf den leib rücken': als der guber-
nator merckt, dasz man ihm auf die haut greiffen wolt,
ordiniert er sein Schlachtordnung Stumpf Schicytzer-
chron. 270*'; in deme der general Tilly . . dem chur-
fürsten zu Sachsen selbst auf die haut griff und das
messer an die gurgel setzte Chemnitz schwed. krieg
1, 202, 2; seltener: einem aufs lebendige greiffen Kramer
teutsch.-italiän. (1700) 1, 558°;
darumb halt ob in hart und vest,
mit strenger herrschaft , ist das best I
und greuf in dapfer auf das maul
H. Sachs 9, 314 Keller;
darumb selten wir bitten . ., das got dem kayser so vil
genad geh, das er die fürsten in zäum hielt, die fürsten
den adel und die stet und also fort die oberherren den
underherren auf die köpf gryffen und visitierten Lu-
ther 17*, 150, 11 Weim.; anders: wir sind all gebrech-
lich sagt mein fraw aptissin, do greiff sie uff das heupt
Eyering prov. 2, 493; wenn ich nur sonst ein wacker
kerl bin, und ihr weidlich auf die wolle greiffen kan
(im brautbett) engl, comedien u. tragedien (1624) Z 3^.
F. greifen um.
ich griff rasch um das fernrohr und schwang es gegen
jene stelle des himmels Stifter l, 14; selten in solchem
gebrauch, gewöhnlich reflexiv um sich gr.
l) in wörtlichem verstände: do es nun mitternacht
was, erschrack der mann und greyff umb sich Zürcher
bibel (1531) Ruth 3 B (v. 8) ;
(wenn die gaste) sitzen an dem disch,
und keiner ist zu essen frisch,
so greiff umb dich, nimb ein par wecken
Scheit Grob. 2749 neudr.;
da ich das gleichgewicht verlier', und gleichsam
ertruncken in den lüften um mich greife,
fasz ich die hosen H. v. Kleist 1, 326 ;
in iveiterem sinne: und zum dritten, das man eraus
fare, umb sich greiffe und begere, das iderman mochte
geholfen werden Luther 28, 79 Weim.; sie . . sehen . .
vil lieber es wäre kain richter, kain hoheschül damit
sie nur frey keck und frisch umb sich greiffen und
toben möchten Nas antipap. eins u. hundert 1, 207'';
jedes wesen darf von natur um sich greifen, so weit
es macht hat Heinse i, 155; man müsse den kindern
nicht merken lassen, wie lieb man sie habe, sie griffen
immer zu weit um sich Göthe 21, 24 Weim.; ich freue
mich sehr, dasz die xenien bey ihnen eingang . . ge-
funden haben, und ich bin völlig der meinung, dasz wir
weiter um uns greifen müssen IV lo, 356 ; besonders mili-
tärisch, politisch: haben sich die Visigotthier empöret,
umb sich gegriffen, ihr landmarck erweytert Stumpf
Schwytzerchron. 192 »>; gleichwol . . gewan der feind im-
mer mehr und mehr luft, sich hervorzuthun und ümbe
sich zugreiffen Chemnitz schived. krieg 2, 104; er sah
ruhig zu, dasz die Oesterreicher rasch von Straubing
aus weiter um sich griffen Döllinger akad. vortr. 1,48;
die . . so gewaltig . . um sich greifende etruskische
nation Mommsen röm. gesch. l, 302; vertheidigungsbünd-
nisz . . für den fall, dasz Napoleon in Italien weiter
um sich griffe Treitsghke detäsche gesch. im 19. jh.
(1897) 1, 218; seit alters auch unpersönlich: im mör aber,
das so weit umb sich greifft Eppendorff Plinius 9, 99;
sintemal diser bäum mit seinen ästen weit um sich
greifft Sebiz feldbau (i579) 363 ; dasz hier das gebiet des
flugsandes . . immer weiter um sich greift Ritter erd-
kunde l, 1017; abstracter: das ist ein starck wort, greifft
aus der maszen sehr umb sich Luther 33, 17 Weim.;
xodfxios hat Luther gar wohl durch das wort sittig über-
setzet, das greift etwas weiter um sich exempl. priester
(l690) 153; es war mir sehr angenehm . . eine meiner
homerischen Untersuchungen, die am weitesten um sich
greifen, bestätigt zu finden J. H.Voss antisymb. 2, 145;
die grosze thätigkeit . ., die täglich weiter um sich greift
Göthe l, 216 Weim.; welch erstaunen griff um sich, dasz
Ranke 4, 15; ein allmähliches zurückgehen dieser älteren
gebrauchsarten zu gunsten der unten genannten ist un-
verkennbar.
2) in neuerer spräche mit Vorliebe von irgendwie de-
structiven, schädlichen, abzuwehrenden dingen und ten-
denzen; in diesem, sinne schon früh von krankheiten:
so man sie (die geschwüre) lasst irer art nach immer
mehr umb sich greiffen Xylander Polybius (1574) 61 ;
so können die pestilentzischen krankheiten ohne an-
rühren um sich greiffen Harsdörffer /ratteji^. gesprech-
spiele 6, 15 ; (die bestechlichkeit) greift gleich der pest um
sich Klinger werke 6, 58; da gerade seit der zeit das
legenden- und heiligenfieber um sich gegriffen . . hat
Göthe IV 23, 243 Weim.; alt wohl auch neben feuer: das
feuer greifft um sich Steinbagh i, 639; feuer anlegen
zu lassen, und diejenigen pläze (der stadt) sorgfältig aus-
zusuchen, wo das feuer schneller um sich greifen könnte
Schiller 4, 118; die geschichte griff um sich, wie das
wilde feuer Bode Tristram Schandi l, 50; diese stroh-
flamme so gewaltig sie um sich greift, so schneller wird
sie verflackern B. v. Arnim Oünderode 2, 120; die leiden-
schaft greift wie die flamme von selbst um sich 0. Lud-
wig 5, 451 ; aber erst seit dem 18. jh. mit steigender häuflg-
keit in buntester Verwendung: wenn es nicht . . sichtbar
wäre, dasz dieser kitzel . . täglich weiter um sich greift
Gerstenberg schlesw. lit. briefe 206, 33 lit.-denkm.; die
langeweile müsste mächtig um sich greifen Meissner
Aldbiades i, 140; auch in Berlin greift täglich der ver-
derbte geschmack weiter um sich K. Fr. Gramer Neseg-
gah 2, X;
war schon das bös' auch unvermeidlich,
doch griff's nicht um sich so gefräszig
RtJCKERT 2, 114;
das heirathen durch die Zeitungen greift um sich
Gutzkow 4, 287; die immer weiter um sich greifende
abneigung der höheren stände mit frau und kindern
sich ZU plagen Mommsen röm. gesch. 2, 43; übrigens
greift auch hier die französische tracht um sich Meyr
erzähl, a. d. Ries 1, 5; überall erhält man den eindruck
einer um sich greifenden Verstimmung Justi Winckel-
mann l, 223; besonders von meinungen , geistigen Strö-
mungen: die ihm beygemessenen meynungen greiffen
weit um sich Arnold kirchen- u. ketzer-hist. 69*; sah
er , . die neue sekte . . immer weiter um sich greifen
D. F. Strausz 3, 385; gaben die Offiziere doch den de-
mokratischen Ideen räum, welche in der armee um sich
43
GREIFEN
GREIFEN
44
gegriffen hatten Ranke 16,288; wie die schamanistischen
wahngebilde zur zeit des exils um sich griffen Peschel
Völkerkunde 301.
G. andere präpositionen und adverbia.
1) aus: wenn die töchter guter hatten, musten sie
sich nicht vergreiffen, wenn sie aber nicht guter hatten,
so mochten sie aus dem geschlechte greiffen und in ein
ander geschlecht freien Luther 16, 102 Weim.,- alle die
sich unehrlich beweiben, auch aus dem adel greiffen
MoscHEROSGH gesichte (1650) 2, 404; ebenso: alle die . .
auszer dem adel greifen Vieth encyclop. d. leihesübungen
1, 262; — durch (vgl. durchgreifen th. 2, 1624): sah die
sense des Schnitters durch die halmen greifen Bren-
tano 4, 153; nur nicht weinen, mein kind, . . es
greift mir zu sehr durchs herz Tieck Schriften^ 8, 201;
anders: er, um deszwillen du durch die führung des
Schicksals verwegen griffst Klinger 3, 269; du greifst
gewaltsam durch die gesetze {indem du einen ge-
fangenen mörder befreist) 7, 170, dem sinne nach also
gleich dem gewöhnlichen greifen in (s. o. sp. 38/.); das
dritte und vierte (kennzeichen) (die epenthetischen 1
und d) sind die bedeutendsten, sie greifen durch viele
Wörter J. Grimm kl. sehr. 4, 187; — über: sie muste . .
sich dieselben {zettelchen) unter das hauptküssen legen,
des morgends sobald sie erwachete rücklings über den
köpf greiffen Gottsched vernünft. tadl. l, 325; wenn
das gewitter mit schwarzem wolkenarm über die dächer
griff Raabe hungerpastor 1, 34; man greifft und hat ge-
griffen vilmals frisch ubir die schnür Chrosner ser-
mon V. d. christl. kirche 60 Giemen; — unter: andere
griffen unter den arm nach ihrem wundsegen Fischart
geschichtklitt. 364 neudr.; als sie unter das kopfkissen
griff, lagen da drei goldstangen Grimm deutsche sagen
1, 27; anders:
wem er geneigt, dem sendet der vater der menschen und
götter
seinen adler herab, trägt ihn zu seinem Olimp,
imter die menge greift er mit eigenwillen
Schiller 11, 270;
wo ich unter meine briefschafften greiffe, finde ich trau-
rige denkmahle Göthe 38, 282 Weim.; einem unter die
arme gr. seit dem 16. jh.: die beförderung in weitem
feld stünde, wan einer keine freunde hätte, die einem
unter die arme griffen Grimmelshausen Simpl. 443
Kögel; mit geld unter die arme zu greifen Vogelnest
2, 373 Keller; auch wohl nach gelegenheit den autoribus
mit nachrichten und sonst in Zeiten unter die arme
gegriffen würde Leibniz deutsche sehr. 2, 282; eben so
ruhig konnte er seine kinder in seinem hause auf-
wachsen und ihm in seinem alter unter die arme grei-
fen sehen M. J. Schmidt gesch. d. Deutschen 3, 208; einige
indessen hatten vollends die gutheit, mir . . . thätlich
unter die arme zu greifen Bräker l, 177; sie werden
vielleicht . . bemerkt haben, dasz mir der erleuchtete
Jacob Böhme gütig dabei unter die arme gegriffen Bren-
tano 5, 392; es war damals dem himmel noch leicht,
durch einen guten gedanken einem ehrlichen kerl unter
die arme zu greifen Arnim 3, 82; eigenartig: wenn meine
liebe mutter den eifer bemerkte, der mir bei der erzäh-
lung von Herkules unter die arme griff Hippel lebens-
laufe 1, 68; jünger und ungleich seltener mit nicht per-
sönlichem object: man müsse den biblischen geheim-
nissen mit erdichtungen unter die arme greifen Gott-
sched neueste aus d. anmuth. gelehrsamk. 2, 523; von
diesem augenblicke an nahm ich mir vor, meinem
yaterlande unter die arme zu greifen, alle tage gab
ich ein neues mittel an die band, die gemeinen ein-
künfte zu erhöhen Rabener sämtl. sehr. 2, 142; ihre
hamburgischen patres conscripti wollen nun auf einmal
mit aller gewalt den Wissenschaften unter die arme
greiffen Lessing 17,420; — vor: so aber der lantrich-
ter . . in sölhem Unwillen fräflich für den marchstein
herein ritt, ging oder griff, der ist zu wandl österr.
weisth. 6, 66, 27; — zwischen: wer thar es wogen im
zwischen die zeene zu greiffen Hiob 41, l.
2) darnach greiff herab auff die nechste linien dar-
über, sprich: halb 2. macht i Riese rechenb. (i58l) 6^;
von natur pfleget der hund gerne auf dem boden mit
seiner nase überall herum zugreifen Heppe auf rieht,
lehrprinz 45 {vgl. greifen zu o. sp. 31); dasz die herren
abiturienten in Jena auch mich in ihre schmutzige sache
ziehen möchten, giebt mich nicht wunder, da sie zu
deckung ihrer schände nach allen selten herum greifen
Göthe IV 16, 283 Weim.;
es soll gelten, da thu ich stehn,
greiff um her, wo der ander sey
H. Sachs 17, 48 Keller-Qötze ,
die hand . .
greift irr umher Geibel 2, 72;
{die wiszbegierige Jungfer) greiffe in der Christ -nacht
rücklings zur stuben-thür hinaus, so bekömmt sie
solche haare in der hand J. G. Schmidt rocken-philo-
Sophia 1, 176; greift hinein bis über die eilenbogen und
theilet aus Luther 45, 22 Erlang.;
greift nur hinein in's volle menschenleben !
Göthe Faust 1 167 ;
im selben sinne: strawe aus, greif drein, ein fröhlicher
geber liebt gott Luther 40, 277 Erlang.; wer was eigens
hat, greiff drein wie [in] eine salzmeste sprichwörter-
samml. nr. 25 Thiele; aber sihe . . . , ob dirs auch be-
folhen sey, das du mit der faust drein greiffest 28, 248
Weim.; vgl. 15,213; 33,621; iam hodie greifft er drein
mit der that 31 1, 25 ; anders : wie gefährlich es ist, wenn
man das messer auf den rücken legt, denn es kan ein
ander leicht drein greiffen Weise drei erznarren 128
neudr.; dem, sinne von greifen in sp. 38 nahekommend:
{Jesus) tritt mitten in den tempel an den orth, do die
pfaffen regierten . . . und greifft also ins spiel hinein
Luther 33, 343 Weim.; auszer dasz ich . . meinen Jona-
than fallen liesz, und genöthigt war, mit der hand
hinunter zu greifen, und ihn zu holen Göthe 21, 26
Weim. ;
der krebs greifft stetigs hin und her
im gehn mit seiner offnen scher
H. Sachs 9, 245 Keller;
nichts desto weniger stunde er nicht still, sondern griff
mit den henden hin und her Amadis 206 Keller;
man greif zusamne (that sich zusammen) allen wegen,
üf daz ir gesche ein schade passional 343 Köpke;
ebenso: so sullen . . meiner fraun von Göss leut und
auch des pharrer leut ab Sand Veitzperg all zu ein-
ander greifen und jeder man auf sein mit seiner wer
österr. weisth. 6, 318, 4; anders: item es greyffen zwey
zusamen aus groszer liebe, verheirathen sich Luther
15, 365 Weim.
V. greifen in der musik. mit Vorliebe und wohl ur-
sprünglich in anwendung auf Saiteninstrumente ; zur ab-
grenzung der bedeutung vgl. : was man {auf der laute)
greiffen oder ongegriffen müsz schlagen oder zwicken
Virdung musica gelutscht (i51i) K 2»; jede hausz-
haltung bedarf frei ding, wie ein seytenspil, nämlich
die zirlichkeyt, den lieblichen klang und das greiffen
oder spielen Fischart ehzuchtbüchlin 239, 11 Hauffen;
{die musika) wird . . geübt . . durch greiffen und rüren
oder spielen, uff selten in mancherley weise C. Spangen-
berg musica 34 Keller.
1) object ist das instrument: alle saiten ohne mit der
lincken hand gegriffen heissen a Baron instrument d.
lauten (1727) 152;
greift eure harfen !
allg. deutsche bibl., anh. zu bd. 25—36, 30, 11 ;
besserer sänger sei ich, und greif auch erträglich die cyther
Voss sämtl. ged. 2, 77 ;
von blasinstrumenten :
schwegel, klein flöt, platerspiel, sackpfeiffen
mus man all durch nngerlöcher greiffen
M. Agricola musica deudsch 9 Eitner;
vgl. :
trug auch an seinem hals ein pfeiffen,
ktmdt also blind die löcher greiffen
Spreng Aneis 59»;
von tasteninstrumenten :
positif, regal, die man kan greiffn
Ayrer dramen 551, 15 Keller;
welche tasten man mit der rechten hand greiffen soll
Mattheson kl. generalbasschule (1735) 84;
45
GREIFEN
geigt einer LoUi nach;
greift's klavikord wie Eckard greift
Schübart sämtl. ged. 3, 107 ;
mir ist mehr darum zu thun, dasz ihre kleinen finger
jezt die claves mit Sicherheit greifen Caroline l, 167
Waitz;
um der freiheit, seinem liebchen,
aufzuspielen Serenaden
mit der feldschlacht, seiner orgel,
die er weisz so stark zu greifen Lenau 308.
2) object sind die töne und melodien; bis ins 17. jh.
häufig ein lied gr. u. ä.: süze wise an harpen und an
rotten grifen leben d. hl. Elisabeth 172 Rieger;
so lang bisz er sein liedlein pfeifft,
singt und auf der sackpfeiffen greifft
Wickram 6, 341 BoUe-Scheel;
hab ich je ein gutes lied
auf dem haberrohr gegriffen?
Birken ostländ. lorbeerhäyn (1657) i2i;
im 18. jh. absterbend, aber noch
soll vielleicht im Schimmer goldner raifen
götter, euch die kühne hymne greifen
Schiller 1, 341 ;
umgekehrt gewinnt einen ton gr. u. ä. in jüngerer zeit
sichtlich an ausdehnung: daz herr Bierfiedler ein stüm-
per ist, der nicht drey reine thöne greifen kan Gott-
sched Vernunft, tadl. 2, 154; wenn ich zween töne greife,
wo drey tasten darzwischen sind, so habe ich die grosze
terz Ph. E. Bach art d. clavier zu spielen 2 i, 34; wie
nun alle diese töne auf der flöte gegriffen werden müs-
sen QuANTz anweisung d. flöte zu spielen 35;
ich musz die lust'gen triller greifen
Brentano 2, 335 ;
sie . . . greift auf dem klavier einige töne Tieck sehr.
2, 275; sie müssen den tam-tam schlagen . . oder falsche
quinten greifen Immermann l, 47; als . . die zweite Vio-
line dis spielte, und er rief: 'verflucht, wollt ihr d grei-
fen!' Jahn Mozart 3, 122; accorde greifen lieben die er-
zähler seit dem 18. jh.: ich weisz nicht, sagte Allwill,
indem er sich gegen mich wendete, und, melodramatisch,
noch einige accorde griff Fr. H. Jagobi l, 128; die linke
band . . ruhte auf dem tisch, als greife er einen accord
auf dem flügel E. Th. A. Hoffmann l, 12; noch einzelne
accorde in seine guitarre greifend Eichendorff 3,144;
dann griff sie einen dreiklang und sang Storm l, 14;
vereinzelt: zu einer Instrumentalmusik, deren takt zu
greifen ihm genügte Niebuhr röm. gesch. i, 89.
3) ohne object mit präpositionen. zumeist in, ursprüng-
lich natürlich beim Saiteninstrument:
greif in die mächtige leyer
Dusch verm. werke 560
griffst in die harfe, die Jova dir gab
Schubart sämtl. ged. 2, 184
in die saiten der zither greift er schnell
Heine 1, 23
und der sänger greift in die harfe kühn
Geibel 1, 59
greif in die saiten, mich zu grüszen
nach Sänger art
Pocci tust, komödienbüchlein 223;
seltener in prosa: der sänger griff in die saiten und
sang ein lied von dem stammeshelden G. Freytag 17,83;
das blasinstrument verlangt auf: der eine (schäfer) auf
dem flagulet pfeiffend und greiffend Birken ostländ.
lorbeerhäyn 27; vgl. die belege unter 1 und 2; indessen
wurden die präpositionen später aus ihrem ursprüng-
lichen geltungsbereich in andere gebiete übertragen: greif
auf der laute, wenn die glocken tönen Hippel lebens-
läufe 4, 93 ; wie trunken griff er in die tasten und sang
Storm l, 168; vereinzelt:
meine muse, fort zur feyerl . .
geh, und suche deine leyer,
geh, und greiffe munter dran
Henrici emst-scherzh. u. sat. ged. 1, 38;
Hortensia griff leise über die saiten hin Laube 8, 253.
4) absolut:
die laute stimmen, eh man greifet
Schönaich bei Gottsched
d. neueste a. d. anmuth. gelehrsamkeit 4, 255;
ein treflicher Violoncellist, der . . sehr rein und fertig
greift Heinse 7, 312.
GREIFENÄHNLICH - GREIFENKLAUE 46
GREIFENÄHNLICH, adj.: auf einem greifenähnlich
verzierten thron ohne lehne sitzt Jupiter archäolog. ztg.
V. Gerhard l, 130. — dies und das folgende wort reprä-
sentieren als beispiele die beiden hauptschichten der com-
positionen, die mit dem subst. gv^ii gebildet worden sind:
die ältere geht von dem fabehvesen der mittelalterlichen
sage aus {schon mhd. vertreten; vgl. grifenkraz, -schif,
grifkraz bei Lexer l, 1083/., nachtr. 219; dazu die unter
greif engefieder, -klaue gegebenen belege); die jüngere hat
es direct mit dem greifen der antiken plastik und litte-
ratur zu thun; diese ztveite wesentlich erst im 19. jh.;
meist in gelehrten Schriften. — greifenbanner, n.,
banner, auf dem ein greif ist: zwei der greifenbanner
{die die Pommern führten) waren schon in die bände
der Märker gefallen Hesekiel Nürnberger tand l, 346.
vgl. greif 6.
GREIFENBERGER, m., dieb, taschendieb {gaunerspr.)
Ave-Lallemant 4, 546; umdeutung von Greifenberger,
bewohner der Stadt (jiVe.\iQn\)&Tg; auch berlinischer dialect-
OMÄcirMCÄ Traghsel 20; ähnliche bildungen sind drücke-
berger, Schlauberger th. 9, 505; vgl. von Greifenberg sein
nach dem busen greifen Amaranthes nach Müller-
Fraureuth 2, 440*; anders im heutigen sächs.: das
schlimmste is es, hat mer eene {magd) aus Greifen-
berg, d. h. eine diebische, ib.
GREIFENBLUT, n. : als dieses epitaphium mit greifen-
blut und dem schwerd auf einen stein geschrieben war,
so gieng er schritt vor schritt seinen weg Heinse 3, 496.
— greifenei, n.: die in mittelalterlichen schatzver-
zeichnissen vorkommenden, zu pocalen gefaszten greifen-
eier sind strauszeneier Buch er reallex. d. kunstgewerbe
169*. — greifenflügel, m. .-
ein herrlich adeliches weib,
zwen greiffenflügel het ir leib
H. Sachs 7, 432 Keller ;
{ein vmnderbild), welches . . einen menschen mit greiffen-
flügeln und adlers-klauen fürbildete Lohenstein Armin.
(1689/.) 1, 1351*'. — greif enfusz, m.:
wie man den feind {den teufet) zu mahlen pflegt,
der greiffen fusz und klauen tregt
Eyering prov. cop. 1, 559.
— greifengefieder, n..-
dö hiez si im bereiten einen kiel wunnesam
mit guotem grTfengevidere, der was wol getan
Wolfdietr. B 348;
rund umher fand man . . . auf den inseln das greifge-
fieder deutsches mus. hg. v. Fr. Schlegel 4, 322; über
das wechseln der formen greifen- und greif-, greifs- s. u.
greifenklaue. — greifengespann, n.: die göttin . . .
giebt sich . . als Artemis zu erkennen durch das hirsch-
kalb . ., in Verbindung mit dem greifengespann ihres
Wagens Welcker alte denkm,. 2, 71; im hermaphrodit
den lacchos zu erkennen, wird . . nahegelegt . . durch
den mann-weiblichen Jüngling mit greif- und panther-
gespann Ed. Gerhard akad. abhandl. 2, 145; 2, 74 auch
greifengespann. — greifenhaupt, n.:
an anderm ort kämi)ft Martasin mit macht,
der auf dem heim ein greifenhaupt getragen
Gries Bojardos verl. Roland 4, 161.
— greifenhut, /.: ich habe da stets an die Hespe-
riden gedacht, wo unter bloszer greifenhut die herrlich-
sten schätze und geheimnisse ruhen Laube 5, 168. —
greifenklaue,/, bei diesem wort gestattet die gröszere
zahl der belege die beobachtung, dasz die m,it greif-, greif s-
componierten formen durchaus auf das nd. und md. be-
schränkt sind; das erklärt sich au^ der unter greif /orm 2. 3
dargelegten thatsache, dasz das nd. und md. das subst.
stark flectierten ; vgl. die entsprechenden belege «nfer greifen-
gefieder, -gespann, -klauig. alte, aber vereinzelte neben
form: unmassig lang warend ir {des riesenweibes) arm
und ir bein, und die negel an den henden warend als
griffelklowen deutsche volksb. 229, 13 Bachmann ■ Singer ;
gebildet durch anlehnung an griffein Lexer l, 1083.
l) ein lanzen scharpf, niht swaere, . .
(ir snide was ein grifen klä)
WoLFR. V. Eschenbach Willehalm 356,28;
die greiffen-klahen {des Ungeheuers 'eigennutz') deuten sindt,
das eygner nutz ist rund und gschwind
H. Sachs 3, 496 Keller;
47 GREIFENKLAUIG — GREIFENTHIER
GREIFENWAGEN - GREIFIG
48
und stand das bette auf sechs güldenen greiffen-klauen
Lohenstein Armin. (1689/.) 2, 957"; er erschlug sie . .
und nahm eine greifenklaue mit sich Fontane I 2, 606;
bildlich: also suchte Kromwel seine obermacht, wie er
sich, als ein . . fuchs immer näher und näher darnach
zugeschlichen, bis er sie zuletzt volkömlich in seine
greifs-klauen bekommen, auf eben dieselbe . . weise zu
erhalten Zesen erhöhte majestät (l66l) 274; vierjährige,
schreckliche, gräuliche einsamkeit, jede stunde mit
schlangengeiszeln, mit zakenflügeln, mit greiffenklauen
gerüstet Sghubart briefe 2, 42 Strausz; als wappen-
zeichen: waapen mit dem gryffenklawen Stumpf Schw.-
chron. (1606) 458''; {die von Schulenburg) führen einen
in vier theile getheileten schild, in dessen zwey feldern
drey rothe greiffen klauen Micrälius altes Pommer
land 6, 526.
2) die hohle greifenklaue als hörn oder gefäsz:
und ein vergülter ereiffenklo,
der was auch gar höffelich do,
den setzt der risz an munde,
wenn er der zwerg ein haben wolt,
ein hören er da schalt Sigenot 159 Schade;
(zum kirchenschatz gehörte) ein greiffklauen mit dem
bildt S. Thomse Wolfg. Franzius histor. erzehlung der
bei/den heiligthümen . . in der schloszkirchen zu Witten-
berg (1618) Gl»; ähnlich C 2»'; die Indianer sollen aus
greiffen-klauen trincken Lohenstein Arminius (1689/.)
2, 777 " ; die in mittelalterlichen Schatzverzeichnissen vor-
kommenden . . greifenklauen aber (sind) nashornhörnei
Bugher reallex. d. kunstgewerbe 169*.
3) in der alchymie: ahubene, das ist greiff klawe,
feucht Thurneyszer magna alchymia (i583) 114; greifs-
klaue, hierunter verstehen die chymici die Proserpi-
nam, oder das silber Bürgel öcon. u. physic. lex. 4,
1339.
4) nd. griepsklaue eine diebische oder im zugreifen
schnelle hand: he moot sine grieps-klauen allerwegen
in hebben brem. wb. 2, 546; dazu griepsklauer einer,
der anderen vorgreift, alles an sich reiszt ib. —
greifenklauig, adj., bildl. räuberisch: "wrie er auch
der berendatzen nicht achtet, er liesz sie den schwer-
tapigen und greiffklauigen fürsten Fisghart geschicht-
klitt. 4, 79 neudr. — greifenkopf, m.: da der stadt
wapen ein roth gekröneter greifenkopf ist Micrälius
altes Pommer land 6, 569 ; die Samier, welche . . einen
grossen krater mit greifenköpfen rings umher besetzt
. . weiheten Welgker alte denkm. 2, 77; während sie
Percevals (eines hundes) greifenkopf mit ihren . . kinder-
händen umfaszt hielt Thom. Mann königl. hoheit (1910)
292. — greifennest, n.: danach stieg unser herzog
aus dem greifennest Fontane I 2, 506. — greifen-
p forte, f.:
(Günther) sobald der frühe mond
hinabging, lösch ich sacht im brautgemach
die fackel aus. dann harre mein am Vorhang
der greifenpforte Geibel 6, 19.
— greifenschild, m..-
und wohl vertheidigte sich Olivier,
verlor er auch den greifenschild im streite
Gries Bojardos verl. Boland 3, 224.
— greifenschnabel, m.: i) arabesken, blumenge-
winde mit Schmetterlingen, greifenschnäbeln und der-
gleichen Schnörkeln Gutzkow 9, 254. 2) gryphus, zu
deutsch greiffs-schnabel, oder gemsen-fusz, ist ein chi-
rurgisches Instrument, womit man die zahne auszu-
ziehen pfleget Bürgel öcon. u. physikal. lex. 4, 1392; ähn-
lich Heinsius 2, 527*; Werkzeug der Wundärzte Voigtel
2, 130». — greifensessel, m.:
dem lager nah im greifensessel
lehnt sich Isold' Immermann 13, 156 Hempel.
— greifenstein, m., im hessischen und eisenachischen
die grobkörnigen schichten des todtliegendenYoiGT mineral.
abhandl. 2, 276; vgl. greifstein? (s. unter greifmuschel).
— greifenstuhl, m.:
der trost dem greis' im greifenstuhle,
ist seiner base königin buhle
Immermann 13, 245 Hempel.
— greifenthier, n.:
jetzt, kem' Artyrus her (der vor zweytausend jähren
zu Alexanders zeit bey Rügen angefahren,
und, nechst dem Steuermann, das greiffenthier geführt
Harsdörffer Srauenz. gesprechsp. 5, zuschr. s. 3.
— greifenwagen, m., von greifen gezogener wagen:
diese fahrt (Alexanders) in der taucherglocke nach dem
reich der fische, und im greifenwagen ins reich der
Vögel Gervinus gesch. d. deutschen dichtung (l853) 2, 52;
die . . gruppe von Hekate und Eros auf einem greifen-
wagen archäolog. ztg. hg. v. Gerhard 3, 37. — greifen-
wirth, m., der wirth des gasthauses 'zum greifen': der
hausknecht des greifenwirts Auerbach 12, 195. — grei-
fenwirthshaus, n., wirthshaus 'zum greifen': die kö-
niglichen koche machten ein essen fertig im greifen-
wirtshaus Mörike ges. erzähl. (l897) 261. — greifen-
zunge, /.; und schwarzrot, an der spitze sich dreieckig
verbreiternd, hing seine (des hundes) triefende greifen-
zunge daraus (aus dem maul) hervor Thom. Mann königl.
hoheit (1910) 339.
GREIFER, m. l) zu greifen palpare: palpo greiffer
vel taster Diefenbagh 408*; catulaster smaicher . . .
liebkoser, greyffer, taster, federclauber 107 <>; toccatore,
tastatore, palpatore, maneggiatore Kramer teutsch-ital.
(1700) 1, 559".
2) ZU greifen capere: invasor, prehensans, captator
Stieler 698; er schmeichelte mir neulich: ich hätte
einen so wunderbaren grif, aus der natur so viel auf-
zufassen, das andern greifern durch die finger schlüpfte
br. von u. an Bürger 2, 237 Strodtmann;
0 ihr gaffer, greifer in die ferne !
Arndt 5, 280 Rösch-Meisner ;
nd. für hand, finger: h6 hed sin lütje gripers aferal in
Doornkaat-Koolman 1, 689*; vielfach in technischer
spr.; z. b. unterscheidet der nähmaschinenbau schiff chen-
maschinen . . . von denjenigen, welche man mit dem
namen greifermaschinen belegt hat, wegen der grei-
fenden Wirkung des den zweiten faden durchbringenden
Instrumentes, des sogenannten greifers Preghtl tech-
nolog. encycl. 24, 410; vgl. 413; in der stahlfabrication:
ein eiserner griff, der an das stahlmassel geschweiszt
loird und der zange als angriffspunkt dient 15, 525.
GREIFEREI, /., rofwei*cÄ/ür jjofeei Ave-Lallemant
4, 546.
GREIFERIN, /., foemina palpans, contrectans, prehen-
dens Stieler 698.
GREIFERLEIN, s. greinerlein.
GREIFFALKE, m., eine falkenart, erodius Diefen-
bagh 208"; gryfalco 270*; girofalco nov. gloss. 193"; iden-
tisch mit dem gehrfalken (4^,2, 2552) oder geierfalken (ib.
2562). der name scheint durch metafhesis und Volksety-
mologie aus dem älteren girvalke (Lexer l, 1022), mlat.
girofalco (du Gange 4, ill« s.v. grifalco) entstanden; der
vogel (sc. greiffalk) ist der aller edlist under allen vö-
geln, er ist gel als ain wahs, iedoch daz mgrer tail
seins leibes ist weizlot, an an dem herzen oder an der
prust K. V. Megenberg buch d. natur 185, 28 ; das paszt
freilich besser auf den Jagdfalken als auf den gerfalken,
vgl. Brehm thierl. 6, 215/ Pechuel- Lösche; Suolahti
vogelnamen 334 jf.
GREIFHAFTIG, adj. = greiflich comprehensibilis Stie-
ler 699.
GREIFIG, adj. l) activ: was (gern und fest) greift;
rapax Diefenbagh 484*; rapidusiSi^ (daselbst die neben-
form grifftich, -tig); greifige klauen Heinsius 2, 526";
als6 phlaege ichs immer gerne, möhte ich des geniezen,
s6 daz mich die dörper mines 16nes iht verstiezen;
des ist Uoze grlfic und sin rüher schavernac
Neidhart v. Reuental 54, 13;
wie durchvert die vogel greific are
Ludwigs d. fr. kreuzfahrt 7679;
(das ei ist unecht; vgl. das nebeneinander von grifen und
greifen im mhd., sp. 15); das ist ein gryffige frag, dann
er will in gryffen so er hinnach würt sprechen Terenz
(1499) 156". 2) passiv: ein greifiger oder eingreifiger
bäum, dessen dicke man mit beiden händen umspannen
kann Adelung 2, 794; vgl. griffig; eine greifige wäre,
49
GREIFING - GREIFLICH
GREIFLICH
50
nach der die diele gerne greifen Adelung; die gesucht
ist Heinsius 2, 526''; vgl. greifisch, auch angreifisch,
-greiflich, -griffig th. 1, 357.
GREIFING, m., dachs Brehm thierl. l, 645 Pechuel-
LöBche; falsche verhochdeutschung von nd. gräving = gre-
bing, *. d.
GREIFISCH, adj., der bedeutung nach = greifig, aber
vorwiegend nd. l) activ: greifischer wolf lupus rapax
Stieler 699; grepsch der gerne zugreift, diebisch Righey
id. hamburg. 80; Schambach 68; Berghaus i, 608»;
greepisch Bock id. pruss. 15; grifsch gern zugreifend,
hungrig Hertel thür. 109. 2) passiv: besonders von
ivaren, die sehr gesucht sind, reiszend weggehen Richey,
Schambach, Bock a. a. o. ; en grepschet begehrtes mäke
Frischeier i, 250*'; ähnlich dit volk is up' stund regt
greepsk es hält schwer, gesinde zu bekommen Berghaus
a. a. 0.
GREIFLACHEN, s. grieflachen.
GREIFLIGH, adj., was sich fassen, sinnlich oder geistig
wahrnehmen läszt; mhd. noch selten (vgl. u. 1; passional
733 '' Köpke ohne citaf); im, 16. jh. in blütke; im 18., mehr
noch im 19. jh. zurückgehend, heute fast erstorben; schon
bei Adelung 2, 794 als 'ein im hd. unbekanntes wort'
bezeichnet; den ersatz übernehmen z. th. handgreiflich (erst
im 18. jh. häufig, vgl. th. i^, 39l) und das noch jüngere
greifbar (vgl. sp. 13). in älterer spräche erscheint zu-
weilen eine erweiterte form: offenliche und griffenliche
lugen Staub-Tobler 2, 721 (a. 1589); vgl. unbegrifenlich
myst. 2, 536, 40; der gebrauch des adj. läuft dem des
verbums vielfach parallel und ist von ihm, bestimmt.
1) ursprünglich: was sich m,it der hand greifen läszt;
sinnlich wahrnehmbar ; oft geradezu körperlich, materiell:
wir sullen irsten alle . .
vor unses herren ougen
griflich und entsebelich
H. V. Hesler apocal. 20233 Helm; vgl. 18110;
er helt, das die engel greifflichen leib haben Luther
(1562) 8, 24"; so dann die kranckheiten nichts greiffliches
sind, sondern dem wind gleich Paracelsus opera l,
246''; als im firmament, da sind die siben glieder wie
in einem menschen, . . . nicht als greiffliche glieder,
sonder als krefft und tugenden, ohn ein corpus 277'';
obwohl unerfahrene menschen, was geistlich, vor träum,
und was greiflich, vor Wahrheit halten Leibniz deutsche
sehr. 1, 412 ; die färbe darf nie mit der greiflichen todten
form zusammenkommen Brentano Godvd l, 174; die
unbestimmten nebel zerrannen in dichte greifliche figu-
ren Tieck sehr. 18, 256; vergleichbar: darum sind auch
Dante's allegorien so überzeugend, weil sie sich bis
zur greiflichsten Wirklichkeit durchgearbeitet haben 4,
129; sehr häufig verbunden mit adjectiven ähnlicher be-
deutung srichtung, namentlich sichtig u. ä. (vgl. greifen
und sehen sp. 23): leiblich, greiflich, sichtig ding mag
ein vatter seinem sun verschaffen Seb. Franck zeytbuch
(i53i) 13*^; das es (das gold) euszerlich ein schöner,
gelber, sichtbarlicher, greiflicher, schwerer, kalter und
gedigner leib ist Paracelsus opera (1590) 6, 384; das
äuszere, sichtbahre, empfindliche, greiffliche reich der
äussern weit Jag. Böhme 2, 457; (der trieb) die leben-
digen bildungen als solche zu erkennen, ihre äuszern
sichtbaren, greiflichen theile im zusammenhange zu er-
fassen GÖTHE II 6, 9; stehende Wendung: greifliche finster-
nis (vgl. greifen sp. 25), oft bildlich für geistiges dunkel:
wir seyen hie in ainer grausamlichen blindthait und
greiflichen vinsternusz umbgeben in unser verstentnusz
Geiler v. Keisersberg siben hauptsünd (1510) cc 2*';
was liechts sollt yn den köpfen seyn, da solche greyff-
liche finsternis ynnen ist? Luther 18, 142 Weim.; vgl.
7, 565, 28; 19, 7, 30; SO man schon ein Hecht in dieses
gefängnus gebracht hätte, es jedoch von der ducken
greifflichen finstere so bald wäre erstickt worden Mo-
scherosch gesichte (1650) 2, 795; greifliche dunkelheit
und unverständlichkeit Görres ges. sehr. 4, 633.
2) uneigentlich, ins abstracte übertragen.
a) tt'OÄ sich geistig aufs deutlichste wahrnehmen läszt;
klar erkennbar, in die äugen springend, handgreiflich;
IV. 1. 6.
die weite Verbreitung, die diese bedeutung namentlich im
16. und 17. jh. zeigt, entspricht der reichen entfaltimg , die
greifen erkennen, begreifen im älteren nhd. gefunden hat
(vgl. sp. 25/.): solche stucklin heysse ich nicht eynen
subtilen, sondern groben greyfiflichen teufel Luther 19,
122 Weim; die not trib Galenum . . dahin, das er auf-
höret die Christen zu verfolgen, und greiflich gottes
gericht sähe Seb. Frangk Germ, chron. (t538) 33"; dar-
inn du bayderlay gestalt, nemblich der vermainten war-
hait, und der gewissen lugen ein solchs greiflichs
muster vermercken würst Jon. Nas antipap. eins u.
hundert 1, vorr. a III»; dennoch erschien an ihm greiff-
liche gottes hülf und beistand bei den schweren kriegs-
leuften Schigkfus chron. v. Schlesien (1625) 220; die
linie, welche das völlige der natur von dem überflüs-
sigen derselben scheidet, ist sehr klein, und die gröszten
neueren meister sind über diese nicht allezeit greifliche
gränze ... zu sehr abgewichen Winckelmann i, 25;
aber besonders merkwürdig ist der greifliche zirkel,
worin man sich befindet Savigny beruf uns. zeitfge-
setzgebung u. recht 139 ; seltener von gefühlsmäsziger Wahr-
nehmung: so wirstu . . in deinem hertzen einen solchen
starcken und greifflichen zug und antrieb . . . empfin-
den Spee güld. tugend buch (1649) 719;
da hat das greifliche gefühl mich erst durchdrungen,
dasz ich nichts anders bin, als woraus ich entsprungen
RüCKERT 8, 540;
synonyme adjectiva beleuchten die bedeutung: notum laut-
brecht, clerlich, greifflich, augenscheinlich Schöpfer
Synonyma c i^; öffentliche sichtliche und greiffliche
zeugnisz Melanchthon corpus doctr. christ. (i560) 712;
es ist aber der atheismus und gottlosigkeit dreyerley,
eine gar grobe, scheinbare und greiffliche Dannhawer
catechismus milch i, 124; dasz demnach hieraus die ab-
weichung dieser letzteren zelten von dem ersteren lau-
teren Wesen mehr als zu greifflich und offenbahr ist
Arnold kirclien- u. ketzer hist. (1699) 112*'; anders: die
ungöttlichkeit des daseins galt ihm als etwas gegeb-
nes, greifliches, undiscutirbares Nietzsche 5, 301; aus
adverbialem greiflich (s. u. 3) erwächst die Verwendung
des adj. in fällen wie: wie ihr dann solches in greiff-
licher erfarung empfindet Fisghart geschichtklitt. 195
neudr.
b) in dieser bedeutung stehendes epitheton neben lüge,
fehl, irrthum u. ä.: das ist doch ja eine öffentliche
greiffliche lüge Luther 302, 213; vgl. 18, 190. 261; wie
einer . . dem Foglietta ein hyperbolen, das ist, greiff-
liche lügen gesagt Kirchhop wendunm. 2, 418 Österley;
es sey so ein greiflich lugen, wie die finsternusz in
Egypten Fisghart binenkorb (i588) 82»; öffentliche und
greiffliche lügen Hennenberger erclerung d. preuss.
landtaffel (1595) 191; er solte so gar greifflich fäl nit
fürbringen, noch das volck zu falschem glauben be-
wegen Bebel facetien deutsch (i558) D s''; die offen-
liche, greiffliche unwarheit und lästerung Andree
abfertigung d. vortrabs Friderici Staphyli (1562) vorr.;
so greiffliche mehrlein und fabel Eysenberg heilig
brotkorb (1584) 59; wenn sie es etwan mit irem betrug
zu greifflich machten Rätel Joachimi Curäi chronica
(1607) 377; ein greiflicher irrthum Tabernaemontanus
kräuterbuch (1678) 81;
wer ist so blöde
und sieht nicht diesen greiflichen betrug?
Shakespeare 9, 123 ;
vergleichbar: wo solche greyffliche blindheyt ist Luther
15, 110 Weim.; vgl. 278; die menschen ... in öffentliche
greiffliche abgötterey und blindheit geraten Dedekind
papista conversus (1596) m"; auszer öffentlich loird na-
mentlich das allitterierende grob häufig parallel geordnet:
wie sichs bisher mit groben greifflichen lugen . . hat
lassen effen Luther 32, 582 Weim.; vgl. 7, 626;
(der tevfel) die heyden durch vil irtumb blendt,
die doch so grob und greufilich sendt
H. Sachs 9, 78 Keller;
(euer rühm) allein bestehet in vielen greifflichen groben
lügen Mosgherosch gesichte (1650) 2, 50; nur ganz sel-
ten neben dem subst. entgegengesetzten sinnes: das sie
51
GREIFLICHKEIT
GREIFLING — 2GREIN
52
das helle liecht und greiffliche warheit nicht sehen
Luther (i561) 6, 74".
c) viel seltener, obgleich concreter, ist das uneigentlich
gebrauchte adj. in dem sinne: icas sich anpacken, fasse^i
läszt, ohne die bestimmte richtung auf geistiges erfassen
wie unter a, b; merkwürdigerweise erst in jüngerer zeit
verbreitet: Blücher, dessen sinn auf greifliche thatsaehen
der gegenwart gerichtet war Varnhagen Blücher 192;
macht der Deutsche sein geistiges leben in der dar-
stellung wie in der idee oft zu dünn, zu unfaszlich und
ungreiflich, so macht der Schwede es zu greiflich und
körperlieh E. M. Arndt Schriften f. s. l. Deutschen i,
341; wenn man den ganzen tag acute und chronische
übel unter bänden hat, greifliche leiden, wie gicht
Immermann 2, 121 Hempel; eine greifliche, anschauliche,
scheinbar tiefere metaphysik Gervinus gesch. d. d.
dichtung (1853) 5, 283; denn hier haben sie eine greif-
liche bequeme handhabe, um ihr donnerndes : du sollst
nicht lügen! dem . . eründungsgenie in die obren zu
schreien Keller 4, 171; anders, aber ebenso jung: die
natur ist mir nicht greiflich, sie sitzt mir nicht mehr,
dasz ich sie malen kann Hippel lebensläufe 4, 27; als
kirehe wird die religion ganz objectiv und ebendadurch
für die posse greiflich Visgher ästhetik l, 412.
3) im adv. wiederholt sich die geschichte des adj.; ur-
sprünglich rein sinnlich : denn es ist freilich nicht leib-
lich noch greifflich zugangen Luther (i56l) 6, 78*; in
der regel aber neben verben dicendi und sentiendi (vgl.
2 a):
er wirt ubr das noch kriegn fünf sinn
dasz er ja greiflich fülen kan
die pein so im gelegt wirt an
Schade satiren u. pasquille 1, 143;
doch ist viel besser, das hierinnen
du ein papisten selber hörst,
auf dasz aus greiflicher erferst
Fisch ART nachtrab v. 466 Kurz;
dasz ich es inen . . greiflicher erkläret geschichtklitt. 18
neudr.; daraus dann klar und greifflich zu schliessen
Guarinonius grewel d. Verwüstung (I610) 2; o wie greiff-
lich sehe ich jetzund gottes straffe engl, comedien u.
tragedien (i624) k ii"; aus wolerwogenen und greifflich
betrachteten motiven Chemnitz schwed. krieg 2, 737;
indem wir ganz greif lieh erfahren, dasz Göthe II l, 212
Weim.; der gegenständ meiner innigsten Zuneigung ist
ein himgespinst, eine greiflich nachzuweisende täuschung
Fichte 2, 196; ähnlich:
diesz greiflich dumme spiel hat doch den trägen gang
der nacht getäuscht Shakespeare 1, 289;
nur wegen seines loosbuches hat Fischart den Wick-
ram belobt, das so lächerlich und greiflich vexierlich
geschrieben sei, dasz Gervinus gesch. d. d. dichtung
(1853) 3, 127; gern neben betrügen und ähnlichen verben
(vgl. 2 b): wie hat er S. Gregorion yn seym dialogo
so greyfflich betrogen Luther 15, 190 Weim.;
so nemm man allein für ir lehr,
wie greifflich die gotslehr verkehr
Fischart die gelehrten, d. verkehrten v. 539 Kurz;
auch hier zeigt sich in jüngerer zeit eine hinwendung zu
concreterem gebrauch (vgl. 2 c):
ihm fehlt es nicht an geistigen eigenschaften,
doch gar zu sehr am greiflich tüchtighaften
Göthe Faust II 8250 ;
und die idee des unsterblichen Volkes wehte mir im
rauschen dieser eichen . . . fast greiflich, möchte ich
sagen, entgegen Immermann l, 189 Hempel; je unmittel-
barer und greiflicher uns aus der darstellung eines
wissenschaftlichen lebens zugleich die kritik seines ge-
dankeninhaltes entgegenspringt Haym ges. aufsätze 361 ;
greiflich nahe wird er (der stoff) ihm (dem dichter) ferne
VisCHER ästhetik 3^,718; eigenartig: hoffe also von
Lucifer ich das jenige amt, so Belial vor 1608. jähren
nit erwerben können, greifflichen verdienet zu haben
MOSCHEROSGH gcsichtc (1650) 657.
GREIFLICHKEIT, /..- also sind auch des fleischs und
des marcks nutriment nur ein geist ohn alle Sichtbar-
keit und greiffligkeit Paracelsus opera 1, 63 b; als ein
rauch der ein substantialische form anzeigt, und doch
kein greiffligkeit hatt 829 a; die träume und schäume,
die von ihm ausgegangen, und die Wirklichkeiten und
greiflichkeiten mischten sich seltsam durcheinander und
bildeten fratzenhafte züge Görres 6, 295; obgleich er
noch nicht schlief . . . , so stand doch bald mit der
greiflichkeit eines lebhaften traumes das zimmer auf
dem rittergute . . vor seinen äugen V. v. Strausz lebens-
führungen (1888) 2, 133.
GREIFLING, m., gauner spräche: finger, hand Ave-
Lallemant 4,546; handschuhe 4:,Q3; Müller-Fraureuth
2, 440"; vgl. griffling.
GREIFMÜSCHEL, /., eine fossile art der auster; die
eine schale ist platt, die andere gewölbt, wie ein halber
mond gestaltet und mit einem habichtsartigen schnabel
versehen; der name verdeutscht die lat. bezeichnung gry-
phaea; vgl. Heinsius 2,527*; Uübner zeitungslex. ^^ 2,
83*. — greifmuschelstein, m.: die versteinten mu-
scheln (sc. greifmuscheln) werden greifmuschelsteine,
oder greifsteine (gryphiten) genannt Heinsius 2, 527*;
auch schon bei Kinderling reinigk. d. deutsch, spräche
176; Adelung 2, 842. — greifstein, m., gryphit Ade-
lung; Hübner zeitungslex.^^2, 97*. — greif stein-
muschel, /., gryphit Hübner a. a. 0.
GREIFUNG, /., in der doppelten bedeutung des verbums :
das fassen, ergreifen und das tasten, befühlen; lexicalisch
bis ins 18. jh.: apprehensio Diefenbach 48*; raptus 484'' ;
raua 485 " ; tractus 591 * ; tactus 571" ; nov. gloss. 357 ^ ; fehler-
haft für intercapedo gloss. SOS'»; einzelne dieser stellen
geben auch die nd. nl. formen gripinge, gryppynge ; pren-
satio, rapina, tactus, contrectatio, palpatio Stieler 698;
tactus, prensio Steinbach 1, 639. literarisch nicht eben
häufig: liedtitel: die greiffung (gefangennahmt Christi)
SiM. Dach 242 Österley; so braucht man sie (die gerichts-
bedienten) auch zur greiff- und abthuung der missethäter
Olearius verm. reise beschr. (1696) 21; wie er in greif-
fung der pulsen . . den stand der kranckheit erkennen
möchte Stranitzky Ollapatrida 268, 13 neudr.
GREIFVOGEL, m., vogel greif: es sollen inen (den In-
dern) aber die grossen greiffvogel bisweilen einen starcken
grief darein gethan, und das golt in ihre nester geführet
haben Albinus meiszn. bergchronica (i590) 56; jene scharf-
beklauete und beschnabelte thieren, die ich für eine art
von jenen greif-vögel halte Lindenborn Diogenes (1742)
1, 489; vgl. 1 greif 9.
GREIFZU, m., subst. imper., ital. sbirro, insidiator,
ein spürer, ausspäher Stieler 46; meist stärker, homo
rapax:
her Schalkevunt is dar (zu Rom) 6k ein here,
6k doctor Griptö unde der noch mere
Beinke de vos 4156;
sein finger heissen greyff zu uncis esse unguibus He-
nisch 1737; danach: seine (Heynes) äugen, seine schreib-
finger (die anderer gelehrten Zeugnis als sein eigenthuni
verwertheten) hieszen greifzu Voss antisymb. 2,126; sollte
dem greifzu (executor) verflucht schwer fallen, euch in
ein kerkerloch zu bringen Holtei erz. sehr. 28, 9; vgl.
5, 125; etwas anders von männern, die nur aus äuszeren
gründen ihre gattin wählen: die vorliebnehmer und greif-
zu schämen sich nicht — nur durch ihre weiber zu stehen
Jahn 1, 354 Euler.
1 GREIN, m,., mhd. als grin geschrei, gewieher mehrfach,
vgl. mhd. wb. 1, 576**; Lexer 1, 1086; nhd. nur dialectisch:
grain m. piato, litigio, contesa Schmeller cimbr. 126;
zu greinen, das bair.-österr. zanken bedeutet, auf sub-
stantivisches grein weisen auch die composita grein-
heit,/.: gannitus grynheit Diefenbach nov. gloss. 189*;
greinschaft, /., hader: als wir bishere in Unwillen,
Ungnaden und greinschaften gestanden Lexer nachtr.
219 (a. 1472).
2 GREIN, 7iur in der geheimformel der vehme: thom
sieveten seeget ebnen de frygrefe mit bedeckten hoefft
de hemlike vehme strick stein gras grein, unde kleret
ebnen dat up Wigand femgericht Westphalens 265 (proto-
coll von 1490) ; auch entstellt zu stock stein , gras grein
ib. 524. 525; verkürzt: dasz wir nur mit hilfe . . . einer
53
GREIN--! GREINEN
1 GREINEN
54
regen phantasie von 'stein, gras und grein' träumen
können Droste-Hülshoff 2, 346; 'was bedeutet grein?'
fragte er, denn dies wort hatte er noch nie vernommen,
'also nannten unsere väter den ast, an dem der ver-
urtheilte aufgehängt wird', erläuterte der freigraf Hese-
KIEL Nürnberger tand 2, 56; demnach = anord. grein,
dän. schwed. gren ast.
GREIN- als erstes compositionsglied in zahlreichen schel-
ten: griinaap, einer, der über alles lacht BEnoHAVS 1,
612^; greinarsch, fanciullo che non fä che piangere
Kramer teutsch-ital. (1700) i, 33"; mensch, der gerne weint
und zankt Kehrein volksspr. u. volkssitte in Nassau l,
173; grinebart = griinaap Dähnert161*; greinbeisz,
zänkischer mansch Kehrein a.a.O.; empfindliches mäd-
chen (besonders kinder) Crecelius 148; greineis, leicht
und oft weinendes mädchen Crecelius 435; Askenasy
Frankf. 149; greinkatze, scheltendes streitsüchtiges weib
Unger-Khull 306°; greinquack, was greinarsch Kra-
mer :feMfscÄ-iteZ. (i700) 1, 563°; greinsack dasselbe Kehr-
ein a.a.O.; grinesnüte dasselbe Wöste 85^; grein-
teuf el, ein laut weinender {besonders kinder) k^TOü Ober-
lausitzer Wörter 8, 15; grientöt, grienviet, lachsüch-
tige weibliche person Schütze holst. 2, 68. — andere com-
posita: greinhandel, m., zank, Streitigkeit; wie greinen
zanken vorzüglich bair.: greinhandel, der sich zwischen
dem Studiosen Franz Stifler und dem Organisten Georg
Reif . . zugetragen hatte zeitschr. f. d. w. 7, 162 aus Salz-
burger sehr.; gern im, plural: dem mann maniche grein-
handel . . verursacht Guarinonius grewel d. Verwüstung
(l6lo) 550; hochzeiten, allwo er unter den bauern schlimme
greinhandel anstifte Abele v. Lilienberg künstl. Un-
ordnung 2, 43; am feyertag, mein bauer, must du nit
allein nit dreschen, sondern auch keine grein -händel
ausdreschen Abr. a St. Clara Judas 3, 164. — grein-
hase, m., kaninchen, 'nach dem, knurrenden ton, den es
von sich gibt' Crecelius 435; Vilmar 136. — grein-
süchtig, adj., zanksüchtig: ihr seyd zwey alte grein-
und zancksichtige haderkatzen und tumultuanten Gry-
PHius lustspiele 331 Palm. — greinsuppe, /., verweis,
schelte Unger-Khull 306°. — greintölpisch, adv.:
also musz man die knie beugen, darnach mach ich
auch baselmänigs (baise-les-mains), das wird recht grein-
tölpisch stehen engl, comedien u. tragedien (1624) Cc 4°;
wohl an greinen grinsen anzuknüpfen. — greinvögel-
chen, n., pieper, anthus pratensis Naumann naturgesch.
d. Vögel 2, 774; nach Suolahti vogebiamen 94 schon bei
C. Gesner als grienvögelin ; vgl. greinerlein l. — grein-
winkel, m.: wie ist es möglich, dasz gott . . einkehre
in eine solche juden-schul, in einen solchen grein- und
zanck-winckel? Abr. a St. Clara etwas für alle 2, 183.
— greinwort, n.: mit schelt und grein Worten auf-
hetzen Guarinonius grewel d. Verwüstung (1610) 365.
GREINE, /., das weinen:
kein' auch sey die liebe meine,
die die lache mit der greine
stets in einem säkklen hat
W. ScHERFFER gcd. (1652) 559.
i GREINEN, vb., knurren, zanken, weinen, lachen.
form.
1) gemeingerm. wort: ahd. grinan, mhd. grinen; m7id.
grinen de7i mund verziehen zum knurren, winseln, heulen,
lachen; mnl. grinen schreien, weinen, brüllen (von thieren),
grinsen, hohnlachen; nnl. grijnen greinen, ividerlich wei-
nen, flennen (namentlich von kindern) ; fries. grinen grei-
nen, iveinen, wimmern, grinsen; anord. grina den m,und
verziehen, dasz die zahne sichtbar werden (vor zorn, beim
lachen oder weinen); dän. grine greinen, grinsen, lachen,
kichern, zahne fletschen; norw. grine das gesicht zu einer
sauren miene verziehen; schwed. grina greinen, das gesicht
verzerren, grinsen; got. fehlend, zweifellos besteht Zusam-
menhang mit der sippe germ. gren-, gran- (ahd. grennan
mutire, granon grunzen; mhd. granen weinen, flennen;
ags. grennian die zahne zeigen als ausdruck der heiter-
keit, des zornes, Schmerzes [engl, to grin] ; anord. grenja
einen furchtbaren ton ausstoszen u. a. Fi CK * 3, 140); im
idg. fehlen unmittelbare verioandte. Falk-Torp denken
an Zusammenhang mit anord. grein zweig (zur idg. würzet
*ghrei offen sein) etym. wb. 1,348; vgl. Fick ^3, 143, offen-
bar mitbestimmt durch die bedeutung 'offen stehen' (von
kleidern), die grine im dän. haben kann, die grundbe-
deutung müszte dann sein 'den mund aufsperren', was
wenig wahrscheinlich ist. die bedeutungsentwicklung, die
sich im deutschen beobachten läszt, dazu die anscheinend
ganz parallele der nachbarstämme gren-, gran- und end-
lich die bedeutung des direct verwandten germ. *grain6n
(ags. gränian stöhnen, klagen, engl, to groan) führen eher
darauf, den begriff des Unwillens als dem worte eigen-
thümlich anzusehen und nach dieser richtung hin an-
knüpfungen zu suchen. Frangk denkt deshalb an Zu-
sammenhang mit gril- (in mnl. grillen knurren, mhd.
grellen, grüllen, grol) etym. wb. 2215°, das sich mit grei-
nen in einer wurzel *gher vereinigen könnte, vgl. Pers-
SON wurzelerw. 195. Kluge vermuthet Zusammenhang mit
sanskr. hri sich schämen etym,. wb. '^180; von Seiten der
bedeutung hat das wenig für sich.
2) die ehemals starke flexion hat sich in den heutigen
dialecten z. th. noch gehalten, das obd. und einige md.
maa. kennen wenigstens das st. part. prät. noch: 'grin-
nen, 'greint Schmeller 1, 999 (daneben die mischform
'grinnt); g'grinnen, theilweise g'grint Staub -Tobler 2,
745; (ge)grint, grinnen Martin-Lienhart 1,275; gegrinne
Gh. Schmidt elsäss. 45''; gegrint, gegrin Follmann
216*'; gekrine Müller-Fraureüth 1,440°; getcisse west-
nd. dialecte kennen bis heute nur die st. flexion, vgl.
Bauer-Collitz 41°; Wöste 85''; auch im Süden der Nie-
derlande noch stark wb. d. nederl. taal 5, 723 ; fries. prät.
griiide, seltener %v^n Doornkaat-Koolman 1,688°; dän.
gren. schriftsprachlich ist die schw. flexion jung; im
älteren nhd. stehen die st. formen durchaus fest; statt
grein zuweilen dialectisch gren (: zwen) B. Waldis Esopus
1, 379 Kurz (aber grein : hinein l, 358, : sein 2, 207). bei
H. Sachs neben grein 17, 345, 10 auch schon grin, sowohl
im, reim 1, 213, 15, wie im versinnern (grien 15, 453, 41).
von den leocikographen verzeichnet noch Kramer nur die
st. fleocion teutsch-ital. wb. (l700) 1, 563"; dagegen Stie-
ler nur die schw. Stammbaum 700; Steinbach läszt
die Wühl wb. l, 644; dementsprechend herrschen literarisch
seit der 2. hälfte des 18. fhs. die schtuachen formen: (er)
greinte Kretschmann 6, 328; gegreint maler Müller
1, 266; Kortum Jobsiade (1799) 1, 69; aber noch im id.jh.
vereinzelt stark gegrinnen Rückert l, 233.
3) bisweilen mit verändertem anlaut: sie (die bauern)
kreynen oder knartzen und zancken steif mit einander
Veroander lasterprobe 183; mögn unsre feynd kreinen
und blerren Schwabe tintenfäszl (1745) B 7''.
4) ganz vereinzelt mit rundung: greunen Rompler
V. Löwen halt erstes gebüsch (1647) 73.
bedeutung.
die geschichte des wortes im deutschen führt auf eine
ausgangsbedeutung 'zum, ausdruck der miszstimmung, des
Unwillens den mund verziehen'; vgl. die noch heute im
dän. und holl. vorhandene bedeutung 'die zahne fletschen'.
dasz sie alt ist, erweisen roman. entlehnungen: ital. di-
grignare die zahne fletschen; prov. grinar die zahne wei-
sen, knurren, picard. grigner les dents. im deutschen
haben sich auf gemeinsamer grundlage zwei nahezu ent-
gegengesetzte bedeutungsgruppen entwickelt, nämlich mur-
ren, weinen u. ä. (vorwiegend hd.) und grinsen, lachen
u. ä. (vorwiegend nd.).
1. hd. schlieszt der begriff in der regel auch die töne
der miszstimmung, des unmllens ein.
A. auf thiere angeicendet.
1) knurren, von hunden; dies ist die älteste im deut-
schen festzustellende bedeutung, die recht ursprünglich an-
muthet: ringere grinen proprie est canum ahd. gloss. 2,
736, 39; dasselbe meinen offenbar die gleichsetzungen mit
mutire und gannire Graff 4, 328;
weder ez (das hündchen) engrein noch enbal
G. V. Straszburg Tristan 15890;
im bilde:
55
1 GREINEN
1 GREINEN
56
er (der schlechte mann) Mzet da sin grtnen niht hat widerseit
W. V. D. VOGELWEIDE 29, 9;
mhd. die herrschende hedeutung (vgl. mhd. wb. 1, 576*),
ohne unterschiede des dialects; nhd. allmählich erlöschend:
wenn den hunden die beuch kurren,
vil gras essen, greinen und murren
Reynmann Wetterbüchlein, in der bauemregel ;
der hundt der greint und grant mich an
Wickram 4, 30 Bolte-Scheel;
seit alters gern im vergleich:
sie {die heiden) grinen sam thie hunde
Rolandslied 4837;
sumelicher üf in grein
alsam ein ungeslahter hunt
passional 507, 16 Köpke;
wer greinen oder murren will,
ut canes decet rabidos
Fischart geschichtklitt. 135 neudr.;
eyner geht greynen als ein hundt Morhof Unterricht
V. d. dtschen spräche (1682) 1, 853 ; dasz die jüngeren be-
lege wesentlich alem. und rheinfr. sind, ist kein zu/all;
das alem. samt angrenzenden gebieten hat greinen als be-
zeichnung von thierstimmen am reichsten enttvickelt.
2) grunzen, schreien, vom schwein; löst in der häußg-
keit seines vorkom/mens das vorige geradezu ab; vom, 14.
bis 16. jh, allgemein obd. bis ins hess., später selten : ein
greindez swein K. v. Megenberg buch d. natur 136, 6;
aber ain suw volget nit nach (wenn sie zum tode geführt
wird) sonder grynet sie und schryet allweg Stainhöwel
Esopus 52 Österley; eine sau im kadt, wo sie jemandt
zuweschen understehet . . ., wider die greynt sie Seb.
Franck weltbuch (1567) löS»; (die elefanten) werden aber
lyederlich durch einer sau grynen erschreckt Eppen-
DORFF Plinius (1543) 8, 46;
der sau art ist dasz greint und kirt
do ir nicht gleich zu fressen wirt
Kirchhof wendunmuth (1563) 467^;
im vergleich: dargegen wil Christus das sie sein stille
schaf und nit greinende seu Seb. Franck sprüchwörter
(1541) 1, 146''; der ymmerzü greint wie ein sau an eim
gatter . . , dero boldern gewont man (1545) i, 73'*; wie
ein junges schweinlin hub mit zorn das weih an zu
greinen Kirchhof wendunm. (I602) 1, 522; vgl.: die achte
{haut der weiber) seye eine sau-haut, wenn man auf diese
schlage, so gruntze und greine sie, dasz es eyn elend
sey Stranitzky Ollapatrida 168, 23 neudr.; auch nd. be-
kannt: to blasen alse slangen unde to grynene alse ver-
kene Schiller-Lübben 2, 147^ (a. 1473).
3) greinen braucht nicht nothwendig ausdruck des Un-
willens zu sein, sondern kann die thierstimme schlechthin
bezeichnen : sein (des kameels) weip hat so grözen gelust
zuo im, daz si vor gelust greint K. v. Megenberg buch
d. natur 124, 23; gannire huylen als eyn vosz grint Die-
FENBACH 257^ (aus der gcmma gemm,., 1507); namentlich
im alem. und nachbargebieten in verschiedener Verwen-
dung; vom vdehern der pferde:
man hörte ros da weien
unde lüte grinen
KoNR. V. Würzburg Partonopier 21723;
spannen die pferd an der heiligen wegen einen und der
priester hat acht auf ir greinen und schreiben Micyl-
LUS Tacitus 441*; noch heute im elsäss. Martin-Lien-
hart 1, 275; vgl.: lasz die storcken klöpren, die essel
greinen, die hund bellen Geiler v. Keisersberg nar-
rensch. (l52o) 89*; vom piepen der mause: die eygenschaft
der wassermus ist das sie heller susen oder grynen
dann die andren müse Terenz deutsch (Straszb. 1499) 81*;
und da die meusz fast greinen und grunsen zeygt es
auch eyn kälte an Mich. Herr feldbau (i55i) 15^; weil
er gesagt; wie pipen die meuse, als sie greinen und sich
jammerten Nigrinus ^opisi. inquis. 345; vom singen der
Vögel: der rap hat auch sein gesang, eben als wol als
die schwanen etwan yr grinen reform. -flugschr. 4, lil
Giemen (Karsthans) ; (ein Deutscher) verwundert sich nur
anderer, das ir sau feyszt wie ein zeiszlein greint Seb.
Franck german. chron. (1538) vorr. 12; noch heute im
alem. Staub-Tobler2, 746; in anderen fällen ist die ältere
bedeutung des unwilligen, zornigen lautgebens noch zu er-
kennen: (der drache) greint und ginet mit dem maul
K. V. Megenberg buch d. natur 268, 22; der vigent get
umbe also ein grinender löwe Ch. Schmidt elsäss. 156*
aus Tauler; vgl. noch: si (das böse weib) grynet als
eyne grille Müskatblüt 77, 6 Groote.
B. in der anwendung auf manschen zunächst: knurren,
brummen, keifen u. ä. :
untriuwe an deme schinet
swer lachende grlnet Freidank 43, 25;
m,hd. nicht selten, vgl. mhd. wb. l, 576*; nhd. häufig präg-
nanter: zanken, schmälen; der herd dieser bedeutungen
ist das bair., doch erscheinen sie auch Schwab., alem. bis
hinauf ins hess.; seit dem. 18. jh. wesentlich auf das bair.
beschränkt, dort bis heute lebendig, vgl. Schneller bair.
1, 999, cimbr. 126; Schöpf 211; Höfer 1,320; österr. hat
die bedeutung eine weitere Zuspitzung erfahren: verweis
geben Lexer kämt. 123; wienerisch: ausschelten Loritza
54, verweise geben, schimpfen Hügel 70; tadeln Walt-
RICH siebenb. -Sachs. 44.
1) zancken vel grinen rancere Diefenbach 483"=; gri-
nen mit Worten gestire 261"; kriegen vel grinen rixari
499 ^ ; wiewol ihm bei solcher schmalen küchen das grei-
nen ja solt vergangen sein Kirchhof wendunm. (I602)
1, 351; gern von ehelichem zwist: so sie der man ver-
manet, fieng sie an zu greinen Fischart klag d. ehe-
Stands (1614) 246; wo das vilfältige greinen ist, dort er-
kaltet die lieb Abr. a St. Clara Judas (l686jf.) l, 61;
gern auch vom verdrieszlichen alter: wenn ein frow ein
alten man hat, der do sitzt zu grynen Geiler v. Kei-
sersberg bilgerschafft (1512) 32<>;
Franckreich mag indessen greinen
nach der alten weiber art
Soltau Volkslieder (1836) 522;
der alte greinet den gantzen tag Kramer teutsch-ital.
(1700) 1, 563*; participial: greinende Heracliti Fischart
Eulenspiegel 15 Hauff en; derselbig (lehr er) aber wäre ein
greinender pedant, wolte alles mit schnarchen und strei-
chen ausrichten Zinkgref apophthegmata (i628) 88; unter
der belehrung und aufsieht eines greinenden pedanten
Birken ostländ. lorbeerhäyn (1657) 157; in jüngerer zeit
nur bair. -österr.: man musz . . sich drey bis vier stund
aus dem athem schreyen, hernach greinen die herren
comödianten gleichwohl immer, und ist ihnen nie nichts
recht samml. v. Schauspielen (Wien 1764 j^.) 5, 49; (zwei
weiber), eine verschwendete, die andere verwarf alles;
die eine greinte, die andere zankte Hafner lustspiele
1, 55; sie ist der leibhafte Widerspruch . .; lach' ich, so
weint sie; scherz ich, so greint sie Aurbacher volks-
büchlein 2, 246;
da wird die arme frau gequält,
die täglich kaufen soll — ohne geld.
da greint er, weil die suppe fett
Bauernfeld ges. sehr. 3, 24.
sprichwörtlich : die not greint, in schlimmer läge ist man
zum zanken geneigt Schmeller l, 999.
2) äuszerst häufig erscheint greinen verbunden mit ver-
ben gleichen oder ähnlichen sinnes (nicht nur in der be-
deutung zanken, sondern auch sonst, vgl. besonders C 3);
das liegt z. th. an dem ethos des wortes, das eine schel-
tende häufung ähnlicher ausdrücke begünstigte, z. th. aber
auch an seiner mehrdeutigkeit, die eine genauere begriffs-
bestimmung durch synonyma wünschenswerth machte; am
häufigsten neben zanken: (der texifeV) noch stetigs pis zu
end der weit krieg, hader, zanken und greinen . . zue-
richt Aventin bair. chron. 4, 48, 11 Lexer, vgl. l, 194, 36
4, 76, 10 ; darzu so schlecht mich mein mann und greint,
auch zanckt für und für Val. Schumann nachtbüchl
105 Bolte; es wird nicht gut thun, mit der schwieger
mutter. — das keift und zankt und greint! Bauern
FELD ges. sehr, l, 176; gern auch neben allitterierenden
Worten :
do (in meiner ehe) entpfündt ich nüt, dann ach und wee,
grinen, grannen ist mir nit thür fastnachtsp. 1035, 7;
ich grein, ich gran, ich kiff, ich zanck
H. Sachs 7, 35 Keller;
thet stetigs nit anders dann mit ir zancken, greynen
und grannen Frey gartengesellschaft 66, 10 Bolte; die
mit zorne umbeg6nt, die fluochent unde scheltent vor
57
1 GREINEN
1 GREINEN
58
zorne unde grinent und grisgrament, so sie sich anders
niht gerechen mügent Berth. v. Regensburg l, 466, 12
Pfeiffer; weil sie nimmer mögen stets grumbsen und
greinen Guarinonius greifet der Verwüstung (1610) 162;
was ist der weiber thun und lassen andersts als wie
sie den mann durch unaufhörliches greinen und grum-
men den gantzen tag nur beunruhigen Moscherosch
geeichte (1650) 2, 301; andere Verbindungen sind seltener:
thu darumb greinen oder schnurren,
so machst du mich nit zn keiner gurren
/astnachtsp. 152, 18 :
mit eifern, grein macht er mir pein,
liesz doch wol billich bleyben.
er greint und murt, im hausz umb schnürt,
sieht er mich frölich schertzen
mit einem gast, so graut im fast
Forster /mcÄe teutsche liedlein 135 neudr.;
wofern er gern . . frist und säuft, schlemmet und dem-
met, . . greinet und hadert Aeg. Albertinus hirnsleiffer
(1664) 81;
nur iebimol hör i
di brummein und grein'n
Stelzhamer ausgew. dicht. 1,60 Rosegger.
S) das vb. ist durchaus intrans., nur vereinzelt in poe-
tischer spräche trans. {nach dem muster von aus-, er-
greinen Schmeller 1, 999) :
aber spricht der heilige Niköla:
greine {schelte) mich nicht, donnerer Ilia
J. Grimm kl. sehr. 4, 453 {übers, aus d. serb.);
{ebenda: greint ihn aus der donnerer Ilia);
von Präpositionen bevorzugt die ältere zeit gegen, wider:
die man hie sit grinen
und werbin wider gotte
H. V. Langenstein Martina 198,43;
der tüvil aldä vor in quam
in einre forme grüwesam
im offinllch irschinende
und vreislich kegn im grinende
Jeroschin 18921 Strehlke;
Esau widern Jacob greint
B. Waldis Esopus 4, 96 Kurz;
auch reflexiv: Judas murmerot und grein wider sich
selben pred. l, 47 Grieshaber; vgl.: so lag er underwilent
und grein und grisgramet in im selb Seuse deutsche
sehr. 39, 19 Bihlmeyer; später meist mit, entsprechend der
bedeutungswandlung von knurren zu zanken : {ein gelehr-
ter) die andern all veracht, mit in zankt, greint, kriegt,
hadert Aventin bair. chron. 4, 445, 9 Lexer;
{die hoffart) begert uberal ob zu schweben,
da mag sich leicht ursach begeben,
das sie mit ander herrschaft greindt
H. Sachs 8, 463 Keller;
wann sie {die eheleute) unainig, zornmütig . . seynd, im-
merdar mit einander greinen und in weitem feldt ligen
Aeg. Albertinus Lucifers königreich 57, 37 Liliencron;
ebenso im heutigen bair. Schmeller l, 999; der gegen-
ständ des Zankes toird mit um oder über gegeben:
mir ist als ein hast wer drumbe grein
Kvl. chron. 1542 Pfeiffer;
sie grynnen und granen über alles das sie sehen Gei-
ler V. Keisersberg bilgerschafft (1512) 144*'; wir hal-
ten uns dermassen . . gleich sam weder teufl noch feg-
feur, hell noch himl sein, und die am maisten, di umb
solches stätigs zanken und greinen Aventin bair. chron.
4, 59, 22 Lexer.
G. am jüngsten ist die bedeutung weinen, die erst mit
dem 14. jh. aufzukommen scheint; ihr hauptgebiet ist das
alem., wo sie sich bis heute am reinsten gehalten hat;
vielfältig modificiert als klagen, jammern, weinerlich thun,
sogar heulen, schreien; der ausgangspunkt ist in jedem
fall das schmerzliche verziehen des gesichts; noch ziemlich
spät werfen ein licht auf die entwicklung dieser bedeu-
tung fälle wie:
zuhand der baur anfieng und asz
auf sechs roch zwiffel solcher mas,
die bissn ind äugen, dasz er grin
H. Sachs 22, 213 Keller-Götze;
der Juncker, der was bald gerüst
und dunckt gar tief und wol darein {in den senf);
'es ist kein wunder, dasz ich grein,
wie ist der senf so leyden herb?
Fischart Eulenspiegel 1165 Hauffen.
l) Verbreitung : alem. grynen lachrymare, flere, lamen-
tari Maaler teutsch spraach 194"^; fleo Calepinus un-
dee. ling. 570*; vgl. effleo ißi^ ; lacrymo 786^; ploro 1103**;
flere Diefenbach 239° {Straszb. a. 1590); lacrimari 315*
(iö.); vagire 605* (t6.); sanft, schmerzlich, still weinen, im
gegensatz zum lauten, häszlichen weinen Staub-Tobler
2, 746; tceinen, besonders von kindern Martin-Lienhart
1, 275; ob auch der ausser mensche greinet oder weinet,
das müs man wol leiden Tauler sermones (i508) 128^;
sie müessend singen, so sie lieber grinnen
N. Manuel Barbali 265 Bächtold;
Lucie: bonjour, mamme, do bin i widder. oho, was
isch, du grinsch? Greber Lticie 16; durchaus edles
wort, weinen fehlt dem dialect; dasselbe gilt fürs schiväb.:
die . . nymmer mocht gedencken an bitters mitleiden,
weinen und greinen summer teil der heyligen leben (l472)
83*; die vortreflichen grafen von Stollberg waren auch
hier ; . . o das sind dir leute. narr, greinen möcht ich,
wenn ich nur an sie denk Schubart briefe l, 223 Strausz;
warum greinen? es ist noch nichts verloren Auerbach
sehr. 10, 111; rheinfr.: weinen, greinen Follmann lothr.
216''; weinen Autenrieth pfälz. 56;
Dominicus, der sah sie weinen
und sprach: 'was hilfet euch euer greinen?
Fischart Dominicus 4116 Kurz;
mit solch einem herzbrechenden liede hätt' ich wollen
. . steine zum greinen bewegen maler Müller werke
(1811) 1,134; vgl. 2G6; nur ausgescholten wird er von ihr
und er greinet beinahe Börne ges. sehr, i, 59; 'kommt
hie und da, z. fh. in etwas verändertem sinne {aus bos-
heit weinen) oder als vornehmeres wort für das ganz un-
gebräuchliche weinen vor, neben den land- und volksüb-
lichen Wörtern gerren und flennen' Crecelius oberhess.
435;
so leid liesz ir die frau auch sein,
das sie für grosser freude grein
B. Waldis Esopus 2, 207 Kurs;
sehr üblich in der Diemelgegend und im Schmalkaldischen
ViLMAR 136; rheinabwärts bis ins gebiet des ndfr.:
dem rauher ich mit greinen
hett hertz und muth erweicht,
er mir auf stätes weinen
den raub hett hergereicht
Spee trutznachtigall (1649) 86;
er hat wirklich laut geweint
und im arm seiner freunde gegreint
KoRTUM Jobsiade (1799) 1, 69;
ostfränk. greinen, weinen Brenner-Hartmann Bayerns
maa. 2, 332; Vogtland. Müller-Fraureuth 2, 440*;
den sie {die eitern) mit ihrer straf bescheyden
in der jugent nit machten greinen
H. Sachs 1, 201 Keller;
plorare, lugere, lachrymari Serranus synon. (1579) 0 5^;
es stehet heszlich, wann ein mann greinet; ich hab
greinen müssen; jemand greinen oder greinend machen
Kramer teutschital. (l700) i, 563*; thür. weinen Hertel
thür. 109; Kleemann nordthür. 7"; weiber können grei-
nen, wenn sie wollen ut flerent oculos erudiere stcos;
er greint, dasz ihn der bock stöszt os sibi opplet lachry-
mis cum singultu Stieler 700; (Hans [schluchzend])
herr capitän, ich kann nicht. (Franz) ich glaube gar,
du greinst? Kotzebue 8, 104; obersächs.: in der mitte
des grabmals sollen zween kleine geflügelte hüben, die
ganz erbärmlich greinen, das schild halten Rabener
sämtl. werke 5, 129; auch im Erzgebirge Müller-Frau-
reuth 2, 440"; schles. weinen, besonders von dem stäten
weinen kränklicher kinder Weinhold schles. 30*; preusz.
weinen Bock idiot. pruss. 15; Schemionek Elbing. 14;
grinsend weinen Frischbier l, 252; diese bedeutung
stammt aus der spräche hd. colonisten, nicht aus dem
nd.; auch im siebenbürg, hat greinen dieselbe bedeutung
wie in der rheinischen heimat der colonisten: weinen
Waltrich 44; Kramer Bistritzer dial. 39. — nd. nur
im Westen auf beschränktem gebiet Wöste westfäl. Sb^;
Bauer-Collitz waldeck. 41"; da was he bedröwet un
glöwte, nu moste he sterwen, un he geit sitten un grient
brüder Grimm kinder- tc. hau^märchen 2, 150 {westfäl.);
die rheinische ausbreitungszone ivird fortgesetzt durch
das nl., wo greinen u, a. bedeutet: ein weinerliches ge-
59
1 GREINEN
1 GREINEN
60
sieht machen, schreien, heulen, besonders von hindern
woordenb. d. nederl. taal 5, 724; auch schon mnd.: gi
sullet grinen und weinen (plorabitis et flebitis vos Joh.
16, 20) ScHiLLER-LÜBBEN 2, 147^ (u.jh.); E. klagede er
dat geschichte mit grynen (= grinenden) ogen 148'';
desgl. mnl. Verwijs-Verdam 2, 2144; fries. leise weinen,
wimmern Doornkaat-Koolman l, 688».
2) besonders vom weinen kleiner kinder, in verschiede-
nen färbungen; die weite Verbreitung dieses gebrauches,
auch noch in den heutigen maa. (s. l), läszt in ihm etwas
ursprüngliches vermuthen: vagire kindes grynen Diefen-
BAGH nov. gloss. 376" {pfälz., 1466); dann so bald die
selben (kinder) geboren werden, und nach irer art grei-
nen und schreien Ruoff hebammenbuch (1580) 151;
ein creutz kömpt eim selten allein,
da grant das weib, da grein die kind
. Eyering proverbiorum copia 1, 32;
recht wie ein kleines kind, dasz, wan man es gestrichen,
mit greünen und mit laid in winkel hin geschlichen
RoMPLER V. Löwenhalt erstes gebüsch 73;
die dunkle kinderstube, worin die kleinen spielen und
greinen Jean Paul 6, 28 Hempel; schon lange sitze ich
an der wiege des guten lieben deutschen kindes . .
endlich erwacht es und greint sanft wie ein kätzchen
Börne lo, 19;
sein lebenlang spielt einer manche rollen,
durch sieben akte hin. zuerst das kind,
das in der wärt'rin armen greint und sprudelt
Shakespeare 4, 215 ;
im vergleich: sie werden euch freundlich bitten, grey-
nen, flehen wie die kinder Luther 18, 368 Weim.; sie
wiegte das miszgeschöpf (das alraunmännchen) in ihren
weiszen armen, wenn es wie ein kind greinte Heine
6, 323;
wie ich jetzo, so greint, im schilf des Nils
versteckt, der krokodil und ahmet nach
des kindes unschuldvolle klagetöne Grabbe 1, 69.
3) antithetische und parallele verba lassen am besten
gevnsse modificationen der bedeutung erkennen, bezeich-
nenderweise erscheint der gegensatz greinen — lachen weit
überwiegend im Südwesten Deutschlands, wo die bedeutung
'weinen' bis heute die herrschende ist:
wer päsen kinden waich erscheint,
der ist ir aller gröster feint,
und lacht yetzt desz ir nachmals greint
ScHWARTZENBERG teutsch Ciccro (1535) 127;
die hie weinen, werden getrost im himmel, und die
hie lachen, werden greinen am selbigen ort Paracelsus
opera (1590) 9, 115;
gott geh du wöltst grein oder lachn
GiLHUsius gramm. (1597) 84;
wie frau Aja endlich wie betrunken auf den besten
fürsten zuläuft, halb greint, halb lacht Göthe-jahrbuch
2, 310 (frau rath) ; viel seltener ostmd. : greinet oder lachet,
da frag ich nit nach Luther 34 *, 86 Weim.; hier eher
antithesen wie:
denne wird Christus in eim nu erscheinen,
und ihr freud verkehren in ein greinen
RiNGWALDT evangelia B 4^ ;
hie singt er frey, dort greint er widr
Christi. Warnung K4»;
vgl:
seiner freunde tod beweinen
stehet einem Christen zu, aber ungeduldig greinen
pflegen die trostlosen beiden
Neumark fortgepflanzter lustwald 2, 46 ;
auch die reimformel greinen und weinen erscheint auf-
fälligerweise voruriegend im Südwesten, obgleich sie nicht
auf alem. boden aufgekommen sein kann; tautologisch:
das greynen und weinen ^e^ws, ploratio Maaler teutsch
spraach (i56l) 194"*; auf dasz der kinderfresser Saturn
. . nicht . . . vernem wann der jung herfür kriechend
bastart Jupiter mit weinen und greinen den tag an-
zännt Fischart geschichtklitt. 155 neudr.; daz er . . .
greinet und weynet wie ein sieche kuh 226;
sie seufzt, sie schreit, sie weint und greint
Spangenberg u. Fröreisen griech. dramen 2, 283
Dähnhardt ;
ostmd. mit klarem unterschiede: w§ üch di nü lachit,
wan ir sult grinen und weinen (quia lugebitis et fle-
bitis) Beheim evang. buch. Luc. 6, 25; fühlbarer werden
gevnsse modificationen der bedeutung 'weinen', die theils
abschwächen (wimmern), theils steigern (jammern), in
manchen der folgenden doppelwendungen: ein frau, die
in kinds arbeit ligt, die grinet und wintzelet Geiler
V. Keisersberg postill 3,17;
was hilfts dich, dasd' vil grynst und klagst
Schweiz, schausp. des 16. jhs. 1, 227 Bächtold;
ein andrer hingegen greint und ächzt über nichts und
wieder nichts Bräker sämmtl. sehr. 2, 113; was ge-
schehn ist, ist geschehn, da hilft kein greinen und
kein jammern H. L. Wagner theaterstücke 118; je stär-
ker es regnete, desto heftiger greinte und schluchzte
der miszliche kriegsmann G. Keller 6, 132; greinen und
bentzen *. th. i, 1478; in älterer zeit ist am häufigsten
greinen und zäunen, anscheinend nur bis ins 16, jh.:
d6 der aide ermannete,
er grein unde zannete,
wan sin unmezic leit
stete durch sin herze in sneit
Marienlegenden 248, 260 Pfeiffer;
(secundvs miles.) leg an und lass spannen,
das er (Christus) werd grein und zannen
passionssp. aus Tirol 134, 2123 Wackernell;
(der söhn) der tag und nacht ligt bey dem wein,
lest die alten zannen und grein
daheim in grossem hertzenleid
H. Sachs 17, 301 Keller-Götze;
nicht so häufig:
was hör ich für ain schall und ton
von grunzen, greinen, schreien, beiszen?
histor. Volkslieder 1, 548 Liliencron;
also nur kein solch hönisches gesiebt, kein greinen
und kein grunzen, meine söhn' und töchter! Bräker
sämmtl. sehr, i, 269; abzusondern isf greinen neöen heulen,
schreien u. ä.; alem. genügt auch hier 'weinen':
myn hertz, das würd in mir verschwynen;
vor leidt müsz ich hülen und grynen
Schweiz, schausp. des 16. jhs. 2, 199 Bächtold; vgl. 1, 85, 837;
aber auszeralem. scheint die bedeutung öfter fast bis zu
'heulen, schreien' gesteigert:
secht, lieben freund, dem golzen zu 1
er lut und heult sam ein ku.
nu grein du, aller teufel namen !
fastnachtsp. 588, 11 ;
hiezwischen liefen die bürger dem schlosz zu, und
fragten was das bedeute, das so ein grosz greinen und
geschrei drinnen sei Achacius chronica 291 •*; ein lau-
teres greinen und geschrei österr. weisth. 5, 416, 17; kompt
Jhann, der bottenlaufer , schreit Jammer, greint und
heilt Ayrer dramen 1, 140 Keller.
i) wesentlich auf norddeutschem boden und erst in
jüngerer zeit bekommt greinen einen verächtlichen bei-
geschmack: flennen, plärren, unmännlich jammern: du
greinst? du bist deiner mutter söhn nicht, du unge-
heuer! Gerstenberg TJgolino 261,26 Hamel; wenn's
euch kommoder ist, in gottes namen, heult und greint,
bis euch die äugen aus dem köpfe fallen Tieck sehr.
3, 252; vgl. 1, 192; ich will die buhen heulen und grei-
nen lassen über das elend Immermann i, 49 Hempel;
Berlioz will lachen, weinen .., wie Beethoven, aber
sein lachen ist sogleich ein grinsen, sein weinen so-
gleich ein greinen Gutzkow 7, 222; süddeutsch selten:
ehrloser! treuvergessener! und du willst abfallen, wenn
eine mäze greint? Schiller 2, 199.
5) construction ; meist absolut, doch auch m,it object:
dei traanen, de se greine,
dei dei'en der modder sau wei
nd. Volkslied bei Herder 25, 76;
da sasz er auf der Ofenbank,
mit gott und weit und sich im zank,
und greinte bittre zähren Kretschmann 6, 328;
er häd's klor brunnewasser grinne Staub-Tobler 2, 746;
gelegentlich auch : ein paur greint den reimen : . . (gegen-
satz: der ander paur lacht den reimen) fastnachtsp.
538, 1 ; den grund des greinens geben die präpositionen
über tmd um: feuchtohrige hüben . . greinen über die
siege des Scipio, weil sie sie exponieren müszen Schil-
ler 2, 29; du narr hast gar drüber gegreint maler
MÜLLER 1, 266;
61
1 GREINEN
2 GREINEN, GREINER
62
sondern er hat länger und mehr geweint
als mancher mann um seine tote frau greint
KoRTUM Jobsiade 3, 128 ;
anders:
so deine kinder umb brot greinen
"Wickram 4, 65 BoUe-Sched;
kinder hört' ich
greinen nach der mutter
RiCH. Wagner 6, 250;
im älteren md. häufiger sich zu tode oder tot greinen:
da ich yetz lag in gotts gewalt,
und starb in meine äugen nein,
flux er sich auch zu todte grein
Hayneccius Ifans Pfriem 27, 596 neudr.;
wenn man sie {die toten) aber tregt darvon,
wollen sie (ßie überlebenden gatten) sich zu todt drumb grein
Eyering proverbiorum copia 1, 15;
du wirst ja auch . .
mich recht, von hertzen meynen,
sonst müst ich mich todt greinen
Chr. Reuter harlequins hochz.-schmaus 289 EUinger.
6) 7ieben nichtpersönlichem subject ziemlich selten und
meist mehr oder minder bildlich:
hier knurren fagotte, hier ragen
hoboen und greinen vor frost
Kretschmann 5, 72 ;
kennst du noch die alte weise,
die am anfang so elegisch
greint und sumset, wie ein kessel,
welcher auf dem nerde kocht? Heine 1, 443;
der . . kalte, grämliche, greinende . . octoberwind W.
Raabe hungerpastor 1, 225; wann de Lippe schint un
'et Süerland grint {nach regen aussieht), dann giat et
guat w^er Wöste 85"; österr. dagegen 'brummen' (vgl.
oben B):
der brummbasz greint und die zither erklingt
PiCHLER neue marksteine 139;
nur zwei fälle zeigen greinen in fester Verbindung mit
einem leblosen subject: die Weinreben greinen, wenn im
frühjahr der frische soft aus den beschnittenen zweigen
tropft Staub-Tobler 2, 746; Martin-Lienhart 1, 275;
alter alein. ausdruck, denn schon bei Frisius super-
lachrymare weinen oder grynen als die Weinreben, Staub-
Tobler o. a. 0.; (es bringt schaden) wann man mit dem
schneiden zu lang verzeucht, an welchen orthen die
reben sehr greinen Hohberg georgica curiosa aucta (1715)
258*"; ferner vom kreischen ungefetteter thürgelenke o. ä.:
ein tür, die verruckt ist aus irem angel, die kürret und
greinet Geiler V. Keisersberg seelenparadies 61^ ; erst
greinte die hofthür, aber heut abend will ich sie salben
B. V. Arnim Günderode l, 200; hab ich mich doch an
die verflucht pump gewöhnt, die in eim fort da vor
der thür greint dies buch gehört d, könig l, 82 ; vgl. Lexer
kämt. 123.
II. nd. herrscht die bedeutung 'grinsen, lachen', die
sich, vnewohl nicht mit derselben ausschlieszlichkeit, auch
in den verwandten und benachbarten german. dialecten
findet: nl. grinsen, lachen; ebenso dän.; schwed. grinsen;
fries. grimassen machen, grinsen.
l) die bedeutung erstreckt sich über das ganze nd. ge-
biet mit ausnähme des westfäl. (doch auch hier stellen-
tveise, so in der alten grafschaft Mark, Berghaus 1, 612'')
und des preusz., wo das hd. 'weinen' vorherrscht; doch
schwankt sie in den einzelnen theilen dieses gebietes ziem-
lich stark: in widrigem lachen oder lächeln das gesicht ver-
ziehen, grinsenMvi.t,ER-FRAVREVTH 2,440*; M. SCHULTZE
nord-thür. 37 *; Schambagh 68''; H. Meyer der richtige
Berliner ^öö*; auch in Leipzig Alb recht 125^; mit Ver-
zerrung des mundes lachen, wird greinen, ein verzerrtes
lächeln wird grinsen Jahn werke i, 105 Euler; schon früh:
als man schrifft von tween wisen narren,
der de ein plecht altid grinen, de ander blarren
Lauremberg scherzged. 2, 10 neudr.
in manchen gegenden mit anderer färbung: sarkastisch,
boshaft lächeln, hohnlachen Berghaus l, 612"; tückisch
lächeln Schambach es"; boshaft lächeln Mi mecklenburg .-
vorpomm. 29"; höhnisch lachen Hupel deutsche spr. in
Lief- u. Esthland 82; vgl. schadenfroh lachen woordenb.
d. nederl. taal 5, 724; höhnisch lachen Outzen fries. gloss.
106; auch schon mnl. für hohnlachen Verwijs-Ver-
DAM 2, 2144; anord. für zornig lachen, zumal die be-
deutung des bösartigen lachens scheint ursprünglich; denn
sie stellt sich unmittelbar neben die des bösartigen zahne-
fletschens, knurrens, die sich als alt erweisen läszt (vgl.
sp. 54) ; das indifferente 'lachen' ist dann aus einer präg-
nanteren bedeutung verblaszt; in diesem sinn bei Richey
id. hamburg. 80; brem. wb. 1, 543; Schambach 68*; über
das ganze gesicht lachen Hentrigh Eichsfeld 22; mit
offenem munde lachen Dähnert 161*; schwächer: lächeln,
schmunzelnScHAMBACH 68"; lächeln Müller-Fraureuth
2,440*; lächeln, schwächer als ZacÄen Danneil 70*; schmun-
zeln Trachsel 20; de oll grient nu ümmer so vor sik
hen Reuter olle camellen (i860) 38; und trinkt um-
schichtig vor twei un grient lustig öwer dat ganze breide
gesicht 64; mit 't jansze jesicht jrinen pfiffig lächeln
auch berlinisch Berghaus l, 612^; niederhess. thöricht
lächeln; redensart: hä grint wie ein honnichkuchen-
pärd.
2) in hd. schriftspraclie naturgemäsz vorwiegend bei
autoren aus dem norden Deutschlands; eine ältere zeit
setzte das wort ins hd. um:
fort mit den satanswörtem ! fort!
die nur mit satansfratzen greinen {grinsen)\
Arndt 5, 326 Rösch-Meisner ,
rauhhaarige greinende grinsende fratzenhafte schlingel
Fr. Arndt bei E. M. Arndt sehr, an s. l. Deutschen 1, 4;
dann wieherte daher ein wildes rosz,
und quer drauf sitzend, mit verkehrtem greinen,
ein orang-outang Baggesen poet. werke 4, 63;
da vor dem pascha, welcher höhnisch greinte,
küszt' er den staub und schrie: 'nimm ab den sold mir!'
Strachwitz gedickte (1850) 315.
später ging das gefühl für die sprachliche identität mit
greinen verloren, und die dialectform wurde beibehalten:
'wie darfst du grienen, du bösewicht', fuhr ihn das weib
an G. Freytag ll, 180; '. . ich kenne doch die manns-
leute'. 'ja, ja', sagte Polzin und griente, 'die kennst
du' Fontane I 5, 49; vgl. iQ; 'hebe, der herr förster',
griente sie (das betrunkene weib) Gl. Viebig d. schlafende
Jieer (l904) 1, 128; vgl. die (frauenzimmer) stehen immer
dabei und lehnen sich auf's klavier, wenn ich spiele,
und grienen mich an Hirsghfeld mütter (1896) 63.
3) dem anscheine nach vorwiegend nd. und deshalb
vielleicht hier anzuschlieszen ist folgender merkwürdige
gebrauch:
sin sanc der stät
reht als diu wät,
diu ninder kein gelenke hat,
da vadmen grinent durch die nät
Frauenlob 168, 18;
dat blood grünt dör (scheint du/rch) Dähnert 161*; vgl.
dat grint (grinnt) dör wenn z. b. eine naht aufgegangen
ist, durch die das futter sichtbar toird Outzen fries. 106.
2 GREINEN, rö., aus *greinjan, causativ zum vorigen,
betrüben, bekümmern, belästigen:
d6 sprach der her zdem rihtaer :
'warumbe tuost du niht ein reht (an dem armen)"}'
'ez ist jener ein edel kneht',
sprach der rihter, 'der in greint'
Teichner bei Karajan s. 90 anm. 136 ;
dass wir unsern eidgnossen von Zürich, in was gstalt
sy greint oder bekümbert wurden, wider menklich sollten
beholfen syn Staub-Tobler 2,745 (a. I53l); und warend
die von Zürich ze vil Schadens kommen, und vorhin
ze vast gegreint Tschudi chron. Helvet. 2, 344; hierher
wohl auch nd. greinen necken, foppen Schambach 68*.
GREINER, «i. das subst. entspricht in der Verschie-
denheit seiner bedeutungen und ihrer vertheilung auf die
dialecte wesentlich dem, stammverbum.
l) als plorator besonders alem., daneben md. : gryner
plorator Maaler teutsch spraach (l56l) 194^; Calepinus
undec. ling. (1598) 1103" ; greiner clamator, plorator, qui-
ritans, lamentans Stieler stammb. 701; piangitore Kra-
mer teutsch-ital. (l700) 1, 563*; ^ioraior Steinbach i, 644;
diser unrüebig graf Eberhart ist nur der greiner oder
rauschebart von Würtemberg genent worden, dann als
sein muetter . . mit im gangen, do hat er in irem leib
grinen, das für ain besonders presagium ist gemerkt
worden Zimm. chron. 1, 174 Barack (doch vgl. u. 2);
63
GREINEREI
GREINERIN — GREIS
64
Hans Weistorfer und du machet vil zagen,
als burger, landsknecht und handwerkmanner
aus iren kindem gemacht greiner und zanner
histor. Volkslieder 2, 482 Liliencron ;
er {Don Qalaor) wer auch nicht ein solcher Zärtling und
weichlicher ritter noch ein solcher greiner als sein bru-
der (der franz. Amadis) Bastel v. d. Sohle Bon Kichote
(1648) 16; denn sie sind wohl bei weitem der greiner
{plorator) nicht, der ich bin D. F. Strausz 10, 58;
dasz ich irre schmerzzerrissen
durch die flur, ein armer greiner
Kerner ged. (1847) 168;
nd. wie das vb. im westfäl.: van dem sughtende deer
scryers efte gryners ward de gantze kercke ghefuUet
ScHiLLER-LüBBEN 2, 148 * aus Herm. V. Lerbecks schaum-
burg. chron,; vgl. plorator greiner, weiner, flenner Die-
FENBAGH uov. gloss. 295*' aus Kilian; in jüngerer zeit
und vorvdegend norddeutsch mit scheltendem nebensinn:
greinen heiszt so viel als winseln, klagen, weinen, jam-
mern; und einer, der dieses oft und ohne Ursache thut,
ein greiner Lessing 7, 377, Interpretation zu:
für Zeiten stunden junge den alten höflich auf;
jetzt heist es: junger, sitze! und: alter greiner, lauf I
LoGAu sinnged. 350 Eitner (doch vgl. unten 2);
die lanzenbuben, troszhauptmänner
gebrauchen diesen greiner, flenner (den zwerg),
wenn sie nicht wissen, was sie woll'n
Immermann 13,276 Hempel;
verfluchter greiner! Hebbel 1,368; griner alter geizhals.
der immer über mangel klagt Staub-Tobler 2, 746; im
selben sinne rappengriner Martin -Lienhart l, 276*'.
dazu das compos. greinerleben, jammerleben, in dem
häufigen Sprichwort: Zigeunerleben greinerleben Seb.
Franck sprüchw. (I54l) l, 84*'; schöne weise klugreden
(1548) P 7^; Eyering proverbia 2, 3.
2) als Zänker, tadler, schelter hauptsächlich im bair.
und nachbargebieten:
ain arger pöser greiner
Beheim buch V. den Wienern 12, 20 Karajan;
Aristoteles hat der alten mainung all verworfen, zankt
und hadert sich in allen püechern mit denen, so vor
im gewesen sein; darumb nennen in etlich gelert den
'greiner' Aventin bayer. chron. 4, 442, 7 Lexer; aber ich
. . wil wider auf die fürgenommen fart kommen und
der tadlmaister und greiner müessig sten 194, 10; der
zehent heist dominus iniuriosus oder Juncker greiner,
zancker, raufer und balger Aeg. Albertinus Lucifers
königr. 184, 23 Liliencron; graf Eberhard zu Würtemberg,
den man wegen seiner Unfreundlichkeit und vielfältigen
kriege mit den reichsstädten contentiosum, im teutschen
den greiner nannte Spangenberg henneb. chron. (1599)
197 (wohl die richtige erklärung; schwerlich nach einer
gewohnheit, das gesicht zu verziehen Fischer schwäb.
3, 822); m,it Vorliebe von dem, mürrischen, nörgelnden,
scheltenden alter:
die jung frau sprach (zu ihrem alten mann): du alter greyner
H. Sachs 5, 263 Keller;
Mentor du alter greiner und thore, waz hastu jetzo gret
sagen die freier Schaidenreiszer Odyssea (1537) 7*;
gang alter gryner (schelter), straaf dyn kind
Schweiz, schausp. d. 16. jhs. 1, 72 Bächtold;
dasz gmeinglich ein schön junger mann
musz ein alt unfletige han,
und ein altr garstiger greiner
hat ein schöners weib, als sonst keiner
Ayrer 4, 2496, 33 Keller.
3) auf nd. boden ist die bedeutung 'lacher, grinser' zu
erwarten; daher:
nur ist mir jener greiner dort fatal
(den orang-outang meinte sie)
Baggesen pect, werke 4, 72.
4) als eigenname: der schlammbeiszer, Wetterfisch oder
greiner = cobitis fossilis Askenasy frankf. 174; uccello
detto stoparuala Kramer teutsch-ital. (i700) l, 568* (ge-
wöhnlich greinerlein, *. d.); im 2jillerthal liegt eine berg-
kuppe namens Greiner.
GREINEREI, /., ploratus nach Drechsler W. Scherf-
fer u. die spräche d. Schlesier 123 in: der grobianer u,
die grobianerin (Brieg 1640); grineree, grinerije weinen,
lachten, leibschneiden Bergbaus i, 612^.
GREINERIN, /., clamatrix, ploratrix Stieler 701 ;
Kram er teutsch-ital. (1700) 1, 563*; die alten gr einerinnen
Götz Gressets paperle 13; vgl. Martin-Lienhart l, 275'».
GREINERISCH, adj. l) zänkisch: aber leider dieses
weib ist dermassen greinerisch und zänckisch Aeg. Al-
bertinus hirnschleifer (1664) 158; ebenfalls von weibern:
gibts in selbigem land lauter greinerische hader-katzen?
Abr. a St. Clara etwas f. alle 2, 292; vgl. Unger-Khull
306*. 2) weinerlich: piangoloso, z. b. greinerisch gesicht
Kramer teutsch-ital. (1700) l, 563*; greinersch weinerliche
Weibsperson Follmann 215*. 8) nd. lachsüchtig: griner-
sche von einer weiblichen person, die über alles lacht
Berghaus l, 612''. alem. mit anderem, suffix: greine-
rig weinerlich Staub-Tobler 2, 747.
GREINERLEIN, n. l) anderer name des piepers, an-
thus campestris Naumann naturgesch. d. vögel 2, 745;
arcanthis flavirostris Brehm thierleben 4, 292 Pechuel-
Lösche; vgl. Suolahti vogelnam^n 94; in älterer zeit
meist mit acredula gleichgesetzt (Diefenbach lO**; voca-
bula rei nummariae [l552] E 4*; Schmeller 1, 1000 mit
belegen aus dem Xl.jh.; Steinbach 1, 644), dessen bedeu-
tung freilich nicht feststand : acredula greinerlein , qui-
dam putant esse lusciniam GOLius onomast. (1582) 291;
ähnlich Bas. Faber thesaurus (i587) 10*; selten anders:
cwrruca Diefenbach 164*; greinerlein, stoppelvogel, spies-
lerche, grienvögelin, guckerlin stoparola avicula parva
ex alaudarum genere Henisch 1738; zur bedeutung des
namens vgl.:
das greynerlein thet auch sehr weynen
H. Sachs 4, 283 Keller;
das nd. gryperlin Diefenbach 10^ scheint denselben vogel
zu meinen.
2) bambino che sempre piange Kramer teutsch-ital.
(1700) 1, 563"; HeinSIUS 2, 527*.
GREINERLICH, adj. adv., weinerlich : hie redt er mit
andacht gantz greinerlich Cyr. Sghnausz etwas neus
(1555) B 3*; Jahn sagt greinerlich Ayrer l, 214 Keller;
dasz der apotheker . . Marien das 'lamentable greiner-
liche air' vorgehalten Jean Paul 7/10, 225 Hempel; vgl.
Stieler 701; Frischbier 1,252*; nur in älterer spräche
belegbar ist greinlich:
dem ritterligen knechte
sust bot dy frowe grynlich (lachend) er
Eb. V. Cersne minneregel 3080.
GREINERN, vb., intensivum zu greinen weinen Cre-
GELIUS 435.
GREINERT, m., weinerlicher kerl Follmann 215*; gren-
geit greiner lux. ma. (l906) 153'*; nd. grinert mensch, der
viel lacht Dähnert 161 ''; Berghaus 1, 6i2i>; schwein
(schinderspr.) Ave-Lallemant 4, 546 nach greinen grun-
zen, vgl. sp. 55, 2.
GREINHEIT, -SCHAFT s. 0. unter 1 grein.
GREINIG, adj., zänkisch: Magdalena gestand sich . .,
der alte mann sei greinig und launenhaft wie ein kind
Anzengruber2, 144; krittelig Creceliüs 485; vgl. grinec
Lexer l, 1086? dazu greinigen, vb., zank anfangen mit
jemand: der Eiszner am Priewaldt in gegrainigt oder
erzürnet hab Unger-Khull 306* (a. 1604); mit anderem
Suffix: greinisch, adj.: rancidus zanck- vel grinisch
Diefenbach 484*.
GREINIST, m., mit fremder endung, zänker: die welt-
ling, die zanck- und greinisten Abele v. Lilienberg
künstl. Unordnung 2, 47.
GREINÜNG, /. 1) gannitura Graff 4, 328; gannitio
Diefenbach 257''; gannitus nov. gloss. 189*; ploratus
Calepinus undec. ling. (1598) 1103*'; ejulatu,s, quiritatu^,
lamnentatus, fletus, ploratio u. ä. Stieler 702. 2) ran-
cor zanck- vel grinung Diefenbach 484*; gwerra 2,12";
rixa 499^.
GREIS, adj. subst.
form und Verbreitung.
1) urspr. nd. wort: asächs., mnd., mhd. gris, ebenso
afries., mnl.; nnl. grijs; dazu wohl auch anord. griss
ferkel, borch; schwed., dän. gris ferkel; aus dem germ.
frz., Span., portug. gris, ital. griso, grigio, mlat. griseus;
65
1 GREIS
1 GREIS
66
die letzteren formen weisen auf germ. *greisja-; die ety-
mologie liegt völlig im dunkeln; vielfach mit grau auf
dieselbe idg. tcurzel ghere strahlen zurückgeführt, vgl.
FiGK'iS, 144.
2) im Heliand fehlend, wird das adj. in seiner grund-
bedeutung 'grau' durch die glosse grisa cani diut. 2, 192
fürs asächs. bezeugt; mnd. mehrfach belegt Sghiller-
LÜBBEN 2, 149"; in den lebenden nd. maa. allgemein:
Schütze holst. 2,67; Righey hamburg. 81; brem. wb. 2,
546; Strodtmann osnabr. 76; Leihener cronenberg.
47^; lux. ma. (1906)153*; Wöste westfäl. 86*; Bauer-
CoLLiTZ waldeck. 41*; Schambach götting.-grubenh. 68^ ;
Danneil altmärk. 70^; Mi mecklenburg.-vorpomm. 29*;
Frischeier -preusz. 1, 253. auch im niederhess. noch
bekannt; doch scheint das adj. sonst den md. maa., nach
dem schioeigen der idiotica zu schlieszen, im ganzen fremd
{bei Hertel salz. 17 als ungebräuchlich bezeichnet), das
litterarische vorkommen von greis grau entspricht diesem
befunde. das obd. hat das adj. anscheinend vom nd. emp-
fangen (ahd. fehlt es noch), und auf obd. boden entwickelte
sich die bedeutung 'alt'; auch in der Schöpfung des subst.
greis scheint das obd. vorangegangen, diese loeiterbildxmgen
gehören ^cesentlich der litteratursprache an, für die dialecte
bedeuten sie wenig, von ihnen findet sich nd. nur das subst.
bis in die moderne ma. gelegentlich; obd. erscheint das adj.
als 'alt' nur imalem., Staub-Tobler2, 799, das subst. häu-
figer, ib. 800; Fischer schwäb. 2,822; Schmeller 1,1010;
aber im schwäb. liefert z. th. noch die form den beweis,
dasz es sich um, eine entlehnung aus der Schriftsprache
handelt; fürs tirol. wird greis subst. bei Schöpf 212 aus-
drücklich als volksunüblich bezeichnet, die grundbedeu-
tung 'grau' ist dem obd. in nhd. zeit verloren gegangen,
wenigstens im litterarischen gebrauch; dialectisch findet
sich die alte farbbezeichnung noch, merkwürdiger weise
aber an eine form des adj. gebunden, die von der zu er-
wartenden gestalt abweicht: alem. mit kürze griss oder
grisch grau {schon 1676 : der wolf wird zwar grisser, aber
niclit besser Staub -Tobler 2, 800); griss subst. weisz
und schwarz gefleckte kuh; vgl. grisel adj. von gemischter
färbe, weisz und schwarz durcheinander {schon bei NoT-
ker crisil fuscum Graff 4 , 334) ; grislen /. eine so ge-
färbte ktih; (g')grisslet, was grisel, auch: gesprenkelt, ge-
fleckt; griset adj. ebenso, vgl. greisig; im bair. entsprechen
formen ohne diphthongierung : gris canuto, grigio Schmel-
ler cimbr. 126''; vgl. griset adj., österr. ziemlich ver-
breitet {tirol. auch griselet), mit derselben schwankenden
bedeutung wie im alem,., s. u. greisig. man beachte, dasz
sich zu der formalen ausweichung ein auffallender unter-
schied der bedeutung gesellt; vermuthlich stehen beide er-
scheinungen in Zusammenhang, allem, anschein nach liegt
eine toortv er mengung vor, aber es ist fraglich, ob das bei
Staub-Tobler 2, 800 für die mit Vsuffia; gebildeten for-
men des alem. herangezogene risel, bezeichnung gespren-
kelter, mit andersfarbigen tupfen, flecken übersäter thiere,
zur erklärung ausreicht; vgl. auch das dän. adj. grisset
von grauer oder gemischter färbe.
3) im 17. jh. erscheint nicht selten die Schreibung greus,
gräus: alt und greüsz Rompler v. Löwenhalt erstes
gebüsch 125; bei den greüszen {subst.) 94; die jungen und
grausen Zesen verm. Helicon (1656) 2, 133; gräuser bahrt
s. u. I A 2; der greuse bisam *. m. I A l. ursprünglich
wohl nur die vermeintliche iciederJierstellung einer schein-
bar m,undartlich entstellten form, wurde diese Schreibung
auch theoretisch begründet durch etymologische anknüp-
fung an grau und grausen: weil man ein grausen und
abschäu für den alten hat Belli n hd. rechtschreibung
(1657) 35. noch ende des 18. jhs. musz H. Braun die
Schreibung gräus zurückweisen wb. (1793) 120". vereinzelt
gräisen Grimmelshausen Simpl. 4,767,30 Keller; Hars-
dörffer teutsche secretarius 2, 674.
4) zur Schreibung des Spiranten sei bemerkt, dasz das
ältere nhd. mit ziemlicher consequenz im, inlaut s, im,
auslaut sz amvandte. im 16. jh. erscheint allerdings greis
noch nicht ganz selten, aber im 17. nur sehr spärlich:
Birken forts. der Pegnitz - schäferey 81; Fleming 1,48.
115 Lappenberg; Butschky Pathmos (i677) 218; umge-
IV. 1. 6.
kehrt tritt auch sz im inlaut auf: A. v. Eyb deutsche
sehr. 2, 100, 20; BiRKEN ostländ. lorbeerhäyn (1657) 181;
Treuer deutscher Dädalus i, 71. 270; Lohenstein
Arminius (1689/.) 1, 140*. 901*; in der ersten hälfte des
18. jhs. liegt die gleich'inäszige moderne Schreibart mit der
alten im kämpf; unter dem, vorgange Stielers {Stamm-
baum 696) dringt greis vom md. aus vor: Weighmann
poesie d. Niedersachsen 1, 198; Thomasius ged. u. erinn. 1,
vorr. 1; Besser sehr. 1,65 König; Schwabe belustigun-
gen l, 440; Lichtwer äsop. fabeln (1748) 24. 89; Gott-
sched neueste ged. (l750) 81; ged. (l75l) 1,170; doch hält
sich greisz als seltenere form noch bis ins 19. jh. : Hal-
ler üsong (1771) 69; Hippel lebensl. 2, 587; Kretsch-
mann 1, 71; Göthe IV l, 255 Weim.; Schubart briefe
1,51; 2,67 Strausz; Schenkendorf g'ed. (1815) 179; selbst
im inlaut kommt sz noch bis ende des 18. jhs. hie und
da vor: Uz 133 lit. denkm.; Hufeland kunst d. menschl.
leben zu verlängern (1797) 119.
I. greis, adjectivum.
A. grau, und zwar bezeichnet greis gegenüber grau den
helleren ton; daher mit 'tceiszgrau, hellgrau, silbergrau'
umschrieben Wöste 86*; Schambach 68''; Frischbier
1, 253; Doornkaat-Koolman l, 689*; derselbe unterschied
gilt fürs nl. Verwijs en Verdam 2, 2139.
l) die dialecte gebrauchen das adj. mit Vorliebe neben
ganz bestimmten begriffsgruppen ; namentlich vom haar
des menschen {auf dem, ganzen nd. gebiet); dann auch
vom haar- und federkleid der thiere: ene grise katte
Sghambach 68**; grise gos wildgans Wöste 86»; vgl.:
dazu sind noch die haselmeus,
mit ihren breiten schwentzlein greis
Rollenhagen froschmeus. 2, 136, 14 Gödeke;
der schwartze {bisam) aber ist lang so gut nicht, als
der greuse Arnold wahrhaft, beschreibungen (1692) 207;
daher geurisse Substantivierungen: der grise esel Frisch-
bier 1, 253''; den griisen nennt der pomm,ersche bauer
den woü/ Dähnert 161»; vgl.:
sag, jaufkint, warumb ist der walt weisz
und warumb ist der wolf auch greisz
fastnachtsp. 555, 1;
später umgedreht:
durch waz ist der walt so grise?
durch waz ist der wolf so wise?
Uhland hoch- u. niederd. Volkslieder 5;
nichts ist da, als greise wolfshäupter J. Grimm Bein-
hart fuchs vorr. LXii ; in diesem gebrauch als eigen-
name auch alem. dialectbesitz geworden : griss, grisel grau-
schim,mel, schwarz und weisz gefleckte kuh, graue ziege
Staub-Tobler 2, 800; sprichwörtl. : 's graue {das kalb)
Schlot der grische {der alten kuh) noch 2, 799; vgl.:
also kennt gris den gromen (graumann) wol
(ein esel kennt den andern)
Murner narrenbeschw. 72, 107 Oödeke;
die zweite, mit der vorigen allenfalls vergleichbare begriffs-
gruppe umfaszt linnen, tuch u. ä. : griseus pannus gries
düch Diefenbach nov. gloss. 198»; grise {ungebleichte)
lenewand Sghambach es*»; Danneil 70*»; Doornkaat-
Koolman 1,689'*; grise tweren ztcirn Sghambach 68'';
seht an disen grlsen roc
W. V. D. Vogelweide XVIII 19;
über das stifteten auch gemelte eheleuth von ihrem
gut . . den hauszarmen leuthen . . zehen stück griser
und wüllen thuch (man heiszt es loden) zur Meldung
auszzuspenden Wolfg. Hartmannus Augsp. chronica
(1595) 165; alle jähre wurden einige stücken linnen in
der haushaltung gemacht und einige greis zugekauft,
welche sie hernach zusammen bleichen liesz J. Moser
sämtl. werke 1, 206; daneben in mannigfachen anderen Ver-
bindungen: griis utkiken von kälte blasz aussehen Berg-
haus 1, 613''; he Word gris fan kolde, oder fan angst
un schrik Doornkaat-Koolman 1, 689''; hg sügt so gris
{fahl) üt, as wen hg krank is ib.; se es so gris as ne
hucke Wöste 86»; auch niederhess. von fahlem teint;
grise graite {grete) buttermilchsuppe Wöste 86»; grise
grapen ein graues gericht brem. ivb. 2, 546; griser (wn-
gewaschener) hals Frischbier 1, 253;
ö
67
1 GREIS
1 GREIS
68
was bös, was gut, was blaw, was greisz
vater nunmehr ich selber weisz
HoLLONius freimuth 13^;
erst ist sie (die butterblume) gelb und wird dann greis
TiECK sehr. 2, 356.
2) zu vollem litterarischem leben ist greis grau nur in
wenigen Verbindungen gelangt.
a) greises haar u. ä. in mhd. zeit auch obd. ganz ge-
wöhnlich:
gemischet was sin (Hagens) här
mit einer grtsen varwe Nib. 1672, 3;
der hart sin was von alter grls
und da bl des häres loc
K. V. WtJRZBURG Partonopier 20532 ;
nhd. seit der Opitzischen reform sehr geläufig; fast aus-
schlieszlich in poetischer oder doch gehobener spräche; bis
ins 19. jh. fast nur bei norddeutschen autoren:
der wangen zier verbleichet, das har wird greisz
Opitz teutsche poemata 143 neudr. ;
ich schrie: ihr beiden schont! schont meiner greisen
haare! Gryphius trauersp. 113 Palm;
manch greiser hart erstarrt ob meinen gelben hären 272;
wann sich kraft und saft verlieren, . .
schreyen sie erst greisz am haare
nach dem früling ihrer jähre
TscHERNiNG deutscher getichte früling (1642) 107
ihr alten greisz von haaren
Spee trutznaeht. (1649) 167
das alter kan die kunsf: färbt schwartze haare greisz
LoGAU sinnged. 180, 85 Eitner,
des alten gräuser bahrt hing noch ganz fol bluthes
Zesen adriat. Rosemund 112 neudr.; ihm sey es zwar
umb seine greise haare nicht so leid Lohenstein Ar-
minius (1689/.) l, 23^;
sein hart war greis, nicht wahr?
Shakespeare 3, 162 ;
er mitten drin, von greisem haar umhangen
Eichend ORFF (1864) 1,424;
Nereus mit greisem haupt- und barthaar Welcher alte
denkmäler 1, 206; bildlich:
ach das der winter sich mit seinem greisen haar
verender' in den lentz
Opitz teutsche poemata 186 neudr. ;
ich kene, und scheze seine ferdinste um unsre spräche;
und ich habe dise durch in . . hir und da in noch grei-
seren hären gesen, als ich si forhär kante Klopstogk
über spr. u. dichtkunst 3, 43; wesentlich erst seit dem
19. jÄ. durch litterarische Übertragung auch bei süddeut-
schen:
ward ich einen mann gewahr,
arbeitsam mit greisem haar
Uhland gedichte (1898) 1, 40
keinem greiser ward das haar
Kerner lyr. ged. (1847) 24
in den härten, langen, greisen
bilderbuch (1849) 168
rang in fruchtlos blut'gem ringen
um ihm liebe abzudringen
für des mannes greises haar
Grillparze R 4, 109;
seit dem ende des 18. jhs. bei einigen auch greise locken :
schluchzend wälzt sie sich auf der erde, die fauste voll
greiser locken maler Müller i, 105;
0 reisz mich nicht an diesen
greisen locken 2, 241 ;
ein edler lorbeer ist es, der die greise
verehrte locke der erfahrung schmückt
Stägemann krieg s-gesänge 62;
wer aber kommt die haide hergezogen . .
das haupt von greisen locken wild umflogen?
Lenau 53 Barthel;
ich schüttle mit Verzweiflung greise locken
Chamisso (1836) 4, 31.
b) greiser köpf u. ä. ; erheblich seltener als greises haar,
im übrigen liegen die Verhältnisse ähnlich; die ältere zeit
bevorzugt köpf:
wird denn mein greiser köpf den schönen tag erleben,
der unser langes leid soll durch die freud aufheben?
Gryphius trauersp. 153 Palm;
lasz, greiser wunder-kopf, den schwärm der grillen fliegen !
Weichmann poesie d. Niedersachsen 1, 242;
als der kaiser Augustus sähe, dasz die . . cammer-fräule
seiner tochter Julia die grauen haare gar sorgfaltig aus-
rupfeten, fragete er seine prinzessin tochter, ob sie lie-
ber einen kahlen, oder einen greisen köpf haben wolte?
Lindenborn Diogenes (1742) i, 500; in einer . . weise . .,
die den nüchternen kenner der weit befremdet, der den
enthusiasmus im greisen köpfe und den schauder vor
der wirklichen weit in dem gereiften manne nicht dul-
den mag Gervinus gesch. d. deutschen dichtung (l853)
5, 198; die jüngere zeit zieht das poetischere haupt vor:
bis, wenn dein greises haupt zur ruhe sich gesenket,
ein ewig lied von dir in Davids harfe töhnt
Drollinger gedichte 92;
eine doppelte Schlafmütze auf seinem greisen haupt
Herder 15, 145;
seht, auf die brüst
zielt man ! nach diesem greisen haupte!
Schiller 12, 301 ;
ach in deinen schoosz mein greises haupt!
MALER Müller 1, 107;
der ritter von Lichtenstein richtete sein greises haupt
auf Hauff sämtl. werke i, 283;
über Apo's greisem haupte
die zwei nachtigallen schweben
Brentano (1852 #.) 3,451;
Tages . . . , als zwerghafter wunderknabe mit greisem
haupt Gerhard akad. abhandl. l, 299; vgl.
reizt man auch noch mit greisem kinn,
und beinen, wie ein storch, die schöne?
GoEKiNGK gedichte 1, 147.
c) namentlich in mhd. dichtung nicht selten als färbe
des winters:
der walt stuont aller grise
vor sn§ und ouch vor Ise Neidhart 6, 1 ;
die boume die dö stuonden grls,
die habent alle ir niuwez rts
vögele vol 4, 36 ;
die beide siht man von dem kalten winter grise
V. D. Hagen minnes. 1, 26'';
auch hagel weisz, auch flocken greisz
von schnee und eysz entzogen
Spee trutznaeht. (1649) 142;
als Phebus in den Steinbock trat,
da sähe man den winter kommen,
den winter, welcher kahl und greisz
die felder überzog mit eisz Rist Pamasz 748;
nv/r mhd. auch vom grauenden tag:
der tac schoen unde grise
sin lieht beginnet meren,
und muoz ich hinnen kgren
K. V. Würzburg troj. 9180;
des morgens d6 der grtse
tac üf dringen solle Partonopier 16394;
ahnlich:
si sach vil ungerne
gräwen tac,
den morgensteme,
diu wölken grise
v. D. Hagen minnes. 2, 237 »;
vgl. 237'' (Mahner).
B. alt; die entwicklung dieser bedeutung vollzieht sich
in mhd. zeit auf obd. boden, bezeichnenderweise also in
einem gebiet, wo das adj. anscheinend nicht einheimisch
ist; md. erst seit dem 11. jh. häufiger; den dialecten ist
die abgeleitete bedeutung im, ganzen fremd, wenn es auch
an ansätzen nicht fehlt: he word al older un griser
Doornkaat-Koolman l, 689*'; vgl. Staub-Tobler 2, 799.
l) am fühlbarsten icird der bedeutungsübergang beim
vergleich gewisser fälle prädicativen gebrauche, wenn
nämlich greis sein, werden mit präpositionalen aus-
drücken verbunden ivird:
diu {olbente) was frümec unde wls
und darzuo vor alter gris
Reinhart fuchs 1440;
und ir vil starke wisheit
würd üf ir vater da geleit
der von alter wsere grls
K. V. Würzburg troj. 10945;
von manegen kriegen wart er grls
U. V. Zatzikhoven Lanzelet 46;
jener Engelmär,
von des schulden bin ich grls
Neidhart 93, 6;
vor leide werden gris Lexer l, 1088 au^ U. v. Tür-
heims Willehalm;
69
1 GREIS
1 GREIS
70
solt ich von sorgen werden greis,
und nach dem schaden klueg und weis
0. V. Wolkenstein 87, 1 Schatz;
noch heute dialectisch: he ergert sik gris Wöste 86*;
hier ist die ursprüngliche bedeutung intact; dagegen:
und {ich) mag in zühten werden gns
Winsbehin 6, 5 ;
du vervlühter alte unwis,
in gottes vlüche bistu gris Barlaam 317, 24;
Verlan myn alte wyse
darin ich bin worden gryse
Staub-Tobleb 2, 799 (a. 1557);
du träumst dein ganzes leben, wirst greis in deiner kind-
heit Dusch verm. werke 19 ;
sollen denn wir und unsre kinder im kriege greis wer-
den und nie frieden bekommen? Niebuhr röm. gesch.
3, 240; man vergleiche weiter:
juncherre wls (Christus),
du weere gris :
nun zieret dich ein brüner vahs
K. V. Würzburg Ueder u. sprüche 1, 17
U7id die bezeichnung gottes als alter greiser jungeling
Ackermann aus Böhmen 65, 17 Knieschek; grau und greis
ist eine alte tautologische formel; und doch verschiebt
sich auch in ihr allmählich die bedeutung:
wer daz ieman in der jugent
von tugenden mochte wesen wls,
so was er (der jüngling) grä unde gris
in sime hertzen binne H. v. Fritzlar 132;
die frau sähe in (ihren alten mann) übel an.
sie sprach: 'kommstu iez von Pareis?
noch bistu aber grau und greisz
Fischart ehzuchtbüchlin 261,31 Hauffen;
dasz damals unsere aufgäbe war, uns von den über-
lebten, greisen und grauen Verhältnissen der mittleren
Zeiten auf geistigem wege zu befreien Gervinus gesch.
d. deutschen dichtung (1853) 5, 110.
2) gegenüber solchem schwanken sichern attribute und
antithesen auch schon für das mhd. die bedeutung 'alt':
du wirst der buoche wise:
s6 bin ich der järe grtse
Hartmann v. Aue Gregoriua 1466;
er schein der järe gris und alt
K. V. Würzburg Partonopier 4252;
ich dacht, du wärest der jar ze greys,
das du lebst nach mannes art
HÄTZLERiN liederbuch 280;
ein kel wiz
hat wol den prls:
si machet mich an lügende gris
V. D. Hagen minnesinger 2, 65 1> ;
sl (die junge) hiez sich schöne brisen
und huop sich von der grisen
Neidhart 7, 5;
die jungen zuo den grtsen
Lamprecht v. Regensburg Franciscus 254;
die höhin und di wisen,
die jungen und die grisen Martina 83, 84 ;
diese im mhd. äuszerst häufige antithese (Lexer l, 1088)
ist im nhd. sehr in den hintergrund getreten:
alles Tfitschland soll si prysen,
die jungen und die grysen
Tschudi chron. Helvet. 1, 489 ;
das jähr ist niemals gleich, bald ist es kalt, bald heisz.
wir ändern uns mit ihm, itzt sind wir jung, bald greis
Fleming deutsche ged. l, 115 Lappenberg ;
die jungen und grausen
Zesen verm. Helicon (1656) 2, 133 ;
ein in jüngerer zeit beliebtes oxymoron ist schlecht ver-
gleichbar, weil greis in ihm oft eine besondere färbung
hat: aus den meisterstücken menschlicher dichtkunst
. . (sind) kindereien geworden, an welchen greise kin-
der und junge kinder phrases lernen und regeln klau-
ben Herder 5, lll; was wollt ihr alte, greise kinds-
köpfe mit euren kindischen vorurtheilen und ammen-
märchen? E. M. Arndt sehr, für s. l. Deutschen 4, 64;
'das junge Deutschland!' — deutsche jungen seid ihr,
weiter nichts! greise Jünglinge, die als philister enden
werden Bauernfeld ges. sehr. 3, 304. das nhd. bevor-
zugt vielmehr statt der antithese die paarung alt (und)
greis, die mhd. erst recht selten erscheint:
sage, du aide griser man (Petrus),
mich duncket, du borest Jhesum an
Alsfelder passionsspiel 112, 3514 Grein;
drauf ir habt ein alten greisen
ambtman sitzen in seinem hart
teuerdank 249, 160 Oödeke;
diese waren alte greisze . . . weiber Lohenstein Ar-
minius (1689/.) l, 901*;
mir gehn die äugen über,
mir altem greisen mann
Hoffmann v. Fallersleben ges. sehr. 3, 221 ;
ain ritter, alt und greis,
wolt dienen got mit fleisz
HÄTZLERIN liederbuch 163;
wer abr sein vatter alt und greisz
verlest, der wird zu schänden werden
H. Sachs 19,13 Keller-Götze;
du machst dein mann grau, alt und greisz
Wickram 4, 44 Balte-Scheel ;
dasz wir auch denen,
so nunmehr alt und greüsz, auch kranck und kraftlos seyn,
noch lange lebenstag und jare wünschen wollen,
das möge ich keines wegs
Rompler V. Löwenhalt erstes gebüsch 125;
ach alter man, ach greiser man
Uhland hoch- u. niederd. Volkslieder 1,254;
die reihenfolge alt — greis steht durchaus fest; höchstens
im reim um,gekehrt:
nu bistu gris und alt,
der lip ist dir von alter kalt
Schauspiele d. mittelalters 1, 81, 200 Mone;
erst in jüngerer zeit wird greis dem substantivierten alt
vorangestellt:
kaum, dasz erfahrung noch die greisen alten lehrt
Schwabe belvstigungen 1, 199 ;
was! auf das feld? mich hülflos greisen alten?
H. v. Kleist 2, 208;
sechzehn jähr' — und wie ein greiser
alter sitz' ich, matt und krank
Freiligrath ges. dicht. (1870) 1,5;
man beachte, wie häufig sich die bedeutung nach der
Seite des gebrechlichen, abgelebten neigt; besonders deut-
lich:
einst war ich jung und frisch
jetzt bin ich greis und alt Herder 25, 565.
3) wo das mhd. die bedeutung nuanciert, geschieht es
meist in der richtung auf die iveisheit und erfahrung
des alters:
ja ist si (Minne) gewaltec der tumben und der grisen
W. v. Eschenbach Titurel 70, 1;
swie tumb ich doch sl der tage,
ich sl doch wol so sinne gris,
daz ich behalt wol ritters prls
Ulr. V. Lichtenstein frauend. 47, 7 Lachmann;
du waere der witze gris
und der järe gar ein kint
Tristan als mönch 2059;
vgl.
üf stuont der fürsten einer d6,
die bl dem rate wären, . . .
des libes edellch und alt,
beidiu grise unde wlse
Tristan 15351; vgl. 2740;
im nhd. steht diese bedeutung sschattierung hinter der
untere behandelten (gebrechlich, abgelebt) erheblich zurück:
myn narrheyt loszt mich nit sin grys,
ich byn fast alt, doch gantz unwys
Seb. Brant narrensch. 8, 1 Zamcke
die fürsten worent ettwan wisz,
hattent alt rät, gelert, und grysz 46, 64
und wenn ein greiszer thor dich einen neuling nennt
Günther gedichte (1735) 384
auch die alten und die greisen
werden nicht im rathe ruhn
Göthe 16, 373 Weim.
4) attributiv in älterer spräche besonders neben man;
greiser man vertritt vielfach das subst. greis:
einer heizet der von Berne,
mit dem so rit ein griser man
Virginal 81, 11 ;
vgl. mhd. wb. 1, 577";
darauf sprach
mein vatter der viel greise man
Fischart flöhatz 7, 139 neudr. ;
von mir, der ich von meinen brüdern hier
ganz ohne kunst das kleine lied gesagt, . .
von mir spricht einst vielleicht ein greiser mann
Seume gedichte (1804) 9;
doch, lebt er noch hienieden,
so ist's ein greiser mann
Flaten 1, 20 Hempeh
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der greise mann hatte blüthen und blätter sinnig zu-
sammengestellt HOLTEi erzähl, sehr. 7, 17; wesentlich
erst seit dem 18. jh. erweitert sich der kreis der substan-
tiva; zunächst meist in poetischer spräche:
der Alster greise fürst, der schutzherr ihrer wellen,
verliesz den kühlen grund König gedickte (1745) 313;
in lauben, die er selbst gepflanzt,
der greise bürger sitzet
Miller gedickte (1783) 194;
dasz Thetis, mit dem silbersaum,
des greisen meergotts tochter, dich berückt
Bürger 602 Boktz;
ehrt eures eignen greisen vaters haupt
in diesem greis Schiller Turandot 2243;
der noth gehorchend, nicht dem eignen trieb
tret' ich ihr greisen häupter dieser stadt
heraus zu euch braut v. Messina 2
als mir's mein greiser vater drohte
Grillparzer 5, 174
nun spricht ein greiser bauer
in seiner knechte kreis Hebbel 6, 161
besonders seit dem 19. jh., dann auch in der prosa ganz
allgemein: hier segneten greise helden ihre söhne Meisz-
NER Alcibiades 3, 79; in einem schiffe ist der greise fähr-
mann . . abgebildet Göthe 48, 93 Weim.; greiser beamten
und officiere . . giebt es hier eine menge Immermann
1, 199 Hempel; die erstorbene zeugungskraft greiser ehe-
leute neu beleben, konnte gott als sehöpfer . . der weit
Strausz 4, 37; der greise neunzigjährige Gutzkow ritter
V. geist (i850^.) i, 32; seit mehreren jähren war nun
der greise kantor und stiftsherr von Mure tot Keller
6, 40; die priesterinnen, greise frauen in weiszen linne-
nen gewändern Mommsen röm. gesch. 2, 173; vgl. l, 807;
2, 207. 257; der ton, in welchem er redete, glich dem
eines greisen warners, der junge verirrte von einem
verderblichen vorhaben abmahnt Moltke sehr. u. denk-
würdigk. i, 58; aus furcht vor der fremde, wo sie des
greisen königs gemahl werden sollte Storm i, 47 ; jung
scheint der gebrauch neben eigennamen: zuerst sang sie
die grotte, wo der greise Saturnus nickt maler Müller
1, 149; bei der leichenfeier des Patroklus erweist er dem
greisen Nestor die höchste achtung und ehre Hegel
10 1, 305; der greise Voss . . . erhob jetzt freudig seine
stimme Treitschke deutsche gesch. (1897) 8, 194; nament-
lich der greise Lappenberg unterhielt sich lange . . mit
dem manne Steub drei sommer in Tirol l. 16; selten
von thieren: machte den greisen Sultan, den ältesten
der Mühlenhof-hunde, von der kette los HoltEi erzähl,
sehr. 5, 197.
6) ganz jung ist die anwendung des adj. auf theile
des körpers, an denen das alter besonders in erscheinung
tritt; namentlich greises gesicht ist bei netteren erzäh-
lern ziemlich häufig: es erschreckte mich nur, dasz . .
kindereien und thorheit plötzlich aus dem greisen ant-
litze eines magiers mir wieder lebendig würden Tieck
Schriften 20, 124; den eigensinn des greisen gesichts
Ludwig 1, 146; ein frösteln durchfuhr den jüngling, als
er in das greise feierliche angesicht des meisters blickte
Storm 3, 23; anderes mehr poetisch:
mein greises gebein ist schwer und leer
Strachwitz gedickte (1850) 337;
sie (die freikeit) kleidet sich zu dieser zeit in vielerlei ge-
stalten :
bald weih, bald mann, bald nur ein kind, bald hat sie greise
falten
W. Müller gedickte (1868) 2, 131 ;
vgl.
horch! wie in hellen kinderstimmen singt
die lebensahnung, und zusammenklingt
mit greiser stimmen tiefem todesahnen
Lenau 4, 139 Grün;
die lust beflügelt ihren greisen schritt
M. Beer sämtl. werke 217.
6) soweit greis nicht mit personen verbunden wird,
steht es weit überidegend neben abstracten begriffen; nur
ganz selten neben concretis:
greise flehten splittern
Körner 2, 239 Hempel;
in der ruine dort, die greis
hintrauert
RoQUETTE Waldmeisters brautfahrt (1874) 76;
die greise thurmuhr rasselte zwei viertel nach zehn
HoLTEi erzähl, sehr. 35, 21.
a) neid weret lang, wird alt und greisz
H. Sachs 3, 341 Keller;
sein rühm, der wird nicht greis,
sproszt immer jung herfür
Fleming deutsche gedickte 1, 48 Lappenberg;
schön und blühend, wie die jugend
des heiigen eichbaums grünt,
war er der fürsten liebling, hatte sich durch tugend
viel greisen rühm verdient Kretschmann 1, 126 ;
da, nach des herbstes mildem segen,
das greise jähr mit kaltem regen
die Auren umgewühlt Uz 361 Sauer;
Theanor . .
. . sah den greisen tag im lichten sterbgewand
Pfeffel poet. versuche 1, 198 ;
auch für 'alt' im sinne 'vor langer zeit entstanden':
was uns die gottesfurcht und greiser brauch befiehlt,
das nehmet von mir an
Fleming deutsche gedickte l, 121 Lappenberg ;
ein greises wort, vielberühmt den menschen, lautet also
Droysen Äschylus (1841) 68;
auch umgekehrt für 'spät':
so lange wird man dich der greisen nachweit melden
Lohenstein Arminius (1689/.) 1, e5;
vgl. :
aber ich {die kunst), ich weisz zuzieren
mich mit greiser ewigkeit
Knittel poet. sinnenfrückte (1677) 138;
also wesentlich in poetischer spräche; anscheinend liegt
ein urspr. bildliclier, vom greisen menschen her über-
tragener gebrauch vor.
b) nur in zwei fällen ist greis, ohne mit personen
verbunden zu sein, bestandtheil der prosasprache gewor-
den; greises alter {oft mit dem nebensinn des gebrech-
lichen, vgl. oben 2) :
dann welcher haszt das alter greis,
der wirt der jaren nimmer alt
Wickram 3, 155 Bolte-Scheel ;
kombt ... in dem schwachen unholden greisen alter
{geschr. Alter) der tod Harsdörffer der teutsche secre-
tarius 2, 40; diese flamme hätte nun auch die . . .
seele des feldherrn Marcomius angefeuret: dasz seine
andacht weder im greissen alter {geschr. Alter) noch
im tode erkaltet wäre Lohenstein Arminius (1689/.)
1, 140*; vgl. 2, 572*^; über diesen beschwerden kömmt
unvermuthet das greise alter, wo gleichsam alle
Schwachheiten der menschlichen natur zusammen flie-
szen disc. d. mahlern 4, 38; er {Kant) in seinen blü-
hendsten Jahren hatte die fröhliche munterkeit eines
jünglinges, die, wie ich glaube, ihn auch in sein grei-
sestes alter begleitet Herder 17, 404; aber das alter
musz nicht greis, das beharrliche nicht eigensinnig,
der stillstand nicht sogleich der tod sein Gutzkow ges.
toerke 7, 129; ähnlich: denn ungeachtet die greise zeit
bey diesem greisen schon alles andere teuer ausgelescht
hatte Lohenstein Arminius (1689/.) 2, 43*;
du {graf Eberhard) schlugst dich unverwüstlich noch greise
jähr' entlang
Uhland 1, 242 Fränkel;
dazu kommt erst in jüngerer zeit greis bei epochen, poli-
tischen und socialen gebilden {oft mit dem nebensinn des
senilen): ich will vielmehr mit der Unschuld, mit der
Plato seinen greisen erlaubt, die spiele der muntern
Jugend anzusehen, aus meinem greisen Zeitalter hinaus-
treten Herder 3, 298; gilt der Vorwurf der lobrednerei
veralteter zeiten nicht ebenso gut greisen körperschaften
als einzelnen greisen? Jean Paul 34, 14 Hempel; ist
das greise Europa bestimmt, vom jugendlichen Amerika
überwunden zu werden? Gvtzk.o'w ges. werke S,Bb; das
wort aus der bekannten grabschrift 'als greis leicht-
sinnig und grillig' gilt auch vom greisen hellenenthume
Nietzsche i, 80.
n. greis, substantivum.
A. flexi on. die st. flexion hat sich zuerst auf md.
boden ausgebreitet; sie erscheint vereinzelt schon mnd.
(Schiller-Lübben 2, 149*), ist aber erst mit der l. hälfte
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des 18. jhs. zur herrschaft gelangt: greis acc. sg. Ziegler
asiat. Banise (1689) 625; Hahn einl. z. teutsch. staats-hist. 3,
171 ; Besser sehr, i, &b König; Sghönaich Hermann (l75l)
8; greises Gramer nord. aufseher 1,68; greise dat. sg. Les-
sing 2, 291, 2; noni.pl. Schnabel insel Felsenburg 77, 22
Ullrich; Sghönaich Heinr. d. vogler (1757) 20; Stein-
BAGH setzt als pl. greisze an wb. l, 637; bis ins ende des
17. jhs. herrscht md. durchaus schw. ftexion; im 18. jh.
nur noch selten: dat. sg. Brockes ird. vergnügen 2, 166;
Triller poet. betracht. l, 300; aber selbst im id.jh. noch
möglich, freilich meist im gen. sg., wo die schw. form
aus euphonischen gründen der st. vorgezogen wurde (vgl. u.
Schiller); so bei Fouque altsächs. bildersaal 4, 72;
Strachwitz ged. (i850) 105; für acc. sg. bei Chamisso
(1836) 3, 293; 4, 36; nd. dialecte haben die schw. fleodon
ebenfalls lange gehalten Schütze holst. 2, 67. — dem
md. folgt das bair. ; in Nürnberg kämpfen schon im 17. jh.
st. und schw. fleodon: greisen gen. sg. Harsdörffer
frauenz.-gesprechsp. 5, 54; greisse gen. pl. teutsche secre-
tarius (1656) 1, 506; greissen dat. sg. Birken osüänd.
loröeerhayn 181; greis acc. sg. forts. d. Pegnitz-schäferey
81; im 18. jh. herrschen dann die st. formen: greises
Mast ALIER ged. (1774) 102,2; greise dat. sg. Mayr päck-
chen Satiren (1769) 54; greis acc. samml. v. Schauspielen
{Wien 1764 jf.) 1,45; doch bei Denis noch mehrfach schwach,
lieder Sineds (1772) 169, 22; 200, 8; noch bei Schmeller
1, 1010 plur. greisen. — am zähesten halten die alem,.
dialecte die schw. formen; sie hat Adelung anscheinend
im äuge, wenn er dem wort im obd. schw. fleodon zu-
schreibt, lehrgebäude 1, 405. im schwäb. vollzieht sich der
Übergang erst spät im 18. jh.; der junge Wieland sagt im
acc. sg. den greisen 3, 6 akad. ausg.; der junge Schiller
gebraucht nach Pfleiderer beitr. 28, 334 bis 1782 nur die
schw. formen {doch greise nom. pl. 2, 95 [räuber]), um,
später ebenso entschieden die st. zu bevorzugen; nur im,
gen. sg. ist er der form, greisen treu geblieben; auch
Sghubart schivankt: schw. formen s. bd Pfleiderer
a. a. 0., dazu greisen dat. sg. sämtl. ged. l, 191, aber
greise nom. pl. ästhetik d. tonkunst 14. 73; sämtl. ged.
2, 26 ; gen. pl. 2, 280 ; vereinzelt noch spät im 19. jh. : des
greisen {ideder gen. /) Mörike l, 97 Göschen {aber dem
greise l , 263) ; nach Pfleiderer haben auch schwäb.
grammatiker bis zu Gayler {deutsche declin. mit beson-
derer rücksicht a. d. schwäb. dial. [1835] lll) die richtig-
kdt der schw. fleodon vertreten; sehwdz. erschdnt schon
merkwürdig früh eine ganz verdnzelte st. form,: ein alten
grysz in den sehwdz. schausp. des 16. jhs. {s. u. 3 a);
gibt hier der gebrauch als schelticort die erklärung? noch
im 18. jh. fast ausnahmslos schwach {aber: einen . . greisz
Haller Usong 69) ; auch noch im 19. jh. : acc. sg. U. Heg-
ner ges. sehr. 5, 86; dat. sg. G.Keller 6, 184 {aber: einem
greise 2, 91); nach Staub-Tobler 2, 800 noch in heutiger
m,a. plur. grisen. — auch bd Rheinfranken noch ziemlich
spät; gen. pl. Brentano 6, 202; vielldcht noch bd Ger-
viNUS: dennoch bedurfte es nur einer poetischen zeit
wie 1813, um den greisen (JV. Stolberg) noch einmal für
das irdische lebendig zu machen gesch. d. deutsch, dicht.
(1853) 5, 43. — vorstehendes gilt nur für die obliquen
casus; im nom. sg. Jierrscht schon im 16. jh. die form
greis überall; vgl. Luther 20, 255, 14 Wdm.; fastnachtsp.
316, 9; teuerdank 183, 134 Qödeke; H. Sachs 17,319,6
Keller-Götze; Zimm. ehren. 1, 595, 47; 597, 33 Barack;
Gengenbach 35 Gödeke; Boltz Terenz (l539) 99*; Seb.
Franck Germ, chron. 26*; Fischart Eulenspiegel 8, 190
Hauffen; aber der greise erschdnt bis ins 17. jh. im
ganzen Sprachgebiet noch gelegentlich, so bd Forster
frische teutsche liedlein 98, Liii 1 neudr.; D. v. d. Werder
rasender Eoland (1638) 8; Mosch erosgh gesichte (1650)
2, 146; Happel akad. roman (i690) 542; auch die lexiko-
graphen sind um die wende des 16. und 17. jhs. noch nicht
entschieden: ein alter greise Kramer teutsch-ital. (l700)
1, 563*'; alter greis, aber: die alte greisen; der greise
verkehrt oft nicht seine weise Stieler 696; verdnzelt
noch im 18. jh.: ich greise Denis lieder Sineds (1772)
120, 9; tde lange das wort als ein ursprüngliches adj.
empfunden wurde, zeigt die noch spät mögliche prono-
minale fleodon:
musz ein priester, musz ein greiser
für den thüren bettlen gehn?
Rist friedejauehz. Deutschland (1653) 18;
einer wäre ein alter greiser, der seine schwachen beine
mit krücken stützete Lindenborn Diogenes (1742) 1, 701.
B. gebrauch, das subst. wurzelt in der abgeldteten
bedeutung des adj. greis, nämlich 'alt' {über Substanti-
vierungen des adj. in der bedeutung 'grau' s. I A l) ; da
das adj. in diesem sinne ursprünglich auf personen be-
schränkt war, gilt auch das subst. nur von alten men-
schen; ausnahmen sind durch bildlichen gebrauch zu er-
klären :
ein greis der käfer redt ihm zu
LiCHTWER äsop. fabeln (1748) 24;
erstaunlich ists, was man unter den kaltblütigen was-
serbewohnern . . für greisze findet Hufeland kunst d.
menschl. leben zu verlängern 119.
1) a) zahlenmäszige begrenzung:
sechtzig jar gehet dichs alter an
sibentzig jar ein greisz,
achtzig jar nimmer weise
schöne weise klugreden (1548) 76*;
vgl. Agricola 750 teutscher sprichw. (l534) Z ii"; das
reimwort weise wdst noch auf die ursprüngliche schw.
form, greise; dagegen schdnt die heute übliche gestalt
des letzten verses achtzig jähr schneeweisz zu jung, um
unmittelbar durch die Verkürzung von greis hervorgerufen
zu sdn; im, 18. jh. noch die tirspr. fassung ThomasiüS
gedanken u. erinn. 1, vorr. i; Eisenhart grundsätze der
deutschen rechte in sprüchw. 28; es ist ein groszes ver-
gnügen, einen greis so zu sehen, obgleich über 70 jähre,
ist er doch . . gesund, thätig, frölich Nicolai rdse d.
Deutschland 1, 193; allein Petrus Diaconus thut der
Sachen ohnstreitig zu viel, wenn er Lotharium zu einem
hundertjährigen greisz macht Hahn dnl. zu d. teutschen
Staats-historie 3,171; so satt hat kein 100 jähriger greisz
gelebt, als ich 40jähriger elender Schubart briefe 2, 67
Strausz; so überholt mancher zwanzigjährige Jüngling
den hundertjährigen greis Pückler briefw. u. tageb.
2, 231.
b) häufiger ist dne schddung nach lebensepochen:
er kennet dich nunmehr als Jüngling, mann und greis
Besser Schriften l, 65 König;
da war jedem die zunge gelöst; es sprachen die greise,
männer und Jünglinge laut voll hohen sinns und gefühles
GÖTHE Herrn, u. Bor. 6, 38 ;
bringet sie {die wahrhdt) der Jugend, den erwachsenen,
den greisen bey Haller restaur. d. staatsidss. l, lxvi;
es wäre, als erhöbe sich der Jüngling über den mann,
der mann über den greis Fouque gefühle, bilder (1819)
1, 95;
nach gold und vorrang gieren wir, mann und greis
Voss sämtl. ged. (1802) 3, 32;
kommt ihr männer und greise!
Schubart sämtl. ged. (1825) 2, 26 ;
den Jüngling Walther sieht man in seinen gedieh ten
mann und greis werden Gervinus gesch. d. deutschen
dichtung (l853) l, 314; —
der gottlosz wird an haarn ein greisz,
aber an dem verstand nicht weisz
Eyering proverö. 1,40;
(Harris) gute menschen leben lange. (Mertens) so wür-
den sie ein greis H. Beck rettung für rettung (I801) 140;
reift vollends hinan zum greis er,
jede Schmach musz dulden er dann
Platen 1, 223 Hempel;
er wurde schon ein greis, da er zu schreiben begann
HoLTEi erz. sehr. 3, 64; häufig ist der in den himmel
zurückgekehrte gott zum greise geworden Ratzel Völ-
kerkunde 2, 91; —
er sparte als greis den rest seiner kräfte
KoRTUM Jobsiade (1799) 1, 104;
was physische erdkunde . . J. Banks, dem greise, ver-
dankt Ritter erdkicnde l, 34; wie von Goethe's Wahr-
heit und dichtung geurtheilt worden ist, dasz der greis
in der ruhigen klarheit des alters sich in die stürme
und Wirrnisse seiner Jugend gar nicht mehr recht habe
hineindenken können Strausz Schubarts leben l, xv;
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unberührt von den Umwälzungen der stürm- und drang-
zeit freute er sich noch als greis seines Gleims Mei-
necke Boyen i, 51; er {der köpf des Sophokles) . . stellt
überhaupt den greis vor, nur nicht mit so starkem
ausdruck des alters wie die unten vorkommende erz-
büste Welcher alte denkmäler i, 459; neben eigennamen:
also sagt der alte betagte und lebenssatte greiss Simeon
Dannhawer catechismus milch {ie57ff.) 2, 64; besonders
im episcJien stil:
Ilioneus treffliches schiff, und des tapfern Achates,
Abates, und des greisen (geschr. Greisen) Alethes sind alle
vom stürme
ttbermeistert (grandaevos Aletes Äneis 1, 121)
Schiller 1, 123;
um des thebaiischen greises Teiresias seele zu fragen
Voss Odiissee 188, 492 Bernays;
da reichten alle gaste dir,
greisz Siegmar, ihre bände
Kretschmann sämtt. werke 1, 71 ;
bin ich doch der greis Olympos,
den die ganze weit vernahm
GÖTHE 3, 219 Weim.
c) wo die bedeutung irgendwie gefärbt ist, gesellt sich
ihr meistens, wie beim adj., der begriff des abgelebten,
zum tode reifen: denn ungeachtet die greise zeit bey
diesem greisen schon alles andere teuer ausgelescht
hatte; war doch das teuer seiner väterlichen Zuneigung
. . so thätig Lohenstein Arminius (1689/.) 2, 43";
das müssen reize sondergleichen seyn,
die einen greis in solches feuer setzen,
Schiller Maria Stuart 1401 ;
da bleibt ein gr^s nicht kalt Müllner dram. werke
(1828) 7, 187;
du irrest Salomo!
nicht alles nenn' ich eitel;
bleibt doch dem greise selbst
noch immer wein und beutel
GÖTHE 3, 280 Weim. ; —
wie bebt der greisz,
dafem er weisz,
das itzt der tod auf ihn die sichel wetzet
MoRHOF Unterricht v. d. dtsch. spr. (1682) 1, 762;
wann zeit und Schwachheit ihn dem grabe näher leiten,
seufzt der betrübte greis, und schmählet auf die zeiten
Cronegk Schriften (1766) 2, 83;
röchelnd hofft es der greis, du wirst unsterblich seyn
Schiller 1, 42;
ein greis am rande des grabes zieht die summe seiner
existenz Sgherer kl. sehr, l, 15; oder der begriff des
ohnmächtigen: was hab' ich dir denn, wenn ich so ein
greis bin, zu leide thun können Wieland Lucian (1788)
2, 34;
habt ihr denn gar kein eingeweid', dasz ihr
den greis, der kaum sich selber schleppen kann,
zum harten frohndienst treibt? Schiller Teil 366;
wo Witwen und waisen, greise und krüppel an den
wasserströmen sitzen und heulen Sghubart ästhetik d.
tonkunst 73; in diesem sinne ganz stereotyp, wo gewalt-
thätigkeiten wehrlosen gegenüber geschildert werden sollen:
morgen . . ersteigt er unsre höhen . . ermordet die greise
Klinger neues theater l, 21;
das winseln deiner greise ruft: 'erwache 1'
KÖRNER 1, 122 Hempel;
du bist Almansor nicht, sonst dränge dir
ins ohr der greise und der weiber wimmern
Heine 2, 295 Elster;
weitere belege s. u. 2; seltener und schwächer klingt der
begriff des ehrwürdigen an:
stirb, prophetischer greis, stirb!
Klopstock Oden l, 107 Muncker-Pawel;
so war, zu Breslaus rühm, der theure greis gelehrt
KÄSTNER verm. sehr. 1, 109 ;
wo sind edlere thränen, als die auf den wangen des
greises, der gleich einer alten eiche dasteht Herder
3, 29; kronischer greis für Homer Voss antisymb. 44;
ebenso: es ist eine süsze stunde meines lebens . . in
welcher ich ihnen das lied des göttlichen greises über-
reiche ges. tcerke der brüder Stolberg 11 vorr.; dasz
ein umherirrender greis den segen . . nicht der undank-
baren Vaterstadt, sondern gastfreien fremdlingen zu-
wendet G. Freytag 14, 153; der segen eines greises
wird dir nicht schaden Pocci komödienbüchlein 5, 19;
nd. wenigstens in einer wendung prägnant für den blö-
den, geistesgeschwächten greis: he brukt em vom griesen
er hat ihn zum besten Schütze holst. 2, 67.
d) sprichwörtlich: der greisz verkert nit sein weysz
See. Franck sprüchw. (l54l) 2,22*^; vgl. Henisgh 1739;
Stieler 696; danach:
dieweil ich mich nicht hoch erschwing,
sonder behalt mein eulenweisz,
die nicht hoch steigt, gleich wie ein greisz
Fischart Eulenspiegel 8, 190 Hauffen;
bulerei und stekenreiten, wan ich etwas merken kan,
stehet eines wie das ander' einem alten greisen an
Grob dichter. Versuchung 26;
so oft sie alte greisen sehen auf dem stecken reiten
disc. d. mahlern i, 3; die alte greisen soll man ehren
Stieler 696.
2) antithetische Verbindungen.
a) am häufigsten kind und greis:
was hab' ich dessen frommen,
ob ich ein kind, ob ich ein greisz
von hie werd hingenommen?
SiM. Dach 157 Osterley;
die parzen reiszen
die Kinder und greisen
alle mit einerlei sichel dahin
Erlach Volkslieder d. Deutschen 3, 305;
im eigentlichen metaphysischen verstände ist schon nie
6ine spräche bei mann und weih, vater und söhn, kind
und greis möglich Herder 5, 124;
freiheit! freiheit! . . .
es sei des kindes erster laut,
es sei des greises letztes wort
HoFFM. V. Fallersleben ged.^ 400;
durch solche sprachliche Spielereien wird zuletzt be-
wiesen, dasz ein greis ein kind, und ein kind ein greis
sei BiSMARGK polit. reden 3, 18; besonders beliebt in fäl-
len wie: kranke, sagst du, greise und kinder {sind bei
dem Überfall umgekommen)'! Schiller 2, 95; von allen
selten schallte ihm das geschrei der kinder, der greise
entgegen, die man ermordete 4, 168; jene wehrlosen
flüchtlinge, weiber, greise und kinder, sahen sich nun
der wuth des entsetzlichen . . . feindes preisgegeben
Ranke reform, gesch. 8, 307 {vgl. o. 1 c); in diesem ge-
brauch auch gesteigert:
der rauch von Friedrichs festen städten
wirbelte mit dem Jammergeächz'
der Säuglinge, der greise,
der schwangern und kranken gen himmel
Schubart sämtl. ged. (1835) 2, 280 ;
mit teuer und schwert soll diese stadt heimgesucht wer-
den, und greise und Säuglinge sollen für den ungehorsam
büszen Meisl theatral. guodlibet 1, 203; nicht so häufig
ist Jüngling und greis, das etwa dem mJid. die jungen
und die grisen entspricht und den begriff greis iceniger
extrem faszt: dann werden Jünglinge und greise den
tod fürs Vaterland . . betrachten lernen Th. Abbt verm.
werke 2, 41; sie kann den Jüngling wie den greis ge-
winnen Gleim briefiv. 1, 51 Körte; greise, Jünglinge, wein-
ten, segneten ihn S. v. Laroche frl. v. Sternheim, i, 79;
Jünglingen ein muster, greisen
wie zu loben, wie zu preisen !
Herder 25, 367;
nicht mehr um eichenkränze
ficht Jüngling nun und greis
Schenkendorf gedickte (1815) 8;
vgl.: indehm aus einem gesegneten . . Jünglinge ein . .
verteufelter greis wird Butschky Pathmos (1677) 218;
und ich {Telemach) scheue mich auch, als Jüngling den
greis {Nestor) zu befragen
Voss Odüssee 35, 24 Bernays;
er ist der arm des Jünglings in der schlacht,
des greises leuchtend aug' in der Versammlung
Göthe Iphigenie 1384;
vereinzelt:
alles schreibt, es schreibt der fcnabe, der greis, die matrone
Schiller 11, 156;
mann und weib, ihr greis' und Jüngsten,
singt all' ! Voss sämtl. ged. 5, 11.
b) neben diese elementaren antithesen läszt sich eine
fülle anderer stellen, die den gegensatz weniger scharf
oder weniger schlicht fassen: wenn nun aber ein alter
eyf ersüchtiger greisz seine junge frau verdrüszlich macht
Stranitzky Ollapatrida 84, 17 neudr.;
f
77
1 GREIS
1 GREIS
78
Geilinde, die bereits auf junge freyer dencket,
nun ihren schwachen greisz ein jäher stick-flusz kräncket
Hagedorn vers. einiger gedickte 50 neudr.;
das schönste weih auf dieser weit, . .
kaum zwei und zwanzig frühlingen entflogen,
und eines greisen frau Schiller 5, 11 ; —
wenn der von seinen ungerathenen kindern verstoszene
greisz die bände gen himmel über sein haupt zusam-
menschlägt Hippel lebensläufe 2, 587;
da schüttelt, froh des noch erlebten tags,
dem heimgekehrten söhn der greis die bände
Schiller Piccolomini 550;
öfter ach! verkehrt das geschick die Ordnung der tage,
hülflos klaget ein greis kinder und enkel umsonst
GöTHE 1, 284 Weim. ; —
ich bin jung gewesen, und bin zum greise geworden
Klopstock Messias 4, 360;
und es blühten dem greise
von scherzliebender jugend die rötelnden wangen noch
einmal Mörike 1, 263 ööscAen;
kräftige mannet gingen neben den pferden, vier oder
fünf trauen saszen auf dem wagen . ., nebst mehreren
kindern und selbst einem greise G. Keller 2, 91 ; bild-
lich: ihr Hellenen bleibt doch immer kinder; nirgends
ist in Hellas ein greis Humboldt kosmos 2,404; in viel-
fachen Variationen erscheint das dankbare oxymoron vom
kindischen greis:
schaut wie ein greysz und kind so gleich einander sind:
denn der ist an verstand, als das an jahm ein kind
Warnecke poet. versuch (1704) 177 ;
er hatte von einem kind und einem greisen den gegen-
satz gemacht : die kindheit nehme bey dem ersten durch
die jähre ab, bey dem andern zu Bodmer Sammlung
crit., poet. sehr. 2, 110; ein edelmann, der keine andern
Verdienste hat, als seine ahnen, der ist . . höchstens
einem in die kindheit gerathenen greise gleich, der ehe-
mals grosze thaten verübet hat Gottsched neueste atcs
d. anmuth. gelehrsamkeit 4, 25;
alles, du ruhige, schlieszt sich in deinem reiche, so kehret
auch zum kinde der greis, kindisch und kindlich, zurück
Schiller 11, 185;
da waren die altklugen kinder, welche es unter ihrer
würde hielten, durch den reif zu springen, und die kin-
dischen greise, welche gern . . gesprungen wären, es je-
doch nicht konnten Raabe hungerpastor (i864) 2, 213.
8) attributive bestimmungen.
a) alter greis, diese Verbindung ist so alt wie das
subst. selbst und verdankt ihr entstehen vielleicht mit
dem bedürfnis, den sinn des jungen, aus einem doppel-
deutigen adj. entsprungenen subst. bestimmter festzulegen ;
daher mhd. häufiger als das blosze subst.:
er was ein alt grlsen, niht uerre mohte er chiesen
Milstäter genesis 105, 32 Diemer
(alt man : chiesan Wiener gen. ; also die xmform grisen
unter dem zwang der umreimung);
dö sprach Symon al offenbar:
we dir aldeme grisen passional 173, 62 Hahn;
vgl. mhd. wb. 1, 577*; Lexer l, 1088; im älteren nhd. so
stark überwiegend, dasz einfaches greis verhältnismäszig
selten ist; erst im 18. jh. aus seiner Vorherrschaft ver-
drängt, erst im 19. gemieden; die wendung ist in der
regel rein tautologisch, erst in jüngerer zeit häufen sich
fälle, in' denen das adj. steigern soll: warumb nymme
ich nicht dem alten greiszen seinen stecken und slahe
in A. V. Eye deutsche sehr. 2, 100;
neun guter lehr ich geben will . .
die lehret mich ein alter greiss
H. Sachs 17, 319 Keller-Götze; vgl. 4, 411, 29;
Nerva der alt greisz regiert ein jar und vier monat
See. Franck Germ, chron. (1538) 26";
fürsichti^, gnädig und wysen,
losend ein klein mir alten grysen
Schweiz. Schauspiele des 16. jhs. 3,41,586 Bächtold;
darauf sprach der alte gris
Zimm. chron. 1, 597, 33 BaracTc;
Alethes auch der alte greysz
Spreng Aneis (1610) 5»;
Adam, Adam, du alter greysz
Wackernagel kirchenlied 3, 126 ;
vgl.: Adam, die oude grise Verv^tus-Verdam 2, 2139;
zu Crailszheim war ein alter greisz,
redt all sein sach fast reimen weisz
Sandrub hist. u. poet. kurzweil 123 neudr.;
ein alter greyse pülfert sein haar, will das eckelende
frauenzimmer dabey überreden, seine haar wären nicht
alters halben grau Mosgherosgh gesichte (1650) 2, 146 ;
der alte greise klopfete dem Teutschen auf die schul-
tern Happel akad. roman (1690) 542;
ihr lüfte, die ihr uns zu alten greiszen macht,
erfüllet unser land mit segens-reichen jähren
Henrici emst-scherzh. gedickte (1727^.) 2, 10;
kennst du nicht den alten greis, Friederich den groszen?
DiTFURTH 100 kistor. Volkslieder 57 ;
wilst du sein bild , so stell dir einen groszen . . mann,
. . den gang eines alten greises vor Caroline i, 307
Waitz; in Übersetzungen für einfaches senex: er möcht
. . ein list erdichten, ausz welchem der Jüngling . . disen
zähen unwilligen alten greysen über sein willen erhielt
BoLTZ Terenz (1539) 73» (hunc difficilem invitum vor-
saret senem heautontim. 535); namentlich alem. nicht
selten m,it scheltendem nebensinn:
er erwuscht den wirt bey seinem kragen
thet in raufen und schlagen,
wolher du alter greisz
Gengenbach 35, 129 Gödeke;
ich will dich werlich beut üben du alter greisz, wie
du wirdig bist Boltz Terenz (l539) 99» (ego te exercebo
hodie, ut dignus es, silicernium adelphi 587);
das will djugent nit von im lyden,
facht an, wider den alten zkyben,
nent in frefflich ein alten grysz
Schweiz, schausp. d. 16. jks. 2, 122, 181 Bächtold;
auch beim hinzutreten anderer attribute fällt alt in der
regel nicht fort :
Neidelhart, der bös alt ^reis,
im hoflichen entgegen gieng
teuerdank 183, 134 Gödeke;
sehet nn, was der gut alt greis in seim hertzen hab
Luther 20, 255 Weim.;
sie sihet, dasz der ist ein erbar alter greise
D. V. D. Werder rasender Roland 8;
so ir mir alt verwaisten greisen
in dem kein barmung wolt beweisen
H. Sachs 8, 24 Keller,
diesen alten vorsichtigen greysen {Tilly) Chemnitz
schwed. krieg l, 207, 2;
wenn du siebest alte leut', alte wohlbetagte greisen,
sollst du ihnen nach gebühr allen dienst und ehr' erweisen
Neumark fortgepfl. Iv^twald 3, 54;
der alte betagte und lebenssatte greiss Dannhawer
(s. 1 b); da sass ein alter ansehenlicher greiss Schupp
Schriften (1663) 558; ein alter eyfersüchtiger greisz Stra-
nitzky (*. 0. 2 b); Steigerungen:
fürst Nestor der uhralte greisz
Spreng Hias (1610) 45";
sehr alt scheinende greisse Schnabel insel Felsenburg
77, 22 Ullrich; ich glaube, er lebt als hochbetagter greis
noch, während ich dies schreibe Laube l, 37; Super-
lative: welches auch die älteste gräisen in hämisch
jagen mögen Grimmelshausen Simpl. 4, 767, 30 Keller;
die urältesten greise unseres hauses waren auf dem
steine gesessen Stifter 5*, 19; schon früh auch nd.:
also smeckede dem olden gryse Hanna dat hemmelsche
brot Schiller-Lübben 2,149»; een old griis ein sehr
alter mann Dähnert 161*.
b) die bunte fülle attributiver adjectiva gehört wesent-
lich dem 18. jh. an; die epitheta deuten leise den Über-
gang von einer roheren älteren auffassung des greises
zu einer humaneren an, die sich im 18. jh. ausbreitet.
a) körperlich und geistig hinfällig, abgelebt:
zu voraus der kaiköpfte greis . .
er mus beschlagen sein gar wol
Hayneccius Hans Pfriem 23, 423 neudr. ,
weh mir! was in dem mund zahnloser greisen
die nusz, sind thoren räthsel eines weisen
Brentano 6, 202;
einem runzligen von der sonne verbrannten greis Momm-
SEN röm. gesch. 5, 94;
wie krumme greise, satt des lebens
Gottsched neueste aus d. anmuth. gelehrsamkeit 6, 363 ;
79
1 GREIS
1 GREIS
80
so kont . . sie (.Pallas) doch von mir schier dürren greisen
(nunmehr so kalt und alt) erwarten schlechte brunst
Weckherlin ged. 2, 309 Fischer ;
kinderlos, ein welker greis
Grillparzer i, 18;
ich bin ein schwacher greise,
zieh' nicht mehr weit hinaus
FouQUE zauberring (1812) 1,48;
ich
bin nichts mehr — ein ohnmächt'ger greis
Schiller 5, 421 ;
ohnmächtige greise Tieck Schriften l, 88;
küszt ein verlebter greis der Jugend purpur-wangen
Neukirch anfangsgriinde z. teutsch. poesie 753;
als ob der tod nicht eben so wohl Jünglinge, als abge-
lebte greisen hinraffete Breitinger crit. dichtkunst i,
4rl2; kaum zwanzig alte abgelebte greise Meiszner A^
cibiades l, 120;
jetzt treiben kaum entnervte greise
den pflüg in zweifelhafte gleise
Gottsched neueste aus d. anmuth. gelehr samkeit 8, 540;
in seinen letzten lebensjahren beginnend, hatte die
neue Verehrung für ihn (Grillparzer) nach dem tode
des müden greises ungeahnte ausdehnung gewonnen
Jahrb. d. Qrillparzergesellsch. l,vii; welche besorgnisz
. . kann sie . . zur flucht vor dem thörichten greise an-
spornen? HoLTEi erz. sehr. 2, 6; die kindischen greise
Keller {s. 2 b) ;
ein armer mann, der eine milde gäbe
von euch zu bitten kommt, ein dürft'ger greis
Bauernfeld ges. sehr. 5, 27;
anders: da sie aber grausam genug sind, mich armen
greis nicht persönlich sehen zu wollen Pückler briefw.
u. tageb. 1, 353;
denn, wenn sie vorüberzögen
geräuschlos, meine tage;
so stUrb' ich als gemeiner greis
Schubart leben u. gesinn. 1, 280.
ß) rüstig, ehrwürdig, weise: übrigens war die zahl
blühender greise in Italien sehr grosz J. v. Müller
sämtl. tverke 1, 243; {Göthe) ist das bild eines schönen
und rüstigen greises Humboldt br. an Welcher 140;
so sollst du, muntrer greis,
dich nicht betrüben
Göthe 6, 17 Weim. ; vgl. 49, 7 ;
er (gott) hat uns nicht den muntern freundlichen glück-
lichen greisz entrissen IV l, 255; so ein glücklicher greis
Sturz Schriften l, 50 ; ein feiner greis von aufrechter
haltung mit silberweiszem haar Mörike 3, 9 Göschen;
käme ein ansehnlicher greiss mit den sesselträgern vor
des . . . Civilis haus A. ü. v. Braunschweig Octavia
1, 540;
ein hoher greisz mit weiszen haaren
Lenau 476 Barthel;
der majestätische greis {Ludwig XIV.) Dahlmann gesch.
d. frz. revol. 5; ein erbar alter greise D, v. d. Werder
(s. 3 a); er hat . . die andächtige leichtgläubigkeit jenes
ehrwürdigen greises gemisbraucht Gottsched neueste
aus d. anmuth. gelehrsamkeit 3, 354; diesem verehrungs-
würdigen greis Gottschedin briefe l, 143 Bunkel,- einen
ehrwürdigen greisz Haller Usong 69;
wenn wir den würdgen greis, und sein ruhmvolles alter
mit sanften zähren seegneten
Giseke poet. werke 161 Gärtner
ehrwürd'ger greis, war greis er immer doch
Grillparzer 8, 120
geht hin an diese gruft, seht den verdienten greisz
Pietsch gebundene sehr. 184
du gleichfalls, hochverdienter greis!
verdienst das ganze lob
Gottsched ged. (1751) l, 170;
Teutschland hat an ihm verlohren einen seiner weisen
greisen Neumark teutsche palmbaum 369 ;
lehren aus dem munde erfahrner greise Herder 12, 113;
wenn hier etwas an meiner erziehung versehen wurde;
so war es, dasz man mich auf einmal zu einem ge-
lehrten greise machen wollte Knigge roman meines le-
bens 1, 187.
y) ethisch kennzeichnende adjectiva: der bös alt greis
teuerdank (s. 8 a); indehm aus einem gesegneten . . .
Jünglinge ein . . verteufelter greis wird Butsghky Path-
Tnos 218;
du hast mit dem köpf geändert auch dein hertz, du falscher
greisz
H. V. HoFFMANNSWALDAU u. o. gedichte 2,110 Neukirch;
als mann zu thaten willig,
als greis leichtsinnig und grillig
Göthe 2, 289 Weim.;
nicht selten wird der jugendliche Verschwender noch
ein geiziger greis Hebel 2, 27 Behaghel;
um ihn saszen edle greise, deren herz durchs äuge sprach
ScHÖNAiCH Heinrich d. vogler 20;
die bestellung eines briefes an Hadem, von dem er
den edlen greis so oft unterhalten hatte Klinger werke
8, 149;
zu deinem vater wende dich zurück
und tröste den gebeugten edlen greis
Göthe 9, 427 Weim. ;
du müsztest, wo du nur kannst, diesem edlen, heilig-
mäszigen greis . . das wort reden Görres ges. briefe
3, 227;
vor freuden weint der fromme greisz
Stoppe Pamasz 279
Arist, ein frommer greis
Pfeffel poet. versuche 1, 6
der prior, ein frommer, ein eifriger greis
Arent, Conradi, Henckell mod. dichtercharaktere 247
dasz sie einem rechtschaffnen greise die wenigen schritte
zu seinem grabe noch so schwer und bitter machten
Lessing 2, 291; der gut alt greis Luther (s. 3 a);
ich sehne
mich nach dem stillen gange, nach den worten
des guten greises Göthe 11,300 Weim.;
bei der ankunft Maximilians erwachte in dem kinder-
losen gutmüthigen greise die . . Zärtlichkeit Ranke re-
form, gesch. i , 66 ; Micipsa , ein schwacher, friedlicher
greis MoMMSEN röm. gesch. 2, 138; kein treuer und un-
schuldiger greis und vater kann würdigere thränen wei-
nen B. v. Arnim Ol. Brentanos frühlingskr. 166;
held York, der strenge greisz
Schenkendorf gedichte (1815) 179.
4) bilder und vergleiche; gott als greis schon mhd.,
s. mhd. wb. l, 577»;
ichbitt allein demütig,
mein alter, frommer greisz,
wolst mir doch seyn so gnedig
WiLH. Alardus bei Fischer-Tümpel 2, 158;
ein kind nach Adams weise
an ihren brüsten lag.
es war ein alter greise,
erschuf den ersten tag
Mittler deutsche Volkslieder 305;
ein solches wesen nun soll einzig und allein
mein gott, und nicht das götzen-bild
von einem alten greisen seyn
Brockes ird. vergnügen 2, 166;
sie (die bauem) stellen sich gott nur im bilde,
als einen erbam greisen, für,
der gutj geduldig, sanft und milde,
und keinen menschen gern verlier
Triller poet. betrachtungen 1, 300;
vom teinter:
es hat ohn alle gnad der kahl und kalte greysz
wäld, gärten, berg und thal entgrünet und entlaubet
Weckherlin 2,395 Fischer;
o wie manche der braute
hat gefreiet der tod der greis
Rückert ges. poet. werke 1, 469;
den vater Rhein herauf, der hinter den sieben bergen
vom kloster Rolandswerth an . . wie ein lichtheller greis
im silberhaar von lustigen rebenhügeln gleich jungen
liebesgöttern umwimmelt da liegt Heinse 10, 1 Schüdde-
köpf; vgl.: erstlich müste gemahlet werden der Elbe-
strom in gestalt eines alten greisen HARSDÖRFFER/rawen-
zimmer gesprechsp. 5, 54 ; vor mir aber . . stand der ur-
alte dorn, nicht grosz, nicht düster, sondern wie ein
heiterer greis Heine 3, 243 Elster; um den Montblanc
... zu sehen, ein greis der auf die grüne Jugend der
Dauphin6 . . . herabschaut Laube ges. sehr. 5, 161; es
bleibt in ihr {der litterarischen weit) dadurch ein ewiges
leben, sie ist immer greis, mann, jüngling und kind zu-
gleich Göthe IV 12, 57 Weim.; die zeit, die jung zu sein
schien, als ich ein knabe war, war nun einem kindi
sehen greise gleich geworden Arndt geist d. zeit (1807) l, 5.
81
2 GREIS
3 GREIS — 1 GREISE
82
5) erst in jüngerer zeit breitet sich ein gebrauch aus,
der das hinfällige, senile zum viesen des begriff s macht
und vom alter absieht : er hat graue haare, . . ohne ein
greis zu seyn A.W. Schlegel im Athenäum 2, 85;
der kummer machte frühe mich zum greise
Zach. Werner söhne d. thals (1804) 2, 170 ;
viele menschen bleiben in gewissem betrachte ewig kin-
der, indesz andre vor der zeit greise werden Knigge
Umgang mit menschen (i796) 2, i; sein vater, früh zum
greise geworden, hatte sich vom geschäfte zurückgezogen
HoLTEi erz. sehr. 5, 183;
mit vierzig jähren siecher greis, ist er von land zu land
gefahren Droste-Hülshoff 2, 25 Schücking ;
ich bin 42 jähre alt und fühle mich als greis jahrb. d.
Grillparzergesellsch. 3, 211; ähnlich:
so schmücke bockshaar nicht die stim von jungen greisen
Zachariä poet. sehr. 1, 172;
blödsinnige alte, junge greise, aufgedunsene müsziggänger
. . trieben sich in der halle umher Holtei erz. sehr.
1, 80; wie oft kam ich mir, mit dir verglichen, vor wie
ein greis Ebner-Eschenbach 4, 113; anders, aber ver-
gleichbar:
disz mich, wie jung ich starb, zum alten greiszen macht
S. v. Birken ostländ. lorbeerhäyn 181 ;
er starb in seiner Jugend,
und starb, der seele nach, so männlich, als ein greis
J. J. Schwabe belustigungen 1, 440.
III. greis in compositionen.
so weit es sich um Zusammensetzungen m,it dem, adj.
handelt, hat greis fast ausschlieszlich den ursprünglichen
sinn 'grau', die bedeutung 'alt' tritt ganz zurück, vgl.
greisalt und vielleicht greiskraut; icie danach zu erwarten,
erscheinen ableitungen und compositionen vorwiegend auf
nordd. boden; noch heute im, nd. nicht selten: grislich
grauartig, ins graue spielend Schambach 69»; Bauer-
GoLLiTZ 41''; Frischbier l, 253''; griishaftig grauartig
Berghaus 1, 614»; griisschömmel ib.; grishempen ^rrau-
hänfen Kl. Groth quickborn (1900) glossar; vgl. die nd.
belege unter greisgrau, greiskopf ; beachtung verdient, dasz
sich in einigen alten compositis greis als 'grau' auch obd.
findet, vgl. greisbart, greisgrau, greiskopf (mhd. noch gris-
var, -gevar Lexer 1,1088/.),- das ist deswegen hervorzu-
heben, weil greis 'grau' als simplex dem obd. in nhd. zeit
fast völlig fehlt {vgl. I A 2). unter den Zusammensetzun-
gen mit greis subst. sind die ältesten greisenalter und
greisenjahre (17, jh.), das 18. jh. fügt nur wenige hinzu
wie greisenhaar, -köpf, -leben, -Weisheit, die breite fülle
gehört erst dem 19. jh. an. trotz dem übertritt des subst.
in die st. flexion bleibt greisen- als compositionselement
auch in den jungen bildungen die regel; doch erscheint,
nachdem die st. ßexion endgültig zur herrschaft gelangt
war, vom ende des 18. jhs. bis hoch ins 19. greises- nicht
selten {vgl. greisesalter, -arm, -brüst, -erotik, -erstarren,
-gestalt, -band, -ohr, -runzel, -tage); namentlich zu an-
fang des 19. jhs. ziemlich häufig; m,ehrfach bei Voss,
Arndt, auch noch bei Hebbel, Gutzkow; obd. selten;
bisweilen anscheinend mit absieht, weil individueller, der
geicöhnlichen bildung vorgezogen ; mehr gelegenheitsbildun-
gen sind die compositionen mit dem endungslosen subst.,
greisgespenst, -kind, -knabe; vgl. dazu jriesekel alter
mann, der ein ekel ist Meyer richtige Berliner^ 55».
2 GREIS, m. i) eine bergart: wir nennen solche taube
oder lehre arten in unserm silber bergwerck glantz,
. . cobalt, speyse, greusz, gilbe leiten Mathesius Sa-
repta (1662) 39'»; quarzum arenaceum körniger quarz,
bergin. greis Schreber beschr. d. eisen-, berg- u. hütten-
werke zu Eisenärz (1772) 51; der greisz ist eine weisze
grisige bergart . . und findet sich . . bey dem eisensteine
ein 5 ; der echte vocal scheint eu, vgl. greusz terra sicca
cinerea Schmeller l, 1011 {aus dem promptuar. von 1618);
deshalb vielleicht eine umgelautete form zu mhd. grüz
körn; doch kommt wegen der färbe des gesteins auch greis
grau in betracht; vgl. * greisen. — 2) greis, kreis . . die
quarze und steinstücken, welche bey der seifenarbeit
mit dem trog aus dem graben ausgehoben und von
Zwittern (= zinnerz) abgesondert werden Jacobsson tech-
IV. 1. 6.
nol. wb. 2,149''; in den zinnseifen die steinchen, die ohne
zinngehalt sind Voigt minerälog. abh. (l789) 2, 275; hier-
her scheint zu gehören: also wie disem eysen geschieht
durch die stercke des fewers, geschieht auch hie in die-
sen kranckheiten, das ist, das die bein schifer abwer-
fen wie das eysen den greyst Paracelsus chir. sehr.
(1618) 245 A ; fraglich ist die Zugehörigkeit von greis m.
gravier, gros sable Beil technol. wb. 261; anderer her-
kunft scheint greis m. trockener mörtel Martin - Lien-
hart 1,281'»; FoLLMANN 215». — gr eisähnlich , adj.:
den Nachberg aus greisähnliehem granit allg. deutsche
bibl.. anh. zu bd.53 — 86, 679. — greiszwitter, m., zinn-
erz, das mit greis versetzt ist; eine schiefrichte zwitter-
art MiNEROPHiLUS bergwerkslex. (1743)274''; ähnlich 3a-
cobsson technol. wb. 2, 149''; vgl. Voigt minerälog. abh.
(1789) 2, 276.
8 GREIS, ?
und dein nas {wäre) g&t zä eim leschhom,
dein zung ein dreck darmit zu bom,
dein oren zä eim henckers greis,
dein äugen z& einr raben speis
FoLZ klopf an, Weim. jahrb. 2, 120, 13 ;
göltzet und fartzet wie ein schwein
und stinckt im aus dem hals der wein,
wirft etwan auch darzu ein greis,
ein sau het wol daran ir speis
H. Sachs 9, 97 Keller.
* GREIS, n.. rauschbrand, acute krankheit des rind-
viehs Martiny lob. d. milchwirtsch. 47; Staub-Tobler
2, 799 mit etymol. versttchen.
5 GREIS, n.. s. gereis.
GREIS ALT, adj.: auch da wir grosz und greisz alt
worden seind Spee güld. tugend buch (1649) 150 ; eiskalter
und greiszalter mann Schottel teutsche haubtspr. (1663)
784; sehr alt. uralt Unger-Khull steir. 306».
GREISANGESICHT, n.. momangesicht, larva. persona
ficta. barbaris misea; gall. masque Henisch 1738; zu
3 greisen, sp. 85.
GREISART, m., seltenes, aus dem nd. stammendes
wort: da wardt könig Ludwig gar zornig und sprach zu
Heymon 'du alter greisart' {alter brummbär) P. v. d. Aelst
Heymonskinder 32 Pf äff; in jüngerer zeit für greis:
greisart eanus Henisch 1738;
so ruft auch ihr zum freudenspiel
den lebensmüden greisart auf
Arndt 4, 271 RötchrMeisner ;
nl. häufig, und zwar besteht zwischen m,nl. grisaert und
nnl. grijsaard derselbe bedeutungsunterschied . den die
obigen belege zeigen; wegen der im mnl. stets ungünstigen
bedeutung vielleicht nicht zu gris camis. sondern zu grisen
grinsen, s. 3 greisen.
GREISBART, m.. graubart: herre grisbart Lexer l,
1088; kommet ein alter greiszbart einem entgegen des-
sen köpf gantz mit syllogismis angefüllet Schupp Schrif-
ten (1663) 410; du bist schö" an älda greisbart Hart-
mann volksschausp. in Bayern u. Österr. 151, 85; grisbart
Frischbier l, 253''; griesbärt gemeiner ziegenfusz lux.
ma. (1906) 154; vgl. Grassmann nr. 260. — greisbärtig,
adj.. graubärtig : besonders war mir ein greisbärtiger
Schmiedeknecht am meisten aufsässig und zuwider Tieck
ges. nov. (1838) 7, 314; vgl. 317.
GREISBOCK, m., eine antilopenart im Kaplande, anti-
lope m^lanotis Oken naturgesch. 7, 1363; nach dem holl.
grijsbok woordenb. d. nederl. taal 5, 751.
GREISCHEN, 7i. : vor einem zehn fusz hohen kamin-
spiegel aber stand ein winziges eisgraues greisehen G.
Keller 5, 72.
1 GREISE, /., canitüs:
tag, wer hat dich gesant?
dein gewant
imser schäm nicht decken wil.
zwar dein greis ich preis doch klein
Osw. v. Wolkenstkin 8, 26 Schatz ;
warumb werden die wölf greysicht? in dieser frag merck
den underscheidt zwischen grauwen und greysichten:
dann die grauwe hat seine ursaeh von dem gebrechen
der natürlichen wärm, aber die greyse kompt von fres-
sigkeit und füllung . . zum andern ist auch dieses der
83
2 GREISE — 2GREISEN
2 GREISEN
84
underscheidt zwischen der greyse und grauwe, dieweil
die greyse über den gantzen leib wirdt, die grauwe aber
alleine auf dem häupte problem. Aristot. (1589) 13/.
2 GREISE, /., blumenname, wohl verkürzt aus dem hau-
figeren baldgreise, das sowohl erigeron, wie senecio be-
zeichnet Grassmann nr. 350; vgl. Pritzel-Jessen 374*;
für dieselbe pflanze auch greiskraut, *. d.
GREISELKRAÜT, n., frühlingsblume , erophila vulg.
ünger-Khull stdr, 306*.
GREISELN, vb., canescere, senescere:
• und nicht blos das junge volk,
nein auch die schon greisein
als verzückte säusler sie
überall umsäuseln
Schall i-eime u. räthsel (1849) 70;
aber der kahlköpfige, bei fünfunddreiszig jähren schon
greiselnde Junggeselle miszfiel auch ihm W. Jordan die
Sebalds (1904) l, 63.
GREISEMLICH, adj., gräszlich, furchtbar : bist du dann
ain manszbild, so feit dir ein von der rainigkeit unser
lieben frawen, also ungestalt und also greisemlich
das es nit zusagen ist Geiler v. Keisersberg geistl.
Spinnerin G 3^ in: buch granatapfel (1510); abgeschwächt
greisenlich : da ist am morgen umb 4 ur am himel ge-
sechen worden greisenliche zaichen städtechron. 25, 179 ;
so schon früh: diu grisenliche fortuna, horribilis Graff
4, 301 aus Notker Boethius; vgl. grisam at/rox Diefen-
BAGH nov. gloss. 40 {aus dem aur. vocab.. i486); grisamlich-
kait horror ib. 206*; zu nd. grisen vne greislich, s. d.
1 GREISEN, m., ein körniges graues granitartiges ge-
stein Oken naturgesch. 1, 486; die bergleute haben sol-
ches (aus glimm^r und quarz zusammengesetztes) gestein
greiszen genannt, sehr glücklich, mit einer geringen ab-
weichung von gneis Göthe II 9, 127. 141; hier konnte
die ganze masse zu gute gemacht werden, weil die
greiszen stockwerkartig metallhaltig waren 152 ; s. noch
IV 25, 214; anders: in Hungern und Böhmen krystall-
gruppen, die in andern ländern drusen benennt werden
Voigt mineral. abh. (i789) 2, 276; vgl. 2greis.
2 GREISEN, vb, das wort berührt sich in gebrauch
und dialectischer ausbreitung nah mit dem adj. greis.
alt und ursprünglich auf nd. md. boden, wo es noch
heute mundartlich lebendig ist Frischbier l, 254*; da-
her in nhd. litteratur fast ausschlieszlich bei norddeut-
schen autoren ; in mhd. zeit auch obd. ziemlich verbreitet,
und zwar bezeichnenderweise in reicherer bedeutungs-
nüanderung als auf dem heimathlichen nordd. boden;
den obd, dialecten fremd.
I. greis werden.
1) grau werden: grizen canere Diefenbach 95' (lat.
nd. voc. 1420); meist von haaren: du beginnest to alden
unde dine loke grisen Sghiller-Lübben 2,149''; er solte
sich gedulden, weil ihm der hart noch so bald nicht
greisen würde Bugholtz Herkuliskus (1665) 1208;
dieses haar,
das unter schwerem heim in mancher kriegsgefahr
gegreist Greflinger Cid Cij^
(ces cheveux blanchis sous le harnois Corneille Cid 11,7);
Schäfer, euch greiset der hart, und ihr glaubt so kindische
possen ?
J. H. Voss sämtl. ged. (1802) 2, 192;
wie götterhauptes haare niemals greisen
W. V. Humboldt sonette (1853) 302;
bildlidi :
der saft vertrucknet aus, der matten erden man,
der müde himmel greist
Fleming deutsche ged. 1,38 Lappenberg ;
mhd. auch von der weisze des vdnters und dem däm-
mernden schein des morgensterns (vgl. greis sp. 68 und
1 greise) :
wenn dan (im winter) die boum risent
und berg und tal grisent
MEISTER Altswert 70, 8 ;
auch Lucifer, der klarhält vein,
dein greisen du last überfrein
Osw. V. Wolkenstein 6, 87 Schatz.
2) wird das vb. auf personen angewendet, so geht die
bedeutung 'grau werden' in 'alt werden' über:
so verwünne ich alle senende wise,
daz ich wol ze prise
immer an daz alter vrolich grise
V. D. Hagen minnes. 3, Sit»;
gerade im minnesang beliebt, auch in freierer vericen-
dung:
min gelink
muoz da grisen (verkümmern) 3, 287 '' ;
er (der hund 'gedanken') ist ouch understunden
85 grä, ez möcht ein kindel von im grtsen
Had. V. LA.BEB.jagd 291, 7;
kam mir die (brüst der geliebten) plösslich an die prust,
so war mein greisen gar umb sust
Osw. V. Wolkenstein 5, 24 Schatz;
mein freund die hassen mich überain
an schuld, des muess ich greisen 107, 83;
in der jugent mfisz er greisen
vor pittem sorgen
Hätzlerin liederb. 1, 35, 28;
so auch wann männer greisen,
verschrumpfet band und fusz
Tscherning deutscher getichte frül. (1642) 233;
uns leb' und greise
wohlauf und froh!
Klamer Schmidt neue poet. briefe 48;
es sagen mir die weiber:
Anacreon, du greisest,
schau in den Spiegel, siehe,
dein haar ist dir entfallen
und kahl ist deine stirne
brüder Stolberg 15, 254;
gern neben alte(r)n:
anders muoz ich grisen
unde in sorgen werden alt
K. V. Würzburg Partonopier 7712;
frfi grtsen, e zit alten
mäz ich von disem hunde,
ich mein den hund Gewalten
Had. V. Laber jagd 549,1;
aber steigernd:
er (der mensch) blühet, altert, greiset
J. H. Voss sämtl. ged. (1802) 4, 100;
die flügelschnelle zeit:
sie blühet, altert, greiset,
und wird Vergessenheit 4, 96;
solch bildlicher gebrauch ist selten:
Lotichs preisz wird nimmer greisen
Knittel poet. Sinnenfrüchte (1677), absondert, buch 19;
greisen in icie greis werden in (vgl. greis sp. 69):
er künde in eren slniu jär
wol grisen und gräwen
K. v. Würzburg troj. 39817;
ob ich in arbeit grlse,
ich weiz ez ist dir leide
Had. V. Laber jafird 242, 1;
bischof von Menz, von Köln, z& Trier,
nun rüstend euch zu helfen schier,
wend ir in eren greisen
histor. Volkslieder 1, 277 Liliencron ;
mehr nd. md. scheint greisen mit; de da mit schalkheit
gryset, de wart up dat older nicht gebetert Sghiller-
Lübben 2, 149";
waz sol wfsen mere
dem der dekeiner vuoge gert? mit tumber vuore er grfset
Frauenlob 21, 6 Ettmüller; vgl. 2T7, 12;
alter, das one weiszheit greiszt
Kirchhof wendunm. 2, 383 Osterley,
eine anspielung auf das verbreitete sprichioort: ergreiset
ehe er weiset Seb. Frangk sprichw. (l54l) 2, 22*; vgl.
Eyering ^roverft. cop. 2,255; Sghellhorn «pWcÄw. (1797)
136; vielleicht nd. Ursprungs: he griset, er he wiset
Sghiller-Lübben 2, 149"; vgl. das alter weyset und
greyset aetate prudentiores reddimur Apherdianus me-
thodus discendi (l60l) 151; Stieler 696; Kirghhofer
Schweiz, sprichw. (1824) 204; von Apherdianus zu grei-
sen canum reddere gestellt; indessen zeigt die Variation
der alte greist und nichten weist
bei Eyering proverb. cop. 1, 40, dasz greisen auch in-
trans. verstanden wurde; sprichwörtlich auch: der wolf
mag wol greisen, er laszt aber seine tick nicht Henisch
1738; der wolf mag wohl greisen, er bleibet aber ein
wolf lupus pilum, mutat, non mentem Stieler 696.
3) greisend seit ende des 18. jJis. in poetischer spräche
beliebt:
deine mutter, dein vater und ich, mit der greisenden locke,
kind, sind kinder wie du Fr. Stolberg 2, 206 ;
85
3 GREISEN - GREISENALTER
GREISENANGESICHT
86
bis spät im greisenden haare
du mir schlössest das aug', oder ich weinender dir
FouQUE gefühle, bilder 1, 187 :
ihr greisendes haar,
das flatterte wild im winde Heine 1, 341 ;
meist von personen:
irrend umher mit der zärtlichen mutter, dem greisenden
vater,
mit den kindelein klein, und dem jungfräulichen weib
Arndt geist d. zeit 2, 67 ;
sieg mir, dem greisenden krieger sieg
FouQUE held d. nordens (1810) 1, 61 ;
auch in prosa: es (das haar des pferdes) sah fast aus,
wie struppiges hauptgelock eines greisenden menschen
altsächs. büdersaal 2, 46; nun, Römer, entzieht sich
euch ein verbannter, greisender mann, vor dem ihr ge-
bebt, bis sein letzter athem dahin Grabbe 3, 499 Blu-
menthal; die greisende matrone hat nun keinen haus-
stand mehr jahrb. d. Orülparzergesellsch. 3, 276 ; mannig-
fach übertragen:
es verjüngt wohl greisendes alter ihr lächeln!
Voss Luise 89;
so frisch blüht sein alter wie greisender wein
Arndt 4, 90 Rösch-Meimer ;
ich seh' aus meiner ruh'
am greisenden hollunder,
der mich umschirmt, dem wunder
der schönen mischung zu
TiEDGE werke (1823) 3, 196;
eh noch der heut'ge tag hinuntersinkt
ins meer der greisenden Vergangenheit
Grillparzer 10, 159;
sehr viel älter ist das pari, in einer bestimmten formel:
der aller schädlichest gleyssend und grysend wolf
Fischer schwäb. 2,822 (le.jh.); {Wolfv. Wunnenstein.)
den man den greissenden wolf genannt ib. (17. jh.) ;
herleitung des 'pari, von greisen canere ist nach 2 und
greis sp. 66, l nicht zu bezweifeln (gegen Fischer a. a. c).
IL greis Tnachen:
den walt der winder griset
Warnung 1925 zs. f. d. a. 1, 491;
wirt er nu hie geletzet, daz ist ein dinc daz mich
an jugende griset j. Titurel 5613, 4;
ganz vereinzelt nhd:
die flocken fallen, das wasser eist,
weil der winter die ganze erde greist
E. RosMER königskinder (1910) 81.
3 GREISEN, vb., nur lexicalisch: greisen, die stirn
rimpfen, obducere frontem, corrugare, contrahere He-
NiscH 1738; Stieler 696; offenbar identisch mit einer
nd. nebenform von grinsen: grisen ringere Diefenbagh
498»; mnl. grisen grinsen, schelten, lachen; nortoeg. dia-
lect. gvisa, Zähne zeigen, grinsen; vgl. Franck 2215''; dazu
grismaulen ein greinendes maul ziehen Frischbier l,
254*; sich begrismulen korresp.-bl. d. ver. f. nd. sprach-
forsch. 29 (1908) 40.
GREISENAAR, m.:
fleug greisenaar ! fleug auf zu höhrem tage !
(apostrophe an den greisen Jacob Degen) deutsch, mtts. von
F. Schlegel 1, 358.
— greisenader, f.:
und dafür . . gnüg' ein wenig blut
aus halbverdorrten greisenadem ?
FouQüE held d. nordens (1810) 2, 160.
GREISENALTER, n., bis ins ende des iS.jhs. ziemlich
selten.
1) von personen: die kindheit, die jünglingschaft, das
männliche, das stillstehende und das gräisen alter,
jedes enthält zweymal sieben, das ist 14. jähre Hars-
dörffer teutsche secretarius 2, 674 ; zumal da diese con-
scription vom 18 ten jähre bis zum 60jährigen greisenalter
. . . anhält Ritter erdkunde 4, 969; sonst auch, wenn
man sechzig jähre verstände, müste ja Hadubrand dem
greisenalter nah gewesen sein W. Grimm heldensage
(1867) 26 (vgl. zu diesen zeitlichen begrenzungen greis sp. 74,
1 a) ; es (das kind) grosz worden war, und zum greisen
alter kommen Spee güld. tugendbuch (1649) 149;
die nun greisenalter drückt
Denis lieder Sineds (1772) 134, 26 ;
an dem menschen sind vorn und hinten, wie an den
büchern, zwei leere weisze buchbinderblätter — kind-
heit und greisenalter Jean Paul 7 — 10, 277 Hempel; der
mensch erlebt jedem object gegenüber ein jünglings-
mannes- und greisen-alter Hebbel briefe 3, 266; die ge-
schichte von Göthe's greisenalter ist so vollkommen
und so natürlich, wie sein jugendleben Gervinus ge-
schichte d. deutschen dichtung (1853) 5, 652;
euch war's vergönnt,
bis an des greisenalters dürre schwelle . . .
die kraft, den rühm, das glück euch treu zu fesseln
Körner 3, 8 Hempel;
bin darüber an die schwelle des greisenalters, ja in
dieses selbst hineingeschritten D. F. Strausz 6, 5; du
siehst mich jetzt an der schwelle des greisenalters
stehen Seidel Leb. Hühnchen (1899) 263; vgl. den be-
reits in's greisenalter tretenden künstler Stifter 14,
213; attribute: in jähren früher Jugend, und in zeiten
des hohen greisenalters Jahn l, 99 Euler; dagegen be-
grüszte der meister im höchsten greisenalter den em-
pereur Louis Napoleon Rich. Wagner 5, 8; die frohe
aussieht eines glücklichen greisenalters öffnet sich mir
wieder Kotzebue sämtl. dram. werke 3, 74; erfreuen sie
sich noch lange eines heitern greisen-alters Hebbel
tageb. 4, 121; alles material zu einem geordneten leben,
zu einem ruhigen greisenalter durcheinander geworfen
Raabe Abu Telfan 3, 85; gern präpositionell : nicht im-
mer war mir dieses so klar, als es jetzt im greisen-
alter ist Fr. H. Jacobi 4I, xxiii; Haydn . . . gibt uns
im greisenalter seine 'schöpfung' R. Schumann ges.
sehr. 4, 179; auf den ruinen dieser ihrer herzenspassion
wandelte nachher, bis in ihr greisenalter, eine zweite
Holtei vierzig jähre (1843/.) l, 13; die lehre habe ich
bis . . an das greisenalter nicht beherrscht L. v. Fran-
COIS letzte Beckenburgerin (l87l) 2, 149.
2) in übertragenem, gebrauch mit Vorliebe von Völkern,
politischen gebilden, culturepochen (vgl. greis adj., sp. 72 b) :
Völker haben kein alter, oder oft geht das greisenalter
vor dem Jünglingsalter Jean Paul 7 — 10, 341 Hempel;
dasz es vorsichtiger sei (im leben des Volkes) von perio-
den unentwickelter . . . kräfte zu sprechen, als von
kindes-, Jünglings-, mannes- und greisenalter Scherer
kl. sehr. 1, 171; jedem Staate ist die monarchische ge-
walt in seiner kindheit die laufbank, in seinem greisen-
alter eine krücke Börne ges. sehr. 12, 14; während
Preuszen in voller kraft . . der Jugend blüht, . . zeigt
Oesterreich alle Symptome der abnähme und der ent-
kräftung des greisenalters Görres ges. sehr. 2, 332; (die
Stadt) genieszt . . . eines ruhigen, schläfrigen greisen-
alters Raabe hungerpastor ; wenn diese gottmenschen
den ewigen frieden werden auf die erde gebracht haben,
so wird das greisenalter der weit angebrochen sein
Gervinus gesch. der deutschen dichtung (1853) 5, 348;
Nürnberg, das die bildenden künste so sehr förderte
und in seinen Spielsachen gleichsam bis in das kindi-
sche greisenalter hegte 3, 291; ein so drastisches ge-
mälde . . . der im greisenalter des heidenthums ausge-
bildeten magie und theurgie Döllinger akad. vortrage
1, 74.
3) die form greisesalter übertoiegend bei norddeutschen
autoren, besonders zu anfang des 19. jhs. :
ein unsterbliches übel beschied dem armen Tithoneus
Jupiter; schrecklicher ists als der gefürchtete tod,
greises-alter Herder 26, 157;
im greisesalter J. J. Engel sehr. 2, 285; dem greises-
alter nahe Ad. Müller verm. sehr. 2, 62; dasz einige
Völker durch Unglück und zufall früh zum greisesalter
gelangen Arndt sehr, für u. an s. l. Deutschen 2, 430;
vgl. 357; von Heinsius sogar der form greisenalter vor-
gezogen wb. 2,527"; vgl. Schütze holst. 2,67; obd. sel-
ten; besonders zu beachten bei Schiller, weil er den
gen. greises meidet (s. 0. sp. 73):
von seinem Friedland
trennt Buttler sich nicht mehr im greisesalter
12, 126 anm. ;
der concinnität zu liehe: das mannes- und greisesalter
erst kann die echte reife des kunstwerks zur Vollen-
dung bringen Hegel 10 1, 365 (dagegen greisenalter 7 2,
92). — greisenangesicht, n,: des meister Friede-
87 GREISENANTLITZ - GREISENGESICHT
wald . . . mitfühlendes greisenangesicht Fouque alt-
sächs. bildersaal 4, 597 ; das bild eines welken greisen-
angesichtes Ebner-Eschenbach 4, 342. — greisenant-
litz, n.: wie zum treffen geschaart standen hämische
da, und neben ihnen sahen ernste greisenantlitze, hart
gemeiszelt, . . von den wänden herab Fouque zauber-
ring (J.812) l,^;
wie ein greisenantlitz droben
ist der himmel anzuschauen
Heine 1, 220 Euter.
— greisesarm, m.: Hubertus hat mich oft meilen-
weit nachts auf seinen greisesarmen getragen Gutzkow
Zauberer v. Eom s, 14. — greisenarmuth, /.; dessen
jugend-aar-muth ausschlug in greisen-armuth Rügkert
(I867jf.) 2,457. — greisenart, /.; es ist nun einmal
Sängerart . . mit . . lust nach der vorweit hinzublicken,
und wie es auch greisenart sein mag Fouque altsächs.
bildersaal 4, 36. — gr eisenartig, adj.: der greis musz
hier ein bischen greisenartig schwatzen und erzählen
Arndt sehr. f. u. a. s. l. Deutschen 4, 375. — greisen-
atmosphäre,/.: was soll sie in diesem altmodischen
wesen, in dieser greisenatmosphäre? Ebner-Eschen-
bach 3, 375. — greisenauge, n.: und nun ist er mit
den ernstfreundlichen greisenaugen erloschen Fouque
altsächs. bildersaal 4, 65 ; er ist ein Januskopf, dessen
Jünglingsantlitz in die zukunft, dessen greisenauge in
die Vergangenheit blickt Gutzkow skizzenbuch (1839)
221. — gr eisenbanne r, n.; an der spitze des greisen-
banners ritt ein hoher schön gewaffneter held Fouque
altsächs. bildersaal 4, 148. — gr eisenhart, m.: mit
einer behendigkeit, die durch den lang hervorwallenden
greisenbart etwas entsetzliches . . gewann ¥ovqve Jahres-
zeiten 2, 89. — greisenbild, n.: und richten sich von
allen selten um den blutheerd schwarz verhüllte greisen-
bilder auf altsächs. bildersaal ^^ 383. — greisenblöd-
sinn, m., dementia senilis Brockhaus convers.-lex. 1*3,
99». — greisenblut, n.: {Frankreich droht) die trans-
fusion parodirend, mit veraltetem greisenblut den körper
des romanischen bruders, der sich verjüngen will, zu
vergiften Kürnberger Siegelringe (1874) 307. — greis en-
bogen, m., arcus senilis, gerontoxon, eine altersverän-
derung der hornhaut des menschl. auges Brogkhaus
convers.-lex. "7, 786". — greisenbrand, m., gangraena
senilis, alterskrankheit Brockhaus convers.-lex. 1*3, 371**.
— greisenbrust, /..- ein wunderschöner greis, . . .
hoch und stattlich weiszen haupthaares und eines hartes,
der glänzend auf die schöne breite greisenbrust her-
niederwallte Stifter 1,225; diesz hat mich aus den
jungfräulichen armen meines milden Vaterlands an die
greisesbrust des rauhen winterlichen nordens geführt
Hebbel 8, lO; vgl. 5,250. — greisencolonie, /.: seine
frau machte witze über die greisencolonie in Sieben-
schlosz, denn auch die alten Siegshofen hatten sich
. dahin zurückgezogen Ebner-Eschenbach 4, 203. —
greiseserotik, /.; es ist nicht greiseserotik in ihrem
specifisch-reinen geist und Charakter, es ist blosz zu-
fällig verspätete jugenderotik Kürnberger lit. herzens-
sachen (1877) 132. — greiseserstarren, n.: gar zu
hart . . war' es, wenn nun der in die schmutzige larve
eingekerkerte Schmetterling nach allem schmerzhaften
hautabsprengen, engen einwindeln und greises-erstarren
in der kaum regen puppe zuletzt nicht herauskäme
Jean Paul 59—60, 113 Hempel. — greisenf alte, f.:
wiewohl den siebzig nicht mehr fern, war exzellenz
von Knobelsdorff rüstig in körperlichem wie in geisti-
gem betracht. sein gehrock zeigte nicht eine greisen-
falte Thom. Mann königl. hoheit (1910) 410. — greisen-
gehirn, n.: die chemische Constitution des greisenge-
hims nähert sich . . derjenigen der jüngsten lebensperiode
Büchner kraft u. stoff (1856) 120. — greisengelock,
n. : und lieszen ihr langes greisengelock über antlitz und
schultern fallen Fouque altsächs. bildersaal 4, 325. —
greisengeschlecht, n.:
die klügsten waldgeister sind die alräunchen,
langbärtige männlein mit kurzen beinchen,
ein fingerlanges greisengeschlecht
Heinb 1, 393 EUter.
— greisengesicht, ».; ein . . wehmütiges ansehen
GREISENGESTALT - GREISENHAFTIGKEIT 88
gab ihm sein von leiden durchfurchtes greisengesicht
Heine 6,128 Elster. — greisengestalt, /..- nun, der
Froger war auch einäugig; eine gewaltig hohe greisen-
gestalt Fouque altsächs. bildersaal 2, 451; nun kamen
ältere herren im ornat und mitten unter ihnen . . eine
gebückte greisengestalt, der Jubelpriester Rosegger
Wildlinge (1905) 237; des Dionysos . . bildnisse pflegen
sie in kindlichem, theils in jünglingswuchs aufzustellen;
auszerdem in bärtiger, auch greisesgestalt J. H. Voss
antisymb. 396;
ich sähe bei ave Maria und kreuzen,
geschmücket mit höhern, unsterblichen reizen,
wohl eine ätherische greisesgestalt
Novalis 1, 155 Minor.
— greisengrille, /.;
greisenkummer, greisengrille I
wenn wir altem und erschwachen,
dünkt die weit uns alt und schwach
ZscHOKKE sämtl. ausgew. sehr. 39, 38.
— greisenhaar, n.:
ich will den schandbrief ihm vor's äuge halten,
dasz seiner wangfen roth in todtenweisz,
sein haar vor schreck in greisenhaar sich wandelt
Raupach dram. werke ernster gattung 8, 121 ;
wir können erzählen, warum die junge mutter mit dem
greisenhaar von ihrem . . söhne . . edelweisz wünscht
Auerbach sehr. 16, 4; die kinder mit dem greisenhaar,
wie die Italiener verwundert die flachsköpfigen jungen
des nordlandes bezeichneten Mommsen röm. gesch. 2, 173;
der getreu bis zu den greisenhaaren
Denis lieder Sineds (1772) 272, 18;
unserer jüngsten generation und Jugend imponiren . .
keine autoritäten, keine greisenhaare mehr Bog. Goltz
ein jugendleben 3, 880.
GREISENHAFT, adj.. was dem greise eigen ist; an-
scheinend erst seit dem 19. jh.:
herr, sprach er, dieser hart, so greisenhaft,
kann manchen wohl vielleicht zum wahn bethören,
das alter raube mir des muthes kraft
Gries Bojardos verliebter Boland 2, 306 ;
Baton, dem zum contrast mit der jugendlichen gestalt
ziemlich greisenhafte züge gegeben sind Welcker alte
denkm. 2, 177 ; ein greisenhafter zug bildete sich um
seinen mund Ebner-Eschenbach 6, 98; der hofrat sang
die erste strophe dieses liedes in einem greisenhaften
falsett MÖRIKE 3, 87 Göschen; geistig: lauter prahlereil
greisenhafte eitelkeit Holtei erzähl, sehr. 9, 62; Marius
in seiner greisenhaften Verbitterung Mommsen röm.
gesch. 2, 838; er fühlte sich von dem gedanken greisen-
haften nichtkönnens 'wie von hunden angefallen' jahrb.
d. Orillparzergesellsch. 4, 34; ähnlich gern adverbiell: ob-
gleich mein blut bei der frage nach Walthers heimath
greisenhaft ruhig bleibt Scherer kl. sehr, l, 302 ; etwas
greisenhaft ängstliches sprach sich in seinem wesen
aus Ebner-Eschenbach 3, 378; er zeigte sich sehr . .
gesprächig, ja, wie einige meinten, greisenhaft ge-
schwätzig Steub drei sommer in Tirol (1895) 2, 137;
bildlich: aber darüber, dasz sie {unsere zeit) ein gräm-
liches, greisenhaftes gesiebt hat, werden sich alle stim-
men leicht vereinigen Hebbel 12, 200; und doch kam
die ästhetik in etwas greisenhafter gestalt zur weit
JusTi WincÄeZmann 1, 78; bei übertragenem gebrauch hat
das adj. meist den sinn des senilen, abgelebten, oft mit
tadelndem beigeschmack: unsere jungen dichter . . stell-
ten sich gegen alles greisenhafte, pedantische, veraltete
. . in schule, haus und selbst im Staate Gervinus
gesch. d. deutschen dichtung (1858) 4,379; in der that er-
scheint uns der roeocostil jetzt greisenhaft iMsiiWinckel-
mann 1 , 257 ; so ging denn das greisenhafte regiment
schläfrig und langweilig weiter Treitsghke deutsche
geschickte (1897) 3, 513; doch auch weniger prägnant:
schauen wir aber in die lange zukunft jenseits un-
seres grabes hinaus oder hinab; so stellt sich uns
alles mehr alt, abendlich und greisenhaft dar Jean
Paul in Fr. Schlegels deutsch, mus. l, 417; die ly-
rische poesie hat etwas kindliches, die dramatische
etwas männliches, die epische etwas greisenhaftes
Hebbel tageb. 1,399. — greisenhaftigkeit, /.; arg
übertrieben hat man die angebliche greisenhaftigkeit
89
GREISENHAND - GREISESOHR
GREISENPAAR - GREISENWORT
90
der generalität Prutz preusz. geschickte 3, 396; nur
durch den kaufmannsgeist der Lombardei, durch die
greisenhaftigkeit und abgelebtheit Venedigs sind wir
verführt, die italienische nationalität gering zu schätzen
Gutzkow lo, 208; es musz eine zeit des marasmus,
der byzantinischen greisenhaftigkeit sein Kürnberger
liter. herzenssachen 20; seine unwürdige junge greisen-
haftigkeit fühlte er aufs schärfste jener reinen Jugend
gegenüber Raabe leute a. d. tcalde 2, 179. — greisen-
hand, /.; man sollte kaum glauben, dasz eine greisen-
hand sie (die Helenagestalt im Faust) gemeiszelt Heine
6, 509 Elster; greiseshand Nestroy ges. werke 4, 237. —
greisenhaupt, n.: die ein richteramt verwalteten,
hieszen grauen oder grafen, von ihren ehrwürdigen
greiseshäuptern Becker weltgesch. i, 842; das wilde beer
der Ennsthaler alpen reckt seine unzähligen riesen- und
greisenhäupter . . empor zum Hochschwab Rosegger
11x2,48. — greis enh eit, /., singulär: und so schien
uns jenes buch {des greisen Holbach Systeme de la na-
ture), als die rechte quintessenz der greisenheit, un-
schmackhaft, ja abgeschmackt Göthe 28, 69 Weim. —
greisenherrschaft, /..• das unter seiner schwachen
greisenherrschaft mehr und mehr erstarrende Oesterreich
Treitsghke deutsche gesch. 5, 63. — greisenherz, n.:
da schlägt dies greisenherz im glühenden weh! Fouque
altsächs. bildersaal i, 431. — greisenjahr, n.: des
menschen alter . . , welches bestehet in der müszigen
kindheit, . . männlichen stärke, und dann den geitzigen
greisen jähren Harsdörffer frauenz. gesjprechsp. 6, 54;
wann das alter kömpt heran,
wird diesz alles abgethan,
denn, der greiszen jähre ziel
weder lieben kan noch wil
Königsb. dichterkr. 54 neudr.;
einen alten berühmten kriegshelden, der in seinen
greis enjahren mönch geworden war Fouque zauberring
(1812) 1, 53. — greisenkind, n.; schon seine 'wohl-
beleibtheit' war dem verhungerten greisen-kinde im
wege HoLTEi vierzig jähre (1843/.) i, 297. — greisen-
kindheit, f.:
schwach ist die weit, in greisenkindheit, nur flammendes
Schreckbild
zeigt ihr den abgrund, den ihr verdunkeltes äuge nicht
mehr sieht
Fr. V. Sonnenberg Donatoa (1806) 1, 160.
— greisenkleid, n..- aber uns hängt das alte greisen-
kleid noch verhüllend über der blühenden gestalt
Fouque altsächs. bildersaal i, 157. — greisenkopf, m.:
bekanntlich wurde unter dem minderjährigen Ludwig
XV. der greisenkopf auf den alten louisd'or . . . blos
durch den druck eines rades in den . . kinderkopf um-
gemünzt Jean Paul 24—26, 50 Hempel; mit unrecht ver-
absäumt ward es, bey berührung dieses bilderschatzes,
von einem trefflichen greisenkopfe Rembrandts künde
zu geben Matthison sehr. (1825) 4, 135. — greisen-
kummer, m. , s. greisengrille. — greisenleben, n.:
runzelicht, mit den markirtesten gesichtszügen des al-
ters treten sie (die neugeborenen) auf den Schauplatz
dieser weit, und nach ein paar wochen . . beschlieszen
sie ihr greiszenleben Hufeland ku7ist das menschl.
leben zu verlängern (1797) 460. — greisenlocke, f.:
das heitre, von silberweiszen greisenlocken umspielte
angesicht Fouque altsächs. bildersaal 3, 2. — greisen-
maske,/. ; die stehenden masken, deren es eine ge-
wisse feste zahl, zum beispiel acht greisen-, sieben be-
dientenmasken gab, aus denen . . der dichter nur aus-
zuwählen hatte Mommsen röm. geschickte 1, 867. —
greisenmord, m..- ein heldenspiel ... wo man den
feldtod kaum bemerkt vor lauter meuchelmord und
kindermord, greisenmord Jean Paul 52/53, 94 Hempel.
— greisenmund, m.:
greisenmund voll rathes ist ein hört
RüCKERT (1867 J.) 12, 182.
— greisennacht, /.;
tod und nacht, die deutsche greisennacht
Arndt 5,241 Jtösch-Meisner.
— greisennatur, /.; die greisennatur machte doch
ihr recht einiger ruhe geltend Laube ges. sehr. 11, 188.
— greisesohr, n.:
ein_ knabe noch, erzählt' ich greisesohren
mein kurzes leben, das so reich schon war
Freiligrath ges. dichtungen (1870) 4, 179.
— greisenpaar.n.: die äuszerst schwache betonung
jener an dem greisenpaar (Philemon und Baucis im
Faust) begangenen bestimmten thatschuld Visgher altes
u. neues 2, 38. — greisenregiment, n.: jetzt erst be-
gann das starre greisenregiment zu Wien die folgen-
schwere bedeutung der preuszischen handelspolitik zu
ahnen Treitsghke deutscke geschickte (i897) 4, 382. —
greisenring, m., was greisenbogen Brogkhaus konv.-
Zea;. 1* 8 , 241 *. — greisenrolle, /..- Abellino (seiner
greisenroUe vergessend, in voller kraft aufgerichtet)
Zsghokke sämÜ. ausg. Schriften 39, 65. — greises-
runzel, f.:
durch reges aufstehn ehrte der sänger chor
dich hohen iüngling, der vom Teutonenhain . .
froh in bescheidener wtird' einherging,
aus greisesrunzeln wie aus gewölk enthüllt,
ein nord-Apollon
J. H. Voss sämtl. ged. (1802) 3, 251.
— greisenscham, f.:
sank er in kissen, herzte, schwebt'
in lust und grauen, zwischen bangen
vor greisenscham, bräut'gamsverlangen
Immermann 13, 257 Hempel.
— greisenschar, /..- der tod berührte seine opfer:
Barthold Niebuhr, Georg Hegel . . die greisenschar des
deutschen ruhms wird lichter Gutzkow 9, 209. —
greisenschrulle, /.: es (der ekeplan) war eine grei-
senschrulle, würdig der eisenfesten erhalterin (ikres ge-
sckleckts) L. V. Franko IS letzte Beckenburgerin (l87l) 1,
213. — greisenschwäche, /.; vielmehr scheint jed-
wedes (volk) bestimmt, seine kindheit, seine tölpeljahre,
. . seine greisenschwäche durchzumachen Holtei erz.
sehr. 23,95. — greisensitte, /.; Spener ging seiner
Schülerin — nach greisen-sitte um andere unbeküm-
mert — entgegen Jean Paul 15 — 18, 285 Hempel. —
greisenstab, m.: durch lebensalter und natürliche
Verhältnisse, . . am wander- und greisenstabe wird der
mensch zum eigentlichen leben geführt graf Loben
lotosblätter 2, 66. — greisenstimme, /.: er sprach
mit matter greisenstimme W. v. Polenz Grabenhäger
1, 247. — greisentage, plurale tant.: aber er vermied
. . das harte Schicksal nicht, das ihm für seine greises-
tage aufbehalten war Begker weltgesch. l, 419; den
alten herrn . . . , der sich noch in seinen greisestagen
das lachende roth des national-liberalismus auf die
Wangen legte Gutzkow 9, 426 ; in seiner kindheit waren
hier die urwälder ausgerottet worden; . . und nun in
seinen greisentagen lieszen sie das Weiszbrunnthal
wieder anwachsen Rosegger 8,206. — greisentraum,
m. ; willst du die künftigen greisenträume deines kindes
wie ein trauerzimmer schwarz ausschlagen? Jean Paul
44, 76 Hempel. — greisen th um, n. ; ein greisenthum
dieser art ist . . . nur das caput mortuum des lebens
Schopenhauer 4, 551 Qriseback; 'der pfarrer steht im
fünfundsiebzigsten jähre.' 'nun, das beweiset nichts,
im gegentheil, desto schlimmer für den alten mann,
wenn seinem greisenthume zum trotze, er dennoch . .
wie alt ist denn die hübsche wirthschafterin?' Holtei
erz. sckr. 16, 6; vgl. 38, 98; (gedächtnisschwache) auch
eines der . . . anzeichen des hereinbrechenden greisen-
thums Ebner-Esghenbagh 6, 265. — greisenüber-
lebtheit, /.; mitten in die gedankenembryone , die
nicht leben, und die greisenüberlebtheiten, die nicht
sterben können, schleuderte die Vorsehung eine aufgäbe
Gutzkow lO, 75. — greisenvolk, n.-.
denn greisenvolk auf krücken,
dazu hochschwangre frau'n (flohen)
Freiligrath ges. dicht. (1870) 4, 94.
— greisenwahn, m..-
auch mir will oft das haupt der greisenwahn umdüstern
RüCKERT (1867 ff.) 8, 349.
— greisenweisheit, f.:
milde greisenweisheit
von den lippen, von der stirne spricht
Denis lieder Sineds (1772) 105.
— greisenwort, n.: greisen worte gedichttitel beiUn-
LAND ged. (1898) 1, 98; all' seine gedanken weiszt er
91
GREISENZEIT - GREISIG
GREISIN - GREISKRAUT
92
(Beethoven) in den basz hinab, manchmal ist's, als
möchte er noch einen ton finden, der ganz im tiefsten
abgrunde, wie das tausendjährige greisenwort des alten
Saturn, brummte Gutzkow 2, 408. — greisenzeit,/.;
dasz wir uns wohl in die kinderzeiten zurück, aber
nicht in die greisenzeit hinaus träumen Jean Paul u,
151 Heinpel.
GREISERICH, m., panicum crus galli Pritzel-Jessen
261*; Grassmann nr. 742; Schweiz, form für grenserich,
s. d.
GREISGESPENST, n.. gespenst in greisengestalt: das
soll nun währen, bis zwei brüder in der familie auf-
kommen, von denen der eine den andern ermordet . .
so lautet eine steinalte prophezeihung und man sagt,
dasz das greisgespenst nun sehnlich darauf warte Tieck
sehr. 11, 40.
GREISGRAM, adj., irrthümliche diphthongierung von
grisgram : er ist mir gar greisz gram, todt spinnen feindt
mihi vehementer iratus est Apherdianus methodus dis-
cendi (l670) 75; vgl. greisgrimmig.
GREISGRAU, adj., verstärktes grau (vgl. greisalt); in
manchen nd. dialecten Frischeier 1,253^; im rhdnfr.
durch volksetymologische anlehnung an grütze entstellt
zu gritze-gra ganz und gar grau Schmeller l, 1018;
ViLMAR 138; ebenso waldeckisch gritsegrä Rauer-Col-
LITZ 41^;
zuband sprach sich ein altgreise,
ein alter greisgrawer man
Mittler deutsche Volkslieder (1865) 133;
also dass landgraf Wilhelm , . . seinem alten, abgeleb-
ten, greisgrauen vater . . den gebührenden unterhalt . .
nicht reichen könte Chemnitz schwed. krieg l, 86; ein
alten greiszgrauen mann vergleichet er einem blühen-
den bäum Aeg. Albertinus hirnschleiffer (1664) 47; das
abgelebte, weiszbeschneite, . . . welcke, . . . wolbetagte,
greiszgraue, unbegnügte . . alter Treuer deutscher Da-
dalus (1675) 1, 74; wenn Schröpfer zum beispiel seinen
alten greisgrauen bebarteten mann, seine kalten riesen
und Zwerge . . . heraufzauberte La vater ausgew. sehr.
1, 259; mit bewahrung des nd. vocals:
aufgepaszt: da kommt ein wahrer
eisbär! huh, ein griesegrauer ! (ein altes hökerweib)
Dehmel zwei menschen (1908) 91;
statt dieser intensiven bedeutung kennt das nd. weithin
eine abgeschwächte: zeigen sich die grauen haare erst
einzeln, so heiszt das grisgrau oder grimmlich Danneil
70^; griesgrau grau mit etwas dunkelm gesprenkelt brem.
wb. 2, biß; ähnlich Adelung 2, 795; vgl. grisgrö, /., butter-
milchsuppe Leihener cronenberg. 47''; Wöste 86*; m,eck-
lenburg. auch als Scheltwort: de olle grisegrape kiirl, de
olle grisegrape sog von einer weibsperson Rerghaus 1,
613'' (die Umbildung scheint anzuknüpfen an grise gra-
pen [grapsen] ein graues gericht brem. wb. 2, 546).
GREISGRIMMIG, adj., irrthümliche diphthongierung
von grisgr. (vgl. greisgram) : herr Zanckmann, der ganz
greiszgrimmig, wie ein low aussiebet Quistorp bei
Danzel Gottsched 140;
nur nicht gespottet, freund! du könntest mich bewegen,
des Zolls rüstung auch greiszgrimmig anzulegen
ScHÖNAiCH in: d. neueste aus d. anmuth. gelehrsamkeit
V. Gottsched 2, 884.
GREISHAAR, n., capitis nives Henisch 1738; er . . .
steckte den köpf mit dem wehenden greishaar durch
die Zaunlücke Storm 6, lOi.
GREISHEIT,/., canifo'es Henisch 1738; beschaffenheit,
eigenschaft einer suche, da sie greis oder grau ist Hein-
sius 2, 527''.
GREISHOLZ, n., örtliche benennung des ligu^ters (nach
der weiszen färbe des holzes) Rossmässler der wald
(1863) 493.
GREISICHT, adj.: andere halten es für zehe, lettig,
greusicht oder kyfricht land Mathesius Sarepta (1562)
155*; zu 2greis l, sp. 81.
GREISIG, adj., im gebrauch von greis kaum unter-
schieden:
er {der vater Rhein) nickt aus den fluten mit greisigem haar
und spendet erquickenden segen
HOFFM, V, Fallerslbben ges. sehr. 3, 32 ;
der Jüngling sah starr in die greisigen runzeln des
nachtgesichtes Kürnberger novellen (l86l) l, 18; die
greisigsten greise erinnern sich nicht solchen august
erlebt zu haben Fontane familienbr. 2, 8;
nun aber, berühret mit dem kalten griff
des greisigen alters, schreitet einher im schon falben hain,
deren einer brüder Stolberg 2, 336 ;
dasz in dem germanisch verjüngten Europa das greisige
Celtenvolk mit verdorbenem römerblut in den ädern
befruchtend an unserer seite liegen könne Kürnberger
Siegelringe (l874) 166; adverbiell:
wolltest greisig dich gebärden,
weil den scheitel schnee bedeckt
Arndt 5, 161 Bösch-Meisner ;
auch dialectisch: gräsich grau, ins graue streifend Kra-
mer Bistritzer dial. 39; in älterer zeit greisicht, problem.
Aristot. (1589) 13 (s. o. * greise); canus, rancidulus, emu-
cidus Stieler 696; daher: griset (färbe von rindvieh)
stichelhaarig und dadurch grau erscheinend (Kärnten)
Martiny wb. d. milchwirthsch. (l907) 48; griset, gris'lt
grau, grislete woll; sprenkelig, eine griselete henne
Schöpf 214; grisat grau Racher Sprachinsel Lusern
263; griset piccJiettato, an alter griseter man Schmeller
cimbr. 126''; zu dem auffälligen vocal vgl. greis, sp. 65, 2.
— greisigkeit, /., canities, canitudo, mucor Stieler
696.
GREISIN, /., ganz junges wort; noch von Adelung
als nicht üblich bezeichnet wb. 2, 795; wie es scheint, von
Voss eingebürgert:
(Aphrodite) in gestalt der wolle krampelnden greisin
(yyjji di ,utv hxvla nalaiytvii r 386) Ilias 3, 386;
Pallas nimt der greisin gestalt, und fälscht um die schlafen
graues haar (Pallas anum simulat metam. 6, 26)
Ovid nr. 26, 22;
ohne frucht, und gebückt als greisinnen, stehn wir
sämtl. ged. (1802) 2, 198;
seit anfang des 19. jhs. häufig: die freundliche greisin
küszte ihren söhn auf die stirn Fouque altsächs. bilder-
saal 4, 150; (die weiber haben) lange falten im gesicht,
als wären sie schon greisinnen Ritter erdkunde 15,
1104; das der greisin Mafuike . . . gestohlene teuer
Ratzel Völkerkunde (iBSbff.) 2, 306; vde greis auch von
thieren: ihren zahnen nach darf man ihr (der affin)
ein alter von vier jähren zusprechen, obschon man sie
nach ihrem runzeligen gesiebte für eine hundertjährige
greisin halten möchte Rrehm thierleben l, 222 Pechuel-
Loesche; im vergleich: so ruht diese graue tochter des
mittelalters (die Wartburg) in ihrem grünen waldes-
kranze wie eine ehrwürdige greisin , von blühendem
leben umfangen Aug. Sach deutsche heimat (i902) 346;
übertragen :
diese greisin, diese düstre flehte
zeigt die narben, die auch sie (in der schlackt) empfieng
TiEDGE eleg. 1, 76.
IGREISING, m., senex, nur mhd.: ein alter grisinc
Rerth. V. Regensburg 820, 29; 321, i. 3.
2GREISING, s. greuszing.
GREISKIND, n., kindischer greis: überall, wo die
sonne aufglänzen konnte, hatte er ordentlich mit dem
kindischen Wohlgefallen eines greiskindes bunte glas-
kugeln auf stäbe gesteckt Jean Paul 32, 156 Hempel.
GREISKNARE, m., greisenhafter k^iabe: (die ägypti-
sche, das knabenalter der m^nschheit darstellende cultur
scheint dir roh und unentwickelt; aber) siehst du nicht,
, . wie deine bürgerliche klugheit, philosophischer deis-
mus . . den knaben wieder zum elenden greisknaben
würde gemacht haben Herder 5, 490.
GREISKOPF, m., graukopf; nd. sehr gewöhnlich: gris-
kop Schambach 69*; Danneil 70''; den ölen griiskopp
Kl. Groth nach Berghaus i, 614*; der alte greiskopf
Simeon sagt auch davon Otho evang. krancken trost 50;
ist das nicht eine schände für einen solchen alten greis-
kopf? Gottsched deutsche schaub. 5, 363.
GREISKRAÜT, n., sowohl für senecio Pritzel-Jessen
374, wie für erigeron Grassmann nr. 350, wb. d. lux.
ma. (1906) 153*; beide pflanzen verblühen schnell und
tragen dann auf ihren blüthenköpfen helle haarkronen,
die ihnen ein greisenhaftes aussehen geben; vgl. 2 greise.
93
GREISLEIN - GREITELN
GREITEN, GREITIG
94
GREISLEIN, n.: Bodmer ist ein altes greislein mit
kahlem vorhaupt Heinse 10, 81 Schüddekopf; argloses
greislein, achtzigjähriges kind, durchschaust du nicht
dieses heuchlers tücke? Holtei erz. sehr. 17,86; der
pfarrer war ein rasches greislein Rosegger III 2, 353.
GREISLICH, adj., furchtbar, abscheulich, häszlieh:
greyslich atrox, dirus Diefenbach nov. gloss. 136 •"; hör-
rendus gloss. 280''; rictu foedus et minax, horribilis
aspectu Henisch 1788;
nun hab ich mir ain weib genümen, . .
sie sieht hesziich, so pin ich scheuslich;
sie sieht dueekiseh, so pin ich greiszlich
H. Sachs fastn. sp. 76, 91 Qötze;
das unrecht wird nu wehrt gehalten
und ich (die gerechtigkeit) musz drüber greiszlich alten
Knittel poet. Sinnenfrüchte (1677) 120
{toohl eher hierher als im sinne 'greisenhaft' = nd. gris-
lich grauartig, s. greis sp. 81, III) ; auch in einigen westd.
dialecten: greiszlich Follmann 215*; lux. ma. (1906) 153»;
vgl. greiserlich entsetzlich Kramer bistritz. 39; gehört
wie das verwandte greisemlich (s. d.) zu der im nd.
blühenden sippe von grisen schaudern, s. d.
GREISTEN, vb., = kreisten kreiszen: sihe, so wird er
nach bösem greisten, mit Unglück ist er schwanger
Scheue psalmen c 4» (jp*. 7, 15); nach bei kreiszen auch
sonst bezeugt th. 5, 2165.
GREISUMLOCKT, adj.: die feinde beachteten den
kleinen, greisumlockten mann wohl gar nicht FouQUE
altsächs. bildersaal i, 643.
GREISUNG, /., das greis werden:
was zu sehen ihr graut, die klare gestalt ihrer greisung,
davon haszt sie auch mit das schattengebild
Arndt 6, 111 Rösch-Meisner.
GREISZELN, vb., in kleinigkeiten genüge finden: o
glücklicher greisler, wie ruhig greiszelst du den lebens-
pfad dahin Nestroy gesamm. werke 5, 194; gelegenheits-
bildung zu greiszier, *. d.
GREISZEN, vb., bergmänn. wort für 'von einander
spellen, spalten' Minerophilus bergwerkslex. (1743) 274'';
nach Jagobsson technolog. wb. 5, 735» im Erzgebirge;
= gereiszen? Adelung 2, 795.
GREISZLER, m., victualienhändler, die im, heutigen
österr. fest gewordene form für gräuszier («. d.), Schöpf 212,
Hügel Wien. dial.iO, Loritza id. Vienn.M, Sghmeller
1, 1010 mit weiteren nachioeisen; die einkehr nahmen sie
bei einem krumpfhändigen greiszier, allwo ich gleich-
falls zu kost und bett gienge Abele v. Lilienberg
künstl. Unordnung i, 192; dahero er (Judas) mit under-
schidlichen leuthen beschäftiget worden, nemblich mit
einkaufern, mit verkäuflern, . . mit greiszlern, würthen
Abr. a St. Clara Judas (1686/".) i, 268; dazu greisz-
lerin Nestroy ges. werke 2, 210; ünger-Khull 305»;
greiszlerladen Nestroy ges. werke 2, 37; Rosegger
II 13, 338; greislerleute Nestroy ges. werke 5, 194;
greislerstandpunct : vorausgesetzt, dasz die ver-
legerfrage nicht absolut unlösbar ist, was der fall zu
sein scheint, so lange die Wiener Verleger den ideen-
losen greisler-standpunkt nicht aufgaben H. Lorm aus-
gew. briefe (1912) 247.
^GREIT, OT., begierde, habgier; nur alem., besonders el-
süss.; vom li.jh. an: so ist ir leben gar faste gekert
uf ere und ufe grit und ufe unkuscheit Staub-Tobler
2, 286 (li.jh.); es bewiset ouch des bobestes und der
Cardinal grit und ire hofart Closener in den städte-
chron. 8, 70, 8; vgl. 340, 15; dorecht gsatz, schinderey,
gryt, koufmanschaft Glemen reform, fiugschr. 4, 108
(Karsthans) ; such nit hoffart, nit unkeuscheit, nit greit,
sunder demut, küschheit, meszikeit Geiler v. Keisers-
BERG evangelia (l517) 144''; gryt ist unordentlich begird
etwas zu haben christl. künigin cc l''; vom 17. jh. an
nicht tnehr belegt, der heutigen ma. fremd; zur etyTno-
logie vgl. greitig.
2 GREIT, adv., s. gereit.
GREITELN, vb., wesentlich bair. seitenform zu grit-
teln (s. d.) ; urspr. die beine spreizen : graitlen divaricari,
cruribus esse distr actis Schön sleder prompt. (1647) x
6»; graideln, zergraideln late dimovere gradum, eoque
rumpi Prasch dissertatio (1686) 29; greitlen Stieler üüi;
sie graidelt über in verzwunzen,
wolt auf den vogel prunzen
MoNTANUS schwankb. 544 lit. ver. ;
so wolle das weib ihre Oberschenkel immer beisammen
halten und sie keineswegs von einander graiteln Mau-
riceau deutsch (1687) 462; dann auch: spreizbeinig, schwer-
fällig gehen:
der gmechtpruch graytelt, gieng verzaget
H. Sachs 4, 407, 34 Keller;
noch heute bair. -'österr. : graideln, graigeln sich die füsze
verrenken oder brechen durch allzuweite schritte Loritza
id. Vienn. 53; finger oder beine spreizen, mit anstrengung
gehen, steigen, klettern Schmeller l, 1016; tirol. gratteln
Schöpf 209; so auch schon bei Stieler 691; dazu grei-
tel, /., die beiden gespreizten beine; greitlerisch, adj,
und adv., tnit weit auseinander gesperrten beinen (stehen,
sitzen u. s. w.) Schmeller i, ioi7.
GREITEN, vb., seltene seitenform zu gritten (s. d.);
der bedeutung nach = greiteln: das (pferd) sprang so
eylend auf allen fiern herab, das [es] . . uff alle vier
fiel und greytet, doch unverletzt wider aufstund Seb.
Frangk Germ, chron. (1538) 283''.
GREITIG, adj., avidus Diefenbach 61»; cupidus 163»;
Martin behandelt das wort Straszb. stud. I, 381^.; er
irrt nur darin, dasz er es für specifisch alem,., beson-
ders elsäss. hält; auch im, nd. häufig: griddig gierig,
habsüchtig Wöste westfäl. 85»; gridig gierig E. Hoff-
mann vocale d. Lippeschen ma. 44; grittig eifrig, gierig
in der Diemelgegend Vilmar 138; vgl. gridden syn
geizig sein, grithüngerig heiszhungrig Strodtmann os-
nabr. 76/. Zusammenhang mit got. gredags hungrig, den
schon Frisch annimmt, ist kaum zu bezweifeln, obgleich
der stammsilbenvocal Schwierigkeiten macht. Martins
erklärung (mhd. gritec nach gitec) befriedigt deshalb
nicht recht, weil sie für die nd. form,en nicht anwendbar
ist; denn git, gitec sind wesentlich obd. worte, vgl. th. 4 ',2,
2812. die dialecte kennen übrigens eine dem, got. gredags
genauer entsprechende form: rheinhess. grädig Martin-
Lienhart 1, 286; schioäb. heiszgrätig geizig, naschhaft
Fischer 3, 1398; gretig avidus, vorax Henisch 1741;
gretiglich ib. die kürzung zu grittig ist secundär, aber
alt: schon bei Ruolman Merswin nach Martin (a. a. o.
38l) oft grittig; bei Keisersberg grüttig (s. u. l); vgl.
mhd. gitec zu gittig th. 4 1,2, 2810; das heutige elsäss.
hat neben der gekürzten auch noch die form, mit langem
vocal Martin a. a. o. 382. die bedeutung empfiehlt ent-
schieden Zusammenstellung m,it gredags :
l) in den heutigen maa. meist vom essen und trinken:
trink nit so gritig wasser in d hitz Martin-Lienhart
1, 286; vgl. Follmann lothr. 217»; gridig essen Staub-
Tobler 2, 705; so auch in älterer zeit: hastu irgend zu
gritig gefressen? o wehe nein — nit grittig gessen
Moscherosch gesichte (1650) 374; vgl. die andern, die
den sand von dem meer keuwen und in sich fressen,
das sind die grüttigen, denen ist das ganze ertrich zu
schmal Geiler v. Keisersberg seelenparad. 155».
a) schon früh allgemeiner:
iedoch dunket er sich
niht vollen sselic da mite
nach gltiger (var. gritiger) Hute site
Fleck Flore 4822;
daz wir durch keines guotes kraft
üf erden gritic sollen sin
K. V. Würzburg Silvester 3877;
er (könig Albrecht) was gar gritig noch gute Closener
in den städtechron. 8, 64, 5; nu was Chayn ain acker-
mann und gritig, darumb opferte er das krenkeste von
sinen frühten Königshofen ebd. 239, 22; was crützes
haben die gelt-greitigen Keisersberg evangelibuch 81^ ;
vgl. den beleg unter sorgaffe th. lO^, 1755; auch in der
heutigen ma.: nie soll merr uf e mann so griddi sin
versesse; e jedwedder will kryddi rych wäre Martin-
Lienhart 1,286. dazu greitigkeit,/., habgier: griti-
keit cupiditas Diefenbach 163»; vgl. gretigkeit aviditas.
voracitas Henisch 1741;
95
GREITSCHEN — »GRELL
1 GRELL
96
mome s6 versuochent
ob ir stne gitekeit (var. grttekeit)
mit gebender behendekeit
mugent Schatzes gesäten Fleck Flore 4-781;
ein deil ist gefangen mit der sünden der gritikeit Mer-
swiN neunfelsen 29 Schmidt; der (Leo) begert von grite-
keit einre kröne Closener in den städtechron. l, 33, li;
fürsichtikeit wirt genennet grütikeit Keisersberg seelen-
parad. vorr. 5*; die ehemalige Straszburger hs. G von
Boners edelstein hat nach der ausgäbe von Scherz in
der 5. fabel mehrfach grittekeit (Martin a. a. o. 382).
GREITSCHEN, vb., nebenform zu grätschen: der herr
graf standen ausgegreitscht F. H. Jacobi im Merkur
(1776) 2, 4r6, später durch ausgespreizt ersetzt; vgl. lothring.
graitsch groszer schritt, graitschen abschreiten Follmann
213».
GREIZEN, m., panicum crus galli Pritzel-Jessen
216*; Grassmann nr. 742; Schweiz, form für gränsen
StAUB-ToBLER 2, 783.
GREKE, GREKEN-, s. grieche, griechen-.
GRELING, m., das kleinste und schwächste kabel- oder
ankerthau, welches bei dem gabelanker dienste thut Jacobs-
son 2, 149 ''; eine pferdeleine oder ein kabelweise geschla-
genes thau Bobrik 319^; vgl. Heinsius 2, 627"; Beil
1, 261; ins frz. übergegangen als grelin.
1 GRELL, adj.
Verbreitung und form: ein ursprünglich md. nd.
wort; ahd. fehlend, auch in mhd. zeit nur auf md. boden
(s. u. l); von den modernen maa. kennen die obd. das
wort kaum {bei Fischer 3, 823 als nicht populär be-
zeichnet; doch vgl. Staub-Tobler 2, 729), um so häufiger
ist es im nd.: brem. wb. 2, 533; Doornkaat-Koolman
1, 677''; Berghaus i, 609"; Wöste 85"; Bauer-Gollitz
40^'; Dähnert leo*"; Mi 29»; Hupel 82; nicht minder
häufig ist die abgeläutete form, grall: Schiller-Lübben
2, 138»; brem. wb. 2, 533; Strodtmann 75, mit verschärf-
tem anlaut krall Schambach iil»; vgl. krallog Mi 46»
(in dieser gestalt vereinzelt in die Schriftsprache einge-
drungen, s. th. 5, I980); orthographisch wirkt das neben-
einander von grell und grall nach in der Schreibung gräll,
z. b. bei HoLLONius (s. u. 2); nl. als gril (selten grel)
zornig, heftig Verwijs-Verdam 2, 2140; ivb. der nederl.
taal 5, 764; anord. nur im, compos. grellskap erbitterung,
zorn Snorra edda 146 Jonsson; dän. norweg. grel {von
stimmen und färben) scheint dem detitschen entlehnt Falk-
ToRP 1, 844. der Wechsel im stammsilbenvocal xoiederholt
sich bei den zugehörigen Substantiven: hd. grell, grill,
grall schrei {s. d.); mnd. gral zorn, univille, grille dass.;
über die form, des vbs. grellen s. u. sp. 104. Zusammen-
hang mit groll ist nach der ursprünglichen bedeutung
des adj. nicht zu bezweifeln; im, idg. fehlen unmittelbare
verwandte; vgl. Fick^s, 142; Franck2 218».
bedeutung: l) die älteste auf deutschem boden nach-
weisbare bedeutung ist 'zornig'; zufrühest nd. md. : iratus
ertornieh vel grel vel unmodich Diefenbach 309»; vgl.
austeriter gral, unmodich nov. gloss. 44; darumme was
dut Volk gans gralle und spreken unde repen Schiller-
Lübben 2, 138» {aus Braunschw. schichtb.);
ich mache ir ettesitchen grel
Rumsland bei v. d. Hagen minnes. 3, 64»;
daz tuot der t6t, des muot ist üf mich worden grel
Regenbogen ib. 345^;
nhd. geht die bedeutung über in 'wild, ungestüm, leiden-
schaftlich, hitzig':
botz angst, wer hat uns nur verschwatzt,
dasz mein mann also grel rein-platzt
mit solchem eyfer und argwon?
H. Sachs 17, 185 Keller-Götze;
hab ein grausam, frech gesicht,
scharpf, mürrisch, trützig, grell und wild
Scheit Orob. 4691 neudr.;
(Achilles) lief Hectori entgegen schnell
und fasset einen zoren grel
Spreng Ilias (1610) 310^;
grell fuhr Antilochus darvon 326»;
Notus von mittemtag so grell
drey schiff trib an die felsen schnell Äneis 4i>;
ir tragt gut wissen die grele, gewaltsame handlung, so
euer mitburger . . an mir . . begangen haben Baumann
quellen z. gesch. d. bauernkriegs aus Rotenburg 398; über
dis alles laufen . . bei den frembden nationen und po-
tentaten solche geschwinte und grelle anschleg und vor-
haben für der religion halben Laz. v. Schwendi bei
Eiermann 140; weiter abgeschwächt zu 'heftig, stark':
anno 1482. ist . . in Schwaben ein so grellen klemme
theurung Seb. Franck Germ, chron. 270»; schattechte
schöne bletz . . , in denen man sich vor der grellen
hitz der sonnen kan aufhalten Rauwolff beschreibung
d. reise (1583) 25 {dies häufiger), die angeführten, im,
älteren nhd. vorherrschenden bedeutungen sterben im 17. jh.
für den litterarischen gebrauch ab; mundartlich leben sie
fort: wild, unartig, jähzornig Staub-Tobler 2,729; na-
mentlich nd. in verschiedenster färbung : zornig, ergrimm,t
brem. wb. 2, 533; böse, voll eifers Dähnert 160 ''; hg kikd
so grell üt, as wenn hS 6n upfräten wil Doornkaat-
Koolman 1, 678»; hitzig, brünstig, gierig: h6 is so grel
up de wichter {mädchen), up 't äten, na 't geld ; de bull'
is grel 1, 677*'; heftig, stark: 'i frust grell Berghaus
1, 609»; schnell Wöste 85»; lop grell hen Mi 29»; ver-
drieszlich, miszmüthig, zänkisch, unruhig Hupel 82.
2) zur bezeichnung von gehör seindrücken: hell, schrill,
durchdringend, schneidend; anscheinend erst secundär
neben der vorigen bedeutung; denn im älteren nhd. über-
raschend selten: unter des ruft er grell und hell Fi-
schart geschichtklitt. 366 neudr.; nur in folgender tcen-
düng häufiger: wie können sie {die namen) dann so grell
in oren und unangenem sein 163 ; sehet disz laut den
ketzern grell in obren binenkorb (1588) 131*'; etlichen
zarten heiligen wird die bittere und verhassete warheit
gräll in den obren thun Hollonius somnium 72 neudr.;
erst mit dem ende des iS.jhs. litterarisch dtirchgedrungen ;
gern neben stimme, ton, namentlich aber schrei und pfiff:
reine, kleine, grelle stimme, der discant, vox acuta He-
nisch 1739, ähnlich Stieler 701; bergleute, die . . mit
lebhaften und grellen stimmen . . lieder vortrugen Göthe
21, 147; die streitenden stimmen tönen grell neben ein-
ander Fr. Schlegel im Athenäum l2, 154 ; mehr grelle
und böse stimmen als liebliche vernahm er {im, getriebe
des lebens) um sich her Raabe hungerpastor 2, 143 ; dasz
ich jetzt nichts hörte, und jetzt wieder von grellen tönen
erschreckt wurde Tieck sehr. 17, 313; {die hohe läge der
singstimmen) wodurch der ton laut und grell wird Jahn
Mozart 4, 720; bildlich: die resonanz seiner seele war
zu zart gebaut, als dasz sie alle erschütternden und
grellen töne der geschichte hätte aushalten können
Gutzkow ges. werke 12, 105;
und dazwischen schreit unbändig grell Silenus öhrig thier
Göthe Faust II 10033 ;
welch greller schrei die stille bricht?
Droste-Hülshoff 2, 78 Cotta;
neben mir es pfeift noch greller
Göthe 4, 70 Weim. ;
der grelle pfiff der Wächter Brentano 6, 10; das sibi-
rische murmelthier . . thut einen grellen pfiff mit hel-
lem ton Ritter erdkunde 2, 715;
der Sturm pfeift grimm und grell
Strachwitz ged. (1850) 280;
jung neben lachen: der abenteuerliche mensch lachte
grell auf Gutzkow ritter v. geiste 2, 169; ein grelles
lachen ges. werke 5, 345; ein grelles gelächter Ebner-
EscHENBACH 4, 14; daneben in den verschiedensten Ver-
bindungen von menschlichen wie thierischen stimmen und ^m
anderen geräuschen: ^H
in die saiten der zither greift er schnell, ^~
und singt dabei recht hohl und grell
Heine 1, 23 Elster;
und schrie im grellsten falsett Gaudy sämtl. werke 13, 91 ;
ein grelles jauchzen, das einer aufsteigenden raketen-
garbe nachgellte Anzengruber 1, 190;
die hyäne heulte so grell
Brentano 1, 385 ;
kein greller vogelschall, kein thierisches gestöhne
Rückert 8, 11;
mit grellem schwirren sprang . . die straffe saite Müll-
ner dram. werke 2, 12; dann drückte er gegen einen . .
97
1 GRELL
1 GRELL
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knöpf, worauf im innern eine grelle glockenstimme ant-
wortete Stifter 2, 50; ein greller zug an der haus-
klingel Gutzkow ges. tcerke 3, 143; etwas anders: eine
grelle, lustige jagdmelodie hört man . . einfallen Kör-
ner 3, 96 Hempel;
ruf ich den lauten segen in die grelle
musik des donners Mörike 1, 48 Oöschen;
iisweilen ist die bedeutung in ähnlichem sinne modificiert
loie bei der anwendung des adj. auf färben {s. m. 3 b a) :
doch ist es . . mode geworden, um der abwechselung
willen, die trios oft in sehr grelle töne zu setzen Schu-
bart ästhetik d. tonkunst 351; bildlich: dasz er durch
die grellsten dissonanzen zur harmonischen auflösung
durchdringe Börne 7, lil; auch dialectisch: h8 hed so
'n grellen täl, dat klingt mi to grel Doornkaat-Kool-
MAN 1, 678*.
S) zur bezeichnung von gesichtseindrüchen. nach der
analogie sinnvertcandter Wörter ist zu vermuthen, dasz
dieser gebrauch aus dem vorigen hervorgegangen ist (vgl.
Grimm gramm. 2, 86/.); aber beweisbar ist das nicht,
denn grell vom licht erscheint ebenso früh v>ie grell vom
schall, um, gleichfalls erst gegen ende des 18. jhs. allge-
m^eine litterarische Verbreitung zu finden.
a) vom licht: hell; meist, aber nicht unbedingt mit dem
nebensinn des blendenden, stechenden:
der himmel ist von stemen grell
Wickram 6, 27 Balte-Scheel;
der inner regenbogen ist so grel . . in seinem schein
gewesen, das er zu sehen unleidlicher ist gewesen dann
die sunn See. Franck zeitbuch (l53i) 242''; ein stetigs
feur das nicht zu grell und grosz ist Mathesius Sa-
repta (1671) 195»;
die feuer angezündet hell,
so vorhin gaben flammen grell,
jetzt brinnen tunckel und unsteth
Spreng Aneis 177»;
in jüngerer zeit am häufigsten vom prallen Sonnenschein:
der letzte grelle Sonnenschein des kurzen wintertags
Mörike 3, 81 Oöschen; wo . . ein kinderwagen in greller
mittagssonne hielt Fontane I 5, 4; grelles Sonnenlicht,
das mir in die äugen fiel, hatte mich aufgeweckt Ebner-
Eschenbach 4, 251; überhaupt gern neben licht: beim
nächtlichen lampenschein, der ein grelles licht auf eine
stelle warf Forster sämtl. sehr. 3, 60;
Tind was aber nicht will sprieszen
im grellen lichte, sondern duft'ger nacht
RÜCKERT (1867 Jf.) 2,284;
der bediente . . läszt die battants offen, aus denen grelle
lichtwogen herausfluten Brunner erzähl, u. sehr, l, 296;
der grellen lichter tanz Brentano 4, 91; bildlich: bald
übertreibt man die albernheit, um_ sie in ihrem grell-
sten lichte zu zeigen Gramer Neseggab 8, 55; erschienen
ihr die mängel des sohnes in immer grellerm licht
Melgh. Meyr erzähl, a. d. Eies l, 316; ein negativer
Staatsstreich, der . . die verlegene Spannung des mo-
ments in das grellste licht stellte und beseitigte Nitzsch
deutsche Studien 174; iveiter neben lichtschein u. ä.: wohl
ist ein grelles morgenroth vor uns emporgestiegen (i. j.
1848) Haupt nach Scherer kl. sehr, i, 115; ein wolken-
risz, der den grellen abendschein durchliesz Keller
4 , 103 ; (die scenische Wirkung wird unterstützt durch)
rufe von auszen her, Signale, grellen lichtschein Frey-
tag 14, 67; ein blitzstral . . zeigte im grellen Wider-
scheine die gebirgsformen Laistner nebelsagen 307;
ein heiszer groll
flammt auf wie greller blut'ger nordlichtschein
Arent, Gonradi, Henckell mod. dichtercharakt. 94;
anderes seltener:
stählt Waffen dort am russ'gen herd und schürt
den brand, umsprüht vom grellen funkensch warme
ElCHENDORFF 3, 543 ;
woher die glut, die flücht'ge, grelle,
die jener wölke schwarz umfliegt
Freiligrath 1, 8;
wenn du . . sähest, dasz der grelle tag . . die . . däm-
merung vertreibt (nach dem fällen der bäume) Schmid
alte u. neue gesch. aus Bayern 28; grelle Schneeflocken
C. F. Meyer an L. v. Fran^ois 244; adverbial: seinen
IV. 1. 6.
. . Schild, auf dem grell die sonne zurück blitzte maler
Müller l, 187; die aussieht ins freie wird durch einen
blitz grell erhellt Nestroy 2, 29; es waren die tage
ihrer hochzeit, die grell beleuchtet vor ihr standen
Storm 1, 161 ; die strahlen der ersten frühlingssonne
fielen grell auf den erdboden Freytag 13, 202; dialec-
tisch: dat für brannd, dat lücht schind so grell; dat
is so 'n grel für Doornkaat-Koolman 1,678*; ähnlich
WÖSTE 85»; grell hell, schimmernd; ne grelle schmucke
dirn Mi 29»; dat süt grell hübsch üt, dat is recht grell
hört man im mecklenburg.
b) von färben.
a) wie das vorige keineswegs immer mit dem nebensinn
des unangenehmen : er war aber erstaunt, (in dem Luther-
bild von L. Cranach) ein gesiebt voll neuer, heller und
greller färben zu finden Nicolai reise d. Deutschland 27;
die färbung (eines vogels ist) schön, obschon grelle
färben nicht vorhanden sind Brehm thierl. l, 275 Pechuel-
Lösche; meist aber V07i zu lebhaften, aufdringlichen oder
schreienden färben: indessen muszten sie (die bildnis-
maler) sich nach den grellen rauschenden färben be-
quemen, welche die mode ihrer zeit erforderte Göthe
II 3, 375 (TTeiwi.) ; im fall er (der Johanneskopf nach Bafael)
mir . . etwas grell geworden wäre Heinr. Meyer in:
sehr. d. Göthegesellsch. 5, 129; das Verhältnis der färben
ist beinah grell Fr. v. Schlegel 6,16; die färben (des
bildes) sind hart und grell Forster sämtl. sehr. 3, 79;
zeig' ihr ein bild vom genius vollendet, . .
und eins, wo grell und roh die färben streiten
Geisel (1888) 1, 148 ;
wie prahlen die wappen, farbig grell
am schwarzen sammet der decke !
Droste-Hülshoff 1, 286 Schücking;
ihr anzug zeigte alle mögliche grelle färben Castelli
10, 24; man beachte, dasz das adj. manchmal nicht nur
die färbe als solche, sondern ihr hartes Verhältnis zu
den nachbarfarben kennzeichnet; das gilt theilweise auch
in fällen loie: (die sonne) zeichnet schärfer die umrisse,
coloriert greller die verschiedenen lichter und schatten
der berge Schubert verm. sehr. 3, 23; das kolorit ist
zu grell Gentz sehr. 3, 114; die geschichte des Belisars
in grell kolorierten bildern Heine 3, 228 Elster; im be-
sitze eines grell illuminirten marktbildes Holtei vierzig
jähre (i843/.) 1, 123; mit . . mehreren grell getuschten
heiligenbildern Hauptmann weber (i892) 25; gegensatz
ist bleich: (Klöckner hat) ein schlechtes kolorit, oft zu
grell, häufiger grau und verbleicht Arndt sehr, für u.
an s. l. Deutschen 1, 215; so kündigen die ersteren (die
giftigen pilze) durch ihr bleichsüchtiges oder grelles aus-
sehen etwas verdächtiges an Oken allg. naturgesch. 3,33;
werden färben genannt, so sind es natürlich helle: die
drey personen der gottheit . . sind sehr grell vergoldet
Nicolai reise d. Deutschland 2, 635; die bischoffsmützen
sind sehr fatal für die mahlerey; und ihr weisz . . im
Vordergrunde grell Heinse 4, 220; ein grell citronen-
farbiges tuch E. Th. A. Hoffmann 14, I5i; grelles roth
oder mattes blau als nichtssagende Verzierung an wer-
ken Welcker alte denkm. 1, 29; vgl.: ihr (der felder)
frisches saftiges grün (erscheint) dem äuge fast wie
greller farbenanstrich Ratzel Völkerkunde 2, 113.
ß) sehr gern bildlich; namentlich grelle färben u. ä.
aus der maierei auf andere künste übertragen: h dur.
stark gefärbt, wilde leidenschaften ankündigend, aus
den grellsten färben zusammen gesetzt Schubart ästJie-
tik d. tonkunst 379; so liebt auch die alte heldensage
grelle farbengebung Creuzer Symbolik u. mythol. 1,111;
da wo . . alles auf eine feine Schattierung ankommt,
wird auch durch auftragen greller färben alles ver-
dorben (urtheil über eine posse) Börne 2, 86; (Plinius)
der gern seinem stil grelle und auffallende färben giebt
W. V. Humboldt 4, 188; von krasser Schilderung: ohne
ihn (den stürm) . . mit so grellen färben zu schildern
Thümmel reise 10, 274; seine alten und neuen sünden
dem herzog gelegentlich mit den grellsten färben vor-
zumalen Schubart br. 1, 237 Strausz; dieser (Dante)
verschweigt vieles von dem was die kirchlichen zeugen,
oft in greller färbung, hervorheben Döllinger akad.
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1 GRELL
1 GRELL
100
vortr. 1, 110; dieser . . überzog die fehler seines vaters
. . mit dem grellsten flrnisz Klinger werke 4, 223; sel-
tener anders: weil sich die vom apotheker erlogne Ver-
mählung Klotildens . . ihm mit den grellsten färben
aufdrang Jean Paul 7/10, 411 Hempel; diese (demokra-
tische färbung der vereine) wurde von der republikani-
schen parthei greller und greller aufgetragen Gutzkow
ges. werke 7, 28; eigenartig: er (Wieland) allein hat den
sanften rosenschimmer über unsern parnasz gezaubert,
der die grelle, ernste färbe desselben erheitert Klinger
werke 11, 104;
meine zarte natur schockiert das grelle gemählde
Schiller 11, 138 ;
die persönlichen blöszen endlich, die sich die häupter
gaben, ziehen über diesz grelle gemählde der schmach
noch einen besonderen firnisz Gervinus gesch. d. i^.jhs.
1, 16; wäre irgend ein zug zu grell aufgetragen J. v. Mül-
ler sämtl. werke 1, 192; die Schilderung, die der major
in grellen zügen entwarf Holtei erzähl, sehr. 21, 131;
die renaissance . . zeigt die Scheidung . . in fast aben-
teuerlich grellen zügen B.iehl, deutsche arbeit 66; neben
einer grellen Schilderung der greuel Scherer litt, gesch.
821; öfter deutet wenigstens das vb. noch das bewusztsein
bildlichen gebrauches an: worin er ihm sein unrecht
grell vormalte A. v. Arnim 7, 67 ; wenn man von mir
für die möglichkeit . . , grell aufgetragene beweise ver-
langt Gutzkow ges. werke 3, 23.
c) grell von äuge und blick läszt sich anreihen an die
Verwendung des adj. für lichteindrücke (s. 0. a); nd. weit
verbreitet: grelle ögen feusr sprühende, schaffe, auch be-
gehrlich blickende Doornkaat-Koolman l, 678''; gralle
scharfsichtige ogen Strodtmann 75; vgl. brem. wb. 2, 533;
iveitere nachweise unter krall th. 5, 1980; litterarisch nur
auf nd. und md. boden :
und lodernd gluth aus grellen äugen schosz
F. L. Stolberg 15, 21 ;
ein adlerauge, fräulein, ist so grell,
so schön, so feurig nicht, wie IParis seins
Shakespeare 1, 125 ;
weil er (der satyr) nicht so blosz thierisch seine traube
verzehrt, sondern aus den grellen äugen schalkhaft
dazu lacht A. W. Schlegel im Athenäum 2, 108; die
trauen . . , deren grelle braune äugen so eigen aus
den blassen gesiebtem herausschauten Storm 1, 131;
stärker: die alte begann sich immer mehr vor . . den
grellen eulenaugen ihres herrn zu fürchten 2, 285; m,it
besonderem sinn : 'ein heimtückischer streich!' rief ich,
und warf grelle (zornige) äugen auf die mignatur Thüm-
MEL reise 6, 60;
wie fromm und eiferig im dunkeln
euch dort die grellen blicke funkeln!
Voss sämtl. ged. 6, 232 ;
mit kühnem stolze schweift ihr blick herum, . .
und nicht die schäm im blöden angesicht
kann vor dem grellen funkeln ihn beschützen
Droste-Hülshoff 2, 345 Cotta;
nur ganz vereinzelt obd., vermuthlich durch litterarische
Übertragung: er hatte die gleichen grellen äugen, wie
seine Schwester Hansjakob bauernblut 86; auch adver-
biell neben blicken u. ä. :
aber du siehst aus den äugen so grell, als hecktest du
heimlich
Schalksstreich' unter der kapp' Voss Luise 79;
und der vollmond kuckt so grell
aus den krausen wölken sämtl. ged. 4, 74;
da aber Zwratka wankt . . . , faszt sie Trinitas in die
arme, und wird grell von ihr angesehen Brentano 6,
34; anders nl. gril kijken mit aufgerissenen äugen, ver-
dutzt wb. d. nederl. taal 5, 764; eigen ist grell schielend
brem. wb. 2, 534.
d) nur lexicalisch belegbar und dem Ursprung nach
nicht klar ist die bedeutung schwartzgäl, schwartzlecht,
ravis, suatus, sie dictus quod vasis, h. e. tinctorum cor-
tinis suapte natura talis sit, ravidus Henisch 1739;
anders bei Stieler : color lividus, quasi unguibus lan-
cinatus (er denkt also an gralle unguis), ravidus stammb.
701; vgl. grezzo, ruvido quasi lacerato con unghie, acuto,
aguzzo Kramer teutschital. (l700) 1, 563^.
4) gleichzeitig mit der litterarischen ausbreitung des
adj. gegen ende des 18. jhs. entwickelt sich eine neue be-
deutungskategorie, die wesentlich in dem gebrauch von
grell für licht- und farbenviirkungen wurzelt; gewisse
ziveige jenes gebrauchs werden verselbständigt.
a) am geschlossensten stellt sich eine bedeutung dar,
die vom gegensatz zweier färben den ausgang nimmt:
reichen schnee zur erde nieder
liesz der himmel Böhmens fallen,
dasz der feinde blut in grellem
abstich möge drüber wallen
Lenau 318 Barthel;
weisz und schwarz ... in grellem abstich Naumann
naturgesch. d. vögel 12, 385; dem jungen beobachter war
somit der grelle abstand des bildes herauszen von der
Wirklichkeit drinnen aufgefallen Brunner erzähl, u.
sehr. 1, 75 ; will man die grellsten unterschiede von drei
groszen Völkern auf drei worte zusammenziehen Arndt
sehr. f. u. a. s. l. Deutschen 1, 468; das waren . . seine
Worte, die freylich eine grelle ausnähme von der vene-
tianischen höflichkeit machen Seume Spaziergang (1803)
103; dasz die grellen ausweichungen nur dann von tie-
fer Wirkung sind, wenn E. Th. A. Hoffmann l, 315
Grisebach ; in greller abwechselung bald dem abenteuer-
lichen ergeben Görres br. 3, 57; vor anderthalb Jahr-
hunderten . . war dieses miszverhältnisz natürlich noch
viel greller Riehl deutsche arbeit 71; weitaus am häu-
figsten neben gegensatz und widersprach: das gemüth
verfährt in seiner empfindungsart meistentheils stosz-
weise, macht . . . grelle gegensätze W. v. Humboldt
litt, denkm. 58, 126; wie konnte er . . . nicht noch mit
Schlurck in gegensätze gerathen die greller waren als
Gutzkow ritter v. geiste 1, 208; mit dieser 'Unehrlich-
keit' stand in grellem gegensatz die beliebtheit (der
fahrenden) Freytag 18, 452 ; es stand mit meinen grund-
sätzen in einem zu grellen contrast Pfeffel pros. vers.
5, 25; durch grelle . . contraste von licht und schatten
JuSTi Winckelmann l, 280; diese Verschiedenheit steht
in den grellsten gegenscheinen oft dicht nebeneinander
Arndt sehr. f. u. a. s. l. Deutschen 2, 259; stand der
rückzug im grellsten widerspiel mit der pracht des
hinzugs A. v. Arnim 3,427; welches aber bereits mit
allen übrigen principien der neuen Verfassung im grell-
sten Widerspruch stand Haller restaur. der Staats-
wiss. 1, 229; der widersprach zwischen Schubarts . . .
verstände und seinem trüben glaubensbedürfnisz . . ist
. . . noch viel greller geworden Strausz Schubarts br.
2, 220; anders: er nahm aber meinen grellsten wider-
sprich auf die allerfreundlichste weise auf Görres br.
1, 343; Bettine, deren ganzer richtung fast nichts mehr
als grelle verworrene Opposition zusagt briefw. zw. J. u.
W. Grimm, Dahlmann u. Gervinus 1, 496; ebenso ad-
verbiell: die blauen, grauen und weiszen tuchflächen
stachen grell ab von dem grünen gründe Freytag l,
28; Martelli, dessen kalte klugheit zu grell von der
glühenden Jugendhitze abstach Meiszner skizzen 3, 139;
vgl. th. 1, 127; das so grell abwechselnde weiter briefw.
zw. J. u. W. Grimm 93; dasz die hauptvölker Italiens
in ihren sprachen grell von einander unterschieden
waren Niebuhr röm. ^rescÄ. 1, 113; den grell contrastie-
renden eigenthümlichkeiten . . . der einzelnen völker-
racen von Europa Humboldt kosmos 2, 214; bei jedem
anlasz, wo verschiedene ansichten sozusagen grell auf-
einander platzten Gutzkow ritter v. geiste 2, 263; auf
derselben linie stehen: die abendsonne beleuchtete es
(das schlosz) . . und hob die contraste . . grell hervor
Laube 2, 14; die wenigen beweise freundlicher theil-
nahme . . hoben um so greller das hervor, was Hoffm.
V. Fallersleben 7, 348; das schlechte, wenn es grell
als solches hervortritt Görres br. 3, 535; greller noch
als im kriege trat in den diplomatischen Verhandlungen
. . zu tage Hau szer deutsche gesch. 1, 28 ; weil sie sich
nicht mehr so grell vor ihnen . . . auszeichnen A. v.
Arnim 15, 11 ; wir stehn hier auf der stelle, auf wel-
cher sich der dualismus unserer natur und empfin-
dung am . . grellsten offenbart Tieck sehr. 4, 106; eigen
artig: denn auch diese (ehren) hatten früher nicht so
101
1 GRELL
2 GRELL - GRELLFUNKELND
102
grell hervorgestanden , als seit heute früh (nach der
haarschur) Gutzkow zauberer von Eom 1, 59.
b) ins feinste differenciert ist die hedeutung, wo das
blendende, überhelle des lichtes und das laute, aufdring-
liche der färbe die ausgangspunkte neuer gebrauchsweisen
abgegeben haben; hie und da wird noch fühlbar, dasz
ursprünglich übertragener gebrauch vorliegt, etiva: diese
(träum) gesiebte werden so widrig-gräszlicb durch ihre
grelle warheit Klinger werke 11, 329; mit all' der her-
ben und grellen Wahrheit Gutzkow ges. werke 4, 79;
Schiller in seiner jugend fand ihn {Shakespeare) zu kalt,
zu grell Ludwig 5, 139; oder: was es denn aber helfe,
6ine grelle figur abzudämpfen, wenn die übrigen es
noch blieben {über Iffland als Franz Moor) Göthe
gespräche 2, 128; {im gegensatz zu Corneille) glaubte ich
meine meiste Sorgfalt auf den- (charakter) des Trajan
verwenden zu müssen, dieser fiel nun freylich nicht so grell
und brausend aus Ayrenhoff l, 133; nun genug dieser
grellen kunstmanier im darstellen einer bemerkung,
welche Jean Paul 49/51, 417; herr DöUe, chef der poli-
zei, war zu grell, gefiel aber im ganzen doch Grabbe
4, 270; in der regel gibt sich das adj. aber ganz selb-
ständig, SO: kräftig, stark und grell erscheint das deut-
sche leben in seiner uralten ursprünglichkeit Jahn 2,
543 Euler; in diesen räumen, die am tage ein so grelles,
tobendes leben erfüllt Gutzkow ges. werke 7, 347; die
idee, dasz dieser grelle Zwischenfall sein Verhältnis be-
drohe Mörike 3, 143 Göschen; weil man zugleich das
grelle ereignis {einen Selbstmord) damit verhüllen und
mäszigen konnte Keller l, 94; er stürzte sich in den
brunnen, die grelle Wirkung des wassers machte ihm
besser Büchner nachgel. sehr. 207; anders: insgeheim
einschmeichelnde mysterien {der götün Rhea), öffentlich
einen grellen dienst ausbreitend Göthe 41 2, 237 Weim.;
der gemeine mann, der nur blos durch grelle Vorstel-
lungen im zügel gehalten werden kann Jung-Stilling
8, 547 Grollmann; ähnlich: weil die fabel {des Faust)
ins grelle und formlose geht und gehen musz Schiller
br. 6, 205 Jonas; Rembrandts manier, aber greller {ur-
theil über ein bild) Göthe 47, 373 Weim.; auf keinem
der hiesigen gemählde ist diese manier so auffallend
grell, als Fr. Schlegel 6, 84; die grelle Symmetrie
in der katastrophe der Schroffensteiner Ludwig 5, 348;
krasz, extrem, übertrieben: man scheute sich vor der
grellen behauptung: das gute sei Ursache des bösen
Forster sämtl. sehr. 6, 177; so entsetzte er sich doch
vor den grellen Sätzen in Heinse's Jugendschriften Ger-
viNus gesch. d. deutschen dichtung (1853) 5, 5; wir zeigen
an einem grellen beispiele, dasz Gutzkow ritter vom
geiste 6, 319; eine gesellschaft, die in ihrer abgeschlossen-
heit in grelle einseitigkeiten . . verfällt ges. werke 12, 233;
dasz, sobald jede poesie aus ihrer objectivität heraus-
gehet, sie in eine grelle subjeetivität überzutreten pflegt
J. Grimm kl. sehr. 4, 13; wegen des grell supranatura-
listischen Wunderbegriffs D. F. Strausz ges. sehr. 3, 126;
ihr redet zu grell übertrieben Pfister nachtrage zu
Vilmar 83; plötzlich, unvermuthet, unvermittelt {a7i den
gebrauch unter a grenzend): wo niemand an einen so
grellen zerfall von Preuszen noch denken konnte briefw.
zw. 3. «.W.Grimm, Dahlmann u. Gervinus 2, lOl; so
wird der gewölbte kreuzgang von den platten schiffen
grell abgeschnitten Heinse 10, 254 Schüddekopf; schade,
dasz ich selbst das schöne . . bild, das sie sich von mir
gemacht haben mag, so grell zerstörte Stifter l, 138;
gott gebe nur, dasz die rauhere Jahreszeit des winters
ihr nicht grell in den weg trete Pückler briefw. u.
tageb. 7, 9; nicht minder verzweigt ist die bedeutung, wo
das adj. menschliche wesensäuszerungen verschiedenster
art charakterisiert: sie beschämte uns . , . durch ihre
geduld mit unserer grellen oberdeutschen manier Göthe
28, 282 Weim. ; die Sanftheit der sitten . . . bewahret mich
vielleicht vor einer zu grellen äuszerung meines egoismus
Boten bei Meinecke 1, 128; die bitterkeit ihrer ansichten
ist so grell, dasz ich sie oft ersuchen musz, sich zu
mäszigen Gutzkow ritter vom geiste 3, 187; {Varnhagen)
konnte . . . alle höflichen ausdrücke jach überspringen
und das grellste wort wählen, um die zornige anschauung
grell zu bezeichnen Laube 16,35; alles ohne ausnähme,
was Schiller Bürger'n vorwirft, wirft ihm auch Schlegel,
und zum teil viel greller vor Gervinus gesch. d. deut-
schen dichtung (1853) 5, 34; dasz der kraftvolle kämpfer
für . . protestantische glaubensgerechtsame es so grell
nicht gemeint, als ich es genommen habe Voss anti-
symb. 2, 390; anders: die wenigen . . , welche grell und
öffentlich gesündigt hatten Niebuhr röm. gesch. 3, 517;
wie grell und unerträglich war aber das gebahren vieler
kleinen fürstlichen . . herren Häuszer deutsche gesch.
2, 453; seine räche war ein fashionabler, freilich etwas
greller scherz Gutzkow ^es. werken, 358; von gefühls-
ausbrüchen: in greller Schadenfreude Ludwig l, 260; da
früher der unerwartete eintritt des schwarzen mannes
unter den kindern grelles entsetzen erregte Rank er-
innerungen 35; vgl. {ein musikal. satz) der lebhaft, ge-
räuschvoll, mit einer grellen lustigkeit ausgedrückt ist
Jahn Mozart 3, 116; der sinn nähert sich gelegentlich
dem alten 'ivild, leidenschaftlich' {vgl. o. l), ohne dasz
sich genau entscheiden läszt, ob und wieweit statt einer
art von bedeutungskreislauf ein nachwirken der urspr.
bedeutung vorliegt.
5) in eisenhütten ist grell techn. ausdruck für eine be-
stimmte beschaffenheit des weiszen roheisens, vgl. Jacobs-
SON technolog. tob. 2, 149 •>; Prechtl technol. encyclop.
5, 7.
6) in compositis erscheint grell erst seit dem ende des
18. jhs. ; älter dürfte nur das wesentlich nd. grellauge
u. ä. sein, daher denn hier die älteste bedeutung zornig,
wild z. th. noch erkennbar ist. die bezeichnung von licht
und färbe spielt wie beim simplex die gröszere rolle, zu
einiger Verbreitung sind nur die Verbindungen von grell
mit färben (grellroth, grellbunt u. ä.) gekommen, auch
grellfarbig ; alles andere sind gelegenheitsbildungen, grösz-
tentlieils lose zusammenrückungen mit participien, zumal
präsentischen.
2GRELL, m., zorn, grimm* : darumb ret ich, daz man
die selsamen gewonheiten abstell, anders der trak mit
sim grel understet dich zu verschluken loestd. zs. für
gesch. u. kunst, ergänzungsheft 8, 114 {16. jh.); schrei: ich
het gethon ain grell Schmeller l, 993 (16. jh.) ; Lexer
kämt. 123; auch schwach: ich weisz gar wol, dasz die
lieben Ordensbrüder . . ein groszen prellen und grellen
von ihrer geistlichen gerechtigkeit auf der cantzel her-
plaudern Joh. Riemer politische guck-guck (1684) 81.
GRELLANSCHLAGEND, ijar^.; ein grellanschlagender
hofhund Droste-Hülshoff 2, 345. — grellauge, n..-
grelloog ein feuriges, funkelndes, scharf und starr, be-
gehrlich blickendes äuge Berghaus l, 609* {auch grall-
oog und mit metathesis glarroog); vgl. Schütze holst.
2, 67; Mi mecklenburg.-vorpomm. 29*; übertragen auch
von personen m,it solchen äugen: dat wicht is so'n regten
grelöge Doornkaat-Koolman 1,678'>; dazu: grell-
augen, vb.: grellogen die äugen verdrehen, als ein zor-
niger, den grimm aus den äugen blicken lassen brem.
wb. 2, 534; grallögen sich bemühen, scharf zu sehen {z. b.
von einem, betrunkenen) Strodtmann osnabr. 75; grell-
äugig, adj.: die beleibte, geschminkte, grelläugige dame
Gutzkow ges. werke 5, 27 ; die kleine, grelläugige, sonst
unverzagte büre Hansjakob bauernblut 83; auch schon
bei Heinsius 2, 527'' vermerkt; vgl. nd. grelloogd Berg-
haus l, 609*; zur bedeutung s. o. grell 3 c. — grell-
beleuchtet, pari.:
auf der bühne, grellbeleuchtet,
sahen sie auch ganz genau
die gestalten und die mienen
Heine 1, 883 Elster.
— grellblau, adj.: grellblaue und doch milde äugen
Immermann l, 57 Hempel. — grellbunt, adj.: dabei
flaggten grellbunte atlasbänder auf dem verjährten Stroh-
hut Heine 8, 249 Elster; grellbunte kleidungsstücke
RosEGGER 14,812. — grellfarbig, adj.: ausländische
gewächse mit grellfarbigen blüthen Jean Paul l5/l8,
260 Hempel; den köpf mit grellfarbigen tüchern um-
wunden Gutzkow zauberer v. Rom 3, 173. — grell-
funkelnd, j^ari.; die sonnengeschwärzten gesiebter mit
1*
103
GRELLGEFLAMMT — i GRELLE
2 GRELLE -1 GRELLIG
104
den grellfunkelnden äugen Gaudy 21,81. — grellge-
f lammt, pari.: {es ist für den dichter besser) in der
simplen, altfränkischen tracht unsrer väter . . . fortzu-
wandeln, als in dem grellgeflammten aufzug einer Ma-
rino-Lohensteinischen manier die seiltänzersprünge mit-
zumachen Broxtermann ged., vorerinn. IX. — grell-
gelb, adj.: dies mal war der grund grell-gelb Hebbel
tagebücher 2, 294; die ganze landschaft stand in grell-
gelbem licht Auerbach 17, 76. — grellgellend, ^ari..-
grell-gellender verhöhnungschor der scherben und der
katze Visgher aucJi einer 2, 81. — grellgemalt, jjari.;
die grellgemalten wappenscheiben Lev. Sghücking an
A. V. Droste-Hülshoff br. 13. — grellgestimmt,
pari.: aus allen ecken läuten grellgestimmte kirchen-
glocken Gutzkow ges. werke 11, 95. — grellheiser,
adj.: zwischendurch hörte sie . . den grellheisern ton
des einharkens und einscharrens der von der bank ge-
wonnenen summen 2, 276. — grellkoloriert, part.:
auf den Jahrmärkten sah man . . . nichts anderes als
grellkolorierte bilder der guillotine Heine 3, 499 Elster.
— grellkomisch, adj.: die geschichte der Waldhei-
mer . . , wo es dann . . an burlesken Charakteren und
grellkomischen Situationen so wenig wie im Siegfried
fehlt Gervinus gesch. der deutschen dichtung (l853) 5,
186. — grelllaut, adj.: diese zuletzt grelllauten worte
kamen wie aus der hölle Gutzkow ritter v. geiste 9,
455. — grellleuchtend, part: fast so war es bei
den grellleuchtenden blitzen zu sehen Rosegger 15,
377. — grellphantastisch, adj.: (indianische stein-
schnitzerden) die zu den grellphantastischsten gehören
Ratzel tJÖÜcerÄimde 2, 596. — grellrätschend, jjari.;
welches . . meer von . . grellrätschenden instrumental-
tönen losgelassen wurde Visgher auch einer l, 339. —
grell roth, adj.: zuerst, in grell-rothen rocken mit
messingknöpfen . . . zwei ehrenwerte männer Hebbel
8, 144; im grellrothen lichte Gutzkow ges. werke 2, 253.
— grellschimmernd, part.: zwischen den säuseln-
den ästen stieg ihr blick zu dem grellschimmernden
gewölke auf Rosegger 14, 267. — grellstimmig, adj.:
so hallten . . die grellstimmigen gebete der Ungarn . .
durch unsere gegend 8, 159. — grellweisz, adj.: der
himmel war dunkel . . , nur am horizont zog sich ein
grellweiszer streifen hin R. Huch triumphgasse (1902) i.
— grellzuckend, part.: der Raffl streifte ihn mit
einem grellzuckenden blick Rosegger H 3, 133.
1 GRELLE, /., ein hauptsächlich im nd. uud md. er-
scheinendes, doch auch dem obd. nicht fremdes wort: tri-
cuspis Diefenbagh 595"; in ähnlichem sinne als Werk-
zeug zum fischfang mhd. wb. 1, 569*; häufiger als eine
gestielte waffe: lancea Diefenbagh 317'^; lancea glytcze
vel grelle mscr. iv fol. 86 der Bresl. univ.-hibl., 36 rb
(schles., a. 1451); lanceola grelle vel flyte ib.; in dieser
bedeutung dadurch gestützt, dasz es meist neben speer,
spiesz u. ä. steht: ore {der Sachsen) stekemeste (waren)
lang und grot an oren lenden und lange grellen und
sper städtechron. 7, 15, 28 (Magdeb. schöppenchr.) ; kulen,
grellen unde sper als marterwerkzeuge Christi Schiller-
Lübben 2, 142 *> (aus hannöv. mscr.);
sy eylten zu den schiffen,
zu spissen und zu grellen
H. V. Neustadt Apollon. 8168;
(die bürger ergriffen)
stap oder stangen . .
manic tüsent grelle
gesliffen vil scharf
Ottokar österr. reimchron. 96323;
bedeutsam ist, dasz grelle oft als bauernwaffe erscheint,
vgl. die belege bei Lexer 1, 1077; Sghiller-Lübben
a. a, 0.; das läszt vermuthen, dasz die bedeutung 'gabeV
ursprünglich ist; vgl. Weigand zs. f. d. a. 6, 486. Hilde-
brand identificiert grelle mit kralle (th. 5, 1982), gestützt
auf dialect. mistkralle misthaken; nicht voll befriedigend;
denn es ist sehr auffüllig, dasz die echte form krelle
nirgends erscheint, obwohl das wort gar nicht selten ist,
während sonst bei echtem k bildungen mit g immer nur
nebenformen sind (vgl. krall, kralle th. 6, 1981); demin.
grellchen lanceola Diefenbagh 317*.
2 GRELLE, /. = gralle, kralle Kramer teutsch-ital.
(1700) 1, 563".
* GRELLEN, vb. l) die älteste bedeutung des ehemals
starken vbs. lebt fort in dem mnl. nnl. schw. vb. grillen
zornig werden, aufbrausen (vgl. grell, adj.); das mnd.
kennt das zugehörige causativum grellen in zorn setzen:
daraver de ganze papeschop ganz schwerlik gegrellet
was unde getornet Sghiller-Lübben 2, 143" nebst wei-
teren belegen; vgl. ags. grillan ärgern, zum zorn reizen,
ebenso engl, to grill; auch auf hd. boden finden sich
formen mit i:
des wirt din laster grillen
Frauenlob 276, 12 ;
belege aus heutigen obd. dialecten s. u. 2; das i könnte
aus dem sg. präs. des st. vbs. stammen, eher wohl aus
gril, adj. und subst., der seitenform zu grell zu erklären,
s. d.
2) hd. meist: laut, gellend, sehrill schreien oder tönen:
daz er (der grille) loufe und springe snelle
durch büsche, durch brämen, und lüte grelle
H. V. Trimberg renner 5574 Ehrismann;
ir geschrey thüt eim in den oren wee und grellet laut
Stumpf Schwytzerchron. (1606) 610»;
und metall
rauher schall
grellt in's ohr Göthe 2, 27 Weim. ;
und was kann er sich mit einer grellenden und quit-
schenden stimme für einen erfolg versprechen? 40, 152;
einen so lauten grell enden juhschrei H. Sghmid alte
u. neue gesch. aus Bayern 203; den Übergang der be-
deutung von 1 zu 2 erläutern obd. dialecte: grellen, grillen
vor zorn oder brunst schreien (vom rindvieh) Sghmeller
1, 993; Fisgher schioäb. 3, 823. 835; auch von menschen:
heulend weinen, laut schreien; im, schwäb. ist die bedeu-
tung leicht differenciert : die i-form bezeichnet das grel-
lere kreischen, namentlich der frauen; ähnlich kärntn.:
grellen laut schreien, widerlich tönen Lexer 123, grillen
durchdringend tönen 124; auch m,d. für laut schreien
Hertel thür. llO, salzung. 17.
3) nur selten von gesichtseindrücken : und schiuszt
wider nach mir, dasz ich den pfeil auf der erden sähe
grellen Götz v. Berlighingen lebensbeschr. 26 Bieling;
wir sahen viel kugeln unter die holländische schiffe
. . grellen Olearius verm. reise beschreib. (1696) 99; jung
und vereinzelt, aber recht glücklich: gaslicht grellt ihm
in die äugen Sohle eroica 26 Wiesbad. volksb.; den grel-
len äugen des nd. (s. sp. 99 c) vergleicht sich die bedeu-
tung 'starr sehen\ auch 'schielen' Sghütze holst. 2, 67;
brem. wb. 2, 584.
2GRELLEN, vb. = grallen, krallen inuncare Stieler
701; Kramer teutsch.-ital. (1700) 1,563''; vgl. 2 grelle.
GRELLHEIT, /., lexicalisch zuerst bei Heinsius 2,
527*; wie grell von färben und tönen: die aufgäbe ist
also, diese grellheit sowie gleichzeitig die rohe stoff-
härte des farbenmaterials zu bewältigen Visgher üsthe-
tik 3^, 567; so haben wir ... im deutsch-französischen
kriege das racengefühl mit einer grellheit aufschreien
gehört, dasz Kürnberger literar. herzenssachen 217;
häufiger unsinnlich und in denselben functionen wie das
adj.: in jener grellheit, die uns Göthe's anfängliche
abneigung gegen Schiller erklärt, erscheinen diese gegen-
sätze in . . äuszerungen des letzteren Gervinus gesch.
d. deutschen dichtung (1853) 5, 463; bekanntermaszen ist
sie (die doctrin) zuerst von Montesquieu ... in ihrer
grellheit aufgestellt worden Haller restaur. d. staats-
ivissensch. 2, 176; so drang sich ihm das widersinnige
jedes gedankens an eine untreue . . in seiner ganzen
grellheit auf Mörike 3, 65 Göschen; welches (beispiel)
zugleich, wegen seiner grellheit, geeignet ist Schopen-
hauer 4, 240 Grisebach.
1 GRELLIG, adj., zornig, ergrimmt (vgl. grell, adj., l):
dar lagen de Dithmerschen to beiden siden grimmich-
liken unde tornich unde grellich Sghiller-Lübben 2,
143"; grellig närrisch, störrig Danneil 69*; he süt
grellig ut er blinzt mit den äugen Schütze holst. 2, 67
(vgl. grell 3 c); dazu grellichkeit,/., zorn: allerleige
105
2 GRELLIG - GREMP
iGREMPE-iGREMPEL
106
ander untugende di der sele ungesunt sint, alse grel-
lichkeit des gemutes myst. l, 49, 11 Pfeiffer.
2 GRELLIG, adj., daneben grillig pruricus, scahiosus,
scdber, scahrosus ; grellige geschwulst jp/iie/7mone, inflam-
matio, tumor cum rubere et pruritu Henisch 1739; ebenso
bei Stieler 701 ; grellicht, grellig /ocoso, dolorosa; livido
e vergato comme la pelle viva dopo estere stata lacerata
con artigli; pruriente, scabioso Kramer teutsch-ital. (1700)
1, 563"; Kramer denkt also an Zusammenhang mit gralle,
kralle, nicht ohne recht; denn schwed. krilla Jüchen, krib-
beln, kratzen, dän. krille jucken, ico7nit grellig offenbar
in Verbindung steht, ist mit kralle verwandt, vgl. th. 5,
1985; hierher weiter grallerig, grellerig krätzerig,
rauh machend oder einen strengen geschmack erzeugend;
durch Vermischung mit ^ grellig auch grimmig, verdriesz-
lieh Schambach 67; gehört auch grellig-grües (ganz un-
reifes) obs Staub-Tobler 2, 752 hierher?
GRELLPITZER, m., rülps: und sind dessen (des ma-
gens) aufsteigende wind und grellpitzer nichts anders
als lauter klagreden Abr. a St. Clara 4, 245 Strigl;
Spielbildung zu grelzen ructare. s. d.; vgl. krelgatzer
th. 5, 2167.
GRELLüNG, /., pruritus, scabrities Stieler 701 ; vgl.
2 grellig.
GRELZEN, s. grölzen.
GREMAN, m., in Ostfriesland harter schiverer torf
ohne schilffasern Heinsius 2, 527''.
GREMASSIG, adj. adv., grimmig Martin -Lienhart
1, 272»; mürrisch, voll übler laune, brummig ünger-
Khull 306"; kränklich, schicächlich Hügel Wiener dial.
70; univohl, unpäszlich Schranka Wiener dial.-lex. 64;
LoRiTZA id. Vienn. 54; Schöpf 212 kennt als österr.
form auch krenmassig; vgl. gramassig Fischer schicäb.
3, 786; Weiterbildung von gremsig (s. d.), vielleicht unter
einßusz von grimasse (s. d. die nebenform gremasse),
nicht Streckform zum stamm grass-, vde H. Schröder
streckf. 101 icill.
GREMBEERE, /,, brombeere Follmann 215»; vgl.
grambeere.
GREMELIGH, GREMLICH, *. grämlich.
GREMEN, GREMMEN, *. grämen.
GREMEN, GRßMEN, vb., schmutzen, schmieren, mant-
sehen, sudeln, pfuschen Doornkaat-Koolman l, 678»;
dort wird Zusammenhang mit dem stamme grim-, gram-
vermuthet; dazu gremer, m., sudler; gremerg, adj.,
schmutzig, sudelig; gremsk, adj., schmutzend l, 679»;
sik begremen sich beschmutzen Berghaus l, 609 •>; vgl.
grimmeln.
GREMLAGH, n., obd. collectivbildung zu grome hode
(s. d.) : wann einem . . knäblin die gremlach grosz oder
aufgeblasen sein Gäbelkover artzneybuch (1595) 2, 141;
nim knabenkraut oder stendelwurtz, das mändlin mit
den runden gremlaehen l, 255.
GREMLEIN, n., deminutiv zu grome hode (s. d.): vom
fleisch, so zwischen den säcklin der geilnieren oder
gremlein überschr. bei KOffner Celsus (i53l) 128»; dar-
von (von knabenkraut) nim ein stängel sampt den ij
gremiin Gäbelkover artzneybuch (i595) l, 255; frau Lu-
cretia N. verlobt sich mit zwey wächsenen grämblein
wegen ihres söhnleins, das ein geschwollenes grämblein
mit ihme auf die weit gebracht Sghmeller i, 995 (a.
d. j. 1697).
GREMP, GREMPE, m., elsäss. wort, in heutiger ma.
butter-, eier-, geflügel-, gemüse-, mehlhändler im kleinen
Martin-Lienhart 1, 273'' (vgl. die composita käsgremp,
gängsgremp, mehlgremp u. a. ebd.); auch in älterer
spräche besonders victualienhändler, daneben kleinhändler
überhaupt: salsamentarius gremp vel hok Diefenbach
508«; speiszkäsz, hasenkäsz ausz der grempen geses
Fisghart geschichtklitt. 79 neudr.;
es ist kein alte hür am Ryn,
sy wöUent alle grempen syn
MuRNKR narrenbeschw. 67, 40 neudr. ;
nun dasz ich aber möcht bekommen
ein trewen herrn und ein frommen,
kam ich für eines grempen thür
Frischlin ätsch, dicht. 178;
stranggrempe hanfhändler (bildl. für henker) Fischart
binenk. 198 ''; seltene nebenform grempte: die in ihren
gewerben als grempten und krämeren aus einer gegni
in die andere fahren Staub-Tobler 2, 737. das wort
ist bei Martin-Lienhart seit dem u. jh. belegt, ebenso
das movierte fem. grempin, das auch die heutige ma.
als grempen, grempene besitzt; weiteres s. unter krampe
th. 5, 2007, wo Hildebrand das icort von einem verlorenen
*kramp, m., 'ausschusz, wegwurf gerümpeV abzuleiten
sucht, schwerlich mit recht; denn im anlaut ist trotz
dem namentlich bei grempel nicht seltenen k ohne zwei-
fei g das echte, und die bedeutungsentvÄcklung der ganzen
Wortsippe weist auf den grundbegriff des verkaufens oder
handelns; der bei einigen Wörtern zu beobachtende ein-
schlag des begriff es 'ausschusz, gerümpeV scheint secun-
där (s. u. 1 grempel 3). von Seiten der bedeutung liegt die
seit Frisch beliebte anknüpfung an ital. crompare für
comprare recht nah, die freilich andere schtvierigkeiten
bietet, vgl. Staub-Tobler 2, 736.
1 GREMPE, ff, ein vorn mit einem gabelförmigen eisen
versehener hebet, womit man die starken hölzer auf den
unterlagen und walzen fortschiebt Uartig forstl. convers.-
lex. 349; umlautform zu krampe, grampe haken, spitz-
haue th. 5, 2006?
2GREMPE,/., := krampe th. 5, 2007: Hess eine grempe
von seinem hüte nieder Bode Tristram Schandi (1774)
4, 208.
^ GREMPEL, m. l) kleinhandel, besonders mit victualien,
verbreiteter als gremp, doch auch hauptsächlich alem..
vgl. die nachweise unter krämpel th. 5, 2007; auf dem
grempel hocken oder hausen far il rigattiere Kramer
teutsch-ital. (1700) l, 563"; das Schweiz, hat den begriff
z. th. modificiert: mulchengrempel handel mit käse und
butter im groszen; kälbligrempel aufkaufen der kälber
auf den fürkauf hin; garngrempel wucherischer handel
mit garn (beleg von 1578) ; messgrempel meszhandel (beleg
von 1565), alles bei Staub-Tobler 2, 737. das wort hat
an Verbreitung verloren; es fehlt heute dem hess., doch
gab es im 16. jh. in Homburg eine grempelgasze Vilmar
136; e* ist auch nicht mehr allgemein obd., wie Adelung
2, 796 wohl sagen icill; nach Martin-Lienhart i, 274 im
elsäss. heute veraltet, ebenso anscheinend im bair., nur
fürs tcienerische als 'kauf, tausch' bezeugt Loritza 54.
2) sehr häufig in der religiösen litteratur des 16. jhs.,
soweit sie alem., rheinfr. und hess. ist; stehend in hin-
weisen auf Jesu tempelreinigung : sie (die händler) ha-
bent gemacht usz eim tempel ein grempel Geiler po-
stilla 2, 18; Jesus . . treibet keufer und verkeufer aus
und keret in iren grempel umb Reu quellen zur gesch.
d. bibl. Unterrichts 2, 78 (aus Straszburger laienbibel);
Jesus . . . trib aus dem tempel
die händler so drinn triben grempel
Fischart bibl. flg. (1576) S ii»;
im selben sinne in antikatholischer polemik: so an kost-
licher jarmark und grempel ist von der todtenmesz
entstanden Kessler sabbata 50; der päpstliche buss-
oder geldtax für die sünden, die engelweihe und der-
gleichen simonischer grempel Staub-Tobler 2, 736 (a.
d.j. 1699); bisweilen anscheinend mit weiterer bedeutung,
ähnlich vÄe sie sich bei kram entioickelte (vgl. th. 5, 1990)
'äuszerliches wesen': das papstum mit synem grempel
zeruck tryben und bi dem klaren wort gottes blyben ib.
(a. d. j. 1531);
der weit vil ergerlich exempel
gestifft han durch im losen grempel
BuRK. Waldis päpst. reych 2, 11;
regier und reformier im tempel
nur mit gepräng, gsäng, schall und grempel . . .
was achtst des worts heymlichs ergetzen?
Fischakt jesuiterhütl. A 6";
eine allgemeinere bedeutung (vneder geringschätzig vne bei
kram.?) musz auch vorliegen in fällen vde:
ja wo du volgst diesem exempel,
so kumbst recht in des teufeis grempel
BuRK. Waldis päpst reych 1, 9;
107
GREMPELFRAU — GREMPELMARKT
GREMPELMÄRKLER — GREMPELN 108
Herostrat . . . welcher anzünd den schönsten tempel,
dasz er kam in histori tempel und grempel Fischart
practik (1607) b 7*; anders:
brenge her die fraw in den tempel 1
hie {Jesus) musz nu drinken des suem grempel
'das saure zeug' Alsfelder passionsspiel 2703 Orein
(die Juden wollen Jesu urtheil über die ehebrecherin
hören, um ihn verklagen zu können).
8) sicherlich jüngeren Ursprungs ist die unter krämpel
(th. 5, 2007) zum ausgangspunkt genommene bedeutung
'altes unbrauchbares hausgeräth, gerümpeV; vgl. auszer
den dort gegebenen belegen Staub-Tobler 2, 736; Hein-
sius 2,527^; grempel scruta, frivola, vetera et fracta
suppellectilia Stieler 702; eine möglichkeit der bedeu-
tungsentwicklung, die an sich in dem worte lag {vgl.
oben 2 u7id das sinnverwandte kram), wurde hier unter-
stützt durch die ähnlichkeit von gerümpel : grempel,
grimpel, grümpel, grümpelwerck, das nicht vil werth
ist, . . scruta Henisgh 1739; sogar mit Veränderung des
geschlechts: gerümpel, gerümmel et grempel, das, scruta,
quisquiliae, veteramenta Stieler 1521 {umgekehrt auch
gerümpel masc. nach grempel th. 4, l, 2, 3773).
i) auch persönlich für krämer, höker, trödler Ade-
lung 2, 796.
5) composita: grempelfrau, /., stracciaruola, rigat-
tiera Kramer teutsch-ital. (1700) l, 407^; grempelfrawen
werden in grossem ansehen sein Fischart practik 13
neudr. — grempelgeräthe, n., stracci, ferra-vecchi
Kramer teutsch-ital. (1700) l, 563°. — grempelhaupt-
mann, m,., aufseher über die grempler Fischer schwäb.
3, 82i {aus Hall, a. 1639). — grempelkram, m., tauto-
log. bildung, 'kramhandeV: sollich buchlin hat Pfeffer-
korn . . durch sein weih in offem grempelkraum yeder-
mann fall gebotten Reuchlin augensp. 4*; anders:
grämpel- oder grimpelkram kücheninventar Askenasy
frankf. ma. 117. — grempelmacher, m., interpolator,
vestiarius, et laminarum bracteatoi* Stieler 1193. die
letzte bedeutung gehört offenbar zu einem wort anderen
Stammes, aber zu welchem f vgl. krampe 'agraffe, buch-
schliesze' u, ä., allgemeiner vielleicht 'zierrath'P s. auch
krampenmacher th. 5, 2010. — grempelmarkt, m.,
trödelmarkt, vÄe grempel ehemals in ganz Oberdeutsch-
land bis ins hess. hinauf verbreitet: tendeta Diefenbagh
677^; forum scrutarium Frisius german.-lat. (1666) 112";
stracciaria, rigatteria Kramer teutsch-ital. (1700) 1,563";
yQVTccQioTKü'kElov, forum scrutarium¥ Kiscn'Li'!^ nomencl.
(1586) 204 ''j forum scrutarium, nundinarium, caupona-
rium Serranus synon. (i579) s. v.; Kirsch com. 2, 158^;
ScHMELLER 1, 998 ttus alten glossaren; Er. Alberus
nov. dict. (1540) 100*; auf dem grempelmark feil haben
scrutarium facere Stieler 1521; die Juden hatten in
den vorhöfen des tempels einen grempelmarckt uffge-
richtet Geiler postilla (1522) 2, 80*;
wie ir dann halt solch gwonheit starck,
also das ihr aufm grempelmarckt
die weiber, so ihr kram anbieten . . .
anzapfen Fischart /öAafe 1358 neudr.;
frühzeitig vermengt mit gimpel-, gümpel-, gerümpelmarkt
(s. diese Wörter), aber z. b. bei Geiler nach Schmidt
elsäss. 153^ noch deutlich als victualienmarkt von dem,
gümpelmarkt lumpenmarkt geschieden; auch sonst ge-
legentlich in dieser Specialbedeutung {vgl. krämpelmarkt
ih. 5, 2008), in der vermuthlich etwas altes steckt {vgl.
obe7i gremp); spricMcörtlich : er ist under dem alten eisen
kauft, auf dem grempelmarckt Seb. Franck sprüchtv.
(1541) 2, 61^; getreue diener findet man nicht auf dem
grempelmarkt Kirchhofer Schweiz, sprüchwörter 205;
mir war . . . alles zu weit . » . , als ob ichs auf dem
grempelmarkt erkauft hätte B. v. Arnim Oöthes briefw.
m. e. kinde 1,4; sehr beliebt in der religiösen polemik
der älteren zeit, und zwar wie grempel nicht nur in der
bedeutung 'handel', sondern auch allgemeiner 'äuszerliches
wesen, tand, narretei': mit dem blut Christi ein solichen
schandtlichen grempelmarck treiben Schmidt elsäss.
163^ aus Zell; sie haben vermerckt, wan sye die scheff-
lin in die bücher fürten, ir grempelmarckt wurd nichts
zünemen Carlstadt von abthuung der bylder (1519) b i'»;
man helt nit mesz nach Christi aufsetzung, man hat
ain grempelmarckt und handtierung darausz gemacht
H. V. Kettenbach nach Clemen reform. -fing sehr. 2, 67;
und schmeckt derhalben Limpricii grempelmarckt nach
einem sacramentirer C. Spangenberg wider die böse
sieben (l562) j 1* {Limpr. vertrat die nothwendigkeit der
guten werke); es gehen die kutten hüben mit irem gau-
kelwerck, grembelmarck und falschen gedichten wunder-
zeychen umb Seb. Franck Oerm. chron. (1538) 96»; als
polemisches Schlagwort auch bei männern, deren dialect es
nicht zukommt: 'iihr habt das altarssacrament) zu einem
pfaffenopfer und eigen verdienst eines bösen buben . .
wie einen heidenischen götzendienst, ja wie einen schend-
lichen grempelmarckt . . verwandelt Luther 7, 412 Jen.;
nunmehr aber ist das liebe predigamt ein rechter grem-
pelmarkt und öffentlicher auszruf geworden Rist neue
passions ■ andachten (1664) vorbericht; dazu grempel-
märkler, m., händler auf dem grempelmarkt Fischart
practik (1607) c 1». — grempelplatz, m., platz des
grempelmarktes : wo aber ein meister ein arbeit auf den
kauf machte und denselbigen durch die hausiererin oder
fürkäuferin als auf dendel oder grempelplatz und merckt
setzte Fronsperger bauordnung {i66i) 108''. — grem-
pelsatzung, /., kleinliche Satzung: menschen- und
grempelsatzungen Staub-Tobler 2, 736 aus Vadian. —
grempelvolk, n., krämervolk:
und räumet seinen tempel aus,
treibt das grempelvolck hinaus
bildunierschr. aus einer Straszburger laienbibel nach Reu
quellen z. geseh. d. bibl. unterr. 2, 78.
— grempelwaare,/., abgenütztes, altes hausgeräthe
Schmid schicäb. 242. — grempelweib, ry, was gremp-
lerin Kramer teutsch-ital. (l700) 1, 563«; vgl. gerümpel-
weib th. 4, 1, 2, 3774. — grempelweise, adv., im klein-
handel: in der stadt grempelweis verkaufen Fischer
schwäb. 3, 824 {aus Lindau, a. 1412). — grempelwerk,
n., trödelkram: yqvrdQia, scruta Frischlin nomencl.
(1586) 204''; stracci, ferravecchi Kramer teutsch-ital. (1700)
1, 563"; scruta Kirsch com. 2, 158''; dann auch über-
tragen 'tand, albernes wesen' {wie grempel, grempelmarkt) :
die Juden . . . warent so verrucht nit, das sye solich
grempelwerck übtent im rechten tempel Geiler postilla
2, 17''; nu findet man in iren Schriften nicht ain wört-
lin von dem vorigen bepstlichen und papistischen grem-
pelwerck und gaucklerey C. Spangenberg wider die böse
sieben (1562) U3''; vgl. noch Schmidt elsäss. 154; Fischer
schwäb. 3, 824; synonym ist gerümpelwerk th. 4, l, 2, 3774.
— grempelzeug, n., scruta, frivola Staub-Tobler
2, 736 {a. 1662).
2 GREMPEL, /., s. krämpel th. 5, 2008; das tvort wird
dort mit unrecht bei Stieler vermiszt: grempel sive
hechel dicitur culex stammb. 702. — grempelkamm,
m., Carmen Kirsch com. 2, 158'', s. krämpelkamm th. 5,
2008.
GREMPELN, vb. l) im kldnhandel vertreiben, hökern,
schachern, feilschen; der geltungsbereich des wortes scheint
sich mit dem von grempel ungefähr zu decken: caupo-
nari Jos. Maaler teutsch spraach (i56i) 192»; gremplen,
kaufen nundinari Frisius german.-lat. (1666) lll''; ich
grempel cauponor Er. Alberus dict. (1540); vendere
scruta Veneroni (1766) 78; nundinari et nundinare,
etiam cauponari aliquando Serranus synon. (1579) s. v.;
rivendere, far il rigattiere Kramer teutsch-ital. (l700) 1,
563"; grimpeln, alt hauszgeschirr verkaufen, kaufen
Henisch 1739; cauponari, nundinari, commercari Stie-
ler 702; in modernen maa.: grämplen kleinhandel trei-
ben Staub-Tobler 2,736; ebenso elsäss.; kinder, die aller-
lei miteinander tauschen, gremple mit nander Schmidt
straszb. 44"; mit victualien und geßügel handeln Fischer
schicäb. 3, 824; dem bair. heute anscheinend nicht mehr
geläufig, vgl. Schmeller l, 998; doch tirol. grampeln
markten, feilschen Schöpf 206; toienerisch grampeln kau-
fen, handeln Loritza 54. —
disz ist der pfrünenfresser recht,
die das landt vergiften mit bösen exempeln
und nichts kynen dan pfründen grempeln
Gengenbach 623 Oödeke
109
GREMPELN — GREMPIG
GREMPISCH, GREMPLER
110
im fürkouf, grempeln gar verruecht
Staub-Tobler 2, 737 aus Aal (1549);
der bischoff von Bamberg wurd des geitzs und ehren-
gremplens verklagt Sghmeller a.a.O. aus Aventin; zu-
weilen nach dem muster von 2grempel 2 'tändeln, spielen':
so grempelte ich auf meiner chitarre eine sonderliche
courrante Kuhnaü music. quacksalber 173 lit. ■ denkm. ;
ach sie mag sich gar gerne einen tantz auffiedeln und
auf dem fickermente was hergrempeln lassen 100.
2) anderen Stammes scheint grempelen rixari Stieler
1521; er hat sich weidlich mit ihm herümgegrempelt
1522; denn abgesehen davon, dasz bei diesem wort und
seinen verwandten anlaut. k herrscht {s. krämpel 4 th. 5,
2008 und krämpeln 2 th. 5, 2009), erscheint es in anderem
gebiet als die sippe gremp-, nur nd. und md. — dazu
grempeler altercator, jurgiosus; grempelung contentio,
jurgium Stieler 1522. hierher wohl auch: ariopageta
grempeler Diefenbach iS*».
GREMPELN, vb., carminare, s. krämpeln th. 5, 2009;
die %-form hat sich länger gehalten als dort erkennbar:
wollen grempeln Stieler 702; grempeln Kirsch corn.
2, WS''; wie sie die wolle kämmen, grempeln und spin-
nen Bode Tristram Schandi (1774) 7, 34; aber spinner
und gremp 1er waren alle zu bett gegangen ib. (siehe
krämpler th. 5,2015); gremplerin pectrix Diefenbach
418°; grempelung ca»-7m?ia<io Stieler 702; vgl. ^grem-
pel sp. 108.
GREMPEN, vb., handel treiben, hökern, trödeln; gegen-
über grempeln anscheinend die ältere bildung: wil er
domit kaufen oder grempen Fischer schiväb. 3, 824 (aus
Seilbronn , a. 1378) ; im heutigen schtcäb. mit alten klei-
dem handeln; ebenso im elsäss.: wer mit alte kleider
krampt Martin-Lienhart 1, 273^^; dort aber auch: mit
eszivaaren handeln; ebenso tirol. grämpen obst und andere
kleinigkeiten verkaufen Schöpf 206; bei Kramer teutsch-
ital. (1700) 563" = grempeln; dazu vergrempen verscha-
chern städtechron. 8, 50, 21 (Straszb.) ; nebenform grempten
bei Kramer a. a. o.
GREMPER, m., händler, höker; erscheint älter als das
synonyme grempler, wie grempen älter als grempeln;
penesticus Diefenbach 422''; velaris 609''; mango nov.
gloss. 245"; rigattiere, ferravecchi, stracciaruolo Kramer
teutsch-ital. (l700) l, 563"; Stieler 702; H. Meier, der
gremper Staub-Tobler 2, 737 aus urk. von 1328; grem-
pere und underkeufer städtechron. 8,124, (ChoSEN er Strasz-
burger chron.) ; salzmütter, gremper, kürsener städtechron.
9, 962 (Königshofen Straszburger chron.); hanfgremper
Brugker Straszburg. zunft- u. polizeiordn. 251 (a. 1478);
weitere belege aus dem l4./l5. jh. bei Fischer achwäb. 3, 824;
ouch all stund schlahen, roufen,
das darf ich umb kain grämper koufen
Gengenbach 60 Gödeke;
das wort scheint früh der concurrenz von grempler er-
legen; in den heutigen maa. fehlend. — dazu grempe-
rin, /., hökerin; antionaria Diefenbach 38''; penestica
422''; gremperen butter- und eierhändlerin Martin-Lien-
hart 1, 273''. — grempergasse, /. Staub-Tobler 2,
737 (a. 1612). — gremperwerk, n.:
all gassen sint fürkoufer voll,
gremperwerck triben schmeckt gar wol
Seb. Brant narrensch. 98, 78 Zamcke.
GREMPEREI, /., 'obd. kram, trödelhandeV Heinsius
2,528*; rigatteria, professione di rigattiere Kram er teutsch-
ital. (1700) 1, 563"; auch gegenständ des kleinhandels : wer
ouch vor dem münster . . gremperye veil hette, es we-
rent nüsse, byren, äpfel, eyger, hünre, vögel oder andere
dinge urk.-buch d. Stadt Freiburg i. B. 2, 177 (a. 1402);
heute anscheinend nur noch Schweiz, lebendig: gramperi
kleinhandel, wucher Staub-Tobler 2,737; vgl. jedermann
begibt sich und die seinen uff die unbillichen grempe-
reien und Wuchereien Bücer nach Martin-Lienhart
1, 274».
GREMPIG, adj., in älterer spräche auch grempisch,
alem. wort.
l) groszartig, übertrieben: du machst grämpig üwern
zug gen Horgeu Staub-Tobler 2, 739 aus Bullinger
(l532); ein minister (pfarrer) schwätzte aus dem synodo
und machte den handel noch grempischer ib. (1696) ; ein
schencke rümen und mit worten grempig machen or-
nare munus verbis Maaler (1561) 192»; ein ding grösser
und grämpiger machen dann es an ihm selbs ist He-
NiscH 1739; er macht sich treflich grempig multum se
effert Stieler 701 ; hierher wohl auch grämpig wieder zu
kräften gekommen (von genesenden) Sghmeller l, 997;
etymol. unklar; Zusammenhang mit krampe, grempe der
aufgeschlagene hutrand (Staub-Tobler a. a. o.; also
eigentlich 'aufgeschlagen') wenig wahrscheinlich.
2) trotzig, stolz, unbescheiden: gremsig, grempich ac
grempisch ambitiosus, avidus, cupiditate incensus Stie-
ler 701; ähnlich Kramer teutsch-ital. (1700) 1,563"; wer
will so grempig sin, das er sagen bedirf, ainigs gut ym
menschen sin? Schmid schioäb. 242 aus Spreter in-
atrtict. ; bei demselben : wer wil (s)yn so gremzig der doch
sagen mög, eynigs guts im menschen syn; die weiber
sind grempig, sie mögen dise ding nit leichtlich leiden
(die untreue des gatten) Boltz Terenz (1539) 129» (amarae
mulieres sunt Hecyra 7lo) ; dasselbe wort tcie l f an sich
denkbar, da die abweichende bedeutuyig deutlich auf dem
einßusz von gremsig (s. d.) beruht; doch vgl. auch das
in reicher Verwandtschaft stehende schwäb. krämpig übel-
launig, mürrisch, moros, neidig Fischer 4, 679.
GREMPISCH, s. grempig.
GREMPLER, m., ein noch heute im Schweiz., elsäss.,
schwäb. lebendiges wort für trödler, höker, händler, be-
sonders mit victualien, eiern, geflügel u. dgl. Staub-
Tobler 2, 738; Martin-Lienhart i, 274»; Fischer 3,
824; diese specialisierung ist alt: salarius Diefenbach
7WV. gloss. 324''; Calepinus undec. ling. (1598) 1288'';
käszniann casearius Frisius germ.lat. (1666) 112»; als
waren des kramers oder gremplers werden aufgeführt
carrensalb, unschlit, liechter, schmalz, gewürtz, speck,
schmehr, käess Fischer schwäb. 3,825 (Meszkirch \&Zi) ;
dann auch ein händler gröszeren stils, aber immer vor-
züglich mit lebensmitteln ; oft dem fürkäufer gleichgesetzt:
mango Diefenbach 346"; propola, cauponator, nundi-
nator Serranus synon. (1579) s. v.; frivolarii . . m.an-
gones et propolae Stieler 702; das fürkaufen der gremp-
ler auf dem land Fischer a. a. o. (Memmingen 1532);
es sollend auch die fürkoufer und grämpler zu keinen
zyten anken an unser fronwage . . koufen Staub-Tob-
ler a. a. 0. (Thuner stadtsatz. 1539); das merteil körn
und vich wirt durch die grempler und fürkoufer hinyn
(ins Welschland) getriben ib. aus Kessler; von jeher
auch der trödler, althändler: penesticus Diefenbach
422''; particus 414'*; scrutarius Er. Alberus nov. dict.
(1540) 100»; yqvTonw'kT]s Frischlin nomencl. (i586) 204'';
scrutarius, grempler, puppenkrämer Golius (1585) 236;
trödeler, tockenmacher Henisch 1739; vgl. den beleg
unter dockenkäufer th. 2, 1214; mangones, ausstreicher
und erneuwerer alter dingen auf den kauf, grämpler
Staub-Tobler a. a. o. au^ Frisius; der grempelmarckt,
allwo die grempler den grümpel und nichtswürdige
Sachen verkaufen ib. ; auf den handel mit alten kleidern
geht die glosse 'vestiarius' Diefenbach 616» ; der das
alte gewand . . . wendet und . . . feil hat, (heiszt) ein
grämpler, altgewander und staffierer Comenius janua
(1644) 150; und swaz gewandes die grempler auf dem
markt . . . kaufent, daz suln si niht verwandeln und
suln ez unverwandelt verkaufen Nürnberger polizeiordn.
161 Baader; seit dem frühen ih. jh. zu belegen: eid der
grempler und merzeler Staub-Tobler a. a. o. (a. 1425);
do er (Jesus) die Wechsel benck im tempel umbstysz
und die grempler hinnusz treyb Clemen reform.-flugschr.
2, 172; ich gebe nicht mehr einen pfifferling um die
kunst und es kostet mich keine Überwindung, grempler
zu werden G. Keller bei Bäghtold i, 115; redensart:
sie {die ablaszkrämer) stundend wie kouflütknecht bi den
benken,
grad glich, als ob gott ein grempler war
NiCL. Manuel 83, 1380 Bächtold, vgl. 1386;
wirt also gott in seinen heyligen verschetzt, als ob er
ein grempler, kriegsmann . . sey Fischer schwäb. 3, 825
aus Spreter; Sprichwort:
111
GREMPLERIN — GREMSEN
GREMSIG — GRENADIER
112
ein kaufman der verdorben wer,
gibt gar fauler und grempeler
loci communes (Basel 1572) 158;
ein verdorbner kaufmann gibt einen guten werckler oder
grempler Henisch 1739. — grempler als zweiter com-
positionsbestandtheil: das er mit mir als ein buch-
grempler vil gelts möcht gewinnen Reughlin augensp.
XXXII '';
ein säumarck-grempler man mich nent
H. Sachs 20, 116 Keller-Götze;
(Hildebrand hiesz) die münch, die da gelt und schän-
kung namen, Simoniacos . . . schalt sie ehrngrempler
und hurenpfaffen Sghmeller 1,998 aus Aventin; wort-
grempler Schmeichler Fischart geschichtklitt. Ml neudr.;
eiergrempler Martin -Lienhart l, 274* aus moderner
ma.; zahlreiche composita bei Staub -Tobler 2, 738/.,
schon aus dem 16. jh. körn-, salz-, mulchen-, keller-
grempler (der käse im heller aufspeichert, um ihn
weiterzuverkaufen); aus jüngerer zeit brot-, anken-, garn-,
heu-, immengrempler u. a. — das wort ist wie die ganze
sippe ivesentlich obd., deshalb verlangen vereinzelte nd.
belege vorsichtige beurtheilung : grempler de poppen edder
ander geringe ding the kope hefft Chytraeus 274 (Chytr.
ist Schwabei); dy grempelers geuen von der tunnen i pen.
Schiller-Lübben 2, 143 (märkisch). nebenformen: gremp-
ner, seiler, öbser Lexer l, 1078 (Straszburg 1413); sie
machten auch die constoffeler, als wagener . . schifleut,
grempner zu burgern Seb. Franck Qerm. chron. 350";
grempter Stieler 1521; grenter Lexer l, 1079 (Frank-
furt. 15. Jh.),
2) ableitungen und composita: gremplerin, /., höke-
rin, tr'ödlerin; eiergrämplerin Staub-Tobler 2,738; scru-
teria Diefenbach 521''; yqvToniäXis Frischlin nomencl.
(1586) 204''; eine alte gremplerin una vecchia rigattiera
Kramer teutsch-ital. (1700) l, ses"; bei Stieler 1521 auch
grempterinn; der gremplerin halben, das den verpotten
sey das keine am platz vor mittag nicht kanfen Schöpf
205 (Bozen 1512);
hett sy am halsz ein mülen stein
und leg doch mitten in dem Ryn,
so geschehe ir recht, der gremplerin
Murner narrenbeschw. 67, 52 Gödeke ;
im heutigen elsäas. grempeläre hökerin Martin -Lien-
hart 1, 274*. — grempler bank, /., Verkaufsstand der
grempler auf dem, markte Fischer schwäb. 3, 825 alt.
spr. — gremplergewinn, m., mangonicus quaestus
Henisch 1739. — gremplerstand, m,.: die schneyderin
von Rentsch, die ain grämpler stand begert Schöpf 206
(Bozen itöi). — gremplerzunft, /. Fischer a.a.o.
GREMPLEREI, /., kleinhandel Martin-Lienhart i,
274; daneben auch wucherischer handel Staub-Tobler
2, 739; dem schwäb. heute fehlend, vom 16. — 18. jh. bei
Fischer 3, 825 belegt; es sollen auch die underkeufer
und grempelerei nicht mer meze haben noch gewicht
oberrhein. stadtrechte 1, 91 Schröder (aus Wimpfen); in
älterer zeit vielfach auch als Schlagwort antikatholischer
polemik: die gremplereien des ablasz Wurm v. Geu-
dertheim trost klostergefangener (1523) 39''; alles ge-
würm so sich mit gremplerey ernert, als mit ablas
0. Rrunfels vom evang. anstosz b 4"; dann was wirt
. . . für ain gröszer gottslesterung gehalten dann ir ge-
samiete opfermesz, ir höchster gitzdienst und gremp-
leri JoH. Kessler sabbata 10.
GREMS, n., elsäss. (Schmidt straszb. 44*; Martin-
Lienhart 1, 274*) für geräms, s. d.
GREMSEISEN, n., eisenstab, der zur salzsudpfanne
gehört ünger-Khull 306*.
IGREMSEL, m,.?, was gremseisen? in der Salzsiederei
zu Hallstadt gab es: 15 eisenschlegel , 15 stugkhemer,
8 gremsel usw. monum. Habsburgica 2, 689 Chmel (l5. jh.).
2GREMSEL, m., nach Grassmann nr. 49 name für
allium ursinum und sisymbrium alliaria, die meist
namen ohne g haben, ramse, ramsei u. ä., vgl. th. 8, 82;
anlehnung an grensel? *. d.
GREMSEN, vb., nach Stieler 701 antiqua vox: de-
siderio flagrare, concitari stimulis, ardere, aucupari;
worumme haben gegremset die beiden Wenzelbibel ps. 2, i
(fremuerunt) ; gewispelt haben sie und gegremset mit
den czenden W. Jen 2, l& (fremuerunt dentibus); weitere be-
lege aus derselben quelle bei Jelinek mhd. tob. aus Böh-
men 381; ambitus, das ehrgrembsen, so einer über die
masz mit unrechter weisz nach ehren trachtet und die
kauft Sghmeller i, 998 aus Aventin; es ist das ahd.
gremizon: (Christus) gremizota in sinemo geiste (fre-
muit) Tatian 135, 21; mhd. mehrfach Lexer l, 633. 1078.
GREMSIG, adj., ableitung zum vorigen oder zu dem
entsprechenden subst., ahd. gremizza, -i Graff 4, 322.
1) grimmig, zornig, mürrisch, grämlich: cremizziger
tristis (Charon) ahd. glosse bei Sghmeller 1,996; czornik
und gremsig was Helyu Wenzelbibel Hiob 32, 2 (iratus
indignatusque est Eliu); darumb ward der künig grem-
ssig und ward gereizet von den bösen lasterungen bibel
(1483) 468* (exasperatus 2. Macc. 14,27); da nun der lie-
ben Rahel solchs nicht angehet, wirdt sie gremsig in
sich selber Mathesius ausgew. werke 2, 158 Lösche; so
ist doch der alten zorn (anders als der der jungen) kein
rechter zorn, sondern allein ein grantige und grombsige
weisz, mit welcher sie ihr zeit . . vertreiben Guarino-
Nius grewel d. Verwüstung 359; gremset udderspänstig,
verdrieszlich Loritza id. Vienn. 54; grämsig grämend,
grämlich Staub-Tobler 2, 740; von widerlichen, ärger
und zorn ausdrückenden gesichtszügen Vilmar 136; da-
neben seit alter zeit: leidenschaftlich verlangend oder be-
harrend: pertinax Diefenbagh 430";
daz her was äne mäzzen
üf strltes wer s6 gremsik (: emsik) ..
JoH. V. Würzburg Wüh. v. Osterr. 7837 ;
hartnäckig, auf etwas bestehend Heynatz antibarbarus
2, 76; zu sehr auf etwas erpicht Heinsius 2, 528*; wei-
tere belege unter grempig 2, das sich mit gremsig ver-
mengte.
2) oberhess. für ranzig; verdorbener speck, wurst, butter
schmeckt gremsch, gremschig Vilmar 136; grömmzech
muffig riechend oder schmeckend lux. ma. (1906) 153'' ; das-
selbe wort wie l?
3) was bedeutet gremsig in der spräche des bergbauesf
bröckelig, locker? gremsiges erz Sghmeller l, 998 (Salz-
burg, bergordnung 1532); aerzt so notig und grembsig
bricht ib.; da hat es ein sehr grob grembsig gestein
Thurneysser magna alchymia (1573) 73; die gänge sind
nach der verschiedenen beschaffenheit des gebirges theils
brüchig, gremsig und schwülnig, theils ganz und derb
Krünitz 20, 12 (tirolisch).
GRENADE, /., was granate sprenggeschosz (s. d.); die
franz., noch im anfang des 19.jhs. nicht seltene form:
allwo sie (die grenadiere) ihre grenaden fertig machen
und solche von sich werfen Fleming vollk. teutsche
Soldat (1726) 243*;
(ich) hörte Gleim, den kühnen,
der des liedes feuerpfeil
wie die grenade wirft
Schubart sämtl. ged. 2, 276 ;
Hoyer wb. der artillerie spricht theils von granaten 1,
199 Jf., theils von grenaden suppl. (l83l) 285; auch für
gewisse kugelähnliche gebäcke, fleischgerichte frauenz.-lex.
(1773) 1209; gespickte pastete Jagobsson technol. wb. 2,
150*; ausführliche beschreibung bei Krünitz 20, 12^.
gelegentlich grenate, mischbildung aus der ital. und der
franz. form: (die grenadiere) sollten die . . granaten oder
grenaten mit der band werfen Götzinger reallex. d.
deutschen alterthümer 251*; dazu grenadenbrander,
m., Zünder der granate Hoyer wb. der artillerie l, 8. —
grenadenwerfer, m.:
so still steht Gleim,
der silberlockichte grenadenwerfer
Schubart sämtl. ged. 2, 286;
(der kurfürat) zählte daselbst . . sieben schaaren fusz-
volks, sechshundert grenadenwerfer zu fusz Zsghokke
34, 206.
GRENADIER, m., urspr. fuszsoldat. der handgranaten
wirft.
I
113
GRENADIER
1) die form schwankt; neben stets herrschendem grena-
dier nameiitlich im, 17. und in der ersten hälfte des 18. jhs.
häufig forrnen mit a, entstanden durch einflusz von gra-
nate, vielleicht auch von ital. granatiere (Schulz fremd-
icb. 255): granadirer Birken vermehrte Donau-strand (1648)
216; Kirsch com. 2, 158*; Apinus gloss. nov. (i728) 252;
Corps von granadierern Fleming vollk. teutsche soldat I46
§ 8; granatirer Fäsch dictionn. des ingenieurs (1723) 88
granatier, granadier Kramer teutseh-ital. (1700) l, 555"
granadir Koenig ged. (1745) 30; neue schausp. (Preszb.
Lpz. tili ff.) 10, st. i, 53; noch Kinderling läszt grana
tier neben grenadier zu reinigk. d. dtsch. spr. (l795) 134;
und H. Braun bevorzugt sogar granatier orthogr.-gramm
wb. (1798) 126*; noch heute kennen obd. dialecte die a
formen, Schweiz, granidier, grenitier Staub -Tobler 2
744; weiteres s. u. 2; grenadierer Gruber (1697) kriegs
disciplin 36; Schiller 2,376; plural in älterer zeit häufig
grenadiers Fleming vollk. teutsche soldat 74 § 8. 213 § 5
u. ö.: Ditfurth ein histor. Volkslied d. preusz. heeres 46.
2) zur Sache vgl. besonders Fleming a. a. o. 146; die
grenadiere kommen im 50jährigen kriege auf, urspr. aus-
gesuchte leute, die als handgranatenwerfer bei schwierigen
aufgaben, stürmen u. dgl. verwendet wurdest; auch als
sie ihre eigentliche function aufgaben (ende des 18. jhs.),
blieb dem wort der begriff der kerntruppe; daher vielfach
für den fuszsoldaten xar' f^o^^y:
bin ich nicht offizier,
bin ich doch grenadier
Erlach Volkslieder d. Deutschen 2, 434;
nach Frankreich zogen zwei grenadier,
die waren in Ruszland gefangen Heine 1,39;
aber ihm war weder beschieden, des reiters säbel, . . .
des grenadiers muskete, noch des Jägers büchse zu er-
greifen HoLTEi erz. sehr. 12, 12;
ihr deutschen grenadier',
weil ihr nunmehr seid in Frankreich,
so schmückt das haupt euch allzugleich
RÜCKERT (1867 #.) 1,50.
fast ein begriff für sich sind die altpreusz. grenadiere:
sie steckten ihn gleich ohne barmherzigkeit als flügel-
mann unter die Brandenburger grenadiere Hauff 2, 317;
da las ich auf der Krakauer schule von den alten
Fritzischen grenadieren Fontane I 2, 26; das charakte-
risticum des grenadiers ist von je die hohe mutze {der
hut hinderte beim schleudern der granaten): ein soldat,
der sich durch die hohe mutze vom musquetier unter-
scheidet frauenz.-lex. (1773) 1209; mögen engel bei dir
wachen, bei mir thuts ein bärenmütziger grenadier Bis-
MARGK br. an s. braut u. gattin 346; man erwehlt hier-
zu die ansehnlichsten, stärcksten, dauerhaftesten und
ramassirten leute Fleming a. a. o. 146; daher der begriff
des starken, groszen, martialischen bei dem wort, zu dem
auch Friedrich Wilhelms I. riesige grenadiere (Kerner
bilderbuch 7) beigetragen haben:
und grenadiere, starke leute . .
sah man Droste-Hülshoff 2, 172 Cotta ;
kranatier, kranatiarar starker, groszer mann Martin-
Lienhart 1, 27i''; granadirer Schimpfname für eine
starke, grosze frauensperson Hügel Wiener dial. 70; vgl.
e greenedier, e gruszes tier Müller-Fraureuth 1,440";
vgl. die composita grenadiergrösze, -länge, -mäszig, -model,
-stimme; gern in vergleichen: in dem groszen Berlin,
wo ein haus dem andern gleicht wie ein tropfen was-
ser oder wie ein grenadier dem andern Heine 3, 149;
{die päppeln stehen an der landstrasze)
gleich grenadieren aufgestellt,
in langgedehnten häufen;
weh', dem das loos der strafe fällt,
die gass' hindurch zu laufen
RÜCKERT (1867 #.) 3, 88;
vgl. grenadiergasse ; {Klopstock und seinesgleichen) lassen
sich gleich alten grenadieren im hohen alter noch mes-
sen, um zu erfahren, um wie viel sie zurückschlugen
Schiller 2, 376; er handhabte die satirische waffe wie
die grenadiere die handgranaten Jean Paul 7 — 10, 291
Hempel; Gleim als dichter der grenadierlieder (s. d.) wird
öfter als grenadier bezeichnet: sie glauben nicht, wie zu-
frieden ich mit ihnen und dem grenadier bin Lessing
IV. 1. 6.
GRENADIERARTHEILUNGr - -REGIMENT 114
17, 148 (in Lessinga briefen ständige bezeichnung für Gl.);
meine lieblinge . . waren . . Gleim als grenadier Sghu-
bart leben u. gesinnungen 1, 91.
3) in der Zoologie name für loxia oryx, den capischen
Cardinal, einen sperlingsartigen exotischen vogel Oken
allg. naturgesch. 7, 278; für macrourus, coryphaena ru-
pestris, eine art berglachs 6, 162.
4) composita: grenadierabtheilung, /. Fontane I
2, 237. — grenadieradler, m., feldzeichen der grena-
dierregimenter Alten handb. f. heer u. flotte l, 143. —
grenadierbajonett, n.: das französische grenadier-
bajonett stürmt die höhe Visgher altes u. neues 3, 121,
— grenadierbärenmütze, /. Alten a. a. o. — gre-
nadierbataillon, n. Meinecke Boyen l, 4i; Alten
a. a. 0. — grenadierblock, m., eine einscheibige rolle
zum durchscheeren von tauen, die an der marsraa be-
festigt ist BoBRiK 319*. — grenadiercolonne, /.
Andr. Wasserburg Arkonavis reise n. d. monde (1816)
208. — grenadiercompagnie, /., altes compositum:
die eintheilung einer grenadierer compagnie Fleming
vollk. teutsche soldat 217 §8; vgl. 92 §11; Apinus nov.
gloss. (1728) 253; Lessing 18, 45i; mit zwanzig jähren
schon . . . trat er in die grenadierkompanie des regi-
ments Möllendorf ein Fontane Ii, 82. — grenadier.
Corps, n. Meinecke Boyen 2, 89; Alten a. a. o. 1,128.
— grenadierdivision, /. Alten a. a. o. 2, 357. —
grenadiereinrichtung, /. .• ob es nicht viel mehr
dem geiste der landwehr entspreche, nach dem muster
der alten grenadiereinrichtung in jeder landwehrkom-
pagnie als ansporn des Wetteifers eine grenadiersektion
zu bilden Meinecke Boyen 2, 190. — grenadiergasse,
/.; bis einmal alle setzer und correctores . . durch eine
preuszische grenadiergasse . . gejagt werden Bürger an
Gleim, Strodtmann 3, 128. — grenadiergesicht, n.:
die ... französischen truppen, das freudige volk des
ruhmes, das singend und klingend die weit durchzog,
die heiter - ernsten grenadiergesichter Heine 3, 147. —
grenadiergrösze, /..• in der kirche zu Landsberg
steht in grenadiergrösze freund Hain von holz mit
weiszem sand bestreuet K. J. Weber Deutschland i, 499.
— grenadierhauptmann, m. Kramer teutschital.
(1700) 1, 555"; Petrasch sämtl. lustsp. (1765) 2, 331. —
grenadierkappe, /. Kerner bilderbuch (1849) 3. —
grenadierlandwehrbataillon Meinecke Boyen 2,
189. — grenadierlänge, /.; er hatte schon damals
die richtige grenadierlänge jahrb. d. Grillparzergesellsch.
4,321. — grenadierlied, n.: in den vortreflichen gre-
nadiersliedern (Gleims, 1758) Herder 3, 246; an Gleims
grenadierliedern Scherer kl. sehr. 2, 82. — grenadier-
mädchen, n., in einen grenadier verliebtes mädchen:
man vergleiche . . Hagedorns verliebten bauer, wovon
das verliebte grenadiermädchen eine nachahmung seyn
soll allg. deutsche bibl. 19, 249. — grenadiermarsch,
m,., militärmärsche, die einzelnen truppentheilen mit der
bestimmung verliehen worden sind, dasz sie als präsen-
tiermärsche nur von ihnen gespielt werden dürfen Alten
a. a. o. 4, 369; in der Soldatensprache name einer speise
Unger-Khull 306». — grenadiermäszig, adj., stark-
und hochgewachsen; derb, plump Unger-Khull 306*;
in den norddeutschen marschen sind grenadiermäszige,
ihrem manne schier gleich gewachsene bauernweiber
noch nahezu die regel Riehl naturgesch. d. volkes 3,26;
sie (die magd) sieht verteufelt grenadiermäszig aus Hol-
berg dän. Schaubühne 1,289; (Benedict XIV.) behielt
seine grenadiermäszigen vergleiche und worte, und sein
bologneser patois bei Justi Winckelmann 2^, 139. —
grenadiermodel, m., starke, grosze weibsperson (von
der grenadiere als nachkommen zu erwarten sind) Unger-
Khull 306*; vgl. model th. 6, 2438. — grenadier-
mütze, /.; anstatt des hutes tragen sie eine grosze
grenadiermütze Fleming a. a o. 146; nicht nur von
den Pelzmützen, sondern auch von den preuszischen blech-
hauben : sie . . hatten . . über den steinharten zöpfen
hohe spitze grenadiermützen sitzen Kerner bilderbuch l;
übertragen: barbatus mons Veneris Unger-Khull 306*.
— grenadierregiment, n. Meinecke Boyen 2, 35;
8
115 GRENADIERSÄBEL - 2 GRENSEL
GRENSELHAMMER - GRENSING 116
Alten a.a.o. 1,143. — grenadiersäbel, «1. Petrasch
sämü. lustsp. (1765) 1, 701. — grenadiersection, /.,
*. grenadiereinrichtung. — grenadiersitte, /.: die so-
genannte lady L* ist nur im gegensatze ihrer Schwester,
welche grenadiersitten hat, gutherzig Abbt verm. werke
1, 142. — grenadiersteif, adj.: gärten mit grenadier-
steifen pallisadenzäunen Kürnberger der Ämerikamüde
87. — grenadierstimme, /.; ein robuster . . . haus-
drache . . sparsam bis zum geiz und mit einer grena-
dierstimme versehen Holtei erzähl, sehr. 11, 351. —
grenadiertasche,/. ; granadiertasche tasche für die
handgranaten Kram er teutsch-ital. (1700) l, 555*. — gre-
nadiertruppe,/. Meinecke £ot/en 2,10; Alten o. a. 0.
1, 452.
GRENATE, /., granatblüthe, a. granate.
GRENDEL, s. grindel.
GRENDES, andorn: anthdorn vel grendes marruhium
DiEFENBACH 642 1»; verkürzt: Sindovn oder ^vens ßloaofos
235°; zusammenhängend mit greander? s. d.
GRENDIG, -ISCH, s. grantig.
GRENDSTEIN, m., bedeutungf: aber die grendstein,
welche in sommertagen in dem graben, darein ein bach
gelassen, gewaschen werden, im winter aber sollen sie
. . geschmelzt werden Agricola bergwerck buch, übers.
V. Beck (i62i) 340.
GRENGGE, GRENNGEL u. ä., a. grang.
GRENIS, n., der achte theil eines kuxea Minerophi-
LUS bergivercks-lex. (l730) 310; schwerlich, wie Krünitz
20, 16 annimmt, zu gran.
GRENSE, /., nach Grassmann nr. 743 vereinzelt für
panicum crus galli, so im tirol. Schmeller l, 1005, wo
auch die form greese erscheint Pritzel- Jessen 261 ;
Schweiz, in derselben bedeutung greizen (*. o. ap. 95) und
greiserich {s. o. sp. 9l) ; die genauer entsprechende form
greise bezeichnet hier andere pflanzen : wisse greise litho-
spermum arvense; chlme greise cynodon dactylon; greise
{auch greising) alopecurv^ agrestis; gele greise ranun-
culus arvensis (wofür sonst grensing, ä. d.) Staub-Tob-
ler 2, 783; auch grensen potentilla Diefenbagh 450^
beruht auf vermengung mit grensing. — Oken vereinigt,
ausgehend von grensel portulack, unter dem namen gren-
sen die familien der tamariacinen, portulaceen und theil-
weise die gruppe der paronychieen aus der familie der
caryophylleen Heufler botan. beitrug z. dtsch. Sprach-
schatz 9.
^ GRENSEL, m., ältere, besonders alem. bezeichnung des
gemeinen portulacks, portulaca oleracea; vgl. Diefen-
bagh 449* {aus Tabernaemontanus und Gesner),
Frisius diction. (1556) 1025^; Calepinus undec. ling.
(1598) 1117*; burgel oder grensel Bock abbildungen zum
kräuterbuch (1553) cxxii ; portulaca bürtzel, grensel Go-
Lius onom. (1585) 419; burzelen, grensel Frischlin
nomencl. cap. 30; vgl. Henisgh 1740; andrachne burtzel,
sawburtzel, sawbon,grenselDiEFENBACH 14* aw^RössLiN
kreuterbuch {l53S) ; portulaca agrestis grensel Er. Alberus
(i540) FFij^; grensel, portulac . . burtzelkraut Pancovius
(1673) 323; mit verweis auf portzelkraut bei Chomel
öcon. u. phys. lex. 4, 1343; von Oken als benennung der
ganzen familie der portulaceen in die kunstsprache der
botanik eingeführt, aber mit falschem geschlecht, als fem.
naturgesch. 3, 1348^.,- nebenformen : grenzel Pritzel-
Jessen 303 {aus Toxites); burtzelkraut oder grentzell
?ebiz feldhau (1579) 58; andrachne grentzel Sturmius
(1590) H6''; grentzel CORVINUS /ons üafimtefi* (1646) 649;
grenzel axich bei Henisch 1740; gränzel oder portzelkraut
Staub-Tobler 2, 783 (a. 1710); greusel, grensel, gensei,
kreusel Grassmann nr. 226. — nach Staub-Tobler 2, 783
bei Durheim auch für potentilla anserina, getvöhnlich
grensing, s. d. — nach Heinsius 2, 528* 'eine in Indien
am meeresstrande wachsende pflanze, mit auf der erde hin-
gestreckten Stengeln, an tcelchen sich glänzende, schmale,
gespitzte, erhobene blätter und einzeln gestellte blum^n be-
finden'.
2 GRENSEL, m., vordertheil des achiffea: auf des kiels
grensel in aummitate trieria Schmeller l, 1005; der
grensel prora, prior pars navia Aventin i, 570, 13; und
wurden auch die schiff und ir grensel wolbewerten
schifmaistern empfolhen herzog Ernst 253, ll Bartsch:
und legten den herzogen und grafen Wezilonen verhaft
uf den grensel und höhin des schifs 268, 3; bair. öfter
entstellt zu kränzl Schmeller a. a. o.; ableitung von
grans hervorragender theil eines körpera, Schnabel, rüaael,
maul, s. d.
GRENSELHAMMER, m., bedeutungf ünger-Khull
306^ aus der älteren spräche des bergbaues; = gremsel
sp. 111?
GRENSEN, vb., vor zorn den mund verziehen, mit den
Zähnen knirschen: grenczen vel zornen ringere Diefen-
bagh 498«; he schall ropen alse eines louwen wolp
unde he schall grensen (frendet) unde holden den roeff
ndlberstädter bibel (1522) Jes. 5, 29. grensen neben gren-
nen {mhd. vereinzelt, Lexer 1, 1069 unter grannen) tvie
gransen neben grannen, *. diese Wörter; vgl. auch grinsen.
GRENSIG, adj. zum vorigen: wer do sagt zu seynem
bruder racha (das ist eyn greulich zornigs grenszigs
zeychen gibt) Luther 9, 292, 17 Weim.,- vgl. das syn-
onyme gremsig sp. 112.
GRENSING, GRENSIG, GRENSELING u. ä.. m., name
mehrerer pflanzen.
l) am häufigsten als grensing, und zwar
a) msist für potentilla anserina, gänsefingerkraut, vgl.
Grassmann nr. 190; vom, ahd. an bezeugt: grensinc poten-
tilla diutisca 2, 188; Diefenbach 324°. 450^; nov. gloss.
299^; Bock kräuterbuch (1539 jf.) l, cxlij^; potentilla vel
portentilla, grensing, bei den alten schwerlich zufinden
RYFFcon/ec^ OMCA (1548) bv^ ; genserich oder grensing Came-
RARius kräuterbuch 759; griensing, gänserich, potentilla
WiRSUNG arzneibuch, register; auch mnd.: contra fluxum
sanguinis nym potentilla dat ys grensynck Schiller-
Lübben 2, 144; wortelen . . van grensinghe ghewaschen
unde ghedroghet unde up de tene gelecht, dat vordrift
den worm van den thenen ib.; auch die mlat. glossie-
rung mit nymphaea meint dieselbe pflanze, so bei Die-
fenbagh 381*. 642° {aus nymphaea verderbt sind kympha
119° und kymphta 639°); grensinc, nimphea, clavus Ve-
neria Graff 4, 333 (12. Jh.), auch diese bezeichnung nicht
selten Diefenbagh 126^; nov. gloss. 96*; synonym mit
potentilla ist auch ercularis, -arius Diefenbagh 207*'.
641*; excularis {l. ercularis) Schiller -Lübben 2, 144
aus Wolfenbütteler mscr.; seltener erscheinen die bezeich-
nungen ros marinus Diefenbagh 500^ und inguinaria
298°, die mlat. anscheinend beide potentilla meinen kön-
nen; vereinzelte nebenform grensring argentaria Staub-
Tobler 2, 783 (15. JA.);
b) für verschiedene ranunculaceen, hahnenfuszgewächse :
flammula Diefenbagh 238 '^ {nach Pritzel-Jessen 326 der
mlat. name für ranunculussceleratus);holli'wasseTsemden,
hannenfusz, grensing, swefelprech 279'' {auch hier tceisen
die parallelen bezeichnungen auf ran. sceler.); JeiNEMNiCH
für ranunculus flammula nach Staub-Tobler 2, 784; atif
ranunkelarten, besonders ran. flammula, weist ferner die
gleichsetzung mit brennkraut, -wurzel Heinsius 2, 528*;
für atragena bei Oken naturgesch. 3^, 1152;
c) für achillea millefolium, Schafgarbe {anscheinend
nur md. und nd.) : millefolium magnum, genserich, gren-
sing, grosz garb Er. Alberus ee 4*; gränsing Schaf-
garbe Weber öcon. lex. (1829) 202; = schäpgarbe; eine
art heiszt wite grensing Schambach götting.-grubenh. 68*
{im benachbarten ivaldeck. aber für potentilla Bauer-
CoLLiTZ 41*); im seZieji sinne gransinc Pritzel-Jessen 6;
d) für agrimonia Diefenbagh 19'' {nach Pritzel-
Jessen 13 agrim. eupatoria, Odermennig, ackerkraut);
häufiger mit argemone glossiert: inguinariam herbam
quidem argemonen vocant .... grensing oder genserich
Bas. Faber theaaurus (1587) 409*; grensing argemone
Kirsch com. 2, 158''. da daa mittelalter agrimonia tind
argemone vermengte (Diefenbagh 19''), brauchte argemone
an dieaen stellen nicht nothwendig eine besondere pflanze
zu meinen; an sich aber bezeichnet papaver argemone den
wilden mohn, und so versteht es sicher Frischlin.:
W 117
117 GRENSINGKRAUT - GRENZACCISE
argemona, komrosz, wild gremsing nomencl. cap. 31;
vgl. argemone wilder grensing Sturmius l 2*;
e) ganz vereinzelt für endivia: grensing vel gensetzungen
DiEFENBACH 202"; nach Pritzel-Jessen 98 in derselben
bedeutung auch gennsing. — die form gensing für poten-
Ulla nach Grassmann nr. 190 anscheinend ganz geivöhn-
lich; schon ahd. gensinc Graff 4,220; aber doch wohl
erst volksetymolog. Umbildung von grensing {die gänse
fressen die pflanze gern), grensing {mit grense, grensel)
zu grans vorsprung, spitze, gran spitze, grannef
2) theils durch dissimilation {vgl. kuning, pfenning
u. a.), theils durch einwirkung anderer pflanzennamen
auf -ich (WiLMANNS 2, 378) entstehen aus grensing die
formen grensig, -ich; bedeutung vne unter l: grensich
wird auf lateinisch anserina, potentilla, tanacetum
agreste, agrimonia sylvestris . . . genennet Kräuter-
mann blumen- u. kräuterbuch (l75l) 195; p{r)otentilla
grensih, -ich, -ig, gränsich Diefenbach 450^. 643«; Rim-
Ulla {l. Potentilla) 498°; nimphea nov. gloss. 264'*; ros
marinum 320*; grensich anserina Bock kräuterbuch
(1539 jf.) 1, cxlij^; grSnsick pot. anserina Frisghbier
preusz. 1, 252; unklar ist: doma grensich Diefenbach
189«.
3) nicht selten ist grenserich, entstanden durch ver-
mengung von grensing mit dem synonymen genserich
{vgl. das nebeneinander von grensing und gensing, o. l) :
grenserich potentilla Diefenbach 450''; anserina Bock
kräuterbuch (1589 jf.) 1, cxlij''; grenzerich, grenserich,
grensing agremone, agrimonia sylvestris : anserina vulgo,
et ingvinaria, aliis potentilla, tanacetum agreste Henisch
1740; vgl. genserich oder grensing Sebiz f eidbau (1579)
58; grensing, gänserich Staub-Tobler 2,783; dazu %ä.rv-
serich <ä. 4 *, 1, 1277; nebenformen: gremsrich kympha
{statt nymphea, s. o. l) Diefenbach nov. gloss. 90"*; gre-
nerich Grassmann nr. 190.
4) die form grenseling könnte auf eintoirkung von
grensel beruhen, das ja seinerseits zuweilen die bedeu-
tung von grensing angenommen hat: grenseling als name
für clematis erecta, potentilla anserina, ranunculus flam,-
mula, atragena {also durchaus im sinne von grensing)
Sanders 1, 625''; grenselinck Diefenbach 450''; grens-
lich ib.
5) composita: grensingkraut,n.; etliche haben den
glauben, wann sie grensingkraut in die schü legen, der
fluss sol davon gestilt werden Bock kräuterbuch (1539 jf.)
1, cxlij''; grensingkraut in der Harzgegend für poten-
tilla anser. Pritzel-Jessen 304; grensekrud m dersei6e7i
bedeutung brem. wb. 2, 540; Berghaus l, 609''. — gren-
sich Wasser, n.: grensichwasser ist den roten äugen
düglich, düchlin darinn genetzt und über geschlagen
sol alle flecken vertreiben, die flüsz und schmertzen
stillen Bock (l55i) 182''.
GRENST, s. grans.
GRENTE, /., preiszelbeere {kämt,), e. grante, grandel.
GRENTIG, -ISGH, *. grantig.
GRENTSCH, m.T hamster: grutschel, grentsch, krietsch
mus cricetus Nemnich 2, 651; zu grennen die zahne flet-
schen, mit den zahnen knirschen, wie grutschel zu grut-
schen stridere Frisch 1, 380?
GRENZABSTAND, m., der gesetzlich festgelegte Zwischen-
raum zwischen einem bauwerk, bäumen, gesträuchen usw.
auf dem einen grundstück und der grenze des nachbar-
grundstückes Meyer convers.-lex.^ 8, 218^. — grenzab-
steckung, /. ; {Kant) begann vielmehr vorsichtig das
reich abzugrenzen, innerhalb dessen dieser begriff über-
haupt sinn hat (man ist auch jetzt noch nicht mit die-
ser grenzabsteckung fertig geworden) Nietzsche 5, 300.
— grenzabtheilung, /. .- es geschieht eine grenzab-
theilung unsers forstes maler Müller 3, 387; ihre {der
landkarten) Überkleidung . . . durch politische grenzab-
theilungen verhindert das durchschimmern der natür-
lichen gränzen allg. deutsche bibl. 83, 503. — grenz-
abtretung, /., abtretung von grenzgebiet Bismarck
polit. reden 5, 68. — grenzaccise, /.; seit . . der
GRENZ ACKER — GRENZBACHLEIN 118
einführung der neuen grenzaccise ist das hammel-
fleisch sehr theuer geworden Grabbe 1, 413 Blumen-
thal; vgl. grenzsteuer. — grenzacker, m., ager confinis
Stieler 17; grenzacker agri limitanei, in limitatibus
provinciae proocime hostes siti Henisch 1740. — grenz-
ackerung, /., grenzbezeichnung durch umpflügen: die
grenitzen durch steine, zeichen, kreizbeume und neuen
grenzackerungen bezeichnet Hüttel Trautenauer chron.
265 Schlesinger. — grenzadel, m., adel der grenzmark:
der sitz des landesältesten ist unter dem grenzadel
Nitzsch deutsche Studien 211. — grenzadler, m., adler
als grenzzeichen: der preuszische grenzadler, sonett von
Körner. — grenzalterthum, n., denkmal, zeugnis,
brauch aus älterer zeit, die auf das grenzwesen bezug
haben: deutsche grenzalterthümer akadem. vortrug von
Jac. Grimm kl. sehr. 3, 20; bildung nach dem muster von
rechtsalterthum <ä. 8, 423. — grenz amt, n.: der wirk-
liche ausgang {der waren) musz durch begleitscheine
nachgewiesen werden, die innerhalb einer gewissen zeit
von den gränzämtern bescheinigt zurückkommen müs-
sen Hamann 6, 236 Roth-Wiener; der postillion wendet
sich , in den wagen hineinrufend : 'hier ist das grenz-
amtl' HoLTEi erz. sehr. 35,278. — grenzangabe, /.:
westfälische Urkunden des 9. jahrh. . . liefern bei einer
grenzangabe DrevanamSri J. Grimm kl. sehr. 2, 34. —
grenzangelegenheit, /. ; von zeit zu zeit kommen
chinesische und mongolische gesandtschaften in grenz-
angelegenheiten nach Irkutsk Ritter erdkunde 3, 133.
— grenzanweisung, /., feststellung der grenze: da
aber ein part an der gräntzanweisung unrecht befunden
worden, soll dasselbe deme, welcher die sache erhelt,
alle schaden und Unkosten . . gut machen und entrich-
ten SCHICKFUS chron. v. Schlesien (lG25) 3, 485. — grenz-
anwohner, m. : eben diese nächsten grenzanwohner
Aegyptens nennt Macrizi Nubas Ritter erdkunde l, 563.
— grenzarmee, /.; nachdem Lyon erobert war, gin-
gen viele dieser truppen nach den gränzarmeen Lauk-
HARD leben u. Schicksale 4,337. — grenzenaufschie-
bung, /. : man wird durch blosze gradsteigerung der
kraft so wenig zum gefühle des wunderbaren gelangen
als durch Unendlichkeit oder grenzenauf Schiebung zum
absoluten Jean Paul 52/53, 11 Hempel.
GRENZAUFSEHER, m., beamter zur beaufsichtigung
der landesgrenze, zollaufseher : ihr mann, gränzauf sehet
Kayser, ist vor elf jähren gestorben B. v. Arnim dies
buch gehört d. könig 2, 564; von unschlitt . . . will ich
leben, wenn ich's dem kerl verzeih', dasz er mich . .
an die grenzaufseher verraten hat Fontane I 6, 12;
junges, schriftdeutsches tcort für volksthümliches grenzer,
grenzjäger, -Wächter; bureaudeuisch : grenzaufsichtsbe-
amter reichsstempelgesetz (1906) § 60 satz 2. — grenz-
auf Stellung, /. ; die . . 200000 mann starke russische
armee in Polen, deren marsch nach der Krim die dor-
tige Situation entschieden haben wüde, wenn die öst-
reichische grenzaufstellung ihn hätte zulässig erscheinen
lassen Bismarck gedank. u. erinn. 1, 119 volksausg. —
grenzausdehnung, /. : das Verhältnis der grenzaus-
dehnung zum flächeninhalt des Staates ist {bei Deutsch-
land) . . nicht günstig Alten hdb. f. heer u. flotte 3, 83.
— grenzausgleichung, /.: die in verschiedenen Pe-
rioden . . . statt gefundenen gränzausgleichungen mit
Ungarn Jahrbuch d. Grillparzergesellsch. 2, 151; die bil-
dung ist abhängig von grenzvergleich, s. d, — grenz-
ausmittelung,/., ermittelung der grenze: ein rechtes
zeichen für das hohe alter der markeneinrichtung ist
die art der grenzausmittelung Bernhardt ^escA. d. wald-
eigentums l, 95.
GRENZBACH, m., sowohl bei privatem besitz wie bei poli-
tischem gebiet gebräuchlich; zuerst notiert bei Adelung 2,
776; jenseit der stadt lag . . eine wiesenfläche zwischen
einem breiten graben und dem grenzbach {sc. der Prosna,
ztcischen Posen und Polen) Freytag l, 47; demin. grenz-
bach lein, n. ; noch heutiges tages wird das grenzbäch-
lein gezeigt, bis zu welchem der einsinkende Glarner
den siegreichen ürner getragen habe Grimm deutsche
sagen l, 194; wie einst eine lawine das grenzbächlein
8*
119 GRENZBALKEN - GRENZBEGANG
GRENZBEGEHUNG - -BERICHTIGUNG 120
entzweite und damit auch die beiden groszbauern Ro-
SEGGER 13, 288. — grenzbalken, m.: liminares trabes
. . . grenzbalken, welche die decke des zimmers aus-
machen Rode Vitrtiv anJiang 41. — grenzbank, f.:
heut . . gingen wir an der grenze vom Stadtgebiet gegen
die Schweiz hin, sahen die grenzbank, halb thurgauisch,
halb badisch bemalt briefw. von Ed. u. Therese De-
VRIENT 396. — grenzbann, w. bannbezirk an der grenze:
eben wie die eingesessene eines gränzbannes fordern,
dasz die zu hause bleibenden für sie den acker be-
stellen . . sollen, wenn der dritte mann von ihnen für
das jähr zu felde liegen musz Moser 2, 206; eigen für
'grenze des bannbezirks' : in der gleichen berggegend,
welche vom Ruechensteiner grenzbann durchschnitten
war, kreiste der rathschreiber Schafürli herum G. Kel-
ler 5, 241. — grenzbarriere, /., in der ersten hälfte
des 19. jhs. häufig , heute durch grenzschranke ersetzt:
1579 wurde . . die grenzbarriere durch die erbauung des
starken forts . . sehr verstärkt Ritter erdkunde 5, 633 ;
so durfte sie . . . nur jenen blick voll jungfräulicher
hoheit auf den sündigen menschen und seine begierden
herabblitzen lassen, so schlich man sich . . hinter die
grenzbarrieren der bescheidenheit zurück Hauff 3,112;
Arkansas erklärt ihnen, dasz es dem Import ihrer bände,
ihrer Intelligenz und ihres kapitals keine grenzbarriere
in form eines kaufschillings entgegengesetzt Kürnber-
GER der Amerikamüde 68. — grenzbauer, m., an der
reichsgrenze wohnender bauer Ritter erdkunde 2, 476.
GRENZBAUM, m., ein bäum, der die grenze eines ge-
bietes bezeichnet: und sol solcher vertrag mit neuen
kreuzen und grenitzbaumen in monatsfrist verschriben,
versiegelt und bekreftiget werden Hüttel Trautenauer
chron. 289 Schlesinger (a. 1586); deshalber er (der weisz-
buchenbaum) auch zu maal- und gräntz-bäumen in den
gehöltzen sehr schicklich ist Döbel neueröffnete jäger-
practica (1754) 3, 7; der pfarrer-oheim hat mich begleitet
bis zum grenzbaum seines sprengeis Rosegger H 15,
307; in älterer zeit meist durch eingeschlagene kreuze ge-
kennzeichnet, daher kreuzbaum th. 5, 2186, lachbaum
th. 6, 11, malbaum th. 6, 1499; vgl. markbaum th. 6, 1636;
Jean Paul spielt gern mit dem tvort: drittens war ihr
Stammbaum ein grenzbaum und Verwahrungsstock 3, 69
Hempel; nun stehen wir wieder auf dem boden, wo
man die blumen der liebe zu heu anschlägt — und wo
es im paradies keine andere bäume giebt als grenz-
bäume 15/18, 596; denn ich stand wie ein runder grenz-
baum zwischen beiden 48, 370; auch als eigenname:
gräntz-baum wird auch zuweilen insbesondere der bäum
Achiott oder Bixa genennet, weil er von den Indianern
. . . zur bezeichnung ihres reviers um ihre Wohnungen
gepflanzet wird Chomel öcon. u. physic. lex. 4, 1297;
natürlich auch specialisiert : (ein blitz) der eine tausend-
jährige grenzeiche zersplitterte MusÄus Volksmärchen
1, 18 Hempel; grenzkiefer J. Grimm kl. sehr. 2, 44; du
gehst durch den wald und siehst, dasz der grenz-
lärchbaum frisch gefällt ist Rosegger III 7, 164; du
machst ihn auf den Irrtum aufmerksam, er hätte zu-
fällig die grenzlärche erwischt ib.; es hat aber je-
mandis itziger zeit die grenitzweiden weggebrent
Hüttel Trautenauer chron. 260 Schlesinger. — grenz -
beamter, m.: sie schickten sechs Unterhändler zu
dem . . chinesischen grenzposten voraus . . , um die
absieht des dortigen grenzbeamten zu erfahren Rit-
ter erdkunde 2, 702; in Oderberg nahm ich abschied
von den grenzbeamten Holtei erzähl, sehr. 39, 256. —
grenzbefestigung, /. : hier verweilte er eine Zeit-
lang, um gegen Sachsen hin eine gränzbefestigung auf-
zuführen Dahlmann gesch. v. Dänemark l, 21; der zu-
nehmende ausbau der grenzbefestigungen der nachbar-
staaten Alten handbuch f. heer u. flotte l, 528; dazu
grenzbefestigungslinie 2, 727.
GRENZBEGANG, m., die feierliche, in bestimmten
fristen vriederholte begehung der grenze, die ihrer auf-
rechterhaltung dienen soll: in den öffentlichen rechts-
gebräuchen ist . . die feierliche lustration der wege, der
grenzbegang, wobei vor alter götterbilder und priester
kaum gefehlt haben, ganz zu vergleichen J. Grimm
deutsche mgthol. *1, 62; vgl. rechtsalterth. * 2 , 75; freier
auch für die Schilderung eines grenzbeganges : wenn wir
nun in den meisten grenzbegängen die scheide durch
eichen bezeichnet finden kl. sehr. 2, 56. hat J. Grimm
das wort geschaffen oder erneuert? nach ihm nicht selten
grenzbegänge der alten zeit Bernhardt gesch. d. wald'
eigentums 3, 409 ; die formen der grenzbegänge und grenz
beschreibungen Sghwappagh hdb. d. forst- u. jagdgesch.
1, 340; älter ist grenzbegehung, vgl. auszerdem grenzum
gang, -beritt, -umritt, -ritt, -beziehung, -zug, -besichti-
gung und die grenze begehen, beziehen sp.lZd. — grenz
begehung, /., loas grenzbegang, *. d.: am abend wur
den die siege gefeiert, wie ehemals die grenzbegehungen
man trank, tanzte und spielte Lichtenberg verm. sehr.
5, 270; sieben jähre wie sieben tage häufig fristbestim'
mend, z. b. für die grenzbegehung J. Grimm rechtsalter
thümer i, 294; heiszt es, dasz burggraf Papo von Regens
bürg durch eine grenzbegehung unter Zuziehung von
zeugen . . . das eigentum erworben habe Schwappach
hdb. d. forst- u. jagdgesch. l, 149.
GRENZBEGRIFF, m., begriff, der bis an die grenze
des menschlichen erkennens oder denkens führt: ihm fie-
len die Worte des sterbenden fischers ein — alles, alles,
alles! — dasz er gleichsam da, wo sich ein neues da-
sein von dem alten scheidet, diesen höchsten grenzbe-
griff so oft wiederhohlte Moritz Anton Reiser 287 neudr.;
seit Kant philosophischer terminus, der ihm bei der be-
Stimmung des dinges an sich dient: der begriff eines
noumenon ist blos ein grenzbegriff, um die anmaszun-
gen der Sinnlichkeit einzuschränken und also nur von
negativem gebrauche werke (1838^.) 2, 250 (Kant legt
neben dem begriff der erkenntnisgrenze auch den der Sinn-
lichkeitsbegrenzung in das wort); ähnlich oft: der vor-
theil des begriffs ursprünglicher kräfte, den die dyna-
mische Philosophie in die naturwissenschaft eingeführt
hat. sie dienen . . nicht zu erklärungen, sondern nur
als gränzbegriffe der empirischen naturlehre Sghelling
(1856^.) 2, 386; anders in jüngerer philosophie: die be-
griffe der coexistenz und succession, der Inhalt unserer
räum- und zeitvorstellung, . . . sind ... als empirische
grenzbegriffe zu bezeichnen Riehl philos. kriticismus
2, 1, 73. — grenzbegünstigung, /.; fast alle ihm be-
nachbarte fürsten haben zu den zeiten der königlichen
regierung in Frankreich orden, regimenter, pensionen
oder gränzbegünstigungen . . empfangen Iffland theatral.
werke 10, 311. — grenzbehörde, /. ; die grenzbehörde
scheint verbrechen nachzuspüren Kotzebu e sämtl. dram.
werke 37, 271; das an die grenzbehörden ergangene ver-
bot . . . , keinen der in russische dienste eingetretenen
deutschen Offiziere über die grenze zu lassen Meinecke
Bogen 1,255. — grenzbereisung, /.; die kosaken
bringen von ihren grenzbereisungen stets von diesem
arzneimittel . . mit Ritter erdkunde 2, 1023; die lithau-
ische forstordnung von 1777 schreibt . . alljährliche grenz-
bereisungen durch den oberforstmeister vor Schwappach
hdb. d. forst- u. jagdgesch. i, 341. — grenzbereiter,
TO., 'eine person, welche die grenzen bereiten musz, um
die heimliche einbringung verbotener waaren zu verhüten'
Heinsius 2, 528^; atich bei Adelung; der wegweisende
bauer . . . nahm abschied, aus der Ursache, er dörfte
sich in dem hause nicht lange aufhalten, denn der
grentzbereiter kehre . . da ein Riemer polit. colica (I68O)
209. — grenzbereitung,/., die thätigkeit des grenz-
bereiters Heinsius 2, 528''; vgl. aber auch unten grenz-
besichtigung. — grenzberg, m.: das heer, welches sich
wider die finnischen götzendiener . . versammelt habe,
seie schon gegen die grenzberge vorgerückt Fouque
zauberring (1812) 2, 58; Tirol ist von seinen grenzbergen
wie von wall und mauer umgeben H. v. Schmid 21, 126.
GRENZBERICHTIGüNG, /., nach heutigem verstände
unbedeutendere grenzver ander ungen, meist zwischen stauten
(verdrängt das ältere grenzregulierung) : wie nun Napoleon
. . sich erbot, das noch immer vorenthaltene Braunau
zurückzugeben, wenn man sich in Italien einige gränz-
berichtigungen gefallen lasse Häusser dtsch. gesch. 3, 313;
121 GRENZBERITT - GRENZBESTIMMUNG
GRENZBEVÖLKERUNG - GRENZBEZIRK 122
in älterer zeit dmieben mit leichter abiceichung: die ge-
naue bestimmung der gränzen durch meszungen und
errichtung gewiszer gränzzeichen Kinderling reinig-
keit d. deutschen spr. 396 (vgl. unten grenzbestimmung) ;
übertragen: aber jede sittliche elgenthümlichkeit bedarf
ihrer grenzberichtigung durch ausbildung des entgegen-
gesetzten kraftpols Jean Paul 55—58, 31 ; {Fichte) hat
zuerst . . den begrifif des rechtes von dem der moral
abgelöst und mit vollständiger grenzberichtigung beider
gebiete die erstere {die rechtslehre) . . durchgeführt Fichte
3, V ; dazu grenzberichtigungscommission jahrb. d. Grill-
parzergesellsch. 5, 28. — grenzberitt, m.. grenzbegang
zupferde, wie z. b. in Biedenkopf {mittheilung Edw. Schrö-
ders). — grenzberührung, /.; die grenzberührung
der verschiedenen poesien unserer romantiker mit ver-
wandten wissenschaftlichen fächern liegt überall vor
Gervinus gesch. d. dtsch. dichtung (i853) 5, 556; Gerv.
liebt diese bildung, vgl. i, 16. 4, 101. 5, 146. — grenz-
besatzung, /.; und zu der zeit machten die Francken
und Thüringen nach dem muster Drusii zuvor zwo grentz
besatzungund marggrafthum Ammersbach cÄMrJrancfenS.
chron. 89; hoflentlich werde die bereitschaft der Schlesier
. . die grenzbesatzungen dem kaiserlichen feldlager zu-
geschickt haben acta publica, verhandl. d. schles. fürsten
u. stände i, 183; so sei er {der kaiser) darauf bedacht,
. . nur die zur grenzbesatzung nöthigen truppen im lande
zu lassen 6, 147; die mameluckenherrschaft in Ägypten . .,
die ihre grenzbesatzungen gegen Nubien bis nach . .
Assuan vertheilten Ritter erdkunde i, 608. — grenz-
b e s c h n a d u n g , /., die periodische erneuerung der grenz-
zeichen Schwappach handb. d. forst- u. jagdgesch. 2, 889 ;
vgl. schnat(e) grenze ^7t. 9, 1193. — grenzbeschreiber,
m., kartograph, feldmesser? als beruf sbezeichnung : Simon
Hittel, maier, grenizenbeschreiber Hüttel Trautenauer
chron. 201 Schlesinger ; in dem felde zur lincken sollte
Terminus, der ruhige gränzbeschreiber, . . stillschwei-
gend mit dem schlangenstabe einen gränzstein bezeichnen
{beschreibung eines monuments) sehr. d. Göthegesellsch. 16,
91. — grenzbeschreibung, /., urkundliche festlegung
der grenzen eines gebietes, allg. deutsche bibl. 58, 556;
= bezirck-brief Chomel öcon. u. physic. lex. i, 1297; im
Bremervörder register von 1500 — löio findet sich in der
grenzbeschreibung des gerichtes Sittensen bei Scheeszel
der flurname Danhorst Hoops waldbäume u. kultur-
pflanzen 193. — grenzbeschützung, /.; jene grenz-
und grabesbeschützung, die als eigenschaft . . Juppiters
uns bezeugt ist Gerhard akad. abhandl. i, 292. —
grenzbesetzung, /.; ich erinnere sie daran, dasz zu
verschiedenen malen schon grenzbesetzungen stattge-
funden haben Moltke sehr. u. denkwürdigk. 7, 104. —
grenzbesichtigung, /., was grenzbegang, s. d., so
Adelung 2, 777; dergleichen grenzbesichtigungen {der
gerichtsbezirke) . . oder bereitungen, nicht selten in den
feierlichen formen eines umritts vorgenommen, waren
ein bürgerfest Luschin v. Ebengreuth münzkunde u.
geldgesch. 27; daneben auch weniger prägnant: den 21
dito bin ich auf einer grenzbesichtigung zwischen der
wahlstatt und Rosenau gewesen Schweinichen denk-
würdigk. 472; ich erinnere mich, wie er einst bei einer
grenzbesichtigung den gegner, einen lateinischen advo-
katen, in die enge trieb Voss antisymb. 2, 178; dazu
grcnzbesichtigungsreise, /., allg. deutsche bibl. 106, 527. —
grenzbesitzer, m. : doch waren auch diese {die topo-
graphischen Verhältnisse in der nähe des grenzgebirges)
den beiderseitigen grenzbesitzern {Ruszland u. China)
selbst sehr wenig bekannt Ritter erdkunde 2, 526. —
grenzbestätigung, /., festsetzung der grenze: nu
folget die grenizbestetigung Hüttel Trautenauer chron.
265 Schlesinger.
GRENZBESTIMMUNG,/.; heiszt entweder eben das,
was gränzberichtigung ist, oder ein feyerlicher vertrag,
wodurch eine gewisze abgezeichnete linie zur gränze
gesetzt wird Kinderling reinigkeit d. detäschen spr. 396;
häufiger das erstere: der styl ist . . empörend mit Sprach-
fehlern besudelt, z. b. . . ausmarchung statt gränzbe-
stimmung allg, deutsche bibl. 116, 213; für das hohe alter
der mark {des ungeurbarten landes zwischen den ansie-
delungen) spricht unter anderem die übliche grenzbe-
stimmung durch hammerwurf Bernhardt gesch. d.
waldeigentums l, 38; neben diesem elementaren gebrauch
sind zwei vericendungen zu scheiden: grenze in der be-
deutung 'Scheidelinie': giebts eine grenzbestimmung zwi-
schen begriffen der einbildungskraft und des Verstandes ?
Herder 21, 183; die Römer . . sind ungewisz in ihrer
gränzbestimmung zwischen den deutschen und slawi-
schen Völkern Fr. Schlegel ii, 22; ein groszer histo-
riker sähe . . in diesem hochlande eine natürliche grenz-
bestimmung zwischen dem nomadenleben und der an-
gesiedelten gesittung der Asiaten Ritter erdkunde 2, 42;
ihre grenzenbestimmung der toleranz und Intoleranz
werde ich begierig lesen Forster 8, 102; Lamarck . .
hatte die . . Pariser Sammlung des j ardin des plantes
. . in arten vertheilt, wobei die Schwierigkeit der grenz-
bestimmung einen tiefen eindruck auf ihn gemacht zu
haben scheint K. E. v. Bär reden u. versch. aufsätze 2, 267;
grenze in der bedeutung 'endgrenze, abschlieszende grenze'
{vgl. grenze B) : so wird auch wol . . dieses die sicherste
grenzbestimmung sein für unsere befehlshaber, wie weit
sie die stadt ausdehnen . . sollen Schleiermacher
Piaton 6, 224 ; in diesem sinne fester terminus der Philo-
sophie: aber innerhalb dieser ihm angewiesenen Sphäre
hat das Subjekt gewählt, die nächste grenzbestimmung
seines handelns sich selbst absolut gegeben Fichte 3,
41 ; auf diese weise wirkt die scharfsinnigste anwendung
der Vernunft, wodurch sie ... eine grenzbestimmung
ihres eigenen Vermögens zu stände brachte Forster
5, 304; einer unsrer ersten naturforscher hat . . diese
grenzbestimmung seiner Wissenschaft {der naturerkennt-
nis) näher erläutert Dilthey einl. in d. geisteswissensch.
1, 11; nur er {der sinnliche mensch) ist das princip der
erkenntnis, und der übersinnliche erscheint nur als eine
problematische grenzbestimmung Windelband gescJi.
d. neueren philos.'^ 2, 152. — grenzbevölkerung, f.:
inmitten der fleiszigen . . ungarisch-deutschen und nieder-
österreichischen gränzbevölkerung kann sich ein so läs-
siges naturvolk {die Kroaten) nicht lange mehr behaupten
Riehl naturgesch. d. volkesi.SGO. — grenzbewachung,
/.; die truppen zur grenzbewachung dieses departements
sind Mandschu Ritter erdkunde 4, 441. — grenzbe-
wahr er, m.: denn als die serischen gräntzbewahrer
. . hiervon kundschaft erlangten, fielen sie unvermerckt
. . aus Lohenstein Arminius (1689/.) 1,605**. — grenz-
bewohn er, m.: wenn auch die einwohner des Innern
Deutschlands handlung und gewerbe wenig achteten,
so standen doch die gränzbewohner mit den sarmiti-
schen . . in Verbindung Kinderling reinigkeit d. deut-
schen spr. 92; im 19. jh. häufig. — grenzbezeichnung,
/..- sobald aber Katharina zur gränzbezeichnung ihres
gebiets gränzsteine setzen . . liesz Jahn l, 82 Euler. —
grenzbeziehung,/.; i) was grenzbegang (*. d.) Ade-
lung 2,777; das meiste {von den publicierten Urkunden)
sind grenzbeziehungen allg. deutsche bibl. il, 335. 2) im
Staatenleben: wenn es sich um die wichtigsten grenz-
beziehungen zwischen Völkern handelt, welche zusam-
men siebzig millionen menschen ausmachen KiJRN-
BERGER Siegelringe 198. 3) in der mathematik: {die
grösze s liegt zwischen den grenzen & und & -\- d^ ;) um
während der Integration von dieser grenzbeziehung un-
abhängig zu bleiben, wendet man den kunstgriff an . .
CzuBER Wahrscheinlichkeitsrechnung 1, 261. — grenz-
bezirk, m., bezirk an der landesgrenze : die distinguir-
testen militärpersonen . . giengen sogleich mit der nö-
thigen vollmacht in die gränzbezirke ab K. E. Oelsner
22; die grenze bildender bezirk: Cuno und Schrader suchen
seinen {des urvolks) ursitz in den steppen Südruszlands,
Seiler in dem mittelrussischen grenzbezirk zwischen
wald und steppe Hoops waldbäume ti. kulturpflanzen
113 ; begrenzter bezirk, ähnlich wie bereich :
du kommst mit hellem antlitz zu mir her:
'die weit ist schön — ich wag der fahrten mehr!'
gut heill der heimat grenzbezirk ist klein
wird dir die fremde auch so freundlich sein?
HuGGENBERGER hinterm pflüg, geleitverse;
durch Goethe müszten sie {die Franzosen) das grund-
schema, den ursprünglichen grenzbezirk kennen lernen,
123
GRENZBILD — GRENZCOLONIE
GRENZCOMMANDANT — GRENZE 124
innerhalb dessen sich bei ans die schaffenden geister
entwickeln Gutzkow gea. werke 7, 385.
GRENZBILD, n., l) = lat. Hermes oder Terminus,
. , ein brust-bild, welches auf hohen, geschlancken und
unterwärts spitzig zulaufenden fusse stehet, woran ein
säulen-fusz ist, . . die Römer setzten sie auf die land-
strassen, wo sich eine meile endigte; . . heut zu tage
braucht man selbige an den ecken der all^en in gärten ;
setzt sie auch als wand-pfeiler an eine wand u. a. w.
Chomel öcon. u. physical. lex. 4, 1297; 2) je weiter der
schein {der kerze an der wand) sich verbreitet , desto
schwächer wird er; allein er ist doch immer . . die
ausgedehnte Wirkung ihres bildes; man könnte diese
kreise daher gar wohl gränzbilder nennen, weil sie die
gränze der thätigkeit ausmachen und doch auch nur
ein erweitertes bild der flamme darstellen Göthe II
1, 160 Weim. — grenzbildung, /.: die kriege mit
Frankreich hatten . . . eine geographisch -militärische
grenzbildung geschaffen, welche an sich für Frankreich
voller Versuchung . . war Bismarck polit. reden 5, 51.
— grenzboden, m..- die familie Esterhazy . . fand
ausgang und Schwerpunkt ihrer macht und ihres be-
sitzes . . auf überwiegend deutsch-ungarischem gränz-
boden Riehl naturgesch. d. Volkes 4, 366; so musz ich
tag und nacht reiten, um vor ablauf dieser frist den
grenzboden Navarras zu erreichen Laube 3, 143. —
grenzbollwerk, n.: man kömmt .. zuerst nach Villa
Franca, einem . . schlösse, das . . ursprünglich als ein
gränzbollwerk dasteht Chr. Fr. Schulz reise eines Liv-
länders (i797) 7, 196; sicher . . haben wir es (im limes)
. . zu tun mit einem . . grenzbollwerk Mommsen reden
u. auf Sätze 347; schon seit dem 11. Jahrhundert war es
{Belgrad) ein viel umstrittenes grenzbollwerk Alten
handb. f. heer u. flotte 2, 123. — grenzbote, m.: die
grenzboten in Leipzig erscheinende Wochenschrift für
politik, litteratur und kunst; 1841 in Brüssel, an der
grenze des deutschen landes, gegründet; daher der name.
— grenzbrauch,«!.; {der knecht erklärte an der grenze,)
die reisenden müszten auf ihr geleit warten nach grenz-
brauch Freytag 8, 255. — grenzbrief, m. .- recessus
et conventiones, in quibus fines designati sunt Stieler
239; ferner das auch sollen auf beiden thailen öffent-
liche grenzbriefe und besigelte verschreibungen der
neuen grenitzen gegen einander gemacht und gegeben
werden Hüttel Trautenauer chron. 265 Schlesinger;
worüber auf Unterhandlung beider obristen den 6. martii
anno 1565 brief und Siegel seind aufgerichtet, der Law-
enawischer brief herausz gestellet und der grentzbrief
bei krefften und wirden . . verplieben Cyr. Spangen-
berg chronicon (1612) 268; seit dem 18. jh. ersetzt durch
grenzrecess, -tractat, -vertrag, -vergleich. — grenz-
brücke, /.; an einer grenzbrücke, zugleich wie der
buchdrucker-hyphen das trennungs- und Verbindungs-
zeichen beider fürstenthümer Jean Paul i5 — 18, 357
Hempel; vgl. Heinsius 2,528''. — grenzbrunnen, in.:
diese personen haben das grenitzflosz hienauf durch
gestritte und geritt ausgereumbt bis zum grenzborn
Hüttel Trautenauer chron. 271 Schlesinger. — grenz -
bürde, /., financielle lasten der grenzvertheidigung : weil
er {könig Ferdinand I.) die ungrischen gräntz- bürden
tragen . . müssen Schickfus schles. chron. (1625) 3, 179.
— grenzburg, /. : Carlisle . . und andere gränzburgen
hielten die alten Britten im lande Wales von einfallen
ab J. V. Müller 2, 216; bildlich: da war die mark
Brandenburg das mächtigste land im deutschen reiche,
seine grenzburg und sein schild nach mitternacht und
morgen Alexis faUche Woldemar (1842) i, 7.
GRENZCANZLEI, /. .• früher war bei Seleginsk . . die
grenzcanzlei für den verkehr mit China Ritter erdkunde
3, 186. — grenzcastell, n.: das grenzcastell des reiches
Fezzan gegen norden l, 993. — grenzcollision, /..-
{die Hermunduren^ mit denen . . . niemals grenzcolli-
sionen stattgefunden haben Mommsen röm. gesch. 5, 144.
— grenzcolonie, /..- die . . Überfälle der Kirghisen
dauerten fort und setzten die jungen sibirischen grenz-
colonien öfter in die verzweifeltste läge Ritter erdkunde
2, 1066. — grenzcommandant, m., commandant von
grenztruppen 2,811. — grenzcommandeur, m., das-
selbe 2, 663. — grenzcommissar, m., staatlich ange-
stellter beamter zur handhabung der polizeilichen grenz-
geschäfie Bitter handwb. d. preusz. Verwaltung 1, 826";
der königliche polnische und churfürstlich sächsische
grentz und land commissarius herr Zürner Fleming
vollk. teutsche soldat 36 § 2; die grenzcommissarien
beider mächte erschienen Zschokke sämtl. ausgew.
sehr. 5, 274; dazu grenzcommissariat Bitter i, 827". —
grenzcommission, /.: eine zwischen Pohlen und
Schlesien niedergesetzte gränzkommiszion, welche den
Verfasser als gränzingenieur dazu berufen allg. deutsche
bibl. 58, 559. — grenzconferenz, /..- da die parteien
sich trennten, standen die traktate so wie bei einer
grenzkonferenz zweier benachbarten Staaten, wo kein
theil seinen gerechtsamen etwas vergeben will MusÄus
volksmährchen i, 113. — grenzconvention, /.; gränz-
convention zwischen dem kaiser und der pforte allg.
deutsche bibl. 104, 50. — grenzcordon, m.. truppen-
kette an der grenze oder als grenze: den tübetischen und
chinesischen gränzcordons auf den Himalayahöhen Rit-
ter erdkunde 5, lOii ; plötzlich . . brechen hannoverische
truppen ins Braunschweigische ein, besetzen alle städte
und dörfer . . und ziehen einen gränzkordon rings um-
her K. Fr. Becker weltgesch. 9, 133; hier aber hört die
allmacht ihres geistes, mein Umgelder, gleichsam an
einem grenzkordon auf Jean Paul 24 — 26, 175.
GRENZDAMM, m., Heinsius 2,528"; der blasse klare
teint scheint, wie ein gränz-damm, die rothe lebens-
blume nach innen zurückgedrängt zu haben, um sie
frisch und unvergänglich zu erhalten Hebbel briefe 2,
200. — grenzdeckung, /.; dazu {die Schweiz zu
vertheidigen) gehören neunzigtausend mann; nämlich
dreiszigtausend zur grenzdeckung Zschokke sämtl.
ausgew. sehr. 9, 206 ; dasz es sich {bei Rom^ expeditionen
nach Germanien) . . um mehr handelte als um . . eine
offensive grenzdeckung Mommsen reden u. aufsätze 331.
— grenzdeich, m., Heinsius 2, 528". — grenzdia-
lect, m.: die baumnamen der grenzdialekte zwischen
Indien und dem Iran Hoops waldbäume u. kultur-
pflanzen 128. — grenzdienst, m.: um die kosacken
in ihrem grenzdienst abzulösen Ritter crdÄunrfe 3, 199;
an stelle der neunten legion versah fortan die sechste
. . den grenzdienst Alten handb. f. heer u. flotte 9, 141.
— grenzdistrict, m., wie grenzbezirk entweder district
an der grenze oder die grenze bildender district: mehrere
gründe . ., das recht Avas an jene grenzdistricte Muni-
pores zu beweisen Ritter erdkunde 5, 286; nur auf dem
sandigen boden des fränkischen beckens . . sowie in
den grenzdistrikten zwischen laub- und nadelwald tritt
sie {die kiefer) in gröszerem umfang bestandbildend auf
Hoops waldbäume u. kulturpflanzen 140. — grenzdorf,
n.: die handlung spielt in einem deutschen grenzdorfe
Körner 4, 102 Hempel; dasz in den Elsaszer grenz-
dörfern der nationalhasz am stärksten ist Görres ges.
sehr. 2, 252. — grenzdreieck, n.: der Deutsche, wel-
cher sich Holland erobern will, . . sucht . . des gränz-
dreiecks zwischen Rhein und Maas herr zu werden
Riehl naturgesch. d. volkes 4, 45.
GRENZE, /., finis, terminus.
I. form und ausbreitung.
1) grenze ist lehnwort atis dem slav. {poln. granica,
tschech. hranice, vgl. Miklosich 76"), das um die mitte
des IZ.jhs. im Deutschordenslande übernommen wurde,
die erneuerte kulmische hantveste (l25i) übersetzt termini
noch mit gemerke Philippi preusz. urk.-buch l, 1, 183^.,-
dagegen: an unser granizze l, 2, 130 {Thorner urk. von
1262); bynnen denselbigen grenitczen 1, l, 164 {urk. von
1262 — 63); do eine geczeichente grenitze stehet Voigt
cod. dipl. Pruss. 2, 123 (a. I32l); auch in der poet. litte-
ratur des Ordens: grenytzen Hiob 9566. 14163; als man
of yensyt der Swecze zoch und do an der grenicz lag
Marienburger tresslerbuch 589, 36 Joachim; grenicze, -czen
geometria Culmensis 16. 19 Mendthal; metae, quae po-
lonice gränizen dicuntur Weinhold schles. 30* {urk.
125
GRENZE
GRENZE
126
von 1291) ; daz selbe hus mit dem dorfe mit alle seinen
grenitzten lehnsurk, u. besitzurk. Schlesiens i, 125 (a. 1319) ;
daz scol sin die grenitze zwischen uns beidersit ib.; alle
unser lande . . . mit irn weipilden und grenicen l, 163
(a. 1344) ; zahlreiche belege aus dem böhm. des 14. jhs. bei
Jelinek mhd. wb. f. Böhmen 331 ; auch die lat. urhunden-
sprache hat das wort, vielleicht erst auf dem wege über
das deutsche, dem poln. entlehnt; die ältesten belege wei-
sen auch hier in die zweite hälfte des 13. jhs. : a grani-
cia ipsorum Voigt cod. dipl. Pruss. l, 176 (a. 1283); in-
fra dictos limites sive granicies 2, 129 (a. 1322); metas
et grencias civitatis Haltaus 752 {aus urk. der mark-
grafen v. Brandenburg a. 1285); universis metis, grani-
ciis ac circumferenciis lehnsurk. u. besitzurk. Schlesiens
1, 490, 3 (a. 1343); in suis grenniciis et limitibus 491, 34
{a. 1343); usque ad gades et grenicias villae Gunzendorff
Du Gange 4, lio* (a. 1337); ebd. und 100" weitere belege,
im ib. jh. dringt das wort aus den grenzmarken nach
Westen, sowohl nd. wie hd.: nicht in syn lant men up
eine grensze to komen Sghiller-Lübben 6, 144" aus
den recessen d. hansetage {a. 1437); m^ta grenicz Diefen-
BACH 359^ (obd., anfang 15. jh.); confinium grenicz vel
landes scheydung 141*»; gades rein, grenitz 641 •>; ebenso
nov. gloss. 187^ (pstd., 1420); aber litterarische belege sind
noch rar: an disen grentzen Stainhöwel de dar. mul.
324 Drescher; von der grenitzen wegen irer bistumbe
städtechron. 3, 271 (Meisterlin Nürnberger chron. 1488).
2) erst im laufe des 16. jhs. hat sich grenze allgemeine
litterarische geltung errungen, nicht zuletzt durch den
einflusz Luthers, der geradezu eine Vorliebe für das
ivort hat. es lohnt, seinen Sprachgebrauch mit dem an-
derer bibelübersetzungen zu vergleichen: da mit sie ire
grentze weiter machten A7nos i, 13; ir eyne grentzen
Hetzer-Dengk Prophetenübersetzung (Worins 1527) ; seine
landsmarck ausz zu braiten Eck bibel (Ingolstadt 1550) ;
ire landmarchen Zürcher bibel (l53l). — {Tyrus) deine
grentze seind mitten im meer Hes. 27, 4; deine grentzen
Hetzer; Eck abweichend; deine landmarchen Zur. —
deine kinder sollen wider in ire grentze komen Jer. 31,
17 ; in ire eygne grentzen Hetzer ; zu iren landmarcken
Eck; in ir land Zur. — (sünde) die ir in allen ewren
grentzen begangen hat Jer. 15, 13; in deinen grentzen
Hetzer; in allen deinen märckten Eck; in allen euwern
landmarchen Zur. — geschrey gehet umb in den grentzen
Moab Jes. 15, 8; gehet gerings umb den gräntz Moab
Hetzer; umbgeet die landmarck Eck; übergieng das
gantz land Zur. — schaden oder verterben in deinen
grentzen Jes. 60, 18; in deinen grentzen Hetzer; in
deinen gränitzen Eck; innert deinen letzinen Zur. —
die die grentze verrücken Hos. 5, 10; die marck steyn
Hetzer; Eck, Zur. ebenso. — deine thore von rubinen
und alle deine grentzen von erweleten steinen Jes. 54,
12; alle deine marck Hetzer; Eck ebenso; alle deyne
ende Zur. — eine iveiter geführte vergleichung würde
bestätigen, dasz die rheinfränk. Übersetzung in der aus-
dehnung des gebrauchs hinter Luther nicht erheblich
zurücksteht, während die bair. wesentlich zurückhaltender
ist {namentlich in der Verwendung von grenze für 'ge-
biet') und die hochalem. das wort überhaupt nicht kennt,
dem entspricht es, wenn Adam Petri im glossar zu
seinem nachdruck des lutherischen neuen testaments (1523)
grentz erklärt durch gegny, umbkreysz. die nd. Lü-
becker bibel (1533) übernimmt in den meisten fällen
Luthers grenze, nur in de7- bedeutung 'gebiet' tritt
öfter anderes ein; z. b. heiszt es Jer. 31, 17 {s. o.) in er
landt; oder: nam Israel in all dat landt der Amoriter
rieht. 11, 22 statt Luthers alle grentze. sicherlich vnrkt
Luthers einflusz mit, wenn das ivort namentlich seit
den dreisziger jähren des 16. jhs. auf hd. boden allge-
meine Verbreitung findet, und zwar zuerst in den ge-
bieten, die sich der reform,ation öffneten: fränk. Albe-
Rus dict. (1540) 45''. 114»; fabeln 115 neudr.; Garbach
Livius 207''; Kirchhof wendunm. 2, 67. 372 Österley;
sehr häufig bei H. Sachs; schwäb.: städtechron. 23, 50, 2
(Clemens Senders Augsburger chron.); Seb. Franck
Germ, chron. (1538) 2*. 137''; sprichw. (l54l) 2, 185''; nd.-
alem.: Hedio chron. Germ. (l520) pvi''; Agricola 750
sprichw. (1534) KU»; grentz limes Dasypodius (1536) 338'';
Eppendorff FUnius (i543) 8, 47; Wigkram l, 20l, 3; im
bair. dagegen anscheinend erat später durchgedrungen:
Nas antipap. eins u. hundert l, 93''; 2, b 3*'; oft freilich
schon bei Aventin bair. ehr. 1, 262, 33; 4, 75, 2. 281, 21. 355,
21. 356, 2. 919, 15; auch Schweiz, scheint das wort erst in
der 2. hälfte des 16. jhs. zur herrschaft gelangt zu sein:
der grenitze halb beyder künigreichen Seb. Münster
cosmogr. (1550) cxv; die grentzen Asiae Xylander Poly-
bius (1574) l; vgl. Frisius diction. (1556) 804». 926»; JosuA
Maaler teutsch spraach (i56l) 192»; Galepinus undec.
ling. (1598) 192». 823''; vereinzelt allerdings auch schon in
der 1. hälfte des 16. jhs. : greniz(e) in eidgenöss. abschieden
von 1521 und 1529 nach Staub-Tobler 2, 785».
3) in den heutigen dialecten überall: grenzen Staub-
Tobler 2, 785; krantsa, theilweise krsentsa Martin-Lien-
HART 1, 279»; gräniz, gränaz Schmeller l, 999; granatz
Schöpf 206 ; gränaze Lexer kämt. 121 ; grenitz, granitz
LoRiTZA idiot. Vienn. 54; grenz Follmann lothr. 215'';
grenz lux. ma. 154»; krents Meisinger rappenau. 77'';
kränz für flurgrenze, rain Müller-Fraureuth l, 440»;
grenze Weinhold schles. so»; grens' Danneil 69'';
grense Schambach 68»; gr^ntse Bauer-Gollitz 41»;
grens Schmidt-Petersen 53''; grense, grens', älter gre-
nitts und die erweiterung grensinge Berghaus l, 609''
(up de negde an de gränsinge des stichts brem. wb. 2,
541); grense, grens Doornkaat-Koolman l, 680»; aus
dem nd. in die benachbarten germ. sprachen gedrungen:
nl. grens, nach Franck 2 213'' zuerst bei Plantijn (1573) ;
dän. grsense; schtced. gräns.
4) die echte form mit m.ittelvocal ist nördl. des Mains
anscheirvend im, 15. jh. erloschen, wenn sie auch Stieler
noch notiert: olim gränitz stamtnb. 693; aber auf südd.
boden erscheint sie bis zur mitte des 16. jhs. und darüber
hinaus noch überall; vgl. Staub-Tobler 2, 785»; Mün-
ster cosmogr. (1550) cxv; Baumann quellen z. gesch. d.
bauernkriegs aus Rotenburg 112; stets bei Aventin und
Nas {bei H. Sachs dagegen anscheinend fehlend) ; frawen
Maria zu Ungarn . . . gründtlicher bericht (1543) F 3'';
Mathesius Sarepta (l57l) 78''; Garbagh Livius (l55l)
207 '' ; dann erlag sie der auf md. boden entwickelten und
namentlich durch Luther propagierten form grenze;
nur das bair. hat bis heute an der alten form festge-
halten: lantmarchen und grenitzen Schöpf 206 {aus d.
tirol. landordnung von 1603); auf der schlesischen grä-
nitz Mayr epitome (1604) 174»; oft in den österr. weisth.,
z. b. 1, 81, 20. 104, 30. 267, 15; zur gränitzen Procopius
patrociniale (1674) 336 ; die gränitzen Judeae Abr. a St.
Glara Judas (1686^.) l, 142; Kramer bezeichnet gränitz
ausdrücklich als österr., teutsch-ital. (1700) 1, 556»; ebenso
Diedr. V. Stade erläuter- u. erklärung (1724) 278; be-
lege für die modernen maa. s. oben unter 3.
5) als stammsilbenvocal erscheint im älteren schles. a:
in allen reynen und graniczen lehnsurk. u. besitzurk.
Schlesiens 2, 370 {a. 1443); yn seynen reynen und grant-
czen 1, 553 (a. 1493) ; die deutsche grantze (: pomerantze)
LoGAU sinnged. 884 Eitner; vgl. unten granczhaus {schles.
a. 1618); bair. -österr. bis heute: grahnitz Zaupser bair.-
oberpfälz. id. 32; bei Klein provincialwb. l, 159 granitz
als österr. vermerkt;
kain gräniz von ländem
mehr kennt mk
Stelzhamer 3, 132 Bosegger;
seit dasz die granitz (grenze) gesperrt ist Rosegger 7,
231; weitere belege für die heutigen bair. maa. s. oben
unter 3; auch Steinbachs angäbe granitz antiqua vox
in Suevia adhuc usitata wb. l, 637 hat wohl nur das bair.
im sinn; alem. nur in dbleitungen: granltzer, gewöhn-
lich granitzier, auch gränitzler hausier er, Schmuggler ;
granitzlen einen solchen beruf treiben Staub-Tobler 2,
745; an der französischen granze bei Arndt sehr, für
u. an s. l. Deutschen 1, 237 scheint druckfehler. — selten
ist ei in der Stammsilbe: confinium, greynicz vel landes
scheydung Diefenbach 141''; an den eussersten enden
und gräinitzen der weit Albertinus Lucifers königr.
249, 19 Liliencron; landtsgrainz Schöpf 206 aus Trojer
127
GRENZE
GRENZE
128
chronica . . der beruembten Stadt Batzen, (a. 1626). — ver-
einzelt mit rundung: alle unsere grönitz (plur.) Alex.
Seitz vom groszen abentmal (l540) F viii»; ebenso selten
mit sproszvocal: cancellus . . . dicitur theutonice eyn
schrang vel gerenitze Haltaus 752.
6) bis ins 16. jh. wird der stammsilbenvoeal e geschrie-
ben; erst in der 2. hälfte dieses jhs. findet man ä öfter:
grännitzen Staub-Tobler 2, 785» aws Vadian; an der
steirischen gräntz Kirchhof wendunm. 2, 67 Österley ;
gräntze Schütz hist. rer. Pruss. (1592) l, i ; auch bei
AvENTiN herrscht indessen schon gräniz ; aber erst im 17. jh.
getcinnt ä die oberhand: grenze, grenz, gränz notiert
Henisch 1740; gränz et grenz dagegen Stieler 693; es
scheint, als wenn das vordringen von gränze zum guten
theil auf die rechnung der Schlesier kommt, denen diese
Schreibung dadurch nahe gelegt war, dasz ihr dialeet die
a.form lange gehalten hat. jedenfalls bevorzugen ä män-
ner wie Gryphius, Logau, Angelus Silesius, Lohen-
stein, auch Fleming, Olearius, Chr. Weise, wäh-
rend & vorherrscht bei ZESE.a , Schottel, Schupp, Spee,
Chemnitz, im 18. jh. nimmt gränze eher zu als ab,
und nicht zutreffend ist Steinbachs bemerkung: qui-
dam adhuc hodie scribunt gräntze, quod hodie plerumque
grentze scribitur wb. 1, 634; noch am ende des jhs. schreibt
Braun gräntze vor wb. (l793) 126»-; noch in der l. hälfte
des 19. jhs. halten ä und e sich ziemlich die wage, und
Heinsius' angäbe: 'grenze ist jetzt die gewöhnlichste
Schreibung' wb. 2, 529* ist verfrüht.
7) vereinzelt erscheint schwache ßexion im sing.: in
seiner grentzen (: mit . . fuchs-sehwentzen) H. Sachs
5, 143, 14 Keller; in Polen an der grentzen Opel-Cohn
dreiszigjähr. krieg 77 ; auch im nom. : derhalben ist nun
das Wasser der Sala eine gräntzen Prätorius katzen-
veit (1665) B 1^; auffälliger ist ein stm. grenz, anschei-
nend beschränkt auf die bedeutung 'gebiet': umb den
gräntz Moab Hetzer-Dengk prophetenübers., Jes. 15, 8
{s. 0. 2); was sich bei uns zugetragen in unserm grenz
Staub-Tobler 2, 785 (a. 1620).
II. bedeutung.
A. im eigentlichen sinne bezeichnet grenze die gedachte
linie, die zur Scheidung von gebieten der erdoberfläche
dient; der Sprachgebrauch vergröbert vielfach den begriff,
indem er ihn überträgt auf die äuszeren merkmale, denen
die grenze folgt, z. b. wälle, wasserläufe, gebirgszüge (bei-
spiele unter C l a): meta grenicz Diefenbach 359''; ga-
des rein, grenitz 641 1>; confinium grenicz vel landes schey-
dung 141'»; grentz limes Dasypodius (l536) 338''; limes,
terminus, confinium Serranus synon. (i579) s. v.; zur
Synonymik vgl.: margines imperii die marchen, kreisz,
frontieren und grentzen desz reychs Frisius diction.
(1556)804"; die grentzen: landtmarchen ^ne«, orae, clima;
die grentzen oder frontieren: die marchen und anstösz
eines reychs, limina imperii Maaler teutsch spraach
(1561) 192«'; fines agri grentze oder ende des ackers
Golius (1585)37; grentzen, anwandung, anstösz, landt-
marchen, frontier, anrein, scheyde Sattler (i658) 230;
czweiunge umb der stollen, greniczen und marscheid
Jelinek mhd. wb. f. Böhmen 331 (14. jh.) ; alle czweiunge
und stosse von den gemerken und greniczen ausczu-
richten ib. ; welcher dem feldmesser die anstösz, grent-
zen, end , . des stucks, so zumessen, zeyge Sebiz feld-
bau (1579) 473; {beim kauf eines gutes bedenke man) ob
die ausmarckungen, gräntzen, rain und steine richtig
oder nicht Hohberg georg. cur. (i682) i, 9; grentze oder
landsende, da man aus einem lande yn das ander tritt
Luther nach Diez 2, 164»; vgl. Galilea aber heyst eyn
grentze, da die land enden 8, 393 Weim.; das wasser
Rubicon (domals ein end und gräniz Italien . .) Aven-
TiN 4, 281, 21; aus dem anstoss oder grentz Armeniae
Thurneysser magna alchymia (l583) 53; vgl.
und dasz ich vil der anstösz hab,
beweget mich ausz noth vorab
hie meine grentzen zubewahren
Spreng Ilias (1610) 15i>.
l) bei privatem besitz; vielleicht der ursprünglichste
gebrauch des wortes; 3. Grimm bemerkt mit recht: es
leuchtet ein wie wesentlich der begriff der grenze mit
dem des eigenthums sich verknüpfe kl. sehr. 2, so;
ander lan
über recht ir grenytzen gan
{terminos transtulerunt Job 24, 2)
Hiobparaphrase 9566 Karsten;
die nachpauren sein und ire greniczen czusammen-
stossin Jelinek mhd. tvb. f. Böhmen 331 nebst iceiteren
belegen; daz eyn yderman syn lant yn richteger gre-
nicze mochte ackeren und pflanczen geometria Culmen-
sis 16 Mendthal; gevilde und hovereite yst, daz do bot
lenge und breyte, dez greniczen linien adir dreboume
sint 19; sonsten hatten diese geistliche leut auch zu
sprechen über . . anforderung, erbschaft, gräntze, tod-
schläg und dergleichen Schill teutscher sprach ehren
kränz (i644) 50; einer seiner nachbarn hatte ihn . . we-
gen seiner gränzen in anspruch genommen Hippel kreuz-
u. quer Züge l, 77;
des eigenthums gemessne gränzen ehrend
Schiller 12, 86 ;
hat der eigentümer . . über die grenze gebaut bürgert,
gesetzb. % 912 abs. l; auch wo der begriff des eigenthums
zu dem des macht- oder Wirkungsbereiches verblaszt: er
[der jägerbursch) musz sich . . die grentzen, wege, stege
. . wol bekannt machen Heppe aufricht. lehrprinz (l75l)
229; Thiel begleitete den zug bis an die grenze seines
reviers Hauptmann bahnwärter Thiel (1892) 50; etwas
anders :
die herold nit ansprachen ihn {Achilles)
sonder stunden mit reverentz
und ehrentbietung an der grentz (des zeltes)
Spreng Ilias (1610) 8».
2) bei politischen gebilden; diese Verwendung gevnnnt
allmählich die herrschaft; richtig sa^'i Henisch: termini
proprie non privatorum, sed regnorum et principatuum
teutsche spr. u. weish. 1740.
a) {Alexander) quam czu den grenizcin
mit aldir rittir wizcin
des volkis Bragmanorum lant
md. schachbuch, zs. f. d. a. 17, 220, 34;
der krieg zwischen Eberharten bischoff zu Bamberg und
Gundecaro . . . von der grenitzen wegen irer bistumbe
städtechron. 3,271,25 (Nürnberg, ende 15. jh.); von den
grentzen, gelegenheit und begriff Germaniae Seb. Franck
Germ, chron. 2"; das sonderlich an der feind grentzen
ein besatzung an der andern (geivesen) Fronsperger
kriegsbuch i, e 6»; alda schlieszt sich die gränitz des
erzstifts österr. weisth. 1,104,30; volgen die gränitzen
des landgerichts Täxenpach 267, 15; gewisse präpositionen
bevorzugen den plur.: die in den grentzen der ^stadt
wohnen Steinbach l, 638; dasz der keyser . . dasselbe
(königreich Schweden) in seinen scheeren und grentzen
wol sicher und unbekümmert lassen solte Chemnitz
schwed. krieg i, 17'*; dasz das reich . . mit geistlichen
Personen genügend versehen sei, um jede innerhalb
seiner grenzen entstandene Streitigkeit zu schlichten
Ranke reform.-gesch. 4, 35; durch die gräntzen eines
landes ziehen Kramer teutsch-ital. (i700) i, 556»; beide
den alten unbekannte und noch jetzt nicht weit über
unsere gränzen gekommene Wissenschaften Göthe 46,
91 Weim.; wir wollten uns . . . vor die gränzen des
reichs gegen die wölfe die Türken . . lagern 8, 115; in-
ländischer namen zwar, aber solcher, die auch jenseits
der bajuvarischen grenzen bekannt sind Steub drei
Sommer in Tirol 1, 15; der sing, namentlich, wo eine
feste geographische bezeichnung hinzutritt: er wollte sich
nach Breslau begeben, um der russischen grenze näher
zu sein Rüge briefw. u. tageb. 2, 44; ob es noth wendig,
die vorspringende grenze Congreszpolens . . weiter ab
von Berlin zu rücken Bismarck ged. u. erinn. 2, 119
volksausg.; wir waren auf diese weise unvermerkt . .
über die gränze des erzherzogthums Oesterreich ge-
kommen Nicolai reise d. Deutschland 2, 481; während
der eilwagen über die preuszische grenze fuhr Moltke
sehr. u. denkwürdigk. 6, 4; welcher auf einen kurzen
Urlaub von der persischen grenze her . . . gekommen
war HoLTEl erzähl, sehr. 1, lll; an der behmischen
grentz Luther nach Dietz 2, 164»; an der grenitz sei-
129
GRENZE
GRENZE
130
nes fürstenthumbs atädtechron. 23, 50, 2; als sie an die
mährische gräntze gerathen Migraelius pommer land
(1640) 1, 89; Salomo war ein herr . . bis an die grentze
Egypti Schupp sehr. (1663) 31; Fort de Joux . . , hart
an der gränze des Pays de Vaad Dahlmann gesch. d.
franz. revol. 176; die ältere spräche vertoendet in ähn-
lichen fällen auch den pltir.: schriebe er . . . seinem
könig, dass er mit seim voick nun ohn sorg gegen den
frantzösischen grentzen gehen möchte Moscherosch
gesichte (i650) 2, 480; und werden böhmische völcker
an die pannonischen grentzen geführet Bucholtz Her-
kuliskus 229 ; eine gewisse landschaft, die keine geringe
Verdienste . . hat, aber an den grenzen von Deutsch-
land liegt Gottsched deutsche sprachkunat 54; in jün-
gerer zeit mehr in gehobener spräche:
mutig stand an Persiens grenzen Roms erprobtes beer im feld
Platen 1, 7 Hempel;
der gehorsamst unterzeichnete lebte ein jähr lang an
den grenzen des alten Mährenreiches Brunner erzähl,
u. poeL sehr. 1, 202; eigenartig:
an den beyden grentzen geschach
Sachsner und Hennenberger land,
den doctor Luther gfangen band
Eyering proverb. 1, 291 ;
vom 16. — 18. jÄ. häufig mit auf: wurden . . . des rein-
grafen il fänlein auf der lothringischen grentz in die
dörfer quartieret Kirchhof wendunm. 372 Österley; soll
man sie {die Jesuiten) auf die ungarische und türckische
grentzen verschaffen Fischart hinenkorb (i588) 22*; auf
den flandrischen gräntzen von Franckreich her wardt
. . eine katzen folgender weiss aufgericht Kirchhof
militaris disciplina 175; in einem kloster auf der flan-
drischen gränze Schiller 4, 213; von einer bürg auf
der attischen gränze Droysen Äschyl. 8. — derhalben
so ist nun das wasser der Sala eine gräntzen zwischen
den Gatten und Hermunduren Prätorius katzen-veit
(1665) B l**; die grenze zwischen Ober- und Unter-Wla-
stowitz Ebner-Eschenbach 4, 6; schreib auch dem von
Schwendi, dass er die grentzen gegen Sibenbürgen wolle
versorgen Stumpf Schwytzerchron. 28»; die gränze Asiens
gegen Afrika verliert sich in der sandwüste zwischen
Gaza und Pelusium J. v. Müller sämtl. werke i, 36;
mit dem venezianischen nobiluomo Donado unsere
gränze mit der republik Venedig besser zu reguliren
Ayrenhoff werke l, 11.
b) weil die bedeutung der politischen grenze die herr-
schende ist, vnrd das wort frühzeitig ohne weiteren Zu-
satz prägnant für landesgrenze gebraucht: wie uns gott
den Türeken an die grentz geschickt hat theatr. diabo-
lorum (1569) 249'»;
alsbald er angenommen
von uns, die auf der gräntz ihm starck entgegen kommen
Gryphius trauersp. 169 Palm;
er wundert sich, dass ihn das land nicht durch bevoll-
mächtigte an der gränze einholen lässt Raben er sämtl.
sehr. 5, 125;
aufruhr an der grenze zu bestrafen
GöTHK 5,51 Weint.;
80 namentlich mit über: brachte meinen . . cörper . . .
über die grentze Schnabel insel Felsenburg 25, 17 Ull-
rich; als nach dem . . tode des fürsten dessen maitresse
die schätze des landes über die grenze bringen wollte
Kerner bilderbuch (1849) 30; er wisse wohl, dass kein
bauer etwas über die gränze führen dürfte Klinger
7verke 3, 112; die Franzosen seien über die grenze ge-
rückt Arndt i, 106 Rösch-Meiszner ; ich legte mich . .
der länge nach ins stroh und fuhr . . unbehelligt über
die gränze Hoffm. v. Fallersleben ges. sehr. 7, 113;
über die grenze gehen, über die feldmarken, ins nächste
dorf gehen Weinhold schles. 30*; nimm die post, in
zwölf stunden bist du über die grenze Iffland thea-
tral. werke l, 248; ehe seine freunde es merkten, waren
sie mit gestreckten zügeln über die gränze Alexis
hosen i, 149; wir müszen immer fort fahren, bis wir
über der gränze sind Stephanie lustsp. 143, 25; in einer
stunde bin ich über der gränze Schiller 3, 471; fluch't
über der gränze (d. h. wenn ihr über der grenze seid)
IV, 1.
3, 139; er soM sich eine braut über der gränze suchen,
hier im lande wachsen keine mädeln für ihn Bäuerle
kam, theater 2, 18; der plur. erscheint seltener in ähn-
licher Verwendung:
bald strerfen auf den gräntzen
die, so nur raub ernährt
Gryphius trauersp. 33 Palm;
dasz, wenn auch heute noch der Türck im felde war
und Moguls reiterey schon an die grentzen rennte
Günther nach Steinbach 1, 638;
ich ward . . aus besonderer gnade infam aus den grän-
zen gejagt Schiller 2, 126; wir müssen noch vor
Sonnenuntergang über den gränzen sein 147;
denn nicht mit Speeren allein
wird der feind geschlagen;
und nicht kann es gedeih'n
von den gränzen ihn jasen
■Rückert (1867 #.) 1,45.
3) auch ohne den begriff des eigenthums von localen
bezirken jeder art: hynden in Africa, uff der frontyer
oder grenitz gegen Ethiopia Eppendorff Plinius (l543)
8, 47; die grentzen Asie Xylander Polybius (i574) l;
die kleine stadt . . lag hart an der grenze der marsch-
landschaft Storm 1,57; die räumliche Verbreitung eines
münzbildes weit über die grenzen seines ursprungs-
gebietes Luschin v. Ebengreuth münzkunde 47;
jetzt betraten sie gegen einander die grenzen des Kampf-
raums
Bürger 1, 210 Bohtz;
die grenzen der einzelnen Übungsplätze Jahn 2, 103; vgl.
an den grenzen der gesellschaft und hie und da selbst
zwischen den tischen balgte sich die knabenschaft
Stifter 2, 122; alte wendung: damit sie ausser der
weit grentzen kommen Aeg. Albertinus hirnschleifer
(1664) 58;
jenes tiefverhaszte bild,
dem ich entfliehen möchte, war es auch
weit über dieser erde dunkle grenzen
Grillparzer 4, 173;
jenseits der grenzen des erdenrunds Gerhard akad.
abhandl. 1, 18; vgl.
des feuers wut erreicht die gränzen
der Schöpfung
Denis lieder Sineds (1772) 34, 3;
da sitzt sie, die nacht, die thronende, und bewahrt
die grenzen der Schöpfung Herder 22, 61 ;
so fühlten die alten . . ihre einzige behaglichkeit inner-
halb der lieblichen gränzen der schönen weit Göthe
46, 22; die bedeutung nähert sich der unten 5 behan-
delten.
4) im 16. jh. bilden sich die bedeutungen 'grenzgebiet'
und 'gebiet' schlechthin; fines . . natio, ora, plaga, solum,
ein land, eine gegent, pfleg, grentz Alberus diction.
45^».
a) anders als bei mhd. marke bleibt die entwicklung
der bedeutung 'grenzland' in den anfangen stecken: zwackt
und reisset er {der Türke) etwas den grentzen und nach-
barn abe Luther so 2, 172 Weim.; man helt es darfür,
dass sie {die zigeuner) auss Egypten und auss den gren-
tzen Aphricae herfür kommen seyen Nigrinus von Zau-
berern (1592) 52/.; ausz Judäa und den grentzen desz
Jordans (^ neQixojQo; rov 'loQ&äyov Matth. 3, 5) Schupp
sehr. 308 ; wie es {Österreich) dann allbereit zu der Rö-
mer Zeiten die mark oder gränze Teutschlands gewesen
Birken ostländ. lorbeerhayn 122; ähnlich: als kind der
grenze lernte ich früh mein deutsches wesen . . lieben
Freytag 1, 4; mehr zum, folgenden stellen sich: ihr band
auch gehört, wie sye {von Paris aus) den ersten weg
in Portugal schifften, dergleich ander umbligende ort
und grentzen besichtigten Wickram 1,201,3 Bolte-Scheel;
das der insel Cippern vil frücht aus Grätia, Siria und
Eygipten zuverkaufen zugefüert werdt; hingegen wenn
solche gräntzen auch not leyden und Cippern was ibe-
riges hatt Krafft reisen 72.
b) die bedeutung 'gebiet' kommt {xcie bei lat. fines) zu-
nächst natürlich dem plur. zu; bis ins 18. jh. ganz ge-
ivöhnlich : begegneten uns etlich hundert leüt von aller-
lay grentzen mit irer waar Nas antipap. eins u. hundert
2, B iii^;
131
GRENZE
GRENZE
132
daher die frucht, die manigfalt
und schmackhaft war, zum unterhalt
gewidmet blieb den teutschen gräntzen
Neumark neuspr. teutsche palmbaum xxix;
wir werden zwar deine gräntzen nicht mehr betreten
Zend. a Zendoriis winternächte (l682) 124;
dasz ... du ein jedes reich besehen,
nur Pohlen, Schwedenland und Russens gränzen nicht
König ged. (1745) 34;
sieh ! wie des glückes zom Ulyssens lauf verwirrt,
der seine gränzen sucht, und stets im elend irrt
J. E. Schlegel 1,167;
da seine Jagden allen gutbesitzern und hirten, deren
gränzen er dadurch von verwüstenden feinden reinigte,
nützlich wurden Schiller 9, 142; auch: der weit gren-
tzen (will ich dir geben) zu deinem aigentüm Schede
psalmen 15 neudr.;
aber, was er auch für tücke hege,
kämpfen will ich um des himmels gränzen
Droste-Hülshoff 3, 22 Cotta;
im 19. jh. verblassend : so erhielt Makedonien die einig-
keit zurück und auch ungefähr wieder die grenzen wie
es sie . . gehabt Mommsen röm. gesch. 2, 41 ; ungemein
häufig nach gewissen präpositionen : sie suchten eine
schöne dirne in allen grentzen Israel i kön. l, 3; er nun
also gehandlet . . in den palestinischen und arabischen
grentzen Casp. Hedio chron. German. (1580) p vi*"; in
Lappland und den benachbarten grentzen Prätorius
saturnalia (1663) 66; das stadtlein Beske, im märcki-
schen grentzen gelegen winter flucht d. sommer vögel
(1678) 66;
dass ich hier unbekannt in fremden grenzen lebe,
... ist mein geringster schmerz
Gottsched deutsche Schaubühne 2, 19;
die nymphen sahn erstaunt in den beschäumten grenzen
(im meer)
ein fliegend holz sich drehn
Wieland 1 >, 41 akad. ausg. ;
{das vom russischen kaiser aufgerufene volk) versam-
melte sich in allen gränzen des weiten reiches Arndt
sehr, für u. an s. l. Deutschen 1, 239; dieweil die Rö-
mer damit umbgehen, fallen die von Antemna in ire
grentzen Müntzer Livius (l57l) a 6^; da werde ich den
Helicon mitten in ihre grentzen setzen Grimmelshau-
sen Simpl. 211 Kögel;
(wir wollen) sie unversehens uberfalln
und mit gantzer macht zurück treibn,
dasz sie auf iren grentzen bleibn
Ayrer dramen 1, 133 Keller;
und nöthigte uns nur eine halbe stunde von dannen
mit ihm auf die grentzen unserer religions-genossen zu
reuten polit. maulaffe (1679) 113;
wofern uns theurung nur und misswachs nicht verheeren,
der krieg schlägt keinen noch auf unsern gräntzen todt
Besser sehr. 1, 69 König;
hei anderen präpositionen tritt die bedeutung weniger
scharf hervor, um sich in jüngerer zeit fast ganz zu ver-
flüchtigen: sein der rechten Gadarener arth gewesen,
die . . . Christum ausz iren grentzen weichen heissen
Sandrub hist. u. poet. kurziveil 53 neudr.;
was Grönland folgen läszt aus seinen kalten gräntzen
BuTSCHKY Pathmos (1677), vorw. ij»;
fliehet vor des gottes grimme,
eilt aus unsern gränzen fort
GÖTHE 2, 30 Weim. ;
dass man den feind aus den grenzen werfen . . könne
Stifter 3, 146; dasz mein fleisz die meisten fruchte
biszhero ausser den gräntzen des Vaterlandes getragen
hat Chr. Weise polit. redner (1677) vorr.; die bestim-
mungen . . nicht . . auszerhalb der eigenen grenzen krieg
zu führen Mommsen röm. gesch. 2, 25;
er (.Tesus) ihm (dem tod) von falben grentzen
entlief mit vollem trab Spee trutznacht. (1649) 57;
du eilest fort, eilst fern von diesen grenzen,
wo man so oft dir lorbeer-kronen wand
Za-ch. Werner ged. (1789) 57.
c) merkwürdiger weise gewinnt auch der sing, die be-
deutung 'gebiet'; das könnte sich daraus erklären, dasz
sing, und plur. im, älteren nhd. vielfach noch zusammen-
fielen: und ire grentze waren von Zidon an, durch Ge-
rar, bis gen Gasa l Mos. 10, 19; von der wüsten an . .
bis an das grosse wasser Phrath, das gantze land der
Hethiter . . sollen ewer grentze sein Josua i, 4; und er
stund auf und gieng von dannen in die grentze Tyri
und Sidon (eig tcc oqia Tvqov) Marc. 7, 24; vgl. 31; so
wil ich alle deine grentze mit fröschen plagen 2 Mos.
8, 2; vgl. rieht. 11, 22; und sandte in alle grentze Israel,
durch die boten l Sam. 11, 7 ;
geht! schafft hotten in alle grentz
zu verkünden diesen sententz
H. Sachs 1, 120 Keller;
es sol geschehen, qui est ex tuo (sc. Abrahae) sanguine,
der soll den segen austreiben unter alle grentz Luther
20, 550, 2 Weim.;
herumb im land durch alle grentz
regieret auch die pestilentz
H. Sachs 1, 407 Keller;
demgegenüber deutlicher sing.:
ein hohes schlosz heist Falckenstein,
das ligt ein meil wegs von dem Mein,
zur rechten handt des occidents,
es ist umbher ein feine grentz
Alberus fabeln 115 neudr. ;
er musz sie (die spräche) in ihren gründen ersehen, ihre
weite und breite grentze ein wenig mit fleisse durch-
wandert . . haben Sghottel teutsche haubt spräche 10;
wer war der grosse held, den Tyros gräntze trug
Rachel satyr. ged. 75 neudr. ;
auch von der weit:
kein schedlicher pestilentz
sey in der weyten weldte grentz,
denn wo der woUust ob bestimmet
H. Sachs 3,424 Keller:
der mensch, die kleine weit, beherrscht der grossen gräntze
Lohenstein rosen (Bresl. 1680) 63;
wie der plur., zumeist nach präpositionen:
da richtet sich der teufel on
und wolt auch sein ein Schöpfer fron
und macht viel gaisz in seiner grentzen
H. Sachs 5,143 Keller;
welchen ich damals nicht könnet, als er in der Gaza-
rener grentze wandlet Ayrer processus iuris (i600) 663;
nichts neus auf diszmahl ich vernim,
denn dasz es theur in diser grentz
Sandrub histor. u. poet. kurzweil 124, 13 neudr. ;
die Thessali (sind) mit einem gewaltigen kriegshehr in
die grentze der Phocentium eingefallen Barth weiber-
Spiegel (1565) 0 im'»; ein solcher mensch gehet in die
grentze des friedens und der ruhe Jon. Arnd Thomas
a Kempis übers. (I63t) 97;
der langverbannte friede kehrte
jauchzend zurück in der Deutschen grenze
Herder 27, 59;
aber du wohnest noch auf der gräntze Edom die dem
fluch übergeben ist Jag. Böhme sehr. (1620) 4, vorrede
4. büchl.;
der hertzog sprach im den sententz :
hörst, gang du mir ausz meiner grentz
Fischart Eulenspiegel 134, 3229 Haufen ;
er (hatte) sie durch der Philister als streitbarer völcker
gräntze durchführen wollen Dannhaw^er catechismus
milch (1657 jf.) 1, 102;
■ 0 gott! dein wort und reich gieng erstlich auf vom morgen
biss unsrer gräntzen zu
LoGAU sämtl. sinnged. 190 Eitner;
in der modernen spräche kaum nachwirkend: überdies
w^eigerte der adel sich, auszerhalb der ungarischen
grenze zu fechten Moltke sehr. u. denkwürdigk. l, lll;
fast adverbial für 'allerorten':
ein mercksam gschicht in aller grentz
Eyering proverb. 1, 625 ;
vgl. ;
dergleich im landt an aller grentz
die junge mannschaft ist erschlagen
H. Sachs 11, 21, 23 Keller;
friedlich ohn alle gegenwehr
die Parthier dacht aller grentz
empfiengen in mit reverentz 8, 422, 22.
5) aus dem localen in jüngerer zeit ins temporale über-
tragen: höhere geister sehen die zarten Spinneweben
einer that . . an die entlegensten gränzen der Zukunft
und Vergangenheit anhängen Schiller 3, 6;
133
GRENZE
GRENZE
134
blickt noch einmal zur zeit der schmach hinüber!
seht, wie ein dunkles traumbild liegt sie da!
sie liegt dort an der grenze schöner zeiten
TiEDGE werke (1823) 3,80;
der vertrag von Verdun, den man gewöhnlich als die
gränze dieser periode angiebt Eichhorn deutsche staats-
u. rechtsgesch. 1, 6; gern bei menschlichen lebensaltern:
blühende und lachende gesiebter, die an der grenze der
kindheit noch alle frisch und lieblich waren Keller
6, 18; an der grenze ihrer Jungfrauenzeit Bettina v. Ar-
nim frühlingskranz 226; ich habe Wüstlinge gekannt . .,
die . . schon an der grenze des alters von einer höhern
leidenschaft . . ergriffen wurden Tieck sehr, i, 65; weil
die grenze der verschiedenen lebensalter sich nicht fest-
stellen läszt BiSMARGK polit. reden 3, 18.
6) auch sonst vielfach in der Sphäre des abstracten,
doch breitet sich dieser gebrauch erst mit dem 18. jh. aus;
im sinne von 'grenzlinie': weiszt du mir wohl die grenze
zu nennen, wo jede tugend mit dem verwandten laster
zusammenflieszt ? Meiszner Alcibiades (l78l) l, 227;
(geisterersc?ieinungen , verurtheilt) auf der gränze zwi-
schen dieser und jener weit zu verweilen Jung Stil-
ling 6, 588; {ein Schauspiel) welches an jenen grenzen
zwischen weit und überweit aufgeführt wurde Nietz-
sche I 2, 149; bei der undeutlichkeit der grenze zwi-
schen menschlichem und göttlichem Ratzel Völker-
künde 2, 126; die grenze zwischen beiden Wissenschaften
Fichte l, 67; (sie) Gngen an, die grenzen zwischen staat
und kirche zu erörtern Scherer litt, gesch. 240; an
der grenze der Scheidung zwischen licht und schatten
Humboldt kosmos 3, 493; anders: nur wir heterogenen
leiden . . . und plagen uns mit unsrer erhaltung; . . .
mitteldinger zwischen seyn und nichtseyn! zusammen-
geballte grenzen des verschiednen Heinse 4, 285 Schüdde-
köpf; in arideren fällen liegt mehr oder m,inder deutlich
die bedeutung 'gebiet' (s. o. 4) zu gründe; daher 'bezirk,
bereich': so bald die gräntzen der tugend von der einen
partey verlassen werden, so hat die freundschaft ein
ende discourse d. mahlern 2, 30; nichts war bey ihnen
weniger möglich als . . die gränzen ihrer und der geist-
lichen macht zu unterscheiden M. J. Schmidt gesch. d.
Deutschen i, 338; du thust wohl, dich in jene gränzen
einer gemeinen stelle zu sehnen Göthe 21, 81 Weim.;
dort schwingt sich aus den alten gränzen
der Seele neu entbundne kraft
Haller ged^ (1882) 162;
kann die zunge . . dem ehr . . faszlich machen, was
auszer den gränzen der sinne liegt? Klinger werke
3, 55; wo . , dieselbe ihren anfang genommen, ist aus-
zumachen auszer den gränzen unsers gegenwärtigen Vor-
habens Göthe 46,72 Wcim.; die rolle, die der Verfasser
selbst spielt, schweift etwas zu sehr aus den grenzen
natürlicher einfalt und naivetät Solger nachgel. sehr.
1, 4; wer hat uns in den gränzen unserer einsichten die
gröszten beweggründe zur kenntnis unsrer selbst gegeben
Zimmermann von dem nationalstolze 127; sehr schön
beträgt sich Winckelmann innerhalb der gränzen der
pflicht und dankbarkeit Göthe 46, 61 Weim.; vielleicht
wirkt Hemsterhuys schwärmerey mächtiger, weil sie
sich immer in den gränzen des schönen ergieszt A. W.
Schlegel im Athenäum l2, 37; in engeren grenzen, da-
für aber um so unverkennbarer in meteorischer be-
ziehung stellt sich die folgende erzählung dar Laist-
NER nebelsagen 115; also wie unter i b plural; doch
auch sing.:
präpositiö: das verbum hat von mir gut heil;
und bin behülflich seiner grentz
GiLHUSius gramm. (1597) 129 ;
die liebe macht alles wichtig, was die liebenden betriff
— auszerhalb ihrer gränze ist eine kröne des aufhebens
nicht werth Hippel lebensläufe 4, 508;
auszerhalb der gränze des gesetzes
Göthe 6, 36 Weim. ;
in neuerer zeit eher: jene worte lagen jenseit der grenze
seiner pflichten Storm 7, 72; sehr beliebt ist grenze in
der kunsttheorie des 18. jhs.: Laokoon oder über die
grenzen der mahlerey und poesie Lessing; danach:
gränzen der musik und poesie buch von Ambros; Les-
sing soll "Winkelmann . . philosophiren gelehrt, ihn die
grenzen und das wesen der kunst gewiesen . . . haben
Herder 3, 8; nur dasz sie (Palladio und Eaphael) die
gränzen und gesetze ihrer kunst . . kannten Göthe HI
1, 309 Weim.; ihre {der poesie) gränzen und gründe genau
zu bestimmen, das ist der gegenständ dieses Versuchs
Fr. Schlegel sämtl. tverke 4, 8; ich bitte, prinz, dasz
sie die schranken unserer kunst erwägen wollen, vieles
von dem anzüglichsten der Schönheit liegt ganz auszer
den gränzen derselben Lessing 2, 381; ihre {der Juden)
nachherige Schicksale waren . . allegorisch vorgestellt,
da eine . . reale darstellung derselben auszer den grän-
zen der edlen kunst liegt Göthe 24, 250 Weim.; vgl. so
sollte er {der bildende künstler) sich auch für zu gut
halten, an ihren {der dichtung) äuszersten gränzen her-
umzuschleichen A. W. Schlegel sämtl. werke 9, lll;
nicht auf der gränze schwebst du {Novalis), sondern in
deinem geiste haben sich poesie und philosophie . . .
durchdrungen Fr. Schlegel im Athenäum 3, 33; an der
gränze der mythologie ist die dichtung . . vorherrschend
Niebuhr röm. gesch. 1, 174.
7) adjectiva neben grenze. m,an spricht von einer na-
türlichen oder künstlichen grenze, je nachdem sie durch
physische gebilde {flüsse, gebirge usw.) oder durch künst-
liche zeichen {grenzsteine , -wälle u. ä.) dargestellt wird:
aber es {Italien) ist sehr spät im umfang der natür-
lichen gränzen unter diesem einzigen nahmen zusam-
mengfefaszt Niebuhr röm. gesch. 1,24; anders: nicht
blosz menschenleben, auch völkerleben hat seine natür-
lichen grenzen Lagarde deutsche sehr. 33; grenzen eines
Staates sind entweder blos politische . . oder physische
HoYER wb. d. krieg sbaukunst 2, 76; natürliche oder ge-
machte . . . öffentliche oder privatgrentzen allgem. haus-
halt.-lex. (i749jf.) 1, 618; dient eine reihe durch natur
oder kunst fester punkte zu Sicherung der grenze . .
und zur basis der . . Operationen im fall eines krie-
ges: so entstehet eine militairische grenze ib.; vom mili-
tärischen standpunct aus heiszt die grenze stark, schwach,
offen, vgl. Hoyer a. a. o.; auch nach anderer richtung
hin ist der vorrath an typischen bezeichnungen gering:
die äuszersten gränzen wuszte man weder von Europa,
noch von Asien Gottsched neueste aus d. anmuth. ge-
lehrs. 1, 268; an der äuszersten, unbesuchtesten grenze
unsers landes Zimmermann einsamkeit 1, xi;
denn bis an diese letzte grenze selbst
belebter Schöpfung . . .
. . . raubt der vögte geiz
Schiller Teil 1048;
ihr öffnet uns die länder,
. . . zieht der verbündnüsz bänder
umb ferne gränzen her
Fleming deutsche ged. 1, 75 Lappenberg;
du rufest sie
von entfemeten gränzen
Denis lieder Sineda (1772) 131;
ich liesz mich an der fernsten gränze des reiches nie-
der Tieck sehr. 8, 27;
die beiden, die du (Deutschland) hast in deinen weiten
gräntzen
Knittel poet. sinnen/rüchte (1677) 4;
dasz die music an sich selbst eben so weite gräntzen
habe als alle andere wissenschafften Heinichen general-
basz 2;
wer den gierigen geist zähmt, herrscht in weitem
grenzen, als wer Lybien mit dem fernen
Gades bände Herder 26, 247;
wenn es nur kein provinzialwort ist, das auszer den
engen gränzen einer landschaft nicht gilt Gottsched
crit. dichtkunst (i75l) 302; demnach ist es allerdings
nöthig unseren absiebten etwas engere gränzen zu setzen
beyträge zur crit. historie 1, 5; hat ihre liebe so enge
gränzen Klinger werke l, 180.
B. während der begriff der grenze im ursprünglichen
sinne auf der Vorstellung eines raumes diesseits und
jenseits der Scheidelinie fuszt, entwickelt sich wesentlich
erst seit dem 18. jh. ein gebrauch, der von dem rauvi
jenseits der grenze mehr oder weniger absieht und das
wort so den bedeutungen 'schranke, abschlusz, ziel, ende'
9»
135
GRENZE
GRENZE
136
nähert; der echte begriff noch in Kants defMÜion: gren-
zen (bei ausgedehnten wesen) setzen immer einen räum
voraus, der auszerhalb einem gewissen bestimmten platze
angetroffen wird und ihn einschlieszt iverke (1838^.) 8,
278; doch kennt die philosophische spräche auch die jüngere
nüance: die äuszern enden der ausdehnung heiszen grän-
zen Mendelssohn ges. sehr, i^, 115; vgl. es ist einmal
nicht von festen, durch unveränderliche gränzen um-
schriebenen Substanzen, sondern von ewig wechselnden
kraftenergien die rede W. v. Humboldt aufsätze über
d. Mass. alterth. 116; ein bild entsteht nur durch grän-
zen, diese gränzen übersieht Newton ganz Göthe II 2,
10 Weini. zum festen begriff wird diese bedeutung in der
mathematik , die unter grenze diejenige grösze versteht,
der sich das Verhältnis ziveier gröszen unbeschränkt an-
nähert (der bruch 1/3 ist z. b. die grenze, der sich das
decimalverhältnis 0,3 um so mehr nähert, je unbeschränk-
ter man es als 0,33, 0,333 u.s.w. fortsetzt).
1) die entwicklung ist auf localem gebiet deutlich zu
spüren :
des landguts hag war meiner wünsche grenze
Salis ged. (1793) 4.
paradiesische zeit, . . da all mein fürwiz und alle meine
wünsche an den gränzen meines väterlichen horizonts
wieder umkehrten Schiller 4, 34; Rio de los Reyes
ist die grenze der spanischen entdeckungen Forster
sämtl. sehr. 4, 34; die grenze des baumwuchses hat also
damals weit höher hinauf gereicht als heutzutage Moops
waldbäume u. kulturpflanzen 60 ; die Himalaya-kette liegt
weit auszerhalb der grenze tropischer klimate Hum-
boldt kosmos 1,11; an der gränze des bewohnten lan-
des Göthe 24, 121;
nachdem ihr nun die weit an allen gräntzeu
mir unter's fahn, ja untern fuss gebracht
Lohenstein Ibrahim sultan (1680) 45;
an der westlichen grenze der weit 0. Ludwig ges. sehr.
2, 418; (wärme), welche . . an den gränzen des äthers
die planeten hervorbringt Oken allgem. naturgesch. l, 6;
die gränzen unsres Sonnensystems Göthe 25, 272; gern
von der himmels grenze: dasz sie hinausz in den hoff
gehen weiten, welcher den himmel zur gräntz und
decken hatte Bastel v. d. Sohle Juncker Harnisch 190;
die sonne stehet schon an unsers himmels gränzen
Gottsched deutsche Schaubühne 4,28;
die blaue grenze des absinkenden himmels Herder
6, 3 ; ähnlich :
dieselben lichter nun, die in so langer reih
an denen gränzenlosen gränzen
des ausgespannten luftraums glänzen
Triller poet. betracht. (1750) 1, 2 .
nicht bäum und Strauch, nur wiesengrund zu sehn
bis an die gränze, wo die wölken gehn
Lenau 52 Barthel;
auch in bildlichem und übertragenem gebrauch: von die-
ser (spräche) . . . das gebiet aller, an deren äussersten
gränzen die uncultivirten stehen, zu übersehen W. v. Hum-
boldt briefe an Welcker 34; hätte ich sie doch bis an
die grenze dieses lebens begleiten können Solger nach-
gel. sehr. u. briefw. 1, 85 ; die dünnen körperfesseln wur-
den länger, sein ziehender geist flatterte höher an den
grenzen des lebens Jean Paul 3, 52 JSempel; ähnlich:
diejenigen, die wir lieben, bis dahin zu begleiten, wo
die äuszersten gränzen der dunkelheit sind, die vor un-
sern äugen hängt briefe von u. an Klopstock 11 ; auch
gestattet ihm bis zu einer gewissen grenze die natur
eine bestimmende einwirkung D. Fr. Strausz sehr. 6,
63; aber die f ortschritte gingen nur bis zu einer gewis-
sen grenze und standen dann unerbittlich still Keller
2, 141 ; häufig erläutern antifhesen oder parallele substan-
tiva die besondere bedeutungsfärbung:
jede deiner morgenstunden glänze
rosig, wie dein angesicht,
hehr und heiter sey des tages gränze
wie dein reines augenlicht
Blumauer ged. (1782) 13;
auf dieser erde gibt es nur anfange; keine gränze ist
bezeichnet Göthe 40, 205 Weim.; wenn Justus etwas be-
ginnt, so kennt er die grenze, wo er aufhört Gutzkow
ritter v. geist l, 179; das äuszerliche (beim menschen) ist
nichts als die endung, die gränzen des Innern Lavater
physiogn. fragm. 1, 33;
Romeo verbannt!
nicht irgend ende, gränze, masz noch ziel
ist dieses wertes tod. da reicht kein wort hin
Göthe 9, 226;
ziel und grenze setzen, abstecken s. u. C 2; ohne masz
und grenze s. u. 5; zutüeilen ganz identisch mit 'ende':
schon nahte sich Apoll der grenze seiner bahn
Pfeffel poet. versuche 1, 42.
2) es ist zu beachten, dasz grenze in dem specialsinn
als 'ende eines ausgedehnten' (s. 0. B) in der regel die
endgrenze bezeichnet; seltener für die anfangsgrenze: denn
weilen die liebe getreuer eitern sich auch über die
grentzen des todes erstrecket Besser sehr, l, 111 König;
sich bis an die grenzen der gottheit erheben Justi
Winckelmann 1, 134; ein umstand, der mich hernach
von stufe zu stufe, bis an die gränze der verstockung
brachte Schubart leben u. gesinnungen 1, 69; jeder kör-
per, der eine eigenschaft besitzt, . . hat auch eine grenze
dieser eigenschaft, einen eigenschaftspunkt, wo sie sen-
sibel wird Novalis sehr. 2, 204 Minor; ähnlich auch
temporal:
weil schon der tag ist an des abends gränzen
RüCKERT werke 3, 178 ;
begrenzung nach beiden Seiten: gräntzen . . . heissen in
der astronomie 2 puncte, wo ein planet die gröste breite
hat, das ist, wo er am weitesten von der sonnen-strasse
ausschweiffet, und , . sich wieder der ecliptic zu nähern
anfängt Ghomel öcon. lex. l, 1304; er sieht sie (die Un-
schuld) an den beiden grenzen seines daseins Pesta-
lozzi 7, 172; öfter in der spräche der musik: sonsten
bedeutet dieses wort (sc. ambitus) auch diejenigen
grentzen, worinn die nach ihren modis eingerichtete
choral-lieder enthalten sind Walther music. lex. (1732)
31; die äusersten chromatischen und enharmonischen
gräntzen unsers circkels (der tonarten) Mattheson kl.
generalbasschule 138; die grenzen der einen stimme (der
bruststimme) müssen sich bis auf ein paar töne ins ge-
biete der andern (der falsettstimme) erstrecken Hiller
aniveisung z. geswng 11.
3) besonders fühlbar wird der begriff des endes neben
geivissen abstracten: ich fürchte nichts — nichts — als
die gränzen deiner liebe Schiller 3, 371; indessen ward
. . bald . . sichtbar, dasz die liebe grenzen habe Her-
der 15, 305;
er hat's so gut wie ihr gethan
und kennt des glückes gränzen
Göthe 4, 87 Weim. ;
wird denn unser haus des Wahnsinns kein ende finden?
wo wird die grenze sein? Mommsen röm. gesch. 2, 98;
wesentlich erst seit dem 19. jh. folgender gebrauch: so
gibt es auch für die ganze summe menschlicher kräfte
eine bestimmte grenze der darstellbarkeit, über welche
hinaus die darstellung die nötige dichtigkeit . . . nicht
behalten kann Novalis 4, 172 Minor; bis nahe an die
grenze seiner tragfähigkeit belastet Seidel vorstadt-ge-
schichten 146; man lebte wie in einer traumweit, in der
es keine grenzen des möglichen, des denkbaren gab
Döllinger akad. vortr. 1, 75; ähnlich schon im 18. jh.:
was ist nicht schon erfunden, und das reich der mög-
lichkeit, wer kennt seine gränzen? Hippel lebensläufe
3, 188; anders: er besasz nie mehr als zwei anzüge und
trug sie bis zur äuszersten grenze des möglichen Moltke
ges. sehr. u. denkwürdigk. 1, 239; betroffen . . von dem
starken ton dieser schrift, der so dicht an die äuszerste
literarische grenze ging Kürnberger literar. herzens-
Sachen, vorrede.
4) mit Vorliebe von der begrenztheit menschlicher kräfte,
namentlich des erkenntnisvermögens : die Ursache davon
liegt . . in den engen grentzen des menschlichen Ver-
standes Ramler einl. in die schön, wissensch. l, 95; nun
sind wir schon wieder an der gränze unsres witzes
Göthe 14, 226 Weim.; meinst du, deine stinkereien in
Leipzig machen die gränzen des menschlichen witzes
aus? Schiller 2, 35; würde dieses wohl möglich seyn,
wenn die grenzen unsrer phantasie zugleich die gren-
137
GRENZE
GRENZE
138
zen unsrer fassungskraft wären? 10, 219; dasz . . in der
grenze des menschlichen Wahrnehmungsvermögens kei-
neswegs eine grenze der folgerichtigkeit . . der natur-
gesetze läge Keller 3, 16 ; da wir doch hier die gränze
des schauens eingestehen sollten Göthe IIi, 72; der
begriff von grenzen des naturerkennens Dilthey einl.
in die geistesicissensch. 1, 11; — aber was sollte dieses
genie thun, dessen iruchtbarkeit gränzen hatte Ramler
einl. in die schön, tvissensch. l, 12; die zum wesen des
subjects selbst gehörige grenze seiner selbstthätigkeit
Schleiermagher I 3, 17; sicherlich hat Scherer gerade
in seinen grammatischen leistungen seine . . grösze und
. . die grenzen seiner begabung . . enthüllt Burdach in
Scherers kl. sehr. 1, einl. XVI ; im IS. jh. häufig 'grenzen des
tnenschen, der menschheit' u.a.; früh vorhlingend : du wey st
aber wol was grentzen uns das gsatz der natur geben hat
schöne tveise klugreden (1548J 122''; ich erlaube meinem
geschlechte einen kleinen umweg zu nehmen; allein
wo wir unsere grenzen aus dem gesiebte verlieren, so
gerathen wir in ein labyrinth Gottschedin briefe 1,27;
geleitet durch dein {der Vernunft) licht, bis an der mensch-
heit gränzen
KÄSTNER verm. sehr. 1, 104;
namentlich der stürm und drang empfand diese grenzen:
wer kann die gränzen des menschen bestimmen Klin-
ger werke 5, 40; früh fand er die gränzen der mensch-
heit zu enge 3, 4; einen menschen . . , der übermüthig
gegen die gränzen seiner natur angestoszen, die eine
mächtige hand vor unsern horizont gestellt hat 8, I8i;
s. auch 3, 50; vgl. Göthes gedieht 'grenzen der mensch-
heit'; ähnlich:
da zeitig der grosze Pelide
sinken wird in den staub, der sterblichen gränze bezeichnend
Achilleis 102.
5) ohne grenzen im sinne 'grenzenlos' ist im, letzten
drittel des 18. jhs. ungemein häufig und hält sich bis
über die mitte des 19. jhs.; meist neben abstractis ver-
schiedenster bedeutung: nun ist aus Zend-Avesta bekannt,
dasz die zeit ohne grenzen das erste principium der
ganzen Perser-theologie gewesen Herder 15, 582; dasz
. . sein ansehen fast ohne gränzen war M. J. Schmidt
gesch. d. Deutschen 3, 173; es ist ein wirrwar ohne grän-
zen Göthe 25, 203 Weim.; mein dank würde ohne gren-
zen bleiben 17, 10; vgl. 23, 24; IV 9, 251 ;
0 ohne grenzen ist dein glück!
Schiller 11, 233;
der schmerz der familie ist ohne grenzen 4, 286 ; er hat
hier eine popularität ohne grenzen Sghücking bei A.
V. Droste-Hülshoff briefe 4; seltener neben adjectiven:
er war dankbar und hingegeben ohne gränzen Göthe
21, 44 Weim.; {er ist) langweilig ohne grenzen Dein-
HARDSTEIN gcs. dram. werke 6, 200; eigen gebraucht bei
Grillparzer:
der ströme und flüsse unnennbare zahl
und das ohne grenzen gewaltige meer
werke 5, 40;
die schöne blaue glocke unserer erde war {dem ballon-
fahrer) ein ganz schwarzer abgrund geworden, ohne
masz und grenze in die tiefe gehend Stifter i, 22; es
wurde mir, als sollt ich sie ohne masz und ohne gren-
zen lieben l, 61; da stellt man sich etwas unnennbares
dabei (bei der liebe) vor, eine Seligkeit ohne masz und
gränzen Deinhardstein ges. dram. iverke 1, 18.
6) eigenartig gefärbt ist die bedeutung häufig nach
über: die grenze schlieszt hier das gebiet des recht-
mäszigen, gehörigen, schicklichen ab: verfolgte sie ihren
sieg über die grenze des berechtigten Auerbach land-
haus 1, 87; jenes zwitterverhältnis . . , in welchem er
. . . die Unabhängigkeit seiner Stellung noch über die
gränzen jener Instruction hinaus erweiterte Häusser
deutsche gesch. 1, 520; nichts ist jungen leuten . . nach-
theiliger, als wenn man ihre erwartungen von den men-
schen und ihrem werth über die grenzen der Wirklich-
keit treibt Klinger werke 8, 51 ; doctor Sphex, dessen
wiszbegierde ihn nur zu oft über die grenzen einer er-
laubten vorsieht . . treibt Brentano 6, 865; auch ohne
abhängigen genetiv: die aufmcrksamkeit, deren sie mich
würdigten, hat mich über die gehörige grenze . . ver-
leitet Heinse 5, 28; und ganz prägnmit: leidenschaft-
lich über die gränze {der Zurückhaltung) gerissen . . .
begann er anzustimmen Göthe 24, 372 Weim.; ich finde,
dies lied ist schon über der grenze {des noch anstän-
digen) Fontane I 5, 36; anders: mit wenig Worten —
denn eine weitläuftigere Unternehmung würde uns über
unsre gränzen führen Gerstenberg recensionen 281
Fischer; von dem hut {Grünebaums) wollen wir des-
halb nichts sagen, weil wir fürchten, dadurch über die
grenzen des gegebenen raumes unwiderstehlich hinaus-
gerissen zu werden Raabe hungerpastor 1, 155. — wenn
. . die menschen anfangen, mit einer über alle grenzen
ausschweifenden frölichkeit zu sündigen Gramer nord.
auf Seher 1, 58; ich habe mich an ihr versündigt, weit
über alle gränzen der hofnung auf Verzeihung Bode
Thomas Jones 6, 482; weil ich dich liebte über alle
grenzen Schiller 14, 116; die gefühllose partheylich-
keit der patricier risz die erbitterung über alle gränzen
hin NiEBUHR röm. gesch. i, 405; vgl. die grenzen über-
treten, übersteigen u. ä. sp. 143/.
C. die ungewöhnlich zahlreichen verbalen Verbindungen,
in denen grenze erscheint, zeigen ein starkes verfiieszen
der verschiedenen bedeutungen, selbst innerhalb derselben
formel, und zwar besonders bei uneige7itlichem gebrauch.
l) grenze im elementaren sinne.
a) mitten im bach, der die grentze ist 5 Mos. 3, 16;
und aber sein des alten Sveviae grentzen gewesen die
Elb, der berg Garpathus Rätel Curaei chronica v. Schle-
sien (1607) 4; die gräntze des landes ist ins norden mit
der ost see begriffen Schütz historia rer. pruss. (i592)
1, i; iren nochpawern, di mit in grenicz halden Jeli-
NEK mhd. wb. für Böhmen 331; dieser flusz hielt die
gränze mit den Sarmaten Lohenstein Arminius 2, 827;
flüsse, so die grentzen halten Chomel öcon. l-ex. 4, 1303;
in dem meere, das die grenzen von Europa und Klein-
asien macht Heinse 3, 394 Schüddekopf; wo flusz und
meer eine natürliche grenze machten Mommsen röm.
gesch. l, 22; vgl.
drum gibt manch weiser mann der erde gute nacht,
ob er gleich würdig ist, dasz seines lebens grenzen
der späten ewigkeit geraumer cirkel macht
Weichmann poesie d. Niedersachsen 1, 194;
das atlantische meer gegen westen und süden . . machen
seine gränzen aus Abbt verm. werke 2 2, i ; die . . nach-
barn stiegen zugleich auf einen berg, der die grenze
zwischen ihren besitzungen bildete Ebner-Esghenbach
1, 147; da . . die nordküste von Asia ein fast beständig
beeisetes meer zur gränze hat Haller tagebuch l, 106;
übertragen: das poetische hat nur die prosa . . . zum
gegensatze und zur grenze 0. Ludv^^ig ges. sehr. 5, 409; die
grenze erstreckt sich bis an jenem (!) see Stosch gleich-
bed. Wörter 2, 452; übertragen: nicht weiter als dahin
sich ihres amtes und empfangenen befehls grentzen er-
strekten Zesen erhöhte majestät (l66l) 87; aber warum
ist es gleichwohl wahr, dasz sich die gränzen der
menschlichen bosheit noch viel weiter erstrecken?
Lessing 2, 299; {die philosophie soll ausmachen) wie weit
die grenzen unserer verschiedenen kräfte reichen For-
ster sämtl. sehr. 8, 43; dann scheint sich die gränze
der Saone entlang gezogen zu haben Raumer gesch. d.
Hohenstaufen 5, 77; dieser ort, durch welchen die gränze
zwischen Böhmen und Sachsen durchgeht Göthe II 9,
189 Weim.; ob die grenze auf dem nördlichen rothen
oder südlichen weiszen Main gehn sollte Bismarck
gedank. u. erinn. 2, 66 volksausg.; die grenze läuft den
flusz entlang;
unbeschreiblich ist das gläntzen,
welches in den silbernen und in den sapphimen grentzen,
da, wo sie sich schneiden, strahlte
Brockes ird. vergnügen 4, 19;
weil hier drei (landes-) grenzen sich schneiden Holtei
erzähl, sehr. 2, 32.
b) formein der rechtssprache : das sie solche obbemelte
grenitzen wollen an eides statt beteuern Hüttel Trau-
tenauer ehron. 203 Schlesinger; so soll nichts desto we-
niger . . die gräntze geführet und angewiesen, auch die
139
GRENZE
GRENZE
140
koppitzen aufgeworfen werden Schickfus schles. chron.
3, 485; ich N. gelobe und schwere gott dem allmäch-
tigen dasz ich eine rechte gräntze gehen auch anweisen
soll und will zwischen den gütern N. und N. 3, 484;
(am 22. oct. 1522) ist von einem e. rath alhie . . ein an-
ordnung geschehen, gemeiner stadt Trautnaw grenitzen
zu begehen und zu beraumen Hüttel a. a. o. 270; also
hat der alte förster Hawel die gränitz vorangegangen
und hat ausgesaget, das die rechte grenitz den berg hin-
abgehe 203; vgl. grenzbegang sp. 119; in jüngerer zeit meist
die grenze beziehen, in feierlichem umzug besichtigen:
es ist dahero deshalben höchst nöthig, dasz die grentzen
der güther fest gesetzet, erneuert, öfters bezogen . .
werden allgevi. haushalt.-lex. (l749jf.) 1, 619*; und damit
man diese grentzen stets aufrecht erhalte, werden sie
jährlich . . mit gerichtspersonen, nachbarn und zeugen
bezogen Chomel öconom. lex. 4, 1303; vgl. Adelung,-
auch nd.: de grense beteien oder betrecken Sgham-
BACH 68".
c) die grenzen (um)schlieszen, umschränken u. ä.: mit
der grentz umbschliessen fines constituere, terminare
Henisgh 1740; da, wo das meer die grenzen eines Staa-
tes umschlieszt, sind diese als natürlich stark anzu-
sehen HoYER ivb. d. krieg sbaukunst 2, 76; ehrengedichte
. . welche . , diesem werke sind angefüget und damit
die grentzen dieses Parnassus beschlossen Rist neuer
teutscher Parnasz (1652) 857; die grenze ist mit einem
walle geschlossen Göthe III l, 159 Weim.;
da er (gott) die menschenkinder schied,
umschränkte er der Völker gränze
Eschenburg beispielsammlung 4, 99;
in deinen unumschränkten gränzen,
da so viel tausend sonnen glänzen,
vergehet aller sinnen kraft Drollinger ged. 6;
ist das {acher u. haus) bestellt, stecken wir pfähle aus,
zäunen die gränze, und gucken heraus
Zach. Werner kreuz a. d. Ostsee (1806) 62;
nicht ist fest umzäunt die gränze des lebens
Göthe Achilleis 251;
in grenzen (ein) schlieszen u. ä. anscheinend nv/r in über-
tragenem, gebrauch:
diesz ist, was noch des landes freude
in menschlich enge grenzen schliest
Stoppe Parnasz (1735) 16;
dasz das drama selbst nicht einmal in diese engen
grenzen eingeschlossen werden kan Kretschmann l,
32; das unendlich scheinende schlieszt sich in gränzen
Göthe IV 8, 125 Weim.;
schrenkst du sein nützlichstes uns unersetzlichs leben
blosz in des stuffenjahrs gemeine gränzen ein?
König ged. (1745) 117;
{der versuch) ihn in die grenzen der ehlichen liebe ein-
zuschränken WiELAND Agathon (1766/.) 2, 201; auch im
sinne von sich in gewissen grenzen halten (s. u. sp. 144) :
vielleicht findet sich . . gelegenheit, von diesen . . doch
in gewisse gränzen eingeschränkten auswüchsen zu
sprechen Göthe II 6, 28 Weim.
d) die grenzen weitern, engern, verrücken u. ä. : wenn
ich die beiden für dir ausstossen und deine grentze
weitern werde 2 Mos. 34, 24; wol regieren sey viel eine
grössere kunst als die gräntzen erweitern Zinkgref
apophthegmata (i628) 42 ; strebten (sie) nicht ihre grenze
zu erweitern Mommsen röm. gesch. 2, 51 ; sehr gern über-
tragen: denn es wäre grösser, die gränzen des römi-
schen geistes eben so sehr erweitert zu haben, als die
triumphirenden die gränzen des reichs erweitert hätten
Klopstock gelehrtenrep. 271; wie bescheiden (erscheint)
der grosze gelehrte, der die gränzen des menschlichen
denkens erweiterte Schiller 3, 510; wer sich in einer
weise gewählten beschränkung glücklich bewegt, der
hat sich gegen zwei feinde zu wehren: gegen beengung
und gegen erweiterung seiner grenzen Gervinus gesch.
d. dtsch. dichtung (1853) 5, 62; ähnlich: die poesie hat
gar nicht eben Ursache ihre gränzen so auszudehnen
Göthe IV 1, 199 Weim.,- (Qhiberti, Brunelleschi u. s. w.)
die sich in ihres vaters Giotto erbschaft teilten und
deren jeder die grenzen seines anteils zu einem groszen
reiche ausdehnte Grimm Michelangelo (l890) l, 27; in
dieser hinsieht dehnen sich die gränzen des indischen
einflusses weiter aus W. v. Humboldt 7, 11 akad. ausg. ;
in einzelnen belegen ist die bedeutung 'gebiet' fühlbar,
besonders:
doch war das lorbeer-laub von seinen sieges-kräntzen
nicht fruchtlos, wie es pflegt; es mehrte seine grentzen
Besser sehr. 1,40 König;
verflucht sey, wer seines nehesten grentze engert 5 Mos.
27, 17; du solt deines nehesten grentze nicht zu rücke
treiben 19, 14; dieselbe wendung spr. 22, 28; man wollte
Frankreichs grenzen bis zum Rhein und zur Mosel zu-
rückschieben Treitschke deutsche geschickte 1, 219; die
gräntzen einziehen restringere i limiti Kramer teutsch-
ital. (1700) 1, 566»; die fürsten Juda sind gleich denen
so die grentze verrücken Hos. 5, 10; bald hat man ihm
seinen zäun zerbrochen, bald hat man ihm seine grenze
verrückt Hauptmann biberpelz (1893) 43; beides lehrt
die erfahrung, sollte das die grenzen des aufgestellten
gesezes verrüken? Schiller l, 163; die grentzen stöhren
allgem. haushalt.-lex. (1749 jf.) l, 618; diejenigen, die sie
in ihrer wohl hergebrachten possession kräncken und
die grentzen stören wollen Chomel öcon. lex. 4, 1303.
e) hauptsächlich zu der unter A 2 b behandelten bedeu-
tung stellt sich eine reihe von Wendungen, die meist der
militärischen spräche zugehören: die gräntzen und passe
für neuer impressa zu verwahren acta publ., verhandl.
d. schles. fürsten 2,4; ähnlich Steinbach 1, 637; die
Ursache, warumb der könig seine gräntzen zu bedecken,
eine starke anzahl Soldaten halten muss Olearius
verm. reisebeschr. 21; er kan die grentzen kaum be-
schützen Steinbach 1, 637; nachdem der Pompeius die
grentze am meer vor den räubern gesicheret Heyden
Plinius (1565) 40;
auszer wenn ein wahrer held
Staat und gränzen sicher stellt
Gottsched neueste ged. (1750) 48;
auch bildlich:
wenn sie dem menschen frohe tat bescheren,
dasz er ein unheil von den seinen wendet,
dasz er sein reich vermehrt, die grenzen sichert
Göthe Iphigenie 703 ;
man befestigte mit macht Deutschlands noch entblöszte
gränzen
ScHÖNAicH Heinr. d. Vogler (Xlhl) 3;
dass man nicht vernachlässigen möge, die grenzen in
guten vertheidigungsstand zu setzen Ranke reform,
gesch. 4, 218;
treu wie dem Schweizer gebührt, bewach ich Germaniens
grenze
Schiller 11, 110;
die Jungfrau, die die wage trägt,
die frommen schützt, die bösen schlägt,
befriediget die gräntzen
Treuer deutsch. Dädalus 1, 646;
limitanei milites die an den grentzen hüten Alberus
diction. 114"; kriegsleut so auf den grentzen und an-
stössen zur hut ligen Galepinus undec. ling. (1598) 823*";
ein Soldat der auf der grenze liegt miles limitaneus
Stieler 694; vgl. Henisch 1740; auf den gräntzen (an
der gräntze) des landes ligen star' accampato alli confini
Kramer teutsch-ital. (I700) 1,556"; völcker an die gräntze
legen, sie zu bedecken vor dem feindlichen einfall ib.;
ähnlich auch vom feinde: dieweyl sie (die bauern) der-
massen an der grenitz unserer ampt ligen und umb-
ziehen Bau mann quellen z. gesch. d. bauernkrieges aus
Botenburg 112; dasz . . . wir binnen acht tagen wohl-
gerüstet an der grenze stehen können br. von und an
Herw^egh 116; (Alexander) besetzet die gränitz des rö-
mischen reichs Aventin bayer. chron. 4, 419, 15.
2) bei denjenigen ivendungen, die von einem markieren
der grenze sprechen, hat der uneigentliclie gebrauch, der
vielfach die bedeutung des subst. umgefärbt hat, den
eigentlichen groszentheils ganz verdrängt.
grenzen setzen: zil und grentzen setzen determinare,
terminis designare, determinare regiones Henisch 1740;
gräntze setzen ponere, mettere i limiti Kramer teutsch-
ital. (l700) 1, 556"; die grentzen eines ortes setzen Stein-
bach 1, 637; du hast eine grentze gesetzt, darüber kö-
rnen sie nicht ps. 104, 9,- vgl.
-^^
141
GRENZE
GRENZE
142
Themis selber führt den reigen, . .
setzet selbst der grenze stein
Schiller 11, 296 ;
meist mit dativ; aber nur in der älteren spräche im ur-
sprüngliafien sinne:
eim jeden land setzst du sein grentz
H. Sachs 18, 291 Keller-Götze;
weil gott nicht haben will, dasz man die von ihm dem
meere gesetzte gränze andre Liscow sat. und ernstli.
sehr. 23; dem römischen reiche grentzen wie dem gan-
tzen erdbodeme setzen imperium Romanum orbis terra-
rum terminis definire Steinbagh 1, 638; daneben früh-
zeitig übertragen: gott . . setzet ihm {dem teufel) seine
grentze, darüber er nicht fahren und gehn darf Nigri-
NUS von Zauberern (1592) 12; dieser gebrauch herrscht
seit dem 18. jh. ; die formet gewinnt die bedeutung 'hem-
men, einschränken, einhält gebieten' {vgl. oben B):
setze der Verfolgung gräntzen, halt den glaubens-feinden ein
ScHMOLCKE trost- u. geistr. sehr. 1,13;
er setzt seiner gewalt keine grentzen Steinbach 1, 638;
dasz einige kauf- oder doch sonsten bürgerliche . . leute
. . . ihm grenzen seiner siege setzen Leibniz deutsche
Schriften 1, 213; oder wollen sie meinen siegen grenzen
setzen Schiller 8, 155; die weite des ortes und die
andacht setzen unsern einfallen {in der kirchenmusik)
gemsse gränzen Scheibe crit. musicus (1745) 163;
diese (die haare des engeis) halt ein köstlichs öl . . benetzet,
welches aller Sterblichkeit und Verwesung gränzen setzet
Triller poet. betrachtungen 1, 595;
dass der staat, welchem so enge gränzen der Wirksam-
keit gesetzt sind, keiner grossen einkünfte bedarf W.
V. Humboldt l, 233 akad. ausg.;
helfet! helft,- •
wenn ihr es könnt, setzt diesem blutsturz grenzen
Grabbe 1, 28 Blumenthal;
gern bei affecten:
wer will der lust hier grenzen setzen?
Stoppe Pamasz (1735) 3;
denn der brüderlichen liebe wollen wir von der klug-
heit keine grenzen gesetzt wissen Lessing lO, 197; hin-
gegen der pöbel {im besitz der gewalt) seinen wilden
bewegungen keine grenzen zu setzen fähig ist Wieland
Agathon {i.766f.) 2, 162; eben diese zu grosze liebe würde
dich in das verderben stürzen, wenn du ihr nicht bey
zelten grenzen setztest Atrenhoff 3, 87; vgl.
wir fangen schon die lust in kindorröcken an,
und wissen weder maasz noch grentzen auszusetzen
Hoffmannswaldau 1, 159 Neukirch;
refleociv: etwa ein halb dutzend nur sind zu dem preis
gelangt wo ich mir selbst grenzen gesetzt hätte Göthe
IV 29, 108 Weim.; die vollzogene neuerung {des calvinis-
mus) hat das bedürfnisz sich grenzen zu setzen, da-
mit man sehe, wo sie aufhört Ranke sämtl. werke 8,
126.
grenzen (aus-, ab-) stecken scheint erst spät aufzu-
kommen: jedoch damit wir nicht die gräntzen einer
vorrede allzuweit ausstecken Lohenstein Ärminius
(1689/.) 1, d 2; {der griechische künstler) hielt sich gern
innerhalb bestimmt abgesteckter grenzen W. v. Hum-
boldt auf Sätze über das hlass. alterth. 123 Leitzmann;
wie weit nun aber diese Wirksamkeit des . . geistes . .
gehen könne, davon lassen sich die gränzen nicht ab-
stecken Strausz ges. sehr. 3, 25; eine ausgebildete tech-
nik . . steckt der dramatischen poesie einer zeit auch
ziel und grenze ab Freytag 14, 5;
dessen thron die weiten räume decken,
dessen reich die sterne grenzen stecken
H. V. Kleist 1,11;
wieweit auch die natur die grenzen seiner tage gesteckt
hatte, dennoch erlebte er nicht den ausgang dieses
kampfes Moltke ges. sehr. u. denkwürdigk. 2, 9 ; es {das
Violincello) tritt nur als basz auf, . . . aber diese eng
gesteckten grenzen überschreitet es noch nicht Jahn
Mozart l, 613. in übertragenem gebrauch auch mit dem
besonäeren sinn wie grenzen setzen:
ja, dass er endlich gar . .
dem laufe seines glucks geweihte grenzen stecket,
und sich . . mit einer kröne decket
Neukirch ged. (1744) 180;
mangel an lebenserfahrung . , muszte dem knaben . .
hier am ersten grenzen stecken Jahn Mozart ^\, 94; wo
dem . . verkehr . . grenzen gesteckt waren, hat man
diese beseitigt Bennigsen nationallib. partei 46; nur
vereinzelt im sinne von seine grenzen haben {s. u. sp. 146) :
der menschlichen geduld sind ihre grenzen gesteckt!
Immermann i, 22 Eempel.
grenzen ziehen, (be)zeichnen u. ä.: den . . . abhang,
der zwischen acker und wald die grenze zog Fontane
I 6, 74; wo und weshalb ist hier die grenze {zwischen
geld als zahlungs- und als leihmittel) zu ziehen? Luschin
V. Ebengreuth münzkunde 16;
denn fessellos, ein mächt'ger könig, wälzt
der Strom sich fort in selbst gezog'nen grenzen
Beer sämtl. werke 120 Schenk;
wo ziehst du scharf die grenze zwischen dem, was
statthaft und was unstatthaft ist? Fontane I 4, 88;
wirklich lassen sich bisweilen scharfe grenzen ziehen
Peschel Völkerkunde (1874) 12; mit dem dativ im sinne
von grenzen setzen : das parlament suchte ihr {der herr-
schenden gewalt) grenzen zu ziehen, die seinem begriffe
entsprachen Ranke werke 17, 127; vgl. dasz auch ein
weih sich frei erklären könne von den willkürlichen
grenzen, die der harte mann seit Jahrtausenden um sie
gezogen hatte Stifter l, 17 ; mit dem schwert in der
band wurden die grenzen zwischen beyden kirchen ge-
zeichnet Schiller 8, IS; ebenfalls wie grenzen setzen:
du {gott) zeichnest denen ihre gränzen,
die, geizig nur nach lorbeerkränzen,
von ihrem ungestüm nicht ruhn
J. A. Schlegel verm. gedichte (1787) 1, 17;
bald ist unser theaterstil zu periodisch, bald zu ein"
förmig, überhaupt sind seine gränzen zu wenig be"
zeichnet Gerstenberg recensionen 36 Fischer; blieben
nun in der Wirklichkeit immer schranken gesteckt und
grenzen abgezeichnet, so überschritt ... sie doch die
. . . Unschuld der phantasievollen vorzeit allenthalben
J. Grimm Reinhart fuchs vorr. III.
die grenzen (unter) scheiden u. ä.: denn man die
grentzen mit dergleichen zeichen zu unterscheiden pflag
MORHOF Unterricht v. d. deutschen spräche (l682) l, 23;
vgl. die grentze und der bann der statt N. sind von
N. lande also underscheiden Sattler teutsche orthogr.
(1658) 230; die felsen, wo jetzt der tanzplatz ist, sollten
die grenze scheiden Grimm deutsche sagen (l89l) i, 140;
so schmal ist
. die grenze, die zwey lebenspfade scheidet
Schiller 12, 217;
wie Schott- und Engelland sich auf der grentze scheidet,
wann es ein berg und ström ab von einander schneidet
D. V. D. Werder rasender Roland (1636) 61;
vgl. die gränzen, wo sich zwey analogien . . scheiden,
{lassen sich) nie genau bestimmen Adelung lehrgang
d. deutschen spräche 2, 43; grenze als subject: dasz ich
die grenzen erkenne und verehre, die den dilettanten
vom kenner scheiden Schiller 3, 533.
grenzen bestimmen, festsetzen, vorschreiben u. ä.:
bestimmung der grenzen der anhänglichkeit für einen
freund {Überschrift) Knigge Umgang m. menschen (1796)
2, XI ; man hat die gränzen des menschlichen Verstan-
des näher bestimmt W. v. Humboldt i, i akad. ausg};
vergnügen ist nutzen — wer möchte unternehmen die
gränzen zwischen beyden zu bestimmen Caroline i, 71
Waitz; mit dativ : die natur hat allen dingen bequeme
grenzen bestimmt Bodmer samml. crit. poet. schrifteji
1, 54; dagegen mit dem sinn von grenzen setzen: bist
du eine Scythin, dasz du die gränze zu durchbrechen
drohst, die der Grieche dem weib bestimmt Klinger
neu£s theater 1, 37; dasz bisher nur die allgemeinen ge-
setze dieser dichtungsart in erwägung gezogen worden,
ohne die grenzen der verschiedenen gattungen derselben
festzusetzen Lessing lO, 172;
es flammt ein welten-heer {von stemen) in angewiesnen
gränzen
Uz 111 Sauer;
nachdem diese Zeilen bereits mit so unverhoffter ge-
nehmhaltung, als unfleisziger ausarbeitung, auszer der
ihnen vorgeschriebenen gränze, . . an das licht gezogen
143
GRENZE
GRENZE
144
zu -werden, das glück . . gehabt Heraus gedickte u. lat.
inschr. (i72i) 13; sie lassen sich von den eitern ihrer
Schüler keine gränzen vorschreiben Schubart briefe l,
100 Strausz.
die grenzen aufheben, verwischen u. ä.: besonders,
dasz wir die kleinlichen gränzen der Selbstsucht zwi-
schen unseren mittheilungen aufheben POckler briefw.
u. tageb. 1, 165 ; insofern eine spräche überhaupt laute
unterscheidet, giebt es auch eine conservative macht
in ihr, welche diese grenzen nicht verwischen lassen
will ScHERER M. sehr. 1, 254;
euresgleichen möchte . .
die grenzen löschen zwischen tag und nacht
Schnitzler grüne kakadu (1899) 29;
lustspiel und trauerspiel sind wie tag und nacht; ihre
grenzen verschmelzen sich ganz unmerklich in einander
Kretschmann sämtl. werke i, xv; die leiden der tugend
gräntzen . . an die strafen des lasters mit so schwim-
menden gräntzen Lichtenberg nachlasz 80; ältere be-
lege dieser Wendung th. 9, 2640.
3) eine besondere gruppe bilden die Wendungen, die ein
mit über- componiertes verbum enthalten, insofern grenze
hier bei übertragenem gebrauch meist dieselbe bedeutungs-
nüance zeigt wie nach der präposition über (s. sp. 137, 6),
d. h. die grenze schlieszt das gebiet des billigen, erlaub-
ten, rechtmäszigen, einer befugnis oder pflicht ab.
die grenzen überschreiten, zunächst concret: 264 v. Chr.
geb. überschritten die Römer zum ersten male die
gränzen Italiens mit heeresmacht H. Meyer gesch. der
bild. künste 3,8; (der cyclone) Verheerungen überschreiten
niemals die grenze Bengalens Peschel Völkerkunde 326;
dann übertragen: die geister überschreiten alle grenzen
der Phantasie Arnim 15, 20; neue, noch kleinere und
schwächer glänzende puncte, deren entfernung die
gränzen der einbildungskraft überschreitet Schubert
verm. sehr. 1, 5; zumeist aber hat die Wendung die be-
sondere, oben angedeutete färbung: wenn ja der unver-
schämte mensch die grentzen gebührender ehrerbietung
überschreiten wolte Ziegler asiat. Banise (i689) 121;
ohne die grenzen der weisen mäszigung zu überschreiten
Wieland Agathon (i766/.) 2, 274;
die grenze keuscher schaam ist überschritten
Schiller 15', 48;
{die ort der quellenbenutzung) überschreitet aber doch
die grenzen des einigermaszen erlaubten Ranke ref.-
gesch. 2, 383; wogegen sie dem alten baron . . nur eine
empfindung widmete, welche die grenzen der dankbar-
keit nicht überschritt Immermann l, 68 Hempel; ver-
gleichbar: Sachen . . welche die absieht und die gränzen
eines Wörterbuches überschreiten Raben er werke 2, 227;
lassen sie mich schlieszen, damit ich die gränze eines
briefs nicht überschreite Göthe IV 41, 136 Weim.; es
würde die gränze dieser skizze überschreiten, wenn
Liebig ehem. briefe (1844) 110; auch ohne genetiv: in den
künsten giebt es strenge regeln, abgecirckelte gräntzen,
die man nicht überschreiten darf Ramler einl. in d.
schönest wissensch. (1758) l, 224; Buttler . . sinket oft zu
tief, und redet die spräche des pöbeis. Boileau über-
schreitet niemals diese gränze Dusch krit. u. satyr.
sehr. 150; ein ganz frischer, jede erlaubte grenze über-
schreitender tintenfleck Holtei vierzig jähre (1843^.)
1, 5; mit dieser derben geschichte hatte unser geplauder
die grenze fast überschritten, die wir dem anwesenden
mädchen schuldig waren Keller 2, 287; man meinte,
ich habe meine grenzen überschritten Raabe hunger-
pastor (1864) 2, 136; vereinzelt: ohne aus den gränzen
des guten geschmacks zu schreiten Göthe IV 9, 110
Weim.
grenzen übersteigen, übertreten u. ä.: und ermahnet
. . dasz er, so lieb ihm seine seele und sein reich, ja
nicht deszen grentze überhupfe Beinicke fuchs (1650) 56 ;
{Fortuna blendet) bald diese, bald jene, dasz sie die
grentzen der gerechtigkeit zu übersteigen . . , begierig
werden Schottel friedens sieg 18 neudr.; später ohne
dies bewusztsein des bildes: mit einem egoismus, der alle
grenzen der schaamhaftigkeit übersteigt Lenz verthei-
digung des herrn W. (1776) 18; das elend überstieg alle
grenzen Moltke sehr. u. denkwürdigk. l, 170; wenn eine
mark gegen die andre, und eine genossenschaft gegen
die andre die gränzen ihrer befugnisz übertritt Moser
säm,tl. werke I, 380;
die Jugend führ' ich an der Schönheit zügel,
die gern die zarten grenzen übertritt
Schiller 15 1, 12;
ich kan nicht allzu wohl die grentzen überfahren
semel constitutos mihi terminos egredi aegre possum
Steinbach l, 638 aus Hoffmann swaldau. neben den
compositis auch die entsprechenden simplicia mit der prä-
pos., z. th. ganz concret: die Oder ist wieder über alle
grenzen getreten Moltke sehr. u. denktvürdigk. 4, 14;
vielleicht auf grund solchen gebrauches das bild: dasz
ihnen die galle aufs greulichste über die grentzen trat
Schnabel insel Felsenburg (1744 jf.) 2, 14; wenn nur die
menschen nicht so leicht und so gerne über die gren-
zen träten, die für alles gezogen sind Laroche frl. v.
Sternheim (l77i) 1, 192; deine feste seele springt so leicht
nicht über ihre grenzen Hölderlin 2, 182 Litzmann;
verführte auch ihn, . . über die schranken der Sittlich-
keit und über die grenzen des konventionellen lebens
wegzuspringen Gervinus gesch. der deutschen dichtung
(1853) 5, 29; sei die ungedald . . der einwohner . . über
alle grenzen gestiegen Brentano ges. sehr. 4, 271.
über eine grenze hinausgehen (vgl. th. 4, 2, 1395) : wenn
jemand über die grenze des sabbaths auf eine nach
den gesetzen erlaubte weise hinaus gegangen briefe die
neueste litteratur betr. 11, 116; {der Charakter der han-
delnden personen) der . . nie über die gränzen der Wahr-
scheinlichkeit . . . hinausgehen musz Eschenburg ent-
icurf (1783) 69 ; obgleich meine sämmtlichen arbeiten in
diesem fache nicht über die gränze des umrisses und
der Skizze hinausgehen Göthe IV 21, 86 Weim.; ähn-
lich:
die thränen müssen nicht aus ihren grentzen gehn
Besser .^chr. 1, 254 König.
4) zti den eben angeführten Wendungen bilden die fol-
genden vielfach das gegenstück:
etwas oder sich in grenzen halten: dasz das äuge
des Zuschauers so wie die stimme des Schauspielers es
bedurften, innerhalb gewisser gränzen gehalten zu wer-
den Humboldt aufsätze über d. klass. alterth. 84 Leitz-
mann; öfter ähnlich xcie in schranken halten: so wuszte
er {Friedrich d. gr.) doch die Vorsteher aller gottesver-
ehrungen in gränzen zu halten Göthe 41^, 17 Weim.;
{der schwelende heustock) konnte zwar nicht gelöscht
werden, wurde aber durch die spritze in einer grenze
gehalten, dasz das feuer nicht lebhafter wurde Stifter
5I, 333; vgl.
gewisz, ich hasse sehr, die dich den höchsten hassen: . .
drum kan ich meinen zom nicht in den gräntzen fassen
Canitz ged. (1727) 38;
meisf reflexiv: {roman und drama) müszten . . sich in
den grenzen ihrer gattung halten Göthe 22, 177 Weim.;
ich habe mich in diesem stück ganz in den gränzen
der geschichte halten wollen Fr. Schlegel sämtl. werke
5, 188 ; besonders, wo es sich um die grenzen des gebühren-
den, maszvollen handelt {vgl. o. 3): nachdem durch dieser
aderlasung das übrige freche blut abgelaufen, haben
sie sich beszer in ihren grentzen der Vernunft und löb-
lichen tapferkeit können halten Eeinicke fuchs (1650) 61 ;
sie fuhr immer fort sich in den grenzen der freund-
schaft zu halten Wieland Agathon (1766/.) 1, 185; {Wil-
helm) hielt sich nicht in den gränzen eines proportio-
nirten gegengeschenks Göthe 21, 201 Weim.; dasz sich
alle in den grenzen des anstandes und der Sittlichkeit
halten mögen Böhme gesch. d. tanzes 176; wie bei den
asiatischen Mongolen hält sich der prognathismus in
mäszigen grenzen Peschel Völkerkunde 432; auch präg-
nant, ohne erläuternden zusatz: Piero's eigenmächtiges
verfahren . . . erregte eine Indignation, von der . . die
treuesten anhänger der Medici mitfortgerissen wurden,
dennoch hielt man sich ihm gegenüber in den grenzen
Grimm Michelangelo (1890) l, 120; die vertheidigung {eines
auswärtigen collegen) würde mich immer nöthigen, mich
145
GRENZE
GRENZE
146
innerhalb gewisser grenzen zu halten Bismarck polit.
reden i, 73; vereinzelt: dasz er mit dem besten willen
. . . nicht in den grenzen des anstandes halten könnte
briefe von u. an Herwegh 286; — denn das bisher ge-
sagte soll die gränzen der allgemeinen andeutungen
halten und sich nicht zu vielseitig ausdehnen Göthe
II 6, 215 Weim.; das ist aber das . . . charakteristische,
welche grenzen er bei der Übertragung der aufklärungs-
gedanken auf das heerwesen einhält Meinecke Boyen
1, 32.
in grenzen bleiben: dieweil die ... jahrzeiten nicht
allzeit in gleichen grentzen bleiben Sebiz feldhau
(1579) 44;
dasz unsre ganze Wissenschaft (unser wisseri)
in gar zu engen gränzen bleibe
Gottsched ged. (1751) 1, 278;
häufiger aber in dem sinne der maszvollen, gebührenden
beschränkung tcie sich in grenzen halten: ey, die liebe
ist vielerley, wolte sich Zarang rechtfertigen, man musz
in den gräntzen bleiben Ziegler asiat. Banise (1689)
603 ; das niedrigkomische, das doch immer in den grän-
zen der sittsamkeit bleiben musz Eschenburg entwurf
174 ; dasz sie (die einheit der zeit) . . innerhalb der grän-
zen bleibt, welche die kritici der dauer einer theatrali-
schen handlung setzen schlesw. litter aturbr. 153 lit. denk-
mäler; ich bleibe in meinen gränzen me measque vires
consulo Serz teutsche idiotismen 58*; dasz man eine
strenge auswahl treffe, damit ein unternehmen, welches
ohnehin weitaussehend ist, innerhalb seiner gränzen
bleibe Göthe IV 25, 181 Weim.; serenissimo bezeigen sie
. . meinen glückwunsch dasz der Unfall noch in gren-
zen geblieben IV 12, 320.
in die grenzen zurückweisen u. ä.: (es gelang ihnen)
die nachbarn in ihre alten grenzen zurückzuweisen
Ranke reform, gesch. l, 41 ; übertragen: nachdem er
durch die autorität herzoglicher commission berechtiget,
den hofgärtner Wagner in seine grenzen zurückgewiesen
Göthe IV 30, 185 Weim.; bis das masz voll war . . und
der übermuth und die Willkür wieder in ihre grenzen
zurückgeworfen . . . werden sollte Stifter 5*, 357; da
aber jener national -enthusiasmus ... in die grenzen
einer . . . würdigen selbstschätzung zurücktreten wird
Göthe 49, 57 Weim.
sich in . . . grenzen bewegen scheint ganz jung . die
individuelle auffassung der figuren, . . die er vorführt,
bewegt sich in engen grenzen Scherer litt, gesch. 109;
(eine tapfere politik) wenn sie erfolg hat und dann sich
in vernünftigen und ehrlichen grenzen bewegt Bismarck
ged. u. erinn. 2, HO volksau^g.
a) in einigen Wendungen herrscht die unter B enüoickelte
bedeutung 'schranke, ziel, ende' vor; die phrasen breiten
sich, ioie diese bedeutung, erst im 18. jh. aus.
keine grenzen kennen, haben; selten mit persönlichem
stibject: man . . schneidet, da er (ein junger, aber tüch-
tiger mann) noch keine grenzen" seiner Wirksamkeit
kennt, ihm luft und athem ab Herder 16, 274; wenn
der edelmann im gemeinen leben gar keine gränzen
kennt Göthe 22, 150 Weim.; voll entfaltet sich der die-
ser formel eigenthümliche sinn erst bei abstractem stib-
ject; meist starke affecte: sein hasz, seine wuth, sein
gerechter zorn gegen den decemvir kennen weiter keine
grenzen Lessing 6, 118; so kannte sein eifer . . keine
grenze Arnim 19, 308; nun . . bin ich . . begeistert und
mein mut kennt keine grenzen Pocci lust. komödien-
büchlein (1859) 32; den religiösen fanatismus, der . . .
keine grenzen kannte Gutzkow ges. werke lo, 206; vgl.
der Schneider erhitzt sich, lärmt. . . der Schneider kennt
keine grenzen, sein zorn wächst l, 76 ; doch auch abstracta
anderer begriffsrichtung : barmherzigkeit meines gottes,
. . dessen gnade keine grenzen kennt! Bräker sämtl.
■fchr. 1, 255;
an solchem freudentag, den du mir schenkst,
soll meine milde keine gränzen kennen
Schiller 13, 488;
erst, edler freund,
lasz mich dein alter herzen, dessen ehre
nicht maas noch gränze kennt
Shakespeare 3, 120;
IV. 1. 6.
so kennt der flor der Wissenschaft . . .
so wie dein hoher rühm auf erden, keine gränzen
Gottsched neueste ged. (1750) 15;
dies schon im 17. jh. vorklingend:
dein rühm weisz ausser dem fast nichts von gräntz' und
schrancken
Lohenstein Arminius (1689/.) 1, f 1".
keine grenzen haben ebenfalls von starken leidenschaf-
ten: meine wuth hat keine gränzen 1 theater d. Deut-
schen 18, 57; ihre raserei hat keine gränzen Göthe 41 1,
166 Weim.; mein absehen gegen dich hat keine gren-
zen Arnim 8, 443; häufiger aber in fällen wie: weil
seine (des Schöpfers) Weisheit unendlich ist und seine
macht keine gräntzen hat Ramler einl. in die schön,
wissensch. 2, 8; Anton war so voller freude über dieses
anerbieten, dasz seine dankbarkeit gar keine grenzen
hatte Moritz Anton Reiser loo neudr.; der tiefsinn und
der wiile haben keine grenzen Novalis 3, 91 Minor;
so wie der verstand, so hat die narrheit des menschen
keine gränzen Tieck scJir. 17, 235; auch dialectisch: dat
hed hgl gSn grensen Doornkaat-Koolman l, 680\
seine grenze haben; gern bilden geduld, nachsieht,
gehorsam und verwandte begriffe das subject: die milde
hat auch ihre grenzen Arnim 18, 212; der gehorsam,
zu dem der untergebene dem oberen verpflichtet
sei , habe seine grenzen Ranke sämtl. werke 40, 290;
allein es hatte dies gewährenlassen doch seine grenze
Mommsen röm. gesch. 2, 99; man schont die gereizte
empündlichkeit der kleinstaaten und ihrer kommissare,
doch hat das alles seine grenzen Moltke scJir. u. denk-
würdigk. 4, 178; das vertrag ich nicht, es hat alles 'ne
grenze, wenn sie mich provozieren wollen Hauptmann
einsame menschen (i89i) 14; gern auch von der begrenzt-
heit menschlicher kräfte : es ist natürlich , dasz die
stärkste kraft ihre gränze hat, und endlich doch . . .
erliegen musz Bahrdt geschichte s. lebens 2, 126; die
menschliche natur . . . hat ihre gränzen Göthe 19, 68
Weim. ;
und der mensch hat seine grenzen,
grenzen, über die hinaus
sich sein muth im staube windet
Grillparzer 4, 43 ;
vgl. nun so wisse, dasz auch die teufel ihre gränzen
haben Klinger werke 3, 55; fast sprichwörtlich: ausser-
dem hat jede kunst ihre grenzen Gleim briefwechsel
1, 242 Körte; geist und kunst haben ihre gränzen Göthe
45, 73 Weim.; alle menschliche kunst hat ihre gränzen
FouQUE gefühle, bilder 1, 7; auch sonst mannigfach:
allein die unmäszigste schwärmerey hat ihre grenzen
Wieland Agathon (1766/.) l, lO; um mich herum natür-
lich und auch unter mir hatte mein grundstück seine
grenzen Seidel Leberecht Hühnchen (l899) 240; anders:
Jupiter, es wird dein rühm fortan, wie meine weit,
in den gestimen seine grenze haben
Kleist 1, 310;
seltener ohne reflexives pron.:
nein, eine grenze hat tyrannenmacht
Schiller Teil 1275;
dasz das darstellen einer persönlichkeit in öffentlichen
blättern eine grenze hat, über welche der keckste Zeich-
ner nicht hinausgehen darf Freytag 15, 98; es gebe
eine grenze dafür, was ein könig von Preuszen anhören
könne Bismarck polit. reden 2, 76.
grenzen finden ist ganz jung und vielleicht deshalb
schwankend im gebrauch, ohne die feste Orientierung der
obigen formein: selbst Napoleon hatte in Spanien die
grenzen seiner macht gefunden Treitschke deutsche
gesch. 3, 152; ähnlich wie seine grenzen haben: auch
diese geduld muszte ihre grenzen finden Jahn Mozart
2, 33; dasz die Selbstverleugnung grenzen finde, über die
hinaus sie in Unnatur und Verzerrung überginge Moltke
sehr. u. denkwürdigk. i, loi ; die kaiserin Augusta, deren
temperament . . . auch in der rücksicht auf alter und
gesundheit des gemals nicht immer grenze fand Bis-
marck ged. IC. erinn. 2, 315 volksausg.; ähnlich wie keine
grenzen kennen:
mord sollte freylich nirgends freystatt finden,
und räche keine gränzen Shakespeare 3, 316;
10
147
GRENZE
GRENZEBENE — GRENZEN
148
anders: ich schien mir nicht mehr ich, meine gränzen
konnte ich nicht mehr finden B. v. Arnim Günderode
1, 27 ; völlig abweichend (grenze = Scheidelinie), aber gleich
jung: dasz zwischen dem 'weit her sein' und dem 'er-
barmenswerth sein' oft keine grenze zu finden ist Grabbe
4, 155 Blumenthal; der kaiser hatte {im streit mit den
ständen) einiges nachgegeben, andres suchte er um so
mehr festzuhalten; eine grenze war nicht gefunden
worden Ranke reform, gesch. i, 132.
grenzen erreichen: die eroberung hatte die äuszersten
grenzen erreicht. Rom erstreckte sich vom eismeer bis
zur libyschen wüste Moltke sehr. u. denkwürdigk. i,
165; und auch hier hätten die mongolischen züge noch
keine gränze erreicht, wenn nicht Raumer gesch. d.
Hohenstaufen 4, 76; Carsten stockte, als habe er die
grenze seiner erzählung erreicht Storm 5, 100; ob-
wohl ... sie gleich anfangs die grenzen ihrer leistungen
scheint erreicht zu haben Droste-Hülshoff briefe 99
Schücking.
6) an die seltenere bedeutung 'anfangsgrenze' (s. B 2)
erinnert die formal an die grenze von etwas streifen:
tiefe fast an die gränze der pedanterey streifende griind-
lichkeit Schubart ästhetik d. tonkunst 81 ; eine derb-
heit, die dicht an die gränze der grobheit streift leben
u. gesinn. i, 256; in gesteigerter höflichkeit, die freilich
an die grenzen des hohnes streifte Holtei erzähl, sehr.
5, 55; vgl. der ton dieses Instruments . . . berühret oft
die grenze des baritons Sghubart ästhetik d. tonkunst
321; ich . . . finde sie (die irreligion) an den stellen,
welche sich den gränzen der moral nähern Fr. Schle-
gel im, Athenäum, 2, 297.
D. grenze in der composition.
1) das compositionselement ist beim substantivcomposi-
tum im allgemeinen grenz-; grenzen- erscheint nicht sel-
ten, wenn das zweite compositionsglied eine verbalablei-
tung ist, also besonders bei vmrtern auf -ung {nam,ent-
lich im ts. Jh.); vgl. grenzenaufschiebung, -bestimmung,
-mischung, -Verletzung, -Vermessung, -Vermischung; doch
auch bei nomina actionis: grenzenbeschreiber, -richter,
-hüter, -Wächter, oft ist indessen nur die poetische form,
m,aszgebend, der das zweisilbige grenzen- m,eist bequemer
ist; vgl. auszer den beiden letztgenannten tcörtern noch
grenzenschütze, -vater, -wacht, aber auch in prosaischer
Sprache ist über die verbalsubstantiva hinaus bei einigen
compositis grenzen- möglich geivesen; vgl. besonders gren-
zenstein, grenzengerechtigkeit, -recht; die letzte form
notieren sogar Adelung und Heinsius, dieser auch
grenzengebirge ; vereinzelt sind grenzenlinie, -masz, ge-
legenheitshildung ist grenzengedicht. grenze- ist seltener
und dient ebenfalls oft dem versbedürfnis , vgl. grenze-
flusz, -stein (dies bei dichtem des 17. jhs. häufiger),
-scheide ; doch daneben auch in prosa bis ins 19. jh., vgl.
grenzeritt, -stadt, -städtlein, -ström. — das einzige voll
enturickelte adjectivcompositum ist grenzenlos, daneben
namentlich im 18. jh. nicht selten grenzlos, poetisch auch
grenzelos. bildungen wie grenzenfrei, -weit lehnen sich
an grenzenlos an; öfter finden sich adjectiva, die von
componierten Substantiven abgeleitet sind, vgl. grenznach-
barlich, -meisterlich, -streitig; huchdeutsch scheint gven?.-
scheidend, poetisch ist selbst die verbalableitung grenz-
pfaden gewagt worden.
2) die ungemein fruchtbare Substantivcomposition setzt
im 16. jh. in breiterem umfange ein. am frühesten er-
scheinen naheliegende bildungen wie grenzbaum, -brun-
nen, -flusz, -kreuz, -mark (= grenzzeichen), -rain, -stein,
-wasser u. ä.; auch grenzhaus, -schlosz, -stadt gehören
schon dem 16. jh. an, ebenso grenzbrief, -vertrag, selbst
künstlichere bildungen vne grenzgedächtnis , -oberster.
auch persönliche verbalsubstantiva setzen früh ein, vgl.
grenzbereiter, -beschreiber, -bewahrer, -scheider, -Ver-
wahrer, selten sind im 16. und auch im 17. jh. noch
verbalsubstantiva auf -ung, vgl. grenzackerung, -bestä-
tigung, -irrung, -scheidung, -setzung, -verschreibung, -Ver-
wahrung, erst im 18., mehr noch im 19. jh. kommen
diese bildungen zu reicher entfaltung. sie beschränken
sich im ganzen auf den ausdruck eines transitiven ver-
balverhältnisses, vgl. grenzabsteckung, -abtheilung, -an-
weisung, -ausgleichung u. s. w.; seltener anders, vgl.
grenzausdehnung, -begünstigHng,-berührung, -erstreckung,
-handlung, -irrung. in grenzabtretung , -erwerbung hat
grenze den weiteren sinn von grenzgebiet. unter den com-
positis jüngeren Ursprungs verdient eine gruppe hervor-
hebung, bei der grenze die oben unter B entwickelte be-
deutung des endes hat, vorwiegend Wörter aus dem, bezirk
der mathematik und der philosophie, vgl. grenzbeziehung,
-form, -läge, -werth, -winkel, -zahl, -Ziffer; -begriff, -be-
stimmung, -punct; grösztentheils erst dem i9. jh. ange-
hörig.
GRENZEBENE, /..- das land des obern Ganges mit
allen seinen nördlichen zuströmen bis zu den grenz-
ebenen von Delhi, Bahar Ritter erdkunde 6, HCl. —
grenzecke, /. : wir erhalten , . in der kleinen gränz-
ecke an der Leitha und dem Neusiedlersee . . . die
bunteste musterkarte der Volkselemente Riehl natur-
gesch. d. Volkes i, 361. — grenzeckstein, ?n..; Plauen
. . ist ein pfeiler, ein grenz-eckstein des landes, mit
dessen Verlust . . das land selbst gefährdet ist Alexis
falsche Woldemar 2, 470. — grenzeid, m., wird bei
der grenzfeststellung geschworen Schigkfus schles. ehren.
(1625) 3, 484. — grenzeinf all, m.; dies waren die
üblichen grenzeinfälle (der Chatten in römisches gebiet)
MoMMSEN röm. gesch. 5, 136. — grenzeisen, n.,
bestandtheil der guszform beim geschützgusz : die kern-
stange . . wird mit leinöhl . . wohl bestrichen gerade
eingesetzt, und damit sie nicht weichen kan, oben am
verlohrnen köpf durch das gräntzeisen befestiget, wel-
ches nach geschehnen gusse durch die stählerne säge
wieder abgeschnitten wird Fleming vollk. teutsche
Soldat 60; nach der prob musz man um das grentz-
eisen zusehen, ob es sich nicht aufgemachet Gruber
mathem. friedens- u. kriegs-lust 433; auch ein bestand-
theil der form beim glockengusz Prechtl technolog.
encyclop. 7, 95. — grenzemporium, n., handelsstätte
an der grenze: (die grenzsäule), von welcher in einer
entfernung, auf beiden selten, von 120 klafter erst die
grenz-emporien erbaut wurden Ritter erdkunde 3, 190;
ohne zweifei war die landschaft schon einigermaszen
bebaut . . , als das latinische grenzemporium (sc. Rom)
an der Tiber entstand Mommsen römische geschichte
1, 47.
GRENZEN, vb. limitare, finitimum esse.
die form zeigt die bei grenze beobachteten Verschieden-
heiten: in ältester gesialt greniczen, grenitzen (preusz.
seit dem 14. jh., schles., süddeutsch bis gegen ende des
16. jhs., s. u. 1, 2 b) ; daneben gräni(t)zen (bair., schwäb.,
s. u. 2 G a, 3); selten granitzen (sy haben im ain basz
eingenomen, der mit in granitzt hatt briefe u. acten-
stücke z. gesch. Maximilians 313) ; grainitzen (die Oester-
reicher grainitzen jenseits mit Ungern, und diszseits
mit Böhm und Bayrn Äg. Albertinus landstörzer [i6i6]
469) ; grintzen (herrschaften, so . . alle zu samen grintzen
ScHiCKHARDT nach FiscHER schwäb. 3, 826).
l) transitiv: begrenzen, abgrenzen; der ursprüngliche
gebrauch, der erst im 16. jh. von dem intransitiven zu-
rückgedrängt wurde; noch im 17. jh. bei den lexicographen
dominierend; bis in die jüngste zeit möglich, wenn auch
nur in poetischer spräche: lim,itare czechen oder greni-
czen Diefenbagh 3301> (hd., anfang 15. jh.) ; m^tari gre-
niczin nov. gloss. 252'' (vocab. von 1420) ; limitatus gegre-
niczt 235'» (ib.); limitare, limitibus distinguere grentzen,
unterscheiden, austeilen Bas. Faber thesaurus (i587)
452*; grentzen, unterscheiden, untermarcken terminare,
definire, determinare, circumscribere Henisch 1740; ähn-
lich Stieler 694; dagegen: angrenzen, anstossen, an-
reinen finitimum esse, confinem esse, attingere Henisch
1740, von Stieler 694 übernommen; vgl. th. 1,357; vorbaz
neme wir ouch us . . andir hüben sechse . . dy uns dy
burger von Marienwerder gegebyn und gegreniczt haben
Voigt cod. dipl. Pruss. 2, 208 (urk. von 1336); vgl. das
volck czu gancze Preusenlanden , vorgreniczt mit der
regel der erbarkeyt (Prusie populus honestatis regula
limitatxis) geometria Culmensis 13 "^ Mendthal;
149
GRENZEN
GRENZEN
150
du hast in dem umbkraysz . . .
verbrämend mit dem meer das land,
verblümend auch das meer mit des lands grünem rand
das ein und ander land gegräntzet
Weckherlin 1, 354 Fischer;
Weckherlin liebt diese Verwendung, vgl. 1,427. 2,82
und unten;
kein lorbeer gränzt
das braune haar Lessing 3, 371 ;
am heitern weinumkränzeten gestade
des Lemans, den die ros'gen gletscher gränzen
Zach. Werner 2i. febr. (1815) 8;
noch stand der abend vor dem schwarzen tor,
den letzten dämmer grenzten graue ringe
LiLiENCRON werke (1904) 11,200;
aber ganz fern . . grenzte ein goldener . . streifen den
himmel und den see E. Zahn helden des alltags (i907)
106; öfter mit dem nelensinn des einschränkens :
von ost zu west . . .
soll nichts das wehrte lob und ehr
des höchsten namens gräntzen
Weckherlin 1, 375 Fischer; vgl. 1, 350;
und in der mitte dieser herrlichkeiten,
die keine gränze gränzt, kein maasz und ziel beengt, . .
hat er die erde aufgehängt
Claudius Asmus omn. sua sec. portans 5, 39;
mit adverb:
grunzet es weit, das blutige recht {des krieges); nicht
die nothwehr
hab' es allein! Klopstock öden 2, 45 Muncker;
in älterer spräche vereinzelt mit den präpositionen mit
und an, die bei intransitivem gebrauch fest geworden
sind: die hernochgeschrebenen darfer . . in allen iren
greniczen, wy die mit andern umbgelegenen darfern
gegreniczt sein lehnsurk. u. besitzurk. Schlesiens 2, 244
(a. 1416);
Zucht und schäm war an der stiren,
darneben thet sie auch fein zieren
ein edel par göttlicher tugent . . .
verstand und messigkeit also
gegrenitzt an die andern zwo
D. Federmann sechs triumph (1578) 174;
ganz ve^-einzelt im sinne 'berührung haben mit' bei Her-
der, der das verb. überhaupt sehr eigeninllig gebraucht
{s. u. 2) : {eine kritik) mit dem so lange abgelebten spotte
über eine gewisse gattung von theologen begleitet, die
herrn Klotz wenigstens nicht gränzen werke 3, 449.
2) intransitiv ; nur selten absolut, ohne ergänzendes ob
ject, mit schwankender bedeutung : die grenzen erstrecken:
da ist kein reich, kein land . . .
so weit Europa gränzt, woselbst du nicht gewesen
König gedichte (1745) 4;
die regierung vieler köpfe taugt nichts in einem so weit-
grenzenden Staate Wieland 19, 85 Hempel; alle pro-
vinzen dieses weitgrenzenden reiches ib. 107; an der
grenze sich befinden:
wer gräntzt und ferne wohnt, wer von dem schlusz wird
hören,
wird beyder (fiirsten) macht mit ernstem schrecken ehren
Gryphius trauersp. 189 Palm;
angrenzen, übertr. hereinspielen: so gibts in jeder der
künste ein . . handwerksmäsziges: und auf der andern
Seite ein fremdes wissenschaftliches, was aber nur von
fern gränzt Herder 4, 167; sewie grenze haben:
stürmst du {meer), uns zu verderben? nein; hier gränzt ja
dein reich:
hier sprach der herr der erden, hier wellen, brechet euch 1
Dusch verm. werke (1754) Gl;
mehrfach eigenartig bei Klopstock:
jenseit ist das der höhe die gränzt (ßie grenze bildet)
Oden 2, 49 Muncker ;
ach wenn doch in der endlichkeit räum die erkenntnisse
gränzten,
diesz geheimnis zu fassen (an die möglichkeit der erfassung)
Messias (1780) 153;
in der regel verlangt das intransitive verb. zwei compo-
nenten, von denen die zweite selten durch abhängigen
casus, meist durch die präpositionen mit und an gegeben
mrd; andere präpositionen sind ganz vereinzelt: die
gegend {Tirols), welche gegen Salzburg und Kärnten
grenzet Adelung magazinf. d. deutsche spräche 2, l, 124;
betrachtungen über das elend des ganzen menschlichen
zustandes gränzen zu sehr in das gebiet des philosophi-
schen gedichts, um blos elegie zu werden Herder i, 480.
a) grenzen mit dativ, anscheinend nur in Verbindung
mit nahe : biss sie {die kriegsflamme) endlich nicht
allein gantz Teutschland ergriffen . . sondern auch be-
nachbarten königen . . so nahe gegrentzet Chemnitz
schtved. krieg (1648) i, 3; die auf eben dieser classe gantz
unten sitzen und den mittelmäszigen köpfen so nahe
als jene den groszen gränzen Hippel über die ehe (1774)
139 ; die mehrheit entschied für die letztere {preisschrift),
doch mit dem zusaz, dasz die deinige ... an innerer
vortrefflichkeit ihr so nahe gränze, dasz Schiller
briefe l, 200.
b) grenzen mit im älteren nhd. vorherrsche7id, erst im
18. jh. von grenzen an zurückgedrängt; gemäsz der be-
deutung des grundwortes {vgl. grenze, sp. 128) besonders
bei politischen gebilden : Zidon und Tyrus, welche grentzen
mit Galilea Luther 7, 343 Bindseil; im alem. des 16. jhs.
noch des erklärenden parallelausdruckes bedürftig (vgl.
grenze, sp. 126/.) : Teutschland, das mit Sicilia grenitzet
oder anstoszet Eppendorfp Plinius (1543) 8, 49; denn
Äsers stamm grentzet mit dem gebirge, und stösset an
den berg Lybanon Mathesius Sarepta (l57l) ii^; gegen
mittag aber gränzen mit Oesterreich die herzogthümer
Steyr und Kärndten Birken verm. Donau-strand (1684) 47;
denn uns're guter grenzen mit den seinen
Raupach dram. iverke ernster gattung 8, 55;
{er schritt) heimwärts auf Wolfshau zu, wo seine förster-
wohnung mit der der Menzschen stellmacherei grenzte
Fontane I 6, 13; von jeher gern mit persönlichem sub-
ject und object: Madian aber sind yhr nachpaurn und
grentzen mit yhn an dem roten mehr Luther lO, l, i,
552 Weim.; die kunst der mit den Hetruriern gränzen-
den Völker Winckelmann werke 3, 227; die Verhältnisse
bei den kleinen leuten und bauern, mit denen er {der
graf) grenzte Polenz Büttnerbauer 2, 204; mannigfach
übertragen :
seine (des parficips) sechs stück und accidentzen
mit nomine und verbo grentzen
Gilhusius grammatica (1597) 4, 6, 123;
so wie seine Wahrheiten sich zwischen philosophie und
gemeine beobachtungen stellen, so gränzt auch sein Vor-
trag mit genauigkeit und aufwand Herder l, 223; {Herder
spricht von einer uneinheitlichen liedersammlung :) ich
glaube doch nicht, dasz . . Sicilien mit Johann Sobieski
und dieser mit Peter gränzet {berührtmg hat) i, 818; ihre
Verachtung wird von denen mit ihnen gränzenden stän-
den mit Verachtung erwiedert Lenz 3, lll Tieck; die
natur, die unmittelbar mit der Schöpfung grenzte, war
so ungebildet als möglich Kant (1867 jf.) 8, 266; verstärkt
durch nahe, später dicht: wenn euer land . . nicht so
nahe mit der barbarei gränzete Fleming deutsche ged.
1, 86 Lappenberg ; dieses geschlecht der geschöpfe {die
thiere) gränzet . . nahe mit dem unsrigen Breitinger
crit. dichtk. (i740) 1, 201; eine unendliche menge stufTen
steiget . . hinauf bisz zu derjenigen, die . . mit denen
wesen von dem höhern rang, der auf die menschen
folget, am nächsten gräntzet Bodmer abhandl. v, dem
wunderbaren (l740) 9;
der mächtge reiche graf von Huth
grenzt dicht mit Thörlings hufengut
Kretschmann 2, 253.
c) grenzen an.
a) im ursprünglichen gegenständlichen sinn; am, frühe-
sten obd.; im 16. jh. sind belege noch spärlich: die Römer
sind in Teutschlandt ausz (iallia gefallen, das bisz an
Rhein grenzet Seb. Franck Germ, chron. (l538) 17»; dasz
sie {die bauern) nit allein Würtzburg, sonder alle fräncki-
sche fursten, als Bamberg . . . und alle die, so allent-
halben daran gränizen . . wurden vertreiben Baumann
quellen zur geseh. d. bauernkriegs in Oberschwaben 591;
Histria . . gräntzet auch an obgeschribne sclavonische
länder Stumpf Schivytzerchron. (1606) 7^; im königreich
Ungarn und andern an die Türekey grentzenden landen
Prätorius abentheuerl. glückstopf {1669) 35i; Naumburg
gränzet an Thüringen Stieler 694; erst im 18. jh. tritt
die Verbindung gleichberechtigt neben grenzen mit, m»«
diese im 19. jh. zu verdrängen; noch für Adelung sind
beide Wendungen gleichwerthig wo. 2, 778 ; auch bildlich :
10*
151
GRENZEN
GRENZEN
152
der Weisheit kleines reich gränzt an der thorheit land
Cronegk Schriften (1766) 2, 111 ;
eigen:
zwey ziele gränzten, wo sich der blick verlor,
dort an die laufl^ahn Klopstock öden 1,10% Muncker;
wie grenzen mit viit persönlichem subject: die an Frank-
reich gräntzen, als wie die Lothringer, kommen den
Franzosen ziemlich bey Fleming vollk. teutscJie soldat
(1726) 40; in Sachsen, an das wir grenzten Laube l, 8;
zu beachten ist, dasz der ausdruck im älteren nhd. be-
schränkt ist auf das aneinanderstoszen politischer bezirke;
erst mit der 2. hälfte des 18. jhs. stellt sich eine freiere
Verwendung ein: Karolinens gemach grenzte . . an ein
zufällig leeres Holtei erzähl, sehr. 3, 41 ; seine stallung
nämlich grenzt an die gartenmauer unseres hoteis Laube
15, 124; ein ort . . . , wo in der erde zwei an einander
grenzende spalten gewesen Schleiermagher Piaton 6,
514; ihr {der nase) oberes, an den nasentheil des Stirn-
beins grenzendes ende Sömmerring bau d. menscht, kör-
pers 5, 600; die erste mondsichel scheint einer gröszern
Scheibe anzugehören, als der an sie gränzenden dunkeln
GÖTHE II 1,7 Weim.; die ränder zeigen färben, weil licht
und schatten an denselben aneinander gränzet II 5, l;
die luft nämlich . . hat da, wo sie an die ferne gränzt,
unzählige kleine risse gewonnen {beschreibung eines ge-
mäldes) IV 37, 38; noch freier in poetischer spräche:
ihr {der tugend) tempel ist ein trauerzimmer,
es gränzt ein sarg an ihren thron
Gottsched gedickte (1751) 123;
mich selbst schlosz er in eine finstre gruft,
die, schwarz und tief, ans reich der schatten grenzte
Schiller 15, 1, 56;
hoch überm niedem erdenleben
soll sie (ßie glocke) . . schweben
und gränzen an die sternenwelt 11, 319.
ß) ins unsinnliche übertragen; erst seit der 2. hälfte
des 18. jhs.; gewisse begriffsgruppen u-erden deutlich be-
vorzugt: {Vergil wählte zu seinem epischen gedieht) einen
stoff, der an die fabelhaften zelten gräntzte Ramler
einl. in d. schön, wissensch. 2, 189; fabeln . ., die sich . .
ihrer ans epigramm grenzenden Innern art wegen er-
halten haben Herder 15, 221 ; dasz ihre prosa allzusehr
an die poesie gränzet Abbt vertn. werke 3, 110; findet
mehr ruhige betrachtung statt, so entsteht die epistel,
die durch die satyre an das epische grenzt Solger
vorles. über ästhetik (l829) 302; oder ganz abstract: es
giebt fehler, die so nah an die tugend gränzen, dasz
Gerstenberg recensionen 78 Fischer; die leiden der tu-
gend gräntzen . . an die strafen des lasters Lichten-
berg nachlasz 80; die höhlung in der mitte der aug-
braunen . . zeigt bescheidenheit und schäm an, die nah
an geheimen edlen schmerz gränzt Lavater physiogn.
fragmente l, 202;
die höchste Weisheit
gränzt hier so nahe an den höchsten wahn
Schiller 12, 207;
an des lebens schönstes glück
gränzet manches leiden
Becker müdheim. liederbuch 50;
so nahe gränzet oft die schwermuth an die freude
J. A. Schlegel verm. ged. 2, 262;
daneben mannigfach anders; der ausdruck hat mit dem
19. jh. an Vielseitigkeit der Verwendung verloren: die
würkung, die die abenddämmerung hervoi'bringt: schwer-
müthige ruhe, die an thränen gränzt Miller gedickte
(1783) anhang 443; dasz lange nachher seine (Deutsch-
lands) kriege so oft nahe an pfaffenstreitigkeiten und
bischofsvorzüge gränzten Herder 3, 469; an dieses ge-
schlecht (das katzengeschlecht) gränzt unter den raub-
thieren . . . der fuchs Göthe 37, 350 Weim.; einen . . .
stein, der an marmor gränzt IV 4, 145; charakteristische
(tanze) grenzen an eine objektive kunst I 47, 304; dein
leben macht eine plötzliche pause, die zunächst an das
nichtsein gränzt Schiller 2, 183; damit das ewige un-
endliche herz die kleinen an asche gränzenden nehme
und heile und wärme Jean Paul 7/l0, 115 Hempel; dasz
ein weih, das an die fünfzig grenzet, für die liebe zu
reif ist Ayrenhoff 3, 232; in ihrer einfalt und mannig-
faltigkeit . . grenzt sie (die bestimmung des landmannes)
zunächst an die sage von dem paradiese Stifter sämtl.
tverke 3, 216; aber alles, was an getreibe grenzt, macht
ihn durchaus confus und unglücklich Droste- Hüls-
hoff briefe an L. Schücking 293 ; bisweilen im, sinne 'er-
reichen, heranlangen':
sprich, dasz auf diesem groszen rund der weit
kein elend an das meine gränze Schiller 5, 26;
dies scheint . . . der zauber zu seyn, der uns bei ihm
in der heitern Stimmung erhält, welche fast an die
grenzt, die uns . . Cervantes bereitet Solger nachgel.
Schriften u. briefw. 1, 101 ; mit persönlichem subject oder
object:
dein platz ist nicht gering; er ist voll mängel,
und gränzt ans thier, doch gränzt er auch an engel
Zachariae poet. sehr. 5, 189;
ein mann, der gegen die götter streitet, grenzt an Wahn-
sinn Herder 23, 361; ihr mann ein guter Schauspieler,
an das chevalierfach grenzend Göthe III 2, 51 Weim.;
wie soll ich euch genug mit ehr' und lieb' umfassen,
die ihr . . durch blut und stand an jene beiden gränzt,
die ich von eitern her verehre I 39, 357;
und meiner mutter stamm gränzt an den thron
Zach. Werner söhne d. thales (1803) 1, 248;
damit aber meine leser ja nicht . . an den gedanken
gränzen, als ob mein vater auch nur stillschweigend
eine Unwahrheit verübt Hippel lebensläufe 1, 56.
y) klar vom vorigen unterschieden ist ein gebrauch,
der die annäherung eines zustandes an sein extrem be
zeichnet: zu einer an die mathematische evidenz grän-
zenden gewiszheit ist wenig zu bringen Hippel kreuz-
u. querzüge l, 329; die bis an gänzliche Unmöglichkeit
gränzende Schwierigkeit den chor . . so sehr von den
schauspielern zu trennen W. v. Humboldt aufsätze üb.
d. Mass, alterthum 87 Leitzmann; hatte das tabernakel
. . seine fast an kahlheit grenzende Schlichtheit einge-
büszt Fontane I 6, 205; vgl. bei allen arten (des läppen-
tauchers) ist die färbung . . ein . . an schwarz grenzen-
des braun Naumann naturgesch. d. vögel 9, 671; der ge-
brauch entwickelt sich in der 2. hälfte des 18. jhs. und
gewinnt im, 19. weite ausdehnung; hauptsächlich, wo das
maszlose, übertriebene eines geistigen zustandes, einer
eigenschaft, besonders eines affects bezeichnet werden soll:
mein gefühl für sie gränzt nun an Wahnsinn Klinger
werke i, 33; dasz einige freunde sich jetzt auf eine art
betragen die nah an den Wahnsinn gränzt Göthe IV
10, 174 Weim.; gern participial: an Wahnsinn grenzende
vermessenheit Lichtenberg verm. Schriften 4, 26; fast
an blödsinn grenzende geistige beschränktheit Steffens
was ich erlebte 2, 38; an geisteskrankheit grenzende Un-
fähigkeit BiSMARCK gedank. u. erinn. 2, 281 volksausg.;
exaltation die an narrheit grenzt B. v. Arnim frühlings-
kranz (1844) 27; in einer sorge, die ganz nahe an Ver-
zweiflung gränzt Göthe IV 19, I66 Weim.; sein vertrauen
auf gott gränzte dicht an den Wunderglauben Schubart
lebe7i u. gesinnungen 2, 67; freilich grenzte seine frei-
gebigkeit nah an Verschwendung Meiszner Alcibiades
1, 215; eine an geiz grenzende Sparsamkeit Spielhagen
1, 29; hierher auch: das gränzt an's wunder Göthe 45,
69 Weim.; könnte, dürfte man zweifeln . ., so wäre es
hier, denn die sache gränzt an's wunder Tiegk Schrif-
ten 19, 119; vgl. hierzu unten d".
S) gern regiert an das substantivierte neutr. eines ad-
jectivs; die Wendungen fallen m^ist in die unter y ge-
kennzeichnete richtung: ein bild, das . . bei natürlichen,
selbst an's rohe gränzenden gegenständen . . die anfange
der Sittlichkeit zur spräche bringt Göthe 49,317 Weim.;
seine bescheidenheit war so grosz, dasz sie in der stimme
sogar an das klägliche grenzte Lichtenberg verm. sehr.
1, 203; die zahl der sterne häuft sich mit jedem neuen
blick . . und gränzt . . an das unendliche F. Th. v. Schu-
bert verm. Schriften 1,5; mit einer arroganz, die —
manchmal an das edle zu gränzen scheint Iffland
theatral. werke 3, 156; doch auch anders: sein kirchen-
styl gränzt sehr ans erhabene Sghubart ästhetik d. ton-
kunst 209; ehe ich mich versehe, bauz! ein ausdruck,
der, möchte man sagen, beinahe an's poetische gränzt
Tieck Schriften 10, 320; die ganze art dieses liebes-
verhältnisses gränzt übrigens fast an das possierliche
153
GRENZENFREI, GRENZENLOS
GRENZENLOS
154
PÜCKLER hriefw. u. tageb. 4, 135; sehr ausgebreitet in
Wendungen ivie: ein bis ans wunderbare gränzendes
sammlerglück Göthe 46, il Weim.; ein Wahnsinn, der
an das unglaubliche gränzt W. v, Humboldt ges. sehr.
i, 192; es gränzt an das unglaubliche, und doch war es
so Häusser deutsche geschichte 2, e02; das Unglück, das
die glasperlen verfolgte, grenzte ans märchenhafte Eb-
NER-EsciiENBACH 4, 315; umgekehrt: und dem groszen
magnaten und gastwirt blieb nichts anders übrig, als
das unerhörte abermals so begreiflich zu finden, dasz
es ans triviale grenzte Keller 4, 209; vgl. oben y schlusz.
e) nicht ganz selten steht im 17. 18. jh. der dativ nach
an ; wohl einwirkung von grenzen mit : Augspurg gräntzet
am Bayriand Henisch 1740; (schauspiele) die an der natur
eines divertissement gränzen schlestv. litteraturbr. 159
lit.-denkm.;
du gränzest an den finstemissen
Tinlieilbarer melancholei
Götter gedickte 1, 223;
beyde . . saszen an einem kleinen tisch, der an unserer
tafel gränzte Hippel lebensläufe 4, 537.
d) die bei intrans. gebrauch nothwendige doppelheit der
vom verbum bestim,mten begriffe kann auch durch plu-
ralisches oder mehrgliedriges subject gegeben sein; eine
junge und verhältnismäszig seltene ausdrzicksweise, die
aber doch wohl selbständig, nicht durch ellipse von an-
einander 0. ä. zu erklären ist: unsere Wohnungen gränz-
ten so, dasz wir uns alle tage am gartengeländer sehen
muszten Bahrdt gesch. s. lebens 2, 177; sie sind nun
schon drei jähre witwe; unsere guter grenzen Raupagh
dram. werke kam. gattung 1, 149; ihr vater und wir grenz-
ten mit der flur Freytag 13, 26; überhaupt grenzen
nach jener fabel des Sokrates schmerz und wohllust
Herder 5, 9; so grenzen bestimmung und unbestim-
mung, gewiszheit und ungewiszheit Hippel 10,225; vgl.
dort ist's, wo unsre landmark und die eure
zusammengrenzen Schiller Teil 730.
3) reßexiv; selten und verschiedenartig gebraucht, wo
gewöhnlich das intransitivum steht: wie weit sich das
Bairnland vor zelten gestreckt und gegränitzt hat Aven-
TiN 1, 124, 11; Medien das königreich, so . . von westen
sich mit gros Armenien und Assyrien gränizt, von süden
mit Persien 4, 353, 13;
bis wo sich erd' und himmel grenzet
Kretschmann 6, 247;
0 wie schön
sich seyn und nichtseyn grenzen
Herder 25, 389.
GRENZENFREI, adj.:
du gehst, stolz auf die gesellschaft
rings um dich glänzender götterweiten, im hellen gesiebte
einer unendlichen zukunft mit taumelnden lustvollen
blicken
grenzenfrey schweifend Wieland 2,23 akad. ausg.;
unter einflusz von grenzenlos stehende bildung.
GRENZENLOS, adj., seltener grenzlos (s. u. 3); in der
1. hälfte des 18. jhs. aufgekommen.
l) zunächst in wörtlichem verstände: keine grenzen
habend, unbegrenzt, unendlich, grenzenlos vermischt sich
im 18. jh. im gebrauche weithin mit unbegrenzt {s. d.),
während die jüngere spräche differenciert und für die in
rede stehende Verwendung unbegrenzt hier und da hat
vorrücken lassen.
a) bei räumlicher ausdehnung jeder art: dieser unend-
liche geist ist demnach in allen theilen des gränzen-
losen raumes wesentlich zugegen Gottsched neueste
aus d. anmuth. gelehrsamk. 3, 591;
sein blick durchspäht bald gränzenlose Sphären
Löwen Schriften (1765) 1, 101 ;
{die astronomischen entdeckungen) wandelten die erde . .
in einen der kleinsten theile des grenzenlosen Weltalls
um LoTZE mikrokosmus 1, xi; auch vom Zeitraum:
die lange gränzenlose zeit enthüllt
was dunkel, und verbirgt, was strahlend ist
grafen Stolberg 14, 203;
grenzenlose ewigkeit Lenz ged. 178 Weinhold; in solche
gränzenlose weiten wollen wir uns nicht verlieren Göthe
25, 180 Weim.;
schaut in die gränzenlose ferne!
J. Ä. Schlegel verm. gedickte 1, 2;
wie in unendlichen und gränzenlosen höhen
der himmel lüfte sich in tausend wirbeln drehen
Schwabe belustigungen 4, 335;
nun des entbundnen geistes schwingen
durch dreyer himmel gräntzen-lose kreyse dringen
PiETscH geb. Schriften (1740) 248;
der plötzliche anblick des freien grenzenlosen himmels
EiGHENDORFF 2, 14; der wind verwehte seine Worte in
die grenzenlose luft 2, 210; siehst du den grenzenlosen
äther Wieland Lucian (1788) 2, 408; das grund- und
grenzenlose meer der ewgen liebe Brogkes ird. ver-
gnügen 8,8; den gränzenlosen ocean A. W. Schlegel
9, 17 ; Kublai Chan, der . . gränzenlose landstrecken be-
herrschte Göthe 7, 185 Weim.; grenzenlose schneegefilde
Kotzebu e sämtl. dram. werke i, iq7 ; die sonne, die die-
ses gränzenlose reich {Persien) erhellet Sammlung von
Schauspielen {Wien 1764 jf.) 6, Xerxes l; gern übertragen:
du hast, o Gesnerl in der brüst
ein gränzen-loses reich von lust
Hallbr ged. 113 Hirzel;
soll gleich den freien geist, den der erhabne flug
ins grenzenlose reich der möglichkeiten trug,
die gegenwart mit strengen fesseln binden
Schiller 11, 13;
der ersatz des adj. durch unbegrenzt in dem Schlagwort
land der unbegrenzten möglichkeiten {th. 11 3, 286) illu-
striert die Verschiebung im gebrauch dieser anfänglich
ganz synonymen Wörter; vgl. wenn jener die ganze
grenzenlose weit des möglichen zu freyem gebrauch vor
sich ausgebreitet sieht Wieland Agathon (1766/.) l, 196;
der ältesten zeit, wo . . die weide grenzenlos war, lag
{als tauschmittel) nichts so nahe wie das heerdenvieh
MoMMSEN reden u. aufsätze 247; physicalisch gesprochen:
sie {die materie) sey dicht oder locker; dunkel oder hell
. . .; klein oder gränzenlos briefe d. neueste litter. be-
treffend 18, 163; vgl. das mathematische unendliche . . .
sei eine grösze, deren grenzen . . immer weiter . . hin-
ausgesetzt werden können, ohne jemals ganz aufgehoben
zu werden und eine grenzenlose grösze zurückzulassen
Mendelssohn l, 2i6.
b) mannigfach übertragen : gebildet ist ein werk, wenn
es überall scharf begränzt, innerhalb der gränzen aber
gränzenlos ... ist Fr. Schlegel Athenäum l^, 81; die
grenzenlose Wiederholbarkeit und erhöhung der zahlen
Humboldt kosmos s, 12;
wie soll ich hier als nur gezwungen schweigen,
wo grenzenloser stoff die rede nährt
Göthe 16, 279 Weim. ;
das fast gränzenlose fach der thierzergliederungskunde
SöMMERRiNG bau d. menschl. körpers 2, xxiii; wer hätte
es nicht erfahren, dasz eine grenzenlose ausbreitung
seiner empfindungen diese nur schwäche Herder 13,
339; ausschweif ungen, die er sich gränzenlos erlaubte
Schubart leben ti. gesinnu7igen i, 176; eine solche grän-
zenlose freiheit genosz sie {die komödie) zu Athen Fr.
Schlegel pros. jugendschr. l, 13 Minor; philosophen,
welche von der grenzenlosen capacität und Unersätt-
lichkeit ihrer {der seele) begierden so viel schönes zu
sagen wissen Wieland Agathon (1766/.) l, 387; aller-
dings ist Faust ein mensch, der seine kraft für grenzen-
los hält, weil sie grosz ist Hebbel I 9, 19; jene gren-
zenlosen Projekte, durch die er {Carl V.) Europa in be-
wegung gesetzt Zimmermann über d. einsamkeit l, 64;
dasz es damals für unsere grenzenlosen wünsche noch
grenzenlose hoffnungen gab Jean Paul 3, 82 Hempel;
o könnt' er {Cäsar) leben! all den kühnen gränzenlosen
geist und nicht seih . . herz hingeben! Herder 28, 55;
auch von gott:
(gott) beginnt, begrenzt, beschränkt sich selber,
gränzenlos zwar, und beginn- und endlos 16, 435 ;
die weit . . ist gegen den . . gränzenlosen schöpfer ein
. , Sandkorn allg. deutsche bibl. 28, 17; eigen: noch eine
gränzenlosere einsamkeit als die meine war Thümmel
reise 4, 127; wohl zu verbinden mit beispielen vne gren-
zenlose einöde Ritter erdkunde 2, 69i; grenzenlose leere
MöRiKE 3, 64 Göschen; das Venusbild . . . sah ihn fast
schreckhaft mit den steinernen augenhöhlen aus der
155
GRENZENLOS
GRENZENLOS
156
grenzenlosen stille an Eichendorff 3, 120; die schlage
eines heiles, die in der grenzenlosen stille nach der
Stadt hinüber schollen Storm (1899) 5,207; die nacht
hat etwas zauberisches . ., so etwas grenzenloses, inni-
ges, seliges Heinse 5, 5; über die . . schimmernde erde
legte sich die grenzenlose nacht eines tiefern himmel-
blaues herüber Jean Paul 5, 59 Hempel.
c) GÖTHE hat eine ausgesprochene Vorliebe für das wort
und gebraucht es vielfach ganz ungewöhnlich: du würdest
dich verwundern, die gränzenlosen fascikel zu sehen,
die immerfort geheftet werden IV 33, 239 Weim. ; die hü-
gel . . zu einem grenzenlosen hopfenbaue benutzt III 8,
283; das grenzenlose Spazierengehen 141^, 163; gränzen-
lose mordthaten waren im September (1792 in Frank-
reich) geschehen 33, 79;
da bleibt kein rath als gränzenlose thränen 3, 25;
die natur füllt mit ihrer gränzenlosen productivität alle
räume sehr. d. Oöthegesellsch. 21, 259; ob ich gleich über-
zeugt bin, dasz ich die farbenlehre wohl gegründet, so
ist doch das aufbauen und nutzbarmachen gränzenlos
IV 36, 74; verzeihen sie mir dasz ich nicht mehr sage,
da ich unmittelbar ein gränzenloses detail vor mir sehe
IV 42, 160 ; dasz die entschiedene Übereinstimmung der
machthaber die gränzenlose majorität der öffentlichen
meynung wenigstens für dieszmal überwand IV 36, 61 ;
selbst in der elementaren anwendung auf den räum bei
ihm bisweilen eigenartig: die wir breite und gränzenlose
straszen . . zu erblicken gewohnt sind I 49, 170;
dergleichen hängt in sälen reih an reihe fort,
in sälen, gränzenlosen, wie die weit so weit
Faust II 9043 ;
gerade in dieser dichtung mehrfach: 6240. 6412. 10306; vgl.
ferner I 4, 286. 6, 35. 38, 105; II l, 295. 6, 97; IV 25, 275. 28,
82. 29, 205.
d) das substantivierte neutr. gern poetisch:
der adler strebt hinan ins grenzenlose
MöRiKE 1, 140 Göschen
ich sehe des meeres tosen,
drüben im grenzenlosen
durchbricht den nebel ein schiff
Hebbel 6, 271;
übertragen :
im gränzenlosen sich zu finden
wird gern der einzelne verschwinden
GÖTHE 3, 81 Weim. ;
aber laszt die Wirklichkeit zurücke,
reiszt euch losz vom augenblicke,
und kein grenzenloses schreckt euch mehr
Schiller 11, 59;
dann aber wird die seele selig schweben
im grenzenlosen über räum und zeit
Freiligrath 4, 177;
in Wendungen wie ins grenzenlose gehen, streben auch
prosaischer spräche gemäsz: 'man musz den schönen
trauen nicht gar zu viel angewöhnen', sagte Goethe,
'denn sie gehen leicht ins grenzenlose' Göthes gespräche
6, 15 Biedermann; der mann strebt seiner natur nach
in's allgemeine und grenzenlose Spielhagen 2, 316; den
dichter vor dem schweifen ins grenzenlose behüten
Scherer litt.-gesch. 427; zu der jüngeren bedeutungs-
richtung neigen: in auszerordentlichen krisen steigerte
dieser druck {militärischer requisitionen) sich . . oft ins
grenzenlose Mommsen röm. gesch. 2, 385; die ... nähe
des kriegsschauplatzes steigerte . . die furcht ins gren-
zenlose reden u. aufsätze 338; auch in der umgangs-
spraclie: die frechheit geht einfach ins grenzenlose
Hauptmann weber (1892) 78.
2) jünger ist die bedeutung: alle grenzen überschrei-
tend, maszlos; rein quantitierend , mit starkem emphati-
schen gehalt, deshalb lieber attributiv als prädicativ;
diese heute vorherrschende bedeutung hat sich erst ende
des 18. jhs. voll entfaltet; hier hat unbegrenzt weichen
müssen.
a) mit Vorliebe von menschlichen leidenschaften und
empfindungen: eine gränzenlose leidenschaft für äusseres
ansehn Göthe 40,234 Weim.; grenzenlose begierden nach
reichtümern Wieland Agathon (i766/.) 2, 86; grenzen-
lose herrschsucht Eichhorn deutsche Staats- u. rechts-
gesch. 2, 55; ich kenn' . . . deinen grenzenlosen ehrgeiz
Meissner Alcibiades l, 87; gränzenloser stolz Bahrdt
gesch. s. lebens 2, 170; die grenzenloseste eitelkeit For-
ster 6, 65; ein gränzenloser geiz M. J. Schmidt gesch.
d. Deutschen 4, 81; zuletzt war mein absehen darüber
gränzenlos Haller restaurat. d. staatsivissensch. 1 , 69 ;
ein gränzenloser hasz gegen Kotzebue Göthe IV 29, 29
Weim.; die grenzenloseste erbitterung unter dem man-
tel der demuth versteckend Mommsen röm. gesch. 2, 27;
liebenswürdig war es von diesem grenzenlosen leicht-
sinn, dasz er Gutzkow ges. werke 4, 288; mit der ihm
eigenen grenzenlosen Willkür Welcker alte denkm. 1,59;
des meisters erstarrung , . war um so grenzenloser Raabe
hungerpastor (is&i) 1,131; nach gränzenloser angst Göthe
24, 830 Weim.; der kardinal (sei) in gränzenlose furcht
gerathen Raumer gesch. d. Hohenstaufen 4, 373; grän-
zenloser schmerz theater d. Deutschen (1768 jf.) 18, 292;
ihre Sehnsucht, ihre wehmut überströmten sie grenzen-
los A. V. Arnim i, 172; der gränzenlose kummer Schil-
ler 2, 169;
sie schien in starrer ruh'
am grenzenlosen jammer sich zu weiden
Chamisso 4, 136.
wie bei schmerz u. ä. besonders gern bei freude, liebe,
vertrauen: mit gränzenloser freude Meissner skizzen
2, 167; die bethörte seele flatterte in grenzenloser wonne
umher Wieland 3, 76 akad. ausg.; gränzenlose lust Kind
ged. 5, 30; sein entzücken war grenzenlos Immermann
6, 101 Hempel; von den wünschen ihrer grenzenlosen
liebe getäuscht Wieland Agathon (i766/.) i, 219; gren-
zenlose, treue Zärtlichkeit Knigge Umgang m. menschen
2, 112; der gegenständ einer gar so demutsvollen und
grenzenlosen weiblichen hingebung Keller 4, 57; die
maasz- und gränzenlose Schwärmerei für Byron Hebbel
I 12, 178;
doch fassen geister, würdig tief zu schauen,
zum gränzenlosen gränzenlos vertrauen
Faust II 6118;
ein mann, auf den ich ein grenzenloses zutrauen setzte
H.L.Wagner theaterstücke (l779) 22; briefschlusz : ich er-
sterbe mit gränzenloser ehrfurcht Schubart briefe 2,
128; der kammerherr . . stammelte etwas von seinem
gränzenlosen respekt Alexis ruhe ist die erste bürger-
pflicht (1852) 1, 336; frau von Bcrkows gute, die grenzen-
los ist Spielhagen 1,123; ihre gute, sir, und ihre freund-
schaft waren immer gränzenlos für mich Klinger werke
1, 249; laut und gränzenlos war die dankbarkeit des ge-
retteten NiEBUHR röm. gesch. 2, 319; ich musz mich auf
gottes gränzenloses erbarmen . . . verlassen Lavater
verm. sehr. 2, 88; ich empfand ein grenzenloses mitleid
mit Anna Keller l, 419. sehr viel seltener von mensch-
lichen eigenschaften : den rühm . . . einer grenzenlosen
redlichkeit Heinse 3, 287 Schüddekopf- grenzenlose rüh-
rigkeit Mommsen röm. gesch. '^s, 18; man setze in einem
gemüth . . die reizbarkeit der seele so gränzenlos, dasz
Fr. Schlegel 4, 125 ; wiewohl eben seine grenzenlose
gravität ihm beinahe noch ein komischeres ansehen
gab E. Th. A. Hoffmann 11, 1O8; häufig nur in fällen
wie: beobachtung der menschen und ihrer grenzenlosen
thorheit S. v. Laroche /W. v. Stemheim (i77i) vorr. viii;
in ihrer grenzenlosen Unwissenheit Droste-Hülshoff
br. an Levin Schücking 194; vgl. erst sagen sie den
damen so gränzenlose sottisen Meisl theatral. quod-
libet 2, 155; den grenzenlosen unsinn R. Wagner 9, 184.
b) auch von zuständen, und zwar bevorzugt das adj.
hier sehr stark substantiva einer ganz bestimmten, nega-
tiven bedeutungsrichtung: das innere gränzenlose Unglück
einer stadt Göthe 33, 294 Weim.;
gott! so gränzenlose noth
verhängst du über uns I 9, 445 ;
die kurfürsten, von der gränzenlosen noth des Vater-
landes gerührt Hebbel I 9, 196; ohne Emma lag ein
grenzenloses elend vor ihm Tieck Schriften 8, 342; mein
leichtsinn hatte mich in eine grenzenlose Verlegenheit
gestürzt Bauernfeld 4, 28; eine grenzenlose Verwirrung
Varnhagen V. Ense tagebücher 6, 242; dies sehr häufig;
unsere ekeln sitten zeugen oft nur von ihrem grenzen-
losen verderben Forster 3, 300; eine grenzenlose ver-
157
GRENZENLOS
Wüstung Fontane Ii, 28i; die gränzenloseste Vernach-
lässigung der spräche deutsches museum hg. von Schle-
gel 2, 266; die grenzenlose nichtigkeit der oligarchen
MoMMSEN röm. gesell. 2, 374; die grenzenlosen betrüge-
reien, die überall verübt wurden Kerner bilderbuch
(1849) 61; bei andersartigen Substantiven selten, auszer
macht, gewalt u. ä.: jene überaus grosze . . . , ja fast
gränzenlose macht der päbste M. J. Schmidt gesch. d.
Deutschen 2 , 471 ; (die fürsten) glaubten durch diesen
kunstgriff sich einer gränzenlosen gewalt zu versichern
Schiller 4, 90; die Vorrechte der jesuwiderischen zwing-
schaft waren . . unzählig, grenzenlos und glanzvoll Jahn
2, 550 Euler; den gränzenlosen aufwand H. Meyer gesch.
d. bild. künste 8, 195 ; eine grenzenlose fülle von Schön-
heit Grimm Michelangelo l, 417; auszerdem hat er (Mo-
zart) ... in vielen . . , privathäusern mit dem grenzen-
losesten beifall gespielt Jahn Mozart 4, 470.
S) das adverbium bei alteren noch im prägnanten, ur-
sprünglichen sinne: ich begreife nämlich kaum, wie ihr
(in Berlin) . . so viel genieszend, euch gränzenlos zer-
streuend, doch . . auch wieder für's leben sorgen könnt
GöTHE IV 34, 129; so dasz die allgemeine . . Sicherheit
gränzenlos steigt Jung-Stilling 3, 438 Grollmann; ihrer
(der Phantasie) grenzenlos spielenden willkühr Voss anü-
symb. 2, 240; wo das adv. zum reinen steigerungsxcort
tvird, entsprechen die verba den Substantiven unter 2 a:
nur hat sie . . . in der Schwangerschaft gränzenlos ge-
litten GÖTHE IV 33, 240 Weim. ; SO werden sie mich ver-
muthlich gränzenlos verachten Pückler briefw. u. tageb.
1, 284;
sag, athmet unter erdensöhnen einer,
der feurig liebt und gränzenlos wie ich
Schiller 1, 278;
ich bin grenzenlos verliebt Bäuerle hom. theater l, 28;
wenn er (der Schauspieler) sich der läge grenzenlos hin-
gab Stifter 6^, 161;
diesz ist Antonio,
dem ich so gränzenlos verpflichtet bin
Shakespeare 4, 141 ;
ähnlich neben dem adj. ; auch hier ist das adv. in älterer
zeit selbständiger und sinnhaltiger :
ich seh', ich sehe meine schmerzen,
gränzenlos dunkel, vor mir verbreitet
Klopstock öden 1, 74 Muncker;
beschaut man die krystallographie, stöchiometrische und
elektrische Chemie, so findet man diese in einander grei-
fenden regionen gränzenlos unübersehbar Göthe IV 40,
265; bey der gränzenlos reichen bewegung des elements,
worin du schwebst (der Berliner luft) IV 35, 146 ; später
rein steigernd: grenzenlos unglücklich Schiller 14, 898;
er war grenzenlos leidenschaftlich Büchner nachgelass.
sehr. 263; wenn wir nur nicht so grenzenlos eigensinnig
wären Smidt mittheil, aus d. tagebuche eines nord. See-
mannes 6; grenzenlos beharrlich R.Wagner 1,99; das
war unserm freunde Leonhard grenzenlos gleichgültig
Raabe Abu Telfan 3, 31 ; es wäre grenzenlos interessant
Du Bois-Reymond grenzen d. naturerkennens (1873) 27.
4) die form grenzlos ist im, 18. jh. ziemlich häufig; sie
beschränkt sich tcesentlich auf die ursprüngliche bedeu-
tung 'ohne grenzen', in anwendung auf räum und zeit;
hauptsächlich in poetischer spräche:
{gott) der millionen von sonnen
in den grenzlosen räum, als stralende funken, geschüttet
Zachariae poet. sehr. 4, 17 ;
von der grenzlosen weit Wieland 2, 187 akad. ausg.;
sein hier, sein dort ist grenzlos, ungestadet
Brentano 6, 352;
itzt . . wollen wir diesem gränzlosen meere
einige tropfen entschöpfen Klopstock ifessias (1780) 265;
grenzloser ocean öden 2, 12 Muncker;
so gränzlos, wie das meer, ist meine neigung
Göthe 9,198 Weim.;
in die gränzlose weite Bodmer Noah (1752) 380;
finsternisz und öde
schlössen ihn grenzlos ein
Kretschmann 2, 59;
nie miszt der sichre mensch nach spannen seine zeit;
fast immer nach dem maasz grenzloser ewigkeit
LÖWEN Schriften (1765) 1, 37;
GRENZENLOSIGKEIT, GRENZER 158
wer der Olimpischen überschaut grenzlos wol die zukunft!
Sonnenberg Donatoa 1, 100;
doch auch in prosa: in dem groszen beynah gränzlbsen
bezirke der Wissenschaften Klopstock gelehrtenrepubl.
436; im weiten himmel und der gränzlosen erde La-
vater physiogn. fragm. 1,245; es ist die grenzlose, d. 1.
ungemessene zeit Herder 24,517; auch im späteren 19. jh.
durchaus noch im, urspr. sinne, nicht rein steigernd 'inasz-
los': es ist . . so zu sagen eine grenzlose grenze Vischer
ästhetik l, 222;
drauszen in den grenzlos weiten
feldern war kein platz zum streiten
Rückert (1867 #.) 3,98;
nur selten und unsicher in dem jüngeren quantitierenden
gebrauch nachzuweisen:
gränzlose lebenspein
fast, fast erdrückt sie mich
Göthe 3,295 Weim.;
wie gränzlos ist mein glück!
Ayrenhoff 1, 173;
deutlich: welcher grausame spaszvogel hat sie denn . .
veranlaszt, sich so grenzlos zu blamiren? Lassalle
ausgetc. reden u. Schriften 2, 894. ganz vereinzelt grenze-
los:
und leuchte künftig . . .
gleich dieses erdballs sonne, bey lausenden
des gränzelosen blauen äthers
Ramler lyr. ged. (1772) 158.
— grenzenlosigkeit, /., im 18. jh. noch selten, ent-
spricht m,eist der bedeutung 1 des adj., sowohl in eigent-
lichem,, wie in übertragenem gebrauch: (meer, himmel, ab-
grund sind erhaben) nicht durch die gäbe der sinne,
sondern der phantasie, die sich an die optischen gren-
zen, an jene scheinbare grenzenlosigkeit hinstellet, um
in eine wahre hinüberzuschauen Jean Paul 3, 174 Hem-
pel; wo . . das meer in glänzender grenzenlosigkeit liegt
Warsberg odysseische landschaften l, 192; an das abso-
lut grosze in uns selbst kann die natur in ihrer ganzen
grenzenlosigkeit nicht reichen Schiller 10, 219; eine
gewaltige ahndung der schöpferischen Willkür, der gren-
zenlosigkeit, der unendlichen mannichfaltigkeit . . . der
Innern menschheit Novalis 2, 38 Minor; weil seine Ver-
schwendung nur mit der gränzenlosigkeit seiner Wol-
lüste im Verhältnisse stand J. v. Müller l, 305; die
grenzenlosigkeit unserer kräfte Forster 9, 113; nur sel-
ten als 'muszlosigkeit' , analog der bedeutung 2 des adj.:
menschen, . . die . . für alles menschliche, für lachen,
weinen, essen . . eine zeit hatten, und die blos die rohe
grenzenlosigkeit flohen J. Paul l5/i8, 107 Hempel; wo
der elem,entare sinn, das mangeln der grenze, scharf her-
auskom,men soll, gelegentlich grenzlosigkeit: die Leipziger
gegend engt also ein, weil die grenze, oder vielmehr
die grenzlosigkeit, nichts der phantasie übrig läszt
20/23, 382 ; doch vgl. über die letzten fragen aber, anfang
und ende, grenze oder grenzenlosigkeit, . . kann . . nur
die Philosophie , . auskunft ertheilen D. Fr. Strausz
6, 142. — grenzenweit, adj.: jener gränzen weite blick,
der vom himmel zur erde die Schöpfung umfaszt W. Fr.
Meyer Bya Na Sore l, 45.
GRENZER, m. i) grenzsoldat: gränitzer milites limi-
tanei, knechte so auf die grentzstädte zum schütz ge-
stellet werden Corvinus fons latinitatis (1646) 481 ; bei
Apinus specialisiert: limitanei milites Hungariae gloss.
nov. (1728) 252; in einem gefecht gegen türkische gren-
zer Gutzkow zauberer v. Rom (1858/".) 4, 30; für die
kriege . . stellten die grenzer (in Österreich) . . infanterie-
regimenter auf Alten hdb. f. heer u. flotte 3, 142; be-
sonders in der function als zollwächter : ich . . . weisz,
dasz euch allen der pascher und Wilddieb von kindheit
an im leibe steckt. . . . wenn ihr einen grenzer oder
förster über den häufen schieszt, dann ist es nicht
mord Fontane I 6, 10. 2) die näher liegende bedeutung
'der angrenzende' ist nur spärlich nachzuiveisen : grenzer
confinis, conterminus, finitimus, vicinus Stieler 694;
im bair. eingebürgert: gränizer der angrenzer, grenznach-
bar; der an einer grenze wohnt Schmeller 1, 999 (da-
gegen kärntnisch gränazar, grönzar grenzivächter Lexer
121; wienerisch grenitzer gränzsoldat Loritzaö4); sonst
159 GRENZERLEBEN - GRENZFESTE
GRENZFESTUNG — GRENZFÖRSTER 160
nur vereinzelt als gelegenheitswort : Galilea aber heyst
eyn grentze, da die land enden . . . also sind das alle
Gallilei grentzer, die nit williglich gottis gepot halten
Luther 8, 393 Weim.; darunter {unter den feinden der
Bömer) . . die Markomannen, d. i. marker oder gränzer
nach dem wortsinne deutsches museum hg. v. Fr. Schle-
gel 4, 337. 3) alem. granitzer, gewöhnlich granitzier, auch
gränitzler Schmuggler; mit kleinwaaren, nippsachen hau-
sierender krämer Staub-Tobler 2, 745. vereinzelte neben-
form grenzner:
der grenzner wacht,
den schlagbaum läszt er fallen
RüCKERT (1867 #.) 1, 134.
dazu composita wie grenzerleben, n.: am laster-
haften hofe von Byzanz, in dem grenzerleben an der
Donau bildete sich die unübertreffliche klugheit {Theo-
dorichs) Freytag 17, 128. — grenzersitz, m.: die
colonieen der Friesen, Holländer und Westfalen lagerten
sich ihren {der Slaven) grenzersitzen wie neue bollwerke
vor NiTzscH deutsche Studien 214:. — grenzerweit,/.:
Arnim . . lernte bald , . , dasz er das launische . . Polen-
thum minder richtig beurtheilt hatte als sein in dieser
grenzerweit aufgewachsener Vorgänger Treitsghke deut-
sche gesch. 5, 150. — grenzerwitwe, /.; klage der
grenzerwittwe gedieht von Freiligrath ges. dichtungen
2, 229.
GRENZERHALTUNG, /.: im zweiten bände werden
forstschutzlehre, jagdkunde, die lehre von . . der grenz-
erhaltung und den forstbeschreibungen abgehandelt
Bernhardt gesch. d. waldeigentums 2, 116. — grenz-
erstreckung, /.; die auszergewöhnliche grenzerstrek-
kung dieses landes {Hessen-Darmstadts) nöthigte zu einem
kostspieligen grenzschutz 3,23. — grenzerweiterung,
/.; die Perser hatten sie {die elefanten) also selbst erst
. . durch ihre grenzerweiterung gegen den Indus erhal-
ten Ritter erdkunde 5, 910. — grenzerwerbung, f.:
für die abrundung . . nach auszen wurde keine der . .
anstrengungen zu grosz geachtet, welche man sonst . .
für die ehre Und für die gerechtigkeit . . . leichter als
für irgend eine geringe grenzerwerbung gemacht haben
würde Fr. Schlegel ii, 358.
GRENZFÄLSCHER, m.: besitzgrenzen sind solche
schranken, an welchen bisweilen die seelen verstorbe-
ner grenzfälscher ruhelos gespenstern müssen, bis der
versetzte grenzpfahl wieder an der richtigen stelle steht
Rosegger ni 3, 184; dazu grenzfälscherhand sehr. 13,
207. — grenzfälschung, /.; der Adam habe wohl ge-
dacht, da handle es sich um eine grenzfälschung zum
nachteil des Adamshauses HI 3, 184. — grenzfarbe,
/.; Göthe . . unterscheidet . . in jeder von beiden {den
färben rothgelb und rothblau) zwei färben, je nach der
gröszeren theilnahme der einen oder andern grenzfarbe
Visgher ästhet. 2, 45 {gelb und blau begrenzen nach Göthe
diefarbenscala). — grenzfehde,/.: die grosze linie mög-
licher grenzfehden {an der russiscJi- chinesischen grenze)
Ritter erdkunde 2, 451 ; die unablässigen grenzfehden,
das drängen der Völker wird von ihnen {den Germanen)
selbst in den meisten fällen durch das bedürfnisz grösze-
ren landbesitzes erklärt Freytag 17,63. — grenzfeind,
m.: gleichwie es {das haus Habsburg) allbereit vor 400
Jahren ein schild des reichs wider dessen gränz-feinde
genennet worden Birken ostländ. lorbeerhayn (1657) ix*»;
die chinesische politik suchte ihren beistand, um ihren
grenzfeinden, den Hiongnu, einen krieg im rücken zu
erregen Ritter ercZÄwncie 2, 433. — grenzfeld, n., con-
finium Stieler 464; {Alexander Severus), der zuerst sei-
nen heerführern und kriegsleuten gränzfelder, oder land-
güter, an des reiches gränzen, geschenket hat Gott-
sched neueste a. d. anmuth. gelehrsamk. 8, 208; grentzfeld
im schachbrete Schottel teutsche haubtsprache 80. —
grenzf eldherr, m., befehlshaber von grenztruppen Rit-
ter erdkunde 5, 532.
GRENZFESTE, /., neben grenzfestung verhältnismäszig
selten und öfter, aber nicht unbedingt den kleineren be-
festigten platz bezeichnend: Plancus gründete bei dem
ausflusz der Ergelz in den Rhein die raurachische Au-
gusta . . . , eine grenzveste gegen Gallien und Deutsch-
land ZscHOKKE sämtl. ausgew. sehr. 6, 300; kaiser Jo-
seph n., der in Tirol alle diese kleinen Mausen und
gränzvesten aufhob Steub drei sommer in Tirol l, 307 ;
bildlich: zuweilen entschlägt er {Rübezahl) sich aller
unterirdischen regierungssorgen, erhebt sich . . auf die
grenzfeste seines gebiets und hat sein wesen auf dem
Riesengebirge MusÄus volksmährchen l, 5 Hempel; über-
tragen: sahen wir nicht, dasz man Düsseldorf als eine
grenzfeste des katholicismus . . . betrachtete Ranke
28, 288.
GRENZFESTUNG, /., propugnaculum hostibus opposi-
tum Apinus (1728) 255; seit dem frühen 17. jh. nachzu-
weisen: Sabacium und andere gräntzfestung an der Säle
eingenommen Rätel Curäi chron. d. herzogth. Schlesien
(1607) 25; die drey vornehmste grenzfestungen wurden
belagert Bucholtz Herkuliskus (1665) 240; a. 1660 . . er-
oberte er . . die hungar. grentzvestung Gross -Wardein
Birken ve7-mehrte Do7iau-strand {iGSi) 175 ; ob es einem
landes-herrn in Teutschland wohl vergunt sey, grentz-
festungen anzulegen Fleming vollk. teutsche soldat (1726)
387; dasz man stücke, kugeln und allerhand gefräse in
die gräntz - festungen schleppe Lindenborn Diogenes
(1742) 2, 237; mit einer grenzfestung wie Strasburg For-
ster 8, 322; früher anseheinend auch mit schwächerer
bedeutung: barriere, gränzfestung, gränzwehre Kinder-
LING reinigk. d. deutschen spr. 114; gern im bilde: die
gemeinsten lobsprüche waren, dasz das verhängnüsz . .
seine tapferkeit zu einer gesicherten gräntz-festung . .
gesetzt hätte Lohenstein Arminius (1689/.) 1, 368 *>; der
theolog ist der furchtsame soldat, der sich an den grenz-
festungen den köpf zerstöszt, und kaum das land dar-
über zu sehen bekömmt Lessing 13, 123; weil er in
dem schuldthurm gemächlich in einer kasematte und
grenzfestung gegen andere gläubiger sitzen konnte Jean
Paul 27/29, 189 Hempel; dort ist schon euer weichbild,
der Rabenstein, eure grenzfestung ii/i4, 53; jenes . . .
skeptische argument des theoretischen egoismus {ist an-
zusehen) als eine kleine gränzfestung, die zwar auf
immer unbezwinglich ist Schopenhauer l, 157 Grise-
bach; vgl. grenzhaus. — grenzfläche, /.; man musz
sich das eingeschränkte licht als einen strohm vorstel-
len, der seine bestimmte ufer und gränzflächen hat
Sulzer theorie d. schönen künste 3, 245; die gestalt der
grossen {stärke-)kÖTner ist fast immer linsenförmig, in-
dem beide grenzflächen . . . einerlei krümmung haben
Muspratt Chemie (l900) 7,1888. — grenzfleck, m., 'ein
an der grenze liegender fleck, kleines stück land' Hein-
sius 2,529*. — grenzflecken, m.: den wegen seines
götzen-tempels berühmten gräntz-flecken Pandior Zieg-
ler asiat. Banise (l689) 175; so mehrte sich die stadt
{Rom), welche zwischen vielleicht bereits verfallenen
gränzflecken sich gebildet hatte Kölle Rom i. j. 1833, l.
— grenzflosz, n., grenzbach: neben dem grenitzflosse,
welches das hinderste flosz ist gegen Nickel Firxen gut
HÜTTEL Trautenauer chron. 204 Schlesinger; an dem
grentzenflosse hinauf 205. — grenzflur, /.: die drei
steinernen kreuze sollen noch auf dem schlachtfelde in
der Stedinger grenzflur zu sehen sein MusÄus volks-
mährchen 3, 111 Hempel. — grenzflusz, m.; bey dem
Rubico, dem grenzflusz von Gallia cisalpina allg. deut-
sche bibl., anhang zu 53 — 86, 849; längs der Leitha, die
. . einen wirklichen gränzflusz zwischen deutschem und
ungarischem lande bildet Riehl naturgesch. d. Volkes
4, 853; beachte:
als ich am fremden gränzeflusz
still stand auf deinem {des Vaterlandes) säum
Lenau 95 Barthel;
demin.: in der Queis, dem ehemaligen grenz flüsz-
chen gegen die Lausitz Wimmer gesch. d. deutschen bo-
dens 420. — grenzfluth, /., nur poetisch:
ihnen folgeten die, die von des alten Euphrates
grenzfluth an bis zum ström, der Egypten von Syrien
trennet,
allgemeinere namen von Baal und Astharoth führten
Zachariae poet. sehr. 6, 57.
— grenzförster, m., 'ein förster, welcher an den grän-
zen eines groszen Forstes wohnet und die gränzhölzer zu
161
GRENZFORT - GRENZGEBIRGE
GRENZGEDÄCHTNIS - GRENZGOTT 162
versehen hat' Adelung 2, 778. — grenzfort, n., befesti-
gungswerk an der grenze Ritter erdkunde 2, 187. —
grenzfrage, /..- bericht mit Vorlegung der die grenz-
frage zwischen Ungarn und Oesterreich betreffenden
akten {Überschrift) jahrb. d. GriUparzergesellsch. 2, 149;
die grenzfrage über das recht des objects und das recht
der freiheit der phantasie . . läszt in abstracter allge-
meinheit keine nähere lösung zu Vischer üsthetik 2,
363; die bedeutendste der grenzfragen zwischen natur-
wissenschaft und philosophie entsteht nun, wenn man
. . bei der frage nach einem letzten — oder ersten —
anlangt altes u. neues 3, 204.
GRENZFREVEL, m., verbrecherische beseitigung oder
Veränderung von grenzzeichen: besondere abschnitte {der
alten bayrischen gesetze) reden . . . von mordbrennerei,
gewaltthat, grenzfreveln Zschokke sämtl. ausgew. sehr.
29, 127; welche busze die alten gesetze von Wales . . .
auf den grenzfrevel verfügen, übergehe ich J. Grimm
kl. sehr. 2, 60. — grenzfrevler, m.; Kuhn macht. .
auf die thatsache aufmerksam, dasz die grenzfrevler
vielfach mit den Irrlichtern zusammenfallen Laistner
nebelsagen 340; vgl. den beleg unter grenzfälscher. —
grenzfrieden, m.: wir {groszfürst Theodor Juanomtz)
haben unter deszen den grentzfrieden , wie er begeret,
in acht zu haben befohlen Lor. Peckenstein in: rer.
Siles. chronica (1606. 7) 5, 113; der hier {an der ägypti-
schen grenze) vorwaltende grenzfrieden wird das seinige
beigetragen haben zum aufblühen der oberägyptischen
grenzstädte Mommsen röm. gesch. 5, 59G. — grenz-
furche, /. ; sind dieselben {die grenzen des waldes)
schon durch . . graben, grenzfurchen u. s. w. bezeichnet
Zschokke sämtl. ausgew. sehr. 12, 75; die alten Rhein-
gauer würden sich ... im grabe umdrehen, wenn sie
erführen, dasz man ... an den grenzfurchen des Jo-
hannisberges neue — kartoffeläcker angelegt Riehl
naturgesch. d. Volkes l, 131. — grenzfürst, m.: mark-
richter, grentzfürst, markgraf Schottel teutsche haubt
spräche 450; und solte solcher marggraffe zu Branden-
burg sein als ein Statthalter des heiligen reichs und
grentzfürst gegen den Wenden und andern völckern
Ammersbach churbrandenb. chron. 75.
GRENZGARNISON, /.: aber der erste paläologe . . .
hielt für wirthschaftlich, die gränzgarnisonen nicht län-
ger zu besolden J. v. Müller 2, 462. — grenzgattu ng,
/.; was das leben der religion ist, ist der tod der lyrik,
mit ausnähme jener grenzgattung, welche man die reli-
giöse lyrik nennt Spielhagen 7, 347. — grenzgau,
m.: es würde aus dem verödeten grenzwall {dem Wester-
wald) ein wichtiger strittiger grenzgau werden {toenn er
indtistrie erhielte) Riehl naturgesch. d. Volkes l, 218.
GRENZGEBIET, n., junge, erst im 19. jh. sich aus-
breitende composition mit doppelter bedeutung {vgl. grenz-
bezirk, -district): gebiet an der grenze: die von den Deut-
schen eroberten gränzgebiete Jahn l, 83 Euler; hier . .
betrat man das grenzgebiet des Ashanteereiches Ritter
erdkunde 1, 322; gebiet, das die grenze bildet:
doch seine wohnung wählt' er in Kapernaum,
im grenzgebiet von Zabulon und Naftali
RÜCKERT (1867 #.) 11, 26;
in dem grenzgebiet zwischen den reichen des Juba und
des Bocchus Mommsen röm. gesch. 3, 489; in beiderlei
bedeutung auch übertragen: betrachtet man aber andere,
mehr verschiedene formen des grenzgebietes einer be-
stimmten {botanischen) art als in folge der veränderten
Verhältnisse entstandene neue arten, so ist das voll-
kommene Willkür K. E. v. Baer reden u. versch. aufsätze
2, 298; ein paar fragmentarische Strophen, 'lamentation
eines Übersetzers' überschrieben, . . mögen . . für den ernst
seines strebens auch auf diesem grenzgebiet der kunst
. . zeugnisz ablegen P. Heyse einl. zu H. Kurz ges. werke
I, XXXI i; die grenzgebiete zwischen recht und wirth-
schaft haben ihn angezogen Scherer kl. sehr, i, 458.
— grenzgebirge, n..-
Nephtoa,
nach der quelle genannt an Ephrons gränzengebirge,
liebte minder seitdem die gespielen
Klopstock Messiaa (1780) 515;
IV. 1. 6.
{diese form auch bei Heinsius 2, 529*); dr. Mitterbacher
. . ist den 14. october auf dem gränzgebürg gegen Wald-
münchen gewesen und hat dortselbst . . die kanonade
von Jena gehört Göthe III 3, 219 Weim.; gränzgebirge '
zwischen Russland und China F. Th. v. Schubert verm.
sehr. 2, 191; bildlich: wer oben stand auf diesem grenz-
gebürge der weit und hinüber sah in das neue land,
in der nacht wohnsitz Novalis i, 18 Minor; bei den
politischen stürmen, welche durch das grenzgebirge der
beiden Jahrhunderte sausten Gutzkow ges. werke 8, 380;
dazu grenzgebirgsgruppe Ritter erdkunde 17, 4; -kette
1,107; -mauer l, ill; -säum l, 109; -wand 4,909. —
grenzgedächtnis, n., erinnerung an die festlegung
der grenze, s. den beleg aus Hüttel unter grenzrecht.
— grenzengedicht, n.: wenn man darinn {in der
tragödie) nicht das Unglück geliebter personen beweint,
so ist sie keine eigentliche tragödie: sie ist ein gräntzen-
gedicht der tragödie Ramler einl. in d. schön, wissensch.
2,46. — grenz gef echt, n.: es waren grenzgefechte und
beutezüge, die für beide theile {Römer und Etrusker)
ohne wesentliches resultat verliefen Mommsen röm.
gesch. 1, 302. — grenzgegend,/.: zwey armeen, welche
die Römer in diesen grenzgegenden {am Niederrhein)
halten, um dem vordringen der deutschen Völker zu
steuern allg. deutsche bibl. 100, 302; bildlich: wir wollen
. . den kurzen streifzug in die grenzgegenden der Wissen-
schaft nicht machen, ehe wir Jean Paul eingeschoben
haben Gervinus gesch. d. deutschen dichtung (1853) 5,
192. -^ grenzgelände, n., s. gelände th. 41,2^ 2856. —
grenzgemeinde, /.: dem französischen Sprachgebiet
gehören nur einzelne grenzgemeinden {in Elsasz-Lothrin-
gen) an Alten hdb. f. heer u. flotte 3, 356. — grenz-
gemeinschaft, /., 'die gemeinschaft der grenze, das an-
einanderstoszen' Heinsius 2, 529*. — grenzgendarm,
m.: der grenzgendarme steht immer im felde Nestroy
ges. werke 3,209. — grenzgeneral, m.: der erste grund-
stein hierzu wurde . . von dem hungarischen cantzler
in beyseyn des keyserl. gen. feldmarschalls de Souches
und anderer grentzgeneralen . . . gelegt Birken verm.
Donau strand (1684) 186; der chinesische grenz-general
erhält jährlich ein geschenk von 500 sterled Ritter
erdkunde 2, 642; vgl. 3, 354. — grenzgenie, /., so nennt
Jean Paul das empfangende oder passive genie: ist der
talentmensch der künstlerische Schauspieler und froh
nachhandelnde äffe des genies, so sind diese leidenden
gränz-genies die stillen ernsten, aufrechten wald- oder
nachtmenschen desselben, denen das Verhängnis die
spräche abgeschlagen Vorschule d. üsthetik (1813) l, 55;
v^ri. 58. 61. — grenzgerechtigkeit, /., das recht auf
unverletzlichkeit der grenze: grentzgerechtigkeit der land-
güther allgem. haushalt.-lex. (i749jf.) i, 618; sie {die me-
thode, das herz des lesers durch hinreiszenden Vortrag
zu bestechen) ist zugleich eine verlezung der gränzen-
gerechtigkeit, denn diese methode gehört ausschlieszend
. . dem redner und dichter {nicht dem geschichtschreiber)
Schiller 4, 63; v^i. grenzrecht. — grenzgeschäft, n.:
{der Pekinger hof ernennt beamte), welche die civilver-
waltung zu leiten, die grenzgeschäfte zu besorgen haben
Ritter erdkunde 8, 397. — grenzgestade, n.:
o so zwei silberströme, wenn vereint,
verherrlichen die ufer, die sie fassen ;
und solche ufer so vereinter ströme,
zwei grenzgestade, kön'ge mögt ihr seyn
den beyden prinzen, wenn ihr sie vermählt
Shakespeare 5, 43.
— grenzgewässer, n.: die handlung eines engli-
schen schiffscapitains . . . , der ein amerikanisches
schiff innerhalb der grenzgewässer des chinesischen ge-
bietes . . . caperte Ritter erdkunde 4, 835. — grenz-
gezirk, m.f : diese {eisenhämmer) . . . versehen gantz
Steyermarck {mit eisen) und Nider-Ungarn . . und Neu-
stadt ist ihr gräntzgezirck Hohberg georgica curiosa
(1682) 1, 81.
GRENZGOTT, m.: nicht minder ist Juppiter ein Ord-
ner alles friedlichen Verkehrs, zuvörderst ein grenzgott
Gerhard akad. abhandl. 1 , 291 ; in der regel aber für
den römischen Terminus: Germanicus läszt . . des römi-
11
163 GRENZGOTTHEIT — GRENZHANDEL
GRENZHANDLUNG — GRENZHORT 164
sehen gräntz-gottes und des Rheines . . . bildnüsze . . .
eingraben Lohenstein Arminius (1689/.) 2, 1310; wegen
des ehemals in Rom verehrten grenzgottes Gottsched
neueste aus d. anmuth. gelehrsamk. i, 100;
und sie lenkt die herrscherschritte
durch des feldes weiten plan,
und an ihres fuszes tritte
heftet sich der grenzgott an
Schiller 11, 297;
er überläszt dem Alexis die heerde, und führt seinen
freund . . durch die wiese, einem mit hopfen behange-
nen gränzgott vorbei grafen Stolberg 6, 114; in wei-
terem sinne, wie grenzbild {s. d.), für eine herme, wie sie
namentlich in der gartenhunst des späteren 18. jlis. eine
grosze rolle spielten, vgl. Adelung 2, 777; an die hermen-
gestalt ist bei manchen bildem Jean Pauls zu denken,
der das wort im übrigen schxvankeiid und eigemoillig ge
braucht: dadurch nämlich, dasz er den landstand wie
einen grenzgott oder einen geflügelten genius mit der
untern hälfte in das hölzerne kanzelhulfter steckt 39, 86
Hempel; dasz die recensenten sünder sind, . . . grenz-
götter ohne arme und beine auf den grenzhügeln der
Wissenschaft 20/23, 74; überhaupt schicke für Verkörpe-
rungen der abstrakta die griechische mythenlehre durch
ihr beispiel uns die grenzgötter, welche uns nur zu be-
lebungen von scharfen karakterpunkten, wie z. b. liebe,
gerechtigkeit u. s. w., dringen lassen 52/53, 126; das er-
habene, weil es als grenzgott antikes und romanti-
sches verknüpft 49/51 , 87 ; dazu -grenzgottfeier für ter-
minalien Gottsched neueste aus der anmuth. gelehr-
samkeit 4, 392. — grenzgottheit, /.; es ist ihm genug,
dasz eine grenzgottheit auf beyden (münzen) vorgestellt
wird, welche anders aussieht, als der Erasmische deus
Terminus 3, 791; vgl. 4, 393. — grenzgötze, m..- der
Römer gräntz-götz hiesz Terminus, auf einer viereckich-
ten post erhöht Treuer deutscher Dädalus l, 800.
GRENZGRABEN, m., 'graben, sofern er die grenze
eines landes, gebiethes oder grundstückes bezeichnet' Ade-
lung 2, 778; grenzwälle, grenzgraben, grenzjäger und
grenzfestungen nützen gleichviel Jahn 2,446 Euler; jeder
kolonist beginnt auf seinem landstrich mit Ziehung von
grenz- und entwässerungsgräben Wimmer gesch. d. deut-
schen bodens 152; bildlich: der Rhein . . ist wieder der
breite grenzgraben Deutschlands geworden Zschokke
sämtl. ausgeic. sehr. 9, 154; demin.: ewig schade, dasz ich
nicht über's grenzgräbel darf Holtei erzähl, sehr. 16, 52. —
grenzgraf, m,., junge, ziemlich seltene bildung; zuwei-
len = markgraf: man war darüber aus, den könig in
Preuszen zum gränzgrafen von Brandenburg zu machen
Jung Stilling 4, 353; denn eigentlich müssen wir
wieder auf Aribo den tapferen gränzgrafen zurückgehen
Steub Wanderungen im bayr. gebirge 95; öfter geringe-
ren ranges, etwa 'burggraf an der grenze': mit grenz-
grafen besetzte bürgen waren zu Regensburg, Erfurt,
Magdeburg, Altenzelle, die grenzgrafen hieszen mar-
chiones, duces, duces limitis Bernhardt gesch. des
icaldeigentums i, 30, anm. 13; der ausdruck arx und il-
lustris und Werbelicz gab denen eine reiche fundgrube,
welche deutsche abkauft (der familie Quarbitz) behaup-
teten, und da ward denn ein bürg- oder grenz -graf
Werbe] daraus W. Alexis Isegrim l, 140; vgl. (diefestung)
in die er sächsische besatzung und einen gränzgrafen
legte K. Fr. Becker weltgesch. 5, 93. — grenzgürtel,
m.: rings um die Holledau zieht sich ein gränzgürtel
von bedeutenden städten Riehl naturgesch. d. volkes
4, 285.
GRENZHADER, m., hader um die grenze: Valerius
Maximus . . erzählt, dasz einst zwischen Carthago und
Cyrene grenzhader waltete J. Grimm kl. sehr. 2, 72;
das reich (Asien) verzehrte sich , . in dem grenzhader
mit den östlichen Völkern, den Parthern und Baktriern
Mommsen röm. gesch. 1, 663. — grenzhag, m., als
flurname Fischer schtcäb. 3, 826. — grenzhandel, m.,
grenzstreitigkeit , meist im plur.: wie auch der stände
grentzhändel uff beschehene besichtigung decidiren selten
Schickfusz chron. von Schlesien (l625) 3, 255; England,
durch gränzhändel im östlichen Nordamerika mit Spa-
nien im streit Häusser deutsche gesch. l, 327. — grenz-
handlung, /. , Verhandlung, Vereinbarung über eine
grenze: und damit dieser grenzhandlung ein gedenk-
zeichen sein möchte, hat obgedachter fürstl. gn. ...
forstmeister oberwenten personen allen die bärte abge-
schnitten J. Grimm rechtsalterth. I, 203 (16. ^'A.); d. Lan-
gen verehren sie wegen seiner bemühung in gräntz-
handlungen 200 thaler Schickfusz chron. v. Schlesien
(1625) 3, 202. — grenzhaufen, m., 'ein zur bezeichnung
der gränze aufgeworfener häufen von steinen oder erde'
Adelung 2, 778; (die lerchenjagd) deren eine hälfte wir
. . auf dem Ganiowitzer grenzhaufen verschliefen Eichen-
dorff tagebuchbl. 26.
GRENZHAUS, n., castellum limitaneum Stieler 799;
vom ende des 16. bis zum ende des 17. jhs. reich belegt:
(die Senones Stievi) berufen . . die Sachsen wider die
Römer, so noch an der alten marck auf den grentz-
heusern und bürgen lagen Andr. Angelus rer. mar-
chicar. breviarium (1593) 6; als der Türck . . sich kei-
nes kriegs von Christen besorget, hat er die grentz-
heuser besetzt Stumpf Schwytzerchron. (I6O6) 21*; zu
erhaltung . . der grenzheuser und festungen acta publica,
verhandl. d. schles. fürsten u. stände 3, 122; dasz er in
friedens-zeiten proviant-häuser, vestungen, zeug- und
grentzhäuser baue Schupp sehr. 92; den 12. novembr.
eroberten die Pohlen das türckische grentz-haus Cho-
cim Birken verm. Donaustrand (1684) 200. nicht nur
neben, sondern auch für festung: Potnack die festung,
welche . . fast für das euserste granczhaus zu achten,
ist auch fast eingangen acta publica, verhandl. d. schles.
fürsten u. stände 1,8 (a. 1618) ;
so wers mit Hunf;arn längst gwest ausz,
wer Wien oder Lintz ein grentzhausz
bihl. deutscher Schriftsteller a. Böhmen 8, 302.
bildlich :
dis kreutz hier ist die seul', an die ich eingegraben,
hier sei der tod sein grab, die kwal ihr gräntzhaus haben
Lohenstein thränen (1680) 137, 36.
im 18. jh. erlöschend; von einer herberge auf der grenze:
wenigstens diese nacht noch musz ich oben auf dem
gränzhause zubringen Göthe 24, 8 Weim.; aber noch
Adelung definiert: ein haus zur bewahrung der grän-
zen eines gebiethes. zuweilen führet auch eine kleine
gränzfestung diesen nahmen wb. 2, 778; Heinsius 2,
529 »• übernimmt nur den ersten theil dieser erklärung ;
aber Jahn kennt die alte bedeutung noch, wenn er als
compositionen mit grenze anführt gränzhaus, gränz-
festung 1, 83 Euler. — grenzheer, n. ; die noch frische
gewalt des chinesischen grenzheeres warf sie daher mit
Verlust zurück Ritter erdkwide 3, i26. — grenzherme,
/., herme als grenzzeichen K. 0. Müller Dorier 2, 437.
— grenzherr, m., 'derjenige herr, welcher die gränze
eines landes oder gebiethes besitzet' Adelung 2, 778 ; vgl.
Heinsius 2,529^. — grenzherrschaft, /.: die Sta-
tion Kerung, welche seit dem grenzkriege 1802 an die
chinesische grenzherrschaft abgetreten worden ist Rit-
ter erdkunde 4, 32. — grenzhilfe, /., Steuer zur Siche-
rung des grenzschutzes : von den bewilligten 60000 tha-
lern grenzhilfen sollen 40000 gülden in Oberungarn ver-
ordnet werden acta publica, verhandl. d. schles. fürsten
u. stände 1,4 (a. 1618); vgl. 3, 116; contributionen an
gutwilligen geldhülfen, an grentzhülfen zu auszahlung
der Soldaten und reparirung der festungen im könig-
reich Hungern Schickfusz chron. v. Schlesien (1625) 3,
105. — grenzhöhe,/.; diese paszhöhe ist zugleich
grenzhöhe und wasserscheidehöhe Ritter erdkunde 4,
665; Kqwfj.vos ist . . Krano . . an der gränzhöhe gegen
Messenien K. 0. Müller Dorier 2, ini:\ dasz der er-
zeugungsprozesz so früh und so vorzüglich die philo-
sophischen physiker beschäftigt, ist kein wunder, sie
ahndeten nicht, dasz hier eine merkwürdige grenzhöhe
läge Novalis 3, 230 Minor. — grenzholz, n.. 'ein, ge-
holz, welches an der gränze eines landes oder gebiethes
liegt' Adelung 2, 778. — grenzhort, m.: dort wo
Atlas der grenzhort, hesperiden die pförtnerinnen . . .
sind Gerhard akad. abhandl. l, 153.
165 GRENZHÜGEL — GRENZIRRUNG
GRENZJÄGER — GRENZKUNDE
166
GRENZHÜGEL, m., erdaufwurf als grenzzeichen: so-
bald aber Katharina II. zur grenzbezeichnung ihres . .
gebietes . . grenzhügel aufwerfen liesz Jahn 2, 574 Euler;
als solche {grenzzeichen) finden wir bäume und steine
seit den ältesten zelten, in Schlesien auch . . . grenz-
hügel Bernhardt gesch. d. waldeigentums i, I2i; in den
Staatswaldungen Preuszens, wo grenzhügel und grenz-
bäume in den Verordnungen des 18. Jahrhunderts noch
. . erwähnt werden Schwappach handb. der forst- u.
jagdgesch. 1, 3i0; seltener 'ein {natürlicher) hilgel, der an
der grenze eines gebietes liegt' Heinsius 2, 529^; bei
Jean Paul öfter bildlich: aber eben was unsern {'pfar-
rer) so beglückte, war der grenzhügel der mäszigkeit,
auf dem er wie eingewurzelt verblieb und von da herab
erblickte, was tausend andere verscherzen 3, 127 Hempel;
grenzhügel der Wissenschaft s. o. unter grenzgott; vgl.
7,10, 100. — grenzhut, /. : zu seiner schleiumgebenen
dorfschaft . ., wo ohne zweifei schon um der gränzhut
willen seit Siegfrieds . . . zeiten häufig der königssitz
war Dahlmann gesch. v. Dännemark 1, 21 ; über die treue
und über die sichere schirmgenossenschaft des neuen
reichs für Deutschland und über seine tapfere und treue
gränzhut . . werde ich leider gleich ein wörtlein sagen
müssen Arndt sehr, für u. an s. l. Deutschen 3, 80. —
grenzhüter, m., selten in einem sinne wie grenzauf-
seher, -Wächter: sie sehen immer nur noch den alten
dünnhalsigen . . preuszischen unterofficier . , als accis-
schreiber und gränzhüter der schlagbäume an der Peene
Fr. Arndt bei E. M. Arndt sehr, für u. an s. l. Deut-
schen 1, 170; in der regel von den militärischen verthei-
digern der landesgrenze: seit Markus Aurelius waren
von zeit zu zeit einzelne häufen, vorzüglich damit sie
gränzhüter wären, . . angesiedelt ansichten tc. aussichten
(1814) 140; gerne sah man zu Constantinopel in Theo-
dorich . . den grenzhüter des reiches Döllinger akad.
vortrage 3, 74; vielfältig in bildlichem, gebrauch: Klop-
stocks republik ist noch nicht zu uns grenzhütern von
Teutschland gekommen {aus einem in Elberfeld geschrie-
benen brief) Heinse 9, 219 Schüddekopf; die heimat be-
schirmen uns derweil klippen . . und meergebraus. nun
freilich, ganz so gut ist es bei euch mit den natür-
lichen grenzhütern nicht beschaffen Fouque altsächs.
bildersaal 2, 133; und musz der hasz gegen die Fran-
zosen künftig euer gränzhüter seyn Arndt sehr, für
u. an s. l. Deutschen i, 265; der romanschriftsteller, der
grenzhüter des Parnassus, hat mehr als jeder andere
Ursache, die gesetze, denen er unterworfen ist, heilig
zu halten Spielhagen 7, 209; im 18. jh. auch grenzen-
hüter: es werden allerhand seltsame völcker geworben;
und unter andern . . auch einige neutralitäts-soldaten
und gränzen-hüter Lindenborn Diogenes (1742) 2, re-
gister 11;
und opfere dem Rhein,
dem alten gränzenhüter der Germanen
Schiller 11, 362.
GRENZICHT, adj.,finitimus, conterminus, vicinus Stie-
ler 694. — grenzindividuum, Ji.; er (Z'mA) erfand sich
das wunderliche wort, ich {Gutzkow) sei ein 'grenzindi-
viduum' zwischen denker und dichter Gutzkow Dio-
nysius Longinus 50. — grenzingenieur, m., s. o.
grenzcommission. — grenzinsel,/., insel, durch die
die grenze läuft: eine grenzinsel {Ufenau im Zürcher
see) hat ihm {Hütten) ein unbekanntes grab gegeben
Herder 16, 292. — grenzinspector, m., als berufs-
titel allg. deutsche bibl., anh. zu 53 — 86, 2133; sie {eine
grenzstadt) wurde . , zum sitz von zwei mongolischen
grenzinspectoren . . erhoben Ritter erdkunde 2, 419. —
grenzirrung, /., grenzstreitigkeit: eben in dem jähre
sind zu Prenzlow , . . allerley grenzirrungen entschei-
den . . . worden Micraelius altes Pommerland (l640)
3, 555; aber auch nachher haben grenzirrungen . . .
mit diesem stift zu . . . recessen anlasz gegeben allg.
deutsche bibl. 100, 324; unbedeutende gränzirrungen ver-
anlaszten kriege mit landstädtchen J. v. Müller l, 205;
zu Regensburg . . . befahl Tassilo eigenmächtig fehde,
wegen grenzirrung im gebirg, gegen den fränkischen
herzog Hrodbert zu Trident Zschokke sämtl. ausgeio.
sehr. 29, 218; das wort ist neuerdings wieder sehr in auf-
nähme gekommen.
GRENZ JÄGER, m., grenzauf scher, Zollbeamter: und
wurden am thor von einem französischen gräntzjäger,
der sich gantz höflich die visite de la carosse ausbat,
untersucht Eighendorff 11, 205 Kosch-Sauer; ich will
doch unsern grenzjägern einschärfen, dasz sie ein wenig
die äugen aufmachen sollen Raupach dram. tverke kam.
gattung 2, 49; wir haben nichts bei uns und können
daher den grenzjägern gerade auf den leib fahren Fr.
Ziegler ges. novellen u. briefe 2, 8; grenzjäger Kraatz
Fontane l6,24; ein mehr ostdeutsches, zumal schlesi-
sches wort; auch im sächs. für grenzaufseher Müller-
Fraureuth 1,440*; in Frankfurt a. M. nannte man*
im vorigen Jahrhundert den accisemcächter grenzjäger.
— grenzkamm, m. , im gebirge: eine reihe schwie-
riger Saumpfade überschreitet . . den grenzkamm Alten
handb. f. heer u. flotte 3, 796. — grenzkauf leute,
plur.: die chinesischen grenzkaufleute . . . hätten eine
deputation an den könig von Slam . . geschickt Ritter
erdkunde i, 1244. — grenzkette,/., 'eine gleichsam als
grenze gezogene kette von Soldaten etc., zur abwehrung
des feindes von einem gebiete; auch zur abhaltung von
menschen, vieh und Sachen aus verpesteten . . gegetiden'
Heinsius 2, 529''; ende des 18. jhs. mehrfach als ersatz
von cordon empfohlen, so von Kinderling reinigk. d.
deutschen spr. 124, auch von Campe, vgl. Heynatz aiiti-
barb. 2, 72; doch nicht recht zier geltung gekommen; an-
ders: im jähr 781 forderten sie dieses gebirge . . . von
den Chinesen als grenzkette Ritter erdkunde 2, 167;
vgl. 4, 511. — grenzknoten, m.: ein wald . . . , be-
ginnend an den quellen des flusses Thaia und fortstre-
bend bis zu jenem grenzknoten, wo das böhmische
land mit Österreich und Baiern zusammenstöszt Stif-
ter 1,211. — grenzkönigreich, n.: mit der thron-
besteigung des kaisers Gintsong . . . unterwarfen sich
auch die tributpflichtigen grenz-königreiche Ritter erd-
kunde i, 764. — grenzkoppitz,m..? schles. für grenz-
hügel {poln. kopiec, böhm. kopec hügel): so soll der
oberhauptmann . . gräntz koppitzen aufwerfen oder an-
dere zeichen machen lassen Sghickfusz schles. chron.
(1625) 3, 485. — grenzkosten, pVur., gelder, die zum
schütze der landesgrenze dienen: für . . aussgelegte gräncz-
costen zu erhaltung ihrer kay. maytt. habenden pro-
prietaet 736 tholer 35 groschen acta publica, verhandl. d.
schles. fürsten u. stände 1, 14. — grenzkreis, m.:
im morgenroth, das naher gletscher reih'n
und ferner meere grenzkreis glorreich hellt
Salis ged. (1839) 105;
und wo nur die persönlichkeit von solcher art ist, . .
darf man ihr wohl gern das überschreiten des kunst-
gerecht beschriebenen gränzkreises verstatten Fouque
gefühle, bilder (1819) 2, 158; vom, kreis als verivaltungs-
bezirk: {die Convention) müszte ... in den schlesischen
grenzkreisen ähnliche übelstände hervorrufen Bismarck
polit. reden 4, 77. — grenzkreuz, n., in steine {oder
bäume) eingehauenes kreuz zur bezeichnung der grenze:
solche grenitzsteine sind aller mit grenitzkreizen be-
zeichnet bis zur kreizbuchen Hüttel Trautenauer chron.
267 Schlesinger; anders: endlich gestatteten sie ihm doch
. . . als grenzzeichen ein kreuz zu errichten, dieser
punkt ist auf der gouvernementskarte . . . bezeichnet
durch Pesterevs grenzkreuz Ritter erdkunde 2, 1006;
und nun erzählte er . . , wie ihm ein hündlein nach-
gelaufen, das sich beim grenzkreuz erhoben habe Ros-
EGGER 5, 312. — grenzkrieg, m., krieg an der grenze:
nur sein {des chinesischen kaisers) tod hinderte den aus-
bruch eines grenzkrieges zwischen Russland und China
Ritter erdkunde 2, 106; in Africa bestand zwischen
Karthago und Numidien . . . ein ewiger grenzkrieg
Mommsen röm. gesch. 2, 19; vgl. 3, 202; 5, 209. — grenz-
kunde, /. ; kleines lehrbuch der natürlichen gränz-
und länderkunde {buchtitel) allg. deutsche bibl. 83, 503;
beyträge zur geographischen methode, wie die kenntnis
der läge der örter, oder die gränzenkunde . . auf schulen
beygebracht werden kann {buchtitel) 62, 469; die form
11*
167
GRENZLAGE — GRENZLINIE
GRENZLINIE
168
gränzenkunde auch 104, 509. — grenzlage, /.; dasz die
einwohner von Nilang die zweizüngigen . . heiszen, be-
zeichnet ihre grenzlage zwischen diesen verschiedenen
herrschaften Ritter erdkunde 3, 966; anders in der
mathematik: die menge paralleler geraden zwischen zwei
bestimmten grenzlagen wird durch den normalabstand
dieser grenzlagen gemessen Czüber Wahrscheinlichkeits-
rechnung 1, 102.
GRENZLAND, n.: wie hoch beschwerlich und ver-
derblich sein kriegen den anrüerenden teutschen grenz-
lendern uf den hals fallen wurde Laz. v. Sghwendi
bei Eiermann 137; Wallenstein zu Wrangel:
helft den gemeinen feind mir niederhalten,
das schöne grenzland kann euch nicht entgehn
* Schiller Wallensteins tod 376;
häufig erst im 19. jh., mit leicht schwankendem sinn:
landenge Suez als grenzland zwischen Arabien und
Aegypten Ritter erdkunde l, 852; in dem slavischen
grenzlande Schlesien spielte Freytags erster roman Sghe-
RER kl. sehr. 2, 21; ein buntes völkergemisch von Ru-
thenen und Sarazenen, Armeniern und Tataren hauste
in dem Südosten dieses grenzlandes der Christenheit {des
Deutschordenslandes) Treitschke histor. u. polit. auf-
Sätze 2, 51; in den grenzländern der Donau und Oder
entstanden im mittelalter marken Freytag 17, 87; be-
achte:
und kam an Nubiens grenzenland nunmehr
Gries Ariostos ras. Roland 3, 367;
demin.: in dem französischen grenzländchen Gex
D. Fr. Strausz ll, 128. — grenzlandschaft, f.:
grenzlandschaften besitzen ... in gewissem grade den
doppelten werth der mittelländischen gegenden Lagarde
deutsche sehr. 142; im jähr 1230 trat der herzog eine
grenzlandschaft im norden von Masovien . . , das ver-
wüstete Kulmer land, an den orden ab Freytag 18,
199. — grenzlauf, m., lauf der grenze: zwischen land-
schaften und gebieten, wo Völker oder stamme sich von
einander abschlössen, gewahren wir durchgängig natür-
lichen grenzlauf J. Grimm kl. sehr. 2, 39; lauf zur grenze:
die sage vom grenzlauf rechtsalterth. l, xiv; vgl. deutsche
sagen 1,193. — grenzlegung, /.; die grenzlegung und
begebung heiszt in den alten Urkunden circumducere,
peragrare rechtsalterth. 2, 74. — grenzleiste, /. .- auf
dieser sandigen grenzleiste haben die Holländer 1590 die
kleine festung Bourtange angelegt Wimmer gesch. des
deutschen bodens 156. — grenzleute, plur.: wegen der
gefährlichen nachbarschaft würden die grenzleute immer
auf ihrer hut sein Jahn 2, 590 Euler; als kräftige, krie-
gerische grenzleute wurden die Ampezzaner . . von der
landesherrschaft immer mit besonderem wohlwollen be-
handelt Steub drei sommer in Tirol 2, 89.
GRENZLINIE, /., vereinzelt grenzenlinie Knigge Um-
gang m. menschen (1796) 2, 171.
l) im eigentlichen sinne gern von der Scheidelinie poli-
tischer bezirke (vgl. grenze A 2 b) : durch die eroberungen
des Cäsars wurden die Deutschen nachbarn der Römer
und der Rhein die grenzlinie zwischen ihnen und einem
Volke M. J. Schmidt gesch. d. Deutschen i, 59; seit der
zeit zieht der Genfer see zwischen ihnen (den Schwei-
zern) und Savoyen die gränzlinie grafen Stolberg 6,
198; England ward ... als nebenbuhler bekämpft, da
hier keine glückliche gränzlinie die besitzungen der bei-
den nationen . . schied Fr. Schlegel li, 348; die grenz-
linie wird dann jenseit des Rheines ihre richtung nach
Strassburg nehmen Ranke reform.-gesch. 2, 33; daneben
mannigfach anders: was den begriff anlangt, den hr.
Sch. von der nordischen geschichte macht, so zieht er
die Elbe und Donau als zwey gränzlinien; so dasz die
. . geschichte in zwo . . . hälften zerlegt wird allgem.
deutsche bibl. 192, 370 ; jeder strebte die kugel . . über
eine der gränzlinien hin wegzuwerfen Vieth encyclop. d.
leibesübungen i, 75; die leiste, die vom . . vorberge des
kreuzbeins rundlich anfängt, . . heiszt die . . grenzlinie
(linea terminalis, auch ileo-pectinea) Sömmering bau
d. menschl. körpers 2, 192 ; wie grenze bedeutet auch grenz-
linie 7iicht nur Scheidelinie, sondern auch abschluszlinie.
ende: der wald wird doch nicht . . . seine grenzlinien
hinter dem firmamente haben allg. deutsche bibl., anh.
zu 1 — 12, 410; wir näherten uns (mit der Vermessung des
landes) der grenzlinie unseres angewiesenen bezirks
immer mehr und mehr Stifter 5^ 130; in so duftige
ferne verschwamm in seinen angaben die grenzlinie
seiner (des Pompeius) östlichen eroberungen Mommsen
röm. gesch. ^Z,iil; die grenzlinie seiner (des eibenbaums)
Verbreitung verläuft von den Alands-inseln durch den
westlichsten teil Estlands Hoops waldbäume u. kultur-
pflanzen 127; vgl. diesz sind einige . . . züge aus dem
Charakter des mannes, von dessen halben gesiebte wir
hier (in der Silhouette) die äuszerste gränzlinie vor uns
haben Lavater physiogn. fragm. l, 220; decken sich . .
die gränzlinien einer figur, so fallen auch die anfangs-
und endpuncte der linien ineinander allg. deutsche bibl.
105, 70.
2) viel häufiger übertragen; auch hier in der bedeu-
tung abschluszlinie: die letztern teile (des Tristram)
wurden nicht so häufig verkauft, ein Schicksal das
fast allen . . . büchern gemein ist, . . deren Verfasser
keine bestimmte grenzlinie angezeigt haben Bode Yo-
ricks empfinds. reise (1768) i, xii; der mutter natur bat
es beliebt, die äuszersten grenzlinien der Schönheit und
häszlichkeit in dem weiblichen körper zu vereinbaren
MusÄus volksmährchen 3, 75 Hempel; von Pauline von
Härder war bekannt, dasz sie . . mit Heinrichson . . .
gleichsam die grenzlinie ihrer herzenswallfahrt bezeich-
nete GuTZKOVi^ ritter v. geiste 8, 62; meist aber sclieide-
linie.
a) was heiszt christusleeres christenthum ? was ver-
nunftlose Schwärmerei? welches sind ihre gränzlinien
. .? Göthe 37, 263 Weim.; aber wo ist nun . . die grenz-
linie zwischen dem erlaubten und unerlaubten? Zschokke
sämtl. ausgew. sehr. 10, 214; da ist das reich der kunst,
auf der grenzlinie des reiches . . . des ideals und des
reiches der Wirklichkeit Ludv^^ig 5, 372; eine scharfe
richtige gränzlinie zwischen diesen begriffen J. J. Engel
7, 90; die schärfste grenzlinie zwischen festen und flüs-
sigen körpern ist die bestimmung der letzteren Schel-
LiNG 1 — 2, 172; so hat mancher bösewicht zuerst seine
fügend aus gefälligkeit preisz gegeben, und nicht aus
hange zum laster. eine schmale und gefährliche grenz-
linie! Kretsghmann 5, 340; nirgends war die gränzlinie
zwischen beiden extremen (arm u. reich) so schmal, so
schwer zu behaupten (wie in Born) Jhering geist des
röm. rechts 2^, 243; gleichwie man keine vest stehende
gränzlinien zwischen der kaiserlichen und ständischen
gewalt hatte M. J. Schmidt gesch. d. Deutschen 3, 155;
eine gewisse mäszigung . . , welche nach den begriffen
dieser beiden die wahre grenzlinie der fugend und des
lasters ausmachte Wieland Agathon (i766/.) 2, 73.
b) geläufigere verbale fügungen: daher ist . . . nicht
leicht die grenzlinie anzugeben (zwischen braunspat u.
kalkspat) A. G. W^erner oryktognosie 172; wir . . sollen
. . dem zeitlichen Interesse nicht gar entsagen, aber die
gränzlinie zwischen diesem und dem höheren interesse
ist schwer zu treffen M. Claudius 8, 74; er sollte die
grenzlinie, wo sich sein eigenthum von dem ober-
eigenthum des Staates scheidet, . . . nachweisen kön-
nen Moser 3, 93; der v. setzt zuerst die grenzlinie
zwischen technologie, naturgeschichte und landwirth-
schaft fest allg. deutsche bibl., anh. zu 37 — 52, 1041 ; um
den (kränz) des muthes . . . können ihn seine feinde
selbst nicht bringen, ohne die psychologische grenzlinie,
auf der sich muth und trotz begegnen, zu verrücken
Gutzkow ges. werke 10, II6; ich sehe, . . . wie eigen-
thum, Staats -Verfassungen und grenzlinien aufhören
Knigge Umgang m. menschen 2, 22; in der . . . person
dieses mannes soll wirklich eine doppelte natur liegen,
deren grenzlinien eben so sehr in einander laufen, als
ihre äuszersten enden sich von einander zu entfer-
nen . . . scheinen Hamann 4, 297 Roth; vgl. die gränz-
linien der verschiedenen stände schlingen sich im her-
zigen du wie epheu und rebenranken zusammen Schu-
bart briefe 2, 245; es gibt so manche gefährliche und
169
GRENZLOS - GRENZMACHT
GRENZMAL — GRENZMARK
170
leicht verwischte grenzlinien Raabe Abu Telfan l, 49;
besonders: eine grenzlinie ziehen: allein . . in dieser
steten fortschattierung, wer macht da arten ? wer zieht
grenzlinien und wegscheide Herder 5, 237; gute dünkte
ihn Schwachheit; und nur der starke vermag zwischen
beiden die grenzlinie zu ziehen Forster 6, 271; in den
entwürfen sei eine grenzlinie gezogen zwischen ministe-
rium und könig Bismargk polü. reden 2, 76; da zu-
gleich zwischen den hörigen und unfreien dienstleuten
wohl noch keine scharfe gränzlinie gezogen war Eich-
horn deutsche Staats- u. rechtsgesch. 1, 456; würden wir
nicht unsere grenzlinie gegen den katholicismus am
schärfsten und bestimmtesten ziehen, wenn Schleier-
macher I 5, 166; was artistisch wäre, nähme man in
die neue anstalt, das historisch -antiquarische bliebe
drüben, wobey man überhaupt keine strenge grenz-
linie zu ziehen brauchte Göthe IV 21, 7 Weim.; unsre
spräche scheint mir so wenig zu komischen Wendungen
gemacht, und die gränzlinie in dieser dichtarth so fein
gezogen, dasz die schön getrofne mittelstrasze ... in
dieser erzählung allen beifall verdient F. A. v. Kleist
an Bürger 3, 294 Strodtmann; gerne negativ: nur tritt
bey'm Epimenides der fall ein, dasz die grenzlinie zwi-
schen dem abzudruckenden und auszulassenden wohl
schwer zu ziehen sein möchte Göthe IV 25, 235 Weim.;
eine unbedingte gränzlinie der rechte . . des weltlichen
und geistlichen läszt sich nicht ziehen Raumer gesch.
d. Hohenstaufen 6, 102 ; mit dativ in ähnlichem siniie wie
grenzen setzen (s. sp. 140/.) : das reine stille gefühl der
gränzlinie, die ihm {dem bürger) gezogen ist Göthe 22,
150 Weim,.; den ersteren {schauspielern) zog ich eine
grenzlinie, bis zu welcher ich die ausbildung und an-
leitung ihrer anlagen . . geführt wissen möchte R. Wag-
ner 9, 189; eine grenzlinie überschreiten u. ä.
{vgl. die grenze überschreiten sp. 143): schon mancher
peripatetischer philosoph musz bemerkt haben, dasz
die natur . . um das miszvergnügen des menschen eine
grenzlinie gezogen hat, die es nicht überschreiten darf
BODE Yoricks empfinds. reise 1, 19; im ganzen sind seine
{Palladios) werke eine grenzlinie die niemand ausfüllt
und die so bald überschritten ist Göthe IV 10,861 Wetw.;
leicht wird auch die zarte grenzlinie , . übersprungen
Immermann 20, 178 Hempel; Aristofanes habe sich in
diesem stücke . . . über die äuszersten grenzlinien der
wohlanständigkeit . . . hinreiszen lassen Wieland att.
museum 2^, iii; ein höchster augenblicklicher vigor, der
aber auch gleich in den ruin der maschine übergeht,
weil er über die grenzlinie der gesundheit gewichen ist
Schiller l, 163; {englische misses finden sich in Eve-
line befriedigt;) indessen geht dies kleine verkörperte
gebetbuch mit goldschnitt . . . über die grenzlinie der
natur hinaus Gutzkow ges. werke 11, 380; die symboli-
schen bücher sind in Ulm . . die gränzlinie, über die
es frevel ist, nur einen fusz hinauszusetzen Schubart
leben u. gesinnungen 2, 128; eine grenzlinie (ein)-
halten u. ä.: er liest vortrefflich . .; niemand hält
wie er die zarte gränzlinie zwischen declamation und
affectvoller recitation Göthe 22, 170 Weim.; dasz sie {die
tagespresse) in der überwiegenden mehrzahl ihrer organe
diese feine grenzlinie berechtigter kritik wohl zu halten
weisz Freytag 15, 99; der fromme . . wird mit um so
gröszerer scheu die grenzlinie einhalten, die ihn von
dem, was ihm als das göttliche gilt, scheidet D. Fr.
Strausz 6, 32; ettoas anders: wie die dinge damals la-
gen, war diese grenzlinie zwischen weltlicher und geist-
licher gewalt kaum festzuhalten Nitzsgh deutsche Stu-
dien 10; indem wir uns zu dem streifzuge in die gebiete
der Wissenschaften rüsten, entschlieszen wir uns, durch-
aus nur auf der grenzlinie zu bleiben, wo der leben-
dige . . verkehr statt hatte Gervinus gesch. der deut-
schen dichtung (1853) 5, 235. — grenzlos, s. grenzen-
los. — grenzmacht, /. ; Laos . . bestehe aus kleinen
Staaten, welche jenen drei politischen grenzmächten
{China. Siam. Birma) . . tribut zahlen Ritter erdkunde
4, 1084; anders: man will ihm theile von Hochburgund
und . . von Lothringen dazu geben, damit er eine re-
spectable grenzmacht bilde Laube 15, 219.
GRENZMAL, n., grenzzeichen: wurde einer . . hinder-
schleiflich newe gräntzmal aufrichten, derselbe soll . .
gestraft werden Schickfusz chron. von Schlesien (i625)
3, 343;
{zwei Carthager) die in Cyrener land
sich lebend Hessen scharr'n : wormit ihr Vaterland
auf ihrer edlen gruft ein ewig's gräntzmal hette
Lohenstein Sophonisbe (1680) 14;
Bacchus . . richtete an dem mund des Ganges auf zwey
bergen so viel säulen auf, als wenn daselbst das gräntz-
maal aller schiffarthen wäre Arminius (1689/.) 1, 129'';
bis an das gräntzmal des heiligen waldes 2, 530 **;
dann zieh' er unversehrt aus meinem schlösse,
doch find' er seinen wirth am grenzmahl wieder,
bewaffnet mit dem schwert der räche
KoTZEBUE 81, 217;
nach den ältesten deutschen rechtsquellen scheinen als
grenzmale vorwiegend bäume gedient zu haben, in wel-
che kreuze eingehauen . . waren Schwappagh handb.
d. forst- u. 'jagdgesch. l, 44; in älterer zeit öfter auch
von flüssen:
dasz Donau und der Rhein
der röm'schen siege gräntz-maal seyn
Lohenstein Arminius (1689/.) 1, 1361;
der strohm Kür leget das gräntzmahl zwischen Schir-
wan und Mokan Olearius verm. reisebeschreib. (1696)
237 ; beachte: wie es unsere . . . vorväter gethan, die den
nemlichen ungewissen weg, ohne Wegweiser, ohne gren-
zenmal, giengen, der vor uns liegt Hippel lebensläufe
3, 166. — grenzmann, m., mir in gelegenheitsbildun-
gen: auf der rechten seile {des mannes, der allegorisch
die Weichsel darstellte) stand Sarmatien, auf der lincken
Deutschland, und lehnte sich jede mit einem arme auf
die achseln dieses ihres gräntzmannes Lohenstein Ar-
minius (1689/) 2, 860»; ihr männer von Galilea! das
ist: ihr gräntzen- und marcken-männer, wie seyd ihr
so irdisch gesinnet Dannhawer catechismus milch 5,
1087 {Übersetzung von Galilea 'gebiet'); doch wohl auch
für 'grenzbetcohner' gebraucht, vgl. markmann th. 6, 1642.
— grenzmännchen, n., kinderspiel:
kinder wart ihr, habt
grenzmännchen oft gespielt, den ball geschwungen
Freytag 8, 163.
GRENZMARK, /. i) von der alten karolingischen
Verfassung der grenzmark ist jede spur verschwunden
Nitzsgh deutsche Studien 211; oft nur gehobenerer aus-
druck für grenzbezirk:
kann ich den heerbann wecken,
wenn's nicht die eig'ne nächste grenzmark gilt
FouQUE altsächs. bildersaal 1, 143;
wie ein markstein, der da kündet
i'edem fremden Wasgengänger:
der ist Deutschlands grüne grenzmark
Lienhart ged. (1906) 78;
besonders im pliiral: dasz sie eine meiner südlichen
landsmänninnen aus den grenzmarken von Schwaben
und Franken sei Hauff 2, 382; und doch sind unsere
nordöstlichen grenzmarken . . . arm an augenfälligen
historischen trümmern Riehl naturgesch. d. Volkes l,
167; die bewegung ergriff alle deutschen gaue, bis zu
den fernen grenzmarken Treitschke deutsche gesch.
4, 662. 2) = grenzmarke, grenze, grenzzeichen; beson-
ders schiceizerisch : an dem ende des dorfs Rougemont
strömt . . ein bach, die gränzmark der Deutschen Bon-
stetten briefe über ein schiceizer. hirtenland (1782) 15;
wir stehen auf der grenzmark zwey groszer zelten J. v.
Müller 16, i6i;
wir aber an der grenzmark seiner spräche, . .
wir rufen seinen {Schillers) schatten Keller 9, 223;
an der grenzmark eines jeden netzes, im blattwerke
verborgen, saszen gleichfarbige . . spinnen, welche keine
eigenen netze bauten 3, 22; vgl. 2, 140; die grenzmark
halte unverrückt wie die geböte gottes Rosegger l, 800;
dreierlei grenzmark hat die natur geschaffen: Wasser-
scheiden . . , meere . . wüsten Jahn 2, 574 Euler; {das
turnen wird werden) ein gewaltiges meer, das schirmend
die heilige grenzmark des Vaterlandes umwogt l, xxiii;
171 GRENZMARKE - GRENZMESSUNG
GRENZMILITÄR — GRENZORT
172
hierher ivohl auch: da wo dieser Cluilische graben die
altrömische grenzmark erreicht Moltke sehr. u. denk-
tuürdigk. l, 179; in äUerer zeit auch grenzmerk, loohl
neutr., grenzzeichen: da auch als man zum fundament
geraumpt . . , viel römische antiquiteten, und darunder
auch ein steinern grentzmärck, ausgehawen wie die
stattpinea . . . gefunden worden Wolfg. Hartmann
augsp. chronica (1595) 214.
GRENZMARKE, /., zuweilen ganz concret 'grenzzeichen':
zur Onon-quelle . . , wo die zwölfte grenzmarke steht
Ritter erdkunde 2, 522; du weiszt, wer sich an der
grenzmarke vergreift, der hat dereinst keine ruh im
grabe Rosegger Schriften i, 157; der grenzvertrag des
Jahres 1845 hat feste grenzmarken von der Kissmün-
dung bis zum Teniet es Sassi . . . geschaffen Alten
handb. f. heer u. flotte 1, 249; ursprünglicher als tauto-
logische bildung im sinne 'grenr.e', wenn auch grenzmarke
bisweilen gegenständlicher empfxmden sein mag als bloszes
grenze: dieser an den grenzmarken des romanischen
und germanischen lebend Arndt sehr, für u. an s. l.
Deutschen 3, 300; der präsident stand an der grenzmarke
seines glucks Gervinus gesch. des id. jhs. 7, 46; der
schweizerische dichter und historiker, der auf den grenz-
marken der länder (Deutsehlands, Frankreichs, Italiens)
steht Betsy Meyer 74; daher vielfach in denselben
fügungen tcie grenze: wenn die bestimmung einer aka-
demie . . sich nicht durch die grenzmarken eines lan-
des beschränken läszt Schelling i — 2, 470; nicht die
engen schranken des positiven gesetzes bezeichnen ihr
(der Wissenschaft) hier die gränzmarken ihres reichs
Jhering geist d. röm. rechts 2-, 414; die in der mensch-
lichen natur begründeten grenzmarken des geistigen
kosmos festzustellen Justi Winckelmann 1,102; der west-
fälische friede hatte grenzmarken gezogen (zur Siche-
rung der deutschen Völker gegen religionszivatig) Döl-
LINGER akadem. vortrüge l, 800; die deutschen Völker,
die bisher . . jedes nur innerhalb seiner engen gränz-
marken . . verwaltet waren D. Fr. Strausz l, 258. —
grenzmarkstein, m.:
auf f;rauem grenzmarkstein . .
hockt . . ein greis Liliencron 7, 188.
— grenzmarkt, m.: aus dem berühmten Birmani-
schen grenzmarkte, eben jenem Bhaumo Ritter erd-
kunde 4,747; vgl. 2,222. — grenzmarkzeichen, ?i. :
das Frankfurter Bundestags-Deutschland besitzt seine
grenzmarkzeichen von den kahlen Alpen herab in die
karte Italiens hinein Gutzkow iverke 10, 318; (altes her-
kommen) dasz der bauer, wenn er seinem söhne die
wirthschaft übergiebt, denselben rings um die grund-
besitzung führt und ihm bei jedem grenzmarkzeichen
eins versetzt Rosegger 4, 161.
GRENZMAUER, /..- er dehnte seine herrschaft . . .
aus ... bis zu den chinesischen grenzmauern in ost
Ritter erdkunde 2, 67; der karge ausblick aus diesem
hofe ging über eine niedrige grenzmauer auf einen theil
des . . . nachbarhofes Storm 14, 63; bildlich: seine blicke
. . . schweiften . . . nach den fernen blauen bergen, den
grenzmauern von Württemberg Hauff 1, 67; da auch
die germanischen Völker ihrerseits der befestigten Rö-
mergränze eine lebendige gränzmauer . . . entgegensetzten
Fr. Schlegel 14, 39; der Verfasser (wagt zu bestimmen)
. . . dasz jede positive religion eine grenzmauer haben
. . . müsse briefe die neueste literatur betreffend 28, 29. —
grenzmaut, /..- wir kamen bald darauf an die bai-
rische gränzmauth Nicolai reise d. Deutschland 7, 31.
— grenzmeer, n.: bald im östlichen, bald im west-
lichen gränzmeere (Griechenlands) landeten verheerende
flotten Becker iveltgesch. 2,20t. — grenzmesser, m.,
'ein vereideter feldm^sser, welcher in streitigen füllen die
grenzen der grundsiücke . . . ausmisset' Heinsius 2, 529'';
vgl. Adelung 2, 778; der erste funke menschlicher be-
sinnung treibet dahin, ihr (der zeit) sowohl als dem
räum grenzen zu schaffen . . . wir sind also die Mithri-
date, die einen mihr, einen grenz- und Zeitmesser schaf-
fen Herder 24, 5i7. — grenzmessung, /..• selbst
würde recensent, wenn ihm eine gränzmessung aufge-
geben würde, sich dieser methode nicht bedienen allg.
deutsche bibl. 100, 189. — grenzmilitär, n. ; über die
. . . beschaffenheit des gränzmilitärs hätte er sich deut-
licher erklären sollen 104,504. — grenzenmischung,
/".; überhaupt kenne ich nichts so unbestimmtes als die
Worte — ode, lyrischer gesang, Idylle ; daher Abbten seine
willkührliche gränzenmischung sehr zu vergeben ist
Herder 2, 303; vgl. grenzvermischung.
GRENZNACHBAR, vi., confinis Stieler 104; seit dem
11. jh. im, schwang, zunächst imd zumeist von deninhabern
benachbarter privater besitzu7igen: soll er dasselbe viehe
eintreiben, und den schaden mit den gräntznachbarn
beführen Schickfusz chron. v. Schlesien (l625) 3, 491;
wenn bey den grentznachbarn mahl-bäume umfallen
Fleming vollk. teiUsche jäger (l719) anhang 12; mein
gränznachbar der kammerherr von ** MusÄus physiogn.
reisen l, 179; dann auch von den bewohnern angrenzen-
der politischer bezirke: jemehr man provinzen erobert,
desto grösser wird der kreis unsrer gränznachbarn allg.
deutsche bibl. 109, 199 ; Holland bekam in Preuszen den
ersten starken deutschen gränznachbarn Riehl natur
gesch. des Volkes 4, 62; freier: besuchen sie öfter den
alten magum im norden. Bückeburg und Königsberg
sind ohnediesz gränznachbarn Hamann 5, 34 Roth; über-
tragen: thiere . . . sind unsre (der menschen) grenz-
nachbarn Hippel lebenslüufe l, 337 ; und das thier wird
als mittleres wesen zwischen freiheit und nothwendig-
keit wie ein freundlicher und unschuldiger grenznach-
bar geliebt ViscHER üsthetik 2, ilG. — grenznach-
barin, /.; ich habe ein . . . unterirdisches landgut,
dorthin will ich mich jetzt begeben, um mit meiner
gränznachbarin, der alten fee, in einer holden eintracht
zu leben Tieck schriftend, 237. — grenznachbarlich,
adj.: wenn es aufrichtig und gräntz-nachbarlich zugehet
(in Jagdsachen) Döbel 7ieueröffn. jäger practica (ilbi) 3, 100.
— grenznachbarschaft,/.; grenznachbarschaft und
Zufall brachte meinen vater und mich in ihre bekannt-
schaft Kretschmann 32,17; ein besseres gleichgewicht
in Süddeutschland dadurch herzustellen, dasz Baden . . .
durch angliederung der Pfalz in unmittelbare grenz-
nachbarschaft mit Preuszen gebracht würde Bismarck
ged. u. erinn. 2, 94 volksausg. — grenznutzen, m.,
grundbegriff der modernen wertlehre; bezeichnet den nutzen,
'den der letzte zur Verfügung stehende teil des Vorrates
an einem gute für ein bestimmtes wirtschaftendes Subjekt
hat; nach ihm bemiszt sich der ivert einer mengeneinheit
des gutes für das betreffende Subjekt' Czuber wahrschein-
lichkeitsrechnung 1, 245; vgl. Conrad hwb. d. Staats-
wiss. 5, 56.
GRENZOBERSTER, m., befehlshaber von grenztruppen :
der (kriegsoberste) dann darumb ein grentzoberster in
Retica genannt wurde Werligh augspurg. chronica (l595)
56. — grenzopfer, n., das beim übertritt in fremdes
gebiet übliche opfer : da aber die gränzopfer nicht glück-
lich ausfielen, so giengen sie wieder nach hause Heil-
mann gesch. d. pelop. krieges (l760) 704. — grenzord-
nung, /. ; holz-, forst-, jagd- und gränzordnung von 1738
allg. deutsche bibl. 100, 339; bei politischen grenzen: die
dort durch chinesisches obercommando in neuerer zeit
eingeführte grenzordnung B-ITTEr erdkunde 4,95; unter
Commodus wurde . . . jede ansiedelung untersagt, was
mit den . . . grenzordnungen nach dem Marcomanenkrieg
zusammenhängen wird Mommsen röm. gesch. 5, 208. —
grenzort, m., Ortschaft, stadt an der grenze eines ge-
bietes: gräntz-örter /roniaWa Reyher tte*. 1056; grentz-
örter arces, civitates conterminae Dentzler (1716) 140";
so soll der kaiser zuvorn etliche angelegene gräntzort
befestigen Schickfusz chron. v. Schlesien (1625) 3, 229;
wegen stehts besorgenden kriegsläuften, welche dasz
offene land, bevorab in solchen gräntzorten wie allhie,
mehr alsz grosse statte musz leiden Moscherosch in-
somn. cura par. 123 neudr.; es (Cöln) war der grenzort
des bereits eroberten gebietes diesseits der Spree Ranke
25, 19; übertragen: wir sehen das schäferleben als den
nächsten grenzort zum paradise an Hippel lebenslüufe
4, 213; die Staaten . . ., die gleichsam als grenzorte der
m
173 GRENZORTSCHAFT — GRENZPFAHL
civilisirten weit mit der uncivilisirten in der nächsten
berührung sind Schleiermacher I 12, 2«; jenes von
Lessing begriffene bestreben der zeit, in alle geistige
tbätigkeiten, in die gattungen der dichtung, in die grenz-
orte der kunst und Wissenschaft . . . eine reine Schei-
dung zu bringen Gervinus gesch. d. deutschen dichtung
5,371; Msweilen auch: ort, punct, der die grenze bildet
oder bezeichnet: locus finitivus seu fmes indicans Schot-
TEL teutsche haubtspr. (lG63) 404 ; gränitzort in der Kirch-
pichler schrannen Überschrift in einer grenzbeschreibung
österr. weisth. 2, 52, 15; so vielleicht noch:
an diesem gränzort zweyer reiche lauschet
der contreband (von der stadt Kehl)
Thümmel reise 1, 58.
— grenzortschaft,/. : als jene grenzortschaften (an
der chinesisch-russischen grenze) noch nicht einmal er-
richtet waren Ritter erdkunde 3, 275.
GRENZPASZ, m., engpasz, gebirgssattel an der grenze
zweier länder, oder (im flachlande) passierstation, zoll-
stelle u. ä. : in dem gränzpass zwischen Thessalien und
Griechenland J. v. Müller l, 41 ; (e* teure zu tviinschen)
dasz in allen häfen und anführten unsers werthen Va-
terlandes, so wie auf allen gränzpässen nach der nieder-
ländischen Seite ebenfalls ein . . . zoll auf alle englische
wollwaaren gelegt . . . würde Moser sämtl. tverke 2, 318.
— grenzpfad, m.: (die Germanen) umzogen ihre dorf-
flur mit graben und heckenzaun oder rasenwall . . . und
oft mit einem geweihten grenzpfad Freytag 16, 423;
dazu wagt Herder das verbum grenzpfaden grenzpfade
ziehen :
hast so nacht und licht
sie gränzgepfadet beide? (zu Hiob 38, 20)
werke 12, 323.
GRENZPFAHL, m. : an etlichen orten . . . werden . . .
höltzerne stickel oder pfähle zu marcken geschlagen,
daran man . . . ein creutz zu hauen und mitten hin-
durch einzubohren pfleget, welche gräntz- oder mahl-
pfähle gleiche krafft wie . . . gräntz-steine haben Cho-
MEL öcon. u. physic. lex. 4, 1299; grundstücke, deren
ecken die grenzpfähle bezeichnen Mommsen römische
gesch. 1, 21 ; die landeshoheits- und grenzpfähle mit dem
preuszischen adler Hoffmann v. Fallersleben 7, 13;
die blau und weiszen, die gelb und schwarzen grenz-
pfähle, an denen wir vorübergingen Steub drei sommer
in Tirol 1, 303; bildlich: und wenn es auch wahr wäre,
dasz wir unsere kenntnisse zum eignen vortheil nicht
vor dem vierzigsten jähre zu benutzen verständen, son-
dern bis an diesen gränzpfahl nur für andere Hippel
über die ehe (1792) 12; von natur hätten manche kraft
genug, in der filosofie weiter zu kommen, wenn sie nicht
bey dem ersten grenzpfahl, der ihren verstand stutzig
macht, sogleich umkehrten Brinckmann filosofische an-
sichten 17 ; er (der mittelste planet) war der gränzpfahl
zwischen den 4 groszen und den 4 kleinen planeten
Schopenhauer 5, 151 Grisebach; besonders, um den be-
griff der politischen grenze oder des politischen bezirks
zu umschreiben: oder mindestens per schuh aus dem
lande geschafft wird, um seinen galgen innerhalb der
nächsten gränzpfähle zu finden Riehl deutsche arbeit
(1861) 255 ; dank unsrer . . . deutschen einheit, der wür-
tembergische brigadier brauchte vor dem badischen
grenzpfahl nicht zu stutzen Gutzkow werke 4, 405; Lud-
wig I. (hat) manchem künstler ohne rücksicht auf die
heimatlichen grenzpfähle die sorgen des alters erleich-
tert Brunn kl. Schriften 3, 267; in Wahrheit hörte der
gesichtskreis seines politischen denkens genau an der
stelle auf, wo die grün -weiszen grenzpfähle standen
Treitschke deutsche gesch. im id. jh. 3, 507; mehr noch
als diese toendungen haben geioisse präpositionale formein
vielfach einen beigeschmack des tadeis gegen particulari-
stische enge und beschränkung in jeder form: diese Zeit-
schriften erweiterten den gesichtskreis der deutschen
gelehrten über die grenzpfähle ihrer corporation hinaus
Justi Winckelmann 1, 176 ; die zeit verlangte, dasz über
die grenzpfähle des einzelstaates hinaus der Deutsche
dem Deutschen die band reichte Treitschke histor.
u. polit. auf Sätze 1, 407; ein . . . gott, der jenseits der
GRENZPFEILER — GRENZPOSTEN 174
grenzpfähle der Vernunft liegt Hegel werke 1, 10; doch
ist dieser beigeschmack nicht obligat: von diesem um-
fangreichen gebiet, das zum groszen teil auszerhalb der
grenzpfähle des römischen reiches liegt Hoops u-ald-
bäume u. kulturpflanzen 172. verbale Verbindungen : auf-
pflanzung von Wappen, fahnen, kreuzen, gränzpfählen
Haller restaiir. d. staatsivissensch. 2, 45; bis . . . general
von Lossow 1773 die alte grenze wiederherstellte und
grenzpfähle mit dem preuszischen adler längs der Prosna
aufrichtete Freytag 1, 47 ; sobald aber Katharina II. zur
grenzbezeichnung ihres neuen angereihten gebietes grenz-
pfähle eingraben . . . liesz Jahn 2, 574 Euler; so hängt
das recht der erblichen regierung ... an einer kette
von tradition, deren ersten grenzpfal das glück oder
die macht einschlug Herder 13, 378; ihr habt nach
allen richtungen hin, die der menschliche geist neh-
men kann, grenzpfähle, privilegirte grund Wahrheiten
zu betiteln, gesteckt Fichte 6, 100; in den meisten
fällen blieben die menschen weit von dem erreich-
baren ziele zurück, wenn man ihnen den grenzpfahl
nicht weiter hinaus, ins unerreichbare steckte For-
ster 5, 300 ; gelegentlich auch umgekehrt, mit dem neben-
sinn des einschränkens (vgl. grenzen stecken sp. 141/.):
je vollkommener das wesen, . . . desto fähiger und wür-
diger ist er, ... dem allgemeinen besten schranken an-
zuweisen und grenzpfähle zu stecken, von denen er sich
nicht entfernen darf 7, 184; dann wäre ein ganz anderes
Frankreich entstanden, das wohl wenigstens bis an die
Weser und den Lech seiner herrschaft gränzpfähle hin-
ausgestellt hätte Arndt Schriften für u. an s. l. Deut-
schen 3, 104; nicht für vorschiebung der schwarzweiszen
grenzpfähle glaubten unsere jungen leute zu sterben
Mommsen reden u. aufsätze 382; du verrückst immer die
grenzpfähle, und springst habsüchtig hinüber in deiner
dienten feld grafen Stolberg 7, 376 (wohl nach dem
Vorbild von den grenzstein verrücken sp. 184; vgl. die
grenze verrücken sp. 140) ; an diesem uralten grenzpfahl
rüttelt Schleiermacher D. Fr. Strausz 5, 55; speciell in
der deutschen litteraturgeschichte möchte man jetzt die
lange respectirten grenzpfähle bei Goethes tod kühnlich
umreiszen Scherer kl. Schriften l, 41. — grenz -
pfeiler, m.:
vergieb mir, theurer boden, heimische erde,
du heiliger grenzpfeiler, den ich fasse,
auf den mein vater seinen adler grub
Schiller in: sehr. d. Göthe-gcsellsch. 9,56;
bildlich : die Hornspitze . . . , wo wir bei einem wunder-
bar heiteren . . . himmel alle gränzpfeiler von Tirol nach
Osten, Süden und westen . . . ihre . . . häupter empor-
heben sahen Görres briefe 3, G09; findet sich der mensch
im übersinnlichen ohne marksteine und grenzpfeiler so
leicht zurecht, und im faszlich-körperlichen sollte es so
schwer sein? Grillparzer 14, 105. — grenzpf osten,
VI. : schwarz und weisz . . . sind nicht im eigentlichen
sinne färben ... sie stehn hier blosz als gränzpfosten
(des farbenschemas) Schopenhauer 6, 49 Grisebach. —
grenzplanke,/. : dann trat ich auf einen häufen steine,
von wo aus ich über eine grenzplanke in den naehbar-
garten sehen konnte Storm 10, 142. — grenzplatz, m.,
was grenzort Heinsius 2, 530''; es waren junge edel-
leute, so der könig zum kriege erziehen liesz, in denen
grentzplätzen des königreichs, als zu Straszburg u. s. w.
Flemming vollk. teutsche soldat 116; er . . . befestigte die
baierschen gränzplätze treflich Becker iceltgesch. 8, 126;
seitdem waren auch die grenzplätze von Croatien in die
bände des paschas gefallen Ranke reform. -gesch. 2, 289
(sehr häufig bei diesem autor). — grenzpolizei,/. ;
die genauigkeit der controlle der chinesischen grenz-
polizei Ritter erdkunde 3, 597. — grenzpostamt, n.,
allg. deutsche bibl. lll, 308. — grenzposten, m., die
bedeutung schtvankt entsprechend posten (s. d.) : in Basel
wies man mich damit (mit dem pasz) an den ersten
gränzposten, ungefähr noch eine stunde vor der stadt
Seume Spaziergang (1803) 438; so war es . . . kaum . . .
erlaubt, die chinesischen grenzposten zu überschreiten
Ritter erdkunde 2, 371; ich betheure euch bei allen
heiligen, alle einsiedler werden . . . jenen grenzposten
175 GRENZPOSTIERUNG — GRENZPUNKT
GRENZPYRAMIDE - GRENZREVIER 176
{die bergschluchten des Ezel) bis zum letzten blutstropfen
verfechten Zsghokke sämtl. ausgew. Schriften 6, 262;
ich unternahm einen ausflug nach dem grenzposten Ce-
merno Hassert reise durch Montenegro iß; auf den
skandinavischen hochmooren sind verkrüppelte birken
der grenzposten der baumweit Roszmaeszler der ivald
(1863) 434. — grenzpostierung,/. = grenzbesatzung,
-posten : zu den Vorbeugungen . . . ansteckender krank-
heiten gehören grenzpostierungen und cordons allg, deut-
sche bibl. 21, 183; so war fürst und beer auf den groszen
kämpf vorbereitet, dessen vorspiele nun schon an den
grenzpostirungen begannen Ranke 29, 155; von hier aus
sollten dann abwechselnd einzelne bataillone . . . nach
anderen städten als besatzung und zu grenzpostie-
rungen detachiert werden Meinecke Boyen 2, 97. —
grenzprediger, m.: wenn wir uns auch den gröszten
grentz-prediger für die Polen, Ungarn und ehemals
Schlesier vorstellen; der heiland hat doch . . . noch
mehr constante zuhörer gehabt, und dazu freiwillige
leute. denn in einer grenz- oder gnaden- kirche sind
parochiani die menge, davon die meisten nicht zuge-
hören, sie gehen nur so hin, weil sie dahin angewiesen
sind Zinzendorf Zeyszer haupt-ideen (1759) 101. — grenz-
protokoll, n., protokoU der regulierung einer (forst)-
grenze Hartig forstl. convers. -lex. 34:9. — grenzprocess,
VI.: sie (die priesterschaft) wuszte die wichtigsten civil-
sachen, namentlich grenz- und erbschaftsprozesse an
sich zu ziehen Mommsen röm. gesch. *3, 224. — grenz-
provinz, /. ; schon mehr als einem deiner vorfahrer
gaben die statthafter dieser gränzprovinz zu schaffen
neue Schauspiele {Preszb. u. Lpz. 1771 jf.) 4, 1, 19; die fran-
zösische Staatsumwälzung war ausgebrochen, und das
Breisgau als grenzprovinz . . . der gefahr . . . bloszge-
gestellt J. G. Jacobi 8, 100; bildlich,: zwischen dem in-
ländischen theile dieses reiches, welches den Merkur,
die Venus, die erde und den Mars einschlieszt, und den
gränz-provinzen des Jupiters und Saturns, liegt ein leerer
Zwischenraum F. Th. v. Schubert verm. Schriften 3, 168.
GRENZPÜNKT, m. l) punM. der die grenze bildet: der
bauer stellt seine kreuzsäule auf an . . . grenzpunkten,
damit ein Siegel sei des rechts zwischen mein und dein
RosEGGER II 7, 284 ; hinter und neben ihnen {den Friesen)
bewohnen die Sachsen . . . ein gebiet, dessen grenzpunkte
nahe am Niederrhein, an den quellen der Lippe und
an der unteren Elbe liegen Wimmer gesch. d. deutschen
bodens 87; Nizza galt als gränzpunkt zwischen Italien
und Arelat Raumer gesch. d. Hohenstaufen 5, 77 ; dann
freier : punct {ort) an der landesgrenze : {infolge von über-
füllung der grenzmärkte mit fremdlingen) hat sich . . .
an vielen grenzpunkten des chinesischen reichs ein
mischlingsvolk . . . angesiedelt Ritter erdkunde 2, 222;
die Schweiz ist . . . fähig, . . . eine armee von eoooo
mann wohlgeübter . . . truppen . . . auf einen beliebigen
grenzpunkt hinzuwerfen Zsghokke sämtl. ausgew. sehr.
9, 168; ins unsinnliche übertragen: {wir werden) in dem
zukünftigen leben die itzt untereinandergeworfene . . .
bruchstücke der wesenkette in einer so succesziven Ord-
nung vor uns sehen, dasz wir keinen gränzpunkt zwi-
schen stück und stück mehr werden heraus ßnden können
Lavater aussichten iii d. ewigk. 3, 43; die . . . kunst-
form müszte demnach von dem grenzpunkte aus sich
bilden, auf welchem jene gesetze {der apperception) sich
zu berühren vermöchten R.Wagner 9, 108. 2) grenze im
sinne 'ende, absrchlusz' {vgl. sp. 184B) : die stadt Fulneck,
ihr {der mährischen brüder) nördlicher . . . gränzpunkt
Fr. Schlegel deutsches rnuseum 4, 117; Oruros . . . ward
bezeichnet als östlicher grenzpunkt der römischen herr-
schaft Mommsen röm. gesch. ^a, 139; die ichheit hat ihren
grenzpunkt, ihren ichpunkt Novalis 2, 204 Minor; der
grenzpunkt liegt, wohin in die Unendlichkeit ihn das
ich setzt Fichte grundlage d. ges. wissenschaftslehre
237 ; beide also {das unendlich grosze und das unendlich
kleine) . . . sind getrennt und für sich betrachtet nur
grenzpunkte, also in der Wahrheit nichts Schleier-
magher III 5, 22; auch temporal: diese Ungleichheiten
hätten . . . verzeihlich gemacht werden können, wenn
der Verfasser sich über den gränzpunct mit seinen lesern
verglichen hätte, den er der altern geschichte eines jeden
Volkes geben wollte {gegenüber der neueren) allg. deutsche
bibl., anh. zu 53 — 86, 1044; für Jacobus sind oben nur
die jähre 1151 und 1178 als sichere gränzpunkte in seiner
geschichte angegeben worden Savigny gesch. d. röm.
rechts 4, 131 ; die . . . Untersuchung über die chronologi-
schen grenzpunkte der uns übrig gebliebenen denkmäler
Ed. Gerhard akad. ahhandl. i, 140. — grenzpyra-
m i d e , /. ; von grüner bergeshöhe winkte das erste tür-
kische wachthaus herab, nicht lange, so stellten sich
die kunstlos aus steinen aufgethürmten grenzpyramiden
ein Hassert reise d. Montenegro 172; bildlich: {der berg)
steht als grenzpyramide zwischen beiden flüssen Ritter
erdkunde 3, 935.
GRENZRAIN, m..- da haben sie den grenitzrain ausz-
geackert Hüttel Trautenauer chron. 131 Schlesinger;
den grenzreihn am gemähten feld
liefs auf und ab
S. G. Bürde verm. ged. (1789) 52;
bildlich: die Wasserscheide ist ein natürlicher grenzrain,
wo jedes volk bei seiner ausbreitung erst halt und dann
kehrt machen soll Jahn werke 2, 576 Euler. — grenz-
rat,»»..- Caüitz richtet ein gedieht an den dermahligen
hochfürstl. Sachsen- Gothaischen hof- und gräntzrath
N. Z&pfen gedichte (1750) 204. — grenzrecess, m. grenz-
vertrag, -vergleich Chomel öcon. u. physical. lex. 4,1299;
Adelung 2,779; bildlich: bis tief in die nacht brachten
sie beide mit friedlichen entwürfen und grenzrezessen
ihres doppelromans zu Jean Paul 20/23, 89 Hempel; vgl.
42/43, 103/. — grenzrecht, n. 'das zwischen zwey nach-
barn überhaupt bestehende oder in specie zwischen zwey
bestimmten, einzelnen nachbarn ausgemachte recht in be-
treff der gränze' ¥k. B. Weber öcon. lex. 202; das land-
wirthschaftsrecht hat unter sich das landbaurecht, wor-
unter . . . das absonderungs- und vereinigungsrecht der
landgüter, das grenzrecht . , . gehören allg. deutsche bibl.,
anh. zu 53 — 86, 1701 ; vgl. von mitternacht behauptete die
edle Donau das alte grenzrecht {Bayerns) Zsghokke
sämtl. ausgew. sehr. 29, 98;
so nur wird der fluch gewendet,
der auf diesem boden ruht,
gast- und gränzenrecht geschendet
in des Bourboniden blut
Schenkendorf ged. (1815) 80;
anders definiert Adelung: 'das recht, die gränzen an-
derer in streitigen fällen untersuchen und bestimmen zu
lassen' wb. 2, 788 {dort auch die form gränzenrecht, ebenso
bei Heinsius 2, 530*); in älterer spräche auch 'brauch bei
bestimmung der grenze': und hat der her Hans Ficker,
primas in Trautnaw, . . . diesen rechten grenitzstain
selbst bekreftiget mit dem grenitzrecht, wie vor alters
und nach breuchlich ist, das er mit eigner band hat
diese drei personen von Trautnaw auf dem ersten grenitz-
stein mit rutten gestrichen . . . zum grenitzgedechtnis
der zeit Hüttel Trautenauer chron. 266 Schlesinger ; vgl.
grenzgerechtigkeit. — grenzregiment, n., ehemals be-
Zeichnung der in der österreichischen 'militärgrenze' im,
osten des landes stehenden regimenter, deren mannschaften
in den grenzgebieten angesiedelt waren; vgl. Alten handb.
f. heer u. flotte 1, 351; es haben vor wenigen tagen . . .
die sogenannten grenzregimenter ordre bekommen aus-
zurücken Gentz Schriften 4, 67 Schlesier. — grenz-
regulierung, /., = grenzberichtigung : der Baroghil-
pass, der ... in dem schmalen hochgebirgsstreifen liegt,
den England gelegentlich der grenzregulierung Afghani-
stans hinzugefügt hat Alten handb. f. heer u. flotte i,
158. — grenzreich, n., conterminum Stieler 1581;
während die regierungen der grenzreiche mit der Weis-
heit des Jahrhunderts vorrückten . . ., blieben die Obrig-
keiten der meisten kantone sorglos um die fortschritte
der Wissenschaften Zsghokke sämtl. ausgew. Schriften
i,'i66. — grenzreise,/.; hier . . . war die mühselige
grenzreise {an der russisch-chinesischen grenze) beendet
Ritter erdkunde 3, 179. — grenzrevier, n.:
der soll der wüste fernem gränzrevier
und der den meeresküsten schütz gewähren
Gries Bojardos verliebter Roland 4, 132.
177 GRENZREVISIÜN - GRENZSCHEIDE
GRENZSCHEIDEKUNST - GRENZSCHEIDUNG 178
— grenzrevision,/., die (zoU)polizeiliche Überwachung
des personen- und güterverkehrs an der grenze; dazu:
solche, welche gegen das pasz- und grenzrevisions-
wesen poltern Rosegger II il, 6. — grenzrevisor,
m., beamter, der zur nachprüfung der grenze bestimmt
ist: fragen nach den grenzorten, weil die früheren grenz-
revisoren nie dergleichen gethan hatten Ritter erd-
kunde 2,1017; vgl. 3,307. — grenzenrichter, m.; der
markgraf war ursprünglich ein kaiserl. beamter, . . .
und nichts weniger als ein gränzenrichter allg. deutsche
bibl., anhang zu 58—86, 828. — grenzrisz, m., Zeich-
nung der grenze: gränzrisse sind unumgänglich nöthig,
und eine blosze beschreibung der gränze und abmessung
der weite jedes grenzsteins vom nächsten sind nicht
genung allg. deutsche bibl. 2-, 279. — grenzeritt, vi.,
was grenzberitt: nachdem der grenzeritt anging, so
speisten die herren mehrenteils nur kalte küche auf
dem felde Elisa v. d. Recke l, 103 Rachel.
GRENZSACHE, /., meist im plur., grenzstreitigkeiten,
-angelegenheiten : dasz in gräntzsachen personen auf die
stell geschickt würden, so alles in augenschein nehmen
ScHiCKFUSZ chron. v. Schlesien (1625) 3,193; in baw-
und grentzsachen sind auch gewisse constitutiones ge-
fasset MiCRAELius altes Pommerland (l640) 6, 565; die
. . . artikel, die hier {im polizeimagazin) vorkommen,
sind . . . gesinde, gränzsachen . . . allg. deutsche bibl.
122, 373; der entscheidung des ministers dagegen blieben
vorbehalten . . . arealveränderungen (der forsten), grenz-
sachen Bernhardt gesch. d. waldeigentums 2, 52.
GRENZSÄULE, /., lapis publicus ad dividenda terri-
toria constitutus Stieler 1693; vgl. fürnehmlich aber
braucht man die bilderstöcke und Säulen zu vermar-
ckung der obrigkeit, daran man denn der landes-herren
Wappen schlägt Chomel öcon. u. physikal. lex. 4, 1303;
auf der korinthischen landenge . . . .errichtete er eine
gränzsäule Becker we%e.9c7i. i, 171 ; der weg führt uns
wenige minuten hinter Schluderbach an der italieni-
schen grenzsäule vorbei Rosegger alpensommer (1908)
366; früher auch speciell für die mit dem bild des Ter-
minus gekrönte säule: zwischen dem Vorhang . . . sol
stehen das bildniss des ohnhändigen Terminus, als eine
grentzseule zwischen der Vernunft- und redkunst Hars-
DÖRFFER frauenz. gesprechsp. 5, 332; herr Boze unter-
suchet den gott Terminus bey den Römern, oder die
gränz- und wegesäulen Gottsched neueste aus d. an-
muth. gelehrsamkeit 3, 432; daher auch mit grenzbild
identificiert Jacobsson technolog. wb. 5, 729*»; bildlich:
dieser (Hercules) hat durch seine tapferkeit den bergen
Calpe und Abila als gräntz-säulen der weit seinen nah-
men eingeprägt Lohen stein Ibrahim sultan u. a. ge-
dichte, lobschrift A.8^; aus einem träum komme ich
wieder? sprach Abdallah . . . , — o wo fängt die Wahr-
heit an? wo steht die gränzsäule? Tieck Schriften 8,
155. — grenz säum, m. : selbst diese einzelnen aus der
ganzen jüngeren gebirgsmasse hervorragenden . . . f eisen
und striche . . . liegen insgesamt nur an dem äusseren
grenzsaume (Südafrikas) Ritter erdkunde l, 114; das
sprechendste Sinnbild dieses deutschen marken-charak-
ters des westungarischen gränzsaumes bieten die Orts-
namen RiEHL naturgesch. d. volkes 4, 360; es seien die
gebeine des heiligen bischofs Lampert bis an den gränz-
saum des parthischen volkes verbracht Steub Wande-
rungen im bayr. gebirge (1862) 103.
GRENZSCHEIDE, /., zunächst der ort, wo sich gebiete
scheiden (im, gebrauch vielfach mit grenze identisch):
grenzscheiden termini limites, fines, conßnia Stieler
1750 ; an der gränzscheid von Steyr, Hungarn und Cro-
atien ligt die vestung Canisia Birken vermehrter Donau-
strand (1684) 74; er meynt damit, dasz die gerade auf
der gränzscheide ansässigen Cerretaner theils zu Iberien,
theils zu Gallien gehören W. v. Humboldt 4, 173; der
groszvater . . . hatte den geist des nachbars mehrmals
gesehen, wie dieser an der grenzscheide hin- und her-
ging Rosegger 9, 302; eine . . . bank, die an der grenz-
scheide des parkes und des gartens stand Gutzkow
ritter v. geisie 5, 4; wie grenze auch für natürliche ge-
IV. 1. 6.
bilde, die gebiete scheiden : der Gambia ist . . . nicht mehr
die grenzscheide zwischen dem islam und fetischdienst
R.ITTER ercJÄMnrfe 1, 364; mächtige . . . gebirgsketten als
zeugen groszer erdrevolutionen, als grenzscheiden der
klimate, als wasser-vertheiler Humboldt Äosv^ios i, 319;
sie (engpässe) sind . . . leicht zu bewachende pforten,
natürliche gränzscheiden benachbarter Völker Oken allg.
naturgesch. 1,551; ins temporale übertragen: auf dieser
grossesten gränzscheide der zelten Creuzer Symbolik
u. inythologie 1, 214; auch in der mosaischen darstellung
ist also die sündfluth . . . die gränzscheide der zwei
zelten Schelling II l, 152; es (das lied) ist ohne zweifei
aus dem 16. Jahrhundert, steht uns aber am besten
hier an der grenzscheide (des 15. und 16. jhs.) Uhland
sehr. z. gesch. der dichtung u. sage 2, 395; die deutsche
nationalökonomik an der grenzscheide des 16. und 17.
Jahrhunderts buch von Wilh. Röscher; auch sonst
mannigfach übertragen: disz ist eine von den grenz-
scheiden zwischen mensch und thier Schiller i, 146;
in den werken des Cimabue sey die gränzscheide, der
Übergang von der alten zur neu aufblühenden kunst zu
suchen H. Meyer gesch. d. bild. künste 3, 329; sie hat
mich gefunden, diese liebe, beinahe an der grenzscheide
zwischen dem knaben und dem Jünglinge Görres briefe
1,17; gern mit auf: hier stand er (Bogen) mehr wie
irgendwo anders auf der grenzscheide zwischen altem
und neuen Meinecke Bogen 2, 447; eine interessante
notiz . . . , die einen körper betrifft, der auf der gränz-
scheide zwischen dem mineral- und dem vegetabilreiche
steht GÖTHE IV 22, 86 Weim.; dasz beide künstler (Po-
lyklet und Lysipp) auf der grenzscheide ihrer tätigkeit
noch zusammengetroffen sind H. Brunn kl. sehr. 2, 88;
es frasz mir das herz ab, ihn mit der sächsischen magd
auf der grenzscheide verblümter tändelei und nackter
herrenfrechheit spielen zu sehen C. F. Meyer der heilige
(l89l) 39 ; die verbalen Verbindungen ähnlich wie bei grenze :
entweder man nennt alles südliches Frankreich, was
jenseits der Loire liegt, oder man zieht die grenzscheide
von Bordeaux nach Lyon Laube ges. sehr. 5, 4; es
scheint, als ob für die künste, die sich mit ihr (der
Schönheit) beschäftigen, da eine grenzscheide gezogen
wäre, wo die sprachen aufhören, die von der lateini-
schen abstammen Heinse 6, 330 Schüddekopf; schon
1755 hat er die grenzscheide zwischen poesie und philo-
sophischer doktrin scharf gezogen Bayer liter. skizzen-
buch (1905) 192; da, wo sich beide männer begegneten,
(solle) die grenzscheide festgesetst bleiben Grimm deut-
sche sagen l, 193; nachweis, dasz er (der rechtssatz) für
das ältere recht . . . die gränzscheide bestimmt zwischen
der rechtsbildenden gewalt der gesetzgebung . . . und
der Jurisprudenz und des lebens Jhering geist d. röm.
rechts 2-, 666; in der betonung des wertes 'lehrer' schien
B. eine . . . grenzscheide zwischen ihr und E. . . . auf-
richten zu wollen Auerbach Schriften 6, 185; poetisch
auch die form grenzescheide :
an der zelten grenzescheide,
bis zum islam lebt er, doch . . .
sah er den propheten nicht
RÜCKERT (1867#.) 4, 97.
— grenzscheidekunst, /. Niebühr röm. gesch. 2,
549. — grenzscheidend, part.. 'verschiedene gebiete von
einander scheidend, ihre grenzen besiiinmend' Heinsius
2, 530". — grenzscheider, m., liminum distributor,
confinia determinans Stieler 1748; finitor, limitator
Steinbach 2,407; finitor, agrimensor Kirsch com. 2,
158 •>; = grenzmesser Adelung 2, 779, Heinsius 2, 530»;
in einer erörterung über kirchenrecht und -ordnimg : er
war D. Martin Luther, der euch gottes wort zurichten
sollte . . ., kein grenzscheider und wie ers nannte, und
die leute sonderbar ansah, kein Jurist! Herder 7, 215.
GRENZSCHEIDUNG, /. l) 'die Scheidung, d. h. abson-
derung, berichtigung der grenzen ziveier gebiete' Chomel
öcon. lex. 4, 1299; disterminatio Reyher thesaurus (l686)
G 6r»; terminatio, definitio, atiniarum et grammutorum,
constitutio Stieler 1748; divisione, spartimento de' ter-
mini Kramer teutsch-ital. (1700) l, 556"^; constitutio li-
mitum Stein BACH 2, 407; eine grentzscheidung machen
12
179 GRENZSCHEIDUNGSLINIE - -SCHLAGBAUM
GRENZSCHLOSZ - GRENZSICHERUNG 180
cancellare regionem, definire provinciam ib., cancellatio
Kirsch com. 2, 159"; die älteste und häufigste bedeu-
tung : die klag der grentzscheydung, finium regundorum
genant Gobler der rechten Spiegel 84'^; (es solle) die
Ukraine den cosacken nach der alten grentzscheidufig
gelassen {werden) Birken vermehrter Donaustrand 198;
daher machten sie mit den benachbarten Beigen eine
richtige gräntzscheidung Lohenstein Arminius (1689/.)
1, 900"^; dasz bey einer vorgenommenen gräntzscheidung
sich diese zwey gebrüder lebendig begraben lassen, um
hiedurch ihrem Vaterland' ein klein stuck landes zu ge-
winnen Warnecke poet. versuch ll; übertragen: das
genie lacht über alle die grenzscheidungen der kritik
Lessing 9, 210 ; wenn nun hr. L. succession in seinem
buche zum hauptgrunde des Unterschiedes zwischen
poesie und maierei macht; ist da wohl die richtigste
gränzscheidung zu erwarten? Herder 3, 143; in der
kritischen tendenz scharfer grenzscheidungen macht
Kant jenen berühmten prinzipiellen unterschied zwi-
schen pflicht und neigung Windelband gesch. d. neuer,
philos. ^2, 115; bisweilen mit der bedeutung 2) verschwim-
mend: insonderheit {soll der jagdbediente) auch seine
jagd-gränzen fleiszig bereiten, und, daferne etwa die
merckmahle der gräntzscheidung zu vergehen und un-
kenntbar zu werden beginnen Göchhausen notabilia
venatoris (l74l) 311 ; das . . . gebiet ist mit einem graben
umzogen, der zur grenzscheidung dient allg. deutsche bibl.
66, 515; es hat mir in der weit den gemeingang nichts
so schwer gemächt, als die bei fast jedermann ver-
merckte totale Unwissenheit und unbekümmernisz wegen
der grentzscheidung dieser beiden oeconomien Zinzen-
DORF TIEqI taviov (1746) 45.
2) = grenzscheide : 'der ort, wo die grenzen zweier ge-
biete zusammenstoszen' Chomel a.a.O.; confinium Stein-
BAGH 2, 407; confinium, collimitium Kirsch com. 2, 159»;
der Rhein sey die gräntzscheidung zwischen ihrem ge-
biete und dem römischen reiche Lohenstein Arminius
(1689/.) 1, 18"; auf ihrer gräntz-scheidung Schnabel ins.
Felsenburg 208, 9 Ullrich; die beere trafen auf der mit-
ternächtlichen grenzscheidung des reichs zusammen
MusÄus volksmährchen i, 94 Hempel; wir erinnern uns
hiebei jenes grauen, gleichfalls auf der gränzscheidung
des schwarzen und weiszen beobachteten bildes Göthe
II 1 , 112 Weim. ; verbum wie bei grenze {vgl. sp. 138) :
wenn der bach die gräntz-scheidung hält Döbel neu-
eröffnete jägerpractica (1754) 3, 89; übertragen: ist doch
die grenzscheidung zwischen dem moralisch bösen und
dem moralisch guten eben so unbestimmbar Lessing
13, 113; die stolze {vernunft) bescheide sich, den flachen
horizont anzuerkennen als die grenzscheidung ihres ge-
bietes Brinckmann j^Zoäo/. ansichten (18O6) 69; nicht un-
mittelbar von dir zu mir und von mir zu dir strömt
die erkenntnis, die wir von einander haben; wir für
uns sind durch eine unübersteigliche grenzscheidung ab-
gesondert Fichte werke 2, 301 ; hier also ist die grenz-
scheidung zwischen der nothwendigkeit und der freiheit
für unsere Wissenschaft naturrecht 96.
3) = grenzzeichen: 'auch das zeichen der grenze' Cho-
mel a. a. 0.; ebenso Adelung 2, 779; beijn eintritt in das
Vaterland: ich sähe die gränzscheidung, und da ich
eben einen grünen platz fand, beredet' ich meinen ge-
fehrten, Curland zu umarmen Hippel lebensläufe 2, 167 ;
so vielleicht auch: diese bemerkung halte ich für sehr
wichtig, und möchte sie fast als die gränzscheidung
zwischen der gezierten scheinreinigkeit . . . und der bar-
barischen nachlässigkeit im lesen und schreiben an-
sehen Kinderling reinigkeit d. deutsch, spr. (i795) 17.
dazu: grenzscheidungslinie,/., deutsche bezeichnung
für die von papst Alexander VI. festgelegte ligne de de-
marcation, die den spanischen und portugisischen kolonial-
besitz trennte Chomel öcon. lex. i, 1299; allg. deutsche bibl.
7,114; grenzscheidungsvergleich, m. Lindenborn
Diogenes (1742) l, 687. — grenzschenke,/.; Andres
und ich begleiten dich bis an die grenzschenke 0. Lud-
wig 3, 68. — grenzschlagbaum, m.: als ich . . . ko-
sacken an dem grenzschlagbaum . . . erblickte Arndt
1, 117; dasz aber die italienische spräche einem nicht
hinter dem grenz-schlagbaum von oben überkomme, das
hatte ich ... begriffen Gau DY 2, 38. — grenzschlosz,
n., arx limitanea Stieler I84l; auf das grentzschlos aber
gen Schlochau schickten sie etlich volck in die besat-
zung Schütz historia rer. Prussic. (i592) 5, D 2»; die
höhen von Gualandro, von denen das alte grenzschlosz
mit seinen thürmen und zinnen düster herabschaut
Gaudy 19, 109. — grenzschnitt, m. = grenzscheidung:
wenn nun jeder ort seine alte protocolle von grenz-
schnitten wolte drucken lassen, so würde der ganze
Hamburgische dorn die Sammlungen deutscher Urkunden
nicht fassen können allgem. deutsche bibl. 11, 335. —
grenzschnur,/. = grenzkette; von Heyn atz antibarb.
2, 72 als ersatz für grenzcordon vorgeschlagen, ohne aber
rechte Verbreitung zu finden ; vgl. Hein sivs 2,530*; auch
bildlich: der Jüngling, dem mädchen einmal so nahe
gekommen, wahrte seinen vortheil, ohne jedoch im ge-
ringsten an die grenzschnur zu streifen Rosegger 12,
388. — grenzschranke,/.; seit diesem vorfalle war
auf dem Verbindungswege beider Schlösser die grenz-
schranke niedergelassen Rosegger 14, .55; senkt er {der
ausläufer) sich hinunter als grenzschranke des Platts
H.V.Barth a. d.nördl. kalkalpen ei6. — grenzschutz,
m., junges compositum ; m.eist von der Sicherung der lan-
desgrenze: um die Römer vom grenzschutz und damit von
der nothwendigkeit einer stehenden besatzung in Asien
zu befreien Mommsen röm. gesch. 2, 55; doch auch 'schütz
der grenze gegen Veränderung oder beseitigung der grenz-
zeichen': in den landesherrlichen Waldungen bildete . . .
der grenzschutz bereits eine Obliegenheit der forstbe-
amten Schwappach handb. d.forst- u. jagdgesch. 1, 145;
grenzbezeichnung und grenzschutz in den markwal-
dungen Bernhardt gesch. d. ivaldeigentums 1, 120. —
grenzschütze, vi., ein jäger, dem ein grenzrevier (be-
sonders bei feindseliger nachbarschaft) anvertraut ist mit
dem besonderen auftrug, das überwechselnde ivild abzu-
schieszen Chomel öcon. lex. i, 1300 ; Jacobsson technol.
wb. 5, 729'"; allgemeiner: 'ein jäger, welchem ein an der
grunze gelegenes Jagdrevier anvertrauet ist' Adelung 2,
779; Heinsius 2, 530»; wo es . . . feindliche nachbar-
schafft giebet, wird ein gräntzschütze gehalten Fleming
vollk. teutsche jäger (1719) 50 ; ähnlich bei Döbel neuer-
öffn. jäger-practica (i754) 4, 58; der heege-knecht oder
gräntzschütze, welchen der heege-reuter ... in seiner
Verrichtung mit zu hülfe nimmt Göchhausen notabilia
venatoris (i74l) 324; inmittelst muszten die bauern, för-
ster, Jägerbursche, grenzschützen ... in dem kohlholz-
bau die stamme anschlagen Schwappach handb. d.forst-
u. jagdgesch. 1, 520; gelegentlich:
der schnurren corporal musz gränzen-schütze heiszen
J. J. Schwabe belustigungen i, 353.
— grenzschwierigkeit, /.; die loslösung des El-
sasz von Frankreich {wird nicht gefördert) durch die
beifallsbedürftige Weichlichkeit gegen locale beschwer-
den und grenzschwierigkeiten Bismarck gedanken u.
erinner. 2, 236 volksausg. — grenzseil, n. ; ferner,
dasz er {der jäger) alle forst-, jagd- und andere grenzen,
mit ihren gewapneten oder ungewapneten steinen, mar-
ken oder grenzsteinen, . . . grenz- und hegeseilen . . .
recht inne habe Heppe aufrichtiger lehrprinz (l75l) 135.
— grenzsetzung,-/., deZimiteÜo Kirsch corn. 2, 159»;
mit dem verbtun von grenze {s. sp. 142) : zu deme were
viele und ßin grosses aufgegangen {ivären grosze kosten
entstanden) . . . auf die grentzsetzunge, welche der könig
aus Dennemarck und hertzog Julius zu Braunschweig
zwischen beyden fürstlichen häusern Pommern und
Mechelnburg gezogen betten Micraelius altes Pommer-
land (1640) 3,575. — grenzsicherheit,/. ; ähnlich wie
es mit Decebalus geschehen war, durch aussetzung jähr-
licher gratiale die grenzsicherheit zu erkaufen Mommsen
röm. gesch. 5, 208. — grenzsicherung,/. ; {die kleinen
fürsten fürchteten die Überfälle ihrer nachbarn so sehr,)
dasz sie statt der verschanzungen hier das Wachstum un-
durchdringlicher Waldungen als ihre grenzsicherung be-
trachteten Ritter errf&Mntie 4, 46; anders: sichere kenn-
zeichnung der grenze: die periode vom 16. bis zum
181
GRENZSOLDAT — GRENZSTADT
GRENZSTÄDTCHEN — GRENZSTEIN 1 82
18. Jahrhundert hat bezüglich der älteren formen der
grenzbezeichnung und grenzsicherang (von forsten) mehr-
fache fortschritte herbeigeführt Schwappagh handb. d.
forst- tc. jagdgesch. l, 841,
GRENZSOLDAT, in.: grentzsoldaten ripariensea mi-
Utes Kirsch com. 2, 159*; miles limitaneus, finium pro-
pugnator Steinbagh 2, 602, also = grenzer (s. d.); icie
dies wort specialisiert: gränitzer, gräntzsoldaten limitanei
inüites Hungariae Apinus gloss. nov. (l728) 252; 'ein be-
sonders in Ungarn übliches wort, die Soldaten in den
gränzfestungen gegen das türkische gebieth zu benennen,
welche daselbst auch gränitzer genannt werden' Adelung
2, 779; Heinsius 2, 530"; vielleicht wollte er {Constantin)
dadurch, dasz er die grenzsoldaten zum theil in die städte
verlegt, dem gewerbe etwas aulhelfen M. P. Schmidt
gesch. d. Deutschen l, lll; aller kriege ungeachtet sah
man jedoch ... in Polen noch keinen anfang von . . .
bleibenden gränzsoldaten Becker welfgesch. 7, G9i ; das
{schmuggelnde) volk . . . steht das ganze jähr hindurch
unter den waffen gegen die gränzsoldaten und gens-
d'armen Gaudy 8, 178. — grenzspalt, m.: zu den
merkwürdigsten dieser längenthäler . . . gehört die grosze,
romantisch-groteske einsenkung von Jezidkhast, der na-
türliche grenzspalt des alten Fars und Mediens Ritter
erdkunde 9, 17. — grenzsperre, /., anläge zur ab-
Sperrung der grenze: der rätische (limes), eine 174 km
lange grenzsperre in form einer aufschüttung von bruch-
steinen Wimmer gesch. d. deutschen bodens 16; vgl. die
behelfsbefestigung hat ihre hauptsächliche bedeutung
für grenzsperren im gebirge Alten handb. f. heer ti. flotte
2, 44; meist: Unterbindung oder einsdiränkung des han-
delsverkehrs zivischen verschiedenen stauten: der kaiser-
liche gesandte in Chur . . . unterdrückte weiteres nach-
forschen mit androhung einer grenzsperre gegen Bünden
ZscHOKKE 38, 254; Motz . . . bemühte sich wiederholt,
immer vergeblich um eine milderung der grenzsperre
Treitsghke deutsche gesch. im 19. jh. 3,477; bildlich:
superklugheit die . . . den freien geist als ausländische
waare mit der grenzsperre belegt B. v. Arnim dies buch
gehört d. könig 1, 198 ; der grund dieser letzteren grenz-
sperre (zivischen maierei u. plastik) ist der tiefe gegen-
satz im geiste beider künste Vischer ästhet. 3I, 104. —
grenzsperrung, /. ; eine derartige . . . grenzsperrung
(nach art des rütischen limes) kann füglich schon vor
dem Marcomannenkrieg den Hermunduren gegenüber
beliebt worden sein Mommsen röm. gesch. 5, 144. —
grenz Staat, in.: ein grenzstaat zwischen diesen . . .
negervölkern war das reich Assin Ritter erdkunde 1,
313; allerdings hatten sich christliche mächte von nie-
derem ränge, grenzstaaten der Christenheit, ... in bünd-
nisz mit den ungläubigen eingelassen Ranke reform,
gesch. 4, 27. — grenzstab, m. = grenzpfahl, -stock,
-stecken: die deutschen könige . . . überlieszen es den
Schauenburgern, den immer auf der lauer zum einfall
stehenden Dänen die grenzstäbe fester und dichter zu
ziehen D. v. Liliencron 3, 219.
GRENZSTADT,/..- grcnzstatt oppida confinia Henisgh
1740; grenz- sive ir:oniivsiü,Ai finitima, limitanea Stieler
2113; grenzstadt cittä di frontiere Kramer teutscliital.
(1700) 1, 556»; grentzstat Sghottel hauptspr. 480; grentz-
stadt 76; und alle grentzstedte, sampt iren dörfern der
kinder Ephraim, waren gemenget unter dem erbteil der
kinder Manasse Josua 16, 9; und morgens . . . namen
(sie) ihren weg gen Palinges, ein gantz schöne grentz-
statt Amadis l, 90 Keller; dasz Schwiebussen, als eine
gränzstadt, neben etlichen andern auf des gantzen lan-
des Unkosten solte befestiget werden Sghigkfusz chron.
V. Schlesien (i625) 4, 157; der Schauplatz ist zu Susa,
einer persischen gränzstadt samml. v. schausp. (Wien
1764 — 69) 6, Xerxes, personenverz.; die grenzstadt gegen
Samnium Saticula Mommsen röm. gesch. 1, 341 ; da an
dieser gränze sehr viel verbotene waaren eingebracht
werden, ist man in Genf noch strenger, als in den an-
deren französischen gränzstädten Pückler briefic. u.
iageb. 2, 269; anders: ich sah ... an dieser göttlichen
grenzstadt der wasserweit (Neapel), an diesem aufstei-
genden gebirg von palästen hinauf Jean Paul 15/18,
514 Hempel. gelegentlich grenzestadt:
Kales sich lihsz blikken,
der Franzen gränze-stat
Zesen adriat. Rosemund 16 neudr.
— grenzstädtchen, n. : seine garnison Kaelbrau, ein
grenzstädtchen des fürstenthums Drallenburg Gaudy 24,
li; im 17. jh. auch: in dem persischen grenzestädlein
Bugholtz Herkuliskus (i665) 714. — grenzstamm, m.:
wir sahen bereits, dasz er den Germanen, vielleicht
von den grenzstämmen abgesehen, nur die kenntnis des
haferbaues zugestehen will Hoops waldbäume u. kultur-
pflanzen im. — grenzstandort, m..- man beobachtet
die bahnen von den grenzstandorten aus (schutzmasz-
nähme bei der mobilisier ung) Alten handb. f. heer u.
ßotte 3,329. — grenzstation, /.; in gutem glauben
an die alimacht unseres empfehlungsbriefes an alle
grenzstationen meinten wir die kette (die die österreichi-
schen douanen an der grenze des Schweizer hantons Tes-
sin über den ueg^ gespannt hatten) sofort fallen zu sehen
ROON denkicürdigk. 1, 414; auf der grenzstation Cormons
hatten die damen anstände mit den italienischen Zoll-
beamten Rosegger II 14, 51. — grenzstatthalter,
m. : sie nennt ihn zwar könig . . . , aber aus der ge-
schichte ergiebt sich, dasz er wol eben nur vasall der
Sassaniden, von ihnen eingesetzter grenzstatthalter über
Hira war, oder vicekönig Ritter erdkunde 12, 96. —
grenzstecken, m. = grenzstab, -stock: statt sie (die
Jinger) in die obren stecken zu müssen wie früher,
wenn des vaters zunge über der sittsamkeit grenzstecken
sprang Herb. Eulen berg dogenglück (1899) 63. — grenz-
stecker, m.: von Gomer, Japhets söhn, kommen die
Cimmery, die man hernach hat Cimbros genandt, das-
selbige wort heist einen grenzstecker, feldmesser (Cu-
RÄus 11: finitorem) Rätei. Curäi chronica von Schlesien
(1607) 11.
GRENZSTEIN, m., 'zur bezeichnung der gränze ausge-
setzter, mit einem buchstaben und einer nummer bezeich-
neter stein' Weber öcon. lex. 202; grentzstein borne, con-
flne Hulsius-Ravellus (16I6) 145 >»; grenz- eHandgrenz-
stein lapis terminalis Stieler 2139; pietra che dinotai
limiti Kramer ieutschital. (lim) l, 556*; limes, cancellus
Stein BACH 2, 692; für die dialecte vielfach ausdrücklich
bezeugt, vgl. Fischer schwäb. 3, 826; Meisinger rap-
penau. 77»»; Follmann lothr. 215'*; lux. ma. (1906) 154»;
Bauer-Collitz waldeck. 41»; Hupel idiot. d. dtsch. spr.
in Lief- und Ehstland 81; alem. fehlend (vgl. grenze,
sp. 125, 2).
i) eigentlich: gräntz-steine, mahl-steine oder marck-
steine werden in öffentliche und privat -gräntz-steine
eingetheilt Chomel öcon. lex. 4, 1300; zufrühest für pri-
vate grenzsteine: alda auf der stelle hat ein aufgerichter
grentzstain gestanden, weh dem menschen seiner seele,
der den grentzstein hat ausgegraben und weggeschafft
Hüttel Trautenauer chron. 203 Schlesinger; 2. hat der-
selbe (forstbediente) seine gräntz- und lag-steine oder
bäume in genauer obsicht zu behalten Göchhausen
notabitia venatoris (1741) 313; frau Walburga stand vor
ihnen am grenzstein der feldmark Holtei erzähl, sehr.
4, 81; Terminus ... in der alterthumskunde ein grenz-
stein, grenzbild Kinderling reinigk. d. dtsch. spr. (1795)
337; wir kamen an den grenzstein zwischen Schwitz
und Zürch Göthe III 2, 161 Weim.; also zogen sie mit
einander ... bis an den grenzstein, der das reich Hi-
spania von Frankreich scheidet Hebel 2, 2ii Behaghel;
da, wo . . das königliche wappen auf den grenzsteinen
ausgehauen war, nahm Hansei abschied Auerbach sehr.
4, 122; mit völligem verblassen des stibstanzbegriffes: höl-
zerne grenzsteine sind in den dorfgemarkungen nichts
seltenes Riehl naturgesch. d. Volkes l, 162; im vergleich:
es (das doctorhaus) stand jetzt nicht mehr so allein da
wie ein grenzstein Ebner-Esghenbach 2, 50; bildlich:
ists nicht ein merkwürdiger anblick, solche zween mark-
grafen deutscher hoheit (Klopstock u. Winckelmann) von
ihren grenzsteinen zusammen treten zu sehen, zusam-
men sprechen zu hören Herder 3, 250; öfter in phrasen
12*
183
GRENZSTEIN
GRENZSTEIN
184
tde: ist es denn meine schuld, dasz der erste mann,
der mir auszerhalb unserer grenzsteine (unseres besitz-
thums) begegnete, gerade Rosenberg war? Schiller 6,
285; und war nicht innerhalb der grenzsteine, die man
sich erobert hatte {beim 2. Pariser frieden), freies feld
genug für kraftvolles wirken? Meinegke Boyen 2, 77.
2) übertragen: die fixsterne dienen uns nämlich zu
gränzsteinen, an denen wir die bewegung des mondes
und jedes anderen weltkörpers . . bemerken Schubert
verm. sehr. 1, 31; zumeist aber in dem sinne von grenze B
{sp. 134); 'endgrenze, schranke' :
ich merke mir genau den gränzstein meiner lust
HoFFMANNSWALDAU u. anderer ged. 1, 4 Neukirch;
halte fest am frommen sinne
der des grenzsteins nie vergasz !
alles heil liegt mitten inne,
und das höchste bleibt das masz
Geibel 2, 129 Cotta;
dieses alles, welches ich hier nahmhafft gemacht habe,
sind so viele gräntzsteine, die die ausgelassene ver-
messenheit der menschen in dem punct des gedenckens
hinterhalten sollten discourse d. mahlern 2, 61; grenz-
stein der weiblichen rechte in und auszer der ehe (buch-
titel) allg, deutsche bibl., anh. zu 53 — 86, 1575; 'ziel, ende,
abschlusz, äuszerster punct':
hier (im grabe) ist der gräntzstein aller macht,
das Zollhaus aller Sachen Gryphius ged. 366 Palm;
hier ist der eigentliche grenzstein des abc der anschau-
ung Herbart ii, 193 Hartenstein; concreter:
brich an gewünschtes licht! willkommen liebster morgen I
du ziel der herben angst, du grentz-stein meiner sorgen!
Günther ged. (1735) 1016;
ich schau das lust-schlosz höchster wonne,
ich seh die allerreinste sonne,
ich seh den grenzstein aller noth
Triller poet. Betrachtungen 2, 108 ;
dieser schwarze ring ist der pfandbrief meines elends,
meines vaters gräszliches todesurtheil, der schwarze
gränzstein meines lebens Tieck sehr. 8, 74; vor diesem
gränzsteine aller menschlichen leiden (Niobe) zerflieszt
der beschauer in thränen A. W. Schlegel über dram.
kunsti, 130; anders: Michelangelo war der höchste punct
in der composition, das jüngste gericht ist der gränz-
stein der historischen composition Runge hinterlass.
sehr. 1, 6; in zwei bildern begegnet dieser sinn von grenz-
stein hätifiger:
welch getön durchfliegt den verstummten äther
hier auf Bernhards kupp', an der Schöpfung grenzstein
Baggesen poet. werke 2, 77;
also so erhaben ist dieser grenzstein der erde gegen
den himmel, dasz ihn zu viel licht ebenso den blicken
entzieht als gewölke und dunkelheit (der Montblanc ist
gemeint) Greif nachgelass. sehr. 5; ferner:
so würd alsdenn dein leichenstein
der grenzstein meiner zeit wie deiner freude seyn
Stoppe Parnasz (1735) 55;
es musz dein leichen-stein der thränen grentz-stein seyn
ScHMOLCKE trost- u. geistr, sehr, i, 695;
ist diese Wahrheit allgemein,
und trifft sie auch die grauen alten,
die auch den spätsten leichenstein
für ihres Wissens gränzstein halten
Gottsched ged. (1751) 279;
vgl. auch:
ein kahler scheitel ist ein gräntzstein der natur
Warnecke poet. versuch (1704) 325.
3) verbale Verbindungen: einen grenzstein setzen (vgl.
grenze setzen sp. 140/.) : es last sich der ehrsucht nicht
so leicht ein ziel als ländern einen gräntz-stein setzen
Lohen stein Armin. (i689/.) l, 6^; sobald aber Katha-
rina zur gränzbezeichnung ihres gebiets gränzsteine setzen
. . . liesz Jahn l, 82; die zwo seulen, welche Herkules
zu einem gränzstein seiner . . . reisfahrten . . gesetzet
Birken ostländ. lorbeerhayn (\&bl) 185; bildlich: ein schei-
dendes und ein neuauftretendes Jahrhundert setzen gleich-
sam durch sich selbst dem wandrer einen grenzstein.
auf welchem er, vor- und rückwärts blickend, gerne
verweilet Herder 23, 3; Petrus setzet hier die taufe
Johannis und die himmelfahrt Christi gleichsam zu
grenzsteinen der bey einem apostel erforderten Wissen-
schaft von der historie Christi Starke Synopsis (1735)
neues test. 2, 36;
du wähltest ewig unter möglichkeiten,
war' nicht die Wirklichkeit als grenzstein hingesetzt
Grillparzer 7, 24
im sinne 'schranken errichten': das schlimmste . . war,
dasz er sogleich von den bis daher gewohnten redens
arten abgieng und sich neue schuf, dadurch aber . .
für allezeit zwischen ihm und seinen gegnern gewisse
gränzsteine und schranken setzte Schmidt gesch. der
Deutschen 5, 66; wie grenzen setzen (s. sp. 141) oft in
dem sinne 'ein ziel setzen, beendigen': als nun Klodomir
. . die . . schände . . auszutilgen beemsigt war, setzte
das verhängnisz unvermuthet seinem leben und gebiete,
nicht aber seinem . . . nachrühme einen grentzstein
Lohenstein Arminius (i689/.) l, 172*;
Jesus selbst will durch den tod
deiner last den gräntz-stein setzen
Günther ged. (1735) 109;
ähnlich:
was gilts! ein aderlasz, purgation, clystir
kann eurer Wissenschaft den letzten grenz-stein setzen
(schelte gegen die after-ärzie)
Weichmann poesie d. Niedersachnen 3, 99;
oder 'einhält gebieten, einschränken, hemmen':
wer kann in dieser lust uns ziel und gräntz-stein setzen
Neukirch avfangsgriinde z. teutsch. poesie 119;
diesem (rechtssatz) wird der wichtige gränzstein gesetzt:
dasz . . (seine anwendung tvird in der weise beschränkt)
allgem. deutsche bibl. 2 2, 157; hier hat die natur . . .
kein maas bestimmt und keinen gränzstein gesetzt
Haller restaur. d. staatsicissensch. 2, 44; ich . . sprengte
lachend über die grenzsteine, die sie der liebe setzten,
hinweg Herb. Eulenberg Anna Walewska (1899) 59.
einen grenzstein legen, aufstellen i*^ seWe?ier.- der
gränzstein wird nach der schnür gelegt Hippel kreuz-
u. querzüge 1, 461;
wie weit der grentzstein dieser weit ist grundfest eingeleget
Treuer deutscher Bädalus 1, 66;
entsprecheixd : auch hat ein erber rath . . den grossen
grentzstain , so itzunder neben der Aupen unter dem
Tzschischwengestain auf der rechten grenitz leit, lassen
aufdecken Hüttel Trautenauer chron. 204 Schlesinger ;
ein geist der ehre sucht, muss etwas weiter ziehn,
denn wo der gräntzstein ligt
Opitz nach Bodmer samml. crit. poet. Schriften 1, 103;
darin sieht man ihn (Michaelis) deutlich nur erst als
grenzstein gegen die naturdichter und Shakespeare's
schule hin liegen Gervinus gesch. d. dtsch. dichtxmg 4,
234; — einige schritte davon sind die gränzsteine bei-
der reiche aufgestellt Steub drei sommer in Tirol 1, 18;
entsprechend :
beim spielen überlegen
die mädchen selten, wo des spielens gränzstein steht
Müllner dramat. werke 4, 45.
den grenzstein verrücken«.«, (vgl. die grenze ver-
rücken sp. 140) : weil einer desz namens ehedessen da
gelebt und die grentz- oder marck-steine desz feldes
betrieglich verruckt haben soll Erasm. Francisci höl-
lische Froteus (1695)423; wenn ein Alexander die grenz-
steine der länder verrücken sollte Jean Paul 7/10, 152
Hempel; dieses (deutsche) wort ist . . unser heiligstes gut,
ein grenzstein Deutschlands, den kein schlauer nach-
bar verrücken kann Heine 7, 149; ich bin . . kein an-
hänger eures liberalismus, der alle grenzsteine verrückt
Auerbach 18, 118;
wie man nach gespenstern blicket,
die den grenzstein falsch gerücket
Brentano 1, 467;
welche die gräntz-steine oder gräntzsäulen boszhaffter
weise niederreissen, wegschaffen und verändern Ghomel
185 GRENZSTEINFREVLER - GRENZSTELLE
GRENZSTELLUNG - GRENZSTREITIGKEIT 186
öconom. lex. i, 1303; indem der protestantismus ... die
grenzsteine zwischen den beiden gebieten kirchlichen
schriftgebrauches und wissenschaftlichen schriftver-
ständnisses ausrisz, hat er sich selbst das grab ge-
graben Lagarde deutsche sehr. 295; das neue ist aber
unter allen umständen das böse, als das, was erobern,
die alten grenzsteine und die alten pietäten umwerfen
will Nietzsche 5, 41; umgekehrt: (der krieg) der sie
{die romanische rasse) jetzt ... in ihre . . . schranken
zurückgewiesen und die alten grenzsteine deutscher
nation . . wieder gefestigt hat Mommsen reden «. auf-
sätze 321. — während xcendungen wie grenze setzen, ver-
rücken offenbar abhängig sind von grenzstein setzen,
verrücken, waltet gelegentlich auch das umgekehrte Ver-
hältnis ob: indessen brach (1618) in Deutschland der
gewaltige krieg aus, der — für jetzt den gränzstein
meiner erzählung machen soll Becker weltgesch. 7, 360,
vgl. sp. 188 a; in der Aeneide Veldeke's, die mit Ruod-
lieb die grenzsteine der zeit bildet, innerhalb welcher
sich diese halb gelehrte halb volksmässige . . . gattung
von dichtungen bewegt Gervinus gesch. d. dtsch. dich-
tung 1, 94, vgl. sp. 138 a;
wir folgen der natur, die alles unterscheidet,
dardurch verhaszten streit, zwist, zanck und irrung meidet:
wer solchen unterscheid und grentzstein überführt,
der hat auch den verstand der gantzen schrift verkehrt
Härsdörffer teutscher secretarius 1, Mmm T*»,
vgl. sp. 144, 3; der gränzstein, woran sich der hörige
mann von dem . . leibeignen scheidet, wird . . . nicht
. . deutlich angegeben Moser u-erke 3, 185, vgl. sp. 142;
wir . . müssen uns hier mit der negativen erkenntnisz
begnügen, zufrieden den letzten gränzstein der positiven
erreicht zu haben Schopenhauer i, 525, vgl. sp. 147.
4) bei dichtem des ll.jhs. nicht selten grenzestein:
{Gott) sprach dem feuer zu : hier sei euch stoltzen flammen
der grentze-stein gesetzt; nicht weiter solt ihr gehn
Zesen vermehrter helikon (1656) 2, 28 ;
vgl. Zesens gränzestat unter grenzstadt;
du hast der breiten see den grentze-stein gezeiget
Erasm. Francisci indisch-chines. lusigarten (1668) 1, 109;
dich warf zur andern seit
Minerva für den halsz mit einem grüntzesteine
der auf dem felde lag
Opii'z opera geist- u. weltlicher ged. (1690) 1, 97;
grenzenstein auch später noch: zum andern soll er
{der käufer eines gutes) . . alle mit fremden herrschaf-
ten seiner nächsten nachbarschafft anrainende gräntzen-
stein und march . . besichtigen Hohberg georgica cu-
riosa (1682) 1, 13;
allein, es fehlte noch ein grosser Alexander,
ein mehrer seines reichs, der länder grentzen-stein
^ Besser sehr. 1,28 König;
wie gern wollt' ich grenzensteine verrücken und un-
rechtes gut einsammeln, wenn Jean Paul 19, 127 Hern-
pel. — grenzsteinfrevler, m.: die s. 546 berührte
strafe der Verwandlung in irrwische für grenzsteinfrevler
J. Grimm rechtsalterth. ^i, xv. — grenzsteinver-
rück er, m.: da er (jß. Wagner) die Scheidewand ein-
reiszt, die die künste von einander trennt, so nenne
ich ihn einen grenzstein -verrücker Victor Hehn an
Herrn. Wichmann 145; in ähnlich übertragenem sinne bei
Görres ges. br. 3, 177. — grenzstejnverrückung,/.;
wenn nicht die in unsern Zeiten so häufigen grenzstein-
verrückungen . . für geographen und deren schüler eine
lernäische hyder würden Gaudy 3, 57. — grenzstein-
versetzer, m.: auf anderem wege ist schon Rochholz
. . dahin gelangt, in den feldmessern, marchern, grenz-
steinversetzern u. s. w. alte feldgottheiten zu erkennen
Laistner neöeZsa^e?^ 341. — grenzstelle,/.: daselbst
ist der newe müistein hingefüret worden auf die alte
grenitzstelle, daselbst auch vor 50 jaren zuvor ein alter
grenitzstein gestanden hat Hüttel Trautenauer chron.
267 Schlesinger; die Engländer . . bestimmten eine grenz-
stelle zum marktort und tauschplatz beider Völker Rit-
ter erdkunde 1, 129; ein knöchelchen befindet sich an
der grenzstelle zwischen dünn- und bUnddarm Sömme-
RiNG bau d. menschl. körpers 2, lxxvi. — grenzstel-
lung, /..• in seinen poetischen erzeugnissen ist er
(Friedr. Müller) ganz interessant durch seine grenz-
stellung zwischen idylle und Schauspiel Gervinus gesch.
d. dtsch. dichtung i, öZi. — grenzsteuer,/., geldhilf e
für den grenzschuf z: ohne die hilfe an volk hätten
f(ürsten) und st(ände) auch in der Brozkaischen Un-
ruhe und sonst geldhilfen unter dem namen grenz-
steuern bewilligt acta publica, verhandl. d. schles. für-
sten u. stünde 4, 204; vgl. grenzhilfe. — grenzstock,
m.: hiernächst werden an vielen orten marquen oder
grentz-steine, grentz-stöcke etc. nach der länge der fel-
der eingesetzt allg. haushaltungslex. {Xli^ff.) 2, 633**; vgl.
grenzstab, -stecken; anders: der . . . westlichste grenz-
stock des kleinen Atlas bildet am osteingange der strasze
von Gibraltar die eine der säulen des Herkules Ritter
erdkunde 1, 889. — grenzstörer, m.: von den kritikern,
den eigentlichen zaunhütern des geschmacks, werden
sie {die naiven dichter) als grenzstörer gehaszt, die man
lieber unterdrücken möchte Schiller lo, 450. — grenz-
stör ung, /.; {die Obrigkeit) kann, was bey säen und
erndten auch nöthig ist, hindernisse abhalten, grenz-
störungen, unkraut unter den waizen säen, also auch
eingriffe in lehrordnungen, Verachtung und Verspottung
der lehrwahrheiten . . . verbieten und abhalten allg.
deutsche bibl. 1142, 147. — grenzstrang, m., in der
medicin terminus technicus für einen bestimmten nerven-
strang Ersch-Gruber I 90, 237; Sömmering bau des
menschl. körpers 4, 60. — grenz strecke, /. ; die karte
von Deutschland sieht in der mitte buntscheckiger aus
als an dieser grenzstrecke {im Südwesten) Riehl natur-
gesch. des volkes 1, 237; hinter der kurzen serbischen
grenzstrecke gegen Rumänien liegt das verschanzte
lager von Zajecar Alten handb. f. heer u. flotte 3, 185.
— grenzstreif, -streifen, m.: Vorschrift über die
grenzstreifen, die dem abpflügen wehrte Mommsen röm.
gesch. 1, 404; die Römer . . muszten wohl einsehen, dasz
dieser . . . deutsche grenzstreif in seiner engen berüh-
rung mit den freien rechtsrheinischen Germanen ihrer
herrschaft gefährlicher war als das tlackerfeuer im
Keltenland redeii u. aufsätze (i912) 329 ; Frankreichs und
Oesterreichs gegenseitige eifersucht fand zwischen bei-
den Staaten den grenzstreifen unparteisamer gebirge
ersprieszlicher als dessen Vernichtung Zschokke 37, I8i;
in der medicin ist grenzstreif bezeichnung eines gehirn-
theils {taenia semicircularis) Sömmering bati d. menschl.
kö7pers 4,194. — grenzstreifer, m.: die Sojoten, zu-
mal die grenzstreifer {die an der grenze von Ruszland
u. China nomadisieren) sind sehr schmutzig und roh
Ritter erdkunde 2, 1058; dazu grenzstreiferei 3, 193.
GRENZSTREIT, m., disceptatio seu pugna de finibus
ScHOTTEL /lattpf«^/". 406; controversia de finibus Stieler
2208; inmassen dasz sie {die Ordensritter) auch vielmalen
mit dem könig von Polen wegen der grentzstreitten mit
heersgewalt dapferlich geschlagen D. Federman Nieder-
lands beschreibung ^540) 158 {dieser plural noch bei Klop-
STOCK gramm. gespr. (1794) 84; sonst dafür grenzstreitig-
keiten, s. u.); bei könige soll angehalten werden, dasz
er sich resolviren woU . . . dem gräntzstreit zwischen
dem hertzog von Teschen und bischoffe zu Olmutz ab-
zuhelfen ScHiCKFUSZ chron. v. Schlesien (1625) 8, 202;
den polnischen gräntzstreitten abhelfen 233 ; das ist noch
schöner ausgeschmückt in der sage von einem grenzstreit
zwischen Uri und Glarus J. Grimm kl. sehr. 2, 7i; ein
grenzstreit hatte sie {zwei bauern) entzweit vor vielen
Jahren Rosegger 2, 305; übertragen: {Ingredienzien des
menschenlebens sind) politischer druck — langeweile,
schlechte gesellschaft in dieser erdenweit, gränzstreit
in hinsieht der theoretischen Vernunft, und unkunde
der Vorschrift der praktischen Hippel kreuz- u. quer-
Züge 2, 466; vgl. grenzstritt. — grenzstreitig, adj.:
freylich hätten die grenzstreitige partheyen sehr leicht
aus einander kommen können, wenn lebensläufe 4, 216.
GRENZSTREITIGKEIT, /.. nur im plural {den sing,
bildet grenzstreit, s. d.) : dieweiln auch die grenzstreitig-
keiten zwischen dem königreich Polen und Schlesien
187
GRENZSTRICH — GRENZTHAL
GRENZTHEILUNG — GRENZUNG
188
bishero viel Unrichtigkeit gegeben acta publica, verhandl.
d. scJiles. fürsfen u. stünde 6, 221; insonderheit richteten
sie über . . erbschaffts- und gräfitz-streitigkeiten Lohen-
stein Arminius (1689/.) I, 560'; der baron hat fast mit
allen nachbarn gränzstreitigkeiten theater d. Deutschen
(1768^.) 14, 126; als Krokus . . von einem flurzuge heim-
kehrte, wo er . . die grenzstreitigkeiten zweier gemein-
den geschlichtet hatte MusÄus volksmährchen i, 77 Hern-
pel; grenzkämpfe: manche ernste und heitere erzählung
hat sich bei den eingeborenen über die erbitterten
grenzstreitigkeiten mit den Türken erhalten Hassert
reise durch Montenegro 21; übertragen: nichts ist also
mehr übrig, als die gränzstreitigkeiten des genies mit
der tollheit zu untersuchen Hamann 2, 92 Eoth; auch
der eigennuz regt sich öfter bei den grenzstreitigkeiten
der confessionen Schleiermacher I 5, 83.
GRENZSTRICH, m. i) Franzos: den alten grenz-
strich meines reiches, den edlen Rein, wil ich . . hin-
wieder allein beschiffen ?>cmottei. friedenssieg2i:neudr.;
es hatte jeder von den herren mit der feder oder mit
kohle und kreide darüber {über eine karte) hingezogen,
lauter gränzstriche Alexis falsche Woldemar (i8i2) i, 215;
hier zwischen Berlin und dem dicken russischen grenz-
strich Fontane I l, 423; 7iicht ganz deutlich an folgen-
der stelle:
gleich als hat die natur gepflantzt der künsten garten
ins menschen sinn-begriff, und lesset dessen warten . . .
so sind der teutschen kunst verliehen auch die grifl'e
dasz ein geübter geist in einem teutschen schiffe
den grentzstrich wol umfährt und durch beschauet recht
was gott und die natur ins irrdisch' hat gelegt
SCHOTTEi. sprachk. 1010,85;
2) einzelne gränzstriche und küstenländer von Ara-
bien hatten einige der altern ägyptischen pharaonen
inne gehabt Fr. Schlegel 14, 61 ; der schlusz-aufsatz
versetzt den leser in den deutsch -ungarischen gränz-
strich an der Donau Riehl naturgesch. d. volkes 4, 36;
{Voltaire) erfand für Friedrich den beinamen eines kö-
nigs der grenzstriche Ranke 28, 835; die kiefer {ivar)
namentlich auf den grenzstrichen zwischen den alten
laub- und nadelwaldgegenden . . verbreitet Hoops u-ald-
bäume u. kulturpß. 239. — grenzstritt, m. = grenz-
streit, nur in älterer spräche: daher es die erfahrung ge-
wiesen, dass öfters dergleichen commissionsunkosten
dem part viel schwerer sein . . als der ganze grenzstritt
nicht würdig acta publica, verhandl. d. schles. fürsten
u. stände 5,230 (o. 1624); denn die zwey geschwister-
kinder Syphax und Gala bekamen mit einander einen
gräntzstritt Lohenstein Arminius (1689/.) i, 847"; im
ältesten beleg der bedeutung 'strittiges grenzland' nahe-
kommend: anno domini 1586 jar den 19. und 20. tag
augusti sind die 3 graenitzstritte besichtiget worden
Hüttel Trautenauer chron. 288 Schlesinger. — grenz-
strittigkeit, /., xvie grenzstreitigkeit nur im plural:
wie man sich bey gränzstrittigkeiten zu verhalten allg.
deutsche bibl., anhang zu 37 — 52, 1263; das geniewesen
hat auszer seinen bekannten gränzstrittigkeiten mit der
tollheit in der regel . . troz, Verachtung und übermuth
mit sich verbunden MusÄus physiogn. reisen 3, 72. —
grenzstrom, m.: dasz ihn {den Amur) das Schicksal
zum grenzstrom zweier weltmonarchien bestimmte Rit-
ter erdkunde 4, 431 ;
sobald der zwei festlande grenzstrom hinter dir {der Bos-
., porus)
Droysen Aschylus (1841) 441;
ich bin nur der, welcher das gröszte weh empfand, als
sie mitten durch Deutschland den blutigen grenzstrom
leiteten (1866) Rosegger H 12, 243; älter auch: von dem
alten gräntze-strohme Euphrates an Bodmer samml.
crit.-poetischer sehr. 1, 26.
GRENZTHAL, n.: es steigt also hier auf einmal der
grenzboden weit stärker, um mehr als 600 fusz bis zum
grenzthale {zw. Euszland u. China) Ritter erdkunde 3,
185. — grenztheil, m., deminut.: ob die seele einen
ort einnehme und eine ausdehnung habe, untersuchet
er auch : . . , doch saget er, sie sey nicht wie die kör-
per ausgedehnet; nicht durch ihre eigene letzte gränz-
theilchen, sondern durch andere umstehende wesen ein-
geschränket Gottsched netteste aus d. anmuth. gelehr-
samkeit 3, 250. — grenztheilung, /.; es wird von
beeden beeren zugleich vermeldet, sie seyen dem Pa-
triarchen Jacob aufgestossen ohne abwechslung und
gränztheilung Dannhawer catechismus milch (1657) 4, 75;
= grenzscheidung : {des kaisers) gemahlin . . . bestätigt die
präliminarien von Breslau, den definitiven frieden von
Berlin und die darauf vollzogene grenztheilung Ranke
29,216; übertragen: durch diese grenztheilung soll die
versmacherkunst {gegenüber der poesie) an ihren ehren
und würden im geringsten nicht gekränkt seyn Bürger
320 Bohtz. — grenzthierchen, n., 'das kleinste aller
thiere, welches gleichsam das thierreich begrenzt, und nur
durch vergröszerungsgläser erkannt wird {aufguszthier-
chen)' Heinsius 2, 530^ — grenztractat, m. = grenz-
vertrag, -vergleich : einige in dem neuen grenztractat von
Pardo genannte {flüsse) allg. deutsche bibl. 62, 141 ; durch
die grenztractate vom jähre 1689 . . . ward er {der ge-
birgszug) von den Russen an . . . die beherrscher Chi-
na's abgetreten Ritter erdkunde 2, 90. — grenz-
truppe, /. ; um nun nicht genöthigt zu sein, bestän-
dig grenztruppen gegen den norden aufzustellen 2,199;
Almogavares . . . span. grenztruppe zu fusz Alten handb.
f. heer u. flotte 1, 274.
GRENZÜBERSCHREITüNG, /.; der eigentliche und
nächste zweck der anläge {deslimes) war die Verhinderung
der grenzüberschreitung Mommsen röm. gesch. 5, 143; der
nachbar (Jiat) den überbau zu dulden, es sei denn, dasz
er vor oder sofort nach der grenzüberschreitung Wider-
spruch erhoben hat bürgerl. gesetzbuch § 912, abs. 1 ;
übertragen: den bescheidenen bücherschatz, der sich
über meinen wissenschaftlichen grenzüberschreitungen
aufgestapelt G. Kellers, 70; von dem rechte des Staates
aber wurde auch der katholischen kirche . . . gegenüber
nicht das geringste aufgegeben und jener nicht die ge-
ringste grenzüberschreitung gestattet V rvtz jpreusz. gesch.
8,47. — grenzübertretung,/.; so brach der mensch
die grenze, und von diesem Zeitpunkt an lernte er aus
der Sünde, aus der grenzübertretung, das gute und böse
erkennen Hippel ieöensiöM/e 4, 215. — grenzübertritt,
m. : für aus dem ausländ eingehende fahrzeuge ... ist
die ausstellung der erlaubniskarte alsbald nach dem
grenzübertritte bei der nächsten zuständigen behörde zu
beantragen reichstempelgesetz (i906) §57, abs. 2. — grenz-
überwachung,/.; der grenzüberwachung dienen zahl-
reiche blockhäuser Alten handb. f. heer u. flotte 2, 600.
— grenzumgang, m. = grenzbegang : in den akten
der 'hohen mark', in denen bei grenzumgängen die
holzarten aufgezählt sind, ist von tannen und üchten
keine rede Jagobi das römerkastell Saalburg (l897) 178.
— grenzumkreis, m. ; weil das vielgestaltete reich
der noch mehr gestaltige grenzumkreis von Russen,
Wälschen, Galliern . . . einfäszt Jean Paul 37, 19 Hempel.
— grenzumrisz, m., Silhouette: man darf die . . . be-
deutungsvollsten Züge ... im gränzumrisse oft nur um
ein haar verfehlen, so werden sie gemein Lavater jjÄy-
siognom. fragm. 2, 113; auf der 822. seite kommen vor
zehn gränzumrisse männlicher gesiebter aus einer deut-
schen Stadt MusÄus physiogn. reisen 3, 197. — grenz-
umritt, m,., grenzbegang zu pferde: auf alte opfer weisen
zurück die trinkgelage bei öffentlichen gerichten und
nach dem grenzumritt J. Grimm mythol. (1878) 3, 29. —
grenzunbewuszt, adj., unbegrenzt:
bestärke mich als mitregenten deines
gränzunbewuszten reichs
Famt II 9363.
GRENZÜNG, /. : gr. et angrenzung confinium, limitatio,
limes, et idem quod grenze Stieler 694; grentzung limi-
tatio Steinbach 1, 638; Kirsch com. 2, 159*; vgl. auch
Schottel hauptspr. 388; bei AuEhVNG fehlend; auch in
den wenigen literar. belegen in wechselnder bedeutung:
festsetzung der grenze : zu der zeit des edlen gestrengen
ritters und herrn herr Adam Sylbers ... ist zwi-
schen beiden herren ein grentzung angestaut worden
Hüttel Trautenauer chron. 202 Schlesinger ; verlauf der
grenze: {Oi-imm möge ermittehi) wie er {der mattiakische
189 GRENZUNGSKREIS — GRENZVERLEGUNG
GRENZVERLETZUNG - -VERWILLIGUNG 190
stamm) weiter gegen Rhein und Main mit den Franken
zusammen gränzt? eine gränzung, die, wie ich fürchte,
besonders gegen den Main hin sehr verwirrt und zer-
flossen sein wird Görres ges. br. 3,65; concret: zwi-
schenhin zog sich manches weisze kettchen der stangen-
zäune, die viehschranken und grenzungen Rosegger 13,
187, — grenzungskreis, m. .•
öfn', 0 Teutonias genius, dem Deutschen die äugen,
dasz er sähe den gränzungskreis
den du machtest für ihre {der deutschen spräche) beneidete
bildsamkeit, liebend
in den gemessenen räum sie riefst
Klopstock Oden 2, 131 Muncker-Pawel.
GRENZÜNTERTHAN, m.: schon oben habe ich an
dem beispiele des freiherrn von Suneck die böse läge
der grenzunterthanen hervorgehoben acta publica, ver-
handi. d. schles. fürsten u. stände 6, 267. — grenzur-
künde, /. ; unsern grenzurkunden gereichen hügel und
grosze steine zu hauptanhaltspunkten J. Grimm kl. sehr.
2, 42; mehr als dieses straszenstück musz uns die villa
Piberah in jener grenzurkunde interessieren Wimmer
gesch. d. dtsch. bodens 79. — grenzursache,/. : die
gewölbte nase ... ist unwillkührlicher ausdruck von
witze . . . Ursache des nicht gröszern, nicht geringern,
nicht andersartigen witzes. gränzursache Lavater phy-
siogn. fragm. i, 107.
GRENZENVATER, m.;
da galts den sprung zu wagen,
den todessprung in Leipzigs schlacht durch blutgetränkte
felder,
und fort zufb gränzenvater Rhein bis tief in Frankreichs
Wälder.
Pfizer hr. zweier Deutschen (1831) 337.
— grenzveränderung, /..- verschiedene grenz- und
tauschveränderungen in Deutschland allg. deutsche bibl.
83, 512. — grenz verein, m., vereinzelt für grenz Ver-
einbarung Pfeffel poet. versuche &, 100. — grenzver-
gleich, m., von Adelung 2, 779 und Heinsius 2, 530*'
mit grenzvertrag, -recess gleichgesetzt ; der . . . schlesi-
sche krieg zwang die Theresia mit den Türken den be-
kannten gränzvergleich . . . einzugehen allg. deutsche bibl.,
anhang zu 53 — 86, 870; es ist . . . dieses der fünfte . . .
abdruck des gränzvergleichs 106, 394. — grenzverglei-
chung, /. ; item den 21. tag augusti so geschach ob-
bemelte grenitzvergleichung auf Newhoff an einem thail
durch obbemelte herrn Hüttel Trautenaiier chron. 289
Schlesinger (a. 1586); und ist die grentz vergleich ung aller
dreier obbemelter stritte also verglichen worden, wie
folget ib. — grenzverhältnis, n.; Vorder-Asien . . . ,
seine gestaltung und grenzverhältnisse zu seinen nach-
bar-erdtheilen Ritter erdkunde 2, 77; bei den ausge-
dehnten Waldungen mit schlechten Verkehrsgelegenheiten,
mangelhafter aufsieht und oft unklaren grenzverhält-
nissen war es leicht möglich, dasz Schwappach handb.
d. forst- u. jagdgesch. l, 139; anders in der spräche der
mathematik: in der erläuterung des begriffs von den
differentialen ist der v(erfasser) sehr umständlich, kürzer,
deutlicher und gründlicher wäre es gewesen, wenn er
alles auf den begriff von grenzverhältnissen gebracht
hätte allg. deutsche bibl. 38, 469 ; vgl. grenze D 2, sp. 148.
— grenzverhandlung, /..- habe der russische ge-
sandte . . . bei den grenzverhandlungen die heftigsten
discussionen mit den chinesischen gesandten . . . gehabt
Ritter erdkunde s, 189. — grenzverkehr, m..- latei-
nisch war seit langer zeit die spräche des grenzverkehrs
(zw. dem röm. reich und Germanien) Freytag 17, 107;
der limes ist also die reichsgrenzstrasze, bestimmt zur
regulirung des grenzverkehrs Mommsen röm. gesch. 5,
112. — grenzverkürzung, /.; ob es nicht gut wäre,
ihrem {dem, iveiblichen) geschlechte geistiges teuer und
Wasser, lesen und schreiben zu verbieten, romane und
liebesbriefe werden diesen vorzuschiebenden riegel und
die gränzverkürzung: bis dahin und weiter nicht, mit
schein des rechts vertreten Hippel über die ehe (1792)
221. — grenzverlegung, /. .- auch für wildjagd und
den pelzhandel wurden solche grenzverlegungen wichtig,
weil jene sich nach diesen richteten Ritter erdkunde
2, 583. — grenzverletzung, /.; die Türken klagten
wegen grenzverletzung {anläszlich eines beim überschreiten
der landesgrenze entstandenen krawalls) Brentano 4,234;
Störung der grenze durch Vernichtung oder Veränderung
von grenzzeichen: böswillige grenzverletzungen wurden
streng, ja geradezu grausam bestraft Schwappach handb.
d. forst- u. jagdgesch. l, 145; gelegentlich grenzenverlet-
zung Schiller 6, 68. — grenzenvermessung, /.,
allg. deutsche bibl. 59, 4^7. — grenzenvermischung,
/.. obscuratio finium Ghomel 4, 1304. — grenzverrich-
tung, /., Schlichtung von grenzstreitigkeiten : dasz zu
solchen grenzverrichtungen vor andern diejenigen, so
an der grenze {von Schlesien und Polen) eingesessen,
möchten gebrauchet . . . werden acta publica, verhandl.
d. schles. fürsten u. stände 5, 230 {a. 1624). — grenz-
verrücker, m.: überreich sind unsere sagen an Straf-
gerichten unehrlicher oder unsittlicher arbeit, vom mann
im mond bis zu den feuerglühenden gränzverrückern
Riehl deutsche arbeit{i86i) 160. — grenzverrückung,
/.; grenzverrückungen durch anbringung neuer grenz-
zeichen sollte ein sklave bei den Longobarden mit dem
Verlust der band büssen Schwappach handb. d. forst-
u. jagdgesch. i, 52; wie will man über die geschichtlichen
grenzverrückungen zwischen starker und schwacher con-
jugation ins reine kommen ohne die Übersicht aller
concreten fälle Scherer kl. sehr, i, 27; vgl. allg. deutsche
bibl. 109, 67; gelegentlich gräntzen-verrückung obscuratio
finium Ghomel öcon. lex. 4, 1304. — grenzverschie-
bung, /. ; seitdem der Tiberstrom die markscheide
Etruriens gegen Umbrien und Latium bildete, mag hier
im ganzen ein friedliches Verhältnis eingetreten sein und
eine wesentliche gr'enzverschiebung nicht stattgefunden
haben Mommsen röm. gesch. iii, 121 ; ich bin überzeugt,
dasz alle übelthat nur grenzverschiebung des . . . Selbst-
erhaltungstriebes ist Auerbach 5, 137. — grenzver-
schreibung, /..- anno d. 1582 den 15. tag octobris ist
einem e. rath alhie die obbemelte grenitzverschreibung
übersendet worden in behmischer sprachen Hüttel
Trautenauer chron. 270 Schlesinger. — grenzverstei-
n u n g , /. ; für die ... Haincher forsten wurde die Ver-
messung, grenzversteinung, distriktseintheilung . . . 1800 —
1802 durchgeführt Bernhardt gesch, d. u-aldeigentums
2, 304. — grenzvertheidigung, /.; ein jeder Staats-
bürger ... ist also verpflichtet, . . . auf den wink des
Staates zur gränzvertheidigung aufzubrechen Fouque
gefühle, bilder 1, 54; dasz die Römer . . . nicht . . . vor-
gedrungen sind, weil die eroberung des landes nordwärts
derselben {der Nilcataracte) zur grenzvertheidigung der
ägyptischen präfectur gehörte Ritter erdkunde i, 591.
— grenzvertheilung, /. .- als,. . . zwischen den be-
sitzthümern Spaniens und Portugalls . . . eine neue
grenzvertheilung vorgenommen werden sollte Herder
24, 24. — grenz vertrag, m. = grenzvergleich, -recess
Adelung 2, 779 {unter grenzvergleich); Heinsius 2,530^;
einen solchen christlichen grenitzvertrag und verglei-
chung obbemelten artickeln allen hat der hoch und
wolgeborne herr her Jareszlaw Smirsitzky . . . gutwillig
angenomen und mit band und munde solchen grenitz-
vertrag bekreftiget Hüttel Trautenauer chron. 265 Schle-
singer; gränz - vertrag zwischen Frankreich und Trier
allg. deutsche bibl. 104, 50 ; nicht abfall, sondern richtiger,
freundschaftsbund, gränzvertrag mit meinem J. Böhme
Solger nachgel. sehr. u. briefw. 1, 542 ; die gütergemein-
schaft und Stubenverbrüderung wurde auf die hellsten
grenzverträge zurückgebracht Jean Paul 2o/23, 347. —
grenzverwahrer, m.:
nach diesem fieng zu reden an
ein wolversuchter kriegesmann,
der offtmals war dabey gewesen,
da man steupt mit dem eisen besem . . .
und war grentzverwarer das mal
Rollenhagen froschmeuseler (1595) Oo IUI";
kamen etliche grentzverwarer und wechter, die uns ge-
fangen nahmen indian. reysen (1603) 114. — grenz-
verwahrung, /. ; der (erzbischof) indessen auf seinen
hoUsteinischen ämbtern unterm schein der grentzverwah-
rung etliche newe Werbungen angestellet hatte Ghem-
NiTZ schwed. krieg {i6i8) i, 257. — grenzverwilligung.
191 GRENZVERWIRRUNG — GRENZWACHT
GRENZWÄCHTER - GRENZWALL 192
/. = grenzsteuer, -hilfe : desgleichen haben sie {fürsten
ti. stände) auch zu abführung der kaiserl. und hunga-
rischen gränzverwilligung auf künftiges jähr folgende
Steuertermine beniemet acta publica, verhandl. d. schles.
fürsten u. stände 5,103. — grenzverwirrung,/. ; läszt
sich im falle einer grenzverwirrung die richtige grenze
nicht ermitteln, so bürgerl. gesetzbuch § 920, abs. l ; die
grenzverwirrungen zwischen so innigst verwandten dis-
ciplinen sind um so gröszer Humboldt kosmos i, 51 ;
diese grenzverwirrung der theologischen und der philo-
sophischen disciplin ist nicht gerade entstanden, aber
immer wieder beschüzt durch die oben angeführten be-
nennungen Schleiermacher I 12, 7. — grenzvisi-
tation, /., Visitation der grenze Ritter erdkunde 2,
1014; Visitation an der grenze 3, 1082. — grenzvogt, ?«.:
nimm das von Rübezahl, dem bannwart {anni.: grenzvogt)
des gebirges, dasz du ihm in'sgehege fuhrst MusÄus volks-
mäkrchen 1, 57. — grenzvolk, n.: ja wenn Marbod . . .
die Übersetzung der Sarmater verhinderte, verspräche er
denen Marckmann- und Quadischen gräntz-völckern
jährlich zwey tausend pfund silber als einen sold zu
geben Lohenstein Armin. (i689/.) l, 1299''; vgl. 2, lO»;
die Polen, ein slawisches grenzvolk Heine 7, 204; bei
grenzvölkern, heiszt es, findet man gewöhnlich die Un-
tugenden der beiderseitigen nachbarn Steub dreisommer
in Tirol 2, 387. — grenzvortheil, m.: in diesem gange
weiter schreitend können wir einer groszen idee grenz-
vortheile, vielleicht sogar grenzen und provinzen opfern
— nimmermehr der Franzose Laube ges. sehr. 5, 60.
GRENZWACHE, /. , local: grenzposten: an der chi-
nesischen grenzwacJie Khatun-Karagai vorüber Ritter
erdkunde 2, 782; auch für die besatzung des grenzpostens :
wir fanden ihn {den abt) umgeben von Offizieren der
grenzwaehe Vischer altes u. neues l, 41; unten an der
Ache (steht) . . . ein städtisches gebäude, Bieneck ge-
nannt, wo der förster wohnt und die grenzwaehe gar-
nison hält Steub drei sommer in Tirol 1, 128; bisiceilen
auch 'bewachung der grenze': (die Schotten) welche das
land zum theil besetzt und den alten einwohnern oder
der Wüstenei felder und auen abgedrungen oder sie auch
unter der bedingung der gränzwache von den Englän-
dern abgetreten bekommen haben Arndt sehr, für u.
an s. l. Deutschen 3, 26 ; dasz dieser staat gebildet war,
ein Staat unter den vielen deutschen Staaten zur gränz-
wehr und gränzwache gegen welsche habsucht 3, 83;
dazu grenzwachedienst, m., Rückert (l867jf.) 6,
168.
GRENZWACHT, /., concret: truppe, die die grenze be-
wacht:
es führt zwar Engelland von engeln seinen namen,
doch seine grenzwacht wil dem himmel nicht nach ahmen
Grob dichter, versuchgabe (1678) 46;
als ein sehr mächtiges beer (in Deutschland) . . . ein-
brach, da denn die grentzwacht so wenig selbiges als
etwa den starcken Elb-strom aufhalten . . . konte Lohen-
stein Arminius (1689/.) 2, 1595*^; zu Strabo's zeit stan-
den hier drei römische kohorten als grenzwacht . . .
von Oberägypten Ritter erdkunde 1, 690; dasz unser
reisender Abraham und sein lohnkutscher jedenfalls
nicht zu den freunden der grenzwacht gehörten Fr.
Ziegler ges. novellen u. briefe 2, 19; seltener: aufent-
haltsort der grenzwacht, grenzposten: ein ehemaliger edel-
sitz ... ist seit langer zeit in ein österreichisches zoll-
häuschen oder eine grenzwacht umgewandelt worden
Steub drei sommer in Tirol l, 24; auch im plural: bis
zum Irtysch . . . waren diese chinesischen grenzwach-
ten meistentheils mit Kalmücken besetzt Ritter erd-
kunde 2, 782; daneben breitet sich in jüngerer zeit die
abstracte bedeutung 'bewachung der grenze' aus:
(ich) stand auf der grenzwacht jähre lang
GöTHE 132, 42 Weim.;
namentlidh in folg. wendung: die provinz Moesien . . .,
deren Statthalter fortan in dem heutigen Serbien . . .
die grenzwacht hielt gegen Daker und Bastarner Momm-
sen röm. gesch. 5, 20;
über euren gräbern wieder
Deutschlands aar die gränzwacht hält
Geibel (1888; 4, 250 Cotta ;
ich . . . fuhr . . , dem wilden . . . gebirge zu, welches
. . . zwischen Kärnten und Tirol die grenzwacht hält
RosEGGER n 7, 401; ähnlich schon im il.jh.: lothringi-
sche regimenter . . . (haben) verursacht, dasz der arme
landmann sich auf die beschwerlichste gräntzwachten
wider stellen müssen Harsdörffer teutscher secretarius
2, 375; vereinzelt (poet.) grenzenwacht:
kein freies volk erwähle
so schlechte gränzenwacht!
SCIIENKENDORF Qed. (1815) 66.
— grenzwächter, m. l) Schützer, Verteidiger der grenze,
im militärischen sinn : wenn der Athener . . . unter die
epheben aufgenommen . . . worden, . . . muszte er be-
kanntlich zwei jähre als grenzwächter (neoinoXos) in den
castellen ... im umkreise der stadt dienen Welcher
alte denkm. 3, 345; einzelne stamme durften ihren . . .
landbesitz am linken ufer des Oberrheins als römisc"he
Untertanen und grenzwächter behalten Alten handb. f.
heer u. flotte 9, 129 ; die deutschen gränzwächter (mark-
grafen) in Österreich, und die slawischen in Mähren . . .
hatten seitdem oft mit ihren kriegerischen nachbarn zu
schaffen deutsches mus. von Fr. Schlegel i, 530; ein
fürst des Turkstammes . . . war unter den Tang grenz-
wächter mit seinem volke im norden von Schensi und
Schansi Ratzel Völkerkunde 3, 341 ; übertragen: säulen-
halter des himmels und der erden ... ist er (Atlas)
grenzwächter des erdenlichts, . . . diesseits der mächte
des niedergangs, diesseits der Hesperiden (jerhard akad.
abhandl. l, 17. 2) zolhcächter (vgl. grenzer l): kann doch
eine blosze postenkette von grenzwächtern nicht einmal
den Schmugglern das einschwärzen verwehren Jahn 2,
446; beim kreuzwirth auf der höh' saszen sie um den
groszen tisch herum : fuhrleute von oben und unten,
gewerbsleute . . ., grenzwächter Rosegger 8, 7; poetisch
gelegentlich grenzenwächter :
seid ihr's wieder, finstre wälder,
voll von mord und tod und gift,
wo man keine gränzen-wächter,
doch zuweilen rauher trifft? Hebbel I 6, 224.
— grenzwald, ot. l) wald an der grenze: zwischen
Schlesien und Polen, da wo der kleine bach Prosna die
länder scheidet, ragte im frühen mittelalter ein unweg-
samer grenzwald Freytag i, 5;
viel lieber mag, anstatt die Jagd zu übertreiben,
ein ungewisses wild im grenzwald überbleiben
Rückert (1867 #.) 8, 340.
2) moderne bezeichnung für die marca der germanischen
Wirtschaftsordnung : das den gauen bezw. den centenen
zugewiesene land wurde in drei gruppen gegliedert : grenz-
wald, allmende und sondereigen, der grenzwald, marca,
umfasste nicht nur wald, sondern auch sumpf, see, flüsse
und felsen Sghwappach handb. d.forst- u.jagdgesch. l, 15 ;
genossenschaften, deren territoriale grundlage die marca,
der grenzwald, bildete Endres waldbenutz, i. — grenz-
waldung,/. : man könnte bei anderen verbrechen, z.b.
der ermordung von förstern ... in grenzwaldungen, ähn-
liche casuistische fragen aufstellen Bismarck polit. reden
4, 370. — grenz wall, m. .• grenz wälle und grenzgräben
pflegt man öde liegen zu lassen Riehl naturgesch. d.
Volkes 1, 195; unweit dem grenzwall, welcher die guter
des geschlechtes von der stadtflur schied Freytag 9, 252 ;
speciell vorn römischen limes in Germanien: als der kaiser
Caracalla von Rom abgeht um den rätischen grenzwall
zu überschreiten und die landesfeinde auszurotten Momm-
SEN reden u. aufsätze (1905) 288;
ein Römer stand in finstrer nacht
am deutschen grenzwall posten
Scheffel 6, 190 Prölsz;
übertragen: der herkömmliche grenzwall beider erdtheile,
der Ural Ritter erdkunde 2, 19; oftmals . . . hatte er
gebürge überklommen, die aus blüthen in schnee, aus
Schnee wieder in blüthen zurückführten, er wuszte um
all die Wunderlichkeiten solcher eisigen grenzwälle ge-
191
GRENZWAND - GRENZWERTE
GRENZWESEN - GRENZZAUN
194
nauen bescheid Fouque altsächs. bildersaal 2, 582; es
waren die markfeuer, einschlieszend und zeichnend die
. . . verstoszene waldgemeinde, ein glühender grenzwall,
der sie abschied von gott und menschen Rosegger 7,
158. — grenzwand,/.; durch späsze ... hoffte er,
die sittliche grenzwand zwischen sich und dem vater
nicht selten niederzureiszen Gutzkow ritter v. geiste
(1850 jf.) 9, 345. — grenzwappen, n., 'ein auf einem
gremsteine oder einer gr^nzsäule angebrachtes wappen des
landesherrn' EEiii SWS 2,530*'; der lektor erzählte dem
bibliothekar neben den grenzwappen und grenzsteinen,
dasz beide höfe sich fast als blutfeinde ansähen Jean
Paul l5/l8, 55; häufig bei diesem autor, vgl. 852; 19, 132;
24/26, 198. — grenzwari, m.: Herakles war schon in
den ursitzen seines mythus ein nach auszen thätiger
held, ein grenzwart und markgraf so zu sagen K. 0.
Müller Dorier i, 451 ; herzog Tassilo erwies sich in der
that als grenzwart der fränkischen Christenheit Frey-
tag 17, 317; vgl. 8, 173; grenzzollbeamter : der Grubmann-
Hans . . . war nachforschungen zufolge ein grenz-
wart, den der krieg thatsächlich zu gründe gerichtet
hatte Rosegger H 8, 346; *. auch grenzvogt. — grenz-
Wasser, n., 'ein jedes wasser, so fern es die grenze eines
gebietes oder grundstückes ausmacht und bezeichnet' Ade-
lung 2, 779; also das disseit des Rheins der Meien, und
jenseid die Mosel, gleich als grentzwasser sein P. Al-
BINUS meisznische land- u. bergchronica (1589) 4; zwi-
schen den Aussen Maluja im west und Zaine im ost,
welche auch Pananti als die grenzwasser des algieri-
schen Staates angiebt Ritter erdkunde l, 911 ; das grenz-
wasser rauschte ihm entgegen Rosegger 13, 197. —
grenzweg, m., 'ein tceg. sofern er zur bezeichnung der
grenzen zweier gebiete oder grundstücke dienet' Adelung
2, 779; aber das chinesische gouvernement . . . hatte
alles, was die grenzwege des reiches betreffe, so lange
als möglich verborgen Ritter erdkunde 7, 415 ; so lange
dies geschah, blieb der limes ein grenzweg Mommsen
r'öm. gesch. 5, 112 ; sie {die schnepfe) war auf dem grenz-
wege {der Jagdgebiete) geschossen Laube 10, 328.
GRENZWEHR(E), /..• grenzwehr 'eine wehr an dem
grenzorte eines gebietes, ein schlagbaum oder dergleichen'
Heinsiüs 2, 530''; bei Adelung noch fehlend; es ist sehr
möglich, dasz das wort {Markomannen) bis dahin nichts
bezeichnet als was es etymologisch bedeutet, die land-
oder grenzwehr Mommsen röm. gesch. *3, 231 ; die erste
einrichtung der weiterhin zu schildernden grenzwehr
{der limes-anlagen) 5, 139 ; auf der ganzen linie von Bonn
bis zum meer bildet die grenzwehr . . . der Rhein reden
u. auf Sätze (1905) 345; mi ähnlichem gebrauch bei Arndt
sehr, für u. an s. l. Deutschen 3, 83, s. grenzwache ; den
südlichen flügel der deutschen grenzwehr zu decken,
. . . ist die Schweiz . . . bestimmt Zschokke 9, 155;
bildlich: der pfarrherr . . . zog von vornherein eine so
generöse linie des allenfalls zu duldenden um seine be-
hagliche person, dasz die Überschreitung der grenzwehr
niemandem einfiel und sogar nicht einmal eine merk-
liche annäherung versucht wurde G. Keller 3, 2ii ; seltener
grenzwehre: barriere, gränzfestung, gränzwehre, schlag-
baum Kinderling reinigk. d. dtsch. spräche 114; da zog
sich nördlich über das ganze waldgebirg bis wieder zur
westgrenze des Rheines hinüber eine grenzwehre der
eigensten art, das sogenannte Rheingauer landgebück
Riehl naturgesch. d. Volkes 1, 150; plural: aber immer
werden sie {die länder am Rhein) nur als gränzwehren
und als mittelländer für uns wichtig sein, die dazu
dienen die französische pest möglichst weit von uns
entfernt zu halten Görres l, 471. — grenzwehr-
vertrag, m. Heinsiüs 2,530''. — grenzweite, f.:
ists nicht gränzweite genug für ein sterbliches äuge W.
F. Meyer Dya Na Sore l, 313. — grenzwerk, n.; Hans
Pienzenauer . . . mochte verdrossen haben, dieses starke
grenzwerk {Kufstein) in Österreichs gewalt zu sehen
Zschokke 32,424. — grenzwerth, m., junges wort:
bei bestimmung der grosse der stärkekörner . . . nimmt
man . . . am besten die grenzwerthe der grössten . . .
und der kleinen stärkekörner Muspratt chemie (1900)
IV. 1. 6.
7, 2012 ; terminus technicus in der spräche der mathema-
tik: der grenzwert der summe der ersten reihe ist
2g 1, der grenzwert der summe der zweiten 4g i Czu-
ber icahrscheinlichkeitsreehn. 1, 146; dann auch in fäl-
len wie: ebenso können . . . kurzsichtigkeitsgrade , die
den zulässigen grenzwert übersteigen, . . . vorgetäuscht
werden Alten handb.f. heer u. flotte 2, 197. — grenz-
wesen, n. .• begehret käyser Maximilian rath zu halten
. . . wegen sterckung des gräntzwesens in Ungern Schick-
Fusz chron. v. Schlesien (1625) 3, 225. — grenzwild-
b r e t , n.: solches wildpret, welches daselbst {in grefiz-
revieren) gepürschet wird, heisset man das gräntz- oder
nasch- wildpret Chomel öcon. lex. 4, 1300 ; vgl. Fr. B.Weber
öcon. lex. (1829) 202; bildlich: Paul und seine brüder
konnten hinter den äugen der . . . mutter . . . nach eini-
gem grenzwildpret des dorfs jagen, z. b. nach Schmet-
terlingen, grundein und birkensaft Jean Paul 48, 339
Hempel; die weiber dieser männer . . . nahmen die ge-
sch worne als kokette wildschützin jedes ehelichen grenz-
wildprets auf sich 30, 16 ; ihre griechische nase — diese
schwesternase aller madonnen und dieses seltne grenz-
wildpret auf deutschen gesiebtem 7/10, 91 ; einer der be-
liebtesten vergleiche bei Jean Paul, vgl. 19, 17; 49/51, 284;
52/53, 180. — grenzwildnis,/. ; von da durchfuhren
sie {die auswanderer) eine stunde die grenzwildnis Frey-
tag 8, 158 ; wartleute des ordens . . . stehen in den
kleinen festen und wachthäusern der weiten grenz-
wildnisz, die das ordensland gegen die barbaren deckt
Treitsghke histor. u. polit. aufsätze 2, 85. — grenz-
winkel, w. ; trotzdem dasz Ansbach, Kurmainz und
Würzburg mit ihren gränzwinkeln in's thal {der Tauber)
hinein schauten Riehl naturgesch. des volkes 4, 157;
anders: auch in der Kurpfalz war 1783 eine anleitung
für die renovatoren erlassen worden, welche die mes-
sung der grenzwinkel mit dem astrolabium verordnete
Schwappach handb. d. forst- u. jagdgesch. 2, 559 ; in der
physik: der einfallstvinkel, unter dem ein lichtstrahl die
fläche eines festen oder flüssigen körpers trifft, sobald er
diejenige grösze erreicht hat, bei der totalreflexion eintritt
Meyer convers. lex. 63, 367. — grenzwissenschaft,
/.; die metaphysik des auges — die grenzwissenschaft
zwischen erfahrung und abstrakzion Jean Paul 55/58,
271 ; ein dichter müsse so gut wie ein maler und bau-
meister etwas wissen, wenn auch wenig; ja, er müsse
. . . sogar von grenzwissenschaften (und freilich um-
grenzen alle Wissenschaften die poesie) manches ver-
stehen 1, 8; wie diese Wissenschaft {die ästhetik) . . .
dann, zur kunstkritik und literaturgeschichte gesellt, in
dem kreis der romantiker überall diesen grenzwissen-
schaften der dichtung anfing über die kunsttheoretische
Produktion ein übergewicht zu geben Gervinus gesch.
d. dtsch. dichtung 5, 375.
GRENZZAHL, /..- der unterschied der polar-abplat-
tungen V310 "^d V320 beträgt für die unterschiede der
gröszten und kleinsten erdachse nach den beiden äuszer-
sten grenzzahlen nur etwas über 6600 fusz Humboldt
kosmos 4, 30; die resultate, welche ich erhalten, sind
als grenzzahlen ... zu betrachten 1,475. — grenz-
zaun, m. .•
wenig entfernt von dem greis ist mit purpurnen trauben ein
Weinberg,
welchen ein kleiner knabe bewacht, der sitzt an dem gränz-
zaun
grafen Stolberg 16, 192;
über ihm {dem Wächter) ragte der wipfel einer mäch-
tigen buche, nach beiden selten lief der grenzzaun {des
Stammgebietes) den kämm der berge entlang Freytag
8, 1; 'hier rückt was doppeltes an', schmunzelte er dem
paare entgegen, 'und da musz man am grenzzaun den
mauthgroschen einheben, wer über die stiegel will'
Rosegger 1, 223; wie grenzpfahl {s. d.) gelegentlich, um
den begriff der politischen grenze oder des politischen be-
zirks zu umschreiben: der beste adel breite, wie ein
schöner dükker bäum, die zweige seiner ehren auch über
den grentz-zaun seines Vaterlandes Butsghky Fathmos
(l677) 494; auch mit dem beigeschmack des tadeis gegen
particularistische enge: dasz sie selten weiter, als über
13
195 GRENZZEIGHEN - GRENZZONE
GRENZZUG — GRESSERWEIN
196
ihren gränzzaun und stadtwall und über die begeben-
heiten und geschwätze ihres kleinen Städtchens . . .
hinausbliekten Arndt sehr, für u. an s. l. Deutschen i, 130.
GRENZZEIGHEN, n., 'ein jedes körperliches ding, so
fern es zur bezeichnung der grämen eines gebietes oder
grundstückes dienet' Adelung 2, 779; so einer koppitzen
einhacket oder gräntzzeichen aushacket, derselbe soll . . .
gestraffet werden Sghigkfusz chron. v. Schlesien (i625)
3, 485 ; die ersten grenzzeichen waren bäume Hippel
lebensläufe 4, 215; kreuze wurden zumeist als grenz-
zeichen eingeschnitten Bernhardt gesch. d. waldeigen-
tums 1, 121; denn da ich gefunden, dasz mir der Xte
oder kreuztitel . . . sehr viel beifall zugezogen, so habe
ich bei diesem wohlhergebrachten gränzzeichen verschie-
dene fragen aufgeworfen Hippel über d. ehe (1792) 83;
sie (die Germanen) umzogen ihre dorfflur mit graben und
heckenzaun oder rasenwall, mit marksteinen und kund-
baren grenzzeichen Freytag 16, 423 ; sicherer und dauer-
hafter, als andere arten von grenzzeichen sind nume-
rirte marchsteine Zschokke 12, 76; die legung der grenz-
zeichen geschah feierlich, zumal wenn sie für ganze
örter, marken und gaue eintrat J. Grimm rechtsalter-
thümer 2, 74; flüsse, Wasserfälle , . . wurden als grenz-
zeichen von den Brasilianern benutzt Peschel Völker-
kunde 251; schon seitdem er die ersten preuszischen
grenzzeichen erblickt, hatte sich seiner wohlthätige
wehmuth bemächtigt Holtei erzähl, sehr. 25,236; bild-
lich: diese grenzzeichen (die die gelehrsamkeit auf-
richtet) musz das genie überspringen Gramer nord.
auf Seher 3, 252; (der allgemeine begriff) ist gleichsam
das gränzzeichen, wie weit man in der erkenntnisz
der klasse gekommen sey briefe die neueste litteratur
betreffend 20, 139; dieses werk (Heinrich V.) ist der
gipfel seiner (Shakespeares) kraft, im Macbeth und
Lear sehn wir die gränzzeichen der männlichen reife
Fr. Schlegel pros. jugendschr. 2, 852 Minor. — grenz-
ziehung, /.; die erste bedingung des legalen Ver-
hältnisses zwischen Staaten ist sonach die grenzzie-
hung Fichte 3, 374; auch statt grenzbeziehung i ? : auf
diesen reisen, die man mit dem bei grenzziehungen üb-
lichen ausdruck landleiten nennen könnte, zeigte sich
der fürst seinen fernen unterthanen J. Grimm rechts-
alterth. *l, 330. — grenz Ziffer, /. .- die grenzziffern
sind für Europa lOOOOO und 800000 Gonrad handwb. d.
staatswissensch. 2 2, 67 ; bei armen erzen kommt man
bis 5 proc. herab, was aber schon . . . die grenzziffer
ist, bei der ein lohnender betrieb noch möglich ist
Muspratt Chemie (l900) 7, 1205; vgl. grenzzahl.
GRENZZOLL, m. : gr. nennt man einen zoll, welcher
auf der gräntze eines landes oder gebietes bezahlet wer-
den musz Ghomel öcon. lex. 4, 1302; schon bei Sghottel
hauptspr. 528 notiert; bitten abermals umb abschaffung
des newen gräntzzolls Schickfusz chron. v. Schlesien
(1625) 3, 2Q5; ,ob ihr kais. maj. zu Krossen . . . einen
grenzzoll als ein sonderbares dem könige in Böhmen
und oberherzoge in Schlesien ohne mittel zuständiges
regal aufrichten könne acta publica, verhandl. d. schles.
fürsten u. stände 7, 48 (a. 1628) ; einige (icoiwoden) masz-
ten sich die grenzzölle in ihrem gebiete eigenmächtig
an Ranke 43/44, 112; seltener für zollstelle: nach einer
fahrt von anderthalb stunden befindet man sich vor dem
venetianischen gränzzoll Borghetta Ghr. Fr. Schulz
reise eines Livländers (1797) 7,55; dazu grenzzollamt,
n.: das grenzzollamt Breslau brachte für 1626 und 1627
einen überschuss von c. je 38 000 fl. acta publica, ver-
handl. d. schles. fürsten u. stände 6, 256. — grenzzoll-
beamter, m. Ritter erdkunde 2, 339. — grenzzoll-
commando, n. 3, 564. — grenzzolllinie,/. 7, 392. —
grenzzollregulierung, /. Mommsen röm.gesch.2,38i.
— grenzzollstadt,/. acta publica, verhandl. d. schles.
fürsten u. stände 7, 46 (a. 1628). — grenzzollsystem,
n. Ranke reform,, gesch. 2, 32. — grenzzone, /. .- die
einrichtung von neutralen grenzzonen, z. b. zwischen
Batta-gebieten Ratzel völkerktmde 2, 447 ; die dinkelge-
biete liegen sämtlich in der grenzzone zwischen den
gebieten überwiegenden weizen- und überwiegenden
roggenbaus Engelbrecht landbauzonen d. auszertrop.
länder 1, 40. — grenz zug, m., 'derjenige zug, welcher
zur besichtigung oder berichtigung der grämen eines grund-
stückes oder dorfes angestellet wird' Adelung 2, 779; vgl.
Heinsius 2, 528''; a^so = grenzbeziehung, grenzbegang
(s. d.) und älter als die meisten anderen ausdrücke für diese
handlung: grentzzug circuitus finium Schottel haupt-
spr. 4:95; Stieler 2631; Steinbach 2,1101. anders: zu
beiden selten aber im o. und w. des Jenisei führt das
nächste hochgebirge dieses grenzzuges (zwischen Rusz-
land und China) bei den dortigen kosaken-posten die
namen Khoin-Taban Ritter erdkunde 2, 999; jenes
flache, lange und bis 80 geogr. meilen breite steppenland
. . . mit wadis und steppenflüssen. es ist ein continu-
irlicher grenzzug zwischen dem hochlande der Berbern
und dem groszen sandocean l, 991. — grenzzwist, m.:
Heinrich . . . glich . . . mit dem herzogthum Oesterreich
strittige rechtsam' und grenzzwist' aus Zschokke 30,
277.
GREP(E), m. u. f., mist-, heugabel, s. 2greif, sp. 10;
vgl. noch grepe ein pyramidalisch zugespitztes, oben mit
einem gitter versehenes grabscheit zum torfgraben (ost-
fries.) Jagobsson technol. wb. 5, 735^; Heinsius 2, 530 ''.
GREPISGH, s. greifisch ; vgl. noch: sind (in einem hafen)
viele guter zu laden, so heiszt es : eine grepische oder
vorgrepische fracht Bobrik 302'^.
^GREPPE,/., grübe, graben, nur im schwäb.-bair. nach-
zuweisen: grepp scrobs Diefenbagh nov. gloss. 332^ (hd.
glossar aus der Inngegend , 1429) ; die greppen graben,
vom wasser ausgespült, der dabei zum fahrweg dient, hohl-
weg Schmeller 1, 10O6 ; das promptuar von 1618 hat nach
Schneller greppen cedicula ruinosa, male m,ateriata,
antrum obscurum (vgl. nhd. 'loch' im selben sinne); als
*grappja zu graben.
2GREPPE, cottus gobio, s. groppe.
GREPSCH, m. u. f., tusche, kleiner sack Frischbier
1, 250 ; = krepse (s. d.) ; lautlich vermengt mit grapsch,
grapsch, grepsch griff, eine handvoll Frischeier a. a. 0.
GREPSEN s. gröpsen.
GRESGHEL, GRESPEL, Stachelbeere, s. groschel.
GRESEN, GRESIG, GRESüNG u. ä. s. grasen.
GRESING, -IGH, m.. potentilla anserina Diefenbagh
450 '', auch gressing geschrieben; nd. seitenform zu gren-
sing, s. d.
GRESING, m. : gresinck cÄiro^rriHw* Diefenbagh 123*;
unklar; etwa fehler für grefinck? s. Diefenbagh a. a. 0.
und grebing, sp. l.
GRESS, m.. Schutt lux. ma. (l906) 154» (urk. von 1444
ger6ss); gleichbedeutend grösch, m. 156 ''; daneben grfesi,
m., Schotter 154*; eis. greis, m.. trockener mörtel Martin-
Lienhart 1, 181; ebenso lothr., Follmann 215»; ideji-
tisch mit frz. gros Sandstein, pflaster, sandsteinpulver ?
vgl. 2 greis 2) sp. 82.
GRESS(E), m. u. f., gründling, gobio ßuviatilis, eine
besonders im elsäss. und benachbarten dialecten übliche
nebenform zu kresse (s. d.) : gräss , grässer , m., demin.
grässel(e), compos. grässelängele Martin-Lienhart 1,
281*"; gebsickene gressen des govions frits BvKZ nomencl.
30; gobio fiuviatilis ein greszling, gresz, kresz, bach-
kressen Gesner fischbuch (1563) 159 •>; gresz Henisgh
1741 ; cyprinus gobio heiszt (in der gegend um Mainz)
die gresse allg. deutsche bibl. 83, 467; meine gedancken
sind auch nicht dahin gegangen, dass ich grosse fisch
wolle fangen, ich behelff mich gern mit grundlen und
gressen Moscherosgh gesichte (l650) 2,885; auch vom
gründling unterschieden: die fische dieses flusses (der
Altmühl) sind . . . der Schneider, die gresse, der gründ-
ling allg. deutsche bibl. 104, 488; componiert: meergressen,
spiering, meergrundel des loches de mer ou esparlans,
. . . aphyae vel apuae cobites DuEZ nomencl. 30; vgl.
3 greszling.
GRESSERWEIN, m., ein vorzüglicher ivein, den die
stiftsgeistlichen in Würzburg für ihre gressus, das mit-
gehen bei processionen bekommen Reinwald bei Schmel-
197
GRESSEREI-3GRET
GRETA — GRETE
198
LER 1,1010; lei Sartorius würzburg. (1862) 49 dafür
gressawein, gressenwein.
GRESSEREI, /., umherlaufen, umhersteigen, meist zu-
sammengesetzt nachtgresserei ünger-Khull 306^; zu lat.
grassari, vgl. graszer, graszerey Schmeller i, 1009.
GRESSIG, s. gretzig.
GRESSING, s. igreszling.
GRESTEN, vb. l) eilen, in eigener thätigkeit eilfertig
sein; 2) andere zur eile antreiben; 3) inständig bitten,
mahnen, zureden Staub-Tobler 2, 820 mit etymol. ver-
such; in der bedeutung 2 schon bei Redinger (1662):
treiben, gresten, mennen urgere, agere, pellere Staub-
Tobler 2. 819.
IGRESZLING, m., junges icaldbäumcJien , besonders
junge tanne: kainer sol mit geschlachten grüenen stam-
men noch greszlingen zeunen tirol. waldordn. von 1551
nach Schmeller i, 1013; in ein weiszdennen greszling
2 kreuz gehauen 1018; dafür auch gressing Unger-Khull
306'^; ain veichten gressing, ain verchiner gressing
Schmeller l, 1018; im steir. auch ältere bezeichnung
eines maszes für holz; umlautform zu graz, grazze
sprosz, junge ziceige von nadelholz Lexer 1, 1015 f.; vgl.
gretze.
2 GRESZLING, m., name des leinfinTcen, fringilla li-
naria: ein Togel, greszling genennet Gesner vogelbuch
(1557) 67"; mhd. grezel:
er wergel, er grezel, er widehopf!
sol ich in ziehn bi slnem schöpf?
K. V. Haslau Jüngling 259 {zs. f. d. a. 8, 558) ;
7iach SuOLAHTi vogelnamen 123 zu mhd. graz tannen-,
fichtensprossen (nahrung des vogels); auch grasl, gräsz-
lein genannt Schmeller l, loio; Suolaijti a. a. o.
^GRESZLING, m., nebenform zu kreszling {s. d.):
1) gobio fluviaUlis: der gründling, der auch grundel,
greszling, gräszling, kresse . . . heiszt Brehm thierl. 8,
256 Pechuel- Lösche; greszling Gesner fischbuch (s. o.
gress[e]); gressling = gründling Schwan nouv. dictionn.
(1783) 1, 788^; greszling österr. weisth. 6, 328, 33 (ll.jh.);
ein masz grössling und laugen tirol. tceisth, i, 19, il
{ll.jh.); greszling Unger-Khull 306''; greslung (drtick-
fehler?) Henisch 1741; als angelköder . . . finden Ver-
wendung . . . kleine fische (besonders gresslinge) Lueger
lex. d. ges. technik 1, 319.
2) im Schweiz, nach Staub-Tobler 3, 852 überhaupt
ein jxmger fisch {im ersten jähre); speciell von den gat-
tungen gemeine äsche, salmo thymallus (greszling salmo
thym. Nemnich 209) und alben, ukelei, alburnus lucidus;
eine Zürcher fischordnung von 1710 verbietet gressling-
netze.
IGRET, n., bei den zeugtcebern in Nürnberg so viel
wie bild ; in das gret oder in das bild wirken sagt man
von aller künstlicheren arbeit, wozu mehr als 2 kämme
und 2 Schemel erfordert werden, überhaupt von aller ge-
modelten, geköperten und gezogenen arbeit; in engerer be-
deutung tvird nur von der gezogenen arbeit gesagt, dasz
sie ein gret habe oder in das gret gewirkt sei Adelung
2, 797 ; gret, gräd, n., bei weibern ein gewisser zierat in
der leinuand Loritza id. vienn. 54 ; hierher vielleicht auch
gret untersr bezug des kopfkissens Birlinger schwäb.-
augsb. 203; nach geschlecht und vocal auffällige seiten-
form zu grat {s. d.); zur erklärung des e reichen grädel
für grat, adj. grätisch, gretisch kaum aus; Adelung
denkt an roman. einflusz. hierher etwa gretetuoch em-
plastrum Hoffm. v. Fallersleben sumerl. 7, 17? wohl
auch {als adjectivumf) :
der esel ist mit eim greten sammet verdeckt
und darauf hundert strauszfedern gesteckt
fastnachtsp. 765, 21.
2 GRET, begierde, s. gretig.
3 GRET, s. grede sp. 2f. ; in compositis öfter die t-form :
gretthaus, -knecht, -meister Schmeller l, 986 ; greth-
meister agoranomus Dentzler (1716) 140*; gretrecht
eine form des Aapelrechtes Conrad hwb. d. staatsiviss.
26, 993.
GRETA, /., auch grita, ostfries. name der Pfuhlschnepfe,
limosa aegocephala Doornkaat-Koolman 1, 680''; jahrb.
f. nd. Sprachforschung 11, lll ; so benannt nach dem ge-
schrei, vgl. Suolahti vogelnamen 283; auch in der Ver-
kürzung mit dem frauennamen völlig zusammengefallen .•
um mal hett elke vögel 'n ei,
de kukuk un de greet
de leggen in de maimaant neet
Kern-Willms Ostfriesl. 106;
nl. griet, gleich dem frauennamen woordenb. d. nederl.
taal 5, 699.
GRETE, kurzform für margarethe ; im mittleren und
östlichen norddeutschland erscheinen formen mit i : krita
Hentrich Eichsfeld 56; gride Hertel thür. 110; grete,
grite, gritte Müller -Fraureuth i, 440; faule griete,
gritte mark Brandenburg Pritzel-Jessen 151 ; dumme
gritte Bernd dtsch. spr. in Polen 83; ebenso im schles.;
gritte, geicöhnlich gritt, dem. grittche Ermland Frisch-
bier 1,254; sodann im westlichsten nd.: griat Leihe-
NER cronenberg.il; vgl. nl. griet; anders zu beurtheilen
alem. grit, gritt Staub-Tobler 2, 826, 'etwas vornehmer
als gret', nach frz. marguerite ; aus älterer spräche nur
fürs md., speciell für thür.-obersächs. zu belegen: grite
Bartsch md. ged. 73, 12; griet Kielmann Tetzelocramia
(1617) f III»; Thuringis griete Stieler 692; griete Ic-
CANDER briefe (1727) 2, 154; Jungfer griete Chemnitzer
rockenphilosophie 3, 303. grete ist samt den deminutiv-
formen gretel, gretchen vielfach zum appellativum ge-
worden {vgl. Wackernagel kl. sehr. 3, 132. 137) :
l) auf Personen angewendet.
a) vorxviegend in alem. und rhein. landen für frau,
mädchen schlechthin Staub Tobler 2,824; Martin-Lien-
hart 1, 285; Follmann 215; atich im nl., woordenb. d.
nederl. taal 5, 698 ; mehr scherzhaftes appellativ Fischer
schtväb. S, 821 ; Schmeller 1, 1017; gredl verallgemeinert
für frauenzimmer Schranka wiener dial. 64; du bist
ein wunderlich gret {das mädchen heiszt Vreneli) Gott-
helf ülid. knecht 306; dis sind noch zwo wispligi greten
mutwillige mädchen Martin-Lienhart a.a.O.; redens-
art: o weh, o weh kätt, d gret het s laufen da ist et-
was schlimmes passiert ib.; ebenso in älterer spräche:
gret quaevis mulier Henisch 1741 ; gret quaevis mulier
dicitur, quasi amica gratiosa Stieler 692 {er leitet das
wort von greten begehren ab, s. d.);
Venus wird dir gen so vyl zknetten
mit iren junckfrawen schon
das du würst wie ein gret do ston
Gengenbacii 131 Qoedeke;
parodische bauernregel: in dem mertz hat die grete,
wann sie in dem rock geschissen, einen faulen stertz
Leyer-Matz lust. correspondentz-geist (1668)200; Sprich-
wort :
mach dich der greten nicht zu nahe,
wiltu werden alt und graw
Lehmann florileg. polit. (1662) I, 61*,
dafür:
mach dich der greten nicht zu nah,
so wirst du langsam graw Henisch 1741.
alem. redensart: ich bin halt der armen greten so^n,
tochter ich habe kein glück Martin-Lienhart 1,285;
Gh. Schmidt straszb. 44; daneben ich ha's wie der arme
grete tochter Staub-Tobler 2, 284; 's ist der armen
greten tochter armer leute kind Fischer schicäb. 3, 827;
alte Wendung: bin ich halt der armen greden tächter
Aal (1549) nach Staub-Tobler; dann ich hatte selbst
nichts: war ärmer als der armen greden söhn Mosche-
ROSCH gesichte (l650) 2, 80; nd. redensart: gretchen in
der küche für ungeborene kinder Herrigs archiv 24, 438
mit erklärung {gegenstück hänschen im keller); gretken
in de koke eine gesundheit an schwangere frauen Däh-
NERT 160''; nd. anscheinend auch prägnant für das aller-
weiblichste: dat passt as pünt in gret sagen u-erkleute
und andere arbeiter, wenn sie etwas nach dem äugen-
masz machen und ohne gemessen zu haben, glücklich
treffen Herrigs archiv 24, 438. — in frühnhd. literatur
typischer name der bauernfrau, -dirne:
liebe greto thün mir gmach
13*
199
GRETE
GRETE
200
sagt der bauer zu seiner frau Gengenbach 149, 1232
Ooedeke;
ich trug in (den käse) heimlich meiner greden ausz dem
haus
fastnachtsp. 63,17;
vgl. H. Sachs U, 178, lO Keller- Götze, •
ich haisz gretel prunzinstall
(stellt sich eine hausmagd vor)
fastnachtsp. 401;
preetj schöttelwaschersch 'leiname, den man einer be-
rührigen magd gibt, überhaupt auch der köchin' Schütze
holst. 2, 65 ; daher wird grete speciell zum appellativ für
bauernfrau, -mädchen: weil nun die gretel mit dem ja
nicht wolte heraus, sondern lieber ihres gleichen neh-
men Simplicissimi alberner brief.fteller (1725) IS (sonst
immer bauren tochter); mir gfalt die baurn gretel nicht
übel, dasz sie ihr vorgenommen, ihres gleichen zu heu-
rathen 18; bauernknechte so ihre grieten bey der hand
führeten Iccander briefe (1727) 2, 154; schiveiz. noch heute
in diesem gebrauch Staub-Tobler 2, 824.
b) namentlich im älteren alem. prägnant für leicht-
fertiges, sittenloses mädchen in allen abstufungen, nicht
ganz so hart wie das ähnlich entstandene metze:
es ist kein schäm noch zucht do by,
■wann sy (beim tanz) die töchtern werfent fry
und gredtlin sich hoch ynher bricht,
das man ir weisz nit wa hin sieht
Murner narrcnbeschw. 50, 25 neudr. .
ebenso 44, l; margredt 80, 25; gret müUerin hauptperson
in der mühle von Schwindelsheim;
dann wo ein münich uff der weyde geet,
da ist gemeinlich auch ein gredt
Clemen refortn.-flugschr. 3,51;
was gröszer büberei ist das an dir, zu solcher zeit in
der nacht zu kummen für gretleins thür Arigo decam.
(1535) 28»; öfter in folgender Verbindung :
der krufflos babst Calixtas . .
hat unsz genumen grosse freid,
die gretlin under dem fürtüch treit
Murner luth. narr 4121;
das sy das hymmelsch ewig leben
umb gredten fürdüch dörlften geben
gäuchmatt 2810 Uhl; vgl. 4337;
noch heute im schwäb.: die ist jedermanns gretel von
einer gefallsüchtigen Fischer 8, 827; indessen auch für
'geliebte' ohne anrüchigen beigeschmack :
ein hanenfeder muss er han,
ein hemd mit seiden näten,
damit er möge wol bestan
und gfallen seiner greten
Uhland volksl. 637;
ich füre mein gredel zum tanz Birlinger schrcäb.-augs-
burg. 203" (quelle von 1710); gretlein liebchen Fischer
schwäb. 3, 827; für ehefrau:
als im der todt genommen het
Euridicen sein schöne gredt
See. Bravt Jreidank (1538) FS";
mar sollat . , itt freassa davau", noh ih noh mei graith
sa'gt Adam zu Eva Seb. Sailer nach Fischer schwäb.
a. a. 0.; Sprichwort: ein jeder hat sein gretel lieb, ob
sie schon beknodelt ist Lehman florileg. polit. i, 501;
der landamm.ann von Schiuyz ermahnte die Toggenhurger,
sie sollen sich des psalmensingens müszigen und dafür
das gretli singen (liebeslieder?) Staub-Tobler 2, 824
(ende des 16. jhs.).
c) tceit verbreitet als scheltendes appellativ, je nach
dem dialect mit verschiedenem sinne: beuse greete ein
böses weib Strodtmann osndbr. 76; grete, grite, gritte
verächtl. für mädchen, (boshaftes) frauenzimmer Müller-
Fraureuth 1, 440; auch im nl. booze, kwade griet
woordenb. d. nederl. taal 5, 698; ebenfalls mehr nord-
deutsch im sinne des plumpen, schwerfälligen: dikke
greetje vierschrötige fratcensperson ; buur-greetje brem.
wb. 2, 541; grete Schimpfname für ein träges frauen-
zimmer Bau er-Collitz waWecZt. 41»; bauerngride jj^wm-
pes mädchen Hertel thür. llO; spöttisch baurengretl
Birlinger schwäb.-augsburg. 203»; Schmeller l, 1017;
dagegen: gredl gezierte putzpuppe Schranka tciener dial.
64; dumme, putzsüchtige, hoffartige frauensperson Hügel
70; vgl. putzgretl Schmeller o. a. c; grethel dumme,
blöde person Loritza id. vienn. 54; dumme, a(o)lberne
gritte Bernd deutsche spr. in Polen 83; du dumm gretl
FOLLMANN 215; du dummi gret gutartiges scJielttvort
Martin -LiENHART 1, 285; dummi gret einfaltspinsel
Staub-Tobler 2, 824; vielfältig componiert, z. b.: fürchti-,
jamer-, kumbergretli 825 (schon bei Fischart murrgret
mürriscJies iceib nach Wackernagel kl. sehr. 8, 137);
schiessgretli xceibsperson von hastigem wesen Staub-Tob-
ler a. a. 0. (schon 1605 belegt), vgl. laufgretel Schmel-
ler a. a. 0.; gänsgret dummes weib, schnapsgretl, pup-
pengret MartinLienhart l, 286; auch das blosze de-
min. hat schiveiz. verächtlichen sinn:
bin ich denn nüd en g'schlagne ma""
das ich muess so es gretli hal
0 Volkslied bei Staub-Tobler 2, 824;
das ist nur mit gretli g'schimpft nur wenig, nicht stark
ib.; lutherisch gretel wird von katholiken den protestan-
tischen mädchen nachgerufen Martin-Lienhart l, 285.
die schwarze Greet ist eine gestalt des nd. Volksglaubens
J. Grimm dtsch. mythol. *Z, 155; davon die redensart:
da hett swatt Greetj in scheeten von tauben, mit tcurm-
kot gefüllten nüssen gesagt Schütze holst. 2, 66; auch
im älteren md. schon di swarze Grite Bartsch m.d. ged.
73, 12.
d) wesentlich alem. acheint die Übertragung des schel-
tenden appellativs auf männer: homo effoeminatus ein
weybischer mensch, ein gret Frisius diction. (1556) 462'';
die gret, ein weybisch man Maaler 192»; das ist ein
läpsche grete Aowio est effoeminatus Steinbach l, 638;
wenn ein mann ein gred ist und weiberarbeit thut
Geiler brösamlein (1517) 2, 49»;
(Venus sagt zum kricgsmann:)
wann du schon werst Wn ruher stein,
vyl herter dann ist ein magnet,
machten usz dir dannocht ein gret
Gengenbach 133, 631 Goedeke;
einem, dem die stime gleisst,
der sich wie die damen schmüket,
wird erweisslich aufgerüket
wenn man ihn ein gietgen heisst
Grob dichter, versuchg. (1678) 143;
gret furchtsame, schwache, unbehülfliche person, auch
männlichen geschlechts Staub-Tobler 2, 824; wiber-
gretli weibischer mann 826; furchtgret memme Stalder
1, 478.
e) alt ist die paarung hans und grete; bei Luther
stereotypes namenmuster, z. b. in der trauformel: Hans,
wiltu Greten zum ehelichen gemalh haben 30 ^ 77 Weim.;
Hans willstu Greten haben, Grete willst du Hansen
haben vos amantes matrimonione conjungi exoptatis Stie-
ler 692; es ist nicht mehr um die zeit da (Jretlin span
und Hänszlin stecken ritt Fi schart binenk. (I58l) 139;
Hansel und Gretel im GRiMMschen märchen; Henslein
und Gredlein Uhland volksl. 671 ; Hansel, wo hast dein
Gräthel gelassen? anfang eines liedes aus dein 17. jh. bei
Schmeller i, 1017; appellativ: Hans und Gretj mann
und frau Schütze holst. 2, 65; brem. wb. 2, 541; 'er'
und 'sie' Fischer schwäb. 3, 827; im scherz vnrd ein
verliebtes paar Hansel und Gretel genannt Schneller,
Fischer a. a. o.; in zahlreichen mundartlichen sprich-
und scherzicorien verbreitet, z. b. jeder Hansl find't e
Gretel Martin-Lienhart l, 285; Hansl und Gredl spiln
verliebt sein Schmeller, Fischer; vgl. auch 2.
2) auf dinge übertragen: gret name von Schauspiel-,
achieszbuden- , fastnachtpuppen Staub-Tobler 2, 824;
gretel eine marionette Martin-Lienhart l, 285; grete
auch für puppe Müller-Fraureuth 1, 440; hansei und
gretel Spielwaren, figuren des puppentheaters Fischer
schiväb. 3, 827, ausgestopfte figuren bei pfingstaufzügen
Schmeller l, 1017; grete, gretchen rute mit der kinder
gezüchtigt werden Bernd deutsche spr in Polen 83;
birkengretchen und karbatschenhänschen rute und peit-
201
GRETE
GRETELN — GRETIG
202
sehe a. <7^. 2, 89; gretchen vom. (am) deich ältere, ende
des 19. jhs. attsgestorbene bezeichnung des kreuzbramsegels
Kluge seemannsspr. 328 mit erklärung; nach Bobrik
319 ''. 631* dafür auch blosz gretchen. — faule grete
nannten die bauern ein schwerfälliges geschütz des kur-
fürsten Friedrichs I.; groot greet.j hiesz eine alte hol-
ländische übergrosze kanone Schütze holst. 2, 65; vgl.
brem. wb. 2, 541; eine dulle griete steht noch heute in
Gent. — grise greetje sttppe von buttermilch mit zer-
riebenem roggenbrot brem. wb. 2, 541 ; grise greete Strodt-
MANN osnabr. 76.
8) .lehr verbreitet ist grete mit den deminutivformen
in volksmäszigen pflanzennamen.
a) für nigella damascena, den türkischen Schwarz-
kümmel, haben die dialecte verschiedene hezeichnungen ;
am verbreitetsten ist gretchen im busch: gret in b.
Danneil altmärk.plattd. 70; gretchen im b. in Schlesien
Pritzel-Jessen 247; vgl. Sghmelleri, ioi7; gretli im b.
Martin-Lienhart I, 285; ebenso in St. Gallen Pritzel-
Jessen 247, und sonst Schweiz. Staub-Tobler 2, 825;
grethchen im b. notiert Nemnigh 209; grätchen im b.
Fr. B. Weber öcon. lex. 202; vgl. Holl 135''; Schlech-
TENDAL flora V. Deutschland 11, 219. — wesentlich nord-
deutsch scheint gretchen im grünen Schlechtendal
a. a. 0.; gretchen, greten int gröne Pritzel-Jessen 247
(aus Holstein); gretjen int gröne Schütze holst. 66;
gretchen (gretel) im grünen Askenasy frankf. 170. —
aufs bair.-österr. beschränkt scheint gretel in der stände
Holl ISö**; Höfer l, 322; gretel in oder unter oder
hinter der standen Schmeller l, 1017; gretl in der
staudn Salzburg., unta de staudn bair. Pritzel-Jessen
247; gretel in der stände Unger-Khull 805''; gredel
i. d. st. Nemnich 209. — südicestdeutsch ist gretchen
in der hecke Oken 8, 1159; greitchen an der heck lux.
ma. (1906) 154»; gretl henner der heck Follmann lothr.
215; gretel in d, h., hinder d. h. Martin-Lienhart i,
285; greedel i. d. h. Ch. Schmidt straszb. 44; gretli
i. d. h. Staub-Tobler 2, 825. — nur Schweiz, erscheint
greatli im struss (St. Gallen bei Werdenberg) Pritzel-
Jessen 247; gretli im strüss Staub-Tobler 2, 825. —
nicht localisierbar ist gretel in der hütte Wackernagel
kl. sehr. 8, 139; Wagners archiv l, 244. — gelegentlich
für verwandte pflanzen: nigella arvensis, hornkümmel,
gretel in der stände österr. Pritzel-Jessen 246; ebenso
Unger-Khull 305''; nigella sativa, schwarzer koriander,
gretli im busch Staub-Tobler 2, 825. die namen be-
ruhen auf dem aussehen der blume: die weisz- blauen
blütenblätter sind von den zu fäden entwickelten grünen
kelchblättem wie von einem busch umgeben; vgl. die für
dieselbe pflanze üblichen namen 'braut in haaren' und
'Jungfer im grünen' ; im (wohl spontanen) vergleich bei
Bettina v. Arnim: die secte die hier in meiner liebe
Stadt Frankfurt wie die gretel im busch aufgeblüht war
mitten im luxus von den reifröcken, paniers, andrieng
. . . , die war nach art der quäker dies buch gehört dem
könig 1, 45.
b) zottige grete bezeichnet im österr. dianthua pluma-
rius, die federnelke: zottichtes gretl Höfer l, 322; das
zottlichte gretl österr. Pritzel-Jessen^34; nacli Loritza
id. vienn. 54 dafür auch bloszes grethel.
c) faule grete ist mehrdeutig ; teils für aethusa cyna-
pium, gartengleisze (anscheinend mehr im norden Deutsch-
lands): preuss. Frischbier i, 252; schlea. Pritzel-
Jessen 12*; in der altmark als ful gret ib.; vgl. Holl
135 ''; Nemnich 209; teils für falcaria vulgaris, sichel-
kraut (auch im Süden Deutschlands): faule griete, gritte
mark Brandenburg Pritzel-Jessen 151»; faule grete
in Schlesien, Würtemberg ib.; Fischer schwäb. 8, 827;
vgl. Nemnich 209. — anderes vereinzelt: anagallis ar-
vensis, gauchheil, faul gretchen Nemnich 209 (mecklen-
burg. dafür fule lis, ful liese Pritzel-Jessen 25); fu-
m,aria officinalis, ackerraute ful gret (Altmark, einige
dörfer) Pritzel-Jessen 156»; auch für semen foeni graeci
Frischbier i, 252, s. d.
d) feine (vereinzelt schöne) grete ist volksmäazige be-
zeichnung und Verdrehung von trigonellafoenum graecum ;
fine greet, greetjen norddeutsch, flne greifen götting.,
schone margret ostpreusz., bloszes margret götting., ham-
burg., mecklenburg. Pritzel-Jessen 409; im besonderen
auch für das medicament .semen foeni graeci Schemionek
elbing. 47; Follmann lothr. 215; im selben sinne auch
faule grete s. o. c; im ostfries. bezeichnet fine grete si-
symbrium sophia Pritzel-Jessen 379.
e) hänschen und gretchen in Hessen für veronica
chamcedrys, gamander Pritzel-Jessen 432.
f) greetjebladen (gretchenblatt) ostfries. für plantago
maior, wegerich Pritzel-Jessen 292. — nicht hierher
gehört gretwurz, vereinzelt für artemisia abrotanum
'eberreis' HOLL 135''; metathesis aus dem geläufigeren
gertwurz.
4) zoologisch: faule grete stinkende baumwanze San-
ders 1, 626».
GRETELN, vb., tändeln, säumen Reinwald henneberg.
53; ableitung vom, eigennamen grete, s. d. Ib.
1 GRETEN , vb. , ein auf hd. boden nur lexicalisch
nachweisbares wort: gr. hefftig begeren, gliscere, ardere,
cupere, avide desiderare Henisch 1741; brünstig begehren
Harsdörffer poet. trichter (1647) 2,145; mnl. greten,
greyten, greyden gliscere, cupere, avere, appetere Kilian
(1605) 160''; Stieler erklärt den eigennamen grete als
desiderata von gräten discupere, cordi esse stammb. 692;
die intransitive bedeutung, die mit der transitiven schicer
vereinbar ist, auch bei Henisch 1741: placere, gratum
sive acceptum esse, potiri pro animi arbitrio; cordi esse,
complacere; genau so Kilian a. a. o. ,- nach ausiceis zu-
gehöriger bildungen ein nd. wort, das nur durch lexi-
calische tradition nach Oberdeutschland gekommen sein
dürfte, zur etymologie s. gretig.
- GRETEN, vb., die beine auseinanderspreizen, s. grät-
schen.
GRETENHEKNE, f., weibischer mann : als dieser Verres
dem Cicero verwiesz, dasz er ein weibischer mann und
ein gretenhenne were Xylander Plutarch (1580) 846»;
wohl entstanden aus dem üblicheren hennengretel , das
denselben sinn hat: der erbsenzahler oder hennengrettel
le joerisse ou tastepoulle Martin-Lienhart l, 286 (quelle
von 1637) ; ein feehtmeister sagt:
die alten hands nit umb sonst erdocht,
djugent dardurch in Übung bracht :
da thet mancher den andren tryben —
jetz münd vyl hennengredy blyben
Schweiz, scfiauspiele des 16. jhs. 2, 241 Bächtold;
s. auch unter hennengreifer th. 4, 2, 998.
GRETENWERK, n., weibisches, törichtes werk: die
lumpenreüter , die yetzt in kryeg ryten in zerhowenen
rocken und wammesten, dorumb dasz man den harnesch
und die wyssen hembder do durch sehen mög. das ist
ein affenspil und ist narrenwerck, gredenwereh G. v.
KeISERSBERG postill (1522) 4, 14».
GRETIG, adj., avidus. appetens, cupidua, vorax He-
nisch 1741; ebenso bei Kilian (1605) 160*, woraus He-
nisch schöpft; greetig, gretig begierig, geizig, heisz-
hungerig Kramer nider-hochteutsch 1, 107»; grStig rasch,
gierig: hS gript so gr. to, dat d'r h§l g§n bargen tegen
is; h§ is so gr. (gierig, habsüchtig, hungrig, verlangend)
na, beztv. up 6n of ander ding; de wäre geid gr. weg
(sehr begehrt, rasch, reiszend) Doornkaat-Koolman 1,
682»; gretig schnell, bereit, begierig, etw. zu thun Berg-
haus 1, 610''; nl. gretig, greetig tcoordenb. d. nederl. taal
5, 681; gleichen Stammes sind greten vb. (s. d.), gret be-
gierde Harsdörffer poet. trichter (1647) 2, 145 (mnl.
grete, greyte Kilian a. a. o.). etymologisch anscheinend
zum stamm grat- in mhd. graz zorn, wuth, ahd. grazzo
adv. (Franck 214»), der bedeutung nach aber eher neben
ahd. grätag gierig, aga. grsedig, gredig, got. gredags
hungrig zu stellen (vgl. auch hd. greitig, nd. gridig avi-
dus, cupidus sp. 94),- es scheint, als habe gretig 'leiden-
schaftlich, wüfhend' die bedeutung des lautähnlichen gredig
'gierig' übernommen (aus diesem wort auch die vocal-
längef). — dazu gretigkeit aviditas, vor acitas Henisch
1741; gretiglich avide, voraciter ib. (av^s Kilian).
203
GRETISCH-2GRETZE
iGRETZEN — GREUEL
204
GRETISCH, adj., weibisch, nur Schweiz, und elsäss.:
muliebris animus ein weybisch oder gretisch gemüt;
muliebriter ausz wey bischer art, fröuwisch, gretisch
Frisius diction. (1556) 844*; von Henisgh 1741 über-
nommen;
Venus ein göttin aller lieb,
ich bit, lasz mir den gredschen dieb
Gengenbach 135 Oödeke;
als wollend ir mit gredtschen berden
gantz und gar zu wiber werden
Murner gäuchmatt (1519) mi^;
wir gredtscher sind den unsere wiber n2*;
was zychst dich selbs, du junger gsell?
du bringst dich gar in ungefell,
dasz du die weit so gar verschmohst
und also gredtisch ynhär gohst!
(sagt der teufet zu einem büszenden jüngling)
Schweiz. Schauspiele des IG.jhs. 1, 78 Bächtold:
von solichen weibischen und gretischen leüten Zell
christliche verantivortung (1523) 2 3"^.
GRETSÄULE, s. grieszsäule.
GRETSCHEN, GRETSCHELN, s. grätschen, grätschein.
GRETTEN, vb.: wurste, fleisch gretten im kessel ab-
kochen, halbweich sieden, besonders zur metzelsuppe Fi-
scher Schwab. 3, 827; auch in älterer spräche schon:
von den gesterigen oleybten des nachtmals machen
sy ein geröstet oder gegrettet und vergattert byessen
G. V. Keisersberg pater noster C 4i auch gretteln
Fischer a. a. o.,- gegretteltes leicht abgesottenes fleisch
ScHMiD schtväb. 241; bair. krodeln, krödeln, krötteln
Sghmeller 1, 1364; dazu grett- (grettel-) brühe Wurst-
brühe; grett- (grettel-) fleisch frisch geschlachtetes fleisch
das gekocht und dann zur frischen wurst verwendet wird
Fischer; gr6telfleisch Reinwald henneberg. (1793) 54;
kredel- (kretel-, krezel-) fleisch Vilmar 226; kröd-(krödel-)
fleisch Schmeller; grett- (grettel-) speck S2)eck von grett-
fleisch; grett- (grettel-) suppe suppe davon Fischer;
krödelsuppe Sghmeller; gretelsuppe Reinwald 55.
etgmologie?
GRETTEN, reizen, s. gretzen.
GRETZ, m. l) junger, auch verkrüppelter sprosz eines
baumes oder Strauches; gretzen, f (atich wi.), ruthe, gerte,
spec. rauhe, dornichte; plural oder gretzi n. coli., ab-
gefallene oder abgehauene dürre reiser, besonders von
tannen und flehten, auch von reben Staub-Tobler 2,
836; grgzen, fem. plur., reiser, kleine äste, f aschinen lux.
ma. (1906) 154; grätzelein nadeln dernadelbäume Fischer
Schwab. 3, 861; grätzelreis 860; herzchen des kohls: e~
kalhhgretzl Schmeller l, 1018; grgzken, ti., das innere
des kohlkopfes, des Krautes, das sprossende eines ge-
wächses Kramer Bistritz 40; gretz, /., plur. gretzen, ein
Stückchen, ein biszchen von einer suche, ein klein wenig
Gangler 189; vb. grözen spieszruthen laufen lassen, mit
ruthen hauen lux. ma. (1906) 154.
2) übertragen: gretz, m., von mädchen auch fem., ver-
krüppeltes, kränkliches, unartiges kind; kleiner frecher
kerl, knirps: halt emäl dis mül, du gr. Staub-Tobler
2, 836; vgl. (?) krätzlein magere kuh, magere Weibsperson
Fischer schwäb. 3, 861; grfezert habsüchtiger, in seiner
äuszeren erscheinung vernachlässigter mensch lux. ma.
(1906) 154''. — umlautbildu7ig zu grasz, *. d., vgl. igresz-
ling, grotze.
^GRETZE, m., ein raubvagel: avis clamosa, nidulans
in turribus, alibi sprinzen, . . . sperber Henisch 1741;
gretze nennet man zu Bell einen schreyerischen vogel,
der auf dem kirchturm nist. an andern orten . . .
heiszt man in sprintz Fischer schwäb. i, 697 aus
Bauhin. häufiger sind k- formen: kretz, kretzo alietus
Diefenbach 22''; wannenweiher oder kretz alicetus
Frisch l, 548; dornkretzer lanius cinereus promptuar.
von 1618 nach Schmeller i, 1388; vgl. Staub-Tobler
3, 934; nach Suolahti vogelnamen 148 eigentlich für
den Würger, lanius collurio. zu kratzen?
2 GRETZE, m., korb : (die aus der stadt kommende fraiC)
wird von den kindern mit jubel empfangen, indem die
naiv-lüsternen . . . vermuthen, dasz für sie etwas gut's
im gretzen ist Melcii. Meyr erzähl, aus dem Eies 3,
144; vgl. 236; geicöhnlich kratze, kretze th. 5, 2073.
1 GRETZEN, GRÄTZEN, vb., reizen, erregen, erhitzen,
erzürnen; einen menschen gr. durch neckereien ärgern;
eine wunde vergr. durch berühren reizen Frischbier
1, 252; grezen reizen, necken Kramer Bistritz 40; altes
nd. icort: unde he beghunde dat volk to grettende
{coepit irritare plebem) l. Makk. 15, 40 lübeck. bib. (1494);
vgl. Schiller-Lübben 2, 145; Dähnert 160*'; brem. tvb.
2, 541 als veraltet bezeichnet; nl. als greten, gretten noch
lebendig woordenb. d. nederl. taal 5, 680; factitivbildung
zum, adj. mhd. graz zornig.
2 GRETZEN, vb., in unregelmäszige stücke schneiden,
besonders kartoffeln für das vieh; vergretzen unregel-
mäszig zerschneiden Crecelius oberhess. 439; vgl. ver-
krotzen (Aschaffenb.) im zuschneiden verunstalten: ein
stück tuch, den braten, das brot verkr. Schmeller i,
1392; aiso gretzen «M« grötzen; 2m grotzen, grutzen kern-
haus des obstes, verschrumpftes obst, alles verkrüppelte,
kleine Crecelius 438; vgl. krotze, krotzen th. 5, 2424.
GRETZIG, GRÄTZIG, adj., leicht aufgebracht, er-
zürnt, widerhaarig, kratzbürstig: ein gretziger mensch,
hund; er ist gr. wie ein kaulbarsch Frischbier l, 252;
grätziger hund caiiis acer Henisch 1741 ; wer do sagt
zu seynem bruder 'racha' (das ist ein grewlich, zornigs,
gretssigs zeichen gibt) Luther 6, 267, 13 {anderer druck
aus Wittenberg: gressigs, aus Nürnberg: gretzigs, aus
Augsburg: tretzigs, aus Basel: unwürss). zti grasz
wüthend; vgl. ^ gretzen vb.
GREUBE, s. griebe.
GREÜBEULE, /., ostfries. dasselbeule Martiny wb.
d. milchwirtschaft 47; zu greien, *. d.
^GREUDER, n. l) schwimmende reisigbüschel , aus
denen die fische wie aus reusen nicht mehr herausfinden
Unger-Khull steir. 306*'; artikel, die archen, legschefi'l,
die engen garn und greuter antreffend Schmeller l,
1378 {quelle von liHi) ; vgl. österr. iveist. 11, 660^; im sel-
ben sinn: item es soll kein fischer kein gerewderpurd
nicht mehr legen ib. (quelle von 1484); später häufig iri
der Schreibung kräuterbürde s. th. 5, 2115 und Sghmel-
ler a. a. 0. 2) spreu, häcksel Unger-Khull a. a. o.
(quelle von 1688). — als gereuter zu reuten gehörig, 'icas
geholt wird vom, gereute, der stelle wo wald gerodet ist',
vgl. th. i, 1, 2, 3632 ; auch dieser platz selbst heiszt ge-
legentlich gereuter: soll nieman dem andern schaden
tun in sinen wisen, garten, bunden äker, gerütteren
Fischer schwäb. 3, 406 (quelle von 1479).
2 GREUDER, m., in älterer bergtcerkssprache der knecht,
der die pfanne heizt: es ist auch darzu ein greuder,
der die scheitter oder stroh under die pfannen wirfft . . .
aber alsbald der wircker mit dem ersten fulaimer saltz
in die pfannen gössen hat, so zündet der greuder die
scheitter oder das strow an so under die pfannen ge-
legt Bech Agricola (l62l) 457 (bei Agricola nur: ado-
lescens); offenbar zu gereut catinus Frischlin nomencl.
263, cap. de coctura metallorum et salis, de instrumentis
excocloriis, s. th. £ 1, 2, 3632.
GREUEL, m., gegenständ und empfindung des grauens.
form.
1) ein nur auf dem germ. festlande verbreitetes wort,
das sich erst in mhd. zeit nachweisen läszt: mhd. griul,
griuwel, griule (s. u.); mnd. gruwel, nd. grüwel, gruwel
(genaueres s. u. 3); fries. gröl, gröel; mnl. gruwel, gruel;
nl. gruwel; verwandt ist anord. gryla 'schreckbild, Zau-
berin', ableitung von gru6n swv., vgl. Wilmanns 2, 263;
zur etymologie s. grauen, die mhd. form griule wird
herkömmlich als swm. angesetzt, doch liegt eher epithe-
tisches e vor: nom. grule j. Tit. 829, 2; accus, grözen
griule (: miule) Neidhart 49, 7 (s. A4); sunder greule
(: seule) j. Tit. 5479, 2 (s. B l).
2) greuel erscheint wie im nl. (tooordenb. d. nederl. taal
5, 1189) auch im deutschen spurweise als neutr.: so wäre
diese einige sünde (ehebruch) ein solches greuel vor gott
dasz Schupp sehr. (1663) 520; beachtung verdient, dasz
205
GREUEL
GREUEL
206
fast ausschlieszlich auf alem. bodeyi, namentlich in ge-
wissen redensarten, ein accus, ein greuel erseheint, der
freilich durch ekthlipsis aus einen gr. verkürzt sein kann,
also nicht unbedingt neutral zu sein braucht: an wel-
chen got ain grewel hat Eb. v. Günzburg 2, 15 neudr.,-
ähnlich 1, 86; Geiler v. Keisersberg eschengrüdel
(15U) a 6''; Ryff spiegel d. gesundheit bb IUP; NiCL.
Manuel Barbali 7il (s. B 2 a); U. Eckstein (s. u. 5);
etwas für ein greuel halten Kramer teutsch-ital. (1700)
1, 564»; vgl. NiGL. Manuel Barbali 39i (s. A 7 c);
dann mich als ein grewel ansehen
gott und menschen
Spangenberg-Fröreisen griech. dram. 1, 173
Dähnhardt;
seltener in anderen Wendungen: ein grüwel und böli-
man fürgeschlagen Staub -Tobler 2, 834; ein grawel
.machen Eb. v. Günzburg 3, 7 neudr.; kein grüwel
bringen tragoedia Joannis (1549) J iiij (s. B l) ; nur selten
auszerhalb des alem., aber meist in denselben phra^en:
ein grewl und unmuth haben H. Sachs 18, 38, 8 (s.B2c);
wie ein greuel halten 2. Mose i, 12 (s. A 7 c) ; wie ein
greuel ahnsehen briefe d. Elisabeth-Charlotte v. Or-
leans 44 (s. A 7 c); die schrift heisset die abgotter
eigentlich ein grewel Luther sermon von d. jüd. reiches
ende (1525) A iiij ^. das götting.-grubenhagische scheidet
dei grüel und dat grüel als schelten für männliche und
weibliche personen Schambach 69 (s. A 2).
3) im nd. scheint ein bedeutungsunterschied zwischen
der unumgelauteten und der umgelauteten form zu be-
stehen, wenigstens in gennssen gebieten: grüwel 'empfin-
dung des grauens, abscheus' (s. B), grüwel 'gegenständ
des abscheus' (s. A); vgl. grüel grauen Sch.\mbach 69;
grüwel, gruwwel, grauwel grauen Vilmar 135; grouwel
absehen brem. wb. 2, 551; grugel grauen Mi 29; grujel /.
grusel lux. «la. (l906) 157; grool grauen Stürenburg
76''; dagegen: grüel gegenständ des abscheus ScHAUii\C}i
69; jriwel ^rofeÄo^/ Liesenberg Stieger ma. 147; auch im
pomm. besteht anscheinend der bedeutungsunterschied gruel,
grüwel grauen, grflel gegenständ d. grauens Dähnert
163. Strodtmann /reiKc/t noh'erf: 'gruwwel ttnc? grüwwel
das grauen', osnabr. 77; ähnlich schei7ien im tcestfäl.
gruggel-grüggel geographisch, nicht dem sinne nach un-
terschieden zu sein Woeste 86''; auch dat is en gruels
ausruf des erstaunens, der Verwunderung Schütze holst.
2, 65 {ähnlich brem. wb. 2, 55l) scheint zu tcidersprechen,
für die ältere zeit sind bei der ungenauigkeit in der be-
Zeichnung des umlauts schwer sichere ergebnisse zu ge-
winnen; doch vgl.: legt ab den grul und hass engl,
comödien u. tragödien (1624) F f V''; anderseits: {das
Judenvolk ist) in all sülcken grfiwel unde YerwSstinge
gekommen Rotmann restitution 8 neudr. {freilich auch:
in den grüwel der verwöstinge gevallen 12; o grüwel
aver grüwel 76). die bedeutung B herrscht im, nd., zumal
der älteren zeit, vor (Schiller- Lübben notiert nur
grüwel 'grauen, furcht', vgl. die beispiele B l); ähnliches
scheint für das mnl. zu gelten, vgl. Verwijs-Verdam
2, 2205.
4) die Wortspaltung, die sich in dem nd. nebeneinander
von grüwel-gruwel ankündigt und in der nhd. doppel-
form greuel-grauel vollendet ist {s. B l), tritt in spuren
auch im alem. auf: in drucken Geilers v. Keisers-
berg findet sich gelegentlich grauwel im sinne von nd.
grüwel 'horror', z. b. so möcht ir ein grauwel darab
haben narrenschiff (1520) XI "i; vgl. auch B 2 b; ein
grawel haben vor C. Hedio {s. m. B 2 a); ebenso bei Eb.
V. Günzburg ein grawel machen 'grausen erregen' sämtl.
sehr. 3, 7 neudr. {s. B l). freilich loird die form grauwel
vereinzelt auch im sinne der bedeutung A gebraucht: der
unmenschlich grauel {papst) 2, 26; man könnte an eine
Verwechslung denken, wie sie noch nhd. gelegentlich er-
scheint (dies ist der grauel, wovor der mensch erstarrt
Rahel bei Varnhagen Rahel 1, 500); doch findet sich
auch im heutigen elsäss. ein grauel, das nicht die für
die unumgelautete form postulierte bedeutung 'horror'
hat: do sy i, laider, hell denne Saddans grauel Mar-
tin-Lienhart 1, 265; e grauel essespyse ib. Schmidt
straszb. 44. 45 trennt greijel 'gräueV von gröüel 'Unord-
nung, durcheinander von dingen, die nicht aufgeräumt
sind'. — die alem. dialecfform (grüwel Staub-Tobler
2, 834) erscheint im älteren nhd. auch litterarisch nicht
selten: grüwel Keisersberg sermones 139''; Eb. v. Günz-
burg 1, 86 neudr.; Zwingli dtsch. sehr. 1, 222; Nicl.
Manuel Barbali 394,711; Hedio chron. german. (1530)
M IUI"; tragoedia Joannis {Solothum 1549) G vj. J iiij ;
TscHUDi chron. helvet. 2, 34.
5) gelegentlich mundartlich entrundete form,en: greil
städtechron. 23, 349, 13 {Augsburg); {das sacrament) sei ain
greichel und ketzerei 178, 13;
das ihr vertilgt die christn alsandt,
welche seind mir und gott ein greil (: weil)
Ayrer dramen 3, 1785, 28 lit. ver. ;
greijel grauel Schmidt straszb. 44 {s. o. 4); sächs. kreil
Müller-Fraureuth 1, 440. ganz vereinzelt erscheint im
älteren alem. eine art gerundeter form: dass er aber ab
der sünd ein gröbel hatt Staub-Tobler 2, 834 aus
U.Eckstein {anfang 16. jh.); vgl. im modernen elsäss. :
so e gröjel kann i nit sehn Martin-Lienhart l, 265.
6) zur Orthographie sei bemerkt, dasz die Schreibung
grauel im n.jh. erst in spuren auftritt (Schill teutsch.
spräche ehrenkranz [l644] 262; Rompler v. Löwen halt
erstes gebüsch [l647] 14; Rachel satyr. ged. 35 neudr.;
Prätorius glückstopf [i669] 169); die im älteren nhd.
durchaus herrschende form ist grewel; auch im 18. jh.
kommt grauel erst in der 2. hälfte in aufnähme, natür-
lich auf grund einer äuszeren Ungleichung an grauen,
uie sie rationalisierender Sprachbetrachtung nahe lag {vgl.
neuer büchersaal d. schön, wissensch. u. fr. künste, 3, 393 ;
Gottsched ged. [l75l] 294; d.neueste a. d. anmuth. gelehrs.
2, 184; Ramler eiyil. in d. schön, wissensch. 2, 38. 148. 340;
Lessing 6, 521; Löwen sehr. 1,24; Hagedorn 1,65);
die form erfreut sich dann steigender beliebtheit {z. b. bei
Göthe, Herder, Klinger, Bürger ziemlich gleich
häufig wie greuel, icährend Schiller grauel zu meiden
scheint), theoretiker und lexicographen nehmen sie auf:
'grauel , . . {stammt) auf eine unleugbare art von grauen
ah' Adelung magazin f. d. dtsch. spräche 2, 2, 117; 'man
schreibt dieses wort gemeiniglich greuel, aber sehr un-
richtig' wb. 2, 787; Frisch nouv. dict. (1772) 289; Klein
provinzialicb. 1, 160; Braun orthogr.-gramm. wb. (1793)
126'* {teeist greuel ausdrücklich zurück); Heynatz synon.
wb. 1, 55''; Täubel buchdruckerkunst (l805) anhang 11;
damit ist ihr für die erste hälfte des 19. jhs. die gleich-
berechtigung im gebrauch gewonnen; erst im 3. viertel des
jhs. wieder zurückgedrängt, neben herrschendem grewel
erscheint im älteren nhd. gelegentlich die form greuwel,
aber fast nur auf alem. boden und dort verständlich auf
grund der dialectform grüwel ; vgl. Zur. bibel (l53l) 1. Mos.
43 F; 3. Mos. 20 D; Stumpf Schicytzerchron. (1606) 353'';
Fronsperger kriegsbuch l, 1 5r; auch bei lexicographen:
Frisius diction. (1556) 8». 400\ 499''; Maaler (i56l) 192»;
HeNISCH 1741.
7) die kurzform greul erscheint vorioiegend in poet.
Sprache, und zwar ebensogut auf nordd. loie auf südd.
boden. im 16. jh. beliebt bei H. Sachs {werke 7, 408, 28;
18, 38, 8; 18, 344, 28; 22, 133, 27), auch bei RiNGWALDT
möglich {evang. 2r''); im 17. jh. ebenso in geistl. liedern
(Hock schön, blumenfeld 95 neudr.; P. Gerhardt bei
Fischer-Tümpel 3, 327». 330») wie in der alexandriner-
dichtung (D. v. d. Werder ras. Roland 23; Rachel
satyr. ged. 104 neudr.). im 18. jh. allgemein gültig in
der modedichtung der vorklassischen zeit (Heraus ged.
u. inschr. [i72i] 238; Schwabe belustigungen i, 201; Neu-
kirch ged. [l744] 153; Dusch verm. werke [l754] 17;
Gottsched dtsch. Schaubühne 4, 23; Löwen sehr, l, 24;
J. E. Schlegel l, lO; Eschenburg beispielsammlung
1, 293); später seltener (Voss odüssee 294, 107 Bernays;
Overbeck verm. ged. [1794] 185; A. W. Schlegel im
Athenäum l, 114), nicht ungewöhnlich bei Schiller
(12, 21; 13, 190; 15, 1, 44); im 19. jh. überall gelegentlich,
wenn auch spärlicher als im 18. tn prosaischer spräche
ist greul im 16. u. 17. jh. nicht minder häufig als in der
poesie (Seb. Fischer Ulmer chron. ll Veesenmeyer ; Nas
antipap. eins u, hundert l, 63''; Barth weiberspiegel
207
GREUEL
GREUEL
208
[1565] BB*»; Prätorius saturnalia [l663] 312; A. U. v.
Braunschweig Octavia l, 449; Abr. a St. Clara Judas
[1692] 3,28); später selten (Lessing 6, 25i; Jung-Stil-
LING sümtl. sehr. 4, 5^9) und nur iis in die erste hälfte
des I9.jhs. (Ayrenhoff 5, 356; Heine 3,418; Möllner
drain. icerke 2, 117; Auerbach sehr. 15, 179).
bedeutung und gebrauch.
A. gegenständ, zustand, handlung, äuszerung , die
grauen hervorrufen; diese bedeutung wird, obgleich reicher
entwickelt als die zweite, von den älteren lexicographen
sehr vernachlässigt: horribilitas Diefenbach 280"; di-
ritas Serranus synon. (1579) s. v.; z. t. mag die glos-
sierung durch abominatio hierher zu ziehen sein, s, u.
B2.
l) von dingen.
a) alt scheint die bedeutung 'schreckbild' : griwel cucitis
Diefenbach 160";
die {l. der?) swert und schilde blicken zu den bilden un-
geheure
leret die beiden schricken. sie wanden daz die helle gar
mit feure
wer uf getan mit aller teufel greulen j. TU. 6097, 3 ;
vgl.
hilf uns durch die kestigunge
die er leit von Juden zunge,
durch die villät an der siule
vor des leiden tiuvels griule
Mariengrüsze 726, zs. f. d. alt. 8, 295;
wiewol man ihnen (den aufständischen) damit (mit der
Zuschrift) ein grüwel und böliman fürgeschlagen Staub-
Tobler 2, 834 (quelle von 1525); gegenstund des ab-
scheus :
reht alsam diu iuwel
ist der vogel gruwel Martina 116, 64.
b) in der bibelsprache von levitisch unreinen dingen:
du solt keinen grewel essen 5. Mos. 14, 3; und essen
scliweinefleisch, grewel und meuse Jes. 66, 17 ; vgl. 5. Mos.
17, l; daher im scherz vom kaffee:
das wittere ja der probst nicht,
dasz ein priester die lippen entweiht mit dem türkischen
gräuel !
Voss ged. (1802) 1,99;
im, besonderen von götzen und götzenbildern : verflucht
sey wer ein götzen oder gegossen bild macht, einen
grewel des herrn 5. Mos. 27, 15; da bawete Salomo eine
höhe Chamos dem grewel der Moabiter . . . und Mo-
lech dem grewel der Ammoniter l. kön. ii, 7; vgl. 2. kön.
23, 24; von thiergottheiten : wenn wir denn der Egypter
grewel für iren äugen opferten, würden sie uns nicht
steinigen 2. Mos. 8,26; vgl. i.kön. 11,5; Hesek. 20,7; lu7ige
nachwirkend:
und räum es {das herz) von den götzen,
die satan, weit und eigensinn
darein zum greuel setzen
Günther ged. (1735) 26;
erlöste ! flieht aus Babels thoren !
des gräuels wüst, dem sie geopfert hat,
hat ansehn und gewalt verlohren
Gottsched ged. (1751) 294;
diese kamen zuerst {zum satan) . . .
die ihre greuel und götzenaltäre
oft in sein {goites) heiiges gestellt
Zachariae poet. sehr. 6, 53;
vgl. greuel der Verwüstung c cT.
c) auch in profaner spräche 'grauenhafte, ekle dinge,
unrat': für hunger allerley greuel fressen müssen Kram er
teutschital. (l700) l, 564»; wie welzet sich das eingeweide
in mirl der verschlossene greuel tobet und suchet einen
ausgang sagt Thyest, als er erfährt, dasz er seine kinder
gegessen hat Lessing werke (1838) 4, 28l; sie (unselige
geister) . . . gaben mit Zuckungen den greul wieder von
sich (unrat, den sie verschlungen hatten) Jung-Stilling
4, 549; (der ehrgeiz) ist figurirt worden in jener fetl in
der Offenbarung Joannis, welche . . einen güldenen kelch
voll grewels und unsauberkeit ihrer hurerey in der
handt hatte, und allermenniglichen darvon zutrincken
gab Albertinus Lucifers königr. 35, 21 neudr.; wann
. . . Macbeths hexen im unterirdischen gewölbe um
den kessel voll gräuel den höllentanz tanzen Bürger
1, 322* Bohtz;
welche verwegene faust, du wein-emährende traube?
Evius junges kind, risz von der rebe dich ab?
und da du ihm die lippe zusammenzogest, so warf er
dich als gräuel dem fusz irrender wanderer hin
Herder 26, 48;
hierher auch gewisse fälle übertragenen gebrauchs :
herr, dein gesatz mich ja so scheuzlich conterfehet,
dasz hoffnung mich zu säubern mir entgehet, . . .
ich bin voll unflat, grewel, wüst
Weckherlin ged. l, 411 Fischer ;
viel gräuel hab ich drein {ins herz) gebracht,
es stinkt itzt, wie ein garstig schacht,
darinn der satan wohnet
allg. dtsch. bibl., anh. zu 1—12, 49;
vgl. auch stinkender greuel H. v. Cronberg 3 ca.
d) abstracter 'wüst, Unordnung': diese Unordnung
macht uns beiden wenig ehre, ist es gesund, ... in
einem solchen stalle zu leben? . . . wie dir's so wohl
sein wird, wenn der greuel einmal weg ist Sturz sehr.
1, 256; das höllwasser musste zu zelten seinen namen
recht wohl verdienen, da ein solcher gräuel von schutt
und steinen neben mir lag Stifter 4, i, 118 Sauer; so
namentlich elsäss.: was e gröüel in dem zimmer Un-
ordnung, durcheinander von dingen, die nicht aufgeräumt
sind Ch. Schmidt straszb. 45; weiterentwickelt 'lärm, ge-
tose, Verwirrung, Unordnung' (Elsasz) Klein provinzial-
wb. 1, 160; vgl. säugräuel Unordnung, lärmendes treiben
MartinLienhart 1, 266''; d kinder machen e gräuel
in der stub, mer kann s nit ushalten ; in dem wirtshus
ist^ allewil e gräuel 265''; im götting.grubenhag. heiszt
griiel jedes in seiner art auffallende oder übermäszig
grosze thier oder ding Schambach 69; dem vergleicht
sich die bedeutung 'menge': e gräuel essespyse steht
drunten in der küch MartinLienhart i, 265 (vgl.
greulich 7).
e) andere fälle concreten gebrauchs bleiben vereinzelt:
o ihr tünchner mit losem kalkl — wie sehr schimmert
der alte greuel durch Jung-Stilling i, 346;
die Wollust . . .
den weggewandten greul des rUckens stets verhelt
Eschenburg beispielsammlung 1, 293;
wie eine böse beule
die schlimmen safte all des körpers anzieht,
zum herde wird der fäulnis und des greuls
Grillparzer 9, 105 Sauer ^
0 sein {des Rheins) gestade brütet jenes greuels {der mucken)
auch
ein gröszeres geschlechte noch und schlimmres aus
MÖRIKE 1, 186 Göschen;
vom phallus: das . . . sein (des Priapus) gotzdienst war,
das die eerbarist matron in der statt disz bilds grewel ein
krantz müste aufsetzen (honesta matrona pudenda virilia co-
ronabat Augustin de civ. dei 7, 24) Seb. Franck mor.
encom. 12».
2) vom menschen; besonders nordd., auch alem.: der
mensch ist ein rechter greuel abominandus et spurcus
homo est Stieler 697; Pelagia war ein öffentliche Sün-
derin zu Antiochia, ein greul und Verführerin der Ju-
gend Abr. a St. Clara Judas 3, 28; es ist ein un-
geheuer geboren und ein blutbefleckter gräuel aufge-
standen (Napoleon) Arndt sehr, für u. an s. l. Deufsr-hen
1, 254; dieser mensch! . . . ein greuel ist er Frenssen
Jörn Uhl (1902) 446; im frühnhd. stehende bezeichnung
des papstes: der grewliche grewel zu Rom, der sich
bapst nennet Luther wider das bapstum (1545) Aij'';
aber der unmenschlich gräuel . . . hat hye und anders
wo allen geschriften das hynder her für gethon und
wiederumb Eb. v. Günzburg 2, 26 neudr.;
der wüste grewel sitzet schon
an heyigen statt Gengenbach 337 Oödeke;
der antichrist der ist ein grewl
mit allen seinen pfaffen
Ringwaldt evangelia Zv'>;
au^h im plural: kompt hertzu, yhr ungeheure grewel
der weit, und zeygt uns ursach an, warumb yhr euch
I
I
209
GREUEL
GREUEL
210
last bischoffe heyssen Luther 8, 501 Weim.; vor deinen
äugen, du holdselige, . . . erfrechen sich die greuel ihre
abrede zu treffen Tieck sehr. 4, 257; dialectisch im md.,
nd. und alein., z. th. in veränderter bedeutung und mit
vorliehe als Scheltwort in der anrede: grliel als Schimpf-
wort sehr üblich Schambach 69; jriwel trotzkopf R^hteu
thür. 110; trotzkopf, unartiger knabe Liesen BERG Stieger
ma. 14-7; grool tauqenichts, spitzbube, doch oft scherziceise
Stürenburg ostfries. 76"; sprichwörtl. de alle grüggel
es död und de junge het noch kaine tqne Woeste
wesffäl. 86"; abscheulicher mensch: du wüeste grüwel
StaubTobler 2, 834; von je gern in der anrede: weh
dyr, du grewlicher grewel (papst) Luther 7, 671, 14
Weim.; du greuel Iffland theatral. loerke 1,147; hör'
auf, du gräuel 1 G. Keller 6, 195 ; bei weiblichen tcesen tritt
das neutr. ein: der lieben Emilie sage, dasz ich prächtig
italienisch plappere, und das liebe greuel soll mir doch
bald schreiben Feuerbach an die mutier (1855) l, 397;
ebenso im götting. Schambach 69; in älterer spräche
öfter ericeitert durch objectiven genitiv:
das weib, der länder schaden,
der menschen höhn und fluch, der Schandfleck ihrer zeit,
der greuel der natur, den jedermann anspeyt
Gryphius irauersp. 54 Palm;
(ein vornehmes geschlecht) welches ich , nachdem es
mich als einen rechten greuel der tugenden erzeuget,
nicht einmal nahmhafft machen will sagt ein ver-
ruchter Schnabel ins. Felsenburg (l73i) l, 213;
itzt heiszt Pompon ein greul der redlichen im lande
Schwabe belustigungen 1,201;
und ihr wollt mir den letzten trost rauben im sterben,
dasz ich ein greuel vor gott und menschen schlafen
gehen soll Schiller 2, 138.
8) von zuständen und handlungen.
a) die numeri stehen in der bedeutung nicht gleich:
der plural bedeutet meist 'grauenhafte handlungen, Un-
taten'; daneben aber auch allgemeiner 'zustände, erschei-
nungen, die grauen, abscheu hervorrufen': wohl euch,
ihr lieben, dasz ihr für jetzt noch nicht . . . mit Ter-
wickelt seid in den groszen kämpf {gegen Napoleon) und
die gräuel, die ihn begleiten aus Schleiermachers leben
2,76; der kämpf um das dasein mit seinen zahllosen
quälen und gräueln D. Fr. Strausz 6, 147; besonders
fühlbar wird der unterschied neben localen angaben: er
hat aus dem tiefen abgrund . . . das stöhnen der ge-
ängstigten und das hohnlachen der furien samt allen
gräueln der dunkeln reiche mit herauf gebracht Tieck
sehr. 4, 427; die gräuel einer eroberten Stadt Ramler
einl. in d. schön, tcissensch. 2, 38; so öfter 'greuel der
weit': auch der weit und ihren greueln steure, herr,
mit deiner macht Schmolcke trost- u. geistr. sehr, i, 5;
1 warum vertilgt mit dem flammenschwert
all die greuel von der erde
der tudesengel nicht
HÖLDERLIN 1, 70 Litzmann.
der Singular ist für die einzelne greuelthat nie recht
geläufig geivesen: tuend nit einen diser grüwlen Heinr.
BuLLiNGER (1540) bei StaubTobler 2, 834; er . . . ver
übte mit dieser schändlichen (hure) allen greuel, der
mehr zu beweinen als zu beschreiben ist Zend. a Zen-
DORiis winternächte (1682) 319; in neuerer spräche nur
poetisch :
verhüll', o Phöbus, dem nahen greuel dein antlits
Gotter 2,510;
himmel ! ist solch ein greul nur denkbar? also Menalkas,
halten wir deinen trost beynah mit dir selber verloren?
(Jieu, cadit in quemquam tantum gcelus Vergil ecl. 9)
OvERBECK verm. ged. (1794) 185;
erschollen war in diesen thälern schon
der ruf des neuen greuels, der geschehn
Schiller 14, 314 (Teil II 2);
in der regel bezeichnet der sing, vielmehr das grauen-
hafte, abscheuliche als zustand, erscheinung: das alles
(wunderzeichen am himmel) die hendel zu diser zeit beim
bapst und keiserthumb, den grewel und weitstand ab-
malende, anzeiget hett Seb. Franck chron. lOö";
IV. 1. 6.
(man soll) was noch allhier den wahren gott vernichtet
und auf den Christus pocht, in eben gleicher pracht
einliefern auf die bürg, weil einmahl wir bedacht
den greuel abzuthun und diesen trotz zu brechen
Gryphius trauersp. 168 Palm;
wenn meine yerehrung vor dem hohen geiste, der uns
regiert, noch zunehmen könnte, sie müszte bei dem
anblick dieses greuels (des Berliner bühnenwesens) zum
riesen werden P. A. Wolff an Qöthe, sehr, der GötJie-
gesellsch. 6, 185;
allmächtiger regierer,
die weit ist schlecht zum grau'n,
lasz über den ganzen gräuel her
eine neue sUndfluth thau'n
Strachwitz ged. (1850) 172;
wir konnten nicht weiter keuchen, . . .
frost, hunger, elend und seuchen,
sie haben uns hingerafft.
ein ungeheurer knäuel,
zwölfhundert oder mehr;
es zieht sich über den gräuel
ein dünner rasen her
ROckert (1867 #.) 1, 73;
ganz dbstract 'das grauenhafte, entsetzliche': die eifer-
sucht führt . . . den gräuel mit sich, dasz sie bereits
erkaltete . . herzen mit flammenqualen martert Holte i
erz. sehr. 11, 40; wir haben mühe, den greuel, zu dem
im alterthum oligarchische tyranney stieg, zu fassen
Niebuhr röm. gesch. 2, 92; soll ich von oben herab,
soll ich von unten heraufsteigen — etwas von dem
greuel zu bemerken, der aus allen diesen gesiebtem,
wie blut aus der wunde des ermordeten hervorquillt
La VATER physiogn. fragm. 1, 100; der sing, wirkt bis-
weilen wie ein collectivum, zum plur. : ich hatte den
Suetonius genommen, war aber zu krank für den gräuel.
welch ein abschnitt der menschengeschichte ist das!
Varn HAGEN tageb. l, 35; er . . . fühlte schon all' den
gräuel voraus, unsereiner versteht den gräuel erst or-
dentlich, wenn er ihn mit äugen und bänden greifen
kann (greuelthaten gewaltsamer protestantenbekehrung)
LAube 14, 7;
als wie die sündfluth über alle borde
hinschwoll der gräuel durch das land der väter,
das röchelte im ungeheuren morde
(beim Hunneneinfall) Strachwitz ged. (1850) 323.
b) dem begriffe nach reicht das wort sehr weit; es wird
namentlich in jüngerer zeit gern in unbestimmt-collec-
tivem sinne ohne nähere qualificierung gebraucht:
ich steh es gerne zu, dass sein verletzt gewissen
durch nichts als blut und tod mög alle greuel büszen
Gryphius trauersp. 28 Palm;
aber ihn in die läge zu setzen, dasz er vergangene
gräuel abbüsze Klinger neues theater i, 218; so soll
euch die strafe eurer greuel bis auf das lezte andenken
erlassen seyn Schiller 2, 105. — die Medea der alten
dramatiker bleibt bei all ihren greueln noch ein groszes
staunenswürdiges weib 2, ll; (die 'Iphigenie') ist voll
der wirksamsten mittel, die aus den mannigfaltigsten
greueln hervorwachsen, die dem stück zu gründe liegen
Göthes gespräche 6, 82; seine tragödien behandeln die
furchtbarsten vorwürfe . . mit gehäuften greueln Lud-
wig 5,223; denn was durch partheyische kirchenhisto-
riker vor Unwahrheiten allerseits in die weit geschrieben
und vor greuel auf die nachkommen fortgepflanzet wor-
den, ist wohl nicht gnug zu bedauren Arnold kirchen-
u. kefzerhist. (1699) vorr. 21; nur eine geringe mahnung
aller der gräuel . . . , die sich hinter den deckmantel
der religion versteckten B. v. Arnim dies buch gehört
d. könig 2i, 249; wie lange, dasz wir durch die . . ein-
führung des öffentlichen und mündlichen gerichtsver-
fahrens vor der Wiederkehr solcher gräuel (wie sie her-
zog Carl V. Würtemberg Schubart gegenüber verübte) ge-
sichert sind? D. Fr. Strausz Schubarts leben l , xvi ;
(u-er weisz) mit welcher raffinierten grausamkeit die ge-
fangenen . . vom militär behandelt worden sind, oder
auch nur den kleinsten teil dieser gräuel durch tradi-
tion kennt briefe von u. an Herwegh 184; doch auch
milder: es geschehen viel greuel zur fastnachtzeit m,olte
abbominationi cioe lascivie horrende Kramer teutsch-
u
211
GREUEL
GREUEL
212
ital. (i700) 1, 564»; es mag sein dasz solche einsamkeit
{weltabgeschiedener gelehrter) auch wohl einige albern-
heiten, einige greuel veranlasset Zimmermann einsam-
keit 2, 46; gern von unnatürlichen scheuszlichkeiten : aber
bei diesem gräuel (dasz der riese seine mutter schlug)
verfinsterte sich der tag Grimm deutsche sagen l, 106;
ein unglücklicher vater — eine ausgeartete tochter! —
altern hilflos, im stich gelassen von undankbaren kin-
dernl — greuel, die ich nicht fasse Schiller u, 202;
jede mutter darf nur drei kinder erziehen; das vierte
. . . soll sie selbst lebendig vergraben, diesem gräuel
sind die familien der hauptleute nicht unterworfen Cha-
Misso 2, 235; diejenige menschen -fresser, so ihre ver-
storbene nechste und liebste freunde . . auffressen . . ,
begehn in der leichbestattung den grösten greuel Er.
Francisci lustige schatibiihne (1697) 3, 958; besonders von
vndernatürlicher unzucht, s. u. c ß.
c) der begriff wird aber auch, namentlich in älterer
zeit, prägnanter gefaszt; Kramer scheidet ganz treffend:
götzcngreuel, abgöttereygr. ; unzuchtgr., sodomitische gr.;
blutgr., mordgr. ; verwüstungsgr., verheerungs- und zer-
störungsgr., so auf die sündengreuel folget; hellengreuel
teutschital. (i700) 1, 564; einiges verlangt besondere dar-
stellung.
a) greuel religiös gewendet: von Luthers bibel an zur
bezeichnung heidnischen Unwesens (s. o. A 1 b, 2) : und sie
theten alle die grewel der beiden l. kön. 14, 24; hie hö-
ristu, das es für gott eyn heydnischer grewel ist, von
den todten oder geystern fragen Luther 10, i, l, 588
Weim.; nach allem greuel der heyden einhergehen, in
allen ihren greueln wandeln caminare secondo (in) tutte
le abbominationi e horrori de' gentili Kramer teutsch-
ital. (1700) 1, 564» ;
das schreibt sich her von euern lästern und Sünden,
von dem greuel und heidenleben Schiller 12, 36;
and viele märtyrer daselbst bluteten, als ringsum noch
heidnischer gräuel und Unsitte blühte Alexis rol. _v.
Berlin (1840) 3, 88; von da aus tn der reformationszeit
Schlagwort gegen den papst und päpstliches wesen (s. o.
A 2) : d^rümb fast kein greulicher ding auf erden, dann
das man heisset celibatum . . . wiltu nu dem grewel
entlaufen, so trit nur das gelübde . . mit füssen Luther
24, 54, 16 Weim.; hat auch wider das hochwirdig sacra-
ment und die mesz prediget, es sei ain greichel und
ketzerei, kain sacrament städtechron. 23, 178, 13 (Clem
Senders augsburg. chron.); die weil aber . . . got
uns sehen und entpfinden last den grawlichen grewel
darin wir aufs diefst stecken, so sollen wir got . .
bitten . . umb weiter erclerung und erkanntnusz solchs
stinckenden grewels H. v. Cronberg sehr. I2,h ^'■neudr
so schweren sie dem antichrist,
dasz sie auch die verführen wollen,
die nicht mit irem grewel stellen
Fischart nachtrab 156 Kurz; vgl. 607;
wie wol er nichts davon gehalten und zuvor wol ge-
wust, wie er den ehstand verleugnen und in andere
bepstische grewel mithelen und willigen must Alberüs
Widder Jörg Witzeln (1539) F 8''; auf irrlehren bezogen:
sindt das nicht grewl und yrtumb über greul Luther
34, 1, 507 Weim.; vgl. doch ist das evangelion ein herr-
liche artzney für . . irthumb und grewel des leydigen
bapsthumbs Hennenberger erclerung d. preusz. land-
taffel (1595) 35; auch sonst vielfach mit einer irgendtcie
religiösen Orientierung: denn was für eyn grewel sollt
seyn die kirche, so sie sich nach eyns iglichen sorbo-
nischen trewmers comment vorwandelete? Luther 9,
755, 27 Weim.; ein grosser greuel, welche ich sehe bey
lutheranern, papisten und calvinisten (meint das zucht-
lose kirchweihireiben) Schupp sehr. (i663) 62; mit den
gottlosen segnen will man ein sach erzwingen . . o wol
ein grosser greuel, o wol grosse blindheit der armen
leut Widmann Faust 44 Keller; den durch ihr zaube-
risches Wasser begangenen greuel . . , auszuwischen
Lohenstein Arminius (i689/.) 2, 622'';
je mehr mir die Verkleinerung von gott, im alten mann,
zuwider.
je lieber wehl' ich diesen greuel zu einem Vorwurf meiner
lieder
Brockes ird. vergn. 8, 577;
denn seine majestät will Regenspurg
vor ostern noch vom feind gesäubert sehn,
dasz länger nicht im dorne lutherisch
gepredigt werde — ketzerischer greul
des festes reine feyer nicht besudle
Schiller 12, 121.
tcird greuel als persönliche schuld gegen gott gefaszt, so
nähert sich das wort der bedeutung 'sünde':
denn all unsre greuel stehen
entblöszt vor deinem angesicht
Schub ART sämtl. ged. (1825) 1, 281;
wenn dir das stille herz (bei der selbstprüf ung)
schnöde gräuel und schulden zeigt,
dann erhebe das wort {gegen dich) Herder 27, 131;
zank, raubsucht, neid und furcht, die quelle steter schmerzen,
und sieben gräuel sind in eines wuchrers herzen
Hagedorn poet. werke (1769) l, 65.
ß) greuel sexuell gewendet: und treiben unternander
freund mit freunds weihe greuel Hesek. 22, ll; aber sie
(Jesabel = die röm. kirche) wird sich nicht bessern,
darum will ich sie in ein anderes bett werfen, als wor-
innen sie bisher ihre greuel getrieben hat Jung-Stil-
LING 3, 67; besonders von widernatürlicher unzucht: du
solt nicht bey knaben ligen wie beim weibe, denn es
ist ein grewel 3. Mos. 18, 22; kein weih sol mit eim
thier zuschaffen haben, denn es ist ein grewel 23; meine
meynung . . , dasz wir aus heiliger schritt erkenneten,
dasz gott diese greuel (blutschande, Sodomie u. s. w.) an-
fänglich allen menschen . . verbotten habe Thomasius
gedanken und erinnerungen 3, 157; weil sie unerhörte
greuel und widernatürliche sünden sollen getrieben
haben Triller poet. betracht. (i746) 2, 627; eine Visita-
tion (der klöster) . . . war . . . auf unverantwortliche
. . . aussch weifungen, greuel . . . wie in Sodom, ge-
stossen Ranke reform, gesch. 4, 42; vgl. auch: der träum
kitzelte die einbildungskraft des novizen, er erzählte
ihn . . einem mönche, und so lief er durch das ganze
kloster, verbrämt mit gräuel und lüsternen bildern
Klinger 3, 8.
y) greuel für blut- und geicaltthaten, die von einzelnen
verübt werden, oder krieg, empörung, executionen u. dgl.
begleiten, setzt sich erst seit dem 18. jh. recht durch:
wie ist es möglich, dasz eine so thätige regierung, wie
die sardinische, nicht kräftige maszregeln gegen solche
gräuel (morde aus räche) zu ergreifen weisz? grafen
Stolberg 6, 316; dasz gott im ordentlichen natur- und
geschichtsverlaufe dergleichen gräuel (wie das blutbad
zu Bethlehem) zuläszt, ist zu verstehen Strausz 4, 76;
während ihr gemahl in neuen blut- und gewaltthaten
Zerstreuung sucht, . . blickt sie aus ihrem frauengemach
auf die unerhörten, vergeblichen gräuel zurück Grabbe
4, 200 Blumenthal ; ich habe eine ehrsame wunde , die
einer meiner getreuen mir schlug, indem ich den greuel
abwehrte (unthaten der seinen an den eigenen landsleuten)
Hölderlin 2,165 üte»ia7w,- Constanze brachte die kröne
an das schwäbische kaiserhaus, nicht ohne blutigen
Zwiespalt der parteien und eine mit greueln befleckte
eroberung Platen 3, 7 Hempel; unsere Chroniken be-
wahren noch mit blutigen lettern tausend gräuel, so
jene scheuszlichen horden (die Tartaren) dermaleinst
in diesen Auren verübet Holtei erz. sehr. 13, 132; sie
(die Vorsehung) fand die voraussendung aller der uns
empörenden und erschreckenden greuel nöthig (von der
französ. revolution) Klinger toerke ii, ii; die national-
versammlung ward liun offener greuel beschuldigt HÄus-
SER deutsche gesch. 1, 345; dieses ist auch die Ursache,
dasz die gräuel in Indien bisher ungestraft gehlieben
sind Archenholz England u. Italien l^ 21; in Chal-
kis namentlich fielen arge greuel vor; im ganzen ward
aber doch in den Strafgerichten (seitens der Römer) masz
gehalten Mommsen röm. gesch. 2, 47.
6) eine eigene geschichte hat greuel der Verwüstung;
die ivendung beruht auf 3 Danielstellen: und bei den
flügeln werden stehen grewel der Verwüstung (erit in
templo abominatio desolationis) 9, 27; die werden das
213
GREUEL
GREUEL
214
heiligthum in der feste entweihen . . und einen grewel
der Wüstung aufrichten {et dabunt äbominationem in de-
solationem) 11, 31 ; wenn das tägliche opfer abgetan und
ein grewel der Verwüstung dar gesetzet wird (posita
fuerit alominatio in desolationem) 12, 11 ; vgl. auch l. Makk.
1, 57; Matth. 24, 15; Marc. 13, 14; die ältere theologie dachte
dabei anscheinend stets an heidnische Standbilder {vgl.
greuel götzenbild 1 b), doch ist das den zahlreichen be-
nutzem der Danielstellen nicht immer klar: wenn ir
sehen werdend den gruwel der Zerstörung, darvon der
prophet Daniel gesagt hat Tschudi chron. Helvet. 2, 34;
Daniel geweissaget hat
das der grewl an der heiigen Stadt
sampt der Verwüstung werde stehn
Nie. Herman sontags evangelia 164 Wolkan;
wenn nach Daniel sich hebet
fluch und greul an heil'gem ort
Brentano 1, 360;
zur zeit do das liecht evangelium der heiligen bilder
ausz den kirchen gebissen, ... ist an ir statt ain
grewl der Verwüstung gestelt, die bildnusz des grew-
lichen thiers {Luthers) Nas antipap. eins u. hundert l,
63 1*; vor allem erklärte man die bilder in den kirchen
für einen greuel an heiliger statte Ranke reform, gesch.
2, 16; doch wurde die Wendung frühzeitig aus ihrem rah-
men gelöst und mannigfach anders verwendet: also ys
de christenheyt in den affgrundt unde in den gruwel
der verwöstinge gevallen Rotmann restitution 12 neudr.,-
ist mir die geschichte nicht mehr, was sie mir sonst
schien, ein gräuel der Verwüstung auf einer heiligen
erde Herder 17, 353; und wo der gräuel der Verwü-
stung mitleid und trauer erregt hatte, da sprossten bald
nachher wieder schöne saaten Steub drei sommer in
Tirol 1, 290; auch im plural: die grewel der Verwüstung
menschlichen geschlechts Guarinonius buchtitel; mein
. . . söhn hat mir von den gräueln der Verwüstung, die
er {nach der schlacht bei Hanau) in jener gegend und
auf dem ganzen weg zu erblicken gehabt, nicht genug
erzählen können Göthe IV 24, 190 Weim.; aus den
Spielwaren- und andern laden, wo an diesfem tage
greuel der Verwüstung herrschten Seidel Leber. Hühn-
chen (1899) 82; variiert: eth ys dat sulve volck {die
Juden) ... in all sülcken gruwel unde vorwöstinge
gekommen, dat se godt eren heren unde syn wordt
gantz vorachteden Rotmann restitution 8 neudr.; die
thore wurden aufgebrochen und die stadt allen greueln
der Plünderung preis gegeben Niebuhr röm. gesch. 3,
672; gibt er {der dichter) uns ein bild von den greueln
der Zerstörung einer stadt Brunn kl. sehr. 3, 99; vgl.
auch: gräuel werden Europa verwüsten Klinger werke
.s. 33.
d) gern parallel mit anderen Substantiven, die dem
begriff des wortes oft besondere färbe geben; davon auf
die ältere zeit beschränkt: damit {hat er) . . . allerhand
greuel und scheuel, sonderlich aber die abgötterey . , .
veranlasst Dannhawer catechism. milch i, 154; in dem
sie dahin arbeiten, dasz die orgeln, als ein öffentlicher
grewel und schewel aus den kirchen strack heraus ge-
rissen werden Riccius music-büchelein (l63i) 8: wenn
die eitern gottlos sein, ... so werden aus den kindern
. . . eifel grewel und schewel Mathesius Syrach (1686)
3, 32^;
das gaukelspiel der weit ist nichts als lauter list,
die so voll schand und greul als schön von aussen ist
Rachel satyr. ged. 104 neudr. ;
dich treibt die deinige (lust) zu schand und gräuel an
Drollinger ged. 46;
indessen ist dieser englische freiheitskampf nicht durch
die schänden und gräuel entehrt worden, welche unsere
tage so scheuszlich gemacht haben Arndt sehr, für
u. an s. l. Deutschen 1, 471 ; noch habe ich von den
Franzosen nichts als ihre gräuel, ihre laster kennen
gelernt H. v. Kleist br. an s. braut 197 Biedermann;
da kamen über uns gezogen
die Schmach, die greuel ohne zahl
Schenkendorf ged. (1815) 59;
all' die quälen, gräu'I und wunden
hab' ich schon auf dieser erden, hab' ich in Florenz gefunden
Geibel 1, 169 Cotta;
vgl. auch 3 a; alle gewaltthaten und greuel, welche
dem zuchtlosen sieger möglich sind Freytag 13, 55;
revolutionen mit allen sie begleitenden schrecken und
gräueln Pückler briefw. u. tageb. 4, 84;
es sträubte sich mein heldenhaar
des mords und greuels wegen
Blumauer ged. (1782) 203;
von den beiden frauen, deren feindschaft im sechsten
Jahrhundert das fränkische königshaus mit gräuel und
blut füllte Freytag 17, 199; wyr sind nit alleyn vom
tempel durch bapsts- und menschenlere vorfuret, son-
dern haben auch yhn zurbrochen . . mit allerley frevel
und grewel Luther lO, i, l, 431 Weim.; die grosse Babi-
lon, die mutter aller Unzucht und grewel Mathesius
ausgew. werke 188 Loesche; seine {Lucifers) possen seynd
eitel frembde figuren und lügen, die gott nicht hat in
ihme in form eingeführet: er aber führet sie in sich
in formen ein, und weiln es wider seine Schöpfung
laufet, so sinds lügen und greuel Jag. Böhme sehr.
(1620) 2, 47; gr. und irrthum, schulden s. o. c a; unten e;
gr. und spott, lästerung s. u, 4; gr. und fluch, Verwü-
stung s. 0. c &.
e) oft im ausruf:
gräuel — vater Jupiter — hochverrath!
Minerva, deine tochter,
steht dem rebellen bei
GöTHB 39, 203 {Prometheus) ;
welcher gräuel! können menschen ihre nebenmenschen
so verdammen Nicolai Nothanker 2, 13;
o greuel I kaum berührt er Berthen
mit seinem hart,
als sie, statt ganz ein weih zu werden,
ganz drache ward
Pfeffel poet. vere. 2, 132;
ha des greuels ! harpyen gebar Anadyomene !
Klopstock Oden 2, 89 Muncker-Pawel ;
ja, du suchst unsre freud durch undank noch zu stören
pfuy spott I pfuy schmach, . . . pfuy gräul
Hafner ges. lustspiele 1, 102;
auch gesteigert: o grewel über alle grewel Luther 8,
513; o gruwel aver gruwel Rotmann restitution 76
neudr.; diese phrase auch sonst in emphatischer spräche:
sindt das nicht grewel und yrtumb über greul Luther
34, 1, 507 Weim.
4) von wort und rede; ein sehr seltener gebrauch; mit
ganz besonderer färbung schon mhd.:
maneger sagt den wiben von dem guote grözen griule
{schauerliches, Wunderdinge) :
kumt si mit ze Riuwental, sl vindet dürre miule
Neidhart 49, 7 ;
sonst einfach 'grauenhaftes, abscheuliches' : die unsinnigen
saszen halb nackt und sagten gräuel Claudius 4, 125;
im, sinne religiösen freveis {s. o. 3ca):
wenn der wald, wenn felsen wiederschallen,
frevler, deinen greul und deinen spott,
o so tönen dieses tempels hallen :
'eine feste bürg ist unser gott!'
Schubart sämtl. ged. 3,30;
schon weiter ab steht: das evangely der mönch zu Parys,
welches sie . . . umb das 1260. jar gemacht . . . hatten,
voll allerley grewel und lästerung Fisghart binenkorb
(1588) 29*, das sich eher stellt zu greuel und irrthum,
gr. u. lügen 3 a «, d.
5) adjectiva neben greuel. im 16. t7.jh. ist grosz das
allgemeinste epitheton: es ist der aller gröst greuel auf
erden, das nyemant der dürftigen not sich wil annemen
kämpf d. Schwärmer gegen Luther 25 Enders; von S. Do-
minici, des predigermünchs , . . . artlichem leben und
grossen greweln Fischart buchtitel; {die alten Deut-
schen) sagten, es were der gröste gräwel, das unbe-
greifliche wesen der herrligkeit gottes an einem steine
. . . anbilden Schill teutsch. sprach ehren kränz (1644)
262; ich habe mich bey der anhörung eines so groszen
greuels {dasz für geistl. compositionen ital. operntexte
14*
215
GREUEL
GREUEL
216
verwandt wurden) . . . nicht wenig geärgert Scheibe
crit. musicus (1745) 176; hvTHERscher lieblingsausdruck :
erschrickt dein hertz nicht für solchen grewiichen
grewel deiner abgotterey werke so, 2, 564; viel grewlicher
grewel 26, 488; iveitere leispiele unten und unter 6;
daneben anderes: die verstendigen werdens leichtlich
mercken, weil es ist ein lauter grewel für gott Nigri-
Nus von Zauberern (1592) 192; ein hochsträflicher grewel
Ayrer hist. Processus juris (l600) 341 ; von dergleichen
und wol ärgeren gräueln, so sich bey den heydnischen
oraculn begeben Prätorius abentheuerl. glückstopf
(1669) 169; gott . . . bestraft auch den verborgensten
gräuel Arndt sehr, für u. an s. l. Deutschen l, 276; ge-
legentlich icird in dem epitheton eine prägnante bedeu-
tung von gr. fühlbar: so sollen wir got . . bitten umb
weiter erclerung und erkanntnusz solchs stinckenden
grewels {des päpstl. wesens) Cronberg Schriften 12 neiidr.
{vgl. greuel 'unraV l c); an eine verbale Verbindung {siehe
u. 7 d) ist anzuknüpfen: unerhörte greuel und wider-
natürliche Sünden Triller {s. o. 3 cß); ähnlich: wenn
ir sehen werdent . . . den unauszsprechlichen grewel
der verstörung am heyligen ort Sleiüanus reden 40
Böhmer' {vgl. 3 c ()"); dies waren mir alles unsägliche
greuel G. Keller l, 348; ger7i mit attributen des sub-
jects, z. b. bäpstliche grewel Migraelius Pommerland
(1640) 4, 67; heidnischer gräuel Aurbaciier volksbüchlein
36; ähnlich im scherz türkischer gräuel {kaffee) Yoss ge-
dickte (1802) 1, 99, vgl. 1 b; thiens;'her greuel für Sünden
des fleisches Lavater verm. Schriften 8, 60; eigen:
dann ihr alle, so gereinigt
von dem fremden gräuel
« (dem gr. der fremdherrschajt),
alle ihr, nun so geeinigt
zu der eintracht knäuel Rückert 1. 128;
ich stand auf bergen hoch
und übersah die erde, . . .
ich sah den blut'gen greul
\gr. des bluten),
der lag auf ihren tiefen 129.
auch bei persönl. bedeutung des subst. sind einige attri-
bute typisch; an gr. der Verwüstung {s. o. Z c ä) lehnt
sich anscheinend:
der wüste grewel (d. i. der papat) sitzet schon
an heyiger statt Gengenbach 337 Goedeke
{anspielung auf die Danielstellen, denen gr. d. verw.
entstammt); auch dinglich {ohne diese beziehung): das
bapstum hat einerley heubt und dennoch mancherley
und nicht einerley leib, das mag mir ein wüster grewel
sein Luther 26, 603; noch heute als Schimpfwort im
alem.: du wüeste grüwel! Staub -Tobler 2, 834; der
grewliche grewel zu Rom, der sich bapst nennet Luther
wider das bapstum (i545) A ij ^ ; ebenso werke 7, 671 Weim. ;
weniger characteristisch : yhr ungeheure grewle der weit
{bischöfe) 8, 501;
denn wird entdeckt seyn abentewer,
das er {der papst) eyn greul ist ungehewer
H. Sachs 22, 133 Keller-Qoetze ;
der unmenschlich gräuel {papst) Eb. v. GOnzburg 2, 26
neudr.; doch war er {Cromwell) nicht der schwarze
gräuel, wozu viele ihn gemacht haben Arndt ansichten
u. aussichten (1814) 395.
6) genitive neben greuel. meistens hat der genitiv die
function, die begriffe beider subst. zu parallelisieren ;
so namentlich neben dem sing., in älterer zeit aus-
schlieszlich mit religiöser Orientierung: diese meinung
berechnet man 2000 jähre, ohne gesetz, unter dem
greuel vieler götter (= des polytheismus) Harsdörffer
teutscher secretarius 2, 49; wo ist der grewel des papstums
her entstanden Moscherosch insomnis cura an neudr.;
das du sihest, wilch eyn grewlicher grewel des unglaw-
bens unter dem schonen leben ligt Luther lo, i, i, 408;
sed est ein schertz gegen dem greulichen greuel der
messe 34, i, 205 ;
was stellstu vor dein angesicht
den grewel unsrer Sünden?
SiM. Dach bei Fischer-Tümpel 3, 72;
doch jetzt ergreift er {goU) die waffen
den greul der sünde {auf erden) abzustrafen
Hartmann volksschausp. in Bayern u. Österreich
31, 84;
vgl. {das weibervolk) war gekommen mit besen und
bürsten . . . , dem gräuel der sünde und schände {des
schmutzigen junggesellenhaushalts) ein ende zu machen
Raabe hungerpastor (i864) 3, 175;
weil seiner {Roms) laster greul uns stets vor äugen steht
Gottsched deutsche Schaubühne 4, 23;
auch sonst werden bis in jüngere zeit hinein aus dem
gen. prägnantere bedeutungen von gr. fühlbar {vgl. Kra-
mers Scheidung oben 3 c):
was konnte dich bewegen, diesen mund . . .
mit schwarzer Sprüche greuel zu entweihn
Grillparzer werke (1887) 4, 55;
das wahre fürstenherz, das keine scene,
kein greul des todes niederschlägt
Maptalieb ged. (1774) 28 ;
sein {Christi) ganzer körper fliegt
am kreuz empor; — er fühlet
des todes siebenfache gräuel
Ramler lyr. ged. (1772) 355;
aber bald wurden die musen durch den greuel der
wafen aufs neue aus Latien vertrieben Boom er Samm-
lung crit. poet. Schriften 1, 83; willst du wirklich den
gräuel des blutes über ein schuldloses land ausgiessen?
Meiszner Skizzen 2, 112; dasz der greuel des menschen-
opfers erst von den Puniern bei ihnen eingeführt wor-
den sei Ranke 14, 5; drei funken irrten zuletzt noch
latlos an den zischenden scheitern hin . . ., die letzten
flüchtlinge aus dem greuel einer wassersnot Ludwig
2, 175; erst in neuerer zeit auch in unbestimmterem sinne:
wer will da worte Onden, den gräuel der niederträchtig-
keit zu zeichnen Lavater physiogn. fragm. l, 89; in
dem gräuel von kabalen, schwarzer verläumdung, fal-
scher devotion, spiel und Wohlleben Iffland theatral.
werke 1, 142; barmherziger gott, . . . welch ein greuel
von menschenverbindung an deinem altare {von einer
seltsamen ehe) Thümmel reise 9, 144; so ein greuel von
miszverhältnissen, als ich nur einigermaszen zu balan-
ciren hatte, ist mit gedanken kaum zu fassen Göthe
IV 9, 187 ; plurales greuel viit gen. wesentlich erst seit dem
i.8. Jh.; häufig sind subjective genitive verschiedenster art,
z. b. die greuel des pabstthums allg. dtsch. bibl., anhang
zu 25-36, 8418; seine {des volkes) Verwilderung, die in
den greueln der revolution gesteigert war Gervinus
gesch. d. Id. jhs. 1, 5; ob die greuel der commune zum
ausbruch gekommen sein würden, wenn Bismarck ged.
u. erinn. 2, 138 volksausg.; in anderen fällen handelt es
sich weniger um die Vorstellung des Urhebers, als um
die innerer Verbindung, wie beim sing.; dementsprechend
oft auch bestimmtere fassung des begriffs von greuel:
{das südl. Hochafrika,) wo sich noch nicht die greuel
der Sklaverei eingewurzelt haben Ritter erdk. l, 102;
die Vorstellungen vom baue des körpers sind mangel-
haft trotz der Vivisektionen, welche die greuel der
menschenopfer mit sich brachten Ratzel Völkerkunde
2, 131 ; ein ander mittel, die eingeschlichenen greuel
dieser feste {opferfeste) abzuschaffen Gottsched neueste
a. d. anmuth. gelehrsamkeit 2, 184; in loserer Verbindung :
so öffnet sie {die Unwissenheit) dagegen allen gräueln
des aberglaubens die thore H. v. Kleist br. a. s. braut
207 Biedermann; dasz er . . die unrechtmäszigkeit seiner
gefangenschaft und alle die gräuel der tyrannei, die
während derselben an ihm verübt worden waren, . ., .
vor den äugen der nation ausgestellt haben würde
D. Fr. Strausz 9, 126; du kannst die gräuel einer
Schlacht, eines lazarets darstellen Bürger l, 344^ Bohtz;
sehr häufig in fällen wie: die greuel des 30jährigen
kriegs Gervinus gesch. d. dtsch. dichtung 3, 436; die
anfange der neuen zeit gingen unter in den stürmen
und greueln der bürgerkriege Justi Winckelmann 2, l,
166; nicht selten ist ein halb temporaler genitiv:
lass nicht dein heilig angesicht
die greuel meiner Jugend lesen
Neukirch ged. (1744) 83;
217
GREUEL
GREUEL
218
ein priester predigte am fest der Magdalene
vom greuel ihrer ersten lebensart
GoEKiNGK ged. 3, 238;
und schändet unsers jungen kaisers morgen
durch keinen greuel schwarzer mitternacht
Zach. Werner Martin Luther (1807) 246.
7) greuel in verbalen Verbindungen.
a) ein greuel sein (werden), das 16. 17. jh. kennt ab-
soluten gebrauch, ohne ein object der person: die thoren
. . sind ein grewel mit ihrem wesen ps. 14, l ; die kinder
der gottlosen und die sich zu den gottlosen gesellen,
werden eitel greuel Sir. ii, 8; auch evver sitten und
Wandel gegen diser gehalten gleich ein grewel sein
Seb. Franck chron. u. beschr. d. Türkei/ (l530) A III*;
wäre nun hoch zu wünschen, dass unser land kein
grewel wäre F. Wyss nach Staub-Tobi.er 2, 834;
zu tödten aber den, der nichts als dein heyl
und bestes sucht, das ist fürwar ein grosser grewl
D. V. D. Werder ras. Solana (1636) 23;
später selten: alles, was Richard thut, ist greuel; aber
alle diese greuel geschehen in absieht auf etwas Les-
sing 10, 121; ist das eine erziehung? nein, das ist ein
gräuel Brunner erzähl, u. sehr. 1,252; im dialekt: dat
is en gruels drückt erstaunen und Verwunderung aus
Schütze holst. 2, 65; dat were jo wol een grouwel das
wäre doch erschrecklich brem. wb. 2, 551. meist durch
ein object erweitert:
«) einem ein greuel sein, erst seit der reformations
zeit voll enticickelt; mhd. selten: daz hie vor under den
alten vetern ire etlich ein unmenschlich . . . strenges
leben fürten, daz ze disen nüwen ziten etlichen weichen
menschen ein grüwel ist allein dur von hören sagen
Seuse dtsch. sehr. 107, 23 Bihlmeyer ; mit persönl. sub-
ject: wer solches thut, der ist dem herrn ein grewel
5. Mos. 18, 12 ; falsche mäuler sind dem herrn ein grewel
spr. 12, 22 ; ein viel citierter und variierter spruch : der
gerechter gott, als welchem solche zweizüngige leute
ein greuel und absehen sind Rist d. friedewünschende
Teutschland (1648) 18; einen könig . . ., der alles böse
hasset, und welchem fürnemlich die Islutgierigen und
falschen ein greuel sind Besser sehr, l, 157 König;
ich suche freundschaft; abei wie? gesellen,
gelbschnäbel, klugsichdünker, obenaus,
glattzungen, . . .
sind mir ein klarer absehen, greul und graun
TiECK sehr. 8, 420;
der religiöse einschlug, den namentlich Luthers bibel dem
wort gab, bleibt lange an der wendung haften:
das ihr vertilgt die christn alsandt,
welche seind mir und gott ein greil
Ayrer dramen 3, 1785 lit. ver.;
ja ein recht greuel kan
fürst Fakardin uns seyn. der schäum verdammter Christen
Lohenstein Ibrahim sultan (1679) 21 ;
wer sich aber nicht nach Rom bequemt, ist den wahr-
haft römisch gesinnten ein greuel Göthe 46, 63; vgl.
selbst noch: die benachbarten Völker, denen sie (die
ältesten Römer) ein gräuel sind, weisen . . . die zumuthung
zurück, ihnen ihre töchter zur ehe zu geben Jhering
geist des röm. rechts 91 ; erst in jüngerer zeit auch freier :
du lebst , . . dasz du allen menschen ein greuel bist
Wieland Lucian (i788) 6, 50;
der stolzen frau
war dieses kind ein greuel
Göthe 10, 281;
ein klug schwatzender Vorleser . . . wäre mir rund her-
aus ein greuel Fontane I 4, 85; auch reflexiv: nun bin
ich von gott verworfen und verflucht und mir selber
ein gräuel Simrock dtsch. Volksbücher 2, 34; so werden
sie, wenn sie nicht versumpfen, über kurz oder lang
sich selbst ein gräuel und eine last sein Fontane I 6,
297; sprichwörtlich: der im selbs heyltumb, ist andern
ein grewel Seb. Franck Sprichwörter (1545) i, 41«; Eye-
RING proverb. 1, 541; Schellhorn Sprichwörter 118.
auch bei nicht persönlichem subject ist das religiöse
gebiet zunächst der hauptgeltungsbereich : falsche wage
ist dem herrn ein grewel spr. 11, l; vgl. 20,10; ihr
{der revolution) antireligiöser theil war mir ein greuel
Haller resiauration der staatswissensch. 1, vii; die
Griechen, denen die kriegslust der abendländischen
geistlichen ein gräul war Raumer gesch. d. Mohenstaufen
1, 93; der ketzer lehren sind mir ein gräuel Alexis hosen
1,95; 2t* ib: wie konntest du so lange weilen bey den
götzenbildern . . , die uns ein gräuel sind ? J. G. Jacobi
i, 63; zu sc ß: frygische nachtorgien zuerst besudelten . .
die griechische religion mit Jünglingsschändung, die noch
dem pisandrischen Zeitalter ein greuel war Voss anti-
symb. 67; ich erkläre ihnen . . ., dasz die sklaverey des
klosters mir ein greuel ist Gotter 3, 106; vollends eine
Verlobung oder heirath aus dem Stegreife war mir von
jeher ein wahrer greuel Göthe gespräche 4, 261; dem
relig. ausgangspunct entspricht der gebrauch der wendung
zum ausdriick sittlicher Verurteilung : der pracht und die
eitelkeiten der weibsbilder sind dem ehrlichen mann
ein greuel v. Loen ges. hl. Schriften 1,40; das ewige gel-
tenlassen, das leben und lebcnlassen war ihm (Merck)
ein gräuel Göthe 29,93; doch auch freier: denn der poe-
tiker hasset alles selbstarbeitcn ; es ist ihm ein greuel
Klopstock gelehrtenrepublik 156; ich sage der wohllaut;
weil dieser zwar zwey auf einander folgende tonlose syl-
ben duldet, drey dergleichen aber ihm ein gräuel sind
Adelung lehrgang d. dtsch. spräche 2, 27; ohne den brief
wäre mir das telegramm ein greuel gewesen Fontane I
4, 425; erweitert: alles übrige war ihrer genügsamen seele
überflusz und greuel Schubart leben u. gesinn. i, 104; dem
dogmatismus ... ist diese behauptung eine thorheit und
ein gräuel Fichte l, 499; und ein wischwasch entsteht,
der dem lieben gott eine thorheit und den menschen
ein greul ist Heine 3, 418; die fremdsucht ist ihr {der
deutschen spräche) galle, gift und greuel Jahn 2, n ; statt
des substant. subjects auch nebensätze oder infinitive: es
ist einem teutschen beiden ein grewel, wan er der-
gleichen wälsche lappenbossen siehet Moscherosch
gesichte 2, 61 ; es ist mir ein greuel, mich also rufen zu
hören Hauff i, 99.
ß) an stelle des dativobjects auch präpositionen oder ob-
jectiver genitiv: was hoch ist unter den menschen, das
ist ein grewel für gott Luc. 16, 15; zum Sprichwort ge-
worden, vgl. Seb. Franck sprichw. (I54l) i, 130*;
hoffart ein grewel ist vor gott
EvERiNG proverb. 1, 74;
hochmuth ist ein gräuel vor gott Fouque gefühle, bilder
1, 251 ; die bapstlich mesz , . . ain greil vor got ist städte-
chron. 23, 849;
ist dir die sünde so zuwider,
die dann ein greuel ist vor dir
Besser sehr. 2, 831 König;
denn die Egypter thüren nicht brot essen mit den Ebre-
ern, denn es ist ein grewel für inen i. Mos. 43, 82; im
16. jh. an häufigkeit hinter dem bloszen dativ nicht zu-
rückstehend; jünger und seltener: {der liebling des glückes)
der millionen von menschen vor sich gebogen sieht, für
die er auf dem throne ein greuel ... ist Zimmermann
von dem nationalstolze 199;
ihr, der religion unächte, wilde töchter,
ihr seyd ein später gräul für menschliche geschlechter
Löwen schriflen 1, 24;
der mann war ein . . . gräuel für jeden, der etwas auf
ein wohlgewaschenes gesiebt . . . gab Raabe hunger-
pastor (1864) 1, 70; anderes vereinzelt: alles, was hoch ist
und erhebt bey den leuten, das ist unachtsam und ein
grewel bey gott Luther 1,268; ich armer bin , . . bey
vielen ein eckel und grewel worden 18, 459; dann der
nam exarch, Griech und constantinopolitanisch reich
war ein greuel bei den Römern worden Seb. Franck
Germ, chron. 632; -warum es aber in allen gesitteten
Staaten ein gräuel ist seine allernächsten anverwandten
zu heirathen Hippel über die ehe 145;
ach soll denn ich, nur ich allein
ein greuel meines Schöpfers seyn?
Günther gedickte (1735) 64;
219
GREUEL
GREUEL
220
vgl.
und wirstu mit der zeyt, bey sichelkrummen rücken
gleich mit dem ganzen leibe nicken,
so wird diesz stumme jal alsdenn mein greuel seyn
Stoppe Faniasz (1735) 195;
fern sind die trauten meines herzens,
ich bin ihr Scheusal, bin ihr greul
Schubart sämtl. ged. 1, 120.
b) zum greuel machen, werden : du hast mich inen
zum grewel gemacht ps. 88, 9;
ach seele, weil du siehst die scheuszliche gestalt {die sünde),
die dich zum greuel macht Canitz ged. (1727) 26;
(wie ich) jetzt im begriff wäre, einen schritt zu thun,
der mich meiner ganzen familie zum greuel machen
müszte Schubart leben u. gesinn. l, 248; es war der
mangel eines allgemeinen strengen unbeweglichen ge-
setzes der gerechtigkeit, welches jedes andere gesetz
zum gräuel machte F. H. Jacobi 2, 374;
{er soll) beflecken nicht das band, das uns vereint,
und so der jüngstverflossnen jähre lauf
zum greuel machen und zum ärgern isz
Grillparzer 6, 22;
einem zu einem greuel werden Kramer teutsch -ital.
(1700) 1, 564 "■:
durch die ereignisse der letzten zeit
ist's {das land) mir zum greul geworden und zur hölle
Grillparzer 6, 210.
c) für greuel halten, als greuel erscheinen u. ä.: et-
was für ein greuel halten Kramer teutsch-ital. (i700)
1, 564»;
und spricht: was hoch ist bi der weit,
min vater das für ein grüwel hält
N. Manuel Barbali 394;
Herodes beer hält dich für greul,
und bist doch nichts als lauter heyl
P. Gerhardt bei Fischer-Tümpel 3,327»;
die einen hielten die kindertaufe nur für unnütz, die
andern für einen greuel Ranke reform, gesch. s, 365;
gelegentlich: sie {die Ägypter) hielten die kinder Israel
wie ein grewel 2. Mos. i, 12; wasz es eine ahngenehme
sach vor mich ist, die dieszen heurath all mein leben
wie ein greuel ahngesehen briefe d. Elisabeth-Char-
lotte v. Orleans 44; beyliegende acten enthalten die
blätter, welche künftigen geschäftsmännern nothwen-
dig als ein gräuel erscheinen müssen Göthe IV 27, 185;
sowie das moralische gefühl . . . wieder erwachte,
muszte dieses verhältnisz {der jfründen-verschenkung
tisiv.) überhaupt als ein greuel erscheinen Ranke werke
8, 132.
d) ein greuel zu sehen, ein gr. in jemandes äugen
sein M. ä.: greulich wird erklärt durch scheutzlich, er-
schrecklich, eyn grewel anzusehen Emmelius sylva quin-
quelinguis (1592) unter greulich; wie musz nun dieses
wol ein schmertz und grewel zu sehen gewesen sein
Spee güld. tugendbuch (1649) 73; als er ankam zu Kro-
tona, war es ein greuel zu sehn, wie da gelebt wurde
Heinse 3, 417 Schüddekopf;
geschunden ist's,
ein greul zu sehn, ein stück fehlt von der wange
H. v. Kleist krug 37 ;
befreye meine äugen von dem gräuel, dich anzusehen
Ramler einl. in d. schön, wissensch. 2, 340; sehen sie
nur den greuel an, wie ihr professor Fischer die farben-
lehre vorträgt Göthe IV 33, 174 ; es ist ein greuel, wenn
man sieht s. o. a. ; vgl. ech hä mi gril drän gesön Her-
TEL thür. 110; wie sollen sie zu solcher sünde kom-
men, das ist ihnen ein grewel in ihren äugen Eeinicke
fuchs (1650) 192; insonderheit war ihnen Mallia ... ein
greuel in äugen Lohenstein Arminius (1689/,) i, 244";
es musz folglich ein satyrenschreiber . . . ein greuel in
jedermanns äugen seyn Liscow samml. sat. -u. ernsih.
Schriften 193 ; die Eckartschen camine waren ein greuel
in ihren äugen Hippel lebensläufe 2, 137 ; wurde ich zur
18. compagnie eingetheilt, wo ich dem hauptmann ein
greuel im äuge bin jahrb. d. Grillparzergesellsch. l, 13;
denn er war ein gräuel vor ihren äugen Raben er 2, 56
{vgl. 0. a.ß); Ugolino sagt zu Anselmo:
du gräuel meiner äugen!
Gkrstenberg Ugolino 262 Hamel;
{so arge Schmähungen) dass es nit allein allen erbaren
oren ze hören, sunder auch der sunnen, die zuo über-
schynen, ein grewel ist alem. quelle von 1531 Staub-
TOBLER 2, 834;
ist iehmals, weil der bau der groszen weit gestanden,
so grimme tyranney und greuel auch erhört?
Gryphius gedickte 66 Palm;
ein solcher greuel ist nicht erhöret worden, weil die
Universität gestanden Thomasius nachahm. d. Franzosen
IV lit. denkm.; vgl. unerhörter greuel 5.
e) greuel begehen, verüben, häufen u. ä.: allerley
greuel thun, üben, begehen Kramer teutsch-ital. (1700)
1, 564* ; darumb haltet meine Satzung . . . und thut dieser
grewel keine 3. Mos. 18, 26; vgl. l. Kön. 14, 24; damit er
einen grewel begehet Hes. 18, 12;
den greul den er begangen, wird er noch fügend nennen
Dusch verm. werke 17;
darumb werden sie mit schänden bestehen, das sie
solche grewel treiben Jer. 6, 15; wahrlich, die bösen
leute zu Ruechenstein betreiben ihre gräuel wenigstens
mit einem gewissen aufwand G. Keller 5, 197 ;
also zahlen dem Orpheus bis jetzt, dem erschlagnen, die
weiber
buszen für jenen gräul, welchen an ihm sie verübt
A. W. Schlegel im Athenäum 1, 114;
von ähnlicher schwere der verübten gräuel ist die ge-
schichte der Procne Hegel 10, 2, 32;
hab deinen zorn erwäkt und mich von dir gekehrt
zu grosser übelthat, hab gräuel angerichtet
RoMPLER V. Löwenhalt erstes gebüsch 14;
könige, schaaren aus Völkern vollführeten viele, nicht kleine
greuel in Jahrhunderten
Klopstock Oden 2, 102 Muncker-Pawel ;
{romane) in welchen . . . greuel auf greuel gehäuft sind
Knigge Umgang m. menschen (l796) 2, 106; seine tragödien
behandeln die furchtbarsten vorwürfe, . . . mit gehäuf-
ten greueln Ludwig 5, 223; {die neueren dichter) haben
. . . um den mangel an Charakter zu verstecken, eine
menge der unnatürlichsten greuel auf das haupt ihrer
beiden gehäuft Platen 3, 240 Hempel; alle greuel weg-
thun, abthun, abschaffen, ausrotten (vom greuel reinigen)
Kramer teutsch-ital. (1700) l, 564».
R. empfindung des grauens. indem theils das gefühl
der furcht, theils das des abscheus stärker betont wird,
ergibt sich eine ledeutungsspaltung, die eine wortspaltung
zur folge hatte.
l) 'furcht' :
swelch man diu jär hat äne muot, diu doch manzitic sint,
dem machent lihte butzen griul
Leutold V. Seven in: W. v. d. Vogelweide 261, 6
Wackernagel-Rieger ;
und maniger argen smehe, und slahen an der seule,
swenne ez die reine sehe, so wer sie aller smehe sunder greule
j. Tit. 5479, 2;
frühzeitig mit dem einschlag : furcht vor unheimlichem,
grauen : wSre ich in einer wüestenunge aleine, da mich
grüwelte, biete ich da bi mir ein kint, so vergienge
mir der grüwel und würde gekreftiget myst. 2, 104, 12;
mnd. sehr verbreitet: van juwem gruwele (ve«<ro ferrore)
dar to gedreven Jos. 9, 24 halberst. bib. (1522);
dat schweet dat brecht em uth vor gruwel und vor grase
Lauremberg scherzged. 2, 478;
unde men kone nicht ein sak {wolle) verkopen, alse it
plecht to to gande, wen ersten de gruwel {bestürzung,
panik) darin kumpt brem. urk. von 1567 bei Schiller-
LÜBBEN 2, 161, woselbst weitere belege; im, heutigen nd.
wohl allgemein, auch in einigen md. dialecten: gruwwel,
grüwwel das grauen Strodtmann 77; grouwel brem.
xvb. 2, 551 ; grool Stürenburg ostfries. 76"; gruel, gruwel
Dähnert 163; grauwel, grüwel, gruwwel Vilmar is5;
grugel Mi mecklenburg.-vorpomm. 29; gruggel, grüggel
Woeste westfäl. 86''; grujel grusel lux. ma. (l906) 157;
redensarten: do koning Cristiern dat vornam, beth en
221
GREUEL
GREUEL
222
i
de gruwel überfiel ihn das grauen hamburg. chron. 21
Lappenberg ; bit dy de gruwwel grauet dich? Strodt-
MANN a. a. 0.; de grouwel kumt mi an brem. ivb. a. a. o.;
mi geet de gruwel an ich bin furchtsam und bange
DÄHNERT163; 's geeht een e graul an, durch manche
Strassen zu loofen Müller-Fraureuth l, 437 ; aus die-
sem nd.md. gruwel ist ein heute auch der Schriftsprache
nicht fremdes grauel (s. d.) erwachsen, meist mit der ver-
engerten bedeutung 'gespensterfurcht' . — obd. findet sich
die bedeutung 'furcht, grausen' im älteren nhd. nur in
spuren: ich werde ein lügner erfunden, wo nicht die
erfarung yhnen selbs offt ein grawel gemacht hat, do
von ich nit sagen will Eb. v. Günzburg 3, 7 neudr.;
es sol dir ja kein grüwel bringen
tragödia Joannis . . . gespilt zu Solothum
(1549) I iiij ;
forcht, grewel, schröcken, zettermordt
gespüret ward an allem ort
Spreng Äneis 38*;
2) 'abscheu'. erst bei den nhd. lexicographen: abomi-
natio, detestatio, horror Alberus (l540) HHja; abomi-
. na^io Maaler (l56l) 192»; abom., nausea, fastidium Ser-
RANUS synon. (i579) s. v.; abom., horror, nausea Stie-
ler 679; abomination, detestation, horreur HuLSius-
Ravellus ital.-franc.-ted. (1616) 145; aöom. Wiederhold
(1669) 151»; Dentzler (1716) 140"; Wächter (1737) 613;
abominatio kann nach kirchl. Sprachgebrauch auch im
sinne der bedeutung A zu verstehen sein; vgl. A 3 c cT;
auch nd. neben der bedeutung 1, vgl. brem. wb., Stü-
RENBURG, dazu auch Müller-Fraureuth a. a. o.; mhd.
anscheinend noch fehlend; auch nhd. nur in einer formel
voll entwickelt:
a) einen greuel haben, meist mit an: denn sölichs
alles habend sy gethon, und ich hab einen greüwel an
inen gehebt Zürcher bib. (l53l) 3. Mos. 20 D ; alle meine
getrewen haben grewel an mir Hiob 19, 19; vgl. Tit. i, 16;
der herr hat grewel an den blutgirigen und falschen
ps. 5, 7 {ein viel citierter spruch, s. Dannhawer cate-
chism. milch 1, 39; Schupp sehr. (1663) 143; H. Sachs
unten c) ; lügen bin ich gram und habe grewel daran
ps. 119, 163;
so gott an hüry ein grüwel hat
N. Manuel Barbali 711 ;
joch der römischen dienstbarkeit, daran einige römi-
sche kayser . . . selbst einen greuel gehabt Lohen-
stein Armin. (1689/.) 1, 64; ich hingegen und Christoph
hatten unsern greuel ah dergleichen unzüchtigen lebens-
art Leipziger avanturieur (i750) 2, 50; er verzerrt ein
griechisches bildsäulengesicht in hundert andere zu
seinen figuren, so dasz der wahre kenner der natur
und kunst seinen greuel daran haben musz Gleim
briefw. l, 321 Körte; eigen: und werden myne kleyder
[grewel an myr haben] corr. in hesslich stehen Luther
bibel 1, 405 Weim. (Hiob 9, 3l); — seltener (zumeist alem.)
mit ab : die andern Schwestern heften ein gruel ab ir
Geiler eschengrüdel (1514) a6''; vil frummer hertzen
haben ainen grewel ab söUichen predigern Eb. v. Günz-
burg 3, 267 neudr.; und hat ein gruwel ab der chri-
stenlichen warheit l, 86;
wenn das (fleisch u. Mut) hat einen grewi darab (vor leiden)
H. Sachs 7, 408, 28 Keller;
auch vor ist selten: der du ein grawel hast vor den ab-
göttern Hedio Augustinus (i532) 57'»; einen greuel vor
dem essen haben abhorrere cibum Stieler 697 (auch
einen gr. woran haben abominari, detestari aliquid);
einen greuel vor (an) etwas haben Kramer teutsch-
ital. (1700) 1, 564»; und uff der orgel aufgespielet, dass
gottliebende hertzen dafür ein abscheuen und greuel
gehabt Moscherosch gesichte (ißbO) 380 ; (züchtige frauen)
werden diesem laster nicht allein nicht beywohnen,
sondern einen eckel und grewel darvor haben Beinicke
fucha (Rost. 1650) 374;
hätte für der menschen orden
unser heyl
einen greul
P. Gerhardt bei Fischer-Tümpel 8,330;
meine tante hat einen gräuel vor Wielands gedichten
Heynatz synon. wb. 1,55*'; noch heute nd.: ik hebbe
enen grouwel vor den minsken brem. wb. 2, 551; en'n
grüel wovor hem Schambach 69; — anderes vereinzelt:
das sie (die schivärmer) dem sacrament feind sind, groll,
ekel, Unlust und grewel im hertzen dawider haben
Luther 3, 357; wir uns gemeinlich etwas darab ent-
setzen und ein grewel darzü haben Ryff spiegel d. ge-
sundheit (1544) bb IUP; volck des man grewel hat Jes.
49, 7. — aiich andere verba erscheinen gelegentlich: das
nicht allein gott . . . und alle fromme . . . leuth, son-
dern auch die teufel selber einen eckel und grewel
dafür tragen Musculus hosenteufel 8 neudr.; (der herr)
gewan einen grewel an seinem erbe ps. 106, 40 ; unsren
sündenzustand insgesamt und ieglicher seine eigene
Sünde recht zuerkennen und einen greuel daran zu
fassen Spener erkl. d. erst. ep. Joh. (1699) 449.
b) daneben gelegentlich in viendungen wie: in stosset
ein gruwel an Keiskrsberg sermones 139^; so geet in
im auff ein grauwel derselbe bei Martin-Lienhart
1, 265; etiam signa febrium sunt rigores, dasz sie greü-
len, als wenn man einen mit einer nadel sticht, ein
grewel durch gehet Paracelsus opera (1619) i, 416A;
der gräuel kommt ihr an, wenn sie ein spinnrad schaut
Rachel satyr. ged. 35 neudr.;
es ist recht zum Jammer, gräuel und ekel, wie ohne
alle Überlegung man zuweilen nachgeahmt wird Bür-
ger 206 Bohtz ; weichergestalten zwey erzbetrüger . . .
sich freventlich und zum gräul aller ehrlichen ein-
wohner . . . erfrecht haben ihre berüchtigten nahmen
zu verändern Ayrenhoff 5, 356; sonst selten:
der greuel schnüret mir die kehle zu
und aller zom verstummet in dem schrecken
A. V. Arnim 20,83 Grimm;
c) gern mit anderen Substantiven gepaart, die die be-
deutung des Wortes nuancieren: vol grewels und hasz
wider das sacrament Luther 3, 357'*; o legt ab den
grul und hass, weil es mir von hertzen leidt engl, comed.
u. traged. (1624) F f v*";
der herr hat ein grewl und unmuth
den falsch-girigen nach dem blut
H. Sachs 18, 38, 8 Keller-Götze (paraphrase von ps. 5, 7);
aversor die äugen abwenden, ein grewel und Unwillen
haben Calepinus xi ling. (1598) 142''; du solt einen
ekel und grewel daran haben 5. Mos. 7, 26; daran alle
verstendige . . . leute einen grewel und ekel haben
Jonas bei Luther 18, 649 Weim.; der anblick eines
hungrigen . . . hat diese ansteckende kraft nicht; er-
barmen und gräul und eckel kann er empflnden lassen,
aber keinen hunger Lessing 6, 521; sehr häufige Ver-
bindung, s. 0. a, b; an dem der vil wort macht, hat
man ein scheuhen und greuwel Züricher bib. (1530) 638 ^
(ecclesiast. 20, 8); abominor verfluchen, ein greüwel und
ein abscheühen haben Frisius diction. (1556) 8»; ähn-
lich für execror 499''; für detestor Calepinus xi ling.
(1598) 410»; greüwel und abscheühen han abominari
Henisch 1741; despuere in mores verachten und ein
greüwel darab haben Frisius 400».
C. greuel in der composition. seit je gern in gelegen-
heitsbildungen , die aber, was bedeutung und gebrauch
von greuel anlangt, im laufe der zeiten Verschiebungen
erfahren, nur die bedeutung A 'gegenständ des abscheus'
ist in Zusammensetzungen fruchtbar geworden, und zwar
ist am häufigsten und ältesten eine art adjectiver compo-
sition, tvie z. b. greuelgötze (16. jh.) 'ein götze, der ein
greuel, greulich ist', das 16. jh. hat erst toenig solcher
composita, meist concrete substantiva, vgl. -butze, -kelch,
•suppe, -thier, -zeichen; -heim, -hörn, -schild; sie blühen
im 17. jahrh., vgl. -becher, -fleck, -schlämm; abstrae-
ter: -ehe, -geiz, -laster, -mord, -opfer, -stück, -sünde,
-that, -werk, -wort; auch persönlich : -fürst, -kind, -mann,
im 18. jh. nehmen sie schon ab, vgl. -bett, -ding, -ge-
stalt, -mahlzeit, -volk, -wesen; doch sind solche bil-
düngen noch im 19. jh. bis in die jüngste zeit hinein
möglich, vgl. -arm, -geschlecht, -gott, -mensch, -Schlund,
223
GREUELANTLITZ - GREUELEHE
GREUELEIN — GREUELGESTALT 224
-schmuck; -ausdruck, -gebot, -gesetz, -spiel, fühlbar
unterschieden sind composita, in denen greuel- objective
function hat, wie etwa greuelbild 'bild des greuels oder
von greueln'; sie kommen erst im 18. jh. in schivang, vgl.
-geburt, -geschichte, -jähr, -leben, -scene, -stadt; und
gelangen erst im 19. jh. zur blute, vgl. z. b. -botschaft,
-epoche, -gemälde, -häufen, -haus, -künde, -märchen,
-Schilderung, -träum, -weit u. a. das einzige aH,e ad-
jectivcompositum ist greuelhaft (l7. Jh.), dem sich im
18. jh. in ähnlicher Verwendung greuelvoll gesellt, heute
abgelöst durch grauenhaft, -voll; sonst nur gelegen-
heitsbildungen, vgl. greuelreich, -trunken; -bedeckt, -er-
füllt.
GREÜELANTLITZ, n.:
denn seitwärts schweift starrsinnger boszheit streben,
hält tugend ihr den treuen spiegel vor ;
ihr gräuelantlitz meidet sie zu schauen
M. V. COLLIN 2, 94.
— greuelarm, m.:
und deine schulden sollen dich zerfressen,
mit greuelarmen dein gehirn umpressen
LiLiENCRON werke (1904) 11, 146.
— greuelausdruck, m..- es ist doch . . . keins so
weit unter alle menschliche gefühle versunken, dasz
es diesen greuelausdruck der höchsten Verwilderung
{gleichgültig keit, ob die kinder gut erzogen oder verwahr-
lost werden) . . . auch nur denken , . . dürfte Pesta-
lozzi 4,41. — greuelbecher, m., bicchiere. calice di
abominationi Kramer teutsch.-ital. (l700) 1, 564''; vgl.
greuelkelch. — greuelbedeckt, pari.: man sieht
eines jener greuelbedeckten ungeheuer, die die römische
kaiserzeit befleckten, auf dem throne Görres 5, 310. —
greuelbefehl, m. ; (Sejan) seinen günstling, den all-
mächtigen knecht und Vollstrecker seiner {des Tiberius)
greuelbefehle Alexis zauberer Virgilius (i85l) 72. —
greuelbett, n.;
sie steigt in's greuelbette, wo
des mordes blut den bund ^
des ebebruches schlosz
gedickte der grafen Stolberg 13, 31.
GREUELBILD, n.: da wurden jedwedem die gräuel-
bilder aller {abscheuliche menschenhäupter) sichtbar
FouQUE Jahreszeiten 1, 157;
denn anders wurdest du seit jener stunde,
der fürchterlichen, wo das gräuelbild
des todes vor mir aus dem boden sprang
Freytag 3,133;
jedes jähr brachte . . . neue rechte, . . . bis . . . die
rednerbühne, ein gräuelbild für den bonapartismus, . . .
wieder aufgestellt wurde Treitschke histor. u. polit.
auf Sätze 3, 317; anders: nicht der mindest entsetzliche
zug in diesem gräuelbild ist die völlige zwecklosigkeit
der meisten . . . executionen Mommsen röm. gesch. 5,606.
— greuelbildnisz, n.:
0 gräuelbildnisz, könig ohne ehr' und schäm I
Fr. V. Schlegel 9, 210.
— greuelbotschaft,/.; wenn von Frankreich herüber
jeder tag eine neue gräuelbotschaft bringt Riehl gesch.
aus alter zeit 1, 333. — greuelbund, m..- seit lange strebt
man dahin, auch fürsten und könige für diesen greuelbund
zu gewinnen Tieck sehr. 20, 414. — greuelbutze, m., s.
th. 2, 595 unter butzengreuel {falscher ansatz, s. gr. B l). —
greueldichter, m.: besser mag sich der düstere schein
der nachtlampe für den greuel-, mord- und trauerspiel-
dichter schicken Bremser 24. — greuelding, n. :
diese greueldinge sind so lange verdeckt und heimlich
gehalten worden A. Volgk entdecktes geheimnis (1750)
I, 154; die böhmischen geschichtschreiber berichten
gräueldinge über die Verheerungen, welche die Schweden
anrichteten Hebbel 9, 195; vgl. tageb. i, 352; gräueldinge
die mein ohr nicht glauben möchte, dasz ein christlich
volk derlei erdulden müssen Alexis d. falsche Woldemar
(1842) 2,323. — greuelehe , /.;
werd' ich mit thränen wol genung die wangen feuchten,
wo ich die greuel-eh ja noch erleben kan
Lohenstein rasen (1680) 36.
GREUELEIN, ?i., demin. zu greuel : greulein nauseola
Stieler 697. — greuelepoche, /..• die gestalten des
wildverworrenen Zeitalters Heinrichs VI. und der greuel-
epoche Richards III. Bayer Studien 31 bib}. d. dtsch.
schriftst. aus Böhmen. — greuelerfüllt, pari.:
als bey dem greulerfüllten krieg
der Städte rauch, des beters thräne
rachfordernd zu dem himmel stieg
Löwen Schriften (1765) 1, 131;
dasz ein pfad sich uns
eröffne, der aus diesen Schrecknissen
des greulerfüllten lagerplatzes führt
H. V. Kleist 1, 169;
— greuelfeldzug, m., im weitkriege die feindliche
Propaganda gegen die greuel, die wir Deutsche angeblich
in Belgien, Frankreich und früher schon in unseren
kolonieen verübt haben; in dieselbe Sphäre gehören greuel-
hetze, -legende, -märchen, -propaganda. — greuel-
fleck, m. .-
ich wündsche, dass die nacht zertreib ein helles heiter,
dass ihr {meiner gegner) verfinstert hertz den schwartzen
greuelfleck {ihrer unthat),
und wie es sich verstürtzt, bey klarem licht entdeck
Gryphius trauersp. 461, 335 lit. ver.
— greuelfolge, /.; die unzählbaren greuelfolgen der
unkeuschheitsfehler Europa's Pestalozzi 7, 337;
als du des abfalls greuelfolgen sahst
dort in Scheol Schubart sätntl. ged. 2, 300.
— greuelfürst, m.: der grewel-fürst Lucifer Jacob
Böhme sehr. (l620) 4,200 {vgl. greuel A 8 c a, 6 schlusz).
— greuelgebot, n..-
diesz gräul-geboth, vor dem der edle sklave schaudert
Ayrenhoff werke 2, 170.
— greuelgeburt, f.:
sangst, sehervogel, warnende töne du?
so deutet's reue. — brausender schnob empor
mir gottes lohe, hadernd mit den
gräueigeburten der. trüben stunde
gedichte der grafen Stolberg 2, 266.
— greuelgeiz, m., greulicher geiz:
da dürfen sie noch wol aus gantzem grewel-geitz
in eusserster armut die äugen auf mich setzen
Weckherlin ged. 2, 70 Ut. ver.
— greuelgemälde, n.: sie {die geschichte der preusz.
Staaten) ist kein greuelgemälde der viehischen schand-
thaten eines volkes Jahn werke i, 10. — greuelge-
misch, n.: .
welchen die eiserne pflicht in der erde geschäfte nicht
stöszt,
der halte sich fern der unseligen ding' gram triefendem
gräuelgemisch !
Immermann 15, 378 Hempsl.
— greuelgeschichte, /. ; unter den ausführlicher
erzählten gräuelgeschichten, in welchen egyptische
mönche . . . mit wirkten, zeichnen sich . . . die des
Thimotheus Aelurus, eines mönchs und wahren teufeis
an list und tücken {erg. aus) aUg. dtsch. bibl. 61, 156;
königin Elisabeth, die es erlaubt hatte, ... die greul-
geschichten ihrer . . . familie . . . auf der bühne dar-
zustellen Heine 7,228. — greuelgeschlecht, n. :
anbetung — anbetung —
über des sohnes werk,
welcher erlöst
ein gefallen greuelgeschlecht
Hölderlin 1, 70 Litsmann.
— greuelgesetz , n.: sie wühlen im archiv der bar-
barischen zelten, um greuelgesetze wieder ins leben zu
rufen Heine 5, 181.
GREUELGESTALT, f.:
erbebend schaudert sie zurück,
stets gräszlicher entfalten
sich ihr die gräulgestalten
gedichte der grafen Stolberg 5, 259;
der grimmige tiger . . . schlief noch fest und tief; den
noch bebten die trauen . . . und konnten sich nicht
entschlieszen , über die gräuelgestalt hinzuschreiten
FouQUE zauberring 3, 18;
m
!59; ^m
en- ^P
cht
ten ^
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225
GREÜELGOTT — GREUELHEER
GREUELHELM - GREUELN
226
zwei drachenhäupter hatte das unthier;
eine kröne von gold und eine mutze von sammet
schmückten die köpfe
der gräu'lgestalt Schubart sämtl. ged, 2, 255;
sieh, und mit einmal ragten empor die gräuelgestalten,
ftirchterlich (die giganten) Baggesen poet. werke 1, 46.
— greuelgott, m.:
die Römer hätten die gefangenen gezwungen,
Zeus, ihrem greulgott, in den staub zu knieen
H.V.Kleist 2,365.
— greuelgötze, m.: was sagen sie nu hie tzu yhrem
abgot und grewelgotzen Luthers, 705; vgl. greuel kl h.
GREÜELHAFT, adj., erst im iT.jh. aufgekommen, in
der 2. hälfte des 19. jh. absterbend; abgelöst von grauen-
haft, besonders von unthaten (vgl. greuel A 3 c 7) ; alle
entschuldigungen vertilgen nicht das gefühl der greuel-
haften thaten {des Oedipus) Solger vorles. über ästhe-
tik 96;
ein anschlag, greuelhaft und unerhört
H. V. Kleist 2, 256;
Klytemnestra, Orest . . . verübten die greuelhaftesten
morde Herder 21, 372; vgl. die wilden, greuelhaften
familiengeschichten der Merowinger und Carolinger
VisGHER äsihetik 2,252; dasz in den aristokraten und
in ihrer wut und härte zehnmal mehr teuflisches ist,
als in allen noch so gräuelhaften ausbrüchen des
volksgrimmes Varnhagen v. Ense tageb. 5, 251; alles
krankhafte, schwache . . . sowie alles schreckliche,
greuelhafte und die gute sitte verletzende war ein für
allemal {vom theater) ausgeschlossen Göthe gespräche
6, 154; die verschiedenen bedeutungs- und gebrauchsarten
des subst. ivirken beiin adj. deutlich nach; so stellt sich
zu 'greuel des krieges' {s. greuel A 6) :
doch so lehrte mich gott Merkur
vorzubeugen dem greuelhaften {kriege)
RüCKERT 1, 457 ;
die gräuelhafte art der serbischen kriegsführung in Un-
garn Hebbel 10, 127; zu 'greuel der abgötterei, irreligio-
sität' {s. gr. A 3 c a): wer hätte den umgang mit gei-
stern, wer der hexen gräuelhaftes bündnisz mit teu-
fein in zweifei ziehen mögen Zschokke 32, 221; zu
'greuel der lüge' {s. greuel A 3 a «, d; 7a«): eine an-
dere . . . form derselben {der falschen exegese) liegt
in der . . . allegorischen auslegung der mythen . . . ,
die bis zum greuelhaften unwahr kaum zu begreifen
sein würde Humboldt briefe an Welcker 85; zu 'greuel
zu sehen' {s. gr. A 7 d) : aus dem läger aber von dem
wein, welches sonst dem ansehen nach ein greuel-
hafftes abscheuliches ding ist Hohberg georg. cur. (1682)
1, 373 ; das gewerbe {Vorstellung einer somnambulen) hat
ein gräuelhaftes ansehn und sollte durchaus untersagt
sein Varnhagen v. Ense tageb. 3, 119; zu 'für greuel
halten' {s. gr. A 7 c):
verschwendrisch seyn mit menschen-blut,
das pflegt er greuelhaft zu achten
Weichmann poesie d. Niedersachsen 1, 36;
namentlich in jüngerer zeit, vde das subst, auch in
farbloserer bedeutung: dasz einige vornehme Etrusker
. . . sich jener gräuelhaften Üppigkeit überlassen haben
mögen, die zu Rom . . . ton ward Niebuhr röm. gesch.
1, 96; greuelhafte Unwissenheit allg. dtsch. bibl. lil, I78;
das greuelhafte gejohle Storm werke (1899) 3, 272; auch
von Personen {vgl. greuel A 2) : den sündern und gräuel-
haften, den todschlägern und hurern Herder 9, 222; es
treten hervor die greuelhaften höllenfürsten Heine 6,494;
ein gräuelhafter kerl! Varnhagen v. Ense tageb. 3, 257;
adverbiell: jene greuelhaft- despotische regierung, die
einst in Frankreich blühte Heine 3, 464. — greuel-
haufen, m.:
war' die weit nur schand' und spott
und ein gräuelhaufen eben
Immermann 11, 13 Hetnpel.
— greuelhaus, n. : da tritt Iphigenia auf, die . . . die
göttin schon frühe aus dem gräuelhause {der Atriden)
forttrug Alexis ruhe 2, 221. — greuelheer, n.:
IV. 1. 6.
schlangen sieht man gar nicht mehr, . . .
und der drachen greuelheer
mit geschwollnen bauchen H. v. Kleist 4, 34.
— greuelhelm, m.: wann ich ein solchen knebel-
bartfressigen namen hctte ... als eisenhart . . . hauff-
schlag, greuelhelm, hörschirm Fischart geschichtklitt.
162 neudr.
GREUELHORN, n., im 16. jh. anscheinend feste, wenn
auch icohl local beschränkte bezeichnung für ein be-
stimmtes hörn: so geschwind mochten sie die äugen
gegen dem schlosz nit gewendt haben dasz sie nicht
also bald iein hälles grewelhorn von den wechtern
hörten blasen Amadis 6 (1595), 46; hiezu worden durch
das orlandisch greuelhorn aufgemanet die schlegel leutea
Fisghart geschichtklitt. 120 neudr.;
(die laute) erschreckt die leut nicht in dem feld,
beyd hirt und herd, beyd wild und wäld,
gleich wie das panisch grewelhorn,
welchs grausen einjagt und den zorn
lob d. lauten 356, 55 Hauffen.
— greueljahr, n.; sehet . . . den hauptzweck der
sündfluth: dem menschen die frist seiner gräueljahre
zu kürzen Herder 7, 164; die greueljahre des zwischen-
reichs {interregnums) folgen Jahn 2, 538. — greuel-
kelch, m., calice apocalittico delV abominatione Kramer
teutschital. (1700) 1 , 768 *" ; vgl. apocal. 18, 6 ; die ketzer
solten doch den kelch nicht begeren, dieweil sie sich
so sehr vor der babilonischen meszmetzen grewelkelch
besorgen Fischart binenkorb (i588) gs*». — greuel-
kind, n.:
hört, gottsvergessne sichre Sünder!
hört, ihr Cains greuelkinder !
Harsdörffer poei. trichter (1647) 1,72.
— greuelkunde, f.:
ja, andres trugst du wohl in deinem sinn,
als solche gräuelkunde zu vernehmen
Fouque held d. nordens 2, 172.
— greuel luster, n.; es warnet aber auch die schrift
an unterschiedlichen orten für oftbesagtem greuel-laster
Harsdörffer ob d. neid die tugend hindere oder beför-
dere 131. — greuelleben, n..- dasz der allmächtige
gott sein herz regiren, . . . dasz ich ihn bald aus diesem
gräuel-leben wissen möge maler Müller werke (I8II)
2, 72;
verstockter frevel findet dort
in eigner hölle seinen ort,
des greuellebens spuhle
führt ihn den weg zum pfuhle
gedickte der grafen Stolberg 5, 267.
— greuelmahl, n.: das greuelmahl des Harpagus
Grillparzer 17, 195 Sauer; Thyestische gräuelmale
Gervinus gesch. d. dtsch. dichtung 3, 122. — greuel-
mahlzeit, /.; blut zu trinken . . . schien ihnen mit
recht eine gräuelmahlzeit der götzendiener Herder 20,
206. — greuelmann, m.:
ich wache bald und schaue hin und her,
ob dieser greuelmann (der tod) nechst meinem bette wer ?
Harsdörffer frauenz.-gesprechsp. 8, 99;
ihr furien des muttermords! — auf! auf!
entsteigt der qualvoll dunkeln schreckensnacht,
und diese beiden gräuelmänner greift!
M. v. Collin 2, 51.
— greuelmärchen, n.: nachdem man die weltlichen
herrlichkeiten {von Paris) mit geistlichen greuelmähr-
chen schattiert hat Brentano ges. sehr. 4, 366. —
greuelmensch, m.: Vandamme, der greuelmensch
von Bremen und Hamburg Vilmar erinnertmgen (1863)
1, 37 Hopf. — greuelmord, m. Schottel 483.
GREUELN, vb., in mhd. zeit auftauchende ableitung
vom subst. griuwel.
1) nur die unpersönliche Wendung mir greuelt vor hat
sich in der Schriftsprache einigermaszen entfaltet; bedeu-
tung meist 'abscheu, ekel', seltener 'grauen, furcht emp-
finden' :
mir grüwelt vor im iemer me,
deich in zeime male hän gesehen
Virg. 248, 12;
15
227
GREUELN
GREUELNEST - GREUELSCHILD 228
dö ime vor grüwelte, daz gelust im nü Tauler nach
Gh. Schmidt elsäss. 158; dir grewelt für den götzen
EÖ7n. 2, 22; vgl. ps. 119, 1G3 var.; uns eckelt und grewelt
für dem sacrament Luther 23, 162;
die seel sich ferner mercken last:
dein freunden gibst du wenig rast,
mir greulet für dem schweren last
mayntzigch gcsangbuch (1661) 274;
weil Moses das leben im blute setzt, so gräuelt allen
getauften rabbinen vor der propheten geist und leben
Hamann 2, 275 Ruth; wie greulte mir vor allem, was
ich gedacht, gesprochen Schubart leben und gesinn.
2, 160; alem. mit ab: (ein get'öse) abe dem mir gar sere
gruwelnde wart Nie. v. Basel nach Schmidt elsäss. 158;
dir grewlet ab den götzen Züricher bibel (1530) Rö7n. 2,
82; es greulet mir darab und es gehet ein grausen
durch mich L. Lavater (1587) nach Staub -Tobler 2,
834; statt der präposition auch satz- oder infinitiv-
constructionen:
mir griulet, s6 mich lachent an die lechelaere
W. V. D. Vogelweide 30, 12;
allen den es grewelt zu hören, das ein mensch rechter
gott sey Luther das schöne confitemini (i53o) N*'';
ohne object: do geriet dem künige und den die sin hü-
tent sere gruweln und mahtent crüze für sich : do ver-
swant der tyfel städtechron. 8, 468 (Königshofen Strasz-
bürg, chron.); selten mit accus, d. pers.: w6re ich in
einer wüestenunge aleine, da mich grüwelte myst. 2,
10*, 12; an der obgenannten Wai.thkr stelle hat die hs, 0
ursprünglich mich grület.
2) im, gegensatz zum hd. tritt im nd. die bedeutung
'grausen, furcht empfinden' ganz in den Vordergrund;
so schon im mnd.: my gruwelt, dat ik se bore no-
men; em gruwelde, men wolde em grypen laten: de-
sen hillygen manne den gruwelde vor der hoverdye;
(sein söhn) den gruwelde unde vordroth der herscop
Haraldi Schiller-Lübben 2, 162*; die beim Substan-
tiv gemachte beobachtung, dasz das nd. die bedeutung
'grauen, furcht' {besonders vor gespenstern) zur herr-
schaft bringt, wiederholt sich beim ve7-bum; auch insofern
besteht eine parallelitüt , als das verbum nd. weit über-
wiegend in umlautloser form erscheint, wie dem nd. sub-
stant. in der bedeutung 'horror' meist der umlaut fehlte
{s. greuel, form 3); neben dem unpersönlichen gebrauch
erscheint auch reflexive fügung: ndhess. gruweln vor
etw. ein grauen haben Vilmar 135; grujelen gruseln lux.
ma. (1906) 157"; grujelen grauen, sich vor gespenstern
fürchten Bauer-Collitz ii^; grüggeln furcht vor ge-
spenstern haben Woeste 86^; grulen gruseln Möller-
Frau reuth 1,446*; gruwweln, grüwweln ein grauen
haben: my eset und grüwwelt Strodtmann 78; grül'n
grauen, furcht, widerioillen empfinden: ick grül mi oder
mi grült väör de arbeit; hg geit nich allen to bett,
em grült Danneil 71*; grüeln, grülen grauen, grauein,
furcht empfinden: na, Pauls, hört op, mi grüelt all; on
hüten grült en mensch sick doch Frischbier l, 25i»*;
grölen, gro'elen gräuel vor etw. empfinden, schaudern,
vor ettv. zurückbeben Berghaus 1, 616*; ähnlich grölen
Sturen BURG 76. hie und da erscheint ein transitives
gruweln 'furcht verursachen': bat nä, brod röket, dat
grüggelt nitt sprichwörtl. Woeste 86''; grugeln einen
grauelig machen, ihn einängstigen Frisghbier 1, 251''.
vne aus nd. gruwel 'horror' im nhd. ein schriftgemäszes
grauel entstand, erwuchs aus gruweln nhd. graulen, in
der syntakt. Verwendung mit gruweln übereinstimmend:
ich hab mich gegrault; Heinrich, mir grault vor dir;
wenn ich dran denke, fängt mersch schon an zu graulen
Müller-Fraureuth 1, 437''; sich graulen grauen emp-
finden Frischbier l, 251''; auch obd.: grauein U7id
graulen grauen, grausen UngerKhull 304 1"; genaueres
s. U7iter graulen.
3) wie in der Schriftsprache tritt auch in den heutigen
obd. dialecten die bedeutung 'absehen, ekel' stärker her-
vor, wenn auch die andere nicht fehlt: grüwelen grauen,
grausen, ekeln Staub-Tobler 2, 834 {vgl. grewelen, ein
Unwillen an einem ding haben, abo7ninari Maaler
192»); es grielet mir es dünkt mich zu viel ebd.; grailen,
grilen ekeln, anekeln: des weib ist so drecket, es grailet
einem Fischer schwäb. 3, 8ii; es hat ihm gegräuelet
er ist erschrocken 3, 809; mir gräuwelt (grävvlt) inich
wandelt ein grauen, oder toohl auch ein ztveifel o»
ScHMELLER 1, 981; daneben persönl. construction , die
sich auch in geioisse7i md. gegenden findet: wir habent
gegreulet darvor Fischer schicäb. 3, 8li; Kehrein
volksspr. u. volkssitte in Nassau 172 tren7it von unpers.
gebrauchtem graulen ein persönl. graulen mit dem sinne
'meine7id befürchten', z. b. ich graule, dasz es regen
gibt; greule fürchten Wegeler coblenz. 20; grellen
{Eifeler ma. greueln) fürchten, grauen empfinden, zu7n
greuel sein lux. ma. (1906) 153»; grewele 7iörgeln Auten-
rieth Pfalz. 56; an elsäss. greuel 'icnordnu7ig , lär7n'
(s. gr. Aid) ist anzuknüpfen graulen lärmen, toben
Martin -Lienhart l, 2.66». in älterer spräche nur in
spuren nachztiiveisen ; vo7n Schüttelfrost: etiam signa fe-
brium sunt rigores. dasz sie {die patienten) greulen, als
wenn man einen mit einer nadel sticht, ein grewel
durch gehet Paracelsus opera (1616) l, 416.
4) selten erscheint in der Schriftsprache ein transitives
persönliches greueln 'greuel verübe7i':
wie heilig ist die neue stadt, . . .
gar nichts gemeines geht hinein:
wer greuelt, muss verbannet seyn
Fischer-Tümpel 5, nr. 676, 5;
ich weisz kein beispiel in der geschichte, wo . . . leiden-
schaftlicher und regelloser gegreuelt worden sei, als in
diesen tagen in Paris gegreuelt wird Lavater in br.
von u. an Klopstock 349 Lappenberg ; hierher vielleicht,
mit abgeschwächter bedeutung:
wie sich köpf, band und hut werklich betauchet,
wieget und bieget, und hauchet und stauchet,
. sollte diesz einem die äugen nicht blenden,
sehen, so greueln mit füssen und henden?
W. ScHERKFER gcist- u. weltl. ged. (1652) 410.
GREUELNEST, n.:
entweiche Phaeton ! disz hertze kömmt ans licht,
in dem der gantze Styx . . . Diane lauf zurücke
ob diesem greuelnestl
Gryphius trauersp. 577 lit. ver.;
ich musz mich leider sehr bey deiner ankunft schämen,
weil ich ein greuelnest, kein wahrer tempel bin
ScHMOLCKE n-ost- u. gctstr. sehr. 1, 397.
GREUELNIS, n., greuelthat:
wenn ein verweis, sanft aus der liebe mund,
zu solchen greuelnissen treibt
H. V. Kleist Penthesilea 2734;
Schrecknis :
doch jetzt, da sie mit solchen greulnissen
auf ihn herangrollt 2627
(Penthesileas aufzug mit rüstung, hunden und elefanten
ist gemeint). — greuelopfer, n., sagrificio abbomine-
vole Kramer teutschital. 1, 564''; sie hatten für diesem
grewel-opfer einen solchen abschew Dannhawer catech.
milch (1657) 5, 847; vgl. greuel A3c«. — greuelrede,
/.; die greuelreden dieses verlorenen zerrissen sein herz
Handel-Mazzetti Stephana Schwertner, dtsch. rund^ch.
155, 371. — greuelreich, adj.: aber wir nähen uns
dem thron der natur und der ärgsten tyrannei, dem
Silber- und gräuelreichen Peru Herder 13, 247. —
greuelrüstung, f.:
sie könnte
in keiner finstrem greuelrüstung nahn
H. v. Kleist Pcnthesttea 2546.
— greuelscene, /.; zwei zu dieser anstalt {der mar-
gue) verpflichtete männer leben oben drüber unter
demselben dache über diesen sich täglich erneuernden
greuelscenen Göthe 41, 2, 3G7; greuelscenen bei bestra-
fung der aufrührer empörten zu Prag jedes herz Hebbel
werke 9, 90; die gräuelscenen der französischen revolu-
tion erlebte sie in Paris Kern er bilderbuch 356.
— greuelschild, m.:
Persei grewelschildt,
Medusae köpf und teufelsbildt
FiöCiiART Eulenspiegel 5, 82 Hauffen.
229 GREUELSCHILDERUNG - GREUELTHAT
GREUELTHIER — GREUELVOLL
230
— greuelschilderung, /. .• darum ist einem bei all
seinen {des Tacitus) gräuelschilderungen wohl zu muthe
Hebbel tageb. 2,56. — greuelschlamm, m.:
disz ist der seelenbrunn, den Jesus auf wil schlieszen,
dasz uns kein greuelschlamm, kein lasterkotli verzehr
Gryphiüs ged. 75, 8 Palm.
— greuelschlund, m.:
aus so gräszlichen einzahnigen
lippen, was enthaucht wohl
solchem furchtbaren greuelschlund !
Faust II 8886.
— greuelsehmuck, m.:
doch vorne stand
die larve des medusenkopfes
im gräuelschmuck des schlangenzopfes
Immermann 13, 102 Hempel.
— greuel spiel, n..- niemand darf diebeshehler von
unrecht sein und Zuschauer beim greuelspiel des recht-
beugens Jahn 2, S15 Euler. — greuelstadt, /.: die
zahl des geheimnisses der bosheit, das er dem weibe,
dem bilde der gräuelstadt {Babylon) an die stirn schrieb
Herder 9, 184; vgl. Apoe. 17, 5. — greuelstätte, f.:
in schaaren werden die Christen an die greuelstätte
{der foUefung) hingetrieben Görres 5, 810. — greuel-
etück, n.:
der fürsten heilig blut troff durch verfluchter hencker hand
in dem ob diesem greuelstück entfärbten sand
Gryphiüs trauersp. 150 lit. ver.
GREÜELSÜNDE, /., atrox commissum, facinus nefan-
dum et abominabile Stieler 22i0; peccato horribile, ab-
bominevole, che fä horrore Kramer teutsch-ital. (l700) 1,
564''; besonders für sexuelle, zumal perverse Verfehlungen
[vgl. greuel k B c ß): {der Türke) hatte aber eine böse
brunst, nach der greuelsünde morgenländischer vöiker,
gegen Ladislaum in seinem hertzen Harsdörffer groszer
Schauplatz last- u. lehrr. gesch. (l65l) 1, 115; ein solcher
hurenhängst hat dem teufel seine seele verpfändet, so
lang er in seinen greuelsünden beharret secret. 2, 70;
mäszigkeit
steuret allen greuelsünden,
machet zum gebet bereit
Treuer deutscher Dädalus 1, 521.
— gre uel SU ppe,/.; fressen Schweinefleisch und haben
grewelsuppen in iren topfen Jes. 65, i, vgl. greuel Alb.
— greuelschwarz, adj.:
und dennoch auf den vater und die mutter
hob er die grauelschwarze todesfaust?
M. V. COLLIN 3, 300.
— greuel tag, m.; das reine gefübl für das grosze und
schöne, das in ihm {dem französ.volke) noch war, haben
die greueltage des freiheitsschwindels erstickt Lach-
mann bei Sgherer kl. sehr, l, 94; der arme wurm sey
zu elend gewesen für alle die last von hunger, nässe
und kälte, welche er in jenen gräueltagen zu tragen
gehabt Riehl gesch, aus alter zeit 2, 233.
GREUELTHAT,/., seit dem \l.jh.; gern von blutthaten
{vgl. greuel A 3 c j') : was wird in diesem geböte ver-
boten? . . . mord und todschlag: denn sie sind gräuel-
thaten Herder 30, 321 ;
die feldherrn, denen man die greuelthat gemeldet,
die achseln haben sie gezuckt, die leichen
in eine grübe heimlich werfen lassen
H. V. Kleist 2, 364;
besonders von unnatürlichen unthaten wie Selbstmord, ver-
wandtenmord, incest u. dr/l. {vgl. greuel A3b schlusz, cß):
wie selten denn die menschen nicht rechenschaft geben
müssen . . . von einem jeglichen unnützen wort (sol-
cher greuelthat [bealisichtigter Selbstmord] zu gesch weigen)
Harsdörffer teutscher secret. 2, 6i; die Phönicier dem
Saturn . . . ihre liebsten kinder schlachteten; da doch
diese greuelthat denen höllischen geistern zu abscheu-
lich seyn solte Lohenstein Arminius i, 133^;
gräuelthaten ohne namen,
schwarze verbrechen verbirgt diesz haus
Schiller braut I 966;
ist sie wahrhaftig seine, meine Schwester,
so bin ich schuldig einer greuelthat,
' die keine reu und büszung kann versöhnen
IV 2480;
da hingegen Orestes den zoll der menschlichkelt für
seine gräuelthat bezahlt A. W. Schlegel im Athenäum
2, 244; Ernst's vorhaben nämlich, sich selbst, sein weib
und seinen söhn zugleich zu tödten, eine gräuelthat,
mit welcher der unglückliche einige stunden lang . . .
umging ScHREYVOGEL (/es. sehr, l, 46; doch auch mannig-
fach anders:
schaut meines sohnes greuelthat!
der sich von seiner mutter scheidet,
auf ihre brüder raast, den vater höhnt und kränkt,
sich an ein geiles weib durch thumme liebe henckt
I.ohenstein Arminius 2, 1429'>;
der dörfer brand — o, fluch der greuelthat! —
beleuchtete zu seinem (.Kapoleons) sitz den pfad
TiEDGE 3, 82;
jene gräuelthaten erzählte Cicero {dasz lebende und tote
aneinander ge'junden wurden) K. 0. Müller Etrusker l,
369; hier liegen die reste von Abälard und Heloise, zum
ersten mal vereint nach der an dem geliebten begangenen
greuelthat Gutzkow briefe aus Paris (1846) 273 ; sehr
häufig in unbestimmt-collectivein sinn ohne nähere quali-
ficierung {vgl. greuel Asb), namentlich in jüngerer zeit:
so gehen doch der Türeken greuelthaten
der weit und vorweit Sünden für
Lohenstein Ibrahim {Breslau) 2;
alle laster und gräuelthaten erschöpfen rieh in der
geschichte, bis endlich hie und da eine edlere form
menschlicher gedanken und tugenden erscheint Herder
13, 351; dasz . . . ihre {der religion) nachtheile . . . und
zumal die gräuelthaten, welche in ihrem gefolge sich
eingestellt haben, am tage liegen Schopenhauer 5, SV6
Grisebach. — greuelthier, n.: sich, du christiicher
leser, was für grewelthier der theologen dis teyl der
weit Europa gepiert Luther 8, 295,
dass deich und schwerd gezückt auf dich tyrannon werde,
auf dich des himmels hass, dich greuelthier der erde
Lohenstein Epicharis {Bresl. I6i)5) 89.
— greueltraum, m.:
und ich erwachte neben ihm, und traute
den tagerhellten äugen kaum, . . .
noch bebend von dem greueltraum
Baggesen poet. werke 2, 117.
— greueltrunken, adj. :
wenn höllentücke wüthet, gräueltrunken
W. V. Humboldt sonette 122.
— greuel volk, n.: nach dem beispiel des Pariser
greuelvolkes ersahen sie sich willkürliche schlachtcpfer
Göthe 33, 89.
GREUELVOLL, adj., im 18. jh. aufgekommen, heute
abgelöst durch grauenvoll; im gebrauch vielfach parallel
mit greuelhaft, von unthaten {vgl. greuel Ascy):
wir hören, unsre blutgen vettern sind
nach Engelland und Irland, leugnen dort
frech ihren greuelvollen mord Schiller 13, 68;
der weg der greuelvollen missethat Ranke i5, 97 ;
das heischt der räche
gräulvollstes masz Fouquk held d. nordens 2, 133;
von kämpf, krieg, empörung u.a. {s. greuel A6): man-
cher . . . prophezeihte einen blutigen gräuelvollen krieg
Hoffm. V. Fallersleben 7, 25;
und die Zwietracht selber jauchzet zu dem gräuelvollen streite
ScHÖNAiCH Hermann (1751) 149;
hier {bei den Irländern) war es eine der wildesten gräuel-
vollsten empörungen, welche die Weltgeschichte kennt
Ranke 16, 7« ; wir haben . . . greuelvollere proscriptionen
erlebt Fr. Schlegel dtsch. museum 2, 24; öfter greuel-
volle scene {vgl. greuelscene sp. 228) : die nägel am
kreuze, die lanze in der seite, . . . nebst allem höhn
und spott, den er erduldet, die ganze gräuelvolle scene,
die er von innen und auszen erlebt hatte Herder 19,
85; so musste die aristokratie unterliegen, deren aus-
rottung von so gräuelvollen scenen begleitet wurde K. 0.
Müller Dorier 2, 153; nach dem gräuelvollen übergange
über die Beresina löste sich jede Ordnung Treitschke
dtsch. gesch. i, 397;
15*
231 GREUELWELT — GREUELWÜSTE
GREUELZEICHEN - GREULICH
232
o wach' ich auf, werd ich nicht rasend werden,
umringt von all den gräuelvollen schrecken {des grab-
gewölbes)^
(,all these hideous fears Romeo IV 3) Shakespeare 1, 138;
(fiei GöTHE :
umringt von all dem furchtbar greuelvollen
werke 9, 257 Weim.);
Napoleon . . . behandelte unser deutsches Vaterland . . .
mit der gräuelvollsten und abscheulichsten tyranney
Arndt sehr, für u. an s. l. Deutschen 1, 236; von orten:
einer derselben wars, der ihm {Johannes) . . . das gräuel-
volle Babel zeigte Herder 9, 94;
wo ist die greuelvolle wüste,
das chaos sonder wenn und lüste?
Schwabe belustigungen 4, 84;
und du, 0 greuelvolle gruft,
schleusz dich vor meinen blicken wieder
Gotter ged. (1787) 1, 396;
•
neben zeifbegriffen : Tacitus beschreibt die gräuelvollsten
Zeiten Herder 17, 149; vorüber zwölf gräulvolle jähre,
im laster durchgeschwelgt maler Müller 2, 185 ; über-
tragen :
aus welchem chaos stiegs (mein dasein) empor?
in welche gräuelvoUe nachte
sinkts — wenn des Schicksals ehme rechte
mir winket zu des todes thor?
Moritz Anton Heiser 247 neudr. ;
auch auf personen angewendet, ebenso im hinblick auf
innere wie auf äuszere qualitäten:
des sohnes wegen
. . . trägt er noch die Sünder
wie vormals Israels gräulvolle kinder
Gramer sämtl. ged. 1,304;
als hätte ein einziger gräuelvoller zwerg sich verhundert-
facht FouQUE altsächs. bildersaal 4, 146; in jüngerer zeit
auch mit verblaszter bedeutung: hätte doch der fürst
Colonna . . . lieber diese gräuelvoUe Vorstellung (ein
feuerwerk) vertilget Ayrenhoff 6,55; in greuelvoller un-
bekleidung Storm 6, 197; adverbiell:
0 gräuelvoU selbstmörderisches trachten !
Immermann 15, 100 Hempel;
im siebzehnten Jahrhundert war sie {die gesellschaft der
Spitzbuben) . . . ein greuelvoll übertriebenes seitenstück
zu den menschenquälereien des krieges und der glau-
bensverfolgung Riehl deutsche arbeit (i8Rl) 25*. —
greuelwelt, /.; nun sahen sie mit entsetzen, welch
eine heidnische gräuelwelt sie dicht unter ihren ehr-
baren äugen hatten {darstellungen auf den gewirkten
tafeldecken und trinkgeschirren) G. Keller 5, 192. —
greuelwerk, n.; dasz die pfründen im gang plibend
und sin abgöttisch grüwelwerch nit in abfal kom J. v.
Watt dtsch. hist. sehr. 3, 368;
noch sind, hilf groszer gott ! bey so betrübten Sachen,
die ob dem greuelwerck (Vorkehrungen zur hinrichtung) die
Seele lustig machen
Gryphius trauersp. 454 lit. ver. ;
deckt nicht jede morgensonne
dem erschrocknen blick des volkes
neue greuelwerke auf? Zschokke 39, 49.
— greuelwesen, n.:
dein (des sünders) verübtes greuelwesen
hat so viel holtz zugelegt,
dasz wir schon das urtheil lesen,
welches dich zur flamme trägt
Schmolcke trost- u. geislr. sehr. 1, 135.
— greuelwort, n,, als beispiel für compoaition m,it
wort bei Harsdörffer frauenz. gesprechsp. 8, 62; er
hörte sein greuelwort wieder, es wäre nicht schade,
wenn die alte hexe einmal todt wäre Pestalozzi 2,
863; und als ich . . . Mädeli die gräuelsworte alle er-
zählen wollte, die der pfarrer ausgestoszen, waren sie mir
alle entronnen Gotthelf 6, 262. — greuelwust, m.:
der Weisheit arsenal ist ihre zarte brüst,
was hier nach Sodom reucht, heist ihr ein greuel-wust
MÄNNLING poet. blumeng. (1717) 548.
— greuelwüste, f.:
die weit heist mir die rechte greuel-wüste
ebd. 208.
GREUELZEICHEN, n.:
(da.1 wild) gedenckt sich zö verschliefien,
wann es das jägerhorn hört büffen,
wolt gern dem zorn des menschen weichen,
wann es erhört das greuwelzeichen
Fisch ART lob der lauten 357 Hauffen;
itzt liefert er die leichen
auf Britten schaugerüst zu einem greuelzeichen
Gryphius trauersp. 419 lit. ver.;
= götzenbild (vgl. greuel Alb):
sie (die feinde) brüllen um dein (gottes) haus herum
und setzen ihre gräuelzeichen
in deiner allmacht heiligtum Drollinger ged. 36.
— greuelzeit, f.:
bis hieher, söhn, ging tag und nacht im wechselgang,
jetzt kommt die lange finstemisz der gräuelzeit,
nur blut und schrecken, mord und schneller Untergang
Arndt geist d. zeit 2, 282.
GREUEN, s. greien.
GREUERLICH, adj.: eine fürchterliche musik, die
die gräuerlich feyerliche deklamation der Zauberinnen
begleitet Ayrenhoff 5, 181, 7; vgl. gräuerlich grausen
erregend Müller-Frau reuth l, 437*».
GREUISCH, adj. aus mhd. * griuwisch, nur vereinzelt
im, dialect: gräüsch grausenhaft, greulich, z. b. ä gräü-
scher kärl, das is jü ä gräüsch geschieht Regel ruhlaer
ma. 198; grai'sch zum ekel geneigt, wählerisch, heikel
Fischer schwäb. 3, 8ii.
GREUL, m., myoxus glis, Siebenschläfer, bilch, rell-
maus; nur in älterer spräche nachweisbar und aufs obd.
beschränkt, dem vorkommen des tieres in Deutschland
entsprechend: glis ein greull, rell oder rellmausz, ein
grosse haselmausz Frisius dict. 606*; von Maaler 192*
und Bas. Faber thes. (1587) 99^ übernommen; greull glis
Frischlin nomencl. c. 5T, vgl. Sghmeller l, 994; Ni-
gidius wil, die spitzmeuss verkriechen sich zu winters
zeit eben so wol als die greul oder rellmeus (sicut glires
hist. nat. VH! 57, 223) Heyden Plin. (1565) 290; bei Nem-
nich wb. d. naturgesch. 209 in der form greuel; cimbr.
erscheint glair, tirol. gleir Schöpf 194, das geht auf lat.
glir- zurück; die tirol. normalform greil (Schöpf 211)
könnte metathesis von gleir darstellen, ist greul aus greil
zu erklären? bei den alem. lexicographen stammt greul
wohl nicht aus dem dialect, sondern aus lexicalischer tra-
dition: die heutigen alem. formen sind, neben rell, glir
(= lat. glir) und grill, dies vielleicht auch nur eine durch
die lautliche und bpgriffliche nähe von grill gryllotalpa
erleichterte Umsetzung von glir.
GREULICH, adj. horribilis, abominabilis, teter.
form und bedeutung.
l) das adj. entfaltet sich, wie das Stammwort griul, in
mhd. zeit, ist aber verbreiteter und früher nachzuweisen:
elliu dinch furhten dich rehte alsam mich, \
niht si so grolich ezne widirsitzze dich
Milst. genesis 8, 15 Diemer;
ein vereinzelter beleg schon im altsächs.:
ik hebbiu it (das Silber) so griolico, quathie,
mid mines drohtines droru gicopot Sei. 5152;
im anschlusz an das substant. , das auf nd. boden eine
besondere form, mit besonderer bedeutung entwickelte (s.
greuel form 3), hat auch das adj. auf nd. (md.) boden
eine bedeutungsspaltung erfahren, die vielfach mit einer
formspaltung hand in hand geht; zunächst wie in der
Schriftsprache 'horribilis': greilech furchtbar lux. ma.
(19C6) 153*; grülik greulich Woeste 86''; ebenso grülig
Schambach 69; grülig, grülik Dähnert 163; grülich
Danneil 71»; gruglich Mi 29; grolich Schütze holst.
2, 70; grülk dithm. ebd. 71; grolig Berghaus 1,616*;
grouwelik brem. wb. 2,550; grauwellig Schütze holst.
2, 64 ; dann auch 'timidus', und zwar fehlt, abgesehen von
consonantischen abweichungen, bei dieser bedeutung fast
durchweg der umlaut. wie nd. gruwel 'furcht' überiviegend
ohne umlaut erscheint: grujelech gruselig lux. ma. 167»;
grugelech graulich, bange vor gespenstern Bauer-Collitz
4i*>; %xvigg'e>\io)a. mit gespensterfurcht behaftet Woeste 86^ ;
233
GREULICH
GREULICH
234
grülig graulich Schambach 69; grülich furchtsam im
dunkeln Dähnert 163; grülich der furcht vor gespenstern
hat Danneil 71*; grülig graulich, bange Frischbier
1, 257*; grüwwelsk syn ängstig, furchtsam sein Strodt-
MANN 77; uo das adj. in den südlicheren dialecten er-
scheint, nur im sinne 'horribilis' oder in einer davon ab-
geleiteten bedeutung: gräulich Regel ruhlaer ma. 198;
kreilc Müller-Fraureuth i, 440; greilich fast nur in
steigerndem sinne Vilmar 135 (s. u. gebrauch 7); greilich
greulich, furchtbar Follmann 215»; gräulich (gräli',
gräla') xtne hd. Schmeller l, 981; gräulich (grailich,
grile) wiehd., auch häszlich, ekelhaft, unreinlich Fischer
Schwab. 3, 811; grüwlich greulich, schrecklich Staub-
ToBLER 2, 835 {in älterer spräche auch grüwenlich ebd.,
öfter bei Frisius, *. u. 2); im älteren nd. gelegentlich
erweitert zu gruweliksam : gruwelicksamer alse ein wulff
Schiller-Lübben 2, 162.
2) für die literarische Verwendung des wertes ist die
hauptepoche die ältere nhd. periode ; und zwar ist die be-
deutung von greulich vielfältiger und innerhalb der ein-
zelnen richtungen entschiedener als in jüngerer zeit, das
icird aus Übersetzungen und Umschreibungen bei den lexi-
cographen vielfach deutlicher als aus den literarischen
belegen, meist glossiert mit horribilis Diefenbach 280'»,
grawleich nov. gloss. 20G*, gruwelich gemma gemm. (1505)
Iviij*», grewlich, scheutzlich, erschrockenlich Calepinus
XI ling. (1598) 657*'; terribilis greulich Diefenbach nov.
gloss. 362^, erschrockenlich, greüwenlich Frisius die-
Hon. (1556)1305'*. doch auch prägnanter : saevifer grausam-
lich, greüwlich 1173»; crudelis Diefenbach 159«, grau-
sam oder grewlich Zehner no?nencL (1645) 69; severus,
severe, severiter Diefenbach 531'»; severiter strenglich,
gruwelich, seer streng gemma gemm. (i505) zv'»; acer
grausam, greulich, grimmig, tyrannisch Alberus (1540)
Ddij'»; atrox Diefenbach 58% fraissamlich , greuleich
Frommann 2, 292 {böhm. vocab. von 1432); dirus er-
schrockenlich, grausam, scheutzlich, greüwenlich Fri-
sius 422; truculentus Diefenbach nov. gloss. 372'», Fri-
sius 1333'», Calepinus XI ling. 1479»; trux Frisius
1333*»; daher sie Katul truces d. i. greuliche, grimmige
nennet Zesen verm. Helicon (1656) 36 ; horribilis, teter,
trux, truculentus Serranus *ynon. (1579) s.v. ; teter schnöd,
greüwHch, scheutzlich, schandtlich, bösz Frisius 1308»;
schändlich, garstig, gräulich Reyher thes. 3, 1891; tor-
vus Diefenbach 590», gräszlich, gräulich, starr Reyher
3, 1944; corus {l. torvus) grewlicher o. hochfertiger Die-
fenbach 153"»; <oro*M* voller, vaister, grewlicher, hoch-
fertiger" 583 " ; scordalis frech vel grülich 520»; vesanus,
vecors, crudelis, furiosus wüterisch, gräulich, grausam,
unsinnig Reyher thes. 8, 2122; informis grülich Diefen-
bach 2y7''; distortus yslich, grülich nov. gloss. 139»;
monsfrt^ce wundersältzamlich, greüwelich Frisius 835'»;
in anderen glossierungen tvird ein religiöser einschlug
fühlbar {vgl. greuel A 3 c «): abominabilis Diefenbach
2", gruwelich gemma gemm. (1505) alj", greulich Albe-
rus pj^; abominandus greüwlich, wol wärt züver-
flfichen Frisius 8»; detestabilis abschewlich, grewlich
Calepinus XI ling. 410»; execrabilis verflucht . . . greü-
wenlich Frisius 500»; devctus verflucht ... greüwlich
406'».
gebrauch.
l) von eindrücken, die durch die sinne vermittelt sind;
nur sehr selten giebt das adj. lediglich eine kennzeich-
nung der sinnlichen empß7idung {'häszlich', s. a «), fast
stets sprechen irgendwie gefühlsmomente des abscheus, ent-
setzens mit.
a) greulich fürs äuge.
«) greuliche steine, worin die male von bänden und
füszen eingedrückt sind Grimm dtsch. sagen l, 105; war's
schon häszlich, da es klein ist; da oben, grosz, ward's
ein gräulicher, verwitterter steinklumpen Alexis roland
2, 322; wie das so edle und mächtige feuer nur unnütze
asche und greuliche kohlen . . zeuget Lohenstein Ar-
minius 2, 146»; das kind . . tritt mit dem rechten füsz-
chen auf einen gräulichen todtenkopf Gleim briefw.
1, 290;
{ein grab) das von auswendig viel schöns hab.
inwendig ists aschn, grewlich gbein
Musculus hoienteufel 5 neudr.;
dar nach wart aver da vemumen
ein zeichen {wunderzeichen) gruelich genuch
pass. H. 267, 50;
ein greulich zeichen steht im haus des lebens
Schiller 12,382;
sehr gern neben gestalt, bild «. ä.:
sehr greulicher gestalt er war
H. Sachs 21, 180 Keller-Götze;
die leute vergaszen vor den greulichen gestalten, dasz
heut fastnacht . . . war Freytag ii, 16; vielleicht eine
nachwirkung der im, mhd. sehr verbreiteten participialen
tcendung griuliche gestalt; zu letzt . . . sind sie {eine
expedition zur erforschung einer berghöhle) wieder fimb-
gekehrt und erblichen, greulich gestaltet und erschreck-
lich anzusehen halb todt alle wieder ausz dem berge
kommen Prätorius blocksberg (1668) 7; wel ein anblikl
es samnent sich du grüwlichen bilde der swarzen mo-
ren Seuse dtsch. sehr. 285, 7;
und im gesprengten sarg . .
ringt langsam sich ein gräulich bild hervor
Geisel werke (1888) 2, 74;
gräuliche, frazzenhafte gebilde Hegel lo, i, 444;
sie zogen gräuliche fratzen
GÖTHE Eeineke fuchs XI 198;
{der äffe) schnitt , . greuliche gesiebter Brehm thierl.
1, 142 Pechuel-Loesche ;
gruelicher houbit viere
truc ez uf sime übe
Daniel 5788 dtsch. texte d. mittelalt. XIX
führen zweene grewliche scheussliche köpfe {im icap
pen) MiCRAELius Pommerland (l640) 6, 514; neben ge
sieht kann greulich im älteren nhd. schlechthin 'häsz
lieh' bedeuten: so unmöglich ist es auch, dasz ein greu
lieh gesiebte schön gemacht werden könne Ziegler
asiat. Banise (1689) 502; so oft vom menschen, *. 2 a
dann aber auch 'drohend, grimmig': sein {des falken)
angesicht scheint auch greulich und manlich und die
äugen prynnent Mynsinger von den falken 7 lit. ver.
owe, herre . . , wie sßlti denn min herz din grüwliches
antlüt iemer erliden Seuse dtsch. sehr. 229, 30; sü stän-
den gegen mir mit grüwlichen ogen als die risen ge
wegenlich 204, 14; entsprechend in adverbialer vericen
düng: der keiser sähe sie grewlich an Hondorff
prompt, exempl. (1572) 327'»;
gräulich sah sie mich an
GöTHE Reineke fuchs XI 191,
ebenso schon Gottsched 297; und hat zu aller zeit
starke hitze und sihet mit den äugen greulichen umb
und ist albeg unsinnig Ortolf v. Bayrland arzneib.
17*»; er verwandte die äugen greulich Agyrtas ^riWen-
vertreiber (l670) 162 ; die äugen {des hingerichteten) starrten
gräulich Freytag 17, 202.
ß) abstracter: schirment mich vor dem grülichen an-
blik miner fienden, der bösen geisten Seuse dtsch. sehr.
89, 11 ; {der Pilatussee) hat ein gräuliches ansehen Prä-
torius blocksberg (l668) 2; die ahtede {holten strafe) ist
ein gruwelich gesiebt der tivele und der drachen Luci-
darius 62, 15 Heidlauf; aspectus trux ein gräulich oder
schrecklich gesiebt Reyher thesaurus (1668) 3, 262; greüw-
liche und erschrockenliche gesiebt in der nacht imago
turbida Maaler 192»; ein greuliches gespenst Kramer
teutschital. (l700) 1, 564'»; greulicher spuk Hauff l, 89;
somnia tumultiiosa unröwig und greüwenliche trSum
Frisius diction. (1556) 1224'»; {der melancholiker) auf-
wachen ist schreckhaft, so wie ihre träume lebhaft
und gräulich Zimmermann einsamkeit 1, 358.
b) greulich fürs ohr: vox furialis ein gräuliche er-
schreckliche stimme Reyher thes. (I668) 2, 2783;
da vähten mit grimme
mit griulicher stimme
Wisente und ürrinder
Iwein 410;
unde sprak to en {de7i bösen geistern) mit eyner gruwe-
liken stemme Schiller-Lijbben 2, I6I; öfter vom hörn
235
GREULICH
GREULICH
236
des jüngsten gericMes: (ein hörn) daz ist von dem lüfte
gemäht unde hat eine gröweliche stimme Lucidarius
66, 32 Heidlauf; auch geradezu :
so kumet niemer das griilich hom
US minen sundigen orn
MoNE schausp. d. mittelalt. 1, 276, 99;
einen greulichen schrey thun Kramer teutsch-ital. (i700)
1, 564^; in getvissen schiveizerischen maa. noch heute vor-
wiegend von geschrei, geheul Staub-Tobler 2, 835; was
erhebt nicht der ehrliche mann vor ein greuliches 1er-
men Bodmer sainml. crit. poet. sehr. 2, 26; seine spräche
brach mit solchem greulichen gekrache heraus Zesen
Assenat (i672) 77; es war ein gräulicher jubel unter
der hausthüre H. Beck rettung für rettung (l80i) 8;
adverbial: horrisonus dasz greulich laut Alberus (l540)
c ij * ; ut indicarent mord schrei, wie er greilich gelaut
hat Luther 17, 1,69; sehr häufig greulich schreien: sü
schrüwen uf mich tH grüwlich . . . : 'nu henka, henk
den bösen wiht' Seuse dtsch. sehr. 204, 21; fiel er dar-
nider im cor und schrey grewlichen Nas antipap. eins
u. hundert 5, 72^; {der räuber) tratt zu ihm ein, stellet
sich und brüllet greuwlich Kirchhof wendunmuth 2, 220
Oesterley ; ululare vom hund, greuwlich heulen Fri-
sius diction. (1556) 180 •';
gräulich heult der wolf
im Waldgebirge Gradbe 1,63 Blumenthal;
nach dem greulich anhub zu prumeln und toben als
der pern gewonheit ist Arigo decameron 530, 85 Keller;
vgl. auch
nfiwen jamer hub sie an
und klagt grälich ir leit
mhd. minnereden 8, 27 Matthaei;
da ist mir dasz flenen so greulich ahnkommen Elisa-
beth-Charlotte V. Orleans briefe 5;
seht doch, sie weint ja greulich
MÖRIKE 1, 237 Göschen;
die Italiener lachten darüber so gräulich, dasz manch-
mal ein kleiner nachhall . . . bis zu mir heraufdrang
Laube 8, 287; indessen spricht bei den letzten belegen
die quantitierende bedeutung von greulich schon mit,
s. biß.
c) greulich für den geruch:
dar zuo gevie der selbe slac {die vmnde)
einen s6 griulichen smac,
daz ime daz leben swaerete Tristan 7280;
in deme sumpfe uberal
was vil grulich ein stanc
pass. K. £38, 53;
ein semlich grüwenlicher grosser ungeschmack und
stinken von dem ussetzigen gieng bibl. älterer schrift-
u-erke d. Schiceiz I 1, 19; ein grewlicher heszlicher stanck
Gabr. Rollenhagen indian. reysen (1603) 134; Hero-
des ist nu todt und stinckt greulich Luther 34, l, 561
Weim.
d) greulich für den geschmnck; selten: in Bucs . . .
hatte ich bereits eine schale gräulichen kaffee ver-
schluckt Jahrb. d. Grillparzerges. l, 131; sollte mans
glauben, dasz es narren giebt, die an dem gräu-
lichen zeuge {feigen) behagen finden? Immermann 2,
86 Hempel.
e) greulich fürs gefühl; hier wird deutlich, wie das
adj. 171 jüngerer zeit aus der charakterisierenden bedeu-
tung hl eine quantitierende 'getvaltig, sehr grosz' über-
gehen kann {vgl. b i ß.l): das greulich kopfwehe und
hirnwuten der pferden würt geheylt Sebiz /eZdiait (i579)
152; nun wundert es mich nicht . . , dasz du so gräu-
liches kopfweh hattest Wieland Lucian 2, 55; so stil-
let es das grewlich ohrenwehe Herr feldbau (i55l)
148";
also das ein grewlicher schmertz
vergiftet ihr götliches hertz
Weckherlin 1,156;
der gequälte, in gräulichem schmerz schreiende Philo-
ktetes Freytag 14, 145; greulicher hunger, durst Kramer
teutsch-ital. (i700) l, 564''.
2) von lebenden wesen.
a) greulich von menschen, mit sehr schwankender be-
deutung; die bibelüher Setzung gehraucht das adj. sub-
stantivisch: den verzagten aber und ungleubigen und
greulichen . . der teil wird sein in dem pfui offenb. 21, 8;
das ir nit thögind nach der greüwlichen Sitten Zürcher
bibel 8. Mos. 18 D {v. 26); vgl. diese sind die greulichen
oder abscheulichen, . . und bedeuten vermuthlich die
schamlosen unfläther, die in widernatürlichen stummen
lästern leben Jung-Stilling 3, 407 Qrollmunn {vgl.
greuel A 3 c /9); in anderem sinne in der Wenzelbibel:
alle greuliche omnes horribiles Hiob 20, 25; der do nicht
enkante den greulichen {tyrannum), do er kriegte wider
den armen 34, 19; tvieder anders: einen hochvertigen
sun und einen greulichen {proiervum) 5. Mos. 21, 18;
überhaupt gern im sinne des religiös zu verabscheuenden:
grewliche ketzer und falsche lehrer Fisghart binen-
korb (1588) 84*';
es stehen falsche Christi auf
mit greulichen propheten
ScHMOLCKE trost- u. geistr. sehr. 1,565;
diese gräuliche sekte Jung-Stilling 6, 857; häufiger
jedoch in der bedeutung 'furcht, entsetzen ertceckend':
Ewie griullch nu sl Hagne, ich wil in eine bestän
Mb. 1971,4;
er Ute an underschelde
zuo der patelle griuwelich
KoNR. V. VVüRZBURG tumei 945;
{ztcei menschen) dero was eins ein jungü subrü frowe,
daz ander 'waz ein vil grülicher langer man mit einem
spiesse Seuse dtsch. sehr. 79, 2; der gräuliche Wüterich
Irenechora Bucholtz Herkuliskus (1665) 16; Saulist.,
grausamb, greulich, grob, greinerisch . . gewest Abr. a
St. Clara Judas 2, 356; der gräuliche riese Herder
25, 261 ; öfter neben feind :
das man auch des Achilles seel
so bluti,;; schicket ab gehn heel, . .
das man desz greuling feindts komb ab
H. Sachs 12, 301 KeUer;
da der grewliche feinde . . hinder und umb mich alles
ernider gelegt Moscherosch insomn. cura 6 neudr.;
desgl. neben volk: ich wil über üch senden ein gruwe-
lich volk Closener chronik 113 Hegel: es warent gar
vil böser, greulicher, unmenschlicher diet und haiden
städtechron. 3,51; volck das grewlicher ist denn sonst
irgend eins Jes. 18, 2; auch vor eigennamen: der greu-
liche Polyphemus Grimmelshausen Simplicissimus 10
neudr.,- der gräuliche Olallin ist entflohn Tieck sehr.
11,256; die grewliche Medea Scheit frölich heimfart
A III»;
greulich weib, mit Zaubereien
mordest du mir meinen söhn
Brentano 1, 223;
dialectisch: en grauwelligen keerl ein gräszlicher, auch
gefährlicher mensch Schütze holst. 2, 64; auch gern
prädicativ {man beachte die abschivächung der bedexdung
in jüngerer spräche): ich sag dir, die alten sint gar
gräulichen, wenn si an hebent ze zürnen gesta Rom. 116
Keller; ,
er schildert mich so greulich,
und doch fand mich Sophie nicht ganz und gar abscheulich
GöTHE 9, 45 Weim. ;
und er {der schmied) ist doch nicht so greulich, wie
man manchmal denkt Ludwig 2, 72; er bekommt wohl
keine Edel, er ist viel zu greulich Schvveinichen denk-
würdigk. 154; im 18. jh. beliebte Verbindung : die männer
sind wol greuliche narren ollapatr. 830, 30 neudr.;
geh, ruf ich, für und für!
du iDist ein narr, so greulich
Göthe 3, 192 Weim. ;
ein gräulicher narr, ein Windbeutel von aussen H. Beck
Schachmaschine (1798) 29; das adj. geht hier fühlbar in
die quantitierende bedeutung über; deutlicher noch in
fällen wie: ein greulicher knicker ehe eines weibes 41;
so weis ich doch . . . , dasz ihr ein greulicher Wind-
macher seyd Stoppe Farnasz (i785) 487 ; o du unerträg-
licher saufaus und noch gräulicherer plapperer maler
237
GREULICH
GREULICH
238
MÜLLER 1, 170; aufs ältere nlid. beschränkt ist ein ge-
brauch, der greulich ästhetisch faszt als gegensatz zu
schön {vgl. i a «): das allezeit das also verordnet, das
bey einem gewaltigen ein verworfener ist, . . bey dem
gesunden ein krancker, bey dem schönen ein grew-
licher erfunden wird Luther l, 267; ähnlich 17, l, 22;
Socrates ist gewesen ein greulicher mensch, er hat ge-
habt einen groszen dükken köpf, hare wi sauborsten
BuTSCHKY hochd. kanzelley 232;
schöne weiber sind der himmel, greuliche, die sind die hölle
LoGAU sinnged. 462 lit. ver.;
des königs Aristons gemahlin war anfangs die greu-
lichste Jungfrau, hernach die schönste frau in Sparta
Lohenstein Arminius 2, 89*.
b) vom teufet: so cumet der tivel mit einer michelen
schar gruwelicher und eigeslicher tivele Lucidarius 61, 22
Heidlauf; aber diser gevärlichen zeit hat grewlicher
tewfel etlich fals lere und allt sect , . widerumb auf-
erweckt Berth. V. Chiemsee teutsche theologey (l852) 2;
der leidige, greuliche teufel Luther 34, l, 29, 15; auch
substantivisch:
der greulich hat dich herein getran
UiiLAND Volkslieder 2,801;
sprichwörtlich : der teufel ist nicht so grewlich als man
yhn malet Luther 29, 693; ebenso Eb. v. Günzburg 2,
eSneudr.; vgl. Wander sprichwörterlex. 4, 1068, 234; 1069,
236; sondern muss dem teufel den hyndern abermal
auf decken, das yderman sehe, wie hesslich, schwarz
und greuelich er da ist Luther i9, 262; wie gar hat
uns doch . . der teufel . . . mit dem grewlichen anti-
christ in Babel verführet Jag. Böhme sehr. (i62o) 4, 87.
c) von thiereu: cruenta bestia grulich tyr Prager ätsch.
Studien 8, 449 {aus Kaadners vocab., anf. U.jh.);
dar näh vil schiere
sah ih daz grüwelichiste tier,
daz sint oder er
ieman mohte gescowen
Strassb. Alex. 5021 Kinzel;
dat gruwelike beist Soester Daniel 203 Schmitz; das vierde
thier war grewlich und schrecklich Dan. 7, 7; karten,
deren bilder von greulichem getier: äffen, katzen und
dämonen . . zusammengesetzt waren G. Keller 6, 354;
den abgötzen Jovem, welcher doch ein greulich 'schand-
und wunderthier gewesen Rist neuer teutscher Parnasz
(1652) b";
da kam der gräuliche drach daher
Erlach Volkslieder der Deutschen 1,404;
orca ein grewlicher wallflsch im meer Calepinus XI
ling. (1598) 1000"^; etliche grossmächtige . . . und greu-
liche hund Guarinonius grewel der Verwüstung (l6lo)
1130; nach meinem abschied werden unter euch komen
grewliche wolfe {Xvy.oi ßuoeli) ap. gesch. 20,29; ein gräu-
licher bär GÖTHE 25, 117 Weim.; die greulichen katzen
Schiller handschuh; dasz die bedeutung Jür die ältere
Sprache entschiedener sein kann als im nhd., lehren bei-
spiele tvie: {der hecht) izt auch ainen andern hecht,
also gräuleich ist er von nätur und so girig auf den
raup K. V. Megenberg buch d. natur 254, 12; ez sint die
ern under in {den scorpionen) gräuleicher wan die sien
282, 20; ähnlich bei Luther prophet Habacuc (l526) diiij *>;
auch bildlich: er sprach ain frowen sin ain tiere un-
gezämpt, wild, untrüw, beweglich, unstett, grim und
grüiich N. V. Wyle translat. 52, 35 Keller; gern im ver-
gleich: wan so ist si {die sündige seele) vil grülicher et
ie chain sclange ie alder ie wurde pred. d. XIII. jh.
1, 20 Grieshaber; greulicher als ein tiger Stieler 697;
o mutter, herter dan ein steyn, grewlicher dan eyn
Wölfin oder lewin Eb. v. Günzburg 3, 35 neudr.
3) auch sonst von concreten dingen, doch ohne dasz
wie bei 1, theilweise auch bei 2, ein bestimmter sinn-
licher ausgangspunct der bedeutung erkennbar wäre;
'widerwärtig, ekelhaft':
swie schoene, swie milte, swie rlche er was,
so wirt sin fleisch ein griulich äs
H. V. Trimberg renner 24380 Ehrismann;
kein grewlicher asz dann vom menschen Friedr. Wil-
helm Sprichwörter register (l577) nr. 60; wenn einer ge-
storben ist, verfaulet .... ja solch greulich as wird,
das niemand umb in bleiben kan Luther 34, 2, 119
{vgl. 1 c);
greulichem frasz nachtrachtest du
MöRiKE 1, 79 Göschen;
levitisch unrein {vgl. greuel Alb): und wenn eine seele
etwas unreines anrüret, es sey unrein mensch, vieh,
oder was sonst grewlich ist 8. Mos. 7, 21 ; auch in heu-
tigen dialecten in der bedeutung 'ekelhaft, unreinlich'
Fischer schwäb. 3, 811; hierher wohl auch: gräulich-
machlos, m., diarrhöe Frischbier i, 251*'; auf einer
andere7i linie liegt: daz im sin ballige site mit dem
grülichen sper wart durchstochen pred. des XIII. jh.
1, 58 Grieshaber;
do man den griulichen spiez
ir kinde durch sin siten stiez
MoNK schausp.d. mittelalters 1,238;
das ist freylich das grewliche schwerd des risen Go-
liath Luther 23, 143; und scheust myr solche greuliche
pfeyl yns hercz 34, l, 313; sich ze pingen mit herinen
hemdern und mit seiln und grülichen banden Seuse
dtsch. sehr. 107, 6; gern mit religiösem einschlag:
was darf Christus, das wäre Hecht,
deiner {Amlings) greulichen latterne?
Lutherus meinung und bericht
wol bleibt der rechte kerne
Wackernagel kirchenlied 5, 168;
do . . . stalt der künig Antiochus einen schantlichen,
greüwlichen götzen auf den altar desz herren Zürcher
bibel (1531) 1. Makk. i T {v. 57); grewliche messen und
abgöttereyen Luther vom grewel d. stillmesse (i525)
Aj*»; umb der grewlichen abgötterey des Baals Mathe-
SIUS Sarepta (l57l) III».
4) von naturerscheinungen und -Vorgängen, räumlichen
und zeitlichen begriffen; die grundbedeutung 'schrecklich'
hat öfter den nebensinn 'gefährlich'.
a) von krankheit und tod:
do sprach ein weih : er nerte ouh mih
von einer griulichen sucht
ged. des 12. u. 13. jh. 109, 76 Hahn;
von wannen kommen so viel . . . durch grewliche
kranckheiten ausgedorrete weiber Barth weiberspiegel
(1565) NX*; ein solcher grewlicher tartarus {steinkrank-
heit) Paracelsus opera 1, 313 G Huser; grot water und
gruwelik stervent Magdeb. schöppenchron. 116, 30 Janicke;
vertilge den greulichen tot ackermann aus Böhmen 21, 8;
der todt ist greulich, der in nit kennet schöne weise
khigi-eden (1548) 145*; das einer lieber den grewlichen
todt leyden sollt Luther 34, i, 85; anders bei fehlendem
oder unbestimmtem artikel:
so mustu liden groze not
und darzu grülichen tot pass. K. 188,92;
derhalb forcht sie, er wer verdorben,
im meer eins grewling todts gestorben
H. Sachs 2, 257 Keller;
indigna morte peremptus eines greüwlichen tods umb-
kommen Frisius diction. (1556) 683*.
b) von dementen und Witterungserscheinungen: fewer
und wasser, die zwei stärckeste, ja grewlichste dement,
die gottlosen zu peinigen Kirchhof tcendunmuth 2, 203
Oesterley;
zu deme vierden male
quam er im grülichen vur
pass. K. 211, 19;
es hat die statt , , . fünf grewlicher bränd nach ein-
ander erlitten Seb. Münster cosmogr. 586; greuliche
und schwehre wasser-fluthen Hohberg georgica cur.
aucta (1715) 3, 390"'; tempestas saeva gräulich ungewitter
Reyher thes. (i668) 3, 1220; anno 1436 am tage visita-
tionis Mariae war ein grewliches unerhörtes weiter
Hennenberger preusz. landtafel (l595) 80; augenblick-
lich schafft sie {Juno) ein gräuliches ungewitter Ramler
einl. in d. schön, wissensch. 2, 53;
239
GREULICH
GREULICH
240
wer kann sich auch hüten zugleich
für dem grewlichen tonnerstreich
Spangenberg ausgew. dicht. (1887) 212;
über das erschrekliche ungewitter und greulichen stürm
anno 1648 Neumark neuspr. texäscher palmbaum (i668)
467; vgl.:
o du grewlicher kalter winter
H. Sachs 17, 199, 8 Keller-Götze;
ebenso adverbiell: greulich regnen, wittern, donnern,
blitzen Kramer teutsch-ital. (l700) i, 564c; swenne daz mer
in unden get und alse grüwelichen stürmet und wütet
Berthold dtsch. pred. 297 Kling; gott donnert mit
seinem donner greulich Hartmann fluchspiegel 58; in
neuerer zeit unter abschwächung der bedeutung gern in
folgender Verbindung: und sei doch ein gräuliches weiter
gewesen und kalt und nasz Fontane I 6,359; ein gräu-
liches spätherbstwetter Laube i,128; anders, mehr
quantitierend : o welch eine greuliche hitze schausp.
engl, comödianten 182, 29 Creizenach.
c) von orta- und raumbegriffen:
wie grulich was die strut
und auch des meres freis
Altswert 226, 12 lit. ver.;
ihr greuliche und stille wälder Kram er teutschital.
(l700) 1, 564''; also ward er mir in eim grewlichen wald
gestolen buch der liebe (i587) 30';
gefahrvoll ist der pfad. — entsetzlich, greulich!
Grillparzer 7, 56;
und die flammen krümmeten sich mit weichenden spitzen
jetzund an beyden Seiten, und trennten, in wellen gerollet,
sich in der mitten, ein greuliches thal!
Zachariae poet. sehr. 6, 36;
eine greuliche tiefe {in der hölle) Bodmer samml. crit.
poet. sehr, i, 5;
ein greulich loch und schwefelichter pfuhl
wird sein sein stuhl
Neumark j)oet. u. musik. lustwäldchen (1652) 7;
auch direct: ausz der grewling hell H. Sachs 8, 280
Keller; und ist ein greulich Sodoma draus worden
Luther 34, i, 76.
d) von zeitbegriffen: daz ist du grülich stunde, ab der
herze und sei erschriket Seuse dtsch. sehr. 819, 6;
es schleichen die kröten am schimmelnden grund,
gräuliche stund ! Brentano 2, 364;
sein vergangenes dasein kämpfte mit dem gegenwärtigen,
es war ein gräulicher augenblick Göthe 24, 160 Weim.;
eine greuliche nacht una notte horrenda Kramer teutsch-
ital. (1700) 1, 564*'; wollt ihr die greuliche nacht euch in
die Elbe locken lassen? 0. Ludwig 4, 66; mit religiösem
einschlug: dasz in den letzten tagen werden grewliche
zeit komen 2. Tim. 3,1; im selben sinne: sie in altera
parte Turca so greulich und erschrecklich, das sind
greulich zeit Luther 29, 616; in jüngerer zeit schwächer:
es ist eine gräuliche zeit Gentz sehr, l, 133 Schlesier.
5) von handlungen U7id zuständen.
a) neben Substantiven activer bedeutungsrichtung ; that,
unthat, mord, kämpf u. dgl. : die gräuliche that empörte
aller herzen Schlosser weltgesch. 2, 492;
{Christus) wahrhaftig uns welssaget hat
der Juden grewlich missethat
Endinger judenspiel 19 neudr. ;
grewliche unthaten Chemnitz schwed. krieg (1653) 2,445;
greüwliche schandtliche und mörderische stucke Stain-
höwel de dar. mulier. 319 lit. ver.; bei Luther häufig:
sage myr, wer hat yhe grewlicher grewel gehöret?
12, 236 Weim. ; vgl. 15, 39 ; 19, 7 ; 26, 488 ; in jüngerer zeit
mit schwächerem sinn: so entstand bald ein gräuliches
jagen ... im hofe H. Sghmid alte u. neue gesch. aus
Bayern 81 ; es ist ein gräuliches verfahren, welches die
mineralogen bei der bestimm ung der färben beobachten
Göthe gespräche 2, 106; bei näherer specialisierung der
unthat am frühesten und häufigsten von blutthaten : ein
grüliches mord Seuse dtsch. sehr. 80, 6; (Marius) hat
... zu Rom ein grewlich blutbad angericht Kirchhof
xvendunm. 2, 24 lit. ver.; ein greulich gemetzel, worin
wir siegten Göthe 83, 19 Weim.; yhr (der bau^rn) greu-
liehs toben Luther 18, 336, 13 Weim.; der krieg (ist)
das greulich wütendt übel Kirchhof militaris disci-
pli7ia(i602) i; das grewliche wöeten des höllischen feinds
erzherz. Ferd. v. Tirol spec. vitae humanae 52 neudr.;
(die Türken) verhergten drumb was sie ankamen, mit
grewlicher tyrannei Seb. Frangk Germ, chron. (i538)
82'; urtheil, gericht, strafe, namentlich, wenn sie von
gott ausgehen: die verborgenen grüwelichen urtel gotz
Schmidt elsäss. 158*' aus Tauler; wer es (das wort)
verschmöcht, der wirdt greulicher urteil Gnden, dann
Sodoma und Gomorra Eb. v. GOnzburg 3, 119 neudr.;
mit kurzen Worten sprichet got, sin griuwelich gerihte
sol vollen gän
Rumslant hei v. d. Hagen minnes. 3, 57';
sie würdn ein grewlich strafe tragn jedermannes jammer-
klage (1621) B 1111»; gräuliche höllenstrafen Gaudy 2, 121;
hoffe ich dasz aus dem . . . Studium dieses büchleins
sich keine ketzerische Albigenser hervorthun und zu
ihrer so greulichen als gerechten bestrafung das fromme
Jahrhundert aufrufen werden Göthe IV 38, 273 Weim.;
der religiöse einschlug des grundivortes (vgl. greuel A s c t^)
icird fühlbar neben begriffen loie sünde und laster: so
vil grewlicher unnaturlicher sunde Agricola 750 teut-
scher Sprichwörter (1534) F VI''; namentlich im älteren
nhd. sehr häufige Verbindung; auch adverbial: sich
greulich versündigen Kramer teutsch-ital. (1700) i, 564"=;
greuliche, greuliche frevel, die bis zum himmel hinauf-
stinken Schiller 2, lOi; das ist yhe grewlich unrecht
und Widder gott Luther 18, 331 Weim.; so yhr doch
... 80 grewlich widder seyn recht thut und lebt 307;
werden euch andere grüliche laster furwerfen Alberus
widder Jörg Witzeln Mi''; aber verlarvtes laster ist
greulicher im äuge des groszen kenners im himmel
Schiller l, 64; das grüwenliche laster der trunken-
heit Staub- Tobler 2, 835 (quelle von 1584); mit greuel
A 3 c /S vergleicht sich grüwliche Unzucht zum ofter-
mahl getrieben würdt Reutter v. Speir kriegsord-
nung 13; Wieland, den wir anfangs aus honettetät ein-
luden, hat sich gräulich prostituirt und schlecht emp-
fohlen Göthe IV 7, 102 Weim.; greuliche habsucht
Arndt 6, 96 Rösch- Meisner; inscitia prodigiosa grew-
liche, schreckliche grobheit Faber thes. (i587) 651';
man rechnet einem oft als greuliche Unverschämtheit
an, was nur die zarteste scheu vor überhebung ist
Raabe Horacker (1876) 69; wir übten so . . . schon als
knaben den greulichen undank Holtei vierzig jähre
I, 86.
b) nicht ebenso häufig hieben Substantiven passiver be-
deutungsrichtung; Untergang, leiden, marter u.a.: also
ist der engel fall darumb so grewleich und schrecklich
theatr. diabol. (1569) 21 '' ; an der rebellischen pauren grew-
lichen und schrecklichen Untergang B. Krüger spiel v.
den bäur. richtern 4; eine greuliche niederlage foeda
clades Apinus gloss. nov. (1728) 369; es müsz . . . mit
disser . . . weit eyn greulich, erschrecklich ende haben
Alberus buch v. d. ehe (1536) Gij'; so haben sie darmit
allein inen ein grewlichen fluch auf ire häupter ge-
laden Fischart discours (1589) G III''; armuth, gräu-
lichster fluch Hebbel briefe 2, 261 ; knecht der armuth,
gebeugt unter der greulichen noth Arndt 6, 23; dasz
er mich in eine greuliche abhängigkeit versetzt For-
ster 9, 32; es mag wol sin, daz liden ein unmessiges
gut ist, da es . . . nit als grüwlich und als ungehört
ist Seuse dtsch. sehr. 248, 29; an solcher grülichen un-
menschlichen marter Hedio chron. germ. (l530) III'; greu-
liche pein leiden Khauer teutschital. (1700) 1,564''; got
wurde . . . die stadt mit mancherley grewlichen plagen
angreiffen Alberus fabeln 20 neudr.; darausz erfindet
sich offenbarlich die aller höchst und grewlichst verfüe-
rung H. V. Cronberg 139 neudr.; wann gott kompte
mit greulichen anfechtungen Tauler sermones (1508) X';
ein lästerliche und grewliche verderbung des mensch-
lichen geschlechts Bech Agricola (i62i) 7; der krieg
richtet greuliche Verwüstungen an Heinse 4,396; die
gräuliche französische umkehrung und Verwirrung (re-
I
241
GREULICH
GREULICH
242
volution) Arndt sehr, für ii. an s. l. Deutschen l, 233;
da sie {die bibliothek) m greulicher Unordnung ... ist
.1. u. W. Grimm briefw. 243; von diesem gräulichen
drunter und drüber gehen Gramer Neseggab l, 162; oben
das greuliche durcheinander ist die ermordung des
ersten Lehniner abtes Fontane I 2, ii.
c) neben allgemeineren attsdrücken des geschehens und
des zustandes; Vorfall, tinfall, geschichfe, ding, sacke:
wie tätig und durchgreifend er bei dem greulichen
Vorfall gewesen Mörike 3, 83 Göschen; die greuliche
scene, die maceration des leichentheiles jahrb. d. Grill-
parzer gesellsch. 3, 240; das grewlichste spectacul, so je-
malen für ewren äugen kommen schausp. engl, comöd.
34, 1 Creizenach; hörte er nur von den gräulichen be-
gebenheiten des tages reden Klinger 8, 250;
darnach hfib sich grosz mishelle
und ein gr&lich ungevelle
higtor. Volkslieder 168 Lilien er on ;
o Unfall schrecklich, wild und grewlich
.Spangenberg-Fröreisen griech. dram. 2, 105 Ut. ver.;
und da kann zum exempel der letzte wurf eine gräu-
liche catastrophc anrichten Gleim briefw. 2, 206; das
geschehene als berichtetes: schreckliche, grewliche gc-
schichtc Luther 34, 2, 234 Weim.,-
eine grosse und grewlich geschieht
von einer mfittcr ich beiicht,
welche sich legt zu ihrem son
. Schümann nachtbüMein 203 Balte;
sind grcwliche zeytung eintreten Güttel evang. war-
hegt (1523) A II*; dass man ihnen solche groiiwliche
ding von unserem land fürgebildet Staub -Tobler 2,
835; denn was kan grösser, greulicher ding seyn, denn
gotts willen ungehorsam seyn? Luther 19, 198 Weim.;
o es ist ein greulich ding umb ein weltweisen man,
der in seiner kunst . . . ersotlen ist Franck sprich-
u-örter (1541) 2, 164"; es ist eine gräuliche sache um
das Visiten geben Gleim briefic. 2, 28;
.Tupiiiter das seind grewlich Sachen
die eim vertreiben bald das lachen
FisciiAUT flöhhatz 4, 43 neudr. ;
eine greuliche sache! ein greuliches wesen! gran cosa!
r forse cascuto il cielo? Kramer teutsch-ital. (1700) i,
564'"=; es ist fast yedermann . . . den geistlichen umb
yhr grewlichs wesen . . . feind j;cwest Luther 26, 617.
d) darüber hinaus namentlich in jüngerer zeit in
hunter Verwendung: sonst richtete die auf die theologio
übertragene dialektik ein greuliches schisma in diesem
Zeitraum unter ihren Verehrern an M. J. Schmidt gesch.
iL Detttschen 3, ild; denken sie sich die gräuliche Stati-
stik: in Chalons, einer stadt von 12000 einwohnern,
gibt es nur eine einzige miethkutsche Bürne 9, 18;
was so eine musik von einem Pulkkosaken gesungen,
für eine gräuliche Wirkung thun müsse Schubart äs-
thetik d. tonkunst 246; auszerhalb der einen macht, vor
der nichts selbständig sich gestalten kann, ist nichts
vorhanden als gräuliche willkühr Hegel 9, 104; gern
im sinne des kiitistwidrigen, fehlerhaften: nun spielte
ich . . . mit dem gräulichsten fingersatze R. Wagner
5, 1 ; unerachtet der gräulichen stelzenpoesie Schubart
leben u. gesinn. i, 26; ein gräuliches persicirendcs grie-
chisch Ave-Lalle.mant gaunertum 3, 59.
c) adverbiell:
<c) die verba entsprechen z. th. den Substantiven unter
a tmd b:
die Prediger und die diener dein
wollen sie grewlich schlachten
J. Jonas bei VVackernagel kirchenlicd 3, 44;
wurden auf einmal 14 brüder grewlich von inen er-
schlagen Nas antipap. eins u. hundert 2, G VIT-"';
das (sc. bild) er gruwelichen sluc
mit scharfen geisclen genuc pass. K. 21, 38;
endlich haben sie ... den bojaren . . . überfallen und
greulich geschlagen Olearius verm. reisebeschr. (1696)
134; zu der dritten male sluc jenre gruwelichen an di
ture mijstiker l, 91, 12 Pfeiffer; er klopfet greuwlich an
IV. 1. 0.
die thür buch d. liebe (i587) .361*; jemand greulich mit-
fahren, plagen, martern, zerfetzen, umbringen Kramek
teutschital. (l700) 1, 564"; und handelst grewlich mit mir
Hiob 10, 16; es wart aber seiner verdienstnüs nach
etwas greulich mit im gehandelt L. v. Eyb Wilw. v.
Schaumburg 155 lit. ver.; greulich mishandeln Ranke
reform, gesch. 4, 237; greulich behandeln Göthe IV 39,
66; o wie greulich wirt mann mit im umbgehn que
fuiura exempla fient in eum indigna Alberus (1540)
D d iij»; das alles das, was die weltliche oberkeit nit
straffet, gott ... als der grewlicher heimsucht Mus-
culus hosenteufel 14 neudr.; {kaiser Otto) straft auch
gar greulich die Römer städtechron. 3, 67; anno 1524
. . . ward . . . der prior grewlich gepeiniget Hennen-
berger prettsz. landtafel (1595) 44; indessen quälte
mich aber das ungeziffer so greulich Grimmelshausen
Springinsfeld 2, 45 Keller; min rechter vüz (was) dur-
graben und min lingger grüwlich durhöweu Seuse
dtsch. sehr. 210, 19;
{Paris) dargegen aller zucht und ehr
mich grewlich hat verletzet sehr
Spreng Ilias (1610) 36'';
vil teuflischer tier die rissen und zerten die seien gar
grewlich Stimmer teil d. lieyligen leben (1472) VII*; die-
weil graf Riolin das land Careches abermal grewlich
verwüstet buch d. liebe (1.587) 104''; das Buschmannsweih
habe ich . . . betrachtet, aber nicht lange, jedoch mit
diesen wenigen blicken mir schon die einbildungskraft
gar greulich verdorben Göthe IV 84, 52; von kämpf
und streit:
dö lief in der rise gar griullchen an
Rosengarten A 199, 2 Holz;
später mit ganz veränderter bedeutung: so prophecey
ich dir das gewys, das du gar greulich und ungeschickt
wirst anlaufen Hütten opera 2, 190, 36; es gäbe welche
{männer), bei denen sie greulich anlaufen würde Haupt-
mann ges. werke (1912) 2, 328; grassari greulich zu streit
gan DiEi^ENBACH nov. gloss. 197*; horrihiles custodias
alicui circundare . . . einen greuwlich verwaren Fri-
sius diction. (1556) 223*; degrassor grewlich anfallen
Calepinus XI ling. (1598) 386*;
die hund auch grewlich nach uns schnapten
FiscuART ßijhhatz 20,628 neudr.;
icii habe gehört, du hast die wipper grewlich abge-
schmiert discurs von den itzigen zustande der kipper u.
wiijper (lG2l) B II*; Frotho . . zeucht aber greulich den
kürtzern Lohenstein Arminius 2, 782.
,i) alt ist eine quantitierende bedeutung des adverb.,
neben der die characterisierende ganz zurücktreten kann:
er . . . rant als greulichen, das es erscheyn, als oh
inen der hagel jagt Aymont (1535) k4''; der ie reich
wil werden, . . . dem laszt er {gott) reichthumb wider-
fahren, denn er hat greulich darnach gestellt und dar-
nach beide gebetten und gerungen schöne weise klug-
reden (1548) 104*; welcher nunmehr entschlossen wäre,
die mahlzeit anzustellen, darauf wir uns bisz daher so
gräulich gespitzet hatten Zend. \. Zendoriis jcinter-
nächte (i682) 136 ; nachdem wir gestern greulich gesoffen
Warnecke poet. versuch (1704) 195; fing er an, aufs
greulichste zu renommiren Lev. Sghücking an A. v.
Droste-HOlshoff briefe 37; vgl. greulich bluten Krk-
UV.K teutsch-ital. (1700) i, 564"; gräulich schwitzen Gott-
sched dtsch. Schaubühne 6, 415; ich muszte doch greu-
lich danach husten Storm 6, 209.
g) von empfindungen, meinungen, äuszerungen.
a) neben ausdrücken des affects: gottes zoi'n so schweer
und greulich Luther 28, 17 Weim.;
wie ist sein zorn, der in den äugen flammt,
zugleich so lächerlich und gräulich
Brockes ird. vergnügen 4, 162;
welches . . . der grewlichste hasz ist under den man-
schen MoscHEROSCH insomn. cura 31 neudr.; einen
feyndtlich und greuwlich hassen Frisius diction. (1556)
909*; mit grulicken frochten Soester Daniel 159 Schmitz;
weil sich der römisch hoff so grewlich für einem freyen
16
243
GREULICH
GREULICH
244
cöncilio furcht Luther artickel (1638) Aij'; abominor
ein grewiich abscheuhen tragen Calepinus XI ling.
(1698) O**; es würde mich greulich kräncken Weise d. drei
ärgsten erznarren 166 neudr.;
denn stets an einem weibe nagen
ist ja ein greulicher verdrnsz
Henkici ernst- scherzh. «. sat. gcd. 2, 121;
es würde mich greulich schmertzen, wenn ollapatr.
38, 12 neudr.; sich greulich schämen Günther ged. 982;
einen greulich erschrecken Kramer teutsch-ital. (i700)
1,564°; erschracken sie gar grewiich all Frey garten
gesellachaft 188, 11 Balte; die bedeutung geht theihceise
ins quantitierende über, s. o. 5 f ß.
b) irrthum, lüge, betrug u. ä.: darüber er zugefahren
und allerley grewliche irrthumb und secten erreget
Krüger aktion v. d. anfang u. ende d. tvelt (1580) AIII'';
die vier lateranensische koneilien .... wodurch . . .
ihre Universalmonarchie und viele greuliche irrthümer
zu glaubenslehren gemacht wurden Juno-Stilling 3,
329; geirrt hast du dich, o irdischer Aristipp! gräulich
hast du dich geirrt! Heinse 3, 28; solche grewliche
teufelische greifliche lügen Luther 18, 261, 40 Weim.;
de gruwelichsten lögenen und affgaderye Rotmann re-
stitution 16 neudr.; wer heiszt es nun dem herm Dusch,
auf die rechnung der astronomen ... so greulich zu
lügen Nicolai liter. briefe 2, S33; solch ungeschwun-
gener grewlicher grosser betrug Luther von der vdnkel-
wiCÄse (1533) Fiiij*; es sey die aller grewlichst ketzerey,
so yhe gewest ist 26, 342 Weim.; ich weisz zwar, dasz
es greuliche narrentheidungen seyn Prätorius aben-
fheuerl. glückstopf (1669) 20; er verspottet darin ... die
gräuliche thorheit des römischen voicks, das von allen
dingen blos nach dem äuszerlichen ansehen urtheilt
Ramler einl. in, d. schön, ivissenach, 8, 148.
c) schwur, fluch, schelttvort u. ä. : (er) vorpflichte sich
rait grewlichen oyden zu einem eygenen knecht dem
bapst Luther 6, 42i Weim.; mit gruweliken eede und
sacrament Soester Daniel 166 Schmitz; ich hab erst
auch ein grewlichen . . schwur gehört Schwentf.r ste-
ganologia 28; als nun der wirth heftig leugnete und sich
darzu grewiich verschwur, er wolte desz teufeis seyn
NiGRiNUS V. Zauberern (1592) 6; ein greulich unchristlich
leste^n Luther auf das ubirchristlich buch (1521) Diij";
sie fluchten und schwuren so gottslästerlich, so grau-
sam grewiich Mosgherosch gesichte (l650) 2, 340; bey
den Engländern hingegen höret man die greulichen
fluche und herzhaften Schimpfwörter J. E. Schlegel
3, 264 ; debacchor conviciis ich schelt greulich, rieht übel
ausz Albeuus (i540) xxj**;
diu griuwelichen Scheltwort
treip der klagebsere
KoNR. V. Würzburg Parton. 17604;
da fieng das alte weib an so greulich zuscheiten und
zufluclien Krüger Claicerts tcerckl. hist. 29 neudr.;
gräuliche schimpf- und drohworte G. Keller 5, 850; die
erst auslegung . . . drouwet uns greulich umb unsere
Unachtsamkeit gotes Tauler sermones (1580) registerNl^ ;
wie hat er (Faust) doch im schiffe neulich . . .
auf seinen gott gezankt so gräulich
Lenau 447 Reclam;
greuliche worte reden detesttmda verla proloqui Stie-
ler 697;
redet nicht so grewiich wie vorhin,
denn ir habt hie ein red gefürt
die rechten Christen nicht gebürt
Dedekind papiata convcreus (1596) 114»;
anders:
vom fegfür und von allem bösen,
darvon man doch so grüwlich redt
N. Manuel vom papst u. s. priestersch. v. 11;
do hin die greuliche lere (crudele dogma) des kuniges
gekumen was, do was grosse klage bei den Juden
Wenzelbibel Esther 4, 3; das ist eyn grewliche leher
Luther 84, l, 29 Weim.; hast du jemals dies gräuliche
wort: verhungern! recht überdacht? Gerstenberg
ügolino 245, 29 Hamel; exercet in me calami rabiem er
schreibt greulich widder mich Alcerus diction. (i54o)
11"; die Wittemberger werden aber greulich widder
euch schreiben xcidder Jörg Witzel L 2*'; wie wol wurd
es dir gefallen, wan dich einer in einem sölichen hes-
sigen und greulichem buch wolt lernen erkennen und
dich eren Carlstadt abthuung der bylder B 8*.
7) adverbiales greulich iieben adjectiven. das adv.
kann lediglich characterisierenden sinn haben: die greu-
lich weisze zeit der jähr (das alter) Treuer dtsch. Du-
dalus 1, 74; aber schon früh verbindet sich mit der be-
deutung 'zum erschrecken, gefährlich, unangenehm' >anehr
oder minder deutlich eine andere rein quantitierende
'sehr, in hohem masze' :
diz was ein grulich scharfer dorn
pa9s. K. 84, 70;
die clawen daran sind grülich scharpf und starck Myn-
SINGER von den falken 7 lit. ver.; (die anfechtung) gehet
itzt zu unsern zeiten greulich starck und gemeine Lu-
ther 28, 24, 7 Weim.;
und schisz ins bctb so greulich übel,
als hett man drein geschütt mit kiibel
Fischart Eulensp. 96, 2057 Hauffen;
sie ist so greulich heszlich nicht ella non e giä tanto
brutta Kramer teutsch-ital. (l700) 1,564«; ha! das mägd-
lein ist greulich verständig ollapatrida 240, 80 neudr.;
es ist greulich kalt schausp. engl, cotnöd. 182, 22 Crei-
zenach; das, was er schrieb, ist so greuüch trocken
Caroline l, 260 Waitz; de fisch sunt grauwellig dür
Schütze holst. 2, 64; auch Dähnert 163 utid Danneil
71"' vermerken diese steigernde bedeututig; greifbar ist der
rein steigernde character des adv. neben adj., deren sinn
die ursprüngliche bedeutung von greulich ausschlieszt: sie
ist greulich schön, greulich holdselig ella e la dea della
bellezza, delV amore Kramer deutschital. (1700) l, 564«;
gräulich hübsch oberhess. wb. bei Estor teutsche rechte-
gelahrtheit 8, 1409; seynd wir nicht so greulich lustig
auf der Lobte gewest Schoch studentenleben (1657) Fö";
meine braut hat mich greulich lieb Arnim 4, 68; das
hat früh ividerspruch gefunden: wie ungereimt klingt
es doch wann man sagt: schrecklich lustig, greulich
schön Harsdörffer frauenz. gesprechsp. 4, 397, lebt
aber im dialect noch heute: greulich schön Fischer
Schwab. 3, 811; das ist ja ein gar gräulich schön mäd-
chen Vilmar 185; gern neben reinen quantitätsbezeicJi,-
nungen: ihr bild ech groilich vil ey Gryphius dorn-
rose 290 Palm; ein junges frauenzimmer, welche . . .
mit gar greulich viel liebesbriefen angefochten wird
Gottsched vernünft. tadlerinnen i, 853; greulich viel
volck Kramer teutsch-ital. (1700) i, 564 <=; grouwelik veel
geld brem. wb. 2, 551; grauwellig vel Mi 29»; das ist eyn
greulich gros volck Luther 17, i, S84; du bist ja gräu-
lich grosz geworden Vilmar 135; grüwwelik graut sehr
grosz Strodtmann osnabr. 77; auch das adj. hat vor
grosz vielfach den steigernden sinn des adverbs: sonsten
findet man auch in Preussen . . . greuliche grosse eich-
bäume Prätorius anthropodemus l, 6i; solcher wilden
gänse einer greulicher groszer anzahl sey in den mitter-
näch tischen örtern winterflueht d. sommervögel 16; neben
anderen quantitätsbegriffen seltener: greulich grosz, weit,
lang, hoch Kramer teutsch-ital. (1700) i, 564"; ein greu-
liche lange zeit Luther über das erste buch Mose (1527)
Yiiij*; nach X. ists noch greulich weit Fischer schwül.
8, Sil; grillig dick Schambach 69; die ivendungen greu-
lich viel und gr. grosz haben substantivische parallelen :
deme sofort eine greuliche mänge von spies- oder wurf-
pfeilen folgte A. U. v. Braunschweig Octavia i, 168;
man finde deren einige (cedern) sehr alte und greu-
licher grosse D. v. Stade erläuter- u. erklärung (l7li) 60.
8) greulich in verbalen Verbindungen.
a) greulich (aus)sehen: horribilis vel horridus aspectu
der greulich sihet Alberus (1540) odiij";
das vieh sieht greuwlich nur allzeit,
mit menschen hat es andern bscheid
Fischart Eulenspiegcl 26, 392 Hauffen;
ein seltzam pferd . . . , welches sye ein ochsenkopf ge-
nannt haben, entweder das es so greulich gesehen, oder
I
j
245
GREULICH
GREÜLICHKEIT
246
so ein . . . ochsenkopf hatte Eppendorfp Fliniua 8, 75;
dagegen 'kränklich, blasz': der junge, das mädel sieht
recht greil'ch aus Möller-Fraureuth l, 437; daher sie
auch ganz blasz und greulich aussiehet Lehmann Schau-
platz der natürl. merkwürdigkeiien im meiszn. Obererz-
gebirge (1699) 775.
b) sich greulich stellen, erzeigen, alem. wendung:
saevio wüten und grausam seyn, sich greüwlich und
lätz stellen Frisius diction. (i556) 1173^; crudelitatem
in aliquem adhibere sich greüwlich stellen und erzeigen
34"; als sie nuhn desz meidlins alle lachten, wäre einer
da, zog das wehr ausz, stellte sich greulich, als wolte
er es itzo umbbringen Zinkgref apophthegmata{XGZ&) 338;
er sey willens west, sich vil greulicher zu stellen Knebel
chron. v. Kaisheim 444 lit. ver.;
wan wir (die teufel) uns schon erzeygten greulich
mit kloen, hörnern gar abscheulich
Fischart jesuiter hütlcin 231, 55 Hauffen;
c) greulich thun : ne saevi tantopere thue doch nicht
so grewlich Cokvinüs /ons latin. (1646) 36; greulich um
etwas thun disperarsi, far' il diavolo, arrabbiare per
qualche cosa Kramer teutsch-ital. (1700) 1,564«; alse Euse-
bius sterven solde, do bcgunde Eusebius so gruwelike
unde so vorverlike to done, dat alle de monike mit anxte
so vorveret weren Schiller-Lübben 2, i6i; dagegen
'sicJi traurig zeigen' : sein weib aber gieng mit der leicht,
Ihet grewlich, weinet sehr, hielt sich so übel umb den
gestorbenen man Bebel facetien deutsch (1558) Mi'^; in
den heutigen maa. mit stark schwankender bedeutung:
bair. grosze angst, groszes Iddwesen an den tag legen
Schmeller 1, 981, doch auch: mit fremder leute kindern
kann sie greulich (affectiert) thun, die eignen schaut sie
gar nicht an ebd.; schwäb. ausgelassen sein Fischers,
811 ; liess. sich sehr traurig oder auch sehr entrüstet, sehr
überrascht anstellen Vilmar 135.
d) etwas greulich machen: so mus man mir doch
nachgeben, das . . . man die helle . . . nimmermehr so
heslich scharf und grewlich machen kan, sie wird noch
viel schrecklicher . . . und betrübter sein Ringwaldt
Christi. Warnung AVII''; der fuchs beschmeiszet und
beseicht ihm (dem dacJis) seine gruben inwendig und
macht sie ihm so greulich und unrein, dasz er nicht
wieder hinein begehrt Colerus hausbuch 433 (vgl. greu-
lich 'ekelhaft' 'S) ; dann auch als redensart: das streycht
der Stattschreiber hie treffelich aus und kan die sach
greulich machen iveisz die sache als gefährlich, schlimm
hinzustellen Blaürer briefw. 1, 373.
e) mir wird greulich mich ergreift schrecken, entsetzen:
und übe mich also mein leben lang mit dancksagung,
das es mir nit greulich werd in dem bittern tod Luther
7, 254 Weim. ; es rumorte heftig in allen ecken, der frau
ward greulich und schauerlich Grimm dtsch. sagen 1,
115 ; du hast dir den doctor in den köpf gesetzt . . . mir
wird greulich, wenn ich daran denke Freytao hand-
schrlft 3, 75 ;
mir wird ganz greulich vorm gesicht
GöTHE Urfaiisl 291;
ich bii ganz greil'ch wur'n v'r schreck Möller-Frau-
REUTii 1, 438 ; wo in älterer spräche die icendung persön-
lich gebraucht wird, hat sie andern sinn: sie sind ver-
derbet und grewlich worden in yhrem thün (endgültig:
sind ein grewel mit irem wesen) Luther bibel i, 46i
Weim. (ps. 14, i var.) ; der gottlosz sagt, es ist kein got,
und sie seindt in irem wolgefallen zertrent und greu-
lich worden Eb. v. Günzburg 3, 115 neudr.
f) etwas ist mir greulich erregt schrecken, abscheu:
gruolich und ungestalt
was sie (die sätde) uns vil manche zit
poet. bearbeitung d. Daniel 980 Hübner;
er dan Kristus gestarp . . . , do was der tot hezlich und
grüwelich allen den menschen mystiker 1, 118, 29 Pfeiffer;
er spricht als die forchtsammen knecht, den kein künf-
Irge verheissung grulich oder schwer ist Terenz deutsch
(1499) Lxxv'» glosse; ein wurm bin ich und nicht ein
mensch, scheusälig den leuten und greulich dem volke
Freytag 9, 87; gelegentlich auch mit präpos.: gegen den
ungestümmen tyrannen greulich und den gütigen freundt-
lich seyn Amadis 36.
g) etwas ist greulich zu sehen, zu hören, zn sagen :
greulich anzusehen seyn Kram er teutsch-ital. (1700) l,
564°; rancidus aapectu^ %v&nvf\kGhi\g, greüwlich und un-
lieblich anzesähen Frisius diction. (i5ö6) lll5'>;
o vielbegehrter, lieber todt,
du bist zwar greulich anzusehen
JoH. Rist bei Fischer-Tümpel, 2, 209;
syn licham, dat van abstinencien also mysmaket unde
eyslyck was, dattet gruwelick was to seyne Schiller-
Lübben 2, 161 ; es ist gräulich an zu hören narratio
horrorem parit Steinbach 1,636; das ist greulich und
erschrecklich zu hören Luther 24,97 Weim.; alem.:
greüwlich und unglöublich zesagen immane dictu Maaler
192*; vil andere ding, das gruweliche were zu sagende
KÖNIGSHOFEN chronik 434, 27 Hegel; (die Hussiten) tribend
vil unchristliche sachen, davon grülich ze sagen wSr
TscHUDi chron. helvet. 2, 90.
h) es ist greulich:
[Herodes gebot) daz man si elliu erslftc.
daz was gröwelich genuc
ged. d. 12. «. 13. jks. 82, 48 Hahn;
wan sye schon rein bleyben, geschieht doch so viel
afterreden, das es greulich ist Luther 9, 585 Weim.;
wenn wir ... so abziehn,
da sieht es aus wie furcht, und das war gräulich
FouQUE alteächs. hildersaal 1, 198 ;
dialectisch ■■ mit dem menschen ists greulich er macht
einen streich nach dem andern Fischer schwäb. 3, 811;
mit abhängigem satz oder infin. : so ists noch grewlicher
und scheusiicher, wenn du sihest, das Luther 16,82
Weim.; es ist gräulich zu insinuiren, die toleranz sey
gefährlich Gramer Neseggab 2, 65; in jüngerei- zeit gern
im ausriif:
ja, es ist abscheulich, greulig!
W. Busch heil. Antonius (1870) 4;
o gräulich! gräulich! o zum entsetzen 1
TiECK sdir. 3, IIG.
GREULICHKEIT, /., im mhd. noch selten, im 16. jh.
literarisch reich entfaltet, dann schnell zurückgehend.
l) bedeutung und gebrauch des Stammworts greulich
erscheinen bei dem subst. wieder: crudelitas Diefenbach
169"; feritas 220"=; ferocitas 231*; severitas 6Si^; sevitia
ib. ; torvitas 590* ; atrodtas nov. gloss. 40'' ; dintas Frisius
diction. (1556) 422''; truculentia gemma gemm. (1508) Gl";
immanitas Kirsch com. l, 159";
{der bauer) sluoc mit selber griulicheit
an die müre ein s6 mehligen slac,
daz sie ganz und gar gelac
H. V. D. TÜRLIN ti-one 14304;
als menschliclie eigenschaft meist in der bedeutung 'bos-
lieit. grausamkeit' (vgl. greulich 2 a): sol ich denn den
todt . . . entrunnen seyn, damit ich ärgers dann den
todt durch meiner freundin und bulschaft greuligkeit er-
dulde? Äinadis 151 Keller; stach den vögeln ... die
äugen ausz, nit ausz grewlichkeit, sonder wie die kin-
der nach den kindlin in die äugen stupfen Fischart
geschichtklitt. 198 neudr.; aber nach erobertem sig . . ,
ist ein erbärmlich ding, wo man die überwundnen tödt
und mer ein anzeigen der toiheit und grewligkeit als
der tugent J. Frontinus von den guten räthen i2^; wenn
man ja zu die greuligkeit, greszligkeit und grausamkeit
der so vermeynten riesen oder tyrannen . . . die grosz-
heit des leibes setzet Prätorius anthropodemus pluton.
(1666) 2, 209; sprichwörtlich: greulicheit hat nicht vil leut
Skb. Franck sprichio. (1545) l, le"; wann so gesehen
ist die macht und grewlicheit der wütrich (visa potentia
et crudelitate tyrannorum) offenbar, der heil. Birgitte
(Nür7ib. 1502) 4, 129; diese Verbindung von greulichkeit
und tyrarmei ist stehend: die czal seiner jar die ist un-
gewiss seiner greulichkeit (numerus annorum incertus
est tyrannidis eins) Wenzelbibel Iliob 15, 20;
16*
247
GREUPER
GREUSAL — GREZEN
248
die unmenschliche grewlichkeit
iler beiden gottlosen tyrann
gegen Christum aufs new entbrann
Kirchhof ivendunm. 3,401 lit. ver.;
lere öde land und leut
macht der tyrannen greulicheyt
See. Ii'ranck gprichtv. (1545) I, IC^»;
dazumal seind die Türeken also auf komen und also
in ein unsägliche anzal und greulictikeit gewachsen wider
die kirchen gottes chronica u. beschr. ä. Tiirckey (l530)
B ii"^ ; de Dithmarschen leihen sick dar sehen mit groter
growelicheit Schiller-Lübben 2, 161 ; vom teufel {vgl.
greuhch 2 b) : führe uns nicht in Verfluchung, sondern
ergib dich dem bösen, denn dein ist sein reich und die
kraft seiner greulichkcit Opel-Gohn clreiszigjähr. krieg
32 ; vo7n tod (vgl. greulich 4a) ; Tan gruwelicheit des dodes
Schiller-Lübben 2, 161^; bei tieren im sinne 'bosheit,
'Wildheit' (vgl. greulich 2 c) : da Hessen sy (die tiere) alle
ir greulikeit heiligen leben in dem winterteil (1471) 25'';
etlichen hunden ist es angeborn, daz sy nit ausz greu-
licheyt sunder ausz gwonheyt bellen M. Herr sittl.
Zuchtbücher (i53G) 149^; dass aber die schlangen . . .
ihre natürliche greuwlichkeit ablegen und sich fangen
lassen Nigrinus von Zauberern (1592) 105; in anderen
fallen mehr zur bezeichnung des äuszeren eindrucks (vgl.
greulich l a) : do vluhen die brudere alle von der grüwe-
lichkeit des tirs (eines lüicen) myst. l, 2ll, 15 Pfeiffer ;
und wäre das in ain mensch sölt sehen in seynem rech-
ten bilde, flaisch und bain zerstube alles von der greu-
lichayt Tauler sermones (1508) Gl"; die greulichkeit
seines gesiebtes truciilentia vultus Stieler 698; anders:
die greulichkeit der s,\\nAQ jpeccatorum deformitas ib.; den
(namen) nimmermehr kein Christ wegen seiner greulich-
keit vor sein maul*. . . kommen lassen solte Grimmels-
HAUSEN 4, 691 Keller; das er wölte das zerknütschet ror
mit seines urtels greüwligkeit nit zevollen zerbrächen
JOH. Stumpfe Jcaiser Heinrichs IV. historia (1556) 79=^;
greulich 'hüszlich' (s. 1 a« ; 2a) entspricht: distortia hesz-
lichkeit vel grauwelichkeit Diefenbagii 187<'; öfter auch
glossiert mit indignitas: uneerligkeit , ungebürligkeit,
schand, uneer, greüwligkeit Frisius diction. (1556) G83»;
eigen: ingluvies grulieheit Diefenbagh 298*^.
2) auch zur bezeichnung von zuständen und handlungen,
dann dem sinne des subst. greuel nahekommend: dann
gottloser und verruchten menschen einigkcit in argen
und bösen sachen ist kein freundligkeit, sondern viel
mehr ein grewligkeit Jac. Gretter ej;. a. d. Eömer (i5G6)
764; es sint auch die Heliopolitaner ... in ein solche
grulikeit gefallen . . , das sy die frummen schamhaften
junckfrowen . . . haben gar nacket ausszogen Hedio
chron. german. (1530) 173 **; vom treiben einer hexe: dieser
übergräulichen abgötterei und abgöttischen greulichkeit
habe ich den leser deszhalben erinnern sollen Prä-
torius blocksberg 244; nach dem sie viel statt, land
und örter . , . mit viel und grossem schaden, plünde-
rung, todschlag, raub und unerhörten greuwligkeiten be-
schädigt Adam Reiszner historia Frundsbergs ill''; die
meisten fluchten auf die that (die einüscherung Moskaus)
als auf eine schauerliche greulichkeit Arndt l, 141 Bosch-
Meisner; in denselben verbalen Verbindungen ivie greuel
(vgl. greuel 7e):
billich, wer grewlichheit thüt üben,
an dem wird grewlicheit getrieben
Fischart flöhhats 1205 neudr.;
sich nit die strafen und grewlichkeit, so gegen den re-
ligionsverwanten geübt zu werden pflegten, abschrecken
Hessen Frisius narratio defuroribus Gallicis (i573) AS";
do ertellede de hertoge, wo de Pamern sollike unminsch-
Hke gruwHgkeit an eme und synem lande hedden be-
gan, de men sust ny gehört hadde Kantzow chron.
V. Pommern 32 Böhmer; an greuel 'unrat' (s. Ale) er-
i7inert:
du erblaster freund, du bist aus dem thal gestiegen,
welches koth und greulichkeiten allenthalben bey sich führt
Henrici ernst- scherzh. u. sat. gedickte 1, 173.
GREUPER, m., 'sind kleine erzstufen in der grösze der
wallniisse' Jacobsson technolog. wb. 2, löo"»; zu graupe.
GREUSAL, GREUSEL, n., s. gräusal; greuseln, vb.,
s. gräuseln.
GREUSEL, m., seltenere neben form zu grensel gemeiner
portulack, portulaca oleracea (sp. llö) : sawbon, greusel
Lonicerus kräuterbuch^i^^ ; Nemnich ivb. d. naturgesch.
209; Holl 135'^; die greusel Grassmann nr. 226.
GREüSING, in., potentilla anserina, günsefingerkraut
ToLLAT V. Vaghenberg margarita medicinae (1516) 25'.
GREUSLIGH, GREÜSENLICH, s. gräusHch.
GREUSSELREERE, /., auch grosselbeere, la groseille
verte, Stachelbeere Schwan 7rouv. dict. (i783) i, 789*.
GREUSZ, m., umlautbildung zu grausz (s. d.), mhd.
grüz.
1) von erdarten: greusz te7-ra sicca, cinerea vocab. rei
numm. (i558) 0 4"; greus, graus taube erzerde Jacobsson
technol. wb. 2, 150^; vgl. greuszi, n. (auch greupi) eine
ader ganz unfruchtbaren erdreiehes in einem sonst guten
boden Stalder 478.
2) grütze, ivohl auch in lueiterem sinne von dem klein-
kram des gräuszlers (s. d.) : wan einer etwasz kauft, es
sei greisz, harr oder andere sachen österr. weisth. 6, 190,
18; grewzz tirol. weisth. l, 93; farrago grewzz, grews
Diefenbagh 226*; gräus eine gröbere art grütze; haber-
gräus LoRiTZA 54'>; lyhiral dazu(f): chreuzzen oder elen
mag furder allermenschleich ze Wienn freylich hin-
geben ScHMEi,LER 1, 1010 (quelle von 1368); an anderer
stelle grewzze, älter gruzze furfures ib.
GREUSZLIGH, udj., körnig: kleine greuliche hülss-
lein . . . die haben inwendig liegen einen runden klei-
nen getichten greusziichen samen, wie linsen Präto-
Rius glückstopf (iWJ) 278; ^v&islet iwm sedimentierenden
trüben urin Höfler 201''; gräuszelet ivie kör^ichen, stäub-
chen aussehend Schmeller l, 1010.
GREÜSZLER, s. gräuszler, greiszier.
GREUSZING, in., 'bier aus (weizen- oder gersten-)malz-
grütze mit keinem oder geringerem zusatz von hopfen'
Schmeller 1, 1011; 'greuzenich, greuwzznig war ein ge-
tränk fast loie tveiszes bier, von spelten' Westenrieder
217; greissung, greissing Diefenbagh 499* s.v. risum;
ungelt von wein, met, bier und gräussing Schmeller
a. a. 0. (quelle von 1395) ; das sie täglich durch iren kött
und greysing . , . vol und unsinnig werden Thurneis-
SER von tvassern (1572) 11; (die Heilung der franzosen-
krankheit) ist nit also, wie es die Westphalen vermei-
nen, mit einem trunk greusigs ausgericht 76; auch in
jüngerer zeit noch: scheps (anderswo greissing genannt)
schlechtes halbbier Daxenberger Müncliener hundert
und eins (1840) l, 97 ; auch in den formen grewsznigk,
greisznich u. ä. Schmeller l, lOll, tvoselbst genaueres,
zu greusz 2. vgl. nd. grauwt condimentum cerevisiae
Kilian; fermentatae cerevisiae quod vulgo grutt, gruit
vocattir Schmeller a. a. o. (aus Utrecht); gruitgeld ab-
gabe von bier Wallraf 31; fermentator gruiszer, gruuter,
gruyter Diefenbagh 23i<=.
GREUTZEN: greutzen saltz gnumis salis Dentzler
(1716) 140".
^GREVE, m., was igrebe (s. d.): gerade so hat sich
in manchen gegenden Deutschlands der name greve
oder grebe für den dorfvorsteher bis auf die neuesten
Zeiten erhalten Savigny gesch. d. röm. rechts i, 236;
'griev, in hiesigen Urkunden greve, zunftvorsteher' Müller-
Weitz aach. 74.
2GREVE, m., haubentaucher, colymbus cristatus Nau-
mann naturgesch. d. vögel 9, 686; aus frz. grobe, s. 2 grebe.
GREVIAN, m. (?), als ein küchengewächs angeführt von
Hohberg georg. cur. aucta (1715) 481*; identisch mit
grevinnen, krähenfusz, das im, allg. hatishalt.-lexicon
(1749) 1, 619 als Zusatz zu salatkräutern empfohlen wird.
GREVING, GREWING, m., dachs, s. grebing.
GREZEN, vb., muffig, nach moder riechen lux. ma.
(1906) 154»; Follmann lothr. 215^; hier auch gräwzen,
wie elsäss. grauzen, vgl. Martin-Lienhart l, 287; Weiter-
bildung von grauen (zu grau), das ähnlichen sinn hat
24-9
GRI — GRICKEN
GRIDIG-i GRIEBE
250
Martin-Lienhart 1,265; dazu grezert, m.. mvffiger
fferuch lux. ina., Follmann «. a. o.; grczig, adj., mo-
derig, schimmelig Autenrieth pfäh. 56.
GRI, ein laut, mucks: ja wclicher sölichem nit gloubt,
oder nun gry darwider redt, grusamlich gestraft ward
Leo Jud von icarem u. valschevi glauben r 2^; da sagen
sie nicht gri zu theatr. diabol. (1575) 206»; vgl. gri gar
nichts werth, vilissimum Henisch 1742; griech. y^v.
GRIBBELGRABBEL, vorwiegend nd. klangwort, als f.,
seltener n. gebraucht in der wendung: (geldsiücke, misse
ti. dgl.) in de gr. smiten, so dasz ein wüstes greifen ent-
steht ljEiHEnFA\ cro7ienberg. i7^; Woeste 85»; Stüren-
BURG 75'^; Mi 29*; he schmit den nesendröppel int
grüwwelgrawwel ist ein geizhals Strodtmann 78; höln.
mit anlehnung an gribbesgrabbes (s. d.) en der grib-
belegraps Averfe Honig es** ; elsäss. gribele grabele, n^enn
man jemand Idtzelt Martin-Lienhart 1,267; als appel-
lativ: griwle - grawle fetthenne, hauslauch, sedum tele-
2)hicum Follmann 217''; vgl. kribbelkrabbcl th. 6,2202
und krabbeln II 4 b th. 5, 1913.
GRIBBESGRABBES, n., seltenere seilcnform zu krib-
bcskrabbes (s. d.); zumeist von sinnlosem gekritzel: gri-
besgrabes über etwas machen worfe oder zeilen einer
.Schrift mit verworrenen zeichen überfahren, so dasz sie
xmlesbar %ccrden Klein provinzialu-b. i, 1G2; grippis-
grappis unleserliches geschreibsel Stauij-Tobler 2, 787;
griwwes-grawwes gekritzel Cregelius 437 ; gekritzel, ge-
sehmiere Fischer schicüb. 3, 828; zu solchem ende
machte ich mit meinem blossen degen . . . zween ring
in einander und zwischen dieselbige etliche pentalpes
und ander närrisch gribes grabes Grimmelsiiausen
Sinipl. 3, 84, 21 Keller; überhaupt: durcheinander, Ver-
wirrung, auch adverbiell: gviw cs-gVRV/es geschnörkelt, im
Zickzack Follmann 217'»; durcheinander, unordentlich,
Ulikennbar Sciiranka 64; gribes-grabes machen um-
stände machen Fischer u. a. o., ebenso Crecelius;
hokus-pokus : das grosse buch, . . . wo gribis grabis darin
steht: tunkus, blemsum, schalelei Hebel 2, 351 Be-
haghel; grywes grawes liolderstock anfung eines kinder-
sj/ielverses Martin-Lienhart a. a. o.; xvenn man ein
kind in der hund kitzelt, sagt man : 's kummt e misele
in's kindeis hisele, macht griwes grawes, griwes gra-
wes Martin-Lienhart i, 512; in anlehnung an gribbel-
grabbel: Weihwasser, gaukele! , griblis grablis, wie in
der Doggeiisreligion gebräuchlich Fischer schicäb. 3,
828; vgl. auch grimsgrams. — verbale ableitung: ein . .
vielzügigen, vielzackechten, viel gribisgrabissirenden
buchstaben Messerschmid tust, narrheit 54.
GRICK, /., gricken, grückcn, m., preuszische bezeich-
nung für den buchweizen, polygonum fagopyrum, seiteuer
für die hirse Frischbier 1, 252; Hupel dtsch. spräche
in Liv- und Ehstland 82; gricke Grassmann no. 602;
grieken Holl 135'*; lit. grikkai, lett. grikki, poln. gryka,
d. h. griechisches körn.
GRICKELN, vb.. an allem mäkeln Albrecht leipz.
125*"; dazu grickelig tadelsüchtig, eigensinnig ib.; alte
Icute sind gern gricklich Adelung; auch bedenklich':
eine grickliche sacheii.,- grickelkopf, grickelköpfig ?«m-
nisch, wählerisch, nie zufrieden Albrecht «. a. o.;
Grikel, Grickel nennt Luther in der polemik öfter Joh.
Agricola, Dietz 2, 168; ableitung vo7i gricken, s. u.; vgl.
auch krickeln, kricklich th. 5, 2204.
GRICKEN, vb., pfeifen, feine töne hervorbringen : die
mausz mit irem grycken sich selbs genug verraten und
anzeigt hat Schmidt e/^«*«.' 154'* aus Butzer ; dazu eine
reihe von bezeichnungen der grille: grigge,/., griggi, n.,
grigger, m. STAu:MroBLER 2, 728; grygger Greyerz bern-
deutsch 12; gricker, m., demin. grickerle Martin-Lien-
hart 1, 271'*; grickelmaus Autenrieth 57; griechel
gryllus domestictis Nemnich 209; vgl. das nd. nl. krechel,
krekel tmter kreckel tJi. 5, 2135; holl. auch kriek, /., zu
krieken zirpen, intensivbildung zu gricken i*i gricksen,
im Schwab, für 'schreien, lebhaft iverden' Fischer 3,828;
dazu grickse, /., gricksel, /., grille ib., grixe imrzburg.
nach Weinhold schles. 30; gricksel Autenrieth 57;
krikser, m., Meisinger rappenau.'ii ; grickserleinFiscHER
«. a. 0.; das substant. wird in mancherlei übertragtm gen
gebraucht (ähnlich dem frz. cviquQt grille): grickes, m.,
kleiner mensch, schelm; demin. grickesle, n., kleine
person; sanct Grickeles narr, wunderlicher mensch
Martin-Lienhart 1,271'*; grickes schlechter brannt-
jcein Fischer schicäb. 3, 828; grickse kleines nasexveises,
schnippisches Jratienzimmer, kleine person; grickser
geizhals, unzufriedener; grixen launen; grickset, adj.,
schtvächlich , zart Fischer a. a. o. ; vgl. grickeln und
gritsche.
GRIDIG, GRIDDIG, *. greitig.
1 GRIEBE, /.
herkunft un d form.
1) die grundbedeutung ist nicht sicher zu ermitteln.
dhd. griupo, griebo, criebo, criube meist glossiert mit
cremium (gremium) Graef 4, 310; Diefenbach 156**;
nov.gloss. 118**; Schmeller l, 983; noch bei Er. Alberus
cremum vel cremium ein grieb diction. (1540) 8'*; doch
steht der si7in dieses loortes nicht fest; jedenfalls hat gr.
urajjrünglich den begriff des ausgedörrten in einem wei-
teren kreise umschlossen als heute; vgl. griupo gremium
vel siccamina lignorum Graff a. a. o.; vgl. auch cremium
greuen vel droghe ding (lat.-nd. wb, v. 1471) Diefenbach
nov.gloss. 118'*; doch dürfte auch die bedeutung 'ausge-
lassener fettwürfeV bis ins ahd. reichen, vgl. gremium
est caro in patella frixa; vulgo dicitur grübe zs. f. d. ic.
5, 7; in diesem sinne auch glossiert mit frixara, Dif.fen-
bach 248**; vgl. weiter fegedo grieben Hoffm. v. Fallers-
LEBEN sumerl. 42'*. dasselbe u-ort liegt anscheinend vor
in griupo, pfanna, frixorium Graff a. a. o.; griupo,
grielTe frixorium Diefenbach 248"*; hierher wohl auch
slrigilis gruib nov. gloss. SSO** (andere glossare haben
raste, rostpfanne). demnach scheint der begriff des dör-
rens, röstens ursprünglich und das subst. verwandt mit
ahd. *graupjan frigere (gigroubit wirdit oleo frigatur,
kacraupit frixum Graff 4, 360; cacraupta frixam
Schmeller i , 983), was auf ein stv. *griuban frigere,
coquere wiese, vgl. Grimm gramm. 2, 987; doch hat das
ahd. daneben und häufiger *raupjan rösten (Graff 4,359),
was ein grundverbum *(ga)riuban erschlieszen liesze. zu
erwägen ist verwandtschuft von altengl. greofa toj>f Bos-
worth-Toller 488'*, mnd. gropen topf Kluge ' 181".
sonst fehlen 2'arallelen in andern german. dialecten; engl.
greaves, dän. grever, schived. grefvar sind junge ent-
lehmtngen aus dem nd.
2) dem ahd. griupo entsprechend treten obd. bis in die
heutigen mau. formen mit ü oder eu auf: grüben, gräu-
ben Staub-Tobler 2, 686; gröübi Greyerz berndeutsch
12; gröube, groibe Schmidt straszb. 44; schicäb. dialect-
formen bei Fischer s. u. bedeut. i, bair. bei Schmeller
ebd.; grüben Ave-Lallemant gaunertum 3, 203; ebenso
in älterer zeit: mit spek und greuben Witten weiler
ring 36" 18; vgl. So«* 2; cremium greuben, kresche Dentz-
LER nach Staub-Tobler 2,686; grübe, greub, grewben
Diefenbach 156'*; grub, grübe nov.gloss. 118'*; weitere
belege besonders unter bedeutung l.
3) formen mit f (grammat. Wechsel) herrschen in ge-
wissen md. gebieten, besonders im obersächs., tJiür., unter-
fränk.; vgl. die nachweise für die modernen maa. unter
bedeutung l; die griffen Lindener (s.u. bedeutung 3);
griefe Mathesius (s. u. l, 2); greifen Coler nach
Frisch l, 372*; da gehet er her wie ein Schemen, wie
eine griefe und todesgerippe Herberger herzpostiUa
(1613) 1, 362; die griefen fressen Pape bettel- u. garte-
teufel G2» (s. u. i); grife, gritfe, griefen cremium Die-
fenbach 156'*; griffen gremium 269"; gviefSe frixorium
248 **; griffe cremium nov. gloss. 118 '*; da7in auch im
nd.. belege s. u. l; greue van smulteme vIeche cremium
Diefenbach nov. gloss. ils'*; vgl. altengl. greofa? siehe
oben 1.
4) das alte mascul. hat sich bis heute dialectisch ge-
halten, namentlich in westdetii sehen maa.: greif, ni.,
lux. ma. (1906) 152'* ; Gangler 189; der griewen Schmitz
Eifel 1, 225; der griebe Follmann 217»; auch Schweiz.
251
1 GRIEBE
1 GRIEBE
252
noch gelegentlich als mascul. Staub-Tobler 2, 686; ebenso
im bair., a. u. i.
bedeutung.
j) in den heutigen maa. allgemein für die festen Über-
bleibsel von ausgelassenen fettstüclcchen, dann überhaupt
für Meine Stückchen gekochten oder gebratenen fettes:
gräuben Staub-Tobler 2, 686; kriap, kriöp, krip, meist
ßlur. krifep», kriöwa, kriw» Martin-Lienhart 1, 267'';
plur. griawei, gruiwen, gruawei, graiwen Fischer 3, 828;
kriiwa Meisinger rappenau. 78; der (?) griobm, groibm,
gruibm Schneller l, 983; der greben, die griebe ünger-
Khull 305^, 806"; griet'n, plur. griewen oder grieben
RucKERT unterfränk. 64; griefa die geschnittenen speck-
loürfel in den wursten Sartorius Würzbicrg 49; plur.
grieben gewürfelter apeck in loürsten Autenrietii 57;
greiwe Crecelius 486; griebe Vilmar 137; der griebe
FoLLMANN 217"; griefe Reinwald hennebcrg. i, 54;
griefe Müller-Fraureutii l, 44l; griefe, grefe Hertel
salz. 17; gr6fe, grife, gr^wen, jr6we thür. llO; jrSwc
Liesenberg Stieger ina. 147; jriwe Jecht mansfeU.
a^; griewe Weinhold schles. 30; der greif lux. ma.
(1806) 152''; plur. griewan Leihener cronenberg. 47'';
grev, griev, plur. grewe, grieve Honig köln. GS*»; greiwe
Bauer-Collitz 41»; graiwe Woeste 84*; plur. greven,
grieven Strodtmann 76; grebe, grgwe Sghambach 68'';
plur. grewen Dähnert 160''; gröb'n Danneil 69'';
griebe, nd. grewe Frischeier i, 252; jröw Fischer
samländ. 53; plur. greven brem. ivb. 2, 541; grefe Doorn-
kaat-Koolman 1, 671; plur. greven, grevels Stüren-
BURG ostfries. 75*»; auch im ungar. colonisationsgebiet grif,
plur. griven Schröer 385; plur. gräwen Haltrich 43";
grftib'n Kramer bisü-itz. so. so seit alters:
sein bttckler waren heisz fladen,
mit grieben wol bestecket
Keller erzähl. 591, 8;
all den, die faistcn kuchen lieben,
die rosel-würst mit faisten grieben
II. Sachs 3, 25 KcUer;
erbcsz mit greben Grimm weisth. 2, 480; als unslit, daz
von den rindern gesamet ward, daz musten die flaisch-
hacker auslosen, und ir Ion darumb warn die griben
städtechron. 2, 314 {Nürnberg) ; auch für das noch nicht
zerlassene fett, aus dem die grieben kommen: ein rint,
das so gut ist, das es ... by 60 oder 70 pfund unslitz
oder grieben hat Schmidt elsäss. 154'* (quelle des ib.jh.);
die geiss häd 50 pfd grüben g'haQ Staub-Tobler 2, 686;
vielgebraucht in bildlichen Wendungen: der bapst habe
aus Engelland jerlich neun tonne goldes gehabt, . . .
warlich die griebe mocht Constantinus erben zu Rom
den kot {l. kol) fett machen Luther 50, 78 Weim.; das
auch die fursten und hern, die auf yhrer seiten sündt,
nichts von yhn {den geistlichen) hüten, wo sie nicht
eine gute griben auf yhren kol dovon hetten 19, 274;
ßgürlich für geld:
der sieh vor nit wol mocht enieren,
also wol tuot {erg. man?) im in die band Schüben,
daz im in die taschen vallent die grüben
teuf eis nch 8980,
{die verschioender) schmeltzent die guter, äcker und
matten . . . und alles das si habent, dasselb verkoufent
sie und legent die grieben in den seckel Keisersberg
postilla 2,49''; dC ma^n hat grüben ist reich; doch auch:
hat schulden Staub-Tobler 2,686; darum gehets im
entlich nach unserm deutschen Sprichwort, das er den
hunger schmelzen und die griefen fressen musz Pape
bettel- und garteteufel 6 2"; 6n zu greiwe schlöen ver-
Jtauen lux. ma. (1906) 153"; sech d greiwe vun der zopp
huele lossen borniert sein ib.; das sind alti grüben alte
yeschichten. auch: alte schulden Staub-Tobler 2, 686;
he het dem diwel de grßwe ütfrSte hat einen schmie-
rigen fetten mund Frischbier l, 202; im älteren hess.
für: eine kleinigkeit, etwas icertloses: einen bäum für
eine speckgriebe verkaufen Vilmar 137; im vergleich:
meyne tage seynd vorgangen wie ein rauch und mein
gebeyn seynd dorregebraten wie ein gribe Luther 1,
195, 8 Weim. (ps. 102, 4); meine bein dorrten als die i
grieb nürnberg. bibel (l483) 285''; vordorden als gryven
halberst. bibel (1522); unter einwirkung dieser bibelstelle:
sie sehen aus wie dürre todesgerippe und auszgebra-
tene griefen Herberger herzpostilla (I613) 1, 18;
flUsz und die Schwindsucht wirt dich plagn,
das du ausz dorrest wie ein grieb
H. Sachs 3, 519 KeUer;
ich dorre vor diesen tiefen gedanken aus wie ein
griefe oder scherbe Mathesius 133. psalm B4''; noch
heute im Schweiz, dürr wie-n-es greubi Staub-Tobler
2, 686; aucJi mhd. schon, wohl ebenfalls im Zusammen-
hang mit der bibelstelle: zu eren dime zarten erdorreten
libe, der an dem crütze dorrete alsam ein griebe Seuse
dtsch. sehr. 491, 20 Bihlineyer;
wenn er gezUmet mit dir, . . .
er machet dich türr alz ein graib
V. D. Hagen gesamtab. 1, 489, 3;
ich wil in so fein ausz beraiten . . . und machen also
dürr als ist ain grübe in ainer pfannen Albr. v. Eyb
2, 40, 6 Herrmann; auch anders geHchtete vergleiche sind
geläufig:
er smalz alsam ein griebe
obe der minne vuwer hie
paBS. K. bin, 82, ähnlich 498, 7ä;
von dem manne, der ein unflsetic wip hat:
er smilzit als ein griebe,
leides wirt im niemer buoz
Martina 133, 70;
es war kein wunder, einer verschmelz wie ein grub in
einer pfannen Frisch 1, 372»;
die würtz sind steinhart wie die griben
H. Sachs 21,43 Keller-Oöte;
so lang künig David . . . von Saul . . . umbgetrieben
ward wie ein grieb in einer pfannen Fischer achwäb.
3,829 {quelle des id.jh.); in heutiger ma.: der ist un-
ruhig wie die griebe in der pfanne; dem steigt die
hitze wie die gr. in der pfanne er wird schnell zornig
ib.; vergoe we' 0 greif an der pän lur. ma. 153".
2) in naheliegender Übertragung von allerlei gerichten
und genuszmitteln, die wie grieben aussehen oder ähnlich
lier gestellt werden: in butter oder achmalz geröstete brot
oder weckwürfelchen Vilmar 137; ebenso bei Staub-
Toblek 2, 686; we de beten gicht heft, de schal stoten
rüden unde salvicn, unde seden dat in botteren, wentc
datyt greven werden Sciiiller-Lübben 2, 145''; 'grieben
auch von einer art mit eucker zugerichteten arzeney und
herzstärkung : herzgrieben oder ki-aftgrieben' Frisch l,
372*; euckerplützchen, bonhon schlechthin: zeltlein, mar-
sellen und grieben zu machen capitelüberschrift bei
Hohberg georg. cur. (i715) 3, 193 ; der zuckerbacher . . .
bacht . . . kraft- und andere grieben Abr. a St. Clara
etw. für alle 2, 786; zu Nürnberg in der apotecken macht
man ein confect, das heiszt confect für die pestilentz,
seind rote lange griben J. Thucher bericht d. meerfart
29; vgl. auch krlebe th. 5, 2205.
^ s) der rückstand, die schlacke, die beim ausschmelzen,
reinigen, sieben eines Stoffes zurückbleibt: grüben, was
sich unten im gefäsz von einer geschmolznen materic
setzet Frisch 1, 372=*; das oberste vom waldpech ist
schäum, das mittlere das beste, das unterste die griefen
ib. aus Mathesius Sarepta; dazu pechgriefen Müller-
Fraureutii 1, 441; die greven der lichtzieher . . .
geben ebenfalls eine sehr schätzbare düngung Tiiaer
grundzüge d. rat. landwirtlisch. 2, 224; welche {zinnteile)
aber im geschütt, schlacken, grieben korns oder stufF-
weis ... in der tamerdt oder gebirg gefunden werden
Thürneysser magna alchymia (1583) ito; darzu keine
grieben . . . neben dem kalch für guten kalch ein-
mässen, sondern alle grieben vom kalch auswerfen
Reyscher samml. d. würtemberg. gesetze 18, 203 (a. 1665);
vgl. kalkgräuben unbenutzbare reste des kalks Staub-
Tobler 2, 686; schlacken beim ausschmelzen von harz
(harzgräuben), eisen- und bleischlacke; schlackenartige
steine, welche beim sieben von straszenkies oder sand zu-
rückbleiben ib.; harte Überbleibsel von kohlen Martin-
253
2 GRIEBE - GRIEBELN
GRIEBELNADEL -GRIEBS
251
LiENHART 1, 267'»; bauschutt: 10 ß umb griuben, daz
sint zerbrochen ziegel Fischer schioäb. 3, 829 ans Auga-
hurger baumeisterrecJm. von 1369; lebersteine, gallen-
steine, grieben sind alle thonigen und kieseligen con-
cretionen oder drusen, die einen baustein unbrauchbar
machen Fraas nutzbare miner ale 128; griebe: die dolo-
.rnitischen steinmergel auf der grenze zwischen den
bunten mergeln und dem stubensandstein Fischer
Schwab. 8, 829 ; Jnerher auch greupi, n., eine ader ganz
unfruchtbaren erdreicJis in einem sonst guten boden
Stalder 478? gelegentlich mehr oder minder scherzhaft
für 'excremenle': die erwuschet ein grossen scheysz-
hafen . . . und schlegt den guten kürschner für sin
schnautzen, das im die griffen an der goschen kleben
Linüener katzijwri IGO Lichtenstein;
man geb in acht tagen weder trank noch speis,
darnach sie über ein seutreck weis, . . .
und sie davon nit lasse frei,
die weil ein griblein dinnen sei
/astnachtsp. 18i, 4 Keller.
i) von 1 übertragen auf einen geaichtsausschlag, der
namentlich bei hindern an mund und kinn auftritt,
herpes labialis; besonders in gewissen, vielfach scherz-
haft gemeinten ivendungen: der hat grieben geleckt, hat
die grieben beim schlächter geholt Höpler krankheits-
namenb. 801; grieben ums maul haben Weinhold
schles. 30; er hat griefen genascht Müller-Fraureuth
1, 441; Hertel thür. 110; salz. 17; er hat (seiner mutter)
griewen gestohlen Martin-Lienhart 1,267''; lux. ma.
153»; Müller-Frauueuth o. a. o.; er hat em här
(pfarrer) de grieben us der pann geholt Follmann
217*; e hott m6ad dem paff griiivve geasse Crecelius
436; vgl. Pfister nachtr. 84; dou hiestem pastören dfi
griewen läket Bauer-Collitz 41"; der hat beim Schin-
der grieben gefressen u.a. Fischer schwäb. 8,829; e
drit gräwen fil Haltuigh 43^; hast du grüben ver-
schüft? Staub-Tobler 2, 686; best groben freien? meck-
lenburg.; hierher wohl auch: er merket den possen als
der bader die böse grüwen Tiieobaldus Schlacko-
waldensis hussiteiihrieg (1623) 2, 122. in ähnlicher Über-
tragung auch vom augcnschmals: gramia groipen Diefen-
dach 268^;
mein äugen sint gespuckt mit grUcben
fastnachtsp. 74, 1;
ir äugen stacken grieben vol
H. Sachs 22,337 Kdler-Oötze;
vgl. Fischer schwäb. S, 829; scherzhaft auch für trockenen
nasenschleim Staub-Tobler 2, 086.
5) figürlich: im wachsthum zurückgebliebener mensch
Weinhold schles. so; ebenso, auch: maliciöse j)^^son
Alb recht leipz. 125; kleine person, besonders von hin-
dern: enne putzige, giftge, wutge griefe; auch: schwäch-
ling Müller-Fraureuth i, 441 ; Scheltwort für kleine
kinder: du kleine griebe; kränkliches, empfindliches
Weibsbild Martin-Lienhart i, 267''; magerer, schmäch-
tiger mensch, besonders kind: üsg'seh wie ne grub bleich,
mager atissehn Staub-Tobler 8, 687; a groipn unan-
sehnlicher mensch Stelzhamer ausgew. dicht, l, 345, 9
Eosegger.
6) anderes vereinzelt: im alem. gräubi, n., auch für
hernhaus des obsles Staub-Tobler 2, 686 (vermengung
mit gräubschi, s. grid)s); elsäss. schöne, zum werfen ge-
eignete steine, auch: OA>/ei(7e7i Martin-Lienhart 1, 267'';
preusz. der runde muskel über dem ufter des pferdes,
mis dem der schiceif tritt Frisciibier l, 252.
2 GRIEBE, s. grübe.
GRIEBEL, n., demin. zu i griebe: anno 1606 haben
etliche rotten gribel von halb verfaulten menschen-
fleisch als ein pap mit güfft vermengt Ertinger mse-
beschr. 77 Tietze- Conrad; zu griebe 4 ausschlag: (der
nardensaft dient) zu schlieren und sunderlich zu grie-
peln, umleufen und den wurm an den zehen und
fingern Thurneisser erdgeicächse (1578) 89.
GRIEBELN, vb., seitenform zu kribbeln th. 6, 2202:
es wiebelte und griebelte und krappelte und zappelte
w^ie eine mausz im schmalzkiebel alles vor liebe an
mir Grimmelshausen Simpl. l, 495 Keller; vgl. grübeln.
GRIEBELNADEL, -nusz, -spiesz u. dgl. s. grübel-.
GRIEBEN, vb.: frixare grieben, rosten; frixus ge-
smelzt, gegrewbt Schmeller 1,983 aus vocab. von 1445;
grSwen mit speck zubereiten, speck auslassen lux. m«.
(1906) 154*; part. gegräubet gekörnt, körnig, uneben
Staub-Tobler 2, 686; vgl. gräubete, /., metzelsuppe ib.
GRIEBENBART, m.: grewenbort mundausschlag Mi
29. — griebcnbrot, n., pain de creton Schwan nouv.
dict. 1, 789*. — grieben dürr, adj.: alle ding waren
auss mangel regens und übriger hitz grübendürr Seb.
Franck chronica l, 580; 'griebedürr sehr üblich im ver-
gleich, ebenso griebetrocken' Vilmar 137. — grie
benfräszig, adj.: unnd fürnemlich bei dem kottfleisch
... da halt man ordenlich etlich tag dem s. Schwein-
hardo gribenfressige, maulschmutzige begengnusz Fisch -
ART geschichtklitt. 68 neudr. — griobenhafen, w. ;
uer einen ausschlag am mund hat, ist dem schinder
hinter den gr. gegangen (gekommen) Fischer schwäb.
8, 829; er ist üwer dem griewenhawe^ gewesen Martin-
Lienhart 1, 800. — griebenkuchen, m.: artocreas
eyn griebekuche Diefenbach 52*; mit grieben bestreuter
kuchen Martin-Lienhart i, 422; Follmann 217'»;
Fischers, 829. — griebenmaul, n., mund mit fieber-
pochen, ausschlag: griwemul Follmann 217*', ebenso gri-
weschniss. — griebenpfanne, /.; greewpän schmelz-
pfännchen Gangler lux.188. — griebenschinder, m.,
der das fett des gefallenen viehes ausschmilzt: wan ich
nun gehangen bin, daz dann der weinzepfer wöll kom-
men all morgen, iii tag laug, der schenck zu dem ersten,
der greibenschindor darnach Eulenspiegel (1515) 91 neudr. ,
die grciben- und schelmenschinder die leiden den ge-
stank auch urn des gowins willen Keisersberg evang.
(1517) 140''. — griebensinnig, adj.: er hat ... et-
liche grobe Heyntzen und gribensinnige molckenhirn . .
gefunden, die seinem schreiben gleich wol haben stat-
lichen glauben geben Fischart geschichtklitt. 12, 185
neudr. — griebensuppe, /. .- greiwenzopp suppe, wor-
auf gegröwt ist lux. ma. (1906) 154*; Follmann 817^.
— griebenwurst, /., bluticurst mit speckbrocken
Martin-Lienhart 2,856; Fischer äcäiü«ö. 3, 829; Mei-
SINGEK rappenau. 78; Ruckert unterfränk. 6*; Sar-
TORius Würzburg iä. — gricbenzählcr, m., geizhals
Fischer schwäb. 3, 830.
GRIEBS, m., älter grübs," gröbs, kerngehäuse des
obstes; erst seit dem 15. jh. nachzuweisen (s. u. 2); ahd.
wäre *grubiz, *grobaz anzusetzen; herkunft unklar (zu
grob ?) ; die bildung folgt ahd. obaz obst und ebiz, ebitz
kerngehäuse, vgl. Kluge "l8l.
l) ursprünglich und hauptsächlich 'kernhaus des obstes,
besonders des apfels und der birne' ; das toort ist in
dieser bedeutung verbreitet im thür., obersächs., schles.,
hess., elsäss., Schweiz. ; dem schwäb. nur noch in der be-
deutung 3 geläufig, dem bair. anscheinend fremd, ebenso
dem nd.; über Synonyma in den andern maa. s. kern-
haus i, 5, th. 5, 603.
a) die modernen maa. bevorzugen die entrundeten for-
men: greebest Schultze nordthür. 36''; jrSwest Lie-
senberg 147; jr6wes Jeght mansfeld. iA^', grebs, gröbs,
kr0wes, kriwes Hertel fM»*. 110; greebs, gröbs, gräbsch,
griebsch Müller-Fraureuth l, 440 (zu gräbsch vgl.
grabisz arulla Diefenbach 520); giiebs, greebs Al-
breght leipz. 125''; in Halle gröbs 126*; griebsch An-
ton oberlaus. 8, 15; griebs Weinhold schles. 30; ma
is wie a griebsch, an dem alle rumfressen Hauptmann
weber (l892) 57; nach Hoffm. v. Fallersleben schles.
aticÄgrübes Frommann 4, 170; schwäb. erweitert 2;t*grTpsT(/).
grepsi(;/) (doch nur in der bedeutung 3) Fischer 3, 866;
grieps Loritza 54''; gripes, /., Kramer bistritz. 41 ;
gripes, /., 'das von den birnen beim essen übrig bleibende
kerngehäuse' IlALTRiCH^^au 13*; hess. gribs, grebs Cre-
celius 436; doch ndhess. grüwwesz Pfister nacM/-. 85;
fürs henneberg. notiert Reinwald 64 gröbs, kröbs, fei-
ner: grübs; alem. gräbsch, demin. griiubschi, grübschi,
255
1 GRIECHE
1 GRIECHE
256
gürbsi n. ä. Stal'bToblkk 2, G97. %cie nach den maa.
begreiflich, ist griebs die herrschende schriftform gewor-
den: der hochdeutsche schreibt . . . griebs Adelung
umständl. lehrgang d. dtsch. spr. 2, 771; griebs Heynatz
antiharh. 2, 76; auszer dem fleisch des genossenen apfels
liesz er sich auch den griebs . . . dazu wol schmecken
J. Grimm kl. sehr, i, 344f; fruchtkerne aus zerplatzten
ki'iebsen fallend Sanders l, 626*^; die ö-formen seltener:
er nagte lange an einem apfelkröps MusÄus 3, 117;
gröps von Oken viel benutzt, aber als botanischer kunst-
ausdruck für pistillum, den Stempel allg. naturgesch.
2, 71#.
b) in der älteren spräche weit überwiegend die dunklen
formen: arulla grobisz, grobesz von einem apfel, grubsz
DiEFENBACH 52«; grobisz nov.gloss. 36^; pulpa grubs,
grubsz gloss. 472''; grobis; kempff hus {l. kernhus) vel
grubs nov. gloss. 308*» {tob. von ii2l); nauci grubs {bei
der nusz) gloss. 376''; arulla kernhaws vel grobis Bres-
lauer voc. von 1422; kröbs ossiculum. in pomis Stieler
1034; noch Frisch i, 378 notiert grubs, krubs; des sach
ist daz der grübs der frucht kommet von dem nahen,
das ist vom stamme Petr. de Cresgentiis ackerbau
(1531) 13*; nag den grubz und spar, wildu dich nern
Breuner sjjyac/tJwc/t 25, 19; den selben apfel hat jeder-
man noch im magen, . . . auch die rechten heiligen
noch etwas zum wenigsten von dem grobes in sich
haben Luther icider den xcucher (i540) Jj*; die äpfel
haben in sich zehen diplichen oder piinctlein, . . umb
den gröbs herum Prätorius saturnalia (1663) 58; in-
dessen sind auch i- formen früh nachzmceisen : pulpa
gribesz, gribsz, grybsze Diefenbagh 472'* {mittel- und
iidrhein. 15. jh.); pulpa was man isset {am apfel), das
nit griebcs ist Alberus dict. (1540) Ffiiij'';
allein die grebes (der bimen) fräs er nit
NiGRiNUS von bruder Johan Nasen (lö90) C3'>;
schabet mit einem messer alles fleisch {von den bimen)
bisz auf den griebs herab Amaranthes frauenz. lex.
218.
2) dann auch verächtlich für tm an sehnliches, verkrüp-
peltes, fleischloses obst Hertel thür. llO; salz. 17;
griebse mausen obst stehlen; gar kein gräbs Mülleu-
Fraureuth 1,440; schlechtes obst Weinhold schles. 30;
klein gebliebenes obst Cregelius 436; im schicäb. da-
gegen vollicertiger ausdruck für obst, besonders kernobst
Fischer 3, 866; Schweiz, nur in gewissen redensarten:
es hat hür enkeis grübs»hi obs ge» keinen stil Staub-
ToBLER 2, 697.
3) vielfach für das pomum Adami, den kehlkopf, 'tceil
dem Adam der griebs des von Eva dargereichten apfels
in der kehle stecken geblieben sein soll' Höfler 201;
vgl. Hertel thür. llO; Reinwald henneberg. i, 54;
Weinhold schles. 30; Cregelius 436; Staub-Tobler
2, 698: als fem. bei Kramer bistritz. 41; Haltrich 13»;
sein kriebs stand wie ein erker vor der luftröhre
Müller-Fraureuth i, 440; ältester beleg bei Hulsius
(1596) 7iach Weigand ^l, 765; die bedeutung ericeitert
sich in gewissen dialecten scheinbar zu 'kehle, hals' über-
haupt {s. Cregelius, Müller-Fraureuth a. a. o..
Höfler 20i), doch liegt da vermengimg von griebs und
grips vor; näheres unter grips und krips th. 5, 2329; vgl.
auch adamsapfel th. l, 176.
4) auch auf menschen übertragen: knirps, kleiner ver-
unstalteter mensch: so e (kleener) griebs! Müller-
Fpjvureuth 1, 440; ähnlich Cregelius 436; kleiner,
trotziger knabe Hertel thür. iio; kleiner gröbs Schimpf-
wort gegen kinder Reinwald l, 64; vorwitziges, nase-
weises mädchen St AVB-Toßt,BR 2,698; anderes isolierter :
alles zurückgebliebene, geringe Weinhold schles. 30;
schluchzen oder rülps Loritza 54'', Staub-Tobler 2,
698 {vermischtmg mit gürbs); büchgräubschi nabel des
kindes ib.; griebs influenza Höfler 201 scheint Verdre-
hung von grippe.
1 GRIECHE, m., Graecus.
l) zur form {ableitungen einbegriffen): ahd. Grecus
chreah, chreach ahd. gl. i, 88, 17; Greci chrechi, chrea-
Chi 1, 3i, 1; grecum est chrehisüz, creclies ist l, 52, 35:
granima chrehisc uuort, kreihisc uuorto 160, 31 ; vgl. 94, 33.
95, 32; mhd. Krieche, kriechisch mhd. wb. i, 880 '*, und diese
formen bleiben fest bis zum ausgang des mittelalters :
Grecus eyn Kryech, Kriche, einer usz Criechenlandt
Diefenbagh 269"; Pelasgia Kriechenlant, der Kriechen
lant 421*; grecari kriechisch reden 269"=; noch im 16. jh.
nicht ganz selten, s. die belege unter Krieche th. 5, 2206;
erst in der reformationszeit dringen die formen mit an-
lautendem g durch, die den humanisten näher lagen,
auch von Luther aufgenommen ivurden und gewisz zu-
meist durch ihn propagiert icorden sind: er schreibt nach
DiETZ 1, 166. 167 bis 1527 Krieche, später Grieche, ent-
sprechend beim adj. kriechisch, später griegisch, -chisch;
das g konnte ihm auch das nd. nahelegen, dem von je
die %■ formen zukommen: Griec Gallee vorstud. zu e.
ttUnd. wb. 119; Grik Diefenbagh 269° aus gloss. batav.
des ii. Jh.; Pelasgus ein Greck; Greyck 421''; Pelasgia
der Grecken, Greken lant 421"; (??eaa Grekenlant 269'';
Grecus Grcke nov. gloss. 197";
Grecken und Athenis han ich gesien
inlgerfahrt d. träum, mönchs 30C3 Borna- ;
de Römers und Greken fastnachtsp. 961, 17; ebenso im
heutigen nd.: Greek, greeksch Dähnert 160"; vgl. breni.
wb. 2, 540 ; diese formen erscheinen auch nicht selten bei
md. Schriftstellern: mit der greckischen taffei ürbanus
Regius tvidder den newen irsal doctor Andr. Karlstad.s-
Aö*; liturgia, wie die Grecken die mesz nennen Justus
io^AS übers, d. apol. {Witfenb. ibil) Ff 3»; bey den Grecken
JoH. Kymeus d. babsts Hercules (1538) DI", ebenso E IV''.
G IV»; die Grecken Mathesius Sarepta (1562) 152". 153";
Greckenlandt 153 ''; mit diesem greckischen wort 154*;
weiter in rhein. gegenden : in greckisch genant decameron
Arigo decam. l, 2 Keller; vgl. grechisch landt MoYSz
miszbrauch d. weins 48 neudr.; auch einzelne der obigen
belege aus Diefenbagh hierher; entsprechend noch in
modernen maa.: greikesch lux. ma. (i906) 153*; grekesch
FOLLMANN luLhr. 215*.
2) gebrauc h. prägnan t für griechische Schriftsteller :
bald las mein obergeselle Römer und Griechen mit mir
Bahrdt gesch. s. lebens l, 102; dann seit dem klassicis-
mus für kenner und nachahmer griechischen wesens:
jeder sei auf seine art ein Grieche ! aber er sei's Götiik
49, 156 Weim.; denn er {der cardinal) war selbst ein
feiner Grieche Justi Winckebnann 2, i, 320; die recitation
seiner {Homers) gesänge, die unser lehrer . . . von uns
verlangte, um einem halben hundert anwachsender
Griechen . . . den rhythmus einzuprägen Holtei vierzir/
jähre l, 143; ebenso beim femininum: verzeihe meine
Schwärmerei, liebe Griechin, doch du schwärmst und
schwatzest ja in allen deinen briefen selbst so . . .
griechisch süsz deine seele von den lippen Herder an
s. braut, nachl. 3, 428; die Griechinnen in das griech.
kostihn des empire gekleidete damen G. Keller i, iü;
sprichwörtlich ist die untreue der Griechen: die Griechen
seind untreu Qraecia nequaquam novit fidem Henisch
1742; den Römern wachsen die wort im hertzen, den
Griechen im munde 1743; daher: Griech, ein betriegor,
fallax 1742; ebenso: das war ihr mann, der verdorbenste
aller Griechen briefw. zic. Göthe ti. Zelter 6, 149; vgl.
frz. grec falschspieUr ; s. auch greck sp. 2; nd. een
dullen Greke ein wunderlicher, eigensinniger, ungeselliger
mensch, brem. ivb. 2, 540. über Kriechen Griechenland
s. u. Griechenland.
3) seit der 2. hülfte des 18. jh. in zahlreichen compo-
sitis, aus denen sich zwei gruppen als literar- tmd cttltur-
geschichtlich bedeutsam herausheben ; die erste steht in
Zusammenhang mit der propagandierung des grieehen-
thums in der klassischen jjcriode; sie ist zuerst bei HEft-
der reich vertreten {z. b. Griechengeschwätz iverke 6, 346;
-handwerk 8, 78; -lüftchen 6, 346; -name 347; -nachriclit
449; vgl. unten Griechengeist, -gott, -länder, -Weisheit)
und gipfelt in bildungen tcie Griechenauge, -gefühl,
-geist, -jünger, die ziceite entspringt der literarischen
bewegung. die die griechischen freiheitskämpfe hervor-
riefen, vgl. Griechenblut, -fürst, -kind,-'lied.
257 2GRIECHE - GRIECHENLÄNDER
GRIECHENLIED - GRIECHHEIT
258
2 GRIECHE, /., pflaume, schiväb., s. krieche.
GRIECHELN, vb., 'die alten Griechen auf eine klein-
liehe und unzweckmäszige art nachahmen' Campe; herz-
innig ist mir aber alles griecheln und kunsttändeln
verhaszt Görres ges. briefe 2, 43; dazu griechelei, /.,
•Campe.
GRIECHENAUGE, n.: während Goethe mit seinem
klaren Griochenauge alles sieht, das dunkle und das
helle Heine 3, S)9. — Griechenbild, n.. griechische
tikulptur: es mochte die furchtbare Brunhilde selber
sein, die hier finsteren auges auf die heiteren Griechen-
l)ilder herabsah Storm i, 226.
GRIECHENBLAU, adj.. blau {vor Mite) tvie die kleinen
zicetschgen, die kriechen {s. d.) Hügel 71; Loritza U^ ;
als ... zu Meran einmal im septcmber ganz eisige
Avinde eintraten . . . und die nordischen gaste ganz
griechenblau herumliefen Steub drei sommer in Tirol
2, 7i.
GRIECHENBLUT, n.;
freies Griechenblut nur trank ich (Acheloos), kannt es wobi
an seinem glühen
W. Mi-LLER Griechenlieder (1868) 2, 120.
Griechenfürst, m.:
und der Griechenfürst eiseufzte: 'ach, dasz ich gefangen bin' 1
2, lOi.
— Griechengefühl, n.: so lang ich unter Fritzens
uugen bin, des edlen nianucs voll Griechengefühl und
gotteskraft, werd ich nie verwelken Heinse an J. G.
Jagobi, br. von xi. an Jacobi 70. — Griechengeist,
m.: da (in der griech. allegorie) werden wir Griechen-
geist in der niedlichsten bildcrsprache entdecken Herder
«, 82;
bis, wie der Luchstab, aufgelöset,
der üriechengcist, o graun! verweset!
J. IL Voss sämfl. ged. 6, 216.
— Gricchengott, m. :
noch tast ich schwere träume! du {Winclelmann)
webst schon als Griechcngolt in hoher, stiller ruh
der zweiten Jugend Herder 29, 301;
die weiszen marmornen Griechengötter wurden bespritzt
von diesem blute (Christi) Heine 7, 5i. — Griechen-
göttin, f.:
mehr als ^ene Griechengöttin,
mehr als jene fee des nordens,
lieb ich dich, du tote jüdiii 2, 401.
— Griechenjünger, m., anhänger und nachahmer
der Griechen JuSTi ^Y^nckelmann 1, 103. — Griechen-
kenner, m.: (mögen) uns die Griechenkenner zu jenen
mehr oder minder verschleyerten geheimnissen künf-
tig den Zugang erleichtern Gütiie 42, 2, 477 Weim. —
Griechenkind, n.:
Asia hat ausgespieen ihre gelbe tigerbrut,
dasz sie purpurroth sich trinke in der Griechenkinder blut
W. Müller griechenlieder (1868) 2, 125.
— Griechenkopf, in.: auch das gesicht hatte jene
färbe, die wir bei r\armornen Griechen- und Römer-
köpfen finden Heine 3, 159.
GRIECHENLAND, n., schon in mJid. zeit aufkominend:
Helena von Kriechenlant K. v. Würzbürg troj. 4357;
in Kriekenlant Meiszner bei v. D. Hagen minnes. 3, 919;
ze Kriechlant Lamprecht Alex. 7020; vgl. Lexer; doch
hält sich der mhd. dat. pl. Kriechen bis ins i6.j?i.:
Grecus einer usz Criechen Diefenbach 269«; dort in
Griechen zu Athen Schwartzenberg Cicero (15S5) I56d;
durch Alexander den künig yn Kriechen Luther pt-o-
phet Habacuc (1526) ciij''; er (der Türke) hat gantz
Ivriechen vom krieg widder den Türken (1529) H j "^ ; in
der bibel dagegen herrscht Griechenland (Dan. 8, 21 ; io,
20; Sach. 9, 13 u. ö.), das auch in anderen Schriften ge-
legentlich begegnet, vgl. Dietz 2, 167; die kinder Zion,
welche er über die kinder Griechslandes erweckt 23,
C19, 10 Weim.; vgl. Qrecia Crieschlant, Kriszlant Diei'en-
bach 269 <=. — Griechenländer, m.-. o des ersticken-
den ecklen dampfs, den manche neue Griechenländer
IV. 1. 6.
ihren kargen besoldern ums taglohn darbringen Herder
8, 63. — Griechenlied, n.: W. Müllers 'Griechen-
lieder', zuerst Dessau 1821. — Griechenschaft,/., von
Reiske in der Übersetzung des Demosthenes gebraucht nach
Kinderling rei7iigk. d. dtsch. spräche S97. — Griechen-
schönheit,/.; jetzt hat er es wieder mit der Griechen-
schönheit zu thunG. Keller 8, 240. — Griechensitte,
/.: man kann zugeben, dasz der künstler sich in das . .
bedeutende der . . Griechensitte hineinzufühlen gewuszt
sehr. d. Göthegesellsch. 14, 186. — Griechenstab, m.
Klopstock 12, 186 (s. th. 6, 75 unter lahmen). — Grie-
chenstadt, /.; sie (die elruskischen städte) sandtezr
wcihgeschenke grade wie andre Griechenstädte K. 0.
Müller Etrusker l, 293. — griechenthum, n.: w^ur-
zeln des griechenthums im orient Herder 7, 506; ich
. . . war nicht unempfindlich für die grösze des gedan-
kens geblieben, das junge griechenthum mit dem altern-
den . . . Orient zusammenstoszen zu lassen Immermann
20, 151 Ilempel; im griechenthum entwickelt sich der
mensch zur vollen selbstunterscheidung von der natur
R. Wagner 3, 2I6. — Griechenwein, m. G. Keller
10, 180. — Griechenwoisheit, f.:
Griechen- und Römerweisheit erklang die liebliche stimme,
stimm und geberde klang tief in der Schülerin herz
Herder 28, 298.
— Griechenwelt, /..- sodann ist hier das latein nur
das organ, um kenntnisse aus der Griechenwelt ans
licht zu ziehen Creuzer an die Gilnderode (18O6) 227;
dieser troubadour des Jammers (Fluten) . . . versuchte
es, den gewaltigsten . . . witzigsten dichter der jugend-
lichen Griechenwelt nachzuahmen Heine 3, 364. —
(jriechenzeit, /.; der gegenständ (der oper) ist aus
der heroischen Griechenzeit sehr glücklich gewählt
GÖTHE 42, 2, 95 Weim.; diesen stiefeln seh ichs an,
dasz sie noch aus der alten Griechenzeit zu uns her-
über gekommen sind Tieck selir. 5, 581.
GRIECHENZEN, vb., bildung uiie bockenzen, fischen-
zen, judenzen (s. Kluge " 128 u. faulenzen); eigentlich:
nach den Gnechen schmecken oder riechen, dann: grie-
chisches icesen, griechische kunst nachahmen: gehet das
weiter so fort: so griechenzen wir ärger als die -grie-
chenzendsten Griechen gegriechenzet haben Sgiiönaich
neolog. ivb. 288 neudr.; bey diesen griechcnzenden Thra-
ciern Wieland 19, 209 Gruber; das griechenzende hexa-
metrische gespenst (Stolbergs Homer) Wieland an
Bürger br. 2, 31 Strodtmann; griechenzende kritiker
und poeten Jean PAUL^ahn/7. (1798) 1, I7l; der griechen-
zende formschneider werke (1826) 4, 19; iceiteres s. zs. f.
d. uf. 6, 42; vgl. brittenzen unehrfach bei Gottsched
lleichel 1, 917.
GRIECHER, m., nach analogie von Römer gebildete
seltene seitenform zu Grieche: Grecus eyn Kryecher,
Greker Diei'enbach 269"; Griecher Maaleu 192'';
in Griecher und Lateiner sprach
sen si vil künsten gangen nach
Schwartzenberg Cicero (1535) 157».
eine mischform Griechner gebraucht Pisc.vroR zur
Übersetzung von ^E).7.T]viait'.i der bibel {griechisch spre-
chende Juden) Dietr. v. Stade 280. — griecherei, f.:
wolan so will ich d. Carlstad mit seyner kriecherey
den kriechischverstendigen befehlen (G. legt den abend-
mahltext aus mit berufung auf das griech. ohne genü-
gende kenntnis des griech.) Luther 18,158,34 Weim.;
gewiszl rief Wachtel, . . . diese griecherei ist nur eine
kriecherei Tieck ges. nov. (1835^^'.) 5, 87.
GRIECHHEIT, /., griech. art. gnech. char acter, griech.
eigenheit; zuerst anscheinend von Bürger gebraucht,
noch zögernd: deutschheit würde sich nicht hinein
bringen lassen (in eine deutsclie Ilias in hexameiern),
und griechheit, dasz ich so sage, noch weniger werke
180'' Bohtz (a. d. j. 1776); ganz ähnlich an Boie Strodt-
mann 2, 5;
auch, Lessing, deins, der deutsche art
mit griechheit, unerkannt, gepaart
J. H. Voss sämtl. ged. 6, 203;
17
259
GRIECHISCH
iGRIECHLING — SGRIEF
260
griechheit überscJtrift des xenions nr. 321 Lei Schiller;
in den ersten Jahrzehnten des 19. jh. fast ein modewort;
von dem feigenblatt bis zum jeifrocke und von diesem
Ijis zur französischen griechheit unsrer tage Hegner
tnolkenkttr (1813) 53; was aber die Verschiedenheit des
ganzen tons . . . zwischen den beiden groszen hälften
meines gedichtcs (des gold. vlieszes) und besonders den
mangel an griechheit in der ersten betrifft Grill-
parzer 5,230 Sauer; man giebt den berülimten . maler
David gewöhnlich als einen haupterfinder dieser arti-
stischen griechheit an C. A. Böttiger kl. sehr. 8, 70;
als coUectivhezeichnung für freunde des griechischen ; die
griechheit läszt herzlich grüszen* (Bekkcr und Mcineke
natürlich noch besonders) Laciimann an Lehrs, Lud-
uich 1, 250.
GRIECHISCH, adj., in älterer zeit oft verkürzt criesch
greca Diefenbacii 269"=; criesche Qingua) greciim ib.;
(jelegentlich griegisch Luther 81, l, 479 Weini.; das grie-
gische Stieler vorr.\^\ iceiferes zur form «(Hier Grieche.
1) in älterer spräche lediglich ethnologisch: cadus
chr6hhisc eimpar ahd. gl. i, 95, 32; die crichische diet
Herbort iroj. 13805 tt. dgl.; zumal von der spräche:
kriechisch, kriesch reden grecari Diefenuach 2C9'=;
griechisch können, gr. reden Henisch 1742; die ein
wenig griechisch stammlen können Seb. Franck mor.
encovi. 67^; ein privatcoUegium über das griechisclie
AVeise die drei ärgsten erznarren 8G neudr.; Göthe
und Herder, die beide vielleicht nur mäszig griechisch
Avissen W. v. Humboldt an Schiller brießc. (1830) 275;
ich berufe mich auf alle griechsvcrstendigen, das der
Zwinget hie mutwilliglich aus dem artickel . . . ein
pronomen macht Luther 26, 355 Weim.; ebenso 85G;
vgl. oben grieeherei; leute, die mit allen griechisch-
redenden nationen gedanken wechseln konnten Herder
7, 469; Übungen im griechisch sprechen Mommsen röm.
gesch. 2, 428; griechischlateinische handschriften allg.
dtsch. bibl., anhang zu 1—12, 2; redensart: es giebt sich
alles wies griechische omnia ex voto fluunt, oninia erunt
facillima Steinbach l, 638; leispiele tinter geben th. 4,
i,l,]722£; dat verstcit sik as dat leve greeksk ist
eine ausgemachte sache, ist katifn des fragens icerth
brem. üb. 2, 5i0. nur in iiner tcendunj hat das adj.
schon früh bestimmte färbe: griechisch glaub das ist
kein treu graeca fides niilla fides Hemscii 17J2; vgl.
Grieche 2.
2) einen prägnanteren sinn gewinnt das adj. erst mit
der 2. hälfte des 18. jh. , mit dem a ufleben des neuen
griechenthuins : Wieland . . . ward . . . ein Schriftsteller
von mehr griechischem geiste als vielleicht kein Ita-
liener Zimmermann einsamkeit l, 114/.; und Fischer
strafe die fühllosen mit griechischem spott Gleim
briefw. 2, 370; daher kam seine griechische achtung für
alle lebensstufen Jean Paul vorsch. d. ästhetik 8, 167 ;
von der Meidung: das griechische kostüm der kaiser-
zeit (des empire) G. Keller i, 15;
indes jene, geschmückt, und die fleiszig geordneten zöpfe
unter dem griechischen netz, offenen auges mir lacht
MÖRIKE 1, 99 Göschen;
mit einer schwarzen griechischen borte besetzte gar-
dinen Fontane 1 1, 435.
8) mehr oder minder appellativ : griechischer aussatz
lepra Graecorum Höfler 643''. griechisch baldrion Va-
leriana graeca (polemonium caeruleum) Fischer schwäb.
3, 830 (quelle von 1594). griechisches feuer bezeichnung
der von den Byzantinern erfundenen, auch auf dem
icasser brennenden kriegsfeuer ; die feuermasse war meist
eine mischung von kalk und erdöl, vgl. Brockhaus
convers. lex. 1*8, 314;
schnell
warf der ballist statt steinen eine &aat
von klumpen griechschen feurs
E. V. Kleist 1, 259;
bildlich: neid ist das verflucht kriechesch feur, das
man in kriegen pfligt zu machen, das kain wasser
mag gelöschen Keisersberg sieben hauptsünd (1510)
cc 8»; die stellen Petri II. 20. v. und IV. 15 und 16. v.
brannten oft wie griechisches feuer in meinen gebei-
nen Schubart lebeii k. gesinnungen 2, 207; wenn ihr
den kleinen griechischen feuerfunken nicht austretet,
der diese kriege veranlaszt H. v. Kleist 2, 214. griechi-
sche flechten impetigo (Plinit) :^ liehen Graecorum k.\.
Haller onomaiologia medica 2, 832 nach Höfler 152.
griechisch heu in alter und neuer spräche für trigo-
nella foenum graecum, bockshorn Pritzel -Jessen 409;
schon mhd. als kriechischhewe, krieschheuwe ib.; vgl.
griechisch hew, fenugrcck, fenigrec, bockhorn, kühhorn,
griechischer klee Wirsung artzney buch (i,588) reg.
griechisch jähr annus Graecorum 'ist ein mondenjahr,
so aus 12 monaten bestehet, tcenn es ein gemeines ist,.
hingegen aus 13 monaten, wenn es ein Schaltjahr ist',
vollständ. mathem. lex. (i747) 606. griechische kirche,
auch griechisch-katholische kirche Herzog realencyclop.
f. Protest, iheol. 7, 170; wir sehen (in Ungarn) den
katholischen und den griechischen kultus getrennt
MoLTKE sehr. ti. denkwürdigk. 1,115. griechische liebe
Päderastie, griechische Ordnungen in der baukunst
Schwan nouv. diet. i, 789*. griechisch pech, harz
colophone Schwan nouv. diet. i, 789»; griechisch beclu
geigenhartz, pix Graeca . . . wird auch unrecht heu-
ligs tags colophonia genannt Wirsung artzney buch
(1588) reg.; destillire es (schuefelbalsam) im Warien-
bad, bisz die Substanz wie colophon oder griechisch
pech bleibet Hohberg georgica curiosa aucta (1715;
3,180'; mhd. krikenspech, innd. grekespek, greksbcch
Pritzel-Jessen 175. griechische seuche das unter
den Griechen auf Cypern (vor 1505) herrschende Petechial-
fieber Höfler 641. griechisch winden trochleae Grae-
canicae apud Catonem, machinae iractoriae, guae fiunt
ad similitudinem Graecae litlerae Henisch 1742. Bel-
grad heiszt Griechisch Weissenburg ib.
4) adverbial:
wer theilt, wie er, die karten
auf griechisch liurtig aus?
IIallek ged. 93,
vgl. Grieche 2 'falschspieler' ; griechisch lieben von pä-
derasten: übergab ihn einem jungen menschen, den
der könig, wie es scheint, griechisch liebte J. v. Müller
sä mtl. werke 10, 12;
der kräuter unterscheid . . .
besingt Ilesiodus mit griechischnetter zungen
Triller poe<. bctracht. 1, c2'';
seine nase lief . . . griechisch-gerade nieder Jean Paul
7 — 10,460 Ilempel; Chariton, wiewol eine frau, doch
griechisch-schlank 15—18, 176.
IGRIECHLING, m., nachäffer der Griechen Langbein
ges. icerke 26, 43; griechlings bekehrung epigramm bei
Radlof ieutschkundl. forsch. 3, 171 nach zs.f. d. wf. 2,
192; vgl. römling.
2GRIECHLING, m., in Augsburg für prunus hört.
regina, zs. f. d. wf. 5, 271 ; vgl. krieche th. 5, 2206, 5 d.
GRIECHSÄÜLE, /., 'beim pflüge das holz, das unten
durch das pflughaupt und oben durch den grendel gehf^
Chomel öcon. lex. 7,707; Schwan nouv. diet. 1,789*;
nach Jacobsson technol. tcb. 2, 151^ obersächsisch; häu-
figer grieszsRule, s. d.; grichsäule beim Schiffbau Ja-
COBSSON 5,736* (vgl. kriech th. 5, 2205).
GRIEDLIN, m.: der griedlin pferdename (aus frz. gris-
de lin) Hohberg georg. cur. aucta (i7l5) 8, 2, 122^.
IGRIEF, adj., hager, mager, vorzugsweise von men-
schen (westfäl. hessen) Vilmar 137.
2GRIEF, m., beeintrüchtigung , beschwerde Gangler
lux. 189; schon die erste Session war so stürmisch, in-
dem Bentheim mit wenigem menagement allen seinen
griefs gegen Lodern luft liesz Göthe IV 9, 190 Weim.;
aus frz. grief m. molestia (zu lat. gravis); sie sehen
nicht an de sware grieven, de richeit doet em, de se
mint ScHiLLER-LiJBBEN 6, 144''; ostfries. grifen kummer,
verdrusz, miszbehagen. abscheu hervorrufen, auch sub
stantivisch: 't grifen knmd 6n dr fan an, wen man s»
'n feiend sügt Doornkaat-Koolman l, 684; dazu grifelik,
grifelk scJimerz, miileid, schauder erregend, saterländ.
261
GRIEFIG - GRIEKE
iGRIEL — i GRIEN
262
grivelig frostig, fröstelnd, schaudernd, ib.; aus dem nl.
übernommen: grievcn, vb., quälen, kränken; grief, m.,
Betrübnis, gram; vgl. engl, to grieve.
GRIEFIG, ad}., schwächlich, dürftig: ä griefges kind,
e kleenes griefiges ding Müller-Fuaureuth i, 441; zu
griefe = griebe.
GRIEFLACIIEN, vb., altes nd. u-ort für 'heimlich
lachen'.
1) griflachen, smuseiiachen subridere Schiller-Lüb-
BiiN S, 146'' aus Stralsunder vocab.; do wart de koningli
grifflachende unde sprak ib. aus Herm. Korn er; grif-
lachen schmultzern, heimlich lachen, brem. ivb. 2,541;
DooRNKAAT-KooLMAN 1, 684; griwwlachcn Mi so'"; gricf-
lachen schulausdruck Trachsel 20; griflachen lächeln,
eine freundliche miene machen Däiinert 161"; oft mit
einem nebensinn: höhnisch, schadenfroh lächeln Danneil
70*; Brendicke 130"; Schemionek eZ&Mi<ir. 14; Frisch-
bier 1, 253; bei autoren niederdeutscher herkunft öfter:
wie viel böse Christen sind, welche diese geschichte
als gedichte grill'iachende besehen und hören Präto-
Rius catastrophe muhammetica 15; Schleicherus sasz
und grihflachte wie ein erpel Hermes Sophiens reise
(1776) s, 217 ; der kleine stumme und boshafte kerl, der
stundenlang still horchen und grieflachen konnte, wes-
wegen ihn die leute den greiner nannten Arndt sehr,
für u. an s. l. Deutschen 3, 567; zuiceilcn verhochdeutscht:
darauf (sagte) der könig greüTlachcnd Olearius verrn.
reisebeschr. (1696) 340; 'und doch sollen sie mich gewisz
noch lieben", fiel ihr der faselhafte Rambold greif-
lachend ins wort Nicolai Nothanker 3, 156; er . . .
verwies ihm sein unpassendes greiflachen Gutzkow
5, 35 itn Blasedow (l. utisg. [1838] 1,81: grieflachen).
dazu grif-, grieflacher der höhnisch lächelt Frischbier
a. a. 0.
2) zum ersten bestandtheil des wertes vgl. grifeln,
griffein heimlich lachen, brem. rvb. 2,541; Berghaus l,
611; auch nl. griffelen unterdrückt lachen, tcoordenb. d.
nederl. taal 5, 714; dazu das adj. grieflich: da meinte
sie mit so 'ncm grief liehen lachen J. Lau ff Pittje Pitt-
jeiüitt (1903) 14; häufiger als grifeln ist gniffeln Doorn-
KAAT-KooLMAN 1, <84; gnyfclii lächeln, subridere Richey
liamburg. 76; gniefeln, gniesen Schütze holst. 2, 68;
nl. gniflfeln u-oordenb. d. nederl. taal 5, 175; gniffeln,
gniezeu Molema 126 •"; vgl. auch gniffellachen Doorn-
KAAT-KoOLMAN a. a. 0.; gnifflachen Stürendurg 72=*;
gniflachen Molema a. a. o.; sämtlich klangnachahmende
bildungen. stellemveise gruflachen Richey hamb. 82;
grüflachen Danneil 70^*; jröfflache Fischer samländ.
145; grielaache hohnlachen Müller -Weitz auch. 73;
HONIG köln. GS^; dazu grielächer ib. — vgl. auch grin-
lachen tmter grienen xuul grimmlachen.
GRIEGELELSTER , /.. lanius excubitor, der grosze
loürger Nemnich ivb. d, naturgesch. 2ü9; Naumann
naturgesch. d. vögel^-2^ 7; grigelalster Suolahti 152;
tcohl zu grügeln.
GRIEGELHAHN, -HUHN s. grügelhahn.
GRIEGS, m.?
■viel gaste sehnten slcli nach voll- und fetten schusseln,
iedennoch war kein griegs vor ihre mäuler da
Günther 1100,
wohl nebenform von griebs (s. d. i), oder fehler?
GRIEKE, f.?, meist im plur. griegken (griakng,
groikng, gruikng), wie grieben l) fettgraupen, 2) der
trockene schleim in den augenivinkeln und an den wim-
pern Schmeller l, 998; du hast schon wider groikarln
in'n äugen Castelli 153; altes bairisches wort: cremium
krömel vel grewken Schmeller a. a. o.; gramia groi-
chen Diefenbach 268 '*; ursach dessen (der geschwulst)
ist truckner oder grober zeher schleim, . . . doch er-
zeigt sich dieser mit greucken inn augenecken und die
sich an die augbrauwen hencken Wirsung artzneybuch
(1588) C6A; auch als verbum: frixare griechen Diefen-
bach 248»'; frixus gesmelczt, gegrewkt Schmeller
a. a. 0.; vgl. igreck, 'greckig.
^GRIEL, m., name mehrerer vögel.
1) für numenius orquatus, den groszen braeJivogel:
griel, am bodensee grüel, auch triel Staub -Tobler 2,
730; grial Fischer schiväb. 3, 867; rupex . . . avis est
aquatica, lucifuga et prava ein griel oder moszgriel
Faber thes. (1587) 703*; der moszgriel Rüysbroeck
Stiftshütte 169*; rupex griel Kirsch com. 2, 159*; Stein-
BACii 1, 642; rupex griel vel mosgriel; moosgrille Suo-
LAHTi 2S2 aus dem dachauer moos; grüel Oken 7, 507;
Naumann naturgesch. d. vögel 8, 478; vgl. auch grill-
vogel.
2) für gewisse arten des regenpfeifers, charadrius, be- %
sonders für oedicnemiis crepitans: diser vogel (charadr.)
wirt zu teutsch ein triel oder griel genennt Gesner
vogelb. (1557) 238''; aus ihm von vielen übernommen, vgl.
AiTiNGER jagd- u. weidbüchl. (l68l) 86; Dentzler (1716)
140°-; griel, driel charadrius, avis ad accipitris speciem
accedens. pennis subrufis Henisch 1743; griel charadrius
oedicnemus Nemnich wb. d. naturgesch. 209; oedicnemus
crepitans Naumann naturgesch. d. vögel 7, 92; Suolahti
vögeln. 268 bezweifelt, ob die Variante griel für triel über-
haupt reale existenz habe; denn die belege gehen meist
deutlich auf Gesner zurück, dessen angäbe unsicher
ist; doch erscheint griel auch nl., woordenb. d. nederl.
taal 5, 693; bei Kilian riel charadrius nach Diefen-
bach 99".
3) nach Frisch l, 372'' für die grasmücke, sylvia
hortensis; von Adelung 2, 798 übernommen mit dem Zu-
satz 'in einigen obd. gegenden' ; wohl irrig.
2 GRIEL, n.: Mose zerheuw den widder in stuck und
zündet an das haupt, die stuck und das griel (Jiebr.
'fett') Zürcher bibel (l53l) 3. Mos. 8 D (v. 20) , dafür in
der ausg. von 1540: den strumpf nebst der randglosse:
da hie strumpf stat, lesend etlich das netze oder griel,
also anscheinend 'fettnetz' ; es sollen auch die metzger
das haupfleisch, die kröss und grül besonder und on
das griel verkaufen Staub-Tobler 2, 730; hier ist grül
synonym, mit 2 grien (*. d.), das im selben Zusammen-
hang erscheint: die edlen eingeweide, hinge, leber, herz,
luftröhre.
GRIELEN, vb.: groschlen et alia dialecto grielen est
missilia in vulgus spargere Stieler 709; aus ihm über-
nommen(f): grielen geld unter die leute w?e//eji Kinder-
LING reinigk. d. dtsch. spr. 30; ein nl. wort, dessen be-
deutung Stieler wohl falsch angibt: grielen in vulgus
promiscue sparsa rapere Kilian, xmd so noch im heu-
tigen nl., vgl. tcoordenb. d. nederl. taal 5, 694; dazu
grielgelt pecuniae in vulgus promiscue sparsae Stieler
a. a. o.
GRIELTRAPPE, /., auch trieltrappe (gelehrte?) be-
zeichnung für die Zwergtrappe, otis telrax, die in Deutsch-
land nicht heimisch ist und sich nur sehr selten dorthin
verfliegt Suolahti vögeln. 264; Schw^an nouv. dict. i,
789»; Nemnich tob. d. naturgesch. 209; Behlen forst-
u. jagdkunde 7, 244; Adelung; Heinsius; vgl. Jgriel.
GRIEMELN, vb.. lächeln Müller -Weitz aach. 73;
hohnlächeln, kicJiern Honig köln. 68''; en all der zick
sali se äwer nit ens gelaach ov och noor gegriemelt
han Firmenich i, 455, 384 (kölnisch).
1 GRIEN, m. und n., sand, kies; ein vorzugsiveise alem.
wort, das erst in mhd. zeit erscheint; selten im md. als
grin tmd im mnd. als gr§n (s. u. 1 a) ; vgl. mnl. grient,
greent, m.. sand, mit jüngerem t Veuwijs-Verdam 2,
2135, nnl. griend; iwi anord. vergleicht sich grjön, n.,
grütze; dazu schtved. noriv. gryn; germ. greu-na-, wie
gi'eu-ta- (mhd. griez), zur würzet gru zerreiben FiCK*3,
145. im älteren mhd. anscheinend ausschlieszlich masc.
nie im mnl. und heute noch theilweise im schwäb., s.
Fischer 3, 830 ; Staub-Tobler 2, 747; aber schon bei
Seuse: daz unzallich gi'ien in dem mere dtsch. sehr.
28, 5 ; schriftsprachlich steht das neutr. seit dem ausgang
des mittelalters fest, es herrscht auch in den heutigen
maa. im le.jh. öfter gvün: Brvnschwig distillierbucJi.
(1509) 35". 41»; Geiler evang. (1517) 216"; Schade sat.
3, 190,2; GoLius onom. (1582) 277; Wirsung artzney-
17*
263
1 GRIEN
2 GRIEN - GRIENMACHER
264-
buch (1588) reff.; früher selten, so bei Königshofen,
s. ti. la.
1) gi'icn arena Diefenbach 47''; sabnhim 50C; sulcus
sande, griesz, gryen 565".
a) mJid. meist als 'sand' schlechthin:
0 we, wer cnkirt (ankert) uf den iji'ien
H. V. Langenstein Martina 23, 79;
swenn . . .
. . . der Swarzwalt wirt verbrant
unde daz mer gevttllet ist mit griene
BOPPE hei V. D. Hagen minncs. 2, 334 1>;
^so auch md. tind mnd.: des Stades grin erlösten ff 925;
daz grcn in des meres Stade Schiller-Lübben 2,143;
beliebt in der uendiwff: als vil als grienes in dem mer
ist Seuse disch. sehr. 453, 5; der alse vil ist alse grases
und grienes an dem mer mi/st. 1, 271, 4 (Nie. v. Strasz-
burg); auch später noch: der (Perser) do also vil ist
also des grünes in dem mere städtechron. l, 306, 15
(Königshofen); doch auch schon als 'grober sand,
kies':
vil manic brunno lüterlich
quäl iiz des horten grienes kise
KONR. V. WüuzüUKG iroj. G913;
dieser begriff verstärkt sich später immer mehr: so das
feld zu fett, temperirn sie es mit grien und sand
Thukneisser von urissern (1572) 91; von steinen, sand
und grien Stumpf Schivytzerchron. (l60ü) 440*'; viel
grien von marmelslein Becii Agricola (l62l) 80; er
herrscht in den modernen maa. : kies, bes. straszenkies
zur beschottenmg ; grienerc", /., kiesgrttbe StaubTobleu
2, 747; kri^n, krian grober kies, steine zum wegausbes-
Sern; kiesgrube Martin-Lieniiart 1, 275^; die unterste
Schicht {des heerxvegs) bildet grien Fischer schwäb.
3, 830; so auch schon früher: alle karrengeleisen in
Strassen sollen mit grien ald kleinen steinen verebnet
werden Staub-Tobler 2, 747 {quelle von 1646).
b) sandfläche, sandiger plan:
der nam z'ein ander unde las
die fürstcn üf den witen grien
KoNR. V. WüKznuiiG troj. 11G05;
des ertrichcs grien gold. schm. 917;
auf dem grien lag ain gslosz . . .
was Leupelstorf genennet
M. Beiiaim nacfi .ScuMr.i.i.EU 1,1000;
vogelgricn vogelherd: wir sind überein kommen . . .
das man sol teilen die vogelgriene Martin-Lienhart
1, 276* {Straszb. quelle des 14. jh.); Vogelgrün darf bei
Neubreisach am Mhein; sehr häufig als flurname {auch
in den formen grein, grün) Bück flurnamenb. 90; vgl.
Staub-Tobler 2, 747; Schmidt eis. 154'^; im besonde-
ren: von fluszsand oder geröll gebildete sandbank, insel
oder halbinsel: auen und grien Staub-Tobler a. a. 0.
{urk. von 1344); die flösse gestundent uf eime griene
obewendlg der brücken städtechron. 9, 689 (Königs-
hofen); tamariscen . . . wachsen vil in den grünen
des Reins Brunsciiwig distillierbuch (1509) 105''; dasz
sich das goldreiche sand sonderbar linde auf den klingen
(seyn von dem wasser selbst aufgeworfene sandhäufen,
auch grien genannt) Sgiieughzer 2, 21; alluvioncn,
grienen und ausätze in den Aussen gehören den regie-
renden orten Staub-Tobler 2, 747 {quelle von 1729); das
Grien (Spitalgricn) neckarinsel Fischer 3, 830. dazu:
grienbüggel, m., sandhügel: gott . . ., der den bauern
im Emmenthal gepredigt hat, wie gut der klce sei, und
wie vortheilhaft die esparsettc auf ihren grienbüggeln
Gottuelf 23, 64. — grien fläche, /. .- der schlämm
der wasserebenen sand- und grienflächeu bekleidete
sich mit pflanzen Zsghokke g, 299. — griengrube,
/.; ich . . . sah . . . einen felsigten hügel, wie eine
griengrube gespalten, aus seinem Schlund glühenden
sand auswerfen Pestalozzi 10, 103. — grienkopf,
m., 'jede von einem ström oder gieszbach angelegte er-
höhung von sand und steinen' Stalder 1, 479. —
grien v/eg, m., kiesweg: euer gnaden fodern jetzt sieben
äcker zu schattengängen und grienwegen Pestalozzi
10, 56.
2) nieren- und blasenstein: morbus calculi das grien
Schmidt eis. 154 {quelle von 1396); alantkrut und wurtzel-
wasser . . . vertribt das grüen Brunschwig distillier-
buch (1500) 17^; ist fast gut fürs grien in lenden und
blasen Lonigerus 41"; der das grien hat und schwarlich
harnet Gesner thierbuch (1563) 60«"; öfter bei Para-
CELSUS ojicra (I6I6) l, 79 C; 657 A; gelegentlich auch für
einen andern krankheifszustand, der aber ganz ähnliche
schmerzen hervorruft: ischias, liufftwee oder grien Das.y-
PODius LI 8"; ischias, hufftwehe, das grün Golius
onom. (1582) 277; den ischiadicis, so in den hüfften weh-
tagung und grien haben Prätorius katzenveit (1692)
71; dazu: griengaulen, ri., am stein leiden : alle böse
flegmatische flüsz und trieffen als megre, grienegaulen,
Wassersucht Thurneisser von tcassern (I6I2) 81; vgL
Stalder l, 430 und gaulig th. 4, l, l, 1573.
2GRIEN, n., Schweiz, für die edlen eingeweide des
Schlachtviehs: hinge, leber, herz, Luftröhre; siellenweise
wird auch köpf, blut tmd fett dazu gerechnet Staub-
Tobler 2, 748; exta eyn gehenk, grien Dasvpodius 291";
grien, eingeweid exta Maaleh 192"=, von dem kalb . . .
besondere trachten . . . gekocht, als grien, kröss, füss
Gesner thierbuch (1663) 125; sie würfen viel tonnen mit
grien und unrath gefüllt in die festung, wodurch ihre
brunnen und Wohnungen verunreinigt wurden Frisch
1, 372'' aus WuRSTjSKN Basier chron.; es sollen die
metzger das kopffleisch, die kröss, grien (bei welch letz-
teren auch das herz sein soll) und milzi besonder und
ohne das fleisch verkaufen Zürch. metzgerordn. v. 177«
nach Staub-Tobler 2, 748, ivo auch die form die grye
belegt ist. ctymol.?
3GRIEN, m., nebenform zu kren merretig Grassmann
nr. 60. 71; gemeiner grien Holl 230"^; nach Nemnich 2,
1093 sind grien, grän ostdeutsch; mundartl. im scJiles.
krien; krieneisen reibeisen; vgl. kren l c.
GRIENBÜGGEL und andere composita mit grien sand,
kies s. unter * grien 1.
1 GRIENEN, vb. 1) steine aus dem fluszbett wegräu-
men {vgl. 1 grien l b) ; kies auf straszen zmd platze füh-
ren {vgl. igrien 1 a) Staub-Tobler 2, 748; geläufiger ist
das compos. übergrienen. 2) am stein itiden {vgl. 1 grien 2) •
hat in das grineu, griess und ryssend stain angestosscn
Fischer schzväb. 3, 830 {quelle von 1535).
^GRIENEN, vb., lachen, grinsen, nd. form für grei-
nen, s. d. II sp, 61. — grienf ichler, m., 'Schmeichler,
der bei seinen reden grient' Berghaus 1, 612»; vgl. ficheln
th. 3, 1612. — grienfiest, m., berlinisch: jrlnefiest einer
der immer lacht Brendicke 130"; dafür auch griinfiister
Berghaus 1, 612''; er grienfiestert schmunzelt Trachsel
20. — grienlachen, vb., hinterlistig lachen Lkihener
cronenberg, 47*'; nach Schmeller l, 996 uudi in der
llheinpfalz; vgl. grieflachen und grimlachen.
GRtENIG, adj. 1) sandig, kiesig: mit dem grienigen
mer Reinfr. v. Braunschweig I956l; im heutigen
schiveizer. 'voll geröll, kies': grieniger boden im gegen-
satz zum lehmboden Staub-Tobler 2, 748; neben dürren,
sandigen oder grienigen und steinigen feldern mit ma-
gern! pflanzenwuchse Zschokke 5, 26; am fusz eines
elenden grienichten hügels Pestalozzi Lienhard (l79ü)
1, 384.
2) am blasen- oder nierenstein leidend: calculosus homo
dem grien und stein underworlTen Frisius (1556) 175*^;
die eselmilch den grienechlen oder so das griess und
reysenden stein haben, nichts schadet Gesner thier-
buch (1563) 43; den calculosis oder grienigen, die sand
im nieren haben Stumpf Schioytzerchron. (I6O6) 661*';
im heutigen schiceiz. nur noch vom vieh Staub-Toblek
2, 748.
GRIENITZ s. grünitz.
GRIENKRAUT, 71., tnlat. perdicium, auch S. Peters-
kraut, tag und nacht Frisius (1556) 975 **; heutiger name
parietaria officinalis Pritzel-Jessen 265.
GRIENMACIIER, «1., gramtis Diefenbach 268''; nov.
gloss. 196''.
265
GRIENSING - GRIESELN
GRIESEN — 1 GRIESGRAM
266
GRIENSIXG, m., Wihsung arüneyhuch (1588) 464b;
gi'iensich ib. reg.; = grensing, s. d.
GRIENVÖGELEIN, n., alte bezeichnung für den bäum-
2neper, anthus arboreus; zuerst bei Gesner: disz vöge-
iin, so zu Strassburg gickerlin, guckerlin oder grien-
vögelin genennt wirk vogelbuch (1557) 71''; anthus cam-
pestris Naumann naturgesch. d. vögel; denselben vogel
meint alauda campestris Nemnich v'b. d. naturgesch.
209; identisch mit greinerlein, s. d.; vgl. Süolahti 94/1
GRIESART, vi., brummiger mensch; mit falscher ctg-
mologie grieshart Pansner schimpfivb. 2i^ ; zu griescn
(s. d.) ; vgl. greisart sp. 82.
GRIESE, /., nach schwäbischer ausspräche (Fischer
schiväb. 4, 416) bisiceilen gedruckte form für kriese kirsche
Pritzel-Jessen 312; griesze prunus avium Nemnicii
wb. d. naturgesch. 210; vgl. griesbeer Pritzel-Jessen
312; griesberen cerasa Wächter 614; ab illis ossiculis
(sc. intra baccam) arbor ipsa Francis vocatur griesbaum
ib.; griesbaum, griesbeerbaum Bucic fiurn. 90.
GRIESEL, m., das erschauern: grissel horror Diefen-
BAGH 280° (Wetterau); griescl pavor, metiis; ein heim-
licher griesel überfället ihn Stieler 698; griesel horri-
pilatio Nemnich lex. no^olog. ib^; griesel schauder
.Schmitz Eifel 225; grisel frösteln, schaudern, schrecken
Hünig 69»; ^visel schander Stürenburg 76*; vgl. grie-
seln.
^GRIESEXICH, adj., horridus, vorwiegend im westl.
nd., Quantität des vocals schwankend: griselik grausig
Bergh.\us 1, 608 '>^; griselich Schambacii 69»; griaselik
schaurig Woeste 85''; %t^?.z\i(ik fürchterlich Strodt-
MANN osnabr. 97; rheinfr.: ergrislich Kramer bistritz.
y9; grisselich schauerlich Wegeler coblenz. 20; grislich
Frischbier i, 253; vgl. afries. grislik Richthofen 787;
mnl. griselijc, nnl. aigrijzelijc; aeiigl. grislic, engl, grisly.
das schwanken des vocals im deutschen offenbar alt:
j.'rysselich terribilis Diefenbach 580''; grysseliche hör-
rendus im"" ; griselich «evusSSl"; grisliken, -liehen seve-
riter, severe 531''; ältere lexicographen haben länge: grie-
selicht pavidns Stieler 698; Kramer teut^ch-ital. l,
558"; ebenso tveisen die diphthongierten formen greislich
(s. sp. 93) tmd greisemlich (s. sp. 83) auf länge, früh-
zeitig zu belegen: so en griselicker vall AVallraf 31
{Köln 1334);
y «loch hortieh eyn jemerich schrcy,
scryen lut : owe 1 owach !
grob, cleyne, gryslich, meniccrley
Ceusne tninncr. 4518,
nebenform: grijstelich horrendus Diefenbach 280''; im
älteren nd. herrscht greselik horribilis ib. ; crudelis nov.
gloss. 171»; trux 373 '^; severus 531''; «. Schiller-Lüb-
uen 2, 144''; vgl. gräszlich.
-GRIESELICH, adj., sprenkelig, graumeliei't ; ivesent-
lieh obd. : grieselicht zweifarbig, gesprenkelt, von thieren
Reinwald henneberg. 2,55; grieslig, z^-iG^elt mischfärbig,
buntfarbig Unger-Kiiull 307»; auf einem grawen od-
dcr gryselten rosz sitzende Seb. Franck beschr. der
Türkei (l530) H 1»; grieselt (pferde) und viel weiszes
drunter gemengt sind freudig Colerus hausbuch 243;
dazu substantivisch griesel, m., pferd, das iveder Scheck
noch Schimmel ist, aber haare gemischter färbe {schwarz
bis rot) hat Unger-Khull 307»; grisla, /., kuh mit
grau und iveisz gemischten haaren Bühler Davos 2, 5;
weiteres s. unter greisig sp. 92 und * greis 2 sp. 65, tfo zur
erklärung des vocals ivortvermengung angenommen wird;
ist an grieszelich {s. m.) zu denken?
GRIESELN, vb., meist unpersönl., erschauern vor kälte,
furcht, schrecken, ekel, absehen; nd. tcort, geltungsbereich
und schwanken der vocalquantität wie bei igrieselich
{s.d.): griseln, griseln, ^vnsQln schauern, frösteln Frisch-
uiER 1, 253; götting. griseln ib.; et griaselt mi Woeste
85''; et grisselt mech Wegeler coblenz. 2o; grieselen
schaudern Schmitz Eifel 225; grisseln von Adelung
als nd. notiert; auch im mnd. hat das stammverbum
cerschiedene vocalquantität: neben üblicherem gresen nach
uusweis der reime grlsen Schiller-Lübben 6, 144; vgl.
mnl. grisen schaudern, grauen, nnl. afgrijzelen; aengl.
ägrisan schaudern, fürchten; zur wurzel '''grls-, die mit
paralleler bedeiitung neben formverwandtem *griis- steht,
vgl. Falk-Torp nor^c. dän. etym. wb. i, 356; s. u. gries-
gramen. das vb. entfaltet sich später als das adj., hat
aber als einziges tvort der gruppe auch literarische Ver-
breitung geiconnen, selbst bei obd. autoren: es grieselt
mir über den ganzen leib toto corpore perhorresco ; jetzt
grieselt ihm erst über dem was er angefangen hat ex-
timescit eventum Stieler 698; es grieselt allen men-
schen für den gespenstern Kramer teutsch-ital. l, 558'^;
vor foreht grieselt mir gleich die haut
II. Sachs 11,457 Keller;
da grieselte es ihm doch den rücken hinauf, eine
gänsehaut flog über seinen körper Hauff 3, 103; das
mir das hertz im leibe grieslet, wenn ich daran ge-
dencke Friderich sendbrief a. d. vollen brüder (1555)
c 2''; den anwesenden grieselte die haut Langbein 7,
62; das griseln, so man einen mit kaltem wasser be-
schult Mich. Herr sittl. Zuchtbücher (1536) 155''; der
naturfeste bauerjunge, der immer von schaudern (grie-
sein) hört Göthe 42, 2, 89 Weim.; grieselndes entsetzen
Lenau liSBeclam; grieselnd grausen R. Wagner 6, 112 ;
mit poet. freiheit: huh! huh! schrecken grieselt in mei-
nen locken — durch meine knochen zermalmung Schil-
ler 2, 293; das tcort ivird vom volksetgmologischen emp-
finden öfter mit grieszcln körnig werden vermengt, dazu
grieselung: mit grieselung der haut schles. refactions-
ordn. (1656) F4''.
GRIESEN, vb.: grisgramen kann . . . durch die Zeit-
wörter griesen und grieseln erkläi't werden allg. dtsch.
bibl. 42, 579; icohl das im älteren nd. ganz spärlich, im
mnl. eticas häufiger belegte grisen ringere, os obtorquere
s. 3 greisen sp. 85; dazu noch grisen als een hont sub-
sannare Diefenbach 561''; wohl gleicher lourzel mit gri-
seln; vgl. auch griesgramen. vericandt sind cryselende
vel knerschende stridulus Diefenbach 556»; nd. kri-
selen stridere th. 5, 2332; nl. krijzelen knirschen; das vb.
scheint in jüngerer zeit ein adj. enttvickelt zu haben:
der mann im mond guckt auch so griesz mich an
Z. Werner kreuz a. d. Ostsee (1806) 241 ;
grismaulen ein grieses greinendes maul ziehen Frisch-
bier 1, 254. zweifelhaft ist, ob hierher gehört:
wenn man mir wolte schencken gleich
JJordwegen, das gantz königreich,
das ich solt mit eim solchen alten
saurzapfeten könig hauszhalten,
fürwahr so möcht ich ihn nicht nemen,
zuhörn seinem grisen und gremen
Ayrer dram. 3, 1617 lit. ver.;
hier könnte freie Zerlegung vorliegen, wie sie vorgenom-
men scheint in dem nicht seltenen »prichicort: grisz
schlecht gern nach gramen, ain dieb bringt den andern
Steinhöwel Äsop 88 lit. ver.; vgl. Luther 5, 2-aJena;
Frey gartenges. 41, 13; 178, 18 lit. ver.; oder deutet sie
auf ein verschollenes, selbständiges gries? vgl. die un-
klare notiz bei Westenrieder 'grics zorn, von gramen,
grämen' gloss. 218.
GRIESFÜGHS, m. 1) der vir ginische fuchs, canis ci-
nereo-argenteus, dessen rücken silbergrau gesprenkelt ist
Nemnich ivb. d. naturgesch. 209; Prechtl technol. en-
cycl. 11,20; engl, greyfox. 2) pferd von gviesQÜchav fär-
bung Unger-Khull 307»; zu greis grau, vgl. sp. 05 und
oben 2grieselich.
1 GRIESGRAM, m., in alter spräche swm.; zur form
und Jierkunft vgl. das reicher entwickelte vb. gries-
gramen.
1) das knirschen der zahne: Stridor gris-, griszgram
der zen Diefenbach 550»; vgl. nov. gloss. 350''; ahd.
nur in erweiterter gestalt nachzuxceisen : in griscramode
in fremitu Graff 4,326; cristcrimmod Stridor dentium
ahd. gl. i, 188, 11 ; icesentlich beschränkt auf das Zähne-
knirschen in der hölle:
thar ist gristgrimmo endi gradag fiur
Hcliand 2144 Mon.;
267 2GRIESGRAM — GRIESGRAMEN
GRIESGRAMEN
268
da ist niht wan weinen und wofen und grisgram der
zene spec. eccles. 168 Kelle;
da wirt alle freid tewr
da nix anders ist dan grisgram der zend
passionssp. aus Tirol 276 Wackemell;
dissimiliert: weinen und grissame Lucidarius 62, 8 Heid-
lauf; ertceitert:
der armen cene grisegram
piniget sie besunder väterhuch 15210;
nur bis ins mhd., algelöst durch grisgramen der zene;
ganz vereinzelt im nhd.:
wann wir die ewigkeit der griszgramstraf betrachten
RoMPLEii erstes gebüsch (1647) 9.
2) ende des 18. jhs. taucht das siibst mit ganz ande-
rer hedeutung vdeder auf, anscheinend ohne Zusammen-
hang mit mhd. grisgrame, vielmehr neugebildet nach dem
adj. griesgramig und dem vb. griesgramen, in anlehnung
an das subst. gram, dem es auch in der bedeutung zu-
neigt: mürnscher sinn, miszmuth; im nd. mag der ge-
danhe an gris grau mitspielen :
griesgram sieht alles grau
BÖHME volksthüml. Ueder d. Deutschen 222;
ein alter hagrer mops voll griesgram
bleibt noch von köpf und pfot ein mops
Voss sümtl. ged. 6, 1S2;
kein alter macht für die Schönheit der natur unemp-
findlich, nur der griesgram thut es Hegner molhen-
kur 8,124; gerii persönlich: 'der stärkste ausdruck für
den begriff des grämlers ist griesgram (griesgramm)'
Weigand synon. 2,431;
laszt ja den griesgram gehn !
Bürger 21»;
doch hat er (.Nereus) einen harten köpf,
der widerwärtige sauertopf,
das ganze menschliche geschlecht
machts ihm, dem griesgram, nimmer recht
GöTiiE 15, 158 Weim. ;
oft gebraucht, vgl. 13, l, 10; 16, 238; IV 21, 132; 37, 136;
ein mann, der immer zankt und keilt, ein griesgram
Bauernfeld ^es. «c/i». 4, 227; der ästhetische griesgram
Hebbel tageb. 3, 89; namentlich alter griesgram:
ja, alter griesgram, dank sind wir dir schuldig
Zacii. WER^■ER kreuz a. d. Ostsee (1806) 107;
seitdem er nicht mehr schieszen kann, ist er eigent-
lich ein alter griesgram Rosegger 4, 267; aucli dialec-
tisch, besonders im nd.: dat is 6n rechten grisgram;
grelsgräm »««rrÄo^/BAUEU-CoLLiTZ 41 " ; jriesgram Bren-
dicke 180*; grisgram Friscubier i, 254; Fischer sam-
länd. 53 ; wer in Karlsbad ein foidel, ein geizhals ist,
in Braunau ein lasterband oder griesgrom Petters
stoffsamml. 13; grisgram mürrischer mensch Fischer
Schwab. 3, 842.
2 GRIESGRAM, adj., mürrisch; im älteren nhd. nur
sj) urweise:
solch rauche wort wird er mir gehen . .
wie er dann streng und griszgram ist
Spangenberg-Fröreisen griech. dramen 2,118;
erst ende des 18. und anfing des 19. jhs. häufiger: dem
fürchterlichen griesgramen teufel Maier Fast v. Strom-
berg 82; der griessgrame kerl {der tod) will mir keine
frist mehr dekretieren Iffland theatral. werke 5, 62; ihr
griesgrames muckern J.\hn 2, 750;
selbst der bischof, der gewöhnlich
griesgram aussieht, wenn er messe
lesen soll Heine 2, 141 Elster;
'ein niedriger ausdruck für mürrisch, verdrieszlich'
Rümpf gemeinnütz. icb. (l8ll) 145; Heinsius 2, 532;
für die alten greisgramen gesellen Maier stürm auf
Boxberg 68 ; vgl. z. f. d. iv. 10, 121 ; schwäb. auch mit dem
xcmlaut von griesgrämig: es ist eine griesgräme kälte
Fischer 3,' 842.
GRIESGRAMEN, vh., mit den zahnen knirschen.
herkunft und form.
l) als erster bestandtheil im ahd. meist gris-, cris-,
doch auch noch die ältere form crist-: cristcrimniot rtt-
g-it ahd. gl. 1, 154, 17; cristcrimot stridit 154, 25; crlst-
crimmod zaneo Stridor dentium 188, 11; kristkrimmunc
Stridor 252, 27; vgl. Graff 4, 326; asächs. gristgrimmo
Heliand 2144 Mmi.; vgl. auch aengl. grist, m. (?), das zer
mahlen, körn zum zermahlen, zermahlenes körn; grist-
bitian, -bätian mit den zahnen knirschen; gristian mahlen,
reiben; gristel, m., knorpel; auch engl, gristle, mnd.
gristel; mhd. üz gristen ausmahlen mhd. lob. 2, l, 823-'^
unter gerüste; meist mit aengl. grindan zerreiben zu-
sammengestellt: germ. *gred-sti zum stamm gred-, einer
nasallosen seitenform zu grend-, vgl. Fick ^3, 140; diese
deutung, an sich nicht ohne bedenken, läszt die in älte-
rer spräche nicht seltenen uformen unerklärt: cruscrim-
munt, grusgrimmon, gruscrimmotun , irgruscrimmota
Graff 4, 826; do grustgramet er. also sol der sünder
grustgramen in siner riuwe pred. d. 13. jhs. 1, lll Qries-
haber; (er) grüszgramet Spreng Äneis 212*; noch im
heutigen schiväb. grusgrämig Fischer 8, 842; dazu offen-
bar got. krusts tun|)iwe Matth. 8, 12 : vgl. Grimm gr. 2,
573. deshalb eher zu den parallelvmrzeln gris- gros- {s. o.
grieseln horrere, griesen Hngere), als deren gnmdbedeu-
tung 'knirschen' anzusetzen zcäre; so, nach Kluge, Th.
Braune dtscli. etymologieen, progr. Berlin 1912; das den-
talsuffix auch beim adj. grijstelich, s. o. igrieselich.
aus gründen des ivorti'hythmus öfter griese-, besonders
im md. und nd.: griesegrammen Hesler apoc. 10642;
der cene grisegram väterb. 15210; so gricsegramet die
heilige kriminaljustiz Moser 8, 81 ;
gar zu griesegrämlich
schauet er {der himrnel) herein
W. Mlxler 298 Hatfield;
griesegrammlich Wein hold schles. 29; grysegrammen
Richey hamburg. 81; schicüb. auch gritzgrammen ; gritz-
grimm, -gramig, -grämig Fischer 3, 842; gelegentlich
dissimiliert: gisgrimmot Graff 4, 326 {oder fehler?);
assimiliert und umgedeutet: graszgramen Seb. Franck
sprichiv. (l54l) 2, 166% vgl. grasz zornig; falsch verhoch-
deutscht: greisgram, *. o. 2 griesgram; vgl. greisgram,
-grimmig sp. 91 ; weifer ab stehen grimgrancn Schade
sat. 1, 127; 20; grimgramsen {s. d.) u. ä.; zur Zerlegung
in dem sprichivoi-t grisz schlecht gern nach gramen
s. 0. unter griesen.
2) im zweiten bestandtheil ist grimm- die ältere form
{bedeutung 'knirschen', wie sie auch beim adj. ahd. grim,
grimmi 'zornig' ^'»jmäj' ist; vgl. zano gagrim Stridor
dentium Monsee- Wiener fragm. Matth. 13, 42): grist-
grimmo Heliand 2144 Mon. ; cristcrimmod zaneo ahd. gl.
1, 188, 11; kristkrimmunc 252, 27; auch beim vb. ist im
ahd. -grimmön häufiger als -graniön Graff 4, 326; noch
frühmhd. nicht selten:
vil griscrimmenle er sprach
kalserc.hron. 0352 ;
tha {im kämpfe) wart michel grisgrimmen
Jiolandsl. 5914 Bartsch ; -
dfi sol wesin weinen und grisgrimmen der zende pred.
des 13. u. U.jhs. 73, 22 Leyser {aber 74, 19: grisgram-
men); nur in einer formel der rechtssprache länger leben-
dig geblieben: als ein grisgrimmender löwe Grimm rechts-
alterth. 2, 375 {s. u. bedeutung l); beim adj. nur in
spuren: dasz er gantz griszgrimmig gegen himmel ge-
schaut Abr. a St. Clara Judas i, fri; schwäb. gritz-
grimm Fischer 3, 842. — daneben auch schon im ahd.,
wenngleich nicht ganz so häufig, formen mit gram- : gris-,
crisgramön, -cramön Graff 4, 326; in griscramode in
fremitu ib.; grisgramunga ahd. gloss. 1, 718, 30"; natür-
lich, dem stamm gram- entsprechend, stets mit einfachem
m; doch seit dem spätahd. auch formen mit mm, die in
demselben masze zunehmen tvie griesgrimmen zurückgeht
und ihre consonanz vielleicht von da übernommen haben ;
vgl. Graff a. a. o.; griesgrammen ist auch die Schrei-
bung mancher neuerer lexicographen, vgl. Adelung 2,
799; H. Braun 126*»; Voigtel 2, i3i; Täübel buch-
druckerk. anh. il.
8) der zweite bestandtheil erscheint, durch anlehnung
an andere verba, in allerlei Variationen: griesgran-
nen, nur in älterer spräche: aber es ist das er grysz-
269
GRIESGRAMEN
GRIESGRAMEN
270
graiinet über dich suscenset tibi Terenz (li99) 21^; das
liab ich doch jetz am hergon mit mir selber grißz-
grannet 46^; daneben gryszgrammen 19^. 92*; also grisz-
grante und bran er in im selbst Sghaidenreiszer Od.
(15S7) 8i*; griesgrannen /remere //ewima (7emm. (1508) 1 l*^;
der low grieszgrant, thet zornig sein
Eyering proverb. 1, 139;
von den bösen zenckischen weihen
die niclits können dann greinen, zannen,
anch scbelten, fluclien und griszgrannen 2, 7i.
griesgramsen, ganz vereinzelt: also muste nun Sana-
truzes solches einwilligen, wie heftig er auch in sich
selbst grieszgramsete Bugholtz Herkulisktis (i665) 197;
vgl. 13. g r i e s g r a m e 1 n , ebenso selten : grisgramle weder
laut noch im stillen, dasz ich bisher deinen lieben brief
unbeantwortet gelassen habe briefe von u. an Bürger
», 252 Strodtmann. gries grämen, erst in neuerer zeit:
alles heimliche griesgrämen der geistlichen hilft da
nicht allg. dtsch. bibl. 76, 347; auch in der construction
an grämen angelehnt: es griesgrämt mich, wenn ich so
viel unerträgliches mit dem titel anakreontisch beehrt
sehe Uz bei H. Feuerbagu Uz und Cronegk 33; dazu
dialectisch griesgrämer homo morosus Meisinger rap-
penau. 78. griesgrämeln, in jüngerer zeit hävfiger:
die Ludraer hatte bei dieser crörterung zur antwort ge-
griesgrämelt und 'gebrummkatert' Gutzkow riiter v.
geiste 8, 70; wie denn auch griesgrämelnde kritiker kei-
nen anstand genommen haben zu behaupten Scherr
hammerschlüge (i872) 70; dazu griesgrämler Böhme
gesch. d. tanzes 272; griesgrämelei: das arme men-
schenleben ist ja so kurz, und wir sollten noch einen
so groszen thcil mit misanthropischen griesgrämeleien
verderbenl Seume bei Planer-Reiszmann 92. gries-
grauern, bair. nach Heinsius 2, 532.
hedeutung.
i) von thieren : zunächst 'mit den zahnen knirschen',
dann 'murren, brüllen'; besonders vom hund:
dö grisgrammete der hunt,
vil lüt er ingegen dem henen screi
kaiserchron. 407, 29 Diemer;
aber auch von den verschiedensten arideren thieren, z. b.:
vil starc ist sin (ß^cs serpantes) grisgraninien
und sfn toben daz er tuot
KoNR. V. Würzburg iroj. 8203;
als under zamen schäfen
ein wilder wolf grisgrammet
und tif si wirt entpflammet 12619;
dieser gebrauch ist im mhd. am lebendigsten, vgl. IjEXER
1, 1089; er dauert bis ins nhd.:
und mit seiner beerischen stimm
murrt er (der bär) und grissgrammet mit grimm
H. Sachs 9,214 Keller;
gemeltes eberschwein lief mit grisgrammen und mit
brinnenden äugen auf diejäger Sghaidenreiszer Od.
(1537) 83^; seit je gern vom lötcen: do begonde der lewe
grisgramen und ungeberdic sin väterb. 8, 5 Palm; darum
ward der leo zornig über den esel und griszgi-amet mit
den zenen Steinhöwel Äso-p 86 lit. ver.; gelegentlich
auch in der bibelstelle 1. Fetr. 5,8: der tüfel. der get
üch noch alse ein grisgrammender löwe Nie. v. Basel
i(j8 Schmidt; als formel der rechtssprache : es soll der
richter auf seinem richterstul sitzen als ein gris-
grimmender löwe Grimm rechtsalterth. 2, 375; nun so
sitze er auch . . . auf dem richterstuhle als ein gries-
grammender löwe Adeluno magazin 2, l, 141;
der richter sitzt,
schlagend den rechten fusz tiber den linken,
griesgramend als ein leu Kretschmann 2, 280;
vor solchen griesgrimmenden löwen dreht nun oft das
wildprct der gerichtsstube den hut Je.\n Paul 39, 116;
vgl. auch: aber sagt Tielleicht ein grisgramender kunst-
richter allg. dtsch. bibl. 11, 98.
2) gern verbunden mit zahn; namentlich in gewissen
bibelstellen; vom spätahd. durchs ganze mJid. stehend als
Übersetzung von ibi erit fletus et Stridor dentium Mafth.
8, 12; 13, 42. 50; 22, 13; 24, 51: weinen unt grisgrammen
der zende ahd. evang. übers., Germ. 14, 446; ebenso Be-
HEiMS evang. buch, erste deutsche bibel (lit. ver.); erst
bei Luther, dann auch bei Eck {Ingoist. 1551) und
in nd. bibeln gemieden; in zahllosen cifalen und Va-
riationen zu belegen:
um die röten vüres flammen,
dar die sele grisegrammen
inne von ewen zu ewen
Hesler apoc. 10642;
in abgrund der hell, da nichtz anders ist dann heulen
und wainen und grissgramen und traurigkait Keisers-
BEUG has im pfeffer c 3*; es sey in der hellen ein sol-
ches stettwehrendes heulen, grissgramen Ayrer Proces-
sus juris (I6OO) 592; nicht minder fest als Übersetzung von
spumat et stridet dentibus (vom besessenen) Marc. 9,17:
grizgrammit mit den zcenen Beheim evang. buch; ebenso
erste deutsche bibel (lit. ver.); Eck bibel {Ingoist. 1550);
dann auch in der profanen spräche: liget der mensch
in einer sucht und mit den zenden grysgrammt, daz
bedeutet den tod oder daz er unsinnig wil werden
Ortolf V. Bayrland 14''; öfter als ausdruck von wuth
und zorn: alle mine vint shrieren ob mir unt gris-
gramten mit ir zenden pred. des 13. und 14. jh. 18 , 27
Leyser ,-
IJIesentius) grüszgramet mit den zänen grewlich
Spreng Äneis 212'';
in anderer construction seltener: eyn zorniger gebaret
mit allen seinen glidern zorniglich . . , die zene knyr-
schen und grissgrammen Agrigola 750 Sprichwörter
(1534) I 1»»;
dO wart ir Wate der alte in der zit gewar.
mit grisgramenden zenden ze hant huop er sich dar
Gudrun 1510, 2 ,
der gcplente Gyciopes biss die grissgramend zen auf-
ainander Sghaidenreiszer Od. (1537) 89"; grisgramen
der cene von dem froste Luddarius 5, 7 Heidlauf.
3) ohne ergänzung; das ethos des ausdrucks ändert
sich: zuf ruhest und in mhd. zeit vorherrschend 'in zorn
gerathen, zornige gebärden zeigen, vor zorn brüllen, to-
ben, icüthen': grisgramen stridere Diefenbach 556*";
frendere nov. gloss. 182*'^; griszgramen vor zorn fremere
gloss. 2-46''; infremo vor zorn murren und griszgram-
men Calepinus xi ling. (1598) 725*; griesgrämen rin-
gere, hirrire, frendere, corufremere, infrendere Stieler
T04; ziu griscramoton an Christum ebraice gentes {fre-
micerunt) Notker ps. 2, l , tind so stehend in der älte-
ren bibelübersetzung : worumb grisgramtten die heyden
erste dtsch. bibel (lit. ver.), ebenso noch bei Eck {Ingoist.
1550); erst von Luther gemieden;
doch bringen sie mit dem verdammen,
mit dem verfolgen und griszgrammen
nur über sich des herren zorn
Fischart nachtrab 1964 Kurz;
der erzhirt griesgrämt wie ein heyde
Pfefi-el jioef. versuche 3, 15i;
theilt man rippenstösze aus, ... so griesegramet die
heilige kriminaljustiz gleich nicht anders, als wenn sie
einen lebendig verschlingen wollte Moser 3, 8i; oft
parallel mit ausdrücken des zornes, grimms:
er begreif so grözcn haz
daz sin gemüete in zorne bran
unde er grisgrammen began Bari. 211, 38;
was finden wir da dann zürnen, greinen, griessgrammen
und hass Paracelsus opera 2, 450; irasci ergrimmen,
griszgrammen, grüntzen Schöpfer s?/non. b 6 e; die er-
innerung an die ursprüngliche bedeutung 'mit den zahnen
knirschen' bleibt lange wach:
man hörte dii grisgrammen
und mit den'zenen klaffen
KoNR. V. WüRznuRG Parton. 6164;
sie sahen alle stürmisch und mörderisch aus, griss-
gramten und bissen die zahn auf einander Grimmels-
HAUSEN Simpl. 4, 731 Keller;
271
GRIESGRAMEN
GRIESGRÄMIG
272
(die Mischer Christi) zugloich mit zahnen kirrten,
griszgrammten ungescheut
Spek trutznacht. (1649) U;
daneben 'mit den zahnen klappen, leben, inmmern vor
angst und schmerz'; so besonders im älteren nhd.:
ich hoDre da grisgrammen (: flammen),
wainen unt wüffon H. v. Melk tod. geh. 730;
da er gesehen hatt das zettergeschrey, wehe, griszgram-
inen, j ammer und pein volksb. vo}i dr. Faust 52 neudr. ;
ja krüm dich, wein, griszgram und klag
Spangenberg-Fröreisen griech. dr. 1, 244;
ob ich schon wandert mit griszgrammen
in dem gar forchtsam iinstem thal
H. Sachs 18, lOG Keller-Götze;
das naget mich an meinem Lertzen
mit solchem griszgrammen und schmertzen,
, das ich zu naht nit schlaffen kan 14, 42;
da {im sterben) höret man manchen schelten, winseln,
griszgrammen, dasz sich männiglich darob entsetzt Joh.
Sau BERT wagen Simeonis (1627) 50; zuletet entwickelt sich
die hedeutung 'miszmuthig sein, brummen, nörgeln, schel-
ten'; so vielfach in neueren lexicis: verdrüszlich, übel
aufgeräumt sein, saure miene machen Kindleben stu-
dentenlex. 96; ein unwilliges, menschenfeindliches gesicht
zeigen Heynatz antibarb. 2, 76, ähnlich bei Klein l, 163;
Heinsius 2, 532;
und wer nicht gern sieht leut beisamen,
das er ganz ainsam müszt griszgrammen,
und wer niman mag frölich schauen
Fischart glüclchaß schiff 51, 50G neudr. ;
griesgrame nur, fluch und vermaledeie
die erde, menschenfeind
allg. dtsch. hihi., anh. zu 53—80, 1843 ;
als das glück, das mir gar hold bis dato gelächelt
hatte, mir gar schlumpweise zu griesgramen anhub
Mylius drei märleiii 293; ein schwindsüchtiger pfaffe
griesgrammt, dasz der kaiser sein halbes reich nicht
mehr in kutten stecken will Pestalozzi 7, 334; die
bibliothek griesgramt über ein defizit Görres briefe 3,
127; gelegentlich reflexiv: die Schelmen mögen sich
grieszgramen und grämen maler Müller i, 196.
4) erweitert mit präpositionen :
Annas hiez der vicrde Jude,
der grisgi-amete als ein rüde
üf den guten Silvestrum
imss. K. 77, 34, vgl. 39, 84 ;
do Maria unserm herren sin houbt begöz . . , daz ver-
k6rte man ir unde grisgramete uf si und murmelten
gSn ir myst. l, 334, 80; do wart ein murmeln und ein
runen über den legaten, und griszgrametent alle über
in und woltent alle wider in sin städtechron. 8, 50, 30;
der mit sich selbst . . . mitleidige geist unserer zeit
griesgramt spöttelnd über diesen feuersee Jung-Stil-
LING 3, 364;
. (die Juden) begunden allesamen
gegen im (Jesus) von zom grisgramen
W. V. Rheinau 159, 22;
diejenigen {lehrer) die . . . immer gegen aufklärung
und aufklärer griesgramen Wieland 32, 835 Hempel;
refleanv: er . . . grein und grisgramet in im selb
Seuse dtsch. sehr. 39, 19; nach seinem losament eylet,
griszgrammend in ihm selbst Kirchhof wendunm. 2,
527 lit. ver.; seltener: sie griszgramten under in selbs,
das sie so kleine eor . . . davon hetteii bracht Seb.
Franck Germ, chron. HS*; fürwar das hab ich yetz
am hergonds mit mir selbs griszgrammet (tnecum sto-
machäbar) Boltz Terenz {ihm) ^&'^ ; vgl. Jhesus .. gris-
grampt im geist {infremuit spiritu) Joh. ll, Sü erste dtsch.
bibel 1, 384, Keisehseekg evang. 64^
5) auch dialectisch ist das vb. heute ziemlich erloschen ;
nd. nur noch in älteren quellen : grysegrammen Richey
hamburg. 81; griesgramen heimlich murren, gleich alten
leuten Schütze holst. 2, 67; griesgramen vor unmuth,
grimm knirschen, ioeniger üblich als das adj. Schöpf
213; vgl. Sghmeller l, 995; nur in einer unpersönlichen
Wendung im obd. anscheinend noch lebendig: es gris-
grammet es ist streng kalt; besonders vom herumfliegen
kleiner Schneeflocken bei strenger kälte Fischer schtoäb.
8 , 842, ähnlich Sghmeller «. a. o. ; vgl. grieszeln l ; es
thut grieszgramen schon bei Klein i, 168 ; vgl. Hein-
sius 2, 682.
GRIESGRÄMIG, -GRÄMISCH, -GRÄMLICH, adj., mür-
risch, übellaunig, miszgestimmt; seit dem ti.jh. verein-
zelt zu belegen {s. u. 2), aber erst seit dem letzten drittel
des 18. jh. reichlicher gebraucht; Kinderling empfindet
griesgramig als 'verneuertes ivort' reinigk. d. dtsch. spr.
397; bei Adelung noch fehlend, bei Campe, Heinsius
als griesgrämisch.
1) die häufigste form ist griesgrämig; in der regel von
Personen: deshalb denn auch auf jene griesgrämigen
Pädagogen keineswegs zu achten ist Götiie IV 35 , 98
Weim.; sie geberden sich ja wie der griesgrämige major
Tellheim Bauernfeld 7, 81 ; ich gebe daher jedem sauer-
töpfischen, griesgrämigen manne unrecht, der damen-
gesellschaft scheut Castelli lo, 156; besonders vom alter:
dasz ein so hochbegabtes, schönes . . . geschöpf nicht
geboren sei, ihr leben ... an der seite eines griesgrä-
migen alten mannes zu vertrauern Spielhagen 3, 248;
alte griesgrämige . . . männchen werden gewöhnlich
von dem rudel . . verbannt Brehm thierl. 1, 26 Pechuel-
LöscJie; dann auch vom gesicht, blick: sie mag nichts
von deinen griesgrämigen gesiebtem sehen Bauern-
feld 1, 5; begegnete den giftigen blicken dreier . . neben-
buhlerinnen und dem griesgrämigen ihres Wächters
Gaudy 14, 15; nur müszte man nicht so griesgrämig,
wie es würdige historiker . . gethan haben, auf dichter
und Chronikenschreiber herabsehen Göthe II 8, 132
Weim.; das ölbildnisz des alten herrn . . , das gries-
grämig genug von der wand . . . heruntersieht JüSti
Winckelmann l, 121; aiideres seltener: so finden wir
nicht . . . einen naturwüchsigen ausbrach des zorncs
über die schmach seines volkes, sondern ein griesgrä
miges epigramm über Staatsmänner Treitsghke histor.
u. polit. auf Sätze 1, 466; gab die tanzkunst es auf, der
griesgrämisch-tendenziös . . schulmeisternden dichtkunst
länger . . die hand zu reichen R. Wagner 3, 76; auch
im dialect: gris-, auch grüsgremig Fischer schwäb. 3,
842; kriiskreemic Meisinger rfl^jpewa«. 78; greisgra'meh
Bauer-Collitzü"; gnsgväjoig verdrieszlich, alles schivarz
sehend Mi 29».
2) älter ist die umlautlose form: wirdelos und gris-
gramig sterbet und in der helle erstinket ackermann
aus Böhmen 12, 18, hier wohl noch in der alten be-
deutung 'zähneknirschend' (s. o. griesgi-amen) ; griesgrg.-
micht stomachose, intemperanter Stieler 70i; die form
ist im 18. jh. nicht selten, später durch griesgrämig ver-
drängt: einen alten grisgramigen äffen Bode Yorick 1,
118; die dame war eben nicht in ihrer festagslaune
und überhaupt ein wenig griessgramich Wetzel kaker-
lak 37; er verzog sein grieszgramiges gesicht zu einer
art lächeln Gaudy 2, 43; dialectisch: grisgrämig Schöpf
215; griasgramich Hügel 71; gritzgrämig Fischer schiväb.
3, 842; jrisjrämig Hertel thür. 108; Liesenberg Stieger
ma. 147 ; grisgrämig Frischbier l, 254. nach dem muster
des verb. {s. griesgramen form 2) sind auch hier formen
mit kurzer Stammsilbe zu erwai'ten:
cim wilden griszgrammigen alten
H. Sachs 7,48 Keller;
zwanzigtausend menschen, die ein einziger criminalist
durch Schwert, beil, galgen und rad mit 'grieszgrammi-
gem leuengesicht' vom leben zum tode bringt Gramer
Neseggab 4, 349 {vgl. griesgramen bed. l) ; ein griesgram-
miger alter herr E. Th. A. Hoffmann 2, 98 Grisehach;
griesgrammig Sguemionek elbing. 14.
3) mit anderem suffix: ein griszgrämisches gesicht
Hippel lebensläufe 2, 157; ich bin kein griessgrämi-
scher richter und verdammer der freude Arndt sehr,
f. u. a. s. l. Deutschen 2, 162; und griesgrämisch be-
gann er hier eine predigt zu halten Rückert 5, 273;
was mischen wir wünsche wie färben und wirken
unserra leben aus launen ein griesgrämisches kleid
I
273 GRIESGRÄMLICHKEIT — GRIESZ
Eulenberg Anna Waletiska (1899) 36; auch dies ohne
nmlaut: sie haben recht, man miisz nicht so griesgra-
niisch seyn Bürger an Gleim. Sfrodtmann 3, 274; da-
bei ist er jetzt griess-gramisch geworden Schopenhauer
briefe 263 Orisebach; mit kürze: griesgrammisch Martin-
LlENHART 1, 272-».
4) in anlehnung an grämlich auch griesgrämlich, na-
mentlich, aber nicht uusschlieszlich auf nordd. boden:
griesgrämliche richter mit vertrocknetem herzen Göthe
42, 2, 483 Weim.; wer ist jemals mit einem grisgräm-
lichen gesiebte zu gaste gegangen Wieland Liician l,
253; der Verfasser ist ein griesgrämlicher liberaler, der
es nicht versteht, in einen sauren apfel zu beiszen
und dabei zu lächeln Börne 2, 73; ich will heute kei-
nen griesgrämlichen Sittenprediger vorstellen Bogumil
Goltz jugendleben 3, 251; mit säuerlicher schärfe und
griesgrämlicher Verdächtigung wurde von stund an alles
französische besprochen Gutzkow 12, 399; und zöge
sicherlich nicht so verdrossen und griesgrilmlich ein-
her und langweilte die menschheit Raabe Abu Telfan
(1870) 116;
gar zu griesegrämlich
schauet er (der himmel) herein
W. Müller ged. 298 Uatfleld;
grisgremalk Schmidt -Petersen 54*; griesegrammlich
Wein hold schles. 29.
5) dialeciisch beschränkt ist die bedeutuny 'grimmig
kalt' Fischer schxväb. 3, 842; vgl. ^griesgram ttwrf gries-
gramen 5.
GRIESGRÄMLICHKEIT,/., morositas: ich, den die
griesgrämlichkeit des alters noch wenig angefallen hat
Arndt sehr, für u. an s. l. Deutschen 4, 369; die von
sorgen und griesgrämlichkeiten gequälte menschheit
Agnese Scherest aus dem leben 123; gegen diese (zu-
Schrift) hielt ihre griesgrämlichkeit nicht stich Holtei
erzähl, sehr. 14, 255.
GRIESGRAMUA^G, /., Zähneknirschen, nur in älterer
spräche: Stridor dentium grisgramunga ahd. gl. 1, 713,
30'=; kristkrimmunc 252, 27; grisgramung der zeen Die-
i'ENBACH 556"; da wirt wainen und grisgramung der
zend erste dtsch. bibel (lit. ver.) l, 53, Matth. 13, 42.
GRIESGRIMMIG, adj., zornig: dasz aber denselbigen
tag lauter regen und ungewitter war, ist er {Caligula)
also erzürnt worden, dasz er gantz griszgrimmig gegen
liimmel geschaut Abr. a St. Clara Judas i, 54; zur
form vgl. griesgramen form 2.
GRIESIG, adj., furchtbar, seltene seitenform zu 'grie-
selicli (s. d.j:
grade so garstig,
griesig und grau R. W.vgner 6, 133;
griseg Schmidt-Petersen bi^.
GRIESING, /., ornamentale glasmalerei, schwarz auf
weiszem glas Mothes ill. baulesc. 2, 52!»; zu greis gratt,
vgl. sp. 65 und oben -grieselich.
GRIESZ, m. n., sabulum.
form.
1) ahd. grioz, crioz sand, kies, gestade; asücJts. griot
sand, ufer; mnd. gvetsand; mnl. {selten) ^ici grober sand;
nnl. ebenso; afries. gret sand, ufer; aengl. greöt sand,
staub, erde; anord. grjöt steine; schtced. gryt körn. germ.
greu-ta, uie das synonyme grien, zur würzet gru zerrei-
ben FiCK 43, 145; vgl. ahd. firgriozan, stv., zerreiben; das
wort erscheint zuf ruhest in dem stam,mnamen Greutungi,
(/. i. strandbewohtier, s. Zeuss 407. auszerhalb des germ.
sind verwandt lab. rudus; aslav. gruda erdscholle; russ.
grüdä Steinhaufen; lit. grüdas körn, grüdziu stampfen; lett.
grauds kom; ohne dental cymr. gro sabulum; com. grou
itrena; aus dem germ. entlehnt ital. gteto steiniger ufer-
sand; prov. greza grobkörniger Sandstein; frz. grfes sand-
stein u. a., vgl. Diez 2, 330; junge entlehnung aus dem
deutschen ist norw. gris feine grütze.
2) das wort ist im anord., aengl., mnl., wohl auch im
asächa. neutrum; ahd. als 'masc. bezeugt durch den plu-
ral grioza, merigrioza GraVf 4, 345; mericreozza ahd.
IV. 1. 6.
GRIESZ
274
gl. 1, 245, 35; mhd. meist masc: üfen griez Parz. 41, 25,
vgl. 519, 15; guideinen griez K. v. Megbnberg 485, 12;
der grysz des meeris Rothe thür. chron. 237; nur im
alem., zumal im Schweiz., neutrum: an daz griez gestade
Konr. V. WOrzburg troj. 25333; üf daz griez R. v. Ems
Wilh. 14923; daz griez an dem stade des meres pred.
1, 113 Grieshaber; der sin körn säet an daz griez v. D.
Hagen gesamtab. 2, 219, 17; dasz gries des mers Bir-
linger tcb. z. volkst. 36 (a/us Bebenhausener legendär
von 1439); das griese furfures Staub-Tobler 2, 801
(15. Jh.); uf das undergriess ib. {a. 1606); begruben alda
iren könig Adelreich . . in das gries oder kiese Hertzog
chron. Alsatiae (1592) 109;
am ufer wütet sehr das griesz
daran die wind^sbraut heftig bliesz
Spreng Änei« 4'';
das sand . . und auch das grisz Bech Agricola (i62i)
225; auszerhalb des alem. selten: das gries oder sant
tirol. weisth. 1, 26, 20; auf ein steyniges griesz Frons-
perger kriegsb. 2, f f 2V; nur in der bedeutung 'blasen-
stein' lierrscht im 16. 17. jh. das neutr. allgemein, um
dann vneder vom masc. verdrängt zu werden (^genaueres
s. bed. 4) ; von modernen dialecten gebraucht das Schweiz,
noch weithin das neutr. Staub-Tobler 2, 801 ; im schwäb.
stellenweise neutr. im si7ine 'blasenstein' und 'geschrotenes
gelreide' Fischer 3,831; auch im lothr. und hess. er-
scJieint das neutr. noch Follmann 215''; Vilmar 137.
für gries in ßur- U7id Ortsnamen scheint das neutr.
noch heute die regel {vgl. den plural griesser) Fischer
scÄifäi. 3, 830; BiRLiNGER *c7ti<;ä6. 203; Schöpf 213. auf
ein fem. deutet ein freilich unsicherer beleg:
wir stehn auf einer griesse
und freust uns an die füesse;
wir stehn auf einem gilgenblatt
gott geh euch allen ein gute nacht
neu Jahrswunsch a. d. Ib.jh. {handsctir.).
3) Schwab, gelegentlich mit ü {unter dem einflusz des
synonymen grüz?): das grüse, das in der blauter wirt
BiRLiNGERÄcAiPöJ. 204; gicht, zippcilein und grüsz (: füsz)
Weckherlin 1,494; vereinzelt auch im bair.: für das
grimen des harms oder grüesz ünger-Khull {quelle d.
\G.jh.); hie und da mit epithetischem e: an das laut in
den griesse Arigo decam. 107, 10 Keller; ebenso 92, 8.
: 123,5; das griese /«r/«reÄ Staub-Tobler 2,-801 {quelle
\ des 15. Jh.).
\ 4) zur Orthographie des auslauts sei bemerkt, dasz die
j s-form noch im 17. jh. selten ist, aber schon in die wörter-
I bücher einzudringen beginnt: gries, griesz furfures He-
i nisch; differenciert: ^ries arena, rudus, furfures ; griesz
i nephritis Stieler; im 18. jh. gewinnt sie die vorherr-
i Schaft, auch die lexicographen entscheiden sich für sie:
I Kramer, Frisch, Gottsched {dtsch. sprachk. [i748]
82), Adelung, Campe, Heinsius bis hinab zu Sanders
schreiben gries, nur Steinbach hat noch griesz. manche
scheiden die formen nach der bedeutung, aber ganz will-
kürlich: gries arena, griesz nephritis, furfures Chomel
öcon. lex. 4, 1347; gries arena, griesz furfures H. Braun
tcb. (1793) 126''; Täubel buchdruckerk., anh. 11 ; bis gegen
ende des 19. jh. herrscht gries, gestützt durch die nachbar-
Schaft von grus und kies, mais und reis, fast unbe-
schränkt, und zwar auch im inlaut: mit feinem griese
Barth kalkalpen (1874) 581 ; griese sind . . bruchstücke
des mehlkörpers Muspratt chemie 2, 89; dagegen: am
podagra und griesze Droste-Hülshoff tverke (i879) 1,
230. hetite hat die schulform griesz wieder die Vor-
hand.
bedeutung.
1) sand, kies, sandfläche.
a) sand schlechthin: griess arena Diefenbach nov.
gioss. 33"; arenosus voll sand und griesz Frisius dict.
(1556) 116»; griesz, sandt gravier Hulsius-Ravellus
(1616) 145''; des griezes {Wüstensandes) hitze Ulr. v.
Eschenbach Alex. 9806;
lag gantz todt uff desz sandes griesz
Wickram 7, 264 lit. ver. ;
18
275
GRIESZ
GRIESZ
276
in älterer literatur beliebt namentlich in gewinnen ver-
gleichen, die der bibel entstammen; nach l. Mos. 22, 17
{vgl. I. Kön. 4, 20 tt. a.): das imzehlliches groszes volk
also der grysz des meeris Rothe thür. chron. 237; sahen
den keysser mit eyner unczelichen schare, als gryss
linde grass dess ertriches, kummen Gerstenberg chron.
M2 Diemar; to hant quemen dar der ouelen geyste so
Ycle alse grases unde gretes Schiller-Lübben 2, 144*;
vgl. sand th. 8, 1758; nach Hiob G, 3: ob der mensch auch
so Til morde . . . diebstal het getan wievil griesz ist
in dem möre Eyb Spiegel d. sitten (i5il) l ii''; nach
1. Mos. 13, 16. 15, 5:
ob du des mers griez soldes zeln
und alle stevnen sunder nennen, ich bin unverlorn
^ warthurgkr. 23, 11 Simrock;
zähl jemand, wo er kann, den griess am Oderslrande
Günther ged., nachlese (1742) 14;
sprich uörllich:
der sin körn säet an daz griez,
der nem auch allen sin geniez
V. D. IIagkn gesamtab. 2, 219, 17;
auf das sand oder griesz sayen , sein arbeit verlieren
Frisius diction. (1556) 798'\- und din griez (staub) nie-
mer müzze kamen zu andrem griezze schuabensp., landr.
cap. 263 Lassberg {aus dem judeneid) ; und jeder müllner
{soll) die neugehauten stain zuvor mit seinen aignen
grjschen beschiten und das gries oder sant sauber dar-
mit herabmallen und putzen tirol. tveisth. i, 26, 20; der
griesz oder sand von denen gepochten ertzen, daraus
der gute schlich gezogen ist Herttwig bergbxich (1734)
e'*; besonders von dem sande, der von geivässern mitge-
führt icird:
wan vil wazzer in ir lant truoc
lür den griez edel gesteine Parz. 519,15;
wann wie lauter ein wasser ist, fleuszt es durch san-
digen griesz, das wasser wirt betrieb Hartlieb Ovid
(1482) 50*^; durch die wulkenbrüch gond die wasser an,
brechend aus und verfüerend die felder mit gries, stei-
nen, Stauden und stocken Staub-Tobler 2, 801 {quelle
V. 1582) ; der ström kann einem grundeigenthümer land
oder sand (wasen oder griesz) anschütten und abtreiben
Grimm rechtsalterth. *2, 77; fliezendeu wazzer . . . diu
ziehent guldeincn griez und etleiclie edel gestain K. v.
Megenberg 485, 12;
der flüsse schönes gold verwandelt sich in griess
'die Lohe an die Oder', epicedion bei Loiienstein
Ibrahim suUan;
hei MiNEROPHiLUS anscheinend prägnant für goldsand,
bergtcerkslex. (1730) 304. 311; weiter vom grund eines ge-
wässers: {das schiff) nier dann halbes in den griesse
und grünt sancke Arigo decam. 123, 5 Keller; trinckt
er ausz ainem schiffreichen wasser sibentzehen elen tief
hynein, das man auf den griesz sehen kan Lindeneu
katzipori 187 lit. ver.;
wan got den gerechten nie geliesz,
ob er das schiflin sinken liesz
etwan nach bis uf den griesz,
berüert doch nie den grund
bibl. älterer Schriftwerke d. Schiceis 14, 11 ;
gelegentlich auch im plural: der steine vindet me da
also vile so der grieze ged. d. 11. u. 12. jhs. 366, 14 Die-
mer; ein wazzer, heizet Hermus, da bi vindet man
guldine griese Lucidarius 15, 16 Heidlauf; entsprechend
noch in neuerer ma. ein sing, gries, sandkorn Loritza
54'».
b) daneben seit alters und je später um so entschie-
dener 'grober sand, kies'; meist glossiert mit sabulum:
grysz, griesz, gries Diefenbach 506«'; sand, griesz Fri-
sius (1556) 1171''; kysz oder grysz Brack vocab. rer.
(1491) S?*»; grossior arena griesz Pinicianus (1516) KViii«;
grob sand, griesz Golius onom. 36, ebenso Calepinus
XI li7ig. (1598) 1283''; dann auch viit glarea: griez Die-
fenbach 204"; gries nov. gloss. 194^; glarea est tenuis-
simus lapillus in torrente, griez Sgiimeller 1, 1012 {mskr.
d. 15. jhs.); glarea griesz, das ist steinächtig sand am
gstad der wasseren Frisius dict. (1556) 605''; glarea
griesz oder kisz Calepinus xi ling. 618''; ager calcu-
losHS Steinacker, voll griesz, steinächtig Frisius ei*»;
scrupeus quod est lapillosum voll steinlin und griesz
Calepinus 1314*; ebenso in modernen maa.: grobkörniger
sand, kies Staub-Tobler 2, 801; kies und sand Fischer
schicäb. 3, 830; kies Meisinger rappenau. 78; steingerölle.
sandmasse Birlinger schicäb. 203; grober sand Schmel-
LER 1, 1012; Unger-Khull 307; grobkörniger sand Cre-
celius 436; Steingeröll aus kleinen steinen Leihener
cronenberg. 47''; grober sand, kies S allmann esthl. 21'';
schon in alfer .spräche mit sand zusammengestellt, doch
wohl als das gröbere:
ne mag im sand endi greot
geuuredien uuid themu uuinde
Heliand 1821;
der nimt vür golt griez unde sant
Uenner 2368 Ehrismann;
auch den boden etwas mit frischem sand und griess
tibersäyen Sebiz feldbau (1579) 96;
als vil thut an desz meeres rand
zerstrewet ligen griesz und sand
Si>RENG lUa.'i 2, 27'';
unbescheidenen strömen gleich, die aus ihren ufern
treten und die fruchtbaren felder mit sand und gries
bedecken Arndt sehr, für «. an s. l. Deutschen l, 447;
deutlicher für grobsand: darsum, in muri ein kleiner
bühel von griesz oder grossem sand gcsamlet Frisius
dict. (1556) 449''; auf gedachte pfähle {des fundaments)
soll man kalch mit groben sand und griesz führen und
ausfüllen Hohrerg georg. cur. (l6?2) l, 24;
wie ein Atlas an gebärde
hebt er boden, rasen, erde,
kies und gries und sand und leiten,
unsres ufers stille betten
Faust II 7550;
der grus, den man auch gries, und wenn die stücke
etwas gröszer sind, grand und kies nennt, ist das re-
sultat einer ziemlich weit vorgeschrittenen Zerstörung . .
der gesteine OviKnallg.naturgesch.l,hi^; noch gröber: zer-
mürbtes, gepochtes gestein, seJiutt, geröll: die steinbrückcl
und das grisz, aus dem panchtrog dises zeugs genom-
men . . . , soll der arbeiter oben in den durchschlag
werfen Bech Agricola 228; ist der berg mit . . . rasen
bedeckt, der ... an manchen stellen den granit und
den steinigen gries des grundcs hervorschauen lässt
Stifter 4, 1, 258; die schuttlehnen im sprunge hinab,
der rollende gries vor meinen füszen . . das ganze feld
in bewegung Barth kalkalpen 70; splitteriger gries 326;
aus den klüften des berges ziehen straszen von schult
und gries ihr breites band schräg nieder zwischen den
starren felsmassen Rosegger II 7, 190.
c) sandflüche; zumeist 'gestade, ufer\ auf grund von
griez ufersand: griöza syrtium Graff 4, 345;
than is im so them salte the man bi sees stade
uuido teuuirpit: • than it te uuihti ni dog,
ac it firiho barn fotun spumat
gumon an greote Heliand 1373;
an domo grieze des städes Notker l, 87;
er treip hin an des landes griez
diu schif KoNR. v. WürzdüRG troj. 25288;
noch wart vor liulen niht gesehen
der anger noch des Stades griez 25221 ;
häufig besonders in der Kudrun, vgl. Martins anm. zu
91, 1, auch oft im plural:
si stuonden unde wuoschen aber daz gewant,
daz si getragen hctcn nider zuo den griezen
1205,3;
von leydc und amacht nider sancke auf den griesse
{su'l lifo) Arigo decam. 92, 8 Keller; in dem komen
sie an den gries bey dem wasser, das In genent Lu-
ther 23, 467 Weim.; gehe hin auf ein steyniges griesz,
an einem fliessenden wasser Fronsperger kriegsb. 2,
Ff2V;
zwischen wasser und gries
hat der edle hirsch gewaschen seine füsz
Erlach Volkslieder d. Deutschen 1, 513 ,
in diesem sinne häufig in bair.-österr. rechtsqu^llen : esz
soll auf der auen, freiung,' griesz, perg oder bei der
277
GRIESZ
GRIESZ
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Muer niemant . . . nichts einzuzeinen sicli unterstehen
österr. loeisth. G, 257, 28; in allen zu dem südweesen ge-
legten Waldungen, auen, ^rieszen Lori bair. bergrecht
420 (qtielle von I67l); noch heute 'uferland, flaches san-
diges ufer' Schöpf 213; Schranka 6i; Lexer kämt.
124; auch 'inselartige sandlank in einem flusse': sie (die
sandläufer) brüten hier zu lande auf groszen in denen
flüssen liegenden und umflossenen insuln oder griesen
auf blosen sande Hohberg georg. cur. aucta (1715) 357'';
griesz sandinsel im Main Sartorius M'^i'irzburg 143;
'griesze heiszen die zahlreichen grieszbünke des Lechs';
's griesz in Günzburg eine insel am Kappenzipfel BiR-
LINGKR Schwab. 203; mittergriessl kleine sandinsel in
iinem flusse Lexer kämt. 125- ; j^^'ügnanter : 'platz am
ttfer eines flusses, uo das auf demselben geflötzte holz
gesammelt wird' Schmeller 1,1012; Schöpf 213; item
wer santholz klaubt in der au oder auf dem griesz
tirol. u-eisth. 2, 158, i ; so sollen die laiter und ire kneeht
. . . die Ordnung halten, dasz sy kein holtz vom gries
füren, es sey dann davor aufzaint Lori bair. bergrecht
140 (quelle von 1509); vgl. grieszamt, -bell, -meister;
grtmdstück am fliiszufer: der ander purkfridt gewert
von markt hinausz in dasz Mischl zu den groszen stain
gegen desz Girczmayr griesz über österr. iceisth. 6, 257, 2;
das trockene bett der icildbäche Schöpf 213; Lexer kämt.
124; indessen nicht mtr vom ufersand: sumitur etiam
pro quolibet loco arenoso et lapidoso vel sabuloso Stie-
rer 702; Sandboden, gegend der leichten, sandigen boden-
arten Foi.lmann 215''; gries, grieser heiszen sandige äeker
Schöpf 213; das ist alter Sprachgebrauch:
ac hie ist astandau iu endi sind tliesa stedi larea,
thit graf an theson griote Heiland 5824;
specieller: gries (fälschlich gedeutet als greis kreis) cir-
cas, locus in orbem septus ad certamina et ludos, vel
ud supplicii sumendi securitatem, vel denique ad pecora
cogenda Haltaus 753; 'kampfplatz': griesz vel kreisz
Stadium Diefenbach 550"; vgl.
dft mite stacli er den mOr
hinderz ors iifen griez
Pars. 41, 25;
sie rennent üf dem grleze
Seifr. Helbling 15, 249;
vgl. kreis II 2, th. 5, 2146 und grieszwart; 'richtstütte':
Ihuo sia thar an griete galgon rihtun
an thein felde uppan folc Judeono
Hell au d 5532;
auf dem gries bey dem galgen wart der rost bereit
Luther 23, 467 Weim. (hier freilich zugleich fluszufer).
als flurn:ime im elsüss. anscheinend nur in älterer zeit:
zu grius (1277), uf griez (1299) Schmidt elsäss. 155*;
auch im schiveiz. seltener als grien: uf das undergriess
(«. 1606); 's gries bucht einer bachmündung ; gries hin-
terste Sennhütte am fusz des gletschers (also: gletscher-
schutt) Staub-Tobler 2, 801; umso häufiger im schicäb.
Fischer 3, 831; vgl. Bv gk flurnamenb. do; vielgebraucht
als name für straszen, platze, stadttheile, Ortschaften im
Schwab, u. bair. -österr., z. b. in Landshtd, Burghausen
eine am u-usser entlang führende gasse; am Griesz platz
in Augsburg; Ochsengries, Salzgriesi« Wien; vgl. ochsen-
griesz, umgezäumter ort, wo ochsen verkaufft werden
Joh. Heumann opusc. (1747) 696; Gries Stadtbezirk in
Graz; den grünt und poden des heüsls, so da ligt auf
den Gries zu Rovereid Brandis landeshauptleute v. Tirol
39 (quelle von 1319) ; Gries bei Bozen, auf dem Brenner,
pasz in Oberwallis, bestimmungsort in zahlreichen berg-
namen, von denen der Griesmuttekopf (ah Grieszmutt
Ä. 153) und der Grieskopf in der Ferwallgruppe (als
Grieskogl s. 169) schon in ÄIaximilians gjaidbuch ge-
nannt werden.
2) allgemein für ein mahlproduct der getreidemüllerei ;
zur Sache vgl. allgem. huitsh.-lex. (1749) 1, 620*; Mus-
PRATT Chemie 2, 89; in der regel ein feinkörniges pro-
duct (gegenüber den gröberen grütze, schrot, kleie), doch
schicanken die dialecte: 'gries heisst in Oberdeutschland
überhaupt soviel als grütze, in Niederdeutschland ver-
stehet man aber darunter eine vorzüglich feine grütze'
Jacobsson iechnol. ivb. 2, 151 "'; 'griesz heiszt man im
Glarnerland nicht, wie anderswo, eine art feiner grütze,
sondern die schlechteste sorte mehl (rauchmehl), die nur
noch dem grüsch (den kleien) vorgeht und ordentlicher
weise nicht als menschenspeise , sondern zum futter der
Schweine und des federviehs dient' Staub-Tobler 2, 8O1
(quelle von 18i3); vgl. dazu: item für das krüsche und
das griese, so von myner herren brot etwenn vor zyten
gefallen ist, soll myner herren kammer den husgenos-
sen geben 11 pf. ib. (\b.jh); heute im schiveiz.: grobge-
schrotenes mehl, in der mitte zioischen backmehl u. kleie;
grütze, grobgemahlener weizen, hafer, mais Martin-Lien-
hart 1, 282; feinere grütze Schmeller 1, 1012; grütze,
grieszmehl Schöpf 213; grobes mehl Bacher Lusern 263;
grütze Lexer kämt. 124; ebenso Loritza 54^; Sarto-
rius Würzburg 49; griesmehl, grütze Follmann 215'';
gre's lux. ma. (190G) 154"^; grob gemahlenes getreide, grütze
Crecelius 436; Vilmar 137; greis feine grütze Bauer-
Coi^iATZ if^', frischgetnahlener tceizen, aus dem mehl ge-
mahlen wird MüllerFraureuth l,44l; jrisz griesz-
mehl Liesenberg 148; feine buchweizengrütze Schütze
holst. 2, 67; weetengries das grobe vom Weizenmehl, tcus
im siebe bleibt Richey hamburg. 80; jriss Fischer sam-
länd. 53; auch hinsichtlich der getreidearten herrscht
schwanken; oft speciell für den weizengries: der soge-
nannte griesz wird aus den besten weitzen gemacht,
und ist dessen zweyerley gattung, ein grober und ein
feiner griesz Marperger küchen- ti. keller-dict. (nie) 436^ ;
griesz ist der kern oder das beste von dem weitzen
Ghomel öcon. lex. 4, I3i7; Wiener gries der feinste, aus
bestem weizen hergestellte gr. Adelung; im ostdeutschen
auch für hirsegries Hübner zeitungslex. 31 2, 86'^; lexi-
calisch seit dem lö.jh.: für gryesz vel gryeszmel Die-
fenbach 225''; farrago griesze vel klien 226"; furfur
griesz 253"; orgza grisz 401''; oziza (l. oriza) gris 404^';
farrago griesz, grieszmel nov. gloss. 167"; puls griesz
309"; shnela griesz 339"; udeps das marck des korns,
der griesz desz korns, das da recht schmutzt dar in
Melber a 5"; crimnmn, crassior tritici et zeae farina,
ex qua puls fit, griesz vocab. rei numm. (1552) j 1"; gries,
semelen, kleien furfures, farinae recrementutn crassius;
brot mit dem griesz, kleienbrot panis furfuraceus He-
NiscH 1745; (ein edler) desz vatter hat gemacht bum-
blebum (ein küfer war), oder focht mit der stählenen
Stangen umb, der masz dem bauren griesz, oder randt
mit dem judenspiesz (der ein grieszhändler, krämer icar)
Fischart groszm. (I6O7) c 7"; im plural: grosze . . .
bruchstücke bezeichnet man als schrot, kleinere als
griese KarmarschHeeren techn. wb. 6, l.
3) seltener für die zerkleinerungsproducte anderer stoffe :
gries kleine steinkohlenstücke von der grösze eitier hasel-
n.usz Scheuchenstuel österr. berg- u. hüttenspr. 108;
da der schiefer in der kohle grob eingesprengt vor-
kommt, so muss die Zerkleinerung der grosskohle auf
die erzeugung von . . gries ausgehen Karmarsch-Hee-
ren 5, 71; griess kohlenklein Hoyer-Kreüter technolog.
wb. 1, 312; kleine steinkohlenstücke ünger-Khull 307;
kohlenstaub Leihener cronenberg. 47*'. gries, walgries
rudus,fragmenta lapidum ÜEiiiscii 1745; gries sive stein-
gemüse rudus, . . ruinarum materies, schuft Stieler
925; gries, gravois, ist das gemülle von eingerissenen
mauern, aus kleinen Stückchen kalk, stein, leimen etc.
bestehend Eggers 1,1107; wenn man die steige mit
dem griesz alter zerbrochener niauren bedecket allg.
haush.-lex. 2, 235^; gries . . der kalktuft, welcher sich
an die gradierreiser der salzwerke anlegt Voigt mine-
ralog. ubhandl. (1789) 2, 276; im obd. jeder grobe boden-
satz, besonders der des u-eines Campe, Heinsius.
4) harnsand, blasen-, nierenstein, vom frühen 15. jh.
bis in die neueste zeit: partusis der griesz, morbus vesicae
Diefenbach nov. gloss. 289^; calculus . . ., lapillus in
vesica der stain oder griesz Pinicianus (1516) G vi";
arenosa urina sandächtiger harn oder voll griesz oder
steinlinen Frisius dict. (1556) 1413"; griesz der nieren
nephritis Henisch 1745; griesz sive schleim des harns
sedimentum urinae Stieler 770;
18*
279
GRIESZAMT — GRIESZBEERE
GRIESZBEIL — GRIESZ(E)LICH
280
fürs gries wnd für den kram
ward mir die haut erperet
von vieren
Osw. V. Wolkenstein 86, 1, 15 Weber;
im 16. 17. jh. vorwiegend neuirum: den stein, das griesz
und blasenwee Seb. Franck Gei-m. cJiron. (1538) 258";
bibergeiln ist gut für den Schwindel . , das griess Hey-
DEN Plinius (1565) 167; {ein zeiclien) für das griess oder
lendenstein Paracelsus ojpe>-a 2, SM ; der seinen land-
leithen die drei schmertzlichen kranckheiten, ritten . . ,
das gries und den stain so maisterlich vertriben Bran-
Dis ehreiikräntzel 166; vgl. Fischer schwäb. 3, 830;
ScHMELLER 1, 1012; diahctisch hält sich das vetdr. noch
heute :
dar Upfel ischt süess,
doch macht ar dar 's gries
S. Sailer geintl. reden 27;
daneben aber seit dem, 15. jh. (s. o.) das viasc. : (das had)
nimpt hinweg . . . den griess und risenden stein Seb.
Münster cosm. 470;
der greisz und auch der blasenstcin
H. Sachs i, 407 Keller;
also ein anders ist der griesz im menschen, ein anders
der griesz in buchen Paracelsus opera i,283c; cal-
culus renum der griesz oder lendenstein Zehner no-
mencl. (1645) 283;
ein persischer kalif, der zwar den griess,
das zipperlein und eine fistel hatte
Pfeffei. poet. versuche 3, 19;
seit dem 18. jh. in der Schriftsprache allein herrschend;
auch von einer krankheit des falken. die sich durch das
abgehen kleiner weiszer steinchen äuszert: von der haupt-
schwachheit unsrer vögel, nämlich der croyen, so et-
liche das griesz nennen d'Arcusia falconaria (1617) 82;
ausführlich beschrieben allg. haush.lex. (1749) 1, 620*.
5) anderes vereinzelt: staubartiger anflug: um die Unter-
lippe {der schlänge) zieht ein gries von hornbrauner
färbe, das auch die schnauze . . färbt Linck schlangen
Deutschlands (1855) 84; der gries kleine weisze knötchen
auf der gesichtshaut Hügel 7i; entengries oder bloszes
gries/ür lemna, icasserlinsen Pritzel-Jessen 206 {Frank-
furt a. 0.); seltsam ist: ulva (gryesz) crestit in profunda
maris Brack vocab. rer. (i49l) 52*; irrtliümlicJi scheint
die gleichsetzung von mhd. griez mit polygonum fago-
pyrum Pritzel-Jessen 298. — xvohin gehört: antwort
der geist: . . dein verzweifelt hertz hat dirs vcrschertzt.
darauf sagt d. Faustus, hab dir S. Veltins griesz und
crisam, heb dich von dannen volksb. vom dr. Faust
17, 14 neudr. ?
GBIESZAMT, n. , hat an salineno-ten die hohtrift
zu überwachen Schmeller 1, 1Q12; vgl. griesz l c. —
grieszanliegen, n., grieszleiden: gutt obs, so ime
in seinem beschwerlichen griessanligen angenem ülr.
Krafft reisen 430. — grieszanschutt, m.: wurz-
liafter wasen verbleibe dem, von dessen grund er {durch
ßieszendes icasser) abgebrochen sei, der grieszanschutt
gehöre dem, dessen boden er sich ansetze Grimm rechts-
alterth. * 2, 78; vgl. griesz 1 c. — grieszasche, /..
calcinierter Weinstein Chomel öcon. lex. 4, 1348; Ade-
lung; 'aus tveinhäfen gebrannt, caustica zu machen'
Frisch i, 372^; vgl. griesz 3 bodensatz des zveines. —
grieszbank, /., sandbank: neu entstandene griesz-
bänke bestecken sich leicht von selbst mit holz durch
natürlichen samenanflug Behlen 3, 49G. — griesz -
hart, m., name des geisfu^zes, aegopodium podagraria
Holl 135 ''; Pritzel-Jessen 12 notiert grieszbart als schles. ;
grieszbart, wilde angelick oder giersch Chomel öcon.
lex. 4, 1348; 'name des hindlaufes oder zipperleinkrautes,
. . . welclies vdedcr den lendengries und das podagra ge-
rühmt wird' Adelung. — grieszbaum, m. = griesz-
säule 1 {s. d.) Mothes illustr. batilex. 2, 528. anderen
Stammes ist griesbaum cerasus, s. griese sp. 265 ; doch ge-
hört hierJier ahd. kreozpaum iuniperum Graff 3, 121 ; da-
nach a}isc}ieinend enkele, dubbele gries einfacher, dop-
pelter wacJiholderbeerbrannficein Müller-Weitz aachen.
74. — gries zbeere, f., name des gem. Sanddorns, hip-
pophaii rhamnoides Holl 135^; nach Pritzel-Jessen
182 tirolisch; vgl. Schmeller 1, 1012. — grieszbeil,
n. 1) grieszbeihel stange mit eisernem haken zum
auffangen und abstoszen des triftholzes Schmeller l,
1012; grieszbeichl, m. Schöpf 213; Unger-Khüll 307*;
altes wwt: grieszpäll österr. weisth. 1, 19, 45 {quelle von
1437); dasz meniclichen sei verpothen etlich wöhren,
nemblich alsz hacken, die grieszpeil mit den dreien
orthen l, 191, 34. 2) bergstock Unger-Khull a. a. 0.; der
andere rüstig den bündel Steigeisen und das griesbeil
schulternd Stifter werke (l90l) 2, 39; das eisenbcschläge
seines griesboils schlug funken aus den steinen des weges
Rosegger sehr. 3, 76. — g r i e s z b i e r , « ., cerevisia tenuis ex
furfuribus creta Henisch 1745; Stieler 702. — griesz-
brei, m.: griesbrey minestra di farro, polenta Krajaer
teui^chital. (i700) 1, 565*; Adelung, Campe ; = grieszmus
Fischer sc7«cäJ. 3, 831; von 3 strichmetzcn gersten soll
er {der mi'dler) geben grosz gerollte gersten drey achtel,
grieszbrein drey viertel und ein achtel Hohberg georg.
cur. (1682) 2, 99; es kam griesbrei in schmalz gekocht
Rosegger sehr. II 3, 24-4; vgl. grieskoch. — griesz-
brett, Tl.; griezpret oder rung, troiea; trabele, est li-
gnum positum siipra axem in curru vocab. theutov . (1482) ;
vgl. Diefenbach unter drofheca 191" und trocea 598";
ein bretlein, so man an die runge der Wagenräder
macht, dasz der koth nicht auf die axe fallen und in
die nahe kommen kann Frisch 1, 372 <=; derjenige tJieil
des vordericagens , der sich auf dem achsenstock und
dem Schemel befindet Fischer schtcüb. 3, 831; Stauij-
ToBLER 5, 901; Seiler basl. ma. 147; Martin-Lienhart
2, 202; brett am pflüg, neben dem moltbrett Schmeller
1, 1012; in älterer spräche auch ein bestandtheil des inühl-
n-erkes Staub-Tobler a. a. o. — grieszbrot, n., grobes
Schwarzbrot Krämer bistrifz. 37. — grieszbrücke, /..
unterbau für geschiUze {auf nachgiebigem boden): zu
solchem feldtzeug gehören 8 zimmerleut, die sich brau-
chen lassen bey dem geschütz der arckeley, . . . gestüb
und ansetz risch zu machen, grieszbrücken und was
man dann bedarf Fronsperger kriegsb. 2, 48*. —
grieszbühel, m., sandbank, sandinsel: von angewach-
senen griesbuhlen und werden Haltaus 753; griesz
buchet veraltete hezeichnung für sandinseln im Main
Sartorius Würzbtirg 143. — grieszdocke, /., bei
viühlen- tmd tvasserwehren ein bestandtlieil des griesz-
wercks allg. haush.-lex. (1749) 1, 621*; Chomel öcon. lex.
4,1348; Adelung; vgl. grieszsäule.
GRIESZELBEERE, /., vaccinium vitis idaea, preiszel-
beere Pritzel-Jessen 424.
GBIESZ(E)LICH, adj., körnig: grieselicht, griesieht
ghiuroso, granito, granuto, granoso Kramer teutsch-ital.
(1700) 1, 565*; namentlich in obd. maa. allgemein: griesse-
lecht körnig, sandig Fischer schwäb. 3, 831; griessilat köi-
nig Lexer kämt. 124; griaslert /ctnfcörni^ Hügel 71 ; grie-
scheli steinig {von ackern) Schmeller l, 1012; nament-
lich von gerinnender milch grieselet, grieszelig, gritzelig,
grüszelet Stalder 1, 497; grieselicht Sghmid schwäl.
243; grieselicht, grieszelicht Reinwald henneberg. 2, 55;
auch von andern speisen, die körnclien spüren lassen:
's koch, mues, d selz wird scho grieszalat Schmeller
1, 1012; grieslicher huni honig Follmann 216*; vgl.
Müller-Fraureuth 1, 441. literarisch seit dem li.jh.:
das holz hat mer rinden oder röcfc umb sich . . ., und
ist zwischen zwain rocken ain kriezlohteu materi, diu
ist gnuog mürb oder mar K. v. Megenberg 324, 21;
weiszer und grawer kisz . . . macht die zin mürbe und
grieszlicht Mathesius Sarepta (l57l) 99'^; ist der harn
grieselt und scheinen flechtlein darinn, so liegt der
stein in den lenden Hohberg georg. cur. aucfa 3, 218 •*;
da wo frischer schnee sich rasch in firn (körniger,
griszelicher eisschnee) verwandelt Berlepsgh Alpen 179;
{die Oberfläche von bracteaten, die) nicht glatt, . . . son-
dern immer grieselich ist Luschin v. Ebengreüth m
tnünzkunde 11 \ gelegentlich mit erioeitertem suffix: et- S
lieber boden ist grieselichtig glareosum Horscht ge- ▼
heimnisse d. natur l, 0 7*. auffüllig durdi die kürze
des vocals sind grislich kleinkörnig Kramer bistrifz. 41 ;
281
GRIESZELN - GRIESZHOLZ
GRIESZHORST - GRIESZIG
282
grijeleeh kiesig, griesig lux. ma. (i906) 154''; griseleh voll
körner Bauer-Collitz *i*.
GRIESZELN, vb. i) intrans. grieseln 'm gestult des
yrieses, d. i. Meiner stücke zerfallen oder Jierunterfallen'
Adelung, Campe, Heinsius; es grieszelt, grisselt vom
fallen der kleinsten hagel- oder schneekörner Vilmar 137;
bisweilen vom wasser 'rieseln':
rieselt, ihr wellen,
schleichet durch husche,
grieselt mit kwellen
Zesen verm. Helikon (lG5ß) 2, 126 ;
hinauf musz es (das wasser) rieseln,
herunter musz es grieseln Tieck sehr. 20, 214 ;
körnig icerden (von gerinnender milclC) MOller-Frau-
keuth 1, 441; österr. mehlblen und grieseln JoH. Heu-
mann opusc. (1747) 696, ico grieszeln anscheinend eine
ähnliche bedeutung hat wie bair. es mehlbelt; vgl. meh-
leln th. 6, 1867. 2) trans. in kleine stücke zermalmen
Adelung.
GRIESZELWERK , n.; grieselwerk lohnen, fasolen,
erbsen, linsen, gerste, gries, heidekorn und kirse Nem-
NICH wb. d. natnrgesch. 209.
GRIESZEN, vb. l) griesen redigere in rudus Henisch
1745; commimiere in glareolam Stieler 702; den weissen
gricssen quelle des \b. jh. ftei Schmidt c/««*«. 155»; 'deii
gespitzten wetzen zu grieaz mahlen' Adelung; Heinsius
schreibt griesen und grieszen wb. 532»''; schueiz. 's
chrüsch griesen griesz aus der kleie gewinnen; bildl.:
jemanden griesen län ihn machen, gewähren lassen, seinem
Ihun keinen werth beilegen; auch schon in älterer zeit:
bei einem drohenden Schiffbruch rät der patron: darum
bychtend und tüeg jeder, das er truw zu griesend tcas
er sich vorzunehmen getraut Staub-Tobler 2, 802 {quelle
von 1519). 2) Schwab, sand, kies an- oder wegschwemmen ;
das wasser griesset unterwühlt den boden Fischer schtcäb.
3, 831. 3) hierher icohl, unpersönlich gebraucht, grysseu
als das weiter gefreust bruniare Diefenbach nov. gloss.
60»; vgl. grieszeln 1.
GRIESZENTE, /. = krickente anas grecca Unger-
Khull 307». — grieszfeld, n. .- der Wimbachgrat
. . . , durch dessen scharten die griesfelder des Wim-
bachthales heraufschimmern Barth kalkalpen 99. —
grieszgallo, /., sandige oder steinige stelle eines ackers,
einer tviese Schmeller 1, 1012; Fischer scincäb. 3, 831;
l&MCK flurnamenb. 90. — grieszgang, m., ein mahl-
gang, s. Krünitz unter giüeszklcie. — grieszgans,
/.; dem. griesgansl regenpfeifer, charadrius Schöpf tirol.
213; vgl. Suolahti vögeln. 269. — grieszgerste, /.,
hordeum vulgare Holl 135^. — grieszhafter, m., ein
Salinenbeamter : wir haben . . des ohne unsers rath und
salzmairs vorwissen zur fänknusz genommenen griesz-
hafters überschribnen . . entschuldigungsbericht zwar emp-
fangen LoRi bair. bergrechtiU (quelle v. 1630); vgl. griesz-
knecht, -meister. — grieszhahn, m., in Steiermark
bezeichnung eines wasserläufers, actitis hypoleticus Unger-
Khüll 307»; Suolahti 289; andericärts meint griesz-
hennel den regenpfeif e^- . charadrius Naumann natnr-
gesch. d. Vögel 7, 191; vgl. grieszgans, -huhn. — griesz-
händler, m., grenailleur, grenetier Schwan nouv. dict.
1, 789»; vgl. gräuszler, grieszler. — grieszhärig, adj.:
grieshärig, stammhärig icird von der wolle gesagt, wenn
solche auf dem boden oder feile hart und z. th. filzig ist
und sich bei dem verarbeiten nicht recht leget Jacobs-
son technol. wb. 2, 152»; Campe, Heinsius. — griesz -
haut,/., günsehaut Müller -Fraureuth i,44i; vgl.
grieseln. — grieszholm, m., bestimmter balken bei
schleusen und wasserwehren: bei hölzernen schleusen
ist auf die köpfe der griessäulen . . ein griesholm . .
aufgezapft Lueger 7, 246; vgl. grieszbaum, -säule.
GRIESZHOLZ, n. 1) amerikanisches holz, nach Ade-
lung vom belienbaum, giiilandina moringa, nach Holl
^•o»» hyperanthera moringa, icb. 268» oder von cissam-
pelos 136»; der abgusz davon wurde in älterer zeit viel
gebraucht als mittel gegen den nieren- und blasenstein;
daher, ents)>rechend der detäschen bezeichnung, lignum
nephritieum, ad renum, urinae ineommoda G. Franck
flora francica 100; bois nephretique Schwan nouv. dict.
1, 789»; vgl. Chomel öcon. lex. 4, 1348; Jacobsson teeJi-
nol. wb. 2, 152»; im 18. jh. zu optischen experimenten (der
demonstration fluorescierender färben) verwendet Chomel
a. a. 0.; Jacobsson 5, 736*; allg. dtsch. bibl. 100, 461 ;
auch blaues Sandelholz genannt Adelung. 2) name der
rainweide, ligustrum vttlgare Nkm'sicii 209; Holl 150»;
Pritzel-Jessen 214; schon bei Adelung; nach griesz
Sandboden. 3) 'grieshölzer werden die buschholzicaldungen
an den ufern und auf den auen der Donau und Hier ge-
nannt' Behlen 3, 496; nach griesz uferland. 4) holz am
wagengestell Schmeller 1, 1012. — grieszhorst, m..
sandinsel in einem flusse Chomel öcon. lex. 4, 1349. —
grieszhuhn, n., bezeichnung verschiedener wasservögel;
meist als 'allgemeine benennung der sand- u. strandlättfer'
notiert Adelung, Heinsius, ünger-Khull 307»; bei
Oken naturgesch. 7, 570 werden die griesz- oder sand
hühner als besondere gattung glareola geführt, vgl. schon
Nemnich wb. d. naturgesch. 209; Naumann 9, 437; stah-
ren, gibitz, grieszhühner Hohberg georg. cur. 2, 709;
danach Chomel öcon. lex. 4, 1349; andere scheiden griesz-
huhn und sandläufer Döbel jägerpractica (1754) l, 73;
IIeppe wohlred. jäger (1763) 153'»; nacli Suolahti 26S»
auch für den regenpfeifer, charadrius; pluvier Schwan
nouv. dict. l, 789*'; vgl. grieszhahn. — grieszhülse,
/., name der rainweide, ligustrum vulgare NEuyicn 20d;
Holl 135^; Pritzel-Jessen 214; vgl. grieszholz 2.
GRIESZICH, J7., collectivum zu griesz: 'grieszig oder
grusz ist tcas von dem werk an zäsergen und tvachs-
krumen herunter und auf den boden fällt, sordes, pur-
gamenta' Overbeck gloss. melitt. (1765) 37; bei Schwan
nouv. dict. 1, 789'', Adelung, Campe das griesig.
GRIESZIG, adj., sandig, körnig: grisig arenosus Die-
fenbach 47»; grieszig arenosus Sturmius L 2«; grie^.
secht, griesechtig, griesig sandig, voll gries Henisch
1745; griesicht et griesig arenosus, sabulosus, glareosus,
recrementitius Stieler 702; griesicht, grieselicht Kramer
teutsch-ital. (1700) 1, 565» ; grieszig Steinbach 1, 644 ; Schweiz.
auch mit erweitertem suffi.v: arenosus sandächtig, griesz-
ächtig Frisius dict. 1I6», ebenso für glareosus 605'',
sabulosus 1171''; *. u. C.\^lepinus. in den dialecten
weniger häufig als grieszlich, mit dem es in der bedeu-
tung theilweise zusammen geronnen ist: griessig sandig,
körnig; griessiger (lockerer) boden; griessiges feld das mit
sand und steinen vermischt ist Fischer schtcäb. 3, 382;
griesig kleinkörnig vne griesz (von buttermilch, geschmol-
zener butter und honig) Martin-Lienhart l, 282; ähn-
lich griesicht Schmidt sttxtszb. 44; grieszig mit sand
überdeckt Sallm.vnn dtsch. ma. in Esthland 50. lite-
rarisch allgemein, und zwar zumeist in anlehnung an
griesz 1 b grobsand: ein gryszig erdtrich sabulosa terra
Brack voc. rerum (l49l) 37*"; am dreitzehenden octo-
bris . . . zogen wir ferrner ein steinige griesige gegend
J. Tucher bericht d. meerfahrt 49''; das land Cabul . . .
ein griesig und sandig lande Mathesius Sarepta (l57l)
i^; im sandichten, griesz- und kiesichten boden ist
hingegen das haacken nichts nütze allg. haush.-lex.
(1749) 1, 45»; oder an griesz ic ufersand: sandechtig und
grieszechtig erdtrich, als gewonlich ist an den gestaden
der wasseren Calepinus XI ling. (1598) 6I8''; an denen
griesichten ufern des wassers Döbel jägerpractica (1754)
4, anh. 84; griesicht, grieselicht bächlein Sghottel
hauptspr. (1663) 346; sodann: die mühlstein sollen hart,
fest und nicht griesicht oder sandicht seyn Hohberg
georg. cur. (1682) 2, 97; die griesigen (schuttbedeckten)
platten des Wetterstein- und Karwendelgebirges Barth
kalkalpen 123; die Verbrennung . . griesiger kohle Lue-
ger 4, 239; alt iti der Verbindung grieszig (grobes) mell
machen tirol. weisth. l, 26, 18; griesicht brot panis
furfuraceus Stieler 702; griesichtes mehl Voigtel
wb. 2, 132. sehr früh nach griesz 4 mit bezug auf den
blasenstein : ist daz harn griezich unde daz diu flekelin
schinent da inne, so lit der harnstein in den lanchen
arzneibüdier II a'' Pfeiffer; also auch das hier einen
griesichen mürben stein macht und podagram Para-
CELSUS opera l, 479A Euser; griessig der das grien hat
28a
GRIESZKLEID - GRIESZxMEHL
GRIESZMEISTER - GRIESZSÄULE 284
Uentzi-er liO*; Venusdiener die samptlich noch in
iliren jungen tagen . . . theils grimsicMig, theils griessig
GUARINONIUS greuel d. Verwüstung (l610) 1134; die dann
giiessig und steinig sind Paracelsus i, 508 B.
GRIESZKLEID, n.: dasz der satan zu Nicea in ge-
stalt eines officiers mit einem langen etoszdegen und
in einem weiszen grieszkleide zu ihm kommen Berger
electa jurispr. supplem. 2, 374; hezexchmmg eines grö-
lieren Stoffes? griesgaze von mehlgaze unterschieden bei
Karmarsgh-Heerkn 3 8,233. — grieszkleie, /.. 'die
heim schrotgange von gries abgesiebte u. die beim zweiten
u. dritten griesgange aus dem beutel fallende Jdeie' Krü-
NITZ 40,433; Adelung; altes compositum: siliqua griess-
klyen DiEFKNBACH nov. gloss. 'Am'^ ; nim ein handt voll
gryeszklygen Gersdorff wundarsnei (Iäi7) 20; ihr (der
kühner) speisz soll sein gesottene gersten, hirsen, griesz-
kleien HERR/eZrfirt» (i55i) 1G9^. — grieszklosz, w. —
grieszknecht, m., salinenarbeiter im holzrechen Sghriel-
LER 1,1012; vgl. grieszamt, -hafter. — grieszknödel,«!..
grieszldosz, bair. österr. Schneller 1, 1012; Schöpf 213;
HÜGEL wien.1l; dafür auf alem. boden grieszknopf,
m. Fischer sclnväb. 3, 832; kriisknepf plur. Meisinger
78; rfem.griesknöpfleMARTiN-LiENHART 1,282. — griesz-
koch, m., eine grieszspeise AMAn.\NTHESf rauoiz.-lex. 128.
L^i; Adelung; Unger-Khull 307». — grieszkohle,
f., schotterige kohle Karmarsch-Heeren '^5, 72; Lueger
4, 239. — grieszkolik, /., durch harn- oder nierengriesz
hervorgerufene holik Chomel öcon. lex. 4, 1348; Adelung.
— grieszkorii, n.-. auch ist die schale (beim iriions-
horn) mit . . . groben griesskörnern besetzt Brehm
ihierl. 10, 395 Fechuel ■ Loesche. — grieszkrampf, m.,
ein krampf, der vom blasengriesz herrührt Campe, Hein-
sius. — grieszkraut, n., meist für melittis melisso-
phyllum, xculdmuttcrkraut Nemnigh ^cb. d. naturgesch.
^09; Schavan 7iouv. dict. i, 789^; Holl las^; Martin-
Lienhart 1,530*; Campe, Heinsius; seltener für po-
tentilla anserina, günsench Nemnich, Hüll a. a. o.; vgl.
auch Fischer schwäb. 3, 832; für das grimen des harms
oder grüesz nimb grieszkraut Unger-Khull so7*. —
grieszkuchen, m., kucheii aus grieszmehl Campe,
Heinsius; Crecelius 437; da gabs stollen . . . eier-
scheckkuchen, grieskuchen Ludwig ges. Schriften 2, 52i;
nach Campe, Heinsius auch synonym mit grieszkoch,
s. d. — gsieszläui'cr, on., name des regenpfcifers,
charadrius; char. hiaticula 'Navmxnn 7,191; char. citro-
Ulcus Brehim thierl. 6, 70 Fechuel' Loesche; griesläufer
zum kleinen u-eidwerk gezählt von Heppe auf rieht, lehr-
prinz 1G6; vgl. grieszgans, -hahn, -huhn, -vogel. —
grieszlauge, /., ein fisch', leuciscus agassizi, strömer
Brehm thierl. 8, 264 Pechuel-Loesche ; in Augsburg gries-
laugele Siebold süszwasserfische 218. — grieszlein,
n.: creozolin calculus Graff 4, ä46; grieszlin, klein gries
glareola Henisch 1745; ofltmahl in den jungen, nit allein
im menschen, sondern auch im viech, stein gefunden
werden, gleich wie hirsch körnlin, das ist griszlin oder
hirszgriszlin Paracelsus opera i, 59 C Huser.
GRIESZLER, «j. l) grütze- oder mehlhändler Loritza
id. vienn. 54; oft in Grillparzers armem spielmann:
dasz für die griesler trockener als für die bäcker ge-
mahlen wird Prechtl technol. encycl. 10, 58; dazu
grieszlcrei kurzicaren- (eigentl. mehl-) handlung Müller-
Fraureuth 1, 441; neben dem synonymen gräuszier,
greiszier (s. d.) kommt das wort nicht recht hoch. 2) am
fhiszufer tvohnender Unger-Khull 307.
GRIESZLING, m., name des dornschivamms, agaricius
graveolens Chomel öcon. lex. 4, 1349, der sonst auch
räsling oder reissling heiszt Pritzel-Jessen 4ü5.
GRIESZMEHL, n., grobes mahlproduct, mehr oder
minder synonym mit griesz 2: grieszmel farrago Die-
fenbach nov. gloss. 167» (gloss. von 1466); grisz, gries-
mel, gerstenmusz oryza gloss. iOi"; gryesz t-eZ gryeszmel
far 225''; grieszmeel, nachmeel farina secundaria He-
nisch 1745; SiiELER 702; farina grossa Krämer teutsch-
ital. (1700) 1,565='; griesz, grieszmSl crimnum Maaler
(1561) 192«; 'gries, griesmehl ist das körn oder das beste
von dem iveitzen' allg. haush.-lex. (1749) l, 620; später und
seltener bezeichnet gr. ein besonders feines meld: von
Calepinus XI ling. (1598) 1346 1' mit simila glossiert;
aliis dasz zartest un<l leinest meel, simila, aliis farina
subacta Henisch 1745; 'das aus dem gries oder ersten
schroten gebeutelte mehl, so am besten ist' Jagobsso.n
technol. tob. 2, 152 =*; öfter in alten recepten: ein pflaster
gemacht mit habern- und grieszmehl und aufgelegt Hoh-
BERG georg. cur. 1, 305; als fischköder nimm . . . faulen
käse, griessmehl und honig Döbel jägerpractica (l754)
4, anh. 104; die lockvögel werden erhalten mit weitzenen
kleyen, sonderlich mit grob gersten griessmehl Aitingek
jagd- ti. iveidbüchl. (I68l) 267. mundartlich heute wesent-
lich im Westen Deutschlands, und zioar herrscht die be-
deutung des grobmehls, vgl. Fischer schwäb. 3, 83:i;
grob gemahlenes mehl Schmid sclmäb. 2S3; dinkelgrütze,
mehl aus kleie Staub-Tobler 4, 218; Leihener cronen-
berg. 47''; getreidegrütze Crecelius 437; Bauer-Collitz
41»; Honig köln. 68»; grobes mehl Dähnert 161; als
lehmcort ins jd. übergegangen: griesmeel woordenb. d.
nederl. taal 5, 697. — grieszmeister, m.. 'der an sa-
linenorten die holztrift besorgt' Schmeller l, 1012;
grieszmaister Lori baier. bergrecht 26 (quelle von 1423);
vgl. grieszamt, -hafter. — grieszmühle,/.,/MS2mM7iZe;
von jeder hoffhucben, griesmüU und hofstetten österr.
weisth. 6, 284, 37; in denen Neckar- and andern schnell-
und starck-lauffenden mühlinen aber, auch in griesz-
! mühlinen, wo es starck gehet Reyscher samml. der
I u-ürttemb. gesetze 14, 58 (quelle v. 1729) ; mühlef. griesz 2 : die
i mahloperation der griesmühlen Prechtl 24, 324; entspr.
j gricsmüllerei Sil. 323. — grieszmus. n., icas griesz-
I brei, schwäb. Fischer 3, 382 (schon 1619 belegt); griesz-
i musz p.Htanarium (l. xdisanarium) Dentzler 140». —
I griesznagel, «i..- 'gricsznägel die beiden nägel, welche
I je einer nahezu am ende der langwid durch diese und
I den achsenstock gesteckt icerden' Fischer schiväb. 3,832;
vgl. grieszbrett, -säulc 2. — griesznatter, /:, coluber
miliuns Nemnich wb. d. naturgesch. 209. — griesz-
nock, m., grieszldosz, österr. leibgericht: er lebt ein-
zig von den griesznocken , die er in der pfanne siedet
A. Meiszner am stein (1853) 23; demin.: lauter leib-
speisen! griesnockerl und wasserspatzen Meisl theatral.
quodlibet 2, 52. — griesz pf eiler, m.. ein hauptbe-
standtheil von wassericehren Karmarsch-Heeren 10,260;
Lueger 7,426; sie vertreten die stelle der älteren griesz-
säulen, s.d. — grieszplatz, m.: sie landete nun an
einem weiten griesplatze, wo das wasser friedlich über
die kleinen kiesel wegschlich Bronner fischerged.
(1787) 48. — grieszpulver, n., medicament gegen den
harngriesz: Thalhäusers grieszpulver, wie ers im winter
auszgeben hat Gäbelkover arzneibuch (1595) i, 326. —
gries zraute,/:, galega officinalis, geisraute Holl 136».
— grieszrechen, m., rechenförmige Vorrichtung an
einer art von brücken zum auffangen des triftholzes
Schmeller i, 1012; vgl. 2, 16. — grieszsand, m.:
gr. sive grober sand sabulum, crassior arena Stieler
1680; sie habens darumb wider ernewert und gebessert
. . . und mit erdinen schütten und grieszsand verwahret
Werlighius augsb. chron. (1595) 64; im gründe des
hertzens sind lauter steinricken, grober grisssand und
unfruchtbare branderde Herberger herzpostilla (iGls)
1,231. — grieszsandig,«rfy..- grieszsandicht ÄJtjekiesicht-
sandig glareolus Stieler 1685; kalt und trocken sind
die gebürgichten felder, wie auch der grieszsandigte
und grobe boden allg. haush.-lex. (1749) 1,31''; die . . mat-
teren ^teilen der allgemeinen sonnenoberfläche, welche
stets ein chagrinartiges, griessandiges ansehen hat, d. h.
an sand erinnert, welcher aus gleich groszen körnern
besteht Humboldt kosmqs 3, 404.
GRIESZSÄULE, /., 1) bestandtheil des griesz Werkes
(s. d.) : 'griessäulen werden die groszen eichenen, gemei-
niglich mit laubiverk oder wappen zierlich atisgearbei-
teten Säulen genennet, ivelche auf dem fachbaum stehen
■und den Spannrahmen tragen, auch die schutzbretter und
griesdocken oder kleine griessäulen zwischen sich haben'
allg. haush.-lex. (1749) l, 620''; vgl. Jacobsson technol.
wb. 2, 152»; Kahmarsgh- Heeren 3io, 260. — 2) bestand
theil des pfluges: derjenige stiel, wodurch der untere
285
GRIESZSCHAR - GRIESZWART
GRIESZWART
286
theil des pfluges mit dem bäume oder grindel verbunden
wird und welcher den vorderen theil des sogenannten
pttugkastens ausmacht, heisst die griessäule Thaer
grundzüge 3, 25; griess-, griff- oder hauptsäule beschr. d.
ackergeräthe l, 2; griesz-, griff-, kopfsäule Leopold
Imndich. d. öko)W7nie (1805) 254«; in Obersachsen griech-
säule, griessäule, griffsäule Jacobsson technol. wb. 2, 151 * ;
auch in jüngerer mundart noch, s. ünger-Khull 307;
ROSEGGER sehr. 8, 356. griechsäule, griffsäule scheinen
secundüre Umbildungen; etymolog. anschlusz an griesz
'sand' entgegen Adelung kamn zu bezweifeln: vgl. nd.
gretsäule Jacobsson technol. wb. 5, 785^. — griesz-
schar, pflugschar: ain grieschar österr. weisth. 1, 29*, 14;
vgl. grieszsäule 2. — grieszschmarren, m., eine
grieszspeise: meine frau und ich, wir essen gern einen
griessschmarren samml. v. Schauspielen {Wien 1764) 6,
haushaltung n. d. mode 65; vgl. Schmeller 2,553. —
grieszschmerz, m., durch harngriesz hervorgerufener
schmerz: gries^schmertzen zu legen Wirsung arziiei-
biich (1588) reg.; wieder griesz- und steinschmertzen sind
gut unzeitige beeren von hollunder Fleming vollk. teut-
scher soldat (1726) 335. — grieszsemmel, /., semmel
aus grieszmehl Heinsius, Campe. — grieszsieb, n.:
griessib eribrum ruderarium Henisgh 1745; Stieler
702; 'ein sieb von draht bei den müllern, den gespitzten
iveitzeh damit zu sieben und gries {das Überbleibsel beim
sieben) zu erhalten' Yoigtei. wb. 2,132"; Adelung, Campe;
die griessiebe der müller Muspratt chemie 4, 1285. —
griesz Stange, /., die stange, d/e (?er griesz wart {s.d.)
führte Hübner zeitungslex. 2, 87*; Campe, Heinsius;
altes ivort:
und itznnt von urloigis mü
begertin der grfzstangin
Samiii und Nattangin \
Nie. V. Jeroschin 15075 i
{d.h. sie bekannten sich als überwunden); literarisch meist I
vertreten durch das simplex stange, s. d., ih. 10, 2, 802/.
GRIESZSTEIN, vt., 1) zufrühest nachweisbar in der
bedeutung glareaBiEVRNBACii gloss. 264«'; sandsfein nov. \
gloss. 181 "^ unter fragilis ; ähnlich noch in modernen maa.:
fluszkiesel, geschiebestein aus kiesel Unger-Khull 307; j
Sandstein Follmann 216*; technisch: dieses steinartige 1
wesc-n {die theilchen, die sich während der gradierung \
an die dornen hängen) pflegt man auf den meisten salz- |
werken griessteine zu nennen Langsdorf von salz- j
xoerken (l78l) 402. 2) blasenstein: dcssglcichen auch was
sich in der blasen versamlet hat, als nämlich ist der !
sand und griessstein Ryff regiment d. gesundheit (i544)
84''; wie man . . . den päbsl. cörper geöffnet, hat man
befunden, dasz sich die medici in ihrer meinung, einige
griessteine zu liefern, sehr betrogen Prätorius zodiacus
mercurialis 173. 8) i» mineralogischem, sinne der nephrit,
jade: 'ist ein blau grünlicher und gleichsam nie unschlift
oder fett anzugreifender stein, kömmt aus Indien und
wird also genennet, weil er für den steinschmerz dienen
soll' allg. haush.-lex. (l719) 1, 621; zur sache vgl. Chomel
öcon. lex. 4, 1349; Voigt mineral. abhandl. (1789) 2, 276;
synon. lenden-, nieren-, schröckstein Jacobsson technol.
wb. 2, 152=^; ein schaid auss griessstein Fischer schwäb.
3, 832 {quelle von I6II); ain griessstein, auf die puls zu
binden ib. {quelle von \ni). 4) ein besonderer mahl-
stein: 'gute grieszsteine in alten müllerordnungen' Bir-
linger schwäb. augsb. 204 ''; die mülen, darinn gewon-
lich weiszbecken malen, sollen mit guten grieszstain
auch aufs mindst zwaierlai guten beuteln zum staub
und semelmelb fürsehen . . . sein der neue laienspiegel
(1518) 25 ^ — grieszstock, m.. holz am wagengestell
Follmann lothr. 216*; anscheinend identisch mit griesz-
brett, s.d. — grieszsucht, /., steinleiden: griessucht
pertussis {i. e. ptisis) Diefenbach 430"; dazu griesz-
süchtig, ad}.: griess- und steinsüchtig Guarinonius
greuel d. Verwüstung (I610) 2. — grieszsuppe,/.: nach-
her thun wir uns über die griessuppen her Rosegger
H 8, 117. — griesztrank, «i. , la creme de gruau
Schwan nouv. dict. 1, 789''.
GRIESZWART, -WÄRTER, -WÄRTEL, m., agonotheta,
Sequester.
1) form.
a) 2.bestandtheil: ursprünglich swm. griozwarto Graff
4, .S46; griezwarto Diefenbach nov. gloss. 386* Sequester;
plur. grizuuarton Schmeller l, 1012; diese schw. form
auch im mhd. durchaus herrschend, nur vereinzelt stark;
auch in den mhd. U7id frühnhd. glossaren hält sich die
form als grieswarte, grisbart Diefenbach 19''^ agoni-
theta, griszwart 529'' Sequester, grieszwart 313 •'' iustitia-
rius. ebenso im älteren nd.: grieduuard Sequester Gal-
LF.E vorstud. zu e. altnd. ivb. 120, greswort Diefenbach
19" agonitheta; acc. synen greyswarden Karlmein. 526, 62;
auch im jüngeren fries. gredwerd Outzen 104. nJid. nur
noch in älterer spräche: mit den griesswarten Seb.
Münster cosmogr. 697; die grieszwarten Albr. v. Eyb
Wilw. v. Schaumburg 157; vereinzelt mit unechtem um-
laut {nach -werter, -wertet): grieszwert Diefenbach 19"-
agonitheta; die grieszwerten Wilto. v. Schaumburg 124.
die form auf er erscheint erst im späteren mhd.: griesz-
warter (: marter) Regenbogen bei v. d. Hagen minnes.
3, 351''; griswarter Schmeller 1, 1012; griesswerter
mehrfach in der Nürnberger Zweikampf ordn. bei Halt-
aus 754. .55; grieswärter Schottel 1234; kreiswärter {als
nebenform) Adelung, Heinsius, Campe, auch nd.:
kreitwarder Reinke de vos 6264. 6590 Schröder; afries.
gretwerdere Richthofen 784; mnl. grietwaerdere Ver-
wijs-Verdasi 2, 2136. mit dem 15. jh. gewinnt die form
auf -el das übergeuicht : griezwartel schon im Rolandsl.
s. u. 2 a; grieswartel, -wertet Diefenbach i.9^ agoni-
theta; gryeswartcl ml. hd. böhm. wb. 17; griswertel städte-
chron. 2, 21, 11; vgl. die quellen bei Haltaus 753. öi.
die lexicographen bevorzugen sie: grieszwärtel interventor
Frischlin nomencl. (1586) 281''; grieswartel Schottel
328; grieswartel, -wärtclSTiELER24S9; grieszwärtelApiNUS
gloss. nov. (1728) 255; sie herrscht bis zu den erzählenden
autoren des 19. jh., und zwar ausschlieszlich in der um-
gelauteten ge.s/talt; nur die angeführten lexica conser-
vieren die form -wartel.
b) 1. bestandtheil : seit dem späteren mhd. nicht selten
greis-: grcysswertel neben grysswertell in einer qtielle
des iö. jh. bei Haltaus 758; greisswerter, -wertl mehr-
fach in der Nürnb. Zweikampf ordn. Haltaus 754/.; greisz-
wertel Glaser chron. henneberg. (1755) 166; s. 0. a; vgl.
auch groiswerter Diefenbach 529* Sequester; offenbar
vermengung mit kreis {als 'kamjjfkreis' synonym mit
griesz), wie denn das wort hie und da in die form kreis-
wärtel übergeht, s. th. 5, 2163; eine andere volksetymolo-
gische Umbildung kriegswart *. tfi. 5, 2300; eigen griesel-
warte Haltaus 755 aus Twingers vocab.
2) bedeutung.
a) stehende figur im personal der turniere und ge-
richtlichen zxceikämpfe ; Stellung und fimction wechselnd:
'grieswartel, derjenige aufseher bei den ehemaligen tour-
nieren, welcher die gviesstange fährte, und diese zwischen
die kämpfenden warf, wenn sie zu hitzig tcurden, oder
wenn einer der kämpfenden friede begehrte' HObner zei-
tungslex. 2, 87*; vgl. grieszstange und stange 2b, th. 10,
2, 802;
thO wfste man sie zesamene.
ttiie griezwartel sie maneten:
ein ander sie ane ranten Hol. 8913 Bartsch;
ich hazze iuch Juden sunder mäze, ''
umb den gelouben swert der kristen trag ich bar
in herz, in hant, die wtl ich lebe,
vrid üz gegen in! ziuh üz den boum, griezwarter!
den kämpf ich nieman scheiden läze
Regenbogen bei v. d. Hagen minnes. 3,351'';
in {den beiden kämpfern) was also gerfimet
daz si dehein griezwarte schiet
Stricker Karl 10158;
al'i halt brach der von Anhalt den stab in seinen hen-
den habende, gab damit zaichen, dasz die grieszwarten
damit schaiden selten Wilto. v. Schaumburg 157; die
grieszwerten bedeckten den Schweizer mit einem mantel,
trugen in in die schleus 124;
darzu ordneten sie aisander
, griswertel und dergleich ein thail,
welche hielten zwischen dem sali
H. Sachs 2, 346, 4 Keller;
287
GRIESZWART
GRIESZWASSER — GRIFF
288
aber so man zum thurnier bereit ist, sollen vier
darzu als grieszwerttel und vier zwisehen die seyle
verordnet werden Moscherosch gesichte (l650) 2, 376;
jede partei hat ihre grieszwärtel, die, statt untergeord-
neter functionen, auch Stellung und aufgäbe von secun-
danten haben können: soll der kempfer durch seinen
fursprechen ferner fragen, ob er durch recht und nach
Ordnung des gerichts icht billich haben solt sein war-
ner, lusner, griesswerter Haltaus 754; es was des Hugo
griswertel der herr von Pern und des Petrus griswertel
was her Peter vom Roslein stüdtechron. 2, 21, il; nach
dem die griszwärtel die wehre beyderseits besichtiget
Moscherosch gesichte (1650) 2, 276; bildlich: und einer
so ungöttlichen sach machen wir Christum nit allein
ein grieszwarter, sonder ein hauptmann Varnbüler
dulce bellum (1519) C 3^ (et spectatorem et autoreni);
kampfrichter : grisswärtel sind judicirherren, zu welchen
ämptern die vornembste , berühmteste , erfahrnste und
ansehnlichste under der ritterschaft erwöhlet werden
Moscherosch gesichte (1650) 417; befehlshaber und griess-
waertel ... die dann allerding, wie sich ein jeder
rott in solchen ritterschimpf und feldscharmützel ge-
brauch halten, darob seyn und fürsehung thun solten
Haltaus 754; in den alten glossaren vielfach mit agonitheta
gegeben Diei'enbach 19"; vgl. noch bei Stieler: diri-
bitor, distributor et judex armorum 2439 ; so schon mhd. :
die wile der raan im kämpfe stät
und im sin kampfgenöz niht hat
des wären sigis aldfi veriehin
und diu vergibt niht ist geschehin
von dem renten griezwart,
der da ubir ist geschart
daz er die wärheit kiese,
wer da, mit reht Verliese
alder da gewinne
H. V. Langenstein Martina 23, 67;
sie (.die kinder) wären eteswenne
mit strJte gemellich,
also daz &i dC teilten sich
und machten krieges parte :
j6 was er ein griezwarte
und ein guöt rihter under in
Kokk. v. Würzburg troj. 622;
es scJieint, als uenn diese bedtutung die älteste ist.
b) aus der technisch begrenzten bedeutung flieszt, nicht
scharf zu sondern, eine allgemeinere; statt kampfrichter
'Schiedsrichter' : grieswärtlin nennt Osw. v. Wolken-
stein die schiedsrichterin zmschen 2 streitenden beicer-
bern, ged. 112, 58 Schatz; vielfach mit Sequester übersetzt
s.o. la; groiswerter ve? richter Diefenbagh 529*; richter,
grieszwart iustitiarius 313*; nov. gloss. 224*^; iusticio-
narius, iusticiarius Haltaus 755 aus Twingers vocab.;
zu disem meinem schülrecht hab ich euch für mein
aufheben zum richter und grieszwertel erweit See.
Frangk sprichw. vorr.; da musten die vier obbenannten
Vertragsfürsten abermalen ihre räthe zu greiszwerteln
zwischen den parteien ordnen und niedersetzen, welche
über den jüngsten vertrag noch einen beivertrag auf-
richteten Glaser chron. henneberg. (i755) 166; statt se-
cundant 'anivalt, sachtvalter' : der ist seiner sei ein un-
getreuer griswarter Schmeller l, 1012 ; maister Husse
vorprant wart, und dorzu wart gegeben herzog Ludwig
von Heidelberg von dem consilium und dem romischen
konig also ein grisswerter des gotlichen rechten Halt-
Aüs 755; diese bedeutung ist alt, denn schon ahd. griz-
uuarton caduceatores , legati pacis Schmeller l, 1012;
fraglich, ob hierher: wir haben unsern . . . lieben ge-
trewen Adam von Berstheim den ladehof bey Hagenau
gelegen mit dem gericht das von alters her darinn ge-
halten ist, und das grieszwartambt zu Ebenheim . . .
zu leben gnediglich geraicht und verlihen Alsatia diplom.
2, 411 Schöpflin (a. 1479).
c) im gedächtnisz der neueren zeit ist nur die bedeu-
tung des untergeordneten turnierdieners geblieben, vgl.
Adelung, Campe, Heinsius; die grieswärtel waren
zur erhaltung der Ordnung bestimmt Vieth encyl. d.
leibesüb. l, 245; die grieswärtel machten ihm in dem
gedränge platz Arnim 3, 211 Grimm; die grieswärtel
sprangen bereits herbei, die. . . unbehilflichen kämpfer
auf die mächtigen turniergäule zu heben H. v. Schmid
22, 111. — grieszwasser, n., medicin gegen den harn-
griesz: ain griesswasser, wie es herzog Ulrichs von
Mechelburg . . . wittib selbst brennet zs. d. hist. ver.f.
Schwaben 8, 136 (bair. quelle von I6I1); recept bei Campe.
— grieszweise, adv., durch sa7idanspülung, in älterer
rechtssprache: und wurd mit recht auz bracht, daz der
Lech ie dem man, alz daz rüder gat, geben und nemen
mag gantzer wasen weis oder griesz weiz mon. boica
22, 349 {quelle v. 1367) ; vgl. aber was das wasser iemand
in grieszweisz gibt und anschütt, das soll dem bleiben
und zuesteen, dem es angeschütt und gegeben ist österr.
weisth. 1, 158, 8. — griesz werk, n.: 'gr., grundwerk
alles dasjenige, wodurch eine milhle geschützet, d. i. das
ivasser gehemmet toird' Jacobs SON technol. lob. 2, 152"
mit genauer erklärung; das ganze gerippe eines schützen-
wehres heiszt auch grieswerk, fachzeug Lueger7, 246;
vgl. grieszsäule 1. — griesz würz, -wurzel,/., ameri-
kanische pflanze, cissampelos pareira Schwan tiotiv.
dictionn. l, 789*^; Nemnicii 209; Oken S, 2, 1248; zur
Sache besonders Dietrich 3, 114/.; diente als heilmittel
gegen Steinbeschwerden.
GRIETE, f., beim scJiiffbau rippe zwischen den deck-
balken Bobrik 319 ''.
GRIETLICH, -LING, *. grittlich, -ling.
GRIFF, m., prehensio, tactus, jiugillus, uncus.
form.
1) griff ist verbalsubst. zu grifan, grundbedeutung : das
greifen; icestgerm. als masc. *gripi-: ahd. -grif (in com-
positis); mnd. gripe, grepe, nd. grep, gräp; m7il. grepe,
greep, nnl. greep; aengl. gripe, engl, gripe; nordgerm.
als neutr. *gripa-: alt. dän. grib; norweg. grip; schtoed.
grep (anord. *grip fehlt); daneben steht ein germ. fem.
*graip5, grundbedeutung anscheinend: das greifende ding:
ahd. greifa bidens Grafp 4, 319; mnd. nd. grepe mist-
gabel; ebenso mnl. nnl. die beiden snbstantiva, zu denen
noch ein germ. schic. masc. *gripan- kommt (aengl. gripa
manipulus, pugillus; norweg. gripe greifende hand, pu-
gillus; schued. grepe griff, henkel), haben sich gegenseitig
beeinfluszt: im nl. sind masc. und fem, infolge der for-
malen annäherung fast bis zur tmtrennbarkeit verschmol-
zen; im nd. scheint der unterschied grep, m., griff, und
grepe, /., gabel, im ganzen noch intact (». sp. 10 f. unter
2 greif tmd tmten II E 2); im hd. sind wieder Vermischun-
gen zu beobachten: es erscheint ein st. masc. greif gabel
(s. sp. 10/. 2 greif); ferner griff als gabelförmiger hebel,
also in der bedeutung des fem. (s. u. II E 2).
2) ob auch bei gewissen scheinbar rein dialectischen
oder usuellen Schwankungen in form und Schreibung auf-
gesogene formen mit hereinspielen, sei zur erwägung ge-
stellt; mehrfach erscheint griefe als länge: acc. ein
grieffe : dieffe H. Sachs (*. w. II A 3 a) ; diesen griffe (: tieffe)
Kehrein kath. kirchenlieder nr. 478, 38; die Schreibung
grieff ist häufig, namentlich im 17. jh. und besonders auf
ostmd. boden; vor allem im schles., ivo die form aus der
ma. zu erklären ist (vgl. grieff: schlieff dormivit LoGAU
sinnged. 100 lit. ver.); bei Opitz und Lohenstein reich-
lich zu belegen; noch Steinbach schreibt nur grieff wb.
1, 639; loelter des öfteren in druckioerken sächsisclier her-
kunft: Mathesius Syrach (1586) 121». 121 *>; V. Herber-
ger (s. u. II B 1 c); Chr. Weise d. drei klügsten leute
(1675) 127; Schütz hist. rer.pruss. (1592) 6, c iv''; Pape
bettet u. garteteufel (1586) P 3 R. auf westd. boden fast
ausschlieszlieh in Frankfurter drucken (vgl. aus heutiger
ma. grief Ruckert unterfr. 64); Kirchhof wendumn.
(s. u. II B^4); volksb. v. dr. Faust (s. u. II B 2); Nigri-
NüS voti Zauberern (1592) 83. CoRViNUS fo7is latin.
(1646) 81; sonst ganz selten: Güarinonius (*. «. IIB 2);
si7ig. auch grief Lohenstein Artnin. (i689/.) 2, 188^.
355''. 620''; BüTSCHKY Pathmos 405; höchst merkwürdig:
bey den blutigen griefen Gerstenberg (s. u. II A 3 a).
bedeutung.
wie in dem ve7bu7n greifen zwei verba verwandter,
aber klar gesonderter bedeutung verei7iigt si7id , tiäm-
lich grifan capere und greifön palpure (vgl. sp. U/.),
289
GRIFF
GRIFF
290
ist auch beim substant. eine zwiefache richtung des Sin-
nes erkennbar, wenngleich sich beim substant. noch ent-
schiedener als beim verbum die bedeutung capere durch-
gesetzt hat.
I. an grifen palpare, tasten, fühlen, sind anzuschlieszen
1) griff als gefühl, direct zur bezeichnung des 5. sinnes;
bis ins 16. jh. ganz gebräuchlich:
sin gesiebt, sin beeren und sin mas,
stn smak und grif kiuscbe was
W. V. RuEiNAU 38, 22 Kelier;
{das bestimmen der mineralien) geschieht ... in vierer-
ley weg, als im gesicht, am griff, am geschmack und
am gehörd Ryff spiegel (l5i4) iiD*»; die instrument der
empfindtligkeit verletzen, als das aug von hällem
glantz, . . . den griff wenn etwas zu kalt oder zu warm
ist Frisiüs dict. (1556) 274''; es ist finster und must
schier nach dem griff schreiben Luther 23,471 Weim.;
{er) schosz im ritt, im tritt, im lauff, im sincken, nach
dem augenmasz, im griff, nach des daumens absehen
Fischart geschichtklitt. 28i neudr.,- hier ist offenbar die
im älteren nhd. nicht seltene bedeutung 'berührung' an-
zuschlieszen: tactus DiEFENBACH nov. gloss. Zbi^; und
so man daruff greift, das das pferd den griff nit emp-
findet Mynsinger V. d. falken 76 lit. verein; lindharte
raarmolbrüstlein . . . auf die prob der spanischen filtz,
die nach palmenart vom griff nicht weichen Fisghart
geschichtklitt. 113 neudr.; die unholden lämend etwan
lüt und vych, wenn sy dieselben nun anrüerend, streich-
lend oder inen griff gebend Staub-Tobler 2, 710 {quelle
von 1569); dasz . . leuth gewest seien . . welche nur mit
eim griff der schlangen stich geheilet und das gifft, so
sie ein band darauff gelegt, aus dem leibe gezoget haben
Heyden Plinius (1565) 7 (ßerpentium ictus contactu levare
solitos, hist. nat. 7, 2, 13) ; die brechuhg würdt erkant bey
dem griff Braunsghweig chirurgia (1539)95*; so nament-
lich am griff 'beim berühren, anfühlen' : aspera tactu rauch
am griff Frisius dict. 1288'^; die delphin . , . gespitzelt
Zungen haben scharpf und rauch an dem griff K. v.
ilEGENDERG buch d. natur 235, 21; der honig . . sei . .
goldtgelb von färben, . . am griff klebrig und feyst Ryff
confectbuch (1548) 2 '' ; die Icltzen . . kleiner und am griff
härter Wirsung arzneibuch (1588) 541"; so under der
haut am leib auflief ein harts gewächs, das sich nit
bewegen liesz . . . und wer am griff demselbigen glied
gleich Paragelsus chirurg. bücher 619 B Huser; vgl.
wä das vel {des manschen) dik ist, da ist ez sieht und
ains senften griffs K. v, Megenberg buch d. natur 24, 2;
im 17. jh. erlischt dieser gebrauch; doch spürt man die
nachvrirkung noch spät: hiesige wolle, ich bitte band
ans werk zu legen . . die herrcn selbst aber scheinen
nicht von hier zu sein und sich auf blick und griff . .
nicht verlassen zu können Hippel lebensläufe i, 9. in
derselben bedeutung ivurzelt der griff von geweben: 'ein
Mtidungsstoff hat griff, icerm er, indem man ihn durch
die hand gleiten Jüszt, innere festigkeit bektmdet, ohne
gerade steif zu, sein' Staub-Tobler 2, 710; alle diese
Operationen sind bestimmt, das ansehen und den griff
der gewebe zu beeinflussen Karmarsch-Heeren i, I7i;
eine art des appretirens, . . um . . den geweben griff
und Steifheit zu verleihen Lueger 5, 19; ähnlich vom
m^hl: kein müller soll das mel zäch und schlymerig
machen, sonders uf den griff (wie maus nennt) malen
Staub-Tobler 2, 710 {quelle von 1593).
2) griff als ausdruck der schlächtersprache: 'gewisse
kennzeichen vermittelst des anfühlens und angreifens,
uoratis der schlüchter beym einkauf die fleischigkeit,
fettigJceit . . . eines stücks vieh betirtheilet' Jacobsson
technol. tcb. 2, 152'';
ein feiszes (kalb) weisz ich fast wol zfinden,
gut am griff, schwär an der gwicht
Georg BiNOEa in: Schweiz, schai'.ap. 1, 258;
vgl. deim schon mehr als einer . . hatte mit eigentüm-
lichem griffe meinen strotzenden mantelsack betastet,
ungefähr wie die metzger thun, wenn sie , . . ein stück
rindvieh auf seine fettigkeit prüfen und ihm kreuz und
lenden begreifen G. Kellhu 3, 116; sprichwörtlich: ein
IV. I. 6.
stich und ein griff ist einem metzger erlaubt Fischer
sehicäb. 3, 833; s. u. \\ A. Z &; dann auch concret die ent-
sprechenden stellen am körperdes Schlachtviehs; im Schweiz,
vorzugsiceise der strich der haut vom bauche bis zwischen
die hinterkeulen beim rindvieh Staub-Tobler 2, 710;
sonst meist das stück fett zwischen den hinterkeulen in
der nierengegend SCHMKL1.KR 1, 991 ; AMARANTHES/rawensr.-
lex. 688; die faistin oder griff von dem gemästen vich
nit herauss zue schneiden Fischer schwäb. 3, 833 {quelle
von 1553)
3) griff vom betasten der frauen; die analogie des ver-
bums (II A 3. sp. 24) iveist diesen gebrauch auf die linie
palpare, obgleich das Sprachgefühl der späteren zeit noch
energischer als beim vorigen eine Umsetzung auf die linie
capere vorgenommen hat; schon ahd. concret anegrip se-
cretum mulieris Grafp 4, 318; besnidet . . . iwer hente
von ubeln griffen spec. eccles. 20, 9 Kelle;
so gap sie {die weibliche brüst) griffe suoze
H. V. TüRLiN kröne 23739;
die unkäuschen schinf haben mit halsen, küssen und
bösen griffen Jelinek böhm. 332 aus Jon. v. Iglau;
gripet ein mensche den anderen an in unkuschliker
leve . . . unde wolde he de unkuscheit also gerne don,
mochte he de stede unde tyt dar to hebben als den
grepe Schiller-Lübben 2, 144;
ein neuer liebender kömmt nicht mit vollen griffen,
CS hiesse sonst: monsieur, ihr seyd zu ungeschliffen
Henrici ernst- schersh. u. sat. ged. 1, 304;
wag es einmal mit unzüchtigem griff meinen leib zu
betasten Schiller räuber 3, 1; denn der meister Holder
ist aueJi auf mich zugekommen mit unvorsichtigen
griffen 0. Ludwig 2, 48. — auf weitere spuren der be-
deutung palpare wird unter B l c getviesen.
II. die von grifen capere, fassen, ergreifen abgeläuteten
bedeutungen wiegen seit jeher vor.
A. die thätigkeit des greif ens.
1) ahd. nur im compos. anagrif Graff 4, 318 zu be-
legen; im mild, voll entioickelt.
a) im, eigentlichen sinn:
er {der lüwe) hetem den schilt nach genomn:
sin erster gdf was also komn,
durch den schilt mit al den kiän Pars, all, 24;
wann ihr fein züchtig greifen wolt
und nicht zu geitzig in das golt,
so will ich euch ein griff erlauben
Fischart Eulcnsp. 443 Hauffen;
eine grosse glücksbude, da griff nun hinein wer wolte,
es muste aber die person vor einen iedweden griff
einen ducaten geben Chr. Reuter Schelmuffsky 102;
indem ich die ärmel wieder hervorziehe, die meinen
armen bei dem hohen griff etwas zu kurz geworden
Brentano 5, 392; in jüngerer spräche öfter gesteigert zur
bedeutung des gewaltsamen ergreif ens, packens:
0 arm und bände Jesu . , .
umbfasset mich nit lind noch leisz,
darf euch der griff ermahnen :
starck heftet mich an seine bnist
Spee trutzaacht. (1649) 0;
was mir mit ungestümer hand
ein unerlaubter griff entwandt
Triller poet. betracht. (1750) 6, 348 ;
betracbt' ichs recht, so gleicht die band des menseben,
wenn sie die finger ausreckt, einer spinne.
ein griff" — sie hält — und läszt nicht wieder los
Wildenbruch Karolinger (1898) 74;
dasz es {das thier) sich bald seinem griffe entwinden
würde Ratzel Völkerkunde 2, 29; legte sich hammer
und zange zum griffe bereit Immermann 1, 123 Hempel;
so wiederholen sich beim substant. bedeutungsschican-
kungen des verbums, s. greifen IB 3; sprichwörtlich:
fünf finger und ein griff . . .
hat mehrmals schon . . .
die rechnung ohne wirth gemacht (d. h. gestohlen)
Stoppe Farnasz (1735) 254;
anders: fief finger un een greep is de beste bewies ein
handgreiflicher beweis ist der beste Schvtzk holst. 2,70;
19
291
GRIFF
GRIFF
292
er nimmts im griff fährt unbesonnen zu, iemere agit
Staub-Tobler 2, 709; als techniscTier ausdruck: und soll
darzu vor der entlichen tödtung . . . der leib mit glüen-
den Zangen gerissen werden, nemlich mit N. (so und
jio viel) griffen Carolina art. 194; vgl. art. ISO; händedruck:
ich kannte dich, ohne von einer geheimen gesellschaft
zu seyn, am wort, am griff, am schlage Herder 17, 131 ;
in der liebe giebt es, wie in jedem geheimen orden,
zeichen, wort und griff Hauff 3, 276; halb concret, der
beutung E l nahekommend:
ein haus, ein landgiit kann der kleinen habsucht stillen,
da Stadt und länder kaum der grossen griffe füllen
Hagedorn 1,56;
gehl:, nehmt meine zügel aus des alten manns griff
Arndt 6, 224 Mösch-Sfeisner ; gelegentlich auch als sicJit-
bare spur des griffst noch heute ist der griff {des ver-
sinkenden riiters, der sich am geländer festzuhalten
suchte) auf dem eisen zu sehen Grimm dtsche sagen
(1891) 1, 235.
b) in übertragenem gebrauch wesentlich erst im t9.jh.:
was wunder, wenn er (könig Franz) da oft mit despoti-
schen griffen dazwischen fuhr Laube ^fes. scÄr. 4, 141; nie-
mand war sicher vor den griffen seiner polizei Treitschke
dtscJie gesch. (1897) 1, 218 ; der sing, gelangt zu prägnan-
terer bedeutung: jedes volk arbeitet nach seiner art.
der griff, womit es die arbeit anfaszt Riehl dtsche
arbeit i ; er {Rudolf v. Habsburg) war erprobt . . . als
führer von schnellem entschlusz und eisenfestem griff
Freytag 18, 81; dem vor lauter nachsinnen . . . der be-
herzte griff des verdichtens abhanden kam E. Schmidt
in 0. Ludwig ges. sehr, i, 4; besonders von einer masz-
regel, entscheidung, wähl, die ki'üm, überrascJiend, erfolg-
reich zugleich ist: alles grosze verlangt zu seiner be-
handlung eine gewisse kühnheit, einen 'griff' 0. Ludwig
ges. sehr. 5, 447 ; allein wenn es (das bild) gegen die
natur ist, so sage ich, es sei der kühne griff des mei-
sters, wodurch er auf geniale weise an den tag legt,
dasz die kunst der natürlichen nothwendigkeit nicht
. . . unterworfen ist Göthe gespr. 6, 110 Biedermann;
dies {der renommist) ist das berühmteste unter seinen
stücken; er hätte auch viel mehr recht gehabt, sich
auf diesen griff etwas einzubilden als auf den Älurner
Gervinus gesch. d. dtsch. dicht. 4, 103; so namentlich
glücklicher griff: weil sie ... auf der gränze des er-
haben-poetischen . . . steht, so will ... die darstellung
mit einem glücklichen griff des geschmacks gehascht
sein Göthe 48, 67 Weim.; es war ein unübertrefflich
glücklicher griff Scharnhorsts , dasz er die wähl auf
Blücher zu lenken wuszte Häusser dtsch. gesch. 9, 127 ;
dieser gang ist für den genialen griff eines acht analy-
tischen kopfes anzusehen Hegel 3, 349; ähnlich: der
seine ansieht aus ganz andern quellen, mit viel prak-
tischerem griff ausgebildet hatte Gentz sehr, t, 230;
etwas anders, mit hinneigung zu B :
der feine griff und der rechte ton
das lernt sich nur um des feldherrn person
Schiller Wallensteiim lager 6.
2) stereotype präpositionale Verbindungen; abgesehen
von an {s. o. 1 1) und mit wesentlich erst seit dem 18. jh.
a) griff nach jjräpositionen ; am verbreitetsten ist mit,
zu dem- sich typische adjective gesellen:
du {leier), die sonst meine band mit kühnem griff gerührt
Cronegk sehr. (1766) 2, 219;
die unbequemen thatsachen der geschichte schiebt der
idealist mit einigen kühnen griffen zur seite Treitschke
hist. ti. polit. aufsätze i, 24; so packte er sie {die gans)
mit sicherm griff am hals Hebel 2, 215 Behagliel; er
wuszte nicht einmal unter den mustern der dichter
mit sicherem griffe zu scheiden Gervinus gesch. d.
dtsch. dichtung 3, 499; hielt ihm mit einem geschickten
griff beide arme gegen den rücken zusammen Fouque
zauberring l, 127; stieszen mit einem mächtigen griff
die . . . lanzen fest in die erde hinein Steffens was
ich erlebte 8, 83; mit eisernem griff umklammerte ihm
Ingo den arm Freytag 8, 99; er musz es ertragen, dasz
der kranke nerv seines gewissens mit rauhem griff be-
rührt wird jaJirb. d. OriUparzergesellsch. 8, 31 ; seit dem
älteren nhd. Itätifig:
ich will dich mit eim griff umbbringen
ROLLENUAGEN /rOÄcAmcMÄcier (1595) D VI";
mit einem griff
/.ergreif ich den quark
R. Wagner 6, 89;
etwas anders: man könne ein katholisches mädchen
von einem protestantischen mit einem griffe unter-
scheiden Nicolai reise durch Deutschland 2, 467; in
derselben bedeutung nl. met 6en greep woordenb. d.
nederl. taal 5, 635; ich will auf einen griff so viel zu
mir stecken, davon ich ein halbes jähr genug zu
schiessen . . . werde . . . haben Zend. a Zendoriis
tcintemächte (1682) 693; wie viele parapluie müssen sie
machen, um lOO fl. zu profitiren — hier haben sie sie
auf einen griff Bäuerle kom. tJieater 2, 77; ich ...
machte den rantzen auf . . . und langte im ersten grilf
einen seckel herauss Grimmelshausen Äiwi^Z. 189 «rfr.,-
ebenso 28;
das steht Cleant nicht an, . . .
der was er ohne müh und in dem ersten griff'
nicht haben kan, verschmäht
Warnecke poet. verstwh (1704) 39;
der alte Gram hatte sie auf den ersten griff Seidel
Leber. HühncJien (1899) 26; vgl. du erlagst bey dem
ersten griff Schiller 2, 97 ; unter den griff, unter dem
ich dich hitzt hab, krieget ich dich dann kein zweits
mal wieder Anzengruber 1, 119;
die bremse stöhnt laut unter starkem griff
Arent-Conradi-Henckell mod. dichtcrchar. 66;
seine hand löste sich von der kehle des kindes, wel-
ches sich unter seinem griffe wand Hauptmann bahn-
icärter Thiel (1892) 56; nd. to gräp zitr hand, bereit
Stürenburg 74".
b) Präpositionen nach griff; am häußgsten in:
steht uns ein griff oft in den glückstopf frey
GÜNTHER ged. (1742) 942;
und wenn eine ganze armee viele jähre mit blinden
griffen in den scliriftsack zubrächte Reimarüs Wahr-
heiten d. natürl. religion 126; Lasally . . . sagte mit
einem griff in die tasche Gutzkow ritter v. geiste 2,
340; es kann der griff in ein Wespennest werden Alexis
ruhe (1852) i, 2i8; nach analogie von ins herz, in den
busen greifen (s. sp. 36/.): {der herr hat den ungetretten
haushalter entlassen) : das wäre ein grober griff in seinen
busen Abr. a St. Clara ehcas für alle 1, 245; zuweilen
geschieht ein blick, ein grif in den eigenen busen Lich-
tenberg nachlasz 37, 26; das stumpfe küchenmensch
aber antwortete: so bin nicht ich! . . . ein eben so
tiefer als wahrer griff in das menschliche herz, deren
man bey diesem schriftsteiler so viele findet Klinger 12,
20; Olga fühlte etwas ^vie einen kalten griff in ihr herz
Gutzkow ritter v. geiste 6, 181; vgl. jenes nagen an
dem eigenen herzen, was uns diese stücke {Z. Werners)
verleidet, hängt mit diesem unwohlthuenden griffe iu
unser gefühl zusammen Gervinus gesch. d. dtsch. dich-
tung 5, 610; auch nl. een greep in het gemoed, het hart
woordenb. d. nederl. taal 5, 636; jedes grosze werk musz
mit einem vertrauensvollen griff in die zukunft be-
gonnen werden Stifter 14, 285; 'eingriff' {fgl. greifen
C 2 a, sp. 38) :
dies verbrechen, das dem neuen griff
in unser recht erwünschten vorwand lieh
O. Ludwig 3, 130;
nach: sein erster griff war nach der auster in der
patrontasche Gaüdy 13, 88; der griff nach der Elbgrcnze
war ein ' gewaltiger Mommsen röm. gesch. 5, 52; jener
griff nach der kröne war dem zweiten geschlechte vor-
behalten Laube 4, 211;
und eh auf einer domenkrone schlief,
als einen^griff nach einer goldnen wagte
Blumauer ged. (1782) 116;
293
GRIFF
GRIFF
294
feste forinel. vgl. greifen B i b, sp. 33; schon war ich
im grif nach der hand dieser lieben matter, um sie
/u drücken Hippel lebensläufe l, 180; andere präposi
Honen seltener: so sind sie müde, satt und trübe, und
der griff zum pistol liegt sehr nah Pückler briefiv. u.
taget. 1, 305; indem er, durch einen griff an seine vio-
lette mutze, das zeichen zum abschiede gab Nicolai
Heb. Nothanker l, 161.
3) verbale Verbindungen.
a) einen griff thun in schuankender bedeutung: ali-
quid comprehendere Steinbach l, 639;
bald ein hurtiger schwartzer knab
an eine rant, noch fünf mit ihm,
das weib das kunte schwätzen nimm,
es mfist zuvor thun einen griff
Fischart flöhhatz 13, 367 neudr. ;
indesz , wie nahe es ihm (Pompeius) auch gelegt war,
die weisze binde um seine stirn zu legen, . . . als es
galt den griff zu thun, versagten ihm abermals herz
und hand Mommsen rihn. gesch. 3, 192; zumeist mit der
Vorstellung des greif ens in eticas: wie kSnde ich so
gern einen sogtanen grif tun {in den schätz des heiles)
SeüSE dtsch. sehr. 258, ll;
herr, thUet ein grietfe. ,
doch greuffet nicht zu dielfe
H. SAciirs 2->, 204 Keller-Götse;
er solt ein griff in das gelt thun, was er in den griff
bekam, das solt ihm verehrt seyn Zinküref-Weidner
teutscher nation tceisheit 3, 73 ; so mag man in den sack
einen griff unbesehens thun Olearius verm. reisebeschr.
66; auf dieser thätigkeit des greifens ohne zu sehen {vgl.
greifen II A 2, sp. 24) beruht der blinde griff: man thue
einen blinden griff" in die vindicias meines autors Her-
der 3, 327; {gott) der freylich in seiner wähl keinen
blinden griff thut Dannhauer caiechismus milch 4, ö^;
vgl. Reimarus oben 2 b; auch im nl. een blinde greep
woordenb. d. nederl. taal 5, 634; entsprechend ins, ans
herz greifen {sp. 36/'. io): er verdruckte seine ächzer
bey den blutigen griefen, die diese obotiitischeu geyer
in seinen busen thaten schlesw. lit. br. 24, 22 lit. denk-
mäler; es wäre von ihnen begehret worden, Turenne
solle etwas anfangen, weil Torstenson dem feinde selbst
einen griff ans liertze thun wolle Pufendorf kriegs-
gesch. (1688) 2, 153*; hemmend eingreifen, einen eingriff
vornehmen {vgl. greifen C 2, sp. 38):
kein kiuuz und triibsal ist so tief,
mein Lciland thut darein ein griff,
führt mich heraus mit seiner hand
Jon. IlnERMANN 67;
item soll keyner dem andern in seine forstliche gc-
rechtigkeyt und wildbann cyn griff' thun Sebiz f eidbau
(1579) 561 ; andere präpositionen seltener: mit vollem halse
ruft jeder seinem glükke zu . . ., strekket hertz und
hand ausz, immer einen höheren grif nach demselben
zu thun ScHOTTEL friedenssieg 9 neudr.; mit adjectiveu
{vgl. II Alb): wenn er nicht verrückt ist, ... so hab
ich einen glücklichen griff gcthan und mir einen un-
schätzbaren cameraden gewonnen Holtei erzähl, sehr.
11, 319; du hast einen schlechten griff" gethan, Lebreelit.
dieses buch hättest du nicht mitnehmen sollen in gottes
grünen wald 14, 117; damit {mit dem handbuch) habe
ich einen guten griff" gethan Gervinus an W. Grimm,
briefiv. 2, 60; anders: he dede enen goden greep er nahm
nicht zu wenig, hatte dabei eiyien guten vortheil Dähnert
160^; nach I 2: aber der metzger will erst seinen griff
thun, eh er einschlägt 0. Ludwig 2, 339; vgl.
den ci-sten griff, den er {der metzger) ja thät,
den thät er nach frauen, ja frauen
Mittleb dtsch. Volkslieder 204;
itn plural:
wer schyessen will, der lüg und triff;
dann dfit er nit die rechten griff,
so schüszt er zu dem narrenschiff
Beant narreni-chiff 73, 36 Zamcke ;
fleiszig arbeiten:
gschafft und gschaut . . . und viel griff than
Stelzhameu 2, 35 Rosegger.
b) griffe machen ist weniger entwickelt: beim herab-
klettern am tau musz man . . . griffe machen Jahn 2,
70; er . . . bebte und muszte an sich halten, dasz seine
bände nicht griffe machten, irgend etwas zu vernichten
POLENZ Grabenhäger i, 137; im sinne von I 3:
da.5z Furbienus dir verspricht,
er wolle nicht mehr griffe machen
HoFFMANNSWALD.\u «. and. Deutsch, ged. 6, 30-4 Neukirch,
durch die bedetitung B gefärbt: er schämt sich im spiel
der allerniedrigsten kunstgriffe nicht ... er hat hiebei
das Unglück, seine griffe sehr ungeschickt zu machen
Hermes Sophiens reise 4, 322; lux. mit spielender form-
Veränderung: griffo machen mausen Gangler 189; lux.
ma. (1906) 154''.
c) zu griffe kommen herankommen, anfassen können,
nur im nd. : er de lüde konden to grepe komen , so •
brande dat dake . . . af städtechron. 7, 402; etwas anders:
to greep gaan hitzig zu werke gehn Berghaus l, 609 '^;
he geit mit mi to greep er geht hart mit mir um
Schütze holst. 2, 70; dagegen passivisch: se scholen
komen in de grepe alle erer jeghenere ihnen anJieim-
fallen Schiller-Lübben 2, 144.
4) eigen entivickelt sich der gebrauch des ivortes im
mhd. in der reimmetapher kann sich die bedeutung bis
zur bloszen Umschreibung verflüchtigen:
ir rede süezekeite vol
unde ir schoener worte grif
hat under mines herzen schif
gezogen und gesenket
K. V. Würzburg Engelhard 2225 ;
want er vorbesichtic
was und gar iutrichtic
in vil wiser sinne grif
N. V. Jeroschin 4835; vgl. 18809;
auf der andern seile ist eine co7icretisierung zu beob-
achten :
in siuem vanen staont ein roch :
daz bedüte sinen wlten grif,
daz im diu erde unt diu schif
voUeclfche gäben riehen zins
Wolfram Wiü. 382, 3 ;
'umifang' :
der kUuic, der si sande,
des herschaft hete witen grif
KoNR. V. WüRZBL'RG troj. 19409;
ir hete Acratöu genuoc,
diu äne Babylöne truoc
ame grif die grojsten wite Furz. 399, 19 ;
schlieszlich ganz concret 'bezirk': ein müli mit allem
griffe, reht und buwe, so dar zu höret zs. f. d. gesch.
d. Oberrheins 16, 107 {quelle v. 1361) ; diese . . . gut , . .
mit allen iren gebe wen und griffen Fischer schtväb. 3,
833 {quelle v. 1371); später eistorben, nur im compos. be-
griff lebendig geblieben.
B. die art und tceise, wie man greift; der gelernte
'J^'iffs kunstgriff; tceiterhin kniff, list, tücke; namentlich
im 16. 17. jh. auszerordentlich verbreitet, dieselbe bedeu-
tungsenttcicklung auch i?n nl. und schued.
l) auszugehen ist von den griffen einer verrichttmg,
eines handtverks.
a) bei einer schweren geburt sollen die hebammen die
schwangere frawe zum bett verordnen und den ersten
und besten brauch der Schiebung an die hand nem-
men, mit allen griffen, wie in dem ersten . . . capitel
dieses buch gelehret . . . wirdt Ruoff hebammenbuch
(1580) 87; der meyster sagt im {dem leJirlinq) nicht . . .
all griff, spitz und heymlicheyt des handwercks Seb.
FiiANGK sprichw. (1545) 1, 91";
das ist auf sieden recht der griff
Fir^CHART Eulensp. 266 Havffen;
der weder art noch griff
zum steuern weisz Opitz nach Sanders;
so ist doch dieser grief auf leinwand zu mahlen so
gemein Lohenstein Armin. (lC89/.) 2, 188 '^;
jetz schnitzlet er ihm bald ein schiff,
ein wäglein nach bestem griff
Spangenberg-Fröreisen griech. dr. 2, 208 lit. vor.;
19*
295
GRIFF
GRIFF
296
dann auch in der aphäre des unsinnlichen die technik,
methode irgend eirier kunst:
in ewren ersten jähren
. . . habt ihr alsbald erfahren
den griff der rechenkunst
Opitz teutsche poemata 234 neudr. ;
die Spanier seyn zimlich langsam auf den rechten griff
der poesie gerathen Hoffmannswai.dau getr. schäfer,
vorr.; gute gewaltige griff im reden brauchen nervöse
dicere Frisius dict. (i55e) 865^; es ist ein besondrer
griff in der redekunst . . . , den namen eines dinges
nicht zu nennen, wenn man das ding selbst bey der
band . . . hatte Bode Tristram Schandi 3, 67; ein groszer
griff in der versification ist es, verwickelte construc-
tionen . . . auch im vers anzubringen Lichtenberg
verni. sehr. 2, 337;
•wer wird uns femer nun mit stiller griffe weisen,
gelehrtem Unterricht, erfahrner weiszheit speisen
Treuer deutscher Dädalus l, 126;
auch im 19. jh, noch, doch wird das wort dann icieder
sinnlicher empfunden :
wie bald ist ein kleines
körbchen gemacht, wenn einer den grif nur tüchtig gelernt
hat
Voss ged. (1802) 1, 27;
es wird auch nie eine lehrarbeit recht, wenn ein kind
die äugen nicht steif darauf hält, bis ihm der griff
davon in die band kommt Pestalozzi Lienh. u. Oertr.
3, 3i; andere gehen darauf aus, den geist der kunst . . .
auf mechanische griffe herunterzusetzen A. W. Schlegel
9, 15; geringere talente glauben immer, es käme nur
auf griffe an, welche die groszen faaeister zufällig ent-
deckt hätten H. Grimm Michelangelo Z, 5; und mit welcher
gewandtheit, die jedes griffs sicher ist, hat der künstler
. . . JuSTi Winckelmann l, 256.
b) speciell technischer griff in der handhabung der waffe:
dieser griff und gegenwurf hat wol ein feines ansehen,
kan aber leichtlich untüchtig und falsch seyn von der
lanze gesagt Reütter v. Speir kriegsordnung 81 ; der
Paradeschritt taugt nichts, die griffe bleiben falsch
Fontane I 6, ii; wie da die griffe klappten 49 ; es ist
nicht ein griff seit 1812 zugesetzt worden Wilhelm I.
militär. sehr. 1, 344; griffe kloppen soldatenspr. ; zur
Sache vgl. Poten handtob. d. militär tviss. 9, 157; ähnlich
prägnant spricht der turner, der ringer von griffen; im
bilde: er (Wagner) ist ein meister hypnotischer griffe,
er wirft die stärksten noch wie stiere um Nietzsche
I 8, 18.
c) hierher wohl etwas im griff haben, gründlich ver-
stehen, völlig geübt sein (obgleich anknüpjung an griff I
tactus nicht undenkbar):
wie luthenschlagen hab ichs im griff
Wickram 5, 127 lü. ver.;
du bereitest es artig und meisterlich als ein künstler,
welcher alles im griefl' hat Herberger magnatio dei
(1607) 427; auch hatte ers im griff, durch leichte bau-
liche Veränderungen die Wohnungen um ein kämmer-
lein ... zu vergröszern G. Keller 6, 290; in jüngerer
zeit wird die wendung wieder plastischer empfunden:
ebenso hilft es mir nicht, wenn ich den winkel, in
welchem ich das rasiermesser anzusetzen habe, . . .
wenn ich ihn nicht intuitiv kenne, d. h. im griff habe
Schopenhauer i, 98 Grisebach; was da vor wahr-
heilen mir vor äugen stehn, und ich habs nicht so
im griff sie in ihrer kraft zu erhaschen Bettina v.
Arnim dies buch gehört dem könig l, 66; in obd. und
rhein. maa. heute noch allgemein: der N. hads zidern-
gspül im griff ist darin sehr geschickt Hügel 71; i hauns
im griff wie der mezger im stich Birlinger schwäb.-
augsburg. 201^; vielfach mit dem zusatz: er hats im
griff wie der bettelmann die laus Fischer schwäb. 3,
833; vgl. Staub-Tobler 2, 710; Martin -Lienhart i,
271»; FoLLMANN 216''; Leihener cronenberg. 47*»; lux.
mu. (1906) 154''; RvcKEKT unterfränk, 6i; auch md. und
nd., doch meist mit veränderter, an A angelehnter bedeu-
tttng, icie auch die präpos. in durch andere ersetzt icerden
kann : das hab ich im griffe ich greife das richtige (dan
rechte masz) ohne zu sehen Müller Fraureuth 1,442;
he heft et im greppe as de pracher de luus 'er kann
das geschwinde thun' Strodtmann osnabr. 76; 'er hat
es geschwinde gefassef oder schnell erdacht' Richey harn-
bürg. 80 ; mancher hat eine lügen im grif, wie der pra-
cher die laus Reinicke fuchs (Rostock 1650) 213; he het
se to grepe as de pracher de luus von jemand, der all-
zeit mit einer lüge bei der hand ist, brem. wb. 2, 544;
he hadde dat upn greep er durfte nur die hand danach
ausstrecken Dähnert 160''; vgl. schon bei Kirsch im
griffe haben in numerato habere, cormicop. 2, 159*, ähn-
lich Steinbagh 1, 639; wo die präpos. an erscheint (vgl.
I l), taucht auch im sinn die bedeutting I tactus wieder
auf:
sie wissen ietz die rechten griff,
wa jeder sitz im narrenschiff,
und die rechten Strassen find,
obschon einer wer blind,
das es dannocht het am griff,
wa ieder in den narren schlilf
Murner luth. narr 3939 Kurz;
die Schlächter, wann sie schlachtochsen kaufen, habens
am griffe wie viel ein ochse talck oder unschlet hat
viehbüchlein 7; am (im) griffe haben etwas im gefühl
haben, es beim greifen sogleich fühlen Campe ; docJi hat
Steinbach in diesem, sinne auch in: er hats im grieffe
seit quantitatem ex tactu, leb. l, 639; Varianten: der
Schulmeister machte eine rechnung vor, die schüler
sie nach, ... bis sie das nachmachen in griff bekamen
Gotthelf ges. sehr, l, 124; so würde man durch die . . .
handhabung einen griff darauf kriegen allg. dtsch. bibl.
6, 106; weiter ab steht einen guten griff haben: er musz
einen guten griff haben, ein gutes lied sowohl hervor-
zubringen als zu beurtheilen Bürger 133''; in techni-
scJier Verengung vom gewandten setzer, der ein möglichst
hohes resultat in der satzmenge erzielt; gegentheil: einen
schlechten griff haben Klenz druckerspr. 49».
2) doch frühzeitig verselbständigt und von jedem con-
creten ausgangspunkt losgelöst, wenn auch die erinnerung
daran noch vorJuinden ist: (der teufet) saget : hier kanstu
zum herren werden, da ist ein reiches weih, treibe der
liebe mit ihr . . . ohn zweiffei ist mit diesem griff der
Joseph in Egypten angegriffen worden Schupp sehr. 616;
mit solchen grieffen haben beinah allezeit die geist-
lichen den weltlichen herrn nach ihren gutem gegrief-
fen Spangenberg henneb. chron. (l755) 346; zunächst
ohne tadelnden beigeschmack , 'kenntnis. kunst, mittel':
ein unerfahrner kriegsmann, deme die kriegsvortheil
und geheymbnussen , die lands, feld, Strassen durch-
strich und andere dergleichen grieff unbewust Guari-
NONius greuel d. vencüstung (1610) 109;
doch weil der himmel mir gelück allein gewähret
und nicht zugleich den griff dem glücke fürzustehn
Hoffmannswaldau getr. schäfer 147;
ich müszte durch griffe euere gemüter zu sänftigen
mich bemühen Opitz Argenis i, 737; ich sah dieses
als einen griff an mir auf eine gute weise zu sagen,
ich würde übergangen werden Lichtenberg briefe 2,
345; in der regel aber mit dem, nebensinn des listige)},
unfairen, betrügerischen (Hildebrand sucht den Ur-
sprung dieser bedeutung zu speciell im kampßeben, s.
kunstgriff th. 5, 270i);
der heuchler praucht gleich diesen grieff:
mit süesen worten sich lest hören
H. Sachs 22, 3G6 Keller-Götze:
die geizigen iren nechsten mit täglichen aufsetzischen
griffen betriegen Kirchhof toendunm. l, 218 lit. ver.; jetz-
und erkennest du die wunden meines hertzen, es ist
zeit, dasz du deine kunst brauchest, alle deine alten
steg und renck, alle liebliche und schmeichelhaftige
wort und griff buch d. liebe (1587) 209 <=;
gewisz ein feiner grif! hört und bewundert ihn!
dasz man vorwürfe macht, vorwürfen zu entfliehn
Lessing 5, 118;
meynst du, vogt, wir mereken den griff nicht, er (der
schloszherr) will das wirthshausrecht ins schlosz ziehen
297
GRIFF
GRIFF
298
Pestalozzi sämtl. sehr, i, 47; 'dergleichen diebes- und
andre dergleichen griffe mehr sonderlich in einer wirth-
schuft im schtvange gehen, davor sich aber ein hauswirth
wohl vorzusehen hat' allg. haush. lex. 1, 621; noch heute
im dialect: der steckt vollen griffe ranke Fisch ek
.•^chwäb. S, 833; namentlich von kunstgriffen und ranken
in poliiik und diplomatie: wie aber dieses fehl schlug,
nam er einen andern griff Tor die band und liesz . . .
ein schreiben ... an den obercommendeur abgehen
Chemnitz schwed. krieg i, 455; es steckt aber dahinter
ein nicht geringer politischer griff Leibniz dtsch. sehr,
i, 194;
es hat der staatskunst griff manch volk ins joch gebracht
Schwabe belustiynngen 5, 84;
in diesem regewerden der Verachtung aller gewöhn-
lichen diplomatischen formen und griffe J. Grimm a»
Wilhelm briefw. 386; überaus häufig ferner in der geist-
lichen kämpf literatur (s. u. 3 — 5), gern auch von den
schlichen des satans: das ist des diaboli griff, ut 'in
occulto' Luther 17, l, 55 Weim.; derhalben uns auch
der getreue gott so treulich . . . für desz teuffels grief-
fen . . . walirnet volksb. von dr. Faust 8 neudr.;
0 griff des satans
Triller poet. betracM. 1, 300;
item das ist auch eyn gryff des eygennützes, das drey
odder vier kauffleut haben eynerley odder zweyerley
wahr unter yhren henden Luther 15, 308 Weim.;
in der Stadt,
da eine von den grösten frauen
den griff der buhlerey mir wollen anvertrauen,
ich weisz es, was mein sinn von ihr gelernet hat
HoFFMANNSWALDAu getr. Schäfer 21 ;
bisweilen mit algeschicächtem sinn als 'maszregel' : auf
das wir aber die sach mit recht angreiffen und, wie
angefangen, hinausz füren, ist das der rechte natür-
liche griff, das bey nächtlicher weil ein yeder auf der
gassen ein windtliecht tragen soll Lindener katziporl
64 Ut. ver.; ja eben der griff oder verhüllen war für
gott auch nicht ein gut werck sondern sünde Irenaeus
Adam u. Eva (1570) So''; oder gefärbt als 'geheime ab-
sieht, zxveck, grund':
das ich sytz vornan in dem schyff,
das hat worlich eyn sundren gryff,
on ursach ist das nit getan
Bkant narrensch. 1,2 Zarncke.
ich hab noch kain lust zu euerm häufen, Aveyl also
rutzigs und reudigs durcheinander geet ... es hat auch
sunst noch ein griff; ist der feel, ist es noch hohe zeyt
H. Sachs 22, 68 Keller- Götze; L. : warumb blieb der
i'.berlin nit zu Rynfelden? Z. : do ist ein heimlicher
gryff. pfaff N. und N. haben geldt und gutten wein
Eb. V. GÜNZBURG 3, 157 ncudr.; eigen ist eine nur lexi-
calisch zu belegende bedeutung: id enim quas-l caput et
columen impensarum est das ist der recht hafft oder
griff, der zu erkennen gibt, ob das galt wol oder übel
angelegt seye Frisius dict. (l556) 253''; captit autem est
hoc das ist das fürnemst, oder der rächt griff 189^; con-
tinens et firmamentum causae dicitur latine quod ptmc-
tum litis decismium vocant der recht griff, der für-
nembst artickel oder hefft eines rechtshandels 322";
vgl. haft m. 4, tJi. 4, 2, 130.
3) dem unfesten und sittlich indifferenten char acter
des icortes entspHcM es, wenn es in der regel dtirch at-
tribtde ergänzt tvird.
a) von den typischen adjectivattributen beicahren einige
die erinnerung an den sinnlichen begriff des subst., so
vor allein das häufigste, geschwind {ziemlich beschränkt
aufs 16. jh.) : ambiguitates crocodilinae sophistische argu-
ment oder gschwinde griff der Sophisten Frisius dict.
346*; deren überauss geschwinde und bosshaftige griff
vil teurer heiligen bey den alten erfaren haben Hedio
chron. germ. (15S0) V"; die warheyt hat ein einfeltige
red und darf nit geschwinder griff oder umbschweyf
der auszleger S. Frangk sprichic. (l54l) 2, lOl''; seltener
ohne tadel: eines solchen geschwinden griffs sollen sieh
dise . . . thier gegen den muscheln zu ihrem forteil
wissen zügebrauchen Heyden Plinius 368 (tanta sollen--
tia animalium hebetiss-imis quoque est, nat. hist. 9, 30,
90); solche sprüche werden sie alle mit behenden griffen
verdrehen Luther 28, llO Weim.; mittler zeit nun er-
fuhr Evander von seiner Pamülen täglich, was die vo
rige nacht unter ihnen vorgegangen, ja er wüste fast
alle krumme calvinische griffe groszer klunkermutz (i67i)
40; später wieder sinnlicher gefühlt:
ein weiser lebt, obgleich nicht krumme griffe
ihm geld und trost in schränk und kästen ziehn
Hagedorn poet. werke 1, 14;
ein blinder griff fallacia Er. Alberus dict. (1540) 89*
(blind MW sinne falsch, unrecht th. 2, 122); die papisten
. . . wollen ihr opfermesse . . . mit listen und blin-
den griffen erhalten Luther 30, 2, 612 Weim.; weil
wir nu hie so schönen gewaltigen text haben, so last
uns fest daran halten und mit keinem blinden griff
der Vernunft meistern noch verfinstern . . . lassen 28,
68; häufig hei Luther, vgl. Dietz 2, 167^; verborgener
griff hat concretere bedeutung: 'versteckter mechanismus'
{vgl. grifflein) : in wölchem . . . sehr vül Wasserkunst,
sonderlichen von verborgnen grüffen; do einer ettwan
hinein geth . . . hatt es seine grüf, das einer aller nass
wüert Sam. Kiechel reisen 227;
auch war ein heimlich schlosz daran,
das kondt nicht öffnen jederman,
es hett verborgne griff zugleich
Spreng Hias 191";
fiengend in an mit subtilen griffen anzüzepfen, kondten
aber nichts von im erfaren Wickram 2, 69 Ut. ver.;
auss Ursachen die lemures zu erkennen ist ein subtiler
griff Paracelsus opera 2, 511 Huser; listige griffe na-
mentlich im. 17. jh. häufig : wie vielerley arten an Schät-
zung und listige griffe, geld damit auszufischen, sie . .
erdacht Breckling regina pecunia (l663) 10; die listigen
griffe der clerisey Hahn einl. zu d. teutschen Staats . .
historie 2, 170;
der aber gewandert ist ein weil
und glemt hat frembde griff',
der weisz wie man der Venus pfeil
sohlest Hock blumevfeld 37 neudr.;
wie es beym dantz abgieng, allwo ich mancher künstlicher
und vorteilhaftiger griff warnahm Grimmelshausen
Vogelnest 2, 897 Keller; ward er {der angreif er) durch
einen sonderlichen künstlichen griff des hohmeisters
. . . anders wohin abgewendet Schütz hist. rer. prv^ss.
(1592) 3, V IV'; einen betrüger, der mit sonderlichen
griffen denen leuthen das geld aus dem säckel practiciren
kan mediz. maulaffe (1719) 115; ich weisz einen guten
grif, mit gott und predigern zu handeln gewissenh. priester
(1694) 105; dasz der beste griff sei zu erhalten, was einer
gern hab, dasz er einem jeden sage, was er gern höret
Opel-Cohn dreiszigjähr. krieg 391; über rechten gi'ifl'
s. u. 4. 5.
b) andere attribute bezeichnen die Sphäre der herkunft:
sophistisch griff, ränck, tück und stück
Fischart jesuiterhüU. 893 Hauffen;
du gost mit socratischen griffen um verzucket Pasquinus
(1543) 131 **; der verfluchte kerl! mit seinen juristischen
griffen Gottsched dtsch. schaub. 5, 355;
ich tett ains niauls ain schwebschen griff
H. V. Sachsenheim mörin 5848;
{im seihen sinn:
und tet ain tuck nauch schwebscher art
5865);
alle yhre bubenstücke, romische gryff und kunstleyn
Luther 18, 255 Weim.; das sie sich von den frantzö-
sischen griffen, die voll list und betrugs seien, weisz-
lich gehütet haben Achatius 144"^;
baut er nur auf schlaue streiche, wälsche griffe, list und
kunst
ScHÖN.^iCH Heinrich d. vogler (1757) 6 ;
auf böse rencke gedencken und auf Juristen giiffe
Luther tischr. 834"; advocaten-, huren-, kunst-, lie-
bes-, Schelmen-, wortgriff Kramer teidsch-ital. (1700) i,
299
GRIFF
GRIFF
30()
559''; diebesgriff ih. 2, 1095; hilpeitsgriiT th. i, 2, 1332; ih. 5,
2701.
i) oft erläutern parallel geordnete, synonyme oder sinn-
vericandte substantiva 'de)i begriff des Wortes : das ist
nichts denn ein falscher tuck und böser griff Luther
26, 584 Weim.; schal ckeit und griffe 34, 2, 381; ja er hat
ihre griffe und boszheiten vor unzehlig gehalten Arnold
IdrcJien «. ketserhist. 2, lO**»; weil sie die rechte griff
und renck nit drauf wissen Aeg. Albertinus zeitkürzer
(1603) Gl"; kam ihm zu sinn eine practick und grieff,
von diesen beyden {einem liebespaar) eine beut zu er-
langen Kirchhof wendunm. 2, 444 Oesterley; er erdenkt
den list und griff Luther tischr. 326»;
der butz ist wider auf der bau,
braucht vil geschwindigkeit und griff
Fischart d. geWirten d. verkehrten 1352 Kurz;
durch allerley schlupfwinckel und griffe den Frantzosen
die pferde . . . practiciren Hohberg georg. cur. aucta
."., 87 '^; ihre Spitzfindigkeit, ihre griffe und hinterhalte
Hippel lehensläufe 2, 439 ; unsre altvordern bAuchten
das wort finanz . . . für böse griffe und kniffe zum
übervorth eilen Körte spricliioörter lOl ; in harmloserem
sinne: wilche die rechte kunst und der rechte griff ist,
aus aller not und angst zu komen Luther 19, 215
Weim.; vorzeiten haben die könige diesen griff' und
kunst gebrauchet Barth tveibersp. (1565) D vii"^; durch
was für griffe und künste sie (die stadt) gewachsen und
bis noch im flor stehe BuTSCHKYPa<7tmos49l; diese koppe-
lung bis ins iT.jh. nicht selten; vgl. kunstgriff, das, im
18. jh. in schivang kommend, den ersatz des in diesem
specialsinn absterbenden griff' übernimmt; es ist gold . . .
durch einen so gar kleinen und ringen griff und weg
der alchimia zu machen Paracelsus opera (1590) 6, 387;
und gleich einen rechten feinen griff und mas zeiget,
die Schrift zu lesen und handeln Luther bibel 7, 464
Bindseil; (Clemens IV.) welcher schöne griff und mittel
kont erfinden, gelt und gut zusamen zurasselen Fisghart
linenkorb (1588) 237'*;
ich weiss die rechte griif und weiss,
mein gold machen behelt den preiss
Rollenhagen froschmeuseler (.1595) N vii •> ;
weysz ich noch kaum ein gesatz und griff, damit man
gemainen landfriden beständiger . . . mög erhalten
S. Franck chron. Germ. (1538) 259''; die rächten gründ
und griff eines redners Frisiüs dict. (l556) 82''; dis ist
die regel und griff die schrift auszulegen Luther wider
d. bapstum (i545) Vj''; ich spür in historiis zwcn griff
oder vorteil, damit uns Teutschen der Türck so hart
kriegt S. Franck chron. Germ. 154''; bisweilen nähert
sich die bedeidung dem sinne 'erkenntnisz, einsieht' (vgl.
greifen B i, sp. 25): die Juden hatten ein . . . gesatz,
die falschen propheten zu tödten . . . das haben sie
nie an keinem falschen propheten vollstreckt, sonder
allweg die rechten propheten darfür ergriffen ... es
iält ihr (der tvelt) am griff und urtheil S. Franck para-
doxa (1558) 34».
5) stereotype Verbalverbindungen : qui hoc potest facere,
der hat den rechten griff Luther 28, 68 Weitn.; ein
ieder buchstab in der ebreischen spräche ein sonder-
liches geheimnüs ... in sich habe; aber den rechten
grif hat noch keiner Zesen rosenmand (l65l) A5'';
davon stehe nur bald ab, es ist nicht der gryff dazu
(^BuCER: nequaquam hac via assequeris quod venans)
Luther 14, 23 Weim; ähnlich 33, 106, 35; es gehört eyn
ander griff datzu, die gewalt thuts nicht ii, 264; und
aber so man mit dem rechten griff kompt, als-
dann so scheid sich der tartarus in brentenwein Pa-
racelsus opera 1, 55 A Iluser; geschiehet wol oft,
dasz es einem so sichs unterstehet, aber die rechte
griff nicht weisz, also miszlingt Agyrtas grillenver-
ireiber (l670) 20; disen griff kondt C. Caesar Octavianus
Stumpf Schwytzerchronik 171^; der meister hat grosz
macht in dem köpf stecken, er gibt gute griff Keisers-
BERG evang. (1517) lö**; ettliche subtile . . . männer die
haben die bewärung der evangelischen leer erfunden
im sybende hausz der hymelschen figur, ... in welchem
winckel inen die Venus ein gryff hat geben Gengen-
bach 202 Goedeke; bette freilich der teufel kein neher
noch mechtiger griffe erdencken können Luther 30, 2,
598 Weim.; bald erfand er aus der feldstreitkunst einen
neuen grif die Schlachtordnung zu stellen Zesen ge-
krönte majestät (i66i) 38; lieber, wiltu ketzerey vertrey-
ben, so mustu den griff treffen Luther ll, 269 Weim.;
da hat der teufel eynen hübschen griff troffen, das er
die leut von der schrift risse 12, 360; mit solchen griffen
gehen sie umb Melanchthon in: corp. doctr. christ.
(1560) 203; wo mit thut ers aber und was ist der grifi,
den er dazu braucht Luther 12, 571 Weim.; ebenso int
schwed. bruka fina grep.
C. das, woran man etwas ergreift, die handhabe, der
handgriff; jung, erst im 17. jh. häufiger ; literarisch am
weitesten verbreitet ist der griff der hieb- und stosz-
u'affen: ein ungewöhnlich groszes schwert mit langem
griffe Hauff werke (l890) i, I2i; stach seinen degen ihm
bisz an den griff ins hertze Lohenstein Armin. I, SC;
langsam schritt er einher, die linke am griff der seiten-
waffe HoLTEi erzähl, sehr. 20, 96; bildlich: (Marduff:) ich
bin der griff' am schwert Müllner dram. werke 3, 197;
vom messer: den griff hatt ich davon vei'lohren Scnocii
stud. leben (i657) E 4v ; ein florentinischer dolch . . . ,
von zierlich gearbeitetem griff Gutzkow ritter v. geist
2, 380; wie vertraut war die hand meiner väter mit
diesen griffen an den lanzen Tieck sehr, ii, 82; ist es
gestochen, so musz das gewehr von der spitze nach
dem griffe zu . . . geschmieret werden Fleming vollk.
teutscher soldat 356"; englische (geicehr) schatte haben
weder backe noch griff Karmarsch-Heeren 3, 453; den
griff der andern pistole ... im kaftane haltend Stifter
3, 31; (den pfeil) faszt er sogleich mit dem griffe des
bogens Vieth encyclop. d. leibesübungen i, 135; des Spa-
tens griff' Freytag 2, 100; lehnte sich auf einen kleinen
stock von ebenholz mit rundem griff Laube 4, 35; der
griff oder hals an besaiteten instrumenten Walther
musical. lex. 380; vgl. lautengriff manico d'un liuto Kra-
mer teutsch-ital. (l700) i, .559''; legte ihre schere mit den^
groszen und dem kleinen griff' . . . auf den tisch Auer-
bach 15, 33; dasz ... es unmöglich ist, die griffe (eines
galvano-elektrischen apparates) loszulassen Seidel vor-
stadtgesch. 180; da ich eben den griff der thüre in die
hand nahm Tiiümmel reise 3, 213; einen nachtriegel
fand sie eben so wenig; es fehlte der griff' desselben
Holtei erzähl, sehr. S,i2; als technischer ausdruckt von
vorn wird sie (die vene) durch die thymus und den griff'
des brustbeines bedeckt Sömmering bau d. menscfd.
kötpers 3, 2, 298; in andern füllen mehr mit der Vorstel-
lung des Jienkelförmigen :
und in des Schildes griff musz sich die linke fügen
SCHILLEK 6, 378;
noch hab ich einen korb von mittelmäszger weite
mit einem deckel drauf und gritfen an die seite
Dusch verm. werte 476;
eine rokokokommode, die mit Schildpatt und groszen
goldenen griffen . . ausgestattet war Fontane I 4, 109;
verblaszt: seine bücher waren schwarz eingebunden,
silberne griffe . . . , das heiszt : der titel war mit ver-
silberten buchstaben eingestochen Hippel lebensläufe
3, 237; unsinnlich wie handhabe:
beut den griff
dazu nicht dar, dasz man dich werfe
hin in die gasscn Heuder 27
150;
wenn men nit mit flattiere d' sach g'winnen chönn, so
sei sie verloren; gesetzlichen griff hätte man keinen
Gotthelf nach Staub-Tobler 2, 710; nd. greep hand-
griff Dähnert 160''; grepc, gripe handhabe Schiller-
Lübben 2, 144; ansia eyn hantgrepe Diefenbach nov.
qloss. 25"; ancilla, anxilla grepe ib.; grepe vel togel ut
in januis Schiller- Lübben 2, 144 (quelle von 1445);
grebb handhabe, henkel, Öhr Schmidt-Petersen 53"; da-
gegen ist den obd. maa. diese bedeutung anscheinend von
haus aus fremd; im scJiiceiz. fehlend, im scJncäb. 'mehr
gebildet' Fischer 3,833.
301
GRIFF
GRIFF
302
I
D. das, was man greifi, als tingefälms viasz: 'grif
Jieisset so viel man mit allen fingern in einer hand fassen
kann^ allg, haush.-lex. 1,621; schon das ahd. hat hant-
grif für pugilhts Isidor 19,9 Hench; auch mhd. gelegent-
lich:
herze, dirst ze gäch.
volgest du den ougen nach
das ein schoene wlp ersehen,
s6 verst in den Sprüngen brehen
unde gedenkest 'heyä, hct ich disen goldes grif
Neidhart 100, 35;
die wohlgenährten rate mit einem guten griff der kassen-
gelder in der tasche Hauff 2, 61 ; einem YOgt zuo Zü-
rich Süllen werden die buossen, so vor im erteilt werden,
die griff salz und der boden wyn und nicht mer Staub-
ToBLER 2, 711 {quelle. V. 1465); von jedem fass fisch be- '
zahlte man l griff als zoll, ib. {quelle v. 1474); 'greepe
sind in der pomm. haffordnung eine partes/ fische, uelche
hey der eisfischerey sich die bedienten und andre von
einem zuge ohne entgelt anmassen' Dähnkrt 160 *•; ein
grieff wolle hapsus lanae Steinhach l, 639; ein arm-
voll abgeschnittener halme Campe;
hinter den mähern
sammelten knaben die griff' und trugen sie unter den armen
rastlos jenen hinzu V^oss II. 18, 555;
(/laXiig dQayfiivovtti, tv uyxa?.l(^taijt ipi'jor-Ci;.
uoneo/ig näQi/ov E 555)
im forstwesen = spanne Adelung, in älterer spracJie ge-
radezu 'umfang': ist zu versehung solcher schedlicher
unortnung {des scJdagens von zu jungem holz) geortnet
worden, das denen darzue verordneten ein gewise masz,
so vil ieder paumb zum w^enigisten an dem griff haben
musz, zugestölt worden österr. weisth. 11, 407 {quelle v.
1600); vgl. griffig; beim nadler: 'diejenige menge von ab-
geschnittenen stücken oder drahtenden, soviel ein arbeiter
davon auf einm,al zicischen seinen fingern halten kann'
Jacobsson technol. tvb. 2, isa**; beitn setzer: eine anzahl
gesetzter Zeilen Klenz druckerspr. 49" mit ireiteren er-
klärungen; s. auch griffchen; vgl. grips.
E. das, loas greift.
1) von ihierkraUen :
{der drache) fuorte mit im an den kämpf
beidiu rouch unde tampf
und andere stiure . . .
an zenen unde an griffen Tristan 9025;
frühzeitig beschränkt auf die klaue der ranbvögel {vgl.
fang) :
sein griff so adeliche,
kain nachtegall fuzz ward nie so gar geklenket
rninncf alkner 4ö ;
und würt ynen {den adlern) der griff oder die klawen
ynwerts gebogen Eppendorff Plinius lo, 140; in dem
sie uns . . . mahlen . . . bald mit klawen und griffen,
da wir doch weder adler noch greiffen sin Mosche-
ROSCH gesichte (1650) 25; der grosze adler . . . mit un-
gemein starken griffen Ritter erdk. 4, 52; noch heute
ausdruck der Jägersprache Behi.en forst- tt. jagdkunde
3, 497; auch übertragen für einen krallenschuh; pflegt
man ihnen {den Jagdfalken) einen griff (ist ein finger
oder zähe wie ein lederner daumling) zu machen Hars-
dörffer poet. trichter 3, 191; unklar ist griff als jagd-
uusdruck an folgender stelle:
man wolt nicht lokchen sprintzeu
durch paizzen mit dem smalen griff
Suchenwirt xviii, 139.
2) eisenspitze am schuh oder vorn am huf von Zug-
tieren, gegen das gleiten auf eis und schnee Fischer
schiväb. 3, 833; Staub-Tobler 2, 711 ; Martin-Lienhart
1, 271*; da es auch glatt eiset, soll man die huf eisen
der arbeitspferde mit scharfen griffen versehen allg.
haush.-lex. 1, h2''; fuszeisen mit zinken, die auf die ab-
Sätze von bergschuhen genagelt xcerden Staub-Tobler
a. a. o., grobe schuhnägel Martin-Lienhart a. a. o..
vgl. griffeisen; hebet, der zum eingreifen in den boden
imten mit einer eisernen gabel beschlagen ist Schmeller
1, 991; Fischer schiväb. 3, 83S; das nd. hat in der bedentung
{:mist)gabel in der regel ein fem. grepe {vgl. sp. 10/. itnter
-greif), doch sind die belege, naiiientlich aus älterer
Spruche, z. th. zweideutig: grepe ciragra {l. creagra) DlE-
fenbach nov. gloss. 118*; tridens 871*; ^Zos». 596''; tri-
denarius gloss. 595"; vgl. gräp gabel mit drei zinken
Stürenburg 74*^; greep^5CÄfce5«e»-DÄHNERT «O**; tasche
Schütze holst. 2, 70.
F. griff in der spräche der mtisik vereinigt verschie-
dene bedeutungen:
1) urprünglich beim Saiteninstrument das greifen der
Saiten, das den ton erzeugt; dabei liegt das gewicht bald
auf der bloszen thätigkeit (griff A), bald auf der kunst-
fertigkeit des greifens (griff B):
er konde woll der engel griff {heim saitenspiel)
Salman u. Morolt 2513;
{die laute) erlangt so viel mit künstlich griffen
als selbst die leut mit ihrem rüffcn
Fischart lob d. lauten v. 219 Hanffen;
die leyr durch die nägel oder andere Instrument durch
die schlahenden griff als vilfeltig underscheidliche man-
cherley stimmen . . . zöwegen bringen Ryff anaiomi
(1541) K VI»;
80 leicht
als ein akkord dem griff des lautenspielers
steht euch mein t:eist nicht zu geböte
Schiller 5, 192,
die töne seiner griffe waren wie ein leises flüstern
Heinse4, 95; er lasse hören, ob er einen bessern mei-
ster gehabt hat, dann ich erkenne es bald am ersten
griffe, was hinter einem steckt Weise d. drei ärgsten erz-
narren 202 netidr.; dann auch, mehr als terminus tecli-
nicus, der griff der linken hund, der den imi variiert,
indem er die saiten gegen den hals des instrumentes
preszt: die ander art der saitenspiel: dye selben haben
nit Schlüssel, aber bände und sunst gewise zile oder
gemercke, do man sicher griff mag haben Virdung
musica gelutscht 10 neudr.;
{der Violinist) leistet durch der griffe Sicherheit
und seiner finger Schnelligkeit
mehr als man menschen möglich dachte
Ayrenhoff 5,52;
in diesem sinne auch von der flöte: dieser griff gibt C sol
Agricola musica instr. 12 neudr.; doch findet dieser
griff nur bey langsamer bewegung statt Quant/ anw.
d. flöte zu spielen (1789) 35; t'owi tasteninstrument: {der
Organist) musz ... in der linken band . . . rein an-
schlagen, als auch mit der rechten band alle griffe,
wie sie ihm vorgeschrieben Scheibe crit. musicus «5;
bisweilen allgemeiner 'spiel': ich kenne einen menschen,
der in seiner schweren kranckheit an dem lieblichen
griff eines clavichordii tausendmal süssere erquickung
empfunden Er. Francisgi lust. schaub. (1698) 2, 430;
häufigste verbale verbindttng: {sie) that einen griff in
die saiten Göthe 15, 148 Weim.;
doch klingt ein griff verwandter töne,
den gott in unsre harfen thut,
von je und jetzt in gleicher schöne
Brentano 2, 494
{hier klingt die bedeutung 2 an); nachdem er einige
griffe auf der laute gethan Gerstenberg Ugolino, dtsch.
naf. lit. 48, 266;
als ich nun den letzten griff fast auf röhr und pfeife tähte,
wie hastu dich dar betrübt
Stieler geharnschte Venus 12 neudr. ;
nun that er noch einige lebhafte griffe auf dem clavier
Fr. H. Jacobi xcerke l, 128;
den poeten,
der keinen ton versteht und auf den heischen flöten
stets falsche griffe macht
Gottsched crit. dichtkunst (1751) 53.
2) votn vorigen nicht immer scharf zu trennen ist eine
concretisierte bedeutung 'tonfolge, accord', sowohl als griff-
figur wie als tonbild {vgl. D) :
auch soltu weiter mercken dameben,
das die melodey des griffs wird gehört
und etwas lenger denn sonst gespört
Agkicol.v musica instr. 70 neudr.;
303
GRIFFBEQUEM — GRIFFE
GRIFFEISEN - GRIFFEL
304
gleicherweis die falschen griffe auf der lauten dem gehör
verdrüsslich, die kunstmässige angenem sind Hars-
DÖRFFER fratienz.-ge»prechsp. i, 209; welche (triaa har-
tnonica) man ... zu nennen pfleget : einen accord oder
. . . griff Heinichen generalbasz 120; arpeggiare . . .
gebrochen spielen, oder den vorkommenden griff nicht
zugleich, sondern die in selbigem enthaltene noten ein-
tzeln und nach einander anschlagen Walther musical.
lex. 51; bey solchen mehrstimmigen griffen die beyden
äussersten stimmen auf halben tönen gegriffen werden
müssen Bach art d. Idavier zu spielen l, 36; nachdem
sie die sanfte weise ... in vollen schönen griffen durch-
gespielt hatte FouQUE dltsächs. bildersaal 4, 575; bis-
tceilen fast = 'klang':
ihr leisen griffe ! flieht gemach !
schlaget! locket! Stoppe Pamasz
125;
wie die griffe rauschten
Denis lieder Sineds 188.
3) nach anderer richtung hin concretisiert {vgl. C); die
stelle am hals des instrumentes, gegen die die saite zur
erzeugung eines bestimmten tones gedrückt wird: der
lauten ihre griffe mit bänden von darmseiten unter-
schieden seyn Baron instrument der lauten 153; {die
cistra) hat beynahe die gestalt einer laute, aber einen
längern in 18 griffe abgetheilten hals Walther musi-
cal. lex. 166.
GRIFFBEQUEM, adv. : Sophokles, Euripides ... be-
fanden sich griffbequem auf dem bücherbrett just dciii
sitzenden gegenüber Vischer aitch einer ^2, 53. —
griffblatt, n., 'ein blatt, auf welchem durch zeichen
deutlich dargestellt urird, wie die verschiedenen töne auf
der flöte etc. am, besten gegrijfen werden' Campe.
GRIFFBRETT, n., eigentlich 'ein schmales brett, welches
so breit als der hals der violine ist und zum theil auf
demselben ruhet, zum theil aber über den körper der~ vio-
line selbst herüber raget' Jacobsson technol. wb. 2, 152'»;
iloch auch schlechthin 'hals': ansa . . ist . . so viel als
manubrium, oder das griffbret an einer laute und der-
gleichen instrumenten Waltiier musical. lex. 88; im
aufsteigen wollen wir itzt den Violinisten nicht nach-
klettern, die mit ihren fingern sich bis über das griff-
brett hinaus verlieren Hiller amceis. z. gesang 36; wäh-
rend die kleinen finger aufs neue das griffbrett faszten,
hub sie an und sang Storm 5, 271; bildlich: als er
fühlte, dasz diese kleinen stahlringe gleichsam als fas-
sung und griffbret seines herzens ihre erschütterungen
zu seinen machen würden Jean Paul 7/10, 408 Hempel;
dann auch 'tastatur': vom erkenntnisz des griffbretts
an dem clavier Mattheson kl. generalbaszschule 68;
griffbrett an einer orgel Helfft wb. d. landbaukunst
161 ; griffbrett der Setzmaschine Hoyer-Kreüter technol.
wb. 1, 312.
GRIFFCHEN, n., wie grifflein {s. d.) im sinne von griff
IIB kunstgriff; im \l.jh. nicht selten, doch harmloser
und mehr als demin. empfunden:
wie schleunig der sie kan gewinnen,
der nur die rechten griffchen weisz
Stieler geharnschte Venus 37 neudr.;
kan liebe mich stumm reden lehren, . .
durch dieses griffchen wil ich machen,
das niemand unsre botschaft spührt
königsb. dichterkreis 100 neudr.;
sieh, was er alles spinnet,
und zur Verhinderung manch heimlich grifchen sinnet
'!!iEVMAKK fortgepfl. tmisic.-poet. lustiu. (1667) 2,272;
ein griffchen tabak eine prise Campe {vgl. griff II D);
anderes mehr gelegentlich: dennoch wurde ihme von
mir ausser einem griffgen nichts erlaubet, als mit wel-
chem er sich diesen abend muste abspeisen lassen
Jungfer Robinsone 83 {vgl. griff I 3) ;
mach von zinne mir die sichel,
giesz ein griffchen dran von messing
Bücher arbeit u. rhythmus ^238.
GRIFFE, /., kuh {stellenweise auch pferd) von dunkler
färbe mit ueiszer hautfalte am kniegelenk oder mit iceiszen
streifen, flecken an den selten des bauches Staub-Tob-
LER 2, 719; Bühler Davos 1, 46; vgl. griff I 2.
GRIFFEISEN, n., fuszeisen mit drei langen zacken,
das auf die absätze von bergschuhen aufgenagelt wird
Staub-Tobler 1, 539; Fischer schwäb. 3, 833; vgl. griff
II E 2; im schicäb. auch grosze eiserne stange (zum auf-
laden) ib.
GRIFFEL, m., graphium, stilus.
herkunft und form.
reindeutsche ableitung von grifan (Wilmanns 2, 262)
schon aus gründen der bedeutung unwahrscheinlich; viel-
mehr aus lai. graphium {gr. yQucpsloi^) mit dem deut-
schen Suffix -il der Werkzeuge und geräthe gebildet, das
auch das geschlecht bestimmt hat; die attsgangsform
liegt vor in der glosse grauio zraf {l. graf) ahd. gl. l,
255, 24 Weigand ^i, 768; trotz griffel 5 {s. d.) kaum
reinlateinischen Ursprungs aus dem in der bedeutung
'Schreibstift' anscheinend ungebräuchlichen graphiolum.
vom, selben grundwort ags. grsef, afranz. grefe, m.nl.
greffie, griffie; vgl. griffe graphium Diefenbach 268*=
{ndrhein.). der vocal in ahd. grifil durch naehträgliche
anlehnung an den stamm griff-; die echte form *grafil
{'vox celtica, qtcae Cambris effertur crafel' Wächter 614)
auf deutschem, boden nur in unsicheren spuren: greffcl
graphium Graff 4, 312; kaum hierher aus modernen mau.
krefl Martin-Lienhart 1, 271"; grefel Leihener cro-
nenberg. in^ ; greffel Honig köln. 68"; vgl. mnl. griffel,
greffel, greffeel ; dän. schwed. nur griffel ; gelegentlich ge-
rundet zu grüfel Neidhart 48, 11 ; im, älteren nhd. unter
anlehnung an greifen gelegentlich greifel: mit eisern
greiffein Menius chronica Carionis (1564) 3, 235*; vgl. den
ersten beleg aus Sebiz u. X; in westlichen maa. bisweilen
das giiffel Martin-Lienhart 1, 271»; Follmann 216'';
stellenweise auch fem. Leihener cronenberg. 47**, wie im
mnl. zuweilen und im nnl. allgemein, wie das wort bis
in die mhd. zeit ziemlich beschränkt ist auf den litera-
rischen Süden, lebt es auch in heutiger ma. wesentlich
im obd., dazu in uestrnd. dialecten, und zwar in der be-
deutung 'schief er Stift', vgl. Schmeller i, 991; Fischer
schwäb. 3,83* {stellenweise drieffel); MEismGER rappenau.
78; Staub-Tobler 2, 722; Martin-Lienhart 1, 271";
Follmann 216*; lux. ma. 154''; Leihener cronenberg.
47^*; auch bei Fischer samländ. 53 als jröffel. thür.
vertreten durch blei-, schief erstift Müller-Frau reuth
1, 442, nd. durch rekensticke u. ä. Adelung.
bedezitung.
1) grundbedeutung : der stift des Schreibers; grifil, gri-
fel, criphil graphium, stilus Graff 4, 812; griffel gra-
phium, graphius, graphus Diefenbach 268". 269*; stilus,
stilarium 552"; stigulus 552''; fragitida 245*'; pugillaris
griffel, pfryeme nov. gloss. 308*; also dero geblänetün
täbelun büohstaba gerizzot uuerdent mit krfffele Not-
KER 1, 340, 9;
das vessel ist ain tevelein,
da schreybt man mit dem griffel ein
H. v. Neustadt Apollonius 16652;
bringe hcrausz ain griffel, ain wächsse taffei A. v. Eyb
Spiegel der sitien (löil) cc viii''; man könnte sagen,
Schiller schreibe mit dem griffel in wachs, Goethe halte
in seinen fingern ein bleistift zu leichten . . . zügen
J. Grimm kl. sehr. 1, 390; nach jüngerem gebrauch auch
für fcderhalter: grieffel Stylus . . . quibus in cera, in
tabulis scribitur, penna, calamus, quo in papyro, in
membrana Serranus synort. (1579) s.v.;
werft, musen, blatt und griffel hin
Schwabe belustigungen 3, 223;
alsdenn zeigte er . . . schreibepapier, worauf sie mit
griffein schreiben leipziger avanturieur (i756) 2, 47;
wenn des geliebten namen sonst so gern
die lippe bildet und der griffel zieht
GöTHE 9,884 Weim.;
da sitz ich schon, den tintebetunkten griffel in der er-
wartungsvollen band Nestroy 12, 8; so noch heute in
schles. Umgangssprache; wieder um eine stufe jünger.
I
I
305
GRIFFEL
GRIFFEL
306
erst im \9. jh. recht gehräuchlich, der Schreibstift für die
Schiefertafel: eins soll zimlich dick von sehiferstein
sein, mit einem kleinen greiffei, so mit einem schnür-
lin an der tafel hanget Sebiz f eidbau (1580) 473; dasz
Teteus gewöhnlich mit einem griffel auf Schiefertafeln
calculirt Gramer Neseggab i, 9; das schreiben musz . .
zuerst mit dem griffel auf Schiefertafeln versucht wer-
den Pestalozzi 5, 172; daneben von jeder andern art
des Schreibens: Tyridates . . etliche Schriften mit einem
griffel in dieses marmor eingegraben ersehen {hatte)
A. ü. V. Braunsghweig Octavia (1677) l, 6; man kratzte
die hieroglyphen mit spitzen griffein ein Becker loelt-
gescli. 1, 105; ein guldin griffelin Flore 2358; ein glesin
grüfel Neidhart 48, ll; mit eim silberin griöel Kei-
"- SERSBERG brösaml. S*"; schreib in die rinde mit eynem
ährinen griffel Sebiz feldbatt (1579) 338; ist von Römern
ein Stylus, schreibstiel oder eiserner griffel gebraucht
worden Harsdörffer teutscher secrelar. i, Ccc viii^;
{loaclistafeln) worauf man mit einem eisernen oder bei-
nernen griffel schrieb bibl. älterer schriftwerlce d. Schweiz
11 3, 8; baumblätter waren ihr papier, und spitzige höl-
zerne griffel ihre sclircibfedern Meissner sldzzen 2, 176.
2) Werkzeug des künstlers, und zwar besonders der stift
des Zeichners oder maiers: Stylus pictorius Henisch 1743;
iin 18. jh. sehr gebräuchlich, zumal in der parallele pinsel
und griffel : dasz sie sich die emulation lassen aul'mun-
iern, die natur mit ihren federn so . . geschickt nach-
zufolgen, wie sie mit ihren delicaten pinseln und grif-
leln gethan haben discourse d. mahlern l, l ; hier wollt
ich nachstammeln der natur, mit meinem griffel aufs
tuch hintragen maler Müller l, 357; ich habe mäd-
chen gekannt, die vortrefflich zeichneten, aber sobald
sie frauen . . . wurden, war es aus; sie ... nahmen
keinen griffel mehr in die hand Götiie gespräche 5,
i2B Biedermann ; ich war der meinung, dasz ein kunst-
werk nicht allein mit hülfe des griffeis, pinseis oder
meiszels . . darzustellen sei Pöckler briefw. u. tageb.
13; so dasz . . dem maler sein inneres gemälde unge-
hemmt in die fingerspitzen, die den griffel und pinsel
führen, übergienge Vischer ästhetik 3, l, 11; diese for-
mal meist in bildlichem gebrauch, «. ». 3 a; gern in tcen-
düngen wie: welche anmuthige grouppe hätte der vor-
treffliche griffel einer Wernerin nicht entwerfen können
Gottschedin briefe l, 244; dasz die feder eines Aretin
und der griffel eines la Fage sich unvermögend hätten
bekennen müssen, weiter zu gehen Wieland Agathon
2, 104; daher . . all das phantastische . . . und zaube-
rische des Schwindschen griffeis in diesen blättern er-
Kcheint Stifter 14, 173; weiter: caelum, instrument des
kupferstechers Chomel '6con.lex.A,i28%; grabeisen, schrot-
eisen, caelum, . . quo opijices aliquid sculpunt in aere,
ligno, saxo Henisch 1743; fürsten . . setzten eine ehre
darin, sich von seinem griffel auf ihren münzen ab-
bilden zu lassen Wacken roder Jierzenserg. (1797) 30;
vgl. die gedanken der gottheit mit dem griffel des bil-
denden künstlers in die tafeln der natur zu graben
Fr. Schlegel im Athenäum 2, 3.
3) ztt ausgebreitetem literarischen leben gelangt das
tcort in bildlicliem gebrauch, der an die bedeutimgen 1
und 2 anknüpft.
a) in gewissen mehr oder minder typischen verbalen
Verbindungen metaphorisch für schreiben und jede forin
literarischen oder künstlerischen Schaffens; immer in
poetischer oder wenigstens gewählter spräche; schon mhd.
sicJi ankündigend:
daz ander teil hie ende hat:
min griffel an daz dritte gät Thomasin 2528;
nimm den griffel und schreib, schreib was das volk dir
sang
HoFFM. V. Fallersleben 6,230;
dann greif ich zum griffel rasch und wild
und male mit Worten das zaubergebild
Heine 2, 57 ;
erhebend zu des tages feier
den griffel ernster Wissenschaft Rückert 1, 265;
ein andrer leget nicht so bald den griffel nieder,
doch mir ist alle schrifft, die stacheln führt, zuwieder
C.4.Nrrz gedickte (1727) 92;
IV. 1. 6.
Busch hat seit längerer zeit den griffel niedergelegt
Vischer altes u. neues l, 126;
ach, meiner brüst entsinkt der griffel,
wenn mordgier zur entmenschung schwärmt
A. W. Schlegel im Athenäum 3, 162,
beschämt lasse ich den griffel sinken und kann nur
im nüchternsten zeitungsstyle . . berichten Gaudy 13, 81;
besonders häufig in der wendung den griffel führen, die
fast ausschlieszlich bildlich gebraucht wird; dabei scMvebt
bald der stilus scripforius , bald der st. pictorius vor;
seit dem 17. Jh.:
kein so beregter geist, kein so begeistert regen
führt meinen griüel an
MoRiiOF iinterricht v. d. dtsch. spräche 1, 791;
dieser hat seine feder in . . drachenblut getaucht, jener
(Tacitus) hingegen seinen griffel gantz aufrichtig ge-
führet Butschky Pathmos 496; (epig ramme) in denen
sie (die liebe) . . den zeichnenden griffel führte Herder-
15, 361; dasz bei diesem abrisz nicht der lohn, sondern
Wahrheit den griffel führt J. v. Voss milit. lauf bahn
244;
recht! icii-will den griffel schärfen
und dir dein verlohrnes gut,
deiner gattin werth, entwerfen
Gottsched ged. (1751) 137;
die meisten spitzten sich den griffel kluger Schriften,
den tuderblaszten rühm, sich selbsten dank zu stiften
Neidhard bei Gottsched versuch e. crit. dicht-
kunst 283;
obgleich ein Zoilus den griffel an dir wetzet,
die miszgunst stellt sich stets zu unserm ehren-mahl
Besser sehr. 2, 780 König;
verstand er doch so wenig vom innern Organismus des
menschlichen herzens, wie treffend sein griffel es sonst
immer nachzubilden wuszte Holtei erzähl, sehr. 11, 195;
kaum andeutend wagt der griffel luftgebilde dieser art zu
bezeichnen Herder 22, 271 ; darüber hinaus in freiestem
gebrauch: dasz er . . sich einen andern advokaten an-
nehme als der war, durch dessen griffel er mich ver-
klaget hat Laukhard leben u. Schicksale 5, 107; mein
griffel soll auch die poeten nicht schonen, die doch
von andern für könige des Helikons ausgeschrieen wer-
den Schwabe belustigungen l, 68;
mein griffel wollte nur der Wahrheit herold seyn
Gottsched ged. (1751) i, 399;
Gottsched hat eine aitsgesprocJiene Vorliebe für ähn-
licJie inetaphern, vgl. neueste ged. (l750) 130; ged. (I75l)
1, 190. 191. 219; dtsch. schaub. 6, 57; meisterhafter Vers-
bau zeichnet auch sie (die dramen) wie alles, was Pla-
tens griffel gleichsam in erz gegraben, wunderbar herr-
lich aus Holtei erz. sehr. 38, 182; in ausgeführtem ver-
gleich oder bilde: der hailig Chrysostomus hat den poeten
Aristophanes alls für einen griffel teglichs in seiner hand
gehapt und alle seine reden nach im geformt und ge-
spitzt Reuchlin augensp. xi^;
und liesz sich keinen rum des zeitenbuchs belieben,
den Mavors griffel nicht mit blut liineingeschrieben
Weichmann poe»ie d. Niedersachsen 1, 58.
b) mit dem 18. jh. stellt sich ein bildlicher gebrauch
ein, der durch ein beigefügtes adjectiv besondere arten
und formen literarischen tmd künstlerischen Schaffens
characterisiert: du hast die gute sie (die gesänge), den
kritischen griffel in der hand, zu durchgehen Göthe IV
10, 111 Weim.; du kennst Leidenfrosts humoristischen
griffel Gutzkow ritter v. geiste 3, 177; an den dich-
tungen des alterthums bildeten sich poeten in antiker
weise; mit leichtigkeit führten sie den römischen grif-
fe!, aber für die deutsche sache Gervinus gesch. der
dtsch. dichtung 2, 261 ; hier müssen wir . . den elenden
griffel des stümpers beklagen allg. dtsch. bibl., anh. zu
13—24, 1456;
was mein leichter griffel entwirft, ist leicht zu verlöschen
Göthe l, 298 Weim.;
war ich zugegen gewesen, als die Vergleichspunkte ent-
worfen wurden, wohl möglich, dasz einige von ihnen
ein schärferer griffel niedergeschrieben hätte Meissner
20
307
GRIFFEL
GRIFFEL
308
Alcibiades 4, 112; die naturwahrheiteii seiner gemälde
scheinen uns nachlässig mit grobem grilTel hingeworfen
Gervinus gesch. d. dtsch. dichtung 5, 83; dasz man höch-
stens mit ungewissem griffel einige kategorien ... zu
umreiszen suchen wolle Vischer ästhetik 2, 208; selte-
ner substantivische attribute: die kühnen bilder des ko-
rans . . . mit dem glühenden griffel der begeisterung
hingezeichnet Klinger 4, 15;
hingeschrieben
mit dem griü'el des Mizes
Schiller 1, 274.
c) gevnase formen bildlichen gebrauchs gehen auf Lu-
thers bibel zurück: die sunde Juda ist geschrieben mit
eisern griffein, . . und auf die tafel ires hertzen gegra-
ben Jer. 17, 1; ah, das meine rede geschrieben würden
. . mit einem eisern griffel auf bley Hiob 19, 24 ; derhalb
Paulus nit unartig anzücht das das gsatz gottes mit dem
finger und griffel gottes in aller menschen hertz ge-
schriben sei Seb. Franck chronica (l53l) 2'» {Vermischung
mit Hebr. 8, 10; 10, 16); die thränen . . . sind nicht
schlechtes wasser, sondern griffel, die das unrecht der-
gleichen leute ... in das hertz der nachkommenden
weit einschreiben Zend. a Zendoriis icinternächte 6l8;
der seine lieb ins hertz mit eisern gri£feln schreibet
Treuer deutscher Dädahis 1, 336;
die schone zügeinerin ist mit einem güldenen griffel
in mein hertz geschrieben Harsdörffer frauem. ge-
sjirechsp. 2, 343; wir aber . . . möchten mit ehernem
griffel grundsätze in dein herz graben, welche der ge-
fahr ewigen todes vorbeugen Raumer gesch. d. Hohen-
staufen 8, 419; hier vielleicht anzuschlieszen fälle uie:
betrachten sie mein blasses gesicht. die leidenschaften
haben sich mit ehernem griffel hineingegraben; zur
Hiobstelle vgl. Wendungen wie: es sei ... diese kritik
mit eisernen griffein in metalltafeln eingeschrieben Stef-
fens was ich erlebte 4, 268; qui Jhesum Christum pure
praedicat, illius lingua ist ein griffel, quo scribit in
corda hominum Luther 27, 155 Weim., vermengung mit
ps. 45, 2; mein hertz tichtet ein feines lied, . . . meine
zunge ist ein griffel eines guten Schreibers; eijie viel
citierte stelle; vgl. dazu: dasz keines redners zunge so
fertig, die es könte aussprechen, noch keines dichters
griffel so wol gespitzet, der es könte beschreiben Rist
friedejauchz. Deutschland (l653) 225.
d) alt ist bildlicher gebrauch in der gegenüberstellung
oder vergleichung von Schreiber- und schwerthandwerk :
euch was mir ie vi! ger
für den griffel zuo dem sper,
für die veder ze dem swerte
Hartmann GregoHus 1590;
si (die ritter) wären alle viere
tiurltche schribaere.
ir griffel wären swaere
Stricker Daniel 3544;
ob wol die sach nit mit degen oder spiessen entschay-
den Wirt, so erstechen sy sich doch aneinander mit
griflen, die mit gifft angestrichen seind Spalatin klage
des frids (i53l) Gl»;
ach schmolz der väter tugendkraft so weich,
die ernst wie Rom so schwort als griffel führten
Fr. V. Schlegel 10, 11 ;
frühling! frühling I der griffel wird zur klinge,
die mutig die verjüngte weit befreit
Herwegh ged. e. lebendigen (1841) 89;
einen vormund . . , der . . fähig war, für sie den degen
des feldherrn und den griffel des gesetzgebers zu führen
Mommsen röm. gesch. 2, 373.
e) jüngerer zeit gehört die bildliche Wendung vom
'griffel der geschichte' an, auf der bekannten allegori-
sclien darsiellung beruhend: aber Klio, mit dem ge-
rechten griffel, schrieb unsichtbare worte darauf {auf
den leicJienstein) Heine 3, 160; wie ist da die . . Wahr-
heit auf den köpf gestellt I und zwar ganz offenbar,
weil Kilos griffel vom.parteigeist gestohlen . . . wurde
Scherer kl. sehr, l, 4l; allein, ich hoffe, der universal-
historie griffel verewigt unsere Unterhaltungen noch
Gramer Neseggab 4, 504;
die thaten, die umstralt von fabelhaftem lichte,
die ferne nachweit einst dem griü'el der geschichte
kaum glauben wird Gotter ged. (1787) 2, 320 ;
auf derselben Vorstellung beruhen weiidungen wie:
was in das buch mit ehmem griffel schon
der genius der zeiten eingetragen
Chamisso 4, 55 ;
die meisten geschichtsschreiber haben den fehler ge-
mein, dasz sie das volk, dem sie ihren griffel weihen,
unvermerkt liebgewinnen Zschokke 2, 4; keine zeit
aber hat den bewahrenden griffel nothwendiger gehabt
als die gegenwärtige Steub drei sommer l, 821; OMch
Urania führt den griffel: Urania durch den auf den
globus hinweisenden griffel bezeichnet archäol. zeitung
1, 120 Gerhard;
die Qdmmelskunde) zeichnet rein den gang der sphäre,
ihr griffel regelt nacht und tag Göthe 16, 303 Webn.
4) seit je auch, ohne die specialisierung von 1 und 2,
ein spitzes oder scharfes instrument für die verschieden-
sten zwecke: griffel scalpellum, radula Wächter 614;
griffel zum radiren Kramer teutsch-ital. (i700) l, 559«;
der umgekehrte schreüstift konnte diesem zwecke dienen:
sie wissen, wie schwerfällig ich arbeite, und dasz ich
mehr mit umgekehrtem griffel als mit dem spitzen
ende desselben schreiben musz H.\mann 1,471 Roüi;
grieffel, zayger, Stylus quo pueri monstrant literas He-
NISCH 1743; griffel zum buchstabieren stecco, toceo da
lettere Kramer teutsch-ital. a. a. o.; 'ein spitziges Mlz-
chen oder ein draht, womit die kinder in den leseschulen
die buchstaben zeigen' Adelung; ein chirurgisches in-
strument: und wann man das an dem falcken merckct,
so sol man im die naslöcher mit ainem silbrin griffel
oder nadeln uf prennen Mynsinger von den falken 23
lit. ver.; vgl. wundgriffel Steinbach l, 639; 'allerhand
chirurgische und anatomiscJie instrumente' Chomel öcon.
lex. 4, 1851 ; grabstichel des goldarbeiters Jacobsson tech-
nol. wb. 2, 143''; instrument des graveurs Beil. technol.
wb. 1, 261; wer in (baisam) vorn an ainen griffel tuo
und in anzünd, so prinn er K. v. Megenberg buch d.
natur 359, 82; vgl. 360, 3; do stach einer ein loch unden
in die luzerne mit eime griffel städtechron. 8,431, 4; die
zweig, die sie setzen wollen, spalten sie so weit als sie
in den grund kommen sollen, und nemen mit einem
griffel das marck herausz M. Herr f eidbau (l55l) 67*;
fleckige (deman^) steine werden in splitter geschlagen,
die man zu griffein verwendet, womit man in glas
graviert, glas schneidet, harte steine durchbohrt Oken
aüg. naturgesch. 1, 149; Lasa Thimrae, die einen leky-
thos und einen spitzen griffel, une espöce de stylet
(nicht ein Schreibzeug) hält Welcher alte denkm. 3,
538; beim drehen des griffeis greift ein kleines zahnrad
in zwei Zahnstangen ein (fensterverschlttszyK.'i.RiiARSCii-
Heeren 3, 406.
5) griffel, losz, zweigschosz calamus arborum ac Vi-
tium, teres particula ac virga, apta ad serendum in terra,
vel quae ramo alicuius arboris inseritur Henisch 1743;
Stieler 699; ebenso im mnl., vgl. VerwijsVerdam 2,
2188; noch heute in westl. maa.: grefel pfropfreis Mül-
ler-Weitz 73; vgl. gröff edelreis lux. ma. 154''; hier
scheint unmittelbarer Zusammenhang mit lat. graffiolum
surculus, taleola du Gange 4, 102'» vorzuliegen.
6) in botanischer kunstsprache der mittlere tJieil der
weiblichen befruchtungsorgane , der die narbe über den
fruchtknoten erhebt; Übersetzung von lat. stilus ; früheste
belege: der mittlere griffel ist zackigt und steht auch
noch auf der jungen frucht Gottsched d. neueste a. d.
anmuth. gelehrsamk. 3, 257; der griffelbau der pflanzen
allg. dtsch. bibl. 69, 441 ; lexicalisch seit Adelung, Gampe.
7) anatomisch: 'eine griffeiförmige hervorragung an
den knocken (ßtylus)' Gampe ; die rechte seite des Unter-
kiefers . . ist auf eine so merkwürdige weise geschwun-
den, dasz der aufsteigende ast mehr einen zugespitzten
griffel als einen breiten knochen darstellt Sömmerino
309
GRIFFELAST - GRIFFELBLUME
GRIFFELBÜCHSE — GRIFFELSPITZE 310
lau des nienschl. körjpers 2, cii; vrß. zwei gegliederte
gi'ifTel am hinterleibsende bei den moderkäferlarven
Brehm ihierl. 9, 60 Pechuel-Loesche.
8) gelegentlich scMint die bedeutung bestimvit durch
substantiva ähnlichen klanges: griffel, in., eisernes, mehr-
zinkiges get-üte Pfister nachtr. zu Vilmar 82 (vgl. greif,
m., dreizinkige mistgabel sp. 10); grilfel, /., ehcas gabeh
spaltiges Woeste 86* {vgl. 7ul. grepe, /. [«;?. lo] und
gaffel, /., mehrzinkige gabel).
GRIFFEL- als erster compositionshestandtJieil zeigt sich
besonders productiv auf zwei gebieten tcissenschqftlicher
kunstsprache : l) in der botanik (vgl, griffel 6): griffel-
ast, m. ScHLECHTENDAL flora von Deutschland 29, 126;
griff elbasis, /. Rohling Deutschlands flora 2, 4;
griffelblüthe, /. Oken allg. naturgcsch. 3, 737; grif-
felcanal, on. Schlechtendal 9, 256; griffelfaden,
m. ROHLING 4,676; gri f f elf orts atz, m. Schlechten-
dal 4, 184; 8. auch an alphabetischer stelle; griffelfusz,
m. ROHLING 1,40; griffelkappe,/. Illiger Hiier- und
Pflanzenreich (1800) 376; griffellos, adj. Schlechten-
dal 2, 124 ; vier kleine . . Staubfäden befruchten . . den
rundlichen, griffellosen fruchtknopf Zschokke 11, 118;
auch als gattungsbezeichnung : griffellose agyneia Nem-
■aicnwb. d. naturgesch.2iQ; griffelpolster,?». Schlech-
tendal 27, 212; griffelpolstrig, adj. Rohling i, 152;
griffelsäule,/. i, 40; griffelsäulig, adj. 3,479; grif-
felschenkel, m. Schlechtendal 29, 47; griffel-
spitze, /. Oken 3,3,1629; griffelzipfel, m. Roh-
ling 1, 413. 2) in der osteologie (vgl. griffel 7); die aus-
drücke knüpfen fast ausschlieszlich an den processus sty-
loides des Schläfenbeins an und tauchen im ausgehenden
18. jh. auf, meist als grobe eindeutschungen lateinischer
termini: griffelbein, -fortsatz s. an alphab. stelle,-
griff elkieferband, n. Sömmering bau d. menschl.
körpersZ, 1, 184; griffelloch, n., auch griffelzitzen-
loch foramen stylomastoideum Sömmering 2, 55; Ersgh-
Gruber l91, 57; dazu griffellochpulsader styloma-
stoidea Sömmering 8, 2, 72; auch griffelzitzenschlagader
Campe; griffelmäuslein, n. Schwan nouv. dict. i,
790, dasselbe icie griffelmuskel, vi., stylohyoideus.
styloglossus Nemnich wb. d. naturgesch. 210; griffel-
schlund(kopf)muskel, m., stylopharyngeus Sömme-
ring 4, 476; 2, xxi; griffelwarzenast, m. 5, 826;
griffelzungenbeinmuskel, m., stylohyoideus 2, 58;
griffelzungenmuskel, m., styloglossus ib.
GRIFFELÄHNLICH, adj.: eine sehr bestimmte pris-
matische structur (geioisser schief er arten), vermöge wel-
cher sie beym zerschlagen in griffelähnliche stücke zer-
fallen Oken allg. naturgesch. i, 510. — griffelartig,
adj., graphoides Kinderling reinigk. d. dtsch. spraclie
176. — griff elbart, m,., exotischer strauch, gynopogon
Dietrich 4, 483. — griff elbaum, m., cercis, der judas-
bäum, salatbaum Nemnich cathol. i, 950/.; Schwan
nouv. dict. 1, 790*; name nach xsQxis. — griffelbeere,
f., altbezeugte, anscheinend vornehmlich alem. bezeichnung
der preiszelbeere, vaccinium vitis idaea Grassmann 153
(schon bei Matthiolus kräuterbuch [1626]); Nemnich
cathol. 8, 210; griffel-, gripfelbeere Pritzel Jessen 424
au^ Hotton thes. pytholog. (1695); grifeln, grifla ibid.
(Graubünden); griffen,/. Staub Tobler 2, 722; grifla,/.
Böhler Davos i, 41; ^rippli Grassmann 153 aus Dur-
heim; in anderen gegenden für vaccinium myrtillus,
heidelbeere Pritzel-Jessen 422 (Hessen); Chomel öcoji.
lex. 4, 1351; la myrsine Schwan nouv. dict. 1, 790*; sel-
tenerfür andere pflanzen : vaccinium, uliginosum, rausch-
beere Staub-Tobler 2, 722; uva ursi, bärentraube ibid.;
uva Spina Stieler ii9. — griffelbein, n. = griffel 7:
unseren pferden, die . . nur im mittelfusz noch auszer
dem groszen mittelfuszknochen zwei dünne, sogenannte
grifl'elbeine als letzte reste von seitlichen zehen be-
sitzen Baer reden u. versch. aufsätze 2, 368; im selben
sinne griffelknoehen Oken allg. naturgesch. 4, 404; auch
speciell für .den griffelfortsatz des Schläfenbeins: der ant-
litznerve . . . tritt zu einem loch zwischen griffel- und
warzenbein heraus 4, 61. — griffelblume, /., exoti-
tische blume BiETRicii 9, 567, Übersetzung des latein. na-
mens stylosanthes (nach dem sehr langen, röhrenförmigen
kelch). — griff elbüchse, /..• alle drei trugen tafel
und griffelbüchse und ein büchlein unterm arm Viebig
schlaf, heer (i904) l, 173. — griffelfehltritt, m.:
räum einen anstosz weg, der einen schritt könnt irren, . .
den falschgerathnen zog, des griffelfehltritts spur
' RCCKERT 8, 227.
— griffelfisch, m., grijfelbüchse in fisch form: die
muhme hatte mir ein bündlein zurechtgerichtet und
schöne schreibtafeln und hängte mir einen wohlgeschnitz-
ten griffelfisch an den gürtel Scheffel 3, 24. — griffei-
förmig, adj., altgebräuchlicJi in dem osteolog. terminus
griffeiförmiger fortsatz für den processus styloides am
schlaf enbeinBhxyiCAnv) med. wb.(mo) 522; (das zungenbeiti)
wird vermittelst der bänder mit der zunge, dem anfang
der luftröhre und griffelformigen fortsatz des hauptcs
verbunden Fleming vollk. teutscher soldat 350 ; so noch
bei Sömmering bau d. menschl. körpers 5, 229; seit der
2. hälfte des iS.jhs. geicShnlich ersetzt durch: griffel-
fortsatz, m,., Processus styloides, vorspränge und über-
ragungen einzelner knochen, die durch ihre konische ge-
staltung und entsprechende dünnheit an die griffelform
erinnern, meist gebräuchlich vom fortsatz des schläfe))-
beins Ersch-Gruber I 91, 57; Sömmering 2, 44; Oken
allg. natitrgesch. 4, 122; seltener und tceniger passend für
die forfsätze der ellbogenröhre, Speiche, des dritten mittel-
handknocJiens Ersch-Gruber a. a. o.; vgl. griffel 7; in
anderem sinn als botanischer ausdruck, s. o. unter griffel-.
— griffelfusz, m., stilarium Diefenbach gloss. 552".
— griffelfutter, n., stilarium, stilotheca ib. — grif-
felgekritzel, n. ; ich glaube, dasz er gar . . römisches
griffelgekritzel aufrollt und behorcht Klopstock 9, 191.
— griffelgra^s, n., name des mannagrases, glyceria
fluitans Dietrich 4, 162; Nemnich cathol. i, ii6l. —
griffelknoehen, m. = griffelbein, s.d. — griff el-
kunst, /., moderne bezeichnung für die kunst des ra-
dierers. — griffelmohn, m., meconopsis Prahn pflan-
zennamen 41.
GRIFFELN, vb. i) intensivbildung zu greifen:
waz scliolt daz do die gsellen btragen,
die der minn mit grifflen phlagen?
WiTTENWEiLER ring 171, 12,
(oder = grifflin?); daran anzuknüpfen wohl: griffein un-
anständige gebärden machen, von kindern Lexer kärntn.
214;
es griffelt an der kh"nke, . .
die tür geht ruckweis auf
B. V. MCnchiiausen balladen u. ritterl. lieder 157.
2) zu griffel: grifflen schreiben, aus schwäb. krämerspr.
zs. f. d. wortf. 10, 215; vgl. Fischer schwäb. 3, 834; herr
Seh. hat son buch gemacht, woraus man solL cicero-
nianisch griffein lernen Laukhard leben u. schicksah
2, 173; so auch im nl.; griffel aus dem weichen schiefer-
gestein verfertigen Staub-Tobler 2, 722; greiele pfropfen
Müller- Weitz 73, vgl. griffel 5. 3) zu griff II E 2: es
ist ausser einigem zweifei, dasz man die pferde griffein
musz, wann es gefriert Hohberg georg. cur. aucta viii
168"^; verbreiteter griffen, s. d. griffein vom riffeln des
flachses Böhme gesch. d. tanzes 169.
GRIFFELRODEL, stilarium, griffelrolle Diefenbach
552". — griffelscheide,/., griffelbüchse Autenrieth
57; HöNiG 68*. — griffelschiefer, m., besondere art
des tlionschiefers, die sich infolge ihrer textur leicht in
stifte spalten läszt Prechtl technol. encycl. 16, 226; Oken
allg. naturgesch. 1, 510. — griffelschmied, m., auch
griffenschmied, kunstschmied, alt. spräche ünger-Khull
307. — griffelschnecke, /., ancula, so genannt nach
zwei fortsätzen am köpfe Brehm thierl. 10, 312 Pechuel-
Loesche. — griffelspiel, n., voii der zeichenkunst :
gar manches artig ist gcschehn
durch leichte griffelspiele
GöTHE 3, 135 Weim.
— griffelspitze, /..- jener (Tacitus) hingegen seinen
griffel gantz aufrichtig geführet; die hoflaster zwar ent-
worfen, aber nicht gebillichet, . . . sondern mit seiner
griffelspitze durchstochen Butschky Pathmos 496. —
20*
311
GRIFFELSPITZER — GRIFFIG
GRIFFIGKEIT - GRIFFLING
312
g r i f f e 1 s p i t z e r , m. l) Instrument zum spitzen des griff eis.
2) nothzüchterYiscHKK Schwab. 3,834. — griffelstock,
in., gegriffelter stock (s. griffein 3), bergstock Unger-Khull
307. — griffelstrieh, «i.; als 'griffelstrich', wie man
das von eitern und voreltem überkommene wandergebiet
eines Seimatter händlcrs nannte, besasz der vater (ein
scJiiefertafelhändler) den Rhein bis ans deutsche meer
Heer wettericart (1917) 18. — griffelzug, m.^ einer än-
derte hie und da einen griffelzug, setzte hie urid da einen
hinzu, die hauptsache blieb Wetzel sat. erzähl, {nii)
1, 49 ; durchsichtige hornblättchen mit eingeritzten buch-
staben, die ... , ein stummer, aber behender schreib-
meister, ihnen (den kindern) ihre griffelzüge augenblick-
lich korrigierten Herbart ll, 48 Hartenstein.
GRIFFEN, vb. : ein pferd griffen ihm einen besonderen
beschlag gegen das ausgleiten auf dem eis geben Jacobs-
SON techn. %vb. 5, 736''; Staub-Tobler 2, 719; hufeisen
schärfen, mit spitzen nageln versehen Mahtin-Lienhart
1, 271*; FoLLMANN 216"; ein altes hufeisen neu gegrift
Staub-Tobler a. a. o. (quelle von 1797); nach griff II E 2;
anders: eine gegriffete kuli deren fettigkeit sich greifen
läszt Staub-Tobler 2, 720; nach griff I 2.
GRIFFENDE, n.: auch ist das untere oder griffende
(der tanze) vielfach mit einem sechskantigen knöpfe
versehen Rat.'.el völkerk. 2, 241 ; anders: die platten
werden mit dem Schnitzer geschnitten, dessen griffsende
auf die schulter gestützt wird Töpfer Ichrh. d. orgel-
baukunst 675. — griffest, adj.: zuckte mit der band
nach der tasche, wo ihm ein grifffestes messer stak
Zahn Albin l7idergand m. — griffgerecht, adv.; sie
. . zogen . . bei dem rauschen im waldesdickicht . . .
ihre spazierstäbe grifl'gerecht zu sich hin Raabe Hor-
«cÄer (187G) 37. — griffgewohnt, «c?y'.; was einsmahls
eine mansuet oder grifge wohnte Jungfer von den küssen
. . . gesagt groszer klunkermiäz (1671) 82.
GRIFFGRAFF, m., im volksrätsel das schuein Frisch-
bier 1, 253.
GRIFFHAND, /.; xoqu^, '/^iq aid'r,Qri, manus ferrea
griffhand Frisghlin nomencl. (i586) 272". — griffheft,
n. : während Siegfried die . . schwertklinge in dem griff-
hefte befestigt R. Wagner 6, 120. — griffhenkcl, m.
allg. haush. lex. l, 621.
GRIFFIG, adj. l) activ: rapax Dieiknbach 484»;
rapidus 484 ^ ; schon ahd. crifiga rapacem (laudis dextram)
Graff 4, 319, sofern nicht crifiga zu lesen ist, vgl. greiiig
sp. i»; di zu euch koment in scheffim gewanden, wan
inwendig sint si griphig wolf cod. iepl. Maith. 7, 15 ; (die
seele ist) gotz griffig und enpfenglich Tauler nach
Schmidt c^ÄÄ**. 155"; gelt, reifer, so baursleut haben grif-
fige finger Schönuerr glaube u. heimat (i9ll) 38; auf
diese weise hergestellte Schleifsteine sind auszerordentlich
griffig Karmarsch-Heeren 4, 678; übertragen: die neu-
mährische Verantwortungen haben oft eine satyrische,
A^ortheilhafte, griffige, höhnische Schreibart Rengel
ubrisz d, sog. brüdergemeinde (l75l) S94; er hat griffige
reden brauchen wollen, ich hab ihm aber heimgeigt
Auerbach neues leben (t87l) l, 91; die grazien dürfen
aber wiederum nicht echauffirt und abgearbeitet, mit
scharfen accenten oder mit 'griffigen redensarten' in
scene gesetzt sein R. Goltz characteristik 44; dabei
hefteten sich seine griffigen äugen nicht ohne Wohlge-
fallen auf die broche der dame Waldau aits d.jnnker-
uelt (1851) 1, 299.
2) passiv: ivas sich greifen läszt:
du griffic, sihtic immer gebendez iht (gott)
Frauenlob kreusleich 1, 8;
der samen, darausz das holz wachset, der (ist) sichtbar
und griffig Paracelsus opera l, 280 C Huser; 'gut und
weich anzugreifen' Unger-Khull 307; (Werfer-) stangen
mit ovalem durchschnitt sind, namentlich für kinder,
nicht griffig genug Kregenow-Samel gerätkunde 55;
angesichts einiger hübsch illustrierter büchcr, deren
Verleger es auch an gutem papier und schönen grif-
figen einbänden nicht fehlen lioszen monatsschr. büchcr-
uurm, m,ärz 1911, s. 4;
a sengsen sehen fein,
aft a dirndl sehen grifli —
wen soll das not freun!
Stelziiamer 1, 294 Eosegger;
etwas anders : von einem weibsbild, das sich gern betasten
läszt Staub-Tobler 2, 720 (vgl. griff I 3); fest, von iceb-
Stoffen ib. (vgl. griff I l); ein leichtes tuch losen, aber
durch walken ziemlich griffig gewordenen gewebes Leipz.
ztg. V. 4/5 1849, s. 2248; fühlbar fett, von masivieh (vgl.
griff I2) Staub-Tobler 2,720; mit festem fleisch versehen:
das kalb ist nit griffig Martin-Lienhart l, 271''; kelber-
griffig von einer trächtigen kuh, bei der man das kalb
schon fühlt, ib.; im forsticesen : 'gr. hat bei bauTnstämmen
die bedeutung, dasz sie mit den armen umfaszt werden
können' REHLEN/orÄ^ ti. jagdk. 3,498; ein dreigrieffichter
ahornbaum Lohenstein Armin, l, 1131 ; eitel zwei- und
dreigriefige eichbäume l, 1354; eine viergrieffige riesen-
eiche 2, 780; auch vom spannenmasz: eichene zimlicli
dicke zwey oder drey spannengriffige runde und unge-
schälte pfäle Hohberg georg. cur. 2, 473" ; vgl. greifig;
dazu griffigkeit,/.: (ein icebproduct), welches . . milde
und griffigkeit besitzen musz Karmarsch-Heeren 5,342;
mit verändertem suffix: griffisch gern zugreifend, hung-
rig Liesenberg Stieger ma. 85.
GRIFFKNORPEL, m.: ferner besasz sie einen hand-
stock, der am griffknorpel ein riemlein hatte Ros-
egger 8, 32.
GRIFFLEIN, n., im 16. und 17. jh. sehr häufig; nur
selten mit erinnerung an die bedeutung des greifens:
(sie) fieng derwegen an den guten doctor, welcher hart
cntschlaffen, mit allerley grifflein und anreitzungen auf-
zuwecken Maynhincklers sack (I612) B l"; in der regel
im sinne von griff II B kunstgriff, vielfach ohne dasz das
wort noch als demin. empfunden wird: aber doch (mit
der vorrede) ein kleins kurtzes grifflin zu geben den-
jenigen, so gnade und verstand haben, weiter darnach
zu trachten Luther bibel 7, Wi Bindseil; warumb wolten
wir verzweiflen solche (kunsf) zu erlernen, die wir ver-
stehen mögen die griflein des Aristotiles und Euclidis ?
Schupp sehr. 706; der mahler kunst und grifflein Gua-
JUNONius greuel d. Verwüstung (I610) 185; viel häufiger
in schlechtem sinne als fallacia, gebrauch toie beim un-
verkleinerten wort: e& sind eytel rechte teufeis grifflin,
da d. Carlstad mit umbgeht Luther 18, 194 Weim.;
von der jesuwidir räncken, grifflein, sündlen und künst-
len Fisch ART nachtrab l Kurz;
gut gsellen iimb ir gelt zu bsebcissen
mit falschen würilen, kartenspil.
dan ich darauf kan griffly vil
Wickram 5, 161-;
wer die aller boszhaftigste und" verschlagneste griffel
erfindet und auszgibt, der ist am besten dran Aeg. Al-
BERTiNUS Lucifers königr. 46, 35 Liliencron; listige po-
litische griffe GUARINONIUS greuel d. verivüstung (I610)
388; ein schönes portal von zierlichen politischen grift-
lein aufgeführet Mosgherosch gesichte (1650) 58; ich
hab durch meine politische griffel die sach so weit ge-
bracht, dasz der galgen . . . gestanden Abr. a St. Clara
etwas für alle 2, 383 ; neben verborgen mit leicht verän-
dertem sinn (vgl. griff II B 3a): viel tausend dergleichen
verborgene griffel werden in natürlichen würckungen
gefunden, die doch der gemeine mann vor- wunder-
wercken auszschreyet Abr. a St. Clara Judas i. 185 ;
Sprichwort, ein kurtze weise klügred, die summ eines
gantzen handeis — als der kern, in ein engs sprüchlin
und verborgen griflein gefaszt Seb. Frangk sprichw.
(1541) vorr. 4*». vgl. griffchen.
GRIFFLICH, adj.: grifelig rapax Diefenbach 484"-;
antra (L anthrax) grifflige (fressende) blater Tvvtinger
vocab.; vgl. griffe bloter antrax DiEFENBACK ncv. gloss.
26".
GRIFFLING, m. l) alter rotivelscher ausdruck für
finger: dann der bettelstab ist inen erwärmt in den
grifflingen liber vagat. bei Ave-Lallemant gaunerthum
1, 166; aus dem liber im 16. jh. öfter citiert; bei Fischart
ifn Zusammenhang einer roticelschen tcortliste: grauten
313
GRIFFLINGS - GRIFFZUNGE
GRIFT — GRILLART
314
I
mit griffling groszm. (1607) C 1*; Jupiter besitzt den leb-
haften geist und das hertz, auch samen und lung, tastung,
grifling und den hirschsprung C 7»; von Moscheroscii
ala ausdruck der feldsprache bezeichnet, gesichte (1646)
i, 168. 2) (sand-) griffling sandaal, sandfisch, ammodytea
vulgaris Berghaus l, 6il. 3) griffeling eine art kleiner
kämm Schmidt e^ä**. 155» {quelle des 15. jh.). i) auf ein
nicht nachweisbares griffling zinken am hufeisen (vgl.
griff II E 2) deutet wohl die notis eines ausgabenverzeich-
nisses von 1392: dem smid umb salm (salbe) zu meins
herrn grifling pferd, das man het eingeschlagen . . .
xxiiij {pfg-) Freybebg samml. histor. sehr. u. urk. 2, 119.
GRIFFLINGS, adv.: greiffend, grifflings toccando, pal-
poni, tastone Kramer teutsch-ital. (1700) l, 559*.
GRIFFLOCH, n., bei blasinstrumenten die löcJier, auf
denen die finger greifen; gegensatz: blaseloch Campe;
mein vater hatte mir . . . auf dem Jahrmarkt eine
pfeife mit sieben grifflöchern . . . gekauft Klöden
jugenderinn. 121; anders: in den seitenwänden des satzes
(beim springkasten) sind grifflöcher zum tragen ange-
bracht Kregenow-Samel gerätkunde 94. — griff Ord-
nung, /.; auf was art die Versetzung aus einem ton
in den andern oft eine andere griffordnung erfordert
MA'srrHESOii kl. gener albaszschule 2ii7. — griffrad, ?i.:
(eine schraubenpresse,) welche durch die anordnung von
. . . Schraubenspindeln mit . . . grifl'rädern ausgezeichnet
ist Karmarsch-Heeren 7, 40. — griffrecht, adv.:
in meine decke gehüllt, sasz ich, die büchso griffrecht
neben mir Raabe leute a. d. walde l, 242; vgl. griffge-
recht. — griffreich, adj.:
{die laute,) welche dir vou band zu haud vertraute
Apollo Phöbus selbst, der sie vorerst erdacht,
der deine schnelle faust ihr griffreich hat gemacht?
Fleming dtsch. gedirJite 1, 123 lit.ver.;
anders: auch da wo platten in gröszerer ausdehnung
einen absatz überkleiden, erweisen sie sich rauh und
griffreich Barth kalkalpen 383. — griff ring, 7».; da-
neben ein schwarzer lackierter schubladkasten mit
messingbeschlagenen griffringon Rosegger III 6, 337. —
griffsäule, s. grieszsäule. — griffschild, theil eines
thürschlosses Fronsperger bauordnung (1564) 86". —
griff schuh, m.. bergschuh 7nii griffeisen (*. d.) Fischer
Schwab. 3,834. — griffspitze, /.: je stiller die men-
schen sind, desto mehr nähert sich der hut der hori-
zontalen läge, und je weiser sie sind, desto mehr tritt
die griffspitze über die nase Lichtenberg vet-m. sehr,
i, 152. — griffstange, /.: ist abir das si (vor dem
Zweikampf) auf die slgpaume oder grifstangen ire swert
legen und ob si (erg. sich) noch wollen vorrichten Jeli-
NEK böhm. 650 aus Iglauer stadtrecht, anscheinend volks
etymologische Umänderung der grieszstange (*. d.); an-
ders: Webstühle für antrieb durch band oder fusz, bei
welchen die menschenkraft nur an einer . . griffstange
. . . thätig ist Lueger 7, 879. — grifftafel, /.; tasta-
iura . . . bedeutet überhaupt die grifftafel, oder die
claviere aller Instrumenten, die dergleichen haben
Walther musical. lex. 595. — grifftriebel, m., 'bei
den sehwertfegern ein Werkzeug, den griff auf den angel
der klinge zu treiben' Campe; vgl. Beil, technol. tvb. 1, 262.
— griffvogel, m.: 'in Germania inferiori et maritima
apud Frisios audio inveniri avium aquaticaru7n et ana-
tibus fere aimiliuin diversa genera et nominatim ista,
smeant, teling, slup, griffvogel, Wildenten' Gesner hist.
anim. 3, 118. — griffwechsel, m.. turnerspr.: das
übergehen aus einem griff in einen andern; auch als
hangübung: das gleichzeitige icechseln der griffart durch
ziehklimmen Heinsius 2, 534*; griffwechsel und stemmen
(hangübungen) Jahn 2, 60. — griffweise, adv.: wir
^ bedauern, dasz wir nicht alle sonette aus dieser periode
liefern können . . . allein der beschränkte räum eines
taschenbuchs nöthigt uns, griffweise, nur einige . . her-
auszuheben Baggesen karfunkelahnanacJi 73. — griff-
winde, /. , 'bei den sehwertfegern eine kleine eiserne
winde, die degengriffe mit draht zu bewinden' Campe;
i'gl. Jacobsson technol. t'jö. 2, l53^ — griffzunge, /.,
der oberste theil einer schioertklinge , vermittelst dessen
sie im griffe befestigt ist Bl'giier kunstgewerbe 171^.
GRIFT, /., verbalabstractum zu greifen; ahd. ver-
schiedentlich in compositis: pigrift »wt/iMa, manipula, ana-
grift, hörgrift Grafp 4,819; mhd. begriff, hantgrift mhd.
tcb. 1, 572'»; als simplex nur beim passionaldichter, zu
dessen lieblingsu'örtern es gehört; nur selten im eigent-
lichen sinne:
mit vil semfteclicher grift
gewunnen si hervur den dorn
pass. K. 510, 12 ;
m^ist ins unsinnliche übertragen und zwar mit Vorliebe
in der wendung des herzen gr.:
alle eines herzen grift
warf er an gotes gelouben
423, 78,
V^i. 435,43. 669,16; Ja". 80, 17. 140,39.227,45; Mar. leg. %2, 9;
vüterb. 24007; von Jeroschin dem passional entlehnt,
ehr 071. 2450. 3987, gelegentlich auch deplaciert:
dirre guten lere wort . . .
namen in des herzen grift
der meister und di brudre do 27134;
dasselbe tcori ist wohl grift, m., der grosze eifer, grimm
Schambach 68''; eine schlänge voll gift und grift frasz
an seinem herzen Sohnrey im grünen klee 146; vgl.
griffig.
GRIFTIG, adj.: grifftich rapax Diefenbagh 484*;
sophista listiger, behender, grifftiger redner Apherdianus
meth. (1601) 31; zum angreifen geneigt, so aufgebracjit,
dasz man jeden augenblick das übergeJien zu thätltch-
keiten erwarten darf, grimmig, tvild; auch: auf etwas er-
picht SCHAMBACH 68**.
GRIGGEN, vb., mit gespreizten beinen gehen, über-
tragen: gebrechlich seiji,, kränkeln, elend sein Staub-
ToBLER 2,727; das zergriggen der schencklen explicatus
crurum Frisius 518»; dafür zergricklen bei Dentzler;
eine Seitenbildung zu gritten (s. d.), die schweizerisch mit
zahlreich en ableitungen verbreitet ist: g r i g g e 1 e , /., gabe-
lung der Schenkel, der finger, gabelförmiges geräth, der
winket zweier äste: er (derhäher) sich oft selbs zwüschend
die grigglen der böumen erhenkt Heuslin Gesners vogel-
buch 13^; sein schosz, so zwüschend den griggelen und
gablen der weynräben aufscheuszt Frisius 573»; grig-
g e 1 , m., auch griggeler, griggi, griggis verwachsener mensch,
krüppel, Schwächling; verkümmertes geschöpf überhaupt;
vgl. grigge ein kleine aal, minima anguilla Gesner nach
Henisch 1743 ; grigle, n., schwächlicher, elend aussehender
mensch Martin-Lienhart l, 271*'; bei Gotthelf öfter
in der form grieggel : das chind chunnt nit für, e sellige
leide grieggel nadi Staüb-Tobler 2, 728; unsere . . frau
pfarrerin, . . . welche vier gelbgrüne griegglen von mäd-
chen hatte, schlank wie haselstecken ges. sehr. 12, 165;
adj. griggelet, griggig mit gespreizten beinen, elend;
vgl. griglet heiser Klein l, 163 (österr.); das vb. grig-
ge In auch vom, wundsein in der fingergabelung : gänse-
kraut soll warm übergelegt zu dem gebrüt oder griggeln
der henden oder fingern dienen Heuslin Gesntrs vogel-
buch 62'^.
GRILL, m.?, ältere bezeichnung für den girlitz, frin-'
gilla serinus: grill etiam est avis. cerinus dicta Stieler
702; 'circa Francfordiam simpliciter gryllen appellant'
Gesner hist. anim. 3, 249 ;
vier wydlin vögel gerad
das luthertumb zur narung hat, . . .
fledermäuss, struuss, han und grüllen
Na3 antipap. eins ti. hundert 4, 99 ",
hierher? öfter auch in der gestalt hirngrijl H. Sachs
regiment der vögel (l53l) v. 113; girlitz, schwäderle, hirn-
gryllen, fädemle serinus Gesner a. a. o.; vgl. hirngrille
th. 4, 2, 1560; nach Henisch 1743 'hirngrill vocatur a con-
tinuo cantu ut grylli', eher scheint eine volksetymologiscJie
Umdrehung der alten bezeichnung girlin, girle (Suolahti
132) vorzuliegen, wie auch girlitz verändert worden ist zu
grilitsch Naumann naturgesch. d. vögel 5, 114.
GRILLART, m. : grillemair, grillart, fantast, gestuosus,
gesticulator Henisch 1744; auch im nl. grillaard passen-
reiszer, hansicurst, uoordenb. d. nederl. taal 5, 763; vgl.
grille II B 2.
315
GRILLCHEN - GRILLE
GRILLE
310
GRILLCHEN, n. l) dem. zu grille: grilligen Diefen-
BAGH 270 ■;
wo das tnrtelchcn lockt, wo sich das grillchen ergetzt
GöTHE 2, 124 Weim.;
mit anklang an grille II B 4:
bald als grillchen und als heimchen
singen, summen häusliche sorgen
RüGKERT 2, 89;
auf eine person angewendet (vgl. grille I B 4): der shawl,
141 welchen sie sich fröstelnd gehüllt hatte, war . . .
Terblichen; ganz, ach ganz und gar das arme grillchen
ihres landsmanns Jean de la Fontaine Raabe hunger-
pastor (1864) 2, 215.
2) fringilla linaria, leinfink Naumann naturgesch. d,
Vögel 5, 174; vgl. grill.
GRILLE, /., heiinchen; laune.
I. das thier.
A. herkunft und form.
1) nicht zu grellen 'schreien' gehörig, obgleich früh so
empfunden :
der stolze grille niht anders gert
denne daz er . . . lute grelle
H. V. Trimberg renner 5574;
vielmehr lehnwort aus lat. gryllus {yqv).).o;); das tcort
ist bis ins späte mittelalter beschränkt auf das bair.-
ostfränk.; ausserhalb dieses gebietes bleibt ihm lange eine
gewisse volksfremdlieit anzumerken; ahd. grillo, m., grillus
Graff 4, 320 (cod. S. Gall. 9.jh.); grille cicada ib. (cod.
Vindob. 12. jh.); W. v. d. Vogelweide und H. v. Trim-
berg zeigen grill, m., im Zusammenhang der äsopischen
fabel (s. u. B l), bei Bon er dagegen höustüffel edelstein
63 Pfeiffer; loeiter belegt beim Marner (*. u. B 4), bei
MusKATBLÜT (s. u. B s) , bei Hadamar V. Laber 323;
seit dem 15. jh. im schwäb. nachzuweisen (mehrfach bei
Steinhöwel); seit dem IG. jh. auch dem alem. geläufig,
tco man den namen z. th. onomatopoetisch erklärt: cicada
ist ein wurm, den etlichen grillen nennen, von seines
geschreis wegen, den er rufet und schreiet ohn unter-
lasz grill, grill Ryff thierb. 311; bis ins hess. hinauf:
grill grillus, heymchin Alberus dict. (i540) 195«^; bei
Kirchhof anscheinend noch erklärungsbedürftig: dass
die grillen oder heimen ... in das haupt zu eim ohr
ein gekrochen wendunm. 2, 653 Österley; unter der fülle
der Übersetzungen für grillus in spätmhd. und frühnhd.
glossaren tritt grille ganz zurück Diefenbach 270";
cicada heuschreck, gryllen, dreckwybel 639"=; grillus
grille gemma gemm. (Straszb. 1508) 1 6*; erst den alem.
leodcis des IG. jh. wird es geläufig: achetae . . . etliche
sagend muhenheim oder grillen Frisius dict. (1556) 23";
die grillen, muhenheim cicadae Maaler 192«; gryllus
heimenmuek, gryll Golius (1585) 326; gryllus ein mu-
heim, hauszheim, feldheim, gryll Galepinus Xlling.
(1598) 631 "■ ; seit dem 17. jh. dann auch bei nordd. lexico-
graphen: grill, grille,/., cicada, gryllus, locusta Stieler
702; grille, /., gryllus, achata Steinbach i, 642/.,- der
gröszte tJieil der nordd. mundarten kennt das wort nicht;
bei Luther vereinzelt und ganz deutlich als der ma.
fremdes xcort: also haben die alten poeten und weisen
gespielet von den grillen oder heuschrecken ausleg. d.
ep. u. evang. von ostern (1544) Xx 6'',- bei B. Krüger
Ciawert 10 neudr. aus hd. quelle (s. u. B 2); iioch im
17. jh. bei nordd. autoren selten (s. u. B 1 Warnecke);
erst die poetische production, vor allem die liederdichtung
des 18. jh. geivinnt dem wort seine heutige allgemeine lite-
rarische Verbreitung.
2) noch in heutiger ma. in der hauptsache auf bair.-
üaterr. boden, und zwar zumeist als masc: der grill
'österr.' Popowitsch 163; der grill, grillen neben die
grillen Schmeller l, 094; grill, m., Unger-Khull 307;
grille, 7/j., /., Lexer kärntn. I2i; grillo, m., Schmeller
cimbr. 126"; gril, /., Bacher Lusern 263; grille meist f.,
im Osten m., Fischer schicäb. 3, 835; demin. grilli, n.,
feldgrille Staub-Tobler 2, 730; das masc. herrscht bis
ins 16. jA. durchaus vor, so stets bei Steinhöwel, H.
Sachs; auch im n.jh. noch:
das mirs nicht geh gleich wie dem griln (der fabet)
Eyering provcrb. 2, 8;
acc. sg. den gryllen Paracelsus (*. m. B 4); der heissre
grill am feuerheerdt Warnecke poet. versuch (1704) 390;
noch in neuerer literatur aus dem dialect heraus bei
Raimund und Rückert (s. «. B 3); das fem., das sich
wie bei heuschrecke, und vielleicht in parallele mit diesem
wort, aus dem meistgebrauchten plural entwickelt haben
wird, zuerst siclier nachzuweisen im 15. jh.: als eyne
grille MusK. 77, 6 (Trierer hs. von 1433); ime ist als der
grillen stüdiechr. 8, 42 ; von den lexicographen gibt ztierst
Stieler deutlich die grill, grille stammb. 702.
B. bedeutung.
l) wissenschaftlich bezeichnen grillen oder grabheu-
schrecken die gryllidae, eine familie der geradfiügler
Brehm thierl. 9, 586 Pechuel- Lösche; für dialect und
literatur kommen wesentlich nur in betracht die huus-
grille (heimchen). gryllus domesticus, und die feldgrille,
gr. campestris; die hausgrille in älterer spräche vielfach
in ungezieferlisten: da erschiene in des d. Fausti ge-
mach , . . allerley unzifer, als omeissen . . . grillen
volksb. V. dr. Faust 49 neudr.; (sind in einem wirths-
haus) mause und grillen, wantzen und flöhe Hohberg
georg. cur. l,5l; als angelköder, im bilde: dann was ist
die weit änderst als . . ein silberner angel mit grillen
überködert Abr. a St. Clara mercks Wien (1680) 39;
als medicament: nim ein guten theil grillen, zerstosz
sie in einem säubern mörser Gäbelkover arzneibuch
(1595) 1, 113; im Volksglauben:
und wenn der heiszre grill am feuerheerdt zirpt und schwirrt,
so weisz ich gantz gewlsz, dasz ander weiter wird
Warnecke poet. versuch (1704) 390;
die grillen oder ofen eimichen bringen ein unglück
Leyer-Matz lust. corresp. geist (1668) 173; die feldgrille
nimmt ihren einzug in die literatur mit der bekannten
äsopischen fabel, vgl. H. v. Trimberg renner 5565^., da-
selbst der stolze grille 5572, min her grille 5689, im
Wechsel mit heime ; im gedanken an die fabel:
owc der wise, die wir mit den grillen sungen,
dö wir uns solten warnen gegen des kalten winters zit
W. V. D. Vogelweide 13, 26;
von der amais und dem grillen (de formica et cicada)
Steinhöwel Äsop 188; die ameis und der grill H. Sachs
6, 78 Keller; sie verbreitet sich ungeheuer im 18. jh., nicht
zuletzt durch die idyllische und bucolische dichtung; her-
vorstechende Wendungen :
das lied, das eine grille singt
J. G. Schmidt roclcenphilosophie (1706) 1, 255;
auch hier (bei den grabkreuzen) singen dann die grillen ;
aber es sind nicht die heimchen des häuslichen heerdes
Storm (1877) 8, 75; das verbum singen ist altgebräuch-
lich, vgl.:
die Stumpf von Stumpfberg sein desz willen,
und hörten sie einen grillen
singen von ritterspil,
ae legten darauf costung vil
Hund bayr. stammenbttch (1585) cl'';
entsprediend: man hörte nichts als den gesang der grillen
Fr. H. Jacobi Woldemur (1796) 2, 33;
alsbald die sicheln dengle ich,
der grille lied ergötzet mich
Schubart sämtl. ged. 3, 50;
grillen zirpen aus dem moose
Miller ged. (1783) 190;
wenn . . . der klingende ton der grillen durch die feier-
liche stille schrillte Göthe 21,33 Weitn.;
wo ... ungestört im gras die sommergrille zischt
Wieland 12, 73 Ilempel;
die grille und die heuschrecke zwitscherten Gessner
werke (1778) 2, 23 ;
lieblicher tönt dein gesang, wie der grille gelispel
OvERBECK verm. ged. (1794) 181 ;
die frösohe singen und die grillen pfeifen
Uhland ged. (1852) 203;
"317
GRILLE
GRILLE
J18
die grillen geigten Th. Mann tod in Venedig (1913) 89;
die zirpende, . . . hüpfende grille Treuer deutscher Dar
dalus i, 527;
wie uns die well entschlüpft
und wie die grille hüpft,
so schwindet frexindlich uns die zeit
F. L. V. Stolberg 1, 349 ;
neben heimchen:
es schweigen grillen und heimen
Becker mildheim. liederbuch 43;
grillen, heimchen, zittertönig
spielen auf von fern und nah
RÜCKERT 1, 133;
gelegentlidi, auch für nahesteliende thiere gebraucht; für
Jteuachrecken :
gleich dem beere schwirrender grillen,
die vor sich blühende fluren
und hinter sich wüsten sehn
Ramler poet. werke (1800) 1, 87;
für cicade:
(die alten auf dem skäischen thore)
redner reich an rath, sie waren den grillen zu gleichen,
deren schwacher gesang auf bäumen des haines ertönet
{tittlytaaiv iot/.oti; F 151) grafen Stolberg 11,97;
2) bildlicJie icendungen: grillen sticken als bild für
das treiben des Stubenhockers:
wer allzeit hintern ofen sitzt,
nur grillen stickt und höltzlin spitzt . .
der bleibt ein äff in seiner haut
B. Krüger Ciawert 10 neudr..
offenbar aus hd. quelle, denn dieselben verse bei Henisch
1744; ebenso grillen schieszen: dasz sy (die Schwaben)
hinausz ziehen, sich was zu versuchen, da andere na-
tion last haben, hinder den ofen zu sitzen und grillen
schüessen Krafft reisen 402 lit. ver. im 16. jh. öfter :
einem eine grille im loch verkleiben grosze dinge gegen
jemanden ausrichten :
Barack, der Israelit, sey kommen
und hab seins volcks mit im genomen . . .
ich gedenck mir, er wer auf gleuben
uns ein grillen im loch verkleiben
mit seinem handtvölligen beer
H. Sachs 10, 136 Kdler;
s. auch unter verkleiben l, th. 12, 657; vgl. nicht desz-
weniger vföllen sie (die evangelischen ketzer) dargegen
grosz grillen mit dem verkleiben, dasz dort steht : das-
jenig dasz zum mund eingeht, verunreinigt den men-
schen nicht Fischart bienenkorb (1588) 218». einen
stechen die grillen, ähnlich wie einen stechen die flie-
gen, die mucken, namentlich im 16. jh. nicht selten; von
verschiedenen gemüthsverfassungen, übermuth, ausgelas-
senheit (vgl. II B 2), doch auch hitze, zorn (vgl. stechen,
th. 10, 2, 1245. 1259) :
ich mein, es stechen dich die grillen
sagt die bäurin zu, ihrem sich närrisch gebärdenden manne
H. Sachs 14, 175 Keller-Götze;
wenn sie heim kommen von dem wein,
so sticht sie der narr und die grillen,
w8ln dweiber zwingen umb nichts willen
MoNTANus schwankb. 557 lit. ver. ;
er ist grimmiger und wilder dan das er mit eyniger
vyrolthat mSg versönet und gestillet werden, er ist gar
zu schellig, wann in die grillen stechen Fischart s,
328 Hauffen; im westfäl. sagt man: de rüe het de grillen
ist wüthend (vom tollen hunde) Woeste 86^, möglicher-
loeise eine contamination von grille gryllus mit grille
zorn (vgl. 2grell sp. 102 und grillen) Sciiiller-Lübben
2, 146 •>.
S) im vergleich:
wa sich unreyn
eyn mentschen düt, gelichet Muscaplüt
als vogel und eyn grillen Müskatblüt 78, 75;
si (das böse weib) grynet als eyne grille
77,6;
ime ist als der grillen hinter dem offen, er redet so
man doch nit gern hört städtechr. s, 42;
wo er (Witzel) troffen ist, da schweigt er still,
er nach schreiet unnütz wie ein grill
Alberus contrafactur A 1»;
was nutzen . . . mir meine helJenlieder,
wenn ich wie grillen nur im winkel singen musz?
Neukircii ged. (1744) 264;
machens s' eine beschwörung, kitzeln wir ihn (den Zau-
berer) wo heraus bei einem loch, wie einen grillen
Raimund i, 199; im gedanken an die fabel: während er
dabei so harmlos wie eine grille lebte Spielhagen
yrobl. nat. ^^2, 481; ich lebe still vor mich hin und zirpe
wie eine grille Freytag 4, 347; nach der schlanken, ver-
hungerten gestalt der hausgrille:
eingeschrumpft wie eine grille
sasz das fromme mütterlein
Chr. V. Stolberg 1, 254;
ach du gott, wie ist es möglich, dass der drach, der doch
so viel,
menschenköpf in seinem leib hat, klein ist worden wie ein
grill
RüCkert Napoleon 1 (1815), 49;
iszt allawal und seggst dennost aus wia da grill am le'zelt'n
Schmeller 1 , 994; äugen wie grillen unschöne, grosze
Fischer schicäb. 3, 835.
4) metaphorisch von personen; noch als bild empfun-
den: doch was halte ich mich mit diesen Schwätzern
auf? ich will meinen gang gehen und mich unbeküm-
mert lassen, was die grillen am wege schwirren Les-
sing 10,191; ähnlich schon j'rüh:
wer kan dirre werlte nach ir willen
nü wol sprechen, aide sJnen sanc verzem?
wes, des waene ich, des
müggen süsent, schrient euch die grillen :
wer kann dirre tumben diet ir muot erwern ?
Marner 89, 20 Strauch;
darüber hinaus reines appellativum : grill, m., Spott-
name für kleine magere leute und zwerghafte thiere
ünger-Khull 307; grüll, m., magere person Hügel
wien. 71; ha! alter grill, bist aus dem loch? (zum alten
Bott) Schönherr glaube u. heimat (1910) 78; sei still,
du kleiner grill, dort; nehm dich nicht mit Roseggek
14, 119; kleine, sich bemerkbar machende person Fischer
Schwab. 3,835; speciell: mageres, naseweises weibsbild, ib.;
grille, /., homunculus, ein geringer mensch Stein bach
1, 642;
Laura : ich will nicht, scheuszliches höllengebild !
ungeheuer : ho, winzige grille, nur nicht so wild!
Raupacii dram. werke ernster gattung 13, 40;
so enne alte grille! grillige person Müller-Fraureuth
1, 442; im schwäb. nennt die katholische bevölkerung die
Protestanten grillen Fischer 3, 835 (= 'speculierer, ketzer',
vgl. grillen 'ketzerische phantasien' m. II B 3 a); 'narr': der
musz ja wohl ein grill seyn, der sich auch solche
thorheit wünscht Moscherosch gesichte i, 155 (vgl.
grillen passen II B 2); als versteckicort alter Soldaten-
spräche :
da kamen bald die grillen gegangen,
sie wollten dasselbig mädelein fangen, . . .
'ach lieber grill, fang mich nicht eben,
ich wil dir hundert stickle geben'
iaus einem in Cöln 1608 gedruckten Soldatenlied)
SS. f. d. wart/. 1, 59
(bedeutung unklar; landsknceht /) ;
zu ärzten, die ihm das kopfweh mit klistier vertreiben
wollen, sagt der kranke: sie weren wie meister Grill,
dasz sie ihn unten weiten curiren, da er die schmertzen
im köpf hett Lehmann florileg. polit. (1632) l, 59, viel-
leicht zu erklären aus grill als bezeichnu7ig des vitriols:
solchen allen ist das höchst und das best purgieren mit
dem Vitriol, den man in der gheim und heymligkeit den
gryllen geheissen hat Paracelsus opera 1, 1051 Iluser.
II. laune.
A. Ursprung, die öfter versuchte zurückführung
dieser bedeutung auf gril, grille 'zorn' (zu grellen
schreien, s. o. sp. 104; vgl. I B 2 schlusz) ist kaum an-
gängig, schon die entwicklung der bedeutung aus einem
verbum des sinnes 'schreien' (vgl. Verwijs-Verdam 2,
2140) ist nicht ohne künstlichkeit möglich, man beachte
weiter, dasz grille 'laune' denselben weg genommen hat
wie grille 'heimchai', von süden nach norden, während
die sippe grell- auf nordd. boden reicher entwickelt und
319
GRILLE
GRILLE
320
nach Süden vorgedrungen ist (s. o. grell sp. 95). ivahr-
scJieinlicher ist anknüpfung an lat. grylli gebilde der
groteskmale rei (s. n. B l). doch wird das wort schon beim
auftauchen der neuen bedeutung im 16. jh. vom, volksbe-
wusztsein nicht selten mit grille heim,chen' identifiziert (vgl.
hummel, motte, mucke, schnake ti. a.), und diese gleich-
setzung hat seinen gebrauch je länger je entschiedener
bestimmt, zu beachten ist, dasz die ausbreitung der
jüngeren bedeutung nach norden anscheinend in einem,
schnelleren tempo vor sich ging als die von grille 'heim-
dien', daher denn auf nordd. boden frühzeitig icendungen
wie grillen machen (». u. B 4) fusz faszten, während
echte bilder wie grillen fangen, vertreiben selten bleiben,
bis im 17. jh. die reception von grille 'heimchcn' im md.
gänzlich vollzogen ist,.
B. bedeutung.
1) die dem, lat. grylli unmittelbar entsprechende bedeu-
tung im älteren nhd. nur bei Fischart mehrfach nach-
zuweisen: von selsamen fantastischen thieren und grillen
geschichtklitt. 440 neudr.; malerträum, hülengrillen 18;
ja malen selsam grillen dar,
wie die weit gar a rebours fahr,
wie die leut auf den köpfen gehn
d. gelehrten d. verkehrten 331, 10 Kurz,
ähnlich flöhhatz 67, 91 neudr.; vgl. grillisch; der nichts
als syrische, chaldeische, persische, aethiopische, sama-
ritanische grillen an die tafel mahlen kan Weise die
drei ärgsten erznarren 88 neudr.; dass überall ein guter
triftiger sinn zum gründe liegt, auch wenn nichts als
lauter aegyptische gryllen und chinesische fratzenhäuser-
chen daraus empor steigen Lessing 13, l9i;
so zerrüttet auch Dürer mit apokalyptischen bildem,
menschen und grillen zugleich, unser gesundes gehirn
GÖTiiE 1, 318 Wcim. ;
vgl. (zeichnete er) einen ordentlichen bäum, ein haus . .
nach einem braven original, so hätt' ich nichts da-
gegen, aber da sind es nur immer seine eigenen grillen,
hexenhafte karikaturen und was weisz ich Mörike 3,
393; auf plastische gebilde angeicendet: opfern bald bände,
bald füsze, bald köpf, bald ochsen, bald schaf und der-
gleichen grillen mehr, alle von wachs gemacht J. A. v.
Brand reisen 157; dann schlenderten sie in dem garten
von büste zu büste, von grille zu grille, von statue zu
statue SiEGFR. v. Lindenberg 2, 309; vgl. grillenwerk.
2) närriscJtes gebühren, faxen, possen, dann auch ab-
str acter: närrische, lustige einfalle (atich im mnl. reich
cntuickeltYERM'us-YERDA-M 2, 2140) : grille possenreiszung,
gestus, gesticulatio Henisch 1743; grillen treiben, possen
treiben gesticulari, gestire 1744 ; grillen gesticulationes et
gestus Hdiculi Stieler 702; im IG. jh. sehr häufig, im
17. allmählich erlösche7id ,- 7nir im plur. gebräuchlich :
60 findt ich meinen man da sitzen
in einem korb hie auf der dillen,
treibt so seltzam egel und grillen
H. Sachs 14, 176 Keller-Götze;
ebenso 9, 392, 19;
auch wo eim etwas wurd gestoln,
dem sag ich war gar unverholn
und lass in sehen in die brillen
und reiss in seltzam zottn und grillen
17, 130;
ähnlich i, 411, 32 ; grillen und zotten reissen Seb. Franck
chron. 3, 484; ich . . . reiss bossen, grillen und brillen
Frischlin com. 46; grillen und pfrillen seynd alle lust
und gust der weit gegen dem, was Paulus schon ge-
kost Abr. a St. Clara mercks Wien 32; (der gesell)
reisz viel schnacken und grillen, das ein jederman zu
lachen hatte Hertzog schilticache 3 ir;
das wir . . . sind . . .
. . . vollen Harry und grillen
Manuel weinspiel 4100 neudr. ;
(die freien knaben) mehr lust . . haben zu göten grillen,
visierlichen schwäncken Linden er katzipoH 61 lit. ver.;
(der ich) viel tausend fantastischer fantaseien, grillen,
Schnaken und bossen gesehen Messerschmidt esels
adel, vorr. i.^;
das ist ein alte lumperey,
possen, grillen, esels gschrey
Spangenberg-Fröreisen griech. dr. 2, 213 llt. ver.;
wenn einer nicht . . lustige schwencke, und visirliche
tauben und grillen zu marckte bringen . . . kan Prä-
TORius philosophia salustiana H 9*^; von närrischen an-
schlagen:
der grillen s^ckt er voll
Gryphius ged. (1698) 1, 693.
3) hauptbedeutung : seltsame, wunderliche einfalle, auch
hier tritt in älterer zeit, bis ins 17. jh., gelegentlich con-
creterer gebrauch auf: seltsame geschichten : Merkurium,
von welchem die alte poeten viele wunderseltzame
grillen haben gedichtet Rist friedewünsch. Teutschland
(1648) 45; wie denn in Rom etliche curiosi gantze bücher
von dergleichen . . spitzfündigen reden und satyrischen
grillen vollgeschrieben besitzen sollen Prätorius an-
thropodemus pluton. (1666) 2, 220; auch im sing.: die
schöne grill ward im concilio zu Nicen von mönch
Stephane ausz dem buch Sophronij gelesen (von einer
legende) Fischart bienenk. (1588) 156''; davon in folgen-
der grille das seinige zu verstehen ist, welche aber,
ich weisz nicht von was für einem aufhöre, aufgesetzet
ist also Prätorius satumalia (1663) 52; in der reget
aber ganz abstract: er hat vil bummeln, mucken,
tauben, meusz oder grillen im kopff Seb. Franck
sprichw. (1541) 2, 40"^; seltzame . . . köpf in der weit
stecken voller seltzamer . . . gedancken, humorn, bum-
meln, grillen, mucken und tauben Aeg. Albertinus
himschleifer (1664) 60; darin sie alle lehr und Satzungen
irer rabinen, alle ire träum und gesiebten und alle ire
grundlose tieffe speculationen und wunderfremde grillen
. . . zusammen getragen . . . haben Fisghart bienenk.
(1588) 55=^; ich seltzame und wunderliche grillen und
anschläg unterwegs hatte Grimmelshausen Simpl. 4,528
Keller; meist ist der begriff durch verschiedene uccen-
tuierung schärfer bestimmt:
a) das phantastische, unwirkliche wird stärker betont:
hirngespinst, einbildung, erfmdung, täuschung; oft, aber
nicht nothivendig, mit dem nebenbegriff des schrulligen;
in älterer spräche gern religiös gewendet: dass noch
ein jeder phantast seine närrische einfäll und thorechte
grillen mit h. schritt behaupten will Grimmelshausen
Vogelnest 2, 388 Keller; hinweg mit allen fleischlichen,
irrdischen, mahometischen grillen und einbildungen
Dannhauer catechismus m,ilch b, 1280; und was die an-
dern grillen sein, dadurch man gott entweder per di-
rectum oder per indirectum zu der sünden Ursache
machen will Weise d. drei ärgsten erznarren 140 neudr.;
doch von je auch auszerhalb dieses feldes: Democritus
spricht, es sey die seele ein geist, auss denen . . .
stäublein zusamen gesetzt, und was dergleichen wun-
derbarlichen grillen seyn Spangenberg ganskönig 5
Martin; so wird die antwort fallen: dasz Jesaias
nicht den iget, sondern die amsel verstanden haben
wolle, und fallen dahero alle unzeitige grillen auf
einmal hinweg Göchhausen notab. venat. (i74l) 69;
mich in den ruf zu bringen, dasz ich . . . ein kleiner
phantast sey, der in nichts als in seine eigenen grillen
verliebt wäre Sghreyvogel l, 104; auch im sing.: da
man . . zu diesen Zeiten eine alte grill oder träum wieder
im schwänge bringet Prätorius catastr. muhamm. S s 2 °^ ;
oder glauben sie etwan auch an die grille, dass der
rang einen einfluss aufs herz hat und kein fürst der
freundschaft fähig seyn kann Kretschmann s, 133;
man musz also diese erzählung für eine blosze grille
von gewissen lustigen . . . reisenden ansehen Forster
2, 101; häufig in Wendungen wie: wer mit den Wissen-
schaften ein wenig bekannt geworden, der weis, dasz
es mit dieser eingebildeten Ordnung eine grille ist Les-
sing 8, 23; das ganze goldene weltalter, in welches die
Schweizer die alten schäfer sezzen, ist also eine schöne
grille Herder i, 345; aber was wil man mit den ratzen
machen, so nach dem Martiale im schlaf fett werden?
ich halte es für eine poetische grille Prätorius vdn-
terflueht (1678) 289; es giebt andere, welche die Ver-
schönerung der natur für eine grille halten Lessing
321
GRILLE
GRILLE
322
10,81; auch ohne artikel: denn glaube ohne empöndung
ist grille Heinse 4, 880; philosophie ohne geschichte
sind grillen und wortkram Hamann 6, 223 Both; ich
halle es jetzt für grille, dass dann, wenn nur ein
musenalm. wäre, der desto willkommener seyn müsste
Bürger br. 2, nr. 432 Strodtmann.
b) das unbegründete, ivillkürliche, launische wird stärker
betont: marotte, schrulle, bizarrer ein/all; bisweilen mit
dem nebenbegriff des eigensinnigen oder mehr durativ:
fixe idee.
«) müsste man . . . den gerichtsstyl den neuerungen
und grillen jedes modischen witzlings preis geben Ade-
lung wia^aztn 2, l, 142; es ist umsonst, für die willkür-
lichen grillen der menschen vernünftige gründe auf-
suchen zu wollen G. Forster i, 363; dieses ist nun
eine ihrer romantischen grillen Klinger l, 94; es war
eine seiner stolzen grillen , von den teufein für den
erflnder der Wissenschaften gehalten zu werden 3, 33;
das hier angeführte besteht übrigens nicht aus ein-
zelnen grillen der Franzensprache Fouque gefühle,
bilder l, 82;
und nicht ein püppchen, welche nur
der mode grillen eürt Novalis 1, 124 Minor;
häufiger noch im sing.: des Verfassers grille, nicht unter
der academie stehen zu wollen Göthe IV lO, 237 Weim.;
die grille des Prokrustes, seine gefangenen zu tode zu
dehnen 0. Ludwig 5, 187 ; der grund, oder vielmehr die
grille, welche diese schnelle auswanderung veranlaszte,
war wie folget Bode Tristram Schandi (1774) 33; das
wofür er fällt, heiszt nicht idee, sondern es heiszt grille
Fichte 7, 5i; ich überlasse denen finanzverständigen
zu urtheilen, ob es gedanke oder grille war Göthe 37,
85 Weim.;
jeden deiner wünsche
erfüll ich, keine grille Hebbel Nihel. IV 11;
warum du dich nur sträuben magst?
wärs grille, bloszer eigensinn? Mörike 3, 50;
namentlich mit laune gern in parallele oder contrast
gesetzt: eine . . . kluge matrone, welche die grillen und
launen ihres eheherrn gelassen ertrug Pfeffel pros.
versuche 1, 140; seine laune wird nie zur grille D. Fr.
Strausz sehr. 6, 236; ger7i werden solche grillen den
/rauen und dem alter nachgesagt, wobei das tcort öfter
gefärbt ist durch den begriff des miszlaunigen, morosen:
glauben sie mir, das beste weib hat seltsame launen,
und taumelt unter grillen und thorheiten herum dtsche
erzähler des 18. jh. 1, Fürst;
und bei den grillen der hübschen frauen
muszt du immer vergnüglich schauen
Göthe 2, 280 Weim.;
das sind so alte grillen der alten verlebten leute, welche
der Jugend die freude miszgönnen, die sie selbst . . .
nicht mehr geniessen können ollapatr. 36, 32 neudr.;
gegen das ende seines lebens ward {der fürst) capri-
ciös, voll grillen, tyrannisch, geizig Ritter erdk. 4,
1195.
ß) feste Verbalverbindungen: er hat seine grillen; sonst
aber weisz man von ihm nichts unredliches Petrasch
sämtl. lustsp. 1, 108; das canonische recht hat nun ein-
mal die grille, dasz sich nur mann und weib verhei-
rathen dürfen Raupach dram. werke kam. gattung i, 4;
die bisweilen aus Unwissenheit oder Übereilung auf
solche grille verfallen, daran zu zweifeln Gottsched
d. neueste aus d. anmutk. gelehrsamkeit 1, 83;
ein zweyter Don Quixott, in dessen köpf
die thorheit heckte, kam einst auf die grille,
er wäre todt Ramler fabellese (1783) 2, 534;
wenn mein vater die grille kriegen sollte, es (das geld)
nach Frankfurt zu haben Göthe IV t, 160 Weim.; mit
einem mal überkommt ihn die grille, die gesellschaft
. . . hierher bescheiden zu lassen Beer sämtl. werke
(1835) 737;
und in Wien hab' ich hänser sehr viele,
das ist halt schon so meine grille,
dasz ich immer in einem fort bau'
Raimund l, 22;
IV. 1, 6.
es war eine grille der Griechen, . . . ihre mythologie
mit der ägyptischen zu vermengen Wieland Lucian
2, 37.
y) nach präpositionen : meine Weigerung dir zu fol-
gen, wenn du aus noth oder grille wandern würdest
Göthe 25, 257 Weim.; tochter und Schwiegersohn, aus
romantischer grille, machen verkleidet irgend eine wall-
fahrt ans meer 41, i, 70; vgl. 33, 265;
aus eurer grille, nicht der meinen, soll ich
mein alt erprobtes urtbeil von ihm ändern?
Schiller 12, 246 G. ;
wie er ihr aus grillen den einzigen Umgang . . . ver-
dränge Arnim 7, 140 Grimm; nun wünsche ich nur,
dass er es annimmt und nicht grillen halber ausschlägt
W. Grimm an Jacob, briefw. 898;
bald zürnend, lockend bald, nach ihrer grille . . .
entzündete sie mich so ungeheuer
Gries Bojardos verliebter Roland 2, 272.
c) seit detn 17. jh. mit zunehmender häufigkeit von den
wunderlichen einfüllen grübelnder gelehrter, philosophen,
theosophen: die wunderlichen sachen, welche der dis-
cursus sol vorgebracht haben, sind philosophische grillen
Harsdörfer frauenz. gesprechsp. 5, 162; wenn euch
des Plato grillen besser gefallen als meine gespräche
Lohenstein Armin. 2, 1025"; die allegorischen grillen
der grammatiker übergehen wir Voss krit. blätter l, 202;
ebenso im sing.: (da) die ganze idee von dieser Wieder-
kunft . . Christi auf erden als eine schwärmerische grille
verspottet . . . wird Jung-Stilling 3, 438; wollen wir
sagen, dasz die ganze regel vom setzen des accents
eine unnütze grille sei? J. J. Engel 7, 66; ähnlich auch
bei unpersönlichem regens: dasz sie sich mit den alter-
thümern und mit den römischen rechts grillen den
köpf sehr zumartern v. Fleming vollk. teutscher sollat 9;
lasz deine bücher stehn, vergisz der rechte grillen
Neukirch ged. (1744) 135;
bisweilen fühlbar abgeschuächt und mit annäherung an
begriffe wie theorie. hypothese : wir bemerken , . . . wie
sie (die naturforscher) neu sich bildende grillen mit
freuden aufnehmen Göthe 115,2,377; wirst du etwa
mich auslachen über eine etymologische grille? grafen
Stolberg 8, 175; gehörte bis hierher das wunderliche des
einfalls noch zum tcesen des begriffs, so sondert sich in
der 2. hälfte des 18. jh. eine neue bedeutungslinie ab, die
dies Clement des sinnes beinahe aufgibt: poetischer, wis-
senschaftlicher einfall, gedanke, project schlechthin: dieser
anfang eines briefes, der sich mit einer grille über eine
stelle ihrer philosophischen gespräche . . . schlieszen
sollte Lessing is, 288 ilf.,- gegenwärtige poetische grillen
. . . (aber wie viel besser, wird man sagen, klingt re-
veries!) 5,488; ebenso antiquarische grillen 17,262; füll-
horn philologischer und kritischer grillen Hamann 2, 279
Roth; ich habe wieder neue grillen über das tragische
und epische, die ich ihnen . . . mittheilen will Göthe
IV 13, 256 Weim.; oft bei Göthe, vgl. I 19, 254; 28, 142;
IV 21, 233 ; 42, 29; ästhetische betrachtungen, philosophische
grillen, gedichte, Übersetzungen Mörike 3, 140 Göschen.
4) im 11. jh. und anscheinend aufmd. boden entwickelt
sich die bedeutung : trübselige, sorghafte gedanken, von
sorge meist dadurch geschieden, dasz es sich um grund-
lose, einer wunderlichen einbildung oder melancholischen
gemüthsverfassung entspringende kümmernisse handelt;
curae et agitationes animi Stieler 702; cura, sollici-
tudo Steinbach l, 642; fast nur im plural: Cotys . .
mühte sich ihm seine grillen auszureden Lohenstein
Armin. 2, 46^; wenn man sich gleich einmahl wieder
erholet . . hat, . . so hats doch nicht bestand, es kom-
men die alten grillen immerzu wieder, und suchen ihr
voriges quartier Carpzov leichpredigten (1698) 82;
verächtlich lächelnd schlich er dort herum
am walde, grillen murmelnd und betrübt
Seume ged. (1804) 9;
ich bin . . . vielen sorgen und grillen . . . entwischt
Thümmel reise 8, 20; das wort war bis ins 19. jh., an-
ders als heute, auch hoher spräche durchaus gemäsz:
21
323
GRILLE
GRILLE
324
der ort an sich bringt grillen der Verzweiflung
auch ohne weitern grund in jedes hirn
(the very place puts toys of desperation)
Hamlet I i;
laszt fern uns von zanken und eifersucht sein,
und nimmer die stunden mit grillen entweihn
Novalis 1, 128 Minor;
festes requisit des älteren Studentenliedes ; ungemein häufig
in: studentenspr. u. studentenlied in Halle vor 100 jäh-
ren, anhang (l78l), z. h.:
jubelt, laszt die grillen fahren
laszt uns fort die grillen jagen
stereotype verba: er macht grillen inquietus est; curis,
sollicitudine affectus Serz SS**; ich sehe, wie Herodes
selbst in seinem gemach auf und ab spatzieret, ein
häufen grillen gemacht . . hab Schupp /rettnof i. d. not
31 neudr.; hier kömmt eine nahrung, bey der man eher
grillen machen kann, der liebe melancholische kaffee!
Lessing 2, 227 M.; ich mache mir hundert grillen und
mährchen, was alles daraus erfolgen könne Göthe
25, 79 Weim.; er läszt sich die grillen gantz einnehmen
dedit se iotum aegritudini Steinbach 1, 643;
und wird sich stets umsonst mit leeren grillen schlagen
Stoppe nach Steinbach a. a. 0.;
wer wollte sich mit grillen plagen
HöLTY ged. (1869) 208;
doch wer wird am Weihnachtsabende solchen grillen
nachhängen, die doch eigentlich gar keinen grund haben?
E. Th. A. Hoffmann 12, 17 Grisebach; er solle eine
fuszreise nach Spanien machen, da würden ihm die
grillen vergehen Laube 8, 311; der sing, erscheint nur
selten und in poet. spräche:
kam einmal eine grille mir,
so schlosz sie mich in arm;
und hatt' ich einen kusz von ihr,
weg war der sorgen schwärm
Miller ged. (1783) 349;
ich nehm' es auf, und weisz in allen fällen
das schönste glück durch grille zu vergällen
Faust 5371 ;
auch in heutigen mundarten 'unbegründete besorgnisse'
D00RNKAAT-K00LMAN 1, 684; Dähnert 161; ebenso im
oberd.: Loritza 55*; ich mache mir grillen (in den
köpf); ich plage mich mit grillen Fischer schwäb. 3,
835; do macht merr sich ken grille Martin-Lienhart
1, 272»; 'wie nhd.' Staub-Tobler 2, 730; im älteren obd.
nur in spuren: avertere sensus infandos non sani pec-
toris bösz grillen lassen fallen Frisius dict. 1200"^.
5) feste Wendungen.
a) grillen im köpf u. ü. die wendung schwankt nach
zeit und ort in der bedeutung ebenso wie bloszes grille;
in älterer spräche zumeist: wunderliche gedanken, einbil-
dungen: atrabilis (i. e. mania) gryln im kopphe Diefen-
bach 57« {quelle von 1517); grille im haupt, falsche ein-
bildung, fantasey Henisch 1743; er hat grillen im köpf
Luther br. 4, 549; ich glaub das Luther mehr grillen
im- köpf gehabt dann Marckolphus Nas antipap. eins u.
hundert ^, li^ ; wunderseltzame dauben und kauderwel-
sche grillen stiegen mir damals ins hirn Grimmels-
hausen Simpl. 1, 41 anm. Keller; närrische einfalle (vgl. 2) :
da sie . . . nicht wüste, was vor närrische grillen in
meinem köpf steckten l, 180 ; trübselige gedanken (vgl. 4) :
melancholische grillen im köpf haben nil nisi triste
cogitare Apinus gloss. novum (i728) 348; ich habe gar
zu viel verdrieszliche grillen im hirnkasten Elisabeth-
Charlotte V. Orleans br. i, 265 lit. ver.; mein tage habe
ich mir die grillen nicht lassen zu köpfe wachsen
Gottsched deutsche Schaubühne 1, 16O; laune, schrulle,
fixe idee (vgl. 3 a. b. c), besonders im sing.:
da vil mir in köpf ein grill,
wolt uff die hochzeit nit kommen
Alex. Seitz vom groszen abendmahl (1540) d vi»;
die odenjder Sappho hab ich längst besser und deut-
scher übersetzt; damals hatte ich eine sonderbare grille
von treue im köpfe Heinse 10, 271; so namentlich in
der Wendung gr. in den köpf setzen: wenn der Ver-
fasser sich nicht die grille in den köpf gesetzt hätte,
die briefe . . . fast durchgängig zur basis seiner be-
trachtungen zu nehmen Gerstenberg recens. 4, 27 lit.
denkm.; anders: das ist aber nicht artig, ein einfaltiges
landmädchen . . zu vexiren und ihr grillen in den köpf
zu setzen Miller Siegwart 1, I66; einem grillen in den
köpf setzen inanes species anxio animofigurare Stein -
BACH 1, 643; vgl. einem eine grille, einen floh ins ohr
setzen Schellhorn sprichw. 67. auch im dialect:
grillen im köpf haben Fischer schwäb. 3, 835; hö hed
grillen in de kop Doornkaat-Koolman 1, 684; vgl.
nl. grillen int hooft, in de kop hebben (seit dem
16. Jh.); umgekehrt: liebe mutter, lasz mich mein aller-
liebste braut . . . sehen, ob mir die grillen ausz dem
köpf kämen buch d. liebe (i587) 214»; schlage dir nur
diese schwermüthigen grillen aus dem köpfe Cronegk
sehr. (1771) 1, 76; bis ihm alle grillen wieder aus dem
köpfe sind Göthe 48,345 Weim.; und welche sich be-
müheten, ihm, was sie nannten, die grillen aus dem
köpfe zu sprechen Knigge roman meines lebens 3, 173;
oft in anschaulicherem, bilde:
von grillen schwärmt der köpf
Günther ged. (1785) 416;
mir schnurrt eine grille im Oberhaus Mörike Nolten
4, 86; leute . . die, wenn ihnen eine grille bei den obren
in ihren hohlen schädel hineingekommen ist, . . sich
die obren zustopfen, dasz diese grille in ihrem hirn-
kasten erst recht rumoren kann Seb. Brunner erzähl,
u. sehr. 1, 320; selten: über diese worte entsetzte er
sich, und bekam eine grille in sein hertz Olearius
verm. reisebeschr. (I686), pers. baumg. 100;
wo die verliebten grillen
hertz und gehirne füllen
Neukirch an/angsgründe (1724) 60;
b) grillen fangen u. ä. meist im sinne trübselig, misz-
vergnügt sein {vgl. 4), seit ende des 17. jh. : grillen fangen
angi vana meditatione Steinbach 1, 643; sonst wer
schon grillen fangen und mit schwermüthigen gedancken
handeln wil Weise die drei klügsten leute (1675) lll;
ich will lachen . . .
andre mögen grillen fangen !
Günther ged. (1735) 179 ;
der gast im lehnstuhl . . der hausherr ihm gegenüber
grillen fangend Polenz Grabenhäger l, 138; auch im
dialect Fischer schwäb. 8, 835; Doornkaat-Koolman
1, 684; auf einen einfall kommen (vgl. 3 c):
verwünscht sey doch der tag, da ich die grille fing
und zur philosophie als jung in dienste ging!
neue samml. v. Schauspielen (Wien 1764—69) 1, Democrit 3;
seit dem ich Klopstocks abhandlung gelesen, habe ich
ganz eigene grillen über die prosodie gefangen Lessing
I7,238lf.; die theorie von der Individualität, über die
ich nun meine eigne grillen mir fange Gramer Neseg-
gab 1, 34;
wer wird bei vollen flaschen . .
die Stirn in falten ziehn und magre grillen haschen?
Wieland 16, 20 Hempel;
dagegen hat das ältere grillen schieszen trübselig sein
(s. th. 9, 43) einen anderen ausgangspunct, vgl. I B 2.
c) die grillen vertreiben u. ä., gegentheil von b, eben
falls erst seit dem ausgehenden 17. jh.: dieses vertreibt
mir die grillen hoc a sollicitudine me abducit Apinus
gloss. nov. 255; da Gelanor oben auf dem gange die
melancholischen grillen vertreiben und auszspatziren
wolte Weise die drei ärgsten erznarren 217 neudr.; es
vertreibt die motten! die motten im köpf, die grillen,
die raupen, den ärger Gutzkow ritter v. geiste 3, 173;
alle grillen verbannisiren , omnes cogitationes animum
perturbantes expellere Apinus gloss. nov. 61;
denn dir die grillen zu verjagen
bin ich, als edler Junker, hier Faust 1534;
Reinekens freunde blieben beisammen die nacht durch und
scheuchten
seine grillen durch muntre gespräche
Göthe 50, 167 W. ;
Ii
325
GRILLEN
hei Lessing tvieder im sinne 'einfaW (s. o. 3 c): bald
aber ward die grille von einer andern verjagt tverke t,
SOOM.; deutlicher als bild empfunden:
ich musz die grillen heunt
im wein zu tode schlagen
Stieler gehamschte Venus 86 neudr. ;
die pfeif hat lang genug gefeiert, ich musz mir die
grillen ausräuchern, die wurlen mir jetzt so viel häufig
im köpf herum Anzengruber 3, 118: in jüngerer spräche
gern in Wendungen ivie: dann müssen sie ihre geigen
und flöten holen und sich die grillen und den — hunger
verspielen Gleim briefw. l, lOi ; eigentlich aber sang er
. . nur, um sich selber die grillen zu versingen, denn
ihre läge war übel genug Eichendorf 3, 285.
d) andere bildliche Wendungen sind seltener:
brüt' nur, brüt' über deinem bücherschrein, . .
weid' grillen unterdesz, schulmeisterlein
Eichendorf 3,529;
denke an meine freunde und füttre meine grillen Cha-
Misso 5, 105; ettvas häufiger: so kan ich leicht schliessen,
dasz es (das ammenmärchen) eine in einer wochenbett-
stube ausgeheckte grille sey Schmidt rockenphilosophie
1,277;
wer diesen zweck nicht hat,
der bleib nur in der stadt
und heck betrübt zu haus
die magren grillen aus
Triller poet. beiracht. i, 177;
'einfalle' :
die astronomisch phantasey :
die bracht mit sich wunderbar grillen :
die sie allein, umb der gansz willen,
auf Martins tag wolt fliegen lassen
W. Spangenberg ganskönig 81, 2 Martin;
lasz, greiser wunderkopf, den schwärm der grillen fliegen
Weichmann poesie d. Niedersachsen l, 242.
GRILLEN, vb. l) seitenform zu grellen schreien; zur
form, bedeutungsentwicklung und differenzierung gegen-
über grellen s. d. sp. 104; namentlich im schicäb. reich
enttoickelt, auch im bair. :
die vor an dich gelaubet hant,
die pfeiß'en dir mit grillen
zu tanz auff ainer tillen
Osw. V. Wolkenstein 63, 135 Schatz,
oder ist hier ein subst. grill {vgl. 2 grell sp. 102) anzu-
setzen? meist von hohen, schneidenden tönen: unter den
eusserlichen, so das gehör hart schwechen, seynd scharpf
grillende, rauche, unversehne, schnelle und gewaltige ge-
thön WiRSUNG arzneibitch (1588) 121 c; eine nicht ge-
schmierte maschine grill(e)t Fischer schwäb. 3, 835; krei-
sehen, besonders von frauen ib.; getroffen von einem
apfel grillt es (das mädchen) Auerbach sehr. I8, 6; der
bursche grillt (nach einem, schmerzhaften druck) auf und
lacht Vischer auch einer *1, 136; öfter in etymologisie-
rendem sx>iel von der grille:
kein ox kan also brüllen,
als wie die grillen grillen
Harsdörfer poet. trichter (1653) 3, 246;
wann es (das männchen) die flügel etwas aufhebt und
damit grillet und singt Frisch insecten i, 1; alle mög-
lichen Insekten, voran die cikade, summen, grillen und
zirpen Vischer altes n. neues l, 57.
2) seit dem 17. jh. als ableitung von grille II; das zu-
gehörige subst. griller ist früher nachzuweisen, s. d.; meist
nach grille II B 4 'trübseligen gedanken nachhängen' :
allwo er mancherley
bey sich gegrillet hat, bisz er sich endlich nieder
zur sanften ruh gelegt
Neumark poet. u. music. lustwäldchen (1652) 150;
grille nicht bei sommersonnenschein,
dasz es wieder werde winter sein
Göthe 3, 167 Weim.;
auch reflexiv:
warum doch marterst du und grillst dich?
Voss ged. (1802) 6, 107;
seltener icerden andere bedeutungen des subst. in dem
verbum lebendig:
GRILLENBARTGRAS - GRILLENFÄNGER 326
was hilft eines narren wort,
der nichts mit bedacht erweget
und nur schwärmt und grillet fort?
Knittel poet. Sinnenfrüchte (1677) absondert, buch 43,
vgl, grille II B 8 a ;
schmollt der mann und grillt die frau
Göthe 14, 216 Weim.,
vgl. grille II B 3 b a.
GRILLENBARTGRAS, n., andropogon gryllus v. Per-
ger 3,88; vgl. grillengras. — grillenbuch, n., buch voll
närrischer, seltsamer geschichten (vgl. grille II B 2. 3):
was aber demnach sein (des Rabelais) fürnemmen und
bedencken solche grillenbücher zu stellen belanget Fi-
schart geschichtklitt. 11 neudr.
GRILLENFANG, m., nur übertragen; zumeist wie grillen
fangen (s. grille II B 5 b) von trübseliger, miszvergnügter
Stimmung; seit dem tS. jh. und wie die verbale ivendung
zunächst auf nordd. boden ausgebreitet:
der grillenfang macht kranck
Günther ged. (1735) 267 ;
gebet härm und grillenfang,
gebet ihn den winden
HÖLTY ged. 197 Halm ;
da spottet ich der nebel
von grillenfang und gram
Matthisson sehr, l, 95;
seltener klingen andere bedeutungen von grille an; von
einem ungereimten verlangen:
ihr (der frau) grillenfang ist mehr als lächerlich;
die rednerin will mich zum besten haben
Hagedorn poet. werke (1769) 2, 285,
vgl. grille II B 3 b; die wenigen übrigen sectierer von der
alten art zweifeln bloss aus liebhaberey des grillenfangs
Klopstock gelehrtenrep. (i774) 368, vgl. grille II B 3 c;
und nun komme ich daher und finde dich an einem
abenteuerlichen grillenfang stehen, wie die weit noch
keinen zweiten geboren hat! G. Keller 2, 268. — gril-
lenfangen, n., der substant. inf. ist namentlich im
18. jh. nicht selten :
sie ist von lustigem gemüthe,
das nichts aus grillenfangen macht
Henrici ernst-, scherzh. u. sat. ged. 1, 420;
sind das nicht Ursachen genug zum grillenfangen? Löw^en
sehr. 3, 181;
(ich) kannte mühe, sorg und grillenfangen
nicht mehr als griechisch und philosophie
Baggesen poet. werke 2, 9.
GRILLENFÄNGER, m., nur übertragen; in dem wort
wiederholt sich z. t. die geschichte von grille.
l) zunächst von einem menschen, der phantastische,
wunderliche einfalle hat und sich dementsprechend auf-
führt (vgl. grille II B 2. 8) ; gesticulator, febricitans, cu-
riosus, gestuosus, cerebrosus, fanaiicus Stieler 703;
cacciatore di grilli cioe fantastico, giribizzoso Kramer
teutsch-ital. 1, 337^: was höre ich doch von diesem
grillenfänger wunderliche händel . . vernehme ich, dasz
in der weit kein grösser phantast, als er sey zu finden
Rist d. friedejauchzende Teutschland (l653) 90; es wahre
bey ihme seine seele und Seligkeit viel wolfeiler als
das geringste seyl dder bändigen, so der grillenfänger
in seinem tabulitke, betrugs-buden . . hatte Prätorius
katzenveit (1665) Gl''; die medici sind wohl wunderliche
grillenfänger! alles meinen sie mit purgiren und laxiren
auszurichten ollapatr. 266, 28 neudr. ; das ethos des Wortes
weist zunächst ins heitere: so hat fast noth wendig ein
lepidum caput, oder freudiger grillenfänger, sich zu
gegenwärtiger materie finden sollen Prätorius philo-
sophia colus (1662) vorr. 3*; ich folgte gern (der auffor-
derung ein lied zu singen), weil ich eben in laune war,
wie dan die musici gemeiniglich seltzame grillenfänger
sind Grimmelshausen Simpl. 296 neudr.; gelegentlich
an den concreten gebrauch von grille II B 3 anfang er-
innernd: weil solche lobbriefe nur bey den heydnischen
grillenfängern gelten Arnold kirchen- u. ketzerhist. (i699)
363*'; der müssige grillenfänger Lucianus schreibt ein
buch von der fliege medic. m,aulaffe (1719) 959.
21*
327
GRILLENFÄNGEREI
2) im 18. jh. tritt eine andere bedeutung mit anderem
Stimmungsgehalt in den Vordergrund: homo cerebrosus
qui inanibus studiis distrahitur Wächter (1737) 614; ist
der verstand noch *hwächer, so geräth er auf fratzen,
bedeutende träume, ahnungen, wunderzeichen, er ist
in gefahr ein . . . grillenfänger zu werden Kant 2, 244
Hartenstein, wo der begriff philosophisch erläutert wird ;
die einbildungen aller einsiedlerischen grillenfänger in
den wüsten Egyptens Zimmermann einsamkeit 2, 69;
dann 'einsamer kauz, querkopf, Sonderling': damit mich
aber niemand vor einen geitzhalsz oder grillenfänger an-
sehen möchte, so besuchte meine nachbaren fleiszig
Schnabel insel Felsenburg 404, 30 Ullrich; diesem wird
ein andrer entgegen gestellt, der aus ehrsucht ein Son-
derling und grillenfänger ist neuer büchersaal d. schön,
wissensch. u. fr. künste 1, 70. mit groszer Vorliebe ge-
braucht das 18. jh. das wort für den gelehrte7i oder schein-
gelehrten Sonderling, querkopf, pedajiten; es wird das
gangbarste Scheltwort gegen die gelehrten: wenn man den
grammatikalischen grillenfängern folgen wollte Schön-
AiCH ästhetik (1754) 78; die gelehrten nannte er nur gril-
lenfänger und pedanten Eschenburg beispielsamml. 8, 2,
65 ; ihr herren grillenfänger könnt freylich mit niemand
klügerm reden als mit euch selber Lessing 2, 67 M.,- vgl.
4, 342; 7, 472; es ist aus der ganzen stelle klar, dass sie
nur von Sophisten, gelehrten handwerksmännern, gril-
lenfängern und halbgelehrten reden Wieland I 2, 295
akad. ausg.
3) die jüngste entwicklung schiebt ein bedeutungselement
in den Vordergrund, durch das der ursprüngliche stim-
mungsgehalt des wortes {s. l) ins gegentheil verkehrt ivird:
'der in trüben (miszstimmenden , beunruhigenden, ver-
drieszlichen, sorglichen), seltsamen, ivunderlichen einfül-
len mit eigensinniger Stimmung befangene und ihnen
nachhängende' Weygand synon. 2, 618; also: griesgram,
murrkopf, hgpochonder ; am frühesten wird diese bedeu-
tung fühlbar in der bis heute beliebten Zusammenstellung
alter gr.: der studiosus wolte auch nicht aus beisorge
den korb zu bekommen, bei diesen alten grillenfänger
umb die tochter ehrlich anhalten Joh. Riemer polit.
leiermann (1688) 111; ihr vater, ein alter verwünschter
grillenfänger Kürnberger novellen (l86l) 1, 51; vgl. auch
glossierungen wie muricidus, curia Steinbach 1,380; er
ist ein rechter grillenfänger vanas curas fovet ib.; aber
erst seit denn ende des 18. jhs. recht lebendig ; heute herr-
schend :
grillenfänger, unsre feinde,
packet euch, wir sind gedeckt
Studentenlied in Halle, anhang 12 Burdach ;
du bist der ewige grillenfänger Schiller 3, 24 Q.; der
ehestand hat ohnehin der trübseligkeiten 'so viele, dass
ein fröhlicher mensch vollauf zu thun hat . . . , nun
erst ein grillenfänger Bäuerle kom. theater 4, 61. —
selten in verkürzter form: dasz die beste weit eine
grille, die monaden ein träum, . . und Baumgarten ein
dunkler grillfänger sey Nicolai lit. br. i, 130.
GRILLENFÄNGEREI, /.. namentlich im 18. jh. recht
häufig.
l) meist in der bedeutung '(unfruchtbare) grübelei, ver-
worrene, abstruse, haltlose speculation' :
der Unlust trübe nacht, die seinen geist erfüllt,
die grillenfängerey unruhiger gedancken,
die ihn stets eingesperrt in seiner stube schrancken
Caspar Abel Boileau (1729) 335;
kein verworrnes bücherlesen,
keine grillenfängerey,
wohnte dir im leben bey
Triller poet. betracht.
2, 302 ;
einseitiger Scharfsinn, der in der ausartung . . grübelei
(grillenfängerei) wird Schelling l, 292; 'pJmntasie': prä-
laten und speciale, welche . . blosz auf die zinnen der
Oetingerischen musik steigen, sich von ihrer erhitzten
grillenfängerey alle reiche einer unbekannten weit und
ihre herrlichkeit zeigen lassen Nicolai reise d. Deutsch-
land 10, 85; als 'ergebnis des grübelns' zuweilen einfachem
grille nahekommend: eine solche wunderliche grillen-
fängerey kann niemanden in den sinn kommen, als
GRILLENFÄNGERIN, GRILLENFÄNGERISCH 328
der es nicht weis, dasz alle vocalen kurz oder lang
Gottsched dtsch. sprachkunst 40; gern ausdrücklich dem
exakten forschen gegenübergestellt: von diesem augen-
blick an (mit dem auftreten des Baco von Verulam)
scheint beobachtung über grillenfängerei zu siegen
Göthe II 5, 1, 162 Weim.; oft auch im plural, wo sich
die bedeutung einfachem grille am meisten nähert: denn
es ist warlich zu beklagen, dasz man ... an statt der
herrlichen wissenschafften solche brodlose grillenfänge-
reyen auf die bahne bringt Weise d. drei ärgsten erz-
narren 111 neudr.; und eben darum mit den . . subtili-
täten und grillenfängereien der heutigen diener Mosis
. . nichts zu schaffen haben will Zinzendorf creutz-
reich (1746) 26; concreter: was vor mühe es unsern ehr-
lichen versmacher gekostet, ehe er seine grillenfängerey
an das tageslicht gebracht hat Gottsched vernünft.
tadlerinnen 1,389; über 'spitzfindige grübelei' schlieszlich
zur bedeutung ' silbenstecherei. kleinigkeitskrämereV : doch
wir . . wollen diese vorrede . . nicht zum kampfplatz
unnützer grillenfängereyen und sylbenkriege machen
Boom ER samml. crit. poet. schriften 2, 54; wiewohl heu-
tiges tags einiger mut dazu gehört, mit betrachtung
solcher kunstregeln . . . sich dem vorwürfe der klein-
fügigkeit und grillenfängerei auszusezen Voss antisymb.
2, 219; ganz analog grille: das ist eine grillenfängerei
ein zwar künstlicher, aber doch unnützer gedanke Ade-
lung; grillenfängereien im köpfe haben ib.
2) laune, marotte, eigensinn, auch in der sprachlichen
Wendung vielfach mit einfacJiem grille übereinkommend:
mir wird übel, wenn ich nur von dergleichen grillen-
fängerey etwas höre (von einem,, der seine silbernen
knöpfe nicht verkaufen ivill) Holberg dän. Schaubühne
4, 73 ; ich liebe sie (m,eine freunde) bis zur grillenfängerey
Hamann 3, 161 Both; diese einzige grillenfängerey aus-
genommen, ist er sonst ein sehr feiner mensch Pet-
RASCH sämtl. lustsp. 1, 248; 'einbildung' (vgl. grille II
B 3 a) :
der blick , an welchem zwey seelen einander stracks er-
kennen . . .
sey grillenfängerey Wieland (1794/.) 4,26;
wenn ihre freundschaft zu mir das ist, wofür ich sie
immer gehalten habe (und das musz sie seyn, oder es
ist grillenfängerey damit) F. H. Jacobi Woldemar (1796)
1, 279.
3) miszmut, hypochondrie, die jüngste bedeutung : so
entsteht gemüthsunruhe, besorgnisz, grillenfängerei und
gram ohne Ursache Schopenhauer 5, 6i6 Grisebach;
auch Baron soll deine hypochondrische grillenfängereien
theilen Gaudy 16, 107; als ich, die mislaune und gril-
lenfängerei des onkels berücksichtigend, leise mit Agnes
zu sprechen begann Bog. Goltz jugendleben 3, 206. —
gelegentlich verkürzt: mit dergleichen grillfängereien ver-
triebe ich die edle zeit Jan Rebhu iceltkucker (1679) 3, 6i.
GRILLENFÄNGERIN,/., nicht ganz seltene movierung:
gleichwohl gebe ich noch nicht alle hoffnung auf, dasz
sie nicht . . . unter dem namen der liebenswürdigen
grillenfängerin ansehnliche eroberungen sollte machen
können Wieland vorr. zu 1,k Roche fräul. v. Stern-
heim 8 lit. denkm.; 'ei, so lasz die grillenfängerin!' rief
der alte ärgerlich Zschokke 27, 318.
GRILLENFÄNGERISGH, adj., namentlich im 18. jh.
ziemlich häufig: grüblerisch, unfruchtbaren speculationen
nachhängend; so von politisch unzufriedenen: er warnete
sie (die Staatsversammlung) auch vor dem grüUenfänge-
rischen anhange etlicher kriegsbedienten Zesen ver-
schmähete majestät (i66i) 312; diese gedancken werden
vielleicht manchen gar zu tiefsinnig oder gar zu grillen-
fängerisch zu seyn scheinen Gottsched vernünft. tad-
lerinnen 1, 34; absonderlich, launisch, eigensinnig : wenn
ich ihnen einen besuch gebe, so thut es noth, dasz
ich . . zuvor schmuck und schminke und jede kostbar-
keit von mir lege, wundern sie sich über diese grillen-
fängerische behutsamkeit nicht Schiller 3, 552 G.; ver-
drieszlich, hypochondrisch : alles . . , was ich dachte dasz
mich aufheitern und aus dem grillenfängerischen leben
329 GRILLENFEDER - GRILLENHAFT
herausreissen würde Miller briefwechsel l, 270; im i9.jh.
erlöschend: durchlaucht geben ein muster in glimpf und
nachsieht . . für die scheinbare ungebühr eines schein-
bar grillenfängerischen Untertanen Pückler briefw. u.
tageb. 3, 136.
GRILLENFEDER, /., als zeichen des narren: die gril-
lenfederen ofTentlich zu tragen Lindener rastbüchl. 53
lit. ver.; vgl. grille II B 2. — grillenfieber, n., grübet-
sinn, trübseligkeit :
und der thäte gantz verkehrt
welcher stets das jrrillenlieber
und die freude nicht begehrt
Henrici ernst-, scherzh. u. sat. ged. 3, 350,
vgl. grillenkrankheit. — grillen fr esser, m., was gril-
lenfänger: was demnach die sawersehenden grillenfresser
wieder die trunckenheit plappern und schnaddern Hegen-
dorf encomium ebrietatis (l61l) ii 7*. — grillenfüch-
sig, adj., hypochondrisch, wunderlich Fischer schwäb.
3, 835. — grillengedanke, m. .- sich mit allerhand
grillengedancken herum balgen haver' il capo pieno di
giribizzi Kram er teutsch-ital. 1, 54*=. — grillengeist,
m., narr: der unbedachte und oftbelachte gauch, der
sturmvolle grillengeist Harsdörfeu poet. trichter 3, 359.
— grillengesang, m.: {der gesang des strandläufers)
klingt . . wie grillengesang Naumann naturgesch. d. vögel
1, 403; an warmen sommermittagen war es voll von
grillengesang Storm 2, 162. — grillengeschrei, ?i..-
was aber eigentlich derer nutzen seyn mag oder wor-
innen das glück bestehen soll, das von grillengeschrey
herkomme? Schmidt gestriegelte rockenphilosophie (1706)
2, 316; vgl. grille I B l. — grillengeschwirr, n., Kose-
garten dicht. (1824) 2, 83. — grillengezirp, n.: bei
heiserem grillengezirp Voss ged. (1802) 2, 129; das leise
rieseln des grillengezirpes Rosegger III 8, 105. — gril-
lengierig, adj., nach schnurren verlangend {vgl. grille
II B 2): zu lieb den grillengirigen zeitbetrieger Fischart
groszm. (1607) D6'. — grillengras, n., andropogon
gryllus, 'weil es die grillen lieben sollen' v. Perger 3,83;
vgl. grillenbartgras.
GRILLENHAFT, adj., lexicalisch seit dem ende des
\1. jhs.: grillicht, grillenhaft cogitabundua, inquietus, cere-
brosus. gestuosus Stieler 702; giribizzoso, capriccioso
Kramer tetitschital. l, 565* mit verweis auf närrisch;
literarisch erst seit der 2. hälfte des 18. jhs. in schicang;
bei Lessing, neben vielgebrauchtem grille, noch selten,
bei Wieland bereits sehr häufig; in der 2. hälfte des
19. jhs. von grillig verdrängt, s. d.; ein früher beleg mit
erweitertem suffix: ich hatte allerley . . . grillenhafftige
einfäll Grimmelshausen Simpl. 2, lO, 15 Keller.
1) nicht selten tritt bei einer concreten Verwendung die
ursprüngliche bedeutung von grille (II B l) noch zu tage:
schnörkelig, kraus, barock, bizarr: keine von allen sce-
nen aber war unterhaltender . . . auf diesem unsern
grillenhaften theater als die, welche öfters aus eben
diesem . . . kapitel von langen nasen entstund Bode
Tristram Schandi (1774) 3, 195; das kleine, vertrauliche
zimmer, das grillenhaft ausgeschmückt . . war Tieck sehr.
18,132; eine einsame grotte .., noch ein Überbleibsel
jenes grillenhaften schmuckes altmodischer gärten
Eichendorf 2, 397; wie sie die fäden werfen {am iceb-
stuhl der geschichte), weben sich seltsame gestaltnisse,
grillenhafte bilder Görres 5, 12;
die kleidung kostbar, wies dein beutel kann,
doch nicht ins grillenhafte; reich nicht bunt
Shakespeare 3, 167 ;
dem vergleichen sich fälle wie: das heutige sonett ist
eine grillenhafte reimkünstelei Voss krit. blatten- l, 524;
die schmucklose Wahrheit dieser {volks) lieder litt nicht,
dass sich irgend etwas grillenhaftes an ihnen ansetzte,
wie in der ritterpoesie so oft Gervinus gesch. d. dtsch.
dicht. 2, 273; nur die manieristen umgehen das, was sie
sagen wollen, und bieten uns immerwährend symbole,
beiwerke, grillenhafte Zufälligkeiten Gutzkow il, 142.
2) in der regel aber abstracter: wunderlich, schrullig;
die bedeutung schillert nach den nüancen des subsf. und
ist bald gefärbt durch den begriff des eigensinnigen, bald
GRILLENHAFTIGKEIT, GRILLENHANS 330
gesteigert zu bizarr, verschroben, excentrisch: die kleinen
grillenhaften wünsche ihrer freunde Göthe IV 16, 211
Weim.; mein wunderliches und vielleicht grillenhaftes
halbincognito I 30, 211; bei Göthe sehr häufig;
allein die Schüchternheit so weit wie er zu treiben,
ist grillenhaft Wieland (1794) 10, 268 ;
nachdem man meine . . grillenhaften forderungen ab-
gelehnt Voss krit. Matter 2, 19; die grillenhaftesten ge-
lübde {in den ritterromanen) Gervinus gesch. d. dtsch.
dichtung 2, 209; anders: am ende war es doch mein
grillenhaft beobachteter vorsatz, das mädchen nicht zu
genieszen Grillparzer tageb. 61; staatsmännische Weis-
heit und groszer blick neben grillenhafter beschränkt-
heit G. Freytag 16, 193; auch bei personen in schwan-
kendem sinn: Warburton war ein mann von groszen
talenten . ., aber äuszerst leidenschaftlich, grillenhaft
und stolz allg. dtsch. bibl., anh. zu 53 — 86, 520; so man-
cher grillenhafte heilige ging in die wüste Mörike 4, 26;
mit besonderer Vorliebe neben Substantiven eines ganz be-
stimmten begriff scom^plexes : vielleicht findet sie {die nach-
tcelt) mehr geschmack an grillenhaften einfallen Nicolai
lit. br. 15, 177 ; meine zuweit getriebne grillenhafte ideen
S. V. La Roche fräul. v. Sternheim (l77l) l, 333; seine
{Paolo Veroneses) grillenhafte phantasie hat sich . . noch
eine eigne ergötzlichkeit gestattet A. W. Schlegel im
Athenäum, 2, 115; so namentlich von phantastischen oder
erklügelten, haltlosen philosopheinen, lehrmeinungen und
dgl.; im, 18. jh. nicht minder häufig als die entspre-
chende bedeutung von grille (*. d. II B 3 c) : so unzuver-
lässig, übertrieben und grillenhaft er die geisterlehre . .
seines freundes Plato zu finden glaubte Wieland Aga-
thon2,2'M; die fertigkeit . . , ein reines durchdringendes
anschauen von grillenhaften meinungen zu unterschei-
den Göthe IV 34, 93 Weiin.; dieser geheimniszreichen,
grillenhaften und auf eine völlige atheisterey hinaus-
laufenden lehre zufolge Zimmermann einsamkeit l, 370.
3) vom vorigen nicht ganz scharf zu trennen ist die
bedeutung launisch, eigenwillig: das volk . . ist ein gar
launiges grillenhaftes thier Wieland (1794) 7, 338;
vom niedern dienst im stalle stieg ich auf, . . .
das Spielzeug eines grillenhaften glucks
Schiller 12, 162 G. ;
während ihn also Hymen führte, wandte sich dieser
grillenhafte gott von Fanny . . ab Holtei vierzig jähre
1, 227; namentlich von frauen vielgebraucht: wäre der
graf nicht so gütig gewesen, ich hätte die grillenhafte
Venus {seine tochter) auf der stelle im stich gelassen
Zschokke 17, 102; erst im 19. jh. öfter in dem sinne
übellaunig, grämlich, moros: oder hast du irgend etwas
fröhliches in diesen stunden vor, so lasz mich grillen-
haften menschen allein gehn Fouque gefühle, bilder 2,
231 ; {mein vater) war ein grillenhafter kränklicher knabe,
welcher seine frau . . vor der zeit zu tode quälte Raabe
hungerpastor 2, 48.
GRILLENHAFTIGKEIT,/., laune: diese willkührlichen
Verbindungen, an denen das herz keinen anteil hat, die
man aus eitelkeit, langer weile, Vorwitz, grillenhaftig-
keit, gewohnheit oder bequemlichkeit eingeht und wieder
aufhebt Wieland (1794) 12, isO; phantasie: es ist wun-
derbar, wie uns manchmal der gedankenstrom unserer
ausschweifenden grillenhaftigkeit fortreiszt K. Fr. Gra-
mer Neseggab 1, 119; Überspanntheit- da eine periodische
geistesverwirrung . . ihr einen fortwährenden zustand
von confusion und grillenhaftigkeit zu wege gebracht
hatte Droste-Hülshoff briefe 74; könnte ich nicht
auch ein Sonderling sein, ein Engländer, der sich aus
grillenhaftigkeit in nichtswürdige kleider steckt? Hebbel
I 8, 251 ; vgl. aus grille (II B 3 b 7) ; Verworrenheit: beweisen
aber in Wahrheit nur die grillenhaftigkeit und Oberfläch-
lichkeit ihres Verfassers Sgherer lit. gesch. 686; concret:
das gegentheil gilt von Tiecks treuem Eckart und den
grillenhaftigkeiten, die ihm gleichen und auf ihn folgten
Hebbel I 11, 241.
GRILLENHANS, m., gaukler, phantast: seind solche
grillenhansen , und halten sich für Galenos Messer-
331 GRILLENHÄUSCHEN - GRILLENMACHER
SCHMID lust narrh. 164; Lutherns . . hat schon zu seiner
zeit von dergleichen imaginationierern weisz gesaget,
dasz sie nichts als grillhansen sein Jan Rebhü weit-
kucken, 169; vgl. grille II B 3. - grillenhäuschen,
n.: grillehäusle kleiner behälter. in dem kmder gnllen
halten; auch: kleine hütte Fischer schiväb. 3, 835; er
baute niedliche grillenhäuschen, mausfallen Rosegge r
sehr. 1 1,112; grillenhäuszlein casuccia da grilli, auch
il cervello humano fantastico e pieno di giribizzi Kra-
mer teutsch-ital. l, 565^ — grillenheer, n.:
in die einsamen waldwüstenein,
die vom lüftezug durchklungenen,
von grillenheeren durchsungenen
RÜCKERT 12, 46 ;
öfter übertragen: von den phantastischen einfallen des
poeten:
des dichters grillenheer
gab oft dem weisen was zu lachen
Brockes ird. vergnügen 1, 559
{quelle: des fougues de l'auteur le sage s'amusoit); von
trübseligen anfechtungen :
' er der nie grillen fängt, und wenn ihr schwärm ihn plagt,
das ganze grillenheer zu tausend teufein jagt
LÖWEN sehr. 3, 183.
— grillenhütte, /., kleine hütte: ist es möglich? . .
dass euer weg euch zu dieser grillenhütte führt? B. v.
Arnim Göthes briefw. m. e. kinde 3, 144; vgl. grillenhäus-
chen. — grilienkäfig, m.: es kam mir vor, wie wenn
man einen groszen sommervogel in einen kleinen gril-
lenkäOg hätte setzen wollen G. Keller 3, 265 ; vgl. gril-
lenhäuschen. — grillenkopf,OT., = grillenfänger imt«
von ebenso wechselnder bedeutung: phantast. griesgram,
Querkopf, launischer mensch; cacciagrilli, grillante cioe
fantastico. capogirlante Kramer teutsch-ital. l, 565*;
der teufel mit der sau um regiment thut streiten,
unruhig bey der nacht, ein grillenkopf bey zeiten
(übersetzt: nocteruit tota, redeunt phanta.tmata manej
Abele v. Lilienberg künstl. nnordn. 2, 33
ich {die weit) bin . . ein pfnottwinckel der grillenköpff
Abr. a St. Clara etw. f. alle 2, 407 ; i der alte grillkopf
denkt gleich, es ist was versehen Bretzner räuschgen
(1786) 113; ich weisz es {dasz Claudia statt zu heiraten
Vestalin iverden will) und weisz auch, dasz mein neuer
landsitz ohne den kleinen grillenkopf bestehn soll Fou-
QUE alisächs. bildersaal 2, 644.
GRILLENKRANK, adj.. 'von einem zustande, in ivel-
ehern man sieh seinen grillen und dem nachtheiligen ein-
flusz derselben auf heiterkeit und Zufriedenheit des ge-
müthes überläszt {hypochondrisch)' Campe; von natur
ein braver . . . mann, hatte er {Merck) sich gegen die
weit erbittert und liesz diesen grillenkranken zug der-
gestalt in sich walten, dasz Göthe 28, 95 Weim.; wozu
führt dieses grillenkranke schwärmen? Immermann 16,
dSSHempel; t;^?. grillensüchtig. — grillenkrankheit,
/., der zustand eines grillenkranken Campe, Heinsius;
von Kant als wissenschaftliche bezeichnung im sinne von
hgpochondrie gebraucht: die oberste eintheilung {der ge-
müthskrankheiten) ist . . . die in grillenkrankheit (hypo-
chondrie) und das gestörte gemüth (manie) 10, 226 Harten-
stein. — grillenkraut, n., achillea millefolium. Schaf-
garbe Pritzel-Jessen 6 {Salzburg.); Holl 136«'. — gril-
lenlerche, /.. alauda obscura Nemnich wb. d. natur-
gesch. 210; anthus arboreus Naumann natur gesch. d. vögel
2, 758; anthus pratensis Brehm thierl. 4, 247 Pechuel-
Lösche. — grillenloch, n.. loch der grille, auch:
Schlupfwinkel Fischer schwäb. 3,8i&; bildlich: zöge mit
heerscrafft uf Regenspurg zu, vermaindt kay. may. in
ein grillenloch zu verklauben quelle des 16. jhs. &ei Fischer
Schwab. 3, 835; vgl. einem die grillen verkleiben unter
grille l B 2. — grillenmachen, n.. = grillenfangen:
iedoch musz ich auch bekennen, dasz die grillen, die
ich mache, alle stumm sind, und lasset sich . . keine
hören ob ich gleich manchmahl gantze nachte mit
grillenmachen schlaflosz zugebracht habe Schmidt ge-
striegelte rockenphilosophie (1706) 2, 316; vgl. grille II B 4;
dazu grillenm acher als Scheltwort Pansner 24'». —
GRILLENMEIER - GRILLENSPIEL 332
grillenmeier, m., der seltsame einfalle hat: er ist
halb und halb ein seltzamer grillenmeyer, das hirn
ligt im nit recht See. Franck sprüchw. (I54l) 2, 40»^. —
grillenmeinung, /.; dasz so der verstand am besten
in den stand gesetzt wird, . . sich vor abergläubischen
und unnützen grillenmeynungen zu hüten allg. dtsch.
bibl 26,254. — grillenmuschel, /.. öei Campe, Hein-
sius für käfermuschel. — grillenreich, adj.. reich
an einfüllen: ein grillenreicher hofjunker Harsdörfer
frauenz. gesprächsp. 3, 142;
die gedanken bleiben reg,
ruhen nicht, wann alles ruhet,
grillenreiches traumgeheg
poet. trichter 3, 218 ;
tadelnd:
die grillenreiche schar der thörichten poeten
hat im verwirrten sinn bald disz, bald das erdacht
Weichmann poesie d. Niedersachsen 4, 254.
grillenreiszer, m.. possenreiszer. gaukler:
ein stacionirer schalckhafft,
rit sanct Anthonii bottschafft,
auch ein seltzamer grillenreiser
H. Sachs 17, 355 Keller-Götze;
die Schmeichler erster art nannten die alten Galli jangle-
rios, das ist, lotterbuben, bossenreisser, grillenreisser,
machedorn Nigrinus regentenkunst {ibso) 66^ ; eine lau-
tere einbildung und phantasie, mit welcher dieser alte
grillenreiszer schwanger hereinziehe Abele v. Lilien-
berg gerichtshändel (1668) 1, 553. — grillenreiter, w.:
grillenreuter Schimpfwort für kleine leute Fischer schwäb.
3, 836 {quelle von 1711); ihr nennet sie {die kleinen men-
schen) punckete krotten, . . kleine spitzkappen, griUen-
reiterl Abr. a St. Clara Judas l, 124; nach grille II B 3:
aber Tiburtius, du bist ja der gründlichste narr und
grillenreiter, den es je auf der erde gegeben hat Stifter
4^ i^ 75. _ grillensang, m.: im grase klingt der grillen-
sang Rosegger II 7, 100. — grillenscheiszer, m.,
= grillenreiszer: wann man mich für ein guten prillen-
reisser und grillenscheisser auszschreit Fischart ge-
schichtklitt. 28 neudr. — grillenschwarm, m.;
dasz der grillenschwarm beym schalle
süszer lieder sich hurtig zerstreut
GöKiNGK ged. (1780) 3, 64.
GRILLENSPIEL, n. l) verschiedene arten von geduld-
spielen; am verbreitetsten war anscheinend rfas Nürnberger
grillenspiel : 'ein spiel mit 33 kleinen kegeln, die auf einem
breite nach einer gewissen Ordnung in löchern, von wel-
chen eins leer bleibt, stehen, und die man nach gewissen
gesetzen aus einem loch in das andere steckt, indem immer
ein kegel über einen andern hinweg in ein dahinter be-
findliches leeres loch gesteckt und der übersprungene kegel
weggenommen wird, so dasz am ende nur ein kegel übng
bleiben musz' Campe {der name scheint also von der m
ihr loch schlüpfenden grille I hergenommen); auch bei Ade-
lung schon; frz. solitaire Jacobsson techii. wb. 5, 736 ;
genau beschrieben bei Ersch-Gruber I 91, 80; anderer
art ist das chinesische grillenspiel, bei dem aus ver-
schiedenen geometrischen figuren gröszere gebilde zusam-
menzusetzen sind, ibid.; das mathematischchinesische
grillenspiel der verschieden geformten täfeichen, mit
einer dazu gehörigen pappe Göthe IV 31, 149 Weim.;
schicke mir ein chinesisches grillenspiel, aber mit mög-
lichst vielen verschiedenen bogen voll mancherlei risse
Fr. L. Jahn briefe 133; drittens von einem spiel 'mit
ringen auf einem gabelförmigen drahte, welche nach ge-
wissen regeln abgespielet loerden müssen' Adelung, Campe ;
im bilde und vergleiche: mit vergnügen folgte ich dem
grillenspiel der natur Göthe II 6, 170 W.; wäre das spiel
mit unserer Unwissenheit nicht unendlich . . : so wurde
es uns mit der Wissenschaft wie mit dem Nürenberger
so genannten grillenspiel ergehen, das uns anekelt, so
bald uns alle seine gänge und mögliche Wendungen be-
kannt und geläufig sind F. H. Jacobi 3, 30, eine vielbe-
rufene stelle, vgl. Hegel 16, lll; Schelling I 8,125.
2) in spielender variierung von l) : das mienenspiel als
ausdruck der grillen:
333 GRILLENSPITZE — GRILLENWERK
GRILLENZIRPEN - GRILLIG
334
wie hast du, guter mops, nicht meiner stirne falten,
sah ich dem grillenspiel der deinen zu, gegleicht
Thümmel reise 2, 156 ;
spiel der laune:
Lucifer: bracht eine Jungfrau in die wochen, —
seltsame reise eines gotts,
wir hieltens werth nur unsres spotts,
fUr eines greisen grillenspiel
Immermann 15, 60 Hempd.
— grillenspitze, /.: subtilisationes gespitzte grillen
oder grillenspitzen als Verdeutschungsvorschlag bei Zeil-
ler episfoi.scÄaizfcammer- (1683) 593». — grillenstecher,
m., phantast, irrlehrer, Schwindler:
dann die warheit mit ihrer Klarheit
plend all beschirmer der unwarheit;
ja sehend all flnstre grillenstecher
und der heyigen schrifft widersprecher
FiscHART bieneiikorb (1688) 272»;
vgl. jetzund weist du wer ich bin, und dasz ich kein
so schlechter mauskopf oder kleiner grillenstecher . . .
sondern ein hoher bedienter der niedervvelt und in desz
mächtigen Pluto reich sei Jon. Riemer trunkener trau-
mer (i68i) 40; von aufschneidein: wie dergleichen grillen-
stecher' . . verlacht werden Prätorius Blockesberges Ver-
richtung (1668) 228; vgl. grille IB2. — grillensucht,
/. ; {die dritte stufe der torheit ist) wann man nicht nur
den verstand gekränkt, sondern zuweilen gantz verloren
hat und in allen Sachen thörigt handelt: iedoch ist diese
Wahnwitz, grillensucht und narrheit von der raserey
unterschieden Harsdörfer ^Joe*- trichter 3,359; in jün-
gerer spräche dagegen für hypochondrie Campe, Heinsius.
— grillensüchtig, adj., hypochondrisch Campe, Hein-
sius. — grillentand, m.:
lasz nur die stümper laufen
und ihren grillen-tand, statt ächter poesie,
mit tollem ungestüm um etwas geld verkaufen
Weichmann j)oesie d. Niedernachsen 2, 178;
o könnt ich diese zeit erkaufen,
die ich auf eitlen grillentand
vor diesem, oft umsonst, verwandt
Triller poet. betracht. 2, 441 ;
zu gville IIB 3 poetischer einf all. — grillenvertreiber,
m., un chasseenntii Schwan nouv. dict. 1,790''; grillen-
vertreiber, das ist: newe wunderbarliche historien, selt-
zame abentheurliche geschichten usw. (l670), fortsetzung
der 'Schildbürger' ; Morohn (gegen die jungfrawen): höret
ihr? ja ja das were so ein nachtschwermergen und
grüUenvertreiber schausp. engl, comöd. 228, 4 Creizenach.
— grillenvogt, m., phantast: artliche grillenvögt waren
vorzeiten die Römer, welche bald so viele götter als
gätter zählten Abr. a St. Clara i, 127 Strigl; vgl. Judas
1, 120; dort stunde einer und hiesz den Noe einen alten
grillenvogt etwas für alle 2,209. — grillenvoll, adj..
voll grüblerisclier , sorglicher gedanken:
nur geister, die selbst kalt, vergnügen sich an dünsten,
und bauen in der luft ein grillenvolles haus
Canitz ged. (1727) 65.
grillenvolle ruhe, grübelnder verstand {in einem porträt)
La VATER physiogn. fragm. 2, 14;
wenn itzt die nacht erschienen,
erscheint bey ihm {dem, reichen) der tag, an dem er wachen
soll,
das äuge schlieszt sich nicht, das haupt ist grillenvoll
Triller poei. betracht. 1,280;
voller launen: nirgends anders steckt die ursach als in
der weiber grillenvollem köpfe Gryphius lustsp. 488 P.;
vor der trauung, welche launen!
in der eh, wie grillenvoll !
Sonnenfels ges. sehr. 9, 130.
GRILLENWERK, n., 'heisset man in der baukunst
niedrig- erhabnes bildwerck, so aus mancherley nach der
Phantasie geschlungenen zügen von laubicerck oder blu-
men bestehet, . . in dem . . mancherley wunderliche ein-
falle dabey vorgestellet werden' Wolff math. lex. (i734)
589; vgl. Chomel öcon. lex. 4, 1353; grillenwerk, des gro-
tesques, se dit des figures imaginees par les caprices d'un
peintre Schwan nouv. dict. 1, 790'': falsche deutungen
der bezeichnung ; in Wirklichkeit nach grille II B l; bildlich:
die durch geburt und glück dem fürst zur seite gehn,
die pflegen meinen werth sehr selten einzusehn;
und wenn sie für den flor vertrauter länder wachen,
der Wahrheit grillenwerk nur spöttisch auszulachen
Gottschedin brtefe 1, 250 Kunkel;
das tvort musz erheblich älter sein, als die lexical. belege
erkennen lassen; denn schon bei Harsdörfer ist es über-
tragen auf zopfiges schnörkelwerk in der musik {im gegen-
Satz zum strengen stil der älteren meister):
doch hört man leichtlich jetzt, wie ferne darvon weichet
der, so nach seinem köpf mit grillwerk mich behengt
Jrauenz. gesprechsp. 4, 43.
— grillenzirpen, «.; dasz sich . . ein vielstimmiges
grillenzirpen auf dem berge erhob Stifter 2, 50.
GRILLER, m. l) wer grillt, kreischt, besonders fem.
grillerin Fischer schwäb. 3, 836; ein einmaliges grillen;
einen gr. tun, lassen ib.; grillar einmaliges zirpen, heller
ton Lexer kärntn. 124; vgl. grillen l. 2) gr. alias gril-
lenfänger gesticulator, febricitans, curiosus, gestuosus,
cerebrosus, fanaticus Stieler stammb. 703; von dem koch,
der unzufrieden ist, dasz ihn Circe aus einem schwein
wieder zum, menschen macJit:
der koch abr war gryller genant,
und bracht das Sprichwort erst ins land,
wenn man sagt, das derselb hab gryllen,
dem es nicht geht nach seinem willen
Rollenhagen froschmeuseler (1595) p iii ^
{am rand: der koch, Gryllus genannt, ist ungern ein
mensch) ; vgl. grillen 2. — g r i 1 1 e r e i , /., 'ist die gesamt-
heit der mit scharfem, tcegwerfendem urtheil belegten grillen,
welche ein mensch hat' Ersch-Gruber I 91, 79.
GRILLIG, GRILLICHT, adj., seit dem 17. jh. erschei-
nend als ablösung von grillisch (*. d.), dem ältesten deri-
vatum von grille; doch lassen jüngere bildungen, nament-
lich grillenhaft, das adj. grillig bis zum ende des 18. jhs.
literarisch nicht hochkommen: 'grillig U7id grillisch für
grillenhaft und grillenfängerisch sind keine zierde der
guten Schreibart' Heynatz antibarb. 2,'/6; noch bei Ade-
lung, Campe hinter grillenhaft zurücktretend; erst im
19. jh. beginnt das adj. sich, in der bedeutung kaum
differenciert , neben grillenhaft durchzusetzen, um dies
wort in der 2. hälfte des jhs. zu übertcinden. die bedeu-
tung folgt den Wandlungen von grille II: grillig, hirn-
wütig, cerebrosus, qui habet perversum cerebrum ; gestuo-
sus, gesticulator Henisch 1744; wunderlich, bizarr, gro-
tesk {vgl. grillenhaft l) :
lasst phantaseyen, lasst chymeren
sich zeigen unserm geist bey gantzen beeren
in solcher un^ieformt- und wüsten Seltsamkeit,
in solcher grilligen beschaffenheit,
als nie gewesen sind und nimmer kommen können
Brockes ird. vergnügen 3, 31 ;
so wie wir über des altertümlers {von Scott) grilliges
kostüm hinüber sind und den durchschnittsmenschen
auch in ihm aufgefunden haben 0. Ludwig 6, 120; neben
geicissen abstractis willkürlich, launisch {vgl. grillenhaft 2) :
die grilligen einfalle dieses büreaus Gentz sehr. 2, 202
Schlesier; die entwicklung erschien mir willkührlich,
grillig, der Hamlet selbst der unleidlichste gesell von
der weit E. Devrient an Tieck, br. l, 175 Holtei; nament-
lich aber, zumal in jüngster zeit, von personen {vgl. gril-
lenhaft 2 und 3); verschieden nuanciert: am widerwär-
tigsten sind die kricklichen beobachter und grilligen
theoristen Göthe II 11, 129 Weim.; er behielt aber seine
. . Vorliebe für seltsame käuze und verkehrte gern mit
leuten aus dem volk, mit echten Cockneys, grilligen
originalen G. Freytag 16, 17; je später, je stärker tritt
der begriff des grämlichen, morosen in den Vordergrund:
{der greise fürst) der jetzt kränkelnd immer grilliger
und auffahrender wurde Treitschke deutsche gesch. 8,
528; leidende sind nun schon mal grillig Stehr drei
nachte (1909) 146; man gebe ihnen alles, gesundheit,
nahrung, wohnung, Unterhaltung, — sie sind und bleiben
unglücklich und grillig Nietzsche 4, 235. in älterer zeit
grillicht: gr., grillenhaft giribizzoso, capricaioso Kramer
teutsch-ital. 1,565*; Stieler 702; nach Ersch-Gruber
I 91, 79 grillicht populär für grillig; literarisch selten:
335
GRILLISCH - GRILLVOGEL
GRIMASSE
336
fast zweifle ich, dasz die 'richterwespen' {des Aristo-
phanes), die specülativen 'wölken' . . die Athener ent-
zückt haben würden, wenn alle diese grillichten Selt-
samkeiten ihnen . . als neue bekanntschaften entgegen-
getreten wären Immermann 20, 164 Hempel; vgl. was
ernste liebhaberey, ja auch die leichteren und grilli-
chern (Tulgo Steckenpferde genannt) dem armen . . men-
schen für willkommene schwimmwämser sind Göthe
IV 27, 64 Weivi.
GRILLISCH, adj., älteste ableUung von grille II; wun-
derlich, phantastisch, hizarr, gern neben concretis: die
wundergestalte, grillische, grubengrotteschische, fantasti-
sche krüg, laden, büchsen und häfen, . . von aussen be-
malet mit lächerlichen, gecklichen, ja oft erschrecklichen
häw- und graszteufeln Fisch art geschichtJditt. 17 neudr.;
von den xii monaten und dem eingang der sonnen in die
XII zeichen . . sampt einer grillischen lasztafel praktik
16 neudr.; grillischen . . . haussrath Moscherosch ge-
sichte (1650) 1, 130; sein wams und hosen seyn so befleckt,
dass man allerley grillische figuren . . darauss denken
könne Harsdörfer frauenz. gespreclisp. 8, 280; dise
schulfüchse, so . . . von der weit wegen ihres wüsten
grillischen lebens in kleydung und geberden für albere
thoren gescholten werden Moscherosch gesichte (1650)
1, 582; öfter mit bezug auf die ausschweifende phantasie
oder laune des poeten: das pferd Pegasus, welchem die
grillischen poeten flügel anheften Abr. a St. Clara
etwas für alle l, 171;
verse machen oft mich doli
und so grillisch, dasz ich weil
möchte hörner kriegen
SiM. Dach 791 lit.ver.;
im 18. jh. für literarischen gebrauch erstorben; grillig und
grillenhaft übernehmen den ersatz; in niederer spräche
bis heute lebendig : grillisch = protestantisch in der spräche
schwäbischer händler, zs. f. d. tcortf. 10, 215; Fischer
Schwab. 3, 836, vgl. grille I B 4; in nd. dialecten: grillsch
voll grillen, unaufgeräumt Dähnert 161; mismuthig
HuPEL id. d. dtsch. spr, in Lief- u. Ehstland 82.
GRILLISIEREN, vb., zunächst phantasieren, grübeln,
dann auch: ergrübeltes aussprechen, namentlich in spä-
terer zeit, bildung nach dem muster begriffsverwandter
Wörter, vgl. da giebt es winckelstatisten, die judiciren,
spintisiren, grillisiren, definiren, disputiren, kalmeusern
von der sache Jan Rebhu tceltkucker (1679) 3, 187; 7iach
Weigand ^1, 769 scho7i bei Fischart; im 17. jh. recht
häufig, im 18. seltener: 0 dass, welcher die poeterey,
das versmachen und reymen, das grillisiren anfangs
erdacht hat, an meinem ort hie sitzen und höllische
reymen schwitzen müste! Moscherosch gesichte (1650)
1, 471; über den leidigen geldmangel wundert sich alle
weit, . , grillisiret und spintisiret Butschky Pathm. 736;
dass gar gewisse alle wasser zu wein in weynachten
werden: und zwar . . umb 11. bisz zu 12. oder (wie die
meisten grillisieren) von l. bisz 2. nocte intempesta Prä-
TORius saturnalia (1663) 9;
{das darf) grillisierte viele zeit
von wegen dieser neuigkeit
Burmann Jab. (1773) 166;
es ist nicht das erstemal, dasz ich das wichtigste neben-
her thue, und wir wollen darüber nicht weiter grilli-
siren und rechten Göthe 30, 249 TFeim. — grillist, m.,
Spielbildung nach sophist m. ä.: dass ich . . müh hatte
meinen guten, einfaltigen und reinen glauben . . . aus
den mode-bändergen , subtil-stricklen und fein-nezlein
der theologischen grillisten wiederum heraus zu klauben
Lindenborn Diogenes (1742) 2, 256.
GRILLLUMME , /., vogel aus der familie der flügel-
taucher , uria grylle Brehm thierleben 6, 138 Pechuel-
Lösche.
GRILLÜNG, /.: intentio vocis erhebung der stym,
gryllung Diefenbach 303»; vgl. grillen 1.
GRILLVOGEL, m., von verschiedenen arten des regen-
pfeifers; charadrius apricarius Nemnich wb. d. natur-
gesch. 210; eh. hiaticula sprenkeliger grillvogel Naumann
naturgesch. d. vögel 7, 191; eh. pluvialis Brehm 6, 65
Pechicel-Lösche ; bei Frischbier für den 'grünen kiebitz',
vanellus, preusz. lob. 1, 253; nach Diefenbach 504» hat
Gesner gr. für rupex, wofür sonst griel, *. d.
GRIMASSE, /., gesticulation, fratze, Verstellung.
I. herkunft und ausbreitung. das wort ist im
späten 17. jh. aus dem frz. entlehnt worden; literarisch
seit den 80er jähren; bei Stieler, Kramer teufschital.,
Steinbach noch fehlend, zuerst in den fremdwbb. des
18. jhs. notiert: plur. grimacen Wächtler manual (1714)
7iach Weigand ^l, 769 {in der ausgäbe von 1703 noch
fehlend); grimace 'tvunderliche gebärden, das krümmen
des mundes und des gesichts; eine erdichtete gestalt einer
Sache' Sperander handlex. (1727) 283; grimace oris in-
concinna compositio; indecora vultus cojiformatio ; oris
depravatio Apinus gloss. nov. (1728) 255; in der 2. hälfte
des 18. jhs. am reichsten entfaltet; von Wieland als
'unentbehrlich' bezeichnet t. Merc. (1774) 2, 218 anm.; das
19. jh. schränkt den geltungsbereich des tcortes wieder ein.
heute auch mundartlich im westd. iceit verbreitet, fast
nur in der bedeutung 'fratze': grimass lux. ma. (1906)
154^; grimassen machen, schneiden Martin-Lienhart
1, 272; Follmann 216»; Fischer schu-äb. 3, 836; krimäsa
Meisinger Rappenau. 78; auch im nd.: ndsüchs. wat
makt de vor grimasse wunderliche gebärden; grimassen
maken DoornkaatKoolman 1, 685; grimass Sghmidt-
Petersen 54»; grimasz Honig Köln. 68^; dialectisch
auch grammassen Fischer a. a. 0., offenbar unter dein
einflusz von gramanzen («. u. II l); jramassen, jremas-
sen Meyer d. rieht. Berliner 555»; vgl. auch gremassig
sp. 105.
IL bedeutung.
1) vorangestellt sei ein gebrauch, der rein vom franz.
aus nicht verständlich ist, sondern sich offenbar aus einer
kreuzung mit kramanz, -en {th, 5, I99l) erklärt; grimasse
hat in manchem geradezu das erbe des älteren wortes
übernommen; es zeigt dann stets den plural; zunächst
von den höflichen gesten des gesellschaftlichen lebens {vgl.
kramanz l c): weil sie von den ceremonien und den
grim^agen der societät, welche man sonst gesetze der
höflichkeit, der galanterie, der politesse etc. heisset, am
allerwenigsten verderbt . . . sind chron. d. gesellsch. d.
mahler 32 Vetter {a. 1721); {weil er) gegen das fräulein
Helena soviel grimacen machte Fleischer herrv.Ly-
dio (1734) 3, 198; ich war gestern auch bey einer assem-
bl6 aus der einigen Ursache, einige vornehme grimassen
zu lernen Holberg dän. schaub. 3, 191; wozu soll das
kniebeugen, das kreuzmachen, die entblösung des
hauptes? dergleichen grimassen gehören für die klopf-
fechter und tänzer Lessing 5, 339 ilf.,- tausend höfliche
grimassen, womit man uns in gesellschaft beehrt, wären
nichts gegen den stillen umgang mit einem freunde
Zimmermann einsamk. 3, 408, wo 'höfliche redensarten'
{vgl. kramanz l e) gemeint scheinen; deutlicher: die com-
plimente, die grimatzen, die Wortspiele . . . haben un-
gleiche Wirkungen über ungleiche gemüther discourse
d. m.ahlern 2, 187 ; iceiter für 'ziererei, umstände' {vgl.
kramanz l g):
ein gläsgen wein und ein gebraten huhn
esz ich mit wenigen grimassen
Henrici ernst-, scherzh. u. sat. ged. 1, 409;
es wird überhaupt mode, sich zu zieren und grimassen
zu machen Vulpius Göthejahrb. 10, 36;
da machten sie grimassen
und sperrten sich gar sehr Rückert 1, 220;
ebenso auch dialectisch, s. th. 5, 1993, 3 a; in der ersten
hälfte des iS. jhs. ist dieser gebrauch der ausgebreitetste ;
man beachte, dasz das ethos des ausdrucks je länger, je
mehr das tadelnde von grimasse 2 u. 5 ist; aber auch
spät noch ohne solche note:
{wülst es) tragen heim im busenlacken,
und mit zierlichen grimassen
in der still' es tanzen lassen Rückert 1, 527,
ganz toie kramanz 1 b.
337
GRIMASSE
GRIMASSE
338
2) unter den bedeutungen, die unmittelbarer ans franz.
anzuknüpfen sind, tritt am frühesten ein allgemeinerer
gebrauch hervor, der das wort nicht nur für gesichts-
Verzerrungen, sondern für alle arten von gesticulation
und grotesken betvegungen verwendet; auch hier mag die
nachbarschaft von kramanzen einflusz üben (s. d. l b).
im M.jh. der herrschende gebrauch; icie l) stets im plu-
ral, meist mit dem verbum machen: was der arme ge-
plagte herr David hierbey allenthalben mit maul und
nasen, bänden und füssen für abendtheurliche grimacen
machte Chr. Thomasius monatsgespr. (1688)1,217; der
eine blieb mit dem fusz an der erden hafften, darüber
er eben so wunderliche grimassen machte als Aristo-
teles, da er mit dem studierrocke hengen blieb Tentzel
Unterredungen (1689) 581; wann ihnen alsdann baar-
schaften oder pretiosa vorgelegt werden, so wissen sie
durch allerhand mit denen bänden machende grimassen
etwas zwischen die finger ... zu practiciren Kluge
rotw. i, 2U; diesen Ursachen musz ich die wunderbaren
grimassen zuschreiben, in die ich mehrere frauenzimmer
ausbrechen sah. die klügste setzte sich in eine ecke
. . . und hielt die obren zu. eine andere kniete vor
ihr nieder und verbarg den köpf in der ersten schoos
GÖTHE 19, 34 Weim.; Staub (legt sich beym treibhaus
mit dem ohr auf die erde), bürgermeister: was macht
denn unser botaniker für grimassen? Meisl theatr.
Quodlibet 2, 114; weil das pferd ... sie {die graben) durch-
aus nicht überspringen wollte und nach vielen wunder-
lichen grimassen von rosz und reiter uns zu einem
weiten umwege zwang Pückler briefw. und tagebücher
2, 316.
3) am, häufigsten aber von den gebärden des gesichts;
lexicalisch seit dem frühen 18. jh. {s. o. I), nach den lite-
rarischen belegen indessen anscheinend erst seit der mitte
des jhs. reicher entfaltet; nicht unbedingt mit dem sinn
des fratzenhaften, wenn auch meist scheltend: jeder er-
scheint mit einer grimasze aus seinem gesiebt und
spricht mit dem ton seiner stimme Sturz sehr, l, 12;
den bedrängten Roderich hör ich auf offener bühne . .
seine gemüthsbewegungen sorgfältig, wie eine Pariserin
ihre grimassen vor dem Spiegel, durchmustern Schiller
2, 3*3 G.;' häufiger aber mit der bedeutung des verzerrten:
vor allen grimassen musz man sich hüten Quantz
anweisung d. flöte zu spielen (1789) 106; zwei manns-
personen . . . sangen oder sprachen . . . mit sonderlich
verzerrten grimassen einige worte her G. Forster i, 282;
als reflex unangenehmer empfindungen : wenn nun ein
jeder, nachdem sein gaumen beschaffen ist, sie {die
ambrosia) sich entweder glatt hinunter gehen läszt,
oder auch zu seltsamen grimassen sein antlitz verzerrt
K. Fr. Gramer Neseggab 1, lOl; die grimasse, durch
welche er noth und elend ausdrücken wollte J. J. Engel
sehr. 7, 162; doch auch bei entgegengesetzten reizungen:
keine lächerliche grimasse, dummer junge S. v. La
Roche frl. v. Sternheim (1771) 1, 206; zuweilen, loie fratze,
concreter für das gesteht: ich schmeiss' dir in deine
grimasse! maler Müller (I8li) 3, 826; ich wuszte da-
mals nicht, . . . dasz der Inhaber dieser künstlichen
grimasse kaum eine ahnung von Ironie und sarkas-
mus besasz Seidel Leberecht Hühnchen (1899) 27. als
begleitendes verbum erscheint zuerst machen {vgl. 2):
gegen die Philosophie selbst eine kleine faunische gri-
masse machen Wi bland Lucian (1788) l, 27;
dort macht vielleicht mancher herr kunstrichter
zwar grimassen und saure amtsgesichter
KORTUM Jobsiade (1799) 2, 4;
das heute herrschende grimassen schneiden ist im 18. jh.
noch selten: er . . . schnitt fürchterliche grimassen
Klinger 3, 157; ein mensch hat krämpfe; ein anderer
giebt ihm eine ohrfeige, weil er glaubt, jener schneide
ihm grimassen Hebbel tageb. l, 362; der kleine Hans
schnitt eine vergnügte grimasse C. F. Meyer d. heilige
(1891) 107 ; seltener ist grimassen ziehen : Alexander . . .
sieht mit einer miene von unbehaglichkeit Philippen
an, der gleichfalls eine grimasse von erstaunen und
verdrußz zieht Göthe 38, 878 Weim.; ich bin ein ehr-
IV. 1. 6.
lieber kerl . . ., ich kann keinem eine grimasse ziehen
H. Eulenberg dogenglück (1899) 149.
4) die bedeutung 3 erfährt mancherlei Übertragungen
ins tm sinnliche ; zunächst rein bildlich: gebt euch nur
die mühe, ihr spötter, die ihr mich mit euren grimassen
verwirrei^ möchtet, sie {die deutsche Verfassung) zu stu-
dieren Klinger 3, 40; wo das schöne geschlecht eine
hülle darum {um das urtheil) wirft, um . . seiner Innern
Schönheit keine entstellung oder grimasse zu schulden
kommen zu lassen Krummacher das xc'örtlein 'und'
(l8li) 69; bösewichter solcher art thun keine schand-
that aus liebhaberei, sondern nur, weil sie ihnen vor-
theil bringt, und daher ohne die grimasse der sünde
Börne 2, ll; aber auch selbständiger 'bizarrerie, marotte':
selbst seine {Bonapartes) Sonderbarkeiten, die bisweilen
in wunderliche launen und grimassen ausschlugen
Häusser dtsch. gesch. 2, 242. besonders hervorzuheben
ist ein gebrauch, der grimasse für die karrikatur, Über-
steigerung irgend einer erscheinung verwendet: reitz am
unrechten orte ist affektation und grimasse Lessing 9,
198 M.; meine absieht ist nie, mich durch gewaltsame
insolenzen und grimassen auszuzeichnen sagt Bijrger
zur rechtfertigung gewisser kühner ausdrücke seiner Homer-
übersetzung, werke 206* Bohtz; wie die nation den
früheren scharfgezeichneten Charakter um grimasse ein-
getauscht GÖRRES l, 136; so namentlich bei gewissen
verbis : daraus ist es zu erklären, weshalb . . die grazie
so oft in grimasse ausartet Smidt tageb. eines nord.
Seemannes (1830) 80; indem alles, was bei den Griechen
natur w^ar, bei ihnen {den Franzosen) zur grimasse ge-
worden ist Platen 3, 226 Redlieh.
5) etwa gleichaltrig mit 3 ist die Verwendung im sinne
'die täuschende maske, larve', die sich herleitet von der
bedeutung 'die blosze, hohle gebärde': {leute) welche . . .
mit ihrer Seligkeit fertig zu werden meynen, wenn sie
Paulo die grimasze der demuth nachmachen allg. dtsch.
bibl. 12, 8; wer irgend einem tüchtigen meister die gri-
masse der arbeit abgesehen hat, ist darum noch kein
arbeiter Lagarde dtsch. sehr. 195; meist tritt der Cha-
rakter des heuchlerischen, täuschenden stärker hervor: es
{das porträt) könnte allenfalls ein Joseph seyn, der ohne
grimmasse affectirter oder in der schule gelernter fröm-
migkeit mehr dächt als spräche Lavater physiogn.
fragm. 1, 121; eine schlaue kokette, die mein herz durch
die grimasse der empfindsamkeit . . . täuschte Pfeffel
pros. vers. 5, 51 ;
er {der lad) heuchelt nicht und schmeichelt nicht,
er wischt grimassen vom geeicht Herder 27, 888 S.,-
ganz verselbständigt: lüge, Verstellung, komSdie:
grimasse war
ihr kusz
allg. dtich. bibl., anh. zu 53—86, 492;
wie er ihr so nahe ist, dasz sie nicht mehr entfliehen
kann, so fleht sie dem fluszgotte, dasz er sie verwan-
deln soll, grimasse! Wieland Agathon {ilGef.) 1, 158;
es sey nur grimmasse, wenn weiber ihre männer glau-
ben machten, sie hätten ein sehr kaltes temperament
Knigge Umgang 2, 89; ich lernte grimasse von realität
unterscheiden Bahrdt gesch. s. lebens (1790) 3, 363; natür-
lich blosze grimasse, um ein höheres geleitsgeld zu er-
ringen Gaüdy 5, 123; auch milder 'fiction' : sollte es . . .
nicht eine grimasse unseres verf. seyn, dasz er nicht
wissen will, wer diese recension gemacht hat allg. dtsch.
bibl. 86, 26. dieser gebrauch ist in der hauptsache auf
die 2. hälfte des 18. jhs. beschränkt; später tritt neben
dem, begriff des erlogenen der des widrig grotesken, ver-
zerrten wieder hervor; farce': diese . . . kniebeugungs-
und andachtsscene vor dem versammelten reichstage,
der mühe gehabt haben mag, bei der grimasse seinen
ernst zu bewahren jahrb. d. Grillparzergesellsch. 5, 214;
die blinde gerechtigkeit . . faszt mit ihrem strafenden
arm . . . die arme verführte . . , und treibt dann mit
dieser ihre fade grima^e ganz ernsthaft Pestalozzi 7,
314; ein gebet, das nur aus anbequemung gesprochen
wird, ist eine widerliche grimasse D. Fr. Strausz 4, 197.
22
339 GRIMASSENMACHER - GRIMASSIG
6) tvie im fram. auch 'ein zur ioilette des frauen-
Zimmers gehöriges kästchen, dessen oberer theil ein nadel-
kissen tsi' Krünitz öcon. encycl. 20,48; Rumpf gemein-
nütz, wb. (1811) 146.
7) eine art Stachelschnecke, murex anus Nemnigh wb.
d. naturgesch. 210. ,
GRIMASSENMACHER, m. fratzenschneider Follmann
lothr. 216»; lux. ma. (1906) 154''; Pansner schimpfwb.
2i^; in älterer spräche auch ' Schwindler' (vgl. grimasse
II 5): die grimassenmacher, quacksalber, gaukler,
taschenspieler, kuppler, beutelschneider . . theiien sich
in die weit Wieland (i794) 8, 121. — grimassen-
schneiden, n. : wogegen der ungebildete . .. nicht
anders als durch . . . mienen und gebehrden sich ver-
ständlich machen zu können glaubt, — dadurch aber
mitunter sogar zum grimassenschneiden verleitet wird
Hegel 7, 2, 244; ein bestimmt ausgesprochenes talent
für diese oder jene kunst: poesie, musik, . . grimassen-
schneiden, plastik Spielhagen i, 247. — grimassen-
schneider, m.: die Lear- und Hamlet Spieler, die jetzt
auf unsern theatern den gröszten beyfall einärnten,
gehören in . . . die klasse der . . . grimassenschneider
Ayrenhoff 6,201; Pansner schimpfwb. 24^. — gri-
massensprache, /. : vor der grimassensprache der
taubstummen Grillparzer 13, 151 Sauer.
GRIMASSIER, m., fratzenschneider Heyse kl. fremd-
tob. (1840) 177; {der tanzlehrer) ein mann, der . . als ein
gesichterschneider, grimassier und faxenmacher seltener
art mich bald entzückte Holtei vierzig jähre i, 48;
nach frz. grimacier.
GRIMASSIEREN, vb., grimassen machen; seit dem ende
des 18. jhs.; bei Adelung fehlend; bei Voigtel 2, 133"^,
Heinsius 2, 535*^ notiert; 'gesichter schneiden, misgebehr-
den machen .... grinsen, sich grimmig gebehrden, mit
häszlich verzerrtem gesichte lächeln' Rumpf gem^innütz.
wb. (1811) 146: dabei soll man sein äusseres studiren,
sein gesicht in seiner gewalt haben, nicht grimaciren
Knigge Umgang 1, 87; statt seine natürliche Physiogno-
mie zu zeigen, grimassirt er Schubart ästhetik d. ton-
kunst 136;
(wer) ist die Silengestalt, die aufgedunsne,
die sich von einer der ägyptischen
gottheiten borgt die wunderlichste larve
und drin mit tollen Sprüngen grimassiert?
Hamerling Ahasver 3, 158;
mit frechen, herausfordernden gliedern und grimassie-
renden lippen H. v. Kahlenberg Eva Sehring (l90i) 185;
ein grimassiertes hohngelächter Heinse 7, 285 Schüdde-
köpf; vom gebärdenspiel des Schauspielers, ohne den
nebensinn des verzerrten: jeder, nur halb geschickte
Schauspieler, wenn er sich ein wenig auf grimassiren
versteht, wird als könig Lear . . . lärmenden beyfall
erhalten Ayrenhoff 5, 227; im grimassiren, gestikuliren
und moduliren des tons war sie meister G. Forster
3, 152; herr Koberwein als Aetes grimassirte und decla-
mirte schlecht und hohl jahrb. d. Grillparzergesellsch.
5, 5; transitiv: einen wahnsinnigen könig Lear zu gri-
massiren Ayrenhoff 2, lOO; doch auch tadelnd: dazu
kommt aber bei mademoiselle George noch hinzu, dasz
sie in den augenblicken des höchsten affectes oft gri-
massirt PÜCKLER Semilasso 2, 69; in älterer spräche
klingen bisweilen andere bedeutungen von grimasse an:
all unser hofiren und grimassiren (vor dem kaiserlichen
gesandten) wird zu weiter nichts nützen als uns vor
den bürgern zu narren zu machen Klinger 3, 68; sie
— schämte sich, grimassirte und zierte sich anfangs
so artig und fein, wie eine richardsonsche heldinn
J. K. Wetzel Tobias Knaut 4, 277 (vgl. grimasse II i) ;
Sophie: . . . ich will ihn züchtigen, papa! sie sollen
ihre freude sehen! Stahl: nur nicht grimassirt, wir ken-
nen uns! Klinger i, lOO (vgl. grimasse II 5); dazu gri-
massiererei,/. .• ob nicht noch eine menge elender
grimassirerei in unsern deutschen sitten . . . herrscht
J. K. Wetzel Tobias Knaut 2, 96.
GRIMASSIG, adj., zornig, aufgebracht: ich will nicht
schimpfen, aber solcha grimmassige spindein wie der
'GRIMM
340
herr ist, nimm ich zwölfe Bäuerle kom. iheater 3, 19;
einen grimassigen bengel sehts und nichts weiter Han-
del-Mazzeti Jesse und Maria (1906) 2, 145; wann ä kam
ganz grimässi und sagät: mein geld he! Stelzhamer
ausgew. dicht. 2, 55; österr. wort; unter anlehnung an
grimasse, grimm aus häufigerevi gremassig, s. sp. 105.
1 GRIMM, adj.
A. form, dem west- und nordgerm. gemeinsames wort:
ahd. grim , grimmi , asächs. ags. afries. grim , anord.
grimmr; übereinstimmende bedeutung ist 'wütend, wild',
vielfach weiter entwickelt zu 'böse, furchtbar'; im got. nur,
mit anderer ablautstufe, gramjan 'reizen', von einer idg.
tvurzel *ghrem- 'reiben, knarren, knirschen', die in gr.
/OEfxlCoi, yqefJLtd-o} 'mit den zahnen knirschen, wiehern',
yoofxos u. a. wiederkehrt, vgl. FiCK ^3, 142; Falk-Torp
1, 340. 347. die grundbedeutung tritt rein zu tage im ahd.
subst. zano gagrim Stridor dentium Mens, fragm. 10, 6. 24;
16, 2 Heneh. das adj. hat in mhd. zeit noch die vorhand
vor grimmig (s. d.), in der nhd. zeit wird es allm.ählich
von dem abgeleiteten adj. zurückgedrängt, und im 18. jh.
ist es in gefahr, der concurrenz zu erliegen (grimm, olim
für grimmig Frisch [i74i] 373*'; 'im hochdeutschen ver-
altet, im oberdeutschen aber noch für grimmig, wütend.
grausam gebraucht' Adelung), als es sich in die poe-
tische spräche rettet, um auf diesem gebiet noch ein kräf-
tiges leben zu entfalten.
B. bedeutung. als ausgangspunkt der bedeuhings-
entwicklung ist der begriff der zähneknirschenden wut an-
zusetzen; und vielleicht steckt in der bei Murner (nach
Schmidt elsäss. 155'') überlieferten redensart ein grimen
zan den tempelknechten zeigen etwas sehr altes.
l) am nächsten heran an diesen ausgangspunkt führt
die bedeutung 'in wut geratend, zornwütig, ergrimmt' :
so der grimme rihtare an der jungesten urleile zorn-
lichen chumet spec. eccl. 143 Kelle;
daz zurnder s6 sere, daz er mich dö sluoc
mit einer starken schalten : des wart ich grimme genuoc
JS'ih. 1545, 4 ;
doch tritt diese bedeutung im mhd. gegenüber 3 zurück,
wie man etwa am Nib.-lied studieren kann; später häu-
figer: efferus grimm und schier als ertaubet 'Frisius
(1556) 460'>; soll einem das nicht das hertz grim machen,
qutfd dicit 'dominus' Luther 29, 666 Weim.; der lew
schmecket usz dem geruch des pardi den eebruch der
lewin. darumb würt er grimm das selbig zu rechen
Eppendorff Plinius (1543) 50; mit j)räpos.: das pöfel
. . wider die Carthaginenser grimm machen Xylander
Folybius (1574) 59 ; ist er in seinem gemüt erzürnt und
gantz grimm über Lewfriden worden Wickram 2, 351
lit. ver.; und so bis in die neue zeit:
mein Tilly kam nicht aus dem hain,
er war erhitzt und grimm genug
Droste-Hülshoff 2,158;
natürlich auch übertragen:
der keiser übel unde röt
der rede im antwtirte bot
üz eime grimmen herzen
KoNR. V. Würzburg Otto v. 231 ;
als ich die wort ausz grimmem sinn
in zorens weis warf her und hin
Seb. Brant nach Schmidt elsäss. 155"-;
trifft mit dem arm und grimmen blicken,
was schnell nicht aus dem pfad kann rücken
Dkoste-Hülshoff 2,67;
der herzog grimmen tones sprach
Arnim 14, 262.
2) von bedeutung ist ein nur im mhd. nachzuioeisender,
später erstorbener gebrauch, der das adj. auch für andere
erregungen als die der wut, des zornes verwendet; 'wild,
auszer sich vor schmerz, Verzweiflung u.dgl.':
dö hörter eine stimme
jsemerlichen grimme
von dem wege wüefen,
nach helfe rüefen
erbarmeclichen ein wip
so namentlich neben weinen und klagen:
Er. 5297;
341
1 GRIMM
1 GRIMM
342
sie waineten vil grimme Rol. 199, 24;
s6 chlaget er dich grimme 235, 9,
beides in der volksepik öfter; s. u. 5 b; diese bedeutung
findet beim verbum l grimmen eine stütze, s. d. l; schliesz-
lieh kann das adj. ganz zum begriff leidenschaftlicher er-
regung verblassen ; so spuriceise im frühnhd.: (der kaiser
u. seine frati) sachend das grim louffen des volks und
hortend auch das geschrey dtsche volksb. 285, 25 Bach-
m,ann- Singer ; vgl. 2 grimm 4.
3) der weitaus vorherrschende gebrauch zeigt das adj.
in einem von 1 deutlich unterschiedenen sinne, mehr dau-
ernde eigenschaft als vorübergehenden zustand bezeichnend,
also acer, atrox, ferox, ferus, efferus, trux, scevus u. ä.
Graff 4, 324; crudelis Dief. nov. gl. 121*; crudus, cru-
delis Frisius (1556) 346'*; immanis 650*; importunus
662"-; violentus 1385 *>.
a) zumeist von menschen: der eher bedäut uns die
grimmen laut, die . . alle zeit grimmik und swarz be-
leibent in irn sündenKoNR. v. Megenberg buch d. natur
121, 15; da man etwen einen menschen findet, der ist
grimm, er ist rauh, wil jederman überfaren Keisers-
BERG .^eeUnpar. vorr. 2'»; im älteren nhd. öfter in der
allitterierenden Verbindung: do sindt die beiden . . grim
und grob gewesen Hedio chron. germ. (1530) P vi''; seit
alters gern attributiv, und ztcar vielfach in einem, halb
formelhaften gebrauch: der grimmo Nero saeviens Graff
4, 324; im Heliand stehendes beiwort der Juden;
haiden die grimmen
die weiten gerne unterdringen
dere eristen scar Hol. 167, 1 u. ö.,
gerade bei diesem subst. bis ins nhd. vielgebraucht; der
grimme Hagne Nib. 934, i u. ö., vne überhaupt gr. ein
lieblingswort des Nib. dichter s ist;
der küng Porsena grimm und streng
belegert Rom
ScHWARZENBERG Ciccro (1535) 119»;
der grimme sultan Lohenstein Ibrahim sultan 37; so
von der zweiten hälfte des 18. jhs. bis in die neueste zeit
in gehobener spräche wieder sehr häufig: er ziehe gegen
grimme Saracenen Herder 15, 85 S.;
wenn wir dem grimmen Weifen widerstanden
RiCH. Wagner ges. sehr. u. dicht. 2,21;
feste fügungen sind der grimme teufel und, bis in unsere
zeit fortlebend, der grimme feind U7id der grimme tod :
so siht er denne die grimmen tüfel Schmidt elsäss.
155* (aus dem 14. jh.);
gott, der liebt nicht nur die frommen, . . .
sondern auch, die ihm genommen
durch den primmen seelenfeind
P. Gerhardt bei Fischer-Tümpel 3, 299'';
allwo er jetzt, da neu entbrannt der krieg,
gar hart gehalten wird vom grimmen feind
Grillparzer 8,10;
o du grymer tod, wie kanst du so bert und so streng
seyn Fortunatus (l509) 94 neudr.;
(der acker) drauf seine garben wacker
hinwirft der grimme Schnitter tod
Freiligrath 3,80 Schmidt -Weiszenf eis;
ältere spräche versteht diese xcendung vielfach anders,
s. u. 3 b. namentlich die früheren perioden der spräche
lassen gewisse schioankungen des sinnes erkennen, wie
sie schon aus manchen glossierungen erhellen: ingratus,
acharis Graff 4, 324; malignus Dief. 344»; spurcus 549";
besonders die bedeutung 'streng, hart, grausam' hebt sich
schärfer heraus: acerbus crim, grim ahd. gl. 1, 12,6; auste-
rior crimmira, crimmiro i, 2G, 36; severus Dief. 531''; ih
forahta, uuanta thö grim man bist, nimist thaz thü
ni säztos (quia homo aust-erus es) Tat. 151, 7 ; grimmen
chuning immitem Graff 4, 324;
die vorvluchten und die grimmen,
die diser werlde walden
und ir gut vor enthalden
den dürftigen, den husarmen
Hesler apoc. 22694;
davon fiel er in viel laster und ward eyn grimmer herr
und von den seinen verhast Carbach Livius 127»;
ein ochsen hab ich in dem stal,
den will ich schencken im, ja im,
weil ich nicht gelt hab allemal,
dasz er nicht sey so grim
Ayrer 5, 3039 lit. ver.;
vgl. dazu homo durus, tumidus grimm, stoltz, hoch-
fertig, hochtragen Frisius (i556) 1336*'; ferox fräch,
stoltz, grimm Calepinus xi li^ig. (1598) 556»; verbunden
mit dem, dat. kann das wort der bedeutung 'wild, grau-
sam' die des fehidseligen beimengen:
doch lies er (Pilatus) in (Jesus) gebunden stan
bi denen die im warent grim
Schweizer Wernher Marienl. 9195;
SO ist nach dem todt Tiberii der keyser Caius inen gar
grim und zuwider gsin Hedio chron. germ. (1530) bs'';
erst in jüngerer zeit in einer abgeschwächten bedeutung
' drohend- finster' : aber wie schlecht steht dem ernsten
grimmen Beethoven solches kinderspiel D. Fr. Strausz
sehr. 6, 247. wieviel lebendiger das wort in älterer spräche
war, erhellt auch aus den m.annigfachen formen adver-
bialen gebrauchs: wie grimm die Juden mit dem herrn
Jesu umbgiengenKEiSERSBERG nach Schmidt elsäss. 155'';
ist er (der papst) dan der allerheiligest an gots stat
und lasset so grym die lüt tödten? Karsthans 174 bei
MüRNER luth. narr (Kurz);
die viech, die hund und die maulthier
grimm wurden in den todt gestürzt
Spreng Hias (1610) 2^;
später ungewöhnlich: die ihr mir mein liebes fest so
grimm zerreiszt Fouque nach Sanders.
b) von thieren: seit alters stehendes beiicort des löwen:
daz ein grimmer lewe nie
sO giric was nach eime vihe
Konr. V. Würzburg Eng. 2748;
an dem grimmen löwen sich auch rechen
Gengenbach 90 Gödeke;
auch anderweitig oft: leopartun crimmistun tigridi fero-
cissimae Graff 4, 324; den grimmen serpant Heinr.
v. Freiberg Tristan 6446; apri acres grimm, gewaltig,
mächtig und scharpf Frisius (l556) 21»; am deutlichsten
tritt der bedeutungskern bei prädicativem gebrauch zu
tage: das weyblin (des baren) ist . . grimmer weder das
männlin Herold-Forer Gesners thierbuch (1563) l**»;
wann sie der wölfin in der brunst nachlaufen, sein die
wölf am aller grimmsten und grausamsten Sebiz feld-
bau (1579) 614; grimm kann gegensatz zu zahm sein:
onager waltesel, ain stark o. grimmer esel Dief. nov.
gl. 271 •>;
das man macht zam eyn yedes thier,
wie hert, wie wild, wie grymm das ist
Brant narrensch. 22, 33 Zarncke;
der grimme vogel (vielleicht unter dem einflusz von krimm-
vogel th. 5, 2310 und der grimmende vogel ib. sp. 2305
stehend) ist der raubvogel: daz diu swalb von den grim-
men vögeln nümmer gelaidigt werd Konr. v. Megen-
berg buch d. natur 200, 15; vgl. 193, 9; seit dem spätereti
17. jh. immer mehr auf die poetische spräche und attri-
butiven gebrauch beschränkt, weil für die prosa abgelöst
von grimmig (s. rf. 2 b) : (Apollo) der grosze schütz und
tod der grimmen trachen Treuer dtsch. Dädalus i, 97;
den grimmen geier, der dich so zerfleischt
Brentano ges. sehr. 2, 197;
denn ich bin grimmig, wie der grimme leu
Grillparzer 5, 119 Sauer.
c) übertragen.
ce) dem eigentlichen gebrauch des adj. am nächsten
kommt die Übertragung auf die träger und sitze des
grimms; schon im Heliand grimman hugi 4263. 4629,
grimmon sebon 2687 ; im, mhd. findet man grimmer muot
in jeder art von epik, besonders im Nib.; später xcird
grimmes gemüt zu einer festen Wendung: und würt
keiner sach bei allen verstendigen höcher getadelt als
seines gehen zorns und grimmen gemüets halben zimm.
ehr. 2, 269, 2; doctor Peter Meyer . . . hat . . . auch gegen
22*
343
»GRIMM
1 GRIMM
344
meyner person ... ein giftig, natterisch und überusz
grimmist gemüt und meynung getragen Hütten opera
2, 117 Böcking; in neuerer spräche nur noch poetisch:
könig Högni vor der Schwester stand,
ihr sinn war grimm und graus
Strachwitz ged. (1860) 257;
dagegen hat sich ein concreterer gebrauch erst in jüngerer
zeit recht entwickelt {vgl. grimmig 2 c «) :
(Jcrokodü) das war' ein nam' gewesen, welcher zu
der grimmen miene paszte Grabbe 1, 337;
er . . . blitzte sie mit seinen kleinen grimmen äugen
an Storm 2, 264; oder von thieren:
blut im grimmen rächen
Denis lieder Sineds 47, 7 ;
wie zwei drachen
mit grimmen klauen
0. Ludwig ges. sehr. 3, 584;
namentlich grimmer zahn ist häufig:
es haut nach mir mit grimmen zahnen
Schiller 11, 280 G.,-
aussatz, der tief ins fleisch sich friszt mit grimmem zahn
Droysen Äschylus (1841) 123;
das ist vielleicht sehr alt, s. o. B; auch neben anderen
begriffen, die die auffassung eines beseelten wesens ge-
statten, behält das adj. seinen ursprünglichen subjectiven
Charakter; so sehr gern von den elementen:
swart logna .
grim endi gradag
Heiland 4369;
feretrum grim mer Dief. 247*; under dien {winden) ist
einer, heisset aquilo, und ist grimmer denne die andern
Seuse dtsch. sehr. 452, 4; in vollem bilde:
an sant Michahels tage
drat in mein sumer-haus
der grim winter mit klage
H. Sachs 23, 253 Keller-Götze;
in neuerer poetischer spräche wieder sehr häufig:
wenn ein anders grimmes wetter blitzend wider jenes {wetter)
zieht
Schönaich Hermann 144;
der grimme nord vertauscht
sein reich für Zemblens eis
Wieland 1 1, 115 akad. ausg. ;
denselben subjectiven Charakter zeigt das adj. in der im
älteren nhd. nicht seltenen wendung:
den, den die grimme weit
vom höchsten himmel aus bis in das grab gefällt
Fleming 1, 16 lü. ver.
ß) in anderen fällen erscheint eine objectivere bedeu-
tung, die sich zuweilen dem sinn von 'grausig, furcht-
bar, schrecklich^ nähert, so in der in mittelalterlicher
Sprache sehr üblichen formel grimme hölle: schon im
Heliand 5429 bezeugt;
s6 werfent in gebunden .
die tiuvel in die grimmen helle
Lampr. V. Regensburg tochter Syon 1293;
oder in der bis in die neuere zeit üblichen Verbindung
mit that, unthat u. dgl. : im Heliand 5150 wird is grimmon
dad mit sundeon parallelisiert; ähnlichen sinnes grim-
mun uuerc 3229;
d6 huop sich under degenen ein mort vil grimme unde grSz
Mb. 1898, 4;
glaubt, dasz ihr euch befleckt durch diese grimme that
Lohenstein Arminius 2, 1332^;
bis einst um einen grimmen mord der schmerz
den reichen schätz zur asche wird verglühn
Brentano ges. sehr. 6, 91 ;
auch detaillierter: in dem anschowene dez abziehens
einer kleider und des grimmen annegelens sins herren
an das krüz Seuse dtsch. sehr. 36, 15; hat sich Hegelin
schnell gewendt und ain grimen stich auf disen schmid
thon Knebel chron. v. Kaisheim 387 lit. ver.; nicht selten:
grausam grimm laster refervens crimen Maaler teutsch
^praach (l56l) 191«;
der tugend Untergang, der grimmen laster sieg
Gryphius trauersp. 41 P.;
am häufigsten von kämpf und streit:
den herten und den grimmen strlt
triben si biz üf die naht
KoNR. V. Würzburg Parton. 16306;
soll abermal
heilloser krieg und grimme Schlacht entstehn
Bürger 156" Bohtz;
darüber hinaus in jüngerer spräche in mannigfacher
Verwendung, aber ausschlieszlich in poetischer rede:
SO sind die grimmen stunden,
die singen mich gelehrt,
dann nicht von dir entbunden
Brentano ges. sehr. 2,519;
so mögt die grimme unbill denn erfahren
Droste-HÜLSHOFF 2, 252 ;
hier trieb der teufel sein verruchtes spiel,
ein grimmer irrthum waltet Arnim 5, 165 Grimm.
y) endlich von dem persönlichen ausgangspunkt völlig
gelöst und ganz objectiv 'hart, schlimm, bitter, schmerz-
lich, schwer':
von disem grimmen msere
huob sich dar diu lantschaft mit vil klegUcher kraft
klage 1123;
ähnlich ein grimmez scheiden 1212;
schwartz ist ain grymme wät,
wee dem, der des geclaidet gät
HÄTZLERIN 165;
mit Vorliebe aber neben ganz bestimmten begriff sgruppen :
dem ich von schulden jehen muoz
daz er grimmen kumber leit
KoNR. V. Würzburg Parton. 15857;
also starb er (der gesteinigte) in grimmer not
H. Sachs 1, 192, 22 Keller;
vgl. auch den adverbialen gebrauch:
ach, hett ich g'lost des Daniel stimm,
so giengs mir nit so ruch und grimm
J. Murer (1559) nach Staub-Tobler 2, 733;
in neuerer zeit wieder viel gebraucht:
ach, der heiligste von unsern trieben,^
warum quillt aus ihm die grimme pein?
Göthe 4, 162 Weim. ;
Sklaven des daseins — nur verschweigen
laszt uns des daseins grimme quäl
Freiligrath ges. dicht. 4, 194;
auf dieselbe linie gehören beispiele loie:
wan si diu grimme vorhte treip
Er. 6662;
da ich in schnöder lust, in toller eitelkeit
und grimmer angst verthan die beste lebenszeit
Gryphius trauersp. 271 P. ;
concreter: do er . . dez nahtes von nSten des grimmen
siechtagen nit mohte schlafen Seuse dtsch. sehr. 69,5;
er ist auch guot zuo der grimmen muoter in dem leib,
diu ze latein colica haizt Konr. v. Megenberg buch
d. natur 369, 1; grymme müter in dem übe colica Dief.
nov. gl. 100»; vgl. gloss. 131 *•; grymmer siechtag hyliaca
{i. e. iliaca) gloss. 277 '' ; da die üblichste bezeichnunq für
colica das grimmen ist {s. u. sp. 356), läszt sich ver-
muthen, dasz das vb. grimmen die wähl des adj. in den
obigen Verbindungen begünstigt hat; eine besondere ge-
schichte hat der grimme tod ; in alter spräche ist gr. ge-
wöhnlichstes attribut von tod (vgl. J. Grimm myth. ^a,
708); stehend als beiwort von Christi martertod, wo man
an die bedeutung crudelis denken möchte:
der {Christus) den grimmen tot leit
Hesler apoc. 19420;
den erlöser,
der uns durch sinen grimmen tod
erlöszt hat
H. R. Manuel weinspiel 3866 neudr.;
in der regel aber schlechthin 'der bittere tod' ; zahlreiche
mhd. belege im mhd. wb. 1, 574»; wann sy erinnert wer-
den des grimmen tods Judas Nazarei 41, 6 ndr.: neben
her läuft dieselbe ivendung als bezeichnung für den
personifizierten tod {nunmehr grimm im sinne saevus,
345
1 GRIMM
2 GRIMM
546
atrox), die in jüngerer spräche allein üblich geblieben
ist, a. 0. 3 a.
6) grimm kann im sinne 'scharf auch ganz concret von
gegenständen gesagt werden, doch nur in älterer spräche: !
sie {die rosse) wurden beide ersprenget 1
mit grimmen und mit scharfen sporn I
KoNR. V. Würzburg iroj. 3893, vgl. 6248;
und wart üncz an die elenbogen
im (Jesu) über sin arm hin gezogen
so grimmü, vesteklichü bant
Schweizer Wernher Marienl. 9311;
dasz es sich hier nicht um poetisch-übertragenen gebrauch
zu handeln braucht, lehrt die feste bezeichnung grimme
geisel für scorpio, s. th. i, i, 2, 261"? c ß, y; dazu noch
grimme gaysei anguilla Dief. nov. gl. 24».
4) erst in jüngster zeit und nur in gewissen Wendun-
gen zeigt sich die bedeutung 'wild' mehr oder minder ge-
färbt durch den begriff des bitteren oder boshaften: das
wort, das er jetzt oft halb im grimmen spott und halb
voll wehmüthigen glaubens im munde führt Spiel-
hagen 1, 11; der grimme höhn, welcher den gegner traf,
wurde höchlich bewundert G. Freytag 17, 203 ; dieser
gebrauch hat sich am adj. grimmig entudckelt (s. d. 4);
von da gelegentlich auf grimm übertragen.
5) eine besondere bedeutung entvnckelt sich dadurch,
dasz sich dem ursprünglichen sinn des adj. ein intensi-
tätsbegriff beigesellt; grimm kann, tcie furchtbar, schreck-
lich, greulich u. a., zur reinen quantitätsbezeichnung
werden; schon im mhd. vorbereitet.
a) es handelt sich zunächst nur um, eine färbung der
grundbedeutung durch den begriff des heftigen, gewaltigen ;
sie wird früh fühlbar, wo das adj. mit begriffsverwandten
abstractis verbunden ist, zumal in der in älterer spräche
überaus häufigen Wendung grimmer zorn ; von haus aus
rein charakterisierend :
den held begriff sein grimmer zorn
do er also in banden hieng
Laurin 2000 Schade;
deutlich quantitierend gefärbt:
Joseph laszt sie drum hart anfahrn,
und stell sich mit eim grimmen zom
Frisch LiN dUch. dicht. 76;
ach wie
was nun dein zoren hie
so grym
P. Speratus bei Wackernagel kirchenl. 3, 36;
ähnlich :
auf vilen wafen steht der Mars in grimmer wuth
RoMPLER erstes gebüsch 150;
namentlich war ein grimmer hasz gegen Waldstein in
ihm reif geworden Laube ges. sehr. 14, 182; aber auch
neben andern Substantiven:
er sluoc der küniginne einen grimmen swanc
Nib. 362, 7, 2 Z. ;
vgl. der heim, vom grimmen hiebe schon fast zertrüm-
mert, war bald gelöst Fouque zauberring l, 68;
ach hör den grimmen donnersehlag
H. Sachs 8,343 Keller-Götze;
und thunt im grimmen widerstand 18, 26 ;
namentlich bei superlativem gebrauch;
die Römer schmotztent durch die faust,
bisz zum grimsten stund diser strausz
Alex. Seitz vom grossen abentmal (1540) A5'>;
dass hier mehr furchts und noths, als in dem grimsten streit
Gryphius trauersp. 30 P.;
d'selben zeyt bemelter Römer aller grimmiste feynd
Stumpf Schwytzerchron. (1606) 179'', und gerade in dieser
formet bis in die jüngste zeit.
b) reiner tritt das intensitätsmoment zu tage in der
alten Wendung grimme kälte u. ä., die sich namentlich
auf alem. boden findet: ein strengin, grimmin keltin
Staub-Tobler 2, 733 (quelle von 1520) ; 1334 was . . ein
mercklicher ryfif und krimme kälte Tschudi chron. helvet.
1, 334; grimme kälte Auerbach dorfgesch. (1846) i, 7;
vgl. Fischer schwäb. 3, 83C; doch auch auf nordd. boden:
das thier sucht in den grüften
fUr der grimmen kälte ruh
Königsb. dichterkr. 87 neudr.;
ob schon für grimmen frost desz daches nagel springt
LOGAU 632 lit. ver. ;
entsprechend: radiorum verber a die grimm und häftig
hitz der sonnenstreymen Frisius (1556) 1360"'; grimme
hitz aestv^s atrox Schmeller 1, 996 {vocab. von 1618);
auf derselben linie liegen: usz dem synd aber entsprun-
gen grimme megery, den siechen blaiche färb Stein-
höwel de dar. mul. 38 lit. ver.; der vogel hat einen
grimmen hunger und wirt nimmer sat Konr. v. Megen-
BERG buch d. natur 167, 32 ; vom grimmen durste über-
mannt Seb. Brunner erzähl, u. sehr, l, 2; so asz er in
einem grimmen geitz vil ungesotten rohe fleisch Seb.
Franck cAron. Germ. (1538) 28*; zuweilen wiegt das quan-
titätselement in der bedeutung noch stärker vor: also
grime und tief was der schnee städtechron. 5, 180.
c) wie bei furchtbar, schrecklich u. ä. ist es besonders
der adverbiale gebrauch, in dem diese intensive bedeutung
zur geltung kom,mt: vgl. grimme weinen, klagen u. ä.
oben 2; im mhd. übericiegt der begriff der leidenschaft
noch den des grades, später umgekehrt; die belege weisen
wieder zumeist ins alem. gebiet: und trafen einander so
grimm mit den spiessen, leiben und pferden an, dasz
ire lantzen entzwey brachen Amadis l, 100 lit. ver. ;
drumb wäm das gfall, mit luter stimm
der zeig es an und schryge grimm !
RuOF Adam und Heva 4586;
dorab erschrack Zacharias grimm
tragödia Joannis (1549) A4;
ganz ähnlich verläuft die entwicklung, wo grimm als
adv. neben einem adj. steht:
d6 sie gehört diu msere, daz was ir grimme leit
Nib. 1214, 1 «. ö. ;
swie grimme und swie starke sie in vlent wsere
1803, 1;
ebenso noch spät: die münchen, denen er grimm viend
was Tschudi chron. helvet. l, 66; die Falkenouw grimm
hoch erhoben Staub-Tobler 2, 733 {quelle von 1620);
schlieszlich ganz zur gradhezeichnung verblaszt: grimm
chrank, nass, lieb Staub-Tobler o. o. o.
2GRIMM, m.
A. form. Substantivbildung zum adj. grimm, aber
anscheinend erst secundär aus dem älteren subst. grimmi
(». grimme) entwickelt {vgl. Paul dtsch. gramm. 2, 112);
ahd. erst ein vereinzeltes gagrim {s. i grimm A), auch
mhd. noch selten, vgl. Lexer 1, 1084; dazu von dem
grimme Rol. 226, 9 ; erst nhd. voll entfaltet als ersatz für
das absterbende fem. grimme (*. d.); im älteren nhd. er-
scheint nicht selten ein swm. grimme, besonders obd.,
zumal alem.: die . . . wandelbaren . . . sind . . . on
allen grimmen Herold Forer Gesners thierb. (1563) 15*;
dasz sy {die baren) ires grimmen und wilde vergäszen
15 *> ; ausz grossem grimmen, den die Alemannier zu den
Römern . . . trügen Stumpf schwytzerchron. (1606) 307 •';
die jenigen, die ihren grimmen wider mich erwecken
Albertinus zeitkürzer (1603) 184^; schwäb. belege bei
Fischer 3, 836; auch im böhm.: der gehe grimme Jäh-
zorn Jelinek mhd. wb. 332; gar czornig wart der grimme
unseres herren Wenzelbibel num. 11,10; von dem czorne
seines grimmen {ab ira furoris) deut. 13, 17 ; noch Fr. v.
Spee braucht gewöhnlich die schw. form, z. b.
schaff, herr, dasz ich mit zähren heisz
den grimmen dein vergüte trutznacht. (1649) 85;
ihr alter und ihre ausbreitung läszt sich nicht sicher be-
stimmen, da das subst. in den meistgebrauchten casus,
dat. u. acc, mit dem subst. in f. zusammenfällt; doch
mägen schon aus dem mhd. hierher gehören fälle wie:
man sach si (die kämpfenden) als daz wilde fiur
limmen in dem grimmen Job. v. Würzburg 8741;
vielfach gestattet der Zusammenhang die recogyioscierung
des subst.: den zorn und grimmen auszstossen über
Frisius (i556) 503'';
347 2GRIMM
dann ich trag ob mir ohne das
der götter grimmen, neyd und hasz
Spreng Äneis 37^;
zumal nach präpos. ganz wie grimm und nicht minder
häufig {s. M. B 1 b). z. b.
nit töd doch mich usz dinem grimmen
Schweiz, schausp. d. IG. jhs. 3, 96 Bächtold;
welcher . . den brueder in seinem grimen wolt erstechen
fontes rer. austr. 2, 43, 204 {tirol. quelle von 1555); dasz
er im grimmen ein stein ergriffen Abr. a St. Clara
Judas 1, 54; wenn noch ganz spät vereinzelt der grimmen
erscheint,
es raube dich der grimmen deiner hasser
Denis Ueder Sined^ (1772) 43, 5,
so ist das offenbar vermengung mit dem masc. grimmen
(s. 2 grimmen 2 b, c).
B. bedeutung u. gebrauch.
l) häufigste bedeutung 'wut, wütender, heftiger zom';
die erinnerung an die eigentliche bedeutung des wortes
(«. 1 grimm A) klingt lange nach:
und mit seiner beerischen stimm
murrt er {der bär) und griszgrammet mit grimm
H. Sachs 9, 214 Keller-Qötze;
grimm knirscht in seinen zahnen Gerstenberg TJgo-
lino 252, 15 Hamel; von Dürers Matthäus: ein ängst-
licher ausdruck in dem wenig geöffneten munde, in
welchem die sichtbaren zahne eine art leisen grimmes
aussprechen Göthe 49, l, 242 Weim.
a) bei den älteren nhd. lexicographen tritt die extremste
bedeutung am stärksten in den Vordergrund: animi ra-
bies, hoc est für or, grimm, unsinnigkeit Bas. Faber
thes. (1587) 679*; furiatus zu grimm und wütigkeit be-
wegt, ertaubet Calepinus xi ling. (i598) 602»; furie:
der grimm, die hitze, tollheit, raserey, das wüten
Spanutius (1720) 259; auch literarisch bis in die neuste
zeit reichlich: die tobheit (var. der grimm) des herren
ward bewegt wider daz volck erste dtsche bibel 4, 47 lit.
ver.; mit yhn machen, was seyn {des teufeis) aller
wütigester grym für nympt Luther 18, 358 Weim.; die
bestrebungen dieser unglückseligen empörten endlich
alle meine geister zu einem grimm, der mich ihrer
eigenen wuth überlegen machte Wieland Agathon
(1766/.) 1, 310; dasz man sich ... in eine art von ra-
serei zu versetzen sucht, dergestalt dasz die bravour
der Tahitier blos eine art von künstlich erregtem grimm
ist G. Forster sämtl. sehr. 2, 80; aber auch eine gelin-
dere bedeutung greift schon früh im 17. jh. in den lexicis
platz: Henisgh 1744 stellt grimm 'zom, indignatio, ira,
stomachus' vor grimm 'unsinnigkeit, rabies, scevUia' ;
ähnlich Stieler 703; coruccio. colera, furore, rabbia,
fremito, indignatione Kramer teutsch-ital. l, 565**; ent-
sprechend definieren die synonymiker der jüngeren zeit
grimm meist als einen hohen grad von zom, so Stosch
gleichbed. Wörter 1, 347; Voigtel tvb. 2, 133*; vgl. ein zorn,
der . . . oft ein grimm ward E. M. Arndt l, 81 Bösch-
Meisner; wenn daneben öfter als wesentliches characte-
risticum 'ungewöhnliche, widrige gesichtszüge' (Voigtel
a. a. 0.) oder 'ein wütendes ansehen' (Teller 2, 254) ge-
nannt werden, so zeigt das, dasz die grundbedeutung
noch empfunden wird; vgl. das ganze gesiebt zum grimm
verzerrt J. J. Engel sehr. 7, 357; die schwächere bedeu-
tung findet sich Much im 16. jh. schon und tritt je später
je stärker hervor: fleuch zu meinem bruder Laban in
Haran und bleib eine weile bey im, bis sich der grim
deines bruders wende l. Mos. 27, 44;
will denn dein schöner grimm mich gantz u. gar verzehren
Hoffmannswaldau nach Steinbach 1, 643;
namentlich im 18. jh. dem sinn von zorn oft recht nahe
kommend {s. u. b):
die [stimme des gewissens) lispelt mir im sündenschlafe . . .
von eines richters huld und grimm
Drollinger ged. 15;
er hatte in heiligem grimme geschworen, dasz Lauk-
HARD leben u. schicks. l, 342;
2 GRIMM
348
und {das flügelrosz) wirft, von edelm grimm entbrannt,
den karren um an eines abgrunds rand
Schiller 11, 20 G.;
und wenn der rat nichts zu taugen schien und fehl
schlug, so ertrug sie willig den grimm der männer
G. Keller 4, 99. im 16. u. 17. jh. wird grimm aufs
mannigfachste mit zorn verbunden: den zornigen grim,
den er {der teufet) auf uns hat Luther 32, 113 Weim.;
kere dich von dem grim deines zorns 2. Mos. 32, 12;
vgl. 5. Mos. 13, 18; i. Sam. 28, 18; in zornes grimb H.Sachs
1, 536; den zorn deines grimms Hieb 40, 6 ganz verein-
zelt und ungewöhnlich; mit deutlicher Unterscheidung:
und inen nichts im zorn noch grimm befäle Sebiz
f eidbau (1579) 36; wenn zorn und grimm zusamen
thun, so Werts in die leng und in die strenge Henisgh
1745;
{die Pfauen) fielen ihn {den raben) an im zorn mit grim
Eyering proverb. 1, 76 ;
meist einfach nebeneinandergestellt: sobald der riese das
vernahm, sprang er mit grimm und zorn heraus volksb.
v. geh. Siegfried 71 neudr.;
zueg ab sein rock in grimb und zorn
H. Sachs 17, 359 Keller-Götze;
wenn solche im älteren nhd. überaus häufigen Wendungen
mit dem 18. jh. fast erlöschen, mag das m,it daran liegen,
dasz sich der ursprüngliche abstand zwischen grimm ra-
bies, furor und zorn in jüngerer zeit vielfach verringerte
{s. 0.); deshalb nunmehr lieber in der form, des paralle-
lismus: da trifft denn oft der grimm des sterbenden
manchen, den der zorn des lebenden verschont hatte
Steub drei sommer in Tirol 2, 6. bisweilen erscheint
die bedeutung schon im älteren nhd. gefärbt durch den
begriff der feindseligkeit, deshasses: odium nd. hat, grim
vel nit DiEF. 893 •>; die . . . allein auss hass, grimm,
neydt . . . einen . . . under sich zwingen Kirchhof
milit. discipl. (1602) 4; nicht selten mit hasz gepaart:
wider welche sie auch täglich in grossem grimm und
hass toben und wüten theatr. diabol. (i569) 9*;
zuvor zog er die wehr auf alle weibesleut
herausz mit hasz und grimm
D. V. D. Werder ras. Roland ges. 28 str. 3;
im contrast: die göttliche Wahrheit und die göttliche
liebe . . . hörten . . . auf der erde auf, und dagegen
wirkten . . . falschheit und grimm unaufhaltbar allent-
halben Jung-Stilling 2, 38; grimm und liebe hatt' in
diesem menschen gerast Hölderlin 2, 90 Litzmann;
so in jüngerer zeit häufiger; auch ohne solche Verdeut-
lichungen urird die bedeutungsnüance bisweilen fühlbar:
ich werd nit rechtlich . . . ersucht sonder mit mut-
willigem grimm meyner feinde betrangt Hütten l, 411
Böcking; ich machte gewaltige poetische ausfälle gegen
diese schwarze gesellen, die ... mich dagegen mit
bitterem grimme verfolgten Schubart leben u. gesinn.
1, 237. aufs ältere nhd. beschränkt scheint die abschwä-
chung der bedeutung 'wut' zu 'wütender eifer':
gleich wie das hörn und rfiffen thut
des Jägers, . . .
also war auch dem schiff die stimm,
bekam zu rüdern erst ein grimm
Fischart gliickh. schiff v. 380 neudr.
b) gewisse charakteristische präpositionale Verbindungen
sind hervorzuheben: das schon im mhd. sehr häufige mit
grimme bleibt, im sinne eines reinen adverbiums, voll
lebendig bis ins 16. jh.: er . . . lieff mit grimm für die
kamer sommertheil der heil, leben (1472) 37'';
(der Spieler, der) so er verlürt, nit wiet mit grym,
ein frummer spiler würdt er gnant
Murner narrenbeschio. 236 neudr.;
aus grimm ist im, mhd. noch selten:
er sprach üz eime grimme
mit fröudeloser stimme
Stricker Karl 7805;
im 16. jh. ebenfalls sehr häufig: das sie {die verständi-
gen frauen) iren männern, wann die aus grimm toben
und schreien, zu schweigen . . . pflegen Fischart eh-
zuchtbiichl. 170, 29 Sauffen;
349 2 GRIMM
Ulysses sprach auss grossem grlm
Rollenhagen froschmeuseler (1595) F 1 *> ;
später nur noch selten:
seht, wie die frechen Tartar-horden
aus grimm und angst einander selber morden
Weichmann poesie d. Niedersachsen l, 24;
umgekehrt ist vor grimm in älterer spräche selten, um
erst seit dem 18. jh. sich weiter auszubreiten: der bapst
möchte für grimm zubersten Luther tischr. (Frank/.
1574) 371^; er schnaubte vor grimm, redte kein wort
Ulr. Bräker sämtl. sehr, l, 71; allein im grimm dauert
durch die ganze nhd. zeit:
und war so irr in einem grimm
dasz er nicht wüst auch, was er thet
Fischart Eulensp. 196, v. 5140 Haufen;
den rannte er an und schlug ihn in grossem grimm zu
todt buch d. liebe (1587) 334"; wenn die laster sie (die
tugend) anfallen und in vollem grimme bekämpfen
Neumark d. neuspr. teutscJie palmb. Si; imid.jh. auch
öfter prädicativ: ich bin so im grimm, dasz ich mich
selber zerreiszen könnt Nesthoy ges. tcerke l, 13; da-
neben in jüngerer zeit aber auch in merklich schwächerer
bedeutung und in gebrauchsweisen, die mit zorn überein-
kommen (s. 0. a): bey aufhebung derselben (stände) in
Wirtenberg hat Napoleon im grimme zum minister ge-
sagt Hegel 19, i, 130;
du sollst den preis, den ich im ersten grimm
auf seinen schlechten köpf gesetzt, erhalten
Hebbel I 3, 60;
ach, die natur schuf mich im grimme
M. Claudius Asmus 8, 54;
gott habe die fürsten und herren der weit in seinem
grimm gegeben Ranke reform, gesch. S, 145; auch mit
abhängiger prüpos.: im grimme über jenen unglück-
lichen abend hatte ich es verschworen Fouque zauber-
ring 1, 80.
c) feste verbale Verbindungen: seinen ersten grimm
auslassen jetter son premier feu Schwan nouv. dict. i,
790^; da du deinen grim ausliessest, verzeret er sie wie
stoppeln 2. Mos. 15, 7; liesz er sein grimm an den auf-
richtigen freunden hinausz gehen Seb. Franck chron.
Germ. (1538) 27"; Bertram wird auch noch seinen grimm
in einer besondern schritt gegen mich auslassen Abbt
verm. tcerke 5, 202; weil die ganze familie ihren grimm
... an dem thiere ausläszt Holtei erzähl, sehr. 2, 56;
dazu die Variante: jetzt kam die zeit, wo . . . der Ob-
skurantismus seinen grimm auf die aufklärung losliesz
Gervinus gesch. d. dtsch. dichtung 5, 352; auch aus-
schütten hält sich bis ins 19. jh.: der herr (hat) im sinn
gehabt, noch in Egypten seinen grimm über sie auszu-
schütten Dannhawer catech. milch i, 100; hier schüttet
er denn seinen ganzen grimm über die Wiener . . . aus
Gervinus gesch. d. dtsch. dichtung 2, 180; ausgieszen
nur im ältereti nhd. häufiger: (der teufel) geusset seinen
zorn und grim auff ein mal aus Luther 34, 2, 394 Weim.;
er (gott) wolle seinen grim auszgiessen wider solch volck
NiGRiNus von Zauberern (i592) 436.
d) auf unpersönliche siibjecte übertragen: die grund-
bedeutung 'wuV tritt am reinsten zu tage bei der anwen-'
düng auf demente und witterrtngserscheinungen, ein bis
ins 19. jh. sehr häufiger, wenn auch mehr poetischer
spräche eigener gebrauch:
wer hört der winde grimm, der lüfte rasen nicht?
Gryphius ged. 22, 6 Palvi
der grimm des wetters raaszt und pfeiffet um die mäste
Olearius verm. reisebeschr. (1696) 191
des brandes grimm verzehrte hülten
ScnuBART sämtl. ged. 2, 294
in gewissen Verbindungen aber auch der prosa gemäsz
trotzte . . mehrere wochen lang dem grimm der Witterung
Schiller 8, 393; anderes seltener: die alten balken zit
terten unter dem grimm ihrer stimme 0. Ludwig ges
sehr. 2, 384; in einigen auf die poetische spräche be
schränkten fällen scheint das subst. unmittelbar aus dem
entsprechend gebrauchten adj. erwachsen:
J GRIMM
350
der stral (des blitzes) kan nicht so tief durchhawen
als deiner straichen schwerer grim
Weckherlin ged. 1, 123 lit. ver.
(hier mit dem intensitätsbegriff des adj., vgl. * grimm 5 a);
anders :
dasz selbst des neides grimm den Widerspruch nicht wagt,
wo jeder jeden Stands, was er verloren, klagt
Heraus ged. u. inschr. (1721) 157;
(der gerechte, der) der bohren Weisheit stimme
folget, troz der Selbstsucht heiszem grimme,
die sein herz mit schwerdem sticht
Schiller 1, 264 G.;
erst in jüngerer prosa häufiger in fällen wie: dasz selbst
dies geduldige volk, vom grimm der Verzweiflung er-
griffen, sich nachher gewaltsam erhob Häusser dtsch.
gesch. 2, 79; während diese erinnerung ihn mit allem
grimm der leidenschaft anfiel Storm l, 307.
2) weniger entwickelt als beim adj. ist eine bedeutung,
die grimm nicht als affect und ausbruch, sondern als
eigenschaft und zustand faszt (vgl. 1 grimm 3).
a) 'Wildheit, grausamkeit, bösartigkeit, bosheit' ; schon
mhd. gelegentlich:
wen ich nie der dinge dort
begienc, die sie han geseit
nf mich und uz geleit
böslich in irme grimme
sagt Susanna von den beiden Juden, md. Daniel 7697
Hübner; so öfter in den ältesten lexicis: severitas Dief.
531'*; atrocitas gemma gemm. (I508) c S*» sp. l; ferocitas
k 2'' sp. 2;
eur grimb und auch eur hertigkhayt
ist mier zwar mit trewen laydt
sagt Pilatus zu den Juden altd. passionssp. aus Tirol
395 Wackernell; des Türeken grimm Stumpf Schvcytzer-
chron. (1606) 23''; des Neronis grimm und grosse tyran-
ney A. U. v. Braunschweig Octavia l, 5''; in neuerer
Sprache seltener:
bald wird der beiden grimm erfahren
des Christengottes schreckenshand
Novalis 4, 103 Minor;
so öfter von thieren: ottern grym und gift als Übersetzung
von 'iudaei, sub quorum labiis venenum aspidum' Luther
5, 32 Weim.;
ein löwe, dessen grimm und raubsucht nichts verschonte
Ramler /abellese 1, 152;
wilden thieren . . ., die mitleidig vor meiner Unschuld
ihren grimm vergaszen maler Müller werke (l8ll) l, 147 ;
auch der stereotype grimm des teufeis wird zunächst
hierher gehören: wollen wir aber dem grimm der ewigen
natter entweichen J. Böhme sehr. 4, 4;
entfleuch des satans grimme
Gottsched ged. (1751) 1, 342
ähnlich: es ist auch bald einmal zeit, dass dem grimme
der hölle einhält gethan wird JungStilling 2, 143;
ey, wer war so unbedacht, dass er diesen lasse nicht
hin, wo dieser weit ihr grimm seine freche hömer bricht!
LoGAU sinnged. 175 lit. ver.;
im Sprichwort : der weit grimm ist der frommen gewin
Henisch 1745; gelegentlich auch schwächer, dem sinne
drohender strenge sich nähernd:
der bär tregt den weyhkessel vor
und ainen sprengwadel empor,
welchs deut den grimm und bärentratz,
dardurch man schirmt die menschengsatz
Fischart l, 427 Hauffen ;
ähnlich auch in neuerer zeit: aber der militairische
grimm . . . fehlte ihm Alexis ruhe (1852) i, 49.
b) hei sächlichem regens erscheint zuweilen eine mehr
objective bedeutung, die beini adj. deutlicher hervortritt
(vgl. 1 grimm 3 c y) 'härte, bitterkeit, pein' : von einem
quälenden träum:
ain weipliche stymme
die schray in schlauffes grymme :
obe, obe mir ymmer wee ! Hätzlerin 125;
351
GRIMMBART
GRIMMBÄRTIG - GRIMME
352
dann eben drumm
hat er den grimm
des creutzes auch am leibe wollen tragen
P. Gerhardt bei Fischer-Tümpel 3, 329 •>;
mich Ton dem grimme meines geschicks zu überzeugen
Ayrenhoff 1, 286; zuweilen auch concreter 'schreckliches,
grausiges' :
wie sein hertz, aller boszheit quell,
stehts grewel, grim und grausz erfindet
Weckherlin 2, 19 Ut. ver.; vgl. 1, 123;
im 18. jh. liest man nicht selten:
die gröszte klugheit ist, der zeiten grimm verlachen
Neukirch ged. (1744) 40;
dieses , fürsten , ist der weg, durch der zeiten grimm zu
dringen
ScHÖNAiCH Heinrich d. vogler 25;
doch läszt sich diese uendung auch von a aus verstehen.
3) im späteren 18. jh. tritt eine Sonderbedeutung deut-
licher hervor, die erst im 19. jh. voll entfaltet ist und
zuerst von Sanders scharf formuliert tvird : 'ein tvilder
zorn, der noch nicht hervorbrechen kann, aber die kraft
dazu fühlt und danach strebt' wb. dtsch. synonymen 486;
ich wollte die zahne zusammenbeiszen und an meinem
grimm kauen Göthe 8, 120 Weim.; sein ziehvater . . schlug
ihn unbarmherzig ... er weinte . . . nicht, der grimm
erstickte seine thränen S. Brunner erzähl, u. sehr. 1, 51;
gewöhnlich wohnt in einer so starken seele . . grimm
gegen den nur durch zufall mächtigen . . Unterdrücker
NiEBUHR röm. gesch. 2, 818; öfter müssen attribute den
sinn in diese richtung lenken:
allein es trotzt mit unterdrücktem grimme
dem goldnen stral des ?wingherm frevle stimme
Stägemann kriegsgesänge 64;
wie hinter seinem lächeln verbissener grimm verborgen
lag Pestalozzi Lienh. u. Gertr. 1, 21 ; die truppen hörten
in reih und glied die bekanntmachung mit stillem
grimm an Brentano ges. sehr. 4, 178; ähnlich schon bei
BuTSCHKY: sonst ... ist der eifer . . . besser als der
heimliche und tükkische grimm Pathmos 137; am häu-
figsten sind folgende adjectiva: voll innerlichen grimms
über W. . . suchte er durch . . . sticheleyen . . . sich
luft zu machen F. H. Jacobi 6, 89; mit erstaunen und
mit innerm grimm habe ich oft den diener diese bücher-
haufen zu ihnen hereintragen sehen Fr. v. Schlegel
5, 215; daher verbale Verbindungen wie: ein längst ver-
haltener grimm bricht los Göthe 41, l, 226 Weim.; wenn
der grimm in mir überwallen wollte Immermann 2, 70
Hempel.
4) selten, aber durch parallelen beim adj. grimm (_s. d.
2), beim subst. grimme {s. d. 8) und beim verb. 'grimmen
(s. d. 1) zu stützen ist die bedeutung 'schmerzliche oder
leidenschaftliche erregung' :
wan ir herze was so wunt,
daz ez diu znnge noch der munt
nie mer . . .
. . . künde uz giezen
nach des herzen grimme
mit Worten noch mit stimme
schausp. d. mtttelalt. l, 235 Mone;
von der prophetin Maodlla, als sie das kreuzholz betrat
und ihre kleider feuer fingen :
d5 nü daz wunder geschach,
die vrouwe erschrac, dö siez ersach;
sie rief in grözem grimme
mit wissagender stimme
Heinr. V. Freiberg kreuzholzleg. 755;
die princessin aber, nachdem sie die zehern (des ab-
schiedsschmerzes) oftmals zurück getrieben, ward doch
endlich überwunden und gieng im grimm auch fort
Opitz Argenis (i644) l, 380 {subito impetu semovit se a
conspectu Barclay).
GRIMMBART, m., alter grimmiger oder mürrischer kerl:
von Venus reuterdienst kan grimmbart nit mehr wissen
Rachel satyr. ged. 79 neudr. ;
scherzhaft scheltend für den alten Walewski bei Herb.
Eulenberg Anna Walewska (i899) 87; in Göthes Rei-
neke fuchs name des dachses, ebenso bei Gottsched und
im Reinke de vos 247 u. ö.; entstanden aus dem eigen-
namen Grimberht, Grimbeert (Edw. Schröder), der erst
nachträglich umgestaltet ivurde zti einer bildung ähnlich
dummbart, brummbart u. dgl., vgl. knasterbart th. 5, 1358.
— grimmbärtig, adj.:
doch fuhr er seinem neffeii nicht
grimmbärtig in das angesicht
Immermann 13, 95 Hempel;
auf den ecksteinen lauern, zusammengekauert, grimm-
bärtige kobolde Raabe sperlingsgasse (1894) 174.
GRIMMBEBEND, adj.: so freveltrotzige, so grim-
bewende, so zornblinde eiserne wort Harsdörfer
frauenz. gesprecJisp. 3, 320; solche zusammenrückungen
mit dem part. präs. sind selten: -schnaubend Wie-
land nach Campe; -wallend: mit grimm-wallenden
äugen Butschky Pathmos 143; «m so häufiger sind zu-
sammenrückungen mit dem part. prät., in denen nament-
lich die poetische spräche der neueren zeit sehr fruchtbar
ist, z. b. grimmbeflügelt Fouque reiseerinnerungen
I, 81; -beschäumt Wieland »iac/j Campe; -entbrannt
Hebbel I 4, 131; -erhitzt Gryphius lustsp. 281 P.,- -ge-
rötet Pyrker Tunisiaa 9, 345; -verflucht: Cäsars
fuss zertritt den grimmverfluchten sand A. U. v. Braun-
schweig Octavia 3, 684; -verstört Fouque altsächs.
bildersaal 2, 128; -verzerrt J. Rank erinnerungen 373;
gröszere ausdehnung hat nur grimmerfüllt gewonnen,
s. an alphab. stelle.
GRIMMBITTER, adj. Palleske Schilhr 1, 176; vgl.
grimmsauer. — grimmböse, adj.: malignua grymbösz
DiEF. nov. gl. 2*4". — grimmbrummen, vb.:
sie murmeln allzumal, grimmbrummen, sind erhitzt
Andr. Scultetus bei Lessing 11, 195 M.
— grimmchen, n., demin. zu 2 grimm: die stecknadel-
natur des weiblichen zornes stach überall hervor, und
das dünne spitze grimmchen war gar zu komisch Börne
II, 133;
du! wenn deine schöne Sklavin
dich bedroht mit einem grimmchen
RÜCKERT 11, 443.
GRIMMDARM, m., colon, theil des dickdarms; so be-
nannt als vermeintlicher sitz des grimmen s; schon bei
DiEF. 133^ grimmendarm colon; grimmdarm Kramer
teutsch-ital. 1, 565«; auch grimer-, kriemerdarm Hyrtl
kunstworte d. anatomie 65; dazu, grimmdarmband
ligamentum coli Campe; Sömmering bau d. menschl.
körpers 5, 97; - e in dru ck /aciecw^a colica 5, 117; -fall-
thürlein = grimmdarmklappe (s. d.) Chomel öcon. lex.
4, 1354; -gekröse mesocolon Campe; allg. dtsch. bibl.
106,295; Sömmering 5, 199/.; -klappevaifM^a coHCampe;
Sömmering 5, 99; -pulsader S, 2, 182; -Schlagader
4, 699; Campe; -vene Sömmering 3, 2, 830; -zelle cel-
lula coli Campe; -zweig rawMScoWct«« Sömmering 4, 701.
GRIMME, /., die älteste, im ahd. fast allei7i bezeugte
(grimmi, grimmin Graff 4, 824/.) und im mhd. vorherr-
schende Substantivbildung zum adj. grimm; namentlich
auf alem. boden reich bezeugt; vgl. auch Fischer schwäb.
3, 836 ; noch im 16. jh. nicht selten, aber doch schon stark
zurückgedrängt von dem, synonymen grimm stm.; immer-
hin noch grimme atrocitas, feritas, saevitia 5et Dentzler
clavis (1716) 140*.
1) von lebenden wesen: 'wut, wütender zorn': grymme
furor Dief. 253<=; saevitia Graff 4, 324; Calepinus xi
ling. (1598) 1287»;
iz (dos taujwasser) twinget den der untwingenlich ist,
ich meine den herren Jhesum Krist,
und machet sine grimme zam
BrUN V. SCHOENEBECK 5211;
die fraw erkant ires mans zorn und grimme Aimon
(1535) g 6"; mit solcher grim und rachgierigkeit Schütz
hist. rer. pruss. 2, N 2''; ' Wildheit, grausamkeit, härte': ^H
feroeitas, crudelitas, tyrannis, pervicacia Graff 4, 324/.,- ^B
atrocitas Calepinus xi ling. (1598) 138''; der wardt mit
groser erbärmbdnus . . des umbstenden volks, das wider
die grimme und hertigkait ires herren, des grafen, nit
353
GRIMMELN
1 GRIMMEN
354
reden dorft, gerichtet zimm. chron. i, 203, 16; zum ersten
das laster der grimmy und rühi würt geschetzet ge-
rechtigkeit Keisersberg seelenparad. vorr. 2^; ebenso
seit alters von thieren: kechöront sie {die löwen) des
plüotes, so uuirt in sär uf iro 6rera grimmi, redeunt
resides olim animi Notker l, 138 F.; so der mensch den
wolf zum ersten ersieht, so soll derselbige von siner
grimme gar vil verlieren Sebiz feldlait (lö79) 610.
2) auch ICO das subst. nicht auf Übende icesen geht, zu-
nächst mannigfach im sinne saevitia, atrocitas:
so möhte boum unde gras . . .
dorren von der grimme
miner unreinen stimme
Hartm. V. Aue Greg. 3525;
kampfes grimme lu: 7519; daneben zeigt sich die beim
adj. (s. d. 3 c y) festgestellte objective bedeutung reich ent-
faltet, also 'härte, schivere, not, pein' ; ahd. amaritudo
pittri anti crimmi ahd. gl. 1, 26, 35; so wohl schon:
gar zergangen ist des winters grimme
V. D. Hagen minnes. 2, 394'',
mhd. öfter, s. mhd. wb. 1, 574 **; vielleicht auch: o wie
schnell VFÜrt dich überfallen die grymme des bitteren
todts Baseler plenar. (1518) 137'»; ganz deutlich in den
mhd. nicht seltenen Verbindungen wie:
den tet diu fürsorge we
und diu bitter leides grimme
Ulr. V. Zatzikhofen Lanz. 5261 ;
er rufte durch die grimme
gar mit luter stimme
in jüdschem: heli, heli
schausp. d. mittelalt. 1, 236 Mone;
ähnlich auch in der redensart:
diu weit mit grimme stet;
der darundir müzic get,
der mag vol verwerden diut. 3, 187;
daneben aber auch concreter 'schärfe':
dö begundens houwen
diu ros mit grimme der sporn
KoNR. Fleck Flore 413,
«0 man lieber eine anknüpfung an krimmen («. 2 grim-
men) suchen möchte; doch vgl. i grimm B c &.
3) von besonderem interesse sind einige nur beim, pas-
sionaldichter nachweisbare Sonderbedeutungen, weil sie ein
paar gleich isolierte bedeutungsrichtungen von grimm subst.
{s. d. 4) und adj. (s. d. 2) erhellen und bestätigen helfen;
der begriff der wuth ist verblaszt zu dem, der leiden-
schaftlichkeit, heftighei t :
seht, do wart gotes gute
uf Traianum beweit
durch dises barmeherzikeit,
die in twanc mit ir grimme
pass. K. 207, 39 ;
als in diu gotes liebe ouch twanc,
die in hete in ir grimme väterb. 3247 Reise. ;
pass. K. 423, 14 legt der Zusammenhang die bedeutung
'leidenschaftliche erregung' nahe; endlich auch 'hitze,
leidenschaftliche begier':
als die erste grimme,
die er zu dem hirze truc, '
in im sich gar darnider sluc
pass. K. 151, 54;
GRIMMELN, vb., toimmeln, seltenere seitenform zu
krimmein, das th. 5, 2309/. ausführlich behandelt ist;
hd. wie nd.: burrio . . de formicis, wimmeln und grim-
meln Corvinus fons latin. (i646) 119; des künigs buch
vol bitterer wort grimmelet und wimmelet Nas antipap.
eins u. hundert 5, 270 •> ; da er spricht : yhr wasser, gebt
fische, hubs bald an zu wimmeln und grimmein für
fischen Luther 32, 72 Weim.; entgegen Hildebrands
angäbe auch ohne die paarung: (der stadt) vielfältige
zuwege und offene pforten voll menschen grimmein
Andr. Müller denkwürd. reisen (1678) 29''; mit de wiel
grimmelt dat all vull allerlei französch volk up den
schloszhof Reuter olle camellen (1860) 118.
IV. 1. 6.
1 GRIMMEN, urspr. starkes vb. aus derselben würzet,
die im adj. grimm vorliegt; ahd. nur selten bezeugt
(s. u. 2); auch alts. grimman toben, wüthen; ags. grimman
toben, rasen, brüllen; bis ins 13. jh. nur stark, im 14.
vollzieht sich der Übergang in die schto. flexion; auch
mnl. nur schwach; im 17. jh. abgestorben {s. u. l).
1) urspr. 'mit den zahnen knirschen'; frendere Dief.
246"; diese grundbedeutung bleibt lange lebendig: grum-
men sy mit iren zenden über mich erste deutsche bibel
7, 290 (ps. 34,16); grimmen, dasz maul aufsperren, die
zän blecken, zusammen beissen, frendere dentibus, rin-
gere Henisch 1744; zunächst also offenbar von thieren.
die bedeutung wandelt sich auf der einen seile in fremere
Dief. 246"; rugire 503'*:
geswigen ist des lewen limmen
und der lewinne grimmen
»id. Hiob 1650 Karsten;
so vielfach im mhd., vgl. mhd. wb. 1,573''; wann der
low anfaht grimmen See, Münster cosmogr. 1437; im
bilde:
die von Nusz grymmeten als die behem,
die das widderwere zu thune begern
Stolle thüring. chron. 117 lit. ver. ;
aber nicht nur von tönen des zornes, sondern auch des
Schmerzes: die werdint dar nach grimmende in deme
helleviure pred. des 13. 14. jhs. 74, 22 Leyser; ich grim-
mete von suchten mins hertzen {rugiebam ps. 37, 9) ndrh.
psalmenübers. 39 Jaiiota. auf der anderen seile entwickelt
sich, indem das psychologische mom,ent in den Vorder-
grund gerückt wird, die bedeutung saevire Dief. 531'^,
furire 253'', ohne dasz doch eine scharfe trennung der
beiden bedeutung sziceige möglich wäre; schon ahd. furit
crimmit ahd. gl. 1, 154, 18;
er {ÄcMlles) gram unde bram
Herb. v. Fritzlar troj. 4575;
auch von schmerzlicher erregung: so grimmet ir herze
mit bitterem jämer myst. l, 351, 6; öfter in Übersetzung
von ps. 2, 1 {quare fremtterunt gentes) : warumbe grim-
metend die lüte Staub-Tobler 2, 733 (15. jh.); das oft
und lange gebrauchte part. prüs. scheint adjectivische be-
deutung, ähnlich 'wüthend', angenommen zu haben: sie
lauffen in der alten stad wie die grimmende beeren
Schütz hist. rer. pruss. 5, F 4"; der schreckliche grim-
mende brüllende low Gryphius teutsche ged. (1698) l, 734;
auch mit präpos.: es ist {des menschlichen blutes) wenig
fast gnäg und zu vil vergossen, man hat fast gnüg ge-
grimmt anainander umbzubringen Spalatinus klage
d.frids (1521) Hl*; ob ir sie {die armen) verseeret, . . .
mein zorn wird grimmen über euch Waissel chron.
(1699) 154''; schwächer 'murren': und si grummen {var.
grimten) wider si {das weib, das Jesu füsze salbte, Marc.
14, 5) cod. Tepl. 1, 66; öfter in bestimmter Sphäre im sinne
von 'keifen': darnach sein sie die gantzen nacht schwetzig,
kippeln und keifen, grymmen und zäunen Albr. v. Eye
dtsch. sehr. i,6; ebenso mnd.: het he se gan, se karde
weder, het he se wesen vro, se gram Schiller-Lübben
2, 147"; eigen ein paar mal bei Murner: 'ein drohendes,
trotziges ansehen, gebaren haben':
die Jugend grimpt in waffen gar
Äneis (1543) 277»;
ähnlich 252''; das vb. stirbt als xoort lebendiger rede im
17. jh. ab; die ivörterbücher schleppen es weiter: grimmen
et frequentius ergrimmen fremere, ira furibunda corripi
Stieler 703; grimmen irasci, ergrimmen acerbe irasci
Wächter 615; bei Voigtel wb. 2, 133 b als veraltet be-
zeichnet; nur ganz vereinzelt in poetischer spräche:
grimm' immerfort, spei feuer! regengüsse!
Herder 25,39;
hasz, der noch im stillen grimmet
Rückert 1, 127,
hier also mit der jüngsten bedeutungsnüance des nomens,
s. 2 grimm B 3.
2) sehr gern als subst. infinitiv: das grimmen primo
est contractio vultus et fremitus oris Stieler 703; ge-
23
355
2 GRIMMEN
2 GRIMMEN
356
wohnlich näher an das subst. grimm herangerückt, öfter
geradezu im Wechsel mit ihm: welcher ist der unmessig
zorn seiner tobheit (var. seins grimmens) erste dtsehe
bibel 4, 228; auch umgekehrt: aiiff das der herr von dem
grimmen seines zorns abgewendet werde 5. Mos. 13, 17
(vgl. 2 grimm B l a); s. auch ps. 37, 8 var.; Hiob 21, 80;
deren hertz entzündt und erfült ist mit funcken des
grimmens, zorns und wütens Aeg. Albertinus Lucifers
königr. 132, 16 Liliencron;
Planeten, mond und element
lieäzen ihr grimmen blicken
Opel-Cohn dreissigjähr. krieg 228;
fähet einmal zornigklich mit grossem grimmen und
grammen an Lindener katzipori 86 lit, ver.;
lasz ab, lasz ab, und widerkehr
von deinem tobn und grimmen
Ringwald evang. g 8^ ;
zumeist auf md. boden; obd. mit dem swm. grimme {s. o.
2 grimm A 2) zusammengeflossen und höchstens im gen.
noch von ihm zu trennen; in neuerer zeit nur ganz ver-
einzelt u. mit verändertem sinne {entsprechend 2 grimm B 3) :
die verstockt in grimmen
selber sich verstimmen
RÜCKERT 1, 121.
3) von interesse ist die bedeutungsentvncklung von
'knirschen' zu 'schauern' {vgl. grieseln sp. 265/.), die sich
im, Schweiz, findet: eim grimmen ab schaudern Staub-
ToBLER 2, 733; der grimmen (auch grimmen) neben 'zahne-
knirschen' auch 'schauder infolge von entsetzen, schmerz,
selbst frost u. ä.' ib.; wohl urspr. subst. inf, aber formal
Tnit dem, subst. grimm, grimme vermengt; so auch in dem
{leider quellenlosen) citat:
daz eym uszdringt kalt, grym und sweisz;
es gand mir grymen durch myn bluet
qiielle von 1555 bei Staub-Tobler 2, 734,
woselbst weitere nachweise.
4) erst spät und nicht häufig erscheint ein grimmen,
das sich ivie eine causativbildung zum adj. ausnimmt:
grimmen irritare, exasperare, provocare ad iram Wäch-
ter 615; was ihn das ärgern, grämen, grimmen musz
MALER MÜLLER 2, 46; es grimmt mich aber noch, dasz
sie es wagten, nach euch zu forschen Hesekiel Nürn-
berger tand 1, 326; vermuthlich handelt es sich nur um
eine unter der einwirkung von grimm erfolgte umdeutung
der häufigen Wendung es grimmt (= krimmt) mich, s.
2 grimmen.
2 GRIMMEN, vb., kneipen, vornehmlich von kolikschmer-
zen; nhd. nur noch schwach, von haus aus stark: es ist
mhd. krimmen, das durch anlehnung an * grimmen sei-
nen anlaut veränderte; Hildebrand skizziert th. 5, 2305 j^.
form- und bedeutungsgeschichte des verbums; doch ist
sein versuch, die doppelformen landschaftlich zu vertheilen
(II 1 a), nicht stichhaltig: grimmen erscheint nicht nur
obd., sondern auch md. (gram pass. K. 482, 18) und nd.
(Schiller-Lübben 2, 147"); eher scheinen sie sich, we-
nigstens nhd., nach dem sinne zu gruppieren, insofern
die bedeutung '(leib)schmerzen haben' sich immer mehr
auf die g -form beschränkt; im folgenden nur, was für das
literarische grimmen des nhd. an ergänzungen nöthig ist.
l) rein verbal.
a) nur selten als 'kratzen' oder in einer davon abge-
leiteten bedeutung {vgl. krimmen I 3 a, e):
ich will dich reiszen, krellen und grimmen
fastnachtsp. 281,11 K.;
wie ein knäblein . . . fühlet und gewar wirdt, wo es
die gerte hinbeisset und grimmet Bütner dialectica
teutsch (1588) 77'^; sein gewissen in grimmen und peissen
ward Arigo decam. 258, 4 Keller; die marter . . die . .
dich härtigklichen mit grimmenden schmerczen qwelen
wirt Hartlieb buch Ovidii (1482) 33*; hierher offenbar
das in österreichischer ma. häufige sich grimmen, grüm-
men sicJi härmen, grämen, sorgen Schmeller i, 997;
Mareta 26; LoRiTZA 55; meinetweg' kannst schon
.gehen, gleichwohl ich mich genug werde grimmen
.müssen um dich Rosegger I 8, 251.
b) weit überwiegend von leibschmerzen , und zwar in
mannigfach wechselnder construction ; zumeist unpersön-
lich: grimt dichs, fühlest du eine beschwerung im magen
Mathesius Syrach 2, 49»; denn grimmet dich im bauch
Kejsersberg häslein (i5lo) Dd3»; so bis in die neuere
zeit: mich grimmts im bauch und ich musz abseiten
Aurbagher volksbüchl. 257;
dann schickt' ich sie, wem es behagte,
rasch in den leib hinab, dasz drinnen es grimmte und wühlte
RÜCKERT 2, 123;
mit concretem subject: aber Schafmilch die ist grober
art und grymmet schier in dem magen Ortolf von
Bayrlanu (1479) 71'»; vgl.
dann er offt speisz und tranck annimpt,
die den bauch hefftig plagt und grimpt
Eyering proverb. 1, 515;
gelegentlich auch:
wenn mich grimbt der bauch
Sandrub higt. u. poet. kurzweil 5 neudr. ;
imgewöhnlich : dann also ists im leib, da er hol ist,
dass seine schmertzen grimmen Paracelsus opera l,
525 A Huser; erst spät mit dativ: es grimmt ihm im
bauche Voigtel wb. 2, 133'»; vgl. H. Braun wb. 126*';
in jüngerer zeit öfter übertragen: das büchlein wird sie
noch manche zeit im bauche grimmen Göthe IV 27, 233
Weim. {nach offenb. Joh. 10, 9. 10, s. krimmen I 8 f /S) ; ich
las ihn nicht, ich verschlang ihn, ob mich's gleich im
bauche grimmte, wenn er mir in's gewissen sprach
Sghubart leb. u. gesinn. 2, 251.
2) substantivisch.
a) am häufigsten im subst. itifin. {vgl. krimmen 1 3 f «) :
grimmen colica Dief. I3i'» {so meist); tormsn 5S8''; hyliaca
{d. i. iliaca) nov. gl. 203*»; bauchgrimmen cholera Frisius
(1556) 218*; grimmen ileos Calepinus xi ling. (1598) 674^;
vermina Faber thes. 923"; affici torminibus das grim-
men oder die müter im bauch haben Frisius (1556) 58*;
vgl. mutter th. 6, 2812 oben; ein unsettiger fräs . . hat das
grimmen und bauchwehe Sir. 31, 24; doch auch als ein
leiden schwererer art: miserere : grimmen und reissen
im leib, und ist weit ärger als die colic, weilen selten
jemand mit dem leben dann kommet curiöses bauemlex.
(1728) 108; vgl. auch gegicht th.^, i, 2, 2305; Dasypodius
trennt das grimmen, darmgicht, ileos und grimmen des
oberen eingeweyds, cordia, et cardiaca dict. (1536)339*;
bis in die neuere zeit durchaus lebendig: es entsteht
heftiges grimmen, erbrechen und Stuhlgang Oken allg.
naturgesch. 3, l, 34; gelegentlich auch von anderen körper-
theilen: kaum hatte sie der patient eingenommen, als
er ein heftiges grimmen im gehirne empfand Raben er
loerke 2, 111 ; bildlich:
das gespenst, das ernste, bleiche,
macht nur dem, ders nicht glaubt, grimmen
Kerner lyr. ged. (1854) 159;
allmählig schwieg das grimmen der erde, und es ward
eine bewohnbare weit Herder 22, 231.
b) nicht selten erscheint bis in die moderneyi maa., in
bedeutung und gebrauch mit a völlig übereinstimmend,
ein masc.: guot . . für den grimmen in dem leib Konr.
v. Megenberg buch d. natur 147, 20; wann sie den
grimmen haben Lindener katzipori I47 lit. ver.; es liesze
sich am leichtesten anknüpfen an ein freilich schwach
bezeugtes sw. masc. krimme, grimme krimmender schmerz
{s. th. 5, 2304), das dann mit dem subst. inf ganz zu-
sammengeronnen tväre; denn auch im nom. immer mit
dem n des infinitivs, z. b.
am Sessel trug voran der schmertz
und der grimmen trug hindterwertz
H. Sachs 4, 408 Keller;
bisz der grimmen nachlaszt Gäbelkover arzneibuch
(1595) 1, 234; vgl. FiscHER Schwab. 3, 837; Schmeller
1, 997; aus einem urspr. selbständigen subst. verstünde
sich am, leichtesten der nicht seltene pluralische gebrauch :
so geligend dir die grimmen alsbald Steinhöwel Äsop
357
GRIMMEN - GRIMMGANNEN
GRIMMGRAM - »GRIMMIG
358
211 lit. ver.; so sind sie (die bäder) zuträglich in der
colica, darmgicht und andern grimmen medic. maulaffe
(1719) 482; ekthlipüsche Verkürzung ergab eine form, die
eine vermengung mit grimm furor ermöglichte {tvie um-
gekehrt auch das subst. durch die form des verbums be-
einfluszt wurde, s. 2 grimm A schlusz): grym tormen
DiEFENBACH 588 >* ; grymm rfysen^eWa Pinicianus (1516)
G 4"; sehr oft bei H. Sachs, z. b. i, 407, 13; 8, 151, 16;
9, 317, 23 Keller-Götze ; sogar den grimb 5, 3, 13.
c) selten auch von andern schmerzen körperlicher und
geistiger art; die tcenigen belege sind formal nicht ein-
deutig, doch mag auch hier das alte subst. (s. o. b) noch
zu tage treten: da hieb er im den arm gantz ab und
durch das haubt, das er in dem weetag und grimen
herab lief die stiegen und viel nider und starb städte-
chron. 11, 666, 1; also haben sy inen beden die hendt
abgehauen, und er sager im grimmen und schrecken
davon gelauffen Thom. v. Absberg 44 lit. ver.; das ihm
sein gantzer leybe von einander mit grossem grymm
und schmertzen ryss Schumann nachtbüchl. 350 lit. ver.;
der zweiffei sturtzet entlich den menschen in ver-
zweiffelung und hellische angst und grimmen Melan-
CHTHON in: corp. doctr. Christ. (1560) 583.
GRIMMEN, n., in der Jägersprache: der hirsch drucket
die ballen feste ein und fast vorwärts ; da denn in der
mitte das erdreich erhöhet wird, wie ein gewölbe, wel-
ches man den burgstall oder das grimmen nennet
Döbel jäger-practica (1746) l, 6; vgl. aus dem Winkell
handb. f. Jäger (1805) l, 174, woselbst weitere nachtceise;
in älterer spräche auch grimmer Sebiz feldbau (1579)
573; zti 2 grimmen = krimmen kratzen, scharren; vgl.
burgstall schlusz, th. 2, 544.
GRIMMENKRAUT s. grimmkraut. — grimmenöl,
n.: grimmöl . . . für die kinder, wann sie grosse leib-
wehe leiden Hohberg georg. cur. aucta 447*. — grim-
menpulver, n., gegen das bauchgrimmen Martin-
LiENHART 1, 272*>. — grim m en s ä cklein , n., zum
auflegen beim bauchgrimmen Gäbelkover arzneibuch
(1595) I, 241. — grimmenstich, m., jägerausdriick :
also benennen einige das, was ein angeschossen wild-
stück macht . . . wann es sonderheitlich tödtlich ver-
wundet, ziehet es die 4 läuffe zusamm und greiffet mit
den spitzen der schaalen scharf zu boden Heppe JcoÄ^
»•ed. ja^rer (1779) 188 ; v^f^ grimmen. — grimmentrank,
m,., gegen das bauchgrimmen Gäbelkover arzneibuch
(1595) 1,228. — grimmenwasser, n., aqua carmina-
tiva, 'ein herrliches mittel in blehungen, colick- und
magen-beschwerungen' Chomel öcon. lex. 4, 1354; vgl.
Adelung.
GRIMMER, m.. gypaetus barbatus, lämmergeier Rrehm
thierleben 6, 4:15 Pechuel- Lösche; = krimmer, s. d. th. d,
2310.
GRIMMERFÜLLT, adj., in poetischer spräche seit der
ziceiten hälfte des 18. jhs. häufig:
düster, grimmerfüllt
drang jeder vorwärts
Ulr. Hegner ges. sehr. 177;
freylich weicht die menschenliebe, wenn man mit dem
Schwerte lehrt
und mit grimmerfüllten fausten ein verführtes volk bekehrt
ScHÖNAicH Heinrich d. vogler (1757) 80;
0 nacht, so schwarz von färb, o grimmerfüllte nacht I
Shakespeare 1, 277.
— grimmernst, adj.: einige stunden nach dem de-
jeuner wurde das tableau auf meiner band grimmernst
lebendig K. Marx an Fr. Engels, briefw. 4, 454.
GRIMMES- als erster compositionsbestandtheil im XI. jh.
häufiger, so grimmesflamme Neumark fortgepfl.
musik.-poet. litstw. (1657) 1,64; -glut Fleming dtsch.
ged. 1,3 lit. ver.; -hitze 1,19; -macht Jag. Röhme
sehr. 5, 127.
GRIMMGANNEN, vb., murren, fremere; von den auf-
sässigen Seelen in der hölle:
sie tummeln, schreien, schnurn daher,
sie grimganen ie lenger mer Schade sat. 1, 127;
dissimilation aus grimmgrannen, vgl. griesgrannen sp. 268
unten; — grimmgram, m., im volksrätsel der wolf
Frischbier 1,253. — grimmgramsen, vb., murren,
mürrisch sein: die gesellschalTt liesz ihr solches wol-
gefallen, aber ihr führer grimgramsete, ob er sich von
so einem . . menschen solte unterweisen lassen Ruch-
OLTZ Herk. (1666) l, 568; 'spieen haben, hypochondrisch
sein' Campe; = griesgramen Richey hamburg. 81 ; auch
fcei Frischbier l, 253; nd. wort; vgl. griesgramsen «p. 269.
— grimmgrösze, /.; iracundia . . . unwirse, grim-
grösse, zürnung Schöpfer syn. b 6". — grimmhard,
m., mürrischer mensch Grob dichter, versuchg. (1678) 15;
bildung tvie grieshart {s. sp. 265), loUhard u. ä. statt
eines echten grimmart.
GRIMMHEIT, /., seltene alte seitenform zu grimmig-
keit, zumeist in alem. quellen: feritas Diefenbach 230";
severitas 531*'; feritas gemma gemm. (1508) k 2^; vgl.
Fischer schwäb. 3, 888; auch nd. Schiller-Lübben 2,
147''; daz die untötlichen göter rechen müszten die
grymheit der Affern Heinr. v. Mügeln Val. Max. ö"*;
sy hat in irem weibischen gemöt enpfangen ein grymm-
heyt das sy vil fürsten getöt hat Hartlieb gr. Alexan-
der (1473) 166*; unwirszhait und grimmhait Keiser.'^-
berg «pinn. (l510)f 4"*. noch seltener ist grimmkeit:/eri-
tas Diefenbach 230"=; sevitia bSl^; daz klag ich, daz sü
in so grosser grimmkeit sich gen mir bewisent Seuse
dtsche sehr. 85, 19. — grimmhitzig, adj. : sein (des Mars)
blutiges und grimhitziges mütlein Andr. Rosa practica
/1571) A 4".
»GRIMMIG, adj., erst spätahd. Graff 4, 325 (vgl.
grimmigkeit) ; im asächs. früher, aber ebeyifalls nur ver-
einzelt nachztiweisen : grimmag Hei. 2144 C ; mhd. noch
stark hinter grimm zurückstehend, gewinnt das adj. im
verlauf des nhd. die oberhand; auch in den maa. hat
grimmig das ältere grimm übericunden, soweit sie über-
haupt ein adj. dieser Stammform, besitzen; das scheint
aber nur im obd. in gröszerem umfange der fall, vor-
nehmlich im Schweiz., Staub-Tobler 2, 734; iceniger im
Schwab., Fischer 3, 836; vgl. Schmeller l, 996; sonst
noch im thür. MOller-Fraureuth l, 442; dem nd. im
ganzen fremd (doch vgl. Mi 29; Fischer samländ. 108),
schon in mnd. zeit; im, nl. dagegen herrschend; vereinzelt
grimmecht Diefenbach 581 •> s. v. sevire; gelegentlich
grüm(m)ig städtechron. 4, 279 anm. 2; Simon Dach 931
lit. ver.; die bedeutungsentwicklung läuft im ganzen der
von grimm adj. parallel.
l) 'wütend, zornicütig, ergrimmt', namentlich in jüngerer
zeit zuweilen fast gleich 'zornig' ; mhd. noch selten, etwa:
des wart der herre zomic unde grimmic genuoc
Nib. 206, 4 ;
auch in den frühen glossaren gegenüber 2 zurücktretend:
fremebundus Diefenbach 246°; furibundus 253 *>; demen-
tatus nov. gl. 130*; vecors 377*'; erst seit dem 16. jh. in
breiter ausdehnung: rabiosus grimmig wie ein doUer
hund Bas. Faber thes. (i587) 679*; grimmig, wfietig,
unsinnig, tobend . . . furiosus, rabidus, saevus, rabiosus
Henisch 1744; der teuffei . . . machet die fursten . . .
grimmig und zornig Luther 33, 484 Weim.; der mensch
konte so grimmig werden, dasz er weder seines noch
irgend eines andern lebens schont^ Bahrdt gesch. s.
lebens 3, 34; milder: von natur zu gelassener betrach-
tung der dinge aufgelegt, werde ich doch grimmig, so-
bald ich sehe, dasz man dem menschen das unmög-
liche abfordert Göthe gespräche 2, 352; mit präpositionen :
(ein predigen) das dem pöfel die obren kutzeln und
Widder die oberkeyt wütend und grimmig macht Al-
berus tcidder Jörg Witzeln G 3*; von gott:
und bist so grimmig immerdar
über die schafe deiner weid
H. Sachs 18, 290 Keller-Götze;
Lessing ward so grimmig über das deutsche publikum
Gervinus gesch. d. dtsch. dicht. 4, 359; in Kopenhagen
ist man auf die Xenien ganz grimmig Schiller an
Oöthe 5, 111 Jonas; statt dessen gelegentlich auch mit
dem dativ:
23*
359 1 GRIMMIG
mein jüngster bruder mir so grimmig war
E. M. Arndt 6, 162 Kösch- Meisner ;
das adv. gleicher bedeutung mit Vorliebe neben verbis di-
cendi, zumal increpandi:
derselb auch fieng an zu rumorn
und den bawren grimmig anplatzt
H. Sachs 21, 217 Keller-Götze;
namentlich in neuerer spräche sehr häufig : schweig! rief
grimmig ausbrechend der könig Laube ^e*. sehr. 3, 152;
grimmig fuhr er seine frau an Langbein 31, 121 ; man-
nigfach übertragen: so vindest du in mit eime grim-
migen zornigen urteilenden antlit Tauler pred. 367, 14
Vetter; ihre äugen sind auf eine besondre art ange-
nehm, wenn sie ein wenig grimmig werden Rabener
sämtl. werke i, 152; die Sabine warf ihm einen grimmi-
gen Blick zu Kotzebue 18, 57; und fuhr ihn mit grim-
migen Worten an Lohenstkin Armin, l, 47^; wand ihm
das Schwert aus der band und schleuderte es, in einem
grimmigen wurf, weit über den platz hinweg H. v. Kleist
3, 203 E. Schmidt.
2) ivie bei grimm adj. zeigt sich die durative bedeutung
als zustand und eigenschaft am frühesten und reichsten
entwickelt, also atrox, saevus Diefenbach 58*. 531".
a) zumeist von menschen; so schon mhd. öfter:
du gewinnest schiere einen sun . . .
der wirt scherf unde grimmich wider den Hut unsaelich
Milst. genesis 36, 11;
den grimmigen hellischen schäm
Hesler apoc. 16004;
aber erst nhd. in weiterer ausbreitung, und zwar am
lebendigstell in der älteren zeit: wider die macht und
gewalt des grimmigen sathans Erzherzog Ferdinand
speculum vit. hum. 54 neudr.; Hartman von Grunbach,
ein grimmiger und tyrannischer man Schütz hist. re-
rum pruss. I, F 3 '^ ; die Paterculus ein frech und grim-
mig volck nennet Migrälius Pommerla?id (i640) l, 24;
später eingeschränkter, mehr an bestimmte substantiva
gebunden: die spinnmädchen erzählen von . . . grimmi-
gen riesen Voss krit. blätter 2, 255; es haben grimmige
geister im leben gewalt über mich gehabt Fouque
zauberring i, 99; schicke den grimmigen todt, dass er
über mein hertz triumphir engl, comed. u. truged. (1624)
0 6»; gerade gegen meinen äugen über sitzet der grim-
mige tod BoDMER abhandl. v. d. wunderbaren 299, vgl.
dazu c y ; am besten hält sich der grimmige feind : wanne
vil starker grimmiger vigende hastu in dir zä über-
windende Tauler pred. 13, 16 Vetter; gegen den grim-
migen feind des reichs und der Christenheit Göthe 13,
1, 249 Weim. ; freilich verändert hier die jüngere zeit die
bedeutung, s. u. 5a; die älteren glossare lassen m,ancher-
lei färbungen des sinnes erkennen: acer Diefenbach 8";
barbarus 68*"; crudelis 159"=; feralis 230*»; ferox 231";
ferus 231«; malignus 344''; severus 531^; spurius (i. e.
spurcus) 549*; tirannus 585''; torvus 590»; am deutlich-
sten hebt sich die bedeutung 'hart, grausam' heraus:
got den grymmegen leydigern
birget daz schone liecht gemeit
der eren und der selekeit
md. Hiob 13746 Karsten;
solch plündern . . . einen grimmigen tyrannen zu ver-
stehen geben {soll) J^irchhof milit. discipl. (1602) 196;
o Amor, du grimmiger tyrann! Grimmelshausen Simpl.
2, 531 lit. ver.;
o grimmige Jungfrau, princessin meiner sinnen,
kan euch dann meine bitt und seuftzen nicht gewinnen
Opitz teutsche poem. 40 neudr. ;
anders: das die leute hoffertig und grimmig sind, das
ist von gott nicht geschaffen Sir. lo, 21; die jüngere
zeit hat einige mildere nüancen entwickelt: der grimmige
präceptor Braun Kern er bilderbuch 216; ein summen-
des gewimmel von vielen hundert jungen leuten aus
allen ständen, welche jedoch bald von einer gruppe
grimmiger kriegsleute zur stille gebracht . . . wurden
G. Keller 2, 90. auch der adverbiale gebrauch ist im,
älteren nhd. reicher entfaltet: wiewol der mann grimmig
auf ihn sticht Paracelsus opera (1616) 2, 583 C Huser;
1 GRIMMIG
360
entgegen Diomedes scharff
sein spiesz nach Marte grimmig warff
Spreng Ilias (1610) 69»;
als ihm der äugen paar ward grimmigst ausgerissen
Gryphius trauersp. 20 P.
b) so auch meist von thieren; am fühlbarsten wird
der volle bedeutung sg ehalt des adj. in geioissen fällen
prädicativen gebrauches: warumb seindt die thier gar
grimmich, wan sy sich zweyen wellen proplem. Aresto-
tilis 18''; je gröser und länger eyne im ist, desto ärger
und grimmiger sie auch ist Sebiz feldbau (1579) 297;
inwendig seint sy grimig wolff erste dtsche bibel i, 26;
hundert grosser grimmiger hunden Wetzel söhne Oiaf-
fers 68 lit. ver.; ein grimmiger hengst Jer. 8, 6; mit Vor-
liebe und zur formel erstarrt: ewer widdersacher . . .
gehet umb und umb als ein grymmiger . . . lawe Lu-
ther 9, 157 Weim.; nicht viel seltener:
das er uns wie ein grimmig beer
hin Opfer und zureisse
Ringwald evang. Hl**;
gern auch in Verbindungen tcie der grimmige drache
Jag. Böhme sehr. 4, 94; ein grimmig ungeheuer Gott-
sched d. neueste a. d. anmuth. gelehrsamkeit l, 403; all
dies bis ins 17. jh. überaus häufig; dann stark zurück-
tretend: ward ein grimmiger stier herbeygeführt Ger-
stenberg schlesw. literaturbr. 255, 30 lit. denkm. ; der
grimmige tiger entflieht vor seinem schelten Göthe 17,
135 Weim.; nur die icendung grimmiges thier im. sinne
'icildes thier' hält sich besser:
für fewr, für dieb, für kriegesknecht,
für der grimmigen thier geschlecht
Rollenhagen froschmeuseler (1595) G2»;
einen . . . verwünschten prinzen, .der ... in der haut
von einem grimmigen thier im wald herum musz lau-
fen B. V. Arnim d. buch gehört d. könig i, 147.
c) mannigfach übertragen.
«) unter Währung des ursprünglichen, subjectiven Cha-
rakters der bedeutung; am nächsten liegt die Übertragung
auf träger und sitze des grimms beim menschen, gewöhn-
lich im, sinne acer, atrox, saevus:
der wirt sprach unsuoze,
wan er ein grimmic herze truoc
Lanz. 4453;
eine abscheuliche, bösartige, grimmige seele Herder
3, 184; wirklich geläufig aber nur in wendtmgen wie: wo
er den satan mit grimmigem blicke den göttlichen
weltbau durchirren läszt Lessing 8, 50 M.; man hörte
Mirabeaus harte, grimmige stimme . . . weit durch den
saal Dahlmann gesch. d. frz. rev. 214; weil er das
grimmige gesicht des officiers für tapferkeit hielt Mil-
ler Siegwart {\lll) 2, 480; etwas anders: ein hagerer . .
mann . . mit eckiger stirn und kleinen grimmigen äugen
Storm 2, 264; weiter gern neben Substantiven, die mehr
oder minder bewuszt als bilder oder Substitute persön-
licher loesen genommen werden: auf dem feldwege, der
aus dem walde und aus der schlimmen, der grimmigen
weit gegen ihr' heimathdorf hinlief Raabe Horacker
(1876) 196; so . . werden die wünsche deines Schubarts
von seinem grimmigen Schicksale, wie tauben von stosz-
vögeln, umher getrieben Schubart briefe l, 119; sehr
häufig namentlich von elementen und witterungserschei-
nungen :
wann schon ein grimmiger orcan
zuweilen alle kunst (des Steuermanns) besieget
Haller ged. 111 H. ;
das grimmige meer mare imperversato Jagemann (l799)
544;
wohl stand ich so oft, . . .
umbraust von grimmigen wettern
Herwegh ged. eines lebendigen (1841) 32;
ähnlich auch : an dem tage, wo eingeschlachtet . . wird
gegen den grimmigen winter Jean Paul 3, ii Sempel;
diese subjective färbung der bedeutung tritt überhaupt
in neuerer spräche am stärksten hervor: die Gottschedi-
sche Sprachkunst hat schon mehr solche grimmige
anfalle überstanden Nicolai lit. br. 4, 281;
361
1 GRIMMIG
»GRIMMIG
362
dir ist von dieser wüthenden parthey
der grimmige vertilgungskrieg geschworen
Schiller 12, 453 G.;
selbst neben concretis wie: als nun die sonne . . . durch
Streifnebel gebrochen die grimmigen felsen beleuchtete
Jahrb. d. Grülparzergesellsch. 1, 374.
ß) in älterer spräche vielfach weiter von dem persön-
lichen aiisgangspunkt entfernt und fühlbar objectiver,
severus, crudelis: hertzog Liupold von Osterreich . . .
richtet den griemigen krieg also : schad gen schad, prand
gen prand städtechron. 5, 28, 17; die wilden Teutschen
(haben) ihre kunst in dem grimmigen faustrecht begrün-
det Harsdörfer frauenz. gespräehsp. 2, A 3"; nament-
lich gern von unthaten: seine böse, grimmige, unbarm-
hertzige übelthaten erschollen weit Kirchhof icendunm.
2, 218 lit. ver.; er sich mit fewr oder andern grimmigen
freffel rechen soll Reutter v. Speir kriegsordn. 21;
etwas anders neben begriffen loie: alle Griechen weit
ubertroffen haben an grimmigem ungerechtem leben
Xylander Polybius (1574) 207; heu! was grimmiger
Sitten kommen in das Griechenland Kirchhof wendunm.
2, 15 lit. ver.; auch neben concretis:
der grimmig flam [des blüzes) durchtrang sein hertz
Spreng Äneis 3";
und lasz in mir dein grimmig pfeil
bisz in den tod nicht stecken
Ring WALD handbüchl.
A9b;
dem ersten, den ich seh bey meiner liebsten stehn,
dem sol ein grimmig schwerdt durch leib und seele gehn
Chr. Reuter, Harlequins hochz. schm. v. 65 neudr.
y) am fühlbarsten wird die rein objective bedeutung
schwer, schlimm,, bitter, quälend' neben begriffen wie:
wählet der kenner der höhen und tiefen
lust und entsetzen und grimmige pein
GöTHE 1, 228 Weim. ;
wir sahn's, dich faszt ein grimmig leid
Immermann 15, 59 Hempel;
grimmig war die noth der beiden im streit gegen die
seegespenster G. Freytag 9, 227 ; ähnlich schon in älterer
zeit: ach du fleischliche begierd, . . . wie bist du mir
in einer stunde verkehret und verwandelt, so scharpf
und grimmig geworden? buch d. liebe (i587) 108^;
also die göttlich grimmich straff
dise zwey gar erschröcklich traff
H. Sachs 2, 273 Keller;
auch concreter:
durch beharrlichen fleisz der armut grimmigen stachel
zu versöhnen Mörike 1, 90 Göschen ;
auf derselben linie liegt : allein die grimmige notwendig-
keit zwang ihn, . . . den Hieronymus für ertrunken zu
halten G. Keller 2, 121 ; in älterer spräche gehört hier-
her vornehmlich der zur formel gewordene grimmige tod ;
gelegentlich zwar im sinne eines besonders qualvollen
todes :
her {Christus) leit den grimmigen tot
Hesler apoc. 12924;
wir ime ewern lasterlichen und grimmigen todt ver-
künden werden Aimon (1535) b2''; getoöhnlich aber an-
scheinend einfach der schwere, bittere tod:
sie ilten alle in den grimmigen tot Hol. 272, 18 ;
(sein weib) gab willig ihren jungen leib
für ihn in den grimmigen todt
Spangenberg-Fröreisen griech. dr. 1, 71 lit. ver.
d) das 19. jh. entivickelt die bedeutung saevus, atrox
zu ein paar besonderen Spielarten; öfter von literarischen
erzeugnissen, dem sinne von 'bissig' nahekommend: könn-
ten sie mir nun so ein recht derbes, etwas grimmiges
büchlein über unsre minister schreiben Tieck sehr. 20,
153 ; am morgen, da die grimmige kritik in der zeitung
erschien Laube ges. sehr. 1, 123; weiter, neben gewissen
abstractis, 'wild, verbissen': und machte mich plötzlich
mit so grimmiger entschlossenheit an die arbeit G. Kel-
ler 3, 222; anders, aber ebenso jung: bei mir ist sie
{die Politik) durchaus grimmiger ernst Gentz Schriften
1, 338.
3) in geicissem gegensatz zu l steht ein erst in neue-
rer zeit sich entxoickelnder gebrauch, der beim subst. grimm
ausgeprägter erscheint: das adj. bezeichnet nicht die aus-
brechende, sondern die verhaltene oder versteckte wuth : dasz
er . . nicht ohne grimmige hintergedanken das büszer-
hemd anzog G. Freytag 14, 254; deutlicher und öfter in
fällen wie :
da sah
der feind, mit grimmiger bewundrung, starr
ihm nach ! Lessing 3, 369 M.
in grimmiger beschämung gehn wir heim
H. V. Kleist 2, 25 E. Schmidt;
ähnlich auch: wir empfinden tief und grimmig deine
schmähliche erniedrigung Klinger 10, 278; der erst
miene macht ins wasser zu springen, aber als ihn der
schmied bei der jacke faszt . . ., grimmig das entkom-
men aufgiebt 0. Ludwig ges. sehr. 2, 74; grimmig steckte
der Sammler das bescholtene alterthum wieder an sei-
nen platz Immermann 1, 136 Hempel.
4) ebenfalls erst im 19. jh. breitet sich ein gebrauch
aus, der das adj. mit Worten entgegengesetzter sinnes-
richtung verbindet, wobei der begriff des wilden mehr oder
minder durch den des bitteren oder boshaften gefärbt oder
ersetzt ist: eine freude, wilde grimmige freude . . brach
in geberde und werten heraus G. Freytag 13, 180;
Hackerts antlitz verzog sich zu einem bitter grimmigen
lächeln Gutzkow ritter v. geist l, 131 ; lache dann nicht
mehr so grimmig, dasz die menschen irrlichter sind
Jean Paul Titan 2, Si\ ähnlich au^ch: aber bald verzog
sich dies gesiebt zur graulichen maske, aus der recht
bitterer, grimmiger . . . höhn herauslachte E. Th. A.
Hoffmann 6, 84 Orisebach; schwächer: erwiderte er mit
seinem grimmigen humor y. d. Steinen naturvölker
Zentralbrasiliens 6; das grimmige behagen 0. Jahn Mo-
zart 3, 117.
5) eine ganz neue Sinnesrichtung ergibt sich dadurch,
dasz sich der charakterisierenden bedeutung eine quanti-
tierende beigesellt; auch darin übernimmt grimmig eine
ftinction von grimm (s. d. B 5).
a) am besten läszt sich das einsetzen und allmähliche
erstarken der in« intensive weisenden nebenbedeutung
neben geioissen ausdrücken des affects beobachten: wie
sehr er gegen der jungfrauwen vorhin in liebe entzün-
det, übertrifft doch jetz der gehe und grimmige zorn
solche liebe weit J. Wetzel söhne Giaffers 38 lit. ver.;
wie gros ist der grymmige zorn gottis über die sunde
der gotlosen Luther 15, 125 Weim.;
da krag der römische kaiser
einen groszen grimmigen zorn
Mittler dtsch. volksl. 408:
in grimmigster erzürnung Raabe hungerpastor (1864) 1,
51 ; diese Verbindung mit zorn im älteren nhd. überaus
häufig; erst in jüngerer zeit kommen mehr zur geltung :
in so grimmigen hasz hatte des Artabanus liebe . . sich
verwandlet A. U. v. Braunschweig Octavia l, 75; wenn
es etwas gab, was er tief und grimmig haszte G. Frey-
tag I, 108;
der fürstliche stolze verbeiszet
die grimmige wuth Göthe 3, 5 Weim. ;
aber auch neben anderen begriffen wird der Übergang der
bedeutung 'tvild, wüthend' in eine intensive 'erbittert, hef-
tig, hartnäckig' fühlbar: häfftiger und grimmiger krieg
bellum acre et magnum Maaler 192*; bey allem dem
angebohrnen muthe . . . konnten sie den grimmigen
anfall der Jenjitscheri nicht ausstehn IIaller Usong
(1771) 68; nachdem wir den grimmigstn widerstand ge-
than Schnabel insel Felsenburg l, 44, 4; loie denn über-
haupt der in jüngerer zeit stark zunehmende superlati-
vische gebrauch wesentlich auf die rechnung dieser be-
deutungsentivicklung zu setzen ist; die alte formel grim-
mer feind {s. 0. 2 a) erscheint nunmehr überwiegend in
dieser gestalt, z. b. dasz ein ungeschickter freund oft
mehr schaden thut als der grimmigste feind Göthe
IV 31 , 2 ; so entsteht daher die grimmigste feindschaft
der . . . Vernunft gegen den erlöser Jung -Stilling
3, 43,
363
2 GRIMMIG - GRIMMIGKEIT
GRIMMIGKEIT
364
b) reiner tritt das intensitätsmoment heraus in der
alten uendung grimme kälte: die hund pflegen zu wü-
ten ... in ... schärfster grimmiger kalt im winter
Sebiz feldbau (1579) 147; die gröszte hitze in der einen
weltgegend und die grimmigste kälte in der andern
Hebel 2, 45 Behaghel; der entsprechende adverbiale ge-
brauch scheint jünger: noch dazu war es im damaligen
Winter grimmig kalt Rabener sämtl. icerke 8,48; H. Sachs
sagt statt dessen:
nun war es gar grimmig und kalt
9, 180 Keller;
wie bei grimm (s. d. 5 b) iceisen auch hier die belege we-
nigstens der älteren zeit übericiegend ins südwestl. Deutsch-
land; dort noch heute im dialect, s. Staub-Tobler 2,
734; Fischer schwäb. 3, 838; s. u. c; dazu dann mancher-
lei ableger: den grimmigen frost unseres winters Prä-
tori US winterflucht (1678) 304;
und grimmig begann es zu frieren
GÖTHE 50,155 W.;
es war grimmig frisch Ulr. Bräker sämtl. sehr. 2, 89;
unter dem einflusz der grimmigen kälte mögen auch fälle
stehen wie: er ging in den grimmigen regen hinaus
GÖTHE 33, 111 Weim.; es war ein grimmiger wind iii l,
108; weiter häufig neben begriffen, die ein tmlustempfin-
den ausdrücken: grimmige Zahnschmerzen Gutzkow 5,
194; das grimmigste kopfweh G. Keller 5, 58; da faszte
den jungen gesellen grimmiges heimweh Frenssen
Jörn Uhl (1902) 140; man musz aber grimmigen hunger
haben Göthe 45, 79 Weim.; den grimmigen durst des
eigenwillens . . kühlen Schopenhauer i, 500 Grisebach.
c) am stärksten hat sich das intensitätsmoment bei
adverbialem gebrauch ausgewirkt, wo die bedeutung schliesz-
lieh beim reinen quantitätsbegriff endet; im älteren nhd.
pflegt die ursprüngl. bedeutung noch vorzuwiegen:
soll uns dann gott nit grimmig plagen
H. Sachs 1, 193 Keller;
die itzund grimig schreien,
wens auf der cantzel stan,
mort über die ketzereien
bergreihen 56 neudr. :
dagegen: ich setzte mich . . hinter den letztern (spieler),
der schon grimmig im Verluste war H. L. Wagner
theaterst. (1779) 51; grimmig obacht ge« Staub-Tobler
2, 734; auch beim adj. zunächst in fällen wie: grimmig
zornig seyn esser' infuriato Kramer teutsch-ital. l, 565";
ich ward grimmig böse über den grobian Laukhard
leben u. Schicksale 2, 22;
du hast's verdient, es geht dir
»rimmig schlecht
JÖTHE 15, 326 Weim.;
sie hat ja recht, ich that ihr grimmig weh
Hebbel i i, 282;
aber auch:
der mensch ist grimmig reich
KoTZEBUE 7, 178;
der nam' ist grimmig wunderschön
Baggesen poet. werke 3, 273;
so noch heute in den maa.: grimmig recht war 's-mer
u. dgl. Staub-Tobler 2, 734; grimmig dül, kold, hgt u.a.
DOORNKAAT-KOOLMAN 1, 686.
2 GRIMMIG, adj., an bauchgrimmen leidend: eier in
essich hert gekocht werdend mit pfäffer dem grimmigen
zu ässen gegeben Heusslin Gesners vogelbuch (i557) 98 '' ;
vgl. 2 grimmen.
GRIMMIGEN, vb., erzürnen, ganz seltene causativ-
bildung zu ^ grimmig: dar umb so bedunckt mich, daz
er von uns syge ze gütigen mit diensten . . und nit ze
verachten noch ze grimigen mit widerspennikait Nicl.
V. Wtle translat. 146 lit. ver.
GRIMMIGKEIT, /., in bedeutung und gebrauch mit
dem subst. grimm im ganzen identisch; im älteren nhd.
recht häufig, seit dem 18. jh. nur noch selten; Hm hoch-
deutschen ungewöhnlich' Adelung unter grimmig; vgl.
auch grimmheit.
l) zunächst furor Diefenbagh 253'=; furia 853^; se-
vitia 531"; mit einem nachklingen der grundbedeutung
von grimm: er begundte . . . vor grimmigkeit die zän
auff einander beissen buch d. liebe (1587) 274*;
er hängt den schweif, zieht mich am kleid
und bleckt die zahn voll grimmigkeit
Brentano 2, 82;
dem begriff des zorns sich nähernd:
das sie ausz groszer grimmigkeit
stoszt ausz so unbescheidne wort
Spangenberg-Fröreisen griech. dramen 2,287;
er (hat) die kauffer und verkauffer mit grosser grimmig-
keit vertrieben . . . ausz dem tempel Aeg. Albebtinus
zeitkürzer (1603) 28''; vielfach mit zorn verbunden:
Unfalo wolt nit mer fragen
aus rechtem zorn und grimigkeit
Teuerdank 126, 43 Oödekc ;
in grosser grimmigkeit und in harten zorn buch d. liebe
(1587) 273".
2) zumeist mehr dauernde eigenschaft als momentaner
zustand.
a) atrocitas Diefenbagh 58"; ferocitas 231»; feralitas
nov. gl. 170";
daz rede ich doch dar umbe niht,
daz ich entsitze ir {der Griechen) grimmekeit
KONR. V. Würzburg troj. 18723;
lotterbüben und spilleüt, die sein grimmigkeyt erwey-
chen mögen {quae feritatem eius emolliant) Mich. Herr
sittl. Zuchtbücher (l536) 50"; häuflg von thieren: aber er
(der leopard) wirt nümmer so zam, daz er seiner grim-
michait vergezz Konr. v. Megenberg buch d. natur
145, 18; des löwens grimmigkeit Henrici ernst-, scherzh.
u. sat. ged. 4, 104; vielfach nuanciert: austeritas Diefen-
bagh es*; torvitas 590»; livor 334"; asperitudo nov. gl.
38"; immanitas 210"; grimmigkheit, stoltze, hochmut,
Übermut, ferocia. ferocitas Henisch 1744; im ältesten
beleg im sinne 'bosheit' : in grimicheite han ich gesun-
det Graff 4, 325; gern als 'härte, strenge': severitas
Diefenbagh 531"; der fürst kert sich von dem stül der
erbärmd zu dem sitz der grymmikeit buch d. beispiele
19 lit. ver.; es herschen auch die lang und sicher, die
da nit die forcht von irer grimmigkeit wegen, sonder
die lieb irer gütigkait halb iren burgern eingiessen
H. Boner Herodian (1582) 2"; nicht minder häufig für
'grausamkeit' : ez ist ain grimmichait, daz wir unser
prüeder twingen in unser dienst Konr. v. Megenberg
buch d. natur 492, 9; er hatt ein lust und wolgefallen
an grimmigkeit pro deliciis crudelitas Uli fuit Frisius
diction. (1556) 1059"; aber die türkische grimmigkeit und
zitische grausamkeit seiner feinde war so eisern Zesen
verschmähete majestät (1661) 172 ; auch concreier 'grausame
that' : ich . . . dancken dyr . . . der grymmikeit so sy
an dyr begiengent der ew. wiszheit betbüchl. (1518) 116";
pluralisch: die arme Christenheit empfand die grimmig-
keiten des Wüterichs so hart, als nie vor diesen zelten
Treuer dtsch. Dädalus l, 372.
b) seltener in einer mehr objectiven Verwendung, 'schreck-
lichkeit, härte, pein' :
daz her {Christus) die selben quäle
des todes in der grimmekeit
von sinem willen ie geleit
Hesler apoc. 1093;
ich zittre zwar, wenn ich bedenke
der bittren marter grimmigkeit
MÜHLPFORT teutsche ged. 52;
auch in der Verbindung mit tod scheint das subst. m^ist
so empfunden: in forhten sin uf die grimmekeit des
gemeinen dodes Schmidt elsäss. 155" {aus pred. des
14. jhs.); das wir der grimmigkait des todts entflohen
Schaidenreiszer Odyssea (1537) 35"; freilich auch, bei
personiflciertem tod, im, sinne von a: daz sie ihm {dem
tod) aber in die ander band mahlen ein hacken, spa-
ten, heil oder spiesz, damit zielen sie auff des todes
grimmigkeit Prätorius hundert auserlesene abdankungen
(1663) 898.
8) wie grimm auch mit quantitierender bedeutung,
'heftigkeit' : grimmigkeit der schlacht Amadis 24, 544-;
365
GRIMMIGLICH - GRIMMKALT
GRIMMKLAUE — GRIMMSAUER
366
noch deutlicher: grimmigkeit der hitze Jag. Böhme wor-
genröte 2; bis ihm endlicli die grimmigkeit der kälte
die beine umbfressen Prätoriüs winterflucht d. sommer-
Vögel (1678) 380; die krankheit sei diesmal von einer er-
schrecklichen grimmigkeit Laube ges. sehr. 14, 253.
GRIMMIGLICH, lis ins 19. jh. nicht selten aU adv.
zu grimmig gebraucht; dem mhd. auch als adj. ganz ge-
läufig, s. mhd. wb. 1, 574"; Lexer 1, 1085.
1) zunächst in der bedeutung 'wütend': seve Diefen-
BAGH 581 '»; also grimmigklich schreyet er {der papst),
also tobt und wütet er Hütten opera i, 884 Böching ;
und so raste dieses wüthen auf sich selber grimmiglich
ScHÖNAic» Heinr. d. vogler 99;
meist mehr oder minder durch den begriff des zomes
gefärbt:
do ward der held Seyfride
so grimmigklich gemüt
hürn. Seyfr. 20 neudr.;
Reymund sähe sein . . frauwen grimmiglichen und zornig-
lich . . an buch d. liebe 275*; einmal brachte ihm Züseli
. . . rothen wein, da begehrte er über die Verschwen-
dung grimmiglich auf Gotthelf ges. sehr. lO, 219.
2) häufiger, zumal im älteren nhd., im sinne atrociter
Diefenbagh 58"; ferebunde gemma gemm. (1508) ll*»;
weit aber ihn nit gar erstechen
oder ihn grimmigklich erschlagen
Sandrub higt. u. poet. kurzweil 121, 31 neudr.;
welcher ... die leute gantz grimmiglich fresse Präto-
riüs anthropodemus pluton, 1,21;
vor hat der rauhe winter sich
an uns erzeiget grimmiglich
Opitz teutsche poevi. 50 neudr.;
oder severe, severiter Diefenbagh 581''; crudeliter Cale-
PINUS XI ling. (1598) 352"; (er) herschet grymmiklich über
dich A. V. Eyb spiegel d. sitten (l5U) J s"*; sie würden
nicht wissen, wie grimmiglich sie sich wiederumb an
euch rechnen solte schausp. engl, comöd. 28, 37 Creize-
nach.
3) nicht selten auch mit dem quantitierenden sinne des
adj.; so schon mhd. häufiger, z. b.:
da wider hat er {das kind Achilles) keine wer,
wan er so grimmenclichen slief,
daz er sich zuo dem wäge tief
lie dinsen üz der clüse
KoNR. V. Würzburg troj. 13983;
verzagte hertzen mügen sich
förchten für dem tod grimmiglich
J. Ammann charta lusoria (1588) G3;
(als Agamemnon) sich
thet mit Achille grimmiglich
entzweyen und erzürnen heiftig
Spreng Utas 1»;
nach Oswitz . . ., wo es grimmiglich regnete Eichen-
dorf 11, 18 Kosch-Sauer.
GRIMMISCH, adj., ein schwächeres grimmig; grim-
misch, ingrimmisch eolerico, rabbiosetto, furiosetto Kra-
mer teutsch-ital. i, 565"; die unsinnigen rosz sehen mit
den äugen gar grimmisch und vorkeren dieselb Zeghen-
DORFER zwei bücher v. gebrechen d. rosz (l57l) 2, 52;
wie sich die kinder und gesind
so grimmisch und gröppisch machen itzUnd !
Grosz-Löhichauer weihnachtsspiel, zs. d. ver.
f. thür. gesch. 6, 273.
GRIMMKALT, adj., eine alte obd., bis in die neuere
zeit übliche zusammenrückung:
nun war es ein grim-kalte nacht
H. Sachs 9, 443 Keller;
dem . . . kriegshör, wie es solte das grosse und grimm-
kalte gebürge übersteigen Sebiz feldbau (1579) 887; im
grimmkalten winter Auerbach sehr. 10, 73; bis zum
ende des 16. jh. überwiegend getrennt geschrieben und
zuweilen deutlich als adv. -^ adj. empfunden: den neeh-
sten tag darnach do was es grimm kalt städtechron. l,
395; perfrigidus grimm kalt, hefftig kalt Calepinus xi
ling. (1598) 1059 *>; deshalb gelegentlich auch: zu dem war
es gar grimme kalt Hertzog schiltwache Y.^ ; vereinzelt
wann es gar . . . grimmen kalt ist Sebiz feldbau (1579)
147. — grimmklaue: 'bcpus scythicus, . . . fera quae
in ultima Scandinavia . . . reperitur, quam Olaus Ma
gnus . . depinxit, appellat autem germanico nomine grim-
klaw, ab unguium acie, quod Ulis praecipue saeviat'
Bas. Faber thes. (1587) lOOl*; ^vohl zu 2 grimmen =
krimmen. — grimmkraut, n., senecio vulgaris, kreuz-
wurz: herba torminalis, ad tormina enim ventris se-
danda efficax Pancovius (1673) 372; daher auch grim-
menkraut Erhart öcon. pflanzenhist. (1753 jf.) register (im
textl, 130 grimmkraut); Pritzel-Jessen 374. — grimm-
lachen, vb., nd. wort: 'ein verstelltes lächeln blicken
lassen; aus bitterm zorn und lust zur räche lächeln'
brem. xcb. 2, 542; lächeln 'als zeichen des innern verbis-
senen zomes' Campe unter lächeln i; vgl. Doornkaat-
Koolman 1, 685'»; ein verzerrtes lächeln wird grinsen,
und das lachen wilder empörter leidenschaften, wie des
hasses und groUs, bricht in grimmlachen aus F. L. Jahn
1, 105 Euler; aber nicht notwendig in einem, ungünstigen
sinn, sondern auch für 'freundlich lächeln' : im gründe
wollten sie der jungen frau krazfussen und grihm-
lachen Hermes für eitern und ehelustige 5, 172; beide
bedeutungen auch im nl., woordenb. der nederl. taal
5, 776.
GRIMMLICH, adj. adv., schon ahd. ein paar mal:
crimlih crudelis, grimlicho, crimlicho crueiiter, deterrime,
compar. grimlichor sevius Graff 4, 325; mhd. erst in
der Spätzeit öfter, bei Konr. v. Würzburg und jüngeren
Lexer l, 1085; nhd. nur noch selten und, wie schon in den
älteren epochen, icesentlich auf alem. baden (vgl. grimm-
heit); vereinzelt auch gelängt: grimmenlich Diefenbagh-
WOlcker hoch- u. nd. wb. 685; als adj.: grimmlich sevus
gemma gemm. (1508) Zb^; crudelis g 3'' ; torvus C 4* ; barba-
»•msDief. 68"; literarische belege sind rar : ist auch also
mit schrecklichem, grimlichem geschrei dahin gefaren
M. Chr. Irenäus spiegel d. hellen (1588) 20"; mit grimb-
lichen, nicht lustigen gemüth Guarinonius greuel d.
vericüstung (l610) 1191; häufiger als adv.: atrociter gemma
gemm. (1508) C 2"; ferociter k 2"; fremebunde Diefen-
bagh 246"; severe, severiter 531"; torve 590''; austere
ml. hd. böhm. wb. 46; in ussprechung sol der redende
... nit grimmlich grissgramende . . . reden Riederer
spiegel d. wahren rhet. (1493) a4"; begund pabst Cle-
mens der IV. grimmlich wider keiser Ludwigen ze wüten
TscHUDi chron. helv. i, 372; ich . . . danck dir, . . . das
du . . . dich also grimlich liest schlagen d. ew. wiszheit
betbüchl. (1518) 117*; so grimlich kan man sich ouch
in irrtumb und aberglouben bestricken J. v. Watt l, 77
da war es so grymlichen kalt Seb. Fischer Ulmer chron
78; auch nd.: grymmelk /ertts Diefenbagh nov. gl. 172*
Sghiller-Lübben 2, 147*; ebenso ags. grimlik, afries
grimlik. dazu grimmlichkeit, /., atroeitas Diefen
BACH 58*; crudelitas 159"; severitas 531 ". — grimm
ling, m., 'reizbarer, aufbrausender mensch' Vnger-Khv Li.
307; wodurch solche neidharte und grimmlinge am besten
ertauben Schottel ethica (l669) 160. — grimmütig,
adj.: nit bis ein freund des zornigen menschen, noch
gee mit dem grimmütigen man bibel (l483) 303*, spr.
Sal. 22, 24. — grimmnis, /., erbitterung: das alle Un-
willen, fehde und gremmenysse . . gancz tod und abe
seyn lehnsurk. u. besitzurk. Schlesiens l, 433 (a. d. j. 1452) ;
grimmnis /cMmmer, sor^re Unger-Khull 307". — grimm-
öl, s. grimmenöl. — grimmsal, n., scheusal, wider-
liches geschick Sallmann neue beitr. z. dtsch. ma. in
Estland 66; zorn, kummer. heimlicher gram Unger-
Khull 307"; dazti grimmsälig bekümmert, vergrämt ib.
— grimmsam, adj., = grimmig, ganz selten: man
mag wol nach streitt oder grümsamen saehen fragen
Hartlieb buch aller verbot, kunst (1456) 53; du waist,
wie grimsam falsch und gyttig gewesen ist Hanibal
NiCL. V. Wyle translat. 241, 27 lit. ver. — grimm -
sauer, adj.:
da soll ich nun
hier sitzen, soll mit eines protocolles
grimmsaurem nachgeschmack mein jugendfest
beschlieszen Fr. Halm werke 6, 27;
367 GRIMMSCHAFT — GRIMMZORNIG
vgl. grimmbitter. — grimmschaft, /., erbüterung:
von dannen her . . haben die romanisten ein solliche
grimmschaft gegen mir genomen Hütten opera l, 379
Böcking; nd. häufiger, s. ScHiLLER-LüBBen 2, 147». —
grimmscharf, adj.:
werdn etlich leut geboren da, ■
haben ein grimmscharpf katzengsicht,
bey der nacht gsehen ohn ein liecht
H. Sachs 16, 202 Keller-Götze.
GRIMM SICHTIG, adj., torvua Dasypodius (1536) 339«;
crudelis ungehewr, grimmsichtig, scheutzlich Schöpfer
syn. (1550) b 7"; der grimmsichtige tod la morte fiera,
grimmsichtige äugen occhi crudeli, niinaccianti Kramer
teutsch.-ital. 1, 565*, wo offenbar sieht aubst. als zweiter
compositio7isbestandtheil angenommen wird; eher ist an
den mit s-suffix ertoeiterten stamm zu denken («. u. grim-
sen), an den ableitendes -ehtic getreten ist, s. Wilmanns
2, 466; in form u. gehrauch mit grimmsüchtig (*. d.)
durcheinandergeraten: die menschen ... zu letst . . .
ein störrige, grimmsüchtige, hartneckige natur bekom-
men Heyden Plinius 31 (in rigorem quendam torvita-
temque naturae duram et inflexibilem hist. nat. 7, 19,
79); vom benehmen beim tanze: der dreyzehendt ist . . .
grimsichtig wie ein mausz in der kindtlbeth Alber-
TINUS hauspol. (1602) 2, 144^, offenbar 'mürrisch, gallig',
vgl. kindbett ic; dazu grimmsichtigkeit,/., torvitas
Dasypodius (i536) 339"; Calepinus xi ling. (i598) 1475".
— grimmsinnig, adj., Fisch art geschichtklitt. 103
neudr. — grimm sucht, /., wut:
die grimsucht het ihn gar besessen,
rhumoi't umb unter dem gesind
H. Sachs 9, 299 Keller.
— grimmsüchtig, adj., biliosus: (sich zu erbrechen) ist
aber nutz denen, die wol bei leib seind und die grimm-
süchtig und zu vil galles haben (utilis plenis et biliosis)
Khüffner Celsus (I53i) 3'»; formal mit grimmsichtig
(s. d.) vermengt: dessen hast du hier zu land allent-
halben . . exemplen an unsern grimmsichtigen Guari-
NONius greuel d. Verwüstung (1610) 667. — grimmung,
/.; grimmunge furor Jelinek mhd. wb. aus Böhmen 332
{aus d. Wenzelbibel) ; fremor, fremitus gemma gemm. (l508)
1 1 •> ; auch = krimmung : grimmung tortis (i. e. tortura,
formen) Diefenbach 589«.
GRIMMVOLL, adj., namentlich im späteren 18. zmd in
der ersten hälfte des 19. jhs. nicht selten, vgl. Campe,
Heinsius; die bedeutung schwankt entsprechend dem
grundwort: wurde dannenhero die Bellona für eine zorn-
und grimmsvolle göttin von den alten gehalten Sand-
rart iconologia deorum (1680) 128'';
keine güllotine war da.
grimmvoll entschlosz er sich eine zu baun
Klopstock Oden 2, 115 M.-P.;
die räche eines siegreichen und grimmvollen feindes
Zschokke sämtl. ausgew. sehr. 36, 235; einen grimm-
vollen blick auf den ritter schieszend Wieland (1853)
19, 187; mit grimmvoller stimme gab er nun befehle
0. Ludwig ges. sehr, l, 347; adverbiell:
da heult er plötzlich grimmvoll auf
FouQUE altsächs. bildersaal 1, 110.
— grimmwurz, /., dentaria pentaphyllos Nemnich
wb. d. naturgesch. 210; d. enneaphyllos Pritzel-Jessen
132; vgl. Unger-Khull SO?*». — grimmwütig, adj.:
desz ist in grimmwütigem zorn
der könig H. Sachs 20, 148 Keller-Götze.
— grimm zorn, m.: weil er eben auch den grimm-
zorn gegen den rittmeister hatte wie wir Auerbach 18,
167; im älteren nhd. gelegentlich grimmenzorn:
sein grimmenzorn in kurtzer frist
auff Israel angangen ist
Kehrein Urchenl. 3, 264 str. 14,
vgl. 265 slr. 24; 282 str. 7. — grimmzornig, adj., im
wesentlichen auf das alem. gebiet beschränkt; es ist eine
zusammenrückung von adverbialem grimm und zornig
{vgl. igrimm B 5 c) : da er nu hört, dasz sie gäntzlich
beschlossen, sich ... zu widersetzen, ward er grimm
GRIMPE-i GRIND
368
zornig buch d. liebe 218''; aber frühzeitig als composi-
tum empfunden:
schlugen und hawten ihn todtwund . . .
und haben grimmzornig zu räch
nacket ausszogen H. Sachs 15, 489 Kcller-Götzc;
dem grimzornigen Achille Eppendorf kriegsühung (l55i)
SO*»; öfter bei Auerbach: mein mann war grimmzor-
nig neues leben (1871) 2, 168; vgl. sehr. {I8d2ff.) 11, 198;
16, 198.
GRIMPE, /., (auch m.?), cyprinus gobio Nemnich
wb. d. naturgesch. 210; gobio fluviatilis Brehm thierl. 8,
256 Pechuel- Lösche; derselbe fisch, der sonst kresse, gründ-
ling heiszt, s. d.; nd. bezeichnung, vgl. brem. wb. 2, 543.
GRIMPEL, m., ein fiach, cyprinus pkoxinus Nemnich
wb. d. naturgesch. 210; leuciscus phoxinus Brehm thierl.
8, 265 Pechuel- Lösche ; nach Oken 6, 292 westfäl.; vgl.
elderze th. 3, 403.
GRIMPEN, n., ein kartenspiel, jouer ä la grimpe Duez
nom. (1652) 162.
GRIMSEN, vb., jammern, schreiend klagen : sie schrei-
ete und grimsete Unger-Khull 307^ (quelle von 1724);
es ist das ahd. grimmisön saevire Graff 4, 325/.; ge-
legentlich atich unter anlehnung an 2 grimmen 1 b (vgl.
1 grimmen 4) unpersönlich: 'bösen, wurmen': wie wirds
dem kerl so innerlich grimsen, dasz du so fromm und
er so gottlos ist Hertzberg Eulenspiegel l, 172; dazu
adj. grimsig:
und sprach in grimsigem laid
d. maget cröne 135 •> Zingerle;
'Verstärkung zu grimmig' Müller-Fraureuth 1,442;
tceitergebildet grimstig brem. xvb. 2, 543 ; vgl. gramstig ib. ;
auch subst. grimsigkeit:
dö kam er in grimsikait
d. maget cröne 136'';
im ags. entspricht grimsian saevire, grimsung Bosworth-
Toller 489.
1 GRIND, m., aand, schorf, köpf; die bedeutungen l u. 2
gehören zweifellos zusammen und rücken das wort neben
ags. grindan mahlen und germ. granda- grobsand Fick
*3, 140,- nicht ebenso sicher ist, ob grind köpf zur selben
Wurzel gehört, nicht wegen der bedeutungsentwicklung,
die keine schioierigkeiten macht (s. u. 3), sondern weil
grint als bergname im obd. früh bezeugt (Graff 4, 330)
und iveit verbreitet ist, was die bedeutung 'köpf als sehr
alt erscheinen läszt; vgl. Staub-Tobler 2, 763; Fischer
Schwab. 3,839; Bück ßurnameiib. 91 ; gelegentlich neutr.
ViLMAR 187 (ebenso im mnl., s. u. l); im obd. stellen-
?i'eise/em. Unger-Khull 307; Bacher iitsern 263; öfter
als gründ Behrend hautkrankh. (1839) 5; Luther *. u.
2 a ; auch grund (wesentlich nd.) : prurigo grint, grünt
Diefenbach 469''; scabiea grund 515"; scabiosus \ol grund
514 <=; grund (oldenburg.) Höfler krankheitsnamenb. 202'*.
1) sand, kies; auszerhalb des ndfr. nur in spuren zu
belegen: in grente (i über dem ersten e) in argillosa
(terra) Graff 4, 330 (ll. jh.) ; also den grint des meres
(sicut arenam maris ps. 77, 27) Trierer interlinearvers.
d. psalm., Graff 364 ; salictum i. alluvius, insula grynt,
wardt Diefenbach 508" (ndrh., 1475); grind an strömen,
grober triebsand Jacobsson technol. wb. 2, 153'', vermuth-
lich atts westd. quelle; im mnl. als grinde /. und grint
n. voll lebendig Verwijs-Verdam 2, 2143; 'name einer
Stadtgegend bei Marburg, jetzt einer strasze längs der
Lahn' (heute in grün umgedeutet) Vilmar 137/. m,it wei-
teren nachweisen; 'kies . ., kleine kiesel oder auch son-
stige kleine harte, scharf und rauh anzufühlende, bz.
unter den zahnen knirschende körperchen' Doornkaat-
KoOLMAN 1, 686; im nl. 'gries, feine grütze' und so
gelegentlich auch auf 7id. baden: ob es denn nicht
besser wäre, gesunder und saftreicher speisen zu ge-
nieszen als grind und saufleisch Kosegarten rJiap-
sodieen 8, 239.
2) hautausschlag, hautkrankheit; das körnige, borkige
gewisser ausschlage hat diese bedeutungsentwicklung ver-
anlaszt.
369
1 GRIND
1 GRIND
370
a) zunächst von dem einzelnen ausschlug oder schorf:
crint pustule Graff i, 330; paptda Diefenbach ml. hd.
böhm. ivb. 201; livor gloss. 334''; ein roter grint, plater
o. wertz papula nov. gl. 279^ {doch scheint roter gr. auch
eine bestimmte hautkrankheit zu bezeichnen, s. b) ; pruritus
grint, schorp 307"; vulneris crusta der rupf auf einer
wunden, der grind Corvinus fons latin. 1022; 'die harte
rinde, icelche nach einem geschwüre zurückbleibt' Ade-
lung; wie man einen gründt abkratzt Luther 12, 591
Weim.; streue . . . kalck hinein (iii d. wunde), das . . .
macht eine crustam, das ist ein harten grind auf den
schaden Walther pferde- u. Viehzucht (1658) 55; natür-
lich auch im plural: grinder . . chirurgi appellant duros
quosdam cortices, quibus vulnera ulcerave obducunlur
Reyher thes. (1668) l, 1558; es worden mit ersten breite
blättern, dar noch worden sy breite grinder und rochen
sere ubele Stolle thür. chron. 185; so hat disz haupt
. . . auch seine schupen und grinde, leuse und nisse
gehabt Mathesius Sarepta (l57l) 83*.
b) zumeist aber, wie schon in dem ältesten beleg, von
der krankhdt als solcher: pilos in album mutatos colo-
rem, ut %xini facit Graff i:, 330 {8.— 9.jh.); und zwar
umgreift das wort nam,entlich in älterer spräche sehr
verschiedene hautkrankheiten des menschen: diewyl viler-
lei gattig des grinds sind, so ist kein wunder, dass die
arznei darfür auch unglych sind Staub -Tobler 2, 759
{quelle von 1588); das lassen auch die glossierunqen er-
kennen: impetigo, alopicia Graff i, 330; achores Diefen-
bach 10"; petigo 432*; prurigo i&9^ ; tinea ^ii"; serpedo
nov. gl. 336*^; porrigo erbgrind; achor fliessend häupt-
grind; favus, cerion gelbfeuchtende häuptgrind Orsaeus
235; gangroina der alten odder ungesunden leut grindt,
der sich schwerlich heyin leszt . . ., mit erst wirt er
weisz, darnach schwartz, und das fleysch fült nichts
Alberus dict. (l540) ß9*; in moderner ma. stellenweise
= krebs, lux. ma. (1906) 151; öfter mit kratze «. raude
in parallele gesetzt: glabrio grind, kretz, rawde Diefen-
bach 264*; scrabera gryndt, rawde 520"; wie herr Me-
lanchthon hat zu sagen pflegen, ein studente dreyerley
kranckheiten habe als armuth, grind oder kratze und
rotz d. wohlgeplagte priester (1695) 44; im pfülz. = kratze
Autenrieth 56; attribute scheiden bestimmte arten:
roth grinth vel vi&rczoien papula Diefenbach 411''; vgl.
rothgrund heiszt jeder bösartiger, nicht zu heilender , .
borkenloser ausschlag Goldsghmidt Volksmedizin im
nordwestl. Deutschi. 184; scharpffer gryndt claber Die-
fenbach 125*; grosz grint morphea 868''; der spitze
grind = kratze Crecelius 437; schwerende grinde Petr.
de Crescentiis (1493) 8*; fliessender grind Hohberg
georg. 3,402''; nasser, fliessender grind Kramer teutsch.-
ital. 1, 566*; der dürre grint pupnla Diefenbach 473<=;
der trockene grind furfuratio Blancard med. %vb. (1710)
281; =^ flechte Adelung; schebigter grind Luther 34, l,
524 Weim.; ein . . . gelbes fleckelein (auf teutsch fran-
tzosen oder schebichten grind) Prätori us abenthetierl.
glückstopf (1669) 436 ; im selben sinne : ein frantzösisch
grind Logau sinnged. 430 Ut. ver.; besonders böser grind,
in neuerer zeit speciell im sinne von erbgrind (*. d.)
Blancard arzneiw. wb. (1788) 3, 211''; es ist der böse
grind, der aussatz am köpf oder harte Mendelssohn
ges. sehr. 7, 259; früher anscheinend auch allgemeiner:
ccntagium bosir grint Diefenbach nov. gl. lio*"; caco-
ethes . . . ein bösz gschwär das kaum . . . zeheilen ist,
als kräbs und böse grind Frisius (1556) 167''; wiltu
heylen den bösen grind an dem leyb Tollat v. Va-
chenberg marg. med. (1516) 16*; tvo bloszes grind ap-
pellativ gebraucht wird, ist in der regel der kopfgrind
gemeint, in älterer zeit eine der gewöhnlichsten krank-
heiien: zukt er im daz piret von synem köpf und sieht
daz er den grind hat Steinhöwel Äsop 316 Ut. ver.;
wir brauchen es . . . für grindt und leüsz Braun-
schweig ehirurgia (i5S9) 111 ^ ; auch als kinderkrankheit
oft erwähnt: lattime . . . der grind oder kratze, so die
jungen kindlein gemeiniglich auff dem haupt bekommen
HuLSius (1618) 2, 221»; diese bedeutung ist noch heute
u-eiihin in den maa. lebendig; daneben aber bis in die
IV. 1. 6.
neuere zeit auch als ausschlag schlechthin: Judei omnem
grind, schebicht, gnetzig dixerunt lepram Luther 12,
664 Weim.;
und kratzen all weg iren grind,
die reudig oder krätzig sind
Scheit Orob. 4919 neudr.;
und sind über und über im gantzen gesiebte voller
blasen und grind geworden Chr. Reuter Schlamp,
krankh. u. tod 100 ndr.
' c) zahlreiche sprichicörter u. redensarten bezeugen, wie
verbreitet zumal der kopfgrind in früheren Zeiten war:
wen die lausz in grindt kompt, als man spricht, so wird
sie stoltz Luther 14, 358 Weim.; man darf nicht leusz
in peltz oder in gründ setzen, sie wachsen wol selbst
drin Henisgh 1746; gerade die Verbindung von grind
und laus ist sehr gewöhnlich, s. th. 6, 351 unten; der
malefizkerl! man wird ihm 'nmal den grind herunter-
fegen ihn schinden Schubart leb. und gesinn. 2,l4i;
einem den grind lausen 'einen wacker ausschänden'
Aler dict. 1, 982''; wenn man dem narren seinen grind
nicht laust, so meint er, er sey der gelehrteste Petri
d. Teutschen tceisheit (1604) C cc 6''; im sinne 'schnell
mit eticas fertig werden' :
wer seglen kan mit allem windt
und lusen oben hin im grindt
Murner geheimem. 53 neudr. ;
'sauer sehen': er sihet als wolt er grind schweren {l.
schmeren?) Seb. Franck sjrüchwörter (l54i) 2, 62*; es
ist noch wäre, were grint streit, der hat sölichen lone
Arigo decameron 574, 9 Ut. ver.; wer wird einen frem-
den grind kratzen? Wander 2, 137; grind, unflat, leuse
und flöhe sind des faulen tägliche geste Petri Gg6*;
gesellen sitten und grind erben Ff 3*; lausiger grind
beisset durch M m4''; grind oder schorf lehrt klawen
Gg6*; wo grind ist, da ist jucken Stieler 704; zu
einem bösen grind gehört eine scharfe lauge Kirch-
hofer Schweiz, sprüchwörter 243 ; wer die reud fircht, der
findt den grind Henisch 1746; seinen grind an jemand
reiben pei-vertirlo col suo cattivo esempio Kram er teutseh-
ital. 1, 566*; der hat alle grind im leib ist ein durch-
triebener kerl Wander 2, 137; in vertvünschungen :
du grobes rindt, hab dir den grindt !
Jag. Hartlieb de flde meretr. 104;
der grind soll ihm über den köpf fahren! Wander 2,
137*.
d) seltener von haut- und haarkrankheiten der thiere:
für den gryndt des habichs Mynsinger von den falken
43; für die raude, grind und schuppen derer hunde
V. Fleming vollkomm, teutscher jäger (1719) 193; so sich
einer befürchtet, dasz die schafe den grind bekommen
möchten Mich. Böhme vieharznei (1682) 19; welches ross
gründig oder reudig ist, dem schür das haar ab, da der
grind ist Seütter hippiatria 243.
e) endlich auch 'knorrige, borkige ivucherung, misz-
bildung an bäumen' Staub-Tobler 2, 760; zeigen die
kranken stellen {der angefressenen kiefer) schorf, grind
und harzpusteln Ratzeburg loaldverderbnis l, 198; wei-
ter ist gr. auch das kleine mües auf dem boden und
an denen bäumen Heppe wohlred. jäger 153*^; vgl. den
beleg atcs Heppe unter lehde l, th. 6, 537; im schtoeiz,
als eigenname für cuscuta epilinum, ßachsseide Pritzel-
Jessen 122; für die ist dort kein platz, so wenig als
für klee, wenn der grind einreiszt Staub-Tobler 2, 760
{quelle von 1842); vgl. 763.
3) köpf von der bedeutung 2 b, kopfgrind, aus un-
schwer zu verstehen.
a) zunächst von menschen; schon mhd. bezeugt, Lexer
1, 1087; namentlich im älteren nhd. ungemein häufig, zu-
mal in alem. quellen; meist mehr oder minder scheltend
oder verächtlich, was entschieden für anknüpfung an 2 b
spricht:
was gat uns denn Christus an
und Petrus mit dem glatzeten grind
N. Manuel 64, 861 Bächtold:
pfuy dasz man dir nicht die fleischsuppe über den grind
herab giessen soll Weise d. drei ärgsten erznarren 59
24
371
1 GRIND
2 GRIND — GRINDEL
372
neudr.; hast aber recht, was brauch' ich dem kerl da
erst über'n grind z'fahren? Anzengruber l, 264; wenn
das kalb, der gerichtspräsident, da wäre, an den grind
hinan sagte ich es ihm Gotthelf ll, S96, mit beson-
derer Vorliebe in Wendungen loie: das ich dich nicht
über den grint slahe Arigo decam. 526, 80 lit. ver.;
ich wolt dir dfaust an grindt baldt schlagen
H. Sachs 14, 30 Keller-Götze;
betrügt sie Laudon, so schlag ich ihm den grind ein <
Arnim li, 232; gern auch: so würd man sie all beim
grind in die turn werfen Aventin 4,447; da nam der
teufel sie heym grindt Aeg. Albertinus Lucifera könig-
reichte, 25 Lilienc7-on ; besonders alem. sind Wendungen wie:
der gouch sitzt inen zu tief im grind
N. Manuel Elsli Tragdenkn. v. 40 Bächtold;
ich han so gar ein tollen grindt
Schweiz, schausp. d. IG. jhs. 2, 136 Bächtold;
im fluch: so helf mir gotts grind! Staub-Tobler 2, 762
(quelle von 1411); bax grind teuf eis netz 8707 ; pox (potz)
grint fastnacJitsp. 173, 14; 283, 5; 339, 35 u. ö.;
ach wee, nur wee, potz lausz, potz grind I
H. Sachs 9, 30 Keller;
bei meim grind Fischart Eulensp. v. 8209 Hauffen;
mit besonderer färbung 'der harte schadet' : die harten
Bernergrinden wurden wol stürm davon, aber brachen
nicht ein Gotthelf ges. sehr. 5, 67; auch bildlich im
sinne des schwer fassenden, häufiger noch des störrigen,
eigensinnigen Jcopfes: magstu disz aber in dein alten,
stettigen, abergläubischen grind dennoch nicht bringen
Guarinonius greuel d. Verwüstung (16I0) 32; dasz sy die
gschrift nach irem grind bücken wellind und zwingen
ZwiNGLl dtsch. sehr. 1, 79;
ein altes weib bhelt ihrn grindt gleich wie
ein hundt und esel eben
HöcK schönes blumenfeld 83 neudr.;
gerade diese Sonderbedeutungen sind in der modernen nia.
reich entfaltet, Staub-Tobler 2, 762/., Fischer scAwäö.
3, 839; aber bisweilen auch ohne jeden verächtlichen neben-
sinn, sogar in poet. spräche:
(Peneleos) sein schwerdt zoch ausz der scheyden blosz
und thet ihm hawen wegk den grind
Spreng Utas (1610) 197";
schössen und schlugen zsam geschwind,
das blut in lieff über die grind
ScHMELTZL zuQ in d. Hungerland (1556) A 4'>;
so auch heute stellenweise noch im Schweiz, u. schwäb.;
das wort ist auch auszerhalb des obd. in neuerer ma. weit
verbreitet, tnd. vom lothr. bis zum schles., strichweise
auch im nd. (Dähnert 161; vgl. schon Schiller-Lüb-
BEN 2, 148*), aber dem anschein nach in der hauptsache
in bestimmten Wendungen wie einem eins auf den grind
geben u. ä.; daher sich gelegentlich die bedeutung synek-
dochisch verändern konnte: einen beim grind nehmen
aliquem obtorta gula abripere Aler dict. 1, 982''; 'nacken'
Follmann lothr. 2i6'>; vgl. Fischer schwäb. 3, 838.
b) dasz dem wort jede nebenbedeutung abgehen konnte,
zeigt am, deutlichsten die im alem. nicht seltene anwen-
dxmg auf den köpf von thieren: (die schlangen) tragen
auf dem grind acht hörnlin Heyden Plinius 126; dieser
hat ein grossen grindt oder köpf Forer Oesners fisch-
buch 40"'; in neuerer ma. besonders von rindern Staub-
Tobler 2, 760; auszerhalb des alem. zum terminus der
Jägersprache geworden: nennen auch einige des hirschens
köpf grind Heppe wohlred. Jäger 188 ''; der köpf von
roth-, dam- und elenwild Behlen forst- u. jagdkunde
3, 501; wo das rothwild äsete, das anfangs mit hoch-
aufgeworfenem grinde sicherte Train Weidmanns pract.
25 Thüngen; auch in heraldischer spräche: wenn, wie
im Wappen der grafen Sandizell u. a. die büffelhörner
noch mit einem stück grind (hirnschale) und obren
erscheinen Siebmacher-Gritzner wappenb. -B(i890) 157;
4) zoologisch als bezeichnung einer delphinart, globio-
cephalua melas Brehm 3, 612 Pechuel- Lösche; der schwarze
(sc. delphin) oder grinde delphinus m^las, globiceps Oken
7. 1078.
2GRIND, adj., nur zu igrind 2: grint scaber Biefeh-
bach 514«; einer der da ist grint o. schuppet uff dem
heubt o. sust an der hude 515'' s. v. scabrositaa; gla-
brius grynt, glacz nov. gl. 193*;
dann als das gryndige diere
hasset die scherre schiere
und das grynte heubt den strel
Pilgerfahrt d. träum, mönchs 7537; vgl. 10284;
ich geh dir nit ein böse krumme guten,
ja nit ein lus us einer grinden rufen
um din falschen ablass
N. Manuel ablaszkrämer v. 262 Bächtold;
so vielleicht auch: ob er hat ein fei in dem äugen oder
ein grinde sucht (jugem scabiem, 3. Mos. 21, 20) erste
dtsche bibel 3, 433 (ocfer = grintsucht?); nicht etwa zu-
sammengezogen aus grinte(h)t, sondern adjectiviertes sub-
stant.; schon ahd. grint glabrio, ebenso grinder Gkaff
4, 880.
GRINDBANK,/., sandbank Benzler l, 177. — grind -
hart, m., 'mit grind ausgefahrener bart und mensch,
der einen solchen hat' Crecelius 437. — grindbatz,
m., rognoso, rognosaccio, tignoso Kramer teutsch-ital. 1,
566*; vgl. batze th. l, 1160. — grindbaum, m., elsäss.
für rhamnus frangula, faulbaum Pritzel-Jessen 330;
vgl. grindholz. — grindbein, n., scabiosis cruribus,
'pöbelwort zum schimpf Frisch (l74i) i, 78''. — grind-
b einig, adj.: ein grindbeinichter kerl homo putridis
pedibus Stieler 125. — grindberg, m., sandberg: ein
grintpergk neben Gracius Freytags grüntpergk aus einer
gutsbeschreibung (Zeitz, iG. jh.) Frommann dtsch. maa.
7, 253. — grindbeule,/. .• gr., grinddrüse bolla, gomma
di rogna Kramer teutsch-ital. l, 566\ — grindbühel,
m.: grindpuchel prurigo Diefenbach 307''; vgl. bühel
4, <A. 2, 497. — grindbürsterin, /., scabiatrix Die-
fenbach 515*. — grindbüszerin, /., scabiatrix ib.;
nov. gl. 329^. — grindb utze, m., eigentlich grindblatter,
s. den beleg aus Ryff unter pfutze th. 7, 1817; dann als
Scheltwort: du grintbutz Murner luth. narr 4283; es
weren nichts als huderbutzen, grindplützen, fetzglocken
Fisch ART geschichtklitt. 368 neudr. — grinddest, m.,
s. dest 6, th. 2, 1031 ; = grindbatz Kramer teutsch-ital.
1, 566*. — grinddrüse, /., s. grindbeule.
GRINDE, /., jasione Waldbrühl pflanzenn. 42.
GRINDEL, m., altes, im westgerm. xveitverbreitetes loort,
das mit verschiedenem stammsilbenvocal erscheint; die
i-form, ahd. fast allein bezeugt (Graff 4, 332) und auch
mhd. vielbelegt (mhd. wb. 1, 576*; Lexer 1, 1086), scheint
später zurückgedrängt worden zu sein; sie herrscht heute
als grindel, gringel im nd., in bair.-österr. maa. und
nachbargebieten, findet sich auch im thür., hess., lothr.
bis ins Schweiz, hinauf; die t-form, die ahd. erst verein-
zelt begegnet, hat ihr hauptgebiet im schiceiz. und elsäss.,
erscheint als grendel, grennel, grengel aber auch im
schioäb., hess., sowie in nd. maa., namentlich des We-
stens; iceiterhin thür., obersächs. bis ins schles. hinüber;
differenzierungen der bedeutung sind gelegentlich festzu-
stellen : Schweiz, meist grendel 'gatter', grindel 'pflugbaum' ,
genaueres bei Staub-Tobler 2, 757; doch läszt sich ein
alter bedeutung sxmter schied zwischen grindel xmd grendel
nicht mehr erkennen; urspr. offenbar verschiedene stamme,
germ. *grindila- und *grandila- (Franck etym. wb. 2213'');
über germ. und auszergerm. verwandte s. ebd. und Siebs
Kuhns zs. 87, 822; seltener erscheint als stammvocal ü
oder 11, vornehmlich österr. (s. u. 5) und westnd.: gründet
clatrum Diefenbach 126*; obex 387»; obex schulder,
regel, grundel; pressulum cleng, grundel, zwinget; ver-
tipellum eyn dorgrundel, der in der want stecket nov'.
gl. 267*. 290*. 380* aus demselben rhein. glossar (a. 1476).
gründet Apherdianus nach Frisch 871"; auch im alem.:
grfindel sQ-yccrrj Frisghlin nach Diefenbach 564* (s. v.
succula); ebenso noch heute im Thurgau, Staub-Tobler
2, 757 ; auch hier mag alter ablaut zu gründe liegen, vgl.
mnl. grundel, grondel neben grindel, grendel ; stellemoeiae
scheint der n-form eine besondere bedeutung zugewiesen
(s. u. 6).
i) 'ein pfähl, ein bäum von mittler stärke' Campe s. v.
grendel; grendel paoeillua Diefenbach 418''; ich wil
373 GRINDELBALKEN, GRINDELBAUM
GRINDELHAMMER - GRINDIG
374
dir mit disem grundel für den köpf schlagen Eulen-
spiegel (1515) 72 neudr.; de houede der grindele, myt
welken de arche ghedreghen ward {vectium capitd) Lüb.
bibel (Udi) 2. chron. 6, 9; meist in speciellerer bedeutung,
und zwar
2) pflugbaiim: der pflugbaum oder der grindel ist der-
jenige theil, mittelst welchem der körper des pfluges
in der erde fortgezogen wird Thär grundsätze 3, 26;
so seit aliers: grendil grave robur {sc. aratri) Wadstein
kl. asächs. sprachdenJcm. llO, 36 {Oxford. Vergilgl.); grin-
til temo Graff 4, 332; girintal temo Diefenbach nov. gl.
360^; das lange holtz, das hinaus gehet wie am wagen
die deichsei, und hinden durch die stertze zur lincken
handt gehet, daran die löcher sein, nennet man den
grengel M. Grosser anleitung z. d. la^iduirtsch. (l590)
N S**; in den modernen maa. allgemein gebraucht.
S) der riegelbalken ; ebenfalls schon ahd.: grintil, crintil
repagulum, pessulus, vectis, obex, sera Graff 4, 332/^ ,•
erino portun ih firchnussu, iisnine grindila firbrihhu
Isidor 6, 3 Hench; obex grendel oder rigel an einer
thuer Diefenbach 387*; repagulum grendel, grosser rigel
GoLius (1585) 334; öfter als der vorlege- oder vorschieb-
balken vom riegel geschieden: so schleusz sie {die thür)
zu, indem du den grindel dafür schiebest oder nur den
riegel Comenius sprachenth. 542 Docemius; wann die
rigel und grendel aufgebrochen und das tor also ge-
fallen . . . wäre Staub-Tobler 2, 758 {quelle von 1548);
vom, fensterverschlusz : darum siebet man auch keine
Schlösser an den thüren noch grindel an den fenstern
W. Schultz ostind. reise (1676) ss''; auch im tcestlichen
nd. bis in die neue zeit ganz gewöhnlich.
4) in weiterem sinne für Sperrvorrichtungen verschie-
denster art, und zwar wesentlich auf hoch- und nieder-
alem. boden; sera, clausura, claustrum Serranus syn.
(1579) *. V.; vacerra grendel an dem zäun Golius onom.
(1582) 50; grendel = blegi {sperre für zaundurchgänge)
Martiny ivb. d. milchuirtsch. 47; 'schlagbaum vor einem
thore' {Schweiz.) Campe; 'hölzernes gitterthor an einer
bannscheide' Schmidt elsäss. 154* mit alten belegen;
'starkes hölzernes gitterthor' MartinLienhart 1, 277'';
so söUent sie den grendel uf sant Arbogasts brücken
zu slahen Straszb. ordn. 30 Brucker; 'äuszerer gatter an
den stadtthoren {Basel, alt. spr.)' Staub-Tobler 2, 757;
{ein absagebrief) ist auf Catharinä, j. 1458 im grendel
vor dem oberen thor gefunden worden Petri d. stadt
Mühlhausen geschichten 134 Graf; 'pallisademcerk' : am
eingang des schlosz war ein grendel vor der mauren
mit vilen scharpfen langen eisen besteckt Hedio Co-
m,ines 176*; vgl. propugnaculum vurburge, gryndel, run-
deel Diefenbach 466''; im Schweiz, vielfach für ver-
schiedenartige tvassersperren ; im älteren Zürich war der
grendel eiii pallisadenwerk, das die stadt gegen den ein-
tritt vom See her sicherte Staub-Tobler 2, 757; vgl. eben
war man {auf d. schiffe) durch das wasserthor des
grendels gefahren C. F. Meyer Jürg Jenatsch (l90l) 88;
bildlich: durch den grendel der zene Keisersberg
Vaterunser (1515) C 2*.
5) welle von rädern: grindel, wellbaum an dem mül-
rad axis rotae aquariae Henisch 1746; ein neu Wasser-
rad oder gründel bauordn. bei Birlinger schwäb.-augs-
burg. 205''; das Wasserrad am halbverkohlten gründel
. . . war stehen geblieben Rosegger I 8, 182; bei . . .
gebläse rädern . . . nennt man sie {die achsen) vorzugs-
weise wellbäume oder gründel Scheughenstuel österr.
berg- u. hüttenspr, 262.
6) der hebelarm eines spannwerkes: sucula grändel,
darmit man spannet Frischlin nom. (1586) 268*; gren-
del: windenzug succula, ergata, machina tractoria He-
nisch 1740; s. windenzug th. 14, 2, 297; 'auch der Span-
ner an der armbrust unrd grendel genannt {in der Schweiz)'
Jacobsson technol. wb. 2, iso''.
GRINDELBALKEN, m.: die am grengel- oder pflug-
balken befindlichen löcher allg. haushält, lex. 3, 624. —
grindelbau m, m., = grindel Kram er teutsch-ital. l,
566''; de sone Leui nemen de arcken godes . . up 6re
schulderen mit grindelbömen {in vectibus) Halberstädt.
bibel (1522) 1. chron. 15, 15; pßugbalken Jacobsson tech-
nol. wb. 2, 150*; 'der bäum, tcelcher das thor trägt, und
dessen unterster theil der angel ist' österr. Popowitsch
versuch 17. — grindelhammer, in., unsicherer be-
deutung, öfter in alten steir. inventarprotokollen Unger-
Khull 308*. — grindelholz, n., riegel vor dem boden
der fässer Schütze holst. 2, 68. — grindelkette, /..
'diejenige kette an dem grendel eines pfluges, vermittelst
ivelcher der pflüg tiefer oder seichter gestellet wird' Ade-
lung; allg. haush. lex. 1,100*.
GRINDELN, vb., pessulare Diefenbach 431''; sie
sullen auch die portzen ovends grindelen Wallraf 31
{quelle von 1340); grendelen obdere pessulum ostio He-
nisch 1740; bei Stieler 711 auch gründelen; grengeln
zuriegeln Loritza id. vie7in. 54; vgl. schon ahd. picrin-
tilon u.a. Graff 4,333. — grindel wiede, /.: wo
leichte acker sind, braucht man {statt der grindelkette)
nur starcke geflochtene weidene . . . wieden, die man
grengelwieden heisset allg. haush. lex. l, 618*; die kurtze
eyserne ketten, so man an den grengel leget . . ., nen-
net man die grengelwiedte Grosser anl. zu d. land-
wirtsch. (1590) N 4*.
GRINDEN, vb., grindig sein, tcerden: unsere leibe
werden dort nicht ein stancksack sein, grinden, rotzen,
eitern Chr. Irenaeus Spiegel d. ew. lebens (i589) 1 2*;
auch mhd. schon, Lexer l, 1086. — grindfleck, m.:
scabiem profundam grintflecken Diefenbach nov. gl.
328''; grindflecke, krätzflecke vestigia scabiei Stieler
497; anders: die küssen . . . waren . . . mit neugewa-
schenen ziechen überzogen, darinnen wir die grind-
flecken gar artlich sehen konnten franz. Simpl. (1683)
1,1.34. — grindhand, /., l) grindige hand; 2) name
eines korallentieres , alcyonium, exos. Nemnich wb. d.
naturgesch. 210; vgl. Campe. — grindhaube, /., mit
grindsalbe beschmierte haube, teignasse Mozin-Biber wb.
d. frz. spr. 1, 431''; auch von einer pechhaube, die noch
im vorigen Jahrhundert bei einer eisenbartkur verwendet
wurde: man liesz die haube einige zeit auf dem grind-
köpf und risz sie dann mit dem daran festhaftenden
grinde vom köpf; genaue beschreibung bei Chomel öcon.
lex. 4, 1355; so vielleicht schon bei Keisersberg: die
hüben must du zucken ; wan eim kind der grind obnen
dannen thut . . . und man meyancken daruff salbet,
der wachsset über nacht wider ... es thut sein nit,
du must die grindhaub gar dannen zucken, das ist die
wurtzlen haruss thun evang. (1517) 81 * ; oder mit Frisch
(1741) 1, 373" als 'totius cranii sive capitis scabiosi crusta'
zu verstehen ? — grindheil, n., veronica officinalis, ehren-
preis Pritzel-Jessen 433; Toxites hörn d. heils G 6*;
grüntheil Bock fcräwferi. (i56i) so». — grindholz, n.,
rhamnus frangula, faulbaum Pritzel-Jessen 330; lux.
ma. (1906) 152; Adelung; wenn dieses holz . . . bey
feuchter Witterung . . . anfängt zu faulen, so erzeugt
sich die tremella purpurea L. . . . darauf, welche wie
rothe punkte aus der rinde hervorbricht Schkuhr
botan. handbuch l, 150; daher der name; vgl. grind-
baum.
GRINDIG, GRINDICHT, adj., schon ahd. als grintoh-
tir yrurchus Diefenbach 310*; der ichi- form scheint
seit alters das md. mehr zuzuneigen ; sie ist im 18. jh.
in Norddeutschland geradezu die bevorzugte schriftform;
die seit Adelung öfter wiederholte trennung grindicht
'dem grinde ähnlich', grindig 'mit dem gr. behaftet' ist
haltlos, seltenere formen: grinnicht scaber Diefenbach
614«; grinniger scabrosus 515"; gründicht Sebiz feldbau
(1579) 601; gründig s. u. l a, c; grundig scabidus Die-
fenbach 515* {nd., vgl. grind).
1) fast ausschlieszlich zu grind 2, 'mit ausschlag be-
haftet', wobei die bedeutung entsprechend dem grundwort
schwankt: scabiosus . . . grindicht, schebicht, reudicht
Alberus dict. (1540) 59*; grindochte alopiciosus Diefen-
bach 25°; espidus {statt hispidus) scharpfTer, gryndiger,
kretziger 210°; grindig glaber 264*; kretzig 0. grindig
impetiginosus 288" ; grinticht pruriginosua iSd^ ; ulceratua,
ulcerosus Kirsch com. 2, 159*.
24»
375
GRINDIG
GRINDIGE - GRINDLEIN
376
a) zumeist auf menschen bezogen: der grindig Guggoch
Witten WEILER ring 143, 23; ich bin der sklav eines
jeden bürgers, der mir einen grindigen buben anver-
traut Schubart br. l, lOO Strausz; als Scheltwort: grin-
diger schuft Shakespeare 7, 168 ; gern substantivisch : die
gründigen werden sich selbst beissen, grammen und
fressen Fischart praktik 29 neudr.; weitere belege unter
b; man wird in den meisten fällen an den grind y.uT
f^oxrji', den ausschlug des kopfes, zu denken haben; vgl.
und was das grindige, schorbige haupt begehre, das thun
die andere glieder Schupp sehr. (1663) 827; ich . . . liesz
kinder mit grindichten köpfen das abece lesen Win-
CKELMANN 11, 98; aber auch, wenngleich seltener, von
andern körpertheilen :
und beissen dich die grindig hend,
so kratz dich fluchs am selben end
Scheit Grobian, v. 466 neudr. ;
grindige sehen ekel, ein grindig maul Kram er teutsch-
ital. 1, 566*; ein grindicht gesicht Schmidt gestrieg.
rockenphilos. (1706) 2, 215; schrundig in dinen henden
und grindig by dinem gemecht buch d. beisp. 76 lit. ver.
b) von thieren, vielfach synonym m,it räudig: ist es,
das der habich gryndig oder reydig ist Mynsinger von
den falken 43; ich als ein grindiger guckuck aussähe
Grimmelshausen Simplic. Sil neudr.; würt eyn pferdt
schebig oder grindig Herr f eidbau (l55i) 191*; so eyn
rind grindig wirt Sebiz f eidbau (1579) 128; zu welchem
orthe die schafe reudieht oder grindicht seyn Böhme
vieharznei (i682) 19; damit nit so faul, grindig und un-
rein vieh geschlachtet werde Frankfurter zunfturk. I l,
382;
(wo er) den grindigsten
der hunde trinken sah Hedbel 1 1, 125 ;
auch als schelte: du grindicher hund ! Follmann lothr.
216".
c) wie das subst. in zahlreichen Sprichwörtern u. redens-
arten ; wieder tritt der enge Zusammenhang zwischen grind
und laus zutage: wer lausig ist, der wirdt baldt grindig
Henisch 1746; es heiszt eben prediget, wie man eim
grindigen lauszt, obenhin Schmidt elsäss. 155" aus Zell ;
weiteres unter lausen 1 , th. 6, 358 ; sonst lust ein grin-
diger dem anderen d. h. ein bemakelter schilt den an-
dern Clemen reform, flugschr. l, 238, ein vielcitiertes
Sprichwort; auch variiert: ich lacht schier gern, dasz
ein grindiger dem andern so sanft krauelt Schade saf.
u. pasqu. 2, 76; in neuerer ma.: da will ich lieber einem
grindigen lausen als Fischer schwäb. 3, 840; es hat mir
alles wöler gethan als den reudigen das strigelen und
den grindigen das strälen Fisghart geschichtklitt. 2ii
neudr.; dem grindigen köpf ist immer bang, man werde
ihn kämmen Otho evang. krankentrost 1342; der furcht-
sam furcht sich, wie ein grindiger köpf vor der laugen
Lehmann florileg. polit. l, 253; indessen: auf ein grin-
digen köpf gehört ein scharfe lauge Petri d. Teutschen
iceisheit 2, J 5" ; wenn ein haupt grindig oder schäbig ist,
so hawt maus doch nicht ab Lehmann l, 465; barm-
hertzige mütter ziehen lausige oder grindige töchter 2,
809 ; ein schön angesicht verkaufft wol einen grindigen
leib Petri 2, Y 3"; grindige haut blutet bald 2, Gg6»,
und ähnlich nach Wander 2, 138 auch in jüngeren Sprich-
wörtern; im ganzen aber ist deutlich, wie mit der krank-
heit selber auch der bunte reichtum dieser Wendungen
zurückgegangen ist; von thieren ist seltener die rede: grin-
dige, schwache oder unnütze katzen leben lang Petri
2, Gg 6**; ein grindig schaf macht die ganze herd grin-
dig 2, V 3».
d) weiterhin auch 'grindartig, vom grind herrührend' :
benimpt auch die bösen grindigen flecken im angesicht
Lonicerus 114"; {wenn) an der slirn immer rothe,
grindigte, schwindartige flecken aufzufahren anfangen
Hufeland makrob. ^2, 124; so . . . die grindige rud zä
einem ammal kommen ist Herold -Forer Gesners
thierb. (1563) 56".
2) nur im alem. auch zu grind 3, 'eigensinnig' : sonder
sy werden durch gfietig ermanung in iren herten nack
nur deszt starrer und gryntiger Berth. v. Chiemsee
teutsche theol. (1852) 6; vgl. Staub-Tobler 2, 769.
GRINDIGE, /., das grindigsein: eieröl benimpt die
cholerisch grindige Heusslin Gesners vogelbuch 97*; an-
scheinend auch als neutr.: würt aber schmertzen oder
apostem oder jucken oder grintig Braunschweig chi-
rurgia (1539) 87"; vgl. räudige th. 8, 256.
GRINDIGKEIT, /., pupulositas Diefenbach nov. gl.
309"; raud, . . grindigkeyt scaöies Dasypodius 293: raud
und grindigkeit wirt mit essich und alaun vertriben
Herold-Forer Gesners thierb. (i563) 135*; und hilfet vast
in alopieia, daz ein grindigkeit des houbtes ist Braun-
SGHWEIG kunst zu distilieren (1500) 120*. — grindkinn,
«., mentagra Nemnich lex. nosol. iö'^. — grindkol-
ben, 7n., der butzen des grindgeschwürs {vgl. kolbe 6 g,
th. 5, 1606) : also tief seind die grindkolben inge wurzelt
von der erbsünd Keisersberg evang. (1517) 87*; 'die
unterstell weiszen enden an den haaren, die im grind-
kopf stecken' Frisch (i74l) l, 373".
GRINDKOPF, m.. ein grindiger köpf; tinea Nemnich
lex. nosol. 15*: der grindkopf {ist) von unzifer Dann-
hauer catech. milch 1, 288; eine epilepsie, welche von
einem grindkopfe entstanden war allg. dtsch. bibl. 21,
133; als redensart:
pfaff, pfaff, fürber mit dem gelt, gib us,
eb dass ich dir den grindskopf erlus I
N. Manuel ablaszkr. 166 B. ,-
bildlich: es ist ein wunderbar ding ums regiment dieser
weit, so einen politisch moralischen grindkopf nur halbe
wege zu säubern Göthe iv 3, 129 Weim.; dann auch
für den menschen, der einen grindkopf hat: tignoso, tigno-
saccio Kramer teutschital. l, 566*;
der auf dem haupt ist kahl und blosz,
der dünkt sich bei dem grindkopf grosz
dtsch. Volksbücher 1, 13 Simrock:
seit alters als scheltivort: ich muz dich grindkopffe ein-
mahl gehen lernen Kirchhof ivendunm. 3, 236 lit. ver.;
so noch heute in alem. und westmd. maa., bisiveilen m,it
besonderer bedeutung: 'dummkopf Martin-Lienhart 1,
460; 'mürrischer mensch' lux. ma. (1906) 151; vgl. dazu
grind 3; in älterer spräche stelleniveise für eine rosinen-
torte Radlof teutschkundl. forsch. 1, 70; 'kleiner kram'
Grolman spitzbubenspr. 27*; vgl. Fischer schwäb. 3, 841.
GRINDKRAUT, n., name mehrerer pflanzen, die als
Jieilmitiel für den grind gebraucht wurden.
1) zumeist für scabiosa arvensis, und zwar am frühe-
sten und häufigsten in alem. und den nördlich angren-
zenden md. maa., ico die bezeichnung noch heute im dia-
lect erscheint: scabiosa Diefenbach 515*; Alberus dict.
(1540) FF 4=^; scabiosa, das ist grindtkraut, darumb das
solch kraut für die grind und rauden gebraucht würdt
Fuchs (1543) c. 273; die blaue scabiose oder grindkraut
Neumark neuspr. teutscher palmb. 287; vgl. Martin-
Lienhart 1, 530*; PritzelJessen 199; stellenweise auch
für andere scabiosenarten : scab. columbaria lux. m.a.
(1908) 152 ; bei Campe auch gattungsname der scabiosen.
2) ziemlich häufig und, wie es scheint, auch in dem
unter 1 umschriebenen gebiet für senecio vulgaris, kreuz-
würz, mlat. erigeron: grindkraut oder baldgreisz Loni-
cerus kräuterb. (1604) 128*; senecio Calepinus xi ling.
1828*; erigeron 492*; vgl. Pritzel-Jessen 374; gemeines
kreuzkraut Frischeier l, 258.
3) seltener und in älterer spräche nicht belegbar für
fumaria officinalis, gewöhnlich 'erdrauch', auch 'krätz-
heil' genannt Sghkuhr bot. hdb. 2, 322; Holl 88";
Pritzel-Jessen 156.
4) nur vereinzelt für rumex obtusifolius, wilder ampfer,
gewöhnlicher grindwurz {s. d.) Pritzel-Jessen 348; Nem-
nich wb. d. naturgesch. 210. — grindlattich, m., bar-
dana Diefenbach 68"; lapathum 818*; nach Pritzel-
Jessen 346 deutet beides auf rumex-arten {s. grindkraut
4); grindlattich, grindwurz rumex patientia ib. 349; vgl.
schorflattich th. 9, 1577. — grind laus, f., pidocchio di
rogna Kramer teutsch-ital. l, 566*. — grindlein, n..
377
GRINDLIPPICHT — GRINDWAL
GRINDWURZ - GRINNEN
378
demimct. zu grind 2: nu mus man leiden, ob etwa an
einem schönen leibe eine wartzen oder grindlin sey
Luther 51, 548 Weim.; (das rosz) wirft oft ayter, oftmals
auch grindlein oder ruffen . . mit dem speichel heraus
Zechendorfer gebrechen d. rosz (l57l) 1, 25*. — grind-
lippicht, adj., ostigine foedus Stieler i060. — grind-
magen, s. grindmohn. — grindmal, n.; eine . . .
beschreibung und klassißcation der vormäler, d. h. der
flecken und fleckmaale, der flechten und grindmaale
allg. dtsch. bibl. 102, 30. — grind maul, n., ostigo
Stieler 1255; als Schimpfwort Pansner schimpfwb.
2i^. — grindmohn, m.. papaver rhoeas, klatsch-
mOhn HoLL 136^; in älterer form: im bistumb Speier
und Wormbser gaw nennt man sie (die klapperrosen)
auch grindmagen Bock kräuterb. (l55l) 45''; noch heute
im hess. grindmage Crecelius 437; auch preuszisch
noch, Frischbier 2, 526; Pritzel-Jessen 263. —
grindnase, /. .- ihro Spektabilität . . . leiden seit eini-
ger zeit an einer . . . grindnase Krummagher unser
groszvater 90; als Schimpfwort Pansner schimpfwb. 24"^.
— grindort, m., in einen ström vorspringende, aus
triebsand bestehende landzunge (ndrhein.) Benzler 1, 177,-
Jacobsson technol. wb. 2, 153^. — grind pf last er, n.
Chomel öcon. lex. 4, 1355. — grindpfutze, s. grind-
butze. — grindrabe, m., corvus frugilegus : die rücken-
oder grindraben, bey diesen ist der schnabel voller grind
Heppe wohlred. Jäger (1'1'79) 295^; Adelung; vgl. rücken-
rabe th. 8, 1364. — grindrebe, /., glechoma hederacea,
gundermann Pritzel-Jessen 166; acera Diefenbach
nov. gl. 6"^; vermengung von acer und acera hat in man-
chen glossaren die grindrebe neben den massholter ge-
bracht, vgl. maszholderbaum th. 6, 1741. — grindrose,
/., l) knautia (arvensis) grindkraut {s. d.) Prahn pflan-
zenn. 36; 2) holzwucherung : grindrose der esche Ratze-
burg ivaldverderbnis 2, 108. — grindrufe, /.; grind-
rufe, -raude, -rinde chiazza, crosta di rogna Kramer
teutschital. 1, 566*. — grindsalbe, /..- etlich machen
gute grindsalbe von dem scabiosensaft Tabernaemonta-
nus (1644) 449"'; FisGHER schwäb. 3,841; Campe. — grind-
sand, m., kiessand Doornkaat-Koolman l, 687^. —
grindschmitze, m. und f., schlag auf den köpf : aber
mit der handt gaben sie ihm starcke maultaschen und
grindtschmitzen Albertinus Lucifers königr. 158 Li-
liencron; hätte dir längst schon einen grindschmitzen
versetzet Jan Rebhu tceltkucker (1679) 3, 107. — grind-
schnabel, m.. Saatkrähe, corvus frugilegus Naumann
naturgesch. d. vögel 2, 78; Heppe aufricht. lehrprinz (l75l)
167; vgl. grindrabe. — grindschuppe, /., von grind
herrührende schuppe: ein brunne, dessen wasser . . .
oben auf nicht anders anzusehen, als ob es mit grind-
schuppen bedeckt wäre Happel relationes curiosae (1685)
2, 678 *; das wasser, darin andern gesotten, heilt alle
böse grind seh tippen, flechten und mäler Fechner er-
klärung volksthüml. pflanzenn. 11; vgl. schuppe 3, th. 9,
2014. — grindschüppel, m., nur als Schimpfwort:
der berauschte Herodes hatte . . . grosses wolgefallen
an diesem hupfenden grindschippel (Salome) Abr. a
St. Clara etiv. f. alle i, 182; ein rusziger grindschippel
brachte mir ein langes brod daher Stranitzky lustige
reiszbeschr. 29 Werner; grindschiepel Schimpfname eines
bauern Göthe 38, 439 Weim,.; noch heute mundartlich
grindschüppel schmutziger, ekliger kerl Unger-Khull
308; Schmeller 2, 438; die etymologie des zweiten be-
standtheils ist zweifelhaft; vgl. schüppel th. 9, 2018 und
schiepe, schiepel tö. 19. — grindschuppig, adj.: vier
rotzklitzige , grindschupige . . . hurenkinder Fischart
geschichtklitt. 66 neudr. — grindschusz, m., kopfschusz
Behlen forst- u. jagdk. 8, 501. — grindstein, m. 'wird
an einigen orten der granit genennet' bergmänn. wb. (1778)
242; was auf gengen und stocken bricht, das bricht ge-
meinigklich . . in einem Sandstein, . . biszweilen auch
in einen grindstein, kisz Mathesius Sarepta (i57l) 99*;
natürlich von der körnigen beschaffenheit des gesteins
(vgl. grind l), nicht von seiner ähnlichkeit mit einem
grinde, wie öfter angegeben wird; gr. lapis scabiosus,
vilis Henisch 1746; vgl. Chomel öcon. lex. 4, 1355; saxa
vilia grindstein Frischlin nom. (1616) 361*. — grind-
wal, m. , eine delphinart, glohiocephalus melas Brehm
thierl. 3, 612 Pechnel- Lösche; = grind 4, s. d.
GRINDWURZ, /., name verschiedener pflanzen.
1) zumeist für rumex obtusifolius, mengelwurz, eitie
ampferart Pritzel-Jessen 3i8; dieselbe pflanze meinen
bezeichnungen wie rumex acuta Alberus dict. (l540)
FF 3*; hippolapathum ländewurtz . . grindwurtz Frisius
(1556) 630*; lapathum sylvestre hasenampfer, grindwurtz
GoLius (1585) 418; grindwurtz, wilder ampfer, mengel-,
streif-, zitterwurtz rumex acutus, oxalis, lapathum acu-
tum . . . quod scabiem curat Henisch 1746; grindwurz,
mengel- et streifwurz lapathum,, oxylapathum Stieler
2586; noch heute im dialect, vgl. Unger-Khull 308*;
Frischbier l, 253; selten für andere ampferarten: ru-
mex patientia italiänische grindwurz Schkuhr bot. Hdb.
1, 310; vgl. grindlattich.
2) nicht häufig, aber früh bezeugt für chelidonium
maius, schellkraut: grintwrz cilidonia Graff 1, 1051;
clielidonia Diefenbach nov. gl. 83*.
8) ebenfalls nur selten für lappa maior, die gemeine
Mette Frisch (l74i) 374*; arctium lappa gemeine klette
. . . grindwurz Schkuhr bot. hdb. 3, 48; vgl. Nemnich
wb. d. naturgesch. 210, wo aber grindwurz statt grind-
steinwurz zu lesen; würzet von arctium lappa Unger-
Khull 308*; die blätter sind denen von rumex obt. (s.o.l)
ähnlich; mlat. ebenfalls wie l) als lapathum bezeichnet;
liegen Verwechslungen vor? derselbe verdacht besteht in
einigen andereii fällen: in einigen quellen für senecio
vulgaris, kreuzkraut Pancovius (1673) 372; Holl 136*;
v^^. Nemnich a.a.O.; grindwurtz gerontea, cruciata, se-
necium Steinbagh 2, 1054 scheint auf dieselbe pflanze
zu zielen; sie heiszt gewöhnlich grindkraut (s. d. 2). grind-
wurtz scabiosa Kramer teutschital. 2, 1409'', also für
gewöhnliches grindkraut 1. ebenso vereinzelt: gallium
creutzwurtz, grindwurtz Frischlin nom. (1616) 115* ;
kann nur auf gallium cruciatum, eine labkrautart, gehen,
vgl. Pritzel-Jessen 159; Holl 218*; wohl Verwechslung
mit kreuzkraut = grindkraut l. verdächtig ist auch die
beziehung auf chenopodium bonus henricus, gänsefusz,
bei Nemnich a. a. o. — grindwurzel, /. l) = grind-
wurz 1: rumex obtusifolius Pritzel-Jessen 348; grind-,
menwenwurzel bardana Diefenbach 68"; lapathium
agreste Alberus dict. (1540) FF 3*; dise rhabarbara und
ire Schwester grindtwurtzel Bock kräuterb. (l55l) 115 **.
— 2) = grindwurz 3: klette und von einigen auch
dockenkraut, grindkraut, grindwurtzel . . genannt, lat.
bardana, lappa oder personata Chomel öcon. lex. 5, 1197;
auch schon bei Pancovius (1673) 226; auch für verwandte
pflanzen: arctium bardana, filzige klette Holl 195";
SchlechtendalS 2, 118.
GRINITSCH, m., name verschiedener ginsterartiger
pflanzen, zumal genista tinctoria, färbeginster, und spar-
tium scoparium (oder sarothamnus scoparius) pfriemen-
kraut: es findet sich . . jenseits der Elbe eine . . art (genest),
so insgemein grinitzsch genennet wird, aber es ist mehr
eine wilde art und unkraut, als etwas nützliches zu
nennen Carlowitz amoeis. z. baumzucht (l713) 253 ; viel-
fältig variiert: grinitz, grintz, gritsche, grünsche, grisse
V. Perger l, 180; grintsche Holl 128'', grichsche, grim-
sche, grische, grünitz ti. a. 283*'; vgl. Pritzel-Jessen
127; Oken erhebt grische zum gattungsnamen für die
glydneen, allg. naturgesch. 3, 3, 1629^.,- nach v. Perger
liegt überall lat. ginestra zu gründe.
GRINGEL, m., flschname s. gründel.
GRINITZ, m., loxia curvirostra, kreuzschnabel siehe
grünitz.
GRINNEN, vb., nur bis ins IG.jh. literarisch belegbar;
zunächst 'knirschen' : si grunnen über mih mit zanen
(frenduerunt dentibus ps. 24, 29) interlinearvers. d. psal-
men 143 Oraff; weiterhin: gannire greynen, grynnen
Diefenbach 257''; grunnire grynnen porcorum nov. gl.
198*;
so wol wir euer mit grinnen walten
sagt der teufel Lasterpalk,
meister Reuaus 668, Wagners arch. 1, 87;
379
GRINSEBEUTEL — i GRINSEN
1 GRINSEN
380
'schreiend, keifend behaupten': die letzte olang ist kein
sacrament . . . wie die rangen zu Löven grynnen Lu-
ther tüider die S2 art. der teologisten (l545) B l''; das vb.
scheint heute noch nachzuleben, wo die maa. scheinbar
kurzvocalige seitenformen zum praes. grinen zeigen: krina
stellenweise im elsäss. Martin-Lienhart l, 275»'; 's vö-
geli grinnt {im frühling , wo kein futter mehr gestreut
wird) Staub-Tobler 2, 733; auch im Schweiz, grinn zor-
nig, ergrinnen in jähen zorn geraten, grinnetschen zor
niges gesteht machen u. ä. (a. a. o. 7i5) könnte das alte st. vb.
stecken; verwandt sind grannen, gransen («. ci.) ; eine ab-
leitung ist grinsen; iXber auszerdeutsche verwandte vgl.
FiCK *3, 140; von greinen der wurzel nach tvohl ganz zu
trennen; doch mag das untergehen des alten vbs. auf die
rechnung des bedeutungsähnlichen grinen kommen, zum
selben stamm das adj. grinnicht erbittert, grimmig
SCHILLER-LÜBBEN 2, 148^
GRINSEBEUTEL, m. ; ein solcher gruntzer und zorn-
brater oder grinsebeutel ist gewesen der harte Demea
Mathesius Syrach (1586) 29^, also zu l grinsen l ; das wort
dient auch heute noch im thür. obersächs. zu mannig-
fachen schelten für weinerliche personen, besonders kinder
(also igrinsen 2): grinsebüchse, -ding, -meppe,
-michel, -peter, dies auch von dem grabebitter ; grins -
lies, -mine Müller-Fraureuth 1,442; im selben
sinne auch grinselbüchse, -peter, -trine Anton
Oberlausitzer icörter 1,12; grinselkopf murrkopf W El :^-
HOLD schles. 30.
GRINSELIG, adj. 'oft und viel grinselnd' Bernd Posen
(1820) 82; grinslicht morosus, querulus Steinbagh l, 644;
cudownik . . ein grinselichter Sonderling Bandtke poln.
dtsch. wb. 1, 75^; über ein anderes grinselig s. u. 2grinsen.
GRINSELN, vb., ableitung von ' grinsen ; zunächst, ent-
sprechend * grinsen l, 'das gesicht verzerren':
wie grinsein sie {die toten) grasz !
wie blecken sie blasz !
Baggesen poet. werke 3, 295;
grinsln den mund, das gesicht verzerren Castelli Österr.
152 ; zumeist der bedeutung von * grinsen 2 sich nähernd, 'oft
und viel über kleinigkeiten Unzufriedenheit äuszern, wei-
nerlich klagen' Bernd Posen (1820) 82; diese iterative
bedeutung ist vorzüglich ostdeutsch: er grinselt den
gantzen tage toto die querulas edit voces Steinbach l,
644; vgl. Weinhold schles. 30; darvor (Casaubonus) aber
auch leiden muszte, dasz Lipsius ihn brav schraubte,
ob er gleich noch so sehr . . hierüber pinselt und grin-
selt Schultes wohlm^in. erinn. (i730) 70; aber das
spötteln, nergeln und grinsein um den kehricht her . .
ist mir im innersten muthe zuwider Immermann l, 162
Hempel; nur selten an * grinsen 3 anknüpfend: ein ver-
gnügt grinselnder feldlümmel . . gaffte mich an G. Kel-
ler 3, 219; 'einem niedrig schmeicheln, . . eigentlich: in
übertriebener freundlichkeit die mienen verzerren' Cre-
GELius 437; eine eigenartig verschobene bedeutung zeigt:
welch eine Ungeduld in der Stellung, ... die zahne
grinsein ein wenig hervor Gramer Neseggab i, 515; ähn-
lich bei greinen, s. d. II 8.
1 GRINSEN vb. A. form, das wort ist erst nhd. be-
zeugt und noch im 17. jh. ziemlich selten; erst ende des
18. jha. in voller literarischer geltung; zu gründe liegt
grinnen stv. {s. o.), von den mit hülfe der ableitungs-
silben -sen {aus -isön) und -zen {aus -azzen, -ezen) zwei
selbständige, ursprünglich wohl auch nach der bedeutung
geschiedene verba grinsen und grinzen gebildet wurden;
wenigstens bevorzugt die bedeutung 2 'weinen' bis in die
neuere ma. die z-form. freilich greift schon im 17. jh.
grinzen auf andere bedeutungen über {s. u. 1. 3), und dasz
das nicht blosz orthographisch zu verstehen ist, beweist
noch :
wo die wüsten negerprinzen
aus papiermanschetten grinzen
L. EiCHRODT lyr. kehraus (1869) 1, 16;
noch zu anfang des 19. jhs. steht grinzen {für alle be-
deutungen) hinter grinsen nicht weit zurück; erst in der
2. hälfte des jhs. schriftsprachlich erloschen; mundartlich
noch heute: grinzen Frischbier 2, 526; krintson neben
grinsen Follmann lothr. 217°; krentso stellenweise im
elsäss. Martin-Lienhart l, 278''. das wort scheint von
haus aus md., den obd. maa. heute noch grösztentheils
fremd, ebenso anscheinend den meisten nd.; auch litera-
risch erst seit dem späteren 18. jh. in Oberdeutschland
sich ausbreitend.
B. bedeutung. das vb. hat seine grundbedeutung von
grinnen, ist aber in seiner weiteren entwicklung sichtlich
von dem vb. greinen beeinfluszt, in dem das vb. grinnen
anscheinend untergegangen ist {s. o. grinnen).
1) grundbedeutung ist 'knirschen' : frendere grinsen
Diefenbagh 247«; seind voll heuchelei, verbeissen ihr
murmeln, grintzen mit den zahnen wie die Juden Abe-
lin hist. antipodum (i63l) 113; ballte die fauste und
grinste mit den zahnen Alexis Rol. v. Berlin (i840) 2,
16 i; sodann 'die zahne fletschen' und 'm,urren, knurren'
u. ä. {wie bei greinen, s. sp. 58), ohne dasz sich diese
beiden bedeutungen in jedem fall sondern lieszen; zu-
nächst von thieren:
schäumend grinzte sie {die hyäne) die zahne
Pfeffel poet. versuche 5, 91 ;
er . . . rennt im grimme bäume über den grinsenden
tieger maler Müller i, 23; während dem essen . . .
grinsten sie {die hunde) wieder und Hessen ein schwa-
ches murren hören Stifter sämtl. toerke s, 329; de
swine myt ereme grinsende unde pustende Schiller-
Lübben 6, 144 aus Korner; seltener auf personen über-
tragen:
doch, fordert sie ein kleid? so fängt er an zu grinsen,
als wie ein junger wolf, der auf die lämmer laurt
Neukirch ged. (1744) 202;
wenn er dagegen nicht schimpfen mag, so grinst er da-
gegen GÖTHE 49, 264 Weim.; der verzweifelnde held . .
mit dem tyrannischen fürsten rad an rad geflochten,^
grinsend, zahne fletschend Steffens was ich erlebte 4,
99; noch in moderner ma. knirschen, knurren, verdriesz-
lich sein Follmann lothr. 217*; gelegentlich bildlich:
Antonios feder grinzte auf dem papier Aug. Lewald
reisen 2, 280.
2) 'das gesicht im schmerz verziehen' Weinhold schles.
80; daraus flieszt die bedeutung 'weinen', die {anders als
bei greinen) nur im thür. sächs. voll entwickelt scheint:
grinsen idem qtiod greinen, collachrymari, plorare Stie-
ler 701; grinze sie, wie sie will; mein herz ist wie
speck und nimmt keine weiberthränen an Chr. F.
Weisze kom. op. (1778) 3, 25; vgl. 3, 36. 38; ich grinze
auch nicht wie du und krieche nicht beständig hinter
die liebe mutter Rabener sämtl. tcerke 6, 50; grinsen,
grinzen weinen Bruns volkswörterb. d. prov. Sachsen 26**;
grinsn Göpfert sächs. Erzgeb. 44; grinsen Hertel thür.
110; 'die grinst heiszt es allgemein auch in theilnehmen-
dem sinne von einer teeinenden' Müller-Fraureuth i,
442; weinerlich reden, über kleinigkeiten wehklagen Al-
brecht leipz. 126"; auch im lothr. als 'loeinen' : er hat
et krinzen un lachen in änem sack Follmann 217 ^
3) verbreiteter als ausdruck des entgegengesetzten affects:
das gesicht zum lächeln verziehen; die grundbedeutung
bleibt auch hier erkennbar, insofern grinsen vielfach ein
bösartiges lächeln bezeichnet: heimtückisch lachen Hey-
natz antibarb. 2, 76; hämisch, unangenehm lächeln Bren-
dicke Berliner wortsch. 130*; schadenfroh oder höhnisch
lächeln Wöste 85*; ihr lächeln wie das grinzen eines
schadenfrohen menschen Knigge roman m. leb. 3, 23;
das hämische lachen (grinsen) ist feindselig Kant 10,
292; unabweisliche schmach, die uns ihr höhnisch lä-
chelndes antlitz mit tückischem grinsen zukehrt Holtei
erz. sehr. 24, 227; überhaupt von unangenehmem lächeln:
Alonso sah von seinem golde mit einem schielenden
blick und einem grinsenden lächeln auf Tiegk sehr. 19,
480; sie {die helfershelfer) stehen in breiter schaar lä-
chelnd oder grinsend beim Usurpator Laube ges. sehr. V
4, 217 ; doch konnte diese specifische bedeutung verblassen M
zu 'thöricht lächeln': risu inepto res ineptior nulla est
es ist nichts häszlichers, als wenn einer immer geht
und grinizt Corvinus fons latin. (1646) 710; auch ihres
381
1 GRINSEN
2 GRINSEN -1 GRIPPE
382
tänzers schämte sie sich, der in einem fort grinste
Ebner- EsGHENBAGH 6,22; sie grinsten verlegen und
stieszen sich an Viebig schlaf, heer lOO; schlieszlich
auch, ohne scheltenden nebensinn, von einem breiten, das
gesicht stark verziehenden lächeln: war aber einer unter
den guten schluckern, der het ein sonderliche arth,
wann er grinsen, auf polnisch lachen wolt Lindener
Icatzipori 141 lit. ver.; der immer vergnügt grinsende riese
war . . . ein anblick für götter v. d. Steinen naturvölker
Zentralbrasiliens 452; der alte grinste über das ganze
gesiebt vor stolz und freude Polenz Grabenhäger l, 70;
vne lachen («. th. 6, 24) auch mit dem acc. des inneren
objects, doch mehr poetisch:
es grinzte der tod ein scheuszliches lächeln
Zachariä poet. sehr. 6, 203 ;
der magister grinzte ein triumphierendes lächeln C. F.
Bahrdt pastor Eindvigius i, 152; oder mit äuszerem
object:
grinzte
wenn er beifall
Voss nach Sanders;
diese bedeutungsentwicklimg läuft der gleichen bei dem
nd. verbum grienen (s. greinen II) parallel und hat sich
deutlich an ihr gestützt; dies grinsen bleibt deshalb auch
dem obd. ziemlich fremd.
4) der allgemeinste und entwickeltste gebrauch, auch
obd. voll entfaltet, entfernt sich insofern am. weitesten
von der grundbedeutung , als das wort die function als
ausdruck eines affects eingebüszt hat; das gewicht liegt
nunmehr auf dem tcidrigen, erschreckenden, grausigen
eindruck, den die Verzerrung der gesichfszüge hervor-
ruft: ich fühle mich aufgelegt, die ganze natur in ein
grinsendes scheusaal zu zerkrazen Sghiller s, 151 6?.;
mich schreckten die grinsenden larven der ungeheuer
E. Th. A. Hoffmann l, 15 Grisebach; ähnlich in der oft
gebrauchten loendung : aus seinem lachen wird ein grin-
sen Lavater phyaiognom. fragm. i, 94; sehr häiifig vom
bilde des todes:
ich nahm ihr den schleier, da grunzte, o weh !
ein gräszlicher todtenkopf
Kalchberg ged. (1793) 28;
ab und zu mit object: schon steht ein macerirtes ske-
let und grinset hohläugig sein memento! Voss anti-
symb. 2, 296;
hölle grinste sein angesicht da
Sonnenberg nach Sanders;
gerade diese bedeutung neigt sehr zu bildlichem gebrauch:
man sah über keiner geheiligten thür das niederträch-
tige wort 'honoratiorenstube' grinsend dummheit . . .
bescheinigen Raabe leute a. d. walde 3, 191 ; gern neben
reinen abstr actis wie:
dicht hinter ihm grinst noch die grause gefahr
G. Schwab 362;
hier grinste die Wahrheit von den kahlen wänden
Raabe Abu Telfan 2, 148; namentlich in Verbindung mit
geviissen adverhien : wohin ich sehe, grinzt mir die Ver-
zweiflung entgegen Kotzebue sämtl. dram. werke 3,89;
hinter den gebilden grinzte die Verzweiflung hervor
M. Hartmann Wanderungen a. m. gefängnisse 74; weiter-
gehendes nur in poetischer spräche:
es grinzten auch zelten,
ha, wo die weit war untergegangen, wenn beiden nicht
waren
Sonnenberg Donatoa 1, 127;
hervorzuheben ist ein besonderer gebrauch des pari, praes.;
zunächst 'icidrig verzerrt' im eigentlichen sinne: sie kau-
erten nieder im grinsenden wahnwitz Droysen Al,exan-
der 474; aber vielfach unsitmlicher: mochte Marianel . .
in fortwährender angst vor des barons angedrohten ent-
hüUungen . . . sich zur grinsendsten freundlichkeit für
den hofmeister zwingen Holtei erz. sehr. 14, 85; die
bücklinge und grinzenden höflichkeitsbezeugungen der
menschen Schopenhauer 2, 115 Grisebach; anders:
denn obgleich die kinder der armen nicht schlimmer
und etwa boshafter sind als die reichen . ., so haben
sie doch manchmal äuszerliche grinsende derbheiten in
ihren gebärden G. Keller l, 91 ; stereotyp sind auch Ver-
bindungen wie: den wiz zur grinsenden spottsucht er-
niedrigt Sghubart leben u. gesinn. 2, 159; das von den
jungen leuten allerdings mit grinsendem höhne behan-
delte . . . examen Lagarde dtsch. sehr. 273.
2 GRINSEN, vb., körnig werden: 'grinsen' heist, wenn
die schwartzkupferprohe auf dem scherbel im feuer an-
fanget zu gehen Minerophilus bergwerkslex. (1730) 311;
dazu wohl grinsein: insgemein soll das honig über
laulich warm seyn, d. i. so warm, dasz es an den
fingern krintzele Grüwel bienenkunst (1719) 168; ebenso
auch das adj. grinselig trübe (von ßüssigkeiten) Sghe-
MIONEK elbing. 14; krümelig Lemke volkstküml. aus Ost-
preuszen 1, 167; vermutlich gleichen stam,mes wie das vor-
hergehende; die bedeiitungsentwicklung wäre anzuknüpfen
an 'knirschen' ; vgl. grieseln sp. 265 aus der wurzel gris-
frendere sp. 268.
GRINSENHAFT, adj. u. adv., von lächelnd verzerrtem
gesicht: in dieser . . , Stellung lächelte sie mich zuerst
grinzenhaft an Thümmel reise 9, 50; {zwang er auch
Stirn und äugen zum lachen), so verlor er den ausdruck
der stärke . . . und wurde grinsenhaft unbedeutend
GÖRRES ges. sehr. 1, 323; mit grinsenhaftem lächeln
H. Marggraff balladenchron. 36; unhäufiges wort, aber
doch nicht, wie Campe meinte, fehlerhafte einzelbildung.
— grinsenwinde,/., lonicera xylosteitm, heckenkirsche
Pritzel-Je.ssen 220; Nemnich wb. d. natur gesch. 210.
grinser, m., quiritans Stieler 701. — grinsig, adj..
von verzerrtem gesicht: (als der doktor ihm in die äugen
sehen tcollte), machte er ein grinzig gesicht und riss
beide äugen sperrweit auf Jung-Stilling l, 336; zieht
der kerl aber ein so flämisch grinziges gesicht, als hätte
er rhabarbara gefressen Sghreyvogel 2, 223; anders
{ZU igrinsen2): grinsicht lamentans, ejulans Stieler 701;
wieder anders (zu 1 grinsen l): grinsi/ zänkisch, bissig
Follmann luthr. 217*.
GRINSING, GRINSIG, m., nicht seltene nebenformen
zu grensing u. ä. (sp. 116); zumeist toie dies für poten-
tilla anserina: grinsich, grinsing, grünsing Pritzel-
Jessen 304; grinsing Chomel öcon. lex. 4, 1356; grinsig
WiRSUNG arzneib. (1588) reg.; Megiser pol. (1603) 1, 253*;
für achillea millefolium: grinsing HoLL 136'».
GRINSLER, m., homo morosus Steinbach l, 644;
Bernd Posen (i820) 82; murrkopf Wein HOhD schles. 30:
denn der cavalier war sonsten ein alter grinszier schles.
Robinson (i723) 1, 87; und wenn der alte grinszier aus
der haut führe Stoppe Parnasz (1735) 499.
GRINZLING, m., l) emberiza citrinella, goldammer
Heppe wohlred. Jäger (i763) 153''; grintzling Zingken
öcon. lex. 982; grinsling Nemnich wb. d. naturgesch. 210;
gründschling Coler hausbuch (1603) 5, 159 : grünschling
Döbel jägerpract. (1746) 61; grinschling Popowitsch
139; ein md. und ostd. ivort; näherem bei Suolahti 106.
2) fringilla chloris, grünfink Naumann naturgesch. d.
Vögel 5, 62; Brehm 4, 290 Pechuel- Lösche; grintzling,
grüntzling Chomel öcon. lex. i, 1382; gewöhnlicher grün-
ling, s. d. ,
GRIPFEN, vb., intensivbildung zu greifen; in älterer
spräche nicht selten:
daz vingerhn er griphte
Ortnit iU, 2;
weiteres mhd. wb. 1,573*; in obd. maa. noch lebendig:
gripfen stark eingreifen, z. b. mit den klauen Lexer
kärntn. 124; tastend zwicken, streichen Bacher Lusern
263; kneifend greifen, zwicken Reiser Allgäu 2, 705; dazu
gripf, m., griff IjKXer, Bacher a.a.O.; gripfig, adj.:
inwendig sint si griphig wolf cod. Tepl., Matth. 7, 15;
vgl. den artikel kripfen th. 5, 2320, von dem das meiste
hierher gehört.
1 GRIPPE, /., Schnupfenfieber, inßuenza, eine seit Jahr-
hunderten beobachtete, anscheinend aus Asien stammende,
epidemisch oder pandemisch auftretende krankheit; durch
die grippeepidetnien des Weltkrieges ist das tvort wieder
allgemein gebräuchlich geivorden, auch für die in jedem
jähr vereinzelt attftretenden fälle, die man vordem ge-
383
2 GRIPPE — GRIPPEN
GRIPPIG — GRISETTE
384
wohnlich influenza nannte; aus frz. grippe {v;ohl auf
ruas. chripü heiserkeit zurückgehend, zs. f. d. w. 9, 21)
ende des 18. jhs. entlehnt; {die hauswirtin) schimpft auf
die häszliche grippe, die ihr schon manchen guten
fremden verjagt hätte Thümmel reise 2, 107; schon vor-
her in der {an pips sich anlehnen den f) form grips 'die
influenza, ruszische krankheit' hei Zaupser bair.-ober-
pfälz. (1789) 38; im 19. jh. allgemein: das jähr 1831 . . .
brachte die grippe Chamisso 6, 85; die grippe, die in
Hamburg so stark grassieren soll Hebbel br. i, 168; zur
Sache vgl. Schhirek-Y ierob-VT encycLd.pract. med. 2, ii8.
2 GRIPPE, /.; 'grip eüi fahrzeug wie eine brigantijie'
Jacobsson technol. üb. 2, 158^; wan vil Sarraceni mit
mancher leyen schiffen, fusten, grippen und armaten
zulendeten Breidenbach reisen gen Jerusalem (i486);
darin macht man . . . naue und grippen und fusten
und barcken klein und grosz F. Fabri eig. beschreibung
(1556) 14'';
und als sie in den golfen kamen
von Satallea, sie vernamen
uf dem mör zwo grippen dort
fiist. volksl. 3, 39 Liliencron;
franz. grip, m., Godefroy i, 360*.
3 GRIPPE, /., die kleinsten grälchen zur be- und ent-
wässerung der wiesen Lueger ^i, 631; ähnlich schon bei
Benzler l, 181 ; dieser pflüg macht eine sehr regulaire,
rechtwinklichte , viereckige wasserrinne oder grippe
Thär beschr. d. ackergeräthe 3, 15.
GRIPPEANFALL, m.: als ein übler grippeanfall end-
lich überwunden schien, folgte auf ihn der zweite, här-
tere Jag. Grimm an Dahlmann, briefw. l, 536; leider hat
sich unser guter fürst . . wieder einen verschlimmerten
grippenanfall zugezogen Pückler briefw. u. tageb. i, 172.
— grippekrank, adj., Fontane familietibr. 1,182;
heute bin ich müd und grippkrank Scheffel an Schwa-
nitz, br. 248; Theodor . . . kam grippenkrank hin Bis-
MARCK br. a. s. braut u. gattin 254.
GRIPPELE, /., entzündung an der hand: wan einer
den ungenammten an einem finger oder ein grippelen
an der handt erlitten Würtz practica d. wundarznei
(1612) 463; vgl. grippeln parongchia, das böse ding, nagel-
geschwür Blancard lex. med. 471; gripp- ist eine im
alem. {s. Staub-Tobler 2, 788) ga7iz gewöhnliche seiten-
bildung zum stamm gritt-, s. u. griffen; vgl. auch grig-
geln unter griggen sp. 314.
GRIPPELN, vb., hadern, zanken: ist aber {der leiher)
dabey geitzig . . . zahlt ungern, grippelt und zancket
gerne, so ist es besser mit ihm unverworren seyn Hoh-
BERG georg. cur. (1682) i, 29"; dazu: ob er {der kauf er)
. . die unbilligkeiten hasse, nicht unnothwendige gripp-
lereyen liebe und suche 1,14; biszweilen {sind) die
gemeinen leute und bauren allzu gripplerisch, nei-
disch und boshafftig 2, 49; wohl als krippeln anzusetzen;
der bedeutung nach am nächsten zu kritteln, das nach
kribbisch und zugehörigem (th. 5, 2204) umgestaltet sein
könnte.
GRIPPEN, vb., an sich raffen, stehlen, mausen; grap-
pare, raffare Kramer teutsch-ital. 1, 556''; besonders west-
deutsch: das grippen oder stehlen gieng gewöhnlich in
der frühe . . vor sich Staub-Tobler 2, 788 {quelle von
1805); Martin-Lienhart l, 279''; lux. ma. (1906) 154'»;
Gregelius 435; Müller-Weitz Aach. 74; auch bair.
Schmeller 1, 1006; die ^-formen {s. krippen 4, th. 5, 2326)
sind unecht, vielmehr ahlautbildun g zu grappen {s. d.);
vom stamme grip- greifen etymologisch zu trennen, wenn
auch gelegentlich vermengungen in form und bedeutung
zu beobachten sind; so mit gripfen:
dein ädern und auch die rippe
nicht mit eysen gryppe {zwicke, kneipe)
Angst), killender (15. jÄ.) nach Schmeller 1, 1006;
dazu gripp dieb, grippig dieiiÄcA Staub-Tobler 2, 783
und anderweitig ; grippieren toegkapern Moigt handtvb.
für die gescMftsführung 1, 358; Ostwald rinnsteinspr.
.62; intensivbildung zu grippen ist grippeln Kramer
teutsch-ital. 1, 556''; noch heute im schu-eiz. Staub-Tob-
ler a. a. 0.; häufiger gripsen {auch gripschen) s<eÄ-
len, mausen, gewöhnlich in der bedeutung getrennt von
grapsen (grapschen) mit schnellem griff erfassen, an sich
reiszen, der analogen bildung zu grappen; mundartlich
soicohl md. wie obd. anscheinend allgemein verbreitet, vgl.
krips 2 b «. ß, th. 5, 2329; snatta scheint so viel als unser:
mausen, gripsen Jag. Grimm kl. sehr, i, iii; auch nd.:
gripsen Bauer- Collitz 41"; Sghambach 68''; griebb-
sen Sghemionek elbing. 14, also mit dem vocal von
gripen; vgl. Frischeier l, 250. 253. dazu gripser dieb
Staub-Tobler 2, 792 und sonst; grips, gripsch griff,
verstand {s. an alphab. stelle); grips graps adv. zur
bezeichnung des schnellen, raffenden greifens Frisgiibier
1, 250; lux. ma. (1906) 154 und sonst; es geht grips graps
mit den waaren sie gehen reiszend ab Spiess henne-
berg. 85;
{die katzcn) rissen ripps, rapps,
die küchlein und ihr mütterlein treu,
gripps grapps in viele, viele restchen
Brentano 5, 82;
mit anderer ablautung grips grups, als substant. be-
handelt, eigentlich 'dieb', aber anscheinend auch allge-
meiner 'nichtsnutz' : was habe ich vor eine lust davon,
wann ich etwas lamento setze, und ein solcher grips
grups hinten und forn verschwentzt mir meine arbeit?
Jan Rebhu weltkucker l, 33; latinisiert gripsgrum-
pazius: demut erfordert nicht . . . von einem hoch-
gelehrten, sich für einen gripsgrumpazium zu halten
BuTSCHKY rosenthal (1679) 918.
GRIPPIG, adj. zu * grippe : ich bin von den grippigen
zuständen und den diners ... in die mitte genommen
BiSMARCK br. an Schwester u. schivager 83.
GRIPS, m. l) Substantivbildung zu gripsen {s. o. grip-
pen), 'griff Hertel thür. 110; ebenso gripsch Frisch-
BIER 1, 250; und zivar sowohl das greifende: spängrips
leuchter für lichtspäne Gregelius 436, wie das gegriffene:
griff an der sense Fischer schwäb. 3, 841; grüpps haver
handvoU hafer Schütze holst. 2, 70; häufiger übertragen:
das vermögen geistigen ergreif ens, fassungskraft, verstand;
so allgemein in den maa. des mittleren und östlichen
Norddeutschlands und in gröberer Umgangssprache, Mi
29; Danneil 70* ; Brendicke berlin. 130; Hertel thür.
110; Jeght mansfeld. ii^ ; Müller-Fraureuth 1, 443'';
Frischeier l, 253; auch schles.; er ist ein verständiger
mensch ; der Peter und Gottlieb haben keinen grips
Alexis Isegrim 2, 60: ich bin kein groszes licht, doch
so viel gribs hab' ich im schädel, dasz ich weisz Hol-
tei erz. sehr. 37, 142; die sauren gepfefferten preszköpfe
. . . sind in unserem Organismus zu gehirn und gripps
verarbeitet worden Fr. Reuter br. 499.
2) desselben Stammes scheijit das grips der redensart
einen beim gr. nehmen, in niederer Volkssprache über
ganz Deutschland verbreitet; vgl. krips th. 5, 2328 _^., nur
sind die g-formen häufiger als dort erkennbar, öfter im
selben diulect neben der k-form: gribs, kribs Follmann
lothr. 217 *; jripps, kribbs Jeight mansfeld. 44''; griebs,
krips Müller-Fraureuth i,440; grips, kripsch Frisch-
eier 1, 253; bair. österr. als fem., s. krips i c, dazu bei
der griebs packen Höfler 20i ; se hab'n den dieb glei
bei der gribs g'habt Hügel 71; gripes/ewi. Fr. Kramer
Bistritz. 41 ; icie bedeutungsvermengung mit griebs kehl-
kopf stattfand {s. griebs 3, sp. 255), ist auch eine solche
mit grips l zu beobachten: eins auf den gr. geben einen
schlag auf den köpf versetzen Müller-Fraureuth i,
440 ; literarisch wagt sich das wort kaum hervor: den
{versicherten) kann er {gott) nimmer am grips kriegen
Auerbach u, 148.
GRIPSEN s. grippen.
GRISCH, GRIST kleie s. grüsch.
GRISCHE, GRITSCHE, GRISSE u. ä. s. grinitsch.
GRISETTE l) urspr. ein einfacher grauer stoff, später
auch von künstlicheren geweben Krünitz öcon. encycl.
20, 101 ; Jacobsson iechnol. wb. 5, 787 ; aiis frz. grisette
/., doch im deutschen anscheinend gewöhnlich grisett als
masc.. Voigt hdwb. f. d. geschäftsführung i, 358; im
18. jh. sehr beliebt:
385
GRISSELN - GRITSCHE
GRITTEN - GRITZEN
386
sie {die weste), die ietzt spöttisch kurz um deine hüften
schlägt,
eey länger aus grisett und stark mit gold belegt
Zachariä poet. sehr. 1, 50 ;
grisets oder geblümte zeuge Nicolai reise 10, 61 beil.
2) wie ivi frz. auch für die trägerinnen solchen zeuges,
zunächst schlechthin: einfaches berufstätiges mädchen.
nähterin , putzmacherin u. dgl.: nicht ohne wehmuth
sahn sie die gespielinnen zu armseligen grisetten und
VTärterinnen erniedrigt Meister neue Schweiz. Spazier-
gänge (l790) 9; häufiger in dem specifischen sinne des
selbständigen, arbeitenden mädchens, das die geliebte eines
mannes ist: Jeannette Vaubernier, ein armes Waisenkind
. . ., früher eine putzmacherin, eine grisette, später zur
gräfin umgebacken Bauernfeld 6, 80; auch einfach
'geliebte' : grisetten und freundinnen befriedigen — nicht
die Wollust, — sondern das herz Immermann 18, 70
Hempel. dazu compositionen tvie grisettenartig F.
RuNKEL Böchlinmem. 147; -ball Fr. Dingelstedt 2,
293; -gesiebt M. Hartmann 3, 98; -wesen Immer-
mann 1, 17 Hempel.
GRISSELN, vb., von rieselndem erschauern, = grieseln
{sp. 265); dies die herrschende schriftform,; doch ist die
kurzform namentlich im, älteren obd. nicht selten: aber
die hertzogin sähe in an, all ir geblüt grisselt, und h\ib
an zu bidemen Aimon (1535) g 5^; das der frawen die
haut griselt und ir schwindelt in dem haupt Dryander
d. ganzen arznei inhalt (1542) 3**; gern aufs haar ange-
wendet:
allererst do begund mir
mein har gen himel grislen
Zimmer, ehr an. 1,589;
V071 einer frau in geburtsschmerzen:
wie wird mir wieder so schlimm, auweh !
mir grisselt auf dem köpf ein jedes haar
ScHiNK marionettenth. (1778) 40 ;
anders: schauder . . . laufen einem den rücken hinab
und grisseln in den haaren Tieck sehr. 5, 133; aiich die
grundbedeutung der xcurzel gris-, frendere (s. sp. 268),
.macht sich gelegentlich 7ioch geltend: ir machet mir die
zeen also grisslen . . . mit ewerm schmatzen und küs-
sen WiRSUNG Calistus 92; vgl. auch griesen sp. 266.
das entsprechende gris s(en) lieh, adj. u. adv., = igriese-
lich {sp. 265) begegnet spärlicher: der wint . . nam grisz-
lich uberhandt F. Fabri eig. beschreibting (1557) 208'»;
dasz . . der hailige ritter sant Jörg den gryssenlichen
wurm überwunden Ehingen reisen 13 lit. ver.; ein grisz-
lich heulen der hunde und wolffe mon. hist. Warm. 8,
295.
GRISS(E)LICH, adj., körnig, = griesz(e)lich {sp. 280);
die dort als mundartlich erwähnten kurzformen gelegent-
lich auch schriftsprachlich: die färbe ist ganz schwarz,
mit Wasser vermischt ein wenig griszelich Göthe iii i,
272 Weim.; pferde, in der sonne geröstete, . . hier gris-
liche rothbraune fleischmassen, . . dort schon abgezehrte
gerippe lagen . . umher Alexis erinn. 124 ; {das junge
grün) spreizt sich grisslig wie kresse Scui^af frühlingsbl.
23; vgl. noch grisslich von speisen . ., die gleichsam feine
körnchenspuren lassen Albrecht Leipz. 126*; hier liegt
eine besondere kurzvocalige tcurzel, toohl das unter gries-
gramen {sp. 268) behandelte gris-, zu gründe; gelegentlich
gritzlich: seyhe es darnach durch ein starcks tüchlin,
dasz nichts gritzlechts hindurch mög Gäbelkover arz-
neib. i, S85.
GRISTELN, vb., zerkleinern: gristeln, kfirtzlen Hars-
DÖRFER poet. trichter (1648) 2, 145; mhd. üz gristen aus-
mahlen, s. 0. sp. 268.
GRITSCHE, /., gryllus domesticus Nemnigh tob. d.
naiurgesch. 210; Weinhold schles. 30; Popowitsch
versuch 164 ; schallnachahmende benennung in anlehnung
an gritzen stridere {s. kritzen 3, th. 5, 2345) ; gritzen sin-
gultare Diefenbach 536"'; vgl. gritschen zirpen Uüger-
Khull 306''; gritsch(e) kleines dürftiges kind, zwerg
Weinhold a. a. o.; Schmeller i, lo:8; Hügel 71 ist
wohl dasselbe; vgl. gricken sp. 249.
IV. 1. 6.
GRITTEN, vb., nur obd., die beine spreizen; graten,
gratlen, griten divaricare, distendere crura Staub -Tob-
LER 2, 827 {quelle von 1662) und ebenso noch im heutigen
Schweiz.; mit gespreizten beinen einhergehen, auch: klettern
Fischer schwäb. 3, 843; griten schreiten, rittlings sitzen
Schmeller cimbr. 126; mit object: (JcüJie, die) so sie
gehen sollen, die füsz nit zu weit von eynander gritten
Herr feldbau (l55l) 193 **; dann auch 'sich spreizen':
divaricata crura bein, so von einander gritten Dentzler
nach Staub -Tobler a. a. o.; übertragen: der {feigen-)
paum ist gesträut mit weit gritenden esten K. v. Me-
genbehg 322, 4; die feder die da griffet und nit recht
schreiben wil Keisersberg sünden d. munds 49'^ {th,
5, 2346 *. v. kritzen 4 d falsch erklärt); hierher wohl auch,
im sinne überspreizen, d. h. umfassen:
{Dido nahm) so vil land
dann die riemen möchten gritten
ausz einer büffelshaut geschnitten
Murner nach Schmidt elsäss. 1561»;
das dem got. grids m. schritt entsprechende zu gründe
liegende suhst. begegnet nur in spuren : gritmali, critmali
Graff 4, 311; passus schriet, griet Schmeller l, 1017
(quelle des 15. jJis.); grit, griit schritt cimbr. 126; dazu
bair. und alem. vielerlei andere ableitungen, so grit-
teln, grosze schritte machen, die beine auseinandersper-
ren Lexer kämt. 122; klettern ¥isghkk, schwäb. s, 844;
varicare die bein weit von einandern setzen, grittlen
Dentzler nach Staub-Tobler 2, 827; auch im neueren
alem., ib. 828; gritter, eig. einer, der beim gehen die
beine iceit oder ungeschickt auseinanderbringt, dann vom
steifen, mühsam gehenden alter, als Scheltwort:
es ist ein wurmstichiger mann,
ein alter gritter und koszbauch
Frischlin Susanna (1589) 326;
weiteres Fischer schwäb. 3, 843; im selben sinne gritti:
die mutter war eine stattliche frau, so für einen alten
gritti . . . mehr als gut Gotthelf 7, 110; vgl. Staub-
Tobler 2,827; grittecht adj.: der mit den schenck-
len umb die knefiw und schinbein weyt von einanderen
grittet Maaler 192^; am häufigsten grittling(en) acZv.,
mit gespreizten beinen, rittlings; von Christi Stellung am
kreuz:
und woltent baide ffisse han
hinder das crüce also gezogen . .
das er grittelingen wsere
gestanden in der swaere
Schweizer Werniier Marienleben 9995;
er must nider auf das sail gritling sitzen städtechron.
10, 166; iceiteres s. unter dem falschen ansatz gerittling
#74.4,1,2,3715; auch grittlisch: da sassen zwen lands-
knecht zu obersten auf der mauer grietlisch städtechron.
15, 229; gritlisch Aventin 5, 147, 20; beides auch in den
modernen obd. maa.; auch das isolierte gritte pruni-
ceps Diefenbach 469'' wird hierher gehören.
GRITTELN, GRITTLICH, GRITTLICHKEIT s. kritteln
u. s. w.
»GRITTIG, -ISCH, adj., zänkisch: bruder Rauschen,
grittische und farnesische bastart Fischart groszm.
(1623) 0 4»;
60 seyt ir mender . . .
. . trutzig, sawer und ghrüdisch
"H. Sachs 4, 21, 31 Keller;
über das vorkommen in neuerer ma. s. krittlich l c y,
th. 5, 2340, dazu Fischer schwäb. i, 771.
2GRITTIG, adj., habgierig, a. greitig sp. 94; dazu grit-
tigkeit, /. : der begert von gritekeit einre kröne . .
mit karbünkelsteinen städtechron. 8, 33; das die pfaffen
ungerecht werent mit hoffart, mit grittikeit und un-
küscheit E. Windegke denktcürdigk. 108; gritti glich,
adv.: wie sie den lüten, die in befolhent sint, ir gut
und arbeit . . griteclichen verslindent ebd. 327.
GRITZE s. grütze.
GRITZEL, GRITZELMÖHRE s. kritzelmöhre.
GRITZEN, vb., knirschen: hüt sich auch, das er we-
der mit den leftzen schmatz, oder mit den zenen wie
ein saw wetz, gritz oder schnauf J. V. Deyger paedo-
25
387
GROB
GROB
388
nomiaE?*; als aber der winter mit kelte gritzet Joh.
Kessler sabh. 157; ein noch heute im alem. reich ent-
faltetes icort, s. Staub -ToBLER 2, 836; das wort wird
th. 5, 2345 mit kritzen identificiert (s. d. 3), kaum mit recht;
etwa = gristen (*. griesgramen, form l, sp. 268) mit um-
gesprungenem s? jedenfalls des öfteren im ivechsel mit
dem stamm gris-: der bapst forcht, gritz wurd grommen
nachschlachen {die erhitterung würde sich steigern) J. v.
Watt dtsche histor. sehr, l, 304 statt des üblichen grisz
schlecht nach gramen (*. griesen sp. 266) ; im schwäb. gritz-
grammen u. ä., s. o. sp. 268.
GROB, adj.
form, und Verbreitung.
das wort scheint altheimisch nur auf hd. und nd. boden ;
dann spütanord. gröfr 'grosz, grob' stammt aus dem
nd., engl, gruff 'barsch, roh' aus dem nl. ältester beleg
cropa zascruntan ^sswra Graff 2,356 {hraban. gloss.);
häufiger erst bei Notker (l, 705, 2; 722, 10; 819, 2; 887, 17;
vgl. 852, 10. 24), der bedeutung nach bereits voll enttvickelt;
iti der classischen mhd. dichtung fehlend; erst seit der
2. hälfte des iS.jhs, häufiger, zumal aufmd. boden; mnd.
und mnl. reich entfaltet, bei Notker bis auf i, 837, 17
stets gerob, ebenso das abstractum als geroubi l, 852, 8.
17 {vgl. grobe), aber das e wird sproszvocal sein,
die etymologie ist schwierig; an auszergerm. beziehungen
bietet sich lit. grubüs holperig, grumbü, grübt! holperig
werden; lett. grumba runzel, abg. gr^bü grob, raiih, s.
Franck 217''; auf eine ähnliche grundbedeutung führt
auch die bedeutungsgeschichte des deutschen Wortes; höher
hinauf ist Wurzelverwandtschaft mit grosz wohl möglich,
vgl. Falk-Torp 1, 850.
bedeutung und gebrauch.
die schwer zu durchschauende bedeutungsentwichlung
ist mir zu verstehen bei der annähme, dasz der quantitäts-
begriff 'massig, dick', den man gewöhnlich als die grund-
bedeutung ansieht, nicht primär ist, dasz vielmehr aus-
gegangen werden musz von der bedeutung 'uneben, rauh',
die auch die idg. parallelen nahelegen; sie ist freilich
frühzeitig überwuchert ivorden durch die quantitative be-
deutung, die sich auf dem wege über 'bröckelig, grobteilig'
entwickelt haben mag {vgl. grosz), bricht aber in vielfachen
Veränderungen u. färbungen des quantitätsbegriffes immer
wieder durch, xvenn sie auch nur in tvenigen gebrauchs-
weisen rein zu tage tritt; immerhin gehört sie an den
anfang.
A. grundbedeutung: uneben, rauh, heute nur noch im
abstractesten gebrauch, in der anwendung auf menschen
{s. u. F), voll lebendig; im, älteren nhd. noch entioickelter.
l) zunächst ganz sinnlich: aspera tactu rauch und
grob anzerüren Frisius dict. (i556) 1288 »■; die grobe rauhe
band weiss und glatt zumachen Sebiz feldbau (1579) 78;
nim der groben birckenrinden, die unden vom bäum
herab fallen Gäbelkover arzneibuch (1595) i, 83; das
kennt auch die neuere S2)rache noch: die muskeln sind
. . mit einer groben rauhen haut überzogen Göthe 37,
347 W.; vgl. dem uralten brauch . . liegt gewisz ein
frommes gefühl zu gründe, aber es steckt in einer gro-
ben hülle D. Fr. Strausz 6, 17; der abstractere gebrauch
im sinne 'rauh, ivild' dagegen wesentlich im älteren nhd.:
der Christo . . . aufm rauhen, groben und unebenen
weg ... der lügenden nachfolgt Albertinus him-
Schleifer (1664) 302; das heilig wasser entspringt ausz
groben bergen und ungehobelten felsen Seb. Franck
sprichw. (1541) 1, ISO**; ist , . über das grob und hoch
gebirg gangen Guarinonius greuel d. Verwüstung (i610)
816;
noch umgibt uns ocean
grober wasser Herder 6, 190;
ganz vom sinnlichen ausgangspunkt gelöst: so ist Ybernia
ain grob hert land, da weder wein noch ander edel
frücht innen wachsea Fortunatus 74 ndr. ; ich schicke
meyn tochter nitt in dasz ferre grobe land {Dänemark)
Vogelgesang heiml. gespräch 23 ndr. ; eyn birgig unfrucht-
bar landt und wie under eynem groben hymel gelegen
Franck weltb. 95"; das gantz jar wurde feucht, schwer,
grob und ungesund sein J. B. Grass schöne historie (l670)
194; von schlechtem weiter bis heute im österr.: endlich
ward das wetter 'grob' (es regnete) W. v. Chezy erinn. 2,
183;
(er) liegt untän frei'n himmel, is's grob oder sehen
Pailler weihnachtslieder u. krippensjnele 1, 187;
auch ganz inconcret: der sig ist zu grob, der mit blüt
ligt ob Seb. Franck sprichiv. (1545) l, 63 *; rauh in der
loirkung, 'scharf, stark': man musz oft einen mit groben,
scharpfem saltz reiben Lehmann florileg. polit. 2, 749;
es sind aber gar grobe rauhe artzneien und deszhalben
nicht liederlich zubrauchen Gäbelkover arzneibuch
(1595) 2, 158; etwas anders {mit anklang an F 2): es sieht
einer groben baurenartzney gleich Wirsung arzneibuch
(1588) 554«.
2) das alter dieser bedeutung erweist der schon im ahd.
bezeugte gebrauch für 'rauhe' töne von jeglicherlei art:
taz aber in nideren esten dero erdo sih nähta, daz lütta
gerobo gravitas rauca quatiebat Notker i, 705, 2; ähnlich
1, 722, 10; sang also grobo -so Dores singent l, 837, 17;
welhes menschen überpräwe vil härs habent und rauch
sint, der . . . und ist sein sprach unrain und grob
KONR. V. Megenberg buch d. natur 45, 17; mit grober
grausamer stym (er) sprach Arigo decam. 85 lit. ver. ;
im zorne schreit er {der rollaffe) mit tiefer und grober
stimme Brehm thierl. i, 231 Fechuel-Lösche ; das {sc. zöttlin
von dem wuUen tfich) nympt den saiten das kesseln
oder dye grobe onfreuntlich hallung oder thonung Vir-
dung musica getutscht (löil) F i''; kriegt dieser reso-
nanzboden . . einen sprung, dann . . geben {die saiten)
einen dumpfen, groben ton Nestroy l, 46; aus 'rauh'
entwickelte sich die bedeutung 'tief : bassa vox grob und
nyder stym Brack vocab.rer. (1491)40*^; das du das selbig
für die gröbst oder nidrist stym des clavicordis . . magst
erkennen Virdung musica getutscht (i5ll) F 3*; so schon
ahd.: also imo ouh tie andero {saiten) so uilo gerobor
inquedent, so uilo so si lengeren sint Notker i, 852, 10;
vgl. 24; {die saiten) die etwas schlaffer angezogen waren,
die grobe stimme machten E. G. Baron instr. d. lauten
(1727) 12; von musikinstrumenten: grobes hörn Hars-
dörfer frauenz. gesprächsp. 4, 490;
und streicht den groben violon
Stoppe Parnasz (1735) 91;
auch von dunklerer färbe des tons, 'dumpf:
und die kartaune töhnt den groben leichenklang
Stieler geharnschte Vaius 8 ndr.;
dann der messing laut von natur grob und der stahel
cleyn Virdung musica getutscht (i5li) Fl''; etliche bliesen
sehr klahr und helle, ander wieder grob und dunckel
Dapper Africa (I67l) 609''; dies eine sehr geläufige anti-
these :
das war ein blocken, quäcken, quacken . . .
so grob, so klar, so mancherley
LiCHTWER äsop. fabeln (1748) 114;
sie (,die biene) sang bald grob, bald klar
Fr. Kind ged. 3, 127 ;
handelte es sich nur um zweistimmigen gesang, oder
um 'grob und fein', wie wir es bequemer nannten
HoFFM. v. Fallersleben 7, 11 Oerstenberg.
B. nicht minder alt, aber viel ausgebreiteter ist grob
als quantitätsbegriff: 'dich, stark, umfangreich, grosz'
(^egensatz 'dünn, klein'); grossus Diefenbach 270''; nov.
gl. 198"; vgl, die alten, formelhaften paarungen:
{von edlen bäumen sie) brachen obz
beide deine unde grobz p(
s. H. 36, 1 ;
ebenso K. l, 31; 5, 19;
tenden {zehnten) . .
149'' {quelle V. 1407);
wo grob und fein
Eichendorf 2, 163;
sagt man grob und
kaufen, verkaufen),
grosz'.
l) im eigentlichen
dat wy hebben verkofft enen unsen
groff un smal Schiller-Lübben 2,
alt klingt auch: ein . . hoher bäum,
erquicklich durcheinander wächst
am Niederrhein und wohl auch sonst
grosz für 'sachen' {z. b. grob u. grosz
urspr. wohl gemeint als 'dick und
dinglicJien gebrauch.
389
GROB
GROB
390
a) wie grosz auf einen ausgangspunkt 'grobkörnig'
weist, mag auch hier in der zählebigen bedeutung 'dick-
theilig' das genetisch älteste stecken: grober staub Er.
Alberus dict. (i540) 23^ ; ■ cibarium grob med B. Faber
thes. (1587) 171''; kleye . , ist das grobe, so vom körne
. . überbleibet Gueintz rechtschreib. (1666) 91; examur-
care oleum die trusen und grobe matery vom öl thun
Calepinus XI ling. (1598) 503''; zu einem pfund groben
werckpulfer Reutter v. Speir kriegsordn. llG; viel
grobes sands En. Alberus dict. 54*; {wege) mit grobem
kisz bedeckt Bahrdt gesch. s. leb. 3, 314; (eine trepi:e)
groben gerölles Moltke ges. sehr. u. deiikw. i, 21; eine
Stufenfolge groben getrümmers begleitet . . den grat
H. V. Barth Kalkalpen 625; mit groben hasenschrot
ollapatr. 43, 30 ndr.; ebenso adverbiell: grob stossen,
hacken, schneiden Kramer teutsch-ital. i, 5&7^; vgl. die
zusammenrückungen grobgestoszen u. a. sp. 407/".; ähnlich
in der spräche des berqbaues: was grob zu gewinnen ist
.... darf nicht weggestufet . . . werden Veith bergicb.
(1870) 249.
b) frühzeitig aber auch zur bezeichnung des massigen
schlechthin; von menschen zunächst einfach 'dick' : grouer
(grossus) homo Graff 2, 850; groff corpulentus Hiefen-
BACH nov. gl. 115"; Carolus der drilt, genant der grob
kaiser städtechron. 3, 65; Pipinus met syme zonamen
der grove Wallraf 81 [quelle von 1451); zu%veilen auch
mehr qualitativ gefärbt, *. C 1 ; alem. noch heute für 'hoch-
schwanger' Staub-Tobler2, 689; grobes leibes seyn 'obd.'
Adelung; vgl. grob schwanger unten 2 a; von thieren
'stark, grosz' ; schon bildlich:
solch grobe fisch {fette opfer) han sie gefangen
mit büberey und bösem garn
BuRK. Waldis Esopus (1565) 203;
gerade in dieser Verbindung noch heute in manchen maa.,
vgl. Schröer nachtr. 80; weindroschel und ander grobe
Vögel {im gegensatz zu, finken und lerchen) Mathesius
Sarepta (1571) 175''; von groben und kleinen vögeln ins-
gemein AlTiNGER Jagd- u. weydbüchl. (l68l) titelbl.; ses
hunde starck unde grof Reinke de vos v. 336; grobe
ochsen wilder art Spreng Ilias 93"'; doppelsinnig (vgl.
F la): feist land gibt grobe ochsen Petri d. Teutschen
weish. 2, Ooo8*; ein rudel lauter starcke oder grobe
sauen Döbel neueröffn. jäger-pract. 1, 25, und so noch
heute in der Jägersprache; grob wildpret = schwarz w.
Heppe xoohlred. Jäger (1763) 153''; etwas anders (mit Hin-
neigung zu Es): (des esels) gebein ist gantz dünn, . .
dieweyl es sunst so ein grob thier HeroldForer Oes-
ners thierb. (1563) 41''; 'derb, stark, fett, vom vieh' Fischer
Schwab, 3, 844; ähnlich, im schtceiz.
c) auch wo das adj. sonst von körperlichem gebraucht
loird, in erster linie zur bezeichnung der masse, des rund-
umfangs: mein minster finger der ist gröbere (grossior)
dem rucken meins vatters erste dtsch. bib. 5, 297 (3. kön.
12, 10); ebenso noch heute in der ma.: (der geschwollene
finger) isch fasch d's halbe" gröber es d'r anger; ärm-
lisgrob so dick wie ein kleiner arm Staub- Tobler 2,
688;
me nimt e achs u geit u bätzget
im holz a mengem grobe bäum
hihi. alt. schriftw. d. Schweiz I 5, 196;
(die trutznachtigall) sich setzt an grober eichen
Spee trutznacht. (1649) 4;
grob holtz du gros bois Duez nomencl. (1652) 87; grobe
stocke auszreuten Petri d. Teutschen Weisheit 2, Z 7*;
gern bildlich im Hinblick auf die bedeutung F : ich sehe
wol, ich musz mit den pawrexten ubir die groben bloch
kummen Luther 9, 741 W.. nach dem Sprichwort: zu
groben biochen gehört ein bawernaxt Lehmann fioril.
polit. 1, 350; auf einen groben ast gehört ein grober
quast Gottsched vers. einer crit. dichtkunstlQ ; vgl. Scham-
bach eg^'; heute gewöhnlich: auf einen groben klotz ge-
hört ein grober keil teutsche sprichto. (1790)59; schon be-
nutzt von Henrici:
grobe klotze musz man keilen
ernst-, scherzh. u. sat. ged, 3, 476,
aber anscheinend noch älter: den groben Schmidelini-
schen klotzen müsz man grob keyl aufsetzen Nas anti-
gratulatio (1568) 33*; gelegentlich auch: auf ein grob holtz
gehöret ein grober keil Spanutius (1720) 595; auch grobe
Späne, an sich nur 'dicke, starke späne', in verschiedent-
lich übertragenem gebrauch: der (noch unerzogenen) Jugend
die groben späne abhauen u. ä. s. span th. 10, 1, 1866 /;
von ungeschickten reden und Schriften sagt man: es
seind grobe hobelspän . . es seind grobe brocken, die
ein starcken magen zu verdawung bedörfen Lehmann
florileg. polit. i, 373;
der alt woIf het ein schaf zu bissen, . .
er schlang es auf bey groben flecken
BuRK. Waldis Esopus 1, 22 Kurz;
so bleiben die groben kolen . . in dem sieble Ercker
mineral. ertzt (i580) 9''; die bynnerste muyre, die gar
dick was mit groeuen steynen off gemuyrt pilgerfahrt
d. rittera v. Harff 67 ;
sie (die liehe) spottet grober mörsersteine
Stieler geharnschte Venus 8 ndr. ;
die ähren von besondrer grosse, gefüllt mit groben
körnern Brockes ird. vergn. 7, 401; dabei heulender
wind und grobe flocken Bismarck br. a. s. braut und
gattin 14; aber icirklich lebendig in neuerer spräche nur
in fällen icie: fast immer enthält es in feineren oder
gröberen theilen schwefeleisen Humboldt kosmos 8, 614.
d) weiterhin, mehr oder minder technisch, von den ver-
schiedenartigsten künstlich erzexigten gegenständen: gro-
ber draht dicker dr. Krünitz 20, 106; mit ayner groben
oder dicken saitten bezogen Virdung musica getutscht
j 3''; grobe säge die grosze zahne hat Kramer teutsch-
ital. 2, iio^ ; ebenso grober kämm Frischbier l, 254'';
vgl. kemme den köpf für erst mit groben, darnach mit
den kleinen zänden nomencl. lat. germ. (1634) 335; cribrum
loliarium ein grobe sieb 362; grober pensei Harsdörfer
frauenz. gesprächsp. 1, D 3"; drei gebiete sind besonders
hervorzuheben: achrift und druck: eine grobe feder
penna cuspide crassiori nomencl. lat. germ. (1634) 289; auch
in verschiedenartig pointierter Übertragung :
hie hab ich grobe fedren gschnitten
Scheit Qrobianus v. 98 ndr.;
Scipio sey nur von der groben feder des Ennius ge-
rühmet Lohenstein Armin. (1689) l, 233*; je nach der
federatürke kann maii rein oder grob schreiben escrire
menu ou gros Duez nomencl. (1652) I5l; er . . schreibt
drauff (auf die tafel) mit deutlichen, groben buchstaben
Luther 19, 390 W.; grobe, fette schritt carattere grosso
Kramer teutsch-ital. 2, 655"; die drucker nennen ver-
schiedene typenstärken kleine, grobe canon, sahen «. a.
Täubel buchdruckerk. (i79i) i, 172; ausser dem . . gesang-
buche, welches jährlich in grobem und feinem drucke
aufgelegt ward Nicolai Nothanker i, 20; in Zürich tver-
den reini u. grobi bettagsbüchlein herausgegeben Staub-
Tobler 2, 689; auch die bedeutung E kann hereinkreuzen:
ein grob gedrucktes blatt Storm 6, 118. — münze:
grobe münze bezeichnet urspr. ganz concret ein groszes
geldstück, dann für die hochwertigen münzsorten im gegen-
satz zur Scheidemünze:
an dicken groschen, groben talern
BuRK. Waldis Esopus 1, 406 Kurz;
was gute grobe müntz ist, als taler und neuwe reichs-
güldner Ercker mineral. ertzt (1580) 25*; 300 thaler in
groben münzsorten Göthe IV 35, 29 W.\ wenn die Eng-
länder grob und klein geld in öinen beutel legen Hippel
über d. ehe (i792) 77; ebenso alt auf nd. boden: in guden
golde unde grouen suluergelde quelle von 1474 bei Sch iller-
LObben 2, 150*; von den maa. kennt noch heute das alem.
grobs (geld) grosze (silber)atücke im gegenaatz zur münz,
zu chlinem Staub-Tobler 2, 689; hat' weder grobs noch
münz ebd. (i7.jh.); vgl. müntz für grob geld wechseln
Kramer teutsch-ital. 2, 80°. — geschütz: das adj. be-
zeichnet hier urapr. tcohl die stärke des rohres (vql. gro-
ber bäum u. ä. unter b), dann das grosze geschütz: mit
zwölf groben stücken Chemnitz schwed. krieg (1648) l, 130 ^ ;
namentlich neben collectivem geschütz vom 16. bis ins
25*
391
GROB
GROB
392
19. jh. ganz gewöhnlich: meine herren haben . . etlichs
grobs geschütz auf etliche berg fürn . . lassen städte-
chron. 32, 478 ; ein platz zu dem uberigen kleinen und
groben geschütz Fronsperger kriegsbuch 1, 44«-; so-
bald das grobe geschütz zu spielen anfing G. Forster 2,
198; heute abgelöst durch schwer; nur in der ende des
18. jhs. aufkommenden übertragenen Verwendung ist auch
heute noch grob möglich: erst wie die . . anklage in ihrer
nichtigkeit verpuffte, führte der hauptmann . . sein
grobes geschütz auf Fr, L. Jahn 2, 202; vgl. geschütz
th. 4, 1, 2, 3976/.
2) seit alters auch, auf unsinnliches bezogen, als in-
concretes masz.
a) 'grosz' schlechthin:
und in wie tugentlicher art
an manigem was ir {Marias) helfe grob
pass. K. 690, 23,
t?» mhd. nicht selten, s. mhd. üb, 2, i, 7G2 * ;
wan ik hadde bekant
eynyghe sake in my, kleyn noch groff
Beinke de vos 4333;
das zue grob und hoch wetten soll bestraft werden
Staub-Tobler 2, 689 (a. d.j. 1595); groben übernutz
(wucher) üben ebd. (a. d.j. 1682); eigen: grober herr gnä-
diger, hochansehnlicher herr SCHRÖER nachtrag 30; ebenso
adverbial 'sehr, in hohem m,asze' :
{Antonius) horte wol, wie rehte grob
uf den bruder trat ir lob
väterbuch 2319 Reissenberger ;
Hans V. Toggenburg, ein wundarzt, der kaisern und
küngen grob gedient Staub-Tobler a. a. o. (a. d.j. 1477);
mit besonderer färbung: eyner der do grab ritte grandi-
loquus Diefenbagh 268"; dieser fürs nhd. besonders aus
dem alem. zu belegende gebrattch hat sich dort bis heute
gehalten: grobb lang v. Klein l, 164; ich han dich grob
lieb u. a. Staub-Tobler 2,690; aber auch im bair. sich
grob verwundern, grö' vil, grob guat u. ä. Sghmeller l,
98 i; zu allgemeinerer, auch schriftsprachlicher Verbrei-
tung ist nur gelangt : die damaln auch grob schwanger
war Schütz hist. rer. Pruss. (1592) 54"; als Messalina
bereits grob schwanger mit ihr gegangen A. U. von
Braunschw^eig Octavia (1677) 2, 62; später zum compo-
situm verwachsen: da sie nun grobschwanger A. Bre-
mer chron. Kiliense 243; grobschwanger von projecten
GÖCKINGK an Bürger, br. 2, 19 Strodtmann.
b) daneben frühzeitig als intensitätsbegriff ungünstiger
färbung in der bedeutung 'heftig' oder auch 'schlimm',
offenbar unter einflusz der grundbedeutung A; nament-
lich im älteren nhd. in bunter Verwendung: das ist ein
grober buff wider unsern köpf Luther 12, 595 W.; en
. . strid in St. Peters munster, de so grof unde groth
wart Schiller-Lübben 2, 150"-; do geschach von den
burgern . ., die sich verheizen Hessen, ein grober uff-
lauf über des pfaltzgraven reth M. v. Kemnat chron.
Friedrichs I. 53; umb dise zeit . . gieng abermalen al-
lenthalben grob jamer, krieg, verwüestung . . empor
V. Brandis landeshauptl. v. Tirol 14; die grobe maltzei
Sebiz f eidbau (l579) 894; ebenso adverbial:
(er) traf des beiden schiff so grob,
das es sich halb von ander klob
Teuerdank 153 <?.;
Btiesz er mit dem fusz so grob wider die thür, dasz sie
ausz den angeln fiel Amadis 176 lit. ver.; losz sie {die
anfechtungen) kommen, wie grob sie wollen Keisers-
BERG bilgersch. (1512) 56";
wodoch ik byn gheschendet groff
van Reinken
Reinke de vos v. 872, vgl. 3250, 4236 ;
mit dem biet er got aufs gröbist gelestert Berth. v.
Chiemsee teutsche theol. (1852) 70; was dörfen sie sich
dan also grob an irem vatterland vergessen Fisghart
ehzuchtbüchl. 122, 19 Hauffen; ich dich so offt und grob
erzürnet hab Spee güld. tugendb. (1649) 30;
der traumgott hatte sie im schlaafe grob erschrekkt
Stieler geharnschte Venus 120 ndr.;
neben vritterungser scheinungen vermuthlich älter als die
belege erkennen lassen:
offt musz sich der Sonnenschein
noch im gröbsten donner zeigen
ScHMOLCKE sämtl. trost- u. geistr. sehr. 1, 95;
na hat er gschickt an groben wind
K. Stieler ged. 1, 18 Reclatn;
vgl. so oft sie {die nerven) aber ein grober Sturmwind
schlägt Börne 9, 29; so empfindet man heute auch grobe
see heftiger seegang v. Alten handb. f. heer u.fiottei,
399, urspr. ganz eigentlich 'grosze, hohe see' ; vgl. die see
begunte hohl und grob zu gehen Andbeas Müller
denkwürd. reisen (1678) 118*; grobe see = hohl wasser
BOBRIK 819.
c) je später, je tnehr schränkt sich diese Verwendung
des adj. auf bestimmte begriffsgruppen ein: der mit gro-
ben toidsunden beladen was Wigand Gerstenberg
chron. 207;
thu weck dein grobe sünd und schuld !
H. Sachs 1, 280 Keller;
in älterer spraclie ungemein häufig; mit leichter färbung
nach D 4: {eine einkleidung, der) durch die gröbsten
Versündigungen gegen die sitten und das costüme von
Indien widersprochen wird Scijiller 6, 11 G.; gröbere
vergehungen und laster Eschenburg theorieSi; mit den
gröbsten verbrechen Kretsghmann 2, 14; sie bekennen,
dasz sie grob gesündiget . . betten Eeinicke fuchs (1650)
847; wie grob auch ein mansch fehlet Moscherosgh
gesichte (l650) 1, 67; im hause hielt uns . . ein respectus
quasi parentalis . . von groben excessen ab Leipz. avan-
turieur (i756) 1, 76; wenn ein grober unfug eine bestra-
fung . . erforderte Fontane I l, 7l; wegen . . groben
miszhandlungen GötheIVS4, 122 W.; es haben . . auch
andere nationen ir sondere gröbere vitia Scheit Orob.
4 ndr.; mit allen ihren eigenheiten, lächerlichkeiten,
abgeschmacktheiten, auch wohl gröbern fehlem Miller
ged. (1783) aiih. 456; auf einer andern linie liegen:
dasz ichs für grobe thorheit halt,
wer gschlagen sein will mit gewalt
Scheit Grob. v. 1586;
darumb sehr grob gewisz ist deren Unverstand
VVeckherlin ged. 1, 436 lit. ver.;
aus diesen durch grobe Unwissenheit und einbildung
veruhrsachten fehlem Zesen verm. Helicon l, 7; jtmg:
grobe Unvorsichtigkeit Hebbel I 8, 54; grobe fahrlässig-
keit tcechselordmmg art. 74; 'crass': grober eigennutz
Novalis im Athen, i, 95;
als ich ihn des groben Undanks zieh
Collin Regulus 119;
ein grober handwerksneid Gottsched d. neueste a. d.
anmutJi. gelehrs. 5, 126; in andern fällen klingt die be-
deutung F 5 b mit an: weil er . . gegen seine heiligkeit
eine grobe Verachtung zeigte Göthe 43, 3io W.; so
wäre es eine . . grobe unhöflichkeit Gottsched dtsch.
schaub. 2, 87;
der Wohlstand wird zu grob verletzt
Stoppe Parnass (1735) 271;
jung: bei einer thätlichen oder groben wörtlichen be-
leidigung Spielhagen 2, 842; eine grobe injurie K. Fr.
Gramer Neseggab l, 173; (er) greift darum zu den
gröbsten Schmähungen Melchior Meyr erzählungen
a. d. Ries l, 62; vÄe überhaupt neuere spräche eine super-
lativische vencendung liebt: die gröbsten gegensätze
Herder 17, 231 ; dem Vorwurf der gröbsten inconsequenz
Schleiermacher 1 5, 54; die gröbsten vorurtheile Brem-
ser medic. parömien 124.
d) im gefolge von c auch mit persönlichem regens:
einen groben sünder Treuer dtsch. Dädalus 1,8; dagegen
mit himieigung zu C i: das evangelium kan leychtlichen
mit offenen und groben sunderen umbgehn Luther 9,
539 W.;
wie er tUrstig hie und dort als ein grober dieb
vielen raub zusammen trag
Reinicke fuchs (1650) 25;
393
GROB
GROB
394
ein grober pferdedieb 149; aufenthaltsort der gröbsten
Verbrecher W. Grimm an Dahlmann, briefxv. l, 528; wie
der gröbste missethäter Schubart br. 2, 68; anderes ver-
einzelt: das war einem groben enthusiasten wie mir
ganz übrig Pückler Iriefio. u. tageb. l, 92.
e) es (zu) grob machen, treiben u. ä. 'zu weit gehen',
in verschiedener anwendung:
ob wir es zu grob betten gemacht,
so soll ir es für einen schimpf versten
fastnachtgp. 1, 329, 6 K. ;
nun mochtens auch der stedte soldener etwas zu grob
machen Gyr. Spangenberg chron. (1614) 143; anders:
also gedachte er auch immerdar, er hette es mit seiner
verschreibung zu grob gemacht volksb. von dr. Faust 1I8
ndr.; vgl. dazu er hat es grob gemacht graviter peccavit
Steinbagh 1, 645;
der löwe trieb die tyranney
80 grob, dass ihn das volk verjagte
Pfeffel poet. vers. 6, 196;
kommt es aber doch einmal (wie wir zu sagen pOegen)
zu grob ERZHERZOG JoHANN an Prokesch- Osten, briefic.
61; von auf schneiderischem erzählen : andere machten es
noch gröber Holston u. Augusta (1780) 10; hoho, das ist
zu grob und unwahr, unterbrach Alexander den crzllhler
E. Th. A. Hoffmann 6, 1S3 Grisebach; seass batze vorsz
hinkel is rneir sze grob zu stark, teuer Pfister 1. er-
gänz, heft zu ViLMAR 13; in ähnlichem sinne ist auch
ein attributiver gebrauch möglich : eine grobe (übertriebene)
forderung; die grobe schusterrechnung G. Freytag verl.
handschr. 2, 142; vgl. es {das imblikum) wurde nur grö-
ber und ausschweifender in seinen forderungen Lichten-
berg verm. sehr. (i800) l, 68.
C. andere gebrauchsweisen haben das gemehi, dasz bei
Urnen der maszbegriff mehr oder weniger umgewandelt ist
in einen wertbegriff.
1) aus 'dick, stark' wird 'fest, gut': nimant setzit In
einen schroten grobis tflches in ein alt cleit Beheim
evang. buch, Matth. 9. 16; und so noch in modemer ma.:
das tuech ist grob hat gute Qualität, ist solid Staub-
Tobler 2, 689; grobi arbet solide, starke arbeit ebd.;
vgl. das Sprichwort: was grob ist, das ist starck und bricht
nicht bald Lehmann florileg. polit. i. 878; grob6 glida'
starke glicder Schneller l, 984; so wird aus grob cor-
ptdentus {s. B 1 b) grolT van licham robustus Diefen-
bach 499"; ist der mensche nicht vast grop und gross
und starcker natur, so nim auf ein mal Va quartir ader
minner Pfolspeundt bündth ■ ertznei (1460) 148 Häser-
Middeldorpf; {ein mittel) nicht für jederman, sonder
allein grobe harte leut Gäbelkover arzneibuch (i595) i,
214; ähnlich im alem. noch heute, s. Staub-Tobler a.a.O.;
doch ist im ganzen dieser gebrauch selten.
2) gewöhnlich zur bezeichnung schlechterer qualität:
ivas dicker, stärker, aus gröszeren bestandteilen zusammen-
gesetzt ist, gilt als gerin girertiger; auch hier schimmert
stellenweise die bedeutung A 'uneben, rauh' durch {s. be-
sonders b, c, auch e); so besonders bei bestimtnten be-
griffsgruppen:
a) von nahrungsmitteln : grob brot secundarii panes
Diefenbach 523", zunächst einfach das aus gröberem
mehl hergestellte brot; aber frühzeitig in abschätzigem
sinne, namentlich vom Schwarzbrot gegenüber dem iceisz-
brot:
. . . grob brot schwartz gleich wie ein kol
Scheit Grob. v. 2737 ndr.;
der von Jugend auf schwartz grob brodt gessen und
hernach zu guten weiszbrodt kommt Lehmann jßoriVe^r.
polit. 1, .54; grob brod, dünne hier, lange meilen bezeichnet
das sprichiüort als eigenthümlichkeit Westfalens Tappius
adag. (1545) 29^; vgl. schon Seb. Franck sprichiv. (l54l)
2, 21"-; Diefenbach 632'' s. v. Westualus; ganz entspre-
chend in älterer spräche häufig vom fleisch : {des büffels)
fleisch, so er auch gleych jung, ist grob Herold-Forer
Oesners thierb. 32^; {der schwan) hat ein ungeschmack
fleisch, ist schwartz und grob Lehmann floril. polit. 2,
728; groff fleisch dat is zu verstaen koefleisch ind
hamellleisch SchillerLübben 2, 150"; ähnlich: grosse
Wasser haben grosse, grobe und undäuliche fische jfecÄ-
büchl. 14; datteln ist ein grob undäwige frucht Ryff con-
fectbtich (1548) c 6''; grobe speise, gemeine speise cibo
grosso Kramer teutsch ital. 2, 855"; {leute) denen die köst-
liche trachten nicht meh schmacken und darfür an
schlechter und grober kost iren lust büsen Fischart
ehzuchtb. 200, 9 Hauffen; ganz ebenso schon mhd.: mit kost
so grobe Nie. v. Jeroschin preusz. chron. 6287 Strehlke.
b) von gesponnenem und gewebtem, auch hier zunächst
ohne ungünstigen 7tebensinn 'dick, derb': auch hat die
hart woU mit einem groben faden . . ein groszen
werdt Eppendorf Plinius (1543) 83; eyn beuteltuch . .
von starcker grober leinwaht gemacht Sebiz feldbau
(1579) 390; oft aber und neben m.anchen Substantiven vor-
iviegend mit dem beisinn des geringwertigen, gewöhnlichen ;
zurceilen spürbar unter dem einflusz der bedeutung A:
nicht nur die dicke, auch die Unebenheit und rauhheit
des fadens oder des gewebes bedingt die mindere qualität :
grob, ungebutzt garn, daraus die seil oder stricke wer-
den Decimator thesaurus (1615) register; einer groben
zwilch an ein purper kleid negen wolte Caspar Hedio
chron. germ. (1530) a 1*; grobe cattune Göthe 25, 116 W.;
kamelotte, chalons und allerlei gröbere wollene zeuge
G. Forster 4, 91; man findet weiber, denen auch ein
grob geringe thuch wol anstehet Barth weiberspiegel
(1565) Vi»; (es) muste für jedes pfund fremdes tuch,
ohne rücksicht ob es fein oder grob war, 40 xr. mauth
bezahlt werden Nicolai beschr. e. reise (1783) 2, 489; auch
bei kleidungsstücken tu älterer spräche manchmal ein-
fach 'dick': wullen vel grof wynter cleit Diefenbach
34 "^ s. V. andromoda; vgl. toga crassa ein grober dicker
rock Frisius dict. (1556) 340''; gewöhnlich aber in ab-
schätzigem sinne: Esopum . . in einer groben juppen
{solum cilicio amictum) Steinhöwel Äsop 44 lit. ver.:
in einem groben bawrenrock Jon. Arno Thom. a Kempis
(1631) A 6*; ein alt, schwartz, grob, zerlumbd hembde
Schoch stud. leben (1657) E 3^, im bilde {vgl.F2): die
gleichmäszige höflichkeit, welche der conducteur dem
feinen mantel und der groben blouse angedeihen läszt
Laube 4, 121 ; anscheinend von hier aus übertragen ge-
legentlich auch bei anderen kleidungsstücken: ich hab
das erst piret verwechselt, dann es war grob Dürer
tageb. (1884) 81 ;
dein groben paurenschüch zeuch ab
Scheit Grob. v. 683 ndr. ;
die Wendung grob (garn) spinnen vielfältig in sprich-
wörtlichem und bildlichem gebrauch : ausz grobem flachs
kan man kein subtil garn spinnen Petri der Teut-
sehen Weisheit 2, K 2»; hat man grob garn gesponnen,
so gibts grob tuch Lehmann floril. polit. 2, 761 {unter
'sünd'); der teufel ist subtil und spinnt doch grob garn
d. h. richtet böses an, ebd. 766, vgl. garn I 5 a, th. 4, 1, 1,
1364; anders
ich soll kein grob garn nicht spinnen
VoiGTLÄNDER odcn u. Hcder (1642) 5,
d. h. incondite, putide loqui, zahlreiche belege unter spinnen
n 8, th. 10, 1, 2523; s. auch unten D 4 b.
c) darüber hinaus auch sonst mannigfach bei stoff-
bezeichnungen, namentlich in jüngerer zeit: granit, . .
grober marmor Kinderling reinigk. d. dtsch. spr. 176;
eine kleine urne aus grobem thon Hiller v. Gärt-
ringen Thera 2, 37;
mit feinem gold wird grobes tiberzogen
W. Müller ged. 301 Hatfleld ;
der den zäun aus grobem holze zimmert Hölderlin 2,
136 ; straffes grobes haar {bei den eingeborenen Amerikas)
Pesghel völkerk. 97; hut aus grobem stroh Holtei
erz. sehr. 7, 157; grobe waaren 'welche von schlechter
würde, häufig zu hahen, schwer von gewichte, schmutzig
im umgehen . . sind' Krünitz 20, 106; vgl. allg. haush.
lex. (1749) 3, 627 ; grobe gusswaren handwb. d. staatsiciss.
23, 482; grob kramerpapier Hulsius (1618) 2, 78»; ebenso
spricht man von grobem glas, porzellan, leder u. a.;
hierher auch aits der spräche des bergbaues grobe gänge.
395
GROB
GROB
396
das sind erzadern, die grobe geschicke, d. i. minderwer-
tige erze führen Minerophilus lergw. lex. (17S0) 311/.;
vgl. LüEGER 3,794; gegentheil edle geschicke, vgl. geschick
II 6 d, th. i, i, 2, 3874; vergleichbar schon im mhd.: du
bist Yor andern furstin alse ein edil gesteine undir den
grobin steinen leben d. hl. Ludwig 38, 33; auch uneigent-
lich: das vergnügen des experiments hat . . den bessern
theil meines bluts wachend erhalten und den gröbern
eingeschläfert Bode Yoricks reise (i7G8) l, 71 ; {dem dichter)
kommt es zu, das vortreffliche seines gegenständes . .
von gröbern . . beymischungen zu befreyen Schiller
6, 323 G.
d) weiterhin, indem als vergleichsobject nicht mehr eine
bessere qualität desselben Stoffes zu denken ist, sondern
andere Stoffe besserer qualität, 'gemein, gewöhnlich' schlecht-
hin; 7iamentlich im älteren nhd. häufig:
der sammet und die seiden dein
das ist grob hew und windelein
Luther bei Wackernagel kirchenl. 3, 23;
{Pauli episteln) schmöckend mir glich wie grob distlen
N. Manuel v. papst u. s. priesiersch. v. 284 B.;
{der verlorene söhn) aus dem kübel frasz
träber und des groben grasz
Mittler dtsche Volkslieder 367;
daz sie {Adams kinder) der groben erden gleich an irem
leib gedemütigt . . sollen werden Jag. Strausz christl.
Unterricht (1523) a 2'';
die mutter hat dich nicht mit grober milch erzogen,
die musen sind dir mehr, als du begehrst, gewogen
Neukirch ged. (1744) 196;
mit grobem zinn . . bedient man ihre tafel
Schiller 12, 401 ö.;
ähnlich: ein binsenhalm ist mir {zum blumenbinden) , .
zu dick und zu grob Fontane I 5, 192.
e) so schlieszlich auch von tätigkeiten ; grobe arbeit
und dgl. heiszt zunächst nur 'derbe arbeit' und braucht
nicht abschätzig z\i sein: unser son Claudius ist einer
kleinen stärck, derhalben er zu keim groben handel zu
gebrauchen ist buch d. liebe (1587) 7''; die zu einem guten
groben handwerck . . bäser gewidmet wären als zu bü-
cheren Rompler v. Löwen halt erstes gebüsch (i647)
vorrede 7 ; aber, indem sich mit der Vorstellung gröszerer
masze wieder der begriff des rauhen verbindet, frühzeitig
auch mit qualitätsurtheil, ähnlichen sinnes wie grobe waren
oben 0: zu dem buw der erden und grober erbeit syn
sie geschickt Breidenbach heil, reisen (i486) 94'»; nicht
also, das man hinder dem ofen sitze und kein grobe
arbeit thue Luther 80, l, 145 W.; vom handtverk auf den
handwerker übertragen:
wenn grobe schmide bey dem Bober
das weiten thun was doctor Cober
ZiNKGREF auserl. ged. 24 ndr.;
bildlich {im spiel mit F 6) : das {wort gottes) wyrt . . sich
nicht entsetzen für solchen groben schmiden Luther
12, 94 W.; anscheinend nur gelegenheitsbildung eben in
geringschätzigem sinne, nicht schlichte handwerksbezeich-
nung; vgl. grobschmied.
D. in andern fällen wird grob vom quantitätsbegriff
'dick' zum consistenzbegriff' 'dicht'; aber nicht in der
breiten ausdehnung wie das adj. dick {s. th. 2, iQlöf.),
sondern nur in einigen gebrauchsiveisen. die eine herlei-
tung aus der bedeutung 'dicktheilig' (B l a) nahelegen.
l) bei flüssigen körpern 'dickflüssig, verdickt': das ist
{in der rotwurst) nicht allein dünne blut, sondern auch
gelievert {geronnenes) und gekocht, ein seer grob blut
Luther 50, 527 W.; disze thyer seind die stercksten, die
ein grob geblüt, die klügsten, so ein subtil blut . . haben
Eppendorf Plinius (1548) 220; die leber sendet durch die
ädern in leibliche glid grobe feuchtikait Berth. v. Chiem-
see teutsche theol. (i852) 186; lema, die butzen der äugen
aus grober feuchte entstehend Garth lex. lat.germ.graec.
(I657) 448 **; {die krankheit tvird) dardurch kälter, gröber
und unflüssiger Sevtter hippiatria 29; auch ist grosse
underscheyd der weine an irer substantz der lauterkeit.
wann etlicher ist gar subtile, etlicher wesserig, etlicher
irdisch grob, etlicher mittelmessig Petr. de Crescen-
Tiis (l53l) 57*"; im 16. jh. eine stehende Wendung: sie soll
auch oft roten groben wein trinckcn Wirsüng arznei-
buch (1588) 548*; {zum granatwein) pflegt man unzeitige
granatäpfel . . in eyn omen groben schwartzen weins
einzulegen SEßlzfeldbau (1579) 528 {Umsetzung in die be-
deutung C?); wo die jüngere spräche noch ähnliches hat,
drängt sich der abschätzige sinn von G icieder vor:
das grobe, dicke deutsche blut
benahm mir alle kraft und muth
Gottsched d. neueste a. d. anmuth. gelehrs. 1, 611;
wann anders nicht Unordnung, grobe safte . . . den
leichten Umlauf des geblüts verhindern v. Loen ges.
kl. sehr. (1749) 1, 9; von hier aus läszt sich auch die an-
wendung auf compacten, fetten, schtceren erdboden ver-
stehen: wa grob, weych, fett oder wässerig erdtrich, als
gemösz und sümpfige ort Ryff spiegel d. gesundheit
(1544) 8^ {gegensatz: da . . das erdtrich dürr, subtil, hart
und trucken ist); vgl. grob land fetter boden Hertel
Thür. 110.
2) ebenso von gasförmigen körpern; medicinisch: es
{das heihcasser) leget alie wehetagen {des kopfes) und
zeucht die grobe dünst ausz Gäbelkover arzneibuch
(159.")) 1, 12; da samlen sich . . viel dünste und grobe
qualme, welche hernach ins gehirn steigen Prätorius
anthropod. pluton. (1666) 1, 26; die groben bläst in dem
gedärm löszt er auf Herold-Forer Gesners thierb. (l563)
30^; atmosphärisch: der nebel kümt von wäzzrigem gro-
bem dunst KoNR. V. Megenberg buch d. natur 95, 15;
der lufft des lands, wiewol er feucht und grob, so ist
er nichts desto weniger . . gesund Federman Nider-
lands beschr. (l580) 7; die grobe luft nennet man aerem,
. . die feinere heisset aether Mattheson vollk. capell-
meister (1739) 10; ein recipient, daraus . . Guericke zu
Magdeburg die grobe luft gepumpet Leidniz dtsche
sehr. 1, 268; auch hier tvieder verändert erst die jüngere
zeit den begriff nach C: eine grobe ungesunde luft
Krünitz 20, 103. von hier aus wird sich die bedeutung
'dunstig, trübe' entwickelt haben: so offt du die gemainen
stern dick tunckel und grob siehst, bedeut allwegen
ändrung des wetters Revnmann wetterbüchl. 3 ndr.; ist
der mon schwartz oder grob, bedeut ain kalten lufft und
regen ebd. 9.
3) ein besonderer bedeutungszweig ergibt sich daraus,
dasz das vergleichsobject ins unsinnliche gerückt wird;
grob bezeichnet dann unterschiedliche grade der annähe-
rung an das rein geistige, auch abstufungen innerhalb
des geistigen selbst.
a) 'körperhaft': toh nesint sie {demones) so gerobes
lichamen {quelle: corpulenti), daz sie gesihtig sin men-
niskon Notker l, 819, 2; der leichnam {wird verglichen)
der erden, wann er ist grob und begreifleich Albr. v.
Eyb Spiegel d. sitten (l51l) A 1»; je später je häuflger zur
bezeichnung der materie gegenüber dem geistigen als dem
feineren: indem der cörper etwas gröberes, beschwer-
licheres, plumperes ist als der geist Bodmer abhandl.
V. d. lounderbaren (l740) 33; die gottheit ist in eine grobe
erdgestalt verschattet Lavater physiogn. fragm. (1775)
1, 4; zu fein . . und zu überirdisch sind die religiösen
geister geworden, als dasz man sie unmittelbar an die
grobe erde binden . . könnte E. M. Arndt sehr, für u.
an s. l. Deutschen 2, 95; vgl. weiterhin: um nun das her-
abfallen in die gröbere körperlichkeit zu verhindern,
ist die kontemplation . . als mittel angegeben Hegel
13, 152; ich glaube nicht an gespenster, die mehreren
zugleich einen groben sinnlichen spuk vorgaukeln Hol-
te! erz. sehr. 3, 126; der grobe materialismus des plumpen
handwerkers "Wieland Agathon (1766/.) l, 261 ; oder das
adj. charakterisiert die sinnlichen functionen des menschen
gegenüber den geistigen: in der gröbsten sinnlichen Wol-
lust empfinden wir noch, dasz wir mehr als körper
sind Hegner ges. sehr. 5, 298; Vergnügungen der phan-
tasie . ., die dem verfeinerten erdenbürger so viel mehr
als die gröbern freuden der sinne gelten J. J. Engel
sehr. 2, 232; liebe . ., von der groben Sinnlichkeit ge-
läutert Herder 15, 812; {die dichtkunst ist) freilich kein
397
GROB
GROB
398
den groben hunger stillendes nahrungsmittel Kretsch-
MANN 2, 11 ; oder es statuiert innerhalb des sinnlichen
unterschiede der körjperhaftigkeit : dasz die erinnerung
der empfmdungen desto schwächer ist, je gröber die
sinne sind, durch welche sie erweckt worden Gersten-
berg recens. 21 lit. denkm.; bei denen sinnen, die man
die gröbsten zu nennen pfleget Herder 22, 3i; der grö-
bere sinn, das äuge, hatte also doch auch seinen an-
theil Bauernfeld 2, 38; {das volk) fühlt an statt des
triebes nach ehre nur die triebe, die . . die gröbsten
der sinne vergnügen Haller Alfred (1773) lU; oder es
malt innerhalb des gedanklichen unterschiede der ent-
fernung vom materiellen: diese grobe Yorstellungsart
wollte feineren geistern nicht gefallen Göthe H 6, l,
430 W.; so grob diese sinnliche Vorstellung auch ist
V. Schubert verm. sehr. 2, 37; die groben materialisti-
schen begriffe von einem mechanischen handeln Fichte
2, 155.
b) darüber hinaus auf allen gebieten des abstracten
für das handfeste, derbe gegenüber dem feineren; schon
älterer spräche möglich: (der mensch) stat sin (gottes)
doch lidig in diser grober nemunge, wan er hat ein
nehers begrifen Seuse dtsche sehr. 182 B.;
wtirt gott ümb unser sach geert, . .
solch thörlich götlich lieb wer grob
ScHWARTZENBERG Cicero (1535) 131 •»;
aber erst seit dem späteren 18. jh. in der heutigen bunten
Verwendung : einmal gab das publikum . . einem recht
groben sophism seinen herzlichen beyfall Göthe HI
1, 223 TFT; es ist . . ein recht grober kitzel des egois-
mus Fr. Schlegel im Athen, l, 2, 80; ob wir gleich uns
sehr hüteten nicht zu lügen und im groben sinne falsch
zu sein, so waren wir es doch im zartern Göthe 25,
237 W.; aller bemüh ungen des groben und feinen Un-
glaubens ungeachtet Lavater auss. in d. eivigk. 3, 146;
nur musz man die zarte Stimmung dieses schönen ge-
sprächs (Piatos Ion) nicht so grob nehmen wie ge-
wöhnlich Fr. Schlegel 3, 17; stark, laut und grob
müssen die eindrücke . . seyn, um gemeinen köpfen
vergnügen zu verschaffen Zimmermann einsam^, l, 42 ;
ähnlich auch in der häufigen Verwendung: dörfen sie
wohl solche grobe kunstgriffe zu hülfe nehmen? Gott-
sched dtsche schaub. 1, 306; (auf das volk ivirken) durch
die gröbsten mittel sehr. d. Qöthegesellsch. 9, 239.
4) andere gebrauchsweisen sind dadurch gekennzeichnet,
dasz sie das hauidgeivicht auf den besondern grad von
Wahrnehmungsfähigkeit legen, der einem handfestem, der-
bem object innewohnt.
a) grob ist, tvas das verstehen erleichtern will; 'hand-
greiflich, drastisch', auch 'deutlich, allgemeinverständlich' :
und wil dich einen verren anblik läzen tuon nach
einer groben glihnüsse Seuse in Wackernagels leseb.
&l, 1225; ein grob byspil hör Z\\iügl.\ freiheit d. sj). 2S ndr.;
das mus ich mit eym groben gleychnis eynbilden Luther
18, 397 W.; das mus ich ein wenig grob ausstreichen,
das mans verstehe 30, l, 133; byn ich yhn schuldig . .
aufs grobist und klarlichst Unterricht zcuthun 9, 229;
ist aufs erste . . eyn grober, schlechter, eynfeltiger
guter catechismus von nöten 19, 76; ähnlich noch heute
im alem. e grobi bredig Staub-Tobler 2, 690; ego volo
aufs gröbst deudschen Luther 27, 505 W.; das ist loca-
liter darvon geredt und subtylich. nun wollen wir lai-
caliter und grob davon reden Keisersberg Maria
himmelf (1512) 8"*; und so bis ins 18. jh.: agam pingui
Minerva ich will grob von der sache reden Spanutius
(1720) 498 ; ein nachhall dieses gebrauches liegt vor in
fällen tvie: eine gute art . ., wie man den menschen
die Wahrheit fein zeigen mag, ohne sie ihnen grob ins
gesteht zu sagen Aurbacher volksbüehl. (1835) 67, wo
heute freilich der sinn F 6 b vorvxiegt.
b) grob ist auch, tvas sich dem erkennen nicht ent-
ziehen kann; 'augenfällig, am tage liegend, plump':
aber dieweil dein bubenstück
liegen am tag so grob und dick
Fischart nachtrab v. 254 Kurz;
zwen teufel, die das recht verderben; einer heist trug
und list, der machts grob Petri d. Teutschen Weisheit
2, C c 7*; er stahl . . . auf eine so grobe art, dasz er
. . . flüchtig werden muszte F. M. Klinger 3, 85; er wird
sie nicht offen und grob anfeinden Justi Winckelmann-
2, 164; ähnlich: solche stucklin heysse ich nicht eynen
subtilen, sondern groben, greyflichen teufel Luther 19,
122 W.; der . . . gottlosigkeit dreyerley, eine gar grobe,
scheinbare und greifliche Dannhauer catech. milch l,
124; namentlich bei bestimmten begriffsgruppen : sy . .
liegent . . so . . grob, das man es mit henden greyfen
mag Philad. Regius von luth. wunderzeichen (i524) A s*»;
dieser groben lüge konnten
sie glauben schenken? Schiller 5, 2, 417 G. ;
der gantz grob, öffentlich betrug . . des ablas Luther
18, 255 W.; (er) bemitleidete die andern, die sich so
grob täuschen lieszen E. Th. A. Hoffmann l, 47 Grise-
bach;
doch solchem groben gaukelspiel erliegen!
Schiller 13, 272 O.;
eticas anders: wie man sonst die oper, eben wegen ihrer
groben unwahrscheinlichkeit, lächerlich machen wollte
Göthe 47, 260 T^'^,,- (die kirche) irrt so fast und so grob,
dasz es ouch die beiden . . wol wüssend Zwingli dtsche
sehr. I, 140; ähnlich empfundeyi : iedoch weil ein ieder
grober und sichtbarer fehler des feindes . . verdächtig
seyn soll Lohenstein Armin. (i689 /.) 2, 1062»; von
Schmeicheleien u. dgl.: sie haben ihm grob genug ge-
schmeichelt G. Freytag Journalisten I 1; es vt kein
grobes kompliment, aber eine Wahrheit br. von u. an
Herweg h 19; vgl.
gut, ich will verwegen sein
und ihr mit kecker stim den gröbsten Weihrauch streun
Körner 4, 16 Hempel.
auch das bei bildlichem gebrauch stark schillernde grob
spinnen (vgl. C 2 b) ist manchmal hierher zu stellen:
wollt ir ewrs liegens werden fro,
so bleibt hie niden bey der erden, . . .
denn wenn irs all zu grob wolt spinnen,
werd irs zuletst nit fedmen können
BcRKARD Waldis ^sopws (1555) 193 » )
dein gespinst von trug und tücken
ist zu grob Weber Dreizehnlinden (,ld07) 323.
c) aus b entwickelt sich frühzeitig eine andere, klar
unterschiedene bedeutung, die den sinn ins quantitative
rückt: die grobe lüge, irrung usw. wird aus der durch-
sichtigen zur starken, krassen ; in neuerer zeit der vor-
herrschende gebrauch: ich halte diese zeitung für lauter
grobe, erdichtete, schändliche lügen Rist d. friedejauch-
zende Teutschland (1653) 62 ; indem er nun die Deutschen
mit der groben lüge zu bethören hoffte, dasz es ihm
um die rettung ihrer glaubensfreiheit zu thun sei
Moltke sehr. u. denkwürdigk. 2, 185; weiberlob betrüget
grob Binder 210; aus furcht, vom müller . . grob über-
vortheilt zu werden Körte sprichiv. XVHI; dasz die,
so da vermeynen zum mehrsten wissen, vielmals zum
gröbsten fehlen Amadis 38 lit. ver.; (ein gemälde) wo
sie (die perspective) mit den gröbsten fehlem angebracht
ist Lessing lO, 265 M.; ein grober Schnitzer un error
maiuscolo, capitale Kramer teutsch-ital. 2, 633 ''; werden
wenigstens keine groben Unrichtigkeiten in den ange-
führten beweissteilen sein Fr. L. Jahn l, 26 Euler; ver-
zeihen sie . . den groben irrthum Holtei erz. sehr. 5,
55; ähnlich: ein grobes missverständnis A. W. Schlegel
im Athen, i, 2, 64; grobe Verwechselung Gerstenberg
schlesiD. lit. br. 164, 26 ndr.; so berührt sich schUeszlich
diese bedeutungslinie mit einer von anderer stelle aus-
gehenden, *. 0. B 2 c.
E. für sich steht ein gebrauch, der grob für dinge
verwendet, die nicht den grad von feinheit und ausar-
beitung erreichen, der an sich möglich oder zu wünschen
wäre; auch diese bedeutungsgruppe veranschaulicht vne-
der das ineinanderspielen der begriffe 'dick, grosz' und
'rauh'.
l) am deutlichsten tritt die grundbedeutung 'rauh'
heraus in gewissen festen Verbindungen der älteren spräche:
399
GROB
GROB
400
antiquitas trisiis et impexa die spraach der alten grob,
ungeziert, unlieblich Frisius dict. (1556) 658''; freilich
wird sie mehr oder minder überdeckt von der aus B
herzuleitenden 'unförmig, plump': die ausländer . . den
groben, klotzigen, ungehobelten teutschen wörteren keine
zier beymessen Schottel hauMspr. (i668) 6; dasz eine
einfältige grobe spräche der künstlichen den anfang
gegeben Morhof Unterricht v. d. dtsch. spr. l, 67; die
spräche der leute . . wird friesisch genennet, ist aber
nur ein grobes plattdeutsch Gottsched d. neueste a. d.
anmuth. gelehrs. 8, 760; ettcas anders: und redeten grob
griechisch ein rohes, schlechtes griechisch, türkischer va-
gant (1683) 59; schlieszlich ganz nach B: {ein gut) das
wir mit unserer groben, unbeholfenen spräche glück
benennen Tieck sehr. 9, 154; ähnliche mischungen hei
der altüblichen anwendung:
ich vürhte, min gesank dem iuren si ze grop
Regenbogen «m Frauenlob, minnes. 3, 345* v. d. Hag.;
lesung grober und unzierlicher gedichten N. v. Wyle
translat. 8 lit. ver.; ein . . grob gereimtes tractätlin
Scheit Grob. s. l ndr.; so noch in jüngerer zeit: (die
Chinesen) kannten die tonkunst, aber sie war grob und
unvollkommen Zimmermann nationalstolz (nbS) 61 ; aber
auch feiner: ein weitschweifiges und grobes buch Jüsti
Winckelmann 1, 146.
2) der neueren spräche ist diese bedeutung am geläu-
figsten in concreterem gebrauch von allerlei technischer
arbeit; der maszhegriff getoinnt die vorhand: grobe stiebe
nähen Kramer ieutsch-ital. l, 566"; vgl. ein grob geflick-
tes röckeben Brentano 5, 123; dazu {zur kunstkritik)
sind den meisten die nasen doch zu grob gebohrt E.
M. Arndt sehr. f. u. an s. l. Deutschen 1, 150; jedes «n-
günstigen nebensinnes entkleidet in den mannigfachen
ausdrücken u-issenschaftliche,r spräche wie grob gekerbt,
gesägt, gezähnt vo7i blättern Behlen forst- u.jagdk. ?,
501; gewöhnlich rückt in solcherlei Verbindungen adv.
und part. bis zur composition zusammeti, vgl. sp. i07f.;
gern von bildnerischer arbeit: {die Athener) welche das
. . Minervenbild als grob und ungestalt verachteten
Lohenstein Armin. (i689/.) 2,916*; das schnitzbild, wel-
ches Phidias sehr grosz und grob gehauen J. E. Schle-
gel 3, 138; so dasz die münzen der Athenienser gegen
jene grob und ohne kunst gepräget erschienen Winckel-
mann 6, 69; ähnlich empfunden: die groben thürme der
Frauenkirche Laube 8, 177; von einfachen gesetzen, so
wie von groben gestalten schreitet sie {die natur) ins
zusammengesetztere, künstliche, feine Herder 13, 49 ;
in der maierei sind grobe umrisse 'diejenigen, wenn die
m,uskeln mit den sehnen und Schlagadern vermengt scheinen,
so dasz nichts artikuliert oder ausgesprengt ist' Jacobs-
SON techn. wb. 2, 154»; eine auch in mannigfach übertra-
genem gebrauch häufige fortnel: {ein Schiller) welcher —
in groben umrissen und aus der ferne betrachtet —
einstweilen nichts ist als ein landflüchtiger rebell Kürn-
B ERG er liter. herzenssachen 92; mit hinneigung zu 4:
dasz Herz in den ersten gröbern umrissen seiner toi-
lette genau war Gutzkow ges. werke 8, 274 ; ebenso wird
grobe striche u. ä. meist uneigentlich gebraucht: die etwas
rohen und groben pinselstriche unsers autors Göthe
22, 174; W.; Personen und zustände mit groben aber
deutlichen strichen gezeichnet Scheffel l, loo; Juvenals
gemälde . . haben brennende färben, kühne aber grobe
Züge Ramler einl. in d. schön, wissensch. 3, 169; man
sieht oft in solchen Puppenspielen die herrlichsten
copien, obgleich im groben, al fresco gemalt Knigge
roman m. lebens 2, 6; Plautus malt seine Charaktere mit
breiten strichen . ., immer für die Wirkung aus der
ferne und im ganzen und groben Mommsen röm. gesch.^
2, 434; versurtheiler, die keinen vers, auch nur im gro-
ben, vortragen können J. H. Voss zeitm. d. dtsch. spr. 5.
S) ähnlich von der bildung des menschlichen körpers:
grobe glieder, bände membra, mani grosse Kramer teutsch-
ital. 1, 566°; eigentlich 'dicke, starke glieder' {so wohl grove
ledemate Diefenbagh nov. gl. 879'' s. v. vertebra), dann
aber 'plumpe, derbe, unfeine': ein kleiner dicker kerl,
mit groben gliedern Tieck sehr. 8, 7; einem psychologen
hätte vielleicht schon ein blick auf ihre groben füsze
gezeigt Alexis ruhe (1852) l, 79; mit besonderer note {vgl.
F2):
und ihr finger ist vil zu grob,
die dorische harpf recht zu zwicken
Weckherlin 1, 111 lit. ver. ;
so soll ihn {den faden) . . mein guter sinn so weit und
dünn ausdehnen, dasz ihre groben finger ihn so leicht
nicht fassen werden F. M. Klinger 4, 87; namentlich vom ge-
sichtsschnitt: das verbrannte . . gesiebt hatte grobe züge
Laube 2, 28; grobe wie feine . . gesichtsbildungen kommen
untermischt vor Peschel völkerk. 483; auch war ihr
gesiebt ganz so grob geschnitten wie das seine G. Haupt-
mann bahnwarter Thiel (1892) 4; ein ältlicher mann mit
einem groszen groben köpfe G. Keller l, 35; ähnlich
schon: ein subtiler lerchenkopf und grober sewkopf sind
weit unterschieden Petri d. Teutschen tceisheit 2, Y 5''.
4) öfter mit dem besonderen sinn einer ersten, vorläu-
figen thätigkeit, der eine feinere, sorgfältigere folgen soll:
grob überhoblen Frisius dict. (1556) 443" s. v. dolo; wie
er {Moses) auch sonst gemeyniglich von ersten ein ding
pflegt grob und obenhyn zu schreiben . ., das er her-
nach besser eraus streichet Luther 24, 48 W.; {es) fin-
den sich überall leute, die das schon so grob oben weg
zu machen wissen; musz es doch hernach erst poliren
MALER Müller 2, 40 ; vgl. grobhin, -weg; also nur eine
grobe Skizze der festlichen szenen Pfeffel pros. vers. 5,
125; obgleich mein entwurf grob und unausgearbeitet
ist Kant werke (1838) 6, 100; nach einem groben durch-
lesen bin ich kaum erst an den zweiten feinen gang
gelangt Görres br. 2, 263; das elementare: rhdimenta
grammatices die erste anleitung, das grobe in der gramm.
CoRviNUS (164G) 718; Albinus zeigte nur das gröbere der
anatomie allg. dtsche bibl., anh. zu 25 — 36, 442 ; vgl. grob
gruntlich underwisung rudimentum Diefenbagh 502".
hierher auch die vielgebrauchte wendung eine sache aus
dem groben (gröbsten) arbeiten u. ä. die äuszerlichsie,
roheste arbeit verrichten, die der feinen durchbildung
vorangeht: die arbeit aus dem groben oder das erste
schleifen, 'einreiszen' {bei der glasschleiferei) Karmarsgh-
Heeren^ 4, 61; wenn sie, die Aegypter, die steine aus
dem groben gearbeitet hätten H. Meyer gesch. d. bild.
künste 2, 28 ; vielleicht ist diese anwendung auf die arbeit
des stein- und bildhauers die ursprünglichste: nur aus
dem groben läszt er sich den block durch den arbeitet
hauen Fr. Th. Vischer ästhet. 3, l, 13; dafür auch {vgl.
2 schlusz) : zwei von den . . gestalten liesz er dort {in
Carrara) schon im groben zuhauen H. Grimm Michelangelo
1, 284; gern superlativisch: die . . baumeister setzten die
vollkommensten seulen unten, die nur aus dem gröbsten
gearbeiteten in die höhe Lohenstein Armin. (i639) l,
630 *>; das untere theil dieser statuen ist nur aus dem
gröbsten entworfen Winckelmann 5,22; nachdem er die
platten aus dem gröbsten geschmiedet, schwellen die bil-
der . . unter seinen feinern schlagen aus dem erzte her-
vor Lessing 9, 111 M.; aber frühzeitig auch von anderer
arbeit: weil ich gleichsam nur mit diesem werckgen
eine arbeit aus dem gröbsten gebracht habe J. G.
Schmidt gestrieg. rockenphilos. (1706) l, vorr. 6*; im
bilde: die Deutschen sind es . ., welche das russische
Volk . . aus dem groben gearbeitet haben E. M. Arndt
1, 200; eine mit grob G 2 b spielende, scherzende benutzung
der technischen formet scheint auch vorzuliegen in der
Wendung: Ettner machte sich ein wenig aus dem groben
legte die Überkleider ab Ettner und Eiteritz medic.
maulaffe (1719) 844.
5) andere fälle sind dadurch unterschieden, dasz die
an sich ähnliche begriffscontrastierung unter einem an-
dern accent steht: das erste, äuszerlichste ist hier das
hauptsächliche, wesentliche, wichtige: dasz die . . arbeit
mehr als eines menschenalters nöthig war, auch nur
die groben spuren der Zerstörung zu verwischen Häusser
dtsche gesch. 1, l; dasz er nur erst das gröbste und am
meisten in die äugen fallende wegräumen wollte M. L
Schmidt gesch. d. Deutschen 1, 383; diese bedeutung in
mannigfachen Wendungen der mundart und der Umgangs-
sprache: nu« gueti so säg's! doch d's grebsti nur das
401
GROB
GROB
402
tvichtigste Staub-Tobler 2, 689; de gräbsten freind die
zunächst wohnenden freunde Müller-Fraureuth l, M3,
die intimsten, vertrautesten Fischer schwäb. 3, 845; oft
mit deutlichem durchbrechen der bedeutung A im sinne
des schwierigsten, schlimmsten: das gröbste wegmachen
das noticendigste, schicierigste erledigen Müller-Frau-
reuth a. a. 0. ; die gröbste (Äam^/)arbeit ist nun wohl
gethan Moltke ges. sehr. u. denkw. 6, 392; am häufigsten:
aus 'n gröbsten raus sein über die Schwierigkeiten hin-
weg sein Müller-Fraureuth a. a. o.; de weekenfro is
all ut dem grövsten auszer gefahr Schütze holst. 2,71;
gern von hindern: die kleine patchen Adelheid ist nun
bald aus dem gröbsten nach bildhauerausdruck Rauch
an Rietschel, briefw. 1, 242 {im gedanken an den gebrauch i) ;
wenn das Fritzle nur einmal so weit aus dem gröbsten
war, dasz er könnt frein 0. Ludwig 2, 129; das gröbste
war also, gott lob! überstanden Ayrenhoff i, 13; misch-
construction : das wäre sonach nun aus dem gröbsten
überstanden Fichte 5, 378; öfter mit i durcheinander-
rinnend: die deutsche nation hat sich aus dem gröb-
sten herausgehauen, da sie ihre nationalität . . gerettet
hat Riehl deutsche arbeit 56.
F. die feinsten abschattungen zeigt die bedeutung des
adj. bei der anicendung auf die äuszere gebarung und
innere heschaffenheit und artung des menschen (und ge-
wisser thiere); loieder treten die bedeutungen 'rauh' und
'dick' in eiginfhümlicher Wechselwirkung auf.
l) i7i anwendung auf die inneren organe des menschen
bezeichnet grob die Stumpfheit des Verstandes, der sinne,
des gefühls; dieser gebrauch ruht auf der grundlage von
B 'dick' und vergleicht sich der Spielart E 'tiicht fein
genug ausgearbeitet'.
a) grober verstand obtusitas ingenii Er. Alberus
dict. (1540) 17*; welher mensch vil flaischs hat . ., daz
bedäut groben sin und hert Vernunft Konr. v. Megen-
BERG buch d. natur 47, 9 ;
darzu ist mein Vernunft ze grob
und kan des nit erdencken
Hätzlerin liederb. 266";
die jünger sind allweg grobs Verstands gsyn, bis sy den
geist gottes empfiengend Zwingli dtsche sehr, i, 225;
sprichwörtlich (mit anspiehmg auf C l) : grober verstand
helt bestand Lehmann florileg. polit. i, 103; grob köpf
behalten lang schöne weise klugreden (1548) 160*'; an den
groben köpfen ist kosten und arbeit verloren Fr. Wil-
helm Sprichwörterregister (xbll) a 2^; ein voller bauch
und grober köpf rieht wenig ausz Petri d. Teutschen
weish. Y 8**; weiter vom menschen selbst: di einen sint
gemeine lüte und grobe lüte . . in disen wirt dicke ge-
born daz gwige wort, daz si is nicht enwizzen myst.
1, 44, 23 Pfeiffer; etlich Römer warn so grob und un-
vernüftig, das sy nit mochten vernemen das sy seilig
wem worden erste dtsche bibel 2, 4, 16;
damit mich nit ertappen gleich
die etwas grob seind am verstand
Spangenberg-Fröreisen griech. dr. 2, 9 lit. ver. ;
zuioeilen geradezu: hebes dorn vel grop ingenio; hebetatus
dumme o. groppe Diefenbach 273«; du must . . der
grobiste und ungeschicktiste aller teufein seyn, dass
du dich hier . . einsperren last Lindenborn Diogenes
1, 196; tnit besonderer färbung : indocilis grob, ungelehrig
Faber thes. (i587) 255''; es were dann, das sich einer
(ein lehrjunge) im jare also pessert oder das er als gar
grob und ungelirnig wer Tucher baumeisterb. d. Stadt
Nürnberg 86 lit. ver. von hier aus versteht sich die na-
mentlich im älteren nhd. ungemein häufige anwendung
auf thiere (meist als Scheltwort für menschen); 'stumpf,
stupide, dumm':
er ist ein unvernünftig thier,
ein kue, ein ochs, ein grober stier
Hayneccius Hans Pfriem v. 2148 ndr.;
grober büffel s. th. 2, 492; geld setzt einen groben ochsen
hoch ans bret Petri d. Teutschen weish. 2, F f l*; wei-
teres unter ochs th. 7, 1131; namentlich: das Leiptzig . .
solche bachanten und grosse, grobe esel neeren mus
Luther 26, 542 W.;
IV. 1. 6.
wir spotten seiner (des esels) zwar; allein könnt es geschehn,
dasz man dies grobe thier auf der catheder sehn (sollte)
Neukirch ged. (1744) 176;
sehet, wie der grobe eselskopf dort stehet und plaudert
schausp. engl. com. 76, 2 Creizenach; vgl. esel th. 3, 1145.
b) wesentlich jünger, erst im 18. jh. recht entfaltet, ist
eine reihe anderer, ähnlicher anwendungen; von den sinnen:
den (staub) kan auch ein grobes, ein dunkles äuge
sehen Zesen Assenat (l679) 75; (der Ursprung der Grie-
chen) der sich vom gewöhnlichen nur durch wenige
zarte, groben äugen ganz unsichtbare merkmahle unter-
scheidet Fr. Schlegel 4, 105; eticas anders (an D 3 er-
innernd): den Sonnenstrahl, so wie ihn unser grobes
äuge blickt Heinse 4, 287 Schüddekopf ; seltener vom
gehör:
sie (die ein/alt) hört auch grob, und in der melodie
der nachtigall erschallt kein ton ftir sie
Hagedorn 1, 100;
von de7i inneren sinnen:
du bist von den belebten seelen,
die zur empfindlichkeit geneigt . .
sich mehr als grobe sinnen quälen
Besser sehr. 1, 291 König;
grob ist der mensch und will erschütterung in seinen
groben sinnen fühlen Klinger n. theat. 2, 109; schliesz-
lieh auch vom träger der gröberen inneren Organisation :
je nachdem die gegenstände vom häszlichsten und
schönsten punkte einander näher rücken, ein desto
feineres . . äuge wird . . erfordert, es zu unterscheiden,
was man . . freylich bey groben menschen nicht er-
warten darf hwATEH phgsiogn. fragm. l, 60;
poeten wissen tausend Sachen,
die in dem groben theil der weit
der wahn und aberwitz belachen
Hagedorn 2, 169;
erforschung der natur, das schöne weltgebäude
sind nicht der wuchrer lust noch grober seelen freude
1,26,
eine im späteren 18. jh. öfter anzutreffende formel, die
gelegentlich deutlich ihren ausgangspunkt aufweist: ihr
heisset ihn eine grobe und dicke seele Schwabe be-
lustig. 1, 125.
2) mit dem blick mehr auf das äuszere menschlicher
erscheinung und gebarung: 'derb, roh, ungeschlacht' ; die
bedeutungen 'plump, massiv' und 'rauh' sind unlöslich
miteinander verbunden; in älterer spräche besonders als
epitheton niederer stände (womit das adj. sich der linie
C nähert):
weil du nur bist ein grober knecht
Spangenberg-Fröreisen griech. dr. 1, 130 lit. ver.;
der letzte ist nichts als ein grober reitknecht Stepha-
nie D.j.sämtl.lustsp., vorr.B; wie ein grober baur hiebet
er den bauch Luther 30, 3, 239 W.; als sey ein jeder
grober baur geschikt eine solche bürde zu tragen Eei-
nicke fuchs (1650) 230; dasz ich als ein plumper grober
bauer auch bey personen über meinen stand recht
wohl gelitten bin Bräker 2, 96; freilich zeigen sich ge-
rade bei dieser häufigsten formel Schwankungen der be-
deutung, namentlich nach 1 a hin: was leret yhr mich
doch mit solcher grosser kunst, denn eben das mich
der gröbist pawr . . leren künde LutHer 7, 681 W.; auch
des gröbsten bauern fühlhörner sind immer noch fein
genug Riehl dtsche arbeit (l86i) 197; vgl. 3; weiter auch
von dem, was niederem, volke eigen ist: etwo in grober
sprach werden sie Schergen genant d. neu laienspiegel
(1518) 5''; eine grobe art zu leben genus vitae agreste
Steinbach l, 644; ähnlich ist anscheinend die nament-
lich im älteren nhd. häufige formel grob deutsch zu er-
klären; urspr. die spräche des geicöhnlichen volkes gegen-
über dem lateinischen: zu latein genant . . comitatus,
nach grobem teutsch grafschaft Knebel chron. v. Kais-
heim 5 lit. ver.; Pilatus solte wol also hergegangen sein
und mit inen gut grob deudsch geredt haben Luther
28, 343 W,; gern um eine Unanständigkeit des ausdrucks
zu entschuldigen (also an 5 a sich anlehnend): sy (die
beiden nackten) haben ein ander gebraut, grob teütsch
dag, antwurt (Augsb. 1497) 153 *•; auf grob teutsch eyn
gwölle Sebiz feldbau (1579) 570; vgl. und, grob und
26
403
GROB
GROB
404
deutsch gesagt, das maul zu halten Raabe Leute a. d.
walde (1863) 1, 69. jüngere zeit erweitert und verfeinert
die Verwendungsmöglichkeiten dieser bedeutung mannig-
fach: solch schlächtervolk ist grobe nation Ti eck «cÄr.
1, 199;
sehet auch, wie ihr (ßistichen) in S*** den groben fausten
entschlüpfet
GÖTHE 5, 216 W.;
anders, mehr im gegensatz zum zarten: die weit streckte
ihre grobe band nach ihrem glück aus Storm i, 142;
vgl. {in Berlin lebt) ein so verwegener menschenschlag
. ., dasz man mit der delikatesse nicht weit reicht,
sondern dasz man . . mitunter etwas grob sein musz
GöTHE gespr. i, 330; und habe ich weh getan, so war
es gewisz nicht meine absieht, am wenigsten grob zu
sein PÜCKLER briefw. u. tageb. i, 142.
3) mit wechselndem Zielpunkt im sinne des ungeform-
ten, unentwickelten, rohen; hier tritt neben dem maszbe-
griff in der Spielart E die bedeutung 'rauh' im sinne
des unbearbeiteten, ungeschliffenen deutlicher hervor; so
im Hinblick auf mangelnde erziehung und kultur des
menschen: 'unioissend, ungebildet':
es wissen nit die groben
astronomy die konst Muskatblüt 96, 85;
mancher ungelerter grober laye N. v. Wyle translat.
10, 2 Keller; ward in teutschen landen gantz grob und
ungelert priesterschaft städtechron. 3, 80; ein grober und
unerfahrner höfischer sitten, ein Bergomascer Kirch-
hof wendunm. 2, 418; ein grober mensch gibt . . den
künstlern nicht gern gelt aus Fr. Wilhelm sprichwör-
terreg. (i577) p 2»; der deutsche adel, der bis dahin
unwissend und grob gewesen war, reiste dorthin {nach
Paris) Jung-Stilling 6, 12; nicht notwendig mit tadeln-
dem sinn; öfter für 'einfach, simpel' : bedenckt, das
die heiligen aposteln auch grob einfeltig fischer . . ge-
wesen sind H. V. Cronberg sehr. 98 ndr.: Ferondo gar
ein schlecht grob man mit weise und geperde Arigo
decam. 217 Keller; der tochter vatter was ain schreyner,
ayn fromm grob man Fortunatus 55 ndr. ; von schlech-
ten, armen, groben altern geboren Wigkram 2, 66 lit.
ver.; aber auch vom stände völliger Unkultur: wie kan ein
gröber mensch sein, dann der das fleisch rohe friszt
und die haut ungearbeit anlegt Paragelsus op. (16I6)
1, 219 B ;
sie {die stimme) hat uns menschen erst zu menschen recht
gemachet . .,
als wir noch waren grob
Fleming dtsche ged. 1, 122 lit. ver.;
von Völkern 'primitiv, uncivilisiert' : es were ja solch
recht . . in aller menschen hertzen geschriben und
auch bei den allergröbsten völckern gebreuchlich Acha-
cius chron. Sleidani (l557) 62"^;
lehrt auch das grob volck die Viehzucht
H. Sachs 8, 459 Keller;
aufs kurtzist, ist es ain gantz grob, aber guet volck
Abr. Ortelius Schauplatz d. erdbodems (l572) 53''; auch
hier kann 'primitiv' auszeichnendeii sinn haben: sehr ein
einfältig, simpel, fromm . . volck . ., rechter deutscher
art, grob von sitten und leben Ammersbach churbran-
denb. chron. 17.
4) beschränkter ist ein gebrauch, nach dem grob das
ungeformte, rohe in sittlich-religiösen dingen bezeichnet;
bei Keisersberg häufiger: schick dich mer zu der
hailigen beicht dann ander grob menschen, die allain
in der vasten . . beichten granatapfel (löio) B s^; seyd
ir leben also grob und unerkant ist gen got in iren
jungen tagen gewesen C i^; unUr umständen kann das
adj.fast die bedeutung von 'sündig' annehmen: gott hat
mir als vil güts gethon, und hett mir es ain grober
mensch geton, ich war in schuldig lieb zuhaben 0 4«;
ähnlich empfunden scheinen fälle wie: wyr dürfen solichs
fegens . . teglich wol, von des alten groben Adams we-
gen Luther 12, 273 TF.,- so bald der mammon die gro-
ben, steinechten hertzen eingenomen Scheit Orob. s. 4
ndr.; vielleicht auch: zwar mögen etliche {priester) wohl
biszweilen grob und geitzig seyn und gerne sehen, wenn
ein solch pinguis victima {ein reiches bdchtkind) in ihre
band komme d. wohlgepl. priester (l689) 162.
5) umso ausgebreiteter, aber erst seit dem nhd., für
die roheit in bezug auf anstand und sitte; hier aber,
anders als bei 3, mit einem starken positiven gehalt, der
sich nur unmittelbar aus der bedeutung 'rauh' herleiten
kann; 'die unhöflichkeit bestehet in einem mangel der
guten und artigen sitten . .; die grobheit . . in übeleti
sitten, ivelche allen menschen anstöszig sind' Stosch
gleichbed. Wörter 2, 506.
a) ivesentlich aufs ältere nhd. beschränkt ist die derbste
bedeutung 'unflätig, schmutzig, gemein': obscoenus un-
flätig, wüst, grob, unrein, unkünsch Frisius dict. (1556)
895»; der grob ist der unfläterey gewohnt wie der Stall-
knecht desz mists Lehmann florileg. polit. i, 373; als
Scheltwort:
du grobe möstsaw, pfey dich an
Scheit Orob. v. 4006 ndr. ;
denn: under allen thyeren ist die saw ein grob thyer
Eppendorf Plinius (1543) 86; fartzet auch darzü wie
ein grobe küw Lindener katzipori 130 lit. ver.;
{ein knebel) der sich grob hielt und sewisch fräsz
Scheit Orob. v. 486 7idr. ;
darzft ists auch ein grober sitt
ein brastlens mit der nasz zumachen
V. 262 und sonst oft ;
gern auch von gesprochene^i Unanständigkeiten: etliche
nennen diese glieder (gromen oder hoden) züchtig die
gemechte . . vermeinen, es seye wie oben viel zu grob
geredt Wirsung arzneihuch (i588) 312 '^; mithin müssen
alle grobe, unflätige und zweydeutige worte aus den
Versen bleiben Neukirch anfan gsgründe 109; und das
ichs grob erausz sage Luther lO, 2, 156 W.; wo hat
ers gelesen? der sau im (grob heraus) hindern Prä-
TORIUS saturnalia (l663) 141; ähnlich zuiveilen grob
deutsch, s. o. 2; ob schon die hystoria an ihr selber grob
und unflätig ist Schumann nachtbüchl. 225 lit. ver.; wann
einer unter euch einen groben zoten und stinkenden
possen vorbringt Reinicke fuchs (1650) 266; grobe, un-
flätige, säwische, schäm- und zuchtlose narrentheidung
Sandrub hist. u. poet. kurzweil 6 ndr.;
wenn aber ein poet nur mit der saue leutet
und gern auf schändlich ding mit groben possen deutet
Rachel satyr. ged. 74 ndr. ;
so auch:
wir haben zu ser über di schnür gehauen
und haben ain grobs leben gefürt
fastnachtsp. 1, 724, 7 Keller.
b) der zunehinenden gesittung entsprechend verfeinert
sich der begriff je später, je mehr ; im 16. jh. : rudis grob
und wild an den sitten Diefenbach 503»; iin 18. jh.:
immodestus, inurbanus indiscret, unhöflich, grob Apinus
gloss. nov. (1728) 287;
Thell, wie bist du so ein grober mann,
das du für mins herren hat darfst gan,
neigst dich nit, thüst im kein reverentz?
Schweiz, schausp. d. 16. jhs. 3, 24 Bächtold;
geschenck verweissen ist grob und bewrisch Petri der
Teutschen tveish. F f 3»; seine grobe aufführung misfällt
jedermann *e* manieres criies Schwan nouv. dict. i,
791^; ha, ha, ha! fiel er mit grobem gelächter ein
Gutzkow zauberer v. Rom (1858/'.) 5, 169; anders:
die abgekommne cortesie erhob
er hoch, bedeutend: diese weit wird grob!
C. F. Meyer Huftens l. tage (1905) 27;
vgl. unsere deutsche sitten düncken uns zu grob
Butschky Pathmos (l677) 26; seit alters im gegensatz zu
'höflich': werden mancherley leut . . fürgwendt, diser
gütig, der rauch, diser höflich, der grob Boltz Terenz
(1539) 86»; ich hab manchen menschen gefunden, der
vor lauter höflichkeit grob ward Bode Montaigne l, 91;
vgl. gar zu höflich ist halb grob Schellhorn sprichic. 87;
Meph. du weiszt wohl nicht, mein freund, wie grob
du bist?
Bacc. im deutschen lügt man, wenn man höflich ist
GöTHE 15,98 W.;
405
GROB
GROB
406
die letzten beispiele zeigen das verrinnen dieser bedeutung
mit 6 b, s. d.; hierher auch die noch heute in niederer
Umgangssprache und in den maa. verbreitete tvendung:
ek wil sau grof (so unhöflich) sin beim annehmen einer
einladung zum mitessen Schambach 69"; Fischer schtcäb.
3, 846 und sonst.
6) endlich die anwendung auf die Sinnesart, die die
grundbedeutu7ig A am reinsten zeigt:
a) 'roh, wild' : disz ist . . . ein grausam, grob, ver-
wegens, freysams volck {die Türken) Seb. Franck chron.
Germ. (1538) 70''; allweg streitpar, wie gemeynklich
grob wild unbesunnen leut seind 3*; hippocentauri . . .
waren grobe leut in Thessalia Alberus dict. (1540) 50»;
ihn (dem an betrug, meinayd,
hochmuht und wühterey die grobe feind gleich leben)
Weckherlin ged. 1, 353 lit. ver.;
ebenso in der formel: grimm und grob, s. grimm adj. 8 a;
auch von ihieren: der selben liebe . . ist als eines gro-
ben, tobenden hundes liebe Hartlieb Ovid (1484) 6";
als er sie macht zu einer speysz
den vöglen und den hunden grob
Spreng lUas (1610) 1»;
etwas schicächer: 'rauh, hart' ; asper, dtirus, inhumanus,
obduratus Henisch 1747; daz ist grob von euch gehand-
let und unbarmhertziglich (ßuriter inmisericorditerque
adelphi 662) Boltz Terenz (l539) 101 *>;
. . . Jupiter, du strenger gott,
wie bist du gegen mir so grob
Spreng /Zzas (1610) 36^;
{wäre ich doch gestorben) ehe denn mich das feindtselige
ungefell verknüpfet hette einem harten und groben
mann buch d. liebe (l587) 113"; gelegentlich noch spät: bei
welcher die organe Gisquets . . mit säbeln und stocken
unter schuldigen und unschuldigen eine grobe scene
aufführten Gutzkov^^ 7, 26; hierher auch die alte formel:
nach grobem schertz folgt gemeiniglich blut Petri der
Teidschen weish. 2, Pp 7»; es ist ein grober schertz, der
taschen leert Aas''; die gelindere bedeutung im ganzen
jünger: ev {Rudolf v. Habsburg) machte und vertrug einen
groben scherz G. Freytag 18, 82.
b) aus a entwickelt sich in neuerer zeit eine mildere,
anders gefärbte bedeutung: 'rauh' im sinne 'barsch, un-
freundlich'; heute der lebendigste gebrauch: im amte
musz man grob seyn, denn von der grobheit kommt
die autorität Raupach dram. werke ernster gattung 3,
339; wenn das auswärtige amt nicht so rücksichtslos
und grob gewesen wäre Bismargk ged. u. erinn. 2, 194
volksausg.; ihr seid ein biszle grob mit den leuten
0. Ludwig 2, 56; nicht selten mit dem besonderen sinn
der rauhen auszenseite, die den guten kern birgt: gab
mir mein vater Uli M., einen groben, aber geraden,
ehrlichen menschen zum gehülfen Bräker l , 73 ; er
blieb grob, und wurde desto gröber, je . . herzlicher
er sein wollte Holtei vierzig jähre l, 233; adverbial:
wann man ihn {einen fremden) grob anfahret Abr. a St.
Clara etw.f. alle 2, 75; wart nur, kommst du mir grob,
komm ich dir auch nit fein Anzengruber 3, 122; etwas
anders {mit hinneigung zu D 4 a) :
der hergott weisz mit Fohlen umzugehen,
wenn er nicht grob kömmt, so verstehn wirs nicht!
Zach. Werner kreuz a. d. Ostsee (1806) 134;
'Gortschakoff est un animal', was in dem Petersburger
Jargon nicht so grob gemeint ist, wie es klingt Bis-
margk ged. u. erinn. 2, 256 volksausg.; bei sächlichem re-
gens auf ganz bestimmte begriffscomplexe beschränkt:
eine schritt wieder mich . ., so grob . ., das ich sehr
darüber gelacht habe Gleim brießv. 2, 216 ; auch ist sie
{die proclamation) nicht in Scheles grobem stil, sondern
milder und erträglicher geschrieben Jac. Grimm an
Dahlmann, briefw. 1, 306; eine zwar ziemlich grobe, aber
lesenswerte kritik Jahrbuch d. Grillparzergesellsch. 6, 17;
einen sehr groben brief E. Th. A. Hoffmann 13, 135
Grisebach; das bezeichnende für diesen gebrauch ist, dasz
gewöhnlich der begriff des unhöflichen mehr oder minder
stark mitklingt; besonders deutlich: Sebast.: aber die
Wahrheit ist nicht immer höflich. Helene: so laszt
mich denn eure grobe Wahrheit hören Bauernfeld 2,
163; da . . sich Göthe . . so bäurisch grob gegen mich
benommen hat Bertuch im Göthejahrb. 2, 375;
und an jeden groben keilner
hab' ich mich umsonst gewandt
Heine 1, 127 Elster;
(man) excommunicirte den guten kayser mit den gröbe-
sten, ungeschliffensten ausdrückungen von der weit
j Hahn eint. z. teutschen kaiserhist. 3, 148; {er wurde) mit
I den gröbsten schimpfreden überschüttet D. Fr. Strausz
j ges. sehr. 9, 4; so verrinnt diese bedeutungslinie schliesz-
I lieh mit der von 5 b.
7) sehr zahlreich sind die sprichtvörter , reden sarten
und vergleiche, die das grob F l — 6 bieten, wobei bald
die eine, bald die andere der Sonderbedeutungen vor-
klingen kann: grobe leute, grobe antwort Fr. Wilhelm
sprichwörterreg. {ibll) u 2»; gut land, grob volck Petri
d. Teutschen iceish. 2, H h 3 * ; bey den groben wird man
grob K8''; was grob ist, hält! sagt man, um grobheit
zu beschönigen Müller-Frau reuth 1,443»; ähnlich im
alem. Staub -Tobler 2, 689; vgl. Gl; an A 2 schlieszen
sich bilder wie:
er (der kenker) soll disz gsetz mit groben noten
ihm fein auf seinen rucken schreiben
Sandrur hist. u. poet. kurzweil 66 ndr. ;
in noch gröberer tonart gab ihm Malte seine Unzu-
friedenheit zu erkennen W. v. Polenz Grabenhäger l,
200; an B 1 c; weil . . keines verlegen war, auf die
grobe münze des andern kleingeld genug herauszugeben
G. Keller 6, 228; auf G 2 c beruht grob wie bohnenstroh,
heute wohl allgemein, hd. tvie nd.; alte Wendung: er sei
denn gröber denn bonenstroh Halverius icahrhaft. be-
schreib. (1570) 212; Eyering proverb. 2, 386; aber früher
auch im sinne von 1 a: du bist grober dan bonenstro
Praxillae Adonide stupidior 7 appivs adag. (1545) 78»; auch
gr. wie saubohnenstroh Ruckert unterfränk. 65, Fischer
Schwab. 3,846; wie haf er st roh ib.. Staub-Tobler 2, 688;
wie Sackleinwand (vgl. Gab) Müller -Frau reuth l,
443»; vgl. Ruckert 65; geheimderäthin : . . der oberste ist
doch sehr indiskret! Goldentraum: zu deutsch, grob wie
ein sack Kretschmann 3, 53; gröber als grob Fischer
schiväb. 8, 846 und sonst, bilder sind auch zahlreiche schelt-
tvorte mit attributivem grob ; die meisten stellen sich zu
dem gebrauch B 1 b; in älterer zeit vielfach auf die be-
deutung 1 zielend, in neuerer gewöhnlich auf 5 b oder 6 b :
kan man nicht galant betrügen ,
nennt man uns ein grobes holtz
Günther ged. (1735) 83;
bei Schupp noch in vollem bilde: es war unmöglich,
aus diesem groben holtz einen doctor ... zu schnitzen
sehr. 802; vgl. meister Grobianus, künstreicher . . löffel-
schnitzler und träher der groben höltzlin zu Lourde-
mont Scheit Grob. 8 ndr.; o yhr groben klotze Luther
8, 311 W.; vgl. klotz I 3 b;
du bist ein wüst und grober knoll
H. R. Manuel weinsp. 1926 ndr.;
'n grafen knüll grobian Stürenburg 76^; vgl. knolle
n 9;
hier bawer, bengel, grober knöpf,
hörst nicht? Gilhusius gramm. (1597) 73;
vgl. knöpf II 13 b; er ist ein grober knortz Eyering
proverb. 2, 841; vgl. knorz 7; grober knoten s. knoten H
15 a; du bist ein grober zaunsteck Eyering l, 786; (un-
nütze arbeit hat) welcher . . einen groben ast zum hey-
ligen mit lehren will machen Lehmaj^n florileg. polit. l,
■495; en gröwe ast grobian Schambach 69»: überall ist es
das gleiche sinnliche verstehen des adj., das die Schaffung
dieser formein begünstigt hat; fraglicher ist das bei gro-
ber kegel, grober flegel, wo sich von anfang an eine
abgezogenere bedeutung des adj. verstehn liesze, s. kegel
11, flegel 2; vgl. auch grober keil unter keil 6;
ihr groben filtz an zucht und ehr!
{sagt Eva zu ihren kindern)
H. Sachs I,
26»
1 Keller,
407
GROB-
GROB-
408
a«cÄ das urspr. ein büd nach Gab, den in groben filz ge-
kleideten bauern bezeichnend, s. filz i mit vielen belegen;
grober rülz beruht auf der bedeutung 4 a, belege unter
rülz 2; ein grober cuius Eyering proverb. 2, 340; ein
grober lümmel G. Keller 5, 164; grober ochs, esel u. ä.
*. 0. 1 a; im selben sinne grober hempel th. i, 2, 985;
manche deutsche stamme sind von sprichwörtlicher grob-
heit: grober Hesse ist heute im sinne 'grobian' bis ins
schles. bekannt; ebenso, als reines appellativum, schon im,
15. Jh.: zu diesen zeiten ward durch die groben Hessen
{die mitglieder der zünfte) ausz dem rathans {zu Nürn-
berg) getragen alles, das von alter her behalten was
an briefen städtechron. 8, 146; urspr. vielleicht ebenso wie
blinder Hesse, also nach l a zu verstehen; den er was
ouch ein grober Schwab {von einem Baseler meister)
Platter 52 Boos {im sinne 6 b); vgl. th. 9, 2143/.,- grob
wie ein Baier Fischer schwäb. 3, 846; auch vom Deut-
schen überhaupt, im vergleich zu andern Völkern: dar-
durch es dahin gerhaten, dasz wir . . von andern
nationen . . teutsche volle sew und grobe volle Teut-
schen . . genant werden Scheit Qrob. 4 7idr.:
stell' mich dem groben Deutschen gegenüber,
der seine klinge, wie ein grobschmied, schwingt
Hebbel I 2, 82.
GROB, n., grobheit:
bey dieser tummen zeit hat seinen besten nutz
der bauem starrig grob, der krieger toller trotz
LoGAU 106 Eitner;
daraus ßieszt die bedeutung 'grobes volk' : in den dörfern
um Basel sind die leute ein abscheuliches grob, wie
das grob im Trierland Laukhard nach Müller-Frau-
REUTH 1, 443.
GROB- als compositionsbestandtheil in mannigfacher
Verwendung ; seit dem 16. jh. in steigender häufigkeit zu-
sammengerückt mit präteritalen participien ; neben beliebig
zu vermehrenden gelegenheitsbildungen auch fester gefügte
Verbindungen : grobangelegt: grobangelegter betrug,
plan u. ä.; es ist eine dumpfsinnige verblendnis, solchen
grobangelegten behexungen glauben zu stellen Fr. L.
Jahn l, 247 Euler; -aufgetragen: wir lachen itzt über
die, die sich einst von diesen grobaufgetragenen färben
. . hintergehn lieszen Tieck sehr. 6, 50; -behauen: am
grobbehaunem mühlstein Kind ged. (1817) 5, 271; -ge-
backen: gr. rockenbrot Gäbelkover arzneib. (1595)2,
71; -gebaut: die grobgebaueten Egypter Herder 15, 187;
-gehackt: gr. kraut nomencl. lat. gertn. (1634) 105; -ge-
kerbt, von blättern Rohling Deutschlands flora l, 340;
-gekleidet Ritter erdk. 8, 161; -gekörnt Kramek
teutsch-ital. 1,836*; gr. pulver Wallhausen kriegsmanual
(1616) 155; eine handvoU grobgekörnten sandes H. v.
Kleist l, 378 E. Schmidt; -gemahlen: den grobge-
malenen kaffe J. H. Voss sämtl. ged. (1802) 2, 282; -ge-
nagelt: grobgenagelte schuhe Rosegger seJir. I 2, 852;
-genäht, ebenfalls von schuhen, ib. HI, 8, I7i; -gepul-
vert Gäbelkover arzneib. {t^^b) 1,49; -gequetscht:
grobgequetze eychelen Sebiz /eW^aw (1579) 511; -ge-
sägt, von blättern ScHhECHTE^DAi^florav. Deutschland
^18, 151; -geschnitzt: {das boot) am vordertheil durch
ein grobgeschnitztes menschengesicht verzieret G. For-
ster 1, 124; bildlich: da das zusammenhanglose, grob-
geschnitzte marionettenbild . . sich noch auf Thaliens
bretterweit behauptete ^sghokke sämtl. ausgew. sehr.
39, 4 ; im sinne von grob Fla: es meynen die grobge-
schnitzten vätter, wann sie Iren kindern nur gut und
gelt . . verlassen, das sey der Jugend grösles heyl
GuARiNONius^reweZ d. vertvüstung (l6io) 256; -geschro-
ten: in grobgeschroteten redens- wie lebensarten B.
Goltz hinter d. feigenblättern 2, 219; -gesiebt Hoyer-
Kreuter (1902) 1, 299; -gesinnt: zum andern sind sie
{die Russen) zu dumm und zu grobgesinnt G. Forster
an Sömmering, briefio. 291; gewöhnlicher grobsinnig, *. d.;
-gesittet Kramer teutsch-ital. 2, 822*; -gespitzt: die
mänschliche grobgespitzte Vernunft Mosgherosch in-
somn. cura 119 ndr.; vgl. grob Fla; -gesponnen, auch
bildlich: dagegen alles grobgesponnene, mühsam-er-
drechselte wunderbare uns wunderbar wegscheucht
Herder 23, 296; -gestoszen: grobgestossene mandel
Höh BERG georg. cur. (i682) 1, 223; -gestreift: grobge-
streiftes packtuch Schwan nouv.dict.i, 791'*; -gewürzt:
grobgewürzter scherz Triller poet. betracht. 4, 418; -ge-
zähnt, von blättern Oken allg. naturgesch. 3, 2, 1167;
-gezeichnet: {die wände) mit grobgezeichneten kari-
katuren benagelt Riehl Eisele u. Beisele (1848) 195; über-
tragen: {der gebildete geist) den die grobgezeichneten
dramatischen larven anekeln G. Forster sämtl. sehr. 3,
64; -punktiert Ratzeburg ichneumonen l, 73; -schat-
tiert: auf einem grobschattierten holzschnitt Hauff
2, 119; -zerstoszen, von kräutern Gäbelkover arzneib.
(1595) 1, 291.
weniger häufig, aber auch alt sind zusammenrückun-
gen mit dem part. präs.: grob fühlend: von der last
blosz grobfühlender Sinnlichkeit Lavater physiognom.
fragmente 2, 192 ; -knarrend: wie sie {die Gelten) we-
ren . . . einer grobknarrenden stimme Schill teutsch.
spr. ehrenkranz {l6ii) 18G; -lautend: ab etlichen grob-
lauttenden wörtlin als leno, eunuchus Boltz Terenz (1539)
As*; -tönend, von der baszgeige Bog. Goltz jugendl.
8, 198.
in der spräche der geicerke vielfach in infinitiv-com-
positionen, gewöhnlich mit dem sinn der vorläufigen,
roheren arbeit, der die feinere zu folgen hat {vgl. grob
E 4) : grobhämmern Prechtl technol. encycl. 15,27;
-mahlen Muspratt chemie^ 2, Zbl ; -pochen, bei der
erzbearbeitung Prechtl 16, 73; -schleifen Krünitz
18, 714; -schwing ein v. Sghwerz prakt. ackerbau 570;
-strecken Karmarsch-Heeren^ 6, 184.
erst im 18. jh. mehren sich zusammenrückungen mit
adjectiven, die getvöhnlich das eigenschaftsicort durch den
beisinn des rohen, plumpen färben wollen, z. b. grob-
irrig: einige worte . ., die nicht grobirrig sind J. G.
Schütze herrnhuthian. in iMwiore (1749) 2 , 431 ; -mate-
riell: weit entfernt von der . . grobmateriellen Wirkung
der criminalnovelle Scherer kl. sehr. 2, 266; -materia-
listisch DiPPEL Wegweiser (1705) 1, 59; -niedrig: das
grobniedrige {eines ausdrucks) allg. dtsche bibl. 112, 178;
-populär: die grobpopulär oder steifhöfisch gereimten
relationen Er. Schmidt Kleistausg. 3, 9; -praktisch
A. RuGE sämtl. werke 2,252; -schwärmeri|sch: der
grobschwärmerische Lavaterianismus allg. dtsche bibl.
97, 596; -thierisch Campe; -witzig Lavater physio-
gnom. fragm. 4, 157 ; die wenigen Verbindungen, die über
die gelegenheitsbildung hinausgediehen sind, suche an
alphab. stelle.
am häufigsten sind Substantivcompositionen mit dem
Suffix -ig, -icht, die dem dingwort den begriff von grob
B, seltener von grob C geben; ihre zahl, zu der verschie-
dene fachsprachen, namentlich die der mineralogie und
botanik erheblich beitragen, ist unbegrenzt, z. b. grob-
aderig, vom holz Döbel neueröffn. jägerpract. 8, 18;
-blätterig, von mineralien, 'wenn die blätter grosz sind
und sich m^eistentheils durch das ganze stück erstrecken
und einander decken' Jacobsson technol. wb. 5, 737*'; von
pflanzen Sghlechtethukl flora von Deutschland^ 12, 175;
-eckig Zappe mineral. handlex. (1817) l, 58; -erdig:
groberdiger kalkstein Oken naturgesch. l, 661; -filzig
Marperger beschr. d. hutmacher-handwerks (1719) 18;
-flockig Muspratt chemie 8, 585; -jährig 'sind die
bäume, loenn die ringel oder jähre auf dem abgeschnit-
tenen stamme grosz und breit sind' Jacobsson technol.
wb. 2, 154*'; Göchhausen notab. venat. (l74i) 216; -kerbig
Schlechtendal 5i8, 300; -kieselig: (ei?i Sandstein)
nicht mehr feinkörnig, sondern grobkieselig L. v. Buch
ges. sehr. 1,58; -klüftig: grobblätterichtes oder grob-
klüftiges gestein Veith bergwb. (i870) 100; -kolbicht:
ein grosz grob kolbete nase grossus nasus Diefenbach
270'>; -nähtig Jean Paul 27/29, 398 Hempel; -narbig
Rohling Deutschlands fiora 4, 29; vom leder Unger-
Khull 308''; -netzig Rohling 1, 353; -porig Ross-
mässler tcald (1863) 476; -rissig: an grobrissigen stam-
men Ratzeburg tvaldverderbnis 2, 219; grobrissige bor-
kenrinde Rossmässler wald 45i; -sägig: deckblätter
mit grobsägigem rande Schlechten dal^ 22, 45 ; -schich-
tig: {eine) wand grobschichtigen Schiefers Ritter erdk.
409
GROBÄCHTIG - GROBDRAHTIG
GROBDÜNSTIG — GROBE
410
2, 895; -schiefrig Zappe mineral. handlex. l, 144;
-schuppig 'heiszt ein mineral, dessen schuppen von
ziemlicher grösze sind' Jacobsson technol. wb. 5, 738 '';
rümpf {des insects) ziemlich grobschuppig Ratzeburg
ichneumonen 2, 156; -speisig, im bergbau, aus groben
xoürfeln bestehend: grobspeisiger bleyglanz Krünitz 120,
109; altes wort: glantz . . helt oft bley und silber . .
da er nicht gar zu grobspeissig und spissig ist Mathe-
sius Sarepta (1571) 101^; ein grobspeissiger wasserkies
Albin US meisznische bergchron. (1590) 139; im bergmänn.
wb. (1778) 242 grobspreisig ; -splitterig: lager von hell-
weissem, grobsplittrigem quarz L. v. Buch ges. sehr.
1,44; vgl. ihcoüssoü technol. wb. 5, '738'^ ; -stengelig,
von kraut Döbel neueröffn. jägerxiract. 3, 71; Schlech-
TENDAL-^ 12, 175; -strahlig, von einem mineral, 'dessen
strahlen breit und dicke sind' Jacobsson 5, 738''; dass
reiner salpeter . . einen grobstrahligen brach zeigt
Muspratt Chemie 4, 934; -strichig: werke, wie sie
werkelmänner mit dem pinsel des maurers grobstrichig
überstoszen Dittrich bemerk, auf e. reise 221 ; -warzig
Brehm thierl.7,7i9 Pechnel- Lösche; -wellig: Jahresringe
(der zeder) grobwellig Lueger 6, 5G8; -würflig Jacobs-
son technol. ivb. 2, 154''; -wurzelig v. Scherz prakt.
ackerbau (1882) 200; -zähnig, von blättern Schlechten-
dal5 15, 173. geläufigere und weniger technische compo-
sitionen s. an alphab. stelle.
GROBÄCHTIG, adj.: die wollen des lands ist waz
grobächtig Federman Niderlands beschreib. (1580) 11;
im sinne von grob C 1 b. — grobarbeiter, m., scheint
im sinne von grob G 2 e einmal gangbare bezeichnung ge-
wesen zu sein; vgl. sonach lieferte also wohl Nordost-
deutschland eine treffliche grobarbeiterzucht Fr. L. Jahn
1, 266 Euler; spielend umgesetzt in die bedeutung von
grob E 4: je sieben bis acht grobarbeiter {aus dem
groben übersetzende) sind einem stillsten zugeteilt Hauff
2, 333. — grobartig, adj. = grob; vom IG. jh. an,
doch nicht häufig: {er) gäbe dem grobartigen, seinem
jüngeren brüder, der es ihm an frechheit und stercke
vor thet, allein die grafschaft Gastinois Wurstisen
Pauli Ämilii . . historien (1572) 1, 174; vilen grobartigen
und mit Venus wüst besudleten medicis Guarinonius
greuel d. verwüst. (iBio) 1113; ein witz, der nicht zu fein,
sondern ein wenig grobartig sein musz Knigge umgang
3, 79; auch mundartlich: 'june wos denn', säht der omts-
diener a wing grobortig J. Lowag ges. sehr. 5, 84. —
grobbäcker, m., der nur Schwarzbrot bäckt {vgl. grob
G 2 a) Sanders tob. dtsch. synon. 583. — grobbank,/.,
Werkbank zum ziehen groben drahtes Blumhof eisen-
hüttenkunde {isn) 2, iS7. — grobbäurisch, adj. Kra-
mer teutschital. l, 567'*;
ein Juncker sein, und doch grobbäurisch leben
MosCHEROSCd sres. (1650) 2, 421.
— grobb eitel, m., bildhauerwerkzeug Hoyer-Kreuter
1, 312. — grobbläser, m.: liesz er . ., als die priester
in ihrer . . andacht waren, seine grobbläser thonen
Olearius verm. reisebeschr. (1696) 227. — grobblech,«.,
dickblech Lueger 4,778. — grobbrot, n., roggenbrot,
im gegensatz zum feinbrot {xceizenbrot) v. Gutzeit l, 275"- ;
Frischbier i, 254; Schumann Lübeck (1907) 14; schon
bei Er. Alberus panis acerosus grob brod, hunds brod
dict. (1540) 65"; deutlicher als compositum grob- oder
hundebrot Stieler 246. — grobdraht, m., starker
draht Campe.
GROBDRÄHTIG, adj., grobfädig: sein {des büffels)
fleisch ist sehr grobdrahtig Dapper Africa (i67i) 551*;
grobdrähtiges fleisch, ein grobdrähtiger zeug Krünitz
20, 108; die . . haare um den hals des seelöwen . . sind
hart und grobdrätig G. Forster 2, 393; 'aus grobem
drahte bestehend' Voigtel tcb. 2, 134*'; in neuerer zeit
gewöhnlich übertragen, schlechthin = grob; mit Vorliebe
im sinne der bedeutung D 3: die grobdrähtige leiblich-
keit des den ersten menschen nach seiner statur . .
knetenden . . judengottes Lagard e dtsche sehr. 409;
grobdrähtigen epikureismus Mommsen röm. gesch.* 3,
567; doch auch anders: wenn die gesellschaft bei grob-
drähtigen späszen in Verlegenheit geräth 0. Gilde
MEISTER essays i,Sl; grofdrätig von grobgesitteten man-
schen Schütze holst, i, 243. — grobdünstig, adj.:
{das schlesische bier) ist trübe, scharf und grobdönstig
RÄT EL Curäi chron. (1607) 301.
GROBE, /., adjectivabstractuin zu grob; vereinzelt
schon im ahd. {s. u. 2), aber erst seit dem nhd. häufiger;
weniger enttcickelt als grobheit, mit dem es in einem
geicissen ergänzungsverhältnis steht: die concreten ge-
brauchsweisen des adj. bevorzugen grobe; mit recht sagt
Heynatz: 'die grobe für die grobheit, wenn von der
beschaffenheit eines stoffs die rede ist' antibarb. 2, 76;
heute schriftsprachlich fast erloschen, aber dialectisch
namentlich im obd. durchaus lebendig,
1) zunächst 'rauheit' {vgl. grob A); duritia scherpfe,
reuche, grobe Frisius dict. (1556) 455*; von der rauhe,
härte und grobe der obern zwey röcklein (die das kind
im mutterleib umgeben) Ruoff liebammenb. (l680) 12; ab-
str acter: ursach {der Streitbarkeit der Schwaben) acht
ich sei die grobe disz lands Seb. Franck Oerm. chron.
(1538) vorr. aa 6''; die grobe des gebirgs Paracelsus
op. (1616) 1, 1113 C; 'härte, derbheit' : ettlich kranckheiten
enden sich in 4 oder 5 tagen . . nach ruhe und gröby
der leuten Seb. Münster cosm. (1550) 470; adverbiale
formet 'auf harte, kräftige art' : daz die artzney nach
der grobe mit dir handle Guarinonius greuel d. verw.
(1610) 965; geistig: die rauche und grobe oder unhand-
same desz gemüts asperitas animi Frisius dict. (1556)
125''; dem wüten und grobe des pöfels erlaubt Stumpf
Schwytzer chron. (l606) 330''; vgl. noch aus modernen maa.:
so schlag i drei' nach da gröbn! Hartmann volksschausp.
in Bayern 204 ; gröbne an sich dannen haben grob sein,
'aber wohl nur als eigenschaft, nicht als akt' Fischer
Schwab. 3, 847; verborum asperitas die reuche und grobe
zereden Frisius 125''; dasz sie narren seind, das ist
in der subtilitet geredt, sonst nach der grobe spricht
mann hüben Paracelsus op. l, 237 B; obscoenitas un-
künschhcit, . . wüst, grobe Frisius 895»; grobe der
Sitten incivilitas Stieler 708; atechnia grobe, unwüssen-
heit, Unverstand Frisius 132»; rfoc/i bevorzugen diese
mir lexicalisch nachzuweisenden bedeutungen auch im
älteren nhd. schon grobheit.
2) auf töne angewendet, zunächst ebenfalls 'rauheit' :
das heyszere und grobe der stimm als krankheitssymptom
Gersdorff tctmdarznei (1517) 78" ; frühzeitig aber, gemäsz
grob A 2, von tiefer tonlage: lychanos ypaton . ., der
drivalta geroubi habet gagen demo churzisten nete,
wanda er drivalta lengi habet Notker l, 852, 17; vgl.
ebd. 8; doch so ist es {das falkengeschrei) ettwas an
dem anfang hoch, aber es nydert sich ettwas in die
gröbin bis an das ende mer Mynsinger v. d.falken 5
lit. ver.;
zur grobe weisz ich nicht, wer besser in dem pasz
alsz du rohrdommel dienst, du taugest nur zum basz
schles. quelle bei Drkchsler Wencel Scherffer 123.
3) als quantitätsbegriff 'dicke, stärke' {vgl. grob B) :
bey vile und grobe der knöpfen {der hörner) wirt ir
{der geissen) alter abgemässen Herold-Forer Gesners
thierb. (1563) 57''; ein mahler, der wegen gros und gröbin
des leibs für riesengeschlecht geachtet ward Fischer
Schwab. 3, 847 {quelle v. 1666) ; die seilten seyen ungleicher
ducke oder grobe A. Cario neue hall- u. thonkunst (1684)
104; dbr päm hat a~ gröb'n Lexer kämt. 124; concret
'die dicken bestandtheile' : grobe sind die bei dem stampfen
. . des hauwerkes abgesonderten gröszeren, mit erz durch-
zogenen körner Sgheughenstuel 108; absieben und
nachheriges mahlen der grobe {bei der guanoverarbei-
tung) Muspratt chemie^ 2, 1067; von der consistenz von
körpern {vgl. grob D) : nach gröbi ihres liquors Para-
celsus op. 1, 127 C; welche {körper) von wegen ihrer grobe
zwar leicht gestehen und ihre flüssigkeit verliehren
können J. Chr. Sturm kurzer begriff d. physic (1713) 388;
dasz grobe und feinheit ausdrücke sind, die auf das
licht gar nicht passen J. J. Engel lO, 84.
4) als Qualitätsbezeichnung neben gewissen, meist künst-
lich erzeugten Stoffen {vgl. grob C): grobe der leinwad,
i des holtzes, des garns grossezza del legname etc. Kra-
411
GROBEISEN - GROBFASERIG
GROBFEILE - GROBHANS
412
MER teutsch-ital. l, 567^; {unterschiede der leinwand)
an schmele, gröbi oder dünne halb Staub -Tobler
2 , 691 {quelle von 1542) ; zumal da sich grobe und
feine leinwand darzu schicket und jener ihre grobe,
wann sie einmahl bedruckt, so starck nicht zu erkennen
ist Marperger beschr. d. hanfs (l7io) 58; grobe der lein-
wand, des Zeuges, des glases, des papiers Campe ; dieses
tuch hat zuviel groben, ein kleid daraus zu machen
V. Klein l, 164; dieser gebrauch ist jüngerer spräche am
geläufigsten, er ist am ehesten auch heute noch möglich;
so gewöhnlich in den obd. maa.; vgl. Schmeller l, 984;
Unger-Khull 308; Lexer kär7it. 124; Fischer 3, 847;
StAUB-ToBLER 2, 690.
GROBEISEN, 7i., 'stabeisen, welches unier den . .
schweren hämmern {. . grobhämmern) ausgehämmert wird'
Scheuchenstuel 109.
IGRÖBEL, m., grobian: gab . . Alcibiades dem gröbel
ainen backenstraych Schaidenraiszer Odyssea (1537)
vorr. 4*; nach Drechsler 124 häufig in Scherffers
Grobianus: ein häufen gröbel 109; mein gröbel 110 u. ö.;
daselbst auch mancherlei ableitungen: gröbelei, gröbeler,
gröbelheit; gröbelbruder u. a.. s. Drechsler a. a. o.
2 GRÖBEL, OT., 'ist ein bergmännisch maasz, so einer
spanne lang ist' Wolff mathem. lex. (1747) 608; bei Chomel
4, 1360 auch gräpel; vielleicht = grebel grabwerkzeug ? s.
d. sp. i; dorthin gehört auch:
der vor oft nicht mocht ruhen essen,
der musz zu letzt den gröbel fressen
H. Sachs 3, 529 Keller,
wo andere drucke gräbel bieten.
GRÜBELN, s. grübeln.
GROBEN, vb. l) starkgliedrig, corpulent werden Staub
Tobler 2, 690; 2) bäurische sitten annehmen ebd.;
wan einer schon will höflich say,
so groben andre doch
Rattay Ostracher liederhs. 21;
vgl. als der herr Oberstwachtmeister in sein zlmmer
trat und seinen getreuen Johann angrobte: 'warum . .
H. V. Zobeltitz im Daheim 31, 161 •>; mundartlieh statt
dessen auch angrobsen anfahren Müller-Fraureuth
1, 22.
GROBEN, vb. vergröszern: gibt ihm dieselbige {misse-
that) gleichsam durch ein verkleinerndes ferrnglasz, her-
nach aber durch ein gröbendes zu schauen Er. Fran-
cisci traursaal (1669) 2, 950; vereinzelt, aber doch wohl
kein fehler statt gröbern, s. d.; vgl. 'simplex non adeo
in usu, sed vergröben rustice, crasse . . agere, dicere'
Stieler 706.
GRÖBEREI, /., unhößichkeit: was das vor gröberei
wäre, wenn wir einem grossen herrn, der uns grüsset,
nicht dancken wollten V. Herberger Jesus Sirach 548»;
hüte dich für der gröberei der einwohner zu Bethlehem,
welche diesem ehrenkindlin keinen räum in ihrer
herberge geben herzpost. (1618) l, 61.
GRÖBERN, vb., vergröszern: ein brill . ., die da grö-
bert und kleinert Mathesius Sarepta (l57l) 196'»; ver-
dichten {vgl. grob D) : es sey mit werme gesubtilirt oder
von kelte craszirt und gegröbert Thurneysser alchymia
(1583) 131.
GROBFÄDIG, adj,: grobßldemicht filis crassioribus
textus Stieler 525; grobfädemicht tuch Kramer teutsch-
ital. 1, 318"^; grobfädige wolle, grobfädiges fleisch Krünitz
20, 108; ein grobfädiges hemd Zschokke sämtl. ausgew.
sehr. 27, 202; freier: dein mond {auf dem bild) ist ein
Irrwisch und dein äther grobfädig Thümmel reise 7, 52;
überhaupt, wie grobdrähtig, gelegentlich für grob schlecht-
hin; vgl. meine 'gröszen der modernen literatur' mit
ihrer feineren ästhetik, durch welche manche her-
kömmliche grobfädigkeit aufgedeckt wird Dühring
Überschätzung Lessings 50. — grobfaserig, adj., be-
sonders von mineralien, z. b. quarz A. G. Werner ort/k-
tognosie (1792) 39; formation von grobfasrigem . . perl-
stein Humboldt kosmos 4, 349; und 'von hölzern . ., die
aus starken fibern bestehen' Helfet wb. d. landbaukunst
(1836) 161; hartes . . grobfaseriges holz Schlechtendal&
1 10, 112; doch auch sonst: {gazellen) deren fleisch zwar
grobfaserig Ritter erdk. 2, 754; grobfaseriges . . pulver
I MusPRATT Chemie 3, 212. — grobfeile, /., le carreau
I Schwan nouv. dict. l, 791*'. — grobfleischig, adj.,
I von grobem fleisch {vgl. grob C 2 a) : die {glatten fische)
\ halt man für grobfleyschig Ryff Spiegel d. gesundh. (1544)
57''; anders: {bei den Brabanter frauen) ist etwas schlaffes
! und grobfleischiges zugleich bemerklich G. Forster 3,
! 168. — grobfüszig, adj.: einen feinen starcken grob-
\ füssigten gaul Winter v. Adlersflügel stuterei (1687)
; 12; grobfüssige figur Göthe46, 256 W. — grobgedackt,
n.. ein orgelregister, dessen pfeifen mit einem, decket ver-
schlossen sind Walther music. lex. (1732) 481; vgl. schon
bei Stieler grobgedacktes plicata maior stammb. 285;
Jean Paul rühmt scherzend an der deutschen spräche
ihr 32 füssiges grobgedackt tcerke 54, XVI Hempel; ent-
stellt: aus dem grobgetakt und schnarrwerk der männ-
lichen brüst ll/l4, 96. — grobgeld, n., crassa monefa
Henisgh 1748; 'bedeutet eigentlich die species- oder grö-
bern münzsorten' Chomel öcon. lex. 4, 1358; vgl. grob B i d.
— grobgeschütz, n.: dasz ein büchse oder grob-ge-
schütze nicht zuspringe Fleming d. vollk. teutsche soldat
(1726) 355*'; vgl. grob B 1 d. — grobgliedrig, adj.
Hulsius-Ravellus (1616) 146*; grosze grobgliederige
menschen Hebel 2, 360 Behaghel. — grobgrei flieh,
adj. adv.: das ist eine gute grobgreifliche unverschampte
lügen Zanger Jesuwider (1562) T 6*»; ob sie . . ubir mich
grob greyflich liegen Luther 7, 626 W. — grobgries,
m., als eine bestimmte erzqualität Muspratt chemie 7,
458, 507.
GROBGRÜN, m. und gewöhnlicher n., aus frz. gros-
grain entstellte bezeichnung verschiedenartiger starkfädiger
zeuge; meist von Wollstoffen geringer qualität, doch auch
für Seidenstoffe; seit dem 16. jh., zumal in kleiderord-
nungen und inventaren, häufig: grobgrein, grobgran
subsericum, subserica, bey uns gantz schivartz, schlechter
als tubin, de laena; aliis vestis cymatilis . . wusserblau
Henisch 1748; pannus camelinus türckisch grobgrün
nomencl. lat. germ. {Hamb. 1634) 421 ; etlich stück grobgrün
Ayrer dr. 4, 2453 lit. ver.; wullinwahr, als macheyer,
engelsaith, grobgrien quelle von 1601 bei Fischer schwäb.
3, 847, woselbst mehr belege; den dienstmägden soll . .
seiden gewand zu schauben . . verboten seyn, sondern
ein schlecht grobgrün kleiderordn. von 1640 bei Frisch-
bier 1, 254; dagegen: seidengrofgrün Rostocker kleiderordn.
(1585) 12 {vgl. Frisch [i74i] i, 374"); seidengewandt von
allerhand färben, als nemlich grobgrün, atlasz A. Cas-
siODORUS regnum Congo (1597) 2, 34; nd. grofgrön bei
Schiller- Lübben 2, 150 reich belegt; vgl. brem. wb. 2,
548; seltenere formen: grobgran Fisch art geschichtklitt.
450 ndr.; grobgran, grobgrin grain de soye Duez nomencl.
(1652) 50; grobgran Federman Niderlands beschr. (1580)
139; s. o. Henisch; zur sache vgl. besonders Chomel
öcon. lex. 8, 2402; Jacobsson techn.wb. 2, 155; auch ad-
jectivisch: vestis tramoserica ein grobgrün kleid no-
mencl. lat. germ. (1634) 425; zween grobgrüene rock; zwei
grobgrüene büeblein Fischer schwäb. 3, 847 (17. jh.);
türckisch grobgrüne wullen Wolfg. Ouw miszbr. d.
kleider (1662) 182; dazu grobgrünmacher Sghiller-
Lübben a. a. o. aus Stralsunder bürgertab.; grobgrün -
weber Fischer schwäb. a. a. o.
GROBHAARIG, adj.: {ein hemd) von der grobhärich-
testen Sackleinwand Bastel v. d. Sohle junker Har-
nisch (1648) 169; SO wird der flachs grobhärig J. G.
Schmidt rockenphilos. (i706) l, 149; mit einem grobhaa-
rigen pinsel Karmarsch-Heeren3 5, 589; um grobhaa-
riger dirnen willen Storm 6, 253; vgl. grobhären. —
grobhälmig, adj.: das . . lange und grobhälmichte
stroh schles. wirtschaftsb. (1712) 370. — grobhammer,m.;
das . . erstarrte kupfer wird . . unter einem grobhammer
. . zerschroten Karmasch-Heeren3 5, 381 ; vgl. grobeisen;
aiich von gemssen hammertoerken : Krieglach . . darf . .
seiner grob- und zeughämmer wegen ein wenig als in- jH
dustrieort gelten Rosegger II 7, 90. — grobhans, m.: Sl
grobhans, bauershans rustico, zotico, grossolano Kramer
teutsch-ital. l, 626*;
413
GROBHART - GROBHEIT
GROBHEIT
414
weil grobhans noch nit essen will
Scheit Groh. 3032 ndr.;
grobhenslin ib.s.l. — grobhart, m., grobian: lieber
mein grobharde Scheit Groh. 2678 ndr. — grobhären,
adj., Schwan nouv. dict. t, 791^; ein grobhären tuch
K. J. Weber Deutschland i (i828), 176. — grobhaus,
n., ein hazardspiel, frz. lansquenet, manchenorts stoszen
genannt studentenspr. u. -lied in Halle (1894) 52; es war
das verderbliche infame grobhaus Laukhard leben u.
Schicksale 5, 222; nach Adelung 'auf dem lande in Ober-
sachsen üblich', dazu grobhäuser, aber einfach im
sinne 'grobian' Gaudy 8, 181; grobhäusern, vb., das
grobhaus spielen Adelung. — grobhäutig, adj., cras-
sioris cutis Stieler 803; ihre (der mohren) händ sind
grobhäutig A. Dürer schriftl. nachl. 349; auch, ähiüich
ivie grobdrähtig, -fädig, als ein versinnlichtes grob: das
'reich' ist zunächst . . eine ziemlich rohe grobhäutige
form H. Conrad! ges. sehr. 3, 357.
GROBHEIT,/., seit dem mhd.; streckeniceise in gleicher
Verwendung ivie grobe (s. namentlich 2), aber von anfang
an abstracte gebrauchsweiseti bevorzugend; je später je
mehr auf m.enschliche artuiig und gebarung beschränkt,
ivo grobe kaum begegnet (s. d. 1 schlusz); in älterer
Sprache auch grobkeit, doch selten: pilgerf. d. träum,
mönchs 449; *. u. 3/ zim.m. chron. 2, 160, 15; N. v. Wyle
translat. 93, 8 lit. ver.; Murner schelmenz. 36, 38 ndr.;
entwickelter ist grobigkeit, s. d.
1) die grundbedeutung 'rauheit' (s. grob A) ist ^vegen
der concurrenz von grobe (s. d. l) im eigentlichen sinn-
lichen gebrauche nicht zu belegen; xoohl aber übertragen
als 'herbheit, schärfe': die andern art (nämlich daz si
zesamen zeuht) hat si (die wermut) von der grobhait
ires saffes Konr. v. Megenberg buch d. natur 381, 22;
alle wort haben bürischen bitterkeit und grobheit 3'e-
re7iz (1499) 118"; asperitas orationis die reuche und grob-
heit der red Frisius dict. (1556) 125''; der sprachen grob-
und härtigkeit Schottel haubtspr. (1663) 26; grobheit,
rauhe, herbe asperitas, opp. lenitas Henisch 1748; reich
entwickelt nur in der anwendung auf den menschen,
s. u. 5.
2) entsprechend grob B = grossitudo, grossicies gemma
gemm. (1508) 1 6*; granit, der nur in rücksicht auf grob-
heit oder feinheit des kornes einige Verschiedenheiten
zeigte Kerner bilderb. (1849) 377; weiterhin: grobheit, die
dicke, feiste crassities, crassitudo Henisch 1748; corpu-
lenza grobheit oder schwere desz leibs Hulsius (l618)
2, 109^; im sinne von grob D: densitas, plenitudo Henisch
a. a. 0.; spissitudo, spissitas Serranus synon. (1579) s. v.
grobheit; sich aber die erde . . wegen ihrer grobheit
und unbeweglichkeit mit keinem dement vermischen
kan Harsdörfer d. teusche secret. 2, 613; die dicht- und
grobheit der cörper, so in der äussern natur die durch-
strahlung des lichts verhindern J. C. Dippel aufricht.
Protestant (1783) 90; mit der zunehmenden entfernung
von der sonne nimmt . . auch die dichtigkeit der pla-
tteten, die grobheit des Stoffes auf denselben ab D. F.
Strauss 6, 111; et^vas anders, zur bezeichnung festerer
Substanz: die matery der blüt ist ausz behendem
wässerigem vermischet mit behendem oder subtilem
yrdischem, das es seiner subtigligkeit halben billicher
geformet würt zu blüt wann zu feuchter grobheit (wie
sie in den blättern vorliegt) Petr. de Gresgentiis (l53l)
11"; ähnlich auch: daz feur . . benymt im (dem holz)
die feuchtikayt und die grüne und grobhait (festigkeit,
Zähigkeit) Tauler sermones (1508) 84"; vgl. myst. 2, 431,
21; als densitas auch von flüssigkeiten : die ander ursach
ist grobheyt und dicke des geblüts Ryff spiegel d. gesund-
heit (1544) 136*; mit seiner grobheit verstopfet er (der
süsze wein) ... die subtilen äderlin der lebern Petr.
de Gresgentiis (i53i) 57»; dasz man in das meer,
wegen des wassers färb und grobheit nicht weit hin-
unter sehen kann Otho krankentrost 701; schlieszlich
überhauijt zur bezeichnung des substantiellen gegenüber
dem geistigen ; iti mystischer spräche vielgebraucht: gropheit
der liplicheite myst. 2, 668, 9; daz materielichiu grop-
heit also behende si also geistlichiu, daz enwirt eime
unglorificierten libe niht ib. 11 ; also ist er (Christus)
ouch in dem heiligen sacrament on grobheit und on
alle schwere der ew. toeisheit betbüchl. (1518) 142*;
mein leib der wird für gott wie ein carfunkel stehn,
wenn seine grobheit wird im feuer untergehn
A. Silesius Cherub, loandersm. 50 ndr.;
geradezu für das irdische:
als er des vatters willen endt,
ward er behend
ausz der grobheit genummen
Wackernagel kirchenl. 5, 728;
(er wird) verklärt von gott, bisz sich natur verlieret
und grobheit flieht samt aller irdigkeit
G. Arnold göitl. sophia (1700) 2, 58 ;
ein in älterer spräche recht ausgebreiteter gebrauch; er
hält sich in Wendungen wie grobheit der materie Kant
(1838 ff.) 8, 368.
3) wenig entwickelt ist die grob C entsprechende Ver-
wendung, die den nachdruek auf die qualitätsbezeichnung
legt (hier herrscht durchaus grobe, s. d. 4);
eben als wol die grobekeit (sc. der speise)
als die gude spise mich lecken deit
pilgerf. d. träum, mönchs 10519;
grobheit des glases Krünitz 20, iii; grobheit des vlieszes
(beim schaf) Brehm thierl. 3, 236 Pechuel- Lösche; über-
tragen: diese grobheit des stoffes und des gewebes in
dem baue der menschlichen natur Kant (1838/".) 8, 368 ;
ebenso selten im sinne grob E, die mangelnde feinheit der
gestaltung eines dinges betonend: grobheit des antlutz
Diefenbach 157» s. V. crepundia (l5. jh.); die Zartheit
oder grobheit der augenfelder (bei den schmalböcken)
Brehm thierl. 9, 179; nur von unsinnlichem häufiger; gern
von uncultivierter spräche (vgl. grob E l), loo die bedeu-
tung nahe an 1 grenzt: (da Luther die spräche) aus der
ungeschlachten, ungeschliffenen grobheit in eine zier-
liche anmuhtigkeit gebracht Zesen rosenmand (l65l) 12;
die französische spräche wäre noch lange in dem zu-
stande der grobheit geblieben neuer büchers. d. schön,
vnssensch. u. fr. künste 5, 125; auch sonst verschieden-
artig für den zustand des plumpen , rohen , undurchge-
bildeten gegenüber dem feinen, geschliffenen: eine affec-
tirte Schreibart, welches der entgegengesetzte fehler
von der grobheit ist Ramler einl. in d. schön. Wissen-
schaften 1, 70; er hätte die satyre beiszender und feiner
gemacht, deren grobheit ihn sehr geärgert hat G. For-
ster 7, 137; anders, mit hinneigung zw D 4: er lies sich
so . . offenbar bestechen, dass kein mensch es gröber
machen konnte, und eben diese grobheit war feinheit
Hippel lebensläufe 3, 322.
4) nur in »puren zu belegen ist Substantivierung der
beim adj. reich entfalteten bedeutung 'grosz, geioaltig,
heftig', von unsinnlichem (s. grob B 2): grobheit der
Sünde gravezza . . del peccato Kramer teutsch.-ital. l,
567''; viel- und grobheit der laster W. v. Kalghus Sal-
lust (1629) 28; das thut die grobheit der Unwissenheit,
dasz wir nicht wissen, was in uns geboren ist Para-
celsüS op. (1616) 1, 141 B; doch lebt eine aus dieser
ivurzel entsprossene bedeutung mundartlich: ich fürchte
mich vor eurer grobheit 'euer ansehen, vornehmer stand
macht mir bange' Schröer 30; vgl. grob B 2 a.
5) um so entfalteter ist die zu grob F gehörige anwen-
dung auf beschaffenheit und benehmen des menschen.
a) Stumpfheit der geistigen und sinnlichen organe des
menschen (vgl. grob Fl): grobhayt des sinns Diefen-
bach nov. gl. 201°' s. V. hebes; grobheit des verstandts
ruditas Galepinus xi ling. (i598) 1278*; groffheit der vor-
nuft Schiller-Lübben 2, löo''; so gethan underschützig
dencken komet allein von grobheit der sinnen d. ew.
ivei^h. betbüchl. (i5i8) 58''; wenn unsere sinnen feiner
wären, deren grobheit die form möglicher erfahrang . .
nichts angeht Kant 3, 190 akad. ausg.; weiterhin als
Charakter des menschen stumpfer Organisation: ineptia,
fatuitas, hebetudo Er. Alberus dict. (l540) 17*'; ruditas,
secordia, stupiditas Stieler 706; etlichü unverstandnu
menschen . . von ir grobheit kein bessers in in selber
kunnen verstan Seuse dtsche sehr. 5, 6 Bihlm.; aber
415
GROBHEIT
GROBHIN
416
die teufelische untugent . . . kan des menschen umb-
steende grobhait . . nit erkennen Luther l8,ioi W.;
Unverstand und grobheit ist das 50, 596; als tliierisches
Vorrecht {vgl. grob F i a sc/tZw*«) .- dem bapstesel jucken
die obren und wil sein . . grobheit gekutzelt haben 26,
576; etwas anders: nachdem ich aber aus der allent-
halben in der schrift . . hervorscheinenden tummheit
und grobheit des concipienten gewahr wurde, dasz eine
dergleichen ingenieuse satyre sein werck nicht seyn
könne Chr. Thomasius ged. u. erinn. l, vorr. 8.
b) univissenheit, Unbildung, roheit (vgl. grob F 3):
barbaries, inscitia, imperitia, ignoraniia Er. Alberus
dict. (1540) 17^; inscitia prodigiosa grewliche, schreck-
liche grobheit Bas. Faber thes. (1587) 651"; grofheyt
inerudicia Diefenbach nov. gl. 215»;
(ich ?iab) zulehrnen mich belliessen
dasjenig, so der gmeine mann
ausz grobheit nicht kann wissen
W. Spangenberg-Fröreisen griech. dr. 1, Itö lit. ver.;
(ihr sammelt ein werk)
das treflich wol kan dienen
vor grobheit, Unverstand
Harsdörfer frauenz. gesprächsp. 4, b 7»;
von Völkern 'unkultur, barbarei': wir Teutschen ver-
achten das (geschickte aufzuschreiben), wann unser grosz
grobheit versagt uns gedechtnus der künftigen städte-
ehron. 3, 167; sich ein sehr grosse barbarey und grob-
heit und abgötterey gegen mitternacht findet Nigrinus
von Zauberern (1592) 243; wenn die einwohner aus der
Wildheit und grobheit durch policey und Ordnung zu
reichtum und macht gelangen 7ieuer büchers. d. schön,
wissensch. u. fr. künste 2, 119; nicht unbedingt tadelnd: i
Rom selbst sieht er in den Zeiten seiner ersten grob-
heit für ein so tugendhaftes volk an Gottsched das
neueste a. d. anmuth. gelehrs. 1, 484; mit besonderem sinn:
(bei dem namen Rhetigow) ist bald durchs volcks grob-
heit das P hinzu gesetzt und Prättigow darausz wor-
den Stumpf Schtcytzerchron. (1606) 637".
c) roheit, ungeschliffenlieit der sitte und ihres trägers
(vgl. grob F 5); rtisticitas Diefenbach 504«; ruditas
nomencl. lat. germ. (1634) 275; der bauer ist das Sinnbild
dieser grobheit (vgl. grob F 2) : urbanitati contraria sunt
insulsitas, grobheit, bewrische unsittigkeit Bas. Faber
thes. (1587) 968^; aber sein grobheit und bürischeit, wan
er ein buer was, so ist er entschuldigt Pauli schimpf
u. ernst 81 lit. ver.; redensarten: (ihr möget) ob ich solchs
nit wol treffe, dasselb meiner grobheit zumessen sagt
der ritier, der mit der königstochter tanzen soll Schü-
mann nachtbüchl. 98 lit. ver.; sie wollen meine grobheit
zu gut halten Kramer teutsch-ital. l, 567''; die grobheit
ablegen, einem die gr. abstreifein ebd.; tvie bei dem adj..
ist eine allmähliche Verfeinerung des begriff sgehaltes wahr-
nehmbar:
die grobheyt ist yetz kumen usz
Brant narrensch. 71, 41 Zamcke;
Jesu Christi, der unser sundt, grobheit der sitten . . .
lieblich geduldet hat Eb. v. Günzburg 2, 41 ndr.; da-
gegen: Übermächte höfligkeit ist verdrüsslicher als grob-
heit Grob dichter, versuchg. (i678) 70; jetzt kann ich
sie nicht ohne grobheit mehr von hier verweisen Ar-
nim 16, 122; Kinderling setzt grobheit = incivilität
reiragk. d. dtsch. spr. (i795) 279; Lucinde und der my-
lord tadeln beyderseits Crabs äuszerliche grobheit Gott-
sched d. neueste a. d. anmuth. gelehrs. 7, 22; anders u.
noch feiner: verwöhnt durch die leichte anmuth der
Pariser salons wollte er sich in die grobheit der
heimath . . nicht finden Treitschke dtsche gesch. im
19. fh. 8, 432. •'
d) die heute vorherrschende bedeutung 'rauheit, barsch-
heit. Unfreundlichkeit' wird im älteren nhd. gewöhnlich
durch solche stärkeren affectgehaltes vertreten: 'wildheit
brutalität' (vgl. grob F 6 a): alle diese hat Caius Cali-
gula . . in grobheit übertrofFen Dannhauer catech. milch
1, 167; ir (der Hussiten) grobheit und ubermut ward
also grosz und mächtig, dass si all herren . . sehädi-
getend Tschudi chron. helvet. 2, 90 1»;
und ihr erzittert leib und blut,
80 bald dein grobheit reden thut
grillenvertr. (1670) 3, 145;
anscheinend auch im sinne 'übermuth, trotz' (vgl. grob-
stolz): (das hoff artige weib) sprach, sy wölt sich spie-
gelen als die andern täten, also in irer grobheyt sten
beleyb Arigo decam. 897 lit. ver.; darumb schlage mein
hals und rücken, damit ich meine grobheit unter dei-
nen willen biege Jon. Arnd Thom. a Kempis (i63l) 137;
die grobheit und halsstarrigkeit eines ungehorsamen!
unfreundlichen weibs Mosch erosch insomn. ciira 75
ndr.; aber auch schon in der hexitigen bedeutung (vgl.
grob F 6 b): asperitas grobheit, unfreundligkeit Bas.
Faber thes. (1587) 87»; darinn er . . nach aller grobhait
den bapst . . als ain lodtersbüb aussholiplet Jon. Nas
antipap. eins u. hundert 2, e 8»; (recensenten sprachen)
über ehre und schände der verdientesten gelehrten mit
einer bisher unerhörten . . . grobheit ab v. Haller
restaur. d. staatsiciss. i, 130; grobheit, fluchen und geiz
ist der falsche weg zu gutem gesind Hebel 2, 257 Be-
haghel: das geflügelte wort göttliche grobheit geht auf
Fr. Schlegel zurück (Lucinde [i799] 30); zu seiner ge-
schichte s. Gombert zs.f. d. w. 3, 176; danach in neuerer
zeit Verbindungen wie:
0 stünde Bolans glückselige grobheit
mir zu gebot 1 Geibel werke (1888) 5, 162;
herzerquickende grobheit v. d. Steinen naturvölker
Zentralbrasiliens 6; ein brief von vollendeter grobheit
H. Grimm Michelangelo (1890)2,294; die jüngere spräche
gibt der bedeutung gern den beisinn des unhöflichen, so
dasz diese bedeutungslinie schlieszlich mit der von c
durcheitiander läuft: die höflichkeit der fremden dame
ist mir empfindlicher als die grobheit des wirths Les-
sing 2, 185 M.; ein volk, das . . den fremden nicht mit
grobheit . ., sondern mit höflicher sitte behandelt E.
Th. A. Hoffmann 14, 171 Grisebach; eine derbheit, die
dicht an die gränze der grobheit streift Schubart leb.
u. gesinn. I, 256.
e) die bedeutungen a — d auch in concreterem gebrauch,
als rede und that; 'dummheit' (nach a) : disz sey ein
grosse feiszte lugen und ein esclische grobheit Fisghart
bienenk. (1588) 117 '^ ; häufiger nach c 'rüpelei, flegelhaftig-
keit' u. ä.: damit nun die allgemeine freude durch
diese grobheit nicht möchte verstöret werden (der prinz
hat der Banise wein auf den hals geschüttet) Ziegler
asiat. Banise (1689) 258; wenn das (den köpf auf den
stock sinken lassen) ein bauersmann (hut, so hält man
es für eine grobheit Mayr päckchen Satiren (1769) 62;
zu solcher grobheit ladest du mich ein?
(nämlich zu reiten, während du gehst)
M Gries Bojardos verl. Roland 1, 277;
gelegentlich auch stärker (im sinne grob F 5 a) 'Unan-
ständigkeit': possenspiele . . ., mit schmutz und grob-
heiten untermengt Ramler einl. in d. schön, wissensch.
2, 374; am häufigsten im sinne d: 'rauhe, barsche hand-
lungen oder getvöhnlich: reden': ich will der scheltwbrte
und der grobheiten seiner bände gegen sie nicht er-
wähnen Heinse 2, 42 Schüddekopf; wer . . kein trink-
geld geben will, hat die gröszten grobheiten zu erwarten
Archen HOLZ England u. Italien 2, I6I; es waren ihm
. . eine menge witziger Schimpfwörter und komischer
grobheiten in den sinn gekommen Eichendorf 2, 28;
gewisse verbale Verbindungen sind stereotyp: und etwan
ein grobheit begieng Pauli schimpf u. ernst 342 lit. ver. ;
ich bin nicht hergekommen, mir grobheiten sagen zu
lassen Lenz 1, 18 Tieck; ich möchte . . ihm alle grob-
heiten ins gesiebt sagen können Bauernfeld l, 32; ^m
blosz weil er . . . Jupitern . . . grobheiten ins gesiebte jfl
warf Wieland Lucian (1788) 1, 65; ich lasse mir (von ^P
niemandem) grobheiten machen Jung-Stilling 1, 378;
grobheiten einstecken Göthe 21, 249 W.; wissen sie,
das zieh in meinem hause von niemanden grobheiten
annehme Stephanie d. j. sümtl. lustsp. (l77i) 70.
GROBHIN, adv., von einer fuszspur im schnee:
und links unförmig grobhin eingetölpelt
ein ungeheurer klotzger pferdefusz
H. v. Kleist 1, 414 E. Schmidt;
417
GROBHIRNIG — GROBIAN
GROBIANIN - GROBIGKEIT
418
vgl. grobweg. — grobhirnig, adj., unverständig: aus
disem alln ist nimand als thum und grobhirnig, das er
selbs nicht süssen möge Al. Ghrosner sermon von d.
hl. Christi, kirch 57 Giemen; vom grewi der grob- und
auch weychhirnigen eitern, so ihren kindern . . wein
zu trincken geben Guarinonius greuel d. vertvüsttmg
(1610) 727; vgl. grob Fla. — grobhobel, m., hobel
für die erste, roheste bearbeitung des hohes (im gegen-
satz zu dem nachglättenden Schlichthobel, s.d.): ist gleich
als, ein grobhobel, damit die groben äste der Sicherheit
hinweg gestossen werden S. Artomedes pred. (1604) 4.
— grob holz, m., grobian (vgl. grob F7): Nebalus,
bawer, grobholtz im personenverzeichnis von Haynec-
Gius Almansor (1582); noch etwan auf die bibel sieh
mit dem gesäsz setzen, wie manche grobhöltzer thun
Er. Frangisci lust. schaub. (1702) i, 308; eticas anders
(mit F 4 sich berührend) : (der Leser des psalters) hats
gewisz in seiner christlichen weiszheit viel weiter ge-
bracht als andere grobhöltzer, die sich mit unnützen
scartecken tragen Herberger trauerbinden 4 (l6i7j, 178.
— grobhörig, adj.: der grob- und harthörigen giebt
es in gewissen sehr vornehmen zirkeln so viele Raü-
LOFF teutschkimdl. forsch. 1, 289; vgl. grob F i b.
GROBIAN, m., verkürzt aus grobianus, einer urspr.
sclierzhaft gemeinten latinisierenden Substantivbildung zu
grob; beeinßtissung durch grober Jan = Johann (so schon
Adelung) ist bei der oberdeutschen heimat der bildung
tvenig wahrscheinlich; doch bleibt die parallele von grob-
hans (s. d.) zu beachten, das freilich auch auf grobian
beruhen könnte; noch im 18. jh. grober Hans allg. dtsche
bibl. 29, 368; bei Luther m,ehrfach Hans Grobianus, s. u.
■und DiETZ 2, 171"; ältester beleg: bauer, rusticus, gro-
bianus voc. theut. (1482) e 4*; der bahnbrecher für das
wort war Seb. Brant, der für die bei tische flegelnden
einen neuen orden erfand:
eyn nuwer heylig heiszt Grobian
narremch. 72, 1 Zarncke;
Murner (*. u.) und H. Sachs griffen das icort, dieser
auch das bild auf:
wan wir habeu hir ainen gspon,
der kumbt her von sant Grobion
und wil zu sant Dölpian gen
23, 158 Keller-Götze;
vgl. 9, 316, 9; 17, 416, iff.; SO mag sich sant Grobianus
nit verbergen Wickram rolhcagenb. 3, 68 Balte; der
stärkste Verbreiter des ausdrucks und der satire tvar
Scheit durch die Verdeutschung von Dedekinds Gro-
bianus; bei ihm statt des heiligeri der meister Grobia-
n(us) s. 8 ndr.; buch U7id titelfigur bleiben lange leben-
dig:
izunt thut man gar anders reformiern,
man thut den Grobianum declamiern
sat. u. pasqu. 1, 163 Schade (quelle von 1587);
vgl. 160, 219; können . . ihre jünger solcher lügen nicht
satt werden, wie ausz Setzii und seines Grobiani schö-
nem gespenst wider D. Hunnium offenbahr Nigrinus
unticalvin. (1595) 419; dem besuchten will dergleichen
(höflichkeit) gebühren; im fall er nicht für einen ge-
schwornen bruder des Grobiani wil angesehen . . seyn
BuTSCHKY Fathmos (1677) 682; lateinische formen bis ins
18. Jh.: pfu, du grobianus! Holberg dün. schaub. 3, 152;
noch heute mundartlich grobianes lux. ma. (1906) 155'^;
bedeutung zunächst: mensch von rüpeligem, unanstän-
digem, benehmen:
darumb blybt er ein grobian,
das heiszt zfi gfittem tütsch ein losz
Murner narrenbeschw. 41 ndr. ;
und zwar besonders bei tisch:
beneveneritis nobis, her grobian!
sursum corda, facht essen an!
schelmenz. 35 ndr. ;
doch auch sonst: Fisghart bei der abwehr eines Spott-
gedichtes:
ich mus die mistüig mistflig nennen, . .
ich mus aim solchen grobian
die sach grob geben zuverstahn
glückh. schiff «. 48 ndr.;
lY. 1. C.
so bis heute, wenn auch der grad der unhöflichkeit und
: Sitteverletzung immer geringer icird (vgl. grob F 5 b) :
die musen klagen über dichter, die den Helicon um
schicärmen :
wollen uns — wie garstig! —
ey! die grobian!
was ich ohne schamerröthen
nicht erzählen kann
nöthen,
Schiller 1, 245 G.
1 quod si Romanos nos esse meminissemus (wir! . . .
! schlieszt sich mit ein, der grobian!) K. Fr. Gramer
■ Neseggab 4, 156;
er nimmt mir aus dem munde
das wort, herr grobian ! Brentano 7, 225 ;
I daneben seit alters im sinne von grob F 6, 'rauh, barsch,
unfreundlich':
man iindt wol eynen grobian,
der grifft ein frouw so schentlich an
; Murner gäuchmatt v. 4889 Uhl;
wie wird man angeschnauzt von grobianen Jean Paul
' palingen. 2, 65; der grobian! ;■. da schaun sie her, wie er
mich gedruckt hat Bäuerle kom. tJieater 2, 43; jeder
regierungs-kanzlist . . ist . . ein grobian Börne sehr.
5, 16; in älterer spräche klingen auch aiidere bedeutungen
! des adj. an: tölpel, bardus Henisch 1747; grobian sig-
nificans bardum, blennum, grossum, idiotam, fungum,
I truncum, stipitem, asinum, rusticum Stieler 706; der
könig der Scythier, der lieber wollt hören ein pferd
wichlen dann das . . seitenspiel, wirt als ein grobian
verlachet quelle von 1582 bei Staub -Tobler 2, 690; der
baurenknecht , welches sonst plumpe grobiani zu seyn
pflegen Grimmelshausen Simpl. 3, 196 Kurz; schon bei
Luther im sinne 'dummkopf: o Hans Grobianus bist
du 16, 164 W. ericeitert grobianer:
das sollich red der grobianer was
Murner schelmenz. 20 ndr.;
diese form hat dann Scheit in scliicang gebracht; bei ihm
stehende bezeichnung der schüler des tneisters Grobian;
er spricht vom grobianer orden v. 1097, vom grobianer
geschlecht v. 1162, von der grobianer zunft v. 2073; rechte
grobianer Höniger narrensch. (1574) 392''; der grobianer
Eyering proverb. i, 28; so noch im lä. jh. bei Ludwig
teutschengl. lex. (1716) 812; der verf. . . nennt . . diese
herren . . grobianer allg. dtsche bibl. 96, 286. — gro-
bianin, /.; die diebische grobianin Jean Paul l5/l8,
389 Hempel. — grobianisch, adj., sclieint eine Schöp-
fung Scheits: in disem grobianischen büchlin Grob. 6
ndr. ; das grobianisch gsind v. 2283 ; ein grobianisch leben
V. 3347; ein grobianisch stück v. 4539 u. a.; schon bei
Maalek lexiconsfähig, teutsch sprach (l56l) 192*1; j^^jj^^.
litus, stupidus Stieler 706; aber gegenüber dem grund-
wort doch ziemlich selten: sprach er auf gut westphä-
lisch und grobianisch Kirchhof wendunm. i, 202 lit.
ver.; wir wollen sehen, sagt Silvia, ob dieser schäfer
so gar grobianisch ist Borstel v. d. lieb Astreae (1019)
1, 173; seiner äuszerlich grobianischen, innerlich aber
äuszerst zartempfindenden natur jahrb. d. Grillparzer-
gesellsch. 8, 241; grobänisch erzogen Gotthelf nach
Staub Tobler 2, 690 ; man sei gar grobänisch auf dem
lande ders.. ges. sehr. 14, 66; auch mundartlich im Schweiz,
noch voll lebendig; neuerdings häufiger als stichivortfür
den Charakter des iG.jhs., des 'grobianischen Zeitalters';
die grobianische literatur Riehl naturgesch. d. Volkes
1, 5; vgl. (schwanke und Volksbücher) scheuen nicht, das
nackteste der grobianischen volkssitte zu berichten Ger-
viNUS gesch. d. dtsch. dichtung 2, 302. — grobianis-
mus, 7/1., concret =^ grobiansstück Chr. Weise d. drei
ärgsten erznarren 33 ndr. — grobianist, m. = grobian
Flitner Sphinx (1624) 599, vereinzelte bildung; ebenso
grobiant, m. Guarinonius greuel der Verwüstung (i6lo)
1043.
GROBIGKEIT, /., eine im le. jh. ziemlich häufige ab-
siractbildung , ohne dasz sich das adj. grobig literarisch
nachweisen liesze (doch vgl. groppet, groppicht sehr grob,
plump LoRiTZA id. Vienn. 55; gröppat Schm eller i,
1007); die bedeutung zeigt die buntheit des grundwortes;
27
419
GROBIRDISCH - GROBKÖRNIG
GROBKÖRNIGKEIT - GRÖBLICH
420
nach grob B i: grobigkeit oder geschwuist der aug-
brawen Gersdorff wundarznei (1517) 71^; nach grob D:
in der wunden würt wenig eyters und von seiner gro-
bigkait mag es nit absteigen Braunschweig chirurgia
(1589) 39''; dann da ist im dement fewr kein grobig-
keit, die sich untermische Paracelsus op. (1616) 2, 35 B;
nach grob F 1 : ihn {den groszen meistern) mit flcisziger
Übung, soviel mich die grobigkeit meiner natur nit irrt,
ileiszig nochzufolgen Dürer schrifÜ. nachlasz 259; nach
grob F 4: sollen rechtschaffene predigcr hie von S. Paulo
lernen, das sie umb etlicher leute undanck und grobig-
keit willen nicht eine gantze gemein übergeben Mathe-
sius Sarepta (l57l) 219"^. — grobirdisch, adj.: welcher
farre den grobirdischen . . . menschen andeutet Jag.
Böhme sehr, i, 48; ihr (der abgötter) leib ist . . . im
übrigen grobirdisch Boom er ahhandl. von d. vninderb.
(1740) 64; grobii-disch und vergeistert Fr. L. Jahn i,
246 Euler. — grobisieren, vb., von grobianiscJiem be-
nehmen Eyeb.}KG proverb. 1, 28. — grobität, /., ^e^'c^
haftes benehmen: allen und jeden, so zu grober, wüster,
uugereumpter grobitet lust tragen Scheit Grob, lo ndr.;
vgl. V. 1068. 2813 u. ö. ; zu anzeigung ihrer grobitet Gua-
RiNONius greuel d. Verwüstung (1610) 1222; studentisch
erhalten; vgl. Seiler kultur i. spiegel d. lehnte. 8, 81. —
grobitätisch, adj., im icortspiel mit gravitätisch:
nun trat her ausz dem wald ungfähr
ein esel grobitetiscb schwer
Fischaut 1,434 ifat/ Jen, •
vermeynen gar grobitetiscb oder gravitetisch zuhandlen,
wann sie die leut grob anfahren Guarinonius greuel
der Verwüstung (l610) 315. — grobkalk, m., ein be-
stimmter grobkörniger kalkstein Ritter erdkunde 9, 586;
MoTHES illustr. baulex. 2,529. — grobkantig, adj.:
sein Sancho Pansa ... ist eine vortrefflich gehaltene
figur, deren grobkantig derbe . . natur die niederdeut-
sche nationalität charakterisirt F. G. Kühne xiottr. u.
silh. 2,62. — grobkern, n. '(Jiütteniverk), so nennt man
auch das kleinerz' Jacobsson technol. tvb. 5, 738'*. —
grobkies, m. Muspratt chemie 7,495. — grobklü-
her, m. 'nennen die böttger den jenigen, der im walde
mit seiner axt und spalteisen zum zwickein arbeitet'
Chomel öconom. lex. 4, 1859; grobklüver Jacobsson
technolog. wb. 2, 154 '^; grobklieber Campe. — grob-
knochig, adj.: nun seht den grobknöchigen flegel
... da an 0. Ludwig 4, 357; dessen kleine äugen
begehrlich aus dem grobknochigen angesicht hervor-
schielten Storm 6, 61; übertragen: diese . . grobknochige
zeit B. V. Arnim Göthes briefw. m. e. kinde 3, 170. —
grobkohle, /., zumeist für eine unterart der Steinkohle
Blumhof eisenhüttenk. (1817) 2, 487; vgl. Karmarsch-
Heeren 3 8, 466; da7in auch von einer meilerkohl-en.sorte
Muspratt chemie 4, 376; so schon: dass . . gut grobkohl
gebrennet . . werde A. v. Schönbero berginform. (i693)
1,66. — grobkomisch, adj.: solch einen grobkomi-
schen auftritt Grabbe l, 443 Blumenthal; die grobkomi-
schen darstellungen der niederländischen genrebilder
Gervinus gesell, d. dtsch. dichtung 6, iß. — grobköp-
fig, adj.: obtusus ingenio dumm, stumpf, grobköpfig
ScHÖPPER synon. aS"; mehr im sinne 'rudis': einen
grosz und grobkopfeten menschen Guarinonius greuel
der Verwüstung (l6io) 299. — grobkorn, n. l) beim
zielen das überragen des korns über die kante des visiers
V. Alten handb. f. heer u. ßotte 4, 392. 2) = grobkorn-
eisen Muspratt chemie 2, 1396. — grobkorneisen,
n.. besondere form des roheisens Lueger s, 585; Kar-
marsch-Heeren^ 2, 773.
GROBKÖRNIG, adj.: welches (salz) graw und gar
grobkörnich ist Neumayr \. Ramszla reise in Frank-
reich (1620) 78; grobkörnicht pulver Kramer teutsch-ital.
1, 836°; grobkörnigen und feisten pumpernickel Hoff-
mann V. Fallersleben ges. sehr. 4, 92; starkes, grob-
körniges papier G. Keller 2, 19; {Schleifsteine) von wel-
chen der eine grobkörnig, der andere feinkörnig sein
musz TÖPFER orgelbaukuttst (18.55) 44; in der spräche der
mineralogie heiszen grobkörnig 'mineralien, deren brach
crhöhungen hat, welche gröszer sind als linsen' Motthes
ill. baulex. 2, 529; in welchen ertzen das golt grob kör-
nicht stehet Ercker beschr. aller miner. ertzt (1580) 45'';
grobkörnigen tonschiefer A. G. Werner gebirgsarten
(1787) 18 ; seit dem vorigen jh. gern übertragen gebraucht,
um ein sinnfälliges wort für grob zu gewinnen {vgl.
grobdrähtig, -fädig, -schrötig); zunächst um statur und
geistesart von menschen zu bezeichnen, mit verschiedener
färbung: ein verrottetes schnapsgesicht, das auf einem
ziemlich grobkörnigen körper sasz M. Hartmann 10, 40;
wir Märker sind grobkörnige bursche Fr. Ziegler ges.
nov. und br. 8, 44; Otto Ludwig nennt in seiner grob-
körnigen weise Hebbels . . . gestalten kurzab 'psycho-
logische Präparate' Treitschke hist. u. polit. aufs, i,
463; weiter gern, wo von volksmäszig rauhem, derbem die
rede ist: bei dem ersten fremdartigen grobkörnigen laut
Rosegger H 15, 186; {Auerbach) fand die erzählungs-
weise . . zu grobkörnig J. Rank erinn. (1896) 804; grob-
körnige bauernzoten Mommsen röm. gesch. 2, 442; anders,
im sinne von grob D 4: dessen {sc. des publikuma) grob-
körnige moral . . , nur materielle gröszen duldet F. G.
KÜHNE portr. u. silh. 2, 160; reichen vorrath von gott-
losigkeit, frivolität, grobkörnigem naturalismus Görres
ges. sehr. 6, 94; ähnlich: seine poetische natur empörte
sich gegen das nüchterne, prosaische, grobkörnige R.
Haym a. m. leben 238. dazu grobkörnigkeit: wegen
der grob- oder feinkörnigkeit der erbsen J. N. v. Schwerz
prakt. ackerbau (1882) 397; auch übertragen: {bei den
iruppen) konnte man über die teutonische urkraft und
die massive grobkörnigkeit unserer . . . heimathsleute
. . Studien machen Gutzkow Deutschland am Vorabend
(1848) 142. — groblässig, adj., in grober weise nach-
lässig {mit dem quantitierenden sinn von grob B 2 a, b) :
wiewol daran der unfleissig und groblässig priester
swärlich sündigt Berth. v. Chiemsee teutsche theol.
(1852) 441. — grobleibig, adj.: grobleibiger, vaister
Diefenbach 67" s. v. baner; grop libich j^jrocerwÄ 461'';
nov. ^Z. 304". — grobleinen, adj.: ein zimlich grob
leinen tuch Thurneysser magna alch. (1583) 46; ein
grobleinen tuch Hohberg georg. cur. (1682) i, 371; in
einem grobleinenen anzuge Stifter 4, 1, 21 Sauer; grob-
linnene decke Schöpf 43; unter dem groblinnenen
kragen Handel-Mazzetti Jesse u. Maria (i909) 1, 124.
— grobleinwand, /..- die kleidung . . ärmlich, aus
blaugefärbter grobleinwand Rosegger I 12, 148, aber viel
älter; vgl. das adject.: er sey von sammeter . . ein-
bildung, aber von grobleinwanten verstände J.G. Schmidt
gestrieg. rockenphilos. (1706) 1, 193; vgl. grob F 1 a.
GRÖBLICH, adv. und adj.; ursprünglich reine adver-
bialbildung zu grob, doch nicht für alle bedeutungsrich-
tungen des adj. gleichmäszig entwickelt.
l) nur für die beiden am reichsten entfalteten gebrauclis-
weisen bleibt gröblich bis in die jüngste zeit in parallele
zum grundwort.
a) entsprechend grob B 2 a, b als quantitätsbegriff, aber
gewöhnlich neben verben ungünstiger sinnesrichtung, 'stark,
heftig, schwer': so macht sich die grundbedeutung 'rauh'
{s. grob A) geltend: {das pferd) fiel also gröblich, dasz
der hertzog darunter kam und beyde stürben buch d.
liebe (1587) 338 * ; welche . . gröblich sich verwundet be-
funden Prätorius Blockesberges verricht. (1668) 429; gern
von getcissen affecten:
do erschrac vil grobeliche
der gute man Pafuncius
väterb. 5222 Reisscnberger ;
alle die, die gröblieh betrübet und geengstiget werden
Agricola 750 sprichw. (1534) 0 7''; warumb ich mich
nicht unbillich gröblich erzürne Ayrer hist. procesaus
juris (1600) 368;
ihr solt euch alle gröblich schämen
lieinicke fuchs (1650) 147 ;
im älteren nhd. mit gröszter häußgkeit neben begriffen
wie: sündigen sie gröblich gegen das ander gebot theatr.
diabol. (1569) 138";
{personen) so gröblich unrecht betten thon
H. Sachs 1, iSd Keller;
421
GRÖBLICH
GRÖBLICH
422
das ich well mit unrechte
fidem katholicam gröblich perawben
U. FÜETRER Merlin str. 5;
weil es den evangelischen gleichsamb mitten im schösse
lag und dieselbe gröblich incommodirteCHKMNiTZÄc/ucerf,
krieg 2, 190; sehr gröblich hat dieser das kloster ge-
schädigt G. Freytag 9, 63; stereotyp auch: ich will . .
der . . groben weit yetzt verschonen, die gleichwol gröb-
lich verfürt ist Nas antipap. eins tt. hundert 2, vorr. 4=^;
der . . mann, der sich so gröblich von seinen leiden-
schaften verleiten läszt Gersten berg recens. 90 Ut.
denkm. ;
ward mein weiberherz
gröblich bestrickt von seinen honigworten
Shakespeare 9, 140;
jünger scheinen die heute vielgebrauchten Wendungen : ge-
seze und proceszform gröblich verlezen v. Hallek
restaur. d. staatstvissensch. 2, 242; wollte ich nicht bei
der . . . nachbarschaft auf das gröblichste anstoszen
Hauff 3, 267; die unhöflichen . . sitten mancher junger
galane, die uns so gröblich zu beleidigen pflegen Gott-
sched Vernunft, tadler. 1, 234; atis dem adverbialen ge-
brauch erivächst gelegentlich ein adjectivischer, der aber
seilen bleibt: gröbliche uberfahrung solcher znchtigungc
M. Beuther v. Carlstat praxis rer. crim. (1565) 252»;
daran theten sie ihme gröbliche gewalt und unrecht
Ayrer hist proe. juris (l60l) 526; das Unglück eines
jeden zu erleichtern, der es nicht durch sein gröbliches
verschulden verdient hatte Heinse 3, 119 Schüddekopf;
sehr viel beschränkter und wesentlich älterer spräche zu-
gehörig ist der rein quantitative gebrauch, ohne den bei-
sinn des schxoeren oder schlimmen; in mhd. zeit aufmd.
boden nicht selten 'in groszer menge':
er gap so grobeliche,
daz die kargen des verdröz
EnERN. V. Krkl'RT 684,
ähnlich 3519;
in wuohs grobelichen zuo
livl. chrcm. 8382 Pf.;
'in hohem grade':
{er) began sich grobelich do vreun
pai<)s. H. 87, 74;
dy heren ertin en gröblich
Sont. rer. hohem. 3, 16 ;
ähnlich bis ins nhd.: und schlafet denn der mensch
vil dester tiefer und gröblicher sermones Thauleri (1508)
205";
welch manszbild sie anblicken war,
der het sie gröblich lieb und hold
H. Sachs 3, 170 Keller;
noch im heutigen Schweiz, gröbelig vil geld Staub-Tob-
ler 2, 690.
b) nicht minder häufig im anschlusz an grob D 5
'handgreiflich, augenfällig, deutlich': aber weil sie noch
nit witzig sein worden, musz ich mit groben köpfen gröb-
lich reden Luther 6, 302 W.; für er omnes mus mans
{das gesetz) . . leyblich und gröblich treyben 18, 6g;
wir nemen (leyder) gröblich war
des krysten glouben not
Brant narrensch. 94, 10 Z.;
dann er sie gröblich erdappet mit merern männern, die
ehe gebrochen Nas antipap. eins u. hundert 2, g4»;
welches . . möchte die schand der heyligen römischen
kirchen gröblich entdecken Fischart bienenk. (1588)
179*; so, als 'greifbar, plump', von haus aus auch in
der überaus häufigen Verwendung neben irren, lügen
M. dgl.: wie gröblich sie sich auch irren Fischart 3,
73 Hauffen; o ir herrn und fürsten, das ir euch so
gröblich lasset . . betriegen reform, flugschr. 2, lOO Gie-
men; (was mag gott meinen) das er den Schwarmgeist
so gröblich lest narren yn der schritt Luther 26, 427
Weim.; und noch in neuerer zeit: es ist nicht erlaubt,
. . eine so neue geschichte so gröblich zu verfälschen
Lessing 9, 279 M.; allein wie gröblich die ganze Ur-
kunde erdichtet ist Savigny gesch. d. röm. rechts l, 407;
aber schon frühzeitig ins quantitative übergehend und
mit a verrinnend : warumb leugstu so gröblich? Luther
18, 141 W.; wan weise leut narrn, so narrn sie gröblich
Er. Alberus u-idder Jörg Witzeln (1539) L l*»; wo ich
nicht gröblich irre, bin ich diese stunde so glückselig
worden, dasz Bucholtz Herkuliskus (1665) 33; am gröb-
lichsten aber würde sich derselbe (leser) irren, wenn
Fichte 6, 44; im älteren nhd. sehr häufig gröblich feh-
len, U7id zwar in allen Verwendungsarten des verbums:
Solon, in disem fehlst du gröblich
II. Sachs 20, 239 Keller-Götze :
sin anschlag doch so gröplich fält
Brant narrensch. 15, 27 X. ;
wie gröblich aber fehlte er wider seines reiches ge-
meinen nutzen? Harsdörfer teutscher secret. i, 136;
dasz er es mit unfleisz oder sonsten ausz büberey also
gröblich versähe Kirchhof wendunm. l, 158 Ut. ver. ;
jung: kein vernünftiger mensch . . wird mich so grob
lieh unrichtig verstehn K. Fr. Gramer Neseggab 4, 584 ;
aber sie (nordische wörte?-) . . werden zum theil gröb-
lich miszverstanden Sgherer kl. sehr, l, 719; die an-
sichten der geistig so hoch begabten, früher so gröb-
lich unterschätzten Hottentotten Peschel völketk. (1874)
270; als adject. recht selten:
sehr gröbliche lügen er auf uns erticht
Reinieke fuchs (1650) 371;
verflucht die sinne, die so gröblichem
betrug erliegen! H. v. Kleist 1, 307 E. Schmidt ;
zu glauben, solcherley gröbliche sophisterey werde nicht
. . . gleich beym ersten anblicke entdeckt Klopstock
gelehrt^nrep. 282; Heynatz antibarbar. 2, 77 polemisiert
nicht ganz ohne grund gegen gröbliche irrthümer allg.
dtsche bibl. 25, 2, 508.
2) in den anderen, selteneren gebraiichsweisen erscheint
die bedeutung 'grob' mehr oder minder abgeschwächt zu
'nicht ganz grob, etwas grob' ; freilich erst in jüngerer
zeit; urspr. auch hier zunächst schlechthin adv. zu grob ;
Z'gl. inepte, imperite, inscit«, incomposite . . barbare, ru-
stice, rusticatim gröblich, wie ein ungeschickter, grober,
ungelerter etc. Er. Alberus dict. (1540) 17^; noch bei
Stieler: gröblich et gröbicht (wohl fehler statt gröb-
licht, doch s. 0. gröbigkeit) id quod grob: asper. rudis,
imperitus, incivilis, stammb. 706; aber schon bei Kramer :
grossaretto, grossetto, grossettino, teutsch-ital. l, 567'».
a) am häufigsten noch im sinne von grob B l a; dise
stuck soltu alle groblecht zerknitschen Ryff confect-
buch (1548) 135"; gröblicht-zerstossenen pfeffer Hohberg
georg. cur. (1682) l, 214; gröblich zerkleinerte eichenrinde
MusPRATT Chemie 3, 1197; etwas gröblich klein stoszen,
stampfen; gröblich gemahlner kaffee 'ein wenig grob'
Campe; entsprechend, aber sehr viel seltener, das adj.:
sand ist ein klein zerschlagener . . . stein, . . welcher
kiesz . , geheissen wird, so er gröblich ist Comenius
janua iv ling. (1644) 20; gröblichte kohlen Gruber math.
friedens- u. kriegsschul (1697) 631 ; anders (vgl. grob D) :
darum musz man . . setzen, dasz die feuertheilgen in
etwas gröblicht . . seien J. Chr. Sturm kurzer begriff
d. physik (1713) 350.
b) weiterhin, entsprechend grob C 2, mehr oder 2oeniger
j entschieden als ausdruck schlechterer qualität: crasse
I compositxim aliquid gröblich, schlechtlich Frisiüs dict.
i (1556)341"; gröbliches mehl, brot Campe; gröblich tuch,
! gröbliche leinwand panno grossaretto, tela grossetta Kra-
■ MER teutschital. i, 567"; obgleich er in gröbliches tuch
I gekleidet war W. Alexis Shakespeare ti. s. freunde l, 19;
; entsprechend grob E : welche . . . die wasser nit recht
fleissig, sonder schlecht gröblich . . . distillieren H. J.
Wecker vmi künstl. wassern (l57l) a 2"; ebenso bei rein
abstracter Verwendung: von mangelnder feinJieit, glätte,
schärfe: etwas gröblich und ungeschicktlich than pin-
gui Minerva aliquid facere Henisch 1747; verba duriter
translata gröblich, nit lieblich Frisius dict. (1556) 455*;
impoliie unseuberlich , unzierlieh, gröblich, rauchlich
660"; vgl. daneben mehrere gröbliche hexameter Schef-
fel 2, 213; was der trivial, gröblich, kritiklos nennt,
nenn ich humoristisch Fowiaj^e familienbr. l, 281; etwa.f
abstellend: man beschimpft seinen feind nicht gröblich,
27*
423
GRÖBLING - GROBMASCHIG
sondern man verleumdet ihn mit kunst Lessing i,
390 M.
c) entsprechend grob F 5 von menschlicher gesittung;
hier wird der intensitätsunterschied zwischen älterem
'grob' und jüngerem 'etwas grob' besonders fühlbar:
rustice beuwrisch, groblieh, ungeschicklich Frisius
dict. (I55fi) 1171 '',• gröblich baren und thun o. leben ru-
dere DiEFENBACH 502";
so werft irs (^das flschhaupt) gröblich undem disch
Scheit Grob. v. 3542 ndr. ;
mit dem besonderen sinne von grob F 5 a : unanständige
Worte sind die niederträchtige, oft etwas gröbliches an-
deutende Worte, die der pöbel braucht Leibniz dtsche
sehr. 1, 477; 'ungezogen':
frech, voll gröblicher wort' und gedanken
Bürger 1, 197» Bohtz;
'derb': 'der hat ja ein maul, wie eine laufende schuld 1'
sagte der kaplan, . . zu dem gröblichen volksausdrucke
greifend G. Keller 3, 236;
Graziano. was? sind wir hahnrey , eh wirs noch verdient?
Porzia. sprecht nicht so gröblich Shakespeare i, 147;
er hat sich einmal darüber ziemlich gröblich ausge-
drückt Ranke reform, gesch. 3, 212; ebenfalls schwächer
t ate grob: weil sie im verkehre gröblicher waren als
diese {die Franzosen) Laube i, 3.
d) nach grob F 6 'barsch, rauh, unfreundlich': aspere
reuchlich, hertigklich, gröblich Frisius dict. (i556) 125''.
wie er ein mal viel anders hielt,
das er jetzund so gröblich schilt
FiscuART nachtrab v. 1236 Kurz;
namentlich im jüngeren nhd. recht häufig, immer in der
färbe und meist auch in der stärke der bedeutung von
grob unterschieden: {der tod) packt einen gar zu gröb-
lich mit seinen eiskalten klauen an Bräker 2, 157;
und recensenten liengen an,
mich gröblich anzutasten
Miller ged. (1783) 69 ;
sein werk verdient . . nicht, so gröblich behandelt zu
werden Ayrenhofi- 5, 176; milder: er wird mein gebet
nicht gröblich abweisen Scheffel i, 134; oft mit dem
beisinn verletzter sitte, schicklichkeit: leute von rang
können recht gröblich verfahren, wo sie nicht reprä-
sentieren Iffland theatr. tcerke 5, 281 ; seit er so gröb-
lich in die gruft des groszen Frankenkaisers eindrang
ScHERER lit. gesch. 59; ähnliche unterschiede auch beim
adj.: ein lied des Nicl. Manuel, das überaus gröblich
ausgefallen ist Ranke reform, gesch. 2, 199; milder: er
hat mir neulich einen ganz gröblichen bi-ief geschrieben
Görres ges. br. 2, 248; noch deutlicher abgeschwächt: du
gröbliches liebchen G. Keller 5, 354. — gröblich-
keit, /.; grobelichkeit proceritas Diefenbach 461'';
'asperitas':
es ist auch keine gröbligkeit (,sc. im hinimelreich)
Meyfart kimml. Jerus. (1630) 2, 265;
' robustheit':
(ihr seid) zu altherkömmlich und zu feyerlich.
erwägt es nach der gröblichkeit der weit
{ivith the grossness of this age)
Shakespeare 9, 93;
GROBLING, m. i) grobian:
dardurch im schände und Ungunst
bey iederman denn auferwachs
als eim gröbling
IL Sachs 21, 253 Keller-Götze,
vgl. 7, 327, 3; 9, 315, 11; manche uncivilisirte gröblinge
Happel relat. curios. (1685) 2, 395». 2) stockschwamm,
s. grübling.
GROBLINIG, adj. : die schrift . . ist zu gross, zu grob-
linigt allg. dtsche bibl. 37—52, 296; sein gesicht war grob-
linig und rauh Anzengruber 3, 29. — grobmaler, m.;
gr. sive flachmaler, rhyparographus, qui etiam tüncher,
. . . Stubenmaler dicitur Stieler 1220; dipintore alla
grossa, alla dozzina, senz' arte Kramer teutschital. i,
567**; Campe. — grobmaschig, adj.: grosz- oder grob-
GROBMÄULIG - GROBSCHNAUZE 424
niaschigt fatto u maglie grosse e larghe Krämer teutsch-
ital. 2, 29^; grobmaschige leinwand Lueger 4, 268; wenn
die lederhaut . . noch eine sehr lockere, grobmaschige
textur hat Sömmerring bau d. menschl. körpers b, 571.
— grobmäulig, adj.: bist du allweil so grobmäulig
Anzengruber 8, 113; die {festhaltung) des grobmäuligen
bräuburschen F. Carion getheiltes herz 3, 140 ; dazu
grobmäuligkeit Rosegger III 6, 317. — grobmehl,
n. Gorvinus /oh* latin. (1646) 1019. — grobmeiszel,
m. = Stemmeisen J. G. Schaffer dtsch.-frz. wb. 1, 769.
— grobmörtel, m., beton Prechtl technol. encycl.
8, 83; Lueger 2, 295. — grobnervig, adj.: von grob-
nervichten geschöpfen, für die das feinere vergnügen
nicht in die natur gelegt worden Sonnenfels ges.
sehr. 4,560. — grobpapier, n. KarmarschHeeren^
6, 482; Lueger 4, 779. — grobpossichtig, adj., scur-
rilis, qui movet risum cum turpitudine; etwas grob-
possechtig oder schamper Calepinus xi ling. (1598)
1315*. — grobriemer, vi., als handiverksbezeichnung ;
an manchen orten unterscheidet man grob- und schwartz-
riemer, weiszriemer Chomel öcon. lex. 8, 328. — grob-
rieszling, m., weiszweinsorte Metzger Pflanzenkunde
(1841) 907. — grobrinde,/.; gewinnung der grobrinde
{von eichbäumen) Karmarsch-Heeren 3 2, 736; vgl. Lue-
ger 4, 582. — grobrindig, adj.: grobrindicht, dick-
rindicht Kram er teutsch-ital. 2, 357''; ich achtete . . auf
einen alten, grobrindigen lärchbaum Rosegger Wild-
linge (1905) 123. — grobrunk, m., grobian: Ladisla
hätte diesen grobrunk nicht umb viel gemisset Bu-
CHOLTZ Herk. (1676) 1, 82; vgl. runks th. 8, 1521.
GRÖBS, s. griebs.
GROBSACK, m., grobian Kleemann nordthür. id. 7";
Müller -Fraureuth 1, 443. — grobsalz, n., grob-
stückiges salz Hennenberger preusz. landtafel (1595)
189; Muspratt Chemie 6, 650. — grobsand, m., saba-
luin Orsäus nomenclat. method. (1623) 149. — grob-
sand ig, adj.: grobsandicht sabulosus Stieler I68O;
{wir) ritten . . durch ein ebenes, roth, grobsandichtes
. . land Olearius verm. reisebeschr. (i696) 250; auf
insuln und grobsandigten örtern Döbel neuerößn. jüger-
pract. 1, 73. — grobschimpflich, adj.: grobschimpf-
liches gewäsch soll man meiden {scurrilis dicacitas)
Stieler 1797. — grobschlacht, adj.: er kannte jenen,
zäh, grobschlacht und doch gewandt E. Zahn einsamk.
(1910) 295. — grobschlächtig, adj.: die . . trompeten-
bläser . . . dünkten mich gar grobschlächtige gesellen
L. V. FRANf:ois Reckenburgerin (1871) 98.
GROBSCHMIED, m., 'ein eisenschmid, welcher nur
grobe, d. i. grosze arbeiten verfertiget, ein hufschmid,
waffenschmid . . ; zum unterschiede von einem kleinschmid
oder Schlösser' Adelung; dafür heute einfach schmied,
das compositum ist im ganzen auf uneigentlichen ge-
brauch beschränkt; ähnlich anscheinend schon im späte-
reu 18. Jh., vgl. 'der professionist selbst verbittet stand-
haft die ihm verhaszte benennung eines grobschmids'
Jacobsson technolog. wb. 2, 154*; faber ferrarius ein
eisenschmid, grobschmidt Orsäus nomencl. method.
(1623) 186; faber magnarius Stieler 1879; die klein-
schmiede beweisen doch den grobschmieden wenig guts
B. Krüger Ciawert 9 ndr.; erst das id. jh. prägt den
gegensatz zum goldschmied:
von hundert schlagen, die der goldschmidt thut, trifft keiner
ein hunderttheil so stark, als von dem grobschmied einer
RÜCKERT 8, 252;
beliebt ist der vergleich: zuschlagen, dreinschlagen wie
ein grobschmied Müller-Fraureuth l, 443; s. den be-
leg atis Hebbel grob F 7 schlusz; gern auch bildlich:
es {das tanzpoem Faust) ist eine leichte goldarbeit, wor-
über gewisz mancher grobschmied den köpf schütteln
wird Heine 1, 483 Elster; namentlich im, sinne von gro-
bian: es finden sich zwar unter denen hofepurschen
iederzeit säuglöckner, grobschmiede . . . gar gnug T.
Schrödter Sittenschule (I66O) 9; geistesgegenwart war
nie seine sache. es geht allen poltrons, lärmmachern,
grobschmieden so Gutzkow 8, 196. — grob seh miede,
/. Blumhof eisenhüttenkunde i, 653. — grobschnauze,
i25 GROßSCHNAUZIG - GROBSTOLZHEIT
GROBSTRÜMPFIG - GROCHZEN 426
f., schelticort, um grobe redeweise zu tadeln: unterthä-
nigeten dank heiszt's {und nicht: wir danken), grob-
gchnauzen! C. Töpfer ges. dram. toerke i, 75. — grob-
schnauzig, adj.: mancher . . adelige, der nichts kann
als grobschnauzig sein K. Braun büder 2, 322. — grob-
sch reiner, m.: grob- sive lumpenschreiner abietarius
grossus Stieler 1930; grobschreiner, dorfschreiner ma-
rangone alla grossa Kramer teutsch-ital. 2, 663''. —
grobschrift, /., dicke schrift Nestroy 6, 29. — grob-
schrötig, adj., grob geschroten: grobschrötige erbsen
Campe ; häufiger bildlich (vgl. grobdrähtig, -fädig, -kör-
nig): er setzte ihm zunächst die grobschrötige volks-
kost des tatsächlichen im 'Perikles, prinz von Tyrus'
. . vor J. Bayer studien 225; ein grobsch rötiger mensch
ein grober Campe ; repräsentanten seiner (des Zeitalters)
grobschrötigen kultur Gervinus gesch. d. dtsch. dich-
tung 3, 153. — grobschwanger, s. grob B 2 a. —
grobsinnig, adj.. hebes Diei'enbach 873«; obtusu.9 3di^;
rudis 503*; tondo, muteriale Kbamer teutsch-ital. 1, 567*';
wann je du so grobsinnig bist, dasz dus nit verstehest
GUARINONIUS greuel d. vertcüstung (1610) 218; grobsin-
nige, unerfahrne . , obrigkeiten 728; dasz ich mich gegen
einen grobsinnigen menschen . . herablasse, ihm Schön-
heiten begreiflich machen zu wollen F. M. Klinger
neues theater 2,244. — gro b sinnigkeit, /., ruditas
DiEFENBACH 503*; ein grössern menschen Unverstand
und grobsinnigkeit Guarinonius greuel d. vertcüstung
(1610) 256. — grob sinnlich, adj., auf eine crasse art
» sinnlich; .whon in Zeningers glossar von 1482 grob-
synnlicher, grobsynnperlicher rudibilis Diefenbach 502"=;
aber erst im 19. jh. recht geläufig, als Verstärkung ent-
weder von sinnlich 3: es ist . . alles sehr grobsinnlich
und roh {in der katholischen religiosiiät) allg. dtsche bibl.
71, 572; dass sie die materie grobsinnlich betrachten
Schlegels Europa 2, 5i ; was geben uns die grobsinn-
lichen Vorstellungen an G. Forster 3, 49; oder von
sinnlich 4: nur der mund droht dem ganzen gesiebt
grobsinnlich auszusehen Tu. Huber bemerk, über Hol-
land (1811) 167 ; ob diese befriedigung sich auf grobsinn-
liche begierden . . bezieht G. Forster 6, 299; ein fei-
nerer begriff, der nicht blos grobsinnlichen genusz . .
bezeichnet Fr. Th. Vischer ästhetik l, 196. — grob-
sinnlichkeit, /.; dem lebhaften gefühl (der grobsinn-
lichkeit) der südlichem Völker . . konnte sie {die Pro-
testant, religion) nicht gefallen Fr. L. Jahn i, 224 Euler.
— grobspahn, m., übertragen: bald heisset sie {das
zurückhaltende mädchen) landviole, . . bald fräulein grob-
spoon d. tust, philosophus (1715) 253; vgl. grob B l c. —
grobspaltig, adj., grobgespalten, allgem. deutsclie bibl.
102, 461; je grob- und glattspaltiger das holz gescheitet ist
ZsGHOKKE sämtl. ausgetv. sehr. 12,104. — grobstahl, m.,
allg. dtsche bibl. 115, 544; Sgheuchenstuel 231. — grob-
stich, m., ein besonderer stickstich Lueger 7,519. —
grobsticheler, m., motteggiatore sgarbato, sgratiato,
rustico Kramer teutsch-ital. 2, 920"=. — grobstimme,
/., basz {vgl. grob A 2) : wer . . höret gern eine solche
musik, davon das zetergeschrey die basz- oder die grob-
stimme ist? ScHÖNAiCH ästhet. (1754) 260; seine grob-
stimme, seine faulstimme klang wie nachtigallenschlag
E. Th. A. Hoffmann lO, 203 Grisebach. — grobstim-
mig, adj., tief stimmig : nach den kleinäugigten , dick-
leibigten . . und grobstimmigten schönen Sonnenfels
ges. sehr. 4, 424. — grobstock, m., grobian Kleemann
nordthür. id. 70; Hertel Thür. 110; vgl. grob B l c; F 7.
— grobstolz, adj., hoff artig {zu grob F 6, vgl. grob-
heitsd); namentlich im älteren nhd. nicht selten: eine
treuhertzige Warnung an die grobstoltzen tyrannen V. Her-
berger Jesus Sirach 360*; seid nicht grobstoltz wie
Agar herzpost. (1613) l, 173; {Christus hat) nirgends wo
ein . . . ruhiges räumlin in der gottlosen, grobstolzen
weit herberge antreffen . . können S. Emrich geburts-
ieit (1653) 44; ein mann von gemeiner, grobstolzer Sinnes-
art K. Fr. Becker u-eltgesch. — grobstolz, m... seltener
als das adj. : zum glück . . . war sein fehler weder grob-
stolz noch dummstolz, sondern eine weit feinere art
von hochmuth Kretschmann 5, 237. — grobstolz-
heit, /., W. Scherffer nach Drechsler 45. — grob-
strümpfig, adj.: grobstrümpfiger schurke Shakespeare
3,280 {loorsted-stocking knave); vgl. grobwoUstrümpfiger
Schubbejack Voss Shakesp. 3, 198. — grobstückig,
adj.: grobstückiges getrümmer deckte den boden H. v.
Barth nördl. Kalkalpen 217 ; bei grobstückigen brenn-
stoffen MusPRATT chemiei, 329. — grobstuhl, m., 'fast
erloschene bezeichnung für vorspinnmule' Karmarsch-
Heeren 3 4, i65; Prechtl technolog. encycl. 1,562. —
grobth eilig, adj.: weil die säure . . des brandeweins
aber beständig oder fix oder grobtheilig ist Knorr v.
Rosen ROTH pseudodoxia (1680) 543. — grobtuchen,
adj.: die wenige munition in einem grobtuchenen sacke
Häusser dtsche gesch. 3, 349. — gröbung, f., ganz sel-
ten: {der sonnendampf) so . . aus unterschiedlichen . .
theilen besteht, die ihre gewisse] stufen) der tunckel-
heit und dicke oder gröbung haben Er. Francisci d.
eröffn. lustliaus (1676) 1138, also zu grob D 2. — grö-
bungsglas, n., vergröszerungsglas Er. Francisci xueh
der eivigkeit (1686) 980 u. ö.; vgl. gröbern sp. 411. —
grobverständig, adj., stumpfen Verstandes {vgl. grob
F 1 a), im älteren nhd. nicht selten : dasz ist nun wenig
eine anzeigung den grobverständigen Paragelsus op.
(1616) 2,543*; man sagt auch, dasz ein so grobver-
ständiger, nichts erfahrner student einsmals nach
Athen kommen Flitner Sphinx (1624) 636. — grob-
ware, /., Muspratt ehemie* 8, 594. — grobweg, adv.:
herr Gabriel, freilich ! herr, herr, herr, sag ich, nicht so
grobweg Gabriel! G. Keller 6, 374; vgl. grobhin. —
grobwerg, n., stuppa Diefenbach 558». — grobwild,
n., hochtcild BKin.Eti forst- u.jagdk.s,bOl; Kehrein weid-
mannspr. 148; auch das Schwarzwild gehört dazu: Heppe
setzt grobwildpret gleich schwarzwildpret wohlred. Jäger
274''. — grob wirken, adj.: pannus stupeus grob wir-
cken tuch Zehner nomencl. (1645) 877. — grobwollen,
adj.: kein grobwollne Unterrock B. v. Arnim d. buch
gehört d. könig (1843) 1, 44. — grobwollig, adj.: grob-
wollige hadern Luegek 2,193; die grobwollichten schaafe
allg. dtsche bibl. 11, 343.
GROBZEUG, n.. falsche verhochdeutschung von nd.
kröp-, krüptüch ; kröp {zu krupen kriechen) eigentlich ein
kleines kriechendes thier ; im Harz heiszt kröp das vieJi
Liesenberg Stieger via. 165; 'zwerg' Schambach 113*;
vgl. das kroopzeug {der sjoerlinge) hörte nicht auf, mir
die obren voll zu zwitschern Bode Montaigne 3, 83;
kropzeug kinder Reuter stromtid 1,3; das grobzeug
will beiszen {von hunden) G. Freytag verl. handschr.
(1905) 1, 130; meist als schlimmes Scheltwort für 'pack,
gesindeV: ihro majestät . . haben keine schlingel, . . .
hunde und grobzeug im dienste, sondern rechtschaffene
Soldaten A. v. Witzleben a. alten purolebüchern 8; der
Deutsche gehört bei ihnen {den anderen Völkern) zum
grobzeug Fr. L. Jahn 2, 736 Euler; dasz 2000 polizisten
. . hinreichend sind, dieses feige Berliner grobzeug in
Ordnung zu halten denkwürdigk. aus d. leben Leop. v.
Gerlachs 1, 169; bildlich: das grobzeug von gedanken
J. F. Schink theater zu Abdera (1789) 2, 292. — grob-
zügig, adj.: die aus dem hiesigen bisthume ein ge-
sunder, starker, lebhafter und etwas grobzügigerer
schlag als die jenseits Görres ges. hr. i, 168; anders:
so grobzügig läuft die weltkultur nun doch nicht ab
R. Huch winterioanderung \2^. — grobzüngeler, m.:
frey- et grobzüngeler immodicus linguae, parrhesiastes
Stieler 2655; Kramer teutsch-ital. 2, i486*. — grob-
züngig, adj.: diesen namen kunten die grobzungichten
Ungarn nicht herausreden J. Tröster das alt u. neu
teutsche Dada (1666) 145. • — grobzwilchen, adj.:
ein mann ... in grobzwilchenem tschoben Scheffel
2, 32; ebenso: drei 'katzelmacher' . . mit grobzwilchigen
Joppen Rosegger III 9, 220. — grobzwirnig, adj.:
grobzwirnicht ex filo crasso Stieler 2663.
GROCHZEN, vb., auch gruchzen ächzen, jammern,
klagen; in diesen formen nur obd., vor zugl. alem.; auch
würzburgisch grochsa ächzen Sartorius 50; gruchzen
schwach, elend herumgeJien Sghmeller l, 985; verbrei-
teter ist krochzen, s. d. th. 5, 2348; schon mhd. grogezen
Lexer 1, 1092; grochsen, grechzen, winseln quiritari.
427
GROCKEN - GROG
GRÖLEN
428
conqtien Redinger (i6G2) nach Staub -Tobliüi 2, 703;
wenn einer von grossem weh grochset und sich übel
ghebt e&rf. {quelle v. 1629); auch von thieren: wenn man
das viehe (bei der lungenseuche) an der listen ein wenig
stosst, so lasst es sich stark ein und grochset ebd.
(quelle v. 1732); öfter bei H. Sachs:
bey Girce müssen (ivir) gfencklich sein,
unser leben lang ihrs baus?. hüeten
mit ewing grochsen, gron und wütten 12, 78 K.,
und so öfter, gerade vo7i schiveinen, vgl. 9, 192, 18; 12, 71,
4; 17,346,6; vgl. damit krochen i, krochzen2b; war-
umb sein sie nit . . denen öffentlich unders maul ge-
standen, wider die sie sonst ein ewiges quachsen und
grochsen haben, als die frösch in ihren lachen Gonr.
Vetter schrächengast (1599) d i^; dein mutter kann in
ihren jungen tagen nichts als gruchzen und flennen
Auerbach sehr. 12, 43; dazu grochs, m., klagelaut:
du liessest manchen grochs und schrei
lied von 1712 bei Staue-Toüler 2, 702;
gr ochser, -in: angsthafte, kleingläubige grochser ebd.
(iS. Jh.); sein vater haszte ihn, sagte ihm nur serbling
und alte grochserin Qammerweib) Pestalozzi 2, 271.
GROCKEN, vb., krächzen, vom raben: die nachtgall
bezaichnet künftige ding mit der stimm ires gesanges,
der rapp mit synem groken Steinhöwki- Äsop 176 lit.
ver.; häufiger krocken, s. d. th. 5, 2349.
GROD, m., oder grodgericht, das gericht eines sta-
rosten KrOnitz 20, HO; V07i poln. gröd hurg, burgge-
richt: so sollten alsdann die land- und grodgerichte
Soldaten bewilligen allg. dtscJie bibl. 69, 18; entsprechend
grodrichter, verweser des starosten in einem solchen
gericht Krünitz a. a. o.; von den grod- oder burgrich-
tern allg. dtsche bibl., anh. zu 37 — 52, 114.
GRÖDELN, Ä. grüdeln.
GROBEN, tn., 'in den ndsüchs. marschländern eine
atiszerhalb einem deiche angeicachsene wiese; inngleichen
eine grasreiche insel in einem ßusse, xcelche der flusz
selbst ansetzt' Krünitz 20, 110; groden oder helder, wie
in verschiedenen marschen diese anschwemmungen
auszerhalb der deiche genannt werden H. Allmers
marschenb. (1858) 70; (der ameisenbär) bewohnt (in Para-
guay) überschwemmte orte und die groden oder das
vom meer verlassene land Oken allg. naturgesch. 7,
852; auch von schon eingedeicJitem marschland: was des
Vortrags andern haubtpunct, als den eingeteichten El-
lenser groden, betrifft J. J. Winkelmann Oldenburg,
friedenshandl. (l67l) 240 '>; auch wohl, wenn . . die fluth
. . neues land ansetzt, durch eindämmung daraus pol-
der und groden zu bilden A. H. Niemeyer beobacht. auf
reisen I, 43; zu germ. *gröaii grünen, gedeihen FiCK* 3,
144; mhd. entspricht gruot Lexer 1, 1105; vgl. atich pol-
der <Ä. 7, 1976. dazu grodendeich, deich, vor dem ein
groden liegt Jagobsson technol. rvb. 2, 154^; Benzler
1, 178; -land: bey Verzögerung aber dessen hat sich
das groden-land durch anführung des schlicks von jäh-
ren zu Jahren ergrösert J. J. Winkelmann Oldenburg,
friedensliandl. (l67l) 468*; -lücke, zu bestimmten zwecken
in grodendeichen angelegte lücke Jagobsson 2, 154 **;
-rute, als längenmasz v. Alten 4, 393; aticJi groden-
landruthe Motthes ill. baulex. 3, 342.
GROFFEL, /., name einer blume: die fünfte blum
desz jungfräulichen kräntzels ist die groffel der demut
ÄG. Albertinus hirnschl. (1664) l, 149; wohl identisch mit
groffelsnegelin u. ä., gewürznelke, caryophyllum (tcoraus
der name groffel) Diefenbagh 101<=; groffelsnagel onica
396 ''; dies in manchen gegenden auch für syringa vul-
garis, den spanischen flieder Möller- Weitz Aach. 75;
im alem. bezeichnet grofflin oder gröfli gentiana verna,
den enzian Pritzel-Jessen 162'^; dasselbe icort?
GROG, m., ein heiszes getränk, geivohnlich aus rum,
Wasser, zucker; = engl, grog, 'nach dem new engl. dict.
seit 1770 als aus Westindien stammende bezeichnung eines
matrosengetränks bezeugt' Schulz fremdwb. l, 256; in
Deutschland zuerst bei G. Forster häufiger: Tohah
[ kostete von unserm grog sämtl. sehr. 2,51; vgl. 7,85;
I tiach Schulz a. u. o. in Forsters Übersetzung von Cooks
\ reise (1784) noch stet^ durch anmerkungen erklärt: ich
i habe schon mehrmals erinnert, dasz grog branntwein
; mit Wasser vermischt ist 2, 370; zwei terrinen krok,
! eine art punsch ohne citrone quelle v. 1819 bei Müller-
Fraureuth 1,443*'; in den älteren belegen noch deut
, lieh als matrosengetränk:
I erst reich' einer vom grog mir ein tröpfeichen
; Baggesex poet. werke 2, 344 ,
j Teimotu, Kahumanu . . . wurden mit grog und andern
' erfrischungen bedient E. Th. A. Hoffmann 13, 16 Gris.,
erst im ii).jh. häufiger:
wenn er glühwein trinkt und pun.sch
oder grog nach herzenswunsch
Heine 2, HO E. ,
bei der kälte that der steife grog . . gut W. v. Polen/
Grabenhäger i, 366. dazu grögchen, n.: ich denke,
wir machen uns ein grögchen Seidel Leb. Hühnchen
34; grocken, vb., grog trinken (studentisch) Th. v.
Kobbe humorist. erinn. 2, 67; auch mancherlei composi-
; tionen wie grogbasz: jene ausgepichten und ausge-
I theerten grog-bässe Fr. Dingelstedt 5, 194; -glas D.
I V. LiLiENCRON 6, 78; -trinker Reda Weber charak-
i terb. 436.
GRÖLEN, vb.
j l) form und Ursprung.
> die lierleitung des erst im 18. jh. häufiger belegten wortes
ist schwierig; es scheinen form- u. bedeutungskreuzungen
stattgefunden zu haben, bei dem Hessen Hartm. Braun
i mehrfach als reimfoi-mel: die münche und nonnen in
ihren clostern . . aulT gut baalitisch grollen und bröllen
conciones de tempore (1619) decas 1, 100; mit grüllen und
brüllen 5, 161; und wie unsinnige leut geruffen, gegrült
und geprült dies cinerum (1608) 14; das scheint aw/ groll,
gruU als ausgangspunkt zu führen; deutlichen Zusammen-
hang 7nit dieser sippe hat steir. grölen, grollen brüllen,
grunfsen, heulen, rülpsen (vgl. grölwerk, gröUwerk ge-
brülle, geplärre, gegrunze) ünger-Khull 308'', alem.
gröle'' mit gesteigerter oder verstellter stimme rufen, schreien
Staub-Tobler 2, 730, das sich an obd. grellen (s. d. 2)
ivie grollen (s. d. 3) anlehnt und seinen stammvocal (der
in grölzen [s. d.] wiederkehrt) vielleicht lautmalenden
tende7izen verdatikt. aber das hauptgeltungsgebiet von
grölen ist das nd., dem grellen als 'schreien' fremd ist
und grollen nur als 'murren' geeignet zu haben scheint;
damit paszt die geioöhnliche bedeutung von grölen 'lär-
men, misztönig schreien, singen' schlecht zusammen; sie
scheint das vb. vielmehr neben nd. grälen zu rücken, auf
das auch die im, nd. weitverbreiteten formen mit ä hin-
iceisen: gräelen grölen Berghaus l, 607" (^grafisch. Mark) ;
^Tselen misztönend schreien Woeste 84"; grselen lärmen,
schreien Bauer-Collitz 41*; grälen unschön singen Mi
28; anderseits iveist thür. grele mürrisch thun Hertel
HO auf bedeutu7igsztisammenhang mit grollen irasci; die
länge ist schon fürs lö. jh. zu erweisen:
de mosten dar mydde grölen (: molen 'mühlen')
städteehron. 16, 164 (Braunschweig),
(u7id anscheinend mit derselben bedeutung 'lärmen' auch:
wold me myt ome nicht gralen [: halen 'holen']
ebd. 103;)
doch lind man etlich, die da groln (: befohln)
und bleiben stracks bei ihrem schwelgen
A. P.'VPE Jonas rhythmicus (1605) 1.8";
im schles. thür. obersächs. mit entrundung U7id überdies
theilweise mit k-anlaut: grelen Wein hold schles. 30" ;
grelen v. Klein l, 161 (Duderstadt); Kleemann nord-
thür. 7*^; jrelen Jecht Mansfeld. 44^*; Liesenberg 147;
krölen, grelen Albrecht iei^z. 126"; kreelenC.F.BAHRüT
pastor Bindvigius i, 107; nun, jungens, krehlt noch
eins 0. Ludwig 2, 509; auch im esthnischen deutsch
krölen ,juchze7i, grell aufschreien K. Sallmann neue
beitrage 47.
429
GROLL
GROLL
430
2) Verbreitung und bedeutung.
das vb. ist, in der bedeutung schwankend , auf nd.
boden allgemein bekannt, auch in weiten md. gebieten, im
schles., thür. -ober Sachs., hess., nach Albrecht Leipz. 126*
auch im fränk. ; tji obd. maa. selten (s. o. l) und nicht
als alt zu erweisen, das derbe volkswort wird erst von
Campe, Heinsius der aufnähme gewürdigt und breitet
sich erst im 19. jÄ. literarisch aus, um schlieszlich auch
bei süddeutschen autoren zu erscheinen, vielleicht mehr
infolge literarischer Übertragung als atis der mundart her-
aus, getcöhnlichste bedeutung ^brüllen, laut und misz-
tönig schreien': andere grölen ausz lesterlichem halse
daher, Bibel, Bubel, Babel G. Rost heldenb. v. rosen-
garten (1628) i8^; bin doch kurjos zu wissen, was da
so gröhlet (voii lautem declamieren) Müller v. Itze-
hoe Siegfr. v. Lindenberg 1, 87; {die) Berliner freien,
die einmal beim saufgelage ein kräftiges pereat goU !
gröhlten Treitschke 5, 372; das ist unser liebes volk
von Paris, hören sie nur, wie sie gröhlen Schnitzler
d. grüne kakadu (1899) 164; zwei rüpel . . drückten sich
gröhlend umher G. Keller 8, 182; mit anderer für-
bung: der glückselig gröhlende bahn Sohnrey im //ne-
nen klee 6; componiert: wo ist . . die zweileibigte He-
kate, seine tochter? grölte ihn Skühala an J. F. Schink
iheater zu Abdera 1, 271; so zumeist auch in den maa.:
gröhlen lärmen, laut sein Richey hamburg. 81; grölen
misztönig schreien Schambach 69* und so7ist. gern in
dem besondern sinn eines brüllenden, ungeschlachten sin-
gens: an diesem tage zogen die Studenten . . . durch
alle straszen und grölten burschenlieder Laukhard
leben u. schicks. 2, lll; unter diesem zarten, sinnigen
Hede, dessen jodler die bursche begeistert unisono
gröhlten Anzengruber i, 124; in den meisten kirchen
wird mehr geschrien und gegrölt als gesungen Allmers
mursehenb. 143; auch das kennen die maa. : grSlen wider-
lich singen Weinhold *cÄZe*. 80*; jiölen schlecht singen
Trachsel berlin. 26; vgl. Frischbier l, 254; StOren-
BURG 76»; DoornkaatKoolman 1, 693; in der marsch
auch 'leise etwas singen' Schütze holst. 2, 72 {vgl. grol-
len 3 Henisch); hei groelt sik so wat Toer im. sinne
von quinquelieren beleg ohne Ortsangabe; 'brüllend xcei-
nen, heulen' : obgleich Pittalacus unter den schlagen so
entsetzlich grölte und bölkte Reiske JJemosthenes und
Äschines l, 440; grölen brüllen, laut weinen K. Bruns
Volkswörter d. prov. Sachsen 26"; vgl. auch Trachsel,
Frischeier a. a. o. ,- auch von brüllendem lachen: dasz
er . . nun in ein prustelndes, gröhlendes lachen aus-
brach Anzengruber i, 3; der oberst liesz sich erzählen
und gröhlte vor lachen Rosegger I 2, 224; 'übermäszig
lachen' Stürenburg 76*; m Hessen 'laut u. derb spre-
chen, schimpfen' Vilmar 138 {auch subst. gröl, m., lärm,
streit Pfister l. ergänzungsh. zu Vilmar 15); gröl'n
'drückt das anhaltende schreien der frösche aus' Dan-
neil 70*; im selben sinne nordfries. graalen, grölen
Stürenburg a. a. o. dazu gröler, m., 'einer der . .
laut und widerlich schreiet' Campe; grölerei,/., *cÄe^
tend für gesang Brendicke ISO'»; grölhans, m., Schrei-
hals C. Schumann LübecklO; gröltrine,/., scheltend voii
schreienden Sängerinnen : bevor sie den geschmackvollen
Sänger . . zur ruhe verweisen, müssen sie jedenfalls
allen den gröhl-trinen den mund verschlieszen A. Senfft
V. Pilsach an R. Franz, briefw. 200; grölig, adj.: wer
einen harten köpf will erweichen, der musz gröhligte
Worte gebrauchen Hoffmann polit. Jeszis Syrach (1740)
45; bei einem groszen banern . ., der sehr dumm, gröh-
lig und schläflrig war Frenssen Jörn XJhl (1902) 198;
diisz die hausgenossen seine gröhligen ausrufe verstehen
konnten 346.
GROLL, 7«., ira, odium, rancor.
I. form.
l) groll steht im dblautverhältnis zu grell zornig {s.
sp. 95), grellen zornig werden, schreien {s. sp. 104), nd.
grall zornig ; genaueres bei Franck^ 217*»; nach der heu-
tigen dialectischen Verbreitung könnte es scheinen, als sei
das subst. von haus aus norddeutsch {^cie grell, *. d.),
doch zeigt es sich bei seinem stärkeren literarischen her-
vortreten um die wende des 15. und 16. jhs. auch obd.
voll entfaltet ; ältester beleg aus dem 14. jh. : hap keine
vigentschaft noch haz noch grollen gegen dime eben-
menschen Germ. 3, 231''; die mundarten zeigen heute
z. th. u-formen, nicht nur nd., wo sie sich latitgeschicht-
lich versteJin lassen (gruU brem. wb. 2, 552; jrul Hertel
Thür. HO; Liesenberg Stieger ma. 148), sondern verein-
zelt auch obd.: grül, m., groll, zorn Bacher Lusern 264;
GruU als eigenname für ochsen Rosegger I 4, 290; hier
liegt offenbar einwirkung des verhums grüllen = grollen
vor, bei dem die \i-form ein besseres recht hat; litera-
risch selten: ein heimlichen grnll S. Grünau preusz.
chron. 3, 74.
2) das wort ist von haus aus snm. im Vi. jh. herrscht
die schwache flexion noch vor, obd. icie md., freilich nur
in den obliquen casus; der nom. grolle ist ziemlich sel-
ten: der unwill und grolle Kirchhof wendunm. 2, 475
lit. ver.; solcher grolle Moscherosch insomn. cura 88
ndr.; er erscheint aber noch spät, so bei Dentzler (*. u.
II 3 c); vgl. auch den acc. grolle bei Stieler (.?. u. II 8a);
aucJi im 17. jh. häufig noch schwach, wenngleich die starke
flexion schon die Vorhand hat: bei Henisch nur schwach,
ebenso bei CORVINUS fons latin. (1646) 383, bei HuL-
sius-Ravellus {s. II 2 a), Wiederiiold {s. II 2 a). Stie-
ler nur stark; doch gebrauchen auch nordd. autoren
noch die schwache form: den grollen Spee trtdznacht.
(1649) 180 {docli im groll ebd. 14); einen hasz oder zorn,
grollen oder Widerwillen wider mich schöpfen Präto-
RIUS philos. saltist. e 7"; im iS. jh. erscJieinen die n-
formen nur noch lexicalisch und zwar im, obd., zumal
bair., wo sich die schic. flexion big ins id.jh. gehalten
hat: einen hasz, Widerwillen, grollen auf (wider) jemand
haben Kramer teutsch.-ital. i, 588*; Frisch (i74l) 375*
kennt nur schw. flexion, ebenso H. Braun orthogr. gramm.
wb. 126"; der noch jieuerer ma. geläufige nom. der grol-
len (Schmeller maa. Bayerns 264; Staub-Tobler 2,
780) begegnet schon im älteren nhd. öfter: wil doch der
alte grollen nu widerumb auffstossen E. Sarcerius
buch V. heil, ehestande (i553) 105*; diser grollen Wurst-
ISEN (*. II 3 c); grollen, m. {ältere spr.) Unger-Khull
308*»; genetiv öfter grollens: zu glimpflicher begütigung
seines gefaszten zornkoders und grollens Fischart ge-
schichtkliti. 383 ndr.; des verborgnen grollens halben
Xylander Polybius 122. auf der anderen seile erscheint
aber auch auszerhalb des nom. schon im 16. jh. die starke
fiexion: bei Luther herrschend {s. II 2 a, 3 a), wie denn
überhaupt das md. schneller zu der st. form übergeht:
schweren grol Kirchhof wendunm. i, 71 lit. ver.; einen
alten groll Schütz hist. rer. pruss. i, j 4*; Pape («. II
2 a) ; doch auch bei Süddeutschen schon im 16. jh. : ewern
. . groll Frischlin dtsche dichtungen 178 Vit. ver.; ihren
gefassten groll Matiiesius ^Sarepte 233" ; Fischart («.
II 1); vgl. AfoLZ P.-B. beitr. 27, 231.
II. bedeutung.
l) als grundbedeutung ist nach der etymologie anzu-
setzen 'zorn' ; so im älteren nhd. nicht ganz selten: ira
zorn, groll, hone Frisius dict. 733*; groll, zorn, hasz
colera, stizza HuLsius (1618) 1, 142"; den liederlich die
gall überlauft . . . , räumen den grollen eins mals vom
hertzen schöne weise klugreden (1548) 108*; man ein we-
nig . . schweige, bis der grol für über ist J. Barth trei-
berspiegel .16";
das niemand mich bör oder seh,
bis diesr groll und unwill vergeh
Dedeuind d. Christi, ritter g 3";
ey dan dich troll,
rief ich im groll
Spee tridznacht. (1649) 14;
daher epitheta wie: sonderlich zeöffnen hitzigen grollen
Berth. V. Chiemsee teutsche theol. HO; sprichwörtlich:
voll bringt groll, groll schlägt drein toll Fischart ge-
schichtklitt. 347 ndr.; groll macht toll Petri d. Teutschen
Weisheit 2, Gg6*; auch der neueren spräche ist die be-
deutung der momentanen aufwallung {wenn auch gefärbt
nach 3) 7ioch bekannt: Abdallah wollte seinem bruder
nahen; aber von dem augenblicke, da ihn dieser er-
431
GROLL
GROLL
132
kannte, erfüllte wilder groll sein herz Fr. M. Klinger
7, 214; mein groll empört sich tödtlich dem nach, der
so mir schmäht maler Müli-er 3, 378; wenn nun ir-
gend etwas vorfällt, das den groll des Zauberers . . .
reizt Eatzel völkerk. 2, 96;
wem je im {rrimm, wem je im groll
die blaue stimenader schwoll
Strachwitz geü. 17,
eine alte paarung: das ein solicher grymm und groll,
nyd und hasz in iren hertzen uffgieng wider Christum
Jesum Keisersrero post (1522) 2, 18''; dementsprechend
neben verben wie:
entlichen Dido fas/t ein liert/.,
als bey ihr stig der groll aufi'wertz
Sprkng Änei8 69^;
den ersten aufsteigenden groll Staub -Tobler 2, 730
{quelle V. 1727); ebenso noch: der alte graf . . hatte sich
. . den aufsteigenden groll . . von der seele herunter-
geredet Fontane I 4, is; die formel groll und zorn ztt-
weilen einfach tautoloc/isch :
er schreyet, schilt und drewt und ru£ft mit zorn und grolle
D. V. D. Werder ras. Roland ge». 9, str. 70;
nach langer müh' und vielen ärgemissen
wächst ungeheuer Rolands groll und zorn
Gries Jlojardos verl. Holand 1, 139.
vgl. auch:
also sprach er in zorens grollen
Spreng Ilias 37'';
anders unten 2 a.
2) aber schon in älterer spräche häufiger in mehr du-
rativem sinne; dann gelegentliclt, auch pluralisch: wie
es {das habylon. volk) euch {den Juden) gram und bitter
auff euch ist, so wird es auch seinen bittern grollen
nach euch urteylen Luther I9, 367 W.; wann die koh-
len gerathen sollen, wie die kohlbrenner wollen, so
müssen sie frey seyn von allen grollen Abrah. a St.
Clara etw. f. alle 2, 329.
a) hasz, erlitterung: odium hasz, groll, ein alter zorn
Frisius dict. 908^; dasz gegen den barfüssern ein grosser
groll im volck erwüchsz Kirchhof wendunm. i, 499
lit. ver.; gewan ain grossen grollen zu künig Karl
AvENTiN 5, 109; aus diesem äussersten groll wider sie
entstunden die grausamsten Verfolgungen Arnold kir-
chen- u. ketzerhist. 211»; gegensatz ist liebe: do ist keyn
grol noch drewen, szonder eyttel herczlich libe Luther
34, 1, 356 W.; verbale Verbindungen: einen grollen auf
einen haben Frisch nouv. dict. 272; so sie {die diebe)
einen grol auff den hauszwirt haben Pape bettel- und
garteteufel M 6*; einen groll auff einen fassen sepiquer
contre quelqu'un Hulsius-Ravellus 146*; bei Stieler
706 auch übersetzt mit invidere alicui; wenn nun die
Griechen solche . . tyrannische exempel der regenten
. . gesehen, haben sie darfür einen abscheu bekommen
und einen groll gefasset Olearius verm. reisebeschreib.
172»; dasz . . der herr Verfasser nicht eben wider alles,
was in Leipzig ist, einen groll fassen wird J. J. Schwabe
belustig, l, 182; dies die geläufigste Verbindung, die bis
ins 19. jh. durchaus lebendig bleibt: er hatte daher einen
groll gegen Jukundus gefaszt und predigte gegen ihn
G. Keller 5, 302, hier freilich gefärbt nach 3; jünger
scheint: die liederliche kreatur fing also an, einen bit-
tern groll auf die frau . . zu werfen Jung-Stilling 6,
331; so hat er groll auf mich geworfen Tiegk sehr, i,
178; namentlich in älterer spraclie gern mit begriffsähn-
lichen oder -gleichen nominibus verbunden :
ist das die brüderliche lieb . .?
aber ich merck zu dieser zeit,
woher dir kompt der groll und neid
Fischart dicht, l, 142 Kurz;
ein grüner husch, ein brunn, ein breites feld:
dar lebte man ohn allen neid und grolle
Stieler gehamschte Venus 149 ndr. ,•
{der teufet) durch d. Carlstads neydischen groll sich
gerne wollt an uns rechen Luther 18, i9i W.;
sondern das hertz kein zorn noch groll
gegen seim nechsten haben sol
N. Herman sonntagsevang. (1895)127;
es sey wol gebotten den zorn und grol im hertzen zu-
lassen, aber nicht die zeichen des zorns Luther 32,
361 W.; vgl. rancor der groll des zornsz vel ein bitter-
kalt Diefenbach 484''; häufigste formel hasz und groli.
so schon in dem ältesten beleg , s. o. I 1 ; so musz ein
jeder darauf sehen . ., dasz er . . mit keinem grol und
hass gegen seinen nebenchristen . . beschweret werde
Reinicke fuchs (1650) 154;
hört man aus Africa, dasz sich aus hasz und groll
in löwens republic ein krieg entspinnen soll?
Hoffmannswaldaus u. cmd. Deutschen auserl. ged.
(1695)215;
auch dies, wenngleich umgefärbt, noch im 19. jh. nicht
selten :
es hört in diesem augenblick
der herzog nur den alten hasz und groll
Schiller 12, 116 6'.;
besser klingen doch die sagen
von der götter hasz und groll
HoFFM. V. Fallersleben 4,260;
hieraus erwüchse zwischen vater und son widerwil
und groll E. Menius ehren. Carionis (1560) 1, 131»; es
sey der widerwill und groll noch von der schlacht, so
Michiel . . mit inen gehalten, herkommen H. Kellner
chron. (1574) 27^*, eine im, älteren nhd. recht häufige ver
bindung.
b) die bedeutung a zeigt mancherlei feinere abschat-
iungen: feindschaft' ; von älteren lexicographen gern mit
simultas glossiert, dict. nominum verborumque (l620)
N 4»; Zehner nomencl. 65; odium hostile, simultas Stie-
ler 706; namentlich Heniscii 1749 läszt diese bedeutung
stark hervortreten: ira, inimicitia. odium, simultas, alie
natio, disjunctio animorum, hostilitas; schriben die
ainbtleut . . . des lands Syrien umb des alten grollen
willen, den si zue der Judischait betten, einen häftigen
briefe gein Babylon Aventin 4, 298; weil zwischen dem
Christoph Landskron, den Axleben und Canitzern ein
groll war Sghvveinichen denkwürd. 282 Österley; fol
genden jahrs war der alte groll graf Reginalds . . mit
dem stift Basel wieder aufgeglommen S. Fr. Hahn
einl. z. d. teutsch. kaiserhist. 5, 115; 'abneigung, ivider
streben' :
da ich nu sach, das sie mich flog,
den grollen merckt ich balde.
sie hat ein andern lieber denn mich
bergreihen 70 ndr. ;
so besonders vom widerstreben gegen gott: sollicher groll
Widder gott stecket ym hertzen Luther 12, 570 W.;
unser gantzes leben ist nichts anders als ein groll und
Widerwillen wider gott Dannhawer catech.-milch l, 26i ;
entsp7'echend :
und dasz mein leben, wie es soll,
dein eigen sey ohn falsch und groll
Fischer-Tümpel evang. kirchenlied 3, 517 ;
aber der grosse grol und eckel, den sie widder das . .
sacrament . . . haben Luther 23, 166 W.; dieselbe paa
rung 126, 5 ; stärker 'absehen' : dem menschen ist es un-
glaublich . . . und ein gantzer unwille und ein groll
allem leiblichen verstand, dasz der mensch vom teuffei
soll besessen werden Paracelsus opera (i6l6) l, 86C;
aucli concreter 'zuist, zank' : piquanterie die stichel-rede,
beschimpfung , der groll Spanutius 369; dasz . . sich
bald zwischen eheleuten keif und groll beginnet Prä-
TORius anthropod. pluton. 3, 347;
(jjeht mir) euern sinn und eure gute
ohne groll und ohne zank
R. Z. Becker mildheim. liederb. 33;
fünfzehn goldene jähre, die wir zusammen gelebet,
ohne gezänk und groll Herder 27, 246 >S'.
3) die neuere zeit nimmt die bedeutung gewöhnlich prä-
gnanter; groll ist 'der heimliche oder verschlossene, ein-
gewurzelte, finstre hasz' Weigand synon. i, 423; dabei
kann der begriff verschieden accentuiert sein:
a) der nachdruck liegt auf dem begriff' des geheimen,
im inneren verborgenen: 'verborgene feindschaft' Frisch
nouv. dict. 272; ingeheim einen hasz, groll genannt
Kant io {isn9), SOO Hartenst.; wie wenig diese bedeutung
433
GROLL
GROLL
434
dem Worte ursprünglich ist, erhellt daraus, dasz sie in ■
älterer zeit fast immer das attribut heimlicli verlangt:
und verblieb jederzeit ein heimlicher groll und ver- j
borgen misztrawen Dilich ungar. chron. (1606) 208; auch i
concreter: haben doch die elenden leut sich . . . nicht :
regieren können, unter so viel zertrennung, auffruhr, }
heimlichen grollen und innerlichen kriegen G. Lauter- |
BECK; es bleibt dem subst. bis ins 19. jh. treu: mein j
groszvater . . wurde wegen alten heimlichen grolls von |
drey hüben des Leiningers überfallen Kotzebue sämtl. \
dravi. icerke 3, 68; so dauert doch der geheime groll
(zwischen Österreich und Ungarn) fort Moltke sehr. u.
denkiD. l, 112; jünger ist still:
kann er bey solcher huld noch stillen groll verhelen?
J. E. Schlegel 4, 9;
im ganzen verzichtet erst eine neuere zeit mehr und rnehr
auf solche Verdeutlichungen : sein blick verrieth den
groll Ayrenhoff i, 81; Fritz . . . konnte nicht verhin-
dern, dasz sein groll einmal durchschimmerte durch
seine Verstellung 0. Ludwig l, 210; doch vgl. auch schon:
wiltu einen kennen, so lob ihn; steckt ein groll in ihm,
so wird er . . ein feder . . fallen lassen Petri d. Teut-
sehen xceisheit 2, LH S*»; in jüngerer zeit gern von dem
duvipf -verhaltenen hasz, wie er besonders in politisch u.
social benachtheiligten schichten rege zu sein pflegt: wo
sie {Fieskos vericundte) dann, zwischen den ganzen gi'oU
der republik gepresst, die wähl haben Schiller 3,
95 G.; nur die scharfe erkenntnis des fleiszes {der unter-
nehmerarbeit) . . bricht jenem . . ungerechten groll des
arbeiters die spitze ab Riehl dtsche arbeit 209; ähn-
lich: in den italienischen . . regimentern zeigte sich oft
ein dumpfer groll Treitschke dtsche gesch. im 19. jh.
1, 395; vgl. schon: dazu unlust und groll des poffels Wid-
der die oberkeyt nicht stercker werde Luther 18, 438 W.;
formelhaft ist seit ende des 18. jlis. (lang) verhaltner
groll, namentlich in poetischer spraclie:
mein lang verhaltner groll bricht endlich aus!
J. D. Falck Satiren 3, 113;
tritt hervor
aus deiner höhle, langverhaltner groll
Schiller 12,502 G.;
während die skribler . . seine erhebung mit neid und
verhaltenem groll aufnehmen werden jahrb. der Grill-
parzergesellsch. 1, 44; auch geioisse verbale Verbindungen
sind stereotyp: {er hatte ihn hingerichtet) wegen eines
geringen unvernehmens und daraus gefaszten, aber ver-
stellten grelles Lohenstein Armin, l, 61"^; ein cabalen-
macher . . selbst wenn er seinen groll verbirgt Gersten-
berg recensionen 289 lit. denkm.; der graf barg seinen
groll hinter gezwungenem lachen G. Freytag 9, 56; als
der groll schon gährte H. P. Sturz sehr, i, 153; vor
einem . . aufgährenden groll Fontane I 2, 377; alt und
sehr häufig: da brach der groll ausz Seb. Franck Germ,
chron. 116 *>; nun brach in den drei schlummernden ge-
sellen ein wilder groll aus G. Keller 4, 238; variiert:
ihr gemeinsamer groll strömte in die xenien aus Ger-
vinus gesch. d. dtsch. dichtung 5, 330; weniger prägnant:
er werde seinen groll auff yhn . . ausschütten Luther
24, 571 W.; odium occlusum effundere seinen gefasseten
und heimlichen grollen . . ausgiessen Bas. Faber thes.
184»; hat . . . bitterkeit und grollen wider uns auszge-
lassen Henisch 1749; bei jeder gelegenheit lassen sie
ihren groll gegen die weltweisen aus Schiller 3, 545 G.;
erst im 19. jh. häufiger: indem . . dieser . . seinem grolle
offen luft machte Meinecke Bogen l, 331.
b) oder der nachdruck liegt auf dem begriff des an-
haltenden, nicht nachlassenden: denn groll . . ist änderst
nüt, wenn ein veralteter hasz Keisersberg seelenpar.
98»; odium est ira inveterata, ein alter groll Reyher
thes. (1668) 2, 4935: pluralisch: veteres inimicitiae alte
grollen, gezänck, hasz Apherdianus meth. disc. (1580)
110; wie denn überhaupt alt bis heute das geläufigste
Attribut ist:
das sich anzünt der alte groll,
der nie ist recht erloschen wol
H. Sachs aämtt.fab. u. schwanke 2, 161 ndr.;
IV. 1. ü.
der alte groll wirdt nur mitt dem leben enden E. Cii.
V. Orleans br. i, 205 lit. ver.; man kann den alten
groll gegen Preuszen nicht vergessen Görres ges. sehr.
2, 387; sprichwörtlich: aller {l. alfer?) groll lest sich nicht
leicht auszkratzen Petri d. Teutschen tceish. 2, h 7 » ; alter
groll verrostet nicht HoFFMxtiN polit. .Jesus Sgrach IS;
vgl. unvertilgbaren groll J. J. Engel sehr. 3, 217; mit un-
verjährbarem groll Lenz 3, 286 Tieck; ihren zähen groll
Mommsen röm. gesch. 3, 4;
sie haben uns ewigen groll geschworen
Körner 2, 208 Hempel:
doch bedarf diese bedeutungsspielart solcher Zusätze nicht,
um deutlich zu teer den:
vielleicht dasz dieser bund zu groszem glück sich wendet
und eurer häuser groll durch ihn in freundschaft endet
Shakespeare 1, 66;
(ivo) wir thoren wühnten, durch den bund den groll
der Weifen und Waiblingen zu vernichten !
Grabüe 2, 300/«.;
gewisse charakteristische verbale Verbindungen ruhen atif
dem durativen dement der bedeutung: einen alten groll
regen cica^n'ceni re/ncare Dentzler 2,140^; der alte groll
wollte sich regen Göthe II 11, 17 W.; er . . weckt den
alten schlafenden groll Schiller 9, 370 G.; Dngen auch
die Korinthier an, einen heftigen grol gegen die Athe-
nienser zu nähren Heilmann Thukydides 120; er hat
die art des kindes, . . das oft unwillig ist, aber keinen
langen groll nähret Herder 13, 321 S.;
doch hegst du einen alten groll im busen
Göthe 10, 215 W. ;
diese tcendung meist freilich farbloser: eine seele, die
noch den geringsten groll in sich hegt Jüng-Stillino
6, 584; wenn er gegen alte spieszgesellen . . in stegreif
trat, muszte er starken groll in sich herumgetragen
haben G. Freytag 18, 801, und aus derselben vorsteHuw/
lieraus schon im älteren nhd. häufig: wer . . weder die
burger grol dreyt Worviser recht 10 Kohler; er wird . .
weder das weih noch den ehebrecher deshalben sauer
ansehen, viel weniger . . groll . . . auff ihn tragen
Olearius verm. reisebeschr., anhang insul Formosa 44;
negativ: durch Verzeihung und ablegung alles vorigen
grols M. Haganäus unterweis, z. weltl. regiment {lb99) 317;
nainentlich in jüngerer dramatik sind ähnliche Wendungen
oft zu finden:
umarmt euch, prinzen !
laszt allen groll und hader jetzo schwinden
Schiller 13, 211 6'., •
ersäuft
sey aller grull in diesem bundestrunk!
12, 175;
mit diesem kusz sei aller groll vergessen Arnim 5, 317;
weil ich es ohne den mindesten nachgebliebenen groll
erzählen kann J. G. Jacobi 1, ix; dasz deine vorwürfe,
wenn sie mir auch im augenblick empfindlich sind,
keinen . . groll im herzen zurücklassen Göthe IV 9,
91 W.; ohne groll in jüngerer zeit sehr häufig in ge-
wissen stereotypen Verbindungen: lassen sie uns mit ein-
ander brechen wie leute von Vernunft, . . ohne bitter-
keit, ohne groll Lessing 2, 323 ilf.; so lassen sie mein
andenken verlöschen, ohne groll Iffland theatr. werke
1, 30;
so lasz uns scheiden, ohne hasz und groll
Grillparzer 5, 194.
c) oder das tief wurzelnde des grolls wird betont: grolle
simultas, odium intestinum Dentzler 2, 140''; diser grol-
len ist dem könig tieffer, dann jemandts achten mögen,
zu hertzen gesessen Chr. Wurstisen Pauli Aemilii . .
historien (1572) 2, 334;
und im tiefen gemüth wohnet am tiefsten ein groll
Herder 26, 387 S. ;
daher formelhafte Verbindungen wie: zwischen den bey-
den römischen befehlshabern herrschte eingewurzelter
groll NlEBUliR röm. gesch. 2, 225; dieselbe wendung schon
bei Lessing 2, 44 M.; aber nur um so tiefer frasz sich
der groll in die herzen ein Sybel begründ. d. dtsch.
reiches 1, 90.
28
435
GROLL
GROLLECHTIG, GROLLEN
i86
d) erst in jüngerer zeit gern in einem gebrauch, der
de?!, begriff des mismutigen, grämlichen, verbitterten be-
sonders unterstreicht, oft ohne dasz noch ein bestimmtes
zielobject der empßndung gegeben wäre:
der meuschenfeind, die last der erde,
ans hochmuth, oder auch aus groll
Lenz ged. 184 Weinhold;
mit anderer färbung:
weltscheue schwermnth füllt meine bmst.
unendliches weh und unendlicher groll
Arent-Conradi-Henckell mod. dichterchar. 8 ;
daher paarungen wie: wie bei den unschuldigsten stel-
len ihm groll und niismut in die finger zuckt J. H, Voss
antisymh. 2, 87;
und kam mir groll und trübe laune, wie
sie jeden heimsucht, der in büchem lebt
G. Freytag 2,117;
in der seele groll und trauer 15, 101; namentlich: ein
. . luftgebilde . ., dem wir in dem glücke zulächeln, . .
auf das wir in dem Unglück . . . mit groll und unmuth
blicken Fr. M. Klinger xcerke i, 16;
fragt nicht nach seinem unmuth, seinem groll
Chamisso 4, 113;
sogar: nicht des unmuths groll . . spricht das aus mir
AyRENHOFF 2, 281.
e) öfter auch mit einer {beim verb. grollen [». d. II 2 b]
stärker hervortretenden) Verdünnung der ursprünglichen
bedeutung ''Verstimmung, ärger' : auch heute, als die am
schwächsten beschenkte, verrieth sie weder groll noch
neid Holtei erz. sehr. 14, 9; das milderte schon etwas
ihren groll G. Keller 6, 153; dieser groll über den
lannenbaumkultus hielt aber nicht vor Fontane I 6,
252; vgl. und legte sich dann mit lächelndem grolle
schlafen unter die bank Steub drei sommer in Tirol
i, 205.
4) amcendung auf einen unpersönlichen subjectsbegriff
ist selten: du müstest für lauter rachgierigkeit, groll
und grimmen deines viehischen appetits (deiner sinn-
lichen begierden) in stück zerspringen Spee güld. tugendb.
."ilS; etwas häufiger nur in jüngerer poetischer spräche
vom donner, aber auch das erst nach dem vorgange des
verbums {s. grollen II i d):
bei jedem strahle, der klirrte
schmetternd durch donners groll
Brentano 2, 58;
nach diesem muster gelegentlich auch von andern ele-
menten:
der elemente . . gift'gen groll
auf sein . . haupt herabzudonnem
I Körner 3, 179 Hempd;
{du) bewandeltest die fluth mit festen füssen
hin durch der winde groll
Freiligrath 5, 36.
5) bei Mürner erscheint öfter ein pltiral mit concre-
ierem, sinn, 'gehässigkeiten, vorwürfe, anschuldigungen' ,
auch 'verwünschungeii' : daz du (Luther) dise grollen
erst usz geschüttet hast, nach dem und du in des bapst
Ungnaden kummen bist a?i d. adel 86 ndr. ; wo sy nit ir
rede unterlassen, so wel er die rechten grollen sagen,
das schöpf den galgen rüren müsz gäuchmatt 46 UM;
ich wil die rechten grollen bringen,
die dienstlich sein zu unsern dingen
luth. narr v. 1204 Kurz ;
wir kumment yetz uff andre Stollen
und bringen här die rechten grollen
history v. d. fier ketzeren pred. ord. (1509) e 3»;
nicht immer sicher von der bedeutung 'possen, unfug,
streich' zu trennen; deutlich so:
gut grollen hab ich uff der teschen,
ir sollent mir den beltz wol weschen
sagt der beichtende narr zum beichtvater, narrenbeschw.
282 ndr.; das stellt sich zu dem im nl. reich entfalteten
grol, plur. grollen 'dwaze nietigheid of nietige dwaasheid'
woordenb. d. nederl. taal 5, 918, nach Franck 217*» etymo-
logisch identisch mit grol oditim. auf deutschem boden
nicht häufig: die etwan grollen in köpfen haben stecken
Keisersberg evang. (1517) 12'»; ich bin seltsamer grollen
voll RuoF nach Staub-Tobler 2, 730 ; dasz alle die
ceremonien der heil, kirchen . . alle ire fremde grollen
und grillen so artlich ausz der schrifft geschnitzlet seind
Fiscuart bienenkorb 174*> {auch nl. grillen eu grollen
a. a. 0. 5, 915). diese bedeutung hat also Murner nach
groll oditim hin verändert.
6) ganz vereinzelt: weih ein geselschafft syhe ich da
{in Sachsen), weihe trünck! weihe grollen {im tat. text:
quales ructus), weih spewen! Hütten 4, 283 Böcking,
also im sinne des von grollen abgeleiteten grolz, grölzen;
vermutlich kannte die ältere spräche auch für grollen
die bedeutung ructare {vgl. grollen II l c) und vom vb. ist
sie auch dem subst. zugeflossen.
GROLLECHTIG, s. grollig.
GROLLEN, vb.
I. form, zu beachten ist, dasz die wenigen mhd. be-
lege u (ü) zeigen: s6 man in da von {von der unkiusche)
prediget, so winket einer üf den andern unde grüUet
üf in: 'ja wä wil din sgle hin?' Berth. v. Regensbürg
1, 82 Pf, tcohl im sinne 'murren', «. t*. II 3 a;
{die brüder) richtin üf der vestin
mit wer sich kegn den gestin
üf ein widdirgruUin
N. V. Jeroschin 24564;
grollen, grullen, grüllen stomachari Diefenbach 554 '\
noch heute nd. grullen Doornkaat-Koolman l, 700^;
WoESTE 86*»; Mi 29*"; literarisch herrscht seit dem beginn
des nhd. durchaus die oform, die ihren vocal vom subst.
empfangen haben kann, in der aber vielleicht auch zioei
ursprünglich getrennte verba, ein deverbativum *grulljan
{zu grellan, s. Wilmanns 2, 54) und ein denominativum
groUön zusammengeflossen sind; grüllen ist schriftsprach-
lich im nhd. ziemlich erstorben {doch s. u. II 3 a), es
scheint aber für die Vorgeschichte von grölen in betracht
zu kommen, s. d. l anfang.
II. bedeutung.
l) im älteren nhd. ist am entwickeltsten eine bedeutung,
die nicht den affect an sich, sondern zugleich mit ihm^
die töne seiner äuszerung bezeichnet; daraus entwickelt
sich, ganz wie bei dem stammverwandteii grellen {s. sp.
104), schlieszlich eine reine schallbezeichnung ; nur geht
grollen, grullen mehr auf rollende, dumpfe töne, grellen,
grillen aufJielle, schrille: grollen, rauschen strepere, stre-
pitare, crepitare; grollen als die katzen, loUen, lullen,
mussare, mussitare, murire, numeros non verba canere,
sonum imitari; grunnire, murmurare Henisch 1749, der
hier freilich z. th. von Kilian abhängig ist, s. löU th. 6,
1144; ähnlich aber auch bei Stieler 707; Kramer teutscJi-
ital. 1, 567" nimmt das verb. rein als schallwort {'verb.
fatto dal suono') und glossiert es nur mit bruire, rom-
bare, trombare, brontolare.
a) von menschen 'zornig murren': brummen, grollen,
grollen im zorn und im unmut stomachari Diefenbach
554'»; vgl.
(der erzbischoj' v. Mainz) vast ser in sinem zom
vil ubermütiglichen grolt
M. Beiiei.m reiinchron. 49;
ob schon der hohe meister mit dem orden dawider
groUeten und murreten monum. hist. Warm. 8, 255; alle
gottlose verdampfe menschen . . werden wider gott
und seine gerechtigkeit grüllen und murren M. Chr.
Iren Aus spiegel d. hellen (i588) 309*;
(als er) mit seim gesprech die hantwerck schmecht,
nun war die bursch vast wol bezecht
und fiengen darob an zu grollen
H. Sachs 17, 238 A'.-G. ,•
da seyn denn die knechtlein auff einander ergrimmet,
- - grollen, gruntzen, stossen theatr. diabol. 260''; in be-
sonderer spMre: auf das sie nicht in ansehens irer
morgengab anfiengen wider die menner zu grollen,
stoltzieren und ungehorsamen St. Vigiliüs de rebus
memßrandis (1641)51*; und ähnlich noch spät:
437
GROLLEN
GROLLEN
4Ji8
weil einmal im jähr sich gern jedes erholt,
wenn man zu elf monat zu haus brummt und grollt
Raimund 1, 19;
frau, dann grolle nicht,
roth im angesicht!
J. H. Voss sämtl. ged. 5, 53.
wie bei grellen (s. d. 2) ist auch hier, tcenigstens im bair.,
die entvdcldung bis zu 'heulen, plärren, weinen' vorge-
schritten: er grolt als ain ku die kelbern wil oder
ain fraw dies zwank hat Sgumeller 1, 994; das ab-
scheuliche hjänen und grollen der stadtvocalisten ebd.;
grollen 'weinen' v. Klein l, 165; Schöpf tirol. 215;
Zaupser 38;
'o jesses', hat der kloane grollt
Karl Stielkr ged. 2, 59 Reclam.
b) auch von thieren geiiöhnlich als äuszerung des Un-
muts: {der hund) grollet und bysset Keisersberg WZ//.
146''; 'heftig bellen, wie fleischerhunde' Loritza vienn.
55; vom stier Schöpf tirol. 215; der tauber grollt Campe,
loohl aus dem nd.; vgl. de duffert sit up't hüs to grullen
Doornkaat-Koolman 1, 700»>; 'grollen wird zur brimst-
zeit das geschrei des hirsches beim kämpfe mit einem
andern genannt' Behlen 3, 501 ; das dumpfe grollen eines
gorillas Brehm ihierl. l, 82 Pechuel-Lösche ,- {der gefangene
gorilla) begleitete jeden . . abgetragenen teller mit . .
einem . . grollenden husten l, 70.
c) am reinsten tritt der Charakter als schallicort zur
hezeichnung eines dumpf rollenden gerüusches hervor bei
der anwendung auf unlebendiges; altgebräuchlich ist:
dönet im {dem unsettigen frasz) der magen, grollet ihm
der bauch C. Harberinus spiegel d. hausziicht (1553) 251"^ ;
da hebte ihm der leib gähling an zu blähen, das ge-
därm zu grollen Er. Francisgi d. alleredelste unglück
(1670) 35; es grollet mir der bauch Kramer teutsch-ital.
1, 567"; wohl auf dieser formal fuszend:
dasz mir davon die obren grollen
TiECKlS, 297;
in bildlicher leziehung auf den brodelnden kochtopf:
wann der Unwillen im hafen zu vil will sieden, brütein
and grollen, so hebt sie den deckel ab Fischart ge-
achichtklitt. 103 ndr.; die abgebrochenen töne der predigt
. . klangen {auszerhalb der kirche) . . bald in hohen
fisteltönen, bald tief grollend G. Keller i, 303; die sinn-
liche Vorstellung des dumpf rollendeii bleibt auch in
mancherlei gebrauchsweisen fühlbar, die an sich mehr
den affect ausdrücken wollen:
im kühnsten walde die verwachsnen schwellen,
wo eurer (der quellen) mutter kraft im berge grollt
MÖRIKE 1, 86 Göschen;
zumal bei unpersönlichem gebrauch: dasz es in dem volck
grollet 'brodelt, gährt' Paracelsus op. (1616) 2, 457 c; es
rollte und grollte in seinen worten wie in einer ge-
witterwolke Ebner-Eschenbacii 4, 170; vgl. d; in der
brüst des vortrefflichen {des stadtbüttels) grollte und
brummte es wie in einem dem ausbruch nahen vulkan
Raabe hungerpastor 1, 61; sie klingt auch hörbar mit
in fällen wie: gleichwohl grollte bey Mirmod noch
immer der schimpf Riemer jjoZi^. maulaffeSS; starke
ausbrüche des noch grollenden Schmerzes wechseln
miteinander {in dem quintett) 0. Jahn Mozart 4, 102.
d) rfas schalltoort hat sich nur ein groszes geltungs-
gebiet bis heute gewahrt, das ist die bezeichnung des
tobens der demente; besonders vom donner {und zwar
vorzüglich eines fernen, heraufziehenden oder abziehenden
getoitters) : wann es aber starck blitzet und der donner
in den wolcken gewaltig kracht, grollet und rasselt
Valvasor ehre d. Jterzogthums Cr ain (1689) 1, 312"; so
grollen auch die sieben donner ihre eigenen stimmen
Jung-Stilling 3, 528; zumal in neuerer poetischer spräche
überaus häufig:
er springt ans ufer, er eilet sehr,
schon grollet der donner dumpf und schwer
M. ScHNECKENiiURGER dtschc Uedcr 52;
gern im vergleich: mit einem solchen gelaut, als wie
ein grollendes und noch etwas gelinde rasselndes donner-
wetter Er. Francisci höll. Proteus (l690) 126; seine
stimme konnte grollen wie der donner EbnerEschen-
bach 1, 180;
und wie ein feurig wetter, das immer näher grollt,
rings steigen die geschicke still und verhängnisschwer
Eichendorf 3, 507;
bildlich: das eheliche gewitter grollt nur unter seinen
füszen Börne 3, 248; aucJi unpersönlich:
den ganzen abend hat es schon gegrollt
J. Hart bei Auent-Conradi-Henckeli.
mod. dichterchar. 46;
von andern elementen jünger tmd künstlicher: war der
stürm, der schon lange gegrollt hatte, losgebrochen
Spielhagen 2, 387; im grollenden stürme der allge-
meinen Zerrüttung Fr. Th. Visciier ästhet. 3, l, 47;
der stürm erwacht, die wogen grollen
Kosegarten nach Sanders synon. 1, i'il;
es grollt und brandet die see
Heine 1, 102 EMer;
ähnlieh auch:
seit jenem tage
grollt über dieser ebne unverrückt
die Schlacht IT. v. Kleist 3, 26 E. Schmidt:
gehobene spräche dehnt diesen gebrauch gelegentlieh noch
weiter aus:
wie dort im rothen qualm gegrollt die feldkanonen
Geibel 1, 184;
trommeln grollen dumpf und pfeifen schallen
H. Marggraff balladenchron. 18;
aus ihrer {der turmspitze) mitte grollte der glocken-
klang viele meilen weit Jung-Stilling 4, 136; das mo-
derne Sprachgefühl empfindet das verb. in solchen fällen
nicht als reines schallicort, sondern mehr oder minder
als metupher von der bedeutung 2 aus, recht deutlich:
wenn sich die grollenden demente versönen Schiller
3, 54 G.; {mir icar) als sei mein grimm mit . . dieser
grollenden fluth ein ding Fi;. Tu. Vischer auch einer
1, 52; nd. mundarten bewahren noch das ursprünglichere:
grullen leise donnern Woeste 86^; de sS grulld; de
donner grulld nog lank na Doornkaat-Koolman i,
700".
2) die heute entwickeltste bedeutung hat sich erst in
neuerer zeit so stark entfaltet; sie läuft der des sub.it.
groll parallel.
a) erst im 17. jh. lexicographisch öfter mit zürnen
gleichgestellt {vgl. groll II i): grollen, zirnen odisse, in-
dignari Henisch 1749; ähnlich HülsiusRavellus 146»;
dem entspricht es, wenn ältere nhd. belege selten sind
und noch mehr nach 1 a weisen: grollte die gemain . .
under einander Schaidenreisser Odyssea lo'';
der Kayer zornig war und grollt,
das ihm niemand abkauffen wolt
H. .Sachs 9, 263 A'. .
des ich zwar hab pesorget langst
almal sein grollen
22, 543,
hier mit der besonderen färbung neidischen hasses {vgl.
groll II 2 a) ; hl jüngerer zeit ausschlieszlich im sinne von
groll 3, also von anhaltend und verschlossen bewahrten
zom- und haszgefühlen :
zürnen magst du, doch nicht grollen
Fr. W. Weber Dreizehnlinden (1907) 115;
es ist mir leid, dasz du noch immer grollst
Kaupach dram. werke ernster gatt. 8, 98 ;
die grollende erinnerung an die blutige räche des Sie-
gers Häusser dtsche gesch. 3, Ul; aus erfahrungen und
erlebnissen im grollenden herzen . . gifte kochen Fr.
L. Jahn l, 359; entsprechend groll 3 a — d auch hier ver-
schiedene abschattungen der bedeutung: die grollende
hungrige menge Mommsen röm. gesch. z,iQi\ die schwie-
rigen und grollenden unterthanenschaften 2, 222 {vgl.
groll 3 a schlusz) ;
doch hielt ich gut und grollte still und tief
Grillparzer 7, 14;
draus (oits den tvellen) sieht im stummen grollen
mein finstres äuge herauf Strachwitz ged. 93:
28*
439 GROLLEN
einer Jungfrau stilles weinen,
einer greisin finstres grollen
Fr. W. Weber Dreizehnlinden (1907) 4 ;
er war wohl schon viel heftiger; aber so . , bitter
grollend war er doch nie Iffland theatr. iverke 4, 271 ;
ich seh den meister tückisch grollen
Arnim 19, 36;
voll grollenden unmuths Fr. L. Jahn 2, 202; überhaupt
neigt die neuere kunstsprache sehr zu participialem ge-
hrauch, zumal auch in zusammenhängen wie: der zweite
wandte sich grollend von seinem volke ab Ebner-
EscHENBACH i, 5; warum schlieszen sie mir grollend ihr
herz? HOLTEI erzähl, sehr. 5, 70; vgl. b; mit abhängigem
saiz:
ich grollte stets, dasz ich ein mädchen war
Grillparzer 6, 167;
(m Arabien irrt) ein Polenheld und grollet still,
dasz noch sein herz nicht brechen will
Lenau 1 (1855), 159 Grün.
sehr häufig in neuerer erzählungsliteratur ist grollen im,
sinne 'grollend, unwillig ausrufen': 'wiszt ihr nicht'
grollte der priester, . . 'dasz blumen . . . Römerinnen
ein greuel sind?' Gaudy 2, iii; 'kein wort weiter',
grollte der bauer Anzengruber i, 85; darin scheint ein
nachhält der bedeutung 1 zu liegen.
b) nicht selten auch mit starker ahschwächung des ur-
sprünglichen affectgehaltes 'böse, verstimmt sein' {vgl.
groll II 3 e) : er grollte nicht einmal, nicht ein gedanke
von fluch in seinem herzen Schiller 2, U7 G.; mehr
grollend als zornig warf er dem könige vor, dasz er
ihn vernachlässige Laube 2, 30; Sophie, welche noch
immer grollend dasteht Nestroy 2, 68; das ewige . .
grollen und sorgen verdirbt einem nur die laune Laube
10, 2; häufig ist die reimformel:
mir aber nagt's am herzen schier,
das schmollen und das grollen
IMöRiKE 1, 32 Gösdien;
deshalb schmollte und grollte ich von vornherein mit
allem weibervolk G. Keller 4, 39; von gebärden des
unmtds:
zwar grollt noch ihr gesiebt
Pfeffel poet. versuche 1, 28;
er . . grollte mit den brauenbögen wie vater H. Federer
berge und menschen (l91l) 311.
c) dieselben bedeutungs- und intensitätsschwankungen
wie unter a und b auch bei der Verbindung mit objec-
ten; am gewöhnlichsten mit dem dativ:
gemahn' ihn nicht an dich, du weiszt, er grollt uns
Schiller 14, 341 G. ;
das militär, das ihm {dem könig) unversöhnlich grollt
Varnhagen V. Ense tageh. 6, 179; es liegt in dieser
bettele! etwas so naives, . . dasz man ihr nicht grollen
kann Gaudy 5, 78; in völlig gleichem sinne früher grollen
mit: ich sollte eigentlich mit ihm grollen, da er mich
. . nie besuchte Pöckler briefw. u. tageb. 6, 164; grolle
nicht mit uns andern, weil du in Unfrieden von einem
scheidest G. Freytag 8, lOS; heute im rückgang. abge-
sehen von einem besonderen fall, in dem die bedeutungs-
Variante 'hadern mit' die präpos. begünstigt: Napoleon
grollte noch in der kriegsschule zu Brienne mit seinem
beengten geschicke Droste-Hülshoff 2, 378; ich habe
mit der weit gegrollt, d. h. mit mir selbst G. Freytag
i, 366; er (Mannhardt) grollte nicht mit dem Schicksal
W. Scherer kl. sehr, l, 165; ähnlich:
und wer, wie ich, mit gott gegrollt,
darf auch mit einem könig grollen
Herwegh ged. eines lebendigen 125;
auch gegen ist früher nicht selten : am meisten grollte
Stein gegen den Staatskanzler E. M. Arndt sehr, für u.
an s. l. Deutschen 3, 239 ; Lucrezia, die . . sich zum mittel-
punkte der gegen Soderini grollenden adelspartei machte
H. Grimm Michelangelo i, 343; ich wäre zu tadeln, wenn
ich ferner gegen sie grollte Holtei erzähl, sehr, n, 300;
anderes ist ungewöhnlich: so düster schaute die wilde
felsgestalt auf mich, wie grollend über die nähe dessen,
der H. v. Barth Kalkalpen 540.
GROLLER - GROLLSCHAFT
4-iO
3) 7iicht häufig tmpersönlich im sinne 'bösen, ivurmen ' :
es grollt sie, wann sie nur daran gedenckt, dasz sie
des liebsten namen hab' Orlando geben ie
D. V. D. Werder ras. Roland 19. ges., slr. 18;
das grollt mich 'ärgert mich' mehrfach bei Gustav
Schilling nach Müller-Fraureuth i, 443''; 'dies grollt
mich für dies bringt mich auf . . ist nicht gut' Hey-
natz antibarb. 2, 77; die Wendung nimmt sich aus wie
I eine parallelbildung zu das grimmt mich, wo freilich
: grimmt atts krimmt umgedeutet ist, vgl. i grimmen 4;
j auch mit dativ :
nur dem klugen ist es ferne,
dasz es ihm im herzen grollt,
I wenn der freund ihm Wahrheit zollt
Stephanie d. j. sämtl. singsp. 80;
aber dasz er noch prahlte, . . das grollte mir J. v. Soden
doktor Faust (1797) 9; vgl. den dativ unter II i c; das
nd. kennt einen reflexiven gebrauch 'sich gräinen' : hei
grullt sik ser um de frü.
GROLLER, m.; l) zu grollen i b: sobald nu der
I beer das fewr geschmeckt, ... ist (er) mit einem er-
I schröcklichen groller auf den kerl zugeloffen Chr. A.
I HÖRL V. Wätterstorff Bacchusia (1677) 112. 2) per-
I sönlich, zu grollen 2 : der richter wird dich halsstarrigen
I unversönlichen groller dem diener überantworten S. Ar-
TOMEDES Christi, auslegung (1609)1,582. — groll erei,
j /., malevolentia, odium inveteratum, invidia u. dgl. Stie-
I LER 707; bei Henisch 1749 auch concreter: dicta aut
I scripta inepta et odiosa. — grollerfüllt, adj.:
i die kämpfer aber saszen
I des Streitens müde, grollerfüllt und stumm
K. Hepp loeuzdom 121 ;
! sie . . schlich herein . . grollerfüllt wie immer Ebner-
Eschenbach 6,61. — grollerisch, adj., zornwütig:
Saul ist . . greinerisch, grimmig, grändig, grollerisch
gewest Abr. a St. Clara Judas 2 (1699), 356. — groll-
funke, deminut.: denn weil . . die groU-fünklein in
seinem hertzen noch in etwas glimmetcn Er. Frangisci
schau- u. ehrenplatz (i684) 24. — groUgeist, m.: wie
ihr den wol bettet sehen können, wen euch der eiferige
grol-geist nicht eingenommen gehabt Chr. Hoburg
apol. prätoriana (1653) 39. — grollhaft, adj.: den
strengen, grollhaften fürstenfeind, Odoardo Herder 17,
186 S.; vereinzelte bildung. — gr ollheit, /.; dan straaf
und regiment will der krieg haben, aber doch ohne
grolheit und tyranney W. Uilich kriegsbuch 124, wohl
im sinne von groll II 2 a.
GROLLIG, adj., odiosus, invisus, exosus, infensus
Stieler 707; grollicht amarus, iracundus Steinbagh
1, 645; viel zorniger, ungeberdiger, verbitterter, grolliger
. . hertzen Mathesius Syrach 2, 15 *j die schreckliche
straf aller grollichter, zornheltiger, unversöhnlicher,
rachgieriger menschen Artomedes christl. auslegg (i609)
1, 786; in neuerer zeit gewöhnlich mit etwas speciellerer
bedeutung im sinne von groll II 3 d : der grollige hass
dörrt die letzten borne des genius aus A. Rüge briefiv.
u. tageb. 2, 197; diese Schwerfälligkeit, die oft in mürri-
sche stummheit und grolligen trübsinn ausartet E. M.
Arndt sehr, für u. an s. l. Deutschen 4, 112; wiewohl . . .
Koch aber einen solchen widerwitz gegen Hackert . .
hat, dasz er auch über Goethe ungereimt und grollig
redet B. G. Niebuhr bei Dora Hensler lebensnaeh-
richten über B. G. Niebuhr 2, 263; ich finde mich hier
mit einem hämischen und grolligen litterarischen an-
griff begrüszt ebd. 3, 54; blosz gegen mich ist sie immer
kurz und manchmal grollig Frenssen Jörn Uhl 328;
nach den belegen deutlich ein wesentlich nordd. wort; die
maa. kennen es noch heute: jruliY erzürnt Hertel Thür..
110; grollsch voll groll ^kisgubikk i, 2h5; seltene seilen-
bildung: so bistu . . mit hass grollechtig Caspar Hedio
chron. germ. 309".
GROLLKOPF, m.: wer . . ein starr- oder grollkopf
. . gewesen, der stehe davon ab A. Taurer buszrufer
(1596) Y 3^; was tauget deine hadersucht, du neidiger
grollkopf? Otho. — grollschaft, /..- iracundiu un-
441
GROLLSINNIG - GROLZEN
GRÖLZICHT, GROMANN
442
wirse, grimgrösse, zürnung, grollschafft Schöpfer synon.
b6°. — grollsinnig, adj.: einem Soldaten, welcher
. . grollsinnig einherschleicht, dem will man befehlen,
beym plündern menschlich zu seyn? Laukhard leben
u. Schicks. 3, 201. — grollsucht,/., 'die neigung, heim-
liche feindschaft zu unterhalten' Kinderling reinigk. d.
dtsch. spr. 397; die hämische grollsucht befriedigen My-
Lius Peregr. Pikle 3, 138 nach Kinderling a. a. o. —
grollsüchtig, adj.: der grollsüchtige miszmuth ehd.
— grollteuf el, m.: drumb sihe zu, lieber Christ, dasz
du . . dein hertz . . für dem grollteuffel . . bewarest
Artomedes Christi, ausleg. (1609) l, 352. — grollzorn,
m.: der zorn ist von dreyerley art, als: der jachzorn,
der grollzorn, der dollzorn Schottel ethica 233. —
grollzornigkeit, /.: dieses bittere hertz und groll-
zornigkeit meinet Sirach ebd. 234.
GRÖLPSEN, vb., aufstoszen, aus gründen der schall-
nachahmung umgebildet aus grölzen (s. d.): grölpsen
ructare Diefenbach 502 ''; der ander grölbetzen (thut)
GüARiNONius greuel d. Verwüstung 490; am uberstössen
oder grölbetzen 879; vgl. grölpezen Schöpf tirol. 215;
grölpaz'n Castelli ma. in Österr. 153; dazu substan-
tivisch grellpitzer ructus sp. 105.
GRÖLZ, m. i) ein aufstoszen: grölz ructus Diefen-
bach 502"; Henisch 1749; grolz Veneroni icb. (1766) 78;
grulz Schottel haubtspr. 283; wann einer . . nach dem
anfang der krankheit einen sauren grölz thut Colerus
hausapothek 141; gelegentlich auch schtvach: liesz mit
fleisz einen grültzen Zinkgref apophthegm. i, 251. 2) cre-
pitus ventria:
manchem entfehrt ein groltz im schlauch,
der spricht, es grini in in dem bauch
Eyering proverb. 1, 607 ;
vgl. grölzen 3 schlusz. 3) possen: ein grober groltz, von
einem bawren-knecht einer gütten frommen diernen ge-
than Lindkner katzipori 138 lit. ver.; ein unerhörter
groJz ebd. lOO; vgl. groll 5.
GROLZEN, GRÖLZEN, vb., auch grülzen, ableitung
von grollen (grollen, grüllen), *. Wilmanns 2, 109.
1) am häufigsten im sinne ructare; vtdgäres wort: 'ist
noch niedriger als rülpsen' Heynatz antibarb. 2, 77;
heute wesentlich aufobd. maa. beschränkt {grölzenFiscHER
Schwab. 3,848; grülzen Birlinger schwäb.-augsb. 206°^;
grölzen, grölzen Schmeller l, 994; grollezn Lexer
kämt. 124; grölletzen üngerKhull 808^) und auch da
anscheinend von andern bezeichnungen zurückgedrängt;
in älterer spräche aber auch auf nordd. boden verbreitet;
die umgelauteten formen haben die vorhand: gröltzen
ructare Diefenbach 502''; grölzen Henisch 1749; gröl-
tzen rottare HuLSius (1618) 2,342'*, aber ein gröltzen rotto
ebd. 2, 342 •>; gröltzen nomencl. Hamb. (1634) 66; kröltzen
Harsdörfer poet. trichter 2, 144; grültzen, gröltzen Kra
iA}s.Kteutsch-ital. 1, bli"; grolsen, grölsen; grülsen, grül-
zen Frisch (i74l) 375'^;
dieweil mein voller narr da schießt, ,
gröltzet und farlzet wie ein schwein
H. Sachs 9,97 Ä'.;
vgl. 5, 168, 6; 7, 133, 12; 17, 282, 26; 19, 133, 12 u. ö.; mit
grölzen 17, 375, 23; dünstet wie ein badofen und gröltzet
wie ein bawer Mathesius Syrach (l586) 2, 44*;
kein gröltzen bschleusz in deinem mundt
Scheit Grob. v. 339 u. ö. ;
in ScHEiu-'FERS Grob, grültzen nach Drechsler 124; da-
für fisten, farzen, grölzen sie überschwenglich G. Regis
Rabelais 1, 711; schwächer: sich räuspern: der todten-pre-
diger . . riebe die bände und grülzete mit dem halse, als
ob er gleich sich . . verantworten wolte Lindenborn
Biogenes i, 363; mit object: das sie das maul zu weit
auffgethan und sehr grobe grumpen herausz gegröltzet
quäcker quackelei (1663) 104; unpersönl.: es grolzet ihm
auf EsTOR der Teutschen rechtsgeluhrtheit 3, 1410; vgl. die
rettiche grolsen einem immer auf Frisch notiv. dict.
272; s. auch krülzen th. 5, 2438.
2) aber noch in neuerer ma. auch allgemeiner: steir. =
grollen, also 'brüllen, grunzen.heulen' l]ifGER-KHVt.i.S08^ ;
viel rennt den nach und zruck, dö andern fiirö, wo's gröl-
lätzt
Stelzhamer ausgeiv. dicht. 3, 115;
das gröltzen der säw Hulsius (1618) 2, 184»; es war eine
tausendgliedrige masse, grölzend, brüllend, wiehernd
(beim carneval) J. Mosen 7, 28; flachs, demselben eine
stimme abzunöthen oder grölzend zu machen Wiegleb
zauberlex. (1784) 703; drauf vernahm ich eine heisere
grölzende stimme MusÄus Volksmärchen 2, 103; eine
grölzende, misztönende stimme quelle von 1808 bei
Unger-Khull308''; bildlich: dagegen grunzte und grölzte
die dicke mystik in einer art von strohbasz Immer-
mann 1, 100 Hempel; aber auch ohne tadel: wo er {der
fink) noch lange auf dem apfelbaum vor dem hause
grölzte J. Mosen 8, 222; grölzen für das worgen beim auer-
ÄaÄ7i Wurm auerwild (iSSSi) 12; vgl. krollen, krolzen th.5,
2353.
3) spedell vom knurrenden magen: wann einem der
magen vor hunger gröltzet Hulsius (I6I8) 2, 62*; der
bauch gröltzet, gorgelt, murret ihm Kramer teutsch-
ital. 1, 60''; in verschiedentlich übertragenem sinne: 'be-
gierig sein nach' : nach diesem allem grolzet den bau-
ren . . der bauch ser, weren auch geren edel gewest
quellen z. gesch. d. bauer7ikriegs 254 Baumann; dass er
(der reiche bauer) über stand und verstand hat wollen
angesehen seyn und ihm der bauch nach einem edel-
mann gegrolzet habe Fischer schwäb. 3, 849 (quelle v.
1667); anders, im sinne 'wurmen, grimm.en' :
es geht mir aber gar schwer ein,
dann es gröltzt mir noch in meim bauch
Ayrer dr. 1, 173 lit. ver. ;
vgl. grollen 3 c; noch anders (im, sinne unartiger ableh-
nungf): wenn man den bauern bittet, grölzt ihm der
bauch teutsche sprichw. (1790) 60, em altes Sprichwort;
vgl. :
der bauch wurd in da grölzen,
als seit man bawem bitt
histor. volksl. 3, 473 Liliencron;
mundartlich Jieiszt grölletzen auch pedere Unger-Khull
808^.
4) im sinne von grollen 1 a 'murren'; selten: (die
bauern) tetten sich aus, sy woltn nicht huldigen, sun-
der sy wollen sy wern, und grolotzn und sprachen, die
herrn warn lassig und sawmig J. Unrest chron. austriac.
bei D. S. F. Hahn coli. mon. vet. et rec. dipl. I (1724), 675;
die graen punter . . marren und gröltzen, als solt der
fridt prochen sein Scheurl briefb. 2, 163; mit l vermengt :
acht aber gar nichts, was die ketzer hie entgegen
röltzen und gröltzen Fr. Staphylus vom letzten abfall
(1565) 28*. dazu grölzer, m.: l) ructus gröltzer Die-
fenbach 502"; grültzer, gröltzer Kramer teutschital. l,
571«;
so trincks gar ausz, thu darzu kreisten,
ein gröltzer drauff zimbt dir zum meisten
H. Sachs 17, 418 Ä'.-G.,-
liesz er ein gröltzer über den andern gehn Linden er
katzipori 130 lit. ver.; wollen etwan dir die kopper, gröl-
zer und dergleichen magentriller aufstossen Tölpel
baurenmoral (1752) 15. 2) ructator Stieler 707; grölzerinn
ructatrix ebd. 3) Schreihals:
da was manch vaiger gralczer
und upiglicher, graber knaur!
M. Beheim buch v. d. Wienern 242;
vgl. grölzen 2. — grölzicht, adj., ructitans, ructando
ejidens, eructans Stieler 707; grültzicht rottoso Kra-
mer teutsch-ital. 1, 571"; grolzichte speisen Schrader
dtsch.-frz. wb. 1, 575.
GROMANN, GROMEN, GRAMAN u. ä., m., = grau-
mann, als bezeichnung von pferden; enttveder im eigent-
lichen sinn für graue pferde (dann auch als eigenname):
von den färben har werdend inen . . etlich nammen
gegäben, als rapp, schimmel, blasz, grommen Forer
Oesners thierb. 132'';
zwo her an, gromann und pleszlein
j'astnaehtsp. l, 248, 2 Keller;
443
GROME — GRONEN
GRONERISCH - GRONNE(N)
444
so seye im sein guter graman von einem wolff gefressen
Frey gartengeaellsch. 42, 32 Bolie; gern als demin.: {wir
bitien) ir wollet eur grommelin . . leyhen privatbr. d.
mittelalt. 1, 238 Steinhausen; brüder, nemen das pfert,
das gromenlin Pauli schimpf u. ernst 83 lit. ver.; seh da
meinen plassen mein lerehle , mein gromel Fi-
schart geschichtklitt. 206 ndr. ; oder als gattungsbegriff für
'pferd' überhaupt; dann gewöhnlich mit der besonderen
note 'alter, schlechter gauV : da begegnet in ein alter
graman auff ein dürre weyd gespannen Seb. Franck
sprichw. (1541) 2, 29*; graman, du vil dürrer gaul über-
schr. eines geistl. liedes bei Hoffm. v. Fallersleben
gesch. d. dtsch. kirchenlieds^ 885; bei H. Sachs in der
eigenartigen form:
gar oöt mir auch ein gramina stirbt
9, 14 A'. ,
auch als fem.: der jud mit der geschunden grama
Überschrift eines schwankes 9, 494, im innerii des schwan-
kes freilich masc; von dieser Sonderbedeutung aus will
verstanden sein: welcher vier pferd hat, ausz welchen das
eine, ein grömlein, was daz schwechst Höniger v. Tau-
berkönigshopen narrensch. (1574) 90^; sprichivörtlich :
hclfl', was helfFen mög, groman will nit alle zeit ziehen,
wann wir sterben sollen Frey gartengesellsch. 78, 29
Bolte;
sie gaben yn der hopfen stangen,
dasz sie noch wyter gerten fliehen,
ir graman der wolt nymmer ziehen
histor. iiollsl. 2, 61-8 Lüiencron ;
also kent grisz den gromen wol
im sinne: ein schelm versteht den andern
Murner narrenbeschw. 19, 107 u. anm. ndr. ;
das Sprichwort steht unter dem einflusz eines andern:
grisz schlecht nach gramen, s. griesen sp. 266.
GROME, m., hode, vom 14. — n.jh. nur obd. nachzu-
weisen; verwandt ist mnl. grom eingeiceide, besonders
von fischen Verwms-Verdam 2, 2165, ebenso fries. Dijk-
STRA 1, 479*; vgl. Fi CK* 3, 142; heute nur noch nachlebend
in dem verb. grumme» schweine schneiden Staub-Tobler
2,735; aucJi in den ältesten belegen von thieren: des pokhes
gromen Schmeller i, 995 (li.jh.); die gromen des bibers
ViNTLER 1284, 1290 ; deszgleichen thue am glincken gromen
(des Pferdes) Seuter roszarznei (1599) 74; die gromen
oder hoden desz mannes Thurneisser erdgeioächse 118*';
haben sie dem bischoff ain hiltzin spindel durch beid
gromen gestochen städtechron. 23, 19; der mit eim grü-
men allein geboren oder einen verloren hat Fronsperger
kriegsb. 3, 283''; bei Wirsung gelegentlich auch von den
eierstöcken des weibes, s. Fischer schicäb. 3, 849 hiebst
weiteren belegen; demin. grömlein Schmeller 1,995;
frau Lucretia N. verlobt sich mit zwey wächsenen
grämblein wegen ihres söhnleins ebd. (quelle v. 1697);
vgl. gremlein sp. 105; collect, gremlach, s. sp. 105; com-
posita: gr omenbalg, m,., haut des hodensacks Wirsung
arzneib. 251; gr omensack, m., hodensack ebd. 305^.
GROMMELN, GROMMEN, s. grummeln, grummen.
GRONEN, vb., ein, wie es scheint, auf das bair., das
angrenzende schwäb. und gewisse fränk. maa. beschränktes
wort; 'murren, brummen, knurren, grunzen, . . . seinen
Unwillen durch andauernd verdrieszliche m,ienen u. worte
zu erkennen geben' Schmeller l, lOOO; 'stille jammern'
Fischer schwäb. 3, 849 (fränk.); 'murren, klagen, grollen'
u. ä. Sartorius Würzburg. 50; 'etwas iveniger als grei-
nen . . sich beklagen' v. Klein i, 165 (Ansbach);
(sie) vertritt mir in meim hausz ein hund
mit irem gronen, belln und marren
H. Sachs 21, 188 K.-G.;
mein alte schaf-schelln,
die nichts kan denn gronen und pelln 17, 66;
vgl. 17, 144, 25; 22, 454, 6 u. Ö.;
was thustu nach deim alten fragn?
sein gronen lasz dich nichts erschreckn I
Ayrer dr. 4, 2503 lit. ver. ,-
so bis in die moderne ma.:
er aber zürnt und gront und streift
Karl Stieler ged. 3, 36 Recl. und som-t oft;
j im vergleich: wie die sew gronen wir in der miathül
j Seb. Franck tninkenh. (l53l) e 3''; dagegen mit der
[ fränkischen spielart der bedeutung:
\ welcher mann vil kleiner kinder hat . .
; und etlichs kind vor hunger gront
' eins freyharts predig (Frankf. 1563) L 4 1' ;
• die länge des 0 icird auch für die ältere spräche schon
; durch reime sichergestellt: gronen : verschonen H. Sachs
i 2, 128, 19; 20, 128, no K.-G.; : wohnen Ayrer dr. 2, 1305, 27
i lit. ver.; gront : gewont ScHWARZENBERfi Cicero (i535j
103'''; daher die Schreibung: ich flehnet, ich stampffet,
ich krohnet. hilfft alls ninx Schw^abe tintenf. 2; da-
neben aber auch eine form mit kürze: die gute wittib
legt dieser bereits gronnenden, greinenden, grimmenden
Urschel mehrmal auf, sie solt . . Abr. a St. Clara
Judas 2 (1699), 10; sein zanckendes, gronnendes . . weib
etiv. f. alle 2, 443 ; Zusammenhang mit grannen (*. d.) ist
sicher ; vielleicht ist gronen nur die gelängte mundartl. form
von grannen (nach Schmeller 1, 1000 reimt H. Sachs
auch granen : unterthanen ; adj. granat statt des getcöhn-
lichen gronet = gronicht ders. 4, 36, 28 K.; noch Hüfer
: verzeichnet nebeneinander: granen, gronen murren une
ein zorniger mensch oder hund, österr. wb. 1, 313); oder
\ ablautbildung !' vgl. grunnin von übler laune, erzürnt
' sein Lexer kämt. 125 mit reicher vertvandtschaft. dazu
I groner, m.: gronner 'ein feindseligem; über alles kla-
\ gender, stets tadelnder mensch' Westenriede« 219;
so wil ich gon
und dem alten groner aufton
II. Sachs 23,93 A'.-o'.,
; grunner Lexer kämt. 125. — gronerisch, adj., mür-
I risch, übler laune Schmeller l, 1000; gibts in dem-
j selben land lauter gronerische, greinerische haderkatzen?
i Abr. a St. Clara Judas l, 270. — gronicht, adj.,
m,ürrisch:
ach, wer hat uns nur thun versagen
bev meim groneten eyfrendn alten?
H. Sachs 17, 189 K.-G. .
gronet und gremisch, die alzeit sorgen 4, 15, 15;
seltener mit anderem suffix:
eygensinnig, gronisch und grentisch 9, 293, 8.
— gronickel (d. i. gron-nickel), m., = groner Westen-
rieder 219; Schmeller 1, 1000; der gronigl gedieht-
überschr. bei K. Stieler ged. 3, 36 Eecl.
GRÖNING, *. grüning.
GRÖNITZ, *. grünitz.
GRÖNLAND, einige ableitungen zeigen appellativen ge-
brauch : grönlandfahrer.OT., l) walfischfänger Hoyer-
Kreuter 1, 312; 'die compagnie derer kaufleute, welche
jährlich eine anzahl schiffe . . auf den walfischfang aus
\ rüsten' allg. haush. lex. i, 623; da man nicht mehr un-
i bedingt den erzählungen der grönlandfahrer und sibi-
I rischen fuchsjäger traut Humboldt kosmos 1, 204; bild-
\ lieh : er selber war nur der musikalische hollandgänger
i und grönlandfahrer bei fürsten Jean Paul komet 1, C8.
i 2) schiff für arktische fahrten, besonders zu fischerei-
i zwecken Hoyer-Kreuter a. a. 0.; man hat zwar ein-
i zelne beispiele von sogenannten grönlandfahrern, oder
I schiffen, die auf den wallfischfang gegangen sind G.
■ Forster 4, 125; es blieben . . . zwölf grönlandsfahrer
i im eise sitzen Muspratt chemie 5, 577. — grönland-
I schiff, n. = grönlandfahrer 2 Fontane vor d. stürm
I, 53. — grönlandwal, m.,balaena mysticetus Brehm
thierl. 8,594 Pechuel- Lösche. — grönländisch, adj.:
dasz das sogenannte grünländische eis drei gantzer
monaten lang um diesen berg schwimmen solte Er. Fran-
cisci well d. ewigkeit 282, also im sinne von packeis; in
neuerer spräche öfter bildlich: ich lebe noch immerfort
. . mein einsames grönländisches leben Bürger br. 2,
260 Str.; wenn ich dann im pelz und grönländisch ge-
stiefelt sitze Fr. L. Jahn hr. 176 W. Meyer.
GRONNE(N), m., 'ein zeichen der hirschfährte als: ein
kleines hügelchen, welches der hirsch in gutem boden . .
macht, worin schale und ballen zusammenstoszen' Behlen
3, 502; heysset der gronne oder der brugstall (l. bürg-
440
GRONSEN - GROPPEN
iGROPPEN — GRÖPSEN
446
stall, s. d.) Sebiz feldbau 573; vgl. Heppe wohlredender
Jäger 31 *".
GRONSEN, »i.; (der schiffmann) rufft derwegen vom
hindern theil oder gronsen des schifFes oben herab
widernmb also christl. ueish. lustg. 593; vgl. grans, gren-
sei, xcas freilich 'vordertheiV bedeutet.
GROPP, GROPPE, m.. ein kleiner fisch, cottus gobio;
eine obd., zumal alevi. bezeichnung; auch dem nd. an-
■"tcheinend nicht ganz fremd, vgl. Schiller -Lübben 2,
162''; grob, gründling gobius Veneroni üb. 78; groppe,
fem. Frischbier l, 255; auch im Schweiz, theilweise fem.
Staub-Tobler 2, 788; altes tcort: ahd. gioppo gobio Die-
FENBACH 270'' s. v. gubca; nach IIolthausen zu grob
icie rappe zu rabe, Wörter und Sachen 2, 2il; in älteren
glossaren häufig als allota Diefenbach 24"=; nov. gl. 16'';
capito gloss. 97"; carabtis 99''; gobio capitaius GOLius
onom. (1582) ZW) f.; cotttis, gobius fiuviatilis gropp, gropt
Bas. Faber ihes. 1024"; vereinzelt gröppe Montanus
schwankb. 643 lif. ver. ,• häufiger grupp, gruppe, nament-
lich Schwab., s. Fischer 8, 850 ; ain mass gruppen städte-
chron. 23, 328 (Äugsb.); grupp Aler dict. 1, 991''; gelegent-
lich hyperhochdeutsch : etliche gropfen oder kaulhaupt
fischbüchlein 62; allerley fisch . . äschen, groppen, grund-
len See. Münster cosm. 402; welschgropp im Rodan,
groEz groppen zu Preszburg, schwartzgropp in der Lind-
magd {d. i. Limmat) Fischakt pract. groszm. (i607) h 3*;
öfter geringschätzig: was meinend ir, das gott daran
lig: ir ersättigind üweren hunger mit kalbfleisch oder
mit groppen? Zwingli dtsche sehr, l, 316; du solt ausz
eim nasenfenger ein hasenfenger werden, wan es schon
groppen weren Fischart geschichtklitt. 237 ndr.; vgl.
Fischer schwäb. a. a. o.; auch scheltend von menschen:
warumb lestern ihr groppen und codroltzen dann mich
von unwissenden ärzten Paracelsus op. (1616) i. 143^'
{anscheinend im Wortspiel mit grob Fla 'dumm'); als
fcheltname für kleine kinder, überhaupt kleine menschen
noch heute im alem., Staub-Tobler 2, 789; vgl. auch:
so hast du mir den hunds groppen her gefüret {cani-
num hunc capitotiem) auf Äsop bezüglich Steinhöwel
Äsop 47 lit. ver.; vgl. kopp th. 5, 1782; ruppe th. 8, 1533;
kaulhaupt, -köpf, -quappe th. 5, 361/. — dazu gropp-
brett: (der weg soll so breit sein) das zwen (fischer)
Hebend einandren mit einem gropbrett dann gan mö-
gent weisth. 5, 95. — groppeneisen, inatrument z. fang
der groppen Brehm thierlebai 8, 129 Pechuel- Lösche. —
groppfisch, = gropp Campe. — groppenleber, in
inedici7iischer Verwendung Wirsung arzneib. 562''.
GROPPE, /., eindeutschung von frz. Croupe: groppe
eines pferdes oder andern thieres Krönitz 20, 112; also
dasz kopff und halsz auff der lincken selten, die groppe
aber auff der rechten selten (der traversierten linea) in-
cliniret stünden G. v. Danap beschr. eines tcolabgericht.
Pferdes (1624) 16.
GROPPEN, m., metallener, und zwar gewöhnlich eiser-
ner topf, kessel, tiegel, eine wesentlich nd. bezeichnung
(mid. grope, mnd. grope) heute gewöhnlich grapen:
kessel, grapen, schusseln, teuer
Voss 90, 63 Sauer;
vgl. schon grape lebes Diefenbach nov. gl. 230''; cucuma
ein eysern grape nomencl. (Hamburg 1634) 390 ; der aus-
druck greift aber zumindest im hess. auch aufs md. über,
s. ViLMAR 138; Creceliüs 1, 437; in älteren glossaren
sehr häufig: cabus crop, gropp Diefenbach 86*; lebes
groppe 321'=; cocula eyn erne grope nov. gl. 98''; olla
pot , top , saxonice grope 271 ' ; palas (i. e. patellas) de-
ghele, potte, gropen 276»; suffusorium 854'' (durchweg nd.
quellen); lebes. aeneus tripus. ein gropp Alberus dict.
95'»; bei C.\LEPiNUS kaum, bodenwüchsig : ein grab, vd\)ir(,
genus vasis. quo aqua manibus datur, sept. ling. (l73l) 1,
79 » ; seit dem spätmhd. nachiveisbar : coppir, gropen zu gyssen
Marienb. treslerbuch 140 Joachim; Jerusalem were ein
gropen, daran das fett ... so tielT angebrand were
Luther so, 666 W.; in seiner hausrechnung schreibt er
groppen zs. für hist. tfieol. 1846, 412; sprichwörtlich: zu-
bricht der mann gropen, so zubricht das weib kriege
Henisch 1760; fem.: eyne gropen \acc.), da man eyn
hun inne sieden kan dtsche stadtrechte d. ma. 173 Oengler
(quelle v. 1473); demin. groppelin Berth. v. Holle De-
mantin 7284; gelegentlich auch mit anlautendem, k, s. th. 5,
2405; etymologie unsicher; zu ahd. griubo röstpfanne?
vgl. FiCK*3, 146. dazu gropp(n)er, topf er: figulus
groper, gropper Diefenbach 234''; ceramius eyn groper
nov. gl. 86''; lutifigulus groper 173'', groppener^io«». 340^^;
groppenbraten Gutzeit288'' s.v. fleischgeld; -deckel
Diefenbach 86'' s. v. cacabus; -gieszer: lebifusor gro-
pengheter Diefenbach nov. gl. 2ZQ^; groppen gisser ilfa-
rienb. treslerbuch 378 Joachim; auch in allgemeinerem
sinne: erarius gropengyszer vel glockensmyt Diefen-
bach £07''; 'eisengieszer' Schütze holst. 2, 62; -mach er
lutifigulus Diefenbach nov. gl. 242^
•GROPPEN, vb., greifen, tasten: wan sie vol weins
seind, so sie gon an den wenden groppen Keisersberg
evang. (1617) 131"; (in der dunklen kammer) gropet er
so lang, bisz er die milch fand Wickram 3, 83 lit. ver.;
musz man . . . nach der warheit, wie ein blinder an
einer wandt, in menschen Satzungen gropen Nigrinus
papist. inquis. (1589) 102; grop in der schussel hin und
her nach dem allerpesten stuck qu,elle bei Schneller
1, 1007; so solle man gar nicht an die wunden greiffen,
noch darin groppen Würtz wundarznei (1612) 24; vgl.
107; aus moderner ma.: bein kellrinnan umanand grop-
pen A. Hartmann volksschausp. in Bayern 829; alem.
mit länge gräpe», gropen Staub-Tobler 2, 786; seiten-
bildung zu grappen, s. d.
2GR0PPEN, vb., groppen fangen: dass gar niemas
hinfür nachts mit liechtern . . nit solle groppen quelle
V. 1520 bei Staub-Tobler 2, 789; in der zeit, darinnen
die farchen laichen . . , (soll) das groppen gar verbotten
sein LoRi Lechrainm; bildlich: haben vermaint, wollen
vischen, aber habent, deo sint laudes, nur groppet Seb.
BÜRSTER schwed. krieg 265; auch in den modernen obd.
maa. noch lebendig.
•GROPPER, m., für verschiedene vögel: der grosze
gropper trynga subarquata, ein atrandvogel, auch lerchen-
schnepfe Oken allg. naturgesch. 7, l, 499; tringa alpina
Naumann naturgesch. d. vögel 7, 426; für diese abart
hat Oken 7, l, 498 die bezeichnung gropperlein, auch bei
Naumann a. a. o. gropperle; gropper bei Oken 7, i, 448
auch für eine entenart, den braunkopf. anas glaucion;
hier deutlich zu 2 groppen.
2GR0PPER, m.: dero mauihner . . von amts wegen
. . . salz-zwicker, gropper, welchen auch das schmiern
gebiert . . und andere nothwendige diener . . aufnehmen
LORl baier. bergrecht 368, im register 641» gedeutet als
'arbeiter. so die salzwägen laden'; auch 'Spediteur' : in
Salzburg sind drey bürgerliche gropper, wovon einer
die Nürnberger, einer die Tyroler und einer die Vil-
lacher waarenfrachten . . zu besorgen hat Schmeller
1, 1007 mit iceiteren nachiveisen.
GRÖPS, «i.. = griebs sp. 254, in dieser form von Oken
als kunstausdruck für pistillum. den Stempel, in die bo-
tanik eingeführt, allgem. naturgesch. 2, Uff-; auch in
mancherlei compositionen wie gröpsbalgs, l, 21; -blatt
3, 1, 20; -haut 3, 8, 1450; -stiel 3, 3, 2042; -schale 3, 3,
2072 ; vor allem als terminologisches dement bei der glie-
derung seines pfianzensystems : gröpsblumen 8, 2, 838;
-farren 3, l, 308; -gräser 3, i, 436; -moose 3, 1, 247
u. s. w.
GRÖPSEN, vb., ructare: die ander schell der säw
narren ist, schandtliche weiszen und gebärt treiben,
nemlich gröpsen Höniger v. Taubehkönigshofen nar
rensch. (1574) 264''; vgl. grepsen Follmann lothr. 216
gröpser ructus Ruckert 65; im bair. längere formen,
die bei rüpsen alte parallelen haben (s. th. 8, 1535): grop
pezen Schmeller i, 1007; vgl. 1378; greppetzen Unger
Khull 305''; österr. grepizen Jon. Heumann opusc
(1747) 696; tirol. gropfezn Frommann dtsche maa. 5, ui
gröpsgen Schöpf 215; ebenso in älterer spräche: wo nicht
der hellische vater . . zu Rom euch dieselben (sünden)
aus seinem hellischen wanst . . . heraus bölckete . .
447
iGROS- GROSCHEN
GROSCHEN
448
und groppetzte J. Zanger Jesu%vider (1562) Li"; er {der
Säufer) gröpetzt und singt solche magendriller , dasz
Abr. a St. Clara Judas i, 224. das verb. steht neben
seltenerem groppen (groppen ructare Henisgh 1750; grop-
per ructator Stieler 707; gropp'n Lexer kämt. 124)
vne das als alt zu erweisende röpsen neben seltenem rop-
pen (s. rüpsen); Vermischung von röpsen und grölzen?
iGROS, n., ein masz von 12 dutzend, lehnwort aus
dem franz., xvo seit dem 16. jh. la grosse (sc. douzaine)
dieselbe Bedeutung hatte; der Wechsel des geschlechts er-
klärt sich durch anlehnung an andere zählmasze icie
dutzend, schock; die e7itlehnung dürfte ins späte n.jh.
fallen : ein grosz knöpfe un grosso (jnazzo etc.) di bottoni
Kramer teutsch-ital. i, 569*; grosz in der kauffmann-
schaft oder in waaren, ist so viel als 12 dutzend Mar-
PERGER kauffm. mag. (1702) 557; 1200 grosz (das grosz zu
12 dutzend) . . schuhblätter Nicolai reise 1, 253; ein
ganzes grosz grüne brillen Bode dorfprediger v. Wakeßeld
{iTil) 131 ; heute gewöhnlich mit kurzem vocal, früher auch
mit länge: von Kramer unter das adj. grosz eingereiht,
noch Adelung schreibt grosz. das wort sclteint im 18. jh.
gerade auch dem nd. handel geeignet zu haben: een gross
pipen brem,. wb. 2, 549; 'ndsächs. ein grösz oder grötchen'
KrÜnitz 20, 127; hier wäre mit einer entlehnung über das
nl. zu rechnen, vgl. Kluge etym. ivb."^ i82.
-GROS, n., hauptmasse, und zwar zunächst des heeres;
als militärisches lehnwort im 17. jh. dem franz. ent-
nommen; nach Kluge etym. wb.~ 182 in Stielers zei-
tungslust (1695) verzeichnet ; grosz der arm6e maior pars
exercitus Apinus gloss. nov. 256; vgl. Frisch l, 376«;
schon bei Lohenstein : dem Inguiomer . . vertraute er
das grosz des heeres . . auf den kampfplatz zu stellen
Armin. 1,34»; das mittlere grosz hatte anderthalb le-
gionen Römer 37";
wir aber schnitten ihn vom gross des heeres ab
Besser 8chr. 1, 46 König i
das gros des zuges Mommsen röm. gesch. 3, 239; im
18. jh. auch allgemeiner: das gros der leser Wieland
in: br. an Merck i, 249 Wagner; hat Pindar nicht schon
längst einen unterschied gemacht zwischen dem gros
seiner ausleger und . . Herder 3, 446 S.; gros der nation
Schlözers staatsanz. (1783) 8, 258; was wir 'volk' nennen,
. . das ist nichts weiter als das gros und der kern der
menschheit Rosegger II 2, 54; das gros der centrums-
partei Bennigsen nationallib. partei 157; seltener mit
sächlichem subject: welches ihn verhindert, sich ins
gros der weltgeschäffte zu mengen Zinzendorf be-
denkest u. besondere sendschr. 1 (1734), 23 {geschrieben 1725) ;
mit dem gros der effekten Pückler bildersaal (1840) 2,
118 ; das gros der waldbäume Hoops waldb. u. kulturpfl.
63; weitere belege bei ScHVi^z fremdiob. 1, 256; heute franz.
ausgesprochen, früher vielfach eingedeutscht tmd zum
adj. grosz gezogen; dafür sprechen neben der Orthogra-
phie älterer belege besonders fälle wie: das grosse der
armee il grosso, il corpo delV arniata Kramer teutsch-
ital. 1, 569»; die schwache gutmüthigkeit . ., die doch
das höchste ist, wohin bis jetzt das grosse der mensch-
heit hat gebracht werden können Pestalozzi Lienh.
(1790) 2, 294.
GROSCHCHEN, n., deminut. zu groschen:
und ohne sünde sich
ein gröschchen zu gewinnen
H. Democritus d. weit im argenl26;
ein gröschchen für ein hier, ein halbes gröschchen nur
für einen wödka Ol. Viebig d. schlaf, heer i, 173.
GROSCHEL, als münzbezeichnung, s. gröschlein.
GROSCHELN, vb.: groschlen, aita rfiaZecto grielen, est
missilia in vulgus spargere. inde groschel raptura,
groschelgelt sive grielgelt pecuniae in vulgus promiscue
sparsae Stiel er 709; vgl. grielen sp. 262.
GROSCHEN, m.
1. form.
l) das wort zeigt, wie nach dem grundwort, mlat. gros-
8US, zu erwarten, in den älteren quellen ss oder sz: gros-
sus eyn grosze, en grosse, krosse Diefenbach 270'';
Thuronensis grosz 602 <^; 2 schog behmischer grossen
Marienb. treslerb. 103, 23 .Joachim; bair. herrschen im
15. jh. formen wie zwen gros, sechs grosz, zwen grosen
ScHMELLER 1, 1014; doch in Tüchers baumeisterb. fünf
gross 101, 9 neben fünf grosch 112, 26; in den fastnacht-
spielen umb ein grossen l, 369, 5 nebeii grosch 208, ij;
265, 17 u. ö. im Schwab, dauert die sform noch länger;
in den Augsb. Chroniken des 15. jhs. fast allein üblich,
s. Fischer schioäb. 3, 851 ; doch grosch stüdtechron. 5,
112, 6; aiich im anfang des 16. jhs. noch auftretend: {der
hafer galt) 14 grosz ain schaff städtechron. 23, 464, 13 ;
vgl. 465, 19; erst in Clem. Senders chronik herrscht
grosch: l schaff koren um lO grosch ebd. 34, 23; vgl. 81, 7;
102, 15. am Zähesten hält das alem. an der echten form
fest: belege bis ins 17. jh. bei STAue-ToBLEii 2, 802; ver-
einzelt, aber gewisz nur orthographisch, auch bei Luthei« :
die Pfennige und grossen 19, 77, 27 W. aus dieser s-form
vernieder deutscht sind die münzbezeichnungen nd. grot,
engl, groat.
2) das bislang unerklärte seh von groschen wird aus
der böhm. form gros herzuleiten sein; denn der böhmi-
sehe groschen ist das Vorbild des deutschen geworden
{s. u. II l), tmd im böhm. muszte aus lat. grossus laut-
gesetzlich gros entstehen; daher fast alle nachweise für
seh aus dem 14. u. 15. jh. nach Ostdeutschland führen,
s. die belege unter II 1 ; vgl. noch das siudtbuch von Fal-
kenau ed. Rietsch, das s. 'd2ff. nur die form grosch(eii)
kennt, die dem böhm. gros entsprechende kurzform grosch
ist in älterer spräche sehr verbreitet: grosch regalis Die-
fenbach 490»; grasch grossus 270'»; der grosch fast-
nachtsp. 1, 208, 12; ein baierisch grosch Aventin 4, 402, 7;
ein behemischer weisser grosch Mathesius Sarepta
176*'; auch im accus.: den verloren grosch Berth. v.
Chiemsee teutsche theol. 284; im stadtbuch von Falkenau
heiszt es gewöhnlich einen groschen 35, aber das macht
VIII grosch 34, newn grosch 36 u. dgl.; für zwen grosch
fastnachtsp. l, 265, 17 K.; weitere belege s. II i, 4, 7. die
lexicographen des 17. jhs. bevorzugen die kurzform, so
HuLSius (1618) 2, 183*'; Orsäus nomencl. method. (i623)
147; Zehner nomencl. (1645) 314; Stieler 708 setzt an
grosch, groschen ; auch im 18. jh. noch grosch bei Kra-
mer teutsch-ital. 1,567°; Frisch (1741) i, 375 hat nur
grosch, Weitenauer orthogr. lex. (1764) 58 grosch, gro-
schen. bei schioacher flexion des sing, sclieint die nom.
form grosche nie sonderlich verbreitet gewesen zu sein:
grosche grossus Diefenbach 270''; grösche Luther,
Henckel s. u. 3; grosche Zingken allg. öcon. lex. 993;
ein verlorner grosche Zinzendorf reden in Jiethel ge-
halten (l758) 55; vereinzelt noch im 19. jh.:
der grosche, den ich aufgehäuft für mich
Shakespeare 8, 78;
doch heute auch mundartlich: groske Bauer -Collitz
146; aber seit dem iß. jh. auch im nom. sing, mit stei-
gender häufigkeit groschen : mein groschen ist gefunden
Fischart geschichtklitt. 107 ndr.; so bei Grypius *. II 5,
Petri II 7, Ang. Silesius II S; seit dem is.jh. bei den
lexicographen vorherrschend: groschen Dentzler 2, 140'';
Steinbach i, 645; Aler dict. (i727) i, 984»; Apinus
gloss. nov. 255.
3) gewisse md. gebiete zeigen seit alters umgelautete
formen: ein grösche Luther 33, 127, 10 W.; die grös-
schen 18, 71, i; kein grösche Henckel gewissens tritt
(l62i) 27; 'oZiV/i groschen' Stieler 708; entsprechend noch
in heutiger ma. jreschen Hertel Thür. 110; Liesen-
berg 147.
II. bedeutung und gebrauch.
1) in Frankreich ivurde seit der münzreform k. Lud-
wigs IX. 1266 zur ausprägung des bisher nur als rechen -
werth geltenden solidus {= 12 denarii) eine dickmünze, der
(denarius) grossus geschlagen, nach seiner prägestelle gros-
sus Turonensis, gros Turnois, genannt, die münze fand
schnell auch in Deutschland anklang, der name begegnet
als turnos, turneis, tornusch u. ä. bis ins le.jh. Lexer 2,
1586; Diefenbach 602<= s. v. Thuronensis; aucJi mit ad-
449
GROSCHEN
GROSCHEN
450
jectivierung des grossus: ein pfenningbrot galt 3 grosze
turnose städtechron . 8, 53 (Closeners Straszb. ehr.); von
den dreiszig ailberlingen :
ir waerind viere also gut
als nu ain grosser turnei tut
Schweizer Wernher Marienh Sl()6;
im j. 1300 liesz Wenzel II. von Böhmen nach franz. Vor-
bild in Prag silber^ie dickmünzen schlagen, die grossi
Fragenses (du Gange i, 117") oder böhmischen groschen,
die sich solcher beliebfheit erfreuten, dasz sie bald in den
nachbarländern, später in ganz Deutschland {mit aus-
nähme der küstengebiete) nachgeprägt wurden; vgl. KrO-
MTZ 20, 116 jT".; Halke 120 jf. das xcort wurde allmäh-
lich zur gangbarsten münzbezeichnung in Deutschland;
attributive adjectiva müssen die sehr verschiedenen m,ünz-
sorten schmden: ein guldener, halb guldener groschen
Fischer schwäb. 3, 85l {Uhn 1529); wie ein armer bergk-
mann . . bisz in hundert tausent gülden groschen . . .
auszbeut gehaben Mathesius Sarepta l?*";
steck' unter seine zung' ihm diesen gUldnen groschen
Lohenstein Cleopatra (1680; 104;
vgl. gülden-groschen B'risch (l74l) 375''; der {sc. müntz)
von zin {gelten) xxv für ein silberin grosch Seb. Franck
weltb. (1534) 207*; eine yede person ein silbern groschen
Luther 12, 28 W.; vgl. silbergroschen iA.lo, l, 1009; küpf-
ferne Marien groschen {d. h. gefälschte) Weise erznar-
ren 16 ndr.; im, ästen Deutschlands tcaren im 18. und
19. jh. kupfergroschen des polnischen münzsystems im
kurs, vgl. Bernd Fosen 83; Frisghbier l, 255; daher
die redensart: einen roten groschen bei seite legen zs.
für d. viaa. 6 (1911), 58; a. 1506 werden gemacht bay-
risch weisz grosch, der ainer . . . ainlflhalb schwarze
Pfenning gilt Schmeller l, 1014;
auff zalten sie vier weisse groschen
bergreihen 48 Jidr.;
vgl. Weilmeyh 261; schwarze groschen Jacobsson tech-
nol. wb. 5, 738''; vgl. ein groschen schwarzer münze
Adelung; auch hüb man an die gantzen grosz ze
stempffen städtechron. 4, 321; halber oder schwertgro-
schen dimidius grossus Stieler 709; a. 1390 sollen keine
halben grossen weiter geschlagen werden Schmeller
1, 1014; vgl. Weilmeyr 253/.,- doppelte groschen ebd. 250;
Marperger kaufmann-mag. 986; ein hauffen alte grosse
böhmische groschen disc. v. d. itzigen zustand d. kipper
u. u-ipper a 2*; dasz nicht . . grosse groschen vor zwey-
groschen-stücken . . . mit eingezählet werde Schmidt
rockenphilos. 1, 13; ain kleinen groschen oder sieben
kleine pfennig quattembergelt mittheil. d. ver. f. gesch.
d. Deutschen in Böhmen 39, 85; vgl. Jacobsson 5, 738'';
mittelgroschen Krünitz 20,122; dieser hohmeister (flem-
rich Deszmer 1345) müntzete zum ersten die breiten gro-
schen in Preussen Schütz hist. rer. pruss. (1592) 81»;
umbe eine und sechzeig schok und hundert breiter gro-
schen lehnbuch Friedrichs d. Strengen 283 ; umbe firczen-
hundert schok smaler groschen ebd. 282; vgl. Krünitz
^0, 120/.,- Frisch 375''-"; leichter groschen, Hassiacus.
alias dickbein Stieler 708; nach dem prägbild: hor-
nichte, schildichte groschen Frisch i, 375«; bärtige
groschen Wächter 617; guter groschen seit dem l^. jh.
sehr geläufig, gewöhnlich für den meisznischen groschen, \
von dem 24 auf einen reichsthaler gehen, vgl. Frisch 1. i
375'*; Weilmeyr 252/.,- (er) erhielt für die stunde einen
guten groschen Göthe gespr. i, 11;
vier gute groschen hab' ich gespart
Hebbel w. 6, 167 ;
dagegen scheint ein guter grosch un buon grosso Kra-
mer teutsch-ital . 1, 567« als gegensatz zum bösen groschen
(*. u.) gemeint; schlechte groschen im fränk. Jacobs-
son 5, 738''; in älterer .iprache häufig auch alter gro-
schen: einen englischen, deren drey einen alten grossen
thun quelle v. 1357 bei Frisch 1,376*';
Heinz Mist hat alter groschen vil
fantnachtup. 1,109,17 A'. ,•
was wollen ir darfür haben? der meister sprach: ein
alten groschen Eulensp. Ti ndr.; neue groschen Halke
IV. 1. fi
\ 320 {iö.jh.); neuer groschen nummus receus percussus
I Stieler 708; noch zahlreicher sind die Unterscheidungen
i nach dem ausgabeland oder ort; am, verbreitetsten war
in älterer zeit der böhmische groschen: a. 1433 gehn
201/0 behemisch grosz auf den gülden rhein. Schmeller
• 1, 1014 nebst weiteren belegen, in jüngerer tritt besonders
\ hervor der meisznische allg. dtsche bibl., anh. zu 25 — 36,
i 3312 oder (ober)sächsische groschen Steinbach 1, 645;
Chomel öcon. lex. 4, 1363; zu den gerin gtverthigsten ge-
hörte der polnische groschen }?ars impenalis nonagesimu
Steinbach 1, 645; daher: wie sie allsammt blank . . .
wären und keinen polnischen groschen im beutet hätten
Gaudy 8, 142; ausführliche liste dieser art bei Weil-
meyr 250—266; Frisch 1, 375/.,- ein nicht vollgewichtiger
i groscJten heiszt höser gT,: worunter {unter den 2 fl.) doch
ein böszer grosch gewesen J. Thomasius aufzeichn. 313;
man streitet . . . über böse groschen E. Tu. A. Hoff-
mann 1, 10 Gr.; gelegentlich auch bildlich im sinne
'leichte tcare': im schlusz . . geht freilich wol ein böser
grosch mit durch Er. Francisci bis*, schaub. (i698)
3, 634.
2) hei gröszeren Zahlungen rechnete man ehedem nach
schock groschen: zwei tausent geschoke . . . preiter
guter Freiperger grosen quelle v. 1373 th. 4, l, 3, 4507 (),•
item 10 schok bemischer groschen Marienbnrg. tressler-
buch 9, 2 Joachim,; zahlreiche weitere belege unier schock,
th. 9, 1433; vgl. Halke 320; seltener ist die rechnung
nach mark groschen : alle iar 20 mr. groschin czu czinse
archiv f. österr. gesch. 31, iiö; nach Adelung 3, 1616/.
in Böhmen im 13. U.jh. gleichwerthig mit schock groschen.
3) im 18. und beginnenden 19. jh. hat, in Norddeutach
land icenigstens, der gute groschen, der Vi pf. gilt und
voll dem 24 auf einen reichsthaler gelten, die Vorhand,
vgl. Alkr gloss. nov. (1727) 255; Frisch 1, 875''; Chomel
4, 1363; deshalb sagt der prahler:
sechs und zwanzig groschen gilt mein thaier I
flATHE 9. 250 II'..-
kleine groschenmengen regeln sich daher nach dein duo-
decimalsystem ; manche dieser werthbezeichhungen sind,
zur formet erstarrt, in niederer spräche bis Jieute leben-
dig geblieben; die kleinsten mengen, zwei und vier gro-
schen, treten schon sehr früh als landläufige summen
mehr oder minder formelhaft auf:
die {eam) nem ich für zwen grosch ein nacht
fastnachlsp. 1,266,17 A. ;
dein vater . . hat mir offt ein gantze wochen nit tzween
groschen in die kuchen gegeben Vogelgesano heiml.
gespr. 84 ndr.;
wer einen Schandfleck braucht , der darf zwey groschen
zahlen
Stoppe Parwasr 318;
der kamerer zu dem pfarrer sprach :
nempt hyn vier grosen, get selbst darnach
Pfarrer v. Kaienberg 68 ndr. ;
die wochen vier groschen fagtengeld n. samml. v. schausp.
(1764 — 69) 6, haush. n. d. mode 57; und spendirte ihre
vier groschen . . zur kanne wein Jon. Riemer polit.
maulaffe2; als festes eintrittsgeld :
{ein xtudcnt) der jederzeit geschmack an dieser btthne fand
und ihr auch tag vor tag vier groschen zugewandt
Rost rer«?. ged. 67;
wie Scheusale angestaunt . . von bürgern um vier
groschen Güthe 17, lOO W.; ich bitte sie um vier gute
groschen wn alles iji der weit Albrecht Leipz. 126";
bey den musterungen sol . . iedweder person desz tages
6 weisse groschen ex publico erfolgen acta publ., ver-
handl. d. schles. fürsten u. stände 2, 119; diese summe {^^
1/4 thaler) aber erst in jüngerer zeit häufiger: wir geben
alle monate sechs groschen in die armencasse Rau-
PACii dramat. werke kom. gattung 4, 66; er hat neulich
den Aaron geprügelt und ihm sechs groschen genommen
Droste-HOlshoff 2, 268; desgleichen: wilstu mit gehen,
so kanstu auch 8 gr. verdienen Chr. Reuter ehrl.frau
32 ndr.; für acht groschen sohle habe ich mir von den
stiefeln gelaufen Raupach dramat. werke kom. gattung
29
451
GROSCHEN
GROSCHEN
452
2, 145; eine soldzulage von zwölf groschen monatlich
Meinecke Boyen 2, 126; {das buch) kostet . . hier und
in Potsdam 16 gr. Lessing 7, 2 M.; er soll sich ja wohl
sechzehn groschen erspart haben G. Hauptmann Rose
Bernd (1904) 15 ; das erstarren gerade dieser summenzahlen
wurde dadurch begünstigt, dasz für sie besondere münz-
stücke vorhanden waren; vgl. groschenstück, greschner;
-gröschler unter gröschlein. als durch das reichsgesetz
vom 9. Juli 1873 die neue reichsivährung eingeführt ivurde,
übertrug man die bezeichnung auf das iO-pfennig-stück ;
so heute noch allgemein; ein treueres festhalten an älterer
Währung liegt vor, ivenn sich bezeichnungen ivie zwei
groschen für 25 pf, sechs groschen für 75 pf. in der
landbevölkerung {z. b. Schlesiens) bis ins 20. jh. gehalten
haben.
4) das nebeneinander vieler groschensorten in älterer
zeit führte dazu, dasz das wort auch schlechthin im
sinne 'münze' gebraucht tverden konnte: ein igliclier gab
ihm einen schönen grosschen Hiob i2, ii; verehret mir
auf den fall ein schön groschen, der ungefähr 9 gran
schwer war Schweinichen denkw. 78 Österley; nach-
klingend in fällen wie: wir kaufen . . eine pelzmütze
und hängen . . einen blanken groschen an die troddel
Fontane I l, 288; 'unter der benennung groschen oder
dickpfennige werden in den münzgeboten von 1506 und
1513 allerley ausländische . . m,ünzstücke aufgeführt'
Sghmeller 1, 1015; noch das 18. jh. konnte das ivort so
verstehen Krünitz 20, 116; daher bildtingen wie groschen-
kabinett, s. d.
5) der literarische gebrauch des wortes spiegelt in der
wechselnden färbe des ausdrucks vielfach das sinken des
münzwerths udeder: ich habe ir selbs viel erlebt, welche
in die tasschen griffen . . und keins grosschen nicht
achten, aber hernach fro weren worden, das sie so viel
heller betten gefunden Luther 32, 471 W.; der todte
gilt ihnen etwan ein pfennig, der lebendige aber viel-
mahls ein groschen . . oder mehr Aitinger jagd- xind
weidbüchl. 144; erst in jüngerer zeit mit dem beisinn der
g eringwerthigen münze:
preise dem kindc die puppen, wofür es begierig die groschen
hinwirft Götiie 5, 245 W.;
(kerle zu dieaem ispasz) find ich an jeder ecke und bezahl'
sie nur mit groschen Gradue 2, 67 Bl. ;
auch erst in jüngerer zeit als almosen: dasz ich einem
knaben, der neben mir vorbeihüpfte, einen groschen
bot Schiller 4, 69 G.; er pflegte . . stehen zu bleiben,
bis ihm ein groschen zugeworfen wurde Holtei vierzig
jähre 1, 51, sehr anders im ethos als im 16. jh.: wo sie
{die land Streicher) nit etliche grosschen, herberg und
maltzeit dazu kriegen, so . . Pape bettel- und garteteufel
K 2^; ebenso scheiden sich:
ich gib euch ein pfunt {feigen) neur umb ein grossen
fastnachtfp. 1, 369 K.
imd:
man könnt' an kirschen mehr als zwölf pfund am gewichte
um einen einz'gen groschen. kaufen
Brockes ird. vergn. 2, 433;
im scherz: ein stiller behäbiger mann, er sprach nicht
viel um einen groschen Auerbach schatzk. 1,4; deshalb
auch erst in neuerer zeit in manyiigfachen Wendungen ,
die das sparen malen: wie süsz war die empfindung,
mit der ich einst jeden ersparten groschen zurücklegte
Kotzebue sämtl. dram. werke 7, 189; sie legte groschen
zu groschen G. Keller 3, 32; sie hat mir . . versprochen,
künftig alle groschen umzuwenden, ehe sie einen aus-
gibt theafer d. Deutschen 8, 210;
so nimm ein alles weih . .
die jeden groschen weis nach eilen auszudehnen
Neukirch gcd. 135;
vom geiz: das herz hängt ihm am groschen allg. dtsche
bibl. anh. zu 25 — 36, 2043; aiidere bilder zielen auf das
saure erringen des geldes: so wie hingegen ein mit
schweisz beträufter groschen einem wechselgroschen
gleicht Schubart leb. u. gesinn. l, 147; da ist wohl kein
groschen im kästen gewesen, da nicht etliche seufftzer
von armen leuten daran geklebet Weise erznarren 9*
ndr.; das er . . manchen groschen, daran . . trehnen
. . kleben, unter seinen vorraht menget Butsghky
Fathmos 141 ; eine geprägte formet scheint:
anders :
den todten {sie) hin zum grabe singen,
so lang dabey die groschen klingen
B. Waldis pöpsfe'cÄ reich (1555) Pp 3'
welch groschen itzt nicht klingt, wen Jesus leucht undt
kehrt, . .
taug nichts, als das man ihn weg sambt dem unraht
sclimeisse
Gryphius sonn- %i. feiertagsson. i&vdr.;
schon in älteren recepten als ungefähre maszangabe: es
nehmen auch etliche vor ein groschen entzian und vor
ein groschen wolffsmilch J. Walther />/crde- u. Viehzucht
65; nim . . darvon . ., so vil auff einem groschen ligen
kan Gäbelkover arzneib. l, 22; öfter ist von dem gro-
schen als ziel die rede: schosz eim ein groschen zwischen
den fingern hin Fisghart gesckichtklitt. 285 ndr.; dasz
er mit einem bogen oder feuer-rohr auff einen groschen
zu schiessen weisz Abr. a St. Clara auf, auf ihr Chri-
sten ! 81 ndr.
6) sehr gewöhnlich als Umschreibung von 'geld' :
so lang sie {sc. reuter und Schreiber) nur noch groschen
wiszen,
sind sie auf deren fang befliszen
Brant narrensch. 77 Z. ,•
zumeist in mehr oder minder formelhaften Wendungen.
a) nur selten, mit respect vor dem groschen, im, sinne
einer beträchtlichen summe:
und wie dus {das mahl) habst so thewr genomen,
wie dichs so manchen groschen steh
Scheit Grob. 4140 ndr. ;
auch ertceitert:
darmit er neben seinen bossen
bekommen hat manch schönen groschen
Fischart Eidensp. 159 Rauffen ,-
wie manchen schönen groschen haben uns nur die
präsenter — {eingebracht) Schiller 3, 359 G.; vgl. srhoti
kttnig Sigmund vollet mier
den strich mit manchem groschen zier
Osw. V. Wolkenstein 63, 198 rar. Schatz;
groschens musz der mensch haben Albrecht Leipz.
126*; vgl. Brendicke Berlin. 130; nicht bei groschen
sein kein geld haben; gewöhnlich bildlich: er ist nicht
recht bei groschen nicht recht gescheit Frischbier l,
255; weit verbreitete wendung.
b) gewöhnlich zur bezeichnung einer geringfügigen
summe; zuweilen mit dem beiklang des verächtlichen und
zwar schon früh: sprechen, sie geben ihre gute werck
umb einen grosschen Luther 30, 2, 214 W.; positiv 'ein
kleiner betrag, eine kleinigkeit' : herr — wenn zu ihren
fressen da — auch nur etliche groschen von jenem
vermögen verwandt sind Iffland theatr. werke 2, 116;
vom Vormund erhielt ich . . nur wenige groschen, mein
elendes, tägliches dasein zu fristen Holtei erzähl, sehr.
2, 105; für ein paar groschen iszt man so viel man will
Götiie IV 8, 92 W.; wie er sich abäscherte, nur um dem
Schmied die paar groschen verdienst zu nehmen Immer-
mann 1, 128 Hempel; so zumal auch in einigen festen
verbalen fügungen :
die frau soll, wenn sie dir den rächen voll last schütten,
dich dennoch, schöner wirth, um jeden groschen bitten
HoFi'MANNSWALDAUs u. u. Deutschen auserl. ged. (1695) 189;
damit er nicht ehrenhalber einen groschen mehr ver-
zehren dürfe Gottsched dtsche schaub. 4, 497; dasz er
zitterte, wenn er einen groschen ausgeben solte K. Fr.
Bahrdt gesch. s. lebens 2, 23; auch bildlich: ich wette . .,
{es) werden keine zwei {dieser jungen leute) . . den ge-
lehrten fond unseres Vaterlandes um einen groschen be-
reichern Lichtenberg verm. sehr. (1844) 3,6; weil es mir
gelungen, von der schweren {moralischen) schuld einen
groschen abzutragen Kotzebue sämtl. dram. werke 2, 19;
{der könig) der den letzten groschen von uns erpreszt
Heine 2, 177 EMer;
453
GROSCHEN
GROSCHEN- — GROSCHENBREIT 454
dasz diese partei bereit sei, den letzten mann und
groschen zu bewilligen Moltke ges. sehr. u. denkw. 7, 137 ;
mit Possessivpronomen : (arbeiter) lieszen ihren groschen
unter lautem gelächter aufgehen Nicolai Nothanker 2, 25;
der seinen groschen von heut auf morgen verdient Alexis
Roland v.Berlinl, 123 ; um ihm (dem kritiker) seinen freitisch
nicht zu verderben und den groschen zu entziehen, den
ihm der Verleger zahlt Hippel kreuz- u. querzüge l, 577 ;
wie wärs, . . wenn ihr euch hinseztet . . und um den
lieben groschen recensirtet Schiller 2, ii G. negativ
'nicht das geringste': zur schadloshaltung von Sachsen
wolle er keinen groschen beitragen Ranke sämtl. werke'^
30, 380; schon ein jähr ist es, . . dasz ich keinen gro-
schen vom papste erhalten habe H. Grimm Michelangelo
1, 281 ; zum bilde getvorden : für das leben der könig-
lichen familie gebe ich keinen groschen G. Forster 8,
193: ich habe von meinen eitern nicht einen groschen
bekommen können ScHOcn stud. leb. m i°-\ ohne dasz
es ihm einen groschen kostet Alexis ruhe l, 143; re-
flectionen . ., die aber nicht einen groschen taugen
GöTHE 38, 391 W.; alle Wendungen beruhen auf der Vor-
stellung des groschens als einer gering loerthigen münze,
daher erst seit dem 18. jh. recht entfaltet; im alteren nhd.
nur ganz selten ähnliches: anders ich euch nitt mit
einem groschen het gedienen mügen Arigo decam. 537
lif. ver.
c) die zusammenrückung groschen geld seitdem 18. jh.:
er vertraut deinen bänden nicht einen groschen geld
an Rabener i, 201 ; jedes hielt für unschicklich, nur
noch irgend einen groschen geld in der tasche zu be-
halten GöTHE 21, 246 W.; mein vater gab mir noch
einige groschen geld mit auf den weg Eighendorf
3, 3; einen hübschen groschen geld haben, sammeln,
erben Campe.
d) 'groschen ist auch die benennung gewisser ab- und
atisgaben, als da sind abnähme-, gedinge-, häusel-, hufen-,
mieth-, muth-, quartal- und dergleichen groschen' Cho-
MEL öcon. lex. 4, 1364; dazu mancherlei andere compo-
sitionen wie bettel-, gnaden-, paten-, Spargroschen.
7) sehr häufig tritt der groschen i?i sprichtvörtern auf;
aus älterer zeit stammend behandeln sie ihn meist m.it
achtung: der zum heller geschlagen ist, der kompt
nimmer zum groschen Lehmann florileg. nolit. 3, 124;
wer den pfennig nicht acht, kommt nimmer zum gro-
schen Stieler 709; vgl. wer den pfenning nicht zu
rathe hält, bekömmt sein lebtage keinen groschen kern
auserles. sprüchw. (l718) 59; später:
wer den heller nicht ehrt,
ist des groschens nicht werth
ScHELLHORN spricliw. 142 ;
der groschen, den man hat erspart,
nutzt mehr, denn der gewonnen ward
Petri d. Teutschen tveish. 2, o 1";
variiert: ein ersparter pfennig ist besser und gilt mehr,
den ein unerworben groschen 2, t 6^; der groschen, den
die frau erspart, ist so gut als der, den der mann er-
wirbt Binder 80; der groschen ist wohl angewandt, wo
ich viere erspahre kern auserles. sprüchw. 10; umgekehrt:
ein groschen gewinn ist wenig werth, wenn er mit einem
thaler erkauft wird Arnim 2,351; besser heute einen
groschen als morgen einen gülden Jon. Hoffmann polit.
Jesus Syrach 126; ein schwarzes kind find auch wol
ein weissen groschen Petri a. a. o. 2, y 4*; man gehet
niemals in den stall, man find einen groschen darin
2, Nn 2*^; ein groschen im sack, aber für zwei groschen
durst Binder 80; vgl. hat er einen groschen in der
tasche, so hat er für zwei groschen durst Heine 3, 25
Elster; gib einem jungen einen groschen und thu' es
selber Binder 102; andere Sprichwörter knüpfen an die
unterschiede nach werth und gute an: am gsang kent
man das vögelein, häfen und groschen an dem klang
Eyering proverb. 1, 890; ähnlich 2, 135; vgl. es ist fein
zu sehen, das man einen groschen über dem licht
scheiden kan, wenn er mit schwefFel bestrewet ist
Petri a. a. o. 2, Aa?"*; von verblühter Schönheit: ihr
groschen gilt keinen batzen mehr Körte sprichw. 178;
zahlreiche Sprichwörter aus neuerer ina. sammelt Fischer
Schwab. 3, 851/.
8) einige biblische stellen, die vom groschen handeln,
sind literarisch fruchtbar geworden, besonders Luc. 15,
8/.; jede {ahre) macht uns freude, wie dem weihe sein
verlorener und wiedergefundener groschen Jung-Stil-
LING 5, 231 ;
meine seele war der groschen,
der verlohren und verloschen;
aber nun ist er gefunden
bey dem lichte deiner wunden
Ang. Silesius Seelenlust 70 ndr. ;
zweifelte Susanna im geringsten nicht, sie müszte wohl
der rechte verlorne groschen seyn, den sein wahrer
eigenthümer wiedersuchte Bode Thotnas Jones i, 17; auch
sprichwörtlich: wann gott nicht den verlohrnen groschen
sucht, so gehet er nicht von sich selbst wieder in säckel
Lehmann florileg. polit. l, lOi; na^h Matth. 20, l^..-
doch weil du auch nimbst an,
die nur in deinem dinst ein stundlin, herr, verthan,
kanstu den groschen ja nicht wegem deinem kinde
Gryphius sonn- u. feiertagsson. 22 ndr. ,-
auch in die geschickte von den anvertrauten centnern
{Matth. 25) oder pfunden {Lue. 19) dringt des öfteren der
groschen ein: so wol die schlechte arten als auch
die geringe anzahl meiner gedichten (in welchen beeden
ich die armuth dessen mir verlyhenen groschens . .
erkenne und gern bekenne) Wegkherlin l, 295 lit. ver.;
vgl. wie Christus . . an viellen orten durch den ausz-
verlihenen und wider abgeforderten groschen bezeugt
GUARiNONius greuel d. vertvüstung 14.
GROSCHEN- als erster compositionsbestandtheil ist be-
sonders nach zwei nchtungen hin fruchtbar geicorden.
zumeist bestimmt es den werth des haupfbegriffes auf einen
groschen ; wesentlich erst in jüngerer spräche mit verächt-
lichem, beisinn in compositionen , die mehr oder minder gelegen-
heitsbildungen sind und sich noch heute vermehren lassen,
z. 5. groschenfibel: {kinder zerfetzen bücher) weil ihnen
die groschenfibel ein zu ordinaires vergnügen geworden
ist B. Goltz zur Charakteristik 110; -flöte Jean Paul
20 — 23, 28 Hempel; -galerie, der billigste theaterplatz
3, 77; vgl. 15 — 18, 243; auch bildlich: der tumult der
erwartung rüttelte die edelleute mit der groschen-
gallerie des staats in eins zusammen il — 14, 200; -knall -
büchse: der alte stadtförster . . hat sicher mit einer
groschenknallbüchse geschossen V. Trau dt winkelbür-
ger 67; -postille: derselbe schreibt in seiner mosai-
schen und evangelischen groschen-postili J. C. Dippel
das gestäupte papstthum (1698) lli ; -Übersetzung:
man kauft sich groschenübersetzungen oder wohlfeile
taschenausgaben W. Hauff 2, 336; -werk: UJn nur
einige exemplare von einem elenden groschenwerklein
mehr abzusezen Bürger briefe l, 809 Str.; auch über-
tragen von billigen geistesproducten : -epigramm:
solche groschenepigramme liegen in der luft A. Kerr
ges. Schriften 4, 60; -witz: um in behaglicher ruhe
. . . die thaler- und groschenwitze zu genieszen R.
Walter parlament. gröszen l, 15; geläufigere compo,9i-
tionen dieser art s. u. an aiphabet, stelle, eine zweite
gruppe umfaszt bicomposita, die den iverth des hauptbe-
griff es auf mehrere groschen angeben; auch diese zu
sammensetzungen, seit dem 17, jh. nachioeisbar, sind be-
liebig vermehrbar, dahin z. b.: f ünfgroschenbrot;
achtgroschenjunge, in der Verbrechersprache für den
jjolizeispitzel ; dreigroschenplatz im ^Äeafe»- Lichten-
berg verm. sehr. (1844) 4, 16; sechsgroschen wein ,
zehngroschenwein Weise erznarren 44 ndr.; besonders in
münzbezeichnungen, s. u. groschenstück.
GROSCHENBIER, n. ünger-Khull 308 1- (17. jh.). —
groschenbild, n.: dass in der bauernstube . . noch
die groschenbilder aus den befreiungskriegen . . an den
wänden hängen Steub drei sommer in Tirol l, 295; die
. . Maria von Carlo Dolci in einer vertausendfachung
als groschenbild D. v. Liliencron 3, 137; anders 'präg-
bild auf d^m groschen' : die groschenbilder betet man auch
nicht an Luther 28, 677 W. — groschenbreit, adj.:
man . . sah auch nicht ein groschenbreites scheibchen
29*
455 GROSCHENBROT - GROSGHENWURST
GROSCHENZmS - GRÖSCHNER
456
von dem blauen himinel Rosegger I 12, 187. — gro-
schenbrot, 7i..- ein schwarzes groschenbrot Leipziger
avanturieur i, 28; holt euch ein groschenbrod Holtei
erzähl, sehr. 16, 4; redensart: da/u hat ein herz gehört,
so grosz wie ein groschenbrodt Gottsched deutsche
schaub. e, 395, d. h. ein tapferes herz; vgl. ScH rader
dtsch.frz. ivb. 1, 575; Campe. — groschenfrau, /., 176-
mietefes Idageiceib bei leichenbegängnissen Amaranthes
frauenz. lex. 604. — groschengärtner, m., bezeichming
eines Meinen darf süssen: scheffel-, groschen- und dresch-
gärtner sind für diesmal exempt(von der contribution) acta
publ., verhandl. d. schles. fürste7i u. stände 6, 313. —
groschengeld, n., als bezeichnung einer abgäbe LORi
baier. bergrecht 490*". — groschengrosz, adj.: der
naseweise laprifolium kommt schon mit groschengroszen
blättern Bismargk br. an s. braut xi. gattin 258;
erste dicke, groschenKrosze
tropfen klatschen auf uns nieder
D. V. LiLIENCRON 8, 151.
— groschen gut, n.: (die bauerngüter haben ihre be-
nennungen) teils von dem handlone, der lehnwaare,
wovon die ehrschäzige guter . . die mut-, lasz-, groschen-
güter . . den namen füren Estor der Teutschen rechts-
gelahrtheit 3, 835; vgl. Besold thes. pract. 2, 250''. —
groschenhure, /., puttanaccia di due bezzi Kramer
teutschital. i, li^'-\ — groschenjunge, m.; Dickens,
der sich gleichsam vom litterarischen 'groschenjungen'
zu einer Weltbedeutung heraufgearbeitet hatte 0. Ro-
QUETTE siebzig jähre 1, 259. — groschenkabinett,
«., münzsammlung Krünitz 20, 125; im 18. jh. des 'öfteren
auch als titel numismatischer nrrkr, z. b. 'neueröffnetes
groschenkabinet' von Joachim (i749jf.); vgl. groschen
II 4. — groschenkraut, n., alplatiich, homogyne al-
pina HoLi, 136 •*; vgl. gröschelkraut unter gröschlein. —
groschenlaib, m.: jene madame . . hat ölfters kein
groschen- laibl bei dem brodsitzer zu bezahlen J. V.
Neineu tändlmarckt (1734) 16; Unger-Khull 309*^ {ältere
spr.). — groschenlicht, n., sprichwörtlich: mancher
sucht einen pfennig und verbrennt dabei ein groschen-
licht Binder 152; groschenlichterchen Holtei erzähl.
sehr. 22,16. — groschenpflaster, n., Abr.aSt. Clara
etwas für alle l, 683. — groschenrund, adj.: er . .
hat ein groschenrundes glatzlein auf dem haupte Ro-
segger II 1, 160. — groschenschlag, m.: der hohe-
meister hette vor einem jähr lassen muntz machen auf
groschenschlag von silber Grünau j^^-ettsi. cÄro«. 2, 516.
— groschensiech, adj., geldgierig Fischer schiväb.
3, 802. — groschenstrafe, /., als eine griqjpe der
in den sünften üblichen Convention aistrafen gejiannt bei
CnoMEL öcon. lex. 2, 99. — grosclienstück, n.: war-
um bis in das jähr 1699 kein . . einfaches groschen-
stück vorkomme allg. dtsche Uli. anh. zu 37 — 52, 1601 ;
eine ungeheure krawatte, wogegen herrn studiosus
Würgers ein groschenstück war W. Hauff 2, 46; ge-
wohnlich als bicomposituvi mit einem zahlwort: zwey-,
vier-, sechs-, acht-, zwölfgroschenstück Krünitz 20, 117;
vier-, acht-, sechzehngroschenstück Stieler 709; vgl.
Frisch (1741) 376"; dasz nicht zwey- vor vier-groschen-
stücken (mit eingezählt werden) J. G. Schmidt rocken-
philos. 1, 13; die 24 groschenstücke acta publ., verhandl.
d. schles. fürsten u. stände 5, 182; fünfgroschenstück
V. A. Huber concordia (i849) 121. — gros chenthea-
ter, n.: auch ein groschen- und ein kreuzertheater
befanden sich in der ältesten zeit in Wien J. F. Ca-
stelli memoiren 1, 277. — groschenware, /.; um
eine glasvase . . war allerlei kleine groschenware . .
zierlich aufgebaut J.Schlaf «ommerfod 15. — groschen-
weib, H., was groschenfrau Amaranthes ymt<e?i^. Zea\
1247; Chomel öcon. lex. 4, 1364. — groschenwein, m.,
billiger wein Fischer schwäb. 3, 852. — groschen-
weise, adv.: wie sauer ein thaler wird, wenn man
ihn groschenweise verdienen will Göthe 9, 134 W. —
groschen werth, m..- hat Philander etwa 100 groschen-
werth Übels an euch gethan Schupp sehr. 816; vgl.
pfennigwerth. — groschenwurst, /., billige icurst
Fischer schwäb. 3, 852; der pudel stiehlt sich . . eine
groschen-wurst Hebbel w. 8, 252; erquickt man sich an
den berühmten Nördlinger brat- oder geräucherten
groschenwürsten Melgh. Meyr erzähl, a. d. Ries l, 52.
— groschenzins, m.: von geheis wegen dieses land-
graffen wandelten wir unsere groschenzinse in gold und
lötig Silber stadtrecht v. Eisenach 37.
GRÖSCHLEIN, GRÖSCHEL, demin. zu groschen.
1) Scheidemünze, die in jüngerer zeit besonders in
Schlesien und Böhmen unter dem, nam,en gröschel im
Umlauf war; ihr werth belief sich seit dem 18. jh. auf
den fünften theil eines guten groschens, auf den vierten
eines kaisergroschens (= 3 kreuzer). also = ^/^ kreuzer:
gröschel quadrans trigesimae imperialis in Silesia par-
tis Apinus gloss. nov. 255; ähnlich Steinbach 1, 645;
zur Sache vgl. besonders Krünitz 20, 111; Weilmeyr
1, 248; Halke 119; synonym ist fledermaus, «. rf. 4; in
älterer zeit hat der name in weiteren gebieten gegolten,
anscheinend auch münzen mit stärkeren werthunterschieden
umfaszt: hat solchs gröschlin sieben pfenige gegolten
S. Hüttel chron. d. stadt Trautenau 231 ; 'gröschlein, eine
für Obersachsen und den fränk. kreis von kaiser Karl V.
1551 angeordnete münze, deren 84 = 60 kr.' Weilmeyr
1, 248; vgl. ScHMELLER I, 1015; goslarische Vierpfennig-
stücke hieszen gröschlein Frisch (i74i) 875*^; ein Wallisser
klein gröschlein neu müntzbuch {München 1597) 72* ; Saltz-
burger gröschlein ¥ibcha.kt geschichtklitt.i^^ndr.; gröschl
= sibner (7 schwarze Pfennige geltend) Schmeller i,
1014;
wer ausplieb, junger oder gsel,
zw pus ain t'röschlein geben sei
H. Sachs 23, 70 K.-G. ;
alles klein geld und dreyer {ist rar) . .
die gröschlein hat der geyer
AüELE V. Lilienüerg künstl. unordn. 3, 310;
als ich ihm für seine mühewaltung etliche gröschlein
reichen wollte Steub wander. im bayr. gebirge 18i; ein
bayrisches gröschel wollte ich geben, . . wenn ich
wüszte Rosegger I ö, 95; vor allem weisen die belege ins
schles., und je später je häufiger: die eingeschmelzete
böse gröschlein acta publ., verhandl. d. schles. fürsten
u. stände 4, 249; vgl. 5, 302 u. ö.; abends mit i. f g. um
ein gröschel gespielet Schweinichen denkwürd. 455;
ihr schlesisches geld, böhmen und gröschel G. Freytag
13, 4; ich bin doch bekannt bei den leuten, wie a beese
greschel G. Hauptmann weber (1892) 99; auch in allge-
meinerem sinn, ähnlich groschen 6 b: sie werden die
paar gröschel zeitig genug brauchen! Holtei erzähl,
sehr. 25, 220.
2) erst in jüngerer zeit gelegentlich auch begrifflieh
= groschen, also loie gröschchen («. d.):
silbern seh' ichs heute glasten
in dem braunen kupfermeer . . .
gröschlein, ei wo stammst du her?
G. Schwab ged. (1851) 147;
der eine hat sich aufgespart
ein gröschlein in der taschen
RüCKERT 2, m.
zu 1 ableitungen wie zweigröschler zweigröschelstück
Sanders l, 680^; sechsgröschler acta publ., ver-
handl. d. schles. fürsten u. stände 4, 129, noch im 19. jh.
gebräuchlich; und compositionen wie gröschelbrot,
-Semmel Bernd Posew 88; gröschleindrucker, der
gröschleinliteratur herstellt {vgl. oben groschenfibel u.
dgl.): dieweil mich beyd die gestirngeltpracticher und
gröschlintrucker erbarmeten Fischart groszm. (1607)
vorr. 2*; gröschelkraut, tussilago alpina, alpenhuf
lattich Schkuhr botan. handb. 3, 84; Holl 136^; so ge-
nannt nach der form, seiner runden blätter; gröschlin-
kraut Pritzel-Jessen 188 {schles.); gröschelkräutig ebd.;
viT/i. groschenkraut; gröschelweise: wer den brandte-
wein mit einander kaufft, der thut besser, als wenn
ers gröschel-weise holen last Chr. Weise curieuser
körbelmacher (1706) 60.
GRÖSCHNER, m., grosso, pezzo d'un grosso Kramer
teutschital. l, 568"^; aber wirklich geläufig wohl nur in
Verbindungen wie zwey-, drey-, viergröschner Stieler
709; 6-gröschner acta publ., verhandl. d. schles. fürsten
u. stände 4, 129; nach Krünitz 20, 117 oberdeutsch.
457
GROSZ I A 1. 2
GROSZ I A 2
458
GROSZ, adj.
herkunft und form.
das adj. ist rein westgerm.: ahd. groz, cröz, usächs.
gröt, mnl. groot, afries. grät, ags. gröat. die vorform
germ. *grauta- ist mit hoher Wahrscheinlichkeit etymo-
logisch zu germ. greuta-, ahd. grioz zu stellen; derselbe
vocul in anord. grautr brei, vgl. HolthaüSen anz. f.
d. alt. 20, 234; grundbedetitung also 'grobkörnig'; atif sie
ffihrt die bedeutungsgeschichte des ags. wortes: grSat
urspr. von hagel und salz, erst seit dem 12. jh. in all-
gemeinerem gebrauch, s. Kluge dtsche sprachgesch. 194;
auf sie führt auch die entvncklungsgeschichte des deut-
schen adj., nur dasz das tempu der entwicklung hier
schneller war als im ags. die schriftsprachliche form
ist sehr fest: im älteren nhd. vereinzelt grusz geschrie-
ben: grusz wustinunge Diefenbagh 225'' «. v. Fharan;
vgl. mit . . grossem flysse N. v. Wyle trunslat. 10, 6
Keller; etwas öfter mit einem unechten umlaut: grosz,
groesz vastus Diefenbagh 607 S aus grossem zorn Lu-
ther 18, 231 W.; ein grossen teil Zwingli v. ßeiheit
d. sp. 1 ndr.; im, Superlativ ivird die form, gröszeste
noch ende des 18. jha. von grammatikem gefordert oder
zugelassen, vgl. Voigtel wb. 2, 135 '^; H. Braun wb. 126»;
sie wird noch spät im 19. jh. gelegentlich geschrieben : es
wäre der gröszeste fehler Bismarck ged. u. erinn. l,
123 volkaausg.
bedeutung und gebrauch.
nach dem obigen etymologischen ansatz tcird es be-
greiflich scheinen, wenn grosz in bedeutung und Verwen-
dung starke berührungen mit grob aufweist, mir dasz
bei diesem adj. der maszbegriff nur partielle bedeutung
gewann, während er das adj. grosz von anfang an in
der ganzen breite seines gebrauchs beherrscht, ohne dasz
noch Vorstufen der quantitativen bedeutung erkennbar
wären, wie etwa bei klein, dies adj. stellt in den aller-
meisten fällen den gegensatz zu grosz dar, wie denn
nach Hildebrands treffender bemerkung (<ä. 5, 1090) beide
adjectiva sich an einander entwickelt haben; auch die ab-
lösung von michel durch grosz hängt mit der von lützel
durch klein innerlich zusammen; sie ist ende des ib. jhs.,
abgesehen vom alem., ziemlich abgeschlossen gewesen; bald
danach, im iG.jh., steht grosz auf der höhe seiner aus-
dehnung, um in den folgenden Jahrhunderten wieder an
boden zu verlieren; s. u. A; B i a. ß, l c n. 2. 3. 4 b; D
1 b. c. d ; F 1 c ()'.
I. adjectivisch.
A. Vorstufen der hatiptbedeutung .
1) das genetisch älteste steckt in der bedeutung 'grob-
körnig' {vgl. grob B i a): grosz kleyen farrago Diefen-
bagh 226"; grosz melb Tengli.r laiensp. (1544) 22»; gros
oder grob sand arena crassior Bas. Faber thes. 705*;
dorsum ein kleiner bühel, von griess oder grossem sand
gesammlet Frisius nach Staub -Tobler 2, 801; ent-
sprechend grob D 1 auch von flüssigkeiten als 'dicktJiei-
Hg': 4 tonnen grosis öls Marienb. tresslerbuch 127, 6 Joa-
chim [gegensatz: 2 tonnen kleynis ölis); diu milch swar-
zer schal ist pezzer und groezer wan an den weizen
KoNR. V. Megenberg buch d. natur 155, 16; entsprechend
grob D 2 auch von der luft: pingues aurae grosser oder
dicker lufft Frisius dict. 143".
2) aus 1 läszt sich die bedeutung 'dick' herleiten; vgl.
nieder die parallele von grob (s. d. B l b), die in ein-
zelnem bis in die neuere ma. zu verfolgen ist: grosz hören
.otark taub sein i. S. Vater proben dtsch. volksmaa. 43
(a«* Unterkärnten) ; vgl. Schmeller i, 1013, tvie grob
hören sp. 402; vgl. groszhörig.
a) im mhd. die vorherrschende bedeutung, die noch in
älteren nhd. glossaren kräftig hervortritt: crassus dick,
grosz, mastig, feiszt Frisivs dict. 3M^; praecrassus gar
dick und grosz Calepin xi ling. 1127";
so ist abir der grozzist undir in (dem fingern) der nutz-
zist,
ich meine den dorne Milst. genesis 5, 29;
später icird der gröszte finger zum längsten, mittelßnger,
sl u. B 1 f;
wand er (der fisch) was lanc unde gröz
Hartm. V. Aue Greg. 3285 ;
diu sper wären kurz unt gr6z 2123;
vgl. ein armgrozez sper unter dick anfang, th. 2, 1078;
daz niht der vaden würde gröz
KoNR. V. Würzburg troj. 15 876,
und entsprechend von einem grobfädigen geivand:
ir hemde was ein sactuoch
gezerret, swarz unde grÖz
Ru. -1929
{vgl. grob C 2 b) ; von ayner grossen oder dicken saytten
bezogen Virdung musica gelutscht i s^; wen wier die
grossen strik oder sunst seil machten Platter 53 Boos;
ein grosz seil una corda grossa Kramer teutach-ital.
1, 568'';
er thut so gwaltiglichen liegen,
das sich die grossen balcken biegen
Eyering proverb. 2, 57 ;
wenne daz ai volpräht ist, so kümt daz groezer tail 6
ze land 'das dickere ende' Konr. v. Megenberg buch
d. natur 195, 13; vgl. thue es {das ei) am grossen ort
auff Gäbelkover arzneib. l, 298; gravigena . . der grosz
wangen hat Diefenbagh 269''; bliesz die backen so
grosz auf, dasz Weise erznarren 118 ndr.; mammosus
mit grossen dutten oder brüsten Calepin xi ling. 861'';
namentlich vom dicken bauch: corpulentus leibächtig,
grosz von leib 339 *' ; so daz wip ze groz wirt ztcei dtsche
arzneibücher 24, 27 Pfeiffer; das der saw der pauch nit
zu gross wurd Luther 7, 271 W.; so bis in die neuere
ma.: groszer leib kommt netvon kleinen linsen Fischer
Schwab. 3, 856 ; feste Verbindungen :
herr apt, ir sind gar gross und feiss
N. Manuel i ßäeht. ,•
darumb das dye seel davon . . gros und feth wirt Lu-
ther 2, 111 W.; von geschioollenen gliedern: {ein bruder)
der eyne zuswollene grose band hatte Marienb. tress-
lerb. 105, 9 Joachim; ganz stereotyp in fällen wie:
der schlangen bald in zorens quäl
zur räch ir halsz grosz auffgeschwal
H. Sachs 9, 164 K. ;
{sie) funden den könig an einem bett ligen, grosz ge-
schwollen und ohnmächtig buch der liebe (1587) 267^;
entsprechend schon ahd. crozza tum.idas {papiUas) Grapp
4, 336.
b) so in mannigfachen Wendungen bis in die netteste
zeit von schwangeren (vgl. grob B 1 b) : wen si was groz
alse ze keminaten solte gan Lueidar. 45, 12 Heidlauf;
da war die Feronica so gross, daz der hertzog mainet,
es möcht ir ein seh ad widerfaren Sghumann nacht-
büchl. 162 Bolie; vgl. unde machte sich grosz mit cl ei-
dern unde sprach, sie trüge eyn kynt J. Rothe thür.
chron. 67 Lil.; die gyngk grosz unde was nahe das sie
geligen sulde 200; so noch heute: grosz gen schwanger
gehn Schmeller 1, 1013; adverbiell:
ein wolf ze einer liwen sprach,
do er si gröze tragen sacn
Boner 28, 3 ;
ebenfalls bis lieute: ti khuu treict krous Lenz Hand-
schuhsh. dial. 29''; gross tragend trächtig Staub-Tobler
2, 803; mein liebe liausfraw Elisabet was grosze ains
kinds städtechron. 5, 137; die künigin . ., die gros kin-
des ging 8, 444; sein hawsfraw gieng auch grosz mit
aim kind quellen z. gesch. d. bauernkriegs 2, 361 Bau-
mann; grosz mit üeisch. gravida, Diefenbagh 269''; die
mit eim kind gadt oder grosz zum kind ist Frisius
dict. 1040»; vgl. wo-n-i zum eltesten buch bin grosses
g'sin Staub-Tobler 2, 803;
do er (Joseph) kam und die maget (Maria) sach
gross an dem lip
gedieht v. Johannes d. tauf er 1149 Adrian;
dasz Sara grosses leibs worden Abraham a St. Clara
etwas f. alle 2, 20; Ciboria, als sie grosz leibs gangen
mit dem Juda Judas 1, l ; zum compositum verschmolzen :
werend sie mit Henrico groszleibs war F. A. v. Bran-
Dis d. tirol. adlers ehrenkräntzel lOl ; 7iicht selten tau-
tologisch: das sich die jungkfraw on ir wissen grosz
459
GROSZ I B 1
GROSZ I B 1
460
und schwanger fand Arigo decam. (l535) 120*'; unan-
gesähen dasz sie grosz und schwanger war Stumpf
Schwytzerchron. 219*; diese formel sieht deutlich in be-
Ziehungen zu der ebenfalls gerade im alem. häufigen
Wendung grosz schwanger, in der sonach das adv. von
haus aus ganz concret als 'dick', nicht rein steigernd
als 'sehr' {s. u. D 3 a) zu verstehest sein tvird: (sie) do
eyns kindes grosz schwanger was Arigo decam. 602 lit.
ver.; het er sein weih grosz schwanger hinder im ge-
lassen Wickram 2, 172 lit. ver.; doch zuweilen auch deut-
lich als Steigerung, wie hochschwanger, empfunden:
mit sehr und gross schwangerem leyb
H. Sachs 2, 12 K. ;
weitere belege unter schwanger 1 f, th. 9, 9284 ; vgl. auch
grob schwanger unter grob B 2 a.
B. hawptbedeutung : grosz als maszbegriff, zur bezeich-
nung von ausdehnung und menge.
l) in anwendung auf ein concretes ausgedehntes.
a) die vorausliegende bedeutung 'dich' führt zunächst
natürlich zu einem masz für körperliche dinge (vgl. die
analoge entwicklung von grob, B 1 c) ; thatsächlich ist der
begriff des raummaszes als der eigentliche und ursprüng-
liche des adj. deutlich tcahrzunehmen und als solcher
noch heute spürbar: ein groszer bäum ist nicht, wie
Adelung ivill, ein hoher, sondern einer, der mit der
höhe eine umfängliche kröne verbindet; vgl. dero palmon,
diu der nidana smal unte rüch ist unte ab obana gröz
unte scöne ist Williram 121, 6; mit eyme grosen harte
Marienb. tresslerb. 253, 29 Joachim läszt noch heute m,ehr
an einen starken als an einen langen denken u. s. f. ,
erst auf dieser stufe tritt der gegensatz zu klein i»!
seine vollen rechte, mag es sich um eine relative masz-
angäbe handeln, so dasz ein anderes ding gleicher gat-
tung als vergleichsobject vorschwebt, oder um, eine abso-
lute, wo ein vergleichsobject anderer gattung zu suchen
ist; dieser fall der seltenere, etwa: unmet grot {vom ol-
bundeo gesagt) Hei. 8299; der grosse walfisch Luther
10, 1, 1, 624 W.
a) so, als masz räumlich ausgedehnter dinge, in un-
endlich mannigfaltigem gebrauch, von lebendem und totem,
z. b. einen eher grözen Nib. 88i, l; prägnant: praesepe
ein stall für die grossen thier, viechstall Calepin xi
ling. 1140*; blocken . . wird meistentheils dem grossen
viehe zugeschrieben Gueintz rechtschreib. 42; sprich-
wörtlich {mit anspielung auf die bedeutung F 1 c) : grosser
vogel grosz nest schöne weise klugreden (1548) 43*'; die
grosse fisch seynd der geringen todt h&HMANH florileg.
polit. 1, 334; thie groto sten Hei. 5804; bildlich: ist mir
ein groszer stein vom herzen Göthe IV l, 197 W.; die
grossen schollen mit dem karst zerschlahen Frisius
dict. 156"; ein grosser dreckpatz Luther 34, i, 84 W.;
das gröste stück gilt Friedr. Wilhelm sprichwörter-
reg. s 2''; bildlich: ich habe immer grosze stücke auf
ihn gehalten Eichendorf 3, 104;
auch wann du iszt, schneid grosse schnitten
Scheit Grob. 3298 ndr.;
so auch adverbial 'umfänglicher, dicker':
daz si der fürsten braten
snlden groezer baz dan e
Walth. V. D. Vogelweide 17, 15;
ein grosse garben stro H. Sachs l, 63 K.; grosz flei-
schächtige kriesen Frisius dict.'2l0^; bildlich: ein hoch-
fahrender Schlingel, der grosze rosinen im sack hat
Fontane I 6, 26; dem in groszen schweiszperlen vor
ihr stehenden I 5, 134; adverbial: fällt der schnee grosz,
breit 'in dicken flocken' W. Körte Sprichwörter 5i3; so
bis herauf zu den gröszten körpern:
Saturn ist grosz, dem äuge fem und klein
Göthb 15, 17 W. s
die gröszeren erden Klopstock öden l, 134 M.-P.; des-
gleichen von künstlich erzeugten gegenständen: groszer
hamer marcus Diefenbach 349"; en groet mes 203* *. v.
ensarius; grose laterne Marienb. tresslerb. 21,30 .Joachim;
wie grobes geschütz, stück {s. grob B i d) auch: drei
püchsenmeister mit dem grossen werck stüdtechron. a,
276; sampt dem grossen geschütz Fronsperger kriegsb.
1, 44*; anstatt der groszen stücke Voigtländer öden
u. lieder 36, 6; ein grosses schiff Arigo decam. 74, 12
lit. ver. und so schon Nib. s. 240 Z.; bey grossen Öfen
ist sich gut wermen Eyering proverb. 1, 179 mit an
spielung auf die bedeutung F i c; das her dy rothen
buchstaben hat gemachet in den grosen brefir Marienb.
tresslerb. 97, 16 Joachim; ob grosz und vil bucher machen
kunst sey LüthIer 6, 203 W.; ein groszes dickes histo-
rienbuch Caroline 1, 32 Waitz. einiges bedarf beson
derer liervorhebung :
;?) seit alters vom menschlichen körper und gewissen
theilen desselben; doch hat in manchen fällen jüngere
spräche andere adjectiva eintreten lassen: humerosus das
grosse und breite achsel hat Calepin xi ling. 661"»; pec
torosus das ein grosse und starcke brüst hat 1039'»;
zwäre ime was sin houbet
groezer danne eim üre
Iw. 431:
bildlich: wer für sich schwülstig ist, dem soll man den
köpf nicht grösser machen Lehmann florileg. polit. 1,
464;
darumb blybt er ein grobian,
das heiszt zu güttem tUtsch ein losz,
und blybendt im syn oren grosz
Murner narrenhcscMo. 41 ndr. ;
als zeichen scharfen gehörs: auritus der grosse oren hat,
oder ein gut gehör Frisius dict. 145''; deshalb: richter
sollen grosse obren und kleine hende haben Petri d.
Teutschen weiszheit 2, Rr4'*; groszer fusz in jüngerer
zeit vielfach bildlich: ein . . jüngling, der in Italien in
einem alten schlösse auf groszem fusz gelebt hat
Eichendorf 3, 91; genaueres unter fusz I A 5 a, th. i,
1, 1, 970; auch grosze band erscheint in eigenartig über-
tragenem gebrauch: er hat eine grosze band beim könig
Fischer sc/iwäb. 3, 855, wie sonst von der langen band
eines mächtigen die rede ist, s. th. 4, 2, 329 unten; vgl.
ihr seit von redlichkeyt, von grosser streitbarer hande
Fischart gefchichtklitt. 54 ndr. ,•
mit etivas anderer färbung {vgl. unten C): gutturosi die
grosse auffgeblasene kälen haben Calepin xi ling. 632'»;
dann sie hond weite grosse kehlen
Scheit Orob. 3305 ndr. ,■
Daniel . . deutet desselbigen {ungeheuers) grosses maul
Luther 80, 2, 169 W.; heute gern bildlich {vgl. F 1 g,
2 b): in dem heldenthume . . , das im volk 'das grosze
maul' genannt wird Gutzkow werke l, 143; weiteres
unter maul 7 a, th. n, 1789; auch elliptisch: die grosze
{erg. gusche, klappe) haben, hegen viel reden, prah-
lerisch, vorlaut sein Müller-Fraureuth 1, 444*; mit
anderer syntaktischer formulierung :
gröz was er zen brüsten Nib. 1672, 2 ;
lacertosus grosz oder starck von armen Calepin xi ling.
786*; superciliosus grosz von augbrawen, in einem a7i-
deren glossar: hoverdich vel grois van wymbrauwen
Diefenbach 566'^; vom ganzen menschen:
sfn junger lip wart beide michel unde gröz
Walth. v. d. Vogelweide 27, 5,
d. h. lang und stark; im selben sinne gröz gebüre star-
ker bauer Hartm. v. Aue Greg. 2791; doch auch mhd.
schon häufiger m,it der bedeutung körperlicher länge, siehe
unten c ß.
y) genauerer betrachtung bedürfen: oculi eminentes
grosse äugen nomencl. lat. germ. {Hamb. 1634) I9l; die
zierrath ihrer grossen äugen Ziegler asiat. Banise 81;
oft mit besonderer note: das kind, das die groszen, ver-
schlafenen äugen gegen die . . . frühlingssonne aufrisz
Storm 1, 48; der alte mann sah mit groszen, theilneh-
menden äugen zu ihr herüber 1, 209; ich fühlte, wie
mir die äugen grosz wurden von innerer ergriffenheit
1, 130; namentlich als ausdruck der Verwunderung: der
jud . . . machte demnach grosse äugen Happel akad.
roman 258; das grosze äuge des jungen verrieth, dasz
er den älteren nicht verstand Alexis Roland 1, 31 ; doch
461
GROSZ I B 1
GROSZ I B 1
462
auch der hestürzung: der hof macht grosze äugen wegen
der Türeken znrüstungen la carte stä adomhrata Ca-
8TEI.LI ital.teutsch 1, 18»; des zornes: und er sieht den-
jenigen mit groszen äugen an, welcher das geringste
darwider versieht J. E. Schlegel 5, I8i; der begier: die
äugen seynd immer grösser dann der bauch Lehmann
ßorileg. polit. 1, 63; junge Variante: man hätte ein gar
grosz gesicht gemacht, war es ihm im ernst beikommen
Alexis Roland l, 108; älter und häufiger: speyet dar-
umb solchem mohren ein groszen blick in sein ange-
sicht und sagte mit zorn und ungedult Kirchhof wend-
unm. 2, 254 lit. ver. ; der alte warf grosze und grimmige
blicke nach der tür Sohnrey im grünen klee 209; ein
groszer, verwundernder blick flog auf ihn Stifter l, 26
Sauer; sehr gerti mit dem {elliptisch zu verstehenden)
adv., und zwar nieder mit stark schicankender bedeu-
tung: ich sah ihn grosz an, wuszte mich aber seiner
nicht zu erinnern Eichendorf 3, 37; zornig: I^eonore
(sieht ihn grosz an) Schiller 3, 47 0.; Rose — starrt
Flamm grosz und entsetzt an G. Hauptmann Base
Bernd (1904) 125; sie sah mich einen moment grosz an,
als ob sie über eine wahrhaftige antwort nachdenke
L. V. Francois Reckenburg. (1904) 304;
0 ! und sie im frommen silberhaare, . .
die so grosz zurückblickt auf so viele schöne jähre
Hölderlin 1, 41 Litzm.
d) ein ähnliches schwanken zeigt die alte wendung das
herz ist (wird) grosz, wo sie dem ausdruck von em.pfin-
dungen dienen soll; die bedeutung des adj. vergleicht sich
hier mit A 2 a schlusz 'geschwollen' ; vgl. die parallele Wen-
dung das herz schwillt th. 9, 2498; zumeist als ausdruck
des muthes, der tapferkeit:
min herze ist grOz unt wart nie swach,
daz ez getorstc ernenden
alsolhe swsere minneB. 1,81» r. d. Hagen;
das wort soll mir mein hertz gros machen, ja grosser
denn himel und erde Luther 32, 336 W.; klein leut,
grosse hertzen See. Franck »prichtc. i, 121^; des zor-
nes: Rengnold verstuond die ungeschickten reden wol,
so man über inn sagt; darumm er das hertz so grosz
hatt das Haimonskinder 84, 32 Bachmann; der rührung:
do sy Ruolland gsach, do ward im daz hertz so grosz,
das er nut reden mocht Morgant 202, 24 Bachmann; in
welcher rede ihm das wasser in die äugen schoss und
das herz fast gross ward Staub -Tobler 2, 805 aus
Vadian; der freude: Ruolland hat das hertz so grosz,
darumm daz inn Rengnold gfelt hat Haimonskinder 155,
29 Bachmann; vgl. noch spät:
ihm wird das herz in freuden grosz
wohl ob dem lieben kränzel
E. M. Arndt 5, 13 R.-M. ;
nicht selten auch als ausdruck der betrübnis: einem das
herz grosz machen in sollicitudinem adducere Staub-
Tobler 2,805 {quelle v. 1683); belege unter herz I 4 b,
th. 4, 2, 1212/'. ,• t)ariiert: mach mir itzt den köpf nicht
so grosz Staub-Tobler a. a. o.; die wordt syndt ausz
grossem, tiffem herczen gegangen 'schtcerem' Luther
34, 1, 191 W.; jünger: sein herz wurde grosz bis zur an-
dacht Jean Paul sämtl. w. l (i826) 165, wo freilich die
bedeutung F 1 f schon stark mitklingt; auf anderer linie
liegt ein groszes (edles) herz, *. u. F l e f^
e) auch bei gewässern in einem gebrauch, der dem von
ä entspricht: umb des (sturmes) willen sich daz mere
ser betrübet und grosse ward 'schwoll an' Arigo decam.
75 lit. ver.; ward die Limagd so gross, dass si zu Zü-
rich über beid brücken gieng Tschudi chron. helvet. l,
369*; grosse wasser, grosse kriege inundationes sequun-
tur magna bella PiSTORius thes. par'öm. 459; das was-
ser war grosz heute früh und das floszholz hätte fast
die brücke weggerissen Göthe IV 4, 209 W.; einen an-
deren gebrauch s. u. b «.
0 eine besondere färbe gewinnt die bedeutung öfter
neben gewissen begriffen, bei denen das adj. nicht so sehr
das masz des concreten dinges als vielmehr das volumen
seines raumgehalts bestimmen soll: grosse gläser aus-
sauffen Kramer teutschital. 2, iSi" ; auch elliptisch: es
grosses most ein groszes glas most Staub-Tobler 2,
805; einen groszen korb voll schmutziger wasche Ger-
stenberg schlesw. litbr. 145 lit. denkm.; man machet
grosse gruben Arigo decam. l lit. ver.; und her wiset
üch ein groz müshüs bestrowit Beheim evang. buch,
Marc. 14, 15; die gewölbte flurhalle, grosz und geräu-
mig, trotz der eichenschränke Fontane I l, 26; was
unten der hausraum zu grosz war 0. Ludwig 2, 306;
ähnlich auch: das kleid ist ihm zu grosz vestis Uli
enormis est Steinbach l, 646.
b) deutlich eine jüngere stufe der bedeutungsentvnck-
lung stellt die heute sehr lebendige anwendung auf flä-
chen dar; erst seit dem nhd. in schwang: amplus weit,
breit, grosz Calepin xi ling. 82*; gros und weit am-
plus Henisch 1750; ältere spräche hat breit oder wit.
et) von landflächen: ein grosser anger vel burcz garten
viridarium Diefenbach nov. gloss. SSB'-''; ein groszer
garten Steffens tvas ich erlebte i, 53; ein groszer platz
magnus locus Steinbach l, 646; durch diese grosse
wüsten 5. Mos. 2, 7; die selbig kilch . . . sucht nit . . .
grosz land und lüt under sich ze drucken Zwing li
dtsche sehr. 1, 140;
so schien auch dir dein land schon in noch früher jugend,
wie grosz es war, zu eng v. König ged. 3 ;
ein weiser thätiger könig eines groszen groszen reiches
Lessing 13, 93 M.; aber in der landschafft desz grossen
Teutschlands, welche Westfahlen genandt Bech Ägri-
colas bergwerck buch 218; als die weit wirtschaftlich im-
mer groszer wurde Riehl dtsche arbeit 42; ähnlich von
Wasserflächen: kamen an ein grosz tief wasser Pauli
schimpf u. ernst 70 lit. ver.; procella ein Sturmwind,
sonderlich auff grossen wassern Calepin xi ling. 1158»;
kein groszer wasser als die Thur {hatte ich bisher ge-
sehen) ü. Bräker sehr. 1, 94; den gröszten husen des
oceans Mommsen röm. gesch.* i, S; besonders {und hier
wenigstens manchmal gefärbt nach F 2 a ;8) :
der lisch unzäblich heerde
im grossen, wilden meer
P. Gerhardt bei Fischer-TCmpel 3,352»;
diese wendung auch appellativ, s. u. f ; auch mannigfach
sonst: ein grosz lynin tüch Zwingli v. freiheit d. spei-
sen 5 ndr.; in groszen Ölgemälden Kern er bilderb. i;
das grosze kupfer nach G6rard Göthe IV 42, 6 W.; da
mein . . briefpapier unerträglich durchschlägt, so will
ich mich einmal in gröszerem format vernehmen lassen
IV 41, 142; grosze löcher in den strumpfen Moltke sehr.
u. denkw. l, 128; ähnlich: rara retia die grosz mäschen
habend Frisius dict. 1156''; dami auch geradezu die
grossen jägergarn ib.; zu letzt müssen sie (die bundes-
genossen) sehen, dasz ... sie in die grosze garn zu
bringen angestellt gewesen Lehmann florileg. polit. l,
129; ein groszes licht, das den tag regiere 1. Mos. l, 16;
bis heute gern übertrageji (mit färbung der bedeutung
nacJi F 1 d) : sint . . . für gröste lichter der kunst ge-
halten worden N. v. Wyle translat. 18 lit. ver. ; genaue-
res U7iter licht II 17, th. 6, 876/'. ; zuweilen der bedeutung
'breit' nahekommend: es war aber ein grosser bach, der
lewe holet aus, sprang uberhin Luther 26, 549 W.;
und geh allzeit den grösten weg,
zur tugent geht ein schmaler sieg
Scheit Grob. 1352 ndr.
li) abgesondert sei die mannigfache anwendung auf
buchstaben, schrift u. ä. : grosz geschrift im Wechsel mit
grof scrift Diefenbach 205** s. v. epituphium; bildlich:
(das btich) darynn ich doch . . mit grossen buchstaben
habe verzeichent, wozu ich antwort begerd d. h. 'aufs
deutlichste' Luther 26, 261 W.; das wort nachahmung
mag klein oder grosz gedruckt werden 'fett' Dusch
verm. krit. u. satt/r. sehr, a 4''; anders: mit der groszen
und etwas unleserlichen handschrift Carls V. Ranke
sämtl. werke'^ 3, viii; miniatus liber da die grossen
buchstaben mit rotther dinthen geferbt seindt Er. Al-
berus dict. 19''; zum unterschiede eines grossen I
Gueintz 7-echtschreib. 14; wan er . . wol gar das grose
D. zuwegen bringt den doctortitel Rompler v. Löwen-
463
GROSZ I B 1
GROSZ I B 1
Wi
HALT erstes gebüsch vorr. 8"; adverbial: grot, grof scri-
ven ingrossare Diefenbach 298"; heute änderte: mit
groszem anfangsbuchstaben schreiben; ist . . ain unver-
sigloter brieffbogen, grosz überschriben, . . . gefunden
worden städtechron. 23, 354; redensart: groot anschreven
wesen bi enem, groot an't bred wesen gut angeschrieben
sein, brem.nieders. wb. 2, 549; sie stehen bei dem manne
grosz angesehrieben G. Hauptmann biberpelz (1893) 75.
c) zur bezeichnung linearer ausdehnung: procerus hoch,
lang und grosz Calepin xi ling. 1158»; dieser gebrauch
erscheint auch im ahd. und mhd. schon; doch ist viel-
fach fühlbar, nie sich der Vorstellung der lüngenaus-
dehnung die ältere de.s- räumlichen umfanges beimengt.
a) stangün gröza Otfr. IV 16, 21, d. i. eine lange und
zugleich starke stange; genau so noch heute: frau Dörr
strickte mit groszen holznadeln an einer . . wolljacke
Fontane I 5, 185; mit einem grossen stecken Arigo
decam. 259 lit. ver.; deshalb in älterer spräche gern von
bergen, ivo hezite hoch gebräuchlich ist: eyn grosz berch
Diefenbach 226'' s. v. Phartis; grosse berge Jes. 30, 26;
bildlich: sie bilden sich . . rechte grosze berge von sich
selbst ein Gottsched dtsche sehaub. i,325; adverbial:
weil unser land bürgig und grosz über die erden er-
hoben Guarinoniüs greuel d. veruüst. 765; überhaupt
ist dies grosz heute in mancherlei uendtmgen durch an-
dere adjectiva ersetzt: das weiter schlegt nur in grosse
thürn schöne weise klugreden 151^;
(dc7- Hmidel) thät gros wällen da auftreiben
Fisciiart glückh. schiff v. 534 mir. ;
nur mundartlich noch: 's grosz holz hoher waldbestand
Staub-Tobi.er 2, 804; die schatten werden gros Jer. 6, *;
wann der schatten am grösten ist, so geht die sonn
bald unter Lehmann florileg. polit. i, 175.
ß) so sehr häufig von körperlicher grösze: der gröze
rise Iw. 4915 und oft im mhd. ,- friss du grosser riesse
Luther 7, 678 W.; der (säme) macht ainen grözen men-
schen über gemain laut übernormalgrosz Konr. von
Megenberg bxich d. natnr im; dasz übermäszig groszen
Individuen etwas an geist abgehe Göthe II 8, 41 W.;
die ehemahlige grosze garde in Potzdam Adelung; bis
in die neueste zeit gern in paarungen , die ein nach-
klingen der ursprünglicheren bedeutung des adj. spüren
lassen :
jrrosz und statlicb bist du von ansehn
J. H. S'^oss Odysseen Bern.;
eine heerde buhen . . ., alle grosz und stark, wie die
jungen esel maler Müller i, 140; aber auch: grosz
und hager Kortum Jobsiade l, 7; grosz und schlank
Fontane I 5, 149; so hätte man im m,hd. kaum schon
sagen können; mit gen.:
diz was ein mau erlich gestalt,
des llbes grOz und darzü alt
ode ich entsitze ein getwerc
harter dan iuweni grözen Ifp
{von efvem rieseii)
pas». K. 42, 60;
Iw. 5011;
auch dies bis ins nhd. : warumb hastu diesem ein gros-
sen leib geben und mir einen klein? Luther 19, 497 W.
Y) aus ß ßieszen verschiedene forme7i abgeleiteten, z. th.
ins uneigentliche übergehenden gebrauches; grosz heiszt
'erwachsen': so habe ich eine gröze tochter di ist blint
myst. 1, 90 Pf.;
schämend üch, dass ein kind me kan
denn ir all, gross, gstanden man!
N. Manuel 191 Bäckt.;
wenn zuweilen kinder oder auch grosze erwachsene
leute hinfällig . . sind J. G. Schmidt rockenphilos. i, 7;
von kindern 'herangewachsen, nicht mehr in den ersten
"'akren stehend': grosse kinder werden schwärlich zü-
entwänen sein Fischart groszm. i ndr.; grosse kinder,
grosse sorge Lehm AifN ßorileg. polit. i, i9i; daher auch:
gross schul die oberklasse einer zweiklassigen .schule
Follmann 218"; Müller-Fraureuth l, 444*;
dft bist dem be.smen leider alze groz,
den swerten alze kleine
WaLTIL V. D. VOGELWBIDK 101, 25;
sy war vor sechs jaren grosz genug gewesen zum hei-
rathen Fortunaius 55 ndr.; neuerdings öfter spielend:
im nu drängten sich über 20 männer und weiber . .
um uns herum, und ich hatte mühe, die groszen kin-
der zu befriedigen Hassert reise d. Montenegro 36; von
mehreren kindern ist das gröszere das ältere (selbst wenn
es an körperlicher grösze hinter dem jüngeren zurück-
steht); schon in älterer spräche durchaus gewöhnlich: da
Isaac alt war worden, . . rief er Esau seinem grössern
son 1. Mos. 27, i; und hub am grossesten an bis auff
den jüngsten 44, 12; etliche kinder . ., under den das
groste pey acht jaren alt was Arigo decam. 131 lit. ver. ,■
ebens'O in heutiger Umgangssprache : der grosze bruder,
die grosze Schwester die älteren Albrecht Leipz. 126*
und sonst; mit gen.:
daz er der järe wser s6 gröz,
daz er wa^r von reht dem pistuom woi genoz
Lohengr. .3228;
vgl.
da er nun zu gröszern jähren gekommen,
ward er aus der deutscnen schule genommen
Kortum Jobsiade 1,
grosz werden kann eigentlich verstanden werden: 'wie
grosz du geworden bist', sagte er Storm l, 18; häufiger
im .<nnne 'heranwachsen':
auff der mutter schosz
werden die kinder grosz
Lehmann florileg. polit. 1, 190;
wenn sie grosz würden, so würde sich der verstand
schon Gnden Chr. Reuter ehrl. frau zu Plissine 29
ndr.; nicht nur von menschen: dann lassen sie die
stamme wachsen und grosz werden Göthe 24, 4 W.;
freiheit ists, worin alles gute gedeihet und grosz wird
Küetsghmann 1,18; gelegentlich auch: so wuchs ich
grosz 1, 51; mit präpo.sitionen : dasz ich mit den poch-
jungen grosz geworden bin Göthe 24, 53 W.; sie war
in bürokratischen und liofkreisen grosz geworden Bls
MARCK ged. u. erinn. l, S3 volksausg. ; die Verhältnisse,,
unter welchen ich grosz wurde Steffens was ich er-
lebte 1, 170; ähnlich grosz ziehen 'aufziehen': ihr habt
mich wie einen bauren grosz gezogen Shakespeare 4,
159; (ein schäfer, der) lämmer grosz zog Tieck sehr. 4,
338; die gurken, melonen und kiirbisse weisz mein
gärtner ebenfalls grosz zu ziehen d. Leipziger avantu-
rieur 2, 165; Ursus . . wurde von einer bärin grosz ge-
macht Tieck .^chr. 1, 148, dies eine nd. formel: h6 hed
mi gröt mäkd aufgezogen Doornkaat-Koolman i, 697»;
dasz ihn die mutter mit eigener milch grosz säugte
Wackenroder herzenserg. 204, auch dies häufiger.
()') 'lang, weit' als abstractes entfernung.9masz : du ha.sl
einen grossen weg für dir l. kön. 19, 7; grosze tagreisen
grosse giornate Kramer teutsch.-itaL.l, 568 •'; ein pferd,
so . . ein grosse reisz gethan Lehmann florileg. polit.
1, 86; proferre pas.sus proceros weyt oder grosse schritt
thim Frisius dict. 955''; leicht und kurtz angekleidet
gieng sie mit groszen schritten Ramler einleit. in die
schön, 'wissensch. 1, 293; übertragen: da haben sie schon
einen groszen schritt aus der weit getahn Göthe IV i,
186 W.; der einn grossen sprung wil thün, geht hirtder
sich schöne weise klugreden 107''; der ziehhund ... in
groszen sätzen nach Fontane I 5, 125; dieser abstracte
gebrauch .scheint er.^t im nhd. aufzukommen; in fäUen
wie
einen schuz he dö schOz
der was s6 freislichen greOz
daz
EiLiiART V. Oberg Trist. 7800, vgl. 7821
dürfte eher 'gewaltig, .stark' als 'weit' gemeint sein, ». ü.
D 1 d. "
d) die formel grosz und breit musz tirsprünglich rein
räumlich gemeint sein; aber frühzeitig anders: ein here
groz unde breit Graff 4, 336; vgl. 2 a; in neuerer zeit
gewöhnlich mit einem beiklang des sinnes von F2c: (ein
rittergutsbesUzer) unterschreibt sich grosz und breit mit
seinem ganzen major auszer diensten und allen kreu-
zen, deren Inhaber . . er ist Gutzkow 7i7fer v. ffei6fe
2, 353; 'hier darf nicht geraucht werden' stand grosz
465
GROSZiÖi
GROSZ I B 1
4^66
und breit in den saloppsten kellerlöchern an der wand
Gaudy 2, 123; übertragen:
das hat der Blücher grosz und breit
gezeigt in mancher Schlacht
HoFFM. V., Fai.lbrsleben gen. tr. 3, 173;
auch hier mit demselben beisinn:
des stillen glückes Seligkeiten
erzählt ihr alle grosz und breit
Strachwitz ged. 3 ;
vgl. e groszes iin breetes latschen MOller-Fraureuth
1, 44**.
e) bei conereier massangabe tritt das als masz die-
nende object in den gen.; u-ieder lassen die formelhaften
filgungen erkennen, dasz die bedeutung des rimdum,fanges
die primäre ist:
des was niht berlfn gröz an dir vergezzen
.?. Tit. 5173;
pcrlin . . , die waren einer ziemlichen nusz grosz buch
d. liebe (^1587) 190", dies die geläufigste formel; brüstlin
wol öpfel gross N. v. Wyli: translat. 52 lit. ver; aus
einer sunde, die eins mahenkornleins gros ist Luther
32, 26 W.; so bis in die neuere zeit: einer erbse grosz
LiCHTWER üsoj). fabeln 2\ \ einen Minervenkopf in to-
pas, einer starken nusz grosz Göthe *s, 75 W.; viel-
fach auch in alten recepten mit Übergang in die bedeu-
fung des mengenmaszes \s. it. 2): (i'O/i dem pulver) nim
einer nusz grosz auff einem . . weckenschnittlin Gäbel-
kover arzneib. i, 15; nemmet einer haselnusz grosz
wcisz kupfferwasser SEBiz/eWia« 74; auch bei weniger
formelhaften vergleichungeri bis ins 19. jh. geicöhnlich als
räumliches masz: bern gröz wie ein bär minnes. 2, 217^'
V. d. Hagen; stroherne schäbel eines zimlichen besens
grosz HoHBf:RG georg. cur. 2, 88''; auch in den obli-
gaten blättern ist nicht das kleinste nur einer brand-
blase grosze satyrische extravasal von ausschweifung
ersichtlich Jean Paul sämtl. werke 21 (i827), 61 ; häres
gröz eigentlich '.90 dick urie ein haar' (vgl. groszer faden
u. ü. oben A 2 a); mhd. häufig in uneigentlichem sinn,
z. b.:
ern schämte sich niht häres gröz
Wigaloig 5430;
später tcird die formel zerstört:
das/, der dieb mir nicht sol ein hUrlein gros versehren
Reinicke fuchg (1650) 59;
ebenso :
daz ich im wolde iemer stiien gröz vertragen
Lohcngr. 545,
nach RÜCKERTS anm. zur stelle ein lieblingsuusdruck
hier wie im, jg. Tit.;
die ring waren wol armes groz
I. aurin 2009 Schade v
dactylis eines lingers dick oder grosz Calepin xi ling.
368''; ist ein kleines üschlin, eines fingers grosz Herold-
Forer Gesners fi^chbuch {166S) 2*^ ; oder hier als lüngen-
maszf in der bedeutung des flächenmaszes erst seit dem
nhd. («. 0. b anfang): die sonne were nur eines tellers
grosz Schupp sehr. 523;
mit feueraugen, tellersgrosz
Bürger 24» /.'.;
keines groschens grosz Brockes ird. vergn. 6, 442; nebst
einem kleinen, etwa eines thalers groszen Stückchen
papiers Chamisso 5, 7 Hitzig; von ihren forderungen
. . . nicht nagelsgrosz nachzulassen Mörike w. 2, 102
Maync; ungewöhnlicher: eines fingerringes grosz Rük-
KERT w. 4, 29; eines nadelöhrs grosz 4, 29; auch als
längenmasz jünger und überhaupt spärlich: einer eilen
gros 1. Mos. 6, 16; betten kinder kein anstösz, so wüch-
sen sie wol eines baums grosz Lehm ai^tü florileg. polit.
1, 191;
und wärst du eines kirchthurms grosz !
Reithard 110;
der acc. des maszes scheint ganz jung: der garten ist
zehen quadratruthen grosz Krünitz 20, 127;
(,das herz) weit bis zum sitz der götter
und eine spanne grosz nur in der brüst
Grillvarzer 8, 179;
IV. 1. 6.
vier eilen gros i. kön. 7, 19 m,ag noch genetivisch emji-
funden sein; ganz vereinzelt in älterer spräche mit dat.::
einem ey grosz F. Würtz wundarznei (1612) 34; aber
auch die anfügung der maszbestimmung durch partikeln
ist altgebräzinhüch: steyne als gros als eyn houpt Ma-
rienb. tresslerb. 212 Joachim; steyne als dy füste gros 572;
geschwulst . . grosse als die eyer Arigo decam. 3 lit. ver.
f) auszerordentlich ausgebreitet und hier nur in bei-
spielen zu veranschaulichen ist der appellative gebrauch
des concret-quantitativen grosz; seit alters der kunst-
sprache naturbeschreibender disciplinen ebenso geläufig
me volksmäsziger terminologie ; botanisch: grosz wolff-
milch esula Diefenbagh 211»; grote vel stinkende gouwe
hirundinaria 278' ; grosz kletten ^e»-*onato 430*; der ge-
mein oder grosz Steinklee sertula campana Calepin xi
ling. 1336''; zoologisch: groz mus so7-ex Graff 4, 336;
grosz flige o. ertbene fucus Diefenbagh 250»; grosze
bienen, brachvögel Chomei. öcon. lex. 4, 1368; groszer
falcke, Sperber, weiszfisch 1370 f.; anatomisch: grosz
ingedärm exta Diefenbagh nov. gl. 163»; colon der grosz
darm Calepin xi ling. 270*; ulna das gröst bein am
arm, die grosz armschinen Frisius dict. 1.S97''; grosze
ellenbogenröhre Chomel 4, 1368; grosze pulsader 1369;
grosse Seite achillessefine , chorda magna Hippocrafis
quelle des n.jhs. bei Hyrtl kunstworte d. anatomie 67;
groszes hinterhauptloch 151; groz zelie allux Diefen-
bagh 25»; der grosze finger mittelfiuger : drey grosser
linger lang Luther 19, 405 W.; anders oben Ä 2; geo-
graphisch: kamen ausz grossen Britannien drey ga-
leen in Schotten an Amadis 1,84 Ut. ver.; aber im 17. jh.
schon: Jacobus könig in grosz Britannien Lehmann
florileg. polit. 2, 683; die grosze oase in der libgscJten
icüste; oceanus das hoch meer oder grosz meer Cale-
pin XI ling., onom. 2ü8"; das grosze meer, . . das Welt-
meer Kuameu teutsch-ital. 2, 35''; vgl. schon the groto
seo das mser Hei. 4315; der grosze oder stille ocean;
der grosze Belt Chomel öcon. lex. 4, 1368; der grosse
bach, das mediterranische meer StaubTobleu 2,80t
{quelle v. 1695), offenbar scherzhaft; vgl. über de« groszen
bach nach Amerika ib., heute auch: über den groszen
teich ; gern bei bergnamen : groszer Arber, grosze Sturm-
haube w.a.; astronomisch: groszer bär, liund, wagen
Chomel öcon. lex. 1367. 70. 71;
den grossen baren . . ,
so man den wagen nennet sunst
Spreng //. 264";.
der grosze löwe Wolff mathem. lex. (i747) l, 812; numis-
matisch: grosse turnes grossus Diefenbagh nov. gl.
198», wo freilich grosse erst durch umdeutung aus gros-
sus Turonensis entstanden ist; genaueres unter groschen
II 1; gröze pfenninge Lexer l, 1094; umb fyer hundert
grosser pfenning Eppendorff Plinius 77; grossus Ar-
qentoriitensis, vulgo ein Schilling grosz vocab. rei numm.
(1552) A 2»; groszer groschen s. groschen II l; groszer
taler Fisgher schwäb. 2, 38; in der technischen spräche
der verschiedenstell berufe und gewerbe: seemännisch gro-
szer mast, grosze raa u. a. Chomel öcon. lex. 4, 1369;
grosze Stenge, groszes segel Jacoüsson techn. ich. 2,
156 **; grosze blinde velum infimum in prora dependens
Apinus gloss. 710?'. 256; groszer hobel der füghobel der
tischler. groszes fenster als bautechnisclier ausdruck,
grosze schaufei in glashütten Jacobsson 2, 156»; das
grosze buch, das grosze cassabuch bei kattfleuten und
banquiers 5, 739*; dagegen rein flächenhaft verstanden
bei formatbezeichnungen : diese englische modeschrift,
wie sie hier in grosz 4° . . vor mir liegt Göthe IV 13,
36 W.; deshalb liesz er sein concept in grosz octav . ."
abdrucken IV 42, 103; auch mannigfach sonst: gröze
steine die 'figuren' des Schachspiels Heinr. v. Beringen
schachged. 2698 lit. ver.; vgl. 9474; grosze wage, stadt-
wage, hauptwage Kramer teutsch-ital. 2, 1233"^; die
grosze glocke huuptglocke einer kirche; lutt man stürm
mit der grossen gloggen zum münster Platter 7G Boos;
daher die redensart:
lasz in an die grosz glocken laufl'en , ,
{weil du nein kleid beschüttet hast)
Scheit Grob. 1648 riät:';
30
467
GROSZ I B 1. 2
GROSZ I B 2
468
heute etwas an die grosze glocke bringen, hängen; das
grosze Siegel Staatssiegel, s. Siegel 2 c, th. lo, l, 897; den tod
durch das grosze schwert das scharfrichterschwert Gutz-
kow ges. werke 5, 139; groszer zeiger auf der uhr; Lu-
thers groszer catechismus, durch die länge vom kleinen
hinter schieden; ebetiso ursprünglich die- grosze propheten
li profeti maggiori Kram er teutsch-ital. 1, 568'', heute
freilich mehr im sinne F 1 d verstanden; gröziu mile
die deutsche meile im gegensatz zur welschen Lexer 1,
2138; miliare Suevicum vel Helveticum ein grosse teut-
sche meyl, ein vierteyl lenger als ein gemeine teutsche
meyl Orsäus nomencl. method. 145; Canopus . . . vier
grosser teutscher meil von Alexandrien gelegen Cale-
PIN XI ling., onom. 74''; auf c y beruht grosze magd
'diejenige magd, so hacken, melken und das grosze vieh
bestellen musz, auch auf die küche achtung zu geben hat'
Amaranthes frauenz. lex. 694, eigentlich die erwachsene,
ältere gegenüber der kleinen magd; ebenso wird auch
dem compos. groszknecht (s. d.) ein adjectivisches groszer
knecht vorausgegangen sein; vgl. das Sprichwort kleiner
herr ist besser als groszer knecht Binder 88; hier
schafft der grosze hirt mit dem zuhirten Schöpf tirol.
11; groszes wild hochwild Fischer schwäh. 3, 853; ent-
sprechend groszes weidwerck Chomel öcon. lex. 4, 1871.
2) eine andere anicendung von grosz als quantitäts-
begriff legt den nachdruck auf die Vorstellung der menge;
auch aif diesem felde hat das adj. in jüngerer zeit nicht
unbeträchtliche einbusze erlitten; es kann die Vorstellung
beherrschen
a) der begriff der zahl: grosz bedeutet dann 'zahl-
reich': numerosus grosz an zahl Calepin xi ling. 959'';
so besonders bei persönlichem regens, wo jüngere spräche
nicht selten viel bevorzugt: siht er ein grosses volck
dort stehn Er. Alberus fab. 18 ndr.; wurd ze beiden
teilen gross volck erschlagen Tschudi chron. helvet. l,
30; vgl. schon grot folc Judeono Hei. 3783, ähnlich grot
gumscipi '(128;
alsMS si mit im riten
mit vil grözem her
Tristan als manch 1401 ;
ein vil groze schar Nihel. 1969, l; grosser hauff W.
Schmeltzl zug in d. Hungerland A i ** ; aber wie die
unverstendigen gemeinlich den grossesten hauffen an
der zahl machen F. Würtz wundarznei (1624) 28; groz ge-
sinde Mb. 833, 4; {die kaußeute) in grosses gesind wider
kernen waren Arigo decam. 67 lit. ver.; (sie) hielten
grossen hoffe von meiden und knechten 66; {Kriemhild)
machet ein grossen hof Laurin s. 91 Schade; von einem
groszen gefolge begleitet Fr. M. Klinger 3, 74; Jieben
Substantiven wie den letzten neigt die bedeutung leicht
zu E2; bauchknecht ist das gröste geschlecht Leh-
mann florileg. polit. 1, 66;
grosz ist in Unterwalden meine fieundschaft
Schiller 14, 302 G. ;
{er wird sterben) mit hinterlassung einer groszen familie
W. Raabe Horacker 68; et macht ein grosse schule,
quia tum fuerunt Hierosolymis mher denn hundert
dreissig taussent Luther 34,1,481 W.; solche grosse
versamlung der menschen Fronsperger kriegsbuch l,
vorr. & 2^; es were zu grosze werlt zu ErlTort zuviel
leute Stolle ihür. chron. 21 lit. ver. ; ein grosse weit
von allerlei leuten Staub-Tobler 2, 805 {quelle v. 1625);
ganz anders unten F 1 c d'; mit grosser geselschaft von
münchen und dienern Arigo decam. 67 lit. ver.; dazu
wurde eine landpartie . . in gröszerer gesellschaft ver-
abredet Storm 1, 8.
b) der begnff des quantums; grosz bedeutet dann
'reichlich', copiosus; heute vielfach durch viel abgelöst:
bis das es (das predigen) . . grosse frucht bracht hat
Luther 26, 539 W.; tantzt ein alter, so macht er gros-
sen staub Lehmann floHleg. polit. i, 15;
da ward vergossen groszes blut
Volkslieder d. Deutschen 2, 203 Krlach ;
kommen nirgens anders her dann von grosem und
kalten wasser trincken SiKBVA feldbau 153; so wohl auch:
sprichstu, 'ich eauff ein grossen wein',
daher kanstu nicht edel sein
Er. Alberus fab. 61 ndr..
schwerlich schon mit der qualitätshedeutung von F 2 e;
groses goldes wert ?>y.biz fel^bau 252; auch nd.: datwas
grotes goldes wert Schiller-Lübben 2, 155* aus Korner;
ein grosses har B. Waldis Esopus 2, 233 Kurz; noch
heute Schweiz, e grosses här langes und dichtes haupt-
haar Staub-Tobler 2, 804; wie überhaupt das ahm. zu
diesem gebrauch zu neigen scheint; völlig fest ist: {das
schaf) kumpt nit in die wäld dann bey grossem schnee
Herold-Forer Gesners thierbuch 68"; durch eingefall-
nen groszen schnee U. Bräker i, 178; auf einer ande
ren linie: grosz gut wil haben starcken müt schöne
weise klugreden 154''; ein groszes vermögen Göthe 45,
16 W.; ein gut vrunt is beter dan ein grot schat Tun-
Nicius sprichw. nr. 1216; gröziu gäbe Nib. 1263, 4; brach-
ten grosz almusen und opfer Warbeck Magelone 91'*
Bolte; grosz presentz schöne weise klugreden 24"; auch
bei entsprechenden Verbalsubstantiven: die frawe in grosse
schankung tet Arigo decam. 72 lit. ver.; nicht umb der
greffin grosz verheissen willen 231; einen bettler be-
rahten gibt ihm offt mehr nutzen als grosse zusage
Lehmann florileg. polit. l, 6; wieder auf anderer linie
{heute in concurrenz mit hoch): äne groze miete Walth.
V. D. Vogelweide 56, 24; üwer Ion ist vil oder grosz
in den himmlen Zwingli dtsche sehr. 1,85; dasz sie
mehr auf gute behandlung als grossen gehalt sehe Bren-
tano 5, 65; ein grossen kosten haben Frisius dict.
38*>; grosz auszgab Lehmann florileg. polit. i, 259; sind
deine schulden so grosz? Schiller 3, 15 G.; durchaus
fest ist grosz noch im 18. jh. neben geld, was sich aus
einem nachicirken der ursprünglichen bedeutung 'entgelt'
erklären mag: was hilfft nu das grosse gelt, so von
allen landen geschunden ward Luther 19, 412 W.; du
hast auf diese reise zu groszes geld verwendet Göthe
43, 291 W.; ich verzehre hier groszes geld Iffland thea-
tral. tverke 3, 79; vgl. geld 4 e, th. 4, 1, 2, 2900; das vihd.
kennt auch einen entsprechenden adverbialen gebrauch:
dar zuo s6 nam ir Marke war,
so gröze und also riche,
daz si alle rtliche
lebeten unde wären vrO
GOTTFR. V. STBASZIiURCi Tritst. 607;
swer also gröze bringet, der sol willekomen sin
Ortnit 254, 3;
do her an seyme totbette lagk unde seyne almoszen
grosz usz richte Rothe thür. chron. 192 LH.
c) ähnlich bei den reinen abstracten von zahl und
menge {ico die bedeutung gelegentlich mit Die verrinnt) :
eine grosze fremdenzahl Göthe IV 41, 142 W.; mit einer
grossen mengen wol gewopendes volks K. Stolle thür.
chron. 1 lit. ver.; ob schon der widerredenden ein grosse
vile ist Zwingli dt<)che sehr, i, 50;
etliche gar ein grosse sum
köstlicher wahren bey sich betten
Spreng Jf. 93»;
neben erlegung einer grossen summa gelts J. Wetzel
söhne Oiaffers 35 lit. ver.;
ouch wonte sfner frouwen mite
höher tugent ein grözez teil
KoNR. V. Würzburg Kngelh. 653;
den grössten teyle meines götz Arigo decam. 24 lit. ver.;
in die sprachen, welcher sich das grösser theil gebraucht
die meisten menschen Scheit Orob. s.3 ndr.; adverbial:
ich kenne den satan von gotts gnaden ein gros teil
Luther 26, soo W.; befind ich mich um ein grosz teil
leichter Göthe IV 5, 13 W. ; ging auch das . . familien-
gefühl . . groszen theils zu grabe Herder 17, 22 S.; in
neuerer spräche auch gern superlativisch grösztentheils ;
von dieser wendung aus zu verstehen: weil sie {die
färben) dem äuge theils völlig, theils grösztens zuge-
hören Göthe II l, l Weim.; das gröszere oder kleinere
maasz {von stolz), das man bey ihnen zu bemerken
glaubt Arghenholz England und Italien 1,1,49; in
älterer spräche mit einer art elliptischen gebrauch»: ein
frölich pylgram, der den grosten weg gangen Hütten
469
GROSZ I B 2-4
GROSZ I B 4. C 1
470
2 , 190 , d. h. das f/röszte stück des iceges (JLat. confecto
prope itinere); hierlier auch aus mathematischer sjyraclie :
dasz das gantze grösser sey als sein theil; {die) grö-
szere verhältnisz . . ist, wo der exponente in einer ver-
hältnisz gröszer als in der andern ist; {das) gröszte ge-
meine maasz der zahlen Wolff mathem. lex. (1747) i, 609
und anderes dergleichen.
d) auch dies grosz vielfältig in appellativem gebrauch:
die grosze armada Philipps II., die grosze armee Napo-
leons gegen Ruszland: bevor der Untergang der groszen
armee sich entschied Treitschke deutsche gesch. im
id.jh. 1,398; von da aus auf das heer der toten übertragen:
zur groszen armee abgehen, abberufen werden; der
grosze rat im gegensatz zum engeren, aus weniger per-
sonen bestehenden : auff disen tag ist hie der gantz grosz
rat zu ainander versamlet worden städtechron. 23, 324;
wir, der burgermeister, rat und der grosz rat, so man
nämt die zweyhundert der statt Zürich Zwingli dtsche
sehr. 1, 115; danach gebildet: schiffsbauer und groszer
rathsherr Götue 41, i, 149 W.; kleiner und groszer aus-
schusz im tvürtemb. landtag Fischer schwäb. l, 612; de
groote school eine Stadtschule, daran viele lehrer sind
Dähnert 168"; auf der linie b liegend: am selben tage,
an welchem diese {arbeit) mit dem groszen preise ge-
krönt wurde Ebner-Esghenbach 4, 260; wenn ich das
grosze loos gewinne Arnim 15, 60; vgl. los lo, ih. 6, 1156.
3) grosz als masz von zeitbegriffen: otium, alttim grosse
weyl Frisius dict. 78**; namenüidi: wan als gröz zeit
die müeter verzerent ob den kinden, als gröz zeit ver-
zerent diu kint ob den müetern Konr. v. Megenberg
buch d. natur 176, 20; grosse zeit vieler monate Schupp
.•ichr. 404; Philoktet, der . . ihn {den schmerz) eine grosze
zeit selbst dem Neoptolem verbergen will Herder 3,
14 S.; die freuden der liebe blieben ihm die gröszte zeit
seines lebens unbekannt Göthe 23, 80 W.; auch adver-
bial: wenn ich einem ein unschöne wort mein lebe-
tage grosz gesaget habe Chr. Reuter Schlamp, krank-
heit u. tod 93 ndr. ; heute durchiveg lang ; am, ehesten ist
auch heide noch grosz m.öglich in fällen wie: groszes
schweigen Schiller 3, Sit 6.; meine frau fand ich in
groszer angst über mein groszes ausbleiben vor W.
Frh. V. Richthofen biogr. 1, 88; auch dies geUgentlich
appellativ: groszer hörn januar gegenüber dem kleinen
hörn februar, s. th. 4, 2, 1821; etwas anders {mit färbung
nach F 2 a) :
im groszen kriege
legt' ihn des frommen königs (^Gustav Adolfs) band
auf eines kriegerkindes wiege
Gerok av/ eins, gangen -"•199;
das grosze gebet das 48 tage und nachte dauert Staub-
TOBLER 2, 805.
4) auch sonst in buntester mannigfaltigkeit zur quan-
titätsbezeichnung von inconcretem.
a) dabei kann jeder der unter l — 3 behandelten masz-
begriffe mehr oder weniger plastisch die Vorstellung be-
stimmten oder färben: haustus magnus groisz drunck
DiEFENBACH 273«; den plan der gröszern gedichte
Kretsghmann 1,35; das pensum war zu grosz Göthe
IV 8, lOTT^. ,• vgl. hüte dich für grosser arbeit und schmalem
imbisz Scheit Grob. s. 25 ndr.; unsinnlicher: {sie) mit
einander grosse rede und gespreche betten Arigo de-
cam. 175 lit. ver.; prägnanter:
si {die merker) habent mich äne schulde in eine gröze
rede bräht
minnes. frühl. 13, 17;
solhes im, auch uns, gross wort und nachrede brächt
privatbr. d. ma. 1, 47 Steinhausen; den groszen ruf, den
er sich erworben hatte Göthe 43, 257 W.; der bauch
wurde yhm bersten für grosser kunst Luther 26,318 W.;
auch in den frawen grosse Vernunft sein musz Arigo
decam,. 39 lit. ver.; alle grosze hoffnungen, die ich mir
von ihm gemacht, alle grosze erwartungen, die mir sein
heldenmuth einflöszte Lenz t, 78 Tieck; da man sich
von demselben {heere) und dessen feldherrn grosze dinge
versprochen hatte Archenholz England u. Italien i,
1, 46; auf anderer linie: nach grossem befehlen sol nie-
! mands engstiglich streben Friedr. Wilhelm spiichw.
\ reg. c c 1 » ; {helden) die gott mit sondern hohen tugen-
■ den begabt, grosze regiment durch sie zu faszen Kirch-
' HOF wendunm. 2, 20 lit. ver.; eine grosze conversation
; . . nach allen weltgegenden hin Göthe IV 34, 130 W.,
eine grosze allgemeine gastlichkeit E. M. Arndt 1,34
Ü.-M. ; mit anklang an F 2 b: in grossen weitleufOgen
; hendeln schöne weise klugreden ios^ ; auch der künig in
: vil prauchet in seinen grossen gescheften Arigo decam.
: 73 lit. ver.; {Philipp II.) behielt das übergewicht bei
jeder groszen Verhandlung Schiller 4, 92 (?. ,- halbtech-
nisch: tagesgemäsz ist gegenwärtig ja blosz die grosze
politik RiEHL dtsche arbeit l; wieder auf besonderer linie:
und schlug sie mit sehr groser schlacht
H. Sachs 1,222 A'. ;
I die schlügen die feind mit grosser niderlag Seb. Franck
chron. Germ. (i538) 82'^; durch grosze kämpfe . . . eine
! glorreich berühmte stadt E. M. Arndt l, 65 E.-M. ; in
[ einen groszen krieg verwickelt Fr. M. Klinger 3, 7.
I b) auch hier wieder hat das adj. in jüngerer spräche
I mancherlei einbuszen erlittest, besonders zu gunsten des
adj. hoch : es ist keim züseher kein spil zu grosz schöne
weise klugreden B7 ^ ; und so noch: wir hätten bei ihm
vortrefflich gegessen, groszes spiel gespielt Göthe 45,
17 W.; groszes amt, grosze sorg Aler dict. 1,988**; die
hoffnung zu groszen ehrenstellen J. E. Schlegel 3, 34G;
es kommt der gröszte fall von hohen orten her
Hoffmannswaldau nach Steinu.^cii 1, 640;
die neuere ma. kennt noch er hat es grosz vor Alhkeght
Leipz. 126", tco höhere spräche sagt er will hoch hinaus;
vgl. auch es zu grosz anfangen imporla troppo alia,
voler volare troppo alto Jagemann .546.
c) mannigfach in technischer verivendung : noch halb
concret: der puls ist grosz, wenn die Schlagader voll
und die kraft des herzens zugleich wirksam ist Blan-
CARD 2, 641*'; juristisch: groszer frevel oder (groszer)
blutfrevel Fischer schwäb. 2, 1758;
so Sprech' ich aus hiermit den groszen bann
ob Jason Grillparzek ü, 171 ;
wenn sie nicht eine weit von neuigkeiten mitbringen,
so belegen wir sie mit dem groszen bann Fontane I
5, 167; nach den grundsätzen der groszen haverei hau-
delsgesetzb. f. d. dtsche reich §635; ein stein ze stossen,
22 pfd schwer des grossen gewichts Staub-Tobler 2,
806 aus Vadian ; {das) grosze einmal eins Wolff math.
lex. (1747) 1, 610; vielfältig in der spräche der musik: gehe
ich weiter von . . f ins nah-gelegene g und überhüpfe
das zwischen-liegende fis, so heiszet ein solches Inter-
vall . . eine grosze secunde oder ein gantzer groszer ton
Mattheson kl. generalbasschule 116; die Ordnung dos
groszen und kleinen tons, wie sie itzund auf unsern
claviaturen . . befindlich, da c— d ein groszer, d— e ein
kleiner, f — g ein groszer . . . ton, das heiszt, wie ein
groszer ton gestimmet ist vollk. capellmeister 51 ; so höret
er den zusammenklang des groszen halben tons, z. e.
e — f50; die grosze tertz, sext, septime 47.48.49; in den
groszen ton-arten {durtonarten) ist die septime von sich
selbst grosz kl. generalbasschule 139.
C. für sich steht eine spielart des quantitätsbegriffes,
bei der der nachdruck liegt auf der Vorstellung des zu-
samtnenfassenden , ungegliederten gegenüber dem einzel-
nen, dem detail.
l) heute groszes geld, d. h. geldstücke oder scheine,
die ein vielfaches kleiner Scheidemünze enthalten, gegen-
satz kleines geld th. 4, i, 2, 2902; {das) grosze singen {der
ganzen gemeinde im, Verhältnis zur stimme des einzelnen)
Jean Paul sämtl. w. 54 (1828), 25;
(wenn, jüngling,) dein name
noch unerhöht mit der groszen fluth fleuszt
KLopstock öden 1, 118 M.-P. ,
so namentlich in einigen festen formein: ein wald thut
in einiger entfernung schon als grosze einförmige masse
unserm äuge wohl Göthe II 5, l, 3 TT.,- denn . . . der
grosse hauffe keret sich an gottes wort nicht Luther
30*
471
GROSZ I C 2. 3. D 1
GROSZ I D 1
472
19, 642 W.; der grosze häufe (iiennt) alles poesie, was in
verse gebracht ist Ramler einl. in d. schön, tciasensch.^
i, 123; der grosze häufen ist zu angründlich, liederlich
{in Frankreich) Görres 2, 26; einen solidem beifall . .,
als der des groszen publicums sei Göthe 21, 162 W.;
es ist so manches daraus . . vor das gröszere publikum
gebracht worden A. W. Schlegel Europa 2,3; etwas
anders: das interesse der groszen gesellschaft will es
augenscheinlich, dasz man die grundgeseze eines Staats
nicht ungestraft verlezen lasse Schiller 4, 98 G.;
ich bin ein aussatz an der groszen menschheit
J. MosEN 4, 428.
2) seit dem 18. jh.: das grosze ganze (einer dichtung)
Gerstenbehg schlesw. lit. br. 221 Ufer, denkm.; so ein
groszes ganze die kriegsgeschichte war, so ein groszes
und eignes ganze ist auch die geschichte des west-
phälischen friedens Schiller 8, «4 G.; die . . . be-
ziehungen . . zwischen dem Innern leben des einzelnen
.". und dem groszen ganzen Justi Winckelmann 2, l, 5;
selten:
im ganzen groszen, wo des einen nachteil
des andern vorteil wird Grillparzer 8,233;
atich purallelisiert : wie kann das grosze und ganze . .
auf eine höhere stufe bürgerlicher glückseligkeit er-
hoben werden Fr. Delbrück sinnverw. Wörter (1796) l,
1.^3; besonders mit im: so trägt doch {in der griech. dra-
matik), im groszen und ganzen betrachtet, alles nur
einen einzigen durchgehenden character Göthe gespräche
6, 123; die . . . tiefere bewegung des geistes, die ihr
[der abendländ. Christenheit), im ganzen und groszen
angeschaut, zugeschrieben werden musz Ranke sämtl.
werke'^ 1,4; diese reihenfolge früher sehr gewöhnlich:
ob denn , da alles in der weit seine philosophie und
Wissenschaft habe, nicht auch ... die geschichte der
menschheit im ganzen und groszen eine philosophie
und Wissenschaft haben sollte? Herder is, 7 S.;je später
je mehr zum adv. verblassend: dasz diese gliederung {der
laute) im ganzen und groszen mit Brückes System über-
einstimmt W. Scherer kl. sehr, l, 406; er bekannte
sich zwar im ganzen und groszen zu den lehren des
calvinismus Treitschke hist. u. polit. aufs, l, 15; um-
gekehrt: welchen vortheil oder nachtheil die europäische
gesellschaft im groszen und im ganzen dabey mag ge-
ärntet haben Schiller 8, 414 G.; in einer zeit, wo man
im groszen und ganzen . . . nicht gerade weichlich ist
Bismarck pol. reden 4, 330; da uns . . hievon im gro-
szen ganzen noch wenig bekannt ist Herder 13, 266 S.
3) ähnlich: etwas in groszen umrissen darstellen; er
fand die umständliche geschichte seines lebens in groszen
scharfen zügen geschildert Göthe 23, 142 TT'.; mein ge-
dächtnis ist wie ein sieb, nur die groszen züge be-
wahrt es, nicht die kleinen feinheiten Seidel vorstadt-
gesch. 45: all dies wurde übrigens in kurzen groszen
Sätzen erledigt Fontane I 6, 24.
D. vielfach geht die bedeutung aus dem quantitativen
ins intensive über; das adj. hat die function, eine Ver-
stärkung des in dem regierenden wort gegebenen begriffes
auszudrücken.
l) mit sächlichem subject; nur vereinzelt iv anwen-
düng auf ein concretum: {die rade) kan für ein grosses
Unkraut nicht gerechnet werden, dan brantewein dar-
aus gebrant wird Gueintz rechtschreib. 111.
a) so in anwendung auf eigenschaften , affecte, emp-
findungen, innere und üuszere zustände des menschen;
hier hat sich bis in die neueste zeit der Sprachgebrauch
wenig verändert: mit grozen triuwen Nib. 566, 4; grosz
manheit Laurin 2555 Schade; mit grosser danckbarkeit
RiEDERER Spiegel d. wahr. rhet. a 3»; grosze fälle von
Schönheit und höflichkeit Campe aw» IjAvater; sollich
lieb . . . was dem manne ein grosze freude A. v. Eye
dtsche sehr. 1, 9; wie er grosse last hett sie schlaffende
an zu schawen War deck MageloneiO'- Balte; groszer
Wille s. th. 14, 2, 150/.; mit groszem behagen Göthe 46,
63 Wl; {worte) die mich . . grosses leyte haben tragen
machen Arigo decam. 43 lit. ver.; der aller groeziste haz
Nib. 1858,4; in vil giözem zorne s. 237 Z.; in jirossen
Unwillen und verdrusz Carbach Livius 49*»; nah grozer
ubermuote Graff 4, 336 ; grözara angusti Otfr. H 4, 36 ;
diu gröze vorhte gotes Rud. v. Ems Barlaam 371, 35;
grosser sorg wirt liederlich rath schöne loeise kingreden
95 *; ausz grosser liebe Warbeck Magelone 25'' Bolte;
in grosser andacht 80»; mit groszer Inbrunst Göthe 2,
143 W.; in grosser gehorsame Frisius dict. 89ß»>; dar-
umb gehöret grosse gedult dazu Luther 30, 2, 634 W.;
sein grosser glaube mitten ynn der sunden 19, 199; die
dinge der weit mit groszer seelenruhe anzusehen Ranke
reform, gesch. 1, 63;
ir grözen danc si niht versweic
Parz. 196, 4,
die bis ins 19. jh. herrschende formet: das nahm ich nun
. . zu groszem danck an Götz v. Berlichingen leben.s-
beschr. 91 Bieling; groszen dank, bursche! Shakespeare
9, 107; grossen hunger Luther 30, 2, 551 W.; vgl. schon
unmet grot hungar Hei. 4329; grossen durst Hätzlerin
271*»; grossen wehtag Sebiz f eidbau 183; ein wasser für
grosses hauptwehe Gäbelkover l , i ; von dem nebel
kümt oft grozer siechtum Konr. v. Megenberg buch
d. natur 96, 4; im 61. jähr . . habe ich grosz gefährliche
krankheit . . . ausgestanden Schweinichen denkw. 14
Österley; fiel er in grosse und schwere melancholey
Amadis l, 30 lit. ver.
b) weiter neben abstractis verschiedenster art:
von dem im e was geschehn . .
gröz heil und michel ungemach Iw. 3929;
wer kein sorg hat, der hat grosz glück Lehmann flo-
ril. polit. 2, 743; grosse not Laurin 1942 Schade; grosz
gefahr Scheit Grob. 2200 ndr.; von grözzoren Sren Milst.
gen. 74, 15; grosse wirde, grosse bürde Eyering ^roveci.
i,.8S3; mit grossen deinen schänden Arigo decam. 159
lit. ver.; daz wer mir ein grozzer trost privatbr. d. ma.
1, 4 Steinhausen; das bringt grosse hülff Gäbelkover
arzneib. i, 265; grözan scadon Otfr. IV 24, 34; ein gro-
szer übelstand eurer spräche A. W. Schlegel im Athen.
1, 14; durch gröze fintschaft Nib. 1552, 4 B.; amicitia
ampl-a ein grosse und eerliche freundtschafft Frisius
88"; grozer sünde erlöst Walther v. d. Vogelwetdr
124, 40;
wie so grosz unrecht faul seyn sey
P. Gerhardt bei. Fischer-Tümpel 3, 377»;
gros wunder mus ich sagen fry
Fi.scHART gluckh. nchiffSi nur.;
nam ir für, in grossem geheim ir liebe ... zu offen-
baren irer ammen Warbeck Magelone 17" Bolte; in
grozer vinster Konr. v. Megenberg buch d. natur 1.51,
27; mit grosser stille zu des münchs zellen ginge Arigo
decam. 37 lit. ver. ; kam mit grosser eyl ein hertzog buch
d. liebe (i587) 91'^; mit groszer bestimmtheit Mommsen
röm. gesch. ^ 1, 10; das in der feldarbeyt . . . ein grose
Ungleichheit sicherhält SiEbiz f eidbau l\ dasz zwischen
unserer seele . . und zwischen dem flachs- und hanfbau
eine grosze ähnlichkeit herrsche Lenzi, 72 Tieck;{d. fri.es.
spräche) welche . . nichts anderes war, als eine abzwei-
gung des niederdeutschen in groszer verwandschaft mit
dem angelsächsischen Allmers marschenb. 1, 188: es ist
ein grosser underscheid zwischen Miriam, Davids und der
. . weit tantzen Ambach vom tantzen (1.548) b 2»; doch
greift die vertcendungsmöglichkeit dieses intensiven grosz
in älterer spräche noch icesentlieh weiter als heute : wel-
cher . . gemein man hat nit ein grosser gewissen , so
er an eins apostel abent . . . fleisch esse, den ob . . .
Luther 7, 796 W.; wo nicht durch grosse gewonheit
ein natürlicher brauch ausz embsigem essen . . gemacht
Scheit Grob. s. 8 ndr.: obtinet magnum locum in me-
dicuminibus haec herba ist in grossem brauch Frisius
dict. 900l>; was groser rechnung miessen dy eitern got
. . geben H. Gebweiler beschirm, des lobs Marie 32";
helt ene in groter bewaringe Sghiller-IjÜbben 2, 155-';
wiwol nun gemalte exempel und bewerüng fast grosz
und glaubhafftig sein Schwartzenberg Cicero 62 •>; er
müsz grosse ursach haben, sonst thett ers gewiszlich
nit Vogelgesang heiml. gesprüch 31 ndr.; und ähnlich
473
GROSZ I D 1
GROSZ I D 1
4/4
noch spät: dies sind die gröszten gründe, dasz der Rliein
. .wieder deutsch werden musz E. M. Arnt>t sehr, für
u, an s. l. Deutsclien 2, 33 ; oder auch als intensivierung
verbaler begriffe: auch waren sie von wegen der grossen
flucht noch schnauffend und müde buch d. liebe 28"; als i
bald der könig erfähret, dasz ihr entlaufTen seyt, so
wirdt grosses nachsuchen werden 91''; begert demnach j
mitt grosser bitt 'inständiger'' J. Wetzel söhne Giaffers \
19 lit. ver., dies sehr häufig im älteren nhd.; ]
von manchem ritter gar küne i
ward do gar grosse frag gethan 'eifrige frage' \
Laurin 89 Schade; \
eigenartig, mit Steigerung einer prägnanten bedeutung des j
ȟbst. : ',
des moht in dünken gröziu zit 'hohe zeit'
Erec 28C6; i
es ist zu essen grosse zeit
H. Sachs 2, 62 K.; \
ewrn sun . . . , der nun in den künsten weiter fürzü- \
schreiten und höher zekommen grosse zeit hätte, auff 1
die löbliche hoheschül . . . zuschicken M. Pegius von \
äiensibarkeiten (1558) lil^; alem. bis heute gebräuchlich, {
StaUB-ToBLER 2, 80Ö.
c; neben unbestimmten maszbegriffen : und alles volck ■
. . sind leut von grosser lenge Züricher bib., 4. Mos. 13 D; i
also das ein grosse praiten darzwischen war Dürer j
tageb. »5; aul der groszen höhe war der himmel mei- i
stentheils rein von dünsten Göthe II i, Si W.;
in grosser meng
sie {die quellen) mit gedreng |
wie pfeil von felsen ziehlen j
Spee trutznacht. 35; 1
vgl. hierzu B 2 c ; ständig in älterer spräche neben alter, '
tro heute hoch steht: wie es denn seinem grossen alter -
und eibgrawen kopff . . gemes war 2. Macc. 6, 23; wer ;
einem grosz alter wündseht, der wündscht ihm viel ■
Ungemach Leuuakn ßorileg. polit. I, 15; in seinem gro-
szen alter Weidner nach Sanders l, 681*; was ein gros-
ses alter der zeit mit sich führet aus recht alter zeit
stammt Schupp sehr. 778; gelegentlich sogar: dieser grosse
alte (dieser hochbetagte) disputirte bisz in seinen todt
817 ; mit ganz anderer form der Steigerung neben fixen
maszbegriffen: Südwest von Rusor eine grosse halbe
meil zur see ist eine . . klippe Manson seebuch 8; wie-
der sasz ich eine grosze halbe stunde Fr. H. Jacobi
1, 13; heute 'gut' oder 'stark'; nur neben concretis noch
heute in ähnlicher function: das ist ein groszes brot,
d. h. übernormalgrosz ; dieselbe bedeutung technisch: ein
groszes hundert eine zahl von 120, ein groszes tausend
eine zahl von 1200 Krünitz 20, 129; groszes dutzend,
'd. h. 12 dutzend zusam^men' Rvmff gemei7inütz. üb. 146;
annus magnus vel annus mundanus das grosse jähr,
haltet neun und viertzig tausent gemeiner jar Goi.ius
(1585) 27; das bey des vogels {des phönix) leben die
umbkerung des grossen jars fürgeen soll Eppendorfp
Plinius 138.
d) weiterhin neben begriffen, die sich dem concreten
mehr oder minder nähern; gerade hier greift die jüngere
»praclie tneist zu adjectiven, die die intensivierung aus-
drucksvoller bezeichnen, stark, heftig, kräftig, schwer ti. a. :
mit siegen grozzen Graff 4, 336 ; die schlugen im zween
grosse schleg buch d. liebe 100"; mit solchem grossen
puff Luther 19, 203 W.; (das schiff) von dem grau-
samen mere der grossen stösse . . nicht mer erleyden
mochte Akigo decamer. 106 lit. ver.; aber auch: under
euer lincken brüste, do ich eyn grossen kusz hin getan
hab 262; szo yhr aber auff dem sandt stehet, wirft
euch eyn schwinder grosser fall begegen Luther 8,
482 W.; nit mit schlechten, sunder mit grossen martern
Judas Nazarei v. alten u. neuen gott 8 ndr.; das wort
gottes ist nie on grosse straf übersehen Zwingli dtsche
sehr. 1, 87; vgl. durch daz sult ir grözere gerichte int-
fän, d. h. strengeres gericht Beheim evang. buch, Matth.
i3, 14;
wer dir der bosz zu grob und grosz
ScHErr Grob. 3065 ndr.;
auch ir sere zu herczen gangen was das grosse weynen
Arigo decam. 62 lit. ver.; die grossen seufczen 125; nach
vil grossem lachen 58; so sagte er mit groszem lachen
zum Cardinal Göthe 44, 6 W.; mit groszem schnaufen
Mörike 1, 187 Göschen; ein tiefifer grosser schlaaf alta
quies Frisius dict. 1107'»; der mohn last wegen seines
grossen glantzes die slernen nit sehen Aü. Albertinus
zeitkürzer 2^; bildlich: da mit er seyner gifft eynen
grossen scheyn und ansehen mache Luther 18, 181 T-T.,-
ähnlich: es kömmt darauf an, sie (die folgerten g) noch
weiter auszuführen und in ein gröszeres licht zu setzen
Kamler einl. in d. schön, wissensch. 1, 50; ein grosser
und häfitiger geschmack vastitas odoris Fhisius dict.
1348"; und ist sein smack (des amomum) groezer wan
der raufen smack Konr. v. Megenberg buch d. natur
356, 31 ; ervant er von dem gire so gröz ercenie so kräf-
tige, zwei dtsche arzneibücher 47, 26 Pfeiffer; dar umb
tuot man in zuo grozen starken erzneien Konr. v. Me-
genberg a. a. 0. 370, 21; vgl. 364, 12; auf derselben linie
liegt: Wolfen aber sie ez ze grozz machen und wollen
die lut verderben es zu stark treiben, weisth. 6, 99.
e) so besonders auch von elementarischen und Witte-
rungserscheinungen; doch hat sich hier das adj. besser
gehalten: grossen frost Scheit Grob. 2666 7idr.; je grösser
die hitz ist Ergker beschr. aller m,ineral. ertzt 8*; eyn
grosse truckenhait Reynmann tcetterbüchl. 7;
do wart daz weter also gröz Iw. 2537 ;
nach Sonnenschein kompt gemeiniglich ein grosz wetter
hEUidAi^ii fiorileg. polit. 1,283; gros ungewitter Sebiz
f eidbau 9; der herr liesz donnern einen groszen donner
über die Philister Züricher bib., 1. kön. 7B; ist ain so-
licher grosser regen gewest Knebel chron. v. Kaisheim
87 hf. ver.; in einem grossen hagel Mathesius Sarepta
56''; ein grözer stürm diut. 3, 62; wann . . grosse wind
wähen Sebiz feldbau 529; grandior aura ein grosser
wind oder ein starcker lufft Frisius dict. 143 ''; ich
glaube aber, dasz es (das augenleiden) eher vom viellen
weinen kompt, alsz von der groszen lufft E. Gh. v.
Orleans br. 3, 134 lit. ver.; doch kann gr. luft auch
etwas anderes meinen, s. o. A i; ähnlich auch: den winter
über, der dieses jahrs grosz und hefftig war Rätel
Curäi chron. 199; was so grot en winter, dat men . . .
Schiller-Lübben 2, 155* aus Korner; vgl. noch spät;
nun brach der grosze winter ein, der schauervollste
den ich erlebt habe ü. B räker l, 196.
f) bei der anwendung auf klänge und geräusche kann
die bedeutung 'stark, kräftig' in 'laut' übergehen: wer
ain grözen stimme hat, der ist küen Konr. v. Megen-
berg buch d. natur 46, 81; welche eine grobe und grosse
stimme haben, die helt man für verläumbder J.B.Porta
physiogn. (i60l) 275; die stimm ist grösser dann der man
schöne weise klugreden 146*'; hörte er hinter sich eine
grosze stimme Jung-Stilling 3, 90; anders unten F 2 e;
lere fesser geben grossen don Petri d. Tetd^chen iveisz-
heit 2, Mm 4'>;
da Martin mit groszem laut
seinem bauszgesind' ankündet
dasz Reinicke fuchs (1650) 101;
gros geschrey, wenig wolle Friedr. Wilhelm sprichw.
reg. s 2*; auch uneigentlich: ein groszes geschrei von
etwas, über etwas machen oder erheben mehr davon
sprechen als es verdient Campe; grözen schalle Nib.
s. 145 Z. ; (alle) fielen zu mit grossem schall ; nu haben
wir den rechten könig funden Luther 26, 548 W.; mit
groszem lärmen Arnim l, 29; mit solchem grossen knall
Rompler V. Löwenhalt i. gebüsch 79;
ein thuren feilt mit grossem krachen
Spreng JZ. 48'';
hierher auch fälle tvie: sein stimm (icar) wie ein grosz
wasserrauschen Züricher bibel, Apoc. l C; taub und ge-
hörlosz . . . von wegen des grossen rauschens und ge-
lümmels desz wassers Äg. Albertinus hirnschleifer 53.
g) hervorzuheben sind geicisse formen Superlativen ge-
brauchs: de grötteste winter Dähnert 163% d. h. die
höhe des xcinters; vgl. der gröst winter würt von mitten
475
GROSZ I D 1-3
GROSZ I D 3
476
des winters, bisz dasz tag und nacht im früling sich
vergleichen M. Hkrk feldbau 22'^; ebenso im gröszten
sommer Kompert am pflüg l, iil 7iach Sanders; die
kornschütten . . sollen . . zum grösten tagliecht offen
stehn Sebiz feldbaii 2"? ; ganz anderer ari, aber ebenfalls
von dem intensiven grosz a^ls zu verstehen und auf diese
sonderbedeuttmg des adj. beschränkt ist ein elativer ge-
brauch der Superlativ form: die grosseste kälte, hitze
un freddo, un caldo estremo Kramer teutsch-ital. 1, 569 '•;
ihr köntet ins gröszeste Unglück dardurch kommen ib.;
mit der gröszten Versicherung, dasz er recht habe
GöTHE 22, 89 W. ; betragt euch mit der gröszten ruhe
und Sicherheit 45, 106; sieht man ihn im gröszten ne-
glig6 gespr. i, 34; zu ihrer gröszten Verwunderung Bren-
tano 5, 46;
dem sag i die gröszten grobheiten hin
Karl Stieler ged. 2, 43 JiecL;
ähnlich:
dann Eulenspiegel liesz das brot
mit floisz fallen ins gröste kot
Fischart 2, 50 Hauffen ;
im gröszten moder (kampierest) Sulzer bei Körte br. d.
Schweizer S2S; diese heute sehr verbreitete ausdrucksweise
scheint sich erst im 18. jh. auszubreiten; doch früher
schon ähnliches: gerüst mit selten und prustwehren von
gedörrten . . wursten, . . die sie zur grösten zier umb
den tisch hencken Fischart geschichtklitt. 78 ndr.
2) ganz ebenso auch bei persönlichem subject; mit be-
greiflicher Vorliebe neben Verbalsubstantiven: under dem
schein der erberkeit grose verfürer H. Gebweiler be-
schirm, des lobs Marie 28^; er was ein grosser schel-
ter und flucher gotz Arigo decamer. 20 lit. ver.; die
grossen sauffer 23; grosser spiler Schwartzenberg
Cicero 146^; fürstellung desz grossen creutztragers Hiobs
Schupp sehr. reg. )( l*, d. h. der ein schweres kreuz zu
tragen hatte; apotecker sind die grösten Wucherer Leh-
mann florileg. polit. i, 62; in neuerer ma.: ein groszer
eiler kommt nit weit u. ähnl. fügungen Fischer schwäb.
3, 855; aber auch sonst: sind wir ketzer, so sind sie
noch grösser ketzer Luther 26, 533 W.; dasz die Frank-
furter grosze Patrioten sind Solger nachgel. sehr. 1,21;
so wäre ich das gröszte ungeheuer auf erden Pfeffel
pros. vers. 2, 68; das adj. bevorzugt bei diesem gebrauch
ganz bestimmte begriffsgruppen : dich solchen grossen
esel Boltz Terenz iö'^; das ich h. Georgen für einen
grossen narren hielte Luther 30, 2, 33 W.; yhe grosser
schalck, yhe besser gluck 19, 556; artzebove, de grot-
teste bove s. v. archischurro Diefenbach nov. gl. 32";
in allen winckeln thet sichs paren
(ich glaub eins theils grosz huren waren)
M. Mangold marckschiff b 3 ■* ;
ein grosser heimlicher dieb Arigo decam. 20 lit. ver.,
ein erzdieb, anders unten F 1 c « ,• (diese menschen) grosse
rauber und mörder waren 59 ; das er auch ein grosser
mechtiger mörder würde Luther 30, 2, 126 W.; denn
wie wol ich ein grosser, schwerer, schendlicher sunder
bin gewest 26, 508; und was als ein grosser liebhaber
götlicher kunst erste dtsche bibel 3 , 14 ; von . . . dem
groszherzog, einem groszen freunde der Pflanzenkunde
Göthe IV 28, 8 W.; er war ein groszer musikfreund
Ranke werke'^ 3, 46; (Senacherib) ein groser gottes-
feind H. Sachs l, 226 K.; ein unruwiger mann und
grosser viend keisers Barbarossae Tschudi chron. hei-
vet. 1, 92; der was des von Branndis grosser und
threwer freunt J, A. v. Brandis landeshauptl. v. Tirol
24; auff herren Eberhard Möllers, seines grossesten
freundes, bildnisz Rist n. teutscher Parnasz 517.
3) am anschaulichsten ist die intensive bedeutung bei
dem recht ausgebreiteten gebrauch als adverb.
a) neben adjectiven nur in beschränkter Verwendung:
grosz kreffticlich violenter Diefenbach 621^; nit dasz
ich sollichs grosz nothwendig zusein vermeint J. Wet-
ZEL söhne Qiaffers 5 lit. ver.; szo weren alle sunde un-
schedlich, ja gros forderlich Luther 2,95 W.; hatte
Petrus hie nicht gros recht? 18, 311; comparativisch: dei
filius . . der ist grosser heilig quam X praecepta 34, l,
475; und ist noch vil gröser lutherisch worden, dan
er vor gewest ist städtechron. 23, 155; auch nd.: syn
puls is grot slicht unde drade Schiller-Lübbkn 2, ISS**:
alem. noch heute: das wasser ist nüd gross heiss Staub
Tobler 2, 806.
b) um so häufiger im verbalen gefüge; schon altsäch-
sisch :
uuas mi'grotun tharf Hei. 4425;
7nhd. ganz gewöhnlich, s. Lexer l, 1094; auch dem älte-
ren nhd. noch sehr geläufig:
wir haben uns versündet grosz
fl. Sachs 1,39 A..-
welchen wir so grosz verdammen Vogelgesang heiml.
gespräch 18 ndr.; dasz w^irs grosz vergessen Paracel-
sus oyera (1616) 2, 318: darab sich der kaiser grosz ver-
wundert städtechron. 23, 324 ; ebenso auch in der häufigen
Wendung es nimmt mich grosz wunder, in der das wort
freilich anscheinend auch adjectivisch verstanden werden
konnte: vom Agricola . . nimpt michs nit grosz wunder
Vogelges.\ng heiml. gesvräch 17 ndr.; mich nimpt gross
wunder, . . . daz ir . . Nas antipap. eins u. hundert 2,
C 2^; antwurt im herr Albrecht, es nem in das gröszest
wunder, das . . zimm. chron. 1, 112; er fröwe sich de.s
als grosz als wer es im selber Fischer schwäb. 3, 854
{quelle v. 1486); vgl. noch spät:
wie sitzt mir das liebchen ?
was freut sie so grosz?
Göthe 3, 56 W.;
darvon etlich grosz brochen vehementer vomuerunt Fi-
scher schwäb. 3, 854 (17. i/t.),- das geschach gross wider
iren willen U. Füetrer baier. chron. 154 Spiller; das
was gros wuder die lutterischen und iren brediger
Fischer schwäb. 3, 854 (16. jh.); auch nd.: de weren
vormanet unde grot bedrowet Schiller-Lübben 2, 155';
se reden grot eme, dat he volghede 155^; comparati-
visch: wye weitest du nun grosser getrost werden, dan
so du ein sulchen hulffer findest Luther 9, 149 W.; do
ward der ritter noch grosser erfrawedt Warbegk Mage-
lone 29" Bolte; verschiedenartig gesteigert: du waist, wie
seer und grosz ich brinn N. v. Wyle translat. 47 lit.
ver.; weil sie weisz, dasz euch sehr grosz darmit ge-
dienet ist Happel akad. roman 248 ;
bistu so mächtig gros erfaren
Fischart glückh. schiff s. 42 ndr. ;
100 die heutige spräche noch adverbiales grosz ähnlich
verwendet, ist das ethos anders: er war so gut, so stark,
. . dasz das leidvolle geschöpf grosz aufatmete H. Böh-
LAU Isebies (l9ll) 370.
c) ebenso au^h in negativen fügungen:
ihr htilff beger ich mir nicht gros
Hayneccius Hanf Pfriem 44 ndr.;
wir kommen nicht grosz aus, und was rechtes kommt
nicht zu uns Chr. Reuter ehrl. frau zu Pliss. 40 ndr. ,
die rechnung kann nicht grosz bezweifelt werden Staub-
ToBLER 2, 806; in älterer spräche ist häufig: auch ist
nit gros dran gelegen, ob Luther 6, 203 W.; ligt euch
. . nit grosz an in Schwartzenberg büchl. vom zu-
trinken 22 ndr.; doch kann hier grosz auch nominal emp
funden sein (vgl. II 2 a) : pluma haud interest es ist nit
einer feddern gros dran gelegen Bas. Faber thes. 628 '";
vereinzelt geradezit: im mfisz freylich grosses daran gelegen
sein Wickram l, 5 lit. ver.; bis in die neuere ma.: nicht
grosz nach einem fragen sich nicht viel aus ihm machen
Albreght Leipz. 126"; ik si der nitt gröt op Woeste
westf. 86^; auch: et het em nitt grots hulpen ib.; nich
groots nicht sehr Stürenburg 76''; doch macht sich in
dieser negativen fügung je später, je stärker eine beson-
dere Sinnesfärbung geltend, insofern sich sieben der in-
tensiven bedeutung die tirsprünf;liche quantitative wieder
vorschiebt: wir aber wollen, woher ihr eigentlich der
nähme kommen, nicht grosz streiten Rist n. teutscher
Parnasz 68, d. h. 'nicht umständlich, mit groszem auf-
wand' ;
doch aber dieser ist so grosz nicht zu beklagen
Rachel satyr. ged. 62 ndr. ;
477
GROSZ I D 3. E 1
GROSZ I E 1—3
478
ich habe nicht erst grosz sortiert keine besondere aus
lese gehalten Müller-Fraureuth 1,444»; diese bedeu-
iung ist bis in die neueste spräche durchaus lebendig,
aber tvesentlich nur lieben einigen ganz bestimmten ver
balen begriffen: zwar weisz ich wol, dasz . . meiner poe
tischen aufwartung nicht grosz nöhtig gewesen Neu
MARK fortgepfl. musik.-poef. histw. 1, 234; dass die tra
gödie der sitten nicht grosz bedürfe Lessing 10, 193 M.
sie achten auch uff unser schyssen nit grosz Balth
Springer merfart (1509) c i**; doch hätte ich mich end
lieh auch nicht grosz an das verschweren gekehret
Chr. Reuter Schelm. 13 ndr.; allerhand neuerungen,
um die sich Jochen zwar nicht grosz kümmerte W. v.
PoLENZ Grabenhäger 1 , 270; niemand hatte grosz acht
auf ihre abfahrt E. Zahn helden des alltags 27; es
kommt hier auf ein menschenleben nicht grosz an
Storm 5, 228.
d) diese bedeutungsspielart auch ohne negation, aber
wesentlich beschränkt auf ganz bestimmte syntaktische
fügungen: wer bekümmerte sich grosz umb den armen
Lazarnm? Schupp sehr. 427; wie sollen wir grosz stau-
nen Brentano 4, 121; was würde es dem Ursprung der
lügen grosz geschadet haben Lohenstein Armin. 2,
1606^;
ach! sagte Petz, was fragst du grosz
LiCHTWER äsop. /ab. 75;
auf dieselbe linie gerathen schlieszlich Wendungen, die
ursprünglich wohl anders construiert sind:
ist gott dein freund und deiner Sachen,
was kan dein feind, der mensch, grosz machen?
P. Gerhardt bei Fischer-Tümpel 3,423'';
der wehre wohl ein narr, der es nicht thete? aber was
ist es gros? Schoch com. v. stud. leben D 8";
was thut's so grosz, dasz ihr mal flausen macht?
TiECK scUr. 3, 468;
die zu gründe liegende construclion bricht noch spät ge-
legentlich durch: was hast du denn groszes an uns aus-
zusetzen? 4, 47; vgl. aus heutiger ma.: na, hebb' ick nu
jrosz wat davon? G. Hauptmann biberpelz (1893) 20;
wat is do graut te vertellene! Bauer-Collitz 200»;
auszerhalb solcher syntaktischen Verbindungen ungleich
seltener: ich achte unnötig zu seyn, dasz ein musicus
über dem einfeltigen urtheil . . sich grosz bekümmern
sol Königsb. dichterkr. 68 ndr.; damit war mir auch
wol grosz gedient, wenn ich noch kinder dazu bekäme
Lenz 1, 77 Tieck; besonderen sinnes: thu du noch grosz
dein maul auf Anzengruber 3, 138.
E. gewisse gebrauchsweisen haben das gemein, dasz der
quantitätsbegriff, der immer noch die grundbedeutung ab-
giebt, mehr oder minder stark gefärbt ist durch einen
beisimi, der sich in anderen fällen (s. u. F) zum haupt-
sinn gemacht hat.
1) in sehr mannigfaltiger Verwendung mit einem bei-
klang der bedeutung, die als 'bedeutend, wichtig, wesent-
lich' auch selbständig auftritt (s. u. F 2 a): eine grosze
reise zu thun ist für einen jungen mann äuszerst nütz-
lich GüTHE 23, 237 W., d. h. nicht schlechthin eine lange,
sondern eine solche, die überdies bedeutendes sehen und
erfahren läszt;
und schon ist der neue chausseebau
fest beschlossen, der uns mit der groszen strasze verbindet
50, 209 W.,
die nicht allein grosz nach ihrer räumlichen anläge, son-
dern bedeutend als verkehrstceg ist; entsprechend: grosser
hof wil vil gsind schöne weise klugreden 132"; grosze
Städte, grosze sünden Chr. Weise d. drey klügsten leute
(1675) 176; ein paar grosze handelsstädte Göthe21, 58 W.;
du hast nun einige grosze weltliche höfe . . . gesehen
Fr. M. Klinger 3, 216; vgl. schon:
wurden ir die grözen höve benomen
W.^^LTH. v. D. Vogelweide 65, 29;
die groszen Werkstätten der literatur, die deutschen
Universitäten Ranke werke^ 1, 161; eine macht . . .,
wie sie seit der zeit der groszen herzogthümer nicht
bestanden l, 50; die rechtsgeschichte der einzelnen gro-
szen culturvölker Riehl dtsche arbeit 10; dasz Preuszen
. . . unter den groszen mächten nur feinde gefunden
hätte BiSMARCK ged. tmd erinn. 2, 26 volksausg.; etwas
anders {mit anklang an C): Africa einer ausz den drey
grossen theilen des erdbodens Calepin xi ling., onom.
17*>; ähnlich: die culturgeschichte . . in ihren vier gro-
szen entwickelungsstadien Mommsen rüm. gescJi.* i, 3;
auf anderer linie: die fursten schreben ouch den hant-
wergen . . zu Erffort grosze und vil breffe unde clagiten
ubir den rad K. Stolle thür, chron. 148 lit. ver., d. h.
tiicht blosz lange, sondern geurichtige; nun folgt der grosze
merkwürdige brief des apostels Johannis selbst Jung-
Stilling 3, 22; vielleicht wirckt diese possierliche apo-
thecker-büchse . . . mehr, als wenn ich den Catonem
mit grossen commentariis hätte auflegen lassen Chr.
Weise erznarren 3 ndr.;
ich schreibe jede that . .
ins grosze buch, aus dem einst engel richten
Klopstock öden 1,102 M.-l\;
halbtechnisch: Tancred. grosze heroische oper von Ros-
sini, grosz ist sie, wenn dieses so viel heisst als lang
aus einer kritik bei Börne 2, 92; er wii"d alle stücke
tragen, in denen er eine grosze rolle hat Gutzkow
werke 7, 241; vielfach auch uneigentlich: Streitigkeiten,
in denen . . . der gegensatz . . . eine grosze rolle
spielte Ranke werke'^ 1, H; vgl. rolle l c /J, th. 8, 1139;
ich hab eine grosze Unterredung mit meinen bäumen
gehabt Göthe IV 5, I8 W., d. h. lang und zugleich be-
deutsam; jene grosze philosophische bewegung, die durch
Kant begonnen I 46, 55; ganz anders, aber mit gleicher
zioiespältigkeit der bedeutung: die drei schwarzen mas-
ken treten mit groszen bewegungen näher Schiller 3,
20 G., d. h. raumgreifend und ausdrucksvoll; sie stürzte
sich auf ihre kleinere, zierliche gefährtin und begrub
sie in einer groszen, mütterlichen umarmung H. v.
Kahlenberg Eva Sehring 83.
2) oder mit dem beisinn von aufivand und pracht: ze
s6 grözem antpfange Nib. 583, 3 B.; groze höchgezite
504, 4; grosse feste und hochzeit Arigo decam. 72 lit.
ver.; in dem grossen schieszen Fortunatus \bl ndr.; dasz
heute ... in Kosen . . . der grosze holzmarkt gefeiert
wird Göthe IV 29, 92 W.; etwas anders: vor dem hause
des Kaiga-ma war grosze musik Bücher arbeit u. rhyth-
mus* 262; pancket . . (ist) ein grosses mahl Gueintz
rechtschreib. 35; der reiche herr ober uns giebt grosze
tafel Nestroy 1, 9; auch durch andere weg als durch
götlich menschen und heilige person grosser gotzdinst
verpracht warde (während der pest) Arigo decam. 3 lit.
ver.; eine grosze leiche funus amplum Frisch 1, 376*';
und so noch heute in niederer spräche ganz gewöhnlich:
da Solls wohl eine grosze leich geben? 0. Ludwig 2,
163; an so 'nem groszen begräbnisfest G. Hauptmann
weber (1892) 50; grosze aufwartung apparitura solemnis
Apinus gloss. nov. 256; grosze aufwartung 'heiszt am
wienerischen hofe, we?m nebst den abgesandten U7id rit-
tem des güldenen vlieszes alle hofämter ihre Verrichtung
leisten' Chomel öcon. lex. 4, 1367; der in der groszen
livree der Wittekinds harrende diener Gutzkow Zau-
berer von Bom l, 286; da erschien frau Kurzmichel in
groszem Staate Ebner-Eschenbach 4, 34; ähnlich auch
adverbial: bey ihm muss es grosz hergehen bey solchen
gelegenheiten Fr. M. Klinger 1, 73, heide 'hoch her
gehen' ; grosz leben vivere alla grande, splendidamente
Jagemann 546; hierher vielleicht auch:
(sie hat) es auf dem freiherrlichen . . schlosz
auch beim herrn und der gnädigen frau gar grosz
KoRTUM JobKiade 2, 182;
vgl. aus neuerer ma. grosz gehn groszen aufwand trei-
ben FoLLMANN lothr. 218"; möglichertceise ist auch grosz
sten (werden) zu gevatter stehen (im henneberg. stolz sein)
Schneller l, I0t3 ähnlich zu verstehen.
3) oder mit dem beiklang eines gefühlstones wie 'er-
haben, gewaltig', auch 'furchtbar, drohend' u. ä. (s. u.
F 2 a, d):
wenn gleich zerfällt
das grosze weltgebäude
Paul Gerhardt bei Fischer-Tümpel 3, 365*;
479
GROSZ I E 3-
GROSZ I F 1
480
{gott läszt nicht ab) die grosse weltöconomiam noch
immerdar mit schönster . . . Ordnung unaufhörlich zu
bestellen Hohberg georg. cur. i, vorr. a 2^; so erblickt
denn Luther in dem alten und neuen testament das
Symbol des groszen sich immer wiederholenden welt-
wesens Göthe IV 27, 234 W.: schicächer in der altererb-
fsn tvendiing:
ihr durchstudirt die grosz' und kleine weit
I U, 94 (Faust ^012);
vgl. grosz wernt macrocosmus Diefenbach 342*; (gottes)
grosse ewige wonder niemant verlaugnet Arigo decam.
10 lit. ver.; herr wie sind deine werck so gros Hen-
NENBERGER preusz. lundtufel l;
nach dem grossen sttnden-tlusse
setzte gott den gnaden-bogen
LoGAU sinnged. 154 lit. ver. ;
die darstellung des letzten akts jenes groszen weltge-
schichtlichen Schauspiels Mommsen röm. gesch.* i, i;
die jüngere spräche kennt auch formen leiserer modulie-
rung des quantitätsbegriffes : die bäume führten bergauf
in einer langen ansteigenden prozession. grosz, ernst-
haft, hundertjährig H. v. Kahlenberg Eva Sehring 36;
'herr graf!' fuhr der landrath auf und richtete sich
grosz in die höhe Gutzkow werke 2, 299, nicht 'hoch',
sondern 'wuchtig drohend' ; vgl. selbst: der pfaffe machte
mir eine grosze faust nach Schubart leben u. qesinn.
2, 2.
+) oder, indem der quanfitätsbegriff eine ganz beson-
dere, weniger concrete form räumlicher Vorstellung ge-
winnt, wieder mit mehr oder minder starken gefühls-
mäszigen beildängeii: {Wilhelm) erfreute . . . sich der
groszen gebirgsansicht Göthe 24, 9 W.; wenn sie uns
. . hinausführen in die freie grosze natur Fr. Schle-
gel 5, 195; mit eigenem ton: man kann nicht immer
grosze natur schwelgen Fontane I 6, 140; auf anderer
Urne: menschen die ein groszes und bewegtes leben
führen Göthe IV 8, 292 W.,- im fortgange der mensch-
heit findet er . . sein daseyn gröszer und freier Her-
der 17, 5 S.; wie ist diesz in einem so groszen com-
plicirten zustande {wie es ein aufenthalt in Berlin ist)
denkbar? Göthe IV 33, 55 W.; tcieder anders: alles geht
nach einem groszen plane RückeIvT 1, 30; mittlerweile
deine leblosen werke, sonne, mond und Sterne, ihren
groszen gang fortgehn U. Bräker 2, 223; weil sie {die
natur) nach ihrem groszen gange tausend zwecke auf
einmal befördert Heroer 18, 54 S.; dasz das leben der
Staaten einen groszen gesetzmäszigen verlauf habe Justi
Winckelmann l, 210;
nach ewigen, ehrnen,
groszen gesetzen Göthe 2, 84 W.;
noch entsinnlichter: der grosze und freie blick, mit wel-
chem sonst jeder sein Vaterland und seinen staat an-
sah Solger nachge'. sehr. 1,43; sich zu dem zu er-
heben, was die blume aller geschichtlichen forschung
ist, zu den gross^en und allgemeinen ansichten des
ganzen Göthe 48, 97 W.
5) technisch: grosz malen (peindre largement) . . .
breite pinseldrucke geben und die gegenstände durch grosze
massen vertheilen Jacobsson technol. wb. 2, 155'»; wenn
man sagt, die gliedmaszen müssen grosz seyn, versteht
man dadurch nicht, dasz sie gröszer und dicker als
ihr maasz ist . . seyn sollen; sondern . . dasz man sie
eher stark als kleinlich und eher fett als mager machen
soll ib.; dafür auch grosze manier 156*; es sind die
starken völligen gesiebter im groszen stil, aus welchen
man drei vier gesiebter, oder vielmehr hübsche ge-
sichtchen . . scheint schnitzeln zu können E. M. Arndt
sehr, für u. an s. l. Deutschen 1, 218; doch eiitfernt sich
gerade diese formel gern noch weiter vom sinnlichen: sie
{die erste veneziun. aper) ist grosz im style Schubart
ästh. d. tonkunstSS; in die bedeutung F 1 f übergehend:
in diesen werken {griech. bauten) kann man den reinen
groszen und soliden styl kennen lernen, in welchem
jene glücklichen menschen arbeiteten Göthe IV 12,
45 W.; vgl. aiich F 2 e.
F. schlieszlich löst sich die bedeutung von dem sinn-
lichquantitativen ausgangspunkf und legt das Schwer-
gewicht auf den ausdruck innerer maszverhältnisse ; ge
rade hier läszt sich die fülle der vericendungen und he-
deutungsabschattungen nur andeuten.
l) von menscJien; die grosze bestimmt sich
a) nach besitz und schaffenskreis ; hier spricht in r/e-
wissen Verbindungen noch am ehesten die concrete grund-
bedeutung mit: der grosz meyer mit fünfl'tzig haupt
vihe schöne weise klugreden 94*; der gros reich land-
meyer Cato Sebiz feldbau 4; nach jenen ausgedehnten
gütern des groszen landbesitzers Göthe 24, 61 W.,- in
den bänden der groszen grundbesitzer Mommsen röm.
geseh. i, 189; vgl. groszgrundbesitzer; Wilkens, ein grö-
szer bauer 0. Ludwig 3, lO: magnarius ein grosser ge-
werbsmann, der mit grossen kaufTmanschatzen umb-
geht Calepin xi ling. 854''; mer grosser kauffleut und
unterkäufel Arigo decam. 31 lit. ver.; vgl. groszkauf-
mann ; solt einer doch lieber ein schinder sein den ein
grosser reicher pfaff Luther 19, 275 W.; ähnlich, aber
erweitert durch den begriff politischer macht: an den
grozzen grauffen von Ungern stüdtechron. 4, 78; ein grö-
szer, sich dem kaiser gleichstellender fürst Göthe IV
33, 64 W. ; vgl. schon mhd. :
ez heten hie bevor die gr(5zen ftirsten niht gelogen
WaLTH. V. D. VOOF.I.WEIDE 107, 14;
ofFt ist ein stand grosz und mächtig Lehmann florilei/.
polit. 1, 374;
zu werden reich und gros durch krieg und krieges -wallen
Grimmei.shausen 3, 5 Keller;
damit (;äsar Borgia grosz werde, musz sein bruder
bluten Fr. M. Klinger 8, 227: etwas anders, zum folg.
hinüberführend: und Mose war seer ein grosser man
in Egyptenland für den knechten Pharao 2. Mos. ii. .i;
gewonheit ist die größte frau. beherrschet .alle weit
LoGAU »innged. 533 lit. ver. ,
an c grenzend: die herzöge, fürsten, groszen beamten
Ranke werke^ 1,13; äJinlich avch als feste titulatur:
soll die messigung zu der kais. maj. grossen hoff-
meister oder in seinem abwesen zu einem andern hoff-
meister . . steen dtsche reichstagsacte , jg. reihe 2, 140
(a. d. j. 1520); ein grosser hoffmeister wolte, sein herr
solt nur landkinder zu dienst und emptern befürdern
Lehmann florileg. polit. l, 19.
h) nach ansehen und geltung: dö wart her gar grüz
under deme volke {ob seiner ivunderthaten) myst. i,
193 Pf.; wer wgnistu der der grözere ist in dem riebe
der himele? Beheim evang. buch, Matth. 18, i; es gilt in
Christi reich nicht grosz, sondern klein werden Petri
der Teutschen weiszh. 1,01"; das solche ding wurden
öffentlich alda gesagt von dem grossen man {Sim^on)
ynn dem öffentlichen, heyligen ort Luther lO, i, l,
381 W.; du {Moses Freudenstein) wirst ein gröszer mann
werden unter den fremdlingen Raare hungerpastor i,
177; wo ich meint die gröst ritterin worden sein, die
in allem künigreiche was Arigo decam. 81 lit. ver.: die
gröszten weiber, wo im städtle sind 0. Ludwig 2, 55;
ganz ähnlich in der häufigen formel: von dem aufgang
der sunen unz auf iren undergang ist grosz mein name
unter den beiden erste dtsche bib. 3, 28 ; doch mit nichten
der meynung, einigen rühm oder grossen nahmen da-
mit zu suchen Götz v. Berlichingen lebensbeschrei-
bung 4 Bieling ; die Schlacht von Marignano . . hatte
ihm . . einen groszen namen gemacht Ranke iverke-
1, 242.
c) nach geburt und stand.
c() die groszen menschen Diefenbach 343'' s. v. ma-
gnas; gros geporen, gros vrey geborn iö.,- aber auch:
grosz von stadt magnatus ib.; jo hoger unde groter van
State, jo he otmodiger sal syn Tunnicius sprichic.
nr. 1128; grosz am stände und herrlichkeit Stieler 707;
also 'hochgeboren, hochgestellt, vornehm':
ich sag iu, daz die boten gröz
wären und fürsten genOz
Lanz. 8731;
481
GROSZ I F 1
GROSZ I F I
482
an siner geburt was er grOz
Wigalois 137, 13 Pf.;
dieweil sie . . grosse freund und sipschafft im land hat-
ten Amadis l, l* lit. ver.; was kan grossen leutten löh-
licher sein, als wann sie sich von ihrer hochheit . . .
herunder lassen Moscherosch insomn. cura 8 ndr.;
sollen sie den tod grosser häupter und vornehmer leute
andeuten Prätorius winterflucht 360; meinen patroncn
und grossen gönnern J. Riemer polit. maulaffe, vndm.;
ich habe allen respect vor einen so groszen und vor-
nehmen mann wie du bist Apinus gloss. nov. 466; es
müssen auch diener und dienerinnen . . . seyn, damit
der geringere dem grössern auf den dienst warte Hoh-
BERG georg. cur. 3, 84^; da die geseze auch die grösten
unsrer mitbürger angehn Klopstock gelehrtenrep. 28;
so scheint ursprünglich auch das Sprichwort von den
groszen und kleinen dieben verstanden zu sein, bei dem
man heute an 'diehe im groszen' denkt: die kleinen dieb
henckt mann , gegen den grossen zeucht mann die
kappen ab schöne weise klugreden 144»; auch manche
anderen Varianten des Sprichwortes legen das nahe. s. th. 2,
1088 ;
doch hänt mich grOze frouwen ie
ir werden handelunge erlän Parz. 403, 2;
grosz frawen geberen in dreien monaten (mit bezug auf
Livia und die geburt des Tiberius) schöne weise klug-
reden liO^; des zucht und tugent einer iglichen grossen
edelen frawen wirdig sein Arigo decam. 71 lit. ver.; heute
mit besonderer färbung : die grosze dame wird ihr Spiel-
zeug bald satt H. v. Kahlenberg Eva Sehring 186;
mundartlich: een graut mann ein vornehmer m,ann
Strodtmann osnabr. 76; dat is man vor grote lüde
das können nur vornehme sich halten Dähnert 163»;
älterer spräche sehr geläufig als epitheton von fürsten,
zumal in der anrede:
der grosz durchleuchtig fürst und herr
H. Sachs 2, 22 K. :
grosz und mächtiger keyser, ich habe . . schausp. engl,
comöd. 26, 3 Creizenach; o grosser prinz! v. König ged. 4;
vernimm es, groszer könig
Schiller 13, 8 G.;
vgl. bereits
iu enbiutet an den Rtn
getriwelichen dienest der gröze voget min
mb. 1133, 2.
ß) einige besonders entvdckelte form^ln; groszer herr:
in dem selben lande nie
dehein (sc. höchzit) s6 wünnecllche ergie
und von herren alsO gröz Erec 10059;
scriver, eyn de groter heren sake vor steyt Diefen-
BACH nov. gl. 332» s. V. scriba; es ist bösz, mit grossen
herren kirschen essen Höniger narrenschiff (1574) 358;
an grosser herren und potentaten geburts-tagen Prä-
torius saturnalia 4;
es ist gar hübsch von einem groszen herm,
so menschlich mit dem teufel selbst zu sprechen
GÖTHB 14, 23 W. (Faust 352);
der gröszte herr, den die dörfler ... zu sehen bekom-
men, ist der pfarrer Stifter 5, l, 200 Sauer; vgl. auch:
des berühmten und grossen herrn vicekanzlers Strube
Zimmermann einsamkeit i, x; ungemein verbreitet, na-
mentlich im i6. Jh., ist groszer hans: herr Georg
von Rosenberg und herr Georg truchsäsz von der Au
und viel grosser hannsen mehr Götz v. Berlichingen
lebensbeschr. 31 Bieling; auch die grossen bansen, so
man die rethe zu hofe nennet Luther 30, 2, 659 W.;
vgl. 19, 335; 23, 11 u. Ö.;
(das Podagra) spricht hingegen wolbedächtlich bei den gros-
sen hangen zu
J. Grob dichter, versuchg. 30;
gross und klein bansen bei den landsknechten Frons-
perger nach Fischer schwäb, 3, 855, woselbst zählreiche
weitere belege; später verschiedentlich verändert:
der grosze hans, ach wie so klein !
IV. 1. 6,
der grosze hans, ach wie so klein !
lag', hingeschmolzen, ihr zu filszen
GÖTHE 14, 134 W. (Faust 2727);
wenn in den wind
man treuer eitern wamung schlägt und selbst
ein groszer hans sein will
Chamisso Fortunati glückseckel 38 lit. denkm.;
vom iß.jh. bis heute groszesthier: nach R. M. Meter
400 schlagiDorte 3 ßndet sich bestia magna als Scheltwort
für einen äuszerlich vornehmen und protzenhaften, aber
innerlich leeren gesellen in einem um 1516 verfaszten lat.
mahngedicht Kaspar Scheits; gott ist ein grosser koch,
. . drumb mestet er grosse thier, das ist mechtige kö-
nige und fursten Luther 19,383 W.; worausz etliche
urtheilen, dasz ein magister weyland ein grosses thier
gewesen Happel akadem. roman 868; weiteres unter
thier 4 b th. 11, 375 und bei Ladendorf histor. schlag-
wörterb. (1906) iil; vgl. dasz ich irgend ein groszes kalb
(einen angesehenen Schriftsteller) ins aug geschlagen {be-
leidigt) haben werde Wieland in: br. an Merck (1835)
247 Wagner.
y) appellativ: der grosse herr, nemlich der grosz-türck
il gran signore. il sultano Kramer teutsch-ital. l, 568»;
vgl. der grosse herr oder grosz-sultan Frisch l, 376"=;
da der groysse here der zoldayn hoff heldet v. Harff
Pilgerfahrt 2; doch kreuzt hier die bedeutung a her-
ein; dasz der grosze welt-herr hierdurch eure begierde
zur freundschafft erwecken wil Chr. Weise polit. red-
ner 39; ebenso bei: in Indien bey den grossen mogol
Chr. Reuter Schelm. 5 ndr.; da läszt sich drauf schla-
fen, vergnügter als der grosze mogul Lenz i, 44 Heck;
'in Ostreich bekommt die älteste erzherzogin, auch wenn
sie noch in der wiege liegt, den titel grosze frau' Krü-
NiTZ 20, 131; vgl.
der groszen frau zu Ztirch bin ich vereidet
Schiller 14, 332 G.,
gemeint ist die äbtissin eines frauenklosters.
&) mit sächlichem regens: dirre Anthonius was von
grözeme und von kunclicheme gesiechte myst. i, 60 Pf;
geboren von eim solchen grossen geschlecht Boltz Te-
renz 92»; von einer vornehmen familie, die mit den
grossesten häusern in Rom verwandt war Ramler einl.
in d. schön, tciss. 3, 119; kutschen . ., die durch die be-
dientenlivreyen die groszen familien zu erkennen gaben
Archenholz England u. Italien i, i, 25; grosze zunft
patricierzunft Fischer schwäb. 3, 853 (quelle von 1525);
entsprechend groszer Zunftmeister ib.; die grosze weit
vornehme personen Adelung; ein mistfinke wird sich
niemals in die grosse weit schicken Heinse 2, 136
Schüddekopf; in der verderbten groszen weit von Ma-
drid A. V. Arnim 8, 24; ähnlich auch neben abstracteren
begriffen: eines tags kam und begert ein mann groszes
und sonderlichs ansehens, mich anzureden Kirchhof
wendunm. 2, 382 lit. ver.; der sein sollende grosze ton,
der doch mitunter merklich ins rüstike sank J. G. Möl-
ler d. herren v. Waldheim (1787) 1, 51; dadurch sie ire
eigne vorfarn und groszväter, grosses Stands und adels
. . mit solchem geticht beruchtigen Vogelgesang heiml.
gespräch 3 ndr.; doch kann hier die Vorstellung 'vornehm'
auch durch die mehr quantitative 'hoch' vertreten werden,
wie denn in jüngerer spräche des öfteren dies adj. ein-
getreten ist: keiner sol sich eines grossen herkommens
rühmen Friedr. Wilhelm sprichto. reg. c 2»; daz sie
von grossem adell und reiche were Arigo decam. 70
lit. ver.; besser adelisch leben, und sich nicht grosses
adels berhümen Friedr. Wilhelm sprichw. reg. b 2"^
(diese Verbindung aber auch von D aus zu verstehen);
ähnlich: die herren sollen der grossen tittel nicht achten
g 1"; Prisca: . . gefelts ewer gnade? Martha: . . warum
gebt ir ire so grosse titel? Vogelgesang heiml. gespr.
27 ndr.; etliche kommen zum ampt . . per nominati-
vum, dasz sie grosse namen haben Lehmann ßorileg.
polit. 1, 20; er kannte ihr geschlecht, ihren grossen
namen Fr. M. Klinger i, 219; doch hat groszer name
meist einen anderen sinn, s. o. b.
d) nach können und leistung.
a) ist das Jhesus, der grosse man,
der so grosse wunder hat getan?
passionssp. aus Tirol 96 Wackernell '
31
483
GROSZ I F 1
GROSZ I F 1
484
es ist eine wollust einen groszen mann zu sehen Göthe
8, 17 W.; nicht jeder grosze mann ist ein groszer mensch
Ebner-Esghenbach 1, 48, das letztere zu e; Schiller ist
ein groszer kerl Schubart br. bei D. Fr. Strausz w.
9, 32; sprichwörtlich: in kleiner heut stecken grosz leuth
schöne weise klugreden 178*; vor eigennamen : sam der
gröz Basilius spricht Konr. v. Megenberg buch der
natur 160, 3; der grosse Alexander Luther 19, 589 W.;
als der grosz keiser Karolus 47 jar regiert hat Judas
Nazarei V. alten u. neuen gott 27 ndr.; dies die Vorstufe
zu: keyser Karl der grosz Fisch art geschichtklitt. 39
ndr.; khaiser Otto der erst, genannt der grosse J. A.
V. Brandis landeshauptl. v. Tirol 11; doch hält sich die
ältere ausdrucksiveise lange, um erst in jüngerer zeit die
färbe zu verändern: meinem . . kayser, könige und her-
ren, dem grossen Leopold Butschky Pathmos, ein-
führ. 5»;
wer ist an majestät dem grossen Friedrich gleich
Rachel satyr. ged. 5 ndr. ,•
wie der grosze Alexander, als er noch ein kleiner junge
war Kästner verm. sehr, l, 217; die . . . feinde des
groszen Friedrich E. M. Arndt l, 8 B.-M.; schlummerte
nicht zuweilen der grosze Homer? Ramler einl. in d.
schönen wiss. -1, 31 ; Basilius, der grosze kirchenvater
Schubart leb. u. gesinn. i, xi;
die palmen welcken in der enge,
und grosse fürsten im gedränge
Besser sehr. 1, 4 König;
fehlt es uns nicht an männern, die alsdenn an die
stelle der grossen ausländer und der noch grössern
alten treten müszten Lessing 8, 14 M.; genau so ge-
meint ist ursprünglich die bezeichnung groszer unbe-
kannter, zuerst auf Walter Scott bezüglich, vgl. Büch-
mann 2229; dagegen neigt in anderen ähnlichen prägungen
das adj. zu der intensiven bedeutung (s. o. D 2): der
grosze heide für Göthe ib. 622; Ladendorf hist. schlag-
wörterb. 109; der grosze Schweiger für Moltke lio; prä-
dicativ nicht gleich geläufig:
aber das ist dar inn (beim disputieren) das böst,
das yederman wer gern der gröst
Brant narrensch. 29 Z. ;
die heyligen seyen wie gross sie wollen Luther ig,
1,1, 584 >F.; auf derselben linie: bewunderung groszer
exempel Ramler einl. in d. schön, wiss. ^l, 135;
ein groszes muster weckt nacheiferung
Schiller 12, 6 6. ;
ein bild der völcker, welche früher als Rom in Italien
grosz waren Niebuhr röm. gesch. l, 19; appellativ: die
grosze nation gab ein groszes Schauspiel Herder 23,
14 iS., als Übersetzung von la grande nation; heute ge-
tvöhnlich ironisch.
ß) wenn das subst. eine speciellere fähigkeit bezeichnet,
kann sich die bedeutung des adj. nach D 2 hin färben:
Leonardus Aretinus der gröst und beste redner und
dichter N. v. Wyle translat. 8 lit. ver.; der grössten
feldherrn jenes Jahrhunderts wird gedacht Göthe 40,
G W.; dasz er der gröszte und genialste klavierspieler
seiner zeit war 0. Jahn Mozart 4, 3; ein grosser acteur
samml. v. schausp. {il&iff.) l, vorber. 6; dasz einer von
den freunden . . ein groszer landwirt im kleinen war
Lenz 8, 94 Tieck; ähnlich: {die) Kriechin was ein grosse
meisterin gift zemachen Arigo decam. 269 lit. ver.; etwas
anders, aber auch hierher: von dem grossen meinster
Galieno 8; die wysen grossen doctores und raboni
Judas Nazarei v. alten u. neuen gott 62 ndr.; es kan
eyn bawr so wol eyn weisz wort reden als eyn grosser
doctor Tappius adag. (i539) 159».
y) ähnlich von göttlichen wesen: erschrecklich ist der
herr und sehr gross Grimmelshausen 2, 389 Keller;
der allmächtige, grosze, starke gott! maler Müller
1, 108;
rasen meine stolzen feinde,
grosser gott I so segne du
Neukirch ged. 57;
bey'm groszen gott des himmels
Schiller 12, 215 G. ;
in jüngerer zeit zum ausruf abgeschwächt: groszer gott,
ich begreife nur nicht, was ihr herz so zusammen zieht
Göthe IV 3, 25 W.; {ein geschöpf) das der grosze geist
. . führte durch wüste Caroline i, 23 Waitz;
groszer brama, herr der mächte !
Göthe 3, 9 W. ;
im jähr 1392 sandte die grosze frau im himmel einen
engel aus Grimm dtsche sagen i, 229;
grosze Venus, mächt'ge göttin !
Göthe 4, 92 W. ;
megalesia die fästtag . . . der grossen göttin Cybeles
Calepin XI ling. 878^; ähnlich:
grosze Vorsehung,
ich will es dir vergeben
Schiller 5, 38 O. ,-
weiter ab steht: das grosze eherne Schicksal . . regiert
auch sie Lenz 3, 290 Tieck; dagegen vergleicht sich
der gröze tiufel Lucifer
Stricker bei Docen miscell. 2, 220.
e) nach gemüthlichen und geistigen Qualitäten: grosz
vom leibe und gemüthe sein et animo magnum et cor-
pore esse Steinbach i, 646; es giebt menschen, die
innerlich beynahe grosz, äuszerlich beynahe klein sind,
bestäubte, mit koth bedeckte . . . edelsteine Lavater
handbibl. (1793) 2, 109; der gütige Humboldt, der grosze,
der weise B. v. Arnim d. buch gehört d. könig l, viii;
den herzog von Braunschweig, dessen grosse eigen-
schaften er zu würdigen wusste Göthe 46, 68 W.; doch
lassen sich neben solchen fällen allgemeineren gebrauchs
auch speciellere bedeutungen aussondern, wenngleich ihre
grenzen stark verßieszen.
«) mit verliebe von seelischer grosze: wie grosz, wie
edel . . hat sich bei der . . . theurung nicht manches
herz zeigen können I J. Moser 2, 40;
mein herz . .
zu grosz zum neide
Göthe 1,48 TT.,-
wars klein von mir, ihn (den fehler) hitzig zu begehen,
so ist es grosz, ihn zu bereun Gellert (1789) 2, 64;
aber grosz ist nicht, wer viele
wie ein Xerxes überschifFt,
grosz ist, wer zu heil'gem ziele
mit gerechtem würfe trifft Brentano 2, 37 ;
es giebt grosze gedanken, die in der brüst eines höf-
lings nicht räum genug finden; die freigebung Napo-
leons ist ein solcher Börne 6, 96; Turgot, immer grosz
gesinnt, liesz den schriftsteiler frei walten Dahlmann
gesch. d. franz. revol. 83; wenn er fähig wäre gross zu
fühlen Fr. M. Klinger 3, 122;
und reden könnt' er, grosz und fürstlich reden!
Grillparzer 6, 105 ;
ähnlich, aber nicht ohne differenzierungen, die im 18. jh.
in schwang kommende formel grosze seele : ich kenne
die macht der dankbarkeit über grosze seelen samml.
V. schausp. (1764/".) 1, 25;
den unwissenden
sind die geschäfte grosser seien
unsichtbar stets uhd verdekt gewesen
Klopstock Oden 1, 1
M.-P. ;
ich weisz es, dasz ich einer so groszen seele, wie die
deinige, alles entdecken darf Wieland Agathon l, 256;
es war eine selbstständige, grosse seele {Friedrich d. gr.)
Herder 17, 82 S.; die ältere zeit hat in ähnlichem sinne:
der fürste der tochter grosses gemüte wol vername
Arigo decamerone 253 lit. ver.; {der poet) musz . . ein
grosses unverzagtes gemüte haben Opitz dtsche poete-
rei 12 ndr.;
bezeichnen ein recht grosz und königlich gemüthe
V. KÖNIG ged. 33;
{das gefängnis) sein grosses hercze und edel gemüt im
nicht gemindert het Arigo decam. 99 lit. ver.;
grosses herz ! ach zürne nicht
Neukirch ged. 16;
485
GROSZ I F 1
GROSZ I F 2
486
eigenartig: sie (die damen) alle diemütig von grossem
diemütigen herczen und mute sein Arigo decam. 18
lit. ver.;
ein gross gemüte pflegt in demut sich zu zeigen
Rachel satyr. ged. 5 ndr.
ß) in anderen fällen liegt der schiverpunkt im sitt-
lichen: die ehre ist ein sporn . ., wordurch grosse gei-
ster zur tugend angespöret . . . werden S. v. Birken
ostländ. lorheerhayn vorr. )( 2'';
der mensch kann grosz, ein held, im leiden sein
H. V. Kleist 2, 100 E. Schmidt;
Rom war grosz, es war das unsterbliche und göttliche
Rom, als es seine Furier, Decier und Fabricier hatte
E. M. Arndt sehr, für u. an s. l. Deutschen 2, 55;
glückt uns nicht Brutus that -- auch Catos tod war grosz
Ayrenhoff 1, 81;
adverbial:
so in des Vaterlandes groszer sitte
lebt Claudia, die Römerin, auch grosz
Brentano 2, 490;
und soll das messenische volk einst fallen, so falle es
grosz! Fr. M. Klinger neues theater l, 7; etivas anders:
vollende grosz, was weise begonnen
(an Alexander v. Eussland bei dem krieg gegen Napoleon)
Stägemann kriegsges. 7 ;
zu sterben ... sei aller loos; grosz zu handeln, nur
weniger auserwählten Fr. Schlegel i, 141.
y) von geistiger Überlegenheit: die groszen köpfe, . .
die den plan zu einem epischen gedichte entwarfen
Ramler einl. in die schön, wissensch. ^2, 51; sodasz es
nur eines groszen kopfes . . bedurfte, um . . . das ge-
bäude der geistlichen herrschaft zu vollenden Raumer
gesch. der Hohenst. i, 21; sanct Bernhart ist eyn man
von grossem geyst gewesen Luther 15, 40 W.;
mein churfürst, diesz hat dein verstand,
dein groszer geist allein erfunden
Gottsched ged. (1751) 1,41;
gern persönlich genommen: dasz . . . kein grosser geist
sich findet ohne einen gran von narrheit Göthe 45,
13 w:,-
ein groszer geist ist froh, auch andre grosz zu finden;
er sucht sogar noch gröszre geister auf
J. A. Ekert episteln u. verm. ged. 58;
das . . raffinement (in E. T. A. Hoffmanns Don Juan),
welches die gemeine Sinnlichkeit mit der Zerrissenheit
und Weltverachtung sogenannter groszer geister deco-
rirt 0. Jahn Mozart 4, 827.
f) nach höhe und weite des schauens tmd empfindens:
dann erglüht nicht selten sein (Winckelmanns) grosser,
den alten verwandter geist Göthe 46, 75 W.,- und alle
seine Innern, seine äussern Verhältnisse zur weit
(wurden) mit so grossem sinne dargestellt als ange-
schaut 23; ich bin ... so für Michel Ange eingenom-
men, dasz mir nicht einmal die natur . . . schmeckt,
da ich sie doch nicht mit so groszen äugen wie er
sehen kann IV 8, 71 ; die ansichten sind grosz und rein
IV 22, 41 bei der besprechung eines geschichtsiverkes ; ein
lieblingsausdruek des späteren Oöthe; wie wahr und
grosz die empfindung! Solger nachgel. sehr, i, 2;
die du dem fühlenden sänger
grosze empfindungen schenkst
Schubart ged. 2, 158;
er lächelte grosz Hölderlin 2, 76 Litzm.; ähnlich auch
von künstlerischem schaffen: die künstler hatten das
idealische gefasst, ... sie arbeiteten grosz und leicht
Niebuhr röm. gesch. 2, 486; ich will zuletzt nichts, als
dasz man das grosze recht grosz nehme Solger nach-
gel. sehr. 1, 362; vgl. 2 d.
g) schlieszlich noch eine iti oberd. maa. auftretende
Sonderbedeutung: groass grosz, stolz, aufgeblasen Lexer
kämt. 124; das ist a~ groasser! ein prahlhans ib.; grosz
dran sin prahlhansig, hochmüthig sein Staub-Tobler 2,
804; literarisch nur vereinzelt zu belegen: sie aber war
gross, dass sie auch eine mussqueten bekommen Fi-
scher schivüb. 8, 856 (ca. 1700).
h) einige der unter a — g behandelten bedeutungsspiel-
arten treten auch in der Verbindung mit präpositionen
auf; besonders d, und zwar neben in: der Jude in sei-
nem gelauben und judischen gesecze ein grosz meister
und raby was Arigo decam. 30 lit. ver.; nun war er in
den Wissenschaften der gröszte mann Göthe 43, 279 W.;
häufiger ohne subst.:
und leuchte künftig, (unter der glänzenden
gekrönten reihe deiner ahnherm
grosz in den künsten der triumphirer,
in allen friedenskünsten der grössere)
Ramler lyr. ged. 158
charaetere, die grosz in übelthaten . . sind Gersten
BERG recensionen 116 lit. denkm.; (die priester) ein ge
schlecht, welches immer und überall in frommen ver
fälschungen gross war Fr. Schlegel pros. jugendschr
1, 240 Minor; dagegen scheint mehr quantitativ empfun
den: wenn aber eyn gott viel gibt odder gros ym
geben ist Luther 17, l, 432 W.; dieselbe Zwiespältig-
keit bei von:
der herr grosz von that, von rath weisz
Jon. FÖRSTER bei Fischer-Tümpel 1, 56'';
dagegen deutlich quantitativ, an a erinnernd:
dieweil ich nicht von adel
noch grosz von mittein bin
Chr. Weise d. grün, jugend überfl. gedanken 156 ndr. ;
godt de almechtige unde de groth van erbarminge ys
Rotmann restit. 8 ndr.; an scheint jünger:
o höchster! öffne deinen schoosz
und mache die an Wohlfahrt grosz,
die . . Gottsched ged. (1751) 1, 63;
ihr vater, grosz und reich an gutem . .
Bürger 1,164" Bohtz,
ungewöhnlich ist zu:
der niemahl satte frasz, ohn seinen got bauchlosz,
und gotlosz ohn den bauch, allein zu schwelgen grosz
Weckherlin ged. 2, 148 lit. ver. ,•
selten und nur in älterer spräche auch m,it einem gen.
qualitatis: *
Maria, hOch drtvaltec slOz,
der tugende gröz
Frauenlob 291, 2 Ettmüller;
die enget, die doch der sterck und krefft grösser sind
Luther 14, 48 W.
2) bei dinglichem subjectsbegriff; die grosze bestimmt
sieh
a) nach kraft und geholt.
((.) und wünsch dir damit, nit . . ein fröliche sanfTte
rö, sonder grosze ernstliche dapfere und arbeitsame
geschafft Hütten l, 449 Böcking; ein ehrliches gemüth
nimpt ime grosse ding für Friedr. Wilhelm sprichw.
t^g. kl''; möchte ich doch auf Fausts mantel getragen
mich ins Opernhaus zu deiner groszen function nieder-
lassen Göthe IV 29, 77 W.; weise leut thun selten grosse
thaten hEHMAni^ ßorileg. polit. 2, 899; wenn die neuere
englische geschichte voller groszen thaten ist Archen-
holz England u. Italien l, l, 49; ähnlich spricht m,an
von einer groszen tradition, geschichte; diese rückkehr
zu seinen grossen Überlieferungen sollte dem Staate
eine schreckliche demüthigung bringen Treitschke
dtsche gesch. im 19. jh. l, 288;
auf den tapeten mag er da die schlachten
der groszen zeit bequemlichstens betrachten
Göthe 15, 79 W. (Faust 6384);
(antike bildwerke) die zu gröszerer zeit, durch mehr-
vermögende menschen hervorgebracht wurden IV 40,
257; auf anderer linie: eine menge groszer und er-
schütternder Situationen Gerstenberg schlesw. litbr.
114 lit. denkm.; ich bin weit entfernt, den plan dieses
Stücks zu tadeln, ich glaube vielmehr, dasz kein grö-
szerer ersonnen worden sei Göthe 22, 89 W.; ich halte
diese popularität (bei Fichte) für eine annäherung der
Philosophie zur humanität im wahren und grossen
sinne des worts Fr. Schlegel im Athen. 2, 31 ; das ist
im gröszern sinne motivierung 0. Ludwig 5, 413.
31*
487
GROSZ I F 8
GROSZ I F 2
488
ß) auch einige prägnantere bedeutungen treten auf:
'furchtbar, schrecklich': und bedencken wurden, wer
doch das grosse mort begangen het (einen fürstenmord)
Arigo decam. 115 lit. ver.; ach waffen dess grossen
mordes, den die fraw unwissentlich . . begienge buch
der liebe 106"^; so schon Nib. 1898, 4; diese gefaste ein-
bildung {dasz der krieg dauern werde, so lange die erde
steht) kommet uns grosz und schröcklich für Schupp
sehr. 781; es ist eine grosse sache, zu einer ewigen ge-
fängnisz geboren zu werden Eeinicke fuchs (1650) 133 ; im
älteren nhd. öfter 'schwer, schwierig': das grosz schwer
gebot ist unsz uffgetrochen durch die romanisten Eberl.
V. GÖNZBURG 1, 19 ndr.; niemant weisz, wie grosz es
ist, got allein trawen, dan wer es anfehet und mit
wercken vorsucht Luther 6, 234 W.; es ist ein grosser
kämpf mit sig mit dem glück kempfen schöne weise
klugreden 140 ''; gab sich da usz für ein grossen meister,
zu berichten grosse fragen, dy sunst ander meister nit
usz legen . . kunten Eulenspiegel 42 iidr. ;
die sach (das schreiben des buches) ist grosz und wirt mir
säur
vgl. schon:
Scheit Grob. v. 101 ndr. ;
gote ist niht ze swsere
noch ze gröz slner kraft
Wigalois 177, 10 Pf.;
'veranticortungsvolV : darumb ist es grosz, zubesitzen
das ampt der artzney, und nicht so leicht wie etliche
vermeinen Paracelsus op. (I6I6) 1, 37 B.
b) nach bedeutung und Wichtigkeit.
a) und hat nichts so gros in dem hause, das er für
mir verholen habe 1. Mos. 39, 9; meister, welch ist das
grözste gebot in der 6? Beheim evang. buch, Matth. 22,
36; von wegen derselben hohen bedeytung ist die ee
genent ain gros sacrament Berth. v. Ghiemsee teutsche
theol. 682;
die Zeitung, die du bringst, muss gross und wichtig seyn
Gottsched dtsche schaub. l, 237;
ich habe grosze neuigkeit zu verkünden Arnim 6, 247;
vom Franken ein gesandter! grosz ereignisz
GÖTHE 4, 332 W. s
es ist eine grosze bemerkung, dasz die Franzosen . . .
die ersten waren, die es wagten, den mollton zum
herrschenden zu machen Schubart ästhetik der tonk.
261; ein groszer (wichtiger) satz Kant (1838_^.) 8, 36 H.; in
den grössten wichtigsten puncten . . mag man Winckel-
mann keck vertrauen Göthe 46, 78 W.; hie hebt sich
eine grosse (bedeutsame) frage Luther 24, 27 W.; nicht
durch reden oder majoritätsbeschlüsse werden die gro-
szen fragen der zeit entschieden Bismarck polit. reden
2, SO; der mann von genie, der einen allgemeinen irr-
thnm verschreit, oder einer grossen w^ahrheit eingang
verschafft Göthe 45, 13 W.;
du sprichst ein groszes wort gelassen aus 10, 15;
im Volke . . . regte sich noch kaum eine ahnung von
dem grossen sinne des krieges Treitschke dtsche gesch.
im 19. jh. 1, 245; sie (die kleinen heidelbeerbüsche am
tcege) standen wie dinge, die ein groszes amt erfüllen
H. V. KAHhENBERG Eva Sehring 35; anders: wenigstens
für die geschichte ihrer religion lassen sich einige
grosze (fundamentale) thatsachen gewinnen Scherer
lit. gesch. 8; im älteren nhd. sehr häufig: wie kleyn
glaub auff ander leuth zusetzen sei in grossen Sachen
schöne weise klugreden 75^;
es seyen gross und wichtig sachen,
darum mir jetzundt wollen sprachen
Endinger Judenspiel 27 ndr. ;
SO grosse sachen des glaubens und götlicher schrifft
Vogelgesang heiml. gespräch 11 ndr.; es ist gar zu ein
grosz ding um den ehstand heut zu tage Göthe IV 1,
185 W.; vgl. schon
that is grötara thing
that man bisorgon scal seolun managa
Heliand 1865.
ß) in gewissen, z. th. formelhaften Verbindungen ge-
winnt die bedeutung « in jüngerer zeit deutlich einen
eigenen klang: 'von grundlegender, entscheidender bedeu-
tung': das ist der grosze fehler fast aller theoretiker,
dasz sie . . Gerstenberg recens. 193 lit. denkm.; ist
dies musz nicht eine grosse lehre? Herder 5, 176 8.;
die grosze frage: ist Jehovah der wahre gott? Jung-
Stilling 8, 123;
der groszen Wahrheit voll, dasz alles eitel sey
Wieland I 7, 164 akad.
auf anderer linie:
wem der grosze wurf gelungen,
eines freundes freund zu seyn
Schiller 4, l O.;
ihr wankendes ansehn durch einen groszen schlag . .
zu erneuen Ranke werke ^i, i85; wieder anders:
{sie werden) dir einen um den andern listig stehlen,
bis, wenn der grosze erdstosz nun geschieht,
der treulos mürbe bau zusammenbricht
Schiller 12, 212 G.i
gerüstet zum geschäft der groszen räche
Mich. Beer 28.
y) neben zeitbestimmtmgen ; groszer tag alte geläufige
bezeichnung für das jüngste gericht: Christo auff den
grossen tag seiner erscheinung entgegen zu gehen Am-
bach V. zusauffen 8 4*^; barmhertziger gott, der du . .
rechnung forderen wirst an deinem grossen tag Mosche-
ROSCH insomn. cura 103 ndr.;
wenn ihr dereinst am groszen tage steht,
umgeben von den engein eurer thaten
Grillparzer 6, 211;
von da aus vereinzelt axich: meine kinder verhungern
sehnl und dann verhungern I das ist das grosze gericht
Gerstenberg TJgolino 245 d. nat. lit; erst seit dem
18. jh. im sinne 'festlich-bedeutungsvoll' :
hundert jähre können dich,
grosser tag I uns neu gewähren
Neukirch ged. 18;
und so entlass' ich euch, damit den groszen tag,
gesammelt, jedermann sich überlegen mag
Göthe 15, 286 W. {Faust 10975);
das war ein groszer tag (der communionstag) Anzen-
gruber 3, 12; vgl. der grosze tag festlichkeit. familien-
fest Staub-Tobler 2,805; anders:
diess sey der grosse tag, wo man das treffen wagt
Gottsched dtsche schaub. 1, 7;
doch der grosze morgen (der Vergeltung) wird ja kom-
men! Gerstenberg TJgolino 247 d. nat. lit.;
als die grosze nacht sich hellte,
jene heilnacht {der geburt Christi)
Schubart ged. 2, 93 ;
weiter appellativ von getcissen zeiten und tagen des christ-
lichen kalenders: in der grossen wochen, so man auch
die heilig nennet Bebeis facetien deutsch (1558) m 4*;
auch von einzelnen tagen der charwoche: der gros drüs-
tag in der vasten quelle von 1362 bei Grotefend zeit-
rechn. 1, 77»; der grosse donstag, der grosse mitwuche
Frisch 1, 376^ awsTscHUDi; der grosse sonntag palm-
sonntag Staub-Tobler 2, 805; grosse fasten 'allgemeine
bezeichnung der frühjahrsf asten von aschermittwoch an'
Grotefend 1, 58*; auch von anderen tagen: grosser
fastelabend estomihi oder tnontag und dienstag danach
1, 57*; grosse fassnacht invocavit l, 55'»; item in dem
selven jar was der gros fastabent of sant Petters dag
städtechron. 14, 925; grosser sonntag estomihi oder invo-
cavit Grotefend 1, 77''; groszes neujahr epiphanias
Fischer schwäb. 3,853; diesen Umgang hält sie (frau
Holle) bis zum groszen neujahr Grimm dtsche sagen
1, 6; grosser maitag 1. mai Grotefend 1, 77'', wo noch
anderes dergleichen; si contingebat in festa sabbatum
illud, szo hiesz er doch der grosse sabbath Luther
84, 1, 259 W.;
als der August zu Rom das grosse stuffen-jahr . .
sein drey und sechzigstes, im vierten überstiegen
Besser sehr. 1, 7 König.
489
GROSZ I F 2
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490
c) nach anspruch und aufmachung.
a) groszihuerisch , prunkend: mit guten thaten er-
langet man basz ein gedechtnis, dann mit grossen uber-
schrifften der greber Friedr. Wilhelm sprichw. reg.
bb l*»; grosse prechtige tittel thun nichts zur sachen
t 2»;
ist sonsten nichts zu fangen,
als mit den tituln nur und grossen brieten prangen
Rachel sat. ged. 122 ndr. ;
so vor allem: grosze wort, pracht der worte magnilo-
quentia H. Degimator thes.; grosse wort und nichts
darhinder Friedr. Wilhelm sprichw. reg. 1 1*; die wort
sind grösser als der mann Lehmann ßoril. polit. 3, 50;
von ihren weitläuftigen geschafften und ihrer amts-
mässigen Zerstreuung ein paar grosse worte zu seufzen
Rabener 6, 171; die neigung der Jugend zum geheim-
nisz, zu ceremonien ^und groszen werten ist auszer-
ordentlich Göthe 23, 211 W.; etwas anders in der häu-
figen formel: der wirth war . . burgermeister, darumb
sasz er auch unter seinen gasten und hatte das grosse
wort allein Chr. Weise d. drei klügsten leute (l675) 167;
wo eine betschwester oder ein müssiggänger das grosse
wort führen Rabener 5, 26; Ghiberti, der . . gewohnt
war, in sachen der kunst das grosze wort zu führen
H. Grimm Michelangelo l, 83.
ß) ähnlichen klanges: grandiloquus der hoch einher
redt, der von grossen dingen redt, herrliche wort braucht
Calepinus XI ling. 625*; sy (die hochmüthigen) reden
grosse hefftige ding Albr. v. Eyb spiegel d. sitten (l5ll)
8 * ; atif anderer linie, aber ebensowenig schlechthin quan-
titativ:
auch soltu ausz einr kleinen sachen
allzeit ein grossen handel machen
Scheit Grob. 3721 ndr. ;
man macht auch kein grosz werck darvon, fleisch in
der fasten . . zuessen Fisghart bienenkorb a5*;
(dem weib) wirt dir ein langen text daher . .
und ein grosse histori machen
Scheit Grob. 4016 ndr.j
besonders:
{dein weib wird) machen erst ein grosses wesen
und dir ein lang register lesen 3998;
man schwätzet mir viel vor, man macht ein grosses wesen
Rachel sat. ged. 141 ndr.;
was groszes wesen ist ein kusz
Königsberger dichterkr. 103 ndr. i
nicht gesonnen, grosze umstände zu machen 0. Lud-
wig 2, 858; et is ken graut roiimens d^rfan t« mäk^n
Baüer-Gollitz 86»; vgl. schon mhd.:
wä mite machet irz s6 gröz?
so viel avjhebens davon
Erec 8034.
d) nach innerer weite und erhabenheit: es ist alles so
grosz um mich, wie wenn gott durch die nacht ginge
Jean Paul sämtl. w. 7 (1826) 274 JS.; zuweilen mit stärkerem
anklingen der quantitativen grundbedeutung: drinnen (im
dorn), wie grosz nimmt uns das auf. wie strömt das
beklommene herz in eine unendliche weite Gutzkow
tverke 11, 99; jene mythen, wahrhaft grosz, stehen in
einer ernsten ferne respectabel da Göthe IV 23, 25 W.;
die religion ist schlechthin grosz wie die natur Fr.
Schlegel im Athen, l, 2, 92; von künstlerischen Schöp-
fungen : das gröszte werck der Innern groszheit nach
die rotonde (in Rom) Göthe IV 8, 45 W.; vier kleine
lieder, die sie (die Sängerin) dergestalt grosz zu machen
wuszte, dasz die erinnerung daran mir noch thränen
auspreszt IV 37 , 189 ; das tutti kehrt wieder , wie ein
riese hehr und grosz schreitet das unisono fort E. Th.
A. Hoffmann l, 13 Gris.; das lied ging fort und wurde
grosz und fromm, erschütternd einfach, wie im kirchen-
style vorgetragen Stifter l, 145 Sauer;
kometen winken, die stund' ist grosz
Göthe 16, 372 W.
e) endlich in einem gebrauch, der einem, qualitäts-
urtheil nahe kommt, aber nur in einigen Wendungen
neuerer spräche: man spricht von schöner klangwirkung
einer groszen stimme ; ein groszer wein ; in der spräche
des »ports: das pferd lief ein groszes rennen, gewann
in groszem stil, war in groszer form u. ä.
G. eine reihe verbaler Verbindungen ist gesondert zu
behandeln, weil sie z. th. mehrere der unter A — F ent-
wickelten bedeutungen übergreifen.
l) grosz machen, in stark schwankender bedeu-
tung:
a) zunächst in dem ursprünglichen, rein quantitativen
sinne: groszmachen oder weitern, mehren ampliare
Degimator thes.; daz der herre hat groszgemachet
sein derbarmd cod. Tepl. 79 var.; das sind alles wort
einer grundlichen rewe, die da gros macht und viel die
gnade gottes, ynn dem das sie gros und viel macht
yhre sunde Luther 18, 499 W.; an der zweiten stelle
aber schon in dem, besonderen sinne 'verbis augere', und
so nicht selten: es scheinet . . nicht, das so grosse fahr
. . . daran lige. aber s. Paulus machets warlich gros,
das es nicht gelte geld noch gut 34, 2, 888; und ob
schon ettliche thorechte pfäfflein . . grosz machen das
fasten gebot Eberlin v. Günzbukg i, 20 ndr.;
dann hilft ihr aufschneiden und groszmachen
so viel, dasz man sie thut auslachen
Opel-Cohn dreiszigj. krieg 422;
ein ding mit Worten grösser machen als es ist Kram er
teutsch-ital. 1, 569''; seinen schaden, seine schmerzen
groszer machen (vorstellen) als er ist Adelung; vgl.
schon grosser machen maiorare Diefenbach 344»; a7i-
ders 'prahlerisch erheben' (vgl. b) : grosz machten sie den
(sieg) mit schritten und geschrei P. Eschenloer gesch.
d. st. Breslau 2, 46; die groszmachende stimm Augusti
. . , welcher . . spräche . . : Rom hab ich von Ziegelstein
empfangen, ich verlasz sie euch von marmel Schupp
sehr. 742; sehr häufig im älteren nhd. als magnifi,care:
und machten grosz gott der Israhel erste dtsche bib.
1, eovar.; des feindes lob macht den uberwinder desto
grösser Friedr. Wilhelm sprichw. reg, gl»; mein sei
macht grosz den herrep Berth. v. Chiemsee teutsche
theol. 193; in dieser bedeutung bisweilen zum festen com-
positum verwachsen: mein seel grossmachet den herrn
Tauler serm. (1508) 192''; ich lobe und groszmache dich
herzmaner li * ; dar dorch men godt laven , benedyen
unde groitmaken mach B. Waldis verl. söhn 3 ndr.;
weiter im sinne von Fla: die herren machen die offt
gros, welche ihnen am nngetreuesten sein Friedr.
Wilhelm sprichw, reg. gl»; diese bedeutung in neuerer
zeit herrschend:
will mit gold ihn überhäufen, . .
grosz ihn machen, grosz und reich
Grillparzer 7, 149;
aber nicht die federfuchser haben Preuszen grosz ge-
macht Fontane l5, 161; etwas anders: allein ... es
fehlt ihnen (den italien. componisten) im ganzen, was
Mozart grosz macht über alle 0. Jahn Mozart 4, 274.
b) reflexiv 'prahlen, sich brüsten': grosz machen sich
selbst semet augere Kirsch corn. 2, 159''; ich bitt mengk-
lichen, dass wir uns nit durch unser gross machen ver-
füerind Staub -Tobler 2, 804 (quelle von 1470); alldie-
weilen solch volck sonst nichts mehr weisz, als nur
mit dem maule sich grosz zumachen J. Riemer polit.
maulaffe, vorr. 8»; ohne mich eben grosz zu machen,
ich bin ein ehrlicher bedienter Cronegk sehr, l, 40; er
macht sich noch grosz er rühmt sich noch (s. dumm-
heit) FoLLMANN 218»; auch mitpräpos.: sich mit etwas
grosz machen Kramer teutsch-ital. 1, 568"; um sich da-
mit bei andren grosz zu machen und rühmen E. Fran-
cisci traursaal (l665) 1, 902; alle künste, womit wir
uns so grosz zu machen pOegen Wieland (1794/".) i,
86; etwas anders, milder:
hier macht ein mägdgen sich mit einem kätzgen grosz
Henrici ernst-, schersh. u. sat. ged. 1, 289;
vgl. damit sich der . . . grosz gesehen macht sich ein
groszes ansehen gibt Fischer schwäb. 3, 855 (quelle von
1562); im selben sinne: da er auf eine so dumme art
den grossen machen- wollte Petrasch lustsp, 2, 575;
491
GROSZ I G 2—4
GROSZ I G 5. 6, H
492
so noch heute im Schweiz.: den grossen, sich grosz ma-
chen StaUB-ToBLEK 2, 804.
2) grosz thun, erst seit dem späten 17. jh. bezeugt;
zunächst anscheinend 'prunken, protzen': grosz thun os-
tentare Stieler 2352; paradiren, eine parade machen,
grosz thun, sich prächtig sehen lassen cur. hauernlex.
(1728) 129; wenn unsre mandarine der Wissenschaft . .
darben, indesz die unwissenden . . verschwenden und
groszthun Herder 23, 553 S.; so lange die leute noch
im Wohlstand waren, wollten sie groszthun Zschokke
14, 203; und so mundartlich noch heute: der tut grösser
als er ist Fischer schwäb. 3, 855; de nig groot doon
kann, möt groot praalen Dähnert 162^; dann auch
'mit Worten prahlen, sich brüsten': Tasso ist so gut als
fertig, noch aber darf ich nicht grosz thun Göthe
IV 9, 121 W.;
für einen zwerg thust du gewaltig gross
Pfkffel poet. vers. 7, 189;
ich hab immer gesagt, was ich für einer war, und hab
grosz gethan 0. Ludwig 2, 381 ; mit präpositionen : stocke
. . . womit sie {die handwerker) durch die stadt grosz-
thun B. Mayr päckch. sat. 68; zwar thut Saxo gegen
das ausländ noch auszerdem mit einer ganz beson-
deren . . quelle grosz Dahlmann gesch. v. Dänem. l,
11; reflexiv:
und hab ich gleich mit mir ein biszgen grosz gethan
Henrici ernst-, scherzh. u. sat. ged. 4, 146;
ich weis nicht, worauf sie grosz thut P. A. Schrader
scherze (1762) i, 196; will man aber mit dem briefe auf-
treten und noch grosz darauf thun Göthe IV 14, 66 W.;
vgl. I 16, 20; (eine) die mit den göttern eifert und gegen
sie grosz thut Sghleiermacher Piaton 6, 181; seltener
mit reflexivem acc: von dem kaltsinn so vieler men-
schen, die sich mit dem namen Christen groszthun
Lavater handbibl. 5 (l79l) 58 ; und wenn sies nun wüszt
. . . und thät sich grosz damit, der Holders-Fritz . . .
thut, was ich will 0. Ludwig 2, isi.
3) grosz reden, sprechen«, ü. seit dem IG. jh.:
es war gros geredt, quod ex semine Abrahae sol Chri-
stus etc. Luther 29, 34 W.;
de ok grötspreken dorsten,
helt me klöcker vor deniforsten
städtechron. 16, 155 ;
(er) fängt an vortrefflich grosz zu sprechen
Henrici ernst-, scherzh. u. sat. ged. 3, 482;
namentlich mit von: denn bey dir, bey meinem söhne,
musz es mir erlaubt seyn, von dieser sache grosz zu
sprechen Garve Cicero von den menschl. pflichten i, 59 ;
sprachen gegeneinander grosz von sich und ihren thaten
Droysen gesch. Alexanders 131; nicht selten auch als
compositum geschrieben und empfunden: ei! so musz
hr Klotz nicht groszsprechen Herder 8, 421 S.; wenn
er recht log oder groszsprach L. Schefer ausgew. w.
7, 114; mit objectsatz: dahero nachmahls die Römer ohne
grund groszsprachen, dasz . . . Lohenstein Armin. 2,
1210"; groszprahlen Kramer teütsch-italien. l, 570»; du
schämst dich nicht, damit grosz zu prahlen? Schiller;
du zwingst mich groszzuprahlen 0. Ludwig 4, 366; sel-
ten; dagegen ist das part. groszprahlend sehr geläuflg,
s. sp. 575; von seinen Zauberlaternen schwatzte er sehr
grosz Z. C. V. Uffenbach merkw. reisen l, 51; ein . . .
tyriacksman, der rühmet grosz von seinem tyriack, . .
wie kräfftig derselbe were Kirchhof wendunm. 2, 166
lit. ver.; entsprechend: ein groszer Sprecher grandiloquus
DiEFENBACH 268«.
4) etwas grosz achten, halten, schätzen:
magnifl^are groszachten Diefenbach 343^; multifacio
hoch oder gross achten Calepin xi ling. 918 *>; dass
man die heyligen sacrament gross acht, sie yn ehren
habe Luther 8, 686 W.; so . . dich dise allweg allein
grosz hat geachtet Boltz Terenz^^; er den Epigenem
als einen kriegsgeübten mann grosz geachtet Xylander
Polybius 289 ; diese von andern grossgeachte Wollüsten
. . der weit Grimmelshausen 4, 668 Keller; auch mit
besonderen Sinnesfärbungen: dasz wir lernen erschrecken
für den greueln der papisten, dieselben lernen grosz
achten Opel-Cohn dreiszigj. krieg 300; aber es wird
jetz für gross geachtet, wo einer nur ein theil seiner
ersten andacht . . . behalten möchte Jon. Arnd Thom.
a Kempis 13; sehr beliebt als negative wendung: aber
das du mich liebhast, das acht ich nit grosz N. v.
Wyle translat. 86 lit. ver.;
und dörftends wol nit grösser achten,
als wenn sy hett bissen ein lusz
H. R. Manuel weinsp. 3769 ndr. ;
ob ich einmahl wein trincke oder nicht, ich achte ihn
auch eben so grosz nicht Chr. Reuter ehrl. frau zu
Plissine 23 ndr.; etliche weiber sollens auch nicht grosz
achten, wenn sie von ihren männern . . getödtet wer-
den V. Mandelslo morgenl. reisebesehreib. (1696) 95°'
Olearius; die formel gerieth theilweise unter den ein-
flusz des intensiven grosz («. o. D 3 b) : denn die Lace-
demonier nit grosz zärtlicher speisz und prechtiger essen
achten Cyr. Spangenberg jagteuffel, tlieatr. diabol.
(1569) 293''. — der jenigen, so gottes wunderwerck sehen,
gros halten, loben und rhümen Luther 16, 277 W.;
diser . . tyrannisch gwesen ist fürnemlich gegen denen,
die Athanasium gross hielten C. Hedio chron. germ.
155''; dass die astronomey von den alten gross gehalten
ist worden Paracelsus opera (1616) 2, 341; anders: der
uff den sieg Juliani wartet und sein tröwen groszhielte
(auf s. drohen viel gab) C. Hedio chron. germ. 184»; mit
reflexivem casus: und sie, die sich von solchem hüpschem
edlem Jüngling gefreyet sähe, sich das grosz hielt Lin-
dener rastbüchl. 38 lit. ver.; men sal sik nicht to gröt
holden, men wet nicht, wat noch komen kan Tunni-
cius sprichw. nr. 387; verändert nach F 1 c: dasz er
{der kurfürst) sich nicht zu grosz gehalten, kleine
Winkelzüge zu brauchen Lessing 12, 240 M. — selten
ist: groszschatzen magni pendere Decimator thes.; da
ist . . . alles . . ., was die weit gross schätzet Dann-
hawer catech. milch 1, 259; ein dapfer gemüt schetzet
sich auch gros Friedr. Wilhelm sprichw. reg. o l»;
später entstellt: grosz, ja übertrieben wurden die äuszer-
lichkeiten einer besser geglaubten vorzeit werthgeschätzt
Göthe 49, 38 W.; nur lexicalisch: grosz wyegen vel
achten magnipendere Diefenbach 843°.
5) grosz halten, denken von etwas: Balbum
quanti faciam . . wie gros ich vom Balbo halte Bas.
Faber thes. 243'';
der aber gschwind fmantzen kan,
der ist der man,
von dem man grosz musz halten
G. Forster frische teutsche liedl. 147 ndr. ,■
auch reflesdv: die gros geystlichen . . können nicht an-
ders denn yhn selbs wolgefallen . . , gros von sich hal-
ten Luther 18, 48i W.; die andern stolzen heiligen, die
viel und grosz von sich selbs halten sämmtl. w. I 6, 4
-Erlang, ausg.; hier scheint deutlich, dasz grosz zunächst
object war (= groszes), um erst später adverbial emp-
funden zu werden; im selben sinne ursprünglich grosz
denken : Altfranken . . die grosz vom vaterlande denken
Klopstogk w. 12 (1817 Göschen) 100;
der hochselige
hat immer grosz gedacht von euer gnaden
fürtrefflichem verstand und feldherrngaben
Schiller 12, 218 G. ;
doch färbt sich diese wendung nach F 1 e: von seinem
fürsten edel und grosz zu denken l, 14; man musz den
phalanx der männer verstärken, die über das grosze
grosz denken K. Fr. Cramer Neseggab 3, 5.
6) sich grosz wissen, dünken: diejenigen für
stümper zu schelten, die sich grosz damit {mit dem
beifall des pöbeis) wissen Liscow samml. sat. u. ernath.
sehr. 480; mag doch also der gelehrte musicus sich da-
mit grosz düncken Ramler einl. in d. schön, wissensch.
~i, 214; so däuchte er sich in seiner bosheit grosz Sal.
Gessner 2, 50.
H. die alte formel grosz und klein ist ebenfalls für
sich zu stellen, weil sie über ihr ursprüngliches geltungs-
gebiet hinau^gegriffen hat.
493
GROSZ I H 1. 2
GROSZ I H 3. 4— II 1 (substantivisch) 494
1) voji haus aus iyi der hedeutung B i; frühzeitig im
sinne einer zusammenfassenden formet 'von verschiedenem
gröszenmasz' :
da nach chßmen steine grozze und chleine
Müst. exod. IM, 26;
daz (laken) schein des nachtes . .
von dem edelin gesteine
gröz unde deine,
daz dar allenthalben ane stunt
graf Rudolf 2, 4;
es sein auch darinnen {in Schlesien) viel fischreiche
•Wasser, gros und klein Rätel Curäi chron. 275; in jün-
gerer spräche nicht mehr so verbreitet wie ehedem: grö-
szere und kleinere feste Göthe IV 32, 50 W.; häufiger
in der bedeutung 'alle iyisgesamt':
d6 Ute er (Noah) iiz läzen cleinez unde grOzez
Vormier gen. 13, 13;
sie zalden min gebeine
beide gröz und deine
Hesler ev. Mcod. 1620 ;
(es) warden von got erschafTen . . . vögel und visch,
grosz und klein Albr. v. Eyb dtsche sehr, l, 40;
alle geschöpf grosz unde klein
H. Sachs 1,436 K.i
vgl. kein thier auf erden so grosz, so klein, es geht
niemahls allein maler Müller l, 84; sächlich und sub-
stantiviert:
wen undir einandir vechten di steine,
daz si rlzen gröz und kleine
Brun V. Schönebeck 10971;
auch flectiert: all dies einrichtungsmaterial, kleines und
groszes Fontane I 5, 20 ; zu F 2 gehörig:
halt immer dich an den natursinn :
in ihm hat grosz i^id kleines sitz
Grillparzer 3, 212;
ungewöhnlich in adverbialer Verwendung:
weiszt du nicht heute abend klein und grosz
mir zu erzählen, was sich hier begab 7, 26.
vgl. im groszen und kleinen II 2 d.
2) am, häufigsten auf personen bezogen im sinne 'alle
insgesamt' und so bis in unsere zeit voll lebendig:
dö rifen die jüden gemeine
beide gröz und deine
Christ, u. Pil. 18 bei Kraus dtsche ged. d. 12. jhs.,
dazu die anm. s. 247, icoselbst zahlreiche nachiceise fürs
mhd.; so sehr formelhaft, dasz der ursprüngliche sinn
darüber vergessen icerden konnte, z. b.:
'nu habe wir diz getan',
sprächen si algemeine
gröz unde deine
Straszb. Alex. 4093 Kinzel,
wo höchstens 'ritter und knappen' gemeint sein können;
erst in jüngerer spräche wieder anschaulicher: sie sassen
da alle gross und klein (== die ganze familie) Jung-
Stilling 1, 290; gross und klein, alt and jung, alles
kam, euch zu sehn Babo schausp. l, 16; weitere belege
unter klein th. 5, 1090; auch nach prSpositionen unver-
ändert:
und wird von gross und klein gefragt
Günther ged. 128;
ein kräftig ja, ein freundlich nein
macht dich beliebt bei grosz und klein
Ulr. Hegner sehr. 5, 215;
die umgekehrte reihenfolge mhd. höchstens aus reimgrün-
den gelegentlich, z. b. Straszburg. Alex. 5217 Kinzel; im
älteren nhd. aber häufiger: der tod nimpt gleych hin
die armen und die reychen, klein und grosz Frisius
diet. 1227*»; frauwen . . die . . durch ihre tugendt viel ehr
and gnaden von klein und grosz überkommen haben
buch der liebe 286*; sollen die kinder ynn der musica
geübet werden, alle, klein und gros Luther 26, 237 W.;
vor klein und grosz zu schustern Grimmelshausen 3,
432 Keller; als diese . . suppe aufgetragen war, setzte
sich klein und grosz . . . darumb her 410; flexion ist
nicht häufig:
der patriarche d5 gebot
grözen und deinen
allen gemeinen,
daz si sungen gote zu 6ren
graf Rudolf 15, 21;
'ä', sprächens al gemeine
gröze unde kleine
GoTTFR. V. Straszburg Trist, 3266;
lasz groszen und auch kleinen
die gnadensonne scheinen
P. Gerhardt bei Fischer-Tümpel 3, 333'>;
eine ländliche festlichkeit ist geeignet die gemüther
der kleinen und der grossen in allarm zu bringen S.
Brunner erzähl, u. sehr. 1, 41.
3) seit dem nhd. nicht selten auch in einem abgelei-
teten sinne; besonders 'hoch und niedrig' (s. o. Flc):
wie denn auch viel ynn deutschen landen beyde gros
und kleyn mein reden und schreiben . . . verfolgen
Luther 15, 27 W.; dass kein person, klein oder gross,
in . . Österreich . . gerichtszwang üben . . solle Tschudi
chron. helvet. 1, 79; oh, das bei groszen und kleinen Ver-
ehrung des kaisers, fried' und freundschaft der nach-
barn . . . bewahrt würde Göthe 13, l, 299 W.; weiteres
unter klein th. 5, 1098; 'bedeutend und unbedetdend' (s. o.
F 1 b): die übrigen ausländer, grosz und klein, thaten
. . . ein gleiches Fr. M. Klinger lO, 156; von fürsten
und Staaten {s. o. Fla): doch grosz und klein ist gegen
mich, und ich musz kämpfen Grabbe 3, 139 Bl.
4) im mhd. ist auch der entsprechende negative ge-
brauch reich entfaltet:
so ist der tier denn kain,
weder groz noch klain,
es pisse sich und grimm
zs. f. ätsch, alt. 1, 121;
noch hom deheinez
gröz noch chleinez
Milst. exod. 137, 22;
der wind nehete neheine mäht,
gröze noh deine
Pilatus 217 ;
daz'weder under in genas
der gröze noch der cleine
KoNR. V. WÜRZBÜRG troj. 12881*,
er het nit acht ir kaines,
weder grosses noch klaines
Pfarrer v. Kaienberg il ndr.;
substantivisch im ainne 'nichts':
daz sl kleine noch gröz
mohten gevähen
Hartm. V. Aue Greg. 950;
entsprechend adverbial:
weder klein noch grözze spurt er nu den bracken
j. Tit. 1257, 1;
men he roghede sik nicht klein noch groet
Reinke de vos 183 Prien;
nhd. nur in einzelnen nachklängen:
veracht mein rhat nicht grosz noch klein
H. Sachs 19, 25 K.-Q.
II. substantivisch.
l) persönlich.
a) im sinne der bedeutung I B l c y: mei groszer, de
grusze der älteste söhn, die älteste tochter MOller-Frau-
reuth 1, 444*; der grosze {von zwei brüdern) der ältere
Bruns volksw. d. prov. Sachsen 26^; wohl allgemein in
ma. und Umgangssprache; die älteren Schulkinder heiszen
die groszen Fischer schwäb. 3, 854; de groten möten de
klenen nage wen vdrd zu älteren kindern gesagt Dähnert
163»; {Thiel) hörte den groszen ihre Schulaufgaben ab
G. Hauptmann bahnwärter Thiel (1892) 16;
den kleinen gebt die rute, die groszen steckt ins loch
Gerok auf eins, gangen ^»iii;
der, die grosze oberknecht, groszmagd Fischer schwäb.
3, 854 {vgl. grosz I B 1 f); meist elliptisch zu verstehende
ausdrücke; ebenso auch: der, die grosze groszvater, -mutter
Hertel Thür. ilO; lux. ma. 156; grossen groszmutter
Staub-Tobler 2, 806; häufiger deminutiv: grösi m.; grösi,
grösseli /. und n. ib. ; grosel groszmutter, überhaupt alte
frau Schmidt Straszb. 45»; vgl. Follmann 218''; Auten-
rieth 57 und sonst; nd. groszke groszmutter, alte frau
495
GROSZ II 2 (subatantiviach)
GROSZ II 2 (substantivisch)
496
Frischbier l, 255 '•; grootje groszmütterchen Stüren-
BURG 76''; beschränJder anwendung ist groszchen/ür grosz-
Und zs. f. d. w. 2, 829.
b) in Uterarischem gebrauch gewöhnlich im sinne der
uneigenüichen bedeutung I F 1 ; erst in jüngerer zeit ge-
legentlich nach F 1 d oder e: noch denken wir mit den
gedanken jener groszen und weisen Herder 16, 36 S.;
die einzelnen groszen stehen weniger isolirt unter den
Griechen und Römern Fr. Schlegel im Athen. 2, 68;
ich weisz heute, dasz ich nicht zu den groszen gehöre
Schnitzler Anatol (l90l) 77; zumeist aber nach F l c;
hier tritt substantivischer gebrauch schon im älteren nhd.
auf, doch festigt sich die ausgesprochene Substantivierung
im> sinne 'optimates' erst mit dem späteren 17. jh.: die
wenigen und die grossen und die reychen und die armen
erste dtsche bibel 2, 503; fände (er) von den höchsten
grösten und kleinsten gemeiniglichen alle in Unzucht
Arigo decam. 31 K.; was für . . schändliche fehler be-
gehen etliche, sonderlichen die grössere Schupp sehr.
756; solches aber zu verhüten, machten die grossen in
Meden ihnen kein gewissen A. U. v. Braunschweig
Octavia l, 48; Clotharius IL hatte Arnulpho, Pipino und
einigen andern groszen ... zu dancken Hahn einleit.
zu der keiserhist. 1,5; die liberalität der römischen
groszen gegen die unteren stände Jhering geist des
römischen rechts 2, 1, 256; mit präpos.: dasz er keine
freunde unter den groszen im kriegs - departement
hatte Bode Thomas Jones 8, I5i; der Charakter der
groszen in der nation Kästner verm. sehr. 2, 52; häu-
figer mit gen.: die grossen des hoffes Ziegler asiat.
Banise 87; den groszen der erde Arghenholz England
u. Italien 1, 1, 5; beruht auf: wie der name der groszen
auf erden 2. Sam. 7, 9; variiert: es haben die groszen
dieser weit sich der erde bemächtiget Göthe 21, 53 W.;
vgl. was sind wir groszen auf der woge der menschheit
8, 184; auch mundartlich: die grossen die durch vermögen
und sociale Stellung hervorragenden Staub-Tobler 2, 804;
ein groasser ein fürst, ein vornehmer Schöpf 216; vgl.
Müller-Fraureuth 1, 444*; ich hab's von eme grosze
AsKENASY Frankf. 177, hier besonders von personen des
Stadtregiments.
2) sächlich.
a) von der concreten grundbedeutung aus zu verstehen:
vele kleine maken ein grot Tunnicius sprichw. nr. 1041;
das klein wird gestohlen, dasz grosz genommen Leh-
mann florileg. pol. 1, 331; zudem ist die natur in dem
kleinen eben so grosz . . als in dem groszen Breitinger
crit. dichtk. 1, 120 ; auch noch : die arme meines geistes . . ,
mit denen ich ins unendliche griff und . . ein groszes
zu umfassen hoffte Göthe 21, 131 W.; gewöhnlich unsinn-
licher im sinne der bedeutung I F, und zwar in vielfäl-
tigen modulationen ; gern in Sprichwörtern: it is ein gek,
de gröt annimt sunder hulpe Tunnicius sprichw. nr. 1342;
wem das wenige verschmähet, dem wird das grosser
nicht Luther fabeln 17 ndr.; wer das geringe nicht
achtet, der ist desz grossen nit werth Lehmann j^oriie^r.
pol. 1, 289; im geringen sieht man, was einem in grossem
zu trawen l, 344; es gibt offt einer etwas geringers, dasz
er ein grossers davon bringe Petri d. Teutschen weish.
2, z 8*; in kleinem fanget man an, in groszem höret man
auf Chr. Wolff gedanken von der menschen thun 628;
so fern er . . im grossen wie im kleinesten trew, fleissig
und fürsichtig ist Mathesius Sarepta 7*; in jüngerer
spräche nähert sich diese formel adverbialem gebrauch,
8. u. d schlusz; ganz entsinnlicht: ich bitt nit grosses
N. v. Wyle translat. 83 lit. ver.;
mich truckt ein grössers, lieber sun!
H. Sachs 6, 150 K.;
ich wer dir wol geneigt in dem und noch vil grosserem
zu willfarn Seb. Virdung m,usica getutscht a 4''; anders:
dasz das groszes zu bedeuten (haC)
Grillparzer 4, 86;
doch in dieser wendung gewöhnlich etwas gr., s. u. c; es
gehe nichts am hofe vor, weder groszes noch kleines
Mörike 3, 20; das grosze an der sache ist die wissen-
schaftliche Verwertung Schnitzler Anatol (i90i) 17; es
ist das grosze nicht das hat nicht viel zu sagen Albrecht
Leipz. 126*^; neuerdings häufiger: dasz ich der graf P**
aus M — und zu groszem berufen sei E. Th. A. Hoff-
mann 6, 23 Gris.; du bist zum gröszten bestimmt Laube
2, 136; etwas anders: er ist einer von denen, die die
natur zum groszen geschaffen F. M. Klinger 3, 37; ebenso
jung sind Wendungen wie:
wer groszes will, musz sich zusammenraffen
Göthe 4, 129 W.;
begierig nach vergnügen, ungeneigt nach groszem zu
trachten Gervinus gesch. d. dtsch. dichtung *5, 10;
ein held ist, wer das leben groszem opfert
Grillparzer 5, 67;
die formal das grosze (als begriffliche abstraction der be-
deutungen I F 2 a und d) ist eine Schöpfung der klassi-
sclien Periode; mit verschiedenartig gefärbtem sinn: und
es ist eben so wahr, dasz das grosze, das edle, das
gute ... in der metaphysik unsrer begriffe was anders
ist, als die grosze, der adel, die gute Herder 4, 303(S'.;
weil dieses garstige gezücht das schöne, edle, grosze
herunterzieht Göthe IV 38, 171 W.; ein lebendiges gefühl
für das grosze und schöne Gaudy 13, li; aber das sitt-
liche grosze lag . . auszerhalb dem gebiethe der poesie
Fr. Schlegel 4, 70; Horaz hat , . vielleicht am meisten
sinn für das heroisch grosze l, 86; dasz das grosze, das
schreckliche . . besser auf uns wirkt als das artige, das
zärtliche Lessing 8, 42 M.; das einfach grosze und stille
ihres Charakters (von gebirgsgegenden) Göthe 24, 367 W.;
im sinne der bedeutung IG: A. v. Humboldt . . deutete
auf ein streichungsgesetz im groszen des erdbaues hin
Ritter erdk. l, 35; ähnlich in der formel: alle Weis-
sagungen, die auf das grosze und ganze der erlösung
des menschlichen geschlechft . . abzielen Jung-Stilling
3, 422; vgl. I C 2; auf anderer linie, eine eindeutschung
von frz. gros: meistens für das grosze in Deutschland
Herder i, 286 S.; vgl. ^gros schlusz.
b) auch etwas groszes vielfältig im sinne von I F:
wer etwas grosz will bitten, der musz dargegen etwas
schencken Lehmann florileg. pol. i, 80; wenn jemand
würt etwas grosses geschenckt, so vergandt es im jeder-
man seh. w. klugr. (1548) 75"'; enger (vgl. I F l b):
ist diesz nicht puppen-werck, wer etwas grosses heissen
und seinen lorbeer-krantz mit golde zieren wil
Chr. Weise d. grün, jugend überfl. gedanken 172 ndr.;
ähnlich: es mit der zeit . .«zu etwas groszem in der weit
zu bringen Eichendorf 3, 15; nach I F 2 b: dasz sich
gemeiniglich, nach dem. sich diese fisch sehen lassen . . ,
etwas wichtiges und grosses am Bodensee zutrage fisch-
büchl. 158; ist in der politischen weit Europens kaum
etwas groszes und merkwürdiges geschehen, woran die
reformation nicht . . . antheil gehabt hätte Schiller
8, 3 G. ; seit alters in einigen Wendungen besonderen klanges:
(die scheinheiligen) zu hant in zorn fallen, als were wider
die nature was gar grosses geschehen Arigo decam. \GhK.;
was war denn auch so groszes an dem ring?
• TiECK sehr. 3, 352;
s'ist gar was groszes um 'ne unze blut
Müllner dram. werke 3, 12;
auf anderer linie : mainend, sy thüend etwas gross mit
irem fasten Eb. v. Günzburg i, 17 ndr.;
jungkfraw, soll es seyn etwas grosz,
dasz du herprangen thust zu rosz
Spreng Aneis 235'';
sie bilden sich was groszes ein auf etwas, was in ihrem
köpfe sitzen soll E. Th. A. Hoffmann ig, 16 Gris., hier
an die quantitative bedeutung von f streifend.
c) ins grosze ist in seiner ältesten Verwendung zurück-
zuführen auf das kaufm,annstoort en gros, das als fremd-
wort in der 2. hälfte des 17. jhs. aufgenommen worden ist,
s. Schulz fremdwb. 172*; seit dem ende des jhs. einge-
deutscht und im sinne von I C verstanden: handel-häuser,
. . in welchen die frembde kauffleute eingehen und ihre
wahren ins grosz verhandeln Olearius persian. reise-
497
GROSZ II 2 (substantivisch)
GROSZ II 2 (substantivisch)
498
heschr. 234; ins grosz verkauffen in solidum vendere
Stieler 707; in grosz handeln Kramer teutschital. i,
509'; grossirer . . ist ein kaufmann, der ins grosze han-
delt Sperander 283»; preiss-courant von allerhand fein-
und gi-oben wahren ins grosz und klein Casselische ztg.
1731, notific. 3; auch eine reihe jüngerer gebrauchsweiaen
scheint sich aus dieser würzet herzuleiten: die bücher-
macherei wird mir noch bei weitem nicht gehörig ins
grosze getrieben Novalis 2, 8 Minor; denn er war hut-
fabrikant und trieb die sache sehr ins grosze G. Frey-
tag ges. w. 6 , 23 ; o , der treibt die unglücksmacherei
schon ins grosze Nestroy 8, 66; ein beschränkter kauf-
mannsgeist, der es nicht wagt, sich ins grosze auszu-
dehnen Fr. M. Klinger 3,73; da die bestellung ins grosze
geht Göthe IV 41, 19 W.; dasz er sie . , auszer stand
gesetzt hat, thorheiten ins grosze zu begehen IV 10, 86 W.;
selbwachsen ist die formet in icendungen xde: die Zeich-
nung brauchte nur in kleinem format zu seyn, ich würde
sie hier schon ins grosze übertragen lassen IV 12, 123 W. ;
Glimour ist beschäftigt, ein miniaturporträt . . ins grosze
zu mahlen Babo schausp. l, 179; auch bildlich: man hat
von dem dichter verlangt, dasz er die fehler der jünger
mehr ins grosze hätte malen sollen Gerstenberg re-
cens. I2i lit. denkin.; eine begebenheit in einer einzigen
oder in ein paar flguren, und dieses in grosz gezeichnet,
vorzustellen Winckelmann (iSOSff.) l, 243; anders: in
diesen künsten, die so ganz dafür gemacht sind, ins
grosze . . zu arbeiten Europa 2, 29 Schlegel; mundart-
lich: 'i is watt in't groote es ist was auszerordentliches
Stürenburg 76^.
d) im groszen, mehr oder minder adverbial gebraucht,
ist eine junge formel; i?i gewissen Wendungen ebenfalls
von en gros abhängig: ein guter materialienhändler im
groszen Göthe 45, 16 Vi'^.; indem er holz im groszen kauft
III 2, 103; die freiheit . . , auf diesem markte im groszen
zu verkaufen Moser i, loi; die treiben holzhandel im
groszen G.Hauptmann weJer (1892) 56; (der garnträger)
tauscht . . garn ein . . , und überläszt es dann wieder
mit einigem profit im gröszern an die . . fabricanten
Göthe 25, 109 W.; andere gebrauchsxveisen sind selbstän-
dig: 'im groszen arbeiten , . grosze gemälde verfertigen,
deren figuren in ganzer oder wenigstens in halber lebens-
grösze sind' Jacobsson techri. wb. 2, 156*; im groszen ge-
mahlet dipinto in grande, in grandezza naturale Jage-
mann (1799) 546; der treffliche mann nimmt seine sache
(die landwirthschaft) ganz im groszen Varnhagen v.Ense
tageb. l, 39; ein westindischer pflanzer hat dort seine
Pflanzungen angelegt und im groszen betrieben Ritter
erdls. 1, 839;
bey solcher gelegenheit geht alles im groszen,
da wird mehr verschleppt und ruinirt, als genossen
Meisl theatral. Quodlibet 1, 55;
auf anderer linie (vgl. I C):
wärt ihr, philister, im stand, die natur im groszen zu sehen
SCHILLERill, 170 G.;
die Viehgeschichte bedarf noch ihres Universalhistorikers,
der die thiere im groszen zu greifen und zu malen ver-
stünde Fr. Arndt bei E. M. Arndt sehr, für u. an s. l.
Deutschen i, 73; die aufgäbe des platonischen Staates,
und also der gesammten menschlichen thätigkeit im
groszen betrachtet, sei keine andre Schleiermacher
Piaton 6, 43; ähnlichen sinnes wie im groben (s. grob
E 2 schlusz) : ich überlasse ew. wohlgeb., ob sie etwa . .
eine Zeichnung der vier Jahreszeiten im groszen voraus
entwerfen wollten Göthe IV 14, 70 W.; man . . mache
einmal einen Überschlag im groszen E. M. Arndt scä»-.
für u. an s. l. Deutschen l, 399; anders, 'im allgemeinen':
hielt ich dasjenige vor unzulänglich, was ich an die-
sem gedichte im groszen und überhaupt gerühmet hatte
Bodmer abhandl. v. d. wunderb. 433; 'in groszem um-
fange, maszstabe': reste einer furchtbaren bewegung . . ,
die . . die Oberfläche der erde im groszen verändert hatte
Steffens was ich erlebte l, 234; dagegen neben Substan-
tiven 'in vergröszertem maszstabe': das theater frangois
ist . . das theater Faydeau im groszen Solger nachgel.
sehr. 1, 54; schreitet ihnen eine gestalt entgegen, nusz-
IV. 1. 6.
knacker im groszen Immermann l, 57; ähnlich, nur ab-
stracter: barometer-beobachtungen . . , die . . Pfaff . .
durch ihre anwendung im groszen für die lehre von
den climaten . . fruchtbar zu machen wuszte Ritter
erdk. i, 42; gern mit hinzufügung des gegensatzes: wie
im groszen und in natura, so dienten mir diese stadt-
thürme . . auch nachgemacht und im kleinen oft zum
Spielzeuge Kern er bilderb. 10; es wiederholte sich nun
im groszen, was ich im kleinen so genau wuszte Göthe
23, 59 W.; verblaszt, 'in jeder beziehung': wenn ich nicht
wuszte, wie thätig sie für ihre freunde im groszen und
kleinen sind IV 22, 75 ; zu im groszen (und) ganzen vgl.
IC 2.
e) von besonderem interesse ist ein substantivisch ge-
brauchtes, unßectiertes neutr. grosz, das im mhd. und
älteren nhd. nicht selten als mengenbegriff (vgl. I B 2 b)
in ähnlicher function wie viel auftritt: dem gib der
erzenie also groz same zwo welhesch nuz zwei dtsche
arzneibücher 26 Pfeiffer;
daz ich nicht goldcs äne list
s6 grOz naeme s6 du bist («o viel wie du grosz bist)
Stricker Karl 5398;
vgl. auch das absolute grosz mit dem gen. des maszes,
nim einer nusz grosz u. ä., als mengenangabe I B 1 e;
ganz u~ie vil auch als zahlbegriff mit abhängigem gen.:
(so dasz man) nie gesach noch nimmer mer wirt sehende
sO gr6z üf einer plänie der houbt, den man sl fursten
namen jehende j. Tit. 1810, 4;
Italia armentosissima vychreych, die grosz vych erneert
Frisius dict. 120^; vgl. noch spät: zu messen, wie grosz
ganzes er an seiner kleidung habe Gotthelf nacASTAUB-
Tobler 2, 804; auch das in älterer spräche stereotype
grosz neben kosten wird von hier aus zu verstehen sei7i :
er Hess auch zu Prag anfahen ein hohe schul und liess
sich das gross kosten städtechron. 8, 156; wenn sie der
krigk grosz gekost hatte Rothe thiir. chron. 618 LH.;
unde heft grot gekostet Schiller-Lübben 2, 155'>; selbst
in fällen wie den folgenden glaubt man noch einen nach-
klang des alten grosz 'viel' zu verspüren: von der witwen,
die mit eynem deinen opfer grosz verdienet erste dtsche
bibel 1, 432; verhyesz im grosz zu schencken Fortuna-
tus 90 7idr.;
gross gäben din vorfaren drumb,
das sie mich hätten vor geläsen
Eb. V. GÜNZBURG 1, 35 ndr.;
mit vil verbunden als tautologische formel:
wan ir trehene vil unde gröz,
die sie in die wunden gOz
Tristan als viönch 1872;
doch seind allweg der frösch vil und grosz im bach
seh. w. klugr. 104 ''; (ein frauenminner ist) des här vil
und gröz ist Konr. v. Megenberg buch d. natur 52, 10;
und im ouch von früntschaft wegen des kaisers stetz
grosz und vil geschenckt war N. v. Wyle translat. 24
lit. ver. ; comparativisch : daz nur üwir gerechtikeit werde
grözir und mgrre dan der scribgre Beheim evang. buch,
Matth. 5, 20 (lat. nur: plus quam scribarum); das unsser
her der keyser durch die gnade gottis grosser und mehr
wircken mag zu gotis ehre H. v. Cronberg sehr. 9 ndr.
f) seit dem 16. jh. vnrd dieses grosz abgelöst durch ein
groszes = viel: dann ein groszes daran gelegen ist Frons-
perger kriegsb. 1, 106*; darob man sich ein groszes ver-
sprechen können Leibniz dtsche sehr. 1,829; mit der Ver-
sicherung, dasz es ein groszes zu weiterer aufnähme . .
ihrer blätter . . bey tragen würde d. vernünft. tadler. l,
410; dasz sie dadurch schon ein groszes über ihn ge-
wonnen hatten Wieland Agaihon 2, 216; sehr gern ganz
concret von einer hohen summe geldes: das es ihm zu
schwere wurde, ihre sendeboten . . weiter zu erhalten,
den die zeit her ein gross auf sie gegangen Grünau
preusz. chron. 8, 193; dasz darin alle jähr ein grosses auf
die armen spendiret werde Schupp sehr. 329; vgl. 380 ;
es hat mich ein groszes gekostet; ich wolte ein groszes
drum geben Kramer teutsch-ital. i, 569"; noch Frisch
erläutert: ein groszes magna summa peeuniae; aber auch:
res magni pretii, magni momenti l, 876"; die letztere be-
499
GROSZ III 1 {eompositionstypen)
GROSZ III 1 {eompositionstypen)
500
deutung {vgl. I F 2 b) macht sich frühzeitig geltend in der
beliebten wendung es ist ein groszes, die aber von haus
aus auch nur quantitativ zu verstellen ist: das ist auch
an ym selbs ein grosz, daz einer den willen hat selig
zu werden {lat: et hoc muitum est: velle servari) Mich.
Hkrr sittl. Zuchtbücher (1536) 87^; es ist ein grosz . . mit
dem glück kempfen, noch ein grössers, hie nit erligen
seh. w. klugr. 58'';
ey köndt ihr dasz, das wer ein grosz
Ayrer 2, 1426 K. ;
es ist ein groszes, die weit zu überwinden Auerbach
sehr. 5, 193; selten ohne artikel: wer dann nit recht eelich
geboren ist, der mag mein gemelt nit wol sehen, der
landtgraff sprach : meister, das wer groszes Eulensp. 40
ndr.; auch negiert: darumb ist auch kein grosses {macht
es nicht viel aus), ob sich auch seine diener verstellend
zu Prediger von der gerechtikeit Andr. Althamer v. d.
erbsünde (1525) a 2''; adverbial: würde sich dieselbe {trau-
rigJceii) ein groszes vermehren schausp. engl, comöd. 158
Creizenaeh; dasz mir die logik . . ein groszes gefruchtet
Leibniz dtsche sehr, l, 377; im, selben sinne auch um ein
gr., je später, je häufiger: {die Ulmer) erweiterten sie
{ihre Stadt) auch umb ein grosz See. Franck Oerm.
chron. (1538 im äugst) 171^; hierinnen ward er umb ein
grosses bestärcket, als Ziegler asiat. Banise 41; seine
naturgaben waren eben nicht von der ersten klasse. sie
waren aber durch . . erziehung um ein groszes ausge-
bildet BoDE Tho7nas Jones l, 256; das haben sie denn
freylich . . . um ein groszes besser Göthe IV 29, 9 W.;
um wie ein groszes würde die Wahrscheinlichkeit . . .
dabei gewinnen? Lenz 2, 839 Tieck.
III. grosz- als eompositionsbestandtheil zeigt eine
ungeheure triebkraft, die bis in die jüngere zeit immer
neue compositionstgpen geschaffen hat. im folgenden eine
übersieht, die alter, eigenart und sproszkraft dieser typen
an beispielen veranschaulichen soll, die meist aus dem
bezirk der {beliebig vermehrbaren) gelegenheitsbildungen,
der fach-, berufs- und Standessprachen, z. th. auch der
mundarten genommen sind, entwickeltere und allgemeiner
gebrauchte Zusammensetzungen suche man an aiphabet,
stelle.
i) adjeetiva.
a) im ganzen jung sind zusammenrückungen, in denen
grosz noch als adj. selbständigen und veränderlichen sinnes
empfunden wird, um die bedeutung des zweiten compo-
sitionsgliedes irgendwie zu ergänzen: groszdumm: wo-
mit soll ich diesen mann vergleichen? er ist immer
groszdumm Pestalozzi lo, 172; -frei: heroischer gross-
freyer heldenmuht Dannhauer catech. milch 6, 65; eine
tochterfreiheit musz es bleiben von unserer groszfreien
mutter Fr.L.Jahn l,51l; -geheimnisvoll: das g-dur-
concert . . mit seinem groszgeheimnisvollen adagio R.
Schumann 2, 207; -gut: groszguter regent des Riesen-
gebirges MusÄus volksm. l, 63; -kräftig: die grosz-
kräftigen menschen der bibel allg. dtsche bibl. 92, 692;
-lebendig: er allein {der Italiener) bringt nichts grosz-
lebendiges zu stände Laube 8,251; -rund: mit den
groszrunden äugen Jean Paul 27,65; -schön: in grosz-
schöner gestalt Voss antisymb. 2, 37; -vornehm: eine
groszvornehme donna Italiänerin Kortum Jobsiade 3,
157.
b) noch jünger sind zusam,menrückungen , in denen
grosz- in einer verschieden gefärbten adverbialen bedeutung
den sinn des adj. modifidert. bei concretem gebrauch als
reine maszangabe: groszgrobkörnig: grosz - grobkör-
niger granit Karmarsch-Heeren 3*, 153; - kry stall i-
nisch MusPRATT chemie i, 21 ; auch uneigenÜich 'in
groszen maszen, in groszem sinne': -geschichtlich: des-
halb ist er {Qöthe) dem groszgeschichtlichen ferne ge-
blieben 0. Ludwig 5, 269; -historisch: auch ihre (der
bibel) zwei hauptbestandteile sind echt groszhistorisch
Novalis 2, SlO M.,- -politisch: das . . , was man die
regierung nennt oder das groszpolitische in den Völkern
E. M. Arndt Schriften für u. an seine lieben Deutschen
2, 40*.
c) eine andere adverbiale zusammenrückung, in der
grosz- einfach den steigernden sinn der intensiven bedeu-
tung I D hat, ist dagegen gerade im älteren nhd. reich
entwickelt; aleni. bis heute {vgl. grosz IDsa): grosz-
alt grandevus Diefenbach 268^ {daneben auch die son-
derbare form groszaltig, von e aus zu verstehen?); -be-
herzt sehr mutig G.Alt buch d. cron. (l493) 258'; Sghot-
tel ethiea (1669) 131; -berühmt divinis laudibus ornatus
Stieler 1637; redliche thaten groszberühmter herren
Petrarcas hülf (1559) 59 '; -beweglich; ohne groszbe-
wegliche Ursache V. Thilo franz. hist. (1584) 1, 69'';
-fleiszig: ire diemutige, grosfleissige und zimliche bete
lehnsurk. u. besitzurk. Schlesiens 2, 162; -gar: groszgar
machen, spleiszen techn. ausdruck bei der kupferzube-
reitung in schmelzhütten Jacobsson techn. wb. 2, 157*;
-gefräszig: von dem groszgefräszigen, welcher stürmisch
alle Osche auf dem markt zusammenkauft J. Burck-
hardt vortr. 110; vgl. groszfräszig gierig, auch prahle-
risch Müller-Fraureuth 1, 444''; -geherzt: verwun-
derte sich über seiner . . groszgeherzten rede Bücholtz
Herkules (I666) l, 470; -gelehrt substantiviert Luther
9, 230 T7.; -gerecht 18,528; -gnädig: anwald seines
groszgnedigen herrn und principaln Jesu Ayrer hist. proc.
iuris i:9Z; -grimmig J. Dreyfelder hist. d. hauses Est
(1580) 208*; -gütig: er wolle . . dessen {des kindes) grosz-
gütiger herr pathe . . seyn aus einem, einladungsbrief
Menantes allem, art 272; -heilig Danniiauer ca<ec7t.
mi7cÄ2,4l9; -hitzig: ingroshitzigenjharenmisswachsung
. . erfolgt J. Heben streidt progn. (1566) Di*; -lieb: dat
meyne volck was so groteleve unde begerlick to der lich-
ten munte städtechron. 16, 420; -listig Eulensp. 85 ndr.;
-lüstig: dem groslüstigen und frölichen poeten Plauto
A. v. Eyb sp. d, Sitten (I51l) vorr. 3^; -menig sehr viel
Unger-Khull 309^*; -merklich: und andere grosz-
merckliche wunder A. Taurer buszrufer (1596) v 4*;
-reich: die groszreichen aller Staaten Pestalozzi 4,
857; -rühmlich Luther 18, 262 W.; -schätzbar ho-
noratissimus , venerandus Stieler 1742; -schwanger
Abr. a St. Clara merks Wien 54; sehr. d. Oöthegesellsch.
16, 337; vgl. grosz IA2b; -spaltig: woher kumbt nun
dise groszspaltige unainigkeit? F. Staphylus christl.
gegenber. (l56i) F4»; -sträflich: den . . groszstreflichen
bösen handel Fundling anzeig, zweier falschen zungen
Luthers (1526) A 3*; groszsträfig h 3''; -vernünftig
Heyden PZiw. 855; -verständig H.Pantaleon mitnächt.
Volk. hist. (1562) 1, 82; -weise sat. u. pasqu. 8, 85 Schade;
-wert aestumatissimus Stieler 2507; grosz- und lieb-
wehrte freunde Neumark netispr. teutsch. palmb. 51;
-wirdig autoritate praeditus Henisch 1755; -wunder-
lich BiEFENBACn 3iS^ s.v. magnalia; -zornig L. Pol-
lio V. ew. leben (1583) 55''.
d) ain häufigsten sind Zusammensetzungen mit Sub-
stantiven, die durch das Suffix -ig, -icht adjeetiviert sind;
schon im 16. jh. reichlich; je später, je häufiger, zumal
da verschiedene naturicissenschaftliche fachsprachen diese
bildungsweise ihrer terminologie dienstbar machen .-grosz-
aderig venosus Diefenbach 610"; {ein weibsbild) dürr,
groszadrent H.Sachs 3,481 ä".,- -ähr ig: wann die saaten
. . . groszährieht und vielkörnig {sind) Hohberg georg.
cur. 2,11; groszähriges liebesgras Sghlechtendal y?ora
V. Deutschi. 8, 8; -backig: dasz hinter maul, weil sol-
ches gar groszbackicht sey Leyermatzs corresp. geist 67 ;
von disen aufgeblasen groszbackenden gesellen {den win-
den) Abr. a St. Clara Judas l,590; -batzig: die wand
mit grosspatzeten rotzschlegel . . . gezeichnet Guari-
NONius greuel d. vertvüst. 511; {einem) grossbatzenden
drey-centner-schwein 682; zit batze ^ä. 1,1160; -beerig:
mit . . groszbeerigen trauben Voss ged. 6, 318; die . .
groszbeerichte ceder HiRSCHFEhu gartenk. 2, 20; -blasig:
erdschlacken . . von . . groszblasigem ansehen A. G. Wer-
ner gebirgsarten 23; groszblasige laven Lueger 3,496;
-blätterig: einen groszblättrigen kürbisstock Abr. a
St. Clara merks Wien 103; vielfältig in der fachsprache
der botanik und mineralogie: groszlDlätterichter ehren-
preis Chomels öcon. lex. 4, 1365; mit . . groszblättrigem
feldspath allg. dtsche bibl. 84,470; -blumig: am wege
standen die malven . . groszblumig Görres br. i, 221;
501
GROSZ III 1 (compoaitionstypen)
GROSZ III 2 (compositionatypen)
502
auch terminologisch: der groszblumige biberbaum Oken
8, 2, 1240; vielfältig in anwendungen wie: kleider . . von
groszblümichtem stoffe Sonnenfels 4, 354; in einem
weiten groszblumigen Schlafrocke Stifter 3, 327 Sauer;
-bogig: alleen, die . . in groszbogichten Schlangenlinien
hinlaufen S.G.Bürde erz. v. e. gesellschaftl. reise (1785)
304; auf ihrer groszbogigten stirne Lavater physiogn.
fragm. 3, 292; -brockig, bildlich: je mehr groszbrockige
redensarten von öffentlicher Wohlfahrt . . sie ausgehen
lassen J. Scherr Schiller 2, 2Q; -federig: das gefieder
ist . . groszfederig Brehm thierl. 4, 553 P.L.; -fleckig:
{das vieh tvarf) groszfleckichte jungen allg. dtsche bibl.
44, 240; der . . pelz ist groszfleckig schwarz und weisz
Brehm thierl. 1,279 P.-L.; -füderig: si Hessen ouch
grossfüdrig stein gegen den eydgnossen laufen Tsghudi
chron. helvet. 2,165; oder zu c? -füszig che ha piedi
grandi Jagemann 546; anders: grosz füessig mensch vel
wijterschrijterDiEFENBACH 269" s.v.(7ressw<MS; -gliedig
membratus Diefenbach 855''; membrosus Stieler 670;
groszglidet in armen Paracelsus op. (1590) 6, 340; grosz-
gliederig corpulentus Diefenbach 152<=; die kienketten
soll glatt, groszgliederig . . seyn Hohberg georg. cur.
2, 161; -goschig: groszgoschichter chilo Stieler ioi8;
uneigentlich;
schau da, der groszgoschete baur!
wie unbedachtsam red der laur?
Spangenberg-Fröreisen griech. dr. 2, 207 lit. ver.;
-grindig, groszköpßg: ein grossgründeten dolmb Guari-
nonius greuel d. verwüst. 299; ebenso 414; wider den un-
geheuren groszgrindigen Goliath Abr. a St. Clara Judas
1,59; -gültig: demnach an geringen und groszgültigen
gütern raub geschehen mag M. Beuther v. Carlstat
prax. rer. crim. (1565) 192»; vgl. kleingültig; -hörnig:
groszhörnigt vieh Gorvinus 114; -kalibrig von ge-
schützen Lueger 6, 715; -kehlig gutturosus Stieler
914; unserm groszkäligen Grandgusier Fischart geschieht-
klitt. 118 ndr.; -kelchig Rohling Deutschlands flora
3,97; -klüftig: mit groszklüftigem holz Voss Tibull
143; vgl. klüftig 3, th. 5, 1268; -knochig: (ein stier musz
haben) gerade groszknochichte knie Hohbero georg. cur.
2,268; -knorrig: groszknorrend, wimmerig, ästig block
See. Franck sprichw. 2, 170 >'; sonsten hinken weder die
groszknorrichte (loripedes) noch die krummbeine Go-
MENius Jan. IV ling. (1644) 82; -knotig: groszknödig
axavQo^ Frischlin (1586) Sl^ ; groszknotiger knöterich
ScHLECHTENDAL^omv.Dettfsc/iL 9,100; -koppig: gross-
köpichte pomerantzen Sebiz feldb. 278 ; groszköppige hüner
J. G. Schmidt rockenphilos. 1, 82; -körnig grandis Cor-
viNUS 396; grandiculus Stieler 122; groszkörnig ist das
pulver Schottel cf/itca (1669) 451; groszkörnigten soge-
nannten Schwarthafer Gottsched d. n. a. d. anm. ge-
lehrs. 8,612; aus groszkörnichtem granit allg. dtsche bibl.,
anh. zu 53—86, 670; -lippig labiosus Diefenbach 314»;
brochus 82»; -löcherig: mit einem groszlöcherten sib
A. Cario neue hall- u. tonkunst (i684) 45; die basaltischen
bruchsteine . . sind . . porös, klein- oder groszlöchrig
Ritter erdk. 15, 850; -maschig maculis amplis con-
textus Stieler 1218; -muschelig vom bruch des basalts
A. G.Werner oryktogn. 114; quarz von grosz- und flach-
muscheligem bruch Oken 1, 142; -nackig lacertosus
Diefenbach 8140; -porig: gegenüber den groszporigen
mittelzellen der kiefern Ratzeburg waldverderbnis 2, 4;
tuff ist ein loser, groszporiger . . stein Schönermark-
Stüber 850; -randig: mit groszrandigen, spitzen hüten
Steub drei sommer in Tirol 1,400; mit groszrändriger horn-
brille Gaudy 23, 66; -schildig: drey schock der gross-
schildetenhaderleuss H. Sachs 17, 339 JC.-ff.; - s chna blig :
groszschnablige meerschwalbe Naumann naturgesch. d.
Vögel 10, 18; -schröffig: weilen der weg gantz grob
groszschröffig gewest quelle v. 1668 bei Unger-Khull 809^;
-splitterig: {der holzstein) springt . . in groszsplitterige
bruchstücke A. G.Werner oryktogn. 64; -stirnig/ron-
tosus Diefenbach 248"; die spitzköpfe und die grosz-
stirnige (cilones) Comenius jan. iv ling. (1644) 78; grosz-
stirnige spinner eine abteilung der spinner-nachtschmetter-
linge Behlen 8, 506; -strahlig: das gefieder ist . . ,
ziemlich grosz- und weichstrahlig Naumann naturgesch.
d. vögel 2, 1, 858; grosz- und kleinstrahlige {laubhölzer),
nach den markstrahlen so bezeichnet Ratzeburg tvald-
Verderbnis 2, 103; -t raub ig: mit grosztraubigem wein
Voss antisymb. 2, 469; auch als mineralog. ausdruck
Zappe miner. handlex. 3, iSS; - iviiti g gradus grandiens
Stieler2334; -wampig: die grosswampeten predicanten
Guarinonius greuel d. vericüst. 1244; -wüchsig: die
wege von groszwüchsigen bruchweiden . . . beschattet
Ritter erdk. 4,571; eine anzahl besonders groszwüchsiger
(voifc*)stämme Ratzel völkerk. 2, 662; -wundrig: sehdt
die groszwundrigen geschieht gottes C. Güthel e. selig
new jar (1522) G 2^; -würfelig: eine art von kamlot . .
allzeit groszwürfelig in bunten . . färben gewählt Böt-
tiger kl. sehr. 3,42; -zahnig: groszzähnicht bronchus
Stieler 2597; das ansehen einer . . langnasigen, grosz-
zahnigen alten J. Grimm mythol. *i, 223; blätter groszzäh-
nig Oken 3, 2, 728; -zehig: mit . . groszzehigen füszen
Brehm thierl. 4, 52 P.L.
e) sehr viel seltener sind Zusammensetzungen mit verben,
die durch das suffix -ig, -icht adjectiviert werden: grosz-
atmig von pf erden als ein fehler Krünitz 20, 132; an-
ders: die einzige art von freundschaft, die unsern grosz-
athmichten Jünglingen zu erlauben wäre Brentano
Qodici 2, 28; -blühig: groszblühiger fingerhut digitalis
grandiflora Rohling Deutschlands flora 4, 416; -hörig
schwerhörig {vgl. grosz I A 2) Schmeller l, 1013; Lexer
kärntn. 124; Unger-Khull 309»; er war etwas 'grosz-
hörig' Rosegger Il,138; -lebig: in einer zeit . ., welche
die vorübergehende begeisterung des Individuums mit
ihrer groszlebigen, dauernderen zu unterhalten . . vermag
Gervinus gesch. d. dtsch. dicht.'^ 5, 592; -wächsicht in
proceritatem surgens Stieler 2400. auch das frühnhd.
versucht sich öfter in papiernen Schöpfungen solcher art;
so ist vielleicht zu fassen groszachtig: die min ist . .
gylerisch, grosachtig, zerhafft, edel Terenz deutsch (l499)
74'' {magnifica hautontim. 227); oder etwa = groszechtig?
s. u. sp. 582; -dächtig: gros dachtig magnificus Diefen-
bach 243"^; vgl. groszdächtlich im sinne memorabilis:
dasz ihnen Annibal die groszdächtliche schlacht abge-
wunne Marc. Tacius bei Fronsperger kriegsb. 8 (i573)
244»; -wirklich: magnificus grosz würcklicher, wircker
groszer ding voc.predic. (i486) p 10^; entsprechend: magica
ars kunst der grosz wircklichkeit, scz. schwartze kunstiJ.;
vgl. auch gelegenheitsbildungen wie: dasz er um einen
schatten seiner groszdünkigkeit sich mit den Lacä-
demoniern . . abwarfe Lindenborn Diogenes 1, 566; ist
demnach solche historia von wegen der groszleuchtig-
keit der geschichten . . wol zu mercken J. Sghlusser
d. peurisch krieg (1573) vorr. 2 ^ ; hierher auch eine reihe
von bildungen aus mundart und Umgangssprache toie
groszbrasselig groszsprecherisch Albrecht Leipz. 126'' ;
groszprasselig Müller-Fraureuth l, 145*'; -platzig
groszsprecherisch I, 117''; -pratschig s. sp. 676.
f ) eigenartig ist eine wesentlich auf die mundarten be-
schränkte Zusammensetzung, bei der dem worte grosz ein
nur zu Steigerung seines begriffes dienendes adj. nach-
gesetzt ivird; den accent trägt in solchem fall das ztoeite
compositionsglied : groszeinig: groseini {ivie langeini,
spateini u. a.) Schmeller l, 93; auch groszeinzig ib.;
-mächtig: groszmechti {wie klainmechti, vilraechti ti. a.)
1, 1564; allein dies wort ist auch schriftsprachlich seit
alters voll entwickelt , vgl. groszmächtig 2, sp. 558; auch
mit weiterer Steigerung : do steht auf ee mol a groszall-
mächtiar kärl vor m'r Sartorius Würzburg 143; -mög-
lich: a gruszmöglichs haus, ugelick u. a. Müller-
Fraureuth 1,445»; -mördlich: a graussmärdlicha
kanonakugel «. a. Fischer schwäb. 3, 859; hierher ivohl
auch: der rezensent . . . findet groszgrimmige Ver-
schiedenheit in den sitten der alten meretricum . . und
unserer heutigen kupplerinnen Lenz dram. nachlasz 17.
2) participia praeteriti.
a) nicht häufig sind zusamm^nrückungen mit steigern-
dem grosz-, die den adjectivischen Verbindungen 1 c ent-
sprechen ; g r 0 s z g e e h r t : die edle und groszgeehrte poeten-
zunft Brandt bericht v. leben Taubmanns 33; gegen mei-
nen groszgeehrten herren Bütschky hd. kam. 9; -ge-
32»
503
GROSZ III 2 (compositionstypen)
GROSZ III 3 (compositiotiatypen)
504
fürchtet: gegen die groszgefürchtete macht Oesterreichs
ZscHOKKE 85,91; -geliebt Heine 1,236^.; -geschätzt
Treuer dtsch. Dädalus l, 43. noch seltener als adjecti-
visehe zusammenrückung im sinne von l a: die sieben
letzten plagen . . . (feuer- und zornschaalen) nach dem
groszgeweihten bilde der propheten Herder 9, 66 S.
b) sehr getcöhnlich sind seit dem 17. jh. compositionen,
in denen grosz- als maszangabe den sinnesgehalt des part.
genauer bestimmt: groszbedruckt: zwischen den grosz-
bedruckten selten {des gesangbuches) Herm. Sghmid alte
u. neue gesch. aus Bayern m; -bepackt: in 86 grosz-
und wohlbepackten küsten graf Sporck streitged. 193;
-gebahnt: der groszgebahnte sathansweg B. Bahnsen
antiehristent. (1660) 109; -gebaut: den groszgebauten saal
Treuer dtsch. Dädalus l, 277; anders: der groszgebau-
ten und ungelenken ballkönigin Jean Paul 82, 87; -ge-
messen:
forschend übersieht dein blick
eine groszgemess'ne weite Göthe 1,49 W.;
-geöffnet; dein äuge, groszgeöffnet C. F. Meyer ^ecZ. 91 ;
-gepflastert: die alte agora, deren groszgepflasterter
boden . . aufgedeckt ist Ritter 19, 1056; -gerollt: von
3 strichmetzen gersten soll er (der müller) geben grosz-
geroUte gersten drey achtel Hohberg georg. cur. 2, 99;
■ geschnitten: ein stattlicher mann . . . mit groszge-
schnittenem, fleischigem gesiebt G. F. Meyer Jürg Je-
natsch 266; -gestaltet: ein schöner grosz- und wohl-
gestalteter mann Göthe 29, 43 TT.,- -gewölbt: der grosz-
gewölbte himmel M. Sghirmer Virgil (1668) 380; -um-
strahlt: wo hinter felsen ein rundes, groszumstrahltes
Sonnengesicht aufgeht Welgker alte denkm. 3, 54; -ver-
siegelt: ein umfangreiches, groszversiegeltes schreiben
W. Raabe Abu Telfan 2, 125. erst seit dem späteren 18. jh.
häufen sich Zusammensetzungen gleicher art, in denen
grosz- eine irgendwie entwickeltere bedeutung zeigt: -an-
gelegt: groszangelegte, breitausgeführte gefühlsscenen
G. Freytag 14, 124; das groszangelegte im römischen
. . wesen Justi Winckelmann 2, l, 102; -geartet: wie
manche warme und groszgeartete seele Stifter i, 119
Sauer; -geboren magnas Diefenbach 843'^; nov. gl.
243^; bei manchem groszgebohrnen herrn Gottsched
d. n. a. d. anm. gelehrs. 2 , 320 ; hoch- und groszgeborne
fran Zsghokke 13,82; -gedacht: welche vortheile die
kunst . . aus zweckmäszigen , groszgedachten einrich-
tnngen zog Fr. Schlegel dtsch. mus. 1,257; nein, alles
so obenweg nur hingeworfen, . . . um dasz es nur um
so neuer, so groszgedachter klingt R. Schümann l, 228;
-gemuthet: seine (Schillers) stücke haben . . die auf-
gäbe dieser erziehung . . kühn und groszgemuthet über-
nommen F. Wehl zeit u. menschen 2, 154, freilich ein
uneigentliches part., vgl. gemuthet th. 4, l, 2, 3828; -ge-
schaffen: sie erfüllte sie (die pßicht) . . . ganz nach
ihrer groszgeschaffenen natur L.v.Fra'SQOIS Reckenburg.
2, 237; -gestimmt: und dort (auf Helgoland), grosz-
gestimmt von dem beständigen anblick . . . des meers
Heine 3, 363 E.; -geschildert: die Charaktere seiner
handelnden sind allezeit zwar groszgeschilderte men-
schen GRAFEN Stolberg 13, xvi; -gezeichnet: dazu
bedürfen sie (kinder) groszgezeichnete , in die äugen
stechende Vorbilder Herder 28, 178 S.; -stilisiert: ich
sah kein gleich groszstilisiertes landschaftsgemälde irgend-
wo Gregorovius wanderj. in Ital. 4, 352.
c) recht entwickelt sind schon im 17. jh. compositionen,
die nur formal als participia erscheinen, dem sinne nach
adjectivierte Substantive darstellen, die durch grosz- rein
quantitativ bestimmt werden (vgl. id): groszbegütert:
(nach der bäuerlichen rangordnung) stehen zunächst die
kleinbegüterten unter den groszbegüterten Melgh. Meyr
erz. a. d. Eies 3,73; -beschnallt: in ihrer schwarzen
trachtmitden groszbeschnallten schuhen M. Hartmann
3,68; -beschwingt: der .. groszbeschwingten sphinx
Welgker aZfe denÄm. 8, 87 ; -geäugt: die groszgeäugete
göttin (ßotönig) Grafen Stolberg 12, 56; -gebaucht:
ein schön groszgebeuchet . . trinckgeschirr Fischart
geachichtklitt. 18 ndr.; vgl. 82; lOi; -geblümt: gardinen
von groszgeblümtem gewebe Hauff i,il7; -gefleckt
RosEGGER I 8, 86; -geflügelt Platen 2, 458; -geglie-
dert: der groszgegliederte halbmensch Latreus Voss
Ovids veno. (1829) 2, 234 (membris et corpore Latreus maxi-
mus metam. 12,463); -geherzt: vermag ein solcher grosz-
gehertzter, magno et laxo corde instructus homo, selten
etwas grosses und gehertztes verrichten Schottel ethica
(1669) 131; in anderer bildung und bedeutung unter l c;
-gehörnt: einen grossgehörnten bokk Neumark /orf-
gepfl. mus. poet. lustio. 2, 189; -gemustert von Seiden-
stoffen Karmarsch-Heeren 3io, 493; -geöhrt: ein töl-
pel grosz-geöhrt Knittel 2)oe^. *tn7ien/r. 87; -gestirnt:
hoch- *it»e groszgestirnet /ronfo Stieler 2172; -geweiht:
den groszgeweihten hirsch Treuer dtsch. Dädalus l, 384.
3) participia praesentis.
a) nur selten erscheint grosz- hier im sinne einer in-
tensivierung des verbalbegriffes (vgl. IDsb): groszbit-
tend: mit ettlichen groszbittenden werten verhandl.
über Thom. v. Absberg 131; -tragend: die wölfin war
eines mahls grosz-tragend Moscherosgh ges. (l650) 2, 163,
also wie groszschwanger, wo grosz- freilich nicht unbe-
dingt intensiv zu sein braucht, vgl. I A 2 b ; Zsghokke
liebt solche bildungen: erwarteten die deutschen unter-
thanen von seite ihrer fürsten groszentscheidende
maasregeln sehr. 7, 37; mit groszermunterndem lobe
14, 285; ein gesandter Ludwigs XIV. . . sicherte ihm . .
von den gemeinschaftlichen eroberungen . . . grosz-
lohnenden antheil zu 34, 203; er ist dabei abhängig von
schweizerischer ausdrucksweise, s. o. 1 c.
b) geläufiger sind compositionen, in denen grosz- als
rein quantitative bestimmung erscheint: groszblickend:
Seelen, in welchen es (das feuer der begehrung nach
gott) ain volle . . groszblickende glüt hat Karlstadt
e. sermon v. stand d. christglaub, seelen c2*; -blühend:
ein . . bunter teppich der . . groszblühenden viola al-
taica Ritter errfÄ. 2, 942; -flatternd: der planet Mars
(wird) . . . gantz fewrig und grossfladerend . . . herfür-
kommen J.Kepler 7, 693; -glimmend: als der tropfen
groszglimmend wie eine sonne auf fünf blumen lag Jean
Paul l,89i; -hangend: eine schöne groszhangende
i traube Hohberg georg. cur. 3, 257''; -wachsend: das
versetzen . . pringet . . grosswachsende bäume und frücht
herfür Sebiz feldb. 321 ; (der) lindenbaum ist ein grosz-
wachsender breitästiger . . bäum Hohberg georg. cur.
2, 590; nach einem groszwachsenden rinderschlage Ros-
egger I 6, 343. häufiger noch Verbindungen, in denen
eine irgendwie modificierte bedeutung des quantitativen
grosz de7i begriff des verbums zu ergänzen hat; die syn-
takt. beziehung des ersten compositionsgliedes zum zweiten
bleibt oft fraglich: groszanfordernd: (Sand) der . . .
einer in Wissenschaft und leben groszanfordernden zeit
nicht gewachsen war an ethischer . . kraft Gervinus
gesch. d. id.jhs. 2,626; -denkend: (7iach einem leben des
Überflusses) müssen armut und Verbannung für einen
groszdenkenden geist bittrer seyn als der tod Th. Abbt
2, 84; im späteren 18. jh. sehr gangbar; anders: als ein
groszdenkender überschauender mann hegt' er den ge-
danken, der späteren . . . regenten gleichfalls beiging
Göthe 42, l, 25 T-F.,- -fühlend: die groszfühlende frau
(v. Stael) Heine 5, 216 E.; sie haben mir . . , groszfühlen-
der und tiefdenkender fürst, einen alp von der brüst
gewälzt! PÜCKLER briefic. u. tageb. 5, 54; -gebietend:
dasz sie einen herlichen thon und groszgebietende redens-
art gegen ihr . . zukünftiges gesinde angewehnen mögte
Lindenborn Diogenes l, 682; -gleiszend: wollen wyr
nu sehen, wie sich die grosz gleyssende bruderschaften
. . hie zu gleychen Luther 2, 754 T7.; -lautend: darum
gebrauchte Klopstock so häufig . . . das groszlautende
wort 'sank' Jean Paul 42 (1827), 224 Reimer; -prangend:
die taufen pflegten . . sehr groszprangend vor sich zu
gehen Chrysander Händel 1,227; -redend: (das apo-
kalyptische thier) mit . . eim prächtigem grosz redenden
maul, das die fromen . . betrübet Sleidanus reden 33;
-schallend: der stil ist niedrig, nur hie und da mit
groszschallenden Wörtern aufgestützet Sonnenfels 3,
318; -scheinend: so miessen wir . . allain thun, was
da veracht wirt von den groszscheinenden gleissnern
505
GROSZ III 4 {conipositionstypen)
GROSZ III 4 (compositionstypen)
506
Luther 7, 249 W.; -tönend: durchaus die spräche des
pöbeis, wenn ich einige zur unzeit grosztönende stellen
ausnehme Sonnenfels 5, 366; die grosztönenden mäuler
an der Seine E. M. Arndt sehr, für u. an s. l. Deutschen
2, 322 ; -w a 1 1 e n d : des groszwaltenden meergottes H. Hett-
NER griech. reisesk. 20; -wirkend: (Jesus) der doch die
Seelen durch seine groszwirkende gnad reinigt Abr. a
St. Clara l, 66 Sirigl; dasz Preuszens Friedrich und
Frankreichs Napoleon die geistvollsten und groszwirkend-
sten fürsten der neuen zeit gewesen sind Zsghokke
3, 164.
4) subatantiva.
a) grosz- fungiert in seiner hauptbedeutung als masz-
begriff, als bezeichnung von ausdehnung und menge {vgl.
I B 1. 2) ; seit dem frühnkd. mit steigender häufigkeit, zu-
mal auch in den Sondersprachen einzelner berufe und ge-
werke: groszbasz grosze baszgeige Campe; -bau, nur
im plur.: diese städtischen groszbauten Mommsen röm.
gesch. 1, 101; erhabene groszbauten des periodenstils Th.
Mundt kunst d. dtsch. prosa 378; -bild 'ein ruland, co-
lossus, statua ingentis magnitudinis' Henisch 1753; ent-
sprechend grosbildet colossaeus ib.; -blech dickblech Krü-
NiTZ 20, 132; -boot barkasse Mothes baulex. 1, 454;
-bronze münzbezeichnung : die groszbronze fängt mit . .
Marius an allg. dtsche bibl. 77, 591 ; anzeige eines Werkes
über die römischen groszbronzen Böttiger kl.schr. l, lxv ;
-brummer, neben mittelbrummer und kleiner brummer
bezeichnung gewisser lautensaiten Chomels öcon. lex. 2, 585;
-büchse als artilleristische bezeichnung Stahl getcehrge-
recht. Jäger 59; -buchstabe majuskel S. v. Birken rede-
bind- u. dichtk. 61; -bund: 1377 verband sich die statt
S. Gallen mit den stetten Ulm, Gostentz, Rotwyl . . diss
ward genent der grossbund Stumpf Schwytzerchr. 385'^;
-familie als sociologischer begriff: das bestehen der
patriarchalischen groszfamilie Conrad handtcb. d. staats-
wiss. 22, 415; -fäustel im gegensatz zum handfäustel
Veith bergwb. 175; -feld latifundium nomencl. lat. germ.
[Hamb. 1634) 360; -feuer als technischer ausdruck der
thomcarenfabrikation Chomels öcon. lex. 4, 1366; Musprait
Chemie 8, 555 ; allgemeiner verbreitet im, sinne eines groazen
schadenfetiers ; -firmament als freimaurerische bezeich-
nung: die kirche des groszfirmaments und groszorients
GÖRRES 5, 233; -galle milzbrand der schweine ünger-
Khull 309»; -garn groszes fischernetz Krünitz 20,133;
Frischbier l, 255^; vgl. grosz garn sagena Diefenbagh
507*; -gehöft RoSEGGER I 4, 107; -gemeinde: Ercsi,
groszgemeinde im komitat Stuhlweiszenburg v. Alten
3,403; -gesch ütz: zwantzig stück groszgeschütz monum.
hist. Warm. 8, 358 (ca. 1575); -gestalt coloss: die grosz-
gestalt auf dem achteck der Wilhelmshöhe Campe; dazu
groszgestaltig ib.; -gras: alles gras der erde, das klein-
gras eben wie das groszgras, in gleicher natur Pesta-
lozzi 10, 69; -gro sehen dortmundische, auch sächsische
silbermünze Weilmeyr 1,249; vgl. groschen II l; -gut:
Verhältnis zwischen .den groszgütern und bauern E. M.
Arndt tcerke l, 87; auf einem altbayrischen groszgute
Wimmer gesch. d. dtsch. bodens HS; -heer: das kaiser-
liche groszheer Schubart zs.f. d. w. ll, 112; -hof groszer
bauernhof Rosegger I 3, 1.53; II 1, 165 u. ö.; -holz bau-
holz cod. dipl. Sil. 4, einl. 75; -kohle Karmarsch-Hee-
ren ^6, 71; -korb: cumera ein groszkorb da man körn
in thut Diefenbagh 102''; -mast 'der mittelste, gröszte
tmd schicerste mastbaum eines Schiffes' allg. haush. lex.
1, 623 ; von da aus bezeichnet grosz- dann alle auf den
groszmast bezüglichen takelungstheile , auch gegenstände
oder räumlichkeiten in der nähe des groszmastes, z. b.
groszbaum, -mars, -segel (^gl. schon: epidromon der grosz
segel binden in dem schiff Diefenbagh 204*; artemon
das grosz segel im schiff Calepin xi ling. 124I'), -topp,
-want u.a., s. Kluge seemannsspr. Z2%ff.; -masz misura
grande Kramer teutsch-ital. 2, 52''; -ofen Lampadius
handwb. d. hütienk. 225; -pfeife Agrigola mus. instr.
deutsch (I5i5) 19'^ndr.; -reich: währenden daseyns eines
solchen (assyrischen) groszreichs allg. dtsche bibl. 79, 175 ;
das groszreich (Haralds Schönhaar), welches über den
trümmern von vielleicht dreiszig königreichen sich er-
hob Dahlmann gesch. v. Dänemark 2, 85; -röhr xbqxi^,
radius (osteologisch) Frischmn (1586) 74''; -schiff gr.
ämterbuch 196, 34: Ziesemer (a. d.j.U20); baratrum grosz-
schiffe Diefenbagh 68*; -groszschüler: Jakobus, wel-
chen die losen kinder so oft auf dem Schulwege als
ernsthaften, pedantischen groszschüler trafen G. Kel-
ler 6, 19; -Schwester, altschwester mia sorella mag-
giore Kramer teutsch-italien. 2, 721"=; ich muszte . . .,
wenn die groszschwester eine männliche gesellschaft
hatte . . . , im Vorzimmer auflauern Elisa v. d. Recke
1, 26 Sachet; -seidel flüssigkeitsmasz Unger-Khull
309''; -Seite hypotenuse Campe; -Spiegel in bauern-
Stuben Zappert stab und ruthe (1852) 51; -strauch:
die viminalis, groszstrauch, fast baumartig Ratzeburg
waldverderbnis 2, 315 ; - u h r im gegensatz zur taschenuhr
Lueger 7, 753; dazu: groszuhrmacher allg. haush. lex.
3, 585; allg. dtsche bibl. 18, 638; groszuhrmacherei Kar-
marsch-Heeren 37,791; -volk: der erzvater eines dei*-
einstigen deutschen groszvolks Fr. L.Jahn 1,227; -wasser
hochwasser Henisgh 1755; -weidwerk 'alles wild, so
zur hohen jagd gehöret' Jagobsson techn. wb. 2, 158*;
-werk werk groszen umfangs: einen gröszeren bankrott
an Phantasie, als hr. Czerny in seinem neuesten grosz-
werke entwickelt, kann es schwerlich geben R. Schü-
mann 3,24; -wurst scutillus. irceua Steinbagh 2,1054.
auf eine concrete anschauung (vgl, I B l c y) geht auch
der gebrauch in einem Sonderfall zurück, wo später unter-
und ober- eingetreten ist: anfangs hatte Walt ... die
klein-tertia und darauf die grosz-tertia . . . besucht
Jean Paul 20-23, 31; ebenso bei Gutzkow w. 9,193.
b) so seit alters in appellativer Verwendung innerhalb
der naturbeschreibung ; wissenschaftlicher kunstsprache
ebenso gemäsz %vie volksmäsziger terminologie, hauptsäch-
lich in botanischen und zoologischen bezeichnungen,
z. b. groszandorn Chomels öcon. lex. 4, 1365; ebenda
groszaurinwurz, -baldrian, -beilkraut ti. a.; -apfel: unge-
rische groszäpfel Hohberg georg. cur. l, 396; -bohne:
grot- und Saubohne in Mecklenburg für ackerbohne Metz-
ger pflanzenk. 836; -brot Diefenbagh 505"; 644» s. v.
sabana; welche pflanze? -eisenkraut 469*' s. v. pruneta;
-fäsel: faseolus welsch bonen, groszfäseln Gesner erd-
gewächse 115; -garbe millefolium Chomels öcon. lex. 4,
1366; = grensing i c, ». sp. 116; grensing hiesz wol zu
güttem teutsch groszgarb Bock kräuterb. (l55l) 182'';
-klette arctium lappa maior Krünitz 20, 140; vgl. Die-
fenbagh 68°; 638'' s. V. bardana; -klettenkraut per-
solata Maaler 193°; -kutte als besondere quittetiart
vocab. rei numm. (i552) j 7"; -lattich bardana Diefen-
bagh 68°; 638''; -lauch allium scorodo-prasum Holl
136'': vgl. Diefenbagh 68° s. v. bardana; -lendikraut
bulapathum Frisius 166''; -mangelwurz = dem vori-
gen, iö.;-natterwurz dracunculus Maaler 193° ; - n e s s e 1
archangelica Diefenbagh 45°; vgl. Pritzel-Jessen 420;
-pappel rosa canina Alberus (i540) ff 3''; aber bei
Pritzel-Jessen 23'^ für althaea offici7ialis ; -peterlein
latifolium apium vocab. rei numm. (i552) J3»; -purpur
kunstname für eiiie besondere nelkenart Harsdörfer
frauenz. gesprächsp. 8,146; -raden anemone Frisius 91»;
Steinbach 2, 214; -stände: das vierd (sc. lotus) ist der
gros stand, cytisus Bock kräuterb. (l6B9ff.) 2, 5; -Stein-
brech 1, 87; vgl. Pritzel-Jessen 386*; -wedendunk
chaerophyllum hirsutum Nemnich 211; Holl 182''; da-
gegen cicuta virosa Frischeier 1,256»; -Wolfsmilch
sonchus arborescens Henisgh 1755. groszbär als be-
zeichnung für eine familie der baren Brehm thierl. 2,
213 P.-L. ; - b e r s i g , ein fisch, yerca, autem krätzer voca-
fwr Stieler 80; vgl. hetsich; -ente, eine art wildenten:
maiores (sc. anates) quas Oerm,ani grosenten, mertzenten
vocant vocab. rei numm. (1552) E 4*; Heusslin Gesnera
vogelb.S2^; anasfera torquata maior ein groszendte Faber
thes. 52''; anas boschas Oken 7, 464; -eule: bubo . . .,
uhu . . ., groszeule Faber thes. 1I6''; -falk 'in einigen
gegenden eine benennung des sackerfalken , falco sacer'
Krünitz 20, 133; die sacri falcken oder groszfalcken
Fleming vollk. teutsch. jäger 319; Brehm thierl. 6, 220
P.-L.; -gans ocha grossa Heusslin Gesners vogelb. u*'-,
-hahn auerhahn Ünger-Khull 309»; -maus: Luther
507
GROSZ III i {compoaitionatypen)
GROSZ III 4 {compositionstypen)
508
sei eine ratte oder groszmausz geworden Flederwisch
schles. zipfelpelz 3G; -meise: grosmeis, kolmeis parus
ater Henisgh 1754; die pick-, grosz-, kohl- oder Spiegel-
meise allg. haush. lex. 2,303'*; Brehm thierl. 4, 172P.-X.,-
-Schnecke Umax Diefenbach 330*; vgl. lunacia 339»;
-Schnepfe Naumann naturgesch. d. vögel 8, 26i; -trappe
Brehm ^Äieri. 6, 152; -würger 4,486; -uhu: ömöo grosz-
huhu JuNius (1567) 64''; Henisch 1763; -zieiaev mistel-
drossel, turdus viscivorus Steinbach 2, 1092; die schnarre
oder der groszziemer bunzlauische monatschr. 4 (1776), 297;
nach Fromm ANN 4, 170 auch für den krammetsvogel, tur-
dus pilaris.
c) eine andere, reich entwickelte gruppe von compo-
sitione7i sondert sich von a und b insofern, als hier ein
charakteristischer, quantitativ hervorstechender theil zur
benennung des ganzen dient: groszarsch qui obesia est
natibus Stieler 58; stolzer mensch Müller-Frau reuth
1, 444''; -backe bucco Steinbagh l, 53; -enkel einer
der grosze knöchel hat: die krummfüsze . . . , die grosz-
enkel, die breitfüsze, ob sie wol alle übel einher gehen,
hincken sie doch nicht Comenius sprachenth. {iG57) nr. 290;
-fittig oder -flügel von Campe vorgeschlagen für pele-
canus aquilus, einen seevogel; -gosche labeo Stieler
1018; scheltend tvie groszmaul Müller-Fraureuth l,
444''; -hals: grauthals prählhans Bauer-Collitz 41"^;
-haupt capito Henisch 1753; -hut spoitname der rei-
chern allmendgenossen Staub-Tobler 2, 1793 {quelle v.
1830); -knote scaurus Maaler 193''; -läppen eine ^m-
gelschnecke, strombus latissimus Campe; Nkmnich 211;
-ripp 'der grosse ripp hat, costatus' Maaler 193";
-schädel: ihr goliathische groszschedlABR.A St. Clara
Judas 1, 126; -schnabel; die vögel theilt er in raub-
vögel, groszschnäbel allg. dtsche bibl. 94, 165; Illiger
mammalia et aves 201; -schnauze groszmaul, prahler
Müller-Fraureuth 1,445''; Danneil 71*; -schwänz:
groszschwänze, macruridae Brehm thierl. 8, 223 F.-L.;
-wanst LoGAU 172 Eitner; Sghottel 458; auch dies
also gern in naturwissenschaftlichen bezeichnungen {vgl.
groszauge, -köpf, -maul, -ohr an aiphabet, stelle) ; nur in
solcher Verwendung erscheint dieselbe bildung mit suffix:
^roszflosser poJyacanthus viridiaui-atus Brehm thierl.
8, 185 P.-L.; -flügler megaloptera, eine insektenfamilie
Brockhaus 1*8,427''; - schnsihl er coccothraustes Campe;
loxia Oken 7, 263; das gleiche gilt für bicomposita tvie
groszfuszhuhn Brehm thierl. 5, 631 P.-L.,- grosz-
kopfschildkröte Brogkhaus ^*8, 429''; groszohr-
fuchs Brehm tJiierl. 2, 201 P.-L.; groszschnabel-
Togel G. Forster 5,334; groszzahnbarsch Brock-
haus 1*8, 433'' u. a.
d) innerhalb geographischer terminologie in ver-
schiedenartiger, aber immer noch rein quantitativer an-
wendung: Groszasien .4sia maggiore Kramer ^ew^scA-
ital. \, am^; -britannien Frisch 1,376°; dies anschei-
nend auch im n.jh. schon als festes compositum, vgl.
I B 1 f ; entsprechend: bei sr. groszbritannischen majestät
G. Forster 1, 19; grotbritannsch hochmütig Schumann
Lübeck 84; -griechenland magna Graecia G. Forster
6, 362; GöTHE 46,66 W.; entsprechend: vasenbilder, welche
der groszgriechischen auffassungsweise vorangehen H.
Brunn kl. sehr. 3,91; -mähren Brockhaus 1*11,479'';
-polen Pologna maggiore Kram er teutschital. l, 568'';
Jean Paul 27-29,249; -ruszland Brogkhaus i*8, 43i;
auf anderer linie stehen compositionen, die nicht als geo-
graphische, sondern als politische termini zu werten sind
und nicht ein bestehendes, sondern ein erstrebtes Staats-
gebilde bezeichnen, wie Groszdeutschland s. sp. 52i;
-hessen: in Darmstadt träumte man von einem grosz-
hessischen Staate Treitsghke hist. u. polit. aufs. 2, I9i;
-preuszen: den sieg des österreichisch-schwäbischen
ßüdbundes über das nichtsnutzige groszpreuszenthum
K. Braun bilder 3, 197; die kerle müssen jetzt gegen
ihre eigenen groszpreuszischen phrasen auftreten Fr.
Engels an Marx, briefw. 3, 822; rein quantitativ vneder
in flurnamen wie groszmatt, -weid, -wis u. a. Staub-
ToBLER 2, 804; in Ortsnamen vÄe Grosz-Berlin, -Gerau,
-Glogau, -Schönau u. a. oder unter erstarrtmg einer flec-
tierten form Groszenhain, -linden, -see, nd. Grotenburg,
-beck u. a.; bei bergnamen im sinne gröszerer höhe
{vgl. I B 1 c «) : Grossglockner, -venediger.
e) eine gruppe von compositionen, die dem modernen
wirthschaftlichen leben entspringen , zeigt öfter eine
färbung der bedeutung im sinne von grosz I E; «ie ent-
falten sich erst in der 2. hälfte des 19. jhs. reichlicher,
um heute immer neue ableger zu treiben: groszbank
Conrad handtvb. d. staatswiss. ^S, 11; -bazar Jagobs-
SON techn. tvb. 5, 740''; Conrad 2*, sei; -brauerei ^2,
833; -brennerei ^7, 204; solche bildungen zahlreich;
-fabrikant Rosegger III 9,51; -gärtner: {die Römer)
züchteten ihn {spargel) ebenso fleiszig wie die modernen
groszgärtner Wimmer gesch. d. dtsch. bodens 285; ein an-
deres groszgärtner 5. sp. 537; -geschäft: zu einer selbst-
reform, deren kein gewerbe mehr bedarf als der klein-
handel, — mit ausnähme vielleicht der gröszten grosz-
geschäfte an der börse V. A. Huber soc. fragen 7, 90;
speculanten, welche ... die grosz- und geldgeschäfte
im ganzen umfang der römischen hegemonie betrieben
MoMMSEN röm. gesch. 2,109; -ge werk /a&riÄ Campe;
-gewerker fabrikant ib.; vgl. wenn groszgewerksleute
oder bankiersfamilien kamen R.H.Bartsch Schwammerl
278; -gewerklich Campe; -Industrie: allmälig aber
wurde die ganze groszindustrie von dieser socialen krank-
heit ergriffen V.A. Huber soc.frageyi 7, 2; die prosaische
unschönheit der modernen groszindustrie Treitsghke
dtsche gesch. im 19. jh. 3,463; die letztere {spiritusfabri-
kation) ist eine der . . groszindustrien Muspratt chemie
1, 311; das lüort schafft gelegentlich parallelbildungen :
ebenso hat ihm {dem adel) die Verfassung an der seite
der groszindustrie und so zu sagen der groszintelli-
genz , . einflusz zu gewähren D. Fr. Strausz sehr. 6,
182; wie . . die groszindustrie, so ist die grosz Wissen-
schaft . . ein . . Clement unserer kulturent Wickelung
Mommsen red. u. aufs. 209; -industriell: heute stellt
. . der . . Werkstättenbetrieb oft . . dringendere schutz-
forderungen als der groszindustrielle Conrad 23, 782;
namentlich substantiviert: unter den groszindustriellen
selbst macht sich diese ansieht . . geltend V. A. Huber
soc. fragen 7, 11 ; in dem hause eines groszindustriellen
W. V. Polenz Orabenhäger 1, 232; -kapital: der . . .
grund liegt in der anhäufung des groszkapitals Conrad
22, 54; die handwerker- und die detaillistenbewegung
wenden sieh gegen das groszkapital 25, 815; -kapitalis-
mus 25, 184; -kapitalist Doren Florent. ivolltuchind.
149; -kapitalistisch 97; -krämer = groszkaufmann
(s. *p. 550) Costenoble tageb. i,22b; -kultur, inbezug
auf die landbestellung : groszkultur oder spatenkultur
V. A. Huber reisebr. 2, 116; -magazin Conrad 27, 343;
3i,i4; -meierei, als schweizerischer provincialismus
allg. dtsche bibl. C3, 497; -pacht: daher ist . . die klein-
pacht auf den monarchischen Staatsdomänen . , vor
wiegend, groszpacht und Sklavenbetrieb dagegen die aus-
nähme Conrad 3i, 65; -pächter: die groszpächter, die
dann das land an die . . bauern in Unterpacht gaben
Mommsen röm. gesch. 5, 574; ein groszpächter hat sie
nehmen wollen, einer von der Loire her Rosegger I
2, 144; -producent V. A. Huber concordia 1, 26; -pro-
duction Lassalle red. u. sehr. 1,36; -reichthum,
älteres wort für groszkapital : der vorzüglich vom han-
deis- und fabrikstand ausgehende hochflug des spielen-
den haschens nach groszreichthum Pestalozzi 15,395;
vor allem garantirte das landeigenthum dem Staat die
treue . . des groszreichthums 7, 84; ich habe weit mehr
als ich brauche, aber nicht zum groszreichthum J. v. Dü-
ringsfeld literaten i, 80; -Schiffahrt Conrad 22, 872;
-Schiffahrtsweg 27,143; -Unternehmer: den fabri-
canten und groszunternehmern des handeis Nietzsche
5,77; der habgier kapitalistischer groszunternehmer Con-
rad 23,45; -Unternehmung: tendenz, die groszunter
nehmungen gegenüber den kleinen zu bevorzugen Doren
Florent. wolltuchind. 288; alle weit zieht es vor, bei inter-
nationalen groszunternehmungen ihren bedarf zu decken
Rosegger III 7, 38; -verkehr: in dem natürlichen em-
porium des groszverkehrs, in Londinium Mommsen röm.
gesch. 5, 161; in dieser Zusammensetzung {ivie in einzelnen
509
GROSZ III 4 {compoaitionstypen)
GROSZ III i (compositionsti/pen)
510
anderen) berührt sich die vorliegende compos.-gruppe mit
der folgenden; -werkstätte: aus eeinen federstrichen
entstanden eisenbahnen, paläste und groszwerkstätten
RoSEGGER laset uns v. liebe reden 285.
f) auch eine andere variierung des quantitätsbegriffea,
grosz als das zusammenfassende gegenüber dem kleineren
einzelnen, dem detail {vgl. I C), tritt in verschiedenen
compositionstypen hervor: groszballei Campe; -löge:
zur Wiederbelebung der freimaurerei . . vereinigten sich
die . . vier logen . . zu einer groszloge Zschokke 5, 323;
•prior ei 36, 82; vgl. hierzu die compositionsgruppe k; im
geldwesen: -geld: das rind ist sozusagen das groszgeld
MoMMSEN red. u. aufs. 242; -gold: die prägung des
groszgoldes (ivar) dem groszkönig vorbehalten Luschin
V. Ebengreuth 196; -münze: unserer rechnung von
sechszig kleinmünzen auf die groszmünze Mommsen
red. u. aufs. 257; so besonders in gewissen ausdrücken
ivirtschaftlicher spräche: -bezug: die ermöglichung des
Vorteils des groszbezuges auch für den kleinsten haus-
hält Conrad 25, 333; -einkauf Rosegger III 8, 252;
dazu alleger vne groszeinkaufsgenossenschaft Con-
rad 25, 486; -gesellschaft 25, 337; -verein 23, 737;
-preis: der unterschied des groszpreises vom parcellen-
preise V. A. Huber reisebr. 2, 447; -verkehr: dasz der
preis im kleinverkehr sich höher stellt als im grosz-
verkehr Conrad 26, 189; -verschleisz 26,277; dieselbe
Spielart der bedeutung auch sonst vereinzelt in gelegen-
heitsbildungen : -blick: als dem heldendichter der epi-
sche groszblick bei allen nebenblicken auf silbenmes-
sungen . . {festbleiben kann) Jean Paul *. 10. 42 (1887),
i6 Reimer; -name: Sveven heiszen also schlechthin
Seeländer, statt welches namens Plinius den namen
Vandalen als einen grosznamen gebraucht E. M. Arndt
scJir. für u. an s. l. Deutschen 4, 299.
g) die beim simplex reich entfaltete vericendung als
quantitätsbezeichnung von inconcretem (l B 4) erweist sich
der composition nicht als günstig: groszangriff tägl.
rundsch. vom 25. okt. 1917, nr. 545; -gastspiel Hebbel
6r. 7, 46; -kämpf: der ehemalige groszkampf der nach-
bargemeinden schien sich im kleinen erneuern zu wollen
Steub drei sommer in Tirol l, 232; auch dies wort im
■weitkriege erneut geschaffen und auch in bicompositis ver-
wendet wie groszkampffeld tägl. rundsch. vom 31. okt.
1917, nr. 556; -tag heeresbericht vom 17. aug. 1917; auch
mit einer entwickelteren bedeutung des adj., aber durch-
aus in gelegenheitsbildungen: -pl&n RÜCKERT8,77; -ton:
einer . . . wohlthätigkeitsgesellschaft, die im höchsten
groszton einer Staatsanstalt selber monatlich einmal . .
zusammenkam Pestalozzi 3,259; -werk: er schafft in
den groszwerken und in dem groszwirken Fr. L. Jahn l,
212, eine parallelbildung zu groszthat, s. an alphab. stelle;
-wort: dasz seine {Napoleons) groszthaten und groszworte
eine gewisse hohe comik . . verrathen T. H. Friedrich
dritter satyr. feldzug 156; intensiv: -gewühl: es lernt
sich nicht die schöne bestimmung fürs hausleben im
groszgewühl Fr. L. Jahn 1, 275; -kraft: mit göttlicher
groszkraft Körner 2, 28 HempeV; anders: auch der lei-
tenden groszkraft wird durchaus kein materielles opfer
zugemuthet V. A. Huber soc. fragen 4,6; -neigung:
hoch- sive gvoszneignng favor admirabilis Stieler 1845;
noch anders: -tugend virtutum, regina 272; Kram er
teutsch-ital. 2, 1160^.
h) die intensive bedeutung, angewendet auf fixe masz-
begriffe {vgl. I D l c) , treibt eine ganze reihe von com-
positis, so groszdutzend für zwölf dutzend Campe;
-hundert eine zahl von 120 Krünitz 20, 129; vgl. Ade-
lung 2, 811; {ich habe) untfangen ein halb groshundert
clappholtcz handelsrechn. d. dtsch. ord. 501 Sattler; sein
gröszestes langschiff war von 82 ruderbänken und 2 grosz-
hundert besatzung Dahlmann gesch. v. Dänem, 2, 308;
-jähr annus magnus sydereus vel Platonicus et definitur
annia solaribus 36000 Stieler 879; -schock: sechtzig
sekel {halten) ein mina oder groszschock Mathesius
Sarepta 168"; -tausend eine zahl von \2m Krünitz 20,
129; vgri. Adelung 2,811; -tonne Muspratt chemie 5,
1132; von papierformaten: -duodez: in zwey groszduo-
dezbänden allg. dtsche bibl. 58, 586; -folio: ein paar in
groszfolio zusammengeheftete . . bogen Lessing 17, 347
M.; ein aus zwölf groszfolioblättern bestehendes Zeichen-
buch GöTHE 48, 130 W.; 10 groszfolioseiten Voss anti-
symb. 1, 342; octav: zu zween . . . bänden in grosz-
octav allg. dtsche bibl. 28, 306; gelegentlich auch adjecti-
visch: 100 enggedruckte groszoctave selten K. Chr. Fr.
Krause briefw. 2,362; -quart: die universalchronicke
aller nordscheine . . in 12 bänden, groszquart Schwabe
belustig. 4, 112; ein billet, in groszquart gebrochen Jean
Paul 15-18, 34l; in dem groszquartwerke 36,7; vo7i Campe
und anderen sind statt dessen vorgeschlagen und gebraucht
worden groszachtel, -bogen, -viertel, vgl. Campe
2, 460''.
i) bei den Substantivcompositionen m,it persönlicher be-
deutung zeigen eine reihe von berufsbezeichnungen grosz-
als quantitätsbegriff elementaren sinnes: groszbäcker
brotbäcker Bücher Frankf. beruf swb. 54 {quelle v. 1445);
-binder doliarius conficiens vasa majora Steinbach
1, 222; Adelung, Campe; -maier megalograph Voigt
handtcb. f. d. geschäftsführg 2, 152 ; ein miniaturmaler ist
immer noch weit mehr eigentlicher künstler als ein
faustfertiger groszmaler Fr. Th. Vischer ästh. 3, 546;
entsprechend groszmalerei entweder grosze m.anier des
malens oder die maierei, die sich nur mit groszen stücken
beschäftigt Campe; Voigt a. a. 0.; -seh mied, grob-
Schmied, magnano Kram er teutsch-ital. 2, 608'^; -Wä-
scherin lavandaia di panni-lini grandi 2, 1262''; vgl.
schon: grossarius gros schriber Diefenbagh 270*.
k) sehr viel entwickelter ist eine gruppe, die sich mit f
vergleicht; sie umfaszt amts- und rangbezeichnungen ver-
schiedenster art, besonders solche der groszxcürdenträger
des hofes und Staates in älterer zeit; grosz- unterscheidet
hier von haus aus einen beamten, der mehreren gleichen
titeis übergeordnet ist; steuere spräche bevorzugt vielfach
ober-: groszadmiral, dem engl, high admiral nach-
gebildet; deshalb gewöhnlich: groszadmiral von Engelland
Fäsch (1726) 120''; Fr. L. Jahn i, 441; dann überhaupt
Oberbefehlshaber zur see H. Grimm Michelangelo 2, 877;
der gewaltigste aller stürme ist groszadmiral auf unserer
barke B. v. Arnim d. buch gehört d. könig 2, 532; in der
kaiserlich deutschen marine neu aufgeglommen als bezeich-
nung des höchsten dienstgrades v. Alten 4, 397; -almo-
senier urspr. der träger des höchsten geistlichen hof-
amtes am franz. hofe K. L. v. Haller restaur. d. staats-
toiss. 4, 218; Grillparzer 6, 19; frühzeitig schon über-
tragen: das ende oder statt, do sant Johans der grosz-
almusiner geheyssen . . hatt tod und marter gelydten
Breidenbach reisen (i486) 140''; eingedeutscht grosz-
almosenpfleger Kramer teutsch-ital. 2, 206**; -banner-
herr Zschokke 29, 226; v. Alten 1, 842; -beamter:
bei der wähl der groszbeamten . . fragte man die Orakel
der götter E. M. Arndt geist d. zeit 1, 167; der raths-
pensionär . . . , desgleichen die beiden andern groszbe-
amten der Union Treitsghke hist. u. pol. aufs. 2, 457 ,
als groszbeamter des rosenkreuzerordens H. Prutz preusz.
gesch. S, 260; -bürgermeister regierender bürgermeister
städtechron. 16, 126; -ceremonienmeister Olearius
kgr. Persien 7*; -dien er: so ändern sich auch die aller-
wichtigste . . groszdiener bey den höfen Stieler zeitungs-
lust (1695) 407; -falkner Widerhold beachr. d. sechs
reisen (168I) 1,255''; Zschokke 29,281; groszfalckenierer
Chomels öcon. lex, 4, 1366; -gebietiger im deutschen
Orden Ranke reform. gesch. 2, SS8; -Inquisitor Schiller
6, 2, 439 Cr.; gern auch uneigentlich: wenn er las, wie Froriep
auf seinen gegner schimpfte, ihn bald einen groszinqui-
sitor an der Leine, bald . . nennet allg. dtsche bibl. lOl, 492;
Herder sasz nicht wie ein litterarischer groszinquisitor
zu gericht Heine 5, 271 E.; hatte er . . . die dogmen-
strenge eines groszinquisitors Fontane 1 1, 100; -Jäger-
meister J. Chph. Beer Äsia (I68I) i, 50''; Olearius
kgr. Persien 7''; -kämmerer Apinus gloss. nov. 256;
PLATEN3, 19; -kammerherr Krünitz 20, 139; Ranke
35, 118; -komtur im deutschen orden, gr. ämterb. 534, 8
Ziesemer {a. 1376); Marienb. tresslerb. 44, 89 Joachim; don
Loys de Requesens . . . grosscommeter von Castilien
511
GROSZ III 4 (compositionstypen)
GROSZ lll 4c. 5 (compositionatypen) 512
Stumpf Schwytzerchr. 277 ■■; -konsul: herrliche zenith-
und hochmenschen, wahre potentaten und groszkonsuln
ihres ichs Jean Paul 45-47, 189; -kronbeamter Her-
der 24, 879 S.; -kronf eldherr Adelung umst. lehrg.
2,274; -kronkammerherr G. Forster 8, 204; -major
'eine bei den Rheinbundstruppen vorkommende bezeichnung
für den Oberstleutnants dienstgrad' v. Alten 4, 471; -mar-
sch all als militärische würde: der grosmarschalch des
Ordens Schütz hist. rer.pruss. 5, c 2»; Olearius peman.
reisebeschr. 270; als polnischer kronbeamter: der grosz-
marschall von Litthauen sehr. d. Oöthegesellsch. 9, 246;
-offizier: der . . . könig hatte 4 groszofficiere seines
hauses ernannt Ritter erdk. 4, 1126; groszoffizier der
ehrenlegion Heine 6, 456 E,; -pathe 'compatres primi
ac praecipui. ita tres Uli vocantur apud pontificios, qui
primum, locum tenent in baptismate, . . qui etiam cereum
et vestem lustricam sali attingunt' Haltaus 756 mit
beleg von 1516; -pensionär beamtenwürde innerhalb der
provinzialstaaten Hollands allg. dtsche bibl., anh. zu
1-12, 86; G. Forster 3, 849; Souffleur war Gentz, der
'groszpensionär' der europäischen kabinette Scherr
gröszenw. 172; -prediger oberprediger : dasz er (Jacobus)
groszprediger und bischoff zu Jerusalem gewesen Her-
berger herzpost. (1613) 2, 830; -prinz der toscanische
kronprinz, parallelbildung zu groszherzog («. d.) 3. Chph.
Nemeitz nachlese (i726) 852; Franz Joseph, grosz- und
erbprinz von Toscana allg. dtsche bibl. 117, 1S8; -prior
ordinis equestris magistri supremus in aliqua regione
vicarius Apinus gloss, nov. 267; dem groszprior in Franck-
reich Abr. a St. Clara merks Wien 153; der groszprior
des Johanniterordens allg. dtsche bibl. 63, 480; -profosz
prevöt de l'armee Schwan nouv. dict. i, 794*; Göthe
45, 282 W.; -richter: bannus . . . bedeutet eigendlich
einen grosz- oder oberrichter Stieler zeitungs-lust (1697)
402; -ritter: groszritter Astyages Rinckhart christl
ritter 94 ndr.; -schäffer hohes amt im detitschen ofden
gr. ämterb. 4, 4 Zies.; Marienb. tresslerb. 9, 10 Joachim
Winreich von Maustet grosscheffern Schütz liist. rer
pruss. 5, c 2*; dazu: wart bruder Cuncze Seffeler des
amptis der grosse hafferie von Koningisbergh dirlas
sen handelsrechn. d. dtsch. ordens 280 Sattler; -schätz
meister superior aerarii publici praefectus Steinbagh
2,41; -seneschall: groszseneschal oder stadthalter von
Engelland Apinus gloss. nov. 257; dasz . . die herzöge
der Lothringer des 10. Jahrhunderts . . des königs grosz-
seneschallen oder verweser gewesen allg. dtsche bibl.
58, 26; -Siegelbewahrer hohes staatsamt in Frankreich
und England Apinus gloss. nov. 240; Ranke w. 2i4, i46;
30, 288; gern übertragen: gott segne die partei, die sie
zu ihrem groszsiegelbewahrer gemacht hat Lassalle
red. u. sehr. 2, 450; {Herder) verlachte diese pedanten der
reinigkeit, die groszsiegelbewahrer der sprachkeuschheit
Gervinus gesch. d. dtsch. dichtg 4, 417; ein prophet einer
neuen Offenbarung, ein groszsiegelbewahrer der mensch-
heit KÜRNBERGER Uter. herzenss. 128; Vatnhagen von
Ense: groszsiegelbewahrer aller kleinigkeiten Hebbel
tageb. 4, 824; -Stallmeister Olearius kgr. Persien 7^;
-Statthalter: weszwegen er . . zum groszstadthalter
über die Quaden . . bestellet worden war Lohenstein
Arminius 1, 1234"'; -Vorsteher Hephata (1836) 221 ;
K. Fr. Becker Weltgeschichte 7, 678; -wart: er {ein
nestorianischer episcop) ist unser vicar und der grosz-
wart unsers Stuhles in der nachfolge Petri Ritter erdk.
9, 686 ; -Wechsler: der ander {küchenmeister) heist emim-
mutpagi, ist so vil gesagt als der groszwechsler Nicl.
Nicolai raysz in d. Türkey (1572) 69»; -Zahlmeister
am türckischen hof Apinus gloss. nov. 242. ebenso in
den bezeichnungen exotischer potentaten, geistlicher und
weltlicher Würdenträger aller art: groszchan Rückert
10, 491 ; - k 0 p h t a bezeichnung, die sich Cagliostro beü-egte
als vnederhersteller der angeblichen ägyptischen maurerei;
durch Göthes drama bekannter geworden: welche . . sich
als . . zeugen für die wunderthätigkeit des groszcophta
der marktplätze bekunden Gaudy 19, 98; o du grosz-
kophta alles unsinns! Lassalle red. u. sehr. 2, 429;
-lama Ritter erdÄ. 2, 268; -mandarin 2,265; -mufti
Widerhold beschr. d. sechs reisen (i68l) i, 85*; Heine
3, 878 ^.; -pope: der groszpope von Kasan Rosegger
II 14, 342; -Sultan eigentlich ein obersultan, der andere
unter sich hat Krünitz 20, 138; negerreich, dessen Ober-
haupt der groszsultan aller negerkönige ist Ritter erdk.
1, 441; gewöhnlich imperator turcicus Apinus gloss. nov.
257; der grosssultan Suleiman S. v. Birken verm. Donau-
strand 45; noch im älteren 19. jh. herrschende bezeichnung
des türkischen oberherm; auch übertragen: Ratbot der
mause groszsultan Lichtwer äsop. fab. 44; der thiere
groszsultan {löioe) 106; ebenso bei Ramler fabelt, l, 76;
der groszsultan der götter {Jupiter) Wieland Lucian
2, 14; -türke 'eine ehedem sehr gewöhnliche benennung
des türkischen kaisers, wofür jetzt groszherr oder grosz-
sultan üblicher sind' Krünitz 20, 138; Olearius kgr.
Persien i*»; samml. v. schausp. (1764^.), caffeehaus 10;
aber auch im 19. jh. noch üblich, zumal in gewissen stehen-
den Wendungen: wenn jemand sich an seiner frau . . .
versündigt, als ob er kein christenmensch, sondern der
grosztürke . . wäre Spielhagen 4, 630; väter und ehe
männer . . verwünschten messer Orazio ärger als den
grosztürken Gaudy 13, 20; -vezier summus praetoriae et
militiae turcicae praefectus Apinus gloss. nov. 257; gross-
visir Lohenstein Ibrahim 64»; Schele hat . . die gewalt
allein in bänden und schaltet damit wie ein groszvezier
briefw. zw. J. u. W. Grim.m, Dahlmann u. Gervinus 1, 278;
dazu auch eine gruppe mehr oder minder parodischer bil-
düngen, meist gelegenheitsschöpfungen: groszbüttel: als
groszbüttel Bonapartens sasz in dem heiligen teutschen
reiche der marschall Davoust E. M. Arndt geist d. zeit
3, 84; -kämmerling: den groszkämmerling gottes, den
Moscowiter Fischart Wenen/c. 47''; -pfaffe: der grosz-
pfaffe von Rom Heine 8, 495 E.; so ist er geflohen und
ihm nach die groszpfaffen, die herren von, zu, auf und
hinter A. Fitger v. gottes gnaden 6; -preusze: noch
wieder die Preuszen und der Groszpreusze, der könig
E. M. Arndt bei Meisner-Geerds 464; nach grosztürke
gebildet; -Schimpfer: derPfohre.der groszschimpfer des
reichs S. Brunner erzähl, u. sehr. 2, 179; -Schulmei-
ster: seine {Karl Eugens) Stellung als groszschulmeister
seiner 'mihtärischen akademie' J. Scherr Schiller i, 105;
-Zensor: unter jenem groszzensor Europas {Napoleon)
Jean Paul 45-47, 243.
1) sehr viel seltener und mehr oder minder gelegenheits-
bildungen sind composita, bei denen grosz- ei7ie ins in-
tensive gehende Steigerung des subst. -begriffes bezweckt
{vgl. I D 2, F 1 d (3): grosz arzt: er gleiche . . dem be-
rühmten doktor Platner und Haller und ähnlichen grosz-
ärzten Jean Paul 27-29, 186; -gauner Saarbrücker ztg.
V. 11. Jian. 1917; -humorist Fontane nacÄ^. 217; -künst-
1er: mit dem nordlichen groszkünstler Shakespeare Fr.
Arndt bei E. M. Arndt sehr, für u. an s. l. Deutschen
1, 149; -märtyrerin: der leichnam der heil, groszmär-
tyrerin Barbara Kosmeli harml. bemerk. 182; -mörder:
die naivetät, die . . in Napoleon nichts als eine art von
groszmörder erblickt Hebbel w. ii, 278; -narr Rosegger
I 7, 88; -Zweifler Fr. L.Jahn 2, 855. in einzelnen dieser
beispiele sprechen rein quantitative Vorstellungen mit, noch
deutlicher: war früher ein groszautor, konnte aber
nicht mehr schreiben Jean Paul 59-60, 143; vgl. 24 26, 107.
m) reine Verbalsubstantive; am entwickeltsten ist der
typus groszprahler, -schreier, -Sprecher, -thuer, s. an
alphab. stelle; daneben gelegenheitsbildungen wie grosz-
deuchter: wie er sehen und hören müssen, dasz einige
groszdeuchter ihm solches lied abzusprechen . . . sich
unterstanden J. C. Wetzel hymnopoeogr. (1719) 2, 224;
-Schwänzer: prahlhansen und groszschwänzer Lin-
denborn Diogenes 2,578; -Schwätzer Heine 8, 220 JE.,-
-Streicher: was ein groszstreicher ist, der trifft alle-
mal, aber mit dem Suppenlöffel sein maul Döbel neu-
eröffn. jägerpract. 1, 108; -wirker: lieber stiller grosz-
wirker Lavater an Göthe, sehr. d. Göthegesellsch. 16, 242.
5) verbum.
hier ist die grenze zmschen der Verbindung zweier selb-
ständiger Worte und der trennbaren composition völlig
flieszend; immerhin gleit es eine erst in neuerer zeit
touchernde, auf der elementaren bedeutung des adj. be-
513
GROSZ III 6
GROSZ m. - GROSZAHN
514
ruhende gruppe von Verbindungen, die im ganzen als com-
Positionen empfunden und orthographisch entsprechend
behandelt werden: groszbrüten: keine verderbtheit, wie
sie Neapel namentlich groszbrütet Opfer mann hundert
jähre 3, 189; -füttern: das groszfüttern des neugebohre-
nen ohne brüst allg. dtsche bibl. 88, 2, 133; ein weih, die
ihre leidenschaft von purem herzblut . . . groszfüttern
will Bog. Goltz Jugendl. 2,93; -hätscheln: manche
idee, welche wi-r mit liebe gepflegt und groszgehätschelt
haben Gaudy 10,46; -nähren Bürger i, 159 jBoAifz,- bis
er halb unfrei von der groszgenährten geburt seines
eigenen gehirnes fortgezogen wurde Fr. Th. Vischer
auch einer *2, 282; -päppeln J. Scherr gröszenw. 218;
-säugen: {sie hat mein kind) groszgesäugt und mütter-
lich gepflegt Heine 2, 266 E.; kühne tyrannei, vom laster
groszgesäugt Eschenburg öeispieZsammi. 4,421; -wiegen:
das . . im schosze des reichthums groszgewiegte kind
Spielhagen 6,337; -ziehen educare usque ad puber-
tatem Stieler 264-3, das grundverbum der ganzen sippe
{vgl. I B 1 c /) ; seit dem 19. jh. in mannigfach übertra-
genem gebrauch: dasz die neue ansieht der dinge . . eine
ganz andere generation von fürsten groszgezogen hatte
H.iussER dtsche gesch. 1, 119; so wurde . . . das sportel-
und taxenwesen . . groszgezogen Döllinger akad. vortr.
1, 71; am wenigsten will ich die Vorstellung groszziehen,
dasz Fontane I 2, 28; dazu: die künstliehe grosz-
ziehung des Proletariats Mommsen röm. gesch. 3, 517;
die intransitiven gegenstücke sind loeniger bunt entfaltet:
groszwachsen: sie hätten ohne disz ihren feind allzu
groszwachsen . . lassen Lohenstein Armin, l, 27"; dasz
sie durch . . hartherzigkeit das elend so groszwachsen
lassen Görres sehr. 3, 76; eine theoretische, dann und
wann zu einer Sehnsucht nach religion groszwachsende
anerkennung der religion Lagarde dtsche sehr. 280; vgl.
auch groszgewachsen sp.bZS; -werden grandescere, ado-
lescere Dentzler 2,141*', u. so gewöhnlich, im sinne phy-
sischen wachsthums {vgl. I B 1 c j') ; doch auch freier und
anders: neigung . . , die. . gleichsam ein groszge wordener,
erwachsener trieb ist Hippel ehe 120; das groszwerden
des jungen geistes Gervinus gesch. d. dtsch. dichtung
4, 13; das groszwerden der kleinen hat Teutschland zer-
stört Görres 2, 335 ; die groszgewordenen äugen herrschten
B. V. Arnim Oöthes briefic. m. e. kinde l, 86; -wuchern:
wenn die wildnisz groszgewuchert sein wird Rosegger
I I, 189.
6) der Superlativ gröszt- als compositionselement.
vor Substantiven nur in einer bestimmten gruppe
etwas häufiger: gröszthöhe: meist wird die errichtung
einer einfassung . . von bestimmter mindest- und gröszt-
höhe vorgeschrieben Lueger 4, 328; -masz: das zu-
lässige grösztmasz {des vorsprungs wird) seitens der bau-
behörde festgesetzt ib.; -neigung: die grösztneigung der
stadtstraszen 7, 540 ; anderes ganz vereinzelt und gelegen-
heitsbildung : auf der . . büchermesse wollte der despo-
tismus oder grösztherr, gleich dem groszherrn, sich
nur von gelehrten stummen bedienen lassen Jean Paul
36, 21 ; kleinasiatische kammern zeigen in gröszern Staaten
nur plusmacher (mehrmacher), erst in den kleinern sind
maximummacher oder grösztmacher 45-47, 174. vor
adjectiven nur in einem falle vollentivickelt: gröszt-
möglich, seit dem späteren 18. jh. häufig: der gröszt-
möglichen erweiterung unseres Verstandes Kant 3, 327
akad. ausg.; aus jedem vorfalle des lebens . . die gröszt-
mögliche quantität gift . . auszusaugen Lichtenberg
verm. sehr. (i800) 1,25; wir befanden uns . . in dem gröszt-
möglichen gewirr und gewimmel Göthe 33, 131 W.; kein
menschlicher Scharfsinn, wäre es auch des grösztmög-
lichen universellen genies Lenz 3, 154 Tieck; so bis heute;
die umgekehrte form der Steigerung tritt nur vereinzelt
auf: mit groszmöglichster vorsieht Raabe schüdderump
2, 229; dagegen ist doppelte superlativierung so häufig,
dasz sie als zulässige bildung anerkannt werden musz:
dasz die grösztmöglichste weite noch zu klein war Lich-
tenberg erklär, d. Hogarthischen kupferst. 11, 51; dieses
unternehmen gab nun gelegenheit zu dem grösztmög-
lichsten zeitverderb Göthe 27, 133 W.; in seinen nach
IV. 1. 6.
der grösztmöglichsten wissenschaftlichen Vollständigkeit
strebenden . . . werken Fr. Schlegel 1, 59; um dem
feind den grösztmöglichsten schaden zuzufügen Wil-
helm I. mil. sehr. 1,242; hatte sie das Unglück am
Vestatempel mit grösztmöglichster Sentimentalität auf-
gefaszt Waiblinger die Britten in Rom 21. anderes ver-
einzelt: in ihrem neuen wohnort nehmen sie theil an
den grösztbewegten zuständen Göthe IV 42, 80 W.;
sogar: so will ich dich gröstlich verklagen Boltz
Terenz 145^, sofern nicht druckfehler {dicam tibi inpingam
grandem Pharm. 439).
GROSZ, m., mehlgries, grütze Schneller 1, 1013;
graupen, gries Fischer schwäb. 3,852; dazu groszknöpfe
eine griesmehlspeise ib., groszmues Schmeller a. a. o.;
interessante ablautbildung zu griesz, etymologisch mit
dem adj. grosz identisch; spunceise auch in älterer spräche:
grosz 0. grutz, als die swein essen, mancherlei körn
gemengt Diefenbach 404° s. v. pabulum; vgl. grot der
swyne 411'' *. v. papulum.
GROSZACHTBAR, adj.. höflichkeitstitel {vgl. grosz III
1 c), der im tl.jh. aufkommt: magnificus . . . prächtig,
vel quem alii magnifaciunt, groszachtbar, i. e. groszge-
achtet CoRViNUS /ons latin. 509; groszachtbar excellens,
clarissimus, praelustris Stieler 12; besonders von ge-
lehrten: des edlen, vesten, grossachtbaren und hochge-
lahrten herrn . ., beider rechten doctorn Neumark /orf-
gepfl. musik.-poet. lustw. 2, 72; so titulire ich ihn wie
einen magister; wol-ehrenvest, grosz-achtbar und wol-
gelahrt Chr. Weise polit. redner 199; so gewöhnlich auch
noch im 18. jh., in dem aber der ausdruck allmählich
veraltet: als der wohledle, groszachtbare und wohlge-
lahrte herr . . die schon längst verdiente höchste würde
der Weltweisheit . . erhielt Schwabe belust. 6, 167; grosz-
achtbare herren redet Lucian die philosophen an Wie-
land Lucian l, 405; doch nicht notwendig mit dieser be-
schränkung: auf der Gammel mühle des groszachtbahren
herrn Heinrich Müllers Prätorius anthropod. pluton.
2, 177; der edele, wolehrenveste, grosachtbare und kunst-
berühmte hr. Georg Hendel . . mit Jungfrau Dorotheen . .
kirchenbucheintragung von 1683 bei Chrysander Händel
1, 5; und ebenso vermutlich auch beim kanzelauf gebot;
vgl. die bemerkung Campes: 'ein titel, . . welcher noch
in kanzelden und auf der kanzel in manchen fällen üb-
lich ist'; im 19. jh. nur noch gelegentlich in scherzender
spräche: sein valet de chambre, hoch- und wohlgeborne,
edelfeste und groszachtbare hr. hr. monsieur Hanns Haf-
ner ges. sehr. 2, 39. — groszachtbarkeit, /.: dasz
die groszachtbarkeit und das ansehen eines solchen
kaisers . . darinnen bestehe {unbeweglich zu bleiben) P.
della Valle reisebeschreib. (1674) 1, 59; in welcher {Ver-
sammlung) ihm am höchsten gelegen war, seine macht,
gewalt und groszachtbarkeit dem volcke sehn zu lassen
J. Cais sinnreiche werke i, 2, 107; o ich bin in sittner
gruszachtberkeet in unsem dürfe Gryphius lustsp. 307
lit. ver.; auch als anrede: eure hoch- sive groszachtbar-
keit amplitudo vestra Stieler 12; vgl. Aler dict. l, 985*.
— groszachtung,/., verbalsubst. zu grosz achten {s.
grosz I G 4): groszachtunge magnipensio Diefenbach
343<'; aber grusamer yrthum m.ag geschehen yn gross-
achtung des ablass Luther i, 392 W.; Lysander führet
mit nicht geringerer groszachtung die gemeinen gedichte
des Charilius, als Alexander die . . Ilias . mit sich Lohen-
stein blum,en, vorr. 5; anders: ohn fernere groszachtung
des erlittenen Schadens Opitz Sidneys Arcadia 110; ob-
jectiver 'ansehen': wir versprechen, dasz des römischen
nammens herrliche groszachtung hiemit solle in guter
Sicherheit stehen J. J. Grasser Schatzkammer (i6lo) 214;
ich will lieber . . sterben, denn . . das geringste titul-
chen von der würde und groszachtung, darinn ich bei
yederman stehe, . . verschertzen F. M. Pinto wunderl.
reisen (1671) 55. — groszadel, m., hochadel: unter die-
sem persischen . . . groszadel Mommsen röm. gesch. 5,
455. — groszadelich, adj., splendidiore genere natus
Stieler 21, bei dem aber das subst. noch fehlt. — grosz-
ahn, m.: abavus, proavi paterni vel materni pater . . .
groszäni Pinicianus (1516) m 3»; gewöhnlich aber um-
33
515 GROSZAHNHERR - GROSZARTIG
GROSZARTIG
516
fassender 'vorahn': etliche ligen neben ihrem groszähnen
dem Muamedt Höniger sarrazen. gesch. (1580) 33; hat
also dieser . . keyser {Ferdinand II.) wohl verdienet . . ,
gleich seinen höchstlöbl. groszahnen, keys. Rudolfen I.
und keys. Albrechten L, der siegreiche . . . zuheiszen
SiGM. V. Birken ostländ. lorbeerhain 241; die mächtige
eiche, die Jahrhunderte durchlebt und bei der geburt
unserer groszähnen grünte K. v. Egkhartshausen Aglais
198; dazu diefeminina groszan abavia Pinicianus m 3";
des Danaos groszahnin Jo J.H.Voss antisymb. 2,420.
— groszahnherr, m.: wer der heiligesten furstin . .
vater, groszvater, eldervater, groszeldervater, anherre,
groszanherre gewest seint Hedwiglegende (1504) a 2"; die
heutigen Paracelsisten sind . . nicht so weit gekommen,
als ihnen ihr groszahnherr vorgegangen war allg. dtsche
bibl. 87, 186; entsprechend groszahnfrau MathesiüS hoch-
zeiipred. (1584) 76*. — groszältervater, m., urur-
groszvater; atavus Aler dict. 1,985^^; Steinbagh 2,884;
auch nd. groot-ölder-vader Dahnert 163*; so hat Suanti-
borus fürst Bilungen zum grosseltervater gehabt Mi-
CRÄLius altes Pommerland 1, 217; vgl. den beleg aus der
Hedwigleg. (1504) unter groszahnherr; auch mit der von
groszvater (s. d. 2) übernommenen erweiterung: gott gebe
diesem königlichen söhne des grosz älter herrn vaters
Christiani I. glückseligkeit Chr. Weise polit. redner 994;
entsprechend groszältermutter atavia Aler a.a.O.; Stein-
bach 2, 94; auch freier 'urahnin': endlich gelangte er
für den thron. des Chaos, bey dem die groszältermutter
Nacht . . sasz Gottsched beitr. z. crit. historie 1, 96;
auch die bildung groszaltvater , -mutter scheint bestan-
den zu haben; denn Aler notiert groszaltvater(mutter)-
schwester abamita, abmatertera dict. 1,985". — grosz-
amt, n.; ehemalige Jakobiner in den groszämtern des
consularischen Staates Becker weltgesch. 13, 450; kennt-
nis des persischen hofs und seiner groszämter Welcker
alte denkm. 5, 352; vgl. grosz HI 4k. — groszansehen,
n.; beide waren damals beim Nero in sonderbarem
groszansehen A. U. v. Braunschweig Oct. 2, 984; bil-
dung tvie groszgunst, s. d.; dazu groszansehnlich,
adj., -an sehnlichkeit, /,: es seien alles mit ein-
ander, so wol als alle andre groszansehnlichkeiten dieses
grossen rundes, lauter schatten E. Francisci wol der
ewigk. (1717) 413.
GROSZARTIG, adj., ganz junges, aber auszerordentlich
reich und fein differenziertes wort; bei Adelung und
Campe noch fehlend, erst in der zeit der romantik häu-
figer; ein subst. groszart geht nicht voran, sondern er-
scheint nur gelegentlich als rückbildung : die königliche
groszart dieses thiers J. H. Voss Shakespeare 3, li5.
l) groszgeartet , in anwendung auf seelische, geistige
und sittliche Qualitäten des m,enschen: was bildet den
menschen als seine lebensgeschiehte? und so bildet den
groszartigen menschen nichts als die Weltgeschichte No-
valis 2, 315 Minor; um so lachen zu können, musz
man eine groszartige und milde seele haben Ebner-
EscHENBACH 4, 92; {eine Stimmung) die so ernst be-
schaulich und groszartig ist, dasz alles unangenehme
. . nicht mehr auf sie wirken kann L. Sghücking an
A. v. Drösle br. 5; {Moser) der mit groszartigem sinn
überall die geschichte zu deuten suchte Savigny beruf
uns. zeit 15; ein weih von vieler klugheit und grosz-
artigem ehrgeiz Raumer gesch. d. Hohenst. 4, 76; ich
kann nur auf einem fiisz mit menschen verkehren, auf
dem eines groszartigen Vertrauens Hebbel br. 3, 188;
dann auch von äuszerungen einer solchen inneren artung:
den groszartigen spruch . . , nicht darauf komme es an,
dasz irgend ein theil des ganzen sich . . wohlbefinde
Schleiermacher Piaton 6, 43; so musz alles, was mit
dem könige zusammenhängt, groszmüthig und groszartig
erscheinen Laube 2, 267; mit etwas anderem, klang, an 5
gemahnend: er war eine groszartige natur, die das volk
in freiwilliger Verehrung mit sich fortriss Ranke w. 88,
100; welch ein kühner, groszartiger und fester geist in
Luther arbeitet w.^ l, 210; dieser groszartige mann,
sicher in allem, was er schrieb, voll von rath und
festem entschlusz G. Freytag ges. w. 6, 81.
2) sinnlicher: groszgestaliet, groszlinig, in anwendung
auf gebärde, erscheinung, form, stil: die Überzeugung . .,
dasz nur das einfache groszartig A. v. Droste an L.
Schücking 226; vgl. so bewundert er die groszartige ein-
fachheit Homers D. Fr. Strausz ges. sehr. 8, 30; den
einfach groszartigen text des Notkerischen liedes media
vita Scheffel 2, 234; sie sind . . entwöhnt, in den ein-
fachen, reinen, groszartigen Verhältnissen zu leben, wie
sie bauer, förster, matrose kennen Lagarde dtsche sehr.
38; als gegensatz wird oft das bewegte, tceiche, anmutige
verstanden: wenn man dieser den reiz und die anmuth
nicht absprechen konnte, so kam jener der preis einer
edlen, groszartigen Schönheit zu W. M. L. de Wette
Theodor 2, 7; {das gemälde) ist dem Raphaelischen ein-
zigen talent gemäsz, überall zugleich groszartig und an-
muthig zu seyn Göthe IV 4i, 138 W.; in anderen fällen,
auf 1 zurückgreifend, mit stärkerer betonung des seeli-
schen gehalts: ganze chöre der groszartigsten, edelsten,
lieblichsten . . marmorßguren Brentano 5, 94; der ge-
schmack am hohen und groszartigen in allen künsten
H.Meyer gesch. d. bild. künste 1, 256; bei meiner neigung
für das groszartige und erhabene ist es natürlich, dasz
es mich . . zu der tragödie . . hinzieht Mich. Beer 665.
3) groszgestaliet, aber in hinsieht auf eine nach maszen
und müssen gesteigerte form; meist mit starken gefühls-
mäszigen beiklängen: 'imposant, grandios'; besonders gern
von landschaftlichem: groszartige gebirgsgegend Göthe
49, 368 W.; Heidelberg liegt wunderschön, eine natur,
die groszartig ist, ohne zu erdrücken Hebbel br. l, 63;
das grüne Inntal . . , in welchem der ström . . grosz-
artig dahinflutet Steub Wanderungen 126; doch auch
mannigfach anders: das Louvre ist ein altes und . . .
nichts weniger als groszartiges , vielmehr formloses . .
haus Fr. Schlegel 6, 9; villa Albani, die es in dem
groszartigen der anläge mit einer jeden aufnehmen kann
Caroline v. Humboldt an Wilhelm 6, 51; doch die
groszartigsten und mächtigsten bleiben ... die nord-
deutschen mooie Allmers marschenb.^ 75; ein grosz-
artiger ameisenbau Ebner-Eschenbagh l, 130; grosz-
artige hafenanlagen v. d.' Steinen naturvölker Zentral-
brasiliens 5; ähnlich auch bei abstracten suhjectsbegriffen:
groszartig und unerreicht steht jene zeit in jeglicher
erinnerung W. v. Rahden Wanderungen i, 53; es war ein
volk {sc. die Germanen), dem die einzelleben stark und
groszartig entwickelt waren G. Freytag 17, 95; grosz-
artig ist die erscheinung Savonarolas auch darum, weil
sie an die höchsten allgemeinen Interessen anknüpft
Ranke 40/41, 257; so lag in der idee dieser feier . . .
etwas imposantes, etwas von jener groszartigen Uni-
versalität, die von jeher in den absiebten des römischen
geistes . . lag H. Gelzer Protestant, br. 117; gern auch
in Verbindungen wie: und so schelte mir keiner die grosz-
artige albernheit {Hogarth über Rafael zu setzen) Tieck
sehr. 4, 27; groszartige Stupidität W. Raabe schüdderump
173; sein {Napoleons) kaiserthum nimmt immer mehr
den Charakter eines groszartigen schwindeis an Moltke
sehr. u. denkw. 4, 151; in einem groszartigen irrthum be-
fangen HoLTEi erz. sehr. 19, 122.
4) weitreichend, weitgreifend, weitausschauend; neben
verbalen leitbegriffen: alles, was könig Abenner unter-
nahm, war groszartig Chph. v. Schmid 15, 166; gleich-
zeitig entfaltete . . Winfried , . seine groszartige Wirk-
samkeit im Frankenreiche Döllinger akad. vortr. 1,57;
er betrieb das baugeschäft . . ebenso groszartig wie vor-
sichtig Mommsen röm. gesch. 3, 13; ihr habt das ding
wenigstens groszartig betrieben {in groszem stile schulden
gemacht) G. Keller 1, 152; dieser groszartige Sammler
JuSTi Winckelmann l, 184; ebenso spricht man von einem.
groszartigen betrüger, gauner; das groszartige finden und
das ruhige ausbilden {als züge von J. Orimms wissen-
schaftlicher art) Scherer kl. sehr. 1,40; heute erfolgt die
münzerzeugung als groszartiger fabrikbetrieb Luschin
V. Ebengreuth münzk. 172; an dem groszartigen ver-
kehre des Weltmarktes zu Brügge Treitschke hist. u.
pol. aufs. 2, 42; gern in bestimmten stibstantivverbin-
dungen: den groszartigen . . planen eines Perikles Droy-
Ö17
GROSZARTIG
GROSZARTIGKEIT
518
SEN Äschylus 20; der groszartigste seiner entwürfe Momm-
SEN röm. geschA^ 2, 121; so umfassenden, groszartigen
zielen Ranke werhe^ 2,70; ähnlich: nie hatte ein ge-
schlecht groszartigere , umfassendere aussichten i, 237;
eine überaus groszartige Stellung (die der cardinal von
York 1521 einnahm) 14, 112; so auch in einigen mehr
oder minder formelhaften Wendungen: der Unternehmungs-
geist der Athener stieg ins groszartige Lange gesch. d.
materialismus 18; processkrieg im groszartigsten stil
Mommsen röm. gesch. 2, 124; tempelplünderung im grosz-
artigsten maszstab 2, 59; colonisirung im groszartigsten
sinne des vrorts Hebbel w. 10, 153.
6) die bedeutungen l — 4 werden vielfach dadurch um-
gefärbt, dasz ihnen ein werthurtheil beigemengt wird; so
nehmen sie den sinn 'hervorragend, ausgezeichnet' m.it in
sich auf: nicht befähigt . . , durch groszartige Schöp-
fungen in die reihen berühmter meister zu dringen
HoLTEi erz. sehr. 5, ii; bedeutende leistungen groszer
meister legten zeugnisz von ihrer groszartigen ausbil-
dung ab O.Jahn Mozart l, ni ; ein geschlecht arm an
begeisterung . . , aber . . von groszartiger Willenskraft
G. Freytag 18, lll; Miltons groszartiger Idealismus
Treitsghke hist. u. pol. aufs, l, 18; zumal bei super-
lativem gebrauch: {unsere Universitäten) sind . . eine der
groszartigsten erscheinungen in der geschichte der civili-
sation V.A. Hüber einige zweifei u. bemerkungen 57; eine
der groszartigsten . . entdeckungen . . ist das aiphabet
Jhering geist d. röm. rechts 2, 2, 359; was dann in der
monarchie zu der groszartigsten entwicklung gedieh
Mommsen röm. Staatsrecht l, 255; früh einsetzend: die
groszartige geschichte der brittischen Völker Arnim 15,
12; das adj. endet auf dieser entwicklungslinie schliesz-
lieh bei der reinen qualitätsbezeichnung, 'vortrefflich': ihr
Weizen ist groszartig! G. Viebig d. schlaf . heer 1,40; so
sehr gebräuchlich in heutiger Umgangssprache, zumal auch
m,it unbestimmtem subject: das ist groszartig; vgl. diese
art, wie der kerl an die luft gesetzt wurde, . . ist doch
zu groszartig Fr. Engels an Marx, briefw. 8,158; auch
ironisch, als ausdruck der entrüstung: da drehte er sich
{nach der resoluten antwort des arbeiters) . . herum und
sagte halblaut: 'es ist doch groszartig' Karl Fischer
denkwürdigk. e. arbeiters 1, 363 Göhre.
6) mannigfach atisgestaltet zeigt sich, aber erst in
jüngerer zeit, eine bedeutung, bei der sich der Vorstellung
der grösze irgendivie der begriff von fülle, aufwand, prunk
beigesellt; diese bedeutung zeigt starke unterschiede auch
hinsichtlich des ethischen oder ästhetischen werthurtheils.
das ihr verbunden sein kann; auszeichnend, im sinne
freigebig-generös: {dein vater) gab uns in einer grosz-
artigen weise die mittel, um den drohenden stürz ab-
zuhalten G. Freytag 7, 291 ; in Windsor übt die königin
immer eine groszartige gastfreiheit Moltke sehr. u.
denkw. 6, 299; dagegen: ja drüsse bisch schenerös un
grossarti, do machsch, wie wenn dü's d'heime hüffes-
"wis leije hättsch Greber Lude 14; auf anderer linie:
die hochzeiten waren dazumal noch sehr groszartig G.
Keller l, 72; was macht ihr denn für groszartige ge-
schichtenl das ist ja, als ob ein fürst einzug hielte!
W. V. PoLENZ Grabenhäger 1,8; das . . namenserbe {sc.
Eberhardine) . . wurde für einen leutnantshaushalt zu
groszartig befunden L. v. Fran^ois Eeckenb. 1,85; auch
abstracter: diese chöre haben Mozart zu groszartigen
und mit allem glänz auch der äuszeren mittel ausge-
statteten compositionen veranlassung gegeben 0. Jahn
Mozart 2, 394; groszartiger pomp wechselt mit kriechen-
der prosa Gervinus gesch. d. dtsch. dichtung 5, 46; in
anderen fällen mehr oder minder abschätzig, m,it dem bei-
sinn des prahlerischen: Stine folgte, weil sie nicht sitzen
bleiben und groszartig die dame spielen wollte Fon-
tane I 5, 22; wenn ich aber sagte: gut, so bewirb du
dich, machte er den groszartigen Ebner -Eschenbach
2, 314; er war zu groszartig, um zu fusz zu gehen
Frenssen Jörn TJhl (1902) 86; gruszärtiges vulk, dos sich
ni emol vor ene griszen kann Müller-Fraureuth i,
444'*; mundartlich schlieszlich geradezu 'vornehm,, reich,
hochgestellt', aber mit scheltendem heisinn, ib.; gruszart'g
reden Schriftdeutsch sprechen, ib.; von der prahlerischen
groszen gebärde in that und rede: der lieutenant . . liesz
sich ein glas hier auf das pferd reichen, schleuderte
das geleerte glas groszartig auf die steine G. Freytag
13, 86; was die leut sagen! erwiderte der Adams -Lieb
groszartig 0. Ludwig 2, 52; da heiszt es immer so grosz-
artig: ich habe eine religion der that G. Hauptmann
eins, menschen (l89l) 88; etwas flnders: es wirkt doch
groszartig, . . seine frau begraben und . . über wissen-
schaftliche fragen diskutieren Schnitzler d. grüne
kakadu (i899) 64; es handelt sich jetzt nicht darum, so
groszartig oder so tiefsinnig, sondern so vernünftig zu
sein als möglich liebelei 70.
GROSZARTIGKEIT, /., nicht in allen bedeutungen des
adj. gleich entfaltet.
1) wenig üblich im eigentlichsten sinn des adj. {s. d. l),
von groszer artung innerer anlagen des Tnenschen {auch
hier gewöhnlich schon mit dem gefühlsmäszigen beisinn
von 2) : eine gewisse groszartigkeit und Universalität der
anschauungen in Müller imponirte ihm Fr. v. Gentz
sehr. 1, 230; hierin liegt eben groszartigkeit der ganzen
natur R.Wagner 9, 54; ein Charakter wie Richard III.
konnte auch nur in durchaus poetischer haltung ent-
faltet werden, ohne von seiner groszartigkeit zu ver-
lieren 0. Ludwig 5, 79; öfter mit einer besonderen note:
der graf, berühmt durch die groszartigkeit, womit er
seiner 'himmlischen Seraphine' thun und treiben igno-
rirte Holtei erz. sehr. 7, 234; reiner tritt die grundbe-
deutung des adj. hervor in geivissen gebrauchstoeisen, die
sich an groszartig 2 anlehnen: sie {die Hellenen) fanden
in ihr {der tonkunst) . . . einfache groszartigkeit K. 0.
Müller Darier 2, 319; die einfache groszartigkeit der
ersten kapitel der genesis Raabe hungerp. 1,35; der
landschaftliche grund . . stimmt, vermöge seiner einfalt
und groszartigkeit, mit dem ernst der darstellung über-
ein Göthe 49, 1, 373 W.; ob das werk, ungeachtet seiner
groszartigkeit, nicht von einem spätem meister herrührt
H. Meyer gesch. d. bild. künste 1, 295; an 3 streifend:
die behandlung des materials nicht nur im sinne einer
habituellen groszartigkeit der technik Fr. Th. Vischer
ästh. 8, 1, 139; zum folg. hinüberführend: was hier my-
thus ist, wird dort märchen, verliert dabei an grosz-
artigkeit und gewinnt an menschlicher zugänglichkeit
Ratzel völkerk. 2, 311.
2) am häufigsten in der bedeutung gesteigerter form
und erweiterter masze, immer zugleich als ausdruck der
gefühlsmäszigen oder icertenden reaction des menschen auf
die erscheinung {vgl. groszartig 3 — 5): vor dem erstaun-
ten blicke entrollt sich in überwältigender groszartig-
keit der Durmitor Hassert reise d. Montenegro 125; alles
dies vereint gibt ein bild von wilder groszartigkeit All-
mers marschenb.^ Zi:-, auf anderer linie: die groszartig-
keit Londons Heine 8, 439 E.; die ungemeine frucht-
barkeit und groszartigkeit der Römer in nicht religiösen
bauten Fr. Th. Vischer ästh. 3, 2, 297; als bei erschei-
nung des landvvehredikts . . jeder über die groszartig-
keit dieser Schaffung erstaunte Wilhelm I. milit. sehr.
1, 165; zu groszartig 4: der kornhandel ward . . schon
mit einer gewissen groszartigkeit betrieben Jhering
geist d. röm. rechts 2, i, 244; bleibt der Charakter dieser
älteren forscher immer ehrwürdig wegen der Unschuld
und groszartigkeit ihrer bestrebungen Fr. Creuzer symb.
u. myth. 1, 257; groszartigkeit der entwürfe {bei Friedrich
d. Gr.) Döllinger akad. vortr. 3, 209; und mannigfach
sonst: obgleich sie {die erdbebenkatastrophe von Lissabon)
in ihrer groszartigkeit vereinzelt steht Peschel völkerk.
326; die groszartigkeit dieses zuges {über die Alpen) Ker-
ner bilderb. 289; von . . . ihrer {der revolution) impo-
santen, weltumschaffenden groszartigkeit . . . darf der
lehrer nichts sagen F. v. Sallet 5, 319 ; nicht ohne phan-
tastische groszartigkeit ist jene Vorstellung, dasz die
kirche eine himmel und erde . . . umfassende gemein-
schaft bilde Ranke w. 2 i, 207.
8) wo der beisinn von prunk, fülle, aufwand die be-
sondere färbung des subst. ausmacht, in gleicher mannig-
fälügkeit wie das adj. {s. d. 6) : dasz die neu sich bil-
33*
519
GROSZÄTTE — GROSZBÄRTIG
GROSZBASE - GROSZBOTSCHAFT 520
dende kirche in groszartigkeit und glänz ihrer erschei-
nung sich mit der bisherigen hierarchie . . . nicht . . .
messen konnte Ranke werke'^ 2, 343; nichts ist ge-
mein natürlich daran und doch keine spur leerer, con-
ventioneller groszartigkeit H. Grimm Michelangelo 1, 151;
anders: die frau . . entwickelt groszartigkeit und tum-
melt sich, die fremden gaste lukullisch zu bewirten
Gutzkow w. l, 93; höchstens die hochzeiten und be-
gräbnisse mögen sich durch eine gewisse groszartigkeit
auszeichnen Allmers marschenb.^ 315; tcieder anders:
dieser unglückliche hatte einen jungen mann voll 'grosz-
artigkeit' erwartet und fand einen abscheulichen kra-
kehler Gutzkow zauberer v. Born 4, 68; u7id so auch
mundartlich: ' groszartiges wesen, prahlsucht' lux. ma.
156^; nichts ist wirksamer für den erfolg eines gelehr-
ten . . als aplomb in seiner haltung, groszartigkeit im
abfertigen Justi Winckelmann 2,1,77; Ilona, sich noch
einmal . . umwendend, mit aifektierter groszartigkeit: auf
wiedersehen! Schnitzler Anatol (i90i) 206.
GROSZÄTTE, m., groszvater: progenitor Frisius dict.
1070; dem groszäti giengs eben so Ulr. Bräker 1,14;
auch heute noch allgemein auf alem. boden, vgl. Staub-
ToBLER 1, 586; Martin-Lienhart 1,82; Fischer schwäb.
3,856. — groszauge, n., zunächst ein groszes äuge: grosz-
auge des stolzes Schubart nach zs.f. d. w. ii, 112; dann
ein wesen mit groszen äugen (vgl. grosz III 4 c) ; als schmei-
chelname für ein kind Herb. Eulenberg Anna Wa-
lewska (1899) llO; name einer art von meerbrassen, sparus
boops Campe, vgl. Oken 6, 229 : man hiesse sie {die fische)
nur grosz -äugen Chr. Reuter Schelm. 37 ndr.; schon
Diefenbach notiert groszaugen s. v. bupthalmus gloss.
84"; bei Oken 6, 629 auch für eine gruppe der ainphibien.
— groszäugig, adj. l) was grosze äugen hat: grosz-
augeter mensch o. thier Diefenbach 84° s. v. bupthal-
mus; groszeugig turgidulis oculis Stieler 69; der Persier
Zeniat . . {war) fast lang, groszäugig J. B. Porta physiogn.
(1601)420; diese groszäugige grille J. G. Schmidt roc&en-
phil. 2, 157; mannigfach übertragen: die groszäugige win-
tersonne Jean Paul 5, 58 Hempel; groszäugige käse H.
V. Barth Kalkalpen 486 ; 'schaal vom bier, weil es grosze
blasen schäumt' Rüdiger Zuwachs 2, 80; in naturwissen-
schaftl. terminologie: der groszäugichte raubkäfer allg.
dtsche bibl. 50,496; die groszäugige schnauzenassel Oken
5, 611; 8 arten groszäugiger ichthyosauren A. v. Humboldt
kosm. 1, 287. 2) 7iicht selten, wie grosze äugen {s. grosz
I B 1 a ;^) prägnant als zeichen eines affects; namentlich
als ausdruck der Verwunderung:^
wer selbst denket, und nicht groszäugig anstaunt
Klopstock Oden 2, 121 M.-P.;
der groszäugige bewundrer steht in kurzem da, wie . .
Loths weib, die salzsäule Herder 22, 222 S.; das mäd-
chen . . hörte groszäugig den fabelhaften erlebnissen zu
H. Hesse diesseits (1907) 147; sahen sich beide grosz-
äugig verschreckt an F. Holländer Thomas Truck l, 15;
schmachtend groszäugige gesiebter Heine 3, 258 E.; vgl.
der groszäugigte verdacht Schiller 3, 132 G. — grosz-
bänker, 7n., 'ein bankmeister, tvelcher das recht hat,
seine wäre in einer groszen bank, d. i. öffentlichen bude,
zu verkaufen' Krünitz 20, 132; wie auch iedweder flei-
scher {musz) seine fleisch-banck haben, und werden da-
selbst {in Breslau) in grosz- und kleinbäncker getheilet
A. Beier von Werkstätten (l69l) 20. — groszbart, m..
barbone Kramer teutsch-ital. l, 569 ''; mein lieb herr
grosbart (von Paulus) Hayneccius Hans Pfriem 62 ndr.;
als schelte, anscheinend im sinne 'prahler': der groszbart
Kessel Schweinichen denkw. (1878) 388. — groszbär-
tig, adj., barbuto Kramer teutsch-ital. 1,569*'; ein alter
groszbärtigter mann H. C. Arend gedechtnis der ehren
. . . Albrecht Dürers (1728) § 12; den groszbärtichten
. . bock Lohenstein Armin. 2, 206''; die groszbärtige
schwalbe, die ziegenmelkerin Lichtenberg verm. sehr.
(1800) 1 , 339 ; im 17. und 18. jh. aber häufig auch in un-
eigentlicherem gebrauch 'ehrwürdig , angesehen': wann
einer grosz bärtige männer . . . erkaufen kan, kan er
seine falsche sache wol hinauszführen türk. vagant
(1683) 34; unterstund ich mich nicht, diesen hochspre-
chenden und groszbärtigen männern meinen beifall zu
versagen Gottsched iwcian 57; in jenen dunkeln zeiten,
wo man einen einfall eines groszbärtigen mannes mit
dem geschrei aufnahm: in proverbium abeat! J. T. Her-
mes misz Fanny 1, 216; vgl. wann die alten groszbärtigen
vocales reden, musz . . ein junger diphtongus kein muta
. . seyn Tölpel bauernmoral (1752) 26. — groszbase,
/., avita magna, soror avi Sghottel haubtspr. 259; pro-
amita Stieler 100; die kammer ihrer groszbase Ros-
egger II 8, 311 ; wie grosztante {s. d. schlusz) auch mit
einem besonderen accent: gelungen ist es der mode . . ,
die sitte . . lächerlich zu machen und als eine alte
runzlichte und grämliche groszbase hinzustellen E. M.
Arndt sehr, für u. an s. l. Deutschen 2, 158. — grosz-
bauch, m., ventriosus CoRviNUS fons latin. 949; der
groszbauch und rothbart Schweinichen denkio. (i878)
404 (hier anscheinend übertragen 'prahlhans' , s. o. grosz-
bart); solte sich dieser groszbauch nicht in seine seele
Schemen Herberger herzpost. (1613) i, 735; weil mich
dieser gute alte groszbauch ganz enge an sich druckte
la doppia impiccata (1668) 172. — groszbäuchig, adj.,
ventricosus BiEFEi^BACH 611^; darzu seind die selsorger
mester worden irer leib, feist, groszbauchet Stein höwel
Spiegel menschl. lebens (1479) 180^; die heuschreck ist ein
unflätig groszbäuchig thier J. Schmidt christl. gottwol-
gefäll. busz (l67l) 171; häufig von schicangeren :
samb wer er ein grossbauchent weib
H. Sachs 17, :
K.-G. ;
(mause) die auss müter leibe geschnitten schon selbs
grossbeuchig waren Heyden Plinius 291 ;
grosbeucbet gangen nrjit unglukke
Schede psalm. 29 ndr.;
mannigfach übertragen: runde kürbisz und groszbeuchete
J. B. Porta natürl. magia (1617) 194; in dem groszbäu-
chigten backtroge J. G. Schmidt rockenphil. 2, 53; ein
groszbäuchichtes gläsern gefäsz J. J. Woyt thes. (1696)
308; eine mächtig groszbäuchige Weinflasche Heine 3,
390 E. — groszbauer, m., 'ein vollständiger bauer, ein
pferdner oder pferdebauer; zum unterschiede von einem
kleinbauern oder hintersassen' Krünitz 20, 132; sein
grosz-bauer hatte einmahl was kostbahres essen wollen
Kuhnau music. quacksalber 168 lit. denkm.; der grosz-
bauer Traugott Büttner W. v. Polenz Büttnerbauer 1, 1;
moviert: ich möchte aber doch auch groszbäuerin sein
Auerbach 18, 3i; dazu composita wie groszbauern-
gut Conrad handwb. d. staatswissensch.^ 7, 1054; -hof
Rosegger I 3, 37; -Wirtschaft Conrad 2, 438. —
groszbesitz, m., groszgrundbesitz : mr. Gurdon hält
den groszbesitz fest V. A. Huber sociale fragen l, 26;
trat neben den groszbesitz ein mittlerer von 100 — 10 ha
Wimmer gesch. d. dtsch. bodens 178; entsprecliend grosz-
besitzer = groszgrundbesitzer Con rad handwb. d. staats-
wissensch.^ 1, 123; groszbesitzung: in Africa aber gab
es . . . ausgedehntere groszbesitzungen Mommsen röm.
gesch. 5, 648.
GROSZBETRIEB, n., das betreiben irgend eines zweiges
der wirthschaftlichen production oder des ericerbslebens
im groszen: vortheile . . , die der groszbetrieb . . vor
dem Zwergbetrieb voraus hat V. A. Huber soc. fragen
4, 6; immer mehr den fabrikmäszigen groszbetrieb an
die stelle des handwerksmäszigen kleinbetriebes . . zu
setzen Lassalle ausgew. reden u. sehr, l, 37; aber erst
gegen ende des 19. jhs. allgemein verbreitet : den bauern-
stand ruinirt die . . maschine und der groszbetrieb Ros-
egger II 2, 65; in der Seeschiffahrt nimmt der grosz-
betrieb zu V. Alten 4, 59i; dann auch concret: alle
betriebe werden mehr und mehr groszbetriebe H. v. Kah-
lenberg Eva Sehring 39; die Vorarbeiter in den grosz-
betrieben Conrad handicb. d. staatsioissensch.'^ 5, 822. —
groszbote, m., böte von rang, gesandter: er wolle mein
grossbott seyn und solches Jungfrau Melisa einhändigen
HARSDÖRFER/rawenz. gesprächsp. 8, 400; aus diesen wählt
der kaiser . . die groszboten, welchen er sendschaften
auftragen will E. M. Arndt geist d. zeit 3, 364. — grosz-
botschaft, /., ambassade: die absendung einer grosz-
521 GROSZBOTSGHAFTER — -DEUTSCHLAND
GROSZDING, GRÖSZE A i. 2
522
botschaft nach Frankreich ciiat bei Campe; entsprechend
groszbotschafter, ein im älteren i9. jh. oft begegnen-
des wort: kamen die englischen groszbotschafter im spät-
herbst 1814 in Wien an E. M. Arndt sehr, für u. an s.
l. Deutschen 3, 148; als Talleyrand noch lebte und als
groszbotschafter . . von hof zu hof rollte J. Gotthelf
21, 271. — groszbrodig, -brotig, adj., aufgeblasen,
eingebildet, geschwollen, protzenha/t Müller-Fraureuth
1, 444^; ein thür.-obersächs. wort; vgl. Jecht 44^; grosz-
brötsch Bruns volksw. a. d. prov. Sachsen 26; groszprottig
Kleemann beitr. zu e. nordthür. id. 16"; auch bei dem
nicht seltenen literarischen vorkommen verrät sich dies
Ursprungsgebiet: dieser groszbrodige schuft von einem
kammerdiener W. v. Polenz Büttnerbauer 2, 207; sein
groszbrodiges prahlen und absprechen über Kaulbach
J.W. Grosse urs. u. ivirk. 162; er . . sagte in grosz-
brodigem tone zu seiner frau Ompteda Eysen (1900) l,
179; wie protzen zu der im nd. reich entwickelten sippe
von prat, pratt stolz, prahlerisch Doornkaat-Koolman
2, 755*; prot Schambach 159'»; dazu das aubst. grosz-
brod, m., prahler. groszthuer Rüdiger zmcachs 2, 80;
Alb recht Leipz. 126''; man schalt ihn insgeheim meister
Duns und ritter Groszbrod MusÄus volksm. (1826) l, 83.
— groszbuch, n., codex Diefenbach 98"; in fester
vericendung: das, nachdem ain gut vergannt ist worden,
alszdann nit stat habe die hülf des zwaiten gesatz im
groszbuch gantrecht (l566) G 2».
GROSZBÜRGER, m.: das kleine bürgerrecht wird auf
ebenmässige weise wie das grosse gewonnen, nur allein
dasz die so es gewinnen, so viel geldes der wette nicht
als die grosz-bürger abgeben müssen G. R. Curicke d.
Stadt Danzig hist. leschr. (1688) 132^; 'in kleinen Städten
haus- und grundbesitzer' Frisghbier 1, 255"; 'zur zeit
des Ordens erhielten ansiedier in städten häuser mit bau-
gerechtigkeit und den ehrentiiel groszbürger' ib. mit nach-
weisen; städte, wo ein gelehrter nichts gilt, weil er nicht
officiant, nicht kaufmann und nicht groszbürger ist
J. T. Hermes meine . . geschichte 2, 134; in jüngerer zeit
iveniger technisch der durch besitz gehobene bürger: bürger
sind wir alle, der arbeiter, der kleinbürger, der grosz-
bürger Lassalle ausgew. red. u. sehr, l, 195; dem Ber-
liner klein- und groszbürger fehlte schon damals das
. . staatliche Pflichtgefühl Meinegke Boyen 2, 265. dazu
groszbürgerlich Doren Florentiner ivolltuchind. 20;
groszbürgerschaft Meinecke Boyen l, 28. — grosz-
darm, «i., alte bezeichnung für den dickdarm {oder theile
von ihm), also grosz- im sinne I A 2; grozdarm extalis
ahd. reichlich bezeugt Graff 5,226; extalis Diefenbach
219"; Colon 133"; intestinum colon Junius nomencl.
(1567) 34".
GROSZDEUTSCH hiesz in der ersten deutschen national-
versammlung die partei und späterhin die anhängerschaft
der idee, die auf schaßung eines bundesstaates hinzielte,
der alle deutschen stauten einschlieszlich Österreichs um-
faszte: an die Groszdeutschen Überschrift bei G. Pfizer
weder jetzt das direktorium (1849) 14; (männer) die in
Frankfurt, wo man groszdeutsch ist, für und in Berlin,
wo man preuszisch ist, gegen die reformakte sind Las-
salle ausgeiv. red. u. sehr. 2, 199; die sehr lauten grosz-
deutschen demokraten {ivollen) den eintritt Badens in
den Norddeutschen bund nicht G. Freytag 22, 412 ; das
wort ist in diesem specifischen sinn eine prägung aus
den tagen der Paulskirche, vgl. Gombert zs.f. d. 10. 3,
313; als gelegenheitsbildung schon öei Jean Paul: später
lernte ich diesen ächten Ur- und Grosz-deutschen näher
kennen (Gleim) w. 11-14, 380 Hempel, d. h. einen Deutschen
in groszem sinne (parallelbildungen Jean Pauls unter
grosz III 4 1). entsprechend Groszdeutschland: Per-
thes hatte so sehr Groszdeutschland im äuge, dasz er
darüber fast mit Niebuhr verfallen wäre, der allein
Preuszen (was man jetzt in Frankfurt Kleindeutschland
nennt) im äuge hatte W. Menzel lit. bl. v. 17. märz 1849,
80"; unsere {Berliner) akademie wird . . das centrum
für die weitere fortführung des werkes unter betheiligung
der Wiener und Münchener. hier ist also wieder ein
stück Groszdeutschland gerettet E. Curtius lebensb. in
briefen 626; anders, als Übersetzung von Germania magna:
das rechte Rheinufer war Grosz-Deutschland Fr. L. Jahn
2, 1, 422; und so schon früh: zöge mit heeres krafft über
den Rhein in grosz Teutschland B. Hertzog chron. alsat.
(1592) 1, 11 ; auch dies in besonderem sinne schon bei JeaU
Paul: leider ist bis zu gegenwärtiger minute . . Klein-
deutschland im gegensatze von Groszdeutschland so un-
glaublich wenig bekannt w. 27-29, 249, wo Kleindeutschland
etwa im sinne von kleinstad t verstanden ist. — groszding,
71., 'eine in Breslau übliche benennung des ordentlichen
Stadtgerichtes' Krünitz 20, 132; in dem groszdinge, wel-
ches man . . auch sonst das stadtrecht nennet, werden
gefördert . . alle bürgerliche Sachen Bresl. gerichtsordn.
(1591)2.
GRÖSZE, /., bereits ahd. als grozi reichlich bezeugt
Graff 4, 337; formen, die auf die Seitenbildung *gr6zin
zurückweisen, zum,al auf alem. boden bis ins ältere nhd.:
grössin immanitas Diefenbach nov. gl. 210"; teylsanr-
keit liplicher grössin gloss. 477" s. v. quantitas mobilis;
gestalt und grössin Keisersberg schiff d. pön. 53*; die
grössin des diepstalls Carolina l, 87 Kohler- Scheel; von
wegen der grössin der hülen Xylander Polybius 247;
vgl. auch A 2 a of . B 9 a ; die abstractbildung mit dem
Suffix -ida erscheint nur ganz selten: di grozede der stat
{Rom) myst. 1, 25 Pfeiffer; eyn groszde eynr persone
Diefenbach nov. gl. 347" s. v. statura; wohl aber in
modernen nd. maa.: gröted© Bauer-Collitz 4l"; gröde
Leihener Cronenb. 47.
A. entsprechend der eigentlichen bedeutung des adj. zur
bezeichnung quantitativer Verhältnisse.
1) 'dicke'; im ahd. die vorherrschende bedeutung: grozi
crassitudo {eius quatuor digitorum) Graff 4, 837 ; grozze
grossitudo ib.; seit dem, mhd. seltener als nach dem, ent-
sprechenden gebrauch des adj. {s. d. I A 2) anzunehmen
wäre:
daz kint nam an der lenge zuo
mer denn ez an der groeze tuo
Lexer 1, 1095» aus einem cod. Pal.;
die grosse oder dicke desz baums was vier klaffter Fri-
sius dict. 1397"; grosse des leibs und dicke corpulentia
Calepin XI ling. 339"; speciell von der schicangerschafb
{vgl. grosz I A 2 b) :
nüt lang mocht es verborgen sin
durch grössi, die von der geschieht
man an den frowen allen sieht
Schweizer Wernher Marienleben 425;
eins tages irer müter alle sache irer grosse ze wissen
thet Arigo decam. 353 lit. ver. ; bi der groeze ^am dicken
ende' ist im mhd. eine feste toendung:
euch nim ich bl der groeze
den besem, daz mac werden schJn
der Wipfel an dem rucke din Helbl. 3, 194;
vgl. Lexer 1, 1095».
2) hauptgebrauch, entsprechend grosz I B 1, im sinne
einer messenden bezeichnung von umfang und ausdehnung,
zunächst angewendet auf concreta. zwei bedeutungen sind
auseinanderzuhalten :
a) gewöhnlich dem sinne von 'umfang, masz' schlecht-
hin nahekommend, also in einer bedeutung, wie sie, nur
abstr acter, der spräche der philosophie geläufig ist: den
begriff der grösze . . kann niemand erklären als etwa
so: dasz sie die bestimmung eines dinges sei, dadurch,
wie vielmal eines in ihm gesetzt ist Kant 3, 205 akad.
ausg.; kleinigkeiten , welche, so klein sie auch seyn,
nicht ohne einige physische grösze seyn Leibniz dtsche
sehr. 2, 331; in den atomen sind keine qualitäten auszer
grösze, figur und schwere Lange gesch. d. material. 28;
vgl. schon: atomis die neheina grozi ne habent Graff
4, 337 aus Notker; eyn punckt ist ein solch ding, das
weder grösz, leng, breyt oder dicken hat Dürer under-
weysung d. messung a 2».
a) wie beim adj. wird auch hier wieder deutlich, dasz
grosz von haus aus als raummasz auf das volumen eines
dinges zielt: Egiptii . . wänten, daz daz herz alliu jär
auf nsem ain klain grcezin {corda augeri omni anno)
523
GRÖSZE A 2
GRÖSZE A 8
524
KoNR. V. Megenberg hucli d. natur 27, 18; solt du in
der gross einer zimlichen bonen auf ein mal geben
Rtff confectbuch 18''; ist ihr . . der hals in grosse aines
kopfs aufgethan Nas antipap. eins u. hundert 1,46"; sein
{des Sackerfalken) grösze ist nachet gleich der grösze der
aren Mynsinger v.falken 7; iedes kleyd sol nach der
grosse des leibs gemodelt . . sein Seb. Frangk sprichw.
1, 4*'; schiffe von allerhand gröszen Archenholz Eng-
land u. Italien l, 96; fünf pfeiler von der grösze einer
dorfkirche Moltke sehr. u. denkwürd. 4, 157;
mancher schöpfrische geist berechnete fernen und gröszen
{der gestirne) Zaciiariä poet. sehr. 4, 185;
entsprechend grosz I B 1 a e : und hattend von grösze
wegen der wassern, die uffgangen, nit mögen darkom-
men TsGHUDi chron. helvet. l, 209; vgl. wassergrösze
regengusz, Überschwemmung Staub -Tobler 2, 807; als
physikalischer terminus: 'scheinbare grösze, magnitudo
apparens . . . eines gegenständes ist die scheinbare ent-
fernung seiner äuszersten grenzen voneinander' Gehler
4, 2, 1646; die scheinbare grösze der sonne 1452; mit der
Sinnesvariante von grosz I B l a f :
(sie fanden) der brocken grosz und kleine
in ebner grösz zwölf körbe voll
Ringwald evang. m5*;
zur linken ist noch ein saal mittlerer grösze Fr. Schle-
gel 6, 10;
das ding (eine kutsche) hat ohnehin die grösze,
dasz man drin wohnen kann
Müllner dram. werke 7, 108;
auch in anwendung auf flächen, doch erst seit dem nhd.
(vgl. grosz I B i b) : modus agri ein gewisse grosse oder
mäsz und zal desz fälds Frisius dict. ei^; (der see ist)
nach seiner grosse vil vischreycher dann der ober Stumpf
Schwytzerchron. 405"'; ihre (der insel) grösze betrug ohn-
gefehr fünfzehn Stadien Heilmann pelop. krieg iSi; die
läge, die grösze, die grenzen jedes reichs Lessing 7, 28
M.; ahnlich: zu irer grosse war sie (die stadt Paris) ge-
nugsamlich fest und wol erbauwet buch d. liebe 9«; es
sey aber umb eine festung der grosse . . nach bewandt
wie es wolle Kirchhof m,ilit. discipl. 16; si {netze) haben
dann die recht grosz und weit österr. weist. 10, 5; vgl.
groszes garn unter grosz I B l b « ; die verschiedene
grösze der Öffnung in dem fensterladen Göthe II 2,
61 W.; so entspringt des gemessen Viereckes . . . ein-
feltige, aber des dreieckes zweifeltige grösze Reymers
landrechnen (1583) E 2*; die grösze des optischen winkeis
Gehler 4, 2, 1442.
ß) in anwendung auf die längenausdehnung mit fühl-
barer Zurückhaltung {vgl. grosz I B 1 c) : spies, des grosse
vergleicht sich einem weberbaum Wigkram 3, 231 lit.
ver.; mit einer anzahl hölzerner stäbe und stangen . .
von allen gröszen G. Keller S, 76; nur für körperliche
länge seit dem nhd. ganz gewöhnlich: welcher ist unter
euch, . . der da künde eine eile lang seiner grosse zu-
setzen ? Luc. 12 , 25 ; ob es {das meszgewand) auch für
unsern pfarrherrn were, der eben in euwrer grösze und
dicke ist Kirchhof wendunm. 2, 228 lit. ver.; sie, die
landleute, waren fett, und von wenigstens mittlerer
grösze J. V. Müller l, 33; doch auch bei der anwendung
auf menschen nicht selten zugleich im sinne von 'leibes-
umfang, stärke'; daher: die grosse oder mächtige des
lybs magnitudo Maaler 193*; die leibs masz, die grosse
und lenge des leibs statura Calepin xi ling. 1379*;
rettige, die offt eines . . kindes grosse erreichen Stieler
zeitungs lust 140; so empfand man auch im mhd. ze
mannes groeze komen Lexer l, 1095"; dasselbe gilt für
fälle wie: so überschritt . . bei darstellung des abend-
mahls Leonard die menschliche grösze um eine völlige
hälfte Göthe 49, 231 W.; {ein marmorbild) in natürlicher
grösze H. P. Sturz sehr, i, 8; köpf und brüst der . . .
bronze in der grösze des Originals H. Meyer gesch. d.
bild. künste, abbildg. i^; vgl. schon: ein steinern bild-
nuss . . in lebens grosse Grimmelshausen Simpl. 504
Kögel; vgl. th. 6, 444.
y) eine eigene geschickte hat die Wendung (von) der
ersten grösze; ursprüngliche anwendung:
das immergrüne laub bedeckt der lampen schein,
und jede wolt' ein stern der ersten grösze sein
Chr. Warnecke ■poet. versuch 374;
aber frühzeitig und häufig bildlich:
(herzogin) die . . die halbe weit
gewisz als einen stern von erster grösze hält
Weichmann poesie d. Niedersachsen 2, 40;
das ist die bahn, auf der ihr eine leuchte der kirche,
ein stern erster grösze . . werden könnt Lenz i, 63 Tieck;
vgl. .ein licht der ersten grösze {Kepler) Gökingk 3, 275;
dann übertragen: schriftsteiler von der ersten grösze
Fr. Schlegel 2, 178 ; wo es (d. gespenst) . . als Schauspieler
erster grösze auftritt B. v. Arnim d. buch gehört d. könig
1, 214; aber auch: in ganz Europa anerkannte tropfe von
der ersten grösze K. Fr. Gramer Neseggab i, 154; ein
Staatsverbrecher der ersten grösze Archenholz Eng-
land u. Italien 1, l, 18; vgl. dies bei einem künstler
ihrer grösze gleich seltne . . talent Meissner Alcibia-
des 1, widm. 2; schlieszlich auch m.it sächlichem subjects-
begriff: wir halten sie (landschaften) für die meister-
werke erster grösze Stifter 14, 178 Sauer; beides sollen
ströme erster gröszen seyn Ritter erdk. l, 506.
b) daneben seit alters auch prägnant 'von beträcht-
lichem umfang, ausmasz': grossy vel ungemessenheit im-
mensitas Diefenbach 287^; tm übrigen in den anwen-
dungsformen mit a a, ß parallel laufend: kunt des auch
nit ledig usz dem halsz werden, von grosse des bissen*
brots Eulensp. 11 ndr.; gleichwie die geschmeidigkeit
eines edelgesteins der grosse eines maursteins weit vor-
gezogen wird ZiNKGREF apophth. (1628) vorr.*6'^; ob sie
(die decorationen) gleich wegen der grosse des theaters
. . sehr guten effect thun müssen Göthe III 2, 123 W.;
wanns an der grosse gelegen wäre, so erlielTe ein kuhe
einen hasen Lehmann florileg. polit. 3, 480, ein bis heute
viel variiertes Sprichwort, s. Fischer schwäb. 3, 856/.,-
vgl. auch: kleine leuth haben auch ein hertz . . , es
ligt nit allweg an der grösz seh. xo. klugr. (l548) 9Z^, hier
im sinne der längenausdehnung; die etwas gekrümmte
haltung des körpers that seiner grösze abbruch Gaudy
4, 67; mundartlich: bist doch du a grösze! 'wie grosz
bist du/' Reiser sagen d. Allgäus 2, 534; vgl. Fischer
schwäb. 8, 857; auch von flächen: wie der edel Teurdank
durch die gross eines segeis ein gros not leid Teuer-
dank 76;
wer schätzt der stolzen thore zier?
wer kann der dächer pracht, der flügel grösze nennen?
Gottsched ged. (1751) 1, 40;
häuflger noch in Verbindung mit steigernden adjectiven:
(der hagel) was als michler grösz, das sölicher vor nie
nit was derschinen erste dtsche bibel 3, 248 lit. ver.; einen
granatapfel ungemeyner grosse S. v. Birken ostländ.
lorbeerh. B^; backenbart von ungewöhnlicher grösze 0.
LuDVi'iG ges. sehr. 2, 310; in den wald . . , der sich mit
unsäglicher grosse durch der Trierischen landtschaft . .
zeucht Ringmann Cäsar (1588) 47''; ein . . . schlanker
pfeiler von kolossaler grösze H. Grimm Michelangelo l, 19;
poetisch auch im plural:
er (der mensch) miszt das weite meer unendlich groszer
gröszen
Haller ged. 46 Hirzcl;
im sinne 'weiten'; ähnlich:
eh'r stürzt die sonne aus des himmels gröszen!
KÖRNER 2, 12 Hempel.
3) die beim adj., wenigstens im älteren nhd. sehr ge-
wöhnliche anwendung auf zahl und menge {vgl. I B 2)
zeigt sich beim subst. weniger entwickelt: sollen die pro-
fusen die wägen nach gelegenheit und grosse der regi-
ment . . theilen Fronsperger kriegsb. i, 66''; so heute
grösze des heeres, der familie u. a.; god süd nicht an
de groite der ghaue Schiller- Lübben 2, 155''; reich-
thumb ist nicht zuschetzen aus der grosse, sondern aus
dem brauch Friedr. Wilhelm sprichw. reg. dd l*; die
grösze meiner schuld {gott gegenüber) Gottsched ged.
(l75l) 1, 196; bei der schwäche ihrer kadres und grösze
der ersatzeinstellung Moltke ges. sehr. u. denkw. 7, 15;
erforschung . . der grösze seines {des münzstücks) nenn-
525
GRÖSZE A 4. 5
GRÖSZE A 6. B
526
Werts Luschin v. Ebengreuth münzk. 2; heute üblicher
höhe, vgl. grosz I B 2 b.
4) in bunter mannigfaltigkeit auch als masz von in-
concretem: soll man sie von eim gemeinen nutz besol-
den, nach grosse ir arbeit Eb. v. Günzburg l, 123 ndr.,-
nach der gross und schwer seiner (gottes) verliehenen
gnaden Ayrer hist. proc. iuris )( S*»;
du hattest gleictisam ihn (den hof) ins kleine nur gebaut,
doch wies er schon genug die grösze deiner (j)ewtes)gabQn
Besser 1, 20 König;
dasz die kaiserliche macht nicht wieder zu überwiegen-
der grösze erwachsen konnte Ranke werke'' l, 27; des
Unfalls grösze Ramler fabellese i, 179; die . . . fähig-
keiten . . der tiere nehmen an stärke . . zu im umge-
kehrten Verhältnisse der grösze . . ihres würkungskreises
Herder 5, 24 S.; von der grösze der kampfspiele W.
V. Humboldt Pindar 43 lit. denkm.; 'weite': nicht durch
die klänge (accorde) an und für sich, noch durch ihre
grösze, gestalt und figur Mattheson vollkommn. capell-
meister 17; vgl. die grösze und weite der Intervallen kl.
generalbassch. 86; 'länge': eine rede, die ich . . wegen ihrer
grösze aber besonders werde drucken lassen Schwabe
belustig. 1, 216; ungewöhnlich ist die beim adj. nicht sel-
tene anwendung auf Zeitbestimmungen {vgl. I B 3): eine
solche richtige oder alwegen gleiche grosse des jahrs
Thurneysser alchymia 14; vgl. granditas, proprie acta-
tis magnitudo grosse, alte Galepin xi ling. 625*; un-
deutsch und wohl nur Übersetzung von 'Quantität': nicht
zwar das wir auf art der Griechen und Latiner eine
gewisse grosse der sylben können in acht nemen Opitz
poet. 40 ndr.
5) der bedeutung D des adj. entsprechend wird grösze
aus dem quantitätsbegriff vielfach eine bezeichnung der
intensität, also 'tiefe, kraft, stärke, ein hoher grad von
etwas'; doch wesentlich nur neben bestimmten gruppen ab-
stracter begriffe; besonders in anwendung auf eigenschaf-
ten, affecte, innere zustände des menschen {vgl. grosz I
Dia): wüste ihr auch die grosse meiner affection . .
gut vorzubilden theatr. amoris 109; die grösze meiner
liebe Gottsched dtsche schaub. l, 268; die grosse dess
Verlangens Spee güld. tugendb. 272; Engeldruda . . würt
öch nit unbillich zu den tugentrychen frowen gezelet
umb die grössy ieres gemütes stärke des mutes Stain-
HÖWEL de dar. mul. 307 lit. ver.; von der grösze der
weibertücke C. Schulze bibl. sprichw. 118; die grösze
des leidens Bodmer saml. crit. poet. Schriften 1, 113;
wir sehn die macht der vatertriebe,
doch ihre ganze grösze nicht
Gottsched ged. 1, 114;
das der mensch nit gon mag vor ir {der krankheit) grösze
Gersdorf wundarzn. (I517) 47"; sie haben meinem hunger
. . eine schmeichelhafte grösze zugeschrieben Nestroy
2, 12; Homer hat eine grösze des genies, die . . Ramler
einl. in d. schön, vxissensch. 2, 197; auf anderer linie: als
swarlichen wiget die grözi und die mengi siner grozen
missetat Seuse dtsche sehr. 258, 18 Bihlm.; soltu . . be-
schawen die grösz und mänig deiner sünd Keisersberg
granatapfel (1510) 65°; von grösze der unthat Klopstock
öden 2, 94 M.P.; wann sie die grösze ihrer laster fühlen
Schiller l, 14 G.; wieder auf einer anderen: do mir
ausz grösze der far die statt verschlossen gewest Hütten
1, 448 Böcking; bei der grösze des Wagestücks Schiller
8, 154 G.; verzweifelung kommet aus erwegung der grösze
des vorstehenden Unglücks Chr. Wolff gedanken von
d. menschen thun 276; die grösze meines Verlustes Brem-
ser 298; um den im vorigen dargestellten nuzen in sei-
ner ganzen grösze hervorzubringen W. v. Humboldt
über d. Studium d. alierth. 33 lit. denkm.; auch hier greift,
vjie beim, adj., die Verwendungsmöglichkeit im älteren nhd.
weiter als heute: die grosse der fruchtberkeyt wirt ver-
lieren die grosse des mangels erste dtsche bibel 8, 184
lit. ver.; urtheilen sie auss grosse der feuchtigkeit auch
die vile des wassers Sebiz f eidbau 14; von der gross
{stärke) der selbigen gedächtnüss . . ist nit wol zu er-
zölen Schwartzenberg Cicero 52; geradezu 'gewalt, hef-
tigkeit': do dl grösze der seuche alle creffte der ertztey
ubertratt Sedunglegende (1504) a 5*; so sich der hertzog
und die sinen nicht geweren möchtind von grössi des
Überfalls Tsghudi chron. helvet. 2, 9; der verzug der
strafe {gottes) wird mit deroselben grosse und schärfe
ersäzzet Butschky Pathmos 75; die strenge, reuche und
grosse der kelte frigoris vis Frisius 1389*; die grenze
zwischen der intensiven und der rein quantitativen bedeu-
tung verschwimmt nicht selten:
die grösze meiner schuld ist über mich gestiegen
Fleming dtsche ged. 1, 6 lit. ver.;
unter dieser herrschaft wachs das sittliche verderben
zu einer Ungeheuern grösze Jung-Stilling 3, 468; an-
ders, an B 9 d streifend:
und alle deine (gottes) wunder
sind sich an grösze gleich Brentano 5, 178.
6) eine besondere bedeutung hat die vdssenschaftliche
spräche abstracter disciplinen entstehen lassen: der be-
stimmte begriff von einer grösze ist der begriff der er-
zeugung der Vorstellung eines gegenständes durch die
Zusammensetzung des gleichartigen Kant (1838^.) 8, 467
Hart.; die mathesis pura ist . . gleichsam deren {der ver-
nunftlehre) gebrauch bei den gröszen oder bei zahl, maasz
und gewicht Leibniz dtsche sehr. 1,389; so, abstract-
concret, als fachausdruck der mathematik viel gebraucht,
und zwar als Verdeutschung von quantitas: quantitas,
eine grösze, heiszet in der mathematik alles, was sich
vermehren und vermindern lasset Wolff math. lex. (1716)
1143; schon im 16. jh.: die zaln oder grösen werden propor-
tionales genennt, welcher proportion in ein oder durchausz
über ein ist Sim. Jacob rechn. (1565) lil*; vier quantiteten
oder grosse seyn . . in gleicher proportion Sim. Marius
Euklid (1610) 106; weiteres bei Schirmer zs. f. d. w.,
beih. 14, 29/.; wie man aus der summe und der differenz
zweyer gröszen die gröszen selbst findet F. Th. v. Schu-
bert verm. sehr. '2,lQ\ in einem rechnungsansatze, wo
auf beiden selten die gleichen gröszen gestrichen werden
D. Fr. Strausz ges. sehr. 8, 168; das aubst. wird in neuerer
zeit auch in nicht wissenschaftlicher spräche gern gebraucht,
giebt dabei seine ursprüngliche mathematische determination
mehr oder minder auf und sinkt nicht selten schon zu einem,
farblosen begriff wie 'object, ding' herunter: mir . . kommt
sie {die dtsche spräche) noch immer zu arm vor . , nicht
um deszwillen, weil sie eine menge von gröszen und
eigenschaften . . nicht namentlich angeben kann Moser
5, 82; wenn man an die stelle des tausches der natur-
producte eine grösze setzte, die denselben dienst darbot
Gutzkow w. lo, 13; eine Umschreibung der aus der alten
rhetorik . . bekannten gröszen in die kunstsprache des
Systems Justi Winckelmann 1, 78; auf die haarscharfe
bezeichnung dieser untergeordneten gröszen {hügel, höhe,
berg) kommt so viel nicht an Ritter erdk. l, 74; mit
einer ähnlichen auflockerung der bedeutung sind auch
einige, der wissenschaftlichen terminologie entsprungene
attributive Verbindungen von der allgemeinen spräche über-
nommen worden: ermeszliche, unermeszliche, veränder-
liche, unveränderliche, unendliche, kleine (gröszen) Wolff
mathem. lex. (i734) 586; zur bestimmung einer oder meh-
rerer unbekannter gröszen Czuber wahrscheitilichkeits-
rechn. l, 246; heute öfter wortspielend im sinne von B 8,
s. d.; die bestimmung des Verhältnisses zweier gleich-
artigen gröszen Karmarsch-Heeren ^e, 45; wissen sie,
was incommensurable gröszen sind? A. v. Arnim 2, 100:
die lehre von entgegengesetzten gröszen Gottsched d.
n. a. d. anm. gelehrsamk. 8,845; vergnügen und miszver-
gnügen mit positiven und negativen gröszen . . zu ver-
gleichen Abbt verm. w. 3, 18; so kann sie {die ethik) . .
das sich überall gleiche von dem, was sich als eine ver-
änderliche grösze verhält, absondern Schleiermacher
I 3, 4: dasz alle unsere empfindungen flieszende gröszen
sind Herder 16, 300 S.; vgl. Fouqu6 motivirt gar nicht,
er stellt seine beiden wie mathematische gröszen hin
Hebbel w. 12, 165.
B. entsprechend der sonderbedeutung I F des adj. zur
bezeichnung innerer maszverhältnisse ; bei persönlichem
regena besser entfaltet als bei sächlichem.
527
ÜROSZE B 1—3
GROSZE B 4-6
528
l) bezogen auf rang und stand, geltung und macht
{vgl. grosz I F 1 a — c); seit dem älteren nhd.: amplitudo
grosse, herrligkeit, groszmechtigkeit Calepinus xi ling.
82"; der halben ich dich deiner küniglichen grosse . .
ermane Hütten l, 373 Böcking; ähnlich: die so bisher
mit der hohe und grosse deynes (des papstes) namen
. . zubedrewen sich bemühet haben Luther 7, 3 W.;
die höhe und grosse dynes (Karls V.) obgemelten titeis
H. V. Cronberg sehr, l ndr.,- aber erst seit dem 18. jh.
in breiter ausdehnung:
0 hätte dich des Stammes grösze
nicht schon den sternen gleich gestellt
Stoppe Pamasz 15;
und weil er der kriegsgöttin sich vertraut,
hat er sich diese grösz' erbaut
SCHILLEE 12, 32 G.;
um sich den weg zur grösze nicht zu versperren (von
einem erzbischof) Dahlmann gesch. der frz. revol. 114;
bis es (das glück) mich auf den gipfel der republica-
nischen grösze erhoben haben würde Wieland Aga-
thon 1, 337; im gegensatz zu innerer grösze (s. u. 4):
nichts ist äuszere grösze! Collin Begulus 13; hierher
auch, aber leicht ironisch: durch beyhülfe seines stockes
aber wird seine (des bettelrichters) grösze erst erkennt-
lich Mayr Päckchen Satiren 66; in mancherlei formel-
haften Verbindungen:
ein schmählich denkmal der gefallnen grösze
Schiller 12, 293 G.;
dieses bild verlöschender grösze (der totkranke sultan)
PÜCKLER briefw. und tageb. 2, 391; lebendige beispiele
von der Unbeständigkeit aller irdischen grösze G. For-
ster 2, 76; als ein zur ruhe gesetzter dynastensprosz
. . kannte er die Vergänglichkeit aller grösze G. Keller
6, 102; zum folg. hinüberweisend: (Leo IV.) hatte eine
ahndung der künftigen grösze des edlen knaben Hal-
ler Alfred 9; die . . fürsten hatten die aufkommende
grösze dieses jungen monarchen immer mit misztrauen
betrachtet Ranke werke^ i, iis.
2) bezogen auf begabung, können und Leistung (vgl.
grosz I F 1 d) : Faust war ganz durchdrungen von der
grösze des doktors Fr. M. Klinger 3, 122; in solchen
kleinigkeiten zeigt sich Shakespears grösze Göthe 22,
165 W.; Friedrichs militärische grösze Nitzsgh dtsche
Studien 43; Griechenland kannte für jede grösze einen
eignen dank W. v. Humboldt Pindar 41 lit. denkm.:
gemüthskräfte . . , vermöge welcher Heinrich Kleist zu
einem dichter von ganz eigenthümlicher grösze berufen
war FouQUE gefühle, bilder l, 132; an i grenzend: würde
dieser so sehr verehrungswürdige mann (Leibniz), dessen
bescheidenheit nur seiner grösze glich, die dictatur an-
nehmen wollen? K1.OPSTOGK gelehrtenrep. 29; etwas an-
ders in fällen wie: die grösze des philologen besteht
darin, dasz er . . Hebbel tageb. 4, 327.
3) für sich steht, tveil verschieden gefärbt, die amcen-
düng auf gott; gewöhnlich auf der linie 2, auch an 1
und 5 streifend: aber dann wirt er sich sehen lassen
nach seyner grosse und maiestat Luther 10, l, 1, 44 W.;
das kleinste davon (von den werken) zeigt mir die grösze
des Schöpfers Gottschedin briefe 1, 69; wenn er von
gottes grösze und alimacht redet Laube 2, 15; grösze
ist dem schöpfer zur last gefallen, und er hat geister
zu vertrauten gemacht Schiller s, 82 G.;
fluch über meine grösze,
die dich zerschmettert! sagt Zeus zu Semele
1, 339;
vgl. auch: (mein geist) vergehet von deines adels und
■willens grosse Joh. Arno Thom. a Kempisdß; in älterer
spräche kann auch die räumliche bedeutung A 2 b die
Vorstellung stark bestimmen:
din groeze kleinet unde ringet sich,
swenne ich dich höhen got unt nideren menschen sage
minnes. 2,140» v. d. Hagen;
der herr ist gros . . und seine grosse ist unaussprech-
lich ps. 145 , 3 (vulg. : magnitudinis eius non est finis) ,-
denn ob wol . . seine grosse nirgends ein-, sein wesen
nirgends auszuschlüssen ist Lohenstein Armin. 1, 8^;
noch crasser: (gott) ist ungemessen, kan mit keiner zahl
in seiner weite und grosse auszgesprochen werden Jag.
Böhme sehr. 2, 8.
4) bezogen auf geistige und gemüthliche Qualitäten (vgl.
grosz I F 1 e) ; erst im späteren 18. jh. recht entfaltet, u.
zwar in sehr verschieden abgeschatteter bedeutung: die
kindliche grösze der brüder Grimm E. Schmidt in: W.
Sgherer kl. sehr. 1, ix; alles strebt in ihm zur stillen
grösz' empor Schubart leben u. gesinn. 2, 81; formel-
hafte attribute:
die ird'sche hoheit sucht des tages pracht,
der innern grösze frommt des dunkeis hülle
Droste-Hülshoff 2, 194 Seh.;
männer und vorfalle, die ohne innere grösze und äuszere
folgenwichtigkeit in einem todten andenken erhalten
sind Niebuhr röm. gesch. l, 8;
ächter grösze
jauchzet ihr, Völker!
EscHENHURG beispielsamml. 4, 321 ;
ein mensch ohne . . wahre grösze Thibaut üb. d. not-
wendigk. 450; neben solchem allgemeineren gebrauch gern
auch specieller unter hervorhebung dieser oder jener inne-
ren kräfte des menschen (vgl. grosz I F l e « — y): um
diese dinge in aufsieht . . zu nehmen, brauchts grösze
des herzens Lavatek handbibl. (i793) l,i96; aber alle ihre
verbrechen sind mit einer gewissen grösze der seele
verbunden Lessing 10, 131 M.,- too im älteren nhd. ähn-
liches aufzutauchen scheint, vielleicht eher im sinne der
intensiven bedeutung A 5 : wäre guter geben grosse des
gemüts, reichtumb aber ungestümmigkeyt Seb. Franck
sprichw. 2, 187^; edelmut, grösze des geistes, gute des
herzens waren die grundzüge seines Charakters S. v.
Laroche frl. v. Sternheim 1, 2; besonders von sittlicher
grösze: die moralische grösze bestand bey den . . Grie-
chen in einer eben so unveränderlichen liebe . . als
unwandelbarem hasse Lessing 9, 30 M.,- die grösze und
festigkeit, womit sie es (ihr unglück) trug Brentano
5, 192 ; Jennaros heroische aufopferung . . — es liegt eine
grösze darin, von der unsere moralischen schauspiel-
dichter . . keine idee haben E. Th. A. Hofpmann 6, 87
Gris.; zum folg. hinüberleitend: aber mit spartanischer
grösze sagte das genie Fr. M. Klinger 10, 289;
ist ein empfindend herz der Ursprung unsrer pein:
es musz der Ursprung auch von unsrer grösze seyn
Cronegk sehr. 2, 5.
5) in anderen fällen mit objectiverer sinnesrichtung u.
zuweilen stärkerem nachklingen von raumvorstellungen
'die innere hoheit, erhabenheit, würde' (vgl. grosz I F 1 f) :
so steht nun das ganze menschengeschlecht in seiner
grösze, herrlichkeit und erhabenheit, in seiner niedrig-
keit, thorheit und erbärmlichkeit . . . auf diesem . . .
schauplatze Fr. M. Klinger 3, x; der lehrt mich die
grösze und die bestimmung unsrer seele! Sal. Gess-
NER sclir. 1, 136;
ich glaube meinem gott und schau in
himmelsentzückungen meine grösze
Hölderlin 1, 49 Litzm. ;
die Stimmung, in welche der dichter sich und die Zu-
hörer versetzen muszte, war daher aus empfindungen
der grösze und der freude vermischt W. v. Humboldt
Pindar ii lit. denkm.; welche überirdische grösze strahlte
aus jedem blick der herrlichen frau E. Th. A. Hoff-
mann 2, 15 Gris.; sein stand zeuget von der ihn er-
füllenden grösze (vom Apoll von Belvedere) Lavater
physiogn. fragm. 1, 132; ähnlich auch: ein Friedrich hat
. . mehr poetische grösze als ein Richelieu Schubart
bei D. Fr. Strausz ges. sehr. 8, 22.
6) eine andere, seltenere form mehr objectiven gebrauchs
kommt der bedeutung 'auszeichnung, rühm, ehre' nahe:
sie wird die band segnen, die sie schlägt, und in ihr
Unglück eine neue art von grösze und triumpf setzen
Meisl theatral. quodlibet l, I66;
suchst du das unermeszliche hier? du hast dich geirret,
meine grösze ist die, gröszer zu machen dich selbst
spricht die Peterskirche Schiller 11, 257 Q. ;
529
GROSZE B 7-9
GRÖSZE B 9
530
schon das mhd. kennt einen vergleichbaren gebrauch:
frunt Lazare, komme nu her fore,
dasz man die groisze spore,
die got an dich geleget hot!
Älsfelder passionssp. 2282;
so wohl auch, und nicht zu 4:
Basilius der gute,
bewart an demute
und mit vil lügenden riche,
ist ir (der gewaltigen säule) wol geliche
an der groze die er hat pass. 126, 33 K.
7) einen eigenen weg hat eine präpositionale wendung
genommen: so zeigt der krieg gegen die Sachsen . . .
Sigfrid in seiner grösze und unentbehrlichkeit Visgher
ästhetik 3, l, 26; häufiger reflexiv:
doch zeige dich in deiner ganzen grösze
uns heut, erhabne kaisrinn, nicht
Mastalier ged. 31 ;
neuerdings lieber im sinne der bedeutung 2: in dieser
entdeckung zeigte sich der forscher oder auch: das
genie, das können des forschers in seiner ganzen grösze
u.dgl.; schlieszlich, und zwar heute sehr gewöhnlich, iro-
nisch : der oheim Grünebaum fand in dieser zeit natür-
lich zum öftern gelegenheit, sich in seiner ganzen grösze
zu zeigen W. Raabe hungerpastor l, 263.
8) in den bedeutungen 1 und 2 gern persönlich ge-
braucht:
und nun sind throne nichts, nichts mehr der erde gröszen
Klopstock Oden 1,99 M.-P.:
Napoleon sasz als dritte grösze in Dresden E. M. Arndt
w. 1,186; die ersten gröszen der Universität JüSTiWünc&eZ-
mann l, 58; einige bekannte parlamentarische gröszen
W. V. PoLENZ Qrabenhäger 2, 99; eine neue grösze.
Zola. Emile Zola Fontane I 4, 65; persönliches mitleid
mit einer gefallenen grösze {Georg V. von Hannover)
BiSMARGK polit. reden 4, 114; im Wortspiel mit A6: denn
bis jetzt ist er wahrlich eine höchst irrationelle kleine
grösze Spielhagen i, 53; die organisatorisch schöpfe-
rischen geister unter ihnen sind unbekannte gröszen
BiSMARGK ged. und erinn. 2, 173 volksausg.; der gleiche
gebrauch mit sächlichem subject ist ganz selten und an-
scheinend erst aus dem vorigen abgeleitet: unter die an-
erkannten gröszen der englischen dichtung ist das para-
dise lost erst eingetreten, seit . . Treitschke hist. u.
polit. aufs. 1, 49.
9) dieselbe vom räumlichen befreite anwendung vrie
bislang bei persönlichem regens auch bei dinglichem sub-
ject; doch correspondiert hier der gebrauch des subst. mit
dem des adj. nicht in derselben ausdehnung vne dort,
a) nur gering entwickelt ist der gebrauch im sinne
'bedeutung. gewicht' (vgl. dagegen grosz I F 2 b): ward
er fast erschrocken und verwundert sich von grosse
der sach M. v. Kemnat chron. Friedrichs I. il; da zeigt
er, das der Ursachen vil sint, ouch glich in der grössin
Terenz (1499) 33^; vermöge der grösze und Wichtigkeit
der gegenstände Schopenhauer i, lio Gris.;
fühlt er die ganze grösze seiner that?
Mich, Beer 83;
an d streifend: kniete er {Carl V.) nieder, um seine ge-
danken zu gott und zu der grösze seines berufes zu
erheben Ranke werke"^ 2, 224; so schwebten sie höher
und höher {bei einer ballonfahrt) . . . zwei herzen . . .
pochten der grösze des augenblicks entgegen Stifter
1, 19 Sauer; gelegentlich auch concretisiert: je mehr er
den kleinigkeiten die gestalt einer grösze giebet Dosen
verm. werke vorr. Z^.
b) auch wo grösze in hinsieht auf gehalt, tiefe, Cha-
rakter gemeint ist {vgl. grosz I F 2 a) , mit vorliebe in
Verwendungen, die sich an den gebrauch neben persön-
lichem subject anlehnen: weil der deutsche geist . . die
arbeit in ihrer lautersten sittlichen grösze . . . erfaszt
RiEHL dtsche arbeit 12; wie alles, was der Germane aus
sich heraus bildete, eine einseitige grösze und strenge
zeigt G. Freytag 17, 78; geister, die das abscheuliche
laster reizet um der grösze willen, die ihm anhänget
IV. 1. 6.
Schiller 2, 5 G.; an sich hat kein ereignis grösze
Nietzsche l, 497; häufig nur in einer ganz bestimmten
gruppe von Verbindungen: da nun diese Vergangenheit
dem Innern sinne in einer grösze erscheint, die . . .
Göthe 46, 88 W.; sinn . . . für die grösze und eigen-
thümlichkeit anderer zelten Savigny beruf uns. zeit 4 ;
alle tragen in ihrem thun und leiden die rauhe grösze
ihrer zeit 0. Ludwig 5, 215; diese schlechte zeit . . in
der die vorweit vergeht, an der ihre grösze verloren ist
B. V. Arnim Günderode 1, 6.
c) weiter von Staaten und Völkern im sinne politischer
und cultureller grösze {auch dies z. t. verrinnend mit
dem gebrauch neben persönlichem subject): die Verbindung
Ferdinands . . mit Isabella, welcher Spanien seine Ver-
einigung und seine politische grösze verdankt Döllinger
akad. vortrage 1, 17; indesz waren . . . keime zu regie-
rungen gepflanzt, deren künftige grösze . . man damals
noch nicht übersah Herder 23, 163 S.; der augenblick
der grösze für Brandenburg schien ihm gekommen zu
sein Ranke w.2 i, 247; wo in älterer spräche ähnliches er-
scheint, ist es noch quantitativ zu verstehen: do aber
Rom von jar zu jar wuchs und also zä nam an der
grosse und an der macht Carbach Livius 8*»; münster!
ehrwürdiges denkmal deutscher grösze Sghubart leben
ti. gesinn. 2, 101; {auf der spitze des hügels) fühlt man
sich aus griechischer und römischer grösze in die öde
barbarei des mittelalters versetzt W. v. Humboldt
theater in Sagunt 107 lit. denkm.; mir beugte die grösze
der alten . . . das haupt Hölderlin 2, 77 Litzm.; im
gegensatz dazu: moderne grösze titel eines aufsatzes von
Huber in Schillers Thalia l, 2, 6; schon das ist ein
zeichen von der grösze eines Volkes, wenn es in seiner
mitte einen gröszen geschichtschreiber findet Börne 6,
62; vergleichen wir aber unseren entwicklungsgang mit
dem ihrigen {der Chinesen), so werden wir uns bewuszt,
. . worauf unsere grösze beruht Pesghel völkerk. 399;
auch innerlicher:
solche bürger hoch zu achten,
das musz unsre grösze mehren
Brentano 3, 428;
dein eignes sey, Teutonia
dasz grösze in der stille
Schubart ged. 2 (1787), 2.
d) in bunter mannigfaltigkeit aber, wo grösze auf
innere weite, hoheit. erhabenheit zielt {vgl. A 5) ; verschie-
dentlich nuanciert und oft mit dem, hereinspieleyi einer
unbestimmten raumvorstellung {vgl. grosz I F 2 d) :
gedanke, werth der seel' und der ewigkeit! . . .
dich denkt mein geist in deiner grösze
Klopstock öden 1, 74 M.-P.;
dasz sie {die Griechen) jedes, was sie nahmen, zu etwas
anderem machten, und dasz es nun erst Würdigkeit,
grösze und Schönheit erhielt W. v. Humboldt briefe an
Welcker 102; die grösze ist der anfang der Schönheit
Fr. Sciii,KGZt. pros. jugendschr. 1, 37 Miliar; wie schwer
es ist, . . in sich selbst . . die grösze der aussiebten
und eine gewisse philosophische hoheit der begriffe bey-
zubehalten Zimmermann v. d. nationalstolze xi; ähnlich
auch in concreterem Zusammenhang : öffnet sich der thal-
hinlergrund, und in ihm erhält die landschaft einen
rahmen von seltener Schönheit und grösze Barth Kalk-
alpen 108; so gern in anwendung auf Schöpfungen der
kunst: überhaupt scheinet es, dasz der begriff der grösze
alsdenn entstehe, wenn wir unsre Vorstellungskraft oder
unser gefühl gleichsam erweitern müssen, um einen
. . gegenständ auf einmal zu fassen Sulzer theorie d.
schön, künste 2, 436; das . . . kennzeichen der griechi-
schen meisterstücke ist endlich eine edle einfalt und
eine stille grösze, so wohl in der Stellung als im aus-
druck Winckelmann (18O8/'.) 1, si; in einer solchen
nachbildung bleibt doch immer die idee, die einfalt
und grösze der form . . . übrig Göthe 47, 25 W.; eine
erhabenheit . . hinter der unsre dichtkunst ebenso weit
zurückbleiben musz, als unsre bildende hinter der be-
stimmtheit und der reinen grösze ihrer formen W. v.
Humboldt theater in Sagunt 105 lit. denkm.
34
531
GRÖSZE C
GROSZECHTIG — GROSZEN
532
e) endlich als objective hestimmung des regierenden
substantivums , 'vorzug, stärke': mein Genuas gröszten
mann, . . der vollendet sprang aus dem meiszel der
unerschöpflichen künstlerin, alle gröszen seines ge-
schlechts im lieblichsten schmelze verband Schiller
3, 11 O.; Callots maler- oder vielmehr dichtermanier
herrscht weder mit ihren fehlem noch . . . mit ihren
gröszen im buche E. Th. A. Hoffmann i, i Gris.
C. compositionen: nur gelegenheitsbildtingen sind
adjectiv-composita wie gröszelos: der gröszelose, kraft-
volle . . . und geister-gestalten-zwinger sehr. d. Oöthege-
sellsch. 16, 235; gröszevoll Heinsius 2, 541*. häufig
dagegen sind substantivische Verbindungen, vor allem im
sinn A 2, 3, 6 und in der spräche wissenschaftlicher disci-
plinen, zumal der philosophie und der mathematik; im
n.jh. noch vereinzelt, zuerst bei Kant in ausgedehnter an-
Wendung: gröszenangabe A.V.Humboldt fcosm. 8,136;
-begriff: wobei sie {die malhematik) von der beschaffen-
heit des gegenständes, der nach einem solchen gröszen-
begriff gedacht werden soll, . . abstrahirt Kant 3, 471
ak. ausgäbe; die sinnendinge ahmen nicht blosz grö-
szenbegriffe nach Herbart 1, 84; -berechnung Fr.
Schlegel 12, 94; -bestimmtheit: beide formen nun,
die regelmäszigkeit und die Symmetrie . . fallen . . in
die gröszebestimmtheit Hegel 10, l, 174; -hestimmung:
maas ist gröszenbestimmung Herder 21, i08 S.; Kant
3, 516 ak. ausg.; alle gröszebestimmung . . beruht allein
auf dem gegensatz der Unendlichkeit und der einheit
Schelling I 7, 171; -erzeugung Kant 8, 150 ak. ausg.;
-forscher von Campe und anderen empfohlen für
mathematiker ; -forschung mathematik Campe; -klasse
b. gestirnen A. v. Humboldt kosm. 3, 98; -kund e geometrie
(vgl. gröszenmesser) wird vorausgesetzt durch: -kundiger
geometer: dem fünfzehnjährigen dichter, redner, Philo-
sophen, algebraisten, gröszenkündigen Sonnenfels 2,
133; vgl. groszkündigung; -lehre s. an aiphabet, stelle;
-masz: {der regenbrachvogel) erscheint nach dem ver-
schiedenen alter . . veränderlich in den gröszenmaszen
Naumann naturgeseh. d. vögel 8,507; anders: {die revo-
lution) erscheint nur grosz, weil sie so viele . . neue
kaiser und könige gemacht hat, die aber in diesem
gröszenmasze kleinen zeittröpfchen gleich sind E. M.
Arndt geist d. zeit i, 86; -maszstab Fr. Th. Vischer
ästh. 2, 153; -me SS er 5. an aiphabet, stelle; -Ordnung
eZersferne A. V.Humboldt Äosm. 8, 99; -Schätzung Kant
5, 249 ak. ausg.; {töne) deren stärke und schwäche . . .
der gröszenschätzung, wenn auch nicht messung unter-
worfen ist Herbart 7, 3; -stab: gr. aller erscbeinungen
Herder 4, 86 S. im, sinne gröszenmaszstab; -stufe
Conrad handwb. d. staatswissensch. ^4, 528; -Überein-
stimmung: dabey musz die gleichheit und grösze-
übereinstimmung des zweigleins . . . am meisten thun
HoHBERG georg. cur. l, 406; -unterschied Hegel 3,
400; -Veränderung Herbart 5, 212; -vergleichung:
giebt es ein solches gut, welches nicht blosz in gröszen-
vergleichung alle andern guter übertrifft Fr. H. Jacobi
4, 1, XXVI ; -Verhältnis schwankend nach dem sinn von
Verhältnis: in dieser {der mathematik) sind es formein,
welche die gleichheit zweier gröszenverhältnisse aus-
sagen Kant 3, 160 ak. ausg.; die gröszenverhältnisse des
gehirnschädels Peschel völkerk. 49; weil die Verhält-
nisse der gröszen im bilde den wirklichen gröszenver-
hältnissen an den Objekten . . um so näher kommen
H. Brunn kl. sehr. 2, 145; -Vorstellung Kant 5, 253
ak. ausg.; Herbart 6, I8l; -Wissenschaft mathematik
Kant w. {i867jf.) i, 28; -zeichen Krünitz 241, iio; sie
beschäftigen sich mit den tabellarischen formen . . und
bewegungen der zahlen oder gröszenzeichen Novalis
3, 384; -zunähme Kant 5, 371 ak. ausg. auch die be-
deutung B i, 2 zeigt einige triebkraft: -bewusztsein:
da diese menschenklasse überdies ein ansehnliches
gröszenbewusztsein mit sich herum spazieren führt C.
Spitteler lachende wahrh. ZU; -gier: fluchen müssen
wir . . dem hange zu prunk und gröszengier Rosegger
n 11, 272; -sucht sucht nach äuszerer grösze: steigende
gröszesucht citat bei Campe; -wahn s. an aiphabet.
stelle, anderes vereinzelt; nach B 5: in seinen gedichten
freilich findet sich keine zeile, die von diesem glücks-
und gröszegefühl spricht H. Eu lenberg Schattenbilder
201; nach B 8: als Lessing darin nicht aufgenommen,
sondern nur mit ein paar notizen gestreift wurde, die
zur hinausweisung aus dem eigentlichen gröszenbe-
reich genügten Dühring Überschätzung Lessings 31.
GROSZECHTIG, adj.: gvosixchii^ qrandiusculus, maius-
culus, subgrandis Henisch 1753; da die jungen schwan-
lin eben etwas groszechtig seind D. Federmann Nieder-
lands beschr. (1580) 210; häufiger ist groszlächtig, siehe
groszlich.
GRÖSZEL, m. (?), name des Wachtelkönigs rallus crex
Behlen forst- u.jagdk. 6, 183; crex pratensis Naumann
naturgeseh. d. vögel 9, 498; die schnerfen, grössel oder
heckschnarr Frommann 7, 92 {bair. quelle von 1768); vgl.
Heppe wohlred. Jäger 153''.
GROSZEL-, GROSSELBEERE,/., die Stachelbeere, ribes
grossularia: grosselbeer, klosterbeer grossulus, grossu-
laria, uva crispa, uva spina Henisch 1757; groszel- oder
griffelbeere Stieler 119; gröszelbeer Aler dict. l, 988*;
uva crispa grossei- oder krausselbeer Bock abbild. (1553)
287; vgl. kräuterb. (l55l) 368 ''; Weinreben, johansträublein,
grosselbeeren, pflaumen J. Ph. Abelin histor. antipod.
(1631) 190; aber auch: johannsträublein, johannsbeerlein
... ist ein geschlecht . . . das wir krauselbeern oder
grosselbeern nennen Wirsung arzneib. (1588) reg., denn
Johannisbeere hatte in älterer spräche umfassendere be-
deutung; bei Holl 177'' auch groselbeere, bei Nemnich
wb. d. naturgeseh. 211 grosalbeere, bei Graszmann 95
groselbeere; die echte form ist grosselbeere nach grossu-
laria. auch einfach grossei Stachelbeere ünger-Khull
809»; verdächtig %vosse,\n vaccinium vitis idaea Pritzel-
Jessen 424''; grosselbeerstaude Bock kräuterb. (1539) 8,
15; grosselhecken 3, 16.
GROSZELTERN, plur., die eitern der eitern, seit dem
16. ,jh. bezeugt: wie dieses Thedel unvorferden groseitern
geheissen haben Thym Thedel v. Wallmoden i ndr.; wann
die grosseltern hieran ihrem söhne und enckeln die
warheit erzehlet haben Prätorius winterflucht 169;
gern mit eitern verkoppelt, zumal in bestimmten icen-
düngen: in dem wahren . . glauben, so wir von unszern
eitern und groszeltern empfangen acta publ. 2, 326 Palm;
und würde ihren eitern und groszeltern niemand etwas
böses nachsagen können Chr. Thomasius ernsth. gedank.
2, 309; weils die eitern und groszeltern auch gethan
haben J. M. Miller predigten f. landvolk 2, 191; hier
klingt die weitere bedeutung 'vorfahren' mit, die im 16. u.
17. jh. sehr lebendig ist und lexicalisch noch im älteren
18. jh. im Vordergrunde steht: voreitern sive groszeltern
avi, autores generis, majores, antecessores Stieler 36;
avi, antenati, maggiori Kramer teutsch-ital. l, 569";
majores, avi Steinbach i, 337;
wie der maulesl treibt viel parlaren,
das sein grosseltern pferde waren
Rollenhagen froschm. (1595) v ö*»;
Adam und Eva unsere grosz-eltern Moscherosch ges.
2, 141; dasz alle völcker einerley grosz-eltern haben
Lohenstein Armin. 2, 1026''; älterer spräche sehr ge-
läufig ist die paarung: wie denn unsere lieben vorfaren
und groszeltern . . . solcher erbarkeit in kleidung sich
beflissen haben Musculus hosent. 15 ndr.; was er seinen
ruhmwürdigen vorfahren und groszeltern am allermeisten
schuldig sey Chr. Weise polit. redner 687. dazu grosz-
el terl ich, adj.: dasz diese beyde grafen . . . ihm
von ihrer groszelterlichen seite her verwand wären
BuGHOLTZ Herkuliscus 1300; mit der aussieht auf das
groszelterliche erbe A. v. Droste br. 134.
GROSZEN, vb. intr., grosz tcerden, u. zwar besonders in
der älteren bedeutung von grosz {s. d. 1 A 2), also dick wer-
den, anschwellen: gvozzent grossescunt Graff i,3ST, grozet
tumescit {alvtis) ib.; deshalb mit Vorliebe von schwangeren:
von ir baider lieb das geschach,
das man die frawen grossen sach
an irm wunnigclichen lib
Friedr. v. Schwaben 2812 j
533
GROSZEN
GROSZENKE - GROSZENTHEILS 534
da von ir zartes peuchlin gund zu grossen
U. FÜETRER Merlin 51 Panzer;
ältere belege hei Graff und Lexer l, 1095; so noch heute
im Schweiz.; mit derselben Vorstellung des anschwellens
{vgl. grosz I B \.&d'):
höher muot, mfn herze grözet
und ist warden vreuden junc
Ulr. V. Lichtenstein 442, 1;
anders: wan der gemein man understott zu wütten, so
grost er im herzen e. oberrhein. revolut. 180 Haupt;
wenn man die buren anfacht bitten,
so groszet in der liopf und grind
N. Manuel 277 Bächtold:
variiert: wann man eim bauren flehet, so groszt im
der bauch Scheit Grob. 80 ndr., vor Übermut; vgl. grol-
zen 3 sp. U2 und grotzeln unter grotzen, vb.; ähnlich:
aber ye mer er flehet, ye mer inen der köpf grosset
und der müt stoltzet Stumpf kaiser Heinrichs IV. . . .
historia (1556) 72'^; als aber dem papst der köpf groszet
und sich nit wollt begütigen lassen ScAwy<2erc7ir. 85'';
und das si {die rebe) nit schwarklich an facht grossen
mit den winkernern Österreicher Columella l, 184;
das jässen, gieren oder blasen wird auch giessen oder
grossen genennet Besold thes. pract. 2, St8°' ; aber auch
mit dem jüngeren sinne von grosz :
der beiden her dO grozte
von emeräln und amazsüren
WoLFR. V. Eschenbach Will. 34, 5;
weiteres bei Lexer a. a. o.; und grozet min minne und
gruonet beichtbuch a. d. ii. jh. 91 Oberlin; der schatten
grosset, es facht an nacht werden Frisius dict. 168';
'grosz werden, {heran)u'achsen' allgemein im Schweiz. Staub-
TOBLER 2, 806.
GROSZEN, vb., vom mhd. bis ins ältere nhd. reichlich
bezeugt, im il.jh. ztirückgehend ; später nur noch leoci-
calisch (Aler dict. i, 986»; Campe, Heinsius).
l) grosz machen; in der verschiedenartigkeit der an-
Wendung dem adj. grosz parallel laufend:
sam der berillus grozzet die schrift
j. r«. 1400,1;
weitere mhd. belege bei Lexer l, 1095; ingrossare Diefen-
BACH 298" ; man solle die seel mit weissheit . . mosten
und grossen Hedio chron. germ. d 2*; die ir land und
ecker gröszent Keisersderg dreieckecht spiegel Gc4*;
denselbigen gott nicht erlöst,
sonder ihm mannigfeltig gröst
sein angst H. Sachs 15, 243 Ä'.-G.;
zu viel mild eignen schaden gröst
Kirchhof wendunvi. 2, 13 lit. ver.;
die würde gröszt die schuld und schärft des richters schwerdt
Lohenstein Ibrahim (1701) 35;
mit persönlichem subject:
der ist sins libs ser klein,
sinr sinn doch hoch gegröszt
mhd. minnered. 1 10, 411 Matthäis
'erhöhen': dadurch wirst du gegrösset und fürkumpst,
das solich lügen in dinem hoff nit geübt werden buch
d. beisp. 170 lit. ver.; beger ... nit wie du grosz und
mechtig seiest in diser weit, so wirstu bey got gegröset
in ewikait Albr. v. Eyb spiegel d. sitten B si*; vgl. sy
haben wollen . . ir namen gröszen Keisersberg trostsp.
gg 5° ; das führt schon zu 2 hinüber; reflexiv 'grosz werden,
sich ausdehnen': wenn si {die lunge) den luft in sich
zeucht, so grcezt si sich Konr. v. Megenberg buch d.
natur 29, 27;
well gott, das du euch grössest dich
(vom römischen reich)
Brant narrensch. d9, 111 Z.;
uf das von inen {Adam und Eva) das menschlich ge-
schlecht sich gröszen . . solt Fierrabras (1583) B 3».
2) ma^jii^care Diefenbach 843''; glorificare z&i*' \ das
es {das göttliche licht) den wirdigen sun gottes und sine
^ordenunge erhebet und grosset in unserme gemüte Seuse
'dtsche sehr. 489 Bihlm.; und gröszten gott der Israhel
erste dtsche bibel l, 60 var. für älteres michelichten, wie
denn die bibelübersetzung des 15. jhs. öfter diese ersetzung
zeigt; vgl, auch Fischer schwäb. 3, 857; dadurch sein got-
lieber nam . . geheiligt, gegröst, geeret, gelobt . . werde
Berth. V. Chiemsee teutsche theol. 155; die sy lessen,
die wollen gegrösst sein und geeretTAULER*erm. (1508)54*;
in dem allem {der catilinarischen Verschwörung) Ciceronis
weysshait gespürt und gegrösset worden ist Sghwarzen-
BERG Cicero 6».
GROSZENKE, m., groszknecht, eine anscheinend be-
sonders obersächs. bezeichnung Zinck öc. lex. 641 ; allgem,
haush. lex. (1749) 1, 628; vgl. J. Grimm rechtsalterth. l, 438;
siehe auch enke th. 8, 483. — groszenkel, m., urenkel
Krünitz 20, 133; ich habe . . . einen bauern gekannt,
einen rechten Karl den zehnten, ihm ähnlich, als war'
es sein groszenkel gewesen E. M. Arndt sehr. f. u. an
8. l. Deutschen i, 219; moviert groszenkelin Pesghel
völkerk. 241.
GRÖSZENLEHRE, /.. mathematik Campe, ein auch
im 19. jh. durchaus übliches wort: zuförderst liebte diese
schule {die Newton -Leibniz- Wölfische) die mathematik
durch das . . wort gröszenlehre zu bezeichnen Ad. Mül-
ler verm. sehr. 2, 341; eine nicht geringe stärke in der
Weltweisheit und gröszenlehre Lessing 5, 161 M.; was
die mathematiker in ihrer reinen gröszenlehre thun
Kant 8, 544 ak. ausg.; specieller: deswegen ist nur die
arithmetik, nicht die geometrie, allgemeine gröszenlehre
Schopenhauer l, 96 Gris.; und in diesem sinne deutlich
auch: schon in den unteren abtheilungen haben wir erd-
beschreibung, . . mesz- und gröszenlehre . . gehabt Ros-
egger sehr. IlO, 31; in die wahre gröszenlehre werden
wir erst mit dem tode eingeweiht Alex. Jung geheimn.
d. lebensk. 2, 342; dazu gröszenlehrer mathematiker
Campe; Kinderling reinigk. 188; anscheinend nur selten
gebraucht, so bei Kant werke 3 (1838), 76 Hartenst. —
gröszenmesser, m., ein nur vereinzelt nachzuweisen-
des, aber vielleicht doch einmal gangbares wort für geo-
meter {oder allgemeiner mathematiker*):
wann ein pröszmesser finden
nur könt ein ander weit, drinn er sein füsz künt gründen
{si le geometre trouve vn autre univers)
T. Hübner d. a7idere wache (1622) 359;
auf gott übertragen:
des gröszenmessers tiefestes erstaunen,
der Sonnenkreise zeichnet
La VATER poes. (1781) 1, 27;
anders: gleichwol werden . . seine {des zitterfisches) stärk-
sten schlage nicht vom elektrischen gröszenmesser an-
gezeichnet Jean Paul 44, 19 Hemp. dazu gröszen-
messung,/., mathematik Zschokke 80,374. — gröszen-
messungslehre,/., = frz. arithmologie Beil 1,262.
GROSZENTHEILS, samt dem Superlativ seit dem späteren
n.jh. in adverbialer Verwendung: mehrenteihls, meisten-
teihls, grossenteihls Sghottel haubtspr. 449; magnam
partem, ex majore parte Stieler 2269; diese philosophen
sah er groszentheils für ausschweifend und unnütz an
Dusch verm. w. 239; wir übertreiben wohl nichts, wenn
wir groszentheils seiner {Batteux) schule die landplage
von . . kritikastern zuschreiben Gerstenberg recens.
338 lit. denkm.; sie haben groszentheils das versprechen
ihres Phantasus erfüllt Tieck sehr. 4, 70; auf einem der
bagagewagen . . . , auf dem ich groszenteils dem zuge
folgte br. von u. an Herwegh 185; sie sind groszentheils
bereits angekommen Laube 2, 53; die Verwendungsmög-
lichkeit des adv. griff also früher hie und da iceiter als
heute; das wird noch fühlbarer bei superlativem gebrauch:
gröstenteils maocimam partem, . , pUrumque, plurimum
Stieler 2269;
und ist alsdann der sieg schon gröstentheils gewonnen
Hoffmannswaldaus u. and. Deutschen
auserl. ged. 7, 169;
Stokar hat mir deinen Zinzendorf grösztentheils vorge-
lesen J. V. Müller 6, 68; der mandelbaum hat gröszten-
theils verblüht Göthe 32, 292 W.; ob sie gleich gröszten-
theils nur die schöne seite der ehe kennen gelernt hätten
Caroline i,78 Waitz; sie wurden grösztentheils gut auf-
genommen ScHUBART leb. u. gesinn. 1, 99; rein temporal:
34»
535 GRÖSZENWAHN — GROSZFELDHERR
GROSZFRAU — GROSZFÜRSTLICH 536
grösztentheils beschäftigte er sich bis um den mittag
mit den nützlichsten lesungen Lavater verm. sehr. 1,12;
er . . hielt sich grösztentheils zu Wien . . auf S. Brun-
ner erz. «. sehr. 1, 847; vgl. theil l e «, th. 11, 851; grosz
I B 2 c, sp. 468.
GRÖSZENWAHN, m.. junges ivort; eigentlich eine gei-
stige erkrankung, die auf einer Überschätzung der Stellung
und leistung, der inneren und äuszeren mittel der eigenen
persönlichkeit beruht: als an gröszenwahn leidend kam
er von der Universität nach Heilbronn Theob. Kerner
Kerners haus 65; eine seele, in welcher bereits der gröszen-
wahn das kräftige gefüge zerfressen hat G. Freytag
14, 221; auch freier: vvreil auch den bauern der gröszen-
wahn erfaszt hat Rosegger I l, lO; der mensch ist am
meisten versucht, seinen gröszenwahn dem kindlichen
glauben gegenüber zu zeigen Hansjakob bauernilut 54.
— gröszenwahnsinn, m.: ein durch gröszen Wahn-
sinn verblendeter lyrann Samosch provenz. tage 112. —
gröszenwahnsinnig, adj. J. Scherr gröszenwahn 20.
GROSZERN, vb., gröszer machen, von gröszen im ganzen
deutlich geschieden; erst seit dem späteren i&. jh. zu be-
legen: sy weyterend oder grösserend ire schanzen Fri-
sius 1067*; die wunden grösseren ampliare plagam 89*;
(könige) das reich haben gar wol regiert,
erweitert, grössert und geziert
H. Sachs 2,341 K.;
so wil ich noch ein rechte fierung . . siben mal grössern
Dürer unterweis, d. mess. f 4"; mehret und grössert
yhren jamer Luther 7, 592 W.; mein leid zu grössern
Stieler geharnschte Venus 86 ndr.; mit ivorten gröszer
machen, übertreiben: uss viererley hat er grössert die
sach Terenz deutsch (1499) 16"; das du fremde sund klai-
nern solt, nit grossem Eb. v. Günzburg i, 197 ndr.;
refl. gröszer werden, zunehmen: ein klein bächlin . . von
dem blut der erstochenen sich also gemehret und grössert
hat, das H. Gholtz leb. bild. (i557) p 2*»; nachdem das
dorf Schaffhusen sich angefangen heftig meren und
grösseren quelle v. 1606 bei Staub -Tobler 2, 807; der
schatten grössert sich Harsdörfer /rattena. gesprächsp.
4, 63;
die schön hier keinen zusatz leidt,
doch grössert alle tag sich in Vollkommenheit
W. H. V. HoHBERG unvergn. Proserpina (1661) 2*;
mit dem, n.jh. literarisch erlöschend, verdrängt von er-
ttnd vergröszern; schon Stieler scheint das wort nicht
mehr recht geläufig gewesen zu sein, s. stammb. 708 ; später
nur ganz vereinzelt: sollten wir betteln, . . um die mit-
gift zu gröszern Fr. L. Schröder dram. w. l, 229; lexi-
calisch freilich noch bei Campe, Heinsius; mundartl. bis
heute: gröasarn Bacher 263. — gröszerfeile, /., 'eine
feile, die eingeschnittenen zahne der kämme damit auszu-
gröszern' Jacobsson techn. wb. 2, 156"^; vgl. Lueger 5,
400. — gröszerglas, n., macroscopium Comenius orb.
pict. 1, 163; wenn man sie (flitter) durch ein grösserglas
ansiehet M. Wiedemann hist. poet. gefang. (1690) 2, 75;
durch das accurateste fern- und gröszerglas Gottsched
beitr. z. ctit. hist. i, 650. — gröszerlich, ergröszerlich
et vergröszerlich adj. et adv., majus, grandius, aplen-
didius, amplius Stieler 708. — gröszerung, /., idem
qucd gröszung, amplificatio, exaggeratio u. ä. Stieler
708; {Versuchungen des teufeis) sint me ein merung dins
verdienens und ein grösserung dyns Ions in dem hymel
Keisersberg bilg. (1512) 34*; zu ermerung und grösse-
rung erlangter glorien J. Diettemberger toider d. un-
ehristl. buch M. Luthers v. d. miszbr. d. messe (1526) e S*".
— gröszerungsglas, n., E. Francisci weh. d. ewigk.
(1686) 976; Triller poet. betracht. 4, 636.
GROSZFÄLTIG, adj.: umb die er sich mocht geben so in
groszveltige sorg, angst und not Hartlieb Ovid i^; sin
keis. majestat kumpt in unglouben und grosveltiger aller-
grusamelacher Sachen e. oberrhein. revolut. 125 Haupt. —
groszfeldherr, m., supremus belli dux Aler i, 986»;
= gener al Apinus nov. gloss. 257; für generaliasimus bei
Gottsched d. n. a. d. anm. gelehr s. 9, 44; auch im älteren
19. jh. noch durchaus gebräuchlich: dasz das . . erzmar-
Bchallamt als ein prärogativ auf dem groszfeldherrn oder
herzogen des . . . volks der Sachsen . . . gehaftet habe
allg. dtsche bibl. 58, 26; und der major wird groszfeldherr
Immermann 6, 120; speciell als bezeichnung eines polni-
schen kronbeamten Schiller in: sehr. d. Qöthegesellsch,
9, 247; neffe des groszfeldherrn von Litthauen A.W. Reh-
berg pol.hist. kl. sehr. 91; *. auch Krünitz 199, 876; vgl.
den compos. typus grosz III 4 k. — grosz fr au,/., groaz-
mutter, wie mnl. grote vrouwe Verwijs-Verdam 2, 218I
{vgl. auch groszherr 8); im IG. jh. nicht selten: sie bliben
under der fürmundung Brunhulden ihrer groszfrauwen
N. Falgkner franz. chron. (1572) 1, 73; wie ine seine
groszfraw vertröstet hat Fischart discours d i^ ; noch
heute mundartl. gruszfraa hebamme Müller-Frau reuth
1, 444'^ {vgl. groszmutter 5) ; auf anderer linie: groszfrau
filia imperatoris romani natu maxima Steinbach l, 491
{vgl. grosz I F i c j'). — groszf uhrmann, m., fuhrherr,
Spediteur; Österreich, wort, jahrb. d. Grillparzergesellsch.
5, 148; W. Chezt erinn. 2, 63.
GROSZFÜRST, m. l) im sinne des compos. typua III 4 k
eigentlich der oberfürst, der über eine reihe kleinerer fürsten
gebietet, dann aber auch einJach elativ für gröszer fürst:
ich wil ihn ethnarcham heissen, das ist, ein oberregenten
oder groszf ürsten Schickfus schles. chron. 45; durch
Carolum Martellum, franckreychischen grossfürsten oder
pfaltzvogt Stumpf Schicytzerchr. 408*'; geben die heidni-
schen Gibeoniter dem groszfürsten Josuae die . . demü-
tigsten wort V. Herberger herzpost. (1613) 1, 135; da
stund er . . als ein grossfürst über gantz Aegypten Dann-
hauer catech. milch 3, 22; bildlich: beder grossfürsten
der artzney, Hippocrates und Galeni Guarinoniüs greuel
d. verw. 582; Scaliger, der groszfürst der philologen seiner
zeit Wieland Horazens br. 1,69; von gott: o einiger grosz-
fürst, herr gott Fischer-Tümpel 2, 138; umb des rech-
ten Michaelis und grossfürsten und boten gottes Jesu
Christi willen J. Gigas postilla (i595) 8, 120*; vom teufel:
der hellische grossfürst J. Ayrer histor. proc. iuris 4;
dasz er {der teufel) nicht groszfürst in dieser weit ist,
sondern zornfürst J. Böhme 4, 13.
2) speciell als deutsche wiedergäbe des ursprünglichen
titela der herrscher Ruszlands, dem russ. velikij knjaz
entsprechend, aber anscheinend nicht erst nachgebildet:
gebrauchen sich die fürsten keins andern tittels dann
groszfürsten zu Volodimeria oder Moscauw H. Panta-
LEON mosk. chron. (i576) 23^; über . . . den Moscowiter,
von dem sein volck singt: das weisz gott und unser grosz-
fürst Fischart bienenk. 47'>; seit dem 17. jh. ganz gewöhn-
lich: Johannes Basilides, der groszfürst in der Moscau
V. Herberger Jesus Sirach 196''; der Reussen grosz-
fürst Rachel satyr. ged. 105 ndr.; so darf er {der Mosko-
witer) keck ein schaisz laut lassn, und wan der grosz-
first dabey war J. J. Schwabe tintenfäazl 6; in jüngerer
zeit dann auch, ivie im russ., von gewissen mitgliedern
der kaiserlichen familie: groszfürst Michael Göthe IV
35, 49 W.; Serge . . ist ein russischer vorname, den . .
viele russische groszfürsten führen Fontane I 5, 181;
auch in anderen östlichen ländern bestand der titel: der
groszfürste Syrmundo aus Littawen Hennenberger
preusz. landtaf. (1595) 28; Litthauens groszfürst Grabbe
2, 284 Bl.; groszfürst in Einfand im titel Gustav Adolfs
Böckler kriegsschule 414; der kaiser von Österreich führte
den titel eines groszfürsten von Siebenbürgen. — grosz-
fürstenthum, n.: du bist mir bey meinem königreich
oder grossfürstenthumb viel lieber als alle teufel in der
hellen sagt der teufel zu Belial J. Ayrer hist. proc. iuris
310; dass Jagello . . zum obersten regiment und gross-
fürstenthumb gutwilliglich zugelassen worden Schütz
hist. rer.pruss. 2, q s''; angelegenheiten des groszfürsten-
thums Siebenbürgen Nicolai reise d. Deutschi. 8, 846.
— groszfürstin, /., im, sinne von groszfürst l: wel-
cher . . der unvergleichlichen groszfürstin Valisken söhn
ist Bucholtz Ifer/cwH^/fMS 42; von groszfürst 2: der ge-
burtstag von der groszfürstin aller Reuszen Gottschedin
br. 3, 11 ; die gegen wart ihro hoheit, der groszfürstin Göthe
IV 21, 329. — groszfürstlich, adj.: unser grossfürst-
lichs hellisch insigel J. Ayrer hist. proc. iuris 486;
Vladislao hat er das cracawische gebiet und die Schlesi
537 GROSZFÜRSTSCHAFT - GROSZGENEIGT
GROSZGENIE - GROSZGEWICHT 538
sampt der groszfürstlichen hoheit . . zugetheilet Sghick-
Fus schles. chron. 52; er (hat) sich für den rechten De-
metrium . . aussgegeben und sich in die grossfürstliche
digniiät eingetrungen Dannhauer catech. milch 5, 1368;
meine Unterredung mit dem groszfürstlichen paar sehr. d.
Göihegesellsch. 16,239. — groszf ürstschaft,/.; (boten)
die Witoldo selten den geschmuck und brief bringen
seiner groszfurstschaft S. Grünau preusz. chron. 2, 59.
GROSZGÄBIG, adj., magnißcus Diefenbach 343°;
nov. gl. 24:3^; dazu: deszgleichen hat er auch . . . die
schätz Narsetis .. zu groszgabigkeit und miltigkeit
gepraucht G. Alt buch d. cron. (1493) 147*. — grosz-
gärtner, m., im osten Deutschlands stellenweise für
einen kleinbauern mit bestimmtem landbesitz, s. Frisch-
bier 1, 218*' und gärtner 2 c; vgl. auch Adelung. —
groszgeachtet, part. adj., im älteren nhd. geradezu
als Standesbezeichnung, 'vornehm': magnates die groszge-
achteten, fürnemmen Calepin xi ling. 854^; dasz sy
(Maria) schlecht geboren, nit ein groszgeachte meid was
ZwiNGLi dtsche sehr. 1, 89; damit iederman, so wol von
geringen als grossgeachten leuten, frei .... vor sein
keiserliche maiestät trotten (möge) Kirchhof icendunm.
2, 276 lit. ver.; warum stehen nur hoch , wol-, vor- und
grossgeachte da Grimmelshausen Simpl. 77 ndr. —
groszgefühl, n., im späteren 18. tmd früheren 19. jh.
nicht selten; 'gefühl innerer gr'ösze': weil sich sein grosz-
gefühl, seine blicke und triebe und kräfte nicht in ge-
meinformen gieszen . . . lassen Lavater phys. fragm.
1,54; ihre (der eitelkeit) höhere Veredlung, der ernste
stolz, das groszgefühl, das erhabene bewusztsein der
geisteskräfte F. M. Klinger ll, 96; die wir aus stolz
und groszgefühl aufrührisch gegen ihn wurden lO, 278;
etwas anders: du bist dazu geboren, das innige grosz-
gefühl, das Homer seinen göttern und beiden giebt, grosz
und innig nachzufühlen C. L. Fernow leben Carstens
(1806) 188;
an groszgefühl wird jede seele reicher,
wenn ihr die liebe nicht gebricht
SciiUBART ged. 2, 15;
Stärkung flnde ich allein in den groszgefühlen und un-
verwelkbaren herrlichkeiten meines bewusztseins Heine
7, 5i4i\ — groszgeist, m.; dir und deinen mitmiliionen
ein Vaterland zu schalTen, wo groszgeist und freiheits-
sinn römische fruchte tragen Bouterwek graf Donamar
1, 167; mangel an groszgeist Pestalozzi lo, 228;
weinen wir nur den groszgeist in ihm?
Schubart ged. 2, 293;
auch vom träger des groszen geistes: so sprach der grosz-
geist (d. geist Friedrichs d. Or.) ders., ges. sehr. 8, 93 Scheible;
Luther bleibt ein ewiger ehrenname unter . . den grosz-
geistern seines Volkes Fr. L. Jahn l, 226; vgl. 2, 253. —
groszgeistig, adj., von geistiger gr'ösze, höhe, weite: wie
überhaupt das ganze reich (Portugal) an groszgeistigen
menschen mangel leidet Chr. Fr. D. Schubart vater-
landschron. 421 ; in lebendiger ki-aft kämpfte Dante schon
gegen der priester Verfinsterung : groszgeistig, aber doch
nur als Ghibelline Tieck sehr. 18, 194; eine so sanfte seele,
wie Werthes, kann unmöglich den groszgeistigen ton des
Ariosto nachsingen Heinse 9, 212 Schüdd.; Viktor badete
sich mit wonne in dieser groszgeistigen luft Fr. Lien-
HARD Oberlin 170. — groszgeistigkeit, /.; fand sie
doch gefallen an dem freien leben dieser meist russi-
schen geschlechtsgenossinnen, in dem sie nur grosz-
geistigkeit sah 0. V. Leixner soz. br. 293. — grosz-
geistlich, adj., voll groszen geistes: die groszgeistlichen
und weisen können nicht anders denn inen selb wol-
gefallen Luther bei Dietz 2, 173»; vor den hochsinni-
gen und groszgeistlichen, die sich altzeit understeen,
dieselben rechtfertigen zu meistern l, 164 W. — grosz-
geneigt, part. adj.: hoch-, grosz-, wolgeneigt perbene-
volus u. ä. Stieler 1345; Glicht selten in der höflichkeits-
phraseologie des li.jhs.: meinem groszgeneigten gönner
und wolthäter Rist d. friedej. Teutschland (:) 4>; mei-
nem groszgeneigten herrn alle gewünschte . . . wolfart
Rachel satyr. ged. 3 7idr.,- hochedler, gestrenger, vester,
insonders groszgeneigter herr richter! Gottsched dtsche
schaub. 5,313. — groszgenie, n.: Chopin trat nicht
mit einer orchesterarmee auf, wie groszgenies thun R.
Schumann 1, 279;
die schmieret geil gewürzten bühnenschunds
nennt groszgenies der schwärm der Liliputer
W. Jordan in talar u. hämisch 48.
— groszgesandter, m., legatus principalis, supremus,
vulgo amhasciator Stieler 2010 ; Bucholtz Herkuliskus
1439; vgl, groszbotschafter; dazu: eine moskowitische
groszgesandtschaft Varnhagen v. Ense biograph:
denkm. 4, 350.
GROSZGESINNT, part. adj. im sinne der bedeutung
grosz I F 1 e, zumal e «; zumeist in poetischer spräche
(im unterschiede von groszsinnig, s. d.):
dein groszgesinnter geist rieht sich nach keiner zahl,
er schencket ohne maas
Hoffmannswaldaus u. and. Deutschen auscrl. ged. 6, 222;
so groszgesinnt sein hertz
V. König ged. 46;
die bedeutung zeigt je später je mehr feinere unterschiede:
wie kühn der groszgesinnten Spaniolen
paniere in den feind eindrangen
Tieck sehr. 1,380;
zwar der dichter freut sich eines groszgesinnten königs gunst
Platen 2, 331 Redlich:
an groszherzig grenzend:
doch es schickt den söhn zurück ihm
groszgesinnt die republik
1, 15;
dasz die deutschen theologen (nicht) . . . groszgesinnt
genug waren, um die minder wesentlichen Widersprüche
aneinander zu dulden Ranke 38, 24; sehr häufig hi den
Homerübersetzungen von Bürger , Fr. L. v. Stolberq
und Voss als wiedergäbe von fJsyfiS-v^uoc, fJsyccX^Tcoa
u. anderen adjectiven, z. b.: die groszgesinnten Achaiet
Bürger 1, 187 B.; das haupt der groszgesinnten Abanter
GRAFEN Stolberg 11, 70; zu den groszgesinnten Kauko-
nen Voss Od. ¥l Bernays. — groszgewachsen, jsar*.
adj., hat in einer bestimmten Verwendung rein adjectivi-
sehen Charakter angenommen, 'langgeivachsen, grosz': kauf"
ten von allerhand barbarn groszgewachsene knechte Lo-
henstein Ar7nin. 1, 383»; groszgewachsene und kleinfe
Personen Dusch verm. krit. u. sat. sehr. 158; welch ein
groszgewachsener mann es war Storm 5, 28 und so in
neuerer erzählungsUteratur sehr häufig; in anderen fällen
unrd das wort noch mehr participial empfunden: 'heran-
gewachsen': scenen, bei denen die Zimperlichkeit . . des
groszgewachsenen kindes die hauptanterhaltung aus-
macht Grillparzer 17, 165; vgl. 9, 2, 154; die Meiszne-
rin (die meisznische mundart) soll das groszgewachsene
kind (die hd. Schriftsprache) in der zucht halten Fr.
L. Jahn l, 27; 'ausgewachsen': Dian — dessen innerer
mensch ein ganzer war, dem kein glied ausgerissen ist,
keines aufgeblasen und alle groszgewachsen Jean Paul
15/18,107; die groszgewachsene, allgemein verbreitete . .
literatur des Journalismus läszt sich vom . . puristen
nicht gängeln Kürnberger lit. herzenssachen 26. —
groszgewaltig, adj., sehr gewaltig : o du groszgwaltiger
künig, allerhöchster . . gott Zürich, bibel (l53l) 3. Makk. q;
von vil andern römischen fürsten und groszgewaltigen
herrn J. Wild ^o*<tW (1554)1,88'^; der groszge waltige könig
Ptolomeus Lehmann ^oriie</. pol. 3, 311; bort man noch
von kainem anzug des Turcken groszgewaltigen armata
Chph. Scheurl briefb. 2, 189; Colin ist eine groszgewaltige
und namhaffte stadt G. Braun besehr. u. coniraf. (1572.)
1, 39"; wohl als parallelbildung zu dem sehr viel ent-
wickelteren groszmächtig im sinne des compos. typus grosz
in 1 c zu verstehen. — groszgewerbe, n., schwankend
nach der bedeutung von gewerbe: das kind des land-
mannes . . half taglöhnend den groszgewerben der haupt-
stadt Zschokke 9, 105; da grosze kaufherren oder sonst
bedeutende groszgewerbe nicht vorhanden waren (in
Freising) Riehl naturgesch. d. volkes 4, 265; die . . als
groszgewerbe betriebene spiritusfabrikation Muspratt
Chemie 1, Sil ; man ahnte . . die Verwandtschaft des . ..
groszgewerbes mit dem liberalismus Treitschke hist. u.
pol. aufs. 2, 262; vgl. grosz HI 4 e. — groszgewicht, »^
539 GROSZGLÄUBIG — -GRUNDBESITZER
GROSZGRUNDBESITZUNG - -HANDEL 540
bruttogeviicht Heinsius 2, 541''. — groszgläubig, adj.,
namentlich im 17. jh. recht häufig; offenbar contrastbil-
bildung zu dem kleingläubig, okiyoniatof der bibel; zum
compos. typus III 1 d, wie vornehmlich die nicht seltenen
umlautlosen formen lehren: das ihr eitel groszgleubige
und himmelsehnende hertzen bekommen L. Pollio v.
ew. leben (1583) 2"; also ausz einem ungleubigen Thomas
ein groszgläubiger bekenner worden M. Eccard v. glau-
ben (1610) A 5*; sei nicht kleingläubig, sondern grosz-
gläubig V. Herberger Jierzpost. (1613) l, 189; der grosz-
glaubige ertzvatter J. Schmidt göttl. friedenscond. (I64l)
148; Abraham der groszglaubige Gottsched nöth. vorrath
1, 248; im Id. jh. gelegentlich als neuschöpfung : um ihn
als einen weniger kleingläubigen als groszgläubigen ganz
voll zu packen mit lauter halbwahren . . . berichten
Jean Paul 27/29, 251; Bruno . . der heimatlose, . . aber
doch stets ungebrochen, groszgläubig H. Conradi to. 2,
162. — groszgnenne, m., groszvater: das das unmün-
dige kind habe einen groszgnannen, siner muter vater
urk. buch d. Stadt Freiberg i. S. 2, 825 {ca. 1475) ;
das {kind) hiesz mich mutter, dich grosze muhm,
mein vattern groszgenenn
H. GoTTiNGUS niemandt
bei DoRNAvius amphitheatr. (1619)1,764'';
vgl. knan th. 5, 1837. — groszgott, m., eigentl. 'ober-
gott', im sinne des compos. typus grosz III 4k: dem ver-
meinten groszgott Jupiter Otho ev. krankentr. 1387; der
heyden groszgott Juppiter Moscherosch ges. 2, 819;
später weniger prägnant: wir eingeweihte in die er-
kenntnisstufen der ägyptischen groszgötter Böttiger
kl. sehr. 3, 255; der papst heiszt der römische groszgott
J. Samson pred. v. pabstisch. fronl. tag (1648) a 2 •> ; vgl.
weiln sie beide . . den grosz-gern-gott zu Rom nit er-
kennen ders., Synopsis (1649) 10; moviert: ihre {der
Griechen) nährende groszgöttin, die idäische berg-
mutter Voss antisymb. 1, 202. — groszgraf, m., ge-
legentlich für den reichsständischen deutschen grafen:
der keiser und ander fürsten schribend den grossgraven,
als Wirtenberg, wolgeborn Biederer sp. d. wahr. rhet.
02''; doch sind etliche gefürstet oder groszgraf en, die
sich nicht von gottes gnaden schreiben J. H. Meichszner
handbüchl. (1667) 5*; gewöhnlich für den ungarischen
comes magnus, icas gleichbedeutend mit palatinus: dem
groszgraven von Ungern städtechr. 3, 348 ; grauf Niclaus,
groszgrauf zu Ungern Righental Const. com. 193; gab
im des groszgraven tochter zu der ee H. Ha-VG d. Hungern
chron. (1534) 80*; der ertzbischoff und der palatinus oder
grossgraf daselbst {in Preszburg) ihren sitz haben
V. Birken verm. Donausir. 49. — groszgroszeltern,
pL, urgroszeliern Chomels öcon. lex. 4, 1365; grosz- und
groszgroszeltern väterlicher und mütterlicher seite allg.
dtsche bibl., anh. zu 25 — 37, 1682; auch allgemeiner im
sinne 'vorfahren': sie werden die sitten ihrer groszgrosz-
ältern noch unversehrt an ihr finden Gellert sehr.
(1775) 8, 149. — groszgroszmutter, /., proavia He-
NiscH 1764; Chomels öcon. lex. 4, 1865; eine von ihrer
grosz-grosz frau mutter hergebrachte sage Gottsched
Vernunft, tadler. 2, 866; vgl. groszmutter 2. — grosz-
groszvater, m., urgroszvater Chomels öcon. lex. 4, 1365;
Seume w. (1839) 1, 4; freier 'urahn': eine familienrüstung,
die Vulkan selbst dem groszgroszvater gemacht hatte
Lessing 9, 369 M.
GROSZGRUNDBESITZ, m.: ob . . der groszgrundbe-
sitz oder das kleineigentum überwog Mommsen röm.
gesch. 5, 574; immer gröszer wurde die ausbreitung des
groszgrundbesitzes Schwappach handb. d. forst- u. jagd-
geach. i, 88; persönlich gefaszt: er . . wurde . . von dem
adeligen groszgr und besitz Tirols in den landtag gewählt
Steub drei sommer in Tirol 2, 283; der ansiedier warf
einen rechtschafTenen hasz auf den groszgrundbesitz
Cl. Viebig schlaf, heer (1904) 358; nicht notwendig Über-
setzung von latifundium {zs. f. d. w. 4, 129), vgl. grosz III
4 a. — groszgr undbesitzer, m.; des freiherrn von
Hohenthal, eines groszgrundbesitzers in Torgau Bern-
hardt ^rescÄ. d. waldeigent. 2, 86; auf den ausgedehnten
besitzungen der klöster und anderer groszgrundbesitzer
Schwappach handb. d. forst- u.jagdgesch. 1, 25; bildlich:
hält man Wagner ... für einen groszgrundbesitzer im
reich des klangs Nietzsche 8, 28. — groszgrund-
besitzung, /., Conrad hdicb. d. staatswiss. ^2, 453. —
groszgrundeigen, n., =: groszgrundbesitz Lamprecht
dtsche gesch. 2, 87; Conrad handwb. d. staatswiss. ^2, 339.
— groszgrundeigentümer, to., 3, 206. — grosz-
grundherrschaft, /., 2, 458. — groszgunst, f.:
dasz die herren, frauen . . ihnen allerseits mit dero
groszgunsten und wolgewogenheit beygethan jederzeit
verbleiben wollen Harsdörfer teutsch. secret. 1, 731 ; be-
fehle mich inzwischen zu seinen groszgunsten Butschky
hd. kanz. 546; auch persönlich als anredeformel: {es ist)
nachhin ein bösewicht von eurer richterl. groszgunsten
bedienten . . herausgekommen Gottsched dtsche schaub.
5, 342; selten; wohl erst dem folg. adject. nachgebildet.
GROSZGÜNSTIG, adj. und adv., eine Schöpfung des
höflichkeitsstils {vgl. grosz III 1 c), die im 16. jh in schwang
kommt, mit Vorliebe in anreden, Widmungen und dgl.
und im allgemeinen angewendet auf nichtfürstliche per-
sonen, also magistrate von städten, behörden aller art,
patrone, gönner, social gleichgestellte: bey seines gleichen
sagt man : hochgeehrter herr, werthester gönner, grosz-
günstiger herr und freund Chr. Weis'e polit. redner 199;
vgl. Krünitz 20, 133; meinen gnedigen groszgünstigen
herren {den comthuren der ballei Franken des Deutschen
Ordens) H. Sachs 18, 3 K.-G.; wolglerter, groszgünstiger
herr und freund Vogelgesang-Cochläus gespräch 2 ndr.,
dies eine im 16. jh. sehr beliebte koppelung; ihre magni-
ficens benebst meine groszgünstigen herren assessores
verzeihen mir Schoch stud. leben (1657) l 2*; im 18. jA.
veraltend, S.Adelung, Campe; freilich immer noch häufig,
aber meist mit besonderem ton, archaisierend, scherzend,
parodisch, ironisch: hochedler, gestrenger, vester, in-
sonders groszgünstiger herr richter! Gottsched dtsche
schaub. 5, 324; euer groszgünstige sittsamkeit I als anrede
Petrasch lustsp. 1, 174; nothgedrungene epistel des be-
rühmten Schneiders Johannes Schere an seinen grosz-
günstigen mäcen Bürger 81 * B.; entsprechend: desselben
groszgünstige gewogenheit Butschky Ad. /can^. 176; diese
{frauen) sind mit . . groszgünstiger erlaubnis der Göt-
tinger damen . . nicht schön Laukhard leb. u. sehicks.
1, 263; ähnliches gilt für den gebrauch des adv., das erst
m,it dem 17. jh. einzusetzen scheint: wie auch grossgünstig
ihnen mich . , befohlen seyn lassen wollen Guarino-
Nius greuel der Verwüstung 8; euer excellenz wolten
grossgünstig belieben Grimmelshausen 4, 553 Keller;
in den briefstellern des Menantes noch empfohlen: mich
auf das bevorstehende hochzeitfest groszgünstig zu in-
vitiren allern. art 275; vgl. neue br. 491 u. ö.; aber bald
darauf veraltend und nur noch mit besonderer note: un-
gefähr so wie die kunstrichter groszgünstig zu befehlen
geruhten J. T. Hermes Soph. reise 3, 311; amtsstil: hoch-
dieselben geruhen diesen unseeligen streit groszgünstig
fordersamst zu beenden Göthe 38, 271 W.; im 11. jh.
stehend in anreden des autors an den leser : groszgünstiger
leser Harsdörfer frauenz. gesprächsp. 1, a 4^; an den
grossgünstigen leser Chemnitz schwed. krieg l, vorr. l;
noch bei Tieck sehr. 9, 4; auch dies geht im 18. jh. zu-
rück: der geneigte leser wird mir groszgünstig erlauben
Rabener (1777) 4, 82; das groszgünstige publicum Schil-
ler 6, 840 G.; anwendungen auszerhalb der höfiichkeits-
Phraseologie sind selten und secundär:
groszgünstig glück das will ihn wohl
ZiNKGREF auserl. ged. 12 ndr. ,■
— groszhand, /..- darnoch zu sagen von den armen,
so die groszhandt genant werden Gersdorf feldb. der
tvundarzn. (1530) 8*.
GROSZHANDEL, m., mercatura magnaria, solidaria
Stieler 754; negotio, traffico in grosso Kramer teutsch-
ital. 1, 621*, und noch bei Campe lediglich als der handel
en gros bestimmt ; späterhin verändert sich die bedeutung
vielfach im sinne des compos. typus grosz III 4 a; vgl.
schon: groszhandel 'der handel oder die handlung ins
grosze oder im groszen' Krünitz 20, 134; ein solcher satz
drückt den groszhandel der Städte nicht Moser l, 277;
der hof gab also verschiedenen personen besondere
541 GROSZHÄNDLER — GROSZHANS
GROSZHAUS, GROSZHEIT
542
freiheiten zum groszhandel Nicolai reise d, Beutschi,
i, 449 ; im groszhandel, der von China bis zum Tajo reichte,
herrschte ausschlieszlich römisches gepräge G. Freytag
17, 283; bildlich: da doch der romanendichter immer
nur groszhandel mit unwahrscheinlichkeiten treiben
sollte A. W. Schlegel im Athen. 2, 320. dazu mancherlei
bicomposita wie groszhandelsmasz v. Alten 2,854;
-platz D. Fr. Strausz lO, 258; -preis V. A. Huber
reiaebr. 2, 249; -verkehr Conrad handwb. d. staatswiss.
23, 821.
GROSZHÄNDLER, m., um 1700 aufkommend als ein-
deutschung des um 1600 aufgenommenen fremdivortes
grossierer (nach frz. marchand grossier), das noch im
ganzen 18. jh. durchaus lebendig blieb (S. v. Laroche br.
an Lina [l78S] 178; Fr. H. Jacobi w. 6, 888) und um 1800
durch grossist abgelöst tourde, vgl. Schulz fremdwb. l,
256 ; zunächst der händler engros (wie denn die dem frz.
nachgeschaffene formel ins grosze handeln [*. grosz H 2 d]
deutlich die bildxmg des subst. unterstützt hat): grosz-
händler, grossirer mercanie, trafficante in grosso Kra-
mer teutsch.ital. 1, 569*; dagegen bei Stieler 155 ein
groszer händeler magnarius negotiator ; groszhändler, der
ins grosz handlet Aler 1, 986"; Nicolai sondert die
niederläger, die groszhändler, die kleinhändler reise d.
Deutschi. 4, 447 ; es giebt tandler, die schauen ein grosz-
händler über die achsel an Nestroy 1, 8;
messen doch der Stadt groszhändler
groschenweis nicht buntes band
RÜCKERT 7, 14;
in diesem sinn auch grossohändler Sanders synon. 487;
dann auch, unter Veränderung der bedeutung des ersten
Clements im sinne des compos. typus grosz III 4 e, soviel
wie das heutige groszkaufmann (s. d.): sogar die grosz-
händler sind jener eximirten führerklasse beizuzählen
Schopenhauer 5, 255 Oris.; Marcus König galt für den
reichsten groszhändler der stadt G. Freytag 11, 33; (der)
einflusz der römischen banquiers und groszhändler
MOMMSEN röm. gesch. 2, 23; mit präpos.: mit den piraten-
capitänen als den bedeutendsten groszhändlern in diesem
artikel (sklaven) 2, 65; (der Deutsche) ist, wie Robertson
sich ausdrückt, groszhändler in der gelehrsamkeit Kant
10 (1839), 358 Hartenstein. — groszhandlung, /., 'eiiie
handlung, die ins grosze gehet, d. i. die nur im ganzen
verkauft' Jacobsson technol. tvb. 2, 157''; schauen wir
auf n handelsstand, wie viel giebt's da groszhandlungen
Nestroy 1, 169; der tuchmacher . . errichtete ein tuch-
und seidenwaarengeschäft; dasselbe gedieh zu einer
groszhandlung Rosegger In, 250. — groszhandlungs-
gesellschaft,/., Nicolai reise durch Deutschi. 4, 449 ;
-gesellschafter Fr. Schlegel dtsch. mus. i, 469. —
groszhandlungshaus, n., Nestroy 1,2; Gutzkow
Zauberer v. Rom 7, 144; vgl. groszhaus.
GROSZHANS, m., ursprünglich wie groszer hans (s.
grosz I F 1 c /9) von vornehmen, hochgestellten, je später
je ausgesprochener mit scheltendem nebensinn: jenen
spanischen grandes oder grosshansen Guarinonius
greuel d. verwüst. 807; was groszhansz ubels thut, das
musz klein hensichen entgelten Petri der Teutschen
weish. 2, Yye*^; es sey eine schände . ., dasz ilire männer
alles gehen lassen, wie es der groszhans im schlosz
gern sehe Pestalozzi sehr. 8, 228; die groszhansen der
groszen mächte haben gewaltige furcht Fr. L. Jahn br.
98 Meyer; grosz- und kleinhans formelhaft im sinne 'hoch
und niedrig': dass es (das buch) . . . kaufen darf, wer
lust . . darzu hat, es sey gleich gelehrt oder ungelehrt,
reich oder arm, gross- oder kleinhans Grimmelshau-
sen i, 502 Keller; drum soll sie sich erklären, wen
sie haben will, groszhanns oder kleinhanns! wenn's
nur ein braver kerl ist J. C. Kaffka sechs freier (1787)
50; wenigstens diese formel scheint aus der spräche der
landsknechte zu stammen, wo sie verschiedene rangstufen
bezeichnet; zahlreiche belege unter kleinhans th. 5, lllO;
diese (emigranten) . . spielten den groszhans 'den groszen
herrn' Laukhard leb. u. schicks. 8, 56; als der böhmische
Junker . . nach art aller emporkömmlinge den grosz-
hans spielte Fr. L. Jahn 1, 4ö2 ; dann auch 'der sich
grosz macht; der grosz mit dem maul ist; der sich groszer
streich austhut' Aler l, 987*; besonders alemannisch:
ist dann ein bursch da, so begeret zä spielen, so will
groszhans auch nit der letst vsein Wickram 3, 294 lit.
ver.; dasz ich auf solchem (schlosz) mehrere . . ergötz-
lichkeit geniesse, als mancher groszhans mit allen
pralereyen Zend. a Zendoriis wintern. 22; ein Glarner,
ein verlogener groszhans, der uns mit unaufhörlichem
herzählen seiner heldenstreichen quälte U. Bräker 2,
138; fängst du nun an? du groszhans! Göthe 12, 100
W.; vgl. Fischer schicäb. 8, 857; prahler, tcindbeutel
Woeste 86*; diminuiert: ein kleins groszhänslin Fi-
sch art geschichtklitt. bl ndr.; dazu: wie seine eitelkeit
und groszhansigkeit sich auch in seiner spräche
nicht verleugnen wollte 0. Ludwig 2, 496; auch verbale
ableitungen: auf begehrisch und groszhansendJ. Gott-
HELF 6, 343; 'gr osz h ans er eü' — rief der invalid von
jenem tisch herüber J. Grosse ausgew. 10. 3, 199; wollt
ihr uns den durchzug versperren aus lauter neid . . .
und dummer groszhanserei? H. Nydegger Hans d. Chüjer
(1894) 12. — groszhaus, n.: soll . . meniglich wissen,
dasz . . . nicht einerlei form und weisz registrierens,
sonder nach dem der dynasta . . . oder nach dem der
prelat und sein groszhausz oder stifft J. v. Rammingen
registratur (l57l) c 1 •» ; anders = groszhandlungshaus : trieb
er . . das gewerbe eines weinkommissärs für ein jüdi-
sches groszhaus in Stuttgart Hansjakob schneeballen 239.
GROSZHEIT, /., ist die abstractbildung zum adj., die
sich tcesentlich auf nd. boden entioickelt hat: groetheit
ScHiLLER-LüBBEN 2,156''; grottc, grötte, grootheit brem.
wb. 2, 550; grootheit Schütze holst. 2, 75; auch im mnl.
und nnl. herrschend; daher fehlt das wort in den groszen
hd. tcörterbüchern (auszer Stieler) bis auf Campe (s.
dazu unten 3); in den kleinen spätmhd. und frühnhd.
gloss. bei Diefenbach ist es nicht selten, aber gewöhnlich
in solchen, die deutlich nd. beeinfluszt sind, soweit nicht
überhaupt die nd. form grotheit auftritt (s. u. l) ; auch
die literarischen belege fallen bis ins 18. jh. weit über-
wiegend in das nd. Norddeutschland oder in das früher
nd. gebiet des m,ittleren Mitteldeutschlands ; wenn auch
die obd. mystik das wort besitzt, könnte es, vne andere
abstracta auf -heit, selbständig gebildet sein.
1) im eigentlichen sinn als masz- und mengenbegriff,
zunächst von concretem, dann auch von abstractem : grosz-,
groetheit magnitudo Diefenbach 343"; ingentia 298'';
immensitas 287*'; quantitas ill^; nov. gl. Z\^Q^; auch die
grundbedeutung (s. grosz I A 2) klingt an: grossitas gloss.
270*; entsprechend grosz IB i: die grözheit der vische
ungewöhnliche grosze myst. 1, 72, 7 Ff; (gazellen) sijnt
deyr van gesteltenyss ind groyssheyt wie eyn geysse
Harff pilgerf. 154; doctor Martinus redete von der
groszheit der sonnen Luther tischr. (1568) 16''; eyn grot-
heyt ens personen statura Diefenbach 551*; groszheit
statura, corporis forma et granditas Stieler 708; die
groszheit und grandität des leibes Prätorius anthropod.
plut. 2, 209; entsprechend grosz I B 2: der gut will ist
mer zu loben, dann die groszhait der gab A. v. Eyb sp.
d. Sitten (l5ll) c 3*; dasz man in dem brautschatz selbst
nicht die groszheit . . ansehen . . solle J. v. Münster
iract. de polyteknia (1595) 248 ; als inconcretes masz wie
I B 4; de grotheit des geystes, so yn ohm was Waldis
Verl. soJm 3 ndr.; scheiden se de körte tydt desses leven-
des, alse de tho der grotheyt des geschefftes (der alche-
misterei) nicht genoch sy jg. glosse z. Reinke de vos 163
Br.; oder häufiger nach art des intensiven grosz I D:
mit einem hüglichen wegenne der unmessigen grözheit
miner besserunge Seuse dtsche sehr. 258 B.; die gross-
hait der unbegreifenlichen wirdikait gotes Tauler serm.
(1508) 77"=; die grözheit der libe, di si baten in deme
herzen zu gote myst. i, 157 Pf; ich bekenne ouch miner
buoze kleinheit gegen miner sünden grözheit l, 284; die
groszheit des lasters und grewels Sleidanus reden 72
lit. ver.; krancke lüde mögen wenich of nicht eten na
groetheit der kraneheit J. Veghe Görresjahrb. 6, 396;
die groszheit seiner quahl Weckherlin 2, 67 lit. ver.;
im 17. jh. anscheinend erloschen.
543
GROSZHEIT
GEOSZHEIT
544
2) uneigentlich, zum ausdruck innerer maszverhältnisse,
im sinne von grosz I F ; nur selten entsprechend F 2 b
als 'öedeutung, gewichtiglceit' : wo die eheleute die hoheit
and grosheit des ehestandes nicht bedencken E. Sar-
CERIUS buch V. hl. ehest. (1553) 126'^; häufiger mit persön-
lichem regens, zumal von gott (vgl. grosz I F 1 d y) , wo
indessen die sinnliche grundbedeutung zuweilen noch stark
mitspricht (vgl. grösze B 3): si irschräckin alle in der
grözheit gotis Beheim evang. buch, Luc. 9, 44; so siht
die s61e gotes grözheit an und ir kleinheit myst. 2,
687 Pf.;
(Salotnos braut sieht) ihre kleinheit auch widerumb,
gottes groszheit und eigenthumb
D. Sudermann hohe geistr. lehren (1622)29»;
auch mit dem folg. sich berührend: dyne groisheit is er-
haven oever alle dye hemele (magnificentia tua ps. 8, 2)
übers, von psalmen . . a. d. 14. jh. 7 Janota; entsprechend
grosz F 1 c: edel- vel groszheit eximietas Diefenbagh
216"; herlicheit vel groeszheit maiestas 344*; magnifi-
centia 843''; grandezze ist so viel als grossheit, hohes
ansehen und herrlichkeit Stieleh zeitgs.lust (1695) ö^O;
die groszheit bestehet nicht in viel zu geben . . . die
niedrigkeit (vielmehr) bringet einen menschen zu den
höchsten stufen der erhebung Oleariv s persian. baumg.
49; vgl. 64; diese bedeutung scheint die einzige, die zumal
in der abart 'groszthun, überhebung' lebendig ins 18. jh.
herübergreift: dasz er lieber . . auf seinen vorderfüszen
gegangen wäre, als dasz er mit den hinterfüszen auf
das stechende hüneraug seiner grözheit hätte treten
sollen (vorher: dasz diesem herrn . . der respect samt
der spanischen grandezza in die füsze gefahren) Lin-
den born Diogenes l, 460; menschen, die sich für grosz-
heit kaum mehr kannten Zinzendorf neQi tavxov (i746)
221; vgl. teutsche ged. 319.
3) um die mitte des 18. jhs. erlebte das subst. eine
loiedergeburt, und zwar durch Winckelmann, einen
Niederdeutschen also, der das wort in den dienst seiner
neuen kunstbetrachtung stellte und es fast nur im Zu-
sammenhang mit ihr verwendete, es wurde begierig auf-
genommen, zumal von Göthe, griff bald über seinen ur-
sprünglichen anwendungsbereich hinaus, blieb aber natür-
lich beschränkt auf die bezeichnung des inneren maszes,
um das ältere subst. grösze in gewissen bedeutungen ganz
in den hintergrund zu drängen, man empfand das wort
als eine Schöpfung Winckelmanns, vergl. Herder 4,
303 S.; Adelung miszfiel es, mag. f. die dtsche spr. 2,
2, 76; Heynatz, der es als 'niedersächsich' erkennt, des-
gleichen, antibarb. 2, 78; Kinderling stellt es als 'ent-
behrliches neues wort' hin, reinigk. 56; in der 2. hälfte
des 19. ^Ä. tritt das subst. toieder zurück ; vgl, Weigand
synon. 2, 95.
a) bei Winckelmann mit leichtem achwanken des Sin-
nes, insofern er bald mehr das äuszere bestimmter stil-
formen, bald mehr den gefühlsmäszigen gehalt, die see-
lische Wirkung des kunstwerkes im äuge hat. groszheit
geht auf das groszlinige, feste des stils (im gegensatz
zum weichen, anmuthigen), öfter mit dem beisinn des
strengen, auch des monumentalen, und verbindet damit
die bedeutung 'innere hoheit, erhabenheit, gewaW: durch
das gerade und völlige wird die groszheit gebildet und
durch sanft gesenkete formen das zärtliche w. 4, 246;
es bildete sich also in ihren flguren die groszheit,
welche aber in vergleichung gegen die wellenförmigen
umrisse der nachfolger . . eine gewisse härte kann ge-
zeiget haben 5, 209; in Ägypten ging dieselbe (kunst)
auf die groszheit 3, 277; äugen der königin der göttinnen
mit groszheit gewölbet 6, 223; der stil derselben (Phi-
dias, Polyclet, Scopas u. s. w.) kann der grösze genennet
werden, weil auszer der Schönheit die vornehmste ab-
sieht dieser künstler scheinet die groszheit gewesen zu
seyn 5, 286; mit demselben doppelsinn auch bei Winckel-
manns Jüngern: wenn eure (der Griechen) äugen weiche
umrisse, rundliche formen und eine malerische gratie
suchen . . so trachten wir (Ägypter) auch in der ge-
staltung der colossalischen groszheit nicht unwürdig zu
werden, die ihr zur Weichheit verwöhnet für steife
härte scheltet Herder 2, 183 S.; das lebendige, die
groszheit des styls (am phigalischen fries) Göthe IV 29,
106 W.; für götterbilder wurde allmählich die groszheit
in gestalt und Charakter erworben H. Meyer gesch. d.
bild. künste 1, 266; der (Lipsius), so wir vor uns haben,
ist voll grösze, ohne groszheit der hauptform Lavater
phys. fragm. 4, 882; die strenge groszheit des Giotto
Fr. Schlegel 6, 62; formen, welche durch ihre grosz-
heit grösze des gehalts aussprechen Fr. Th. Vischer
ästh. 2, 390; dagegen: ein junger künstler hat . . grund,
am fuszgestell einer antike zu sitzen und ihre grosz-
heit zu haschen Schubart leb. u. gesinn.; der durch
die posaune von oben aufgeschreckte weltmensch, ein
bild von der ersten und seltsamsten groszheit Göthe
IV 21, 80 W.; das gröszte werck der Innern groszheit
nach (ist) die rotonde IV 8, 45; die trümmer der alt-
persischen hauptstadt . . tragen den eindruck majestä-
tischer groszheit J. v, Müller l, 97; noch anders, per-
sönlicher gefühlt: seine Sachen (haben) eine innerliche
moralische grazie, eine schöne freyheit und groszheit
Göthe III i, 802 W.,- die scenerie (des bildes) . . hatte
etwas von Claude Lorrains heiterer kraft und grosz-
heit Spielhagen 2, 439; dasselbe schillern der bedeutung
auch bei der anwendung auf andere künste: mit der . .
würdigen groszheit der alten tragödie Fr. Schlegel
im Athen. 1, 2, 175; Dantes widerwärtige, oft abscheu-
liche groszheit Göthe 36, 194 W.; viele werke Shake-
spears, die, wenn auch in der Umarbeitung entstellt,
das gepräge der groszheit behalten hatten Tieck sehr.
1, XIII ; die messen haben groszheit, andacht und her-
zensfülle Schübart ästh. d. tonkunst 183.
b) weiterhin auf menschen bezogen; auch dies schon
bei Winckelmann, wenngleich selten: leute von Wahr-
heit, redlichkeit und groszheit zusammengesetzt w. 10,
181; die bedeutung schwankt stark: vom ganzen stil des
lebens und der persönlichkeit; groszheit des Napoleon-
schen Charakters Göthe 35, 271 W.; wer blosz in unse-
rer feinheit gelebt hat, kann die groszheit jener men-
schen nicht begreifen E. M. Arndt ans. und auss. 245;
wir bewundern die römische groszheit und gewalt scJir.
f. u. an s. l. Deutschen l, 444; keinen, der nur jemals
von der kraft und groszheit deutschen wesens künde
gegeben Treitschke dtsche gesch. im 19. jh. i, 271; an-
ders, mehr äuszerlich auf haltung und gebaren zielend:
sie (die einwohner von Palermo) affectiren nicht jene
ungelenke groszheit, welche der römische und neapoli-
tanische adel annimmt Göthe 46, 172 W.; noch eine
andere Spielart des sinnes definiert WiEt.AND: groszheit
verhält sich zu grösze, wie hoheit zu höhe, nur dasz
es in dieser bedeutung im hochdeutschen noch nicht
üblich ist. der dichter versteht unter groszheit das,
was . . eine grösze, über gewöhnliche menschen weit
empor ragende person ankündigt . . . majestät ist nur
ein höherer grad von groszheit w. 23 (1796), 325; vgl.
stehst du nun in deiner groszheit, deiner schöne vor uns da
(von Helena) Göthe 15, 194 W.;
von seelischer Spannweite, höhe und weite des schauens
und empfindens; ein lieblingsausdruck Göthes (vergl.
grosz I F 1 f) : hätte mich nur da,s Schicksal in irgend
einer groszen gegend heiszen wohnen, ich wollte . . .
nahrung der groszheit aus ihr saugen io. 19, 225 W.;
zwei schreiben des Königsbergers (Hamann) . . , die von
der wundersamen groszheit und Innigkeit ihres Verfas-
sers zeugnisz ablegen 28, 107; ähnlich: mögen sie mir
über ihr fach . . mit ihrer gewöhnlichen groszheit und
freymüthigkeit ein bedeutendes wort sagen IV 16, 301;
vgl. I 85, 31; II 8, 214; gern mit ethischem klang (vgl.
grosz I F 1 e a,ß): unwürdige seele, die seine (gottes) gute
lobte, und nicht muth, nicht groszheit, nicht adel ge-
nug hätte, eben die gutheit an ihrem theil zu bewei-
sen Herder 31, 90 S.; vgl. 31, 87;
ihr wart beiden und trugt im gemüt die unsterbliche grosz-
heit
Platen 1, 310;
(eine dichtgattung , die) im gegensatze gegen die er-
schlaffte moralische kraft in den Zeitgenossen die mo-
I
545
GROSZHEIT, GROSZHERR
GROSZHERR - GROSZHERZIG
546
ralische groszheit der Vergangenheit aufdeckt Gervinus
gesch. d. dtsch. dichtung 5, 457; noch anders: ich kenne
die männliche groszheit, wie gern sie in einem philo-
sophischen gewande glänzt {gegensatz: weibliche Schwach-
heit) J. Moser 5, 43; gelegentlich concreter im sinne sitt-
licher Vorzüge: über die Charakterstärke, den helden-
mut, mit dem er alte ansprüche nicht aufgab, . . samt
andern groszheiten Grillparzer u, 162.
c) je später, je gröszer ivird die zahl der anwendungs-
möglichkeiten auch bei dinglichem regens; zumeist im
sijine innerer tveite und erhabenheit, oft mit stärkerem
anklingen räumlich-quantitativer vorstelltmgen {vgl. grosz
IF2d): gestaltlose groszheit der natur Göthe III 2,
168 W.; vgl. I 31, 151; die groszheit der horizontale, hell-
dunkel (in Norivegen) Fr. Th. Visgher auch einer ^2,
U4; durchgeistigte form wundervoller linien und ge-
stalten, entzückender täler . ., in groszheit ruhender
felsenberge Gregorovius wanderj. 4, 367;
sah ich nicht immer groszheit ohnegleichen
im aufstieg alter parke vor den weichen
erwartungsvollen abenden
R. M. Rilke buch d. bilder 145;
doch auch mannigfach sonst: die groszheit der religion
schränkt sich nicht auf irgend eine meinung ein, son-
dern dehnt sich über den ganzen menschen aus Jean
Paul (1827) 86, 61 Reimer; die groszheit der lehre Hera-
klits Fr. Creuzer in: Preisendanz d. liebe d. Günde-
rode 274; weil es zu der groszheit deiner ansieht der weit
und des lebens gehört 43; es {der tod Heinrichs IV.) war
das Schicksal Caesars, aber ohne die groszheit der for-
men, welche die geschichte des alterthums selbst noch
in den verbrechen zeigt Ranke 9, 108; die ceremonien
haben einen ganz eigenen Charakter von groszheit und
würde S. Hensel fam. Mendelssohn 2, 155.
. d) schlieszlich erscheint das subst. auch ivieder, frei-
lich recht selten, als abstractbildung zu dem, rein quan-
titativen grosz : groszheit 'die eigenschaft des groszseins,
den begriff der grösze als einverleibt zu bezeichnen' Campe
2, 462 •>: wenn ich sage, dieser mensch ist grosz, so war
das grosze schon vorher etwas, und ich will nur, dasz
der, welcher mich hört, dem menschen grösze, besser
groszheit, beilegen soll citat ebda; ist doch der Cha-
rakter der grösze auch bei sinnlichen gegenständen, so
oft ganz verschieden vom Charakter der groszheit grafen
Stolberg 6, 5; nur bei den alten Völkern ist grösze,
bei den neuern blosz groszheit. die grösze ist von innen
hinausstrebend, die groszheit von auszen hereinraffend
Fr. L. Jahn dtsch. volksth. 103; mit etwas verändertem
sinn {vgl. grosz I E i) : damit unser groszes volk . . die
stelle unter den Völkern Europas einnehme, die seiner
groszheit und vortrefflichkeit zukomme E. M. Arndt
sehr, für u, an s. l. Deutschen 3, 105.
GROSZHERR, m. l) = groszer herr, in unterschied-
licher Verwendung: disz Sprichwort gehört auf . . wenig
ftirsten und groszherren noch seh. w. klugr. (1548) 132'»;
als . . könig Stephanus Batoreus . . mit todt abgangen,
entsönderten sich die wöhlende groszherren Fr. A. v.
Brandis des tirol. adlers ehrenkr. 212; nun liesz sich
unser ritter in Malta bei dem groszmeister (er nannte
ihn groszherrn) melden Hippel kreuz- u. querz. l, 247;
er (ein diener) widerstand der that und zog sein Schwert
auf seinen groszherrn (den herzog von Cornwall)
to Ms great master Lear IV 2 Voss Shak. 3, 264;
ich bin der groszherr Mephistopheles
Hebel (1853) 2, 99;
wo er (Luther) dem geistlichen groszherrn entsagte
Fr. L. Jahn dtsch. volksth. S62.
2) speciell titel des türkischen Sultans (vgl. den com-
pos. typus grosz III 4 k) :
blss dass der grossherr selbst nach Candien aufbricht
LoiiENSTEiN Ibrahim (1701) 21;
ihre kost haben sie (die janitscharen) von dem grosz-
herrn Abr. a St. Clara etw. f. alle 2, 301; Strangforts
Unterhaltung mit den ministem des groszherrn Göthe
III 9, 7 W.; den . . groszherrn sultan Mahmud Moltke
IV. 1. 6.
sehr, und denkw. 1, 23; auch gelegentlich von anderen
morgenländischen herrschern: einst geboten arabische
groszherren auf dem throne zu Bagdad Fr. L. Jahn
1, 167; vgl. selbst: (leute) die . . in nichts die nähe des
groszherrn (d. i. häuptlings) ahnen lieszen v. Götzen
durch Afrika 178.
3) grosherr, groszvatter avus Henisch 1753; grosz-
herrlein, herrlin avolo, nonno Kramer teutsch-ital. i,
671"; schon früh: daz wil ich dir gehalten, so du wurst
also alt also myn grosz herre altd. üb. buch 192, 12
Pfeiffer; mnl. allgeviein als groothere Verwijs-Verdam
2, 2189 ; freier 'ahnherr': aber ich glaube, fast alle meine
grosz- und urgroszherrn waren viel zu trockene leute
Brentano Godwi i, 298; vgl. herrlein i und groszfrau.
— groszherrisch, adj., das gebaren eines groszen
herren zeigend: herrisch, stattlich, groszherrisch, gravi-
tätisch für nl. stemmig Kramer hochniederd. 1, 368*;
daher sind die solarisohen thiere . . königlich und grosz-
herrisch im ansehen A. v. Frangkenberg gemma mag.
(1684) 70; gewöhnlich tadelnd: groszherrisch seyn wollen
Star' alla grande Kramer teutsch-ital. 1, 569*'; ist das
nicht eine groszherrische art gewesen (von einer men-
surcomödie) Ch. Sorel leben d. Francion (1662) 488; einer
von diesen zwar ganz kleinen, aber recht groszherrischen
päbstgen J. Chr. Krüger d. geistlichen a. d. lande (1743)
80; das klingt zu groszherrisch vor einen Zimmermann
ZiNZENDORF Lue. 4, 22 anm.; indess sie der grosz-
herrische Versprecher, der Wonnemonat, als ein schelm
betröge Voss krit.bl.2,9^. — groszherrlich, adj. l) ge-
steigertes herrlich (vgl. den compos. typus grosz III l a) :
groszherrlich Schottel 465; disz ist der groszherrliche
tag, den der herr gesetzt hat Er. Frangisci d. letzte
rechensch. (i68l) 383; eine groszherrliche galerie, mit
vielen porphyrseulen prangend luftkr. (l680) 103; die un-
garische herren . . . sich mit königlichem pracht auf-
führten und groszherrlich lebten d. höll. Proteus (1695)
717; dasz die demente zusammen klungen . . in einem
— einem groszherrlichen schall Schiller l, 62 G.; was
selbst der alte feudalzustand ... für groszherrliches,
kühnes und kräfteerweckendes gehabt Herder 5, 455 S.
2) als ableitung zu groszherr: appartenente a un grande
ö ä un signor grande Kramer teutschital. l, 569"; be-
sonders im sinne von groszherr 2 : sofort erging ein grosz-
herrlicher firman in die provinzen Gervinus gesch. d.
19. jh. 6, 232; als groszherrlich türkischer connetable
Bismarck ged. und erinn. 2, 298 volksausg. — grosz-
herrlichkeit, /., sovranitä, dominio sopr' eminente
Kramer teutsch-ital. l, 672''; der papst . . trachtete . .
mehr durch . . fügend . . denn durch vermorschte Waffen
ehemaliger groszherrlichkeit die würde eines Oberhauptes
der . . kirche zu retten Zschokke 35, 309. — grosz-
herrschaft, /. ; il grandato di Spagna die groszherr-
schaft in Spanien Kramer ital.-teutsch. (i693) 519«. —
groszherrscher, m.:
hingegen wie vergnügt musz ein groszherrscher sein,
der sieg- und liebesfrucht zusammen erndtet ein
Lohenstein Cleopatra^;
auf den russischen zaren angewendet Rosegger Alpen-
sommer (1908) 150; bildlich: der trotzige felsrein: der
groszherrscher Grimming Schriften II 12, 67; moviert:
groszherrscherin der neun englischen herrscha-
ren Guarinonius greuel der Verwüstung, dedication
a 2».
GROSZHERZIG, adj., erst nhd., parallelbildung zu
dem enttcickelteren groszmüthig.
l) in älterer spräche fast nur im sinne starkherzig,
standhaft, tapfer, also wie groszmüthig i, aber seltener:
getrost in krankheyt, groshertzig und standhaft in wider-
wärtigkeyt Fi schart 3, 237 IT.,- (eine stärke, die) allein
für die gerechtigkeit ires vatterlands bisz in die letzten
seuftzen groszhertzig ist bewiesen Fronsperger Jcriegs-
buch 1, 174»;
Triambe, sei gegrüst, o Herrscher aller feinde,
groszhertzig, starck von kratft
Opitz teutsche poem. 216 ndr.;
35
547
GROSZHERZIG
GROSZHERZIGKEIT, GROSZHERZOG 548
Gennäos, welcher stets groszhertzig war in nöthen
W. H. V. HOHBERG d. habsburg. Ottobert (1664) Ff 2»;
die tapfere mutter Amatriciana, welche, als sie sähe,
dasz ihr söhn . . kleinmüthig wurde, groszhertzig her-
aus brach Neumark fortyepfl. musik.-poet. lustw. 2, 28;
so wohl auch noch: als eine groszhertzige löwin sich
eher an einem faden als einer ketten leiten last Bes-
ser sehr, 2, 862; oder zum folg.?
2) nur in unsicheren spuren erscheint die Bedeutung
'stolz', die sich neben groszmüthig 3 stellen tvürde: das
sichs nit allein annehm der arm unmündig Schreiber
zu Leiptzk, sondern vielmehr die groszhertzigen fen-
richen, die nit dürfen an tag sich geben Luther 6,
286 W.; denn weise und gelehrte leute sind geneigt,
grosse dinge zuthun, und daher sind sie groszhertzig,
und solche leute empören sich gar leicht v, Stosgh
polit. Staatsgarten (1676) 132; groszhertzig und ruhmrätig
ScHOTTEL haubtspr. 466^; die belege weisen wie bei grosz-
müthig nach Norddeutschland; vergl. groothartig hoch-
müthig Schütze holst. 2, 75.
3) die heute herrschende bedeutung kommt erst im spä-
teren 18. jh. auf (Wieland, Herder, Schiller, bei
GÖTHE anscheinend fehlend), um sich erst im 19. jh. voll
zu entfalten; Adelung noch notiert nur, als selten, die
bedeutung l, unter hinweis auf nd. groothartig.
a) auch auf dieser linie war groszherzig zunächst an-
scheinend einfach synonym der allgemeineren bedeutung
von groszmüthig 2, also 'von edler, hoher, erhabener ge-
sinnung' (wie denn eben das absterben dieser bedeutung
bei groszmüthig im 19. jh. offenbar in dem eintreten von
groszherzig begründet liegt): groszherzige Britannia Schil-
ler 4-, 110 (?.,■ tapfere, gerade, redliche, biderbe, grosz-
herzige, einfältige, von der scheere kultur unverschniz-
zelte menschen Schubart leb. u. gesinn. l, 231 ;
morgen gehört sie
euch Jungfrauen nicht mehr, nein uns groszherzigen weibern
Voss Luise (1810) 236;
der groszherzige, nie eng-, immer weitbrüstige Jüngling
Jean Paul l5/i8, 354; es scheint mir, als ob das all-
gemeine Unglück die menschen erzöge, ich finde . . .
ihre ansieht von der weit groszherziger H. v. Kleist
5, 331 E. Schm.; 'hochgemuth': aus dem vollen humpen
selbst tranken wir groszherzigen das kühle . . . nasz
TiECK sehr. 4, 29; blasser, als formelhaftes epitheton:
des groszherzigen Anchises söhn Bürger 161^ B.; das
Volk des groszherzigen Erechtheus H. Meyer gesch. d.
bild. künste 2, 166; die sittliche anschauung, . . die in
dem groszherzigen Oidipus . . stark war R. Wagner
4, 69; wenn manche dieser älteren gebrauchsweisen heute
schon fremd klingen, so deshalb, weil die bedeutung all-
mählich einen prägnanteren Charakter gewonnen hat, dem
von 'hochherzig' nahekommend: Polen, das groszherzige
und freigesinnte, müsse wiederhergestellt werden E. M.
Arndt geist d. zeit (1813) 3, 40; der Hohenstaufen grosz-
herzger heldenstamm Waiblinger ged. a. Italien 2, 113
Qris.; ehrt es in diesem {kaiser Wilhelm) den groszher-
zigen bauherrn H. Prütz preusz. gesch. 4, 882; arglos,
groszherzig, ohne jeden hintergedanken betrieb er diese
plane Treitschke dtsche gesch. im 19. jh. l, 261; möge
die groszherzige absieht des herrn prinzregenten nicht
auf Schwierigkeiten stoszen jahrb. d. Grillparzergesell-
schüft 1,238; gern gerade in solcher beziehung auf für-
sten, vgl. dazu groszmüthig 2 a; gelegentlich auch an
'weitherzig' erinnernd: (Shakespeare) soll . . nicht min-
der groszherzig gefühlt haben als der grosze graf Platen
Heine 3, 341 E.
b) eine specialisierung der bedeutung a rückt das mo-
ment der Selbstlosigkeit, eines irgendwie gearteten Verzichtes
auf egoistische interessen in den Vordergrund; auch hier
knüpft das adj. deutlich an groszmüthig 2 b an, hat sich
aber allmählich verselbständigt, so dasz heute groszmüthig
meAr die einzelne regung, groszherzig mehr einen dauern-
den zustand der seele bezeichnet; gern neben verben des
Sinnes vergeben, verzeihen, schonen u. ä.: wenn du grosz-
herzig genug bist, gegen ihn mehr als gerecht zu sein
Wieland (1853/'.) 23, 178;
seid edel, und groszherzig schenkt einajider
die unabtragbar ungeheure schuld
Schiller 14, 31 G.;
es ist . . eines groszherzigen volkes würdig, das böse
mit gutem zu vergelten E. M. Arndt geist d. zeit (1813)
3, 227; auch wenn er seiner groszherzig geschont hat
Scherer kl. sehr. 2, 13; auf anderer linie: eine der rühm-
lichsten bestrebungen groszherziger Privatleute . . war die
Wiedereroberung Afrikas für die Wissenschaft Zschokke
2, 311 ; wer sein leben nicht groszherzig auf das spiel zu
setzen weisz Raupach dram. %v. kom. gatt. i, 174; im be-
wusztsein eines groszherzig gebrachten opfers Mörike
8, 63; freiwillige und groszherzige Unterordnung wird
selten angetroffen G. Schwetschke ausgew. sehr. 2, 23;
wieder anders, an groszmüthig 2 c erinnernd: so war er
doch so gemeinnützig und groszherzig, dasz das geld für
ihn nur wert hatte, wenn etwas damit ausgerichtet , .
wurde G. Keller i, 22.
GROSZHERZIGKEIT, /.. magnitudo animi Stieler
832; aber erst seit dem späteren 18. jh. wirklich lebendig;
gelegentlich noch mit einem nachhall der bedeutung von
groszherzig l : dann möchte uns schier aller muth ver-
lassen, ein einziges gutes wort . . ist aber auch wieder
im stände, alle schaffende . . kraft in uns zurückzu-
liefern . . , sodasz wir dann mit groszherzigkeit wieder
an unsre arbeit gehen mögen Tieck Sternb. (i798) l, 105;
heftigkeit ist nicht immer ein zeichen des muthes und
der groszherzigkeit sehr, il , 5 ; dasz wir ( Wiener) eine
starke ader von spartanischer groszherzigkeit in unserem
geblüte haben Schreyvogel 2, i, 229; gewöhnlich aber
im sinne und mit den unterschieden von groszherzig 2:
als solcher erscheint er (Achill) sofort in seinen reden,
unbefangen, wie es die groszherzigkeit ist, und gerade
Herder 17, 164 S.; alles an ihm athmet jugendliche
groszherzigkeit, wohlwollen, wärme des gefühls Schil-
ler 4, 280 (?.; Voltaire bat . . . Friedrich um beistand,
und dieser gab auch hier einen beweis seiner grosz-
herzigkeit D. Fr. Strausz ll,2i8; sein idealismus hatte
an eine gewisse groszherzigkeit Ludmillens geglaubt
Laube 14, 195; um seiner (eines feindes) etwaigen klein-
lichkeit stets mit groszherzigkeit zu begegnen Al. Jung
geheimn. d. lebensk. l, 47.
GROSZHERZOG, m. l) nicht vor dem jähre 1569 nach-
zuweisen, in icelchem Cosimo I. de Medici von Plus V,
den titel gran duca erhielt; daher vom 16. bis 18. jh. vor-
tviegend von den groszherzögen von Toscana, einfach als
elativer titel, nicht mehr in dem eigentlichen sinne des com-
pos.-typus grosz III 4 k; da er (Pius V.) . . den hertzogen
von Florentz nie präuchlicher weisz hat auf moscovitisch
zum groszhertzogen gemacht Fischart bienenk. 144'';
er denkt wohl an den russischen titel groszfürst (s. d.);
sonst ist sie (die stadt Lucca) allenthalben von dem grosz-
hertzogen umbgeben J. Boterus allg. weltbeschr. 1,49 ; dess
grosshertzogen von Florentz schiff Stumpf Schwytzer-
chr. il^; groszherzog magnus duxHetruriae Apinus gloss.
nov. 257; als Napoleon 1806 Murat das groszherzogthum
Berg verlieh, nahmen auch eine anzahl deutscher fürsten
den titel an: das blatt von der band unsers verehrtesten
groszherzogs Göthe IV 22, ?47 W.; erfuhr ich, dasz der
groszherzog . . in Mannheim sey Jüng-Stilling i, 615;
nach Krünitz 20, 138 auch ehemalige bezeichnung der be-
herr scher Ruszlands, Westpreuszens, Litauens u. s. f., wo
der eigentliche sinn der composition (oberster herzog über
theilherzögen) besser zur geltung käme; doch literarisch
nur vereinzelt nachweisbar (gewöhnlich vielmehr grosz-
fürst) : als aber . . der groszhertzog (der herr Moskaus)
auch den frieden mit den Türeken nicht brechen wolte
Lohenstein Ibrahim (i70l) J 6"; vgl. (Karl Gustav von
Schweden trug dem kurfürsten von Brandenburg an) ihn
zum groszherzog . . . der eroberten Woiwodschaften zu
machen Ranke 26, 252; in älterer spräche auch weniger
prägnant 'das überhaupt, der oberste führer': darbei (bei
dem landtag Karls d. gr.) ist gegenwertig gewesen der
newe groszhertzog aus Sachsen, fürst Wedekind der elter
Cyr. Spangenberg mansfeld. chron. (1572) 81''; Josua der
grosshertzog dess israelitischen volcks Dannhauer catecA.
549
GROSZHERZOG - GRÖSZIG
milch i, 447; selbständig gebildet oder in anlehnung an
den titel der Herrscher von Florenz? deutlich diesen paro-
dierend: disz wollen wir dem groszhertzogen, nein, gröst-
hertzogsten zu Rom vorbehalten haben Fischart ge-
schichtkl. 892 ndr. ; anders 348 ; man helt offt mit einem
ein fest, als wolt man ihn zum groszhertzogen machen
Lehmann floril. polit. l, 175;
als sie aus den armen
ihres gemahls der groszherzog Hades risz
E. M. Arndt w. 6, 115.
2) grosze dhreule. uhu KrOnitz 20, 138; strix bubo Nau-
mann naturgesch. d. vögel 1, 440. — groszherzogin, /.
Harsdörfer frauenz. gesprächsp. 6, 59; Elis. Charl.
V. Orleans br. 2, 145 lit. ver. — groszherzoglich,
adj.: Chiappino Vitelli, als welcher damals in grosz-
herzoglichen diensten begriffen war M. Krämer leben
u. tapf. thaten (1681) 122; das groszherzogliche museum
GöTHE 49,13 W.; einen groszherzoglich-hessischen haupt-
mann Uoi^tei vierzig jähre i, 19. — groszherzogthum,
n.: aus dem groszherzogthum Toscana Castelli ital.-
teutsch (1741) vorr. 2"; mit dem groszherzogthum Lit-
thauen Hippel lebensl. 2, 427; in ... dem groszherzog-
thum Posen Moltke sehr. u. denkw. 1, 22.
GROSZHIRN, n., 'die den ganzen obern und vordem teil
des Schädels einnehmende hauptmasse des gehirns' Brock-
haus '*8, 428*', im gegensatz zum kleinhlrn; das mensch-
liche groszhirn, welches allein als sitz . . des denkver-
mögens betrachtet werden darf Peschel völkerk. 65;
schon ijn 16. Jh.: derhalben es auch harter ist dann das
vorder gross hirn Ryff anat. N S**; dazu groszhirn-
klappe SÖMMERRiNO 4,208; -rinde v. Alten 4,106;
-spalte SöMMERRiNG 4,106; -Windung 4, 243 m. «. —
groszhirt, m., der ältere hirt gegenüber dem jüngeren,
dem kleinhirten (s. d.), also im sinne von grosz I B l c 3/:
dem groszhirten solle ein mayer 15 laib und diesem und
dem kleinhirten . . einen gewonlichen zelten geben citat
bei BiRLiNGER 232; da sagte der groszhirt zu seinem
Jüngern gehilfen Steub drei sommer in Tirol l, 338; der
bauer von der hohen weid war eigentlich ein groszhirt
Rosegger I 12, 144; uneigentlich: sie (die Donau) viel
derer lieder mitbringet, die ehedessen einer von den
bekanten grosshirten ihres Strandes gesungen hat A. U.
V. Braunschweig Oct. 1, vorr. 5». — groszhofmei-
ster, m., eigentlich der oberste der hofmeister («. grosz
III 4 k), vgl. den beleg von 1520 unter grosz I F 1 a schlusz;
diser Pipinus so darnach maiordom oder groszhofmeister
genent Seb. Franck chron. . . von d. Francken ankunft
89*; bei diesem, autor die regelmäszige Übersetzung von
majordomus {und so auch noch in neuerer zeit, s. Campe) ;
auch sonst in den älteren belegen als ein amt von groszem
getcicht: Erckenwalt war sein oberster rat oder des grosz-
hoffmeister J. Schenck chron. (1522) 103; Ferdinand her-
tzog zu Alba . . , römischer kei. mai. groshoffmeister,
Stadthalter und oberster hauptman H. Merckel bericht
v. d. belog. Magdeburgs (1587) F 2"; hat er seinen Gri-
moaldum zum groszhoffmeister in Franckreich gelassen
J. Beütz päbstl. chron. (l60i) 148; 'in dem deutschen reiche
wird der churfürst von der Pfalz wegen seines alten amtes
zuweilen des reiches groszhofmeister genannt' Krönitz
20, 139; in jüngerer zeit loiegt die bedeutung des modernen
Oberhofmeister vor: gran-ciambellano Kramer teutsch-
ital. 1,669"; supre^nus aulae praefectus Aler 1,1128*; zwey-
brückischer raht und grosshofmeister Stumpf Schwytzer-
chron. 432 *; {der markgraf) habens aber an i. kön. may,
durch den grosshofmeister von Solms gelangen lassen
acta publ. 6, 12 Palm; er {Geliert) bildete und empfahl
alle hauslehrer, er war der groszhofmeister der ganzen
nation Gervinus gesch. d. dtsch. dicht. 4, 89; moviert:
groszhofmeisterin S. v. Birken ostländ. lorbeerh. 7;
dann kommt die groszhofmeisterin und lehrt die gesetze
der Sitte und bewegung Scheffel 1, lli.
GRÖSZIG, adj.. nur vereinzelt nachzuweisen: winkel-
lein, die runden grözzig {tcohl compos.) sein K. v. Me-
genberg dtsche sphära 7, 7, als Übersetzung von spera-
lis; %voazichi grandiusculus Er. Alberus dict. kkj 1^;
heute mundartlich groussech sehr groaz lux. ma. 156'';
GRÖSZIGLICH - GROSZKELL(N)ER 550
mit anderem suffix nd. grootsk prächtig, stolz brem. wb.
2, 549; auch das zugehörige adv. grösziglich bleibt sel-
ten: grosseclich betrübet zs.f. d. w. 1, 612 {anf. a.jh.);
ich was frohe grossenclich
pilgerf. d. träum, mönchs 6167;
die verschuldent sich grossiglich d. ew. iceish. betbüchl.
(1518) 184"; ebenso das vb. gröszigen grosz machen: die
sterck des herren werd gegrössigt erste dtsche bibel 4, 64
var.; die sehende der gnaden und gaben . . grossigete
in ir di hoe des gesehlechtes Hedwigleg. (l50i) b l*; nur
lexicalisch gröszigkeit: groszekeide ma^rni^Mdo Diefen-
BACH 343«; groyszikeit quantitas 477 *>; vgl. nov. gl. SlO*»;
grossicheyt der personen staiura 551*; nd. groticheit,
grotkeit ingentia 298 ^ ; erst in neuerer zeit öfter spielend
als contrastbildung zu kleinigkeit: hier ist eine gröszig-
keit {von einem trinkgeld) Bäuerle kom. theater 3, 57;
man musz grosz in kleinigkeiten seyn — wenn man
klein in groszigkeiten werden will Meisl theatr. quod-
libet 6, 108. — gröszing, m., junger sprosz, a. gröszling.
GROSZJÄHRIG, adj., Übersetzung von maiorennis, wie
minderjährig von minorennis: die belehnung geschehe
gleich durch einen minder odder grosj erigen lehenrecht
(1533) B 1»; als bald er nu groszjärig wirt genennet wer-
den J. de Serres franz. hist. (1574) 140»; der vater des
kindes war . . kaum groszjährig L. v. Franc^ois Recken-
burg, l, 1; auch freier, von geistiger mündigkeit: K. bin
ich doch herrin über meine handlungen, seit das gericht
mich groszjährig sprach. E. ein mädchen ist niemals
groszjährig! Bauernfeld 3, 152; bildlich: seit diesem
heiligen siege sind wir ein groszjährig volk Fr. L. Jahn
2, 463; Campe zieht unter dem beifall von Heyn atz anti-
b'arb. 2, 78 volljährig vor. — groszjährigkeit, /..- die
groszjährigkeit des jüngsten sohns Moser 1, 404; beim
antritt der groszjährigkeit Schleiermacher 1 5, 31; diese
Schrift enthält ihre groszjährigkeits-erkiärung Baüern-
feld 5, 242. — groszkanzler, m., 'der oberste und
vornehmste kanzler eines reiches, der allen andern kanz-
lern vorgesetzt ist' Krünitz 20, 139 {vgl. grosz III 4 k):
dem gros- und untercantzler des reiches Pohlen M. Fried-
wald abweich, d. lande Preuszen (1578) J z^; dem heid-
nischen groszcantzler Theophilo V. Herberger herzpost.
(1613) 2, 128; dem groszcantzler in Engelland Thomae
Moro Abr. a St. Clara etio. f. alle 1, 41 ; groszcantzlar
von Franckreich Apinus gloss. nov. 256; der groszkanzler
Bcstuchef {von Ruszland) Ranke 29, 143; und bey den
Karolingern {sind benannt) auch die grosz- und erbkanzler
nebst den notarien und unterkanzlern allg. dtsche bibl.
66,838, wo die eigentliche bedeutung noch empfunden scheint ;
Friedrich d. gr. errichtete 1746 die stelle eines groszkanzlers,
der an der spitze der Justiz stand: von dem staatsminister
und groszkanzler von Carmer Bürger br. 3, 95 Str.;
nach Steins rücktritt wurde er groszkanzler im Justiz-
ministerium Bernhardt gesch. d. waldeigent. 3, 32; ähn-
lich bei H. V. Kleist im Kohlhaas: der groszkanzler des
tribunals, graf Wrede iv. 3, I88 F. Schm. — groszkauf-
mann, m., junges wort, setzt das {nicht mehr vorneJim
genug klingende) groszhändler fort {s. d.): die obere
mittelklasse umschlosz . . . beamte, die untere grosz-
kaufleute Ratzel völkerk. 3, 593 ; einer Vereinigung von
groszkaufleuten und groszindustriellen Doren Florent.
tcolltuchind. 27; ein früher vorklang: das der gross kauf-
man ain person auf künftigen reichstag schicken sollte
Christ, v. Württemberg br. 2, 494 Ernst {a. d.j. 1554),
kaum schon compos., vgl. groszer kaufmann 482. —
groszkaufmännisch, adj.: was war natürlicher, als
dasz die Nürnberger kaufmannschaft ihr äuge nach dem
fernen winkel . . richtete und echt groszkaufmännisch
die Sache . . . angriff W. Alexis Isegrim 3, 821; alle
groszkaufmännischen demente der stadt Doren Florent.
wolltuchind. 20. — gro8zkell(n)er, m., eigentlich ober-
kellermeister, cellarius Frisius dict. puer. (1556) l, 116»;
gewöhnlich in dem weiteren sinn von keller 2 {th. 5, 515)
der oberste amtsverwalter eines klosters oder stiftea : 1351
urkundet ein her Cristan von Kutzceleuben grosekelner
urk.-buch d. kloat. Pforte 2, 8; andere z. t. ältere nach-
weise fürs U.jh. bei Fischer schwäb. 8,867; wan ein
36*
551
GROSZKIND - GROSZKOPF
GROSZKÖPFIG — GROSZLAND
552
probst . . dem armen man . . das sin abgenimpt, und
wan er stirpt, . . kumt der groskeller von Gluniak und
nimptz gar e. oberrhein. revolut. 118 Haupt; on verwil-
ligung unsers gross oder herrenkellers quelle v. 1558 bei
Fischer a. a. o.; sagte der prior zu dem groskeller
Grimmelshausen 3, 434 Keller; dazu: Ulrich, welchen
der abt von der groszkellerey entlassen J. v. Müller
23,293, — groszkind, n., enkelkind: ich glaube, dasz
ihr kinder von euren groszkindern habt Gottschedin
samtnl. v. schausp. {im ff.) 5, 55 ; ehe haben die grosz-
eltern auf den geist der groszkinder einflusz Hippel
lebensl. l, 426; mein groszkind, eine tochter Tieck no-
vellenkr. 3, 253; freier 'nachkommen', wie enkel schlusz,
th. 3, 486: die groszkinder Brahmas G. Forster 9, 308;
starke, grosze . . . leute, wie wir uns etwa die grosz-
kinder jener barbaren denken mögen J. G. Kohl Alpen-
reisen 2, 164; vielfach mundarü., vgl. Frischbier l, 256*;
Fischer Saml. 45; Hentrich Eichsfeld 53; Fischer
Schwab. 3, 857; Staub-Tobler 3, 345. — groszknecht,
m., der älteste und erste knecht auf einein hofe {vgl. grosz
I B 1 f schlusz) : einem groszknechte {gebührt als jahres-
lohn) ... 6 tal. 12 gr. Rätel Curäi chron. 481; einem
groszknecht, der das ackerwerck versiebet, das ander
gesinde regiret Sghickfus schles. chron. 3, 373; dasz die
von adel auf ihren vorwergen hoffmeister haben, die
nicht viel besser seyn als ein groszknecht Chr. Weise
erznarren 106 ndr.; jungen, halb- und groszknechte
MOSER 4, 23; er war . . groszknecht, das heiszt aufseher
und anführer bei der arbeit E. M. Arndt sehr. f. u. an
s. l. Deutschen 3, 494; eine {ost)md. und nd. bezeiehmmg,
vgl. GusiNDE vergessene dtsche Sprachinsel 168*; Frisch-
bier 1, 256*; Dähnert 163*; Bauer-Collitz 41»; vgl.
groszenke; altknecht.
GROSZKÖNIG, m.. oberkönig {vgl. grosz III 4 k): die
Macedonier sagten mir, als ihrem groszkönig, disz alles
wieder Gabr. Rollenhagen indian. reisen 19; neuer-
dings nach dem griech. o fxiyas ßaailevs von den alten
persischen königen: das reich des Cyrus und der grosz-
könige Persiens Ritter erdk. 8, I9i; die gemahlinnen
der persischen groszkönige Böttiger kl. sehr. 3, 105;
dann auch von anderen, besonders orientalischen herr-
schern: von dem syrischen groszkönig Mommsen röm.
gesch. 2, 60; inschriften der assyrischen groszkönige
Sachau reise in Syrien 44; diese Versteinerung der volks-
masse . . misfiel dem groszkönige {Harald Schönhaar)
Dahlmann gesch. v. Dänem. 2, 85. — groszköniglich,
adj.: 2 tagreisen von der groszköniglichen stadt Peking
J. Neuhof gesandtschaft (1666) 9*; als ammiral über
die groszkönigliche flotte E. Frangisci trauersaal (l669)
2, 178, — groszkönigthum, n., Mommsen röm. gesch.
5, 345.
GROSZKOPF, m. l) ein groszer köpf, testa grossa
Kramer teutschital. l, 833''; der riese, der . . den grosz-
kopf des Zwergs als eignen köpf . . . trug Jean Paul
81, 34; meist von einem, wesen mit grossem, köpf: capito
Frisius 190*; xE(fttlwdr}s Frischlin (1586) 72*; von
einem krebs: und soll dieser groszkopf sowol auf dem
lande . . als im wasser hausiren Er. Francisgi lust.
schaub. (1698)2,1108; gewöhnlich irgendwie gefärbt: turpe
Caput Frisius 1339*; 'scherzhaft oder verächtlich' Campe;
umb die groszkopf ist khay schadt (t'.o?i ziuei hindern)
volksschausp. in Baiern u. Österr. 370 Hartmann;
hette dieszer löbliche fürst die schwehre kranckheit desz
geitzes wie etliche groszkopfe gehabt G. Widmann chron.
175 Kolb {hier 'leute hoher Stellung'? vgl. groszköpfig 2) ;
von aufgeblasenen, prahlhänsen: wer ist dieszer grosz-
kopf, der mit so doctoralischen schritten herein gehet
discourse d. mahlern 3, 105; und so ein groszkopf sagt
einst zu mir: 'Andres, wenn du geld mangelst, so komm
zu mir' J. Gotthelf 3, 98. 2) appellativ: am gewöhn-
lichsten für mugil cephalus, eine art meeräsche: mugil
DiEFENBACH 869°; Calepin XI ling. 916*; nomencl. lat. germ.
{Hamb. 1684) 155; Brehm thierl. 8, 161 P.L.; der grosz-
kopf aber {ist) der geschwindeste fisch Abr. a St. Clara
etw.f. alle 2, 228; nach Campe auch für cyprinus dobula,
den alant oder dabei; vgl. mugil ein groszkopf, ein alet.
ein hardern Corvinus fons 155 aus Gesner; für pha-
laena bombyx dispar, den rosenspinner Behlen 3, 506; vgl.
Staub-Tobler 3,412. — groszköpfig, -icht, adj. l) ca-
pito groskopfeter Verantius dict. (1595) B4''; die Neuser
meistens . . wolgefärbte, grosz und hartköpfete, gesondte
. . kerle Guarinonius greuel d. verwüst. 423; den neu-
gebohrnen groszkopfenden buhen Abr. a St, Clara
Judas 1, 17; von einer ziemlich groszköpflgen rasse
Ratzel völkerk. 2, 546; grossköpfige schlang Heyden
Plinius 134; disteln von der groszköpflgen sorte Körte
sprichw. 563; auch appellativ: die groszköpfige fledermaus
harpyia Oken 7, 991 ; groszköpfige eule strix aluco, grosz-
köpfiger pieper anthus macronyx Behlen 3, 506. 2) häufig
in übertragenem sinn, ähnlich dem jüngeren dickköpfig:
der grosskopfet esel {Spangenberg) Nas antipap. eins ti.
hundert 5, 205''; einen gross und grobkopfeten menschen
Guarinonius greuel d. vertcüst. 299; ir grosskopfete Un-
wissenheit 1054; ungereimte dinge in seiner groszköp-
fichten einbildung zu begehen J. Riemer polit. maulaffe
55; narr, groszkopfeter Abr. a St. Clara etw.f. alle 2,
223; auf anderer Unit: 'ein man, der eine hohe Stellung
einnimmt, z. b. des is a groszkopfeter' Hügel 71; was
in der g'moan d' groszkopfeten sein Anzengruber 8,
128; vielleicht zu erklären aus dem folgenden beleg: die
bürger, ja wohl die groszköpflgen, die paruquenteufel
Fischer schwäb. 3, 858 {quelle v. 1720); auch mit dem
beisinn des aufgeblasenen: der {junge) wird einmal deii
groszköpflgen herren in Deutschland manchen spuk
machen J. v. Kalchberg ges. sehr. 2, 61; sein leich-
tes gepäck berechtigte . . . nicht den anscheinlichen
Vagabunden zu einer solchen groszköpflgen barschaft
J. Nordmann meine sonntage 243. — groszköt(n)er,
m., ein gröszerer kölner im gegensatz zum kleinköter
{s. d.): die trennung der grosz- und kleinköthner ist {im
fürstenthum Hildesheim) nicht allgemein durchzuführen
C. Stüve wesen und verfass. der landgemeinden 14; der
groszkötner Hornhart Sohnrey im grünen klee 133;
groszköter Schrader dtsch.-frz. l, 377. — groszkotzig,
adj., anmaszend, hoffärtig Müller-Fraureuth l, 445*;
auch in brandenburg, umgangsspr. verbreitet: groszkozig
sind sie geworden, verstehen sie M. Kretzeu irrlichter
1, 245; auch groszkutig Bruns volksivörter der provinz
Sachsen 26*; dazu das subst. gvoszkootz protz, grosztuer
ib.; ein groszkohtz aus Pankow ein prahler Trachsel
20; etymol. unsicher.
GROSZKREUZ, n. l) 'bei verschiedenen ritterorden
eine benennung der ersten und vornehmsten Ordensritter,
welche unmittelbar auf den groszmeister folgen' Krünitz
20, 140; nach v. Alten 4, 471 zunächst bei den Johan-
nitern; in dieser Verwendung auch masc:
und vor den edlen meister tritt
der groszkreuz mit bescheidnem schritt
Schiller 11, 273 G. {kämpf m. d. drachen),
später geändert in jüngling; behielten sie mir . . . das
glück vor, . . . mich zum groszcreutz ihres . . . ordens
wahlfähig zu machen H. L. Wagner confisk. erz. 6;
wenngleich er kein freund . . . von der kleidung der
ritter groszkreuze . . war Hippel kreuz- u. querzüge 2, 8;
herr kammerherr v. Torsaker, groszkreuz vom Sera-
phinen orden Jean Paul 5, 91 ; erst secundär von der
höchsten Masse eines Ordenszeichens : seine brüst, wo
nächstdem das groszkreuz des civilverdienstordens para-
diren werde W. Hauff 8, 27; das groszkreuz mit der
kette des hausordens der Hohenzollern Pückler briefw.
u. tageb. 4, 129. 2) name eines käfers, carabus crux major
Nemnich 211. — groszkreuzherr allg. dtsche bibl. 93,
601; -ritter Jagemann (1799)546. — groszkündigung,
/. : könig Alexander hatte angefangen, di groskündigung
{geometriam) zu erlernen Butschky hd. kanz. 667; gehen
wir zu der groskündigung und der thonkündigung {geo-
metria, musica) rosenihal 789; groszkündigung man nennet
mutter der handwercksleut {unter der Überschrift: geo-
metria) Treuer dtsch. Dädalus l, 642; vgl. gröszenkunde.
— groszland, n.: wie einst in solchen kleingebieten
der romanische baustil noch gepflegt wurde, nachdem
er in den offenen grosziändern längst dem gothischen
a
553
GROSZLÄNDER — GRÖSZLICH
GROSZLICH
554
gewichen G. Keller 6, 28; eine öfter sich tviederholende
eeitenbildung zu groszstadt: muszt bedenken, wir sind
keine groszstädter und groszländer Grabbe 4, \Zi.Bl.;
Seefeld ist die erste Station im kaiserlichen, und ich
kann nicht verhehlen, dasz es mir daselbst etwas grosz-
ländisch zu muthe wurde E. Förster reis, in Italien
\, *; das groszländische benehmen in sogenannten ehren-
sachen G. Keller gr.Heinr. 2, 222 Ermat. — groszleibig,
adj., dick-, starkleibig {vgl. grosz I A 2 a) : corpulentua
Diefenbach 152*'; aber auch procerus 461 *>; nov. gl. 304'';
corputo, corpacciuto Kramer teutsch.-ital. i, 569" ; {Nitnrod)
der ein starker groszleibiger Jäger . . . genennet ward
Steinhöwel sp. menschl. lebens (1479) 80*>; (die Bosnier)
die groszleibige leut sein Rätel Curäi chron. 172; grosz-
leibig ist der baur Schottel ethica (i669) 450; groszleibige
hechte Oken 6,265. — groszleibigkeit, /.; all ihr
wesen . . war wildförmig anzusehen, massen man sol-
ches auch an ihren groszen lippen, niedrigen nasen . .
und groszleibigkeit abnehmen kunte F. M. Pinto wu7i-
derl. reisen (l67l) 125; wenn eine solche groszleibigkeit
sich durch alle stände verbreitete P. T. Hanson reise
(1813) 189.
GRÖSZLICH, adj. und adv.
A. als adjectivum.
1) mhd. sehr gewöhnlich im sinne von grosz, in der
Verwendung aber wesentlich beschränkter als das grund-
wort; nicht zu belegen in dem hauptgebrauch von grosz,
der anwendung avf ein coneretes ausgedehntes (s. I A 2,
B l) ; wohl aber als mengenbezeichnung (B 2) :
diu menige was grözlich
MiUt. gen. 115,30;
grözlichen hört Konr. v. Würzbürg troj. I94i; groezlich
opher RuD. v. Ems Bari. 289, 6; iceit überwiegend indessen
im sinne des intensiven grosz D: groezlichiu not H. v.
Melk priesterl. 291; groezlichiu meine 863; groezliche
riuwe Heinr. v. Morungen min7ie8.fr. 183, 13; groezlich
wunder Wolfr. v. Eschenbacii Parz. 251, 26; im Nib.
sehr häufig und nur so, s. Bartsch gloss. 129; gelegent-
lich sogar schon in der abgezogensten bedeutung von
grosz F 1 :
diu götinne Venus
ob allen feinen groezlich
KoNE. V. Würzburg troj. 21867;
der name weer mir ze groezlich
(die Stellung als herzog von Kent)
RuD. V. Ems g. Gerh. 6208;
nhd. nur noch in älterer zeit und auch da selten: us
grösslicher merklicher not und armuot quelle von 1529
bei Staub-Tobler 2, 807; darzue soll er in der herr-
schaft gröszlichen puesz sein österr. weisth. 6, 265.
2) erst nJid. in verkleitierndem sinn 'etwas, ziemlich
grosz', aber nur im alem. einigermaszen entwickelt, und
zwar ist hier diese bedeutung {zum, unterschiede von l) an
die suffixform -lecht gebunden; es liegt also eine beson-
dere bildung {mhd. groezeleht) vor, die erst späterhin
mit gröszlich durcheinander geriet: groszlächt grandi-
culus Frisius 609**; maivsculus idi*^; subgrandis tibi^ ;
grossiecht grandelet Widerhold 151*^; wie groszlechtig
quantulus Diefenbach 477'' aus Dasypodius; von einer
schwangeren {vgl. grosz I A 2 b) : sie ist yetzt eben grösse-
lecht Terenz deutsch (1499) 31* (grandicula Andr. 814);
für dieselbe stelle: sy ist da dannen zogen vast grosz-
lächtig Frisius 1067*'; die füss am äffen sind , . wie
grossiechte bände Herold Forer Oesners thierb. l; die
. . meerhund gebären die jungen auf trocknem lande
und besaugen es also bisz sie was groszlecht werden
D. Federmann Niederl. beschr. 25; noch in heutiger ma.
groszlächt, -lächtig im sinne 'ziemlich grosz" Staub-
Tobler 2, 806; Schottel notiert grosz, gröszlich als
beispiel für die verkleinernde kraft des stiffix -lieh haubt-
spr. 245; gröslich, -licht stcbgrandis, gröslich werden
grandescere, der einen gröslichen köpf hat capito und
anderes derart bei Stieler 708; doch scheint das icort
auszerhalb des alem. kaum, gebräuchlich getcesen und
mehr durch lexikalische tradition weitergeschleppt uorden
tu sein; daher noch bei Adelung, Campe.
3) nd. scheint eine an groae I F l g erinnernde bedeu-
tung: 'wenigstens gebraucht man im gemeinen leben das
wort gröszlich, auch tcohl gröszlichkeit von einem, der
sich einen gewissen schein der grösze giebt' Kinderling
reinigk. 56; grötlik vornehmthuend, stolz Woeste 86*;
doch vgl. auch B 3.
B. als adverbium. hauptgebrauch des Wortes, das für
gewisse gebrauchsweisen des adj. grosz, vor allem für die
bedeutung D, das adv. abzugeben hat.
1) wie das adj. erscheint auch das adv. im sinne einer
mengenbezeichnung :
dö teter herlichen
und gab grözlichen (reichlich)
dem alden Straszb. Alex. 7250;
dar zuo der künec den gesten gäbe grcezltchen bot
Nib. 854, 4;
mhd. häufig; vgl.
ich will dir Ionen gröslich
fastnachtsp. 1, 443 K.;
dieselbe quantitative bedeutung noch nhd. in einigen festen
Verbindungen: hat man wol mögen diese gütter gröss-
lich meren Eb. v. GOnzburg l, 176 ndr.; es {unser leid)
wil sich erst gröszlich hauffen buch d. liebe 254«; das
inwendig warnemen gots das nympt . . grosslichen in
ym zu Tauler serm. (1508) 15*'; {Verbrecher flohen zu
Romulus), dardurch nam Rom gröszlich zu Kirchhof
wendunm. 1, 20 lit. ver.; auch sonst wird sie gelegentlich
fühlbar: disze beraitschaft hat gröszlich an ir gehabt
die rain liebhaberin Maria Magdalena Keisersberg
granatapfel (1510) G 4'»; wie wol er etwas gutes hat ge-
tan, so übertrifft doch das übel . . das gut grösslich
und unzalich Stretl. ehr. 69 B.
2) die eigentliche domäne des adv. ist der ausdruck
der intensität {a.o.Al): magnopere Diefenbach 343°;
vehementer 608"; gröszlich: vast, häfftig, fleyssigklich
Maaler 193"; das adv. steht hier in concurrenz mit ad-
verbialem, grosz {s. d. I B 3), das es an häufigkeit über-
trifft; in mhd. zeit allgemein obd., zeigt sich das adv,
im nhd. wesentlich auf alem. boden enticickelt, nord-
deutsch selten; im 17. jh. erlöschend, nur aleman. lang-
lebiger.
a) mit Vorliebe neben verben des affects {vgl. grosz I
Dia): wert ir grösslichen von keyser Carle geliebt
Aymon (1535) g 6*^; sunder oueh die {sc. fröwen) gröszlich
tett vinden und hassen N. v. Wyle translat. 36 lit. ver.;
wirst du dich gröslich getröstet empfinden Butschky
kanzl. 890; darumb sie so gröszlich bekümmert ward
buch d. liebe 3l2<i; als er sich gröszlich forchtH. Gholtz
leb. bild. (i557)e6'*; sunst wirt der herr gar gröslich
über in ertzürnet Keisersberg schiff d. pen. (1512) 103'';
häufigste wendung:
das es mich gröszlich wunder nam
wie er . . Murner d. mühte 51 Albrecht;
die fraw gröslich verwundert das
H. Sach 22, 300 K.-Q. ;
mag man sich über solche erschrekliche Veränderung
. . gröszlich verwundern Rist d. friedewünsch. Teutschl.
151; iceiter in einer reihe mehr oder minder stereotyper
Verbindungen, fast durchweg in parallele zu adjectivi-
schem gebrauch {s. grosz I D i a, b): der herzöge von
Burgunn . . . lopte grosslich den allmechtigen gott
Stretl. ehr. 9 B.; so schon mhd.. Rother 1354; der sy
{Maria) gröszlich eeren welle Zwingli dtsche sehr, l,
95; auch schon mhd., spec. eccl. 93 Kelle; das man ym
{gott) billich dancken sol . . . so vil und so gröszlich,
als oh . . d. ew. iceisheit betbüchl. (1518) 184*'; darum ich
dir auch . . gröszlich zu danken habe Schottel frie-
denssieg 21 ndr., sehr gewöhnliche formel, die ebenfalls
schon mhd. ist: vil groezliche danken Nib. 371, l B.; sy
haben den herrn gröszlich gebeten Keisersberg spinn.
7; dieselbe verbindg. Rother 2874; wir mann in mancher-
ley begire schwerlich sünden, wo ir . . frawen in einer
allein gröszlichen Arigo decam. 105 lit. ver.; wer der ist,
der ainen todslag tut . . oder sunst so gröslicht frevelt
I d. rote buch d. Stadt Ulm 55;
555
GRÖSZLICH, iGRÖSZ(L)ING
2GR0SZLING - GROSZMACHT
556
wann herren grösslich fehlen,
ists dienern zuzuzehlen
LoGAu sinnged. 267 Kt. ver.,
bei Ramler und Lessing ersetzt durch gröblich;
davon is mir gröszlich missegieng
pilgerf. d. träum, möncfis 7015;
von einem weib, der grösslich in der geburt misslungen
Ryff Spiegel . , d. gesundh. 37^;
ich will mich bas umbsehen,
das tftt mir gröslich not
Hätzlerin 81;
ist grösslich von nöten, sonderliche . . achtung zu haben
Ryff confecib. 291'»,
b) darüber hinaus in buntester mannig faltigkeit: ge-
swullen im die hende groslichen Seuse dtsche sehr. 47,
6 B. ; {ein Vorwurf) desz er sich gröszlich verantwort buch
d. liebe 311 ''; will ich ein exempel, gröszlich zu unser
materi dienend, . . . erzehlen Fipchart bienenk. 156*;
der soll wissen, das er gröslich wider unser huld und
gnad gethan hat österr. weisth. 6, 62; behielt den alten
hertzog Ludwigen gefangen, das was gröszlichen wider
die herren von Bairen städtechr. 22, 86; bezeichnend ist,
dasz das adv. vielfach auch auftritt, wo heute die inten-
sivierung durch ein ausdrucksvolleres adv. bezeichnet
icerden müszte 'heftig, kräftig, eifrig, nachdrücklich' u. ä.
(es entspricht dem weiteren geltungsbezirk auch des inten-
siven adj. grosz in älterer spräche, das ständig zu ver-
gleichen ist, «. d. I D 1 b, d):
und begonde grözltchen pflegen
nutzer dinge, die er treib pass. 427, 44 K.;
der {menschen) siht man mangen groezleich vallen Konr.
V. Megenberg buch d. naiur 219, 33; das der ewig gott
den menschen gröslich schlach, der . . . d. ew. toeisheit
betbüchl. 159"; wer aber . . als gröslich und kreftigklich
gebunden . . wäre mit sünder unordentlicher lieb 64'*;
wo obgemelte . . leerer nit so grösslich widerstünden Eb.
V. GÜNZBüRG 2, 4 ndr.; darnach dann sein zwen vorfarn
gröszlich rangen Seb. Franck chron. zeytb. (i53l) 306*;
das reich gröszlich bekriegen städtechr. l, 272: die Si-
cambros . ., die gröszlich belegert waren 3, 269; weil
er sie zu irem abfal gröszlich verursacht hett Seb. !
Franck chron. Qerm. 113''; eigen: alsz es got gröszlichen j
wolt städtechron. 9, 1041, eigentlich 'geflissentlich'; vgl. so '
er {gott) doch eynen kalten drunck wassers . . nit un- j
belont lossen wil, sunder in gröszlich behalten in ewi-
gem leben Keisersberg bilgersch. 31'»; mit Übergang
der bedeutung von 'stark' in 'laut' {vgl. grosz I D l f) :
{die zornige frau) spricht zu der köchin gröszlich : war-
umb hast du die stub also heisz gemacht? trostspiegel
{in irr. schaf o. o. u.j. Schürer) aa 4*; auch compara-
tivisch: wan ein man groszlicher beswaert wurde an
siner housfrowen dan an sinem chinde Fischer schwäb.
3, 858; wie hett gott seyne gute grosslicher mocht er-
tzeygen, denn das er . . . Luther 10, i, l, 68 W.
c) tieben adjectiven nur mhd. häufiger: grcezlich gehaz
Nib. 2143, 4 var. JB.; grcezlichen holt Qudr. 63, 4; grozlich
wunt Heinr. V. Freiberg Trist. 2934; er müz grozlich
abtrunne sin Schwabensp. nach Fischer schwäb. 8, 858;
neben adv.:
der künsc pflac slner geste vil grcezllche wol
Nib. 254, 1 B. ;
das glück wil euch ie gröszlich wol
H. Sachs 16, 111 K.-G.
3) selten: gröszlich vel herlich magniflce Diefenbach
848''; herrlich, prachtlich, gröszlich amplifice Frisius
89''; ample Calepin xi Wn^. 82*;
{ein ritter der) doch nicht gerne abe lät,
ern welle grözlichen leben
und stete in dem vollen sweben
Mar. leg. 95, 17 Pfeiffer.
1GR0SZ(L)ING, m., junger sprosz, junges bäumchen,
besonders von nadelhölzern : es solle kainer an dem
Penzenpichl groszing noch anders holz abschlagen . .
sonder die groszing . . . stehen lassen österr. weisth. i,
146; {gefällte starke bäume) thun . . an den jungen grösz-
ling und aafschöszlingen grossen schaden Hohberq
georg. cur. 2, 569; sie hieben alles standen werk . . wie
alle gröszlinge (junges nadelholz) heraus J. Blau Böh-
merwälder hausind. 1, 864; vgl. Schmeller 1, 1013; auch
grötzling 1018; Unger-Khüll 309*; Lexer kärntn. 125;
Seitenformen zu igresz(l)ing, *. d.
2GRÖSZLING, m., gobio fluviatilis Egger gloss. 801»;
vgl. 3greszling l; bei Schottel auch für cyprinus pho-
xinus: pfel, m., pfui, bammel, bamle . . phoxinus, ovella,
alias dicitur grosling, brechling haubtspr. 1875; weder
grundlen, weder gröszling, weder hechten Abr. a St.
Clara Judas 2 (i699), 374.
GROSZLINIG, adj., junge bildung: neben den kleinen
bewegungen ängstlicher hast die groszlinige ruhige ge-
stalt 0. Ludwig 2, 176; gern auch uneigentlicher: eine
groszlinigere Wirklichkeit 6, 282; so begann er denn die
. . . rhapsodie des Liszt so schwermutsvoll und grosz-
linig R. H. Bartsch bitters. liebesgesch. 314; — grosz-
machen als festes compositum s. grosz I G l. — grosz-
macher, m.: ein meerer, groszmacher, der ein ding
grosz und grempig machet amplificator Frisius 89'';
stille den grausamen afterreder, den anclager und grosz-
macher unszer sunde, den böszen geyst Luther 7, 287
W.; auf anderer linie: massen der krieg ein kleinmacher
der Städte . ., der friede aber . . ein groszmacher dero-
selben von Pindaro genandt wird F. Wunderlich dis-
curs vom ackerbau (1644) t 3*; groszmacher magnifi-
cus, patro7ius Stieler 1193; 'der sich gern grosz macht'
Campe und so, im si7ine 'prahler', noch heute mundart-
lich, Fischer schwäb. 3,858. — groszmacherei, /.,
gloriatio: wann es nur ohne pharisaeische groszmacherei
. . . geschieht E. Francisci letzte rechensch. (l68l) 1166.
GROSZMACHT, /., summum imperium Stieler 1204;
im 17. jh. häufiger; den Römern zu zeigen, dass er gegen
ihrer grossmacht übel gesonnen wäre A. U. v. Braun-
schweig Oct. 3, 49; wann und wie nach es {das land)
zu solcher groszmacht gelanget J. G. Laihitz palmivakl
(1686) 804*;
dasz dein (gottes) ausgereckter arm aller feinde groszmacht
dämpfe
Zinzendorf d. letzten stunden (1723) vorr. b 4* ;
das wort musz später ungebräuchlich geworden sein: die
groszmachtskunst klingt . . . nicht gut, zugeschweigen,
dasz groszmacht noch nicht üblich ist Gottsched
dtsche sprachk. 177; Kern tadelt es als neologismus bei
Schubart zs. f. d. w. ii, 112; bei Adelung fehlt es, bei
Campe wird es als neues wort bezeichnet; trotzdem icird
es sich bei seinem wiederauftreten im späteren 18. jh.
nicht um eine völlige neuschöpfung handeln:
deines geistes stille groszmacht ztigelt
die begier Bürger
)" BoUz;
das gefühl seiner würde und sittlichen groszmacht wird
sich heben eitat bei Campe; ein krieg, der . . uns . .
die groszmacht unserer geistig-sittlichen, unserer idealen
cultur vergessen läszt Riehl dtsche arbeit QZ\ in der con-
creten anwendung auf bestimmte grosze Staaten anschei-
nend erst gegen die mitte des 19. jhs.. u. zicar zunächst von
den groszen mächten innerhalb des Deutschen bundes: die
deutschen groszmächte Varnhagen v. Ense tageb. 3,
434; wohin dieser dualismus zweier groszmächte, dieses
zerren dynastischer sonderinteressen um deutsches land
. . schlieszlich münden muszte Häusser dtsche gesch.
i; 213; von der groszmacht des bundes {Österreich) Heb-
bel I 10, 289; wer will noch ableugnen, dasz Bayern
die einzige wahre groszmacht Deutschlands sei? Holtei
erz, sehr. 88, 34; später von den groszen mächten Euro-
pas, noch später von den weitmächten: bei der neuen
gestaltung der groszmächte selbst Gervinus gesch. d.
id. jhs. 1, 201; die conferenz der groszmächte in London
Laube i, 868 ; {man) hat den papst also sogar als grosz-
macht behandeln wollen Lagarde dtsche sehr. 117; dann
auch: unter ihm wird der Ordensstaat . . eine grosz-
macht Treitschke hist. u. polit. aufs. 2, 29; der eigent-
liche gründer der parthischen groszmacht Mommsen
röm,. gesch. 2, 60; von dieser politischen bedeutung als
ausgangspunkt enttcickelt sich in jüngerer zeit eine freiere
557
GROSZMACHTIG
GROSZMÄCHTIG
558
Verwendung: hatte er früher nicht ungern die unpar-
teiische Zeitung als die dritte deutsche groszmacht
schelten gehört Mosen 7, 179; war die Augsburger All-
gemeine Zeitung die literarisch politische groszmacht in
Deutschland Laube i, H8; indem er auf die erste lite-
rarische groszmacht jener zeit, auf Voltaire . . losgeht
J. Bayer liter. akizzenb. 32; der herr baron wissen doch,
wer die erste groszmacht ist in der weit {nämlich die
frau) W. V. POLENZ Orabenhäger 1, 203. dazti compo-
sita une groszmachtskitzel, ein von Schulze-De-
LiTZSCH 1863 geprägtes, gegen Preuszen gerichtetes schlag-
M;or4 Ladendorf hist. schlagwörterb. i\2; groszmachts-
politik BiSMARCK ged. u. erinn. 2,20 volksausg.; grosz-
machtstellung Bernhardt gesch. d. waldeigentums
3, 36 u. a.
GROSZMÄCHTIG, ein adj. von eigenthümlicher sinnes-
entwicklung, die darauf beruht, dasz zwei aus verschie-
denen wurzeln entspringende bildungen und bedeutungen
in ihm zusammengewachsen sind; groszmächtig ist einer-
seits gesteigertes mächtig {vgl. d. rompos.-typus grosz III l c),
anderseits gesteigertes grosz {vgl. grosz III l f), und ztcar hat
diese bedeutung im ganzen das Übergewicht; ihr aus-
gangspunkt icird eine asyndetisclie zusammenrückung der
beiden adj. sein, die in älterer spräche theilweise synonym
sind {vgl. mächtig 2 — 5) ; die Verbindung beider adj. auch
ohne composition ist im älteren nhd. nicht ungewöhnlich
{vgl. grosz I D 2; Fla).
l) gesteigertes mächtig, potens, als ausgangspunkt der
bedeutung:
a) ist der teufel grosmechtig, so ist er doch nicht
allmechtig Luther 3, 533" {Jena 1588); der groszmächtig
Pfenning Steinhöwel Äsop 849 Österley;
die (christl. gemeinde) doch wird also hart durchecht
von den grosz-mechtig feinden sehr
mit Verfolgung H. Sachs 18, 79 K.-O.;
der du durch deine engelein
als groszmächtige diener dein
regierest Fischer-Tümpel 8, 138;
seit altera in fester anwendung auf gott: der grosz-
mechtig und unsterblich got altd. passionssp. 203 Wacker-
nell; vgl. der groszmächtig arm des richters aller weit
Tobias Hübner beruf (1619) 85; beim groszmächtigen
gott! Schiller 3, 43 G. .• fest auch in der Verbindung:
dem teufel, dem grosmechtigen abgott, zu verdries Lu-
ther 18, S63 W.; der groszmächtig Luciper Ringwald
evang. l 8''; vergleichbar : groszmächtige Fortuna Schot-
TEL. friedenssieg 19 ndr.; ich bin der groszmächtige Mer-
kurius BRÜDER Grimm kinder- u. hausm. 2, 70; auch
erweitert:
ein köng, an landt und leut groszmechtig
H. Sachs 8,465 K.;
gott, der einem iglichen zu helfen grosmächtig ist
Butschky hd. kam. 729; frühzeitig in der weise gefärbt,
dasz neben dem, begriff der macht der von rang u. Stel-
lung sich vorschiebt, so dasz sich die bedeutung der von
grosz I F a — c nähert; daher mit magnas glossiert Die-
fenbach 843'»;
Peter, du solt wissen, dass er (der papst) ist
der aller grossmechtigeste Christ
N. Manuel 88 Bächiold;
auch die groszmechtigen und weisen ... in iren alten
tagen gedienet haben Albr. v. Eyb sp. d. sittin R5'';
groszmächtige . . gönner und freund Fischart geschicht-
klitt. 3 ndr. ; wie solches nicht allein der groszmächtige
Gregorio Leti in seinem Coglione . . dargethan Chr.
Warnecke poet. vers. 419; ich will mit diesem groSz-
mächtigen Pescara nichts zu schaffen haben C. F.
Meyer vers. des Pescara 37; auf dieser linie entivickelt
sich die bedeutung magnificus gemma gemm. p 1*, die
auch neben unpersönlichem regens erscheint: da du . .
von dem groszmechtigen brieve sagest, damit dich der
bapst begäbet habe {de illo magnifico Adriani pontifids
brevi) Hütten 3, 188 B.; ähnlichen klanges, nicht rein
quantitativ, wohl auch in fällen toie: so hat er nicht
allain zu Mayland sunder auch in andern stetten grosz-
mechtige scheinperliche gepew aufgerichtet G. Alt buch
d. cron. (l49S) 248''; {sie hatten den tempel) mit vil gold,
Silber und . . . gestein vast groszmächtig gezieret H.
Gholtz leb. bild. (1557) e 4''.
b) mit begreiflicher Vorliebe von fürsten, zunächst in
der eigentlichen bedeutung 'sehr mächtig': groszmächtig,
gwaltig, mächtig: der vil herrschaften oder land und
leut under im hat, imperiosus Maaler 193"; der gros-
mechtig Türck, ob er wol mechtig ist und viel insel
und lands . . möcht erobern Seb. Franck chron. und
beschr. der Turckey C l*»; vgl. noch spät: von welcher
Wichtigkeit dieser groszmächtigste aller herrscher im
animalischen reiche ist {sc. der magen) Hufeland ma-
krob. 1,209; aber frühzeitig zur formel erstarrend, wo
denn die bedeutung potens mehr oder minder mit der
von magnus versetzt loird: den groszmächtigen fursten
und hern, mein gnedigisten hern, konig Wladislawn
privatbr. d. ma. 1, 223 Steinhausen {quelle von 1480) ;
ihr beide führt
unserer Stadt groszmächtigen könig
GÖTHE 41, 2, 45 W.s
die weiland durchlauchtigste, groszmächtige frau, Luise
. . königin von Preuszen Schleiermacher II 4, 26; zu-
mal auch in der anrede: irluchter furste und grosmech-
tiger, besunder lieber herre privatbr. d. ma. l, 41 Stein-
hausen {quelle von 1439); grosmächtiger her mein sagt
der kanzler zu Pilatus, passionssp. aus Tirol 399 Wacker-
nell; groszmächtiger monarchl Zinzendorf teutscheged,
276; groszmächtiger czar Hebbel w. 6, 124; als cogno-
men: Karolus der fünft, genant der groszmechtig Kne-
bel chron. v. Kaisheim 899 lit. ver.; Sulejman der gross-
mächtige J. V. Müller 3, 68; gern auch im Superlativ:
wider obgenanten groszmächtigesten kaiser Antiochum
Aventin 4, 463; zumal in anreden, anschriften, tcid-
mungen; stereotyp im titel des deutschen kaisers: aller-
durchleuchtigister, groszmechtigister kunig urk. z. gesch.
Maximilians 19 lit. ver.: unüberwintlichster, durchleuch-
tigster, groszmechtigster und cristenlicher keyser H. v.
Cron BERG i ndr.; doch je später, je weniger auf ihn be-
schränkt: dem durchleuchtigsten und groszmächtigsten
landfürsten Seb. Münster cosmogr., vorr. i; groszmäch-
tigster, allergnädigster könig und herr {an Friedrich Wil-
helm III.) H. V. Kleist 5, 42i E. Schm.; auch: an den
groszmechtigsten und durchlüchtigsten adel tütscher
nation Murner an d. adel i ndr.
2) gesteigertes grosz : ingens sehr groszmächtig Dentz-
ler 1, 358»; grandissimo, di prodigiosa grandezza Jagb-
mann 546.
a) bezeichnend ist, dasz groszmächtig das adj. grosz
im ganzen nur da steigernd vertreten kann, wo es quan-
titätsbegriff bleibt; so in allen gebrauchsweisen, die grosz
als tnasz von concretem aufweist: groszmechtig corpu-
lenius Diefenbach 152"=; {die Teutschen) groszmächtig
leut an leib, wer und harnasch Aventin 4, 318; eine
groszmächtige breite Schottländerin Brentano 6, 239
die aussgewachsenen grossmächtigen elephanten Gua-
RINONIUS greuel d. verw. 595;
got geb dir glück groszmechtig knitkörb voll I
Jastnachtgp. 2, 884 K. ;
Goliath . . hat einen groszmächtigen kürisz Herberqer
Sirach 720»; groszmächtige eichen Fouque altsächs. bil-
ders. 1, 141; adver Lial: einen groszmächtig weiten ofen
E. Francisci wol d. ewigk. (1717) 336; von fiächenhafter
ausdehnung: groszmechtige wüstin Seb. Münster cos-
mogr. 1485; bis wir an dem groszmächtigen meer halt
gemacht haben Auerbach lO, 229; also das es {das
Mittelmeer) auf beyden seyten grossmechtige land und
reych ruret Luther lo, i, i, 545; {ist) das gantze grosz-
mächtige fürstenthumb dem reich heimgefallen Kirch-
hof wendunm. 2, 272 lit. ver.; in solchen Verbindungen
mit 1 a verrinnend; sehr gangbar in fällen wie: zu solch
grosmechtigen reichtümen H. Sachs sämtl. fab. 2, 126
neudr.; ein wunder groszmächtig und unsäglich guet
Wilw. v. Schaumbnrg 32 lit. ver.; auch mit inconcretem
subjectsbegriff: grossmächtig aufruer Aventin 4, 565;
diser grossmachtig krieg {mit) den Venedigern G. Kirch-
559
GROSZMACHTIG
GROSZMÄCHTIGE — GROSZMÄCHTIGKEIT 560
MAIR denkw. 4S9 Karaj.; zumal im spinne des intetiaiveii
grosz: die grossmechtig hitz Paracelsus op. (1616) 2,
118 A; ist ein groszmächtiges weiter gekommen Auer-
bach 1, 203; darumb sol die oberkait groszmächtigen
fleisz ankören, dasz . . Keisersberg pred. (i508) 64'';
sogar :
sein groszmächtiges hertz ihm doch noch nicht entfält
D. V. D. Werder ras. Roland 2i.ges. 63. str.;
ich sage euch groszmächtigen dank Duez le vray gui-
don 197; weszwegen . . ich mich . . . groszmechtig be-
danke arch. f. kulturgesch. 7, 190; grossmechtige arcana
Paracelsus op. (leie) 2, 484; wenn ich so weiter denke
. . , kommt mir als groszmächtig geheimnis vor , wie
alles . . so sein mag (in der natur) Fr. Th. Vischer
auch einer ^l, 146; in ihrem tone spricht sich . . alles
aus: Überraschung, bestürzung und ein groszmächtiger
. . Unglaube Ebner-Eschenbach 4, 176; der eigentliche
heimatboden dieser bedeutung ist das obd. ; hierher weisen
alle jüngeren belege aus mundartlicher oder mundartlich
gefärbter spräche: nach zehn jähren is der knab a
groszmächtiger lackel Nestroy 2, 104; a groszmächtiga
see Stelzhamer l, 64; es ist noch eine groszmächtige
frage, ob der alte Odoardo sie ihnen gibt Hafner
ges. sehr. 2,6; ein groszmächtiger unterschied quelle v.
1800 bei Staub-Tobler 4, 68; ä grausam elend oder ä
grauszmächtige freud Anzengruber 5, 90; sie sahen
mich, dann einander groszmächtig an {durchaus im
sinne von grosz [d. h. erstaunt] ansehen) Castelli mewi.
1, 180: vgl. Schmeller i, 1013; Hügel I7i; e grosz-
mächtigi statt ebenso wie e mächtig- groszi statt Seiler
Basler ma. 148; Schweiz, auch hochschwanger, also mit
der specifischen bedeutung von grosz I A 2 b, Staub-Tob-
ler*, 68; vgl. iceiter Martin-Lienhart 1,649''; Fischer
Schwab. 3, 858; e gruszmächtger häufen gäld u. a. Mül-
ler-Fraureuth 1, 445'; auch im schlesischen ganz ge-
läufig.
b) in anderen, abgezogeneren Verwendungen von grosz
tritt groszmächtig nur sehr selten auf: dasz sie grosz-
mächtige, starke sauffer seyen Äg. Albertinus Lud-
fers königr. (1617) 229; zu grosz I F 1 d: eine zeit . .,
wo man sich diesen groszmächiigen menschen {des
heldenzeitalters) so ungleich fühlt Wieland 14 (1796), 858
Göschen; vgl.
und froh dürft' ich ins edle antlitz schaun
den herrn aus der groszmächtgen heldenzeit
FouQUK held d. nordens 1, A3*;
zu grosz I F 1 d /9 ; herr v. G. war . . ein groszmäch-
tiger wirth {hervorragender landwirth) Hippel lebens-
läufe 2, 80.
3) erst im 19. jh. entfaltet sich breiter eine bedeutung,
die sich zunächst auf der linie 1 entwickelt hat; der bei-
sinn des hochtrabenden, anspruchsvollen, prunkenden gibt
dem wort die besondere färbung: im jähre 1814 . . war
ich . . so glücklich, unter der pädagogischen leitung
eines groszmächtigen polizeidirectors und zensors zu
stehen Börne 3, l; der meister Dietrich Häuszier . .
als groszer, groszmächtiger herr! W. Raabe schüdde-
rump 2, 153; der wald . . gehörte dem groszmächtigen
Eichhofbauer Auerbach 18, ll; das kündigt sich früh
an: mit disen . . spottworten verachten sye mich, dise
grossmächtige meister, uffgeblosen und sicher durch
keiserlichen gewalt Eb. v. Günzburg 2, 102 ndr.; vgl.
gedacht (er) nit anders bei sich . ., dann das er sein
groszmechtig wort {vorher: hoffertiglich wort) mit . . .
der that möcht vernichten Carbach Livius 335"'; die-
selbe Sinnesfärbung aber auch, wo von der bedeutung 2
auszugehen ist: an der ecke des windschiefen marktes
. . steht mit groszmächtigen, gigantischen buchstaben:
piazza di San Marco Heine 3, 254 E.; gott wollte, dasz
ein solcher papst nur durch sich sei was er ist, und
nicht durch ein groszmächtiges bauwerk erst . . etwas
zu werden scheine H. Grimm Michelangelo 2, 303; trotz
ihrer dicken goldenen erbskette und der groszmächtigen
brillantuhr Gutzkow ritter v. geiste 1,814; adverbial:
man sieht keine kunstsonne groszmächtig strahlen und
alles überstrahlen Costenoble tageb. 2, 11. — grosz-
mächtige, /., riesengrösze : die Germanier nachschla-
hend . . den Galliern mit überflüssiger dapferkeit und
groszmechtige des leibs Seb. Franck teutscher nation
chronic {Frankf. 1539) 372 "•. — groszmächtigen, vb.,
groszmachen, verherrlichen, erhöhen: so Cristus wirt
groszmechtiget in meim leibe erste dtsche bibel 2, 175, 17 ;
vgl. 5, 16, 19; 5, 117, 85; stets als Variante zu michelichen
und Übersetzung von magnificare; vgl. Fischer schwäb.
3, 858; auch im 16. jh. nicht selten: lasz uns groszmech-
tigen nicht unsern . ., sonder deinen heiligen namen
Bynwalth Vaterunser 13 Freytag; ire sele erschalte
und groszmechtigete di gebenedeiunge und das lob gottes
Hedwigleg. (1504) E3''; dise worte wurden ins Ordens
teile gegroszmechtiget wie gottes wort Grünau preusz.
chron. 2, 170; anders: darumb seind sie groszmechtigt
und gereicht H. Sachs 22, 58 K.-Q. {inerassati sunt et
impinguati Jer. 5, 28); dazu groszmächtigung: hat
Rebecca . . von wegen der groszmechtigunge die f eichen
der czigklein den henden ires . . . sons umb wunden
deutsch marial (1516) M 4».
GROSZMÄCHTIGKEIT, /., ein im älteren nhd. sehr
ausgebreitetes wort, das schon im 17. jh. zurückgeht, um
im 18. nur noch selten aufzutreten ; zunächst, entsprechend
groszmächtig 1 a, magna potentia Wiederhold 152»;
also wirdt dem fürsten zugelegt grossmächtikeit , um
das er uss sinem gewalt und macht bossheit . . straffen
. . sol Biederer sp. d. wahr. rhet. n 3''; darumb ist
er . . , mit seiner eigen stärcke und groszmächtigkeit
hintertrieben Xylander P^m^. 306''; aber frühzeitig auch:
amplitudo grosse, herrligkeit, groszmechtigkeit Calepin
XI ling. B2^; magnificentia, altitudo Stieler 1206; daz
der rychist künig Salomon ab diser frowen groszmäch-
tikait verwondern neme Steinhöwel de dar. mul. 155
lit. ver.; hab ich mir in diesem . . buch fürgenommen
zu schreiben von groszmächtigkeit und pracht, gewalt,
reichthumb und landes regierung H. Megiser chorogr.
Tart. (1611) 133; das aber der schätz . . . würd behüt,
ist gemacht . . ein haus in groszmechtigkeit und glori
Birgitte (i502) 4, cap. 58 {in magnificentia et gloria); auch
für magnitudo schlechthin: dise rede ist darfür gehalten
worden, als wer sie der römischen groszmächtigkeit
nicht unbequem Rihel Liv. 591; weil er {der junge
Alexander) besorgte, es würde nichts . . für seine grosz-
mächtigkeit übrig bleiben Hippel kreuz- u. querz. l, 292;
beide bedeutungen kreuzen sich mehr oder weniger in der
sehr häufigen aniuendung auf gott: gott . . hat uns ge-
zaigt sein maiestat und groszmächtigkeit erste dtsche
bib. 4, 154 var.; gottes glory und groszmechtigkait K^i-
SV.KSBKKG schiff d. pen. VI ; dann durch deine creaturen
deiner groszmächtigkeit sehe ich deine gewalt Para-
celsus chir. (I6I8) 782 B; desgleichen in der titelhaften
anwendung auf fürsten, wo das wort das jüngere m&je-
stät vertritt; mit maiestas schon bei Frisius 795 ^^ glos-
siert; im 15. und 16. jh. ungemein häufig, namentlich in
der anrede: zu sunderlicher . . . erbietung senden wir
euwir grosmeehtigkeit fünf falken privatbr. d. ma. l, 41
Steinh.; ewer kaiserlich groszmechtigkait Zukunft städte-
chron. 11, 483;
(ein Christ) den wir deinr grossmechtigkeit schencken
{vom Sultan) H. Sachs 12, 472 K. ;
0 nein, "doctor, es möchte einer ewer groszmechtigkeit
noch für einen hüben ansehen Hertzog schiltw. k 7*;
was steht zu befehl, euer groszmächtigkeit? Raimund
1, 110; gelegentlich auch für magnitudo animi: dasz die
groszmechtigkeit seines gemüts die grosse seines leibs
übertroffen Falckner franz. chron. (1572) 1, 116; die
aller tapfersten und redlichsten beiden, von besonderem
raht und groszmächtigkeit ires gemüths Pistander
schwärm (1592) D l''. — groszmächtiglich, adv.,
ample Frisius 88*'; = festiglich Serranus synon. s. v.;
nicht häufig: das und anders durch ine groszmechtig-
clich geübet {von kriegsthaten ist die rede) von den
poeten . . in schritten gebracht . . ist G. Alt buch d.
cron. (1493) 248''; ich lobe dich (^ott) groszmechtigklich
hertzmaner 16»;
561 GROSZMÄCHTLICH - GROSZMANNSSUCHT
GROSZMAUL - GROSZMEISTER 562
auch wiszt ihr wohl vom potentaten,
wie der groszmächtiglich regiert
M. Claudius ylsmws 6, 119.
— groszmächtlich, adj. zu groszniacht: die frei-
heitskriege gaben Preuszen gewissermaszen die grosz-
mächtliche bluttaufe F. Wehl zeit u. menschen l, 35;
die freundsehaft eines groszmächtlichen cabinets Bis-
MARCK ged. u. erinn. 2, 246 volksausg. u. ö.
GROSZMACHÜNG, /., verhalsubst. zu grosz machen
(*. grosz I G l) : preconium brisung, lobung, groszmachung,
lob vocab. pred. (i486) u ö*"; ist in mir nichts anders dan
groszmachung, heyligung, lob . . gotliches namens Lu-
ther 9, 138 W.; zu groszmachung seines heil, namens
Fischart bienenk. 2ö8^; aber auch weniger speciell: am-
plißcatio ein meerung, groszmachung, erweyterung Fri-
sius 89*'; groszmachung magnificentia, ampliatio, am-
plificatio, laxatio, dicitur etiam weitmachung Stieler
1195; das du mit zierung und groszmachung des hausz
nicht über das vermügen deines güts . . bawest J. v.
ScHWARZENBERG ofßciu (i535) SS*»; {dusz der könig von
Ninive menschen und vieh fasten läszt) ist gleich als
ein grossmachung . . . warer busse Nigrinus von Zau-
berern 114; dasz der neue regent mehr auf seine grosz-
machung und absolute herrschafft . . als auf die ge-
meine landesersprieszlichkeit bedacht war E. G. Hap-
PEL hist. mod. Europae (1692) 11*; solches wird uns be-
wegen, alle menschliche grandez und groszmachung . .
in äusserste Verachtung zu setzen E. Frangisci ueh d.
etoigk. (1686) 832, in solchen fällen des verbalen Charak-
ters entkleidet, ganz im, sinne 'grösze'; noch deutlicher:
die groszmachung, grösze des gemüths . . läszt sich . .
spüren in Verachtung des schmertzens Aler 1, 986";
anders tcieder: dasz auch der himmel sich mit grosz-
machung des Johannis schon . . beschäfftiget, ehe er
noch empfangen Gottsched d. n. a. d. anm. gelehrs.
2, 843. — groszmagd,/., tvas grösze magd, s. grosz
I B 1 f schlusz: der grösze -magd seinen serviteur . . .
vorzutragen Gottsched Vernunft, tadl., anh. 21; auch
schles. mit gelängtem, ersten bestandtheil : irscht kimmt
de gruszemagd G. Hauptmann Böse Bernd (i904) 68
u. ö., aber durchaus als compos. behandelt; die grosz-
magd des Furchenbauern Auerbach 15, 188; durfte zur
grosz- und kleinmagd schleichen Gaudy 4, 112; entspre-
chend: Wieten Penn, das groszmädchen auf der ühl
Frenssen Jörn Uhl (1902) 2. — groszmama, /.; bey
der groszmama Weichmann poesie der Nieders. 2, 142;
damit sie noch das vergnügen haben möchte, grosz-
mama genennet zu werden Leipz. avanturieur l, 281;
mit scherzendem klang:
es will doch groszmama natur
manchmal einen närrischen einfall haben
GöTHE 2, 234 W.;
denn ich trotze dem teufe!
und seiner frau groszmama
Shakespeare 2, 286;
im Westen auch mundartlich, lux. ma. 156 '*.
GROSZMANN, m., für die ältere spräche nur im, alem.
nachzuweisen: manchem, der bei wärendem frideri gross-
mann syn und nicht den nammen haben wollen, dass
er ihm förchte quelle v. 1642 bei Staub-Tobler i, 258;
auch bei Stumpf Schwytzerchr. 54* schon notiert als bei-
spiel für compositionen mit mann; im sinne socialer
Überlegenheit: wenn es {das mädchen) einmal partu einen
groszmann will Auerbach lO, 15; der geizhals soll nicht
die freude haben, den groszmann des berges . . . um
ein paar dutzend gülden ärmer werden zu sehen Ros-
egger I 12, 154; grattman vornehmer, herr, edelmann
Schmidt-Petersen 53^; im sinne grosz I F l d anscÄez-
nend mehr gelegenheitsbildung : alles . . . mit gemein-
plätzen und citaten aus grosz- und kleinmännern . . .
durchwirkt allg. dtsche bibl. 97, 342. — groszmän-
n i s c h , adj. : der fürst (Metternich), in groszmännischer
heuchelei, erklärte, dasz dieses gesuch seine besten ab-
siebten durchkreuze Grillparzer 20, 193; wie es (das
Wohlgefallen gottes) zu den gespreizten groszmännischen
Verrenkungen der welthistorischen kothurntragödie lachte
GuTZKOvi^ 12, 147. — groszmannssucht, /. .- laszt ihn
IV. 1. 6.
hinfahren! es ist grosz-mann-sucht. er will sein leben
an eitle bewunderung setzen Schiller 2, 203 G. (räuber
V 2), eine deutliche neubildung; erst gegen die mitte des
IS.jhs. häufiger, offenbar als entlehnung aus jener räuber-
stelle: er krankt . . an der traurigen groszmannssueht,
welche die hauptrolle in unsern politischen kämpfen
spielt Gutzkow ritter v. geist i, 217; die ruhmlüsterne
groszmannssucht der kleinen geister K. Rosenkranz
a. m. tagebuch (i854) 263; die kleingeisterei . . ist ebenso
krankheit, wie . . die starkgeisterei und groszmannsucht
Gervinus gesch. d. dtsch. dicht. 5, 150; die groszmanns-
sucht Hannovers H. Prutz preusz. gesch. 4, 74; dazu:
ein hetzen und peitschen der mähre, die den grosz-
mannsüchtigen zum gipfel hinantragen soll gespräche
m. e. grobian (I866) 31.
GROSZMAUL, n., selten im, eigentlichen sinne: laffe
. . alias ein hangmaul, groszmaul Stieler 106O; häu-
figer von dem besitzer eines solchen maules: bucculentus,
labeo Maaler 193"; chilo Stieler 1255; gewöhnlich in
scheltendem sinne, mit verschiedener färbung, 'ein vor-
lauter, anmaszender, rechthaberischer mensch, pr ahler,
Schreier': von groszmäulern mannigfalt Eyering pro-
verb. 2, 562;
das dich den alles unglück schendt,
du groszmaul und unnützes thier
G. Seidel Tychermaea (IGIB) 8 2";
um das groszmaul, den theologischen Goliath, zu gottes
erdboden zu bringen Hippel lebensl. 4, I6I ; erklärte ihn
für einen anmaszenden prahler, ein eitles groszmaul
HoLTEl erz. sehr. 36, 116; auch mundartlich tceit ver-
breitet, z. b. Fischer schu-äb. 3, 859; Hünig 69''; Frisch-
bier 1, 256*; verschiedentlich appellativ: zu den ächten
schlangen gehören eigentlich nur die sogenannten grosz-
mäuler Oken 6, 514; für eine art seemuschel Chom^ls
öc. lex. 4, 1367, buccinum persicum Nemnich 211; vgl.
Campe; für die nachtschwalbe, caprimulgus europaeus
Frischbier 1, 256*.
GROSZMÄULIG, adj., bucco, labrosus Stieler 1866;
weyl er ist auch so ungeschaffen,
grossmäulet, bucklet, darzu hincket
H. Sachs 17, 43 K.-O. ;
da war sie scheel, groszmäulig und platschnasig gewor-
den Grimm dtsche sagen 2, 102; diese breiten, groszmäu-
ligen lippen Grabbe l, ZS^Bl.; der groszmäulichte hecht
CoLER hausbuch; solche groszmäulichte, langzerrichte
. . bestien wollen was zu fressen . . haben A. Menge-
ring quartiermeister (l639) 45; auch appellativ: grosz-
mäulige (seiden)vrÜTm.eT, die schon abgehäutet haben 3a-
COBSSON techn. wb. 2, 157^ ; dreierlei arten groszmäuliger
schlinger boa constrictor Ritter erdk. 4, lllO; häufiger
in übertragenem sinne von einem, der das maul weit auf-
reiszt, mit den Sinnesschwankungen des subst.: erhöhen
sie den ertzketzer Luther, wie der . . grossmäulet Ma-
thesius gethon Nas antipap. eins u. hund. 5, 240*; der
groszmäulichen frau Fama Gryphius lustsp. 11 lit.ver.,-
ich will den groszmäuligen Berlinern . . nichts schenken
HoLTEi erz. sehr. 22,219; einen kühnen anfang zum grosz-
mauligten prahler machen Hebbel w. l, 63; was Prutz u. a.
so groszmäulig versprachen, ohne es erreichen zu können
Auerbach ausgew. br. (1912) 119; nicht nur von personen:
schlägt meine groszmäulige stubenuhr zwölfmal Zelter
an Göthe, briefw. 2, 105; in der Post, dem . . groszmäu-
ligsten dieser blätter Fontane familienbr. 2, I9l; eine
groszmäulige ideenassociation Tieck sehr. 17, 211. —
groszmaulerei, /.; dasz auch nicht ein . . wort von
aller . . groszmaulerei wahr ist beitr. zu Bahrdts lebens-
beschr. (1791) 222. — groszmäuligkeit, /.; eine per-
son . . , deren groszmäuligkeit und anmaszliches vor-
drängen auszer zweifei ist Chrysander Händel 2, 168;
bisweilen wandelt ihn die vulgäre groszmäuligkeit an
Rosegger n 11, 148. — groszmeier, m., major domus:
Pipinus der groszmeyer Stumpf Schwytzerchr. 315''; grosz-
knecht: gleichwie in unsern ländern die groszmaier ihre
sensen wetzen F. v.Troilo oriental. reisebeschr. (1646) 146.
GROSZMEISTER, m. 1) am gewöhnlichsten als titel
des Oberhauptes geistlicher ritterorden {vgl. meister 10 b);
36
563
GROSZMEISTER
GROSZMEISTER — GROSZMUTH
564
in den frühesten nachweisen vom Johanniterorden: ier (der
Johanniter) oeverster heischt der groiszmeister Harff
pilgerf. 70; dem groszmeister ritterliches Johanniterordens
zu Rhodis Kirchhof wendunm. 3, 460 lit. ver.; der titel
lautete vordem: grosser maister st. Johans ordens Righen-
TAL Const. conc. 42 ; es ist etwan den Teutschen ordens-
herrn . . zustendig gewesen, die dann einen sonderbaren
groszmeister darinnen gehabt J. Boterus allg. tveltbeschr.
(1596) 1, 142; der groszmaister desz ordens s. Georgii in
Schwaben Frz. A. v. Brandis d. tirol. adlers ehrenkr. 162;
{d. zehnte) welcher dem könige als groszmeister des Christ-
ordens gehört G. Forster i, 39; vgl. Jesus hat auch
einen creutzorden gestifftet, in welchem er selbst das
haupt und groszmeister ist Sperling Nicodemus (1718)
1, 1123; dann auch bei anderen ordenartigen gesellschaften,
zumal den freimaurern (wo aber eine andere bedeutung
von meister mit anklingt, s. d. 7): der groszmeister der
gesellschaft der eingeweihten Jung-Stilling 4, 392; das
constitutionsbuch (der freimaurer), das . . die geschichte
. . des ordens . . bis zum groszmeister Nimrod . . hinauf-
führt Herder 24, 128 S.; diese illuminirten Pariser logen
(deren groszmeister der herzog von Orleans war) K. L.
V. Haller restaur. d. staatswiss. l, I6l; in neuerer zeit
auch freier: groszmeister Kuan (vom überhaupt der tibe-
tanischen geistlichkeif) Ritter erdk. 4, 287; zwölf grosz-
. meister stehen an der spitze der zwölf rangklassen der
Erih (auf den Qesellschaftsinseln) Ratzel Völkerkunde
2, 196.
2) seltener sind einige ähnliche anwendungen, die eben-
falls auf meister 10 beruhen und den obersten leiter oder
auf scher eines kreises oder geschäftes bezeichnen ; im älteren
nhd. für das lat. maiordomus : Pippino, dem groszmei-
ster oder maiordom in Austrasien J. Schenck schone cro-
nica (1522) 110; sein groszmeister oder pfaltzgraf Pipinus
See. Franck Germ, chron. (1539) 835"; Carolus Martellus
. . damals ein groszmeister oder pfaltzvogt des königs
■von Franckreich Stumpf Schwytzerchr.ißh^; von neuerer
(jeschichtschreibung aufgenommen: (dasz die auflösung des
fränkischen Staates) durch die tüchtigkeit der groszmeister
des palastes verhindert wurde Raumer gesch. d. Hohenst.
1, 11; ähnlich: den wein reicht man dem könige in ver-
siegelten flaschen, welche der groszmeister vor ihm öffnet
Olearius königr. Persien 11; fester titel des befehlshabers
der artillerie: das erste amt unter den geschützbedienten
ist des groszmeisters Zesen kriegsarb. 3, 93; wenn der
groszmeister der artillerie in eine festung kommt Fle-
ming d. vollk. teutsche soldat 426; supremus rei vestiariae
pr'aefectus der groszmeister der garderobe Apinus gloss.
nov. 240; ähnlich gelegentlich in jüngerer spräche: abends
hast du die äffen, ich habe schon lang aufgehört, ihr
groszmeister zu seyn Göthe IV 6, 120 IT.; zu solcher
lüge musz der groszmeister der Neuen Preuszischen Zei-
tung sich bequemen Varnhagen v. Ense tageb. 6, 35.
3) erst in neuerer zeit entfaltet sich eine anivendung
im sinne von meister 6: jemand der es in irgend einer
kunst oder einem fache zur höchsten meisterschaft gebracht
hat: den vom ganzen alterthum als groszmeister der maier
angesehenen Apelles H.Meyer gesch. d. bild. künste 1, 178;
dem groszmeister der deutschen literatur (Göthe) Hebbel
I 11, 377; auch titelhaft vor eigennamen: dem groszmeister
Cherubini gewidmet R. Schumann 3, 158; der groszmeister
Klopstock Wein HOLD Boie 246; gern icird das fach im
gen. oder mit präpos. beigefügt, zumal bei freierem ge-
brauch: er gönnet euch, ihr grosz- und kleinmeister der
Schreibart, die ehre Herder l, 403 S.; von Kuh sah ich
noch keine zeile; er ist der groszmeister des worthaltens
Hebbel br. 4, 373; als Batus und Tirsis, groszmeister in
der liebe, ihr zuhöreten M. Schneider Amintas (1632) 19;
des hierofanten Stark, des weltkündigen groszmeisters
für papistischer mysterien fortpflanzung Voss antisymb.
1, 344.
4) selten sind anwendungen, die an den handwerklichen
meister (s. d. 6) anknüpfen: auf befehl des groszmeisters
in der groszen weit- und schÖpfungsschmiede Fr. M.
Klinger w. 12, 30; anders, im sinne des compos. typus
grosz HI 4 e; ohne zweifei werden . . die Schneider den
gewinn des groszmeisters oder des kleiderhändlers . . in
die eigene kasse leiten können V. A. Huber Concordia 59.
5) nur älternhd. gelegentlich als gesteigertes meister 8,
groszer gelehrter: bi des ziten lebete der grosmeister
meister Albreht städtechron. 8, 149; herr Niclaus der gross-
maister und ertzbischoff zu Mailand Richental Const.
conc. 80; darumb haben unsere catholische groszmeister
in der schrifft recht Fischart bienenk. 166''; vgl. grosz-
meister magus Diefenbach 3^^3<'. — groszmeisterin,
/.; die itzige römische kayserin ist groszmeisterin dieses
ordens Sperling Nicodemus (l'iis) l, 1123; stifterin und
groszmeisterin der herrlichen frauenzimmerrepublik Wie-
land (1853^.) 34, 29. — groszmeisterschaft, /., des
Deutschen ordens J. Boterus allg. weltbeschr. (1596) 2, 17 ** ;
allg. dtsche bibl. 87,513. — groszmeistertum, n., des
kreuzträgerordens allg. dtsche bibl. 83, 175; die kröne (Spa-
niens), mit der die groszmeisterthümer der geistlichen
Orden verbunden waren Ranke 87,27. — groszmensch,
TO.; den schleich- grosso -handel der zeitungs- und ge-
schichtsschreiber mit groszmenschen Jean Paul 36, 26;
vgl. 55/58, 224 m. ö. — groszmenschlich, adj., kosmo-
politisch: welcher später . . . den Verfechter der soge-
nannten groszmenschlichen und freisinnigen ideen des
Jahrhunderts gespielt hat E.M.Arndt w. l, 102; vgl. sehr,
für u. an s. l. Deutschen 3, 328. — groszmögend, part.
adj., viel vermögend: dasz auch die groszmögende Rö-
mer dahin zu appelliren . . keine schew getragen Dann-
hauer catech. milch 5, 1342; gern im hinblick auf den
besitz, wie vermögend:
viel groszmögende städt
auf ungewisse wett
setzen das ihre hin
Opel-Gohn dreiszigj. krieg 399;
die grossmögende kaufleute und arme fischer Mosche-
ROSCH ges. l, 93 ; wir dürfen alle froh sein, wenn unser
gotteshaus einen groszmögenden gönner gefunden hat
Rosegger HI 1,225; als titel: durchlauchte, hochgeborne,
groszmögende, gestrenge, namhafte herren acta publ.
2, 310 Palm; edle groszmögende herren in den Nieder-
landen titel der Staaten der provinz Holland Krünitz
20, 141; vgl. schon Apinus gloss. nov. 170; s. auch hoch-
mögend, iÄ. 4, 2, 1626. — groszmögenheit,/., als titel:
(personen werden bestraft), weil sie zu Amsterdam wider
ihre groszmögenheit placata einige dinge drucken lassen
Prätorius Zodiakus merk. (1667) 90. — groszmogul,
m,., Übersetzung von frz. grand-mogol, bezeichnung des
fürsten aus dem mongolischen eroberervolk der Mughal,
die im 16. jh. in Indien ein groszes reich gründeten; vgl.
E. Littmann morgenländ. Wörter im Deutschen ^lOi f. ; seit
dem 18. jh. nicht selten anzutreffen, besonders als Sinn-
bild fabelhafter fürsienmacht und -pracht: er (Louis Phi-
lipp), vor dessen augenzwinkern alle Trajane, Titusse
. . dieser erde, den groszmogul mit eingerechnet, zittern
müszten Heine 6, 141 E.; blumen, wie sie wohl sonst nur
noch in den gärten des groszmogols . . wachsen mochten
Gaudy 13,28; uneigentlich: (die hohen beamten sind) des
allergnädigsten groszmogols allergnädigste groszmogolen
Lindenborn Diogenes i, 490; gaunerkönigl groszmogol
aller schelmen unter der sonne I Schiller 2, lOl G.;
sein (Murats) groszmogul von schwager in Paris (Na-
poleon) M. Krummacher unser groszvater 112; (ein irrer)
hält sich für den groszmogul im reiche des geistes Herb.
Eulenberg dogenglück (1899) 133; auch in die maa. ge-
drungen: groszmogel anspruchsvoller mensch Alb recht
ieipz. 126*;groassmouk'l einer der recht dick thutRucKERT
65; dazu groszmoglig adj. Albrecht a. a. o. — grosz-
m u h m e , /. ; die grosmuhm matertera magna, aviae soror
Schottel haubtspr. 259; so viel als der grosze-mutter
Schwester AMARANTHEs/rawen^. lex. 694; eine alte grosz-
muhme Heine 7, 467 E.; früher uncomponiert: und ist
Elisabeth ihre mume und des herrn grosse mume Lu-
ther nach DiETZ 2, 173*'; nd. grootmöm groszmutter
Schütze holst. 2, 75.
GROSZMUTH, gewöhnlich f., nur in älterer spräche,
bis zur mitte des 18. jhs., etwas öfter als m.: mehrfach
bei Frz. A. v. Brandis (s. u. i), auch bei Logau (s. u. i);
565
GROSZMUTH
GROSZMUTH
566
{Judith war) von sonderbahren grosz- und heldenmuth
Amaranthes frauenz. lex. 948; gegen den weiblichen
grosz- und edelmuth Lindenborn Diogenes l, 667; später
ganz vereinzelt: unsern groszmuth zu halbieren Holtei
vierzig jähre 3, 285. das wort erscheint erst im nhd. {doch
vgl. ahd. mihhilmuoti Graff 2, 627); es ist jünger und
weniger entwickelt als das adj. groszmüthig.
1) das ältere nhd. kennt nur die bedeutung 'starkmiith,
tapferkeit'; aber im 16. jh. noch selten: ein ungehalten
stimm bedeut grosz leber, groszmuth und grimm Fisghart
groszm. (1607) D 2*; {die meisten menschen halten) die listi-
gen für weis, ... die frechen für grosmütig . . . {aber die
weisen wissen) das weder bei benanten allen die wäre
wolfart . . noch grosmut . . bestände 3, i Hauffen; dann
bis ins is. jh. häufig: an . . . dap ferkelt und grossmut
keiner dem Tyridates gleiche A. U. v. Braunsghweig
Oct. 1, 12, und in dieser paarung öfter; eine melodie,
welche die beiden des alterthums auf den höchsten grad
der groszmuth erhub, wann sie eine schlacht antraten
BoDMER samml. crit. poet. sehr. 1, 33; gewöhnlich aber
als passive tugend, starkherzigkeit, standhaßigkeit, auch:
stoische ruhe, gelassenheit: animi firmitudo Frisch teutach-
lat. wb. (1741) 1, 877'»;
groszmut gilt und hochmut nicht,
jener steht und dieser bricht
LoGAu sinnged. 265 lit. ver. ;
{trotz dem todesfall) haben sie ihren groszmuth nicht
sincken lassen Frz. A. v. Brandis d. tirol. adlers ehrenkr.
191 ; wie sollte denn dero sonst unbewegliche groszmuth
durch eine Widerwärtigkeit können verdunkelt werden,
die . . Menantes allern. art höf. u. gal. zu schreiben 394;
sie sterben mit freuden und mit einer groszmuth, die
kein beispiel vor sich hat Lavater au^s. in d. eidgk.
1, 94; beispiele ihrer {der negerinnen) das leben verach-
tenden mütterlichen groszmuth Herder 18, 328 S.
2) allgemeiner: edle, grosze, hochherzige gesinnung ;
magnanimitas , generositas Stieler 1299; aber erst im
18. jh. breit entfaltet: nach diesem lohne zu jagen, das
ist eben die groszmuth, die die rechte mutter . . guter
handlungen ist J. E. Schlegel 8, 356;
die stille
zärtliche thräne der kämpfenden groszmuth, der leidenden
tugend Cronegk sehr. 2, 49;
in mancherlei feineren abschattungen: auszerdem waren
die griechischen künstler überzeuget, dasz . . die grosz-
muth insgemein mit einer edlen einfalt gesellet zu sein
pfleget WiNCKELMANN 4, 204;
da die zwo edlen schönen
voll von gesezter und stiller grosmut . .
unter die blumen ruhig sich sezeten
Klopstock od. 1, 18 M.-P.;
Fabricius galt den Römern als ein muster unbestech-
licher groszmuth Herder 27, 21 S.;
verlasz die keusche groszmuth deines Scipio
Ramler lyr. ged. 49 ;
Miltons groszmuth, womit er auf die wahre hoheit seiner
materie gesehen hat Bodmer abh. v. d. icunderbaren 4;
von der dem fürsten anstehenden gesinnung {doch nicht so
häufig und formelhaft wie das adj. groszmüthig, s. d. 2 a):
das Stammhaus der berühmten grafen . . .
war, ist und bleibt an groszmuth grosz
Stoppe Parnasz 19;
wie huldreich ist die groszmuth ihrer jugend!
(von einer sächsischen princessin)
Gottsched neueste ged. (1750) 68.
diese bedeutung reicht kaum über das 18. jh. hinaus; sie
ist zurückgedrängt worden durch zwei engere, die sich als
specialisierungen von ihr verstehen lassen:
a) 'groszmuth ist edelmuth mit selbstbesiegung' Fr.
Delbrück sinnverwandte Wörter (1796) l, 155; vgl. wahre
groszmuth . . , eine tugend, die wählt, sich selbst be-
stimmt und leidensehaften überwindet Herder 16, 586 8.;
mit Vorliebe in einem ganz bestimmten begrifflichen Zu-
sammenhang; ganz treffend definiert Chr. Thomasius:
groszmuth ... ist ein hasz gegenwärtiger räche arznei
wider d. unvern. liebe (i696) 139; ich . . . wolte meine
groszmuth sehen lassen . . , liesz ihm auch seine ab-
bitte . . nicht kniend, sondern stehend verrichten Schna-
bel Felsenb. 41 lit. denkm.;
du weiszt, mit welcher groszmuth er verzieh
GRAFEN Stolberg 5, 146;
dasz der kaiser {Napoleon) in romantischem vertrauen
auf britische groszmut . . zu den Engländern ging Heine
3, 111 E.; er mochte nichts mehr von der groszmuth des
stolzen grafen, er wollte jetzt nur sein recht Eichen-
dorf 3, 316;
freundlichkeit und groszmut gelten
nicht im göttlichen gericht
Schenkendorf ged. (1837) 207;
doch auch mannigfach anders, aber immer im sinne eines
zurückstell-ens selbstischer interessen : Starkader hatte ihr
in philosophischer groszmuth . . versichert, dasz er nur
sich, nicht aber sie durch Versprechung gebunden glaube
A. V. Arnim 2, 19; dasz die Cölestine den Friedrich nicht
mehr aus liebe nahm, sondern aus purer groszmuth
Holtet erz. sehr. 17, 75; schuldig waren wir dem könig
Georg nichts; wir haben ein beispiel der groszmuth im
Interesse des friedens gegeben Bismarck polit. reden 4,
136; darüber hinaus im 18. jh. i7i mancherlei gebrauchs-
weisen, die uns mehr oder minder fremd geworden sind:
und zeigt, dasz eigennutz, nicht groszmuth in ihm brannte
Lich^wer äsop. fabeln 88;
dies eine sehr gewöhnliche antithese; wir bewundern . .
die, welche sie {reichihümer) haben können, und aus
einer edlen groszmuth von sich stoszen Mendelssohn
^e*. sehr. 1, 314;
(der fuchs, der) so gar bald verriet, die traube geh ihm nah,
die seine groszmuth itzt für noch nicht reif erklärte
J. A. Schlegel verm. ged. 1, 154;
{Cäsar) legte also aus verstellter groszmuth die kröne
wieder ab Gottschedin br. 1, 813; alten, gesetzten . . .
männern würde ein wenig mehr groszmuht . . . besser
anstehen, als ein ewiges klagen, dasz man sie aus-
lachet Liscow samml. sat. u. ernsth. sehr., vorr. 41; da-
mit er sich früh zu der groszmuth erhebe, satyren und
critiken ohngerührt zu ertragen und mitleidig zu ver-
achten H. P. Sturz sehr. 2, 53; hierher auch: ob diese
ruhmredigkeit {in liebesangelegenheiten) mit eurer so ge-
rühmten groszmuth übereinstimme, als die ihr die eigne
tugend des männlichen geschlechtes zu nennen pfleget
Gottsched d. vernünft. tadler. l, 81; vgl. wie die sitt-
liche anläge in der natur der weiber sich durch liebe,
so äuszert die sittliche anläge in der natur des mannes
sich durch groszmuth Fichte 3, 813.
b) reich entwickelt ist auch eine an den begriff 'frei-
gehigkeit' grenzende bedeutung : wenn er von ihrer grosz-
muth seinen notdürftigen unterhalt erhielt Raben er
sämtl. sehr. 4, 137; am ende will ich lieber ein narr
meiner groszmuth seyn, als mich von . . . habsucht
zwicken lassen F. M. Klinger l, 107; Heinrich . . wollte
nun auch all das essen bezahlen, . . Jeanette aber litt
diese groszmuth nicht Gutzkow ritter v. geiste 4, 364
freier: die eigenschaft des dramatischen dichters . . .
sich selbst mit freygebiger groszmuth an andere per
sonen zu verlieren A. W. Schlegel im Athen. 1, 2, 86
ihre äugen glänzten ihn so freundlich an, als fliesze
ihre seele über in groszmuth, einen unschätzbaren schätz
geben zu können B. v. Arnim Cl. Brentanos frühlingskr.
54; gern in anivendung auf fürstliche personen und so
verrinnend mit dem unter 2 schlusz behandelten gebrauch:
auch geschenke reich und prächtig . .
zeugten glänzend von der nuld
und der groszmuth des monarchen
Heine 1, 375 E.;
mancher junge künstler . . . verdankt es des prinzen
groszmuth, wenn sein genie keine fessel mehr drückt
PÜCKLER briefio. u. tageb. 2, 56.
c) concretisiert: act, äuszerung groszmüthiger gesin-
nung: so will ichs als eine groszmut von ihnen an-
sehn, wenn sie mir die Ursachen dieses meines . . un-
36*
567
GROSZMUTH, GROSZMÜTHIG
GROSZMÜTHIG
568
glucks entdecken Klopstogk an frl. Schmidt, br. 33
Lappenb.; jeder glücksfall sollte uns demüthigen, denn
es ist eine groszmuth, die uns ohne verdienst zugewandt
wird Hippel über d. ehe 189.
3) nur in spuren ist die beim adj. voll entfaltete Be-
deutung 'stolz' nachzuweisen:
doch führt die demuht hie den gröszten titul pracht,
die bey den Christen recht die wäre groszmuht macht
MoRHOF unterr. v. d. ätsch, spr. 2, 309 ;
KiNDERLiNG reinigk. d. dtsch. spr. 39 kennt groszmuth
für 'hochmuth'; v. Klein l, 165 belegt es für Ravensberg.
GROSZMÜTHIG, adj., erst im li. jh. vereinzelt nach-
zuweisen (s. u. i); doch hat schon das ahd. mihilmuotig
Graff 2, 694; das adj. steht weithin in einein contrast-
Verhältnis zu kleinmüthig (s. th. 5, 2796).
l) das mhd. scheint eine dem adj. höhgemuot ähnliche
bedeutung zu kennen: ir (Maria) sele was grosmüetig
(als der engel zu ihr kam) zs. f. d. a. 8, 257, sie klingt
auch später noch gelegentlich an (s. u.); aber die im äl-
teren nhd. weit überwiegende bedeutung ist 'starkmüthig,
tapfer' (vgl. kleinmüthig 2) : grotmodich , kune vel ge-
herczit magnanimus Diefenbach 343^; gehertzt, mutig,
groszmütig, dürstig, unverzagt audax Alberus (i540)
Qq 2^; bis ins 18. jh. lexicalisch feststehend: heroisch,
groszmüthig, heldenmüthig Wachtler 197; gewöhnlich
von Personen : ich bin ein spise der grossen lüt, die kuone
und grosmuotig sint (sagt gott zu Augustinus) Birlin-
GERs Alemannia 3, 117; trunckenheit . . macht den grosz-
mütigen förchtsam Ambach v. zusaufen ß 4^; sind hitzi-
ges geblüts, grosz- und kühnmuthig wie ein löwe Rays-
broeck v. d. wahren beschaulichk. 73 ; als er and die zwey
andern fürsten . . dem feinde groszmüthig in die seite
fielen Lohenstein Armin, l, 423*'; auch von thieren:
nicht leichtlich ein grossmütiger adler eine forchtsame
taube auszhecket Dannhauer catech. milch l, 343;
wie ein groszmüthig pferd, wenn es den streich empfindt,
durch sand und schrancken rennt
Gryphius trauersp. 43 Palm;
mit besonderer färbung: in diser gab wirt der mensch
so grossmütig, das er gern aller menschen werk vol-
brächt Tauler serm. (1508) Gg**; (die sanguinische seele)
ist bald erhebend und groszmütig, bald auch wieder
fallend J. Böhme 4, 224; nicht minder häufig als passive
tagend, im sinne von constans:
solchem Unfall zu widerstan
durch die groszmütigen gedult
H. Sachs 7,344 K.,-
groszmütig in trübsal Fisghart 3, 248 Hauffen; der-
gleichen . . klagens . . nit bald von ainem solchen, sünst
standthafften und grossmütigen mann gehört . . worden
Schwarzenberg Cicero 149;
ja werft den himmel ein! ich wil groszmüthig stehn
Gryphius trauersp. 700 Palm;
ähnlich, aber doch auch an die bedeutung höhgemuot ge-
mahnend: ist aber ein Spieler . . so groszmütig, dasz er
durch kein Unglück oder Verlust zur melancholey . . .
gebracht werden mag Grimmelshaüsen l, 286 Keller;
doch ich wolte es (das a l'hombre- spiel) keinem nicht
rathen, der bey dem verlust nicht so groszmüthig . . wäre
Menantes allern. art höf. u. gal. zu schreiben 59, wo der
Zusammenhang dieselbe bedeutung ericeist wie bei Grim-
melshaüsen; im 18. jh. erlöschend:
wie groszmütig die mit dem anfall der leidenschaft rungen,
brach doch ein bach von thränen die schwachverwahrete
schleusse
BODMER Noah (1752) 216;
etwas blasser, wo als epifheton ornans von einzelnen oder
Völkern gebraucht: histori von einem grossmütigen bei-
den auss Griechenland buch d. liebe 179; groszmüthiger
feldherr Arminius Lohenstein Armin, (titel); dieses land
ist von den groszmüthigen Römern selbst Germanien ge-
nennet Chr. Weise ^oK^. rednerl23; auch freier, mit säch-
lichem regens: ewer waffen sollen sein redlich, . . ewere
feüst und füsz fest und groszmüttig See. Franck chron,
Qterm. 35*; rieffen seine kriegsknechte mit groszmütiger
stimm: hier schwerdt des herrn und Gideon Schupp
sehr. 182; wegen groszmüthigen thaten ist er dem Julio
Caesari gleich kommen Treuer dtsch. Dädalus l, 332;
die groszmüthigen reden Davids, mit denen er den . .
Goliath herausforderte Göthe 21, 23 W.
2) allgemeiner, von hoher, charaktervoller, vornehmer,
edler gesinnung (gegensatz kleinmüthig l a); schön defi-
niert Schottel: bestehet also die groszmütigkeit in
einem tapferen, hohen, beständigen, groszhertzigen ge-
mühte, dabey ein . . fester vorsatz nur was hohes, wür-
diges, grosses und tugendhaftes zu unternehmen . . mit
geringen gemeinen altages sachen bemühet sich ein
groszmütiger nicht ethica (lG69) 449; ein groszmütiger
mensch der veracht alle . . kleine ding ... er rieht syn
gemüt zu höheren dingen uf Keisehsberg hilgersch. öS*».
und ganz ähnlich noch: zu groszmüthig, um sich in das
■wichtigthuende nichts der andern einzulassen Eichen-
DORF 2, 83; grosmütige leute lassen sich nicht in der
schlechten menschen zahl rechnen Friedr. Wilhelm
sprichiv. reg. u 1*; der keiser war so groszmütig, wolt
der untrewen verräterische Übergebung nit H. Gholtz
leb. bild. (1557) x 3^; ein groszmütiger hasset betrug, ver-
rätherey und arglistigkeit Lehmann fioril. pol. l, 417;
in allen (dichtarten) aber . . voller sinnreichen gedanken
und einfalle und groszmüthigen und schönen meynungen
zu seyn Wernike poet. vers. 50 Bodmer; im älteren nhd.
noch zurücktretend gegenüber l, erst im 18. jh. häufig und
in mannigfach icechselndem gebrauch: er war von einer
ansehnlichen gestalt und hatte etwas groszmüthiges und
glückliches in seiner bildung J. M. v. Loen d. redl. marni
(1740) 19; (der könig) dessen sonst so groszmüthiges hertz
durch den reitz seiner schönen abgötterinnen zu schänd-
lichen götzen übergieng Bodmer samml. crit. poet. sehr.
1, 27 ; hielten die alten eine langsame bewegung des kör-
pers für eine eigenschaft groszmüthiger seelen Winckel-
mann 4, 139; ein recht edelmüthiges, groszmüthiges, tu-
gendhaftes Schauspiel schreiben F. M. Klinger theater
2,111; im 19. jh. allmählich absterbend: zu groszmütig,
um sich der fremdherrschaft anzuschlieszen Heine 4,
280 E.; wenn der groszmüthige, wackere, arbeitsame
Hans die zarte . . Grefe . . nicht heirathen konnte, so
wuszten sich die groszmüthigen zuschauer vor mitgefühl
nicht zu lassen Tieck sehr. 9, 55; das geschwätz . . ver-
hindert ihre (des volkes und des fürsten) ursprüngliche
regungen, die gegenseitig immer groszmüthig sind B.
V. Arnim d. buch gehört d. könig 1, 120; die stark schil-
lernde bedeutung zeigt bestimmtere specialisierung vorzüg-
lich nach drei richtungen:
a) seit alters gern von fürsten, einfach im sinne
magnanimus (obgleich nicht immer sicher von fortis zu
scheiden), geicissermaszen eine pfiichttugend des Standes
bezeichnend: alda er sich grossmütig und herrlich gegen
seinen underthonen gehalten Xylander Polybius 123;
ihr könig wäre einer von den grossmüthigsten, dessen
hoher sinn auch die herrschaft über die gantze weit
zu erhalten weder . . . gelt noch volck sparen würde
Grimmelshaüsen 4, 584 Keller; gern auch in halb for-
melhaftem, attributivem gebrauch: Franciscus der erste
. . , ein grossmütiger und tugentreicher fürst Kirchhof
wendunm. 2, 251 lit. ver. ; des groszmüthigen beiden, könig
Heinrichs des vierten in Frankreich nachgelassene wittib
Schupp freund in d. not 20 ndr.; so ivohl auch zu ver-
stehen in dem, geh-auch als cognomen: Johann Friedrich
der groszmüthige von Sachsen, Philipp der groszmüthige
von Hessen; doch ist hier auch eine deutung von 1 aus
möglich; das adj. behält seinen platz in anreden an fürst-
liche Personen bis ins 19. jh. (in jüngerer zeit freilich mit
einer färbung des sinnes nach c): gegen eine so erhabene
und groszmüthige prinzessinn Scheibe crit. musicus
vorw. a 4, in der widmungsanrede ; gott erhalte dieselben
bey derjenigen groszmütigen, billigen und liebreichen
gemütsbeschaffenheit, die . . Brockes ird. vergn. 2, zu-
schr. 6; dem kronprinzen von Bayern, dem groszmüthigen
unterstützer dieses Versuches Schmeller mundarten
Bayerns HI (widmung); auch sonst als höflichkeitswen-
düng: ich weisz, dasz ew. gnaden . . sich groszmütig
569
GROSZMÜTHIG
GROSZMÜTHIGKEIT
570
erkundigt, ob dieser . . frau irgend eine hülfe nötig sey
GÖTHE IV 30, 36 W.; in letzter verblassung: belieben
groszmütigst. hier herein Grillparzer 13, 88 'gnädigst,
freundlichst'; vgl. letztere (kritik) könnten sie mir grosz-
müthigerweise wohl gleich . . zusenden Hebbel br. i, 343.
b) 'durch selbstübencindung {sittlich) grosz in gesiv-
nung und handlung gegen andre' Weigand synon. 1,
572 ; erst im 18. jh. in breiter entfaltung, aber schon früher
sich ankündigend: es sey eine that ausz groszmütigem
mannhafftem hertzen entsprungen, seinen todsfeind nicht
beleidigen, wann er ungewarnter Sachen . . zu einem . .
kompt ZiNKGREF apophthegm. 127; mit verliebe in einigen
fügungen von ganz bestimmter sinnesrichtung : wer seinem
feinde nicht schadet, da er gelegenheit dazu hat, son-
dern vielmehr wohl thut, der wird groszmüthig genennet
Chr. Wolff gedanken von der menschen thun u. lassen
593; groszmüthige Vergebung kann oft eine von den här-
testen strafen seyn Lessing 17, 53 M.; selbst gegen über-
wundene handelte er so groszmüthig, als es die zeit zu-
liesz Herder 12, 232 S.; im gefühl groszmüthiger Scho-
nung Göthe 15, 304 W.; wie aber die menschen häufig
lieber groszmüthig als rechtlich sind Hegel 8, 330; doch
auch mannigfach anders, aber immer m,it dem sinn eines
hintansetzens selbstischer regunqen: aber er schlüge grosz
müthig diese geschencke aus Chr. Thomasius leben So
cratis (1603) 65; durch seine freywillige groszmüthige auf-
Opferung für die sünden der menschen Miller pred. f.
landvolk 2,301; da die groszmütige hingäbe der Phi
laenen in den tod alle flecken sühnte J. Grimm kl. sehr
2, 73; er bekämpft ihn mit den waffen, die jener ihm
. . . groszmüthig überläszt Varnhagen v. Ense tageb.
1, i56i; dasz du alles wissest, was du einst so grosz-
müthig nicht gefragt hast Stifter 3, 174 Sauer; den
menschen in stiller bescheidenheit, groszmüthiger ent-
sagung Fr. M. Klinger 3, 275; anders, aber vergleichbar :
wie selig aber flieszt das leben
des freyen enkels Teut,
dem es groszmüthig gnügt, was gute götter geben
Kretschmann 1, 69.
c) jünger, erst seit dem 18. jh. nachweisbar ist die spe-
cialisierung der bedeutung im sinne von freigebigkeit, zu-
mal von seilen höhergestellter {vgl. a) : die namen solcher
groszrnüthigen . . , welche ihren heuerleuten das kom
. . zu dem preise geben, wozu es in guten jähren steht
Moser 2, S2; indem er von der groszrnüthigen und frei-
gebigen art des königs . . sprach Göthe 44, 5 W.; der
könig drückt seine Zufriedenheit auf das groszmüthigste
aus 49; sie wollte die heilsamen aurikeln um ihre dienste
groszmühtig belohnen Drollinger grecZ. 334; den dank,
den wir der groszrnüthigen geberin hier bringen Hegel
16, 160; baron Wezlar . . erwies sich auch bei dieser ge-
legenheit als ein groszmüthiger gönner 0. Jahn Mozart
4, 184; durch das groszmüthige geschenk Spielhagen
1,123; bedenken se mer mit a grauszmüthiges presentche
Gaudy 18, 152.
3) literarisch tritt am wenigsten hervor die bedeutung
'stolz', die schon frühnhd. glossare aufweisen: ubermütich
vel groszmüttig magnanimus Diefenbach 343'^; hoch-
fertig o. groszmutig superciliosus 566"; synonym mit
houerdich, homoyt u. ä. ib. 29«' s. v. ambitio; welcher
{Friedrich I.) als ein groszmütiger, adelicher . . . herr
solche onbillichkeit nit hat können dulden {seine kröne
vom papst zu lehen zu nehmen) Sleidanus reden 23 lit.
ver.; dann weil wir Schreiber eben so hoffärtige geister,
was sage ich: hoffärtige? ich will sagen: gleich so grosmü-
tige sinne haben . . als etwann die Schneider Grimmels-
hausen 3, 11 Keller; einem betler . . ist . . offt besser zu
muhte, als nicht manchem ungerechten regenten über
seiner herrlichsten tafel; wie grosmüttig er sich . . .
stellet Butsghky Pathm. 957 ; nun hatte sich Caraffa schon
längst zu einer groszrnüthigen Verachtung dieses kerls
resolviret Kuhnau music. quacks. 175 lit. denkm.; erscheint
die specifische bedeutung hier nur als eine Spielart der
allgemeineren magnanimus, so zeigt sie sich in anderen
fällen tadelnden gebrauches mehr verselbständigt: Wesel,
ein schöne, feste . . und mit starcken ringmauren der-
massen umbgebene statt . . , dasz sie ihre einwohner
groszmötig und vermessen darauff gemacht G. Braun
beschreib, u. contraf. 4, 19=^; wieder die Zerstörung der
groszmüthigen stadt Babel Prätorius anthropod. pluton.
1, 2, 349; mundartlich bis in die neuere zeit lebendig geblie-
ben: groszmüthig thun hoff artig sich tragen, oberschles.
monathschr. 2 (1789), 176; groszprahlerisch, hochmütig Ab-
brecht Leipz. 126^; hochmütig Hertel Thür. 110; Rein-
wald Henneb. 1, 54; v. Klein 1, 165 {aus Hannover);
Danneil 71*; Schütze Ifo^si. 2,75; Stürenburg 77";
also in md. und nd. maa., wie auch die älteren belege
in dies gebiet weisen.
GROSZMÜTHIGKEIT, /., wie das adj. im späteren mhd.
erst vereinzelt, s. tt. 1 und Lexer 3, nachtr. 220; im äl-
teren nhd. sehr häufig.
1) entsprechend groszmüthig 1: magnanimitas grosz-
mütigkeit, ein dapfFer hertz Frisius 794*; magnanimite,
grand cceur et courage Wiederhold 152*; bravoure,
tapferkeit, groszmüthigkeit Sperander 76''; schon mhd.:
er stercte ouch mit innekeit
di brudre zu grozmutekeit
mit wortin, di got sprach vorwar
{als Vorbereitung zum kämpf)
Nie. V. Jeroschin 2053;
auss welchem einer mag die grossmütigkeit und ver-
messenheit in ihrem fürnemmen erachten Xylander
Polybius 14; in belegerung wird gedult erfordert, in
veldschlachten aber künheit und groszmütigkeit Matth.
Quad macht, reichthum (1602) 15; seine unvergleichliche
keck- und grossmütigkeit S. v. Birken ostländ. lorbeerh.
186; groszmüthigkeit schafft rühm, furcht ist aber der
hasen schütz Lohen stein Sophonisbe (1708) 11 ; ebenso
gern auch von der starkherzigkeit als passiver tugend:
die gedultige groszmütigkeit des Amadis Amadis l, 138
lit. ver.; dasz wir mit gedultiger und freudiger grosz-
müthigkeit alles das, was uns . . zustossen möchte, er-
tragen möchten Buysbroeck v. d. wahren beschaulichkeit
131; ich . . sähe . . dass seine grossmüthigkeit keines
trostes bedorfte Grimmelshausen Simpl. 61 ndr. ; der
. . chur-printz, welchen dieser schlag am . . heutigsten
getroffen, wird uns mit seiner groszmüthigkeit vorleuchten
Canitz ged. 194; sprichwörtlich ist des löwen groszmüthig-
keit, d. h. muth:
{lernt) vom löwen groszmüttigkeit
Th. Hock blumenf. 76 ndr. ;
ein pferd soll haben von einem löwen die brüst, die
groszmüthigkeit und den rucken Hohberg georg. cur.
2, 131; diese bedeutung ist im 18. Ja. im untergehen; Hey-
natz verwirft groszmüthigkeit im sinne 'tapferkeit' anti-
barb. 2, 78.
2) allgemeiner, entsprechend groszmüthig 2 : excellentia
animi fürtreffenheit, überträfFung, groszmütigkeit Fri-
sius 494*; altitudo animi 18^; elatio animi Steinbach
2, 92 ; magnanimitä, generositä, grandezza d'animo Kra-
mer teutsch-ital. 1, 569 «; vgl. die definition Schottels
unter groszmüthig 2; zürn andern mal so dienet dem
adel groszmütikeit, darausz kommet, das si nicht zäng-
gisch seind Stein höwel sp. menschl. lebens (1479) 25*;
diese des Piatonis reden haben des Dionisii gemüt
also bewegt und ime die gutwilligkeit und groszmütig-
keit eines solchen mannes dermassen gefallen, dasz
. . P. Colman cordissiano (l57i) 259''; reichete sie dem
Ludwig ein goldstücke . ., welches anzunehmen er sich
aus groszmüthigkeit weigerte seltsame liebeshändel (l69l)
136; {eine person) welche sich aus heiliger groszmüthig-
keit an statt eines weltlichen fürsten an einen himm-
lischen bräutigam vermählen wil Chr. Weise polit.
redner i29; auch die an «i/tci. hohgemuot erinnernde be-
deutungsspielart tritt wie beim adj. gelegentlich auf: {die
Niederländer wissen prunkvolle feste zu feiern), dann
sie seind von natur zum pracht und groszmütigkeit ge-
neigt D. Federman Niederlands beschr. (1580) 48; als
herrschertugend {vgl. neben dem adj. auch groszmuth 2) :
groszmüttigkeit steht gewaltigen herren wol an G. Mayr
sprichw. Aö''; alleine ew. fürstl. durchl. weltbekandte
groszmütigkeit hat mich meines zweifeis erledigt Lohen-
571 GROSZMÜTHIGLICH - GROSZMUTTER
GROSZMUTTER
572
STEIN lobschr. auf herz. Georg Wilhelm, vorr. 5; diese
bedeutung ist, mit den modulierungen des adj., auch im.
18. jh. noch lebendig: aber er (Voltaire) verrät dadurch,
wie weit er an groszmütigkeit hinter Miltori zurück
bleibt BoDMER abh. v. d. wunderb. 28; meinungen, die
nichts wunderbares in sich haben, dieses mag in der
groszmüthigkeit oder in der zueigenung der meinung . .
bestehen, scheinen platt Breitinger cW^. dichtk. l, 133;
lust zu natursachen ist ein merkmal der groszmüthig-
keit Herder 17, 208 S.; im sinne der specialisierung 2 b
ungewöhnlicher: die groszmüthigkeit ist ein . . vorsatz,
seinem feinde nicht zu schaden, sondern vielmehr gutes
zu thun Chr. Wolff ged. v. d. menschen thun u. lassen
593. — groszmüthiglich, adv., in den verschiedenen
bedeutungen des adj., aber nicht häufig: Reyher thes.
(1686) g e*»; das grosmütiglich und aufrecht sich des
wolfärigen glucks wissen zu geprauchen, recht männisch
. . ist FisGHART 3, 296 Hauffen; dasz sie . . sich grosz-
müthiglich entschlosz, ihm endlich zu verzeihen Wie-
land 17 (1796), 224; als ob sie groszmüthiglich seinet-
wegen diese pönitenz übernommen hätten Hippel kreuz-
u. quer Züge 1,290. — groszmüthigkeits wasser, n.,
eine art ameisenspiritus zur Stärkung der courage Wieg-
leb zauberlex. 382i; vgl. groszmüthigkeit 1.
GROSZMÜTHSVOLL, adj.. gehobeneres wort für grosz-
müthig; im 18. jh. ungemein häufig, auch im älteren
19. jh. noch gebraucht; fast ausschlieszlich in poetischer
Sprache, für Gottsched und seinen kreis fast ein mode-
wort, auch bei den anakreontikern häufig ; gerade deshalb
später mehr bei dichtem zweiten ranges, aber auch von
Schiller noch öfter gebraucht, von Götiie gemieden;
in allen bedeutungsfärbungen von groszmüthig:
ist disz die tapfere, die groszmuthsvolle brüst
V. König ged. (1745) 119;
und wenn er {der tod) tausende von seiner seile reiszt,
weisz er ihn groszmuthsvoll und standhaft zu verachten
V. Gentzkow ged. (1771) 114;
es zeigt . . . dein grosz- und sanftmuthsvoller blick,
dasz, wie dein cörper der natur, dein geist des himmels
meisterstück
Brockes ird. vergn. i, 626;
der höhn
ist seiner groszmutsvollen seele fremd
H. V. Kleist 2, 95 E. Schmidt i
du nur, du groszmuthsvoUer zepterführer
beglückter Dänen Friederich
Kretschmann s. w. 1, 267;
du liebst die feindinn so, o groszmuthvoller söhn !
Gottsched dtsche schaub. 5, 417;
könnt er vergessen, dasz sein prangend loos
der liebe groszmuthsvolle Schöpfung war?
Schiller 12,413 G.;
unter umdeutung einer älteren anwendung von grosz-
müthig (*. d. l) :
da seht! er {der löwe) liegt in seiner höhle
so groszmuthsvoll! Gleim 1, 186.
GROSZMUTTER, /., ebenso tvie groszvater erst spät-
mhd. für älteres ane; Vorbild war frz. grandpöre, -mere
(tcie auch für nl. grootvader, -moeder und engl, grand-
father, -mother); die neuen benennungen dürften zuerst
in der nördlichen Rheingegend aufgekommen sein, aber
schwerlich schon im 12. jh.. wie Kluge etym. ''183'' will;
zu belegen erst aus dem späten 14. jh. : avus grosz vatter,
grosz müter Jag. Twingers gloss. v. 1399 bei Mone anz.
z. künde d. dtsch. vorz. 6, 337. den obd. u. hess. maa. noch
heute grösztentheils nicht geläufig, in den meisten nd. und
md. maa. dagegen das reguläre dialektwort, vgl. Kluge
a. a. 0., wo auch über die Synonymik gehandelt wird;
indessen läszt auch in manchen nd. m,aa. die form das
wort als jüngeren eindringling erkennen: grösmoter
Bauer-Gollitz 41'*; grossmauder Mi 29. der adjecti-
vische Charakter der composition bleibt im nd. lange
lebendig: grote moder ava Diefenbach 59*; eyn drit
grote müder tritava 598'^; grote(n) moder moder attava
58''; auch heute noch stellenweise: dem dfivel sin grdte-
möer Woeste 86* (sonst gewöhnlich bestemöer); vor
allem herrscht im thür, aächs., tco früher das nd, weiter
nach Süden griff, bis heute die e-form: vor der grosse-
mutter Augusta Barth weibersp. o 3*; meine liebe grosse-
mutter Chr. Weise d. grün, jugend überfi. ged. 182 ndr.;
die frommen grosse-mütter Henrici ernst-, scherzh. u.
sat. ged. 2, 77; grosze mutter mit ton auf der ersten
silbe RtJDiGER Zuwachs 2, 80; vgl. Jeght Mansfeld. 44'';
Möller-Fraureuth 445''.
1) avia, mamma, magna m,ater anfraw, altmutter,
eltermutter, groszmutter Alberus bb l*; als die ob
genanten . . kinde . . ein groszmüter hettent, genant
Agnes zs. f. d. gesch. d. Oberrh. 12, 160 (quelle v. 1474)
sein groszmutter Helena Seb. Frangk chron. Germ. 40*
in mancherlei stehenden Wendungen und redensarten: die
Sitten gehn von der groszmutter nebst dem hauszge
räthe unverändert herunter br. d. neueste litt. betr. 14
233; mobilien, . . . die von groszmutter auf mutter . .
vererbt wurden Hippel kreuz- u. querzüge l, 19; so
würden sie eben so plump als unsre groszmutter seyn
n. samml. v. schatisp. (1764^.) 2, Cronegk 50; alte dinge
. . ., die zu der groszvater und groszmutter zeiten im
schwänge gingen Sghleiermagher I 5, 573;
was für diener und vieh gehört,
ihr grossmutter hat sie gelert
Rollenhagen froschm. o 2^;
(lieder) die dich deine groszmutter noch gelehrt maler
Müller l, 231; auch sprichwörtlich: des hat mi scho
mei grossmotter gelehrt, wenn jemand über eine bekannte
Sache belehren will Rugkert 65; vgl. schon: sol ich das
gewisse lassen und auf das ungewisse gaffen, das hat
mich meine groszmutter nicht gelehret Herberger herz-
post. (1612) 2, 91;
du lieber köpf, bist du nicht rund
wie meiner grossemutter hund
Chr. Weise d. grün, jugend überfi. ged. 120 ndr. ;
von schön dank starb groszmutters katze Düringsfeld
sprichw. 1, 148''; weiteres bei Wander 2, 151.
2) im höflichkeitsstil des 17. und 18. jhs. ist recht ver-
breitet eine erweiterung. die den ehemals unfesten Cha-
rakter der composition eriveist: sein herr vatter solte
sich selber informiren, ob er mitt seiner grosz fraw
mutter lebt, wie er solle Elis. Charl. v. Orleans br.
2, 448 lit. ver.; sogar: dasz churprintz undt churprintzes
ma tante, ihre fraw grosz fraw mutter, aufwarten 3, 172 ;
Lepida, der Octavien grossfraumutter A. U. v. Braun-
sghweig Oct. 2, 87; der groszfraumutter lieb Stoppe
Parn. 390; klagen . . ., die eine grosz-fraw-mutter führt
(über den tod des enkels) Sghmolcke trost- u. geistr.
sehr. 1, 718; das heutige frau groszmutter scheint dem-
gegenüber in älterer spräche selten: welches mir meine
fr. grosz-mutter . . . mitgebracht hatte Chr. Reuter
Schelm. 10 ndr.; vgl. Fischer schwäb. 3, 859 und zs.f.
d. w. 10, 204/.; s. auch groszherrvater unter groszvater 2.
3) einen besonderen platz beansprucht des teuf eis grosz-
mutter (vgl. 3. Grimm myth. *2, 841 Jf.); ältester beleg:
Lillis, des teufeis grosmutter, springet auch an den
reyen Schernberg sp. von Fr. Jutten 6 Sehr.; doch
ist die Vorstellung icesentlich älter, vgl. die special-
untersuchung von Götze zs. f. d. w. 7, 28^., deren er-
gebnisse dahin zu ergänzen sind, dasz auch vom 16. bis
ins ältere 18. jh. neben des teufeis mutter die grosz-
mutter sich durchaus behauptet hat:
des teufeis sein groszmutter alt
sampt ihren töchtern ungestalt
Fischärt 1, 252 Hauffen;
lauft nicht zum teufel und seiner groszmutter wie Aha-
sia und Saul Herberger herzpost. (1613) 2, 499; der
teufel werde solche rabulas, die in seiner groszmutter
werckstatt arbeiten und sich von anderer leute zanck
ernehren, . . Schupp sehr. 305; alle dinge, . . die sich
vom teufel und seiner groszmutter herschreiben J. G.
Schmidt rockenphil. 2, 84; namentlich aber seit dem
späteren 18. jh. in buntestem gebrauch; bald verbunden
mit dem teufel: professors, die sich dem teufel und
seiner groszmutter ergeben über ein wort mit oder ohne h
WiNCKELMANN 10, 401; es ist rein unmöglich, dasz man
573
GROSZMUTTER
GROSZMÜTTERLICH - GROSZONKEL 574
auf 305 Seiten . . . den gott und die revolutionen und
den teufel und seine groszmutter in der geschichte ab-
handeln kann Immermann l, 46; der general, nach
welchem ich den teufel und seine groszmutter frage
Jean Paul 31, 48, und ähnlich, als ausruf, schon bei
Chr. Fel. Weisze, s. teufel II 3, th. il, 267; bald für
sich: ich mögte glauben, die lüge sey die groszmutter
des teufeis E. M. Arndt sehr. f. u. an s. l. Deutschen
2, 161; jener ewig verrutschenden erfindung von des
teufeis groszmutter H. Seidel Leber. Hühnchen 118;
aventuriers . ., die für zehntausend thaler des teufeis
groszmutter heurathen würden A. v. D roste br. an L.
Schücking 164; dasz er lieber dem teufel seine grosz-
mutter entführen {wolle) als noch einmal . . . Raabe
hungerp. 2, 240; eine häszliche zänkische alte wird . .
teufeis groszmutter gescholten J. Grimm myth. *l, 20l;
dem deibel sei groszmudda is dei fraache Niebergall
dram. w. 158; vielfältig auch im, Sprichwort, s. Götze
a. a. 0.; variiert: Georg schwur darauf dess henckers
grossmutter ein bein ab, dasz er . . Grimmelshausen
3, 865 Keller; gelegentlich anspielungen auf die geläufige
formel: die alte wettermecherynn fraw Vernunft, dei
alleosis grosmutter Luther 26, 321 W. u. anm.; {fromme)
die dem papst und seiner groszmutter glauben wollen
A. Rüge briefio. u. tageb. 2, 323.
4) ein freierer, beim masc. {s. groszvater 3) stärker ent-
wickelter gebrauch beruht auf der bedeutung 'ahnherrin':
Evam, unser aller grossmutter theatr. diab. (1569) 3*;
vgl. {er liesz sich bereden) dasz er, schertzweis zu reden,
das masz seiner länge in dem schos seiner grosmutter
nähme d. h. er streckte sich ins gras v. Birken forts.
d. Pegnitzschäf. 6; auch uneigentlich 'Ursprung, quell':
dasz der buchstab . . aller secten groszmutter seie Opel-
CoHN dreiszigjähr. krieg 395;
die gross-mutter vieler nöhten
ist melancholey genannt
Harsdörfer frauenz. gesprächnp. 2, 206;
die groszmutter aller künste {der hunger) Treuer dtsch.
Dädalus 1, 877; die knechtschaft ist . . die groszmutter
aller lüge E. M. Arndt sehr. f. u. an s. l. Beutsehen
1, 356; 'urbild, ausbund': sie war ein groszmutter aller
böser weiber gewesen ältere quelle bei Fischer schtcäb.
3, 859; auch unpersönlich: aller practick groszmutter von
Fisghart; was in aller edelgestein groszmuter gemma
gemmarum stehet geschichtklitt. 57 ndr. ; Italien ist die
rechte groszmutter der Simulation Er. Frangisci
lust. schaub. (1698) 2, 520; üblicher ist in diesem, sinne
seit alters mutter, *. d. 10, th. 6, 2809/.
5) 'alte frau' {vgl. groszvater 4): ich sähe . . einer
veralten grossmutter zu Grimmelshausen 3, 347 Keller;
du hast dich trefflich gehalten, alte groszmutter! Chph.
V. Schmid 1, 27; und so weithin in heutiger Umgangs-
sprache und w.o., s. z. b. Frisghbier l, 256*; de öle
gr. em himmel schöddert er bedd op {wenn es schneit)
ib.; auch bildlich: Deutsche . . die . . sich durch die
alte groszmutter in Augsburg {die Allgem. Zeitung) . . .
ihre politische speise vorkäuen lassen Hebbel I lo, 3i;
vgl. die groszmutter regel geht ihm {dem franz. volke)
immer zur seite E. M. Arndt sehr. f. u. an s. l. Deut-
schen 2, 353; atis dieser bedeutung ßieszt die specielle
'hebamme': so im ihür. ohersächs. MüllerFraureuth
1, 445'', im preusz. Frisghbier a. a. o., im schles. und
wohl auch sonst noch: die alte Thiemschke . ., so vor
eine groszmutter im kapsei wäre und auch mein töch-
terlein gegriffen hat Meinhold bernsteinhexe 82; im
thür. obersächs. ist groszemutter die sehvnegermutter
gegenüber der kleemutter, der Schwiegertochter Müller-
Fraureuth a. a. 0.
6) aufs obersächs. beschränkt scheint eine eigenthümliche
anwendung im sinne einer mengenbezeiehnung : in der
küche standen deppchen und deppchens grossemutter
umher d. h. topfe über topfe Albrecht Leipz. 126'', der
aw/ franz. tout le monde et son pöre verweist; nicht
genug, dasz er triller und trillerehens groszmutter an-
brachte, wo es nur irgend anging Agnese Scherest
a. d. leben 208. — diminuierung ist erst in jüngerer zeit
häufiger: groszmütterlein Spangenberg-Fröreisen gr.
dr. 2, 139 lit. ver.; groszmütterchen Hippel lebensläufe
2, 249. — groszmütterlich, adj.: er verachtet aber
die groszmüterlichen wort H. Boner Herodian (1532) 47'';
alles dasjenige was sie grosvetterlichs und grosmütter-
lichs angefeiles . . in ewern vetterlichen gütern . . ge-
habt Chr. Zobel sächs. weiehbild u. lehenr. (1537) 120*;
in welchem grade . . . fürst A. von groszmütterlicher
seite mit dem regierenden hause verwandt sei Auer-
bach 3, 141; ob sie andern alten trauen in ihren an-
sprüchen auf die groszmütterlichen würden und freuden
nachstünde Hebbel I 8, 153; anders 'altfrauenhaft' {vgl.
groszmutter 5) : sie redete viel zu groszmütterlich für
ein solches wesen eitat bei Campe; mit anderem suffix:
dein klappermaul . . . würstu mit dem nicht waschen
mögen, deine groszmüterische mittler . . . seien nicht
deine götter, sondern nur mittler S. Huber vnder O.
Seherers . . . bettlermantel (1592) 77. — groszmütter-
lichkeit, /.: dasz sie, nicht zufrieden mit ihrer . . .
frühzeitigen mütterlichkeit sich bereits mit ihrer künf-
tigen groszmütterlichkeit zu thun machte J. v. Dö-
ringsfeld aus Dulmatien 1, 136; anders: eine Sara-
bande voll anstand und groszmütterlichkeit {füll of
State and ancientry) Voss Shak. i, 379. — groszmutter-
moral, /.; da thut die schlichte groszmuttersmoral
bessere dienste als alle redekunst schöngeistiger Philo-
sophen Rosegger II 8, 390; aber auch mit dem sinne des
engherzigen: entschlüsse zu fassen, braucht es heute nicht
solcher groszmuttermoral H. v. Stein helden u. weit 81.
GROSZNASE, /., eine grosze nase: appellant etiam
gurkennase Stieler 1333; häufiger für den träger einer
solchen: nasutus Frisius 857*; naso JuNius (1567) 473'';
man . . . sagt saubernäszlin , grosznäszlin, grosznasz
Fischart groszm. (i607) c 8'' ; mein herr grosznase hatte
mir nur vier pillen . . . mitgegeben Tieck sehr. 3, 430.
— grosznäsig, adj., nasosus Diefenbagh 375"; na-
sutus Stieler 1333; hett sie das angesicht . . mit einem
grosznäsigfen schembart verdeckt Kirchhof wendunm.
1, 149 lit. ver.; einem . . grosznasichten Galiläer Wie-
land Lucian 6, 398: auch im, sinne von hochnäsig: er
empfing uns mit einer gar grosznäsigten miene, als
wenn er gar eine hohe Standesperson wäre J. Riemer
maidaffe 286. — groszneffe, m., söhn des neffen oder
der nichte, in beziehung auf groszoheim oder grosztante
Campe; {der student) war ein groszneffe der Lotte Wer-
thers Schopenhauer br. 190 Gris. — groszneujahr,
n., das fest der hl. drei könige Rüdiger zuwuchs 2, 80;
die zeit zwischen Weihnachten und groszneujahr 0.
Schade im weim. jahrb. 2, 123. — grosznichte, /.,
tochter des neffen oder der nichte, in beziehung auf grosz-
oheim oder grosztante Campe; die bildhauerin Elisabeth
Ney, grosznichte des marschalls Schopenhauer br.
384 Gris.; — groszoheim, m., avuneulus magnus,
aviae frater Schottel haubtspr. 259; nach dem urtheile
meines groszoheims J. A. Cramer nord. aufs. 2, 325;
Octavius, welchen Cäsar, sein groszoheim, zum erben
eingesetzt hatte J. v. Müller l, 320; verkürzt: grosz-
ohm Kramer teutschital. 2, 163''; Heinrichs des achten,
meines groszohms Schiller 12,432 G. — groszohr,
n., ein groszes ohr: wenn wir ... sie {die menschliche
gestalt) mit hörnchen und groszohren begaben Göthe
49, 1, 818 W.: häufiger: der grosse obren hat oder ein gut
gehör, auritus Maaler 193"; appellativ: eine art fieder-
mause, vespertilio auritus Campe; vgl. Brehm thierl. l,
352 P.-L.; eine fuchsart, megalotis Oken 7, 1543; eine art
wilder katzen, viverra aurita Nemnigh wb. d. naturgesch.
211. — groszohrig, adj., auritus Dasypodius (i537)
Aaa3*; das groszohrige indische . . schwein Sghwerz
prakt. aekerb. 715; der groszohrige fuchs Oken 7, 1542;
vgl. oben groszohr; groszohrige iaxichQni& podiceps auri-
tus Behlen 3, 506; in seinen bequemen, groszohrigen
rollsessel Stifter 4, l, 43 Sauer; auch uneigentlieh : grot-
orig dickthuerisch Schumann Lübeck 84. — grosz-
onkel, m., was groszoheim: ein kleines sechsjähriges
mädchen, von welchem ich groszonkel bin Gleih
briefw. l, 307.
575 GROSZPAPA — GROSZPRAHLIG
GROSZPAPA, m., seit dem is.jh., gern in scherzen-
dem ton:
dasz man der stimme macht in logen , bänck- und chören
mög als des grosz-papa und als des vetters hören
Günther ged. 406 ;
da sie schon von einem halben grospapa für sich im
leibe des jungen weibchens reden Heinse 10,266 Schüdd.;
sonst sieht er (der doge) eben aus wie der groszpapa
vom ganzen geschlechte Göthe III l, 277 W.; wie grosz-
vater 3: der ehrgeiz, dein {des todes) groszpapa Schil-
ler I, 201 O.;
der teufel, groszpapa der lügen
E. M. Arndt w. 5,319;
im Westen auch mundartlich: groszpapp lux. ma. 156. —
groszperückig, adj. , im 18. jh. öfter in einem speci-
fisehen gebrauch: ein groszperuckigter, durch referiren
reich gewordener . . referent Friedr. v. d. Trenck lebens-
geseh. I, 254;
viel groszperuckigte sind mir allhier bekannt;
sie haben viel im maul, doch wenig in der band
Gottsched dtsche schaub. 6, 420,
also ähnlich wie groszköpfig 2 schlusz. — groszpräch-
tig, adj., gesteigertes prächtig (vgl. grosz III 1 c); im
älteren nhd. häufig; entweder wie prächtig 1, superbus.
fastosus, in abschätzigem sinn: wider die grosprechtige
rhümer des evangelions G. Wicel von der christl. kirche
(1534) 3 3*; aynen rümgeyttigen, groszprächtigen krigs-
man Schwarzenberg Cicero 782»; dje groszprechtig ty-
rannisch herrn Eyering proverb. l, 859; groszprächtige
tittel thünd nichts zö der sachen G. Mayr sprichw.
A 7"; oder ivie prächtig 2, magnifi^us, ohne tadel:
weyl er ist so achtbar und herrlich,
fürnem, grossbrechtig unde ehrlich
\l. Sachs 14, 163 K.-G.;
eyne stymme, die zu yhm geschach von der grosprech-
tigen herligkeyt Luther I4, 26 T^.; von der groszpräch-
tigen hochzeit Sghweinichen denJcw. 405 Ö.; vereinzelt
mit anderem suffix: sovil und so groszprechthche gaben
Erasmus Sileni Alcibiadis (1525) e2^ — groszprah-
lend, pari, adj., seit dem ii.jh. nicht selten, während
rein verbales grosz prahlen nur gelegentlich auftritt {s.
grosz I G 3) : wolte gott, es nehmen solches zu hertzen
die grössprahlenden und stoltzen in ihren palatiis Dann-
hauer catech. milch 6,674:; unsere 'alte heldensprache',
wie die ehrlichen pedanten des 17. jahrhs. sie grosz-
prahlend nennen Gervinüs gesch. d. dtsch. dicht. 3, 196;
auch mit unpersönl. regens: die hoch- und groszpralende
päppeln Treuer dtsch. Dädalus l, 207; setzen ihre Zu-
versicht auf groszprahlende arcana und panacäen allg.
haushält, lex. 2, 126*; aus dieser seiner beiszigten und
groszpralenden Schreibart, Avoniit er andre . . leute an-
greift Gottsched d. n. a. d. anm. gelehrs. 6, 522. —
groszprahler, m.: homo gloriosus, ventosissimus Api-
Nus gloss. nov. 257; Schottel haubtspr. 466; dasz Ful-
vius ein groszpraler gewesen Bucholtz Herkules und
Valiska (i676) 1, 89; sie handhaben mit ihren späszen,
wie groszprahler mit ihren degenklingen Eschenburg
Shak. 5, 120; ihr groszprahler der philosophie B. v. Ar-
nim d. buch gehört d. könig 1, 63. — groszprahlerei,
/.; welche . . ihn der völlerey, säuischheit . . und grosz-
pralerey beschuldiget betten Bucholtz Herkuliskus 87;
Haidvogel ist kein lump aus liederlichkeit, sondern aus
groszpralerei Hebbel I il, 897; wie kann er . . aus den
groszprahlereyen eines einzelnen Windbeutels einen gül-
tigen beweis . . herleiten? allg. dtsche bibl. 107, 258. —
groszprahlerisch, adj.: den groszprahlerischen Ver-
leumder meiner ehre Zschokke 26, 232; man erschöpfte
sich in groszprahlerischen reden Bernhardt gesch. d.
waldeigent. 3, 5 ; diese vermaledeiten breiten schultern,
diese lügenhafte groszpralerische leibesgestalt Hebbel
I 8, 147; in der groszen, stattlichen vordiele, in der . .
jeder ton sich groszprahlerisch dehnte Frenssen Jörn
17M (1902) 321 ; schon bei Adelung, Campe; vorbild war
groszsprecherisch. — groszprahlig, adj.: hättet ihr
groszprahlichten flegel nicht eurer kunst gewisser sein
GROSZPRATSCHER — GROSZSCHÄTZIG 576
sollen Joh. Rieüer polit. leiermann (1683) 34. — grosz-
pratscher, m,., groszfhuer, pr ahler: diese ritter . . .
die groszpratscher, sie haben uns städter schimpflich
im stich gelassen Gaudy 3, 120; jrooszpraatscher Bren-
DICKE ISO*'; auch in m,d. mundarten; zu praschen </t. 7,
2070. — groszpratschig, adj.: dieser groszpratschige
tütendreher W. Alexis Shak. u. s. freunde 2, 66; Jäger
(groszpraschig hingepflanzt . . .) G. Hauptmann weber
(1892) 31. — groszpriester, m., oberpriester (vgl. grosz
III 4 k); im älteren nhd. nicht selten: Zacharias der grosz-
priester (im tempel zu Jerusalem) Keisersberg postill
(1522) 4, 2»; sie verwunderten sich . . . ober des grosz-
priesters frembder entzückung Opitz Barclays Argenis
(1631) 2, 259 (an anderer stelle hohepriester genannt);
dieser heidnische groszpriester Valvasor ehre d. her-
zogth. Crain 2, 380; der kutuchtu-lama, einer der grosz-
priester der Mongolen Ritter erdk. 2, 260; entsprechend:
das groszpriesterthum von Tibet Schelling II 2,
568.
GROSZRATH, m., magnum consilium: im groszrat des
kaisers Alexander E. M. Arndt w. l, 183; häufiger per-
sönlich, m,itglied eines groszen rathes: Versammlung der
grosz-rähten von Spanien Kramer teutsch-ital. 2, 423";
(am fuszgestell steht) IIEHSAI, was auf alle sieben
groszräthe zu beziehen ist Welcher alte denkm. 5, 351 ;
in der Schweiz feste bezeichnung der mitglieder des gro-
szen rathes, der höchsten gesetzgebenden kantonalen be-
hörde: wer nicht groszrat sei oder irgend ein bein von
einem groszrat Gotthelf l, xiv; die eitern der jungen
groszräte G. Keller 8, 144; moviert gvoszx&ih.in, fr au
eines groszraths 8, 195. — groszräumig, adj.: dieser
groszräumige palast C. Töpfer ges. dram. werke 2, 227;
junge, aber heute recht beliebte bildung, zumal in etwas
entwickelterer bedeutung: so entwickelte sich zunächst
in der baukunst unter einflusz der antike ein gefühl
für groszräumige wie für feine Verhältnisse Fr. Boden-
stedt erinn. 2, 202; ihre (der renaissance) einfach grosz-
räumige anläge C. Neumann Jak. Burckhardt briefw.
mit H. V. Geymüller 20. — groszred(n)erei, /.; ob
von Klopstock oder Bürger jene bombastische grosz-
rednerei herrührt, . . jenes geprahl von den adlerpfaden,
die der dichter fliegen will Gervinüs gesch. d. dtsch.
dicht. 5, 131; vgl. 3, 329; 3, 489; (demokratie ist nichts als)
krakehlsucht, . . thatenlose groszrederei K. Braun bil-
der 2, 374; vgl. grosz reden unter grosz IG 3. — grosz-
red(n)erisch, adj.: heroische klaggedichte . . im aus-
druck groszrednerisch, wie alle keltische . . rede schon
den Römern erschien Gervinüs gesch. d. dtsch. dickt.
1, 249; die reichen, groszrederischen bauern von der
Massing Rosegger I 3, 324. — groszrichter, m., ober-
richter (vgl. grosz III 4 k) : der umstand , dasz wir zu
einer zeit einen groszrichter für Sicilien und einen
zweiten für Apulien und Kalabrien finden Raumer ge-
schichte d. Hohenst. 3, 508; in diesem sinne: Heinrich von
Morra, der groszrichter Raupach dram. w. ernster gat-
tung 9, 166; dasz der landvogt kaum mehr, als nur . .
groszrichter in kriminal- und Zivilsachen war Zschokke
1, 299; er habe . . der gerechte groszrichter der könige
europäischer Christenheit werden wollen Immermann
18, 209; richter eines bestimmten gerichtes in Soest Krü-
NiTZ 120, 142. — der groszrollende, part. subst., eine
schon ältere bezeichnung einer bestimmten melodie des
finkenschlages , vergl. Hohberg georg. cur. aucta 369»^;
Naumann naturgesch. d. vögel 5, 27; finkenvariazionen,
wovon wol der ritscher, der grosz-, der kleinrollende
. . die beliebtesten sein mögen Jean Paul 32, 21, —
groszrühmerei, /.; ehre nähret die hoffart, die grosz-
rühmerei Er. Francisci weh d. ewigk. (1686) 643; selte-
nere bildung, vgl. grosz rühmen unter grosz l G 3.
GROSZSCHÄTZIG, adj., hochgeschätzt, werthvoll: alles
das einen menschen mag zeitlich zieren . . . und vor den
leuten . . grosschätzig machen Luther i, 699 W.; der
vatter . . hat . . alles was er wichtig und groszschetzig
gehabt, . . . zusamen gerafft H. Müller türk. hist.
(1568) 45*; für allen andern groszschetzigen geschencken
E. Menius ehr. Gar. (1564) 3, 75»; ein stettlin Marnak ge-
577 GROSZSCHÄTZUNG — GROSZSINNIG
GROSZSINNIGKEIT - -SPRECHENHEIT 578
nannt, nit sehr groszschetzig, doch hats ein vest schlosz
Jean de Serres französische historien (1574) 104*; dann
auch: dergleichen ding von groszschätzigem werth H.
Müller türkische hist. 4"; mit eigenartiger comparie-
rung: {die perle des lichtes goites) ist schöner als der
sonnenglantz und grösserschätzig als die gantze weit
Jag. Böhme 3, 377. — groszschätzung, /.; die hoö-
nung in sich begreift . . groszschätzung der himmlischen
Spee güld. tugendb. '■i.%1 ; aus einer unvernünftigen grosz-
schätzung seiner selbst Lindenborn Diogenes l, 192;
unsre herzogin mutter ... ist also auch dem hm. bru-
der . . mit aller huld und groszschätzung wohl beige-
than Wieland br. a. u. v. Merck 2, 231, vgl. grosz schätzen
unter grosz I G 4. — groszschnauzig, adj., eigent-
lich chilo. bucco, bucculentus Stieler 1907; gewöhnlich
in dem übertragenen sinne von groszmäulig: dasz der
groszschnauzige landrichter eins aufs maul kriegt Auer-
B.\CH 1, 119; nachher kommen die groszschnauzigen
Preuszen und reden hinterm bierglas von ihren helden-
thaten Frenssen Jöi-n Uhl (1902) 256; mundartlich weit
verbreitet, s. z.b. MüllerFraureutii 1,445''. — grosz-
schreier,m. : Ver groszsehreier/ür schreier oder lauter
schreier ist sonst nicht gebräuchlich, es soll etivas feiner
sein als groszmaul' Heynatz antibarb. 2, 78 mi< citat;
aber nicht gar selten: ich rede von den groszschreiern,
die sich als allein weise und denker ankündigen beitr.
... zu Bahrdts lebensheschreib. (l79l) 78. — grosz-
schwager, m., = groszschwäher {s. d.): 2Jrosocer grosz-
schwager nomencl. lat. germ. (lC34) 466; groszschwäger
AhER dict. 1, 9S6^; moviert: groszsch wägerinn pro«o-
crus ib. — groszschwäher, m.: meiner frawen grosz-
vatter, groszschwäher maior socer Frisius 794»; pro-
socer Zehner nomencl. 2d7; Dentzler 2, 141»; so denn
auch ewer grosschweer, wie ir ine nennet, ewers weibs
grosvater von der mutter seliger todeshalben abgangen
Chr. Zobel sächs. iceichbild u. lehenr. (1537) 121''; in
jüngerer spräche dafür groszschwiegervater pro-
socer Steinbach 2, 885; Chr. Garve an Chr. F. Weisze
br. (1802)1,286. — groszsch wieger, /.: magnam so-
crum vir uxoris suae aviam appellat, seines weybs
groszmüter, groszschwiger Frisius 794"; prosocrus no-
mencl. lat. germ. (i634) 466; Dentzler 2, 141«^; (es ist
verboten, zu heirathen) sonsfrawen . . grosschwieger E.
Sarcerius buch V. heil, ehestande (1553) 88''; iii jünge-
rer spräche dafür groszschwiegermutter prosocrus
Steinbach 2, 94. — groszselig, adj.: das groszsee-
lichte wesen, (.leyaloiliv/ici, ist . . . ein schmuck der
tugenden Heinse bei Brecht Heinse u. d. aesth. immor.
142; seltene bildung; doch vgl. schon: grosselig ampliter,
ample, magnifice. elate, splendide Henisgh 1754.
GROSZSINN, m., erheblich seltener als das zugehörige
adj., aber mit ähnlichen Schwankungen des sinnes: hohe,
erhabene denkungsart: zum ausdruck des kirchenstyls
gehört wärme für die religion, groszsinn und das zar-
teste herzgefühl Schubart ästhet. d. tonk. 375; das genie
mit groszsinn sucht seinem Jahrhundert vorzueilen
GöTHE 42, 2, 243 W.; eine ganze nation einem Beethoven
gegenüber, der ihr groszsinn . . lehrt R. Schumann 1,
221; etwas anders, an grosz-, hochherzigkeit streifend:
geben sie das beispiel eines fürstlichen groszsinns Jean
Paul 33, I8; (in Norddeutschland) fand sich lange kein
. . . fürst, der Josephs beispiel (in der frage der jtiden-
emancipation) nachzuahmen groszsinn genug gehabt
hätte ZSCHOKKE 4, 88.
GROSZSINNIG, adj., im 17. jh. noch vereinzelt und in
anderer bedeutung als heute: liess Lacifer fordern . . .
den groszsinnigen und kühnen Ipos . . ., den schröck-
lichen löwenköpfichten engel Ayrer histor. proc. iur.
(I6OO) 768, offenbar 'muthig', vne groszmüthig 1 ; unklar
ist die bedeutung bei Sghottel: groszsinnig ist der
dunkler ethica (1669) 451 ; atich haubtspr. 466 notiert; nicht
mit unrecht bezeichnet Campe das wort, das bei Ade-
lung fehlt, als neu; denn es zeigt sich erst im 19. jh.
in breiterer entfaliung; die bedeutung zeigt mancherlei
feinere abschattungen; zunächst mehr 'von edler, erhabe-
ner', später mehr 'von grosz-freier, iveitherziger. hochher-
IV. 1. 6.
ziger denkungsart': die rede, welche der könig an den
reichstag hielt, ist stark, groszsinnig Sghubart vater-
landschron. (i789) 132; der groszsinnige Winckelmann
Jean Paul 49/51, 3C5; die stille harmonie der alten
groszsinnigen gemälde Tieck sehr. 4, 109; ein groszsin-
niges streben bemächtigt sich immer mehr der Ratio-
nen ZscHOKKE 4, 135; wie schade . ., dasz dieser grosz-
sinnige fürst (Karl August) auf der stufe französischer
. . bildung . . stehen geblieben ist Götiie gespr. 6, 194;
schade, dasz es hier an einer groszsinnigen politik ge-
brach Olsner pol. denkw. 93; die wenigen züge von
groszsinniger Selbstverleugnung F. Lewald gefühltes u.
gedachtes SOi; vgl. groszgesinnt. — groszsinnigkeit,
/. : genie, laune, groszsinnigkeit, uralte deutsche herz-
lichkeit . . heben disz büchlein so hoch Schubart br. 2,
290 Str. ; alle eidgenossen ehrten dieselbe (regierung) ihrer
groszsinnigkeit . . . willen Zschokke 9, 42; genie und
blödsinn, . . . groszsinnigkeit und erbärmlichkeit seien
. . fest an irgend eine irdische form geknüpft Görres
2, 161. — groszsohn, m., enkel: hier ist mein kind,
mein groszsohn Lenz 1,81 Tieck; ein groszsohn ihrer
Schwester Pfeffel poet. vers. 5, 154; Hippel lebensl. 2,
245; Iffland theatr. w. 9, 79; anscheinend mehr nord-
deutsch; vgl. grosztochter.
GROSZSPRÄCHIG, adj., groszsprecherisch: übermütig,
grawsam, groszsprächig, hochtrabendt Ph. Nicolai
teutsche sehr. (1617) 1, 195*; grandiloquus groszsprächig
thes. lat. germ. (1687) 398; derselbe vocal mag gemeint
sein in alten glossierungen: gros sprechig grandiloquus
Diefenbach gloss. 268"; groisz sprechig magniloquus
313"; vgl. WiLMANNS 2, 460; doch ist nach grosz III i e
auch eine bildung mit der ablautstufe des präs. m,ög-
lich: so solt iderman ewern grossprechigen rhum hören
G. Wicelius von der christl. kirchen (1534) Q 3''; dasz
dieser Perdickas . . . ein sehr wehrhafter, aber auch
groszsprechiger ritter währe Bugholtz Herk. (1666) 1,
396; grossprechig auch bei Henisch 1754 u. Sghottel
322; vereinzelt mit anderem suffix: groz sprechlig ma-
gniloquus Diefenbach 343"; groszsprächisch Kramer
teutschital. 2, 880"; dem mhd. gespraeche entsprechen:
groszgesprech Diefenbach 343"; groiszspreche grandi-
loquus 26^". — groszsp rechen, n., subst. inf. zu der
bei rein verbalem gebrauch zunächst uncomponierten for-
met grosz sprechen (vgl. grosz I G 3): groszsprechen ist
kein kunst Petri der Teutschen weish. 2, GgS''; aber
gerade im älteren nhd. auch gern in einer ausgesproche
ner substantivischen Verwendung : dasz die Böhmen der
Wahlen groszsprächen und gleisznerei nicht scheweten
Schickfus schles. chron. 1, 113; wolt ihr dan der Griechen
und Römer mährlein und groszsprechen mehr glauben
als der Teutschen warheit Moscherosch ges. 2, 128;
das gezüchtete groszsprechen als Überschrift E. Fran-
cisci höll. Proteus (1693) 479; er liesz wohl das grosz-
sprechen sein, aber seine arbeiten wurden nicht besser
Rosegger I 5, 106. — groszsprechend, ^arf., bis ins
19. jh. häufig in rein adjectivischem gebrauch: grosz
sprechende magniloquus Diefenbach 343"; er ist ein
geitziger fürst gewesen, . . ehrgeitzig, rhumrhettig, gros-
sprechend E. Menius chron. Carionis (1564) 3, 89»; viel
ehrsüchtige, groszsprechende, hochtrabende . . sennores
Moscherosch ges. 1,43; ein groszsprechender Franzos
rühmte sich einst . . seiner heldenthaten v. Loen 1, 59 ;
ein gemeiner groszsprechender mensch Brentano 7,
465; fühlbarer ivird in der ganz gewöhnliclien vericendung
neben unpersönlichen Substantiven, dasz das part. nicht
mehr im eigentlichen ivortsinne, sondern freier als 'prah-
lerisch, hochtrabend' verstanden icird: liesze Chaumi-
grem seiner groszsprechenden hochmuth den zügel völlig
schiessen Ziegler asiat. Banisem; der breitliche . .
rücken der sonst nichts weniger als groszsprechenden,
unternehmenden nase LAVATER^Ä«/sio<7n./»a^m. i, 230;
ich sehe jetzt die fluche von tausenden ... in dieser
groszsprechenden Verwesung wimmeln Schiller 3, 576
(?.,- haben sich dieser groszsprechenden, völlig hohlen
ansieht leicht enthalten Savigny beruf uns. zeit 18. —
groszsprechenheit, /..- dasz hierinn kein fleisch-
37
579 GROSZSPRECHER, GROSZSPREGHEREI
GROSZSPRECHERISCH - GROSZSTAAT 580
lieber rühm noch groszsprechenheit statt findet ayia-
baptist. et enthusiast. pantheon (1702) 5, 198.
GROSZSPRECHER, m., seit dem i5. jh. nachzuweisen :
grandiloquus Diefenbach 268"; gloriosus Henisgh 1754;
vanidicus Calepin vii ling. (l73l) 2, 501"; auch nd.:
grotspreker magniloquus Diefenbach 348«; leug nur
weidlich, gleichwol nicht zu grob, . . . wird man dich
groszsprecher und schreyer kennen, ists ausz mit dir
Kirchhof wendunm. 2, 166 lit. ver.; einen Thrasonem
oder Schnarcher und groszsprecher, der berümbt sich
seines adels Äg. Albertinus hirnschleifer 496; wer ehr-
lichkeit und Verdienste selbst von sich rühmen will,
. . für einen groszsprecher wird man ihn halten Rabe-
NER IV. 1, 172; der Ostreicher scheint im auslande leicht
ein tölpel, der Preusze ein groszsprecher Grillparzer
20, 30 Sauer; besonders, tvenn es sich um leistungen han-
delt, die erst noch vollführt icerde7i sollen: einer der
mehr zusaget, als er thun kan, ist ein groszsprecher
BuTSCHKY Pathmos 877; da hatten alle groszsprecher
ihre courage daheim vergessen, und muste . . Curtzi-
pold sein schwerd ergreifen Chr. Weise d. drei klüg-
sten leide (1675) 41;
dem groszsprecher.
öfters nahmst du das maul schon so voll und konntest
nicht wirken
Schiller 11. 126 ö. ;
verschiedentlich variiert: wer grosze {pathetische, über-
treibende) ivorte macht: ein groszsprecher oder schalcks-
narr lobte . . . keyser Sigmunden uberausz sehr und
schier zuviel, under anderm, wie der keyser mehr
einem gott denn einem menschen gleichte Kirchhof
wendunm. l, 48 lit. ver.; heute werden sie das hohe
glück haben, mit der helleuchtenden fackel des adel-
Standes, mit dem glanzvollsten gestirne Italiens . . zu
speisen. Roberto, (das ist doch der ewige groszsprecher!)
samml. v. schausp. (\76iff.) 7, d. verliebte Zänker 76; ähn-
lichen klanges: complimenteur, ein prächtiger höflicher
reder, groszsprecher, ein aufschneider und lügner Mo-
SGHEROSCH ges. 2, 152; wer sich mit groszen ivorten iii
den Vordergrund drängt: (jjenius säculi ist) jede den-
kungsart, die blosz dem Zeitalter, das ist, gewissen
furchtbaren oder gefälligen groszsprechern und ton-
gebern zu lieb . . sutenirt wird Lavater ausgexo. sehr.
1, 280; ich merkte, dasz in einer deutschen revolution
die rolle eines groszsprechers . . nicht für mich paszte
Heine 7, 81 E.; schlieszlich kann der begriff des Sprechens
zurücktreten, so dasz sich die bedeutung dem sinne 'an-
maszender, dünkelhafter meiisch' nähert; so im 18. jh.
häufiger von kritikern, gelehrten u. s. w.: dergleichen
groszsprecher glauben, ich messe die Wissenschaft nach
ihren jähren Winckelmann bei Justi 2, l, 133; welches
ist die gattung . . der dichtung, . . worüber einer von
diesen groszsprechern nur eine einzige neue . . . an-
merkung gemacht hätte Lessing lO, 434 M.; etwas an-
ders: dieses betragen unterscheidet den wahren weisen
von dem schulgerechten pedanten und dem philosophi-
schen groszsprecher J. A. Fessler Marc Aurel l, 226.
GROSZSPRECHEREI, /. , seit dem 17. jh. . zufrühest
bei Harsdörfer frauenz. gesprächsp. 3, )( )( i*; 'prah-
lerisches, groszthuerisches, übertreibendes reden': der arme
Zöllner im tempel zu Jerusalem der macht nicht viel
groszsprecherey Schupp sehr. 890; die römische grosz-
sprecherey setzet nicht selten ein ganzes volk für einen
theil Gottsched d. n. a. d. anm. gelehrs. 6, 787; hier
könnte ich ohne groszsprecherei viel für dich thun
Hebbel br. 4, 240; es giebt eine innere groszsprecherei,
die den menschen verhindert, die läge, in der er
sich befindet, zu begreifen Ranke *. werke 4, 265; co7i-
creter vom inhalt solcher rede: gedächte ich ihm irgend
mit ungereimbten paradoxis und groszsprechereien . .
das maul zu machen Ph. W. v. Hornick Österreich
über alles (1684) 3; um einer einzigen wohltönenden
groszsprecherei willen darf man des mannes ganzes
treiben . . nicht verkennen Dahlmann gesch. v. Däne-
mark 1, 11; auch vom prahlen ohne ivorte: den rothen
mann, der aus einer spanischen groszsprecherei den
degen quer vor dem leibe trug Göthe 43, 108 W.; schliesz-
lich auch, vom eigentlichen toortsinn sich mehr und mehr
entfernend, ganz abstract 'anmaszung, überhebung, dun-
kel' {vgl. groszsprecher schlusz): die schöne kunst . .,
weise zu sein ohne pomp, ohne groszsprecherei, ohne
gehässigkeit, ohne bitterkeit J. A. Fessler Marc Aurel
1, 226; du verachtest jetzt die menschen mit einer ge-
wissen groszsprecherei, die dich sehr schlecht kleidet
TiECK sehr. 7, 323; alle aufgaben auflösen . . zu wollen,
würde eine unverschämte groszsprecherei und ein so
ausschweifender eigendünkel sein, dasz . . Kant 3, 330
ak. aitsg.; (du, materie) bist mit sammt deiner grosz-
sprecherei in nichts versunken Schopenhauer 2, 27
Oris.
GROSZSPRECHERISCH, ad;]., seit dem 17. Jh.; 'prah-
lerisch, ruhmredig': bei vielen groszsprächerischen Sol-
daten Rist n. teutscher Farn. 604; groszsprecherisch er-
zähle ich dann mit den . . übertriebensten ausdrücken,
was ich alles genossen . . hätte Moser to. 2, 232; so
groszsprecherisch auch dieses indianische mährchen
klingen mag Böttiger kl. sehr. 2, 143; besonders, tvenn
es sich um noch zu vollbringende leistungen handelt: ob
auch wohl des . . . baumeisters Dinostratus erbieten
. . für eine groszsprecherische Unmöglichkeit gehalten
würde Lohenstein Armin, l, 611*^; von dort her sollte
der schafhirte kommen, wollte er seine groszspreche-
rischen worte einlösen H. v. Barth Kalkalpen 539; vgl.
in seinem gewohnten groszsprecherischen tone verkün-
dete er . . , der grosze schlag . . sei genugsam gesichert
Treitschke dtsche gesch. im 19. jh. 3,337; eticas anders
'wichtig thuend': {der pedant) beschäftigt sich mit . . .
nichtswürdigen dingen; doch wenn er davon zu reden
kommt, so redet er in einem so groszsprecherischen
thone, als ob es dinge wären, daran des römischen
reiches . . Wohlfahrt hienge Gottsched die vemünft.
tadler. 2, 3G2; wieder anders, 'geschwollen, bombastisch':
dieser ihr groszsprecherischer ausdruck machet, dasz
man sie nicht für poeten, sondern für äffen der dichter
hält d. n. a. d. anm. gelehrs. 8, 871; auch im übrigen
mit ähnlichen bedeutung sschwankun gen , wie sie grosz-
sprecher zeigt; besonders in einem sinne, der den begriff
des Sprechens vernachlässigt oder schwinden läszt zu
gunsien einer rein abstructen bedeutung, also 'groszthue-
risch, anspruchsvoll, anmaszend, überheblich, dünkelhaft':
die überaus . . groszsprecherischen Athenienser glaubten
Zimmermann nationalstolz 28; dieses ist, was die Dresd-
ner groszsprecherischen kenner . . . nicht wissen Les-
SINO 18, 61 M.; daher auch sehr gern mit unpersön-
lichem regens: knaben, welche auf weissen Schilden
die groszsprecherischen nahmen des persischen königs
trugen Lohenstein Arminius l, Wii^; weil sie nach
eigenem gutdünken ihre groszsprecherischen träume
aussinnen kann J. E. Schlegel 3, 35i; ungeachtet sei-
ner groszsprecherischen gelehrsamkeit Fr. v. Gentz
sehr. 5, 268; ganz in dem groszsprecherischen pompe,
den ich wünschte! A. G. Meissner Alcibiudes l, 149. —
groszsprecherlich, adj. Zesen Hei. 3 (1656), reimanz.
Jv. — gr oszsprech ung,/., gloriatio Stieler2101 ; ihm
wurde vor diese groszsprechung (prahlerei mit derbekannt-
schaft eines prinzen) . . ein solcher . . fürstlicher grusz
überschrieben Neumark neuspross. teutsch. palmb. 78;
eure politische weitläuftige groszsprechungen und ertz-
betrügliche fündlein la doppia impiccata (1668) 237. —
groszspurig, ad,j., aufgeblasen Brendicke Berliner
wortsch. 130; in seines groszspurigen dienstmannes ge-
walt J. WoLFF raubgraf (i886) 118; {ein brief) der aber
mit seinem groszspurigen Schriftdeutsch seltsam gegen
die Sprechweise des Schreibers absticht 0. v. Leixner
aoz. br. 49; wie breitspurig {a. d.) zum subst. die spur.
— groszspurigkeit, /.: ringe an den fingern, von
denen er {ein verurtheilter) einen mit einer gewissen
groszspurigkeit verschenkte Ric. Huch risorg. (1908) 190.
GROSZSTAAT, m., an alter u. entwicklung mit grosz-
macht {in der concreten politischen bedeutung) vergleich-
bar {s. d.): schwer verträglich mit der . . autoritäl eines
groszstaates {Preuszen ist gemeint) W. Alexis ruhe l.
581 GROSZSTAATLICH - GROSZSTÜHL
GROSZSÜGHTIG — GROSZTHÄTER 582
251; die groszstaaten Preuszen und Oesten-eich Laube
16, 97; die . . hauptstädte der europäischen groszstaaten
Fr. L. Jahn dtsch. volksth. 107; die europäischen grosz-
staaten D. F. Strausz 6, 177; die neuen gebietsver-
hältnisse mehrerer der {europäischen) groszstaaten Ger-
viNUS gesch. des 19. jhs. 1, 201; {der parthische staut)
gleich dem Perserreich und den älteren asiatischen
groszstaaten eine reine continentalmonarchie JMommsen
röm. gesch. 2, 62. — groszstaatlich, adj.: Preuszens
groszstaatliche aufgäbe A. Rüge ic. i, 340.
GROSZSTADT, /., zuerst hei Campe als neugebildetes
wort notiert: wird den kinderherzen eine groszstadt da-
durch nachtheiüg, dasz sie die vornehme menschen-
neutralität annehmen müssen Jean Paul sämtl. w. 23
(1842), 39 Reimer ; in den groszstädten der neuern Völker
Fr. L. Jahn dtsch. volksth. 104; der emporblick, novelle
aus dem volksieben der groszstädte Gutzkow tv. 2, I4t ;
ihm {de7n orte Pitschen) gegenüber achtete sich Kreuz-
burg als groszstadt G. Freytag l, 46; Frieda war ein
kind der groszstadt H. Seidel Leber. Hühnchen 150; das
fieber der groszstadt hielt sie gepackt H. v. Kahlen-
BERG Eua Sehring 87; in älterer spräche nur vereinzelt
als gelegenheitsbildung : dasselb ist ir niniveisch grosz-
statt, ir liebgebannte hofstatt Fischart geschichtklitt.
llOndr.; megalopolis . ., welches auf teutsch so viel
als groszstatt H. Lewenklaw neue chronik türk. nation
(l590) 198. dazu zahlreiche compositionen wie grosz-
stadtkind; -leben Rosegger III 7, 289; -luft L.
¥ui^D\ neue ged. (1900) 224; -schmutz C. Jentsch wandl.
1, 332.
GROSZSTADTER, m., älter und auch im beginnenden
19. jh. noch stärker entwickelt als groszstadt; die frühe-
ren belege zeigen das tcort in stereotyper Verbindung mit
kieinstädter: die groszstädter haben . . . diese unart,
dasz sie sich viel spannen besser düncken als die kiein-
städter V. Herberger himl. Jerusalem (1609) 109; wenn
der kieinstädter in der groszen stadt alles bewundert,
so kann er sich damit trösten, dasz der groszstädter
in der kleinen stadt alles verachtet Leisewitz tageb.
1, 25; der groszstädter faszt tausend kunstanspielungen,
die dem kieinstädter entgehen Jean Paul 49/51, 215 und
bei diesem autor häufiger ; ausgemärgelten groszstädtern
Fr. L. Jahn w. 1, 101 ; wegen der lügen dieses einge-
bildeten groszstädters Ritter erdk. 8, 603. — grosz-
städte r ei, /.; es ist dort {in Paris und Berlin), über
alle hefen der groszstädterei hinaus, etwas feineres,
geistigeres im leben Zsgiiokke 40, 229; es giebt eine
groszstädterei, die das Vaterland selbst für einen . . .
engherzigen gedanken . . . hält Fr. L. Jahn deutsches
volksth. 218; ein komisches gemisch von kräh winkelet
und groszstädterei S. Hensel /amiWc Mendelssohn l, 196;
vgl. kleinstädterei.
GROSZSTÄDTISCH, adj., ist dem früher und reicher
entwickelten kleinstädtisch {s. d.) nachgebildet: klein-
städtische advokaten und groszstädtische hofdamen
Gerstenberg schlesw. litbr. 87 lit. denkm.; an sich nur
'was in, aus einer groszen stadt isf: meine groszstädti-
sehen freunde Hippel lebensl. 2, 182; sie . . stand , .
an der spitze einer groszstädtischen . . wohlthätigkeits-
gesellschaft Pestalozzi 3, 259; die langen straszen er-
innerten an das groszstädtische Hoffmann v. Fallers-
leben 7, 126; fern von dem groszstädtischen gefriebe
Fontane I 5, 185; aber frühzeitig mit specifischer bedeu-
tung wie kleinstädtisch, gegenüber der dürftigkeit, enge,
dem engsinn das comfortable, vornehme, das weite, freie
in jedem sinne betonend: es {das absteigequartier) ist
greulich lärmend und ganz groszstädtisch, was das haus
anbetrifft Iffland br. l, 1I6; dasz Frankfurt zu grosz-
städtisch ist für kleinstädtisches gesch wätz Fr. Creu-
zer in: Preisendanz die liebe d. Günderode 297; der
sehr groszstädtisch gekleidet war A. v. Arnim 3, 287; ein
solcher groszstädtischer weitmann Gervinus geschichte
der deutschen dichtung 3, 511; die schulen, die gesell-
schaftlichen Vereinigungen . . . haben einen groszstäd-
tischen zuschnitt Gutzkow iverke 11, 52. — grosz-
stuhl, m., fauteuil Schaffer dtschfranz. wb. l, 772;
wenn sie sich in ihrem groszstuhle mich . . vorstellen
Zollikofer an Oarve, briefw. 130; (er) nickte hierauf
in seinem groszstuhl Göthe 26, 57 W. — groszsüch-
tig, adj.: wie die herrsch- und groszsüchtigen ihre
thorheit verfluchen E. Francisci weh der ewigk. (1686)
835; die mutter des mannes, eine beschränkte, grosz-
süchtige frau H. Stehr Heiligenhof 1, 281; vgl. grösze-
sucht sp. 631. — grosztante,/., scMcester des grosz-
vaters oder der groszmutter Moser iverke l, 215; Bode
Tristram Schandi 8, 9; auch mit besonderer note: ists
wohl eine würdigere ocularinspection, ob Virgils muse
auch — eine reine keusche Jungfer sey? würdige be-
mühung, aber für fromme grosztanten Herder 3, 273 S.
— gröszten theils s. groszentheils. — groszteufel,
w. ; der groszteufel Lucifer Lindenborn Diogenes 2,
693; und geht . . als ein ächter Römer . . dem grosz-
teufel zu leibe Gaudy 20, 125; mit dem groszteufel, wie
sie in ihrem hasse den grafen nannten, anzubinden
Rosegger I 11, 24.
GROSZTHAT, /., junges wort, denn gros tot magnifi-
centia Diefenbach 343" ist kaum schon compositum;
im n, jh. erst ganz selten zu belegen:
der im krieg hat groszthaten than
Ayrer dr. 1, 269 lit. ver.;
seiner groszthaten sind so viel J. G. Lairitz palmwald
(I686) 883*; lexicalisch zuerst bei Stieler: grosztaht
mirificum, magnificum, luculentum stammb. 2.S53; von
Gottsched bekämpft: die groszthaten aber, die einige
aufbringen wollen, sind bey weitem mit keiner grosz-
muth . . zu vergleichen dische sprachk. 141; von Kern
als neuschöpfung Schub.\rts getadelt, s. zs. f. d. w.
11, 112; bei Adelung noch fehlend; thatsächlich in der
2. hälfte des 18. jhs. noch selten; nur Wieland gebraucht
das tvort häufig und sein Vorgang in der hauptsache
wird ihm den weg neu gebahnt haben: dasz er {Alexander)
zu allen seinen übrigen groszthaten diese hinzusetzen
wollte Lucian 6, lll; vgl. 4, 90; das verdächtige . ., das
der erzählung unsrer eignen groszthaten anzukleben
pflegt W. (1853 jf.) 23, 16; vgl. 32, 161; W. (1794) 10, 276 U. Ö./
wenn man handlungen der art als groszthaten des
menschlichen geschlechts epopöirte Herder 24, 292 S.;
fing nun der fuchs ... an, die groszthaten aller ver-
storbenen und lebenden löwen zu erzählen Fr. M,
Klinger w. 7, 74; von Heynatz antibarb. 2, 78 bereits
als häufig bezeichnet; vom späteren Göthe viel gebraucht
mit fühlbarer freude an dem charaktervollen, noch un-
abgegriffenen wort: Hercules, rasend; schlecht belohnte
groszthaten 49, 72 W. ; Lenz, mit groszthaten groszthuisch
sich isolirend IV 26, 336; vgl. I 26, 112; 27, 195; 35, 56; 36,
132; 49, 2, 76 u. ö.; im 19. jh. dann in breiter entfaltung;
gern von kriegerischen und politischen leistungen: wäh-
rend das epos des Camoens die groszthaten der Portu-
giesen verherrlicht A. v. Humboldt kosmos 2, 61 ; mit den
groszthaten der Griechenflotte Gervinus geschichte d.
19. jhs. 6, 11; von den groszthaten preuszischer wallen
Nitzsch dtsche stud. lll: die groszthaten der vorfahren
G. Freytag 17, 78; doch azich mannigfach anders, na-
mentlich in neuerer zeit, wo das subst. fast zu einem
modewort geworden ist: es giebt einen adel tugendhafter
groszthaten Fichte 6, 191; zagen ist das verderben aller
groszthaten B. v. Arnim frühlingskr. 288; so sind . . .
alle geistigen groszthaten im gegensatz zur kirche in
die weit getreten W. Scherer kl. sehr. I, 672; wegen
eurer schon im Jünglingsalter verrichteten demokrati-
schen groszthaten C. F. Meyer Jürg Jenatsch 113; da-
mit wurde eine . . agrarpolitische maszregel zu einer
sozialpolitischen groszthat H. Prutz preusz. gesch. 3,
439; gern auch ironisch: wir können ob der groszthaten
des bundestags nur . . . Oesterreich und Preuszen . . .
anklagen Heine 5, 14 E.; nur die edelsten des Volkes
schämten im stillen sich der neuesten groszthat der
nation Mommsen röm. gesch. 2,87; eigen: was das {tauben
zu haben) für eine groszthat in einem kinderleben ist, das
vermag nur der zu begreifen Hansjakob aus meiner
jugendz. 24. — groszthäter, m., ganz selten bezeugtes
wort, aber doch deutlich keine reine gelegenheitsbildung:
37»
583
GROSZTHÄTIG
GROSZTHÄTIGKEIT — GROSZTHUEREI 584
als da seind die hoffertigen haiigen, die grosztheter,
teufeis martrer (von den leutcn, die da got mit iren
hüpschen wercken wollen den himel abpoldern) Luther
7, 239 W., also im eigentlichen sinne; vgl. groszthäter
operatore di prodezze Kramer teutschital. 2, 1079»; an-
ders: (der ägyptische könig verwendet einen theil seiner
einkünfte zur) miltigkeyt gegen den strengen groszthät-
tern Seb. Franck weltb. (15S4) 10% ivo Statthalter oder
dgl. gemeint sein müssen; vgl, grostäter vir magnificus
Stieler 2353.
GROSZTHÄTIG, adj., seit dem 15. jh. nachzuiceisen ;
vermuthlich dem lat. magnificus nachgebildet (vgl. Die-
FENBACH 343" *. V. magnificus), jedenfalls in seinen be-
deutungen deutlich von diesem tvorte beeinfluszt.
1) eigentlich 'grosze thaten verrichtend' und so noch bei
ScHOTTEL gedeutet: grostählig in iis, quae magna sunt,
efficiendis occupatus hatibtsjn: 530; docfi tritt diese bedeu-
tung nur selten rein zu tage: das nie kein grosthettiger
oder wunderman gewest sey sine afflatu Luther 51,
222 W.; die Sünde ist ein grossmechtiger und grossthä-
tiger gott theatr. diabol. (1569) 176 '^- gewöhnlich inner-
licher, mit dem blick nicht auf die that, sondern auf die
fähigkeit zu thaten, 'kraftvoll, thatkräftig, energisch': darff
mit einem wort alle mechtigen kranck, alle grosztettigen
krafftlosz . . machen Luther 7, 574 W.; vgl. lo, i, l, 62ü;
was disz vor ein groszthetiger keyser gewesen, wie schnell
er solchen groszen tumult . . wider . . gestillet hat G. Lau-
terbeck v. keyser Fridrichen (1562) IG''; war darneben fast
groszthätig, kün oder frech und grimmig J. B. Porta
physiogn. (l60l) 215; die groszthätige und gottsfürchtige
witfraw Judith Meyfart himml. Jertis. (1630) l, 108; die
alten Winden, . . der jetzigen Khärndter löbliche, grosz-
thetige illyrische vorfahren, namen die land under dem
gebürge H. Megiser ann, Carinth. (1612) 340; dies die
hauptbedeutung , die im n.jh. erlischt, wenngleich noch
bei Kramer notiert: groszthätig . . bravo neue sue at-
tioni teutsch-ital. 2, lOTQ»; vereinzelter gebrauch bei Göthe
bedeutet eine erneuerung : der aberglaube ist ein erbtheil
energischer, groszthätiger, fortschreitender naturen II 3,
164 W.; daneben, nach dem muster von magnificus, auch
in anderem sinne, vor allem in der markantesten bedeu-
tung des lat. adj.: m,agnificus groszthätig, herrlich, präch-
tig Galepin XI ling, 855''; groszthätig, prächtig, herrlich
magnificus, summo splendore praeditus, liberalis Henisch
1754; man nennet ihn auch magnifieum, das ist grosz-
thätig, herrlich und ansehenlich H. Abermann histor.
beschr, (1619) 3, 90; dise begleiteten vil hochgeborner und
groszthätiger hertzogen Wurstisen Pauli Aemilii . , ,
histor, (1572) 1, 160; auch innerlicher: es ist dise ader in
allen weisen groszthetigen beiden gesteckt J. Brenz jire-
diger Solomo (1528) 2'ä^; als anredeformel: ich schicke
euch, grosthetiger rector und wirdigste veter, . . . ein
copey der bullen Eck hei Luther (1575 Jena) i, sis'';
an den grosstähtigen und hochedlen herren Zesen heli-
kon. rosentahl 53 ; das ehrwürdige anschauen der grosz-
thätigen und glorwürdigsten anwesenden gebeut mir
Chr. Weise polit. redneri3l; öfter parallel mit adjectiven
des Sinnes 'freigebig': Fridericus II sey ein . . krefftig,
milt und groszthettig mann gewesen Seb. Franck chron.
Germ. 182»; er war auch ein . . freygebiger, grossthä-
tiger und vollfüllender herr Dann hau er catech. milch
5, 1093; weil sie (die ehr- und geldgeizigen) . . öffentlich
groszthätig und freygebig seyn Neukirch anweis. z.
teutsch. briefen 92; vgl. und zieret den tempel grosz-
tattigclich unt miltigclich G. Alt buch d. cron. (1493) 90".
2) mit unpersönlichem regens 'rühmlich, glänzend': die
sich denen alten weit erkanten und grosztätigen namen
der teutschen Franken . . underzogen habend J. v. Watt
1, 89; von thaten: ich hab auch hiebei eingezogen , . .
grosztattiger werck und fürtreffenlicher person G. Alt
buch d. cron. (1493) 9*»; er hatt von kürtze wegen der
zeit nichts groszthätigs geübt Seb. Franck chron. zeytb.
(1631) 148»; das ich nimmer etwas so groszthätigs sagen
wurd, das dein tugent dasselb nit übertreffe Boltx
Terenz 90'' (numquam ita magnifice quicquam dicam,
adelphi 257); ähnlich, einfach als auszeichnendes heiwort.
ivohl auch: denn ist die fasten schön und groszthätig,
wann das gemiet von lästern fastet J. hocHV-n gnaden-
reichs privileg. (i52o) Gl»; anders: die prächtigkeit, als
eine groszthätige fügend hoher, mächtiger, wolbegüterter
leute Schottel ethica 550.
GROSZTHÄTIGKEIT, /.. im älteren nhd., namentlich
im 16. jh. recht häufig; selten im sinne von groszthätig l
anfang: gebt die krafft gotte ubir Israel, seyn grosz-
tettickeyt und krafft ist yn den wolcken Luther 8,
34 W.; geivöhnlich im sinne von magnificentia, womit das
leort meist glossiert ivird: magnificentia groszthätigkeit,
pracht Galepin xi ling. 855''; m^galoprepeia groszthätig-
keit, herrligkeit 878''; magnificentia, splendor Henisch
1755; seiner herrlichen grosztätigkeit hat er auch solche
namhaffte stück erzeiget Heyden Plinius 39 (illa fuit
. . inconiparabilis invicti animi sublimitas hist. nat. 7, 25
§ 94) ; also sei er ihnen auch in tugenten, groszthätig-
keit und allen fürtrefflichen und hohen thaten weit vor-
gangen J. B. Porta physiogn. (iGOl) 220; dem Theophilo
selb als einem gottesfreund hat sie auch . . ihre herrlig-
keit und groszthätigkeit erzeiget H. Fabricius aiisz. be-
währter histor. (1599) 100; an groszthätig l schlusz ge-
mahnend: alle ding . . hat er mir itzt geben noch grosz-
thetikeit seiner mildikeit buch geistl. gnaden (1.503) 134»;
ey so tödte sie (die verkehrte seele), wie wollen ich weisz,
dasz dein grosz- und gutthätigkeit nicht in den todt . .
desz Sünders gegründet seye Abele v. LiILIENBERG künstl.
unordn. 3, 293; als anredetiiel: es möcht sich nicht allein
ewre groszthätigkeit, sondern auch die andern . . her-
ren . . . verwundern H. Megiser ann. Carinthiae (1612)
402 ; auch im gebrauch von groszthätig 2 : er hat . . in
emssigkeit, manichföi-migkeit und grosztätigkeit wunder-
perlicher ding all ander fürtroffen G. Alt buch d. cron.
(1493) 93»; ein Cartheusercloster an grosztätigkeit des ge-
pews fast weit und schön 101»; vereinzelt erneuert, aber
mit anderem sinn: Friedrich und Napoleon . . . durch-
schnitten mit ihrer groszthätigkeit zu viele Interessen
ZscHOKKE 3, 167. — groszthcil, m.: dies . . . gefühl
mag den grosztheil seiner handlungsweisen erklären
Zsghokke 1, 53, U7xd so heute in süddeutscher Schrift-
sprache sehr üblich; anders: auf dem sechsten grosztheil
der erde J. J. Dittrich bemerk, a. e. reise (1816) 7.
GROSZTHUEND, part. präs. zu grosz thun (ivorüber
unter grosz I G 2 gehandelt ist), aber häufig, ähnlich wie
groszsprechend (s. d.) rein adjectivischem gebrauch sich
nähernd, 'prahlerisch, überheblich, protzenhaft' : ein mensch,
der mehr von sich glaubet und saget, als wahr ist. man
heiszt ihn alsdann einen unverschämten, einen grosz-
thuenden praler Gottsched heob. 257; eine groszthuende
Verschwenderin Gotter 3 (1802), 156; der groszthuende
Köstein (ist) ein schadenfroher narr Tieck sehr. 20, 287;
daher gern auch neben unpersönlichem regens: brausende
und groszthuende leidenschaften Göthe 21, 75 W.; einen
so abzufertigen ist die wahre manier groszthuender
Unwissenheit Hegel 19, l, 146; anders, nach lat. ma-
gnificus, vereinzelt im älteren nhd.: ain fürst sol . . .
groszthuender, gerechter, gütiger . . sein dann die andern
A. V. Eye sp. d. sitten p 8»; auch für die folgenden no-
mina sind die zu grosz sprechen gehörenden parallelbil-
dungen zu beachten. — groszthuer, m., ostentator, glo-
riosus Stieler 2352; thraso, jactator Steinbach 2, 785;
dasz er ein praler und groszthuer wäre M. Kautszgh
polit. u. lust. tabaksbruder (1684) 209; wenn hernach diese
praler und groszthuer banquerot geworden Ghr. Thoma-
sius ernsth. ged u. erinn. 3,132; das ist er: ein Spieler,
bonvivant, egoist, groszthuer Iffland theatr. w. 8, 122;
welcher von diesen glücksjägern und groszthuern verträgt
das armwerden? Rosegger II U, 92. — groszthuerei,
/.; die fröliche geselligkeit, . . die redseligkeit, die grosz-
thuerey dieses Volkes (der Niederländer) Schiller 6, 87
G.; die bündigkeit eurer schluszkette in zweifei zu
ziehen, ist eitle groszthuerei Kant 5, 480 ak. ausg.; Uli
. . gehörte unter die . . bursche, welche aus groszthuerei
die leidige sitte des kiltganges treiben J. Gotthelf 2, 8;
weil ich vor ihm auch meine schwächen fast mit einer
gewissen groszthuerei zeige P, Cornelius lit. w. i, 755.
585 GROSZTHUERISCH - GROSZVATER
— groszthuerisch, adj.: wie aber? der sittsame,
nicht habsüchtige noch unedle, noch groszthuerische,
noch feige, könnte der wol unverträglich sein Schleier-
macher Piaion 6, 319; nicht dasz Georg . . durch ein
groszthuerisches wesen den fehlenden rang hätte er-
setzen . . wollen Spielhagen 3, 4il; zugleich . . stellte
ich . . groszthuerisch in aussieht, den dingen . . ins ge-
siebt sehen zu wollen G. Keller 7, 193; bei Adelung
nebst dem folg. als wort niederer spräche bezeichnet; vgl.
auch Heynatz antibarb. 2,79. — groszthuig, ältestes
wort dieses kreises; zunächst im sinne und als nachbil-
düng von lat. magnificus: der natürlich lew, magnificus
non solum Überaus, ein reichlich groszthugig thier Kei-
sersberg brös. 1, 49'^; es sind die leicben {sc. wenn
eyn hochgeborner hausvatter stirbt) nach haltung der
Gallier groszthuig und kostlich Ringmann Cäsar (1538)
58''; aber seit dem il.jh. im sinne gloriosus: der grosz-
thuichte Sanherib muste mit schänden wieder von Je-
rusalem abziehen Herberger Sirach 339 ''; wir . . weis-
heitsliebhaber sind . . . doch nur eine art groszthuiger
poltrons Wieland (1803/".) 23, 48; rechte verlebte, grosz-
thuige knaben R. Schumann l, 68; noch immer so
viel groszthuige fügend und moralische herrlichkeit
in euren lumpen? Tieck Schriften 3, 182; bei Stein-
BAGH 2, 785 «i der form groszthunig magnificus; unge-
wöhnlich mit Suffix -lieh: Urkunden aus ihrem grosz-
thulicher weise gerühmten archive Rh öden Schlüssel
zu Herrnhut {Mbh) 6. — groszthuisch, adj., im iS. jh.
nicht selten: und dankt endlich so groszthuisch, als
wenn er wunder was wäre, dem lieben gott K. F. \V.
Hertzberg Eulensp. l, 173 ; er {Archenholz) hat die Sachen
gesehen, aber zu der groszthuischen, verachtenden ma-
nier besitzt er viel zu wenig kenntnisse Göthe IV 8,
76 W. an Herder; aber in der fassung der ital. reise:
eine groszthuige verachtende manier I 30, 229; grosz-
thuische Versprechungen Wieland 47, 3i6 Gruber. —
groszthun, n., subst. infin. zu der uneomponierten for-
met grosz thun {s. grosz I G 2), aber ähnlich wie grosz-
sprechen (*. d.) kräftig und selbständig entivickelt, auch
früher nachweisbar als die verbale icendtmg, 'das prahlen,
prunken, protzen in that, gebärde, wort':
wer bey freyen blosz auf zierden, prangen, stoltz und grosz-
thun denckt
Looau sinnged. 601 ;
narren . . , welche über hoffarth und groszthun sonst
nichts gelernet hätten J. Riemer polit. maulaffe 85; er
{Vasari) hatte keine schöpferische phantasie von ge-
stalten, und alles ist nur ein leeres groszthuen, ohne
dasz etwas dahinter steckt Heinse 7, 129 Schüdd.; er
ist mit seinem groszthun im stand und ladet den wagen
noch einmal so hoch Auerbach 12, 130; merke ich erst,
dasz ich ins groszthun und aufschneiden gekommen
bin Göthe IV 20, 234 W.; seinem groszthim ä la Mtinch-
hausen konnte der herr Schulmeister nicht widerstehn
Bäuerle kom. fheater 1,8; mit präpos.: das trotzen und
groszthun auf eine gewisse erwerbsfähigkeit . . des men-
schen Ad. Müller verm. sehr. 1,127; ein groszthun mit
grundsätzen Hegel i, 343.
GROSZTOCHTER, /., enkelin: sie war, von mütter-
licher Seite, eine grosztochter königs Carls II. J. A. Ebert
Youngs nachtged. 1, 207; Leisew^itz briefe an seine
braut 35; Sohnrey im grünen klee 115; entgege^i Ade-
lungs angäbe ein nordd. wort; vergl. groszsohn. —
gröszung, /., extensio, quantitas, capacitas, magnifi-
centia Stieler 708; nur selten nachzuweisen: lugen sie,
ob {7iach entfernung einer beere aus der tveintraube) . .
die umstenden bere kein gröszunge nit haben genomen
Petr. de Cresc. {s. l. e.a.) 54»; die gröszung der freuden Kei-
SERSBERG bilg. 104; nd. grotinge quantitas Diefenbach
477''. — groszurenkel, m., 'des urenkels oder der Ur-
enkelin kinder' Krünitz 20, 142; Protesilaus {war) ein
groszurenkel dieses gottes Wieland Lueian 2, 277.
GROSZVATER, m., seit dem späten U.jh. zu belegen:
avus grosz vatter glossar von 1399 bei Mone anz. z. künde
d. dtsch. vorzeit 6, 837; grozvater Frankfurts reichscorresp.
1, 57S {a. d. j. 1401); entstanden aus einer adjectivischen
GROSZVATER
586
Verbindung, die im älteren hd. nur noch vereinzelt zu tage
tritt (der erste grosze vader preavus Diefenbach 451''
aus Mainzer gloss. v. 1414), im älteren nd. allgemein als
solche behandelt wird: eyn grote vader abavus nov. gloss.
1»; grotevader avus gloss. 63°; mynes vader grote vader
proavus 460''; de erste grote vader priavus 459"; eyn
drit grotevader tritavus 598*; dat slot synes groten va-
ders Korner nach Schiller-Lübben 2, 156'', woselbst
weitere belege; auch in Lutherscäcii drucken noch: unter
dem keiser Theodosius dem Jüngern, des grosse vater
war Theodosius der erste 50, 581 W.; das Joseph und Maria
nifftel sind des groszen vaters Matthes %o. {Jena 1580)
8, 126».
1) {lehen) welichs min vatter oder grossvatter oder
andere desselben voreitern . . überkomen habend Rie-
DERER sp. d. ivahr. rhet. y 3''; meines grossvatters brü-
der Eb. v. Günzburg 2, 75 ndr.; so gedachte ich an
meines grossvaters vater engl. com. u. trag. (1624) c 8^;
des kaysers Caroli V. grossvater von der mutter w^egen
Prätorius winterflucht 360; groszvater väterlicher, müt-
terlicher Seite Frisch nouv. dict. 273; geläufigere Wen-
dungen: {die geschickte) bette er von einem alten mönch
. . , welchem es sein grossvater erzehlet gehabt Kirch-
hof u'endunm. 2, 330 lit. ver.; von einem geringen aus-
länder, der vielleicht nicht seinen groszvater zu nennen
weisz Lohenstein Armhi. l, lO**; so kommt es, dasz
sie alle möglichen sagen . . erzählen können, ohne zu
wissen, wie es zugegangen ist, dasz der groszvater die
groszmutter nahm G. Keller l, 12; genaueres darüber
Mnfer groszvatertanz; diese einzelne erfahrungen giengen
durch tradition vom groszvater zum urenkel über Schil-
ler 1, 155 G.; alterthumsforschung, die unsere enkel so
gut als uns und unsre groszvater interessieren wird
Göthe IV 2i, 78 W.; {die jugend) will nicht das einerlei
wiederkäuen, das ihre groszvater bereits gekaut haben
Lagarde deutsche Schriften 488; gern mit vater ver-
bunden :
{ich darf nicht) mein gering wonung verfluchen,
die mir groszvatr und vater liesz
Rollenhagen froschmeus. o 3*;
die geschichte . . . hat sich in unserm weltalter zuge-
tragen, unsre väter und groszvater sind dabey gegen-
wärtig gewesen Boom er abhandl. v. d. wunderb. 160;
er {der teufel) machte finden es {das geivehr) durch einen
Zauberer
zu der groszvater zeit und noch ein gut theil ehr
D. V. D. Werder ras. Roland 11. (jes. 22. str.;
so stand das gebäude noch da, wie es zu groszvaters
Zeiten gewesen ist Stifter 5, l, 347 Sauer; diese Wen-
dung in jüngerer spräche auch mit dem beiklang des
altfränkischen, überholten: nur der gebildete mag mit
einem schulgedicht aus groszvaters zeit vom 'süszen,
angenehmen fleisze' sprechen Riehl dtsche arbeit 210;
mit ähnlichem beigeschmack : ich kleide mich noch nach
der mode meiner groszvater Löwen sehr. 4, 288; häufig
in sprichtcörtern, vgl. Wander 2, 152.
2) der urspru7ig der Zusammensetzung macht es be-
greiflich, wenn das wort in einer bestimmten Verbindung
als trennbares compositum auftritt: e. 1. denken daran,
was ihrem groszherrvater . . . begegnet landgr. Wil-
helm V. Hessen (I58l) nach D. Fr. Strausz Frischlin
215; so im 17. und 18. jh. recht häufig, gewöhnlich in an-
Wendung auf fürstliche personen : graff Otto hatt . . zum
groszhervattern den theuren heldt graff Johan Cyr.
Spangenberg Schaumb. chron. (l614) 259; umb auf dero
grosz herr vatters thron zu sitzen Elis. Charl. v. Or-
leans br. 2, 223 lit. ver.; vgl. zs. f. d. w. 10, 204; der
groszherrvater selbst Besser i , 828 König; ins grosz-
herrn-vaters grufft Schmolcke trost- u. geistr. sehr, i,
690; sogar:
wie seufzet nicht bey dieser leiche
des grosz-herrn pflege-vaters hertz! 1,719;
vgl. noch Adelung; gegenstück ist groszfraumutter , s.
groszmutter 2.
3) auch freier, 'vorfahr, ahnherr' {vgl. vater 4) : Sen,
der künig in Assiria, ein groszvatter Abrahams Judas
587
GROSZVATER
GROSZVÄTERCHEN - GROSZVATERZEIT 588
Nazarei vom alten und neuen gott 5 neudr.; öfter hei
Luther, s. Dietz 2, 174*'; Ascenes, aller Teutschen
groszvatter Cyr. Spangenberg musica lU; (^Adam) grosz-
vater aller seelen Treuer dtsch. Dädalus l, 4i; so
ahmen sie auch die groszen scribenten des alterthums
nicht besser nach, als äffen unsre groszväter, da sie
mit ihren wämstern bekleidet werden Bodmer samml.
crit. poet. sehr. 1, 67; auch uneigentlich: die zimmerleut,
des herrn Christi groszvättern Mathesius Sarepta 9";
was aber die lutherische gegen ihrem groszvatter {sc.
Luther) thun Jon. Kraus alte u. neue irrgeister (I7lt)
21; besonders in einer bestimmten art von genitivver-
bindungen, 'u7-bild' (vgl. vater 5) : Nimrod . . aller ty-
rannen grossvatter genennnt werden kan Harsdörfer
teutscher secret. 2, 155; diesen groszväter aller dichter
{Homer) Gottsched d. n. a. d. anm. gelehrs. 4, 503;
Marinelli, diesen groszväter aller theatralischen hof-
schurken Börne 2, lO; auch mit sächlichem leitbegriff:
der uralt groszvatter der artzney Hippocrates Guari-
NONius greuel d. verwüst. 649; im Homero aller guten
schritten groszväter Scuickfus schles. chron. 9; eine
. , glatze ziemt dem groszväter der tragödie {Äschylus)
wohl Welcker alte denkm. 2, 342; zuweilen einfach eine
Verstärkung des hauptbegriffes : dieser unser sausewind
aber, aller haasen groszvatter Rist d. friedejauchz.
Teutschland 92«, 'erzhase'; ein solcher ist eben Godenius,
aller abergläubischen grossvatter Prätorius glücks-
topf 15.
4) zuweilen als bezeichnung des alters schlechthin, ohne
gedanken an ein descendenzverhältnis : o groszväter! als
anrede an einen alten mann Olearius J7er». baumgarten
95»; vgl. schon: bey den grosvetern ist die Weisheit,
und der verstand bey den alten Hiob 12, 12 {hebr. 'bei
ergrauten"); heute in der Umgangssprache ganz geläufig ;
im schüle7-Jargon für einen sitzengebliebenen Eilenber-
GER pennülerspr. 56.
5) in älterer Studentensprache bedeutet groszväter in
einigen bestimmten Wendungen den groszvatertanz {s. d.):
der einfältige schöps hielte davor, es wäre bei den
bauren wie auf der Universität der gebrauch, dasz man
bei hochzeiten auf den groszväter gehe und eins mit
tanze polit. hofmädchen (1686) 199; die porsche auf den
sogenannten groszväter gehen, welches die lust im
tanzen nach aufgehobener mahlzeit genennet wird Me-
Lissus Salinde (i744) 116; der gebrauch . . ., dasz die
purschen des abends frey auf die hochzeiten gehen
und sich lustig machen durften, welches sie den grosz-
väter besuchen nannten Geländer stud. (1714) i, 990;
vgl. Leipz. spectateur (1723) 138; die loendung ist schliesz-
lieh nicht mehr verstanden worden: ich ging bei dem
hause vorbei, wo eine schneiderhochzeit war, und re-
solvirte mich, einen groszväter abzugeben, und hatte
nicht lange zugesehen, so zog mich die braut zum
tanze auf Sylvanus muttersöhnchen 163; vgl. auch
Kluge Studentensprache 93; J. Meier hall. Studenten-
sprache 55.
6) ebenfalls in älterer Studentensprache für den nacht-
topf: so nimmt er den groszväter und begiesset mich
mit einer schon stinkenden lauge Gelander stud. i,
63; er wurde auch als speikübel beim hospiz gebraucht:
manchmal setzen die hospites den groszväter mitten
unter den andern hausrath auf den tisch hospitium
(1747) 74; vgl. Kluge stud. spr. 93.
7) gelegentlich für groszvaterstuhl {s. d.): mit hülfe
der übrigen hebt ihn Faber in den groszväter Lauk-
HARD Schiida 2, 128; der stammhafte groszväter kam;
herr Bleimann nahm vergnügt davon besitz Langbein
81, 121.
8) grotväders bieder der epheu {wegen seiner zählebig-
keit) Schambach 69 '^; vgl. Wagners archiv i, 249; 'pap-
pus oder der groszväter ist theils ein weisz wollichtes haar
auf den gewachsen, ivelches sich abblasen lasset, theils
auch das wollichte wesen auf den Stengeln, . . darinne
der saamen ist' Chcmels öcon, lex. 7, 394; Oken nennt
einen vogel, gymnocephalus capucintis, groszväter allg.
naturgesch. 7, 83. — diminuiert groszväterchen Gutz-
kow ritter v. geist 3, 454; W. Raabe schüdderump 163.
— groszvaterbank,/., vom ofen auslaufende seiten-
bank Hentrich Eichsfeld 65; zwischen der ofenbank
des alten Lerchs, die im hause ihm zu ehren die grosz-
vatersbank heiszet Jean Paul 19, 31. — groszväter-
lieh, adj., was dem groszväter eignet, von ihm kommt,
zu ihm gehört: helt er, dieweil sein kind noch unmün-
dig, den gebrauch seins grosveterlichen anfalles . . .
billich Chr. Zobel sächs. weichb. u. lehenr. (1537) liö";
sein groszväterliches reich Zach. Müntzer Livius (i584)
B 2**; die alten, braunen groszväterlichen hausgeräte
Allmers marschenbuch ^162; mein andencken in dem
herzen des groszväterlichen fürsten nicht ersterben zu
lassen Göthe IV 22, 194 W., heute eher: des fürstlichen
groszvaters; in dem groszväterlichen Pempelfort E. M.
Arndt lo. l, 203, d. h. wo der groszväter iveilte; auch in
dem sinne von groszväter 3: dass sie ihren grossväter-
lichen und uhralten irrthumb und abgöttischen aber-
glauben fahren Hessen Schütz hist. rer. pruss. 4, Ff 4»;
dasz beyde {Sagunter und Carthager) sich lieber einge-
äschert wissen, als . . . den alten sitz, die heilige be-
hältnüsz ihrer groszväterlichen aschen verlassen wollen
Lohenstein Armin, l, 1062^; ähnlich, im sinne 'alter-
thümlich': einige zimmer, die . . . ganz groszväterlich
aussahen A. Schreiber poet. w. 3, 46; zu groszväter 4
gehörig: das groszväterlich-behagliche des ganzen kör-
pers {bei den Münchnerti) Hebbel I 9, 413; vereinzelt
mit anderem suffix: avitus groszvatterisch nomencl. lat.
germ. {Hamb. 1634) 460. — groszvatermeinung, /.,
Tnit dem prägnanten sinn des überholten, lächerlichen:
er wird dir sagen, — um deine etwaigen groszvater-
meinungen zu bekämpfen — ... dasz die sogenannten
tugenthaften die freudeärmsten creaturen sind Nachers-
berg gifikocher (1798) 122; vgl. Campe. — groszvater-
recht, n.: warum . . der auszug oder dasz grosz vater-
recht hier der leibzuchtscontrakt genennet werde allg.
dtsche bibl. 1, 2, 253; vgl. Th. Haym jur. lex. 274. — gr osz -
Vaterschaft, /.; don Pasquale, der sich an den ge-
danken von Vaterschaft und groszvaterschaft ergötzt
Göthe 42, i, 69 W. — groszvatersessel, m. Göthe
35, 236 W.; P. CORNELIUS liter. w. 8, 242; seltene Variante
zum folg. — groszvaterstuhl, m., ein bequemer stuhl
mit rücken- und armlehnen Chr. Reuter Schelm. 123
ndr.; um in Schlafrock, pantoffeln und groszvaterstuhl
zu plumpen Gaudy 3, 79; gern in bildlich-parodischem
gebrauch: können so wenig fehlen als der papst, wenn
er auf seinem heiligen groszvaterstuhl träumet C. Gib-
ber der sorgl. ehemann (1750) 29; diese {die philosophen)
bekommen . . eben solche kunstmäszige Verzückungen
auf ihren groszvaterstühlen, als die delphische prieste-
rinn . . . auf dem dreyfusze Raben er w. 2, 167; einem
menschen, dem man den groszvaterstuhl eines amtes
giebt und die Schlafmütze einer würde aufsetzt Spiel-
hagen 1, 12; doch nicht notwendig mit solchem fami-
liären beigeschmack : Senta, in einem groszvaterstuhle
. . ist im träumerischen anschauen . . . versunken R.
Wagner l, 267; aicch mundartlich hd. und nd. weitver-
breitet. — groszvatertanz, m., 'ein alter reigen, der
gegen ende der hochzeitsfestlichkeit . . . getanzt wurde'
Böhme gesch. d. tanzes l, 184; so genannt nach dem an-
fang des zugehörigen liedes : und als der groszväter die
groszmutter nahm; &ei Amaranthes /rauenz. ica;. 1961
unter die englischen tanze, so mit vielen personen ge-
tanzet werden, gerechnet; beide humpeln den alten
groszvatertanz Heine 6,493^.; je gröszer die anzahl
der paare ist, die den groszvatertanz zum traualtar
tanzen Gaudy 12, 18; der tanz ist im Erzgebirge noch
üblich, vgl. Friedländer in der festschrift f. Herrn.
Kretzschmar (1918) 29. — groszvaterweisheit, /.,
verächtlich G. Frenssen hilligenlei 234. — groszvater-
winkel, m.: in dem groszvaterwinkel , wie in der
Schweiz der platz hinter dem ofen benannt wird Gaudy
23, 80. — groszvaterzeit, /. : {eine plattf arm) welche
von groszvaterzeiten her noch den namen Bellevue
führte Fr. v. Bülow Velh. u. Klas. monatshefte (1902)
1, 20».
589 GROSZVERMÖGENHEIT-GROSZWICHTIG GEOSZWICHTIGKEIT-GROSZWÜRDIGKEIT 590
GROSZVERMÖGENHEIT, /.: es werde Velleda ihrer
bekannten grossvermögenheit nach es auch dahin
bringen A. U. v. Braunschweig Oct. 6, 391 ; vgl. grosz-
mögenheit. — groszvetter, m., patruus magnus, avi
patemi vel materni frater Schottel haubtspr. 259;
stadtr. V. Eisenach 127. — groszvieh, n. ; pecus gros
vih DiEFENBAGH ilO*»; Vgl. nov. gl. 284*; armentiim grosz
vihe Er. Alberus dict. Vu i**; grosz-viehe Bas. Faber
thes. 82*; ein herd grosz vieh, alsz ochsen und rosz
Calepin XI ling. 121''; so ein oder mehr grosz oder
klein vich, dergleichen fremdes oder heimische rosz in
schaden befanden wurde österr. weisth. 3, 193, 6; so bis
heute: ein stück sogenanntes groszvieh (worunter man
sich . . . kleine graspferde, kleine ochsen und kühe
denken musz) Thär grundsätze l, 276; auch mundartlich:
dein gflüglät, dein graoszvieh Stelzhamer 1,218 i2ose<7^er;
HuPEi> 83; ivann das ivort zum festen compos. verwuchs,
ist unsicher ; jedenfalls erscheint noch im 16. Jh.: mit irem
grossen vich herauf zu waiden österr. weisth. 5, 400, 38.
— groszvogel, m., 'eine allgemeine benennung der
gröszeren eszbaren vögeV Adelung; vorzüglich schlesisch:
dasz ich auch nicht mehr groszvogel, fohren und lachse
essen .. mochteScHWEiNiCHENcfenAio. 75 Ö.; gänsebraten
und groszvogel verzehren Flederwisch schles. zipfel-
pelz 68; ein flug sogenannter 'groszvogel' (schlesische
benennung für drosseln verschiedener gattung) Holtei
erz. sehr. 38,47; vgl. Behlen 3,507; übertragen: weder
ein mäuschen, noch ein 'groszvogel', wie man zuweilen
die . . ratten nennt Ad. Langer erinn. a. d. l. e. darf-
schult. 51; im sinne von groszes thier (s. grosz I F l c /:*):
wenigstens bleibens da, bis der groszvogel kommt (ein
türkischer mamamuki) Meisl theatr. quodl. 2, 208, wohl
im spiel mit groszmogul. — groszvogt, m,., praefecttis
superior, advocatus sublimior Stieler 528; 'zu Sehe-
ningen . . ist der groszvogt richier über die salzwerke
und hat den kleinvogt unter, den salzgrafen aber über
sich' Krünitz 20, 143; seit dem 16. jh.: der grosvogt zu
Wolfenbüttel, der amptmann zur Stauffenburg {als hohe
beamte des herzogs von Braunschxceig) supplic. an kais.
maj. der mortbrenner halben (I54i) ei**; Stechau mein
groszvogt sagt Heinrich v. Braunschxceig sat. u. pasqu.
1, 73 Schade; der groszvogt Bullan Elis. Charl. v. Or-
leans br. 3, 4G lit. ver.; auch hätte er . . . den titel
groszvoigt bekommen können A. Rikm Tobias Rosemond
(1796) 1, 112. — groszweibel, m., in der Schweiz, früher
auch in anderen alem. gebieten gerichtsbeamjer verschiede-
nen ratiges; appariior curiae supremus Dentzler 2, 141*;
ähnlich bei Haltaus 756, woselbst genauere angaben;
da hat man lüt darzü geordnet, die daruf lugen sollen,
grosweibel und die andern gemeinen weibel alle Schil-
ling Berner chron. 49; und send der sytz . . . drey
nebenainander, uff dem ainen stul sitzt der groszweybel
. ., uff dem andern . . der gerichtschreyber . . zwischen
denen zwayen . . der schulthaysz Seb. Fischer chron.
v. ulm. Sachen 69; mit dem h. groszweibel (Präsidenten)
der erbschaftskammer Jean Paul 11 — 14, 47; als grosz-
weibel oder Präsident des Stadtgerichts zu Bern allg.
dtsche bibl.. anh. zu 53 — 86, 1086; bildlich: der satanas ist
eben jetzt groszwaibel an allen höfen Görres br. 2, 625;
— grosz weltlich, adj., icas zur groszen icelt gehört
oder paszt, aus ihr stammt; im 19. jh. nicht selten: grosz-
weltliche bildung Varnhagen v, Ense denkw. 6, 229;
dasz Heyden . . den von der weit abgelegenen aufent-
haltsort in Breslau mit dem groszweltlichern Berlin ver-
tausche Th. Mundt einl. zu Fr. v. Heydens ged. xxvii ; in
ihren geselligen häusern fand man immer zusprach
und verständnisz, bei Kapp umfassender und groszwelt-
lieber Jac. Moleschott H. Hettnera morgenr. 71 ; ich
sende ihnen also diesmal eine halbpolitische, grosz-
weltliche Zwiesprache Pöckler briefw. u. tageb. 4, 149;
mit anderem suffix: diese grosz wellischen ereignisse
musz man im äuge behalten Göthe 35, 151 W. — grosz-
wichtig, adj., sehr gewichtig {im sinn^ des composi-
tionstypua grosz III 1 c); namentlich im 15. j/i. sehr häufig:
ein trefflich, groswichtig, sonderlich exempel Luther
nach DiETZ 2, 174"; groswichtige forcht obligender ge-
fahre M. Beuther v. Carlstat prax. rer. crim. (i565)
101"; groswichtige tahten Schottel haubtspr. 498; mit
groszer Vorliebe neben zwei bestimmten Substantiven: der-
wegen wir nicht . . . krieg one groswichtige Ursachen
regen . . sollen E. Menius chron. Carionis (ibeo) 1,86'»; u.
noch häufiger: sein mt. wel in ainer soliche grosz wich-
tige sach glerter leut rat pflegen städtechron. 23, 291;
darzü gebürt ihm nüchterkeit, dasz er den groszwich-
tigen Sachen obligen möge Fronsperger kriegsordn.
(i564) 2*; vgl. noch: eine wichtige, hochwichtige, grosz-
wichtige sache cofia importante Kramer teutsch-ital. 2,
1234'». — groszwichtigkeit, /.; dann das wölte die
groszwichtigkcit der sachen also erfordern Aghatius
416". — groszwild, n., hochivild Behlen 3, 507; rüden,
die , , groszwild stellten Wimmer gesch. d. dtsch. bodena
454; gegenden, in denen groszwild lebt Brehm thierl.
1, 453 P.L. — groszwirtschaft, /., tcirtschaft im
groszen {vgl. grosz III 4 e) : die vortheile der groszwirth-
Schaft über die kleinwirthschaft nachzuweisen V. A.
Huber Concordia (1849) 3; dasz . . die gesammte grosz-
wirthschaft des alterthums auf dem Sklavenbetriebe
ruht Mommsen röm. gesch. 2, 77; den . . anachronismus
. . dieser rückwendung von dem . . Staate der neuzeit
zu der groszwirtschaft der eroberung {bei Napoleon)
reden und aufsätze 62; concret, groszer landwirtschaft-
licher betrieb: an solchen straszen wurden einzelne
grosz wirtschaften angelegt Wimmer gesch. des dtschen
bodens 81. — grosz wortig, adj., wer oder icas sich
in pomphaften, hochtrabenden loorten ergeht: der Jugend
macht das groszwortige mehr den eindruck des heroi-
schen als die schlichte grösze des Homer Gervinus
Shakesp. 1, 64; in jener grosz wortigen, rhetorisch pomp-
haften art geschrieben 119; eine Schöpfung und ein
lieblingsausdruck dieses autors, der weiter gewirkt hat:
mit groszwortiger schwäche Mommsen röm. gesch. 3, lll;
worin es {das comite) . . sie grosz wort ig versicherte,
dasz das ganze christliche Europa auf das Züricher
Volk blicke Th. Ziegler D. Fr. Strausz l, 314; vgl. schon
grotwordich magniloquus Diefenbach 343°. — grosz-
würde, /., nicht selten für groszwürdenträger : der
Ordensversammlung . . ., in welcher auszer dem grosz-
meister und den groszwürden die landschaftsmeister
saszen Raumer gesch. d. Hohenst. l, 493; haupt-doctoren,
d. i. die groszwürden der gelehrten buddhistischen
geistlichkeit Ritter erdk. 4, 217; Metternich und alle
die groszwürden der reaction Varnhagen v. Ense tage-
bücher 2, 367. — groszwürdenträger, m., erst im
19. jh. {zum compos. typus grosz III 4 k): die andern grosz-
würdenträger des reichs Ritter erdk. 4, 250; die enge
Verbindung Hugos mit dem leitenden groszwürdenträger
der kirche Ranke 8, 19; axich mannigfach übertragen:
Schelling und Cornelius in allen ehren, und ich er-
kenne sie gewisz als groszwürdenträger Varnhagen v.
Ense tageb. l, 241: zu den von ihm {Gervinus) aus eige-
ner machtvoUkommenheit creirten groszwürdenträgern
Apollos Hebbel I 12, 81 ; er kommt mir wie ein grosz-
würdenträger des Schicksals vor H. Hanke witwen l,
272. — grosz würdig, adj., gesteigertes würdig im sinne
des compositionstypus grosz III l c; namentlich im 16. jh.
recht häufig: die grosswirdigen frei und banierherren
M. V. Kemnat chron. Friedrichs I. 16; disem scheyn-
baren, grosswyrdigen man Catoni Schwarzenbero
Cicero 66^; wie das {sc. gebet) so ein groszwürdig ding
. . dem menschen manuale curat. (1516) 61*; wie hoch-
würdig {s. d.) gern in geistlicher titulatur: beruret sie
mit dem wirdigen heilitum des groszwirdigen heiligen
sant Bernhardins städtechron. 10, 192;
gar fursichti? maister die schul sant
groszwirdig gen Gonstenz dar
histor. volksl. 1,232 Lü.;
die eerlichen schrift, uns von hochgenanter grosz wür-
diger botschaft Überantwort sat. u. pasqu. 3, 85 Schade;
dasz sie für ihro groszwürdige expectanz und dero titel
alle einsieht haben Linden born Biogenes l, 719. —
groszwürdigen, vb., magnificare: {die enget) groswir-
digeten gott Bocksiuk's erweisung d. fr. willens (1524)
Bl*. — groszwürdigkeit,/., magnificentia vocabul.
predic. (i486) p lO*»; das beyder regiment fürhaben . . .
L
591
GROSZZAHL — GROTESK
GROTESK
592
sehr gleich gewesen seine! , nicht allein in den an-
schlegen, sonder auch in der grosswürtigkait Xylander
Pohjbius 49. — groszzahl,/.. heute in obd. Schrift-
sprache recht gebräuchlich für mehrzahl: früher waren
die . . riesen der Schöpfung der groszzahl des Volkes
etwas völlig fremdes Busz d. ersten 25 jähre d. Schioeiz.
alpencl. 3; die groszzahl der menschen hält ihn doch
für das genie R. H. Bartsch zwölf a. d. Steierm. 229;
vgl. grosztheil. — groszzehnte, m., getreidezehend im
gegensatz zum küchendienst Unger-Khull 309**: zu
Donbach ist der groszzehenden ganze eins apts . . ..
und der klein zehenden das zweiteil weisthümer 6, 9;
grosz- und kleinzehend ist vorhin meidung beschehen
bad. weisthümer i, 1, 80. — groszzügig, adj., tcas
einen zug ins grosze, groszen stil hat; junge bildung:
diese groszzügige, farbige Verherrlichung von freiheit
und Vaterland Betsy Meyer 59; dasz die Verhandlungen
{des Senats) einen sehr groszzügigen eindruck machten
K. V. ScHLÖZER mexikan. br. 8; einer lebensinbrunst,
die durch die nähe des todes etwas groszzügiges und
erhabenes bekommen hatte A. F. Krause sonnensucher
378; namentlich von Unternehmungen aller art: zu solch
groszzügiger Operation reichte Japans kriegerische macht
nicht mehr aus v. Alten 9, 772 ; (e*) begann eine grosz-
zügige bearbeitung der öffentlichen meinung 3, 94; in
den letzten Jahrzehnten geradezu ein modetoort. — grosz-
zügigkeit, /. .• er hat sie (fragen) mit einer eindring-
lichkeit gestellt und mit einer groszzügigkeit beant-
wortet Raoül Richter essays 106.
GROT, auch groot, grote, groten, m. , 'eine silberne
Scheidemünze von dreiergrösze in Niedersachsen und den
Niederlanden, welche i pf. co7iv. . . beträgt' Schmieder
213; 7neist werden 72 auf einen reichsthaler gerechnet
Marperger kaufmannsmag. 228; genaueres bei Frisch
1, 375*=; Krünitz 20, 143; vgl. Kalke 118*»; die bouteille
{kostete) 2 reichstaler 36 grote J. F. Castelli mem. 2,
187; geprägt wurde der gröt nur in Bremen und Olden-
burg; die bezeichnung stammt aus dem nl., woher auch
das engl, groat übernommen ist (Edw^. Schröder); zti
gründe liegt offenbar frz. gros, vgl. groschen I l. dazu
grotstück Marperger kaufmannsmag. 228.
GROTEN, 'eben das was adlersteine' Voigt mineral.
abhandl. (1789) 2, 276, also anscheinend eine pluralform;
groten 'ein trivialname der eisenniere' Blumhof eisen-
hüttenk. 2, 491 ; herleitung ?
GROTESK, adj. l) eigentlich: in der art der gro-
tesketimalerei oder -bildnerei; s. «. groteske: aus ital.
grottesco über frz. grotesque; grotesque wird diejenige
arbeit der bildhauer und mahler genennet, darinnen
sie allerhand ungeschickte . . . bildungen von thieren,
vögeln, halben menschen, waffen, laubwerk u. dgl. künst-
lich durcheinander geflochten vorstellen allg. haush. lex.
1,623; grotteske mahlerey Jagemann 547; täfelwerck,
welches mit allerhand grotesquen zügen . . überstrichen
J. B. V. Rohr ceremonieliviss. d. privatpers. (l728) 524; mit
einer grotesken Vignette gezieret lit. br. 9, 36 ; es ist nicht un-
wahrscheinlich, dass das groteske schon in den alten
Zeiten in Ägypten aufgekommen sei Sülzer theorie d. seh.
künste 2, 448 ; zunächst also ein rein technischer ausdruck
für eine bestimmte, antiker Ornamentik entlehnte form
künstlerischen bildens; aber noch innerhalb dieser Sphäre
bald mit einer färbung , die das wunderliche, verzerrte
unterstreicht: wir haben groteske figuren der menschen
und thiere, groteske Verzierungen . . . unnatürlich, selt-
sam, wunderlich kann man dafür sagen K. Ph. Moritz
wb. d. dtsch. spr. i, 232; mit diesen französischen waa-
ren kam auch bei uns ein anderer geschmack in den
zierrathen . . bunt und grotesk . . zum Vorschein Nico-
lai reise l, 256; findest du das landhaus auf altertüm-
liche groteske weise mit bunten gemalten Zieraten ver-
schmückt E. Th. A. Hoffmann 3, 260 Gris.; {der thurm)
mit seinen steingebilden, grotesken köpfen von thieren
und menschenfratzen Kerner bilderb. 237; die mytho-
logie bietet manche andre grotteske gegenstände dar,
die sich damit {m,it der chimära) vereinigen lieszen
Welgker alte denken, l, 173.
2) als das wort aus diesem kreise heraustritt, zunächst
doch noch von sinnlich anschaulichem, im sinne wunder-
lich geformt, verworren, verzerrt:
unbehauener marmor erhob groteske gestalten
BoDMEK Noah (1752) 388;
groteske, malerische felsen Oken allg. naturgesch. i,
583; die grotesken und weitberufenen klippen A. v.
Humboldt ans. der natur l, 59; in ähnlichen Verbin-
dungen sehr beliebt; vom berge sah ich nichts als zwei-
felhafte groteske umrisse Laube 8, 227; {eines kirch-
thurms) grotesk geformte schneehaube Fontane I 2, Gl;
gern auch auf das seltsame, verzerrte menschlicher er-
scheinungen angewendet: so darf er nur die aller gro-
tesquesten figuren von narren auf das papier werfen
Lessing 5, 145 M.; es ist ein grotesker anblick, diesen
pigmäen zu sehen J. A. Gramer nord. aufs, i, 372; die
gesiebter grotesker höllengeister J. G. Jagobi 1, 96; der
köpf der königin am postament ist eine . . karrikatur,
da einige ähnlichkeit mit den groteskesten zügen ge-
paart ist Iffland br. l, 170 Qeiger; dieser verneigte sich
unter einem grotesken mienenspiel Fontane I 5, 254;
den springenden tanz der bauern . . in seinen grotesken
fuszstellungen Böhme gesch. d. tanzes i, 89; das . . perso-
nal tanzte dazu . . allerlei groteske Sprünge B. v. Ar-
nim Cl. Brentanos frühlingskr. 188; den grotesken runde -
tanz Fr. H. Jacobi l, 9; auch terminologisch: die gro-
teske gattung {des tanzes), die ihre züge aus dem . . .
niedrig- komischen Schauspiel entlehnt Ayrenhoff 5,
312; vgl. grotesktanz; das durchsichtige groteske kleid
verhüllte sie nicht H. P. Sturz sehr. 2, 371; bildlich:
einige haben sie {Wolfs sätze) gar mit grotesquen klei-
dungen verhüllet Gottsched d. n. a. d. anm. gelehrs.
7, 645; obdachsuchende in groteskem aufzug 0. Ludw^ig
2, 585; schon weitiger concret: {ein fehler der Niederlän-
der) ist, dasz sie lieber die besondere, seltsame und
groteske, als die allgemeine und reitzende natur sich
zum vorbilde wählen Lessing lo, 180 JSI.; das bunte,
groteske, mit allerlei fratzhaften figuren staffirte bild
meines vergangenen theaterlebens E. Th. A. Hoffmann
4, 11 Gris.; was kann unser leben anders sein, als ein
leeres groteskes traumbild? Tiegk sehr. 7, 228.
3) ins unsinnliche übertragen; früh in Verbindungen
wie: übertrifft alles, was eine groteske einbildungskraft
jemals . . . erdacht hat Zimmermann nat. stolz 259;
larven aus dem launigen reiche der grotesken und bi-
zarren Phantasie Fr. M. Klinger 3, 80; seine unge-
heuren und grotesquen Vorstellungen K. Ph. Moritz
Ant. Reiser (i790) 429; es fehlte {in den latein. passen) . .
nicht an grotesken einfallen Mommsen röm. gesch. 2,
442; und mannigfach so7ist: {man) sah alle gebrauche,
alle gewohnheiten, . . so grotesk und bizarr sie auch
seyn mochten Fr. M. Klinger lo, 99; ich habe ihm
den grotesken tittel vorgeschlagen: 'der eremit' Schu-
bart br. 1, 60 Str.; darum war sein Widerwille gegen
den geheuchelten . . ernst unserer tage oft so grotesk
und bizarr Tieck sehr. 4, 20; eiiie altgeläufige Verbin-
dung: unter einem . . mischmasch . . andächtiger Wort-
spiele, grotesker Charaktere und schwülstiger declama-
tionen Wieland Agath. 2, 41 ; die bizarren und gro-
tesken Charaktere {Shakespeares) Grabbe 4, 147; oft mit
dem beisinn des läcJierlichen, komischen: so entsteht als
neue form des komischen das phantastisch komische
oder grotteske Fr. Th. Vischer äsih. 2, 462; jene natur-
kraft, . . . die das tragische und komische, ernst und
scherz, erhabenes und groteskes in einem ganzen faszt
Gervinus gesch. d. dtsch. dicht. 5, 31; die rolle schil-
lert in allen färben . . , vom grotesken bis in das furcht-
bare G. Freytag 14,53; in grotesken knittelversen JuSTi
Wtnckelmann i, 240; das ganze groteske mährchen seiner
heilung vom aussatze Döllinger ak. vortr. l, 76; so-
gar: so brachte er . . fünf groteske minuten . . damit
zu, dasz er . . den vernünftigsten hofdamen . . die haut
abschund in gedanken Jean Paul l, 236; aber auch:
es liegt etwas erhabenes in dem gräszlich grotesken
seiner Schilderung Ranke 8, 134; der regierung Hein-
richs VHL giebt es eine widerwärtige groteske färbung,
593
GROTESKE
GROTESKENARBEIT — GROTTE
594
wie . . 2 14, 161; das groteske beruht oft auf der mischung
oder dem gegensatz heterogener elemente: eine höchst
groteske mischung vom antiken und modernen Knigge
roman 2, 15 ; wenn ich singe, ist es wie ein armer Wald-
vogel, der aus reminiscenzen sich ein groteskes ge-
mengsei zusammenbraut Pückler briefic. u. taget. 6, 12;
ein grotesker contrast mit diesem schmutz der gewinn-
sucht seiner leute Ranke 2i5, io7; oder im karrikierten,
übertreibenden: gewissermaszen erscheint in Winckel-
manns katholicismus nur seine alte unwahre Stellung
zur kirche carikirt bis zum grotesken Justi Winckel-
mann 1, 324; hinter allerlei scheingründen, in deren
übermütiger und etwas grotesker ausmalung er sich
geflel Fontane l4, 62; in den letzteren (gesungen) nimmt
die angeborne neigung {der Melanesier) zu Übertrei-
bungen oft einen grotesken Charakter an Ratzel Völker-
kunde 2, 227.
4) adverbial in Verbindung mit adjectiven; vor allem
grotesk-komisch : (grotesk wurde) nachher zu einem all-
gemeinen kunstwort, das auch zu einer besonderen
Unterscheidung des komischen dienen muszte, das man
nun da, wo es ins possirliche und phantastische fällt,
das grotesk- komische nennt K. Ph. Moritz r-eisen in
Italien (1793) 3, 232; die bildung scheint eine Schöpfung
Mosers ; sie wurde alsbald allgemeingut durch seine
gegen Gottsched gerichtete Streitschrift Harlekin oder ver-
theidigung des grotesk-komischen (l76l); ich kenne keine
muse so grotesk-komisch Thümmel reise 2, 87; nur das
grotesk komische miszlingt ihm immer Schubart ästh.
d. tonk. 114; sie . . . gestatteten ihr um ihrer grotesk-
komischen erscheinung . . überallhin zutritt Fontane
I 2, 252 : vgl. das nennen sie laune heut zu tag, so ko-
misch grotesk zeug maler Müller l, 328; anderes nur
als gelegenheitsbildung : ich will hier mein buch nicht
mit kupferstichen der carcer von allen Universitäten
schmücken, es sollte sonst wol ein grotesque- schöner
anblick seyn J. D. Michaelis raisonnement (1776) 4, 338;
(häuser) die nicht so wunderbar grotesk fromm decorirt
sind J. Schopenhauer jugendleben 2, 42; ein sommer-
palais in diesem groteskpretiösen und galant geschnitz-
ten style Bog. Goltz jugendl. 3, 50.
GROTESKE, /. l) in der maierei und bildnerei 'Ver-
zierungen von seltsamen einfallen, welche aus laubwerk,
blumen, fruchten, figuren, thieren etc. zusammengesetzt
sind' FiJszLi künstlerlex. (1763) xi"; aus ital. grottesca
über das frz. grotesque ; bei Wolff mathem. lex. (1734)
589 noch als fremdwort grotesques; die bezeichnung leitet
sich ab von den die grotte genannten unterirdischen
{heilen antiker kaiserpaläste und thermen zu Rom, in
denen man solche Verzierungen als wand- und decken-
decoration fand; vgl. dazu auch Göthe im. Benvenuto
Cellini 43, 85 W. ; seit dem frühen 18. jh. nachzuweisen :
grotesque promiscua forinarum inter se non convenien-
tium pictura Apinus gloss. nov. 258; der aufrisz der
einen seite enthält in lauter grotesquen das leben des
. . beiden Aeneae P. Decker fürstl. bäum. (l7il) l b^;
oder es werden um die bilderrahmen grotesquen ge-
mahlet L. Chr. Sturm vollst, anweis. (1718) 29; thiere,
Chimären, grotesken und andere thorheiten Göthe 49,
224 W.
2) bei übertragenem gebrauch gern in anwendung auf
andere künste; zuweilen der ursprünglichen bedeutung
noch nahestehend, geivöhnlich aber in dem entwickelteren
sinne des adj. (s. d. 2. 3): hat ihm (Salomo) der zufall
all zu viel ehre erwiesen, seine poetischen grotesken
bis auf unsere zeiten zu erhalten Thümmel reise 4,
286 ; mit den reizenden grotesken des göttlichen meister
Ariosto Fr. Schlegel 5, 136; solche grotesken und be-
kenntnisse (wie in Jean Fauls romanen) 6, 215; auch
terminologisch: der grüne kakadu. groteske in einem
akt Schnitzler (1899); die erste oder unterste classe
(der theatralischen tanze) wird groteske genennt Sulzer
theorie d. seh. künste 4, 506; auch sonst verschiedenartig
von grotesken bildern und gebilden: sollte man nicht
glauben, sie (diese phraseologie) wäre aus tragischen
harlekinaden , politischen grotesken . . . zusammenge-
IV. 1. 6.
hangen? Gerstenberg recens. 119 lit. denkm.; eine der
tollsten politischen grotesken Mommsen röm. gesch. 3,
293; da wir . . uns in gefahr sehen, ihre grotesken (in
der kleidung) für den geschmack einer ganzen nation
anzunehmen J. E. Schlegel 5, ll ; schlieszlich ganz ab-
stract: er (Shakespeare) hat alles . . . sogar den geist
der groteske Gersten berg schlesw. litbr. 125 lit. denkm.
8) in der druckersprache von einer besonderen schrift-
type, der Steinschrift Klenz 49*'. — dazu compositionen
wie: groteskenarbeit Schwan nouv. dict. 1, 795*;
-artig: und schienen in die masse nicht graviret, son-
dern . . . groteskenartig ganz erhaben darauf zu stehn
G. Reg IS Babelais (1832) l, 922; -buch: ist aber ein
feine legenda von diesem fabelhansen und ist über
desz Christophen Jamnitzers von Nürnberg neu grot-
teszken buch, welcher allein nur die blaszbälg fliegend
gemahlet B. Sartorius der Schneider . . xoiderlegung 25;
-maler Schönaich ästhetik 9l; Beil techn. wb. 1,262;
-maierei ib.; in bezug auf bühnen gestalten lit. br. 12,
849; -werk Schwan nouv. dict. i, 795*. — grotes-
kisch, = grotesk 3:
freund, im groteskischen gemische
kannst du an jedem kleinen tische
des bunten saales rotten sehn
Löwen sehr. 3, 190.
— groteskkünstler: Nietzsche als kritiker war zu-
letzt durchaus karikaturist und groteskkünstler Th. Mann
betracht. e. unpol. 841; -manier: es liegt also gerade
in der groteskmanier etwas befreiendes R. Hamerling
13, 272; -stil: nüchternheit verträgt sich sehr wohl .
mit einem kritischen groteskstil Th. Mann betracht. e.
impol. 342; -Sprung: worüber der alte . . einen freu
digen . . grotesksprung machte I. v. Pöck humor. luatw.
102; -tanz, terminologisch von mehr oder minder excen
irischen tanzen, Vischer ästhet. 3, 1153; die mazurka
(gehört) . . auch in Deutschland zu den beliebten und
gefälligen grotesktänzen Böhme gesch. des tanzes 223;
aber auch freier: sechs feuerfarben angezogene geister,
die einen grotesktanz aufführen Raimund l, 201; -tän-
zer Vieth encycl. der leibesüb. 2, 450; angegriffen von
den unglaublichen exhibitionen eines grotesktänzers
Göthe III 13, 316 W.
GROTT, m. und n., nd. wort, das verrottete, verfaulte,
verwitterte, in Verwesung übergegangene bezeichnend: es
reiszt wie grott Frischbier l, 256''; grot, m., das zer-
riebene, zerfallene, gemüll, schutt, kehricht, abfall, aus-
wurf Schambach 69''; es befindet sich, dasz eine par-
tey (ziegelMeine) daurhaftig, eine andere partey in grot
und staub sich verändert ältere quelle bei Frischbier;
hierher vielleicht auch: 'grot ne7int man, wenn an den
buchstaben . . abgeschliffenes metall sitzen bleibt' Täubel
buchdruckerk. 8, 69; Frischbier hat grott auch als adj.,
verrottet, m.orsch, spröde, verlegen u. ä., dafür grottig
E. Lemke volkstüml. in Oslpr. l, 167; grottige stein ver-
ivitterter stein Mi 29*; grottstein Frischbier; er denkt
an *gerott zu nd. rotten verinodern, verwesen, s. th. 8,
1320.
GRÖTTCHEN, n., demin. zu grotte:
heimlicli dunkelt ein gröttchen
Matthison ged. (1802) 115;
mir dienet zur kapelle
ein gröttchen, duftigfrisch
Salis ged. (1793) 61;
in seinem gröttchen ist's gar fein
Göthe 13. 1, 106 W.
GROTTE, /., um 1600 entlehnt aus ital. grotta; doch
erscheint die fremde form noch im ganzen 17. jh. nicht
selten: die grotta oder hole unter dem schlossberge
R. Lubenau beschr. d. reisen 59 Sahm; eine kleine grotta,
unter welcher zween drachen ligen Er. Francisci luft-
kreis (1680) 89; ein grotta von tufft-steinen oUapatr. 90
ndr.; weiteres bei Schulz fremdwb. 257.
l) das wort erscheint zufrühest in einer bedeutung, die
fast synonym mit höhle ist: crypta, caverna, antrum,
specus, latibulum, lustrum Stieler 691; grotte notat
38
595
GROTTE
GROTTELN - GROTTENARTIG
596
enim cryptam et specum concameratum subterraneum
1043; bei der alten stadt Malta ist ein höln oder grotte
mit zwein gemachen unter der erden H. Megiser Malta
(1610) 24; und so bis ins 19. jh.: das geräusche, das man
in einigen grotten hört allg. dtsche bibl., anh. zu 87 — 52,
496; die alten . . holten das eisenerz . . aus unterirdi-
schen grotten K. 0. Müller Etrusker 1, 241; die in
Wäldern oder grotten irrenden seelen Ratzel völkerk.
2, 335; freilich je später, je mehr poetisclier spräche zu-
gewiesen:
furchtbar billt aus dampfender grotte . .
Garm der höllenhund!
Gerstenberg ged. e. skalden 367 Ut. denkni.;
lebt wohl ihr grotten und ihr kühlen brunnen!
Schiller 13, 187 O.;
für dich stieg ich in grotten,
die kein tagesstrahl durchschlich
MALER MÜLLER 1, 202;
{im meer) wo tief in den krystallnen grotten
noch ganze lebensgattungen, versteckt,
der forsch ungen . . spotten Rückert 3, 132 ;
was die grotte von der höhle sondert, ist die Vorstellung
des gewölbten, einigermaszen regelmäszigen baues. der ge-
machähnlich abgeschlossen und gewöhnlich von geringer
tiefe ist: sie {die höhlen) bestehen entweder aus bloszen
gangen . . . oder aus einer oder mehreren hinter und
unter einander liegenden grotten (in höhlen) citat bei
Fr. L. Jahn bereich. d. hd. sprachsch. 48; die . . . be-
rühmte Baumannshöhle am Harze . . aus 6 einzelnen
grotten bestehend Gehler ^A«/sic. wb. 5, 1, 400; in einem
dorfe, wo in einer grotte eine sinagoge war Stifter
3, 22 Sauer; freilich auch: weite grotte, welche sich im
hintergrunde . . wie unabsehbar dahin zieht R. Wagner
2,4; die tiefste höhle, die man kennt, die grotte von
Antiparos, ist über dreyhundert faden tief F. Th. v.
Schubert 2, 185; die blaue grotte auf Capri; die Adels-
berger grotte; charakteristisch ist die Verbindung von
grotte und wasser: (Susanna) in einer wasserreichen
grotta . . sich anfieng zu baden Abrah. a St. Clara
etw. f. alle 2, 318 ; sie in eine grotte nächst dem brunn
. . sich begeben muste A. U. v. Braunschweig Oct.
1, 316; in die grotte des Posilippo Göthe 31, 17 W.; eine
. . starke quelle, die in einer natürlichen grotte springt
Jung-Stilling 4, 417;
wie dem, der aus des Wasserfalles toben
in eine stille grotte niedersteigt
Raupach dram. werke kam. gattg. 1,268;
die quelle tritt in einer höhle oder grotte . . . zuerst
aus dem geheimnis der unterweit hervor Moltke sehr.
u, denkw. l, 126.
2) die antike Vorstellung, die die grotten zum wohnsitz
von göttern und allerlei mythischen wesen machte, vjird
seit der renaissance poetisch erneuert:
f laich wie aus einer grott' auf einen Schauplatz steigt
)iana D. v. d. Werder ras. Roland 1. ges. 52. str.;
eine grotte (ijn hain des Apollo), welche ein uralter
glaube . . von den nymphen bewohnt glaubte Wieland
Agathon l, 267; alle faunen und satyrn . . verschlieszen
sich tief in ihre grotten maler Müller l, 130; wasser-
wesen stehen im Vordergrund: die najaden schertzen in
ihrer crystallenen grotte Ramler einl. in die schönen
ivisaensch. i, 149; der Albunea rieselnde grotten lyr. ged.
221; die darstellung einer Wassernymphe, welche mit
dem üblichen kruge ... in der gewohnten grotte am
wasser sasz Seidel vorstadtgesch. 105; vgl.
ihr, die ihr wähnt, auf nie betretner spur
bis in die grotte der natur
kühn wie Prometheus, einzudringen
Gotter l (1787), 281 ;
alsdann die bangen träume fliehen
und schwarzgeflügelt, wie die nacht,
mit ihr zugleich in ihre grotte ziehen
Uz poet. w. 82 Ut. denkm.;
ähnlich:
wo sie {die zeiten) mit ihren jähren, ihren tagen
noch in der zukunft grotte lagen
Kretschmann 1, 258;
dann überhaupt gern als aufenthaltsort von m,enschen
und thieren gedacht, mag es sich um natürliche oder
künstliche höhlungen handeln: in den exkavationen, den
grotten, den pagoden der Inder Hegel 9, 164; in einem
der entfernteren {hügel) sind grotten und weitläuftige
gemacher ... in felsen gehauen Ritter erdk. l, 192;
weil sie (die Eskimos) sich frühzeitig übten, grotten in
den schnee oder . . hütten aus schneeblöcken aufzu-
thürmen Peschel völkerk. 188; wenn . . dieses (thier)
sich eine unterirdische grotte in dem abgelegensten
winckel eines waldes bauet disc. d. mahlern l, 8; 'gruft':
ein Schauder, wie er uns in grotten oft ergreift,
wo stolze könige . . .
gleich uns im staube ruhn
Zachariä ziuei polem. ged. 3 Ut. denkm. ;
vergleichbar iceiterhin : unten (am berge) grotte mit ver-
bau, darin ein götterbild archäol. ztg. v. Gerhard l, 149;
Bridi hatte in dem . . tempel der harmonie Mozart . .
aufgenommen und ihm in einer melancholischen grotte
ein denkmal . . . geweiht 0. Jahn Mozart 4, 742; bau-
hütte Lueger 2, 58; kleiner räum, bett Müller-Frau-
reuth 1, 446*.
3) prägnant bezeichnet grotte eine künstlich angelegte
höhle, die mit allerlei Wasserkünsten versehen, mit tuff-
steinen, muscheln, Versteinerungen etc. verziert ist; sie
spielte in der gartenbaukunst des 17. und 18. jhs. eine
grosze rolle: grotten sind dunckle holen in lustgarten,
welche mit fontainen, cascaden etc. ausgezieret Spa-
NUTius 265; bei Stieler 1043 als kunst- sive garten-
grotte crypta topiaria, waszergrotte crypta hydraulis et
salientihus fontibus instructa von der einfachen grotte
gesondert; vor hinüber hats ein grotta, darin wird Or-
pheus sampt einer . . anzahl thier . . gesehen Furten-
bach itin. Italiae (1627) 104; ich geschweige der wasser-
speyenden grotten Prätorius anthropod. pluton. i, 314;
gleichet das angesicht einer grotta, in dero mitte an
statt der Wasserkunst die triefende nasen Abr. a St.
Clara Judas l, 695;
die gräberhöhlen sind nicht angenehme grotten
Hoffmannswaldaus m. and. Deutschen auserl. ged. i, 235;
dasz . . man die Spieltische in die kühle grotte habe
hinüber tragen lassen Petrasch lustsp. 2, 556; chine-
sisch gothische grotten Göthe 17, 38 W.; im Grafenorter
garten befindet sich eine alte längst verfallene grotte
Holtei vierzig jähre 2, 869; zur sache s. Wolff mathem.
lex. (1734) 590; KrOnitz 20, 146; diese Verwendung steht
im 17. jh. im Vordergrund; trotzdem ist (entgegen Schulz
fremdwb. 257 u. a.) fraglich, ob sie die einfallspforte für
das fremde wort bedeutet hat.
4) auch bildlich, und zwar schon früh: Morpheus die
grotte meiner äugen quittiret v. Birken forts. d. Peg-
nitzschäf. 89; die erklingende grotte nennt Klopstock
den gehörgang, od. 2, 56 M.P.; sieh, wie . . die hasel-
staude zu grünen grotten sich wölbt Gesner nach
Adelung;
er tritt ermüdet in die grotte (wölbung)
des dattelhains Pfeffel poet. vers. 3, 72;
(Mozart) hatte sogar den gedanken gefaszt, eine eigene
geheime gesellschaft 'die grotte' zu stiften 0. Jahn
Mozart 3, 403.
GROTTELN, vb., von fahriger, zweckloser arbeit: so
du solchs von dir selbst nit machen kanst . . , grotteist
in den büchern umb Paracelsus chir. (1618) 534 A;
meisslen und nit wissen warumb, kühlen ohn hitz und
dergleichen grotteln 170 B; alem. dialectwort; vgl. Fi-
scher Schwab. 3, 860; Staub-Tobler 2, 706; s. auch
grüdeln.
GROTTENARBEIT, /., eine art mosaikarbeit, zunächst
zum. ausschmücken des inneren einer grotte: ouvrage de
rocailles Marperger kaufm.magazin 879; grottenarbeit
'heisset man in der baukunst alle diejenige, welche aus
mancherleymuscheln,crystallen,marcasiten,eisenschlacketi,
steinen und andern versteinerten Sachen zusammen ge-
setzet werden' Wolff mathem. lex. (1734) i, 593; s. auch
Krünitz 20, 146; vgl. grottenwerk; -artig: (die bäume)
597 GROTTENAUFSEHER - GROTTENWERK
bilden hier einen halbkreis, den innern räum grotten-
artig überwölbend Egkermann in Göthes gespr. 5, 54;
anders, in der art der grottenarbeit: die decke ist grotten-
artig . . geziert Hirsghfeld theorie d. gartenk. 6, 846;
die groteske bedeutet eine Zusammenstellung von grot-
tenartigen . . . Schmuckstücken zu einem . . . wunder-
lichen ganzen Schönermark-StOber 486; -aufseher
grottier Voigt handwb. f. d. geschäftsführ. l, 359; -bau:
natürliche höhlen gaben . . die erste veranlassung zum
grottenbau {der tempel) Ritter erdk. 5, 490; vgl. 1, 728;
anders, zu grotte 3: der grottenbau ist . . in den bän-
den von leuten, die . . sich alsgrottenbauer empfehlen
MoTTHES baulex. 2, 531; -forschung höhlenforschung
Brehm tierl. 1,790 f.- L.; -grab: die christlichen grot-
tengräber Mommsen red. und aufs. 302; vgl. Motthes
baulex. 1, 53; -kirche, in einer grotte angelegte kirche
Ritter erdk. 15, 1139; R. Waldmüller wanderstud. 2,
43; vgl. grottentempel ; -künstler 'der die kunst ver-
steht, grotten anzulegen und auszuschmücken' Campe;
-macher ib.; -maierei groteskenmalerei Voigt hand-
wb. f. d. geschäftsführ. 1, 859; -posse: die {baumeister)
werden wissen, wie sie ihre wercke rechtschaffen . . .
auszieren sollen und sich an diejenigen, so solche
grotten-possen machen, . . nicht kehren Gruber math.
friedens- u. kriegssch. 249; -quell:
der grottenquell, der mit geplätscher
tag und nacht das echo wach erhält
BÜRGER 98» B.i
sasz ein Perser, überdeckt mit wunden,
sinnig da an einem grottenquell
Falk sat. 2, 190;
auch bei H. v. Kleist 4, 26 B. Schm.,- -saal, dessen
loände mit grottenarbeit verziert sind Jacobsson 2, 158 •*;
- s ä u 1 e , eine mit muscheln, drusen, korallen und andern
steinen ausgelegte säule Krünitz 20, 146; Jacobsson 2,
158''; -stein, ei7i zum bau von grotten besonders geeig-
neter fester, zelliger stein, wie die rauchwacke des zech-
Steins und mancher süszwasserkalk Meyer convers. lex.
68, 433; Motthes baulex. 2, 531; -taube, columba livia
Naumann naturgesch. der vögel 6, 186; -tempel: aus
den grottentempeln Oberägyptens Creuzer symb. und
myth. 2, 181; auf den felsen . . indischer grottentempel
Heine 8, n& E.; vgl. groltenkirche; -teufel: die Sach-
sen haben dem irmenseul oder jedermans seul, dem
grottenteufel . . göttliche ehr erzeigt Dann hau er catech.
milch 4, 119; -tuff: in dessen {des bassins) mitte auf
grottentuff ein kleiner Amor stand R. H. Bartsch Han-
nerl 28; -Verzierung: die groteske ist grottenmalerey,
grottenverzierung Voigt handwb. f. rf? geschäftsführ. l,
359; Campe; -werk, künstliche felsanlage in allen aus-
maszen, in älterer gartenbaukunst viel verwendet; schon
im 17. jh. reichlich bezeugt: Schottel haubtspr. 417;
Besold thes. pract. 1, 991»; gruften- oder grottenwerck
opera grottesca Kramer teutsch-ital. l, 571"; wurden sie
. . . eines künstlich-erhobenen grottenwercks ansichtig
H. A. Stockfleth Macarie (1669) 145; es sind auch da
und dorten grottenwerk oder Wasserkünste J. Chr. Beer
Asia (1681) 1, 213;
ihr {Calypsos) kühles grottenwerck sprang ohne klang und
lieder
Neukirch begebenh. d. i)rinzen v. Ithaka 1, 2;
vgl. ged. 195;
schöne läge mit der aussieht in die nahen hohen ge-
bürge, die wie ein königliches grottenwerk davor liegen
Heinse 7, 34 Schüdd.; auch geradezu = grotte 3: crypto-
porticus Stieler 2556;
wem ich den kaffee dann gar in dem herrlichen grotten-
werk reichte
GÖTHE 50, 211 W. ;
felsenbau von Ebsambal . . ., dessen architektonische
wunder mit seinen geheimnisvollen grottenwerken be-
ginnen Ritter erdk. l, 621 ; dann auch im sinne von
grottenarbeit: die wände derselben {höhle) werden mit
moosz, muscheln, steinen, corallen u. dgl., welches man
grottenwerk nennet, in kütt ausgesetzt allg. haush. lex.
1, 628; rocaille, grottenwerk, 'ausstattung eines raumxs
GROTTENWESEN — 2GR0TZEN
598
in form von felsentrümmerji mit muscheln, Schnecken,
moos u. dgl.' Müller-Motthes l, 493 *•; 'jedes kunstwerk,
welches nach art der grotten verziert ist' Jacobsson 2,
158*^; -wesen, = grottenwerk Wieland in: br. an u.
V. Merck 2, 150 Wagner; -wohnung: die . . . in den
Sandstein eingehauenen grottenwohnungen zu Petra G.
H. Schubert selbstbiogr. l, 257; Welcker alte denkm.
1,369. — grotticht, adj., cavernosus, tenebricus Stieler
1043.
GROTZEL, /., im sinne eines Scheltwortes: das haben
sie solchen frechen grotzeln zu danken {gemeint sind
weiber, die aus fürwitz früh aus der kindbett heraus-
gelaufen) Creidius nupt. 2,377; etwa zu grotzen, grot-
zeln vb. ? s. u.
1GR0TZ(EN), gewöhnlich m., auch fem. (Loritza 55),
ein vieldeutiges obd. dialectwort. l) als ablautende bil-
dung zu grasz, gretz {s. d. und kris 3, th. 5, 2330) gehö-
rig: die wipjelsprosse von nadelholz Staub -Tobler 2,
837; Fischer schwäb. 3, 860; Schmeller i, 1018; deca-
cumino den dolder oder grotzen an böumen abhauwen
Frisius dict. 865»; man des dolden oder grotz am bäum
nichts gemessen kan, sondern allein zu einer hoffart
da stehet Paracelsüs Chirurg. (1618) 309 C; wann sie
{gartenbäume) abgestümmelt werden bisz in den grot-
zen, wem ist derselbig bäum nutz? ibid.; überhaupt:
junge tanne, auch verkrüppelte, abgestorbene, dürre, weiter-
tanne: dass wir gebannen habend grotzen und studen,
die da stand zwüschen den güetern Staub-Tobler
{quelle des früheren iS.jhs.); weil ich zwei grotzen ge-
schlagenhabe Zahn Albin Inder gand bh; weiter: haben
die bauern ein ungeheure tannen angetroffen und be-
funden, dass der grotz oder under teil 70 werkschuh
gehalten Staub-Tobler {quelle v. 1666); vgl. grözen, m.,
dicker stumpf eines abgehauenen baumes Fr. Kramer
Bist/ritz. 40; dann auch groszer ast. astwerk, holzabfälle
vom stamm, reisig: auszer es weren vil ungewäxige,
grobe, am poden auszeinander wachsende grötschen
verbanden österr. weisth. 4, 135; die grotzin under den
bäumen Staub-Tobler {quelle v. 1410); grotzen, grüt?
grüjie baumzweige; Waldgegend von nadelholz BucK flurnb.
91; vgl. Schmeller l, 1018 ; vom obersten {oder innersten)
triebe anderer pflanzen: ob der herderling auch grotzen
und stiel gehabt Uektzog schiltw. e 2»; mit dem grot-
zen des chornes adipe frumenti mitt. d. ver. f. d. gesch.
Böhmens 39, 170 {Hohenßirter psalter); andere schnitten
das körn ab, ehe zeit, klopften die aber und legten die
abgeschlagene grotzen ... in die sonne J. Mechtel
Limb, chron. 182; 'das innere einer blume' v. Klein l,
165 {österr.); römisch chamillen, die aber gar rundt und
mit den schneeweissen blümlein den innern geelen grot-
zen bedecken Tabernämontanus kräuterb. (1588) 74»^;
das herzchen im salat, kohl u. dgl. Schmeller, Fischer
a. a. 0. 2) weiter im sinne von griebs, gröbs : grutz arulla
Diefenbach 52«; nov. gl. 86"^; {man nimmt) 8 oder 10
kütten, schneidet sie zu 4 spalten, . . . lässt aber den
grotzen mit den kernen dabey Hohberg georg. cur. l,
221; grotzen kerngehäuse des obstes Crecelius 438; vgl.
gröz, /.. kernhaus Haltrich id. i3; die lautliche ähn-
lichkeit mit grübs, gröbs könnte die attraction dieser be-
deutung veranlaszt habeji {oder kreuzt ein anderes wort
herein?); hess. auch für verschrumpftes obst. überhaupt
alles verkrüppelte, kleine Crecelius; grutse,/., schlechtes
obst Bauer-Collitz 41'»; auch obd. grotsch unreifes obst
Lexer kämt. 125; vgl. auch krotze th. 5, 2424. 3) hier-
her vielleicht auch noch eisgrotzen eisschollen auf dem
wege. Unebenheiten Reiser Allgäu 2, 705; vgl. grotzen
klümpchen. häuflein Unger-Khull 308*».
2 GROTZEN, m.. ein kürschnertvort: 'dunkle, mehr oder
weniger scharf abgegrenzte linie in der mitte eines feiles,
die vom köpf bis zum schwänz reicht' Meyer conv. lex.
'J8, 433; 'der rücken eines pelzes, sonderlich der wollpelze'
Jacobsson 2, 158^; herkunft unklar, denn kaum zum
vorigen ; hängt es etwa zusammen mit dem im ostd. nach-
zuweisenden, aber auch undurchsichtigen adj. grötschen?
Niclos Czolcz eyn körschener tenetur 7 grotczynne kör-
schyn handelsrechn. d. dtsch. ord. 191 Sattler, andernorts
38*
599
GROTZEN, vh. - GRÜBCHEN
GRUBE 1 1. 2
600
grotschyn; auch sol fortan keine frau , . . eine grot-
schene kursche teurer denn um zwölf gülden kaufen
Script, rer. silea. S, 201.
GROTZEN, vb., ructare Schmeller l, 1019; Crece-
Lius 438: grutsen aufstoazen Bauer-Collitz M"»; ainer
grotzt Osw. V. Wolkenstein 109, 75 var.; vom knur-
renden magen: dem singer grotzt der bauch seh. w.
klugr. (1552) 320^; vgl. unten Seb. Frangk; die nase
rotzt, der mage grotzt Nigrinus Widerlegung d. ersten
centurie F. Joh. Nasen Ff 3*; vom krächzen des rdben:
die rappen die immerzu grotzen Seb. Frangk sprichiv.
2, 70''; das wort schlieszt sich in der anwendung deut-
lich an das entwickeltere grolzen {s. sp. 441) an, mit dem,
es auch formal zusammenhängen wird trotz gelegentlichen
\i-formen, für die unter krötzen th, 5, 2424 eine wohl
falsche anknüpfung versucht wird; auch gröpsen, grop-
pezen ructare (sp. 446) steht nahe; mit anderem suffix
grotzeln: we;in man den baurn bitt, so grotzelt ihm
der bauch Seb. Frangk sprichw. l, 76*, sinn wohl:
'wird er übermüthig'; vgl. wiewol die fursten von Bai-
ren streng . . hielten ob irem volck, so grozelt danocht
den bauren . . der bauch hart Knebel chron. v. Kais-
heim 432 ; im selben Zusammenhang sonst grolzen {s. d. 3) ;
auch groszen {sp. 583); dem singer grotzelt der bauch,
so man in zu singen bit Seb. Frangk sprichw. l, 50'';
dazu das subst. grötzel, m., ructus: lies er ein grötzel
über den andern gehen B. Hertzog schiltw. H 6''; da-
für auch grötzer h 7*; vgl. Schmeller l, 1019.
GRÖTZLEIN, n., demin.zu igrotz(en) : (meerettich) musz
über drey finger tief nicht in die erden gesteckt und
das obere grötzlein davon ausgehend gelassen werden
Hohberg georg. cur. 1,487; (man soll den zweig, den
man zum röhrlen brauchen will, sacht reiben) damit
sich die schelfen von dem holtz und die daran kle-
bende äuglein mit samt dem grötzlein gemach abledigen
1, 406; grötzle, das oberist in eim reyfen äre, ist min-
der denn das körnle, frit Maaler 193**; frit, des oberste
und kleinste körnlein oder grötzlein in der aber, wann
sie jetzunder zeitig ist Golius (1585) 405; urruncum, das
underste grötzlein in der äher bei dem halm ib.; nimm
einen happelsallat, schneide die grötzel heraus B. HiCK-
MANN wiener, kochb. 283; 'grietzel oder grötschel heist an
einigen baumfrüchten . . das oben auf sitzende u. noch
von der blüthe zurück gebliebene harte wesen' Chomels
öcon. lex. 4, 1350; zu grotze 3: grötzel häufe, gesellschaft :
ins grötzel gehen sich zusammengesellen Loritza 55;
grötzelfrucht, erbsen, linsen, wicken, überhaupt die
kleinen zehentfrüchte v. Sghmid schwäb. 244; vgl. Fischer
Schwab. 3, 860; grötzelreis, abfallreis von gefällten bäu-
men ibid. — grötzling, m., was grotz(en) Fischer
schwäb. 3, 860; Schmeller l, 1018; sprosse, pfropfreis
Loritza 55; vgl. greszling sp. I97.
GRÜBCHEN, n., demin. zu grübe.
l) zumeist specifisch 'Vertiefung in der auszenßäche des
menschlichen körpers' (vgl. grübe II G l), u. zwar hat grüb-
chen diese prägnante bedeutung sehr viel entschiedener
angenommen als das synonyme und literarisch ältere
grüblein : ist (die mensallinie) zu kurtz, . . ungleich mit
circkeln, grübchen, wartzen oder flecken behaftet Prä-
TORius coli. cur. (1713) 23; gar zu viele und gar zu sinn-
lich gemachte grübchen an bildwerken Wingkelmann
1, 19; (hände) an denen . . die grübchen die feinste, ja
seelenvollste bewegung ausdrücken A. W. Schlegel 9,
36; das grübchen über dem brustbeine Gottsched d.
n. a. d. anm. gelehra. i, 250; ein . . lächeln schwebte um
die grübchen ihres mundes F. M. Klinger 4, 104; am
gewöhnlichsten grübchen in den wangen, als ein bestand-
theil weiblicher Schönheit namentlich im 18. jh. bis zum
überdrusz wiederholt: es hat . . . wenn es lachen will,
auch grübgen in den backen Henri ci ernst- scherzh. u.
sat. ged. l, 492;
in ihren wangen lachten kleine grübchen
Arent-Conradi-Henckel mod. dichterehar. 292;
den . . portraitartigen zug des grübchens in dem platten
kinn Justi Winckelmann 1, 274; blattemarbe:
was zömest du doch anf die pocken?
verachte nur die grübgen nicht
Hoffmannswaldaus u. and. Deutschen auserl. ged.
6, 287.
2) diminuierung anderer bedeutungen von grübe tritt
daneben sehr zurück; nach II A l: (der dachs) sticht mit
seiner . . nase ... in die erde kleine grübgen Döbel
jägerpractica i , 37 ; dies hervorzaubern des nebeis aus
Seen und bächen oder aus grübchen und topfen Laist-
NER nebeis. 348;
jeden käfer nimmt sein grübchen auf
A. V. Droste-Hülshoff 1, 120;
nach HCl: eine kugel, die auf einem . . . küssen liegt
und ein grübchen darin drückt Kant 3, 176 ak. ausg.;
mit der muschel wurde das grübchen des feuerstocks
ausgehöhlt v. d. Steinen naturvölker Zentralbrasiliens
208; öfter in der spräche der naturbeschreibung u. tech-
nik: dasz sie (kronenblätter) . . grübchen oder glandeln
an sich tragen Göthe II 6,52 W.; in den unzähligen
grübchen, die reihenweise auf den flügeldecken (des
käfers) eingegraben sind Lichtenberg briefe 2, 309;
bemerkte er in dem scharfen rande jedes kiefers eine
furche mit lO grübchen Sömmerring bau d. menschl.
körpers 6, 863; hinterlassen sie kleine löcher oder grüb-
chen im papiere Muspratt chemie 6, 1583; stähle, welche
an ihrer . . endfläche ein halbkugeliges grübchen be-
sitzen Karmarsch-Heeren ^i, 137.
GRUBE, /., fovea.
I. form.
1) gemeingerm. wort, zu graban gehörig: got. groba,
anord. gröf, mengl. gröfe, ahd. gruoba, cropa u. ä. Graff
4, 307/.; anzumerken ist, dasz das wort im mnd. nur
vereinzelt nachzuweisen ist (s. Schiller-Lübben 2, 157'')
und auch in den heutigen nd, maa. weithin fehlt oder
als jüngere entlehnung erscheint; ahd. herrscht noch die
starke flexion; erst seit dem 11. jh. schwache formen:
dat. sg. gruopun Graff (aus Prud. gl.); acc. pl. groibun
Diefenbagh nov. gl. 226^ (l2. jh.). seit dem mhd. mit
steigender häufigkeit schwach, bis im 16. und noch im
17. jh. diese flexionsweise wenigstens im süden das Über-
gewicht hat; im, 18. jh. literarisch schnell überwunden
(von norden her); nur in der ersten hälfte noch häufiger,
auch lexicalisch anerkannt, Aler dict. l, 988; ausz der
gruben Elis. Charlotte v. 0. br. s, 158 lit. ver.; auf
der graben Chr. Thomasius gedanken u, erinnerungen
3, 2; in die gruben (acc. sg.) Fleming der vollkommene
teutsche soldat 297; in ein gruben Tschudi chron. hel-
vet. 1, 209; oberdeutsche mundarten halten die schwache
flexion fest Schmeller i, 984; Hügel 71; Fischer
schwäb. 3, 861.
2) einen hinweis verlangen merkwürdige, anscheinend
umgelautete formen: Schmeller l, 984 notiert als plu-
ralform griabm, gria'ma; das erhellt eine dunkle stelle
bei LoRi : ob auch hinfür etlich unser burger , . neue
fange und grieben fachen und treiben wurden . . wan
dan solche grieben zu berg-grueben getrieben und ge-
bracht werden, so sollen dieselben, die die grueben
also zu berg grueben getrieben . . haben, dieselben grue-
ben zwey jähr . . haben und behalten baier. bergrecht
46 ** (quelle v. 1455), wo grieben Versuchsschürfungen zu
bedeuten scheint; vgl. unten II B 5. hierher möglicher-
weise auch die grieb, ein stadtpalast in Regensburg, mit
den straszennamen vor und hinter der grieb: in einer
Regensburger Urkunde von 1183 erscheint ein Udalric in
der grub cod. dipl. episc. Ratisb. l, 263. für das bad.
Rappenau bietet Meisinger 78 den sing, kriiwe, für
Handschuhsheim Lenz 29'' kriip; danach dürften die
zahlreichen Schreibungen grüben, grueben u. ä. im, älte-
ren schwäb. (Fischer 3, 86i) nicht belanglos sein; auch
nicht die (an sich nicht durchschlagenden) mhd. reime
alem. herkunft die selben grüebe (plur.): er hüebe g.
frau 202i; in ir grueben: üeben, betrüeben, erhüeben
Konr. V. Würzburg klage d. kunst str. 28 Joseph; uf
mines dotes grueben (dat. sg.): üeben Herm. v. Sach-
senheim (s. u. II B 4).
601
GRUBE II A 1. 2
GRUBE II A s
602
IL bedeutung.
A. zunächst und hauptsächlich eine Vertiefung im erd-
boden.
1) der etymologie entsprechend gewöhnlich von einer
künstlich hergestellten Vertiefung, und zwar denkt man,
zum unterschiede von graben, zumeist an eine einiger-
maszen runde oder gleichseitige höhlung: bisz so lange,
das czwene . . . secke mit koln gluwende worden in
eyner gruben Stolle thür. ehr. 205; wie sie . . gruben
hacketen und die erde auszwurfen grillenvertr. (1670)
164; das . . machet eine gruben in die erden mit sei-
nem flnger, aus dem selben gräblein entsprung ein . .
brunn Prätorius saturn. 376;
(ich gebiete dir) eine grübe zu graben, von einer eil' ins
gevierte
Voss Od. 189 Bemays;
wäre es möglich, dasz eine grübe durch und durch das
erdreich gehauen würde J. Grimm kl. sehr, i, 342; sie
{bodenuntersuchung) geschieht durch ausheben von gru-
ben V. Alten 3, 404; da kraczet der lev ein grüben
mit seinen füssen summerteil der heil, leben 6"*; grub
dy ain saw wulet Diefenbach nov. gl. 885*» *. v. volu-
tare; machet er {der hirsch), wann er rüben geniesset,
gruben in die erde Göchhausen notab. venat. 80; in
älterer spräche indessen nicht selten auch synonym mit
graben: ain grub o. graben fossa Diefenbach 244";
statgrab vel grübe fossatum, ib.; ebenso: nachdem er
7 monat darauf gekriegt und nun 10 000 männer in der
gruben verloren hatte quellen z. gesch. der stadt Kron-
stadt 4, 11; alle czit sullin vride habin . . kirchin unde
kirchowe unde iczlich dorf unde stat binnen siner gru-
bin unde siner mure adir czune Neumarkter rechtsb.
173; V071 kleineren graben, rainen u. ä. oft in alten grenz-
beschreibungen, vgl. Fischer schwäb. S,8Bi; sulcus Ser-
RANUS synon. s. v. grub; und macht um den altar her
eine gruben l. kön. 18, 32; der keyser Julius, da er . .
spectackel halten wolt, lyesz er grüben umb den
platz . . aufwerfen Eppendorf Plinius 45; ein runde
gruben u'mb die böum FrisiüS 926''; im frühling . . .
grabe sie um die linde eine grübe, bis zur wurtzel
Ettner u, Eiteritz med. maulaffe 170; dioryges ein
grub mit der band gemacht sxmt fossae manu factae
in Aegypto, ad Nili aquas in agros derivandas Calepin
XI ling. 428*; tiefe gewölbte gruben in den statten, da-
durch alle unsauberkeit ausz den heimlichen gemachem
. . auszgeführt wirdt cloacae Henisch 1760; grove ein
tiefer graben zur befriedigung einer marschfenne Schütze
holst. 2, 64; krumme grübe strasze in Königsberg Frisch-
bier 1, 256''.
2) gern aber auch, zumal in älterer spräche, von na-
türlichen Vertiefungen in der erdfläche, von den umfäng-
lichsten bis zu den kleinsten, mit verschieden gerichtetem,
sinn :
a) abgrund, Schlund: praecipitium gemm.a gemm. (1608)
t 6"*; barathrum . . ein grosz tief oder grundtlosz grub
Er. Alberus dict. a 2''; barathrum ein grausame tieffe
grub oder loch Calepin xi ling. 154'»; mannes muot
kähes kesturtez in dia gruoba (jnersa praecipiti pro-
funda) Notker 1, 13.
diu gruobe, dar in viel der man,
da soltu die weit merken an
{vorher: in ein abgründe tief)
RuD. V. Ems Bari. 119, 9;
es thet sich das erdtrich im mitten auf dem marckt
auf und gewann eyn tiefe grüben Carbach Livius 65";
ein tiefe grub war im abgrund,
dieselbig risz auf ihren Schlund
Spreng An. 112»;
aber auch von flacheren Vertiefungen : schlucht, thalsenke,
kessel, mulde, 'ein jeder ort, der etwas tiefer ist als die
andern dabei' Frisch (l74l) l, 877": sie gien durch teler
und gruben und in die höler A. v. Eye dtsche sehr.
1, 82; er . . fülte (mit fluten) alle täler und grüben, die
vor im wären Tauler serm. (1508) G5"; so erzeiget sich
der platz innerthalb mit grüben, büchlen und verfall-
nen mauern Stumpf Schwytzerchr. 418»; die hütte war
in eine grübe der er«le gesenkt Haller Alfred 234:
an den gruben vorbei, wo ein ewiger schnee sich gelagert
KÖRNER 2, 18 H. ;
unter mir lag der schnee in den gruben Moltke sehr,
u. denkw. 4, 11; auf dieser linie wird das wort zum Orts-
namen:
dasz man gar frölich ziechen sach
die von sant Gallen schnelle
in die grub mit richem schall
hist. volksl. 2, 276 LH. ; vgl. 274, 46;
sehr häufig als flurname Fischer schwäb. 3, 862; vgl.
Staub-Tobler 2, 692; auch von erdlöchern kleineren aus-
maszes: wie oft springen sie über einen schatten . . .
vermeynende, sie haben ein bach, klotz oder grüben
vor ihnen Ambach v. zusaufen c i'^;
kein stein noch grub soll deinen fusz
verhindern Weckherlin 1, 364 JF'.;
der gottlosen weg . . . hat viel gruben und anstösse
Petri d. Teutschen weish. 1, a 8''; er tritt in die grübe
sagt das volk vom hinkenden Körte sprichw. 179.
b) höhle: spelunca hulin, grub Diefenbach nov. gl.
845»; hübe {l. hule) o. grfibe 332'' s. v. scrobs; eyn grosz
hole vel gruob gloss. 607° s. v. vastrum; grübe der tra-
chen und wurme antrum 39»; antrum Frisiüs 102'»;
ein hole, grub unter dem erdtrich caverna Hulsius
(1618) 2, 82'»; schon mhd.:
der minne gruobe, der minne hol,
dar inne in vor was s6 wol
Heinr. v. Freiberg Trist. 3325;
ir habt es (mein haus) gemacht ein grob der diebe
erste dtsche bibel, Matth. 21, 13, Luther: mördergrube;
die 5 kunig warn geflohen und betten sich verborgen
in die grübe der stat Maceda ib. Jos. 10, 16, Luther:
höhle; nach mitternacht, da der wynd Aquilo entsteet
und von ym ein grub oder höly ein nammen hat
Eppendorf Plinius 5; den ring . . , den er in der nacht
aus der unterirdischen grübe gebracht hatte Tieck sehr.
8, 72; die . . beschaffenheit . . einer grübe oder eines
gewölbes, welches sie {die fledermaus) benutzen will
Brehm thierl. l, 321 P. L.; bildlich:
und aus des elends gruben
da schallt es : fluch euch buben I
br. von u. an Herwegh 279;
ach, herz des menschen, grübe, die viel verbirgt
Herder 27, 147 S.
c) hölle; schon ahd. hellagruoba Graff 4, 308;
das ist der da unden ist in der grüben,
da wonet Sathanas mit sinen buben
pilgerf. d. träum, mönchs 8975;
das sy lebendig hinunder in die grüben farend Züricher
bibel (1581) 4. Mos. 16 E {v. 33), Luther: hölle; lass sie
faren, eyn blind dem andern nach, yn die ewigen gru-
ben Luther lo, i, i, 388 W.; er . . trachtet, wie er uns
ubers seil werfe und in die hellisehe grübe stürtze
Dedekind Christi, ritter b 4», im spiel mit der bedeur
tung B 8: denn diese höllische grübe soll himmlische
geister nicht ... in banden behalten Bodmer samml.
crit. poet. sehr. 1, 41; vgl. noch: daher er sie ... un-
barmherzig zurück in die grübe stürzte {die hölle der
Volksbühne) Göthe 21, 114 W.; auf einer ähnlichen Vor-
stellung scheint zu beruhen: beruft der gnedige gott . .
Abraham usz der abgötter grub von Ur Jon. Kessler
sabbata 20; wohl auch: sie uuurden beheftet mit uaerlt
kiridon unde bediu sturzton sie in foveam mortis (in
gruoba todis) Notker 2,62 (j?*. 19, 9); dieselbe Verbin-
dung in anderem, sinne unter B 4.
3) gewisse Wendungen sind zu übertragenem u. sprich-
wörtlichem gebrauch gediehen, besonders in die grübe
fallen: enti ibu daz {sc. schaf) in gropa fallit Mons.
fragm. 4, 24 Hench {in foveam Matth. 12, ll); sehr gern
bildlich im sinne: in noth, gefahr. Verlegenheit qerathen:
gleich als wo du in ain gruben feist, got reckt dir sein
band dich herauszeziehen Berth. v. Chiemsee teutsche
theol. 306; ich unseliger bin gefallen in die grub Terem
603
GRUBE II B 1
GRUBE II B 2
604
(1499) 119" (in eum incidi infelix locum Pharm. 175);
wer die strasz der warheit nicht . . weisz, der stürzt
sich in die grub der thorheit Lehmann ßorileg. pol. 2,
901; Sickingen, du wirst mit mir in die grübe fallen I
ich hoffte, du solltest mir heraushelfen Göthe 8, 108
W.; grade in die grübe gefallen, die man vermeiden
wolte Lichtenberg br. 2, 175; das er (gott) dich also
wil verblenden, das du mit offnen äugen yn die gruben
fallest Eb. V. Günzburg 3, 134 ndr.; wer mit offenen
äugen in die grübe rennt, soll die beine brechen Hol-
TEi erz. sehr. 87, 146; umgekehrt: wer dem ochsen ausz
der gruben mit bänden hilft, dessen hülf ist gewisz
Lehmann florüeg. polit. i, 410; dadurch war ich im
stände, sie in \erwirrung zu setzen und unsere Zier-
lich aus der grübe heraus zu ziehen Petrasgh luatsp.
2, 512; sie (die kirche) hat alten füchs art . . sie weisz
über alle zäun und hage, über alle gruben und graben
. . gar fein zu springen Fischart bienenk. 50»; üben
sie sich, die gruben, die der zufall ihrer eitelkeit in
den weg legt, zu überspringen Pückler briefw. und
taget, l, 165; hierher weiter ein vielcitiertes und -abge-
loandeltes biblisches gleichniswort: blinter oba blintemo
leitidon forgibit, beidae in gruobe uallent Tat. 84, 7
(Matth. 15, 14) und ähnlich bis zu Luther; vielfältig
variiert: dem geschieht als dem gesehenden, der mit
ainem blinden über feld wandelt, und vielen beyd in
ain tieff grub buch d. beisp. 3 lit. ver.; dieses kind ist
ein blinder Wegweiser und stürtzet seine nachfolger in
die gruben Harsdörfer teutsch. secret. 1, Cccl»; wo
. . . der blinde den lahmen in die grübe führt Fr.
Schlegel 5, 218.
B. sehr häufig erscheint das subst. in speciellerer Ver-
wendung; die Vielfältigkeit des gebrauchs wird am deut-
lichsten, wenn man nach dem zweck der grübe fragt.
l) grübe als thierunterschlupf: grübe der wilden
thieren cavernae, cubilia ferarum Henisch 1768; die
fuhse habin grubin Beheim ev. buch, Matth. 8, 20; gegen
welchem theil die maulwörf, igel und murmelthier ihre
gruben zustopfen ^ebiz f eidbau b; die unzähligen gruben
und höhlen der erdmäuse Ritter erdk. 2, 548;
(dieser krieg) der auch die wilden thiere sanftmuth lehrt,
dasz sie sich scheu in ihre gruben bergen
Schiller 13, 310 G. ;
thierzwinger: föne louuuon gruobo Nctker nach
Graff 4, 307; grübe der leuwen spelunca leonum Die-
fenbach 546»; also musten die löwen den Daniel in
der gruben unverletzt lassen Cyr. Spangenberg in
tlieatr. diab. (1569) 287*; kerker:
do warf man mich sare
in dise vinster grübe
in disen charchsere
Milgt. gen. 81 , 14;
und hie bin ich unschuldig gelegt in die grübe erste
dtsch. bibel 3, 180; das sie versamlet werden in ein bünd-
lin zur gruben und verschlossen werden im kercker
Jes. 24, 22; vgl. Jer. 3, 16;
und werft in in der gfengknuss gruben
H. Sachs 11, 21 K. ,
und wer zuerst in gruben liegt,
kan bald den thron ersteigen
Günther ged. 31 ;
der könig . . . befahl den kutscher in eine grübe zu
werfen, die voll ottern und schlangen -gezücht war
BRÜDER Grimm kinder- u. hausm. 2, 257; bildlich: ausz
des todes kercker oder gruben Mathesius Sar. 73»;
krypta: eyn grübe under der kirchen Diefenbach 597 "^
a. V. tripta (l. cripta); crypta Calepin XI ling. 353*»; vgl.
grübe, ein gemach und gewelbe unter der erden crypta
Degimator thes, (1615) s. v.,- auch syn yn allen kirchen
oder muschkeen tieffe locher oder grüben Breidenbach
reisen (i486) 136»; vorrathsgrube: gruben im erdtrich,
dareyn man das körn gehaltet Henisch 1758; für die
keller betten sie grüben mit mist bedeckt Seb. Franck
chron. Germ. 5»;
(wenn der feind noÄ<)'flüchte jeder in die gruben
kartoffeln, kraut, gelb, weisze ruben
A. V. Arnim 14, 68;
grübe in der nähe des hauses zur aufbewahrung von
feldfrüchten über den winter Staub-Tobler 2, 692; kar-
toffelgrube Weinhold schles. SO^; abfallgrube: das
. . ewere brennen ferr seien von den gruben, putzen
und lachen, da man den mist pflegt zusammlen Sebiz
f eidbau 14; hat ein reichstat . . aus des hundtschlagers
grüben einen gottsacker gemacht Nas antipap. eins u.
hundert i, 40'';
(das fleisch) stinckt, als ob es schelmig wer
oder kam ab der grüben her
MoNTANus schwankb. 438 lit. ver. ;
es war, als fegte man den mist
aus sechsunddreiszig gruben
Heine 2, 490 E. ;
düngergrube Weinhold schles. 30^; abort: grub o. pri-
vet Diefenbach 474° s. v. puteal; latrina Wächter
618; ist aber, daz ein man sinken wil eine grübe, di
da heizet heimelichkeit urk. buch d. st. Freiberg i. S.
3,21; die grübe leeren Fischer scJiwäb. 3, 861; bildlich:
mensch . . du bist ein gruben Abr. a St. Clara etiv.
für alle 2, 262; obscena, sordida, humilia etc. alles in
einer grübe I (bei Klotz) Herder 3, 305 S.; (ein witz)
recht aus der stinkenden grübe der tiefsten depravation
gestiegen E. Th. A. Hoffmann 14, 170 Gr.; wasser-
grube: a^quorreos lacus wazzerlichon groibun Diefen-
bach nov. gl. 226''; lacus gloss. 316»; sentina stinckende
grübe mit wasser 527''; ein cistern oder grüben dareyn
das rägenwasser sich samlet compluvius lacus Frisius
271»; und warfen ihn in die grübe; aber dieselbige
grübe war leer und kein wasser drinnen l. Mos. 37, 24;
bildlich: trink wasser aus deiner grübe lasz dir an dei-
ner frau genügen spr. Sal. 5, 15; das man . . die predig
schöpfe auss dem brunnen der bibel . ., nit auss den
grüben, cistern und lachen newer predigbüeher Eb. v.
Günzburg i, 5i tidr.;
(der Vorwitz) ruft die irrenden herbei,
die oft aus trägheit, oft aus Unverstand
aus seiner grübe schöpfen
GRAFEN Stolberg 3, 14;
von Wasserleitungen: die gruben unter der erden, dar-
durch man das wasser füert specus, cuniculi Henisch
1757 ; geweihte brunnenstuben oder eingeschloszne grüben
in den brünnenleitungen, ausz welchen die teuchel das
wasser fassend Frisius 196'»; fischgrube: wewer vel
grub Diefenbach io8» s. v. cavea; vischwyer vel gruob
piscina 438»;
es ist'kein fisch in unser gruben
(vorher: sprich, dasz sie den fisch in der gheim
in der fischgrub auf morgen bhalt!)
H. Sachs 21, 257 iT.-C?.,-
da man nun die gruben aufzoch,
kein grossen fisch er darinn sach
A. D. Widmann Peter Leu v. 600 Schade;
spielgrube für kinder Staub-Tobler 2, 693;
spielst du mit schussern, das kügelchen rollt,
dreht sich zur grübe Göthe 4,46 W.;
aschengrube:
morgens sasz sie ganz berusset
in der heiszen aschen gruben
Brentano 3, 394;
vgl. grub und ort under dem herd cavea Henisch 1757.
2) grübe hl der spräche der verschiedensten gewerbe u.
gewerke: schanzgrube: auf dem walle, da tiefe gruben
zu Verwahrung der artollerey gemachet Micrälius
Pommerland 4, 167; baugrube: grub, darinn der baw
angelegt wirdt fundam^ntum Henisch 1757; vgl. man
sihet noch heut . .die gruben desselbigen hauses (das
ausgebrannt ivar) buch d. liebe 273»; gieszgrube:
was in des dammes tiefer grübe
die band mit feuers hilfe baut
Schiller 11, 306 ö. ;
da brachten sie . . . ihr werk in die grübe Göthe 44,
61 W.; bildlich: müssen wir die form bereit halten, in
die das siedende metall sich ergieszen kann, damit die
blanke . . . Germania aus der grübe steigt Uhland
Frankf. pari, reden 4, 2879; setz grübe für pflanzen:
I
605
GRÜBE II B 3
GRÜBE II B 4
606
grub, grabe darein man etwas pflantzet Henisch 1767;
im Weinberg die gruben, in die die grubreben (». d.) ge-
setzt werden: waz mistes man in die grüban bedarf
Fischer schwäb. 3, 861 {quelle v. I36i); ein alter reb-
stock dessen schosz man mit gruben eynleget propago
Calepin XI ling. iiTi**; auch soll er jährlich eine ge-
wisse anzahl {weinstöcke) zu gruben und bogen legen
zu lassen verbunden seyn Hohberg georg. cur. 1, 19;
v^-Z. gruben v6. ,• das grubeneinlegen und sencken {beim
baumpflanzen) 2, 413; um sie {die eichen) in eine neue
grübe zu setzen Brentano 2, 66; grübe zum kohlen-
brennen: er hab es {kohlen) uff der grub oder uff dem
marckt kauft Fischer schwäb. 3, 861 {Ulm 1605): den
kolern, wann sie holz zu den grueben schleifen ib.;
wobei das holz . . in . . meilern oder in gruben ver-
kohlt . . wird RossMÄSSLER d. wald 614; kalkgrube:
lacus der trog oder die grübe, darinnen der kalck ge-
löschet wird Reyher (1668) 2, 3942; der kalch muss
wenigstens 1/4 jähr in der grübe bleiben allg. dtsche
bibl., anh. zw 37— 52, 432; g er b gr u be Karmaksch-Hee-
REN 35, 331; ein gerber musz 1000 gülden in der band,
1000 im buch und loöo in der grübe haben Fischer
schwäb. 3, 861; färbgrube: der knecht hatte die bälfte
seines garns . . in einer grübe mit eichenlaub gefärbt
MOSER 1, soi; waschgrube: das treten der wasche in
der grübe bei Homer Bücher arbeit u. rhy thmus *S68;
und mannigfach sonst: gruben zum einsumpfen d. tJions
MusPRATT Chemie 8, 388; gruben der rast- oder brett-
Schneider Hoyer-Kreuter 1, 314 u. a.
3) grübe als fall- u. fanggrube zeigt eine reichere
entwicklung: wenn die Jäger ainen pern vähen wellent,
so grabent si ain gruob Konr. v. Megenberg buch d.
natur 163; ir ardt zu fahen ist, dass man solche {auer-
ochsen) in tieffe gruben stürtzt Herold-Forer Oesners
thierb. 128; als wann ihm zwölf fuchse ... in die grübe
gefallen Zend. a Zendoriis winternächte 665; am ver-
breitetsten waren die Wolfsgruben (attcA Ortsname), s. d.;
'eine ort Vogelfang, da man die kleine vögel in gruben
fängt' Krünitz 20, 152; als kriegsmittel : unde machten
grosse gruben an den enden, da sie wissten die Sende
herquamen Wigand Gerstenberg chron. 28; seinen
feinden kan man mit . . verdeckten gruben . . incom-
modiren Fleming der vollk. teutsche soldat 271. zwei
linien bildlichen gebrauches sind hervorzuheben:
a) sy werdent euch zu einer grübe und zu eim strick
erste dtsche bibel 4, 332 {Jos. 23, 13); das ir . . vor truncken-
heit, als einer hellischen grüben, erschrecken . . werdet
Ambach v. zusaufen d 4*; sie {die weit) ist . . foller
bosheit, steine und gruben Butschky Pathmos ii; da-
bei kann sich der gegenständliche sinn des subst. stark
verflüchtigen; gelegentlich wird es fast wie ein abstrac-
tum gebraucht: grub, hinderlist, beruckung . . . dolus,
fraus, fallacia, insidiae, technae Henisch 1758; dasz einer
etwas studiert, das ist dazu . . . nutz, dasz man der
füchsz ränck und gruben erlernt Lehmann florileg. pol.
1, 494; vgl. si haben mir on ursach gestellet di grüben
yrer netze Schede psalmen 131 ndr.; eine reihe von bibel-
stellen haben diesen bildlichen gebrauch befördert, vor
allem Jes. Sir. 27, 29: wer eine grübe gräbt, der fällt
selber darein ; ganz ähnlich spr. Sal. 26, 27 ; pred. 10, 8 ;
auf sie geht das vielverwerthete Sprichwort zurück: wer
einem anderen eine gruben gräbt, fält gemeiniglich selbst
darein Aler l, 988*, das schon der mhd. zeit geläufig
war:
vil dikke er selbe drinne lit
der dem andern grebt die gruoben
minnes. frühl. 22, 32;
vgl. Rother 4527 ; dann ich bin, der die gruben getolben
hat, und zu dem ersten hineingefallen Wickram 2, I6I
Bolte; auch eine reflexive fassung ist alt:
Gäwein im selp die gruobe gruop:
Gasozein er wider Of huop
Heinr. V. D. TCRLiNfcr07ie 12003; vgl. 16827;
da grabend ir unsinnigen . . euch selb ain grub und
fallen darein reform, flugschr. l, 112 Giemen; auf grund
dieser sprichioörter entwickelte sich die des citatcharakters
allmählich ganz entkleidete formel einem eine grübe
graben im sinne 'insidias alicui struere' Stieler 689;
der . . . grosse häufe . . dencket und trachtet, wie man
Christo eine grübe grabe MATHESius/a«fenprcrf. (1670)28'';
Atropos: sehen sie da den herzbuben.
Lachesis: aber die trefdame grabt eine gruben
Meisl theatr. quodl. 1, 48;
auch mit anderen verben:
auch haben on ursach die buben
meiner seel zugericht ein gruben
H. Sachs 18,160 K.-O.;
wie er {der teufet) solchen abergläubischen fuhrleuten
. . eine grübe bereite J. G. Schmidt rockenphil. 1, 341 ;
die tiefsinnigen gedanken unserer philosophie . ., denen
Leo heimliche gruben legt Gutzkow w. 10, 148.
b) einige andere bibelstellen streifen wenigstens an
diese Sonderbedeutung: aber, gott, du wirst sie hinunter
stoszen in die tiefe grübe ps. 65, 24;
lasz sie treffen ihr böse sach
und stürz sie in die grub hinein
Pape bettel- u. garteteufel Q 7 * ;
im hertzen aber dencket er,
dasz er dich feil int gruben schwer
H. Sachs 19, 50 K.-Q.
als Paraphrase von Sir. 12, 16; aber sein unordentliches
leben stürzte ihn in die grübe Haller TJsong 93; auf
dieser linie gelegentlich der abstracten bedeutung 'ver-
derben, Untergang' nahekommend: yhr {der gottlosen)
grübe und verderben ist fürhanden Luther 19, 690 W.;
öfter vermengt mit den bibelstellen unter a: wurden . .
also in die grübe selbst gestürtzet, die sie andern bet-
ten zugerichtet Schütz hist. rer. pruss. m 4"; stürtze
sie selbst in die gruben, die sie uns gegraben haben
aus einem gebet Fleming d. vollk. teutsche soldat 297;
dieselbe Spielart des sinnes auch in anderen fügungen:
o, ich thorl . . so lang mich von solchem umgang ent-
fernt gehalten haben, und im letzten jähr wie ein un-
sinniger in die grübe laufen! Miller br. dreier akad.
freunde 430;
das {wangengrübchen) ist die grübe, worein mich trieb
wahnsinniges verlangen Hbine 1, 50 E.
4) grabe zur beatattung von toten:
si folten manige grüben
mit f runden unde mit mägen
Straszb. Alex. 4753;
alle greber und grüben mit den todten cörpern erfüllet
warn Hedio chron. german. c 4»; damit . . er . . {die
leichen) in die gemain grüben warf Lindener rast-
büchl. 19 lit. ver.; der sarg {Mozarts) wurde in einer
allgemeinen grübe beigesetzt 0. Jahn Mozart 4, 688;
dann auch im specifischen sinne des einzelgrabes ; schon
mhd. :
{ich) bin worden nu so alt
daz ich nicht zu beytene han
me wan der gruben Hiob 6854 Karsten;
uf mines dotes grüeben
Herm. V. Sachsenheim in: meister Altswert 136,15;
erst nhd. in breiter entfältung, aber bei literarischem ge-
brauch im, ganzen ein wort gehobener spräche: {du wirst)
nicht zugeben, das dein heilige sehe die gruben pa. 16,
10 var.; ähnlich ps. 49, 10;
mein geist vergeht, mein herze bricht
gleich denen in der grübe
Neukirch ged. 103;
fünf jähre sind es schon, dasz deine werten glider
in ihrer grübe ruhn Drollingkr ged. 112;
ich fliehe und fliehe, bis sich mir eine frühe grübe
öffnet Hauff 3, 102;
die erste starb bei dem morgengeläut,
man grub ihre grübe zu thaueszeit
Mittler dtsche volksl. 192 :
seit den tagen, wo dieser zweig alemannischen volkes
sich hier festgesetzt und die erste grübe gegraben
G. Keller 1, 182; auf der anderen seite aber auch mit
einem vulgären klang: meinetwegen! besser sie als wir
607
GRÜBE II B 4
GRUBE II B 4
608
in die grübe maler Möller 8, 209; futter für pulver;
sie füllen eine grübe so gut wie bessere Shakesp. 6, 142 !
tco das wort in niederen sprachschichten erscheint, ist es
wesentlich an bestimmte formein gebunden: es müszt'
mit ganz verkehrten dingen zugeiien, wenn er mir nicht
in die grübe nachsehen könnte Anzengruber 3, 88;
i füll sei gruab'n ned aus sterbe nicht an seiner statt
HÜGEL 71;
wer bethat und wainat und wurf ma
aft dö drei knöllerl in d' grue?
Stelzhamer ausgew. dicht. 1,29;
vgl. Fischer schwäb. 3, 862; Staub-Tobler 2, 692; über-
haupt bewegt sich das leben dieser bedeutung gröszten-
theils in der bahn fester Wendungen, von denen einige
der meistgebrauchten und entwicklungsfähigsten auf die
Luthersche bibel z urückgehen : auf ihre rechnung kommt
zum guten theil die breitere entfaltung der bedeutung
'grab' im nhd.
a) würdet ihr meine grauen haare mit herzeleid in
die grübe bringen l. Mos. 42, 88; vgl. 44, 29. 81; l. kön.
2, 6; diese zeitung wird mein graues haar in die grübe
bringen schausp. engl, comöd. 85 Greiz.; denk, einsamer!
wenn du kinder hättest, die deine grauen haare in die
grübe brächten? Hippel lebensl. 4, 651 ; soll denn Friede-
rich seine grauen haare nicht können mit frieden in
die grübe bringen? Gleim briefw. l, 462; aber auch ohne
so greifbare beziehung auf die bibelstellen:
ich wurt sie mit leydigen dingen
so alter in die gruben bringen
H. Sachs 1, 145ir.,-
den jähen Umsturz . ., der mich in meine frühe grübe
bringt S. v. Laroche frl. v. Sternheim 2, 218; von den
zahlreichen sonstigen transitiven Wendungen sind manche
deutlich nur abwandlungen der biblischen formal:
und wie dein kühner degen
eo manchen Saracen könnt in die grübe legen
Neukirch ged. 186;
wollt ihr mit gram mich in die grübe senken?
A. V. Arnim 20, 259 ;
wenn nicht der schnelle tod das abgekränckte pfand
noch vor der sechsten nacht der gruben zugesandt
Gryphius ged. 576 lit. ver. ;
wie die jungen . . ärzte . , ein paar hundert krancke
in die grübe schicken Mattheson kl. gener albaszsch. 66;
mit schände stöszt sie mich in die grübe Iffland
theatr. w. l, 49;
als bis ihn ein frühes sterben
in die dunkle grübe reiszt
Triller poet. betracht. 3, 108 ;
das gifftig aug der trauen . . . wirft das kamel in die
grueb proplem. Arestotilis (1492) 19^*; intransitiv: ich
werde mit leide hinunter fahren in die grübe
1. Mos. 87, 35 ; vgl. ps. 148, 7 ; spr. Sal. 1, 12 ; Jes. 88, 18
u. ö.; wolltest mich . . aus herzleid über dich in die
grübe fahren sehen? Fr. M. Klinger l, 435; und ist
darüber verzweifelnd in die grübe gefahren Göthe IV
27, 221 W.; nicht selten auch mit zu:
wi zü'r grüben farende leich
Schede psalm. 100 ndr. ;
ob er {Napoleon) zur grübe fährt, wohin er so viele
vor sich her gesendet Görres 2, 467; von den zahlreichen
anderen intransitiven u. reflexiven Verbindungen desselben
Sinnes sind manche vneder deutlich nur abwandlungen
der biblischen Wendungen: eh soll meine Schwester ledig
in die grübe gehen Meisl theatr. quodl. l, 104; als dasz
ich . . mein graues haar mit schände bedeckt in die
grübe legen sollte E. M. Arndt sehr, für u. an s. l.
Deutschen 3, 192;
mein graues haupt wird
eher nicht in die grübe sich neigen, als . .
Klopstock Mess. (1780) 477 ;
anderen sinnes (vgl. b): als Rom zur grübe neigte Laube
5, 107; damit ich nicht mit ihm in die grübe sinke
Sturz sehr. 2, 7; dasz ich hinabsteigen werde in die
kalte . . grübe Holtei erz. Schriften li, 299; auch um-
gekehrt:
sollt' Helena auch selbst aus asch' und grübe steigen
Weichmann poesie d. Nieder s. i, 183;
sprichwörtlich: wer aus der grübe komt, der weisz vom
tod zu sagen Kram er teutsch-ital. l, 570«.
b) auf der grübe gehen dem tode nahe sein; im älte-
ren nhd. ungemein häufig, auch im 18. jh. noch durch-
aus gebräuchlich:
wiewol du täglich gast uff der grub
N. Manuel 263 B.;
je neher er auf der gruben get Luther 32, 227 W.;
weil sie {die weit) zu irem ende nahet und bereit auf
der gruben gehet 84, 2, 476; im nahmen des auf der
grübe gehenden Augustus Lohenstein Armin. 2, 1839*;
variiert:
wie vast wir laufen uff der grub,
schenck yn Murner narrenbeschw. 234 ndr. ;
die uf's dots gruben gan Schede psalm. 81 ndr.: ihr
sehet, dass der eine fuss schon auf der grübe gehet
Moscherosch ges. l, 215; die alten auf der grübe wal-
lenden allg. haush. lex. 2, 706'"; mein nachbar geht . .
auf der grübe herum Nieritz nacÄ Müller-Fraureuth
1, 446^; jüngere spräche verändert die präpositionale fü-
gung: das hohe alter, das nun beginnt auf die gruben
zu gehen Corvinus/ow* 28; der auf die grübe losgeht
Holtei erz. sehr. 22, 275; wir . . laufen gegen unsere
gruben zu Jag. Böhme 4,64; gehen wir entgegen der
grübe MALER Müller l, 93; andere Wendungen der-
selben bedeutung:
wann man sieht die schellen tragen
den, der nach der grübe sticht
S. Brant narrenseh. 8 Z. ;
ein zahnlos weib, das an der grübe wankt
Eschenburg beispieUamml. 2, 236;
schon nach der grübe riechen Kram er teutsch-ital. i, 570 ".
c) etwas mit in die grübe nehmen seit dem 17. jh. in
schwang: eines getrewen . . fürsten namen und nach-
ruhm mit sich in die grübe zunehmen Chemnitz schwed.
krieg 1, 60: der das . . geheimnis seines todes mit in
seine grübe nimmt Fr. L. Schröder dram. w. l, 192;
hat einer zank . . ., so nehme ers ja nicht mit sich
unter die gruben Otho ev. krankentrost 686 ; doch schon
früher ähnliche Wendungen:
bring in {den willen) ze dlner gruobe hin
Winsbeke 6, 4;
aber die eer wil ich , . . unversert mit mir in mein
gruben bringen Hütten 2, 137 Böcking ; dem sey nicht
mehr zu helfen und muss solche {sc. sucht) mit sich
in die gruben tragen Guarinonius gretiel 27; alt ist
auch :
sus muoz leide an endes zil
in volgen in ir grüeben
minnes. 8, 836^ v. d. H.;
wenn deine . . leiden mir in die grübe folgten Gersten-
berg Ugolino 243; das gerucht ... so einem yeden
menschen bis in sein grüben nachvolgt Theuerdank 184
Haltaus.
d) nicht von verben bestimmte präpositionale Wendun-
gen: bis in die grübe, bis zur grübe bis in den tod;
namentlich im älteren nhd. sehr ausgebreitet : der sicher
ain frummer . . man was bisz in sein grueb städtechr.
6, 202; du wirst noch vil daran zu lernen haben, ich
auch bisz in meine gruben Luther 32, 93 W.; dasz er
bisz in seinen tod und gruben ein reines . . leben . .
führen . . . wolte Schütz hist. rer, pruss. l, c 6"; itn
18. jh. literarisch zurückgehend:
dir bis zur grübe treu
Gottsched ged. (1751) 1, 287;
mundartlich noch heute, s. Fischer schioäb. 3, 862; (noch)
in der grübe noch nach dem tode: dasz nicht grobe
hübeler . . mich damit in meiner gruben ausschwätzen
Schw^einighen denkw. 7 Ö.; das musz ich ihm noch
in seiner grübe nachrühmen Gottsched dtsche schaub.
8, 287;
beschimpfte den vater
jenseit der grübe Göthe 50, 61 W.
609
GRUBE II B 5, C 1
GRUBE II C 2 - 2GRÜBEL
610
5) grübe zur gewinnung von Tnineralien, sei es an der
erdoberfläche oder unter der erde: fodina Diefenbach
241*'; goltaderen vei gruben mine 362»; ein Schacht, gru-
ben, zeche fodina Faber thes. 328'' ; grübe 'dadurch wird
das herg gebäude verstanden, wo man anfähret' Minero-
PHILUS (1730) 312; 'ein berggebäude, es sey schacht oder
Stollen, insbesondere aber ein schacht' Jacobsson 2, 158'';
das perckwerck creutzweisz durchrefiret,
bescnawet die stollen, schech und gruben
H. Sachs 3, 480 K. ;
weil er {gott) weisz, das arme bergkleut in gruben und
hütten viel bösz wetter . . in sich ziehen Mathesius
Sar. 3"; ich habe . . als praktischer bergmann . . einen
groszen theil des tages in den gruben zugebracht A. v.
Humboldt kosm. 3, 71; in weiterem sinne auch von dem
industriellen gesamtkörper des bergwerks Veith bergtvb.
249; von einem sehr energischen betrieb der gruben
MoMMSEN röm. gesch. 1, 748; hypotheken . . an gruben
und brüchen hypoth.-bankgesetz (l899) § 12, 3; nach dem
zu tage geförderten unterscheidet man ertz-, bley-, gold-,
silbergruben Galepin xi ling. 818''; 1305^; saltz , Schwe-
fel-, stein-, Sandgruben Henisch 1759; kohlen-, thon-,
lehmgruben u. a. : all unsere bürgere . . , die eisenberg-
werck haben, es sey an berg-grieben, alten grueben und
fangen Lori baier. bergrecht 46 (quelle v. 1455); es ligt
das ertz noch halb yn der gruben Luther post. (l528)
112»; von den goltertzen, die ausz der gruben von den
gengen gewunnen . . werden Ercker beschr. aller mi-
neral. ertzt 45''; es hat gruben alda von goldt, silber
und allerley metall volksb. von dr. Faust 67 ndr. ; an-
statt die kohlen in der nähe der gruben zu verkohken
Liebig ehem. br. 126; daneben seit alters für oberirdische
anlagen : es soll auch kein steinprecher dem andern kein
fels oder gruben . . am perg nit verkaufen E. Tucher
baumeisterb. 81 lit. ver.; gerade für Steinbruch in älterer
Sprache gangbar, vgl. Fischer schwäb. 3, 861; der mar-
mor sey keinem aus den gruben von Carrara kommen-
den ähnlich H. Meyer gesch. d. bild. künste 8, 294; des
Schiefers, den er aus eigener grübe gewinnt 0. Ludwig
1, 144; stehende Wendungen: perchknappen, die in die
gruob varnt Konr. v. Megenberg buch d. natur 109;
beym einfahren in die grübe Göthe IV 8, 4 W.,- das be-
fahren der zwei vorzüglichsten Klausthaler gruben Heine
8, 28 E.; die bergleute, die auf dem Harze die dort ge-
fundenen gruben eröffneten Eichhorn Staats- u. rechts-
gesch. 2, 340; vermögen sie das lezte nicht mehr, wie
etwa eine abgebaute grübe oder ein ganz ausgesogner
acker Schleiermacher III 2, 457; dazu vielerlei rein
technische ausdrücke wie eine grübe abhütten, abköhlen
eingehen lassen, belegen arbeiter anfahren lassen, eben
machen räuberisch bauen, zu sumpf treiben ähnlichen
Sinnes u. a. Minerophilus (i730) 312; in bildlichem ge-
brauch nicht eben häufig: herr Weiss hat den stoff zu
seinem Thyest aus dieser grübe geholt Lessing 9, 350 ilf.,-
dieses sind die gruben, wo ich geld zu graben hoffe
A. v. Haller Fabius u. Cato 141.
C. grübe übertragen auf Vertiefungen in anderen Stoffen
und fläclien als der erdoberfläche.
1) seit alters sehr gewöhnlich von Vertiefungen am
jnenschlichen und thierischen körper:
sin {des rosses) ougen tief, die gruoben wlt
WoLFR. V. Eschenbach Parz. 256, 23;
die äugen (des papstes) unbeweglich und tief in ihren
gruben Ranke 340/41, 49; die slangen habent neur gruob
an der 6rn stat Konr. v. Megenberg buch der natur
285;
von einer gruoben daz geschach,
die sie (die nase) in die stirne zöch
Heinr. V. TüRLiN kröne 19661; vgl. 19639;
aus denen gruben ihrer gedörrten wangen Ziegler Ba-
nise 227; im sibenzehenden jar pflegen den pferden . .
die schlaf einzufallen und gruben zubekommen Sebiz
feldb. 151;
man sieht under dem arm die gruoben
MEISTER Altswert 50;
IV. 1. 6.
in die grub der schulteren Gersdorf ivundarzn. (1517)
7''; toll seid ihr alle bis an die grübe im nacken Herb.
Eulenberg dogenglück (1899) 148; ech schlo'n der eng
an't grübe ins genick Follmann lothr. 218''; grübe auf
der brüst cavita, fossetta Jagemann 547; grübe an der
kehle ib.; durch eyn grub eynes holen zans Fischart
geschichtklitt. 378 ndr.; wo die knochen durch gruben
rauh und uneben sind Sömmerring 2, 10; mannigfach
in der kunstsprache der anatomie, z. b. die flache grübe
am augenhöhlenstücke des schädels fovea glandulae la-
crimalis, weiteres bei Campe 2, 466»; narbe, 'eine harte
figur' Rüdiger Zuwachs 2, 80 {vgl. blattergrube) : dasz
sie {die urschlechten im angesicht) keine gruben noch
masen geben Gäbelkover arzneib. 2, 144; ich kriegte
gruben im gesiebt Grimmelshausen Simpl. 310 ndr.;
wenn er die eklen gruben im angesicht seiner Brob-
dingrags sah Schubart leb. u. gesinn. l, 199,
2) im übrigen öfter in technischer spräche: grübe 'sind
flachrandige Vertiefungen in guszstücken' v. Alten 4, 475 ;
gruben, gallen, chambres, äuszern sich zuweilen in dem
laufe der stücke und mörser v. Eggers i, iits; den
gruben in den stücken, so man mit einem Wachslicht
. . inwendig erforschen kan Gruber mathem. friedens-
u. kriegslust 427; an blüfhen bezeichnet grübe eine ort
honigbehälter, nectarium Rohling Deutschlands flora 1,
41; {die Matter der fieberrinde), welche in ihren drüsigen
gruben eine herbe flüssigkeit absondern Oken 3, 2, 864;
sie {die 'nusz' der armbrust) hatte ferner eine Vertiefung
(grübe) für die abzugsstange G. Köhler kriegsw. 8, l,
115; grübe = sponning, eine kerbe zu beiden seilen des
kieles. in die die unteren kanten der au^zenplanken ge-
fügt werden Bobrik 320^; 652''; bei pulvermühlen die
löcher im grubenbaum Mothes 2, 581; bei den Schuh-
machern die Vertiefung im hölzernen absatz für die ferse
Sanders l, 632* u. a.; darüber hinaus nur in beschränk
tem ausmasz: ainer . . der da auszwürfft das wasser ausz
dem schiff . . allso versammelt in der grüben Keisers-
BEB.G schiff d. pen. 20^; darnach machet soviel gruben
{in die mit butter beschmierte Schüssel), als eyer sollen
drauf gestellet werden Amaranthes frauenz. lex. 509;
ein stückgen kupfer . . , welches vom roste halb ver-
zehret ist und deshalb einige gruben . . zeiget Gott-
sched Vernunft, tadler. 1, 340; man sah am morgen eine
kleine grübe {im bett) Grimm dtsche sagen l, 59.
GRUBEINEN, vb., nach der grübe riechen, dem tode
nahe sein Kramer teutsch-ital. 1, 571»; vgl. Wilmanns
2, 103; im selben sinne auch grubentzen und grübeln ib.
IGRÜBEL, m., Werkzeug zum graben: sarcolum spade,
grübet Diefenbach 327», rutrum grübbel 505« aus nd.
glossaren; grübel rutrum, instrumentum rusticum, quo
quid eruitur . . Saxones ein grübbel vocant Faber thes.
704''; grübel hacke, picke Staub-Tobler 2, 691; griob-l
Schneller 1, 984; böhm. die gribbel centralbl. f. d. ges.
landeskult., hg. v. d. ökon. gesellsch. in Böhmen (1852) 22 ;
{ich) ergrief in der hast einen grübel (: übel)
und schlug ihn damit umb die lendn
A. Pape Jonas rhythm. (1605) l S"»;
hyper Schriftdeutsch: wo er es {das erdgewächs) aber nit
suechet mit dem pflueg, so mag der das . . nemen . .
mit dem grüeblein österr. weist. 11 , 208 (a. d. j. 1577) ;
bildlich :
und frurit mich vil übil
an miner hende grübil
Hugo v. Langenstein Marl. 73, 22;
auch als persönliches nomen agentis: der helle grubil
teufel 4, 50; 10, 13; gribel totengräber Fischer schwäb.
3, 863; gewöhnlich totengrübel, s. d.; geizhals: das alt
grübelin hat grüblet, bis im 4000 krönen worden sind
sagt einer von dem pensioner Jak. Qrebel in Zürich Staub-
Tobler 2, 691 {quelle v. 1526); zum verbalstamm graben
von einer ablautstufe grub-; vgl. ohr-, zahngrübel. —
grübeleisen, n.: gribelysen, grübeleysen scalprum
Diefenbach nov.gl.zm^; gloss. 616'' ; sculprum 0210.
2 GRÜBEL, /. und m., ganz vereinzelt im sinne von
grübelei: so man doch etliche frevenlich manszbild fint,
so sich selbs auch gelert achten in diser und anderer
39
611
GRÜBELEI - GRUBELFANG
GRÜBELGEIST - 1 GRÜBELN
612
dorechten grüblen verhaftet Gebweiler beschirm, d. lohs
Marie 1^; die Candraysche composition flndet beyfall.
kein grübel, kein prunk Zelter an Göthe, briefw. 5, 13
Miemer.
GRÜBELEI, /., seit dem Vl.jh., ein älteres grübelung
(». d.) ablösend.
1) die thätigkeit des grübelns; in den ältesten belegen
noch in dem sinne von grübeln 3 a, das suchen, die nach-
forschung: keine grübeley in lateinischer spräche ist in
dem nötig, dessen klaren gebrauch man im Virgilio . .
flndet ScHOTTEL haubtspr. 9; und stehet es ja so klar
alhie, dasz man deszhalben nicht nöthig hat die ge-
ringste grübeley zu machen Morhof unterr. v. d. dtsch.
apr. 1, 279; gewöhnlich aber in der rein abstracten bedeu-
tung des verbums, die speculation, und zwar noch im
18. jh. öfter ohne abschätzigen beisinn: um die . . criticker,
die überall witz, grübeley und Ordnung verlangen, be-
kümmere ich mich wenig Lichtenberg nachl. 21 ;
(empflndung), du lehrst, nicht witzes grübeley,
dasz lieb und freundschaft ewig sey
R. Z. Becker mildenh. Uederb. 71 :
wer wird den grübeleyen des stolzes gehör geben, wenn
die traurigkeit . . sich unsrer seele bemächtiget? Sonnen-
fels 1, 169; worüber ich wohl weiland meine grübe-
leien gemacht habe Fr. Arndt bei E. M. Arndt sehr,
f. u. an s. l. Deutschen l, 30; ivie das vb., meist mit
einer specifischen färbung; entweder den begriff des tif-
teligen, spitzfindigen hervorkehrend (vgl. grübeln 3 a); so
gern im 18. jh.: vor künsteley und grübeley bewahre
gott sie Lavater verm. sehr. 2,72; verschwendet man
die zeit mit subtilen anatomischen grübeleien Jung-
Stilling 1, 300; ich will in dem Standpunkte des na-
türlichen denkens mich halten . . und aller jener grü-
beleien und klügeleien mich entschlagen Fichte 2, 252;
grübelei ist jede frage, wie die gottheit wirke Herbart
4, 334 ; oder den begriff des trüben, frucht- und thatlosen
(vgl. grübeln 3 b) : denn er war empflndsam bis zur
grübeley A. G. Meissner skizzen l, 2;
gedank' ist blitz, doch grübelei
bricht jeden ganzen muth inzwei
E. M. Arndt 5, 338;
es ist nicht zeit zu grübeleien, ich musz jetzt als mann
handeln Nestroy ii, l9i; wollte ich daher die finstern
grübeleien . . unterdrücken Steffens was ich erlebte 3,
124; ungewöhnlich mit genetivobject : wer mehr (hat) ihn
vor grübeleien des unerforschlichen bewahrt? Lavater
atisgew. sehr. 1, 59.
2) concreter, das resultat des grübelns:
miszverstandnen grübelein
ein tiefgelehrtes ansehn leihn
Götter 1, 397;
dasz diese lehre . . unter die grübeleien der kirchen-
lehrer gehöre Bahrdt gesch. s. leb. 2,201; wenn man
die vielen zahlen und contrapunctischen grübeleyen
sieht Schubart ästh. d. tonk. 84; der beisinn des klein-
lichen, nichtigen, verkehrten, der fast immer den unter-
ton abgiebt, kann auch die herrschaft gewinnen; Kant
definiert: eine erkenntnisz ohne wichtige folgen heiszt
eine grübelei w. l, 375 Hartenst.; dasz heroische geister
sich nicht allemal an die juristischen grübeleyen binden
Gottsched d. n. a. d. anm. gelehrs. 3, 10; eine unge-
heure menge verdrüszlicher grübeleyen und eitler hirn-
gespinste . . , werden den fruchtbarsten begriffen . . platz
machen 8, 509 ; ohne zu gestehen, dasz ausnahmen von
solcher Wichtigkeit seine regel zur grübeley machen
Gerstenberg recens. 836 lit. denkm., also geradezu 'hirn-
gespinnt'; gern in Wendungen me: und dasz es keine
grübelei sei (tcas Herder an der epigrammtheorie Lessings
ändert), zeigt die anwendung Herder 15, 342 S.; was
von der Unterschrift der alten künstler inoiei angemerkt
wird . . , ist leere grübeley allg. dtsche bibl. 90, 201.
GRÜBELFANG, m.. seite7ibildung zu grillenfang : vieler-
lei versuche hat zwar der grübelfang angestellt Fr. L.
Jahn 2, 1007; auch persönlich: der alte hingegen erwies
sich auch jetzt nicht als grübelfang L. v. FRANgois
ges. tc. 4, 321. — grübelgeist, m.: indem . . man wirk-
lich grübelgeist besizen muste, um sie (die schätze) da
zu suchen v. Nachersberg gifikocher (i798) 2.34; ein ge-
wisser grübel geist, der sich nichts weisz machen läszt,
ruht . . auf ihm Lichtenberg br. 2, 320; nach langem
tappen des sich selbst überlassenen grübelgeistes Becker
weltgesch. 5, 339; mit anderer note:
gestalt, von grübelgeist entfernt,
gestalt so fest wie erz und stein
Rückert 7, 151.
— grübelhaft, adj., zum griXbeln geneigt: ein grübel-
hafter mensch Campe; mir scheint, dass er viel mehr
spitzfindig und grübelhaft ist als ich samml. v. schaus2}.
(ilBiff.) 7, d. Verl. Zänker 4; grübelhafte atheisterei Rei-
MARUS nach Heinsius 2, 545'^;
mit grübelhaftem übel nie befass er sich
Göthe 41, 2, 289 W.
— grübelieren, vb.:
wer nun zwierblieren und schimpfieren,
fälschlich truffieren und grübelieren
und mit zweien Schwertern schneiden kan
renner (1549) 119
(velschlich truffieren und parlieren
Hugo v. Trimberg 21834);
der hier zu erwartende sinn 'täuschen, betrügen' kehrt
bei grübelung wieder, s. d.; anders nd. gräbeleren grü-
beln, nachsinnen Frischbier 1,256. — grübelig, -icht
s. grüblig. — grübelkopf, m. = grübler: es findet sich
auch zuweilen ein melancholischer gribelkopf, der be-
trauret, was ein . . frölicher mensch in gelächter ziehet
Harsdörfer Heraclitus (i66l) b 12^; aber erst im 18. jh.
häufiger: die atheistischen grübeiköpfe samml. allerh.
auserl. moral. u. satyr. meistersiücke (i739) 3, 57; für un-
praktische grübeiköpfe wie ich Th. Abbt 3, 242; wo ein
feuriger grübelkopf . . den urgrund unter dem Tartaros
ausgründet J.H.Voss antisymb. 1,259. — grübelkrank,
adj. = grillenkrank (s. d.), hypochondrisch Campe. —
grübelkrankheit, /., hypochondrie : ein paar becher
wein halfen mir aus mancher grübelkrankheit citat bei
Campe; davon zu scheiden ist: einsmahls in Annaberg
eine gewisse krankheit wütete, welche man die grübel-
krankheit nennete, welche eben von denen würmern
entstand Chomels öcon. lex. 8, 257; also = kriebelkrank-
heit, s. d. — gr Übelletten, m.: solche stocknarren . . ,
welche die reine himmlische lehre . . also verketzern,
vertrehen und mit ihren närrischen witz- oder griebel-
letten verkleistern wollen Joh. Riemer d. trunk. träumer
(1684) 176.
1 GRÜBELN, vb.
l) man stellt grübeln geioöhnlich neben graben; vgl.
engl, grub; thatsächlich lassen gerade die älteren belege
das wort als eine iterativ- und deminutivbildung zu diesem
verbalstamm erscheinen (vgl. Wilmanns 2, 98).
a) grupilot fodit; crupilont rimantur Graff 4, 308 ;
die gerne lernen
und nach der künste kernen
grübeln wollen in der jugent
{wie nach einem nuszkern)
Hugo v. Trimberg renn. 17425;
vgl. 21907 ; wo er (der satan) etwa ein kleines loch findet,
so grüblet er und boret so lang daran, bisz das er mit
dem ganzen leib . . . hinein schleuft C. Huberinus
mancherlei form zu pred. (1557) 73*; obrimo . . a rimando,
quod proprium, est avium in aquis, grübeln Reyher
thes. (1668) 2, 4875; mit dem messer in die erden grüblen
fodere scrobiculos cultro Stieler 689; wie er mit den
fingern in deren (der steinernen wand) spalt grübelte
Grimmelshausen Simpl. 567 ndr.; (der hirsch in der
brunst) grübelt mit dem gehürn im erdreich Heyden
Plin. 172; verlegen grübelte er mit der gabel auf dem
teller J. Gotthelf 2, 342; seit alters häufig in Wen-
dungen wie
daz er (der kleine flnger) in daz ore grubilot
Milst. gen. 6, 3;
dafür auch:
613
1 GRÜBELN
1 GRÜBELN
614
meister, die diu 6ren grübeln
Hugo v. Trimberg renn. 22473;
kinder grüblen oft in der nase, wenn sie würmer haben
WiRSUNG arzneib. 193; es ist ein alt Sprichwort, wer zu
vil in der nasen grüblet, der macht sie schweissen Geb-
weiler lob Marie 24^; im spiel mit der bedeutung 3:
nun haben die Philosophen über diese materie seit je-
her schon in ihren nasen gegrübelt, auswendig daran
gegrübelt Lichtenberg i"erm.*cÄ»-. (I80i)3,ii7; so darfstu
in den zenen nit grüblen Eulensp. 67 ndr.; so musz man
sie {die wunde) tiefer . . schneiden und mit den fingern
drin grüblen Mich. Herr sittl. zuchtb. (1536) 224»; warzu
nutzt aber solches grübeln und graben in der wunden?
WüRTZ ivundarzn. (1612) 30; vgl.: deszgleichen {soll man)
ime {dem huf) nit zu dief hinein griblen Hörwart
V. HoHENBURG kunst d. reiterei (l58l) 67*'; auch mit
accus, object: {der Jenecht) grübelt mit eim meszer zwi-
schen den kacheln . . ein kleines löchlein Kirchhof
tvendunm. 2, 219 lit. ver.; wann ein geschwulst einfällt,
die sich grüblen {herausgraben) lasset Paracelsus chir.
(1618) 12 b; doch dann gewöhnlich adverbial erweitert, im
sinne grabend hervor-, wegschaffen u. ä.: etlich graben
mit karsten im sandt und griblen ihn {den bernstein)
herfür G. Braun beschreib, u. contraf. (1576) 46*;
so darfst eigentlich
dassell) {rindfleisch) nit ausz den zänen gribeln (; übel)
FtscHART 2, 211 Hauffen;
der kern {der steinnusz) mehrentheils musz heraus ge-
grübelt werden Hohberg georg. cur. 3, 848«^; stach und
hackte und grübelte den schuft zu beiden selten weg
H. Federer berge u. menschen 456; kartoffeln grübeln
Fischer schwäb. 8, 864; Martin-Lienhart 1,628*; ähn-
liches meint wohl die angäbe grübeln 'bohrend ausgraben'
Hertel Thür. 110.
b) eine tcesentlich nur aus leocicalischer tradition nach-
zuiceisende bedeutung zeigt entvdcklung zu uneigentlichem
gebrauch wie 'sticheln': grüblen fodicare, stimulare, pun-
gere Calepin xi ling. (i598) 574 •>; fodico . . grübeln, sti-
cheln CoRViNUS fons 359; aculeata haec sunt, animam
fodicant . . disz sein spitzige wort, sie grübeln und gehen
einem durchs hertz Faber thes. 11»; das grübelt einem
ins hertz hinein Aler 988*'; von da aus mrd verständ-
lich: fodico grüblen, stupfen, bekümmert machen Fri-
sius 578»; doch scheint hier 2 b im spiele; anders: die,
so ich lieb gehalten, . . die stochern und grübeln heim-
lich auf mich Mathesius Sir. 128».
2) auf der anderen seile zeigt sich oft eine unverkenn-
bare hinneigung der bedeutung zum vb. krabbeln und
seinen stammverwandten {s. th. 5, 1911) ; und wenn u-ie in
der Schriftsprache auch mundartlich neben formen mit
langer Stammsilbe solche mit kürze erscheinen, erhellt
schon daraus, dasz eben ein anderer wortstatnm herein-
kreuzt {s. u. 4).
a) loie krabbeln 4 krabbelnd oder tastend, suchend grei-
fen, wühlen:
(swer) üf der erden als ein wibel
tac und naht nach guote grübelt
Hugo v. Trimberg renn. 21907;
der arm Lentz . . steig ins wasser, sucht sein sichel,
bückt sich und grüblet also lang im mär. in solchem
grüblen und suchen . . Frey gartengesellsch. 31 lit. ver.;
und wenn die puben sie benaschen
und grubein nach der untern laschen
fastnachtfp. 1, 375 K.;
des todes zeichen sind dise: wenn der mensch . . an
den leilachen grübelt oder faltzet Heyden Plin. 68; auch
in modernen maa.: grübeln mtkZ grübeln 'krabbelnd grei-
fen, leicht kratzen, kitzelnde griffe machen' Fischer
schwäb. 3, 864; griebla 'grabbeln, mit den nageln sanft
kratzen und irgendwo etwas herauszuziehen suchen' Sar-
tori US Würzburg 49; vgl. groüpelen wühlend suchen,
herumsuchen Bauer-Collitz 41*'; auf manche der stellen
unter 1 a fällt von hier aus ein schärferes licht.
b) wie krabbeln 3 jucken, kitzeln, kribbeln, prickeln,
ttnd zwar gewöhnlich unpersönlich gewendet:
ih sihe wol, daz iu grubile
in dem houbet
Reinh. 1884,
nach einer sehr wahrscheinlichen conjectur J. Grimms,
sendschr. an K. Lachmann 51; wolversuchte cavallier,
die ihnen nicht lassen unter der nasen grübeln Schupp
sehr. 301 ; wird mir doch ums herz so warm, dass mir
ordentlich in der nase grübbelt Fel. Weisze lustsp.
3, 394, vor rührung; ebenso: es grübelte mir in der nase
Thümmel reise 6, 171; vgl. kribbeln 2 a; es grübelt mir
in den bänden senti un . . formicolio neue mani Jage-
mann 548; kaum berührte er den (zttter-)fisch . . , so
grübelte es ihm Oken 6. 40; schmerzen . . , welche . .
mit einem grübeln endigen 6, 107; in hd., namentlich
obd. maa. weit verbreitet: 's griebelt m'r im maga ich
habe ein kitzelndes, prickelndes, übles gefühl im magen
Sartorius Würzburg iS; ähnlich Staub-Tobler 2, 691;
Martin-Lienhart l, 628»; auch uneigentlich: es hat
mr so we geton, dass es mr am herz gegrüwelt hat ib.;
es grübletmer (ums herz) ich habe scrupel Staub-Tob-
ler; es kränkt, reut mich Martin-Lienhart; 's grüblet
ihm er würde es gern ungeschehen machen Fischer
schwäb. 3, 864; dem grübelte die sache, je mehr er daran
dachte W. 0. v. Hörn bei Sanders; es hat ihn belei-
digt, ärgert ihn Fischer a. a. o. {ganz wie krabbeln 3 e,
kribbeln 2d); auch persönlich: eine fliege . . kroch hinein
in das gehirn und fieng ihn an schrecklich zu martern,
zu kratzen und zu grübeln Helvicus jüd. hist, (1617)
2, 134;
der ehrgeitz grübelt mir durchaus nicht im gehime
H. W. V. Log au poet. zeüvertr. 79;
anders, tcie krabbeln l a : es grübelt mir schon eins {ein
hochzeitscarmen) im köpf herum Miller briefw. dreier
ac. freunde 2, 119; wie krabbeln 2, kribbeln l: der weier
grübelt und wiebelt von fisch scatet piscibus Aler l,
988''; ein weiterer beleg unter kribbeln la; tcie kribbeln
1 c : rühre das gewürze in den zucker und lasz es nur
mit aufgrüblen MüllerFraureuth l, 446».
3) der hauptgebrauch zeigt die concrete grundbedeutung
des toortes ins geistige übertragen; so schon ahd. (Otfrid
5, 25, 64); bis in die neueste zeit immer wieder als bild
des grabens, sich einbohrens empfunden: du gedenckst
im nach, du griblest und grebst ymmerme der hinnach
Keisersberg spinn. (1510) 0 6*^; ein angefochtener mensch
gründet und grübelt so tief, das er sich kaum wider er-
holen kan Petri d. TeutscTien iceiszh. i, b 7»; manchen
abend hab ich gegrübelt wie ein bohrwurm Scheffel
1, 173; wenn bis heute tief das gangbarste epitheton ist,
hängt auch das mit der grundbedeutung des einbohrens
zusammen: ich hab mein theologiam nit auf einmal
gelernt, sonder hab ymmer tiefer und tiefer grubein
müssen Luther tischr. l, 146 W.; doch drängt sich auch
hier gelegentlich ein bedeutungszusammenhang m,it der
sippe krabbeln im sinne des tastenden oder wühlenden
herumgreifens auf: {der teufet) gibt einem seltzame
fragen ein, das man grübele und wüle Luther 16,
113 W.; sind ihr dann experimentatores und grüblend
hien und her umb euch, wie ein koch in eim schlüs-
selkorb Paracelsus chir. (1618) 289 A; dis buch ist
allen gotlosen, die on geist . . darinn grüblen, wülen
und umbfaren, mit 7 sigeln verschlossen Seb. Franck
chron. zeytb, (i53l) 346^; vgl. auch die präpositionalen
fügungen unter c.
a) der übertragene gebrauch führt zunächst zu der be-
deutung 'suchen, nachforschen': grübelen, nachforschen,
erkundigen rimari, curiose observare, investigare Henisch
1758; rimari, pervestigare, scrutari Stieler 689; daher
denn die Verbindung grübeln und suchen dem 16. jh. sehr
geläufig ist: feret er über die feinen herrn des rats zu
Nurmberg . . , grobbelt , sucht und foddert die hand-
schrift durch sie Luther 30, 2, 31 W.; vgl. 28, 808; die
drucke haben grübein; wen ir so scharpf auszforschen
und grueblen wellt, so möchtet ihr wol in eignen ewern
gschrifften vil puncta finden, durch welche . . Vogel-
GESANG-Cochläus heiml. gespräch 19 ndr.; allmählich
und fast unmerklich enttcickelt sich daraus der sinn des
auf rein gedankliche thätigkeit beschränkten suchens: das
39*
615
1 GRÜBELN
1 GRÜBELN
616
all ihr ler . . . nichts änderst was dann grüblen und
söchen, wie die kinder nit sollend getouft werden Joh.
Kessler sabb. 142; sie suchen, grobein und tichten, das
sie ja etwas böses von uns sagen Luther nach Dietz;
grublen hernach, begeren doch das glück, so gott be-
schert, zu wissen Thurneysseb. magna alch., vorr. Ol";
und so man weit grüblen wil, so seind noch mehr
künst, die ihren anfang noch schwerlicher bewehren
würden Paracelsus op. (leie) 2, 397;
ich weiss, dass knechten wohl zu grübeln nicht gebühret
Lohenstein Ibrahim (1701) 106;
was ihr geist grübelnd entdeckt, nutzen wir
Klopstock od. 1, i72M.-P.;
nicht selten, gerade in älterer spräche, mit dem beisinn
des spitzfindigen:
und da wird helfen kein glossieren,
kein gribeln und kein spintisieren
Fischart 2, 382 Kurz ;
die best und sicherst . . abgefassete dinge könten von
denen, so zugrüblen und auszufluchten lust betten, in
disputat gezogen werden Chemnitz schwed. krieg 2, 68;
falsche spitzflndigkeiten der grübelnden oder schwätzen-
den vernünftele! Herder 22,315.,- 'argumentieren': gleich-
sam sie sprechen wolten (wann man je also grübeln
will), der Luther wirt machen das . . Nas antipap. eins
u. hundert \,&i^; zuweilen geradezu von kleinlichem schul-
meistern und kritisieren: etliche . . wunderseltzame ortho-
graphisten . ., welche dieses herrliche . . sprachengebäude
durch ihr unzeitiges critisieren und gantz abgeschmacktes
grübeln zu unterbrechen . . sich bemühen Neu mark neu-
spross. teutscher palmb. 87; dasz . . nicht . . . gutdüncke-
lische gesellen und spötter etwas zu grübeln bekämen,
dieweil solches von mir als einem unerfahrnen scri-
benten einfältig beschrieben . . worden Aitinoer jagd-
u. u-eidb. vorr. )( l**.
b) mit dem 18. jh. schiebt sich eine (schon früh vor-
bereitete) bedeutung immer mehr in den Vordergrund, die
mit der Vorstellung intensiven nachdenkens den beisinn
des unablässigen, des trüben, schwermüthigen, grilligen,
selbst krankhaften, des frucht- und thatlosen, lebensfeind-
lichen verbindet: ie mer und lenger ich grübel, ie weniger
ich disz gut find und begreif Seb. Franck chron. zeytb.
(1531) 2»; der andere grübelt sein leben lang über diese
schwierige sache ^eimei^ Leber. Hühnchen \2&\ Ferdinand
(. . in düstres grübeln versunken) Schiller 3, 487 G^.,-
weg mit dem grübeln, sorgen, grämen
um eitel schatten E. M. Arndt 5, 271 ;
er grübelt, da nichts zu grübelen ist nodum in scirpo
quaerit Aler l, 988 '*; damit die menschen mit ver-
gebenen grübeln zu Verlust der edlen zeit nicht auf-
gehalten würden Leibniz dtsche sehr, l, 376; seit alters
gern in anwendung auf die metaphysischen räthsel: man
einfeltige frumkeit on vil grüblens möcht den gleubigen
fürhalten Hedio chron. germ. 116''; dasz er sie {die re-
ligion) lieber ungeprüft behalten, als mit thörichtem
' grübeln ohne ende sein leben verbittern mag G. For-
ster 6, 23; statt zu grübeln, arbeite Herder 23, 9 S.,-
im gegensatz zum erfühlen und glauben: wir sehen und
fühlen kaum mehr, sondern denken und grübeln nur
Herder 5, I83 S.; die grübelnden, klügelnden . . Jahr-
hunderte waren für das volk des glaubens, der fantasie
. . nicht gemacht E. M. Arndt geist d. zeit 3, 9; auch als
formlosere art geistiger thätigkeit dem logischen denken
gegenübergestellt: der Scharfsinn sondert ab, der tiefsinn
grübelt Fr. Delbrück sinnverw. ivörter 56; ein zurück-
gehen aus dem scharfen licht logischen denkens in
das reizende dämmer volksthümlichen grübelns G. Frey-
tag 15, 3 ; auch reflexiv mit prüdicativem adj. sich matt,
krank, wahnsinnig grübeln: bleich . . . grübelt man
sich dabei {bei der Verdeutschung des Homer) Bürger
1, 158» B.
c) präpositionale Verbindungen seit alters sehr geläufig ;
in ihrem wandel malt sich das verblassen des ausdrucks
vom, sinnkräftigen bilde zur toten metapher; am häufig-
sten ist bis ins 16. jh. i n ; auch hier noch spät beispiele.
in denen die Vorstellung des krabbelnden, wühlenden herum-
suchens den sinn zu bestimmen scheint:
sie grübeln so lang in geschäften und Sachen,
bisz sie wie die mause ein loch drein machen
Lehmann florileg. pol. 1, 150;
die (städte Straszburg und Basel) schampten sich übel,
das in iren handlungen von den ungeschickten pauren
also solt grüblet und gesucht werden zimm. chron. l, 366,
offenbar ebenso gemeint wie: dann wir wollen selber
harnaschmeister sein . . und niemands darinn gribeln
lassen nach alter frenckischer weiss privatbr. d. ma.
1, 50 Steinh.; auch bei dem abgezogeneren gebrauch als
'forschen' ivird sie gelegentlich fühlbar:
grubilo in girihtt in des giscrlbes slihtf
Otfr. 3, 7, 76;
es ist nit allwegen bös . . , so ein mensch grybelt in
den natürlichen künsten Keisersberg seelenpar. (1503)
49*; das heillose . . grübeln und forschen in so hohen
unbegreiflichen Sachen Luther I6, 142 W.; seit dem
18. jh. nur noch selten, es sei denn dasz der concrete sinn
des verbums vdeder auflebt:
,dasz ich nicht darinnen grüble,
was des glaubens ist allein
Schmolcke trost- u. geisir. sehr. 1, 66;
die in der Vernunft grübelnden leute (haben) mehr als
andre nöthig sich aufzumuntern Gottschedin br. l, 20i;
dasz wir gern in menschenherzen grübeln und diesen
. . Proteus bis in seine tiefsten abgründe erforschen . .
möchten Pückler briefw. u. tageb. 1, 283; dann griibelte
er etwas in seinen gedanken herum und sagte schliesz-
lich G. Keller 5, 169; auch nach versteht sich aus der
concreten bedeutung:
da von du, herre, niht engrübel
ze verre nach der sache
diu mich gesihtic mache
KoNR. V. Würzburg Parton. 7352;
bedäuehte einem rate ettwass fremde, daz sie so genaw
darnach grübelten (forschten, sich erkundigten) städte-
chron. 3, 371; in dem ihr (Luiherischen) nach dem grundt-
losen grund grübelt Nas antipap. eins u. hundert 6, lll'';
was sind wir hier bemühet
zu grübeln nach der schuld, die man vor äugen siebet
Gryphiüs trauersp. 55 lit. ver. ;
seit dem 18. jh. stark zurückgehend und mit der sinn-
färbung von b: so grüble ich nicht gerne nach dem,
was anders sein könnte, als es ist Zimmermann ein-
samk. 4, 9; die . . gebirgs-hindus . . grübeln . . nach ab-
strusem wissen Ritter erdk. 4, 120; neben der älteren
bedeutung 'forschen' gelegentlich auch noch andere prä-
positionen oder adverbia: suchest du und grübelst sonst
etwas anders draus Luther 16, 70 W.; es habe mir der
marpgraf auch geschrieben und um dieselbige Sachen
gegrübelt ders., corp. ref. i, 769 Bretschn.; so will ich
auch an ihm grübeln, so viel ich kann, dasz ich er-
fahren möge, was zu Hall die handlung gewest Pon-
TANUS ib. 3, 623;
was hilft mirs, dasz ich war geflissen
zu grübeln durch so manche kunst
Rist Parn. 543;
Über, das erst mit dem vertust der sinnlichen anschauung
möglich wird, beginnt erst im späteren 11. jh. aufzutreten:
der (sc. gmein man) wird sonst hart darüber grübeln
J. Ayrer dr. 3, 1771 lit. ver.;
und zivar in den älteren belegen durchweg mit dem dativ :
wenn unterthanen über empfangenen befehlen grübeln
Lohenstein Armin. 2, 597''; vgl. 1299''; der dat. erscheint
auch in neuerer spräche noch gelegentlich, färbt aber den
sinii gegenüber dem, normalen acc. und betont das brü-
tende verweilen der gedanken bei dem object: über dem
sein dieses gottes vor der weit . . grübein Sghleier-
macher reden ü. d. rel. 60; sein onkel grübelte über der
quadratur des cirkels Gervinus gesch. d. dtsch. dicht,
5, 245; weit im Vordergründe steht seitdem ältereti iS.jh.
der acc: wer über die befehle der obrigkeit grübelt
Liscow sat. u. ernsih. sehr. iöT, nicht zu grübeln hast
617
2 GRÜBELN — GRÜBELNADEL
GRÜBELNUSZ - GRÜBELUNG
618
da über dein Vaterland Herder 17, 316 S.; selten ist an:
man vergesse darum das vergangene, grüble nicht an
der Zukunft Zimmermann einsamk. i, 69;
tändelnd grübelt nur am liebeln
GöTHE 15, 216 W. ;
ganz ungetvöhnlich: eine ganz natürliche antithetik, auf
die keiner zu grübeln und künstliche schlingen zu legen
braucht Kant 3, 282 ak. ausg.
d) ein besonderes icort verlangt das pari, präs., das in
jüngerer spräche rein adjectivisch zur bezeichnung eines
Wesenszuges verwendet wird, also im sinne von grüblerisch :
der grübelnde theil der Christen wird ihm immer viel
dank schuldig bleiben Göthe 37,260 W.; zog ich mich
bis fast in mein zwölftes jähr still und grübelnd zurück
Steffens was ich erlebte l, 36; den grübelnden, kopf-
hängerischen Deutschen Laube 2, 6; auch gern mit un-
persönlichem regens: die grübelnde musik Herder 12,
296 S.; die grübelnde andacht der mysterien Ed. Ger-
hard akad. abh. 2, 851; die mit schlagwortähnlicher hau-
figkeit auftretende formel grübelnde Vernunft ist eine
Schöpfung der zeit des sinkenden rationalismus :
die grübelnde Vernunft dringt sich in alles ein
Lessing 1, 248 M. ;
das licht, das nun aus meinem herzen strömt und die
grübelnde Vernunft erleuchtet F. M. Klinker tc. 5,59;
Schiller 12, 420 G.; nur es giebt einen grübelnden ver-
stand, den man meistens die spitzfündige Vernunft nennt
Herder 15, i5i S.
i) bei so offensichtlichen bedeutungakreuzungen ist deut-
lich, dasz mit der üblichen etymologie, die das vi. ledig-
lich an die wz. grab 'graben' ayiknüpft, nicht auszu-
kommen ist; vielmehr scheint mit einem vb. grubilön sol-
chen Ursprungs ein anderes vb. verronnen zu sein, das
als schicundstufige ablautsform zu krabbeln {auch grab-
beln, grabein, s. th. 5, 191l) gehört und das auf nd. boden
erhalten ist: grubbeln greifen, mit der hand irgendwo
herumioühlen brem. icb. 2, 552; tastend umhergreifen und
fühlen Doornkaat-Koolman 1,698''; grubbeln = grab-
beln Dähnert 163*; grubli hühner oder enten nach eiern
befühlen Schmidt- Petersen 6i^; nl. grobbelen; engl.
grubble; vgl. ergruppen erhaschen Vilmar 139; adj. grub-
belig K. Sallmann n. beitr. 74; Hildebrands beiläufig
hingeworfene vermuthung, dasz das vb. grübeln als ganzes
aus einer solchen ablautform, zu krabbeln herzuleiten sei
(s. krabbeln I f), scheint weniger plausibel als die an-
nähme der Wortmischung, die nicht nur die bedeutungs-
entwicklung in manchem erhellt {vgl, besonders 3 a), son-
dern auch gewisse erscheiniingen und doppelformen in
den modernen maa. {ettva die unterschiede des stamm-
vocals im sehwäb., Fischer 3, 86i/.)«' auch einzelne for-
male Seltsamkeiten älterer Überlieferung werden so durch-
sichtiger: drucke und handschriften Lutherscher texte
zeigen neben grubein auch grobein, grobbeln, gröbein,
gröbbeln, deutlich mit der kürze der obigen nd. formen,
sogar grebeln {s. sp. l), = gröbein oder unmittelbar zu
graben? die auffällig zahlreichen i- formen im älteren
hd. können sich statt durch entrundung auch durch herein-
spielen der ablautform, gribeln erklären; vereinzelt mit p :
{die ketzer) grüpeln im sacrament des waren leibs . .
Cristi Berth. v. Chiemsee teutsche theol. 94.
2 GRÜBELN, grubein, vb., ableitung von grabe: kleine
gruben zum setzen junger püänzchen bohren Unger-Khull
sog'»; ein gegrübeltes kinn haben Kramer nieder-hoch-
teutsch dict. (1719) 1, 146»; für ein verbreitetes kinderspiel:
kügelchen, nüsse, bohnen in grübchen werfen Staub-
ToBLER 2, 697; Lexer kämt. 120 und sonst; grüberln
LoRiTZA 55; grüblen mit nüssen Frischlin nomencl.
(1586) 278''; wenn er geld hatte, so verspielte er es mit
grüblen, münzein und hundert und eins J. v. Breiten-
fels Saift (1756) 1, 138.
GRÜBELNADEL, /., grabstichel; im Wortspiel mit grü-
beln perscrutari;
die also die vemunft miszbrauchen,
die sind es, so hiereiner taugen;
wann sie mit ihren griebel-nadeln
oft gar zu grosse dinge tadeln
J. Riemer d. trunk. träumer 298.
GRÜBELNUSZ, /., eine kleinfrüchtige art der walnusz,
auch steinnusz genannt Adelung, Campe; die mit den
harten schalen (Jieiszen) gribelnusz Bock kräuterb. 3, 59";
die kleinen {werden genannt) grübelnüsz, darumb dasz
sie, wenn sie geöffnet werden, sich nicht leichtlich von
der schalen ablösen Wirsüng arzneib. reg. s. v. nusz;
also von 'grübeln l; aber früh bildlich mit wnspielting
auf die bedeutung von > grübeln 3 :
daz (gottes wort) sül wir eren und wol bebalten
• und läzen die grübelnüzze walten
den sanfte mit grübelnüzzen st
Hugo v. Trimberg renner 13443;
ist warlich tief bedeutet und sehr tief in die grübelnus
gestochen S. Huber erkl. d. gr. abentheurs (1590) 143; das
hat der Scherer alles wol gewüszt und hette der grü-
belnus nicht bedürft mit einem jüdischen bischoff wider
O. Scherers bettlermantel (1592) 115; die lehre von der
gnadenwahl hielt sie für eine grübelnusse, welche auf-
zubeissen sie keinen zahn dran wagen wollte Staub-
ToBLER 4, 828 (l8. .;7t.) ; auch persönlich: so solte er . .
gedenken, dasz er ein curiöser Teutscher wäre, welche
sonst gerne alle sachen aus den grund heraus wissen
wollen, das weisz ich vorhin wol . . . dasz ihr solche
griebelnüsse ins gemein seyd J. Riemer d. trunk. träu-
mer 1S3. dazu grübelnuszbaum Bock kräuterb. s, 59'^.
— gr übel sinn, m.: ich hatte . . den schwergemuten
grübelsinn Auerbach 5, 44; die menschen mit ihrem
leid und glück wandelten sich in seinem grübelsinn zu
knapp umrissenen begriffen H. Hart haus d. Titanen
266. — grübelsinnig, adj.: wenn ganz zuletzt ein ehr-
licher poet wie Homer durch grübelsinnige entmängler
um seinen groszen namen kommen sollte Zelter an
Göthe, briefw. 3, 308. — grübelspieszlein, n.: fieng er
an . . seine zän mit eim gespitzten gribelspiszlein vom
mastichbaum zusteuren Fischart geschichtklitt. 276 ndr.
GRÜBELSUCHT, /., hang zum grübeln: innerliche
grübeisucht machet ungesprächige, sauermäulige al-
fentzer Schottel ethica (1669) 65; Dio, Spartian, Suidas
. . erzählen alle von seiner grübel- und forschsucht Gre-
GOROvius Hadrian 7; da hatte sich einstweilen seine
grübeisucht bekehrt F. W. Gubitz erlebn. 2, 52; auch
als medicinischer terminus Eulenburg realenc. 6, 7;
anders: schweisz- blätterlein, und sonst auch grübei-
sucht genannt, . . sind einige kleine breite, feuchte und
juckende beuigen Chomels öcon lex. 8, 1062; hier also
grübel- = kriebel-; vgl. grübeisucht *wrfamina Nemnich
lex. nosol. 15''. — grübelsüchtig, adj.: sie haben euch
grübelsüchtig gemacht mit ihrem geschwätz H. Eulen-.
BERG Anna Walewska 104.
GRÜBELUNG, /., proprie fodicatio, deinde scrutatio
Stieler 689; speculation Spanutius 446; da die wort
so hell und klar gesetzt, dasz sie keiner spitzfindigen
grübelung und klügelung bedörfen Nigrinus anticalv.
(1.595) 319; sonderlich sol sich ein fürst hüten vor gar
zu grosser grüblung in der religion B. S. v. Stosch polit.
staatsg. (1676) 38; es sind aber nur misdeutungen und
gantz irrige grübelungen, dasz man wegen eines oder
zweier buchstaben ... die hauptsprachen . . . verwirre
Schottel haubtspr. 142; wan sie mit unnötigen glau-
bensfragen und grübelungen . . auch andere . . können
irrig machen Mosch erosch insomn. cura 86 ndr.; so
dasz er . . durch sceptische grübelungen . . dahin ge-
bracht wurde, an ihren {der religion) grundpfeilern zu
zweifeln Schiller l, 109 Gr.; in dieser Verwendung ist
das ivort Vorläufer des jüngeren grübelei; daneben im
spätmhd. gelegentlich in bedeutungen, die auf Zusammen-
hang mit der sippe krabbeln weisen {^genaueres unter
^grübeln 2) : die inwoner . . grüplung under den kreuczern
habent . . und verwidern der ettlich zu nemen copeybuch
d. st. Wien 185 Zeibig; hierher wohl auch die bedeutung
'betrug, täuschung': nachdem aber durch vil personen
j sollich gesetze {ein kleidergebot) mit und durch maniger-
I lay grüplung überfaren Ni'mib. pol. ordn. 99 Baader. —
619
GRÜBELWERK — GRUBENERZ
GRUBENFACKEL — GRUBENKLEID 620
grub el werk, n.: mit dieser antwort . . kann ich alle
grübel-wercke . . übern häufen werfen E. Francisci d.
letzte rechensch. (I68I) 809. — grübelzwang, m.: die-
ser grübelzwang (wör) ihm also gleichsam angeboren
0. Klinke E. Th. A. Hoffmann m.
GRÜBEN, vb., eine grübe machen:
im selben gruobet dicke ein man
und waent eim andern gruobet hän
Boner 6, 33;
dass er {der fisch) in das sand grübet, sich darinn ver-
birgt Herold-Forer Gesners thierb. 8, 22; und ebenso
noch in neuerer obd. ma., Lexer kämt. 120; 'für graben'
LoRlTZA 55; 'eine uniceidmünnische art zu jagen in
Bayern, cervos fossis decipere aliasque feras hoc modo
capere' Frisch (i74l) 1, 377"; speciell von einer arbeit im
Weingarten: deprimere plantam vel vitem in terram
pflantzen, eynlegen, grüben, eyngröben Frisius dict.
394'*; propagatio Vitium das grüben 1392*; den Wein-
garten sullen . . wir alczeit halten in gutem . . paw
mit mist, mit stechen, mit gruben, mit hawn Jirk. u.
reg. d. kartause Aggsbach 25i («. d. j. 1430) ; das gruben
aber heisset so viel, dasz man an einem guten . . stock
eine reben nimmt, . . beugt sie unter sich in eine nächst
dabey zubereitete grutien Hohberg georg. cur. l, 359;
auch grubt man die reben und bäum Sebiz feldb. 52;
(der' Weingarten) sol weder geschnaitet noch gegröbet
werden J. Grünbeck spieg. d. nafürl. sehungen (1508)
b 2*; in den modernen obd. maa. allgemein, s. besonders
StAUB-ToBLER 2, 696.
GRUBEN- als erstes compositionsglied erscheint in zahl-
reichen Zusammensetzungen, zu denen die spräche des
lerghaues den hauptantheil stellt; compositionen dieser
Sphäre, für die auf Minerophilus bergtcerkslex. (1730),
auf das bergmänn. wb. (i778), auf Sgheuchenstuel id.
d. öslerr. berg- u. hüttenspr. (1856) und vor allem auf
Veith bergtvb. (1870) verwiesen sei, sind im folg. nur in
auswahl belegt, grubenamtleute Freiberg, bergr. bei
Ermisch sächs. bergr. im ma. 63: -antheil, kux
Sgheuchenstuel io9; -arbeit: gruben- oder stollen-
arbeit Lori baier. bergr. 177 (a. d. j. 1515); Schönberg
berginf. l, 189; -arbeiter akten u. briefe z. kirchetxgesch.
Georgs v. Sachsen 3,123 {a. d.j. 1525); Mathesius Sar.l^;
-artig: wegen einer grubenartigen Vertiefung {am schadet)
Brehm thierl. 3, 312 P.L.; -bau, die summe der arbeiten
in der grübe, im gegensatz zum hüttenbau Krünitz 20,
153; 'fast gleichbedeutend mit bergbau' Motthes baulex.
2, 532; er war ja blosz gekommen . . wegen des neuen
grubenbaues, die Sachen einzurichten Gottsched dtsche
schaub. 6. 86; Verordnung . . den grubenbau zu sistiren
GÖTHE IV 18, 69 W.; auch concret: 'jede durch den berg-
•baubetrieb entstandene . . . unterirdische gebirqsöffnung'
Sgheuchenstuel 109; eine . . beschreibung des gruben-
baues wird . . durch einen risz erläutert allg. dtsche
bibl. 2, 2, 167; in alten grubenbauen Oken allg. nattir-
gesch. 1, 247; der eine der dortigen grubenbauten als
director geleitet hatte Peschel völkerk. 460; im bilde:
die ganze Wölbung war nur die gröfzere eisgrube des
todes, ein grubenbau der Vergangenheit Jean Paul
24/26,180; vgl. 15/18,109; -bauholz Zsghokke 11,43;
-baukunst allg. dtsche bibl. 68,200; -bäum, 'ein Strauch,
dessen blätter zum schwarzfärben dienen', fouie (= rhus
cotinus) Sghrader dtsch-frz. wb. l, 578; anders, ein ge-
räih in stanipfmiihlen Campe; -besitzer 0. Ludwig
1, 242; -betrieb Sgheuchenstuel iio; im nördlichen
theile des reviers findet . . kein gruben-, sondern nur
hüttenbetrieb statt Ritter erdkunde 2, 851; biber,
castor fiber Nemnigh 212; vgl. Oken allg. naturgesch.
7, 750; yiicht gesellig, sondern einsam in gruben lebend;
-brand Oken 1, 740; Rosegger II 12, 95; -compass
Mathesius Sar. 40**; -ende, obd. eine rebe, welche zur
fortpfianzung in die Senkgrube gesenkt wird, auch senker
genannt Jacobsson 2,160"': allg. haush. lex. s,fßQ\ -erde:
4 tausent personen, welche grubenerde fürten beim an-
legen der Stadtbefestigung S. Grünau preusz. chron. 2,
483; -erz, erz, das in der grübe gewonnen wird im gegen-
satz zu solchem, das am tage gefunden wird Krünitz
20, 158; auch in specifischerer bedeutung G. R. Lichten-
STEIN entd. geheimn. (1778) 192; vermtternder oder ver-
witterter eisenstein Unger-Khull 309''; -fackel Immer-
mann 15,77; -fahrer: die literaturgeschichten fremder
Völker haben uns wenigstens eben so viel gelehrte
Schürfer und grubenfahrer entgegenzustellen FouQui:
gejühle, bilder 1, 183; -fahrt Veith 251 ; wohl sah er
schon manchen todten kameraden an sich vorübertra-
gen zur letzten grubenfahrt Rosegger II 11, 285; -falle,
für wild Fleming votlk. teutach. jäger 238; -feld, der
umfang der bergwerksver leihung Sgheuchenstuel 110;
-fisch, in einer fischgrube gehaltener fisch: die grub-
und w eybeiüsch fischbüchl. 148; -flechte, lungenflechte,
sticta Prahn pflanzenn. 58; der thallus ist oberseits grubig ;
-förmig: grubenförmige Vertiefungen Sömmerring 8,
2, 21; -gang: alle alten grubengänge waren von oben-
her zugeschüttet Ritter erdk. 1, 675;
er liebt den Harz, die dunkeln sagen,
die eure grubengänge tragen
Gutzkow sUzzenb. (1839) 244;
-gängig, wer auf der grübe geht {s. grübe II B 4 b):
grubengengiger alter mann Schottel haubtspr. 850;
•gas, in bergwerks- oder anderen gruben sich bildendes
gas V. Alten 2, 231 ; Muspratt chemie 2, 968; gewöhn-
lich prägnant: grubengas oder sumpfluft (wasserstoff-
protocarbonid) Sprengel chemie f. lundu: 1, 286; Oken
1, 743; -gebäude, die beim bergbau in die erde getrie-
benen Öffnungen, schachte, stöhlen etc. Wolff math. lex.
(1734) 593; dasz ihme die nothdurft grubholz . . zu den
grubengebäuen . . umsonst ausgezeigt und gefolgt (werde)
LORi baier. bergr. 416 {a. d. j. 1636); die wasser aber,
so . . . nicht mit gruben-gebäuden erschroten werden
Sghönberg berginf. 1, 24; im bilde: meine leuchte soll
in keiner pestiuft irgend eines dumpfen grubengebäudes
auslöschen F. v. Baader tugeb. 128; auch für bergwerk
überhaupt Veith 252; -geist: der höllische grubengeist
vom teufet, pfiichtsvorhaltung {Schneeberg 1714) 5; einige
legionen unsrer dorfteufel und grubengeister Gutzkow
br. a. Paris 440; -gerberei, im unterschiede von der
brühengerberei Muspratt chemie 8, 1277; -gericht:
nach dem ort, wo sie gehalten wurden, gibt es feld-
gerichte . . berggerichte, grubengerichte J. Grimm rechts-
alt. 2, 459, so genannt nach einer Vertiefung in der feld-
fiur 2, A21; -gewand Zachariä j^oe«. sehr. 2,226; -ge-
werk: so sollen sie von den haupt- oder gruben-ge-
wercken vermahnet werden, dasz sie die selben unbe-
leglen stellen . . belegen S. Span spec. iur. metall. (i698)
199; vgl. gewerk 2; -halde: grubenhalle ist der unnütze
berg, den man aus einer grübe oder stoUn fördert Be-
sold thes.pract. 2, 713"; Veith 252; -heim er, dicti sunt
Hussitae in Bohemia, quod in locis occultis, cellis, cavernis
et scrobibus cultum divinum tractarent Stieler 820; den
Fraticellis, Hussitis, Waldensibus, Picardis, die man
daher {dasz sie in gruben wohnten) grübenheimer heiszt
Seb. Franck chron. zeytb. (i53l) 365«; vgl. 132''; 853'';
die abgesunderten eintzelen bömischen heymlichen gru-
benheymer, die man gemeyne grubenheymer heyst Lu-
ther 19, 526 W.; s. auch D. Cranz alte u. neue brüder-
hist. (1771) 27; vgl. grübleinsmann; -herr, = gruben-
besitzer Lori baier. bergr. 110 (a. d.j. 1477); Ritter erdk.
8, 34; 0. Ludwig 1, 244; -holz, zur grubenzimmerung
bestimmtes holz Veith 252; vgl. den beleg aus Lori unter
grubengebäude, -hüter, führt die aufsieht über die
gruben nach dem bergabgang der arbeiter Lori baier.
bergr. 220 {a. d.j. 1632); -jäger, mythisches tcesen: wäh-
rend schon einige gruben jäger an seinen beinen zogen
und ihn mit sich in die schwarzen kohlenbergwerke
hinunter reiszen wollten Fouque zauberr. l, 67; -junge,
jugendlicher arbeiter im bergwerk Junghans gräublein
ertz (I68O) c 8»; -kalk, in gruben gebrannter kalk Kar-
marsch-Heeren 3 2, 279; -kies, aus gruben gewonnener
kies Lueger 6, 529; -kind, als bezeichnung eines kinder-
Spiels: stiessen der bock, des handballens, des uber-
kreysz schenckens, der grubenkinder F iscH art geschicht-
klitt. 21i: ndr. ; -kittel: grubenküttel Junghans gräub-
lein ertz (IG80) c 3»; Immermann 20, 55; -kleid Hard.
Hake bergchron. 23; Treuer dtsch. Däd, 1, 178; bildlich;
621 GRUBENKLEIN(ES)- GRUBEN SUCHER
GRUBENTRACHT - GRÜBLEIN
622
wenn früher unsere spräche nur ein unscheinbares gra-
benkleid war, worin wir glänz und gold aus tiefen holten
Jean Paul 37, 21; -klein(es), die bei der getcinnung
von mineralien abfallenden kleinen stücke Veith 253; als
fem. die gruebenclain Lori baier. bergr. 219 {a.d. j.ibZ\);
atramentstein Nemnich 212; -kohle, 'holen, die aus ab-
gangen, Spänen, reisern und zacken in gruben gebrennet
werden' Jacobsson 2, 160"; Döbel jägerpract. 3, 40;
-kohl er: gruben- oder liecht-köhler im gegensatz zu den
meiler-köhlern forstordn. von 1664 bei Schwappach 1,
367; -köpf, eine bandtcurmart, bothriocephalidae Brehm
thierl. 10, 184 P.-L. ; -kraut, kohlkraut, nach dem 'sieden'
in gruben gestampft ünger-Khull 310*; Rosegger I
1,308; -kreide Mommsen röm. gesch. 3, 2ie; -kücker,
einer der schon (in) seine grübe {im sinne II B 4) sieht:
(der alte) den du ein grubenkücker heist
sat. u. pasqu. 1, 127 Schade;
vgl. grubensucher; -lampe Muspratt chemie 6, 207;
unzählige kleine wichte, jedes eine grubenlampe auf
dem köpf Eichendorp 3, 450; Rosegger nixn. volk
(1906) 325; -leben, 'veralteter ausdruck für bergwerks-
Verleihung' Scheuchenstuel 112; Veith 253; Lori
baier. bergr. 209 (a. d.j.i53\); -leiter Immermann 20,55;
bildlich: aus der band dieses alten freundes hatte sie
so oft . . eine grubenleiter, um darauf aus dem abgrund
zu steigen, genommen Jean Paul 15/18, 35i; -leute:
die zwerge und grubenleute Eichendorf 3, 450; vgl.
grubenmann; -licht, ist eine lampe, und brauchens
die bergleute, wenn sie einfahren Junghans gräublein
ertz (168O) c 3*; Mathesius Sar. 32''; G. Keller 2, 190;
seit alters gern in bildlichem, gebrauch: sehr wenig, so
. . mit dem rechten grubenliecht ihres Verstandes in die
tiefen schachte fahren weiten Harsdörfer frauenz.
gesprächsp. 3, 257; die grubenlichter einer trüben Schwär-
merei Brinckmann filosof. ans. 110; es gibt eine tiefe
in der seele, wohin kein grubenlicht kommt Auerbach
4, 80; oft bei Jean Paul 3, 89; 15/18, 109; 27/29, 25; 39, 14;
42/43,40; -lorchel, /teZveWa Zacwnosa Ho LL 136 '»; luft,
im bergwerk, gegensatz tageluft Campe s. v. tageluft; die
feuchte grubenluft erschlafft seinen körper Ackermann
krankh. d. künstler u. handw. (1783) 2, 37; bildlich Jean
Paul 55/58, lOO; -mann, bergmann Gutzkow w. 7,58;
-masz, eilte maszeinheit für zutheiluntj des grubenfeldes
Veith 251; Lori baier. bergr. 239 {a. d.j. 1532); -meister,
eigenthümer eines bergwerks LoRi 6 {a. d. j.lSOS); Fou-
QUE alts. bilders. 4, 350; in älterer spräche auch grub-
meister österr. weisth. 1 , 198 (14. jh.) ; bergwerksordn. von
1463 bei Schwappach 1, 142; -otter, familie der gift-
schlangen, crotalidae Brehm thierl. 7, 391 ; sie haben eine
tiefe grübe zwischen äugen und nasenlöchern ; -pocken,
variolae umbilicatae Nemnich lex. nosolog.ib^; -qualle
calymma Oken 5, 213; -salz, sal fossilis Junius (1567)
105»; Zehner nomencl. 151; weder gruben- noch seesalz
Mommsen röm. gesch. 3, 216; -sand, als gegensatz zum
fluszsand Helfft tob. d. landbauk. 161; arena fossitia
Orsäus nomencl. 149; -Schacht Veith 397;
den glücksstand überal durch reisen zu erwegen,
war ihm kein grubenschacht zu tief
Heraus ged. u. inschr. 142;
G. Regis Bojardos verl. Roland (l840) 110; -Schicht-
meister, grubenbeamter S. Span spec.jur. metall. (1698)
856; Steiger, aufsichtführender beamter im bergwerk
Veith 460; urk.buch d. st. Freiberg i. S. 2, 259 (15. jA.);
5. Span 56; -stein, mineral: quarze nennt er {der
naturalist) alle feste, mehr oder weniger durchsichtige
grubensteine, welche mit stahl feuer schlagen Lessing
15, 206 ilf.; -stock, geräth in stampfwerken Karmarsch-
Heeren 37, 83; toört. u. sach. l, 12; J. B. v. Rohr Ober-
harz (1739) 521; -Stollen Karmarsch -Heeren 3 1, 387;
(ein riese) der fest am wege dort, im grubenstollen
von einem iinstern grabgewölbe stand
G. Regis Bojardos verl. Roland 68;
-Sucher, der der grübe nahe ist:
ins halseisn mit der alten glatzn, , . .
der gnippend grubensucher derl
sat. u. pasqu. 1, 126 Schade;
vgl. grubenkücker; -tracht E. Th. A. Hoffmann 6, 179
Gris.; werk: fingerzeige zum glücklichen einschlagen
von neuen schachten und grubenwerken Ritter erdk.
2, 576; sie haben es nur mit hochöfen, schmelzhütten,
. . grubenwerken, spinnfabriken . . zu thun Holtei erz.
sehr. 24, 76; der . . von den Warsteiner grubenwerken . .
gebaute . . schulofen Lueger 5, 129; -wetter, plural,
grubengase Zappe mineral. handlex. 1, 417; Luther stand
noch in den witterhaften grubenwettern Jean Paul
24/26, 217; vgl. 1, 251; 45/47, 139; -Witterung Görres l,
iv; -Wohnung Schrader reallex. 309; -wurm, bothrio-
cephalus Oken 5, 548; vgl. grubenkopf; -Zimmer-
mann Freiberg, bergr. bei Ermisch sächs. bergr. im ma.
63; -Zimmerung, Versteifung der unterirdischen Öff-
nungen durch holzwände Scheuchenstuel 114; bildlich:
ich blickte . . in die volle, geschwätzige grubenzimme-
rung von stube Jean Paul 42/43, 120; baugefangene beim
Wasserbau und der grubenzimmerung der kritischen Phi-
losophie 11/14, 230; vgl. 1, 251; 6, 120 u. ö.
GRÜBENZEN, vb., nach der grübe riechen, dem tode
nahe sein Kramer feutsch-ital. 1,571»; vgl. grubeinen.
GRUBER, m., fossatore, fossore, fodire {nelle vigne)
Kramer teutschitul. l, 571»; österr. weisth. 7, 224 (a. d.
j. 1630); in obd. familiennamen häufig: der an, in der
nähe einer grübe wohnt; gaunersprachl. für spaten AvE-
Lallemand 2, 128; vgl. gruben; dazu compositionen wie
gruberlohn Kramer teutschital. 1, 571»; -pfennig
Unger-Khull 309''; -tagwerk: lezlichen verbleibt
iedem unterthanen . . jährlichen fünf gruber tagwerch zu
robathen österr. weisth. 11, 121 (a. d.j. 1702).
GRUBIG, adj.: grübicht lacunosus, cavatus, caverno-
sus St ein BACH 1, 630; mit erueitertem sufßx: grübächtig
Fnisius 752»; grubichtig Calepin xi ling. 216»; 788»;
ein . . beulette oder grübele stirn Dürer 4 bücher q 3»;
grübet geschwulst Paracelsus op. (16I6) 1, 136 C ; dunckel-
blaue grübichte blasen {auf den füszen) Brest, sammig.
V. natur- u. medic. gesch. (1717) l, 181;
hier dieser stein ist grübicht um und an
Gryphius ged. 440 lit. ver.;
die kreiszrunde figur . . hat . . keine krümme, nichts
herfür ragend, nichts grübicht Comenius jan. iv ling.
(1644) 242; gern von Vertiefungen des erdbodens: die sollen
vor der stadt . . besehen, ob es sey eben oder uneben,
grübig, bergig Fronsperger kriegsb. 1, 132»; ein un-
ebenes grubigtes land Gottsched d. n. a. d. anm. ge-
lehrs. 9, 827; ich fuhr . . über einen grubigen theil der
stadt K. E. V. Bär red. u. versch. aufs. 1, 257; ein greu-
lich schleitziger . . lötiger und grflbiger weg Megiser
ann. Car. (I6I2) 1620; ebenso K. Sallmann neue beitr. 75;
spedeller, im sinne von grübe TIC 2: sonst zerspringen die
grubigten stücke nicht selten Gruber /rierfens- u. kriegs-
lust 427; pockennarbig Lexer kämt. 120; vgl. pocken-
grübig; in netterer zeit namentlich, mehr oder minder
technisch, in der spräche der anatomie, Zoologie und be-
sonders der botanik: {die drüsen) haben an ihrer inne-
ren Oberfläche ein höckeriges, grubiges ansehen Söm-
MERRiNG 5, 84; einen . . . grubigen köpf {von fischen)
Oken 6, 240; durch den grubig eingedrückten rücken
Brehm thierl. 9, 325 P.-L.; von einem grubigen honig-
behälter {bei der zaunblume) Rohling Deutschlands flora
2, 557; der grubige pfifferling Oken 3, 37; same grubig
runzelig Schlechtendal flora von Deutschi. 20, 201;
fruchte . . auf der Oberfläche quer grubig-aderig 23, 189.
GRÜBLEIN, n., demin zu grübe; ahd. grubelin valli-
cula Graff 4, 308.
1) m,it Vorliebe in der anwendung auf kleine Vertie-
fungen am menschlichen körper {vgl. grübe HCl): der
frauen leiber sind . . mit falten . . . und mit grüblein
sonderlich auf den bänden, kniehen und beiden ein-
bogen G. V. Sandrart acad. (1675) 1,68; in welchem
{sc. Schulterblatt) grüblein oder pfanne so grosz, dasz
Happel relat. cur. (1685) 2, 101»; grüblein undter der
nasen Henisch 1758; streich es . . in das grüblin an dem
schlaf Gäbelkover arzneib. 1,97; grublin in den wangen
lacunula Diefenbach 316»; ire wenglein schon mit
623
GRÜBLEINSMANN
GRÜBLER
624
kleynen grüblein bekleydet Wickram 2, 51 lit. ver.; und
so schon mhd.: grüeblin in den wengle erzähl, a. altd.
hss. 178, 82 Keller; vgl. minnes. 2, 23* v. d. Hagen; häu-
figer erscheint mhd. das grüblein im kinn, so lieders. 8,
102 Laszb.; BRUDER Philipp Marienl. 864; ein rundes
kien mit einem grübleiu Haksdörfer teutscher secret.
2, 144;
dasz die grüblein dort ich besing'
Voss ged. 3, 187;
prägnant: herz- oder magengrube: wenn man . . si (6m--
nen) legt auf des magen munt, daz ist auf daz grüebel
KoNR- V. Megenbero buch d. natur 340; er . . machete
es {das Meid) in der h6hi, daz es im unz an daz grübli
hey uf gie Seuse dtsche sehr. 89 B.; sonderliche kranck-
heiten . ., als . . trucken im grüblin Paracelsus op.
(1616)1, 55 A; blatternarbe: die masen, mal oder grüblin
von kindßblatern Sebiz feldbau 92.
2) im übrigen mehr in gelegentlicher Verwendung, am
häufigsten noch für ein kleines loch im erdboden (vgl.
grübe A l) : daz {kind) schöpfet , . . aus dem mer mit
einem deinen löffelin in ein cleynes grüblin summer-
teil d. heil, leben 168«^; macht das mägdlein ein grüb-
lein und thät ihr wasser darein G. R. Widmann Faust
450 lit. ver.;
gehts wol, so will mans besser haben,
grabts grüblin, bisz es würd ain graben
Fischart 3, 44 Hauffen,
sprichwörtlich? die buben, die in ein grüblein geschwo-
ren haben, sollen fänglich angenommen werden Ulmer
quelle von 1508 bei Fischer schwäb. 8, 862, wo eine deu-
tuvg versucht loird; lacusculus grüblein umb die bäume
zu wässeren Dentzler 1,876*; setzyrube: soltu in eyn
jedes grüblin frei . . . körnlin . . . setzen lassen Sebiz
feldb. 314; stecken sie {die brombeer Stauden) in grüblein,
so einer zwerchhand tief Er. Francisci tust, schaub.
(1698) 2, 346; fanggrubc: das grübelein, darin das garne
gelegt und verdeckt wird Aitinger jagd- u. weidbüchl.
264; spielgrube für kinder:
{Mnder) die grüebelln grabent an der sträzen
Hugo v. Trimbero renner 11427.
spilt er . . . des grübleins Fischart geschiehtklitt. 283
ndr.; ich hab etwan im grüblen gespilt Henisch 1758;
grüblein machen zum schussern, zum grüblein spielen
Kramer teutschitul. 1,507"; in ein grüblein schocken
2, 636^; ins grüblein schucken, grüblein schupfen u. ä.
Fischer schwäb. 3, 862; vgl. grübelball spielen Wein-
hold schles. 31*; wie versteht sich: in kan nymant us
dem huse bringen und macht grubelin umb sich als
die kinder an der sonnen Frankfurts reichscorr. l, 76
Jansen («. d.j. 1400)? grüble an stenglen, ausz wölchem
die näbendzweyle schlieffend alae in herbis Maaler
194»; grüblin, darinn die kern desz obs ligen seminum
cellulae Henisch 1758; höler die kern {rler quitten) auz
in und leg lauter honig in diu grüebel Konr. v. Me-
GENBERG buch der natur 320, 5; die Thüringer hauwend
in dem haupt des herds runde grüblin {zum waschen)
Bech Agricola 269; nur fand man ein kleines grüblein
{im bett), als ob eine katze da gelegen Grimm dtsche
sagen l, 55.
8) eigenartig ist: dasz die cristen iren alten . . glau-
ben und lobliche cristenlich preüch in ain zweifei
setzen, erst ein grüblin und misztrauen darin suchen
und auf ain . . disputacion stellen städtechron. 23, 882
{Augsb), wo sich der gedanke an grübeln im sinne von
religiösem dissens aufdrängt; vgl. grübleinsmann; ebenso
isoliert ist die angäbe von J. H. Meichszner handb. d.
orthogr. (1567) 21 ^, der grüblin als synonymon von fünd-
lin notiert; das erinnert an grübelung in der bedeutung
dolu,s, fallacia, s. d.
GRÜBLEINSMANN, -LEUTE, nur in Augsburger quel-
len: habent die ratgeben ainem kneht, ist genant der
grüblinsman, disiu stat ain jar verboten zs. d. hist. ver.
f. Schwaben 4, 202 {a. d. j. 1364), wohl auch hier schon
als bezeichnung eines sectierers bestimmter richtung wie
in den späteren belegen: alz vor ettwievil Zeiten ain
gesellschaft ainer büberey und keczerey sich in unser
statt erhaben hett, die ain crütz an in trügen und die
man nampt grüblins lewt städtechron. 4, 97 {Augsb.);
vgl. 228. 315; kaum, wie die grubenheimer (s. d.) nach
dem hausen in gruben (Fischer schwäb. 8, 864) oder
nach rituellen handlungen {ib. 862); eher zu grübleins;
vgl. grübler 2 c.
GRÜBLER, m. l) in den maa. noch bedeutungen, die
an den unübertragenen gebrauch des vb. {s. grübeln 1. 2)
anzuknüpfen sind: fürgrübler Schüreisen, ohrengrübler
Ohrwurm Marti n-Lien hart l, 268; grübler kleine harte
nusz ib.; Staub-Tobler 2, 692; vgl. grübelnusz; auch
grübler knicker ib. gehört wohl hierher {vgl. der nach
guote grübelt unter grübeln 2 a).
2) literarisch nur in dem von grübeln 3 ausgehenden
übertragenen gebrauch: scrutator, curiosus, inventor, in-
vestigator Stieler 689; doch bleibt das bewusztsein der
concreten bedeutung bis in die jüngste zeit lebendig: dass
jene 'mathematischen grübler' . . . nicht die absieht
hegen, den ström der erfahrung abzugraben Bringk-
MANN filosof. ans. 20; er ist halt ein grübler, es giebt
aber verschiedene grübler, es giebt auch mistgrübler
G. Keller 5, 143; der alte oheim . . ist sein lebtag ein
grübler und wühler gewesen Rosegger I 4, 53; seit dem
IIa. Jh., aber erst im 18. häufig.
a) ohne kritischen beisinn: ich bin von haus aus
nicht melancholisch, sondern nur grübeler Bode Mon-
taigne 1, 132; dem feinen grübler unter den philosophen,
dem . . Piaton grafen Stolberg 3, 249; der grübler
und räth sei freund, dem die Vaterschaft dieses buches zu
theil ward Nietzsche l, i; im iS.jh. nicht selten dem
sinne von denker, philosoph sich nähernd: die lehrsäle
aller scholastischen und mystischen grübler Herder
19, 302 S.;
der grübler Narados, von vorurtbeilen frey,
behauptete . . Gleim 1, 166;
rang ist nifht, was die grübler versichern, erßndung
der verkünstelten geselschaft H. P. Sturz l, 200; die
tiefsinnigen grübler weisen uns nach, dasz . . Laube
2, 249.
b) häufiger aber mit einem beiklanq der abwehr, des
tadeis, in allen Schattierungen des verbums {s. d. 3 b):
o ihre majestät sind zu sehr grübler.
wer möchte doch die sache so genau
wohl nehmen Tieck sehr. 1, 414;
als selbstquälerischer grübler Holtei erz. sehr. 2, 140;
dieses . . schreibt Polybius nicht etwa als ein finstrer
grübler, in dem winkel seiner studirstube Gottsched
d. n. a. d. anm. gelehrs. 3, 4i5; da man . . diejenigen
griebler und alberne leute in ged lebten schalte, die sich
fürchten ein frauenzimmer anzurühren G. E. Scheibel
d. anerk. Sünden d. poeten (l738) 146; auf anderer linie:
vortrage, darinn die ewige Wahrheit . . frey . . von den
träumereien der grübler auftrat Pfeffel pros. vers. 3, 5;
der Jurist Huschke, ein phantastischergrüblerTREiTSCHKE
dtsche gesch. im id. jh. 3, 401; wieder anders: der grübler
wird sich nicht schnell oder gar nicht zum handeln
entschlieszen 0. Ludwig 5, 65; ich bin weder ein müs-
siggänger noch ein leerer grübler, der ohne ende feilt
Jahrb. d. Orillparzergesellsch. 2, 28; besonders von spitz-
findiger, kleinlicher, hohler geistiger thätigkeit: dar umb
sie nur den grüblern und klüglin zu gefallen gestelt
PuscHMANN meisterges. 25 ndr.; so werden sich müs-
sige klügler und tändelichte grübler darüber {über die
spräche) machen Gottsched d. neueste a. d. anm. ge-
lehrs. 7, 464; dasz sie in den Wissenschaften grübler
und grillenfänger . . seyn werden Kant beob. über d.
gefühl d. schön, u. erhab. (l766) 42; von mäkelnder kriti-
kasterei: ekle grübler . . . , welche selbst in der Ilias
nuszschalen zeigen wollen Gottsched beiti: z. crit. hist.
1, 663; daher öfter die koppelung: mit welcher liberalität
er die dichter gegen grübler und krittler in schütz
nimmt Göthe IV i2, 106 VF.; Schubart ästh. d. tonk.
98; in diesem sinne auch mit abhängigem gen. : wie jener
fromme pfarrherr an den grübler seiner geistlichen
625
GRÜBLEREI - GRÜBLIG
GRÜBLISCH - GRUCHZEN
626
kurtzweil . . . geschrieben Harsdörfer frauenz. ge-
sprächsp. 2, 25; alle heutigen grübler der offenbahrung
Johannis Gottsched das neueste a. d. anm. gelehrs.
6, 150. .
c) hierher wohl auch, im sinne vorioitzigen forschens:
und wolten die bemischen griebler ires prauehs ent-
setzen städtechron. 23, 177, ivo sectierer gemeint sind. —
grüblerei,/.; daraus (aus der lesung der Micher) wer-
den . . . grüblereien, ideen, meinungen, Vorstellungen
ZiNZENDORF neueste theol. bedenken (1741) 58; grüble-
reyenl person und geld gehören zusammen theater d.
Deutschen u, 167; die ursach seiner kopfsgrüblerey ist
nachfolgende Lilienberg künstl. unordn. 2, 276. —
grüblerin, /. J. A. Gramer nord. aufseher l, 384; sie
war eine weiche träumerin, eine heiszblütige grüblerin
Frenssen Jörn Uhl (1902) 807.
GRÜBLERISCH, adj.: scrupulös, grüblerisch, gewis-
senhaft, zweifelhaft Spanutius 435; aber erst im spä-
teren 18. jh. häufiger, und zwar zunächst mit dem accent
spitzfindiger denkarbeit: diejenige, welchen sonst alles
subtile und grüblerische in theoretischen fragen . . .
verdrieszlich ist Kant 5, 158 akad. ausg.; ich würde
zwar hoffen, diese grüblerische argutation . . . durch
eine genaue bestimmung des begriffs der existenz zu
nichte zu machen 3, 400; wo Plato gegen die Sophisten
streitet, ... da ist er spitzQndig und grüblerisch Fr.
Schlegel i, 99; kritisch: in der liebe haben der Deut-
sche und der Engländer einen ziemlich guten magen,
. . der Italiener ist in diesem puncte grüblerisch Kant
7 (1839), 432 Hart; eben so grüblerisch wie bey den
antiken kunstwerken, geht man auch bey der alten
geschichte . . zu werke Ayrenhoff 6, 251 ; später mit
Vorliebe vom hang zu bohrendem nachdenken als einer
Charakteranlage : der nordische mensch ist . . wankend,
unklar, dämmernd, grüblerisch, gestaltlos E. M. Arndt
sehr, für u. an s. l. Deutschen 1, 413; der beredte, grüb-
lerische Hamlet 0. Ludwig 5, 133; mein grüblerisch
frommer groszvater D. Fr. Strausz 6, 22; meine . . .
rücksichtslose und nahrungslose, grüblerische Philo-
sophie Schopenhauer l, 26 Gris.; so neigt es [das Ora-
torium) sich doch auffallend ins grüblerische und düstre
R. Schumann 5, ll; etwas anders; aber da kam wieder
der gedanke der zukunft, und sie wurden wieder grüb-
lerisch Frenssen Jörn Uhl (i902) soo. — " grübler-
tum, n.: Lömpff, der schon jahrelang in ungesundem
grüblertum lebte H. Hesse nachbam (1909) 218.
GRÜBLICH, adj. zu grübe, lacunosus, rimosus Stie-
ler 690; schon mhd.: ir vinger grüebleht lieders. 8, 102
Laszb.; sin kinne . . grüblecht schweizer Wernher
Marienl. 5948; das sie {die steine) nicht grüblecht oder
schlims und krumbs seien Rivius Vitruv (i575) 469;
geschwollen schenckel, grüblicht umb den schaden
Paracelsus chir. (1618) 284 C; des teufeis weg ist grüb-
licht und bergicht S. Svevus geisil. walf. (1573) £4»;
wo das land enge, grüblich, sandicht . . ist fi^chbüchl.
96; dasz die jenige theile desz monds höckerig und
grüblich seind Er. Francisci eröffn. lusthaus (i676) 442;
später durch grubig verdrängt, s. d.; doch mundartlich
bis heute: grublig lückenartig, lückenhaft Unger-Khüll
310"; blatternarbig: hust grimliche bocken Müller-
Frau reuth 1, 446*.
GRÜBLIG, adj. l) zu grübeln 3: grublechtig scrupu-
lose Galepin xi ling. 1814"^; ie me sie beichten und
sagen, ie grübelechter und ungerfigiger sie werden Kei-
sersberg V. d. bäum d. sei. (1518) s"*; dafür aber öfter
grüdlig, s.d.; grübelicht curiosus Stieler 690; litera-
risch neben dem übermächtigen grüblerisch nur ganz
selten: wenn sie glauben, dasz ich gar zu grüblicht bin
Grandison (1754)2, 131; dir fehlt der frische, freie mut,
du bist ein grübliger mensch W. Speck ztvei seelen 2i80;
unpersönlich: grübelig blieb es Victor immer, warum
ihm denn das thier dieses eine mal nachgekommen sei
Stifter 8, 304 Sauer; mir in den maa. tritt die concrete
grundbedeutung noch zu tage: gTÜbUg von nüssen, deren
kern man durch grübeln herausbringt Staub -Tobler
2, 692.
IV. 1. 6.
2) nach grübeln 2 {zur sippe krabbeln) : die ander füss
(der tintenfische u. ä.) sind grüblecht eingebogen, deren
sie sich zum raub gebrauchen Heyden Plin 363 {cetera
eirri quibus venantur hist. nat. 9, 28), hierher? im sinne
von kribblig l : der salpeter, welcher fein, rein, weisz,
grüblich, lang zapfen oder streimen nach dem . . .
schmeltzen bekompt Fronsperger kriegsb, l, 155*, oder
zu grüblich? dann giessete man den julep auf einmal
daran, so würde die salsen gar grüblecht Hohberg
georg. cur. 1, 231; es ist mer grüblig ich fühle brechreiz
StaubTobler 2, 692; vgl. Martin-Lienhart l, 268''. —
grüblisch, adj.: sind sie . . nicht schwerer, ernster,
grübJischer . . als irgend andre Deutsche? E. M. Arndt
sehr, für u. an s. l. Deutschen 3, 76; ungewöhnlich.
GRÜBLING, m. l) name verschiedener pflanzen; be-
sonders für die trüffel, tuber cibarium: grieblinge Ama-
ranthes 2045; grübling oder trieffen StaubTobler 2,
692 {quelle von 1734); grübling Holl 136 •>; erdgriebling
Dietrich 5, 648; nach ausweis der elsäss. form kriwlin
Martin-Lienhart l, 268'' zum vb. grübeln, weil der pilz
ausgegraben wird; dann für die kartoffel: die Burgunder
pflegen die äst zu biegen, mit erdfrich decken, und
also mehr grübling zu bekommen Tabernämontanus
kräuterb. (1625) 189''; tartuffeln oder griebling . . sola-
nv/m tuberosum esculentum Hohberg georg. cur. 3, 387";
hierher wohl die wurtzel grübling, die einem mitgliede
der fruchtbring, gesellschaft zugeiheilt ist Neumark neu-
spr. teutscher palmb. 881 ; die bezeichnung ist gleicher ab-
leitung wie das vorige, vielleicht einfach von der trüffel
übertragen; vgl. Fischer schicäb. 3, 866; Schneller l,
139, wo auch griebeln, grübeln /ür kartoffel angegeben;
weiter für den gichtschtvamm, phallus impudicus KrO-
nitz 20, 162; der hut dieses pilzes ist stark grubig, also
dies zu grübe; dazu auch grübling als name einer gru-
bigen apfelsorte KrCnitz a. a. o.; so schon bei Bauhin
hist. fontis balneique Bollensis (1598) 4, 66/.; Nemnich
212; 'bei Flauer ei7i2}flanzengeschlecht, bei welchem männ-
liche und weibliche blumen auf einer pflanze wachsen
{omphalea L.y Campe; gröbling 'ein aus vielen eszbaren
atockschwämmen . . zusammenhangendes gewächs der nusz-
und weidenbäume' {österr.) PoPOWlTSCH 165 ist wohl
anderen Stammes {zu grob 'dick'?); fraglich ist, welche
pflanze Klopstock meint:
grübling eilte voran, und mit erzitterndem blatte
folgte Weichling von fern {bei der beatattung der toten rose)
od. 2, 111 M.-F.
2) nur vereinzelt persönlich gefaazt. zu grübeln 3 : wer
jetzt einfeltig schreibt . ., mus der klügling und grüb-
ling . . esel, Midas, Silenus sein J. Pomarius gr.post.
(1.590) 1, loe**; vgl. vorr. 2, 4'. — grüblingsbaum kar-
toffel Pritzel-Jessen 882; Fischer schwäb. 3, 865; grüb-
lingbaum Tabernämontanus kräuterbuch (1625) 189*;
grieblingsbaum quelle v. 1748 bei StaubTobler 2, 692;
grübelnbaum Schneller i, 189. — grüblingsthor,
zu grübling 2:
die morgenländer hie seyn keine grüblings-thoren,
sie haben nicht die zeit mit aberwiz verlohren
RoMPLER V. Löwenhalt erst, gebüsch 28.
— grübner, m., propago, alter weinstock, der wider
eingesetzt wird Orsäus nomencl. 195. — grubpfennig,
m., was gruberpfennig («, d.) ünger-Khull 309''. —
grubrebe, ./.; grfibräben oder eyngelegt und eynge-
grübet gerten der weynräben mergus Frisius 817'';
Staub-Tobler 6,44; vgl. grubenende. — grubrecht,
n., abgäbe für das zum kohlenbrennen gegebene holz,
alt. spr. Unger-Khull 310* mit nachweisen. — grub-
stock, m.. rebensetzling österr. toeisth. 8, 1119 {a. d.
j. 1571).
GRÜBS, m., kernhaus des obstes, s. griebs sp. 254;
diminuiert grübslein Fr. Kind ged. 2, 97.
GRÜBULANT, m.; deswegen solte ich . . ihre actio-
nes nicht aus dem grund erforschen, weil ich hier-
durch auch ein gribuland, ausspintizant , explotant . .
sein würde Jan Rebhu weltkucker (1678) 2, 115.
GRUCHZEN s. grochzen.
40
627
GRUCKEN — GRUDEN
GRUFT
628
GRÜCKEN, vb., vom gurren der taube : setzen im ein
tuben uff die ein aciisel, die grucket im ins or Judas
Nazarei 4,1 ndr.; lautnachahmende bildung; vgl. grocken,
krocken und rucksen.
GRUDE, /., nd. uort; 'die glühende asche' Adelung;
grude vel kole favilla Diefenbach 227" {vocab. v, 14?5);
nov, gl. 169^: grud van stro 9i^ s. v. citurfrenus; de . .
knechte hadden vele bernde flas und stro angestoken,
dat de grude up den pulverwagen gestofen was Schil-
ler-Lübben 2, 157 ''; verhochdeutscht: graud und asch
Rollenhagen froschm. (1595) Z 2^; graude Rüdiger
Zuwachs 2, 79; die bedeutung 'strohasche' ist bis in die
neuere zeit als specißsch zu erkennen; in jüngerer spräche
dann auch von gewissen kohlerückständen : die grude ist
der theil, welcher von der zu theer, paraffin usw. ver-
arbeiteten braunkohle zurückbleibt Schönermark-Stü-
BER 486; = grudekoks Muspratt chemie 6, I93i; über-
tragen: 'ein tief in den feuerherd gehendes loch für die
glühende asche' Woeste 86°; zum kochen und warm-
halten von speisen benutzt Danneil 7i°; 'röhre in der
küche' Hertel Thür. 110; von da atis schlieszlich für
einen komplicierten kochherd mit koksfeuerung , wie sie
namentlich im westlichen Norddeuti,chland neuerdings sehr
im, gebrauch sind; die herkunft des nur in geicissen
nd. gegenden nachweisbaren wortes ist unklar; dazu:
grudefeuerung Lueger 5, 129; -herd kochherd mit
grudefeuerung 4, 793; -koks sind die rückstände der . .
abgeschweelten braunkohle 4, 492; -haus: grudenhaus
'ein haus in einem dorfe, worin die asche aufbehalten
wird' Adelung; Krönitz 20, 160; -ofen ofen mit grude-
Jeuerung Motthes baulex. 2, 536
GRÜDELN, vb. l) stochernd wühlen, scharren: die
erst eigentschaft des eschengrüdels ist, das er in der
eschen grüdelt Keisersberg eschengr. a, s^ ; wiewol sy
{die ente) sich hinunder tunckt und in dem kot grodlet
seelenpar. 97*"; vgl. post. 3, 45''; auch trans.: wenn der
mensch die gabel . , vil grüdlet in dem füer bilgersch.
15°; in bildlichem gebrauch : vil sorglicher stück . ., darinn
lasset man grüdlen reform, flugschr. 4, HO Giemen; es
wollt niemand den küng grüdlen {sich einmischen) Ion
J, V. Watt dtsche hist. sehr. 2, 78; ein wesentlich alem.,
noch heute in südd. maa. lebendiges wort: grüdlen graben,
wühlen StaubTobler 2, 706, woselbst genaueres zur Ver-
wandtschaft; vgl. auch 828; ähnlich bei Martin-Lien-
hart 1,269^; Follmann lothr. 2i8'^; Unoer-Khüll 310»;
dazu das subst. *grüdel 'ein stochernder', das jedoch nur
in der Verbindung aschengrüdel nachweisbar ist {vgl.
aschengritfel th. l, 582; eschengrüdel ih.3, it4l); offenbar
ist das subst. aus dem vb. abgeleitet, nicht umgekehrt;
adj. grüdelich, in übertragenem gebrauch: sollichen
grüdligen mönschen, die in der beichte überängstlich u.
■gewissenhaft sind Keisersberg, der auch das zugehö-
rige subst. hat: scrupul und grüdelikeit, s. th. 5,2341,
wo Hildebrand diese stellen fälschlich mit kritflich zu-
sam,menbringt ; wie hier, auch in heutiger ma. dem sinne
von grübeln nahekommend: mr seil nit grudle üwer das,
was in dr biwel stet MartinLienhart l, 269'».
2) wühlen, rollen im leib: welche febres habent, houbt-
we, krymmen, grodeln im buch H. Braunschvv^eig Hb.
pest. 10*; wimmeln: in Wirklichkeit grodlet Mailand von
leuten wegen der ausstellung J. Bürckhardt br. an e.
architekten 175. beides auch elsäss., Martin -Lienhart
1, 269'»; vgl. Staub-Tobler 2, 706; grudeln prickeln,
schauern, brodeln, wimmeln u. ä. Lexer kämt. 125; da-
von grudel, m.: dan ihme anfangt der grudel und der
haysze den ruggen uff gehen Seb. Bürster beschreib,
d. schwed. kriegs 192.
GRUDEN, vb., ableitung von grude; in der termino-
logie älterer salzwerke: einen knecht . ., der . . . das
stroh mit bänden unter die pfanne werfen und bey den
grossen feuer solches von einander stören müssen, wel-
ches sie gegrudet . . geheissen Hondorff salzwerk zu
Halle (1670) 77; dazu gruder, das sind knaben, die stro
unter stecken, wenn man mit stro seudt Mathesius
Sar. 127''; auch bei Hondorff a. a. o. unter beruf ung
auf die thalordnung von 1482; grudung Campe.
GRUFT, /.
I. Ursprung und form.
1) offenbar sind in gruft zwei worte zusammengeronnen,
eine abstractbildung zum verbalstamm grab- 'graben' u.
griech. lat. crypta. daran ist festzuhalten, obgleich die
anderen germ. sprachen ein abstractum Tnit diesem vocal
nicht kennen, das germ. wort, noch völlig unbeeinfluszt
von crypta, scheint vorzuliegen in: a summitate vallis,
ubi se Saxones et Thuringii disiungunt, que Teutonice
dicitur Girophti mon. Germ. dipl. 2, nr. 191 {urk. v. 979) ;
gleich nachher: usque ad fossam suprascriptam Girophti;
eine abschrift der Urkunde in einem Hersfelder copial-
buch {mitte 12. jh.) schreibt Girufde, gröfde G. Schmidt
urk. buch d. höchst. Halberstadt l, 29; vgl. uf die gruft
als flurname Schmidt elsäfs. 208'' {Lipsheim 1268). im
übrigen lassen die ahd. belege, die sich erst seit dem
iO. jh. häufen, im schwanken des anlauts bereits die for-
mule Vermischung erkennen; gewöhnlich als glosse zu
crypta {zumal in der Frudentiusstelle pass. Hippol. 154,
auf katakomben bezüglich) gruft, giruft, chruft, am, häu-
figsten cruft und ztvar auch fränk. und in nd. glossen,
s. Graff IV 309; vgl. auch unten H A 2 b.
2) die mhd. Überlieferung zeigt die kform schon sel-
tener als die mit g- {s. Lexer l, UOO), aber sie ist nicht
etwa an obd. mundart gebunden (in den himel Ozer
cruft erlös. 1020 Bartsch; lijgen . . . under dem eyme
altair in der krufft Arnold v. Harff pilgerf. 25); sie
läszt sich bis zur tuende des 17. und 18. jhs. nachweisen
und beschränkt sich keineswegs auf die bedeutung crypta:
der erden crufft schausp. engl, com., s. u. II A 2 d; heit
früh wol voller freuden . . . und morgen in der kruft
Rompler V. LÖWEN halt erstes gebüsch 143; ein echo
in den krüfTten Schottel, s.u. H A 2 a; crufft dicitur a
crypta Besold thes. pract. 1, 183''; auch nd. kroft, croffte
vel korfft, krocht Diefenbach 158" s. v. crypta; vgl. mnl.
croft(e), crocht(e) ; nl. croft, crocht höhle; weitere belege
unter kruft th. 5, 2430.
3) im älteren obd., zumal in Augsburger quellen, er-
scheint eine nasalierte form: ain grunft, in der lag ain
ris M. Füetrer bayer. chron. 153; warde im ausz der
grunfft (in Delphi) dise antwort gegeben Marc. Tatius
troj. krieg 69*; in die klufft, hole oder grunffte hinab
steigen Steph. Vigilius de rebus memor. (l54l) 68*;
vgl. städtechron. 4, 295, 19; £96, 6; 22, 82, 12; 23, 345, 11 u.
öfter in den Augsburger Chroniken; 3, 155, 7 {Nürnberg).
i) schwache ßeocion vereinzelt schon ahd.: thuruch cruf-
tun Graff 4, S09; aber erst im nhd. häufiger: in die un-
flätigen böhemischen krufften J. Dietenberger christL
vermanung D 2"; an der stat der greber oder grünfften
offenb. d. hl. Birgitte (i502) 4, cap. 107; namentlich im
11. jh. nicht selten: {sie sollen den grenzstein) wider sezen
an den orth ... da er zuvorn gestanten in die alte
grüften österr. weisth. 1, 49; adeliche und andere be-
gräbnussen und grufften eröffnete Chemnitz schwed.
krieg 1 , 454 ; in den sandicht oder surricht gruften
Prätori US wünschelruthen (1667) 224; in holen und
gruften auf dem felde W. Schultz ostind. reise (i676)
6''; gruften dat.pl. Comenius sprachenth. (1657) «r. 189;
in unser grufften dat. sg. Abr. a St. Clara merks Wien
46; Kramer teutsch-ital. l, 571 '' schreibt noch die grüf-
ten; aber Steinbach l, 630 empfiehlt den plur. grüfte;
indessen noch bei Nicolai: die gruften im münster zu
Basel, 8. u. H B l ; iveitere belege unter kruft.
n. bedeutung.
A. bedeuiungen, die von dem deutschen verbalabstrac-
tum aus zu verstehen sind:
l) eine künstlich hergestellte Vertiefung, ganz wie grübe
n A 1, icenngleich sehr viel seltener: der ain marchstain
mit willen verrucket, dasz man demselbigen soll nem-
ben und solle ihne mit dem haubt in die geruft setzen
österr. weisth. 8, 107 {ib.jh.); vgl. 8, 43; 7, 49; des brun-
nen grufft, daraus ir gegraben seid Jes. 51, i; miniren
ist unter der erde graben und in die gruft puIver legen
Stieler zeitungs lust u. nutz 467; da man eine gruft
machete zur grundlage einer auffahrt zu dem palaste
I
629
GRUFT
GRUFT
630
imperiale Winckelmann 6,256; doch in jüngerer spräche
jnehr poetisch:
sie hat aus eines gerbers grüften . .
das Schurzfell an den tag gebracht
J. J. Schwabe belust. 1,44;
irrgänglich-klug minirt er (der feuerwerker) seine grüfte
GöTHE 3, 17 W.;
die Jünglinge hatten das thal gewählt,
gegraben die gruft {jagdgmbe)
Klopstock w. 9 (1806), 204;
und da er die gruft erwühlet,
hat die erde ihn umfangen Brentano 3, 6;
aber mundartlich noch vielfach: %vnii gegrabenes, furche
Hertel Thür. 110;
hoch in de luft!
den pal in de gruft !
lied der Bremer zimmerleute bei Bücher
arb. u. rhythm. <201;
'7nan . . . sagt von ausgefahrnen wegen, dasz sie voller
gruft en (grüfte, lieber gruftig) sind' Hupel 83; gruft in
den Werder dämmen eine auf der landseite ausgestochene
stelle Frischbier l, 257*; vgl. grüftel, n., grübchen im
baden für ein kugel-kinderspiel Unger-Khull 810*.
2) häufiger von natürlichen Vertiefungen in der erd-
fläche, wie grübe II A 3, und zwar mit ganz ähnlicher
specificierung des sinnes:
a) tiefes loch, Schlund, ahgrund {vgl. grübe II A 3 a) :
bodenlose, sehr tiefe gruft barathrum. abyssus, vorago
Stieler 689; mhd. ganz gewöhnlich:
(daz er weere) von dem aller hosten luft
unz in die nideristen gruft
gewaltic swes er wolle klage 500 ;
auch bildlich: {der glockenklang bricht) durch der wölken
grüfte Loh. 372; der sorgen gruft 3713; dies denkmal liebt
bildlicheti gebrauch von gruft, s. u. d; gott heiszt volle
gruft der gnaden unde aller güete minnes. 3, 67» v. d. H.;
oder aller tiufe ein tiefe gruft 3, 102»; auch dem nhd.
noch geläufig: wie Q. Curtius {sich stürzte) in die stin-
ckende grufft zu Rom Harsdörfer teutscher secret. 2,
70; ein hirsch . . . kam zu einen brunnen . ., es war
aber das wasser in einer tiefen grufft Ad. Olearius
Lokmans ged. u. fab. (1654) 183;
wie es dampft und braust und sprühet
aus der unbekannten gruft! (m Karlsbad)
GöTHE 4, 232 W. ;
halb eingebrochene schneebrücken überspannen die
grüfte H. V. Barth Kalkalpen 137; erst in jüngerer spräche
zuweilen stärker oder schwächer durch die bedeutung B
gefärbt :
wie unter dir der trügerische firn
einbricht und du hinabsinkst, ein lebendig
begrabner, in die schauerliche gruft
Schiller 14, 339 G.;
ähnlich: der hauch der grüfte 14, 117; etwas anders:
Schlucht, kluft: dat erste leger is gewesen thor aversten
moelen, up dem berge unde in den grüfften script. rer.
Livonic. 2, 114;
darein gieng undter sich ein klufft
ab, durch diese stickfinstre grufft
fürt er mich in ein dunckles thal
H. Sachs 3, 594 K. ;
in dieser bedeutung festes requisit lyrischer spräche seit
dem 17. Jh.:
dass grüft' und klüft' und büsch' erfreuet wiederklingen
Zesen rosenthal 71;
ein echo in den krüfften
Schottel bei Fischer-Tümpel 6, 50^ ;
so dringt ein Sonnenstrahl durch wald und thal und grüfte
Lenz ged. 244 Weinh. ;
{ihr monaden) schreibt dem stein in allen seinen grüften
die festen formen vor Göthe 3, 77 W.;
vgl. grüft schluchtartige uferstelle Schumann Lübeck 23.
b) höhle {vgl. grübe II A 2 b) : ir tatut iz {mein haus)
thiobo cruft Tat. 117, 3 {speluncam latronum); uuas thar
cruft, inti stein uuas gisezzit ubar sia 135, 23 {erat au-
tem spelunca);
der wirt in fuorte in eine gruft,
dar selten kom des windes luft
Farz. 459, 5 ;
do er ein gruft oder hole ersähe Arigo decam. 638 lit.
ver.; vgl. 248; und kamen . . in eine grufft oder loch,
darinnen der heilige Johannes . . . seine wohnung ge-
habt M. V. Seydlitz wallfahrt (1580) G S*»;
biszweilen laszt er ihnen {den winden) lufft,
herfür zutringen aus der grufft Spreng An. 3 * ;
gienge ich ... in eine grufft, von welcher ausgegeben
worden, dasz sie 4 meil weges in die erde gehen . . .
sollte Zend. a Zendoriis winternächte S79 ; angenehme
gruft! {Velledas za berhöhle) maler Müller 2, 169; 'bis-
weilen soviel wie grölte' Chomels öcon. lex. 4, 1376; ^ober-
deutsch gartengruft =^ grotte' Krünitz 20, 161; Stieler
689 setzt grübe und gruft gleich im sinne scrobs, caverna.
fodina, antrum, specus, spelunca, betont aber: sed gruft
in specie hypogaeum dicitur ; das dürfte auf der ein-
Wirkung der bedeutung B beruhen; do fürt man uns ein
Steg ab in finstere krufft under die velsen F. Fabri
eig. beschreib. (1557) 40»; einige anachoreten haben in
Palästina in kleinen grüften unter der erde gewohnt
Zimmermann einsamk. i, 237; dünste . ., die aus . . .
unterirdischen grüften aufgestiegen seien Herm. Sghmid
alte u. neue gesch. 188; bildlich:
es (do« trojan. pferd) schultert durch und durch, und weit
umher
antworten dumpf die vollgestopften grüfte
Schiller 6, 349 ff.;
den ausgang weis' ich aus des elends grüften
Arent-Conraui-Henckell 213.
c) einige speciellere veruendungen : gruft als vnldlager
{vgl. grübe II B l) ;
{der adler) sach vor dieser holen grüeft
die fuechslein liegen vor der sünnen
H. Sachs fab. u. sckw. 2, 100 ndr.;
begeben sie {die thiere) sich wieder zu ihren wildlägern
(grüften) und verborgenen schluffwinckeln Comenius
sprachenth. (1657) nr. 189; die walltische sprangen . . .
aus ihren grüften hervor Breitinger crit. dichtk. 1,435;
in des drachen gruft Brentano 2, 116; wo der freie
Untersuchungsgeist erst anfängt, seine fackel in die
gruft des Ungeheuers, autorität, zu tragen G. Forster
5, 211; auf dieser linie mag sich die glosse gruft cuna
Diefenbach 162'' erklären; zwinger:
nider wurden sie en lan
unden in der lewen gruft
Daniel 8085 Hübner;
gruft als minerallager {vgl. grübe II B 5) : dasz man . .
in den unterirdischen grüften an denen metallen die
sieben irr-sternen . . findet Lohenstein rosen 117; dasz
durch die aus den grüften {goldgruben) aufsteigende . .
Spiritus . . . die menschen umbkommen Olearius in
V. Mandelslo morgenländ. reiseheschr. 97 anm.; grufft
als Schwefelgrube persian. reisebeschr. 257; dies aber je
später je mehr poetischem gebrauch vorbehalten:
die ihr aus dunkeln grüften
den eiteln mammon grabt
Brockes ird. vergn. 2, 142;
den ton, der in die nacht
der silberreichen gruft gefallen
Gottsched ged. (1751) 1, 64;
dir im iunern
lieget edelgestein und gold; da grabe
in den grüften Herder 27, 29 S.
d) feste fügungen: gruft der hölle {vgl. grübe II
A 2 c): der himele kor, der helle gruft Konr. v. WOrz-
BURG gold. schm. 696; in der helle grüften j. Tit. 6008, 4;
dasz eine hölle sey, das ist eine grufft der Verzweif-
lung des guten Jag. Böhme 2, 25; die höllsche grufft
Gryphius trauersp. 181 lit. ver.;
schnell wanken jene schwarze grüfte,
als Christus sich der hölle zeigt
Göthe 37, 7 W.;
vgl. 15, 247; von hier aus erklärt sich:
40*
631
GRUFT
GRUFT
632
du mörderischer schelm, in Plutos gruft erzogen
Fleming 1, 20 lit. ver.;
(Neptun) wirfet in die lufft
das schwache fichten haus, bald wieder in die grufft,
wo Radamanthus wohnt Rachel sat. ged. 22 ndr. ;
graft des meeres: in des meeres grufft Osw. von
Wolkenstein iis, eo Schatz;
kein fisch so tief in meres grufft
H. Sachs 7, 53 K. ,-
ich hab offt auch dem unglücksmeer
in seiner gruft gesessen
JoH. Heermann bei Fischer-Tümpel 1, 337^;
der heut hat in des meeres gruft
gelegt den weltbezwinger Rückert 1, 169.
graft der erde als poetische formel fast im sinne 'das
innere der erde': durch erdes gruff Hugo v. Montfort
12, 14;
{ich schuf) das gewürm in der erden grufft
H. Sachs 1, 20 K.;
sammt dem g'würm in der erden gruft
volksachausp. in Bayern iO Ilartmann s
doch kann, zumal in gewissen antithesen, auch die be-
deutung B hereinklingen: das dein sele . . dort in hime-
lischer wonunge, dein leib . . alhie in der erden gruft
wesen solten ackerm. a. Böhmen 30; vom tiimmel auf
der erden grufft Lohenstein geistl. ged. G;
doch wil ich trachten nach, damit dich raög empfangen
der erden crufft schausp. engl. com. 90, 23 Greiz. ;
vgl.
aus diesem tiefen Schlund, aus dieser schwarzen gruft
hab ich so oft und oft, o herr, zu dir geruft
Fleming 1, 10 lit. ver.;
von bildlichen Wendungen ist fürs mhd. formelhaft die
graft des herzen:
daz ez muoz dem keiser . . dringen
durch ören in des herzen gruft Loh. 3958;
vgl. 1523. 1797. 3030; mhd. wb. l, 563 '';
war ich die luft,
berauscht war ich in rosenduft
und strömt in ihres herzens gruft
Brentano 2, 505.
3) nur in poetischer spräche erscheint ein gebrauch,
der sich bei grübe voll entmckelt zeigt {s. d. II G l) : Ver-
tiefung am menschlichen körper:
durch slner süren wunden gruft
Parz. 491, 8;
wie ich mich zu dir soll wenden
und mit meinen glaubens-händen
mich erhalten an der gruft {deiner seitenwunde)
Chph. Arnold hei Fischer-Tümpel 5, 105 •>;
sieh, dieser äugen dunkle gruft,
dein Gretchen kalt und todt
Herder 25, 562 S.
4) mundartlich taucht das reine abstractum auf: gruft,
graft begräbnis Kleemann nordthür. id. 7"; doch dürfte
dieser gebrauch jung entwickelt sein; literarisch jeden-
falls nicht sicher nachweisbar; vielleicht gehört hierher:
die schöne, der der Kolcher thron
nach ihres vaters gruft als eigen zugehöret
Gottsched neueste ged. 94.
vgl. ged. (1751) 1, 15.
B. die andere hälfte der Verwendungen liegt auf der
bedeutungslinie, die von crypta ausgeht.
l) im eigentlichen siniie die kellerartige anläge in kir-
chen, auch anderen geistlichen gebäuden, gewöhnlich unter
dem altar, die zur beisetzung von toten dient, in den
ahd. glossen vielfach für crypta Graff 4, 309; crypta
grufft unter der kirchen Golius 16;
(der papst ging) von oben eine gr§den abe
in die gruft zuo dem grabe
Lampr. V. Regensburg Franz. 4992 ;
sent Primus ind sijnt Maximinanus . . lijgen . . under
dem eyme altair in der krufft A. v. Harff pilgerf. 25;
Ulrich . . . Hess im da ain grab und grunfft machen
städtechron. 4, 296; dasz ich nicht kan mit meinem lieb-
sten ordensgenossen ruhen . . in unser grufften Abr. a
St. Clara mercks Wien 46; die gruften im münster zu
Basel Nicolai reise 12, 67;
er ist heraufgestiegen
zu Aachen aus der gruft
Geibel 1, 2;
in ländlichen katholischen kirchen eine künstliche höhle, ,
in der Christus im grab ausgestellt ist: unser herrgott
in der gruft Aurbacher nach Fischer schwäb. 3, 866;
mit ähnlicher bedeutung schon früh: (man baute) in sant
Peters ere ein pfarrkirchen und darumb etlich grüft
(var. grunfft, gerunfft) in eren etlicher balligen städte-
chron. 3, 72.
2) allmählich löst sich die Vorstellung auf, die die
gruft zunächst als einen theil der kirche dachte, und der
begriff der unterirdischen begräbnisstätte , doch immer
noch einer gemauerten, raumartigen, schiebt sich in den
Vordergrund; vgl. schon:
do man die gruft engröb
Eneit 227, 3 ;
fühlbarer erst im nhd.r wie noch fürsten und herrn ir
eygen grütfte und gewelb haben Mathesius l, 30 Lösche;
ihr beiden Brandenburgs, wofern ihr aus der grufft,
da ihr verschlossen seyd, auf uns zurücke schauet
Besser sehr. 1, 86 König ;
so habe ich denn . . . neben der fürstlichen gruft ein
anständiges gehäus projectirt Göthe IV 42, 20 W.; zu
dem steinernen hause in der stadt gehörte die gruft
draussen auf dem kirchhof Storm l, 198; wie er selbst
in einer grufft {ägyptischer mumien) gewesen Chr. Weise
polit. redner 570; die grüfte der Scipionen orafen Stol-
berg 7, 175; eine todtähnliche erstarrung . ., von der
sich Jesus nach der abnähme vom kreuz in der kühlen
gruft . . . wieder erholt habe D, Fr. Strausz 3, 377;
mausoleum:
stehn alle pfeiler noch? wo ist die schöne grufft,
so Artemisia erhöhet in die lufft?
Opitz op. geist- u. weltl. ged. (1G90) 3, 283 ;
Metellas gruft in der Campagna Tiedge 2, 198; gern in
Verbindungen icie: (sultane), die ihre thaten mit ihrem
namen . . zugleich in der gruft ihrer väter begruben
Fr. M. Klinger lo, 3; in meiner väter gruft Mörike
3, 104; wenn er stieg' aus deiner ahnen gruft Müllner
dram. w. 2, 67; öfter auch in der stabreimenden koppe-
lung: ausz iren grebern und grufften Mathesius 4, 17
Lösche;
Deutschland (ist) hoch verbunden
der band, so seinen rühm aus grufft und gräbem hebt
Lohenstein Arm. l, ehrengetichte e 3".
3) schlieszlich schlechthin = grab, doch wesentlich be-
schränkt auf poetische oder doch gehobene spräche; schon
im 11. Jh.:
es mtlssen rosenbäum' ausz eurer grufft fürschiessen
Opitz teutsche poem. 67 ndr. ;
nimmt er gleich mich und mein gebein
und scharrt uns in die grufft hinein
P. Gerhardt bei Fischer-Tümpel 3, 447»;
auch öffnet sich der gräber grufft 3, 305;
die grufft der tiefen gräber Sim. Dach 212 lit. ver.; doch
erst im 18. jh. in breitem gebrauch :
(könnt ich lesen)
was der, auf dessen gruft ich geh,
in seinem sinn gewesen Canitz ged. 44 ;
freundini wankt im abendwinde
bald auch gras auf meiner gruft
v. Salis ged. 33;
willst du mit thronen aus der gruft ihn waschen?
Göthe 9,240 W.;
vielleicht hat die lautliche nähe von grübe diese entwick-
lung begünstigt; jedenfalls tritt gruft 7iicht selten in
stehenden Verbindungen in concurrenz zu grübe {vgl. dort
IIA4a — d): dem ämsigen konnte man es nicht ver-
gessen, dass er . . seine frau . . in die gruft gebracht
hatte Hippel kreuz- u. querzüge l, 105;
die du mit ungemeinem schmerz
zu frtth in ihre gruft siehst senken
Gottsched ged. (1751) 1,166;
633
GRUFT
GRUFTÄHNLIGH - GRÜGELHAHN 634
•wenn sie einst in die gruft hinabfahren J. J. Engel
achr. 3, 26; wenn ich auch als greis in die gruft führe
H. V. Kleist 5, 35 E. Schm.; entzückt von vergnügen
steige ich freudig in meine gruft samml. von schausp.
(lieiff.) 1, 86; du wirst, . deinen heiligen nicht in die
gruft sinken lassen allg. dtsche bibl., anh. zu 53 -86, 60;
er steiget im triumph aus seiner gruft hervor
Dusch verm. w. 110;
nehm ich mein greises haar mit schände in die gruft
Gottsched dtsche schaub. 4, 253;
hätte der vater . . . sein geständnisz mit in die gruft
genommen! Immermann 5, 104; körperlich bis in die
gruft gebeugt Caroline 2, 112 Wuitz;
und vernehme noch am rande
später gruft der enkel chor
BÖHME volkst. lieder d. Deutschen im 18. u. 19. jh. 16;
selbige (liebe) soll bisz in die grufft unverletzt dauren
HuNOLD d. europ. höfe liebes u. heldengesch. 198; ergebe
ich mich euch, unvergleichliche Ismene, bis in die
grufft zu eigen Menantes allern. art höf. u. galant zu
schreiben 420 ;
ich werde meinen fehl bis in die gruft bereuen
Ayrenhoff 77;
dass ich meine altern noch in ihrer gruft beschimpfe
Rabener 5, 7.
4) in anwendung auf profane anlagen, von katakomben
und baulichen Schöpfungen ähnlicher art: grufft catha-
bumba Diefenbach nov. gloss. 79"; die grüften, da die
märtyrer-cörper ligen le catacombe Kramer teutsch-ital.
1 , 571 "^ ; die unterirdischen grüfte zu Rom catacombe
Jagemann 548; etliche staffeln über gemeltem Ciceronis
bad findt man eine krufft oder gemach under der erden
G. Braun beschr. u. contraf. (i58i) 3, 56*;
das Rom, das annoch prangt mit kunstgewölbten grufften
Treuer dtscher Dädalus 1, 80;
das befahren der unterirdischen orte und grüfte {bei
den ausgrabungen in Pompeji) Winckelmann bei Justi
2, 1, 376; er war in gefahr, . . aus dieser gruft sein grab
zu machen . . dieses gewölbe war mit dem bewohnten
theil des hauses auszer aller Verbindung Fr. M. Klinger
8, 199; allerlei merkwürdigkeiten der natur . . . hatten
sie in den grotten und grüften desselben (schlosses) aus
aller weit vereinigt Ranke w. 8, 54; und ähnlich, von
kellerartigen anlagen, schon früh:
sl hübin üf daz houbit
und trügin iz hin üz der gruft
{einem burgkeller) Nie. v. Jeroschin 6450;
ein gewaltigs gpew und tiefe gruft
ebenfalls von einem keller
ScHMELZL lobspruch auf Wien ,-
häufig in anwendung auf kerkerräume, doch auch das
gewöhnlich als ausdruck gehobener spräche:
ich lig samb gfencklich in einr grufft
H. Sachs 17, 30 K.-G. ;
{am thor) der Zwietracht, die in dunkler gruft
knirrscht und gefesselt liegt
Löwen sehr. 2, 128;
gefangen! erl sein athem ist die freiheit,
er kann 'nicht leben in dem hauch der grtkfte
Schiller 14, 880 6. ;
vgl. 12, 487; 15, 1, 56; in der öden gruft dieses kerkers
Schubart leb. u. gesinn. 2, lOO.
6) mannigfach in bildlichem gebrauch, doch ei'st in
jüngerer zeit; gewöhnlich an die gebrauchsweisen 2 — 3
anknüpfend: an der gruft der freuden, die uns starben
Stägemann kriegsges. 60; sie {die brüst) war kalt, . . .
wie sichs für eine gruft begrabener schmerzen gebührt
HoLTEi erz. sehr. 2, 249;
hervor aus euren grüften,
ihr alten larven verborgner schwarzer thaten,
wo ihr gefangen lebt! Göthe 11, 45 W.;
(gesang) der dir erinnerungen, süsze, bange,
herauf aus ihrer stillen gruft beschwört
Lenau 1, 27 Castle;
dasz der klare . . geist dieses deutschen stammes, die
dünste aus den grüften abschüttelnd, wieder zu sich
selbst . . zurückkehren werde W. Alexis Ao»en xviil;
die bilder winkten, wie verbleichte schatten,
nur selten aus der vorzeit gruft
Fr. Kind ged. 2, 157;
dann legte er sich zitternd mit dieser fremden gestalt
in die gruft des schlafes hinein Jean Paul 7/10, 206;
in die gruft der nacht eingesunken lag er {der schla-
fende) einsam und starr ausgew. to. (1847) 7, 53 Reimer;
an A 1 grenzend:
{ich wünsche) die blumen annoch vor der zeit
aus ihrer kalten grufft zu ziehen
Henrici emst-scherzh. u. %at. ged. 1, 6;
der weinstock, welcher bisanher
in einer stinkenden und schnöden gruft gelegen
Triller poet. betracht. 1, 215;
still in die gruft
moBz es {das kom) sich senken
RÜCKERT 1, 195;
vor ihrem blick, wie vor der sonne walten . .
zerschmilzt, so längst sich eisig starr gehalten,
der selbstsinn tief in winterlichen grüften
Göthe 3, 24 W.
GRUFTÄHNLICH, adj.: der anblick des gruftähnlichen
tempels Ritter erdk. 1, 632; vor einem gruftähnlichen
höhlenthore R. Wagner 6, 152. — gruft deckel, m.
E. Ertl opfer der zeit. — grufterde,/.; der letzte
dumpfe wurf der grufterde aufs eingesenkte sarg Herder
25, 305 iS. — gruftgewand, n., totenhemd 25, 289. —
gruftge wölbe, n.: 'gvniigeviölbe für grabgewölbe, be-
sonders wenn es sich unter einer kirche befindet' Helfft
tcb. d. landbauk. 161 ;
es ist der blutge schatten könig Damleys,
der zürnend aus dem gruftgewölbe steigt
Schiller 12, 412 G.;
vgl. 1, 342; ein schauerliches, mit säulen befestigtes
gruftgewölbe des doms Eichendorf 11, 205. — gruft-
hauch, m. G. Hauptmann Anna (l92i) 59. — gruft-
haus, n.; toten- und grufthäusle quelle von 1587 bei
Fischer schwäb. 3, 866. — grufthügel, m.: die ka-
peile, die den grufthügel krönte Ebner -Eschenbach
gemeindekind 9230. — gruftig, adj.: grübelicht et grüftig
lacunosus, rimosus Stieler 690; cavernoso, grotloso ein
gruftiger felsen Kramer teutsch-ital. l, 571"; anders, zu
gruft 11 B 2: die damaligen gespenster . . . haben ihr
ßterbekleid getragen, das war so gruftig Nestroy 4, 234.
— gruftkapelle, /., über einer gruft errichtete kapelle
Stifter i4, 322 Sauer; Fontane I 4, 120. — gruft-
kirche, /., crypta Motthes fiawiea;. 3, 184; S.Andreas,
die familien- und gruftkirche der Colonna Gregorovius
wanderj. in Ital. 2 (1904), 97. — gruftkleid, n., toten-
hemd Herder 29, 346 S. — gruftlampe, /. Platen
i, 26i Hempel. — gruftleiche, /.: pergament siebe ..
an den teint erinnernd von aristokratischen gruftleichen
Bog. Goltz jugendleben 3, 92. — gruftplatte, /. =
gruftdeckel Rosegger I 14, 312. — gruftstein, m.:
wo noch heute halb verwischte gruftsteine in den kir-
chen die gebeine seiner väter decken Moltke sehr. u.
denkw. 1,224. — gruftstille,/. H. Marggraff bal-
ladenchron. (1862) 51. — gruftversenkung, /.; sie
setzten des alten sarg auf eine gruftversenkung Fon-
tane ges. rom. u. nov. (l89o) 7, 119. — gruftwerk, n.;
gruft-werck, grüften- oder grottenwerck opera grottesca
Kramer teutsch-itul. l, 571"; vgl. grottenwerk.
GRÜGEL-, GRIEGELHAHN, m., der birkhahn, tetrao-
tetrix Nemnich 209; hauptsächlich schweizerisch nachzu-
weisen; ivieweit das grygallus älterer quellen den birk-
hahn oder grygallus m.aior, den aicerhahn meint, ist nicht
immer entscheidbar: grügel- vel spilhan Gesner nach
Diefenbach 270*; griegelhahn Kirsch corn. 2, 159*;
Stieler 749, überall mit grygallus glossiert; erythrotaon
auwerhan, pürckhun, bergkhan, grugelhan Megiser pol.
1, 483''; die kleinen {auerhähne) werden gruggelhanen
genennet Hohbero georg. cur. 2, 673; grügelhun von dem
urhuhnweibchen Oken 7,598; grügel auerhenne Schmel-
LER 1, 992; zu grügeln heiser reden; vgl. krigeln th. 5, 2303.
635
GRÜH(E) — GRUMMEN
GRUMMEN
636
GRÜH(E), m. und f., eine art sehr Meiner fische: aphya,
ßuviatilis minima Marperger küch- u. kellerdict. 433 '^;
disz ist der allerkleineste fisch, den die Märker gruhe
nennen, sonsten nennen sie ihn hundert tausendt fisch
CoLER hausb. (1645) 655; m,it dem sängel (ja. d.) identi-
ßciert im allg. haush. lex. l, 624; dazu grüh(e)netz
CoLER a. a. 0.; Marperger 434*; Krünitz 20, 163.
GRÜME, /. = krume th. 5, 2438; indes sind die %-f ar-
men auch schriftsprachlich häufiger, als dort erkennbar
(vgl. krume l d) ; dabei mag z. th. das benachbarte grumpe
(s. d.) von einflusz sein, wie denn gelegentlich deutliche
vermengung vorliegt:
und han gesagt von groszen grumen,
do ich mein lebtag nie hin bin kumen
fastnachtsp. 1, 239 K.,
vgl. grumpe 2; grumen in brodt vocab. rei numm. (1552)
H 7»; ähnlich Tabernämontanus netv kräuterb. (1664)
591; dasz sie (schwierungen) seien einer gleichen dicken
ohne einige grumen noch gestocktes wesen Mauriceau
476; die grum von brod Kramer teutschital. l, 571«;
ebenso grümlein und andere abieitungen; ein grüm-
chen brod Miller Siegte. 2, 819; grümmlein Hebel
(1853) 3, 106; grummen vel ribeln sipare (i. c. pullis
panem frangere) Diefenbach 537*=; grüm licht Chomels
öcon. lex. 4, 1376; eine . . leicht grum ig werdende masse
Sömmerring 5, 841; von einer grümelichen masse
Oken 4, 363; vgl. 3, 3, 1947: knollen . . . mit einer . . .
grümmelichen masse angefüllt Rohling Deutschlands
flora 3, 50.
GRUMMELN, vb., ableitung von grummen {s. d.); haupt-
sächlich in den fränkischen maa. am, Rhein und vieler-
orts in Niederdeutschland verbreitet.
1) bei persönlichem, subject: murren, schelten, unzu-
frieden brummen (entsprechend grummen l): sein altes
grummeln gegen den Sozialismus K. Marx an Fr. Engels,
briefw. 2, 833 ; dasz die Bonapartisten schon stark grum-
beln über Garibaldis 'rühm' ib.,- das verdrieszliche grom-
meln der molesta senectus P. Lindau mi; Nord u. Süd
heft 301 (1902), 6 ;
'kinderl' grommelt Atta Troll
Heine 2, 367 E. ;
murren lux. ma. 155"; Schmitz -Et/eZ 225; Wegeler Cob-
lenz. 20; in den bart brummein Pfister nachtr. 85; gro-
meln mürrisch sein Unger-Khull 808''.
2) bei unpersönlichem subject mit verblassung des affect-
gehaltes: ein brummendes, dumpfes geräusch laut werden
lassen (entsprechend grummen 2) : schössen weidlich hin-
ein, das es in der lufft gesungen und gegrummelt hat
H. BÜNTING lüneburg. ehr. (1585) 70*'; ein tiefes grobes
brausen und gräuliches grümmeln (von musikinstru-
menten) J. Mattheson d. n. götting. ephorus (1727) 58;
besonders vom donner eines entfernten gewitters:
der himmel grummelt schon
C. Abel Boileau 486;
nachdem . . der donner eine zeit lang in der ferne ge-
grummelt KoTZEBUE dr. Bahrdt 82; hinter den bergen
grummelt das gewitter H. LÖNS a. d. wildbahn 163; auch
bildlich : wenn ihr donner einmal anhebet, so grümmelts
wol zwölf tage hernach schaupl. d. bös. iceib. (1752) 13;
Lichtenberg br. 2, 38; heute in nordd. maa. weit ver-
breitet, vgl. Stürenburg 77»; Schambagh eg*»; Hertel
Thür. 110; Bernd Posen 78 u. sonst; auch vom knurren
des magens: et grummelt my im büke Strodtmann 77;
vgl. Frisghbier i, 255; dazu grummel ferner donner
Strodtmann 77; Danneil 71°^; während des grummels
von den canonen Lichtenberg br. i, 91; dazu grum-
melköpfe die bauchigen wölken, die den schiveren ge-
witterwolken voraufgehen Strackerjan abergl. u. sagen
2,108; -schauer Lüpkes seemannsspr. 24; Kern-Wilms
137; -stein versteinerter echinii Strackerjan 2, 109;
-türm gevritterwolke Strodtmann 77,
GRUMMEN, swv., ablautbildung zu grimmen stv. mit
der stammstufe, die in ags. grymettan brüllen, grunzen,
ivüthen, nortv. grymta grunzen auftritt; besonders im
westd.. vom alem. bis ins ndfränk., und sonst in nd. maa.
entfaltet; mnl. grommen, grummen, auch nnl.; erst seit
dem spätmhd. nachweisbar; die bedeutung zeigt parallelen
zu grimmen.
1) grummen furire Diefenbach 253*'; fremere 246<^;
'schelten, m.urren':
der gebure beleib da grommende
an syme stabe und grynende
pilgerf. d. träum, mönchs 5610
und oft in diesem text, s. glossar; und sy (die jünger)
grumtent wider sy erste dtsche bibel i, 176; kein feind
sich gegen sie (die Römer) grummens oder entbörung
durfte mercken lassen Kirchhof wendunm. l, 439 lit. ver.;
darto de lynenwevere
grummeden lick paghentzevere (roszkäfer)
städtechron. 1\, 103;
mag ihr die misera plebs ketten anhenken und grum-
men wie die bumsen J. Grosse ausgew. w. 3, 259; in
besonderer Sphäre 'knurren, zanken': neidig mönschen,
hessig, gond grummen mit iren nechsten Keisersberg
hellisch low & &^; da sehen sie, es solte ein milch dar-
von ersauren, prummen und grummen Fischart 3, 258
Hauffen; wie sie den mann durch unaufhörliches grei-
nen und grummen . . nur beunruhigen Mosgherosch
ges. 2, 801; und so noch heute mundartlich: grummen
knurren, brummen Pfister nachtr. 85; grummbär brumm-
bär Honig 69^; gromen mürrisch sein, gromlich brum-
mig Unger-Khull 808''.
2) die bedeutung des affects, bei grimmen die bestim-
mende, kann aber auch verblassen, so dasz das vb. sich
einer reinen schallbezeichnung nähert: dumpfe töne laut
werden lassen; onomatopoetische momenfe sind an dieser
entwicklung betheiligt: grunnitus das grummen o. ruchlen
der Schwein Diefenbach 270''; (das murmellhier) grümt
und grant und murmlet allwegen in im selber Keisers-
berg bilgersch. (1512) 144''; der gute gesell . . aus dem
stro herfür kroch, hub an zu grummen Hertzog schiltw.
E 8*; cagnolare murmeln oder grummen zwischen den
zänen Hulsius (1618) 2, 168''; etliche ausländer halten
die Teutschen . . , was ihre spräche betritt, für grobe
brumende leute, die mit röstigen werten daher grum-
men Schottel haubtspr. einl. b 8''; in den bart brum-
men V. Klein l, 166; zumal vom donner: als ob der
donner grummt Kirchhof wendunmuth; so auch in
heutigen maa., vgl. Berghaus 622*; es grommt in der
luft von einem fernen gewitter Bock pruss. 16; ähnlich:
(kartaunen) welche man . . in ihren häufen hat abgehen,
donnern und grummen lassen H. Bünting braunschw.
ehr. (l58i) 140*; vom knurrenden inagen:
der bauch grumpt dir vor angst
Naogeorgs kaufmann (1541) e;
wenn man einen bauren bittet, so grompt im der bauch
Steinhöwel de cl. mul. 816 lit. ver.; vgl. zu dem, Sprich-
wort grolzen 8; im, spiel mit l:
es wirt lehr umb dein magen stehn,
er hebt schon an mit dir zu grummen
Scheit Qrob. i7 ndr.; vgl. 25;
s) tcie bei grimmen gebrauchsweisen auftreten, die nur
auf grund einer vermengu7ig mit krimmen stv. verständ-
lich sind (s. 2 grimmen köpf, sp. 355), so bei grummen
gelegentlich bedeutungen, die auf eine Vermischung mit
krummen (ablautform, zu krimmen, th. 5, 2456) weisen:
Stimulare pfetzen vel grymmen, grummen Diefenbach
652«; torsiones stomachi das grummen im magen Faber
thes. 875"; unde em walget unde grummet in deme
lyve Schiller-Lübben 2, 157"; 'wurmen':
es tuet zwar auch noch in mir grummen,
dass Goliath erschlagen worden
sagt ein Philisterfürst Staub-Tobler 2, 785;
hierher gemsz auch das Schweiz, grummen (schweine)
schneiden ib.; auf dieser linie erklärt sich wohl auch die
bedeutung sich bekümmern, sich grämen: verdrusz, traw-
ren, schröcken, kummer und grummen verwunden das
hertz wie pfeil J. Meighel kreuzschul (i630) 104;
637
GRUMMET
GRUMMETBODEN — GRUMPE
638
wann ich lang klag
gleich alle tag
und grumm mich sehr
ScHMELLER 1, 997 (quellc V. 1G46);
im heutigen bair. auch in ableitungen reich entwickelt,
a. ScHMELLER, Und zwar im icechsel mit sich grimmen,
s. 2 grimmen l a; ganz icie hei -grimmen (*. d. 2 b) hat
sich aus dem subst. inf. im, bair. ein swm. der grumen
enttvickelt (Schmeller, üngerKhull 310''), das schon
früh nachweisbar ist:
nun das tut mir den grummen,
das man sy nymmer {l. mynner) haissen sol
Hätzlebin 240;
ximgekehrt erscheint auf grund dieser wortvermischung
auch echtes grummen mit k-anlaut, belege unter krum-
men 3, th. 5, 2457.
GRUMMET, n., foenum secundum.
1) Ursprung und form, grummet ist entstanden
aus gruonmät; seit dem 13. jh. nachzuweisen, aber offen-
bar wesentlich älter; un assimilierte formen vereinzelt noch
spät, vielleicht nicht nur auf grund etymologisierender
reconstruciion : grünmath Hohberg georg. cur. i, 28;
grunmatt Sebiz feldb. 460; denn mundartlich noch hexde
graunmäd, auch gräune mäd Woeste 84*'; normaler
weise assimiliert, mit unum geläutetem langen oder ge-
kürzten stammsilbenvocal: gruemat österr. weisth. 8, 428
(quelle v. 1258), und so häufig in älteren österr. nach-
weisen; gruamat succidium Diefenbach nov. gl. 354*;
grummot gloss. 405° *. v. pagulum; grumat Frommann
2, 804 (vocab. V. 1432); spuren umgelauieter formen sind
rar und unsicher, s. Lexk.r l, 1098/.; in geicissen nd.
und md., zumal fränk. gebieten als grommet, eine form,
die zumindest fürs nd. auf einem undiphthongierten grön-
beruht, vyl. Schambach 69''; Sartorius Würzhurg 51;
Fischer schwäb. 3, 867; auch in älterer spräche häufig:
grommut surgum Diefenbach nov. gl. 356*'; gromat
Thom. V. Absberg 183; Harsdörfer poet. tr. 2, 145; ältere
hessische belege bei Vilmar 139; grohmat, grommat Kra-
mer hochnd. dict. 2, 101"; grommt Gottsched beitr. z.
crit. hist. 2, 338; auch a.- formen, die fürs bair. die heu-
tige ma. bestätigt, sind nicht ganz selten: gramadt österr.
weisth. 5, 66, 14; grammet 10, 142, 29; vgl. 6, 313, 23. 80;
10, 163, 18; gramat Lindener katzip. 186 lit. ver.; Uhland
hoch- u. nd. volksl. 729; die vollere endsilbe -mat ist im
17. jh. schriftsprachlich noch ziemlich gebräuchlich, taucht
auch lexicalisch noch auf: grumath Hulsius (1618) 143";
grumat, gromet Kramer teutschHal. 1,572*; doch bei
Stieler 1208: gromat, Äoofie grummet; andererseits sind
die formen mit abgeschwächtem endsilbenvocal schon im
16. jh. ganz gewöhnlich,- vereinzelt gromment d. meisterl.
gedinge des abta von Chemn. (1522) 115 Giemen; gromich
V. Klein l, 165 (Koblenz); grummelt, olt Frischbier
1, 257*; die stärkste Verstümmelung der zweiten silbe zeü/en
rheinische und nd. formen: grümm Aler dict. 1, 988'';
grumm lux. ma. 157*; gram (als niedersächsisch bezeichnet)
Prätohius philos. colus 122; gramme Strodtmann 75;
gram brem, ivb. 2, 534; gramm Danneil 69*; Stüren-
BURG 74*; gram (neben grämt) Doornkaat-Koolman
1, 673*; kreuzt hier ein anderes wort hereiii? vgl. dat hau
up der grammen Schiller-Lübben 2, 139*.
2) geschlecht, das alte und zumal in der concreten
bedeutung 'das gemähte' beim simplex vorherrschende neutr.
steht für grummet im ganzen fest; die ausweichungen
m,ehren sich erst in jüngerer zeit auf nordd. boden, ohne
von bedeutungsunterschieden abhängig zu sein ; als masc. :
rechten grumait weisth. 2, 177 (a. d. Hundsrück 1442);
den . . grummet Gaudy 20, 140; Schlechtendal flora
V. Deutschi. 30, 199; nachweise aus Alexis und Goltz
bei Sanders; vgl. Follmann lothr. 219*; lux. ma. 157";
Frischbier i, 257*; fem.: auf wohlriechender grummt
Löwen sehr. 3,71; Immermann 3, lOO Hemp.
3) bedeutung. gewöhnlich (in anlehnung an mahd
'das gemähte') das heu des zweiten Schnittes; es wird
grün genannt wohl einfach im sinne der farbbezeich-
nung , weil es, nicht ausgereift, eine sattere färbe auf-
weist:
im stadel grumet, hew und stro
H. Sachs 11, 365 K.-O.,
aber 4, 273, 14 grumat; man gibt auch ihnen das grummet
nach weyhnachten erst viehbüchl. 28; geschobertes grum-
met J. H.Voss ged. 2, 219; die mit grummet bepol-terte
thür Jean Paul 8,60 Hemp.; seltener, aber auch noch
ganz gebräuchlich, für das gras des ziceiten Schnittes, so
lange es noch auf dem halm, steht: da das grumet auf-
gieng Amos 7,1; das grämet abmähen Schaidenraisser
Od. 79*; für das grummet ist . . . der regen sehr will-
kommen GöTHE IV 22, 126 W.; Vgl. IV 23, 409; nur ver-
einzelt nachweisbar als 'ort, wo grummet wächst' österr.
weisth. 1, 37, l; vgl. mahd l.
4) bildliche Verwendung: wird die fraw (bei den
kindschencken) wider ein jungfraw oder grometh S.
Franck weUb. (1567) 129»; vgl. die kindschenck . . , da
man die kindbeUerin . . wider zu jungfrawen und gro-
mat sauffet Fischart geschichtklitt. 74 ndr. (im sinne:
gras, das wieder abzumähen ist); sie haben grummt
gemacht, ehe sie heu machten eher kindtaufe als hoch-
zeit Müller-Fraureuth l, 446*; da geht's grumt vor'm
heu weg die jüngere Schwester heirathet vor der älteren
ib.; im selben sinne: dasz . . das grummet über das heu
wachsen wollte Auerbach nach Fischer schwäb. 3, 867.
dazu grummetboden im sinne von heuboden Zinck
öcon. lex. 999; -butter KrOnitz 20, 249; -ernte Zehner
nomencl. 334; seit voriger krummtärnte Chr. F. Weisze
kom. op. 3, 5; -futter Leopold handwb. d. öcon. 2bb^;
-fütterung Zinck öcon. lex. 999; -gras 3476; -heu
Campe; -mach er arbeiter in der grummeternte G. Edel-
mann hochzeitpred. (1580) Y 4*; -mahd österr. weisth. 5,
760, 34; kurz nach der grummetmahd Kinkel erzähl. 93;
dafür: die grommetmähe allg. dtsche bibl. 81, 697; -sack:
Gruomatsack als bauernname fastnachtsp. l, 367, 17;
-schober Jean Paul i, 51 Hemp.; -weib 20/23, 268;
ÜngerKhull sio** (quelle v. 1755); -wiese: pratum dic-
tum grumatwise monum. boica 86, l, 589 (quelle v. 1326);
österr. weisth. 3, 355, 2; -zeit L. A. Frankl erinn. 9 Hock,
dazu tceiter das vb. grummeten: dasz ein jeder seine
wiszfleck . . zu seinem nutz . . fenngen und gromaten
mag LoRi Lechrain 829; vgl. Schmeller l, 1001 ; Staub-
TOBLER 2, 735.
GRUMMSAME, /., mürrisches wesen (s. grummen l):
wann wir dann zu letzt alt werden . . , so ficht uns
geitz an, grummsam, grieszgrammen C. Huberinus
mancherl. form zu pred. (1557) 182*.
GRÜMPE, GRUMP(EN), m..frustum, mica; herleitung
ist schwierig; Hildebrand, der th. S', 2467/. das wort
wesentlich aufgrund moderner mundartlicher formen be-
handelt, sucht anknüpfungen in der richtung auf krume ;
demgegenüber ist zu bemerken, dasz die sehr reichliche
ältere Überlieferung fast geschlossen anlautendes g- bietet;
die modernen '^■formen sind vielleicht erst das resultat
jüngerer toortvermixchungen ; überdies weisen auch die maa.
%■ formen auf: grömpele krümchen Reinwald henneb. 54;
grümpel, grompel krümchen Weinhold schles. 31*; vgl.
auch das preuiz. grompel Frischbier l, 257*.
1) ein grumpen unverdautes essen frustum esculen-
tum, ein grumpen brot mica panis Steinbagh l, 648;
klump . . alia dialecto etiam dicitur grumpe, clivulus
terrae Stieler 988; vgl. grumpe cumulus a talpa exci-
tatus Wächter 619; gewöhnlich im. plural 'klumpen,
stücke': wo ist jemals eine stad . . zerstöret, davon man
nicht übrig funden hette schlacken, grumpen und stücke
Luther 50, 326 W.; vgl. olle grumpen alte Überbleibsel
Dähnert 163*'; zumal stücke von eszbarem, also 'brocken':
und möchtst nit schlinden solche grumpen,
so trinck darzwischen Scheit Grob. 8T ndr. i
viel der grumpen schnitten sie (beim schweineschlachten)
Fischer schwäb. 4, 793;
etliche grumpen von steinharten zwiback G. Landcron
merkw. reisen (l724) 274; bildlich:
wölln wir stets fressen solche grumpen,
das er (der pfaff) uns auf dem maul mag trumpen
B. Waldis Esopus 2, 274 Kure^
639
GRÜMPEL — GRUMSEN
GRUMSIG - GRÜN I A i
640
ebenso in dem recht gebräuchlichen deminut.: grümpchen,
grümplein mica Steinbach i, 6i8; ist niemand daheim,
der ihm (Lazarus) ein grümpelein gebe Otho ev. kran-
kentr. 625; schlacken, darinne kein . . grümplein, fünck-
lein oder pünctlein goldes M. Chr. Irenaeus sp. d. hellen
(1588) 207«^; dasz ihn die bürger . , zu kleinen grümplein
zurhawen W. Bötner epit. histor. (1596) 170*.
2) dann auch, wie stücke, in einem übertragenen sinne ;
das ist die eigentliche schriftsprachliche bedeutung des
Wortes im älteren nhd.: es sieben auch wol ander grum-
pen darin (in der bibel) von den falschen predygern, die
das gelt des menschen suchen ref. fiugschr. l, 3* Giemen;
und was dergleichen grumpen mehr sind Wifzenbürger 8,
vorr.; gern grobe grumpen: da höret ich unter andern
guten groben grumpen über tische Luther 88, 212 W.;
es sind noch sonst gute grobe grumpen verbanden, die . .
Jag. Eisenberg d. heil, brotkorb (1584) 54; die grund-
bedeutung bleibt unvergessen:
sag dann schmeiszkeiln und grobe grumpen
und wirfs herausz mit gantzen klumpen
Wend. Hellbach Orob. (1572) 67»;
dasz sie das maul zu weit aufgethan und sehr grobe
grumpen herausz gegröltzet quäcker quackelei (1663) lOt;
hier schon, wie in der namentlich im le.jh. vielgebrauchten
redensart grosze grumpen fürgeben 'den mund voll neh-
men': mit falschen und subtilen werten, dadurch man
grosz grumpen für gibt H. Emser annot. (1528) p 8'»; an
etlichen ribalden und kriegsbefehlhabern, die . . grosse
grumpen fürgaben Schütz hist. rer. pruss. 10, k s*";
variiert: der mensch würde viel andere ding reden und
viel groszer grumpen schneiden, dem . . Fischart brot-
korb (1594) 7*"; will er grosse grumpen reissen, die Zu-
hörer irr zu machen Nigrinüs papist. inquis. (1589) 1 3»;
so entwickelt sich die bedeutunq : grosze worte, auf Schnei-
dereien, lügen: lauter trasonische lügen und grumpen
J. GiGAS post. (1595) 1,8"; viel prahlens und rühmens
gemacht und solche grumpen erzehlet, als ob . . J. Neu-
hof gesantsch. (1666) 121*'; etliche (quacksalber) lügen so
grosse grumpen daher mediz. maulaffe (1719) 229; phan
tastereien: seltzame grillen und grumpen von dem him-
mel ausspintisieret Fischer schioäb. 4, 793 (17. 7'Ä.); mit
einem von grille hergenommenen vb.: dasz . . ein jedweder
elender hümpler . . seine närrische grumpen öffentlich
lasset auszfliegen Rist n. teutsch. Farn, b 7''; zumal
sehr wenige ... im stände sind, die neue Wolffische
grumpen einzusehen J. G. Dippel abfertigung (1733) 42.
dazu grumpenspeier: die Galvinische und wider-
teuferische grumpenspeier S. Ap^tomedes christl. auslegg.
(1609) I, 168.
GRÜMPEL, m., mischbildung aus grempel, m. und
gerümpel, n.: hatte doch der groszvater ein pferd er-
laubt, um ihren {der einziehenden mutt.er) grümpel zu
führen Gotthelf 1, 6; vgl. gerümpel 7'', th. 4, 1, 2, 3773;
entsprechend grümpelgemach Gotth elf 18, 338 ; -häu-
fen 18, 318; -markt Dannhauer catech. milch 4, 490 {vgl.
grempelmarkt *p. 107); -werk scruta Dentzler 2, 141 *>;
grumpelwerck Aler dict. 1, 988 ''; vgl. grempel- und ge-
rümpel werk; grümpler, ml; scrutarius, grümpler, der
alt hauszgeschirr verkauft Apherdianus tyrocin. (i58l)
166; verdorbener kaufmann, guter grümpler Körte
sprichw. 242; vgl. grempler und gerümpler.
GRUMPEN, vb., tolle Sprünge machen: sol man . . .
dem esel das futer höher schütten, auf das er nit
grumpe, nit auf das eisz laufe und einbreche C. Hu-
berinus mancherl. form zu pred. (1557) 109''; wenn der
alte esel zu stark gefüttert, beginnet er zu grumpen
C. Julius Susanna u. Daniel (1610) 11; wenn das schiff
grumpet vorne auf und binden nider F. Fabri eigentl.
beschreibg (1557) 206*; offenbar aus gumpen entstanden
durch einwirkung eines mit gr- anlautenden wortes, aber
welches?
GRUMSEN, vb., Weiterbildung zu grummen, tcie grim-
sen sp. 368 zu grimmen; oberdeutsches wort; die bedeu-
tungen sind die des grundtvortes : brummen, murren,
schelten:
die grumbsten sehr, das thet mich tawren
von verurtheilten in der unterweit
H. Sachs 3, 598 K.;
also grumpsten sy mit worten wider Ulyssem Schaiden-
raisser Od. Ol*"; du must deiner schwiger, die wider
zu einem kind will werden, grummsen gedulden Steph.
ViGiLius de reb. memor. (l5il) 53»; weiber, die für und
für grumsen und wundern C. Huberinus mancherl. form^
zu pred. (1557) 80*; weil sie . . stets grumbsen und grei-
nen GuARiNONiüS greuel d. veno. 162; öfter mit dem
vergleich grumbsen als ein sau Bebel fac. (1589) 145'';
deine gesellen . . grumbsen wie andere schwein Schai-
DENRAissER Od. 43*; fleng allein an zu grumbsen wie
ein schwein, das nicht recht gestochen worden Opitz
Sidneys Arcadia (1638) 190; die ihr bellet und grumset
wie die hunde Staub Tobler 2, 740 {quelle v. 1702); heute
zumal in alem. maa. voll lebendig.
GRUMSIG, adj., mürrisch, brummig: er sey so grum-
sig wie ein mausz in der kindbett Fischart geschieht-
klitt. 847 ndr.; die alten seind . . . grummsig Petrarca
hülf, trost u. rath (1559) 97*; ist dir dein grumsige weisz
vergangen? Schweickh. graf zu Helfenstein Basil.
7nagn. (i59i) 651; grantig und grumbsig Guarinoniüs
greuel d. verw. 240; mit anderem suffix:
gleich also sind auch all dein klagding,
darinn du grumbselt thust her zocken
H. Sachs 4, 46 K.;
grumsig miszvergnügt, mürrisch, weinerlich Staub-Tob-
LER 2, 741,
GRÜN, adj., viridis, recens.
form.
1) das adj. erscheint nur west- tmd nordgerm.: ahd.
gruoni, asächs. gröni; mnl. groene, afries. aengl. gr§ne,
anord. grann; ableitung zur verbalivurzel grö-, genaueres
s. unter grünen form; beachtung verdienen umlautlose
formen, die im alem. der alteren nhd. zeit auch schrift-
sprachlich bezeugt sind und spurioeise noch in heutiger
ma. auftreten, s. Staub-Tobler 2, 751; sie erklären sich
schwerlich, wie dort vermuthet, durch anlehnung an um-
lautlose verbalformen gruoen, gruonen (s. grünen form),
sondern eher aus der echten form des adj. germ. *gr5niz
heraus, die in umlautloser Substantivierung auf obd.
boden mundartlich heute noch lebt: 's gruen jtmge triebe
Staub-Tobler 2,749; gruen masc. das frische grün des
frühjahrs MartinLienhart 1, 276*; das gruen junger
schöszling Schmeller 1, 1001 m,it älteren nachweisen; vgl.
auch grummet aus gruonmät.
2) nicht selten ist unechtes, d. h. durch miszverständ-
nis oder entstellung anderer wörter entstandenes grün.
über grün = grien s. sp. 262 ; namentlich bei ßurnamen
konnten Verwechslungen dieser beiden wörter eintreten,
s. Fischer schwäb. 8, 870; grün neben lachen entspringt
aus m.iszverstandenem grienlachen, s. sp. 264; grün lachen
heiszt am Rhein so viel wie widerwillig lachen C. Can-
DiDUS verm. ged. (1869) 191; dass ich von gewissen freun-
den als ein solcher {eindringling) mit grünem lachen
empfangen werde Gervinus in: brieftv. zw. J. u. W.
Grimm, Dahlmann u. Gervinus 2, 322 ; grobgrün ist ein-
deutschung von gros-grain, s. sp. 4i2; dazu mancherlei
aus den maa.: alem. grün im sinne rauh, fin.fter, mür
risch Bühler Davos i, 42; Staub-Tobler 2, 751 beruht
auf dem stamm grunn-, ib. 749; grün meerrettig K. G.
Anton Oberlaus, ist ^v&n;vgl. ^grien sp.26i.
bedeutung.
L loie aus der etymologie zu folgern und aus dem
Sprachgebrauch zu erschlieszen, ist das adj. zunächst im
sinne 'sprossend' auf jungen pflanzenwuchs angewendet
worden ; doch verband sich damit offenbar sehr früh der
beisinn grüner färbe; jedenfalls beherrscht die beziehung
auf pfanzliches, sei es unter dem gesichtspunkt der
färbe oder unter dem des sprossenden, frischen die ältere
spräche bis ins nhd. hinein vollkommen.
A. allgemeinste Verwendung : grün als die färbe in saft
stehender pflanzen.
l) in älterer spräche mit fühlbarer Vorliebe von dem
{jungen) grün, das den erdboden bekleidet: ahd. gruonia
641
GRÜN I A 2
GRÜN I A 3. 4
642
gramina. virecta Graff 4, 299; ufan gruonemo grase
Tat. 80, 5; al kurz grüene gras Parz. 75, 18; über eine
wiesen mit grünem grasz buch d. liebe 116''; auf dem
grünen hewe cod. Tepl. l, 53 {super viridefoenum Marc.
6, 89); fallen in den grünen klee Laurin ibl Schade; auf
den grünen rasen D. v. d. Werder ras. Roland l. ges.
2*. Str.; ein grüeniu roggensät Hugo v. Langenstein
Martina 21 , 20 ; vgl. es kommen auch schon . . grüne
spitzen aus dem sand heraus W. Grimm in: briefw.
zw. J. u. W. Grimm, Dahlmann und Oervinus 2, 56;
weiter 'mit pflanzengrün bekleidet, begrünt': kruonera
epani virente planitie Graff 4, 299 ; gröni wang Hei. 3135
u. ö.. nur in dieser oder ähnlicher Verbindung; grüeniu
beide minnes. i, 68 '» v. d. H.; in allen grüenen ouwen
Walther v. d. Vogelweide 27, 19; auf einer grünen
auen ps. 23, 2; auf ein wisen grün Sigenot 26 Schade;
in dem grünen anger Arigo decam. 50 lit. ver.; auf eine
grüne matten W. Spangenberg ausgew. dicht. 13; her
Grüener Plan minnes. l, 46'' v. d. H.; eyn groen playn
pascua DiEFENBAGH 415''; grün platz, gron plan vel
brink viretum 621"; die grünen felder Tieck sehr. 1, 31;
altgebräuchlich ist auch then gruanan boum Otfrid
4, 26, 49;
diu linde diu ist grüene
Ortn. 84, 1 ;
in eynem grünen strauch H. Sachs 2, 89 K.; grüne
büsche Kästner verm. sehr, i, 123; ebenso: der grüene
walt Walther v. d. Vogelweide 122, 31 ; in grönem
hag Hätzlerin 4;
sie ging wohl in das grüne holz
Arnim 13, 70;
andere Verbindungen werden erst in späterer zeit geläu-
fig: ein grünen czweige Arigo decam. 14 lit. ver.; mit
schön grünen mayen H. Sachs i, 58 K.; mit grünen
tannenreiszen Rompler v. Löwen halt erst. geb. 78;
geschmückt mit grünen reisem
BÜRGER 13» B.;
mit deinem grönen krentzlin Scheit Grob. v. 33 ndr.;
wann der vorrath durch einen auszgesteckten grünen
strausz feil gebothen wurde J. Riemer polit. col. (1680)
44; (bäume) mit ihrem grünen laub Rückert 3, G; ebenso
für die bedeutung 'begrünt': des Skamander grünes ufer
Bürger 1, ib9B.; am grünen gestade Schiller 11,396
G. ; ein lustig grünes thal Opitz teutsche poem. 53 ndr. ,•
grüner berg Gottsched ged. (l75l) l, 197; die grünen
höhen Ebner-Eschenbagh 4, 9; auf Italiens grünen
boden Mommsen röm. gesch. i, 212; die grüne erde Ar-
nim 1, 145; durch die grünen götterweiten Denis lieder
Sineds 64; sorglos in die grüne weite fahren Gutzkow
zaub. 1, 226: vgl. schon:
diu weit ist üzen schoene, wlz, grüene unde röt
Walther v. d. Vogblweide 124,37;
appellativ: grüner zwinger als 'lustplatz' Sebiz feld-
bau 2; grüner hof garten hinter d. hause v. Klein l,
166; grüne furche grenz- oder Wasserfurche Sanders;
grüner deich im gegensatz zum steindeich u. a. Benzler
2, 169; ähnlich grüne sode l, 181; grüner grund «leer-
grund, der mit Seegräsern bewachsen ist Bobrik 320";
vielfältig in flurnamen: grüner berg, buhl, fels, graben
u. 8. 10., in wirtschaftsnamen: grüner bäum, hof, saal
u. a. Fischer schwäb. 3, 870; comparierung erscheint bei
diesem, gebrauch erst in jüngerer zeit und meist in poe-
tischer spräche: {die tciese) sah . . . noch schöner und
noch grüner aus, als . . Stifter 2, 190;
grüner prangen die auen
ScHNECKENBURGER dtschc Ucder 75;
den grünsten epheu haben wir gepflückt
Stürm l, 102;
aus Italiens grünsten myrtenhecken
Dahn ged. (1908) 242.
2) grün werden, sein mit jungem pßanzenwuchs sich
bekleiden, bekleidet sein: begynnen groen zu werden vi-
rere Diefenbach 621«; es fängt an, . . auf wiesen . .
grün zu werden Göthe IV 8, 50 W. ,- hierher soll sie nun
nicht eher kommen, bis es ganz grün und warm ist
Caroline i, 253 W.; es ist noch nid starch gruen von den
IV. 1. 6.
wiesen im frühjahr Staub-Tobler 2, 749; vgl. auch was
grün und fruchtbar was, dasz fraszen sie {heuschrecken)
alle hinweg Binhardus thür. ehr. (1613) 268; entspre-
chend: wann . . . der hohen frühlingssonne strahl . . .
alles grün und blühend macht Becker mildh. lieder-
buch 51;
das wider grün macht die zerstampften auen
Gbillparzer 6, 71.
3) jüngere spräche hat eine reihe typischer Verbindungen
bildhafter art entwickelt:
das erdreich decket seinen staub
mit einem grünen kleide
P. Gerhard bei Fischer-Tümpel 3,398*;
indem die erde ein grünes kleid anlegte Neukirch
anfangsgr. 830; vgl. ihre leiden barg das grüne grab-
tuch MoLTKE sehr, u. denkw. l, 42; vom grün der bäuTne:
des Waldes grünen saal Göthe 2, 35 W.; der apfelbaum
deckt uns mit seinem grünen gewölbe S. Geszner w.
2, 54; in unser grünes eichenzelt Schenkendorf ged. 9;
kommt es nicht wie träumen
aus den grünen räumen
zu uns wallend nieder . . . ?
Tieck sehr. 4, 194;
auf anderer linie:
(jener wald, wo)
sich grüne nacht mit gttldnem tage gattet
Haller ged. 120 Hirz. ;
die grüne nacht belaubter bäume 81, von Schönaich
bekrittelt, ästhet. 39 Köster, von Breitinger vertheid.
112/. in schütz genomm^en, seitdem bei den Schweizern,
ihren freunden und darüber hinaus stehende Wendung,
8. E. V. Kleist l, 36 Sauer; Gramer Neseggab 3, 292;
Miller ged. (1783) 14: noch bei Hebbel 8, 253 W.; weiteres
bei Köster a. a. o. 414; auch variiert: grüne dunkelheit
Bodmer vier krit. ged. 68; grüne finsternisz E. v. Kleist
1, 47 Sauer; grüne dämmerung Eichendorf 2, 4ii; mit
grünem schatten Haller ged. 6 Hirz., auch dies eine
Wendung, die vielfach aufgenommen wurde, s. S. Gesz-
ner sehr. 1, 109; Hölty ged. 181; J. A. Schlegel verm.
ged. 1, 73, und die bis ins 19. jh. weiter vererbt worden
ist, s. 0. Ludwig 2, 40; Freiligrath gea. dicht. 6, 87;
spatzier in grüner einsamkeit
J. Chr. Günther ged. 308;
ebenso Tieck sehr. 5, 129; diese seit seiner kindheit ent-
behrte grüne abgeschiedenheit (des waldes) Eichendorf
2, 82; alle grüne lust der natur E. Th. A. Hoffmann
6, 178 Gris.; ein so grüner friede Gutzkow w. 3, 151;
sie verloren sich freilich nicht weiter in die grüne frei-
heit als . . Raabe hungerp. l, 81 ; poetische spräche wagt
gelegentlich noch kühneres:
so wird dein (des gartens) grund mit grünem luft
. . . durch ihre band ergetzet Zinkgref 37 ndr.;
begrabt mich unter breiter eich
im grünen vogelsang
Uhland ged. 1, 279 krit. ausg.
4) neben temporalen begriffen; sprichwörtlich: grüne
weinachten bringen gern schneeweisze ostern Petri d.
Teutschen weish. 2, Gg S**; wiewohl man zuweilen auch
grüne weynachten gehalten v. Fleming vollk. teutscher
Jäger 397 ; grüne ostern, weisze pfingsten Hippel lebensl.
4, 93; vgl. es ist im monat mai, acht tage nach dem
grünen püngstfeste Gutzkow w. 2, 166; feste Verbindung
ist schon in älterer spräche der grüne mai:
am reyen in dem grünen meyen
Fischart 1, 363 Haufen;
ebenso Scheit Grob. v. 3867 ndr.; Bürger I, 815 -B.; vgl.
{alles) fräet sich des mayen zeit,
so er in gröner varb leit Hätzlerin 167'»;
ein grüner mertz bringt selten etwas gutes bauemregel,
allg. haush. lex. 1, b 3»; (die heuschrecken haben) ausz
dem grienen sommer ein abscheulichen winter gemacht
Fr. A. V. Brandis d. tirol. adlers ehrenkr. 128; in neue-
rer zeit mehr poetisch: manches grünen lenzes zweig
E.M.Arndt 6, 157 E.-M.; doch nicht ausschlieszlich so:
während der vier monat grünen zeit, wo regen fallen
643
GRÜN I A 5, B 1
GRÜN I B 2
644
Ritter erdk. l, 237; auf anderer linie liegt grüner don-
nerstag u. ä., s. w. II A l b.
5) in gewissen attributiven Verbindungen ist das adj.
terminologisch geworden, besonders grünes kraut (s. auch
grünkraut); zunächst einfach (im sinne von l) grünes
blattgewächs : grün kraut olus, herba virens Stieler 709;
die erde keim grüns kraut und mache samen erste
dtsche bibel 3, 45; aber frühzeitig bestimmter, eszbares
kraut, gemüse: ain grün krauth und dürr bratwürst
darauf weisth. von U7i bei Fischer schwäb. 3, 868;
welch kind gewehnet sich hernach zum grünen kraut,
das nichts als Nekkerwein und wildgebratens schaut
Rachel sat. ged. il ndr. ;
den bock zum grünen kraute (stellen) J. B-IEUEr polit.
maulaffe 58; auch ganz speciell: fir wyss und grien kraut
ist zalt . . Fischer schwäb. 8, 868; welches gemüse? Spi-
nat? so gewöhnlich: schneidet vom grünen kraut oder
Spinat die stiel hinweg Hohberg georg. cur. 8, kochb.
78''; auch heute noch in dieser bedeutung, s. kraut 2a/S,-
anders: grüne krüt von spinet privatbr. d. mittelalters
1, 78 Steinh., d. h. die frischen blätter des Spinats ; in
heutiger mundart auch für andere gemüse und gemüse-
mischungen, s. Fischer schwäb. 3, 868; grain krüd sup-
penkraut Woeste 84^; grüner salat bezeichnet blattsalat
im gegensatz zu kartoffelsalat u. a.; anders, für valeria-
nella olitoria, rapunze bei Pritzel-Jessen 427"'; brat-
würste mit grünem kohl Langbein 31, 139; üblicher als
compos: grünkohl, s. d.; auch grüne wäre bedeutet 'ge-
müse'; erbaggi Jagemann (i799) 548; vgl. Rüdiger Zu-
wachs 2, 80; von diesem ort das meiste kraut und grüne
wahr nach Venedig geführet wird A. Müller denkw.
reisen (1678) 41'' ; gröne war grüne Suppenkräuter Schütze
holst. 2, 72 ; die Händlerin mit grüner wäre heiszt grüne
frau Albrecht Leipz. 126''; vgl.
und nichts als brod und grüne kost zur nahrung
Grillparzer 8, 44;
hierher weiter grüne krapfen, nudlen gebäcke mit gemüse-
füllung Fischer schwäb. 3, 868; der grüne markt forum
olitorum Frisch 378''; in weiterem sinne victualienmarkt
Sartorius Würzburg. 50; ähnlich gebildet: die gruen
arbait die frühjahrsarbeit im weinberg, urk. u. regest, z.
gesch. Göttweichs 8, 278.
B. an sich der grundbedeutung näher, aber heute gegen-
über A zurückgedrängt ist eine gruppe von Verwendungen
des adj., die den begriff des treibenden, frischen, auch
des jungen, neuen neben oder vor der farbvorstellung be-
tonen: nimpt man im mayen die jungen und grünen
sprosz See. Münster cosm. 402; im bilde: der letzte
grüne trieb . . am absterbenden stamm der kunst Justi
Winckelmann 2, 197;
ach bäumchen du stehst grüne,
gott geb dir lang zu stehn
Mittler dtsche volksl. 559;
das klingt auch mit bei Göthe :
und grün des lebens goldner bäum
14, 95 {Faust 2039) W.;
vgl.
und hier mir sproszt des lebens grünster bäum
RüCKERT ged. (1841) 255.
ähnlich schon mJid.:
unser bluome der muoz vallen,
s8 er allergrüenest waenet sin
Hartmann v. Aue a. Heinr. 111 ;
daher Verbindungen wie: nimm weinrauten, wasser-
pfeffer . . alles frisch und grün Walther pferde- und
viehz. 131; sie (die natur) ... in ihrer grünen frische
Gutzkow w. 8, 415; etwas anders, 'frischbleibend': eyn
(sc. ivessche) is grone winter und sommer Diefenbach
nov. gl. 144'' s. V. edera; das kraut ist langlecht, bleibt
sommer und winter grün Gäbelkover arzneib. 248. auf
dieser grundlage entwickeln sich zwei prägnantere an-
wendungsweisen :
l) grün als gegensatz zu getrocknet, verdorrt, verwelkt:
ist si (die nessel) grüene sam 6, s5 geniset er wol; ist
ave si erdorret, . . s6 stirbet er zwei dtsche arzneib. 28,
23 Pfeiffer; grüene rosen im gegensatz zu dürren Konr.
V. Megenberg buch der natur 345, 20; kan man das
kraut nit grün haben, so nimb es treuge viehbüchl. 48;
grün grasz wird auch hew Lehmann fioril. pol. 2, 796;
zwei bi dorme fuotter und ein bi grünem fuotter weisth.
6, 101; vgl. grünfutter; groine wark im selben sinne
Schambach 69»; entsprechend: einem pferd grün füttern
Kramer teutsch-ital. 2, 198"; grünes gemüse frisches
Fischer schwäb. 3, 868, in heutiger Umgangssprache wohl
allgemein; schusseln fleisch . . von keinem halme grü-
nem gemüse begleitet Bahrdt gesch. s. lebens i, 85;
grön ärbaisz teca Diefenbach nov. gl. 359»; Hohberg
georg. cur. 8, kochb. 80»; ein wenig grien er bonen pri-
vatbr. d. ma. 1, 193 Steinh.; grüne höhnen, erbsen Fi-
scher schwäb. 3, 868; psilienkraut . ., dieweil es noch
grün ist Fischart flöhh. 62 ndr.; in ein grüni fygen
TscHUDi chron. helv. l, 282; grüne und dürre birnen-
schnitze Jer. Gotthelf 7, 193; vgl. das die gedörrten
kreuter . . gleich wie ein fleisch zu achten sind, dann
ihnen ist abgangen der grüne geist, das ist das leben
Paracelsus op. (l590) 6, 27; dies grün gestattet, im gegen-
satz zu 2, eine gleichsetzung mit reif: wie under einer
zeitigen grünen weinbeer und einer dürren ein under-
scheydt Seb. Franck sprüchw. 2, 55''; weiter vom bäum
und seinen theilen (aber anders als unter A l) : us grü-
nen gerten starke widen klenken Steinhöwel Äsop 20i
lit. ver.; seins grine knippel oder trockne? G. Haupt-
mann biberpelz (l89s) 15; (er) machte im bauernkrieg
den bauern geschütze aus grünen waldbäumen G. Kel-
ler 2, 182; grüner zäun sepes viva Stieler 709; zwei
formein zeigen sich besonders entwickelt: grünes holz:
wan einer gron holz niderhockte österr. weisth. 10, 137;
der eiche grünes holz Körner l, 183 H.; in mancherlei
Sprichwörtern: grüns und dürres holtz brennen nit gleich
in eim fewr Seb. Franck sprichio. (i5il) 2, 105»; vgl,
Lehmann florileg. polit. l, ll; l, I64; s. auch holz 1 a;
vor allem, hat eine bibelstelle, Luc. 23, 81, sich fruchtbar
gezeigt: wann ob sy ditz thünd an dem grünen holtz (in
viridi ligno), was geschieht an dem dürren erste dtsche
bibel 1, 322 (statt dessen then gruanan boum Otfrid 4,
26,49; vgl. 2W. 201, 5); vgl. Wander 2,756/.,- mancher-
lei bildliche Verwendung knüpft daran an: das grüne
holz, die frommen, die stillen, sollen hier zu lande das
dürre seyn Hippel lebensl. 4, 287;
ach männer, männer seid nicht stolz,
als wärt nur ihr das grüne holz Lenz ged. 152;
tceiter grüner zweig:
edles fürstenfreulein . .
grünes zweiglein von dem hause Sachsen
Neumark /orijrep^. mus. poet. lustw. 1,227;
(kirchenlieder) zwei Jahrhunderte lang der einzige grüne
zweig an dem verdorrten bäum der deutschen dichtung
Justi Winckelmann 1, 236; zumal in der redensart auf
einen grünen zweig kommen gedeihen, glück, erfolg haben;
im 16. jh. einsetzend, dann mit zunehmender Häufigkeit:
wer in schulden ist, die mögen nimmer begrünen oder
uf grienen zweig kumen Geiler v. Keisersberg nar-
rensch. (l520) 67 * ; haben sie (die Juden) . . bisz auf disen
tag auf keinen grünen zweige nimer komen können
Gretter erkl. d. ep. Pauli an die Römer (1566) 718; Mo-
scherosch cura Ih ndr.; alle des Eli nachkommen
konten auf keinen grünen zweig gerathen Schupp sehr.
(1663) 299; variiert:
aber ich, armer Eulenspiegel,
kom nimmer auf ein grünen hügel
Fischart 2, 232 Hauffen,
hier natürlich im sinne A i; entsprechend: das sie (die
gottlosen) das ihre auf keinen grünen zweig bringen
können Pape bettel- u. garteteufel g 8»; ungewöhnlich
statt dessen: dasz ihr nicht auf grüner stände seid C.
Spindler bei Sanders l, 633».
2) grün als gegensatz zu ausgereift: eine grüne un-
zeytige frucht Frisius 22» *. v. acerbus; grünes obst
poma viridia et immatura Steinbach l, 648; und so
heute, wohl allgemein, in nd. und md. maa. (freilich:
'grünes obst macht sogar eine Zweideutigkeit, indem man
645
GRÜN II A 1
GRÜN II A 1
646
oft nicht weisz, ob es dem gebackenen oder dem reifen
entgegengesetzt sein soll' Heynatz antibarb. 2, 79);
daz (kam) verwuosten si dö sä
und sluogenz dicke grüene abe
RuD. V. Ems weltchr. 18170;
wann auch die gerste grün ist viehbüchl. (1667) 107;
sprichwörtlich: hee eth syn körnecken grone seh. w.
klugr. (1548) 26*'; nim grüne unzeitige wachholderbeer
Gäbelkover arzneib. l, 3; ein Calabrier, der den . . .
gast mit grünen birnen speist J. E. Schlegel 4, 81 ;
(ßpfel), die grün gebrochen auf dem strohe reifen
Brentano 6, 116;
nim baumöl, das grün und unzeitig sei Ryff confectb.
280^; von hier aus versteht sich wohl die im thür. ober-
Sachs, gangbare redensart: er bricht es gar zu grün ab
er tritt keck, unverschäm,t a«/ Albrecht Leipz. 126*';
ey lieber pfaff, und bistu kün
und darfst es abbrechen also grün
Hayneccius H. Pfriem 65 ndr. ;
der herr Willibald bricht es grün ab, gnädige mama,
und setzt mich zur rede Gottsched dtsche schaub. 4,
125; vgl. des ist mir zu grün zu herb, zu derb Fischer
Schwab. 3, 870.
II. die grundbedeutung hat eine doppelte specialisierung
erfahren:
A. auf der einen seile loird das adj. in der bedeutung
des frischen, jungen, neuen aus dem bereich pflanzlicher
objecte in andere dingliche bezirke übertragen, was natür-
lich zur folge hat, dasz der beisinn grüner färbe schwin-
det; diese gebrauchsweise findet sich vorzüglich neben be-
stimmten begriffsgruppen ; fürs ahd. bezeugt durch grüne
crudum Graff 4, 292.
l) frisch im sinne triebkräftig, lebensvoll, blühend, also
mit positiver bedeutungsrichtung ; hauptsächlich von men-
schen; gerade hier liegt der gedanke an eine einfache, von
der pflanze hergenommene metapher nahe; gleichwohl wird
die wurzelhafte bedeutung im spiele sein.
a) Carolus ein junger, grüner fürst voller krieg Seb.
Frangk chron. Qerm. (1538) 251"; besonders in der poet.
spräche des 17. jh.s reich entfaltet:
ein grüner mann, ein rothes weih, die färben wol zusammen
LOGAU 574 lü. ver.;
ist er von jähren jung und grüne von gestalt
Fleming dtsche ged. 1, 88 lit. ver.;
mit besonderer note: dis sind scharfe rede dem alten
Adam, sonderlich der noch grün und frisch Luther
18, 483 W. ; vgl. es gehört . . arbait darzu, wann du bist
noch grien, dein natur ist noch ungedörret Keisers-
BERG has im pf. c e**; noch im IS. jJi. in nachklängen:
wie warst du so schön, so kindlich, so grün Gl. Bren-
tano an Sophie Mereau i, 207;
denn faul von euch {geschlechtem) sind selbst die grünsten
RÜCKERT 1, 10;
vgl. du bist ein kerl wie buchs, im sommer und winter
grün Fischer schwäb. 3, 868; entsprechend: wann Rhom,
so etwan blüend und grün gewest, ist nun verdörret
See. Franck chron. Germ. 324«'; zu der zeit, als Rom
am grünsten war Rompler erstes geb. 55; grün sein,
werden nicht selten auch in etioas prägnanterem sinne:
kräftig, leistungsfähig sein, zu kräften kommen u. ä.;
ir stt starc und küene,
doch enwirde ich nimmer grüene
Herb. v. Fritzlar 8234 ;
wie ich meine bände! anstellen wolte, damit ich wieder
recht grün würde Grimmelshausen 4, 518 lit. ver. (hier
o» I B 1 schlusz erinnernd) ; wann man nun sollte grün
und wacker sein, so ist man effoetus und verlegen
Fischer schwäb. 3, 869 (is.jh.); dasz wir der groszen
Sache würdig grün bleiben und frisch Schleiermacher
II 4, 47; alem. geradezu 'zeugungsfähig' Staub-Tobler
2, 751; anders: wurdind nit mit dem wort alle verzwyf-
leten widrum grün (zuversichtlich) gemacht? ebda aus
ZwiNGLi; vgl.:
mein hertz das wirt grüene (ich fasse frischen mut)
Heinr. V. Neustadt Ap. 3031 ;
mit speciellerem regen»:
die (sc. blumen) dienen euren grünen sinnen
P. Fleming dtsche ged. 1, 366 lit. ver.;
die hüte . . mit grünem eichenlaub und die herzen mit
grünen gedanken umkränzt E. M. Arndt sehr, für u.
an s. l. Deutschen 2, 205; namentlich in einer bestimmten
formel öfter: trost und grüner muth Lenau 317 Barthel;
Brentano 5, 350; sei grünes muthesl Rückert 6, 386;
etwas anders: sie hatte einen grünen witz Shakespeare
9 (1833), 119 (she had a green wit, love's labour's lost I 2,
Vosz übersetzt sie hatt einen grünen verstand 2,427);
unter umständen geradezu = inng: ihr Jüngling grün
von Jahren Spee tugendb. 418; von den grünen kindern
Prätoriüs anthrop. plut. i, 48; ein grünes haupt tra-
gen noch jung sein Staub-Tobler 2, 751 (quelle v. 169l);
wer macht die liebesschmertzen
an seinen grünen hertzen?
J. Chr. Göring Uebes-meyen-blüml. (1654) 102;
dann in formein loie: in grünen jünglingsjaren Romp-
ler erstes geb. 95; grüner jähre lentz Hoffmannsw^al-
DAUs u. and. Deutschen auserl. ged. 4, 177; namentlich:
in dinr grünen jugent Jon. Aal trag. Johannes (1549)
B 3; schon mhd.:
(er was) an der jugende grüene
Marienleg. 20, 15 Pf. ;
in meines grünsten alters band D. Federmann sechs
triumph (1578) 246, auch dies bis ins IS. jh. sehr geläufig ;
nur die folgenden Verbindungen sind auch poetischer
Sprache des 19. jh. noch bekannt: gelehrten grüner jähre
Günther ged. 117; vgl. Chamisso 6, 162; in der träu-
merischen klause seines ersten grünen lebens d. h. in
der Stube, die er als Jüngling bewohnte Jean Paul s. w.
22 (1827), 227 Reimer; in seinen grünen und lustigen
tagen Immermann 1, 69 H.
b) eine besondere note gewinnt diese bedeutung 'frisch'
in geistlicher spräche: 'erneuert, sündelos': viridis ein
grünender, der da on sunde ist, grün Eyermann vocab.
pred. (1483) X 6»; uns vermaledeiten, verdampten men-
schen grün und selig gemacht hat Joh. Keszler sabb.
24; vgl.
sin {des krisoparus) gedutnis ist gevallen
uf sie, die gote grüne sint,
der werlde tummer dan ein kint
Heinr. v. Hesler apoc. 21983;
hier wäre auch der grüne donnerstag anzureihen, wenn
die gewöhnliche erklärung das rechte trifft, s. 0. donners-
tag 1, th. 2, 1252/.; doch vgl. Hauck realenc. 21, 421; zu
den alten nachweisen stellt sich noch an dem heiligen
grünen dunrestdage Tauler pred. 118, 24; vgl. 292, 5;
belege seit dem, 14. jh. bei Grotefend 1, 77 *• ; zu der sitte,
am gründonnerstage grüne kräuter zu essen, vgl. noch
Prätoriüs philos. colus 221 ; Chr. Weise erznarren 126
ndr.; grüner sonntag palmsonntag , grüne woche woche
vor Ostern Grotefend l, 77*>; am grünen mittwoch
FiSGHART groszm. 22 ndr.
c) von der bedeuttmg 'frisch' aus begreift sich die
Wendung sich grün machen sich zuviel zutrauen: er
macht sich grün damit; 's glück macht ihn recht grün
'übermüthig' Fischer schwäb. 3, 869; sik grön maken
sich mausig machen, sich hervorthun wollen brem, wb.
2, 548; Schütze holst. 2, 74; Dähnert 162»;
wan er sie zu sich zihn
und reden will, spricht sie: ei macht euch nicht so grün
Zesen verm. Hei. I,z4*;
ich weisz nit, was es heist, er macht sich trefflich grüne
Chr. Weise d. gr. jug. überfl. ged. 147 ndr. ;
im Sprichwort (das wohl ausgangspunkt der wendung
ist): macht euch doch frey grün, dasz euch die ziegen
abfressen complementierbüchl. (I6i9) e lO*»; mache dich
nicht zu grüne, oder die ziegen fressen dich Präto
Rius Katzenveit G 6*; bei Göthe, der das Sprichwort
offenbar entlehnte und falsch verstand, auch in umge-
kehrtem sinne:
41»
647
GRÜN II A 2
GRÜN II A s
648
ich machte mich zu gering,
will mich aber nicht weiter schmiegen;
denn wer sich grün macht,
den fressen die ziegen 16, 114 W.
d) die iedeutung 'frisch, lebendig' seit alters dann
auch neben anderem als persönlichen leitwort: in der
hohe des bergis da sint alle dinc nuwe und grüne ; da
si valiin in zitheit, da blichin si und aldint meister
Eckart in parad. an. intell. 115, l Strauch; guotiu werc
diu da grüen wären vor dem zarten got dtsche pred. d.
13. jh. 2, 102 Griesh. ; und ist ir (der verstorbenen) ewig
leben . . grüner und pluender dann unsers Carlstadt
serm. v. stand d. christglaub, seelen c 3*; wie wol ett-
wen des römischen volcks creft . . erdorrt, so sint sy
doch yetz widerumb . . grün worden Riederer Spiegel
(1493) j 1"; und ihm (dem meister) die grüne kraft wün-
schen, dasz er . . . uns . . . gebe, was er bereitet hat
NiTZSCH in br. v. u. a. Lobeck l, 213 Ludwich;
wo bleibt die grüne treu, wo der verliebte schwur
HoFFMANNSWALDAus u. ü. Deutschen auserl. ged. 1,58;
neues wol blieb immer grünl
LoGAu 248 lit. ver. ;
das ihrige (andenken) lebt bey uns immer frisch und
grün GöTHE IV 4i, 52 W.; E. M. Arndt liebt diesen ge-
brauch des adj.: da der eindruck, so dicht hinter den
jähren 1814 und 1815, um so grüner seyn muszte sehr,
für u. an s. l. Deutschen 3, 175; vgl. 2, 205; und er ver-
wendet ihn bisweilen sehr kühn:
der nicht der väter graue ehren
begrüszt mit grünen wonnezähren,
der nicht mit vollem grünen zorn
ruft: werke 5, 229 R.-M.;
vgl. 1, 168; 5, 131.
2) frisch im sinne unreif, unfertig, mit negativer be-
deutungsrichtung ; wo das wort at<f menschen angewendet
wird, gelegentlich deutlich als bild (von I B 2 her) emp-
funden: seynd die menschen alsdann nicht zeitig in
der hitz der göttlichen lieb, sondern noch grün in Sün-
den Äg. Albertinus hirnschl. 519: doch ist zumal für
b auch eine unmittelbare herleitimg aus der wurzelhaften
bedeutung zu erwägen,
a) unreif im, sinne jugendlicher unerfahrenheit und
unfertigkeit ; seit dein il. jh. in schwang, bald stärker,
bald gelinder scheltend oder spottend: einen grünen, un-
weisen, ungerechten narren Heupold dict. (1620) 826;
ein noch grüner schulknapp Vosz antisymb. 2, 288; er
ist jung und, wie es mir bei der Unterhaltung . . vor-
kommen wollte, grün Hebbel br. l, 54 W.; weiszt du wohl,
Heinrich, dasz du allbereits ein menschenleben auf dei-
ner grünen seele hast? G. Keller 2, 66; spielt auch der
titel des romans, doppelsinnig, mit dieser bedeutung?
der bearbeitung der ganz grünen auscultatoren über-
lassen BiSMARCK ged. u. erinn. l, 25 volksausg.; in ge-
mssen Verbindungen in ma. und Umgangssprache als
sehr starke schelte: eine bände von grünen lümmeln
G. Hauptmann weber 13; so e griner junge Müller-
Fraureuth 1, 446*; grön bengel Danneil 70^ u. a.;
andererseits in Wendungen wie coblenz. dat mädche es
mer noch zo grön rhein. antiquar. III 14, 718 einfach
'zu jung'; erweitert: du bist noch zu jung und grün
umb den schnabel Ayrer hist. proc. iur. 492, ein bild,
hergenommen von der grünlichen haut, die junge vögel
an der schnabehcurzel haben; der noch etwas grüne
schnabel Günther ged. 166;
eh ihm das milchhaar noch das grüne maul bezogen
498;
s. auch grünschnabel ; mit pjräpositionaler ergänzung ;
ein edelmann, an Weisheit ziemlich grün
Wieland 22 (1796), 264;
so ein alter, dicker mann,
und noch so grün und dünn in der moral
Eichendorf 4, 301;
wonach thorheit und grüner verstand hinschielen Shake-
speare 8 (1832), 208 (folly and green ininds); der fähn-
rich . . versuchte, sie mit seiner grünen Weisheit über
Pferdezucht zu unterhalten W. v. Polenz Orabenh. l,
72 ; sie grüne Weisheit sie ! anrede an ein junges mäd-
chen RoB. Prutz engelchen 3, 144; vgl. wo diese ge-
danken . . in ihrer ganzen ersten frische, aber auch in
ihrer ganzen grünen unreife verbreitet wurden ders.,
d. mus. 2, 144; hier dein grünes buch mit den gedichten
ScHUBART bei D. Fr. Strausz w. 9, 54; anscheinend
nur im älteren nhd. auch von thieren im sinne 'unab-
gerichtet' (vgl. b): sin pfert, das etwann noch grüne unt
nit ganz abgerichtet ist (i5.jh.) bei K. Th. Eheberg
verf. gesch. v. Straszb. I 506 ; vgl. so darf ers (der hof-
narr die herzogin) wol eine grüne merch haiszen Fischer
Schwab. 3, 870; solche . . . noch sehr grüne, junge papa-
geyen und agelastern der politic Bütschky Path-
mos 500.
b) im sinne 'ungetrocknet, ungedörrt', überhaupt 'roh'
im sinne des unbehandelten, unzugerichteten in anwen-
dung atof gewisse gruppen von concretis: grüenez fleisch
JEracl. 8389; von allerley gerauchtem, gedörrtem . . .
und grünem fleisch Fischart geschichtklitt. 76 ndr.; ge-
digens und grüns fleisch Fronsperger kriegsb. i, 126*;
auch heute noch, s. Hansjakob schneeb. (1892) 127;
Fischer schwäb. 3,869; grüne bratwurst ungeräucherte
ebda; die würst . ., diwyl sy noch grien sind Staub-
Tobler 2, 750 (quelle v. 1581); gröne schinken brem. wb.
2, 548; grüne fische Marienb. treszlerb. 432; ein grün lachs
privaibr. d. ma. 1, 143 Steinh.; Luther notiert in seiner
hausrechnung fisch grün neben fisch dürr zs. für hist.
theol. 1846, 416; nach grünen beringen Seb. Frangk
sprichw. 2, 81*; gröne aale u. ä. Dähnert 1623'; ent-
sprechend grüne fischer in Nürnberg diejenigen, die nur
m,it frischen fischen handeln durften Jagobsson 5, 754*;
grüne klösze von rohen kartoffeln Müller-Frau reuth
1, 446, wo noch weiteres derart; in anderen fällen frisch
im sinne unausgereift: grün ist teig, der noch nicht ge-
nug gegoren hat Staub -Tobler 2, 751 (gegensatz rif);
grünes hier das noch nicht vergoren hat Sghmeller-Fr. 1,
1002; Karmarsch-Heeren ^l, 604; grüner wein im gegen-
satz zum firnwein Jagobsson 4, 622*; anders: di sure
milch ist kelder, die grün ist trucken Brest, arzneib. 18;
grüna milch buttermilch Schmeller cimbr. 126''; die
erste milch nach dem kalben Fischer schwäb. 3, 869;
auszerhalb dieses bezirks der nahrungsmittel nur noch
wenig anwendungsmöglichkeiten: 'grüne roszhaut bei den
gerbern, die erst abgeschunden ist' Frisch 378''; vgl.
Jagobsson 2, 167'>; grüne haare welche von frisch ab-
gezogenen feilen abgenommen sind ebda; grün vom Pelz-
werk = roh Preghtl 11, 11 ; dasz kainer dorft hie das
garen gren kaufen städtechron. (Augsburg 1500) 23, 435;
icie diese gruppe zeigen auch einige andere terminologische
Verwendungen die bedeutung frisch im sinne des untrocke-
nen, feuchten: nasser oder grüner sand (für formen in
der eisengieszerei) Preghtl 22, 616; nasse oder grüne
(kartoffel) stärke 16, I9i; vgl. grüeni flechte nasse, im,
gegensatz zur trocknen Staub-Tobler 2, 750; der einen
dürren oder grüenen flieszenden grind hat ebda (quelle
V. 1548); hierher auch ein einzelfall me: 16. sept. er-
schlägt ein grünes (d. h. frisches, noch nicht ausgetrock-
netes und festgewordenes) ge wölbe den doctor Samuel
Brandt quellen zur gesch. d. siadt Kronstadt i (1903), 142.
c) neben ahstractis öfter frisch im sinne (zu) jung,
(zu) neu: der schmerz sei ihnen noch zu grün Fischer
3, 869 (quelle v. 1531); unsre bekanntschaft ist noch grün
Schiller 3, 74 (?.,• wir haben ja darüber recht grüne
erfahrungen an einigen neueren . . . werken Thibaut
notwendigk. e. allg. bürg, rechts 416; ähnlich: wyr haben
auch genug geschonet . . , da disz ding noch zu grüne
und new war Luther 15, 449 W.; vgl. es ist noch grüne
mit uns und geht langsam von statten (in dem neuen,
sittigen leben) 11, 452 W. ; nur in älterer spräche auch
in Verbindungen wie: ein grüenes (verfrühtes, unreifes)
üblgefasstes fürnemen Sghmeller-Fr. l, 1002 (16. jh.);
aber si griffens zu grüen an, die sach fält in, geriet in
ir anschlag nit Aventin bayer. ehr. l, 446 Lexer.
3) nur in spuren läszt sich eine abgezogenere bedeu-
tung 'günstig' nachweisen:
649
GRÜN II B 1
GRÜN II B 1
650
was hat dein tyrannei gewunnen?
nicht grünes, wie ich hab vernummen
Opel-Cohn dreiszigj. kr. 52;
vgl. nüd vil grüens machen keinen gewinn Staub-Tob-
LER 2, 750; hab ich allerhand erfahren, was mir nicht
grün aussieht Scheffel w. l, 188; vgl. anord. grSnn
'gut, nützlich', aber schwerlich, 'weil die grüne färbe der
natur eine angenehme wirhung auf das äuge ausübt'
(Falk-Torp norw.-dän. et. wb. 357) eher aus der wurzel-
haften bedeutung frisch, wachsend, blühend {s. o. l) ent-
wickelt {vgl. Wörter wie ersprieszlich, gedeihlich); dazu
zwei heute erstarrte formein:
a) einem nicht grün sein jem. nicht wohlwollen, durch-
aus negativ gewendet; von haus aus md. und nd. {heute
gerade in nd. maa. allgemein); erst in jüngerer zeit an-
scheinend infolge literarischer Übertragung auch bei Ober-
deutschen: er ist mir nicht grüne invisus ei sum Stie-
ler 709; Stiefväter, die ihren kindern nicht zu grüne
sind (parum aequi) Luther tischr. i, 460 W.; wen ich
neide, dem bin ich nicht grüne J. Rhodius in: theatr.
diab. 2, 72^; vgl. Grimmelshausen Simplic. 235 ndr.;
RiNCKHART Christi, ritter 40 ndr.; Lohenstein Arm. l,
1008"; sie ist mir nicht wieder grün geworden Gutz-
kow ritter 8, 86; dem du nicht grün gesinnt bist Pöck-
LER briefw. u. tageb. 1, 89; ganz ungewöhnlich ohne ne-
gation:
du schlieszt aus meiner mine,
ich wäre dir recht grüne
Henrici ernst- scherzh. u. gat. ged. 2, 268;
ebenso ungewöhnlich mit sächlichem object: da die muhme
dem zubereiten . . solcher Sachen nicht grün war G.
Keller l, 306; hierher wohl auch: ich stand zuletzt
nicht ganz grün beim alten herrn H. König d. clubisten
8, 14.
b) die grüne Seite die herzseite; meint es ursprünglich
die günstige, holde oder die frische, lebendige? zunächst
nur in der wendung sich an jem. grüne seite setzen
u. ä. {vgl. franz. s'asseoir du cöte du coeur de q.):
sitz an die grüne syten min
H. R. Manuel weinsp. v. 470 ndr. ;
mehrfach bei Fischart, s. seite II 2, th. lO, i, 381 ; vgl.
Chr. Fr. Henrici (1726) bei Müller-Fraureuth i,
446**; Hazards lebensgesch, 241; mädele ruck, ruck, ruck
an meine grüne seite volksl.; in jüngerer spräche auch
freier: ihres mannes, der jetzt mehr vergnügen in ge-
schäften als an ihrer grünen seite findet Just. Moser
4, 51 ; wo er . . ihn von seiner grünen seite so weit als mög-
lich wegwünschte Raabe hungerp. l, 202; auch die maa.
haben die formel und zwar vorzüglich norddeutsche; sie
denken an die linke seite {z. b. Schütze holst. 2, 73);
indessen: setzen sie sich an meine grüne seite . . (eine
preuszische redensart, die zur rechten bedeutet) Hippel
lebensl. 4, 371 ; ähnlich Gottsched d. schaub. 4, 484; auch
bei Schmeller-Fr. i, looi; Fischer schwäb. s, 869 als
rechte seite, aber anscheinend im obd. nicht volkssprachlich.
B. auf der anderen seite trat eine specialisierung der
bedeutung nach der richtung hin ein, dasz innerhalb der
Vorstellung junger, sprossender pflanzentheile der färb-
begriff sich isolierte und verselbständigte; dieser Vorgang
ist bereits im ahd. vollzogen, s. u. l; immerhin erscheinen
noch spät aus gründen der deutlichkeit Zusätze geboten
wie: as der {pfeffer) ouch ryff is, so is hee groyen van
farwen v. Harff pilgerf, 146; viridis grün von färben
Decimator thes.; vgl. grünfarb.
l) grün als farbbezeichnung schlechthin, darauf, dasz
pflanzliches grün den ausgangspunkt bildet, deuten noch
die im mhd., zumal in der heldenepik, ungemein zahl-
reichen vergleichungen grüene als ein gras, kl6, seltener
louch; bei Konrad v. Würzbürg auch noch andere
pflanzen, vgl. zs. f. d. w. 6, 206; nhd. sehr stark zurück-
gehend: darumb sind sie grüner dan kleeh Jac. Böhme
beschr. d. 3 principien (i682) 142. nach dem Ursprung
der farbbezeichnung mag man annehmen, dasz das adj.
zunächst ein helleres grün bezeichnet hat, aber das ist
aus dem gebrauch nicht mehr feststellbar; ahd. glossiert
mit viridis, glaucus, cyaneus Graff 4, 299, iacinthinus
{a. u. a) , was z. th. auch an dunklere f arbtöne denken
läazt; und seit dem frühen nhd. ganz greifbar für die
ganze scala vom gelbgrün bis zum schwarzgrün: ein
scharpf, gryen katzengesycht Eppendorf Flin. 6 {glauca
oculorum acie); sein {des schönen) äugen schüllen ain
mittelvarb haben zwischen swarz und grüen Konr. v.
Megenberg buch d. nat. 50; die grün {geivitterwolke) mit
schwartz ist die bösest Reynmann wetterbüchl. 6; an-
gemerkt sei, dasz grün als bezeichnung des wassers erst
im, il.jh. aufzukommen scheint: aus der grünen Oosten-
see Neumark fortgepfl. mus. poet. lustw. l , 431 {gleich
nachher: in das blaue meer); mit dem grünen meer-
wasser Schottel friedenss. 43 ndr.; seit dem 18. jh.
dann ein stehendes epitheton: des meers dunkle, grüne
tiefe Novalis im, Athen. 3, 195; das grüne, crystallene
feld Schiller 14, 50 (?.,- erst jüngere spräche kennt eine
freiere Verwendung im sinne grünlich schimmernd o. ä. :
drei in grünem gold erglänzende schlänglein E. Th. A.
Hoffmann i, 180 Oris.;
ein grünes feuer, brennt er {der buchengang) grünen schein
TiECK gchr. 2, 117;
{der abendstern) mit seinem grünen, mir so lieben flimmer
Rückert ges. ged. (1840) 1, 140.
im, einzelnen sind folgende gebrauchsweisen hervorzu-
heben:
a) vielfältig als grüngefärbt von allerlei Stoffen: gruone
huta pelles iacinctinas u. ä. Graff 4, 299; weiszen und
grenen samat städtechron. 23, 273; ein grün lündisch
tuch H. Sachs 21, 50 K.-G.; zimmer mit . . grünen, seid-
nen tapeten E.M.Arndt w. l, 61 B.M.; danach dann: in
der grünen stube Göthe IVl, 2E8 W.; namentlich im spä-
teren mittelalter häufig von gewandstücken als mode-, fest-
odervornehme färbe: ain grenns gwannth J. A. v.Brandis
landeahauptl. v. Tirol 48 {a. d. j. 1313) ; all in gren kleidt
Gl. Sender in städtechr. 23, 258; in grenen rocken 401, 10;
Seuse dtsche sehr. 148, 21 B.; in einem seyden, grünen
wammes Arigo decam. 214 lit. ver.; so doch dem kint
dise rüt eben so not thüt als brot und ein grüner rock
seh. w. klugr. 173*; er sy arm oder reich, knecht oder
fry ... er trag gryen oder grau klaidt d. h. vornehmes
oder geringes Eb. v. GOnzburg 2, 175 ndr.; hier ist mög-
licherweise die redensart vom grünen esel als etwas sehr
seltenem anzuknüpfen, die ja auch auf dem gegensatz
von grün und grau beruht, s. Staub-Tobler 1, 514; vor
kurzem bin ich . . in Hannover gewesen und habe da-
selbst den grünen esel gespielt Büroer br. 2, 63; frei-
lich auch grüne kuh Eyering proverb. i, 284; in einigen
Sprichwörtern im spiel mit der bedeutung I A 1 : darumb
ist die best schwiger, die ein grün rock anhat Seb.
Franck sprichw. 1, 36"; vgl. Lehmann flor. pol. (1662)
2, 541; die färbe dient zur kennzeichnung des trägers: als
ein fuhrman grün gekleidet A. U. v. Braun schweig Oct.
1, 191; vorzüglich: grien geklaidt in gestalt aines jagers
Bürster bei Fischer schiväb. wb. 3, 868; unde quam
. . in groen kledern mit syme jagehorne WiG. Gersten-
berg chron. 137; einen grünen jagdüberzieher G. Haupt-
mann biberpelz 24; vom gasttcirth: mit einem grünen
kappel in der gaststuben herum gehen Meisl theatr.
quodl. 4, 103; eine grüne judenmütze Herder l, 25 S.;
vom kleidungsstück auf seinen träger übertragen : grüner
Jäger WiLH. Müller ged. (1868) l, 15; grüne leute mit
federbüschen Tieck sehr, i, 240; plötzlich wimmelte
alles . . von grünen reitern Laube 8, 27; grün als wahl-
farbe {vgl. unten 2): dasselbe abzeichen trugen seine
diener auf grünem ärmel; denn grün war seine färbe
Ranke s. w. 3, 888; den bey einem auflaufe der blauen
und grünen die ihm entgegene parthey zu ermorden
gedachte Haller Alfred 99.
b) auf Personen angewendet, von ungesunder gesichts-
fa-rbe: welches menschen varb grüen ist oder swarz,
der ist poeser site Konr. v. Megenberg buch d. nat.
43, 15; {der kranke) ist liht grüene ander den äugen
zwei dtsche arzneib. 50, 11 Pf.;
sie wart grün und bleich
und seig zu der erden nider
Heinr. V. Neustadt gott. zuk. 3396;
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GRÜN II B 1
GRÜN II B 1
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hohler von äugen und grüner als eine dirne, der Hymen
das warten zu lange gemacht Wieland Am. 6, il; ein
grünes gesicht Aurbacher nach Fischer achwäb. 8, 870;
der sieht immer grün aus ebda; als folge verschiedener
affecte: Rosalie wird grün vor ärger Bauernfeld i, 116;
auch: (er) wurde darüber vor ärger grün und gelb
Heinse 4, 174 Schüdd.; ich habe sie . . grün und gelb
geärgert Mörike 8, 184 Göschen; vor neid: Elisi wurde
noch einmal so grün, als sie die . . . herrlichkeit sah
GOTTHELF ges. sehr. 2, 249; vgl.
beisz dir nur die grünen lippen
blutig nicht, du hast nur galle
Fr. W. Weber Dreizehnl. ^^129;
gelegentlich sogar: von einem fulminanten grünen brief
Jakobis über diese recension {des Woldemar) Schiller
an Göthe briefw. 2, 268; ewer (der Juristen) angesicht
ist gelb und grün, schwartz, blaich und blaw durch-
einander Äg. AlbertinüS zeitk. S8'*'; vgl. grün und gelb
unter g.
c) vielfach mehr oder minder terminologisch in der
spräche naturbeschreibender disciplinen, in ivissenschaft-
licher ebenso wie in volksmäsziger redeweise; geogra-
phisch: grünes vorgebürge cabo verde in Westafrika
Noel Chomel 4, 1881; J. v. Müller l, 107; grüne bank
le banc ä vert Noel Chomel 4, 1380 und anderes derart;
nicht eigentlich terminologisch: das grüne Erin Irland
Gutzkow w. 9, 84; av^h schlechthin die grüne insel
genannt; ähnlich: der grüne Rhein Hoffmann v. Fal-
lersleben ged. Ö882; Geibel ges. w. (1906) 1,3. zoo-
logisch: grüne schlänge; grüne Springer eine art raupen
Noel Chomel 4, 1380; grüner frosch l, 1381; lacerta ein
grüner heydochs Calepin XI ling. 786"'; melolontha
ein gruen wefer, grien roszkefer Diefenbach 855"; mit
den cantharides und grünen käferlein Paracelsus op.
(1616) 2, BiSH.; vgl. Frisius 182'' s. V. cantharis; grüner
rüsselkäfer curculio viridis Behlen 3, 614, woselbst vieles
andere derart; grüne fliegen Anzengruber ges. w. 8, 42;
groner speht merops Graff 4, 299; Diefenbach nov. gl.
189^ s. V. gaulus; ich bin genant der groene specht ge-
Schützinschrift von 1572 bei H. Ziegler 26; vgl. grün-
specht; grüner girlitz, kernbeiszer u. a. Behlen 3, 514;
botanisch: grüne reiszken pilzsorte; grüne freude 'eine
art von kräutern' Noel Chomel 4, 1380; grüner faulbaum
1881; grünes ebenholz = Guajakholz Jacobsson 5,757»;
grün holz pinus sylvestris et montana oder genista
tinctoria Nemnich 212; der grüne Borsdorfer apfel
F. G. Dietrich 7, 7ll; mineralogisch: creta viridis
grün ärdtrich Frisius 1387^; dafür grüne erde Stie-
ler 709, grüne kreide Noel Chomel 4, 1380; grüne asche
Jacobsson 2, lee^; grüner galmey, vitriol 2, 167^; vgl.
vitriolum ... ist als grüne steyn, Diefenbach 624*;
grüner eisenstein, glimmer, granit, kalkstein u. a. Jacobs-
son 5, 754^; grüner marmor malaquitte Noel Chomel
4, 1850; Mommsen röm. gesch. 5, 268; vgl. schon ahd.
gruone gimma so smaragdus ist Notker l, 196 P.; al-
lero steino gruonesto Graff 4, 299; hierher weiter ein
alchymistischer ausdruck loie grüner löwe portraits {Lpz.
1779) 34; vgl. leu schlusz, th. 6, 826; vgl. auch grüne ver-
rostung {an kupfergefäszen) Sebiz feldb. 434; grün an-
gelaufen {von einem messingbecken) Pansner schimpf-
icb. XXXIII ; 'da viele grüne mineralien, namentlich farb-
mittel, giftig sind, gilt grün gelegentlich als färbe des
giftes schlechthin' Sanders; gift ist grüner als das grüne
gras Herder 25, 179 8.; vgl.
sein leib ward (vom gift) grün als ain gräzz
gr. Alex. 6125 Guth;
optisch: grüner strahl Noel Chomel 4, 1381; schöne
grüne ... spectra Göthe IIi,25 W.; medizinisch:
grüne galle {im unterschiede von der schwarzen) Noel
Chomel 4, 648; vgl. Sömmerring 7, 528; die grien gel-
sucht Diefenbach 641' *. v. yctericia; vor den grünen
siechtagen Tabernämontanus kräuterb. (1664) 19; 335;
der grüne staar glaucoma Blancard arzneiwb. 2, 82''.
d) ebenso terminologisch vielfach in der spräche der
gewerke und gewerbe: grünes glas die geringste sorte
Jacobsson 2, 168*; entsprechend grüne hütte wo nur
solches hergestellt wird 2, 167''; grüne färbe {als farb-
stoff), verschiedene arten bei Jacobsson 5, 752 ''_^.,- liesz
den soller . . grien malen {Augsburg 1868) städtechr. 5, 133 ;
grüne beize Jacobsson 6,762''; grüne dinte Stieler 2264;
grüne glasur {bei den töpfern) Jacobsson 5, 754*; grüne
Vergoldung Preghtl 19, 537; grünes feuer in der feuer-
werkerkunat Noel Chomel 8, 1588; das grüne licht das
seitenlicht an steuerbord, vgl. Kluge seemannsspr. 531 f.;
in der spräche der apotheke: mit dem grünen wunt-
pflaster Braunschweig chir. (1497) 79»; ein gut grün
dürrpflaster recept bei M. Böhme roszarznei (1618) 64;
grüne butter eine kräutersalbe Stieler 1678; grüne salbe
unguento fatto de herbe medicinali Kram er teutschital.
2, 418''; mit den selblin, welches die wundärtzte das
grün nennen Wirsung arzneib. 104"; vgl. koz grüne
waldsalbe! ein fluch Fischer «cÄioäö. 8,868; schon Ulr.
V. Lichtenstein kennt eine salbe noch grüener denn
der kl§ frauend. 103, 6; grünes wachs als medicament
Pierer conv. lex. '^6, 1337; aber auch als altbeliebter siegel-
stoff: ein grüne wais meister Eckart in: parad. an.
intell. 78, 6; abgelöst durch grünes Siegellack Jacobsson
5, 757»; Vorzeit man siegelt grün Petri der Teutschen
weish. 2, )( )( 7»; in der spräche der küche: grüne
eier mit petersilie hergestelltes eiergericht Noel Chomel 3,
1261; eine grüne sosze weisth. 4, 136 {\ft.jh.); vgl. allg.
haush. lex. 8, 69; grüner käse nomencl. lat. germ. (1634)
369; Stieler 709; er frist das grüne brot schimliges
Rachel aat. ged. 45 ndr. {vgl. mucida caerulei panis . .
frusta Juv. 14, 128); grüne seife Kramer teutschital.
2, 758''; Heine 2, 870 E.; grüner magenaquavit Noel
Chomel 4, 1881; vgl. sein gläschen grüns Gotthelf nach
Staub-Tobler 2, 760; grüner schnupftoback Jacobsson
5, 756».
e) auch auszerhalb dieser anwendungskreise mannig-
fach in specifischem gebrauch: bei den meister sin gern
grün ton gemerkb. d. U. Sachs 10 ndr.; vgl. Gleim briefw.
1, 13; die grüne fahne {des propheten) Lohenstein Ibr.
Sultan 22; eine grüne censur die schlechteste L. E.Kossak
Berl. kunstausat. i.j. 1846, 6; der grüne wagen für den
gefangenentransport in Berlin, auch grüne Minna ge-
nannt Ostwald rinnsteinspr. 63 ; grüner Heinrich schub-
wagen {Wien) ebd.; das grüne gewölbe in Dresden; ver-
schiedene bedeutung hat der grüne tisch, an sich nur
der mit grünem tuch behangene tisch Göthe 28, 124 W.;
aber gewöhnlich mit besonderem sinn; Spieltisch: bald
war der grüne tisch und die karten in thätigkeit Arnim
15, 50; Gutzkow zaub. 4, 62; gerichts-, Verhandlungstisch:
du warst der schlaueste teufel, der je vor einem grü-
nen tische stand G. Freytag 2, 199; Alexis Boland2,
153; bei der ministerkonferenz . . kam nichts raus, wie
an den grünen tischen nie was raus kommt Isegrim
1, 115; vgl. grüner teppich gericht iudicium aulicum
Angliae Apinus glosa. nov. 258; heute ist der grüne tisch
Symbol des wirklichkeitsfremden denkens und arbcitens,
namentlich von behörden: neigung, . . vom grünen tisch
aus zu reglementieren Bismarck ged. u. erinn. 2, 235
volksausg.; bedürfnis des Soldaten, vom grünen tische
weg zu kommen Meinecke Bogen l, 269; Schweiz, be-
zeichnet grüner sessel die amtsstelle Staub-Tobler 2,
750; auch die grüne brille, an sich ganz unverfänglich
(GÖTHE II 1, 25 W.), hat einen beisinn gewonnen: die
grüne brille der pedanterei aufsetzen Gutzkow to. 11,
230. in der deutschen Spielkarte: grün folia chartae
lusoriae frondibus notata Stieler 709; das lob {laub)
an dem griennen wol zusehen ist Fischer schwäb. 3,
868; grün ist gewehlt Otho Melander jocoseria (l6li)
2, nr. 241; den grünen scharwentzel Chr. Weise erz-
narren 169 ndr.; vgl. Gryphius lyr. ged. 443 Palm; in
redensarten der Volkssprache: ei du grine neine! u. a.
MÖLLER-FrAUREÜTH 1, 446''.
f) grün in stereotyper Verbindung m,it anderen färben ;
namentlich gesellen sich benachbarte färben; grün und
gelb: Salzfleisch, das vor alter grün und gelb geworden
Melgh. Meyr erzähl, a. d. Ries l, 75; grün, gehl und
jämmerlich von färben, die nicht zusammenpassen Bernd
Posen 69; ähnlich Albreght Leipz. 126''; gern von den
spuren von achlägen:
653
GRÜN II B 2
GRÜN III {Substantivierungen A l)
654
bist du der selb,
der mir min man macht grün und gelb?
H. R. Manuel weinsp. v. 2607 ndr. ,
der . . . herr schlug mich grüner und gelber als ...
Körner *, 46 H.; so auch mundartlich, z. b. Müller-
Fraureuth 1, «6»; schwülen, . . die tags darauf grün
und gelb aussahen Fischer schioäb. 3, 870; ich voll
blauer, grüner und gelber flecke wurde Leipz. avantu-
rieur I, 35; bloszes grün ungewöhnlich: wenn du ihm
. . einen grünen rücken machen könntest H. Nydegger
hans d. Chüjer (1899) SO; mir wird (ist) grün und gelb
vor den äugen mir wird schwül, mir vergehen die sinne,
gelegentlich auch als ausdruck des ärger s {wo der ge-
brauch B 1 b hereinkreuzt) : ich weisz nit wie es kumpt,
mir ist grün und gel vor den äugen Keisersberg emeis
(1517) 56**; diesem ward {vor zorn) . . . grün und gelb
vor den äugen, weil ihn die eifersucht ohn das zuvor
eingenommen Grimmelshausen Simpl. 170 ndr.; ein
unerhörter Sprachgebrauch, bei dem mir grün und gelb
vor den äugen wird Schleiermagher I 5, 334; vielfäl-
tig in den maa.; vgl. Bernd Posen 69; Dähnert 161*;
ungeicöhnlich ist bloszes grün engl. kom. u. trag. (1624)
Hb 5*; E. Th. A. Hoffmann 2, 133 Gris.; vgl. wie rot
sein im die äugen worden! yetz ist es grün, was er
sihet Albr. v. Eyb dtsche sehr. 2, 99 {ut viridis exori-
tur colos ex temporibus atque fronte menaechmi 828);
auch es geht mir grün und gelb vor äugen Sghellhorn
sprichw. 62 ; vgl. lux. ma. 153 '' ; doch geht ihm grün und
gelb vor seinen äugen um W. H. v. Hohberg d. habs-
purg. Ottobert (1664) e 2^; noch anders bei Fischer
Schwab. 2, 263; eigen: das alle die, die der unküscheit
anhangend, bleich, eilend, grien und geel umb den
Schnabel seind, wie die jungen gensz im meygen Kei-
sersberg post. i, so"»; vgl. gelb th. 4, l, 2, 2882; grün
und blau: schon mhd. wird grüene und weitin gern
verbunden Wackernagel kl. sehr, l, 167; jener bawer,
den man uberredt, grün were blaw Lehmann floril. pol.
(1662) 1, 347 {vgl. Ulensp. hist. 68); gleich wie der schatten
an der wandt, ist weder blaw noch grün Paracelsus
op. (1616) 2, 403 H.; in flammen blau und grün Müllner
dram. w. 2, 13; DrosteHülshoff 2, 18; auch dies gern in
festen formein: grün und blau schlagen, ärgern Fischer
Schwab. 3, 870; Martin -Lienhart i, 276*; Gockel . . ,
wurde vor zorn . . ganz grün und blau und roth Bren-
tano 5, 24; es war mir vom vielen lugen ganz grün
und blau vor den äugen Staub-Tobler 2, 750 aus Jonas
Breitenstein; vgl. Göthe 16,25 W.; vgl. blau i <ä.2, 8i;
im alem. ist üblich: es war dem doctor grün und schwarz
vor den äugen Pestalozzi Lienh. und Oertr. 2, 170;
Zimmermann einsamk. i, 269; vgl. Follmann 216''.
2) grün in der farbensym,bolik : grün, die färbe des
frühlings, ist Sinnbild für frohsinn und freude; vgl.
schon bei Wolfr. v. Eschenbagh:
da von min grüeniu vreude ist val
Parz. 330, 20;
die grün (varwe) erträgt uns frölich leben
Heinr. V. WiTTBNWEiLER ring 2 Ut. ver. ;
grön macht die weit fräden vol
HÄTZLERIN 2, 20, 68 ;
grön ist ain lust dem herzen
103;
L
in diesem gedieht erscheint grün als lieblingsfarbe einer
dame; vgl. Abr. a st. Clara mercks Wien 63, wo es als
die angenehmste färb auftritt; es ist verständlich, wenn
diese Symbolik sich immer wieder erneuert: auf dem grü-
nen lande der glückseligkeit Chr. Weise j)oZ. redner 493;
grüne freude . . .
wachset wie die maulbeerblätter
H. Fleming vollk. teutsch. jäger (1719) 8 ;
tintenfässl , . gefüllt . . mit grüener {tinte) voller freud
Schv^'abe volleingesch. tintenfässl, titelbl.; die grüne
fahne Olbia Spitteler olymp. frühl. (1914) 2, 5; ebenso
verständlich, wenn grün dem, mittelalter den anfang der
liebe bezeichnet:
grön ist der mynn ain anfangk
HÄTZLERIN 2,19, 9;
vgl. 2, 20, 97; weim. jahrb. 2, 105, 13/. wird breiter davon
gehandelt; vgl. auch Suchensinn in: meisterl. d. Kolm.
hs. 668 Bartsch; es bezeichnet weiter auch ein anfangen-
wollen:
grüns ist ain anfang;
wen lieb von lieb nie bezwang
von mine (l. minne) noch von frowen,
der lat sich in grünem schowen u. s. w.
lieders. 1, 153 Laszberg;
vgl. Wackernagel kl. sehr, i, 203. 206;
grüne färb freihait,
damit ich junger pin peclait m. «. w.
fastnachtsp. 1, 774 K.
grün ledig, unverheirathet Staub-Tobler 2, 751 {doch
vielleicht auch von II A i a zu verstehen); hat es sym-
bolische bedeutung, wenn der keld der Ulingerballade
einen grünen schild trägt? hoch u. nd. volksl. 142 Uhland:
auch der junge Alebrant des jg. Hildebrandsliedes führt
einen solchen; frau Minne erscheint gelegentlich grün-
gewandet:
frou Liebe treit ein grüen kleit
MEISTER Altswert 29, 34;
vgl. 45, 1 ; eine andere bedeutung hat grüne färbe und
gewandung in alter geistlicher Symbolik, vgl. Wacker-
nagel 1, 185/./ dagegen liegt die Symbolik von grün als
wappenfarbe auf der hauptlinie, vgl. F. W. Schumacher
wapenkunst (1694) 61 ; grün als färbe der hoffnung läszt
sich erst seit dem nhd. nachweisen {nur als liturgische
färbe schon früher in diesem sinne, vgl. Wackernagel
1, 181): Opitz teutsche poem. 111 ndr.; die grüne hoffnung
ScHOTTEL /Werfen**, il ndr.; das hertz ist grün und in
frischer hoffnung Moscherosgh ges. I, 77; das grüne
banner der hoffnung Stifter l, 203; für das mittel-
alter ist gelb und grün auch farbensinnbild des neides,
s. Wackernagel l, 166/.; daher man sich auch den
teufel grün dachte, sei es von körper oder von gewande:
dasz sich der teufel gern in grünen kleidern sehen
lasse Grimmelshausen l, 362 Keller; hie bringen wir
die mutter zum grünen teufel rufen Soldaten, als sie
eine frau ins wasser werfen Zinckgref-Weidner 8,
528; schwarz und grün hat der teufel gesehen Fischer
Schwab. 3, 868; vgl. grüner jäger umgehender geist Bir-
LiNGER volksth. 1, 16; über grün als färbe des giftes s. o.
III. Substantivierungen.
A. das neutrum zeigt sich erst seit dem 16. jh. ent-
faltet, wenn auch ältere spuren nicht fehlen: grün gra-
mina ahd. gl. 1, 371, 68 (12. ^ä.) vgl. gruoniu gramina 1,
373, 1 ; virecta 308, 62 ; 317, 41 ; swaz grünes Milst. exod.
{s. u.) ; mndl. ist im 13. jh. dat groene, groen bereits ge-
bräuchlich Verwijs-Verdam 2, 2154, mnd. nicht vor dem
15. jh. bezeugt, vgl. nd. jahrb. 28, 136 ; älterer Vertreter des
Substantiv, adj. ist hd. das subst. ahd. gruoni, mhd. grüene
*. die grüne /. die verschiedenen flexionsarten zeigen
unterschiede nach bedeutung und gebrauch.
l) substantivische flexion {beacJite flexionslose
formen wie wegnehmen des gr. Göthe II 5, 2, 131 W.
gemäsz dem älteren gebrauch, farbbezeichnungen u. dgl.
als indeclinabel zu behandeln, vgl. Adelung lehrgeb.
1, 660; daher noch in moderner spräche der dat. fast stets
flexionslos dem grün, doch s. u.).
a) als reine farbbezeichnung.
viror, viriditas, das grün Alberus Qq 2''; Maaler
194*;
gleich wie ein welscher han von rot
und jer äff starb von grün zu todt
Fischart Eulensp. 2691 H.;
das grön vom regenbogen praktik 23 neudr.; . . . geben
verschiedene Schattierungen von gr. Jacobson techn. wb.
5, 749'»; dasz . . . das prismatische blau und gelb . . . ein
gr machen Göthe II 2, 225 W.; wo seine schatten nicht
nachgedunkelt haben ... ist sein gr. von groszer wahr-
heil A. W. Schlegel s. w. 9, 23; das gras hat in Eng-
land ein so schönes gr., wie man es nirgends findet
Archenholz Engl. u. Ital. (1785) i, l, 94; jung {vgl.
II B l) in Verwendungen ivie: der meeresfluten gr. Shake-
speare (1797) 1, 248; das tiefdunkle gr. des wassers v. Gaudy
655
GRÜN III (Substantivierungen A i)
GRÜN III (Substantivierungen A l)
656
s. w. 6, Ib; ... in seinem (des sees) feuchten gr. Stif-
ter s. w. (i90l) 1, 155; das schwache trübe gr. des süd-
lichen himmels 4, l, 126; in der sehr üblichen anwen-
düng auf vegetatives grün mit 2) verrinnend: wie die
grüne saat . . . die zarten spitzen aus dem sohnee
empor hebt, und das weisz mit sanftem gr. vermischet
S. Geszner sehr, l, 29;
von unten glänzet uns, an blumenvollen wegen,
der Pomeranzen gold aus frischem grün entgegen
Uz 221 lit. dkm.
auf grüne Meidung bezüglich (vgl. II B 1 a) «. u. 2 a : wann
mancher mit gr. ist peklait fastn. 2, 775 Keller; die
gute jungfraw, so in gr. gekleidet Hertzog schiltw.
Aö; zwölf knaben, alle in gr. Wieland (1794) 4,13;
Gabrielle . . . ganz in gr. gekleidet Ranke s. w. 9, 29;
171 volksläufigen ivendungen mehrfach, vgl. brem. wb. (1767)
2,547; Weinhold schles. 31*; Wander sprichw. 2, 155;
in formelhafter Verbindung mit dem adj. schon früh:
die teppich ... gr. geweben, die wand gr. (ad.j.) in gr.
(subst.) K. Scheit lobr. v. w. d. meyen 38 Strauch; die
Ludmer folgte ... in das zimmer gr. in gr. Gutzkow
ritt. v. geiste 3, 20; als umgangssprachliche redensart,
vielleicht vom kartenspiel (s. unter A 1 b ^) hergeleitet:
das is dasselbe (dieselbe kullör), nur in gr.! Müller-
Fraureuth 1, 446*"; am neujahrstag ist dieselbe cou-
leur in gr. F. Mendelssohn in S. Hensel fam. Mend.
8, 91; Rother schles. sprichw. 388 *•; vielfach auch von
farbstoffen: Braunschweiger, Bremer, Chinesisch, Schwein-
furter, Veroneser, Wiener gr. u. a. ähnlich schon im alt.
nhd. spens grone viride hispanum Diefenbach nov.
gl. 883", genaueres unter grünspan; Schweitzergrün Al-
be rüs IS**; nach der grundsubstanz: blattgrün (Chloro-
phyll), chromgrün, kupfergrün, mangangrün, saftgrün
U.S.W., steingrün s. unter grünstein; gelegentlich auch
pluralisch: als besäszen diese grüne (diese arten grün)
nicht jene gesundheitsschädlichen eigenschaften Zerr
handb. d. farbenfabr.^ 466.
b) hauptgebrauch im sin7ie der bedeutu?ig des adj. I A
V071 grün als Vegetation.
«) mehr collectiv; erst mit dem 18. ja. voll einsetzend
und hier offenbar metaphorischen Charakters der farb-
eindruck für das object gesetzt; älternhd. nur in einer
präpositionalen Verwendung für den begrünten erdboden,
allgemeiner 'die freie natur': alle heydnische gewonheit
als . . . spacieren ins gr. S. Frangk zeitb. (1585) 3, 295;
da will jedermann ins gr. gehen K. Sgheidt lobr. v. w.
d. meyen 38 Strauch; ich will ein weil nausz in das gr.
und zuhörn dem voglgesang Ayrer 3, 1707 Keller;
kom, Myrta . . ., dich zu mir auf das grün zusötzen
Weckherlin ged. 1, 483 J''.;
er {Amor) warf seinen köclier hin
sambt dem bogen in das grün
Königsb. dichterkr. 123 neudr.
doch bleibt oft die flexivische einreihung unsicher; vgl.
die dative: im grünen (sp. 658), entsprechend dem acc.
jüngerer spräche: ins grüne; daher mundartlich: ins
grüen fahren, gesellschaftsspiel mit karten Martin-Lien-
hart 1, 276*; int grön gähn (*. aber unten 2 b), zum
ersten sommerfest der Schulkinder ins freie ziehen; ab-
geleitet: een grön holen ein solches fest abhalten; weesen-
grön das fest der Waisenkinder Richey idiot. hamb. 82,
vgl. Sghmeller-Fr. i, 1002; bei mutter gr. schlafen im
freien Trachsel (1873) 26; ich hab bei der mutter gr.
bankarbeit gemacht Frischeier preusz. sprüchw.^ lOO;
dän hän se uff mutter grin gesetzt aus dem hause gejagt
Rother schles. sprichw. 156»; ein ausdruck der gauner-
spräche Günther 43; vergleichbar ist die Verwendung in
flur- und Ortsnamen, grüen 'Waldungen im Rheingebiet,
welche . . . zur grasnutzung versteigert werden': s Balzener
grüen u.s.w. Martin-Lienhart i, 276% vgl.BvcKfiur-
namenb. 92; so schon früh in siedlungsnamen nachweis-
bar: et quatuor lehen ... et nemus dictum Hegehol cz
inter Ernphoriczgrun (Irfersgrün) et Bertolsgrun (Pech-
telsgrün) situatum (v. 1266) urkundenb. d. v'ögte v. Weida,
Gera u. Plauen (1885) t, 71 ; oft nicht sicher von grien ab-
zugrenzen (vgl. sp. 640) dieflurnamen bei Fischer schwäb.
3, 870; in jüngerer liter. spräche klingt die unbildliche
Verwendung im sinne 'bodenvegetation' gelegentlich nach:
wer die ersteigung über gr. gering zu schätzen gewöhnt
ist . . . H. V. Barth nördl. Kalkalpen 144. jedenfalls sind
fälle wie die folgenden anders empfunden:
dort, wo durch das beblühmte grün
zween kleine buche murmelnd flieszen
Brockes 1, 30;
unter demselben blau, über dem nehmlichen grün
wandeln die nahen und wandeln vereint die fernen ge-
schlechter
Schiller 11, 91 {spazierg. 199) O. ;
. . . und ein fest erblüh uns auf dem grüne
RüCKERT (1869) 12, 225.
erst die poetische spräche des 18. jh.s gibt dem worte brei-
teste anwendung für pflanzlichen wuchs aller art (daher
gewöhnlich nicht die Vorstellung des vegetativen als viel-
mehr die der färbe im Vordergrund steht); mit Vorliebe
in genitivischen Verbindungen:
der wiesen frisches grün stand mehrenteils befloszen
Brockes 4, 39;
das mädchen sitzet
an ufers grün Schiller 11, 290 ö. ;
der hügel grün, das grünere der matten
GÖTHE 16, 277 W. ;
das gr. ... dieser gefielde v.Thümmel reise 8,30; weder im
blau des himmels noch auf dem gr. der erde Jean Paul
11, 120 jß; ganz formelhaft wurde: des waldes gr. Over-
BECK ged. (1794) 35, vgl. Chamisso w. (1836) 3, 130 Koch;
das üppigste gr. reicher Waldungen Ritter erdk. 1,583;
der zweige gr. Schiller ii, 288 G^.,-
ach sie entschwand im grün der gartenlaube
v. Salis ged. (1793) 31;
ein matter wolf . . . betrat . . .
das feld, und sah in dem bethauten grün
ein feistes füllen weiden Ramler /aöeH. 2,502;
vielfach mit einem, adj. verbunden, das die qualität des
farbtons oder den gefühlseindruck des beschauers charak-
terisiert: nach dem schwarzen gr. der welschen bäume
Jean Paul w. 15/i8, 570 H.; das dunkle gr. des sommers
Freytag verl. handschr. (1864) 1,63;
der eichenbüsche sonnenhelles grün
Hölderlin 1, 174 Litern.;
rote blumen . . . winkten aus dem smaragdenen gr. 0. Lud-
wig ges. sehr. (1891) 2, 430; buntes gr. Rückert «o. 1, 479;
{blumen) weisz und blau und stilles grün
Rückert w. 1, 77;
der kontrast zwischen lebendigem gr. und starrem gestein
ist es H. V. Barth nördl. Kalkalpen 29; ständen diese
ufer auch in gr. Fontane im 'daheim' (1887) 13, 787 >>;
kein quell, kein grün, von leben keine spur!
Chamisso 2, 102 Koch;
überhaupt ist die Umgebung sehr öde, dürr, zeigt nur
wenig gr. Ritter erdk. 2, 664.
ß) die Vorstellung des vegetativen grüns kann sich nach
verschiedenen richtungen verengern und concretisieren;
'laub, blattwerk, Strauchwerk':
wer gab das grün den zweigen?
Spee trutzn. 89 B. ;
wenn martinswind, wenn wehest du
und wehest grün und blätter ab?
Herder 25, 203 anm. S. ;
{beete) umwunden mit dunkelm grüne 27, 41 ;
mannichfaltige blumen und verschiedenes gr. Heinse
3, 250 Seh.; mit den . . . mit gr. überzogenen ruinen
Gleim briefw. 2, 259 Körte;
wo nehmet ihr in dieser Wüstenei
das bischen grün zu euem kränzen her?
Raupach dram. w. ernster gattung 5, 150;
so als fachausdruck des gärtners: in gärtnereien wird
der bäum überall . . . gezüchtet ... als gr. für blumen-
sträusze Schleghtendal ^ro v. Deutschl.^ 10, 195; für
den kränz selbst:
winde mir ländliches grün
J. H. Vosz «. ged. (1825) 3, 29;
657 GRÜN III (Substantivierungen A 2)
GRÜN III (Substantivierungen A 2) 658
(er) trägt sie (,die goldene kröne) leicht, als wie von grün
umlaubt
GÖTHE 13, 178 W.
hierher: grün = laub im kartenspiel, s. th. 6, 289 und grün
adj. sp. 652; gr. ist windiger art theatr. diabol. (i57ö) 488^;
so weisz das kleinste kind, obs eichein oder gr., hertz
oder schellen sind Treuer deutsch. Däd. (1675) l, 377;
das sieht ja aus wie lauter herz und schellen, da ist
ja gar kein gr. 0. Ludwig ges. sehr. 2, 86.
weiter von den jungen trieben des frühjahres; das
gruen umlautlos, allg. in obd. maa. s. grün, form l,
sp. 6i0; im eis. masc.: im früejohr, wenn der gruen
kummt Martin-Lienh. l, 276% vgl. Sghmeller l, lOOl;
Weinhold schles. 3i*; Gretchen küszte das erste gr.
und betaute es mit ihren thränen Hippel lebensl. 8,1,6;
die felder decken sich mit neuem grün
Schiller 13, 258 G. ;
das junge grün empfängt die blühnden glieder
Droste-Hülshoff Walther (1879) 202;
\^yl. schon groen herba. olus, gramen Kilian etym. 162;
gr., grünes kraut, blühend, herba, olus, gramen virens
Henisch 1761; groin n. 'grünes futter' Schambach 69*;
sonst in dieser bedeutung grünes, das grüne (s. u. 659);
jung grön 'frische gartenkräuter' Dähnert 162"; sprich-
wörtlich: das schönste gr. wird auch heu Sailer weish.
a. d. gösse 62.
c) ungewöhnlicher ist die Substantivierung bei der be-
deutung II A 1 'lebensvoll, blühend':
ich verwelke schon
in bester Jugend grün Herder 24, 414 S.;
im grün der Jugend flammte hoch der muth
F. Schlegel Athen. 3, 1;
vnit der farbvorstellung zusammenlaufend :
ach möchte doch . . . der hofnung geistig grün
die frohe seele zieren Brockes 5, 31;
wie die rosengluth und das frische gr. seiner gesund-
heit unter den gelben maroden . . . glänzt Jean Paul 22,
37 R.; m,undartlich besser bewahrt: ein kranker hats gr.
wieder erreicht Fischer schwäb. 3, 869; ins grüen gseh
'noch ettoas trost und hoffnung haben' Staub -Tobler
2, 749; zu grün kommen: er is . . . wieda zgroan kemma
RoSEGGER tannenh. u. ficht. 143.
d) einzelnes: im 16. jh. als name verschiedener krank-
heilen, z. th. umdeutung von grien *. dort sp. 264; dar-
umb müsz der bischof dick . . . purgieren, dann es ist
für das gr. gut sat. u. pasqu. 3, 190 Schade; das gr. der
kinder ist, wann sie bin st gesogen haben, so gewinnen
sie grosze krimmen und reiszen im leib, un gehet grüne
materi im stulgang hinweg Tabernämontanus kräuterb.
427 ; für giftstoffe s. adj. II b l c und grüne /. ,- virosus
vol griensz, gifts Diefenbagh 622'»; rotw. grün = silber-
werck (i687) Kluge rotw. 167 (vgl. 169).
2) schwache flexion nach dem artikel: das grüne;
da bis in das 18. jh. hinein auch das grün schwach flectiert
werden kann (vgl. Adelung lehrgeb. l, 660), bleibt in
älteren belegen die Zugehörigkeit der obliquen formen
doppeldeutig.
a) das grüne als die grüne färbe schlechthin bis in
das 18. jh. Tnöglich:
dat grone dat is en herdent lank;
alle dat lichte grone untspringet . . .
nd. Jahrb. 28, 136;
das lob (laub der Spielkarte) an dem griennen wol zu-
sehen ist (ig. jh.) nach Fischer schwäb. 3, 868; die vier
färben ... die vier j ahreszeiten bedeuten als das grüne
den früling Harsdörfer frauenz. gespräclisp. 4, 850;
wie sich der sonnen gold in ihnen {den blättern)
mit dem so zarten grünen . . . {verbindet)
Brockes 2, 301
(der nominat. bei Brockes durchaus das grün !) ; wodurch
jede art dieses grünen von den andern abzusondern
MOSER *. w. 1, 415; so noch bei Göthe: das grüne der
Weinflaschen entsteht II l, 218 W., vgl. II 1, 187 u. 2, 226;
in gegenwärtiger spräche nur noch in bestimmten verb-
IV. 1. 6.
Verbindungen üblich: die sache . . . schiene ihm ins grüne
zu fallen Just. Moser *. w. 4, 62;
die Schmeicheläuglein spielen ins grüne
Heine w. 2, 36 E. ;
ein goldener säum verliert sich . . . ins grüne S. Gesz-
NER sehr. (1765) 3, 146; so auch: die färbe hat einen
stich ins grüne; gelegentliche concretisierungen: das grüne
am kupfer verde di rame Kramer teutsch-ital. 1,672'»;
nimm drey gute bände voll das grüne von den wel-
schen nüssen J. Walther pferde- u. viehz. (1658) 150.
b) in der anwendung auf vegetatives grün ist nur die
präpositionale fügung ins grüne, im grünen seit dem
älteren nhd. breit entfaltet; zuweilen in begrenzterem sinne
'grasboden': (Siegfried) legte sich ein wenig . . . ins grüne
volksb. V. geh, Siegfr. 85 ndr.; dasz sie einander nicht
ins grüne legeten theatr. amor. l, 182;
setzt er sich neben ihr ins grüne
Pfeffel poet. vers. 2, 166;
so auch: er hat sein Schäfchen aufs grüne gebracht
Körte sprichw. 377; vgl. das grüne grüne weide Fischer
schwäb. 3, 868; und ihre zwey pferdgen im grünen her-
umb weiden lieszen Weise drei kl, leute 134; befahl da-
selbst im grünen das mittagsmahl anzurichten Schütze
hist. rer. pruss. 1, E 4»; es paaret sich alles im grünen
(in den bäumen) und auf der erde maler Müller 1,
210 Heuer; das niedrige still im grünen gelegene baus-
chen Gutzkow ges. w. l, 178; mit Vorliebe ganz allgemein
'in die grüne, freie natur': item dat, wenn de kinder
yntt groene gan (vgl. sp. 655) Hambg. schulbest. v. 1569,
zeitschr, f. hambg. gesch. 11, 269 ;
fort ins grühne grühne güng
Zesen Rosemund 17 ndr,;
und
die kinder ... in das grüne führen Schupp sehr.
918; ich ging vor die stadt ins grüne Stifter l, 127;
da will jedermann ... im grünen spatzieren, im grünen
essen und oft im grünen schlafen K. Scheidt lobr. v.
w. d. meyen 88 Strauch, vgl. I b «;
es ist zeit hienausz zue schawen,
und sich ... in dem grünen zue ergehn
Opitz poeterei 26 ndr. ;
ein gang im grünen Hölty ged. 106 Halm;
mit dem wünsch alle . . . nach überstandnem winter
im grünen zu sehen Göthe IV 29, 3; sie (die bäuerin)
untersteht sich sogar, im grünen zu gebären Treitschkk
hist. u. pol. auf Sätze l, 477; seltener mit anderen Präpo-
sitionen: under dem grienen in der kiele zu spacieren
ScHiCKHARDT 154 Heyd; (ein lachen) das rings aus dem
grünen tönte G. Keller ges. w. 6, 67;
wenn er nun durchs grüne drauszen reist
RüCKERT w. 3, 125 ;
auf die frische luft, auf das grüne ... ist sie ganz er-
picht samml. v. schausp. (Wien 1764) l, 3; daneben auch
in anwendungsformen, für die heute das grün (s. l b)
geläufig ist, aber je später je ungewöhnlicher: kieme . . .
ist das grüne, so aus dem körnlein wechset Gueintz
dtsche rechtschr. 89; öfter bei Göthe:
unter des grünen
blühender kraft
1,81 W.;
nur das grüne fehlt hier dem frühling IV 9, 204; auch
nd. ganz gewöhnlich, für das mnld. vgl. Verwijs-Ver-
DAM 2, 2154; dat gröne der wischen Chyträus (1586) 50;
t gröne brekt üt Doornkaat-Koolman l, 695»; daher:
int gröne gaan ins feld gehen Dähnert 162*; termino-
logisch: Jungfer int gröne, name des Schwarzkümmel
(nigella damascena) Mensing 2, 494, sonst dierndel im
grünen Fischer schwäb. 3, 869 u. s. w., vgl, Pritzel-
Jessen 247, s. grete 3 a (sp. 20i); das grüne am schiff
(sonst auch hart) 'die grünen . . . gewächse, die sich . . ,
an den boden des schiffes festsetzen' Bobrik seewb. 820»;
älternhd. auch im sinne des gebrauchs 3, doch anschei-
nend nur in einer bestimmten Verwendung : in das grüen
stellen die pferde mit grüner gerste purgieren; weyl sie
(die pferde) so lang das grüen (apocopiertf) geessen;
42
659 GRÜN III isubatantivierungen A 8, B) — IV 1
wann mans hernach ausz dem grüenen nimpt Seuter
hippiatr. (1588) 92; vgl. die grüne geben («. u.).
3) artikelloser gebrauch der pronominal flectierten form:
grünes; seit alters von vegetativem grün:
{die heuschrecken fraszen) swaz grünes indir was,
ez wsere holz oder gras Milst. exod. 149, 1 Diemer;
noch kein grünes keimet erste dtsche bibel 4, 227 ; nichts
griens mag wachsen do Fel. Faber pilgerb. 22 Birl.,-
ein rund lustheusle . . . mit grienem überwachsen Schick-
HARDT 164 Heyd;
die mit blumen auf dich streiten
und mit grünem ganz bespreiten
F. Fleming 1, 347 L.; vgl. 511;
man sieht nichts grünes, keinen bäum
GÖTHE 14, 89 W. ;
nun wurde die forelle aufgetragen, mit grünem bekränzt
G. Keller gea. w. 6, 16; die formel dürres und grünes
(s. sp. 644) im sinne 'alles': die schrift versagt inen durrs
und grünes S. Frangk bei Fischer schwäb. 2,507; dürres
und grüenes versagen aqua et igni interdicere Henisch
1762; hauptgebrauch: vegetabilien als nahrungsmittel: auch
grünes . . . verzehren sie {die krähenraben) Naumann
nat. d. Vögel 2, 60 ; entweder gemüse, grünzeug für die küche,
Suppengrün, gewürzkräuter u. dgl. oder grünfutter fürs
vieh: item den hauszdiern wer in auf . . . frisch grienesz
{frisches gemüse) oder düers . . . leicht (I6. jh.) österr.
weisth. 6, 266, 34; an den festtagen hat sie nichts anders
zu machen, als . . . ein grünes und eine mehlspeis
samml. v. schausp. (1764-69) 6,64; will er wieder grünes
vom markt einholen? Wacken roder herzenserg. (1797)
254; einrichtungen , . . um . . . etwas grünes wie gemüse
zu ziehen Ritter erdkde 5, 593; mundartlich hd. und
nd. sehr verbreitet: obd. neben ein grünes sogar das grüns
für Suppengrün, gemüse Sghmeller-Fr. l, 1002; Staub-
ToBLER 2, 749; für kräuter, gemüse und futter ebda,
Fischer schwäb. 3, 869; Martin-Lienh. i, 276; Mensing
2, 494; rheinisch: grünes gelüsten nach grünfutter lust
haben, dann übertragen: 'keinen verstand haben' {wie das
vieh) lux. ma. 153 '»; vgl. schon: es gelüstet ihm etwas
grünes gli viene voglia di qualche cosa verde, cive una voglia
strana, curiosa, impertinente Kramer teutsch-ital. 1,572'*;
anders: gröns belöste auf eine sache nicht eingehen Honig
69*; übertr. bedeutungen: gröngs 'etwas unzeitiges, albernes'
MÜLLER -Weitz Aach. ma. 75; grüens 'vorteil, gewinn'
Staub-Tobler 2, 750; selten von anderen als pflanzlichen
objecten :
davon er nu grünes trait (d. h. grünes gewand trägt)
lieders. 1,153 Laszberg;
sein gläschen' grüns {likör) Gotthelf bei Staub-Tobler
2, 750.
B. das masc. der grüne, ein grüner vielfach in volks-
mäsziger spräche von grün uniformierten Soldaten, Poli-
zisten, auf Sehern u. a., vgl. grünrock, grünspecht; die
grüne zu pferd (i792) Schmeller-Fr. l, 1002; Staub-
Tobler 2,750; Fischer schwäb. 8,868; Müller-Frau-
reuth 1, 446^; zs. f. dtsche wortf. 3, 94; neuerlich die
Schutzpolizisten {in Berlin und anderorts); 'der teufeV
{als Jäger) Schmeller-Fr. 1, 1002 {s. sp. 654), vgl. grün-
mantel; der grüne gesellsehaftsname im palmenorden
Neu MARK neuspr. teutsch. palmb. (I668) 238; nach grün
II A 2 a, der grüne = 'rekrut' Imme sold. spr. 14; seltener
von grünen thieren: 'grünspecht' Staub-Tobler 2, 750;
'grüne eidechse' Lexer kämt. 125 ; für einen wein Pritzel-
Jessen 448.
IV. grün- ist als compositionsbestandtheil in zahlreichen,
zumeist jüngerer spräche angehörenden bildungen vertreten,
die theils gelegentliche {poetische), theils fachsprachlich-
terminologische oder alltagssprachliche Zusammensetzungen
darstellen; die folg. Übersicht der compositionatypen no-
tiert nur die weniger entwickelten Wörter, ausgebreitetere
8, an aiphabet, stelle.
1) adjectiva.
a) grün- vor einem zweiten adj. der farbbezeichnung,
entweder angebend, daaz die hauptfarbe ins grüne spielt,
seltener, dasz die betr. sache beide färben nebeneinander
GRÜN IV {compositionstypen l)
660
aufweist, läazt sich nicht vor dem 16. jh. nachweisen, s.
grünblaulicht, -gelb, -schwarz, -weisz an alph. stelle; im
ganzen jünger sind: grüngrau: eine kleinere art {von
äffen) gr. mit rothem gesiebt Ritter erdk. 8, 768; ent-
sprechend: die ... rispe ... ist grüngraulicht v. Schlech-
tendal flora v. Btschl.^ 7, 197 ; du und dein grüngräu-
licher mantel Eighendorf s. w. 2, 496; -purpurn: unter
ihrem {der wellen) grünpurpurnen gewölbe Göthe 49,
108 W.; anders zu fassen als verkürztes 'grün %oie ein
Saphir': -Saphiren: bald gleichet es dem grünsaphieren
faden Harsdörfer /rawen«. gesprächap. 6,841; -silbern:
grünsilberner haare bebüschung {von weidenbäumen)
Vosz a. ged. 2, 198; ala gelegenheitsbildung statt 'sma-
ragdgrün' -smaragden: es trägt die grünsmaragdne
spange bluten Platen 1. anh. nr. 42 R.; auch tricom-
posita -grau weisz: die blütenköpfe sind ... gr.
V. Schlechtendal flora v. Dtschl. 29, 808; -glänzend-
schwarz Naumann naturg. d. vögel 11, 756; -asch-
farbig allg. haush. lex. (1749) 1, 118; technisch: -stich-
blau: man unterscheidet ... ein gr. ... und ein
rothstichblau Muspratt chemie 8, 807.
b) grün- mit einem adj. zusammengerückt, der bedeutung
des zweiten adj. den f arbbegriff beifügend, schon im
il.jh. nicht selten: -blank Sghottel 88; -blasz {von
einer person) Viebig schlaf, heer 1, 163; -bunt: dieser
grünbunte teppich Fouque jahreaz. 1, 6; in älterer spräche
gern suffixal erweitert: mit einer neuen grünbuntlichen
dekke S. v. Birken forts. d. pegn. (i645) 4; -dick: die
gründicke {dichte) laube Hippel lebensl. 2, 265; -dunkel:
auf den gründunkeln gipfeln Jean Paul w. 48, 148 H.;
-düster: in diesen gründüsteren hallen J. Mosen s. w.
8, 871; -flüssig {s. auch unter c): das grünflüssige gold
{des Weines) gespr. m. e. grobian (1687) 131; -gläntzicht:
mit seinen schönen grünglänzichten . . . blättern v. Hoh-
BERG georg. cur. (1682) 1, 523; -hell: über den grünhellen
Spiegel der Donau Fouque zauberr. s, 182; -länglicht:
ein grünlänglichtes blatt Bräker s. sehr. (1789/.) 2, 137;
-luftig: in diesem grünluftigen schatten B. Weber
cartons ib; -saftig: ein grünsaftiger wiesengrund Kürn-
B ERG ER nov. 2, 192; -spitzig {von einer blattform)
Schlechtendal flora v. Btschl.^ 29, 222.
c) grün- mit Substantiven zusammengesetzt, die durch
-ig, -icht adjectiviert sind; grün- gibt hier die farbqualität
dea adject. subst. an; bereits im 16. jh. bezeugt, aber meist
jüngere bildungen: grünaderig Rohling Btschl. flora
1, 355; -ästig: mit grünästigen bäumen H. Lew^enklaw
chron. türck. nation (1590) 465, schon im n.jh. häuflger:
die güldene sonne beleuchtet die weit,
begläntzet der bäumen grünästiges zeit
Harsdörfer Diana (1661) 2, 121;
• beerig Metzger pflanzenk. 642; -beinig {vom Wasser-
huhn) Oken allg. naturgesch. 7, 70; -blättrig: von einem
grünblättrichten baumzweige G. Treuer dtsch. Dädal.
(1675) 1, 140; die grünblättrige pflanze Muspratt chemie
4,1521; -blumig Rohling Dtschl. flora 5, 225; -blutig
Schlechtendal flora v. Btschl. 2, 134 taf. 158 II; -bu-
schig: grünbuschige inseln G. Etzel John Keats ged.
72; -dämmerig:
, . . brannte das lämplein
hinter dem taftenen schirm gründämmerig
Vosz ged. 2, 14;
-dornig: {sie) brach einen grün- und weichdornigen
zweig Jean Paul ll/l4, 351 S. anders -duftig: so ...
gr. ... er dergleichen stellen auch coloriert Göthe 24,
368 W.; -flüssig (*. auch a): ein spath- und grünflüs-
siger . . . gang (1727) Wttbg. jahrb. 1910 «.856; -füszig:
grünfüsziger strandläufer Naumann naturgesch. d. vögel
8, 59; -glasig: die grünglasige, dicke bouteille Fontane
II 5, 100; -gliedrig: grüngliedrige heupferdlein Ro-
SEGGER achr. (1895/.) 11, 210; -hosig: frosch, grünhosiger
gesell Brunner erzähl, u. achr. 1, 267 nach: grünhosende
frösch A. A ST. Clara mercka Wien 41; vgl. grünhöslete
frösch J. V. Neiner tändlmarckt (1784) 136; -kielig:
alle Spelzen sind . . . gr. Schlechtendal /Jorav. Btachl.
6, 113; -kieszig: dieses metallertz wird in schieferigen
fl'ötzwercken, das grünkieszig ist, gewürcket Valentinüs
661
GRÜN IV (compoaitionstypen 2)
GRÜN IV (cotnpositionatypen 2)
662
chim. sehr. (1677) 2, 191; -köpfig: grünköpfige eichen-
raupe Brehm thierl. 9, 410; -laubig: gr. gesprosz Vosz
odyss. 16, 49 B.; -nachtig: nun dunkelt es gr. von
dichten . . . tannen Federer berge u. menschen (l91l)
282, vgl. *p. 642; -ra sieht: auf den grünrasichten reinen
anhöhen Gleim briefw. l, 445; -rindig Ratzeburg
Waldverderbnis 2, 315; technisch: -rostig (s. grünspanig)
Beil techn. wb. l, 265; -schalig: alle grünschaligen
samen Schwerz pract. ack. 467; die grünschaalichte
(Schildkröte) allg. deutsche bibl. 94, 161; -Schild er ig:
von . . . grünschilderigen federn v. Göchhausen notab.
venat. (I74l) 85; -schilfig: vom grünschilfigen sumpfe
Vosz s. ged. (1802) 2, 242 ; grünschilficht 3, 120 ; - s c h i m m ■
licht: ein fast schwarz und grünschimmlichtes stück
(alterthum) Gottsched neuest, a. d. anmuth. gelehrs. i,
408; -schlammig: sein grünschlammiges bett (vom see)
fürst Pückler-Muskau südöstl. bilders. 3, S98; -schlei-
mig: ... zwischen dem grünschleimigen entengries
V'PBiG d. schlaf, heer 1,14; -stämmig: die grünstämmige
blumenwaldung Jean Paul 7, 177 E.; -strahlicht
Stieler 2187; -streifig Campe 2, 477 u. -striemig
Sghottel 84; vgl. so werden sie (die citronen) gelb
und grünstreimet Schnurr wunderbuch (i657) 152;
-talig: das grüntalige Erin schottert von meer zu meer
J.W.Petersen Ossian (1782) 323; -waldig: am grün,
waldigen säume H. Köhler geg. d. ström (i88l) 99-
-wogig: den grünwogigen stillen ström Kinkel erz. 27l|
d) grün- in Verbindung mit einer durch en adjecti-
vierten Stoffbezeichnung; seit dem 17. jh. gebräuchlich:
grünatlassen: in grünatlassener weste Jean Paul
w. 20/23, 61 H.; -damasten: in einem gründamastnen
Schlafrock Göthe 27, 86 TF.,- -gläsern: der grüngläser-
nen weinbecher Zsghokke s. ausg. sehr. 27, 63; -leinen:
ein grünleinenes tuch fürst Pückler-Muskau tutti
/r. 2, 104; -marmorn: auf einen grünmarmornen grenz-
stein Jean Paul w. £9, 33 H.; -papiern v. Gaudy s.
w. 18, 67; -plü sehen: in ... grünplüschenen hosen
Jean Paul 42/43, 49 H.; -sammeten: desz waasen
grünsammeten töppich A. a st. Clara Judas 1, 19;
-satinen: in grünsatinem kleid Harsdörfer /rawen^.
gesprächsp. 7, xxvii''; -tafften: mit einer grüntaff-
tenen schürze Jean Paul 8, 204 H.; -tapeten: den
grüntapetnen pavillon Platen 2, 141 i?.,- -tuchen: in
seiner grüntuchenen jagdjacke J. Mosen a. w. 7, 66.
e) selten ist die Zusammensetzung von grün- in der
bedeutung I B 2 oder II A 1 mit sinnverwandten adjectiven,
als Intensivierung empfunden: grünfrisch: so grün-
frischpoetisch sah der bursche aus Laube ges. sehr. 8,
199; -kräftig: gleichwol das alter ihm als gott grün-
kräftig war M. Schirmer Virgil (1668) 279; mehr zu b
neigend -lebendig: in den grünlebendigen hainen Tiegk
sehr. (1828) 4, 215; -vergnügt: die bäume glänzten so
gr. Heine 5, 122 E.,- im sinne IB2(?): -wachs 'scharf
von geschmack' ünger-Khull Sil''.
2) participia präteriti.
a) composition mit einem zumeist schon als adj. emp-
fundenen partic. prät., bei der grün im sinne von I A des
adj. die pflanzlich grüne qualität des im verbum steckenden
subst. charakterisiert oder substantivisch wie Alb an-
stelle einer präpositionalen Verbindung 'mit, vo7i grün'
(selten statt eines gen.) das handlungsmittel ausdrückt;
seit dem, 17. jh., besonders in poetischen bildungen reicher
entwickelt, vgl. grünbelaubt an alph. stelle; grünbe-
blumt, -geblümt: die grünbeblumte bahn Hars-
Dörfer frauenz. gesprächsp. 6 C c 3"; die natur sasz
auf einem grüngeblumten stule Lohenstein Arminius
(1689) 1, 1403''; -bebuscht: vom grünbebuschten ranft
V. Wessenberg *. dicht. 2, 134; -bedeckt: auf den
grünbedeckten seeboden Ritter erdk. 13, 256; -be-
hangen:
auf grünbehangnen burgaltanen
GKAF Strachwitz ged. 160;
-bekränzt: heran den grünbekränzten hohlweg Fou-
QUE reiseerinn. 1, 25; -bekräutert: grünbekräuterte
thäler Vosz nach Campe 2,468*'; -beraubt:
diese buche grünberaubt Rückert w. 2, 606;
•beschilft:
den grünbeschilften Asopos
BÜRGER «. w. 217 B.;
-bewachsen: zu einem grünbewachsenen hügel Ni-
colai Sebald. Nothanker 3, 105, vgl. Ludwig teutsch-engl.
lex. SIT, -beziert, -geziert: der grünbezierten gärten
Harsdörfer frauenz. gesprächsp. 7, xxvii'';
in den grüngezierten auen
Knittel poet. sinnenfr. 9 absond. buch;
- b e z w e i g t : grünbezweigte lust- und spatziergänge
Francisgi luftkr. (168O) 85; -geschmückt: die erde
gr. Denis lieder Sineds 84,6; -gewölbt:
unter grüngewölbter nacht
-umbuscht:
Vosz 8. ged. 6, 217;
im klaren, grünumbuschten quell
Hoffmann v. Fallersl. ges. sehr. 7, 219;
-umgeben: die grünumgebnen hütten Göthe 14, 55 W.;
•umhegt: im grünumhegten haus Droste-Hülshoff
w. (1879) 1, 858; -umschränkt:
um den grünumschränkten plan
Göthe 15, 1, 4 W. ;
•umwachsen:
du kleine, grünumwachsene quelle
Claudius s. w. 1/2, 154;
-umwölbt: ein grünumwölbtes Wetterdach Hoffmann
V. Fallersleben ges. sehr. 2, 85; -verschattet: ein
grünverschattetes pfarrhaus Eichendorf *. w. 2, 694;
-verwachsen: in einer . . . grün verwachsenen laube
ebd. 8, 72;
b) stark enticicktlt sind Zusammensetzungen adjecti-
vischen Charakters, in denen grün die färbe des im ver-
bum liegenden subst. bezeichnet oder selbst substantivisch
als 'grünes farbmittel, grüner stoff' (vgl. A 1 a) gefaszt
wird; grünangestrichen Hirsghfeld theorie d. gar-
tenk. (ili^ff.) 5,235; -ausgeschlagen: mit ... grün-
ausgeschlagenen braunen Jacken Steub drei sommer in
Tirol 1, 400; -bebändert: grünbebänderte hüte Ro-
segger sehr. II 12, 107; -behaart:
frühlingikäme grünbehaart
Platen w. 1 anh. 99 R. ;
-behangen: auf dem grünbehangenen tische Gutz-
kow zaub. V. Rom 9, 199; -bekleidet, -gekleidet:
ein . . . grünbekleidter Jüngling Harsdörfer frauenz.
gesprächsp. 7, 53; grüngekleideten närrinnen Lohenstein
Arminius 1, 470"; -bezogen: grünbezogene billards
Gutzkow rttter v. geiste^ 4, 257; -eingebunden: ein
. . . grüneingebundenes notenbuch Fontane v. d. stürm
2, 207; -geäugt: dem grüngeaugten Scheusal Shake-
speare (1855) 9, 199; -gefärbt: im grüngefärbten kleide
Weichmann poesie d. Niedersachs. 1,68; -gefleckt allg.
dtsche bibl. iio, 283; -gemalt: grüngemalte dächer Rit-
ter erdk. 3, 228; -gepolstert Rosegger sehr. II 19, 71;
-gerostet: die... grüngerosteten glocken Gutzkow
ritter v. geiste 1, 13; -geschuppt: die grüngeschuppte
haut V. Maltitz streif züge 60; -gesprenkelt B. We-
ber cartons 29; -gestreift: mit grauen . . . grühn-
gestreiften bluszen 0. Dapper America (1673) 213*; -ge-
strichen Gutzkow ritter v. geiste l, 280; -gewirkt:
in einem grün- und gold-gewirckten kleide Lohenstein
Arminius 2, 1599 "; -glasiert: grünglasierte kachelöfen
v. Lang merkw. reise 3, 75; -lackiert Mörike w. 1,
179 Göschen; -marmoriert (von käse) Th. Mann Bud-
denbr. (1910) 1, 249; -poliert Fontane I 5, 284; -punk-
tiert Krünitz 173, 448; -überzogen Brunner er^. t«.
sehr. 1, 99; -verhangen: in einem grünverhangenen
eckzimmer Gutzkow zaub. v. Rom 9, 115; -vermalt
V. Strombeck darstell, a. m. leben l, 13.
c) zusammenrückung des adjectivs grün- (vgl. adj. 1 b)
mit einem adj. partic., wobei grün die farbqualität des
subst, bestimmungswortes angibt: grünerstarrt: aus
einem grünerstarrten meer von eis C. F. Meyer ged.
(1900) 94; -geschlitzt: aus grüngeschlitztem sammet
Rückert w. (i867) 5, 85; -gesenkt: zu der alpe grün-
42*
663
GRÜN IV {compoaitionatypen 8. 4)
GRÜN IV {compoaitionatypen 4)
664
gesenkten wiesen Göthe 16, i, 6 W.; -gewachsen: in
grüngewachsnen gangen Triller poet. betracht. 2, 219;
-verschlungen: wildnisz grünverschlungener ranken
Eichendorf a. w. 8, 146.
8) participia präsentia.
meist bestimmt grün- den verhalbegriff nach der chro-
matischen Seite hin: grünansteigend: {in) sanften,
grünansteigenden weiden Stifter s. w. 4, i, 176; -blin-
kend: die grünblinkenden lichter des sees 8, 845;
-blitzend: die grünblitzenden äugen Eichendorf a.
w. 2, 238; -blühend: terminologisch Dietrich flora 7,
706; -dämmernd: ein zimmerchen — vom weinlaube
gr. Jean Paul w. is/is, 278 Hempel; -flutend: grün-
flutende wogen V. Scheffel ges. w. (i907) 8, 8; -fun-
kelnd: wie grünfunkelnde stacheln (von aw^en) E. Th.
A. Hoffmann s. w. 6, 206 Gr.; -glänzend: die brüst
... gr. schwarz Naumann nat. d, vögel 7, 612; bildlich:
in der grünglänzenden saftzeit Jean Paul w. ii/i4, 55
Hempel; -leuchtend: mit . . . grünleuchtendem zier-
rath Fouque zauberr. 8, 15; -prangend: grünprangende
auen F. Kind ged. 4, 180; -schattend Fouque alts.
bilders. 2, 634; -schillernd: einen grünschillernden
schillerspat allg. dtsche bibl. 104,455; -spiegelnd: das
grünspiegelnde tor {des sees) Mörike w. 8, 121 Göschen,-
-spielend: grün- und weiszspielende blümlein Hars-
DÖRFER frauenz. gesprächsp. 4, 447; {delphine) mit . . .
grün- und goldspielenden seilen Göthe 31, 85 W., vgl.
ins grüne spielen sp. 658.
4) substantiva.
a) grün- bestimmt den hauptbegriff dahin, daaz er sieh
auf pflanzliches grün bezieht; meist entspricht grün dem,
aubst. in der bedeutung Alb; als adjectivisch empfun-
denes compositionselement tritt die form grüne gelegent-
lich auf: grüne-sode technischer ausdruck der deich-
bauer BenzlEr deichb. 1,181; grünesuppe Albrecht
Leipz. m,a. 126^; auch als subst.: bey einer lust- oder
grünefahrt {d. h. 'ins grüne') Scriver aeelensch. 2, 109.
grünanlagen: junger ausdruck für gärtnerische an-
lagen; -arbeit: '/eWarJeif'UNGER-KHULL8lO^; -bauer:
'gemüsebauer' Kern-Wilms Ostfriesl. 4, vgl. grönte-
bür Doornkaat-Koolman l, 695'>; -blütigkeit: 'ver-
laubung' {chloranthie) Schneider handwb. d. bot. 285;
-bruch: dann haben wir ... die eckspitzen, die grün-
brüche und anderes Stifter s. w. 4, i, I7i; -düng:
düng aus lupinen u. a. Schwerz prakt. ackerb. 32 ; -dün-
gung Schneider handwb. d. bot. 285; abgeleitet: -dün-
gungspflanze Metzger pflanzenk. 123, -düngungs-
verfahren u.a.w.; -erwecker {poetisch für den mai)
Heinse w. 3, 441 Seh.; -fiedler in: das gemeine scheer-
geiger- und grünfiedler-wort Mattheson kl. generalbasz-
schule 95; -flächen: junger terminus der Städtebauer
Lueger lex. d. ges. techn.^ 8, 727; -gewölk {poet.): das...
grüngewölk der ersten belaubung Stehr drei nachte^ S2;
-glänz: wiesen im frischen gr. Zschokke *. ausgew.
sehr. 40, 217; -gürtel moderner städtebaulicher begriff,
der ring von gärtnerischen anlagen um einen stadttheil;
-hecke: hecke aus lebenden sträuchern grünhäg, torn-
häg Henisch 1762 ; -h 0 f {grasgarten) : viridarium groenen
hof, groenhof Kilian ett/m. 162; -hüter: 'feldhüter'
Unger-Khull 811* *. österr. weisth. 7,622; -schwarte:
grasdecke der deiche, in allg. bedeutung auch 'grasanger'
Benzler £?etc7t&.i, 181 ;v5r^gronswarden(v. 1384) Schiller-
Lübben 2, 152''; -speise: 'gekochtes gemüse' Unger-
Khull Sil'»; -stück: der mangel einer weiten aussieht
. . . wird . . . durch die angenehmen nahen grünstücke
ersetzt Lichtenberg verm. sehr. 8, 899; -zäun: leben-
diger zäun 8. -hecke; -zweig: grunz wey oder ast frons
Maaler 194» (Frisius 103": grfinszweig).
b) grün- erläutert das angeschlossene subst. in den be-
deutungen von 1 B 'unreif, roh, frisch'; meist landwirt-
schaftlicher terminologie entstam.mend; grünbier: jung-
bier, das bier vor der nachgärung Brockhaus'* 8, 445";
-ilachs: roher, ungerösteter flachs Gisevius landw. lex.
2, 247**; -fleisch: friscJies rindfleisch A. Wrede rhein.
volksk. 143 {vgl. ap. 648), gryenfleisch schon Mainz, hof. 22
Michelsen; -getreide: in unreifem zustande gemähtes
getreide Gisevius landw. lex. 1, 459"; -hafer: unreifer
hafer Schwerz prakt. ackerb. 476; -hering: grüner,
frischer hering {a. sp. 648) Mi meckl. 28; -kern: auch
grünkorn, 'graupen von unreifem dinkeV Gisevius landw.
lex. 1,459; -lein: über siebzig {zentner) grünlein KOrn-
berger nov. 1,149; -mais: unreifer mais Schwerz
prakt. ackerb. 473; -raps Gisevius landw. lex. 1, 460'';
-reife 'milchreif e. reifezustand des getreides vor der gelb-
reife' 1, 460''; -roggen Schwerz prakt. ackerb. 476;
-rübsen Gisevius 1, 460''; -senf ebd.; -vieizen ebd.;
-wicke Schwerz prakt. ackerb. 294.
c) reich entwickelt sind zusam,mensetzungen in appel-
lativen bestimmungen, durch die meist aus einer gruppe
von dingen eine durch grüne färbe charakterisierte abart
ausgesondert wird; besonders gern terminologisch in fach-
sprachlichen ausdrücken der naturwissenschaften und
volksthümlichen bezeichnungen ; gr ünaf f e ^ritwe meerkatze
cereopitecus sabaeua Brehm thierl.^ i,iS8; -alge chloro-
phyaea Meter iex.' l, 843; -apfel Diefenbach nou. ^Z.
244*»; -birne art mostbirne Unger-Khull 310''; art
winterbergamotte Nemnich wb. d. nat. 212; -blume Diet-
rich flora 3, 61; -böcklein 'art des afterbockkäfers'
leptura virens Schrader dtsch-franz. wb. 1, 579; -dorn:
durch gründornen eingehegt Brehm thierl.^ 5, 568; -edel
weinsorte {eis.) Metzger |?/?anzenÄ;. 914; -eder, m,., sma-
ragdeidechse lacerta viridis {rheinische bezeichnung) Brehm
thierl.^ 7, 141; -eiche quercus robur Holl wb. dt. pfl.
136'' ; - e i d e c h s e : gruneidex lacerta viridis voc. rei numm.
(1552) C 7*; -erle alnus viridis Sghlechtendal ^ora
10, 122; -ewig 'epheu, Wintergrün' {hess.) Vilmar idtoi.
139, vgl. Pritzel-Jessen 282 pirola, ebd. 139 vinca minor;
•ewig wohl = eppich s. th. 3, 680 u. Pritzel-Jessen 177;
-feste chlorocrepia Prahn pflanzennam. 19; -frosch
ranocchia verde gialla Kramer teutsch-ital. 1,426 c; der
ehrliche grünfrosch Allmers marschenb. 1/2, 112; -gang-
fisch: grüngangfisch albulae nobiles {auch gangfisch)
Faber thes. (1587) lOia** {aus grundgangfisch entstellt?);
-hänfling: grünfink{s.d.) Schrader dfecÄ.-/r.wJ. 1,581;
-hühner: blutfasanen Brehm <Äferi.* 7, 84; -karpfen
hornhecht s. grünknochen Meyer lex."^ 5, 749; -krähe
coracias garrula Naumann nat. d. vögel 2, 158, als grüne-
krähe allg. haush. lex. (1749) 1, 624; -lilie chlorophytum
Prahn pflanzennam. 19; -otter grüne krötenotter 6, 478;
-papagei androglossa Brehm thierl.^ 5, 284; -reiher:
butorides virescens ebd.^ 6, 151; -rinde 'das parenchym'
unter der äuszeren baumrinde Ratzeburg waldverd. 2,
225; -schaub Metzger pflanzenk. 869; -schlänge
philodryaa viridissimus B reh m thierl.^ 7, 333 ; -Schnecke
eine pflanze, cerinthe minor Pritzel-Jessen 88; -Sper-
ling eine ausländische sperlingsart {in Bahama) Hein-
sius 2, 559''; -Spinner eine seidenraupenrasse Brogk-
hau s 1* 8, 468 " ; - V 0 g e 1 = grünflnk Brehm thierl.* 9, 425 ;
-Wickler der eichenicickler tortrix viridana, ein Schmet-
terling eida 9,455; -zirpe tettigonia viridis, zikadenart
ebda 2, 162.
d) in gleicher Verwendung auch in ausdrücken der
technischen und m.ineralogischen fachsprache und anderen
Tneist appellativen bezeichnungen {selten entspricht grün-
dem subst. in der bedeutung A 1 a wie in grünblind-
heitBROCKHAUsi*s, 445«^; -empfindung Karmarsch-
Heeren techn. wb. 5, 518).
grünbad grüne färbelösung Prechtl techn. enc. 11,
52; -bleierz grüner pyromorphit, grünbleyerz Pansner
franz.-dtsch. miner. wb. 724; -brand ultramaringrün
Lueger lex. d. ges. techn. 7, 765; -buch ausdruck der
diplomatensprache , actenveröffentlichung in grünem ein-
band Meyer lex."^ 1, 1092; -büttel: und täglich den stadt-
vogt . . . und grünbüttel förchtet Spörer in Scheible
kloster 1, 104 ; - e i s e n e r d e mineral, hypochlorit Werner
oryktogen. (1792)261; -eisenerz mineral, kraurit Beh-
len forst- u. jagdk. 3,514; -eisenstein dass. Zappe
m,iner. handlex. 1, 422; -erde mineralfarbe {Veroneser
grün), seladonit Pansner franz.-dtsch. miner. wb. 14;
-glas 'gemeines gr., flaschenglas' Muspratt chemie 3,
1373; -glimmer Mran^/h'mmer Krünitz 200, 321; -haar:
{poet.) wo die nixe ihr grünhaar . . . Heine s. w. 2,
665
GRÜN IV (eompositionstf/pen 6)
GRÜNACHER — GRÜNBLAU
666
225 E.; -hut: den kurzkrämpigen grünhut einer Tirolerin
ZsGHOKKE *. ausgew. sehr. 40, 218; -j äger/ü»- den frosch
Ml mecklenb. 2%^ ; -kalk i) ^rasÄaZA Mu SP ratt cÄemie 5,
485; 2) glaukonithaltige kalke Meyer lex J 5, "HS ; -käse,
kräuterkäse Sallmann neue leitr, 66; -könig {der grüne
könig im kartenspiel) : die . . . constellation des grün-
königs wurde . . . gekreuzt v. Franqois Eeckenburg. l,
151 vgl. grünkönigkarten ünger-Khull Sil» und grün-
ober, grünunter Müller-Fraureuth l, 447; ebenso auch:
gründame, -bube, -zehn, -daus etc.; -öl ein paraffinöl Mus-
pratt Chemie 6, 1987, vgl. Unger-Khull 8ll*>; -pflaster
WiRSUNG artzneybuch (1588) regist., vgl. sp. 652; -salz ver-
unreinigtes Steinsalz Zöllner briefe üb. Schles. l, 290;
-säure Beil techn. lex. l, 265; -schiefer mineral ebd.;
-schlämm grüner küstenschlamm Schmidt wb. d. geol.
109; -sirup terminus der Zuckerfabrikation \,\}^0'e.k lex.
d. ges. techn. 1, 216; -tuch: grfintuch castaneus, auch
grönlaken Diefenbach 105*; -wachs ein pflaster Blan-
gard arzneiwiss. wb. 2, 95*.
e) als besondere gruppe haben die possessiven composita
zu gelten, bei denen ein als grünfarbig hervorstechender
theil dem ganzen seinen namen gibt; besonders entwickelt
in nattinvissenschaftlichen , meist terminologisch gewor-
denen bezeichnungen und als bezeichnung für personen
in volksthümlicher redeweise; z. th. mit ableitungssilben
-1er, -ling, -lein, -chen versehen:
grünader kohlweiszling papilio napi Krünitz 237, 57;
-äuge halmfliege chlorops Brehm thierl.^ 9, 515 ; -äugen-
f liege 2, 344; -band Schmetterling, papilio sarpedon
Schrader dtsch-franz. wb. 1,579; -bärtling ein vogel,
megalaema marshallorum Brehm thierl.* 8, 378; -bauch
goldwespenart chrysis viridula Schrader dtsch-fram. wb.
1,579; -bein, -beinchen ^cukkti^b. dtsch-franz. wb. i,
579; -beinlein Naumann nat. d. vögel 8,59, vgl. Suo-
lahti dtsche vogelnam. 287, s. grünschenkel ; -buckel:
grünbukel allg. dtsche bibl. 53, 548; -büschler gener al
{österr.) HoRN soldatenspr. 58; -fusz fulica chloropus
Nemnich wb. d. nat. 212; vgl. -füszel schon 1603 bei
Sghwenckfeldt ther. Sil. 282; -hösler: es waren diser
grünhöszler (frösche) eine solche anzahl Abr. a st. Clara
Judas 2, 319; -hut: er . . . schauete den grünhut an
(mensch mit grünem hüte) Jean Paul w. 26, 100 H.; ter-
minologisch im Voigtlande für die Salzburger achweine-
schneider Klingner samml. z. dorfrechte (i749jf.) 8, 802,
griinhütl für icaldgeister Lehmann sudetendt. volksk. lU,
vgl. Staub-Tobler 2, 1793; -kehlchen l) grünkehlige
baumklette certhia gutturalis Schrader dtsch.-franz. wb.
1, 581; 2) fliegenfänger muscicapa viridis ebd.; -kittel:
in eins solcher boote sah ich meinen grünkittel springen
ZsGHOKKE s. ausgew. sehr. 16, 127; -knochen hornhecht,
betone belone Brehm thierl.^ 8, soo; -köpf: i) eine drossel,
turdus philippensis Schrader dtsch-franz. wb. l, 581;
2) eine art merlen, merula viridis ebda: -kragen {für
enten) : so holte ich mir vier feiste grünkragen herunter
Löns a. d. wildbahn 182; -mantel: der grünmantel . . .
ist der Unternehmer des theaters Heinse 6, 102 Seh.;
ein waldgeist Birlinger volksth. a. Schwab, i, 15; vgl.
Fischer 3,882; -plattschnabel todus viridis Brehm
thierl.*^ 8, 132 ; - r ü s s e 1 rüsselkäfer, curculio viridis Schra-
der dtsch-franz. wb. i, 582; -schenke! wasserläufer,
totanus littoreus {glottis) Brehm thierl.'^ &, 21 ; -schild
schildkäfer, cassida viridis Schrader dtsch-franz. wb.
1,582; -Schnabel nur übertr., junger unerfahrener
mensch, s. gelbschnabel {vgl. sp. 647); -schürz grün be-
schürzter marqueur J.MosEN s.w. 8,461; -schürze: der
dienstbaren grünschürzen antwortendes echo klaget, u.
br. unber.pers. (1817) 74; -schwänz = gmn^nk fringitla
chloris Naumann nat. d. vögel 5, 62; -schwänz ist hier
volksetymol. umgedeutetes 'schwuntz' {slav.), vgl. Suolahti
dtsche vogetnamen 137.
5) verbum.
die zahl der compositionen ist hier spärlich und der
Wechsel zwischen verbundener und unverbundener Schrei-
bung nicht ohne witlkür; nur bei aubst. inf. ist die zu-
sammenrückung regetmäszig; grün- tritt in seinen ver-
schiedenen bedeutungen auf: -beten mdartl., zu oatem
betend Über die f eider gehen Ünger-Khull 310^; -fär-
ben: grünfärben der baumwolle Krünitz 20, 215; {ein
keim) blickt bescheiden nach dem grünfärbenden lichte
Göthe 11,81 W.; -fassen technischer ausdruck im brau-
gewerbe: man nennt das abziehen mit mehr hefe das
'grünfassen' Lueger lex. d. gea. techn. 2, 404; -gehen
dass. wie grünbeten Unger-Khull Sil*; -machen:
diejenigen {lichter) . . . nenne ich . , . grünmachend
Göthe II 2, 209 W.; kupfersalze . . . zum grünmachen
von conserven Muspratt chemie 4, 1950; dazu grün-
machung: zu grünmachung des orts Aitinger ya^d-
u. tveidb. (I68l) 283; -werden l) grünliche färbe an-
nehmen: um das . . . schwarz vor dem grünwerden zu
bewahren Muspratt chemie 3, 452; 2) vom grünen der
Vegetation: so etwas von grün werden hab ich . . . noch
nicht gesehen Storm w. (1899) 2, 247.
GRÜNACHER, m., name verschiedener grünfarbiger
äpfel im Schweiz., seit dem 16. jh. belegbar; in -ächer
steckt vielleicht ein altes subst., etwa als e-stufe zur würzet
*ög- 'wachsen' {vgl. ackeran [th. l, 173], got. akran; dazu
Walde-Pokorny vergl. wb. i, 173 u. Staub-Tobler i, 65),
mit der bedeutung 'eazbare frucht'; in der composition
theilweise mit gekürztem wurzelvokal e (i) {a. beitr. 11, 82)
oder ä; vgl. gleichzeitiges rotacher Staub-Tobler 1,375
u. ahnt. bildunge?i; die von Frisch l, 879* versuchte her-
leitung aus dem Ortsnamen Grün ach ist für so frühe
zeit weniger wahrscheinlich; malum, orbiculatum . . . graen-
acher Frisius 795**; melappia vel poma Appiana ... ein
gattung der öpflen, die man gruenacher nennt 809^;
grunicher (i68o) Staub-Tobler i, 869; gruenikeräpfel
(1668) 2, 754; grünacher apf eisorte; dann 'grüner, un-
reifer apfeV überhaupt; übertr. 'grünlich aussehender,
ungesunder mensch' ebda; vgl. grünmacher, grünapfel,
grün chen, grünling.
GRÜNBART, m. l) junger, unreifer mensch m,it den
ersten barthaaren {vgl. grün II A 2 a) : investis, veaticeps
Stieler 768, vgl. milchbart; 2) terminologisch: sie {die
grünen austern) . . . heiszen grünbärte Oken allg. nat.
5, 379. — -bäum, m., name des ligustera liguatrum vul-
gare Nemnich wb. d. nat. 212, Pritzel-Jessen 214; *.
grünfaulbaum, grünselbaum. — -beere, /., name l) der
Stachelbeere ribes grossutaria: grfinbeer . . . it(-em) stichel-
beer Kramer fewtscA-iiaZ. 1,572'»; grünebeere Pritzel-
Jessen 884; 2) der beere des kreuzdorna, rhamnus cathar-
tica 829.
GRÜNBELAüBT, adj.. bereits im XI. jh. in poet. aprache
voll entfaltet {s. comptyp. 2 a) : indessen . . . ich mich anter
das grünbelaubte baumgezelt hingeleget Harsdörfer
frauenz. gesprächsp. 6, 605*; im dufte der grünbelaubten
äste Hoffmann v. Fallersleben ges. sehr. 2, 216;
diese tanne grünbelaubt
RÜCKERT w. 2, 606;
in weiterem sinne: mit bäumen oder sträuchern bestan-
den: grünbelaubte hügel Triller poet. betr. 4, 441, auf
einem . . . grünbelaubten felsen Steub drei somnier in
Tirol 1, 28; auch: mit taubwerk behangen oder geschmückt:
grünbelaubte plancken Brockes 2, 374; sein grünbelaub-
ter thron S. v. Birken forts. d. pegn. (1645) 71 ; grünbe-
laubte thore und ehrenpforten Holtei erz. sehr. 26, 22.
— -blau, adj. l) ins grüne spielendes blau, seit dem
18, jh. neben älterem grünblaulicht {s. u.) : neben einer
grünblauen eisfläche Jean Paul w. 44, 40 S.; substan-
tivisch: wovon kupfergrün und gr. am öftersten vorkömmt
Naumann nat. d. vögel 5, 448; häufiger von der färbe des
Wassers: das herrliche funkeln der grünblauen flamme
des Rheinwassers G. Keller ges. w. 2, 134; typische ver-
bale Verbindungen: in gr. schillerndem seidenrock Schef-
fel Juniper. 38; mit schwarzem, gr. schimmernden ge-
üeder v.d. Steinen naturvölk. Zentralbrasil. 4c8; 2) theits
grüne, theils blaue färbe habend, statt der Verbindung beider
begriffe durch 'und', 'mit', z. b.: ein gr. gestreiftes, ge-
würfeltes tuch, eine grünblaue uniform; hierher an-
scheinend:
mit grünblauer seiden
ein kränzlein hängt dran
A. V. Aknim w. 13, 379;
667 GRÜNBRAUN — GRUND {form i)
GRUND ijorm 2. 3)
668
älter ist grünbläalich: der türckis wechst in der
Türckei, ist grünblawlecht J. Witichiüs bericht v. d. w.
bezoard. stein. (1589) *6 ;
(der Rhein, personifleiert) mit seiner grünblawlechten schar
{den wellen)
Weckherlin ged. 1, 103 F.;
die flügel haben . . . grünblaulichte federn allg. haush.-
lex. 2, 303^; in jüngerer spräche mehr bei schwächerem
ton des blau: der grünblauliche . . . sporn Schlechten-
DAL flora V. Dtschld.^ 13, 122; (das schwarz) nicht ohne
einen . . . grünbläulichen glänz Naumann nat. d. vögel
6, 129. braun, adj., ins grüne fallendes braun: keine
80 grünbraune äugen V. Weber holzschn. (l793) 148; sub-
stantivisch: die grundfarbe geht . . . aus dem braun-
grünen sehr ins grünbraune Naumann nat. d. vögel 10, 531;
älter ist grünbräunlich: am schwarzgetüpflet grün-
bräunlichtem Stengel Harsdörfer frauenz. gesprächsp.
7,303»; mit grünbraunlichten blumen v. Hohberg ^eor^.
cur. 1, 615; als grün m,it bräunlicher tönung: (die) ober-
schwanzdecken grünbräunlich Brehm thierl.^ 4, 345.
GRÜNCHEN, n., apfelname: grönichen prosomela
Val. Cordus hist. de plant. (I56l) 182*, anscheinend bes.
hessisch, vgl. ders. hist. stirp. 181 *• grflnche . . in Hassia . . ;
aber auch nd. grönke und grönke-appel, ein gewiszer gras-
grüner apfel brem. wb. (1767) 2, 548.
GRÜND, m., dialektisch auch f. gemeingerm. wort;
fraglich ist das geschlecht von got. *grnndus in grundu-
waddjus, vgl. afgrundi{)a; sonst meist masc: ahd. grünt,
crunt; mhd. grünt; as. grund; mnd. grünt m^ist f.,
selten m.; mnl. gront meist m., selten f.; ndl. grond;
afries. grund, grond; ofries. grund; wfries. groun, grüwn;
ags. grund; engl, ground; anord. grunnr m., grund f.;
dän. grund comm. gen.; schwed. grund; als dem german.
entlehnt gelten lit. gruntas m., preusz. gruntan acc. m.,
grünte /., lett. grunts m., grünte /.. poln. russ. slov. nlaus.
grünt m.
form und herkunft.
l) für das Verständnis der Vorgeschichte des wertes ist
die zwiegeschlechtigkeit von höchster bedeutung. sie
ist in gewissen nd. maa. zumal des nordens bis heute
lebendig: slaa den pahl in'e gr.; de köh möten dat gras
sach ut de gr. ut halen; ji sünd hier op frömde gr. ;
dagegen up'n gr. wahnt uns herrgott beim essen, wenn
das beste auf dem bpden der Suppenschüssel liegt; ik mutt
de saak op'n gr. kamen Mensing 2, 500/.; doch ist die
trennung zwischen 'erde' fem. und 'tiefe' masc. im schlesw.-
holst, nicht rein; vgl. auch he bohrt hum in d' gr. er
vernichtet ihn Lüpkes seemannsspr. 34; ähnliches gilt für
Reuter: as wenn ich de ollsch ... in de grawe gr.
rinne pedden müggt 2, 48; aber auch: as wenn einer en
beker bet up de grund utdrunken hett 2, 431; bezeich-
nenderweise in der jüngsten bedeutung regelmäszig masc. :
hadd woll keiner so'n gr. un ursak, sick mit sinen herr-
gott tau bereden 2, 24; dat hodd sinen gr. dorin dat
2, 150; en gr. utfünnig maken weswegen 2,449; se müszt
en gr. von jedes ding weiten 2, 265; auch in einigen
westfäl. maa. erscheint das fem., und zwar abgesehen von der
bedeutung 'talgrund' (s. t«.) gerade wieder für 'erde, fusz-
boden' Woeste 86 ndr. im mnd. ist das wort durchweg
fem. Sghiller-Lübben 2,158; 6,145*, selbst in der jüng-
sten bedeutung: desse lögene erdichtet Reinke uth der
grundt dat jg. glosse z. Reinke de vos 70, 9; ebenso all-
gemein nicht selten auch in älteren md. (besonders preuszi-
sehen) Schriftwerken:
und liezen in vertrinken
und in die grünt sinken väterb. 37206;
die (gestrandeten) brudre von der grünt
sich intbrachin in der stunt
Nie. v. Jeroschin preuss. chron. 24220.
noch heute erscheint das fem. in einer ähnlich breiten geo-
graphischen ausdehnung, vom westfäl. bis an die untere
Saale, aber auch im brandenburg. (s, zs. Brandenburgia
20, 240 jf.), im preusz., im holstein., doch nur in einer ganz
bestimmten bedeutung, als 'vdesengrund. talgrund', zumal
in flurnamen; genaue nachweise bei A. HObner grund
als femininum, zs. f. vergl. spraehf. 51, tlff., dazu noch
in'e gr. gehöft bei Sarau; die ganze siede gr. (Fehmarn
1709) Mensing 2, 50l. diese Verhältnisse lösen sich ver-
mutlich in der weise auf. dasz das fem. für die bedeu-
tung ursprünglich ist, in der es sich mundartlich am
besten gehalten hat. das ist die bedeutung 'erdgrund,
wiesen grund' . dies anscheinend nur eine specialisierung
von jenem,, das wird bestätigt durch das anord.. das
neben dem masc. grunnr 'meeresgrund' ein vollentwickeltes
fem. grund besitzt im sinne 'erdboden, feld', und zwar
besonders auch 'der grüne grund, das tal durch das die
flüsse ßieszen'. das nord. und das deutsche fem. ver-
einigen sich demnach in einem germ. fem., dessen eigen-
thümliche bedeutung anscheinend die des erdbodens war.
in allen germ. sprachen (vielleicht mit ausnähme des got.)
hat das masc. früher oder später das fem. aufgesogen,
allein das nd. hat in der periode des mnd. das fem. ver-
allgemeinert; ob etwa auch im altsächs. schon, ist unent-
scheidbar, denn an gr. Hei. 2633, an hellia gr. 2601, ähn-
lich 2638; 5429 sind dem geschlecht nach indifferent.
2) von den nordischen formen fällt auch insofern licht
auf die Vorgeschichte des wertes, als sie erweisen, dasz
im germ. mit der trennung von geschlecht und bedeutung
auch eine formale sonderung verbunden war. das neben-
einander von anord. grunnr (nn <:^ n|)) masc. und grund
fem. weist auf germ. grunj)u- masc. und grundu- fem.,
wenn man das wort nach dem Zeugnis von got. *grundus
zu den u- stammen stellt, in den germ. einzelsprachen
(auszer dem anord.) hat demnach eine Vereinheitlichung
nicht nur des geschlechts, sondern auch des wortstammes
stattgefunden, worüber genaueres bei HtBn^K a.a.O. die
germ. Stammpaarung weist auf idg. ghfntu- masc, ghrn-
tü- fem.; und dies endbetonte fem. der n-declin. wird
wenigstens formal von got. *grundus repräsentiert, bei
diesem ansatz wird die altbeliebte Zusammenstellung von
gr. mit ags. grindan 'mahlen' nach analogie von got. malma,
nd. mulda zu malan (so gr. 2, 35 und neuerdings Grien-
BERGER Wiener sitz.-ber. 142, 8, 99) unmöglich; denn grin-
dan führt nach lat. frendo, lit. gröndu 'reiben', grändu
'schrapen, kratzen' aif idg. ghrendh- zurück, aber auch
die bedeutungsentwicklung bei malma, mulda, 'das zer-
mahlene' zu 'sand, staub', läszt sich nicht vergleichen,
l) weil eine mit malma, mulda vergleichbare bedeutung
'erde' sich erst spät auf dialektisch beschränktem gebiet
entwickelte (s. m. II A 2 c) und auch als 'erde' gr. gerade
die fette, schwere, zusammenhaftende erde bezeichnet, —
wie auch sonst die Vorstellung des massigen, räumlichen
sich als bestimmend zeigt; 2) weil der begriff des unteren,
der tiefe so stark an dem wort haftet, und zwar bis in
junge gebrauchsweisen hinauf, dasz er von seinen Ur-
sprüngen kaum getrennt werden darf (das empfindet auch
Franck etgm. woordenb. 322 mit seinem ansatz 'unterste
fläche'), da die germ. formen auch auf ghrmtu- zurück-
gehen können, vielleicht nach der alten FiCKSchen ansieht
(wb.^ 3, lll) zusammenzustellen mit lit. gramzdüs 'tief-
gehend' (vom schiff), lit. grimstü, grimsti 'im wasser ver-
sinken', gramzde 'gründling' (fisch), die auf grund der
anord. form- und bedeutungstrennung wiederholt ausge-
sprochene ansieht, dasz sich in gr. zwei verschiedene idg.
Wörter vermengt haben (Falk-Torp 252'', Meringer
Wiener sitz.-ber. 144, 6, 70), stützt sich auf das argument,
dasz die bedeutungen 'meergrund' und 'erde' schwer mit-
einander zu vereinigen seien, aber nicht nur lat. fundus,
auch das deutsche boden zeigt ein zusammengehen ähn-
lich sich sondernder bedeutungen. die sprachlichen Schick-
sale von gr. und von boden haben sich, bei fühlbaren
bedeutungsunterschieden , öfter gekreuzt und beeinfluszt
(s. «. II A 1 a).
3) sonder formen, schriftsprachlich ist im ganzen
die form grund sehr fest, o- formen finden sich, ent-
sprechend dem Stande der heutigen maa.. gelegentlich auf
Schwab., etwas öfter auf mf rank, boden: in sinem eignen
grond dtsche volksb. 256, 33 Bachmann; der fünf synne
gront MuSKATBLÜT 86, 43 Grootc; vgl. 90, 8 (Trierer hs.);
brochen Ardenberg abe inne den gront Limb. ehr. 98, 18
Wyss; gront, ze gronde gemma gemm. (Cöln 1507) nach
Diefenbach gloss. 252*; 353". ebenfalls m^oderner ma.
entsprechend zeigen westmd. texte gelegentlich gutturali-
669
GRUND I A 1
GRUND I A 2. s. 4
670
sierung des auslautenden dentals: dasz sein fürnemen . . .
keynen grung auf im trüg Carbach Liviua 47'. epi-
thetisches e im nom. sg., seltener im acc. sg. verstreut bis
ins 17. Jh., natürlich vorioiegend obd., und zwar nur selten
in der prosa: ein sehr starcker beweis und gründe Ni-
GRlNüS von Zauberern (1592) 79; öfter in poetischer spräche:
{die spur führte mich) in eynen überliefen gründe (: ich
funde) H. Sachs 3, 824 Keller; bezeichnenderweise gerade
bei poeten der beginnenden renaissance:
da sein wir aber Christen nur mit munde,
das hertz ist weit hindan zu aller stunde,
lähr ist der gründe Hock blumenf. 26, 13 ndr. ;
es ist zwar weit der gründe (: sie funde)
ZiNKGREF ged. 17 ndr.
in älteren schwäb. texten erscheint gelegentlich, in der
Sprache begründet, ein umlautloser plural:
so vil der falschen grund (: er kund)
H. V. Sachsenheim spiegel 177, 80;
die neuen grundt zu der kirchen zimm. chron.^ 2, 639, 36 ;
du findest noch vil gar alter meür und grünt und thürn
Sigmund Meisterlin in städtechron. 3, 61, 14. auszer-
schwäb. im obd. nur selten: mosige gründe Sebiz feld-
bau (1579) 149. anders, als rein graphische erscheinung
versteht sich das fehlen des umlautzeichens in md. texten;
häufig z. b. bei Luther: grebt die gründe l, 148; drey
starcke grund 6, 290.
bedeutung.
die bedeutungsgeschichte des wortes läszt sich schwer
aufbauen, weil ihre wesentlichsten etappen in vorgeschicht-
liche zeit fallen, die auch auszerdeutsch altbezeugten Ver-
wendungen im, sinne von 'tiefe' {s. u. I) und im sinne
ron 'erde' (II) stellen offenbar die beiden cardinalen bedeu-
tungsstränge dar. aber auch die bedeutung 'tal-, wiesen-
grund' (III), anscheinend auf der grundlage von II ent-
wickelt, liegt schon im anord. vor; und die für die jüngere
entivicklung wichtigste bedeutung 'fundament' (IV), von I
nicht zu lösen, musz schon das got. gekannt haben, das
subst. boden ist dauernd zu vergleichen, das bei fühl-
baren bedeutungsunterschieden die Schicksale von gr. des
öfteren gekreuzt und beeinßuszt hat (». «. II A l a). nach
Jag. Grimm liegt der unterschied darin, 'dasz gr. mehr
nach innen geht, boden die Oberfläche bezeichnet' (th. 2, 21l).
das trifft mehrfach zu; doch erschöpft diese Unterschei-
dung einer mehr räumlichen und mehr flächenhaften Vor-
stellung die Sache nicht.
I. grund bezeichnet die feste untere begrenzung eines
dinges.
A. grund von gewässern; seit ältester zeit belegbar:
profundum (sc. mare) crunt ahd. gl. i, 232, 18 ; latid thea
Odra (fisch) eft an gr. faran Hei. 2633.
l) am häuflgsten vom meer (in Übereinstimmung mit
dem anord. gebrauch):
du weist daz mer unz üf den grünt
lobgesang auf die hl. Jungfrau 56, 11 zfda. 4, 634;
der tiefe grundt der see mit wässern übergössen
Opitz ieutsche poem. 173 ndr. ;
wie wellen auf dem meer,
desz grund erbebte
GÖTHE 37, 31 W.
dann von gewässern jeder art: auf dieses flusses gr.
Dietr. V. D.Werder ras. Roland ges. l str. 25; kraut . . ,
das auf dem gründe (des grabens) wucherte Storm l, 93;
der (brunnen) was so wislichen ergraben, daz die sunne
rehte an den grünt schein Lucidar. 18, 11 Seidlauf,
specialisierend kann der begriff der Qualität des grundes
hinzutreten: gr., darunter verstehet man die beschaffen-
heit des fluszbodens oder Strombettes und die erdarten,
woraus es bestehet Benzler l, 179; Röding wb. d. marine
671—73 scheidet 'festen, harten, weichen, losen, faulen,
scharfen, grünen, schülpartigen gr.' (vgl. composita toie
sand-, stick-, schlick-, muddergr. u. a.); die karpfen sind
gerne in leimichten, sandichten, schlamichten und lät-
tichten gründen fischbüchl. 83 ; der grosse parsch leichet
. . . unten auf dem harten gründe 9; prägnant: grond
(van een water) . . . 'schlämm auf dessen gründe' M. Kra-
mer nider-hoch-teutsch dict. (1719) 108 •>; ähnlich auch obd.:
(das schiff) mer dan halbes in den griesse und grünt
sancke Arigo decam. 123, 6 Keller, anders specialisiert
meint gr. stellen geringer tiefe: 'untiefe' v. Alten 4,477;
diese tage . . . sind die flachen gründe . . . uns an unser
fahrt . . . verhinderlich gewesen A. Olearius persian.
reisebeschr. 185; (die meerbusen) sind voll klippen und
seichter gründe Niebuhr röm. gesch. 8, 701; obd. auch
ohne bezeichnende adjectiva: gr., ein fort, vadum. aquae
minus profundus locus Henisch 1765; 'in engerer be-
deutung werden im o. d., besonders am, Bodensee. seichte
stellen gründe genannt' Heinsius 2, 549.
2) seit alters kann grund auch den dem boden nächsten
theil des gewässers bezeichnen, also 'tiefe'; das ist der
unterschied von meeresgr. und meeresboden; daher bei
Diefenbach gloss. 672" talassus = mens teufe, grünt;
der wäg vuort in (Alexander in dem glasgefäsz) in demo
grünte Annolied 227 R.;
die mutter (Thetis) in desz meeres grund
sasz bey dem vatter zu der stund
Spreng Ilias (1610) 8*;
(die geister des waldstroms) streckten schneeweisze arme
empor . , . , ihn hinabzuziehen in den kühlen gr. E. Th.
A. Hoffmann 6, 39 Gr.; vgl. zu halben gründe fischen,
'ei7ie art der angelflscherey, wo die angeln zwischen der
Oberfläche und zvrischen dem gründe gestellet werden' Krü-
NITZ 20, 250; so zumal auch bildlich: wie hurtig sie (die
Ursachen der ceremonien) ausz dem allertiefsten gr. der
heil. Schrift gefischt seien Fischart bienenk. (1588) 172 *>;
der gr. des glückes ist so voller trübsand Lohenstein
Armin. (1689) 1, 396*»;
denn nur der grosze gegenständ vermag
den tiefen grund der menschheit aufzuregen
Schiller 12, 7 G.
8) plural: also geschiht oft under den wazzern, diu
vest gründ habent, und so ir gründ erhebt werdent, s6
vleuzt daz wazzer auz K. v. Megenberg buch d. natur
113, 18 Pf; später mehr md. und nd.. soweit nicht eine
Specialbedeutung wie oben unter l vorliegt; namentlich
poetisch :
es sind die worte mit den winden
geflohen zu des meeres gründen
C. Stieler gehamschte Venus 89 ndr.;
ihr, die ihr in den gründen seid,
hört meinen seufzen zu, ihr fische
Zesen verm. Helikon 2, 62;
wie in der meere gründen
des himmels bild sich dunkel malt
E. V. Kleist 1, 53 Sauer;
der sargfisch, der in den untersten gründen dieses Was-
sers hausen soll Storm 2, 105; de stillen water hebben
depe gründe Husemann spruchsamml. nr. 94,4 W.; stille
wateren hebben de döpste gründen Doornkaat-Kool-
man 1, 702, und so überall auf nd. boden; dagegen stille
Wasser haben tiefen grundt Seb. Franck sprüchw. (1645)
1, 73*, doch auch tiefe gründ schöne weise klugr. (1548)
102''; anders: es ist kein wasser so tief, es hat gr. 160*.
4) in fester Verbindung mit verben:
a) transitive Wendungen: und als sie den gr. spüreten,
würfen sie ire ancker ausz buch d. liebe (1587) 10»; gleych
wie hie Jona aus dem schiff geworfen wird . . . yns
meer, da er keinen gr. fulet Luther 19,217 W.; es kann
hier nicht tief sein und wir müssen immer peilen und
gr. suchen Fontane I 6, 352; da capt. Tuckey, bei 900
fusz . . . , mit dem senkblei keinen gr. finden konnte
Ritter erdk. 1, 272; der schiffmann wolte wohl gerne
anckern, allein er hatte keinen gr. Chr. Reuter Schel-
muffsky 36 ndr.; man musz sich nicht tiefer herein
lassen, als man gr. hat Kirchhofer Schweiz, sprüchw,
(1824)179; der grund verlieren Martin-Lienhart 1,278;
rein nautisch-technisch: den gr. peilen 'messen' Kramer
niderhoch-teutsch dict. (i719) 108''; den gr. brechen die
anker lichten Röding wb. d. marine 674; in übertragenem
gebrauch namentlich gr. finden:
ich habe nun den grund gefunden,
der meinen ancker ewig hält
Joh. Andr. Rothe in gr. Zinzendorfs samml,
geistl. u. liebl. lieder (1725) 878»;
671
GRUND I A 4
GRUND I A 4
672
wer sol dan richter sein? die ursach, nicht der wän.
wol dem der solchen grund vergnüglich ftinden kann
Bellin hochd. rechtschreibung (1657) ){ 2^;
im Wortspiel: wenn man selbst gr. gefunden hat und
gr. sucht, so ist es höchst erfreulich, mit einem auf
eignem gr. und boden gegründeten manne hin und wider
zu sprechen Göthe IV 33, 323 W.; hier kreuzt schon die
bedeutung 'fester boden' (s. m. II A 2 b) herein; noch deut-
licher: so war der boden beschaffen, auf dem Savona-
rola festen gr. gefunden zu haben glaubte H. Grimm
Michelangelo (1890) l, 205.
b) unter den präpositionalen fügungen zunächst eine
fülle nautischer Wendungen, namentlich mit auf und an:
damit so faren sie auf grundt
S. Brant narrensch. 51, 302
die nordischen schiffe geriehten auf den seichten gr,
Haller Alfred 37; wenn das schiff . . . auf den gr. fest
gerät handelsgesetzbuch § 853 ist unursprünglich und tau
tologisch; das schiff wurde genöthiget, auf den gr. zu
laufen, oder sich auf den gr. zu setzen KrOnitz 20, 251;
wenn das schiff auf gr. kommt Gödel deutsche see-
mannsspr. 181 ; das schiff stöszt sich oft . an den gr.
Stieler TIO'»; auf (an) den gr. stoszen stranden M. Kra-
mer teutsch-ital. (1700) ö7S»; auf den gr. stoszen mit dem
schiff Frisch 879"'; sich an gr. setzen subsido, pessum
eo Garthius 718'»; an den gr. rathen 'auf den ^r. fest-
zusitzen kommen' Bobrik 321; ein schiff vom gründe
abbringen ib.; danach miszgebildet: ein schiff von dem
gründe abhelfen Röding lob. d. marine 674; das schif
ward bald hier, bald dort gegen den gr. geschmissen
Zesen Assenat (1690) 652; öfter bildlich: so wird es doch
noch auf gutem gr. gewündschter glückseeligkeit zu
anckern kommen Schoch com. v. stud. leben (1657) H 1«";
den, der auf den gr. deiner tugend geanckert Lohen-
stein Armin. (1689/.) 1, 79*».
c) am entwickeltsten ist zu gründe.
«) unter den transitiven fügungen sind stehend zu gr.
ziehen und senken:
deine wellen heben sich
hoch empor und haben mich . . .
fast zu grund hinab gezogen
P. Gerhard hei Fischer-Tümpel 3, 878 * ;
schon mhd. übertragen:
der {Sirenen) dönes vanc
ze gründe zöch der Sünden kiel
K. V. Würzburg leich 1, 138;
dasz . . . das irdische gut nicht die seel beschwere und
zu grundt ziehe W. Sghaller theol. herold (1604) 288;
gedachte wüllen werden das schiff bedecken, zu gr.
sencken Krafft reisen 29 Hasler;
eh als sein schwaches schiff sich auf dem mer verirt, . . .
gescheitert oder sonst zu grund versäncket wird
Rompler V. LÖWENHALT erstcs gebüsch 210;
anderes ist seltener: die (schiffe) wurden beide mit leuten
und allem zu gr. gesegelt Wilw. v. Schaumburg 100;
bohrten die jagd zu gründe Schnabel insel Felsenburg
61, 9 U.; dieser Schiffer . . . segelt mit vollem winde
wider die höltzin brücke . . . und leuft die brücke zu
gründe Rätel Curäi chron. 47; die Wendungen sind seit
dem 18. jh. in starkem rückgang zu gunsten von in den
gr. (a. u. d); doch vgl. noch:
(.der Schlund) ziehet die frau mit den kindern zu grund
Göthe 2,37 W.;
da zog die nymphe ihn zum grund
Brentano 2, 150;
stolzes schiff mit seidnen schwingen,
führst mein boot zu gründe schier
Eichendorf 1, BIO;
dass deren führer . . . zwei galeonen zu gründe bohren
musste Chamisso 2, i4.
ß) unter den intransitiven Wendungen dominiert zu
gründe gehen, mhd. noch selten, erst im 16. jh. reich
entwickelt; ursprüngliche bedeutung 'im wasser unter-
sinken':
der mocht nye zugrunt gan,
uncz in der engel gevie
und in in die barken lie
st. Stephans leben 3966 McClean;
ein groszer wint treib das schiff . . . auf ein pflock oder
pfal, das es . . . mit allem so darinn zu gr. gienge
Kirchhof wendunmuth 2, 225 Ö.; dass die schwalben zu
gründe giengen oder sich zu des meeres boden begaben
und alda einschliefen Prätorius winterflucht d. sommer-
Vögel 65 ; die erde sey schwerer als das wasser, und den-
noch schwimme ... sie in den allerhellesten wasser,
und gehe nicht anders als sehr langsam zu gründe Leib-
NITZ deutsche sehr. 2, 339; weil ich aber das schwimmen
. . . gelernt hatte, so ging ich nicht zu gr, Ph. Hafner
gea. lustspiele (1812) l, 15. dasz von der bedeutung 'ivasser-
tiefe' auszugehen ist, bestätigt die alte formel zu gr. und
scheitern gehen: schon bei Er. Alberus 62'» pessum eo
ich gehe zu gr., gehe zu scheittern; es musz eher
alles zu gr. und scheitern gehen Dentzler 141''; noch
heute im Schwab., vgl. Fischer 3, 871. indessen ist der
ursprüngliche sinn der Wendung früh zurückgetreten
zu gunsten der bedeutung des Verderbens, untergehens.
die im 16. jh. ursprünglich an die wendung zu boden
(d. h. auf den erdboden) gehen geknüpft ist (vgl. boden 5,
th. 2, 212); zu gr. gehen hat im 18. jh. das erbe dieser
formal angetreten, nachdem es lange in coneurrenz mit
ihr gelegen; daher auch die doppehcendung zu gr. und
boden gehn, worüber unter II G 2 genaueres, die ablösung
vollzieht sich auf breiterer front, ähnlich auch bei zu
gr. richten , stürzen u. ä. (s. II B i) , zu welchen Wen-
dungen zu gr. gehen seit dem 16. jh. das intransitive
gegenstück bildet, das lat. pessum ire mochte wie bei
untergehn — interire den bedeutung swandel fördern ; vgl.
Singer za.f d. wortf. 4, 129. der übertragene gebrauch
gilt für folgende hauptkategorien :
von menschen; physisch, = sterben, doch meist mit dem
nebensinn des kläglichen: dann sie vermeynet, dasz er
in dem meer zu gr. gegangen Amadis i, 92 lit. ver.; dar-
umb, dass seine söne mit dem voick erschlagen wor-
den, und er sie hülflos zu gr. bette lassen gehen
buch d. liebe (l587) 841"; von thieren 'eingehen': ein schön
gutschenpferd . . ., welches zu gr. gangen, weil man
die feigwartzen . , . verabsäumet Hohberg georg. cur.
3, 165»; in älterer spräche öfter parallel mit sterben:
er hat leider zu mir gesagt,
dasz ich nur sey ein alter hund,
musz sterben und baldt gehn zu grund
Sandrub hist. u. poet. kurzweil 107, 34 ndr. ;
geistig: wie mancher jüngling von den herrlichsten an-
lagen . . . für seine ganze lebenszeit zu gründe gieng
Schubart leben i, 50 ; vgl.:
weil aber kein trost war dabey,
ging seel und leib zu gründe
P. Gerhard bei Fischer-Tümpel 3, 303 ;
toirtschaftlich: aber sind sie keine wirthinn, so muss
ihr mann zu gründe gehen Rabener s. sehr. 6, 79; und
sollten auch gleich zehn andre familien darüber zu gr.
gehen B. Mayr päckchen satiren (i769) 110; vgl. te grond
gaan 'arm werden' Lüpkes seemannsspr. 41, 68.
von realen dingen; im, le.jll.jh. besonders häufig von
bauten (also deutlich berührt von der Vorstellung grund
= erdboden), entsprechend zu gründe richten u. ä. = solo
aequare, urspr. von gebäuden (s. II B 1 b) : prophetirt er,
dass die helfenbeinen heuser zu grundt werden gehen
Heyden Plinius lOl; in solchem fürhaben gehet ein
sturmwindt seinem hausz zu, als wollte es alles zu
gründe gehen volksbuch v. dr. Faust 26 Braune; all-
gemeiner:
was ist er (der kämet), in dem trüben glänze?
ein erdball, der zu gründe geht
Gottsched gedickte (1751) 118;
in älterer spräche häufig in einer heute erstorbenen Ver-
wendung 'ruiniert werden': hat er noch den verdrusz,
dasz ihm dabei ein rock und Überrock zu gründe ge-
gangen Göthe IV 190 W.; (das geschirr vrird verkauft)
nach Carlsbad, wo bey so vielen gasten eine menge
geschirr nöthig ist und vieles zu gr. geht 152; das dach
I
673
GRUND I A 4
GRUND I B
674
war schadhaft geworden . . . und die maierei allmälig
zu gründe gegangen H. Grimm Michelangelo (l890) l, 75.
von abatracten: seit alters gern angewendet auf poli-
tische, kirchliche, wirtschaftliehe Institutionen: wie moch-
ten die mönich irgent zu grundt gen Jag. Strausz beicht-
büchl. (1528) B 3^; würde der römische stui zu grundt
gehen Zinkgref -Weidner teutsch. nation weish. 3, 38;
Spanien, was daran (an den folgen des friedens) zu
gründe gegangen Bismarck ged. u. erinn. l, 190 volks-
ausg.; daran geht jede dynastie zugrunde Fontane
I 2, 157;
durch eigennutzes Schlund
gehen viel handwerck zu grund
Petri d. Teutschen weigh. 2, 51'';
wenn unsere heimische industrie nicht völlig zugrunde
gehen soll G. Hauptmann weber (1892) 84; doch auch
mannigfach sonst: mit dem mflsst zülest cristenlicher
glaub gantz und gar zu gr. geen Berth. v. Chiemsee
t. theolog. 106;
ehe das die warheit ging zu grund
Fisch ART 131 (v. 316) Kurz:
aber erst seit dem 18. jh. in der heutigen reichen ent-
faltung: wenn seine redlichkeit nicht dabey zu gründe
geht J. E. Schlegel 3, 459; unsere ehre ist zu gründe
gegangen M. I. Schmidt gesch. d. Deutschen l, 328; wie
so manche edle kraft bei uns zu gründe geht, weil sie
nicht genützt wird Hölderlin 2, 73 L.,- mit dem gottes-
dienst . . . ging ... die tradition und das herkommen
zu gründe Herder 19, 184 S.;
vor der allgewalt des willens geht zu gründe jedes recht
Platkn 1, 17 R.;
gelegentlich Verstärkungen: zu gründe untergehen perire
funditus Basil. Faber thes. (1573) 280; es ging ouch
darnach alles sin gut zegrund und verderbung Tsghudi
chron. helvet. 1, 39; seltene Varianten: o wie vil jungen
kumen also zu gr. Wickram 2, 171 B.;
. . . die schiffe, risch I zu grund
eilen in der höllen Schlund
Schupp sehr. (1663) titelblfi.
sinken, ebenfalls bis ins 18. jh. sehr häufig:
Streitwagen, reuter und die ross
verdarben alle und ertrunken,
gleich wie die stein zu gründe suncken
H. Sachs 15, 147, 6 K.-G. ;
da . . . braut und breutigam in der sindflut zu gründe
sanck Jon. Mathesius Sarepta (l57l) 10»; so kan sol-
ches (gold) ... im wasser nicht so leichtlich schwimmen,
sondern musz viel ehe zu grundt sincken L. Ercker
mineral. ertzt (l580) 60*;
da zuckt das schiff und sinckt zu grund
MöRiKE 1, 154 Göschen;
bildlich 'untergehen': ja die gantze weit (müszte) zu gr.
sincken Fischart geschichtklitt. 94 ndr.,-
ich kam in jammer und in noth
und sanck fast gar zu gründe
P.Gerhard bei Fischer-Tümpel 3,380*;
toie zu gr. gehen kreuzt sich auch diese Beendung mit zu
gründe 'auf den (erd)boden'; und ein fall wie ein solcher
mann steht und fällt nicht als ein einzelner mensch;
die Umgebung, die er sich geschaffen hat, trägt und
hält ihn . . . oder lässt ihn ... zu gründe sinken Göthe
40, 7 W. ist zu verstehen nach einem älteren:
alszdan vergessend mehr zu trincken
sah man die vier, wie fromme schaf,
zu grund und auf die bäncke sincken,
beschlieszend ihre freud mit schlaf
Weckheklin gedickte 1, 506 F.
fallen: seine {Pharaos) auszerweleten heubtieute ver-
suncken im schilfmeer . . . , sie fielen zu gr. wie die
steine 2. Mos. 25, 5; dasz wir versincken oder zu gr.
fallen werden Luther br. 3, 551 de Wette; sie versenck-
ten es mit einem stein . . . , domit es bald zu dem
grundt fiel See. Münster cosmogr. (1550) 160; nur bis
ins n. jh. häufiger; in der reget bedeutet zu gründe neben
fallen 'auf den (erd)boden', *. u. II B 2. fahren: (die
IV. 1. 6.
mannen Pharaos) descenderunt in profundum quasi la-
pis. tiefiu uuazer bedahten siu. si fuoren ce grünte
also stein Notker 3, 361, 9 (2. Mos. 25, 5); übertragen:
so ich sihe, das zucht, ehr, landt, gut, leib und seel bey
ynen zu grundt faret Eberlin v. Gönzburg 8, I5i ndr.
sitzen: bisz man . . . entlich wie ein schwer bley zu
grundt sitzet und ersaufet Fronsperger kriegsbueh
3, 150».
d) in den grund. bei transitiven verben hat in in
modemer spräche zu verdrängt, mit dem es in älterer
zeit hand in hand geht: indem wir alhier unser ancker
in gr. bringen weiten A. Olearius Orient, reise 62; die
morn die gallee beraubten und in den grünt des meres
senckten Arigo decam. 321, 26 K.;
wie sie (die see) so manches schiff versenkket in den grund
J. Rachel satyr. gedickte 52 ndr.;
läuft sie (Nemesis) auf wogen einher, stttrzet die schiff in
den grund
GRAFEN StOLBKRG 4, 12;
mit meeresschiffen wild gerungen,
sie krachend in den grund gebracht
Kbrner lyr. ged. (1854) 385;
'ein schiff in den gr. bohren, d. h. es mit geschütz so
beschieszen, dasz es zu gründe geht oder untersinkt'
W. Hoffmann tob. der d. spräche 2, 708»; der . . . corsar
bohrete das . . . schiff ... in gr. Happel akad. roman (i690)
1019; anders aufgefaszt:
kein schifTer bohret selbst sein strandend schif in grund
Lohenstein Cleopatra (1680) (v. 193);
alle meine heroischen Vorsätze hat die kleine hexe in
den gr. gefahren Fr. Arndt bei E.M.Arndt sehr. (i845j!f.)
1, 29; wo die Jugend . . . häufig die bedächtige breite
treckschuite der philister in gr. segelt Brentano gea.
sehr. 5, 408; ebenfalls anders verstanden: am ende doch
sich unversehens in den gr. segeln Fr. H. Jacobi w.
1, 20; bei intransitiven verben dagegen bevorzugt die mo-
derne spräche zu; in älterer zeit ist in vorwiegend rui.
und md.:
itzt sinkt dein schief in grundt
Gryphius sonn- u. feiertagssonette 19 ndr. :
dat schip ghink in de grünt Lüb. chron. 2, 102 Orautoff
(die übliche nd. ausdrucksweise); übertragen: darumb wirt
es Teutschland gelten, das sorg ich, es mus ynn gr.
ghen Luther 17, 1, 389, 23.
B. grund der hölle. das ältere scheint abgründe, das
im Heliand neben grund, bei Otfr., im Tatian allein er-
scheint und sich bis ins nhd. gehalten hat: so müste
Jona hie ynn abgrund der hellen faren Luther 19,240;
doch ist gr. auch obd. alt: tartarum hellagrunt ahd. gloaa.
2, 329; nur sehr selten im absoluten casus: dirre tac . . .
der lütirit alliz daz dir ist, himil und erde, und den
grünt der helle speculum eccleaiae 68 Kelle; in den weit-
aus meisten fällen abhängig von präpositionen, und zwar
zumeist nach verben der bewegung:
thuo thiu seola quam
Judases an grund grimmaro helliun
Heliand 5429; ähnlich 2601;
sie vielen in der helle grünt
Jansen Enikel 325 Str.; vgl. 754; 22699;
und wurt er (der edle mansch) gezogen in den tiefen
grünt der hellen Tauler predigten 33, 1 Vetter; du solst
yn grundt der hei . . . faren Luther 34, 1, 851; plural
seltener:
in der helle gründen
muoz ich an ende quelnde sin
K. V. Würzburg lied. 32, 269;
geister in der hölle gründen
Gerok auf eins, gangen »78;
Varianten :
latid thea fargriponon an grund faren
hellie fures - Hei. 2638;
bisz das sie...ym gr. des hellischen feuris ligen Luther
8, 679 W.; in des abysses gründe Heinrich v. Hesler
apok. 6895; bis auf den gr. des Tartarus verfolgt Winckel-
mann 1, 159; ähnlich empfunden: syn (des vaters) flök . . .
wärpet kinder in des todes gr. C. Schulze bibl. aprichw. 98.
43
675
GRUND I C 1. 2
GRUND I C s — D 1. 2
676
gelegentlich steht gr. prägnant für höllengr. {wie häufig
im ags. Bosworth-Toller 491); die älteren belege wohl
nicht zufällig von Niederdeutschen:
und zoch sie mit im zn stunt
in den grundelosen grünt
Heinrich v. Hesler apok. 19306;
de dar sytten an desser duster grünt
schausp. d. mittelalt. 2,43 Mone;
die in dem schwefelvollen grund
mit nie gedämpften schmerzen brennen
Triller poet. betrachi. 1, 112;
gehaltvoller:
als der grosze geist des grnndes
wollte überm lichte wohnen Brentano 3, 102.
C. grund von hohlräumen.
1) dem vorigen am nächsten steht die anwendung auf
klüfte, felskessel u. dgl.: ist ein tiefe zerspaltung im
felsz on allen grundt 'ohne boden' geistlich strasz (l52l)
Kl*; ohne durch Steilwände aufgehalten zu sein, ge-
langte ich ... bis in den gr. der enge {des Voinperloches)
H. V. Barth nördl. Kalkalpen 469; gewöhnlicher von be-
hältern aller art: was aber unten am gründe {der retorte)
bleibet, ist ein grober rotter schwefel Thurneyszer
m. alchymia (1583) 25; mich dünkt, am gründe {der Wein-
flasche) bemerke ich etwas trübes Cronegk sehr. (i77i)
1, 101 ;
so saufs gar ausz bisz auf den grundt
Scheit Orobianus 1809 ndr.;
dies die seit je übliche ausdrucksiceise ; selten mit anderer
präpos. :
nun hab ich bis zum grund getrunken
den becher, den die hoffnung bot
E. Scherenberg gedickte'' 39;
Wolfgangerl tauchte die feder ... bis auf den gr. des
dintenfasses ein briefstelle bei Jahn Mozart i, 81 ; rfia-
lektiach: wenn men uf -em gr. ist, so ist sparen z' spät
Staub-Tobler 2, 770; he gript dar henin, as wen dar
kien gr. to krigen is brem. tob. 2, 553. der unterschied
gegenüber dem ähnlich gebrauchten boden {th. 2, 210) liegt
darin, dasz gr., mit räumlicher Vorstellung, auch den
unteren, dem boden nächsten theil des hohlraumes be-
zeichnen kann; dann als präpos. nicht mehr an, son-
dern in:
im grund der ume,
■von tausend namen überdeckt, liegt tief
der meine Göthe 4, 332 W. ;
im gründe des säckels 12, 152 W.; als sie starb, fand
ich den ganzen gr. ihres kastens mit zugebundenen
strumpfen zugestopft G. Freytag 4, 264; öfter von ge-
bäuden: aus dem gründe {des turm£s) steigt ein alter
Schiller 2, 166 G.; ein fürchterlicher ort, der lebendige
genug verschlungen hat, denn sie fallen in den gr. des
castells hinunter Göthe 43, 362 W. daher zuweilen für
'gefängnis': sie verdiendt, dasz man sie alle vier in die
grundt stecke Frischbier l, 257 (a. 1618); grond Staats-
gefängnis luxemb. wb. (l906) 156; vielleicht ist auch an
gr. 'fundamenf zu denken.
2) vielfach in anwendung auf theile des menschlichen
oder thierischen körpers:
das buch wirt, so du iz vrisses,
honicsuze in dinem munde,
bitter in des buches gründe
Heinrich v. Hesler apok. 15388 Helm;
seit dem nhd. meist als ivissenschaftlicher terminus: fun-
dus, der gr. ist der weitere und runde theil verschie-
dener behälter oder holen, die sich in einen länglichen
und engen hals endigen, z. b. der gr. der harnblase, der
gebärmutter Blancard arzneiw. wb. 2, 62*; diszes säck-
lin hat zwey muntlöcher . . . eins got gegen dem mittel
der leber . . . daz ander zfi dem gr. des magens Gers-
dorf feldtbüch d. wundtartzney (1517) x 2^*; vgl. magen-
gr. 'fundus ventriculi, die blindsackförmige ausbuchtung
der linken magenseite' Höfler 207"; {die gallenblase) wird
eingetheilt in den hals {cervix), den körper {corpus) und
den gr. {fundus) Sömmerring bau d. m^nschl. körpers
5, 148; der gr. oder die basis des schädels zeigt 4 . . .
knochen Oken allg. naturgeschichte i,28; gr., basis, die
unterste fläche oder der unterste teil des bauchs, der
spitze entgegengesetzt {bei der gewundenen Schnecke,
cochlaea spiralis) Illiger 280; gr., basis, die seite der
muschel {testa biualuis), wo ein lederartiges band die
beiden klappen . . . miteinander verbindet 292; hierher
wohl auch: die erst artzney und die erste reinigung
machet dir ein frischen grundt und wunden, die gar
leichtlich . . . heilen Paracelsus chirurg. bücher (1618)
114* H. ebenfalls auf der Vorstellung des hohlraumes be-
ruht die anwendung auf die äugen:
ihr schwartzen äugen ihr, in euren dunkeln gründen
kan ich itzt glück und todt, itzt höll und himmel ßnden
Hoffmannswaldau u. a. gedickte 2, 94 Neukirck ;
in ihren äugen, im tiefsten gründe, rührte sich ihre
seele Storm w. l, 112.
3) als feste formal : inn hundstagen schwümmt es {das
Salpeter) neun tag entbor, denn setzt es sich wider zu
gr. Forer Geszners thierb. (1563) 25; hefen, mit dem ein-
fachen kurtzen e, ist was sich im geträncke zu gründe
setzet GuEiNTZ deutsche rechtschr. (1666) 79; genauer:
also setzt sich das metall an einem könig zu gr. des
tigels Paracelsus opera (t6l6) l, 904 b H.,- heute meist
prägnant: sich setzen; von hier aus übertragen, wird gr.
'dasjenige was sich in einer flüssigkeit auf den gr. oder
zu boden setzt, z. b. der gekochte kaffee, der sich im topfe
zu boden setzt' Heinsius 2, 550; vgl. Campe 2, 469; ähn-
lich schon im 17. ja.;
gottes kelch ist bitter trinken, sonderlich der letzte grund
LoGAU sinnged. 335 E. ;
eine vergleichbare concretisierung zeigt gr. 'ballast' HuL-
sius (1618) 143"; Jagemann (1799) 648.
D. in einigen fällen übertragenen gebrauchs liegt ganz
allgemein die Vorstellung der unteren begrenzung zu
gründe, ohne dasz in jedem, falle ein bestimmter sinn-
licher ausgangspunkt bewuszt oder erkennbar wäre.
1) seit alters in negativer form auf abstracta ange-
wendet; z. th. noch mit bildlicher Vorstellung: iudicia tua
abyssus m,ulta. dine urteilda michel abcrunde, daz chit
ane grünt, uuanda sie nemag nieman ergrunden noh
erfaren Notker 2, 125, 3 {ps. 35, 7);
ir schoene was s6 bodenlös,
daz man niht grundes drinne sach
KoNR. V. WtJRZBURG Troj. 19721, vgl. 226;
z. th. ohne deutlichen sinnlichen ausgangspunkt:
Reinkens losheit hadde nene grünt {nhd. : 'war bodenlos')
Reinke de vos 2128;
weibes lyst band kein gründ
Keller erzähl. 309, 12.
2) einige verbale fügungen: auf den gr. kommen
bis zum untersten, zu den anfangen einer sache vordringen
und dadurch zu ihrem Verständnis gelangen, im I6./17. jh.
häufig absolut 'die Wahrheit ermitteln':
kumpt man aber uf den grundt
und würt der Sachen oflich ynnen
Murner schelmenzunß 33, 32 ndr.;
nichts so tief verborgen, man kompt zuletzt auf den gr.
Lehmann florileg. polit. (1662) 8, 240 ; offenbar wurde die
Wendung in älterer spräche mit gr. 'wahrer Sachverhalt'
{s. u. IV B 4) zusammengebracht; daher, wie in jener be-
deutung, oft mit wahr und recht: der goldschmidt hört
wol weitläufig darvon {von der untreue seiner frau) sagen, ^
kundt doch nye auf den rechten grundt kommen Lin- ^I
dener rastbüchlein 8 L.; dialectica , . . lernt, wen einer V
ein ding nit kan oder wais, wie ers suechen . . sol . . ,
damit er auf den warn rechten gr. kum und die wär-
hait erforsch Aventin s. w. 4, .426, 12 L.; daher auch
mit hinter : ich wil gleichwol der Sachen noch ein wenig
nachdencken, . , . solte ich auch alsdann hinter den
grundt kommen H.J.v. Braunschweig schausp. 271 H.;
noch bei Frisch 379* auf keinen gewissen gr. kommen
können certum invenire non posse; auch der gen. des
attributs ist alt: also wenig mag auch der mensch auf
den gr. philosophiae adeptae kommen Paracelsus opera
(1616) 2, 399 H.; daneben in: die begierde . . ., in diesen
677
GRUND I E 1
GRUND I E 1
678
Sachen auf einen beständigen gr. za kommen Leibnitz
deutsche sehr, l , 266. der gen. wird wie bei zu gründe
liegen, legen {s. «. IV A 3 c, d) seit der 2. hälfte des 18. jh.s
durch den dat. ersetzt; das object bilden meist allgemeine
begriffe wie problem, ding, Sache :
(tempelherr :) ein problema. {patriarch:) dem ich tiefer
doch auf den grund zu kommen suchen musz
Lkssing 3, 119 {Nathan i, 2) M. ;
ich möchte wenigstens einigen dingen auf den gr. kom-
men GÖTHE IV 8, 248 W.; eine instruction Ferdinands,
in welcher er herzog Georg auffordert, der sache auf
den gr. zu kommen, wo sie ihren anfang und Ursprung
habe Ranke *. w. 3, 32; auch nd.-. ik möt de säk upn
gr. kämen, sä de stgrnkiker, do ful he in den söd Lüpke
seemannsspr. 9 (mecklenb.), — auf den gr. gehen; an-
scheinend jünger als das vorige; ebenso consiruiert: die
menschen glauben oft in den artheilen . . . verschieden
zu seyn, wo, wenn man auf den gr. geht, die sache ein
bloszer wortstreit ist Gerstenberg recens. 164 F.; wen
man wat ördenliks leren un wSten wil, den mut man
de sake up den gr. gän Doornkaat-Koolman l, 702;
etwas anders: Frida, de in allen dingen up den gr. gung
Fr. Reuter 2, 252 S. — auf den gr. sehen 'durch-
schauen', anknüpfend an den boden des gewässers; erst
mit dem 18. jh. häufiger, daher meist mit dem dat. (s. o.) ;
hat vor den vorigen die gröszere mannigfaltigkeit des ob
jects voraus: mit der oper ... mag ich mich nicht ab-
geben, besonders weil ich diesen musikalischen dingen
nicht auf den gr. sehe Göthe IV 19, 378 W.; unser
gröszestes übel besteht darin, dasz niemand unserm
Staate auf den gr. sieht Dahlmann frz. revolution 6;
wenn sie ihren bestrebungen auf den gr. sehen D. Fr.
Strausz ges. sehr. 8, xxii ; älter: wenn man klar in dieser
ganzen eache und auf den gr. sehen will M. I. Schmidt
gesch. d. Deutschen l, 336. — anderes seltener:
man läszt sich nicht den klang, den leeren ton bethören,
man forschet auf den grund
Scheibe erit. musicus (1745) 603;
der herzog von Gotha fragt bestimmt und auf den gr.
Gleim briefw. 2, 364;
dürft ich euch wohl ein andermal beschweren,
von eurer Weisheit auf den grund zu hören?
GöTHB 14, 95 {Faust 2042) W.;
Herder wird dir geschrieben haben ; er ist diesen sachen
auf dem gründe Göthe IV 6, 281 W.
E. grund des herzens, der seele u. ä. war bisher der
begriff der unteren begrenzung als bedeutungsinhalt oder
■Ursprung der Wendungen ohne weiteres erkennbar, so tritt
er hier fast völlig zurück zu gunsten der Vorstellung des
unteren, tief gelegenen bezirkes {vgl. die Unterscheidung
unter G l). als solcher bezeichnet gr. des herzens sitz
und quelle der geheimsten und tiefsten empfindungen, auch
gedanken.
l) herzens grund ist am ältesten, wenn auch nicht ganz
so weit zurück zu verfolgen voie die bisherigen gebrauchst
formen:
so nimit er uon des herzzen gründe daz soften mit dem
munde
Müstäter genesig 17, 14 Diemer.
bis ans ende des 18. jh.s die weitaus häufigste Zusammen-
stellung, dann z. th. verdrängt durch gr. der seele. plural
selten, nur poetisch:
das reuet mich von herczen gründen
st. Stephans leben 1118 Mc. Clean;
und wie ein freundlich sternlein blinkt ihm tief
ins herz und wieder aus des herzens gründen
ein klares blaues aug
A. V. Droste-Hülshoff 2, 347 Schücking.
a) vergleichsweise selten ohne präpos. ; doch zeigt dieser
gebrauch die formel ausdrucksvoller; sie betont bald das
verborgene, dunkle der empfindungen: nu kennet er ja
unsers hertzen gr. (var. das heymliche ym hertzen)
pa. 44, 22; vgl.
wan eht got dem ist kunt
aller hertzen sinne grünt
H. v. Langenstein Marl. 202, 105;
und (gott) erlaucht deines hertzen grund
mit seim tröstlich heylsamen wort
H. Sachs 1, 173 K.;
bald die Wahrheit und echtheit: was nit von hertzen
grundt kummet, ist schein und nit wesen Eberlin
V. GÜNZBURG 2, 155 ndr.; daher oft in parallele oder im
gegensatz zum wort des mundes: dan wer anhebt tzu
bitten 'vater unszer . . .' und thut das mit hertzes grundt
Luther 2, 83 W.;
begehrt dein mundt
ohn hertzens grundt,
dasz man sich zu dir wende S.Dach 154Ö. ;
wenn nun des menschen mund des herzens grund entdecket,
und aus der red erhellt, was im gemühte stecket
J. Grob dichter. Versuchung (1678) 56;
voller mund sagt des hertzen gr. Seb. Franck sprüchw.
(1541) 2, 21*; trunkner mund verräth des herzens gr.
V. Düringsfeld sprichw. 1,270; bald ernst und tiefe:
sein Sünde, so er hett gethon . . .,
die im peinigt seins hertzen grund
H. Sachs 18, 112 K.-G.;
zuweilen in bewusztem bilde:
Irekel diu viel im zehant
tiefe in sines herzen grünt
K. v. Würzburg Partonopier 16549;
du (goti) müst hüt in den gr. mines herzen gesmelzet
werden H. Seuse deutsche sehr. 16, 8 Bihlmeyer.
b) mit Vorliebe nach präpositionen, und zwar am häu-
figsten nach von und aus. nach verben des affects wiegt
von weit vor:
der von sines herzen gründe
bischof Ruodolfen was gram
Ottokar steir. reimehr. 35917;
freuet euch von gr. eueres hertzen V. Schumann nachtb.
106 Bolte; dasz sie in von gr. ires hertzen liebet Amadis
1, 43 K.; dass . . . ich . . . von gr. meines hertzens er-
schrocken Guarinonius grewel d. Verwüstung (l610) 270;
so hätte sie mich von gr. meines hertzens tauren müssen
Grimmelshausen Simpl. 2,273 Keller; auch plastischer :
lesset sie jetzt von grundt ihres hertzens manchen tie-
fen seuftzer faren Mathesius leichenreden 85; aus ist
ungleich seltener: die thu ich aus gr. des herzens lieben
A. V. Arnim 21, 120 Gr.; regelmäszig aber aus herzen gr. :
und (er) was bekumbert usz hertzen grund
Friedr. v. Schwaben 1271 J.;
{Venus) erbarmet sich ausz hertzen gnmd
Spreng Äneis 11»;
ir schrecket mich ausz hertzen grund
H. Sachs 6,147 K.;
sie thut all stund
ausz hertzen grund
mein gmüt alles erfreuen
Forster fr. teutsche liedlein 29 ndr. ;
für bitten, danken, preisen u. ä. gilt dieselbe theilung:
also das er von gründe sines herzen got sol bitten
Tauler pred. 209, 29 Vetter;
von grund des herzens preis ich euch
MöRiKE 1, 128 Göschen ;
ich dancke dir gantz inniglich ausz grundt meines
hertzens buch d. liebe (1587) 391»; das wir betten ausz
hertzen grundt Nigrinus von Zauberern (1592) 59; neben
sprechen, sagen heracht dagegen aus vor: und sprach us
dem gründe sines herzen zu mir Tauler pred. 187, 23
Vetter;
ihr habet alzuviel mir itzt schon angethan,
ihr äugen, dasz ichs euch aus grund des hertzens sage
Hoffmannswaldau u. a. gedichte 2, 16 Neukirch;
er sagt dir aus dem gründe seines herzens prost zum
heutigen tage! Raabe hungerpastor l, 162; bei diesen
verben in moderner spräche nicht mehr recht üblich, wie
überhaupt der geltungsbereich der formel früher ausge-
dehnter war:
so si üz herzen gründe ir friunde ein lieblich lachen tuot
W. V. D. Vogelweidb 27, 36;
on allen zweyfell werden ir gesuntheit erlangen, so ir
euch geloben von gr. euers hertzen Warbeck Magelone
43*
679
GRUND I E 8
GRUND I E s. 4
680
966 B. ; SO sehencke ich es euch hiemit von gr. meines
hertzens Moscherosch gesichte (1650) 248; auszer bei
Verben mir beim adv. gern häufiger: das habe ich von
gründe myns herzen begirlich und gern gehört privatbr.
d. mittelalt. I, 54 SteinJiausen; ich will sie {die gelder)
ihnen von gr. des herzens gern noch fünfzehn jähr . . .
lassen Lessing 2, 146, 21 M.; von gründe des herzens
gern Wack^in roder herzensergieszungen (1797) 49; vgl.:
alle . . . Verrichtungen . . . von grundherzensgerne über
sich genommen Fischer schwüb. 3, 872. — im gründe
des herzens ist in älterer spräche ohne specißsche färhung:
diu wlsheit in des herzen gründe
smecket rehte als in dem munde
dem guom ein guotiu spise tuot
Lampr. V. Regensburg iochter Syon 2796 ;
die bösen in irs hertzen grund
stets wider mich gedenken
Mich. Sachse bei Fischer-Tümpel 1,15;
später eingeschränkt auf das geheime, das man nicht zeigt
oder sagt: wer im gründe seines herzens ein schalk ist,
der zeigt es nie mehr, als in hektischen krankheiten
La VATER handbibl. (l793) 2, ill; dazu hatte die Anne-
marie das mädchen ... im gründe ihres herzens doch
noch zu lieb 0. Ludwig ges. sehr. 2, 198; ich weisz doch,
dasz sie meinen schritt im gründe ihres herzens billigen
Bauernfeld ges. sehr. 4, 5. — bis auf den gr. des
herzens, bildhafter empfunden:
(sünden) die niht geriuwent zailer stunt
hin abe unz üf des herzen grünt
W. V. D. Vogelweide 6, 12;
si wurden paide da enzunt
mit liebe untz in ir hertzen grünt
H. V. Neustadt Apollontus 3534 S. ;
ähnlich :
diu mir daz herze hat verwunt
vaste unz üf der minne grünt
Tannhäuser 3, 126 S. ;
vgl.: {die Situationen) beklemmen das hertz, sie be-
unruhigen die seele bis auf einen gewissen grad: aber
sie kommen nicht auf den gr. Ramler einl. in d. schön,
vnssensch. 2, 46.
c) verschiedenartig verstärkt:
ich bin in strenger Heb verwund
gar tief in meines hertzen grund
gen Rosmunda H. Sachs 17, 6 K.-G. ;
vgl. die schweren seufczen, die aus grünt und tief ires
herczen kamen Arigo decam. 191, 37 K.; nach analogie
der formet von ganzem herzen : also bit got von gantzem
grünt dins hertzens Keisersberg bilgerschaft (i5l2) BS*;
es ist von gantzen hertzens grund
mein bitt an euch zu diser stund
Spreng Ilias (1610) 8lb;
im älteren nhd. recht gebräuchlich; vgl. ausz bitterem
und von gantzem gr. seines hertzen Fortunatus 59 ndr. ;
solches wünsche eurer königl. mayt. ich aus innerstem
gründe meines hertzen v. Chemnitz schwed. krieg l (1648)
Widmung 6;
wenn der treugesinnte mund
oft des herzens innern grund
liesz entdeckt und offen schauen
Gottsched gedickte (1751) 208;
und tief bewegten gesänge
des herzens innigsten grund
GÖTHE 1,49 W.;
seltener: von gr. meines innersten hertzens ollapatrida
111, 37 Wiener ndr.
8) grund der seele erscheint zuerst in der mystik des
14, jh.s {s. u. 6) ; doch bleiben die belege bis ins 18. jh.
ziemlich selten:
so mag in unser sele grund
Cristus nit wol werden kunt
Christus u. die minn. seele 2103;
ich ... bit dich lieber herre, das du dich schliesest in
den grünt myner sele der ewigen vdszheit betbüchlin
(1518) 130^;
ich bin auch ihnen wieder
von grund der seelen hold
Königsherger dichterkr. 50 ndr.;
das es mir von grundt meiner seelen leydt ist El. Charl.
V. Orleans i,2Jlf.; das andere wort heist tni9^vfxelv,
etwas von hertzen und von gr. der seele wünschen und
begehren icohlgeplagte priester (1695) 9. in schwang kommt
der ausdruck erst mit dem stürm, und drang, mit der
iciederentdeckung der seele. piural auch hier beschränkt
auf poetischen gebrauch:
doch schau hinab, in deiner seele gründen,
was du hier suchest, wirst du dorten finden
Bettine Günderode 1, 347.
in manchen Verbindungen tritt der gr. der seele für den
gr. des herzens ein, ohne darum die ältere wendung ganz
zu verdrängen: und soll ich, weil Leszing wiederum
alles aus dem gründe der seele holt, soll ich ihn für
einen spekulativen witzling halten? Herder 3, ii S.;
am häufigsten auch hier präpositional von, aus, im
gründe der seele: ich wünsche von gr. meiner seelen
Lessing 17, 146 M.; sie dauert mich von gr. der seelen,
das gute kind H. L.Wagner theaterstücke (1779) 97; der
patron war mir so recht im gründe meiner seele ver-
haszt Gaudy s. tv. 2, 107; von gr. der seele gern Campe
2, 469; im innern gründe meiner seele Göthe 45, 231 W.,
auch modern dialektisch: üt de gr. fan min sSl DOORN-
KAAT-KooLMAN 1 , 702. dagegen ist die seit dem aus-
gehenden 18. jh. reich verbreitete wendung auf den gr. der
seele sehen in älterer spräche ohne parallelen; gr. des
herzens in dieser Verbindung bleibt vereinzelt: ha! bar-
barische Marwood, diese rede liesz mich bis auf den
gr. ihres herzens sehen Lessing 2, 290, 23 M.; schon bei
Wieland: er richtete sich auf, und sähe sie eine weile
an, als ob er bis in den gr. ihrer seele schauen wollte
Agathon (1766/.) l, 254; er glaubte bis auf den gr. ihrer
seele zu sehen Göthe 23, 40 W.; öfter wird das äuge
als durchgangspunkt des forschenden blicks hinzugefügt:
diesen fürchterlichen blick ... so kalt, so durchbohrend,
so wild, als wollt er durch mein äuge hindurch auf
den gr. meiner seele schauen Tieck sehr. 2, Sil; das
bild der seele als eines gewässers schwebt mehr oder weniger
deutlich vor: wie auf dem gr. eines sees die fische muth-
willig durcheinander spielen, so könnt ich deine ge-
danken spielen sehen auf dem klaren gr. deiner seele
Bettine frühlingskranz (1844) 19; du würdest wähnen,
in dieser klarheit müsse man bis auf den gr. der seele
blicken können Stifter w. 1 , 82 bibl. dtsch. schriftst.
a. Böhmen.
3) anderes seltener: welcher {arzt) nun grüntlich hel-
fen will, der mus im gr. des gemüts anfangen Fischart
podagr. trostbüchlein 18, 20 H.;
o wie preis ich die Sängerin drum, die, unter der muse
schütz, mir den lieblichen grund ihres gemütes enthüllt
MöRiKE 1, 100 Göschen,
jung und nur poetisch:
was ihr vernahmt,
bewahrts in eures busens tiefem gründe
Schiller 14, 47 ß.;
und in meines busens gründen
schien ich mir mich selbst zu finden
Grillparzer 4, 84 S.
4) im mhd. kann auch grund allein den herzensgrund
bezeichnen, wie es scheint, nur nach präpositionen ; nament-
lich nach von:
enbiute dir von gründe
mit herzen und mit munde
minen küneclicben gruoz
KoNR. V. Würzburg Silvester 2575;
daz si von gründe wolte senen
zallen zlten sich üf jenen
Engelhard 1229; vgl. 6418;
daz ir lerent von gründe got minnen Tauler pred.
59,7 Vetter; vgl. 138, 28; er ... neig ir von gründe Seuse
dtsche sehr. 29, 24 Bihlm.; seltener nach anderen prä-
positionen :
sin leit gienc ir ze gründe
und sin vil strengez ungemach
Engelhard 6190;
nhd. vereinzelt ähnliches:
ich sprach: 'bist du dann Jesus nicht?'
und seufzet aus dem gründe
Spee trutznacht. 4, 72 B. ;
681
GRUND I E 5. 6
GRUND I F 1. 2
682
ebenso verstärkt wie gr. des herzens: und begerent von
ganzem gründe, das si in alleine minnen Tauler pred.
138, 82 Vetter;
neur was du wilt,
mein schöne Gret,
ausz ganczen gründen,
daz tun ich snell
Osw. V. Wolkenstein 77, 33 Seh.
5) mit dem vorigen steht offenbar eine Verwendung in
Zusammenhang, die unter lockerung der bildlichen Vor-
stellung zu einer bedeutung ähnlich wie 'gesinnung, sinn'
führt; dann sind kennzeichnende adjectiva nötig, vor-
wiegend alem.:
und hett gen ir {der amy) ain falschen grund
H. V. Sachsenheim möhrin 1753;
dasz auch hier an herzenagrund gedacht wurde, lehren
fälle tvie:
drutz das kein meister schrib
und nümer schriben kund
so vil der falschen grund,
als in irm hertzen was
H. V. Sachsenheim Spiegel 177, 30;
du weist, das ouch erdichtet hand
wider mich dises alles sand
US falschem hertzen, argem grund
echiveiz. schausp. des 16. jh.s 2, 61 B.;
das gegenstück ist alem. aus rechtem gr. 'ernstlich, mit
Überzeugung':
wer zÄ im kumpt und dienst begärt
usz rächtem grund, wird von im gwärt
ib. 3, 162;
doch kann auch die bedeutung IV C 5 a hereinkreuzen:
dieweil er an disem löuwen (einem kunstwerk) nichts,
das et ausz rechtem gr. tadlen hette können, finden
mocht Wetzel reise d. söhne Qiaffers 88 Fischer;
wer hofifen kan ausz gutem grund,
der find sein trost zu aller stund
Petri d. Teutschen Weisheit 1 g 4^;
dasz feinds mund redet nimmer ausz guten gr. Leh-
mann ßorileg. polit. (1662) 3, 97 (vgl. IV B 4l); auch ohne
adj.: ob man etwas uf mich seit, ... so bedenkend,
US was gr. und herzen es kumme Zwingli dtsche sehr.
1, 86;
hab acht auf aigen leib und eer
und wy dein grund in gott sich ker
J. V. ScH WARZENBERG Cicero (1685) 3»;
der bösen grund wend got zur stund
Fisch ART 2, 291 Kurz;
ir wurd irs gmals gemüt und grund
entdeckt
Thym Thedel v. Wallmoden 980 Zimmerm. ;
er was seins worts gedächtig,
sein mund, sein grund eindrächtig
Zinkgref-Weidner teutsch. nat. weish. 3, 25;
bestymbt fals lerer dichten und piegen wol iren gr. auf
heilige schrift, aber dieselb pflegen sy unrecht zeversteen
B. V. Chiemsee teutsche theol. 114 B.; auch das nd. kennt
gewisse Wendungen, die ähnlich verstanden scheinen (vgl.
nl. quaden grond mala mens, malus animus Kilian
168): weret sake . . ., dat unser welk sodanen hat tohope
hadden van herten, dat wy dar neue gude grünt (gute
gesinnung, freundschaft) an maken konden pomm. ge-
schichtsdenkm. 2, 75 Pyl; ik kan kinen gr. to dem minsken
krigen 'ich kann kein vertrauten noch freundschaft zu dem
menschen fassen' brem. wb. 2, 558.
6) eine besondere rolle spielt grund in der spräche der
mystih, die das tiefe, vieldeutige wort sehr liebt und oft
mit seinen verschiedenen bedeutungsrichtungen spielt (nach
Herm.Kunisgh das wort 'grund' in der spräche der deut-
schen mystik des 14. und 15. jh.s [dissert. Münster 1929]
1, 15, 98 u. ö. ist gr. specißsch für Tauler); schillernd
zwischen 'herzensgrund , innerstes geistiges wesen' und
schlichtem 'sinn': wenne das ewig wort wirt gesprochen
in den grünt der seien, und der grünt als vil bereit-
schaft und enphenglichkeit hat, das ... Taüler pred.
334, 14 Vetter; dieser tempel ist der überminnekliche in-
wendige grünt der seien 266, 8; die dritten empfiengent
in ... in das verborgen abgrunde, in daz heimeliche
rieh, in den wunnenclichen grünt 92, 95; daz sich min
herze und mine sele rehte al zu male gegen dir uf tfin
welle, und mäs dir offenboren und sagen allen minen
heimmelichen grünt Rulman Merswin buch v. d. zwei
mannen 2 L.; er . . . danket ire herzeklich usz einem
demütigen gründe Seuse dtsche sehr. 14, 24 Bihlm.; et-
lichü . . . die hohen sinne der heiligen schrift . . . ver-
kerlich hain genomen nah ir selbs eigem und wilden
gründe 4, 13; ähnlich auch von gott: süllen wir iemer
komen in den grünt gotz und in das innigoste gotz, so
müssen wir zu dem aller minsten zem ersten komen
in unsern eigenen grünt und in unser innigostes Tau-
ler pred. 149, 34 Vetter.
F. der begriff des tiefen, unteren bezirkes (s. o. C 1, E
anfang) kann so entgegenständlicht werden, dasz grund der
bedeutung des abstractums 'tiefe' nahekommt.
1) schon mhd. in präpositionalen fügungen recht ent-
wickelt (manche von ihnen lassen auch an II A 1 b denken;
doch zeigt sich die bedeutung 'erdboden' mhd. sonst nicht
entfaltet) :
dar zouh an der stunde
di vedere (auf der wags(Jiale) ze gründe
Straszb. Alex. 7148 Kinzel;
er Seite im daz msere
von obene hin ze gründe
GoTTFE. V. Straszburg Trist. 8239;
din igottes) wunder sich so wirret
in höhe und an dem gründe
Joh. V. Würzburg Wilh. v. Österr. 13691;
ir schön gepär tuet mir ungemach
von hoch der schaitel überab den grünt
Osw. V. Wolkenstein 1, 20 Seh.;
vgl. daher auch (in dem mau^riverk) ein unheilbarer
risz vom scheitel bis zum gr. klafft Scheffel 3, 235,
wo bed. IV hereinspielt.
2) von concretis ist gewöhnlich erde beigeordnet:
do sprach der in dem throne saz
und der erden grünt maz
H. V. Neustadt gott. zuk. 1218 Singer;
(er) wollte alle gründ am himmel und erden erforschen
Volksbuch von dr. Faust 13 Braune; in den stillen tiefen
des meers, wohin kein senkblei reicht, in den verbor-
genen gründen der erde, wohin kein bergmann steigt
Gerok psalmen 3, 397; wenn die dunkelheit schon aus
den gründen der erde stieg Stifter w. 2, 318; in der
regel plural; singularischer gebrauch der formel liegt auf
einer andern bedeutungslinie, s. m. II A l a. vielfältig auch
bei abstractis schon in alter spräche:
wie wol der wisheit grünt
hede beslozzen din (Jesu) mfint
H. V. Neustadt gott. zuk. 2147 S. ;
min sin was al der werlt ze tief, . . .
nu vindestu die hcehe und ouch die gründe (des Sinnes)
Wartburgkr. 33, 6 ;
daz (liden) get hie uz dem gründe siner (gottes) un-
sprechenlichen minnen Tauler pred. 17, 26 Vetter;
der (munt) mich tieflichen wunt
gar in des todes grünt
Osw. V. Wolkenstein 19, 20 Seh. ;
sogar:
das im die lieb durch das marck
trang zä des endes grünt
Friedr. v. Schwaben 1015 J.;
in jüngerer spräche gern neben begriffen wie:
das (sc. rad) die folgen böser that
aus der zukunft finstern gründen
ist bestimmet aufzuwinden
Müller dram. w. (1828) 1, 56;
und was noch ruhte in der zeiten grund
Fr. Kind gedichtet 2, 151;
in den tiefen gründen der ewigkeit L. Hofacker pred.^^
894; die Sehnsucht der creatur nach der reinheit ihres
Schöpfers, der sie sich im gründe ihres daseins ver-
wandt . . . fühlt Ranke s. w. l, 198. oft verstärkt durch
tief: darnoch so sieht der (vergottete) geist herwieder
verre in den allertiefesten grünt der allernidersten
übunge die er ie geübete Tauler pred. 88, 5 V.; da er
die tzwey weyber urteyllt . . . , erfand, wilch die rechte
683
GRUND I F 3
GRUND I G 1. 2
684
matter war ausz dem aller tiefisten gr. der natur Lu-
ther 10, 1, 560 W.; vgl.
swer des niht gloubet dan, des val
hat endelösen grünt Fkauenlob 404, 6 ;
o gr. ohne boddem ! 'gewöhnlicher ausruf bei Überraschun-
gen oder sich entgegenstellenden Schwierigkeiten' Frisch-
eier preusz. sprichw. 100.
3) zu gründe 'bis in die tiefe' hat eine besondere ent-
Wicklung genommen, die indes mit dem 17. jh. erlischt,
nur mhd. neben verben des affects zur gradbezeichnung,
'gründlich, sehr':
nu ligent der risen ehtwe tot.
des vröuwe ich mich ze gründe
Virginal 747, 3;
und leid ir müterliches herz ze gründe alles, daz ich
an dem libe leid Seuse dtsche sehr. 260, 7 Bihlm., hier
spielt wohl die bedeutung E herein, sehr verbreitet in
Tnystischen Schriften; namentlich sich ze gründe läzen
m,it dat. 'sich völlig hingeben'; gelegentlich noch gegen-
ständlicher empfunden: aldo lie sü {die verzückte frau)
sich zu gründe in ein ewikeit Tauler pred. 41, 6 V.;
so beginnet der creatürlich geist . . . sich der ewigen
götlichen kraft ze gr. lassen Seuse 182, 27 Bihlm.; dis
loszen mag meinen, das kein mensche in der zit derzuo
kummen mag, das in das ewige vetterliche wort zuo
gründe rüeren wil, er habe sich denne e dem vetter-
lichen ewigen worte alzuomale zuo gründe geloszen in
rehter, demtietiger, uf gebend er, zuo gründe sterbender ge-
loszenheit Nie. v. Basel 274; so wenig mag auch das
göttliche sprechen in dem zugrundegelassenen . . . leben
stille stehen Jag. Böhme 4, 181; gern bei verben des er-
kennens: ab di 6wige geburt des gwigen wortis in der
s§le keine krSatüre zu gründe verstßn muge mystiker
1, 44, 16 Ff.; und kanst du du zwei wort eben wegen
und ze gründe prüfen uf ir jüngstes ort Seuse dtsche
sehr. 334, 25 Bihlm.; ähnlich: er ist unsprechlich , er
wardt nie tzu gr. gar auszgesprochen theol. deutsch 32 M. ;
dies ist allgemeiner:
up wisheit achten se nicht to gründe
Reinke de vos 6013.
am längsten gehalten hat sich zu gründe als 'völlig, gänz-
lich' bei verben, die ein wie immer geartetes 'beseitigen,
vernichten' bezeichnen: du müst zu gr. dir selbs absterben
G. V. Keisersberg bilgersch. (1512) c S'^; daz sie sein
zu grünt vergessen het Arigo decam. 203, 8 Keller ;
dein gbot sie gar zu grund verachtn
Dedekind Christi, ritter (1550) d 5^;
eyn wif, de er synne to gründe verloren hadde Sghiller-
Lübben 2, 158 aus Oldenburg, gebetb.; ich werde mein
hant ausstrecken und sie zu gründe reformiren Reinh.
Lorich wie junge fürsten . . utiderwisen mögen werden
101 ; es wird, will gott, nun mit des babsts reych schyr
zu gr. gar aus seyn Luther 18, 256 W.; als wann er
das Unkraut zu grundt auszwurtzeln wolte Nigrinus
von Zauberern (1592) 482; das geistlich recht von dem
ersten buchstaben bisz an den letzten wurd zugrund
auszgetilget Luther 6, 459 W.; fälle wie die letzten zeigen
grenzberührung mit zu gründe richten (= solo ae^uare),
verstören u. ä. (s. u. II B l); die beiden gebrauchsweisen
haben sich wechselweise beeinfluszt; eine andere kreuzung
(mit von gr., s. IV A 4) in beispielen wie: Magis ... alle
zu grundt heylet und gesundt machet Aymont (1535) p 3»;
streue es auf das faule fleisch und in die wunden, es
heilet zu gründe ausz Walther pferde- u. viehz. (1658)
134; hierher weiter: so Sprech iederman, der groll wer
ab und wir wern zä gr. gericht {ausgesöhnt) städtechron.
2, 530, 21 {Nürnberg c. 1450);
alles was hasz, zom erregt,
ist zu gründe beigelegt
E. Che. Homburg bei Fischer-Tümpel 4, 300»;
namentlich nd. und md. öfter in pleonastischen Verbin-
dungen: gansselich zo gronde totten merch {bis aufs
mark) Diefenbagh gloss. 353°; das nicht das königreich
Beheimb und die . . . annahende länder darüber genz-
lichen zue gründe erschöpft . . . werden acta publ. l, 246 ;
dat we uns gansliken unde to gründe ghesonet hebbet
braunschw.-lüneburg. urk.-buch 3 nr. 123 S.; dat ik umme
alle zake, claghe, ansprake . . . myd den ersamen heren
borgemesteren . . . my vruntliken unde lefliken to gantzer
ghuden gr. gescheden . . . hebbe zs. des hist. Vereins f.
Niedersachsen 1859, *. 153 {urk. von 1433) ; und han ir ieg-
lichen luterlichen und zu gründe verzigen Diefenbagh-
WÜLGKER 637 («. 1374). merkwürdig ist zum gründe,
öfter im 19. jh.; anscheinend aus zu gründe entwickelt,
vielleicht differenziert gegenüber zu gründe 'ijis verderben':
bis die zigeuner müd zum gründe,
heimlich sich winken — und spielen leise
Lenau 243 Barthel;
leid und wonne
nun hab ich sie zum grund erprobt
Geibel w. (1888) 1, 2;
früher ganz vereinzelt: es werden in diesem spiel aygent-
lich und zum grundt repräsentiert alle die späsz und
contemplationes des kriegszwesens Äg. Albertinus zeit-
kürtzer (1608) 72.
G. der begriff der unteren begrenzung, der tiefe, in die
horizontale ebene übertragen, ergibt die bedeutung der hin-
teren begrenzung, des räumlich entfernten; dieser gebrauch
wird häufig erst mit der 2. hälfte des 18. jh.s.
1) hintergrund, hinterer theil; seit dem stürm und drang
häufig von der bühne {aber nur bis in den anfang des
19. jh.s gehalten) : ein kleines armselig meublirtes zim-
mer; vier hölzerne stuhle, ein alter schrank und im
gr. ein bett H. L.Wagner wohlthät. unbekannte 5; sie
gehen nach dem gründe des theaters Göthe li, 289 W.;
was eben der zuhörer nicht hört, das hört er nicht,
des rückenwendens, nach dem gründe Sprechens ist kein
ende Göthe III 2, 290 W.; Sigurd öffnet eine thür im
gründe Fouque held d. nordens (1810) l, 165; auch auszer-
halb der bühne von geschlossenen räumlichkeiten: dem
eingang an der schmalen seite gegenüber, im gründe
des saals, stand die tafel des priors Göthe 49, 206 W.;
vgl. der gr. eines wagens 'der hintere bedeckte theil des-
selben' {der hintergrund, hintersitz) Heinsius 2, 549; so-
wohl dies wie gr. als bühnengrund Übersetzungen von
frz. fond. seltener als hintergrund im freien räum, :
und im letzten scheine glühet
in der strasze fernstem gründe
schon das capitol
Waiblinger ged. aus Italien 1, 23 Grisebach;
im scheinbaren räum: ich wollte im gemälde nicht gern
im gr. stehen und mich verlieren Winckelmann bei
JusTi 22, 53; plötzlich sah sie im gründe des spiegeis,
zwei kleine nebelgestalten Storm w. 2, 271.
2) zu besonderem sinn entwickelt sich diese bedeutung
in der maierei: gr., grundfeld, frz. fond, ... bedeutet
feld oder hintergrund. auf dem gründe stellet man alle
gegenstände vor, woraus ein gemälde bestehet Jagobs-
SON technol. wb. 164*; auch hier handelt es sich vielleicht
um einfache Übersetzung aus dem frz., vgl. denjenigen
gr. eines gemähldes, worauf vermittelst einer vielfachen,
aber unmerklichen degradation der tinten {teintes), eine
sehr weitläuftige gegend mit vielen höher und niedriger
liegenden platzen abgebildet ist, nennt man einen um-
schweifenden gr., fr. fond vague; so wie einen luftigen
gr., fr. fond aerien, Jbey gemählden, welche z. e. eine
unermeszliche meerstrecke vorstellen, wo der abstand
nicht, wie bey Sachen auf dem lande, durch hinter-
einander folgende gegenstände bezeichnet werden kann
Krünitz 20, 253; auch versteht sie {Angelika Kaufmann)
wenig luftperspektiv, kein bei werk, keine landschaft,
und überhaupt keine gründe Sturz sehr. (l779j[f.) 1, 34;
halbfiguren und kniestücke mit landschaftlichen grün-
den begleitet Göthe nach W. Hofpmann wb. d. dtsch,
spr. 2, 708'»;
Gioconda, du, aus wundervollem grund
herleuchtend mit dem glänz durchseelter glieder
H. V. HoFMANNSTHAL kl. dramcn (1907) 1, 61.
die räumliche tiefe innerhalb des bildes kann zerlegt ge-
dacht werden: bey den malern und kupferstechern ist
gr. die scheinbare abtheilung eines gemäldes nach sei-
685
GRUND I G 3 — II A 1
GRUND II A 1
686
ner tiefe, sonderlich einer landschaft Jacobsson lei*;
die abstufung der fast parallelen gründe mit wenigen
figuren . . . erregt bewunderung Göthe *7, 349 W.,- ein
blatt, welches durch einfache tinten und wohlgesonderte
gründe sich auszeichnet Göthe nach W. Hoffmann
a. a. 0.; im sing, dann durch attribute geschieden: den
ersten gr. (Vordergrund) in dem kupferblate Harsdörfer
frauem. gesprächsp. *, 51; im mittlem gründe diesseit
des flnsses ragen cypressen Göthe nach W. Hoffmann
a. a. 0.
3) nicht ganz rein erscheint der begriff der horizontalen
tiefe in waldes gr. ; hier ist die Vorstellung des bergenden,
verbergenden hinzugetreten :
hetst mir gefolgt und werest weyt
geflohen in des waldes grünt
H. Sachs 9, 215 K. ;
{ein fräulein,) welches tief
in eines waldes gründe
manch hundert jähre schlief
Uhland gedickte (1898) I, 317.
häufiger im plural:
in des waldes tiefste gründe
flüchtete die seherin Schiller 11,369 6.;
ähnlich:
in jenen äuszersten stunden
nachts in des Olbergs gründe
schwitzt ich . . .
blutige ströme
Brentano 1, 147.
II. 'erdboden', neben 'meeresboden' u. ä. der andere grosze
bedeutungsstrang des subst., für den ursprünglich das
feminine geschlecht anzusetzen ist (s. o. form l); die be-
deutung ist, verschieden variiert, ags., anord. und ahd.
bezeugt; indessen bis ins spätmhd. merkwürdig selten;
doch heute ebenso in hd. wie in nd. maa. die art des
bedeutungszusammenhangs mit I ist unerkennbar, wenn
von I abgespalten, vielleicht zu verstehen als das unterste,
die feste grundlage von allem, was sich dem äuge dar-
bietet.
A. 'erdboden' im eigentlichen, materiellen sinn; so schon
bei Otfrid erdgrunt iv 27, 20.
l) ganz allgemein, ohne qualitative oder räumliche be-
schränkung; nur sing., plur. ganz vereinzelt: es (das
rosz) grebt die gründe corr. in scharret den boden Lu-
ther 1, 148 Jena.
a) der unterschied gegenüber boden liegt icieder darin,
dasz boden mehr die Vorstellung der fläche, gr. mehr die
Vorstellung des räumlichen, der compacten masse anklingen
läszt (s. 0. I C 1) ; man sagt den boden küssen, aber den
gr. beiszen (vgl. ins gras beiszen):
das machen offenbar vil frembd und welsche krieger, . . .
die {sterbend) für dein gold gebissen deinen grund
Weckherlin 2, 283 F. ;
vgl.: von diesem platze stehe ich nicht wieder auf!
ächzte der räuber in den gr. beiszend Raabe Horacker
(1876) 89 ; auf das die furch nit oben hin alleyn den gr.
schürpfe Mich. Herr f eidbau (i55i) 27^;
wo sich der grund in moderhügeln hebt
Seume ged. (1804) 5;
und als sie kamen näherwärts,
begann der grund zu zittern Lenau 49 Barthel;
als formet der rechtssprache : sy sullen auch die selben
holczer mit grünt und wurtzen in nucz und gewer inne
haben urk.-buch d. stiftes Klosterneuburg 1 nr. 480 Z.;
vgl. nr. 399; deshalb gern mit den präpos. in und aus:
sie (die glieder) werden wider all erstan,
und wirt ir keins im grund vergan
Murner badenfahrt kap. 21, 8 Martin; vgl. kap. 35, 82;
dasz man mich auch begrab in grund
Spangenberg griech. dram. 1, 193 Dähnhardt;
von dessentwegen die macht der winden solche bäum
. . . ausz dem gr. reiszet Ph. Bech Agricolas bergwerck
(1621) 29; auch bildlich:
das wir sy rütend gantz usz dem grundt
wo! mögend
Schweiz, scha-usp. des IG. jh.s 3, 34 Bächtold;
selbst nach unter ist diese Vorstellung noch zu spüren:
vor allem seltsam wars, als unterm grund
auftauchend, schritte rechts sich gaben kund
Droste-Hülshoff 2,97 Seh.;
in älterer spräche gern in zusammenhängen tcie:
wen du ligst fulen underm grundt
Murner narrenbeschw. 168, 21 ndr.; vgl. 132, 61;
das er im entlich fürnam zfi sterben und solche heym-
liche liebe mit im under den grundt zu tragen Wigk-
RAM w;. 1,4 B.; von kabalen: es musste also lange
unter gr. gearbeitet werden Wieland w. (1794/".) 24,355;
neben erde:
der heldt hub in auf von dem grund
der erden und truckt in zu todt
H. Sachs 8, 606 K.;
doch kann hier die bedeutung IV mitklingen:
fins ward der grund des aerdbodens entdeckt
(fundamenta orbia terrarum ps. 17, 16)
Schede pt. 60, 16 ndr. ;
wie? hofft der keinen sieg, vor dem die weit erzittert?
auf dessen wort der grund der erden sich erschüttert?
Gryphius trauersp. 182 P.;
vom stampfen ungeduldger pferde
ertönt der grund der untern erde
J. A. Schlegel verm. ged. (il87f.) 1, 189;
vgl. erlangten sie gar halt den kaiserlichen grünt des
ertrichs an dem walt Sigm. Meisterlin in städtechron.
8, 45.
b) freilich kann die Vorstellung des räumlichen zw
gunsten des fiächenhaften verblassen :
der gotlosz mit gekrümbtem mund . . .
sich spreiszend, trittet auf den grund,
gantz trutzig, unwürsch, aufgeblasen
Weckherlin 2, 19 F. ;
sie (die rosse) riechen
den streit von fem, und stampfen den grund
Dusch verm. w. (1754) vorr. 4»;
und deckte den grund ein starker für sie
Denis lieder Sineds (1772) 113, 1;
das kann so weit gehen, dasz der begriff der erde als
Substanz gleichgültig wird und die Vorstellung der unteren
fläche als solcher dominiert:
gichtrisch zuckt der bleiche mund,
und dein aug sucht scheu den grund
Grillparzer 4, 71 S. ;
am grund streicht die schwalben,
als hätt sie kein luft Brentano 2, 26;
so vielfach mundartlich: halt ow mar lag an de gr. ; op
flake gr. auf flacher erde; op de gr. kneje; enen an de
gr. plecken zur erde werfen, cleverländisch . doch sonst
nicht rheinisch (Josef Möller); he kreeg keen been an e
gr. richtete nichts aus Mensinq 2, 500; geradezu = diele
Schmidt-Petersen 54*>; eberiso cleverländ.; vom, haus
des herrn:
0 heiiger grund I von jenem blut ge tränket,
das sich aus gott ins menschenherz gesenket
Brentano 1, 231 ;
der gerade boden aber (im gegensatz zur verticalfläche),
der gr., worauf alles stehet, (heiszt) die grundfläche Sül-
zer theorie d. schönen künste 3, 672; etwas anders: am
himmelfahrtstage wird ein crucifix vom gründe der
kirche ... in die höhe gezogen Gutzkow zauberer v.
Rom 2, 15; vgl. der falt hwet op e gronn (= nl. op den
vloer) Winkler friesch wb. 702; t fald up de gr. (erd-
boden, diele etc.) Doornkaat-Koolman i, 702;
dasz er fiel nider uf den grünt
Wickram 7,126 B.;
weh I da entfiel mir
vom mittelfinger
mein bräutgamring zu gründe
Herder 25, 145 S. ;
entwickelter in einer mehr oder minder bildlichen Ver-
wendung im sinne 'untergehen' (deutlich beeinfluszt von B 2) :
so der müeterlich gedanc
mich ze reden iht betwanc,
so viel daz wort ze gründe
unt zukt es von dem munde
der bitterliche smerze
hin wider an daz herze
schausp. d. mittelalters 1 , 226 Mone;
687
GRUND II A 2
GRUND II A 2
688
evn yedes ding, wann es ufkunt
zum höchsten, feit es selbst zu grünt
S. Brant narrenschiff 39, 6 Z. ;
zu herzen fierende die blödigkeit mentschlicher nathar
und wie gähling dieselbe zugrant falle quelle bei v. Bran-
Dis landeshauptleute 32.
2) der grund tat seiner qualität nach näher bestimmt.
a) nach seiner geologischen oder physikalischen beschaf-
fenheit, vorab unter dem gesichtspunkt des Vegetations-
trägers.
a) im eigentlichen sinn:
ich solt ain gartner darein 16n,
der es (.das gärtlein) mit edeln kreütern schön
ziert, das war der grund wol wert
HÄTZLERIN liederb. 244;
eben als ein akkerman, der auch zuvor die gestaltnus
des grundes untersucht, eh er denselben anfähet zu
pflügen Zesen gekrönte majestät (l66l) 16; wenn man
eine pflanze aus der muttererde auf einen fremden
wilden gr. versetzt Babo schausp. (1793) 48. adjectiva der
qualität sehr zahlreich: man sich erspaciert in hartem
dürrem gr. Ryff Spiegel d. gesundh. (1544) 25^; do sie
sich auf irem magern gr. nit mochten erneren Seb.
Münster cosmogr. (1550) Gl; so wollen etzliche fruchte
, . . einen mittelmeszigen gr. haben Hennenberger er-
clerung d. preüas. landtaffel (1595) 1 ; der pflaumen käme
pflegt man ... in feyste und wolgetüngte gründe zu
setzen Sebiz feldbau (1579) 815; ein weites, sanfthüg-
lichtes Stadtgebiet vom triebsamsten gr. J. H. Vosz anti-
Symbolik 2, 179;
wüsten grund macht er (gott) zur see
Eschen BURG beispieUamml. 4, 115;
nimm hin und pflanz dies reis in frischen grund
Heine 1, 60£.;
was {von weizenkörnern) in guten gr. gefallen Brentano
ges. sehr. 4, 154; etwas anders: die stolzen nachkommen
Sems lieszen sich in dem fetten gründe Asiens nieder
J. J. Schwabe belustig, i, 208; gr. wird . . . vor das erd-
reich . . . genommen, und alsdenn in feuchten und
trockenen, steinigten, kalten, hitzigen, magern, sandigten,
kreidigten, dohnigten, leimigten, schwartzen, grauen,
rothen etc. unterschieden allg. öconom. lex. (I73l) 872;
die moderne spräche zieht boden vor, vgl. schwerer,
leichter . . . gr., gew. boden K. W. L. Heyse handwb. l,
627; dialektisch gehalten:
grund, not z trucka, not z nasz,
das braucht — blüemel und gras
Stelzhamer ausgew. dicht. 1,181 Roseggen
wo birken . . . wachsest und ein rotes haar, ist kein
guter gr. Fischer schu-äb. s, 871 ; de grund is nog to
nat un kold Doornkaat-Koolman l, 702; nd. ist nament-
lich die graue gr. in redensarten sehr verbreitet: ik schaam
mi in de grabe gr. 'bis in den tiefsten gr.' Mensing 2,
600 *»; vgl. form l). bemerkenswerth ist, dasz der gr. oft
den Charakter des wiesigen, weichen oder gar moorigen be-
zeichnet (vgl. III A 5) : (das Stachelschwein) wonet gern
... an den büchlen, die ein weichen gr. haben, dareyn
es sich vergraben mag Herold-Forer Geszners thierb.
(1563) 35; dieweil aber mosige gründe inen den hörn am
huft erweychen Sebiz /eWöau (l579) 149; sumpfichter gr.
Hulsius-Ravellus 147";
hier schläft auch ruhig und gesund
das mädchen auf dem feuchten grund
Shakespeare {1197 ff.) 1, 213;
namentlich vom rasengrund:
auf einem grund und wasen . . .
mit Wölfen werden grasen
die rindet Spee trutznacht. (1649) 201;
den streck ich todt auf dieses rasens grund
Schiller 14, 82 G.
treff ich dich mit einem schwert aber später auf grü-
nem gründe G. Freytag ges. w. 9, 49; im älteren österr.
anscheinend auch für 'moorgrund' :
da mit wir tzugen aus dem land
gründ und greben, prüch und sant,
und eylten tzu der Mymmel
Suchenwirt 4, 440 Pr.
vgl. composita wie wiesengr., moosgr., moorgr., von wiesen-
boden usw. wieder charakteristisch dadurch unterschieden,
dasz boden mehr auf die fläche, gr. mehr auf den tiefen
räum geht, vgl. th. 2, sp. 2li, 4).
ß) vielfältig bildlich; mhd. namentlich bernder gr.
'fruchtbarer boden':
swä meister Emest wirt vertriben . . .,
da vindent mlne sprüche vil selten stillen rüm noch bern-
den grünt
ReINMAR V. ZWETER 156, 3 R. ;
gern persönlich gewendet (auf eine dame):
(sist) mtner vröude ein wemder (Z. bernder) grünt
ib. 28, 11 u. anm.;
des danke ich diner werdekeit, du bemder grünt
Frauenlob 425, 10 E. ,-
du bemder grünt (Maria)
ib. 6, 12;
ähnlich: rhetorica, bluender grünt der liebkosunge Acker-
mann a. Böhmen 61 Bernt- Burdach; war der lebendig
bron quellen in eurm dürren grünt Tauler sermones
(1508) 51 vb (spielt mit gr. 'herz');
glatter worte falsches eis
wird ein schlechter grund der triebe
Gottsched ged. (1751) 1, 206;
dieses ist ein guter gr., aus welchem sicherlich das
schöne . . . blühend erwachsen kann Göthe 48, 17 W.;
der allgemeine jubel hätte in meinem gemüte . . . einen
um so empfänglicheren gr. gefunden, wenn . . . G. Kel-
ler ges. w. 1, 134; namentlich gr. fassen ist seit dem
18. jh. häufiger:
damit . . . Christus auch in euch . . .
so grund als wurtzel fasse
Günther gedichte (1735) 51;
dasz die Unternehmung ... in stadt und provinz gr.
faszte Göthe IV 4i, 62 W.; die französischen einrieb -
tungen fassen in Westpfalen keinen gr. Görres ges. br.
2, 57.
b) gr. unter dem gesichtspunkt der festigkeit; zuweilen
geradezu prägnant fiXr festen gr. : ihr wissen stehet aufm
sand und nicht im gr. hEHMxny florileg. polit. (l662) l,
207. entweder allgemein als träger des menschen und
aller dinge: es ist . . ., ein dam hierüber (über den mo-
rast) geschlagen; wegen seiner krümme, weil man die
erhobneste platze und besten gr. darzu aussuchen müs-
sen, einer gantzen meilewegs lang Chemnitz schwed.
krieg 1. th. (1648) 59, 2; besonders bildlich: wo bleibt aber
mein gewissen, das gerne auf gutem gründe und sicher
stehen wolt Luther 26, 483 W.;
auf wie nicht festem grund all unser hoffen steh
Gryphius 226 P. ;
Leszing soll . . . das aufgedeckt haben, dasz seine (Winckel-
manns) känntnisz der alten ein schwankender gr. sey
Herder 3, 8 S.; tretet darum nicht zu sicher auf diesen
lockern gr. Klinger w. 4, 81 ; heurathe nicht ohne recht
festen gr. unter den füszen Droste-Hölshoff briefe an
L. Schücking 192. oder als baugrund: guter gr. ist der-
jenige, bis zu welchem man das erdreich abräumt, und
den man geeignet hält, die last des gebäudes darauf zu
setzen Helfft wb. d. landbaukunst 161; gern bildlich: das
antichristisch regiment von dem teufel auf den faulen
gr. der lugen gebauet H. v. Cronberg Schriften 14 neudr. ;
wer deinen werten glaubt, der baut auf losen grund
J. Rachel satyr. ged. 99 neudr. ;
loser gr. nie lang stund Petri d. Teutschen weish. 2,
Mm 8"; um wenigstens entweder ein sichres fundament
... zu legen, oder die stellen zu zeigen, wo der zu un-
sichre gr. kein haltbares . . . erlaubt W. v. Humboldt
sechs aufs, über d. klass. altertum 56 Leitzm. oder als
fester boden im gegensatz zum wasser; nur selten wie in
der ags. formet grund and sund = earth and sea (Bos-
worth-Toller 491) ohne bezeichnendes beiwort:
was suechst uf dusem wilden wag?
es hat doch ferre zö gronde (bis ans land)
Muskatblüt 90, 8 Or. ;
meist epitheta: als ein sprunck über eynen flachen ström.
689
GRUND II A 3
GRUND II A 3
690
da man auf beyden seytten eyn gewissen gr, und ufer
sihet Luther 19, 217 W.; vgl.
der hochbetrübte held an dieses ufers gründe
tiefsinnig so verblieb
D. V. D. Werder ras. Roland ges. 1 str. 40;
die boszheit herrscht auf diesem runde,
in wassern, wie auf trocknem gründe
LiCHTWER äsop. fabeln (1748) 95;
so scheint dem endlich gelandeten Schiffer
auch der sicherste grund des festesten bodeng zu schwanken
GöTHE 50, 267 W.
c) als Stoffbezeichnung für 'erde', wesentlich beschränkt
auf das alem.; Übergangsfälle: weiden ist ain trost dem
land vor dem wasser, das es dest mynder den gr. mit
im nem Hätzlerin liederb. 171; stille wasser fressen
auch gr. Kirghhofer schtceiz. sprüchw. (1824) 167. be-
sonders gute, schwere erde, humus: die von Mülhein
clagten, inen die von Nüwenburg mit iren herten ze
weiden, deszgleichen mit sand und grünt graben über-
griff teten stadtrecht von Neuenburg a. Rh. 78 M.; das
ander mal suchten wir den feisten gr. an schattigen
orten, und ausz holen bäumen zusammen Grimmels-
HAUSEN Simplic. 31 Kögel; besonders in den modernen
maa.: gr. trägen 'ktUturerde . . . als düngemittel in die
reben, wiesen tragen' Staub-Tobler 2, 772 (mit vielen
loeiteren belegen); ebenso cleverländisch: gr. op de wies
fahren; gr. := 'acker- und gartenerde' Ch. Schmidt Strasz-
burger ma. 45; ähnlich F. Schön ma. d. Saarbrücker
landes 71^; als guter gr. der erde gegenübergestellt: ist
der platz (für einen garten) ein morast, so füllet man
ihn mit steinen und grober erden aus und schüttet guten
gr. darüber Staub-Tobler 2, 772 (a. 1772); vgl. Martin-
LiENHART 1, 278; WÖSTE-NÖRR. tcesff. 86; (doch als
wilder gr. auch tiefere erdschicht im gegensatz zur acker-
krume Martin -Lienhart 1,278); gesteigert zu lehm,
schlick: agger coctus, vom brennten gr. oder zieglen Fri-
sius 333»; so gend die kerb uf und feit der gr. ins schiff
(bei baggermaschinen) Sghigkhardt reis in Italiam 42 H.
auch für 'erde' schlechthin: nim . . . tubenmist und mach
den rein daz kein holtz oder stro oder gr. oder federen
dorinn ligen Gersdorp wundarzney (i517) 34'';
do von {von dem acker) got nam den selben grundt,
als er Adam zu schaffen bgundt
MuRNER narrenbeschw. 14, 23 neudr.;
vgl.
denn der mann aus irdschem gründe
war vom erdgeist nur geformet Brentano 3, 106;
ich (fing) an, ihn (den toten) mit mehr seuftzen als
schaufeln voller gr. zuzuscharren Grimmelshausen
Simplic. 35 Kögel; gr. füehren erde herbeischaffen Martin-
Lienhart 1, 278. parallel mit erde: nimm heublumen,
und misch desz erdrichs oder desz grunds darunter Sebiz
f eidbau (1580) 329; auf deinem bauch solt du gehen, gr.
und erden sol dein speis sein dein gantzes leben Wick-
ram 8, 161 B.
3) der grund wird quajititativ, in räumlicher ausdehnung
vorgestellt; seit dem ahd. belegbar: grünt u. boidim fun-
dus, praedium Graff 3, 330; vgl. predicia grundt, bodem,
gelend, feit Diefenbach gloss. 453^;
und het ich aller weite grünt
Osw. V. Wolkenstkin 97, 10 Seh. ;
die ochsenhaut, welcher riemen so viel grundes um-
fangen, als die mauren von Carthago Harsdörfer
frauenz. gesprächsp. 5, 148;
imd baue kohl auf einer spanne grund
Grillparzer 5, 9 S.;
diese quantitative Vorstellung entwickelt einige besondere
gebrauchsweisen :
a,) zu dem begriff der ausdehnung tritt der begriff des
besitzes; grünt u. eigen fuyidua Graff 3, 330. eigenthums-
bezirk: wer darüber betreten wirdt, ainicher zäun, ge-
meir oder hag hinaus gesetzt und der gr. erweitert wird
österr. weisth. 2, 131, 7; wann ainer zimert, soll er die
tropfen auf sein gr. richten ib. i, 84, i; hastu ainen
gangsteyg über deines nagsten gr. gehabt nur zehen jar
Berth. V. Chiemsee teutsche theol. 119 R.; bauen auf
eines anderen gr. Dentzler (1716) l4i; pleonastische
IV. 1. 6.
formel: uf des reichs gr. und eigen Haltaus 756. con-
creter 'grundbesitz, grundstück': weiter gr. latifundium
Emmelius nomenclator (1587) 277 ; grundt in einer vorstatt
praedium suburbanum Frischlin nomencl. (i586) 247'';
der herzog . . . besitzt . . . einen gr., auf den 8000 häuser
gebaut sind Archenholz England u. Italien 1, 1; wenn
er sein haus oder seinen gr. ... verkauft Kant 5, 98
Bartenst.; stattliche bauerngüter mit 100 und 200 Jochen
gr. Wimmer gesch. d. dtsch. bodens (1905) 29; specieller
fassen composita wiej agdgr. , weidegr. diese bedeutung. rechts-
Sprichwort: alle gebeu folgen dem gründe holländ. Sachsen-
spiegel (1493) sp. 69, 55. plural namentlich in älterer spräche
nicht selten: wer mit ainem geladen ärmst in frefel auf der
herschaft grünt get österr. weisth. 6, 19, 14; reichtumb seind
nit zu achten nach den gründen, vile oder schwere, son-
dern nach dem sin und gmüt des besitzers Seb. Franck
sprüchw. (1541) 1, 119»; Nathanael . . . fragte ... bei ihr
an, was sie zu einer Selbstverwaltung seiner gründe
sagen würde EbnerEschenbach ges. sehr. 2, 19; neben
andern substant: unengolten andern leuten an irn ge-
rechtikaiten, grünten und besuchen Lori baier. berg-
recht S2 (a. d.j. 1446); alle die, so verkaufen . . ., wellen
ire grund, wiszmat, äcker, albm österr. weisth. 10, 101,
36 ; das alle weld, ecker, Weinberge, see, guter und gründe
und alle ding iderman gemein sein sollen Urbanus
Rhegius tcie man fürsichtiglich . . . reden soll 35 Uckeley;
güldene tramen . . ., die da gründen und eckern am
gelde gleich hoch geachtet werden J. Barth weibersp.
(1565) e*»; das der bischof solchen . . . gotsdienst auf
seinen gründen und orthen hielt Fischer schwäb. 3, 871
(a. 1588).
b) das Pluraletantum liegende gründe bezeichnet den
grundbesitz im gegensatz zur fahrbaren habe und ist vom
md. ausgegangen: wem ligende gründe und fuhrgüter
verheuret . . . werden, der ist ein heuermann Come-
Nius janua (l638) cap. 386; in älterer spräche gern
parallel mit guter : wyssentlich sey, das ich ... gethon
habe Girhard Lange lOO & und 20 & geringes geldes nf
alle siene guttere unde legende gründe handelsrechn. des
d. Ordens 310, 32 S.; nutzunge ligender gründe und guter
Luther 11, 24 W.; geschicklichkeit . . . trägt ihre Zinsen
weit richtiger ab, als alle capitale und liegende gründe
Vernunft, tadlerinnen 2, 196; bei Adelung 4, 62 ist liegende
gründe an einem orte habend definition für 'seszhaft'.
in moderner spräche meist als singularbegriff 'grundbesitz'
empfunden, etwa: das gut, das auszer dem schlösse in
liegenden gründen, besonders wäldern bestand Stifter
w. 5, 1, 349; belege für plurale bedeutung 'grundstücke'
selten: also verkauft nur einige liegende gründe, lieber
rentmeister Immermann 1, 63 B.; übertragen: wenn
Schiller auf die kantiscbe philosophie stürzte, was lag
hinter ihm? auf welche liegenden gründe konnte er sich
zurückziehen? Gutzkow ges. w. 12, 15.
c) aus dem begriff des besitzes flieszt der begriff poli-
tischer begrenzung: -der weit gr. des reichs also ent-
pfrembt und zerrissen ist Sigm. Meisterlin in städte-
chron. 3, 51 ; nehmt war, wie öde liegt der Teutschen
ädler grund Sigm. v. Birken fortsetz. d. Pegnitzschäf. 38;
es ist sofort zu merken, wenn man auf den gr. eines
biszthums oder nur einer abtei kommt Nicolai beschr.
einer reise l, 42; (der deutsche orden) versuchte . . . sich
auf litauischem gründe festzusetzen G. Freytag 18, 219;
namentlich poetisch:
seit ich steh auf Norwegs gründe
Müllner dram. w. (1828) 3, 71;
frei, auf deutschem gründe, walten
lasst uns, nach dem brauch der alten
H. V. Kleist 4, 33 E. Seh.
d) dazu mannigfache fälle ähnlichen gebrauche, deren
gemeinsames die irgendvne geartete Vorstellung räumlicher
begrenzung ist:
mein handl ist schier iedermann kund,
musz auf ein unverschalckten grund
mich richtn an die einfelting bauren
H.Sachs 21, 49 £".-(?.;
wir wandern ferner auf bekanntem grund
GöTHE 3,132 W.;
4A
691
GRUND II B 1
GRUND II B 1
692
und frei, auf mütterlichem grund, behaupte
der Brandenburger sich H. v. Kleist 3, 120 E. Seh. ;
wir stehen, wisz es, auf verbotnem grund
Grillparzer 7, 32 S. ;
technisch: bergfreier gr. 'jenes gebiet ober oder unter
der erde, über welches eine atcsschlieszliche bergbauberech-
tigung noch nicht ertheilt wurde' Scheuchen stuel österr.
berg- u. hüttenspr. 115; auch bildlich: die Schriften der
denker, die nicht auf kirchlichem gründe bauten Dahl-
MANN franz. revol. 11; hierher endlich auch fälle wie:
aber wir, aller ihrer brander, so auf uns hinabkamen,
ungeachtet behielten unsern gr. M. Kramer leben u.
tapfere thaten (l68l) 966; viermal hat Ostreich . . . das
spiel gegen uns durchgeführt, dasz es den ganzen gr.,
auf dem wir standen, von uns forderte und wir ... die
hälfte oder so etwas abtraten Bismarck ged. u. erinn.
1, 188 volksausg.
B. präpositionale Wendungen.
l) zu gründe als prädicative beatimmung neben trana.
Verben.
a) neben stoszen, stürzen, schlagen, verderben u. ä.
ursprünglich ganz eigentlich 'zu boden' ; vgl. den voll-
kommen parallelen gebrauch von zu boden th. 2 , 213 B :
eyn jedes nam steyn, wo es fandt,
und warf die hindersich zu grundt
WiCKRAM 7, 31 B. ;
{knecht Heintz) peylet wie ein hund
und stiesz sein pauren umb zu grund
H. Sachs 9, 366 K. ;
unmerklich entwickelt sich daraus der allgemeinere sinn
des Verderbens:
daher von dieser angst und vil zu schweren plagen
bin ich so tief und lang kraftlosz zu grund geschlagen
Wbckherlin 2, 142 F. ;
(dasz) mich dein rawe faust nu mehr
erhaben, mit mehr macht und spot zu grund geschmissen
ebd. ;
oder Untergangs:
den Widersacher dämpf und tritt den feund zu grund
RoMPLER V. Löw'ENHAlt crstes gebüsch 16;
mocht kein . . . Wildschwein so grosz sein . , ., sie
broohtens mit irer . , . geschickligkeit zö gr. Wickram
2, 82 B.; zu gründe steht seit alters in concurrenz mit
dem völlig gleich gebrauchten in den grund (s. u. 8); wo
das eine, wo das andere ursprünglicher ist, läszt sich nur
vereinzelt feststellen, eine reihe von verben erscheint fast
nur in zusammenhängen, tvo es sich um die Vernichtung
von Städten und gebäuden handelt, deshalb mag die Vor-
stellung des (gerade auch präpositional reich entfalteten)
grund IV 'fundament' hereinkreuzen: das slosz wart zu-
brochin unde zu gründe vorstoret J. Rothe dür. chron.
687; und vorbranten sy zu gründe, dy guten dorfere
K. Stolle thür. chron. 15; den gewönne er mit stürmen
an die schloss Wolkenstein und Rottenbuhel und schleift
die zu gründe M. v. Kemnat chron. Friedrichs I. 3SH.;
mit welchen (kanonen) er . . . den mehrern theil der
Stadt zu gründe schoss Ziegler asiat. Banise (1689) 389;
der tempel zu grund verwüstet ist Liscovv^ sehr. (1789)
31; anscheinend erst secundär neben ab brechen, weil in
den gr. brechen die übliche formal ist (». u. 3 a) : unde
brochen daz (Burgsolms) zu gründe abe Umb. chron. 76,
19 Wyss; zu gr. ahbiechen funditus vel radicitus diruere ;
solo aequare . . .; in planum redigere Calvisius (1666)
849 ; e* stellt sich in diesem bezirk also auch der gedanke
an zu gründe 'bis in die tiefe, gründlich, gänzlich' ein
(«. 0. I F 3) ; dasz diese formel indes hier nicht den aus-
gangspunkt bildet, zeigt in den gr. («. «. 3). bei andern
verben wiegt übertragener gebrauch vor:
gar kein ubels wirdt dir begegen,
das es dich kund zu gründe legen
H.Sachs 6,270^.,-
Venus ... die aller besten und fürtrefflichsten menschen
zu grundt stürtzt Guarinonius grewel d. Verwüstung
(1610) 1109; variiert:
der unser dignitet jetzund
umbstürtzt und gar nmbkert zu grund
A. LoBWASSBR ealumnia B 2;
jener fuchsschwantz, welcher täglich vil tausend men-
schen zu gr. feilet Guarinonius grewel d. verw. 1199;
der dir {vaterland) sonst nach deinem leben stund,
dein kirche und freiheit wollt reiszen gar zu grund
Opel-Cohn dreiszigjähr. krieg 283;
dasz aber dieser weeg also gantz zu gründe gestoszen
wird Jag. Böhme 6, 119;
si {die frau) wel mich zu grünt vurderben
Umb. chron. 37, 34 Wyss;
da wird denn sein gewalt weggenommen werden, das
er zu gr. vertilget und umbbracht werde Luther 30, 2,
165 W.; all diese Wendungen, bei denen der sinnliche aus-
gangspunkt deutlich ist, häufig bis ins 17. jh.; später
seltener: aber es kann ja über nacht ein hagel fallen
und alles zu gr. schlagen Schiller 2, 115 G.; die ge-
meine ewige Ordnung zu gr. stürzen 2, 84. nachdem die
formel ihren sinnlichen geholt eingebüazt hatte, treten über
die typischen verba hinaus auch andere auf:
und deine schwere band zerquetschet mich zu grund
Weckherlin ged. 2, 124 F. ;
{die feinde) das städle voUent zue gr. . . . contribuiret
haben acta publ. 2, 29 F.; namentlich seit dem 18. jh.
fälle wie: ein pferd zu gr. reiten Kramer deutsch-ital.
(1700) 573*; danach: kommen sie (poesie und edelmut) an
hof . . ., so müssen sie sich . . . wandlen, oder sie
werden mit ihren besitzern zu gründe geritten Klinger
theater 2, 189; einen Franzosen zu gründe filiren werke
1, 112; reiter und fuszgänger suchten sich . . . auf die
wiesen zu retten; aber auch diese waren zu gründe ge-
regnet GÖTHE 33, 132 W.
b) zu gründe richten ursprünglich = solo aequare;
aber schon Calepin setzt es gleich pessundo XI ling.
1082*; im älteren nhd. nicht besonders häufig (so wenig
ivie zu boden richten, *. th. 2, 213/. B e), getoinnt es erst
mit dem 18. jh. in der bedeutung 'verderben' weite Ver-
breitung, nachdem die urspr. synonymen Wendungen zu
gr. reiszen, fällen etc. (s. o. a) erloschen loaren. die farb-
losigkeit des verbums richten errang den sieg über die
parallelen Wendungen, bei dinglichem object gelten wieder
die ältesten belege der Vernichtung von Städten:
Troya vor Joue bleibet nicht,
musz werden gar zu grund gericht
Spreng Ilias (1610) U^;
dadurch sie . . . viel griechische schiff zu gr. richtete
theatrum amoris 343; wie das bild . . . durch die her-
stellung selbst völlig zu gründe gerichtet worden Göthe
IV 28, 336 W.; erst im vorigen jähre hab ich des geizigen
Odoardo Weingärten durch einen hagel gänzlich zu gründe
gerichtet Hafner ges. lustsp. (1812) 2, 32; Syriens flotte
(war) vertragsmäszig zu gründe gerichtet Mommsen röm.
gesch. 2, 63 ; bei der entfaltung des alten materials, wel-
ches er oft zu gr. richtet Jag. Grimm Beinh. fuchs xvii;
unten da fangen se gar schonn an und richten an sache zu-
grunde (Dreiszigera ivohnungseinrichtung) G.Hauptmann
weher (1892) 89; in dieser Verwendung, als 'ruinieren' von
dingen, in jüngerer spräche zurückgehend; umgekehrt zu-
nehmend in anwendung auf personen; am frühesten in
der entschiedensten bedeutung: die kecksten wurden un-
verlangt von der deutschen reuterey zu gründe gerichtet
Lohenstein Arminius (1689/.) i, 49»; die in der mo-
dernen spräche herschenden schwächeren bedeutungen ver-
breiten sich erst seit dem 18. jh.; physisch: unsere körper
sind durch fatiguen zu gründe gerichtet Stephanie Zwstei?.
(1771) 118, 83; seelisch: je glücklicher du bist, um so
weniger kostet es, dich zu gründe zu richten Hölder-
lin ges. dicht. 2, 88, 9 Litzm.; moralisch: ha! da ist er,
der mir sie beide verdirbt — meine söhne, mir sie beide
zu gründe richtet Lessing lO, 87 M.; wirtschaftlich: auf
den täglichen verbrauch eine abgäbe legen, . . . richte
den landmann zu gründe Gersten berg hamb. nat. ztg..
lit.-denkm. 128, 66; auch reflexiv:
damit ein herzogthum sich nicht zu gründe richte,
vermählet sich sein herr mit eines pachters nichte
Gottsched d. neueste a. d. anmuth. gelehrs. 1, 613;
hat er diese Jugend verstreichen lassen und sich durch
vielwissen und recensieren ... zu gründe gerichtet
693
GRUND II B 2. 3
GRUND II B 4
694
Fichte 2, 391. die formel bildet heute das tranaitivum
zu dem auf anderer grundlage erwachsenen zu gründe
gehen, s. o. I A 4 c /3. — im späteren 18. jh. und früheren
19. jh. erscheint nicht selten ein «m6«<. zugrunderichtung :
verderben I zugrunderichtung des menschengeschlechtes !
La VATER verm. sehr. 2, 279; das ich die zugrunderich-
tung des abendblatts ganz allein ihrem einfluss . . . zu-
schreibe H.V.Kleist 5, 4I3 Schm.; die zugrunderichtung
des adels, wenn es krämer . . . sind Fichte 4, 416.
2) zu gründe als prädicative bestimmung neben intrans.
Verben; zu sondern von zu gründe sinken, gehen u. ä.
(a. o.l A 4 c ß) und weit weniger entwickelt als jenes:
Saul aber stürtzt für diesem schein
in einem nu zu gründe Ringwald evang. G8'';
(der hirt) sanck mit dem haupt gantz blaich und sprachlosz
zu dem grund
Weckherlin ged. 1, 461 F. ;
wo herrscbaft seins gewalts miszbraucht,
wie plötzlich sie zu gründe haucht
H. Sachs 2, 20 ä'. ;
voll entwickelt nur zu gründe liegen 'am Ifoden liegen',
dann 'darnieder liegen, verdorben sein':
jetz sinckt es (das gebäude) schwehr darnieder,
ligt gäntzlich schier zugrund
RoMPLER V. Löwenhalt erstes gebiisch 99
weil doch on danck und lohn
dein lichten liegt zu grund H. Sachs 9, 546 K.
wie zu grund ligt all ihr rühm
Weckherlin gedickte 1, 155 F.
musz aber ich zu gründe liegen,
so liegt der segen gottes auch (sagt die gerechtigkeit)
Neumark fortgepfl. lustw. 1, 188;
nachdem, neben die eigentliche bedeutung von zu gründe
die übertragene getreten war. in mannigfachen anderen Ver-
bindungen: wie er (der christliche glaube) . . . schier gar
zu grund zergangen Berth. v. Chiemsee teutsche theol.
106 R.; feindselig ding, dadurch mancher frumer man
betrogen zu grund verderben mus Luther 28, 605 W.;
da die gottlosen zu grund verloren sind bibel 7, 391 Bind-
seil; oder zu I F 3?
ich bin die esch und wttrd zu grundt,
so do kompt min letste stundt
Murner baden/ahrt 4, 41 M. ;
er ist zu grund egli e . . . nel fondo della sua fortuna
Jagemann (1803) 2, 628*"; auch elliptisch:
der eine von euch beiden muss zu gründe
Grabbb w. 2, 289 Bl.
8) in den grund icird ebenso und meist neben denselben
Verben gebraucht wie zu gründe ; die formel gilt hier wie
dort von haus aus der richtungsbezeichnung ; nur so ver-
steht sich zumal die Wendung in den gr. legen 'zerstören' :
auf das versincken der stadt Lysimachia wäre alsofort
der stamm . . . dessen, der sie in gr. gelegt hätte, unter-
gegangen Lohenstein Arminius (1689/.) l, 186*; vgl.
auch die vereinzelte Variante an den gr. :
die burc er an den grünt brach
Reinhart fuchs 1264;
doch tritt neben die locale frühzeitig eine intensitätsvor-
stellung; deshalb auch verstärkt bis in den gr. oder in
gr. hinein 'bis in den boden hinein, gründlich, gänzlich,
darum bevorzugt Frisch 379*, den ausgangspunkt der
formel verkennend, im gr. : eine stadt im gr. zerstören
afundamentis proruere urbem, desgleichen das land im
gr. verwüsten flamma ferroque depopulari agros; doch
ist im gr. eine jüngere seltene umbiegung.
a) transitiv; noch entschiedener als bei zu gr. tritt in
der älteren spräche die Zerstörung von Städten und ge-
bäuden hervor:
man brante ouch in der selben stunt
daz hachelwerc in den gnmt
livländ. chron. 11080 Pf. ;
ausz Babotsch flog er schnell und bhend,
hats selbs anzündt, in grund verbrent
W. Schmeltzl zug in d. Hungert. B 1»;
s8 sold er die mür
in den grünt heizen brechen
Ottokar v. Steierm. steir. reimchr. 30186;
unz in den grund er si (die veste) stört 28766;
mit abe-, zu-brechen oft in der limburg. chron. 38, 16;
50, 10; 88, 19; 91, 7 u. ö, Wyss; da wurd ihre gantze
stadt ruinirt und in gr. verderbet Schupp sehr. (1663)
196 ; an. 1601 . . . ward sie ... durch der verzweifelten
Türeken eingelegtes pulver fast in gr. verwüstet Birken
verm. donaustrand (1684) 69 ; wie man auch die . . . neue
kirche ... in gr. geschleift und der erden vergliechen
acta publ. l, 90 F.; brannten die festung aus und zu-
rissen sie in gr. v. Fleming d. vollk. teutsche soldat 278;
nahe lag die Übertragung auf Vernichtung durch krieg:
darnach bekriegten sie den von Regensperg in gr. Stumpf
Schweizerchron. (1606) 487»;
krieg krieg verzehrt, fried fried ernährt,
weh dem, der alles in grund verheert
Opel-Cohn dreiszigj. krieg 435;
warumb die Lacedaemonier die Argivier . . . nit gar ver-
trieben und in gr. gantz auszgetilget Lehmann florileg.
polit. (1662) 3, 217, reine intensitätsbezeichnung seit dem
18. jh. in starkem rückgang. viel seltener, aber schon früh
in allgemeinerem sinne:
wand du (hoffart) brengest in den grünt
manche sele, die gesunt
were vor gotis ougen
md. bearbeitung des Daniel 4819 Hübner;
darnach syns vatters strafen kundt,
den bringt er warlich in den grundt
Murner schelmens. 41, 18 neudr. ;
wenn einer sich durch schwelgerey nicht selbst in gr.
richten dörfte Lohenstein Arminius (1689/.) 2, 296";
namentlich bei verderben (vgl. in boden verderben th. 2,
214): in dem fieng es an zu regnen, verwiescht und
verderbt im die hendtschüch gantz in gr. hinein Bebet
facet. (1585) B 8''; zu unseren in gr; verderbten Zeiten
Butschky Pa<Ämo* (1677) 69; dasz man es nicht künst-
licher hätte anlegen können . . ., mich aus dem gründe
und in den gr. zu verderben Holtei vierzig jähre l, 9.
b) intransitiv; seltener, aber unter denselben bedin-
gungen wie bei trans. gebrauch:
da fiel das haus und bad in grund
Rollenhagen froschmeuseler (1596) D 4»;
unser flecke in grundt verbrandte Nigrinus von Zau-
berern (1592) 71; und verfeit das schloss in grundt M. v.
Kemnat chron. Friedrichs I. 38 H.; abt Jacob v. Br. und
probst Anthis v. L., die dann ursach worden, das das
closter in gr. verdarb 52; welchs so es geschieht, so ver-
durb ich in gr. hinein (funditus) Boltz Terenz (1639) 8*»;
was soll das leben mir zur stund,
die ich verlohm bin bisz in grund
Spangenberg griech. dr. 1, lliBähnhardt.
4) auf den grund erst seitdem 16. jh. belegbar; urspr.
wohl 'auf den boden', vgl. aequare solo auf den gr. zer-
schleifen Garthius 23''; vgl. schleifen . . . auch so viel
als bis auf den gr. niederreiszen Gueintz dtsche recht-
schreib. (1666) 126. auszugehen ist wiederum, von der Ver-
nichtung von Städten und gebäuden: in dem zoch der
von Chordis . . . für Neubert, schoss die stat auf den
grünt hinweg Wilw. v. Schaumburg 89 K.; nach . . . ernst-
lichem stürmen ward die vesti . . . erobert, und ouch
uf den gr. verbrennt Tschudi chron. helvet. 1, 38;
darnach das schloss ward angesteckt,
verbrandt, zerschleyft bis auf den grundt
Schmeltzl zug in d. Hungert. A4»;
dann allgemeiner: ich wil . . . Franckreich gantz und gar
auf den grundt zerstören buch d. liebe (1587) 9"; als die
Frantzosen . . . alles bis auf den gr. verwüsteten Chr.
Weise polit. redner (1677) 873 ; nur dass sie (die heu^chrecke)
alles bis auf den gr. verheeret M. I. Schmidt gesch. d.
Deutschen l, 54. neben verben anderer bedeutungsrichtung
verschiebt sich die vorstellujig : er . . . nahm sich seiner
bis auf den gr. an Herder 17, 57 S.; ein gefährlicher
philosophischer charlatan . . ., der sich selbst bis auf
den gr. zu kennen glaubt Tieck sehr. 7, 175: 'völlig,
gründlich' meint hier 'bis zum letzten' und läszt eher an
grund I denken.
44«
695
GRUND II C 1
GRUND II C 1
696
C. grund und boden seit dem 16. jh. belegbar. vermut-
lich älter; die ältesten belege bis ins le.jh. obd. {namentlich
alem.) und rheinfr.; ivie eng zusammengehörig beide worte
empfunden wurden, lehren die lexika: fundum, einn gr.
odder bodem Er. Alberus 62,'^; fundum . . . gront off
boedem van eyn vasz Diefenbagh gloss. 252^; anders
soll ihnen . . . auf dem teutschen grundt oder boden
nur ein halber monatsoldt . . . gereicht werden Frons-
perger kriegsbuch 1, 32r, wo oder ein und vertritt; merk-
würdig und vereinzelt: die grefin . . . mit ir selbes rates
pflage und von grünt ze poden ir sache bedencken warde
Arigo decam. 229, 38 Keller, die zusammenziehung grund-
boden seit alters vornehmlich im alem.: eim sein hausz
auf den grundboden schleitzen J. Maaler 194 rb; häufig
in den modernen maa., z. b. e pföl in de grundboden
schlahe Staub-Tobler 2, 771»; auch in md. maa.: grunde-
buden Müller-Fraureuth 446'*; nicht beschränkt auf
die bedeutung 'erdboden' : fundus . . . ain boden o. grund-
boden {imu pars vasis) Diefenbagh gloss. 252**. das
erste subst. kann unflectiert bleiben : des zu A. gehörigen
grund und bodens Fischer schwäb. s, 871 au* Wieland.
l) urspr. ein ausdruck der rechts- und Urkundensprache;
so die ältesten belege: den wingarten ze R. gr. und b.
mit aller witi Fischer schwäb. 3, 871 (a. 1429); die eygen
wysen vor dem yrhertürlin an der Pegnitz gelegen, grünt
und podem, mit aller czügehörung, nützzen und rechten
atädtechron. l, 394 anm. {Nürnberg 1434); nach Staub-
Tobler 2, 771 steht es im alem. besonders in kaufs- und
Übergabsbriefen zur Umschreibung des gesamten grund-
eigenthums, in lat. Urkunden entsprechend: terra et fundus.
so wird eine waldung abgetreten: unser frowen hölzli,
holz und feld, gr. und b. (a. 1558); mit anderm sinn, aber
ebenfalls in der rechtssprache : sy habent geschworen, die
püntnussen, wyl grünt und b, stat, zuo halten ib.; des-
gleichen als beteuerungsformel: 'sie wollen das gotieswort
halten, auch leib und gut dazu setzen', es mües 6 gr.
und b. kosten ib. {a. 1529). die formel breitete sich früh-
zeitig auf fast alle Spielarten und gebrauchsformen der
bedeutung 'erdboden' aus.
a) mit rücksicht auf die Qualität des bodens. wie
II A 2 a {geologische oder physikalische beschaffenheit) : da
leichtsinniges wandeln auf feuchtem gr. und b. mir ein
übel am fusze zugezogen hat Göthe IV 28, 98 W.; das
Vaterland der verschiedenen dipusarten hängt . . , vom
gr. und b. ab Nehring tundren u. steppen 76; sie wuszte
. . ., auf welch vulkanischem gr. und b. der tempel
dieses friedens errichtet war Holtei erz. sehr. 2, 232.
tcie II A 2 b {fester Untergrund); m^ist übertragen:
der her daer ist mein grund und bode vest
Schede psalmen 53, 5 neudr. ;
ohne diesen gr. und b. der Wirklichkeit würden selbst
Homer und Ariost als geringe poeten erscheinen müssen
Platen w. 8, 4 B.; die volle formel hat öfter einen em-
phatischen beiklang: dasz ihm nichts daran lag, die Sy-
steme der andern zu stürzen, da er gr. und b. für das
seine gefunden hatte Fr. M. Klinger ii, 168; während
sie für ihre ideen sich einen gr. und b. schaffen muszten
HoFFM. V. Fallersleben ges. sehr. 7, 287; der Chemiker
{behauptet) nur den festen gr. und b. seiner Wissenschaft,
wenn er . . . J. Liebig ehem. briefe 59; als baugrund:
alle künste . . . kommen mir vor wie städte, deren gr.
und b., worauf sie erbaut sind, man nicht mehr ent-
ziffern kann Göthe IV 20, 87 W.; auch das Sprichwort
hat die Variante: stille wässerlein fressest (nehmest) gr.
und b. Fischer schwäb. 3, 871.
b) mit rücksicht auf die Quantität, die räumliche aus-
dehnung {die häufigste gebrauchsweise, zumal in neuerer
spräche): habe ich . . . den gr. und b. . . . nach dem
verjüngten maaszstab auf den riss gebracht v. Fleming
vollk. teutscher Jäger 46. nach II A 3 a {begriff des eigen-
thum.8) :
derhalben sag ich euer gnoden,
ich sitz hie auf meim grundt und boden
Fischart Eulenspiegel 134 H. ;
es freut mich sehr, dasz sie meinem gr. und b. die
ehre geben wollen Pückler briefw. 6, 33 Ass.; wenn
man denselben {bauernstand) als pächterstand wieder
an den gr. und b. gefesselt hätte Jhering geist. d. röm.
rechts 2, i, 248; concreter 'grundbesitz' : das ist das ein-
kommen, die gülten, zins, renten, gr. und b., die ein
haus unterhalten SEBiz/eZdia« (1579) 3; versaufen hausz,
hof und Stadt, gr. und b. Äg. Albehtinus Lucifers
königr. 191, 27 L.; pluralisch: die besüzungen Burgetti
Orsenici . . . mit allen dern schloszgehörigen und allen
derselben grünt und böden, besüzungen, Zinsen v. Bran-
Dis landeshauptleute v. Tirol 40; welche häuser, gründ
und b., gold, silber etc. besitzen Schupp sehr. (i663) 697;
vereinzelt und jung neben liegend: der aneinander hän-
gende liegende gr. und b. fordert eine scheide Jag. Grimm
kl. sehr. 2, 30; mit besonderem, gefühlsgehalt : eine ursprüng-
liche spräche, die ihre Wörter . . . von ihrem eigenen
gr. und b. hernehmen kann Gottsched d. 7ieueste
a. d. anmuth. gelehrs. 8, 797; unsere dogmatische theo-
logie wird aber nicht eher auf eigenem gr. und b. ebenso
sicher stehen Schleiermacher I 3, 107. nach II A 3 c
{politische begrenzung) : so bald die arm6e über die Weser
solcher maszen kommen, und den westpfälischen gr.
und b. erreichet Chemnitz schwed. krieg 2, 49; eine
fremde nation in den waffen auf dem gr. und b. des
reichs beysammen wohnen zu lassen M. I. Schmidt
gesch. d. Deutschen 1, 137; ähnlich: bis ich erst wieder
auf protestantischem gr. und b. war Bahrdt gesch. s.
lebens 4, 17.
c) aufs alem. beschränkt ist gr. und b. halb adverbial
nach länder- und städtenamen als landschrei {ivieder em-
phatische Verstärkung des einfachen Wortes): die {beiden
ringer) wurfent einander zu beiden teilen glych nider,
doch der Zuger den von Wädischwyl erstmals, da der
jünger brueder ze schrygen anfienge: hie Zug, gr. und
b. Staub-Tobler 2, 771»; es ist nichteine aufforderung
zum Wurf an gr. und b., wie dort vermutet icird, sondern
eine Verstärkung im sinne von Zuger gr. und b.; vgl.
frisch uf, mir wendt ihn fröllch strelen :
hie ist gut Schwytz grund und boden!
ir eygnossen, nun londs uns wogen
Schweiz, schausp. des 16. jh. 2, 152 B. ;
hett sich inn der statt mit ainen trunkh uberrist, am
haimziehen Wirtemperg gr. und b. geschrihen Fischer
schwäb. 3, 871.
d) nach präpositionen.
a) entsprechend II B l 2 : zu gr. und b. ; in den alten
belegen tritt die gegenständliche bedeutung ^zu boden' klar
hervor: zu gr. und b. stoszen Staub-Tobler 2, 771 {a.
1571); alles hauet zu gr. und b., und habt gar kein er-
barmen engl, comedien (1624) H 7»;
was die alten erbauet han,
will man zu grund und boden schlan
Opel-Cohn dreiszigj. krieg 440;
jünger sind fälle wie: ein kranker mufti spricht hun-
dert verliebte prinzen zu gr. und b. Klinger theater
3, 113; intransitiv: schlug er so mannlich unter die un-
gläubigen, dass sie gleich als fliegen oder mucken zu
gründe und b. fielen buch d. liebe (1587) 25"^;
du kommst, o liebes kind, ein gast in diese weit,
da gleich das gasthaus jetzt zu grund und boden fällt
durch, in, und mit sich selbst
LoGAU sinnged. 12 E.;
über zu gr. und b. gehn s. u. 2. seit dem 18. jh. nur
noch selten:
mit diesem Schwerte
schlag ich dich zu grund und boden
Fr. W. Weber dreizehnlinden (1907) 92.
ß) entsprechend II B 3 : in grund und boden (hinein)
dagegen kommt erst mit dem 19. jh. recht in schwang,
wenn es auch in älterer spräche nicht fehlt:
wir zuntend das schloss inwendig an,
dass es in grund und boden verbrann
bibl. alt. schrißw. d. Schweiz I 4, 48;
es löst das einfache in den gr. ab; namentlich dialektisch:
das weiter schlägt alles in gr. und b. (nein) Müller-
Fraureuth 446'»; a schielt een ei gr. und b. nei
G. Hauptmann Boae Bernd (i904) 25; gern ebenso wie
697
GRUND II C 2. 3
GRUND HC* — IIIAi
698
in den gr. neben verderben: sich in gr. und b. innen
verderben, verheien 'seine gesundheit gründlich ruinieren'
Staub-Tobler 2,771; auch schriftsprachlich oft mit dem
anflug des volksmäszigen : mich dauert nur das kind,
. . . das wird in gr. und b. verdorben Hafner ges. lust-
spiele 2 , 224 ; unsere guter viraren ... in gr. und b. ge-
wirthschaftet Spielhagen l, 218; ich musz . . . unter-
ducken, will ich nicht in gr. und b. getreten werden
Holte I erz. sehr. 36, 216; ich bin ein guter fuszgänger,
Brant geht mich aber doch in gr. und b. Grillparzer
20, 64 S.; intransitiv: hier ist alles ... in gr. und b.
hinein verdorben A. Rüge briefio. u. tageb. 2, 19.
2) leicht ergab sich die Übertragung der Wendung von
'erdboden' auf 'baden eines gewässers': der see . . . habe
gar keinen gr. und b. Aurbacher volksbüchl. 261; man
findet keinen gr. und b., gar kein ende, wenn man alle
übel des krieges herreehnen wollte Tiegk sehr. 5, 420;
präpositional :
hat nit vor jähren Pallas grim
der Griechen schiff (wie ich vemim)
zu boden und in grund versenckt?
Spreng Äneis 3";
und 80 noch spät: wir hätten zu gr. und b. gehen müssen,
ohne dasz uns . . . von dem andern schilTe die geringste
hülfe hätte geleistet werden können J. G. Forster
sümtl. sehr. 1, 92; aber frühzeitig in dem allgemeineren
sinn des Verderbens {vgl. I A 4 c /S) : das der teufel die
Oberhand bekomen und alles zu gr. und b. gehen müsse
Luther 16, 155 W.; und müss oft manche ehe zu gr.
und b. gehen, dass das weyb dem mann nit will folgen
V. Schumann nachtb. 200 B.; der unfride ... verderbe nur
sein land und unterthanen, die gehen gantz zu schei-
tern, zu grund und zu boden Beinicke fuchs (i650) 344;
sie würden mein, als der zu grund
und boden gangen, lachen
P. Gerhard bei Fischer-Tümpel 3,414*';
sehr häufiger gebrauch; ganz selten in anderer Verwen-
dung: das ewangelium sieht die hertzen an, geet zu
grundt und boden Luther 10, 3, 404 W.
3) da gr. u. b. früh zur reinen formel wurde, konnte
es auch auf solche bedeutungszweige von gr. übertragen
werden, die dem sinne 'erdboden' fern stehen: so häufig
in gebrauchsformen, die auf die bedeutung 'fundament'
zurückzuführen sind, gelegentlich in formein, die dort
wurzeln: weil . . . gedachte haut . . . gleich unter den
haaren als ir grundt und boden gelegt ist Wirsung
arzneibuch (1588) 68 b;
der tugend wohlgelegten grund
und boden Königsberger dichterkr. 120 ndr. ;
häufiger für 'grundlage, basis': der gr. und b. einer
spräche, so zu reden, sind die worte Leibnitz dtsche
sehr. 1, 460; diese methode erforderte fleisz und häus-
lichkeit, und das ist der gr. und b. einer glücklichen
ehe Hippel lebensläufe 3, 114; es giebt vielleicht keine
erfindung, die nicht die allegorie . . . zum gr. und b. ihres
Wesens hätte Tiegk sehr. 4, 129. umso häufiger, je weiter
sich die von 'fundament' abgeleitete bedeutung von ihrem
ausgangspunkt entfernt und je leichter sie eine umdeutung
auf 'boden' hin gestattet; parallel mit anfang : wolan so
hab dir hiemit die ersten euangelischen centonouell ge-
geschenckt, als ain anfang, gr. und b. von dem Luther
selbst Joh. Nas antipap. eins u. hundert (1567 jf.) l, 3»;
hauptsache, grundbedingung : wo eine rechtschaffene be-
stendige kirchenordnung soll gestellet und aufgerichtet
werden, muss das fürnemste, ja der grundt und bodem
sein, das die lehre rein . . . sey kirchenordn. f. Braun-
schweig (1569) 15; der gr. und b. des schönen ... in der
mahlerkunst ist ... die Wahrheit oder Wahrscheinlich-
keit Breitingfr crit. dichtk. 1,62; hauptinhalt, kern:
das bauernleben bildet doch eigentlich den gr. und b.
des buches; aus andern ständen wandeln nur einige
gestalten flüchtig über diesen boden Jer. Gotthelf ges.
sehr. 1, x; das innerste: gr. und b. eins yeden dings
fundum, vel fundus Frisius dictionariolum 102'»; gr.
und b. wissen wollen, a eoelo ad terram percontari
Dentzler 141 *>. nach präpositionen : ist es nichts desto
weniger alles in grundt und b. erlogen C. Andrea gründl.
relation (I6O2) vorr. **3»; vgl. IV B 5 a y; dass die ge-
gebene weit . . . durchaus nicht dasey . . . und im gründe
und b. nichts sey Fichte w. 4, 378; er ist im gründe,
in gr. und b. nichts nutz Kramer teutsch-ital. l, 573'^;
ebenso Hügel Wiener dial. 71'»; er taugt in gr. und b,
nichts, er ist in gr. und b. verdorben Spiesz henneberg^
85 ; der gebrauch verrinnt mit 1 d ;3 ; man muss die wun-
den von gr. und b. auf heilen und mit nichten von
auszen hinein Staub-Tobler 2, 771 (a. 1634).
4) vereinzelt sogar den causalen gr. streifend: auch
das recht des Schwertes, ohne dessen besitz die kröne
nur ein schatten sein würde, erschien als ein guter gr.
und b. für einen könig, um dafür zu fechten Ranke
s. w. 16, 199.
III. grund kann jeden theil der erdoberfläche bezeichnen,
der tiefer liegt als seine Umgebung ; dieser gebrauch läszt
sich verstehen als addition von I und II : mit dem begriff
des unteren, tiefen verband sich der der erdfläche, dem,
entspricht es, wenn die bedeutung ' erdvertief ung' die
jüngste scheint.
A. in der bedeutung 'thal, Senkung' seit dem, rnhd. in
mannigfachen abstufungen und Variationen.
1) mhd. zumeist eine m.äszig tiefe thalsenkung:
sus reit der werde degen halt
stn rehte sträze üz einem walt
mit slme gezog durch einen grünt
WoLFR. V. Eschene. Parz. 839, 17;
si zogten durch einen grünt
und enbalp balde wider üf
Ottokar v. Steikrm. steir. reimchron. 11041 ; vgl. 11060;
da zwischen (zw. d. bergen) was ein kleiner grünt
livländ. chron. 9992 Pf.;
nach dem aber der in einem gründe verborgene fürst C.
. . . das zeichen bekam . . . , rennte er spornstreichs zu
Lohenstein Armin. (1689/.) 2, 1082*;
soll ich verirrter hier in den verschlungnen gründen
die geister Shakespeares gar verkörpert finden?
Göthe 2, 143 W. ;
durch zufügung gewisser adjectiva kann der begriff der
thalsenkung zu der bedeutung 'schmalthal, hohlweg, Schlucht'
specialisiert werden:
sucht immer weiter hin und wider
in diesem walde auf und nider,
bisz er kam in ein tiefen grund
H. Sachs 21, 168 K.-Q. ;
da brachen die Polen im hinderhalt aus dem holen gr.
auf Hennenberger preuss. landt. (1595) 30;
Rom selber ward der barbam raub,
sein rest ist kaum in hohlen gründen
mit Schutt und graus verscharrt zu finden
Gottsched ged. (1751) 118;
das kloster war in einen engen gr. gebaut Kerner
bilderb. 148; Schluchten, klüfte, kaminspalten . . . ver-
einigen sich zu einem finstern, eingeklemmten gründe
H.V.Barth kalkalpen 879; in älterer spräche, wie m,und-
artlich noch heute, völlig gleich 'thal': vallis taal vel grünt
Diefenbach gloss. 606*; bei Luther vielfach im, sinne
von vallis: auch gruben Isaacs knechte im gründe (var.
tal) 1. Mos. 26, 19 {in torrente); der herr sey ein gott
der berge und nicht ein gott der gründe 1. kön. 20, 28
{deus vallium) ; du lessest brünnen quellen in den grün-
den ps. 104 , 10 {in convallibus) ; vgl. in den abseits ge-
legenen reizenden thälern (oder 'gründen', wie man in
Sachsen sagt) fanden sich mühlen am muntern bach
W. Chezy erinn. 1, 218; auch in der bedeutung des tiefen
gebirgsthales, die am, schärfsten das alem. entwickelt hat:
wir führen das wasser ausz den tiefsten grundten auf
die höchste berge J, Betulejus discurs v. d. höchsten
gut (1615) 292;
wann sich der erde schoosz mit neuem schmucke zieret, . . .
so bald flieht auch das volk aus den verhassten gründen
Haller ged. 28 Mirzel;
besonders im, sing. : am 28. ougsten hat es bis in gr. ge-
schnyt Staub-Tobler 2, 772 (a. 1592);
699
GRUND III A 2. 3
GRUND III A 4. 5
700
es ist vom berg so weit in grund,
so weit der berg vom gründe stund
Petri d. Teutschen weish. 2, Bb7»;
ebenso modern: wir blibeö mit den chüene im gr. bis
mitte maje; was macht-men im gr.? fragt der älpler
den besucher; vgl. grund volk im gegensatz zum bergvolk
Staub-Tobler a. a. o.; so auch (mit localfärbungt):
wirds Winter, siedelt alles sich an im sichern gründe
Zach. Werner 2i.febr. (1815) 30.
2) wo berg, höhe u. ä. den ausgesprochenen oder unaus-
gesprochenen gegensatz bilden, vielfach auch in einem all-
gemeineren sinne 'tiefliegendes gelände, niederung': das
ir zu dem gebirge der Amoriter konipt und zu allen
iren nacbbarn im gefilde, auf bergen und in gründen
5. Mos. I, 7 imontana et humiliora locä); die Amalekiter
und Cananiter, die im gründe wonen i. Mos. 14, 25 (m
convallibus) ; was im gebirge, gründen und unter der
erden sein narung suchet Mathesius Sarepta (l57l)
vorr. 1^; und wuchsen die wasser trefflich sehre, dar-
über die, so in gründen wonhaftig, nicht in geringe ge-
fahr gekommen M. Dreszer sächs. chronicon (1596) 460;
wo es auf der revier dickungen . . . gründe und höhen
hat Heppe lehrprinz 134; mit dese stripen un strippen
an de berg und in de grünn Fr, Reuter 2, 77 S.;
namentlich in poetischer spräche:
thier und kräuter und getreyde
in den gründen, in der höh
P. Gerhard bei Fischer-Tümpel 3,348";
wem sind die samen all umher
in gründ und höhn, in teich und meer
aus milder band geronnen
J. H. Vosz ged. (1802) 5, 18 ;
aus den gründen, zu den bügeln
tritt die nebelwoge wachsend Brentano 3, 6;
also gewöhnlich plural; etwas anders, aber auch hierher-
gehörig, ist folgender singularische gebrauch: auch diese
(stadt) liegt ganz im gründe, an einer krümmung des
Mains, von kahlen höhen eingeschlossen H. v. Kleist
briefe an a. braut 64; •
nachts durch die stille runde
rauschte des Rheines lauf,
ein schifflein zog im gründe
Eichendorf l, 698;
vrieder anders:
auf dem gebirge rauscht der schall,
der tiefe grund vernimmt den ball
Stoppe Pamasz (1735) 4;
die felsen scheinen sich zu regen, . . .
und langsam steigend aus der höh
die schatten auf den grund sich legen
Droste-Hülshoff 2, 35 Seh.
3) grund und thal. sind beide begriffe coordiniert, so
bezeichnet gr. die flachere Senkung, oft das tiefgelegene
gefilde schlechthin: es haben doch die künig und keyser
vil stett, thaler, gründ . . . dem reich vorbehalten S. Mün-
ster cosmogr. (i55o) 867 ; da aber die blosze gründt und
thäler machten, dasz mann sie von fern gesehen mocht
Carbach Livius (l55l) 385'; er manchmahl vor solchen
gebirgen sich zurück drehet, . . . die gewöhnlichen tähler
und gründe suchet Aitiüger jagd- u. weidbüchl. (l68l) 118;
ist es doch in thal und gründe
gar gespenstisch anzuschauen
Göthe 15, 1, 111 (Faust 7042) W.;
bald änderte sich die scene, als sich das thal ... in
einen weiten gr. verwandelte RoON denkwürdigkeiten
1, 472. ist der gr. ein theil des thals, so bezeichnet er ent-
weder die thalsohle oder auch das gefilde, das sie bedeckt:
die ritten fürsich ungehindert und kamen in den grundt
des thals Aymont (1535) n i^;
und du, du süszes liljentahl,
wie gern wolt ich in deinen gründen
Adonis gleich mein ende finden
Stieler gehamschte Venus 68, 6 ndr.;
ach aus dieses thales gründen,
die der kalte nebel drükt Schiller 11, 334 O. ;
da ging ich jagen durch die wilden gründe
des Schächenthals auf menschenleerer spur
14, 341 G. ;
durch . . . öde thäler und Spaltungen sind sie (die berg-
gipfel) von einander getrennt, ohne bäum und strauch,
ohne bäche und gründe Ritter erdkunde i, 99.
4) modernes schriftsprachliches empfinden unterscheidet
thal und gr. wohl so, dasz mit dem thal die Vorstellung
des wasserdurchströmten verbunden ist, mit dem gr. nicht;
für ältere und mundartliche spräche ist das anders:
nü wart überkapht,
daz in des grundes tan
ein grözez wazzer ran
Ottokar v. Steierm. steir. reimchron. 11050;
lest prunnen quellen hin und wider,
die in den gründen sich ausgiesen
H. Sachs 18,402 K.-O.;
westwärts von hier, den nahen grund hinunter,
bringt euch die reih von weiden längs dem bach,
lasst ihr sie rechter band, zum orte hin
Shakespeare (1797 #.) 4, 278;
die bäuerin wäscht die leinewand
am bach im schattigen grund
Chamisso w. (1830) 3, 150;
in einem kühlen gründe
da geht ein mühlenrad
Eichendorf 1, 653;
gr. 'ein fluszthal mit wieswachs' Sghmeller-Fr. l, 1004;
seit alters auch für das ufergebiet gröszerer flüsse, und
zwar gerade in dem gebiet von Baiern und Schwaben
nördlich der Donau, in dem gr., mit flusznamen ver-
bunden, feste geographische bezeichnung geworden ist:
(der markgraf) zoch an die Swabach gen Eschenau
wertz und verprent denselben grünt an der Swabach
städtechron. (Nürnberg 1449) 2, 149, 8; und zugen in den
grünt bei Leutershausen (gemeint ist der AUmühlgrund)
ib. 214, 14; und kamen am eritag früe in den grünt
enhalb des Gnadenbergs (in den gr. der vorderen Schwarz-
ach) ib. 224, 6; im gründe der Steinlach, welche rechts
blieb Göthe III 2, 134 W.
5) die durchwässerte thalsenke ist die statte reicher
Vegetation, so wird gr. 'wiesensenkung' und allgemeiner
'mit gras, blumen, bäumen bestandene Senkung', der be-
griff des vegetationsreichen kann den des gesenkten ganz
zurückdrängen, mhd. recht selten:
tal, berc und Itte,
eben unde gründe
Seifr. Helbling 4, 437 S. ;
auch nhd. sind die belege bis ins 18. jh. spärlich; viel-
fach dem begriff der wiese nahe oder gleichkommend: und
wolte einem knecht . . . hausz und hof, acker und gründe
und andere erbgüter . . . geben Luther 28, 567 W.; da-
von . . . die jungen kälber und lämmer in den gründen
der kleereichen . . . wiesen lechtzen Schauspiele d. engl,
comödianten 196, 22 Creizenach; in den gründen und weid-
plätzen J. Prätorius Katzenveit (1665) e 3^; kornfelder,
umzäunte gründe, kleine dörfer . . , verschönerten die
bergige landschaft J. G. Forster sämtl. sehr, i, 33; der
wiesengrund gehörte zum theil der kämmerei, zum theil
einzelnen bürgern . . . um diesen gr. bestand ein uralter
streit Freytag ges. w. l, 47; dialektisch: 'gr. steht öfters,
besonders unterrheinisch, überhaupt für wiesenthaV Keh r-
ein Volkssprache in Nassau 1, 76; soweit halden und
gründe in den see hinein gehen Fischer schwäb. 3, 872
(Tettnang). die Schäferdichtung namentlich des 18. jh.s
hat diesem, gr. breitesten eingang in die literatursprache
verschafft; sie spielt auf ihm und hat ihn aufs bunteste
ausgestaltet:
wo ausz Hymettens bunten grund
am morgen die bemühte biene
äzzt ab, ist deiner Jugend grüne
Stieler gehamschte Venus 130 ndr.;
es lachen die gründe voll blumen
E. V. Kleist 1, 231 Sauer;
komm, Doris, komm zu jenen buchen,
lasz uns den stillen grund besuchen
Haller gedichte 80 Hirzel;
endlich kam sie zu den gründen,
da wo unter jungen linden
Emiren am wasser lag Göthe 37, 15 W.;
gleich einer Schäferin, die nach bebüschten gründen
zu ihrem Thyrsis eilt Uz 252 Sautr;
701
GRUND III A 6. 7
GRUND III A 8. B — IV A
702
und weil sich jeder stamm von diesen wieder mehret,
zuletzt den ebnen grund in einen wald verkehret
V.KÖNIG ged. (1745) 70;
in diesem wald, in diesen gründen
herrscht nichts, als freyheit, lust und ruh
Hagedorn poet. w. (1769) 3, 25.
6) grund kann sich, je mehr der begriff des gesenkten
zurücktritt, der bedeutung des offenen, unbegrenzten ge-
fildes nähern; jung, erst seit dem 18. jh.; stets plural:
der herbst ...
stand und sah noch eins um sich, aus gränzenlosen gründen
nur eine band voll ären um seine stim zu winden
Dusch verm. w. (1754) 14;
in diesen lieblichen gründen {von Florenz) sind künste
und Wissenschaften der neuern zeit zuerst wieder auf-
gegangen GÖTHE 48, 126 W.;
kastanienhügel
führten nun mir den blick in der Canipagna
bunte schimmernde gründe weit zur ferne
Waiblinger ged. aus Italien 1, 51 Or.;
durch des himmels gründe wallen
wolkenschafe
Brentano 3, 84;
so öfter von den gefilden der seligen und unterirdischen:
in den gründen
der selgen kann man ihn, hier nur den leichnam finden
Ayrenhoff w. (1814) 2,65;
doch hier in nnsern traurgen gründen,
in unsrer unterweit, wird man sie schwerlich finden
Cronegk sehr. (1766) 2, 82;
ähnlich: sie sollen aus dem buche der dichter ausge-
kratzet und in die kalten gründe der reimer verbannet
werden Schönaigh ästhetik in einer nusz 6 K.;
jedoch wer engel sucht in dieses lebens gründen,
der findet nie, was ihm genügt Tiedge 3, 179.
7) grund als geographischer name. als geographische
bezeichnung für fluszthäler, schmalthäler, thalsenkungen
überhaupt erstreckt sich gr. über das ganze deutsche
Sprachgebiet bis ins nd.: von Hoppenplacke die Nien-
dahlsgrund uf auf dem stoppelwege, . . . vom steinbrink
die Netteldahlsgrund uf . . . Grimm weisth. 3,303 (Hül-
seder Tnark) ; die nähere bestimmung gibt bei fluszthälern
in der regel der ßuszname; die ausdehnung der bezeich-
nung ist nicht unbegrenzt; so werden im salzburgischen
nur die an den hauptthälern liegenden seitenthäler gründe
genannt, z. b. der Zillergr., Zemgr. . . . Schmeller-Fr.
1, 1004; auch in dem bair. und Schwab, gebiet nördl. der
Donau beschränkt auf neben- und Zuflüsse; namentlich
im Rezatkreis der Rezat-, Aisch-, Biber-, Altmühl-, Wör-
nitz-, Zenngr. (Schmeller-Fr. i, ioo4); doch auch westl.
davon Tauber-, Kochergr.; 'rfer Plauische Gr. bei Dresden,
d. h. ein schmales tiefes und von felsicänden gebildetes thal
der Weiseritz' W. Hoffmann wb.d.dt.spr. 2, 707 (dieser Orts-
name konnte Jean Paul sogar als begriffsbezeichnung die-
nen: in einem solchen strich landes . . . mit landhäusern,
irrgärten, tharanden, plauischen gründen vorher, berg-
schlössern nach W. Hoffmann a. a. o.); in anderer com-
position {gern für engere thäler) : eine waldschlucht . . .
die Pulvergr. bei Elbing Schemionek elbingsche ma, 15;
in der Riesengr. {bei Niederelsungen) Vilmar 139; plötz-
lich fiel ihr ein, dasz der gr., in den sie nun einbiegen
müsse, der Blutgr. heisze 0. Ludwig ges. sehr. 2, 104;
endlich kann auch bloszes gr. geographische bezeichnung
werden: 'im besonderen heiszt dar jrund das thal der
bösen sieben von Wimmelsburg aufwärts' Jecht Mans-
felder ma. 44^; im gr. 'bezeichnung für ein kurzes, tief
eingeschnittenes irockenthaV württemb. Vierteljahr shefte f.
landesgesch. 9, US; im Schweiz, sind Grund, Gründen dorf
namen (Staüb-Tobler 2,772); das darf chen Wipperode am
Meiszner heiszt nach Vilmar 139 im volksmunde nur der
gr. ; Ortsname Grund im Harz. — gr. als flurname ist von
alem. bis ins obersächs. reich zu belegen; zuweilen ohne
attributive bestimmung, z. b. im, an dem, unterm gr.
Fischer schwäb. wb. 3, 872, häufiger mit einem bezeich-
nenden beiwort, z. b. im dürren, heiligen, hinteren, langen,
mittleren, näheren, roten, stürzenden, süszen, vorderen
gr. ib. ; auch im plur. : in , zwischen beiden gründen ;
schöne, untere gründe ib.; zahlreiche belege Staub-Tob-
LER 2, 772/.; Vgl. ferner Meisinger Rappenauer ma. 79;
Müller-Fraureuth 446''; Bohnenberger /e««^o6e /.
Sievers (1896) 359 ff. — gr. als uferstrecke {am Bodensee):
solche flachere uferstrecken führen vielfach ohne rück-
sicht auf die feineren unterschiede des hangs, der wysse,
ja selbst flacherer halden den allgemeinen namen 'grund',
z. b. Gaiszauer, Rohrspitzen, Fuszacher . . . gr. Bodensee-
forschungen (1893) 85/. — gr. als name eines Stadtbezirks:
undergrund (l545: niderer gr.) heiszt nach Staub-Tobler
2, 772 eine vorstadt von Luzem an der Reusz; ich wohne
am dritten gr. sagt der Wiener, 'die entern gründ' lied
von L. Krenn, in einem Hede Karl Schmitters:
ich kenn an hausherm da vom grund,
der kein kind leidt und kein hund
ScHRANKA Wiener dtalektlex. 64;
Unterstadt Grund in Lua;emburg wb. der luxemb. ma.
(1906) 156.
8) grund und grat. diese geicisz alte allitterierende
formet ist zumal in der Urkundensprache schwäb. und
alem. sehr verbreitet; sie bedeutet 'niederung und höhe'
{in lat. Urkunden entspricht: in piano et in monte) und
bezeichnet den gesamten grundbesitz im, thal und auf den
bergen: mit weg, steg, mit wun und waid, mit wasser
und wasserlayty, mit grünt und grat und mit allen
rechten Mone zs. f. d. gesch. d. Oberrheins 20, 160; vgl.
11, 83; {ich habe verkauft) zehen juchart eigenre reben,
. . . und gemeinlichen grünt und grat 13, 449; es sy an
aignen luten, an voyt luten, ... an wasen, an zwy, an
gr., an grat, an stegen, an wegen monum. Zollerana
1, 269; und schwuren ... 'so lange gr. und grat stehen'
Scheffel 8, 87 {Graubünden 1424); zahlreiche belege
Staub-Tobler 2,773; halb adverbial: er verprant Gossow
grünt und grat Schmeller-Fr. l, 1004; darnach über
dri tag do verbran Bischofzell gr. und gerat J. von Watt
8, 210.
B. grund 'abgrund' hängt deutlich mit dem vorigen zu-
sammen, ist nur insofern unterschieden, als vorxciegend
der begriff der tiefe die Vorstellung bestimmt; erst spät
und vorunegend in poetischer spräche: abgrund . . . das
bodenlose loch . . . ein ungegrundter rächen des ausz-
gewaschnen grundes, ein gr., den keiner je gemeszen
Treuer deutscher Dädalus 9, 16;
über nie erforschte gründe . . .
leitet uns der steg Körner 2, 10 Hempel;
hier stürzen gründe, felsabschüsse
Heine 2, 86 E. ;
ich folgte dir an schwarzen gründen hin
MÖRIKE 1,165 Göschen;
dort schlieszt jach das hohe gebirge und fällt in ent-
setzliche gründe Laube 9, 123; wo ein jäher gr. war,
da ist itzt nur eine schwache Senkung Alexis Roland
v. Berlin (l840) 2, 135.
IV. die zukunftsvollste bedeutung, die erst in jüngerer
spräche aufs reichste entwickelt wurde, ist 'basis, funda-
ment'. nach got. grunduwaddjus 'grundmauer' Luc. 6,
48. 49; Eph. 2, 20 u. ö. musz sie sehr alt sein; aus 1 etwa
in der weise abzuleiten, dasz der begriff des unteren, festen
auf körperliche massen angewendet xoird.
A. grund 'fundament, basis' ist ahd. nicht nachgewiesen,
mit dem 13. jh. werden die belege häufiger; in den wbb.
oft gleich fundamentum: gr. fundamen, fundamentum,
sfabilitas Er. Alberus 62''; firmum fundamentum ein
fester gr. Garthius 288''; sine fundamento das kein gr.
hat ib.; seltener gleich basis: gr. darauf etwas stehet
und rüget, der fusz, basis Decimator thes. (1615); vgl.
Calepinus sept. ling. (l73l) 1, 116^; fast ausschlieszlich
von gebäuden; erst seit dem nhd. auch anders: auch
macht er 10 erene grünt, 4 daumelen lange itzlicher gr.
erste dtsche bibel 5, 268 {decem bases aeneas 8. kön. 7, 27) ;
und wirdt {die basis) verstanden vor den grundt oder
fundament der figur S. Curtius practica d. landmessens
(1610) 9; darunter {unter das zeit) setzen sie einen er-
hobenen gr. oder heerd, darauf sie das feuer Homam
zubereiten Chr. Arnold offne thür (1663) 73; etwas hau-
703
GRUND IV A 1
GRUND IV A 2
704
figer nur: ferr von dem gr. des berges Xylander Po-
lyiiua (i574) «3; an den enden und gründen der berg 68;
nun nimmt der berge grund des Bachua leibtracht an
Gottsched neueste ged. (1750) 75 ;
solang die berge stehn auf ihrem gründe
Schiller 14, 364 O. ;
die hauptbedeutung 'fundament' ist im 19. jh. fast erloschen;
umso ausgebreiteter ist bildlicher und übertragener ge-
brauch, der zumal seit dem 16. jh. den eigentlichen voll-
kommen überwuchert,
l) 'fundament' im eigentlichen sinn: der unterste theil
eines gebäudes, so in die erde eingesencket wird Jablon-
SKI 260»;
in die tufe des grundes
gewan er {der stein) ein vastes lager
Heinr. V. Hesler apok. 21582;
ja du findest noch vil gar alter meür und grünt und thürn
städtechron. 3,51,14 (Nürnberg); herr Gotfridt Wernher
hat die neuen grundt zu der kirchen umbs halb erwei-
teret, wie noch augenscheinlich zimmer. chron. 2,589,38;
und steckten . . . viel büchsenpulver unter die gründe,
zündeten es an H. Rätel beschreib, d. krieges (1590) a 2^;
pfäle, so man zum gr. in die erde oder wasser sohlegt
Orsäus nomencl. method. 150; der gr. zum neuen glas-
haus ist nun aus der erde Göthe IV 83, lll W.; leute ..,
die ... an den gr. {des thurmes) nicht mehr steine und
arbeit verwenden, als man allenfalls einer hütte unter-
schlüge 22, 334 W.; (die maurer) schicken . . . mir etwas
das ich in ihrem nahmen in gr. legen kann IV 3, 143 W.;
eine junge frau wird eingemauert . . ., welches um so
roher erscheint, als wir im orient nur geweihte bilder
... in den gr. der bürgen eingelegt finden I 41, 2, 141 W. ;
einen gr. stoszen: im morastigen erdboden zur befesti-
gung des grundes pfähle einrammeln Krünitz 20, 254;
ein hausz . . . , das . . . den grundt oder die wend nit
hatt Paragelsus opera (1616) 2, 350 H.; ■
es wanket grund und dach und pfeiler und gewölbe
Gottsched gedickte (1751) 295;
bildlich: allein die lehre ist ja mehr dem gr., die kirchen-
gebräuche mehr dem dach zu vergleichen Leibnitz
deutsche sehr. 2, 258. verbunden mit synonymen oder sinn-
verwandten Substantiven ebenfalls gegenständlicher bedeu-
tung; gr. und fundament häufig, in der regel übertragen:
dan das ist ein gr. und fundament aller ding do mit
die cosmographei . . . umb ghat S. Münster cosmogr.
(1550) vorr. 7; büchlin . . . , darinnen er aufs kürtzst und
anmütiglich alle fundament und besten gr. desz h. röm.
glaubens erholet Fischart binenkorb (i588) a 2*^; wan
ich meiner . . . meinung nicht einen gewissen, festen
und sicheren gr. und fundament habe Chemnitz schwed.
krieg 1 (1648), vorr. 2; andere Verbindungen seltener: zu-
vorderst die Stadt Magdeburg, als einen basim und gr.
der gantzen expedition ... gnugsamb zuversichern 105, l;
der dritt himel haizt ze latein firmamentum, daz ist
der vest himel, dar umb daz er ain vest und ain grünt
ist aller gesteckten stern (wortspiel mit gruntveste)
K. V. Megenberg b. d. natiir 55, 22 Pf.,- wie kan ich meinn
gr. und bau auf ein ding setzen, das ich nit weysz ob
Ichs morgen hab See. Franck sprüchw. (l64i) i, 131»;
auf euch, allein auf euch musz ich mein hoffnung steifen,
ihr, meine liebsten söhn! ihr seid ihr grund und stein
Fleming 1, 108 L.;
mit solchen irrthümern, die den gr. und eckstein, Chri-
stum, nicht gantz ümreiszen Butschky Pathmos (1677)
207; die stütze und der gr. aller speisen ist das brod
Höh BERG georg. cur. aucta 3, 113*;
ich hab in ihrem musensitze . . .
der Wissenschaften grund und stütze,
. . . erreicht Gottsched gedickte (1751) 1, 102 ;
Irenäus sagt in dieser stelle schlechterdings nicht, dasz
die Schrift der gr. und der pfeiler unseres glaubens ge-
worden Lessing 13, S74 M.; jed fundam^nta pacis ich
habe den gr. und weg gebawet zum vertracht Bas,
Faber thes. (l587) 346»; häufiger ist die reimformel gr.
und fund (= lat, fundua) : die zahl ist der gr. und fund
aller Ordnung Harsdörfer poet. trichter 3 (l653), 495;
s. u. 2 b.
2) die bedeutung 'fundament' verblaszt zu der allge-
meineren '(feste) grundlage'.
a) je nach dem Zusammenhang mannigfaltig nuanciert;
bei dingen und zuständen: das ist yhr (der kaufleute)
heubtsprach und gr. aller fynantzen, da sie sagen 'ich
mag meyne wahr so theuer geben alls ich kan' Luther
15, 294 W.; wan uns die natur zwar mittel zu reden ver-
liehen, aber keine gewisse spräche eingepflantzet, son-
dern sie alle durch gewonheit und Übung erlernet wer-
den, so seind sie derowegen beyde aller dinge gr. Güeintz
dtsche rechtschr. (i66G) 1; ein rest der bellomoschen ge-
sellschaft . . . gab den gr. (für die theatertruppe) Göthe
33, 249 W.; für die 150 rh. können sie bey uns quartier
und tisch bestreiten und diese summe wäre also als
der gr. der hauszhaltung anzusehen IV 9, 98 W. ; ebenso
bei reinen abstractis; namentlich im älteren nhd. gern in
zusammenhängen wie: nun müstu vor allen dingen in
dem gr. warer demütigkeit wol gefestnet sein Keisers-
berg granatapfel (1510) Hl"; sol dein anfang der büsz
hailsam sein . . ., so betracht, das er geschech ausz
aim guten gr., das ist ausz götlicher lieb a G''; (die
werke) müssen ein gr. der Zuversicht haben Zv^tingli
dtsche sehr, i, 280; den grünt der wären gotsforcht haben
wir lengst verlorn Aventin 5, 45, 21 L.;
als wenn bey unsrer freundschaft gründen
sich eine trennung könte finden
Stieler geharnschte Venus 22, 1 ndr.;
die Zeitungen sind der gr. ... aller klugheit Stieler
zeitungslust (1697) 18; dieses Wohlgefallen an der allge-
meinen höchsten Verordnung ... ist der rechte gr. der
wahren religion Leibnitz dtsche sehr. 2,52; geselligkeit
ist der gr. der humanität Herder 17, ll S.; ganz jung
ist die folgende, heute sehr entfaltete Verwendung: auf
dem gründe des parlamentarischen lebens . . . bildeten
sich neue anschauungen Ranke s. w. 31, 83; auf dem
gründe dieser Substanzenlehre . . . eine haltbare Vor-
stellung des Verhältnisses von geist und körper auszu-
bilden Dilthey einl. in d. geisteswissenschaften 1, 9; das
moderne confessionelle Selbstgefühl auf dem gründe ge-
schichtlicher tradition Bismargk ged. u. erinn. i, 146
volksausg.
b) in verschiedenem sinne auf menschen angewendet:
es ist doch ein zeichen von einem guten grundt ('fond'),
dasz ihr euch so baldt wider erhollen könt Elis. Charl.
V. Orleans l, 201 M.; anders (an B 3 c streifend): da
(bei jeder künstlerzunft) forscheten, ergründeten und er-
sinnten sie eines jeden kunstfertigkeit, fund (= fundus)
und gr. Fisghart Garg. 296 ndr. (vgl. oben 1 schlusz);
er (Rumohr) hat mir doch Wohlgefallen und ich glaube,
dasz er einen schönen gr. hat W. Grimm bei Steig
A. V. Arnim u. J. u. W. Grimm 522; wieder anders: er
war reich und roh, aber er hatte einen gr. von gut-
müthigkeit Göthe 23, 96 W.; 'so ist er immer', sagte
er dann; 'der gr. ist gut' (ivenn sein gebahren auch ungut
scheint) Storm 8, 57 ; hier ist der gr. das unterste, worüber
etwas anderes liegt, an geviisse technische Verwendungen
(vgl. etwa V 2) gemahnend; dor is keen gude gr. in em
'er taugt nichts' Mensing 2, 501».
c) im älteren nhd. entwickeln sich einige formelhafte
Verwendungen; noch halbconcret: deren (der entschuldi-
gung) copie . . . hieneben wir zu bestendigem grundt
(als 'beleg') dises anzaigens übergeben städtechron. (Augs-
burg 1555) 32, 298; die reformation schafft den gr. des
glaubens : unszer glaub soll eynen gr. haben, der gottis
wort sey, und nit sand und mosz Luther lo, i, 589 TT. ,■
die vil sein hern und vätter sind seins glaubens grund
Seb. Franck sprüchw. (l54l) 2, 4^; früh zur toten formel
geworden :
ist so kurtz deines glaubens grund
H. Sachs 1, 79 K.;
später in causaler richtung weiterentwickelt: dasz . . . die
männliche, der gründe ihres glaubens sich bewuszte
religion dabei hätte gedeihen können Ranke s. w. l, 164.
1
705
GRUND IV A 3
GRUND IV A 3
706
aus demselben hoden erwuchs der gr. der schritt, der
namentlich in den religiösen Schriften des 16. jh.s mit
der häufigkeit eines Schlagworts erscheint; 'grundlage, be-
gründung': auch so hab ich ausz gr. heyliger geschrift,
■wider gedieht ettlicher bäpst gefochten Hütten op. l,
375 Böcking; aber die schwermer hat Lutherus ausz ge-
waltigem gründe der schritt wiederlegt kirchenordn. f.
Braunschweig (i569) 41 ; man soll eyn reynen glauben
haben, der nichts on gr. der schritt gleubt Luther
10,1,446 W.; vgl. auch: denn schrift und guten gr. wollen
wir haben, nicht seinen eigen rotz und geifer 26, 323 W.;
geradezu für 'lehre': in -iij • hundert iaren ist kein lerer
für hochgelobter gehalten worden, dann welcher am
meisten wider evangelischen gr. gefochten hat under
gut gliszendem schein Eberl. v. Günzburg t, 170 ndr.;
wiewol an vilen orten on den nammen des evangelion
nit vil evangelischer gründ und lere ist 3, 144; das er . . .
die zwen gen Costentz santi, wann doch da jetzo der
gr. und die 1er aller cristenhait war Richental chron.
d. Constanzer conzils 76. formelhaft ist auch gr. und
kraft: gottes verheyszunge, wilche ist das heubtstück,
gr. und kraft aller gebete Luther 17, l, 249 W.; möchte
man dem text {der frz. kunstannalen) mehr gr. (geholt)
und kraft wünschen, so erhalten wir dennoch durch
ihn manche historische notiz Göthe IV 16, 131 W.; stark
gewandelt:
sein heiiger mund
hat kraft und grund,
all feind zu überwinden
Georg Weiszel bei Fischer-Tümpel 3, 9;
nach anderer richtung hin entsinnlicht: der weit werck
ist alles . . . feurwerck, gottes werck hat gr. und bestand
Petri d. teutschen nat. xceish. 2, p 4''; verlogen zeug...,
das weder gr. noch stich hält J. G. Schmidt gestrieg.
rockenphilos. !,(&) i; dies herüberspielend nach 4 a; vgl.
unten d.
3) in den weitaus meisten fällen steht grund 'funda-
ment' in festen verbalverbindungen.
a) (den) gr. graben, werfen den für das fundament
nöthigen räum im erdreich ausgraben: die ältesten belege
bis ins 17. jh. nur alem., z. b. : {die maurermeister sollen)
den gr. legen an enden, allwo die baulüt gr. graben
Staub -Tobler 2, 772 (a. 165l); später iveiter verbreitet:
wenn Huschke seinen gr. gräbt {beim hausbau), so stöszt
er auf die röhrenfahrt Göthe IV 13,80 W.; junge Variante :
eine zweite statue, die . . . entdeckt wurde, als man den
gr. zu einem hause ausgrub Herm. Grimm Michelangelo
1, 80; dasz nicht etwa von gr. 'erde' auszugehen ist, beweist
der nicht seltene plural: als nun der platz geraumpt und
... abcirckelt ward, fieng man an gewaltig die gründ
zu graben Seb. Franck chron. Germ. (1538) 313''; später
freilich auch als 'erde' verstanden:
da gräbt man in den grund,
es steigt der neue bau
V. KÖNIG gedickte (1745) 24;
dagegen wieder:
und als man nun grub zu dem grundt,
den tempel drauf zu bauen
H. Sachs 15 , 469 K.-Q. ;
anders {vgl. unten b) : namb der teufel die aller ärgisten
aus der kirchen, . . . denen auch bewist der kirchen
heymligkait, damit er ihr dester basz kundte zum gr.
graben Joh. Nas antipap. eins u. hundert 2, Q 6"; über-
tragen:
den grund zum glück der nachweit werfen,
läszt auch zu nacht ihn (d. kaiser) niemals ruhn
Haller gedickte 14 Hirzel;
bis Rom in trümmern lag und die gründe eines neuen
lebens geworfen waren E. M. Arndt sehr. {iSiSff.) 2, 34.
b) den (einen) gr. legen, absolut: fundamentum pono . . .
ich leg ein gr. Er. Alberus %2'^; fundator der den gr.
legt Garthius 288»'; den ersten grundt der statt gelegt
Z. MÜNTZER Livius (1562) B 1"; wer ein hausz bauet,
{musz) einen gr. legen Hippel über die ehe (1774) i;
übertragen: denn sanct Paul hatte von gott befelh zu
leren und gr. zu legen Luther 26, 574 W.; so bald hat
eine sehnsüchtige Zuneigung ihren ersten gr. geleget Chr.
IV. 1. 6.
Weise polit. redner (1677) 38; daher ist es in der natur
der seele gegründet, dasz . . . die historische kenntnis
den gr. legen musz Lessing 8, 25 M.; und er {der Rom-
wanderer) spürt nun gar zu bald, dasz er wieder zurück
lernen musz, dasz er seinen gr. tiefer graben, stärker
und breiter legen musz Göthe IV 8, 301 W.; ich schrieb
ziemlich geläufig französisch : ich hatte bei meinem
alten einen guten gr. gelegt I 22, 286; scherzend vom
essen: hast du den ersten gr. etwas weniger gelegt Töl-
pel baurenmoral (1752) 12; sie scheinen einen guten gr.
legen zu wollen Göthe 31, 44 T^.,- dialektisch: no ena
guata gr. lega, dasz ma au trinka ka zs. f. hochd. maa.
1906, 34 {Ulm); gr. legen tüchtig essen Müller Frau-
reuth 446*'.
mit gen.: auf dem hügel, wo einst der ewigen stadt
gr. gelegt werden sollte Niebuhr röm. gesch. l, 124;
meist übertragen, und zwar auf reale dinge: als gott
selbst den Job . . . fragte: wo wärest du, da ich der
erden gr. legte? Grimmelshausen Vogelnest 2, 386, 12 K.;
ehe der weit gr. geleget war a7ite conditum mundum
Frisch 379»;
du igott) hast des berges grund gelegt
Karschin auserl. ged. (1764) 28;
aber auch früh ganz ungegenständlich: nu die histori,
wiewol sie gr. legt eines heiligen lebens . . . Luther
24, 806, 11 W.; sondern haben auch bey frommen und
gelarten gemütheren hie in der weit einen . . . gr. wahres
ruhmes . .. fest gelegt und gepflanzet ScHOTTEL/Herfe»!*-
sieg 7 ndr.; das rehte fundament (den gr.) aller geschick-
ligkeit und schriftgelährtigkeit hat der geleget, welcher
. . . CoMENius janua (1638) cap. 4; er legt durch ankauf
gröszerer landbesitzungen den gr. des fürstlichen daseins
Göthe 44, 346 W.; im 19. jh. nur noch spärlich.
mit zu; die jüngere ausdrucksweise; im, 17. jh. noch
selten: wann die liebhaber anfangen gegen einander be
trübt zu sein, so ist der gr. zur liebe schon gelegt
Riemer polit. Stockfisch 257; mit der 2. hälfte des 18. jh.s
stark zunehmend, verdrängt die präpos. allmählich den
gen.: verdienstreich ist die band, die zu einem gebäude
den gr. legt, in welchem . . . Herder 23, 53 S.; meist
übertragen, tmd zwar in weitestem umfang: der ... so-
zusagen, den gr. zur holländischen republic gelegt hatte
Schnabel insel Felsenburg 239, 83 Ullrich; unter den ein-
siedlern, die um diese zeit anfingen . . ., den gr. zum
mönchsieben zu legen Jung Stilling 3, 57 Gr.; da Alex-
ander noch selbst den gr. zu dem lamischen kriege
legte W. V. Humboldt sechs aufsätze über d. klass. alter-
tum 171 L.; dadurch, dasz er . . . die grosze spanische
erbschaft herbeiführte, zu der ungrisch-böhmischen de-
finitiv den gr. legte Ranke s. lo. l, 287; namentlich üblich
in zusammenhängen wie: der zusammenflusz aller dieser
glücklichen fügungen . . . {hat) den gr. zu dem glück
meines ganzen lebens gelegt Schiller l, 139 G.; weil
auch dieser {bediente) den gr. zu einem gewissen zuge
meines Charakters gelegt hat Bahrdt geschichte s. lebens
1, 50; sie legte mit andauernder sorge den gr. zu einem
lebendigen gottvertrauen in mich G. Keller w. l, 48;
dem heil. Bonifacius, als einem mann, . . . der . . . den
gr. zum schreiben bey ihnen geleget M. I. Schmidt gesch.
d. Deutschen 1, 394; Tizian hatte erst den gr. zur land-
schaftsmahlerey gelegt A. W. Schlegel im Athenäum 2,
87; und legte den gr. zu den weitläufigen kenntnissen
der literatur, die man überall bei ihm antrifft Göthe
46, 92 W.
sonst ist noch aus üblich: nu wyr gr. aus der schrift
gelegt . . . haben, daneben d. Carlstads gr. verlegt Luther
18, 182, 14 W.; dasz ich den geschmack von einem wohl-
geschriebenen teutschen buche bestärcket, dazu ich schon
vorhin aus Ernst s historischem bilderhause den gr. ge-
leget hatte Vernunft, tadlerinnen 2, 515; weil ich nicht
wellte, dasz einer aus meinem blute den gr. zur künf-
tigen knechtschaft legen sollte Klinger w. 2, 350. anderes
seltener: im vierden jar ... ward der gr. geleget am
hause des herrn {fundata est domus domini) 1. kön. 6,
37; einen guten gr. im studiren legen Frisch 379*; der-
jenige . . ..welcher in den üblichen . . . carminibus
45
707
GRUND IV A 3
GRUND IV A 3
708
nicht vorher guten gr. geleget . . . hat Neukirch an-
fangsgr. 111 ; die grosze aufgäbe . . ., in allen kleinen
kreisen des staatlichen lebens festen gr. zu legen für
den neubau unserer zeit G. Freytag w. 15, 40; ein alter
gr. von religion war in sie gelegt worden Gutzkow zaub.
V. Born i, 28.
c) zum (zu) gründe legen gewinnt erst mit dem 18. jh.
boden; ältere belege vereinzelt: wie der Zwingel . . . solch
lose geschwetz seinem yrthum zu gründe legt Luther
26, 859 W. ; wer die leut betriegen wil, der legt zum grundt
eine krumme lügen Lehmann ßorileg. polit. l, 106; der
Übergang von zum gründe zu dem modernen zu gründe voll-
zieht sich in den dreisziger bis vierziger jähren des id.jh.s;
Schleiermacher und Schopenhauer schreiben zum
gründe, Ranke zu gründe, freilich tritt zu gründe schon
früher gelegentlich auf; doch scheint regel zu sein, dasz die
Wendung dann dllein steht, nicht erweitert durch attribut.
gen. oder objectsdat. aus diesem nebeneinander beider mög-
lichkeiten musz es sich erklären, wenn die wbb. schon auf-
fällig früh nur zu gründe bringen: bei Campe 2, 469 und
Heinsiüs 2, 549 nur zu gründe legen, ebenso bei K.W. L.
Heyse 1, 627. sehr auffällig ist, wenn demgegenüber
W. Hoffmann wb. d. deutschen spräche (1859 jf.) 2, 709*
nur etwas zum gründe legen vermerkt, stets übertragen
gebraucht, und zwar übertragen auf geistiges gebiet; über-
wiegend handelt es sich um begriffe, sätze, Schriften, geistige
producte im weitesten sinne, die zum, ausgangspunkt wieder-
um, geistiger thätigkeit und production gemacht werden.
a) construction der formet mit attributivem gen. : dasz
der . . . Verfasser zum gründe seiner vernunftlehre die
Schriften dreyer berühmter männer . . . legen wollen
Vernunft, tadlerinnen 1, 174; ich legte mir es (das lied)
zum gründe dieses spiels Brentano ^e*. sehr. 7, 219;
bei dem schon mehr adverbial empfundenen zu gründe
ist abhängiger gen. nicht mehr üblich, mit dat. des ob-
jects {vne zu gegenüber dem gen. bei grund legen die
jüngere ausdrucksweise): seiner letzten heftigsten rede
gegen die pharisäer . . . legt er diesen satz zum gründe
Herder 19, 186 8.; diesen Schematismus der begriffe . . .
kann man . . . der ganzen syllogistik zum gründe legen
Schopenhauer i, 84 Gr.; der dem frieden mit Syrien
... zu gründe gelegte satz Mommsen röwi. gesch. 2, 56.
absolut (mit ellipse des objectsdaiivs) : der mathematiker
. . . legt das zeugnisz der sinne zum gründe allgem.
deutsche bibliothek (1765) l, 144; natürlich wäre es zwar,
die ... erklärung zum gründe zulegen Sghleiermacher
I 3, 2; man legte fortwährend lehrbücher des elften und
zwölften Jahrhunderts zu grund Ranke s. w. I, 161. mit
in und bei: die Griechen wenigstens haben nie andere
als ihre eigene sitten, nicht blos in der komödie, sondern
auch in der tragödie zum gründe gelegt Lessing lo,
193 M.; bei ausarbeitung des abschnitts von der groszen
parade sind die bisher bestehenden Vorschriften und
Observanzen zum gründe gelegt Wilhelm I. militär.
Schriften 1, 6 (a. 1821); eine tabelle . . ., welche jeder
bei seiner arbeit zu gründe legte Göthe II 8, 12 W.;
vereinzelte Varianten: o der verdampfen geschicklichkeit,
welche nicht für einen grünt gelegt hat die ewige seelig-
keit Moscherosch insomn. cura 86 ndr.; ir habt dem
israelitischen volk die ehre erzeigt und seine geschichte
im gründe dieser darstellung gelegt Göthe 24, 247 W.
ß) das 19. jh. schuf ein subst. Zugrundelegung, das in
der gelehrten- und amtssprache lebhaft gewuchert hat:
wenn bei diplomatischen Unterhandlungen es vorkäme,
dasz der eine theil die Zugrundelegung seiner proposition
. . . gefordert hätte Hegel 16, 849; dasz Sullas Umlage
. . . maszgebend war, zeigt . . . die Zugrundelegung der
Sullanischen repartition bei späteren ausschreibungen
Mommsen röm. gesch. 2, 346; namentlich mit präpositionen :
Kant hat . . . unter zugrundlegung des Schemas der
kategorien vier antinomien herausgebracht Hegel 6, 104;
die gesetze, welche wir bei Zugrundelegung des fixstern-
himmels als bezugssystem erhalten Boltzmann popul.
sehr. 279.
d) zu (zum) gründe liegen ist das intransitivum zu
zu gr. legen und entspricht ihm in vielen punkten, die
Wendung seheint noch etwas jünger zu sein als die vorige;
sie entfaltet sich erst in der 2. hälfte des 18. jh.s. die
grenze zwischen zu und zum bilden udeder etwa die vier-
ziger jähre des 19. jh.s; daher kennen z. b. Jag. Grimm
und D. Fr. Strausz beide formen, wo zu gründe /rwÄer
erscheint, fehlt fast durchweg der attributive gen. oder
das dativobject. so regelt sich z. b. der Sprachgebrauch des
jungen Schiller (s. Pfleiderer in Paul u. Braunes
beitr. 28, 365). dasz die ursprüngliche bedeutung der
formel noch durchaus Jsbendig ist, lehrt etwa Göthe :
dasz reine erfahrungen zum fundament der ganzen natur-
wissenschaft liegen sollten II 51, 8 W.; vgl. auch die ver-
einzelte Variante: unsere zeitung nimmt sich wohl gut
genug aus; wenn nur erst die schweren quadersteine
im grund liegen, wird sich das übrige schon leichter in
die höhe bauen IV 17, 78 W.; trotzdem erscheint sie nur
in übertragenem, gebrauch, und zwar ist ihr geltungs-
bereich als einer intraiisitiven wendung weiter als bei der
vorigen, attributiver gen. selten: ein sehr einfaches . . .
gesetz vermuthen, das auch zum gründe anderer phä-
nomene zu liegen scheint Göthe II 5, l, 7 W. die jüngere
ausdrucksiceise mit dat. des objects aufs reichste entwickelt;
der subjectsbegriff zeigt mit Vorliebe begriffe, gedanken,
empfindungen, auch kräfte, motive, interessen: maximen
. . ., welche der erziehung zum gründe liegen sollten
Göthe 24, 227 W.; selbst dem gemeinen verstände liegt
also die idee zu gründe Solger vorles. über ästhetik 56,
i 14; dem uralten brauch des sühnopfers liegt gewisz ein
: frommes gefühl zu gründe D. Fr. Strausz sehr. 6, 17;
i das bewusztwerden der Ursachen und kräfte, die so
vielen und reichen erfolgen zu gründe liegen Liebig
ehem. briefe vorr. III; da sie wuszte, dasz diesen so hei-
teren . . . Wechselgeschichten eine heitere absieht zu
gründe lag G. Keller w. 2, 70; Vorbilder, Urformen nach
jeglicher richtung: den hymnen . . . lagen jene alte
ebräische psalmen zum gründe Herder 18, 13 S.; es
mag ihm (dem bronzenen Bachus) ein uraltes Vorbild
der besten zeit zum gründe liegen Göthe IV 35, 286 T^'^,-
das geschichtliche, das dieser dramatischen handlung
zum gründe liegt Börne sehr. (1829 jf.) l, 112 ; welche
wortgestalt aber allen diesen (formerC) zum grund liege,
scheint noch verborgen Jag. Grimm kl. sehr, s, 120; so
liegen diesen Unterredungen nicht wörtlich abgefaszte
hefte zu gründe Stiftfr w. 14, 5 S. absolut (wieder ellip-
tisch zu verstehen): eine böhmische volksmelodie, eine
art notturno, soll zum gründe liegen Göthe IV 29, 20 W.;
es lag mindestens ein richtiges gefühl zum gründe Fou-
que gefühle 1, 60; eine schöne sittliche natur liegt wie
ein capital zu gründe, von dem die interessen ... in
den gedichten ausgespendet sind Göthe 40, 243 W.; die
moderne spräche liebt den früher sehr ausgebreiteten ab-
soluten gebrauch nicht m,ehr. von präpositionen steht in
vorwiegend bei dichtwerken: die geschichte vom Juden
Melchisedech, welche in meinem Schauspiele zum gründe
liegen wird Lessing 18, 287 Jf.,- dasz oft in einem narren-
spiel ein sehr weiser gedanke zu gründe liegt Klinger
w. 6, 57; doch auch sonst: wenn man auch die spätere
. . . allegorie absondern musz, so liegen doch gewisse
urbegriffe davon unleugbar auch in den ältesten vor-
stellungsarten zu gründe W. v. Humboldt sechs aufsätze
über d. klass. alterth. 132 L.; bei erscheint neben den ver-
schiedensten subjectsbegriff'en ; die Vorliebe für das adv.
dabei ist zu beachten: man wird uns bei diesem unter-
fangen . . . Vergebung wiederfahren lassen, weil dabei
keine bosheit . . . zum gründe gelegen Heilmann gesch.
d. pelop. krieges 39; es liegt unstreitig etwas wahres bey
dieser methode zum gründe Hufeland kunst d. leben
zu verlängern (1797) 289; wenn einer oder der andere
thut, als ob er einen angriff von uns besorgte, so liegen
dabei ganz andere absiebten als abwehr zu gründe
Moltke ges. sehr. 7, 16.
e) einen gr. setzen, übertragen:
du seczt und riirst ain tiefen grund
H. V. Sachsenheim möhrin 2102;
(ironisch: 'du gehst mit deijten ausführungen sehr in
die tiefe'; vermengt mit gr. rühren den gr. aufrühren);
709
GRUND IV A 3
GRUND IV A 4
710
die aposteln, die dazu erwelet vraren, das sie solchs
reine solten leren and der lere einen gr. setzen Luther
17, 1, lOi, 13 W.; diser {spruch), da du dein gr. und trost
auf setzest 7, 660, lO;
maas halten in dem leyden . . .
das hat, das helt den stich, das setzet festen grund
Reinicke fucfis (1650) 421 ;
sol man den gr. recht und fest in teutscher spräche
setzen, musz man das grundbrüchige auszfesten Schot-
TEL t. Sprachkunst (i64i) 165; ich wäre schon zu alt
. . ., umb von gemühte zu endern, mein grundt war schon
gesetzt El. Charl. v. Orleans i, 13 M.; vgl. seinen gr.
legen oben b.
f) ettvas zum gründe setzen, übertragen:
die stund kurtzrund zum grund
wird gesetzt dieser Sachen
W. Spangenberg griech. dramen 1, 123 Dähnhardt;
welche die geometrie, deren sie nicht fähig sind, zum
gründe setzen v. Fleming vollk. teutsche soldat (1726) 79;
weil Oesterreich am ende Teutschlands, und also die
wienerische mundart nicht wohl zum gründe gesetzt
werden kann Leibnitz deutsche sehr, i, 483; man hat
an einem solchen wechselplatz ein gewisses (kapital)
zum gr. gesetzt allg. dtsche bibl., anh. zu 53—86, 2324.
g) etwas auf einen gr. setzen, auf einem (einen) gründe
(gr.) bauen, befestigen, gründen : du (Fortuna) hast deine
stetsbleibende wohnung auf vierekten gr. gesetzet Schot-
tel friedenssieg 23 ndr.; übertragen:
sagstu der weit ade? sol Christus gantz allein
der grundt sein, drauf du will die keusche liebe setzen?
Gryphius sonn- und /eiertagssonette 37, 79 ndr.;
die grosze moschee zu Jerusalem auf den gr. des salo-
monischen tempels gebaut Göthe IV 8, 259 W.; über-
tragen: das (die deinut) ist der grünt, do alles das ge-
zimmer des menschen leben . . . uf gebuwen müssent
werden Tauler 322, 6 F.; diese tägliche, allen himmels-
körpern gemeinschaftliche bewegung, ... ist der gr., auf
dem die ganze Sternkunde gebauet ist F.Th. v. Schudert
verm. sehr. 1, 8; dasz ich auch den unverdienten beyfall
einiger gelehrten nicht suche auf einem so schwachen
gründe zu befestigen Heraus ged. (i72l) 13; die maurer
folgen hierauf, die auf den streng untersuchten gr. das
gegenwärtige und zukünftige wohl befestigen Göthe 25,
221 W.; die Voraussetzung ist der gr., worauf ich alles
folgende gründe Schiller 4, 43 G.; vgl.
gott grundt sich ohne grund und meszt sich ohne masz
A. SiLESius Cherub, ivandersmann 18 ndr.
h) auf einem gründe (be)ruhen: ein jedes standfestes
geben beruhet auf seinen unbeweglichen, wolbepfälten
gründen Sghottel t. sprachkunst (l64l) 74; übertragen:
auf was gründen . . . die ausübung der ädlen spräche
beruhe Neümark fortgepflanzter lustwald (l657) zuschr. 10 ;
allein da diese einwendungen auf keinem rechtsbestän-
digen gründe beruhten Wieland te. (1794) 20, 28; wie
schön musz ein talent seyn, das auf einem solchen
gründe ruht Göthe IV 23, 185 W.; der gleichmuth, mit
dem ich empfange und gebe, ruht auf dem gründe deiner
liebe IV 6, 115 W.
i) zum gründe dienen: derjenige, der grosze quader-
steine in graben neben einander wälzt, dasz sie einmal
künftig einem gebäude zum gründe dienen können Ni-
colai Nothanker i, 125; übertragen: der basz, ob er gleich
zum gründe dienet, ist nur der Oberstimme halben und
ihr zum besten gesetzet Mattheson kl. generalbaszschule
(1735) 50 ; Richardi de S. Germano zeugnisz soll uns . . .
zum sichern gründe dienen S. Fr. Hahn einl. z. d. teut-
sehen kaiserhist. 4, 133; bisweilen bis zur bedeutung 'aus-
gangs-, anknüpfungspunkt' verblaszt: der mensch . . .
musz in dieser vergleichung zum gründe und allgemei-
nen beziehungspunkte dienen Kant 8, 366 H.; ... deucht
es mich, dasz die sogenannten nationaltänze dem Philo-
sophen zu einem guten gründe dienen ^können Ayren-
hoff w. 5, 271.
k) zum gründe haben, übertragen: obgleich die Sprünge
. . . aus dreyerley verschiedenen intervallen . . . bestehen :
so haben doch selbige alle einerley basznoten zum
gründe Quantz anweisung d. flöte zu spielen 125; dasz
unter zwantzig solchen . . . begebenheiten kaum zwey
die Wahrheit zum gründe haben J. G. Schmidt geatrieg.
rockenphilos. 1, 12; (bestimmte gesetze des sehens) haben
zum gründe (zur Voraussetzung), dasz . . . eine gerade
linie zwischen dem sehenden organ und dem gesehenen
gegenständ müsse zu ziehen sein Göthe II i, 77 W.;
häufig bei dichtungen und Schriftwerken: diejenigen hand-
lungen, die eine wahre geschichte zum gründe haben
Dusch krit. u. satyr. Schriften 134; dasz mein brief-
wechsel nicht blos die Schauspiele zum gründe habe
Lessing 17, 12 ilf.; oft nähert sich gr. der bedeutung
'Ursache': ihr erster wiederstand schien etwas mehr, als
eine blosze bescheidenheit zum gründe zu haben Ver-
nunft, tadlerinnen l, 3; soviel ich muthmasze, hat ihre
melancholie physische Ursachen zum gründe H. L. Wag-
ner theateratücke (l779) 59.
1) überaus häufig sind, namentlich in übertragenem
gebrauch, Wendungen, die ein zerstören oder gefährden des
grundes bedeuten: nos iecimus fundamentum, ipsi (die
sectierer) heben uns den gr. auf Luther 34, 2, 100 W.,-
den gr. aufheben Garthius 289*; dasz sein lippen, so
lehren und gottes urtheil uns vorlegen, schlecht und
rund untergraben voll list all unser hoffnung gr. Treuer
deutscher JDädalus 1,465; er hätte fürchten müssen, den
geistigen gr. zu untergraben, auf welchem seine eigne
würde beruhte Ranke *. w. 2, 4; der teufel ... er-
schütterte den gr. des gebäudes Klinger w. s, 204; er
hat das gebäude der grosze im gr. erschüttert, das ich
. . . aufführen wollte 231 ; die felsen wohnung Giafars er-
bebte in ihrem tiefen gründe bey dem fürchterlichen
schall 6, 20;
Babel wankt und sinkt und fällt,
dasz grund und catacomben beben
Gottsched ged. (1751) 1,293;
ich . . . baute tausend luftschlösser und spürte nicht,
dasz ich den gr. des kleinen gebäudes zerstört hatte
Göthe 21, 29 W.; allzutief (ist) das geistige reich in
seinem gr. bewegt Görres ges. sehr. 2, 93.
4) grund in präpositionalen Wendungen; für einige der
folgenden formein ist es wahrscheinlich, dasz sie nicht
auf eine bestim-mte Specialbedeutung von gr. als einheit-
lichen ausgangspunkt zurückzuführen sind, sondern von
jeher an verschiedene bedeutung szweige geknüpft waren,
aber die beziehung auf fundament' ist am deutlichsten
und am meisten ausgebreitet.
a) von gründe, mhd. selten, nhd. fast ausschlieszlich
von gebäuden, also 'vom fundamente ab':
daz die vest zebrochen
zehand solden werden
von gründe üz der erden
Ottokar v. Steierm. steir. reimchr. 44140 ;
dasz in der vorstatt ir von grund
ein neu collegium erbauten
Fischart nachtrab 14, 436 Kurz ;
als der sie erweiteret, von gr. erbauwen, und zu einer
königklichen statt gemachet hat Stumpf Schweizer chron.
(1606) 7*; sie werfen die mauern vom gründe um sub-
ruunt muros ab imo Stein bach (l734) l, 649; selten mit
anderer bildlicher Vorstellung:
erfrisch den luft mit bestem schall
erschöpf die kunst von gründe
Spee trutznacht. (1649) 19.
dagegen mhd. öfter rein adverbial 'gründlich' :
und sagen uns Tat ir triuwen
an welher rede wir sin betrogen;
volrecken uns die einen wol von gründe,
die alten ode die niuwen
Walther v. d. Vogelweide 13, 1;
sinen marterlichen t6t
entsliuz ouch nü von gründe mir
Konrad v. Würzburg Silvester 4333.
b) von gr. auf; frühzeitig vermengt mit von gr. aus:
mines herzen tiefiu wunde
diu muoz iemer offen sten, si enheiles üf und üz von gründe
Walther v. d. Vogelweide 74, 17;
45*
711
GRUND IV A 4
GRUND IV A i
712
bei DiEFENBACH gloss. 482" beides für radicitus; doch
zeigt der gebrauch merkliche Verschiedenheit, noch nhd.
vielfach in eigentlicher bedeutung; vom gr. oder pfülment
auf a fundamento Frisius (1556) 1*; aber gewöhnlich in
positivem sinn: aufbauen, errichten u. ä.; schon Diefen-
BACH gloss. 252* belegt neben funditus alzomale von
gründe uff vor allem fundatus von grünt off funderet
M. ä. reichlich; {das schlosz) sähe . . ., als wers von gr.
auf mitten in das waszer gebauwen Kirchhof wend-
unmuth 2, 94 Ö.,- bis an das Schindeldach des hohen
thurmes war sie von gr. auf aus granitquadern aufge-
baut Storm w. 8, 206; selten in negativem gebrauch:
Barog vil balde kerte hin
gein Achor und zerstörte die
von gründe uf gar Rud. v. Ems weltchr. 18095.
ebenso wie von gr. mhd. schon rein adverbial 'gründlich,
ganz und gar':
er was von gründe üf geborin
./ z8 deme aller trüwisten man
Bother 5087 Rückert;
swes wir uns haben gevlizzen
und gesen haben Urkunde,
daz wizze wir of von gründe
Heinr. v. Hesler apok. SilS Helm; vgl. 4540;
anders:
doch ward mans bengeln mit dem stro,
daz die frauen schrien do
von grundauf gar ze vollen
Heinr. v. Wittenweiler ring 8", 12.
von gr. auf, gantz und gar, mit stam und wurtzel fun-
ditus, ixßccTO(xiv, stirpitus Decimator thes. (1615); ich
bin dhein glychsner, sunder von gr. uf luter, rein Zwingli
dtsche sehr. 1, 809; soll man mit der laugen das haar
von gr. auf netzen Gäbelkovkr arzneib. (1595) 2, 102;
einen Irrtum von gr. auf widerlegen Stieler 710, wo
von gr. aus angemessener wäre, ». u. c ; gelegentlieh auf
I A bezogen:
{die winde) durchwühlten die meere von grund auf
Ramler einl. in d. schön, wies. 1, 156.
c) von gr. aus erst seit dem 15. jh, öfter belegbar, reich
entfaltet erst seit dem 18. Jh.; gelegentlich gekürzt {vgl.
gr. dessen C 5 c «): das der . . . pfeiler von oben, unter der
orgel, ab grund aus umgefallen Butschky kanzelley 851.
«) am geläufigsten in der bedeutung 'vom, fundam^iit
ab' oder davon abgeleiteten, aber ursprünglich nur in ne-
gativem sinn, namentlich bei verbrennen: zu zelten {tvird
die Stadt) ... in gr. zerstöret, verwüstet und von gr.
aus umbgekehret Comenius janua (l638) cap. 719; die
. . . neuerbauete kirche . . . von grundausz einwerfen
und mit der erde vergleichen lassen actapubl. i, 67 F.;
und {das haus) wäre leicht von grund aus abgebrannt
Lessing 3, 4if. ,•
um das haus seiner seele von gr. aus zu erschüttern
Wackenroder herzenserg. (l797) 89; erst secundär und
in jüngerer spräche neben erbauen, errichten u. ä., zu
denen urspr. von gr. auf gehört:
so führet man ihn schon in einen ehrentempel
den selbst die tugend hat von grund aus aufgeführt
H. v. HoFFMANNSWALDAu u. o. ged. 7, 168 Neukirch;
der alte meister hatte . . . sein haus nach dem neuesten
geschmacke von gr. aus aufgebaut und möblirt Göthe
21, 16 W.; den anstosz zu der vermengung konnte dissi-
milationsabsicht neben verben wie aufbauen, aufführen
u. a. geben; der gegenständliche sinn von gr. gelegentlich
noch dunkel bewuszt: wenn man recht von gr. und haus
aus zu werke ginge Göthe IV 16, 268 W.; nicht minder
alt, aber seltener ist gr. in anderem sinn: und durch-
gruoben denwyngarten von gr. usz Steinhöwel Esopus
259 Ö. ; da werden sich von gr. und wurtzeln aus ab-
gefaulte ... bäume ... finden Hohberg georg. cur. aucta
8, 43*; {die Spielkarten) gleich den pilulen die beutel von
gr. ausz . . , vielmals zu fegen und zu reinigen pflegen
Harsdörfer frauenz. gesprächsp. 1, 10;
der dichter pflegt, um nicht zu langeweilen,
sein innerstes von grund aus umzuwühlen
Göthe 2, 17 W.
ß) von gr. aus berührt sich in seiner Verwendung mit
aus dem gr. (s. m. B 5 b, bes. ß) ; ebenfalls bei verben. die
ein irgendtvie geartetes beseitigen ausdrücken {dazu stimmt
die bedeutung unter «): basilgen samen . . . heilet sie
von gr. ausz Bock kreuiterbuch (i593j7"-) 18; alte schaden
inwendig zu heylen vom gr. heraus Hohberg georg. cur.
aucta 8, 235'»; dasz das concilium von Pisa das übel
nicht von gr. aus gehoben M. I. Schmidt gesch. d. Deut-
schen 4, 80; die griechische Verfassung . . . ward jetzt
von gr. aus beseitigt Mommsen röm. gesch. 2, 845; dieses
vorgeben von erraisonnirten . . . kenntnissen von grund-
aus zu widerlegen Fichte 2, 332; dennoch hätte Lulu
einmal seine gunst . . . vom gründe aus verscherzt
Stifter w. 5, l, 855 S.; bei verben wie erkennen, erfahren
u. ä. ist aus dem gr. durchaus das ältere, von gr. aus
erst seit der 2. hälfte des IS.jh.s häufig; es scheint also
von gr. aus functionen des in moderner spräche stark
zurückgegangenen aus dem gr. übernommen zu haben:
ein werk, wie der Meszias, musz von gr. aus untersucht
werden Gerstenberg recensionen 226, 8 Fischer; ich
fahre . . . fort . . . von gr. aus zu studieren Göthe IV
8, 66 W.; bis er die Ursache ihres zwists von gr. aus
erfahren E. Th. A. Hoffmann 12, 104 Or.; für von gr.
aus verderben, das erst mit der 2. hälfte des 18. jh.s recht
in aufnähme kommt, scheint ähnliches zu gelten: wenn
man sich an so genanntem wohlriechenden wasser die
nase von gr. aus bis auf die wurzel verdorben hat Hip-
pel lebensläufe l, 379.
y) sehr jung {erst seit Göthe) ist von gr. aus neben
ausdrücken des affects: nächstens hoffe ich es noch
einigemal zu hören und mich daran recht von gr. aus
zu ergötzen Göthe IV 21, 204 W. {bei G. sehr beliebt, vgl.
I 1, 103; 25, 263 M. ö.); kann er die eigenthümlichkeit
eines 'wüsten wetters' von gr. aus genieszen Melch.
Meyr erzähl, a. d. Ries 1, 71; bücherweisheiten, die mir
von gr. aus zuwider sind Fontane I 4, 12; desgleichen
bei qualitätsbezeichnungen: Salzmann, der von gr. aus
nichts taugt, {ist) abzuschaffen Göthe IV 16, 312 W.;
{sie) erwarteten nichts mehr von einzelnen ausbesse-
rungen, wo das ganze so von gr. aus faul war Häuszer
dtsche gesch. i, 96; vom Niederrhein gebürtig, ein freu-
diger rittersmann von gr. aus Treitsghke aufsätze^ 2,
28; Hölderlin ... ist romantiker von gr. aus Fontane
I 2, 39; jung auch bei ausdrücken der Verschiedenheit:
vielmehr sind beide arten der philosophie sich von gr.
aus heterogen Schopenhauer 1, 26 Gr.; die Araber . . .
von einem positiven stolzen, dem christenthume von
gr. aus entgegengesetzten glauben . . . durchdrungen
Ranke s. w. 87, 10.
d) öfter mit zu gründe vermengt zu zu gr. aus : zu
Wiederaufrichtung der durch das fremdausländische wort-
vermeng fast zu gr. aus verderbten teutschen beiden- und
muttersprache Neumark t. palmbaum (I668) 194;
jetzt wird ein mann zu grund ausz rein gemacht,
wo der soldat quartier hat eine nacht
TscHERNiNG d. gcdicMe früling (1642) 125;
vgl. nd. dat id vruntscopp blef twischen em . . . to
gründe unde to ende uth Schiller-Lübben 2, 158'' aus
Herm. Korner.
e) auf (den) gr. mit gen. erst seit dem ende des 18. jh.s;
anzuknüpfen an die bedeutung 'grundlage' : in jenem
augenblick, in welchem eine Vereinbarung . . . auf den
gr. der alten zustände möglich erschien Ranke s. to.
4, 8; in der regel leitet es die Voraussetzung ein, aus der
eine berechtigung flieszt: madam verlangte auf den gr.
dieses Vorzuges ein vollstimmiges ja zur heirath Hippel
kreuz- u. querzüge l, 87; {pudel und m.öpse) durften nur
, . . auf den gr. der nach beratung des ausschusses er-
teilten erlaubskarte mitgebracht werden E. Th. A. Hoff-
mann 6, 13 Gr.; mit der 2. hälfte des 19. jh.s erlischt der
artikel; schon 6ei Schopenhauer: der richterstuhl der
processe auf gr. desselben {des Völkerrechts) ist die öffent-
liche meinung w. 2, 700 Gr.; Ranke andererseits hält
den artikel, noch in der engl, geschichte (1859—68) : er be-
absichtigte auf den gr. derselben {bestallung) ein paar
regimenter zu werben s. w. 4, 87.
713
GRUND IV B I
GRUND IV B 2. 8
714
B. grund 'fundament, baais' entwickelt sich unter völli-
gem verblassen der ursprünglichen bedeutung nach ver-
schiedenen richtungen hin; zunächst 'die ersten bestand-
theile eines dingea, der anfang', gesteigert 'die hauptsäch-
lichen bestandtheile, das wesentliche'; daher gelegentlich
in parallele mit anfang : dergestalt ist der glaub unsers
hayls anfang und gr. Berth. v. Chiemsee teuische
theol. 10 R.
l) je nach dem siibjectsbegriff ergehen sich für die ersten
oder wesentlichen bestandtheile verschiedene bedeutungen:
grundatoff, grundbestandtheil :
dann welcher darf es wagen,
ein urthail von dem grund uns artig her zu sagen,
aus dem des Schöpfers hand die wählt zuwegen bracht?
RoMPLER V. Löwenhalt erste« gebüsch (1647) 27;
der evangelist (hat) . . . den historischen gr. des damal
üblichen catechismi Theophilo . . . zugeschrieben Dann-
hauer catechiamusmilch 1, 4"; was wird uns denn als
gr., als urstoff von den vier letzten büchern Mosis übrig
bleiben Göthe 7, 156 W.; so ist die cacao der gr. der
chocolate Krünitz 20, 254.
grundgestalt: wann die gelehrten diese wort (joch
oder last Matth. 16, 24) ausz dem gründe herholen (d. A.
genau aua der grundsprache übersetzen), wird dadurch ge-
legenheit gegeben zu gar tröstlichen gedancken J. Sau-
bert currus Simeonia (1627) 546; maszen das selig-
machende wort gottes aus den hebräischen gründen in
unsere spräche vernemlichst . . . übersetzet . . . worden
Neumark teutsche palmbaum (i668) 63.
grundlehren, anfangagründe : sie hat ihr selbst die
gründe des christenthums gleichsam spielend beigebracht
Vernunft, tadlerinnen 1, 190; es ist aber um desto nöthi-
ger, die ersten gründe der deutschen prosodie hier vor-
zutragen Gottsched dtsche sprachk. 450; ich kam an
einen ort, wo ich etliche jähre lang die gründe der
spräche lernte Schwabe belustig. 2, 647; dergleichen weit-
verbreitet; sing, ungewöhnlich:
o wie lieblich ward mir femer aller freyen kUnste grund
durch die väterlichen lippen schon in früher Jugend kund
Gottsched gedickte (1751) 1, 413.
in den folgenden fällen tritt die bedeutung des wesent-
lichen atärker hervor:
grundregeln, grundgeaetze: wie unsere teutsche baubt-
sprache nach ihren gründen und eigenschaften in eine
gewisse form der kunst zu setzen Schottel haubtspr. ii ;
wann alles und jedes was zu unserer teutschen spräche
gehören wird, allhie nach seinen gründen und richtigen
hauptregulen befindlich ist t. sprachkunst (l64i) 12 ; wie
wir undanckbaren Teutschen doch eines unsere eigene
spräche möchten gründlich ausz ihren gründen erheben
{systematisch-grammatisch darstellen) ib. 10; vielfach von
künsten und gewerken:
ein mercker sei besinne wol
den rechten grünt, schlos unde punt
mit cluger maisterschöfte
Muskatblüt lieder 99, 17 Gr.;
bisz ich . . . bey dem sinnreichen herren Hans Sachsen
. . . bessern bericht des grundes dieser kunst erlangete
PusCHMANN gründl, bericht 3 ndr.; damit man durch
ein völliges systema die theile und gründe der musik
desto leichter in eine gehörige gewiszheit setzen könne
Scheibe crit. musicus (1745) 11;
folgt mir : ich singe fein, recht nach der tonkunst gründen
Hagedorn poet. w. (1769) 2, 242;
ob er nicht zu animieren, eine beschreibung der gründe
der handwerke und deren terminorum vorzunehmen
Leibnitz dtsche sehr. 2, 459; zuweilen fast im sinne von
'theorie': man hat byszher . . . vil geschickter jungen zu
der kunst der mallerey gethon, die man an allen grundt
und alleyn ausz eynem täglichen brauch gelert hat
Dürer underweysung d. messung (1525) a l*».
grundlagen, grundbegriffe, grundwahrheiten (von wiaaen-
Schäften); gelegentlich noch als bild empfunden: Euclides
hat den grundt der geometria zusamen gesetzt Dürer
underweyaung d. meaaung (1525) a 2»; habe ich . . . nicht
geruhet, bis ich zu den letzten, ursprünglichen gründen
kommen, so... in der mathesi und physica befunden
Leibnitz dtsche achr. 1,266; eine Wissenschaft..., in
welcher die allgemeinen gründe aller menschlichen er-
kenntnisz gelehrt werden Lessing 8, 23 M.; (eine aka-
demie.) welche nicht klare und ausgemachte gründe der
Wissenschaften lehren . . . soll Kästner verm. sehr.
(1755/.) 1, 8.
grundwort; anscheinend von Schottel aufgebracht:
der gr. (oder hauptglied) desz verdoppelten Wortes ist
allezeit dasselbige wort, auf welches deutung vornem-
lich . . . unser sinn und gedancken sich lencken, und
welches ... allezeit die hinterstelle desz wertes einnimmt
t. sprachkunst (l64l) 108 (in eigenthätlichkeit 2. b. that
ib. 103), lat. subjectum ib. 24; daher subjectum gr., grund-
wort Zeillers epistol. Schatzkammer (1683) 266.
2) 'anfang' nicht als erster bestandtheil innerhalb des
dingea, sondern als ausgangspunkt, Ursprung auszerhalb
des dinges; namentlich obd.; meJir oder weniger sinnlich:
unde der aftero teil iro rukkes. dar die penne radicem
hubent federa crunt eigin Notker 2, 256, 13 (ps. 67, 14);
diu versuochende kraft der s61 (gustus) und daz gerüerd
habent im grünt in dem herzen; aber die andern drei
sinn sitzent in dem baupt Konr. v. Megenberg buch d.
natur 13, 6 Pf; wer ist dann? der nit seche den Ursprung
des adels haben ainen unadelichen gründe, etlich hat
rych gemachet wücher N. v. Wyle translat. 67, 25 K.;
ich wils ein wenig vom gr. här nemmen. repetam paulo
altius J. Maaler I94rb;
auch bzeugt solchs, das aus malens grund
die erst egyptisch schrift entstund
Fischart btbl. historien 270, 7 Kurz ;
daher öfter parallel mit Ursprung: (die von der leber aus-
gehende ader heiszt) gruntäder, dar umb, daz diu leber
ain grünt ist und ain ursprinch des pluotes Konr.
V. Megenberg buch d. natur 87,5 Pf; vom rächten gr.
und Ursprung här nemmen. a capite arcessere J. Maaler
I94rb; (das göttliche licht) hat weder gr. noch anfang
Jac. Böhme 4, 6; der schall seines worts ward gr. und
würze! jeder menschlichen seele Herder 26,341 S.; von
hier aua ist gr. als bezeichnung gottes in der mystik zu
verstehen: aber da in dem einvaltigen uberweslichen
gründe ist der gereht mensch nüt der lipliche mensch,
wan es ist kein liplichkeit in der gotheit H. Seuse
dtsche sehr. 167, 24 Bihlm.; die entwicklung der bedeutung
beleuchtet z. b. die stelle: wir sint uz dem selben gründe
heruzgeflossen, und mit allem dem daz wir sint, so ge-
hörent wir rechte in das selbe ende und wider in den
selben grünt Tauler pred. 81, 13 Vetter.
3) der begriff des anfangs tritt hinter dem des wesent-
lichen völlig zurück; gänzliche abstraction, infolge dessen
fast ausschlieszlich sing.; oft stellt sich das bedürfnia
ein, die besondere bedeutungsschattierung durch ein ayn-
onymon zu kennzeichnen,
a) hauptaache: darumb wil ich greifen zum grundt
und darbringen, daz die mesz das war opfer ist Berth.
V. Chiemsee teutsche theol. 457 R.; peto vel premo iugu-
lum, ich dring oder treib hart auf den gr., oder haupt-
handel Er, Alberus 29»»; der gr. und hauptartickel
daran die sach gelegen ist. columen actionis J. Maaler
I94rb; auch 'hauptinhalt' : die den grünt der gantzen
comedien haben wollen Terenz deutsch (1499) 10*; argu-
mentum, das ist der grundt des nachfolgenden buchleins
Reuchlin erste olynth. rede 6 ndr.; das und vil anders
mer schreibt kaiser Ludwig ... ich hab auf das kurzist
nur den grünt gesetzt, daraus der ganz handel wol ver-
standen mag werden Aventin bayer. chron. 5, 466, 15,
wo die urspr. bedeutung von gr. setzen noch lebendig ist;
vgl. ib. 496, 5. inbegriff: dan der grundt aller geschrift
ist 'liebe goth und dynen nehsten' Luther 9, 155, 17 W.;
du wirst bald bekennen —
dasz in mir allein ist aller Schönheit grund
Weckherlin ged. 731 F.;
denn eigentlich ist doch der gr. und das a und 0 aller
715
GRUND IV B 4
GRUND IV B 4
716
kunst hier (in Italien) noch aufbewahrt Göthe IV 8,
250 W.
b) innerstes wesen, kern: suhstantia wesenkait, grünt
DiEFENBACH gloss. 561"; dieweil aber diese unsere fürstin
in schwebenden . . . miszbräuchen gleichwol den grundt
unsers . . . glaubens fest behalten Rätel Curäi chron.
(1607) 75; so hat die Verschiedenheit nur das zufällige
und niemals den gr. der sache betroffen Ramler einleit.
in die schön, wiss. l, 83; der pöbel . . . würde sich durch
eine schöne seite (des lasiers) bestechen lassen, auch
den häszlichen gr. zu schäzen Schiller 2, 6, ii ß.
(räuber, vorr.) ; aus deutlichkeits gründen oft in pleonasti-
scher Verbindung: das ist der gr. und gantzes wessen
der ehe, das sich eyns dem andern gibt Luther 2,
168 W.; die . . . wider den gr. und die natur der spräche
selbst laufende falsche schreibahrt Zesen verm. Helicon
(1656) 1, 96; {die Australier sind sich) über den gr. und
kern ihrer religiösen Vorstellungen sehr im unklaren
B.\TZKL Völkerkunde 2,86; gern präpositional : alles grosze
Unheil ist seinem innersten gründe nach eine ernsthafte
fratze Fr. Schlegel im Athenäum i^, 106.
c) bei gegenständen des wissens U7id könnena das tdssen
um das wesentliche eines gegenständes, gründliche kennt-
nis; den rechten gr. wissen wollen volerne saper' il pro-
prio, il fondamento M. Kramer teutsch-ital. 2, 274*;
daz tummer man ze lange sait
hie von (v. d. dreieinigkeit), der niht des grundes wais
JoH. V. WüRZBUEG WUh. V. Österreich 10446;
deszgleichen auch ander sprachschriften mit rechtem
schreiberischen gr. zu gestalten Fischart Oarg. 277 ndr.;
häufig von der medizin:
dann wölcher artzt kan guten grund,
der macht sich billig selbst gesund
ScHWARTZENBERG tcutsch Cicero (1535) 133 ';
personifiziert:
yzt kompt der artzeney ein grund
H. Sachs 9, 29, 16 Keller;
ähnlich: die rächten grund und griff eines redners Fri-
sius 82'>; gern neben haben: als wie es zugehe mit dem
donner, mit dem regenbogen . . . , davon niemand einen
gr. haben mag J. Agricola 750 teutsche Sprichwörter
(1534) ZI»;
der seinen spiesz wol brauchen kundt,
hett auch desz kriegens satten grund
Spreng Utas (1610) 211b;
und laszt sich doch sin werck ansehen, als ob er der
alten geschichten wenig gr. gehept Tsghudi chron, helvet.
1, 158; ich habe der Sachen keinen gr., de causa mihi
non liquet Kirsch cornu copiae 160 *•; vgl. ik heff den
rechten gr. dor ni von 'die sache ist mir nicht klar'
Mensing 2, 601*; vielfach parallel mit synonymis: die
heyden von der heyligen geschrift keinen grundt, auch
vom waren gott kein bericht gehabt Lorigh wie junge
fürsten . . . undericisen mögen werden 11;
(der 'suchende',) welches kunst und grund allein
manches teutsches hertz ergetzet Rist Pamasz 464;
ohne gr. und eigendliches wissen von dieses herrlichen
Ordens rechter beschaffenheit Neumark teutsche palm-
baum (1668) 36; mein sinn ... ist dieser von Wahr-
heiten, Wahrscheinlichkeiten, gr. und guten erkännt-
nissen das nöthige . . . einfältig anzunehmen Zinzen-
DORF bedenken u. besond. Sendschreiben (1734) 53; gelegent-
lich noch abstracter 'gründlichkeit': welche ihre krieg,
leben und wesen mit fleisz und grundt beschrieben
Reuter v. Speir kriegsordn. a 2*; noch etwas anders 'ge-
halt. gewicht': es redet der von Frundsberg mit einem
solchen grundt und ernst, dasz er einen stein solt be-
wegt haben Adam Reiszner 105*.
4) aus dem begriff 'das wesentliche eines dinges' ent-
wickelt sich der andere 'die wahre, wirkliche beschaffen-
heit eines dinges', auch ganz abstract 'das richtige, wahre,
die Wahrheit', gegentheil ungrund mendacium, falsum
Stieler 710''. auf alem. boden besonders entfaltet.
a) öfter durch adjentiva wie wahr, recht genauer be-
stimmt: (dialectica) g§t kurz dem warn gr. nach, lernt
denselbigen suechen Aventin 4, 426, 7 L.,- ich in inen
(den Zeugnissen) allein finden mag ainen wänlichen
schatten gantz alles wären grunds mangelnde N. v. Wyle
translat. 173, 24 K. ; vgl. (in anlehnung an I A 4 a)
damit noch mehr . . .
den falschen weg verlassen
und wahre gründe fassen
Heinichen generalbasz bl. 6";
den liesz der voyt fangen, im fürsatz an im zuerkun-
digen etwas grunds der bäurischen anschlegen . . . halben
Stumpf Schweizerchron. (16O6) 343''; gedieht und träum
eines wachenden, ohne gewiszheit und gr. Lehmann
fiorileg. polit. (1662) 2, 624; meist neben bestimmten verb-
gruppen:
wirt mir der äventiure grünt
von dir dumehteclichen mit gesange kunt
Lohengrin 1074; vgl. 2277;
merkt hie den rechten grünt
der fremden abenteur
H. V. Sachsenheim spiegel 171, 38;
vgl. sleigertüchl. 216, 87; auch nd.:
latet ene nu in desser stunt
uns wytlyk doen de rechten grünt
Reinke de vos 2118;
danach Göthe:
lasst uns je eher je lieber den grund der geschichte ver-
nehmen 50, 67 W. ;
ich wil (ich singen den rechten grund,
wie die eidgnoschaft ist entsprungen
bibl. alt. schrißw. d. Schweiz I 4, 3;
feindes mund redt nie kein gr. Friedr. Wilhelm
sprichw. reg. (l577) D a, nr. 9;
mich dünkt, in seinen reden ist viel grund
Shakespeare 2, 90;
über gr haben ». m. C 6 a; leg dich nit uf zwyfelhaftige
ding, bis du den gr. erfindest buch d. beisp. 6 lit. ver.;
darnach siehst du an den gr. der brüderschaften , der
nüt anders ist weder ein geltkleb Zwingli dische sehr.
1, 321; der verdacht, weil er mehr auf den euserlichen
schein als auf den gr. siebet Lohenstein Armin. (1689/.)
2, 133 •"; auch in heutigen alem. maa.: i woasz da gwiesa
gr., dasz ... Fischer schxcäb. 3,872; mina herz hat gr.
und mins mul hat oich gr. 'was ich fühle und rede, ist
wahr' Staub-Tobler 2, 770; vgl. es ist grund-so 'wahr-
lich so' ebda,
b) gr. der Wahrheit namentlich im 16./ n.jh. sehr häufig,
zumal im alem.; im 19. jh. aussterbend, die bedeutung
'grundlage' scheint den ausgangspunkt der formel zu bil-
den; vgl. wer sich vliszet an den grünt der worheyt
qui fundamento veritatis innititur geometr. Culm. 14*»
Mendthal; mit gr. der Wahrheit 'der Wahrheit gemäsz'
ist das eigentliche geltungsgebiet der formel: so soll sich,
ob gott will, mit gr. der warhait befinden, dasz . . .
städtechron. (Augsburg c. 1565) 32, 291 ; meist verba dicendi :
welches wir mit gr. der Wahrheit reden Thurneyszer
magna alchymia (1583) 134; kan ich selbige (bibliothek)
mit gr. der Wahrheit rühmen, dasz sie fürtrefflich ist
Menantes allern. art höf. zu schreiben (1718) 353; es hat
jemand mit groszem gr. der Wahrheit behauptet, dasz . . .
G.C.Lichtenberg verm. sehr. (18OO/.) 1,159; selten nach:
das kain underthon seiner obrigkait künn behebliche
zeügknusz geben nach grundt der warhait Jon. Nas
antipap. eins und hundert 2, 152*. andere formen des
gebrauchs sind seltener: wir wöllent üch des (hierüber)
grunds der warheit berichten Staub-Tobler 2, 770 (a.
1521; , jj^j,£ jgjj^ jgjjj ffeunj^ ujjt (jii- jetzund,
wie vor, reden der warheit grund?
Spangenberg griech. dramen 2, 131 Dähnhardt;
als hüt etlich on allen gr. der warheit reden gdörend
Zwingli dtsche sehr. 1,264; gelegentlich hat die formel
einen stärkeren Sinngehalt: der alleine ist, so solche
Worte redet , der wahre mund und gr. (inbegriff) der
Wahrheit selbst Schw^einichen denkw. 3 Ö.;
forsch alles (in diesem buche) fleiszig ausz, du wirst mit
mir bekennen
hier sei der Wahrheit grund, nicht ein gemeiner tand
Rist Pamasz 131.
717
GRUND IV B 5
GRUND IV B 5
718
c) dasz die formet mit gr. 'wahrheit' zusammengebracht
wurde, lehren fälle wie: wirt ... ins Turgow gerechnet,
die doch im gr. der warheit beide im Zürychgöw ligen
Stumpf Schweizer ehr on. (1606) 345* (genau = im gründe
'in Wahrheit', s. u. 5 a d') ;
und was ir wissen seit
in rechtem gründ und der warheit
H. Sachs fabeln u. schwanke i, 68 G.-D.;
'ich beicht dir all meine sünde'. sie sprach: 'verschweyge
nichts, sage mir den rechten grundt und warheyt!'
V. Schumann nachtbüchlein 36 B.; diese coordinierende
Umformung im IG. jh, ziemlich häufig; später gelegentlich
umgedeutet (nach C): und sodann (werde ich) . . . den
gr. und Wahrheit meiner verflossenen thränen . . . er-
zehlen mediz. maulaffe (1719) 14.
5) die bedeutungsschattierungen von 'an/ang' bis 'kern,
wesen, wahrheit' auch in präpositionalen Wendungen.
a) im grund; abgesehen von einem specialfall (s. u. d)
reichen die belege nicht über das 17. jh. hinaus; später
nur ganz vereinzelt:
80 willst du mich denn ganz im grund vergiften
Schiller 6, 197 G.
«) im älteren nhd. sehr häufig bei verben der geistigen
thütigkeit 'gründlich, genau' (entsprechend 3 c): diese zwi-
trechtigkeit (zwischen Weifen und Ghibellinen) haben in
dem grünt ersucht alle hochgelert man Sigm. Meister-
LiN in städtechron. 3, 102, 15; doch bringen sie (diese
Worte) so viel mit, wo man sie im gründe ansihet Lu-
ther 8, 427 Jena;
wann ir die sach im grundt erwegen
Wickram w. I, S97 B.;
die ir im grund nicht wisset,
wie gott nach seinem wolgefall
sein hoch genaJ auszmisset
Ring WALT handbüchlin a iC»;
du hast verstanden kurtz und rund
der Griechen meinung in dem grund
Spreng mos (1610) 9i>>;
gott und sich im gründe kennen,
ist die höchste witz zu nennen
LOGAU Sinngedichte 243,79 E.;
sölich aber falsch, kein im gründe gelert frum leut thfin
würden Lorich wie junge fürsten mögen underwisen
werden 95; der teutschen spräche im gr. erfahrne Leib-
NITZ dtsche sehr. 1, 466.
ß) 'im kerne' bei qualitätsbezeichnungen : der bäum im
grundt und wurtzel müss entwicht sein, weil er so lose,
böse frücht bringt Jon. Nas antipap. eins und hundert
(1667 j?'.) 2, 184''; namentlich beim, menschlichen Charakter:
dieser spitzknecht, eyssenbeiszer oder lotterbuben ge-
brauch, art und sitten ist im gr. nichts wehrt Frons-
perger kriegsbiich 1, 111*; (einer ist durch und durch
schlecht), der ander ist im gr. fromb, gerecht Lehmann
fiorileg. polit. (1662) 1, 246; wer gegen sein gesind e gut ist,
ist meistens im gründe gut Lichtenberg verm. sehr.
(isiiff.) 4, 68 ; wo weisz ein sterblicher, wie böse er im
gründe ist, wie schlecht er handeln würde Lessing 2,359
M.; nur in dieser vericendung hat sich die formet bis in die
moderne spräche gehalteji, weil sie sich hier eng berührte
mit im gründe 'in wahrheit' (s. u. d): im gründe sind
es gute leute, man musz sie auf diese weise austoben
lassen Schnitzler gr. kakadu (1899) 132.
■y) 'in den anfangen, im kern' wird zu 'gänzlich, völlig';
gern bei verben negativer bedeutungsrichtung : durch sein
wunderbarlich ausdärrung nimpt es die gantz kranck-
heiten ... im grundt und Ursprung Paracelsus chirurg.
bücher (1618) 119"; dardurch mag dem schmertzen im
gr. abgeholfen werden Gäbelkover arzneib. (i595) l, 8;
besonders häufig bei Vernichtung von städten, wo die for-
met ihre grundbedeutung wieder hervorkehrt und in con-
currenz mit in den gr. tritt (s. o. II B 3 a) : sonder er
wolle die statt im gründe umbkehren buch d. liebe (1587)
218'*; an. 1376. ist Schwäbischen Haal im gr. auszbrunnen
Stumpf Schweizer chron. 105*;
bisz die glfibdbrüchig statt mit grauaz
gar wurd im grund getilget ausz
Spreng IliaB (1610) 35'>;
öfter in zusammenhängen wie:
ir hört wol, wie das gmein volck klagt:
und ich sag, es sey im grund war
Ayrer dramen 1, 138, 30;
es ist lauter tenscherey
und im grund erlogen
P. Gerhard bei Fischer-TOmpbl 3, 384*;
anderes gelegentlicher:
wen du im schendst syn gantz geschlecht,
in und all syn frtindt im grundt
Murner narrenbeschw. 47, iS ndr.;
sonder beruf die knecht zu stund
halt ihnen für die noth in grund
Spreng Iliag (1610) 27 1>;
ich sprach, mein round
will gott im grund
all ubelthat erzehlen
L. Vollbrächt bei Fischer-Tümpel 5, 181 *>.
cT) 'in Wahrheit, in Wirklichkeit' (entsprechend 4); heute
der herschende gebrauch; gegensatz ist der äuszere schein:
daz were wäre demütekeit sunder alle glose, und nüt
in den werten oder in dem schine, sunder in der wor-
heit und in dem gründe Tauler pred. 75, 31 Vetter;
doch war es (das klagen um Patroclue) nur ein schein darneben,
im grund bewainten sie vilmehr
ihr eigne not und trübsal schwer Spreng Aneis 273'>;
sie ging . . . ihrem söhne entgegen, scheinbar eine träge
kuh anzutreiben, im gründe aber, ihm einige rasche
. . . Worte zuzuraunen Droste-Hülshoff2, 271 Schücking;
auch ohne so ausdrückliche gegenüberstellung bleibt der
äuszere schein der gegensatz: dise reformation, die ob-
gleych Jesus an allen bletern oben an gemalt, ist sie
doch ym gr. . . . änderst nichtzit dann des teufeis ge-
sphenst Luther und Emser streitschr. l, 17 Enders; ist
doch im grundt kein fleisch, sondern mehr ein zusammen
gehackter lucker schwamm Wirsung arzneib. (1588)538'=;
die Jungfer, die hier liegt, war Jungfer nicht im gründe
LoGAU Sinngedichte 392 E. ;
daher m.it Vorliebe, wo es sich um gleichsetzung dem
scheine nach verschiedener dinge handelt: im grünt ists
ein ding, die näm werden nur . . . verändert Aventin
4, 104, 24 L.; ob gleich im gründe mit dem einen so viel
gesagt ist, als mit dem andern J. E. Schlegel w. a, 899;
die gelehrsamkeit war im gründe wenig von der des
früheren Zeitraums unterschieden M. I. Schmidt gesch.
d. Deutschen 3, 118; wie ähnlich im letzten gründe motiv
und bau dieser beiden dramen Schillers ist G. Freytag
w. 14, 13 ; plastischer (mit rückgreifen aufB 1 'grundform') :
wie die maierei Mengs und Dietrichs schon im rohesten
gründe auf dem rothbemahlten Schilde Hermanns glänzte
Herder 5, 142 S. wo ein gegensatz gegen den äuszeren
schein nicht mehr deutlich ist, bekräftigt im gr. doch das
nicht unmittelbar einleuchtende und augenfällige; daher
gleichbedeutend mit 'genau betrachtet, genau genommen':
und wem schmeichelts doch
im gründe nicht, sich gar so werth und theuer,
von wems auch sey, gehalten fühlen
Lessing 3, 164 (Nathan 5, 6) M. ;
im gründe schien Mariane zur lehrerinn so wichtiger
Wissenschaften nicht eben geschickt zu seyn Nicolai
Seb. Nothanker 1, 176 ; gesteigert: wir möchten . . . auf die
falschen, krankhaften und im tiefsten gründe heuchle-
rischen maximen derb und unerbittlich losgehen Göthe
IV 28, 109 W.; seit dem \S. jh. verbtaszt auch das: wir
wären doch im gründe recht übel angeführt, wenn
der geist ausbliebe I 22, 190; wir waren im gr. alle
froh, diese einöde zu verlassen Ulr. Bräker sämtl.
sehr. 1, 54; wie gar nichts er im gründe an mir habe
MÖRiKE 3, 55 Göschen, im gründe genommen erst seit
dem 19. Jh.: und daraus konnte ich mit recht schlieszen,
wie er im gründe genommen damit einverstanden sei,
dasz . . . E. Th. A. Hoffmann l, 249 Or.; bei ihrer im
gründe genommen ganz auf Wirtschaftlichkeit ... ge-
stellten natur Fontane I 5, I9. Campe erklärt wb. 2,
719
GRUND IV B 5
GRUND IV C 1
720
469 in gründe für die bessere form, wohl im gedanken an
von gründe; doch ist das nur vereinzelt überliefert: ain
vorschwester {im kloster), war aber in grund ein glatter,
junger gesell gewest zimmer. chron. 3, 436, 10.
b) aus dem gründe steht vielfach in parallele oder con-
currenz mit im gründe; das ursprüngliche 'vom funda-
ment ab' erscheint in älterer spräche noch: an der münster-
kilchen . . ., die abt Embrich nach der brunst von
nüwem usz dem grund anüeng buwen Äg.Tsghudi chron.
helvet. 1, 12; die mauern wurden aus dem äuszersten
gründe wohl aufgeführt Weise drei ärgsten erznarren
6 ndr.; in der regel aber übertragen 'von den anfangen
ab, gründlich'.
«) icie im gründe vorwiegend bei verben geistiger thätig-
keit im weitesten sinne; zuweilen noch mit sinnlicher an-
schauung: deren viel und mancherley hierinnen gantz
ernstlich . . . ausz dem rechten grund her geführet, be-
schrieben . . . werden theatr. diabol. (1589) vorr. 3 •> ; die
Wendung ist alt: he vragede ersten üt de grünt den kater
van den musen Reinke de vos gl. l, 12; aber bis ins
17. jh. nur spärlich belegt:
der wird üch brichten usz sim mund
des anfangs trom, end usz dem grund
Schweiz, schausp. des iß.jh. 3,ß3Bächtold;
und ausz dem grund bewisen sie,
dasz kein weiser solt freyen nie
Fisch ART anweisung z. Ismeniue 377, 9 H.;
die belege häufen sich erst mit dem 17., iS.jh.; aus dem
gründe löst das ältere im gründe ab, das im 18. jh. ganz
selten ist: es (das mädchen) weisz sein Christentum aus
dem gründe und in dem gründe Lenz ges. sehr. 1, 10
Tieck; z. th. dieselben verba wie bei im gründe :
das sol mein Ephraim gar bald
erfaliren und mich dergestalt
recht aus dem grund erkennen
P. Gerhard bei Fischer-Tümpel 3,381^;
es ist die weiszheit, die kein mann
recht aus dem gründe wissen kann
P. Gerhard ib. 426»;
viele, die von der kirchenhistorie aus dem gründe ge-
schrieben, haben dennoch den Altheimischen synodum
übergangen Hahn histor. (l72ljf.) 2, 21 not. a; auch von
den allerschwerestenhypothesibus künstlich und aus dem
gründe disputirn Rätel Curäi chron. 262 ; einen eigenen
curirer . . ., mit welchem ich zuvor von dieser Sachen
auszm gründe mündliche Unterredung halten . . . könte
acta publ. 2, 311 P. die der modernen spräche geläufigste
Verwendung neben verstehen erst im 18. jh. recht entfaltet :
du es einmahl recht aus dem grund verstündest Spee
güld. tugendb. vorr.** 3^; ja das hauswesen verstehet
mein weib aus dem gründe ollapatrida 140, 11 Wiener ndr. ;
jung auch bei untersuchen, studieren, lernen u.a.: des
Verfassers vorhaben, die natur der poetischen mahlerey
aus dem grund ... zu untersuchen Breitinger crit.
dichtkunst (i740) 1, 4; sein zweck war, die medicin auf
einer Universität aus dem gründe zu studieren Jung-
Stilling sehr, l, 254.
ß) bei einer reihe negativer verba, die ein beseitigen
ausdrücken {hier trifft sich die formet mit von gr. aus,
s. 0. A i G ß): so aber der prästen widerum kompt, so
soll mans mit . . . eynem scharfen schärlin fein subtil
ausz dem grund abschneiden Sebiz /eWöau (1579) 154; in
welcher (Stellung) man so lange fest zu stehen vermöchte,
bis die eingerissene Schwierigkeit ausm gründe wider-
umb gehoben würde v. Chemnitz schwed. krieg 2, 104;
die nachdrückliche art . . . , mit welcher er sie (die
zweifei) nicht blosz zu verkleistern, sondern aus dem
gründe zu heben sucht Lessing 7, 12, 21 M.; gelegentlich
auch mit der bedeutungsschattierung von 4 a J": eine solche
cur, dadurch die kranckheit nicht ausz dem grund ge-
hoben, sonder nur zum schein geheilet wird Blancard
med. wb. 430; je länger je mehr zur bloszen quantitäts-
bezeichnung verblassend: und die mehrsten ... haben sich
ohnehin dabei das othemholen aus dem gründe abge-
wöhnt FoüQUE altsächs. bildersaal 2, 194; namentlich zwei
gruppen von verben: verderben, vertilgen:
nun ist es zeit, jetzt ist die stund,
sie {die lutherischen) zu vertilgen aus dem grund
Opel-Cohn dreiszigjähr. krieg 105;
wir haben es an nichts fehlen lassen . . ., das drama
aus dem gründe zu verderben Lessing lO, 30 M.; später
meist beschränkt auf menschen : nachdem sie (Lydia) aus
dem gründe verdorben war Göthe 23, .52 W.; heilen:
der saft ... heylet den aussatz ... ausz dem grund Sebiz
f eidbau (l579) 2i6; im älteren nhd. sehr häufig; eine arznei
. . ., die aus dem gründe curiert Göthe 23, 303 W.; bei
Göthe auch in anderen Verbindungen positiven Charakters:
doch kann ich völlig zufrieden seyn, meine entzwecke
aus dem gründe erreicht zu haben IV 8, 332 ; wie glück-
lich fühlt man sich, wenn man einmal mit gr. etwas
aus dem gründe loben kann IV 20, 297 W.
C. grund ist das, woraus die existenz eines dinges folgt
(daher sagt man grund und folge, aber Ursache und Wir-
kung), die logik fordert: ein jeder satz musz einen gr.
haben und ein jedes ding musz einen gr. haben Kant
3, 327 H. und spricht demgemäsz von dem satze vom
gründe, welcher allem erkennen zu gründe liegt Dilthey
einl. in d. geisteswissenschaften 1, 55. Schopenhauer
hat in der abhandhing über die vierfache wurzel des
Satzes vom zureichenden gründe (tv. l, 11 Qr.) statt der
üblichen zweitheilung in erkenntnis- und realgrund (s. o.
Kant) vier erscheinungsarten des Satzes aufgestellt; an
seine einiheilung lehnt sich die folgende darstellung an,
unter verzieht auf die nur für die apriorischen formen
der anschauung gültige ratio essendi. die neue bedeutung
hat sieh entwickelt aus gr. 'fundament', aber nicht ein-
heitlich; vielmehr konnten verschiedene aus 'fundament'
abgeleitete bedeutungsrichtungen in die ledeutungen causa,
ratio ausmünden, im späten mhd. erst ansätze dieser
entivicklung, die namentlich in der spräche der mystik
nachzuweisen sind (vgl. die oben I E 6 citierte Untersuchung
von Herm. KuNiSGH s.Ziff.); erst seit dem le. jh. die
abklärung zu völliger abstraction, erst seit dem 18. jh.
die weite ausbreitung, die die begriffe in der modernen
Sprache zeigen; von den dialekten nicht gleichmäszig auf-
genommen: im elsäss. z. b. ist gr. 'Ursache' selten Martin-
LlENHART 1, 278.
l) grund des seins und Werdens (realgrund; vgl. ratio
fisndi). die causalität bedingt den Zusammenhang zwischen
realem gr. und realer folge: dasz eine so grosze frucht-
barkeit (an folgen) in dem wesen eines so einfachen
grundes (loie das dasein einer atmosphäre) liege Kant 6,
55 H.; verloren ist nichts . . . nur das äuge vermag
nicht des grundes unendliche folgenkette zu übersehen
Bettine Oilnderode l, 7. am frühesten für das letzte
glied der causalität, gott, als den gr. alles vorhandenen:
du bist der elementen grünt
H. V. Neustadt gott. zuk. 7424 Singer;
da man verwunt des himels grünt {Christus)
spöttleichen schaut Osw. v. Wolkenstein 120, 55 Seh. ;
bis ins iS. jh. sehr gebräuchlich:
0 gott! du bist allein des alles grund
Haller ged. 153 Hirzel;
von hier aus ist gr. zum, philosophischen terminus für
das letzte princip geworden : befehlt ihm . . . nicht etwa
nur das urwesen, den gr. alles daseyns, aller kräfte
und Ordnung, . . . sondern seinen eignen verstand zu
schaffen Herder 22, 5 S.; dasz ein luftkreis existirt,
kann gott als einem moralischen gründe beigemessen
werden Kant 6, 65 H.; die weit wird ihrem gründe ent-
gegengesetzt, der gr. ist die eigenschaft der weit und
die weit die eigenschaft des grundes. gott heiszt gr.
und weit zusammen Novalis 3, 273 Minor; vgl. du sollst
mir den gr. der dinge, die geheimen springfedern der
erscheinungen der physischen und moralischen weit er-
öffnen Klinger w. 3, 54; man wird in ein düsteres grü-
beln hineingelockt über vorsieht, Schicksal und letzten
gr. aller dinge Stifter iv. 3, 7; die letzten gründe der
dinge Hebbel li, 6 W. ; vgl. eine spekulative Untersuchung
über die letzten gründe des rechts Jhering geist d. röm.
rechts 2, 1, 58. erheblich jünger ist die allgemeinere form
des gebrauchs: der gr. der harmonie entdeckte sich im
721
GRUND IV C 2. 3
GRUND IV C 4. 5
722
bau der körper selbst, in den jeden erklongenen ton
begleitenden mittönen Herder 22, 66 S.; sieht man . . .
die ausübung der meisten tagenden nicht nur als pflichten,
sondern auch als den gr. unseres Wohlergehens an S. v.
Laroche /rl. v. Sternheim 1, 42; jene einfachheit der
substans wird nicht vorausgesetzt, als sey sie der wirk-
liche gr. der Seeleneigenschaften Kant 2, 518 H.; über-
haupt nimmt der Verfasser auch die furcht und den
bürgerlichen contract als den ersten gr. der Staaten an
K. L. V. Haller restaur. d. staatswiss. l, 63; das dogma
... ist herausgerissen aus seinem zusammenhange mit
der tatsächlichen weit, in der es den gr. ... seiner
existenz . . . fand Jhering geist d. röm. rechts l, 48;
dieser mann war von einer sehr zornigen natur; statt
aber den gr. davon in sich zu suchen Aurbacuer volks-
büchl. 76.
2) grund des handelns (motivation; vgl. ratio agendi);
hier handelt es sich um eine durch den geist des men-
schen hindurchgehende causalität; also ein specialfall des
vorigen, als 'beweggrund' am frühesten nach aus; darin
zeigt sich der Ursprung der abstracten bedeutung, die Vor-
stellung 'von einer grundlage, einem ausgangspunkte aus'
(». u. 5 c ^) ; ohne die präp. aus erst seit dem 18. jh. voll
entfaltet: aber wenn man ... einen namen verschweigt,
80 musz ein gr. vorhanden seyn J. J. Schwabe belust.
1, 167;
wann du der thaten grund uns würdigest za lehren,
dann werden alle dich, o vater, recht verehren
Haller ged. 142 Hirzel;
ich hasse dich, Sabin; doch weis ich nicht weswegen:
genug, ich hasse dich, am grund ist nichts gelegen
Lessing l, 12 Jf.;
enthülle den gr. deiner Verfolgung, den neid Herder 27,
325 S.; vorher selten ganz abstract: dir {Fortuna) ist
gnugsam kund der gr. meiner . . . bemühungen und rath-
schläge; den zweck meiner welterstreckenden hoffnung
weist du gar wol Schottel friedenssieg 175, 21 ndr.;
ältere anwendung beruht gewöhnlich noch auf der sinn-
lichen Vorstellung (gr. =^ grundlage): geitigkait ist ain
gr. der weibischen sünden Albr. v. Eye spieg. d. sitten
(1511) Bö»; der wacher ist ain starcker gr. des uner
settlichen geitzes der pfaffen Jac. Strausz haupst. wider
den Wucher (l523) 2*.
s) grund des wahren {logischer gr. ; vgl. ratio cogno-
scendi). gr. regelt, beschränkt auf die Masse der abstracten
Vorstellungen, den Zusammenhang des denkens; die ent-
Wicklung dieser bedeutung vollzieht sich wesentlich im
i6. Jh.: ich befind drey starcke gr., ausz wilchenn mich
angreyfet das . . . buchle des romanisten von Leyptzick.
der erst und aller sterckist, das er mich schiltit eynen
ketzer . . . der ander gr. ... ist naturlich vornunft . . .
der dritte gr. ist ausz der schrift genommen Luther
6, 290; 302 W. gemeint ist also 'argumente, mit welchen',
aber die Vorstellung von gr. als 'grundlage, ausgangs-
punkt' ist noch so deutlich, dasz sie die präpos. aus
rechtfertigt; ich frag nach dem gr. yhrer meynung ausz
der heyligen schrift, so faren die lieben larven eynher.
und an statt des grunds zeygen sie an, was sie hallten
9, 717; vgl. zur bedeutung sentwicklung ferner gr. des
glaubens, gr. der schrift, oben A 2 c. zunächst 'erkenntnis-
grund', der die Voraussetzung jedes urthe.ils bildet: auch
die schwermer yn so viel falschen lügen und grund-
losen gründen drüber ergriffen sind Luther 26, 147 W.;
'du hast Unsterblichkeit im sinn;
kannst du uns deine gründe nennen?'
GÖTHE 3, 278 TT.;
männer richten nach gründen, des weibes urtheil ist seine
liebe Schiller 11, 187 G.
der erkenntnisgrund wird zum 'beweisgrund' . wo es sich
um, die logische entwicklung eines urtheils, namentlich
andern gegenüber, handelt: argumenti ragioni grundt ein
ding damit zu bewehren und wahr zumachen Hulsius
(1618) 2*; argumentum gr., zeygung Orsäus nomencl.
method. (1623) 12; wenn wir der Wahrheit ehnlichen grün-
den weichen . . ., das ist Überredung Comenius janua
(1638) cap. 358; ich habe wider die gründe, die man zu
IV. 1. 6.
dem ende anführet, nichts einzuwenden Liscow satyr.
u. ernsth. sehr. (1739) vorr. 51; wird es ihm niemals an
gründen und autoritäten fehlen sie {die meinung) geltend
zu machen Ramler einl. in d. schön, wiss. 2, 76; welches
ein verdriesziicheres geschäft sey: die lichter putzen oder
weiber durch gründe zu belehren Börne sehr. (I829j7".)
6, 6; wenn gründe so gemein wären wie brombeeren
Shakespeare 1,261; danach: bei dir wachsen wirklich...
die gründe gemein wie die brombeeren Immermann 2,
116 -B.,- gegensatz ist 'gewaW : hier {im kämpf der sprachen)
wird nicht mit gewalt gestritten sondern mit gründen
A. W. Schlegel im Athenäum i, 6; wo men keini gründ
hed, brucht men d' füst Staub Tobler 2,774; oder'thaten':
dir beweisen gründe nichts, man musz mit thaten kom-
men Ebn ER-Eschen BACH ges. sehr. 4, 23; mit gründe
chann me nid stock spalten 'man soll nicht räsonnieren,
sondern hand anlegen' Staub-Tobler 2, 774; oder 'wort-
geplänkeV:
auf beyden selten sind die waffen mancherley :
bald gründe, bald nur witz und leichte spötterey
Uz 267 Sauer;
verstärkt: verknüpft die beweiszthumbs gründe und folge-
rungen scharfsinnig in schluszformen COMENius./anua
(1638) cap. 750; der gr. des beweises beweisgrund Kant
8, 60 H.
4) die bedeutungen l und 8 können dadurch variiert
werden, dasz gr. und folge nicht rein objectiv, sondern
als ein berechtigendes und berechtigtes in beziehung gesetzt
werden; meist in festen formein wie gr. haben, finden,
es ist gr., gr. liegt vor u. ä.; erst seit dem 18. jh. häufig:
ich wil nichts damit sagen, als dasz ich noch zu wenig
gr. habe, die allgemeinheit meines urtheils . . . um ihret
willen einzuschränken Lessino 2, b^M.; das volk , . .
fand nunmehr an seiner sieghaften klugheit . . . neue
gründe, ihn zu verehren Haller Z7«on/7 (i77i) 16; er mag
gründe haben, es kann eigensinn sein Klinger w. l,
205; auch wenn sie ihn nicht kennten, so ist aller gr.
zu glauben Stifter w. i, 129; welchem gründe zufolge
hr. H. imer statt des konsonanten j den vocal i schreibt
A. W. Schlegel ll, 5; mit Vorliebe negativ: darab were
zu mercken, dasz sein fürnemen ausz mfitwillen und
boszheyt geschehe, und keynen grung auf im trüg Car-
bach Livius (l65i) 47 r; wer wird . . . solchen grillen
nachhängen, die doch eigentlich gar keinen gr. haben
E. Th. A. Hoffmann 12, 17 Gr.; zur entschuldigung war
kein gr. A. v. Arnim 9, S9 Örtmm; dasz mit den armen
und elenden leulen irgend etwas nicht richtig sein . . .
müsse und jedenfalls kein gr. vorliege, sie zu bemit-
leiden R. Huch triumphgasse (1902) 6.
5) grund ist in seiner zusammenrückung mit gewissen
Verben, adjectiven und sinnverwandten Substantiven, sowie
in seinen vielfältigen gebrauchsformen nicht immer an
eine der angeführten Specialbedeutungen gebunden; deshalb
müssen diese fälle, die gutentheils auch für das Verständnis
der bedeutung sentrcicklung wichtig sind, gesondert behan-
delt werden.
a) gr. haben m,it sächlichem subject; auch im älteren
nhd. schon verbreitet; aber der ausgangspunkt 'grundlage'
ist oft noch deutlich spürbar gegenüber dem abstracten
modernen gebrauch; vgl. dasz diese antwort keinen fusz
noch gr. habe J. Radius gründl. ableinung (1592) 38;
bedeutung 'richtig sein, wahr sein' {vgl. B 4), dann auch
'berechtigt sein' {s. o. 4):
du fürstin sprach: 'das haut nit grünt
ich vörcht, die urteil sy verlorn'
H. V. Sachsenheim mörin 1920;
das aber etliche bucher von dem Habacuc melden, er
habe . . ., hat widder gr. noch schein {ist weder wahr
noch wahrscheinlich) Luther 19, 354 W.,
mein Juncker, komt zu diser zeit
der abt, hat die kundschaft ein grund?
H. Sachs 21, 5 JST.-ff.;
zu Qninsay hat es bimen, die wägen auf zehn pfund;
es wird davon geschrieben, hats aber auch wol grund?
Logau sinnged. 655 E. ;
46
723
GRUND IV C 5
GRUND IV C 6
724
ew. excellenz sage gehorsamsten dank für die mitthei-
lung gr. habender neuigkeiten Göthe IV 19, 176 W.;
manche hängen gerne die silbe en an Wörter, die auf
lieh endigen, an: ... welches aber gar keinen gr. hat
GuEiNTZ d. rechtschr. (1666) 24; wenn eine Vermutung
... gr. hat und harz dem pech gleichsteht Jac. Grimm
kl. sehr. 3, 136; wat wie schwatzet, hiät gründe, drümme
kannt de ganze weit wietten Bauer- Collitz 189»;
ähnlich: es hat einigen gr. est aliquid; es hat keinen
gr., was er sagt nihil est quod dicit Stein bach 1, 649.
gr. vor sich haben 'recht, die Wahrheit auf seiner seite
haben' Krünitz 20, 255; alle neuern Versicherungen des
goldreichthums von . . . Habesch haben keinen in den
quellen bestätigten gr. für sich Ritter erdk. i, 249. dazu
die adjectiva gut und schlecht: das warhaftig die bebst-
lich gesetz . . . kein guten gr. haben H. v. Gronberg
sehr. 5ndr.; ob diese muthmaszung aber einen guten
gr. habe, . . . wird . . . gezweifelt Prätorius Blockes-
berges Verrichtung (1668) 92;
dein red, o liebe hätz,
hat schlechten grund, ist nur geschwätz
W. Spangenberg ganskönig 1, 252 M.
seinen guten gr. haben erst mit dem 19. jh. häufiger:
das hatte aber auch seinen guten grund 0. Ludwig
ges. sehr. 2, 81; öfter plural: dasz ich ... keine langen
briefe von dir erhalten will, das hat seine guten gründe
Ebner-Eschenbach ges. sehr. 4, 128; seltener persönlich:
nun sie muszten wohl ihre guten gründe gehabt haben
Gaudy s. w. 2, 83. gr. haben in; ursprünglich 'grund-
lage' : ich brief schribender art (die zö gutem teil ... in
der rhetoric reglen grundt hat) zepflegen mich üb Bie-
derer rhetoric (l493) a 3»; frühzeitig spielt 'beueisgrund'
hinein: aber das Juden fasten . . . hat kein gr. in der
geschryft Es. v. Günzburg l, 22 ndr.; wen man aber
fragt, wo sie des ynn der schrift gr. haben, blaszen sie
sich auf Luther 7, 899 W.; mit reflex. erst seit dem
18. Jh., den thatsächlichen gr. bezeichnend: im vierten buch
ist die heutige Staatsverfassung von Engelland mit we-
nigen änderungen beschrieben, die doch auch ihren gr.
in der geschichte haben Haller Alfred (1773) vorr. 4.
b) adjectiva neben gr. ; stark, schwach u. ä. sind die
ältesten; in ihnen wirkt der reale ausgangspunkt, die be-
deutung 'fundament' nach; sie ist noch spät bewuszt:
Maffei meynung triumphirt
und steht auf scheinbar festen gründen
Triller poet. betracht. 1, 376;
wie woll diss nicht mein sterckister gr. ist, wie Heyntz
{Heinr. VIII. v. Engl.) lügener leugt Luther 10,2, 258 TF.;
das seye bei ihm ein stärkerer gr. Mozart bei 0. Jahn
3, 18; wann man wüszte, wie ein blöden gr. haben der
Orden regel Eb.v. Günzburg 1,33 ndr.; mit unmächtigen
. . . gründen Neumark t. pälmbaum (i668) 53;
ha, ihr entschuldigt!
mit schwachen gründen, oder mit thörichten
Klopstock öden 2, 16 M.-P. ;
aus derselben grundvorstellung heraus: er . . . verstärkte
meine gründe durch den Zusammenhang, den er ihnen
gab Göthe 23, 58 W.; aus verstärkten gründen bitt ich
dich darum Caroline i, 24 W.; im 19. jh. gehen diese
adj. zurück, tief, seicht erklärt sich durch secundärea
hereinspielen der bedeutung 'boden eines gewässers' ; erst
seit dem 18. jh.: mit scharfem schlusz und tiefgesuchten
gründen Drollinger gedichte (1743) 50; doch musz es
, . . einen tieferen gr. gehabt haben Arndt s. w. 1,65 R.;
seichte gründe für eine sache anführen Campe 2,469;
vgl. wie tief der gr. auch liegen mag Mörike werke 3, 65
Oöschen. wo sonst adjectiva eine sinnlich-bildliche auf-
fassung von gr. andeuten, hat sie mit den ursprüng-
lichen bedeutungen des wortes nichts zu thun : mit wich-
tigen gründen euch zum kriege zu bereden Lohenstein
Arminius (1689/.) i, 19»;
man glaubet, was man wünscht, das herz legt ein gewicht
den leichtem gründen bei Haller ged. biüirzel;
mit überwiegenden gründen Göthe II 6, 37 W.; daher
auch: ich wäge keine gründe Lichtenberg aphorism.
2, 6 L.; so will ich kommen, und ihren gründen das
gewicht geben Fr. L. Schröder dram. w. (l83i) i, 28;
aus sehr naheliegenden gründen Moltke sehr. 7, 25;
wie sinnreich bist du doch, in weitgesuchten gründen
den vorwand einer that, nach der du strebst, zu finden
Gottsched d. Schaubühne 4, 32.
die weitaus meisten adjectiva fassen gr. rein abstract;
ein theil von ihnen beurtheilt die gründe von innen heraus
nach wesen und Wirkung {meist logischer gr.) ; alt ist satt
(namentlich im 16., 17. jh. häufig): dasz forthin one satten
gr. . . . nit mehr so leichtlich glauben geben weiten
Amadis l, 62 Keller; auch falsch: das man aus solchem
nichtigen, falschen gründe sol leucken die helle wort
Christi Luther 26, 281 W.; die buntheit der modernen
Sprache wesentlich erst seit dem, 18. jh.: ein glaubhafter
grund Lohenstein Arminius (1689/.) l, 123*"; sehr trif-
tige gründe Arghenholz England u. Italien 1, l; über-
zeugende gründe discourse d. mahlern 2, 67; ohne den
gültigsten gr. E.M.Arndt .s. w. 1,13 R.; sie hören dispu-
tieren mit gleich scheinbaren gründen Görres ges. br.
8, 163; der zureichende gr. ihn bös zu machen v. Loen
ges. kl. sehr, i, 31; dagegen giebt es auch keinen nöthi-
genden gr. . . . zu verwerfen W. v. Humboldt 4, 5 ak.
ausg.; später zwingender gr. ; gut ziemlich beschränkt auf
gr. haben (». o. 5 a) und gewisse präpositionale tcendungen
{s. u. c); ähnlich schlecht; fondamenti aerei eitle und
nichtige gründe Castelli ital.-teutsch (1741) l, 19*; mit
ungereimten gründen Neukirch ged. (i744) 173; mit hand-
greiflichen gründen v. Einem Mosheims kirchengesch. 2
(1770), 203; unerschöpflich sind die adjectiva, die die gründe
nach äuszern gesichtspunkten sondern, nach der Zugehörig-
keit zu geicissen gebieten, z. b. dasz sie {die gelehrten)
historische gründe dazu haben könnten Lessing 9, 44 M.;
das meist unmoralische leben der künstler hat doch
auch einen philosophischen gr. Schubart leben l, 156;
politische gründe Scherer liter.-gesch. 32; oder nach
ihrem Zusammenhang mit geistigen qualitäten, m,omenien
des sittlichen, des affects u. ä., z. b. noch ein edlerer gr.
als das blosze bedürfnisz Savigny beruf uns. zeit 1;
ich hatte dir geschrieben aus ernsten gründen Bettine
frühlingskranz 309. einfach nach aus scheint ganz jungen
Ursprungs: zu einer auseinandersetzung . . . konnte . . .
aus dem einfachen gründe kein anlasz gegeben sein,
weil . . . Bennigsen nationallib. partei (l892) 20; ohne
diese besondere färbung ist es älter: ein langes geschwätz
. . . das auf meine einfachen gründe paszte wie die faust
aufs äuge L. Schücking in Droste-HOlshoff br. 184;
vgl. den beleg aus Kant oben l. inner, äuszer erst seit
dem 19. jh. häufig: aber da, wo das urtheil aus Innern
gründen hervorgehen soll Göthe 46, 80 W. {Winckelm.) ;
die entwicklung . . . der wesentlichen eigenschaften und
inneren gründe, aus welchen ihr {der poesie) Charakter
und ihr ton entsprang Fr. Schlegel w.'^ 4, 8; in neuester
spräche sehr häufig als präpositionale formet: und dies
thun wir jetzt bei jeder arbeit, während man es früher
aus äuszeren gründen nicht überall that W. H. Riehl
deutsche arbeit 20.
c) gr. nach präpositionen.
«) früh erscheint aus gr. mit gen., bis ins 16. jh. nicht
selten; ursprünglich 'von einem ding als grundlage aus-
gehend': zum ersten wil der redner die sach usz gr.
geschribner rechten anwengen Rieder spiegel d. rhetorik
(1493) a 7''; usz gr. diser worten Christi und Pauli wil
ich mich hie entschuldiget han ZwiNGLi/rei/teii d. speisen
31 ndr.; eines handeis mit geschwetz, und nicht aus gr.
der Sachen obliegen Friedr. Wilhelm sprichw. reg. (1577)
n «, nr. 579; die formet nähert sich früh präpositionalem
gebrauch im sinne von 'wegen' {vgl. die lat. präposition
causa) : uszcr disem gründe diser begerunge {l. berürunge.O
so wurt er erlichen gesunt Tauler pred. 38, 14 Vetter;
anscheinend auch mit Unterdrückung des aus: und bitt
euwer liebe . . ., mir grünt dieser euwer liebe krancheit
... zu verstheen wollen lassen privathr. d. mittelalt. i,
222 Steinhausen; noch im heutigen schtveiz. (us) gr. dessen
'deshalb, in dieser absieht' Staub-Tobler 2, 774; Gampes
aus dem gründe der erbschaft, der schulden wb. 2, 469
klingt papieren, läszt sich jedenfalls Literarisch nicht be-
725
GRUND IV C 5
GRUND IV G 5
726
legen; doch vgl. junge Wendungen tvie aus gründen der
billigkeit u. ä. {s. u. d (f ), wo aus gr. wiederum halb prä-
positionäl gebraucht ist.
ß) daneben erscheint schon im 16. jh. häufig ein ab-
atracter zu verstehendes aus dem gründe, sowohl real-
grund wie beweggrund bezeichnend (aus bewegenden grün-
den Campe 2, 469): so mögen wir kein inrede haben
das wir tausent mal mere verschult der . . . strafe dan
Lucifer . . . , und usz dem gr. : wir haben erstlich . . .
H. V. Gronberg sehr. 27 ndr.; das du sehest, ausz was
grundt die fürtreillichsten alten christlichen lerer . . .
so ernstlich gerufet Ambagh vom zusatifen (i544) a 2"*
(aus was gr. noch im modernen schwäb. Fischer 3, 872);
anfangs lehnt ich den antrag aus dem gr. ab, weil . . .
ÜLR. Bräker 1,226; treten adjectiva hinzu, so weisen
frühe belege noch einen weniger abstracten Charakter auf:
dasz man aus gewissen gründen beweisen kan, der
himmel sey rund theatr. diabol. (1569) 103"; ich reiche dir
keinen anlass reich zu werden ausz losen gründen Prä-
TORius glückstopf {\&&9) vorr. i; habe ich auch der Scy-
then . . . apophthegmata hinten bey diesem werck an-
gehenckt ausz gnugsamen Ursachen und gründen Zink-
GREF apophthegm. (1628) 65;
man besorgt aus gutem grund
einen aufruhr
Pfeffel poet. versuche (1812^.) 2, 186;
. . . hat diesem gestirn aus nicht Übeln gründen den
nahmen Uranus gegeben Lichtenberg br. 2, 65 L.; kann
man aus bessern gründen eine rathsversammlung halten
Tieck sehr. 1, 73; aus dem einfachen gr., aus inneren,
äuszeren gründen s. o. b achlusz; aus gründen auch präg-
nant für aus gutem gr. :
der kenner stritt mit ihm aus gründen
Gellert s. sehr. 1, 135;
weil ihn seine mitbürger aus gründen nicht mochten
Gutzkow zauberer v. Rom i, 24«; vgl. unten y schlusz.
y) mit gr., in älterer spräche manchmal noch kräftiger
als heute: 'mit beioeiskraft, Überzeugung' {logischer grund);
vgl. argumentis refellere mit gutem gründe verlegen
Bas. Faber thes. (i587) 78*>; deshalb vornehmlich neben
verbis dicendi und sentiendi; gewöhnlich 'mit recht' (s.
oben 4):
inmaszen disz gantz klar und rund
bewiesen wird hierinn mit grund
FisciiART die gelehrten die verkehrten 43 Kurz;
daher man denn auch keinen man
mit grundt glückselig nennen kan
RiNGWALT Christi. Warnung k3*;
dieweil einiger undeutlichkeit ich mit gründe nicht be-
schuldigt werden mag Rabener w. i, 185; und wäre es
nicht wahr, (möchte ich) mit gründe widersprechen
können Göthe IV 4, 331 W.; denn wie kann einer mit
gründe glauben, dasz die Offenbarung von gott komme,
wenn er nicht vorher . . . Reimarus wahrh. d. natürl.
relig., vorber. 3; durfte man nicht mit gr. hoffen, dasz...
Ranke s. w. i, 246; ein jedwedes alter hat ... etwas in
dem geschmacke verändert, entweder mit gr. oder auch
ohne gr. Dusch verm. w. (l75i) vorr. 1, 7"^; sehr häufig
erweitert mit gut: sage demnach mit gutem gründe,
dasz . . . BuGHOLTZ Herkuliskus (1665) 6; da dieselben
anderswo mit besserm gründe bemerken, dasz... Dusch
krit. u. satyr. sehr. (1758) a 4; mit gutem gründe kann
man an der Wahrheit dieses gerüchtes zweifeln Ranke
s. w. 80, 10; ungewöhnlich: da nun die meisten Verfechter
. . . aus einem so unsichern ort stritten, den andre . . .
mit so vielem gründe bekämpften Herder 5, 21 S.; bis
es {das bild) einst mit gutem fug und gründe . . . wieder
aufgenommen werden könne Fichte 2, 453; vgl.
{die Welschen) so uns biszhero sich beflissen aufzuropfen-
mit falschem grundt und fug
ZiNKGKEF apophthegm. (1628) **• 4»;
gelegentlich auch prägnant {vgl. ß achlusz): er wider-
spricht mit gründen G. Stephanie lustsp. 48, 29.
J") ohne gr. gegenstück zu mit gr. ; in älterer spräche
'ohne grundlage, beuieisgrund': es wirdt vom glauben zu
disputiern bey ihn {den Türken) nit gestat, sonder müsz
alles on grundt geglaubt sein Seb. Franck chron. d.
Türkey (löSO) H 4 '' ; aber gewöhnlich und früh 'unberech-
tigtenceiae' {s. o. y): wiewol ... sonder gr. ... also davon
geredt würt Eppendorf Flinius (1543) 11, 230;
ausz dem ervolgt das widerspil
das man on grund yetz vil betracht
Forster /r. teutsche liedlein 17 ndr.;
das wunderbare, welches einige kunstrichter ohne gr. für
ein erfordernisz der fabel angenommen haben Eschen-
burg entwurf {l78S) 57; seltener im sinne der mx>tivati(m:
meynst du, man hab uns ohne grund
heute die doppelte löhnung gegeben?
Schiller 12, 16 {Wallst.s lager 2) ö. ;
neben Substantiven: titul ohne gr. Rachel satyr. ged.
80 ndr.; es wäre eine Voraussetzung ohne gr., dasz...
Kretschmann w. 1, 14. — nicht ohne gr. 'nicht mit
unrecht' ebenso gebraucht wie mit gr. : nicht ohne gr.
glaubte sie sich die Ursache seiner trauer A. v. Arnim
w. 1, 146 Qrimm;
man sagt, nicht sonder gutten grundt,
das gottes mühten langsam . . . mahlen
BuTSCHKY Fathmos (1677) 75;
häufig als prädicatsbegriff: was von Vorzug des boni
privativi gesagt wird, ist nicht ohne gr, Leibnitz dtache
sehr. 2, 46; und so wenig freundlich ihre betrachtungen
waren, so waren sie doch nicht ganz ohne gr. Fon-
tane I 5, 4.
d) arten der abhängigkeit nach grand.
n) abhäng, gen., von, zu, für, gegen, der gen. und das
ihn vertretende von drückt rein objectiv causalen Zusam-
menhang aua {vgl. oben l):
seht, heiszt es, meiner zähren grund,
seht, dieses grabes dunkle schwelle . . .
Gottsched gedickte (1751) 124;
das was du . . . als den gr. meiner krankheit erkanntest
Göthe IV 38, 279 W.;
sieh hier den ganzen grund von meinen zeilen an
H. v. HoFF.MANNSWALDAU u. ü. gcdichtc 7, 227 Neukirch;
wir haben leider noch zu viele gründe
von deiner {des teufeis) existenz
Blumauer ged. 220;
zu steht, wenn der antheil des subjects betont wird {vgl.
oben 2), zumal wenn gr. gleichzeitig den nebensinn des
berechtigenden hat {vgl. oben 4); in der regel bei hand-
lungen und affecten : Lucians . . . Timon hatte gründe
zum menschenhasz Zimmermann einsamkeit l, 100; ja,
wenn man immer den gr. zu allen schönen handlungen
wüszte Kotzebu E dram. spiele 2, 344; der gr. zu dieser
mummerei Deinhardstein ges. dram. w. 6, 158; dazu
{zu maszregeln gegen das herrenhaus) sehe die regierung
keinen verfassungsmäszigen gr. Bismarck polit. reden
2, 26 Kohl; daher kann in analogen fällen der gen. mit
zu wechseln, je nachdem, das thatsächliche oder das be-
wegende des grundes mehr hervorgehoben wird:
{der gärtner) findet graus und wüsteney,
den grund gerechten schmertzens
Lichtwer äsop. fabeln (1748) 43;
hier wird der trostberaubten brüst
diesz, was sie sonst am kräftigsten erfreut
ein grund zu gröszrer traurigkeit
Pietsch gebundene sehr. 257 Bock.
für ist nicht an eine der Specialbedeutungen gebunden:
der geist sol sich selbs also verkleren, was er für gr.
für seine lügen habe Luther 26, 436 W.; für die Zurecht-
weisungen des Schicksals einen gr. in meinen fehlem
zu suchen G. Keller ges. w. 2, 22; ich kann für diese
seltsame erscheinung keinen andern gr. finden, als . . .
Moltke sehr. 7, 17. anders für, gegen pro, contra; hier
liegt stets eine entscheidung des urtheils vor, also zu 3
zu stellen: meine gründe gegen den deutschen Ossian
Herder 5, 160 S.; {richter:) das dokument ist nicht
übel . . . doch die gegenpartey hat längst eins von glei-
chem gewicht eingegeben. {Faust:) so müssen wir die
gründe für uns schwerer machen Klinger w. 3, 95; das
ist ein neuer gr. wider den Selbstmord J. J. Engel sehr.
1, 33; elliptisch: für mich . , . ist es . . . schwierig, die
gründe für und gegen richtig gegeneinander abzuwägen
Moltke sehr. 7, 28.
46*
727
GRUND IV C 6
GRUND V A 1. 2
728
ß) zu mit infin. entspricht zu mit auhst.; ebenfalls
zu 2 und i zu stellen; erat mit dem 18. jh. häufig; meist
neben haben:
der sommer hat nicht grund zu prahlen
Günther gedickte (1735) 214;
seit Egrösund
euch abgefallen, hatt er grund auf grund
mir abzurathen Müllner dram. w. (1828) 3, 177;
gern auch neben sein: einigen von ihnen mag es wohl
gr. genug uns zu tadeln seyn B. Mayr päckchen satiren
(1769) 4; grundes genug, ihm zu folgen v. Einem Mos-
heims kirchengesch. 8 (l77l), 11; seltener anders:
ersinn ihm gründe zu zögern Bürger w. 244 B.
y) als regens von nebensätzen hat gr. schioankende be-
deutung; meist folgt warum:
so thu uns doch die gründe kund,
warum die wünsche fehl geschlagen
Gottsched gedickte (1751) 54;
diese bestimmung für das volk ist der eine von den
gründen, warum ich statt einer neuen aufläge . . . ein
neues buch gebe D.Fr.Strausz ges. sehr. 8, xxi ; gründe,
warum man diese bilder dem dreizehnten Jahrhundert
zuschreiben darf Göthe 49, 15 W.; vor dem 18. jh. selten:
dann ich hab darauf gedrungen, das sie solten gr. zei-
gen, warumb diese wort falsch weren Luther 26, 317 T^.;
seltenere Varianten weshalb, wonach:
der grund, weshalb ich kommen her
Mittler dtscke volksbl. 218;
indem er die gründe ausführte, weshalb die Augsburger
einrichtungen rückgängig geworden Ranke s. w. l, 109;
noch einen politischen grund will ich anführen, wonach
Bürger wohlgethan hat Bürger w. l, 178 Bohtz.
6) gr. m,it abhängigem classifizierenden gen. (vgl. die
adjectiva unter 6 b):
dies urtheil zwar, daucht ihn, bestund
nach augenschein, nicht rechtens grund
GiLHUSius gramm. (1579) 91;
aus dem gründe rechtens, d. h. aus einem rechtsgrunde
Campe 2, 469 ; häufiger unrd der gebrauch erst seit dem
18. Jh.; namentlich: aus gründen der Vernunft Lessing
7, 9 M. (seit dem rationalismus im schwänge); wenn sie
(die religion) . . . mit den gründen der Offenbarung und
der Vernunft, die befehle der regierung unterstützt Th.
Abbt verm. w. 2, 10; mit gründen der Vernunft und re-
ligion Mörike w. 3, 55 Göschen; auch als hendiadgoin:
so oft wir frauenzimmer unsere aufführung mit Vernunft
und gründen vertheidigen Lessing 2, 37 M. vgl. ver-
nunftsgrund; die mächte des luftkreises schienen . . .
auf gründe der billigkeit zu hören H. v. Barth Kalk-
alpen 68.
e) gr. in typischer Verbindung mit Substantiven,
«) gr. und Ursache ist namentlich im IG. jh. sehr häufig ;
die Philosophie sondert: wenn ein ding A etwas in sich
enthält, daraus man verstehen kan, warumb B ist ...:
so nennt man dasjenige, was in A anzutreffen ist, den
grund von B; A selbst heiszet die Ursache Chr. Wolfp
Vernunft, gedanken v. gott (i720) 12; ähnl. Mos. Mendels-
sohn ges. sehr. 2, 249; sonst wird gelegentlich der gr.
als innerer, rechtmäsziger der Ursache als äuszerem an-
lasz gegenübergestellt: wo ist der gr. ihn zu verdammen?
(Elisabeth:) die bosheit sucht keine gründe, nur Ursachen
Göthe 8, 148 W.; aber meist und schon früh liegt tauto-
logische Verbindung vor: wo ist nu der gr. und ursaeh,
das Christus darumb habe das hynzu gesetzet Luther
18, 146 W.; ein weiser maTi redet, des er grundt und ur-
saeh hat, aber ein narr redet, was im einfellet, on grundt
und ursaeh schöne w. klugr. (i548) 46*; ausz was Ur-
sachen und gr. wir dich . . . wirdig . . . achten Stumpf
Schweizer ehr on. (1606) 330 ••; seltener in Wendungen wie:
kein ander ursaeh ist noch grund,
drumb ich hab aufgethan den mund
Hütten opera 1, 452 B.
. fug und gr. ; ursprünglich deutlich unterschieden : recht
und Ursache : ihr (geistlichen herren) habent ye keyne füg
noch gr. uns zu verweiszen, das ir fromer, gotsförchtiger
und gelerter seind Sleidanus reden 105 B.; doch ist
früh eine Vermischung eingetreten; bald herscht der begriff
der berechtigung (s. o. i) vor, bald der der veranlassung:
(der) all sein ding hoch mit Worten plümbt,
das doch hat weder fug noch grund
H. Sachs 9, 150 K. ;
ein junger künstler hat ebensoviel fug und gr., am fusz-
gestell einer antike zu sizzen . . ., als die natur selbst
zu belauschen Schubart leben l, 201; wenn z. b. das
Sprichwort 'freye um die witwe, weil sie noch trauert'
. . . ohne allen gr. und fug scheint Körte sprichiv. (1837)
XXXV ; s. auch oben y; seltene Variante: mit glimpf und
gutem gr. Mathesius Sarepta (l57l) vorr, 3".
gr. und zweck bleiben unterschieden zum ausdruck der
Ursache und des beabsichtigten erfolges: vielleicht gelingt
es uns . . ., ihre (der modernen poesie) geschichte voll-
ständig zu erklären und nicht nur den gr., sondern auch
den zweck ihres Charakters befriedigend zu deduziren
Fr. Schlegel pros. jugendschr. l, 95 Minor; der eigent-
liche grund und zweck dieses krieges Mommsen röm.
gesch. 5, 21.
beweis und gr., wie die folgenden fälle zu 3 gehörig;
tautologisch: so ist es ein sehr starcker beweisz und
gründe, dasz die giftmischerin mit ihren Zauberkünsten
etwas auszrichten können Nigrinus von Zauberern (1592)
79; ebenso: aber es liget im wege ein ander argument
und grundt ebda 103;
der menschen kleinster theil fragt nach beweis und gründen
J. J. Schwabe tintcnfässl 26.
gr, und meinung: drumb mus ich zwo erbeyt thun,
die erste, das ich d. Carlstads gr. und meynung kler-
licher darlege Luther 18, 152 W.; als er (Faust) den
geist von disen dingen hatte gehört, speculiert «r darauf
mancherley opiniones und gründe volksb. vom dr. Faust
30 ndr. Br.; anders, an I £ 5 gemahnend: es hat nicht
aller menschen rath gleich guten gr. und treue meinung
Petri d. Teutschen weish. 2, z 8''; sondernd: ebenso
wird man aufmerksam die meinungen und gründe an-
derer prüfen Göthe 47, 42 W.
gr. und urkund u. ä.: wolte sich aber iemand einiger
gerechtigkeit . . . anmaszen, so soll derselbig zuvor mit
gr. und urkund ... solches dartuen Fischer schiväb. 5,
872 (a. 1615); es wirt wol mehr dings an grundt und be-
werung gesagt Luther l, 245 W.
V. grund als technischer ausdruck in künsten und
gewerken.
A. meist bedeutet es die 'grundlage' oder 'grundfläche',
die träger von eticas anderem ist; also zurückzuführen
auf 'fundament, basis\
1) bei den architekten ist gr., abgesehen von den in die
allgemeine spräche eingegangenen bedeutungen 'fundament'
(s. 0. IV) und 'baugrund' (a. o. II A 2 b) ; die grundfläche
des bauwerks, in natura oder in der Zeichnung: also ist
die pastey unden im gr. gar mit disen linien beschlossen
Dürer etliche xmderricht (1527) a i**; anfencklich werdt
gerissen in eynem nidergetruckten (ebenen?) gr. mit
zweyen linien . . . die form des ecks der stadtmauren
ebda; nun sol man den hindern gr. (grundfläche) in der
stat auch so tief in den gr. rechnen (in den grundrisz
einrechnen, eintragen) als fornen ebda; das alles werd ge-
tragen in den gr. (in die grundfläche eingetragen) a 2";
dann auch ' quer schnitt' : wie nun die schlechten und
krummen mauren gleych nach dem undern gr. im ver-
jungen recht in den oberen gr. eingeteylt sollen werden
AA 1^; also ist der ober plan oder gr. umbzogen ebda;
hier meint gr. schlechthin die Zeichnungsfläche, = ebene ;
ebenso
2) bei den Zeichnern und kartographen ; häufige redens-
art: etwas in gr. legen, setzen o. ä. 'einen geometrischen
risz davon verfertigen': hab ich . . . angefangen, die
statt ... A. in gr. von holtz zu setzen, erstlichen von
ainem egk oder winckel, auch weiten der gassen . . .
abgeschritten, dieselbigen schritt aufgemerckt . . ., darausz
ein gr. gestelt za. d. hist. ver. f. Schwaben 24, 13 (Augs-
burg 1563); alem. und schwäb. reich bezeugt; auch bei md.
729
GRUND V A 3
GRUND V A 4-8
730
lexikographen : eine gegend in den gr. legen miaurare
geometricamente Jagemann (l799) 548; vgl. Campe 2, 469,
aber wohl aus lexikalischer tradition; am frühesten bei
Städten : (nachdem er gewöhnliche ansichten der stadt her-
gestellt hatte, hätte er sich) fürgenommen, üwere statt
hoch und in gr. zu leggen, dasz man die hüser, ouch
allenthalben in die gassen, gesechen möchte Staub-
ToBLER 2, 774 {Zürich 1546); wie ich dan ouch bey etlich
groszen stetten erfaren hab, daz nit ein jeder maier ein
stat in gr. legen kan Seb. Münster coamogr. (1550) vorr.8;
doch frühzeitig auch anders: haben wir . . . den gantzen
Neckherstrom . . . mit fleisz in gr. gelegt und wie weit
ein ort von dem andern ordenlich gemessen und be-
schriben H. Schickhardt 375 Heyd.
8) in der maierei.
a) gr., bey den mahlern, die erste schlechte ölfarb,
womit das mahlerschild, oder die leinewand überstrichen,
und eben gemacht wird Frisch 379*';
so band si {die maler) den grund nit wol berait,
darumb ist es verlorn arbait teuf eis netz H008;
ein . . . mahler . . . {hat) dieselben mit einer dem gr.
gantz gleichen wasserfarb überstrichen Harsdörfer
frauenz. gesprächsp. 2, 79; die malerey auf nassen grün-
den musz bey den alten weniger gemein als auf trocknen
gründen gewesen seyn Winckelmann 5, 179 E.; als Ur-
sache warum Tintorets gemäblde meistens so dunkel
geworden sind, wird angegeben, dasz er ohne gr., auch
auf rothen gr., meist a la prima und ohne svelatur ge-
mahlt Göthe 47, 218 W.; auf dunkle gründe mahlte man
auch eine Zeitlang II l, 353; bildlich: ob sie {die gaukler)
yhr gleyszen der warheit, yhr gauckelen dem ernst, yhr
färbe dem gr. räumen lassen Luther 7, 311 W. allge-
meiner die unterste farbschicht schlechthin, auch wenn sie
nicht durch die übermalung ganz gedeckt wird: {der
fächer) wird fleischfarb der gr., mit lebendigen blumen
Göthe IV l, ißö W.; zwei grosze tafeln mit dem zartesten
grauen gründe . . ., worauf wir sie {die skizzen) ausführen
werden Stifter w. i, 97; spräche aus dem koran mit
erhabenen oder vergoldeten buchstaben auf tiefblauem
gründe Moltke sehr, l, 205; beim wappen 'die haupt-
färbe, mit welcher das Wappenschild oder das feld im
Wappen überzogen ist und auf welchem sich die wappen-
zeichen befinden' Heinsius 2, 549; diese Wasgensteiner
. . . führen 6 silberne bände auf rothem gründe in ihrem
wappen W. Scherer kl. sehr, l, 548; auch wenn die färbe
der grundßäche natürlich, nicht erst durch einen färben-
auftrug hergestellt ist: graue veraltete . . . blätter reizten
mich am meisten {darauf zu zeichnen), eben als wenn
meine Unfähigkeit sich vor dem prüfstein eines weiszen
grundes gefürchtet hätte Göthe 27, 18 W. vgl.
es machte auf schwarzem grande
das Silber {der Stickereien) den schönsten effekt
Heine 2, 123 E. ;
bildlich: die nicht selten rohe, aber immer drastische
auftragung römischer localtöne auf den griechischen gr.
Mommsen röm. gesch. 2, 433.
b) übertragener gebrauch, in gegenständlichem sinne:
gr. 'ist ein malerischer ausdruck, diejenigen gegenstände
anzudeuten, die hinter andern besonders merkwürdigen
gegenständen stehen, so kann man sagen, dasz ein teppich,
eine rasenbank, ja eine figur, einer andern figur zum
gründe gereichet' Gottsched handlex. 801; die malerische
herkunft des ausdrucks erhellt daraus, dasz der farben-
unter schied in der reget ausdrücklich hervorgehoben vnrd:
dann, wie die sonne selbst mit doppelt hellem licht
oft durch den dunklen grund pechschwarzer wölken bricht
V. KOENIG gedickte (1745) 166;
der ungeheuren Sonnenuhr . . ., deren Ziffern ellenlange
platten von bronze auf einem weiszen marmornen gründe
waren Archenholz England u. Italien 2, 190;
als das bild vortiberglitt
an der mauer grauen gründen
Droste-Hülshoff 2, 328 Schücking ;
auch wo entsprechende adjective fehlen, ist ein färben-
oder wenigstens helligkeitsuntersckied vorauszusetzen:
steht er {der cameol) gar auf onyx gründe,
küsz ihn mit geweihtem munde Göthe 6 7 IT. •
die figur des sohnes . . . auf dem gr. des zurückgewor-
fenen mantels sich abgrenzend Justi Winckelmann 2^,
189. abstracter: bilder und erlebnisse in der Jugend
gehen, je mehr wir uns von ihnen entfernen, in um
so hellerem lichte in uns auf dem schwarzen gründe
des alters auf Kerner bilderbuch vorr. vi; öfter von der
m.alkunst auf die dichtkunst übertragen: hier ist das
abenteuerliche verschlungner menschlicher Schicksale
der gr., auf dem die handlung vorgeht Göthe 40, 83 W.;
der epische gr. der Volksdichtung gleicht dem durch die .
ganze natur . . . verbreiteten grün kinder- u. hausmärchen
2, vorr. vi; vereinzelt auch auf die musik: und dieses
fortgehende summen {der zweige) dient als zarter gr.,
auf dem sich die andere morgenmusik geltetfd macht
Stifter w. i, 102.
4) bei vergoldern, lackierem, anstreichern, tapezierem;
bey den vergoldern und lackirern ist der gr. entweder
ein leim- oder ein kreide oder ein farbengr., d. i. ein
auftrag unter den gold- oder silberblättern oder dem lack-
firnisz Jacobsson I6I»; u^^ Prechtl 19,572; die gegen-
stände, welche mit färben angestricben werden sollen,
erhalten vorläufig einen so genannten gr., d. h. einen
schwachen anstrich, der die feinen poren des holzes
ausfüllt, und die Oberfläche zum auftragen der färbe
vorbereitet Preghtl 1, a93; gr. beim häuseranstrich
Meisinger Bappenauer ma. 79; bei den tapezierem be-
deutet gr. die Zeitungen, die als grundlage für die tapeten
angeklebt werden: gr. ankloppen mit der bürste Schu-
mann Lübeck (1907) 49.
5) in der zeuqfärbekunst und beim kattundruek: diese
gemischten färben entstehen . . ., indem in zwei färbe-
operationen eine färbe auf die andere gesetzt wird, in
welchem falle die er.etere färbe der gr. genannt wird
Prechtl 5, 385; hat man ... zeugen einen blauen gr.
gegeben, so werden sie durch genista grün Schlechten-
DAT. flora von Deutschland^ 23, 77; 'ebenso bedeutet im
kattundruck gr. die färbe des zeuges, in welche die blumen
eingedruckt sind' W. Hoffmann wb. 2, 708''.
6) bei gewebtem, und besticktem zeuge: bey einem ge-
webten zeuge nennt man die sichtbare Oberfläche und
deren verschiedenes ansehen gr., und unterscheidet vor-
züglich den leinwandsgr. von dem kiepergr. dieses ist
bey geblümten zeugen am sichtbarsten, wo die blumen
und figuren in dem gründe liegen und sich zum theil
darüber erheben, diese letzte bedeutung hat gr. auch
in der stickerey. doch heiszt hier auch die anläge oder
grundlage von zwirn bey erhaben gestickten blumen
gr., worauf hernach die seidenen und reichen fäden be-
vestiget werden Jacobsson I6I*; 'bei spitzen und blonden
bedeutet gr. die einförmige zeugfläche, in welche die blumen
etc. eingeklöppelt oder eingewebt sind' W. Hoffmann wb.
2, 709*; die erste der von Jacobsson für stickgr. angeführ-
ten bedeutungen ist die gewöhnliche, z. b. wenn . . . der gr.
weisz, die bildungen aber blau gewürcket würden Lohen-
stein Arminius (1689/.) 189 *>; während Johanna an den
blumen arbeitete, begnügte sie sich den gr. auszufüllen
Stifter w. 1,221; eine prächtige stola, gr. und fransen
waren von goldfaden Scheffel w. l, 225; auch für den
zu bestickenden stoff als solchen: dasz es ihr sehr leid
thue, keinen aufgezogenen gr. zu haben Göthe 24, 78 T^.
{auf den Stickrahmen gezogen); schon bei M. Kramer gr.
eines stick wercks fondo del ricamo teutsch-ital. l, 573''.
7) vergleichbar ist bei zu waschendem, zeuge die redens-
art: m« kan kenen grünt wider drin breijen 'von sehr
schmutziger wasche' BauerCollitz 41: die ursprüngliche
reinheit liegt unter dem schmutz wie unter einer färbe,-
mundartl. weit verbreitet, zumal in westd. maa., vgl.
Woeste westfäl. 86; Schütze holst, id. 2, 76; F. Schön
Saarbrück. 72*; auch ndl.: geen grond weer int linnen
of katoen kunnen krijgen Molema 136.
8) bei den tuchscherern 'die rechte seite eines tuches
zum unterschiede von der haar- oder linken seite' Hbin-
sius 2, 549; vgl. Jacobsson I6I*.
731
GRUND V A 9-13. B i. 2:
GRUND (compositionstt/pen 1 a)
732
9) bei den schwertfegern: gr. hauen . . . 'wenn an manchen
stellen auf einem degenqefäsze figuren von goldblättern
eingeschlagen werden sollen, dann schlägt oder hauet der
schwertfeger mit einem, Meinen meiszel in den umrissen
der figuren kreuzhiebe ein, damit das gold bey dem, ein-
schlagen auf diesen grundhieben hafte' Jacobsson 164*.
10) bei den hupf er siechern in verschiedener bedeutung;
in der radierkunst: gr. einer kupferplatte zum ätzen ist
ein auftrag, der das ätzwasser gehörig in den einschnitten
(der radiernadel) einschränkt Jacobsson 161»; in der
schabkunst: das Werkzeug, womit die (vor dem auftragen
.der Zeichnung erforderliche) rauhigkeit des kupfers (der
gr., das körn, die granirung) hervorgebracht wird, ist
die wiege oder das granireisen, gründungseisen Prechtl
9, 33.
11) bei' den druckern: gr., grundfeste, fundament. 'in
der druckerey die metallene platte, worauf die formen-
weise abgesetzte, und in eiserne rahmen zusammen ge-
schraubte Schriften gestellet werden, damit sie darauf bey
dem abdrucke ruhen' Jablonski 260*; auch aus holz:
gr. der buchdrucker ist ein brett, worauf die gesetzten
Schriften gestellet werden Jacobsson lei*.
12) bei den maurern: gr. 'toird am häufigsten für die
fläche eines gebäudes gebraucht, im gegensatz der auf
derselben angebrachten erhöhungen für gesimse u. s. w,'
Helfft wb. der landbaukunst I6I.
13) in der musik: theile meine seile in fünf theile,
lasse zween auf der einen, und drey auf der andern
Seite des . . . stegleins, so gibt die gröszeste länge den
gr. , die kürtzere aber den oberton des fünflauts an
Mattheson vollk. capellmeister (1739) 46; sonst würde
der gr. die Oberstimme überschreiten Mozart violin-
schule 2; vgl. so haben doch selbige alle (quinte, Sep-
time, Oktave) einerley basznoten zum gründe Quantz
anweis. d. flöte zu spielen (1789) 125.
B. in einigen fällen ist der technische ausdruck an die
bedeutung 'boden eines hohlrauma' anzuknüpfen.
1) bei den dachdeckern die knierinne, die durch ver-
schiedene im winkel aneinanderstoszende dachflächen ge-
bildet wird; ausschlieszlich im Schweiz., und ztvar früh:
von den gründen und umbgängen (einfassungen) uf der
lütkilchen mit kupfer ze beschlagen Staub-Tobler 2,
773 (a.l559); (die besitzer zweier aneinanderstoszenderhäuser
sollen) jeder sein tach in ehren halten und mit namen
das vorder haus den tachgr. gegen dem hof, das hinder
haus aber den uszeren gr. gegen der münz machen ebda
(a. 1690) ; mit anlehnung an die formel 'grund und grat'
'niederung und höhe': die kirche soll in gründen und
grötcn mit schindeln gedeckt werden ebda (a. 1805).
2) bei den küfern : 'am fasz heiszt die der 'spunddauge'
gegenüber liegende daube, auf welcher das fasz aufliegt,
der gr.' Fischer schwäb. 8, 872.
compositionstypen.
als compositionsglied erweist sich grund- in seinen ver-
schiedenen bedeutungen als überaus fruchtbar; doch tritt
die junge abstracte Verwendung IV D gegenüber den con-
creten und daraus unm,ittelbar abgeleiteten übertragenen
bedeutungen (vgl. IV B) völlig zurück; in der älteren
spräche noch auf einige hauptbildungen beschränkt, ent-
wickeln sich die gVMiidi-composita breiter seit dem älteren
nhd. und dehnen ihren bereich vor allem, in fachsprach-
lichen und terminologischen bezeichnungen stetig aus; die
zeitlichen entwicklungsstufen, die bildungsarten und ihren
umfang veranschaulicht die folgende Übersicht.
1) adjectiv.
a) bereits im, mhd. beginnt die composition von grund-
mit adjectiven, die als qualitative bezeichnungen, werth-
oder Vergleichsbestimmungen neben persönliche oder säch-
liche objecte treten oder rein adverbial gebraucht werden;
grund- entspricht hier ursprünglich wohl der bedeutung
von grund auf (IV A 4) oder aus dem gründe (IV B 5 b),
beides mit der Vorstellung grund des herzens vermischt,
wenn es sich vne bei grundböse (a. alph. st.) um kenn-
zeichnung persönlicher eigenschaften handelt, wird aber
schon früh zum bloszen intensivierungsmittel {nie erz-,
vgl. th. 3, 1076, ur-); doch hat das 16., 11. jh. daneben noch
bildungen, die an grund IVB5b unmittelbar anzuachlieszen
sind: grundausführlich: darinn er selbige beläge-
rung gr. beschreibt Valvassor ehre d. hertzogth. Crain
(1689) 4, 2, 75; -erfahren: als einem grunderfahren
kenner Rachel satyr. ged. 4 ndr.; übertragen: bei der
... in allen Wissenschaften grunderfahrenen poesie Neü-
i/iARK fortgepfl. musik. poet. lustic, zuschr.G; -erlogen:
im grunderlogenen plaudern Harsdörfer i>iana 3, 106;
-gläubig:
die werden denn grundglaubig gar
H. Sachs 15, 393 K.-O.
-kundig: einen grundkundigen kunstgesellen S. v. Bir
KEN ostländ. lorbeerhain 228: • künstig: wie wir es gr.
zu teutschen vermögen HARSDÖRFER/rawenz. gesprüchsp
3, 343 ; - k u n s t m ä s z i g : die wohl ausgeübte und grund
kunstmäszige poesie Neumark fortgepfl. musik. poet.
lustw., zuschr. 1; andere compositionen des 16., 17. jh.s ge
hören zu grund IV B 4 und ergänzen den begriff des
adj. m,it der Vorstellung des wahren, sicheren, auch voll-
ständigen: grundbeständig {wo die concrete bedeutung
grund IV A hineinspielt) : nach warer grundbeständiger
rechnung der astronomie Andreas Rosa practica (l57l)
A4''; -beweislich vgl. alph. stelle; -verdächtig: so
mag auch der traducianer ihre miszhälligkeit . . . nicht
gleich . . . gr. machen Francisci alleredelste veränderg.
(1671) 335; -völlig: dasz darausz der wahre . . . kern
der rechten meisznischen spräche gr. zuersehen Hager
teutscJie orthogr. (1639) einl.; -vollkommen: mit grund-
vollkommener gerechtigkeit . . . geschmückt Gedicke
postilla (1609) 1, 119»; heute ist grund- vor adjectiven meist
zum Steigerungsmittel verblaszt: grundabsichtslos:
mein nichtschreiben war so gr. Dorothea Schlegel
br. 1, 47 Reich; -absurd: so wird man {es) . . . doch
nicht so gr. ... finden Schopenhauer 2, 444 Gr.; -ähn-
lich {vgl. grund IV B 5 a /9): die ... männer {erwiesen)
sich so gr. G. Keller ges. w. 8, 342; -albern: unsere
grundalbere und einfältige leute Bahnsen antichr. (I66O)
75; -anders: die Stellung der behörden würde eine
grundandere werden v. Gersdorf repertor. (l84l) 45;
adv. : wie grundanders sind ... die g in angel und an-
geben Jag. Grimm kl. sehr. 7,482. -arbeitsam v. Hör-
nick Österreich über alles (1684) 89; -arg: dieser grund-
arge mensch Francisci traursaal 2, 425; diese grund-
argen könige allg. dtsche bibl., anh. 25-36, 997; -ärger-
lich: der rückzug machte mich so gr. Fr. G.Schilling
mondazeinw. 171; -arm: grundarmer mann Treuer
dtsch. Dädalus l, 117; du armes, du grundarmes Rom
Fouque altsächs. bildersaal 1, 100; -aufrichtig Anzen-
gruber (/e*. to. 2, 268; -barbarisch Göthe IV 38, 211 W.;
-barmherzig:
herr {gott), preisen soll man dich grundbarmherzigen
Fleming dtsche ged. 1, 15 L.;
-beschränkt W.H.Riehl dtsche arbeit 293; -bieder:
das keiser Sigmont ein gruntbiderber herzman und fürste
was E. Windecke denkwürd. 440; -bitter: der grund-
bittern hellen strick, angst und schrecken Gedicke po-
stilla (1609) 1, 136»; -christliche: gr. und evangelische
{artikel) Ranke s.w. 1,284; -deutsch: die grunddeutsche
{art) unseres Reimarus D. Fr. Strausz ges. w. 5, 324;
echte grunddeutsche . . . Wörter Jac. Grimm ges. sehr.
1,891; -edel Göthe 42, 2, 490 TF^,- -einfältig Droste-
Hülshoff M7. (1879) 2,310; -elend Zschokke «. oms^cio.
sehr. 22, 104; was er {der gerichtsschreiber) gr. schmiert
nachr. an d. landvolk (1769) 8; -erbärmlich Droste-
Hülshoff br. 176 Cardanus; -ernstlich: das ... grund-
ernstliche bestreben Göthe 42, 2, 198 TT.,- -faul: erzfaul,
gr. oscitantissimus Stieler 444; -feind A. Weinheimer
geistl. wacht (1642) 186; -fränkisch: die gegend ist gr.
Jac. Grimm dtsche my thol.* i, iSi; -frei: weil gott aber
aus grundfreier gnadengüte beliebetK. R.v. Greiffenberg
zwölf andächt, betr. (1678) 318 ; -freundlich: mit grund-
freundlichem blick VisCHER auch einer 1,121; -fröhlich
Gervinus leben 2; -gediegen Meinecke Boyen 2,83;
-geizig avaricieua; Schwan nouv. dict. 1,798»; -gemüt-
733
GRUND {compositionstypen l b)
GRUND {cotnpoaitionstypen 2—5 a)
734
lieh ViSGHER altea u. neues 1, 187; -gerade: für einen
grundgraden . . . karakter halten E. M. Arndt sehr, für
u. an s. l. Dtschen 3, 157; -geschickt: kein ehrlicher
und grandgeschickter mann Kramer teutschital. 2,785";
-gewisz: der grundgewissen reinen Vernunfterkenntnis
K. Chr. Fr. Krause vorles. üb. d. grundwahrh. 28i; -gna-
denreich: ein gantz gutte, grundgnadenreiche rewe
Luther 7, 367 TF.; ■ gö Uli ch {substantivisch): dasz wir
nicht zu fassen vermöchten ... das grundgöttliche F.H.
Jacobi tu. 2,89; -gottlos: solchem grundgottlosem leben
TAURER/ct^en6.(i593) a i^; -gründlich: dieser... grund-
gründliche mann Göthe IV4i, 260TF.; -heidnisch: die
motive . . . sind gr. 42, 2, 472 TF. ; -innig: grundinnigen trost
Immermann 11, 206 B.; -irrig: solche leuthe sind ...
gr. und confus gr. Zinzendorf christl. bed. (i735) 37;
-keusch: zeichen eines grundkeuschen hertzens Span-
genberg apolog. schluszachr. 2, 527; -klar: das einzige
grundklare licht Göthe II il, 157 W.; anders = 'bis auf
den grund' (I A) : zwey grundklare wasserströmlein Opitz
Arcadia (1638) 6. buch, 4; -komisch Bayer lit. skiztenb.
(1905) 310; -kräftig: nr- und grundkräftige naturen
ScHELLiNG I 3, 429; langweilig J.Joachim 6r. i, 406;
-leichtfertig: er last sich wiederumb gr. an J.Scheff-
LER eccles. 1,650'; -lieblich, adv.: wie gruntlieplich
ich (Maria) in mit meinen armen . . . umbvieng Seuse
275,13 Bihlm.; -liederlich: ein ... grundliederlicher
knabe Chph. v. Sghmid ges. sehr. 11, 55/.,- eine grund-
lüderliche waare v. Ayrenhoff «.tc. 3,175; -mächtig:
dies grundmächtige urgefühl Vischer auch einer* 2, 271;
-närrisch Caroline br. i,373 Waitz; -neu: einen
grundtnewen fundt erfinden Paracelsus op. (1616) 2,
654 G.; die drei grundneuen elemente K.Marx briefw.
(1913) 4, 6, vgl. Schambach 70"; -nobel: dieser grund-
noblen natur G. Hauptmann Gabriel Schillings fl. 170;
-original: der grundoriginale Bach (Joh. Seb.) Göthe
IV 42, 149 TT.; -pathetisch: das grund pathetische wesen
der musik Th. Mann betr. e. unpolit. 414; -prosaisch:
die Berliner posse . . . {blieb) gr. Treitschke dtsche
geach. 5, 3a2; -rechtschaffen Baumgarten-Crusius
reise a. d. post 112; -redlich v. Besser sehr, l, 118
König; -schwach R.Wagner ^e«. scAr. m. dfcA*. 8, 171;
-schädlich: wie gar gr. sei . .. J.Cats sinnr. w. (1710) l,
2,45; -schief: wer . . . grundschlecht, gr. ... gehan-
delt . . . hat Lavater verm. sehr. 2, 66; grundschiefe
richtungen der Untersuchung Fr. Schlegel s. w. 5, 40;
schlecht an alph. stelle ; -schmutzig J. Sgherr no-
vellenb. 6,15 Hesse; -sonderbar: waren sie {die erleb-
7iisse) dennoch gr. von natur Th. Mann tod in Venedig
(1913) 50; -süsz: du . . . grundsüszes weih Lenau bei
Castle Lenaus liebesrom. 492; -taub: eines grundtauben
trefliche beurtheilung über die singkunst Schottel
haubtspr.XQi; -treu schwäb., v^L Fischer 3,88o; -tüch-
tig G.Keller nachgel. sehr. \QQ; -ungerecht:
samb sey gotts wort grundungerecht
H. Sachs 18, 59i^.-e.;
-unwahr: ein . . . künstliches . . . grundunwahres hokus
pokus Göthe II 4, 448 W.; -verhaszt: den ihm grund-
verhaszten könig Bayer liter. Studien (1908) 85; -ver-
logen, vgl. Fischer schwäb. 3, 880; -vernünftig:
einen . . . grundvernünftigen verstand Goltz e. jugend-
leben 2, 840; -verrückt hwb. d. staatswiss.'^ 3, 76; -ver-
ständig Zschokke s.ausg.schr. 14,16; -wacker Göthe
IV 17,180 W.; -weise: grundweisester Fabricius Richey
bei Weichmann poesie d. Niedersachs. 6, 286; -weit dia-
lektisch: det jeht int grundweite = zu weit Brendicke
berlin. 192*^; -wenig, z. b. auf etwas grund wenig ge-
wicht legen; -wirklich: gr. darin zu finden Heine
6,58 E.; -würdig: gute und grundwürdige poesien
Göthe 41, 2, 325 W.
b) wenig häufig ist die composition mit grund IV D,
hier tritt gelegentlich die pluralische form gründe- ein,
besonders dann, wenn der singular dem typus a beitritt;
gründefest: die weiber ... sind gr., es dringt keiner
durch Börne ges. sehr. 8,247; gründereich: der ...
direkter war so wort- und gr. Costenoble tageb. l, 160;
grundvoll: gleichviel ob sie gr. oder töricht sind
Kerr ges. sehr. 3, 266; grundwidrig Campe 2, 476*.
2) participia präteriti.
a) wenig häufig sind compositionen, bei denen der ver-
bale handlungsbegriff auf das vorgerückte grund- in einer
der concreten bedeutungen bezogen ist; grund an ge-
sessen: die grundangesessene bürgerschaft {bildete) die
Versammlung der gemeinde Nitzsch dtsche stud. 224;
-gesessen: die schweizer hirten waren freie, grund-
gesessene mannen Alexis Isegrim 2, 825; mehr allgcTnein
im sinne II A 1 sind zu fassen; grandentsprossen:
unentwegt auf freier hufe
grundentsprossen, grundverwachsen . . .
sasz der edle stamm der Sachsen
Fr. W. Weber dreizehnlind. (1907) 21;
-verwachsen ebda; mit der bedeuiung I A spielt:
grundempört: auf dieser Zeiten grundempörten wellen
G. Keller ges. w. 9, 122; tcohl bewuszt doppelsinnig auch:
-erbost:
wenn schon die stoltze see
den grunderbosten schäum bisz an die sterne schmeiszet
V. Ziegler asiat. Banise (1689) 753.
b) den adjectivischen Verbindungen 1 a entsprecJien zu-
sammenrückungen wie: grunderneut: bis ich das
grunderneute leben schauen . . . kann M. Meyr relig.
d. geist. 124; -geliebt: ihr meine grundgeliebte freun-
dinnen Bucholtz Herkules (1666) l, 909, mit grund IE 2
spielend, deutlicher noch in: -seelengeliebt Herkulis-
kus 1830; -verändert: er hatte eine grundveränderte
ansieht von der zeit gewonnen Fichte s. w. 7, xii;
•verböst:
wer sagt mir, ob wir selbst so grund verböste zeiten
verbösem? Logau sinnged. 83;
-verdreht: stellenweise reizend, aber meist grund-
verdreht {von Auerbachs 'auf der höhe') J. v. Bismarck
br. 185; -verfälscht: eine grundverfälschte dekla-
mation G.Keller nachgel. sehr. 55; -verkehrt an
alph. stelle.
8) participia präsentis.
a) grund- ist in seiner sinnlichen bedeutung von IV A
als das object de^ verbalbegriffes mit einem partic. ver-
bunden: grundbauend: Homer wurde gr. für all meine
ästhetische Schulung F. Dahn dtsche dichtg. 11,25**;
-erschütternd: die erde erbebte im grunderschüttern-
den stosz Bentzel-Sternau nach Campe 2,471; -stür-
zend nur im übertr. sinne, s. alph. stelle.
b) in einer seltenen form der zusammenrückung steht
die composition mit grund- anstelle einer präpositionalen
fügung in den grund (III B bzw. I A) hinein, von grund
(11 A 4 c) aus; grundflieszend: also stiegen wir ...
über gehe fälsen ab und grundtflieszende springe Fabri
eig. beschreibung {Xhbl) 139''; -fressend: wie ein stilles
grundfressendes wasser Pestalozzi s. sehr. 7, 32; -ver-
derbend: unterdes würde durch den grundverderben-
den krieg alles hingerichtet v. Chemnitz schtced. krieg
2, 374.
c) entsprechend der steigernden Verwendung von grund-
beim. adj. l a ergibt sich der kaum belegte, aber sprosz-
fähige typus: grundabweichend: wie gr. ist Maria
von den mahlern . . . genommen Jag. Grimm kl. sehr.
1, 75; mehr nach grund IV b 5 a (f; -treibend: was in
der Weltgeschichte grundtreibendes motiv . . . seyn soll
Hall. lit. zeit. (1846) nr. 265, 963.
4) adverbia.
gelegentliche und ztimeist junge poetische bildungen
sind Zusammensetzungen von grund- mit einem adverb
der richtung, theilweise aus einer geläufigen präpositio-
nalen Verbindung verkürzt; grundab s. alph. stelle;
-auf vgl. IVA 4 b: um den wohllaut einer . . . geige
gr. zu fühlen Herder 4, 106 S.; -aus s. alph. stelle;
-hinab:
zerschlugst du seine feinde grundhinab
Herder w. 12, 315 S.;
-wärts s. alph. stelle.
6) substantiva.
a) grund- rückt in seiner bedeutung I A seit alters {vgl.
ahd. grunisoufi naufragium Graff 6, 172; grandrahr.
735
GRUND (compoaitionstypen 5 a)
-sand, -welle an alph. stelle) vor aubatantive; erat im nhd.
wird die zahl dieser compositionen gröszer, die sich be-
sonders in technischen ausdrücken des Seewesens, dea
fischereigewerbes und der wasserbaukunst ausbreiten; das
folgende ist nur eine kurz orientierende Übersicht; für
alle sachlichen erläuterungen sind die genannten special-
Wörterbücher beizuziehen; grundablasz Lueger 4, 796;
-ausgusz {poetisch):
tiffer als di tifsten flüsse!
als des meeres grundausgüsse I
Kuhlmann kühlpsalter (1684) t,98;
-axt: item 4 ancker und 2 gruntexe gr. ämterbuch 295
Ziesemer, vgl. grundaxe 717, gr. 752; -be wohner: diesen
unschuldigen grundbewohnern (den fischen) Göthe 48,
165 W.; -block: durch ungewöhnliche grundblöcke und
arken dem wasser den gewöhnlichen lauf benehmen
Jülchische policeyordn. nach Frisch l, 879"; -dämm
'eine art von wehr oder bär' Jacobsson 2,162*; -dünung
Hoyer Kreuter techn. wb. l, S16; -ebbe Benzler
lex. d. deichb. 1, 180; -fänger (an brücken) Fischer
Schwab. 8, 876; -f asz: embotum, ein schope, ein grunt-
vad (1417) Diefenbagh nov. gl. 148», vgl. schope embo-
tum, funda die Schöpfkelle Schiller- Lübben 4, 117;
-fresser, sprichwörtlich: stillwässer grundfresser v. Dü-
ringsfeld sprichw. 2, 897; -fumm mundartl. 'angel-
schnur . . . mit zwei angeln' Wegeler Coblenz. ma. 20;
-ganger (von torpedos) v. Alten 4, 478; -garn Popo-
wiTSCH vers. (i78o) 130, vgl. Unger-Khull 810**; -ge-
rinne (in fischteichen) Benzler lex. d. deichb. 1, 286;
-geschirr Kluge «ee»i. 837; -gestein: (die Plein,) die
in hohen wellen über ihr gr. dahin fluthete Rosegger
sehr. II 1,21; -geweile: das gr. des Bodensees v. Schef-
fel ges. w. 1, 247, vgl. Fischer schwäb. 8, 877; -haken
s. alph. stelle; -harke: grandhark, /. 'fischerausdruck'
Mensing 2, 501; -kennung (eines lootsen) Bobrik naut.
M)6.2 821»; -köder Krünitz 20,283; -kugel: die wasser-
kugeln, welche die feuerwercker ins gemein grundkugeln
nennen J. S. Buchner theor. et prax. artill. (1682-85)
2,29; -leine: reichere beute ... als gr. und angel
bringen ... heftige stürme Brehm thierl.^ 8, 22i; -letten
(vgl. th. 6, 791): wäget der Ostwind, so ist es dester un-
sauberer, dann der grundlätten (im wasser) darmit aufgadt
Forer Oeazners thierb. 25V; den lettichten gr. v. Hoh-
berg georg. cur. 2, 479; -loch: und so im ein gr. brech,
SO hat er (der müller) macht, dasselbig zu zu machen
(1424) weisth. 6, 318, vgl. Fischer schwäb. 8, 878, der es
als loch im gründe des m,ühlkanals deutet; -log Lueger
6, 179; -lot s. alph. stelle; -mine nichtschwimmende
aeemine v. Alten 4, 478; -netz: sobald sie (die meer-
äschen) sich in einem grundnetze eingeschlossen sehen
Brehm thierl. 8, 162, vgl. Frischbier i, 257; -probe:
(die) wasser- und grundproben des todten meeres Ritter
erdk. 15, 779; -prober, m., hwb. f. techn. ausdr. in d.
kais. marine (i879) 56»; -reuse 'sirpiculua' Stieler
1693; -ring techn. ausdruck des brunnenbaus Mothes
baulex. 1, 587; -rinne = drücker, terminus des waaaer-
baua Benzler lex. d. deichb. 1, 180; -röte : wo die blosze
durchscheinende grundröte sonst einen roten glantz dem
wasser gewöhnlich verleihet Francisci weh d. ewigkeit
(1686)258; -sack ein fischnetz mit sack Frischbier 1,
257*"; -säge Benzler lex. d. deichb. 2, 212; -schaufei,
zum reinigen eines brunnenbodena : so het er selber ein
kurcze gruntschauffel Tucher baumeisterb. 807 lit. ver.;
-Schleppnetz: die fischerei mit . , . grundschleppnetzen
hwb. d. staatswiss. 8, 1065; -schleuse Lueger 8, 720;
-schraube (an der ankerkette) v. Alten 2, 372 ; -schütze
vgl. th. 9, 2127/. ;
als wir zu nachtzeit über die grundschützen
der mühle kletterten Fouque dram. dicht. 194;
-See Bobrik 821»; 'hoher aeegang über flachem, gründe'
V.Alten 4,479; -sichel Jacobsson 2, 165^, vgl. Lueger
4, 278; -simme vgl. th. 10, 1058/.,- Mensing 2, 50i;
-stosz: auch bekamen wir mehrere heftige grundstösze
Nettelbeck iefiensiescAr. (l82i) 1,48; -takelage: grund-
takelasche, tauwerk zum ankergeräth . . . Jacobsson 5,
752», vgl. Bobrik 321»; -takelung Hoyer-Kreuter
GRUND (compoaitionatt/pen 5 b. c. d) 736
techn. wb. 1,316; -talje Beil 1,265; -tau Bobrik nauf.
wb. 321»; -wasen Jacobsson 5,752; -wehr vgl. grund
schwelle an alph. atelle Lueger 3, 722.
b) grund- im sinne der unteren begrenzung eines raumes,
eines körpers, besonders in der geometrie als basis einer
figur. dann überhaupt auf die räumlich unteren theile
eines dinges bezüglich, vgl. I G «. D, tritt in Substantiv-
Verbindungen seit dem älteren nhd. hervor, vgl. grund-
fläche, -linie an alph. stelle: grundbreite: latitudo
horizontalis Schottel 472; feuersflammen . . ., deren
mittelpunkt in dem aug und ihre gr. (basis) auf dem ge-
sehenen dinge haftet Harsdörfer frauenz. gesprächsp.
4, 382 ; -ebene: ob die Seitenflächen . . . senkrecht zur gr.
stehen Karmarsch-Heeren 6, 95; auch technischer aus-
druck in der geometrie für jede der beiden projections-
ebenen, vgl. Mothes baulex. 2, 640; -flur: auf der gr.
... ist ein groszer saal Moore abr. d. gesellsch. leb, (1779)
313; -geschosz:
der thurm, in dessen tiefstes grundgeschosz . . .
V. DüRiNG Chaucer 1, 225;
-gesimse: die Überbleibsel eines . . . giebelgesimses . . .,
dessen gr. rings um die rotunde fortläuft v. d. Hagen
br. in d. heimat 4, 194; -kante: quadratoctaeder mit oft
abgestumpften grundkanten Sprengel ehem. f. landw.
1,623; -kegel: eine fehlerhafte berechnung der gr. (6et
baumstämmen)PRESZLERn.holzwirthsch.taf. 171; -kreis:
der Übergang in den gr. der kuppel Karmarsch-Heeren
8, 787; auch bildlich: er (Aristoteles) umzieht einen un-
geheuren gr. für sein gebäude Göthe II 3, 142 W.;
-moräne eines gletschers, gegenüber der randmoräne
Nehring tundr. u. stepp. 224; -schnitt 'der durch-
Schnittspunkt (einer) . . . geraden linie mit der grundebene'
(terminus der geometrie) Mothes baulex. 2, 542; -seite
(eines dreiecks) Töpfer lehrb. d. orgelb. 495; -staffel:
als den lesten oder undristen gr. Berth. v. Chiemsee
teutsch. theol. 427 Beithm.; -stufe, bildl.: die erste gr.
der ehr und wolfahrt ist die gute auferziehung Val-
VASSOR ehre d. hztm. Crain (i689) 3, 281; -umrisz:
den ganzen gr. des schädels Lavater physiogn. fragm.
4, 153; -vierung: so beschlieszen die 2 puncten E. H.
an den zwo grundtlinien A. B. G. D. eine grosze grundt-
vierung Lauten sack circk. undericeis. (i563) 12».
c) specieller die unter der erdoberfläche liegende tiefe
(vgl. grund I F 2) des bodens drückt grund- bei einer an-
zahl composita aus, besonders bei begriffen bergmännischer
spräche; als alter zeuge dieses typus das ahd. crunt-
laccha: Egyptii gruoben unde suohton cruntlaccha waz-
zero acaturiginea aquarum Notker ps. 77, 44; grund-
flut:
ein sprudelnder quell, desz kühlige grundfluth
künstlich emporgetrieben Baggesen poet.w. 1,21;
-gewässer, bildlich: der sinn für Wissenschaft war gr.
Laube gea. sehr. 1, 56; -kändel, -kandel, -käntel
(vgl. th. 5, 161 känel 8) : grundkändel allg. dtsclie bibl. 82,
319 und -kandel anh. zu 53-86, 559 ; grundkäntel, 'rinne,
das wasser ... in das kunstgezeug des bergwerks zu lassen'
Jacobsson 2, 164»; -kluft: sie (die natur) ist bemühet
ihren reichsten schmuck so wol auf dem erdenkreise
auszulegen als in derselben grundkluften zu verbergen
Harsdörfer frauenz. gesprächsp. 4, 34i; -luft: abfalle
. . ., durch welche gr. und grundwasser . . . verändert
werden Dammer htvb. d. gesundh. 324; -schacht (bild-
lich) : eigene (wörter) . . . aus der gr. ihrer (der bergleute)
reichen muttersprache erfunden Zesen helikon. hechel
(1668) 71; -statte: welches (die Verschiedenheit zweier
biere) nichts anders als der unterschied des bodens
und der gr. verursacht S. v. Butschky rosenthal (l679)
202; -Stollen: gr., '(der) stollen, welcher . . . den tief-
sten ansatzpunkt hat' Veith bergwb. 465; -strecke:
gr. 'die tiefste streichende strecke' 473; anders erklärt:
gr., . . . eine hauptstrecke Gätzschmann samml. bergm.
ausdr. 48; -wasser s. alph. stelle.
d) im sinne der unteren begrenzung oder tiefe in aku-
stischer hinsieht, doch mit starkem mitklingen der be-
deutung von grund IV A, tritt grund- mehrfach in der
musikalischen fachsprache seit dem, 17. jh. auf; grund-
737
GRUND (compositionstypen 5 e. f)
GRUND {compoaitionstypen 6 f)
738
accord, -bass, -stimme a. alph. stelle, grundbeglei-
tung: ein generalbasz, der . . . zur gr. dienen könne
J. Mattheson kl. gener albaszsch. 42; -harmonie a.
alph. atelle; -Intervall: man denke sich . . . von dem
drey klänge das gr. weg . . . allg. dtsche bibl. 108, 468;
-klang: beweis, dasz ein erniedrigter gr. die tonart
hart . . . macht J. Mattheson vollk. capellm. 14 vorr.;
-note: was der generalbasz sey? nichts andres als be-
zifferte grundnoten J. Mattheson kl. generalbaszsch. 40,
vgl. J. G. Walther music. lex. (1732) 268*; -pfeife: die
octavenpfeife ist nur halb so lang als die gr. G.Töpfer
lehrb. d. orgelbauk. 130; -saite : die dritte laute . . . hat
aber keine basz- oder grundsaite Harsdörfer frauenz.
geaprächsp. 8, 83; -Schwingung: der tiefste derselben
(töne) heiszt die gr. der röhre, die folgenden die ober-
schwingungen Meyer lex.^ 20, 515''.
e) i»i den bedeutungen II A 1 und 2 ist grund- als
compoaitionsglied der älteren aprache, vorab dem frühen
nhd.. ziemlich geläufig, zieht sich aber aeit dem i8. jh.
fast ganz in fachaprachliche termini zurück und ist auch
mundartlich ivenig reich entwickelt: grundarbeit: grond-
ärbecht 'erdarbeit' lux. ma. (1906) 156"'; -beben: aber
als das gr. wieder heftiger wird . . . Francisci ind.chin.
lustgart. (1668) 1, 139; -bogen: die gr. oder erdbogen
...waren schon im 12. jahrh. bekannt Müller-Mothes
baulex. i, 494 *>; die gr. eines saales Laube ges. sehr.
4,197; -bohrer, auch erdbohr er, Instrument der maurer
zur Untersuchung des baugrundes Jacobsson 2, 161 '';
• buckel 'erdhügel' Martin -Lienhart 2,80''; -erz:
gr. nennt man bey Hausen im Badischen den eisen-
sand oder sandigen magneteisenstein Blumhof eisen-
hütt. 2,496; -erzeugnis: besteht diese . . . erzielung
aus den grunderzeugnissen des landes allg. dtsche bibl.
anh. zu 53-86, «.1311; -führe: avectio reliquiarum ex
ruderibus cf. schutt- und grundfuhren Haym jur. lex.
(1788) 274; -furche: das er zu Buetweiler bey der
strasze zu beiden Seiten in der grundtfurchen sthon
soll weiath. 4, 50; -grab Martin -Lienhart l, 561'';
-gräber, in Danzig: 'leute, die zu grabarbeiten gebraucht
werden' v. Klein dtsch. prov. wb. l, 166; -hanns {rot-
toälsch) eggenzinke v.Grolman wb. d. apitzb. 27^; -hardt
(rotwälsch) = feldt (vgl. grünhart) Gengenbach 868 O.;
-häufe: dann wan ein feindt . . . ein solchen grundt-
häufen im graben und Speckle architect. v. vestungen
(1589) 75*'; keiner dachte daran, dasz das geld unter
dem grundhaufen liegt J. P. Hebel w. 8, 213 B., vgl.
Martin-Lienhart 1,808»; -hunger 'hunger des grün-
des nach nahrung oder dünger' TEN Doornkaat-Koolm.
1, 702''; -lawine: weil sie {die lawinen) ... den grund
selbst (daher sie auch grundlauwinen heiszen) einwickeln
Noel Chomel 5, 1411, vgl. Lexer kärntn. 173; die meisten
grundlauinen haben ihre regelmäszigen passagen Ber-
lepsch d. Alpen 203; -mergel {auch stahlmergel) Ja-
cobsson 5,750''; -mutter: vrelches {feste erdr eich) die
bauleute gemeiniglich die gr. nennen Zesen kriegsarb.
(1672) 3, 64; -nässe: das übermasz von gr. Karmarsch-
Heeren 5, 281; -pfiesel, 'ofen unter den pfieszlen in
der erde' (1614) v. LoRl samml. d. baier. bergr. 392;
-schmack, auch düngerschmack, geschmack des weines
nach dem bodendünger Bechhold hwb. d. nat. 609'';
-schölle: grundscholl, ein erdklotz gleba Henisch
1769; welcher . . . sein herz mit grundschollen ausstopft
A. Stolz hexenangst 6; -schütte: . . . haben sie im
brauch . . . am ende des ackers etliche grundschütten
... auf zuwerfen Sebiz /eWö. 486; -stab {stab, der in
die erde gesteckt wird?): gleich wie die verständige gart-
ner den . . . spröszling ire . . . grundstäb, pfäl . . . suchen
und beistellen Fischart ehzuchtbüchl. 285 H.; -Ver-
besserung: Urbarmachung und gr. Wieland 33,161 H.
f) grund- in der bedeutung II A 3, besonders 3 a, ent-
faltet sich als compositionselement seit der deutschen ur-
kundung im 18. jh. stark in der aprache dea rechtaverkehra
und treibt noch in moderner rechtaterminologie atetig
neue sprosse; vgl. grundbuch, -beer, -recht an alph. stelle;
selten ist die Verbindung mit plural. gründe {vgl. II A 3 b).
gründegeniesz: grindgenüesz jenigens, so sein grund
zu pawen nit vermag {n.jh.) österr. weiath. l, 118; grund-
IV. 1. 6.
abgäbe: die hauptabgaben . . . sind die ... rustikal-,
haus- und grundabgaben Nicolai reise d. Dtschld. 8,
beilage 122; -acte: zusammenfassen derselben (grund-
stückseingaben u. s. w.) zu besonderen grundakten hwb.
d. ataatswias.- 4,, I29i; -actie Wimmer gesch. d. dtsch.
bod. 41; -amtmann (1596) öaterr. weiath. lo, 72; -an-
stalt: die gebäude und andre grundanstalten an dem
gute zu unterhalten J. Iselin träume e. mensch. 1, 162;
-antheil Schwerz ac/cerd. 909; -aristokratie: es ist
bezeichnend, dasz ... die grund- und geldaristokratie
übermächtig . . . war Mommsen röm. geach. 2, 227; -auf-
läge: zehende, pachte und Zinsen sind . . . grundauf-
lagen allg. dtache bibl. 100, 240; -aus läge: die grund-
auslagen, durch welche das erdreich . . . bepflanzet wer-
den kann 20,456; -bannherr: die weisen einen abt
vor einen grundtbanhern weiath. 2, 65; -befreiung: 1850
war die gr. im ganzen lande . . . durchgeführt Bern-
hardt geach. d. waldeig. 3, 48; -beschädigung {termi-
nua im entwäaaerungareeJit) hwb. d. ataatswias. 3, 658;
-beschreibung: ob ich zwar in denen ... urbarien und
grundbeschreibungen nit finden khan (1699) Schwappach
hdb. d. forat- u. jagdgesch. 1, 826 anm. 23; -besch werde:
über die groszen grundbeschwerden mancher guter
wird auch geklagt Nicolai reise d. Dtschld. lO, beil. 77;
-besteuerung LoTZ hdb.d.ataatatcirtach.s,229; -brau-
cher: und bestehet . .. des grundbrauchers recht dar-
innen, dasz er des grundherrns platz . . . brauchen kan
Noel Chomel 4, 1390; -bürde: dann die dienstbarkeit
gepürt dem gründe als ein grundtbürde und nitt der
persone d. at. Worma reform. (1513) 79''; -cataster
Eichhorn dtache Staats- u. rechtsgeach.^ l, 474; -credit
hieb. d. staatswiss.^ 5, 487; davon eine anzahl tricomposita.
z. b.: -creditanstalt 6, 861; -creditbank 4, 1254;
-dieb: umgehen müssen besonders die grunddiebe, die
. . . sich fremden grund angeeignet haben A. Baumgar-
ten a. d. volksmüsz. überlief. 9,131; -dienst: jerlichen
da von raichen und geben sullen sechsthalb phunt phe-
ning zu rehten gruntdinst (1366) urkdb. d. at. Kloaterneu-
burg 7ir. 430 Z.; -dienstbarkeit Thibaut üb. d. notw.
e. allg. bürgerl. rechta (1814) 456; grundgerechtigkeiten
(grunddienstbarkeiten) sind dingliche rechte hwb. d.
ataatawisa. 4, 865; -ent lastung: die adeligen grosz-
grundbesitzer widerstrebten der gr. Bernhardt gesch.
d. tcaldeig. 3, 47; -erbe: gr. proprietarius heres Stein-
bach dtsch. icb. 1, 347; hwb. d. staatswiss. 4, 1222; -erb-
recht 4,1222; -erbstelle 4, 1228; -ertrag: die ... ein-
nähme . . . habe . . . nie mehr als den lO. theil des grund-
ertrags von Spanien betragen J. G. Forster s. sehr. 5;
381; -frau: so wurde ich von der grundfrauen allda
zum abendessen eingeladen Francisci v. Irenei leb. u.
that. (1747) 56; bey vorkommender verehligung seitens
des grundherrns oder grundfrauen Krünitz 200,381;
-frevel in grundfrevelbetrag Stifter s. w. 2, 189;
-frucht: die bäum, so auf dem heüratgrundt . . ., wer-
den in die grundtfrücht gerechent M. Pegius de jure et
privil. dot. (1559) 28*'; -gebiet: Verteidigung des grund-
gebiets Fr. L. Jahn w. l, 58, vgl. 2, 579 E.; {der pre-
diger) der sich . . . auf seinem grundgebiete nicht sehen
liesz H. Schmidt mitth. a. d. tageb. 10; -gebrechen:
grundgebrek . . . mangel an grund und boden ten Doorn-
kaat-Koolm. 1,702''; -gefalle Gutzkow ritt. v. geiste
8, 280, vgl. hwb. d. staatswiss. 2,854; -geig er mundartl.,
auch bodengeiger Fischer schwäb. 3,877, vgl. grüngeiger;
-grenze: das disz die alte, wäre, rechte grundgrenitz
ist zwischen der stadt Trautenau bürgerwalde Hüttel
Trautenauer chron. 206 Schlesinger; -gulte: davon nun
erstlich dem herrn die grundgult und pfechte . . . solte
abgezogen werden J. Mechtel Limburg, chron. 190;
schuldige stuft- und gruntgilten (i7. jh.) öaterr. weiath.
2, 16; -heuer: grundhaur groundrent Ludwig teutach-
engl. 818; grundhüre brem.-niedera. wb. 2, 653; grundhur
'grund u. bodenzina' Krünitz 241,479; -hoheit: die aus-
dehnung der eigenen grund- und territorialhoheit hwb.
d. ataatawiss.^ 1, 179; -hörigkeit: keine . . . Unfreiheit
{der) . . . besiegten . . ., nur eine gr. Bernhardt geach. d.
waldeig. l,S2; -Inhaber: mit dem vor- und nachmaligen
Schuldenstande der gr. Maüvillon phyaiokr. br. (1780)
47
739
GRUND {compoaitionstypen 5 g)
GRUND {compoaitionstypen 5 h. i)
740
216; -lasten, nur pluralisch Bachem staatslex. 11^, 23i;
-lehen: grundlehn Stieler 1I26; -lehensherr: item
weisen sie einen abt einen rechten grundtlehenherrn
(i486) tceisth. 2, 73; -leistung: eine . . . gr. in der Pöll-
auer gegend Unger-Khull 625''; -macht: gr., geld-
macht, Waffenmacht, geistesmacht . . . Jos. Görres ges.
sehr. 6, i65; -mark: grundmarchen, markstein {österr.)
V. Klein dtsches prov.wb. 1,167; -nachbar: von dem
nächsten grundnachbarn des herrn etatsrath Storm w.
6, 197; -pacht Chr. Arnold wahrh. beschr. (1692) 87;
-pfand: und ob inen an vorbestimpten gr undpfanden
{aus grundbesitz bestehenden pfändern) abgieng Biederer
spieg. d. w. rhet. x i^; -pfennig Staub-Tobler 5, 1123;
-polizei: unter seiner gründlich gehandhabten gr. Hol-
te i erz. sehr. 35, 144; -rain: wann si ainen in Pflusen-
thall und an gruntrain hinaus, so weit die auen get,
betreten {etwa 1673) österr. weisth. 2, 270; -register:
{sie) haben . . . agrorum formas, das ist grundtregister oder
grundtbücher E. Werlichius augspurg. chron. (1595) 23;
-rente: bey landhäusern, die von groszen städten ent-
fernt liegen, ist die gr. so gut wie nichts Garve A. Smiths
nationalreichth. (i794) 4, 275; -rieht er (i592) weisth. 2, 308
anm.; -schöffe '?,28breg.; -schosz {auch fundschosz)
z. b. 'in mark Brandenburg' , schosz von grundstücken
Krünitz 20, 286; -Sicherheit Rumpf gemeinnütz. wb.
(l8il) 146, v^Z. Campe 2,474''; -Siegel: seind sie auch
schuldig . . ., grundsigil {offenbar eine taxe) zu nemen
{i.e./n.jh.) österr. weisth. 6, 533, vgl. aber: mit gemainer
statt . . . ewiggelt- und grundinsiglen besiglet (i573) d.
stadtrecht v. München 263 Auer; -sitz villa, emphyteu-
sis Stieler 2037; grundsitz podere, villa, possessione
Kramer teutsch-ital. 2,824*; -strecke: dieses begreift
die fruchtbarsten grundstrecken der gemeinde v. Droste-
Hülshoff w. (1879) 2,344; -streifen: erwarb ich einen
gr. von nahezu einem joch Rosegger sehr. III 5, I2i;
•taxe v. Haller rest. d. staatswiss. 1, 206; -Unkosten
kosten der Urbarmachung von ländereien Iselin träume
e. mensehenfr. {1716) 2,295; -verband: die bäuerlichen
privatwaldungen . . . standen meist im gr. Sghwappach
hdb. d. ferst- u. jagdgesch. 1, 313; -Verleihung: der
Überrest {des landes) besteht aus grundverleihungen
Ritter erdk.i,si6; -verschreibung: der vorsichtige
kaufmann {war) durch sichere grundverschreibungen voll-
kommen gedeckt Holtei erz. sehr. 6, 46; -Verschul-
dung hiob. d. staatswiss.^ 4, 1177; -vogt: erkennen die
scheffen . . . einen erw. abt vor einen rechten, natur-
lichen grundvoigt weisth. 2, 300; -vorschusz: diese Un-
kosten nennet man grundauslagen oder grundvorschüsse
Iselin träume e. menschenfr. I, lOO, vgl. -Unkosten;
-Wächter: lag die straszenpolizei in der band des
grundwächters E. Süsz erinn. 31 ; nur die grundwach-
ter tragens {die stocke) noch Nestroy ges. w. 2, 234;
-zäun 'zäun für den bauerngrund' UngerKhull Sil*;
nach demselben gruntzaun herab bisz an die straszen
(1698) österr. weisth. e,2i8; -zehnte: gTundzehnt, natural-
abgäbe von grundstücken Krünitz 20, 288.
g) wenig ausgebreitet zeigt sich grund- in der bedeu-
tung III A als compositionstheil: grund alp: gr. = 'in
Verhältnis zu den umgebenden bergen tief gelegene alp'
Martiny wb. d. milchwirtseh. 48; -bauer: datt sik
de grundbure ken riedgul hält Bauer-Collitz 226*;
gehört dazu: und wirft sie {die gerate) . . . auf den wagen,
darauf ein ander grundbawer . . . steht J. Critiphilus
m,artyr. hordei 12, oder liegt gruppe f vor? -hase: die-
jenigen {hasen), welche sich in den gründen und thä-
lern aufhalten, {heiszen) grundhasen Krünitz 22, 101 ;
nach Campe 2, 472* 'zum unterschiede vom berghasen';
-mensch Stelzhammer aicsg. dicht. 2,318 Rosegger;
-mühle: die schöne gr. an der Sitter v. Gaudy s. w.
17,153; -rise 'striehblösze, natürliche bergrinne' Unger-
Khull 311*; -Volk: über 30 jähre habe er als pfarrer..,
unter dem grundvolke ... zugebracht bei Staub-Tobler
2, 772 ; -weide 'die das ganze jähr als weiden benutzten
flächen' {wahrscheinlich zu grund III A 5 gehörig) K.Bruns
volksw. d. prov. Sachsen 27''; hierher wohl auch -Wein-
garten: grundweingart, 'zu unterst . . . gelegener Wein-
berg' FiscuER achioäb. 3,880; -wiese Holtei erz. sehr.
23, 241; -wiesenmahd: neben der obgemelten peisze-
rischen gruntwüsenmat (i688) österr. weisth. 10, 218.
h) in der bedeutung IV A, zum fundament eines bau-
Werkes gehörig oder itr, weiterem si7i7ie als angäbe, dasz
ein körper anderen zur grundlage dient, kennt bereits die
ältere spräche grund- als compos%tionselem.ent vgl. grund-
feste ; häufiger tritt dieser typus aber doch erst mit dem
l5./lB.jh. hervor, vgl. grundpfahl, -pfeiler, -schwelle, -werk
{an alph. stelle) und erstreckt sich dann besonders auf
technische ausdrücke des baugeicerbes ; grundblock: die
grosze marmormasse des grundblocks Welgker alte
denkm. 1,365; -gebäu bildlich:
der kaum das grundgebäu des glucks zu stände bringt
Schwabe belust. 7,195;
und solch ein trugbild soll dir grundgebäu
von deiner pflicht . . . seyn? Herder 29, 133 S.;
-gebäude subatructiones Reyher thes. (1686) g 6vb;
bildlich: exempel . . . die doch würklich das ganze gr.
der Wahrheit ... zu erschüttern scheinen Herder 7,
256 S.; -gurt 'die zwey gurte über dem sattelbaum,
loorüber der grundsitz . . . zu liegen komt' Jacobsson 2,
163'»; -gemäuer: hier, wo das gr. eines römischen
castells noch übrig Göthe 28, 79 W., vgl. Mothes bau-
lex. 2, 541; -gestell: das mauerwerk im gründe eines
hochofena Blumhof eisenhütt. 496; -ge wölbe im eigent-
lichen sinne: in dessen {des turmes) moderichten grund-
gewölben Holtei erz. achr. 35,187; bildlich: das gr. {d. h.
das testament), welches künftig Spendheims ungebun-
denen überflusz tragen sollte 25, 164; -joch: untere pfahl-
reihe eines brückenjochs Mothes baulex. 2, 541; zwölf
mann bilden die grundjöcher und auf deren rücken vier
mann die pfeiler Hartmann volksschausp. 128; -leiste:
het auf beyden selten grundleisten, auf welchen der
tiel war M. Chusius annal. Suev. 3, 296; -mörtel: grob-
oder gr., bdton Muspratt 2,464; -pflaster, a7-t mör-
tel, beton Beil 1, 265; -pfosten, bildlieh: als ob die
europäischen Staaten . . . auf unwandelbaren gr. vorlägen
Laube ges. sehr. 8,75; -rest: von den mauern . . . sind
nur die grundreste ... übrig Ritter erdk. 19, 352; -rost:
. . . das gestein, das gebälk, die mühsam die Griechen zum
grundrost
hatten gefügt, mit der wogen gewalt aus dem boden heraus-
warf
Jordan Ilias 251;
• Säule base, piedestallo Kramer teutschital. 1,574*;
-schiebt: die Verbreitung, welche man der gr. gegen
die darauf stehende mauer giebt Mothes baulex. 2, 542;
-sitz *. grundgurt; -sohle im bergbau, Zimmerhölzer ^
die den thürschwellen zur unterläge dienen Jacobsson
2,165''; grundsohlen kan man nicht anbringen, hat (maw)
unter sich kein festes gestein Schönberg berginform.
(1693) 2, 46, vgl. Veith bergtob. 256; -vorsprung 'der
vorsprung . . . der grundschicht gegen die darauf stehende
mauer' Mothes baulex. 2, 542; -wachs ^tvachs, was
zur grundlegung der immenzellen . . . dient' Overbeck
gloss. mel. 37; der bedeutung von grund II A entsprechend'
läszt sich ansehlieszen grundwein 'weinspende ... bei
grundlegung eines hauses' Unger-Khull 311*.
i) grund- in den eoncreten bedeutungen von V A 3-6
u. 10 bezeichnet in zahlreichen fachsprachlichen ausdrücken
der vialerei, kupf er stecherei, weberei, Stickerei u. s. w. die
als tmtergrund des gebildes dienende Schicht der färbe,
der striehelung, des gewebes oder die hierzu gebrauchten
Werkzeuge: grün danstrich (v^^ V A 1 a) Mothes iaw-
lex. 2, 541; -auf trag {bei goldleisten) 403; auch als subst.
inf -auftragen Karmarsch-Heeren 4, 141; -behand-
lung 8, 764; -bindung: auf der klöppelmaschine wer-
den . . . nur torchonspitzen erzeugt, also einfache grund-
bindungen 8, 372; -fach in der sammticeberei: in den
sogenannten grundfachen wird die pole mit eingewebt
Preghtl techn. enc. 20, 522; -faden s. alph. stelle;
-feld: gr. des gemähldes {vgl. grund I G 2 a) Krünitz
20, 252; gr., engl, dead colour of a pieture Hoyer-Kreu-
TER 1, 316; -firnisz 'bei verguldern couche' Schrauer
dtsch-frz. wb. 1,580; -füllung: ... zur gr. der breiten
mittelbordüre Dillmont enc. d. tceibl. handarb. 119; -gla-
741 GRUND {composiiionstypen 5 k. 1. rn)
GRUND (compoaitionstypen 5 n. o)
742
sur Karmarsch -Heeren 9, 444; -kette, auch steif-
kette Jacobsson 2,164»; webereitechnischer ausdruck; der
kettenfaden, aus dem der grund (vgl. V A 4) gewebt wird;
-kettenfaden ä. grundkette Campe 2,472''; Karmarsch-
Heeren 10, 486; -leder: ziermotive aus verschieden-
farbigem . . . leder auf dem gr. (aufgeklebt) Lueger 6,
118; -lein wand: es (das leben) ist wie die grundlein-
wat eines mahlers Chr. v. Ryssel v. d. seelenfried.
(1685) 173; -litze eines drahtseiles Karmarsgh-Heeren
2, 664; -masche: grundmaschen, auf welchen die ar-
beit dann ausgeführt wird Dillmont enc. d. weibl. hand-
arb. 232; -maschine maschine des kupferstechers zum
'gründen' (vgl. sp. 795) von kt tpf erplatten , s. grundwerk
Jacobsson 5, 752»; -muster z. b. bei spitzen Kar-
marsch-Heeren 8, 364; -nadel bei klöppelkissen 370;
-netz bei spitzen 367; -putz bei stuckarbeiten 653;
-Schaft am seidenwirkerstuhl, ' Schäfte, worin die grund-
fäden . . . eingereihet . . . werden' Jacobsson 2, 165'';
-spitze: aus weiszer . . . seide hergestellte . . . grund-
spitzen Lueger 2, 493; -tuch: bei den husaren ist
das gr. von der färbe der attila v. Alten hdbuch f. heer
u. flotte 1,63; -Verdunkelung (eines gemäldes), frz.
rembrunissement Beil 265; -werk Jacobsson 5, 752,
*. grundmaschine; -zäckchen: die (ar<) ist unerhoben,
in faden fein genehet mit grundzäckgen Mahperger
beschr. d. hanfs (1710) 146.
k) grund- gibt in einer besonderen bedeutungsgruppe
bei technischen terminis an, dasz es sich um ein als
grundlage weiterer Verarbeitung dienendes product handelt;
neben grund IV A 2 spielen hier die abgeleiteten bedeu-
tungen IV B 1 m. 2 eine rolle: grund filz: man . . . fllzt
sie (die fache) mit dem gr. zusammen Karmarsch-
Heeren 4, 439; -hefe, vgl. grundsauer; -körper: G.
empfiehlt folgende composition harzölfirnisz als gr. Mu-
SPRATT 4, 133; -lauge: gruben ..., in welchen die
zum versieden bestimmte roh- oder gr. aufgesammelt
wird Prechtl techn. enc. 1,202: -material: dasz er
(der preiszuuachs) den ursprünglichen werth des grund-
materials ... übersteigt Sonnenfels ges. sehr. 10,207;
-metall: geringe mengen anderer metalle . . . kommen
. . . bei nicht ganz reinen grundmetallen in die legierung
MusPRATT 4, 2004; die Verschiedenheit . . . kann nur
durch Umbildung aus dem allgemeinen grundmetalle
gedacht werden K. E. v. Bär red. u. versch. aufs. 1,62;
-sauer ' Sauerteig . . . zur Zubereitung des künftig nö-
thigen Sauerteiges' Schrader dtsch-frz. wb. i, 681;
-schmiere Muspratt 4, ISO.
1) in fachausdrücken der botanik (seltener der Zoologie)
bezeichnet grund- mehrfach die tief gelegenen theile einer
pflanze oder eines pflanzenstückes (bzw. des thierkörpers),
vgl. grund I F; doch kommen gelegentlich auch andere be-
deutungen in betracht: grundachse: l) 'der bleibende
theil der achse solcher pflanzen, bei denen die . . . Ver-
zweigungen . . . verloren gehen' (grund IV A); 2) = 'tour-
zelstock, erdstamm' (grund II A 2) Bechhold hdiob. d.
nat. u. med.'^ 608''; kräuter, deren ... blätter unmittel-
bar aus der gr. kommen Allmers marschenb. 1/2 , 93 ;
-blatt s. alph. stelle; -blute Schlechtendal j^ora v.
Btschld. e.ioe; -horste Campe 2, 470"; -bucht: blätter
... mit engerer oder weiterer gr. Schlechtendal flora
V. Btschld. 11,101; -fleck: die grundflecken der kron-
blätter 13,38; -läppe: die beiden grundlappen (der blät-
ter) kurz und spitz 16, 4; -stamm 'die unterläge (wild-
ling), auf die das edelreis ... kommt' (grund IV A ) Bech-
hold hdwb. d. nat. u.med.^ 609''; -winkel: (der Schmetter-
ling ist) auch am gr. roth ('basique rubris') allg. dtsche
bibl. anh. zu bd. 37-52, 463; hinterwinkel , gr. , anguli
postici. anguli baseos (am halsschilde der insecten) Illiger
tier- u. pflanz. 232.
m) grund- vertritt in appellativen bezeichnungen natur-
wissenschaftlicher und volksthümlicher herkunft verschie-
dene, nicht stets völlig durchsichtige bedeutungen, z. th.
älteren datums, vgl. grundfeste, grundheil, grundrebe
an alph. stelle; in pflanzennamen entspricht zumeist grund
II A 2 (vgl. die Varianten mit erd-) oder es liegt entstelltes
grind vor; bei flschnamen ist besonders mit grund I A zu
rechnen; für die namen der übrigen thiere kommt neben
grund II A 2 auch III A 3-6 in betracht: grundbeil
(sonst grundheil, s. alph. stelle) Schlechtendal ^ra
v. Btschld. 17, 113; -echse: so könnte man sie (die
Schlangeneidechsen) auch grundechsen nennen Oken 6, 583;
-eichel: terrestris glans ... ackereychel, grundeychel,
erdnusz Alberus (i640) ff 3»; gr. , auch erdeichel
(Schlesien) = lathyrus tuberosus Pritzel-Jessen 204'';
vgl. bei KrOnitz 20, 279, *. grundbirne 1; -eichhörn-
chen sciurus striatua Oken 7, 772; -epheu, dasselbe
wie 'erdepheu, grundrebe' Krönitz 20, 350, schon bei Lud-
wig dict. engl.-germ. 296; -ferkel, dasselbe wie grund-
ratte Oken 7, 786; -fink geospiza Brehm tti'eri.* 9, 435 ;
-fisch ('erdfisch') ophiocephalus striatus Bechhold hwb.
d.nat.- 609; -hai, handelsname für den dornhai Meyer
icx.' 5,736; -he cht Noel Chomel 4, 1389; -käfer homo-
phron Oken allg. nat. 5, 1718; -karpfen Campe 2, 472;
-kraut senecio vulgaris Holl wb. d. pflanz. 137", ent-
stellt aus grindkraut, vgl. th. i, l, G, sp. SVS; -kresse
cyprinua gobio Nemnich wb. d. nat. 213; -kuckuk
geococcya californiaiius Brehm thierl.^ 5, 118; -magen
(= mohn) papaver Khoeas Holl wb. d. pflanz. 137 '', daneben
altes grindmagen, vgl. th. 4, l, 6, sp.Sll; -mann (gundel-
rebe) glechoma hederacea, 'erdepheu' Pritzel-Jessen
166» aus Francus de Franchenau lex. vegetab. (i672);
-nessel: grundnettel in Mecklenburg 1) ranunculus
aquatilis, 2) potamogeton (laichkraut) Pritzel-Jessen
324» bzw. 303», vgl. Nemnich wb. d. nat. 213; -nusz:
. . . beladen mit cassave und grundnüssen Ritter erdk.
1, 284; -papagei (erdsittich) : sumpf- oder gr. pezoporua
terrestris Brehm thierl.* 8, 112; -ratte aulacodus swin-
derianus Oken 7, 784; -ruch colymbus minor L. Nau-
mann Vögel 9, 785, vgl. Staub-Tobler 6, 194 u. Fischer
schicäb. 8,879; -sangel cyprinus gobio Nemnich wb. d.
nat. 213; die grundsängel sollen an keinem ort . . . ge-
fangen werden v. Hohberg georg. cur. (1682) 2, 468;
-Schnecke: ... von den gemainen grund- oder haus-
schnecken Fischart b, 157 if^. ; - b c h w a I b e (Uferschwalbe)
grondschmuelef lux. ma. 156»; -strauch epigaea re-
pens Nemnich wb. d. nat. 213, auch grundkriechender
vgl. Holl wb. d. pflanz. 137 •>; -taube columba passerina
Oken 7, 294; -weide in Schleswig - Holstein für 'erd-
weide, ackerweide', salix repens Pritzel-Jessen 356»,
auch für andere arten der weide in gebrauch ebd. 367»,
vgl. Nemnich wb. d. nat. 214; -würz eryngium cam-
pestre, gruntwurz Toxites onomast. dua (1574) 202, vgl.
Pritzel-Jessen 145».
n) in medidnischer terminologie entspricht grund- theils
der bedeutung IV A 2 a 'grundlage', wobei die Vorstellung
des räumlich unteren (vgl. I C 2) den begriff 'basis' mehr
oder m,inder zurückdrängt, theils dem. abgezogeneren sinne
von IV B 1 'grundbestandtheiV; erweist sich hier aber als
wenig triebkräftig: grundbein: das siebende (bein des
Schädels) bestehet aus dem keilförmigen und grundbeine,
weil es . . . als eine seule alle . . . beine . . . traget
V. Fleming teutsche sold. (l726) 341 § 4; gr. os basilare
Nemnich wb. d. nat. 213; -faser: fibrae ultimae . . .
sind die allereinfachste, feinste, unzertheilbarste grund-
fasern des thierischen körpers Blancard arzneiwb. 2,
18»; -muskel Sömmerring bau d. menschl. körpers
4,49 anm. i; -knorpel, knorpel des kehlkopfes, meist
'ringknorpeV Bechhold hwb. d. nat.^ 609»; -pulsader:
zapfenpulsader oder gr., basilaris Sömmerring bau d.
menschl. körpers 3,2,107; -Windung: die innere gr.
(des groszhirnes) gyrus basilaris internus 4, 173 anm.;
-Zungenmuskel: basioglossum, die gr. sind ein mus-
kelpaar . . . Blancard arzneiwb. l, 286».
0) seit dem, älteren nhd. (vgl. grundspruch an alph. stelle)
zahlreich entwickelt zeigt sich die composition m,it gründ-
en seiner unconcreten. übertragenen Verwendung als grund-
lage allgemein (vgl. IV A 1 m. 2), auf der sich etwas andres
aufbaut (res fundamentalis) ; mehrfach kreuzen hier auch
bereits die bedeutungen IV B 1 m. 3 hinein, sodasz die
Zugehörigkeit zu einem bestimmten typus nicht überall
klar entscheidbar ist: grundangabe: alle früheren be-
rechnungen . . ., die auf diesen falschen grundangaben
beruhten . . . Ritter erdk. l, 839; -ansieht: von die-
47»
743
GRUND (compositionstypen 5 o)
GRUND {compositionstypen 5 p)
744
8er gr. aus fiel Klopstock anf die christlichen empfin-
dungen Gervinus gesch. d. dtachen dicht, i, 269; -ar-
tikel: es ist ihr (der aposteV) gr. der alles entwickelnden
Zukunft Herder s. w. 7, 461 S.; -auffassung: nur
müssen . . . die nächsten anstösze , welche die hier be-
folgte idealistische gr. finden könnte, beseitigt werden
Schopenhauer 3, 43 Gr.,- -bedürfnis: eben so noth-
wendig ist es, dasz der mensch die . . . nothwendigen
grundbedürfnisse seines herzens kennen lernt papiere
e. verstarb. (1787) 352; -behauptung: diese gr. ist die
. . . allgemein bekannte F. H. Jacobi t<>. 3, 888; -be-
kenntnis: entsprechend ihrem {der physiokraten)
nationalökonomischen gr. hwb. d. ataatsunss.^ 6, 1121 ;
-betrachtung: ich verweile mich hier . . . bei diesen
subtilen grundbetrachtungen Moses Mendelssohn ges.
sehr. 2, 152; -bevölkerung: der hauptstamm und die
gr. des russischen Südens ist die malorossianische nation
Krünitz 198, 552; -Choral: darum sind die psalmen
... als der gr. aller kirchlichen gesänge gebraucht
Fr. Schlegel a. iv. i, 119; -dogma: das gr., dem alle
übrigen nur dienten, war das von Christus D. Fr. Strausz
ges. w. 7, 548; -erklärung: die kleinste Unrichtigkeit in
der gr. kann ... zu den wichtigsten fehltritten verlei-
ten Moses Mendelssohn ^e*. sehr, i, 287; -exemplar:
das gr. {meiner werke) nochmals im ganzen revidirt Göthe
III 11, 79 W.; -fabel: die regel bleibt, dasz die gr. des
romans nicht tragisch sein darf 0. Ludwig ges. sehr.
6,129; -futter Meyer iex.' 6, 735; -geschenk: der ver-
schiedenen gaben, grundgeschenke der familie, vielfache
beitrage von freunden Göthe 82, 127 W.; -hoffnung:
diese hoffnung, welche freilich die gr. aller übrigen ist
M. K. H. SiNTENis Qeron u. Palämon 80 ; -hunger: {ein
lyrismus) durchtränkt mit dem gr. eines ganzen Zeit-
alters Bernoulli Fr. Overbeck u. Fr. Nietzsche 2, 16;
-irrung: eine gr. seines lebens Gervinus gesch. d.
19. jh.8 4, 489 ; - 1 e i d e n s c h a f t : sie {die eitelkeit) ist die
seele, der Impuls, der witz und die gr. des mensch-
lichen geschlechts B. Goltz hint. d. feigenblätt. l, 126;
-mangel: mit . . . einzelnen glättungen liesz sich der
gr. nicht heben Herder 12, 391 S.,- -m einung: schon
damals hatte sich bei mir eine gr. festgesetzt Göthe
28, 100 W.; -melodie: die hauptnoten, worinne die gr.
liegt Quantz anweis. d. flöte zu spielen (1789) 112; auch
bildlich: die eigenthümliche gr die jedem in tiefster
seele mitgegeben ist Eichendorf s. w. 2,69; -Ordnung:
die gr. der natur . . . , die ich noch auf keinem misz-
klang betrat Schiller 4,251G.; -schätz: wir... emp-
fehlen, . . . diese werke als den gr. aller kunst ... zu
studiren Göth e 48, 20 W. ,- - s c h u 1 e s. alph. stelle ; -sinn:
wird denn die vergleichung . . . vom gr. bis zur einzelsten
äuszerung mehr angenehm und belehrend Göthe IV 41,
246 TF.; -Statut: es wird ... in den grundstatuten . . .
vorbehalten v. Haller restaur. d. staatswiss. 6, 119;
-summe: es war eine hohe gr. für die anstalt hinter-
legt worden Rosegger sehr. 12, 871; -täuschung: die
gr. im wissenschaftlichen empirismus ist immer diese
Hegel tc. 6, 80; -tendenz: nachdem . , . das christen-
thum die gr. des lebens als eine moralische nachgewiesen
hatte Schopenhauer 5, 210 Gr.; -Überzeugung: was
ist alle moral, geschichte, pbilosopbie ohne die gr. : nil
humani a me alienum J.K.Lavater ausgew. sehr, l, 246;
-Übung: die ersten und wesentlichen vor-, grund- und
hauptübungen Fr. L. Jahn w. 2, 7 K; -Unterricht:
der . . . Unterricht theilet sich . . . in . . . gr. . . . elementar-
unterricht und . . ; wissenschaftlichen allg. dtsche bibl.
39, 569; -unterschied: nur müszte man den gr. des
drama und der epopöe recht ins äuge fassen Göthe
31, 198 W.; -Untersuchung: die interessante gr. über
das höchste gut und die tugend Tennemann grundr.
d. gesch. d. phil. (1827) 117; -Urkunde: die Schleswig-
Holsteiner . . . beriefen sich auf ihre alte gr. und auf
ihre frühere rechtlich nimmer aufgehobene Verfassung
E. M. Arndt sehr, für u. an s. l. Dtschen 4, 276; -Ver-
fassung 8. alph. stelle; -vergleich: dasz er {der könig)
den gr. zwischen könig und volk aufhebt J. Moore i,
805; -Versorgung: war die Sache auch nicht ganz so
brilliant, wie sie es hier glaubten . . . , so war es . . . für
sie eine herrliche kleine gr. Schopenhauer br. 150;
-vorurtheil: hierauf werden mittel angegeben, die
grund vorurtheile auszuwurzeln allg. dtsche bibl. lo, 86;
-wahn: wahn der transsubstantiation : gr. Novalis sehr.
3, 71; -Weisheit: aus einer heidnischen gr. {philo-
Sophie) entlehnt Fr. Chr. Öttinger theol. hauptwahrh.
44; -Widerspruch, in diesem grund Widerspruche des
Werkes Hegel lo. 2,804; -wissen: wahrhaft beruhigende
entscheidung mnsz immer auf ein gr. zurückgehen
Schleiermacher IIl4, 2, 379; -Witterung: meteorolo-
gische Übersicht vom jähre 1771 als eine gr. für das ...
jähr . . . 1790 allg. dtsche bibl. 102, 143.
p) als ein im älteren nhd. zuerst auftauchender, später
breit verwendeter und zukunftsreicher typus stellt sich die
composition mit grund IV B l dar; hier steht die Vor-
stellung der zeitlichen oder substantiellen priorität {res
primitiva, originalis, radicalis), die ausgangshaltung, der
grundstoff betont im Vordergründe; gelegentlich noch durch
adjectiva wie 'ursprünglich' verdeutlicht und öfter in con-
currenz mit ur- ; als vorbereitende stufe dieses typus lassen
sich einige m,hd. compoaita auffassen, in denen der be-
griff 'Ursprung' {vgl. IV B 2) noch halb concret zu nehmen
ist: grund ad er {die ader) haizet . . . basilica, daz ist
gesprochen diu gruntader, dar umb daz diu leber ain
grünt ist und ain ursprinch des pluotes Konrad v.
Megenberg b. d. nat. 37,5; grundseele:
vogel, tier swaz lobentic si
daz muoz zwo sele hän,
die gruntsel, da wahst ez van,
die ander sele
Teichner 90 Karajan.
dem reihen sich ein paar plastische Verbindungen des
älteren nhd. an {s. grundfeuchte = humidum radicale an
alph. stelle): grundgemenge: also ist auch jedes körn
oder gesäme ein chaos oder gr., in welchem die gesäme
der gantzen weit kurtz begriffen enthalten sind Knorr
v. Rosenroth pseudodox. (1680) 133; -hitze: weil die
unkeuschen ihre grundhitz und feuchte . . . verschleiszen
GuARiNONius grewel d. verwüst. (I610) 1104; vgl. grund-
feuchte; -wärme: daraus {dem urlicht) folgends die
weltliche lichtskugeln gemacht werden solten, und für
eine natürliche grundwärme . . . allen körpern leben
und bewegung gegeben Francisci d. eröffn. lusthaus
(1676) 328.
cc) in allgemeiner Verwendung : grundanfang: dieser
gr. aller dinge wird licht genannt allg. dtsche bibl. 21,
230; -anmaszung: aus dieser ursprünglichen gr. fol-
gen . . . alle abgeleiteten Fr. Schlegel pros. jugend-
schr. 2, 207; -annähme: gehen wir . . . von den ein-
fachsten grundannahmen über die gleiche Wahrschein-
lichkeit aus L. BoLTZMANN pop. sehr. 362; -anstosz:
. . . dasz die geschichte von den sieben nachkommen
Sauls . . . den gr. bilde, welchen Reimarus aus David
genommen D. Fr. Strausz ges. w. 5, 8I6; -antrieb:
die rechte geschichte müszte ... im kerne der begeben-
heiten . . . , in deren grundantrieben und den ersten
formen, unter welchen sie ins leben übergingen, gesucht
werden v. Meyern hinterl. kl. sehr. 2, 48; -auf st ei-
lung: gr. ... nennt man . . . die reglementmäszige
form einer geschlossenen truppe v. Alten hdb. f. heer
u. flotte i, i:"!!; -be merkung: so ... zeigt {das) aber
die Wahrheit meiner gr. Hebbel tageb. 3, 192 W.; -be-
zug: verschiedenartige bezüge . . ., die in den groszen
gr. von gott zur gesammtwelt eingetragen, die unter-
geordnete gliederung . . . begründen Görres myatik 1, 12;
• bildung: so ... entsteht die gr. des reichs Fichte
a. w. 4, 453; -brei: wie alles aus dem gr. oder urschleim
hervorgegangen ist Fr. Schlegel a. w. 13, 21; -ein-
theilung: dies... {aind) nachkommende eintheilungen,
jene erste aber . . . bleibt die ursprüngliche und gr.
Fichte *. w. 4, 453; -entwurf: hohes alter und eine
unmerkliche auflösung liegen im gr. unsers lebens J. J.
Engel ÄcAr. 2, 153; -ereignis: urwissenschaftlich weisz
der geschichtdenker dem gegebenen ereignis ein nicht
gegebenes gr. herauszudenken J. H. Vosz antisymb. 853 ;
-existenz: ... leiten wir auch die umrisze und dar-
stellung derselben {der wesen) charakteristischer aus
ihrer gr. her Ph. 0. Runge hinterl. sehr, l, 12; -feuer:
745
GRUND {compoaitionstypen 5 p)
GRUND {compositionstypen 6 p)
746
er setzt das gr. der bildung der erde voraus Göthe
II 9, 396 TT.; -gesang: dergleichen echte bedeutende
grundgesänge {in 'des knaben wunderhorn') Göthe 40,
367 W.; -ge Wohnung: grundgewöhnungen sind der
ström, in dem sie fortziehen — aus ihnen erzeugt sieh
. . . gleichsam ein stehendes lebenskapital v. Metern
hinter l. kl. sehr. 2, 147; -ge schlecht: die vertheilung
derselben (der zeugungskraft) an zwei grundgeschlech-
ter Fichte s. w. 4, 477; -gleichheit: Oersted (be-
hauptet) . . . , dasz diese allgemeingültigkeit der . . .
naturgesetze auch eine gr. des erkenntnisvermögens
im ganzen Weltall voraussetze Büchner kraft u. st. 49;
-gleichnis: weils auch wider das gr. ist, das die
erste idee suppeditirt Spangenberg apolog. schl.-schr.
(1752) 2, 605; -gleichung: der Übergang von der gr.
... zu jenen linearen gleichungen Hegel lo. 3, 842;
■ keim: dieses . . . wörtchen ist der gr. jener groszen
revolution W. L. Wekherlin hyperbor. br. 1,53, vgl.
Herder 4,134 S.; -kern: das fast bestimmte und
positive . . . , welches zugleich der gr. des persönlichen
ist Fr. Schlegel s. iv. 12, 67; -krankheit: so ent-
springt aus zwei ursprünglichen grundkrankheiten die
ganze mannichfaltigkeit der krankheitsformen Schel-
ling I 3, 237, v^^ Krünitz 220, 5; -kunst: man könnte
der von uns statuirten aufeinanderfolge der drei grund-
künste folgende andere entgegensetzen Schelling I 5,
628; -leben: wir können z. b. uns als . . . das leben-
dige in jenem gr. denken und ergreifen Fichte a. w.
2 , 344 ; - m a t e r i e : wo sich dergleichen crystallen be-
finden, hat sich die ganze gr. umgewandelt allg. dtsche
bibl. 92, 329; -mischung: seine erscheinung setze schon
. . . trennung in der gr. voraus allg. dtsche bibl. 9, 2, 18;
-natur: seine (des Napoleonismus) demokratische und
revolutionaire gr. Th. Mundt Faris u. Louis Napol.^ 175;
-phänomen, -phänom: wir möchten jene ... haupt-
erscheinung ein grund- und urphänomen nennen Göthe
II 1, 72 W.; die grundphänome der entoptischen färben
IV 28, 123; -religion: dasz Mani, Buddhas, Zoroaster,
Christus . . . dieselben seyen, nur verschiedene . . . formen
der einen gr. Ritter erdk. 7,218; -seuche: gleich als
ob es eine gr. des ganzen germanischen stammes wäre
Fichte s. w. 7, 836; -sitte: das alter, die Zähigkeit,
die gr. ist uns gemeinschaftlich gewesen Laube ges. sehr.
4, 108; -stand : zwei grundstände nemlich ... lehrer und
durch lehrer gebildete Fichte s.w. 4,453; -Stellung,
in militärischer fachsprache: die gr. eines infanterie-
bataillons Wilhelm I. mil. sehr. 2, 238; als ausdruck
des turnwesens: sprung . . . aus schlusz- (grund-) und
Schrittstellung Euler hdb. d. ges. turnues. l, 336; übertr.:
mit der rechten gr. des herzens zu gott W. Lohe evang.-
post. 2, 102»; -Substanz: der v. nimmt die vitriole-
säure als die einzige von natur wesentliche gr. an allg.
dtsche bibl. anh. 1-12, 800 ; neben personalem begriff selten
-teuf el: der gr. heiszt ungenügsamkeit Auerbach sehr.
18, 166; -unsinn: es gibt keinen bedauernswerthen un-
sinn, der nicht aus obigem gr. herausgekommen wäre
Brunner erz. u. sehr. 2, 161; -Verneinung: dann wird
diese Verneinung aufgehoben und es bleibt nur die eine
gr. zurück Görres myst. 1,7; -versuch: mit diesen
täf eichen läszt sich der erste einfachste gr. ... glück-
lich darstellen Göthe IV 86,40 W^; -Verwandtschaft:
so ist eine gr. zwischen der lateinischen und griechi-
schen spräche anerkannt Niebuhr röm. gesch. l, 39;
-vokal: je voller die einfachen grundvokale aus ihr
(der spräche) hervortönen Fr. Schlegel s. w. 15, 144;
-volk: sie lehrt uns ..., dasz für jeden einzelnen
(stamm) die abzweigung von dem entsprechenden gr. . . .
stattgefunden hat v.o. Steinen naturvölk. Zentr. Brasil.
201; -Wahrnehmung: überzeugt, dasz ... spätere ent-
deckungen ... die grundwahrnehmungen doch zuletzt
bestätigen müssen Ranke s. w. l, x; -zustand: sein
(des frommen) gr. ist gemeinschaft mit gott Schleier-
macher I 12, 14 beil.; das gedieht . . . macht den leser
. . . mit den magyai;ischen grund- und Urzuständen ver-
traut Hebbel br. 5, 198 W.; -zierde: dasz gemelter
spräche eigene angebohrene gr. nicht allein erhalten . . .
werde Zesen heliko^i. rosenth. 33.
ß) besonders verbreitet und entwicklungsfähig ist dieser
typus in ausdrücken der philoaophie, psychologie und ver-
wandter Wissenschaften; oft mit der bedeutungsnuance,
dasz es sich um, eine letzte bestimmende einheit handelt,
auf die eine erscheinung zurückgeführt wird; doch gehört
nur ein theil der verzeichneten begriffe zur eigentlichen
fachierminologie. bereits im. 17. jh. beginnt die compo-
sitionsart: grunddenklichkeit: es ist das wesen aber
. . . nicht eine schlechte, sondern eine wissenschaft-
liche grunddencklichkeit (denklichkeit ist = conceptus)
E.Weigel grund all. tug. (1687) 4; -qualität: es sind
. . . von denen ursprünglichen qualitäten die 4 eigen-
thumliche die allerersten, und gleichsam die grundquali-
täten und gestaltsamkeiten moral. weiszh. (1674) 85; aber
voller enttvickelt erst seit dem 18. jh. :
grundabsicht: einzig aus dieser lezten gr. , die
Vollkommenheit des nebenmenschen zu befördern Schil-
ler 1, 75 G.; -affect: liebe ist freilich der gr., der
diese erschütterungen . . . hervorbringt J. J. Engel sehr.
8,831; -ähnlichkeit: hier läszt sich die gr. mit den
äugen verfolgen Göthe II 6, S69 W.; -ahnung: wenn
wir diesen gedanken ebenso als grund wissen anzu-
erkennen vermögen, als es uns hier als gr. vorschwebt
Krause vorles. üb. d. grundwahrh. d. tciss. 106; -ana-
logie: die Vernunft . . . setzet die gr. zwischen ihnen
(Ursache und udrkung) fest Teten s phil. vers. 1,92 ndr.;
-aneignung: alles und jedes (ist) nur durch diese
centrale gr. wirklich dem subjecte innerlich Vischer
ästh. 3, 788; -auflösung (solutio radicalis), 'vermöge
welcher ein . . . körper . . .in seine grundtheile zerlegt icird'
Blancard arzneiwb. 8, 96''; -äuszerung: drei grund-
äuszerungen der erkenntniszkraft Tetens phil. vers. l,
698 ndr.; -begehren Schelling I lo, 442; -begierde:
gr. , 'begierde, welche zum, wesen des menschen gehört,
appitence' Schrader dtsch-frz. wb. l, 579, vgl. Herbart
w. 9, 342; -bestrebang: seine (des willens) gr., die
Selbsterhaltung Schopenhauer 2, 349 Gr.; -bewuszt-
8 ein: ferner liegt in dieser unmittelbaren erkenntnis
das grundbewusztseyn alles glaubens J. F. Fries neue
kritik. d. vemunft 1,200; -beziehung: weil nämlich
die schlechthinige abhängigkeit die gr. ist Schleier-
macher Is, 21; -definition Moses Mendelssohn ges.
sehr. 2,66; -eigenthümlichkeit: die gr. unsres den-
kens WoLTMANN memoir. l, 222; -einsieht: innerhalb
der vorausgesetzten gr. Fichte *. w. 8, 371; -factum:
wir haben . . . das ganze bewusztsein . . . zurückzuführen
auf zwei grundfacta 2,609; -fähigkeit: verstand und
Vernunft . . . sind keine verschiedene grundfähigkeiten
briefe die neueste lit. betr. (1765) 21, 155; gr. . . . faculte
primitive Schrader dtsch-frz. wb. 1,680; -function:
(der räum) ist . . . eine function, ja eine . . . gr. meines
intellekts Schopenhauer 5,52 Gr.; -gebilde: die er-
streckungen der theile in dem gr. des körpers Vischer
ästh. 3,415; -gegensatz: (der) gr. zwischen bildung
zur Vernunft und bildung zur persönlichkeit Schelling
w. 7, 525; -gepräge: das gr. der gattungen Vischer
ästh. 2,23; -gesellschaft: in welcher vierstufigen gr.
der mensch sein natürliches leben . . . pflegen . . . kan
E.Weigel m,orahoeish. (i674) 13; -gesinnung: seine gr.
und die quelle seines handelns Schopenhauer 5, 209
Gr.; -gewiszheit: diese . . . erfahrung . . . zeigt uns
nun vier grundgewiszheiten Windelband flfe«c/t. d. neuer,
philos.^ 1, 82; -handlung: drei grundhandlungen des
erkennens Schelling I 6,516; -ich: dies (das praktische
ich) ist auch das eigentliche gr. Novalis sehr, s, 164 M.;
-Ingredienz: auf welche weise diese beiden grund-
ingredientien unseres menschengeschlechts zuerst ge-
mischt wurden Fichte s. w. 7,172; -inhalt: der gr. ist
die eine, einfache, absolute Substanz Hegel w. li, 289;
-instinct: (die) den gr. verratende geneigtheit G. Sim-
mel soziolog. 262; -kategorie Hegel M!.7,1.18; -kör-
perchen: leere Zwischenräume und gr. (atome) von
bestimmten gehalten Kant w. (1838) 8, 527 Hartenst.;
■merkmal: die unterscheidenden grundmerkmale seiner
gesinnung Fichte s. id. 4, xxiii; -natur: seine eigent-
liche gr. Immermann m». 18, 165 jB. ; -philosophie: Baco
wünschte in einer ur- oder gr. aus allen Wissenschaften
747
GRUND (compositionstypen 5 q)
GRUND {compositionstypen 5 r)
748
allgemeine grundsätze gesammlet Herder 21, 145 S.;
"Physiognomie: dürfte nicht bey allen menschen eine
gr. seyn? J. K. Lavater physiogn. fragm. 2, 84; -pro-
cess: die einzelnen dynamischen processe (sind) nur ver-
schiedene zerfällungen des einen grundprocesses Schel-
LiNG Is, 281; -qualität: in irgend einer urfactischen
. . . qualitätsbestimmung (die grundqualitäten der natur
und des empfindenden ich) Fichte s.w.i,\iu; schon
bei Weigel, (leii), s. köpf des abschn.; -sein: das grund-
seyn des lebens Fichte s. w. 2, 683; subst. pari, präs.:
nur das grundseyende ist das wahrhaft reale 4, xix;
-System: in dem mannigfaltigen... grundsysteme alles
bewusztseins 2,849; -thätigkeit: er prüfet seines geg-
ners (Böldicke) neue kunstwörter ... die grundtriebe,
die grundthätigkeiten neueste a. d. anmuth. gelehrsamk.
6, 107 Gottsched; ob denken und wollen aus einer oder
mehreren grundthätigkeiten flieszen Moses Mendels-
sohn ges. sehr. 2, 194, vgl. Schopenhauer w. 3, 533 Gr.;
-Unterscheidung: neben dieser gr. tritt bei Wolff eine
zweite in kraft Windelband gesch. d. neuer, philos.^ i,
523 ; - u r t h e i He jugement fonde sur l'experience Sc h wan
nouv. dict. 1,799°'; -Verhältnis: durch völlige auf-
lösung alles unsers denkens in seine . . . grundverhält-
nisse Solger nachgel. sehr. 2, 51; -Verpflichtung:
diese grundverhältnisse . . . werden als quellen der fünf
grundverpflichtungen angegeben Hegel 9, 119; -Ver-
ständnis: wer mit dem einfältigen gr. ... dergleichen
vernimmt Ottinger theol.hauptwahrh.il; -wahrnehm-
nis: anerkenntnisz der grundwahrnehmnisse des selbst-
bewusztseins K. Chr. Fr. Krause über d. grundwahrh.
d. wiss. 323; -Wahrscheinlichkeit: in . . . Wissen-
schaften, wo man nach deutlich erkannten grundwahr-
scheinlichkeiten ... urtheilen kann Scheibe crit. music.
(1745) 487; -weise: zwei grundweisen des bildens d.i.
zwei grundbegriffe der bilder: . .. natur und Sittlichkeit
Fichte s. w. i, iS7; -wille: es könnte aus dem an-
geborenen grundwillen sich nicht herausbewegen und
ihn überschreiten Fichte *. w. 4, 486; -wollen: es ist
reales selbstsetzen, es ist ein ur- und gr. Sghelling
I 7, 885; -wollung: die erforschung des grundrhythmus,
der grundwollungen , der grundgesinnungen eines Cha-
rakters Raoul Richter essays 187; -zustand: beim
nachdenken übers beharrende im menschen . . . habe
ich bis jetzt nur vier grundzustände gefunden Göthe
IV 15, 203 W.
q) in der bedeutung von grund = letzte einheit (vgl. p ß)
hat sich ein besonderer typus bei begriffen der berechnung,
des maszes, der norm u. ähnl. herausgebildet: grund-
betrag; davon -betragseinheit: der barwert der gr.
für die rentenbezüge Gzuber wahrscheinlichkeitsrechn.
2, 365; -calender: nach dem Isten hauptstück . . .
findet man ... einen gr. allg. dtsche bibl. 66, 337; -curve:
ist y = f (x) die gleichung der gr., so erhält man die
gleichung der evolvente ... Lueger 4, 9; -einheit s.
alph. stelle; -epoche: fünf grundepochen des erden-
lebens Fichte s. w.1,\1] -gebühr, moderner ausdruck
z. b. im postwesen; -figur s. alph. stelle; -geschwin-
digkeit: als gr. kann man etwa 10 km in der stunde
. . . rechnen v. Alten hdb. f. heer u. flotte 3, 31 ; -glei-
chung: die allgemeinen grundgleichungen für die Wir-
kungen einer (kraft) Lueger lex. d. ges. techn. 6, 783;
-karte, übertr.: die grundcharte der empfindungs- und
tonarten Herder 22, 69 S.; technisch: die herstellung
historischer grundkarten für ganz Deutschland (im masz-
Stabe 1:100 000) v. Thudichum hist.-statist. grundkart.
(1892) 7; -liste: sie (die färbe) erleichtert ... die auf-
stell ung der grundlisten ... bei den dienstpferden v. Al-
ten hdb. f. heer u. flotte 3, 487; -lohn: gr. nennt die
r. V. 0. (reichsversicherungsordnung) den satzungsgemäszen
lohnbetrag, der bei der bemessung des kranken- und
Sterbegeldes ... als grundlage dient Man es versich.-lex.
B2S erg. -bd.; -masz s. alph. stelle; -menge: die tafel
hat zur darstellung zu bringen, wie eine gr. von dienst-
tauglichen sich . . . vermindert Gzuber wahrscheinlich-
keitsrechn. 2, 214; -preis: (der kaufmann) macht sich
verbindlich . . . jeden gewöhnlichen artikel . . . um den
oben bestimmten gr. anzunehmen Fichte s. w. 3, 405,
vgl. hwb. d. staatswiss.^ 5, 357; -stärke: die . . . ermitte-
lung der gr. ist die wichtigste arbeit dabei (bei der
cubierung von bäumen) Pressler neue holzwirthsch.
taf. 183; -t ab eile: hierauf erweitert er die gegebene
gr. für eine wittwenkasse allg. dtsche bibl. anh. zu 53-86,
2000; -tag: bei ermanglung eines grund- und normal-
tages Göthe IV 21, 340 W.; -ums atz: gr., energieumsatz
...eines nüchternen menschen bei vollkommener muskel-
ruhe Guttmann med. terminol.-- i3i ; -Verrichtung:
und zwar sind die 4 so genandten species der compu-
tation und berechnung . . . die vier grundverrichtungen
des haus- und stadtwesens E. Weigel moralioeiszh.
(1674) 40; -Wahrscheinlichkeit: die (beobachtungs-
reihen) sich von den marbeschen eigentlich nur dadurch
unterscheiden, dasz die gr. ^ ist gegenüber ^f Gzuber
wahrscheinlichkeitsrechn. 1, 146.
r) breit entfaltet ist in jüngerer spräche seit dem il.jh.
eine compositionsgruppe, in der grund- im sinne IV B 3
den begriff des wesentlichen, der haiiptsache beisteuert,
gelegentlich durch die paarung haupt- und grund- ver-
stärkt, selten unmittelbar zusammengerückt wie in grund-
hauptwesen: archaeus, der formal- und innerliche
schaffer bei der würckung, die ein werck ausübt : prin-
cipium hilarchicum (= hylarch.), das grundhauptwesen
E. Weigel tug. üb. rech.-kunst (1687) 52, vgl. grund-
wesen an alph. stelle; ganz beiseile fällt freilich in
diesen bildungen die Vorstellung des grundlegenden selten ;
grundanklage: hier liegt die gr., die gegen mich statt
hat Pestalozzi s. sehr. 9, 266; -arbeit: eine Samm-
lung der in der chymie . . . brauchbaren grundarbeiten
allg. dtsche bibl. 26, 514; seine (Görres) eigentliche gr.
besteht in einer geschichte der sagen aller Völker Bren-
tano ges, sehr. 9,114; -arznei: grund-, haubt- oder
algemeine arzeney panchrestum, panacea Stieler 51;
-basis: die andre gr. . . . beruhte auf dem persischen
adel Fr. Schlegel 13, 218; -beschlusz: nicht weniger
hat die urtheilskraft ... bei allen grundbeschlüssen und
hauptentscheidungen den ausschlag zu geben Schopen-
hauer 2, 104 Gr.; -bestreben: wo sie (die begeisterung)
... mit einem gr. der zeit zusammentraf D. Fr. Strausz
ges. w. 1, 62; -blindheit: ihre (der unerleuchteten men-
schen) gr. bestehet darin, dasz sie nicht erblicken die
freiheit als die wurzel alles wahrhaften seyns Fichte
s.w. 4,416; -eindruck: die landschaftliche Stimmung
als grund- und haupteindruck eines kunstwerks VischEr
ästh. 3 , 685 ; -erbe: voller erbe , gr. herede universale
(capitale) Kramer teutsch-ital. l, 300''; -erfordernis:
ich finde da beide grunderfordernisse wahrer poesie
Schubart br. in Strausz w. 9, 2, SiO; -ergebnis: die
auferstehung, das grundergebnisz der christlichen reli-
gion Göthe 42, 1, 137 W.; -falte: die bedeutungsvolle
gr. (beim Isisgewand), welche . . . eine bestimmte an-
deutung des . . . ewig festen . . . gibt Böttiger kl. sehr,
s, 367; -feder: trachte du vor allem die gr., die dem
ganzen werke bewegung und Umlauf ertheilt, zu ent-
decken J. A.Feszler Marc- Aurel 1,69; -gegenständ:
diesz ist der gr. und darum auch das leitende princip der
entwicklung Hegel w. 9, 53; -geschäft: hilfsgeschäfte,
die für sich allein nicht die grundlage . . . der grund-
geschäfte ermöglichen hwb. d. staatswiss.^ 4, 995 ; - h e b e 1 :
diesen erz- und gr. des Innern menschenreichs (die Selbst-
liebe) berühre ich jetzt nicht Bentzel-Sternau bei
Campe 2,472; auch bei Vischer ästh. 3, 679; -Inhalt:
ich gehe nun an das andre geschäft, ihnen den gr.
aller folgenden reden . . . vorzulegen Fichte s. w. 7, 270;
-kennzeichen: erfindung ... ist das gr. literarischen
talents Laube ges. sehr. 1,124; -leiden: die gr. waren
die bereits früher ausführlich hervorgehobenen Momm-
sen röm. gesch. 8,502; -leitfaden: so kann sie (eine
solche Übersicht) recht füglich an diese (die bisherige Ute-
ratur des faches), als den gr. sich halten Fichte s. w.
8, 199; -makel; darnach zu urtheilen finde ich den gr.
in der ersten Verleugnung L. Feuerbach ausgew. br.
2, 134 Bohn; -mittel: blick mit mir noch einmal auf
das Wesen dieses grundmittels der menschenveredlung
Pestalozzi s. sehr. 6,2%2; -nerv: eine Wirtschaftspoli-
tik . . ., welche das geld als die basis und den gr. alles
749
GRUND {compositionstypen 5 s)
GRUND (compositionatt/pen 5 t. u) 750
nationalen erwerbs . . . betrachtete Schwappach hdb. d
forst- u. jagdgesch. 1, 266; -norm: aas welchen . . . for
men und grundnormen meine Schönheit ... zusammen
gesetzt wäre B. Goltz e. jugendleb. 2, 24o; -nutzen
ich habe davon nebst dem gr. auch diesen vortheil er
halten J.D.Geyer müsz. reisestd. (1735) 10, 11; -pflicht
ein Weltbürger, der sichs für eine gr. hält, menschen
liebe zu haben neuest, a. d. anmuth. gelehrs. 5, 785 Gott
ached; -prägung: der dichter zeigt uns . . . die gr. der
preuszischen kriegs- und staalstugenden J. Bayer stud.
251; -reim: es {das gedieht) hat den einen durch das
ganze gehenden gr. Rückert «?. 11, 220; -schade: hier
erscheint auch, wie wenig er den niederländischen grund-
schaden erkannt hatte E. M. Arndt sehr, für u. an s.
1. Dtschen 4,167; -schule s. alph. stelle; -schwäche:
die grundstärke eines menschen sowie seine gr. ist . . .
leicht sichtbar J. K. Lavater physiogti. fragm. 4, 358;
-Seite: diese {Zuversicht) ist im jüdischen volke eine gr.
Hegel 12, 57; -stärke *. o. grundschwäche; -symbol:
dieses alte haupt- und gr. der Christenheit {das cruzifix)
D. Fr. Strausz sehr. 6,60; -streben: es ist uns gr.,
den Innern Zusammenhang aller dinge nachzuweisen
F. Fröbel ^e*. ^ä(Z. «cAr. 1, 802; -versuch: warum wir
denn nicht direct auf diesen eingebildeten haupt- und
gr. zugegangen Göthe II 2, 79 W.; Vollkommenheit:
dasz das . . . sich hinpflanzen im räume . . . die gr. ist,
wodurch die plastik in einer nur ihr eigenen herrlich-
keit . . . thront Vischer ästh. 3, 515; -Vorwurf: dasz
die katholiken schwache prediger hätten, war der gr.
Laube ges. sehr, l, 32; -Vorzug: diese innerliche Wahr-
heitsliebe ... ist der gr. der deutschen natur F. v. Flo-
ren gourt zust. in Dtschld 237; -waffe: die grund-
waffen, speer, keule, heil und bogen Ratzel völkerkde
2, 240; -weg: diese drei lehrgänge sollten die anschau-
lichen grundwege in den drei hauptgegenständen des
Unterrichts sein W. Harnisch mein lebensmorg. 208.
s) dem älteren nhd. bis in das 17. jh. iat eine compo-
sitionsweise geläufig, in der grund- i7i seiner bedeutung
IV B 4 a de7i begriff des toahren, gewissen, sicheren bei-
bringt, ohne zum bloszen intensivierungsinittel verblaszt
zu sein wie bei der folg . gruppe ; grundbericht: gleich-
wie ich dieses aus gantz gewissem gr. eines gelehrten
manns . . . erfahren J. W. Valvassor ehre d. hztm. Crain
(1689) 3, 2. 250; -demut: viel haben der demuht schein
gehabt, aber die rechte hertzliche grunddemuht ist dünn
gesäet {vgl. auch grund IV B 5 a &) Dann hau er catech.-
milch 2, 84; ähnlich im sinne 'eigentlich': -deutung:
nein, dann das letzte wort die gr. führet, das Vorwort be-
merket den unterschied HARSDÖRFER/raMenr.^e«jpra'cÄ*p.
4, 38; -forschung: hiervon schreibt Kristian Bekman
in seinen grundforschungen der lateinischen spräche
Zesen Assenat (1679) 348; vgl. Sghottel haubtspr. 473;
-gleichheit: ist ohnzweiflich eine richtigkeit und gr.
in teutscher spräche, was die orthographiam betrift in
vielen verbanden Schottel 348; -kundigkeit Stie-
ler kurze lehr sehr. 26; -lehen, ein vererbbares lehen:
zu deme machen jetzunder die eigenthumb- und lehen-
herren ausz rechten grundtlehen leib- und schupflehen
A. Keller von erbfalls recht (1618) 347; • lernung: gr.
notio fundamentalis , cognitio radicalis Stieler 1129;
-liebe: junge rotzfratzen, so kein verstandt, noch rechte
grundlieb zusammen haben können- GuARiNONius^rewei
d. verwüst. (1610) 1129; -rede: gr. {sermo) certus, indubi-
tatus, fundatua Stieler 1540; -schlusz: damit ich auf
die von euch angezogene vernünftige grundschlüsse ant-
worten ... möge Opitz Arcadia (1638) 887; -sinnung:
der Vorbetrachtung, gr. oder der philosophie unbericht
Fischart ehzuchtb. 296 H., vgl. sinnung th. 10, 1 sp. 1202;
-verstand:
und wer den grundverstand zu forschen ist gewillt,
der solt hierob umsonst mit Argus äugen wachen
Haesdörfer frauenz. gesprächsp. 4, 455;
-ziel: dan ich lasze mich bedünken, dasz gemelte er-
klährung von dem wahren und rechten grundziele {des
göttlichen ausspruches) zimlich weit abweichet Zesen
Assenat (l679) 34.
t) icie beim adj. 1 e erseheint grund- im sinne IV B 5
als Verstärkung bereits in mhd. spräche vor Substantiven,
die persönliche eigenschaften oder handlungsweisen cha-
rakterisier e7i.
ß) personalia: grundabenteurer : es haben aber
die prediger als grundebenteurer samt dem mutwilligen
pofel die sach so gar verbittert (1523) akt. u. briefe z.
kirehenpol. Georgs v. Sachs. 2, 81; -affin: und hild si
wur ein dorin und wur eine grunteffin die heil, reget
87, 12 Priebsch; -bösewicht a. an alph. stelle; -despot
Baggesen poet. w. 4, 38; -dieb: gr., grundig dieb für,
solers Henisch 1768; -esel H. Pöhnl dtsche Volksbühne
1,226; -es el ei K.Marx 6rie/u». 3, 104; -feind von Ltici-
/er Mechthild V.Magdeburg 150 GallMorel; -freund:
noch prägnant:
gruntfriunde, pfuntfriunde sint leider tot,
muntfriunt mit friunde noch izzet bröt
Hugo v. Trimbkrg renner 17219 £.;
dasz du ... mich ... keineswegs ... für einen treuen holt-
oder gr. hältst achaupl. d. böa. weib. (1752) 4; -kenner:
als ein alter gr. jenes unbekannten landes Zimmermann
üb. d. einaamkeit 3, 19; -ketzer Grünau preuaz. chron.
3, 200; -ketzer ei: da verblendeten etliche lehrer der
mahometischen gr. diese einfältigen Völker 0. Dapper
Africa (l67l) SS**; -lügner: erz-, land-, haubtlügner,
grund , weltlügner compoaitua et factua totua ex fraude
et mendacio Stieler 1149; ertzlügner, hauptlügner, gr.
arcibugiardo . . . Kramer teutach-ital. 1, 974"; -narr,
%x. plane fatuua, bardua Stieler 1330; -narrheit: was
ist dann disz für ein grundtnarrheit aller narrheiten
GuARiNONius greuel d. verwüat. 1081; -ochse: W. Do-
Row erlebtes 4, 147; -papist Cyr. Spangenberg wid.
d. böa. aieb. {1662) pl»; -schalk a. alph. atelle; -schelm
a. alph. atelle; -törin: die anderen vrowen betten si wur
eine gruntdorin d. heil, regel 60, 28 Priebsch.
ß) abstracta: grundabneigung: (er) hütete sich aber
wohl so viel gr. gegen das germanische zu verrathen
Gutzkow ges. w. 9,387; -absurdität Schopenhauer
w. 1, 63 Gr.; -betrug Königab. dichterkr, 162 ndr.; -be-
trügerei J. Ph. Fresenius bewährt, nachr. (i746) i, 882;
• ernst Fischer schwäb. 3,876; -feindschaft: seiner
neigungen wurzel ist ewige gr. gegen alles gute M. Clau-
dius s. M7. 7, 29; -hasz: als dort David sprach: ich hab
eynen gantzen gr. gehaben Keisersberg bilgersch.liT^^;
Bon AVENTU ra nachtw. 140 lit. denkm. ; -hoffartLuTHER
10,1,2,201 W.; -leichtfertigkeit (1676) J. Scheffler
eccleaiolog. (1735) 1,654''; -list: tenebrae, calliditaa veter a-
toria Stieler 1168; -nichtswürdigkeit: die gr. des
Stückes . . . trat wie ein gespenst hervor Göthe IV 23,
2AiW.; -Schiefheit: diese gr. unseres beiden {Nicolais)
Fichte s. w. 8, 54; -schmerz: und noch disen grunt-
schmertzen get dar noch ein groszer grundzorn Keisers-
berg bilgersch. I37va; -sünde: seine . . .von der gr.
und der seuche der zerstörligkeit befreiete werck Knorr
V. Rosen ROTH pseudodox. 156; -unrecht: gr. tuhn
Schottel haubtspr. 472^»; -Wahrhaftigkeit: dasz...
wir uns von der gr. jener rhetorischen beschreibungen
überzeugen dürfen Göthe 49, 77 W.; -zorn a. o. grund-
schmerz.
u) ein bereita dem älteren nhd. bekannter compositiona-
iypua verwendet grund- im ainne der präpoaitionalen
Wendungen IV B 5 a « und 5 b: 'gründlich, vollständig':
grundabänderung: ich konnte mir . . . nicht ver-
hehlen, dasz diese gr. unsers . . . fühlens, denkens und
handelns . . . Pestalozzi a. sehr. 12, 168; -kritik: ein
kritisches drama zu neuer grundcritik vom geist des
Cebes {Untertitel eines btichea) allg. dtache bibl. anh. zu
53-86, 2045; -misz Verständnis : dies sind, wie man
sieht, grundmiszverständnisse {Fichtes) Fichte s. tc. 6,
xxv; -reform: die . . . königinn liesz . . . eine grund-
reforme . . . vornehmen allg. dtsche bibl. 35, 485; -re-
volution: die ersten revolutionen waren einfach, aber
gewaltsam . . . grundrevolutionen Novalis sehr. 3, 3I0
Minor; -ruhe: diese propprtion zeigt gr., grundstärke
J. K. Lavater physiogn. fragm. 4, 172; -stärke ebda;
-Umänderung: eine solche gr. hat die katholische
751 GRUND {comp.typen 6 v. 6) — GRUNDACCORD
kirche . . . nicht erfahren Fr. v. Florencourt zust. in
Dtschld i2; -Veränderung: grundveränderungen brin-
gen unvermeidliche gefahr samml. all. auserl. moral.
(1739) 8, 105; meist von staatlichen gebilden: staatliche
grundveränderungen gleichen chirurgischen Operationen
Grillparzer 14, 109 S.; vom menschen: dasz mit ihm
{dem menschen) selbst eine gr. vorgienge Schopenhauer
2,678 Qr.; -Verbesserung: die anstrengüngen derer,
welche sich freunde des Vaterlandes nannten und den
grundverbesserungen im zustande desselben nachstreb-
ten Zschokke s. ausgew. sehr. 38, 243; vgl. Campe 2,
475 »>.
v) ganz selten findet sich composition mit grund IV,
in der regel bei erst secundär aus adjectiven oder verben
abgeleiteten Substantiven, vgl. grundhältigkeit, grundlosig-
keit an alph. stelle: grundfasse: Wirksamkeit, gr. von
etwas andern, gr. begreiflichkeit, dasz oder warum es
ist allg. dtsche bibl. 58, 127; -forderer: diese redliehen
leute . . . werden ... in 8 classen eingetheilt ... in frei-
müthige zeugen, gr. und getroste widersprecher noth-
dürft. nachkl. (1748) 29; -geber: dasz die weltweisen
des 18 den seculi ... vor ketzer oder Schwärmer pasziren
werden, als die vom organo Aristotelico bei denen heu-
tigen zureichenden grundgebern Zinzendorf des ordin.
41; -habe: das ist die gr. der Skepsis an diesem ge-
biete Schleiermagher III 4, 2,251; -krämer: bringt
man nun diesen grundkrämern (den religionisten') gründe
vor, so setzen sie solchen andere gründe entgegen J. J.
Schwabe belust. 8, 405.
6) verba.
die Verbalcomposition mit grund- beschränkt sich auf
ein paar isolierte fälle in verschiedenen zeitstufen; de-
nominativ gebildet ahd. gruntsellon s. alph. stelle; zu-
sammenrückungen: mhd. grundfesten, -festigen s. alph.
stelle; grundforschen: scrupulosus gruntforsgenter
sumerlat. 17, 53 Hoffm. v. Fall,;
mein geist grundforschet ^mmerdar
Ulenberg p«. Davids (1582) bei Kehrein kirckenl. 8, 260;
dazu wenige neuere zusammenrückungen technischer her-
kunft: grundangeln s. alph. stelle; -bringen: tech-
nischer ausdruck der markscheidekunst , 'die unter der
erde befindlichen gän'ge . . . durch gerade li7iien angeben'
Chr. Wolff math. lex. (1747) 618; -färben: gr. far'il
letto a colori Kramer teutsch-ital. l, 673", vgl. Noel
Chom^ls öcon. u. phys. lex. 3, 1320; -hauen 'kunstwort
der schwertfeger' Blumhof eisenh. 2, 496, vgl. grundhieb;
-reiszen {vgl. grundrissen an alph. stelle): hast du
hier . . . einen kurtzen bericht desz newen geometri-
schen grundtreiszenden instruments, planimetra genent
*B. HuLSiüS erster tractat (1604) 8; -suchen contari
Maaler 194*; -widerlegen, umbstoszen firmamento
resistere Henisch 1767.
GRUND AB, adv., in den grund (I A) hinab, poetische
gelegenheitsbildung :
damit es (das schiff) wind und see nicht auf die klippen führen
und werfen es giundab
TSCHERNINQ dtsch. getickt. friU. (1642) 88;
grundab taucht ich zu dir
Vosz Theokrüos (1808) 109;
— -abgäbe,/., auf grund und boden lastende abgäbe allg.
dtsche bibl. 100, 240; drei. thaler musz ich hinschmeiszen uf
haussteuer, een'n thaler uf gr. G. Hauptmann weber (1892)
36. — -ablösung,/.; dazumal ist die gr. aufgekommen,
dasz sich jeder von seiner unterständigkeit hat loskaufen
können und ganz und gar herr wird über grund und boden
RosEGQER II 1, 170; anders: gr, expropriation Hoyeb-
Kkbuter techn. wb, 1, 316. — -accord, m.: die ganze
harmonie besteht nur aus zween grundaccorden, die der
Ursprung aller andern accorde sind . . . diese sind a) der
consonierende dreyklang ß) der dissonierende wesent-
liche septimenaccord Kxenbeegek d. wahren grundsätze
(1773) 5; endlich legt sich der stürm, wenn alles wieder
in den gr. aufgelöst ist Schubabt ästh. d. tonkunst 257;
übertr. das erste . . . auseinanderstreben der materie war
das erste anschlagen des grundackords der weit Schopen-
GRUNDADEL — GRUNDANLAGE i. 2 752
HAUBB 5, 116 Or.; gr. der färbe F. Schlegel s. w. (1846)
6, 54; seh, n und i sind nur der gr. dieser spräche
8, 38; der gr. seines ganzen genius Göthe 41, 2, 384 W.;
diesz waren die grundaccorde meines geistes Bettine
Oöthes briefw. m. e. binde (1835) 2, 311. — - -adel, m.:
die bauem wie der gr. (sind) wesentlich auf eipen ein-
zigen beruf angewiesen W. H. Riehl naturgesch. d. Volkes
2, 205 ; der gr. verpfändet mehr und mehr seine guter den
reichgewordenen advokaten und kaufleuten der städte
KüBNBEBGEB novdl. (1862) 3, 160. — -ader, /., im sinne
von grund IV B 2, die den ausgangsort des blutes bildende
ader; möglicherweise ein fester medizinischer terminus im
späteren mittdalter: {die ader) haizet . . . basilica, daz ist
gesprochen diu gruntader, dar umb, daz diu leber ain
grünt ist und ain ursprinch des pluotes K. v. Meoenbbeg
bvxih d. natur 37, 5; danach ähnlich bei Dry ander d. ganz,
arzenei gem. twÄ. (1542) 6^; anders, als neubildung aufzu-
fassen {vgl. compos.-typ. 5 q): doch sind . . . beide nationen
in diesen grundadem der dlchtung sich ähnlich Hebdeb
e, 526 S. angel, wie angel zunächst m., so auch mund-
artlich bei Lexeb kämt. 6, dann f.; mit blei oder dergl, be-
schwerte angd zum fang der fische unterer wasser schichten;
Sache und benennung wohl älter als der folgende früheste
bdeg: köder zu grundangeln, daran federkiel seind {um
1570) haushaltg. i. Vorwerken 179 Ermisch; dergleichen sind
allerley garn und netze, als . . . nachtangeln . . . grund-
angeln ZiNOK allg. öcon. lex. (1744) 773; bildlich: an einer
meiner grundangeln hängt etwas, nur weisz ich noch
nicht, ob ichs heraufbringen werde D. Fb. Stbausz o««-
gew. br. 330. — -angeln, v., s. Lexeb kämt, 7; gr. ge-
schieht in der weise, dasz der . . . köder . . . über den
boden eines gewässers bewegt wird H. v. Norman dtsch.
sporüex. 100.
GRUNDANLAGE, /., ursprüngliche, das wesen eines
Charakters oder eines dinges bestimmende anläge {vgl. com-
pos.-typ. 5 q a «. ß).
1) mit persönlichem begriff verbunden; zunächst von einer
sedisch-geistigen Haltung, rein psychologisch genommen:
eine mischung von wesen und mangel, welche die völlige
gr. des künftigen geistes enthält Moses Mendelssohn
ges. sehr. (1843), 2, 113; eine andere . . . art der begeiste-
rung ... ist nicht so allgemein auf die grundanlagen der
menschlichen natur überhaupt gegründet F. Schlegel
(1846) 12, 40; sie {die eroberungssucht) scheint mit diesen
leidenschaften auf einer und derselben gr. des gemüths
zu beruhen Ranke «. w. 35/36, 55;
ihr seht die reinen tiefen quellen
sehet der dichtenden grundanlagen!
Klopstook Oden 1, 161 M.-P.
allgemeiner als Vorbedingung, Voraussetzung des handdns:
diese zarte empfindlichkeit für das schöne ... ist die gr.
zu aUem, was der mensch groszes und bewunderns-
würdiges thun kann Wieland I 3, 31 ak. ausg.; dann
übertragen auf das als personale einheit gedachte volk: et-
was liegt ... in der gr. dieses volkes E. M. Abndt 1, 153
R.-M.;
denn wohl auch Völker sind von eignen grundanlagen
RÜCKEET w. (1867) 8, 474.
2) mit sächlichem object: {ein despotismus,) der manchen
europäischen regierungsformen die gr. gegeben Hebdeb
18, 412 S.; besonders für den grundrisz eines kunstwerks:
die wahre kunst zu detailliren flieszt immer aus der Voll-
kommenheit der gr. Hamann sehr. 3, 109 E.-W,; {fehler)
die in der gr. des Stücks schon notwendig wurzeln Schil-
LEB br. 1, 42 J. ; doch liegt ... alles schon in der gr. des stoffs
und der behandlung Göthe IV 16, 337 W.; in der gr. des
ganzen {des bildwerks auf dem Schilde Achills) tritt uns
ein bestimmtes princip entgegen Beunn kl. sehr. 2, 23;
ähnlich: diese . . . schweizerhäuser sind in ihrer gr. rein
nach rücksichten der . . . zweckmäszigkeit . . . gebaut
W. H. Riehl naturgesch. d. volk. 3, 179; stark verblaszt
{wortformen,) die ein forscher der gr. sogleich für ächte
. . . erkennt Vosz krit. blätt. l, 302,
753 GRUNDANSCHAUUNG - GRUNDARTIG
GRUNDARTIKEL - GRUNDBASS
754
GRUNDANSCHAUUNG,/., unmittelbar vor beginn des
19. jh.8 auftauchend, im banne der philosophischen ver-
wendungsweise des Simplex, l) zunächst von dem in den
wahren kern der sache führenden psychischen akt des ''an-
schauens', bewusztwerdens : ihr könnt es euch nicht fest
genug einprägen, dasz alles nur darauf ankommt ihre (der
religion) gr. zu finden Schleieemacher red. üb. d. rdig.
(1879) 273; so öfters mit sächlichem objectsgenitiv : eine den
menschen göttlich überwältigende gr. ... des geistes
ScHELLiNG I 7, 133; tiefsinnig nennen wir den edlen geist,
dem nur die gr. des lebens genügen kann FouQui: gefühie,
bild. (1819) 1, 81. 2) dann (habituell genommen) die grund-
legende, bestimmende ansieht, zu der ein subject gelangt ist,
aus der heraus es denkt und handelt {vgl. compos.-typ. 5 q a
u. ß): ist wohl jeder mensch im besitze der gr., die wir
oben beschrieben haben? Fichte s. w. (1845) 2, 390; die gr.
des Thaies ist die, dasz die weit ein lebendiges ganze sey
Hegel w. (1832) 13, 58/.; von der Würdigung der einzelnen
. . . arbeiten Spittlers hat uns die entwicklung seiner poli-
tischen grundanschauungen . . . abgeführt D. Fr. Strausz
ges. w. 2, 101; ähnlich die ganze gr. des vierten evange-
liums ges. sehr. 3, 113; en^er gefaszt von einer bestimmten
wissenschaftlichen erkenntnis: sobald wir die gr. haben,
sind wir im mittelpunkt Vosz antisymb. 312; mit präpo-
sitional verknüpftem, seltener genitivischem object: in ihrer
(der Juden) gr. vom reinen und unreinen Heine 6, 185 E.;
die gr. vom wesen der natür R. Wagner ges. sehr. u. dicht.
4, 39; zwei . . . kleinode des volkcharakters: sittliche gr,
der dinge und gläubiges vertrauen gegen menschen Gutz-
kow ges. w. 11, 159. 3) abseitige Verwendung im sinne ^voll-
ständige, gründliche anschauung^ (vgl. compos.-typ. 5v);
solche bilder wie diese beiden sind eine wahre gr. für den
alten styl der deutschen schule in den niederländischen
. . . gegenden F. Schlegel 6, 145. — -anschlag, m.
1) berechnung des werthes von grundstücken (au^h güteran-
schlag Jacobsson techn. wb. l, 56) : die kauf anschlage sind
... in grund- und nutzungsanschläge zu unterscheiden
Krünitz 2, 218, vgl. bereits allg. dtsche bibl. 12, 2. 373.
2) gr. (bei einem baue) evaluation, estimation du fondement
ScHAFFER dtsch-frz. wb. 1, 775, vgl. Heinsius 2, 550«'. —
-ansieht, /., erst gegen beginn des 19. jh.s gebildet; die
grundlegende, auch hauptsächliche auffassung, meinung
einer person (vgl. comp. -typ. 5 q a m. j8): wenn wir auf un-
sere gr. ziurückgehen Schleiermacher 1 12, 617; die
menschliche seele in ihren grundgefühlen und grundan-
sichten Pestalozzi s. sehr. (1819) 6,267; sein späteres
handbuch der botanik beruht auf denselben grundansich-
ten GöTHE 11 6, 255Tf .; auf die sache übertr.: so ist z. b. die
newtonsche optik ... in ihrer gr. . . . als falsch erkennbar
ScHELLiNG I 5, 230; (diesc strenge moral) wird durch die gr.
in dem narrenschifE verwischt Gervinus gesch. d. dtech.
dicht.* 2, 354; mit angäbe eines abhängigen objects: meine
ernste gr. göttlicher und menschlicher dinge fürst Püok-
LER briefw. u. tageb. 2, 371; eine neue gr. von den dingen
Schlosser wdtgesch. (18iiff.) 2,237; im ganzen herrschte
doch ein und dieselbe gr. über form Brunn kl. sehr. 1, 113.
— -art,/., seit dem 17. jh. belegt, aber hier offensichtlich ge-
legenheitsbildung ; erst mit dem ende des 18. jh.s häufiger ge-
braucht; eine wesentliche art (m^dus), meist in der speziel-
leren richtung der composita von 5 r (s. typen) 'eine letzte
einheit begreifend' : diese dreierlei reim- und gnmdahrten
nuhn seind . . . die steigende oder mänliche . . . Zesen
helicon (1649) m 5*; etwas anders: dieselben (wörter) sind
alle nach ihrer grund- und stammart ordentlich gesondert
Harsdörfer pod. trichter 2, 116; er bedient sich . . . aller
drei grundarten der poesie Göthe 41, 1, 223 W.; gehörig
in arten und klassen geordnet . . . z. b. den ganzen äusze-
ren sinn in seine fünf grundarten Fichte s. w. 2, 536;
gr., das wesentliche der anlagen v. Meyeen hinterl. kl.
sehr. 2, 53. — -artig, adj., nur bei Sohottel und wohl
von ihm gebildet; zunächst grammatischer terminus: den
grund (vgl. grund IV B 1 = 'grundwort'), das 'haubtglied'
eines compositums bildend: die so deutungsreiche grund-
artige teutsche Wörter Schottel 3; dann mehr im sinne
ursprunghaft (primitivus): sintemal auch die natur selbst
IV. 1. 6.
näher dem anfange zu kommen nicht vermügen wird, als
durch solche grundartige einsilbigkeit (der Wörter) 61 ; die
erzehlung . . . der grundartigen Verfassung der alten teut-
schen spräche horrend, bell, gramm. 3. — -artikel, m.,
columen actionis der grund und hauptartickel, daran die
gantz sach gelegen ist Frisius 253*; vorwiegend von reli-
giöser lehre gebraucht: die falschen lehrer (fochten) vor das
tantzen . . . heftiger als vor einen grundartickel der lehre
Arnold kirchen- u. ketzerhist. 2, 169; jene gr. aller reli-
gionen M. Mendelssohn ges. sehr. 3, 287; nüt den darauf
folgenden grundartikeln der Constitution Rehberg un-
ters, üb. d. franz. revol. 1, 129; subjections vertrage sind
. . ., wo . . . nationen . . . sich . . . gr. ausbedingen v. Hat-
LER restaur. d. staatswiss. 2, 535. — -aus, adv., seit
dem 17. jh., wenig häufig und vorvdegend poetisch; ge-
kürztes von gr. aus (vgl. grund IVA4c); noch concret
gefaszt in der Verwendung ca; gr. reiszen Schottel 769;
so gar hat euren (der auen) stand
der freche mordgott Mars grundausz hemm gewand
LOQAU sinnged. 65 E.;
und hohe stadt In trümmer senkte,
grundaus verheerte
Hebdeb 26, 235 S.,
gr. aufzuräumen 7, 260, vgl. 6, 337; schon früh in allgemei-
nerem sinne, auch als verstärkendes adv. 'völlig, ganz und
gar\-
was der beld sang, den gott grundausz geliebt
Opitz opera (1690) 2, 26;
bald sieht er . . . eine sonne Amphitritens grenzen gr.
durchglänzen E. v. Kleist l, 61 Sauer; das buch (ist)
weder gr., noch selbst dieser Zusammensetzung nach von
Richard Johnson erfunden Jac. Grimm kl. sehr. 4, 44;
'durchaus^' (der) paralleUsmus . . ., der in der ursprache
gr. lieget Herder 6, 213 8.; vereinzelt wie 'aus der tiefe':
wenn er sein 'befen' so recht grnndaus der lunge geholt
MÖRiKB w. 1, 228 Göschen;
gelegentlich mit copulativ-a : donner, der ihr haus grundsaua
erschüttert allg. dtsche bibl. 24, 408.
GRUNDBALKEN, m. 1) zu grund lA gehörig: der
balken 'vor dem gerinne" im mühlwasser (s. grundbaum 1,
fachbaum) Krünitz 20, 256; so bereits 1315: in profundo
fiuminis molendini . . . ponere trabem, quae lingua teutonica
dicitur grundbalke bei Frisch 1, 379". 2) als grundlage
(vgl. grund IV A 1) dienender balken (vgl. grundschwelle),
in mannigfacher technischer Verwendung des zimmereihand-
Werks seit dem 17. jh. zu belegen; zu allen bedeutungen vgl.
Krünitz 20, 256; als architrav: die Beulen der tohre, die
gr., die zierwerke (im franz. original: 'les colonnes des
portes, architraves, frises") . . , (werden) mit füszen ge-
mässen Zesen kriegsarbeit (1672) 3, 81; unlere lagerbalken:
der bodem (des thrones) ruhet auf vier sparren oder bal-
cken . . . die sparren oder grundbalcken . . . seind gantz
mit emaillirtem golde . . . überkleidt Francisoi letzte
rechenschaft (1681) 782; gr. 'eines fuszbodens' franz. gite
Beil techn. wb. 263; 'eines krahns' franz. empatement
ScHRADER dtsch-frz. wb. 1, 579; eines hauses: bei legung
des grundbalkens mythol. 3, 491; im dachstuhl 'der gc., in
dem die sparren stellen' Krünitz 8, 522; av/:,h der kiel-
balken (s. grundbaum 2) des schiff es: der unterste gr. des
Schiffes, der nach der ganzen länge des schiffes geht Gott-
sched dtsche Sprachkunst 82. — -bar, adj.: dasz der tinter-
than . . . angelobe . . ., eine . . . Steuer jährlich abzurichten,
und solches stück (land) unter die andern grundbaren
guter zu vererben v. Hohberg georg. cur. (1682) 2, 577. —
-barkeit,/., im sinne 'grundhörigkeit' : (er) verwandelte
für seine . . . unterthanen die lästige gr. und die überbleibsei
des leibeigenthums in gefreites erbrecht Zschokke s. atis-
gew. sehr. 36, 176. — -bass, m., vereinzelt als Variante zu
contrabass, bassgeige: die instrumente, welche . . . aus zwo
geigen, einer bratsche und dem grundbasse bestehen
Scheibe d. crit. muMcus (1745) 631; die musiktechnische
hauptverwendung entwickelt sich nach der mitte des 18. jh.s
im anschlusz an Rameaus begriff 'basse fondamentale' ,
übertragen als fundamentalbass oder gr., eigentlich die folge
der wahren (ideellen) grundtöne der harmonie eines ton-
4&
755
GRUNDBAU i. 2
GRUNDBAU 3 — GRUNDBAUM
756
Werkes: damit die richtigkeit unsers gnindbasses dieser
fuge desto eher in die äugen leuchte, ist ihr . . , ein aus der
harmonie gezogener und ausgesetzter generalbass unter-
gefüget KiENBEKGBE d. wahren grundsätze (1773) 54;
der gr. der wesentlichen septimenaccorde schreitet mit
der quart in die höhe Heikse w. 6, 31 Seh.; Berlioz har-
monisiert sie ... mit liegendem gr. R. Schtjmakn ges.
sehr. (1854) 1, 136; anders: gr. die drei haupttöne einer
jeden tonart Bebnsdorf neues univ. lex. d. tonhunst 2,
260 ; für die theorie, die lehre vom gr. : dr. Lantiers System
des grundbasses Zelter an Göthe 5, 452 Biemer; der gr.
meines onkels hat das alles sehr vereinfacht {aus ''Ra-
meaus neße') Göthe 45, 53 W.; öfters mit ^bassstimme'
gleichgesetzt: ein allegro assai, mit Waldhörnern, durch . . .
den gr. mitspielende fagotte verstärkt (1767) Lessing 9,
298 M.; ursprünglich (ward) der gr. vom contrabass an-
gegeben Jahn Mozart 3, 451; ilbertr. indem bei . . . ihren
. . . Untersuchungen meine philosophie als gr. durchzu-
hören ist Schopenhauer br. 229 Or.; von tiefen basstönen
allgemein: des fagotts schnarrenden gr. E. Th. A. Hoff-
mann 1, 11 Gr.; als begleitung im gr. das behagliche
lachen von vater . . . Wies Storm w. (1899) 3, 140.
GRUNDBAU, m., das wort ist zwar seit dem 15. jh.
bezeugt, entwickelt sich aber erst im 18. jh. in seiner haupt-
sächlichen und ausgebreiteten bedeutung yundament'; alle
älteren Verwendungen zeigen mehr zeitlich oder örtlich be-
schränkte geliung.
1) bis in das 15. jh. zurück reicht gr., aber arischeinend
auf rheinfränk. rechtsdenkmäler des 15. 16. jh.s beschränkt,
mit der bedeutung ^fuvdamentierter bau; festes, durch
einen in die erde gelegten unterbau von stein oder an-
derem massiven material gekennzeichnetes haus', wohl im
gegensatz zu lediglich im balkengerüst aufgestellten gebäu-
den: sullen denn genanten hoefE in buwe beszerunge unde
busze halten . . ., sundern alle gruntbuwe, szo der an hu-
aungen adder ander buwen . . . noit sin wurde, wiel unde
saU der genante unser herre meister . . . machen {v. 1490)
Lennep codex probationum (1768) 53; wann aber grund-
bäuw vorhanden und nicht durch seine varleszigkeit ver-
fallen wehren, soll mein orden das holtz darzue geben
(v. 1561) ebda 107; es soll auch unser amptmann . . . die
. . . bewe ohn unser zuthun mit dem flickwergk in guttem
baw und besserung erhaltenn, . . . aber grundtbew auch
schwellen und newe tach zu machen uf unsern costen
bescheen {v. 1596) ebda 414; vgl. ebda 30; 32 und wohl in
gleicher bedeutung erthus ebda 396; unser bawmeister {soU)
solichen sorglichen buwe lassen abprechen, und so es ein
gruntbuwe were, der grundt do mit auch verfallen seyn
an gemeynen unser statt nutz der stat Worms reform.
(1513) 87^; hierher gehört anscheinend auch noch: im fall ein
müller einen gr. auf seiner mühlen führen würde, soll der
ober und unter ihm gesessene nachbar vier wochen mit
dem mahlen innhalten v. Hohbeeq georg. curios. (1682)
2, 98.
2) grundbau als fundamentbau,
a) der als träger des gebäudes in der erde liegende bau-
theil, tritt in der ersten hälfte des 18. jh.s neben die gleich-
bedeutenden alteingesessenen Wörter grund (IV A 1), grund-
feste, fundament und verbreitet sich rasch; noch Frisch
2, reg. 44", vgl. 1, 379° kennt es nicht, bei Schottel 525
nicht bedeutung smäszig bestimmbar, aber eher zu gr. 3
{s.u.); gr. ... ist der fusz, worauf ein gantzes gebäude
ruhen musz Zinck (1744) 999; gr., fundament ist der-
jenige oft aus der tiefe bis etwas über den erdboden
aufgeführte haupttheil eines gebäudes Chr. Wolff math.
lex. (1747) 1, 616; gr. . . . sowohl der in der erde aus-
gegrabene räum, der so genarmte grundgraben 1. fu7i-
datio, fr. fondation ... als auch das fundament des ge-
bäudes selbst 1. fundamentum, fr. fondement Krünitz
20, 256; vgl. LuEGER 4, 797; selten pluralisch: lehm . . .
erfordert . . . keine kostbaren grundbaue mid röste Hoyer
kriegsbauk. 2, 80; gelegentlich in etwas weiterem sinne für
den über dem baden sich erhebenden unterbau eines gebäu-
des: der gr. ist aus hellgrauem granit Stetjb drei sommer
in Tirol 2, 268; ein mächtiger gr. {eines Schlosses), der
aus dem see aufsteigt wander. i. bayr. geb. 60; in literari-
scher spräche entfaltet vor allem, in bildlicher und übertra-
gener Verwendung:
also sprach und legte den grundbau Phöbus ApoUon
Che. Stolbeeg 16, 18;
sie {die Wissenschaft), die den grundbau des geschafnen gern
ergrübe
Klopstock Oden 1, 229 M.-P.;
die Verwirrung . . ., die so schon an dem gr. und dem
fachwerke unseres Staates rüttelt Gutzkow ritter v. geiste
5, 124; eine darlegung, die der gr. seines ganzen Systems
ist Brunn kl. sehr, l, 116; nicht minder häufig übertragener
gebrauch im sinne 'gr2indlage, Vorbedingung^: tugend,
welche zu dem gr. unserer ewigen glückseligkeit erfordert
wird S. V. Laroche /rZ. v. Sternheim (1771) l, 186; regel-
mäszigkeit ist nicht Schönheit — aber gr. der Schönheit
Lavater physiogn. fragm. 4, 182.
b) gr. als die arbeit, die technik des fundierens von bau-
werken: gr., der bau d. i. die Verfertigung des grundes zu
einem gebäude Krünitz 20, 256; gr. nennt man alle ar-
beiten, welche ein bau bis zur anläge der plinthe nöthig
macht Helfft wb. d. landbauk. 101 ; gr. . . . die Wissen-
schaft, die sich mit theorie, konstruktion und ausführung
der fundamente befaszt Lueqer 3, 721; so auch bildlich:
wer aus dem kämpfe der gegenwart um den gr. des deut-
schen Staates noch nicht die einsieht gewonnen hat
Treitschke hist. u. polit. aufsätze 1, 3.
3) ein bereits älterer gebrauch von gr. entspricht der be-
deutung von bau = structura, constructio {vgl. th. 1, 1162
bau 4) mit der sondernden Vorstellung, dasz nur die das
wesentliche, charakteristische zur anschauung bringende
grundstructur {vgl. grund IV B 1 und 3) gemeint wird, vgl.
gr. als anatomischen begriff: structur, textur, an deren stelle
'bestandwesen, grundtbau, aufrichtung und gebäu' Hyrtl
kunstworte d. anatomie 12; dann verleiht ihnen {den
frauen) das sehnige, dürre ihres grundbaues etwas ecki-
ges, männliches Ratzel völkerk. 3, 161; vom bauwerk
selbst nur gelegentlich: die mosquee ... ist klein, ihren gr.
aber betreffend kan ich . . . sagen, dasz sie mir besser
als st. Sophien gefallen P. della Valle reisebeschreibg.
(1674) 1, 81 [= la sua mechita e piu picciola, ma mi piace
assai; di modello, se dicessi piu di santa Sofia (1672) 156] ;
lebendiger ist seit dem 17. jh. übertragener gebrauch, gern
für die structur eines Staates, einer Verfassung: alles also,
als reichsstand betrachtet, war noch amt, anstatt und
von wegen des kaisers, nach dem gr, und wesen des karo-
lingischen reichs Herder 5, 694 8.; die Staaten des alter-
tums, wie trefflich auch ihr gr. sein mochte E. M. Arndt
1, 243 It.-M.; dem aristokratischen gr. der Verfassung
MoMMSEN röm. gesch. l, 585; früh auf die spräche be-
zogen: das aber die poeterey die Zierlichkeit und den gr.
einer spräche unterstüze und sie in hohen flor bringe
Knittel poet. sinnenfr. (1677) vorr. 7; der gr. der rede in
allen sprachen ist typus eines zusammenhangenden acts
des wirkenden Verstandes Herder 21, 127 S.; mehr im
sinne ^ursprünglicher bau' {vgl. compos.-typ. 5q): sie
{müssen) den gr. ihrer spräche und gewisse ursitten der-
selben um so heiliger halten Woltmann memoiren 1, 219.
GRUNDBAUM, m. l) seit dem 14. jh. als technischer
ausdruck des wassermühlenbaus bezeugt, anscheinend eine
nur md. übliche, den heutigen maa. unbekannte bezeichnung
für den gleichzeitig im schwäb. nacligewiesenen fachbaum
{vgl. th. 3, 1221 u. Fischer schwäb. 2, 907), die wehrschwelle
vor dem mühlengerinne oder an anderen Stauwehren: der
fachbaum heiszt ... in Sachsen gr. Popowitsch versuch
(1780) 400, vgl. Krünitz 20, 256; die äuszeren theile einer
imterschlächtigen mühle sind: der gr. ... E. M. Schil-
ling mühlenrecht (1829) 67; diese bedeutung kommt wohl
bereits dem altbezeu^ten gr. zu: dürfen aber die vrauhen
eines gruntbaumis ader eins melbaumis ... zu ere molen,
dar umme sullent se beden {v. jähre 1326) hess. Urkunden-
buch 2, 369 Wyss; zu einre mulen einen wendelbom und
zwene grundbome weisth. l, 825, vgl, rechtsalterth.* 2, 27 ;
757 GRUNDBEDEUTUNG — GRUNDBEGRIFF
GRUNDBEGRIFFTHUM — -BESCHAFFENHEIT 758
hierher wohl auch: Bokenheimer zalestein sin komen un- |
den zu den grondtbaumen in den borne (a. 1447) Diefen- |
Bäch-Wülckeb 637^ {Frankfurter arch.), dort weitere be- j
lege; heute ist fachbaum herschender terminus. 2) jünger
ist die Verwendung von gr. für einen als grundlage (funda-
ment) dienenden balken, im 16. jh. beginnend; für den kiel-
balken eines schiff es: dQvo/o^, fundamentum, der gr.
Fbischlin nomenclator {158Q) 270^; grundtbaum im schifE,
fondement Hxjlsius u. Ravellus 147 a;
(der Jcaufmann) hat nu nicht so vil geitz als grausz,
weil schlf, mast, rüder, grundbaum höben
Weckhep.lin ged. 2, 264 F.
so noch Beil 1, 263; anders, als balken eines hausfunda-
ments: grundbäume, liegende schwellroste Otte archäol.
wb. (1877) 94; bergmännisch: gr. . . ., stück der schacht-
zimmerung . . . auf der sohle der letzteren {der strecke)
ScHEUCHENSTUEL österr. berg- u. hüttenspr. 115; am Web-
stuhl des Seidenwirkers {vgl. compos.-typ. 5 k) gr. 'siehe
grundbalken und fachbaum, hinter- oder kettenbaum^ Ja- !
COBSSON 2, 161''. — -bedeutung,/.; er {der Verfasser) ... j
unterscheidet die grundbedeutungen von denen, die ein j
wort hernach bekommen Gottsched neueste a. d. an- \
muth. gelehrsamk. 7, 296; so bleibt die hauptverwendung
'ursprüngliche bedeutung eines wortes\- dies wort {gehört)
zu den vielen andern . . ., die aus ihrer neutralen gr. in
eine halb active übergehen briefe d. br. Orimm 54 Müller;
so kommt ihm . . . der name philosoph, nach seiner ersten
gr., vorzüglich zu Mos. Mendelssohn ges. sehr. 4, 2, 319;
seltener ist die anwendung 'wesentliche (grund IV B 3) oder
eigentliche bedeutung^ in der begriff sarudyse: wie kann man
über den styl der einzelnen künste etwas klares sagen,
wenn man sich nicht vorher . . . rechenschaft über seine
gr. abgelegt hat Vischeb ästh. 3, 2; {seine) Untersuchung
. . . über die gr. des traumes altes u. neues 1, 191. be-
ding, m.: der gr. alles sittlichen v. Meyebn hinterl. kl.
sehr. 2, 53. bedingend, adj.: das klima von dem als
gr. für die kunst . . . die rede sein kann R. Waonee ges.
sehr. u. dicht. 3, 221. — -bedingnis, n.: vergesset meiner
gefühle und meiner worte für die armuth und die gnmd-
bedingnisse nicht, wenn die armenhülfe wirklich und reeU
segensvoll auf ihre quellen einwirken musz Pestalozzi s.
sehr. 9, 297 ; gr. deiner . . . charakterelasticität B. Goltz ein
jugendleb. 3,71. — -bedingung, /. 1) die für die existenz
eines dinges, einer erscheinung natur- oder denknothwendige
Voraussetzung: die erste gr. aller entoptischen färben
Göthe II 5, 1, 262 W.; diese materien . . . müssen . . . als
die grundbedingungen des chemischen processes erschei-
nen ScHELLiNG I 5, 64; das gleichgewicht der kräfte ist
die gr. alles daseins Büchnek kraft u. st. 48 ; das sittliche
gefühl als . . . die erste gr. . . . für alle jene andern hohem
gefühle Fb. Schlegel 15, 125. 2) etwas anders, meist plu-
ralisch, auch im sinne 'tragende, hauptsächliche bedingun-
gen' {vgl. compos.-typ. 5s): eine auer kennung ... der
grimdbedingungen des Staatslebens Ranke s. w. 9, 17;
die gefundene idee nach den grundbedingungen des dra-
mas ... beurtheilen G. Ebeytao ges. w. 14,12; drei
punkte werden ... als grundbedingungen der Unterwer-
fung vereinbart H. Gbimm Michelangelo 2, 112. — -beere
siehe grundbirne.
GRUNDBEGRIFF, m. 1) ein gr , der von keinem
andern weiter abgeleitet werden kann Kant w. (1867) 4,
418 H. ; es sind ebendieselben grundbegrifie, mithin haben
sie auch einerlei f olgerungen l, 95 {v. j. 1747) ; ausdehnung
und bewegung . . ., in diese grundbegriffe läszt sich . . .
alles auflösen Mos. Mendelssohn ges. sehr. 2, 159; wie in
der metaphysik räum, zeit und kraft drei grundbegriffe
sind Hebdeb 3, 137 S.; grundbegrif concept fondamental
ScHBADEE dtsch-franz. wb. 1, 579; die philosophie scheidet
zwei Verwendungen des wortes; es entspricht einmal der
'kategorie' und bezeichnet demgemäsz die apriorischen denk-
formen {belege s. o.): logische, ontologische, ethische, ästhe-
tische grundbegriffe, vgl. Eisleb wb. d. phil. begr. 1, 609
u. 793. 2) weiter besitzen die einzeldisciplinen der Wissen-
schaft gewisse grundbegriffe, auf die sich ihre erkenntnisse
zurückführen lassen; auch dieser gebrauch reicht in das
18, jh. zurück: die grundbegriffe der physik und chemie
Göthe 20, 45 W.; die grundbegriffe der allgemeinen ge-
werbwissenschaft allg. dtsche bibl. anh. zu 37-52, 912;
änderungen der Verfassung . . . lieszen selbst grundbe-
griffe des öffentUchen rechts . . . unberührt Savigny beruf
uns. zeit (1814) 39; kunstgeschichtliche grundbegriffe
{buchtitd) H. WöLFFLiN; in allgemeinerem sinne für die be-
grifflichen demente, in die begriffskomplexe zerlegt werden
können: im ersten theil sollen die grundbegriffe des . . .
guten und schönen festgesetzt werden allg. dtsche bibl.
anh. zu 25-36, 2060; die grundbegriffe der ehre und treue
werden in dem liede eingeschärft Schebeb lit.gesch. 127;
die Schönheit läszt sich auf gewisse grundbegriffe zurück-
führen, aber nicht bestimmt erklären Winckelmann
8. w. (1825/^.) 7, 102; ähnlich: die Pelasger haben die
grundbegriffe der religion in natürlicher . . . frische erhal-
ten Humboldt br. an Wdcker 73 ; ungeachtet der angege-
benen grundbegriffe des chinesischen Staats Schlossee
wdtgesch. (1844^.) 1, 17; es ist unglaublich, was mich diese
acht Wochen auf haupt- und grundbegriffe des lebens . . .
geführt haben Göthe III 1, 315 W. 3) als besondere be-
deutungsgruppe tritt eine Verwendung auf, bei der es sich
nicht um eine mehrzahl oder ein System fundamentaler
begriffe handelt, sondern wo ein gr. als einzdner als der
tragende, den wesentlichen inhalt oder sinn des ganzen re-
präsentierende begriff gefaszt wird:
den einzelheiten muszt du nie soviel erlauben,
den sichern grundbegriff des ganzen dir zu rauben
BÜCKEET w. 8, 206;
der gr. der zeit ist das nacheinander Hebbaet 4, 154 ; ist
die demuth in gott für ihn der gr. alles christenthums
Nitzsch dtsche Studien {1879) 8; nothwendig machten sie
(die apostd) diese {erwartung) zum gr. ihrer Verfassung
Hebdeb 20, 122 S.; soll ich nun den gr. der neuern tra-
gödie in der kürze aussprechen Hebbel 10, 324 W. ; dasz
. . . der volkstribun dem consul gleichgestellt ist, entfernt
sich allerdings von dem gr. dieses Instituts Mommsen röm.
Staatsrecht 1, 35; der gr. der römischen provincia röm.
gesch. 2, 49 anm.; une 'grundgestalf concrd gedacht: das
grabmahl . . . enthält den gr. der mexikanischen tempel-
pyramiden Niebuhe röm. gesch. 1, 87; ähnlich will der
buchtitd: gr. preuszischer Staats- und rechtsgeschichte
(1829) K. F. F. SiETZE auf gefaszt werden, vgl. vorr. v;
anders, mehr im sinne des die grundlegenden lehren dar-
stellenden abrisses: gr. des neuen testaments, in predigten
{buchtitd) Fb. Che. Öttingeb. 4) gdegentlich in einer der
bedeutung 1 nahestehenden Verwendung, für den einem sub-
ject ursprünglich innewohnenden, einer sache ursprünglich
anhaftenden begriff: weil sie {die menschen) in den grund-
begriffen so zerittete sinnen durch die contagion des
thieres haben Fe. Che. Öttingee schriftgem. grund
(1734) 5; jenem {dem gesicht) giebt er {der tastsinn)
sogar seine festesten grundbegriffe Hebdeb 22, 40 S.;
trennung des geistlichen und weltlichen, die einen der
ersten grundbegriffe all seines denkens ausmacht Ranke
s. w. 2, 149; ähnl. auch: sein {des wortes nemesis) gr. ist . . .
vifxeiv, das vertheilen nach gerechtigkeit Heeder 15, 396
anm. S.; der gr. des worts ist stärke, macht . . . Schel-
ling II 1,168. — -begriff thum, n.: dieses gr. oder diese
kategorientafel K. Fb. Che. Keause grundwahrh. 190. —
-berührung,/.; man spricht von gr. eines schiff es, wenn
es beim auffahren auf eine untiefe sofort wieder frei-
kommt v. Alten 4, 477; anders das alte grundruhr(5. dort).
— -beschaffenheit,/., gr. entspricht dem älteren begriff
grundquaUtät {vgl. compos.-typ. 5 q): so würden wir . . .
begreifen, wie durch abänderung jener gnmdbeschaffen-
heiten . . . diese nebenbeschaff enheiten entstehen Mos.
Mendelssohn ges. sehr. 3, 396; ihr {werdd) euch genötigt
sehen, viel synthetische grundbeschaffenheiten zu ver-
werfen (grundkräfte) Kant 3, 311 ak. ausg.; in ansehung
der gr. der sinnlichen erkenntnis 3, 65; mit den gebrau-
chen . . . der germanischen Völker stimmte das Christen-
tum in dieser . . . gr. überaus gut zusammen Fe. Schlegel
14, 94; der ertrag {hängt) überhaupt mehr vom dünger-
48*
759 GRUNDBESITZ - GRUNDBESITZUNG
Stande als von der gr. des bodens ab Thaer grundzüge d.
rat. landw. l, 40.
GRUNDBESITZ, m., jüngere bildung, die noch Hein-
sitTS fehlt, der aber grundbesitzer kennt; anscheinend im
anschlusz daran retrograd gebildet und rasch eingebürgert.
1) abstract, das besitzen von grund und boden:
heut abend wieg ich mich im grundbesitz
GÖTHE 15, 67 W.,
vgl. 25, 179 TF.; ausgeschlossen von gr. und gewerbe. ver-
schanzte sich der Jude im handel Riehl d. dtsche arbeit 64;
nur er {der edelmann) hat das ausschheszliche recht des
grundbesitzes v. Moltkb ges. sehr. 1, llO. 2) concret, das
in grund und boden bestehende besitzthum, zunächst das
ländliche, also wie das ältere nur im 17. jh. bezeugte grund-
sitz (s. compos.-typ. 5 g) gebraucht: sich des . . . froh ge-
nossenen grundbesitzes zu entäuszern Göthb 36, 337 W.;
wenn Dietwin GerHnt heirathet, so haben sie einen
schönen gr., der . . . bei unserem geschlechte bleibt
Stifter 3, 2 (lö02), 300; dann wird unterschieden: städti-
scher gr., ländlicher gr. Elster wb. d. volkswirtsch.^ 1,
1198; flural unüblich: Bavelse und Lyngby sind grund-
besitze, welche durch mehrere generationen vererbten
V. Moltkb ges. sehr, l, 1. 3) gr. als sociologischer begriff,
die Masse, die gesamtheit der grundbesitzer: schon einmal
hatte die letztere mit dem groszen gr. ... gegen den
bauemstand . . . krieg geführt Mommsen röm. gesch. 2, 75 ;
der gröszere gr. hat auch hier dem kleineren mit einem
guten beispiel voranzugehen Raabs schüdderump (1870) 2,
131; wegen bildung . . . des herrenhauses steht den ver-
bänden des alten und befestigten grundbesitzes . . . ein
präsentationsrecht zu v. Ritter hwb. d. preusz. verwalt.^
1,827. — -besitzadel, m.: einen kriegstüchtigen gr.
weist die mazedonische monarchie auf v. Alten l, 99. —
-besitzend, adjectiv. partic: der erbliche grundbesit-
zende landadel Fr. Sohlegel 13, 219; die im Thurgau
grundbesitzenden prälaten Ranke s. w.S, 40; substanti-
visch: volle rechtsfähigkeit scheint . . . nur dem grund-
besitzenden eigen gewesen zu sein Bernhardt gesch. d,
waldeigentums 1, 15. — -besitzer, m., zuerst bei Ade-
lung (1775) 2, 825 der besitzer von grund und boden, meist
speziell der besitzer eines landgutes: diesz ist der räum,
den der gr. jeder gemeinde schuldig ist Göthe 24, 122 PF.;
man (der Stadler) sehnte sich aufs land. die Sicherheit
des grundbesitzers gab jedermann vertrauen 36, 336;
a grundbesitzer reicht ihr die hand
und nimmts mit Idnaus auf sein land
Nesteoy {f<?s. tc. 6, 166 ;
diese tracht bezeichnet . . . nicht . . . den Jäger, sondern
den gr. Hebbel br. 5, 318 W. so als fester begriff: der
grosze gr., der {oft adeliche) gutsbesitzer im gegensatz zum
kleineren bäuerlichen eigenthümer: die herren oder groszen
gr. aus alten geschlechtern Fr. L. Jahn l, 287 E.; nur
durch persönliches . . . eingreifen der groszen gr. kann
der gegensatz zu pächtern und arbeitern gemildert wer-
den hwb. d. staatswiss.^ 1, 12; wahlverband der gröszeren
gr. v. Bitter hwb. d. yreusz. verwalt.^ l, 828; gegensatz:
haben sie nicht . . . kleinere gr., die unter . . . lasten
seufzen Alexis ruhe ist d. e. bürgerpfl. (1852) 2, 94; anders
verengert: da haben viele . . . gr. nebst ihrem eigentlichen
haus und hof auch noch ein kleines gütchen Rosegger
sehr. (1895/.) 4, 147; häufig (erscheinen) steinmetzmeister
als städtische gr. Mothes baulez. 1, 304 ; so modern vom
städtischen grundeigenthümer: haus- imd gnmdbesitzer. —
-besitzerin,/. Adelung (1775) 2, 825 Dahlmann gesch.
V. Dännemark 2, 252, — -besitzerklasse hwb. d. staats-
wiss.^ 6, 291. — -stand v. Alten l, 117; bei unserm adel
und gröszem grundbesitzerstande v. Hartmann lebens-
erinn. 2, 98. — -besitzthum, n., der gesamte bestand an
grundbesitz eines Staates oder landes: (eine) abschäzung des
grundbesizthums Eichhorn dtsche Staats- u. rechtsgesch.^
3, 242; die hausordnung dieser fürsten . . . übte . . . den
verwirrendsten einflusz auf . . . aUes grundbesitzthum des
malabarischen landes aus Ritter erdk. 5, 752. — -be-
sitzung,/., das einzelne grundeigenthum : auf alle an sich
GRUNDBESITZWECHSEL - -BEWEGUNG 760
gezogenen grundbesitzungen verzieht zu thizn Wieland
(1795) 8, 460; vermögen von häusern und grundbesitzun-
gen Gutzkow ritter v. geiste 2, 58; seltener im singular:
der bauer (/wÄrt) . . . denselben rings um die gr. Rosegger
sehr. 4,161. — -besitzwechsel, m. K. Braun kleinstaat.^
5, 222; hwb. d. staatswiss.^ 4, 132. — -bestand, m. 1) im
17. jh. erscheint mit gr. als zusammenziehung der formel
mit grund und bestand (vgl. th. 1, 1652, bestand 7) : dasz
sich unser schiffwarter mit grundtbestandt uf dasz her-
kommen berufen (Frankf. arch., v. j. 1614) Diefenbach-
Wülcker 637 »•. 2) ganz jung als '^ursprünglicher bestand,
anfänglich vorhandenes': den gr. der sage bildet eine
gruppe von fünf personen ühland sehr. 5, 330; der gr.
der beiden . . . parteien (ist) wesentlich derselbe geblieben
Nitzsch dtsche Studien 153; anders ^wesentlicher bestand^ :
glaubenssätze, die . . . fast zum menschlichen arf- und
gr. wurden Nietzsche w. 5, 149. — -bestandtheil, m.
(vgl. compos.-typ. 5 r), im späten 18. jh. aufkommende Ver-
deutschung von 'dement'; zuerst chemisch: da der schwefel
sich immer crystallisirte . . ., so sey der schwefel kein
gr. ailg. dtsche bibl. anh. zu 25-36, 3101; geologisch-mine-
ralogisch: grünstein, . . . eine felssteinart . . ., deren
grundbestandtheUe die homblende mit eingestreutem
gUmmer ist Krünitz 20, 218; vielfach auf andere gegen-
stände und erscheinungen angewandt: durch völlige auf-
lösung alles unsers denkens in seine grundbestandtheUe
Solger nachgel. sehr. 2,51; gleichmäszige ausbüdung
der menschlichen natur im verhältnisz ihrer grundbe-
standtheUe zueinander JusTi Winckelmann 2, 2. 143;
(der) Staat, der in seiner tiefe, der mischung seiner
grundbestandtheUe immer derselbe geblieben war Ranke
s. w.2,S; anders: der wesentliche, hauptsächliche bestand-
theil, dem gegenüber die anderen als weniger charakteristisch
oder wirksam zurücktreten (vgl. compos.-typ. 5 s): diese . . .
extracte . . . sind als grundbestandtheUe derjenigen par-
fümerien sehr beliebt Muspratt chemie (1898) 6, 2075;
wenn man das verbum seyn als gr. der Zeitwörter ansieht
W. v. Humboldt ges. sehr. 4, 275 ; geblieben ... ist der
gr. aller rehgion, das gefühl der unbedingten abhängigkeit
D. Fr. Strausz sehr. 6, 93 ; neben seinem deutschen gr. hat
Wien noch ein europäisches element Ranke s. w. 37, v. —
-bestimmung,/., die das wesen eines dinges (vgl. grund
IV B 3) determinierende bestimmung (th. l, 1679 bestim-
mung 1): wovon doch die ganze gr. der form des profils
. . . abhängt J. K. Lavater physiogn. fragm. 3, 223; so
musz die bUdung selbst, wie in ihrer gr., so auch in ihren
abweichimgen . . . determiniert werden Göthe II 8, 75;
so gelten die aggregatzustände als die eigentlichen grund-
bestrmmungen der dinge Windelband gesch. d. neuer,
philos.^ 1, 63; mehr nach grund IV B 1 hin: die einfache
gr. oder gemeinschaftliche formbestimmung der Samm-
lung solcher formen ist die Identität Hegel w. 3, 19; die
hauptsächliche, wahre bestimmung (bestimmung 2): ge-
wisse grund- und erste bestimmimgen unseres lebens
Fichte s. w. 2, 344; die grundlegende bestimmung, eine
festsetzung, die zugleich eine forderung darstellt (vgl. be-
stimmen 2 th. 1, 1679) : im spinozismus ist . . . gr., dasz
der mensch gott alleia zu seinem ziel haben musz Hegel
w. 11, 56. — -bett, m. 1) an grund IVA anzuknüpfen:
in welches gr. wurde der grundbau gesenket allg. dtsche
bibl. 50,265; hierher wohl auch der früheste beleg: man
macht einen graben, . . . zum grundbette hinein legt
man . . . geschnittenes rockenes stroh v. Hohbebq georg.
cur. 2, 823. 2) terminologisch im Wasserbau (grund I A);
gr. ... die sohle eiaes wasserlaufes Mothes baulex. 2,
540; so bald sein (des flusses) gr. erhöht wird allg. dtsche
bibl. anh. zu 37-52, 498; weiter: grundbette, landveste,
. , . uferdecke . . . eine art von uferbevestigung Jacobsson
2, 161 ''. — -bewegung, /. 1) (vgl. compos.-typ. 5 r):
hiernach werden also zwei grundbewegungen des erd-
körpers angenommen Göthe II 12, lOl W. ; die alten in-
tonationen und musikalischen grundbewegungen immer-
fort auf neue lieder angewendet IV 31, 46. 2) entsprechend
compos.-typ. 5 s: der . . . fusz . . ., der jezt die vierzeitige
gr. (des verses) nicht aufhebt Vosz zeitm. d. dtsch. spr.
761 GRUNDBEWEIS - GRUNDBIRNE i
GRUNDBIRNE 2. 3 - GRUNDBIRNENACKER 762
(1802) 186; dasz . . , die abweichenden Bewegungen alle
wieder sich umbiegen nach der einen gr. Vischeb ästh.
1, 266. 3) im sinne von letzter, eigentlicher ardrieb, trieb-
Jeder' (vgl. bewegung 4) th. 1, 1776): ein theater aller
groszen und kleinen handlungen und ihrer tiefen grund-
bewegungen sind diese märchen Bettine d. buch gehört
rf. Jfc. (1843) 1,148. — -beweis, m., um die wende des
17. 18. jh.s in gebravx,h: ich wuszte . . . damals nicht, dasz
der wiszkünstler grundbeweise (mathematicae demon-
strationes) eben dasjenige sei, was ich wünschte Leib-
NITZ dtsche sehr. (1838^.) 1, 379; blasser, in der Verwen-
dung der comp.-typ. 5 v: grondbewys, gr. i. e. gründlicher
beweis Keameb nd.-hd. dict. 108" ;
seind sie vernünftig, klug,
80 ist dein grundbeweisz für sie beweisz genug
Neukiech priru. r. Ithaca 2, 164;
zudem das . . . verlangen des künftigen lebens . . . durch
klaren gr. solcher erfrexüichsten imfehlbarkeit, merck-
lich vergröszert . . . wird Feancisci wol d. ewigk. (1717)
143. — -beweislich, adj.: hernach führet er gr. aus
Feancisci luftkreis (1680) 41.
GRUNDBILD, »., bild nach welchem andere angefertigt
werden, modell: nun wird die gypsform wieder abgenom-
men imd das neue wächserne grimd- und musterbild . . .
überarbeitet Göthe 44, 2, 329 W.; gleichwie der mensch-
liche künstler bei allen seinen werken stets hinschaut auf
ein ewiges gr., welches ihm vorschwebt Mabtensen
christl. dogmatik^ 379; so überhaupt die ursprüngliche bild-
form gegenüber der daraus entwickelten: die dürftigkeit
jener ersten grundbilder und Schlüssel der (chinesischen)
Schrift Fe. Schlegel 13, 88 ; ähnlich in geistiger sphäre das
'urbild\' die . . . Verknüpfung der grundbilder des affekts
ailg. dtsche bibl. 2, 222; jene mit ihrer persönlichkeit ver-
wachsenen grandhüdeT (im gedächtnis) Fichte s. w. 8, 109;
mehr unter betonung des eigentlichen, wahren, den kern auf-
machenden: in demjenigen was endlich sein grundbild,
sein Charakter heiszt E. M. Abndt sehr. f. u. an s. l.
Dtschen 4, 72. — -bildung, /., seit der ersten hälfle des
18. jh.s aufkommend. 1) die ursprüngliche, noch unent-
wickelte gestalt (vgl. bildung 2) th. 2, 22) : in jedem zustande
lag die gr. der werdenden gestalt Mos. Mendelssohn ges.
sehr. 1, 133; die saamenthierchen (enthalten) die gr. des
menschen Nicolai literaturbr. 1, 179; so . . . entsteht die
gr. des reichs Fichte s. w. 4, 453; anders, die gr. als ^an-
läge' im gegensatz zum nicht entsprechend entwickelten:
kinder waren eben so erbärmlich anzusehen, männer ein
wenig besser, die gr. war übrigens durchaus regelmäszig
und gut Göthe 30, 54 W.; weil sie . . . unwissend noch so
viel metaphysisch verstellte gnmdbüdungen in sich liegen
lassen Fb. Che. Öttingeb theol. hauptwahrh. (1734) 5.
2) die erste, grundlegende thätigkeit des bildens (vgl. bil-
dung 4) : gott hat also diese gr. beiderlei geschlechts . . .
wollen ... zu einem heihgen wunder bestätigen Geyee
müsz. reisestunden (1735) 9, 11 ; die . . . gr. der dinge bleibt
immer das vmverlehnbare Vorrecht des unerschafEenen
Lavateb aussichten i. d. ewigk. 4, 232.
GRUNDBIRNE, /., ältere und mundartlich bewahrte
form grundbir(-e) : 1) als botanische bezeichnung zuerst im
16. jh. bezeugt, wo gr. als einer unter verschiedenen namen
der erdnusz angegeben wird: man nennet diese wurtzel
sewbrott, erdnusz, grundeychel, grundbiren, erdmandeln,
erdfeigen, schwartz rüben oder retich Bock kreutterb.
(1539) 2,15''; genus raphanvs sylvestris vel agrestis, nux
terrae, ficus terrae . . . chamaebaJanu^, . . . panis porcinus,
. . . ackereychel, grundeychel, erdnusz, sewbrot, erdman-
del, erdfeigenn, wildbieren, grundbieren, schwartz rettich,
schwartz rüb Albeeus ff 3 a; in diesen angaben kreuzen
sich namen verschiedener pflanzen, zu welcher gehört gr.?
mittelalterlich bezeichnet 'erdnusz^ die erdscheibe (alpenveil-
chen) = cyclamen europaeum, die im mittelalter auch ''erd-
apfeV (ertaffel), swainkrautt, sweinprot, mit lat. namen
u. a. cyclama, cassamus, malum terrae, panis porcinus
heiszt, vgl. Fischee mittelalt. pflanzenkde 266; die gleich-
stellung von ^malum terre' oder 'cyclamius' mit seiner *erd-
nusz^ lehnt Bock 15* ausdrücklich ab und behauptet: das
erdnus nichts änderst ist dan raphanus agrestis, in Theo-
phrasto i/kq und in Dioscoride . . . änio^ geheyszen' ebda;
raphanus agrestis ist jedoch einer der lat. namen des mer-
rettich = cochlearia armoracia, vgl. Fischee a. a. o. 266,
Peitzel- Jessen 244; mittelalterlich ebenfalls meretich,
merrich ; Bocks iinios, ackereychel, grundeychel, Alberus
chamaebalanus gehen offensichtlich auf die ^erdeicheV =
lathyrus tuberosus, mittelalterl. christianswurz, cristiane
(vgl. Fischee a. a. 0. 273), die auch sonst im 16. jh. als
erdnusz bezeichnet wird; dasz gr. mit dieser pflanze iden-
tisch ist, wird um so wahrscheinlicher als lathyrus tuberosus
in der schwäb. alb den paralldnamen erdbime aufweist,
vgl. Geadmann pflxinzenleb. d. alb 2, 209 und Hegi fl^rra
V. mittel-europa 4, 3, 1591 anm. 1.
2) der name gr. wird, anscheinend nicht vor der ersten
hölfte des 18. jh.s, von lathyrus tuberosus auf die neu an-
gebaute kartoffd = Solanum tuberosum (vgl, th. 5, 244/.)
übertragen; zunächst wohl in dem bereiche des alem. und
rheinfränk. (ostfränk.), in dem grund als Stoffbezeichnung
für '■erde^ lebendig ist (vgl. grund II A 2 c); dem erdspricht
im groben die dialektgeographische vertheilung, die B. Mab-
tin Teuthonista 2, 64 (mit kartenpause) annähernd festlegt;
darnach gilt gr. (z. th. neben erdbime, erdapfel) in einem
kerngebiete westl. des Rheins von Basel bis in die gegend von
Aachen, weiter das land um den Spessart und Taunus, das
südwestl. Württemberg (vgl. Fischee schwäb. 2, 771 u. 3,
874) und die Schweiz (vgl. Staub-Toblee 4, 1501) einbe-
greifend; mehr sporadisch findet sich gr. in Bayern (um
Regensburg -Straubing und Wasserburg), häufiger am mitt-
leren Main, in Kärrdhen (vgl. Lexee kärntn. 126), der
Steiermark (vgl. Ungee-BLhull SlO**), Niederösterreich (vgl.
Castelli 153) und den deutschen maa. Siebenbürgens; für
den Osten vgl. Beend dtsch. spr. in Posen 83 ; Feischbiee
1, 257'' ; als lehnwort drang gr. in wallonische maa. (krom-
pire u. ä.), ebenso in das litauische, ungarische, rumänische
und in slavische sprachen, vgl. Niedeemann Wörter u.
Sachen 8, 60^.; neben erdbime ist bodenbime im südl.
schwäb. als parallelbildung zu vergleichen; gr., zufrühest
aus schwäb. und ostfränk. Schriften belegbar, bleibt im allg.
auf mundartliche und volksthümelnde literatur beschränkt;
grundbim . . . Solanum tuberosum Nemnich wb. d. nat.
213; brod aus grundbim J. Geopp wirtzburg. chron.
(1748-50) 2, 485; die tartuffeln, grundbim, tartoffeln Che.
Reichaet garten- u. ackerbau (1758) 1, 373; grandbieren
sind erst seit einem halben seculo in hiesigen landen be-
kannt . . . worden J. C. Schillee betr. über landw. dinge
(1767) 45; ase bei der Yorkin grundbimen in der monture
(d. h. in der schale) Ph. H. Pateick tageb. 2, 210 ; während
die grundbim ... in der planne prasselten Hebel w.
(1853) 2, 62; auf den grundbimen lag die schönste brat-
wurst d)da;
\dr vollen Jetzt nach Landau zu,
dasz wir für brockel und grundblrn in ruh
y. DiTruETH volksl. d. bayer. heeres 107;
von seinen . . . nunmehr geemteten grundbimen (kar-
toflfeln) einen sack voll Gutzkow ges. w. 4, 412; miszver-
standen aus mundartlicher ausspräche ist grundbeere (vgl.
grumbeere Aenold pfingstmordag^ 3): wie die erfrorenen
erdapfel oder grundbeeren ... zu behandeln (zitat aus
e. anweisung z. verb. d. landw., Straszbg. 1789) allg. dtsche
bibl. 102, 161.
3) bezeichnet gr. die kartoffelähnliche, schon im 17. jh.
nach Deutschland gebrachte 'erdbime' = hdiardhus tube-
rosus, vgl. Nemnich wb. d. nat. 213, die auch 'erdapfel,
roszgrundbirne' heiszt, vgl. Hegi flora v. mitteleuropa 6, 1,
514; Peitzbl- Jessen 178; grundbim ... in der Lausitz
und Meiszen . . . die knolUgen eszbaien wurzeln des heU-
anthus tuberosus Keünitz 20, 278; so auch in Zürich nach
Dueheim Schweiz, pflanzenidiot. (1856) 38; und in der
Steiermark: grundbir . . . knollen von helianthus (vieh-
futter) Ungee-Khttll 310''.
zahlreiche volkssprachliche Zusammensetzungen mit gr.
vgl. Fischee schwäb. 3, 874 und lux. ma. (1906) 155; hier
nur literarisch belegte; grundbirnenacker:
763 GRUNDBIRNENBÄUERLE - GRUNDBODEN i
GRUNDBODEN 2. 3
764
soll der sprosse der titanen
einen grundbirnacker tragen?
VisoHEB auch einer (1879) 1, 107.
-bäuerle: lumpenbagage ist die ganze weit . . . mein gr.
Attekbach sehr. 11, 200; -ernst: was ich sag, ist ...
mir gr. 11, 218; -land :
in Lothiing ist kein bleibens mehr,
hinaus aus diesem grundbirnland
V. DiTFUKTH volksl. d. bayer. heeres 106.
-mahl: zwei drittel grundbimmehl und ein drittel korn-
mehl J.Gropp wirtzburg. chron. (1748-50) 2, 485; -pastete:
du machst ja ein gesicht wie eine verhunzte gr. Lauk-
HABD leben u. schicks. 1,115; -suppe v. Ditfttrth /röwA.
volksl. 2, 274.
GRUNDBLATT, n. 1) botanisch, das erstgewachsene
blait einer pflanze: (die indianische feige) treibt immer ein
dickes blat aus dem andern . . . das grundblat wird end-
lich, wann es alt wird, holtzig v. Hohberq georg, curios.
1, 614; für die keimblätter: sodann erscheinen (am körn)
die ersten grujid- oder hertzblättgen, zwischen diesen
aber erfolgt das rechte laub der pflantze mit Stengel und
beständigen blättern allg, haushaltlex. (1749) 2, 548''; in
anderem sinne terminologisch: gr., folium basilare, 'zum
unterschiede von eigentlichen wurzelblättern: ein solches,
welches am wurzelstocke, dem knollen und der zwiebd steht'
Rohling Dtschlds flora ( 1823) 1, 41. 2) das zu unterst liegende
papierblatt: gr. . . . feuille de fand Hellwig wb. d. fach-
ausdrücke 40 ** ; die katastrophe überraschte uns selbst wie
kleine kinder, welche langsam das gr. ihres kartenhauses
weggezogen haben Laube ges. sehr. 8, 302, — -blei, n.,
das Senkblei, lot zum messen der wassertiefe: umb den
abend würfen wir das gr. C. Low meer- oder seehavenb,
(1598) 78; bildlich: die (tiefe) keinen bodem hat, und für
welche der tod selbst kein gr, weisz Feancisci weh d.
ewigk. (1686) 683; vgl. Keünitz 20, 278; Beil 1, 263;
Kluge seemannsspr. 337.
GRUNDBODEN, m., alem. auch grundsboden, vgl.
Staub-Tobleb 2,771; Martin -LiENH a rt 2,15*; Fischer
Schwab. 3, 875 belegt es seit dem 17, jh. und gibt es als die
im Schwab, geläufigere form an; gr. tritt mit dem 16. jh.
auf und scheidet sich der bildun^ nach in zwei wurzeln:
als zusammenrückung der formelhaften paarung grund und
boden und als regelrechtes, einen theiWegriff bestimmendes
compositum.
1) zusammengerücktes grund und boden (vgl. grund
II C) im wesentlichen auf das alem. beschränkt, doch ge-
legentlich aveh im rheinfränk.
a) gr. in (räumlicher) beziehung auf die bodenfläche
(grund II C 1 b) : also hab ich . . . das vorberürt gut mit
grundtpodem und nützlichen fruchten . . . aufbieten
lassen d. neu laienspiegel (1518) 99 r; es soU ouch der kast-
vogt nit gwalt haben, einiche guter . . . weder gr. noch
eigenschafift der lüten . . . ze verliehen TscHUDi chron.
hdvet. 1, 10; innungszwang und gewerbsfreiheit, festhalten
und zersplittern des grundbodens Göthe 42, 2, 157 W.
b) alem. in volksmäsziger redeweise ausgebreiteter in
präpositionaler Verbindung, wo die zusammenziehung im
sinne der zwillingsformel einen steigernden affectbetonten
Charakter annimmt: in gr. (hinein) vgl. grund II C 1 d
neben verben des zerstören^ und schlagens; zunächst concrei,
mit der Vorstellung des unter der bodenoberfldche liegenden
erdgrundes verknüpft: dass ettlich stett in gr. yngf allen
sind Vadian bei Staub-Tobleb 2, 771; wend ir echt nit
werden usgrüt ja in gr. gar kert umb, so bessernd üch
R. ScHMiD (1579) ebda 772; so ist aber selbe (ernte) ... in
grundsboden undertrückt und verritten Bürsteb schwed.
krieg 164 Weech; der kukuk ist zerschlagen, in grunds-
boden geschlagen Schiller 2, 142 ö.; vgl. e pföl in de gr.
schlähe ^ einen pfähl mit wucht, tief in die erde schlagen'
Staub-Tobleb 2, 771; so in verwünschungsformdn: men
sett-en (imgspitzt) in gr. ine schlohn ebda; weim sie das
Wetter in den gr. schlüge, die Regine E. Zahn helden d.
alltags (1907) 217; du muszt ihn auch in grundsboden 'nein
verfluchen Auerbach dorfgesch. (1884) 1, 11 ; entsprechend
auch: sich in gr. inne schämmen 'for schäm in die erde
versinken mögen' Staub-Tobler 2, 771; vgl. Martin-
LiENHART 2, 15*; daneben schon früh mit verderben und
anderen unsinnlich gebrauchten verbis in abgezogenerem
sinne 'völlig zu gründe richten, ruinieren' (vgl. grund II B
3 a), was zur entmcUung von rein adverbial gebrauchtem
in gr. (hinein) = 'gründlich, vollständig' führt: der unser
statt gern inn grundtboden verderbti Ehinger (1530) nach
Fischer schwäb. 3, 875; perditum perdere einen verdorb-
nen noch mer verderben ... in grund boden verderben
Fbisius 975'»: mdagenes certe periit er hat nichts mer, er
ist in grund boden eynhin verdorben 977»; also haben sie
. , . das gantz menschliche geschlecht ... so gar befleckt,
verderbt imd in den gr. verwüstet J. Füglin de praesti-
giis daemonum (1586) 7*; in grund boden hinein ver-
ketzert (verdorben) Gotthelf nach Straub-Tobleb 2,
771; in gr. inne 'durchaus, gründlich' Mabtin-Lienhabt
2, 15*, vgl. Seileb Basler ma. 148; Staub-Tobleb 2, 771,
dort auch neben lügen; seit alters in verstärkter negation
in gr. nicht (vgl. boden 6, th. 2, 214) gebräuchlich:
und viel geschreys und wenig woll,
das in grundboden gar nichts soll
Fischart nacIUrab 23 (c. 770) Kurz;
in gr. nüd 'durchaus nichi,(s)' Staub-Tobleb 2, 771.
c) dem vorbilde von in gr. (hinein) zerstören u. s. w.
scheint die sinnverwandte Wendung auf den gr, schleiszen,
schleifen ihr entstehen zu verdanken, der keine, entsprechende
paarung auf den grund und boden gegenübersteht, bei der
auch der begriff der fläche (solum) entscheidend vorwiegt
(vgl. grund IIB 4): aequare solo urbes, domos nider-
brächen, auf den grundboden schleitzen Fbisius 50*;
269''; Maaleb 194''; das urtheil , , ,, das , . . alle ihre guter
dem könig verfallen, ihr hausz auf den gr. geschleift
wurde Henricpetri general histor. (1577) 230; doch liegt
hier die zweite compositionsart (s. u. 4) gr. = 'erdboden'
sehr nahe; vereinzdt bleibt die halb bildlich-gegenständlich
(grund II A 2 a), halb abstract (grund IV B 5 b) gefaszte
Verbindung: aus dem gr. (heraus) = 'gründlich' : dises
Wasser nimmt aus dem gr. heraus alle würzen des parlys
oder Schlags Landenbeck arzneischatz (I6O8) bei Staub-
Tobler 2, 772.
2) für den boden eines gewässers im 15. 16. jh. bdegbar;
wohl auch nichts als zusammenrückung der beiden bedeu-
tungsgleich verwendden Wörter (vgl. grund lA):
sucht man im meer also das gold,
dasz man es am grundboden holt,
gleich wie in etlich goldreich Aussen,
da sie den goldsand schwemmen müssen?
FiscHAKT verzeichnusz 360 Kurz;
der gr. davon (des baches) und die beyden abhängenden
Seiten . . . waren von steinen verfertiget L, Bachen-
schwanz Dante, halle (1767) 100; in profundam altitudinem
maris se immittere sich an grund boden oder in alle tiefe
desz meers werfen Frisius 78*»; dann auch vom boden eines
hohlraumes: fundus ain boden o. grund boden (ima pars
vasis) Dieeenbach 252 '> ; es würd ein grosz . . . abnemmen
in den seckelen sein, vom riemen bisz in gr, Fischabt
praktik 4 ndr.
3) in zunefacher Verwendung ersdzt gr. als echtes com-
positum (vgl. erdboden) einfaches grund II A 2; einmal im
sinne: oberste erdschicht, dann besonders der für die ernäh-
rung der pflanzen bestimmte kulturboden (2a): wir (kamen)
in ein andere arth, in der der grundtbodem weisz leim
war Fabri eigentl. beschreibg (1557) 130 1»; dasz er (der öco-
nom) einen zu verschiedenen feldfrüchten geschickten
acker erlange, den gr. imtersuche allg. haush.-lex. (1749)
1,29''; so mundartlich: grondbuedem 'humusschicht' lu-
xemb. ma. 156*; im gleichen sinne auf die lebenspendende
untere luftschicht übertragen: aus welcher (luft) sich aber
noch andere gröbere theilchen geläutert und über das
gewässer wie ein cremor . , , niedergelassen, folglich den
menschen, thieren imd gewachsen ihren benötbigten gr,
gegeben hätte Breslauer sammig. v. natur- u. med. gesch.
(1718) 3, 684; weiterhin als der feste baiujrund (2 b): wann
aber der gr. viel abhängig, so sollen die fuszmauren dar-
765
GRÜNDBOSE i-s
GRUNDBÖSEWICHT - GRUNDBUCH i 766
nach abgesetzt (v. 1656) Fisoheb schwäb. 3, 875; so noch
heute fachsprachlich: gr. 'der erdboden, auf dem man bauen
toilV ; MoTHES baulex. 2, 538; ähnlich gefaszt: in einem
opferhügel . . . entdeckte KJopfleiach . . . gruben, die in
den gr. des hügels eingegraben warben Hoops waldb. u.
kuUurpfl. 304.
GRUNDBÖSE, adj., durch intensivierendes gnind-
{vgl. compos.-typ. 1 a) gesteigertes böse, vgl, erz- sive
grundbös Stieleb 208; sehr bös, ertzbös, grundbös pes-
simo, mulissimo Keameb teutsch-ital. 1, 137^; vereinzelt
schon mhd.: gruntboeser wart {worte) vil Seifrid Helbling
7, 811; seit dem kraftausdrucksfrohen 16. jh. recht geläufig,
vor allem in den bedeutungen von böse 4 und 8, seltener 6
{vgl. th. 2, 250^.) ; vgl. grundbös ab origine malus Wachtee
gloss. germ. 620.
1) im sinne von böse 4 'wild, bösartig^ der anläge nach,
früh aber wenig häufig: welhes äugen an der roeten dem
feur geleichent, daz ist ain gruntpoesez mensch und gar
widerprüechig oder ungevölgig K. v. Megenbeeq buch d.
natur 44, 5; grymig, gruntpos malignus Diefenbach 344'»
(v. anfang d. 15. jh.s); substantiviert mit der bedcutung
'böser geist, teufel':
dasz er in auch durch sein gilt
vor dem hessigen feind behüt
das ist. dasz er in wöll erlösen
von dem unial aller grundbösen
H. Sachs 18, 115 E.- 6.
vergleichbar: von verdamten aber kan man nicht ubels
genug reden . . ., dieweil sie ja gr. Moschebosch gesichte
(1650) 334.
2) zumeist mehr wie böse 8 a = improbus, moralisch
bewerthet als gegensaiz zum guten, bei personen oder hand-
lungen: und war ein grundböse mensch von bömen, von
morden, von roben S. Gbünau preusz. chron. 1, 226; diese
lasterhaften . . . waren dennoch keine gr. menschen La-
VATEB physiogn. fragm. 3, 95; das sich so gr. buben als
from stellen C. Spangenbeeo wider d. böse sieben (1562)
c 1*; eyn gruntbosser schalk Wigand Gbbstenbebg chron.
67 Diemar; früh wird zur stellenden formel das gr. weib,
das weniger das moralisch minderwerthige als das zänkische,
böswillige ausdrückt:
der selb het ain gruntposez weib
die deglich peinigt seinen leib
H. Sachs fab. w. schw. 2, 121 ndr.;
vgl. 14, 130. 264 K.- Q.; sein grundböses weib (nöthigte) ihn
zu dieser . . . wirthschaft allg. dtsche bibl. 104, 156; gern auf
das wirkende organ übertragen: cor humanum ist nicht zu
erforschen, wie grundbose es ist Lutheb 34, 2, 554 W.;
jenes ausschweifungen {müssen) kein grundböses herz ver-
rathen Lessing 10, 109 M.; sein . . . geständnisz, dasz
sein naturell gr. . . . sey Liscow samml. (1739) 176; öfter
auch bei collectivbegriffen wie weit, zeit: die warheit . . .
{wird) von der grundbösen weit so gar erschrecklich an-
gefeindet 'RjST friedejauchz, teutschl. (1653) 7; bei dieser
grundbösen zeit {kann) . . . das erinnern xmd vermahnen
nicht schaden W. Orrw miszbr. d. kleider (1663) 4; in diesen
letzten grundbösen zeiten, da das christenthum eine fabel
. . . geworden Sceivee seelensch. (1737) l, 79'»; vgl. ir {der
wdt) unart und grundtböse stück H. Sachs 9, 331 E., der
auch schon die gr. weit hat 3, 296; auch entsprechend böse
8 c als 'schlimm, schlecht, übeV : so gar gr. und greulich
musz alles gestanden haben G. Aenold kirch. u. ketzer-
hist. (1699) 2, 182; die elende und gr. sache der gottlosen
Gottsched neueste a. d. anmuth. gelehr samk. 7, 486 ; böse,
gr. botschaft Raupach dram. w. ernst, galt. 6, 81.
3) beschränkter sind andere bedeutungen verwendet; wie
böse 2: 'bösartig, schlimm', geradezu 'unheilbar^ : dasz sie
... in secten gerathen, die st. Peter verderbliche secten
nennet . . ., die so gr. sind, dasz sie nimermehr mügen
zurecht gebracht und geheilet werden zeitgenössische
Übersetzung eines lat. Schreibens Luthers in der Wittenb.
ausg. V. 1557, bei de Wette br., sendschr. u. bed. 2,227; {—ad
eas sectas, quas Petrus perditionis vocat, relabamini, quae
sunt insanabiles Lutheb lO, 2, 173 W.); wie böse 6 'min-
derwerthig, schlecht im zustande^ öfter im 18. jh. neben
strasze, weg: gr. straszen {v. j. 1708) Fischeb schwäb. 3,
875; der weg . . . war . . . gegen Pistoja zu gr. J. Chph.
Nemeitz nachlese (1726) 342, vgl. Jagemann (1799) 549. —
-bösewicht, m. {vgl. comp.-typ. 5 t a): daz hat der
grundböswicht wol verschuldet Seuse dtsche sehr. 77
Bihlm.; er war doch ein gr., verrether und schalck im
hertzen Lutheb 51, 226 W.; dieser grundbösewigt Fean-
cisci traursaal 3, 914; der ist ein gr,, der der zweyten
bessern Überzeugimg seine erste nicht aufopfert Lavatee
physiogn. fragm. 4 vorr.; schwäb. aux,h grundsbösewichter
(1519) FisCHEB 3, 875; mit doppelter Steigerung gnind-
hauptboswicht Schottel 399. — -bosheit, /.,
zu meiden die ehrgeytzigkeit,
die wurtzel aller grundboszheit
H. Sachs 8, 646 K.;
wenn wir die grundboszheit dieses ortes . . . betrachteten
polit. maulaffe (1679) 183. — -brav, adj. {vgl. compos.-
typ. 1 a), seit dem ausgehenden 18. jh. oft verwendet, vgl.
Schwan nouv. dict. l, 797''; ein gnmdbraver mann Iff-
LAND theair. w. 2, 116; eine wackere imd grundbrave natur
GöBBES ges. br. 3, 625 ; diese grundbrave dienergesinnung
FÜBST PÜCKLEB briefw. 6, 41; reich mir mal deine grund-
treue, grundbrave tatze her G. Hauptmann Rose Bernd
(1904) 11. — -brett, n., technischer auadruck für ein als
grundlage dienendes brett. l) allgemein: so mach man sie
{die spindein) auch holl machen . . . und durch verrückung
der grundbretter in das werck ziehen Düeee underwey-
sung d. messung (1525) 3 2*»; das grundbret {am pflüge),
an dessen spitze das schaar angeschlagen Zesen helikon.
hechel (1668) 77; vier auf gemeinschaftlichem grundbrette
montirte steinsäulen {thermosäulen) Kabmabsch-Heeben
9, 225. 2) terminologisch für ein 1470 erfundenes richtmittel
für geschütze, vgl. v. Alten 4, 477; grundbret, stück-
winckelmasz, cadran Fäsch (1726) 120 *>.
GRUNDBRIEF, m., Urkunde über rechte an grund und
boden: dy hem Slick werden . . . ire freiheiten iind grund-
brive auch auflegen {v. j. 1503) chron. d. stadt Elbogen 131
Schlesinger; und verspuret myr myn zucknis briv imd
gruntbriv urk. z. gesch. Maximilians I. 490 lit. ver.; gr. 'in
einigen besonders oberdeutschen gegenden' . . . 'der lehens-
brief, erbzinsbrief, zinsbrief Kbünitz 20, 278. — -bruch,
m. 1) uxisserbauiechnisch 'durchbrach des vxissers durch den
grund eines dammes oder deiches' Kbünitz 20, 279; wasser-
dichte holtzung, womit man . . . grundbrüche fasset allg.
haush. lex. 1, 338 •> ; man unterscheidet . . . deichbruch . . .
gr. . . . und Strombruch Luegee 3, 248; 2) poetisch, ganz
allgemein 'brach des fundaments\'
verhof ich, sollen dapfer noch
widrumb des reichs grundbruch ergäntzen
Weckheeun ged. 2, 261 F.
so auch adjectiviert in: -brüchig Schottel nach Campe
2, 470''. — -brühe, /. 1) das sich am schiffsboden sam-
melnde Wasser, häufig belegt in wörterb. des 16. 17. jh.s:
nautea die stinckend grundbrüye der schiffen Fbisius
859*, vgl.MAAi.ER 194''; Henisch 1768; bisweilen wird es
{das schiff) lech . . . und durch die klaffende ritze . . .
laufet die gr. und losey hinein Comenius /arazta (1644) 140;
später anscheinend nur durch lexikalische tradition weiter-
geschleppt und ungebräuchlich, vgl. Feisch 1, 379; Hein-
sius 2, 551*; nach Kluge seemannsspr. 337 kein seemän-
nischer ausdruck. — -bube, m., intensivbildung des 16. 17.
jh.s {vgl. compos.-typ. 5 t «): du gr. was sagestu? St. Ric-
crus Terenz (1586) 459; nachdem dieser gr. also den
printzen verwirret und betrogen Valvassoe hertz. Crain
(1689) 2, 204; vgl. ScHOTTEL 473; Kbamee teutsch-itol. 1,
573 <=; noch Heynatz antibarb. 2, 79 kennt und verwirft es
als obd. idiotismus.
GRUNDBUCH, n. l) ein von behördlichen stellen {amts-
gerichten u. a.) geführtes öffentliches buch, in dem alle grund-
stücke sowie die an einem grundstücke bestehenden rechte
eingetragen werden; anderseits auch das für ein bestimmtes
grundstück angelegte buch, beide arten des grundbuches sind
ihrem rechtlichen Charakter nach bereits im späten mittel-
alter zu unterscheiden; die erstgenannte bedeviung erscheint
767 GRUNDBUCH 2-4 - GRUNDBÜGHERLICH
GRUNDBUCHRICHTER — GRUNDEHRLICH 768
als die jüngere; das um 1400 im österr. auftauchende wort
bezeichnet zunächst wohl nichts anderes als das salbuch
(vgl. th. S, 1694) oder urbax, urbarbuch {vgl. Lexeb 2, 2001),
ein vom grundherrn geführtes besitzstand- und zinsbuch ohne
rechtliche beweiskraft, vgl. R. Sohbödeb dtsche rechtsgesch.*
851 anm. 21 a; als es umb denselben Weingarten zu
einer gedechtnüsz in dem gruntpuch geschriben stet (v. j.
1409) urk. d. benedikt. zu d. Schotten 609 H.; das rechte
grundbuech aller nutz xmd zinsen, so ich Hannsz Auer zu
Wolkherstorff hab (v. j. 1468) österr. weisth. ll, 18; (wr
haben) gruntpucher ze machen verordnet . . ., darinne wir
unser leut und guter mit unsern und iren gerechtigkaiten
. . . beschreiben lassen (v. j. 1494) 6, 226; dis urbar und
grundtpuch hat machen lassen ... {v. j. 1494) 9, 176;
vgl. 7, 94. 528; dieselben haben sie agrorum formas,
das ist grundregister oder grundbücher genennet Wer-
LiCHius Augspurg. chron. (1595) 23; das gr. ... musz
eine vollständige beschreibung des gutes in allen seinen
theilen enthalten Sohweez ackerbau 967; anderseits ent-
spricht das gr. den seit dem 12. jh. aufkommenden stadt-
büchern {''sehr eins-, schaffen-, erbe-, gemächt-, grund- . . .
bücher' R. Schköder dtsche rechtsgesch.^ 767), in die ein
öffentlicher beamtet grundstilcks- (av^h andere rechts-)ge-
schäfte verzeichnete; daher auch gerichtbuch, vgl. stadt-
recht v. München 15, 32 Auer; khiniglicher maj. ambt-
maim und Verweser des grundtpuechs zu sant Polten
(v. j. 1498) Raym. Dfellius excerpt. general. {172ö) llO; bei
dem pergrichter oder Verwalter des grundbuechs (v. j.
1675) weisth. 3, 705; gnügliche Information ausz der ämb-
ter urbarien, grundbuchem, zinsregistern acta publ. 8, 101
Palm; welcher vergleich und revers ... in das schöppen-
oder gr. des guths . . . genommen {v. j. 1715) cod. dipl.
Siles. 4, 117 M.; die grundbücher sind . . . darum aufgerich-
tet, damit . . . die unbehauste guter . . . daselbst richtig
eingezeichnet (werden) v. Hohberq georg. cur. 1, 42; für
die neuere rechtssprache ist demnach gr. in seiner haupt-
sächlicheren bedeutung ''ein gerichtliches Verzeichnis der
. . . grundstücke" Voigt hwb. f. d. geschäftsführ. 1, 360;
grund- und hypothekenbuch aüg. dtsche bibl. 12, 2, 373.
2) gr. als ^das erste, die gruvdlagen des unssens enthal-
tende buch, das dementarbuch' (s. compos.-typ. 5 o), vgl. in
diesem sinne grundbüchel : sie (die abc-bücher) bezeichnen
sich auf dem titel als: abcbüchlein, . . . fibel, figuren-
büchlein, 'grundtbiechel' . . . tabula elementaria H. Fech-
NER abc-bücher d. 15., 16. u. 17. jh.s 3 anm.; die orientali-
schen metaphem, . . . die wir in der frühsten Jugend, als
ersten Unterricht, in den grundbüchern der religion lasen
Klinqer w. 12, 56; mehre abc-werke in honigkuchen ge-
prägt, gleichsam die . . . grundbücher seiner schulwissen-
schaften HoLTEi erz. sehr. 13, 112; er erstaunte zu hören,
dasz man so ganz ohne lehrgabe . . . und bei so unmög-
lich elenden grundbüchern so eifrig sein könne Hermes
meine gesch. 1, 132.
3) ein ^grundlegendes, den wesentlichen inhalt einer lehre
oder anschauung repräsentierendes buch' (vgl. compos.-
typ. 5 r) : das beste fundbuch, kunstbuch imd gr. in der
gantzen weit ist das erste buch Mosis V. Herbebqer
traurbinden (1611) l, 110; dasz also seine (Luthers) Über-
setzung der bibel . . . ein gr. kan genennet werden Gott-
sched beytr. z. crit. historie 4, 84; das Siegel an den glau-
bens- und grundbüchern Zlnzendorf bedencken u. bes.
sendschr. (1734) 27; für die religion der humanität . . .
(bildet) Lessings Nathan das heUige gr. D. Er. Straxtsz
sehr. 6, 205; auch mit dem sinne des ^hauptsächlichen' ver-
einigt: das haupt- und gr. der römischen Staatstheologie
MoMMSEN röm. gesch.* 3, 478; (Rousseavs) Emil war sein
(Klingers) haupt- \md gr. Göthe 28, 254 W.
4) als militärtechnischer ausdruck für die listen der 'im
verbände der bewaffneten macht stehenden personen und
pferde' (vgl. Stammrolle) : er (der sog. 'stand') wird in grund-
büchern evident gehalten v. Alten 4, 477. — -buch-
besitzung, /.; grosze wirthschaften, grundbuchbesit-
zungen und landgerichte v. Hohberg georg. cur. l, 99. —
-bücherlich, adj., zu grundbuch 1 gebildet, in österr.
literaturwerken nicht selten: gr. allg. dtsche bibl. 86, 88;
diese gerichtsperson hat . . . grundbücherüche Studien
gemacht Rosegger sehr. 15, 415, vgl. Anzbngrüber 4,
258. — -buchrichter, m., zu grundbuch 1: hätte der
gr. irrtümlich eine hypothek gelöscht hwb. d. staats-
wiss.^ 4, 1279. — -buchsgefälle: freygeld, winckel-
steuer . . . gr. ... wird nach billiger nutzung geschätzt
v. Hohberq georg. cur. l, 56. — -buchshändler, m.
Krünitz 20, 279, vgl. Unger-Khull 310b. _ .buch-
handlung, /. v. Hohberg georg. cur. 1, a 4 vorr. —
-buchsrichtigkeit, /.; der . . . wegen solchen Wein-
garten noch keine gruntbuchsrichtigkeit gepflogen hat
(v. j. 1717) österr. weisth. ll, 81. — -buchstabe, m.: die
erste (lection) handelt von den grundbuchstaben dtaches
lesd)üchlein (16S9) titel; gemeini sind die buchstaben i clsz,
aus deren formen die andern abgeleitet werden; dasz sie nur
desselben (des namens Assenat) fürnehmsten grundbuch-
staben s behielten und Isse, darnach Isis daraus machten
Zesen Assen/it (1679) 574; bildlich: es ist die natürliche
spräche der seele . . . die grundbuchstaben und das aipha-
bet alle dessen, was Stellung, handlung, Charakter ist
Herder 8, 68 ;S. — -buchung, /. hwb. d. staatswiss.^
2, 1114. — -bühnung, /., zu grund IV A: schwellrost,
auch gr. genannt Mothes baulex. 2, 539.
GRUNDCHARAKTER, m. (vgl. compos.-typ. 5 p/?):
den gröszten mahlern und kupferstechern (fehlt) oft alle
theorie . . . von dem gr. und den Zufälligkeiten eines ge-
siebtes La VATER physiogn. fragm. 1, 131; Plato . . . setzte
gute zu ihrem (der gottheit) gr. Herder 19, 276 3.; über
die nation (der Italiener) selbst . . ., über den grund-
karackter und die hauptexistenz von dieser Göthb III 1,
296 W.; mittel . . ., durch welche das leben erst jenen leid-
vollen gr. . . . bekommen hat Nietzsche 4, 54 ; wenn eben
diese über die darstellung verbreitete ruhe der grund-
karakter des epischen gedichts wäre A. W. Schlegel im
Athenäum 1, 45; seltener pluralisch: thatsachen . . ., die
zu den unbezweifelten grundcharakteren der menschheit
gehören Heebart w. 6, 206.
GRÜNDCHEN, n., diminuiivum zu grund; gelegent-
liche spielerische bildung; entsprechend grund in A :
... im traulichsten gründeben
Mit itzt micli gefangen ein niedliches kindeben
BÜCKEET w. (1867) 1,522;
so auch mundartlich: lux. ma. l&Q^ ; wie grund IV C 2:
niemand theUt z. b. Homer ... in 17 oder 29 bücher,
sondern — das war das gr. — in 24 nach zahl der buch-
staben Jean Paul 49/51, 279 H.
GRUNDDIENST, m., dem grundherrn von seinen,
hintersassen zu entrichtende abgäbe, vgl. grundrecht, grund-
zins; erst seit dem 14. jh. bezeugt, besonders österr.: das sy
uns . . . geben sullen (von dem toalde) sechsthalb phunt
pheninge zu rehtem gruntdinst und purchrecht (v. j.
1366) urk. d. Stiftes Klosterneidmrg 419 Zeibig; davon (von
dem Weingarten) man järlich dient zue gr. an sanct Mi-
chelstag . . . drei pfenning (v. j. 1415) urk. u. reg. d. kar-
tause Aggsbach 220 Fuchs; grundtdienst oder zünss,
dennen so darzue von grundtherrn verordnet worden
(v. j. 1574) bergtaidingsb. d. Tnarktes PöUenberg, in: arch.
f. künde österr. gesch.-queü. 17, 83; das dorf Hagland ge-
hört mit dem gr. dem prior zu Füerstenfeld zue (v. j. 1651)
österr. weisth. 10, 150; was nun ... die gr. an sich selbst,
es sey um trayd, wein, oder anders, anlanget v. Hohberg
georg. cur. l, 44; im ausgehenden 18. jh. nur noch lexika-
lisch und irrthümlich als 'frohndienst' aufgefaszt, vgl.
Schbadeb dtsch- franz. wb. l, 580; Campe 2, 470. —
gründe, /. s. grundel.
GRUNDEHRLICH, adj., 'von grund aus, durch und
durch ehrlich' (vgl. compos.-typ. l a); im 18. jh. aufkom-
mend und bald stark verbreitet: es ist ein grundehrlicher
braver mann Gottsched dtsche Schaubühne (1741^.) 3,
361; (er) vermeynte wirklich an derselbigen ein grundehr-
liches mädgen zu haben Leipziger avanturieur ( 1756) 2, 131 ;
seine grundehrliche natur H. Prutz pr. gesch. 3, 351; der
brief ... ist rührend durch den grundehrlichen ton Vosz
br. 2, 239; das proselytenmachen sey ein grundehrliches
769 GRUNDEHRLICHKEIT - GRUNDEINHEIT
GRUNDEIS
770
handwerk NicoiiAi reise d. DtsdUd 8, 183 anh.; verblas^:
abwechselnd nach jedem instrumentj welches ich spiele;
aber immer ein recht grundehrliches thema H. Beck d.
schachmasch. (1798) 63. — -ehrlichkeit, /.: woraus wir i
. . . seine eigene gesunde natur und gr. ... bemerkten i
MÖKIKB br. u. ged. an M. v. Speeth (1906) 25. — -eichel, j
/,, name der erdnusz, laihyrua tuberostis Hoix wb. dt. pß.
137*, nach Pbitzel - Jessen 204 so in Schlesien; schon
bei H. Bock kreutterbuch (1539) 2, 15» und Albeeus |
FF 3^, vgl. die belege bei grundbime l. — -eigen, n., das :
aUod: quod ego Johannes Maylio vendidi et presentibus
pro libero allodio in vulgo dicto vor en grunteghen re-
signavi domino ... (v. j. 1349) urk. d. Id. Ciarenberg (1908)
63 Merx; in neuerer spräche überhaupt 'grundeigenthum' :
aufßaugung des bäuerlichen grundeigens durch den kirch-
lichen . . . groszgrundbesitz hwb. d. staatswiss.' l, 192. —
-eigen, adj. l) allodial: vier . . . gnmdtaigne banwelde
weisth. 2, 111; vgl. freyaigen, grundaigen, ludaigen oder
ailodial ScHMELLEB-rE. 1, 48; gr., frey, pflichtfrey, zoU-
frey Henisch 1768; grund- s. gütereigen proprium quoad
fundum, grundeigene wiesen pascua propria Stiblee 25.
2) gdegentlich auch ^völlig zum (geistigen) eigenthum ge-
hörig; durchaus, besonders eigenthümlicW : alles übrige
aber . . . die chromatischen perlen . . . gehören ihm gr.
R. SoHXTMANN ges. sehr. 2, 159; diesz vertiefte herz war
das grundeigene geheimnisz des mannes Jesu Visohee
auch einer 2, 396. 3) im sinne *ganz genau' adverbial {vgl.
eigen th. 3, 96/.):
allein ich weisz grundeigen,
dasz Thyrsus . . .
LOHENSTEiif Cleopatra (1680) 80;
ich möchte es gr. wissen sciam certissime Stetnbaoh wb.
(1734) 1, 321; 80 noch mundartlich: daa kenne ich grund-
eegen Albeecht Leipz. ma. 126. — -eigenschaft, /.
{bildung im sinne der compos.-typ. 5 p /3): einheit, vollkom-
mene ewigkeit . . . sind unserm begriffe nach die grund-
eigenschaften gottes Basedow natilrl. weish. (1768) 44;
diese mir angeborenen grundeigenschaften Fichte s. w.
2, 179; der menschenfreundliche Charakter, der . . . die
gr. dieses edeln . . . geschlechts ist Eschenbtteo beiapiel-
samml. 8, 2, 160; auch modern als psychologischer terminus
GiBSE psychol. wb. 60 ; ebenso bei dinglichem object : so wie
die schwere als gr. allen körpem gleich zukommt Schel-
UNQ I 2, 530.
GRUNDEIGENTHUM, n. l) eigenthum an grund und
boden, im frühen 18. jh. aufkommender rechtsbegriff: gr.
dominium directum Haym jur. lex. (1738) 274; sowohl das
eigenthum an der gesamten, einem Staate oder volke gehören-
den bodenfläche als auch an dem im einzelbesitz befindlichen
grundstück: eine juridische hypothese . . ., dasz das gr.
•dem Staate . . . gehöre Ranke s. w. 43/44, 25; diese feld-
stücke . . . wurden nur . . . auf bestimmte zeit verliehen,
während das gr. der gesamtheit blieb Schwappach hdb.
d.forst- u. jagdgesch. l, 15; mehr concret gefaszt wie grund-
stück: er (wurde) des fernen grundeigenthums entledigt
Immeemann 7, 66 B.; die . . . speculationen mit dem gr.
. . . müssen nachlassen dtsches mv^eum 1, 72 F. Schlegel;
selten wie grundbesitz 3 der stand der grundeigenthümer:
das gr. zahlte seine Steuer zu Rom als theil des Ver-
mögens NlEBtTHE röm. gesch. 1, 259; jüngere ableitung
ist: -eigenthümer, m.: (der) theil des preises ...,
welcher zur landrente des grundeigenthümers flieszt
Gaeve A. Smiths nationalreicht. (1794) l, 90; die pos-
sessores sind die gr. oder grundsteuerpflichtigen v. Sa-
viGNY gesch. d. röm. rechts 4, 468 ; der stand der freyen
nicht adlichen gr. NiEBtXHE röm. gesch. 1, 236; die Ver-
mehrung der kleinen gr. v. Bismaeok polit. reden 1, 167
Kohl. — -eigenthümerin, /.; die kirche ... wurde
bald die reichste gr. v. Döllingbe akad. vortr. l, 196.
— -eigner, m.: die groszen besitztümer der gr. (haben)
keineswegs die bestimmung . . . hwb. d. staatswiss.^
6,283. — -einheit, /., eine letzte, nicht weiter analy-
sierbare einheit, auf die sich die erscheinungen zurück-
führen lassen, aus der sie entstehen (vgl. compos.-typ. 5 q) :
in der in dieser weit angefangenen einheit des selbst-
IV. 1. 6.
bewusztseins der Individuen . . . ruht . . . die einheit des
lebens. dies ist die gr. Fichte s. w.2, 677; die drei grund-
einheiten Schelling I 4, 457; jener gedanke, dasz die
'vermögen', die Kant analysierte, auf ihre gr. zurück-
geführt werden müßzten Windelband gesch. d. neuer,
philos.* 2, 190; die lebendige gr., aus der die nation her-
vorgetreten war MuNDT gesch. d. dtsch. stände 476; neuer-
lich besonders die einem maszsystem zu gründe gelegte ein-
heit: die gr. bildet bei uns die rheinländische ruthe
V. Moltke ges. sehr. 4, 282; ein zehntel der gr. wurde
angedeutet durch die vorsilbe dezi- Lttegbe 3, 283; so
auch militärisch (vgl. grundf ormation) : die gruppe ist in
der . . . marine die gr. für die schiffsrolle v. Alten 4, 480.
GRUNDEIS, n. 1) gr. oder bodeneis . . . , welches sich
auf dem boden von gewässem . . . ansetzt Ltjegee 4, 798 ;
bereits im mhd., aber spärlich belegt:
($ein herz ward) wider der untugende Isalt
reht alsam ein gruntys
JOH. V. WÜRZBURG Wilh. V. östeTT. 631 R.
erst mit dem 16. jh. reicher bezeugt (s. u.): so bald sich das
Wasser von dem abgehenden schnehe ergossen, ist es auf
dem grundeise dahin geschossen C. Spangenbeeg mans-
fdd. cÄro». (1572) 494» ; zu derselben zeit, waim es grundeisz
gefroren ist Sebiz /eZd^a« (1579) 512; dahin die von Augs-
burg . . . wegen desz grundeises nicht hinüber kommen
mochten Schwelin würtemb. kl. chron. (1660) 43;
auf Seen und strömen das gmndeis borst
BÜRQKR «. w. 36» B.
so bildlich im sinne des auftauenden, morschen eises: also
schien die römische bothmäszigkeit in Gallien auf trüb-
sandt und zerbrechlichem grundeisse zu stehen Lohen-
stein Arminius (1689) 1, 1030*; auf was vor gr. wil nun
wol Hiempsal baun? Sophonisbe (1680) 5; besonders in
fester verbaler Verbindung das gr. geht, das wasser treibt
das bei tauwetter losgebrochene gr.; bereits im 16. jh.: das
grundteysz gadt flumina trudunt glaciem Maalbe 194*;
MaximiUan (kam) ... zu winterszeyt auf ein gefroren
wasser, darauf grundeisz gieng Feanck chron. Oerm.
(1538) 266'»; die Eib (toar) gar flutig, darzu das grundeisz
gieng mit gewalt Kiechof wendunm. 2, 342 Ö.; (der)
Strom, der zehn tage mit starckem grundeise gegangen
war Lohenstein Arminius (1689) 2, 1306*; namentlich
. . . wenn das . . . gr. stark geht Naumann naiurgesch. d.
Vögel 12, 325; im alem. in der bedeutung ''es ist bitter kalt':
ich war einmal, als das gr. ging . . ., barfusz gelaufen
Jee. Gotthelf ges. sehr. 1,341; vgl. Statjb-Toblee 1,
535; Maetin-Lienhaet 1, 76; Meisingee Rappenauer
ma. 79; vgl. westf. du dais ock as wann et grundis
früere 'du kleidest dich zu warm' Wöste-Nöee. 86»;
in bildlicher Verwendung ^es geht los, es beginnt etwas':
hie gehet grundteisz, hie rühret könig David allen wüst
und gräwel M. Ecoaed d. 64. psalm (1608) 162; da gehet
das grundeisz, Johannes bricht gar losz xind sagets
sonnenklar V. Heebeeqbe hertzpostilla (1613) l, 87; jünger
sind bildhafte redensarten, die von dem mit gr. gehenden
flusse die vorsteUung des chaotischen, mit fremdkörpem
kämpfenden, in schunerigkeiten befindlichen aufnehmen:
sie (werden) es diesem briefe . . . ansehen können, wie sehr
mein köpf mit gr. geht, doch ich will ihre heutige ruhe
nicht stören mit meinen grillen Hamann sehr. 5, 40 J?.;
anscheinend auch sonst üblich, vgl. zs. f. dtsche wortforsch.
3, 98 u. Hennig preusz. wb. 90 ; dann merkte ich, wie es bei
ihm mit gr. ging Seidel Leberecht Hühnchen (1899) 57;
anders: nun gerieth der arme teufel von Schulmeister erst
recht ins gr. Müllee v. Itzehoe Sieg fr. v. Lindenbg. l,
124; auf den bezirk der derb volksthümlichen, meist mund-
artlichen rede beschränkt, zweifellos älter als die beigebrach-
ten nachweise und sowohl in obd. wie md., weniger in nd.
mundarten verbreitet: ihm geht der hintere, der arsch, das
loch, die buchse (hose) mit gr. 'er bekommt, (vor an^st)
durchfall, er hat angst, ist in groszer Verlegenheit'; zuf ruhest
bei J, J.Speeng (c. 1760) nach Staub-Toblee l, 535; vgl.
FiscHBE Schwab. 3, 875; Schmidt westerw. 69; Saetobtüs
Würzb. ma. 156; Albeecht Leipz. ma. 126»; Baueb-
49
771
GRUNDEISEN - GRUNDEL
GRUNDEL
772
CoLLiTZ 41^; HöNiG Kölner ma. eo*»; Fb. Rbüteb «.
C. F. Müller iZewterZea;. 49^; ähnlich: t grondeis ass mer
ansgangen Hch bin heftig erschüttert worden^ lux. ma. 156 »■;
die erklärung des alten justizrats M, wird dem Stieber
schon den hintern mit gr. gehen machen Fr. Engels
an K. Marx, briefw. 1, 362; diesem Zusammenhang ent-
springt wohl auch in der niederen Umgangssprache Berlins
der ausdruch mit jrundeis 'mit nachdruck^ H. Meyer d.
richtige Berliner' 90 ä'; seltener sind andere verbalverbin-
düngen: wann die wasser grundeisz setzen und daszelbige
ganghaftig wirdet haushält, in vorw. 197 E.; wenn der
see zufrieren will, treibt er mit gr. Ritter erdk. S, 102;
bildlich: die sache rückt . . . jetzt vom fleck, das alte nor-
dische gr. ist endlich in bewegung Görres ges. br. 1, 131.
2) das alte, zuunterst auf der erde liegende eis: in den ver-
stecktesten . . . hof winkeln schmolz das alte graue gr. weg
H. Hesse diesseits (1907) 218, vgl. Staub-Tobler 1, 535.
— -eisen, vb., nur unpers. es grundeiset Auerbach nocA
Fischer schwäb. 3, 875 'der flusz bringt grundeis\ vgl.
Staitb-Tobler 1, 535; Martin-Liesthart 1, 76; Hertel
thür. 110. — -eisen, n. 1) eiserner haken zum auffinden
von gegenständen: grontiser . . . of soicker, lupillus; gront-
iseren of soeker in den putte arpax, arapax, canicula,
lupus V. D. ScHUEREN teuthon. 134 1^ Verdam {v. 1477); gr.,
grundhacke graffio da pescar afondo Kramer teutsch-ital.
1,573 " ; übertragen auf 'die sonde des Wundarztes' Jacobsson
2, 162; die wunde . . ., deren tiefe mit einem grundeysen
oder wundeysen erkant wird Comeniüs ianua (1644) 90.
2) 'lot, Senkblei': gnmdteysen, ßoXi^ bolis Frischlin
nomencl. (1586) 2723- {bei Henisch 1768: gr., schlinge,
Schleuder /ztrwto ist offenbar nur eine unpassende bedeutung
von ßoUs eingesetzt; derselbe fehler von Hulsius 147*
dann übernommen); noch in neuerer spräche üblich? vgl.
Mothes bauiex. 2, 641; wir versuchten oft mit unserm gr.,
ob wir möchten grund finden Meqiseb newe nortioelt
(1613) 197; ähnlich: gr. 'zum verankern von Heineren bojen'
v. Alten 4, 477. 3) Werkzeug der formschneider zum grun-
dieren Noel Ghomd 1388; Karmarsch - Heeren 4, 167;
= 'ciseliereisen' Mothes bauiex. 2, 541.
GRUNDEL,/., später {besonders im Tid.) auch m., s. u.
form 3; elsäss. auch n., vgl. Mabtin-Lienhart 278 *>; ahd.
gruntüa, grundila, mhd. grundel 'kleiner, auf dem gründe
des Wassers lebender fisch', vgl. gründlein, gründling; plu-
ral zunächst stark grundel(e), so besonders bair. im 16. 17.
jh. nicht selten, vgl. noch Holtei erz. sehr. 7, 6 (s. u.ba);
seit dem 15. jh. häufiger schwach grundel(e)n, vgl. Richen-
tal Const. conzil 40 lit. ver.; Fischer schwäb. 3, 876; nid.
als m. mit B-plural vgl. niederl. wb. 5, 980.
form.
1) gr. ist entweder unmittelbar mit -l-suffix von grund
abgeleitet {uAe die pflanzennamen ringila, swertala von
ring, swert), doch läszt sich diese herleitung nicht völlig
sichern, oder diminutiver spröszling eines gleichbedeutenden
älteren grunta; neben gr. steht nämlich eine suffixlose bil-
dung, wenn auch erst spät und spärlich bezeugt, besonders
ndl.: grünte . . . fundulus y. d. Schueren teuthon. 136*
Verdam; gemma voc. {Deventer 1500) bei Diefenbach nov.
gl. 185''; grondte gobius Kilian (1623); auch als gront,
grünt, davon abgeleitete diminutiva grund je, grundeken
z. b. gnintken gargvlus Diefenbach nov. gl. 189*, vgl.
Vebwus -Verdam 2,2166; seltener obd.: fisch, hecht oder
gnmden {v. j. 1665) nach Fischer schwäb. 3, 875; grunnet
'wohl gr.' AuTENRiETH pfäiz. 58; vgl. gnmdi {n.) als
diminutivbildung Mabtin-Lienhart 278'»; aber aus diesen
Zeugnissen altes grunta 'gründling' zu erschlieszen und für
gr. TMch art der doppdformigen namengruppe drosca—
droscela, täha— tähele, nazza — nezzila u. s. w. die ablei-
tung anzusetzen, erscheint nicht ganz unbedenklich; dunkel
bleibt bedeutungsgleiches ahd. cruntlacha saxatilis ahd. gl.
3, 455, 35; grunlaiche vel grunzüle vel stainpize 3, 675, 64,
ist aber doch wohl compositum.
2) neben herschendem gr. je später desto häufiger grun-
del, das auch md. kaum organischen umlaut hat, sondern
analogischen im anschlusz an diminutive bildungen und
gründling, vgl. gründeli, grundeli Staüb-Tobleb 2, 776;
das gründele Maaleb 194*; gründl, grundel (lagrindl v. j.
1505) Schöpf tirol. 218; grundel unsicheren geschlechts
neben gründlin B. Fabeb thes. (1587) 1024*, ebenso grundel
GoLixJS onomast. (1582) 301; grundel (rbündel), mdartl.
aber gr. Askenasy 173; häufiger bei masculinem gr. s. u.
3) der wohl von gründling ausgehende übertritt ins masc.
trifft vorwiegend nd. gebiet und ist für die umgelautete form
als schriftsprachliche norm anzusehen; ob bereits der Über-
gang von mlat. fundula in fundulus dem geschlechtswechsel
von gr. parallel geht, ist fraglich {s. u. bedeutung); grondel,
gr. m. niederl. wb. 5, 980 ; grundel et gründling, der Stie-
LEB 711; Adelung (1715) 2, 826 u. s. w.; vgl. Fbischbieb
1, 253; grundel, gr., m. Mensing 2, 501 u. 503; als m. viel-
leicht schon: eiQ(!) gr. . . . ist eine Jungfrau B. Fabeb
a. a. o.; im 18. jh. liegt jedenfalls wie heute das m. nord-
deutschem Sprachgefühl näher: nicht einmal die benen-
nungen sind durchaus richtig, wer wird zum beyspiel
sagen: die grundel, . . . der schneck? allg. dtsche bibl. anh.
zu 53-86, 2246.
bedeutung.
für den frühesten beleg ahd. crundula Ekkehart cod.
bened. nach Staub-Tobler 2, 276 {fehlt ahd. gl. 2, 159/.!)
ist die lat. entsprechung nicht bekannt; die ahd. {bzw. mhd.)
gl. geben: saxatilis 3, 456, 32; 3, 46, 35; turonilla 3, 83,
65^.; 3, 46, 7; gradius 3, 83, 57; 3, 47, 3; fundula zschr. f.
dtsche wortf. 5, 20; ahd. gl. 3, 46, 41; vereinzelt murena 3,
46, 2.
1) nur bei turonilla, gradius, fundula {später fundulus,
beides gr. nxichgebildet!), sämtlich durch 'vel' paraUelisiert,
tritt kein zweiter heimischer fischname neben gr. ; sie meinen
offenbar alle drei den gleichen fisch, obd. später auch 'bart-
grundel', ösÜ. md. u. 7id. 'schmerle' = cobitis barbatula {ne-
machilus barb.) {vgl. th. 9, 1035): gnmdele item aliis nomi-
nibus vocatur smerUn . . . Forer Oeszners fischb. 126; vgl.
Diefenbach turonilla 602"; tironilla 585*»; curoniüa 164*;
cornilla 152*; fundulus 252^; suates 558«; für diesen fisch
gilt gr. im ganzen obd. bis in rhfrk. gebiet, für andere fisch-
arten {s. u.) dagegen keineswegs einhellig; vgl. Schmelleb-
Fb. 1,1007; Schöpf tirol. 218; Unger-Khull 3101»;
Castelu österr. 153; Zaupseb 33; Staub-Tobler 2, 776;
Fischer schwäb. 3, 875; Mabtin-Lienhabt l, 278''; Foll-
MANN lothr. 219*; lux. ma. 156*; Askenasy Frankf. ma.
173; Kehbein nass. 1, 176.
2) bereits ahd. auf saxatilis steinpiz, den 'steinbeiszer',
auch 'dorngrundeV = cobitis taenia übertragen {s. o.) vgl.
fischbüchl. 66; so noch mundartlich nach Alemannia 7, 191.
3) anscheinend erst später für gobio fiuviatilis {mit.
gobio, gracius, ahd. chresso) die 'kresse', besonders früh
nd. belegt: gr. gubea gemma gemm. {Cöln 1507) Diefen-
bach 270"; gabius vd cobius ein kresz ... in der Marck
heyst maus grundein, imd was wir gründehn nennen,
heiszen sie schmerlin AlbebüS q3a;
was man für gründein helt am Bhein,
das müssen da {in Cüstrin) die Schmerlen sein,
was man eim dar für gründein stelt,
am Rhein man sölchs für crassen helt
AiBEKUS Jab. 84 Braune;
die Schmerlen werden an etlichen örtem gründein genant,
aber bei uns {in der mark Brandenburg) sind die gründein
eüie sonderliche species Coleb hausb. {leoiff.) 5, 268;
Kilian (1623) 163*; auch im neueren nd. noch bezeugt, vgl.
gr. WösTE-NöRB. 86" ; Mensing 2, 503; Fbischbieb l, 253;
öfter heute obd. üblich, vgl. schon Dentzleb clav. ling. lat.
(1677) 141: gr., kress gobius f luv.; Unger-Khull SlO";
Staub-Tobleb 2, 776; Maetin-Lienhabt 1, 278''.
4) vereinzelt auf andere fiscJie übertragen, wie ahd. auf
murena {s. o.) 'lamprete' {petromyzon marinus); für gobius
'groppe' {collus gobio) Dentzleb clav. ling. lat. {lü77) 141;
für den 'schlammbeiszker' {cobitis fossilis) Schmellee-Fb.
1, 1007; Ungeb-Khull 310^; für die 'barbe' {cyprinua bar-
bus) FOLLMANN lothr. 219*.
5) in den literarischen bdegen, je nach der heimat des
aulors, meist zu l oder 3 gehörend:
773 GRUNDELBACH — GRUNDELFÄNGER
GRUNDELFISCH - GRÜNDEN
774
a,\ der klainen grundel vil,
kopen, pfrillen ane zil
, H. V. Neustadt Apoll, v. Tyrl. 18053 S.;
dy klain grundein und pfrillen
wir auch verschliken siUen
MiCHKL Beheim b. V. d. Wienern* 281, 29 K.;
dasz man ihn essen könte wie die gebackene grundein
Grimmelshausen traumgesch. 73; es {birgt) unzählige
grundel, Schmerlen, kleine quabben Holtei erz. sehr. 7, 6;
oft als besonders wohlschmeckender edler fisch genannt: daz
fleisch der grundlen behelt den preisz in allen dingen,
denn es ist lieblich zu essen Heyden Plinius (1565) 390;
die grundein sind die aller gesundesten, lieblichsten und
schmackhaftigsten fische, die man haben kann fi^chbüch-
lein (n.jh.) 66;
von ersten ein suppen von mandelreiBZ,
darnach ein essen grundel
Ued a. d. ende d. 15. jh.s b. Wolf zschr. f. d. mythol. 1, 467;
im kloster dürfen sy nit flaisch essen als ich, aber hecht,
grundlen, salmen . . . und die besten visch reform.-flug-
schr. 2, 71 Giemen; {aU leckerbissen der tafd des kaisers
vom mondenlande) mit . • . lerchen, rebhündel, kleinen
pasteten, gnmdeln, lachsen ollupatrida 73 Wiener ndr.;
deshalb gehlen die grundein zu den naturalabgaben:
hecht, karplen, nerfen und barben,
di mir zu zahlen hat der arm,
grundl, vorein und esch J. Ayeer 5, 3186 K.;
da sie s. hochfürstl. gnaden die grundel geben mieszen
(17. jh.) österr. weisth. 6, 209.
b) vielfach unter dem gesichtspunkt der Meinheit und
kraftlosigkeit ; so gern in übertragenem und sprichwört-
lichem gebrauch: er (vAihm) der stör . . . etlich legion auf
einen schnitt . . ., wie der baur die . . . grundein, da er
sie für welsch kraut asz Fischaet Qarg. 61 ndr.; vom
gröszten bis zum kleinsten, vom , . . wallfische in den
meeren bis zur gr. im bache maleb Müller w. 1, 43;
als wie der aar das hun, der hecht die grundel frlszt
Opitz opera (1690) 2, 24;
wenn es so fortgeht, so wird der päbstliche hecht die
lutherischen grundein bald verschlungen haben Schit-
BART leben u. gesinn. 2, 18; sprichwörtlich: wer grundein
fängt, fängt auch fische Binder sprichw. 80, vgl. aus dem
ende d. 15. jh.8: hl vanct ooc vische, die een grünt vanct
horae belg. 9, 26 nr. 407 Hoffmann v. Fall.; vgl. Wandeb
2, 169; he will gr. fangen ^unternimmt eine unbedeutende
sache^ Mensing 2, 503; in ähnlichem sinne:
seht ihr in Leipzig die flschlein, die sich in Sulzers cisteme
regen, so fangt euch zur lust einige grundein heraus.
Schiller 11, 109 ö.;
anders, als ein kleines, unausgewachsenes lebewesen auf-
gefaszt im schwäb.: gr. ^naseweise person, backfisch^ Fischer
3, 876; das ist keine gr. mehr, das kann sich sehen lassen,
es ist ein lebfrisches mädle Auerbach sehr. (1892) ll, 7;
ähnlich für einen 'jungen, kleinen Soldaten' Kehreik nass.
1, 176.
c) die gr. versinnbildlicht in der Symbolik der fische die
Jungfrau : ein gr. ist ein jungfrauw neuw jagd- u. weydwerck-
buch (1582) 2, 73'' ; fundulus cognominatur virgo, ein grundel
(Schmerle) ist eine jungfraw. caput enim eiv^ came de-
tracta virginis caput representare vulgo volunt Bas. Faber
thes. (1587) 1024 3'; vgl. fischbüchlein 176; so offenbar meto-
nymisch: {hurenwirt:) der schelm hat vil guter gr. verderbt,
die weil er vicarius gewesen ist. sind aber das geistlich
Sachen? Schade sat. u. pasqu. 3, 178; — gr. auch in Zu-
sammensetzungen: grundelbach, m.; nicht weniger sind
ihnen die waldwasser, forelen- grundel- und krebsen-
bäche anbefohlen v. Hohberg georg. cur. 2, 692; grun-
delbach (v. j. 1620) in Fischer schwäb. 3, 878; als flurname
BuOK flurnamenb. 92;
■wie oft an forst- und grundelbach
unter der birke wehndem dach
Fkeiligrath ges. dicht. (1870) 3, 140.
— -fänger, m., beruf sbezeichnung : teichmeister . . ., vor-
rathsfischer . . ., gr. Hessen-Cassd. Staats- . . . cal. v. 1781
8. 71; es wurden keine neuen fisch-, krebs- und gründel-
fänger, briefträger . . . und dergleichen titel . . . angesetzt
Moser s.w. 2,205. — -fisch, m.: gefangene gr. (v.j.
1694) DiEFENBACH-WtJLCKER 6373'. — -hamen, m.:
fisch- undt grundeUhamen (v. j. 1694) ebda. — -netz,
n. Ungeb-Khull 310''. — -reuse, /.; ein grundelreusz
sirpiculus Bentzius thes. lat. (1596) l, 196; das legen der
engen grundelreussen {soll) . . . verbotten seyn Oeorgens,
landgr. zu Hessen em. fi^chordn. (1642); vgl. Krünitz 20,
224. wasser, n.: an fohren und gründelwassem man-
gelts in Schlesien nicht Schickeus chron. v. Schles. (1625)
4. buch 18.
GRUNDEL, m. l) fi^chname s. grundel. 2) ein theil
des Pfluges, besonders der '^pflugbaum', vgl. grindel 2 sp. 373 ;
dann auch, offensichtlich in volksetymologischer anlehnung
an grund II, der die erde aufschlitzende 'pfiugnagd\ das
'pflugeisen, pflugmesser'' : gr. . . . pflugnagel Harsdörper
pod. trichter (1647) 2, 146; das keilen geschiehet ... an
dem pflugeisen, welches man auch gr. nennet Nod
Chomd 7, 708; so anscheinend schon früher: mit lichtem
weg- oder pflugisen (= 'vomeribv^^) und gründein (='den-
talibus*) das ertrich zu üben H. Österreicher Colu-
mdla 1, 66 lit. ver., vgl. dentale (pfluggrundel) illud lignum,
in quo vomer inducitur voc. rerum v. W. Brack (1491) 348;
nicht mit Krünitz 20, 218 von gnmd II herzuleiten, sondern
zu grindel gehörig. 3) als 'riegeV, vgl. grindel 3 o. o. o.
4) grundel, au^h krönel 'handwerkzeug der sieinmdzen^
Karmarsch-Heeren^ 6, 132; vgl. gröndel lux. ma. 156*;
entstelltes krönel vgl. kröneleisen th. 5, 2379. — grun-
delbaum, m., s. grindelbaum. l) = wdlbaum: der grosze
hammer, auf dessen gr. leute sitzen Rosegger sehr. III
1, 393. 2) als pflanzenname: tumulla ein gr. Gersdorf
umndarzney (1617) 96''', ein sonst unbekannter bäum.
GRUNDELEMENT, n. {vgl. comp.-typ. 5 p «): deren
{der weit) gr. die materie Schopenhauer 1, 61 Or.; wenn
wir alle grundelemente unsers körpers für Substanzen von
dieser natur halten wollten M. Mendelssohn ges. sehr.
2,158; ein fünftes stück {= schau^pid) . . ., das nach
Jakob Böhmischen principien auf das grund- und urele-
ment hingedeutet hätte Gervinus gesch. d. dtsch. dicht.
5, 606; du mögest demjenigen, was du den französischen
schäum nennst und den du dir von dem deutschen gr.
{der musik Bachs) abzusondern getraust, einige . . . worte
gönnen Göthe IV 42, 160 W.; die beiden grundelemente
der deutschen lyrik Herder 12, 180 8.
GRÜNDELN, vb., mundartlich, bes. obd. unüautslos
grundein. 1) von grund I abgdeitd: man nennt dies {nah-
rungsuche der enten unter der Wasserfläche) auch wol gr.
Naumann vögd l, 63; ebenso grundein Staub-Tobler 2,
777; vgl. aber älteres grüdeln in gleicher Verwendung sp. 627;
niederhess. grundein 'im flachen wasser schwimmbewe-
gungen machen\ 2) zu gnmd II; grundein 'die hände
in erde stecken^ Martin-Lienhart 1, 278''; Staub-Tobler
2,777; intransitiv 'nach erde riechen^ Martin-Lienhart
o. a. o.; Staub-Tobler a. a. o. 3) zu grund IV C gebil-
dd: diese auszlegung ist nicht durch menschliches grün-
delen und fündelen aufkommen Fischart Oarg. 191 ndr.
ein anderes gründebi s. unter grindein. 4) zu grundel;
grundein = 'grundein fangen^ österr. weisth. 7, 395. —
grundelrocke, pflanzenname s. gundelrebe glechoma
hederacea; gr. serpentaria Schiller-Lübben 2, 158*.
GRUNDEMPFINDUNG,/, {wie comp.-typ. &]? ß): es
giebt in der natur keine einzelne reine empfindimg; mit
einer jeden entstehen tausend und andere zugleich, deren
geringste die gr. gänzlich verändert Lessinq 9, 29 M.; so
wie ein kunstwerk von der ersten gr. entwickelt . . ., so
hat sich das . . . menschengeachlecht entwickelt Ph. O.
Runge hinterl. sehr, l, 15; mehr nach compos.-typ. 5 o hin:
eins tröstet mich : meine gr., dasz wir nicht oft genug an
uns erinnert werden können Immermann 7, 118 B.
GRÜNDEN, vb.
herkunft und form.
als yableitung von grund gebildd, bereits bei Notker
(a. u.) mehrfach bezeugt; doch fehlen sonstige ahd. oder
4a*
775
GRÜNDEN I A 1
GRÜNDEN I A 8
776
aa. belege; aiich ags. ist gryndan (x)gl. gegryndan, agryn-
dan) unhäufig und bedeutungsmäszig schwankend: gryn-
dend descendens Mubeay 4, 426 S'; unsicheres grynded
profundum vel in profundis esse GEErN-WüixJKER 279 *>,
vgl. gegryndan fundare Bosworth-Tollbe 397, und
offenbar nichi anders als das spätere mittelengl. to ground
selbständige ahleitung, ohne dasz ein älteres togm. *grund-
jan vorauszusetzen wäre; alt. dän. gründe = anord. grunda
'denken^, bei Weigand" 1,776 hierher gestellt, gehört viel-
mehr wie das su^st. grundr zu anord. gruna 'bicä etwas
denken" vgl. FaIiK-Toep 1, 853, und hat erst seeundär von
mnd. gründen die bedeutung 'ergründen', von nhd. gründen
die bedeutung 'fundare^ entlehnt; erst das spätere mhd.
entwickelt aus grund I und IV das vb. gr. zu weiterer gel-
tung; neben die regelrecht umgelautete form tritt gelegent-
lich undautloses gründen (vgl. Staub-Toblee 2, 777; Mae-
TiN-LiBNKHAET 1,278; FiscHBE samländ. 141), theils als
im umlaut gehinderte form, theils als jüngere ableitung vom
grundwort in specifischen bedeutungen; selten in liter.
spräche, vor allem bei intrans. Verwendung: die feierliche
Sprache, auf groszheit des innern gründend J. G. Rad-
LOFF treffl, d. süddtsch. mao. (1811) 189; Freiligeath grc«.
dicht.* 1, 220 [s. u, lAl &), oder im reimzwang:
denn von den werken gilt vor gott, dem heim,
die meinung nur, auf die sie sind gegründet ( : gerundet)
Brentano ges.schr. 1, 131;
vorab auf md. und elsäss. baden steht im späteren mhd.
neben gr. gleichbedeutendes gegründen, vgl. myst. 1,200 Pf.;
2, 620; Tattlee pred. 269 V.; paradis. anim. 27 Str.
bedeutung.
I. bis in das späte mhd. ist gründen lediglich als ab-
leitung von grund I gebräuchlich; als ausgangsbedeutung
hat man bereits für das ahd. 'den grund (I A 1 u. 2) des
Wassers erreichen bzw. zu erreichen suchen" zu erschlieszen,
wenn sich auch diese rein sinnliche bedeutung erst im jün-
geren mhd. bezeugt findet; Notkebs übertragene Verwendung
von gr. als Umschreibung von rimure l, 24, discutere 1,
729, perstringere Geafp 4, 332 (s. u. 1 A 2 & u. c) läszt sich,
wie die späteren Übertragungen gleichen sinnes, nur von
einem solchen ahd. unbezeugten grünten av^ deuten; vgl.
NoTKEE ergrunden, durhgrunden bei Gbaff 4, 332; im
älteren nhd. noch reicher entfaltet, beschränkt sich diese Ver-
wendung in neuerer spräche auf einen engeren bezirk for-
melhafter nautischer ausdrücke.
A. im eigentlichen sinne 'den grund eines gewässers
erreichen, den grund finden {vgl. grund I A 4 a)'.
1) zunächst von personen bzw. dingen, die sich im wasser
befinden.
a) seit dem mhd. in der bedeutung 'den grund mit den
füszen erreichen, im wasser festen boden gewinnen, um
stehen oder waten zu können\- so nicht selten in trans.
gebrauch:
ez törst aber nymmant niht
bin über die unden,
\ran cz (dat wasser) nymmant gründen
moht; dar von schied er dann
der gr. Alexander 3940 Outh;
dann das wasser war zu hoch, das man drüber schwimmen
muste, und kundte es nicht gr. HeseHd 47, 5; waren
dieselben lachen so seicht worden, das sie zu waten und
zu gr. waren Caebaoh lAvius (1551) lös"»; in ziemlichen
fischwassem, die ein mann gr. kan fischbüchlein 63; ge-
wässer, die man waten und gr. kan Hohbeeo georg. cur.
2, 641 a;
er wuszte, wo er solt den harten boden finden,
er wuszte, wo der flusz am besten war zu gründen
DiETR. V. D. Wbkdbr TOS. JRoland 30. ges. 65, 2;
vielfach aber mit ellipse des objects, intrans. Verwendung
sich nähernd:
er gedähte: ob ich niht gründe,
so enweiz ich wie ich über sei Biteroll 3542;
hie inne so mac man waten unde man mac hie inne gr.
myst. 2, 832 Pf.; wan der flusz als tif ist, das di reuttere
ader fuszknecht nicht mögen gründen Fl. Vegetius Bena-
tus vier bücher d. rittersch. (1511) h 4*; mit seinem rosse.
welches tiefe halben nicht gr. konte M. Betttheb toarh.
bericht (1588) 98;
ich sinclce schon, der sclilamm wil mich verachlingen;
er ist so tief, dasz ich nicht gründen Ican
Opitz psalmen 129;
er . • . sei mit ihm hinabgesprungen, um dem kleinen
Chirurgen, der dort nicht gr. könnte, den rechtshandel
. . . einzutränken A. Rüge s. w. 7, 19; fest gründete der
hnf (im meer) Feeiijqeath ges. dicht.^ (1877) i, 220; sprich-
wörtlich: geh nicht tiefer, als du gr. kannst Lüpkes see-
mansspr. 66; der gebrauch ist mundartlich hie und da be-
vxihrt, vgl. grönnen 'in tieferem wasser^ den boden mit den
füszen erreichen' lux. ma. 156''; grimghe grund finden
Fischee sarrü. 141; in älteren Wörterbüchern gr. geradezu
durch waten umschrieben: gr., waten vadum transire
Henisoh 1766; gr., durchwaden vadare Hitlsius dict.
(1618) 143"', eine wohl unberechtigte Verallgemeinerung der
höchstens dialektisch gebrauchten begriffserweiterung nach
Kjuan 163 ^ : gronden flandr. waden vadum transire; doch
vgl. vadum, ein fort, das man gr. kan Riccrüs Terentii
comoed. (1586) 452.
b) ähnlich in nautischen ausdrücken von sächlichen ob-
jeden: 'grund fassen' vom anker: weiln es aber in wind,
lieszen wir unsem ancker auf 45 faden gr. Behe diarium
(1668) 130; gern bildlich:
wohnt gott in meiner brüst, so Ican mein ancker gründen
J. G. Neukirch anfangsgrände 34;
dasz diese Verwendung aber wesentlich älter ist, erweist ein
entsprechender bildlicher gebrauch bei Joh. v. Neumaekt :
wanne in dir und in nimant anders gegründet hat meines
hertzen hoffenungo leb. d. hl. Hieron. 99Bened. ( = 'in nuUo
viventium ut in te meae spei firmavi anchoram' patr. lat.
22, 278 Migne); ähnlich aufzufassen: wie got in dem inde-
wendigen gründe der seien gegründet het und verborgen
und bedecket lit Taulee pred. 25 V,; dann auch im sinne
des berührens ohne die Vorstellung des fest Stehens oder
haftens {vgl. grund I A 4 b) : mit dem rüder gr. applicare
remos vadis = landen Feisius 1342'»; 'das schiff gründet,
wenn es den boden berührC Kltjgb seemannsspr. 337; der
sack {des netzes) gründet 600 maschen tief bei Stattb-
ToBliEB 2, 777;
wo die wracke liegen, wo das blei nicht gründet
Frbiligrath get. dicht. 5, 61.
2) deuMich aus 1 entwickelt ist eine specieU nautische Ver-
wendung 'den grund, die wassertiefe von oben her mit einem
instrument untersuchen bzw. feststellen', entweder um mit
dem schiff nicht aufzulaufen oder überhaupt tiefenmessun-
gen vorzunehmen; vermutlich älter als das breitere auftreten
im älteren nhd. erkennen läszt; gronden, gronderen con-
tari, explorare profunditatem, scrutari fundum Kilian
163'»; vgl. gründen fundum attingere, tentare vadum, ex-
plorare profunditatem Henisch 1766; das wasser mit
einem Stachel gr. oder grund suchen contari Frisiits 323*» ;
dat is tmeeste dat men sal gronden minnen loep 1, 1720
Leendertz; wie kluge schiffer, die, ehe sie zufahren, erst-
lich wohl gr. Menantes neu^ br. (1723) 284; die weil auch
das wasser in der mitte tief und mit denen bäumen nicht
zu gr. W. DnJOH ungar. chron. (1606) 255; sintemal man
mit einem seyl von zehen klafter nicht gr. konte Ens
ostind. lustgart (1618) 1, 201; man {kann) es {das caspische
meer) auf 60 oder 70 faden nicht gr, A. Oleaetos persian.
reisebeschr. 213;
{du, gott) gründst dess tiefen meeres gnmd
Paui. Gerhard bei Fischer-Tümpel 3, 311;
gr. tiefenuntersuchung 'längs den deichen' Bekzleb deich-
bau 1, 179; einige haben . . . vorgehabt, das wasser zu gr.
und ein seil eingelassen be. Geimm dtsche sagen 1, 86;
sprichwörtlich; kein wasser ist so tief, es stehet zu gr.
Lehmann fioril. polit. (1662) 3, 177; besonders im 17. jh.
in bildhafter rede beliebt:
die begierd und böse lust ist ein brunnquell kaum zu gründen
Neumark fortgepfl. musik.-poet. lustw. 8, 62;
er (der geist) gründet ohne blei die tiefen tiefer Süsse
Lohenstein hyacinthen 25;
777
GRÜNDEN I A 2. 3
GRÜNDEN I A 3
778
sein loth ist der verstand, damit er weisz zu gründen
HOFMANNSWAliDATJ geütl. odeti u. verm. ged. (1700) 29 ;
anders: es ist nichts darinn {im ehestand) zu finden, zu
gr. als trübes wasser Abr. a s. Claba Judas l, 20; mehr j
an grund I A 2 schlieszt sich eine nur gdegenüiche verwen- •
düng im ainne 'auf den grund gehen':
•wann man zu tief gründen will,
80 macht man trüb das wasser still
Fischakt EtUenspiegel 1278 F.;
ähnlich obscön Garg. 384 ndr. vgl. th. 4, l, ö63; entsprechend '
bildlich: denn je tiefer man gründet, desto mehr überein- 1
Stimmung . . . wird man allenthalben finden Jung Stuxeng |
w. 3, 642 Gr.; vereinzelt ah verbale wendung von grund IE: [
und gründend süsziglicb mit aug und mund sein bertz \
Wbckheeiin ged. 2, 359 F.;
dann vor allem in einer bereits alten Verwendung, wo der
bildcharakter überall deutlich spürbar bleibt 'ergründen, er-
messen, erschöpfen', mit Vorliebe in negativer formulierung
wie 'unergründlich, unermesdich sein" gebraucht, vgl, in- i
exhaustv^ das nicht zu gr., zu erschepfen ... ist B. Fabeb j
thes. (1687) 376''; besonders von gott und seinen eigen-
achaflen vgl. Vebwus-Veedam 2, 2167; 1
ich gelob, din lob kein menschlich sinn nicht gründe
H. V. MONTPOKT 30, 32 B.; ;
und wi dasselb {das ausschöpfen des meeret) ist nnverpracht, [
vil minder gründ wir gottes macht !
J. V. SCHWARTZENBEKQ teulsch Ctcefo 128»; j
lasz sehen, dasz bey dir die gute nicht zu gründen
Netjmark fortgepfl. musik.-poet. lustw. 2, 5 ;
tgl. Opitz bei Adelung (1775) 2, 826; doch auch in all-
gemeineren beziehungen: der mordige schade, der dannan
abekumet, der ist mit ze gründende Tauleb pred. 297 F.;
neyn herte kan to vullen gründen
de vroude, de dar is to allen stunden
harteb. 189/. 6» bei Schillbr-LÜbben 2,168»;
o reiche Wissenschaft I wer kan die Weisheit gründen
durch die man gott recht kent?
Gryphius sonn- u. feiertagsson. 43 W.;
was hilfet aller schätz,
so nicht zu gründen?
ollapatrida 174 Wiener ndr.;
vergleichbar ist ganz selten auftretendes concretes gr. im
sinne 'bis auf den grund erschöpfen, ausleeren' : das er die
{die lection) nicht im schulsack verligen liesz. da reci-
tiert ers auswendig: gosz, gründet und gab Fischabt
Garg. 274 ndr.;
schlucken on stucken und scblinden on gründen
fiöhhatz 71 ndr.;
vgl. den kelck . . . gronden {austrinken) ndl. wb. 5, 986 ;
vgl. auch gründen 'bis auf den grund räumen' Staub -
Tobleb 2, 777; mit verblassen der von grund 'wassertiefe'
hergeleiteten ausgangsbedeuiung auch allgemein 'die tiefe
untersuchen': instrument, die wunden zu gr. stromento da
chirurgico per tastare le piaghe Hulsius dict. (1618) 2,
407*»; ähnlich schon älter = 'untersuchen' : {Jesus) biet hem
( Thomas) dat hi se {die wunden) soude gronden ende mit
vingeren tasten lucidar. 2061 bei Vebwus-Veedam 2, 2167;
anders specialisiert 'tief eindringen' :
. . . der Stachel, der am tiefsten gründet,
ist liebe, die nicht gegenliebe findet
Grillparzer «. w. 11, 133 S.;
gelegentlich mit anlehnung an grund 11 'erdboden': die
tiefen der erde durchsuchen {vgl. gründein) : wüste jemand
ein vergrabenen schätz in seinem haus, er würde tag
und nacht graben und gr. Dannhaueb catechism. milch
(1657) 8, 53; eivxis anders: die im bergwerck graben wer-
den meh stein finden dann gelt gr. {'ausgraben') Fischabt
praktik 25 ndr.; vgl.
. . . wir (teuiel) haben noch dabinden
das hauptgehürn, {die papstkrone) darnach wir gründen
{'suchen, trachten) Jesuiterhütl. 300 H.
8) concretes gr. ist bereits bei Notkeb zu übertragenem
gebrauch für die function des denkenden geistes eniun ekelt
und zwar anscheinend schon in doppelter richtung wie im
späteren mhd. und im älteren nhd. bis in das 17/18. jh.
hinein, wo es dann endgültig von ergründen verdrängt
unrd; Kbameb teutsch-ital. verzeichne gr. nicht mehr in
den folg. Verwendungen.
a) einem ding {einer frage, einem problem) auf den grund
kommen {vgl. grund I D 2), e« erkennen, verstehen: tes ist
alles Mercurius underchleine, uuanda sermo gründet taz
al {vgl. im lat. text kurz vorher: hie . . . potest noscere)
Notkeb l, 765 P., vgl. ähnliches ergrunden bei Notkeb
Gbaff 4, 332; dann in der spräche der deutschen mystik
wieder auflebend: ich lais in einem buchelin, der ez gronde
konde, daz got die werlint izunt machit alse an deme
ersten tage paradis. anim. int. 15 Str.; were iht in gote,
daz creatüre gr. möhte, s6 neme öwekeit ende m,yst. 2, 648
Pf.; nicht selten in bezug auf die bibd: und an dem ende
der geschrift, als man sie gr. wil, so spottet si wiser liute
2, 331 ; überhaupt ist die religiöse Sphäre das hauptfeld für
diese bedeutung; sehr gern negaiiv verwendet:
{die heilige schrill) die alle kunst für driffte
und nymant gründen mag
Hans Folz meisterlieder 218 M.;
ich glob, es {die plagen) kom von Sünden,
wir tuond es als nit gründen . . .
H. V. MONTPOET 6, 140 B.;
{doch auch positiv: daz tuet sich sicher gr. 32, 71 u. 38, 128)
fides autem tarn fortis, qui videt etwas, das nymant
gründen khan Lutheb 17, i, 323 W.; darumb sind die
wort so tief das sie nicht zu gr. sind 24, 394; stück des
glaubens . . ., die nit zu rütlen oder gnmden seind Karst-
hans in Hütten 4, 637 B.;
kein fantasey soll haben statt
zu gründen gottes heimllcbkeit
Jon. V. SCHWARZBNBBRG trostspr. 33 ndr.
im 16. jh. auszerordentlich beliebt; ähnlich noch im 17. :
gottes werke sind von menschen nicht zu gr. J. Rist par-
nasz 180; der eitele vemunftgeist kan disz nicht gr. noch
ergreifen A. v. Feanokenbebg nosce te ipsum (1676) 26;
auszerhalb dieser sphäre gewöhnlich positiv: hy bi moghe
ghi merken unde gründen spieghd d. leyen 10 *> nach
ScBOLLEB-LÜBBEN 2, 158*; Wollend wir vorhin eigen-
schalt der sach gr. und ufmerken Riedebeb rhetorie
(1493) a 6»;
der ursacb weisz nyeman gentzilch,
je mer man die zu gründen gärt
je mynder man dar von erfärt
Brant narrensch. 58 Z.;
inn solcher seiner {Petrarcas) poesia {ist) so ein herrlicher
schätz von tugenten verborgen, dasz der, welcher es liset
und gr. will, je lenger je mehr tief verstendiger . . .
materien darinnen findet D. Fedebmann sechs triumph
(1578) vorr. 3*; siehe! abermahl gründest du geheimnuase
J. Pbätobius glückstopf {166Q) 25; später nur noch in ge-
legentlicher poetischer Verwendung:
Bind gleich männer schwer zu gründen
G. Stephanie s. xingsp. 326.
fälle wie die folgenden stehen schon auf der grenze zu b:
denn du gerechter gott aliein
kanst hertz und niern im menschen gründen
Ulenbeeg ps. Davids (1582) b. Kehrein kirchenlied. 3, 122;
so lauf nun vor mir hin und gründe recht die herzen
HOFFMAKNSWALDAU in: Zweite schles. schule 1, 1001 dnl.
ähnlich ist wohl auch zu verstehen:
gründe meine wort,
jungkhfrewlin zart,
dieweil ich dich mues meiden
Volks- u. gesellschaftsl. d. 15. /16. jh.s 65 Kopp.
b) verwandt und doch fühlbar unterschieden ist eine an-
wendung, bei der die bedeutung 'den grund zu erreichen stechen,
die tiefe erforschen, messend untersuchen' ins geistige ge-
wendet ist: 'nachgrübeln, nachsinnen', und zwar nicht selten
im hinblick auf ein nicht erreichbares resvltat, vgl. durch-
gründen, ausgründen; in diesem sinne bereits bei Notkeb:
to ih tir half crunden tia tougeni dero natura cum rimarer
tecum secreta natura 1, 24; vgl. uueliu anderiu uuas noh
779
GRÜNDEN I A 3
GRÜNDEN IB. II A
780
quon tages unde nahtes crunden himel unde mere unde
hella qu<; aviem noctibus universis celum freta tartarumque
discutere 1, 729, wo die concreie bedeutung noch deutlicher
durchschimmert; vgl. (ein wise dierna) turhcrundende touge-
niu ding 1, 715; ich lian gesprochen von einer kraft in
der sele . . ., si ennimt in {goU) ouch niht als er wärheit
ist: si gründet unde suochet vort unde nimt got in siner
einunge myst. 2, 266 Pf.; soo sy meer begheren ende ghe-
lusten, soeken ende gronden Ruysbroek 3, 184 bei Veb-
wus-Vbedam 2, 2168; vgl. in nuwen vraghene . . . ende
in nuwen grondene nova perveatigatione inquirit 2, 2167;
man wirt disen handel grinden
und suchen nach und weit
reimchron. über herz. Ulrich (1534) 157 bei FlSCHBR schtoäb.
3,876;
solchs wird ein jeder war befinden,
wer nur nachtrachten wil und gründen
Fischakt st. Dominici . . . leben v. 676 Kurz;
von hier aus zu verstehen als 'nachforschend ersinnend
d. Faustus gedachte ihme hin und wider nach, wie aller
gottlosen hertzen nichts guts gr. können volksb. v. dr.
Faust 26 Br,; noch Henisch verzeichnet: gr., auszgründen,
durchgründen perscrutari, perquirere, pervestigare 1765;
ganz selten in neuerer spräche:
dein äuge wird ihn (<2en beweis) ohne gründen
in der beyden scelen ausblick finden
Blümaübe ged. (1782) 173;
Geigers werke wirken . . . anregend, weiter zu dichten
und zu gr. Stitteii s. w, 14, 154; gern mit adverbialen be-
stimmungen verbunden; noch auf der linie der ursprüng-
lich bildhaften Vorstellung liegt tief:
deshalb gepeut er im ein zeyt
nachzulossen, er gründ zu tlff
Hans Folz meisterlieder 45 M.;
gelegentlich lehnt sich aber dieses gr. 'attf den grund zu
kommen suchen* fühlbar an grund II 'erdboden' an und
erhält den beisinn Hief eindringen' (vgl. gr. = graben
sp. 777): die andern alten lerer gr. nit so tief hinein uf
den kernen und bleiben auswendig an den rinden Kei-
SEESBERG seelcnparod. \0^^•, ein angefochtener mensch
gründet und grübelt so tief, das er sich kaum wider er-
holen kan Petri d. Dtschen weiszh. 1, B 7r; völlig verblaszt
ist der bildliche Ursprung bei der Verbindung mit hoch:
es ist nit gut,
wer zu hoch grind (a. d. 14. jh.)
Wackbknagel kirchenl. 2, 272 •>;
dieweil ir (Musen) selbst seit so gesinnt,
dasz ir nicht zu hoch tracht und gründt
Fischart Eulenspiegel 9, 224 H.;
imd ob ich zwar hoch und tief gründe \md es (mein
schreiben) ganz helle werde darstellen Jac. Böhme sehr.
4, 5; ähnlich bei weit:
in summa, was darf man gründen wyt?
beschouw man die gegenwirtig zyt . . .
H. R. Manuel d. weinspiel v, 4147 ndr.;
so weit mustu gr. und erfahren, das du wissest, das du
in der hand ein sulphur habest Paracelsus op. (1616)
1, 26 H., vgl. 2, 16; auch mit präpositionen; am häufigsten
steht nach, vgl. nachgründen th. 7, 66, wozu auch nahen
gr. bei Frisius 518 1», Maaler 302'»' gehört;
furbas du weyter gründe
nach dem selpad (seelenbad)
Hans Folz meisterlieder 47 M.;
vgrZ. Verwijs -Veedam 2,2167;
(ein mann) sich dasz nit verführen lasz,
sonder gründ nach der warheit basz
J. Ayeee 2, 1301 K.;
seltener auf : z vil gr. uf gott bringt irrung vil J. Ruff
Etter Heini 711 K.; ähnlich:
all weit letz und dar uf gründt,
all jar zu wissen künftig ding
P. Genqenbach 163 ö.;
c) nur in älterer spräche schwach bezeugt, aber deutlich
als sonderentwicMung zu erkennen, ist eine bedevlung, die
a näher verwandt, von 'einer suche auf den grund gehen,
ergründen' sich herleitend, den sinn 'ein ergründetes dar-
legen, etwas bis auf den grund erforschtes kundgeben^ dann
geradezu 'gründlich erörtern^ annimmt; in mhd. zeit fast
ganz auf md. denkmäler beschränkt: daz ih tir eteuuaz
crunde des kotelichen dinges ut pauca de divina pro-
funditate perstringam Notker bei Grapf 4, 332;
ich wil dir die rehten wftrheit gründen
Lohengrin 1086;
ich man dichs, herre, sit daz Ezechi^les tür
dir goffent wart; niht vürbaz ich dirz gründe.
Wartburghr. 139, 10;
sal ich (Ecclesia) uwer (der Juden) bosheit basz gründen,
so wel ich uwer aide ee vorblinden
Alsfelder passiomsp. 4641 Or.
B. gr. als intransitivum 'grund haben*, vor allem in dem
zweifellos recht alten Sprichwort: stüle wasser gr. tief
Lehmann floril. polit. (1662) 3, 320; so bereits mhd.:
daz (die ketzerei) ist ein sünde, diu so tiefe gründet,
daz 8i mit Sünden nieman übersündet
Reinmae V. Zweier 88, 7;
in jüngerer spräche gelegentlich neu geschaffen: die deut-
sche politische langsamkeit gründet indesz im frieden tief
und läszt (wie der Seineflusz) fruchtbarkeit nach Jean
Paul 35, 28 H.; dasz in diesem gebiete sich immer tiefere
tiefen austiefen und unter dem abgrunde der abgrund
gründet Immermann 2, 148 B.
n. die im nhd. breiter entfalteten bedeutungen von gr.
I ruhen auf einer kaum vor dem jüngeren mhd. vollzogenen
ableitung des verbs aus grund IV 'basis, fundamenturn'
(vgl. sp. 702^.); zunächst wie lat. fundare 'etw. mit einem
fundament versehen'; den begriff sinhalten von fundare ent-
sprechen im ahd. andere verba z. b. bei Notker: grunt-
sellon (Graff 4, 331); statton 2, 538 Pf; kefundamenton
2, 368; gefestonon 2, 434; im Tatian: gifestinon 43, 1 S.;
am nächsten liegt Notkers ergruntin fundati Graff 4,
332, ist aber wohl auch nur eine bildung ad hoc; für das
mhd. s. grundvesten, grund vestigen ; noch im 15. jh. ist
gr. ungeläufig vgl. Diefenbaoh 252*, verbreitet sich aber
stark im 16. jh., zumal Luther es sichtlich liebt; vereinzelt
bereits in der mystik gebildet, vgl. myatiker 2, 501 Pf. (s. u.
B 2 b); disiu einikeit (gottes) ist äne grünt, mer: si gründet
sich selben 2, 625; vielleicht dem übersetzten fundare nach-
gebildet bei JoH. V. Neumaekt buch d. liebkosung 39 u.
165 Kl.
A. in breitester Verwendung, in der regel transitiv: 'ein
ding mit einem fundament, einer festen basis versehen,
worauf es ruhen kann'; dann 'das fundament legen; die
grundlage schaffen' (vgl. grund IV A 3 b); gr. in fester Ver-
bindung mit den präpositionen auf und in s. unten B und C.
1) concret, im eigentlichen sinne auf körperliche massen
angewendet; ähnliches bereits in der mystik (s. oben), ver-
gleichbar im 15. jh. gr. 'festen grund legen, festen boden im
wasser herstdlen' : wenn dann ist, das der stat paumeister
Kornperckstein bedarf quaders grösz zu grünten in das
wasser oder sunst zu pawen E. Tücher baumeisterb. 84 L.;
das der Löffler dann die klein stein ... an die selben ent
für und die einriett (die stellen, an denen man in das
wasser einreitet) damit erheb und gründt 251; vgl. fundo,
firmo, solido, stabilio ich gründ Alberus q 2''.
a) seit dem 16. jh., aber selten im eigevilich bautech-
nischen sinne wie in neuerer spräche: gr. oder funda-
mentieren, das fundament eines gebäudes anfertigen
Helfft wb. d. landbauk. 162; vom tage an, da des herrn
haus gegründet ward bis ers volendet, das des herrn haus
gantz bereit ward 2. chron. 8, 16; vgl. Sacharja 4, 9; der
thurn desz münsters ist gründt und angfangen worden
anno 1305 Seb. Franck chron. Oerm. (1538) 281»'; in beiden
fällen kreuzt deutlich bereits die Vorstellung 'durch legung
der fundamente den bau beginnen" hinein; so meist auch
späterhin, vielfach bildlich:
seit dasz wir . . .
unsrer freundschaft bau gegründet
Gottsched ged. (1751) 1, 204;
vgl.
(heiige Ordnung,) die der städte bau gegründet
Schiller 11, 316 £?.;
781
GRÜNDEN II A i
GRÜNDEN II A 2
782
altes fundament ehrt man, darf aber das recht nicht auf-
geben, irgendwo vdeder einmal von vom zu gr. Göthb II
11, 124 W.; hiernach findet er sich wieder hier in ge-
wohnter thätigkeit, gründet, baut, vollendet IV 87,
264; was an dem astronomischen bau schon geleistet,
was gegründet, was ausgeführt II 3, 249, vgl. I 20, Ö6;
stahl musz das Werkzeug seyn, mit dem ich gr. und bauen
kann malbb Müller w. 3, 58.
b) in anderer weise erweitert gr. seinen vorstdlunga-
inhalt, wenn es auszer dem legen der fundamente auch das
errichten des gebäudes einhegreiß, nicht selten in poetischer
spräche geradezu bauen vertritt: das man sage zu Jerusa-
lem: sey gebawet, und zum tempel: sey gegründet
Jesaia 44, 28;
viel haben ihre lust an köstlichen pallästen
gantz königlich gemacht, vil gründen starcke festen
Opitz teutsche poem. 231 ruir,;
das haus der freiheit hat uns gott gegründet
SOHiLLEK 14, 290 a.;
besonders tritt öfter der begriff des featigens, gefestigt seine
hinzu {vgl. gr. in II C) :
viel häuszlein auf dasz best . . .
Bie da dann gründen fest
Speb trutztiacht. (1649) 133;
zu meiner hohen, mit erz gegründeten wohnimg
J. H. Vosz Od. 233 B.;
vergleichbar:
hast du ein gegründet haua
fleh die götter alle,
dasz es, bis man dich trägt hinaus,
nicht zu Schutt zerfalle Göthe 16, 371 W.
c) auch neben anderen concretis verblaszt die Vorstellung
des fundamentierens zugunsten der des herstellens und
Setzens, doch bleibt der gedanke an das auf feste fundamente
legen mehr oder minder erhalten; so vor allem in der formet
die erde gr. : dennoch hestu di erd niht noch di berg
gegründet {adhuc terram non f teeras nee morUes funda-
veras) JoH. v. Neumarkt buch der liebhosung 39 KL; wo
warestu, da ich die erden gründet? Hiob 38, 4; da die
fundamente der erden gelegt wurden oder, dasz ichs deut-
licher sage, da das ertreich gegründet ward theair. diabol.
(1569) 14*'; steme hat er bereitet ..., das ungemässne
meer und den weitumpfalten erdboden gegründet Habs-
DÖKFER secretar. (1656^.) 2, 164;
denn er {Jehova) ist«, der ihn (den vieUhrei») über meere
gegründet,
ihn über fluthen bevestiget hat Heedee 12, 215 S.;
ähnlich: so können wir . . . nit wissen, was gestalt und
weisz die helle {hölle) erschafEen ist, noch wie sie von gott
gegründet und erbauwet seye volksb. v. dr. Faust 28
Braune; in diesem sinne von allem was gebaut wird: gr.,
eine mauer Uablir un mur Hoyer-Kreuteb 1, 318;
feste mauern will sie {Minerva) gründen,
jedem schütz und schirm zu seyn
SCHiiiiER 11, 296 G.;
bildlich: wo du die Scheidewand zwischen tugend und
laster gründetest Tieck sehr. 8, 10;
du eile dich, das bald dein heer die dämme,
die einst Domitius gründete, betritt
rouQTTÄ altsächs. bildersaal 1, 130;
dasz ich dies denkmal gründend
für Teutschland viel gethan
Hoffmann v. Falleesieben ges. sehr. 4, 239 ;
d) etwas anders 'als fundament setzen, als basis auf-
stellen^ :
die warheyt an den pabst zu binden
und ihn als eyn ecksteyn zu gründen
Fischart jesuüerhütl. v. 918 H.;
wohi im anschlusz an Matth. 16, 18; vgl. ich lege . . . einen
grundstein, einen bewerten stein, einen köstlichen eck-
stein, der wohl gegründet ist Jesaia 28, 16; ähnlich: wir
gr. diesen stein für ewig, zur Sicherung des längsten
genusses der gegenwärtigen . . . besitzer dieses hauses
Göthe 20, 100 W.;
einen stein sie richten und gründen,
daran sich wieder zu finden
UhIiAND ged. 1, 400 krit. ausg.;
auf gleicher linie liegt übertragen gebrauchtes ein funda-
ment gr. : so will ich . . . zuvor die helle und ir substantz
ansehen und wie sie von gottes zom erschaffen ist . . .,
ob wir auch etliche fundamenta gr. kündten volksb. v.
dr. Faust 39 Br.; vgl. ein schön und recht gegründ fun-
dament, recht nach dem gesange und den noten zu lernen
Ageicola musica instr. deudsch 11 E.;
die Schrift allein das fundament
der Seligkeit hat fest gegrUndt
J. Oesäus nomend. meth. (1623) 273;
ähnlich auch: die pyramide meines daseyns, deren basis
mir angegeben und gegründet ist Göthe IV 4, 299 W,;
anders:
so grünt der nesselstrauch, der gründet seinen fusz
und last den scharfen brand durch keine macht vertreiben
Che. Weise d. grün. jug. überfl. ged. 2 ndr.;
ich wil meinen matten fusz bey den Tyrigeten gründen
Neumakk neuspr. tetUsche palmb. 348.
e) wenig häufig, aber durchaus möglich ist ein gebrauch,
bei dem der grund als subject gedacht wird, gr. für 'den
grund, die grundlage bilden' eintritt, z. b. ein betonblock
gründet das hochhaus; so, meist poetisch, auch in älterer
spräche vereinzelt zu belegen:
die magnetische kraft wird merklich gespübret
von dem mlttelpunkt, der den erdenkreys gründet
Neumark neuspr. teutsche palmb. 73;
ich . . . legte ihn (den brief) ... als den ersten weg, der
ein ganzes paquet gr. soll W. v. BxjRasDORF br. 14 O.;
bildlich: dieser wahn, er sey falsch oder nicht, gründet
unsre glükkseligkeit Harsdörfer frauenz. gesprächsp.
6, 119;
f ) reflexive Verwendung, die bei präpositionaler fügung
geläufig ist {s. u. II B 1 b), bleibt bei absolutem gebrauch
selten:
hie wird mein sitz sich gründen,
hie bleib Ich fort und fort S. Dach 130 ö.;
die hoflnung, die so tief sich gründet,
baut auf den grund, den nichts umreist
Gryphius ged. 498 Palm;
ähnlich bereits im 16. jh. : das er sich gründet und mich
stortzet, so ich doch auf der schläft stehe imd bleybe
Luther 10, 2, 250 W.; vgl. auch:
der grund, da ich mich gründe
Ist Christus und sein blut
P. Gerhard bei Fischer-Tümpel 3, 387 »>;
2) früh entwickelt, in älterer und neuerer spräche den
concreten gebrauch an häufigkeit der anwendung weit über-
treffend, sind die übertragenen bedeutungen; sie bilden sich
aus den concreten unter besonderer betonung zweier haupt-
gesichtspunkte; einmal unrd das 'schaffen einer grundlage',
ohne die eine erscheinung nicht vorhanden, gesichert oder
berechtigt ist, zum bestimmenden bedeutungsinhalt oder
zweitens das 'ins werk setzen, einrichten, anfangen' über-
haupt {s. u. 3).
a) vielfach ganz allgemein 'eine grundlage geben' neben,
inconcretis; der sinnliche ausgangspunkt bleibt häufle in
adverbialen zzisätzen oder parallelen verben sichtbar: leute,
die den glauben solten legen und gründen Luther 14,
25 W.; liebhaberei führt zu solchen Unternehmungen,
kenntnisz gründet imd befestigt sie Göthe 47, 366 W.;
eine solche Sammlung {von kunstwerken) . . . gründet das
gespräch, indem sie es belebt 49, 1, 250 W.; ähnlich: er ist
eine von den gründenden naturen IV 19, 2; oft in passi-
visch'perfectischer wendung 'durch die grundlage sicher, ge-
sichert sein' : aber es (das buch) ist dermaszen gegründet,
dasz sie es wol müssen ungefressen lassen Niqrinus
papist. inquis. 513; die alten lerer haben vü loblicher,
gegründter büechem hinder inen verlassen (v. j. 1525) nach
Staub-Tobler 2, 778; selten mit persönl. subject und gen.
der Sachbeziehung: er ist diser sach gantz nicht gegründet
ntdlam justam causam habet Hejosoh 1765;
nein, herr, ein solcher bist du nicht,
desz ist mein hertz gegründet
P. Gerhard bei FiscHSR-TüMPHt 3, 392 »>;
783
GRÜNDEN II A 2
GRÜNDEN II A 2
784
oß zum adj. erstarrt:
wie ist sie {die welCi seit meiner priestersclrnft
erst wünschenswert, gegründet, dauerliaft
GÖTHB 15, 85 W.;
bei einem gegründeten reichthum 24, 91; so seit alters
in bezug auf geistiges können 'gut fundamentieri' : ohne
solche gegrünte rechenkunst L. Erckeb miner. ertzt (1580)
2»; ein gegründet wissen Gottsched ged. (1751) 1, 488;
zusammenhängendes wissen, gegründete gelehrsamkeit
GöTHB IV 31, 236 W.; gern mit adverbien verbunden: tief:
o Belial, wie tief gegründet ist dein erf ahrenheit Aybeb
hist. proc. juris 5; wie tief bey den römischen Juristen
diese gemeinschaft des wissenschaftlichen besitzes ge-
gründet ist, zeigt sich auch darin v. Savigny v. beruf uns.
zeit. 29; namentlich aber fest:
dein gir soll vestlich sein gegründt,
genäg zetbün ümb alle sOnd
J. V. SCHWABZBNBKEa d. Uutsch Cicero (1535) 114;
. . . dasz es (dein wort) von dir, mit dir,
in alle ewlgkeit zu weliren, vöst gegründet
Wkckhkelin ged. 1, 386 F.;
dmm ist auch mein glaub als mauerfest gegründet
Nbumark poet. u. mus. lustw. 34;
an dem rand der berge, wo sonst deine herrschaft fest
gegründet war G. Fbeytag ges. w. 9, 37; ein jähr hatte
hingereicht, sein vielgefährdetes königthum unerschütter-
lich fest zu gr. Dboysen gesch. Alex. d. gr. 89; atich com-
parativisch: durch welches Vorspiel . . ., hoffnung und zu-
trauen fester gegründet werden Göthb 33, 19 W.; vgl.
(zeicJien,) die seine zweifei nur noch stärker gründen
TiECK sehr. (1828) 2, 208;
sicher:
ein gaist, der sich da flndt . ..
ist sicherlich gegründet (kann »ich sicher darauf verlassen)
dasz . . . BOMPLEB V. LÖWKNHAI.T erst. geb. (1647) 145
mein friede ichlen so sicher mir gegründet
Schiller 15, 1, 28 G
früh, bereits mit einfacher qualitäisbezeichnung wohl, gut
sprach: unser glaub ist wol gegründt
J. V. SOHWAEZKNBEES trostspr. 25 ndr.,
dammb euch . . . not ist, davon a3m wol gegrünten ver^
stand zehaben Ebebltn v. Günzbueo s. sehr. 2, 175 ndr.
durch diae zusag wol gegründt Spkbnq Ilias 175»
sag, die kunst sey nicht wol gegründet
Weckhbklin ged. 1, 274 F.
die rechte wol solidierte und gegründete fromm- und
gottseligkeit Dannhaueb catech. milch 1, )( 4»; ganz ver-
blaszt 'wohl beschaffen':
ein pensei so subtil, ein kihl so wol gegründet
Weckebeiin 2, 279 F.;
in neuerer spräche meist zusammengerückt, vgl. schon
Henisoh wolgegrindte sach . . . solidationes 1765; (er)
leistet als ein armer Privatmann das, was einem wohl-
gegründeten Verleger . . . ehre machen würde Göthb 46,
59 W.; indem ich . . . unser unternehmen gut gegründet
glaubte, hoffte ich ... IV 14, 124,
ß) in einer besonders in geistlicher spräche entwickelten
bedeutungsnuance ist weniger der begriff 'eins (neue) grund-
lage geben, etw. fest machen' bestimmend als der des 'festi-
gens, fester machens'; wohl ausgehend von einer für gr. in
früh bezeugten Verwendung (s. u. Gib); vielfach in syn-
onymischer Verbindung, so zuerst bei Lutheb: der gott aber
aller gnade . . . wird euch . . . volbereiten, kreftigen,
gründen 1. Petri 5, lO; ... exempel, damit sie auch
stercken und gründen yhr menschenlehre Lutheb 10, 1, 1,
578 W.; der gute mann {ein geistlicher) . . . wollte . . . mich
stärken, trösten, befestigen, gr, Schubabt leben u. gesinn.
2, 287; ähnlich:
was einen dichter zeugt, ernähret, stärket, gründet
Gottsched «er*, e. crü. dichtk. (1751) 47;
sie werden sich . . . freuen, wenn sie diese ... so theure
Seelen . . . aufgemundert, gegründet imd bestärcket haben
ZiNZENDOBP bedencken u. bes. sendschr. (1784) 68; aber
auch absolvi:
gründe die gedanken
und lasz meinen schwachen geist
hin und her nicht wanken
Nettmark lortgepfl. mut.-poet. lustw. 92;
die hoffnung spricht: Jesus gründet mich; der glaube
wanket nicht H.Mülleb erquickst. (1666) 376; ihr werdet
. . . sehen, . . . wie viel unschuldige junge seelen er gr.
werde Hippel lebensläufe 3, l, 404; bei sächlichem object
lebendiger geblieben als bei persönlichem: das misztrauen
. . . eines herrschers, der seine schwankende, junge regie-
rung noch erst gr. muszte Kxinqee w. 5, 379; er {der
Wahrheitsgeist) gründet aufs neue die bände des volks
mit dem fürsten Bettine d. buch gehört d. kön. l, 282.
b) scJion im 16. jh. entfaltet sich eine bedeutung von gr.,
die specifisch den bezirk geistiger thätigkeit betreffend viel-
fältig nuanciert von grund IV A ausgeht und früh von dem
abstracten grund IV C = ratio, causa her mehr oder weniger
beeinflusse wird; bis in das 18. jh. noch üblich wird es in
neuerer spräche mehr und mehr von begründen verdrängt
und hält sich heute nur noch in gewissen mehr formelhaften
Wendungen {s. u. y); bedeutungsmäszig entspricht es be-
gründen sowohl im sinne 'die grundlage einer thatsache,
meinung, lehre, behauptung, gefühlsregung u. s. w. geben
oder darlegen' als auch 'mit gründen versehen, durch gründe
stützen, beweisen', vgl. begründen argumentis et raiionibus
confirmare Stieleb 712; Adelung (1774) l, 720 u. 2, 827;
beide bedeutungsnuancen im einzelnen falle zu unterschei-
den, widerspräche ihrer auch dem modernen empfinden spür-
baren verschunsterung.
a) etw. gr., activisch im wesentlichen auf das 16. jh. be-
schränkt, vor allem bei Lutheb beliebt: aufs erst müssen
wyr das weltlich recht und schwerd wol gr., das nicht
yemand dran zweyfel, es sey von gottis willen 11, 247 W.;
oft mit sinnähnlichen verben verbunden: wo sie {die pa-
pisten) das wörtlin 'heilige' finden, wolten sie gerne der
heyligen ehre und fürbitt gr., gleych wie sie das fegefewr
bestettigen 15, 196 W.; {der 110. psalm,) der den artickel
von der person Christi . . . gründet und bestetigt 41, 80 W.;
nu greifet er den artikel für sich selbs an zu gr. und zu
beweisen 36, 523 W.; allegorien und gleichnisse beweisen
und gr. keinen articul desz glaubens Schupp (1663) sehr.
827, vgl. das . . . der frei will durch die gnad nit auf ge-
haben, sunder gstelt und gründet wirt Hbdio christl. leer
(1532) vorr. 3'»; vielfach mit präpositionaler bestimmung;
mit: die baurschaft {hat) . . . zweLf artickel . . . mit et-
lichen Sprüchen der schrift furgenomen zu gründen
Lutheb 18, 291 W.; vgl. lo, 3, 409; geistliche glüb seinn
weder mit schrift noch mit bewärlichen exempeln ge-
gründt Bebth. V. Chiemsee 673 B.; sehen durch: weil
sie {die apostd) selbs das newe testament so mechtiglich
gr. und beweren durchs alte testament Lutheb 7, 303
Bindseil-Niemeyer ; öfter aus: das wyr . . . das new testa-
ment ausz dem alten gründen lernen 12, 275 W.; vgl. 19,
278; das wir . . . aus dem ansehen hailiger geschrift . . .
unsere sachen gr. Fischaet podagr. trostbüchl. 56; von
warer erkanntnusz des wetters . . . gezogen und gegründt
ausz den regeln der hochberümbten astrologen Reyn-
MANN wetterbüchl. titd Hdlm. {v. j. 1510); etuns anders: so
musz sie {die arzneikunde) ausz gottes imd auf gottes war-
heit gegründt stehn Pabacelsus op. l, 227 H.; ähnlich:
Propheten . . . die dis wort Mose einfüren und daher gr.
Lutheb 24, 60 W.; später in activischer form unüblich, nur
vereinzelt poetisch statt begründen:
was gründet deinen wahn von einem andern lebenT
Pfeffel poet. vers. 6, 11.
ß) besser gehalten hat sich die passivisch-perfectische ver-
weridung {vgl. grund haben, grund IV C 4 ii. 5) : ... was
Schwencldeldt für gegründet hält Pbätobius winierflucht
(1678) 323; weim dies gegründet ist . . ., so . . . J.Fb. Löwen
sehr. 4, a 4»; graf Wetter vom Strahl! ist dies gegründet?
H. V. Kleist 2, 188 Schm.; das subject ist nicht selten ein
satz : es ist allerdings gegründet, . . . was O vidius . . . von mir
785
GRÜNDEN II A 2
GRÜNDEN II A 3
786
(ApoUo) geschrieben Lindenboen Diogenes 2, 116; was du
am ersten theil aussezest, ist gewisz sehr gegründet aiis
SoHLEiEKMAOHEiw leben 4, 312; auch ist es ohne zweifei
gegründet, . . • dasz die päbstliche gewalt milder war
Ranke s. w. 39, anh. 4; vielfältig auf svbstantiva, meist des
urtheilens bezogen: welche Ursachen erwogen und . . . zum
theü gegründet befunden worden Hajrsdörfe» frauenz.
gesprächsp. 1, B 7 ^ ; wenn die regel gegründet wäre, dasz . . .
V. Flemino voUk. t. Soldat 187 ; wenn der satz mancher
Schriftsteller . . . gegründet ist Meiszneb Alcibiades 1, 13;
die vermuthung, dasz . . ., erschien als ziemlich gegründet
H. V. Babth kalkalpen 214; wenn diese erawendung ge-
gründet wäre Lavateb physiogn. fragm. 1, 150; eure be-
denklichkeiten sind sehr gegründet Schillee 3, 96 O.;
meine furcht war gegründet Göthe 17, 237 W.; oft nega-
tivisch = 'unbegründet' : unser tadel war ... in verschied-
nen stücken nicht gegründet J. A. Ceameb nord. aufs.
(1758) 1, 247; sind sie (die klagen) nicht gegründet, welche
Verantwortung ladet man sich nicht auf Mösee s. tv.2,Z7;
in älterer spräche öfter mit persönlichem subject in einer
bedeuiung, die ihren ausgang woM von der forme! gegründet
sein in etw. (s. u. C 2d) 'geistig fundamentiert, unierrichtet
sein' genommen hat; meist tritt daher ein abhängiger satz-
theil an die stelle der präpositionalen bestimmung: ich bin
noch nicht gar wol gegründet und gefasset, teutsche
bistorien zu schreiben V. Schümann nachtbücM. 73 B.;
weil nicht alle pastores . . . gleich geschicket und ge-
gründet sein, das sie ... das bapstthumb niederlegen
mögen kirchenordn. f. Braunschwg. (1569) 22; er sei ...
kleinen gesprächs und nicht sonderlich gegründet (16. jh.)
bei Fischer schwäb. 3, 876,
y) bereits im 15. jh. setzt eine adjectivischem gebrauch sich
nähernde Verwendung ein; neuere spräche empfindet dieses
gegründet als rein adjectivisch {vgl. die gegensatzbildung
ungegründet) und deswegen auch als comparationsfähig:
'gegründet, gegründeter sind gut; aber wer kann die ge-
gründetere hoffnung ausstehen?' Adeltjnq lehrgeb. 2, 27;
die gegründetste hoffnung 2, 28; dasz ich diese ihre
meinung allerdings für die . . . gegründetere . . . halte
Lessinq 16, 536 M.; der gegründeste ( ! ) stolz würde die
armeen . . . ermuntern Nicolai liier aiurbr. 9, 28; t» der
reformationszeit vielfach gegründete Schrift {vgl. grund der
Schrift sp. 705): durch gegründte heylige schrift hab ich
meyn eygen gewissen kaum können rechtfertigen Luther
8, 482 W.; die . . . mit gegrüntter warhaftiger geschrift
sich für die apostolisch . . . leer gesetzt haben C. Hedio
chron. germ. (1530) d 6^; dieselben all haben kain gewisse
veraynigung noch gegründte schrift noch glaublich kund-
Bchaft irer ketzerey BerthoLd v. Chiemsee 15 B.; aU
auch gegründete Ursache {vgl. grund und Ursache sp. 727) :
ausz redlichen gegrunten Ursachen {v. j. 1498) lehnsurTe.
u. besitzurk. Schlesiens 1, 52; so hat die kirch gnügliche \md
gegründte ursach, solch . . . ding ... zu gebieten Luther
30, 3, 190 W.; {ein) Verleumder, der unschuldige leute ohne
alle gegründete Ursache boshaftig schmähet Gottsched
neueste a. d. anmuth. gdehrsamk. 1, 371 ; er hatte gegrün-
dete Ursache, die ehrUchkeit seiner wirthin ... in zweifei
zu ziehen Raabe hungerpastor (1864) 3, 29; und so viel-
fältig mit anderen beziehungs Wörtern: ein gegrünte ver-
manung Güttel v. evang. warh. (1523) AI*»; einen guten
kurtzen imd gegründten bericht oder bescheid geben
Widmann Fausts leben 58 K.; mit dergleichen gegrün-
deten Sachen Grimmelshausen 2, 389 K.; nach meinen
obigen gegründeten Voraussetzungen Jung Stillinq w.
3, 140 Or.; von ihren gütigen imd gegründeten anmer-
kungen haben wir . . . gebrauch gemacht Göthe IV 10,
349 W.; man hat gegründete aussieht, demnächst im amt
vorzurücken Raabe Horacker (1876) 68; nicht selten tritt
das berechtigende, berechtigte stärker in den Vordergrund:
was hat der bauer . . . für einen hauptanlasz, den besitz
des edelmannes für weniger gegründet anzusehen als den
seinigen? Göthe 23, 146 W.; die Ursachen eines gegrün-
deten Vergnügens J. E. Schlegel w.{l76iff.) 3, 351; weil
der mensch einen gegründeten stolz übersiehet Lessing
1, 229 M.; dieser doge . . . gab nicht wenig anlasz zu
IV. 1, 6.
gegründeten klagen Ranke s. w. 42, 41 ; weil ein unglück-
liches mädchen gegründete ansprüche an ihn mache
TiECK sehr. 17, 175 ; anders 'mit guien gründen' : da redete
der hr. Statthalter die arbeiter ganz beweglich und ge-
gründt an bei Staub-Toblbr 2, 778 {v. j. 1772).
3) von concretem gr. 'das fundament legen' leitet sich eine
bedeuiung her, die zunächst besagt 'den bau beginnen, ins
werk setzen', dann allgemeiner 'eine institution ins leben
rufen, eine einrichtung stiften, schaffen' {vgl. den grund
legen sp. 705^.); möglicherweise ist eine fast parallele ent-
toicMung von lat. fundare, vgl. du Gange 3, 628, nicht
ohne einflusz auf diese bedeutungsenivncMung von gr. ge-
blieben, vgl. grinden, fundieren, stiften condere, fondare
Henisch 1765 ; mit dem 15. 16. jh. einsetzend, gevnnnt dieser
bedeuiungszweig besonders in neuerer spräche stark an kraft
und ausdehnung.
a) im eigentlichen sinne von concreten oder concret emp-
fundenen dingen: also ist diese stat gegründt und an-
gefangen . . . unter den flügeln des adlers SiGM. Meisteb-
UN in ehr. d. dtsch. st. 3, 45; an dieser stelle gründete er
(Karl d. gr.) Aachen Geimm dtsche sagen 2, 77; etwas
anders:
gott gründet bafen oft, wo nahe syrten sind
LOHBNSTKiN Ibrahim atdt. 37;
desgleichen in Egypten nicht gewesen ist, sint der zeit
sie gegründet ist bis her 2. Mose 9, 18;
die gröaten reiche bats gegründet
SCHII.I.BB 18, 893 Q.;
nnd anfs neu zu Aachen gründet
er das beiige deutsche reich Geisel tc. 1, 93;
ähnlich: er . . . wollte sich ein land gr. und das auf seinem
pf erd umreiten Brentano ges. sehr. 4, 61 ;
sich eine schuldlos leine weit zu gründen
: SCHIIiLBR 13, 193 ö.,*
! ich will gr. eine grosze Schöpfung, eine neue weit Batjebn-
: FELD ge«. sehr. 3, 258; besonders von einrichtungen und
' Unternehmungen verschiedenster art: wir können die ein-
j richtung in wenigen tagen gr. Göthe IV 18, 59 W.; {die)
nothwendigkeit, zusammenhängende Institutionen zu gr.
Ranke s. w. l, 126; so schon früher: das das klosterleben
. . . gar eigentlich ist fundiert, gegrünt und angezögt
durch unsem herren Jhesum Christum Hiebon. Geb-
WYLEB beschirm, d. lobs Marie (1523) 29»; sie (die manche)
gründeten überall klöster G. Feeytag ges. w. 17, 356 ;
im felde schrecklich eeyn und hohe schulen gründen
sind dinge, die wohl nie auf einen tag geschehn
B. Neueibch ged. 213 ;
es wurden eigene anstalten gegründet, deren aufgäbe es
war, ihre schüler zu gründlich geschulten musikem aus-
zubilden 0. Jahn Mozart 1, 175; alle weit will Journale gr.
br. V. und an Heewegh (1896) 286; der süsze träum, ein
nationaltheater hier in Hambtxrg zu gr. Lessing 10,
218 M.; wie Jacob Grimm . . . eine neue Wissenschaft
gründete Scheeeb Td. sehr. 1, 3 ; auch von formen mensch-
licher gemeinschaft: hätten sie {die apostel) . . . eine solche
gemeine gegründet Schleiebmacheb s. w. II 4, 102; ähn-
lich bereits Lutheb: da sie . . . die Christenheit gepflantzt
und gegründet hatten 36, 482 W.; wir sollten . . . den
alt- und neukirchlichen vereinen gegenüber einen un-
kirchlichen . . . gr. D. Fe. Stbatjsz sehr. 6, 4; auf welche
weise unser bund geschlossen und gegründet sei Göthe
26, 189 W.; der norddeutsche bund ist gegründet worden
Raabe JJorocfcer (1876) 7; formelhaft feste Verbindung ist
eine famihe gr.: gründete er auch selbst keine familie,
so fand er doch ein . . . familienleben im F.schen hause
jährb. d. QriüparzergeseUsch. 5, 249, neuerlich auch in
schlichtem sinne 'heiraten'; namentlich aber in neuerer
spräche in bezug auf gewerbliche, geschäftliche oder in-
dustrielle unternehmen und betriebe: sie {woüe) ihm ... da
ein tüchtiges geschäft gr. helfen Kellee ges. w. 5, 69;
der chef eines von ihm gegründeten handlungshauses
Stoem w. (1899) 1, 41; in diesem sinne eine fabrik, eine
actiengesellschaft, eine firma gr.; zeitweilig in den 70er
Jahren des 19. jh.s mit dem nebensinn des unsoliden,
50
787
GRÜNDEN II A 3. B
GRÜNDEN II B 1
788
schwindelhaften, betrügerischen Unternehmens (s. grün-
der) : herr Seh. 'gründete' die glasfabrik Albertinenhütte
0. Glagatj d. börsen- u. grilndungsschwindel (1876) 1, 44.
b) vielfach in übertragenem sinne auf zustände und Er-
scheinungen mehr unsinnlicher art angewendet; vorzüglich
poetisch oder sonst in gehobener spräche.
a) der begriff des 'hervorbringens, anfangens, heginnens"
bleibt rieben dem des ^Schaffens, machens' erhalten {auch hier
hilft sich neuere spräche oft durch begründen); so philo-
sophisch: die gründende . . . Vorsehung Kant 6, 428 H.
(^Providentia conditrix' im gegensatz zur ''waltenden^ als
der erhaltenden);
was er mit reifem raht tliut gründen,
verriclitet er schnell und mit fleisz
Weckhkkxin 1, 219 F., vgl. 2, 359;
besser ists, den adel gründen,
als ihn bey den eitern finden
Knittei poet. sinnenfr. (1677) 45;
versuche, eine lehre zu gr. und auszubilden Göthe II
6, 9 W.; erlaubt sie . . ., dasz das bild in die ausstellung
darf, und dann ist ihr ruf gegründet Stifteb s. w. l, 78;
die Politik, die den rühm der armee gründete Bismaeck
ged. u. erinn. 2, 180 völksausg.;
kannst du mir einen neuen glauben gründen,
der eines kindes blutgen mord vertheidigt?
Schiller 5, 2, 446 Ö.;
ihre . . . pflicht ist es . . ., die gesinnungstüchtigkeit der
Schüler zu gr. Roon denkw. 1, 26; gern in zusammen-
hängen wie Schicksal, glück:
ein bescheidnes los zu gründen
Gkillparzee ». w* 4, 21 S.;
an ihrer seite, die sein erstes glück
gegründet . . . Schillee 12, 395 ö.;
du gehst mein unglück gründen
Aykenhoff w. 170;
{wir gellen) der neuen {weit) heil zu gr. Rückert w. 10, 385;
vereinzelt reflexivisch: wie die künste . . . sich . . . ge-
gründet und ausgebildet Göthe 48, 59 F".
ß) nicht selten verblaszt die Vorstellung des ^anfangens, be-
gründens' derart, dasz sich die bedeutung dem allgemeineren
sinn von 'schaffen, machen, thun' nähert; ährdich schon:
die müncb so viel weg {zur Seligkeit) gründen
Fischart, s. Dominici leb., ü. 1129^.;
'festsetzen' : der anfang der Schöpfung . . . hat diese weit
als ein modeil in sich geschlossen und das ziel gegründet
J. Böhme sehr. (1620) 5, 124; öfter wie 'schaffen' :
zuletzt Epeus, der das rosz (das trojan. pferd) gegründet
Schiller 6, 359 O.;
ein lippenpaar, dem mans ansieht, dasz es nicht zum
plaudern allein gegründet worden ist Roseggeb nixnutz.
Volk (1907) 215; wird durch den krieg ein recht gegründet,
das man nicht hatte Hebdeb w. 23, 25 S.; vertrage gr.
zwangsrecht dtsch. m,useum 1, 42 Schlegel; die von den
Römern in Libyen gegründete Ordnung der dinge Momm-
sen röm. gesch. 2, 22; nun . . . kann keine Staatsverfas-
sung gelingen, welche die vemunf t . . . von vornher ( = a
priori) gründet W. V. Humboldt ges. sehr. 1, 78;
das uns allein zu freien wesen gründet
S. Meeeau ged. 1, 48;
fast wie 'machen' : gr. wir nicht darüber hinaus ansprüche
auf den titel einer Volksvertretung Bismabck pol. reden
1, 302 Kohl.
B. seit alters verbindet sich gr. mit der präp. auf, wenn
es sich um angäbe der tragenden Schicht, der unterläge
nach art und Qualität handelt; rein bedeutungsmäszig ergibt
sich ein unterschied gegenüber gr. II A insofern, • als nicht
das bauen oder schaffen einer grundlage, sondern das setzen
{bzw. ruhen) eines dinges auf ein gegebenes, vorhandenes
fundament den vorstellungsinhalt bestimmt {vgl. grund IV
A 3 g), vgl. dazu die Synonymenverbindungen unter b ; daher
steht die präp. in der regel mit acc.; wo statt dessen der
dat. eindringt, erklärt er sich daraus, dasz statt des begriff s
d,er unterläge der einer bloszen ortsvorsteUung vorliegt; so
nicht selten, vgl. sie {Zion) ist fest gegründet auf den hei-
ligen bergen psalm 87, 1; vgl. Amos 9, 6; das . . . gottes-
haus, das auf einem hohen punkte gegründet, weit hin-
ausschauen soll Alexis Roland v. Berl. (1840) l, 70; es
handelt sich hierbei also um ein anderes gr., nämlich II Alb;
eiwa^ anderer art ist der dativ unter 1 c und 2 b.
1) eine sacke auf etw. gr., meist transitiv gebraucht: 'auf
eine grundlage stellen'.
a) in gegenständlicher Verwendung: du herr, der di
werlt auf niht gegründet hast qui fundasti mundum super
nichilum JoH. v. Neijmaekt buch d. liebkosung 165 KL;
gr. auf beton Hoyeb-Keeuteb technol. wb. l, 318; man
ebnete nur den umkreis, worauf die säulen gegründet
werden sollten Göthe 31, 152 W.; meist bildlich: auf so
einen unf ästen triebsand gründeten unsere teutsche alt-
vordem das ruhmgebäude ihrer dapfren thaten S. v. Bir-
ken ostl. lorbeerhayn 3^; mit dlipse des objects:
der gründet nur auf sand,
der nicht auf liebe baut
Opitz opera (1690) 1,6;
ein stat {hol) niemahls sein glück auf so beständigen fusz
gegründet Che. Weise polit. redner, vorr.; diese halbstu-
denten hätten ihren Universitätsstaat gerne auf diese
dicke seide gegründet polit. maulaffe (1679) 54; eine basis,
auf welche man eine weitre Überlegung gründet Göthk
IV 19, 142 W.;
hier diese mauern haben deine väter
auf Sicherheit gegründet
I 10, 166.
b) so häufig in geistiges gebiet übertragen 'eine ansieht,
eine Überzeugung auf eine thatsache aufbauen und dadurch
ihre gewiszheit oder evidenz erhalten' : auf dise und andere
sprüch der biblia gründe dein glauben Ebeblin v. Günz-
BXJEG 2,nondr.; anders:
den glayben hat der teüfel gründt
auf eepruch, unkeüsch, stummet sündt
SCHWARZENBERG teutsch Cicero (1535) 133»;
ut absolutionem tuam gründest auf die promissionem
Luthee 34, 1, 325; wi . . . dann . . . alle propheten , . .
das gantz gesatz auf . . , des nächsten lieb . . . gr. Schwae-
ZENBEEG teutsch Cicero (1535) 65;
doch musz man auf die gute werck
— die seeligkeit nicht gründen
MoscHEROSCH insomn. cur. par. 121 ndr.;
aber keineswegs auf die religiöse Sphäre beschränkt: damit
er seine meinung gr. möchte auf die zeit, die Suetonius
. . . angibt Hebäus ged. u. inschr. (1721) 97; (sie) grün-
deten ihre sätze auf falsche einbildungen Scheibe crit.
mus. (1745) 13; theorien . . . auf die natur . . . gr. Wieland
18, 103 D.; kermtnisse . . . auf unmittelbare erf abrangen . . .
gr. J. K. Lavatee physiogn. fragm. 1, 334 ; {eine) ansieht,
die ich auf das urtheil höherer militairs gründe Bismaeck
in Preuszen im bundestag 1, 134 v. P. ; die mathematik grün-
det ihre gewiszheit auf das allgemeine axioma Moses Men-
delssohn ges. sehr. 2, 7 ; von hier aus versteht sich gelegent-
licher halb elliptischer gebrauch: auf diesen schlusz grün-
dete er ferner, dasz . . . die göttliche Vorsorge . . . ein
bloszer träum wäre Lohenstein Armin. 1, 454^; au^h die
hoffnung gr. statt gewöhnlicherem setzen : Pylades gründet
seine hofnung auf die nachricht . . . Schillee 6, 257 G.;
vermischt mit gr. I A b :
ach mögt auch ich so früh auf gott allein
der grünen hoffnung ancker gründen
Bröckes ird. vergn. (1721) 1, 4;
ähnlich mit gr. II B 3 vermengt:
. . . auf den ich je und eh
mein hoffnung gründen lies
A. Geyphius sonn- u. feiertagsson. 26 ndr.;
doch auch in anderen zusammenhängen:
well er (der bruder Studio) sein ganzes wol auf Unverstand
gegründet
See. Brant narrensch. 9 Z.;
SO fragten wir es so umbständig ausz, dasz wir aUe unsere
antwort auf seinen eigenen mundt gründeten Simplic.
789
GRÜNDEN II B 1
GRÜNDEN II B 2
790
Jan Perus (1672) 39; von literarischer abhängigkeit : seine
Susarma gründete er auf Frischlin Schereb lUeratur-
gesch. 312; gelegentlich mit persönlichem object: sie stand
... im zweifei: ob sie ihre herrschaft auf . . . den Rhascu-
poris gr. . . . solte Lohenstein Armin. 2, 95^;
doch endlich gründet er (der sultan) auf ihn (den groszvezier)
den schweren krieg
J. V. PiETSCH geb. sehr. 8 ;
die präpositionale Verbindung ersetzt durch darauf, worauf:
so ist auch nichts darauf zu gr., dasz Eeoker miner. ertzt
(1580) 18* im sinne 'es ist nichts darauf zu geben" ; die im
16. jh. vor allem beliebte zwillingsformel setzen und gr.
läszt den bedeutung schar acter dieses gr. klar erkennen: es
(das evangelium) wil uns reyszen von unszer vermessen-
heyt und setzen und gründen alleyn auf gottis barm-
hertzikeyt Lutheb 12, 556 W.; so könnend wir nit daruf
gr. oder setzen L. Lävateb ruich Stattb-Tobleb 2, 777;
muszt all dein wolfahrt . . . auf das blose glück setzen
und gr. MoscHEBOSCH geeichte (1650) 513; vereinzelt neben
intrans. fuszen:
er fuszt und gründet seine lehr
auf sinne, die jedoch so trüglich seyn
BROCKES ird. vergn. (1728) 3, 13.
c) bedeutungsmäszig zu sondern ist passivischer gebrauch
im perfect: gegründet sein auf etw. = 'auf eine grundlage
gesetzt sein^ und deshalb 'fest stehen, sicher ruhen', vgl.
NoTKEB ps. 77, 69 uffin steine kegruntsellot supra petram
fundata; denn es {das haus) war auf einen felsen gegründet
Matth. 7, 25; der einig, recht glaub und baw uf einen
felsen grünnt, besteht in allen nöten S. Feanck sprichw.
(1641) 2, 4''; die . . . uf den herren Jesum Christum er-
buwen und gegründt sind Zwingli dtsche sehr. 1, 197;
insbesondere aber in übertragener Verwendung 'auf etw.
beruhen; sich herleiten, hervorgehen aus" (vgl. gegründt sin
uf referri Diefenbach 489'') in bezug auf einen autorita-
tiven satz, ein recht, eine quelle u. s. w. : dise zwitrechtig-
keit haben in dem grünt ersucht alle hochgelert man,
und ist gegründt auf das, dasz in dem ewangelio Petrus
spricht . . . SiGM. Meisterlin chron. d. d. st. 3, 102; dasz
sie ein ochssen und esel zur krippen . . . gestellt, ist das-
selbige auf den klaren text Esaie fundiert und gegründet
Fischabt bienenkorb (1588) 158*; es ist dieses auf die all-
gemeine regel des natürlichen rechts gegründet v. Fle-
ming vollk. t. Soldat 376; die auf das princip der köpf zahl
gegründeten tributcomitien v. Jheeing geist d. röm. rechts
2, 1, 98; die erste auf astronomische beobachtungen ge-
gründete karte dieser erdgegend Rittee erdk. 1, 993; ich
statuire . . ., dasz die meisten inventa desselben (des con-
trapuncts) alleyn auf das gesiebte . . . gegründet seyn
Heujichen generaibasz 8; gesetze des Wohlklanges, auf
die menschliche natur und das wesen der töne gegründet
A. W. Schlegel im Athenäum 1, 18 ; weniger üblich in
anderen zusammenhängen: das es die feindt darfür an-
sehen solten, der streit wer aller auf seine gesellen ge-
gründet Xylandee Polyb. (1574) 443;
wie sclilug sein hoffend herz, auf diesen trost gegründet
ZachaeiI poet.schr. (1763^.) 2,87;
'wirtschaftlich basiert': die Stadt ist . . . auf garten-,
frucht- und Weinbau gegründet Göthe 34, 1, 271 W.; 'der
Substanz nach auf etw. beruhend, entstanden sein aus etw.' :
(die menschen,) die in den leimen heusem wonen und
welche auf erden gegründet sind, werden von den Wür-
mern gefressen werden Hiob 4, 19; allgemeiner: (es) ist . . .
erfreulich mit einem auf eignen grund und boden gegrün-
deten mann ... zu sprechen Göthe IV 33, 323; wenn das
'perfectivische' moment, das ergebnis der handlung, vor dem
'durativen', dem zustand des Stehens und ruhens zurück-
tritt, stellt sich nicht selten der dativ ein, namentlich bei
nord- und mitteldeutschen autoren: seine beine sind wie
marmelseulen gegründet auf gülden füszen hohd. 6, 15;
dise gelübt würt gar eigentlich gegrünt uf dem stücklin
. . . nem oder trag sein crütz Hieb. Gebwyleb besch. d.
lobs Marie (1523) 29 1» ; dieser auf erheblichen imd . . . drin-
genden bewegnussen gegründeten meinimg Chemkxtz
schwed. kr. 2, 235 ; dasz die liebe des Vaterlandes . . . auf
der wahren klugheit selbst gegründet sei Leibnitz ermahn,
2 Gr.; öfter bei Kant: ein auf einem ästhetischen gegrün-
detes logisches urtheil 5, 220 Hartenst., vgl. 1, 344; wie
das ganze auf absichtlichen Übertreibungen . . . gegründet
ist E. M. Aendt nothgedr. bericht (1847) 94; sie (die heraus-
geber) sind auf dem alterthum und auf ihrer ältesten
literatur gegründet Göthe 41, 2, 351 W.
2) bis ins späte mhd. zurück reicht reflexiver gebrauch
sich gr. auf, in der reget mit acc., kommt aber allgemeiner
erst seit dem 16. jh., zumal in übertragener verweridung, in
schwang.
a) bei persönlichem subject wird das dynamische mo-
ment der bedeutung, das 'sich auf eine grundlage stellen,
stützen' noch mehr oder minder deutlich empfwnden, auch
dann wenn der accent sich auf die Vorstellung des erreichten
zustandes verlagert; der dativ ist daher natürlichem Sprach-
gefühl nicht gemäsz und bedeutet eine ganz vereinzelte logi-
sierte construction: man (sinnt) im geschmacksurtheile das
Wohlgefallen jedermann (an), ohne sich doch auf einem
begriffe zu gr. Kant 5, 218 Hartenst.; regel ist der acc:
also müssen wir uns gr. auf die verhaiszung Christi und
kechlich darauf bauwen Luther 7, 257 W.; gründestu dich
dann mehr auf deine vemunft und geschickligkeit dann
auf die demuth und unterthenigkeit Christi J. Aend
Thom. a Kempis vjochf. Christi (1621) 70;
wer sich hie auf gut wil gründen,
hat auf schwaches elsz gebaut S. Dach 729 ö.;
ich wollte mich desfalls lieber auf ein ander exempel gr.
Lessino 9, 7 M., vgl. lO, 293; aber vielfach dominiert die
Vorstellung 'auf einer grundlage stehen, fuszerC noch aus-
geprägter; so besonders bei grundlagen einer Überzeugung,
meinung, des handelns u. ä. : sich auf einsi meinung gr.
opinione alicujus stare Maalee 194*; und . . . bekennen,
das wir gottes wort haben und uns drauf gr. Lxttheb 28,
25 W.; wo seyn . . . die motiven . . ., darauf du dich
gründest? theatrum amoris (1626) 1, 31; er (hat) . . . die
erfahrungen, worauf wir uns gr., auch gemacht Göthe IV
5, 27 W.; Palos, welcher das theater gleichfalls griechi
sehen Ursprunges hält, . . . gründet sich . . . auf eine in
Schrift W. v. Humboldt theater in Sagunt 107 lit.-dkm.
denn gründen alle sich nicht auf geschichte?
Lbssing 3, 92 M.
ähnlich von literarischen gewährsmännem oder quellen
herr Johan Magnus Gotlender . . . gründt sich auf Saxo
nem grammaticum Seb. Münsteb cosmogr. (1550) 952
sich gr. und fuszen bleibt wenig häufig: darauf er (der
papst) sich gr. und fuszen möcht Lutheb 1, 50* Jena
er gründet sich und fuszet auf die praescription oder ver
järung Henisch 1766; vor allem in älterer spräche in etwas
verengertem sinne auch 'sich vertrauend auf jmd. verlassen',
vgl. entsprechende Synonymenverbindungen: darauf man
sich doch gr. oder vertrawen möge Arnadis 228 K.; dasz
man sich deszfalls sicher auf ihn verlassen und gr. kan
v. Göchhausen notab. venat. (1741) 316;
nein auf dich (gott)
gründ ich roich
J. Sieber bei Fischer-Tümpel 4, 165 •>;
dann darf mein muth auf dich (gott) sich gründen
COLLIN lied. österr. wehrm. (1809) 1,12;
ähiüich gefühlsbetont: ich gründe mich demnach blosz auf
ihre gütigkeit Menantes art höf. u. gal. z. schreiben
(1718) 70;
du gründest dich vielleicht auf das versprochne band (der
ehe)? Gottsched dtsche schaub. 1.. 196;
im gleichen sinn auch intrans. s. u. 3.
b) bei sächlichem subject tritt naturgemäsz eine mehr
statische auffassung in den Vordergrund, sich gr. auf =
'auf etw. gegründet sein (s. o. 1 c), auf einer grundlage
ruhen'; zwar ist auch hier der acc. bis in die heutige spräche
die reget, doch wird der gelegentliche dativ nicht als so hart
empfunden wie bei a: er (der glaube) fuszet und gründet
sich nicht auf mir selbs noch meinem thun Lutheb 36,
50«
791
GRÜNDEN II B 8
GRÜNDEN II C 1
792
870 W.; auf ihr (der hausfrömmigheit) gründet sich die
Sicherheit des einzelnen, worauf . . . auch die festigkeit
. . . des ganzen beruhen mag Göthe 24, 378 W.; häufiger
bei Kant: weil es {das böse) sich auf den schranken der
natur der menschen . . . gründe 6, 81 Hartenst., vgl. 6, 223;
sonst mit acc., seltener in concrelem sinne: also hänt diu
dinc, diu in der ztt geschaffen sint, irn gnint, da si sich
üf gründent mysliker 2, 501 Pf.;
Byrsa der boden hicsz fürwar,
darauf die stadt sich gründet gar
Spkeng Äneis lO*;
bildlich: die wahre vemtmft, so auf den unwankelbaren
f usz der natürlichen erfindnisz sich . . . gründet ScHOT-
TBL friedenssieg 67 ndr.;
der tempel gründe sich auf heldentod
KÖENEK w. 1, 123 E.;
doch meist übertragen gebraucht ^beruhen auf: solche letzte
wort David gr. sich . . . auf gottes eigen wort Lutheb 53,
466 W.;
darauf sich gründt prophetisch 1er
J. V. SOHWARZKNBBEQ tfogtspr. 25 ndr.;
sintemal dieselben bidlen sich auf das vorgemelt urteil
. . . gr. Schütz hist. rer. prusa. (1592) 5. buch b 1*; damit
aber jedermann sehe, worauf sich diese experimenta gr.
Thomasitjs ged. u. erinn. (1720/.) 1, 77; die empfindung
. . . musz . . . sich auf eine wahre tugend gr. Ramlbb
eird. in d. schön, wiss. 3,18; Wissenschaften, die sich un-
mittelbar auf erfahrung und beobachtung gr. J. J. Engbl
sehr. 1, 130;
{du kind,) auf dessen zarten leib Europens heyl sich gründt
Bkockes bei Weichmann poesie d. Niedersachs. 1, 12;
{menschen,) auf die unser lebenswohl, unsere lebensfreuden
sich gründeten und stützten G<5thb IV 31, 215 W.; die
thatsache, auf welche der anspruch des klägers sich
gründete v. Jhebing geist d. röm. rechis 3, l, 58; von
qudlenmäsziger, literarischer abhängigkeit: dasz seine er-
zählung sich . . . auf eine art von tagebuch gründe
WiELAND Agathen (1766) 1, 27; auf diese sage gründet
sich das gedieht Göthe 21, 293 W.
3) voruiiegend dem älteren nhd. ist intransitiver gebrauch
von gr. auf geläufig, doch verwendet ihn auch neuere spräche
hie und da; selten sinnlich:
(es) lehrt der staar die andern staare . . .,
gründend auf der Wetterfahne
Bebntano ges. sehr. 3, 22;
dem entspricht die anwendungsweise mit dem dat. bei säch-
lichem subject:
(schätze,) die auf ewgem gründen
und in der zeit verschwinden
ebda 2, 526;
das . . . lob der armuth gründet . . . auf zwei historischen
motiven W. H. Riehl d. dtsche arbeit 121; so auch in
älterer spräche:
es würt sich selbs zu letst erfinden,
das es (die Verleumdung) nlt mag uf warheit gründen
Murner dtsche sehr. 9, 111;
die feierliche spräche auf groszheit des Innern gründend
J.G.Radlop treffl. 189; bei persönlichem subject überwiegt
schon in älterer zeit der acc, vgl. dazu fuszen 6 b «. 7 {th. 4,
1, 1, 1021) ; gelegentlich mit elliptischer Verwendung sich be-
rührend, im sinne 'auf etwas gewicht legen, etwas geben" :
daruf die bischof mer halten und gr. dann uf götlich
geschrift Schade sat. u. pasq. 3, 180; wie 'sich stützen':
ihr werdet wol mercken in unserm schreiben auf was wir
gr. mit diesem capitel Pabacelstis op. l, 352 H.; so viel-
fach auch wie reflexives gr. {s. o. 2) 'sich verlassen, ver-
trauen auf etw.\ vgl. sinnverwandtes bauen 3 e {th. 1, 1173) :
waraui wilt du gr. oder dich verlassen giw) confugies ? ubi
nitere? Feisitjs 870 b; vgl. unsere parthey gründet auf
billigkeit 1243*"; der abt . . . hat . . . uf die unbewärten
reden gegründet Tschudi chron. helv. l, 49; hie mit hatt
Ulixes wider die behilf {das argumervt), daruf Aiax aller
höchst gegründt hatt, ins richters gemüt neigung ge-
macht F. RiBDEEEB rhetoric (1493) b 2'', vgl. c 3*; darauf
der richter gr., urteilen und strafen kann Lutheb 30,
173 W.; wohl hierher auch: gründen, fuszen, beweisz
■oßtaen fundare, sußundare Henisch 1765;
sie gründend daruf allermeist . . .
und (= das€) sye alles gerecht, was sie machen
N. Manuel v. pahst v. 1278 B. :
so hab ich doch keinen brif ader andern schein gesehen,
darauf ich festiglich gründen mocht, das dem also
V. D. Planitz berichte 38 W.; modern gelegentlich statt ge-
bräuchlicherem bauen auf: vielleicht gründete der legat
hier auf die hofinung, . . . auch in den religiösen angele-
genheiten . . . eine günstige entscheidung . . . hervorzu-
rufen Ranke s. w. 2, 96; die formet gr. und fuszen vor
allem bei Ltjtheb: also dasz man auf die werck nicht kan
gewis fuszen und gr. 20, 424 W., vgl. 10, 3, 395 und th. 4,
1, 1, 1021 ; vereinzelt bauen und gr. : sy bauwind und
gründind auf das recht und bülich aequa nituniur Feisius
870»>.
C. gründen in, nichi vor dem späteren mhd. nachzu-
weisen, nimmt gegenüber A und B bedeutungsmäszig da-
durch eine Sonderstellung ein, dasz nicht die tragende schieht
sondern die das ding umschlieszende feste masae und zwar
zunächst die des erdbodens angelpunkt der sinnlichen Vor-
stellung ist; daher trans. gr, in zunächst: 'etw. im boden
festmachen; in die erde setzen, sodasz es halt gewinnt; etw.
festigen^; dasz aber dies gr. nicht von grund II sondern
vne A u. B von grund IV ausgeht, etwa im sinne 'im boden
eine baais geben bzw. haben" wie lat. 'fundare in\ lehren für
die früheste zeit die ebenfalls fundare umschreibenden syno-
nymen gruntvesten, fundieren: die demötekeit {ist) nut
gepflantzet in den menschen • . . die minne ist gegrunt-
vestent in den menschen Tatjleb 323, 3 V.; gewurzelt
und gefundiert ... in der minne 367, 9 V. im anschlusz
an Eph. 3, 17: in caritate radicati etfundati, wo Lutheb:
durch die liebe eingewurtzelt und gegründet die bedeU'
tung nach II A 2 hin verschiebt; dagegen: dan es alles auf
den felsen Cristum gehauen wasz und in der lieb ge-
gründt Knebel chron. v. Kaisheim 25 lit. ver.
1) in concreter oder deutlich bildhaft empfundener Ver-
wendung bezeichnenderweise fast stets von pflanzen, sowohl
trans. wie intraTis.: daz söUche liebe ... in ruhem, un-
geschlachtem ertrich wie das holtz oloes sine wurtzen
tiefer gründet imd vestnet Niclas v. Wyle translat.
820 Z.; vgl.
im tiefen boden
bin ich (blümchen) gegründet Göthk 3, 49 W.;
um die menschheit in ersten neigungen ... zu wurzeln
und zu gr. Hebbeb 5, 479 8.; das . . . familienleben, in
welchem . . . seine sittliche existenz mit . . . starken wur-
zeln gegründet war O. Jahn Mozart 2, 3; reflexiv gewen-
det: die pflanzen und blumen müssen sich erst fest im
boden gr. Tieck sehr. 18, 192; vgl.
und dennoch wird es würze! gründen
in deutschen gauen überall
Uhland ged. 1, 81 irit. ausg.;
überhaupt öfter intrans.: so diese infection der pestis in
sie wurtzelte oder gründete Paeacelsus op. 1, 362 JB.;
wie tiefer deine wurzeln gründen
Deoste-Hüishoff w. (1870) 1, 377 Seh.;
dasz sie {die mystik) zwar mit ihrer irdischen seite in ihr
{der erde) gründet, zugleich aber in einem höheren gebiet
sich bewurzelt findet Göbbes mystik 1, 167; von hier aus
verständlich 'im boden liegen {vne die wurzeln), verborgen
sein' in fällen wie:
in deines (der christblume) busens goldner fülle gründet
ein wohlgeruch, der sich nur kaum verkündet
Möeiee w. 1, 136;
weniger häufig bleibt concreter gebrauch in anderen sach-
beziehungen: wie . . . der edelgestein in dem ringe ge-
gründet {ist) Beinicke fuchs (1650) 322; die sach {ist) im
sand gegründet und mit windwirbeln unterstützet Haes-
DÖBEEE frauenz. gesprächsp. 1 (1641), n 1*; doch ist eirie
Verwendung wie: der bau ist im lehmboden gegründet
modernem Sprachgefühl nicht mehr gemäaz.
793
GRÜNDEN II C 2
GRÜNDEN II C 3. III i
794
2) artsgebreiteter ist übertragener gebrauch; vor allem,
passivisch-perfectivisch gewendetes gegründet sein in.
a) weniger häufig tritt rein transitives gr. in hervor; im
sinne 'hineinlegen, einpflanzen': dies gefühl in ihr zu gr.
und zu befestigen Fb. v. Gentz sehr, l, 206 Schi.; häufiger
schon toie 'stützen, festigen' : daz die Sarratzenen understan
zu gründen oder vestigen die selben zwey homer Macho-
meti . . . ja geschriften beder testament Bbeidbnbach
d. heyl. reiszen (1486) 79^; ähnlich elliptisch: in den Worten
Jacobi gründend die päpstler {erg. 'ihre lehre'), dasz die
Ölung ein sacrament sye Zwinoli dtsche sehr. 1, 241 ; wenn
man nu lang, viel und wol gegründt hat diesen heupt-
punct ... im hertzen und sinne der zuhörer Ebeblin
V. GÜNZBUBG s. sehr. S, 210 ndr.; dahero dero herr vater
... sie ... im Christentum vester zu gr. . . . bemühet war
in F. Chbysändbb Händel 1, 7 ; mittelnationen, die sich
nicht in sich selbst zu gr. . . . geeignet sind Göthe 41, 2,
148 W.; vergleichbar: wenn . . . der selbe körper die ge-
Bohwindigkeit also in seiner innem kraft gründet {im sinne
*bevMhrC) KLä.nt l, 140 Hartenst.
b) reich entfaltet dagegen gegründet sein in etw. 'wie
durch eine umschlieszende masse gefestigt stehen, eine sichere
basis haben in etw.' (concret s. o. a schlusz), 'gefestiljt, ge-
sichert sein', z. b. bezüglich der erbfolge:
nun steht das reich gesichert wie gerundet,
nun fühlt er froh im söhne sich gegründet
GÖTHK 16, 328 W.;
allgemeiner: wer in sich selbst tüchtig gegründet einen
edlen zweck im äuge hat 10, 162;
{ein weserC) kühn, lebensfroh und In sich selbst gegründet
A. W. SCHLKGEL «. w. 1, 52 B.;
der zustand dieses saeculi sei in den vorhergehenden so
gegründet gewesen bihl. alt. Schriften d. Schweiz II 3, 34;
die freyheit xmsrer republik ist in ihrer einrichtimg . , .
tief gegründet Klopstock gelehrtenrepubl. 30; gegründet
Isog er {der reinere gottesdienst) ... in dem sanften muth
meines herzens Caboline br. 1, 73 W.; die handlung {thut)
keinen schritt, der nicht auf das genaueste in der ge-
schichte gegründet wäre Gebstenbebo hamb. n. zeitg.
281 lit.-dkm.; ähnlich auch früher:
dein wort war als in gott gegründt
H. Sachs l, 328 E.;
dann in ardehnung an Coloss. 1, 23 öfter im glauben ge-
gründet : kein Christ, der niir in seinem glauben gegründet
ist Opitz opera (1690) 1, 265; geistliche, so ... im glauben
gegründet waren, saazen . . . bey einander A. Oleabiüs per-
sian. baumg. 79 in verm. reisebeschr. (1696); ähnlich: da-
neben pitt Paulus uns dermaszen darein (in das leiden
des herm) ze schicken und gegründt zesein, damit . . .
Bebth. V. Chiemsee 30 R.; im älteren nhd. lebt in der
Schrift {der hl. schrift) gegründet sein, doch sondert sich
die bedeutung nach sächlichem und persönlichem subject
{s.u.d); wo es sich um eine thatsache, eine lehre u.a.
handelt, schreitet die bedeutung 'basiert sein, die grundlagen
in der schrift haben' nicht selten zu einer an grund IV 0
angenäherten 'die begründung, die berechtigung {in aus-
sagen der schrift) haben' {vgl. grund der schrift sp. 705)
*''**^' wer es gescheen nlchte
auch nit gegrünt in aller schrift
Hans Foiz meisterl. 79 M.;
{^n mandat,) des wol in der hailige schrift gegründt sei
Clemens Sendee in chron. d. dtsch. st. 23, 324; es ist nit
gegründet in der schrift . . ., das die pusz hab drey stuck
Ltjtheb 6, 624 W.; in der schrift und vättem ausz ein-
helliger ansag gegründt und war S. Fbanck paradoxa
(1558) 38 a^; in anderen zusammenhängen: sagt mir ayns,
warinn doch ewer gehorsam gegründt ist H. Sachs 22,
44 K.-O.; nititur in conjectura divinatio sy ist gegründt,
stat im Fbisitts 870''; so vielfach von meinuny, gesinnung
u. ähnl. begriffen: damit die sehe, worin unser fümemen
gegründt sye der ee halb Zwingli dtsche sehr, l, 39; so
könte er doch . . . nicht anders sagen als allein, dasz die
erste meynung in denen rechten besser gegründet sey
HoHBEEo georg. cur. auct. (1715) 3, ll»»; wir finden in der
erfahrung gegründet, dasz . . . Che. WoiiiT ged. v. d.
menschen thun (1720) 1; die verschiedenen denkweisen
{sind) in der Verschiedenheit der menschen gegründet
GÖTHB IV 22, 21.
c) daran schlieszt sich eine im wesentlichen dem bereiche
philosophischer ausdrucksweise zugehörige Verwendung an:
'sein daseyn, seine vnrMichkeit von einem andern dinge
haben' Adelung (1776) 2, 827, 'die existenz herleiten, aus
etw. entstehen', z. b. aUe geschöpfe sind in gott gegründet
Adelttng a. a. o.; als Vorstufen solchen gSrauches lassen
sich bereits ältere belege ansehen wie: ohn arithmeticam,
musicam und geometriam, welche in der zahl gegründet
{sind) A. Riese rechenbuch (1581) 2*; dann der geruch ist
gegründet in der trückne, wie Aristoteles bezeuget Foebe
Oeszners thierb. (1563) 30; wenn ein ding A etwas in sich
enthält, daraus man verstehen kan, warumb B ist . . .,
so nennt man dasjenige, was in A anzutreffen ist, den
grund von B ; A selbst heiszet die Ursache und von B saget
man, es sey in A gegründet Che. Wolff vernünft. ged.
(1720) 12; aUe wesen anderer dinge {sind) in diesem einigen
wesen (= gott) gegründet Kant 2, 135 Hartenst.; wissen
ist . . . dasjenige denken, welches nicht in der mehrheit
und differenz der denkenden subjecte, sondern in ihrer
Identität gegründet ist Schleiebmaoheb III 4, 2, 48.
d) bei persönlichem subject in bezug auf etwas lernbares
nimmt das 'gefestigt sein' früh einen spezifischeren sinn
'wohl unterrichtet sein, gut fundamentierte kenntnisse haben'
an: das recht (ts<) besetzt mit doctoren, gegründt in welt-
lichen und geistlichen rechten Math. v. Kbmnat chron.
Friedr. I. 47 ; denn wer im text wol gegründet und geübet
ist, der wird ein guter . . . theologus Luthee tischr. (1571)
22*; im text wol belesen und gegründet 16»; du treibst
allweg vil geechwetz — und bist doch nicht gegründet
in der geschrift Wickbam w. 8, 28 B.;
[eine jede kunH) am anfang ailerschwerist ist,
eb (bevor) du darinn recht gegründet bist
G. Binder Acolastut v. 710 in Schweiz, schauxp. 1, 210 B.;
ein in der lateinischen spräche und in den alterthümem
wohl gegründeter mann Schttbaet leb. u. gesinn. l, 31 ;
in der rechtswissenschaft, in der er schon gut gegründet
. . . war Göthe IV 28, 295 W., vgl. I 7, 218; negativ ge-
wendet: so sind sie doch darinn . . . gar schlecht gegründet
Leibnitz dtsche sehr. 25, 262; ich bin in diesem Studium
ein Schüler imd nicht gegründet Göthe II 6, 112 W.;
ähnlich: die kinder {sollen) im h. vaterunser gegründet
werden landschulordnung v. 1719 bei Statjb-Tobleb 2, 778.
3) abzusondern ist gr. in mit acc., eine im älteren nhd.
gdegenüich auftretende formet, die wohl durch vermengung
mit gr. auf (*. 11 B 1 b) entstanden ist: da widder sag ich
dieszen artickell und kann yhn ynn die schrift gründen
Luthee 7, 401 W.; er {der Lichtenberger) gründet seine
Weissagung yn des hymels lauf und naturliche kunst der
gestime 23, 8 W.; wann er , . . all sein lere gründet in das
heilig ewangeli Ebeelin v. Günzbueg «. sehr. 1, 62 ndr.
in. gründen stellt sich in der fachsprache einiger künste
und handwerke als verbale ableitung von grund in specifisch
technischen bedeutungen dar: 'den grund herstellen, bear-
beiten'.
1) in der maierei 'den ersten anstrich auftragen {vgl.
grund V A 3), um die fläche zu ebnen = grundieren': mit
dieser mängfarbe oder einschichtige übergehen sie {die
maier) die aufgespannte leinwat oder tafel ein oder zwei-
mal, bis sie glatt überzogen ist, und das nennet man gr.
v. Sandeaet teutsche academie (1675^.) 1, 66; wenn das
holtz neun bisz zehen mal mit weisz gegründet und nur
mit leimfarben darauf gemahlet wird Stuem vollst, an-
weis. (1718) 28; über die hölzern tafeln . . . eine leinewand
zu leimen und diese mit gips zu gr. Lessing 12, 169 M.;
der mahler gründet
sein aufgespanntes tuch mit vieler Sorgfalt
GÖTHK 13, 1, 155 W.;
übertragen:
(die milchstrasze, die) mit sternenlicht gegründet
sich einem gürtel gleich um unsem bimmel windet
BODKSB zit. bei Schwabs belvst. (1741^.) 2, 575;
795 GRÜNDEN III 2-4. IV — GRÜNDER i
GRUNDER 2 — GRUNDERDE
796
die sonne pflegt mit ihren strahlen
als pinseln nicht auf einmal alle beeren
zu gründen und dann anzumalen
Tkillek poet.betr. (1750) 1, 9;
in der gleichen bedeutung bei anstreichern, vgl. grund V
A 4; gründet he£E ik dat brett, sagt mein mabler Schütze
holstein. id. 2, 76; ähnlich bei den buchbindern: die
franzbände gr. 'den Untergrund für die Vergoldung herstellen*
Kbünitz 20, 219.
2) bei den kupferstechern {vgl. grund V A 10): 'die
kupferstecher gr. eine kupferplaUe zur schwarzen kunst,
wenn sie dieselbe mit dem so genannten gründungseisen
aufackern' Kkünitz 20, 220; es ist ... bekannt, dasz diese
platten {kupferplatten) vermittelst besonderer stählernen
•walzen . . . gegründet werden briefe d. neuest, liter. betr. 14
(1762) 339.
3) bei den tischlern 'fugen und Vertiefungen mit dem
grundhobel {s. dort) ausarbeiten', vgl. dazu Kbünitz 20,
221; ebenso bei den kammachern: 'das zwischen den...
zahnen stehen gebliebene . . . wegschneiden' Campe 2, 471;
s. ausgründen th. 1, 878.
4) den rein technischen Verwendungen schlieszt eich ein
gelegentlicher gebrauch an, der an grund I F anknüpfend
gr. als 'eingraben, vertiefen mit dem meiszel' zu verstehenist:
in diesen Zeilen ist dein ganzer rühm zu finden;
die künstler dürfen ihn nicht erst in marmel gründen
B. Nexikiech ged. (1744) 181;
IV. nur vereinzelt findet sich gründen als ableitwng von
grund II ; vorwiegend alem. im sinne 'erdreich auf wiesen,
in die reben tragen' {vgl. grund II A 2 a) : mit grund die
halb juchart von oben ab zu gr. {v. j. 1719) bei Staub-
ToBLEE 2, 777; vgl. Martin-Lienhabt 1, 278^; ScHÖN
saarbrück. 72*; schriftsprachlich ungebräuchlich und indi-
viduelle Sonderbildung nach grund II A 2 b bleibt: sich gr.
'fester grund {im gegensatz zum moorboden) werden':
da mählig gründet der boden sieb
DKOSTE-HÜliSHOFF ges. sehr. (1878) 1, 116 Seh.
GRÜNDER, m. i) vereinzelt im 17. jh. auftauchend, doch
kaum vor dem ende des 18. jh.s vdrklich geläufig {vgl. grün-
den II A 3): gr. auctor, conditor, fundator, sanctor, posi-
tor . . . Stiele» 711; lexikographisch dann erst vneder bei
Campe 2, 471; ältere wbb. geben lat. conditor anders wieder
z.b. ursächer, Stifter, erfinder Frisitjs 285 '», erbauer
Frisch l, 70, vgl. stiiteT fondatore Hulsius 240»; ein an-
derer träum ist, welcher von dem bösen f eind als einem
grünter und erfindter alles übel herkombt Abb. a s. Clara
Judas {1686 ff.) 1, 4; er war der Stifter und gr. eines ge-
ordneten . . . fuszvolkes Haufe w. l, 28.
a) wie 'erbauer, schöpfer' vielfach in typischen Verbin-
dungen: gr, einer stadt: Alexander wurde der gr. der heu-
tigen Stadt Smyrna Brunn kl. sehr. 3, 196; ungewöhnlicher
eines volkes: wie es so unsägliche mühsal gekostet, des rö-
mischen Volkes gr. zu werden Sohefeel ges. w. 1, 186; häu-
fig dagegen gr. eines Staates, reiches oder anderer sozialer ge-
meinschaftsformen: die ersten gr. des Staates K. L. v. Hat-
LEB restaur. d. staatswiss. 1, 28; er war der gr. dieser neuen
republik Herder 23, 77 8.; einer der ersten inscribirten in
Marburg ist der gr. der schottischen kirche Ranke s. w.
2, 343; in manchen Verbindungen synonym mit ' Stifter' : in
den ersten gründem . . . des christenthums Schelling
I 5, 304; der berühmte gr, des franciscanerordens Gbe-
GOBOVius wander j. in Ital. 2 (1904), 40; man {machte) ...
ausnahmen mit gründem oder groszen wohlthätem eines
Stifts Raumeb Hohenst. 6, 31; besonders bei Unterneh-
mungen des handeis, der industrie u. ä.: jeder gr. und
lenker groszer Unternehmungen arbeitet so ruhelos Riehl
dtsch. arbeit (1861) 208; die aktionäre, welche den gesell-
schaftsvertrag festgestellt haben . . . , gelten als die gr.
der geseUschaft handdsgesetzb. §*il87; nach 1870 in den
sog. 'gründer jähren' als bezeichnung für einen unreellen,
schwindelhaften und betrügerischen Unternehmer vgl. La-
DENDOEF hist. schlogwb. 112; ebenso gut heute die be-
zeichnung 'gr.' bereits als eine beleidigung 0. Glagau
börsen- u. gründungsschwindel^ (1876) 117; jeder, der sich
noch fühlt, wird Unternehmer und gr., rührt die Werbe-
trommel und macht fortune Kübnbebgeb siegelr. (1874)
295; vgl. die 'gründerlieder' von Hoffmann v. Fallebsl.:
ich bin nicht mehr ein armer Sünder,
ich ward ein gründer ges. w. 5, 198 G.
b) vielfach auch wie 'begründer' ; oft, wenn nicht eine be-
wuszte gründung, sondern eine Urheberschaft in entunck-
lungsgeschichtlichem sinne vorliegt: Bach . . . {wurde) der
weit als gr. einer strengen . . . schule bekannt R. Schümann
ges. sehr. 1, 16; gr. der ersten niederländischen schule
Gebvinus gesch. d. dtsch. dicht. 2, 282; gr. der neueren
maierei H. Gbimm Michelangelo l, 16; sein {Opitzens) be-
rühmter name ... als orakel imd gr. des Völkerrechts
dtsches museum (1812/.) 2, 152 F. Schlegel; {ein) aussprach
des tiefsinnigen gründers einer allgemeinen theorie des
erdmagnetismus, Friedrich Gausz Humboldt kosmos 1,
186; Kratinos {sei) der gr. der alten komödie Welckbk
alte denkm. 5, 58; öfter politisch: nicht die decemvim . . .
würden die enkel der gr. der freyheit schrecken Niebuhe
röm. gesch. 2, 127; (er) verehrte in . . . Edward den gr.
englischer freiheit Tbeitschke hist. u. polit. aufs. 1, 7;
sey Stölzl dein war Fchrbellins sieger,
deiner herrlichkelt gründer Schubaet, s.ged. 2,295;
ähnlich: er werde nie vergessen, dasz er der gr. seines
glückes sei Bettine Oünderode (1840) 2, 51: sprichwörtlich:
jeder mensch ist der gr. seines eigenen glückes Dübings-
feld sprichw. 1, 437; mehr als 'veranlasser' gefaszt:
sie (unsere feinde), die gründer unsres strebens,
die entwlckler unsrer kraft
Hoffmann v. Fallersl. ges. w. 4, 17 G.
2) ganz vereinzelt von gründen I abgeleitet — 'taucher' :
alsdann lassen die gr. (so sich under das wasser lassen)
zwei starcke seiler umb das versenckt schiff gehn Ficklee
v. Weyl historien (1567) 317.
GRÜNDERÄRA, /., die zeit des z. th. in U7igesunde for-
men übergehenden wirtschaftlichen aufschwungs in Deutsch-
land nach dem kriege von 1870/71: die gr. zeitigte eine
grosze zahl von arbeiterausständen hwb. d. staatsw. 2,
922. — -bände, /. .• eine räuberbande im walde {ist mir)
viel lieber . . . als eine gr. in der stadt Hansjakob a. m.
jugendz. 95. bank,/., Schiemee wb. d. kaufm. (1911)
77. — -gesellschaft,/.; die gr. hatte einen directions-
rath erwählt Laube ges. sehr. 16, 212. — -gewinn, m.:
alle {preise) excl. gr. Kaemabsoh-Heeeen 6, 620. —
- j ahr, Tl., nur pluralisch üblich {vgl. gründerära) : die erste
krisis in der eisenindustrie nach den gründerjahxen trug
zur Verstärkung jener bewegung bei Bennigsen d. natio-
nallib. partei 117. — -lied, n., meist im plural, die von
HoFFMÄNN V. Fallebsleben 1872 verfoszten satirischen
gedickte 'gründers nachtlied' u. andere, vgl. s. w. 5, 197^. —
-Schwindel, m.: der gr. begiimt abwärts zu gehen {br. v.
26. 12. 1871) G.Feeytag bri^w. 250 T. — -thum, n., all-
gemein: dieses gr. {Bambergers, der eine deutsche republik
gründen wollte) wird der heutigen . . . Jugend unverständ-
lich sein MoMMSEN red. u. aufs. 468; oft specifi^sch für das
gr. der 70er jähre: so begann nun die . . . jagd der Speku-
lation, des gründerthums Vischeb alt. u. neues 3, 156. —
-Unwesen, n.: dasselbe gut von dem gr. Döllingee
akad. vortr. 1, 239. — -Wirtschaft, /., hwb. d. staats-
wiss.^ 3, 483. — -zeit, /., {s. o. gründerära): 'ja, früher,
in der vorgenannten gr.', sagte er, 'da wars besser'
Seidel Leb. Hühnchen (1890) 17; vgl. hwb. d. staatswiss.^
3, 1091.
GRUNDERDE, /. l) {vgl. comp.-typ. 5 p «) gr. terre
primitive Beil techn. wb. 264; der Verfasser traut es . . •
der natur zu, dasz sie das, was wir grunderden nennen,
umzuändern im stände seye allg. dtsche bibl. 64, 7; da
die gr. des goldes aus phlogiston und einer gewissen säure
bestehe Jean Paul 27/29, 143 H.; nicht allein die grund-
erden sind in ihrem natürlichen zustande weisz Göthe II
1, 237 W. 2) anders 'tiefere bodenschicht' : die Unterschei-
dung des ackerbodens in die ackerkrume und . . . die gr.
RoszMÄszLEB d. wald 26; als 'erde des meeresbodens' ver-
797 GRUNDERFAHRUNG — GRUNDFADEN
GRUNDFAHRER — GRUNDFARBE i 798
einzdt : heisze aber darum das rote meer, weil die gr. rot
Fbancisci weh d. ewigk. (1686) 254. — -erfahrung, /.
{vgl. comp.-typ. 5 p/?): es ist kein so complicirtes phä-
nomen, das sich nicht leicht und bequem auf diese ersten
grunderfahrungen zurückführen lasse Göthe II 5, 2,
68 W.; sie {die Vernunft) musz . . . siegen, wenn sie . . .
aus dieser einzigen gr. alle ihre waffen schmiedet Moses
Mendelssohn ges. sehr. 2,, 44; es {fehlt) ihm an der ionem
gr. ScHLEiBRMAOHEa I 3, 87 ; mehr wie ^allgemeiner erfah-
rungssatz' gefaszt : es ist eine gr. : wo rechtes, da ist auch
dessen heuchelei . . . möglich W. Fr. Meyekn hinterl. kl.
sehr. 2, 205.
GRÜNDERIN, /., tvie gründet 1 a: die natnr ist eine
gr, aller dinge rerum creatrix natura Stieler 711;
(erhabene Vernunft,) weise gründerin
des weltgebäudes, führerin der sterne
Schiller 13, 272 C;
die gr. und leiterin des 'dramatischen kränzchens' Spiel-
hagen s. w. 2, 178 ; entsprechend gründer 1 b : mit der
Neuber, der gr. seines ( Gottscheds) ruhmes Gervinus
gesch. d. dtsch. dichtg. (1853) 4, 67.
GRUNDERKENNTNIS, /. {vgl. comp.-typ. 5 p,«): da-
her er durch den weg der erfahrung imd eingieszung (in-
fusion) eine tiefe und grund- (original) erkäntnisz der
gantzen geheimen theologie erlanget habe G. Arnold
verthäd. d. myst. theol. (1703) 165; eine . . . blinde Unwissen-
heit, also, dasz sie die grunderkäntnisz der Wahrheit von
Christi person . . . noch nicht erlanget hatten Starke
Synopsis 2 (1735), 87; ein jeder stand {habe) die grund-
erkenntnisse von den pflichten eines andern Standes
Basedow method. unterr. (1764) mn; {eine) lehre vom
empirischen Ursprung der gr. des kausalverhältnisses
Schopenhauer w. 2, 49 Or.; die mysterienlehre der tra-
gödie . . : die gr. von der einheit alles vorhandenen
Nietzsche w. l, 74. — grundermann s. gundermann.
GRUNDERSCHEINUNG, /. {vgl. comp.-typ. 5 p /S):
ein urphänomen {ist) nicht einem grundsatz gleichzu-
achten . . . sondern anzusehen als eine gr., innerhalb
deren das mannichfaltige anzuschauen ist Göthe IV 42,
167 W., vgl. 1 42, 2, 69 u. II 2, 48; (die) einzelnen Operationen
{der natur) . . ., welche doch alle nur modifikationen einer
gr. sind Schelling I 4, 49 ; in diesen ihren ersten grund-
erscheinungen nun bietet uns die natur gleichsam selbst
das schöne Sinnbild Fr. Schlegel 15, 164. erwerb,
m., ankauf von grund und boden: die tendenz der . . .
Städte ging . . . überall auf gr. und namentlich auf er-
werbung von Waldungen Bernhardt waldeig. l, 107. —
-erwerbung, /., dasselbe: nicht zu verwundem, dasz
grunderwerbungen . . . nur in geringem masz vorkommen
Schwappach forst- u. jagdgesch. i, 315.
GRUNDFADEN, m. {vgl. comp.-typ. 5 k): zuforderst
zeucht sie {die spinne) aus ihrem leibe . . . einen . , .
klebrigten faden hervor, breitet denselben aus zum gr.
ihres bauwercks Erancisci wol d. eudgk. (1717) 102;
besonders in der technik des zwirnens, webens und ähn-
licher arbeiten; 'der innere faden eines garnes\- wollengam,
welches . . . mit goldlahn ... in abstehenden Windungen,
welche den gr. durchsehen lassen, übersponnen ist Kar-
marsch-Heeren^ 2, 35 ; die fäden der ^kette'' : die grimd-
fäden . . . bilden die rechte gewebseite 10, 484; vielfach
in bildlicher Verwendung, namentlich bei Herder: er {hut)
sein gewebe über fremde gnmdfäden zusammengeschla-
gen 15, 121 S.; vgl. 1, 385; 13, 266 u. ö.; bey einem urtheil
über diesen {Hogarth musz man) wohl a\if seiner hut
seyn . . ., die grundfäden von dem feineren einschlage
des auslegers zu unterscheiden A. W. Schlegel im Athe-
näum 2, 310; {der räum,) welcher den ersten gr. zum
gewebe desselben {des intellekts) . . . liefert Schopenhauer
5, 52 Qr.; entsinnlichter: {ein) geist, der . . . von diesem
{dem zustand des existierenden) die grundfäden erfassen
und zur anschauung bringen soll Hebbel tageb. 1, 98 W.;
die gnmdfäden dieses styles {sind) . . . aus der . . .
Sprache des gesellschaftlichen lebens genommen Fr.
Schlegel 8, 102 ; wo die Schicksale eines . . . menschen
wenigstens die grundfäden seiner erzählung ausmachen
J. G. Forster s. sehr. 5, 295; ohne klare bildvorstellung
nicht selten sing^ilarisch , ähnlich vne der (rothe) faden
{vgl. th. 3, 1231/.) im sinne ^grundzv^\' der . . . verworrene
durch das ganze {des inhalts der letzten vier bücher Mosis)
laufende gr. {mucht) unlustig und verdrieszlich Göthe 7,
158 W.; so ziehet doch das symbolische wie ein gr. durch
die ganze Spruchweisheit des alterthums Fr. Creuzer
Symbol, u. mythol. 1,92. — -fahr er, m.: dieterich-
schlosser, gr., Schatzgräber aber in eim beschlossenen
laden Fischart pracktick (1574) f s*"; vgl. Oarg. 39 ndr. —
-fall, m., im älteren nhd. gelegentlich ''das auf den grund
fallen^ ; zu grund I A : von dem grundfahl aber im wasser
und über sich schwimmimg ist zuvor gesagt H. Frölich
offenbar, d. naiur (1591) 77; zu gnmd I F: derer {der steine)
gar langsamer gr. und gekrach ihm gnugsam zu ver-
stehen gaben Valvassor hertzogth. Crain (1689); an
grund II B angeschlossen in bildlichem gebrauch als ''ver-
fall, Untergang': der bischof wolt sich nit wisen lassen,
wiewol er sins stifts täglichen gr. und schaden sach
TsoHUDi chron. helvet. 1, 163. — -fällig, adj.: die lieb-
reiche tugend . . . der grundfälligen zeit entgegen setzen
Harsdörfer frauenz. gesprächsp. 1, a aa 4»; wodurch
das schöne gebäu gerüttelt und grundfellig gemacht
werden wil Schottel 137.
GRUNDFALSCH, adj. {vgl. comp.-typ. 1 a), seit dem
17. jh. geläufig; 'völlig verkehrt, unrichtig' {s. falsch 6, th. 3,
1292): (fts) ist sich nit zu verwundem, dasz weil sie
falsche ding annemmen . . . endlich widerumb gantz
grundfalsche ding herauszbringen D. Mögling m,echan.
kunstkammer (1629) 63; dasz aber diese beide brüder in
der Schlacht . . . geblieben, ist gr. H. A. v. Ziegler hist.
schaupl. u. labyrinth (1701) 1353'; {die) gönnerin, die solche
grundfalsche zeitung den herren zeitungsverfassern über-
schicket hat Vernunft, tadlerinnen (1725) 1, 192; es ist . . .
fatal in solchen grundfalschen maximen den theil des
puklikums ... zu bestärken Göthe IV 17, 176 W.; ein
satz, der gr. ist Fontane I 5, 75; mehr nach falsch 1 hin
'gänzlich unwahr' : daraus erhellet wie gr. das vorgeben
ist, als wenn . . . Göthe IV 19, 270; die Versicherung war
buchstäblich wahr, der sache nach gr. Treitschke dtsche
gesch. 4, 696; auch wie falsch 3 'verstellt, tückisch' : ihre
Zungenfertigkeit {wurde) zu einem grundfalschen und
verlogenen schmeichel- und verläumdungswesen G. Kel-
ler 4, 90; {der) tigerkopf . . . hat bei schöner bildimg
grundfalsche . . . katzenzüge Vischer auch einer 1, 238;
mundartlich verwendet vgl. Hügel Wien. dial. 71; luxerrib.
ma. 1568'.
GRUNDFARBE,/., vor dem 17. jh. nicht bezeugt; 1) von
grund V A leiten sich mehrere bedeuiungen her; die un-
terste farbschicht {vgl. grund V A 3 a), der erste anstrich :
gr. zu einem gemählde auftragen Ludwig teutsch-engl.
(1716) 818; grundfarb legen haphen, primum, colorem in-
ducere Aler dict. (1727) 1, 990*; gr. ... 'zum grundiren
gebrauchte färbe' Müller-Mothes archäol. wb. 1, 494^;
die rothen figuren {sind) nicht gemalt, sondern auf der
rothen gr. der masse . . . mit dem pinsel ausgespart
FÜRST PüCKLER briefw. 2, 41; nachdem der stecken {der
fahnen) mit der weiszen gr. bestrichen, . . . wurde er mit
einer Spirallinie von der andern färbe umwunden G. Kel-
ler 3, 77; anders 'die färbe des grundes' {vgl. grund V A 6),
von dem sich das gebild abhebt: bei dieser . . . randzeioh-
nung {der teppiche) ist das wechseln der grundfarben sehr
anzuempfehlen Dillmont encycl. d. wbl. hdarb. 228;
wieder anders, von grund V A 5 her zu verstehen : der Schlaf-
rock, dessen gr. vormals grün aussah, hatte . . . die ge-
stalt einer landkarte allg. dtsche bibl. 105, 128; gern nach
grund V A 3 b als die hauptsächliche färbe eines gegen-
ständes, der auszerdem noch andere kleinere farbflecken
oder tönungen aufweist: dieser . . . marmel . . . hat gleich-
sam ZMi gr. eine goldgläntzende röhte Zesen Assenat
(1672) 209; ihre {der säulen) gr. war hochroht . . . mit
kleinen weiszen fleckem gespränckelt O. Dapper Africa
(1671) 291*; dieser geier variiert ... tu der gr. ganz auszer-
ordentlich Naumann vögd 1, 164; die kelche (der f eisen-
799 GRUNDFARBE 2 - GRUNDFELS
GRUNDFERTIG — GRUNDFEST
800
Johannisbeere) sind ... in der gr. lichtgrün Schleohtbk-
DAL flora V. Dtschl.* 22, 277; so öfter in bildlicher Verwen-
dung: {gesellige) freuden, die . . . gleichsam die gr. des
lebens machen Sohilleb br. 2, 10 t/.; wenn ihr das schil-
lernde licht . . . zur gr. seines characters macht Thümmel
reise 9, 242; weil die ganze gr. des thierepos ironisch ist
GEBViNtrs gesch. d. dtsch. dicht. 1, 145; falschheit bleibt
doch immer die grundfarb {der männer) Nesteoy ges. w.
2, 63.
2) dem comf.-typua 5 p entspricht gr. im sinne 'primäre
färbe, cardirüüfarbe' : unter denen hauptfarben ist die
weisze die vornehmste einfache gr., welche mit allen
andern vermischet werden . . . kann aüg. haush. lex.
(1749^.) 3, 708; gr., 'eine färbe, . . . aus welcher andere fär-
ben bereitet werden, eine hauptfarbe! Kbünitz 20,280; To-
bias Mayer hatte eben so recht, drei grundf arben . . . anzu-
nehmen, als sie durch mischungen bis zu 819 ... zu verviel-
fältigen Hebdee 24, 436 8.; man nehme im allgemeinen
gelb, blau Tind roth als reine, als gnmdfarben ... an Göthe
II 1, 223 W.; wir kennen nur zwei gnmdfarben, gelb und
blau 5, 1, 154; der newtonische siebeufarbige schmutz,
. . . die siebenfache gesellschaft der grundf arben 4, 250;
allgemeiner gefaszt als 'hauptsächliche färben' : in unsern
tagen sieht man bei solchen gelegenheiten nur zwei grund-
farben, schwarz und weisz Hatjfp w. 1, 46; zum comp.-
typ. 6 k stellt sich gr. in farbenchemischer hinsieht: pig-
menthaltiger Stoff, aus dem ein farbstoff hergestellt wird :
gerbsäure imd alle gerbsäurehaltigen Substanzen werden
. . . verwendet als gr. für schwarz Muspbatt 3, 62. —
-färben, vb., die unterste farbschicht aufstreichen: gt.far'
il letto a cölori Kbamee teutsch-ital. 1, 673 c. — -farbig,
adj., 'erdfarbig' : ein rufolck {fisch) . . . braunlecht oder
grundtfärbig ist HBYDENPZtm2i5( 1665) 344. — färbung,
/. {vgl. grundfarbe 1): {die) grösze . . ., gr. . . , sind durch-
schnittlich . . . dieselben {bei grau- und hausgans) Nau-
mann Vögel 11, 230; glänzende glasuren {geben) zu viel
reflexe . . . und {lassen) die gr. nicht mehr erkennen
Muspbatt 8, 838; bereits früher in mystischer spräche des
17. jh.s soviel wie 'urfärbung" : die blinde, finstere frechheit
der ersten materie imd derselben abkehr von dem licht
{ist) vermittelst derselben ersten gr. des lichts, welche
widerwärtige dinge vergleichen kan, gebändigt . . . wor-
den Knorb V. RosENBOTH pscudodozia (1680) 167.
GRUNDFEHLER, m. {vgl. comp.-typ. 5 p /S bzw. r), bei
personen, als eigenschaft gedacht : {man suxM) . . . den gr.
allein in der Ungeschicklichkeit des componisten Scheibe
crit. musicvs (1745) 1014; er hat seine fehler, aber nur
einen gr. D. Fb. Stbausz ges. sehr. 3,xxix; {dieser) gr.
nachlässiger Schauspieler {schlechte ausspräche) sehr. d.
Oöthegesellsch. 6, 79; die generalbeichte . . . giebt einen
. . . blick auf die gr. und laster einer person Roseggeb
ni 10, 225; verstärkt: dasz ein solches . . . wollen . . . ein
rechter grund- und erbfehler ... ist, . . . das weisz jeder
erzieher E. Schlegel 12, 121 ; dann fehler des handelns:
auszerdem begeht er noch einen haupt- und gr. Göthe II
4, 169 W.; wo wir nicht irren, so liegt der gr. . . . in der
Vermischung und Verwechslung dieser beiden gesichts-
punkte Moses Mendelssohn ges. sehr. 4, 2, 533; mit un-
persönlichem beziehungswort : einen gr. hat das Singspiel
Göthe 35, 9 W.; es rächte sich . . . der gr. der politic des
alterthums Mommsen röm. gesch. 2, 95; alle bemühungen
. . . um diese gr. {der wärmeverluste bei dampfmaschinen)
zu heben blieben fruchtlos Kabmabsch-Heeebn 2, 656.
— -fehlerhaft, adj.: ein so grundfehlerhaftes gebäude
Gebvinus gesch. d. 19. jh.s 1, 289; das gnmdf ehlerhafte
ihrer {der concertveranstalter) Unternehmungen R.Wagnee
ges. sehr. u. dicht. 8, 143.
GRUNDFELS, m. 1) fds, der als fundament eines
bauwerks dient : aber tzuvernemen den starcken grundt-
velszen, darauf wir bawen mögen H. v. Cbonbebg sehr.
44 ndr.;
zerschlugst den gipfel vom hause des bösewichts;
entblösztest dessen veste bis zum grundfelsen hinab
Hbrder 12, 73 S.;
sie {die bürg) {nahm) damals den ganzen grundfelsen im
flofiz ein mit starken mauern imd türmen G. Kelleb 6,
98; so auch die tragende, unterste gesteinsschicht im gebirgs-
massiv, das Urgestein: B. ist der meinung, dasz die ver-
schiedenen schichten . . . einen allgemeinen gr. zur base
haben Kant 1, 435 H.; imd wenn es {dein herz) mit dem
grundfelsen dieses gebirges umwachsen wäre EIlingbe w.
7, 140; ähnlich: sie {die korallen) . . . sprossen . . . hervor,
so lang man nicht die . . . grundfelsen wegschafft Oken
allg. naturg. 5, 141 ; bildlich : man wird sie . . . mit banden
der wohlthätigkeit an den gr. des Staates anzuschmieden
suchen Sonnenfels ges. sehr. 3, 308. 2) vereinzelt für 'fds
auf dem meeresgrunde' , bildlich : andere werden durch ire
. . . laster gleichsam als von eyner mörflute ab richtiger
fart inn die grundfelsen und klippen der spilsucht . . .
verworfen Fischart 2, 287 H. — fertig, adj., bei Schot-
tel so viel wie 'habituell, angeboren': die weltsweisheit
in gemein ist in imserem gemüthe ein grundfertiges ver-
mögen ethica (1669) 6; modern wie comp.-typ. 1 a 'völlig
fertig' : das junge paar {ist) illusionslos, kalt, gr., hart,
sicher A. Kebb ges. sehr. 2, 36. — -f ertigkeit, /., bei
Schottel etwa wie 'habitus, grundfähigkeit' gebraucht : die
Weltweisheit ... ist ... eine solche gr. (habitus), wo-
durch wir alle dem, was in der weit ist . . ., nachsinnen
{können) ethica (1669) 6; anders 'grundlegende, hauptsäch-
lichste f ertigkeit' : was den bürgerlichen erwerbsstand in
den grundfertigkeiten . . . stärken . . . könnte Pestalozzi
s. sehr. 12, 180.
GRUNDFEST, od;., mhd. gruntvest, mnd. gruntvast,
vgl. dän. grundfast ; nicht vor dem 13. jh. nachweisbar, vgl.
auch grundf estig Jon. v. Neumarkt Hieronym. 57 B., aber
erst mit dem 16. jh. wirklich lebendig. 1) zunächst deutlich
als 'fest hinsiehilich des fundaments' oder 'fest im gründe'
(grund II A 2 b) gebildet {vgl. erdfest th. 3, 768; bodenfest
th. 2, 215); daher concret: disze mauer ist szo stark und
grundtfest, das sie weder Luter noch Lucifer umbstoszen
wird Emseb b. Luther u. E., streitsehr. v. 1521 1, 38 E.;
mit grundfester maurenmacht Neumabk fortgepfl. mus.
poet. lustw. 2, 13;
. . . des hoben dachs
grundfesten pleiler . . .
DRoysEN Äachylu» w. (1841) 74;
dieses herrliche imd grundfeste Sprachengebäude Neu-
mabk neuspr. t. palmb. 87; bei Campe 2, 471: ein grund-
festes haus; gnmdfeste banden Hoffmann v. Fallebs-
LEBEN ges. sehr. 7, 139; vgl. noch: {er) ist ... auf dem
breiten, ebenen und grundfesten boden des wirthshauses
nicht mehr so sicher gestanden Roseggeb sehr. 10, 167;
die sinnliche ausgangsvorstellung ist bei anwendung auf
dingliches meist deutlich fühlbar:
wie weit der grentzsteln dieser weit ist grundfest elngeleget
Treuer dtsch. Dädalus 1, 66;
imsere erde, darinn die grundfeste länder . . . sich gleich-
sam wältzen imd wägen E. Francisoi eröffn. lusth. (1676)
558; dasz die länder am Rhein . . . auf ihrer alten erd-
schoUe noch so grund- imd bodenfest stehen als der
Brocken MusÄus volksmärch. 1, 72; ein land aber soll gr.
und bodenfest liegen Fb. L. Jahn w. 2, 427 E.; ähnlich
noch, in halbem bilde: solche einlautende würtzelen oder
grundfeste Stammwörter, welche ausz ihren eigenen uhr-
alten lettem zusammen gefügt seyn Schottel t. sprachk.
(1641) 72; entsprechend öfter im 16. 17. jh. prädicativ in
typischer verbalverbindung bei oft inconcreten beziehungs-
wörtern: dasz sie {die dinge) nicht grund vest und bestendig
sein D. Fbdebmann sechs thriumph (1578) 438; gewisz
ist . . ., dasz fast alle . . . angeführte gründe nicht recht
gr. stehen E. Fbancisoi lust. sehaub. (1697) 3, 1095; ahn-
lieh bildhaft: die fremdherrschaft ruht nirgends gr. in
Deutschland Fe. L. Jahn w. 1, 486 E.; av^h in trans.
Verbindung: hatt auch ein mann seines weibs gelübd
gewist und nit da wider gesagt und alszo grundvest mit
seinem stilschweigen gemacht hat Carlstadt v. gelübd.
unterr. (1521) s2^;
das gewissen fein gewisz
und recht grundfest machen
PauIi Gerhard bei Fisohbr-Tümpbl 3, 385^.
801 GRUNDFEST 2-4 -GRUNDFESTE
GRUNDFESTE i
802
2) die concrete grundbedeutung wirkt nach in der (nicht
häufigen) anwendung auf personen: dennoch aber war er
göttlich klug, starck, gr. G. Arnold verthäd. d. myst.
theol. 198; ein kraftvoller, grundfester, kemhafter . . .
mann ist er Zimmermann üb. d. einsamk. 3, 104; an statt-
lichen . . . fürstenhäusem besitze man grundfeste eifrige
defensoren Ranke s. w. 38, 269.
3) aber auch abgezogener, in anwendung auf abatrada;
vereinzelt schon mhd.:
mit also gnintvester tugent
Konrad v. Würzburq gold. schmiede 1220;
die rad (wollte) nenen gruntvasten loven ('vertrauen') to
dem erczebisscuppe setten Brem. gesch.-quell. 137 bei
ScHiLLER-LüBBEN 2, 159; namentlich aber im 17. jh. häu-
fig: wahre grundfeste weiszheit Zinkgref apophthegm.
(1628) 305; die grundfeste warheit (vgl. grund IV B 4 b)
des wunderwerck Fr. Caccia d. hl, Antonius . . . mirakd
(1692) öl; mit so starcken, grundvesten argumenten
T. Wagner evang. censur (1640) 456; grundfeste lehrsätze
Harsdörfer poet. trichter (1647) 2, 114; grundfeste lehre
J. Kraus d. hinck. löacher (1717) 9; der gnmdfeste glaub
(vgl. grund IV A 2 c) Abr. a s. Clara auf, auf ihr ehr.
13 W. ndr.; ein grundfester trost V. Herberg er himml.
Jerusalem (1609) 40; derowegen hast du grundfeste Ur-
sachen genug . . . BuTSCHKY kanzelley (1666) 3, 189; der
die gewiszheit dieser letzten deutung nicht für gr. an-
sehen wollte Valvassor ehre d. hztm. Crain (1689) 2, 8;
(Händel) gewann ... so unglaublich schnell jene grund-
feste Sicherheit und reife erfahrung in seiner kunst Chby-
s ANDER Händel 1, 43.
4) gelegentlich mit anderen bedeulungen von grund ver-
einigt; gr. = 'auf dem meeresgrund befestigt, ruhend": hilf
got, wer hat das schiff ... zu aim grundfesten felsen
verwandelt Schaidenreiszer Odyssea (1537) 56»; Campe
verzeichnet 2, 471 einen juristischen begriff grundfestes
eigenthum (immobilien), 'unbewegliches, in gegensatz des
beweglichen^, der im dtschen sonst nicht zu belegen (s. erd-
fest th. 3, 768), aber auch nl. (de Vries-te Winkel 5,
1029) und dän. (dän. wb. 7, 173) vorhanden ist.
GRUNDFESTE, /. im 16. u. frühen 17. jh. öfter, woM
von grund beeinfluszt, als m. : tzu lob und breis dem glau-
ben als dem gnmtfest P. Amnicola z. errettg. d. schwach,
ordenspers. (1524) d 3'''; dis ist der rechtschaffene grunt-
feste christliches trosts J. Barth weiberspiegel (\bQb) p 2*;
das wort gottes ist . . . ein gewisser grundfest Jon. Ma-
THESius Syrach (1586) 158'''; es (ist) auch der wahre grund
und apostolische gnmdfest J. Böhme 6, 176; eine uhrsach
zum gnmdfest legen Schottel haubtspr. 421; selten als
n. : die ihren reichthum auf nichts anders als auf fressen,
saufen und lügen und also auf das sandige gr. legten
Matth. Abele Unordnung (1669) 2, 119, offenbar nach
f undament ; gr. ist ahd. und mhd. bezeugt, aber nicht mnl.
mnd. nachgewiesen, vgl. Verwijs-Verdam 2, 2178; seit
dem 16. jh. auch nl. nd.; als lehnwort im schwed. grund-
fäste schwed. wb. 10, 1014, vgl. dän. wb. 7, 175 und Falk-
TORP 353.
herkunft und form.
ahd. grantfeati fundamentum Graff 3, 718; mhd. grünt-
veste; erst spätahd. gebildet, vgl. Notkeb cant. Habac. 3,
13 M. cant. deuteron. 32,22, während er sonst wie das ältere
ahd. eingedeutschtes phundement, fundiment beibehält, vgl.
ps. 81, 5; 86, 1; 136, 7 u. fundamenta Tatian 67, 13; s. auch
nidanentigi = fundamenta ahd. gl. 1, 467, ZI; daneben mhd.
gruntfestin Graff 3, 719 und grünt vestene Beheims
evang. -buch Luc. 6, 48; 14, 29; die alte pluralform mehr-
fach bis in das nhd. erhalten : diese heubter und grundfeste
sind die könige Luther 19, 432 W., vgl. ps. 82, 5; die
gruntvest der schwipogen Aventin s. w. 4, 1, 701; Wid-
mann Fausts leben 444 K.; B. Schmolck sehr. 2, 259;
sonst auch im 16. jh. grundfesten.
bedeutung und gebrauch.
so deutlich gr. in den ältesten belegen lat. fundamentum
entspricht, die anknüpfung an eine bestimmte bedeutung von
IV. 1. 6.
grund ist nicht ohne weiteres gegeben, zumal grund IV
im ahd. nicht bezeugt ist; doch wird man wie bei got.
grunduwaddjus die (natürliche oder künstliche) befestigung
als unterster fester theil bzw. träger einer körperlichen masse
als ausgangsbedeutung anzusehen haben, also gr. zu grund I
bzw. IV (nicht grund III wie de Vries-te Winkel 5,
1030) stellen; doch wird nachträglich die beziehung auf
grund III 'erdboden' hergestellt (s. u. 2) ; mhd. geläufig für
'fundament' (s. u.), seit dem älteren nhd. mehr und mehr
auf literarische spräche beschränkt, in jüngerer zeit nur in
gehobener rede und in formelhaften Verbindungen (s. u.
l gß) gebraucht, aber noch fachsprachlich bewahrt (s. u. Id),
vgl. Adelung (1775) 2, 828 u. de Vries-te Winkel a.a.O.;
von der mundart kaum angenommen, vgl. nur Bacher
Lusern 264; irrig ist Frankes (grundz. d. schriftspr.
Luthers 2, 55) ansatz, gr. sei zur zeit Luthers ausschliesz-
lieh md. bzw. md.-nd. und erst durch Luther in die nhd.
Schriftsprache gekommen, vgl. dazu grundvestin ordn. d.
schul halben (Stuttg. 1501) bei Reyscher wttbg. gesetze 11,
2, 2; Keisersberg granatapfd (1510) e 2»; G. Alt buch
d. chron. (1493) 23^; Habtlieb d. buch Ovidii v. d. liebe
(1482) 69».
1) g;randieste fundamentum Diefenbach 252*; nov. gl.
49»; 185''; Frisius 593"; noch nhd. als 'fundament, basis'
eines dinges, namentlich
a) eines bauwerkes, die als träger des gebäudes dienenden
theile, stei7ie, erdbefestigungen, pfahlwerk oder mauern:
(der Jaspis) ... 11t zaller unterist
an der geruntfeste
unte habet üf daz gerüste
himml. Jerusalem 134 Waag; vgl. 55;
vgl. bildliches : sie ne sculin zimberon ufen die XQ^ crunt-
feste diutisca 3, 119 Qraff;
dar umbe daz da würde erhaben
ein tiefe gruntveste w!t,
dar üffe er wolte bl der zit
ein münster büwen schöne
KONR. V. WÜRZBURQ Silvester 1982 Gr.;
der sin hüs büwit üf die erden sunder gruntveste Beheims
evang.-buch Luc. 6, 49; anno 1356 jar hüb man an die
grundvest zu dem newen chor zu unser frawen zu dem
tümb SiGM. Meisterlin in chron. d. dtsch. st. 4, 308;
palatio eine gr., an sumpfigten orten von lauter pfälen
gemacht, do man wol gantze gebäu drauf aufführen kan
CoRViNüs/oTw laiin. (1646) 618; die grundveste soll sonst
doppelt so dick seyn als die mauren Hohberg georg. cur.
1,24; im 19. jh. meist pluralisch, in concrder bedeutung
weniger häufig und als alterthümdnd anzusprechen: ein
schlechtes gebäude, das ... ohne sichere grundfesten
aufgeführt wird Chph. v. Schmid ges. sehr. 11, 38; als
die Werkmeister . . . die trümmer und grundfesten (des
Schlosses) untersuchten Grimm dtsche sagen l, 16; er be-
gann . . . die grundfesten eines hauses aufwerfen zu
lassen Stifter s. w. 2, 252 S., vgl. 117; auf den bau aber,
auf die Solidität der grundvesten kommt es an Hebbel
w. 11, 285 FT.; in älterer spräche gern der sing, collectiv
verwendd für die 'fundamente einer stadf :
diu stat wart zefüeret gar . . .
daz belelp I^üme gruntveste
obd. Servatius 1804 in zs. f. dt. alt. 5, 131;
daselb setzet sie die grundtfest diser stat G. Alt buch d.
cron. (1493) 23»; die mauren die vallend mit der gnmtfest
der statt erste dtsche bib. 4, 266; als (steinerner) unterbau
im gegensatz zum oberen holzbau:
ist diu gruntveste guot,
so Ist daz oberwerc wol behuot,
daz ez niht mac gevallen
Stricker Karl 1651; vgl. Thomasin w. gast 12024/.;
auch daz ober zimmer allweg schöner ist dann die grunt-
vest Hartlieb d. buch Ovidii v. d. liebe (1482) 69»; in ähn-
lichem sinne bildlich:
(gott,) send mir üz dlner gotheit sark
die gruntvest und daz zimmer
Kolmarer meistert. 195, 4;
51
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GRUNDFESTE i
GRUNDFESTE i
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(meister,) die daz üzer gezimber griffen au;
des innern zimbers er selbe phlac,
Kristus, diu gruntveste da under lac
Albertus «. Ulrichs leben 371 Sehnt.;
dasz wie bei grundbau (vgl. sp. 755) nicht lediglich der in
der erde liegende theil des mauerwerks als gr. aufgefaszt
wird, ist selten deutlich: die grundvest des gemeuers war
dreiszig schuech tief, achzig hoch Aventin s. w. i, 84
(vgl. grundmauer); so ist die Vorstellung auch in folg.
stellen: des werden alle grundfeste des landes umbf allen
ausleg. zu ps. 82, 5 B.-N. 3, 205; vgl. Hesekid 30, 4;
reisz alle grundfest um, auf die der mörder baut
A. Geyphius trauersp. 542 Palm;
als Hiefenraum für die fundamente' grondveste fundamen-
tum: fossa ubi fit substructio Kilian (1605) lesa^; vgl. dazu
die alte formel die gr. graben (u. 1 ga).
b) vielfach in festen Verbindungen, meist biblischer spräche
entstammend, auf weit, erde, berge, himmel, höUe ange-
wendet : auf das . . . geoffenwart werden di gruntfesten
der werld [fundamenta orbis terrarum) Joh. v. Neumaekt
soliloqu. 11 Kl.; schon früher:
dirre werlde gruntveste
ob dem abgrunde was sein reste
anegenge 2, 28 ;
wo warstu, do ich saczt die gruntfesten der erden?
Hans Folz meisterl. 100, 372 M. nach Hiob 38, 4;
weil auch die grundfeste der erdn
durch solches krachn bewogen werdn
W. Alardtjs bei Fischer-Tümpel 2, 161;
die grundvest der erde sind Jehovas (1. Sam. 2, 8 Luther
der weit ende) Herder 12, 109 S.; die gr. aber des erd-
reichs wird sich müssen erschüttert . . . haben Schottel
friedenssieg 41 ndr.; die gruntveste des erdballs Fr. L.
Jahk w. 2, 259 E. ; {gott, du) urheber der grundfesten des
landes G. Keller 5, 300 ; gr. der berge nach deuter. 32, 22 :
iz . . . brennet die gruntfesti dero bergo Notker 2, 629;
und {das f euer) verbrent die gröntfest der berg erste dtsche
bib. 4, 238; vgl. 5. Mose 32, 22 u. psalm 18, 8 nach Luther;
die grundveste der berge regeten sich und bebeten Wid-
mann Fausts leben 444 K.;
des schröckllchen gebürgs grundfest und eingewald
Wkckherlin ged. 2, 41 F.;
quellen, die der gr. dieses berges entströmen Pfeffel
pros. vers. 1,119; nach 2. Sam. 22,8 gr. des himmels:
was ist die erde? gr. des himmels J. H. Vosz krit. blätter
2, 134; ein dumpfes gebrülle . . ., wovon die grundveste
der höUe zittert Junq-Stilling s. sehr. 2,40; vgl. ut der
helle gruntvesten Brun v. Schonebeck Theophilus 27
in nd. jahrb. 30, 128; vereinzelt als ^fester grund" gegenüber
dem wasser, mit grund I sich berührend: der gestalt wird
. . . das meer alle seine grundveste entblöszen Meyfart
himml. Jerusal. (1630) 2, 35.
c) weniger häufig als 'basis, feste grundlage' anderer
körperhafter dinge: basis grundvesti, swelle, bodem DiE-
fenbach 69C; solum grundveste eines jeden dings Feisius
1222^; pf eiler mit iren erin gruntfesten (columnae decem
cum basibus suis aeneae) erste dtsche bib. exod. 38,12; die
AuAjsburger drucke nach 1475 ändern gruntfesten in füssen
ebda 3, 352; die noch jetzt auf ihren alten grundfesten
stehende säule H. Meyer gesch. d. bild. 3, 229 ; noch
Kinderling reinigk. d. dtsch. spr. 160 verdeutscht basis
in gr.; hierher die Verbindung gr. haben 'festen boden,
Standort haben': reht als ob ez {das schiff) da gruntvest
hab und da gewurzelt sei Konrad v. Megenberg buch
d. nat. 251 Pf.; won du wurtze aller guter wercke hat in
dem hertzen ain gruntvesti d. sog. Oeorgener prediger 2öl
B.; ins geistige gewendet 'grundlage, berechtigung\-
hat daz gruntvesten, so bin ich golt
und golde und silber ist nieman holt
Hugo v. Trimberg Renner 13369 E.;
ähnlich gr. geben, 'grundlage, gewiszheiC verschaffen: wel-
ches doch gleichwol, die warheit zu bekennen, noch gar
keine gr. gibt: zumal, weil hingegen andere behaupten
wolten, er wäre an einer magenkrankheit gestorben
E. Francisci schau- u. ehrenpl. (1684) 17.
d) gr. als 'feste unterläge'' ist in älterer handwerker-
spräche mehrfach terminologisch geworden; hierher stellt
sich gruntvest von holtz geschlagen loramentum Diefen-
BACH 336''; gesmeid, pintung, grundfest loramentum nov.
gl. 2393'; gruntveste, hauptseul columen {textoris) gl. 134'^,
vgl. th. 8, 65; in der wassermüllerei : 'auszer dasz es {das
wort) noch bey den Wassermühlen vorkommt, wo die mahl-
pfähle ihre grundfesten haben" Adelung (1775) 2, 828; bei
den buchdruckern : gr. heist . . . die metallene platte,
worauf die formenweise abgesetzten . . . Schriften gestellet
werden Noel Chomel 4, 1387; in medizinischer spräche
bis ins 17. jh., wenn auch kaum eigentlich fachsprachlich :
reht als die kruspeln in anderen glidern ain gruntvest sint
Konrad v. Megenberg b. d. natur 137, 4, vgl. 130, 25;
auch ist der ruck ein grundfest aller pein, dy darin ge-
pflanczt sein Aristotelis problem. (1492) 12*, wo aber gr. 2
hereinkreuzt; gruntvest als 'Schädelbasis' Hyrtl kunstw.
d. anatom. 181, vgl. het (wiggebeen is) een deel . . . van
der herssenen grontvest {v. 1660) bei de Vkies-te Winkel
5, 1001; vergleichbar: die knochen {sind) die grundfesten
der bildung {des schädels) Göthe 37, 347 W.; gelegentlich
auch uneigentlicher: die grundfest des weins {ist) die
hefen Lehman fiorileg. polit. {1662) 3, 375; vgl. wesenkait,
grünt, gruntfeste substantia Diefenbäch 561 c.
e) ausgebreiteter als eigentlicher gebrauch ist namentlich
in neuerer spräche eine abgeblasztere Verwendung im sinne
von 'grundlage, stütze"; aber stärker als bei grund IV A 2
bleibt bei gr. der bildcharakter spürbar; vgl. gruntfestin
firmamentum Diefenbäch 236''.
a) vielfach auf dinge, zustände und einrichtungen be-
zogen:
es (abenteuer) Ist auch noch das peste
und desz puches grundfeste
Heinr. v. Neustadt Apollonius 2302 S.;
wie auch das alte testament die grundfest ist des newen
testaments Mathesius ausg. w. 3, 292; das gantze hoch-
löbliche haus in Osterreich, welches gott . . . zur stütze
und gr. der baufälligen römischen monarchi verordnet
H. Rätel chron. d. hztm. Schlesien (1607) 266; die grund-
festen des kriegs, sagte er {Karl V.), weren gelt, proviant,
Soldaten Zinkgref apophthegm. (1628) 101; der mittel-
stand, . . . diese eigentliche ... gr. aller freyen Verfas-
sungen Pestalozzi s.schr. 6, 109; die territoriale ab-
grenzung ist eine der beiden grundvesten der Raifieisen-
schen Organisationen hwb. d. staatswiss.^ 3, 120; auch in
abstracteren bezirken: reht ... ist eine sture und eine
gruntfeste aUer guten dinge keyserrecht {hs. v. 1372) 1
Endemann; der haUig cristenlich gelaub ist die grund-
vest, dar auf du besteen mflst Keisersbero granatapfel
(1510) E 2^; gehorsam der unterthanen ... ist eines lands
und Stands grundfest Lehman fiorileg. polit. (1662) l,
273; eine lautere, vernünftige religion (sey) die grund-
veste der thronen und Staaten Herder 1, 22 S.; Ordnung
und recht (sey) die gr. der gesellschaft Wieland I 2, 362
akad. ausg.
ß) häufig von ethischen und geistigen werthen oder man-
geln, die einander bedingen; 'grundlage, Voraussetzung^ :
davon schetz ich einn steten muot
ein gruntfest wol der ere
H. V. MONTFORT 18, 222;
die demutikgait sol unser gruntvest sein Tauler ser-
mones (1508) 95'';
ein grundtfest rechter tugent ist
demütigkeit on argen list
Petrarcas zwei trostbücher (1559) 7'';
'grundlage des wissens, der lehre' u. ä. : gramatica, grunt-
feste aller guten rede, enhilfet do nicht ackermann
a. Böhmen 61 B. ; die kunstmeszige anweisung, welche
nicht ohn arbeit und erkundigung anderer sprachen die
rechten gr. einzurichten bemühet ist Schottel haubtspr.
10; aller weisheit gr. {ist) ein gutter, natürlicher verstand
Butschky Pathmos 78; Cartesius setzte mit recht als
die grundveste alles nachdenkens den schlusz voraus
Moses Mendelssohn ges. sehr. 2, 276; so ruht der styl
805
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auf den tiefsten gnindfesten der erkenntnisz, auf dem
wesen der dinge Göthe 47, 80 W.; gewiszheit bleibe die
ewige grundveste des menschlichen geistes Herder 5,
457 S.; ähnlich: glaubet man in der that, dasz die poesie
mit der Zauberkunst eine gleiche gr. habe? Bodmeb
samml. crit.-poet. sehr. 2, 113.
y) vorwiegend älterer spräche ist Übertragung auf per-
sonen eigen; besonders, aber nicht ausschlieszlich in reli-
giöser spräche, hier wohl ausgehend von Eph. 2, 20; danck
sag ich dir herr Jhesu Criste, du firmament und gr. der
engel der hertzmaner (1495) öS^^; ihr {der fheologie) Funda-
ment und grundfest ist Christus Luther tischr. 1, 72 W.;
er {Christus) ist die grundfest und der felsz
ein könig worden unsers heils
Kirchhof wendunm. 3, 423 0.;
der du (gott) unfehlbar bist, die grundvest und verstand
Opitz opera (1645/.) 3,237;
im anschlusz an Matth. 16, 18: Peter war der erst päpst
und ain gruntvest des hailigen roemischen stuols K. v.
Meoenberg b. d. natur 217, 4; er (Jesus) und seine nach-
komen die bischof zu Rom, ein grundvest der kirchen
Schade aat. u. pasqu. 2, 15; danach: '
zem Icelser sprach er also:
gruntveste der kristenheit . . .
Steicker Karl 1849; vgl. Ekinmar v. Zweier 136, 3 R.;
mehr im sinne ^bewahrer, Urheber^ beim bezug auf persön-
liche eigenschaften :
(Maria) du gruntvest stseter triuwen
Eeinmar V. Zweier 21, 6 R.;
her (Luppolt) mochte uns immer rouwen,
her ist gruntveste allir trouwin
ßOTHER 4?06 Rädert;
(Maria) du gruntfest aller guten handelung
Hans Folz meisterl. 30, 40 M.;
fast im sinne WepräsentanV :
(Salonio,) den got . . . hat irchorn
ze gruntveste allir wisheit
Rudolf v. Ems wdtchr. 28999.
f) ältere spräche geht in der auflösung des Wortes zum
abstracten noch weiter, vor allem im 15. lü.jh.; die ein-
zelnen entwicklungszweige sind deutlich abhängig von denen
des synonymen grund IV.
a) gr. wie 'grundsatz, grundprincip' verwendet: was die
heylige facultet zu Parys thut, das ist so vill als eyn
artickel und grundfest des glaubens Luther 8, 543 W.;
{ich) hon ... im yngang mynes urtails ain gemaine regel,
grundtfestin, verfertigimg, beschaid . . . gemacht Joh.
Reuchun verstentnusz (1512) a2*>; sein nicht in ainer
ygklichen kunst gemayne regel und gründtfäst Schwar-
ZENBERG teutsch Cicero (1535) 48; die prima principia, das
ist die grundtfesten christlich glaubens Judas Nazarei
V. alt. u. neuen gott 9 ndr.; dann vergeblich disputiert man
wider diejenigen, welche die principia oder gnmdveste
leugnen J. F. Castillioneus grundtveste d. wahren lehr
Christi, relig. (1597) 13».
ß) als 'beweisstück, argumenta : bewisunge, gruntvestene,
Urkunde argumentum K. v. Heinrichau vocab. 385» Ou-
sinde; vgl. Diefenbach 47 C; dann es {die Zeugenaussage)
gar ein herrlichs guts und starcks argument und grund-
fest ist Ayrer hist. proc. juris (1600) 373; hab ich als ain
gr. und urkund unsrers . . . christlichen glabens . . . vor-
an setzen wellen J. Keszler sabbata 1, 9 Oötzinger (1866);
das künigkliche wort billich hand- und grundfest sin
söltend 100; anders, etwa ^documenV : die ersten fünf
püecher in der bibel . . ., ein grundvest aller göttlichen
haimlikait Aventin s. w. 4, 155; ähnlich als 'grund-
legende Urkunde'' bereits vereinzelt mhd.:
sin (Christus) aygen plüt schraib den brief
unser gruntfeste
Wernher Maria A 4579 (s. 237) Wesle;
unser gruntfeste und privilegia zu vernichten (». j. 1496)
acten der ständetage Preuszens 5, 420.
y) an den gebrauch von gr, le ß anknüpfend, aber doch
fühlbar unterschieden, entwickelt sich die verwendutig ''Ur-
sprung, Ursache, wurzeV, auch 'anfang\ öfter in zwillings-
formeln; nach 1. Thim. 6, 10:
wan unmaezzige erge
ist gruntveste aller ubele
vom rechte v. 320 in WAAG kl. dt. ged.* 80;
swer gltekeit und erge hat,
delst gruntvest aller misset&t
Freidank 91,2 Gr.; vgl. Rud. v. Ems Barlaam 267, 5 P/.;
diz ist noch ein wurzele und ein gruntfestene alles kriges
mystiker 1, 44 Pfeiffer; die wurczel und grundfest aller
einigkeit, . . . die gleichheit acta publica 2, 53 Palm; seine
Schriften . . . schmeckend nach etlichen angezognen tö-
rechtigen und ungesaltznen Ursachen und grundvesten,
die von der warheit gäntzlich frembd seind M. Pegius
geburtsstundenbux^h (1570) Vv2»; artzney, ... die der
kranckheyt gr. hinweg neme S. Franck «>cZi6.(1534) 11»;
wie nun kunig Heinrichs Sachen ain anfang und ein
grundtfeste, also ist auch das ende hernach gefolgt
zimmerische chron.^ 4, 195 B.; ain anfang imd gleichsam
ain gr. der Weisheit G. Fbölich 8tobäi acharpfsinn. spr^
(1551) 131.
g) gr. tritt in einer reihe typischer und formelhafter ver-
bal Verbindungen auf.
a) auf den beginn des bauens mit der herstellung der gr.
beziehen sich: die gr. graben {vgl. den grund graben IV
A 3 a sp. 705), im ganzen wenig häufig: 'den erdraum der
gr. ausheben^ {vgl. oben a schlusz); bereits mhd. vgl. Jans
Enikel weltchron. 2i508 Str., vgl. 24511; und man ge-
funden hat {einen schädel), da man die grundvest grueb
{des capitols) Aventin s. w. 4, 279 ; {es) hiesz . . . , dasz
schon gebaut werde, . . . und dasz man bereits die grund-
festen grabe Stifter 2, 252 S.; viel häufiger, aber mehr
bildlich als im eigentlichen sinne verwendet und in neuerer
Sprache zurückgehend: die gr. legen, setzen, bauen:
wizzet daz er tiefe legen sol
der diumüete gruntveste
Thomasin V. Zircl. welsche gast 12024;
du hast nü der kristenheit
eine gruntveste geleit
Rudolf v. Ems Barlaam 175, 4 Pf.;
nach Luc. 6, 48 der . . . sine {des hauses) gruntvestene gelegit
hat üf einen stein Beheims evang.-buch 131; es ist nicht
ein vestes gepeude, do der wille gruntvest gelegt hat bei
A. Zycha böhm. bergrecht d. m.-a. 2,71; nhd. überwiegend
pluralisch : dargegen sollen die stände ... zu einer grund-
festen dess gantzen friedenswerck gelegt {werden) Hars-
DÖRFER secret. 2, 308; neue gebäude auf den von ihnen
{Wolf und Leibnitz) gelegten grundfesten {aufrichten)
Schwabe belust. 8, 64; {die äsen) suchten . . . den fernsten
norden . . . auf, um dort . . . die grundvesten ihrer macht
zu legen dtsches mu^eum 4, 823 Fr. Schlegel; als Variante zu.
guten grund legen {vgl. sp. 706) Hüchtig essen" : dann ist
gut grundfest legen und auf ein sechspf ündigen schuncken
viermäszig getnmcken Fischart praktik (1623) 66; sel-
tener und in neuerer spräche ungebräuchlich setzen: und
setzt die gruntfesten {des hauses) auf einen stein erste
dtsche bib. l, 227; s. Domitianus {hat) . . . die ersten grund-
vesten der kirchen zu M. gesetzt H. Megiser annal.
Carinthiae (1612) 10; biss widersprochen ist den neidern
und gruntfest gesetzt und haidenschaft zurucken ge-
schoben SiGM. Meisterlin in chron. d. dtsch. städte 3, 56;
Sigismundus {wollte) die grundtveste seines throns allain
auf die mildigkeit setzen v. Brandis ehrenkr. (1678) 169;
vereinzelt bauen: alle die ir grundfest nit eynigk und
alleyn uff den starken velsen Christum bawhen H. v.
Cronberq sehr. 76 ndr.
ß) auf das zerstören oder gefährden bzw. gefährdet sein
der gr. zielen Verbindungen wie die gr. aus {der erde) brechen,
graben, untergraben u. ä., die keine gröszere ausbreitung
gewonnen haben:
die gruntveste er in slt üz der erde brach
kaiserchron. 7269 Sehr.;
(er gebot) . . . graben
die gruntveste üz der erde
Rudolf v. Ems Barlaam 339, 13 Ft.;
Euhemerus . , ., welcher die gr. der pöbelhaften religion
untergrub Gottsched neuest. 7, 931; er suchte . . . die
Öl»
807 GRUNDFESTE 2. 3 - GRÜNDFESTEN
GRUNDFESTEN 1-4 - GRUNDFESTIGEN 808
grundfesten der ehrfurcht zu untergraben Schiller 4,
123 (?.; nhd. spräche bis in die gegenwart geläufig und heute
nahezu die einzige formelhaft feste anwendung von gr. über-
haupt ist die Verbindung mit intr. verben wie beben, er-
beben, schwanken, wanken, insbesondere aber mit trans.
erschüttern; intr. verba: das sich bewegeten die gr.
des gefengnis apostdgesch. 16, 26; das die grundfesten des
landes darüber erbidmen JoH. Mathesius Sarepta (1571)
98^; Constantinopel und Rom erbebten in ihren grund-
festen E. M. Arndt ansieht. (1814) 154; die gr. des hauses
zitterte Klinqbr w. 3, 14;
wenn es (das Mnigreich) hoft stehn am besten,
so macht er schwancken Ir grundvesten
Hans Sachs 20, 417 K.
0.;
ihre {der warte) grundvesten schwankten Fouque zauber-
ring 2, 187; dreymahl wankte ihre {der erde) gr. Falk
Satiren 2, 264; in den tagen der noth, da Österreich in
seinen grundfesten schwankte jahrb. d. Orillparzerges. 2,
330; trans. vor allem {seit dem 17. jh.) erschüttern: {die
teufel) erschüttern die fundamenta und gr. an den ge-
hauen Pkätorius anthropod. pluton. (1666) 1, 92; die gr.
. . . des erdreichs wird sich müssen erschüttert haben
ScHOTTEL friedenssieg 41 ndr.;
wenn bald der komet . . .
mit der erde das zweytemal ringt und die grundfest erschüttert
BODMKR Noah (1752) 317;
welche {bücher) . . . die grundveste desselben {des christen-
thums) erschüttern Nicolai literaturbr. 2, 236; der bürger-
krieg . . ., welcher Frankreich unter vier . . . regierungen
in seinen grundvesten erschütterte Schiller 8, 3 O.; wir
hatten das gefüge des feindlichen Widerstandes bis in
seine grundfesten erschüttert Hindenbxjrg o. m. leben
(1920) 334.
2) nur vereinzelt und nicht immer völlig deutlich hat ältere
spräche gr. an grund II A 2 b angeknüpft und als 'fester
erdboden' verstanden; so noch Henisch 1765: grund, die
grundtfeste, das veste erdrich von natur, darauf der
bau gesetzt wird solidum, soliditas, wo unter gr. eine
tiefere feste bodenschicht verstanden zu sein scheint, vgl.
ein fundament bisz auf die gr. graben 1767; ähnlich
schon mhd.:
(der ochse) speldet . . . den vuz . . .,
so daz her durch daz weiche
den vasten grünt gereiche,
da zu daz her vaste dan ste.
Bam tut der lerer in der e;
der vert zu der gruntveste . . .
Heinr. V. Heslee apokalypse 8457 H.;
etwas anders als der 'feste erdboden' im gegensatz zum
wasser:
er sprach 'nu werde sundir
wazzir von der erde
daz si truchen werde.
diu gruntveste sl geschaffet
die stetten sin gemachet,
dei wazzir da enzwischen rinnen
Milst. genesis 2, 31 Diemer.
3) gr. als name einer pflanze; für 'wiesenpippau' =
crepis biennis L. Hegi ill. flora v. mitteleuropa 6, 2, 1162;
nach Pritzel- Jessen für den 'dachpippau' = crepis tec-
torum L. in Thüringen üblich 118; andere wenden gr. auf
alle arten der gattung crepis an v. Perger stud. üb. d.
dtsch. namen d. pfl. 1, 234; der natne ist nicht über das
18. jh. hinaus zurüchzuverfolgen, vgl. C. F. Reusz dict.
botan. (1781) und wohl kaum völksthümlich, vgl. Fischer
Schwab. 3, 876; ADELUNG (1775) 2, 828 erklärt: '2. th. am
Strand wachsend und ihn bindend und festmachend", was
aber nur für crepis tectorum gilt, vgl. Hegi a. a. 0. 1167.
GRUNDFESTEN, vb., vgl. grundfestigen, grundfest-
nen; gr. seit dem 12. jh. nachzuweisen, mhd. auszer in
religiöser spräche wenig häufig; im älteren nhd. besonders
noch alem. bezeugt; später nur noch ganz vereinzelt atif-
tretend, während nl. grondvesten {vgl. de Vries-te
Winkel 5, 1032/.) noch im 19. jh. lebt, ebenso dän. grund-
faeste vgl. dän. wb. 7, 175/., schwed. grundfästa vgl. schwed.
wb. 10, 1014; wohl erst im anschlusz an das subst. grund-
feste gebildet.
1) 'grundfest machen, die grundfeste herstellen, grün-
den, festigen', im frühnhd. von gründen {vgl. sp. 774^,)
verdrängt; gr. fundare gemma gemm. {Straszbg. 1508) c 2^;
unde zimberte also der einhurne heilichtuom sin an der
erde, die er gruntveste an die werlte dtsche interlinearvers.
d. psalmen 373 Oraff {Windberg, psalm. \2. jh.); o herre
du hast gegruntvest die erde an dem angeng erste dtsche
bibel 2, 242; {gott,) der den hymel hatt auszgebreyt und
das erdtrich gegrundtfestet M. Wurm v. Geidertheim
Balaams eselin (1523) f 3^; der herr hat mich erschaffen
. . . ehe dan die berg gegründvestet Caspar Hedio chron.
germ. (1530) A 2''; die stett in teutschem land seind . . .
an die berg gegruntfest See. Münster cosmogr. (1550) 383;
in dem virden jare wart gegruntvestet das hous imsera
herren Wenzelbibel 3. kön. 6, 37 bei Jelinek mhd. wb. 335;
der gut wünsch des vatters baut und grundvestet die
heuser der kinder benedictio patris firmat domos filiorum
{eccles. 3, 11) Züricher bibel (1530) 632''.
2) wie gründen auf {vgl. sp. 787^.) 'auf ein fundament
setzen' : du der hast gegruntvestet die erde uf staticheitegwi
fundasti terram super stabilitatem interlinearvers. d. psalm.
477 Oraff {Windberg. ps. 103, 6); ich wil dich gruntvesten
auf Saphir Konr. v. Megenberg buch d. not. 458, 30;
wann ewer wonung gegruntvestet wirt auf den . . . stein
Ihesus Cristus Joh. v. Neumarkt Hieronymus 120 Kl., vgl.
buch d. liebkos. 48 Kl.; wie möcht . . . dann Christus sein
kirchen auff solche bebst gegrundtfestet haben ratschlag
christenl. pfarrherrn {Nürnbg. 1525) 9^ ; übertragen wie grün-
den II B 1 b {vgl. sp. 788) : aUiu dinc üf dich gegrunt-
vestet sint myst. 1, 366 Pfeiffer; darauff so grundfesten
nun die frawen, den solich gab geben wird Chr. Zobel
Weichbild u. lehenreckt (1537) 73b; ein solcher {friede) nit
erhalten mag werden, er seie dann auff recht und billig-
keit gegrundfestet Th. Graminäus relation (1580) K 4»;
. . dasselbe {kapitel) ist auf ganz unanfechtbare . . Zeugnisse
gegrundfestet Jon. Soherr d. gekreuzigte (1874) vorr. 6.
3) verwendet wie gründen in {vgl. sp. 793) nach Ephes.
8, 17: in got gewurtzelt und gruntfestet werden in der
minnen unsers heren Heinrich v. Nördlingen in : Marg.
Ebner u. H. v. N. 229 Str.; {eine minne) die do nit ist
gegruntvestet in das volkumen leben Jesu Cristi meister
Ingolt predigt v. 1435 bei Schmidt elsäss. wb. 157''; vgl.
erste dtsche bibel 11, 164; weltlich menschen, dye do die
wurtzlen ires hertzen . . . ingesenckt und geschlagen und
gegruntfestet . . . haben alleyn in die Üppigkeiten . . .
diser weit G. v. Kbisersberg bilgerschaft (1512) 171'';
intrans.: die andere {mystik) aber . . . wird wie die gott-
heit selbst, in der sie grundfestet, reine und heitere ein-
heit ist, so auch nur eine sein Görres mystik 1, 16.
4) entsinnlicht wie gründen II A 2 a ^S {vgl. sp. 783)
'festigen, stärken'; so schon früh: gruntfeste glouben un-
serre o got diutisca 3, 479 Oraff;
lüter vor allem meine
was ze gote sin gedanc,
gegruntvestet äne wanc
Lampreoht V. Eeoensbukg Fraticisc. 3671 Weinh.;
und mit götlicher geschrifft auszbreitet und getreulich
grundfestet M. Wurm v. Geidertheim Balaams eselin
(1523) gl''; im festen, waren glauben gegrundfestet v. d.
losen fuchsen (1546) J 2^; das inwendige leben wird hier-
inn gegrundfestet, gestärcket Chr. Hoburg theolog. myst.
(1730) 605; seltener auszerhalb des bezirks geistlicher spräche:
drivaltiger wys ist besliessung der red zemercken . . .,
nach der narration, item nach der sterckisten gegrundt-
vesten red F. Riederer rhetoric { I493) f 2'' ;
ein Ordnung dem reich zu dem besten
das keyserthumb mit zu grundvesten
Hans Sachs 16, 195 K.- G.
GRUNDFESTIGEN, vb., parallelbildung zu grund-
festen, grundfestnen mit gleicher bedeutung 'grundfest
machen' u. s. w., vgl. das adj. grundvestig Joh. v. Neu-
MABKT Hieron. 132 Kl.; nl. grondvestigen de Vries-te
Winkel 5, 1033 ; das du also in deins Uebs . . . minnen
gewurtzelt und gegrundfestiget werdist Heinrich
V. Nördlingen in: Marg. Ebner u. H. v. N. 213 Str.; öfter
809 GRUNDFESTIGKEIT — GRUNDFESTUNG
GRUNDFEUCHTE -GRUNDFLÄCHE 810
im mnd. bezeugt: de hillige korke, dede gruntvestiget is
dorch unsen leven heren lüb. geJbeib. bei Schilleb-Lübben
2, 159; du (gott), der . , . gegruntfestigt hast di erd in
deiner macht JoH. v. Neumabkt buch d. liebkos. 186 KL;
vgl. Ulb. V. Hütten opera 2, 127 B.; mit f roden des
gantzen ertrichs würt gegruntfestiget der berg Syon
Geileb V. Keisebsbeeo Maria himelf. (1512) 6=^; den
mon und die stemen, die du (gott) hast gegrundfestiget
deutach-röm. brevier (1518) 3*'; meinstu dann, dasz nie-
mant sein leben grundvestige dann der ein eeweip hab?
{arbitraris tu itaque vitam constituere neminem nisi uxorem
qui ducat) Ulh. v. Hütten opera 4, 121 B.; 'rechtlich
stützend daz die küre der stymme ufE das fürstenthüm
. . . also gegrüntvestiget sint, daz ir eynes ane daz ander
nicht gesin mag {urk. v. j. 1356) bei Zeümeb gold. bulle
2, 90; und wülen hir af gruntvestighen laten unde be-
stedighen . . . ene ewige vicarie urk. v. j. 1422 bei Schillee-
LÜBBEN 6, 145. — -festigkeit, /., vereinzelt gebildet,
iibertr. 'festigkeit hinsichtlich der grundlagen' : der ewige
frieden hat die mas und grundfestigkeit M. C. Schütz
hist. rer. pruss. (1592) buch 10, e 4*>; Wahrheit und gr.
(sollen) immer der hauptzielpunkt aller . . . beobach-
tungen (eines physiognomisten) seyn J. K. Lavateb
physiogn. fragm. 4, 165. — -festigung, /., als thätig-
keitabezeichnung 'das grundfest machen, die festigung':
du bist ein gruntvestigung meins gotUchen fluszes
(spricht gott zu der sede, die ihn in ihren grund aufnimmt)
Heineich v. Nöedlinqen in: Marg. Ebner u. H. v. N. 256
Str.; zu gr. und bestetigung neues glaubens und Verkün-
digung G. Alt buch d. chroniken (1493) 102a'; ein grundt-
festigung meiner Verantwortung M. Zell christl. Ver-
antwortung (1523) 0 3»; anders (gemäsz grundfeste 1 f ß,
sp. 805): argumentum . . . bewysunge, gruntvestegunge
(hs. gruntvesteugunge), orkimde Kaadner vocab. (14. ^"A.)
in Prager dtsche stud. 8, 447 *>; concret als sachbegriff 'fun-
damenf vereinzelt: als aber . . . Tarquinius . . . ein tem-
pel . . . erbauen wolt, fandt er im fundament oder grund-
vestigung ein todtenkopff G. Rivrus Vitruv (1575) 133. —
-festlich, adj.: dis vorberürt grundvestlich red ist nit
allweg not mit im fünfE teilen zebruchen Fb. Riedeeeb
rhetoric (1493) e 4^ (vgl. die Überschrift des capitels: von
gegründten slossreden de argumentis).
GRUNDFESTNEN, vb., von gleicher bedeutung wie
grundfesten, grundfestigen (5. 0.); ein alid. *gruntfe3tin6n
noch nicht nachgewiesen; mhd. gruntvestenen : unde zim-
berte also einhomen heilichus sinez in der erden, di er
gruntvestente in di werlt (quam fundavit in secula) dtsche
interlinear vers. d. ps. 373 Oraß (Trier, ps., 13. jh.); wände
iz (das haus) was gegruntfestenit üfe den stein Hohen-
furter benedict.-regel in: zs.f. dt. altert. 16, 226 (nach Luc.
6, 48); der vigent (kommt) lügende über den kleinen
kranken menschen der nüt wol gegruntvestent ist
Taxjlee pred. 324, 5 F., vgl. 323, 3; 392, 6; die kirche, di
üf den stein von des herren stimme gegruntvestent ist
Beheims evamjel. (3. vorr.) 5; er (gott) selb gruntvestent in
(sc. ring der erd) über die wasser erste dtsche bibel 7, 273;
damit si ir übertrettung . . . möchtend grundfestenen und
beschirmen Basler chroniken 7, 271; dieselben grund-
gevestnet reden Fr. Riedebee rhetoric (1493) e 4^ (s. o.
grundfestlich); du hast die erd auf das bestendige grundt-
festnet Ad. Reiszner JerwaaZem 1, 7^; menner . . ., welche
alsbald die dicken (deiche) oder dämmen grundvestnen
D. Fedeeman Niderlands beschreib. (1580) 250; später ganz
selten: ihre (der gattin) gedanken (werden durch die musik)
zarter und bestimmter, was denn des gatten zärtlichere
anhänglichkeit grundfestnet bis zum grab J. G. Sulzee
zitiert im wb. d. dtsch. spräche (Prag 1821) \0Q^. fe-
st ung, /., vgl. grundfeste, grundfestigung; gruntfestung
fundamentum Diefenbach 252*; gruntfestunge loramen-
tum 336*'; vgl. nl. granWestyng fundamentum, fundacio
v. D. Schtjeren Teuthon. 112 Clignett; der heilligen strey-
tenden kirchen gnindf estungen, darauff das gantz zimmer
diss gepeus . . . steuert, sind die heiligen apostel ( = mili-
tantis ecclesie fundamenta) G. Alt buch d. chroniken (1493)
101*'; uff daz sie (die ärzte) ... die selbig (die astrologie)
wissent, die wurtzlen und gr. irer meisterschafft Lob.
Feies Spiegel d. artzny (1518) 14^.
GRUNDFEUCHTE,/., vgl. grundfeuchtigkeit; als 'hu-
mido radicalis': sintemal wie Aristoteles meldet, in der
gr. mehrers als in der trückne das leben (besteht) Guaei-
NONius greud d. verwüst. (1610) 594; wird doch das blut
. . . bei zuwachsendem alter und versiegender gr. . . .
von der überhand nehmenden naturwärme allgemähMch
abgezehrt und verringert Valvassoe ehre d. hztm. Crain
(1689) 1, 463; im sinne 'feuchtigkeit des Untergrundes, der
unteren bodenschicht' : wie dies (das austrocknen) besonders
bei Sandsteinen mit gr. geschehen musz Mothes baulex.
1, 312. — -feuchtigkeit,/. 1) seit dem älteren nhd. im
sinne 'feuchtigkeit, die einer andern zu gründe liegV (vgl.
compos.typ. 5 p, sp- 744), 'humido radicalis' : dieweil die
grundfeuchtigkeit der thränen und harms (harnes) einer
und gleicher natur sind problemata Aristotelis (1589) 23;
dann auch mehr terminologisch für humido radicalis als
(veralteter) begriff der älteren medizin, 'die feuchtigkeit als
demerdarqualitäi, der in allem organischen als Vorbedin-
gung des leben-8 vorhandene safC (vgl. grundhitze compos.-
typ. 5 p, sp. 744): weU xmser leben in der innem feuchtig-
keit seinen sitz hat, die man roralem, radicalem, den daw
(tau) oder gr. nennet Guaeinonius greud d. verwüst.
(1610) 904; in den gesämen der dinge ist sehr viel wurtzel-
und gr., darinnen ein gewiszes fünklein vom himmlischen
feuer . . . enthalten ist Knoeb v. Roseneoth pseudodox.
(1680) 153; dasz er (der Spiritus volatilis) nach und nach
bei der heftigen transpiration . . . nebst der gr. und
wärme mit fortgehet Th. Philaleta theos. wundersaal
( 1709) 74 ; gr. 'bei den chymisten der saft aller dinge, mercurä
ScHEADEB dt.-franz. 1, 580; moderner gefaszt und veren-
gert: gr. 'lebenssaft in einem thierischen kör per, Vhumide
radicaV ebda; 'humidum primogenium, die gr.; mit diesem
namen könte vielleicht jene feuchtigkeit bdegt werden,
welche in den häuten des weiblichen eies den thierkeim
umgibt, densdben närt' Blancaed arzneiwb. (1788) 2, 146*.
2) wie 'bodenfeuchtigkeif (vgl. grund II A 2) : gegen die gr.
sucht man den ofen (ziegdeiofen) durch isolirung zu
schützen Muspeatt chemie 8, 718. — -fieber, n.: jene
fieber, so man ephemeras oder eines tags und die andern,
so man hecticas oder gr. nennet Guaeinonius greud d.
vervMst. 870. — -figur, /. (vgl. comp.-typ. 5q): die gr.
aller zierrathen dieser baukunst ist die rose Fe. Schlegel
8. w. 1, 234; die steinmetzzeichen bestehen aus Unien,
welche durch zusammenstellen einfacher grundfiguren
gebildet werden Kaemabsch-Heeben 8, 471; welche be-
deutsame grundfiguren beschreibt dieser tanz Gleim
8. sehr. 1, 232; hier . . . hat R. in der naiven . . . form die
Wurzel und gr. aller religion verkannt D. Fe. Steausz
ges. w. 5, 281; von personen wie 'urbild' : Kaliban (ist)
die gr. für Füszlys Imagination Foestee s. sehr. 3, 504. —
-fisch, m. 1) als collectivbezeichnung : die meerfische sind
entweder grundfische, welche in der tiefe der see wohnen
allg. haush.-lex. (1749) 1, 477*; schollen oder andere grund-
fische Beehm thierl. 8, 12; auch für süszwasserfische 'wie
z.b. rfer gründling' Campe 2,471^. 2) wohl als Variante für
gnmdel, gründling:
da man eiczcn sol zu tisch
und eszt gut gnintvisch
Erlauer spiele 5, 204 K.;
terminologisch: gr. ophiocephalus striatus Beehm thierl. 8,
179. — -f ischerei,/.; 'fischen mit legschnüren und grund-
garnen' Ungeb-Khfll 310^.-
GRUNDFLÄCHE, /. 1) 'bodenfläche\ zu grund II A
(vgl. comp.-typ. 5 f) gebildd: wie man einen augenschein
oder abrisz einer landtschaft, statt . . ., garten oder jeder
gr. absehen oder nach verjüngten mastab . . . reiszen
soll L. HuLSius erst, tract. (1609) 4; will man etwas ab-
messen und in grund legen, so musz man die linien einer
gr. durch die meszschnur determiniren v. Fleming vollk.
t. sold. (1726) 44*; dann (ward) die ganze gr. in vermesznen
loosen dem volk zum eigenthum vertheilt Niebuhb röm.
gesch. 2, 65 ; auch an der Elbe . . . kultivierte Dobrilugk
ansehnliche grundflächen Wimmee gesch. d. dtsch. bod.
811 GRUNDFLÄCHENINHALT- GRUNDFORELLE
113; ähnlich im bilde: (er) ging . . . von etwas bekanntem
und verbürgtem aus, erhob sich aber von dieser gr. zu
den kühnsten Schwüngen Immebmann 1, 93 H.: auf die
scheinbare (horizontale) ebene des gemcHdes angewendet: die
gr. in den gemählden des Polygnotus war nicht horizontal,
sondern nach hinten zu so ... in die höhe gezogen, dasz
die figuren . . . über einander zu stehen schienen Lessog
9, 114 L.-M., vgl. 10, 259; anders in der reliefkunst als
'fläche des grundes' (grund V A vgl. comp.-typ. 5 i): haute-
relief, erhaben über die gr. gearbeitete figuren Kar-
maesoh-Hebren 4, 265. 2) seit dem frühen 18. jh. mathe-
matischer terminus für die untere fläche eines körpers, die
basis, mit der er aufliegt {vgl. comp.-typ. 5 b); so bereits
Chr. Wolff: basis corporis gravis, die gr. eines schweren
cörpers math. lex. (1716) 248; fället sie {die perpendicular-
linie aus dem schwerpuncte eines körpers) aber auszerhalb
der gr., so musz er auf die seite fallen, wo sie über die gr.
ausschweifet ebda; körper, die walzenförmige grund-
flächen haben allg. dtsche bibl. 3, 2, 43; aus zwei mit ihrer
gr. an einander gelegten kegeln zusammengesetzt Ratze-
burg forstinsekten 1, 8; die gr. (basis) oder die untere
fläche {der lungen) ist ausgehöhlt Sömmerring bau d.
menschl. körp. 5, 252; vielfach für die fläche, auf der ein
körper ruht, besonders bei bauwerken 'die bebaute fläche':
ein . . . unterbau auf einer gr. von 36 fusz breite zu einer
tiefe von 24 H. Grimm Michelangelo 1, 232; die ... ge-
samtfläche der fenster musz . . . ein zwölftel der gr. be-
tragen hwb. d. staatswiss. 2, 522; von hohlräumen: diese
räume . . . von unregelmäsziger gr. Grimm Michelangelo
1, 314; etwas anders gefaszt: dem auf der gr. des gefäszes
. . . sichtlichen . . . köpf der kora tritt ein flügelknabe
entgegen E. Gerhard ak. abh. 2, 501. — -flächenin-
halt, m.: wie viel gr. das am berge gelegene holzland
habe Zschokke s. ausg. sehr. 12, 85.
GRUNDFOHRE, grundföhre, /. («. auch grund-
forelle), vgl. daneben die form grundförne {s.u.); grund-
föhre, grundföme salmo lacustris Brehm thierl. 8, 333;
grund- oder lachsfore trutta salmonata Stieleb 587; vgl.
bei Frisius 194'»': man {nennt) in ItaUa ein fisch im Gart-
see karpion, ist ein grundfören art; im Bodensee {sind)
zweyerley fohren, nehmlich grundfohren und schwäb-
f obren fischbüchl. 145 ; die grösten {forellen) nennen sie {die
flacher) grundfohren Hohberg georg. cur. 2, 517; «6er den
sing, grundfören (die) Maaleb 194^^ vgl. <ä. 3, 1870 ; grund-
förne in älteren belegen meist als grundförine (i^g'Z. aber
fören, vörne Lexer 3, 468 und förhennen pl. th. 3, 1896
aus Wickram), bes. schweizerisch bezeugt, vgl. Staxjb-
Tobler 1, 935; trutta magna vel lacustris trutta salmonata
ein grundf örinen Foreb Oeszners thierb. 189'' ; der grund-
förinen sollend etliche in grund und boden desz wassers
wonen . . . andere sollend zu oberst in den wassern wonen
ebda; hinc illae grundföhrenen, hae vero schweb- vel
springföhrenen vocantur J. J. Wagneb hist. nat. helv.
(1680) 210; gr., 'die see- oder lachsforelle' C. Th. Siebold
süszwasserfi^che 406; in anderer form: daher sie dann auch
den namen hat und ein grundfährin genent wird Gbeg.
Mangold fischbüchl. (159l Magdeb.) a.1^; grundf ärhinen
A 6^"; grundf orinen carpio Benaci, trutta magna Aleb
did. (1727) 1, 99lb. — -forderung,/. (i;gr;. comp.-<«/p. 5 p):
wenn sie {die Schülerinnen) . . . etwas mehr von den
grundforderungen der kunst einsehen lernen Göthe IV
12, 231 W.; vgl. II 6, 351; die gr. an alle poesie ist ...
Universalität Schelling w. I 5, 444 ; mehr wie comp.-typ.
5 r: Weises gr. {ging) dahin . . ., dasz die poetische con-
struction der prosaischen des gemeinen leben gleich
sein sollte Gervinus gesch. d. dtsch. lit.* 3, 466.
GRUNDFORELLE, /. (s. auch grundföhre, grund-
föme): gr., salmo lacustris Bbehm thierl. 8, 333; ist inen
kein schleck vorgangen, haben auch grundtforlen darbei
haben müessen. ich glaub, der guet Theus Kempf hab
all seine tag von keiner grundtforell nie gessen zimmer.
chron.^ 2, 546 B.; vgl. carpio, eine grundf orellen art im
Gardensee B. Faber thes. (1587) 142*>; grundforellen, dürr
gekauft {v. j. 1596) bei Fischer schwäb. 3, 877; grund-
forellen, 'im gegensatz der schwebfordlen' Nemnich wb. d.
GRUNDFORM — GRUNDFROMM
812
nat. 213; vgl. Tschudi thierl. d. Alpenwelt (1853) 158. —
-förine s. grundföhre.
GRUNDFORM, /., eine form, aus der sich andere ab-
leiten oder auf die sie sich zurückführen lassen {vgl.
comp.-typ. 5 p), vgl. lu^orm; 1) von körperhaften dingen,
wie 'grundgestalV : übereinstimmende gestalt der basalte
. . . auf eine gr. zu reduciren Göthe IV 32, 15 W.; kannen
griechischer gr. {mit ungriechischer decoration) Fitrt-
wängler beschr. d. vasen 184; die gr. der fensteröfEnung
ist die eines hohen rechteckes Karmarsch-Heeben 3,
403; allgemeiner: Zufälligkeiten der bUdung für gr. zu
halten Göthe 28, 277 W.; militärisch: grundformen
heiszen die formen der taktischen einheiten, aus denen
sich alle anderen entwickeln v. Alten 4, 478; {ich) halte
... es auch für zweckmäszig, wenn die kompagnie-
kolonne in der gr. sich stets in halben zügen . . . formiert
Wilhelm i. milit. sehr. 1, 327; zu form 7 {th. 3, 1899), die
ursprüngliche gestalt, form eines Wortes: der gröberen . . .
fälle nicht zu gedenken, dasz die verglichenen Wörter
nicht in ihrer gr. aufgenommen . . . werden W. v. Hum-
boldt ges. sehr. 6,8; wie nahe ty.tucQo^ und ty.acxog
der gr. liegen J. Gbimm kl. sehr. 3, 137; im ahd. bona für
bauna aus gr. bhabhnä . . . scheint u aus bh hervor-
gegangen Scherer kl. sehr. 1, 178; bei Campe 2, 471''
grundformen für die Stammformen der verben, 'die vor-
züglichsten weisen der Umwandlung der aussagewörter . . .
{inf., imper., partic.f; von einer spräche als ganzes: über
Verwandschaft des griechischen und des deutschen in an-
läge und gr. Vosz krit. bl. l, 451. 2) in mannigfachem
bezug auf formen geistigen ausdrucks: der alte hymnus ist
die gr. der lyrischen dichtung Fr. Schlegel s. w. 5, 242 ;
hier ist der erste und erhabenste parallelismus {das schöp-
fungswort: sei licht! und es ward licht) die gr. der vor-
stellungsart künftiger zeiten geworden Herder 11, 258 S.;
die mischformen {die Schattierungen des Christentums) sind
nur aus der reinen gr. zu verstehen D. Fr. Strausz sehr.
6, 8; {Descartes) stellte . . . von diesen sechs grundformen
aus eine naturgeschichte der affecte . . . auf Windelband
gesch. d. neuer, philos. l, 190; wie 'kategorie': dasz die
natur überall, also auch in ihrer gr., dem räume, kon-
sequent seyn musz Schopenhauer w. l, 121 Or. 3) zu
grund V gebildet {vgl. comp.-typ. 5i): gr., mit einer sol-
chen form wird der grund des kattuns . . . entweder ganz
bedruckt oder man giebt ihm hiemit auch nur streifen
Jacobsson techn. wb. 2, 163*; vgl. Beil techn. wb. 1, 264.
— -f ormel,/. {vgl. comp.-typ. 5 p): am wünschenswerthe-
sten wäre . . ., dasz man . . . die einfachste erscheinung
als gr. behandelte und die mannichfaltigern von daher
ableitete und entwickelte Göthe II 1, 305 W.; . . . der von
einer andern gr. für das eigentliche wesen des christen-
thums ausgeht Schleiermacher s.w. I3, 123; die gr.
unseres ganzen Systems Schelling w. I 4, 138; es fehlt
München an einer gr., auf die man die meisten . . . städte
. . . zurückzuführen vermag Hebbel w. 9, 403 W.; die
Wissenschaft {lernt) . . . diesen {Zusammenhang der erschei-
nungen) . . . durch exakte einfache grundformein auszu-
drücken hwb. d. staatswiss. 6, 1007. — -förne, s. grund-
föhre. — -frage, /., 'grundlegende frage, cardiruzlfrage"
{vgl. comp.-typ. 5)): wir wollen nicht einmal die leidige gr.
hinzuthun: wann sind denn eigentlich die gesetze ge-
geben? Hebder 5, 426 /S.; der speculative Charakter des
kantischen Systems wird durch dessen gr. bestimmt:
woher kommen die formen der erfahrung? Herbart w.
1, 258 H. ; wir müssen aber hier erst eine gr. erörtern
W. V.Humboldt ges. sehr. 5,462; m^hr wie comp.-typ.
5 r : der kämpf um die groszen grundfragen der Verfas-
sung Gebvinus gesch. d. 19. jh. l, 83; über einige grund-
fragen der sozialpoütik G. Schmoller buchtilel (1898).
GRUNDFROMM, adj., bildung wie comp.-typ. 1 a:
'von grund aus, sehr fromm', in den verschiedenen bedeu-
tungen von fromm {vgl. th. 4, 1, 1, 240^.): und dürstet
noch der grundtfrommen leute blut und leben Luther
12, 701 W., vgl. 10, 3, 293; denn se {meine frau) es ein gr.
mensche Kirchhof wendunm. 2, 242 Ö. ; im 17. jh. besonders
häufig: o du grundfrommer gott A. Weinheimer geistl.
813 GRUNDFUSZ - GRUNDGEDANKE
GRUNDGEDANKE - GRUNDGEHALT 814
wacÄf (1642) 224; des grundfrommen . . . Musai . . . lebens-
erzehlung Grimmelshausen 4, 853 Keller; deine grund-
fromme mutter und keusche frl. Schwester Bucholtz
Herkuliskus 378; Noah, ein so gottgeliebter und grund-
frommer mann Valvassor ehre d. hztm. Crain (1689) 2,
27. — -f usz, m., hauptsächlich im 17. jh. als verdetd-
schung von basis gebraucht: f eisen und klippen . . . aus
deren wurtzeln oder grundfüszen . . . E. Fbancisci ind.-
chines. lustg. (1668) l, 72; ein auf vier gantz niedrige räder
gesetzter viereckigter gr. Lohenstein Arminius l, 1354^';
'gr. oder grundfläche siehe basis' Noel- Chomel 4,1388;
im bilde: ,
gerechtigkeit und recht musz als ein grundfusz stützen
den thron . . . Opitz p«. (1637) 252.
— -gebäude, n., vgl. grundbau: gr. substructio Reyer
thes. (1668) 3, 1686.
GRUNDGEBIRGE, n., als geologischer terminus seit
dem 18. jh. geläufig; gleichbedeutend mit urgebirge {vgl.
comp.-typ. 5 p): die ältesten gesteinsbildungen wie granit,
Syenit, porphyr u.s.w.: gr., les montagnes primitives
Schwan 1, 798 a; ein theil des granits scheint das gr.
auszumachen A. G. Werner gebirgsarten (1787) 8; wohl-
verstanden, dasz ich hier nicht von herangeschwemmten
bergen, sondern vom ersten grund- und urgebirge der erde
rede Herder 13, 35Ä.; jene sogenannten grund- und
Übergangsgebirge kommen jetzt wieder aufs neue zur
spräche Göthe IV 23, 120 W.; dann auch weiter gefaszt:
'gr., die zumeist mehr oder weniger gefalteten ältesten gesteine
einer gegend' C. W. Schmidt wb. d. geol. (1928) 109»;
ebenso: an andern orten ist es dem verf. . . . nicht mög-
lich gewesen, das grundgebirg zu bestimmen allg. dtsche
bibl. 51, 61; entsprechend der tieflage des Stromes {der
Donau) ist auch das gr. in groszer Verbreitung entblöszt
V. Baer red. u. versch. aufs. 2, 133; neuerlich 'gr., die alle
früheren gesteinsbildungen einbeziehende gebirgsfaltung im
karbon" nach G. Braun bei 0. Kende geogr. wb.^ (1928)
78**; bergmännisch im sinne von ganggebirge {s. th. 4, 1, 1,
sp. 1248) Adelung 2, 828 und auch später mehrfach lexi-
kalisch z. b. Jacobsson techn. wb. 2, 163^, aber in eigent-
licher fachsprache nicht nachzuweisen. — -gebot, n. {vgl.
comp.-typ. 5 o):
das recht, das die natur und gott
uns gräbt in das gewissen
war mir das rechte grundgebott
A. GEYPHIüS gcd. 369 P.;
(weil du) aus bildnertrotz zu höhnen schienst
der Schönheit grundgebote . . .
W. Jordan in talar u. hämisch (1899) 186.
— -gebrechen, n. {vgl. comp.-typ. 5 p): dasz das gemüt
daran {an der in ein leeres formenwerk ausgearteten poesie)
endlich gar keinen anteil nimmt, was . . . überhaupt das
eigentliche gr. ist Grillparzer br. u. tageb. 59 ; inzwischen
war der könig . . . auf das gr. seines werkes aufmerksam
geworden Treitschke dtsche gesch. im 19. jh. 3, 402; dasz
er {Fichte) es als das gr. . . . des Zeitalters . . . bezeichnete
Fichte s. w. 3,xxvi.
GRUNDGEDANKE, m., im 18. jh. aufkommend. 1) ein
erster, ursprünglicher gedanke, aus dem sich andere ge-
dankenreihen, havdlungen oder werke enturickeln {vgl.comp.-
typ. 5p): alle anstalten {bestehen) ... nirgends seliger,
lieblicher und ruhiger ins ganze nach meinem herzen und
tiefstem gr-n als in dem Herrnhuth Zinzendobf nE()i
tciviov (1746) 122; aber das wort scheinbar verräth gleich
seinen ersten grundgedancken nothdürftiger nachklang
(1748) 3; philosophisch: die formen der seele sind überall
eins : und die ersten gr-n, die nach solcher form gemacht
werden, auch einerlei gestalt Herder 8, 113 <S.; angebo-
rene gr-n des menschlichen geistes Schopenhauer w. i,
15 Gr.; das bestreben, von einem allenthaltenden gr-n aus
nur durch begriffliche Operationen alles übrige wissen
zu erzeugen W. Windelband gesch. d. neuer, philos.^ l,
210; ruich comp.-typ. 5 p /9 hin: er {verstand,) die eigentliche
meinung, den einfachen aber tief philosophischen gr-n wohl
herauszulösen W. Raabe Abu T elf an (1870) 177; der aus-
gangsgedanke, uridee einer religion, einer lehre, eines
Systems: dieser ist . . . der gr. aller . . . mythologie: ein
stolzes bewusztsein der . . . eigenen kraft K. O. Müller
die Dorier 1, 454; die hoffnung auf diesen . . . Messias war
und blieb der gr. des jüdischen glaubens Schlosser
weltgesch. (1844^.) 4, 240; spätere Zeiten sind . . . von dem
gr-n {der kirche) abgewichen Stifter s. w. 14, 271; ich bil-
lige den gr-n dieser lehre {des communismus) Gutzkow
Säkularbild. (1846) 1, 211; Solger bildet den gr-n bereits
zu einem gegliederten Systeme aus Fb. Th. Vischeb
ästhetik 1, 129; dann vielfach der einem literarischen werk, ■
einem kunstwerk überhaupt zugrunde liegende gedanke:
das Nibelxmgenlied {wird) . . . durch den tragischen gr-n
. . . wirklich zu einem wunder der poesie Solger vorles.
üb. ästh. 291 ; der gr. deiner monographie Hebbel tageb.
4, 357; wenn der gr. unwahr ist, was will der grose künst-
1er dabey und was will er daraus machen? Göthe III 1,
197 W.; so scheint sich eine gewisse entfaltung eines
grundgedankens {in dem relief) zu zeigen Brunn kl. sehr.
2, 13; ähnlich: die vergleichende anatomie beschäftigt
sich . . . mit der nachweisung des baulichen grund-
gedankens in jeder . . . gattung Büchner kraft u. st. 105 ;
als leitender gedanke des handelns: fassen wir wenigstens
den gr-n auf, aus welchem das verfahren Albas hervorging
Ranke s. w. 38, 38; Hardenberg . . . sprach bereits die
idee aus, welche nachher . . . den gr-n seiner deutschen
Politik gebildet hat Treitschke dtsche gesch. 1, 215; dem
grundgedanken der englischen politik widersprach es
nicht Ranke s. w. 14, 108.
2) gedanke, der den kern, den wesentlichen irihalt eines ge-
dankencomplexes repräsentiert, hauptgedanke {vgl. comp.-
typ. 5 r), vielfach pluralisch: das sind die grundgedanken
der sage in unserm gedichte Lachmann z. d. Nibel. 3 ; {eine)
kritik der Volkswirtschaft, für welche die grundgedanken
längst bei mir feststehen Fb. A. Lange materialismus xni;
ein neues buch . . ., worin von dem alten auszer den gnmd-
gedanken nichts anzutreffen ist D. Fr. Strausz ges. sehr.
3, XXI; nur in wenigen gnmdgedanken leben diese mili-
tärischen männer {die Hugenotten) Ranke s. w. 9, 34 ; skizze
. . . , die grundgedanken zu einem vortrage Voigt hwb.
f. d. geschäflaführg. 2, 436. — -gef ühl, n., seit der ersten
hälfte des 18. jhs., zuf ruhest im pietistischen kreise:
ein beugsames empfinden
ein grundgefühl der Sünden
gesangb. d. brädergetn., anJiang (1741) nr. 1756 v. 2;
das gefühl, primo-primam sensationem, das gr. bei einer
Sache, kan kein mensch evitieren A. G. Spangenbebg
apolog. schluszschr. 2, 605; später allgemein üblich; 'erstes
gefühl, urgefühV {vgl. comp.-typ. 6 p): die grundgefühle
meiner thierischen natur sind alle wider die Unterwer-
fung Pestalozzi s. sehr. 7, 26; stellt man . . . die von
Bacon geforderte induction auf dem gebiete der mora-
lischen erscheinungen an, so stöszt man auf das gr. der
Sympathie W. Windelband gesch. d. neuer, philos.^ l,
348; der Sänger ist nur 'der mund der sage' . . . und der
einfachsten grundgefühle des voUcsgemüths Vischeb
ästh. 3, 1, 99; meist kreuzt der begriff des grundlegenden,
wesentlichen {comp.-typ. 5 o) hinein: das höhere selbst-
bewusztsein unter der form der seeligkeit ... ist das
eigentliche gr. des Christen Schleiebmacheb s. w. 1 12,
516; weil es euch an dem gr. der unendlichen und leben-
digen natur fehlt reden üb. d. relig. 50 P.; ein werk . . .,
was so recht das gr. solcher ideen bei verschiedenen Völ-
ker aufsuchte Heeder w. 5, 70*8'.; wie? literatur, kunst
und poesie könnten ohne Vaterland da sein? ohne dieses
gr., welches diesen blüthen erst klima und wärme ver-
leihen musz TiECK sehr. 14, 340; ähnlich objectsbezogen :
eine . . . poesie . . ., die in ihrem gr. eine allgemein . . .
deutsche ist Fr. Schlegel s. w. 8, 89 ; selbst in unseren
Volksliedern findet sich dieses tragische gr. Solger Erwin
2, 155; bei reichster mannigfaltigkeit weisz grade er
( Bach) das gr. der {mixolydischen) tonart . . . zur geltung
zu bringen Chrysander Händel 1, 25. — -gehalt, m.
{vgl. comp.-typ. 5 p) ursprünglicher gehalt: jeder ander-
weitige Inhalt dieser Vorstellung aber {musz) erst aus dem
angegebenen gr. entwikkelt werden Schleiermacheb
815 GRUNDGEHEIMNIS - GRUNDGELEHRT
s. w. I 3, 21 ; der eigentliche, den kern ausTnachende, wesent-
liche geholt (vgl. comp.-typ. 5r): die sonstigen ingredien-
zien . . ., mit denen der grosze gr. von Hamann aus-
staifirt . . . wird Hegel w. 17, 89; so ist kein zweifei,
dasz der musikalisclie gr. mit den mechanischen Schwie-
rigkeiten oft in keinem Verhältnisse steht R. Schumann
ges. sehr. 4, 123 ; wie der fonds oder gr. jeder Wissenschaft
nicht in beweisen . . . besteht Schopenhauer w. 2, 89 Qr.
grundgehalt als neutr. in moderner spräche das rechnungs-
mäszige nominalgehalt eines beamten im gegensatz zum
brvMoeinkommen {vgl. grundlohn comp.-typ. 5 q). — -ge-
heimnis, n., letztes, tiefstes geheimnis{vgl. comp.-typ. 5 p ^) :
wie die lehre vom abfall das gr. der alten mosaischen
Offenbarung bildet Fr. Schlegel s. w. 2, 175; die letzten
grundgeheimnisse trägt der mensch in seinem innern
Schopenhauer w. 2, 207 Or.; dasz ihm mehr am suchen
der Wahrheit als an ihr selbst gelegen sei . . . womit das
gr. der Wissenschaft . . . aufgedeckt Avorden ist Nietzsche
w. 1, 105. — -geist, m. wahrer, eigentlicher geist (vgl.
comp.-typ. 5 p): der Zeitgeist der menschheit ist . . . kein
gr. der kunst — er kann es nicht werden Pestalozzi s.
sehr. 8, 275; chemisch {vgl. comp.-typ. 5 n); ätherische oder
wesentliche öle . . . besizen den eigentlichen Spiritus rec-
tor oder gr. und werden den fetten und brenzlichen ölen
entgegengesezt Blancakd arzneiw. wb. (1788) 1, 43''. —
-geld, ». \) als zins für gepachteten grund und boden zu
entrichtendes geld {vgl. grundgülte sp. 738): da dy vor-
genantin herin haynt an der erstin (mülen) czu Erregart
alle jar vierunzuencik Schillinge gruntgeldis {v. j. 1342)
hess. urkdbuch 2, 507 Wyss; wer kan ausdencken . . . wie
viel an monatgeld . . ., gr., pflugschatzung . . . den leuten
abgepresset wird Breckling regina pecun. (1663) 11;
grund-, gewehr-, schreib- und fertigxmgsgelder . . . sind
ins gemein auf lOO fl. zu moderiren Hohberg georg. cur.
1, 31; der hammer muszte auch alljährlich an den herrn
von Hucharde einen kanon zahlen oder gr., wie man auch
sagt L. Schücking die Rheider bürg l, 66. 2) jünger in
anderer composition, aber anscheinend nur als papierene
bildung: capital (gr., hauptgeld) Kinderlinq reinigk. d.
dtschen spr. 237 vgl. Campe 2, 471, der mit gr. 'capital,
hauptgeld, stammgeld, grundvermögen' gleichsetzt; wohl
nichts als Verdeutschung von frz. fond vgl. Kinderling
a. a. 0. 269.
GRUNDGELEHRT, adj., mit dem 17. jh. auftretend
und literarisch rasch verbreitet, vereinzelt von der mundart
aufgenommen grondgele'ert lux. ma. 156^; 'von grund aus,
überaus gelehrt^ {vgl. comp.-typ. 1 a): diser hohcherfahrne
und grundgelährte fräund Zesen adriat. Rosem. 33 ndr.;
meinen ersten hochgeehrten herrn Schwiegervater, den
grundgelehrten Helvecium Schupp sehr. (1663) 687; den-
jenigen blinden magister . . ., der . . . professor gewesen
und nicht allein einen gar scharfsinnigen grundgelehrten
phüosophum gegeben, sondern auch Instrumenten ge-
macht E. Francisci lust. schaub. (1698) 2, 678; durch
grundgelehrter kenner urtheil Leibnitz dtsche sehr. 1,
475; Arete, des weltweisen Aristippi . . , grundgelehrte
tochter Amaranthes frauenz. lex. (1715) 93; der be-
kannte, von herzen fromme und grundgelehrte . . . theo-
loge Jung-Stilling w. S, 443; feste Verbindung ist der
grundgelehrte mann: der ... ist ein solcher grund-
gelehrter mann, dasz man seines gleichen wenig findet
ScHOCH com. V. stud. (1657) k i^; ein grundgelehrter mann
kan nicht geschickter reden Stränitzky ollapatrida 150
Wien, ndr.; andere hielten mich für einen grundgelehrten
mann Göthe 28, 205 W.; {doctor Fleischer) ist krund-
gelehrt. ein krundgelehrter mann G. Hauptmann biber-
pelz (1893) 51; mit leicht ironischem accent:
doch wenn ichs nehme, grundgelehrter mann
mit gunst: musz ich es (das buch) dann auch lesen?
Lessing s. sehr. 1, 34 L.-M.
so schlägt gr. nicht selten aus positiver in mehr oder minder
negative, spöttische bewertung um:
das grundgelehrte vieh (der saufende Student)
sitzt unter rauch und dampf wie engel in der hölle
J. Chr. Günther ged. (1735) 487;
GRUNDGERECHT— GRUNDGERÜST 816
er denkt und lebt gemein,
und ist, mit einem wort, ein grundgelehrtes schwein
Triller poet. betracht. (1750) 3,426;
wie 'verschroben, superklug\' närrische gedanken von der
Vernunft oder gespräche zweener grundgelehrter theolo-
gaster über die Schädlichkeit der Vernunft Schwabe
belust. 1, 40;
viele kannengieszer, freund,
die grundgelehrt und handelsmäszig sprechen
J. FR. LÖWEN sehr. (1765) 3,197;
alles was nicht ewig dauert, ist zergänglich, sagt ein
gewisser grundgelehrter autor Hafner lustsp. i, 72 ; dann
auch mit dem beisinn 'lebensfremd, einseitig gebildet^- wie
der grundgelehrte, der sich nie im kreise der feinen weit
bewegte, in ihr mit seiner unbehüKlichen geisteskraft
leicht blosz steht Gvtstavtus turnbuch {1817) xxv; solche
grundgelehrte leute {sind) ... in den dingen des alltäg-
lichen lebens dagegen oft höchst unwissend, ungeschickt
und verkehrt Körte sprichw. 144; gern auf das organ oder
gebiet der gelehrsamkeit angewandt: das grundgelehrte
haupt B. Neukirch anfangsgr. (1724) 162; dein grund-
gelehrter geist Gottsched ged. (1751) l, 481; dein grund-
gelehrtes wissen Hoffmannswaldau u. a. auserles. ged.
5, 96; oder auf das geistige product selbst, auch wieder
theilweise ironisierend: eine grundgelehrte disputation
Weichmann poesie d. Niedersachs. 4, 180; grundgelehrte
Weisheitsschlüsse Gottsched neueste a. d. anmuth. ge-
lehrs. 6, 459; eure schwerfälligen, grundgelehrten, super-
feinen deduktionen H. v. Kleist 4, 184 Schm.; die grund-
gelehrten bände Triller poet. betr. 4, 51; ein grundgelehr-
tes neun bände starkes werk Thümmel reise 7,. 26; in den
grundgelehrten werken der französischen akademie Les-
sing s. sehr. 10, 269 L.-M.; eine grundgelehrte abhand-
lung Campe 2, 471''; ein paar grundgelehrte citate zieren
den ganzen menschen Heine w. 3, 168 E.;
schrieb er ein dickes, grundgelahrtes buch
L. Fulda neue ged. (1900) 225.
— -gerecht, adj. {vgl. comp.-typ. 1 a,): die {weisen)
können gantz nicht leiden die wort, werck und leben des
grundgerechten menschen Luther 1, 179 W.;
der grundgerechte gott hat alles wol erweget
G. TeküER deutsch. Dädal. (1675) 1, 743.
— -gerechtigkeit, /., juristischer begriff älterer spräche,
in neuerer veraltend 'gerechtsame, privileg, das an einem
grund und boden haftet^ : grundsgerechtigkeit directum do-
minium, respicit correlative emphyteutam et utile dominium
Henisch 1769. 1) das rechtsverhältnis zwischen grundhold
und grundherr in form von ludeigen, lehen, leibrecht u.s. w.
vgl. Schmeller-Fr. 2, 31/.; das mandat vom 3. mai 1779,
wodiu-ch die Umwandlung aller arten von grundgerechtig-
keiten in erbrecht ermöglicht wurde hwb. d. staatswiss.^ 2,
353 ; überhaupt der rechtliche anspruch auf einen grund und
boden wie das grundherrliche zinsrecht u. ä.: si {die 'über-
zinsherrn^) maszen sich alle grundgerechtigkait und briefs-
fertigung als rechte grundherrn an {nach 1590) österr.
weisth. 10, 52; grundsgerechtigkeit ebda; hier unsere stadt
fischte sich . . . die gr. von Tempelheide und eine menge
anderer grundrechte Gutzkow ritt. v. geiste 3, 46; enger
im sinne 'grunddienstbarkeit, Servitut^ als nutznieszungs-
recht: grundgerechtigkeiten an öffentlichen wegen Ritter
hdwb. d. preusz. verwaltg. 1, 828. 2) die gerichtsbarkeit des
grundherrn {s. gerechtigkeit 13 th. 4, 1, 2, sp. 3613) über
einen bestimmten bereich in geringeren vergehen vgl. nieder-
gericht, erbgericht; gr. jus territoriale, giurisdittione Kra-
mer teutsch-ital. l, 573 <=; gr. 'die gerichtbarkeit, welche dem
grund und boden anklebet' Krünitz 20, 281. — -gerüst,
n., das als fundament und träger dienende gerüst: in der
umkleidung der weichen theile {des dargestellten mensch-
lichen körpers) . . . soll das grundgerüste ohne härte als
fester träger sichtbar sein Vischer ästh. 3, 415; dasz sie
{die zeit) . . . das unterste gr. der Schaubühne dieser ob-
jektiven weit ausmache Schopenhauer w. 5, 50 Qr.;
so wird, musz gleich dein bau auf dieser weit verschwinden,
dein fleisz die ewigkeit zum grundgerüste finden.
H.W. V. LOGAU poet. zeitvertr. (1725) 65;
817 GRUNDGESCHEIT -GRUNDGESETZ i
GRUNDGESETZ 2. 3 - GRUNDGESETZLICH 818
das gr. des vorhandenen wissenschaftlichen Stoffes
Fichte «. w. 8, 108; das . . . {musikalische) thema . . .
schien ihm (Beethoven) als gr. ... dienen zu sollen
R. Wagner ges. sehr. u. dicht. 9, 99. — -gescheit, adj.,
vgl. comp.-typ. 1 a: das soll zwar ein grundgescheutes weib
sein, voll wiz und denkkraft Elise Bürgee in: br. von
O. A. Bürger an M. Ehrmann (1802) 63; was das für ein
herrhcher grundgescheuter kater ist E. Th, A. Hoffmann
s. w. 10, 129 ör.; ein grundgescheiter kerl Müllner dram.
w. (1828) 7, 188; der grundgescheidte, vielseitig gebildete
offizier Treitschke dtsche gesch. 5, 26; der hausherr mit
. . . seinem breiten, grundgescheidten gesiebte Kübn-
bebger novellen 3,201. — -geschichte, /., vgl. comp.-
typ. 5 o : wie die gr. von des Jephtha tochter lautet KLnorr
v. Rosenroth pseudodoxia (I68O) 820; wie comp.-typ. 5 p:
das unmittelbare und ursprüngliche, was als gr. des
lebens der Völker in der fabel und dem mythus liegt
Arndt sehr. f. u. an s. l. Dtschen 4, 305 ; auf diese gr. . . .
der Griechen haben die tieferen forschungen . . . wieder-
holt . . . hingewiesen Fe. Schlegel a. w. 13, 223.
GRUNDGESETZ, n., ein gesetz, das die grundlage für
eine erscheinung darstellt {vgl. comp.-typ. 5 o) oder auf das
man sie zurückführt {vgl. comp.-typ. 5 p).
1) zufrühest im 17. jh. als Verdeutschung von leges funda-
mentales wird grundgesetze von der rechtssprache auf-
genommen als 'gesetze, die das staatsrechtliche fundament
bilden, den rechtscharakter eines reiches, eines Staates, einer
Verfassung u. s. w. bestimmen und grundlage für andere
gesetze und rechtsverordnungen sind'' : w£is dann in diesen
articuln enthalten, gehet die römische kayserliche maje-
stät und stände des reiches unter sich, ja die grundgesetze
und den reichszustand oder Staat an {^adeoque leges
fundamentales et statum ipsum imperii concernif im
lat. paraUeltext) actenstück v. j. 1645 in J. G. V. Meiern
acta pacis westphalicae (1734) 1, 625;
indem er (der könig) sich nunmehr zam sterben fertig macht
vor recht und grundgesetz
A.GRYPmus {Carolua Stuardus) trauersp. 392 P.;
sonst haben die Türeken ein grundgesetze, dasz keiner
sultanin von einem bassa gezeugte kinder einigen hohen
reichsampts fähig sind Lohenstein Ibr.sultan (1680) l,
anm. zu abhandl. I, v, 516; die obrigkeit die geschehene
capitulationes, grxmdgesätz, eyd und bündnüsse nicht
halten wolten Dannhauer catech.-milch (1657) 3, 128;
alle comraentarü . . . über das {westfälische) friedens-
instrument {sind) unhinlänglich, den wahren . . . verstand
dieses haupt-grundgesetzes zu ergründen J. G. v. Meiern
acta pacis westph. (1734) l, 29; (er) verwandelte die haral-
dinische gesetze in ein gr., eine handfeste, welche jeder
könig fortan vor der huldigung anzuerkennen hatte
Dahlmann gre^cÄ. v. Dann, l, 194; allgemeines bürgerliches
gesetzbuch heiszt das . . . zivibechtliche gr. v. Alten l,
267; jede abänderung der bestimmungen des grund-
gesetzes . . . bedarf . . . der genehmigung des bundesrats
banicgesetz v. 14. märz 1875 § 47; vielfach in fester genitiv-
Verbindung; zuerst mit reich {vgl. reichsgrundgesetz) : wann
auch etwas an den Satzungen und grundgesetzen des
reiches zu ändern ... ist {'si circa ipsas constitutiones et
leges imperii mutandum . . . fuerif im lat. paraUeltext)
actenstück v. j. 1645 bei J. G. v. Meiern acta pacis westph.
(1734) 1, 625; als dehr wider die grundgesäzze das reichs
gehandelt Zesen Ibrahim (1045) l, 16; was vor ein wich-
tiges grundgesätz des deutschen reiches der . . . west-
phälische friede sey J. G. v. Meiern acta pacis westph.
(1734) 1, 1; weil . . . nach den grundgesetzen des reiches
kein anderer als ein gelehrter zu der stelle eines befehls-
habers kommt J. G. Zimmermann v. d. nationalstolze
(1758) 288; nach den grundgesetzen des reiches sei der-
selbe {der könig) niemand unterworfen auszer gott allein
Ranke s. w. 9, 16; gr. eines Staates: als hab er . . . des
Staates grundgeseze beleidigt Meiszner Alcibiades (1781)
4, 174;
grundgesetze lösen sich auf der festesten Staaten
GöTHE 50, 265 W.;
IV. I. ß.
das Interesse der groszen gesellschaft will es augenschein-
lich, dasz man die grundgeseze eines Staats nicht un-
gestraft verlezen lasse Schiller 4, 98 G.; er suchte die
Verfassungen und grundgesetze aller Staaten zu erfor-
schen SCHI.OSSEE weltgesch. (1844^.) 2, 421; also geben
sie ein solches grundgesez oligarchischer verfassimg
Schleiermacher Piatons w. 6, 415.
2) im sinne ^letzte, den erscheinungen zugrunde liegende
gesetze, naturgesetze^ {vgl. comp.-typ. 5 p) bereits im 17. jh.:
in diesen ■wunderraum und unumscluänckten kraysz
ward erd und mond gesetzt, stem, sonne und planeten
nach regeln . . .
unwandelbar, nach der bewegung grundgesetze
Hoffmannswaidau-Neukirch 7, 102 ;
die mögligkeit geringer ertzt in gold zu verwandeln, wäre
denen grundgesetzen der naturkündiger auch gemäsz
Lohenstein Arminius (1689) l, 177»;
so lehrt doch die natur nach ihren grundgesetzen
J. Che. GÜKTHER ged. (1735) 765;
(ihr prietter der natur,) verfolgt hier femerwelt die halbver-
ratbne spur
der ewig wahren grundgesetze
Gottsched ged. (1751) 1, 33;
{wir werden) dies grosze treibhaus der natur in tausend
Veränderung (!) nach einer ley grundgesetzen wirken
sehen Herder s. w. 13, 31 S.; die bläue des himmels
offenbart uns das gr. der chromatik Göthe II 11, 131 W.;
diesz gr. der Vegetation führt Göthe auf überzeugende
und lehrreiche art aus K. Sprengel gesch. d. botanik
(1818) 2, 303; ob es gleich . . . eine betrübte entschüeszung
ist, bei einer zusammengesetzten und noch weit von den
einfachen grundgesetzen entfernten beschaffenheit die
bemühung der Untersuchung («6er 'die eindrückung der
den planeten beiwohnenden Schwungkräfte^) aufzugeben
Kant s. w. l, 320 Hartenst.; so sehen wir auch hier das
bekannte gr. aller mechanik bestätigt, dasz man an zeit
gewinnt, was man an kraft nachlässt Moltke ges. sehr.
2, 261.
3) vielfältig in allgemeinerer Verwendung mit verschie-
dener betonung des fundamentalen {s. o. l) oder ursprüng-
lichen {s. 0. 2) :
dasz er sieh unterwirft der liebe grundgesätzen
Lohenstein blumen (1680) rosen 109;
{ich) getraue mir noch nicht die grundgesetze d'un bei
esprit ... in einer gewissen kunstform fürzustellen Tho-
MASius kl. dtsche sehr. 12l; die grundgesetze der gesunden
Vernunft und reinen philosophie J. B. Mencke charla-
tanerie (1716) 59; drei . . . grundgesetze des denkens
Schopenhauer w. l, 86 Gr.; der Übergang von schmerz
zu absehen ist das grundgesez der seele Schiller 1, 152 G.;
diese Spiraltendenz als gr. des lebens Göthe II 7, 40 W.;
das gr. dieses handelns ... ist ein immanentes formales
gesetz des ich Fichte s. w. 2, 139; lasse keine zarte emp-
findligkeit . . . die grundgesätze der gemeinen wolfarth
erweichen Lohenstein Arminius 2, 1330'J'; bücher . . .,
worinn die grundgesetze der moral . . . enthalten sind
Ramler einl. in d. schön, wiss. l, 136; lerne frühzeitig
die grundgesetze der harmonie Schumann ges. sehr. 4,
294; stille grösze und edle einfalt . . . sey das gr. der
griechischen kunst gewesen A. W. Schlegel im: Athe-
näum 1, 2, 85; einige grundgesetze des dramatischen
Schaffens G. Feeytaq ges. w. 14, 3 ; die einrichtung dieser
soKeggis . . . verdient auf grundgesetze zurückgeführt zu
werden Schübart ästh. d. tonkunst 336; dem gramma-
tischen gr. bleiben nur drei personen bekannt J. Grimm
kl. sehr. 3, 237; R. woUte mit seiner Werttheorie das gr,
der Preisbildung hefem hwb. d. staatswiss.^ 6, 429. —
-gesetzlich, adj., zu grundgesetz 1: der Verfasser {ver-
wirft) den Charakter grundgesetzKcher Sanktionen allg.
dtsche bibl. 115, 27; grundgesetzliche rechtssicherheit
Treitschke dtsche gesch. 5, 410 ; jede verf assimgsmäszige,
grundgesetzliche bestimmung Bismarck polit. reden
4, 94 ; nach grundgesetz 3 : die theilung der kunst als eine
dreigliedrige {erweitert) . . . sich zu einer fünfgliedrigen
52
819 GRUNDGESTALT — GRUNDGEWALT
GRUNDGEWALTIG -GRUNDGRÄBER 820
. . ., ohne dasz darum die dreitheilung ihre grundgesetz-
liche geltung verlöre Vischeb ästh. 3, 2, 178.
GRUNDGESTALT, /. {vgl. comp.-typ. 5 p), in con-
creter hinsieht 'eine ursprünglich vorhanden gewesene ge-
staW : nicht aber nur die gr. {der eichhörnchen) verändert
sich bis zum unkenntlichen Göthe II 8, 250 W.; der keim
des menschen ist gleichsam eine gr.^ die durch mehrere
. . . umstände in eine abweichende sekundäre form über-
geht Novalis sehr. 3, 303 M., vgl. 2, 279; meist aber im
sinne einer gestalt, die von individuellen merkmalen be-
freit, als typisch für eine gattung gedacht wird: die gestalt
der Spechte kann als die gr, der klettervögel betrachtet
werden Brehm thierl. 4, 187; bei dieser darstellung der
gr. der pflanze Vischeb ästh. 2, 83; die sechsseitige pyra-
mide {ist) die gr. der krystalle {des eises) Kabmabsch-
Heeeen 2, 742; ich habe . . . aus den so oft wiederkeh-
renden melodischen formen folgende drei grundgestalten
(typen) aufgestellt Böhme gesch. d. tanzes 246; er {Werner)
betrachtete die combinationen {bei crystallformen der mi-
neralien) und selbst einige einfache gestalten als modifi-
cationen anderer, die er grundgestalten nannte Oken
allg. naturgesch. 1, 88; philosophisch: der atomistiker setzt
in die natiu* gewisse grundgestalten Schellikg w. I 3,
301 ; begriff und saz sind die beiden grundgestalten, unter
denen alles besondere wissen in ims vorkommt Schleieb-
MAOHEB w. III 5, 17; aus der anschauung abstrahirte
allgemeinvorstellungen sind die grundgestalten des han-
delns der vemunft W. Dilthey einl. in d. geisteswiss. 1,
131. — -gestaltung,/.: von diesen dreierlei . . . natur-
formen . . . hangen als gr. alle übrigen Verhältnisse des
. . . climas ... ab Ritteb erdk. 5, 695; das grabdenkmal
. . . sollte . . . bei veränderter gr. sich mit einer der vier
selten an die kirchenwand anlehnen H. Gbimm Michel-
angelo 1, 455. — -gesteil, 71. {vgl. comp.-typ. 5 h): in
welchem {tempel) ihr {der Venu^) bildnus . . . auf einem
grundgestelle ... zu sehen {war) Sandbabt iconölog.
deorum (1680) 185»; das gr. und die piramide waren mit
den mannigfaltigsten marmorfarben decorirt Rebmann
d. neue schildwache (1798) 164; setzt nicht statuen auf
häuserhohe grundgestelle Schopenhaubb w. 5, 684 Gr.;
technisch ; gr., . . . 'das mauerwerk im gründe eines hochofens
unter dem bodenstein des gestelles' Bltjmhof eisenhüttenkde
2, 496; bildlich: der unterthanen glückseligkeit hat kein
anderes grundgestelle als die fürsichtigkeit . . . derer, die
sie regieren Stubenbebg Samson (1657) 206;
wer in der lieb auf unbestand
das grundgestell der treue leget
Baeth. Feind dtsche ged. (1708) 237;
Staat ist das gr. des volkes Jahn l, 163^. — -getreu,
adj. {vgl. comp.-typ. 1 a) :
also ausz grundtgetrewem mut
hat AttaUus den rath geben
H. Sachs 8, 610 K.;
unser grundgetrewe gott A. Weinheimeb geistl. wacht
(1642) 162; seiner {gotte3) grundgetreuen liebe und barm-
herzigkeit Butschky rosenthäl (1679) 158; zuvor aber
hielten die grundgetreuen Siamer .... um erlaubnis an
ZiEQLEB asiat. Banise (1689) 653. — -gewalt, /. 1) als
staatsrechtlicher begriff; in den Jahrzehnten um 1800 öfter
im sinne 'ursprünglichste, natürliche gewalt im Staate,
auf der alles recht beruhV, vgl. gr. des volkes im Staate
{souverainete) Rüdigeb bei Campe 2, 472», vgl. grund-
recht; S. {verwechselt) die gr. der gesellschaft mit der
höchsten allg. dtsche bibl. 71, 74; jene {staatsgeselze) . . .
können nur durch die gr. der nation errichtet werden
ebda, anhang zu 53-86, 1714; anders 'die hauptgewalten' ,
nämlich die gesetzgebende, ausübende und richterliche ge-
walt: wenn . . . die rechtlichkeit der Verfassung in die
trennung der drei grundgewalten des Staats . . . gesetzt
wird ScHEiiLiNG w. I 3, 586; 2) anders mit intensivierendem
grund- {vgl. urkraft):
■wenn das gewölbe widerschallt,
fühlt man erst recht des bassea grundgewalt
GÖTHE 14, 99 {Fautt V. 2086) W.;
danach :
der heute noch jung und alt
entzückt mit des basses grundgewalt
Hoffmann V. Falleesleben ges.schr. 6,114;
ihre {der orgel) geisterhaft dröhnende elementare tiefe,
ihre sturmähnliche gr. Vischeb ästh. 3, 4, 1047. — -ge-
waltig, adj., wie comp.-typ. la: der berühmten gnmd-
gewaltigen schluszfuge {geht) unmittelbar ein menuetto
graziöse voraus Riehl Eisele 314; anders 'über grund und
boden herrschend' : niemand wagte den geld- und grund-
gewaltigen auch nur durch einen buchstaben daran zu
erinnern Anzengbubeb ges. w. 4, 127. — -gewebe, n.,
webereitechnisch {vgl. comp.-typ. 5 i) : stoffe . . ., bei wel-
chen in einem glatten gr. die figuren . . . vertheilt sind,
derart, dasz . . . Kabmabsch-Heeben 10, 476 ; die dessins
lassen sich herstellen durch . . . einschaltung besonderer
einschlagfäden in das für sich bestehende gr, Luegeb
7,879; vielfach bildlich: sie {jugendeindrücke u.s.w.)
weben das gr. {von Huttens Charakter), in welches spätere
Schicksale . . . nur den einschlag geben Hebdeb w. 16,
275 S.; sinnliche Vorstellungen . . . sind das gr. aller
sprachen 21, 125; in der mythologie {gibt es) eine innere
structur , . ., ein gr., dessen ähnlichkeit . . . auf einen
verwandten Ursprung hindeutet Fb. Schlegel s. w. 8,
321; gelingt ihm {dem dichter) das mit dem gr. des Stücks,
der handlung und den hauptünien der Charaktere
G. Fbeytag ges. w. 14, 49; gr. als physiologischer fach-
ausdruck: gehen wir mm, um eine höhere anschauung der
bedeutimg dieser beiden nervösen gr. zu gewinnen . . .
Sömmebeing bau d. menschl. körpers 4, 14; gr., gewebe
des pflanzenkörpers, welches den räum zwischen den
gefäszbündeln ausfüllt und von der oberhaut um-
schlossen wird Bvssi: forstlexicon^ 1, 407»; das schwam-
mige gr. {des papyrv^) besteht aus verzweigten . . . paren-
clijonzellen Mxtspbatt 6, 1432. gewicht, n.:
denn so bald das grundgewichte
aus gesezten gränzen schreitet,
wird der bäum zum fall geleitet
Knittel poet. ginnenfr. (1677) 44;
modern im sinne des comp.-typus 5 q. — -glaube, m.,
vgl. grund des glaubens {sp. 704) und comp.-typ. 5 s: ohn
rechten grundglauben lasst sichs nicht from seyn Dann-
HAUEE catech. milch (1657) 1, 9. — -glied, n. {vgl. comp.-
typ. 5 p) : denn es wachsen die sänüichen theile oder
solche glieder, welche von den sämlichen grundgliedern
der eitern formiret werden . . ., nicht wieder Knobb
V. RosENBOTH pseudodoxia (1680) 595; läppen- oder bla-
senbildungen, welche . , . gewissermaszen als die all-
gemeinen grundglieder des planes des himbaues ange-
sehen werden können Sömmebbing bau d. menschl. körp.
4, 124; anders, wie comp.-typ. 5l: bei unserem , , . flusz-
krebs liegen dieselben {gehörorgane) in den grundgliedern
der . • . fühler Bbehm thierl. 10, 11.
GRUNDGRABEN, m. {vgl. comp.-typ. 5 h): gr, . , „
'die aushöhlung, welche man im boden herstellt, um hinein
zu gründen' Mothes baulex. 2, 541 vgl. fundamentgraben;
vermutlich älter als der folgende beleg aus dem 18. jh.: gr.,
suffossio fundamenti struendi causa Haym jur.lex. (1738)
274 ; wo die natur den grund auf einen felsen selbst gelegt,
hat man keinen gr. von nöthen Zincke öcon. lex. (1744)
999; vgl. Kjiünitz 20, 256. — -graben, n., zusammen-
rückung des substantivierten infinitivs {vgl. comp.-typ. 6):
früh vollendetes abstecken . . . am hölzchen. anfang des
grundgrabens Göthe III 3, 77 W.; bei dem gr. so vieler
häuser {kamen) gar manche Sorten Sprudelsteine zum
Vorschein II 9, 35. — -gräber, m., im sinne 'erdarbeiter',
aber meist speci fisch {entsprechend grundgi-aben) für grund
IVA {vgl. comp.-typ. 5h): von denen geschworenen
werckleuten der mäurer, Steinmetzen und zimmerleute,
auch . . . grundgräbern und feuermauerkehrern Breslauer
bauordnung (1668) 33; des röhrmeisters, kunstmeisters,
der steinbrücker, gr., holtzhauer und tagelöhner lohn
ebda 42; man {soll) nicht tief hinein graben, es sei dan,
dasz man die erde an beiden selten mit starken bretern
. . . verwahre, damit sie nicht . . . auf die gr. falle Zesen
821
GRUNDGRABUNG - GRUNDGUT
GRUNDGÜTE - GRUNDHAAR
822
kriegsarbeit (1672) 3, 64; vgl. grundgräberlohn Krünitz
20, 274: der lohn für den grund auszugraben, der grund-
gräberlohn, kann . . . ; etwas anders {vgl. comp.-typ. 5 e)
mundartlich Klein dtsch. frov. wb. i, 166. — -grabung,
/. (s.o. grundgraben n.): gr. VocH baulez. (1781) 132'';
MoTHES baulex. 2, 359; pfeilergründung wird . . . an-
gewendet, wenn man an gr. ... ersparen will Ltteger
6, 737. — -grübe, /., zu comp.-typ. 5 c; vereinzelt früh :
wie sie schechte, stollen und tiefe gruntgruben in die
erden durchgraben ackermann öms Böhmen 80 Bernt-
Burd.; in neuerer spräche yundam^ntgrube' (vgl. comp.-
typ. 5 h) 5. grundgraben: bei . . . einigen . . . bodenarten
macht es sich oft nöthig, die wände der gr. durch aus-
schalung vor dem einrutschen zu bewahren Mothes bau-
lez. 2, 638.
GRUNDGUT, adj. (vgl. comp.-typ. 1 a), intensiviertes
gut vgl. ertzgut, hauptgut, gr. otlimo, arcibuono, strabuono
Kbamer teulsch-ital. 1, 578^; seit dem, 16. jh. zu belegen, aber
auszer bei Luther und Hans Sachs wenig häufig; voller
erst mit dem ausgehenden 18. jh. entwickelt; auch mund-
artlich, vgl. grondgutt herzensgut lux. mo. (1906) 156*; denn
damit gabt die schrifft unter und macht man nymmer
mehr grundgute theologen Luther 7, 650 W.;
viel basz regierten noch wir frawen,
die sind grundgut, getrewer hertzen
Hans Sachs 4, 19 K.;
Spener ist durchaus ein grundguter mensch G. Förster
briefw. mit Sömmerring 50; es ist ein grundguter mensch
Göthe IV 9, 688 W. ; ein grundguter und anmuthiger
mann IV 37, 164; ein feiner, beredter doch aber grund-
guter knabe Fr. H. Jacobi to. l, 30; n grundgutcr kerl is
er G. Hadttmänn einsame menschen (1891) 28; besonders
im 17. jh. wie grundgütig (s. u.) von gott: wie könte der
grundgute gott es über sein väterlich hertz bringen
J. Ellinger hexencoppd (1629) 49; wolle er der grund-
gute gott gnad . . . geben Dannhatjer catechismusmilch
2, 122; Christus . . . der immertreue . . . grundgute . . .
sohaaf weitende hirt Treuer dtsch. Dädalus 1, 335; alt
auch neben abstractbegriffen bei kennzeichnung persönlicher
eigenscltaften: ist der glaube recht und gr. Luther 17, l,
436 W.; die rechten grundguten gerechtigkeit 18, 622; ynn
eyner . . . grundgutten heylickeyt 12, 262; ein grundt-
guter will, wan er vorhyndert wirt, spricht also 2, 103;
da er einen grundguten und ernstlichen willen hat W.
v. Humboldt br. an Welcher 3 ; wenn man daher gehet
ynn eynem rechtschaffen und grundtguten wesen Luther
12, 551 TF.; dieses bestreben zerbrach ... an ihrem. (Clelia^)
grundguten wesen Immermann 4, 130 B.; in dem grund-
guten wesen des grafen Czernin Laube ges. sehr. 11, 153;
ein . . . junge . . . mit sanftem, grundgutem blick Vischer
altes und neues 2, 237; bei anderen objecten vorwiegend in
älterer spräche: vonn der recht grundgutten kirchen
Luther 7, 309 W.; die stuck gottlichs grvmdgutten
diensts 10, 1, 1, 676;
{ich halte) all aelne werck grechfc und grundgut
Hans Sachs 19, 338 K.- O.;
wann ich bring euch grundgute mer 7, 81 K.;
adverbial: warheytt bedeutt, das es allis gr. . . . ist Lu-
ther 10, 1, 1, 246 W. ;
ich mein dlrs gantz gruntgut und treulich
Hans Sachs 13, 509 X.-G.;
kein mann . . . soll es mir je verwehren dir gr. zu sein
Fr. Creuzer in: die liebe der Oünderode (1912) 245 Frei-
sendanz; substantiviert: das grundgute ihrer lehre Göthe
IV 15, 147. — -gut, n., ^grundeigenthum, besitzthum an
grund und boden' (vgl. comp.-typ. 5f): grondgutt liegende
guter lux. ma. (1906) 156*; meist pluralisch, seit dem 16. jh.
zu belegen: wäre aber sach, das ain grünt- oder lehensherr-
schaft seine grünt- oder lehengüeter nit thailen lassen
wolte österr. weisth. 5, 664 (a. d. 2. hälfte d. 16. jh.s); ver-
kauffung der grünt- und zinsgüeter 671; Veränderung der
grundgüeter (v. j. 1644) 3, 63; an ihren daselbst besit-
zenden auen und gruntgüeteren (v. j. 1716) 3, 117; nur
braucht der candidat . . . 300 pf, einkünfte aus grund-
gütem zu haben allg. dtsche bibl. 110, 217; die franzö-
sischen könige, welche ihn mit ehren imd grundgütern
reichlich belohnten Gothe 49, 300 W.; anders, iiach comp.-
typ. 5 p hin: jedes gut gab Otmar gerne her; nur das
grund- und stammgut des klosters nicht Riehl gesch. a.
alt. zeit 1, 56 ; in der bedeutung ^grundlegender, wesent-
lichster werth' : die gerechtigkeit im evangelio offenbahret
ist das erste gr. Ph. Nicolai teutsche sehr. (1617) 1, 2,
861*. — -gute, /.; (vgl. comp.-typ. 5 p): ihr bekümmert
euch nicht . . , um die gr. des baumes, der vielleicht . . .
tausendfältige fruchte bringen kann Lavater physiogn.
fragm. 4, 34. — -gutherzig, adj. (vgl. comp.-typ. 1 a)
Schottel 473.
GRUNDGÜTIG, adj., gesteigertes gütig, vgl. comp.-typ.
1 a; im 16. jh. erst vereinzelt: gib uns . . . ein rechten
bestendigen glauben . . ., ein grundtgütige liebe zu dir
und allen menschen Luther 6, 13 W.; der grundgütige
gott und vatter im himmel Widmann Fausts leben 6 K.;
im 17. jh. stark ausgebreitet und wie auch in neuerer
spräche zumeist auf gott bezogen: der grundgütige gott
wolle fürters . . . den hohen potentaten heilsame . . .
consilia inspirieren (actenstück v. j. 1645) J. G. v. Meiern
acta jxicis westphal. (1734) 1, 740; dasz der grundgütige
gott seine heilsame artzney . . . auch (in) geringe . . .
dinge verborgen Grimmelshausen 3, 488 Keller; es hat
. . . der grundgütige gott in uns . . . eine gewisse . . •
kraft . . . geleget Leibnitz dtsche sehr. 2, 38; dasz der
grundgütige gott jemanden die besondere gnade ver-
leiht Göthe 34, 26 W.; nachdem der grundgütige gott
mir meine gesundheit wieder verliehen Immermann 2,
110 j5.; Varianten dazu: der grundgütige vatter im himmel
J. Rist friedejauchz. Teuischl. (1653) 131;
{gott) Ist dein grundgütig herz nicht weiter zu erbitten?
A. GRyPHiUS trauersp. 156 P.;
auf dasz der preis seines gerechten und grundgütigen
Wesens . . . erschalle W. Lohe evangelienpostille (1848) l,
126*; der grundgütigsten erbarmung des allerhöchsten
Schottel friedenssieg 67 7idr.; vor allem auch in apo-
strophischer wendung: ach grundgütiger vater (gott)\
Zesen Asserml (1672) 4;
grandgütger gott! gib, dasz wir uns bestreben
Beandenburg bei Weichmann poesie d. Niedersachs. 5, 228;
o du grundgütiger weltenmeister! Auerbach sehr. 8, 38;
von hier aus formelhaft zur emphatischen interjection ent-
wickelt grundgütiger gott, grundgütiger himmel u. ä. als
ausruf des erstaunens, des entsetzeiis; auf diese Verwendung
beschränkt sich gr. in der Umgangssprache, so auch mund-
artlich: du guingidiger god Hebtel Thür. lll; Albrecht
Leipz.ma. 126''; o grundgütiger heiland, es wäre mir ja
alles, alles recht Raabe z. wild, mann 104; grundgütiger
himmel, Anton, was hast du begangen? Holtei erz. sehr.
10, 118; o du grundgütiger himmel, wie teufelsmäszig
schön! Ebneb-Eschenbach ges. sehr. 4,43; man kann
einen von uns doch nicht ins gefängnis sperren, grund-
gütiger himmel! Th. Mann Buddenbr. (1910) 2,211; sel-
tener von Personen sonst: könig Sardanapalus sey doch ein
grundgütiger herr Schupp scÄr. (1663) 297; die grnndgütige
frau V. W. Hippel lebensl. 1, 508; (er) bewülkommte mich
mit dem handschlag eines grundgütigen Rückert w. 11,
502; die groszen . . ., grundgütigen äugen J. Rank erinn.
171; der arme spielmann, der in seiner gnmdgütigen ein-
falt nichts davon ahnt jahrb. d. Orillparzergesdlsch. 4, 66.
GRUNDHAAR, n. 1) das Unterhaar, flaumhaar im
thierpelz: bei der mehrzahl der pelze ... ist das weiche,
feine gr. deutlich von dem . . . gröberen oberhaar zu
unterscheiden Karmarsch- Heeren 3, 580; da viele
weiszfüchse . . . auf dem rücken das . . . gr. behalten, so
unterscheiden sie sich im sommer . . . nur wenig von den
blaufüchsen Brehm thierl. 2, 191; gr, ... 'bey den hut-
machern die feinen weichen haare, welche die thiere . . . im
unnter haben' Krünitz 20, 282. 2) '6ey den gärbern werden
die in der haut verborgenen wurzeln der haare grundhaare
52*
823
GRUNDHAFT- GRUNDHEIL
GRUNDHEIL
824
genannt^ ebda; die geschnitzten häute werden . . . ge-
wässert, zur entfernung der grundhaare . . . mit dem
putzeisen geputzt Lxjeger 6, 06. — -haf t, adj., grund
habend {vgl. spalte 722), begründet: diss ist also erkennt
worden aus erheblichen, grundhaften Ursachen {von 1667)
bei Staub-Tobler 2, 778; gr. 'ganz gewisz, sicher' Fi-
scher Schwab. 3, 877; meine ausgesandten kundschafter
. . . kamen mir zurück mit grundhafter . . . künde
RÜOKERT 10. 11, 376; von personen 'zuverlässig, gründ-
lich' Staub-Tobler a. a. o. — -haftung, /.; er {des
heiligen geisles trieb) breitet die wurzel in die erden
aus, giebt innerliche gr. {zu grund II A 2) v. Greif-
fenberq andächt, betracht. (1678) 1048. — -haken, m.,
zu comp.-typ. 5 a, 'haken, mit dem man etwas aus dem
wasser holt' vgl. Krünitz 21, 210, dann au^h 'haken,
der das schiff hält, anker'; 3 kane, 1 grunthoke, 1 ax {v. j.
1447) gr. ümterbuch 313 Ziesemer; grundhack, bornhack
oder schifEhack harpago, lupus contus Henisch 1769;
grundeisen, grundhacke grafßo da pescar' a fondo Krä-
mer teutsch-ital. 1, 573; grundhaaken= pumphaken {haken
an einer stange, mit dem der eimer aus dem stiefel einer
pumpe gezogen wird) Bobrik naui. wb.' 321*; marinetech-
nisch nach Beil 264, vgl. hwb. f. techn. ausdrücke in d.
kaiserl. marine 56*. halt, m., gelegentliche bildwng; als
purismus verurtheilt: eben so wenig würde mich jemand
verstehen, wenn ich in der logica das . . . subjectum den
gr. . . . heiszen wolte B. Netjkirch anw. z. teutsch. briefen
(1709) 669; anders im sinne 'stützen, grundlagen' : jede all-
gemeine Vorsorge {soll) am vorzüglichsten auf innere er-
haltung des glaubens, auf seine Würdigkeit, auf sitten,
welche seine wesentlichen grundhalte vermehren, gerich-
tet sein v. Meyern hinterl. kl. sehr. 2, 202. — -hältig,
adj., was grund (IV C 4) hat, 'begründet, berechtigt': so
läszt sich doch auch nichts klügeres und grundhältigeres
vorbringen Grillparzer br. 80; dazu -hältigkeit, f.:
um sich selbst von der gr. des gerüchtes zu überzeugen
ders., s. w. 12, 175 S. — -harmonie, /., musikalisch {vgl.
grundaccord) : alle . . . tonarten {finden) . . . ihren grund
in einer . . . gr. allg. dtsche bibl. 7, 15; seit man sich be-
flissen hat, alle akkorde auf gewisse grundharmonien zu-
rück zu führen Rode d. Vitruvius baukunst (1796) 1, 217
anm.; die nöthigsten Intervallen der gr., besonders die
dissonanzen mit ihrer auflösung in der gebrochenen har-
monie {werden) darinnen berühret Ph. E. Bach art d.
clavier zu sp. {17 59 ff.) 2, 174; das stük wird nach art der
chaconne so gemacht, dasz über dieselben grundharmo-
nien die melodie vielfältig verändert wird Stjlzer theorie d.
schön, künste 3, 652; die phantasie . . . besteht aus einer
menge kleiner abtheilungen, die sich um einige grund-
harmonien bewegen R. Schumann ges. sehr. 2, 194; über-
tragen: doch eben diese dissonanz verherrlichte niu- noch
mehr die tiefe gr. E. Th. A. Hoffmann s. w. 12, 75 Or.;
anders, die 'ursprüngliche harmonie' : die seele {musz) die
gmndkräfte aller elemente ... in sich enthalten . . .,
sonst möchte es wohl keine ... gr. z^^dschen leib und
seele geben Lavater physiogn. fragm. 4, 349. — -harz,
n., aus dem gründe des meer es stammendes harz, bernstein:
weil so wol das gummi der bäume als das gedachte grund-
hartz dazu materi verleihen könne E. Francisci ind.-
sines.ZMsifif. (1668) 1, 1841'. — -h.&&i\\c]x, adj. {vgl. comp.-
typ. 1 a): (er) fragte, wie sie denn mit solch einem gnmd-
häszlichen, kleinen kerl so schön thun könne E. Th. A.
Hoffmann s. w. 6, 203 Gr.; mit welcher freundlichkeit
ein erträgliches mädchen einem grundhäszlichen ent-
gegenkommt Schopenhauer w. 4, 515 Gr.; auf dem hüb-
schen platze, wo der grundhäszliche kursaal steht Holtei
erz. sehr. 39, 118; die eifersucht ist doch ein gr., aber auch
ein gefährlich ding Gotthelf ges. sehr. 1, 320.
GRUND HEIL, n., auch als m. gebraucht: englischer gr.
Hohbero georg. cur. 3, 1, 4261^ ; der gr. allg. dtsche bibl. 52,
169; gr., m. ... unächtergr. Schlechtendal ^orau.iXscÄZii.
27, 214; als pflanzenname seit etwa 1500 bezeugt, in
mittelalterlichen herbar ien noch fehlend; trotz grindheil
Carrichter {nach Pritzel- Jessen 433) und Toxites {vgl.
sp. 374), grüntheil Bock kräuterb. (1561) 80* ist hier nicht
entstellung von {erst jüngerem) grindheil anzunehmen, son'
dem der umgekehrte weg; keine der zuf ruhest gr. heiszenden
pflanzen ist als specificum gegen grind angesehen worden
und parallelnamen wie ehrenpreis, trost aller weit, heil
aller weit, machtheil, frz. toute saine, engl, allsaint's-wort,
eure all lassen den volhsthümlichen namen im sinne des
comp.-typus 5 u als 'von grund aus, gründlich heilendes
kraut' {vgl. gachheil) verstehen, vgl. auch Hegi /?ora v. Mit-
teleuropa 5, 3, 1869; spätere vermengung mit den grind-
n^imen ist leicht gegeben; vom 'ehrenpreis' {s. u. l) ausgehend
hat sich gr. auf zahlreiche wundkräuter übertragen; wie-
weit wirklicher Volksgebrauch oder gelehrter irrthum hinter
den vereinzelt bleibenden angaben {s. u. 4) steht, ist im ein-
zelnen nicht zu entscheiden.
1) gr.für 'ehrenpreis' , veronica officinalis: darumb, so
heist es, {das kraut erenbris) von etlichen tütschen über-
artzen grüntheil gnant ist, darumb das es vast heilen ist
die frischen wunden . . . H. Braunschweig kunst zu di-
stiliren (1500) 43^^; erenbreisz, würdt sonst auch grundt-
heyl genent L. Fuchs kräuterb. (1543) 59; die alten weiber
nennen es {das ehrenbreisz) Serpentin . . ., etlich grundt-
heU Bock kräuterb. (1587) 76*', ehrenpreisz, heyl aller
weit, heyl aller schaden, gr. wegen seiner groszen kraft
die es hat in allerley schaden und wunden zu heilen
Pancovius herbarium (1673) 411; vgl. Schlechtendäi>
flora V. Dtschld.^ 17, 113; gr. als vieharzneipflanze Unger-
Khull 311*; wohl hierzu: du hast an dem herm Jesu
einen heiland, das rechte gr. . . . wider den schaden des
paradieszgartens V. Herberger Äer<zj>05ii7Za (1613) 2, 113;
gottes wort ist die reiche seelenapothek, darinnen wir das
kräutlein gr, und widertod antreffen J. J. Otho evang.
kranckentrost (1671) 283.
2) gr. früh auf das 'gauchheiV, anagallis arvensis über-
tragen: 'anagallis . . ., Germani vero grundtheyl et jochheil
alias gochheyl {vocant)' Val. Cordus annotationes (1561)
49^; anagallis, gaucheil, hünerdarm, gr. B. Faber the-
saurus (1587) 511*; grundheyl, roter meyer, roter gaucheyl
gallu^ rubra Henisch 1769; anagallis, gauchheil . . ., gr.
Pancovius herbarium (1673) 34; anagallis, gauchheil, gr.
Leopold deliciae florae Ulmensis (1728) 12; rotes gr. Hegi
flora v. Mitteleuropa 5, 3, 1869.
3) gr. für 'mannsblut, Johanniskraut', hypericum andro-
saemum s. Hegi a. a. o. 5, i, 511; vgl. Schkuhb bot. handb.
3, 2 : sicilianisch gr. ; siciliana, wächst in Siciha und En-
gelland in den wäldem und wird bey uns in die gärten
gepflanzt; bleibt stets grün, wird auch sicilianischer gr.
genennet Hohbebg georg. cur. (1682) l, 690; sicihanisches
gr. Krünitz 20, 282; englischer gr. Hohberg a. a. o. 3,
1, 426; nach Pritzel- Jessen 187 heiszi die pflanze in
Schlesien gr.
4) erst in jüngerer zeit ist gr. für eine anzahl anderer
pflanzen, meist vielgebrauchte heilkräuter bezeugt; für das
'fluszkreuzkraut', senecio fluviatilis {s. sarracenicus)
Schkuhb bot. handb. 3, lOl; vgl. schon Noel Chomel öcon.
lex. 4, 1389 u. 1241; senecio ,. . . edelwundkraut, gr., heil-
kraut V. Pebger Studien 1, 219; nach Pritzel- Jessen
374 in Schlesien; vgl. Martbns flora v. Württemberg 293;
s. auch grindkraut {sp. 376); für den 'berghaarstrang' ,
peucedanum oreoselinum Hegi flx>ra v. Mitteleuropa 5, 2,
1386; so bei Krünitz 20, 282, nach Pritzel-Jessen 269
in Schlesien, vgl. Martens flora v. Württembg. 293; für
den 'günsel', ajuga nach Hegi o. a. o. 5, 4, 2537 im Ober-
harz, ebenso dort für den 'gemeinen Wasserdost', eupatorium
cannabinum ebda 6, 1, 401 ; in Westfalen grundhel n., für
die 'Schafgarbe', achillea millefolium Woeste-Nörr. 86*',
vgl. G. Abends volkstüml. namen d. arzneimitteP^ lOö^J;
für den 'waldgilbweiderich', lysimachia nemorum Nem-
nich wb. d. naturgesch. 213, gelb gr. Schkuhb bot. handb.
1, 116, nach Pritzel-Jessen 227 so in Schlesien; für
'epheu', hedera nach G. Abends a. a. o.; für 'pastinak',
pastinaca opopanax Nemnich wb. d. naturgesch. 213;
unächter gr. für 'hohlrippe' , kenolophium Fischeri
Schlechtendal flora v. Dtschld. 27, 214, wohl weil zu-
nächst fälschlich für eine pflanze der gattung 'haarstrang' ,
peucedanum {s. o.) angesehen vgl. Hegi a. a. o. 5, 2, 1328.
825
GRUNDHERR i
GRUNDHERR 2
826
GRUNDHERR, m., der herr über grund und boden,
landbesitzer; gr., dominus fundi, dominus proprietatis
Henisch 1769; gr., dominus directus vel etiam dominus
territorii Sohottel 473; seit dem 14. jh. zu belegen.
1) gr. ist anders als gnindbesitzer, grundeigenthümer
u. 8. w. seit alters juristischer begriff von bestimmter gel-
tung; zunächst in weiterem sinne der {durch belehnung oder
häuf) über grund und boden verfügungsberechtigte herr, der
das land gegen abgaben und zins an bäuerliche hinter-
sassen oder pächter zur bevrirtschaftung gibt; über die recht-
liche entwicklung der grundherrschaft vgl. R. Schrödeb
rechtsgesch. 461^.; zu dem ersten ist eyn apt und eyn
convent des egenannten cloisters eyn rechter gr. zu walt,
waszer und weyde zu rechter eygenschafft (v. j. 1421)
weisth. 1, 521; ist das der gruntherr desselbigen guets
oder Weingarten nit kaufen will in monatsfrist (16. jh.)
österr. weisth. 5, 15 ; desselben hauss der erwirdig geistlich
herr abbt Thoman . . . rechtter gruntherr ist (». j. 1417)
urk. d. Benedict.-abtei zu d. Schotten 555 Hausrath; die
gesworen des hoifs {haben) bekannt den . . . abt . . .
vxir einen gruinthern des hoifs zo Cl. . . . ind allen sinen
hoefsguedern aldae gelegen {Köln, v. j. 1504) publ. d. ge-
sdlsch.f. rhein.gesch. 20, 355; für einen hofifs- und grundt-
hern weisth. 2, 477; welcher gr. siglmäszig ist, der mag
umb sein aigen grundt und poden . . . woll fertigen
bair. lanndtordn. 26*'; unterschieden vom 'burgherrn' : ob
dem grimtherm sein recht wiurd versessen, daz denn der
purkherr sein recht biet verloren, das wer paidenthalben
ungevelligleichen Wiener weichbildrecht in: sitzungsber.
d. Wien, akad., phil.-hist. 36, 102; auch der rechtsver-
treter der grundherrn führt die bezeichnung gr.: ich (rfer
amtmann), der ich an meines herren stat des aptes . . •
Stifter und storer und auch gruntherre pin {v. j. 1350)
urk. d. Bened.-abtei zu d. Schotten 265 Hausrath; ähnlich:
wenn das gut . . . dem pharrer als ainen gruntherren ver-
vallen ist öster. weisth. 6, 317.
a) als empfanget der zinsen: so mag ein jeder zinsher
oder grunther umb sein jarzins pfenten zu sperren
österr. weisth. 2, 6; wir {haben) auch von derselben gult
. . . gedint den geistlichen herren dacz den Schotten . . .,
die auch derselben gult recht gruntherren sint {v. j. 1344)
urk. d. Bened.-abtei zu d. Schotten 247 Hausrath; der gr.
. . . trieb ihn {den schenkvnrt), als er die zinsen nicht zah-
len konnte, aus dem schenkhause Grässe jägerbrevier 180.
b) als herr der auf seinem gründe angesiedelten hinter-
sassen : als den grundtherrn von irn paursleuten, die auf
den gutem leibrecht haben, vil . . . beschwärung be-
gegnen landpot in Ober- u. Niederbaiern {1516) 43*; solhen
anschlag solt eyn yeder gr. . . . von seinen leudten und
imdersassen abnemen J.Unbest chron. austriac. 681; die
gesatz, welche den grundtherrn und bauleiten, disen
ihren gewalt und jenen ihr Schuldigkeit auszzaigen
V. Brandts ehrenkräntzel (1678) 157; das verhältnisz, wo
alle bewohnet einer ganzen gegend einem grundherrn
unterthänig . . . sind Fr. Schlegel s. w. 11, 43; den
rohen, soeben erst der erbuntertänigkeit entwachsenen
bauern, die ihren grundherren noch voll groUes gegen-
über standen Tbeitschke dtsche gesch. 1, 284; ein patri-
archalisches Verhältnis zwischen grundherrn und acker-
bauern {kann) sich dabei nicht entwickeln hwb. d. Staats-
wiss.^ 1, 12; in formelhafter Verbindung: grund- und lehen-
herr: der . . . herr apt . . . is daselbs . . . ein gronther,
lehnherr imdt vogt weisth. 2, 295; zusammengezogen in
grundlehenherr: der soll sein zwo theil desz grundtlehen-
herm und die dritte theil des vogts 2, 75; öfter erb- und
grundherr: dasz ein jeder seinem erb- und grundherrn
vor fremden zu dienen angehalten werde acta publ. 5,
178; die zünfte . . . behaupteten {im jähre 1686) . . ., dasz
sie die erb- und grundherren der stadt {Köln) wären allg.
dtsche bibl., anh. zu 37-52, 619; wir . . ., grund- und erb-
herr der rosenthalischen guter Hippel kreuz- u. quer-
züge 1, 413.
c) vielfach ist der gr. inhaber der territorialen {meist nie-
deren) gerichtsbarkeit {patrimonialgericht): alss hohen ge-
richts- und grundtherrn {v. j. 1418) weisth. 1, 794; für
einen grundherrn und obersten gerichtsherren (»• /. 1576)
3, 769; als grund- und gerichtsherr befehle ich Holtei
erz. sehr. 35, 196; die Jurisdiction tind burgfreyheit hat
ein jeder gr. eines landmannguts in Österreich Hohbebg
georg. cur. l, 32; die freye unumschränkte gewalt eines
grundherrens v. Fleming vollk. t. jäger 50; anders dagegen:
{der vogt hat) umb all Sachen über die holden zue ge-
pieten und der gruntherr nit; der gruntherr soll allain
seins diensts gewarten und nit mer {v. j. 1527) österr.
weisth. 7, 86; vgl. weisth. 1, 521 v. j. 1421.
d) anders als bei grundbesitzer, -eigenthümer verbindet
sich daher mit gr. die Vorstellung des vornehmen {adligen)
reichbegüterten landbesitzers : da ir {die geistlichen herren)
euch yetzund grundtherren und rechte besitzer rhüment
Sleidanus reden 103 Böhmer; aus erbberechtigten ad-
lichen grimdherren Tbeitschke dtsche gesch. 2, 353; das
tagesleben des grundherrn ist ein Wechsel von müszig-
gang und wilder aufregung G. Freytag ges. w. 17, 3;
... da der stolze grundherr
satt ward des festlands Geibel tc. 5,211;
stehende Verbindung ist groszer gr. : {der schlaf) flieht den
groszen grundherrn Mommsen reden u. aufs. 171; die
Verdrängung des freien bauernstandes durch eine geringe
zahl groszer grundherren Jherino geist d. röm. rechts 2,
156; die groszen grundherren und Viehzüchter drauszen
im 'campo' . . . ähneln dem europäischen feudaladel
auf den bürgen E. v. Hesse-Wabtegq zw. Ariden u.
Amazonas' 340; terminologisch in Baden: auch der ehe-
malige reichsadel (in Baden 'grundherren') behielt (»'. j.
1806) . . . das recht der autonomie Schbödeb rechtsgesch.
984 anm. 6 ; so ist auch der Landesherr, der fürst gr., vgl.
weisth. 3, 769 v. j. 1576 {s.oben); ir wissent, das keyser
Carle euer rechter herr ist und wer seinen grundtherren
widerstreyt, der thut wider got imd billigkeyt hertzog
Aymont (1535) a 6*; dasz der fürst und gr. kommen werde
Stifteb 4, 1, 278 S.; aber anders: die macht desjenigen
fürsten würde . . . am festesten gegründet seyn, der in
seinem gebiet alleiniger gr. wäre v. Hallbb resta2ir. d.
staatsunss. 3, 28.
e) neuere juristische terminologie spaltet den älteren und
weiteren begriff gr. je nach seiner wirtschaftlichen oder
seiner rechtlichen Stellung in gutsherr und gr.: der guts-
herr ... ist im eminenten sinne landwirt; die abhängigen
bauern . . . arbeiten ... im dienste und unter der leitung
des gutsherrn. der gr. erhält von den bauern über-
wiegend rente (zins, pacht) Conbad staatsunss. hwb.*,
ergänzungsbd. (1929) 449*; anders unterschieden: der aus-
druck gr. betrifft 'das {m^hr dem privatrecht angehörende)
rechtsverhältnis des eigentümers des grund und bodens
zu den auf ihm angesiedelten nutzungsberechtigten', guts-
herr dagegen bezieht sich auf 'das obrigkeitliche Verhältnis
des gerichtsherrn {gutsherrn) zu seinen hintersassen' Bitter
hwb. d. preusz. verwaltg. (1906) l, 747l>; der anschlusz an
eine benachbarte schule erfolgt . . . durch einen zwischen
der gemeinde und dem schulpatron einerseits und dem
grundherrn als Vertreter der auf seinem grund und boden
befindlichen bewohner andererseits abgeschlossenen ver-
trag Schulordnung f. Preuszen v. 11. dez. 1845 § 57.
2) nicht selten später auch in schlichtem sinn wie 'grund-
eigenthümer\ aber nur von ländlichem besitz: der tam-
hirz hat ein köstlich gehüm für gifft . . . {das läszt er) auf
der statt zur dankbarkejrt ligen, das es der herr des
grunds und bodens finden und nutzen mag; wird er aber .
vom grundherren verfolgt . . ., verbirgt er sein gehirn
Fischart 3, 243, 13 Hauffen;
das haus hält immer noch so hin,
nur schade, dasz ich nicht der grundherr davon bin
Stoppe Parnass (1735) 134;
da sich die dorfgemeinde einhellig verstanden . . ., so ist
selber {d. h. selbiger punct) auch in hinsieht des schlosz-
innhabers zu B. und der betreffenden gruntherm ganz
unprae judicier lieh gemeint österr. weisth. 3, 229 {v. j.
1801); so ist es auf dem lande das Vorrecht des grund-
herrn, dasz er sage : hier soll meine wohnung stehen xind
nirgends anders Göthe 20, 96 W.;
827 GRUNDHERR 3-6 -GRUNDHERRSCHAFT
GRUNDHERRSCHAFT - GRUNDHERZIG 828
(die vollen zweige der Obstbäume,) die mit müh der grundherr
stützt M. Geeif ged.^ 111;
die . . . pflanzennährstoffe sind ein schätz, den die natur
... in den schoosz der erde zum besten des grundherrn
niedergelegt hat v. Schwerz ackerbau 194; vgl. grondhär
'grundeigentümer' lux. ma. 156*.
3) als bergmännischer terminus: gr. Hst derjenige, welcher
leiden musz, dasz der bergmann auf seinem felde muthen,
schürffen und den gang entblösen darff. es ist aber ein
unterscheid urUer dem grundherren zu machen, nehmlich
unter dem, der das bergregäle selber hat und unter dem,
auf dessen erbguthe oder feldern der gang entblöset wird"
MiNEROPHiLUS bergwercks lex. (1730) 315; gr. 'heist bey
den bergwercken derjenige, bey dessen gute jederzeit der erb-
hux bleibet^ Nod Chomel 4, 1389; so wohl bereits in äl-
teren belegen zu fassen: grundtherr proprietarius Ph.
Bech V. bergbau (1557) s 2*; es sol hinfürder ein jeder gr.,
vom adel, bürger oder bauer alsbald eine neue fund-
grube oder massen bestetiget, seinen erbtheil im beste-
tigen zu fordern schuldig sein chursächs. bergordnung v.
4. XI. 1573 (1673) or^ 72; zu Verrichtung derer ertzhöU-
fuhren sind . . . die grundherren . . • gemeynet Schön-
berg berginform. (1693) 1, 53; vgl. Hoyer-Kbeuteb techn.
wb. 1, 316.
4) auf gott übertragen: so wir bekennen, alles das wir
haben, das haben wir von im {gott), darumb sollen wir
es im wider zuschreiben als dem rechten grundherrn
Luther 7, 253 W.; als einen machtschutz und grund-
herren, welcher alle ding traget und erhaltet Dannhauer
catech. milch 5, 783;
und als sie dem grundherrn vom erdengebäu . . .
. . . ein frommes loblied gesungen . . .
Fr. Kind ged. 3, 243;
{gott) o groszer grundherr aller weit
A. V. Arnim w. 13, 254.
5) vereinzelt: Stifter, grundt- oder bauherr /ondafore, edi-
ficatore Hulsius dict. (1618) 2, 158^. herrlich, adj., im
18. jh. von grundherr abgeleitet, ^dem grundherrn (s. o. 1)
gehörig oder ihn betreffend': die absieht . . . ist, . . . die
landesherrlichen {revenuen) von den grundherrlichen ab-
zusondern allg. dtsche bibl., anh. zu 25-36, 2246; eine landes-
herrliche Verwaltung . . ., welche die bauern von der last
der grundherrlichen hörigkeit befreite Sybel begründg.
d. dtsch. reiches 1, 16; (er) war commissar der regiilicrung
bäuerlicher und grundherrlicher Verhältnisse geworden
Gutzkow zaub. v. Rom l, 118; die befreiung des bodens
von den grundherrlichen lasten Treitschke hist. u. polit.
aufs. 2, 296; in grundherrlichen gemeinden gab es nur
grundherrliche mühlen Schröder rechtsgesch. 460 anm. 20 ;
dem . . . grundherrlichen adel {steht) . . . die entsendung
von Vertretern in die gesetzgebenden körperschaften zu
v. Alten l, 109; aus der engen sphäre grundherrlichen
imd patrizischen daseins Meinecke weltbürgert, u. natio-
nalstaat 216; seine grundherrliche theorie Schröder
rechtsgesch. 480 anm. 36; statt des alten kraftvollen . . .
hausväterlichen oder grundherrlichen Sprachgebrauchs
v. Haller restaur. d. staatswiss. i, 214; im terminolo-
gischen gegen^atz zu gutsherrlich {vgl. grundherr 1 e) : die
Umwandlung des grundherrlichen in ein gutsherrliches
Verhältnis Conrad hwb. d. staatswiss.*, erg.-bd. (1929)
442». — -herrlichkeit, /. {vgl. grundherrschaft 1) : gr.,
'immittlerenlat.fundalitas' AD^i.v:sa{1775)2, 829; alleauto-
rität entspringt , . . aus dem besitz, wie ... im einzelnen
famUienbande der gr. Görres ges. sehr. 4, 257; {leute), die
mir wegen dem Verhältnisse der gr. unterthan sind
Stifter a. w. 3, 216; die behauptung, . . ., dasz gr. und
tyrannei identische begriffe seien Bismarck pol. reden
1, 148; ein gutsbesitzer . . . besasz vielleicht in einer
ganzen anzahl von dörfern die gr. über nur eine oder
einige wenige zins- und sonst pflichtige hufen Conrad
hwb. d. staatswiss.^ 1, 42.
GRUNDHERRSCHAFT, /.; gr., dominium directum
vel proprietatis Schottel 380; gr., patronanza, signoria
territoriale Kramer teutsch-ital. 1, 573 c ; das wort ist mit dem
16. jh. zu belegen {s. u. 2).
1) jun^ {s. o. und Adelung [1775] 2, 829) ist die ab-
stracte Verwendung {vgl. herrschaft 2 th. 4, 2, 1152) im
sinne 'die institution des herrschaftsrechles über grund und
boden", wobei die verschiedenartige wirtschaftliche und
rechtliche Stellung des grundherrn {s. o. sp. 826) in be-
tracht zu ziehen ist; über die entwicklung und die arten der
gr. vgl. G. AuBiN 'gr. und gutsherrschaft' in: relig. in gesch.
u. gegenw. 2 (1928), 1503^.; aus dem rein persönlichen
mundium entwickelte sich . . . eine die person ergreifende
gr. Schwappach hb. d. forst- u. jagdgesch. l, 12; schon
herzog Ludwig hatte in den bezirken seiner gr. land-
richter gesetzt Zschokke s. ausg. sehr. 30, 357; die gr.
über alle bestandtheile des reiches gebührt niemand als
der nation J. v. Müller s. w. 9, 113; in volkswirtschaft-
licher hinsieht unterscheidet man rentengr. und betriebsgr.
{s. o. grundherr sp. 825) Aubin a. a. o. 1505, letztere be-
rührt sich mit dem begriff der gutsherrschaft: an die stelle
der mit spärlichem eigenbetrieb verbundenen grund-
herrschaften trat die gutsherrschaft Schröder rechts-
gesch. 881; altdeutschland war das gebiet der gr., das
koloniale das der gutsherrschaft Conrad hwb. d. staats-
wiss., erg.-bd. (1929) 449*.
2) 6t« in das frühe 16. jh., vermutlich noch ins 15., reicht
gr. zurück in der concreten bedeutung {vgl. herrschaft 4),
in der regel collectiv 'die die herrschaft über grund und
boden besitzenden und ausübenden personen oder körper-
schaften'; ältere spräche verwendet dafür neben grundherr
das simplex herrschaft vgl. österr. weisth. 5, 16 v. j. 1381;
so soll . . . unserm gotshausz als gruntherschafft unser
straff gegen demselben Verbrecher hiemit auch unbe-
nommen sein {v. j. 1529) v. Lori sammig. d. baier. berg-
rechts 189; mit vorwissen und willen bemelter gruntherr-
Bchaft zu st. Görgen {v. j. 1534) österr. weisth. 2, 163; erst-
lich hat kein obrigkeit noch landgericht aus/er der
gruntherrschaft mit fueg in dise dörfer zu greifen {v. j.
1597) 10, 168; damit aber unter den landgerichten und
grundherrschaften keine irrung sich ereignen möchte
HoHBERG georg. cur. l, 34; jeder hauswirth {soll) . . .
einem . . . gestrengen rath der königlichen haupt- und
residenzstadt Breslau als gr. dieses orthes . . . allen unter-
thänigen gehorsam leisten cod. dipl. Siles. 4, 125; das
recht des bierbrauens übte in der regel die gr. Räumer
gesch. d. Hohenst. 5, 373 ; auch eine strasze wurde von der
gr. über die beide gebaut Stifter s. w. l, 187; fällt dem
bauer ein stück vieh, so musz die gr. es ersetzen Moltke
ges. sehr. 2, 152; in zwillingsformeln: one bewilligung der
grünt- oder lehensherrschaft (16. jh.) österr. weisth. 5, 664;
der innere theil des thales, dessen grund- und gerichts-
herrschaft einst das stift Sonnenburg gewesen Steub
drei sommer in Tirol 2, 379; gehorsam war früher der
unterthan seiner grund- und gutsherrschaft schuldig ge-
wesen Meinecke gener. v. Boyen 2, 259; personell gewen-
det: die gr. ist der herr von Zorn Nicolai reise d. DtscfM.
3, 18; wenn das die frau Cölestine wüszte . . .; und
meints noch so gut zu dir, die gnädige gr. Holtei erz.
sehr. 17, 152; i bewahre, . . . unsere gr. ist das gnädige
fräulein Sybilla da drauszen Eichendorf s. w. 3, 446/.
3) weniger häufig im territorialen sinne 'der bereich,
bezirk einer gr.' {vgl. herrschaft 3): auf diese weise zerfiel
jede gröszere gr. in eine anzahl hufenmäszig, nicht räum-
lich geschlossener meiereibezirke Conrad hwb. d. staats-
wiss.'^, erg.-bd. (1929) 438i>; {es) wurde . . . hanf und flachs
versponnen, ... in den klöstern wie auf den . . . grund-
herrschaften Düren Florentiner wolltuchindustr. 13; hier,
sagte er, . . . hört meine gr. auf Holtei erz. sehr. 2, 242. —
-herrschaftlich, adj., zum vorigen gebildet: in den
grundherrschaftlichen marken ernannte sie {die forst-
beamten) . . . der grundherr allein Schwappach forst- u.
jagdgesch. 1,251; Umgestaltung des grundherrschaft-
lichen groszbesitzes hwb. d. staatswiss.^ 4, 830; {v. Haller,)
der ... so beharrlich an der erdschoUe des grundherr-
schaftlichen kleinstaates haftete Meinecke weltb. u. nat.-
st. 221. — -herzig, adj., zu grund I E 1 {vgl. sp. 677^.)
aus formein wie von herzens grund, aus grund des herzens
gebildet; 'aufrichtig': und bey den füszen ihres herren
829 GRUNDHERZLICH - GRUNDHOLZ
GRUNDHÖRIG - GRUNDIDEE
830
gemahls mit flehentlicher stimm umb gütliche nachlasz
gebetten, bekemit grundhertzig, dasz sie sich . . . ver-
sündiget Abraham a s. Claea jxKk pick (1687) 21; noch
mundartlich: grundhertig 'der seines herzens grund sagt'
WoESTE-NöBR. 86^ ; anders gr. als gesteigertes herzig {vgl.
th. 4, 2, 1249), s. comp.-typ. 1 a: wir wollen . . . hören, was
gutes der fromme und grundbertzige gott denen zusag
und versprech Dannhauer catechisvmsmilch l, 336. —
-herzlich, adj., älternhd. wie das vorige gebildet; 'auf-
richtig, wahr\- mit gesteigertem herzlich verrinnend:
wol dem, der hat ein treuen freund
in grundliertzlicher treu verzeunt
Hans Sachs 19, 104 K.- Q.;
dasz er dasselb nach der hand ernstlich widerruffen und
mit grundhertzlichem bereuen beklagt hab Fischart
binenkorb (1588) 169'>'; meiner unermessigen gunst, so ich
E. L. grundhertzlich trage, genug thim Amadis 6 (1572)
501, nhd. vereinzelt adverbial: als wir . . . den ersten ein-
druck empfangen hatten, . . . war einem erst so gr. wohl
H. Allmers röm. schlendertage 12.
GRUNDHOBEL, m. 'gr., wird bey den tischern {tisch-
lern) gebraucht, wenn in der mitte des holtzes etwas tief ge-
stoszen oder gegründet wird' Nod Chomel 4, 1389 {vgl. grün-
den sp. 795) ; dischlerzeug von langen höhlen, fausthoblen
. . . grund- und nuethöbel (v. j. 1629) nach Fischer
Schwab. 3,877, vgl. J. HÜBNER cur. lex. (1714) 716; zum
ebnen des grundes ausgesparter Vertiefungen . . • dient
der gr. Lueqeb lex. 5, 173; grondhuwel lux. ma. 156*.
GRUNDHOLDE, m., 'höriger, der durch bdehnung mit
grund und boden dem grundherrn abgabenpflichtig isV ; in
älterer zeit als holde, im 15. jh. als gr. bezeichnet {vgl. th. 4,
2, 1736 u. Schmeller-Fr. 1, 1090): item, das wir grunt-
holden und vogtholden haben recht holz zu gewinnen
(2. hälfte d. 15, jh.) österr. weisth. 7, 21; auch so ein jeder
zehent oder ein gruntholt der herrschaft Khranichberg
zuegehört, der selbig soll . . . (16. jh.) 6, 149; welicher war
ein grundhold und wolt sich verrer anvogten {v. j. 1499)
7, 236; (sie) sein dem, auf des gründten sie wohnen . • .
mit aller obrigkeit, wie ander seine grundtholden unter-
worfen {v. j. 1559) bei Haltaus gloss. germ. 757; die
meisten {bauern) aber hatten ihre guter als erblehen . . .
von einem grundherrn, dem sie als grundholden eine
'gült' in geld oder naturalien ... zu leisten hatten
Schröder rechtsgesch. 886; {man) unterschied . . . den
güterfall des grundholden und den leibfall des leib-
eigenen ebda; die besitzer der guter können grundholden,
aber keine unterthanen haben K. v. Eckartshausen
d. prinz (1789) 165; wenn früher ein erbherr . . . das ge-
meindewesen seiner grxmdholden überwachte Schückino
eisenbahnf. d. Westf. 79; zwischen den edelherren und
ihren unterthanen imd grundholden stehen . . . ihre be-
amten in der mitte Görres ges. sehr. 6, 71; (sie) nannten
sie spottweise ihre unterthanen und grundholden Auer-
bach dorfgesch. 1, 43; der meier, zumeist ein grundholder
wie die andern baüern, erhob . . . die zinse Conrad hwb.
d. staatswiss.*, erg.-bd. (1929) 438*5; anscheinend im 18. jh.
auch der Umgangssprache noch geläufig vgl. grundhold
'grundunterthan' Zaupser bair. u. oberpfälz. idiot. (1789)
33; über die rechtliche stdlung der gr.-n vgl. grundhörig.
GRUNDHOLZ, n. l) zu grund I A {vgl. comp.-typ.
5 a) in verschiedener bedeutung; als 'holz auf dem gründe
eines Wasserwerkes' {Wassermühle, walkerei etc.) vgl. gnmd-
balken, grundbaum: meister Proffioin van dem kump-
huys umb blocker ind die zu sniden ind zu legen ze dage-
loin ind gruntholzer macht 56 m. 7 s. {v. j. 1385) Laurent
Aach, stadtrechn. 337; gr., ligna submersa Steinbach
(1734) 1, 779; anders: gr., 'ein stück eichenholz, wdches in
einem wasserkasten bey brunnenkünsten eingesdzt . . .
unrd' Jacobsson 2, 164^*; Mothes baulex. 2, 541. 2) zu
grund II A 1 'am boden liegendes trockenes abfallholz' : und
seie niemand erlaubet, . . . heimlich holz zu schlagen . . .
und unter dem vorwanth aufgesuchten grundholz frisches
abzustocken (c. 1760) österr. weisth. 8, 297. 3) mehrfach
in technischer Verwendung mit grund IVA {vgl. comp.-
typ. 5 h) zusammengesdzt; 'fundamentholz eines hauses'
{vgl. grundbalken) : 27-28 pedes longi pro 123 want-
rueden, pro 3 lignis vulgo gruntholzer {als baumate-
rial; v. j. 1550) quell, z. gesch. d. Stadt Kronstadt 3, 582;
also möchte man . . . sagen, dasz das allgemeine men-
schenhausz ... zu boden gehen werde, da man auch die
allerunentbehrlichst-principialste grundhöltzer . . . weg-
risse jesuiter rathsstube (1684) 43; Christus {hai) den . . .
gemeinen namen aller menschen auf einen stein ge-
schrieben, nemlich auf dem fundament oder grundholtz
seines werthen todes Ruysbroeck stiftshütte S^; noch
modern gr. , groundtimber Hoyer-KLreüter techn. wb.
1, 317; bergmännisch grundschwelle (s. dort) . . ., auch gr.
• . . ein bei der . . . Streckenzimmerung bei nicht fester
. . . sohle quer über letztere gelegtes holz Veith bergwb.
256; eine weinpresse bestehet aus dem grundlager, grund-
höltzem, worauf der presztrog lieget allg. haushalüex.
(1749) 2, 582*'; kielschwein, ein inwendig längs dem kiel
{eines schiff es) liegendes holz, worauf der mast steht und
das die grundhölzer bedeckt Voigt hwb. f. d. geschäfts-
führg. 2, 79; im bilde: der glaube als die tiefe und das
grundholtz des creutzes Scheeäüs sprachenschule (1619)
174. 4) gr. name des favlbaumes, rhamnus frangula Nem-
NiCH «76. d. nat. -gesch. 213; gr. ist hier entstellung aus
grindholz (s. sp. 374 u. comp.-typ. 5 m), vgl. krätzholz
Pritzel- Jessen 330.
GRUNDHÖRIG, adj., mit dem vom grundherrn ver-
liehenen boden rechtlich verbunden (s. u.): niederholz . . .
afterschlag . . . {verblieben) den grundhörigen bauern
Bernhardt gesch. d. waldeig. 1, 97; gr. kann der städ-
tische plebejer . . . überhaupt nicht gewesen sein Con-
rad hwb. d. staatswiss.^ 1, 149; die Inhaber der grund-
hörigen bauernhöfe Wimmer gesch. d. dtsch. bodens; sub-
stantiviert {vgl. grundholde): er ist für seine person
unabhängig, nicht nur von allen seinen dienern und grund-
hörigen, sondern auch von benachbarten gleich freyen
v. Haller rest. d. staatswiss. 2, 54 ; die gnmd- und schutz-
hörigen, in den quellen des früheren mittelalters ge-
wöhnlich als 'zinsleute' {censuales) zusammengefaszt, zer-
fielen ... in verschiedene gruppen höheren und niederen
Standes Schröder rechtsgesch. 492; die grundhörigen
waren durchweg gutsherrliche hintersassen und zwar
derart mit ihrem gut verbunden {glebae adscripti), daaz
es weder ihnen vom herm ohne bestimmten gesetzlichen
grund entzogen noch auch von ihnen ohne genehmigung
des herm geräumt werden durfte ebda 493. — -hörig-
keit, /.; gr., mangel aller freizügigkeit, Verpflichtung
zu abgaben und leistungen an den grundherrn Bern-
hardt gesch. d. waldeigent. l, 32.
GRÜNDICHT, adj., ableitung von grund {vgl. gründig);
zu grund II A 2 a a wohl im sinne 'wiesig, moorig' {s.
sp. 687): solches geschieht aber nach dem eyn jeder boden
zähe und leimecht oder aber kiesecht, sandecht, kreidecht,
gründecht, steynecht oder gut ist Sebiz f eidbau (1580)
479; nur in den gar nassen, kalten, gründichten und
saurichten ackern . . . will es {das kom) nicht sonder-
lich wachsen schles. wirtschaßsbuch (1712) 139; die gegend
ist sehr sumpfigt und grundigt Breslauer sammig. (1717)
2, 63 ; anders zu grund II A 2 c 'ruich erde schmeckend'
{vgl. grundig): wenn man sie {die feldrettiche) sonsten
auf das feldt seen wolte wie die andern, werden sie gr.
oder madenfressig M. Grosser ardeitg. zti d. landwirtsch.
(1590) F 5"'; zu grund lAl {'untiefe') als 'seicht', mit
suffixaler erweiterung: grundächtig, das grund hat vadosus
Henisch 1766; als lautdublette statt grindicht {vgl. sp. 374)
'mit grind behaftet': geistliche priester aber sollen nicht
lahm sein . . . nicht gr. oder schäbicht Chr. G. Rose
homilet. studierstube (1723) 203.
GRUNDIDEE, /., 'idee, aus der eine anschauung, ein
werk hervorgeht oder auf die dwas zurückzuführen ist' {vgl.
comp.-typ. bTpau. ß); seit dem frühen 18. jh. gebräuchlich:
will es sich noch nicht reimen
mit denen höhen
der angebohmen grundideen (der christl. religion)
gesangbuch d. brüdergem., anh. (1741) nr. 1782 v. 8;
831
GRUNDIEREN
GRUNDIER ANSTRICH - GRÜNDIG 832
man . . . löset die begriffe derselben {der Ursachen), wo
möglich, in ihre ersten grundideen auf Moses Mendels-
sohn ge3. sehr. 2, 15; somit (wäre) die gr., woraus alles
hervorgeht, in ihnen lebendig geworden Göthe 48, ISlW.,
vgl. 40, 229; die tribunicischen bewegungen sind . . . ein
versuch . . ., die Verfassung auf ihre grundideen zurück-
zuführen NiEBiTHR röm. gesch. 2, 350 ; {Hegel) hat . . . der
meinimg Vorschub geleistet, als lieszen sich alle lehren
eines philosophischen Systems jedesmal als die logischen
konsequenzen aus der gr. ableiten, die . . . Windelband
gesch. d. neuer, phil.'^ 2, 345; mehr mit dem begriff der
grundlag e verbunden: Moses, der , . . seiner landesreligion
all ihre grundideen ausrotten wollte Herder 6, 473 S.;
jene dualistische richtung der Zendavesta-religion ist dem
christenthum in der gr. ... verwandt Fe. A. Lange
matericU. 80; dies sind die grundideen aller christlichen
poesie Schlbiermacher s. w. 1 6, 107; öfter von der die
keimzelle bildenden, tragenden idee eines kunstwerks: der
eine . . . nannte die gr. {des dramas) grauenhaft Holtei
erz. sehr. 37, 2; die liebe zwischen Max und Thekla . . .
erhält bedeutung für die gr. der tragödie Hebbel w. 9,
397 IF.; eine viel verschlungene mannichfaltigkeit, die nach-
her . . . herrschende gr. der altchristlichen kirchenbau-
kunst wurde Fr. Schlegel s. w. 6, 205 ; die so klar her-
vortretende gr. des tempels archäol. zeitg. 1, 106 Gerhard;
ebenso technisch: die gr. ihrer {der federlampe) einrichtung
Karmarsoh-Heeren * 5, 251; die grundlegenden ideen
einer meinung, einer lehre {vgl. comp.-typ. 5 o): man richte
alles nach diesen grundideen {ehrfurcht vor gott u. s. w.)
ein Wieland I 2, 295 ak. ; auf die zweyte gr. {Stärkung der
Organe) . . . hat man ein sehr beliebtes System gebaut
HuFBLAND kunst d. menschl. leb. z. verl. 287; keine von
meinen alten grundideen {der kunst) {wird) verrückt und
verändert Göthe III i, 229 W.; Wilhelm Schlegel ist . . .
in ästhetischen haupt- und grundideen mit uns einig
IV 11, 66 W.; {mein) thema, dessen gr. . . . erörtert wer-
den soll Heine s. w. 6, 78 E.; persönlich gewendet: diese
gr. wird mich bey allen meinen arbeiten leiten dtsches
museum 1, 53 Fr. Schlegel.
GRUNDIEREN, vb., 'den grund herstellen', besonders
'den ersten anstrich {aus kreide, leim etc.), die untere farb-
schicht auftragen" ; gr., von grund V A tw formaler anleh-
nung an ältere maltechnische begriffe wie schattieren,
lackieren, schraffieren u. ä. abgeleitet; in der 2. hälfte des
18. jhs. aufkommend verdrängt gr. allmählich das in seiner
technischen Verwendung III 1 m. 2 veraltende gründen {vgl.
sp. 794/.); lexikalisch zufrühest bei Heinsius 2,553*'; in
abwesenheit . . . des hofmalers setzte sich dessen äffe vor
ein auf der staffeley stehendes schon grundirtes tuch
Kretschmann s. w. 6, 104; die lein wand . . ., welche man
nur schwach mit kreide, manchmal auch nur leicht mit
leim grundirte Göthe 47, 218 W.; die arbeit {eine bild-
säule) ist aus lindenholz, grau grundirt und noch nicht
gemalt Stifter s. w. 14, 323; der alte legte eine der
grundierten Stangen in die schieszscharte . . . und . . .
begann, . . . von oben an die himmelblaue spirale zu
ziehen G. Keller ges. w. 3, 77 ; farbig grundirtes papier
{wird) mit einem desain von firniss bedruckt KLarmarsch-
Heeren* 2, 56; man verwendet ihn {den bol) zum grun-
dieren bey der holzvergoldung Oken naturgesch. 1, 214;
auch in die mundart aufgenommen vgl. Martin-Lienhart
1, 278*"; Staxjb-Toblbr 2, 778; HÖNIG 69^; wie gründen
III 2 beim kupf erstich: das grundiren der platten . . . und
zuletzt das ätzen gab mannichfaltige beschäftigung Göthe
27, 180 W.; von den gf mahlten {porträts) kostet ein stük
18 bazen, von den grundirten eins 12 bazen Schubart br.
2, 117 Str.; in übertragenem gebrauch theils noch sinnlich:
ein lichtstrahl ists, der den räum und was in ihm platz
nimmt, unterscheidet, trennet, zeichnet, er grundirt die
weit, auf diesem gründe erscheinen der seele fortan alle
ihn bewohnende gestalten Herder w. 21, 49; wo die
Wasserfläche in ihrer tiefdunkel grundirten klarheit nicht
hervorleuchtete W. H. Riehl Eisele 65 ; um aber den weg
nach Nürnberg recht für die erwähnte mainacht ... zu
grundiren, muszt ich nadelforste aushauen zum platze
für laubholz Jean Paul 42, 92 H.; theils inconcreter: der
ernst musz den scherz grundiren 7/10, 495 H.; ich habe
. . . auszusprechen gesucht, wie das leben mein gemüth
grundirt hat Brentano ges. sehr. 8, 139 ; vereinzelt im
16. jh. wie 'fundieren, basieren, beruhen^: so dasz je eine
{Instruction) auf die andere grondieren würde {v. j. 1530)
nach Staub-Tobler 2, 778. — grundieranstrich, m.:
jeder auf trag heiszt auch anstrich, der erste aber grun-
diranstrich Schönermabk - Stüber hochbaulex. 43. ~
grundierfarbe, /.; um die grundirfarbe auf zink fest
haftend zu machen Mothes baulex. 1, 124. — grundier-
firnisz, TO. Hellwig wb.d.fachau^dr.il^. — grundier-
maschine, /. {vgl. grundmaschine sp. 741): gr. . . ., die
in der buntpapierfabrikation . . . zum grundiren des ge-
musterten buntpapieres verwendete maschine Lueoer
4, 798; vgl. Prechtl 8, 139. — grundiermesser, n.:
gr., ein Werkzeug . . • , womit auf die neue lein wand
{bei der wachstuchfabrikation) . . . der kleister beym grün-
den aufgestrichen wird Jacobsson 2, 164'''. — grundier-
salz, n.: die präparirsalz oder grundirsalz genannte Ver-
bindung enthält . . . Muspratt 3, 33. — grundier-
tisch, m.; indem man . . . damit {mit der bürste) die ta-
pete auf dem grundirtische überzieht 6, 1844. — grun-
dierung, /., die technik des grundierens, der herstellung
des grundes (VA): über leinwand, grundirung, ersten far-
benauftrag Göthe 47, 220 W.;
(er) gab keinen deut auf schule, auf etyl,
auf haltung, reflexe, auf grundirung
V. Gaudy s. w.
9,8;
man . . . braucht ihn {mastix) . . . zur gr. der kupfer-
platten Oken naturgesch. 3, 3, 1757; die grundirung mit
pottaschelösung verhindert . . . Muspratt chemie 3, 1317;
auch der stoff selbst: grundirung .... derjenige stoff (färbe,
kitt oder dergl.), welcher auf eine zu bemalende tafel,
leinwand . . . gestrichen wird, um dieselbe zu aufnähme
der färben geschickt zu machen Müller-Mothes 1, 494*>
vgl. Otte* 94; ein weiszer bogen papier war als grun-
dirung ... darüber genagelt Jean Paul ll/l4, l09/f.,•
li6erira^era.• dadiu-ch gewann er die kontrastwirkung . . .
und zugleich die abhebende gr. und folie für die darauf
folgende erkennungsscene J. Bayer Studien 22; daher ist
den dichtem die materielle weit, d. h. das reich des Zu-
falls nur eingeräumt als grundirung Jean Paul 6, 7 H.;
das musikalische element ist beim recitativ gewisser-
maszen eine bescheidene gnindining 0. Jahn Mozart l, 247.
GRÜNDIG, grundig, adj., mhd. vereinzelt {vgl. auch
ungründig th. 11, 3, 1033) von grund gebildet; häufiger im
16./17. jh. bezeugt, aber neben der concurrenz von gründlich
ohne breitere entwicklung auch im nhd.; vgl. dagegen voll
ausgebildetes nl. grondig vi. wb. 5, 996^., dän. grundig
dän. wb. 7, 176^., norw. grundig; mundartlich in speci-
fischen bedeutungen abgeleitet {s. u. 3).
1 ) zu grund I A 1 'unergründlich tief, vgl. grondigh pro-
fundus, intimus Kilian 163*'; so vermutlich auch grundik
(15. Jh.), grundich {v. j. 1420, nd.) fundosua bei Diefen-
BACH 252b;
so grundec und so vollen tief
was von gotelicher gift
sin wise herze in der schrift
Passional 438, 81 K.;
anders: gr. etiam est vadosus Stieler 711; mit grund
II A 2 a a zusammenlaufend erhält gr. im nd. die bedeu-
tung 'nach dem grund {des gewässers) schmeckend, schlam-
mig, trübe" vom wasser: grondig, gründig i. e. pfützig,
lachigt, pfülicht Kramer niderh. dict. 108 c; grundig
brem.-nieders. wb. 2, 553; Benzler deichbau 1, 179; gr.
'grundwasser enthaltend'" J. Müller rhein. vjb. 2, 1467.
2) wie gründlich B 2 a in übertragener bedeutung 'in die tiefe
gehend, genau'' in hinsieht auf geistige thätigkeit; aber ander-
seits hier nicht mehr deutlich von grund IV A 2, also
'guten grund habend, auf sicherer grundlage ruhend, zu-
verlässig' zu trennen; vgl. gr. et gründlich fundatus, fir-
matus, solidatus Stieler 71l; sage ich, das dises spruch-
dichters rüm die nutzbarkeit seiner sprüch und derselben
auszlegung nichts anders dan ein rüm wider alle erber-
833
GRÜNDIG - GRUNDIRRTHUM
GRUNDKAPITAL -GRUNDKRAFT 834
keiten . . . ist, so gar nichts oder ie wenig erbers, tapffers,
grundiges, noch das zu lesen würdig sein möcht {ent-
halten die Sprichwörter) L. v. Passavänt Verantwortung
{um 1528/29) Bl^; {ich) verhoff, kurtzlich merern und
grundigern beschaidt zu bekumen Chr. Scheubl brief-
buch 2, 202; das ir uns . . . grundiges einkomen {^genaue
kundschaft') vormeldet (16. jh.) Egerer chron. bei Jeltnek
mhd. wb. 335; doniit auf söliche förmliche gründig be-
schreybung statlich und sicherlich geurteilt . . . werden
möge {v. j. 1507) Bamb. halsgerichtsordn. § 216 in: die
Carolina 2, 92 Kohler u. Scheel; auch die ertzelung dieser
geschichten weitter oder merer nit, dann was sich der
herusz der statt Wienn verloffen, ich gesehen und eigent-
lichs gründigs wissen hab Hans Lutz gründige und war-
haflige bericht der geschichten und kriegshandlung (1530)
B l''; nach grundiger und warhafter erfarung befind ich
itzt AvENTiN s. w. 1, 47 L. ; und wollen das leben . . .
Tullii . . . wy uns auf zeytige gründige erfarung gefeit,
beschreyben Schwarzenbero teutsch Cicero (1535) 1^;
so . . . sich solliche bade diebstal auf gründige erfarung
der warheyt . . . erfunden {haben) Bamberg, halsgerichts-
ordn. § 187, a. a. o. 2, 82; so werde uns alsdann das gantze
oder der haubtbegriff einer sache gründig wissend seyn
Harsdöefer frauenz. gesprächsp. 5, 10; were aber der
patient des Zauberers personen gewisz und könte grün-
dige beweiszthüme über denselbigen führen J. D. Ernst
hist. bilderhausz (1691) 59; das ist gründige und bündige
anweysung, wie man . . . Schwabe tintcnfäszl (1745) titel-
bl.; benebenst gründigen und bündigen beweisz 102;
m^ern gelegentlich neugeschaffen: dafür war die Inbrunst
tiefer, gründiger, nachhaltiger J. Lauff Pittje (1903) 163;
für das nd. vgl. grondig, grondelyk, grundlich Krämer
niderhocM. dict. 108^. 3) zu grund II A 2 'erdig^ {im gegen-
satz zu steinig): wir . . . kamen aber in einen weiszen grün-
digen torrent Fabri eigentl. beschr. (1557) 130"'; ähnlich
noch im Schweiz, gr., auch grundig ^viel und tief gute erde
habend, tiefgründig, von culturland' Staub-Toblf.b 2, 778,
ebenso J. Müller rhein. wb. 2, 1467; anders 'nach erde
schmeckend' vgl. gründicht (sp. 830): ich habe mich red-
lich durchgetrunken . . . durch den schweren borstigen
Montenegriner und den grundigen und grunzigen Alba-
neser K. Braun reiseeindrücke 2, 48; holsteinisch: gr. und
kooltgründig 'etwas bodenkalt, fusz-, grundkalt' Schütze
2, 76; in Zusammensetzungen: kaltgrundig Stürm ges.
sehr. 2, 100; warmgründig L. Schübart in: br, von und
an Bürger 4, 217; viergründig tetraedron Schottel 353'';
tiefgründig u. s. w. 4) = grindig {s. sp. 374) : grundig
scabidus (15. jh.) Diefenbaoh 252i>; {des papste^) grun-
dige, schebige, . . . frantzösische . . . teufelsfüsz Nachen-
moser progr«.. <Äeo?. (1595) 83*. — gründigkeit,/. 1) gr.
des bodens, 'die stärke, dicke der für die pßanzenwurzdn
zugänglichen bodenschichV Busse forstlex.^ l, 407 vgl.
Behlen /ors^ u. jagdkde 3, 514. 2) = giindigkeit : kretz,
rand, gründigkeit Scabies Henisch 1741; gr., achores
J. MuRMELius nomencl. (1666) 39. — -gründiglich s.
gründlich, sp. 851. — gründing s. gründling.
GRUNDIRRTHUM, m. 'fundamentaler irrthum' {vgl.
comp.-typ. -pß bzw. r): alle . . . sind . . . verführische
grundirrthumb in glauben und religionssachen Dann-
hauer catechismusmilch (1657) 1, 223; dasz die lehrer . . .
in abscheuliche grundirrthümer gerathen gewesen? G.
Arnold kirch.- u. ketz.-hist. (1699) 1^; ich {hoffe) ihnen
damit den gr. der . . . schrift ... zu entdecken Schsvabe
belust. {\1Alff.) 2, 436; damit wird gezielet auf den ersten
gr. der brüder Thierbach diar. herrnhuth. (1753) 2, 585;
er {der pelagianische lehrbegriff) enthält wahre grundirr-
thümer v. Einem Mosheims kirchenge^ch. 3 (1771), 162;
was der . . . Verfasser grundirrthümer der Herrenhuter
heiszt Lessinq 4, 298 L.-M.; es ward durch diesen einen
gr. . . . der ganze Standpunkt durchaus verrückt Fb.
Schlegel s. w. 8, 59; dieser alte und ausnahmslose gr.
{die annähme einer seele) Schopenhauer 2, 230 Gr.; der
gr. aller philosophie ist die Voraussetzung, die absolute
identität sey wirklich aus sich herausgetreten Schelling
10. I 4, 120; der gr. der Untersuchungen . . . {liegt) darin,
IV. 1. 6.
. . ., dasz . . . A. MÜLLEB verm. sehr, l, 95; diese Weltver-
besserer {waren) in einem grundirrthume befangen R.
Wagner ges. sehr. 8, 7. — -kapital, n., kapital, das die
finanzielle basis eines wirtschaftlichen Unternehmens bil-
det {vgl. comp.-typ. 5o): es wird uns bekannt, wo das
grundcapital des Staates liegt und was es für interessen
{zinsen) bringt Göthe 28, 238 W.; die zinsen für das
grundcapital . . . sind auf die ertrage zu schlagen Stöck-
hardt ehem. feldpred. 1, 157; {bei der) Weidewirtschaft
{ist) . . . das zu ihrer führung erforderliche anläge- und
betriebskapital . . . relativ niedrig im Verhältnis zu dem
gr. hwb. d. Staats wiss.'' 1, 39; terminologisch insbesondere
das bei der gründung einer bank, einer actiengesellschaft
u. s. w. eingezahlte kapital (vgl. Stammkapital); so schon
im 18. Jh.: zu dem ende . . . hat eine reiche gesellschaft
ein gr. von 2400000 livr. {für gewürzplantagen) zusammen
geschossen allg. dtsche bibl., anh. zu 53-86, 2207; das gr.
der reichsbank besteht aus 120 millionen mark hwb. d.
staatswiss.^ 2, 199; das kapital der aktiengesellschaft be-
steht zunächst aus dem gr., dessen höhe vom gesell-
schaftsvertrag festgesetzt ist Elster wb. d. volkswirtsch.^
1 (1931) 63. — -kenntnis, /., elementarkenntnisz, um
die wende des 18. /19. jh.s beliebt, vgl. Campe 2, 472; auch
die leseübungen enthalten die grundkenntnisse der ge-
meinnützigsten Sachen allg. dtsche bibl., anh. zu 37-52, 231;
{es) fehlt ... an den ersten grundkenntnissen der mytho-
logie ebda 108, 459; wie der maier und bildhauer, so be-
darf auch der baukünstler gewisser grundkenntnisse
Schelling w. I 7, 557; etwas anders: Goethe, der unter
allen bekannten dichtem die meisten grundkenntnisse in
sich verknüpft Jean Paul iv. l, 8 H.
GRUNDKLOTZ, n., im 16. u. 17. jh. für 'senkblei, loV
{vgl. comp.-typ. 5 a): ein gr., ein gewicht an einr schnür
gebunden, darmit man die tiefe des meers miszt, ein
senckel bolis Frisius 158^; das gr. catapyrates Reyher
thes. (1668) 915; zuletzt bei Steinbach (1734) l, 876 auf-
geführt; wir warfen das gr. ausz xmd funden auf 47 klaf-
tern tief grund A. Cassiodorus regn. Congo (1597) 2, 22;
das leimechtig erdtrich, welches er ( Columbus) mit seinem
gr. hervorbracht S. Münster cosmogr. (1628) 1693; sie
rissen geschwind ihre segel herunter und verhinderten
also kaum damit, dasz ihre schiffe nicht in bleisenckel
und grundklötze verwandelt würden {d. h. untersänken)
E. Francisci luftkreis (1680) 1152.
GRUNDKRAFT, /., seit dem 18. jh. geläufig; kraß,
die den erscheinungen {physikalischen, chemischen, psy-
chischen u. s. w.) zu gründe liegt, urkraft, elementar kraft,
princip {vgl. comp.-typ. 5 p): sonst müszte man . . . sagen,
es gäbe thätigkeiten ohnegrundkräfte und Wirkungen ohne
Ursachen Gottsched neueste a. d. anmuth. gelehrs. 9, 456;
die idee einer gr. . . . ist wenigstens das problem einer
systematischen Vorstellung einer mannigfaltigkeit von
kräften Kant 3, 439 Hartenst.; naturwissenschaftlich: alle
elektrischen erscheinungen hängen . . . von denselben
zwei grundkräften ab, welche dem chemischen procesz
zum gründe liegen . . . der zündkraft und brennkraft
Gehler phys. wb. 3, 369; als nun Newton und seine Zeit-
genossen den fall der körper und die bewegung der pla-
neten auf eine gr. reducirten v. Bär red. u. versch. aufs.
2, 64; neben der gr. der materie, der anziehung aus der
ferne A. v. Humbold kosmos 1, 56; unaufhörlich vererben
diese grundkräfte {der natur) ihre Wirksamkeit auf neue
keime G. Förster s. sehr. 4,317; meist aber allgemeiner
natur philosophisch-ontologisch: ob eine Substanz nur eine
gr. oder mehrere haben könne M. Mendelssohn ges.
sehr. 2, 194; dasz ihr {der materie) gewisse kräfte und
zwar grundkräfte oder urkräf te zum gründe liegen, durch
welche sie selbst erst existenz erhält Gehler phys. wb.
2, 711; warum sollten nicht zwei entgegengesetzte grund-
kräfte in ihrer vereinigmig die materie ergeben Herbabt
w. 3, 129 ; die naturwissenschaf t . . . nach den drey Uran-
fängen und grundkräften der natur A. M. Booz (1787)
tilel; daher auch die lehre von den drei weiten . . . oder
drei grundkräften Fr. Schlegel s. w. 8, 325; 'letzte prin-
cipien' : das christenthum verwirft jene persische vor-
53
835
GRUNDLADE -GRUNDLAGE i
GRUNDLAGE 2
836
Stellungsart . . . nur, insofern . . . zwei von einander un-
abhängige grundkräfte angenommen werden 1, 225;
ich sage dir, was doch noch zu bewundern bleibt:
die ewge grundkraft selbst, die dieses radwerk treibt
RÜOKKRT w. 8, 382;
vielfach psychologisch: der physiognomist . . . beobachtet
die anlagen, den Charakter, die grundkräfte MusÄus
physiogn. reisen 1, 198; ob Sinnlichkeit und verstand in
einer gr. zusammenfallen ailg. dtsche bibl. 89, 12; kräfte
und fähigkeiten der seele, die eigentlich in einer gr. ge-
gründet sind EscHENBUKO etüvxurf 13; phantasie als 4. gr.
des geistigen wesens Göthb III 6, 1 W.; die Vereinigung
dieser drei grundkräfte {bildende kraß, bewegungskraft.
denkkrafi) zu einer kraft Fichte s. w. 2, 180; die gr.
seines wesens lag in einem siegreichen bestreben, ziu:
Wirksamkeit und that auszuströmen G. Forster s. sehr.
5, 169; sie hatte die einfalt, diese gr. aller tugend ver-
spielt EiOHBNDORF s. w. 2, 217; dabey aber waren die
grundkräfte aller kunst allgemein und lebendig in ihnen
angeregt Pestalozzi s. sehr. 3, 90; weniger häufig in an-
derer anwendung: die philosophie ... in ihre lebendigen
grundkräfte zu scheiden, . . . halte ich für Schellings
eigentliche bestimmung Fe. Schlegel im Athenäum l,
2, 83 ; wie wird die gr. des ganzen christlichen staats-
systems localisirt? A.Müller verm.schr. i, 309; arbeit,
welche die gr. aller kulturentwicklung (ist) Ratzel völ-
kerkde 3, 3; diese grundkräfte (des wirtschaftlichen fort-
schrittes) sind in ihrer leistungsfähigkeit . . . enorm ge-
steigert worden hwb. d. staatswiss.^ 7, 1 49 ;/rliÄ wie comp.-
typ. 5 r: welche (pflanzen) die natur gar reich von geistern
gemacht, als deren grund- und haubtkräften in den geist-
lichen dingen bestehet Knorr v. Rosenroth pseudo-
doxia (1680) 152. — -lade, /.; grundladen sind beschla-
gene . . . höltzer, welche unter die tragstempffel geleget
werden, da sie keinen gewissen grund haben G. Junq-
HANS gräubl. ertz (1680) c 3*^; vgl. grundsohle; so noch bei
Beil 264 als bergbautechnischer ausdruck; mundartlich als
grundlede tw älteren nd.: grundlede Hst an bollwercken
der im gründe liegende balcken, in welchem die pfäle mit
ihren zapfen zu stehen kommen^ Richey idiot. hamburg.
(1743) 149; ebenso Schütze holst. 3, 18.
GRUNDLAGE, /., die (unterste) schicht auf der ein
ding ruht, unterläge, basis, fundament; gr. löst, im späten
16. jh. und 17. jh. vereinzelt einsetzend und erst in der
zweiten hälfte des 18. jhs. voll entwickelt, das simplex grund
in den bedeviungen IV A 2 (vgl. sp. 704) und IV B (vgl.
sp. 713) weithin ab; ausgangspunct der bildung wohl die
formein den grund legen (sp. 705), zum gründe legen
(sp. 707) und comp.-type.n 5 h und o; lexikalisch nicht vor
der mitte des 18. jh.s als lebendiges wort verzeichnet: gr.
(term. d'archit.) empdtement nouv. dict. (1762) 359^, beson-
ders Adelung (1774) 2, 829; noch bei Frisch teutsch-
lai. (1741) aus Stettler zitiert (s. u.) als ungebräuchlich
gekennzeichnet, vgl. dagegen gr. bei Gottsched beobacht.
(1758) 122; nl. grondlaag im 17. jh. selten, erst im 19. jh.
ausgebreitet; parallel gebildet (unter einfl,usz von gr.?)
schwed. grundlag vgl. schwed. wb. 10, 1047, dän. grundlov
dän. wb. 7, 182, vgl. Falk-Torp etym. wb. 353,
1) concret, auf körperliche masse bezogen, eigentlich und
bildlich für die basis, die tragende, untere schicht eines
bauwerks: gr., 'rfer unterste theil einer baute" Helfft wb.
d. landbauk. 162; im bilde: dasz das einige fundament und
die einige grundlag der kirchen gottes alleinig bestände
auff der lehre der propheten und aposteln Fischart
binenkorb (1588) 2^; von dem dritten . . . tempel steht
nur noch die gr. der cella v. Gatjdy s. w. 5, 139; nur ein
kleiner theil der gr. blieb stehen zum angedenken seiner
mühle BR. Grimm dtsche sagen^ 1, 136; hier fanden wir
. . . viereckige abtheilungen aus nebeneinander gelegten
. . . steinen, die . . . grundlagen von häusem waren
Forster s. sehr. 2, 14; dieser säulenstuhl hat keine erste
gr. ce piedestal n^a pas assez d^a-ssiette Schrader dtsch.-
franz. l, 580; gr. eines walles Krünitz 20, 283; Beil 264;
wobei die trümmer einer alten btu-g ... zur gr. (für eine
schanze) dienten Raumer gesch. d. Hohenst. 1, 144; sollte
aber die last (des gebäudes) sehr grosz und zu befürchten
seyn, dasz sie die gr. (d. h. die feste läge grandigen bodens)
entzwey brechen könne Krünitz 20, 264; (sie) haben . . .
für ein kartoflfeKeldchen . . . aus mächtigen felsblöcken
eine gigantische gr. aufgeführt Steub drei sommer in
Tirol 2, 425; eine mächtige . . . reine sandmasse, welche
überall die gr. der ganzen marsch bildet Allmers mxir-
schenb. 68; (die) natiu-, die . . . unter dem boden und
weiterhin in die felsigen grundlagen ihr crystallisirendes
bildwesen treibt GtÖthb IV 34, 73 W.; fachsprachlich im
Wasserbau: werckstücke aus gutem Sandstein . . . sind
, . . nöthig zu steinern schläussen zum wenigsten zur
ersten gr. an die ecken L. Chr. Sturm fangschläu^zen . . .
bauen (1715) d 2*>; gr., einbettung, ist die gründung in
tiefen wassern aus toschigten tannen . . . oder auch aus
faschinen, um darauf hernach einen Wasserbau . . . dar-
auf aufzuführen Voch baulex. (1781) 133=>'; grundlagen /ür
grundsohlen ist ' in der correct bergmännischen spräche
kaum jemals üblich gewesen, sondern offensichtlich verun-
staltet aus grundladen (vgl. sp. 835): grundlagen sind
breite, beschlagne höltzer, welche unter die tragstempel
gelegt werden G. Lichtenstein entd. geheimnisse (1778)
74; gr. ''für das pflaster'' (straszenbau), empierrement Beil
264; wenig ausgebreitet im sinne grundfläche; anläge oder
gr., base ist der fusz oder die untere breite eines jeden
dinges . . . oder die obere fläche eines platzes, welche zu
einem jeden gebäude abgestecket . . . wird FÄscii kriegs-
lex. (1736) 28*^; diese gr. (des Ätna) . . . hat . . . sechzig
stunden im umkreise Hirschfeld theorie d. gartenkunst
(moff.) 4, 122.
2) am breitesten entwickelt in übertragener bedeutung, in
mannigfachen beziehungen auf dinge und zustände ange-
vjendet, parallel entsprechendem gebrauch von basis; dasz
die concrete Vorstellung mehr oder weniger spürbar bleibt,
erweisen die typischen Verbindungen mit adjectiven und
verben. a) das, worauf eine sache existentiell beruht, reale
Vorbedingung, geistige Voraussetzung, bestimmende kraft;
vereinzelt bereits im älteren nhd.: dan dise zwey, hoff-
nung der rhümlichen ehr und forcht der schandlichen
strafE sind die grundleg (plural oder grimdlege?), notzeug
und gleichsam urspringliche dement . . . aller thugend
Fischart w. 3, 309 Hauffen; dann alle sachen deren
grundlag auff der billigkeit bestehen, kommen zu glück-
lichem fortgang M. Stettler annales (1627) l, 2973'; weil
. . . kein groszes nachsinnen vonnöthen gewesen, wel-
ches sonst in andern schrifften die gr. zu seyn pfleget
Zendorius a Zendoriis teutsche winternächte (1682) 511;
erst seit der mitte des 18. jhs. stark ausgebreitet: an seinen
(Christi) zwei tiaohäg hänget das ganze gesetz und die
propheten und die werden die ewigen grundlagen aller
meiner moral bleiben Zinzendorf neQi laviov (1746)
103; der söhn gottes . . . errichtete . . . das Christentum
und in demselben die streitende kirche als gr. zu seinem
künftigen herrlichen reich Jung-Stilling w. 3, 157; das
erkennen (unterhöhlt) durch seinen Widerspruch die grund-
lagen des glaubens H. Lotze mikrokosmus 1, ix ; die
strenge . . . Justiz, welche eine der wichtigsten grund-
lagen dieser republik macht Schiller 4, 114 O.; die gr.
dieser Verfassung (loar) die errichtung einzelner römi-
scher colonien Eichhorn Staats- u. rechtsgesch. 1, 67;
Streitschriften . . ., womit er ... die drei grundlagen
jedes menschenwürdigen öffentlichen lebens, die religiöse,
die häusliche und die politische freiheit vertheidigte
Treitschke hist. u. pol. aufs, l, 9; materiell z. b. diese
einnahmen bilden die gr. für seine wirtschaftliche existenz ;
Wolf gang (habe) noch immer nicht gelernt . . ., was die gr.
eines geordneten haushaltes sei 0. Jahn Mozart 3, 150;
öfter für das, was die basis eines slreites, von Verhand-
lungen, vertragen u. s. w. bildet: ich sähe vorher, dasz
. . . dieses kleine schriftgen die gr. eines theologischen
federkriegs von vielen jähren werden würde Zinzendorf
TisQi lavTov (1746) 119; anordnungen, welche der päpst-
liche stuhl im jähre 1335 getroffen . . ., wm-den im jähre
1448 abermals die gr. der deutschen concordate Ranke
837
GRUNDLAGE s
GRUNDLAGE 8-4
838
3. tv. 1, 33; weil wir glaubten, dasz wenn die regierungs-
vorlage angenommen wurde, den berathungen der pro-
vinziallandtage eine gr. gegeben war Bismaeck pol. reden
1, 9; die thatsachen, auf die mssenschaftliche Untersuchun-
gen, forachungen, berechnungen, theorien u. s. w. sich auf-
bauen: dieser (erste theil des werks) enthält nur die gr.
Herder w. 13, 9 S.; es (sind) nur längst bekannte denk-
mahle der alten kunst, die mir freygestanden, zur gr.
meiner Untersuchung zu machen Lesseno 11, 4 L.-M.;
sie erinnern sich wol noch der gr. zu der ganzen theorie,
dieses calculs briefe die neueste lit. betr. 17(1764) 95; Lockes
. . . versuch vom menschlichen verstände, der . . . beinah
gr. der philosophie worden ist Herder w. 23, 131 8.; gr.
der anzustellenden berechnungen Göthe 25, 283 W.; for-
meln für die objektive gr. dieses Unterschieds der that-
sachen des geistigen lebens von denen des naturlaufs
Dilthey einl. in d. geisteswiss. l, 8; die astronomischen
Observationen {müssen) als gr. der karte angenommen
werden Ritter erdkde 1, 377; die fundamentalen demente
von bildung, wissen, Charakter: er (Sokrates) würde . . .
die tanzkunst zur . . . gr. zur orziehung . . . gemacht
haben Wieland Lucian v. Samosata 4, 395; man . . .
brachte meiner seele die lehre von den gespenstern, hexen
und dem leidigen satan . . . bey. nach dieser gr. muszte
ich einige Sprüche aus dem catechismus Luthers lernen
Heinse in: Gleims briefwechsel 1, 5 Körte; seine (Lach-
manns) Vorlesungen . . . wurden für mich grundlagen
meines bescheidenen wissens G. Freytao ges. w. l, 89;
anders: als gr. des Unterrichts im griechischen diente
auch hier das neue testament Steffens was ich erlebte
(1840) 1, 89; die gr. ihres Charakters war eine schöne an-
hänglichkeit an väterliche sitte Fr. Schlegel s. w. 4, 14;
dieser muth musz die gr. ihrer seele . . . sejTi Lavater
verm. sehr. 2, 151 ; schon dies beweist auch, dasz im kur-
fürsten eine edle gr. war Betttne die Oilnderode 2, 49;
ich . . . bemühte mich, die gr. seines bestialischen wesens
aufzufinden G. Keller ges. w. 3, 133.
b) auch mit stärkerer betonung des anfangens, eiü Stehens
(vgl. grund IV B 2) ^Voraussetzung, Vorbedingung^: dies
(die höhlen) ward die gr. einer festeren bauart Herder
w. 22, 131 S.; das porträt ist die gr. . . . des historischen
gemähldes A.W. Schlegel im Athenäum l, 12, 85; ich habe
von dem entstehen, von der gr. der dichtkunst dieses
Philosophen meine eigene gedanken Lessino 10, 214
L.-M.; es (das göttliche ebenbild) liegt, eben weil es die gr.
. . . des . . . daseins bildet, schon in der natur Fr. Schle-
gel s. w. 13, 195; ähnlich bei erscheinungen der historie, der
cultur, des geistigen lebend vielfach verwendet: eine all-
gemeine Weltgeschichte würde die gr. von allen geschich-
ten der völcker enthalten Ramler einl. in d. schön, wis-
sensch. (1758) 4, 273; da sie (die geschichte der Franken) von
nun an die grundlaage der deutschen ausmacht M. I.
Schmidt gesch. d. Dtschen (1778) 1, 197; es (das histo-
rische leben) hat dort seine geistige gr. gewonnen Ranke
s. w.^ 14, 3; die grundlagen des neunzehnten Jahrhun-
derts HotrsTON Stewart Chamberlain buchlitel; allge-
meiner 'das, woraus eine sache hervorgeht, svhstraf : leiden-
schaft (sei) die gr. des tanzes Gerstenberg recens. 324;
den chor, die gr. des griechischen dramas, setzte man ab
Platen 3, 230 E. ; so musz man . . . das griechische für
die gr. des lateins annehmen K. O. Müller d. Etrusker
1, 20; quelle, literarische vorläge, stoffliches vorbild: ein
werk . . ., das künftig zur gr. eines . . . werkes dienen
könne Nicolai literaturbr. 5, 53; ich hätte die gr. dieses
Stücks niemals gewählt G. Stephanie s. lustsp. (1771) 2li;
der stof der romane ist zuweilen, seiner gr. nach, histo-
risch Eschenbitrg entwurf 266; selbst ein academiker
. . . könnte diese schrift zur gr. eines Vortrags recht gut
brauchen Göthe IV 19, 134 W.; eine frühere gr. des ge-
dichts ist also unbezweifelt W. Grimm heldensage 68; die
gr. von dem hahn und dem ringe hörte ich . . . von einem
. . . chocolademacher . . . erzählen Brentano ges. sehr.
5, 5; (er) glaubt, die gr. der fabel sey schon zu Karls des
groszen zeiten vorhanden gewesen A. W. Schlegel Athe-
tiüum 2, 309; ähnlich: Klopstock ist auch bei ihm (Bag-
gesen) die gr. seiner dichtung Gervinüs gesch. d. dtsch.
dichtg.* 5, 584; fast wie 'beweggrund': er besorgte, irgend
ein begangener fehler möchte die gr. dieser betrüb-
nisz seyn Laroche frl. v. Sternheim l, 6; wäre dein
eigenes böses gewissen die gr. deines zoms gewesen?
Iffland theatr. w. 4, 314; anders, in den begriff 'berech-
tigung'' hinüberspieletid und ganz abstract geworden in der
neuerdings beliebten formet : diese behauptungen, gerüchte
u. s. w. entbehren jeder gr.
3) in typischer Verbindung mit adjectiven tritt der bild-
liche Charakter häufig durch die betonung des festen, sicheren
heraus; fest, sicher u.a.: es fehlte . . . ihrer herrschaft
... an einer festen gr. Mommsen röm. gesch. 2, 62; stolz
ist eine feste gr. Fr. M. Klinger w. ll, 292; ein gefühl
der ruhe . . ., dem aber eine sichre und grosze gr. zur
stütze dient W. v. Humboldt Pindar 45 lit.-denkm. ; un-
erschütterliche grundlagen des äuszeren daseins Ranke
s. w.^ 14, 4; zu besonderer Verwendung entwickelt sich
breite gr.; im schlichten sinn: es (das Wörterbuch) soll zu-
meist nach dem plan der Crusca behandelt werden imd
aus einer breiten gr. hervorgehen J. Grimm an Gervinüs
(5. Jan. 1838) briefw. 2, 9 Ippel; seit einer erklärung könig
Friedrich Wilhelms I V. vom 22. märz 1848 in superlati-
vischer fassung als politisches Schlagwort im schwaiig, vgl.
zs. f.dtsche wortforsch. 3, 167^.; Ladendorf hist. schlag -
Wörterbuch Zbff., Büchmann gefi. worte^^ 555: nachdem
ich eine konstitutionelle Verfassung auf den breitesten
grundlagen verheiszen habe allg. preusz. zeitg, v. 22. ni.
1848 abendausg., extrabl.; die Varianten freisinnigen und
freisinnigsten gnindlagen und spätere erweiterungen wie
breiteste demokratische grundlagen volksblatt v. 27. v.
1848 erhellen die bedeutung der formet: 'alle schichten des
Volkes einbegreifend" ; vor der band stellte er (der könig)
'sich auf die breiteste gr.' Rüge briefw. 2, 36 Nerrl.; viel-
fach parodiert: die katzenmusiken sind auf den breitesten
grundlagen eröffnet Kladderadatsch v. 28. v. 1848; vgl.
Freiligrath ges. dicht. 3, 169; da er seinen rücken recht
betrachtete, freute er sich dieser breitesten gr. und lud
ihm auch noch sein eigenes ränzel mit auf (a. d. j. 1849!)
Eichendorf s. w. 3, 451 ; auch später rein formelhaft ge-
bräuchlich: (eine.) Organisation der schulen auf breitester
gr. Mörike w. 3, 115; ich möchte . . . meine errungen-
schaften auf breitester gr. anbahnen Holtei erz. sehr.
20, 59; nicht selten erste gr.: seine (des nestes) erste gr.
sind . . . dürre baumblätter Naumann naturgesch. d. vögel
2, 1, 410; die naturwissenschaft (wäre) in ihren ersten
grundlagen aufgehoben D. Fr. Stbausz (leb. Jesu) ges.
sehr. 3, 48; die zergliederungsktmst, die erste . . . gr. der
artistischen vorkeimtnisse G. Forster s. sehr. 3, 451.
4) bei formelhafter Verbindung mit verben ist die eigent-
liche bedeutung theils deutlich; z.b. eine gr. legen; auf einer
gr. bauen, errichten; eine gr. untergraben, erschüttern
u. s. w. : hier hatte er die gr. gelegt zu dem münz- und
antiquitätencabinet JusTi Winckelmann 1, 335; den be-
weis ihres talentes, . . . ihrer guten von der mutter ge-
legten gr. Gutzkow ritter v. geiste 7, 143; die rechtfer-
tigung meines neuen kehrreimes, die ich auf die oben
bemerkten fünf grundlagen bauete Bürger tr. 1, 358 B.;
auf unsichrer gr. hinfällige sätze aufbauen Welcker alte
denkm. 1, 4; die einzigen grundlagen, auf welchen ein
wahrhaft republikanischer bund errichtet werden kann
br. von u. an Herwegh 245; dazu kam, dasz . . . die münz-
herren . . . ihn (den münzbetrieb) . . . auf andere wirtschaft-
liche grundlagen stellten Luschin v. Ebengreuth münz-
gesch. 87 ; kaiserthum und papstthum hatten . . . einander
die grundlagen ihrer macht untergraben G. Freytag
ges. w. 18, 2; ohne die grundlagen des gesammten daseins
zu erschüttern Ranke s. w. 2, 3; theils ist die bildvor-
Stellung verblaszt: die gr. bilden, auf einer gr. beruhen, zur
gr. dienen u. s. w.: diesz thema . . ., das die gr. für die
ausführung bildet, ist das abstrakte Hegel w. I 1, 125;
die beweise (müssen) auf thatsächlichen grundlagen be-
ruhen Brunn kl. sehr. 1, 37; künftig . . . müssen die
pflichten, die vortheile, die Unbequemlichkeiten desselben
zur gr. des werks dienen Lessing 10, 148 L.-M.
53*
839 GRUNDLAGE 5. 6 - GRUNDLASTER
GRUNDLAUT— GRUNDLEGEND
840
6) stehende präpositionalverbindung ist auf gr., mit ver-
baler, adjectivischer oder genitivischer ergänzung; vgl. die
gleiche Verwendung von basis: der reichtstag war sehr der
meinung auf dieser gr. zu unterhandeln Ranke s. w. l,
128; nicht urkundlich, aber doch scheinbar auf chroni-
kaler gr. Böhme gesch. d. tanzes 60; die constitutionelle
monarchie auf demokratischer gr. Hebbel w. 10, 130 W. ;
auf der gr. des Matthäus zusammengestellt Scherer
Hter. -gesch. 46; die Verklärung geschieht auf der gr. des
tagebuchs handelsgesetzbuch § 524 abs. 5 ; namentlich rechts-
sprachlich vielfach articellos wie auf grund {vgl. sp. 712)
verwendet: auf gr. des abkommens vom 28. jan. Moltke
ges. sehr. 3, 403 ; auf gr. der in ihrer letzten Session be-
schlossenen gesetze Bismarck polit. reden i, 4; (ein) pro-
zess . . . auf gr. einer rechnung für gewaschene Vorhem-
den des entwichenen G. Keller w. 4, 231.
6) in fachsprachlichen Sonderverwendungen; häufig auf
concreta angewandt, ohne unmittelbaren anschlusz an die
bedeutung 1; in physik und Chemie ' grund sto ff \- gr., für
die einfachen theile, woraus ein körper bestehet Clements,
principes Schrader dtsch.-frz. wb. (1781) 1, 580; gr., base,
radical Beil 264; gr., salzfähige base saliflable; gr., säure-
fähige base acidifiable; gr., wägbare base ponderable
Gehler physik. wb. 4, 2, 1649/.; die gr. der feuer- und
lebensluft nennen die Chemiker den Sauerstoff Hufei.and
kunst d. menschl. leb. z. verl. (1797) 65; gr. derselben {der
ammoniakalischen parfüme) ist . . . das feste kohlensaure
ammonium Muspratt chemie 6, 2091; was man ... al-
kalische grundlagen . . . genannt hat Göthe II 3, 206 W.;
ähnlich physiologisch: ihre {der knochen) thierischc gr.
ist der sogenannte knochenknorpel Sömm erring bau d.
menschl. körpers 2, 9; technisch: die gr. der fabrikation
feuerfester erzeugnisse bilden die feuerfesten thone
Muspratt chemie 8, 847; die eigentlich formgebende gr.
(in der knopffabrication) bildet eine platte Karmarsch-
Heeren 5, 7; in der musik: gr. eines akkords 'heiszt in
der generalbasslehre diejenige gruppierung der töne des-
selben, welche den grundtoyi als basston aufweist^ H. Rie-
MANN musiklex.^ 413; vereinzelt an grund V A 3 und läge
5 d sich anlehnend: diese Vorstellung (bildet) die gr., auf
die alles andere aufgetragen ist D. Fr. Strausz sehr. 6, 48.
GRUNDLAGER, n. 'unterläge, die den grund bildet^
(vgl. comp. -typ. 5 h); von gebäuden: da zuvor der glantz
deiner stat Italien erleuchtete, jetzunder kaum die hin-
terbliebene stücklein von dem gr. zu spüren J. M.
Mbyfart teutsche rhetor. (1653) 330; auch sonst: eine
weinpresse bestehet aus dem gr., grundhöltzern, worauf
der presztrog lieget allg. haushaltlex. (inoff.) 2, 5S2;vgl.
gr., Situs, Situation Schottel 472; dazu die in der bau-
gewerkssprache länger lebendige composition -holz: eine
. . . Verbindung aus vierkantig gehauenen grundlager-
liölzern Benzler deichbau (1792) l, 19; gr., 'die schu)ellen
eines pfahlrostes, . . . welche . . . dem fundament unmittel-
bar zum auflager dienen' Helfet wb. d. landbaukunst 162;
grundlagerhölzer im fundament eines gebäudes . . .
Mothes baulex. 4, 97; so bereits VocH baulex. (1781) 133'"'.
GRUNDLAST, /. l) gr., ballast Htjlsitts teutsch-ital.
(1618) 143». 2) in neuerer rechtssprache 'auf einem grund-
stück lastendes dingliches rechf (vgl. comp.-typ. 5 f), meist
pluralisch-collectiv ; einmal die alten, im 19. jh. durch ab-
lösung beseitigten beschränkungen des grundeigenthums
wie gutsherrschaftlichc lasten, abgaben, dienstleistungen
u. s. w.: die wirthschaftliche kraft dieses . . . kemhaften
Volkes wurde gelähmt durch mannigfache grundlasten
Treitschke dtsche gesch. 3,551; erst durch das gesetz
vom 4. juni 1848 (wurden) . . . alle grundlasten für ablös-
bar erklärt Bernhardt ge^ch. d. waldeigent. 3, 46; weiter
im modernen recht bestimmte privatrechtliche belastungen
wie reallast, grunddienstbar keit, hypothek und öffentlich-
rechtliche wie rentenbankbelastung u. ä. vgl. H. Sacher
staatslex. 2 (1927), 934^.; seltener im singular verwetidet:
die erklärung eines teils der gemeindegemarkung zum
heimstättengebiet . . . legt den betreffenden grund-
stücken fraglos eine derartige gr. auf ebda 938. — -laster,
n. (vgl. comp.-typ. 5 Tp,T): dannoch bleiben solche ver-
stockte hertzen sonder bekehrung in solchen grundlastem
bisz an ihr ende unbewegt stecken J. R. Glauber anf.
d. metallen (1666) 106; dieweil nun aber die atheisterei
. . . das gr. aller würcküchen Sünden ausmacht Eyck
d. narr, atheist (1722) 55; hochmuth, herrschsucht, hab-
sucht, die drei gr. der menschlichen natur Görres ges.
sehr. 5, 415; die heuchelei der selbstbethörung ... ist das
gr. der gegenwart Büchner krafi u. stoff 27. laut, m.,
''primitiver, ursprünglicher laut, urlauV : doch ist mehren-
teils der erste gr., den ihm die zeugemutter aller dinge
eingepflantzet, geblieben Zesen rosenmänd (1651) 9; die
grundlaute der spräche Wieland s. w. (1853) 33, 307; die
menschliche lautsprache besteht aus einer . . . anzahl von
grundlaut«n K. Chr. Fr. Krause grundwahrh. d. wis-
sensch. 213;
was auch das zarte brausen sei,
ein heiiger grundlaut ist dabei
K. Mayee ged. 98;
vor allem gelten die vocale als grundlaute: indem beide
(sprachen) die grundlaute a, i, u unverderbt aussprechen
J. Grimm kl. sehr, l, 64; so auch gelegentlich terminologisch
als Verdeutschung von ''vocaV im gegensatz zum ^bestim-
mungslauf (= consonant) neben Selbstlaut, hauptlaut bei
Campe 2, 473; anders gewendet Haut, der den grundbestand-
theil darstelW : das dwr oder dour der celtischen sprachen
mag ursprünglich . . . dasselbe wort nicht nur mit dem
vaskischen ura, sondern auch mit dem gr. von v()'ix}Q seyn
W. v. Humbold ges. sehr. 9, 143. — -lauter, m., 'vocal-
zeichen'CAMVE 2,473. — -lautlich,a(iy.;diegrundlautüche
anordnung der deutschen urlinge nach dem . . . adelung-
schen wörterbuche K. Chr. Fr. Krause briefw. 2, 225; —
-leer, adj.: gr., sine fundamento Stieler 1107; 'leer bis
auf den grund': auch der gemeine geltkasten grundlär
war R. LoRicmus instruct. u. bericht (1618) 293; gestei-
gertes leer, 'völlig leer\- es (war) ein . . , fehler . . ., eine
so ansehnliche person . . . auf bloszen grundleeren schat-
ten argwöhnischer einbildung mit einem kerckerloch zu
schimpffen E. Francisci traursaal (1672) 3, 405; in einen
Wirbel falscher freuden . . . und grundleerer hoffnungen
Fr. v. Gentz sehr, l, 85.
GRUNDLEGEN, vb. l) gelegentlich als verbale zu-
sammenrückung von den grund legen (s. sp. 705/.),
poetisch:
(wo) warst du, als icli
grundlegete die erde?
Herder w. 12, 322 S.
häufiger als substantivierter inf.: bey dem gr. (eines ge-
bäudes) musz eine grosze behutsamkeit angewandt wer-
den, damit das fundament die liinlängliche stärcke er-
halte Krünitz 20, 257; das gr., foundation Mothes bau-
lex. 2, 366. 2) verkürzte zusammenrückung von in grund
legen (s. sp. 728/.); als subst. inf.: gr., 'ein feM . . . aus-
messen . . . und . . . in einer figur vorstellen' Chr. Wolf
math. lex. (1747) 619; wie das gr. durch blosze stäbe und
meszkette . . . vorzunehmen 620; will mau sich beym gr.
einer landschaft mit einem risse begnügen allg. dtsche
bibl. 2, 63; auch im sinne von 'abstecken' : gr., 'wenn nach
einer auf dem papier gezeichneten figur ein ihr ähnlicher
räum auf dem felde nachgemachet wird' Chr. Wolf math.
lex. 620. — -legend, adj. partic, erst seit der zweiten
hälfte des 19. jhs. im schwang (vgl. den grund legen
sp. 705/. und zum gründe legen sp. 707), 'die grundlage
herstellend' : die grundlegende tätigkeit eines Baco und
Descartes Fr. A. Lange materialismus 101 ; man . . . ging im
vertrauen auf den . . . beistand der Volksgenossen . . .
ans grundlegende werk v. Bbnnigsen d. nationallib. par-
tei 26; die . . . grundlegende arbeit der Sammlung des . . .
materials Mommsen red. u. aufs. 47 ; ( Grimms geschichte
des reimes ist) ein beitrag zur metrik von ganz ungewöhn-
licher Stoffülle, durchaus gr., wenn auch . . . der correctur
oft bedürftig Scheber kl. sehr, l, 40; des grundlegenden
meisterwerkes unserer ästhetischen kritik, des lessing-
schen Laokoon Justi Winckelmann 1, 450; die aufgaben
einer solchen grundlegenden Wissenschaft kann die Psy-
chologie nur lösen Dilthey einl. in d. geistesw. l, 40; das
84 1 GRUNDLEGER - GRUNDLEGUNG
GRUNDLEGUNG - GRUNDLEHRE
842
grundlegende princip war dies Bayer Studien 380 ; schliesz-
lieh mit ^fundamental' gleichgesetzt: welch grundlegende
bedeutung der ackerbau im leben der Germanen hatte
Hoops waldb. 495; modern häufig in Verwendungen wneein
grundlegender irrthum, eine grundlegende Umgestaltung
M. ä. — -leger, m., vom 16. bis ins frühe 19. jh. für
'stiftet, gründer, urheber\- es seint bey den apoöteln
und grundtlegern der kirchen zwey schwerdt gefunden
P. Amnicola schnoptüchlin (1532) l 3^; Pausanias der
erst grundtleger und stiffter Zoleckhofeb beschreibg.
(1564) 17; dasz sie {die stadl) Bacchum . . . zum grundt-
leger und anfänger gehabt G. Braun beschreibg. u. con-
traf. (1581) 3, b^; ein schlos, welchs eben so wol seines
alters als seines ersten anfängers und gruntlegers wegen
berumbt M. Quad teutscher nation herl. (1609) 249; die-
weil derselben {der gaunersjn-ache) gr. und erfinder die
ärgste vätter und Stifter alles Unheils . . . gewesen simplic.
Jan Perus (1672) 49; des menschen erste meister, gr., die
schöne harmony Treuer ätsch. Dädalus 1, 441; gr. der
berühmten und weit ausgebreiteten guelfischen familie
J. G. Lairitz palmwaM (1686) 3*; dem Opitio, ihrem
gruntleger der reinen teutschen dichterkunst F. Licht-
stern schles. fürstenkr. (1685) 767; die neue Versammlung
wird . . . unter dem schütze des durchlauchtesten grund-
legers . . . allen schaden ersetzen neuer büchersaal {17*5 ff.)
8, 525; die gr. der . . . aktivität allg. dtsche bibl. 60, 221;
wer hier . . . {die) segel schwellen sieht, der erinnere sich
des grundlegers Hirschfeld gartenkunst 4, 231; seiner
{ist) als gr. der helvetischen gesellschaft . . . gedacht
worden Lenz an Boie, briefe 2, 77; der Ursprung der
spräche ist nicht von dem unsterblichen gr. Fichte, son-
dern von dem offenbarer, der . . . Fb. Schlegel briefe
262 Walzel; von dem allen war . . . Sieges allein der gr.
Dahlmann franz. revolution 256.
GRUNDLEGUNG,/., seit dem 16. jh. belegbar.
1) gr. ist in der eigentlichen bedeutung 'herstellung
des fundam.erUs' wenig häufig: welche thorheit ihm nicht
ehe auszureden war als bisü der baumeister das gantze
serische reich zur gr. {für den bau des turmes) forderte
LoHENSTEiN Armin. (1689) 1, 575'^; gr., ^das anfertigen des
fundaments" Helfft landbaukunst 162; schon im älteren
nhd. meist erweitert zur bedeutung 'erbauung, errichtung,
ardage' , vgl. gründung; fundation, die erbauung, gr. eines
gebäudes, die Stiftung Spanutius (1720) 258; die gr. des
haus gottis {corr. in der baw) 2. chron. 24, 27 Luther bibel
1, 316 W. {= instauratio domus dei); gr. und einweihimg
der neuen evangelischen kirchen zur heil, dreyfaltigkeit
BuTSCHKY kanzdley (1659) 806; dasz man ihn . . . mit
der gr. des tempels Salomonis verbinde Gottsched
neueste a. d. anmuth. gelehrsamk. 8, 745; die gr. oder ein-
weihung eines wichtigen gebäudes ... ist ehrwürdig
Nicolai reise d. DtscMd. 5, 72, wo gr. sich grundstein-
legung nähert; synonym mit anlegung: wir {wollen) weiter
auch von der zargfassung und ersten gr. der statt . . .
etwas weiters handien Fronsperger kriegsbuch (1573) 2,
Z3^ {vgl. in erster anlegung einer statt ebda 33^ u. 30^);
formelhaft ist gr. der weit: nachdem vor der gr. der weit
deine natur fromm und rechtfertig geschaffen ist pers.
baumg. (1696) 94 Olearius; die ihm {Christum) der vater
vor der gr. der weit geschenket hat La vater verm. sehr.
2, 83 ; {seit) gr. der weit J. Scherr d. gekreuzigte^ 173.
2) in bildlichem gebrauch dagegen besser erhalten: {dasz
man) ein gebäude errichten werde, ohne der gr. des-
selben durch sorgfältige Untersuchungen vorher ver-
sichert zu sein Kant ges. sehr. 3, 31 H.; noch immer ar-
beiten wir . . . still und bescheiden an der gr. des Unter-
haus Fr. L. Jahn 2, 973 E.; in dieser stimde ihrer Zu-
sammenkunft und zugleich der gr. zu daurenden denk-
malen Klopstock gelehrtenrepubl. (1774) 431; soll das ...
werk der gr. . . . nicht sofort untergraben werden R. Wag-
ner ges. sehr. 8, 158; noch halb concret: {er) hatte . . . das
auszerordentliche glück bey ihrer {der büchersammlung)
gr. BoDE Tristram Schandi (1774) 3, 169; die gr. zu einem
neuen Staatensystem Mommsen röm. gesch. 1, 358; gr. des
schmalkaldischen bundes Ranke a. w. 3, 219; in neuerer
spräche meist im sinne der 'herstellung praktischer, oder
mehr noch, theoretischer grundlagen' ; es ist . . . der anfang
und vollständige gr. der teutschen letteren, der Stamm-
wörter . . . aus sonderlicher kunst und erfahrenheit nicht
ohn göttliche mithülfe entstanden Schottel 58; es ist
die gr. der historischen Wissenschaft, dasz die archive
. . . geordnet werden Mommsen red. u. aufs. 37; gr. einer
. . . rechtshistorie allg. dtsche bibl. 4, 2, 86; gr. zur meta-
physik der sitten {v. j. 1785) Kant buchtitel; Zopfens gr.
der Universalhistorie {v. j. 1786, buchtitel) allg. dtsche bibl.,
anh. 53-86, 1062; philosophie und historie verdanken
beide den Engländern ihre grundlegungen Gutzkow
ges. w. 12, 9«; vor der gr. zu einer Wissenschaft erwartet
man, dasz sie die dahin gehörigen Untersuchungen in
gang setzte Herbart w. 5, 263 ; so bereitet die geschicht-
liche darstelhmg die erkenntnisztheoretische gr. vor
DiLTHEY geistesvnssensch. 1, xni; ähnlich: sie {die eitern)
trugen das ihrige zu der gr. der haupttugenden in jungen
gemütheni redlich bey Schwabe belust. 3, 152; ist das,
was wir anstreben . . . eine gr. zu wirklichem, dauerndem
gedeihen? Rosegger sehr. II 11, 88.
3) im 17. und 18. jh. auch wie 'fundament, unterbau^ vgl.
gr., fundamentum, fundamen Stieler liiO; gr., , . . the
groundwork Ludwig teutsch-engl. (1716) 818; unter der
erden nun sind des hauses gr., die keller, die mö-
rungen . . . Hohbebg georg. cur. 1, 25; die erlen dienen
am besten an . . . nassen orten zu pfählen unter die gr.
der gebäude J. S. Gbubeb mathem. kriegs- u. friedens-
scAm/c (1697) 103; bis endlich seine gr. in der erden mittel-
punct und seine thurmspitze in die wölken gedrungen
Gottsched neueste a. d. anmuth. gelehrsamk. 2, 263.
4) gr. als Substantivbildung zu in grund legen (s. sp.72Sf.);
gr. 'diejenige Verrichtung, da man eine Situation, Stadt
. . . abmisset 2ind ... in einen . . . grundrisz bringet'
Fäsch kriegslex. (1735) 120**; die gr. oder topographia, die
verzeichnusz des orts ... ist dieselbige in jedem baw
D. Speckle archüectura (1589) l**; sie {die chinesische
kartenaufnahme) fing mit . . . der gr. des landes der
groszen chinesischen mauer an Ritter erdkde 3, 466;
dann die 'grundriszzeichnung' selbst: {deswegen) soltu die
volgend ichnographia oder gr. eins solchen baws mit
fleisz beschawen H. Rrvius Vitruv (1575) 563; wie das
. . . ausz . . . der gr. der statt {Zürich), in groszer form
anno 1566 ... in offnen truck . . . gefertiget, äugen schevn-
lich . . . mag gesehen werden Stumpf Schweizerchron.
(1606) 481*; vgl. ichnx)graphia grundrisz, gr. Reyheb thes.
(1668) 3429; KbÜNITZ 20, 284.
GRUNDLEHRE, /., seit dem 17. jh. bezeugt. 1) lehre,
auf der andere lehren, salze u. s. w. beruhen {vgl. comp.-
typ. 5o); gr. ars methodica, fundamentalis doctrina Stie-
ler 1127; ist nun der catechismus ein solche fundamen-
tal- und grundlehr Dannhaubr catechismusmilch {1657)
1, 21; hätten Anaxagoras, Socrates . . . nachricht gehabt
von dieser gr. {der Schöpfung der festen erde durch gott)
Knobr V. Rosenroth pseudodoxia (1680) 458; wer meh-
reren Unterricht von dieser jüdischen gr. zu haben
wünscht, lese nach Majemonides M. Mendelssohn ges.
sehr. 3, 66; war nicht deismus . . . die gr. der religion
des alten bundes? Herder xv. 10, 312 S.; seine {Krischnas)
unveränderliche gr. ist, dasz . . . W. v. Humboldt ges.
sehr. 5, 161; die musikaUsche gr. ... trägt vor l) . . .
Scheibe crit.musicus (1745) 731; {ein) versuch einer gr.
sämmtlicher kameralien Wissenschaften allg. dtsche bibl.,
anh. 25-36, 1296. 2) häufiger pluralisch die fundamen-
talen, wesentlichen lehrsätze' : die gemeinesten grundlehren
der klugheit Thomasiüs ernsth. gedancken (1720) 2, 172;
ich schreibe diese bücher von den grundlehren der welt-
weiszheit Chr. Wolf ged. v. d. menschen thun (1720) 10
vorr.; {die) an einanderhangenden grundlehren der religion
Vernunft, tadler. (1725) 1, 42; in den tieferen grundlehren
der dogmatik Ranke s. w. 4, 155; Leibnitz soll Sonem
aus Aristotelis grundlehren widerlegen? Lessing ll, 467
L.-M.; {Pythagoras habe) die grundlehren seiner Wis-
senschaft von der Pythia . . . empfangen K. 0. Müller
d. Dotier 2, 394; diesen grundlehren der dramatischen
843
GRUNDLEHRE — GRUNDLEIN
GRÜNDLICH A 1-2
844
poesie zu folge Gottsched dtache Schaubühne 5, 15 vorr.;
die grundlehren der arfcillerie v. Fleming tetUach. soldat
(1726) 80; die grundlehren der polizejrwissenschaft allg.
dtsche bibl., anh. 37-52, 912; grundlehren des galvanismus
MusPBATT Chemie 3, 760; nicht selten dem comp.-typ. 5r
sich nähernd: zu entstellung und herabwürdigung mancher
haupt- und grundlehren der heiligen schrift cabinetsordre
V. 1. oct. 1792 Friedr. Wilh. II. v. Preuszen gegen Kaytt,
vgl. allg. dtsche biogr. 15, 92; als Verdeutschung bestimmter
begriffe philosophischer spräche auch mit prägnanterem
bedeutungsgehalt; ^princip' : davon Cartesius im 4. theil
seiner philosophischen grundlehren eine sehr begreifliche
Ursache giebet Knore v. Roseneoth pseudodoxia (1680)
172 als Übersetzung des titeis 'principia philosophiae' ; als
ob er den grundlehren des Des Cartes alzu genau folge
Bbockes 3, 1 vorr.; etwas anders: nach den oben vor-
getragenen transcendentalen grundlehren ist diese Ur-
sache klar Kant s. sehr. 3, 471 H.; maxime, vemunft- und
Staatsgrund . . ., gr. Sperandbr (1727) 371^'; maxime,
. . . hauptgrundsatz . . ., gr. Kinderling reinigk. 298;
ähnlich für ^axiorrC : gr. ... an axiom Lttdwig teutsch-engl.
(1716) 818; wo man grillen für Wahrheit und hypothesen
für grundlehren verkauft Göthe 37, 171 W.; öfter mit dem
beisinn des elementaren: wo diese erste grundlehren . . .
obenhin getrieben werden, da . . . Mattheson kl. general-
basssch. (1735) 73; dem dilettanten der musik wird . . .
keine verlezung der ersten grundlehren nachgesehen
J. H. Vosz zeitm. d. dtsch. spr. (I802) 4; ein jeder schüler
(soll) durch einige grundlehren der Perspektive sich den
unterschied klarmachen H. Brunn kl. sehr. 3, 252.
3) gelegentlich mehr wie comp.4yp. 5 p ''ursprüngliche
lehre'' : diese philosophie {enthalte) in ihren ersten grund-
lehren . • . eine metaphysik Fr. Sohlegel s. w. 13, 164;
es ist dies nur eine andere Verfälschung der gr. des
Christentums Fichte s. w. 4, 545; tiefere geister haben
sie {die kirche) immer auf die grundlehren zurückweisen
zu müssen geglaubt Ranke 5. w. 1, 192.
4) gr. 'eine Wissenschaft, welche die gründe aller mensch-
lichen erkenntnisz enthält {metaphysikY Campe 2, 473^1,
vgl. grund IV C 1 und grundwissenschaft; vereinzelt durch
den plural gründe verdeutlicht: die gründelehre als eine
physic des menschlichen Verstandes Tetens phil. vers.
1, 68, wo jedoch grund IV C 3 in frage kommt; sonst liegt
hier grund IV C 1 vor, also gr. 'lehre vom gründe des seins
und Werdens' ; anscheinend schon vor Chr. Wolf auftretend:
eine gewisze gr., nach welcher man ursach geben kan
von allem, was in dieser weit vorkommt Knorr v. Ro-
senroth pseudodoxia (1680) 201; angeblich von Chr. Wolf
als Übersetzung von ontologie eingeführt: in der weltweisz-
heit hat der freyherr von Wolf . . . das nichtsbedeutende
wort . . , ontologie . . . sehr wohl durch gr. übersetzet
Gottsched beobacht. (1758) 123; die metaphysic mit allen
ihren theilen, davon die ontologie oder gr. voran stehet
vorr. zu Chr. Günthers ged. (1735) a 5*; ob uns nun gleich
die gr. und die theologie zu wissen geben Bodmer v. d.
wunderb. (1740) 32, wo wie im folgenden gr. in weiterem
sinne für 'metaphysik^ allgemein gesetzt sein kann: als
Albertus Magnus . . . die gottesgelahrtheit verbessert
hatte, drang auch die weltweisheit und insonderheit die
aristotelische gr. in das innerste der gottesgelahrtheit
ein Gottsched beytr. z. crit. hist. 3, 536; vgl. gr. . . . meta-
physique Schrad er d!<scÄ.-/rz.( 1781) 580 c. — -lehrsatz,
m.: das erste hauptstück des ersten buches . . . giebet
. . . die grundlehrsätze des lehrsatzmäszigen festungs-
baues Zesen kriegsarb. (1672) l, vorr. 7*.
GRÜNDLEIN, n. 1) auch gründelein, grundlein dimi-
nutivbildung zu grundel {vgl. sp. 771); grondelin /ztndMZtM
Diefenbaoh 252^; gründelein cobitis barbatula, fuvdulvs
Frischlin nomencl. 63»;
grflndlein, sengiciu gar frisz
dlse vlschelein selnd gar klein
M. LiNDNBE bei MONTANTJS gchwankb. 642 B.;
wegen das er die grundtlein aufgefangen in den bachen
cod. dipl. Siles. 4, 277 {v. jähre 1575); allein gr. und
junge hecht Pabacelsus opera 1, 688 Huser. 2) dimin.
von grund III A 'kleine thalsenke" : alsz ^vir ein gr. hinab
kommen, sahen wir einen groszen häufen in der Schlacht-
ordnung an einem gehen berg Götz v. Berlichinoen
lebensbeschr . 57 B.; ihre tochter . . . hat ... in der
heyden, an einem gr. ... alleine gestanden Peäto-
Riüs anthropod. pluton. (1666) 3, 69; zu den st«llstetten
ist am besten zu erwehlen in offenem felde ein kleines
gr. zwischen den bergen Aitinoer jagdbücM. (1681) 119;
anders 'kleine erdvertief ung, rinne' : die grübe {für die ein-
zupflanzenden bäume) fein weit und oben ein grundlein
umb den bester gemacht, so kann er feuchtigkeit und
regen haben haushaüung in Vorwerken 240 Ermisch.
GRÜNDLICH, gründlich, adv. und adj. ; ahd. gruntlicho,
mhd. gruntlich (-e, -en), grüntlich (-e, -en), mnd. grunt-
liken, mnl, grondelike adv., grondelijc adj., nl. gronde-
lijk(-en); älter-dän. grundelig(-en) und schwed. grundlig
nicht vor dem 16. jh. belegt und wohl von mnd. grantlik(-en)
abhängig.
herkunft und form. ahd. nur einmal bezeugt {nicht
an zwei stellen wie Gräfe 4, 331) als Übersetzung von lat.
funditus chruntliho ahd. gloss. l, 280; mhd. erst im beginn
des 14. jhs. nachweisbar, zunächst nur in mystischen
Schriften, aber in bedeutung D wohl doch älter {s. u.); im
mhd. mit und ohne umlaut möglich, auch im frühnhd. viel-
fach umlautlos, soweit nicht orthographische umlautlosig-
keit vorliegt; in der ma. theilweise ohne umlaut bewahrt
vgl. grundlich Stattb-Tobler 2, 779; grundlich Martin-
Lienhart 1, 278; grundelik, grundelk neben gründelk
D0RNKAAT-K00LMAN 1, 702; grundlik Berghaus 1, 623a;
mit umlaut, theihoeise erst wieder der Schriftsprache ent-
nommen, gr. Fischer schwäb. 3, 878; krintlic Meisinger
Rappen, ma. 79^; gröndlech lux.ma. 156**; gr. Jos.
Müller rhein. wb. 2, 1467; eigentliches dialektwort ist gr.
aber nicM.
bedeutung und gebrauch, als adv. zunächst als Ver-
treter von präpositionalen Verbindungen wie von gründe,
von grund auf, aus dem gründe, im grund, zu gründe, bis
auf den grund u. a. gebildet, noch mhd. seltener adjec-
iivisch; auch im nhd., wo gr. stark an ausbreitung gewinnt,
mit überwiegend adverbialer Verwendung; entsprechend gibt
das adj. gr., noch modernem Sprachgefühl nach, in der reget
die qualität der im zugehörigen subst. ausgedrückten oder
wirkend gedachten handlung an {s. u.); doch geht ältere
spräche, theils in neu aufkommenden secundären anleh-
nungen an das grundwort, in adjectivischer Verwendung
weiter {s. u. sp. 852^.) als die heutige.
A. gr. zuerst in der deutschen mystik breiter entwickelt;
neben der auch hier gelegentlich auftretenden älteren bedeu-
tung D {s. u.) im wesentlichen als ableitung von grund I E
zu fassen, die bis in das ältere nhd. hinein nachwirkt, da-
her specifisch mystischem sinne anscheinend umlauÜoa
bevorzugt.
1) 'im gründe des herzens, der seele; im innern, inner-
lich", vgl. ingruntlich bei Seuse sehr. 126 Bihlm. u. ö.;
der sich echt gruntlichen zu ime {gott) innerlichen kerte
Tauler pred. 210 Vetter; das ir lerent gotte innerlichen
und luterlichen bichten . . . und lerent ime üch grunt-
lichen schuldig geben 274; got versteet hertzen sprach
und Seelen meinung, eyn gruntlich, innerlich und wesen-
lich ansprechen Seuse sehr. 520 Bihlm.; dat nemant
van buten merken en kan dan alleene, de synes selves
andacht grundelike merket Jon. Veghe Oörresjahrb. 6,
364; ein innerlich suftzen, . . . usse eime gruntlichen
bekentnisse siner gebresten Tauleb pred. 311 V.; {ein
Christ,) der . . . Christum gr. im hertzen habe Luther
36, 420 W.
2) 'bis in den grund des herzens, der seele hinein; bis
in die tiefe reichend, ins innerste gehend' {vgl. zu gründe);
vgl. medulUter gruntlich gemma gemmarum (1508) pS'';
wie mügen -wir des so gruntlichen uns schämen Tauler
pred. 215 V.; sin {Christi) heilige menschheit die enwart
im nie so gruntlichen lieb 251; das es ir als gruntlich ze
hertzen gieng, das sy für die stund nie wolt geschlafen
Elsb. Staoel Schwestern zu Tösz 26 V.; da wirt diu
845
GRÜNDLICH A s-B t
GRÜNDLICH B 1
846
ungruntliche tiefe gegründet mit dem grüntlichen ver-
stentnisse gotes dtsche myst. 2, 670 Pfeiffer; sullent dine
ögen selig werden, so müst du grüntlichen leren sehen
in disen grünt Tauleb. pred. 347; daz ist so tief und so
grüntlichen gevestent in di nature {des menscfien) 48;
vergleichbar:
geyd yn uwir hercze grtintlich
KiRCHBEEQ mecklenburg. chron. 733, 40;
deutlich wird die abkunft dieses gruntlich von ze gründe
besonders in der Verbindung (sich) gruntliche läzen als
Variante des mystischen (sich) ze gründe läzen: und ent-
vallent eime einvaltigen gruntlich uf got sich Jossen
Taüler fred. 87 V.; ime were lichter zehen wercke daim
eyn gruntlich lassen Seuse sehr, all Bihlm.; wie grünt-
lichen man sich ze gründe lassen müs Tauler pred.
356 F.; compariert Hiefer\' (Christum,) des laszen mer und
gruntlicher was dan alles das laszen zu samen were, das
alle menschen in der zyt sich ye gelieszen Seuse sehr.
517 Bihlm.
3) 'awa dem gründe des herzens, der seele kommend^ vgl.
ingruntlich Seuse sehr, ll Bihlm.; lüg mit welen grünt-
lichen sufzen und bitterlichen trehen sii sprechent 287;
von hertzen weinen und grundtlich Feisius 56öl>; nie-
mand bittet aber grundtlich, der noch nicht grundtlich
erschrocken und verlassen ist Luther 18, 481 W.; {das
Vaterunser,) so es mit ernst bedacht wirt und grundlich
gebet, erschrecklich ist 2, 95; o wye grundlich gan ich
dem bapst solch schyrmleut 8, 293; adjectivisch nicht
selten, namentlich in religiöser spräche, vjobei vielfach schon
der begriff des 'wahren^ hineinspielt {s. u. C 5) : ein hertz-
licher gründlicher rechter dank Luther 31, 1, 406 W.;
wir enbietend dir unsem grüntlichen zom Baseler chron.
bei Staub-Tobler 2, 779; also süUent wir auch tun,
. . . das wir habent gruntliche diemut nachschr. der Nürn-
berger hs. zu Elsb. Stagel Schwestern zu Tösz 121 V.;
do musz von nodt wäre, gruntliche demutigkeit . . . seyn
eyn deutsch theologia 31 Uhi; also wirckt dis gebet eine
grundliche demutigkeit Luther 2, loo W.; es würcket
solch übel . . . eine gründliche demuth wohlgeplagte
priester (1695) 178; ausz hertzlicher grundlicher gunst zu
Christo Luther 7, 361 W.; das sind rechte zeichen grund-
licher rewe fiu* die sunde 18, 494 ; hefftige und seer grundt-
liche wort eines warhafftigen, rewigen hertzen 18, 517.
B. spätmhd. einsetzend und nhd. reich entfaltet ist gr.
»n Verbindung mit begriffen, die eine irgendwie geartete
geistige thätigkeit oder haltung zum oTisdruck bringen, wobei
gr. die gualitätsvorstellung ^bis auf den grund, bis ins
letzte, tiefgehend, nicht oberflächlich^ beisteuert; ausgangs-
punct der bedeutung ist neben übertragenem (bis) auf den
grund {vgl. sp. 676) wohl besonders zu gründe {sp. 683),
doch scheint auch das verbum gründen I A 3 {vgl. sp. 777^.)
von einfltisz; später kreuzen vielfach entsprechende abstra-
hierungen anderen Ursprungs, z. b. gr. = im gründe
{sp. 717), aus dem gründe {sp. 719), von grund auf, von
grund aus {sp. 710/.) herein, so dasz für modernes Sprach-
gefühl in gr. mehrere und genetisch verschiedene Vorstel-
lungen vereinigt sind.
1) adverbialer gebrauch namentlich in älterer spräche
entunckdt neben verben, die einen denk- oder erkenntnis-
Vorgang bezeichnen; entsprechend, doch weniger häufig,
adjectivisch bei den parallelen ahstractbildungen verbaler
herhunft und bedeutung.
a) in richtung auf ein noch zu erkennendes nicht bekann-
tes ist gr. 'bis auf den grund, bis ins letzte, eingehend, genau',
wobei aber für das ältere nhd. abstracter gefasztes im gründe
{vgl. sp. 717), in dem grund, für das neuere auch aus dem
gründe utid von grund aus parallel gehen: es sol auch der
richter mit vleisz bestellen zu aufsehen, aus weihen heu-
sem die fragner solh war tragen und sich gruntlich er-
kunden {v. j. 1519) österr. weisth. 9, 525;
der (ivirt) wart bald In die stuben gabn
die ding gründlichen zu erkunden
H. Sachs 17, 362 K.- O.;
sie ... forschen nach der losung . . . fein grundtlich
Kirchhof milit. discipl. (1602) 145; wie wol dise red, so
man sie gruntlich wil ersuchen, war ist H. Gebweileb
beschirmung (1523) 28^; demnach ... ist an üch min bitt,
dis wenig Versandung gruntlich zu besehen und, ob misz-
förmigs darinn sich anzöigt, das miner kleinheit b3^ü-
legen Riederer rhetoric (1493) 173"; so in neuerer spräche
geläufig in Verbindungen wie gr. prüfen, gr. untersuchen
{vgl. th. 11, 3, 12, 1852): der gegenständ ... ist im andern
hause . . . auf das gründlichste geprüft worden Moltkh
ges. sehr. u. denkw. 7, 28; nachdem er gr. und schon etwas
strenger eine arbeit durchgesehen {hatte) G. Keller ges,
w. 2, 23 ; z. 6. der arzt untersuchte den patienten gr. ;
der lampendokter unterzog Benedixen aner rächt gründ-
lichen Untersuchung J. Lowao ges. sehr. 7, 128 ; diese
Vorgänge in der Stadt wären einer gründlichen Unter-
suchung werth Ranke w. 16, 95 anm. 2; eim ding grimdt-
licher nachsiimen altiu^ cogitare aliquid Frisius 78^; vgl.
grundtlicher unnd bedachtlicher arcanius 113*>; die hund
können einer Sachen fein grundtlich nachdenken Hbyden
Plinius (1565) 201; so er alle Sachen grundtlich erwege,
wolle in beduncken L. Lavater historia (1564) ll"; diese
stück, so sie dem hauszkönig gr. zu erwigen fürkommen
Fischart geschichtklitterung 93 ndr.; dasz ihr euch alle
darüber mit fleisziger und grundtlicher erwegung . . . be-
dencken sollen Amadis 325 lü. ver.; {die) einsieht . . .,
die gr. denken lehrt Gottsched neunte ged. (1750) 114;
von einem geiste, der gr. denkt und uneigennützig han-
delt Ramlek einleitung 4, 17; in moderner spräche sich
eine sache gr. überlegen schon so gut wie farblos gewor-
denes gr. 'gehörig' («. u. E); Überlegung? — ich habe
nur eine gemacht, aber sie ist die gründlichste von allen
Schiller 3, 566 G.; ähnlich negativ gewendet:
he lovede {glaubte) nicht gruntlik den worden stoit
Reinke de vos 24 Pr.;
wyr gehen do hyn und gleubens nicht grundtlich, das
Maria son meyn sey Luther 32, 268 W.
b) entsprechend, doch für heutiges Sprachgefühl mit be-
sonderem hervortreten der componenten aus dem gründe
{vgl. sp. 719) und von grund aus {vgl. sp. 712) in Verbin-
dungen wie gr. erfahren, erkennen, kennen, wissen,
wofür in neuerer spräche genau üblich ist; zumeist älterer
spräche bis in das 18. jh. eigen: (icÄ) mocht ... es nicht
alles gruntlich erfaren in den landen . . ., do ich gewesen
bin Schiltberoer reisebuch 1 lit. ver.; bis das e. k. f. g.
{euer kurfürstliche gnaden) selbs anher komen und die
Sachen grundlich erfaren Luther brief a. d. j. 1537 nach
Dietz wb. 2, 179; der planeten laiif («ei) noch nicht er-
forscht xuxd gr. erfahren Schill ehrenkranz (1644) 86; sie
möchte auch gerne gr. vernehmen, wohin die werfung
der küsse eigentlich zielte Lohenstein Arminius 2, 190;
gr. wissen 'genau, sicher, zuverlässig' : ein ding grundtlich
und warhaftigklich wüssen Frisius 268'*; vgl. er weysz
es gr. Stieler 711; nun west er {Seuse) ir meinung nit
grüntlichen vorr. der Nürnberger hs. zu Elsbet Stagel
schw. zu Tösz 4; wer das selbig eigentlich inhält, ist mir
nit gr. ze wüssen Zwingli dtsche sehr, l, 126;
habt ir kein gründlich wissen nicht,
wer ewer mutter hat ertödt H. Sachs 2. 119 K.;
das aber gedachte wamung nitt on gruntlich wissen der
Sachen geschehen, hat sich bald darnach bewisen Hütten
opera 1, 408 B.; hab ich derhalben gewollt seine historien
gründlichen wissen und erfahren SsBizf eidbau (1579) 222;
man weis gr., dasz diese völcker unterschiedene sprachen
gebraucht J. Schickpus schles. chron. (1625) 12; solte sie
. . . die beschaffenheit dieses handeis . • . gr. gewust haben
Grimmelshausen 4, 571 Keller; mundartlich alem. er-
halten: das weisz ich (für) gr. Staub-Tobler 2, 779, vgl.
auch:
hiervon habt ihr gehört, doch wissen es wenige gründlich
MÖRIEB te. 1, 249;
vergleichbar: gr. bin ich noch nicht tuiterrichtet Göthe
III 1, 317 W.; gr. erkennen ist veraltet: ich erkenn gr. und
eygentlich E. Älberus ii l"; do in es sich selbs ler er-
kennen grüntlichen Keisersberq bilgersch. c 3»;
darmitt d sach gruntlich werd erkhennt
Schweiz, schausp. 3, 151 BäcMold;
847
GRÜNDLICH B 2
GRÜNDLICH B 2
848
wer . . . schuldig sey, ist noch nit gnmdlich erkant
Hütten ofera b, 377 B.; das wahre, insofern es von den
menschen gr. erkennet werden mag Breitinger crit.
dichtkunst (1740) 1, 5; on solches des titeis gründlich er-
kentnis Luther 7, 342 W.; sie (haben) gesucht ... die
lehr von der wahren busz . . ., so aus gründlicher erkant-
nusz des gesetzes herfür leuchtet Dannhaueb catech.-
milch 1, )( 3b; die gründliche erkäntnis der heilsamen
kunst Chr. Wolf v. d. menschen thun (1720) 143; eine
recht genaue und gründliche erkenntnis von der seele
Sohleiermacher Piatons w. a, 30; gr. kennen, kennen
lernen noch gebräuchlich:
(basz ersuch) ein man, das du in gründlich kennest
eh du auf erd ihn selig nennest H. Sachs 2, 283 K.;
selbst das, was in ihm denkt, womit er alles fassen
und gründlicli kennen will, ist ihm so wenig kund
Brockes ird. vergn. 4, 324;
nun, Lykas, ich gestehs, du kennst die liebe gründlich
Gottsched dtsche Schaubühne 5, 455;
ihr kennt die wirthschaft gr. Arnim w. 20, 145 Chr.; {ein)
mann . . ., der alle unsere . . . gebrechen auf das gründ-
lichste kaimte Arndt s. w. 1, 212 J?.; {wenn) man seine
geschichte ... gr. will kennen lernen Adelung magazin
2, 1, 124; plastischer empfunden:
als es dir, der Weisheit kern
gründlich einzusehen gelungen
Gottsched ged. (1751) 1,232;
nur derjenige, der die gegenstände gr. durchsieht, (kann)
rathen und helfen Göthb IV 27, 206 W.
c) gr. verstehen : und darumb gezimpt einem yeglichen,
was er lesz, das er begird hab, das grundtlich zu verston
buch d. beispide 3 lit. ver.; ein puch der messung, on
welche dise mein leer nit grüntlich verstanden mag wer-
den A. DÜRER menschl. proportion a 2^;
damit ich mög gründlich verstan,
was euch hat mögn zu banden gan
Teuerdank 249;
und {wir) wollen aber den kindern gottes klar und gr
verstanden seyn J. Böhme sehr. (1620) 2, vorr.; damit der
recht und gründthch verstandt gemehret werde RuoF
hebammenbuck 54; wunderbar liehen grillen . . ., darausz
wenig gründtlicher teutscher verstand zu nemen W.
Spangenberg ausgew. dicht. 5 ; all und bis in gegenwärtige
spräche, erhalten in der bedeutung 'eine fertigkeit gr. ver-
stehen = aus dem gründe verstehen' {vgl. sp. 71P), wo
die jüngere präpositionale Verbindung die Vorstellung 'bis
ins letzte, vollständig^ durch 'vom fundament, von den an-
fätigen ab^ ersetzt zeigt:
besunder all seitenspil sunst
hat er grüntlich verstanden
M. Behaim chron. Friedr. I., str. 98;
in dessen landen was neen so vroet,
de desse schryft gruntUk vorstoet
Reinke de vog 171 Prien;
Anna Maria v. Schurmaim . . . auch sonst viele künste
und Wissenschaften vollkommen hat und gr. verstehet
Grimmelshausen Simplic. lebensw. (1713) 3, 50; was sie
aber einmal heraus gebracht haben, das verstehen sie auch
recht gr. Mayr päckchen satiren (1769) 104; jeder, welcher
sichere band und sicheren fusz auf der bühne haben will,
musz beides {fechten und tanzen) gr. verstehn Grabbb
V). 4, 2%zBl.; entsprechend in sinnverwandten Wendungen:
... es ist gantz leicht zu verstan,
wer das vorige gründlich kan
M. Agricola musica instr. 168 Eüner;
die weil er der Sachen noch nicht gr. kundig Beinicke
fuchs (1650) 55; darumb, das er der wasserstreit und irer
art noch nit ganz gr. bericht, fragt er die schiffleut Wil-
wolt von Schaumburg 100 lit. ver.; die vor alten zeiten
. . . solche kvmst gr. erfahren und begriffen haben Volks-
buch v. dr. Faulst 43 Br.
2) breit entwickelt vor allem in Verbindungen, die ein auf
geistige dinge zielendes handeln umschreiben; auch im zu-
geordneten Substantiv ruht zumeist eine actionsvorstellung.
a) '615 auf den grund, bis ins letzte gehend' sowohl in-
tensivgerichtet, 'genau, eingehend', wie extensiver bedeutung.
'ausführlich, vollständig'; namentlich im älteren nhd. ent-
faltet.
a) adverbial:
euch allen grundlich zu zaigen an,
wie vast ich euch geliebtt bann
pasgionsp. aus Tirol 24 anm. WackemeU;
das Christus uns grundlich anzeyget und spricht Luther
18, 427 W. ; Ursachen, die ainer grundlichen anzaigen und
. . . bereden sol altbair. landständ. freibricfe 139 anm.
Lerchenfeld; als die nativität Christi ist von den pro-
pheten verkündiget worden . . . und . . . grundlich alles
angezeiget worden Paracelsus opera 2, 391 Huser; {wir)
kunnen unde mögen dat ock so gruntliken nicht klagen
chron. d. dtsch. städte 16, 400;
. . . wenn ich die warheit
grundtlich dem affenkünig sag
Hans Sachs 9, 173 K.-O.;
das ist gr. von der Sachen geredt Luther 53, 472 W.;
Tind gr. von der sache zu reden A. Buchner ardeit. z.
poeterei (1665) 159; die uns . . . ersuchet, ihnen die gantze
beschaffenheit unserer . . . deutschgesinnten genossen-
gr. zu eröfnen Zesen helikon. rosentahl 15; bisz . . . die-
selbigen {ansichten) gründlicher möchten vorgezeiget wer-
den medicin. mavlaffe (1719) 45; das . . . mit . . . Worten
gr. ... auszuführen, {vnll) fast auszer aller möghkeit
fallen Butschky Pathmos 294 ; damit sie . . . die täglichen
relationen an serenissimum gr. imd umständig abfassen
... können v. Fleming teutsch. soldat 172; die einem an-
fangenden componisten unumgängliche nöthige Wissen-
schaft (wird) . . . gr. beschrieben Heinichen generalbass
)( 3; ir des grüntlich von uns undenichtet seit chron. d.
dtsch. Städte 2, 514; ich . . . wil dich gr. unterrichten Spee
güld. tugendbuch (1649) *loi>; ichs grüntlich von im
bericht worden bin Wickram 1, 12 B.;
und (wollt) geben mir grundtlich bescheidt
F. Dbdekind papista conv. B 5»;
in netterer spräche von schwächerem geholt und schon in-
tensivierendem gr. (5. sp. 858) nahe: und unterhielt sich
mit einem arrondissementscomissär gr. über das Pariser
grisettenwesen Immermann 1, 17 B.;
weil ihr mich meines lebens habt gesichert,
80 will ich euch die Wahrheit gründlich sagen
Schiller 14, 365 O.;
mehr nach b bzw. E hin neigend: irgend eine materie
. . . gr. erörtern Göthe 23, 227 W.; um den fall gr. durch-
zusprechen Ranke w. 14, 123.
ß) entsprechend adjectivisch gefaszt: die burger • . .
wolten kein grüntlich underrichtung hören Mathias
v. Kemnat chron. Friedr. I. 26; wir {wollen) . . . gerne
gruntüchere underrichtung nemen, wie die glebde {ab-
machungen) vorfast und beslossen sint {v. j. 1477) Stein-
hausen privatbr. d. mittelalters 1, 187 ; damit aber e. kön.
matt, umbso viel desto grundlicher nachrichtung . . .
haben mögen acta publica 3, 22 Palm; dasz dir auch
sonsten ... zu einer gründlichen satten nachrichtung
dienen kan Fr. Spee güld. tugendbuch (1649) 506; gründt-
licher bescheid und bericht commentarium paulo pleniu-s
Frisius 259 a; von disem allem wirdet die künftig post
mer gruntlichen beschayd bringen Chr. Scheurl brief-
buch 2, 188;
gebt mir jetzt gründtUchen bescheyd
Spreng Äneis 9'';
grundtlichen berichtt Kbafft reisen 29^; gab er ihm des
ein recht grundtlich bericht Bebeis facetien deutsch (1558)
D 5^; Voigt ain gründlich und ausführlicher bericht, Avie
es umb Schlädming . . . von alter her ain gstald gehabt
{um 1590) österr. weisth. 10,45; die steiger sollen ...
gruntlichen bericht thuen v. Lori baier. bergrecht 259;
wiewol aber der könig aller sachen gründlichen bericht
gehabt Kirchhof wendunmuth 2, 19 lit. ver.; keiner
{wuszte) einen gründlichen bericht hierüber zu geben
grillenver tr eiber {1G70) 60; weitleufftigen und gründlichen
bericht bekommen H. Rätel chron. d. hztm. Schlesien
849
GRÜNDLICH B 2
GRUNDLICH B 8
850
270; vielfach in buchtiteln des 16. utuI 17. /18. Jahrhunderts,
wobei die iniensive bedeutungsrichtung vortviegt und gr.
bereits b naherückt: gründtlicher bericht des deudschen
meistergesangs (1571) Adam Puschmann (bv^^htitel); ein
schön nutzlich tractetlein, darinnen . . . gründlicher be-
richt von den heiligen gottes engein (1609) Hieron. Örtel
(btichtitel); der einen griindlichen bericht von ankunft
und uhrsprung des . . . bernsteins an den tag gegeben
J. MiCRÄLiüS altes Pommernland (1640) buch 1, 17;
kurtzer und gründlicher bericht de vera ratione Schupp
«cAr. (1663) )( 2^; gründliche nachricht von dem teutschen
münzwesen (1739) A. v. Praun {buchtitel); etwas anders:
Junkers brief steller mag gr. genug in seiner an Weisung
seyn, wenn die exempel besser wären Gottschedin br.
1, 21 Runkel; des feldbaus ganze historie aufs gi-ünd-
lichste und in weltüberblickendem gesichtspunkte
J. V. Müller s. w. 6, 438; neue Sammlung gründlicher
kanzelandachten (buchtitel) allg. dtsche bibl. 2, 2, 237; zu b
bzw. E 2 neigen fälle neuerer redeweise wie: in der liebe-
vollen und gründlichen erörterimg über ihren durst
Gutzkow zaub. von Rom l, 16; er . . . weisz dadurch jeder
gründlichen Unterredung zu entschlüpfen Schiller 14,
196 G.; nach gründlicher berathung mit frau B. Bis-
MARCK br. a. s. braut 11; von meinem gebrechen wird . . .
rath Vogel gründliche nachricht geben Göthe IV 41, 95 W.
y) weniger häufig zur bedeulung 'offenbar, deutlicV ver-
selbständigt, vgl. offenberlich, gruntlich enu^iate Diefen-
BACH 203*;
nach den beweisen wirt grintlich (, da«z . . .)
Skb. Brant tuirrenschiff 108 Z. {interpolation);
wie das . . . augenscheynlich und grundtlich mag gesehen
werden Stumpf Schweizerchron. 481 ' ; darausz . . . augen-
schein- und gruntlichen alle Unordnung . . . entspringen
thuet (v. j. 1625) öslerr. weislh. 3, 77.
b) dann überhaupt allgemein einer thätigkeit in der weise
obliegen, dasz die art des handelns cds ^eindringend, nicht
leichtfertig, gediegen, sorgfältig' charakterisiert wird:
wie wol das recht sol wesen frei
an argen list, grüntlich verklärt (erklert Ju. C)
Oswald v. Wolkesstein 118, 353 Sehatz;
ein jegliche ketzerey macht, das ein besonder articul desz
glaubens gründlicher erklert wird Petri d. Teutsch. uyeiszh.
Ji%^;(es soll durch) folgendt exempel grundtlich erleutert
werden A. Riese rechenbuch (1581) 58»; von diesem allen
soll . . . auf das kürtzeste und gründlichste . . . gehandelt
werden Hohberg georg. cur. 1, 8; neue künstliche figuren
biblischer historien, grüntlich von Tobia Stimmer ge-
rissen Fischart figuren 273 Kurz; einem jeglichen artzet,
der da will ausz der kunst ein regimen und diaet setzen
grundtlich und rechtschaffen Paracelsus opera l, 307£?.;
als das nicht, . . . davon er (Cicero) nit grüntlich reden
kündt, gewesst ist Schwarzenberg d. teutsch Cicero 4*;
du redst so gruntlich und wol darvon
dasz wirs sehen und greifen müessen
N. Manuel Barbali 1410 Bäckt.;
dein oft geübter mund, der rein und gründlich spricht
J. Chr. Günther ged. 420;
ich habe die weit gesehn, ich kann gr. und umfassend
sprechen Tieck sehr. 3, 191; deutlicher geredet luid grob
und gr. Nietzsche jenseits v. gut u. böse 18, wo gr. als
stark affecthaltig in E übergeht; man konnte nicht gründ-
licher . . . urtheilen Schübart leben u. gesinn. l, 178; die
übrigen einwendungen . . . sind zwar zum theil nicht
ohne grund, doch keineswegs gr. vorgetragen und durch-
geführt Göthe II 4, 62 W.; du willst die lieder gr. sam-
meln und retten, was zu retten ist G. Keller ges. w. 6,
50; wir wollen gr. vorgehen, . . . das heiszt, wir wollen
auch die vorrede lesen Fontane ges. w. I 6, 220; der
haushaltsausschusz . . . hat sich sehr gr. mit der an-
gelegenheit befaszt. dabei stellte sich heraus, dasz die
vorläge nicht nur sehr oberflächlich ausgearbeitet war,
sondern . . . dtsche allg. zeitg. v. 16. in. 1932; geradezu
Wegeigerecht, richtig'' :
recht gründlich schreiben deutsch geziemet deutschen zungen
Chr. GUEINTZ dtsche rechtschreibg. (1666) Kl";
IV. 1. 6.
jedes weniger grändliche und sorgfältige verfahren läszt
immer die gefahr übrig W. v. Humboldt ges. sehr. 6, 9;
eine frage, (die) . . . während eines menschenalters der
gründhchsten behandlung durch hadernde regierungen
und Volksvertretungen . . . unterliegt Sybel begründung
d. dtsch. reiches 3, 3; 'eindringend': da denn durchaus eine
sorgfältige und fleiszige behandlung an die stelle einer
gründhcheu tritt Göthe II 3, 199 W.; aus dem schoosze
des glücküchen mittelstandes . . ., der zu jeder gründ-
lichen arbeit des lebens stärkt W. Scherkr kl. sehr. 1, 4;
die altdeutsche mahlerei ist nicht nur im mechanischen
der ausf ührung genauer und gründlicher als es die italieni-
sche meistens ist Fr. Schlegel s. w. 6, 170.
c) gr. lernen, studieren u. ä.; gr. trägt hier neben der
bedeutung 'vom fundament ab, bei den anfangsgründen be-
ginnend' besonders den gegensatz zu oberflächlich in sich,
also 'tief eindringend, umfassend, intensiv' : sunder usz yn-
brünstigem willen zu der lemung fügt sie sich zu den
höchsten meistern, gnintlich die kunst der rechten retho-
rica • . . ze lernen Steinhöwel de claris mulieribus 162
lit. ver.; er lernt die kunst gr. Steinbach l, 650; sie lernte
nur nothdürftig lesen und schreiben, aber desto gründ-
licher lernte sie die pantomimen des äuszerlichen gottes-
dienstes Pfeffel pros. versuche 2, 6; er hat sehr viel,
aber nichts gr. gelernt Nestroy ges. w. 2, 99; die gründ-
liche erlernung des lateinischen Miller Siegtoart 1, 161;
eine gründliche erlernung und zweckmäszige ausübung
der künste Eschenburg entwurf 9 ; welche die lateinische
recht nicht gr. studirt, dasz der kein rechtmessiger richter
. . . seyn könne Lehman florileg. polit. (1662) 591; weil
sie alles gr. studieren Schiller l, 20 Q.; deszwegen musz
er die menschliche figur . . . ernst und gr. studiren Göthe
47, 253 W.; selbst philosophie hatte er nicht gr. und
systematisch studiret Bahrdt gesch. s. lebens 2, 21; der
eifer, durch gründliche Studien zur meisterschaft ... zu
gelangen Göthe 49, 38 W.; Beethoven {hat) . . . auf Mo-
zarts klavierconcerte . . . ein sehr gründliches Studium
gewandt Jahn Mozart 4, 57; talent und feuer findet man
in allen seinen sachen, weniger gründliches Studium und
gefühl L. Richter lebenserinn. (1909) 527; er hatte . . .
die musik gr. getrieben O. Jahn Mozart l, 10; ich würde
mir ein fach wählen, um es sehr gr. zu fassen Caroline
1, 64 Waitz; dasz sie ... sich ... gr. ... unterweisen
lassen wolte Schnabel insel Fdsenburg 35 U.; er unter-
richtete mich sehr gut und gr. U. Bräker a. sehr. 1, 46;
zum gründlichen der wahrhelt Unterricht
A. Lob WASSER calumnia B V**;
so ist für treuen und gründlichen Unterricht gesorgt
Göthe 25, 5 W.; so handelte es sich fürs erste noch um
eine gründliche Vorschule Mörike w. 3, 20; es fehlte . . .
die gründliche Schulung imd Vorbereitung Meineckb
V. Boyen 1, 45; ein gr. gebildeter contrapunktücer 0. Jahn
Mozart l, 429; hierher: ich versichere sie, ich weisz nichts
gr. G. Freytag ges. w. 7, 12.
3) entsprechend in mannigfacher nuayicierung adjedi-
visch bei begriffen, die den bereich oder das product einer
als gr. gekennzeichneten thätigkeit bezeichnen, vorab im jün-
geren nhd. ; für ältere belege ist mit einschlag von C 2 b
zu rechnen:
keyser, wilt du hie von mir sehen
recht gründlich kunst der alchamey,
der ich denn bin ein meyster frey
H. Sachs 16, 424 K.- G.;
berckwerck . . ., die durch . . . embsigen fleisz aus gründt-
licher lehre . . . langwierig erhalten möchten werden
Ercker mineral. ertzt (1580) vorr. 3*; eine ächte philo-
sophie meyn ich und eine gründliche mathesin Göthe
IV 1, 244 W.; in büchem von strenger moral und gründ-
licher Philosophie Bode Tristram Schandi 3, 152 ; diesem
unheilsamen verein gegen gründliche Wissenschaft Vosz
antisymb. 2, 4; je reeller und gründlicher eine Wissen-
schaft ist Herder 13, \0 9.; seine gründliche politLk im
Fabius gefällt mir Gleim brief w. l, 187; in der gründ-
lichen bildung seiner beamten . . . besitzt Preuszen eine
macht Freytag ges. w. 15, 42; dieser hochverdiente mann
851
GRÜNDLICH B 4-5
GRÜNDLICH G i
852
(hat) auch den rühm einer gründlichen gelehrsamkeit dar-
von getragen Chb. Weise polit. redner (1677) 556; doch
an gründUcher gelehrsamkeit mangle es ihm wie allen
belletristen Göthb 19, ö2 W.; ich wiU einige gedanken
herwerfen, die, wenn sie nicht gr. genug sind, doch
gründlichere veranlassen können Lessing 10, 82 L.-M.;
den eben so umfassenden als gründlichen, warmen und
sachgemäszen Vortrag Stifter «. w. 14, 64;
mit seiner gründlichen kritilc
J. G. Jacobi ». w. 1, 7;
in Sachen des . . . feineren gründlichen urtheils über litte-
rarische gegenstände Herder 15, 486 S.; bis wir zuletzt
vor einer noch gründlicheren frage ganz und gar stehen
bUeben Nietzsche jenseits v. gut u. böse 7; vor allem ver-
breitet zur Charakterisierung wissenschaftlicher arbeit, lite-
ratur u. ä.; gegensatz ist auch hier meist oberflächlich,
doch klingt die Vorstellung des soliden nicht selten mit: es
(ist) ihm ernst, eine gründliche Untersuchung zu liefern
Göthb IV 33, 235 W.; eine gründliche ausarbeitung
Dahlmann franz. revol. 57; nun erging er sich in einer
. . . fast ethnographisch-gründlichen abhandlung über
frauenschönheit Heyse ges. w. II 4 (1924), 289; sein werk
gehört unter die gründlichsten dieses jahrhundertes Gra-
mer nord. aufseher 1, 70; ein gutes gründliches buch
ScHTJBART briefe 1, 11 Strausz; mehr pejorativ: hierauf
folgt der herr prorektor mit einem Staatsrecht, aber das
wird zum erbarmen gr. sein br. Grimm briefw. 9; manche
(haben) manches . . . weit vollkommener gesagt, das in
Spinoza bereits gründlicher stand Herder 16, 417 /S.;
ich denke, dasz alles, was ihr da sagt, auffallender als
gr. ist GÖTHE 45, 10 W.; was der engelländische Zu-
schauer . . . davon gesagt, ist noch das kläreste und
gründlichste, das mir über diese materie zu gesicht ge-
kommen BoDMER crit. poet. sehr. 1, 92; gründlicheres,
rechtschaffeneres, klareres ... ist wohl nicht gedruckt
FÜRST PÜCKLER briefw. 3, 100; fast zur reinen qvMitiUs-
bezeichnung entfärbt Hrefflich':
erforscht sein gründliches latein!
Stoppe Parnats (1735) 374;
ich . . . freue mich indessen, dasz unsere blätter sich so
tüchtig und gr. ausnehmen Göthe IV 17, 46 W.
4) gr. weiter auf das wirkende oder wirkend gedachte
organ der geistigen thätigkeit angeweridet, '^eindringend' :
von allem was Euklldes schreibet . . .
belcomst du gründlichen verstand
KOMPLEK V. LÖWBNHALT CTsteB gebüsch 69;
eine dauerhafte gesundheit, einen gründlichen verstand
BoDE Tristram Schandi 1, 12; der künstler bedarf eines
tiefen, gründlichen, ausdauernden sinnes Göthe 47,
102 W.; an der grenze zu e liege'iid: der Verfasser musz
ein . . . gründhcher geist seyn Lessing 5, 181 L.-M.
6) atich in anwendung auf das handelnde subject im
ganzen jüngeren datums, doch vgl. ähnlich persönlich ge-
wendetes gnmdiglich:
darinn (im schacTispiel) er also grundiglich
und scharpff mit suptiln sinnen rieh
auch vil listen gewesen ist
M. Beheim chron. Friedr. /., str. 55;
prädicativ: seine unwiderstehliche neigung gr. zu seyn
Göthb IV ll, 17 W.; es ist nicht jedermanns sache gr.
zu sein Fontane ges. w. I4, 311; obgleich Englände-
rinnen immer gr. sind Gutzkow zaub. v. Rom 3, 352; vgl.
Fischer schioäb. 3, 878; Hief eindringend' in philosophi-
scher hinsieht mit besonderem geholt: wer viele deutlich-
keit in Schlüssen hat, den nennet man gr. Chr. Wolf
ged. v. gott 470; meist attributiv: die erklärung dieser
kunsttriebe (ist) . . . noch zuletzt einem gründlichen
Philosophen Deutschlands miszglücket Herder 5, 22 S.;
der gründliche Aristoteles Lessing 10, 84 L.-M.; der sub-
tile Phiüdor, der gründliche Mayot Göthe 45, 3 W.;
Faust . . , war mehr Scharlatan als gründlicher gelehrter
Köhler leben u. thaten . . . dr. Joh. Fausts (1791) 46; an
gründlichen und gelehrten richtern konnte es in diesen
spielen nicht fehlen Winckelmann s. w. l, 13; der alte,
geschmackvolle und gründliche kunstrichter (Bodmer)
Herder 15, 491 »S.; blasser 'tüchtig^ einem guten und
gründlichen deutschen fechtmeister Göthe 21, 143 W.;
man (kann) ohne eine gewisse künstlereinsicht unmöglich
ein gründlicher antiquar seyn Gerstbnberg recensionen
170 lit.-denkm.; nachf olger oder gründliche schüler Schle-
gel s. w. 5, 193; ein wahrer und gründlicher componist
Scheibe crit. musicu^ 32; seine beyden capellmeister
Fuchs und Caldara waren die gründlichsten tonsetzer
der weit Schübart ästh. d. tonkunst 75; wie ^gelehrt,
kenntnisreich^ :
drey männer von gesetztem geist,
die man mit Wahrheit gründlich heiszt,
besteigen der katheder stufen
Gottsched ged. (1751) 1, 158;
neulich abends im spanischen hof, es waren lauter gründ-
liche leute da, . . . spricht (Raymund) statt von panen
und Satyrn mir nichts dir nichts . • . immer von Wald-
teufeln MÖRIKB maier N ölten 2, 231; dann ist der herr
ein gründlicher botanikus A. v. Droste-Hülshoff w. 2,
334; gr. zu sein, gilt als eine deutsche nationaleigenschafi
(vgl. gründlichkeit sp. 861): solch ein possenspiel konnte
der gründliche deutsche, der redliche, ohne Unwillen an-
I sehen? J. H. Vosz antisymb. l, 65; nicht immer positiv
bewerthel :
zankt nicht um eure hohen gaben
ihr gründlichen, o bleibt in ruh
Geliert w. 1, 138;
du bist der gründlichste, was mich mitunter recht un-
geduldig macht Fontane ges. w. I 5, 306; an 'schwer-
fällig^ grenzend: die poeten (dichten) . . . den derben,
gründlichen menschen . . . allerlei übertriebene empfinde-
leien (an) Hebbel tagd>. 2, 325; vgl. sein blödes, schwer-
fällig gründliches wesen Scheffel ges. w. 2, 156; direct
auf die menschliche eigenschaft statt auf die person selbst
bezogen: ihre fröhlichen entzückungen stechen mit den
gründlichen eigenschaften ihrer Schwester vortrefflich
ab Lessing 2, 59 L.-M.; er hatte die klugheit anfänglich
seine gründlichere eigenschaften zu verbergen Wieland
Agathon 2, 171; (Zelter) mit seiner tüchtig gründlichen
Individualität Göthe IV 41, lOO W.; der ruhigen und
gründlichen anläge unsers nationalcharacters Lenz sehr.
2, 320 Tieck; wo das personale Substantiv noch fühlbar ver-
baler ableitung ist, wird von der enfs]>rechenden verbalen
Wendung aus die bedeutung von gr. beeinfluszt; so beson-
ders ein gründlicher kenner : kann zuweilen nicht so genau
untersucht werden, wenn nicht gründliche kenner da
sind Nicolai reise l, 156; ein gründlicher kenner in sachen
Berliner . . . weiszbieres Fontane ges. w. I 1, 317; ähn-
lich: den gründlichsten Zweifler hat er bei Johannes zu
befriedigen D. Fb. Stbatjsz ges. sehr. 3, 373.
C. im frühen nhd. entwickelt und in jüngerer spräche
stark zurückgehend zeigt gr. eine gruppe von bedeutungen,
die sich mehr oder weniger deutlich an grund IV 'funda-
ment, basis' anlehnen und den begriff des sicheren, festen,
auch des wahren, begründeten vertreten.
1) noch halb sinnlich gefaszt 'sichert diser artikel ist
ein stütz, darauf der nächst darvor grundlich gebuwen
ist ZwiNGLi dtsche sehr, l, 195; christenlicher glaub ist in
dem blüt Christi zum ersten grundlichen gefestet ebda
1, 341; man werde ... so grosze wichtige sach rüt grunt-
lich setzen mögen auf dises spiel J. Vogelgesang gespräch
11 ndr.; alsso finden wyr ynn gantzem geystlichen wessen
nichts grundlich, gewiss und bestendig, es wanckt und
feret noch alHs Luther 10, l, 1, 705 W.; ein jedes stand-
festes geben beruhet auf seinen unbeweglichen wolbepfäl-
ten gründen, also einer jegUchen spräche kimstgebeu be-
stehet gr. in ihren uhrsprünglichen natürlichen stamm-
wörteren Schottel teutsche Sprachkunst (1641) 74; von
Göthe adjectivisch in verwandtem sinne 'auf festem gründe
ruhend, gut gegründet, gesichert, dauerhaft^ neu auf grund
IV bezogen: mit dem behagen eines gründlichen Wohl-
standes 29, 158 W., vgl. 23, 247; anders 'solide': die . . .
dauer des monuments mag sich wohl aus einer so gründ-
lichen anläge herschreiben 33, 10 (von einem obelisk aus
Steinquadern).
853
GRÜNDLICH C 2
GRÜNDLICH C 3
854
2) entfaltet nur in mehr abstracten bezirken; gemeinsam
ist den Verwendungen dieser art, dasz gr. vorwiegend die
Vorstellung ^eine yrundlage besitzend, gut fundiert, gegrün-
det, begründet' enthalt; neben grund IV A und B spielt
auch IV C des öfteren hinein; vgl. die gegensatzbildung
unbewiesen und ungründlich Schottel teutsche sprach-
kunst 4.
a) in älteren formelhaften Wendungen gründliche schrift,
gründliche Ursache steht gr. theils in concurrenz zu gegrün-
detj theils liegt eine wenduTig in adjecfivische Verbindung
anstelle einer substantivischen (grund der schrift, grund
und Ursache) vor; gründliche schrift {vgl. gegründete
schrift sp. 785): derhalben ich . . . mir furgenummen zu
weyterer Unterricht und endtdeckung der falschen ge-
ferbeten kirchen die artickel allesampt mit grundlicher
schrifft beweysen Luther 7, 311 W.; bis ich ... mit
grundlicher schrifft widderlegt werde 7, 90; nyeman mag
ey darzü bringen, auch angefochten durch scheinlich
geschrifft, dieweil sy nitt gantz klar und gruntlich ge-
schrifft vor in haben Ebeblin v. Günzbttbq 2, 149 ndr.;
ähnlich parallel zu gegründet (vgl. sp. 785), doch weniger
häufig auch gründliche Ursache: item die zeugen sollenn
sagen von irem selbs eigen waren wissenn mit irs Wissens
gruntlicher ursach Carolina 39 Kohler - Scheel ; christen-
lichs glaubs stuckh und artickel seinn . . . aus grund-
lichen Ursachen . . . fast glaublich Berth. v. Chiemsee
teutsche theol. 46 R.; wer aber aus bloszer einbildung und
nicht aus bewegung gründlicher Ursachen eine wichtige
Sache vernimmt, der ist ein narr Pbätorius glückstopf
119; was etzliche ohn gründliche lursache . . . dawider
aufgebracht . . . haben Schottel friedens sieg 12 ndr.;
wer . . . nicht aber erscheinet oder mit gründhcher ursach
sich entschuldigen lasset (um 1755) österr. weisth. 11, 86;
nur vereinzelt in späterer zeit: da ich nun meine gründ-
lichen Ursachen gesagt hatte Göthe 44, 205 W.; sehr
gründliche Ursache Fr. L. Schröder dram. w. (1831) l,
19; jünger ist gründlicher beweis:
kein gründlicher beweis
Chb. Günther nachlese (1742) 148;
{man sah) einen gründlichen beweis, dasz ein lebendiger
Philosoph einer Jungfer nöthiger sey als ein todter
Schwabe belustigungen l, 192; o gründlicher beweis
Cronegk sehr. 2, 131, vgl. Campe 2, 473; gründliche be-
weiszthümer pruove, ragioni sode Krämer teutsch-ital.
1, 574*; dergleichen beweismittel . . . sind nicht gr. und
halten den stich nicht Leibnitz dtsche sehr. 2, 250; mit
anderen beziehungswörtern in weniger typischer verbin-
düng: axioma . . . ein vollkümlicher, gründthcher oder
gewisser spruch Alberus dict. 30*; meiner feinde schelt-
worten mit gründlicher antwort zu begegnen . . ., auf
das ich nicht allzeit die ungegründete nachreden hören
müse Fischart w. 3, 66 Hauffen;
kan sonsten jemand noch von dies- und andern dingen
mit grundlichem bezeug auf mich an jetzo bringen
Reinicke fuchs (1650) 288;
ohne jemandes gründlichen wiederspruch Chr. Starke
Synopsis, neues test. 3 (1737) 1529; er wolle sein gründ-
liches bedencken cum rationibus dubitandi et decidendi
durch Überbringern dieses wohl verwahret zurück senden
Thomasixjs ernsth. gedancken (1720/.) 2, 110; dieser erste
gedanke war sehr gr. und würde ihm vieles ungemach
erspart haben, wenn er seiner eingebung gefolget hätte
Wieland Agathon (1766/.) 2, 172; ich weiche einem gründ-
lichen argument sehr gerne Lichtenberg nxichlasz 90;
die anmerkungen, die er gemacht hat {sind) nicht gr.
Vernunft, tadlerinnen l, 274; diejenigen, die nur gründ-
lichen, unwidersprechlichen Zeugnissen trauen Grafen
Stolberg ges. w. I3,xxxi; der letzte grund ist so ver-
dammt gr., dasz sich nichts von bedeutung dagegen ein-
wenden lässt TiECK sehr. 5, 16; etwas anders: laszt mich
aus eurem munde gründliche worte hören und nicht eitel
fabeln und geschwätze Göthe 43, 305 W.; es {ist) mir
wichtig, ein gründliches wort darüber zu vernehmen
Chamisso 5, 186.
b) namentlich bei begriffen wie kenntnis, wissen, Wissen-
schaft u. ä. birgt gr. überwiegend den bedeutungsinhalt
''fundiert, auf sicherem fundament ruhend, solide', gegen-
über B 3 also ein mehr statisches moment {vgl. gegründet
sp. 783): {wovon) man gewisse und gründtliche kund-
schaft hat Reutter v. Speir kriegsordnung (1594) 59;
er . . . besitzt gewisz eine ganz gründliche, obwol nicht
methodische kenntnisz der naturgeschichte Förster «.
sehr. 7, 89; die ausgebreiteten und gründlichen kännt-
nisse {Leasings) Herder 15, 490 jS.; mit anderer nuance:
der mensch wird ein sophist und überwitzig, wo seine
gründlichen kenntnisse nicht mehr hinreichen Lichten-
berg sehr, l, 161; ich . . . besasz zumal keine unze klug-
heit oder gründliches wissen U. Bräker s.schr. 1,240;
die hohen gedanken, das gründliche wissen der alten
meister Justi Winckelmann 2, 1, 32; da aber jemand ohne
sattsame gründliche Wissenschaft und erfahrung der
Sachen einer vorschnellen censur sich unterwinden wolte
Che.mnitz schwed. krieg l, vorr. 4 ; fühlbarer nach B 3
orientiert: gute und wo möglich gründliche Wissenschaft
. . . von der fortification v. Fleming teutsch. soldat 416;
ich lasse aber hierüber das urtheil denen, welche hier-
innen gründliche Wissenschaft haben Abraham a s. Clara
eluKLs f. alle 2, 168; blasser: Tieck . . ., der aber selbst
zur zeit der herausgegebenen minnelieder noch keine
gründliche historische Wissenschaft davon gehabt hat
BR. Grimm br. an Benecke 4; vergleichbar sind fälle wie:
man wird die verdienst« und gebrechen unsrer deutschen
scribenten nach gründlichen regeln beurteilen Gottsched
beyir. z. er lt. hist. 1, vorr. 4; zu wenig gründliche Vorstel-
lungen von der beschaffenheit des nordens Schlosser
weltgesch. {ISiiff.) 3, 513; er wuszte, dasz die schönsten
bilder, wenn wir nichts aus ihnen lernen, etwas un-
schmackhaftes bey sich führen, . . . dasz gründlichere
dinge ihnen eine gewisse stärcke, ein gewisses saltz er-
theilen müssen Ramler einleitung l, 138; une 'wichtig,
wesentlich' : die leute sehen mehr auf einige kleine neben-
umstände als auf gründliche dinge Gottsched dtsche
Schaubühne l, 446.
c) nur in älterer spräche wie 'sicher, bestimmt' : und sich
ein gruntlich antwort zu beschliszen {ist) iczliche gemeine
in ire Stadt gezogen Joh. v. Fbeiberg Königsberger chron.
132 ; die baten zwar fleiszig, . . . konnten aber kein gründ-
liche antwort von mir bekommen H. v. Schweinichen
denkw. 57 österl.; mit genügsamer, eygentlicher und
gründtlicher erklärung W. H. Ryff anatomi AI*; von
den samentlichen lehnsfürsten und ständen obgedachter
drey creisse eine eigentliche und gründliche resolution
. . . erhalten Chemnitz schwed. krieg 2, 184.
3) gr. im sinne 'die grundlage bildend, die basis gebend,
das fundament darstellend', im ganzen wenig ausgehreitet,
aber in verschiedenen zeitstufen des nhd., wohl unter ein-
fiusz von ftindamental, erkennbar; vgl. die wiedergäbe von
lat. substantia durch gruntlich ding Diefenbach 561 '^
und entsprechend substantiabiliter gruntlich ebda; weiter
gruntlich originalis 400°, gruntUcher anfang principium
460*; ist niemand gezwungen, sich dieser meiner lehr zu
brauchen, ich weisz aber wol, wer sich der unterstehen,
wirdet nit allein einen gründlichen anfang daraus fassen,
sondern . . . A. Dürers schriftl. michlasz 182 Lange u.
Fuhse; de principüs geometriae, gründtlicher anfang
und Vorbereitung der geometria L. Hulsifs erster tractat
(1604) 12; kintlich lere, grob gruntlich underwisung rudi-
mentum Diefenbach 502 <=; was sag ich allain von erlehr-
nus der sprachen und der anfang gründlicher lehr
Fischart podagr. trostb. in w. 3, 90 Hauffen; sintemahl wir
von den indischen und chaldeischen weisen diese gründ-
liche lehre angenommen Lohbnstein Arminius l, 169*;
vgl. gründliche lehre dottrina soda, fondata, fondamentale
Kramer teutsch-ital. l, 574*'; wie ein solcher risz zu ver-
fertigen sey, wird insgemein von denenjenigen abgehan-
delt, welche von der baukunst gründliche regeln gegeben
Chr. Wolf math.lex. (1747) 621; ähnlich: gründliche
schulwissenschaften Göthe IV l, 182 W.; die erlernung
gründlicher Wissenschaften . . . verabsäumen Kant ges.
54«
855
GRÜNDLICH C 4
GRÜNDLICH C 5-6
856
sehr. Z, 19 akad.; gründliche Schriften, wie man sie trac-
tiret Chb. Wolf ncUürl. dinge (1724) register, bl. lis";
anders verstanden und gegen bündig abgegrenzt: in rück-
sicht auf die unleugbarkeit der grundsätze heiszt ein
System gr. Ebeehard Synonymik 3, 325; tide ''exacf : die
sogenannten gründlichen oder philosophischen Wissen-
schaften Gekstenberg recensionen 151 lit. dkm.; ''theo-
retisch'': dogmatica medicina oder rationalis, gründliche
oder theoretische arzneiwissenschaft Bläncard arznei-
wb. (1788) 1, 741^; die Wissenschaften, sie mögen blos
schön oder zugleich gr. seyn Hippel lebensläufe l, 491;
'dogmatisch' : Origines habe . . . keineswegs die fromm
scheinende mystische theologie auf kosten der gründ-
lichen empfohlen Zimmermann einsamkeit 2, 387.
4) eine existenzgrundlage habend.
a) so im historischen sinne 'quellenmäszig beglaubigt,
wahrhaft geschehen': die weil diese tapfferen that und wun-
derlichen historien . . . gründtlich und eigentlich geschehen
. . . sind Thym Thedel v. Wallm. 3 iidr.; ein history, ein ge-
schieht, ein ordenliche erzellung und erklärung waarhaf-
ter, grundtlicher und geschächner dingen Frisiüs 630*';
(der mag) . . . dieser wahren gründlichen gcscliicht
allda eynnemen bessern bericht
N. Frischlin dtscke dicht. 60 lit. ver.;
von historien, das ist grundtlicher erzelung warer . . .
Sachen Xylander Polybius (1574) vorr. 3^; der wisse,
dasz diese (speciale facta) eben . . . die nothwendigsten
stücke einer gründlichen historie ausmachen G. Arnold
kirchen- u. ketzerhist. (1699) vorr., nr. 38; für gewisz und
gründtlich hielten (sie,) dasz diese ausz Spanien und nicht
ausz der insel Haiti kämen Höniger weltspiegel (1579) 45;
disz ist ein gründtliche conterfactur desz hausen (fisch)
Herold u. Forer Qeszners thierbuch 3, 186; entsprechend
subst. gründliches s. u. sp. 859.
b) adverbial '^ glaubwürdig' : gründtlich und warhaftigk-
lich von eim handel reden dicere probabiliter Frisiüs
1061''; gr. sagen probabiliter dicere Dentzlee clavis (1716)
141^; also kan niemand ettwas von dem andern gründt-
lich sagen denn sein landssman Agricola sprichw. e 3*;
von dem ich das hab gründtlich gehört,
das durch syn kouff Troy wardt zerstört
Murner schelmenzunft 57 ndr.;
'mit Sicherheit': ab dem aber allem alszo, weis e. cfl. g.
ich bestendiglich ader gruntlich nicht zu schreiben Hans
V. D. Planitz berichte 437; ausgebreitet ist die formet gr.
beweisen, bestätigen u. ä. (vgl. auch mit grund sp. 725):
wie man worhafft und gruntlich müg besteten
Hans Folz 31, 8 Mayer;
da wirt grundlich bewerett, das er (Christus) gott sey
Luther 10, l, l, 162 W.; so einer in der hauptsach die misse-
tat gruntlich mit einem eynzigen guten tügenlichen
zeugen . . . beweiset bambergensis 19 Kohler-Scheel; ich
hab grundlich beweyszet, das die ablasbepste teuscher
geweszen sind Luther 10, 2, 241 W.; so sollen sie die
Sache gr. und mit guten bewehrten zeugen beweisen
Reinicke fuchs (1650) 369; wan sy es gründtlich khinden
erweysen und beybringen, soll innen wilfartt werden
Keafft reisen 258 lit. ver.; dasz sie (die stadt Zürich) uralt,
wirt gruntlich erwisen Stumpf Schweizerchron. 481*;
welches . . . dennoch der Wahrheit gemäsz und so gr.
erwiesen werden kan Morhof Unterricht 1, 4; welches
aber nicht gr. zu erweisen Köhler schles. kernchron. (1710)
1, 34; gehaltvoller: da nun aber der oben angeführte grund-
satz . . . noch nicht so gr. erwiesen ist, dasz man darauf
bauen könnte Beeitingee zuverläss. nachricht (1741) 25.
c) 'mit gutem gründe, mit recht' (vgl. mit grund sp. 725):
daher der selige herr Lutherus aus dieser bitte (des Vater-
unsers) . . . gründlichen geschlossen . . ., dasz sein wille
von uns geschehe J. B. Caepzov leichpredigten (1698) 119;
wir Christen aber können mit Paulo gründlicher sagen,
sterben sey unser gewinn ders., auserles. trost- u. leichenpr.
603 ; wie hr. T. in seiner gelehrten muthmaszung . . .
grundlich anmerkt Uleich sammig. jüd. gesch. (1768) 133;
was beweis- und gründlich forgebracht würd Bbllin
rechtschr. (1657) b 5^.
5) mit betonung des inneren Wahrheitsgehaltes {vgl.
grund IV B 4), 'wahr, wirklich, gewisz' : das (ist) die recht
aigentUch grundlich ursach gewessen chron. d. dtsch.
Städte 23, 105; ich khan ihr kein gruntUchs ('rechtes')
trauen aus ir bringen Steinhausen privatbr. d. mittd-
alters l, 180; die rechte gründliche beschaffenheit schwe-
benden Streits Harsdörfer frauenzimmer gesprächsp. 1,
m 8*; die eigentliche und gründliche deutung (der ko-
meten) aber ist dem allmächtigen gotte allein . . . be-
wuszt Prätoriüs anthropod. plutonic. l, 278;
sein (des sonnerdiehts) gründlich wesen hat noch kein ver-
stand erreicht
G. Kamper in Lohknsteins Ubenslauf C 2'';
unsere . . . muttersprache in ihrem gründlichen wesen
und rechten verstände . . . auszuüben Adelung magazin
f. d. dtsche spräche 2, l, 15; namentlich im gegensatz zum
offen zu tage liegenden oder scheinbaren befund (vgl. grund
sp. 718), 'eigentlich' : nun wollen wir , . . den grundlichen
vorstand diser bitt suchen Luther 2, 108 W.; ehe sie
von ihm gründlichen verstand seines rufens eingenom-
men, war . . . der (dieb) . . . darvon kommen Kirchhof
wendunmuth 2, 228 Österl.; doch war sein grüntliche und
entliche mainung, das er mer unlusts . . . wider Maximi-
num machen wolt Avbntin s. w. 4,1,930 L.; anders
nicht ausz grüntlichem gemüt (wirklicher, angeborener
gesinnung), sonder ausz angenommener grausamigkeyt
R. LoRiCHius instruction 168; im formelhaften gründ-
licher ernst verblaszt die Vorstellung des wahren, uArk-
lichen allmählich: darumb mag der (reuige) aus grund-
lichem ernst disse wort nicht sprechen, der noch ettwas
rads odder tads ynn sich findet Luther 18, 499 W.; als
wann mirs ein lauterer gründlicher ernst gewesen wäre
Geimmelshausen Courasche 71 Schölte; ähnlich die
gründliche Wahrheit (vgl. grund der Wahrheit sp. 716),
der gegensatz zum falschen ist z. th. noch deutlich:
das er (der lügner) hernach auch auf ein zeyt
sagt ein gründliche warheyt,
des man im auch gelaubet nicht H. Sachs 4, 97 K.;
die rechte gründliche warheit kan ich euch nicht sagen
b^ich d. liebe (1587) 20*; wen ich die gründtliche warheit
(sagen soll), so ist mir alles verleydt El. Charlotte
V. Orleans 3, 407 H.; sidmalen ir mich mins lebens ver-
sichert habend, so will ich üch die grundlich warheit
sagen Tschüdi chron. hdvet. 1, 238; vielfach aber rein ver-
stärkend 'die reine, volle, lautere Wahrheit': szo ist un-
widdersprechlich die gruntlich warheit, das ... H.
v. Cronberg sehr. 9 ndr.; welcher aber durch die geo-
metria sein ding beweyst und die gründlichen warheyt
anzeygt, dem sol alle weit glauben A. Dürer menschl.
Proportion t2^; ein groszes verlangen . . ., die gründ-
liche warheit zu erfahren Zendorius a Zend. winter-
nächte (1682) 187; es ist die gründliche Wahrheit egli i la
pura veritä Kramer teutsch.-ital. l, 574* ; vereinzelt noch
mundartlich: dis ist e grundlichi wo^rheit Martin-Lien-
HART 1, 278l>; in neuerer spräche füllt sich gr. gelegentlich
wieder mit dem g ehalt 'wahr, wirklich': der gründliche
bettler soll eine art von könig sein Göthe 7, 145 W.; ich
habe . . . gar keinen vertrauten und gründlichen freund
mehr auf erden Brentano ges.schr. 8,345; denn was
einmal eine gründliche krummstabresidenz war Scheffel
ges. w. 3, 172.
6) adverbiell als Vertreter von im gründe (vgl. sp. 718)
wie 'in Wahrheit, in ivirklichkeit' : hier umb so macht
du verstau, wie es sich gruntlich haltende ist Seuse dtsche
sehr. 346 Bihlm., aber adjectivisch gewendet enkeinen
gruntlichen underscheit (non . . . realiter aliud) ebda 331;
die liben veter geneygt seyn gewest . . . umbe der ketzer
willen die schrift von der gottheyt Christi aus zcu legen
wo sichs hat leyden wollen, obs wol der text grundlich
nit hatt Luther 9, 200 W.; dasz man sy (die stadt) nit
so für grosz vermeint, als sy aber gruntlich ist (v. 1576)
nach Staub-Toblee 2, 779;
und keim (sei) der wegen hie ausfündlich
was gott und gottesdienst sei gründlich
Fischaet w. 3, 190 Hauffen;
857
GRÜNDLICH D 1-2
GRUNDLICH D 2 — E i
858
Newis . . ., zu latein von etlichen Equestris, doch un-
gewüsz, grundtlich aber Neridunum genennet Stumpf
Schweizerchron. 595^; auch persönlich gewendet {vgl. im
grund sp. 717) 'im kern'' : sie sein warhaftig, grundlich
Christen odder nit Luther 6, 297 W.; das Abimalech und
seyn volck nicht gruntüch from gewesen seyn 9, 385.
D, die bereits ahd. einmal bezeugte und offensichtlich
zufrühest entwickelte bedeutun^ von gr. entspricht lat. fun-
ditus = ahd. chruntliho ahd. gloss. l, 280 {zu Josua 6, 5 :
muri funditus corruent civitatis) ; gr. vertritt hier zunächst
in Verbindung mit ausdrücken des zerstörens u. ä. eine an-
zahl präpositionaler Wendungen gleichen Charakters zu
gründe {vgl. sp. 083 u. 692), in den grund {vgl. sp. 693), auf
den grund bzw. bis auf den grund {vgl. sp. 694), von grund
auf {vgl. sp. 710), aus dem gründe {vgl. 719), die mehr oder
minder entsinnlicht in der bedeutung 'völlig, vollständig,
gänzlich^ zusammenlaufen; vgl. funditus von gründe uff,
von gründe, gruntlich, genczelich Diefknbach 252'';
radicitus von gründe, von grund usz, czu gründe, van
grund up, gruntlichen {vocab. ex quo v. 1429) 482^^; stir-
pitus gruntlichen mit den wurtzelen 554^; stirpeus von
der wurtzel uf vel gruntlich 553 C; grundtlicht, vom grund
auf, also das kein wurtzel nit bleybt radicitus, absciase
Maax,eb 194''.
1) neben verben des vernichtens, Verderbens und beseiti-
gens vgl. gruntlich uszruten, verderben revellere Diefen-
BACH 497^; so bereits 1322 urkundlich im mnl.: dat wyse
{die ländereien) grondelicker hadden gearcht {verdorben)
Verwijs-Vekdam 2, 2166; und müs so gruntlich ver-
derben imd verwerden an iine selber, e denne es in den
magen kumme Tauler pred. 121 Vetter; dat de mersch-
land . . . ghensliken unde gruntliken vordorven sin Calen-
hcrger urk.-buch nr. 851 Hodenberg {v. j. 1456); den gemei-
nen nutz hast du in der wurtz gesweint, du hast die statt
grundtlich verderpt Riederer spiegel d. w. rhetoric h 6^ ;
das sie . . . eynander grundtlich verderben Sleidanüs reden
74 Böhmer; dat toRyghe de stad deme orden afwant unde
gruntliken dalebrack chron. d. dtsch. städte 31, 1, 250; die
etat gruntlich zerstörn Geiler v. Keisersbero au^z-
gang der kinder Israhel 3; er hett . . . die statt Chimm
. . . gruntlich umbkeret Carbach Livius 235^; dasz sie
dis mordhausz gr. umbfäUen Lohenstein Ibrahim Bassa
57; ie mer er sich in der worheit und gruntlicher von
gründe vernihtet Tauleb in Helandeb Tauler als pre-
diger {diss. Lund 1923) 351; grundtlich auszroten effun-
dare Alberus dict. 2''; er sol zu dem ersten abehowen
und uszruten die süben höbtsünde gruntlichen und
weckerlichen Tauler pred. 97 V. ; das der mensch gr.
auszreuten und überwinden musz Jon. Arnd nachfolge
Christi (1631) 142; in directer Vermischung mit zu gründe:
die heiligen drey küng . . . komen . . . oiich wider heim
und zu gruntlich auszzerten ausz den heyden ir unweysz-
heyt d. heiligen leben, wintertheil (1471) 153^; in neuerer
spräche verblaszt: um die ketzerei gr. auszurotten Ranke
s. w. 2, 246; ihr staub ist nicht bald so gr. umgestürzt
worden Görres ges. br. 3, 12; dadurch die nächtliche ruhe
der ganzen nachbarschaft gr. zu vernichten H, Seidel
vorstadtgesch. 173; es {hat) die alte . . . absonderung Alt-
bayerns vom übrigen Deutschland gr. beseitigt Döllin-
GER akad. vortrage 1, 53; der innere Zusammenhang des
groszen volkes war bereits gr. gestört G. Freytag ges. w.
17, 116; um der tuskischen piraterio gr. zu steuern
MoMMSEN röm. gesch. l, 295;
Schnitterdurst ist alte sage;
eilt nun, gründlich ihn zu stillen
Fe. W. Weber Dreizehtdinden 83.
2) dann überhaupt bei der Vorstellung des veränderns,
positiv oder rmjaiiv; auch das früh vorgebildet: in disem
vernütende sint si ir selbes also gruntlichen entforment
Tauleb pred. 229 F.;
der unrecht gwalt nymbt gruntlich ab
Seb. Brant narrenschiff 57 Z.;
alle imvermeidlichen fehler sollen . . . gr. verbessert wer-
den BoDMER crit. poet. sehr. 2, 9; ich bekehrte sie so gr.
Brentano ges. sehr. 5, 322 ; die lust am arbeiten . . . hatte
man ihr inzwischen gr. abgewöhnt Sudermann d. hohe
lied (1922) 624; es sollte gr. anders werden Stobm s. w.
5, 278; er hatte sich zu dieser gelegenheit einmal gr. von
dem rusz gereinigt W. v. Polenz Orabenhäger 1, 296; so
sich gr. waschen, etwas gr. reparieren u. s. w.; alt ist
gr. helfen: welcher nun gruntlich helffen will, der mus . . .
FiscHAET podagr. trostb. in w. 3, 18 Hauffen; dasz mir . . .
noch gr. zu helfen sey, stellte sich mir lebhafter als noch
nie vor U. Bräker s. sehr. 1,202; gründlicher noch
würden die reichsstände helfen Dahlmann /ranz, revol, 6;
etwas anders gr. widerlegen:
ich könte Tycheus rath nun gr. widerlegen
A. Gryphiijs trauerspiele 299 Palm;
{ein irrthum,) welcher aber gar gr. in der formula con-
cordiae widerleget wird Sperling Nicodemus quxierena
(1718) 1, 1397; eine folge von gründen, die du mühe genug
haben wirst, gr. zu widerlegen Göthe 43, 305 W.
3) entsprechend adjectivisch gefaszt, 'völlig' : unser end-
lich gr. . . . verderben Luthee 53, 522 W.; also bringet
es einen hauszmeyer auch zu gründlichem verderben,
wann . . . Sebiz f eidbau (1579) 3; 'durchgreifend'' : eine
gründliche reformation hätte also dabey anfangen müssen
Wieland in: bibl. alt. schriftw. d. Schweiz II 3, 47; die
entwürfe einer gründlichen Umgestaltung Tbeitschke
dtsche gesch. 3, 173; eine gründliche Verfassungsrevision
Mommsen röm. gesch. 1, 584; arg genug, um gründliche
reparaturen nöthig zu machen Holtei erz. sehr, l, 45;
zu einer gründlichen reinigung vom staub Raabe
Horacker 78.
E. fast alle besonderen verwendungsweisen von gr. mün-
den mehr oder minder in neutralere Vorstellung 'vollständig,
gänzlich, gehörig'' ein, so namentlich in jüngerer spräche
deutlich; gr. D hat bereits im 14. jh. diesen stand erreicht.
1) adverbial; formelhaft in urkundlichen paarungen:
{wir) bekennin an disseme bribe, daz wir grüntliche unde
eindreichliche . . . gesünit unde gerichtit sin hessisches
urkundenbuch 2, 619 Wyss {v. j. 1356); so verzyhen wir
vor uns und unser erben grüntliche, gentzlich, erbliche
und ewigkliche, nummer me . . . Münzenb. urk. v. j. 1458,
nMch Creceliüs oberhess. 1, 441; und richte . . . die von
Molhussen gruntlichen unde gantz mit lantgi'aven Frede-
richen Joh. Rothe dür. chron. 565 Liliencron; so schon:
so kummet der sieche . . . gentzlichen und gruntlichen in
disen tich Tauleb pred. 38 F.; sy sind der weit gruntlich
abgestorben, als auch die weit gantz in in tod ist Geiler
v. Keisersbero granatapfel (1510) F5b; du darfst dich
gr. und gänzlich auf gottes Vorsorge verlassen Scriveb
seelensch. 2, 134; darmit man sich . . . grundtlich ver-
tragen müg Knebel chron. v. Kaisheim 323 lit. ver.; die
prediger {sollen) . . . nichts mehr thun, dan das sie uns
gruntlich warnen Lutheb 9, 650 W.;
dir allelne wil Ich leben,
dir mich gründlich untergeben
Angelus Silesxüs heil, seelenlust 43 ndr.;
die Ursprünge und quellen lassen sich vielleicht . . . gr.
stopfen Leibnitz dtsche sehr. 7, 153; das unbegrenzte
vertrauen . . . auf das gründlichste bewährt haben
Göthe IV 29, 39 W.; so gewannen ihm die meteorsteine
. . . liebe und neigung gr. ab IV 42, 150;
die ungewaschnen germanischen bände
sie schlugen so gründlich, das nahm kein ende
Heine w. 2, 200 E.;
modern namentlich als steigerndes adv. bei verben mit affect-
charakter: was einem . . . den geschmack an solchem
albernen Studententreiben gr. verleiden könnte Spiel-
haöen 1, 119;
uns alle gründlich zu beschämen
A. V. Droste-Hülshoff u: 2, 75;
das viele öffentliche geschreibe . . ., das sie so gr. hassen
A. V. Abnim 12, 35 Ch-.; dasz er das wenige {an glück- und
segensumnschen) gr. verachtete Raabe hungerpastor 1, 193 ;
dasz liebesfreude gründlich ihn entzücke
Brentano ges. sehr.
2, 446;
in der alltagsrede ebetiso wie in literarischer spräche ein
stetig verwendetes Steigerungsmittel: es einem gr. geigen
859
GRÜNDLICH E«. 8 — Fl
GRÜNDLICH F 2-4 - GRÜNDLICHKEIT 860
H. Leszmann d. dtsche volksmund (1922) 254; einem gr.
die Wahrheit, die meinung sagen vgl. Jos. Müller rhein.
wb. 2, 1467; sich gr. verrechnen, täuschen; das schön-
wetter . . . gr. ausgenützt zu haben Bakth KcUkcUpen 71;
etwas gr. auskosten; hätte sie sich gar einmal gr. aus-
schlafen dürfen Sud ermann d. hohe lied 41; es wäre mir
eine direkte genugthuung hier mal recht gr. zwischen zu
fahren G. Hauptmann biberpelz 88; enen gr. verhaue
Jos. Müller rhein. wb. 2, 1467.
2) aiich als adj. in entsprechender weise verwendet, doch
wesentlich jünger und nur höherer spräche eigen, av^h
minder häufig; vor allem poetisch: welches kunststücke
wegen der darinnen befindlichen gründlichen Schönheit
der kayser so hoch schätzte des herrn von Königs gedickte
(1745) 549 anm.; keine gründlichere hochachtung Bodmer
v. d. wunderbaren (1740) 6; weil wie auch diesem manne
. . . gründlichen dank abzutragen wünschten Göthe 7,
213 W.; der mann redet mit gründlicher begeisterung
Vosz an Qöthe in Qöthejahrbuch 5, 69; mit ihrer gründ-
lichen abneigung gegen den Seekrieg Mommsen röm.
gesch. 1, 524; gründlicher hasz atmet aus diesem schreiben
H. Grimm Michelang. l, 187; sie {erwachte) mit einer gründ-
lichen ernüchterung JusTi Winckelmann 2, 1, 198; die
dirne . . . hatte dem weibe . . . gründliche Wahrheiten zu-
geworfen Stürm 6, 176; die höchste gründlichste freude
zu genieszen Göthe IV 41, 192 W.; er ist der gründ-
lichste schuft von der weit I 5, 123.
3) als steigerndes adv. neben einem adj. im ganzen jung;
doch vgl. schon: die ander senfiEtmutickeit ist grundlich
gut Luther 6, 266 W.;
jetzt hast du den begrifi der grQndlicb hohen sachcn
J. Che. Günthee ged. 2, 758;
dem erleuchteten, gr. gelehrten . . . prälaten Bengel
Jung-Stilling w. 3, 31; wenn er etwas gr. fruchtbares
... zu uns bringt Göthe IV 21, 45 W.; bescheiden . . .
und gr. brav Görres ges. sehr. 2, 8; in dieser gr. pro-
saischen zeit Mommsen röm. gesch, 2, lo ; ich war gr. still
und traurig G. Keller w. l, 149.
F. Substantivierung, das neutr. gründliches bereits
im 16. jh. vielfach substantivisch verwendet, zunächst in
abhängigkeit von etwas, nichts, später auch articellos ver-
selbständigt; bedeutungsmäszig steht gr. C im Vordergründe;
jünger ist das gründliche.
1) (etwas, nichts) gründliches 'etwas, was einfundament
hat, was gegründet ist\ daher 'gewisses, sicheres^ {vgl.
gründlich sp. 855): nieman hie ist, der etwas warhaftigs
oder gründlichs darzü reden will Zwingli dtsche sehr, l,
137; er könde jetzt nichts gründlichs von eim ding reden
See. Franck sprichw. (1541) 2, 115*1; erfarung kan von
disen heimlichen und verborgnen dingen nichts gründ-
lichs reden J. Mathesius Sarepta (1571) 33*; ihr werdet
wider die weiber nicht gründlichers finden können
Moschbrosch gesichte 2, 301;
dasz Witz, gedächtnis und verstand
80 viel sie gründliches erkannt
, Gottsched ged. (1751) 1, 278;
vne gr. 0 4: von wem und was zitten es erbuwen sye,
hab ich nüntzitt grüntlichs weder durch lüt oder ge-
schrifft mögen erfaren G. Öheim Eeichenauer chron. 39
Barack; von herrn Conraden von Schenna wirdet zwar
. . . nichts grundtliches erfonnden Brandis landeshaupt-
leute 54; nach gr. C 2 b hin: davon noch gelehrte leute
irer meinung nicht eins und nichts gründlichs davon
wissen und schlissen können D. Schaller theol. herolt
(1595) L S^; als nun anwesende stände . . . sich hierauf
nichts gründliches zu erklären wüsten Chemnitz schwed.
krieg 2, 10; anders 'begründetes': er sagt viel richtiges und
gründliches über die ursach der sünden allg. dtsche bibl.,
anh. 53-86, 129; so kan ich unmöglich etwas gründliches
gegen ihn hervorbringen Lichtenberg aphorismen 200
lit.-dkm.; es läszt sich nicht absehen, was man gegen
eine ehe ä quatre gründliches einwenden könnte Friedr.
Schlegel im Athenäum 1, 2, ll; sieh, das war ein schlusz.
der mehr gründliches enthält als die ganze bibel Lessing
2, 76 L.-M.; mit einschlag von gr. B 2 b: nach allem guten
und gründlichen, was Shakespear vom regelnjoch der
Griechen und Franzosen losspricht Herder 5, 233 S.; ihm
(Winckebnann) war es auch so deutsch ernst um das
gründliche und sichre der alterthümer Göthe IV 8, 89 W.
2) gelegentlicher tritt die Substantivierung zu gr. B 2 b
auf, 'tiefgründiges, eindringendes' :
... ist Locke dir vielleicht,
weil er sein werk belebt, zum gründlichen zu seicht?
GiSEKE poet. w. (1707) 65;
unter einer nation, die mehr auf das gründliche als auf
den styl sieht Archenholz Engl. u. Jtal. l, l, 198; die
gröszte kunst würde seyn, das gründliche und das pathe-
tische . . . mit einander zu verbinden Lessinq 8, 30
L.-M.; ähnlich: auf dem lande, ohne hülfsbücher, et-
was irgend gründliches darüber aufzusetzen fühle er sich
. . . nicht im stände A. v. Droste-Hülshoff br. an
L. Schücking 135 Seh.
3) ausgebreiteter im anschlusz an gr. B l c bzw. 2 c mit
leichterem gehalt 'tüchtiges, ordentliches':
wenn ich von allem nun nichts gründliches versteh
und mich in jeder art der poesie vergeh,
bin ich denn ein poet?
Gottsched ctü. dichtkurut (n^X) 19;
mit seiner Wissenschaft läuft es auf lauter spielwerk
hinaus; nichts gründliches Wieland s. w. (1794//.) 19,
179; besonders formelhaft etwas gründliches lernen Kra-
mer teutsch-ital. 1, 574*5; weder auf der schule noch auf
der Universität hatte er etwas gründliches . . . gelernt
D. F. Strausz Schubarts leben l, 30; ähnlich: da ich
wuszte, dasz mein oheim . . . alles unemsthafte und
poetische verachtete, so muszte ich doch an irgend etwas
gründliches die band legen Tieck sehr. 9, 6.
4) zu gr. E 'durchgreifendes, nachdrückliches\' nun
muszte etwas gründliches geschehen G. Keller ges. w.
4, 18; (er) versprach sich das gründlichste von seinem
vortrage beim könige selbst Laube ges. sehr. 10, 224.
GRÜNDLICHKEIT, /., seit dem anfang des 18. jhs.
im schwang; als vereinzelte gdegenheitsbildung in der deut-
schen mystik zu gründlich A 2 : di gruntlicheit des mugen-
liches geistes chomet und runt ze den orn der man bei
JosTES meister Eckhart u. s. jünger 17; in der hauptsache
von gr. B gebildet, daneben auch gr. C.
1) entsprechend gründlich B l m. 2 [vgl. sp. 845//.) in seirten
verschiedenen verwendungsweisen, die 'eigenschaft eindrin-
gend, tiefgründig, bis ins letzte gehend, sorgfältig zu sein
oder zu handeln' vgl. gr. profonditä della dottrina, pene-
trazzione d'ingegno Jagemann dtsch.-ital. (1799) 2, 550;
daher öfter tiefe gr. u. ä. Verbindungen:
. . . tiefer gründlichkeit
gab frohe laune das geleit
J. G. Jacobi t. «. 5, 80;
diese allzu tiefe gr. FouQui; reiseerinn. 2, 193; eine an-
genehme Oberfläche, aber keine tiefe und gr. Cramer
nord. aufseher 1, 40; er (kann) vor lauter gr. auch nicht
einmal an die Oberfläche der dinge gelangen Tieck sehr.
4, 52.
a) auf die handelnde person oder das wirkende organ
bezogen {vgl. gründlich B 4 m. 5) als charakterliche eigen-
schaft: das der mensch zur scharfsinnigkeit, fertigkeit im
Schlüssen und gr. . . . verbunden ist Chr. Wolf v. d.
menschen thun (1720) 199;
so arm ist disz ihr volck an gründlichkeit und wissen
J. Che. Günthee ged. (1735) 383;
mein mann . . . findet mehr tugend, gelehrsamkeit, gr.
und billigkeit gegen die Deutschen bey ihm ( Voltaire) als
er gedacht hat Gottschedin br. 2, 89; gr., Scharfsinn
. . . bezeichnen den charakter des menschen, in sofern
er denkt Sulzer theorie d. schön, künste 4, 414; es ist
eine sehr gemeine anmerkung, dasz selten wiz und gr.
beysammen stehen Lichtenberg nachlasz 7; sie hätten
mir so viel ruhe und gr. gar nicht zugetraut A. W.
Schlegel s. w. 9, 37; gelehrsamkeit und weltklugheit, gr.
861
GRÜNDLICHKEIT
GRÜNDLING i
862
und gefällige äuszerungcn, alles findet sich beisammen
GöTHE 41, 1, 75 W.; die wohlgerathenen proben von der
stärke ihi-es geistes und der gr. ihres Verstandes Rabeneb
s. w. 1, 182; fleisz, einsieht, gr. sind seines geistes gaben
A. G. Kästner verm. sehr. 2, 273; gr. gilt nicht selten mit
negativer bewerthung im sinne 'pedanterie, Schwerfälligkeit' :
jene bleierne gr. gelehrter antiquare Herder 23, 55 S.;
eure {der mannet) gr. ist beleidigend Fontane ges. w.
I 1, 55.
b) in mannigfacher weise (vgl. gründlich B 2) von der
art des handelns: {er) untersucht mit einer ziemlich philo-
sophischen gr., was man unter einer zeitung verstehe
Lessing 7, 16 L.-M.; zu Leipzig, wo gelehrsamkeit und gr.
im Studiren ton war Göthe 46, 89 W.; eine gewisse gr. in
der behandlung der einzelnen thatsachen {erheischt) nicht
unbedingt farbenlosigkeit in der darstellung A. v. Hum-
bold kosmos 1, XX ; inwiefern die aufstellung allgemeiner
ansichten mit der gr. der forschung . . . vereinbar ist
Ranke s. w. 25, xi ; Zeugnisse . . . von der gr. ihrer me-
thode JusTi Winckelmann 1, 235; alle theile des Systems
mit der Vollständigkeit, gr. und ausführlichkeit durch-
zuarbeiten Schopenhauer l, 21 Or. ; auf die bitte meines
Vaters, der für alles, was er mich unternehmen sah, eine
gewisse gr. forderte Storm w. 4, 37; alles hängt von der
gr. unserer schritte ab Meisl theatr. quodlibet 4, 134;
farbloser, fast wie gr. E, präpositional mit gr. : Napoleons
marschälle hatten die auaplünderung mit solcher gr. be-
sorgt T^mTSCHKE dtsche gesch. l, 293; in der eigentlichen
Opposition . . . hatten die stürme der revolution mit
erschreckender gr. aufgeräumt Mommsen röm. gesch. 3,
15; es {ist) unserer kraft nicht gegeben . . ., auf einmal
das ganze mit gr. zu erfassen Ritter erdkde 2, 173.
c) gr. als qualität des bereiches oder productes einer ent-
sprechenden thätigkeit {vgl. gründlich B 3): gründlich sind
alle Wissenschaften, insofern gr. {'exactheiV) mit der ein-
schränkung des menschlichen geistes bestehen kann
Gerstenbebg recensionen 151 lit.-dkm.; das buch ist nur
für leute, die strenge gr. suchen Lichtenbebo aphorismen
6, 101 lit.-dkm.;
er Ist nicht obenhin in allem unterwiesen,
was zu der gründlichkeit der Wissenschaft gehört
J. Chr. Günthke ged. 615;
als ob die gr. der Wissenschaften , . . von einer menge
unerfahrener leute abhinge Scheibe crit. musicus (1745)
vorw.;
doch waa vielleicht an licht und gründlichkeit
der lehre fehlt, ersetzt des lehrers feuer
Wieland «. w. (1796) 6, 25;
(er) schätzte die genauigkeit und gr. der deutschen Unter-
suchungen Seume Spaziergang 2, 356; die gr. der abhand-
lungen Gottsched neueste a. d. anmuth. gelehrsamkeit
3, 253; die ausnehmende gr. seiner gedanken Zimmer-
mann V. d. nationalstolze 93; seine kirchenstücke haben
viel gr. Schubart ästh. der tonkunst 201.
d) mit dem ausgehenden 18. ß. bildet sich, da gr. als
natiotialeigenschaft der Deutschen gilt, das Schlagwort deut-
sche gr. ; vgl. wir fangen an in Deutschland auf den Vor-
zug der gr. ... stolz zu werden Göthe 38, 357 W.; die
alte richtung des deutschen sinnes nach gr. des denkens
und forschens H. v. Kleist 4, 179 Schmidt; wie oft schon
der Verfasser deutsche gr. mit französischer Schönheit
... zu vereinigen gewuszt hat allg. dtsche bibl., anh. 13-24,
1282; die . . . deutsche gr. mit welschem gesange treflich
zu verbinden wuszten Schubart leben u. gesinn. l, 55;
mit deutscher gr. zeigt er {der Brocken) uns ... die vielen
hundert städte Heine w. 3, 54£'.; um die so viel ge-
priesene deutsche gr. ist es oft ein wunderliches ding
E. M. Arndt sehr, für u. an s. l. Deutschen l, 447; wo die
deutsche gr. mit schwerfälliger arbeit immer das ziel ver-
fehlte Thibaut nothwendigkeit eines allg. bürgerl. rechts 415.
2) weniger häufig als ableitung von gr. C 2; so nament-
lich im 18. und frühen 19. jh., später veraltend; 'das ge-
gründet sein, begründet sein', dann auch 'berechtigung, trif-
tigkeit'; im bilde: die gr. ihrer motive giebt ihr eine stütze.
die nichts wankend machen kan Rahleb einl. in d. schön,
unssensch. 3, 16;
. . . jemehr empfand die brüst
an ihrer (der lehren Leibnüzena) gründlichkeit und Über-
zeugung lust Gottsched ged. (1751) 1, 451 ;
euer urteil von dem, worüber das ohr entscheidet, hat
für mich eine ganz besondere gr. Klopstock grammal.
gespr. (1794) 30; diese letztere anmerkung (scheint) am
wenigsten gr. zu haben Bodmer v. d. umnderbaren (1740)
vorr. 5; die . . . angeführte stelle (kann) die gr. der critick
. . . genugsam erweisen Bbeitinger crit. dichtkunst (1740)
1, 312; ich sah seine äuszerung für übertrieben an und
muszte mich . . . nur allzusehr von ihrer gr. überzeugen
Kerner bilderlmch 271; es läszt sich demnach über die
gr. oder grundlosigkeit unsers wissen s vor der unter-
suchimg vorher nichts sagen Fichte s. w. l, 44; die gr.
der meinigen (theorie) kann ich ihnen durch sehr neue,
unleugbare exempel erweisen Aybenhofe w. 5, 254; die-
jenigen gründe einer ganzen zunft . . ., durch welche die-
selbe die gr. ihres Verfahrens darzuthun gesucht haben
Winckelmann s. w. 1, 103; etwas anders (vgl. gründlich
C 6) im gegensatz zum schein: dasz ich da, wo gr. fehlt,
oft mit dem schein . . , mich begnüge Meiszner Alci-
hiades (1781) 3, 313; dieses hat denn desto melir schein
für sich, je mehr ansehen der gr. und Wahrheit es hat
Adelung magazin 2, 2, 96; mit gr. im sinne 'mit guter
begründung': so bald mit gr, gezeigt wird, dasz Gramer
nord. aufseher 1, 69; wird man mit gr. darlegen können,
inwiefern wir des gedachten freyen raumes noch be-
dürfen? Göthe IV 26, 330 W.
GRÜNDLING, m. 1) im älteren nhd. vielfach und mund-
artlich vereinzelt grundhng (s. u.); name eines kleinen auf
dem gründe des wassers lebenden fisches vgl. altes grundel
(sp. 771^.), nl, grondeling (v. j. 1539) Verwijs -Vebdam
2, 2166, grundelynck v. d. Schueren teuth. 112b CL; engl.
groundling, dän. grundling in entsprechender bildung; seit
dem frühen 15. jh. auftretend, zufrühest nd.: grundelingk
fundulus, turonilla Diefenbach tu>v. gloss. 185t> u. 374^
(lat.-nd. glossar v. j. 1417); vgl. grandelmg fundulv^, turo-
nilla Diefenbach gloss. 252^ u. 602 c aus nd. und md.
vocabidarien; grundling gubea ebda 270 C; me grundel 3
bezeichnet gr. anscheinend im nd. zunächst nur die 'kresse'
(gobio fluviatilis), vgl. grondelinck goviu^ fluviatilis vulgo
fundulus KiLiAN (1605) 1631 u. die belege unten; weiter als
name der 'schm^rle' (cobitis barbatula) vgl. Schmeller-Fr.
1, 1004, Unger-Khull 311» s. grundel 1; über die dialekt-
geographische Verteilung des namens vgl. grundel; gr. ist
jedoch in den maa. weitaus wigebräuchlicher als grundel;
vgl. grundlii]. Gerbet Vogtland 359; gr. kaulbarsch Mi
mecklenb. 29^; jrindling ein kleiner spreefisch Brendicke
Berl. wortsch. ISO^^; von zweifelhaftem wert für die mund-
artl. Verbreitung von gr. die angaben bei Schmeller-Fb.
1, 1004 und Unger-Khull 311»; im allg. ist in neuerer
spräche gr. das Umgangs- und schriftsprachlich herschende
wort, grundel das mehr dialektisch gefärbte.
so nym eynen grundeling unde do dar honich umme
(arzneibu£h d. 15. jh.) Schiller-Lübben 2, 158; gr., fun-
dulus, werden diese fischlein auch kressen genannt Al-
BINUS meiszn. chron. (1580) 634;
(er musz) im schweisz und grund des schleims thun fischen,
do wird er die grünnling erwischen
Eyerinq proverb. 2, 108;
an grösze fallen sie den grässen bei und grundlingen
Erasmüs Francisci ind.-sines. lustgarten (1668) 1, 31;
auch bei Schottel 95 grundhng; hingegen heiszt im rüder-
teutschen grundling ein kleiner fisch mit schuppen, der
anderswo kresse, kreszling heiszt Frisch teutsch-lat. l,
379; es werden hie gefunden . . . goldfische, graupen,
gründlmge Micrälius alt. Pommerland (1640) 6, 384;
fischerreisen (reusen), in welchen kleine gründHnge . . .
hingen Zesen adriat. Rosenmund 118 ndr.;
gründlinge trift er {der reihet) an Gleim s.schr. 1, 156;
springt oft plözlich ein schwärm von grundlingen hinter der
wölke
fliehendem schatten empor
J. H. Vosz 8. ged. 3, 126;
863 GRÜNDLING 2. s - GRUNDLINIE 1
GRUNDLINIE 2-4
864
hättest du den gr. nie gefressen . . ., sprach der fischer
zum heeht Hebbel tageb. 3, 230; (er) liesz gebratene
gründhnge darin {in der milch) schwimmen G. Keller
ges. w. i, 274 ; als symbol einer gering werthigen sacke sprich-
wörtlich: wer einen grundling fangt, der fangt auch einen
fisch Henisch 1116; die ganze weit war ihm keinen gr.
wert Scheffel ges. w. 1, 173; behalt deine gründlinge für
dich, fiel sein freund mit verächtlicher miene ein W.
Alexis Shakesp. u. s. freunde 1, 15; neutral: endlich
kommt man in die höhe, sagte der gr., da hing er an der
angel W. Lüpkes seemannsspr. 123; viele gründlinge
machen den salm wohlfeiler Wander 2, 159.
2) nuch Shakespeares groundlings den im ground, dem
parterre befindlichen Zuschauern (Hamlet 3. act, 2. sc): gr.
^unwissender, in künstlerischen dingen nicht urtheilsfähi^er
mensch' im Wortspiel mit dem fischnamen: o, es ärgert
mich in der seele, wenn solch ein handfester haarbuschiger
geselle eine leidenschaft in fetzen, in rechte lumpen zer-
reiszt, um den gründlingen im parterr in die ohren zu
donnern, die meistens von nichts wissen als verwormen
stummen pantomimen und lärm Shakespeare übers, v.
A. W. Schlegel 3, 241; das ist es^ was den 'gründlingen'
im parterre und den 'zaunkönigen' der gallerien am
Shakespeare grosz . . . scheint Grabbe w. 4 147 Bl.; das
sind verstösze, die der gr. im parterre unseres herrgotts
nie übersieht W. Rathenau impress. 65 ; die 'gründlinge'
der leseweit F. Wehl zeit u. menschen l, 229;
ist wahr, was dieser gr. von dir sagt?
Widmann dram. w. 1, 279;
3) gr. 'in dem forstwesen, die krummen und knorrichten
scheite holz, welche nicht in die klaftern eingeschlagen wer-
den; vielleicht, weil man sie in die grundlage zu bringen
p^egrf'KRÜNiTZ 20, 221 ;c/a2Mgründlingsangel Blumhof
eisenh. 2, 492; gründlingsnetz: grundlingsnetze ist zim-
lich grosz Henisch 1766;gründlingsreuse: zugnetze. . .
gründlingsreuszen Zincke öcon. lex. (1744) 773; gründ-
lingssack ebda.
GRUNDLINIE, /. 1) seit dem 16. jh. als Übersetzung
des geometrischen begriffes basis, 'die horizordal laufende
linie einer geometrischen figur' {vgl. comp.-typ. 5 b): basis,
ein grundlini, ist die lini, auf welcher die fürgenomen
figur stehet W. Schmid geomelria (1539) 5 ; {ein dreieck) auf
dessen basin oder gr. durch die beiden besagten stern-
lein gleichsam ein perpendickel herabgezogen werden
kunte E. Weig EL /or/«. d. himmelsspiegels (1665) 77; es
wirdt ein gerade grundlini winckelrecht durch die axlini
und durch alle parabolas gezogen Kepler opera omnia
5, 585; die gr. eines gleichschenklichten dreiecks Hegel
w. 3, 366; 'bey krummen linien heiszet die gr. die gerade
linie, welche von dem einen ende der krummen linie bis
zu dem andern ende gezogen wird' Wolf math. lex. (1747)
621; so z. b. die gerade linie zwischen anfangs- und end-
puncl der geschoszbahn bei der artillerie; für ^ sehne eines
halbkreises' verwendet: am fusze der bühne zog sich ein
halber zirckel umher, wovon die bühne den durchschnitt
oder die gr. ausmachte Ramler einl. in d. schön, loiss.
(1758) 2, 250; allgemeiner, als horizontale linie überhaupt:
so der balck der wagen der grundlini oder dem hori-
zonten gleich gericht ist, nennen wirs einen gleichen
wagrechten stand theatr. machinarum (1607) l, a S^; gr.,
'in der perspective die linie, tvo die geometrische fläche und
die tafel einander durchschneiden' Fäsch kriegslex. (1734)
378^; bergmännisch als terminus der markscheiderei: gr.
ist die zwischen der donlegen und seigerlinie als eine
basis des trianguls stehet Jünghans gräubleinertz (1680)
c 3^ ; vgl. Jacobsson techn. wb. 5, 750'' ; auch sonst in
technischer spräche mit besonderem bedeutungsinhalt : die
unterste linie der profilzeichnung eines dammes u. ä. : so
musz er {der solenbehälter) mit einem dämme eingefaszt
werden, dessen gr. doppelt so hoch ist als die höhe allg.
dtsche bibl., anh. 37-52, 1286; anläge (eines deiches), die
grundlinie des deichperfils Benzler deicÄöaM l, 17; daran
reisze die grundtlini desz grabens 20 schritt in rechtem
winckel L. Hulsius erst, tractat (1604) 112; botanisch: die
basis bildet die fast ganz gestreckte . . . gr. des blatt-
dreiecks Roszmäszler der wald 450; aus der fast herz-
förmigen gr. {der blätter) sich langlanzettlich zuspitzend
Rohling Dtschlds fl^ora 1, 306; architectonisch: die gr. des
giebels Rode Vitruvius de architect. 62.
2) auch allgemeiner gefaszt: 'horizontale basislinie', auf
der etwas ruht oder zu ruhen scheint; besonders als aus-
druck in bildender kunst üblich, z. b. gr. eines ornaments:
an der schulter {der vase) dreimal auf der gr. aufstehende
concentrische halbkreise Furtwängler vasenbeschr. 5;
an der gr. der kröne ragten getreideähren hervor Fr.
Schlegel dtsches museum 4, 377; anders: in der untern
hälfte des raumes werden sich die horizontalen grund-
linien und die senkrechten der pfeiler wirksam erweisen
müssen Brunn kl. sehr. 3, 288; die gr. der composition
pflegt parallel mit der gr. des rahmens zu laufen, in den
das gemälde gefaszt ist Grimm Michelangelo 2, 172.
3) bereits im älteren nhd. aufkommend für die basislinie;
bautechnisch 'die abgemessene linie, die der berechnunxj aller
stücke eines grundrisses dient' : dieses figürlein zeigt dir
an mit a E F den angulum oder winckel des gesichts,
die lini von A zu B ist die grundlini oder lini des bodens,
so man auch die lini des horizont und der theilung nennen
mag Rivius Vitruvius (1575) 353; in welcher figur {grund-
risz eines theaters) die betreffung der scharpSen winckel
mit ABC... verzeichnet sind, so wir die grundlini oder
steinmetzengrund nach der welschen manier nennen
mögen ebda 353; nimm sie auf den maaszstab, auff wel-
chen die grundlini der vestung ist gerissen, zihe nach
der gegeben weite der grundlini eine parallel in die
vestung A. Freitag architect. milit. (1631) 55; ähnlich in
der kartographie 'die in verkleinertem maszstabe zu papier
gebrachte 'Verbindungslinie der beobachtungspuncte' , die
als grundlage der berechnungen dient vgl. Fäsch kriegslex.
1006/.; von der ichnographie und den auf risz aller grund-
linien v. Fleming vollk. teutsch. soldat (1726) 392 überschr.;
die ersten statistischen grundlinien von der westUchen
küste dieses welttheils G. Forster s.schr. 4, 7; anders:
gr., base, wird von einigen in der fortifikation die
äuszerste seite eines polygons oder die linie, welche von
einem boUwerckspunkte zum andern gezogen ist, ge-
nennet J. V. Eggers kriegsingen.-lex. (1757) l, 1117; mili-
tärisch die 'frontlinie der truppenaufstdlung' : wenn eine
truppe sich entwickelt, ohne nach vom räum zu ge-
winnen, so nennt man das die entwicklung 'auf der gr.'
V. Alten 4, 478 ; das vordringen der verbündeten von
der Schweiz und dem Rhein, sobald man einmal diese
umfassende gr. gewählt hatte . . . (bietet) nichts unge-
wöhnliches (dar) V. Clausewitz hinterl. w. 7, 412.
4) grundlinien als 'hauptsächliche, das wesentliche dar-
stellende linien' (vgl. comp.-typ. 5 r): welches (bild) Jo-
hannes . . . zwar mit bloszen grundlienien, aber doch mit
wunderbahrer kunst abgerissen G. Arnold lehen d. gläu-
bigen (1701) 63; nur die regelmäszigen grundlinien ihres
gesichts waren geblieben P. Heyse ges. w. (1914^.) I 3,
624; ihre (der hofkirche) grundlinien haben selbst den
ungeschmack der . . . omamentik überwältigt Justi
Winckelmann l, 264 ; er . . . lehrte sie, mit einigen geraden
strichen die grundlinien und hauptverhältnisse (eines
pferdekopfes) anzugeben G. Keller ges. w. 6, 209; viel-
fach in übertragener Verwendung 'die hauptzüge eines
clmrakters, eines planes, eines Systems, einer abhandlung'
u. s. tv.: hier habt ihr die gr. ihres karakters Nachers-
berg giftkocher (1798) 164; einige grundlinien für seinen
(Handels) charakter (waren) schon hier gezogen Chry-
SANDER Händel l, 9; dieses waren ungefehr die grund-
linien ihres entwurfs Wieland Agathon (1766/67) 2, 121;
die grundlinien der gewaltvertheilung D. Fr. Strausz
ges. w. 2, 108; die gr. der napoleonischen politik Bis-
MARCK ged. u. erinn. 2, 61; die grundlinien dieser kunst
zu entwerfen wäre zugleich nützlich und unterhaltend
W. V.Humboldt ges. sehr. 1,383; aus wenigen grund-
linien eines völüg neuen Systems Fichte 5. w. 1, 249;
nachdem ich . . . das innere wesen der aesthetischen er-
kenntniszart in seinen allgemeinsten grundlinien dar-
865
GRUNDLOS A i
GRUNDLOS A 1
866
gestellt habe Schopenhatter l, 264 Gr.; es kann nieman-
den schwer fallen, wenn er diese gnindlinien . . . gefasset
hat, solches . . . {werk) ganz zu lesen Ckamek nord. auf-
seher 3, 283 ; die grundlinien der epochemachenden werke
späterer jähre JusTi Winckelmann 2, 1, 87; grundlinien
der Psychologie (titel) allg. dtsche bibl. 104, 220; grund-
linien zur geschichte des Verfalls der römischen staats-
religion (buchtitel) L, Kbahner (1837).
mit besonderer betonung des zeitlichen bzw. genetischen
Verhältnisses erste grundlinien: sind die ersten grund-
linien und äuszersten umrisse nur richtig angelegt, so
kann jeder kunstkenner . . . zur weiteren ausführung bei-
tragen Fr. Schlegel pros. jugendschr. l, 79 ; wie sie (die
schluszart) denn auch sichtbarlich zu allen beweisen der
natürlichen theologie die ersten grundlinien zieht Kant
ges. sehr. 3, 404 akad. ; eine pbilosophie des romans, deren
erste grundlinien Piatos politische kunstlehre enthält
Fb. Schlegel im Athenäum 1,2,69; die ersten grund-
linien der schweren polnischen spräche . . . lernen
G. Förster s. sehr. 7, 279; er (W. Grimm) hat die grund-
linien gezogen für eine geschichte der altdeutschen dich-
tung W. Scherer H. sehr, l, 56; (die) stadt, die die grund-
linien meiner bildung zog Schubart br. 2, 245 Strausz.
GRUNDLOS, adj., ahd. nicht belegt, aber durch subst.
cruntlaosi, cruntlossi profundum ahd. gll. 1, 232 (vgl.
grundlose /.) für das ahd. gesichert, mhd. gruntlös, grunde-
lös vgl. skandin. grundlos; ctgs. grundleas Grein sprach-
eck. 279 ; literarisch seit dem 12. jh. bezeugt.
A. zu grund I gebildet, ^ohne grund, unergründlich, ab-
grundtief.
1) im eigentlichen sinne von gevMssern, abgrund u. s, w.,
deren grund nicht ermessen werden kann oder als un-
ermeszlich erscheint.
a) zunächst vom meer und andern gewässern 'unermesz-
lich tief, nicht zu gründen"; das grundlose meer ist seit
alters mehr poetische formet als objective maszangabe, daher
tneist gehobener spräche zugehörig:
nü ist daz merc ein sulze unde darzuo gruntlös
. . . daz meie h&t niendert grünt
Münchener Oswald v. 3035 Baesecke;
8i (gottes barmherzigkeit) reichet von den stemcn abe
unz üf die gmndelösen habe
Pseudo- Ootfried. Marienpreis str. 65 Wolff;
üf einem grundelösen sß
Konrad v. WOrzbübg Trofanerkr. 22141.
du bist gesin min verle
in disem grundlosen wag der Salden hört 4425 Adrian;
so werden wir von den wüttenden wällen desz grund-
losen meres verschlunden Steinhöwel de dar. mul. 181
lit. ver.; die so ... in dich verliebt waren, dasz sie ...
in das grundlose meer gesprungen sind Wieland Lucian
1, 78; weil in diesen hohem breiten das meer überall gr.
war G. Forster s. sehr, i, 116;
(hinunter) in grundlose wogen
fühlt er sich gezogen Grillpaezee «. to. 10, 159 5.
er (der kaufmann) . . . fuhr über das grundlose wasser
G. Fbeytao ges. w. 18, 157; wie den stillen Wasserspiegel
eines unheimlich grundlosen sees Gutzkow ges. w. 9, 352;
mehr unter dem gesichtspunct der quantität: als der minste
trophe Wassers gegen einem grundlosen mere Tauler
pred. 229 Vetter;
(er) ist gleich eim tröpflflein wasser klar
gegen dem grosz grundlosen meer (gerechnet)
HANS Sachs 19, 73 E.- O.;
gleichwie du das grosze grundlose meer nicht kanst
schitten in ein kleines grübl Abraham a s. Clara Judas
d. ertzsch. 1, 265.
b) vielfach im bilde, besonders in religiöser spräche (vgl.
unten 2 b, c) :
(von gott:) wie ist so gründelose gar
das mere diner almechtikeit
BONER edelst., vorr. 6 Ben.;
aller tugent bist aln grundlos mer
KONE. v. Helmsdoef Spiegel 4339 Lindqvist;
IV. 1. 6.
got vater, grundeloses hab
md. Hiob 94 Karsten;
das grund- und grenzenlose meer der ewgen Hebe . . .
Beockes 8, 8;
(das) schiflein seins gelaubens, das alleweg in dem grunt-
losen sorgsamen mer diser werlt swimmet JoH. V. Nbu-
MABKT Hieron. 306 Kl.; aber auch sonst:
ein hur ist ein grundloses mehr,
die dir verschlickt leib, gut unt ehr
Hans Sachs 3, 50 K.;
so gränzlos wie das meer ist meine neigung,
80 grundlos meine liebe Göthb w. 9, 198 W.;
grundloser ocean der geister
drehe mich ewig in deinem Wirbel
J. N. GÖTZ verm. ged. 2j 44 ;
in ähnlicher Verwendung: gruntloser brun abissaiis fons
Diefenbach 3^;
(die fungfrau Maria) die ich fürwar
wol nenn der genaden prunne!
er ist gruntiosl liederbuch d. Hätzlerin s. 103;
o du voller mane, o du grundeloser brunne Mechthild
v. Magdeburg 8 Mord; daz ist als ein gruntloser brunne
alles göttlichen guotes meister Eckhart 480 Pfeiffer;
der grundlose brunnen Platen w. 1, 679;
wip, grundeloser ursprink aller guete
Rkoenbooen, minws. 3, 452* r. d. Hagen.
c) auch bei kleineren gewässern, flüssen und teichen gilt
gr. im sinne ^überaus tief, nicht zu durchtvaten' , entbehrt
aber des gefühlsbdonten Charakters:
lug auf! der wasserflüsz gelegenheit,
ob sie seindt grundtlosz, schmal oder breit
Frontinus r. d. guten räthen (1532) 51»;
erholen kont er sich, weil es (das wasser des flusses) war grun-
delosz
nicht wieder, wer auch schier ersoffen mit dem rosz
D. V. D. Weedke ras. Roland, ges. 30, str. 65;
ein schlosz . . ., vor welchem ein schneller und grund-
loser flusz herschieszet J. Kerner briefw. (1897) l, 186;
Wassergräben und grundlose pfitzen D. Federman gründl.
beschr. (1570) 40^; der seinen knecht ... in den grundlosen
tümpel gestürzt hat Immermann 2, 144 Hempd; er ist
in einem sumpffigen grundlosen wasser verdorben
J. Zonach erquickst. (1613) l, 294; ein grundloser wasser-
pfuhl MüSÄus volksm. (1839) 4, 113; vgl. gr. 'oAne erreich-
baren boden, von tiefen stdlen im flusz, im sumpf Staub-
TOBLER 3, 1429; mit affedgehalt: böse faule grundlosze
pfutzen Luther 8, 6 W.; ja es ist (in Rom) ein grundt-
loser pfui, der des menschen verstand weit übertrifft
Fischabt binenk. (1588) 248i>;
durch wflst, kat, irrig, grundlos glunken (gössen)
N. Manuel Barbali v. 583 B.;
in mir findest du einen grundlosen pfuhl von wohllust
Bürger w. 307 Bohtz.
d) früh in fester Verbindung die grundlose hölle «. ö.;
diu helle ist grundelos, des wlrt sie nimmer vol
minnesinger 3, 90" r. d. Hagen;
der tiuvel ir geselle
in der grundeldsen helle
Steickeh Karl 9012;
vgl. Heine, v. Hesler apokaJ. 4238, 10617 Hdm; in
grundtloser helle Berth. v. Chiemsee theöl. 568 R.;
wan siu vielin tot nider
unde lobten (l. lebten) doch sider
mit dem iebinden tode
in dem grundelösen hellesode
HxJGO V. Langenstein Martina 229, 46;
er (der hast) viel die gruntlösen gruop
her ab in die helle nider
Seifeio Helblinq 2, 202 Seem.;
er velt den fiwigen val
in daz grundeiöse tal
Lampeecht v. Regbnsbueö Franc. 239 Weinh.;
der sich über ander lüte setzen wil, der sol mir enpfallen
in daz grundeiöse tal Mechthild v. Magdeb. 95 ; aus
65
867
GRUNDLOS A 1
GRÜNDLOS A 2
868
den grundelosen kolken {der hölle) Schottel 959; der
grundlose schwefelgrund Triller poet. betr. 1, 110 j
kannst du entsetzlicher quälen finstre grundlose hölle?
Lenz ged. 6 Weinh.
e) entsprechend überhaupt für den ausdruch unendlicher
tiefe eines abgrundes, des raumes vgl. abyssus . . . eine
grundlose tiefe B. Fabeb thes. (1587) 4*; grundloser ab-
grund barathrum, vorago Stieleb 1178;
der endelosen hoehe ein dach, du herre almehtik, bist
der grundelosen tiefe ein bodem, dur alle sinne ein sehender
list minnesinger 2, 359» v. d. Hagen;
man siht auch oft des nahtes als ob ain gruntlös tiefen ge
in den himel Konbad v. Megenberg buch d. natur 78,
31 Pf.; in der gruntlosen tiefe götlicher natüre meisteb
Eckhäbt 579 Pfeiffer; grundlose tiefe una profondezza
Krämbb teutsch-ital. 1, 573; der donner . . , höret jetzt
auf durch die weite und grundlose tiefe zu brüllen Bod-
MEB abh. V. d. wunderbaren 342 ; mich dünkte, ich muszte
sie in eine grundlose tiefe fallen lassen G. Kellee ges. w.
X, 395;
auf aus euren grundlosen tiefen, o tage, steigt . . .
Feeiligkath ges. dicht, 4, 76 ;
die grundlosen tiefen der ewigkeit Wieland Agathon 2,
62; erinnerst du dich jenes augenblicks . . ., da du in
diesen grundlosen abgrund springen wolltest? Kling eb
w. 8, 380; so ist jenes gleich einem grundlosen abgrunde
der veränderlichen lüsten Lindenborn Diogenes (1742)
1, 545; grundloser abgrund, grundloser grund namentlich
in religiöser spräche, besonders der deutschen mystik, viel
verwendet und variiert, vgl. H. Kunisch das wort 'grund'
in der spräche der deutschen mystik (diss., Münster 1929)
8. 69/., 87/., 100, und meist auf gott oder die seele bezogen:
o grundelose tief apgrunt, in diner tiefe bistü hoch, in
diner höcheit nider Meister Eckhart 516 Pfeiffer; owe
grundloses abgrund, kum mir ze staten Seuse 127 Bihlm.;
von deme grundelosen abpetgrunde götlicher wolluste-
keit Nikolaus v. Landau diZuchhold; {der geist) vlieze
mit alle dem, daz er ist, in das gruntlose abgrunde sines
urspringes meister Eckhart 393 Pfeiffer; ich beger von
mins herzen grundlosem abgrunde Seuse 90 Bihlm.; dan
wird si {die seele) gezuket in einen gruntlosen grünt
Eckhart bei Jostes 62, vgl. 34; in dem gruntlosen gründe
der innersten innikeit der gotheit ders. bei Pfeiffer
582; wie 'grenzenlos, endlos', occasionell erweitert: wie in
. . . dem grundlosen räum . . . alle dimensionen ... als
eine liegen Schelling w. I 2, 177.
f) gr. von hohlräumen {vgl. grund I C), 'bodenlos', im
ganzen weniger ausgebreitet, vgl. voraginosus wirblächtig,
voll tieffer und grundloser löcheren, bodenlosz Fbisius
1407^; vorago ein tieffer Schlund, ein grundtloses oder
bodenloses tieffes loch Calepinus XI ling. 1568'''; einen
. . . stein . . ., unter welchem das mitternächtige meer
. . . durch vier einflüsse in einen ungeheuren schlauch
und grundlosen loch verschlungen wird Peätobius
Blockesberges verr. (1668) 226; umb wegen daz ein groszer
grundloser slunde ist in dem selben canal Bbeydenbach
reise 146^ ;
ich sank hinab zu grundlos düsterm Schlünde
Fe. Kind ged. 2, 17;
klafft hinunter ein gähnender spalt
grundlos, als giengs in den höllenraum
Schiller 11, 221 O.;
vgl. mundartlich an grunneläs 16k {loch) Schambach 70^';
unhäufig auch mit dem beisinn 'nicht auszufüllen, alles
verschlingend': welliches so grundloses und früssiges ding
hette so vil güeter so bald können verschlingen quae
charybdis tam vorax, tot res tam cito absorbere potuisset
Henisch 1769; geiz ist ein gr. gefäsz Düringsfeld
sprichw. 1, 289^; selige Danaiden, die den grundlosen
kelch der göttlichen gnade nun und nimmer mit ihren
freudenthränen zu füllen vermögen Fouque gefühle, bil-
der 1, 74; recht und gerechtigkeit, das sind ein paar grund-
lose schlauche, in die man eine weit stecken kann
Raup ach dram. w. ernst, galt. 6, 14; eisern ist deine Ver-
dauung, gr. dein gedärme Schiller l, 20l 0.
2) namentlich in älterer spräche ist übertragener ge-
brauch reich entfaltet.
a) so im sinne 'unendlich tief, unsagbar grosz' als stark
affecthaltiges epitheton bei ausdrücken des seelenzustandes
und seiner äuszerung, besonders mhd.
a) zunächst bei ausdrücken des Schmerzes; noch bild-
mäszig:
ich wirde in grundelose klage
an ende nü versenket
KONKAD V. WÜEZBUEG Trojanerkf. 29302;
{dasz du mich . . .) ... in grundlosen schmertzen
ohne trost versinken läszt
A. Gryphius ged. 93 Palm;
aber:
die grundelosen herzenöt,
diu uns beswseret aise der tot
GOTFRID V. Straszburq Tristan 9367 Marold;
daz gruntlose herzeleit
KONEAD V. WÜEZBURQ gold. Schmiede 962 Or.;
sin tot al dhen einen gaph
grundelosiz herzeser
braunschw. reimchron. 6301 WeiUtnd;
sin trüren grundelös Konb. v. Würzburg Trojanerkr.
7905 ; also der arme mensche ... in grundeloser bandikeit
{angst) ist Tauleb jyred. 43 Vetter;
das kan usz hertzen reuten
mir gruntlosen jamer schlag
liederb. der Hätzlerin, s, 208;
de klagte grundclösiu leit
dem künege sin kapelän Reinhart fuchs 1612 Or.;
grundelosen pin Konr. v. Wübzbubg Partonopier 15638;
dann auch halb terminologisch für die höllenstrafe: in diser
grundeloser helscher pine Tauler pred. 45 Vetter;
daz ie nicht kumit in di grundelosen pine,
di wir armen müssen ewiciichen lide
spiel V. d. zehn jungfr., fassg B v. 557/. Beckers;
mit der Vorstellung 'endlos' {s. u.) verrinnend: die hel-
lische pein ist grundlosz Petrin. Teutsch. weish. 1, b 6»;
ähnlich: owe, herr, des vegfüres, der grundlosen marter!
Seuse 287 Bihlm.; in neuerer spräche erstirbt diese Ver-
wendung.
ß) entsprechend, doch minder häufig bei gemütszuständen
freudiger natur u. ähnl. :
sin wunne diu wart grundelös
KoNRAD V. WÜEZBURa rrojowerfcf. 22930; vgl. 7670;
min trut, du solt von mir enphan
grundlosen froiden kus
der Salden hört 911 Adrian;
{gott,) dez wesen grimdlose lust und frod in im selben ist
Seuse 171 Bihlm.; in grundloser minnekhcher süzzekeit
13, 31; sulche grosze grundelose und ewige freude Jon.
V. Neumabkt Hieronymus 237 B.-Kl.; der herr ist mit
dir: sei gegrüszet du grundlose freud H. Fabricius auszz.
bewerter hist. 551; in diesem sinne:
da lag diu minnigltche
diu grundelös vröudenriche {im fenster)
gesamtaberU. 3, 242 v. d. Hagen;
in grundelose trutschaft Konrad v. Würzburg Tro-
janerkr. 20752; noch modern gelegentlich ähnlich: die grund-
lose liebe zu meiner mutter H. Steffens was ich erlebte
(1840) 1, 136.
y) besonders in der mystik reich variiert: mit der violen
der grundelosen diemütekeit Mechthild v. Magdeburg
244; und sprach von ir grundeloser demütkeit Tauler
pred. 239, vgl. Seuse 29 Bihlm.; sunder eyn gruntlose
demutigkeyt eyn deutsch theol. 32 Uhl; tieffe unermesz-
liche und grundtlose demuet Erzherzog Ferdinand ii.
V. TiEOL spec. vitae hum. 29 ndr.; ein grundloses loben
Seuse 33 B.; do ist über alle masze ein grundelös süftzen
Tauler pred. 43 F.; und danckte und lobte gott mit
einer grundlosen herzklichen begirde Seuse 90 B.; mit
grundeloser gelossenheit Tauleb pred. 115 V.; ein grun-
delös vernüten 44.
b) mit pejorativem Charakter 'abgrundtief, unermeszlich
grosz, unsäglich', wo neuere spräche bodenlos bevorzugt.
869
GRÜNDLOS A 2
GRUNDLOS A 2
870
vgl. als doppelformel grundlos und bodenlos : aber es ist alles
gr. und bodelos mit eyttel geytz und unrecht Lutheb
15, 312 W.; begeht nicht die grund- und bodenlose
Schwärmerei FouQui; gefiihle, bildet 1, 22 ; vorstzifen dieser
Verwendung schon mhd.:
daz ich mit grundelösem schaden
muoz ßwecllche sJn geladen
KONEAD V. WüRZBUKa Partonopier 12089;
der endecrist . . . underwindet sich der weltlicBen vürsten
. . . mit grundelosen falschen listen Mechthild v. Mäg-
deburg 124; sie . . . ferben sich in ihren grundlosen Sün-
den Lutheb 33, 378 W.; dardurch sein grundloser greuel
entdecket wirt Sleidanus reden 58 lit. ver.;
ein zenckisch, grundloser unfried
Hans Sachs 3, 369 K.;
so sind wir in grundlosem . . . Verderbnisse Nicolai Seb.
Nothanker 2, 5; wir müssen unser grundloses verderben
erkennen lernen Jung-Stilling w. 3, 94; die grundlose
bosheit J. J. Engel sehr. 1, 141; die berauschte weit
taumelt ... in grundloses elend hinab Wieland w. 2,
354 akad.; die grundlose häszlichkeit . . . seiner vermein-
ten braut BR. Geimm kinder u. hausmärchen 2, 257; ähn-
lich: in ihrer grundlosen nichtigkeit Jahn 2, 122 E.; als
steigerndes adv.: wie gar tieff seine (des menschen) natur
gefallen und gr. verderbet ist Lutheb 50, 224 W.; es ist
gr. thöricht, warum er hier sein mag Stifteb 1, 27iS.;
(alles ist) nicht so grundlos schlimm, nicht so verrucht
Skume ged. (1804) 29;
fälle wie der folgende leiten zu der formd es ist gr. über:
es ist dis stücke so verzweivelt, gr., böse, das es in
diesem leben keine zunge ausreden . . . kan Lutheb
wider Hans Worst 20 ndr.; da wvird es erst recht gr.
werden ders. 30, 2, 298 W. ; es ist alles ubirauss vortzweyf -
feit und grundloss da worden 7, 5; von Verschwendung-
do nu die ahtzig also innen wurden, wie man mit der
burger gut umbgieng, und daz es grundlous waz, do . . .
urkundenb. d. stadt Rottweil 1, 179 (v. j. 1379); proterviam
fecit es ist grundtlosz, es ist bodenlosz mit im Tappius
adag. cent. Septem (1545) 152*>, vgl. Sprichwörter (1548) 54»;
auch persönlich gewendet: es ist mit solchen grundlosen
leuten dahin kommen, dasz sie weder nach gott weder
nach menschen fragen Butschky gedenckmahl (1633) 154;
es ist ein grundloser schelm Chb. Reuteb Schlampampe
krankh. 115 ndr.; vgl. ein grundloser schelm un turbo cupo
Krameb teutsch-ital. 1, 574'''; gr. ^unergründlich, unzuver-
lässig, schlecht V. menschen^ Fbischbiee preusz. wb. l,
257^.
c) die Vorstellung des räumlich unendlichen überträgt
sich früh auf dinge, die in geistiger hinsieht als 'unendlich,
nicht ergründbar, unerschöpflich^ erscheinen; so nament-
lich in geistlicher spräche.
a) in anwendung auf die eigenschaften gottes, Christi oder
Marias bis in nhd. zeit geläufig:
äne mäz und ungezalt
ist d!n gruntlöser rät,
der hie noch dort kein ende hat
erlösung 1141 Bartsch;
dun wellest ouch die herschaft
dlner grundelosen magencrait
wenden an die hellen
Walther v. Rheinau Marietd. 135, 3 Keller;
o grundlose weyszhait
Heine, v. Neustadt Apoll. 16781 Singer;
weil es ein abgründliche und grundlose Weisheit gottes ist
Luther sehr. 8 (1568) 342» Jenaer ausg.;
{gott) wenn dein gnad unczergenkleich ist
und dein gruntlose mynn
Seifrit Alexander 3 Oereke;
in der gruntlosen minne des selben willen ' meisteb
Eokhabt 592 Pfeiffer;
sein gruntlosz lib unsz zu erken
Hans Folz meistert. 27, 74 M.;
wo die grosze, grundlose liebe und wohltat Christi ge-
kannt . . . wird Luther 22, 252 W.; ausz grundtloser liebe
beschlossen Mathesius ausgew. w. 4, 303;
der grundlosen g&eti sin
der Salden fiort 3567 Adrian;
. . . deine gut
wie unauszsprechlich 1 wie grundloszl
Weckhermn ged. 2, 116 Fischer;
davon vindet man grundelose gnade in gotte Mechthild
v. Magdeburg 146;
doch gottes gnad ist grundlos wie sein lieben
A. V. Deoste-Hülshofe w. 3, 5;
am häufigsten grundlose barmherzigkeit:
. . . uns ze helfe kan
din grundlosiu barmikeit
JOH. V. WÜEZBXJRG WUh. V. Öst. 10437 Regel;
dein gruntlos parmung uns wol gan
liederbuch der Hätzlerin 259;
umb deiner grundlosen barmherzigkeit willen Gbimmels-
hausen 2, 476 Keller; die grundlose barmherzigkeit un-
seres lieben herm . . . Christi v. Fleming vollk. t. soldat
(1726) 142b.
ß) häufig als 'unerschöpflich, endlos, unendlich'' ; noch
halb im bilde:
iil got, den grundlosen hört
der Salden hört 3433 Adrian;
ich west nicht seiner gotleichen Weisheit grundlosen
schecz Joh. v. Neumaekt Uieronymus 258 Kl.; gott,
der darynnen {im sacrament) so überschwenglichen und
grundlosen reychthumb seyner gnaden über uns schüttet
Luther 12, 48 W.; der grundlose schätz seiner Verdienste
übertrifft alle missethat Schupp sehr. (1663) 459; sunder
fon der unbegriflichkeit sines grundelosin lichtis parad.
animaeint. 33 Str.; Bm.{gottes) grundelosin unbegrifelicheit
Pfeiffer myst. 2, 660; wie wit die (gedanken) sin unde
wie grundelös, daz ist wunder . . ., wie hoch und wie
grundelös die sin daz weiz nieman meisteb Eckhäet
80 Pfeiffer;
herr wie sint deln'e werck so gros,
dein gedancken dieS und gruntlos
Hans Sachs 18, 362 K.- G.;
demnach wir unsere schrifFtsgeliderte . . . mit so unzah-
ligen andern tieffen grundlosen und spitzfindigen fragen
bekümmert . . . wissen Fischabt binenk. 10»; mit sölichen
gruntlosen betrachtungen wirt er vertiefft in der mynne
Haetlieb d. buch Ovidii v. d. liebe (1482) 4»; gruntlose
rede multifaria Diefenbach 370«;
der hat grundelose kunst,
die niekeln wiser man
zu ende gesprechen kann
H. V. Hesler apokal. 22510 Helm;
und sey bey yhm eitel grundlose kunst verborgen Lutheb
26, 375 W.; ironisch: wolt ich gerne von seyner grund-
loser weyszheit Unterricht empfahen 6, 138; o die tiefe
grundlose Weisheit Nicolai literaturbr. 5, 176; auch lexi-
kalisch entsprechend, vgl. grundelös, endelos, ungeendit
infinitum Konr. v. Heinbichau vocab. 387 Gusinde;
grundlosz infinitus Diefenbach 297».
y) mystische spräche erweitert die anwendung von gr.
auf alles, was nicht grund besitzt, ums nicht ermessen wer-
den kann, was mit dem verstände nicht erfaszt wird, so
gott, die seeie u. s. w. : ich rure ane underlas dise grunde-
losen gotheit Mechthild v. Magdebubg 194; da was
unde ist sin gotheit s6 gruntlos, daz er si niht wol er-
kennen mohte an im selben Pfeiffee myst. 1, 398 ; später
erstarrt: der süss, ewig, grundtloss . . . gott manuale
curat. (1516) 59^; und antwerte sie gote in sine grunde-
losen natüre meisteb Eckhabt 185 Pfeiffer; do got sein
eigen natur anschaut, die gruntloz ist, die enmak von
nicht begriffen werden dann von eim gruntlosen ver-
stantnuzz ders. bei Jostes 69; in der gruntlosen sub-
stancie der gotheit ders. bei Pfeiffee 591 ; ze begrifende
daz wäre grundelose guot ebda 2, 21; mer wenne der
55*
871
GRUNDLOS B. C
GRUNDLOS D 1. 2
872
endelose got die grundelose sele bringet in die hohin
Mechthild V. Mägdebxjeg 5, vgl. 37; ze smeckene die
gruntlosen istikeit iuwer sele meisteb Eckhabt 688
Pfeißer; anders: har nach wart min herze grundelös, min
sele mionelös, min geist formelös ebda 507.
6) dann geradezu ''unbegreiflich, unerkennbar'' vgl. un-
pegreifflich, unbekentlich, gruntlosz incomprehensibilia
DiEFENBACH gl. 292^;
Wim sagen waz sei die drt genende,
nu ist ez so tieff unt so fremde
unt 80 gar grundelos . . .,
daz ich ez mit meinem sinne
nimmer mac verenden
anegenge 4, 61 bei Hahn ged. d, 12. u. 13. j7«;
diu einekeit der driveltikeit ist grundelos meiste»
EoKHABT 525 Pfeiffer;
die grundlosson tögenliait
ainer ainen gothait
SCHWEIZER Wernher Marxenleb. 14817 Päpke;
ir Tvist des grundtlosen gerichts gottes der heyligen
leben, summertheil (1472) 209*'; nach Rom. 11, 33: {gott,)
wie grundloz sint dein urteil und wie unbegriffenlich sint
dein wege Eckhaet bei Jostes 16 (quam incomprehensi-
bilia sunt judicia); wie . • . sol . . . ich mich . . . unter
deine grundlose urtheil unterwerffen JoH. Arnd Th. a
Kemp. nachf. Chr. (1631) 85; die niezunge der iteniuwen
unde der gruntlosen wunder diner ewigen honicsüezen
gotheit Pfeiffer myst. 1, 373; was das leben der heiligen
sei im himel, ist gmndtlos spricÄw. (1548) 541»; vergleich-
bar: das ist grundelos, daz got den sunder ansihet für
einen bekerten menschen Mechthild v. Magdebiteg 195.
B. gr. ^ ohne festen, tragenden grund', vgl. grund II A 2 b
{sp. 688); erst im älteren nhd. aufkommend; im eigent-
lichen sinne: über das grundloss moss oder riedt Stumpf
Schweizerchron. 446*'; dieses städtlein . . . wird . . . durch
einen continuirlichen tieffen und fast grundlosen moras
. . . abgeschnitten v. Chemnitz schwed. krieg (1648) l, 59;
unter dem grundlosen moraste A. v. Arnim s. w. 1, 184;
musz in grundlosem schlam bis über achsel stehen Lohen-
stein geistl. gedancken (1680) 54; vielleicht traf man gleich
neben dem urfelsen ein grundloses sumpffleck Göthe
IV 20, 87 W.; sol nimand . . . über eine brücke, deren
joch in einem grundlosen triebsande ruhet, gehen
BiTTSCHKY Pathmos (1677) 366; der verräther geht wie
im grundlosen sande Göthe 38, 492 W.; vor allem in
neuerer spräche grundloser weg, der vom regen oder anderer
nässe aufgeweicht schlecht zu begehen und zu befahren
ist: ein f uhrmann, der in einem grundlosen wege mit
seinem schwerbeladenen wagen festgefahren Lessinq 13,
98 L.-M.;
über grundlose wege,
auf öden gefllden GÖTHE 2, 63 W.;
die grundlosen wege in dem tiefen und morastigen lande
Ranke w. 16, 312; auf gr. gewordenen straszen Moltke
ges. sehr. 3, 116; grundlose geleise Immermann l, 50 B.;
ihre sonst so muthigen rosse wadeten jetzt langsam
durch die grundlosen äcker Zachariä poet. sehr. 2, 185;
entsprechend mundartlich: dat löppt dörch grundlosen
acker Mensing 1, 39; grundeis 'grundlos, aufgeweicht . . .
bes. von Waldwegen^ rhein. wb. 2, 1466; gruntlos 'bes. v.
morastigem boden' Damköhler Nordharzer wb. 66; seltener
gr. 'ohne baugrund' : grundlosz 'wird von einem gebäude
. . . gesaget, wenn entweder kein grund vorhanden oder der-
selbe übel gegründet ist' Voch baulex. 133 a; bildlich: das
der faule grund diszes plauders gar nyder ligt und grund-
losz erfunden wird mit allem, das er drauff bauet Luther
6, 292 W.
C. gr., zu grund IV gebildet, ist Wenfalls erst seit dem
frühnhd. nachzuweisen; 'ohne fundamerU, basis" ; selten im
eigentlichen verstände: {sie) haben . . . mit den bickeln
und hacken die thüm {türme) gruntlosz und ledig ge-
schlagen Heinr. Müller türck. hist. (1563) 12p; der thurm
zu Babel ist grundlosz worden J. Böhme sehr. 6, 169;
nMh im bilde: das ist ein grundloser bau, au£E welchem
bau der irrsal stehet, der da gelosiert wirdt mit erdichten
sophistereyen Paracelsus opera l, 26 Huser; das grund-
lose gebäude einer vision Archenholz England u. Ital.
1, 1, 148; es hat sich aber gar übel geschätzt, wenn das
hausz und der keller unterwühlet und grundlosz gemacht
sind J. G. Schmidt gestr. rockenphilos. (1706) 2, lOl;
wann lasset ihr das tbörichte gelüste,
ein grundlos nichts auf eurem sand zu bauen?
BÜOKERT w. 1. 8.
D. in abstrakterer Verwendung häufig; 1) zunächst im
sinn^ 'ohne festen boden, ohne sichere grundlage, wobei sich
in den noch halb bildlich empfundenen Wendungen grund
II A 2 b und grund IV fast untrennbar kreuzen; meist auf
geistige dinge bezogen, die als 'nicht gegründet' erscheinen;
so bereits älternhd.: wer vermeinet, das diese antwort
unchristlich oder grundlosz sey imd unbestendig
Luther 18, 455 W.; zur anzeigung, das alle andere tugen-
den gr. sein, wo sie nicht aus gottesfurcht entsprieszen
J. Pomarius gr. postilla (1590) l, I81'>'; einer dorfschule
. . . Unterricht, bestehend in lesen, . . . etwas grundloser
. . . musikfertigkeit . . , sehr. d. Göthegesellsch. 18, 90;
ähnlich früh pejorativ 'ohne reale grundlage, ohne wahr-
heitscharakter' {s. grund IV B 4), vgl. gr., ohn allen grund
mendax, ementitum Henisch 1769; auch die schwermer
yn so viel falschen lügen und grundlosen gründen drüber
ergriffen sind Luther 26, 417 W.; das aber solche luthe-
rische . • . lehr grundtlos und falsch sey J. Nas antipap.
eins u. hundert 3, 87^ ; derwegen ists und bleibts ein un-
bündig gr. fürwenden, das niu* auf lügen gebauet stehet
C. Ulenberg antwort (1592) d 4*'; was für phantastische
gedieht und grundloser lugenzeug darin {ist) Abraham
a s. Clara auf, auf ihr Christen 12 Wien, ndr.; in neuerer
spräche mehr neutral: verschemacher mit ihren . . . von
geist- und grundlosen grillen erfüUeten blättern Neu-
mark/or<</ep^. musik.-poet. lustw. 2 zuschr.; sie peinigen
ihr herz mit leeren grundlosen phantasien Schiller 5,
16 0.; mit vagen hoffnungen und grundlosen träume-
reien Seidel vorstadtgesch. 140; ungeachtet der vermey-
neten vermuthungen; weil sie nehmlich zu gr. seynd
Prätorius winterf.ucht a 2* vortr.; grundlose muth-
maszungen . . . wagen Winckelmann s. w. 9, 293; Sy-
steme, die auf eine grundlose hypothese erbauet sind
Forster s. sehr. 5, 65 ; vgl. grundlose beweiszthümer ra-
gion frivole, aeree, vane Kramer teutsch-ital. 1, 573 c; ein
grundloser beweis Adelung vers. 2, 830; dasz sie {die astro-
logie) sich mit ihr {der zukunfl) gr. beschäftigte, dasz sie
Wissenschaft derselben in combinationen suchte (, hat die
astrologie lächerlich gemacht) Herder 16, 371 S.; deine
glatten worte waren leer und gr. H. v. Ch^zy erzähl. (1822)
2, 43; es kann nichts seichters, grundloseres . . . gedacht
werden Lavater physiogn. fragm. 1, 17; seine . . . urtheile
über Uhland {sind) flach und gr. Hebbel br. 1, 284 W.; auch
hier gelegentlich in der formel grund- und bodenlos : mit
nudis crudis, sowohl in facto als jure grund- und boden-
losen affertis Mayr päckch. sat. 40; damit man begreife,
wie etwas ganz grund- und bodenloses durch ein ganzes
Jahrhundert sich in solchem ansehen erhalten kann
Göthe II 5, 2, 318 W.; die schwächen unsers . . . unsichern
und . . . grund- und bodenlosen reichthums Pestalozzi
s. sehr. 9, 69.
2) am jüngsten und in neuerer spräche seit dem 18. jh.
alle übrigen bedeutungen und Verwendungen zurückdrän-
gend ist gr. als 'ohne grund (IV B bzw. C), ohne begrün-
dung, ohne berechtigung' aufs breiteste entwickelt: die mir
den allerdings nicht grundlosen einwurf machen möchten
Meiszner Alcibiades 2, 70; der Vorwurf ... ist nicht gr.
Treitschke hist. u. polit. aufs. 1, 51; die kinder für ein
eigenthum der eitern zu halten ... ist eine grundlose
meinung Fichte s. w. s, 364; {das gesetz) zwang den . . .
erben bei grundloser Weigerung zur antretung der erb-
schaft Jhering geist d. röm. rechts 3, 1, 261 ; die behaup-
tung {ist) gr. und unerweislich GtÖthe II 2, 144 W.; wie
oft verwies ich ihnen ihre grundlose eifersucht Dein-
HARDSTEiN gcs. dram. w. 2, 172; wenn . . . der vöUig
grundlose eigensinn eines menschen ein gutes unterneh-
873
GRUNDLOSIGKEIT
GRUNDLOTH-GRUNDMÄSZIG i 874
men hindert W. v. Humboldt ges.schr. 1,189; Sophie
ward ihrer grundlosen furcht . . . bald entledigt Bode
gesch. d. Thom. Jones 4, 275; diese grundlose heiterkeit
. . . machte fast einen unheimlichen eindruck G. Kelleb
ges. w. 6, 119; nichts empört mehr als grundloses klagen
Bahbdt geach. a. lebena 2, 133; er (laaae) sich durch grund-
loses gerede bethören Ranke w. 14, 330; mit grundlosem
verdacht Rückert w. 10, 197; Frankreich hatte längst
auf das Elsasz grundlose ansprüche gemacht Hebbel
w. 9, 168 W.; anders, 'keiner begründung bedürfend': (er) er-
zäMte mir die geschichte seiner eigenen bekehrung zum
grund- und beweislosen glauben Hamebling s. w. 13, 66 ;
aua der philosophischen bedeutung von grund zu verstehen:
die ganze object-, grund- und begrifflose sogenannte
transcendentale kritik der ästhetischen urtheüskralt
Herder 22, 196 8. ; weil eben nur die erscheinung des
willens dem satze vom gründe unterworfen ist, nicht aber
er selbst, der insofern gr. zu nennen Schopenhauer w.
1, 159 Gr.; es (das ursprüngliche produzieren) ist auch
nicht durch gründe bestimmt, sondern absolut frei und
gr. Windelband gesch. d. neueren phil.^ 2, 2\9. — -lose,
/., alle Substantivbildung zu grundlos A, vgl. ahd. cruntlaosi,
oruntlossi profundum ahd. gll. 1, 232 ; abgrunt, grundelos,
gruntlasz, tiefe abisaus Diefenbach gl. Z^; grundlose
oder bodenlose vorago Fbisius 1407 *; also ein mensch,
der verlürt sich in der grundlosze oder bodenlosze der
gotheit Geiler v. Keisebbebg poatille (1517) 116*; ver-
einzelt noch mundartlich bewahrt: grundlos! /. 'abgrund'
Staub-Toblee 3, 1429; grundläse, grunneläse/. 'ein loch
von unergründlicher tiefe' Schambach 70»; als neutr.
grundeis, 'grundlose tiefe' rhein. wb. 2, 1466.
GRUNDLOSIGKEIT, /. l) zu grundlos A, meiat in
entainnlichter bedeutung {vgl. gnmdlos A 2) 'tiefe, uner-
gründlichkeiV : grundelosekeit, endelosekeit infinitas
KoNB. v. Heinbichau vocab. 387* Ousinde; abyasua trini-
tatis vel inferni bodenloszigkeit vel gruntloszigkeit vocab.
predic. {liSQ) A 3»; gruntluszikeit immensitas Diefenbach
287i> vgl. 297»; da enkan si (die aede) in (gott) niemer
begrifen in dem mer siner gruntlösekeit meisteb Eck-
HABDT 228 Pfeiffer; us dem abgründe der grundeloskeit
gotz Tauleb pred. 368 V.; usz der grundlosigkeyt der got-
lichen gute und barmhertzigkeit Bbeidenbach rei«e(i486)
102»; sein hoffart wardt verstoszen in die helle, in die
teufte der grundloszickeit P. Amnicola errett. d. achw.
ordenspers. (1524) g l*; im eigentlichen sinne: so man aber
deren {der enten) schon etliche schiszet, seyn sie doch
wegen der unmäszlichen tiefe und gr. nicht zu bekommen
Pbätoriüs anthrop. plut. (1666) 1, 96.
2) zu grundlos B: der mürbe, morastige . . . ort, den
die Deutschen wegen der st«ts währenden nässe und gr.
einen brock zu nennen pflegten Amabanthes frauen-
zimmerlex. 2062; vgl. gr. ... impraticabilitä delle strade
Jagemann (1799) 2, 550.
3) in neuerer spräche, vorab seit dem 19. jh., herscht gr.
in den bedeutungen von grundlos D vor, vgl. gr. frivolezza
delle ragioni Jaoemann (1799) 2, 550; entsprechend grund-
los D 1 'mangel an realer grundlage' : die entdeckte gr.
einer bis zu einem so hohen grade von Wahrheit getrie-
benen täuschung Schilleb 4, 256 anm. 0.; noch deutlicher
läszt sich die gr. dieser gerühmten hypothese aus dem
landbuche der mark Brandenburg darthun Eichhobn
Staats- u. rechtsgesch. 2, 366; die ungeheuren Wirkungen
dieses glaubens mit seiner völligen gr. zusammengehalten
D. Fb. Steausz sehr. 6, 47; ähnlich: die gr. dieses einfalls
vom doppelten Salbungsgeschäfte Lessing 13, 42 L.-M.;
vorwiegerid aber völlig abstract wie grundlos D 2 'mangel
an begründung, berechtigung, triftigkeif : doch zeigt eine
leichte Überlegung die gr. dieser folgerung Lotze mikro-
kosmos 1, 55; (er) suchte sie von der gr. ihrer meinung
zu überzeugen Hebbel w. 9, 176 W.; während jeder im
fall der eifersucht . . . nicht die gr. seiner leidenschaft
einsieht 0. Ludwig ges. sehr. 5, 226 ; sie sah die gr. ihres
bangens ein Roseggee sehr. II 11, 308; (er) überzeugte ...
sich . . . von der gr. seines argwohns Mommsen röm. gesch.
6, 110; Clausewitz . . . hatte recht, über die unphiloso-
phische gr. der bestimmung zu klagen Meineckb
V. Boyen 2, 133; philosophisch specialisiert: die gr. des
willens hat man auch wirklich da erkannt, wo . . . Schopen-
hauer w. 1, 166 Or.; — -loth, n., loth, aenkblei, vgl. grund-
blei, grundklotz; id. grondloot, dieploot bolis, linea Ki-
LIAN 163»; grundloht bolide, piombino ELeameb teutsch-
ital. 1, 673 c; vgl. noch Beil 264; denn die Schiffer und
Steuerleute durch ihre Instrumenten . . . den kompass und
grundlot gar eigentlich wissen . . . J. Diktz lebenabeschr.
137 C(msentius. — -lüge,/, {vgl. comp.-typ. 5 p): die erste
grundtlug dises deines gantzen baus ist dise, das alle
ketzer . . , des bapst gelidmaszen sein J. Nas antipap.
eins u. hundert 4, &^ ; und ir gnode und aplos nicht anders
sint, wann grüntlügen und eigen grosz Vergiftung der
seien (15. jh.) E. Windecke in: denkw. z. gesch. d. Zeit-
alters kaiser Sigismunds 301 Altmann; seine hypothese
. . . von erfindung der spräche ist in meinen äugen eine
gr., die . • . alle seine übrigen Untersuchungen veceitelt
Hamann sehr. 7, 281 B.-W.
GRUNDMANGEL, m. {vgl. comp.-typ. 6 ^p ß bzw. r):
einige grundmängel in den unteren klassen {von schulen)
allg. dtsche bibl. 88, 202; der erste und ewige gr. des
kammergerichts {war): zu einem groszen zwecke werden
unzulängliche mittel angewendet Göthb 28, 125 W.; in
jedem dualistischen System . . . gibt sich sein gr. . . . zu
erkennen Hegel w. 6, 120; mit persönlichem beziehungs-
wort: er {ist) ein wohlgewachsener, hübscher knabe . . .,
seine eigentliche grundmängel habe {ich) nicht entdecken
können Göthe III 8, 282 W.; darin sehen wir . . . einen
gr. seines Charakters D. Fb. Steausz Schubarts leben l, 7.
— -mann, m., name des 'erdepheu' {glechoma hederacea)
Feancus flor. Franc. (1695) 65 vgl. gundermann, grundrebe ;
ebenso schon Reyhee thes. (1668) 1016, 1496. — -masse,
/., masse, die den wesentlichen bestandtheil eines körpers
darstellt, grundsubstanz {vgl. comp.-typ. 5 p bzw. r): die gr.
aller pflanzen . . . besteht aus . . . bläschen Oken naiur-
gesch. 4, 150; das gezahnte band . . ., dessen gr. von der
faserigen Substanz der harten haut gebildet . . . wird
SöMMEEBiNG 6ou d. mcnschl. körpers 4, 157 ; die gr. unserer
bodenarten besteht aus zerkrümelten gesteinarten
Stöckhaedt ehem. feldpred. 1, 33; fester technischer ter-
minus besonders in der geologie und mineralogie: 'gr., die
. . . einheitlich erscheinende . . . masse eines eruptivgesteins'
C.W.Schmidt wb. d. geologie 109»; jenes vorgebürge
besteht . . . aus porphyr mit homsteinartiger gr. allg.
dtsche bibl., anh. 53-86, 674 ; er {graustein) ist ein . . . por-
phyr, mit dessen thonigen grundmassen noch andere
gemengtheile . . . verwachsen sind Zappe mineral. hand-
lex. 1,412; anders {vgl. comp.-typ. 5 k): die farblose gr.
der emaiUe bildet ein . . . alkalibleioxydsilicat Muspbatt
2, 1747; entsprechend comp.-typ. 5 h: gr., 'gesamtmasse der
gründung, also etwaiger rost nebst grundgemäuer' Mothes
baulex. 2, 541.
GRUNDMASZ, n. {vgl. comp.-typ. 5q): die Schätzung
der grösze des grundmaszes Kant 5, 251 akad.; die an-
nähme eines sehr groszen räumlichen grundmaszes {führt)
zu resultaten . . ., die in kleineren zahlen ausgedrückt
werden können A. v. Humboldt koamos 3, 406 ; das geld als
künstliches gr. alles werthes Fichte s. w. 3, 419; anders
'bodenmasz' : ein . . . Spielplatz, der ungefähr soviel grund-
maasze enthielt, als korporal Trim wünschte J. J. Che.
Bode Tristram Schandi 2, 45.
GRUNDMÄSZIG, adj., adv., im 17. jh. aufkommend,
noch im 18. gelegentlich verwendet, dann fast erloachen;
gr. rationibus munitus, secunduTn leges alicuius acientiae
Frisch i, 380»; gr., grundrichtig adj., sdon les regles,
regulier, dans Vordre, conforme aux regles ou aux principes,
fondamenlal; adv. reguUhemevi, conforinement aux prin-
cipes Schbadee dt.-franz. (1781) 1, 581; anscheinend von
grammatikern wie Schottel gebildet, bleibt gr. im ganzen
ein papierenes wort, vgl. kunstmäszig.
1) den regeln, der lehre erdsprechend; regdgemäsz, geaetz-
mäazig {vgl. grund IV B 1 und 3 c) : dieser haubtendung
hat sich herr Lutherus nach dero grundmeszigen band-
875 GRUNDMÄSZIG 2. 3 - GRUNDMAUER
GRUNDMAXIME — GRÜNDNISZ
876
btetung . . . schicklich bedienet Schottel 95; die hoch-
teutsche . . . haubt- und heldensprache in . . . kunstrich-
tige Verfassung und grundmäszige wortschreibung . . .
bringen Habsdöefeb poet. trichter 1, 110; das hoch-
teutsche reia zu reden und gr. zu schreiben Stiele»
lehrschr. 1 ; 'die grundgesetze erfassend' : die grundmeszige
kündigkeit einiger spräche (ist) nicht zu erlangen . . .,
es sey denn solche spräche in eine form der kunst gesetzet
SoHOTTEL t. Sprachkunst (1641) vorr.; Hehrmäszig, syste-
matisch'': wie gr. sie (die sprachen) eingerichtet und zur
Übung gebracht (werden) Neumabck palmbaum 2; was
grundmäsziges . . . von solcher . . . rechtschreibung zu
melden Butschky hochdtsche kam. 1; (die deutsche)
rächdschreibung . . . nach der waren ausspräche grund-
mäszig eingerichded allg. dtsche bibl., anh. 25-36, 3262; das
Wintergespräch, . . . vom grund- und kunstmäszigen com-
poniren handelnd Waltheb music. lex. (1732) 16; hält
solchen grundmäszigen discours für . . . schuhlfüchserei
Chb. Gryphifs helik. reichstag 85; du hast nicht plan-
und gr. gelehrt Zinzendoef 21 discurse (1748) 363.
2) im sinne 'wohl gegründet, wahrheitsgemäsz, begründet
(vgl. grund IV B 4 und gründlich C), vgl. gr. fondamen-
tale, ben fondato Kbamer teutsch-ital. 1, 574»; man habe
grundmäszige und unbetriegliche nachricht davon ein-
gezogen E. Feancisci weh d. ewigkeit (1686) 351; grund-
mäsziger bericht von dem hergang . . . einer in der stadt
Augsburg . . . entstandenen Unordnung J. J. Müller
titel; welche gründe mir . . . nicht so gar gr. fürkommen
E. Francisci lust. Schaubühne (1702) 332; alle (bestehen)
auf ihren sehr guten imd grundmeszigen rationibus, die
da nicht alle falliren oder trügen können A. Hauptmann
bergkbedencken (1658) 90; sein scharfes urtheü (ist) hoch
und gr. Q. Kuhlmann Lehrstoff (1672) 355; durch solche
vernunfts- und grundmäszige Ursachen Butschky hochdt.
kanz. 5; (er) erinnere . . . sich unserer gepflogenen mond-
und sonnendiscurses, darinn wir solche grundmäszige
Ursachen gegeben E. Francisci eröffn. lusthaus (1676) 944
(vgl. gründliche Ursache sp. 853); ' begründeter maszen' : der
klägere beschAverdeführung (rühre) nicht daher . . ., dasz
sie etwa in einem oder andern modo gr. auf ein höheres
dann sonsten angesetzet worden wären v. Fribdenbeeg
abhdlg. v. d. in Schles. übl. rechten (1738) 1, 322.
3) wie 'gründlich, gehörig' als steigerndes adv. bzw. adj.
nach art der zahlreichen mundartlichen intensivadverbien
auf -mäszig; wohl aus Verbindungen wie von grund aus
neu geschaffen, nicht aus gr. 1 m. 2 entwickelt; aus den maa.
selbst nicht zu belegen, öfter bei volksthümelnden autoren:
hast sie also schon so gr. kennen gelernt? Auerbach
sehr. 17, 177; die nachtwanderungen hat er seitdem gr.
aufgesteckt Bindewald oberhess. Sagenbuch 41; ob ihr
euch nicht gr. freuen könntet Auerbach sehr. 9, 242;
aber gr. gfreut mich, . . . dasz ich dich da gtroffen hab
Anzengruber ges. w. 2, 282; bevor die jungen burschen
in eine grundmäszige lustigkeit gerathen E. Ziehen gesch.
u. bilder 2, 29; vgl. Fischer schwäb. 3, 879. — -mäszig-
keit, /., von grundmäszig l abgeleitet: (was) nach gr. der
spräche ein miszbrauch und ungewohnheit ist Schottel 9;
— -materie, /. (vgl. comp.-typ. 5 p):
auszer dem festen verein der grundmaterie aber,
was könnt irgend noch sein, das leere zusammen zu halten?
Knebel Lucretius (1821) 22;
GRUNDMAUER, /., die das fundament eines gebäudes
oder bauwerkes bildende mauer (vgl. comp.-typ. 5 h), die
in der erde liegend zumeist über die Oberfläche herausragt:
die grundmauem oder stocke sollen in gehöriger tiefe
und dicke . . . angeleget und aufgeführet . . . werden
Breslauer bauordnung (1668) 3; der cörper ist mit dem
halben leibe unter der gr. im gewölbe . . . gelegen Pbä-
TORius uMndschdruthen (1667) 423; mit solchen schichten
(sand und lehm) continuire, bis die 3 schuhigte gr. gantz
ausgefüllet ist Zincke öcon. lex. (1744) 203; der umfang des
tempels . . ., der auf den grundmauern des . . . ver-
brannten . . • wieder aufgeführt ward Niebuhr röm.
gesch. 1, 307; den fusz (desfränk, bauernhau^es) bildet eine
niedrige gr.; das gebäude selbst ist ganz von holz
R. Henning d. dtsche haus in seiner hist. entivickl. (1882)
9; und wenn ihm die vielen hellen fenster des obern
Stockes ein freies luftiges ansehen verliehen, so zeigten
doch die ungeheuren grundmauern und Strebepfeiler . . .,
dasz es auf festem gründe wurzele Hauff s. w. l, 183;
die weiten, flachen schuttbecken, aus denen ihre (der
gipfd) grundmauern emporstreben v. Barth Kalkalpen
309; die grundmauern der rebenäcker Heyse ges. w. 5,
301; mit gdegentlicher ausweitung des begriff s auch 'die
stärkeren auszenmauern eines hauses\ z. b. das feuer hat
so gewütet, dasz nur noch die grundmauern des hauses
stehen geblieben sind; vidfach bildlich: der wehrstand,
diese gr. der Selbstständigkeit des Vaterlandes GuTS-
muths turnbuch xvrn; die klassische bildvmg ist die gr.
Auerbach sehr. 7, 135. — -maxime, /. (vgl. comp.-typ.
5 o) : dasz dis ihre gr. seie, erhellet nur leider allzu klar aus
ihren treulosen proceduren M. Krämer Idten u. tapfere
thaten(1681) 745; diese grundmaxim ihres estats werde seine
eintzige gewissensnorm . . . bleiben Jesuiter rahtsstube
(1684) 27; d. Luthers erklärung (ist) eine meiner grund-
maximen Zinzendorf tjsqI tavxov (1746) 115; (die) grund-
maximen des jüdischen Staatsrechts Herder 5, 425 S.;
so fühlt er (Bacon) sehr bald, wo seine grundmaximen
(canones) . . . nicht hinreichen Göthe II 3, 152 W. —
-meinung, /. (vgl. comp.-typ. 5pj8): die eigentliche gr.
und innerste Überzeugung des redners ist, dasz . . .
ScHELLiNG w. I 7, 111; anders (vgl. comp.-typ. 5r): der
Parlamentarismus, das heiszt die öffentliche erlaubnisz,
zwischen fünf politischen grundmeinungen wählen zu
dürfen Nietzsche w. 5, 186; cds verdeutschungsversuch von
hypothese: hypothese, . . . Baumgarten übersetzt es gr.
KiNDERLiNO reinigk. d. dtsch. spr. 182; so auch Campe 2,
473. — -meister, m., 'abtritträumer' (vgl. comp.-typ. 6 c):
sollen die . . . ambtleut gefertigt werden: . . . pappen-
hamer oder gruntmaister 9 chron. d. dtsch. städte 11, 818;
'meister, die die gründungsarbeiten überwachen': auch
pfleget man zuvor ... im beisein der gr., welche hierzu
verordnet, das erdreich rund herum . . . auf zu graben
Ph. Zesen beschreibung der stadt Amsterdam (1664) 81.
— -messer, m., Verdeutschung von geometer im sinne
'mathematiker' : ob solches gleich wahr ist, so würden
doch die gr. daran nicht genung haben, es werde denn
bewiesen Knorr v. Rosenroth pseudodoxia (1680) 37;
entsprechend -messer ei, /., 'mathematik': die rechen-
kunst und die grundmesserey Knorr v. Rosenroth
pseudodoxia 36. — -motiv, ». (vgl. comp.-typ. 5 p): das
gr. aber aller tragischen Situationen ist das abscheiden
Göthe 49, 321 W.; noch fehlt aber die quelle für die
eigentlich exponirende Situation, das gr. Jahrbuch d. Grill-
parzergesellsch. 8, 51; seine (Schopenhauers) ganze Unter-
suchung . . . betrachtet das glückseligkeitsstreben als das
gr. des empirischen willenslebens Windelband gesch. d.
neuer, philos.* 2, 371. — -mutig, adj., adv.: 'gr., so nur
im oberdeutschen üblich ist, vom gründe des gemütes oder
des herzens, aufrichtig, herzlich, ein grundmüthiges bey-
leid' Adelung vers. 2, 831; grundmüetig wünschen Luz.
stadtarch. bei Staub-Tobler 4, 587; als wort der acten-
sprache auch in acten (vom jähre 1784/85) des Weimarer
Staatsarchivs vorkommend; — grundner, m., 'gründer :
der erste bauman und grundner dieser . . . graffschaf t Gua-
BiNONius greuel d. verwüst. 471. — -neigung, /. (vgl.
comp.-typ. 5 p/3): es ist kein ding, welches man sehr für
ihre (der mädchen) gr. und nahrung halten könne als die
von wind aufgeblasenen einbildungen Lindenbobn Dio-
genes (1742) 1, 73; aus einer unmerkbaren gr. der seele
zum gleichgewicht Schiller 2, 358 Q.; (der christ,) dessen
gr. auf ein edles masz . . . gestellt war L. v. Francois
letzte Beckenburg. 1, 196; — grundnisz, /. oder n.?,
'basis' : die prust ist ein grundnusz und ein stuel, dar
in das leben ist alls des herczen und der lungen problem.
Aristotdis (1492) lo^. — grundnisz,/. oder n.?:
könd tot got sein haimlich gründnia
dsen, d in seiner fürchte sten
P. Schede psalmen 90 ndr.
877 GRUNDOBRIGKEIT — GRÜNDONNERSTAG
GRÜNDONNERSTÄGIG- GRUNDPFEILER 878
GRUNDOBRIGKEIT, /. 1) die mit obrigkeitlichen
rechten {niedere gerichtsbarkeit, bede u. s. w.) über den
bereich ihres grund und bodens ausgestattete person oder
körperschaft; vgl. grundherrschaft 2, die begrifflich nicht,
praktisch aber öfters mit gr. übereinkommt, vgl. gr. 'die
niedere obrigkeif Kbünitz 20,285; nicht vor dem 16. jh.
bezeugt, vor allem österreichisch: item wer auf der gemain
grebt oder reuter mit der grundobrigkait willen schlecht,
der soll die friden, zeun und nach lantgewonhait Inhalten
österr. weisth. 6, 25; (es) sei auch einem armen underthanen
ein schandt, mit seiner grundtobrigkeit zu rechten ge-
Schichtsbücher d. Wiedertäufer (1633) 446; der Stadt raht
. . . begehrte diesen commissarien in religionssachen auf
keine weise, wie zwar wohl in politischen, als ihrer gr.
abgeordneten zu gehorsamen Valvassor ehre d. hzthms.
Crain 2, 454; dasz von einer jeden herrschaft oder gr.
veranstaltet werde sanctiones und privilegia d. landes
Schlesien (1699) 2, 563; denenjenigen herrschaften, grund-
obrigkeiten oder wildprethhändlern . . . wurde publiciret
V. Fbiedenbebg abhandig. v. d. in Schles. übl. rechten 2,
18; ergäbe sich, dasz die gr. . . . den thäter versteckete
constit. crimin. Theresiana (1769) 39; wer sich anbauen
will, musz sich bey der gr. melden Nicolai reise 3, 153;
die gr. duldete mich Holtei erz. sehr. 20, 191 ; kommt
heute nachts des königs kämmerer, herr Charlot, meine
gnädige gr., und befiehlt mir den brief da hierher zu
bestellen Gbillpakzer s. w. ll, 244 8. 2) selten abstract
'die obrigkeitliche gewalt über grund und boden\ vgl. grund-
herrschaft 1: {man soll bei kauf eines gutes erforschen,) ob
man die gr. oder bergöfEnung selbst darüber {über die
Weinberge) habe oder nicht Hohbero georg. cur. (1682) 1,
10; obrigkeitlich, adj.: grimdobrigkeitliche zehen-
den Chb. Hebttwig bergbuch (1710) 69*.
GRÜNDONNERSTAG, m., in adject. form der grüne
donnerstag bereits im hohen mittelalter, vgl. th. 2, 1252/. und
grün II A 1 b {sp. 646), dazu noch:
(Christus) an den grünen dunrcsdag
sin Gleit ouch hinc zu dune plag
nach dem abentdisse
Elisabeth 2921 vgl. 2940 Rieger;
das was diu groeste fröude, die er bewisede üf ertrich üf
deme grüenen dunrestage, do er sinen heiligen vrönen
lichamen gap sinen jüngeren pred. u. spr. dtsch. myst.,
zs.f. d. a. 8, 218 (bischof Albreht, Albertus Magnus); an
deme grünen dünresten tage zs. f. gesch. d. Oberrheins
9, 432 {urk. V. j. 1327); seit dem ende des 15. jhs. daneben
in fester composition gründonnerstag {s. u.), wohl syn-
kopierte dativform mit anlehnung an subst. grün, die in
-neuerer spräche schriftsprachlich vorherseht, mdal. nicht
überall aufgenommen ist vgl. Fischeb schwäb. 2, 263 ; Jos.
MÜLLEB rhein. wb. 1, 1402; Cbecelius oberhess. 441;
Müllbb-Fbaubeuth 1, 447; siebenbürg.-sächs. wb. 2, 59;
als compositum in erstarrtem dativ {bzw. acc.) auch grünen-
donnerstag: wenn sie nicht . . . am grünendonnerstage
ein grün kraut . . . fressen Che. Weise erznarren 126 ndr.;
das brodt . . . wird theils auf den grünendonnerstag . . .
gesegnet Oleabiüs pers. reisebeschr. (1696) 163; folgt eine
grünendonnerstagespredigt ällg. dtsche bibl., anh. 53-86,
46; d. grünendonnerstag 1780 GtÖthe IV 4, 196 W. {brief -
datum), vgl. gräunendonnerstag, m. Woeste-Nörb. 84^';
als Zusammensetzung gr. Schmidt- Petebsen 531»; Men-
siNQ schles w. -holst. 2, 495; Flemes Kaienberg 97; Staub-
ToBLEB 2, 751 ; umgedeutet grüntimmelstag Ungeb-
Khull 311».
gr. ist allgemein der 'donnerstag der karwoche", nur in
Westfalen zu älterer zeit der donnerstag nach ostem, vgl.
Gbotefend zeitrechn. 1, 77** aus urk. v. 1393 und 1542;
für die sonst, besonders obd. gebräuchlichen namen s. th. 2,
1252; die deutung von gr. bleibt umstritten, doch ist der
name sichtlich eher volksthümlichen als kirchlichen gepräges,
vgl. den nehsten donnerstags vor dem heil, ostertage, den
man nennet der grüne donnerstag Wenck hess. urkunden-
buch {v. j. 1372) nach Gbotefend a. a. o., und seine her-
leitung aus der verbreiteten sitte, am gr. grüne kräuter zu
essen {vgl. Bächthold-Stäubli hwb. d. dtsch. aberglaubens
3, 1187/.) noch immer die wahrscheinlichste; auf einen alten
brauch dieser art deutet: ad album panem in cena domini
cum her bis ad capitolium Seibertz quellen d. westf.
gesch. 3, 286 {v. j. 1380) und das genieszen von groine pan-
koken am westf. grünen donnerstage nach ostern bei den
Freckenhorster nonnen s. Grotefend a. a. o., vgl. ^otjles-
n&.Q'ES froschnfieusder k 2; die th. 2, 1253 {nach Weigand
syn.^ 1198) versuchte und gewöhnlich angenommene erklä-
rung des grünen donnerstages als Übersetzung von dies
viridium 'tag der sündlosen, der büszer^ scheitert wohl dar-
an, dasz mlat. ein dies viridium nicht nachzuweisen ist,
sondern im gegentheil erst eine jüngere latinisierung von gr.
darstellt: viridis dies Jovis D. Macer hierolexicon (1677)
120; gr., dies viridium DüEZ Twmendatura {1652) 9, Stieler
2247 und J. C. Zeumer de die viridium {1700) § 3 : 'notamus,
festum hoc apttd nos ut plurimum diem viridium {germ. der
grüne donnerstag) vocarV ; in kirchlichem gebrauch stehende
benennungen sind seit alters: cena domini, feria bona
quinta, dies absolutionis u. a. vgl. Hebzog realencycl. 21,
421 ; auch die von H. Kellneb heortologie^ 61/ gegebene
anknüpfung an die vereinzelt genannten grünen paramente
bei der messe am gr. macht aachlich und Überlieferung s-
mäszig schtvierigkeiten.
das reich und vielfältig entwickelte brauchthum am gr.,
der genusz heilbrirugender kräuter, das gründonnerstagsei
{anilaszei), der gr. als termin der säens und pflanzen^
U.S.W., s. Bächthold-Stäubli a.a.O., läszt wie bei ostern
an einen nachhall vorchristlicher übung denken; ob ihm,
wie Holtzmann dtsche mythol. 68 vermutet, ein Donarsfest
im mai zugrunde liegt, bleibt unerweislich; vgl. L. v. Schrö-
der arische religion 2, 636^.
seit dem ausgang des 15. jhs. als festes compositum be-
zeugt: auff dysen grundonerstag hast zweyerley vor-
gebung Steinhausen privatbriefe l, 275 {v. j. 1487/); den
ablas . , ., den denn die romischen pebst an dem grun-
donerstag geprauchen gnedicklich ausz zu geben {'indul-
gentias, quas in urbe Romani pontifices in die coenae
domini concedere consueverunC liat die lat. quelle) chron.
d. dtsch. Städte 3, 285; an dem grün dunrstag hat der
doctor gepredigt Keisebsbebg sünden d. munds (1518)
66*; es sollen auch die feyer yn der carwochen, grün-
dornstag und carf reytag • . . gehalten werden Lutheb 26,
232 W. (r. j. 1528), aber: am heyligen grünen domstage
8, 706 {v. j. 1522); als aber der gründomstag kam E. Al-
BEBUS Eulenspiegel (1542) f l''; item . . . am grondoners-
tag Knebel chron. v. Kaisheim 155 Ut. ver.; wer ihme das
vor gr. nicht gibt, so stehets darnach auf ritzschart
rechtsaühertümer * 1, 530; ich verliesz am gründonners-
tage . . . Amsterdam Hamann sehr, l, 197 B.; heute, gr.
{unrd) . . . der grosze holzmarkt gefeiert Göthe IV 29,
92 W.; wer am gr. sechzig ist gewest O. Ludwig ges.
sehr. 2, 44; es war am gr. Ranke s. w. 35, 147; — grün-
donnerstägig, adj.: {er erlitt) in Rom jährlich den grün-
donnerstägigen bann Jean Paul w. 45/47, 385 H.
GRUNDPFAHL, m., bei sumpfigem baiigrund oder
Wasserbauten als träger des fundaments eingerammter pfähl,
s. auch pfahlrost {vgl. comp.-typ. 5 h); älterer technischer
au^druck: die {gesellen) haben schirm oder pruckpfell oder
sunst gruntpfell geslagen do oder dort zu dem grünt
TucHEB baumeisterb. 63 Ut. ver.; Jacobsson 2, 165*;
gr. foundation-pile 264 Beil; man wuszte nicht, wie man
die grundpfähle sichern sollte Abchenholz Engl. u. Ital.
2, 53; bildlich: {eine) freundschaft . . . ihmehr si erräget
. . . würd, ihmehr und mehr zunümmet und sich in
ihren grundpfälen befästiget Ph. Zesen adriat. Rosemund
indr. — -pfählung, /.; die grundbogen . .. waren schon
im 12. jahrh. bekannt . . . ebenso grundpfählung oder
pfahlrost Mülleb-Mothes 1, 494^. — -pfahlwerk, n.:
ein so wichtiges werk, die grundlage des neuesten Systems
. . ., das gr. aus palmen des Emodes und ureichen des
Hämus J. H. Voss antisymb. 1, 99.
GRUNDPFEILER, m., der ein bauwerk {haus, brücke)
tragende pfeiler {vgl. comp.-typ. 5 h), meist pluralisch; gr.
Beil 265; grondpeiler lux. ma. 156*; zuerst verliefen zehn
879 GRUNDPFENNIG - GRUNDPLATZ
GRUNDPRINCIP— GRUNDQUELL
880
jähre bis die vierecltigen gr. eingerammt waren v. Lilien-
CBON s. w. 3, 9; die . . . f eisen {vmrden) . . . bequem die
gr. einer brücke abgeben Ritter erdkde 6, 379; jene . . .
edelsteine . . . sind die gr. dieser herrlichen brücke
GöTHE 18, 269 W.; im bilde: dieser gr. vom tempel des
litterarischen ruhms der Franzosen Ayeenhoff w. 6, 184;
(ea) musz . . . ein . . . neues {gebäude) dafür aufgeführet
werden, wovon die beiden gr. folgende sein müssen
Moser «. w. 3, 325 ; vielfach auf dinge und erscheinungen
allgemeinerer art sowie auf abstracta angewandt, bleibt der
bildcharakter im zugeordneten verb erkennbar: die abstrak-
ten begriffe . . . sind . . . die gr., auf welche die mechanik
aufgebaut ist Boltzmann pop. sehr. 272; häusliches
glück . . . musz auf silbernen grundpfeilern ruhen Kotze-
bue s. dr. w. 11, §9; die gr. des modernen Staates aufrecht-
zuerhalten Laube ges. sehr, l, 18; die gr. des Staates
untergraben Herder 1, 23 >Sf.; stück auf stück wird von
den grundpfeilern des Staates weggerissen v. Hinden-
BURG o. m. leben (1920) 258; diese gr. der religion nieder-
zustürzen Schubabt leb. u. gesinn. 2, 129; die gr. der
kirche . . . erschüttern zu lassen Ranke s. w. 40/41, 58;
an allen alten grundpfeilern des voIks- . . . lebens wurde
gerüttelt Fb. L. Jahn i, 213 E.; früh auch mehr entsinn-
licht: das sie wol etwan . . . sterben unnd hiemit die
besten gr. der kirchen abkommen Fischart binenk. (1588)
95^; er {wurde) . . . dahin gebracht, ... an ihren {der re-
ligion) grundpfeilern zu zweifeln Schiller br, 1, 19 J.;
selbst die gr. der menschlichen glückseligkeit . . . seyen
in diesen Staaten verdächtig oder gar verhaszt Wieland
Agathon 2, 180; der gedank ist wesentlich und mehr als
gr. der physiognomik Lavater physiogn. fragm. 2, 181;
{Newton brachte) sie {die experimenie) als gr. seiner theorie
an die erste stelle des werkes Göthe II 2, 46 W. —
-pfennig, m., grundzins, vgl. Unger-Khull 310*>; ain
register umb die grundtpfenning in der stat Meran in
papir ZiNGERLE inventare 65; als grundzins bezahlter
Pfennig: item Liebhardus Metz de quartali aree servit
IV denarios, item I gruntpfenning {v. j. 1316) cod. dipl.
austr.-frising. 3, 325. — -platte,/., technisch, die platte,
auf der eine maschine oder dgl. aufgebaut wird; gr. 'die
platte, worauf die regel und die grade eines astrolabiums
angebracht sind' Jacobsson techn. wb. 2, IQS'^; gr. am
mesztisch Beil 265; das ganze {die dynamitzerkleinerungs-
maschine) ist auf einer gr. montiert Muspbatt ehem. 7,
915 ; stets ist ein . . . f usz erforderlich, welcher . . . durch
grundplatten . . . hergestellt werden musz Karmarsch-
Heeren 1, 400; gr. in der druckerpresse Campe 2, 473^.
GRIINDPLAN, m. l) grundrisz, horizontalprojedion
eines gebäudes, vgl. gr. Müller - Mothes 1, iOi^; der
gr. {der kirche) bildet ein lateinisches kreuz mit langen
westlichen schenkein Lueger 6, 558 ; {die bauthätigkeit) ist
von ihrem material im grundplane, in der ganzen anord-
nung . . . abhängig Vischer ästhet. 3, 2, 208; graben und
brücke deuten auf den gr. einer ehemaligen tiefburg
Riehl naiurgesch. d. Volkes 4, 347; anders: {es) zeigte sich,
dasz . . . die fundamente verstärkt werden müszten . . .,
Raphael stellte den neuen gr. her H. Grimm Michelangelo
2, 329. 2) ursprünglicher plan; plan als grundlage der nach
ihm sich richtenden handlungen {vgl. comp.-typ. 5 p): die
. . . Wissenschaft der vergleichenden anatomie beruht auf
. . . der wissenschaftlichen erkenntnis, dasz ein gemein-
samer . . • gr. für alle thierischen formen existirt Büchner
kraft u. st. 79; der herr graf {hält) mit deutlicher und
theoretischer ausführung dieses seines grundplans in
methodo noch so ziemlich an sich Zinzendorf Siegfrieds
bescheid. beleuchtung (1744) 72; wie man das werk des
herrn nicht nur in einem sinne, sondern auch nach einerlei
gr. und methode zu bedienen hätte A. G. Spangenberg
leben Zinzendorfs (1775) 1935; wie der dichter seine
figuren nach einem geheimen grundplane ordnet sehr. d.
Göthegesdlseh. 6, 84 ; nach dem gr. dieser schritt A. v. Hum-
boldt kosmos 4, 211. — -platz, m.: gr. eines gebäues
Ludwig teutseh-engl. (1716) 818; sein allda aufgerichtetes
haus {hat man) nidergerissen, den gr. verflucht, mit saltz
besäet E. Francisci hohe traursaal (1665) 1, 1064; wie nun
der kreisz der erden als der gr. und gleichsam der boden
der weit von wasser und erdreich zusammen gesetzet . . .
ist Weigel erdspiegel (1665) l; wohl als singulare neubil-
düng zu fassen: bei dem heraufdringen der niedern
{stände) an die stelle welker, stolzer und unbrauchbarer
hohen . . . {werden) die stärksten, nothwendigsten grund-
plätze der menschheit . . . leerer Herder 6, 676 8. —
-princip, n. {vgl. comp.-typ. 5p/5): weil sie {die christ-
liche person) hinter dem grundprincipio der herztheologie
steht ZiNZENDORF nEQi t((VTov (1746) 16; das gr., von dem
auch ich ausgegangen {bin) Görres ges. br. 2, 299; es
war . . , ein angriff auf das anerkannte gr. der angli-
canischen kirche Ranke w. 16, 31; der begriff eines bösen
grundprincips neben einem guten ist offenbar ein begriff
a priori Fichte s. w. 5, 78; (es) ist nicht die rede von einheit
durch ableitung aus wenigen, von der vemunf t gegebenen
grundprincipien A. v. Humboldt kosmos 1, 31; er . . .
hat eine reihe ihrer (d. aufklärerischen religionsphilosophie)
grundprincipien auf den typischen ausdruck gebracht
Windelband geseh. d. neuer, phil.^ 1, 285; die grund-
principien der mechanik Boltzmann pop. sehr. 253. —
-problem, n. {vgl. comp.-typ. 5p/?): inzwischen über-
sieht auch Locke nicht jenes gr, . . ., den unterschied des
idealen und realen Schopenhauer w. 4, 29 Chr.; das gr.
liegt sonach in der feststellung der bestimmten art von
unvergleichbarkeit zwischen den beziehungen geistiger
thatsachen und den gleichförmigkeiten materieller Vor-
gänge DiLTHEY geisteswiss, 1, 14 ; das gr. des romans ist die
durchkreuzung zweier sittlicher weiten Schebee kl. sehr.
2, 267; umkehrung der drei logischen grundsätze — dar-
aus entstehen die drei logischen antinomien und grund-
probleme Novalis sehr. 3, 337 M,; die . . . Widerlegung
. . . habe ich später geliefert in den 'grundproblemen der
ethik' ScHOPENHAUEB w. 1, 132 Oris. — -punct, m.,
tiefster, tragender und entscheidender punct, centralpunet,
angelpunct: dann du bist das centrum oder gnindpunct
V. Gbeifenbebg andäeht. betracht. (1678) 1032;
nur obenbin beschauet ihr die dinge;
was eigendlicb der zweclc und grundpunl^t ist,
das last ihr etehn und haltets für geringe
Knittel poet. sinnen] r. (1677) 36;
Jacobi {vermochte) ... in die grund- und angelpunkte des
spinozistischen lehrgebäudes tiefer einzudringen Moses
Mendelssohn l, 99; grund- und einheitspunct der ge-
schichte . . . bleibt er {Jesus) doch Fichte s. w. 4, 550;
mehr wie comp.-typ. 5 o bzw. r: ketzer, die in den grund-
puncten des glaubens fehlen Undebeyck d. narr, atheist
(1722) 451; nach comp.-typ. 5 g: beide marken {siedepunct,
sehmeizpunct) bilden die gnmdpunkte für die auf dem
röhre angebrachte theilung Muspbatt ehem. 4, 137.
GRUNDQUELL, m., -quelle, /. l) aus der boden-
tiefe entspringender quell {vgl. comp.-typ. 5 c): nicht so
viel die ergieszung des von den bergen herablaufenden
gewässer als der gegend eigne grundquellen {verursachen)
den sumpf Ayrenhoff w. 6, 269; sie {die forellen) müssen
. . . schatten haben . . ., grundquellen Oken Tiaturgesch.
6, 347; nixe im grundquell G. Keller ges. w. 9, 87; bild-
lieh: die unmügliche begierd {hat) diese reine grund-
qwelle schändlich betrübet Harsdöbfer frauenz. ge-
sprächsp. 6, 229.
2) übertragene Verwendung faszt grund- mehr im sinne
des comp.-typus 5 p {köpf und a) 'urquelle, erste und ur-
sprünglichste quelle, ursprung\ dabei bleibt gr. mehr oder
minder bildhaft; so im 16. jh. schon:
(merk) welchs sei die grundquell und der brunnen,
daraus ihr irrthumb all sind grunnen
Thidarius Bethabarennus berg. tnonstrum (1591) »2»;
wan man den genauen urspning, grundquel und wiu"tzel
aller wort und buchstaben erforschet Moschebosch ge-
sichte {1650) 1, 597; gott,. der an sich Selbsten gut und die
grundquell alles guten ist, {wäre) die ursach alles . . .
ubels Chb. Arnold offne thür (1663) 225; Christus . . .
der grundquell meines trostes Treuer dtsch. Dädalus 1,
337; wir gehen zurück auf die grundquelle unserer religion
Laube ges. sehr, ll, 19; die lebenskraft ist . . . der grund-
881
GRUNDREBE — GRUNDRECHT
GRUNDRECHTLICH - GRUNDREGEL 882
quell, aus dem alle übrigen kräfte der weit flieszen
Hufeland kunst 47; stärker entsinrdicht: die Vollkommen-
heit ... ist der grundquell aller unserer lust, das endziel
aller unserer strebungen Moses Mendelssohn ges. sehr.
1, 79; des Übels grundquell hingegen blieb unberührt
ZscHOKKE s. ausg. sehr. 37, 221; es sey genug, hier den
grundquell dieser ausländerei unter den Deutscheu an-
gegeben zu haben Fichte «. w. 7, 337; im historiographi-
sehen bezuge: wie eitel das bemühen ist, hier (aiLS Adam
von Bremen) viele citate zu häufen statt allein aus der
grimdquelle {den Fuldaer annalen) zu schöpfen Dahl-
MANN gesch. v. Dännemark 1, 19.
GRUNDREBE, /. l) entstellung aus altem gundrebe
vgl. ahd. gundereba ahd. gloss. 4, 458, 25, daneben gun-
delrebe (5. dort) : hedera terrestris {ist) gundelreb aber vil
besser grundtreb, dann solches gewächs alle zeit auf der
erden hin und widerfladert Ryff confectbuch (1548) a 8*,
weiter grundelrebe, gundermann, grundmann: name des
'erdepheu' — glechoma hederaceum vgl. Holl wb. d. pfl.
137''; Pritzel- Jessen 166 nach Hieron. Bbaunschweio,
L. FüCHS, C. Geszneb, also ahm. allgemein; die . . . violen
dragen . . . bletter . . . wie die grundreben Bock kreuterb.
(1539) 1, 165; vgl. Fbisiüs 216a chamcecissus grundreben;
Härder herbar. (1594) 35 camecisstis nobilis edel grund-
reb {vero7iica agrestis) nach Fischer schwäb. 3, 879.
2) gr. 'tjn weinbaue reben oder sprossen, welche die thau-
oder wasserwurzeln treiben' Krünitz 20, 285; zu grund
'erde' gehörig vgl. Nemnich wb. d. ncUurgesch. 213: gr. . . .
heiszen die rebschöszUnge, welche etwa zwey schuh tief
in die erde versenkt . . . werden. — -rechnung, /.,
''gründliche, vollständige abrechnung' {vgl. comp.4yp. 5u):
darumb das der ausschusz noch ain gemaind an irer rech-
nung nit gesettigt sein, sonder von inen haben wollten,
sie sollten inen ain grundtrechnung tind lautern verstand
oder beschlusz irer rechnung machen quell, z. gesch. d.
bauernkrieges 2, 192 lit. ver. — -rechnungsart, /., als
Verdeutschung von species in der arithmetik durch Campe
wb. 2, 474 eingeführt: die allen rechenoperationen zu gründe
liegenden vier grundrechnungsarten {addition, subtraction,
mrütiplication, division) .
GRUNDRECHT, n. 1) das aufgrund und boden bezüg-
liche recht {vgl. comp.-typ. 5f).
a) zufrühest ende des 13. jhs., in österr. rechtsquellen in
der bedeutung 'leistung, abgäbe für die nutznieszung von
grund und boden, grundzins' {vgl. recht I 2 c) : da man
imser aller jerlich von dient neun phunt ze rechten
purchrechte . . . unt vierzich phenninge . . . ze rechten
gruntrecht {v. j. 1292) Zeisig urkundenb. d. Stiftes Kloster-
neuburg 1, 41; daz wir dienen schullen von unserm haus
. . . sibentzich Wiener phenning ze rechtem gruntrecht
hintz der Schotten chloster ze Wien {v. j. 1335) Haus-
wiRTH urk. d. Benedict. -abtei zu d. Schotten 206; und des
der erwirdige herre brobst Rüdwein ze Newnburch grunt-
herre ist, dem man dient alle jar ze gruntrecht achtzehen
Wiener phenninge {v. j. 1340) Zeibio urkundenb. d. Stiftes
Klosterneuburg l, 276; omnes piscatores ..., quilibet ipso-
rum tenetur servire ecclesie . . . decem denarios pro eo
jure, quod vulgariter dicitur gruntrecht österr. weisth. 7,
969; wann alle Stiftung wirt des ersten auflassen mit et-
lichem gruntrecht Wiener weichbildrecht, V/iener aitzgs-
berichte 36, 102 ; item ainem pfleger zu Liechtenberg sollen
järlich in der nachbschaw die gruntrecht, darzue den
mülln ir gerechtigkait gegeben werden {hs. d. 17. jh.)
österr. weisth. 1, 260.
b) rechte und gerechtsamen, die aus der grundherrlichen
Verfügungsgewalt entspringen {vgl. grundgerechtigkeit) :
von grundrechten {Überschrift) Hohbebg georg. curiosa
1, 44; es giebt allerdings freischul tiseien von . . . be-
schränkteren grundrechten Holtei erz. sehr. 4, 42 ; unsere
Stadt fischte sich . . . eine menge anderer grundrechte,
die alle einst dem Johanniterhof . . . gehört hatten
Gutzkow ritter v. geiste 3, 46; die 'grundherrliche gewaW
selbst, 'eigenthumsrechf : gr., dominum, directum Stieler
1550, vgl. Krünitz 20, 285; {sie) theilen . . . den kriegs-
IV. 1. ß.
leuten . . . länder aus, mit vorbehält des gnmdrechts,
doch ohne aufgesetzte Satzungen Arnold wahrhaft, be-
schreib. (1672) 120; dadurch, dasz sie {die compagnie) sich
das gr. und eigenthum der länder allein vorbehält
FoRSTBB s. sehr. 1, 82; aber auch 'das recht, auf eines an-
dern grund und boden . . . etuxis zu bauen . . ., aux>h das
plcUzrecht genannt' Krünitz o. a. o., vgl. Stieler 1550;
abseitigere Verwendungen vereinzelt: 'grundgericht' : wann
eine fälligkeit . . . sich ereignet, kan der grundherr das
grundstuck für sich selbst nicht einziehen . . ., sondern
er musz ein gr. durch unverdächtige darzu erbettne un-
parteyische personen besetzen Hohberg georg. cur. 1, 44;
wohl une 'grundruhrrecht' {s. dort) : wir . . . sein baident-
halben über ain komen, daz wir allew gruntrecht abge-
nomen haben, wann wir versten und wol enpfunden
haben, daz sie der arbeit auf dem wazzer schedüch ge-
wesen sind, und wellen, daz furbaz niemand darumb
an gevodert . . . werd Wittmann monumenta Wittelsbac.
2, 524 {v. j. 1375).
2) 'fundamentales recht, ursprüngliches recht' {vgl. comp.-
typen 5 o und p) :
(dein liebster) . . . welsz dir, wenn er dich mit lieb und
feuer küszt,
das grundrecbt der natur mit nachdnick zu erklären
Chr. Güxthkr ged. 698;
seine {Kellers) derbheit geht . . . nur so weit, als sie
namens des ur- und gnmdrechts der poesie gehen darf
ViscHER altes u. neues 2, 206; seit der mitte des 19. jhs.
in specifischerem sinne die 'politischen und sittlichen
rechte und freiheiten, die aus dem natürlichen recht ent-
springen', die sog. 'allgemeinen menschenrechte' , die 'ur-
rechte der menschen', vgl. Sacheb staatslex. 2, 939^., z. b.
gleichheit aller vor dem gesetz, freiheit der religionsübung
u. 8. w.: Boie kannte den sonderbaren Schwärmer für die
grundrechte der menschheit zur genüge Weinhold Boie
130; das recht, häuser zu bauen, gehörte zu den grund-
rechten der menschheit Feeytag ges. w. 6, 25 ; sie stützte
sich . . . auf ein protestantisches dogma, auf das gr. des
freien f orschers Riehl dtsche arbeit 307 ; Fichtes verlangen,
dasz der staat die pflicht habe, jedem bürger das sittliche
gr., von seiner arbeit leben zu können, vollauf zu gewähr-
leisten Windelband gesch. d. neuer, philos.* 2, 229; die
grundrechte Jehovas, die zehn geböte Hebbel tageb. 3,
443 W.; als staatsrechtlicher begriff im entwurf der reichs-
Verfassung vom 28. ni. 1849, abschn. vi : die grundrechte
des deutschen volks ; wir sind bei der zweiten (definitiven)
beratung der grundrechte br. von u. an Herwegh 236;
die gnmdrechte der Frankfurter verfassimg Lagarde
dtsche sehr. 83; eine Verfassung ohne die sog. 1849er
'gnmdrechte' («et) . . . nimmermehr annehmbar Bennig-
SEN d. nationalliber. partei 38; vgl. artikel 48 der Weimarer
reichsverfassung v. 11. vm. 1919; etwas anders: das gegen-
theil von dem, was wir hier feststellen {könnte) zu einem
grundrechte der Deutschen erhoben werden Bismarck
polit. reden 1, 119; das gr. der monarchie, die imabsetz-
barkeit der auf eigenem rechte ruhenden Staatsgewalt
Treitscskth dtsche gesch. 4, 507. rechtlich, adj., von
grund aus rechtlich {vgl. comp.-typ. 1 a), vgl. Campe 2,
474; zum glück waren (sie) ... an sich grundrechtliche,
gute menschen Brachvogel Benoni^ 1, 217. — -rede,
/. : gr., {sermo) certus, indubitatus, fundatus Stieler 1540 ;
grundreden ragioni fondamentali, assiomi, fondamenti,
massime Kramer teutsch-ital. 2, 286''; neubildungsversuch
des 17. jhs. 'gründe enthaltende rede, argumenf : alhier war
es, da seine majestät . . . mit unerschrocknem muhte und
ausbündigen grundreden widersprach Zesen gekrönte
majestät (1661) 93; Hugo Groot bemühet sich in seiner
nachforschung des uhrsprungs der Ameriker mit vielen
gnmdreden zu erörtern, dasz dieselben ... in Norwegen
uhrsprünglich zu hause gehöhreten O. Dappeb America
(1673) 293.. _ -Tegel, f., regel, die die grundlage einer sache
bildet, aus der sich andere regeln ableiten lassen, prinzip
{vgl. comp.-typ. 5 o, p), seit dem 17. jh. auftretend: gr., lex
fundamentalis Stieleb 1576; gr., regola fondamentale, ge-
nerale Kbameb teutsch-ital. 1, 574; es heisze: contra ne-
56
883
GRUNDREGEL - GRUNDREICH
GRUNDRICHTIG - GRUNDRICHTIGKEIT 884
gantem principia: man solle mit dem nichts zu thun
haben, der die grundregeln nicht annimmt Knoee v. Ro-
SENEOTH pseudodoria ( 1680) 36 ; wie die meisten lehren vom
ehestande . . . mit der gr. derer canonisten, dasz der ehe-
stand ein sacrament sey, zusammenhängen Thomasitjs
ernsth, gedancken (1720) 2, 198; die einsieht der gelehrten
ist nicht allenthalben einerley, so wenig als die grund-
regeln, darnach sie urtheilen, allemal überein kommen
Gottsched vernünft. tadler. 2, vorr. 3 ; in imserer vemunft
(liegen) . . . grundregeln und maximen ihres gebrauche,
welche gänzlich das ansehen objectiver grundsätze haben
Kant ges. sehr. 3, 236 akad.; dadurch ward brechung das
hauptaugenmerk . . . und was bei einem einzelnen falle
vorging, die gr., das grundgesetz fürs allgemeine Göthe
II 4, 255 W. ; die physiognomische bezeichnung (muszte)
. . . auf gewisse allgemeine grundregeln gebracht werden
Foestee s. sehr. 9, 363 ; als mehr subjectiv gefaszter ^grund-
satz des handelns' : er setzte als eine gr. voraus . . ., dasz
man niemand zur religion zwingen dürfe G. Aenold kir-
chen- und ketzerhistorie (1699) 132''; und denn müssen wir
es weiterhin zu einer gr. machen, keine mächte zu bunds-
. genossen anzunemen Hbilmann pelop. krieg 777 ; nach
dieser gr. habe ich . . . gewünschet, im stände zu seyn,
mein leben einzurichten Beookes 8, 627 ; 'fundamentaler
glaubenssatz" : indem ist dieses eine grundregul der heu-
tigen weit, dasz ein pf und gold im hejTathen einen centner
tugend überwiegen musz Zieglee Banise (1689) 341; {sie)
haben diese gr., dasz die zeit oftmahls mehr ausrichte als
eine gantze armee staat d. königr. Persien 27 in: Oleaeius
reisebeschr.; dieweil von natur der mensch zum aber-
glauben geneigter ist als zu rechten vernünftigen grund-
reguln J. G. Schmidt rockenphilos. 2, 160; 'grundlegende
und elementare Vorschrift' : so kann man auch das decorum
durch unbetrügliche grundregeln nicht erlernen Thoma-
sius wider d. unvernünftige liebe ( 1696) 238 ; grundreguln,
nach welchen die kinder sollen christlich auferzogen
werden (buchtitel) Amaeanthes frauenz.-lex. 1891; die
grundregeln des Verhaltens . . ., einen patriotischen könig
zu bilden Gottsched neueste l, lot; vor allem die funda-
mentalen regeln in kilnsten, fertig keiten und Wissenschaften:
(ich) wil . . . hoffen, es werde . . . das meiste rein und müg-
lichst nach vorgeschriebenen grundregeln der wehrten . . .
tichtkunst gesetzet sein Neumaek fortgepfl. musik.-poet.
lustwald (1657) 8/.; {Opitz) hat . . . die grundregeln, nach
welchen er gearbeitet hat, lieber im wercke selbst an-
wenden als in einem kunstbuche zusammenschreiben
wollen BoDMEE crit. poet. sehr. 2, 83; der erste theil . . .
soll . . . die grundregeln dieser kunst enthalten Fe. Schle-
gel s. w. 13, 166; seine (des kleidermachens) grundregeln
sind eben dieselben welche der baukunst ihre sind dis-
course der mahlern 2, 171; wir haben ... in der musikali-
schen setzkunst eigene . . . grundregeln Scheibe crit. mus.
66; an der musikalischen gr., dasz der bass . . . unter den
drei obern stimmen bleiben soll Schopenhaüee w. 2, 525
Or.; nach denen grundreguln der artzneykunst Stea-
NiTZKY ollapatrida 264 Wien, ndr.; die alten grundregeln
der rechnung des wahrscheinlichen Lichtenbeeg verm.
sehr. 9, 15; die grundregeln der grammatica v. Fleming
teutsche soldat 21 ; die hochteutsche spräche nach ihren
grundregeln Nefkiech t. poesie 16, vgl. Schottel 142; die
grösten gesetzgeber der botanik haben sich willkührUche
grundregeln gemacht A. v. Hallee tagebuch 2, 106; grund-
regeln des wahren natürlichen Staatsrechts K. L. v. Hal-
lee rest. d. staatswiss. 1, 82. — -reich, adj. 1) wie comp.-
typ. 1 a 'sehr reich' : der grundreiche himmelsherr lasse
glükk und heil auf dich treufein Neumaek fortgepfl. mu-
sik.-poet. lustwald 2, 174; man könne die leute nicht besser
bereden, man sei ein grundreicher kerl Musandee studente
(1739) 44; sein vetter, der rathsherr, ein grundreicher mann
H.L. Wagnee kindermörderin 76 lit.denkm.; vgl. Loeitza
55. 2) wie comp.-typ. 1 b 'reich an gründen, gut begründet'
s. gründereich sp. 733 ; vgl. gr., fonce Feisch n/)uv. dict.
274 ; das sind grundreiche aspectus und astrologische rich-
tigkeiten Peätoeius phil. colus{l&Q2) 114; an einen grund-
reichen disputanten j. Fe. Löwen sehr. (1765) l, 184.
GRUNDRICHTIG, adj., im 17. und 18. jh. öfter verwen-
dete künstliche bildung gelehrten Charakters; gr. Schottel
473; gr., gmndm&szig fundamentale, ben fondato Keamee
teutsch.-ital.l, b7^^; gr. fondamental Feisch nouv.dict.
274; vereinzelt halb concret 'gutes fundament habend': ich
baue auf keinen triebsand, sondern auf einen festen grund-
richtigen trost V. Heebeegee trau>rbinden (1611) 1, 439;
sonst abstract gebraucht:
1) in seinem gründe, hinsichtlich der grundlagen, der
grundregeln richtig, ordnungsgemäsz, vgl. gr. 'nach allen ge-
setzen und umständen einer Wissenschaft secundum leges et
fundamenta alicuius scientiae, in optima forma' Feisch
teutsch-lat. l, 380, s. auch grundrichtigkeit; einem jeden
Teutschen . . . eine gewisse und grundrichtige kündigkeit
unserer teutschen spräche beyzubringen Schottel s^jtocä-
kunst (1641) 175; ihre {der hochdeutschen muttersprache)
grundrichtige schreibahrt närrisch zu ändern Neumaek
palmb. 53; das erste {werk) . . ., welches von diesen tief-
sinnigen Wissenschaften in einer grundrichtigen, und so-
viel sich thun iäszt, reinen deutschen spräche geschrieben
worden Gottsched neueste 8, Si7 ; an dem rechten ge-
brauch eines grundrichtigen dictionarü Keamee ital.-
teutsch (1693) vorher.; die nothwendigen warheiten und die
grundrichtigen Schlüsse in der philosophie Leibnitz phil.
sehr. 6, 468 Gerhardt; was ist die baukunst? eine grund-
richtige aufführung der natürlichen steine Haesdöefee
geschichtspiegel 423 ;
(cirkel sind) vielmehr grundrichtig abgemessen
Teillee poet. betracht. 4, 202 ;
so gr. und unvergesziich diese regel ist Gottsched neueste
5, 213; es ist einmahl gr., dasz zu einem einfachen werte
wohl zwei und mehr lange s . . . gesetzt werden Zesen
verm. helikon l, 39.
2) auch unkräftiger wie 'gründlich' : sie hätten ihre kunst
bey den Seleniten oder mondleuten gr. erlernet Geimmels-
HAUSEN 2, 1014 Keller;
der zelten wechselrad kann uns grundrichtig lehren,
dasz stehen und vergehn sey allgemeiner lauf
H. MÜHLPFOET teutsche ged., leichenged. (1686) 40;
dieser mann, der schon in einem schulamte gesessen und
dannenhero das informiren gr. verstand schles. Robinson
(1723) 1, 101; aus grundrichtiger und theils selbst eigener
kriegserfahrung v. Fleming soldat 77; nach angetrettener
landsbeherrschung . . . lieszen ihre hochfürstliche durchl.
sich die grundrichtige bestellung des regiments angelegen
sein J. G. Laieitz palm,wald (1686) 355*; anders, im sinne
des comp.-typ. 1 a: gr., 'sehr richtig, in einem hohen grade
richtig' Adelung 2, 831. richtigkeit, /., Schlagwort
der grammatiker des 17. jhs., namentlich Schottels, der
damit den grammatischen terminus analogia übersetzt, vgl.
gr., analogia haupf spr. i73; gv.an.logie fondamentale
ScHEADEE dtsch.-franz. 1, 581; gr. ist die 'in der natur be-
gründete, in den grundbestandteilen und grundregeln sich
erweisende Ordnung, gesetzmäszigkeit' der spräche im gegen-
satz zur regellosigkeit {anomalia); neben der gr. steht der
'gebrauch' , vgl. duo occurrunt, nimirum receptus hactenus
usus et ipsa analogica linguae natura Schottel an
Ludiuig von Anhalt in: ertzschrein 298 Krause, vgl. Jbi.-
linek gesch. d. nhd. grammatik 1, 135 ff.; die hochteutsche
spräche auch in ihrer natürlichen unstreitigen gr. zu en-
deren Schottel 158; die unrichtigen gewonheiten, welche
weder ursach noch beyfall in wahrer gr. der spräche an-
treffen 11; {es ist) unvermeidlich gewesen, unterweilen
neue teutsche Wörter jedoch nach gr. der teutschen com-
position zu formiren ders. ethica (1669) a 6*; der teutschen
spräche gr. und Zierlichkeit Che. Pudoe titel; diese
Ursachen, eine so wohl hergebrachte gewohnheit abzu-
schaffen, wodm-ch unsre spräche einen so merklichen Vor-
zug der gr. vor andern erhält, sind nicht zulänglich Gott-
sched dtsche spra^hkunst (1748) 58; etwas anders 'die
her Stellung der gr.': so betrifft dennoch die gr. und haupt-
ausschmükkung, derhalben man bemühet ist, nur das
hochteutsche Neumaek neuspr.t. palmbaum (1668)93;
entsprechend dann auch: {die) gr. der detitschen poesie zu
885 GRUNDRICHTUNG -GRUNDRISZ 1.2
GRUNDRISZ 3. 4
886
finden Ludwig von Anhalt an Schottet in: allg. dtsche
biogr. 32, 409. — -richtung,/., die bestimmende, wesent-
liche, hauptsächliche richtung {vgl. comp.-typ. 5 pyS und r):
seine {des Götz von Berlichingen) gr. {ist) antitheatralisch
GÖTHK IV 17, 172 W.; die geistige gr. unserer tage ist aber
eine historische W. H. Riehl naturgesch. d. volkes 1, 12;
die eigentliche gr. angesehener Wissenschaften {wird) gar
nicht mehr eingehalten Nietzsche w. l, 490; die auf-
stellung philosophischer Systeme nach allen grundrich-
tungen des menschlichen denkens Schopenhauer w. 5,
426 Qr.
GRUNDRISZ, m. ''zeichnerische daratellung einer räum-
grösze auf einer zeichnungsebene', im älteren nhd. sowohl
die perspectivische ansieht wie die horizontale paralldpro-
jection, der wagerechte durchschnitt z. b. eines gebäudes, in
neiierer spräche auf letzteres beschränkt; um 1620 lexiko-
graphisch auftretend: der grundrysz ichnographia, deli-
neatio areae JoH. Orsäus nomenclat. meth. (1623) 153, ver-
mutlich etwas älter {s. u. 5), doch vgl. synonymes grund-
legung 4 ; aus verbalen Wendungen wie den gnind {grund-
fläche, vgl. sp. 728) reiszen L. Hülsius erster tractat (1604)
24, im grund reiszen ebda 73, grimdreiszen ebda 3 {vgl.
sp. 751) entwickelt, vgl. grundreisz unter 3; der gr. wird mit
dem cirkel und lineal nach dem verjüngten maszstab
aufgetragen Habsdörfer frauenz. gesprächspiele 8, ^S7 ;
kupferbilder, da die grundrisse dessen, was aiif der neben-
stehenden blatseite erklähret wird, sich befinden Zesen
kriegsarbeit vorw.; wie der grundtrisz und auch der durch-
schnitt aller theil der vestung gerissen wirdt A. Freitag
architect. militaris (1631) 55.
1) gr., 'risz, Zeichnung der grund fläche eines gebäudes':
von welchen {den Griechen) die Römer {in der baukunst)
gelernet, den grundris, aufrisz und das aussehen oder den
durchschnit zu beobachten Bütschky Pathmos {1Q~7) 661;
ein mann . . . musz . . . den gr. von seinem hause auf
den mantelkragen heften Chr. Weise drey klügsten leute
(1675) 250; von grundrissen unterschiedlicher gebäude als
Jäger- und andern lusthäusern v. Göchhausen notabilia
venat. (1741) 272; {ich) ersuche . . . gedachten bau zu
aistiren und denen Unternehmern deutlichen grund- und
aufrisz anzubefehlen Göthe IV 29, 72 W.; ebenso die durch-
schnitte in den stockwerkhöhen: die ersten drey {abbil-
dungen) liefern die grundrisse der drey Stockwerke dieses
prächtigen palastes neueste a. d. anmuth. gelehrsamk. 9,
730 Gottsched; wollten sodann ew. wohlgeboren mir . . .
einen auf- und grundrisz der verschiedenen etagen . . .
fertigen lassen Göthe IV 28, 214 W.; dann die 'form der
anläge' eines bauwerkes, die 'gestalt der grundfläcJie' als
solche: der gr. hier in gestalt eines kreuzes maler Müller
w. 3, 347; ein . . . sternförmiger ... gr. des ringofens
MusPRATT Chemie 8, 784 ; ähnlich: wir betreten den groszen
liof, dessen gr. für einen fremden nicht sogleich verständ-
lich ist Freytaq ges. w. 1, 90; im bilde: die allgemeine
logik ist über einem grundrisse erbauet, der ganz genau
mit der eintheilung der oberen erkenntniszvermögen zu-
sammentrifft Kant ges. sehr. 3, 130 akad.
2) namentlich in älterer spräche 'darstellung der grund-
fläche eines gebäudecomplexes\ oder einer anderen raum-
grösze': {ein) kupferstück, darein mein baumhof im gr.
entworfen Grimmelshausen Simplicissimus 433 Kögel;
zwölf abgebildete städte . . . wie auch der gr. des capi-
tolium Lohenstein Arminius2, ^23^; besonders auch
'lageplan, situationsplan' von städten : gleich die bey-
gefügte figur des grundrisses {von Astrachan) andeutet
Olearius persian.reisebeschr.SdS; der gr. von Constan-
tinopel neueste a. d. anmuth. gelehrsamk. \, 552 Gottsched;
ein reisender thut sehr wohl, vor seiner abreise grund-
risse der Städte zu sammlen, in denen er sich aufhalten
will Nicolai reise d. Dtschld l, 15; 'umrisz': {Alexander)
liesz . . , seine Macedonier ihr mehl als gr. der neuen
Stadt ausstreuen Droysen gcsch. Alexanders 204; im
festungsbau die 'linienführuvg der befestigungssysteme' vgl.
v. Alten 4, 479 : so müssen auch die kriegsbaumeister et-
liche grundrisse ihrer festungen . . . abzeichnen Zesen
kriegsarbeit (1672)1, 5; in der fortification stellet ein gr.
oder der plan den äuszeren umfang der gantzen festung
. . . vor Chr. Wolf math. lex. 621 ; gr., 'in dem bergbau ist es
gleichfalls eine aufzeichnung der wagrechten läge einer zeche'
Jacobsson 2, 165*; av/:h in neuerer spräche gelegentlich in
entsprechender Verwendung: den gr. eines Irrgartens Göthe
45, 255 W.; wenn man den gr. aller unterirdisch gegra-
benen gänge hätte Winckelmann s. w. 2, 45; specidler
kartographisch: gr., Hn karten alles, was sich auszer den
natürlichen bodenformen . . . an bodenbedeckung auf der
erdoberfläche beflndeV v. Alten 4, 478 ; geradezu wie Hand-
karte' : wenn man einen gr. oder landcharten nach denen
regeln der kunst abtragen lernet v. Fleming teutsche Sol-
dat 45, vgl. von einer gewissen gegend ein grundriszgen
machen 44; überhaupt 'schematische Zeichnung': an k ist
ein gr. zu Verfertigung eines Sonnenuhrzeigers Döbel
jägerpractica 3, 169.
3) als gr. eines geplanten, noch nicht ausgeführten ge-
bäudes dem sinne 'entumrf, plan' sich nähernd; vgl. sie
eihet vielmehr nur deren {der gebäude) grundreisz und
entwurf, dann sie ehe entwirfet als bauet J. Tonjolam
Aristippus (1662) 111.
die bauerfahrenheit, die dich für andern ziert,
verspricht uns allbereit die herrlichsten paläste,
wozu die uiajestät den grundrisz selbst geführt
Hoffmannswaldau-Neukirch ged. 7 (1727) 188;
ich . . . bekenne, dasz der gr. {d. h. der auf dem papier
unternommene ausbau e6da) des doms zu Cöln, wie er
hier vorliegt, eins der interessantesten dinge ist Göthe
IV 21, 294 W.; entwarf der genius auf der erhabensten
stelle der insel den gr. zu einem groszen baue Klinger w.
3, 261. bildlich: denn wo . . . die tugend den vollkommenen
gr. legte . , ., da kunte gewisz kein . . . baufehler begangen
werden Chr. Weise polit.redner (1677)474; wohl aber
konnte sie {die proceszordnung) für den künftigen neubau
den gr. vorzeichnen Pbutz preusz. gesch. 3, 231; ähnlich:
{die) strecke . . ., auf der die leute arbeiteten, um . . . die
grundrisse einer strasze zu ziehen Stifter s. w. 3, 213;
namentlich in mehr uneigentlicher Verwendung, zu 4 hin-
leitend, vgl. gr. . . . conceptus pictoris Stieler 1597 : dieses
ist der gr. seines Vorhabens der unnd gehet nuhn aus einem
andern loche (1676) 0 4^'; wir können nur so desseins,
grundrisse machen, der heilige geist weisz schon die aus-
führung zu thim Zinzendorf Londoner pred. (1756) 1, 137;
der junge fürst hatte sich . . . einen gr. zu seinem künf-
tigen leben entworfen A. v. Haller Usong 34 ; unter-
dessen dasz d. Dorothee mit ihrer Schwester den gr. ihrer
verliebten händel zu machen beschäftiget seltzame liebes-
händel (1691) 442. wie 'urform': gleichwol kommet mir
diese Sichemiterassemblee vor als der erste gr. der Zu-
sammenkünften, welche darauf gefolget Lindenborn
Diogenes l, 370; sie {die natur) schlieszt alle anlagen zu
regelmäszigen wercken und auch die grimdrisse zu allen
den zierrathen in sich Ramler einleitung 1, 16; die welt-
seele , . . macht sie zu einem zarten maszstab und gr.
der dinge Novalis sehr. 2, 18 M.
4) in der am breitesten entunckelten form übertragener Ver-
wendung steht gr. als ein aus den hauptsächlichsten und
wesentlichsten linien bestehendes gebilde im gegensatz zu
einem weiter ausgeführten ganzen, dessen 'auf die grund-
Züge vereinfachtes Schema' , dessen 'inhaltliches gerüst' u.
dgl. als gr. gefaszt wird, vgl. Campe 2, 474 ; so im gr. : bey
dem einen sind die abbildungen einer groszen anzahl men-
schen nur im grundrisse entworfen, der andere hat seine
gegenstände nach dem leben geschildert Gottschedin br.
1, 192; die Staatsverfassung . . . soll er sich wenigstens
im Prospekt, im gr. ... auf einen bogen papier voll-
kommen abzeichnen lassen J. Moser s. w. 2, 21; die meta-
physik des schönen hatte die grundbegriffe zu entwickeln,
das weitere System im idealen grundrisse vorzubilden
Vischer äMhetik 2, 12. a) in allgemeinerer anwendung: das
geschäft . . ., den nakten gr. {der mythen) mit stoff anzu-
füllen und mit leben zu bekleiden Fr. Schlegel s. w. 3,
73; was konnte er besser als den biographischen gr., den
er vorfand, mit anekdotchen zu ergänzen Herder w. 3,
317 8.; die metaphysik des schönen gibt nur den idealen
56*
887
GRUNDRISZ 6
gr. VisOHBB äath. 1, 68; er musz sich jedoch vor jetzo be-
gnügen, nur den gr. seiner gedankenfolge anzugeben
Fichte phil. Journal 8, l, 2; {die grundsätze machen) nur
erst den gr. für eine zu entwerfende gesetzgebung aus
Hegel w. 16, 25; der gr. dieses combinirten processes
{zur herstellung photographischer platten) rührt von Eder
her MusPBATT chemie 7, 191;
doch ehe sonn und mond noch dreymahl untergehen . . .,
{mll ich) den grundrlsz deiner arbeit sehen
B.AMLER fabellese 3, 16;
dieses ist der gr. zu einer tragischen fabel Gottsched
crit. dichtkunst (1751) 164; ich zeichne hier den gr. des
Menon Engel sehr. 9, 9; {die Beduinen) stimmen alsdenn
die thaten des propheten, den gr. von Mecca und Medina,
in liedern an Herder w. i, 86 S.; er ersucht daher jeder-
mann . . . aus den von 1724 bis 1734 von ihm edirten
Schriften . . . den gr. seiner lehre nicht zu formiren
Spangenberq leben Zinzendorfs 344 ; der gr. dieser rede
war : . . . Soknenfels ges. sehr. 8, 328. b) specieller von
wissenschaftlichen werken seit dem 18. jh. verbreitet, wo gr.
im gegensatz zum ausführlichen Hehrgebäude' eine knappe,
nur die wesentlichen thatsachen, lehrmeinungen oder das
materiell {bibliographie) in gedrängter form bietende schrift
darstellt, vgl. abrisz; noch {bzw. wieder) halb bildlich emp-
funden bei präpositionaler Verknüpfung: gr. zu einer ver-
nunftmäszigen redekunst Gottsched (1728) titd, gegen-
über dem werke ausführliche redekunst (1736); {das werk
ist) aus den akademischen Vorlesungen des Verfassers über
seinen gr. zu einer umständlichen historie . . . entstanden
Nicolai literaturbriefe 3, 117; gr. zur geschichte der deut-
schen dichtung K. Gödeke titel; die deutsche phüologie
im gr. K. v. Bahder titel; 'abrisz, leitfaden\' er {wünscht)
. . . ein dreifaches werk zu haben . . ., nämlich einen gr.
. . . kurz und etwa tabellarisch Forster s. sehr. 7, 353;
wir wollen die hauptzüge der preiszschrift ... in einen
kleinem gr. zu bringen suchen allg. dtsche bibl. 1, 1, 138;
in einem kleinen gr. für Vorlesungen . . . zeiclinete er zu-
erst die umrisse seiner historischen methode Treitschke
dtsche gesch. S, 451; mit attributivem genitiv: gr. einer deut-
schen Sprachkunst Gottsched dtsche sprachkunst l ; vor-
rede zu einem gr. der seelenlehre Forster s. sehr. 5, 383 ;
gr. der religion J. B. Basedow (1764) titel; von hier aus zu
verstehen: alles was die Vernunft dictiren und nach dem
gr. der eloquenz vorbringen wird, soll mit groszer ehr-
erbietung von mir angehöret werden Stranitzky olla-
patrida 239 Wien, ndr.; jünger nahezu terminologisch {vgl.
Arnold bücherkunde'^ 229), für umfänglichere gesamtdar-
stellungen, handbücher und systematische nachschlagewerke,
die das ganze gebiet einer wissenschaß oder disciplin be-
handeln : gedachter gr. der schönen Wissenschaften Schxj-
BART leben u. gesinnungen 2, 38 ; schon lange war ich mit
der idee umgegangen, die deutsche Sprachwissenschaft
und literaturgeschichte als ein ganzes in einem grund-
risse darzustellen Hoefmann v. Fallersleben ges. sehr.
7, 217; gr. der germanischen phüologie hsg. v. H. Paul titel.
c) vereinzelter im sinne 'innerer auf bau, structur^ : wenn er
erst sothane stücke fertig in ihrer äuszerlichen form und
gestalt kennet, alsdann auch sehe, wie dieselbe im gr. nach
einer völligen harmonie zusammenhangen Mattheson
generalbasschule (1735) 50; die mängel {der oper), welche
im gr. ... lagen, konnten dadurch wohl versteckt, aber
nicht gehoben werden 0. Jahn Mozart 1, 284.
5) in älterer, vorwiegend poetischer spräche öfter bedeu-
tungsmäszig an grund angelehrd; wie grund V A 3:
(diese tugend war) ein blaugefärbter dunst . . .,
ein schatten sonder leib, ein mahlwerck ohne kunat,
dem zur Vollkommenheit des glaubens grundrlsz fehlet
J. Che. Günther ged. 2, 1089 ;
(die träume) sind falsche bilder, so die nacht
auf der gedancken grundrlsz macht
H. A. V. Abschatz teutschredend. tr. schäfer 1, 34;
wie grund IV A :
■wird einst die folgezeit, wann wir vorlängst gewesen,
in deinem heldenbuch mit lusterstaunen lesen,
wovon mein blöder kiel . . .
ein schwaches schattenwerk zum grundrisz schon gelegt
Weichmann poesie d. Niedersachsen 1, 60;
GRUNDRISZBILDUNG- GRUNDRUHR 1.2 888
ganz isoliert: den falschen miszbrauch und glauben des
abendmahls in der abgötterischen papistischen mesz,
welcher der nervus und gr. des gantzen pabstums {ist)
P. Creusingius cronicon 85 Holtze {um 1575). — geläufigere
tricomposita: -riszbildung: was die gr. der moschee
anbelangt, so lassen sich zwei . . . typen unterscheiden
Lueoer 1, 417; -riszform: die . . . beste gr. des back-
raumes ist die eiform Karmabsch-Heeren 2, 51; -risz-
zeichnung: villentrümmer . . ., deren mauern . . . wie
saubere grundriszzeichnungen sichtbar sind üvsTiWinckel-
mann 2, 2, 379; eine gr. ist wegen der häufen von trüm-
mem . . . ausgeschlossen E. Sachau reise in Syrien 76. —
-riszen, vb., vereinzelte gelegenheitsbildung {vgl. grand-
reiszen sp.7bl) bei Göthe: wenn ich für sie, leider nicht
gebaut und gepflanzt, nur gegrundriszt habe IV 3, 145 W.
— -riszlich, adj., technisch gd)räuchlich, 'kartographisch' :
grundriszUche zulage, grubenbilder bei Veith bergwb. 384 ;
in grundriszlicher darstellung Muspeatt 6, 485; anders:
eine grundriszUche philosophie der geschichte hall, lite-
raturzeitung, jahrg. 1846 nr. 265, s. 961.
GRUNDRUHR, /., mhd. gruntruore ; vgl. mnd. grunt-
röringe unter grundrührung.
1) die 'berührung des grundes (grund I A und II A 3 a),
das auf den grund kommen, strandung' ; mhd. nur vereinzelt
bezeugt, häufiger im älteren nhd., ist das abstractum die not-
wendige Vorstufe der rechtlich-technischen bedeutung {s. u.2) :
ratione naufragii quod vulgariter dicitur gruntrure {v. j.
1370) bei Schöpflin Alsatia diplomatica 2, 92;
wann sie sint mitten uf dem mer
in wynd und ungewitter ser,
und ee sie werden eyns derfur,
80 nymbt die galee eyn gruntriir
Skb. Brant narrensch. 99, 198 Ä., vgl. 109, 20;
die fürsten und herren . . ., die da berauben die erbem
lüt in eim Schiffbruch oder grundrur Keisersbebo narren-
schiff 57^; und ist das wasser so grosz in der stad gewest,
das ein geladen schiff am kom- und fischmarck ohn alle
gr. hat gehen mögen Chph. Irenäus Wasserspiegel (1566)
p 1^, vgl. Staub-Tobleb 6, 1247; grundrur in jure ex-
ponitur naufragium alias strandung Stieleb 1644; anders
'die stelle an der ein schiff auflaufen kann, untiefe' : auf
dasz sie {die schiffe) dester leichtlicher die grundtrür und
wellen, die hinweg wichen, empfahen möchten M. Ring-
mann Cesaris historien (1530) 2&^ {quo facilius vada ac
decessum aestus excipere possent Cäsar bell. gall. rn, 13).
2) hauptbedeutung von gr. ist die rechtliche, im mhd. und
bis in das frühe nhd. hinein lebendig, späterhin historische
vocabel; das 'recht der gruntruore, strandrecht' d. h. das
recht der grundherren, die an ihrem ufer gestrandeten schiffe
bzw. die auf ihrem grund und boden zusammengebrochenen
oder umgestürzten wagen {s. unter grundrührung) mitsamt
der ladung in besitz zu nehmen oder eine abgäbe für frei-
lassung zu erheben; über die verschiedenartige ausübung des
grundruhrrechtes vgl. Scheödeb rechtsgesch. 210 u. 580/.
und preusz. jahrb. 9 (1862), 537; s. grundrecht sp. 882.
a) gr. für das 'grundruhrrecht' , als rechtliche institution:
item in predicto banno in jure quod dicuntur gruntruore
(13. jh.) weisth. 5, 716; consuetudine, que gruntrur dicitur
{v. j. 1316) Augsburger urkundenbuch 1, 197; und der grund-
rur soUent sie ledig sin genzliche, wände sie unrecht ist
{v. j. 1297) bei Schaab rhein. städtebund 2, 74; also swenn
ein schef den grünt rüret, daz man dann von jedem füder
weins dem herren, des diu gruntrur ist, nicht mer geben
sol dann zweU haller {v. j. 1336) urkdenbuch d. reichsstadt
Frankfurt 2, 428; grundtrür zu wasser und landt soUent
ab sein städtechron. 25, 222; dorab . . . Henricus ... er-
schrack und dem herren diser grundtruhr sein ansprach
mit barem gelt bezalet Wtjestisen Pauli Äemilii . . .
historien (1572) 1, 177; über die gr. oder das strandrecht
hat die stadt . . . befreyungen erhalten allg. dtsche bibl. 48,
225 ; sich durchzuschlagen durch . . . wogen und winde . . .,
durch gr. und strandrecht K. Braun Wisby fahrt 7; vgl.
StAFB-ToBLEE 6, 1247.
b) das gestrandete gut bzw. die für die auslösung des-
selben erhobene abgäbe: nuUum onus, quod vulgariter
889 GRUNDRUHR s — GRUNDRÜHRUNG
GRUNDSACHE -GRUNDSATZ i
890
grundtrure nuncupatur in nostra regione recipi permitte-
mus {v. j. 1270) hans. urkunde-nJ)uch 1, 238 Höhlbaum; in-
ßuper angarias seu exactiones vxilgariter dictas grundrur
{v. j. 1340) bei HoNTHEiM hist. Trevir. 2, 145»; der (schiffer)
sol mit eym apte von Swarzach überkomen umb die
dryttenteyle der gruntruere an gnode (14. jh.) weisth. 1,
424; sol u. gn. h. von Fl. grundrur nemen, nemlich das
zweitheil von dem gut und das drittheil lassen faren {v. j.
1528) 5, 498 ; so sind si {die schiff alevie) verfallen einem
herrn die grundrueri {erg. 'zu geben') 6, 377; vgl. 3, 348 u.
4, 473; die sollen keinen schaden leiden an irem gut und
darumb nit verbunden sein zu geben von grundrur {v. j.
1579) bei Ehebero verfassungsgesch. d. st. Straszburg 1,
617; vgl. weitere belege bei Staub-Tobleb 6, 1247.
3) isolierte Sonderbedeutungen in selbständigen neubil-
düngen; gruntruere als 'der tiefste grund, die stelle, wo man
den boden berührt, mystisch: ich merk wol, daz ich bin
komen uf die gruntrüri der nehsten einveltikeit, fiir die
nieman inbaz mag kommen, der warheit wil füren Seuse
dtsche sehr. 331 Bihlm.; 'was den grund berührt, bodensatz,
grundsuppe': in sölichem prästen ist der harn seer dick
am boden mit viler blyferbiger Substanz oder grundruor
RuBF (1554) nach Staub-Tobler 6, 1248; musz man den
draht in der gr. desz salpeterwassers, wenn es gereinigt
wird, woll sieden lassen J. Th. de Bby archeley (1614)
160; nicht sicher deutbar, etwa 'einsturz'? {vgl. grundfall
«p. 798): und ob die mül verprünn von unaem aignem
feuer ..., so suUen wir den fraun die bider {uneder) paun
. . ., war aber, das ganz grundruer da beschäch, so ist ain
tail dem andern darumb nichts schuldig {v. j. 1437) mo-
num. boica 18, 402. — -rühren, vb., 'auf den grund ge-
raten, stranden", gelegentliche zusammenrückung von den
grund rühren im anschlusz an grundruhr 1: wenn ein
schiff grundrürt, so nemen die herren das gut, ist rapina
Kbisebsberg arbor humana (1521) 30^. — -rührig, adj.,
zu grundruhr 2 : zu Werd wurden von den Kamerauem
. . • ganze Schiffsladungen an wein und getraid . . . unter
dem namen grundrühriges gut weggenommen K. Th. Ge-
meiner Begensburg. chronik 2, 171 {nach dem sog. gelben
stadtbuch zum jähre 1374), vgl. grundrürig Schottel 458;
zu grundruhr 1 'untief, seicht' : und als das meer an den
orten grundrürig wäre M. Ringmann Cesaris historien
(1530)95*; anders modern: 'bis auf den tiefsten grund
gehend, den grund berührend' : ob die hauptketzer . . . auch
. . . hunger gehabt haben, so einen grundrührigen Auer-
bach sehr. 11, 155. — -ruhrrecht, n., juristischer ter-
minus, im nhd. ersatz für altes grundruhr 2 a : daher dasz
man auch vor diesem, wann sich der schiffer verfahren
oder an den grund gefahren, hat dürfen das schiff an-
tasten, wird auch gr. . . . des halber geheiszen Schottel
kurtzer tradat (1671) 394; wie dann auch kayser Carolus v.
. . . das Strand- oder gr. gäntzlich abgeschafft Marpebger
kaufmannmagazin (1708) 8, 1308; die grausame Übung des
grundruhrrechts ward aufgehoben Zschokke ausg. sehr.
31, 184.
GRUNDRÜHRUNG, /., dasselbe wie grundruhr; ver-
einzelt obd. wie grundruhr 2 b : der statt von Bern leut • . .
mit recht nie sind überkommen, somliche grundtruhrungen
zu gebend Berner spruchbrief bei Staub-Tobler 6, 1247;
in der nd. entsprechung gruntroringe das im nd. übliche
wort für grundruhr 1 und 2 a, vgl. gruntroynge {lies grunt-
rorynge) naufragium {voc. sax.-lat.) Diefenbach 376'' ;
dampnum . . ., quod gruntroringhe vulgariter dicitur {v. j.
1282) hans. urkundevbuch 1, 307 Höhlbaum; si aliquod in-
fortunium acciderit a confractione pontis vel aqua, quod
dicitur grundroringe sive cum curribus vel navibus {v. j.
1362) Script, rerum brunsuic. 2(1710) 515 Leibnitz; vortmer
allerleye unrat unde gruntrorynge in usem lande de
lecgh wy af mit en {v. j. 1357) urkundenbuch d. st. Lüne-
burg 1, 328; dat se . . . nene broke den en moghen an
jeniger gruntroringe up unser Straten {v. j. 1367) Oött. urk.
1, 235 Schm.; cum naufragio, quod schipbroke dicitur sive
gruntroringhe urk. bei Schiller-Lübben 2, 159, wo wei-
tere zahlreiche belege; als occasiondle bildung im sinne
'grundempfindung' : man kommt . . . endlich auf em-
pfindungen, die für sich selbst allein gefallen und grund-
empfindnisse oder grundrührungen sind Tetens philos.
versuche 1, 218.
GRUNDSACHE, /., die die grundlage bildende, die we-
sentliche Sache, vgl. gc. fundamentalis cau^a Stieler 1656:
es gehet dieselbige mishelligkeit so weit nicht, das die
substantialia oder grundsachen in diesem artickel da-
durch berürt . . . werden C. Ulenberg antwort (1592) 107;
dasz beyde theile sehen, wie man in den grundsachen
einig Leibnitz dtsche sehr. 2, 259; vgl. hauptsache th. 4, 2,
626. — -sachlich, adj.: ein sinnbüd sol gr. nur auf ein
gewieses gleichnisz abzielen Habsdörfer frauenz. ge-
sprächsp. 4, 190. — -sam, adj., 'schwer zu ergründen, in
die tiefe gehend' : die sach ist nit so gr. und schwer als sy
etlich machend (r. 7. 1470) bei Staub-Tobler 2, 779; 'was
guten grund hat, gegründet' bei Schmeller-Fr. 1, 1004.
GRUNDSAND, m., auf dem gründe von gewässern, na-
mentlich des meer es, liegender sand: gruntsant sabulum
DiEFENBACH 506*, sagulum 507c, zabulum 634*, sidulum
533*; als grenzname ortus gruntsant {v. i. 1239) bei Kehr-
EiN sammig. alt- u. mitleldtsch. Wörter 56*; gr. Schottel
404;
(man mu$z) den mastbaum in das schiflF, des anckers last
darvon
und in den grandsand thun . . . Opitz opera (1646) 1, 4;
andre melden, der gr. und boden desz meers sei selbst rot
E. Feancisci weh d. eurigkeit {168&) 250; wir trieben immer
weiter nordwärts und der gr. schlug schon auf das verdeck
Smidt seegemälde {1828) 197 ; der ganze flache küstenstrand
{ist) . . . ein werk . . . der oceanischen heftigen brandung
des grundsandes und zusammengebackner thonmassen
Ritter erdkde i, 909; der seebach führt braunes eisen-
wasser, aber so klar, dasz im Sonnenscheine der weisze gr.
glitzert wie . . . goldkömer Stifter a. w. 1, 213.
GRUNDSATZ, m., vor dem 17. jh. nicht zu belegen, doch
vgl. grundsäzlich Fischabt 3, 306 H.
1) zufrühest lexikalisch bei Schottel: gr, lex vel regula
fundamentalis teutsche sprachkunst (1641) 378; gr. prae-
suppositum, principia artis Stieleb 2041 ; gr. thesis Dentz-
leb 142*; gr., woraus man andere Wahrheiten herleitet
thesis, principium Frisch teutsch-lat. l, 380*; erst in der
2. hälfte des 17. jhs. erstarkend und vor Chr. Wolf nicht
von schvlmäsziger philosophie terminologisch aufgenommen
{s. u. b) ; noch bei Leibnitz selten, vgl. grundsaz : die weit
wird von einem allwiszenden und allmächtigen herrn
regiret, den wir gott nennen, folgsäze : gottes zweck {ist)
. . . liebe sein selbsten phil. sehr. 7, 76 Gerhardt {im lat.
paralldlext 'hypothesis älibi demonstrata' ebda 74), aber
hauptsätze 6, 468 vgl. 467, lehrsäze 7, 34, grundbeweisz 6,
467 {s. auch sp. 761), ursäzen s. sehr. u. br. II 1, 217 akad.;
doch erscheintgr. so wenig wie älteres grundspruch(«. sp. 902)
als unmittelbare nachbildung eines bestimmten lat. begriff es
philosophischer spräche wie 'hypothesis' oder 'positiofunda-
menialis' {vgl. Sinqeb zs.f. dtsche wortf. 4, 128''), sondern
als selbständige bildung im sinne von comp. -typ. 5 o, p, r.
a) die grundlegenden sätze, die einer erörterung, einer
beweisführung u. s. w. zu gründe liegen, vgl. der gr., grund-
lehre, die materie davon man handelt hypothesis Wächt-
LEB handbuch (1703) 155; nur weisz ich mich zu erinnern,
dasz der gr. oder thema der rede war . . . Lindenboen
Diogenes 2, 46; auch diese {die natürliche Wissenschaft)
gehet aus gewiszen grundsätzen, da man eher nicht ver-
gnügt ist, bisz man siehet, wie eines vemvmftmäszig aus
dem andern folget Knobb v. Rosenboth pseudodoria
(1680) 37; wie denn oberzelte rechenarten samt und son-
ders dahin gehen, aus vorhandenen dingen als grund-
sätzen durch gewisse hauptanmerkungen eine nicht vor-
handene, doch verlangte sach ... zu weg zu bringen .
E. Weigbl würkung des gemüths (1684) 7; einige {dinge)
. . . werden aus den vorfäUigkeiten und grundsätzen
{hypothesibus) durch eine klar beweisende lehrart so aus-
geführet J. Che. Sturm pÄ2/atÄ;( 1713) 3; nach unserm an-
genommenen grundsatze herrscht die melancholie in dem
temperamente ... in desto stärkeren grade, je mehr die
891
GRUNDSATZ i
GRUNDSATZ i
892
Vernunft den geist bemeistert Gottschedin br. 1, 201 E.;
so musz ich es aus oben angeführten gründen als gr. an-
nehmen, dasz die Schauspielkunst mit der dramatischen
poesie zugleich blüht und verfällt A. W. Schlegel in:
Europa 2, 31 ; ähnlich 'allgemeiner erfahrungssatz' : mich
bedunckt der natürliche gr. : ex quibus constamus, ab
iisdem nutrimus soUe hier nicht unbillich platz finden
HoHBERG georg. cur. 2, 17.
b) specifischer als Übersetzung von axiom; so termino-
logisch bei Che. Wolf {vgl. axioma . . . spruch G. Was-
SEBLEITER Band logica [1590] 111»; axioma allgemeine
regidn Reyher thes. 639; axioma ein lehrspruch Weis-
mann lex. [1698] 411*): gr. axioma menschl. verstand (1719)
M 4,^ ; vgl. haupt- ö grundsatz assioma, aforismo, massima
Kramer teutsch-ital. 2, 775^; logisch-mathematisch: ''sätze,
die nicht bewiesen zu werden brauchend die erwegungs-
sätze, welche aus einer erklärung ( = definitio) hergeleitet
werden, nenne ich grundsätze(= axiomata), die ubungs-
sätze, welche man aus einer erklärung schlieszet, heische-
sätze { = postulata) Chr. Wolf menschl. verst. 62 ; der
obersatz {beim logischen schlusz) gehöret unter diejenigen,
die man ohne allen beweis angiebet . . ., das ist, er ist ein
gr. ged. v. gott (1720) 4; weiter gefaszt bei Kant: grundsätze
sind entweder intuitive oder discursive, die ersteren
können in der anschauung dargestellet werden und hei-
szen axiome . . ., die letzteren lassen sich nur durch be-
griffe ausdrücken und können akroame . . . genannt wer-
den s. w. 8, 108 H.; diese regeln . . . sind regeln a priori,
und sofern keine über sie sind, von denen sie abgeleitet
werden, grundsätze 4, 54; alle grundsätze des reinen Ver-
standes sind demnach: 1. axiomen der anschauung,
2. anticipationen der Wahrnehmung, 3. analogien der
erfahrung, 4. postulate des empirischen denkens über-
haupt 3, 154; ein solcher vor der Verbindung {mit andern
Sätzen) vorher und unabhängig von ihr gewisser satz heiszt
ein gr. Fichte s. w. 1, 41; die drey grundsätze in der
ontologie, der gr. des Widerspruches, der gr. des zurei-
chenden grundes und der gr. des nicht zu unterscheiden-
den Gottsched beobacht. 123; umkehrung der drei logi-
schen grundsätze — daraus entstehen die drei logischen
antinomien Novalis sehr. 3, 337 M. ; ein anf änger {der
mathematik) musz sich zuerst die . . . grundsätze und die
vornehmsten lehrsätze bekandt machen v. Fleming Sol-
dat Z\; ebenso machen die mathematischen grundsätze
keinen theil dieses Systems aus Kant s. sehr. 3, 147 H.;
dasz zwischen zwey punkten nur eine gerade linie möglich
sey, ist ein gr.; ihn zu erweisen ist unmöglich Lichten-
berg verm. sehr. 9, 132; entsprechend in allgemeinerer
Verwendung: es dienet nicht allein die einfachheit dieses
grundsatzes, sondern die Übereinstimmung desselben mit
dem zustande unserer ersten eitern im paradiese mit dazu,
seine unumstöszliche Wahrheit zu bewähren Brockes 8,
626; {Sokrates) . . . setzte . . . zum fundament seiner re-
futation voraus einen allgemeinen gr., der von niemand
in zweifei gezogen ward discourse der mahlern 2, 95 ; aus
dem philosophischen gr., dasz eine anklage . . . gegen sich
selbst wider die menschliche natiir sey Archenholz E^ig-
land u. hol. 1, 17.
c) gr. als deutsche entsprechung von principium nicht vor
der wende des 17./18, jhs. lexikalisch, im gebrauch vereinzelt
früher {s. u.), vgl. noch: principium . . . grundbehaubtung
Stieler zeitungslust{ie95) 625; gr., grundspruch . . . prin-
cipio Kramer teutsch-ital. 1, 574*; philosophische prin-
cipia oder grundsätze sendschr.an herrn v. JS. (1700) 11;
disz ist ... von den urständen oder grundsätzen {prin-
cipiis) geredet G. Arnold verthädigung d. myst. theol.
(1703) 5; principium auf deutsch grundsätze Abbt in:
literaturbriefe 22, 98 ; durch adjective wie oberste, erste,
»höchste gern gesteigert: von dem obersten grundsätze aller
synthetischen urtheile {überschr.). das oberste principium
aller synthetischen urtheile ist also: ein jeder gegenständ
. . . Kant s. sehr. 3, 152 H.; die ersten grundsätze läugnen
to deny the very principles Ludwig teutsch-engl. (1716) 819;
als den ersten und höchsten gr. ein urteil über alle spra-
chen W. v. Humboldt Latium u. Hellas 150 lit.-dkm.
a) der fundamentale satz , das oberste princip aus dem
sich ein ding ableiten läszt, erklärt; Vorstufe dazu schon:
es ist ein ungereimtes plumpes ding nur auf seinen gr.
des rechtens . . . ein urtheil fällen Neümark fortgepfl.
lustw. (1657) zuschr. 11; diese so lange verholene boszheit
. . . mit allen ihren boszhaftigen . . . grundsätzen Zesen
gekr. majestät (1661)75; häufiger erst mit dem 18. jh.: so
ist doch der folgende gr. (principium) der gesunden Ver-
nunft ganz klar J. Chr. Sturm physik (1713) 15; wie wird
er die Jurisprudenz . . . fassen, wenn ihm die gemeinen
und absonderlichen grundsätze der klugheit unbekannt
bleiben Thomasius ernsth. ged. {I720f.) 2, 172; was der
mythologist aber dem bloszen zufall zuschrieb, glaubte
ich aus einem gr. der kunst herleiten zu dürfen Lessing
10, 248 L.-M.; für die dichtkunst an und für sich hatte
man keinen gr. finden können Göthe 27, 78 W.; versuch
über den gr. des naturrechts G. Hufeland (1785) titd;
diese ungewiszheit erschüttert die seele und ist der grosze
gr. aller malerey für das herz Sturz sehr. 1, 36; dieses
führet darauf hinaus, dasz man in der natur einen ge-
wissen allgemeinen gr. erkennen musz, darnach sich alle
ihre Wirkungen richten Gottsched neueste 1, 320.
ß) die fundamentalen sätze, regeln, lehren, principien
einer Wissenschaft, eines Systems, einer kunst, einer lehr-
meinung; vgl. lehrsätze, von Chr. Wolf aber unterschie-
den: zuweilen werden lehrsätze vor grundsätze ausge-
geben, welches man aber gar bald erkennen kan menschl.
verstand 144 ; vgl. gr. principia artis Stieler 2041 ; dasz man
. . . nur anfangs die unwidersprechlichsten fehler und die
hingegen unhintertreibliche grundsätze {der rechtschrei-
bung) zu berühren gewillet ist Harsdörfer t. secretarius
1, 560; wir wollen aber nun auch die absonderlichen und
eigentlichen grundsätze dieser so hoch gehaltenen kunst
{der sterndeuterei) beschreiben Knobr v. Rosenroth
pseudodoxia I6i ; auch glaube ich, dasz die sterndeut-
künstler viel andre grundsätze, die himmel recht kennen
zu lernen, in jenem leben benöthigt seyn Chr. v. Ryssel
v. d. Seelenfrieden (1685) 258; so laszt sichs doch aus disem
gr. {des Cartesius) sagen, wie die sonnenstralen können
erwärmen J. J. Scheuchzer physica (1711) 1, 99; ich
{halte) nach des Aristoteles und Horatius grundsätzen da-
für, dasz auch nicht einmahl in erfindungen etwas schön
seyn könne als was der Wahrheit ähnlich Heraus ged. u.
lat. inschr. 25; die grundsätze des groszen Machiavellus
Lindenborn Diogenes 1, 56; die grundsätze der welt-
weisheit des herrn abts Genest Brockes 3, vorr. l{= prin-
cipes de philosphie); die grundsätze und bemerkungen der
allgemeinen physik Herder 13, 22 S.; wenn im vorher-
gehenden die grundsätze der farbenharmonie vorgetragen
worden Göthe II l, 331 W.; Untersuchung über die deut-
lichkeit der grundsätze der natürlichen theologie und der
moral Kant titel; die grundsätze der poesie Neukerch
anfangsgründe (1724) 18; eine ode nach den schönsten
grundsätzen der lyrik Gerstenberg recens. 281 lit.-dkm.;
Unterricht in den grvmdsätzen der redekunst Fr. Schle-
gel 4, 132; die neuen grundsätze der poetischen technik
Scherer literaturgesch. 145; die grundsätze, auf welche
das ganze harmonische gebäude {der musik) gebauet wird
Scheibe crit. musicus 33 ; die von Ph. Em. Bach nach den
grundsätzen seines vaters ausgebildete applicatur {be-
gründete) die entwickelung der eigentlichen klaviertechnik
O. Jahn Mozart 4, 5 ; den grundsätzen ihrer schule hing
sie lange und mit strenge an R. Schumann ges. sehr. 3,
176.
y) dann objective und subjective ^glaubenssätze, dogmen,
grundsätze einer Überzeugung'' u. ä.: weil sie doch mit
nichts zum Vorschein kommen dürften als . . . mit diesen
oder jenen selbst erdachten griuidsätzen G. Arnold
kirchen- u. ketzerhist. (1699) vorr. 36; dasz einer sünde thun
und doch ein guter Christ sein könne und was dergleichen
grundsätze mehr sind gr. Zinzendobf Socrates (1726) 47;
nach anleitung der grundsätze seiner religion v. Fleming
t. Soldat (1726)176; in der katholischen kirche, die eine
Unfehlbarkeit des pabstes zum ersten gr. ihres glaubens
annimmt Lenz vertheidigung (1776) 3; dasz die grundsätze
893
GRUNDSATZ i
GRUNDSATZ 2
894
einer erleuchteten religion . . . immer weiter ausgebreitet
(werden) Cbämer nord. aufseher 1, 45; wo Carl sich ketze-
rischer grundsätze verdächtig machte Schiller 8, 8 G.;
geht zu unsern freunden und macht sie mit unsem grund-
sätzen bekannt Göthe 17, 270 W.; wenn die schlacht von
Jena . . . meine politischen grundsätze verändert hat
H. V. Kleist w. i, 83 Schm.; die furcht vor den grund-
sätzen der französischen revolution jahrb. d. Orillparzer-
gesdlsch. 2, XI; er . . . wurde . . . wegen Verbreitung com-
munistischer grundsätze zur rechenschaf t gezogen Ebner-
EscHENBACH ges. sehr. 2, 52 ; die erhabenen grundsätze
von gleichheit aller stände Kotzebue a.dram. w. 2, 57;
er {hatte) den gr., dasz die blosze Veränderung der ge-
schäfte eine hinlängUche erholung von der arbeit wäre
Gramer nord. aufseher 1, 50; das ist . . . so sein pädago-
gischer gr., man müsse die kinder ihre Selbständigkeit
fühlen lassen Castelli s. w. 10, 241; 'nach gott kommt
gleich der papa', das . . . war der gr. des ganzen hauses
0. Jahn Mozart 2, 3.
&) häufig in blasserer Verwendung die 'reget, form, die art
und weise des Vorgehens nach einem für richtig erkannten
gesichtspunct, princip' : die taille gilt für unveränderlich
• . ., die grundsätze ihrer vertheilung über die provinzen
, . . sind für die einzelnen ein völliges geheimnisz Dahl-
MANN franz. revol. 44 ; es giebt grundsätze der anordnung
Gerstenberg recens. 37 lit.-dkm.; nach diesen grund-
ßätzen ... ist vorliegendes handbuch bearbeitet J. H. Vosz
antisymb. 1, 24; ein portrait im wesentlichen ganz nach
denselben grundsätzen gearbeitet Fr. Schlegel s. w. 6,
39; die grundsätze, nach denen man Homer und Shake-
speare verdeutscht, sind . . . auf einen arabischen dichter
kaum anwendbar Rückert w. 11, 215; kriege nach den
grundsätzen der zweykämpfe geführt dtsches mu^eum 1,
32 Fr. Schlegel; bei der wähl desselben (parlaments) wollte
man die grundsätze einer gleichmäszigen repräsentation
festhalten Ranke w. 17, 108; (die) freizügigkeit soll durch
eine auf dem grundsätze der gewerbefreiheit beruhende
gewerbeordnung weiter entwickelt . . . werden Bismarck
polit. reden 4, 3 ; vielfach mit typischen adjectiven verbun-
den: die wirthschaftlichen grundsätze 2, 57 ; die allge-
meinen grundsäze dieser Schreibart Bodmeb crit. poet.
sehr. 1, 110; ästhetische kritik nach allgemeinen grund-
sätzen 0. Jahn Mozart 1, 243 anm. 4; durch richtige wis-
senschaftUche grundsätze geleitet Liebig ehem. br. 3; die
technik des baues auf wissenschafthche grundsätze und
regeln . . . basieren hivb. d. staatswiss.^ 1, 3.
d) im sinne 'satz, princip, regel, die die normative grund-
lage des havdelns darstellt".
a) objectiv als 'regel, princip des handelns, das als sitt-
liche Verpflichtung aller zu gelten beanspruchV ; dieser Ver-
wendung sich nähernd:
was Bchwermst du, königin, und öfifnest thür und thor
den greueln der natur, machst Ihre grundsätz eitel
Chk. Warnecke poet. versuch (1704) 110;
wir sagen also, dasz die moralischen grundsätze, daraus
hier geurtheUet und geschrieben wird, richtig Gottsched
neueste 9, 304 ; die f ürnehmsten grundsätze der unter uns
üblichen höflichkeit sind in der warhaften klugheit zu
leben sehr wohl gegründet vernünft.tadlerinnen\,\\Z;
von Kant als praktische grundsätze bezeichnet, zu denen
auch die maximen (s. u.) rechnen: praktische grundsätze
sind Sätze, welche eine allgemeine bestimmung des willens
enthalten, die mehrere praktische regeln unter sich hat.
sie sind subjectiv oder maximen, wenn die bedingung nur
als für den willen des subjects gültig von ihm angesehen
wird; objectiv aber oder praktische gesetze, wenn jene
als objectiv d. i. für den willen jedes vernünftigen wesens
gültig erkannt wird s. sehr. 5, 19 H. (vgl. alle praktischen
principien ebda); dieser vortreffliche mann, welcher die
edelsten grundsäze meinem verstände . . . eingeprägt hat
Bahrdt gesch. s. lebens (1790) 1, 65; grundsätze sind fürs
leben, was im kabinet geschriebene instrukzionen für den
feldherm Fr. Schlegel im: Athenäum 1, 2, 22; einen
reichtum von lebensregeln und grundsätzen 0. Ludwig
ges. sehr. 1, 160; sie (müssen) ihre mütter gegen alle
grundsätze der Sittlichkeit verachten Ratzel völkerkde
2, 186.
ß) als Vertreter von maxime, princip für die im Charakter
verankerte 'subjective regel als richtschnur des wollens und
handelns' vgl. gr. ... massima Kramer teutsch-ital. 2,
775''; maxime noch bei Ramler als lehrspruch, lehrsatz,
Sittenspruch m. s. w. verdeutscht, vgl. zs. f. dtsche Wortfor-
schung 8, 80; s. oben beleg aus Kant s. sehr. 5, 19 H.; er-
strecken sich diese Werturteile nicht nur über das einzel-
wollen, sondern über ganze gruppen, so nehmen sie damit
das gepräge eines allgemeinen satzes an, der seine gültig-
keit nicht blosz das eine oder andere mal behauptet,
sondern in allen derselben gruppe von gefühls- und vor-
stellungsweisen angehörenden fällen sich geltend macht,
wir nennen solche bestimmende, allgemeine urteüe prak-
tische gnmdsätze oder maximen W. Rein hdb. d. pädag.^
1 (1903), 838^; er besasz eine tugend, welche nicht die
tugend der moralisten zu sein pflegt; er lebte nach seinen
grundsäzen Wieland Agathon 2, 44 ; mein gr. ist : handle
recht, scheue niemand Schiller 14, 205 O.; die ehre eines
weibes (laufe) . . . nur bei schwäche des herzens und der
grundsätze gefahr Göthe 24, 75 W.; der alte herr ging
von allen seinen grundsätzen ihretwegen ab, die sonst
unerschütterlich sind Tieck sehr. 24, 149; könnt ihr eure
grundsätze weit genug verläugnen? G. Büchner s. w. 53
Franzos; die kraft, mit der ein fester Charakter die grund-
sätze aufrecht hält Jhering geist d. röm. rechts 1, 310;
(Hippel habe) mit sich selbst und seinen grundsätzen im
ewigen streite gehandelt Gervinus gesch. d. dtsch. dicht.*
5, 176; was hilft mir alle gelehrsamkeit, wenn sie solche
frivole grundsätze zu tage fördert Raabe hungerpastor 2,
37; eine würdige dekanstochter . . ., deren schöne tugen-
den und grundsätze dem immer noch zu etwas lustigen
. . . herrn landvogt zugut kommen würden G. Keller
ges. w. 6, 242; und sie trinken kein hier, keinen schnaps,
keinen wein? ... eiserne grundsätze! G. Hauptmann
Rose Bernd 46 ; was die . . . menschen ihre grundsäze
nennen, sind . . . versteinerte vorurtheile Brinckmann
philos. ansichten 18. typische Verbindungen: ein mann von
grundsätzen: man sieht ein, dasz dieses ein mann von
grundsätzen war F. Bernhardi bambocciaden (1797) 1, 7;
herr von G. . . . ist ein mann von grundsätzen Fontane
ges. w. I 4, 379; von adjectiven sind fest, gut die häufigsten:
jünghnge . . ., wenn sie . . . von vesten grundsätzen sind
Herder w. 22, 9 8.; sein neffe (wäre) ein mann von festen
gnmdsätzen Klinger w. 8, 188 ; wo sind die guten grund-
sätze geblieben? Eschenburg beispielsamml. 7, 355;
ihrem kleinen gemüth waren gewisse gute grundsätze ein-
geprägt Göthe 23, 94 W.; verbale Verbindungen nach
grundsätzen handeln: wir müssen, wenn wir menschen
seyn wollen, nach grundsätzen handeln Herder lo. 16,
23 8. ; der streng nach grundsätzen handelnde oheim
Meinecke Boyen 1, 38 ; sich etwas zum gr. machen : sie
machen es sich zum gr., keinen gr. und so auch keinen
Charakter zu haben Kant s. sehr. 5, 249 H.; präpositional
nach, aus grundsätzen, jünger namentlich aus gr. : grau-
sam von natur und nach grundsäzen Schiller 4, 89 Q.;
das wahre bild der taubheit aus grundsätzen Lichten-
berg hogarth. kupferstiche 2, 284; aus grundsätzen und
neigung gr. Stolberg ges. w. 3, 95; sie verachteten ge-
lehrsamkeit . . . aus gr. Gervinus gesch. d. dtsch. dicht.*
5, 28; gut aus gr., nicht aus schwäche Bbunner erz. u.
sehr. 1, 181.
2) concret im sinne von 'basis, fundament, Untersatz^ im
n.jlB.jh. vereinzelt gebraucht; gern bei Zesen: der fuhs
oder grundsaz (der Marcuskirche) ist gleichsam als ein
kreuz adr. Rosemund 159 ndr.; die gantze seule, vom un-
tersten grundsätz an bis an den obersten grundsätz der
aufgesetzten . . . spitze ist dreiszig eilen hoch Assenat
(1672) 210; mit dem gr. oder basi desz kegeis A. Cabio
hall- und thonkunst (1684) 67; (die insd) lieget gleich als
eine grabspitze, welche sich mit ihrem grundsätze durch
die mittelländische see bis an den mund der strasze Gibr-
altar erstrecket Männling exoticus cur. (1717) 11 ; maszen
895 GRUNDSÄTZIG -GRUNDSATZLOS
GRUNDSATZLOSIGKEIT - GRUNDSÄULE 896
an Antonii heiligkeit zween die allervomehmsten beiden
(Atigustin und Franciscus) . . . den vesten gr. gelegt
Caccia hl. Antonius (1692) 18. — -sätzig, od/., zw gmnd-
satz 1 c : in meiner grundsätzigen physic J. Che. Sturm
fhysic (1713) 512; zu grundsatz 1 d: edle naturen, die . . .
nach einem gesetz des gemüthes, nicht des papieres oder
des grundsätzigen Verstandes agiren A. Müllke verm.
sehr. 1, 106.
GRUNDSÄTZLICH, adj., adv., vom l9.jh.ab stark
verbreitet und von Campe 2, 474 als neugebildet bezeichnet,
vgl. principiell, dem es entspricht; als gelegenheitsbildung
(zu grundsatz 2 ?) etwa im sinne 'fundamental, vollständig' :
hiemit will ich also alles dasjenig, so bisz hieher von
thugendzierlichkeyt und zuchtgebürlichkeyt der kinder
vorgetragen worden, frei und grundsäzlich auszerhalb
allem zweifei eingepracht haben Fischäet 3, 306 H.
1) 'die grundsätze (Ib, c) betreffend, principielV, auch
Hheoretisch\' aber gr. war doch für lange zeit der geld-
handel gebrandmarkt Riehl dtsche arbeit 63 ; (sie) schienen
gr. dem kriege selbst den krieg zu erklären Teeitschkb
dtsche gesch, 1, 356; ein sehr grundsätzliches bewusztsein
über die äuszere würde der erscheinung Vischer altes u.
neues 1, 25 ; die Unmöglichkeit ... ist keine grundsätzliche
DU Bois-Reymond grenzend, 11; einer kirchlichen Ord-
nung . . ., in der die episcopale form sich gr. mit dem ka-
tholicismus vertrug Ranke w. 15, 268; sein plan einer
grundsätzlichen modification der regierungspolitik Bis-
MAECK ged. u. erinn. 2, 212; zwischen kriegs- und handels-
schifEen bestand kein grundsätzlicher unterschied
v. Alten 4, 15 1; ein offenbar grundsätzlicher kontrast
Thom. Mann tod in Venedig (1913) 52; modern in Verbin-
dungen wie grundsätzliche erörterungen, fragen, diffe-
renzen, einigung u. s. v).; substantivisch: dasz seine (Jean
Pauls) wissenschaftliche theoretische beschäftigung auch
im ganzen, im grundsätzlichen übel auf seine praxis über-
^virkte Gbrvinus gesch. d. dtsch. dicht.^ 5, 232; das streben
ins allgemeine und grundsätzliche Meinecke v. Boyen l,
65 ; gegenwärtige schrif t bef aszt sich nur mit dem grund-
sätzlichen Heine s. w. 7, 289 E.; etwas grundsätzliches
war ... in seinem {Mozarts) wirken . . . wenig ausge-
sprochen R. Waoner ges. sehr. u. dicht. 3, 248 ; z. 6. sich
über das grundsätzliche verständigen.
2) zu grundsatz 1 c, vgl. aus grundsatz, 'a-us einem
grundsatz entspringend, aus einem princip heraus handelnd,
principielV: gr. auch entfernt sie die Steigerungen, das
'ganz' und 'sehr' Heedee 12, 400 S. ; eine von Küstinen
sorgen ging gr. dahin, dasz . . . briefe e. augenzeugen 3, 254
nach Heynatz antibarb. 2, 80; ... der baron und . . .
Gottliebe . . , haben gr. vermieden, sich die mitglieder
vorstellen zu lassen Holtei erz. sehr. 35, 48 ; {Napoleon)
nimmt ... zu den deutschen angelegenheiten keine gr.
feindliche Stellung ein G. Feeytao ges. w. 15, 212; ich
spreche gr. nicht von der Zukunft RooN denkw. 2, 439;
die deutsche und englische tugend, welche ... an den
groszen leidenschaften gr. vorübergeht Scheeee kl. sehr.
1, 47 ; die grundsätzlichen Verächter eines solchen schmuk-
kes MÖRXKB w. 3, 71 ; natürliche schärfe, . . . gemischt mit
grundsätzlicher gerechtigkeitsliebe Justi Win^kelmann 2,
1, 169; der grundsätzliche zweifei ist der ausgangspunkt
seiner {Descaries) lehre Windelband gesch. d. neuer, phil.
1, 176; formelhaft ein grundsätzlicher gegner: ich bin . . .
ein grundsätzlicher gegner von Präventivkriegen gewesen
Bismarck ged. u. erinn. 2, 258 ; ein grundsätzlicher gegner
der liberalen forderung Bennigsen nationalliber. partei
35. — -sätzlichkeit, /., zu grundsätzlich 2 'principien-
treue' die kräftige gr. eines Walther oder Freidank Ger-
viNUS gesch. d. dtsch. dicht."^ 2, 155; sollte E. . . . die feste
gr. {in seinem zögling) auflösen Aueebaoh sehr. 6, 200; ob
. . . ein anderer mit nothgedrungener gr. darauf ausgeht
durch schlechtes sein glück zu machen R. Wagnee ges.
sehr. 5, 23 ; vereinzelt zu grundsätzlich 1 : die gr. desselben
{des fläehenfachwerks) enthält die 'anweisung zur forst-
einrichtung' Bernhardt waldeigent. 2, 318.
GRUNDSATZLOS, adj., zu grundsatz 1 d: ein sehr be-
fähigter, aber grundsatzloser mann Gutzkow ritter v.
geiste 3, 380 ; in jener grundgatzlosen zeit v. Alten 4, 60 ;
seltener zu grundsatz l c : auf diesem wege ward das . . .
criminalverfahren ... gr. Mommsen röm. gesch. 1, 407. —
-satzlosigkeit, /., zu grundsatz 1 d: statt tiefe des ge-
fühls . . . ward . . . Verspottung höherer tugend, gr. und
all jenes schale wesen gemein Zschokke s. ausg. sehr. 34,
151; gegen spitzbuben gibt es kerker und galgen, gegen
die gr. aber findet sich keine schranke und kein gesetz
Grillparzer s. w. 14, 22 S.; weniger häufig zu grund-
satz 1 c 'regellosigkeiV : auch bin ich mit der gr., mit der
die groszen buchstaben gebraucht sind, nicht einver-
standen J. Fr. Böhmer briefe 2, 470/. satzmäszig,
adj., 'principielV (vjrZ. grundsätzlich 1): die grundsatz-
mäszige Stellung dieser partei D. Fr. Strausz sehr. 6, 259;
diese dinge sind mir sehr anstöszig, sowohl gr. als nach
fleisch und blut V. A. Huber reisebriefe (1855) l, 46; wie
grundsätzlich 2 : Zeitungen, die ... gr. auf das zensur-
gericht keine rücksicht nehmen Fr. G. Weloker br. 411
Wild. — -Satzung, /., die grundlage bildende beatim-
mung, vgl. grundgesetz; nur im 17. jh. bezeugt: der könig
{hat) im sinne gehabt . . . die grundsatzungen der reichs-
stände umzukehren Zesen gekrönte majestät (1661) 93; die
gemeine wolfahrt und gr. desz reichs E. Francisci aller -
edelste Unglück (1670) 294; nach allen politischen grund-
satzungen verfahren W. Gottlieb tadler (1677) 17; anders
im sinne 'grundlegende these': zu weiterer nachforschung
und gäntzlicher erörterung dieser noch sehr unbekandten
und unbeglaubeten grundsatzungen A. v. Francken-
BTsna oeulus sideretis {IQii) E 1^. — -satzweise, adv., wie
grundsätzlich 2 : er geht deshalb aller materiellen Span-
nung ... gr. aus dem wege O. Ludwig ges. sehr. 5, HO.
GRUNDSÄULE,/., gr. 'säule, die ein gebäude ganz oder
zum (heil trägV Mothes baulex. 2, 542, vgl. comp.-typ. 5 h;
gr. base, piedestallo Kramer teutsch-ital. 1, 574'^; seit dem
16. jh. zu belegen, hauptsächlich in bildlicher Verwendung.
1) eigentlich oder mit eoncreter Vorstellung: so ergreift er
{Simson) darauf die zwo grundseulen, reiszt sie umb sampt
dem hausz Dannhauer catechismusmileh 2, 140; die zer-
brochene grundseule des strauszischen hauses Neukirch
anfangsgrilnde (1724) 658; eine mauer von stale . . . um-
schlieszt diesen abgrund, . . . auf welchem die grund-
säulen der erden und des meeres ruhen Gottsched neueste
8, 113;
ob die erd auch befestigt stand auf ihren grundsäulen
BODMER Noah (1752) 361;
der granit, die gr. des vesten landes Herder 13, 41 8.;
will er unter grundsäulen des himmels nicht berge ver-
standen wissen allg. dtsche bibl. 4, 2, 78 ; die methode, die
ich erwählt habe, wird sie . . . völlig mit den grundsäulen
des körpers bekannt machen Göthb IV 5, 211 W.; als die
eigentlichen grundsäulen, aus denen die pflanzen . . . sich
ihren körper bauen Stöckhardt ehem. feldpred. 1, 20;
vielfältig im bilde: ach ja ! ich bin eine rechte gr. des ganzen
hauses J. E. Schlegel w. 2, 209; er ist die hochaufstre-
bende kuppel, jene sind die festen grundsäulen, auf denen
sie ruht Fr. Schlegel s. w. 8, 116; die felsenfesten grund-
säulen des hauses Habsburg Fr. L. Jahn 1, 6 E.; der
Herakles, der jetzt auf Elba sitzt . . . {hat) die grund-
säulen des reichsgebäudes eingerissen, auf dem die phi-
lister saszen Görres ges. sehr. 2, 286 ; als eine der grund-
säulen in dem bau der geseUschaftsordnung Prutz preusz.
gesch. 4, 53; mit bildcharakter auch in typischer verbaiver-
bindung wie die grundsäulen erschüttern u. ä.: und soll
es {das gesetz) auch die grundsäulen der republik erschüt-
tern Klopstook gelehrtenrepublik 327; Lessing erschüttert
. . . die gr. des französichen heroenspiels Gervinus gesch.
d. dtseh. dieht.^ 4, 338; vgl. beiden . . ., so die grundsäulen
meines reiches unzerschüttert verthetigen Schottel
friedenssieg 68 ndr.; es ist ein groszer unterscheid, an die
ecken sich reiben und an die grundsäulen stoszen Leib-
NiTZ dtsche sehr. 1, 227; diese unentbehrlichen grimd-
säulen zu rütteln Solger naehgel. sehr. 2, 56.
2) früh auf institutionen und zustände übertragen '<m-
gender bestandtheil, stütze, Voraussetzung^ {sie) danckten
897 GRUNDSCHACHEN - GRUNDSCHICHT
GRUNDSCHLAG — GRUNDSCHNUR 898
ihm, das er Franckreich zu einer grundtsaul aller dingen
gemachet hett C. Wubstisek Pauli Aemilü . . . historien
(1672) 1, 121; ein gemein concüium ... zu halten, so die
fümembste sterck und grundtseul des königreichs ist
NiQEiNüS regentenkunst (1580) 47 f^; des hl. reichs kur-
fürsten, so doch die haupt- und grundsäulen des reichs
seind {v. j. 1627) bei A. Gindely Waldstein 1, 280; auf dem
rechten gebrauch einer reinen . . . Justiz als der andern
bewährten gr. {beruht) die wohKarth eines jeden landes
Chr. Thomasius ernsth. gedancken 2, 3; die kätzereyen
(vmrden) . . . vor einen clericalischen staatstreich und gr.
der ungeistlichen souverainite . . . gehalten G. Abnold
kirchen- u. ketzerhist. (1699) 8^^; eigenthum und besitzstand
ist die gr. des gesellschaftlichen zustandes und der kräfte,
die unser geschlecht entwickeln und bilden Pestalozzi
3. sehr. 7, 210; Wohlstand und Sicherheit des Vaterlandes
sind die beiden grundsäulen Fk. L. Jahn 2, 354 E. ; die
Steinkohle (ist) . . . die gr. unseres gewerbfleiszes Rosz-
MÄSZLEB d. wald 239; (er) rühmt . . . mich ... als eine
doppelte gr. von kunst und ursprünglicher menschheit
Gleim briefw. 2, 290 Körte, blasser: ist also die Intention
ein richtschnur und grundsaul unsers thuns und lassens
Andr. Aqricola gutes aug (1629) 36; indem nun beyde
grundseul der schreibrichtigkeit nicht zu ergreifen, musz
man sich an die in cantzleyen beüebten gewonheiten halten
Harsdörfer teutsche secretarius 1, 467 ; doch sind dieses
gerade die grundsäulen der ganzen . . . prophezeihung
Lichtenberg verm. sehr. 5, 21. — -schachen, m. ^stück
wald, das im gründe (grund III A) steht': so wait das saü
herab schlegt in den grundschahen, so weit gewert des
Rayner kaufguet herab (16. jh.) österr. weisth. 6, 344. —
-Schalk, m., gesteigertes schalk {vgl. comp. typ. 6 ta): die
bepste zu der zeit vom anfang Bonifacii vni., des grund-
schalcks, der die weit zum ersten mit dem güldenjar ge-
nerret . . . hat Luther bibel 7, 385 Bindseil-N . ; 'wer ist
dann der grundschalck?' sagt Reichart Wickram w. 2,
170; der grundschalck hatte sich wieder nach Caluga ge-
flüchtet E. Francisci «mursoaZ (1665) 1, 364; vgl. erz- et
grundschalk Stieleb 1717. — -schelm, m., gesteigertes
schelm {vgl. comp.-typ. 5 ta): wo ist der schalck oder der
gr. Varus? St. Riccius Terenz (1586) 362; aber in der
Wahrheit so sind es keine Christen, sondern sind gemeinig-
lich faule stücke diebs, grundschelmen und verzweifelte
böszwichte St. Prätoriüs fiiictus (1608) 135; grundbube,
gr. 'si7id den oberdeutschen zu überlassen' Heynatz anti-
barb. 2, 79. — -schema, n., das Schema, auf das eine
entwickeltere erscheinung sich letzten endes zurückführen
läszt {vgl. comp. typ. 5 pjS): es ist ein schema, es ist ein
gr., es ist nicht das erste schema der heiligen apostoli-
schen anstalten und also kans auch nicht das letzte sein
Zinzendorf in: zs.f.brüdergesch.3,235; in dem alt-
christlichen baustyl ... ist jenes gr. von dreieck und
quadrat, kreuz und rotunde . . . nicht blosz in der inneren
structur verborgen Fr. Sohlegel s. w. 6, 208; so möchte
wohl das ganze gr. der declination in den beiden . . .
sprachen . . . gemein gewesen sein K. 0. Müller Etrusker
1, 35; das simpelste gr. bleibt offenbar, es möge ... er-
scheinen wie es wolle Herder 6, 486 S.; gr. einer ver-
gleichenden knochenlehre Göthe 35, 45 W.; — -Schema-
tismus, m.: der gr. davon liegt in der erscheinung des
natürlichen dreyklanges Schlosser bei Göthe IV 25, 307
W. — -Schicht,/., tiefste, unterste schicht {vgl. comp.-
typ. 5 c): wie ein berg . . ., dessen grundschichten tiefe
verborgene Wasseradern unterwaschen Görres ges. sehr.
4, 353; was man für ursprünglich volksthümliches hält,
. . . ist . . . nur ein hinzugekommenes und in den tiefen
grundschichten und spalten länger hängengebliebenes
G. Keller nachgd. sehr. 95 ;
daer da kent beschaiden
ja bis zur innersten gröndschicht
aller weit hseitzen baimlikaiten?
Schede psalmen 171 ndr.;
entsprechend comp.-typ. 5 h bautechnisch: gr. . . ., 'unterste
Schicht der grundmauern' Mothes baulex. 2, 542; steine
und Ziegel, welche von den grundschichten der nahe ge-
IV. 1. 6.
legenen häuser genommen wurden J. D. Heilmann pelo-
ponn. krieg (1760) 573. — -schlag, m. 1) fundamenf, aus
rU. grondslag {s. nl. wb. 5, 1014) entlehnt, vgl. grondslagh
fundamentum Kilian (1605) 163* und dctnach gr., funda-
mentum, basis, supra quod quid extruitur Henisch 1769;
nach anweisung des grundschlages der kirche wird ge-
uhrteilet, dasz sie ohngefehr 100 schritt lang imd 30 breit
gewesen 0. Dapper Ji/nco (1671) 271*; bildlich: {gott wolle)
dasselbe {volk) durch den reichtuhm seiner gnade und
gühte . . . auf den gr. der Wahrheit . . . bringen Zesen ge-
krönte majestät (1661)360; mundartlich in Ostfriesland:
erst gode grundslagen leggen un den böen ten Doorn-
KAAT-KooLMAN 1, 703*. 2) t«. neuerer bautechnischer ter-
minologie: grundschlag 'eine in natürlicher grösze gefertigte
Zeichnung' der bautheile vgl. Helfet landbaukunst 164;
'der grundschlag ist das aufreiszen des grundrisses eines
bautheils in natürlicher grösze' Schönermark-Stüber 487.
3) zu schlag III 5 a {vgl. th. 9, 328) wie comp.-typ. 5 p: das
allen {völker7i Hinterindiens) gemeinsame scheint in der
. . . annähemng an den physischen gr. der Mongholen-
gestaltung Centralaseins zu liegen Ritter erdkde 4, 1140;
der französische gr. ist viel guthmätiger Laube ges. sehr.
4, 184. — -schlagen, vb., vgl. grandachl&g l: gr., schro-
ben, grundlegen Henisch 1769. — -schlämm, m. {vgl.
comp.-typ. 5 a): das . . . reserveruder büeb im zähen gr.
stecken Sven Hedin Bagdad (1918) 77; wenn man eine
kleine portion . . . grundschlammes in einem uhrglase
ausbreitet Brehm thierl. 10, 151; anders 'bodenschlamm'
{vgl. comp.-typ. 5 e):
vieler grundschlamm von den hceresstraszen
ward zugleich nach Tiefenbach gebracht
PkItzel feldherrnränke (1815) 41.
GRUNDSCHLECHT, adj., gesteigertes schlecht 16 u.
17, s. th. 9, 536^. {vgl. comp.-typ. 1 a); in persönlichem be-
zuge: ich halte den geradezu für einen grundschlechten,
boshaften und leidenschaftlichen mann, der . . . Lavateb
ausgew. sehr. 1, 13; es ist noch ein so guter kern und
stamm in der nation, dasz von den eigentlich grund-
schlechten nichts zu befürchten ist Göthe IV 38, 266 W.;
mit rücksicht auf ihren sittenverdorbenen und grund-
schlechten eheherm Fontane ges. w. I 4, 176; du bist
heute schlecht gewesen, gr. Auerbach sehr, ll, 202; jede
nation {hat) etwas grundschlechtes in sich R. Wagner
ges. sehr. 9, 60; {Schauspieler,) die er in einem Leipziger
blatte gr. gemacht hatte A. v. Drostb-Hülshoff br. 152;
gr. handeln vgl. Staub-Tobler 9, 65; da gings ihm gr.
EiCHRODT lyr. kehraus { 1869) 2, 9 ; das ist schlecht, ... so
einem braven maim nicht zu schreiben, gr. L. A. Hoff-
mann Werther fieber (1783) 21; weniger häufig sachbezogen:
eine gnmdschlechte novelle J. Mosen s. w. 7, 222 ; {die
menschen) mit grundschlechten Schriften zu mystificiren
Grabbe w. 4, 471 Bl.; bei uns ist das ästhetische urteil
gr. Varnhagen v. Ense tageb. 1, 67. — -Schleifung,/.;
zu gr. der zu Clostergrab . . . neuerbaueten evangelischen
kirchen {v.j. 1618) acta publica 1,81. — -schlusz, m.,
folgerung, meiyiung, argument, auf denen andere beruhen
{vgl. comp.-typ. 5 o), im 17. u. 18. jh. häufiger: da müssen
ihre {der vernunß) auszgesonnene meinungen oder grund-
schlüsse wahr sein Scheuchzer physica (1711) 1, 4; aUe
bisherige grundschlüsse gedeien nur den gerechten zur
gewünschten auferstehimg E. Francisci letzte rechen-
Schaft (1681) 839;
weil Ich, dasz feuer nicht ein erster leib, bewehrt (dargethan),
hat ein vermischtes feur die grundschlüsz aufgezehrt
A. Gkyphius ged. 406 F.;
sollt ihr disputiren . . .,
{ist) noch kein schöner grundschlusz da;
der beweis wird euch bald kommen
Tkillee poet. betracht. (1750) 3, 123;
mit solchen grundschlüssen eigensinnig versteinert, blei-
ben solche Völker ewige feinde der aufklärung Fr. v. d.
Trenck s. ged. u. sehr. (1786) 4,22. — -schnür, /., auf
den grund von gewässern versenkbare angelschnur, vgl. Ja-
COBSSON 5, 752*; das meint wohl auch die glossierung
57
899 GRUNDSCHREIBER— GRUNDSGHUSZ
grundschnür bolis Diefbnbaoh nov. gl. 56 {voc. rerum,
15. Jh., obd.) vgl. feder- und grundschnur (regest einer urk.
V. ). 1500) bei Staub-Tobler 9, U02; (for eilen) werden . . .
i^t der angelfefler und grundschnüren gefangen Hoh-
BERG georg. cur. 2, 517; man sucht sie (die forellen) daher
mit grundschnüren und schwebnetzen zu erreichen
TscHUDi thierleben (1853) 163. — -schreiber, m., im
österr. 'schreiber, der das grundbuch führt bzw. andere amts-
geschäße für den grundherrn verrichtet (vgl. grundrichter
sp. 739): in beysein meiner anrainenden nachbarn, ihrer
pfleger, grundtschreiber, richter (v. j. 1494) bei Kalten-
BÄCK pan- u. bergtaidingbücher 352; darauf werden die
articl durch den gruntschreiber . . . verlesen (v. j. 1588)
österr. weisth. 9, 367; der schreiber gibt es gar viel ... als
da sind . . . gr. Abraham a s. Clara etwas f. alle l, 291;
(ich) gieng den andern tag zu dem gr. und liesz mir einen
heurathebrief machen Sonnenfels ges. sehr. (1784) 4, 311;
so hat gemeiner stadt Wien grundbuch einen . . . gr. und
einen amtschreiber Adelung 2, 826. — -schrift, /.,
Schrift, die einer Übersetzung, einer abschrift u. s. w. zu-
grunde liegt, Urschrift, original: wir wollen ordnen über
obiges, dasz . . . denen abschritten oder abgedruckten
exemplarien . . . gleich dem original und gr. selbsten voll-
kommener glaube beigeleget werde E. G. Happel Wite-
kind (um 1685) 2, 350; es ist ganz falsch, dasz alle Über-
setzungen schlechter gerathen als ihre grundschriften
Gottsched Lucian •** 3^^; insbesondere würden die Über-
setzungen von nachdrücklichen grundschriften anlasz
geben Breitinger crit. dichtkunst (1740) 2, 61; ich (hatte)
mich ohne vergleichung der gr. daran zu wagen Lessing
5, 369 L.-M.; so entstanden verschiedene neue bearbei-
tungen der hebräischen gr. D. Fb. Stratjsz ges. sehr. 3,
103; anders 'grundlegende schrifV : die abfassung buddhi-
stischer grundschriften Ratzel Völkerkunde 3, 340. —
-schuld, /., 'auf einem grundstück ruhende schuld' ohne
persönliches Schuldverhältnis wie bei der hypothek (vgl.
comp.-typ. 5 f), doch zunächst nicht davon unterschieden,
vgl. gr. . . . 'hypothecarische schuld' Campe 2, 474, der gr.
ais neugebildet kennzeichnet; ein grundstück kann in der
weise belastet werden, das an denjenigen, zu dessen
gunsten die belastung erfolgt, eine bestimmte geld-
summe aus dem grundstücke zu zahlen ist (gr.) bürgerl.
gesetzbuch § 1191 abs. 1; den hypotheken stehen im sinne
dieses gesetzes die grundschulden gleich hypoihekenbank-
gesetz v. 13. juli 1899 § 40 abs. l; — -schuldbrief, m.:
dies trifft zu bei . . . einer grundschuld für den Inhaber
des grundschuldbriefes hwb. d. staatswiss.^ 4, 1287. —
-schule, /., 1) Unterstufe der Volksschule, die in den ersten
vier Schuljahren die einheitsschule als unterbau sämtlicher
schulgattungen darstellt (vgl. comp.-typ. 5 o); als schultech-
nischer begriff im ausgang des 19. jhs. aus der einheits-
schulbewegung erwachsen; in anlehnung an grundklasse,
grundunterricht für elementarschule mit dem besonderen
sinn des gemeinschaftlichen Unterhaus für alle Schularten:
das von der allgemeinen gr. ausgestellte reifezeugnis
(sollte) ohne prüfung zum eintritt in die höheren unter-
richtsstufen genügen J. Tews d. gemeinsame elementar-
schule (1895) 194; in Österreich umfaszt die allgemeine gr.
fünf . . . Schuljahre W. Rein hdb. d. pädag. 7 (1899), 461»;
auf einer für alle gemeinsamen gr. baut sich das mittlere
und höhere Schulwesen auf Weimarer Verfassung art. 146;
sachliches s. bei Nohl-Pallat hdb. d. pädag. 4 (1928), 91^.;
vgl. auch einheitsschule. 2) wie comp.-typ. 5r: diese . . .
gedanken würden freilich erst im gefolg des zusammen-
hängenden Vortrags einer wahren haupt- und grund-
schule der ästhetik in ihrem völligen werth erscheinen
Göthe 42, 1, 176 W. schusz, m. 1) zu comp.-typ. 5 a
marinetechnisch: grundschüsse 'heiszen solche, die ein
schiff unterhalb des Wasserspiegels treffen" Bobrik 615»; sie
(die Engländer) haben sehr viel grundschüsse bekommen
lebensnachrichten über B. 0. Niebuhr (1838) 1, 300. 2) im
sinne der comp.-typ. 5i webereitechnisch: die grundfäden
mit dem . . . gr. bilden die rechte gewebseite Karmarsch-
Heeren^ 10, 484; man kann grund- und figurschusz
gleichsam als übereinander liegend ansehen 491.
GRUNDSCHWELLE — GRUNDSPRACHE i 900
GRUNDSCHWELLE, /.
1) zu grund I A 1 (vgl. grundbalken 1 und comp.-typ. 5a)
wasserbautechnisch in verschiedenen bedeutungen; 'fach-
baum\ während der fachbaum (gr.) ... an der wasser-
sohle angebracht ist hwb. d. staatswiss.^ 5, 889; gr., (stau-
schwelle) 'ein niedriges Stauwehr' Lueoer* 3, 722; die
herabgelassenen schütze ruhen auf einer gr. Karmarsch-
Heeben 10, 260, vgl. gr. Jacobsson 2, 165^; 'dasjenige
stück holz, worinn die pfanne eingelassen wird, in welcher
sich der zapfen einer schleusenthür herumdrehet'; grund-
schwellen sind buhnenartige bauwerke Kabmarsch-
Heeren 10, 264; vgl. Schweiz, grundschwelli Staub-Tob-
ler 9, 1833.
2) alt in composition mit grimd IV A 1 (vgl. comp.-typ.
5 h) ?;^Z. grundsohle; gr., 'die auf der plinthe liegende
schwelle bei einem fachwerksgebäude' Helfet wb. d. land-
baukunst 165; gr. des hauses Schottel 473; der mag sein
haus wol abbrechen und hinwegfieren und die vier grund-
schwellen lassen ligen (15. jh.) weisth. 4, 512; auch vor-
sehimg beschehen, dasz die haupt- und grundschwellen
in den gehauen zum wenigsten drei schuh hoch ver-
matiret Speidel notabilia (1634) 106; vornehmlich ist bey
jeglichem höltzernen gebäude wohl acht zu haben . . .,
dasz die grundschwellen . . . trocken liegen Zincke öcon.
lex. (1744) 1000; die unmittelbar auf dem fundamente an-
gebrachten hölzernen unterzüge heiszen sohlen, manch-
mal auch grimdschwellen Fr. L. Jahn 1, 61 E. ; im brücken-
bau: auf diesem jochholm, der hier den namen gr. erhält,
stehen die jochständer Karmarsch-Heeren 2, 101; im
bergbau: gr., 'ein . . . quer auf die sohle einer strecke gelegtes
holz, auf welches andere zimmerungshölzer gestellt werden'
Gätzschmann sammig. bergm. ausdr. 48; eisenbahntech-
nisch gr., frz. bille, engl, ground plate Beil 265. seife,
/. (vgl. comp.-typ. 5 k): unter palmkernseite (versteht man)
die aus einem gebleichten palmkernöl bereitete gr. Mus-
pratt 6, 2095. -- -seife, m. (vgl. comp.-typ. 5 g) zu seife,
m., 'berggerinne' (s. th. 10, 1, 190): nicht weit davon . . .
liegt der quirichte grundseifen, das ist ein goldreich
Wasser Pbätorius wündschdruthen (1667) 223. — -seil,
/., 'grundbalken' , nur Schweiz, belegt für das 16. u. 17. jh.,
vgl. Staub-Tobler 7, 713; hierzu verbale ableitung das dhd.
gruntsellön: Christenheit ist uffin steine kegruntsellot
sancta ecclesia supra petram fundata Notkeb ps. 77, 69,
woraus ein ahd. *gruntsella zu erschlieszen ist. —
grundsig s. grunzig. — -silbe, f., 'Wurzelsilbe': selbe
(Wörter) . . . können gleichfals nach ihren grundsylben mit
verstand recht geschrieben werden Harsdörfer /rawcnz.
gesprächspiele 2, 23; in einem jeden einfachen worte ist
nur eine grundsylbe A. G. Mäzke gramm. abhandl. (1776)
9, vgl. dazu Jellinek gesch. d. nhd. gramm. 2, 144/.; alle
die begriffe von einem lärmgotte . . . (liegen) schon in
dem griechischen wurzelwort ßnC(o und in dessen gr. ßd
Fb. Creuzer Symbolik 3, 139; vgl. gr. Campe 2, 474; an-
ders, wie 'urlaut': ja wenn er ans meer tritt, wenn
Schiffer des ausländes ankommen, tönen ihm die grund-
sylben seiner mundart entgegen Göthe 40, 278 W. —
-Spiegel, m.: sie haben einen speculum archetypum,
einen gr., in welchen sie einem zeigen können ein jedes
wort in einer jeglichen spräche Chr. Gilbertus wächter-
hörnlein (1620)39; anders 'erdspiegeV (vgl. th. 8, 228Q):
wenn ich durch einen grundspiegel in die erde sehe . . .,
ist da etwas übernatürliches? allg. dtsche bibl. 76, 594.
GRUNDSPRACHE,/., im 17. jh. geläufig werdend, mit
dem 19. jh. gegenüber ursprache zurücktretend; die spräche,
die die grundlage bildet (vgl. comp.-typ. 5 o) : gr. lingua
fundamentalis et primigenia Stieler 2102; grundsprach,
haubtsprach, ursprach lingua originale, radicale Kramer
teutsch-ital. 2, 879 c,
1) im gegensatz zur spräche einer Übersetzung die 'ur-
sprache, origirudsprache' eines literarischen werkes: so
musz man doch hinwiderumb geständig seyn, dasz selbe
vielleicht in teutsch noch nicht übersetzt und auch in
ihrer grundsprach . . . nicht lang im ruf und wirden ver-
bUeben Harsdörfeb /mMenz.-g'espräcÄsp. i, 174; ob nun
901
GRUNDSPRACHE 2. 8
GRUNDSPRUCH- GRUNDSTÄNDIG 902
wol dem dolmetschen obliget, bey der gr. meinung genau
zu verbleiben foet. trichter B, 37 ; insonderheit in den grie-
chischen imd lateinischen menschennahmen, das man sie
nicht immerdar in der nennendung stehen lasse, sondern
nach ihrer gr. in ihre verwandelunge setze Gueintz recht-
schreib. (1666) 12; in der gr. stehet karubiaan und be-
deutet solche engel, die halb aus schnee und halb aus
feuer geschaffen seyn persian. baumgarten in Oleabius
reisebeschr., vorr. )( 2^; dieses alte vortreffliche gedieht
{ist) theils in seiner plattdeutschen oder sächsischen gr.
sehr oft gedrucket Gottsched neueste 2, 395; wenn man
über dieses dictum einen der gr. mächtigen gelehrten
fraget H. F. v. Göchhausen notabilia venat. 69; diese
rede des berühmten Werenfels ist in ihrer gr. ein lesens-
würdiges stück Lessing 4, 175 L.-M.; ich habe jüngst
. . . das portugiesische heldengedicht in der gr. bekommen
Hamann sehr. 3, 383 Roth; formelhaft etwas in der gr.
lesen: da sie dieses schöne stück in seiner gr. lesen
Gottschedin br. l, 231 R.; (sie) konnte den Plato in der
gr. lesen Nicolai literaturbr. 4, 247; ich weisz, dasz es
ew. excellenz weit lieber in der gr. lesen J. J. Engel sehr.
9, 9; eine fürstin, die selbst den Homer in der gr. liest
K. Weinhold Boie 174; als grundsprachen in specifischem
sinne galten die biblischen Ursprachen, das hebräische und
griechische, vgl. grundsprach lingua, in qua s. scriptura ve-
teris et novi testamenti scripta Fkisch teutsch-lat. 2, 305 c
und Ludwig teutsch-engl. 819; in unsers seligen kirchen-
vaters Lutheri deutschen Übersetzung der bibel . . . aus
den grundsprachen, darin sie ursprünglich verfasset D. v.
Stade erläuter- u. erklärung (17ll) vorr. l; {eine Jungfer,)
die" sich mit den heiligen scribenten in ihren grund-
sprachen besprechen kan Gottsched vernünft. tadl. l, 40 ;
wer den namen eines gründlichen gottesgelehrten mit
recht behaupten will, der musz nebst einer hinlänglichen
erkenntnisz der grundsprachen ... Schwabe belust. 1, 73;
(er ist) nichts mehr als ein unwissender miethling, der die
grundsprachen nicht versteht Thümmel reise in d. mitt.
prov. 4, 27; der prediger musz die grundsprachen ver-
stehen ScHLEiERMACHEE s. w. I 5, 141 ; berüchtigt wegen
seiner unkenntnisz der grundsprachen ist der . . . be-
rühmte systematiker . . . Maresius A. Tholtjck vorgesch.
d. rationalismus l, 107 ; enger gefaszt im gegensatz zu Über-
setzung 'das werk in seiner Ursprache, urtext, original' :
zu den Übersetzungen habe ich die gr., woraus eine jede
verteutscht worden . , . mit eindrucken lassen Besser
sehr. 1, vm; wenn wir unsern poeten selbst in der gr.
einsehen Bodmer v. d. umnderbaren (1740) 106.
2) spräche, aus der eine reihe anderer hervorgeht, stamm-
sprache, muttersprache gegenüber den tochtersprachen, Ur-
sprache: ausz lateinischer in hispanische ... , das ist ausz
der . . . grundsprach in die darausz geleiteten . . . über-
setzt und gedolmetscht worden v. d. Sohle don Kichote
(1648) 8; einer solchen spräche, die von den hauptstam-
und grundsprachen der weit die einigste ist Zesen helikon.
rosenthal (1669) 39; es ist disz wort so gemein fast in allen
sprachen . . ., dasz ich davor halte es sey eines von den
Stammwörtern der ersten gr. Morhof Unterricht (1682) 1,
98; die deutsche spräche ist eine der allerältesten und
vollkommensten grundsprachen Besser sehr. 1, 115; klar,
dasz alle Sabeller eine gr. hatten Niebuhr röm. gesch. 1,
62; eigenthümliche worte . . . finden sich in jedem zweige
einer gr. K. O. Müller d. Etrusker 1, 15; alle diese {indo-
europäischen) sprachen {haben sich) . . . aus einer gemein-
schafthchen gr. ... entwickelt K. E. v. Baer red. u.
versch. aufs. 3, 151 ; ironisch für 'mundarV : eine neue mode-
postzeitung in westphälischer gr. Lindenborn Diogenes 2,
register 4; anders 'die spräche aus der etwas entlehnt ist':
viele Wörter, die aus dem griechischen herstammen, sind
eine geraume zeit mit einem c geschrieben worden, ob sie
gleich in der gr. ein k haben Gottsched dtsche sprach-
kunst 51.
3) schwächer wie comp.-typ. 5 r im sinne 'hauptsäch-
lichste, wichtigste spräche' : die ungarische spräche ist eine
mischung aus fast allen grundsprachen der alten weit
MoLTKE ges. sehr. 1,114; die lateinische spräche stände
endlich als die vermittelnde und entscheidende diplo-
matische gr. neben beiden E. M. Arndt sehr. f. u. an s. l.
Deutschen 1, 400.
GRÜNDSPRUCH, m., gr. axioma alias haupt- und
lehrspruch canon, regula, pronunciatum Stieleb 2104;
haubtspruch, gr. massima, assioma, sentenza, massima
fondamenfale ö generale Kramer teutsch-ital. 2, 881*, vgl.
comp.-typ. 5 o; 'fundamentaler spruch, lehrsatz, grundsatz':
hiemit . . . ligt das bapstum yn der aschen, dieweyl der
eynige gr. yhm widerstrebt, und ist das bapstumbs ge-
peu a\if dissen spruch gegrimdt Luther 7, 686 W.; darauf
lautet der mechtige gr. Pauli Rom. 14 ( = potentissimum
illud Pauli dictum) 10, 1, 1, 686; dann wenn sie zwen oder
drei gewisser heller deutlicher grundsprüche hetten,
darauf das gewissen fuszen köndte Nigrinus alte neue
Zeitungen (1587) k 3*; welches man ausz Zwinglii grundt-
spruch, so ihm zu Marpurg entfuhr, mercket anticalvinis-
mus (1595) 2; nun ist aber der aUergewisseste haupt- und
grundspruch der gesundspruch der gesunden Vernunft:
impossibile est, idem simul esse et non esse Bucholtz
Herkuliskus (1665) 552; darbei aber nicht beobachtet, was
in den oben gelegten grundsprüchen festgestellt worden
J. ELraus d. luthr. theol. irrgeister (1715) 10; dann abge-
kommen und bei Campe 2, 474'' in anderem sinne erneuert:
gr., . . . 'besonders ein spruch der bibel, welcher bei einer
predigt zu gründe liegt, der text'. — -stamm, w., 'der
erste, ursprüngliche stamm' {vgl. comp.-typ 5 -p); so eines
Wortes 'umrzel' : grundstam radix Bellin hochdtsche recht-
schreib, b 9^ ; wan ich die erste und eigendliche bedeu-
tung ihrer buchstaben, ja ihre erste und eigendhchste
grundstämme, daraus alle Wörter der gantzen spräche
flüszen, zu wissen begehrete Zesen rosenmdnd (1651) a 5*»;
des baumes: eine . . . drieseltanne, das heiszt eine, die sich
aus einem gr. auf manneshöhe in drei stamme zweigt
Rosegger unldlinge 289; nerven: das von diesem {nerven-
knoten) ausgehende . . . bündel {schien) in diesen gr. des
Zwerchfellknotens überzugehen Sömmerring menschl.
kör per 4, 681 anm. 2; eines Volkes, heeres u. ä.: in diesem
Volk . . . scheint der . . . gr. der Latiner zu liegen Nie-
buhr röm. gesch. 1,120; der gr. eines stehenden heerea
Schlosser weltgesch. {I8iiff.) 10, 282; zwei getrennte fa-
milien, die jedoch den gemeinschaftlichen gr. keinen
augenblick verläugnen können Hebbel w. 12, 175 W.;
einige himdert deutsche arbeiter . . . schlieszen sich jenem
französischen gr. {communistischer arbeiter) an Gutzkow
ges. w. 7, 402; der gr. der hellenischen poesie, das epos
{hatte) ... zu sehr . . . sich verbreitet dtsches museum 2, 195
Schlegel; und der gr. dieser liebe, was ist er? Tieck sehr.
24, 210; mehr wie comp.-typ. 5o: der gr. über den gan-
zen boden des landes hin blieb die romanisierte bevölke-
rung Ranke s. w. 8, 13; wie comp.-typ. 5r: die mensch-
heit zerfällt in zwei grundstämme: die eigenthümer und
die nichteigenthümer Fichte s. w. 4, 404. — -stand, m.,
wie comp.-typ. 5 o: solte es im fundamental- und grund-
standt des menschlichen lebens, der ehe und hauszhaltung
mangeln Dannhauer catechismusmilch S, 56; die produ-
centen, die sich hier als einen einzigen gr. betrachtet
haben, theilen sich wieder in mehrere unterstände Fichte
s. w. 3, 406. — -ständig, adj.; grundstendig bei Schot-
TEL 473 und vereinzelt im 17. jh. im sinne 'ursprünglich' :
wenn man die erste und grundständigste Ursachen der
regimenten ansihet, so ist solche die himmelschreiende
Sünde desz landes Habsdöbfer geschichtspiegel (1654) 556;
der deutsche palmbaum hat . . . die angebohrne helden-
zunge mit ihren liblöbUchen fruchten in grundständiger
richtigkeit angeleget Butschky hd. kanzelley (1659) 173;
wie 'bodenständig' : eine gesellschaft, die nicht gr. ist und
sein will, nicht sammelt und nicht baut Rosegger sehr.
III 7, 73; als botanischer terminus {vgl. comp.-typ. 5 1) 'an
der basis stehend'; 'gr. nennt man . . . an mit stark ver-
kürzten stengelgliedern versehenem sprosz befindliche . . ,
und meist dem erdboden anliegende blätter' 0. Gebke botan.
wb. (1919) 81'''; ein zierliches, binsenartiges pflänzchen, . . .
die blätter alle gr. Schlechtendal ^oro u. Dtschld 2, 125;
die zierUchen rispen mit ihren grundständigen grannen
57»
903
GRUNDSTEIN i
GRUNDSTEIN i
904
Ratzebübg Standortgewächse 53; gr. auch von einer am
boden des frv/>htknoten befindlichen samenleiste Gerke
a. a. o.; Samenknospe fast gr. Sohleohtendal flora v.
Dtschld 10, 166.
GRUNDSTEIN, m.
1) nicht vor dem 14. jh. zu belegen; vgl. entsprechend ge-
bildetes ags. grundstänas cementum Weiqht-Wülcker
voc. \, 191; gruntstain primarius {globulus) Diefenbach
nx)V. gl. 303* {voc. o. d. j. 1429); der grundsteyn des baws
Primarius lapis Albebus LI S^-; gr. lapis fundamentalis
Stieleb 2139.
a) im eigentlichen sinne: ^ einer der steine, die den gnind
des gebäudes bilden, besonders der zuerst gelegte, meist ein
eckstein" Mothes baulex. 2, 503*, vgl. der irst grontsteyn
un eym gebucz (l. gebuw.?) primarius (globulus) Diefen-
bach 459*; {ich) wil nicht nemen von dir noch gruntsteine
noch ecsteyne, spricht der herr Claus Cbano proph. 157
Zies. {non tollent de te lapidem in unguium et lapidem
in fundamenta Jerem. 51, 26); das man weder eckstein
noch gr. aus dir nemen könne Jerem. 51, 26; vielfach mit
älterem eckestein (Beneckb-Mülleb-Zabnokb 2, 2, 614)
bedeutungsgleich verwendet, vgl. im bilde: sint er {Hierony-
mus) ein gnintstein der heiligen kirchen gewesen ist,
dorein si gevestet und gepawet ist Jon, v. Nettmabkt
Hieronymus 246 Kl. { = sancte matris ecclesie lapidis an-
gularis, in quo admodum firmata consistit) ; eyn kostlichen
ecksteyn odder grundsteyn Lutheb 12, 305 W,; dieser
felsz und stein, den die bauleut . . . verworfen und gott
zum eck-, schlosz- oder gr. gemacht MathesiüS Sarepta
(1571) 91* (s. oticÄ formelhaft verbunden grund- imd eck-
stein urUen e);
unser haus hat ein bösen gibel,
uns Ist gewichen der grundtstein,
furcht nur, es fall ein mal gar ein
Hans Sachs 14, 319 K.- 0.;
die Beulen, stützen, pfeilor und gr., darauf das reich stehet
Seb. Fbanck Qerm. chron. (1538) 104; ehe man bawet,
sihet man erst nach einem guten gr. Petri d. Teutschen
weiszheit s 3*;
den thurm durchfährt ein zittern
vom grundstein bis zum l^nauf
Uhland gedichte 1, 231 Sch.-E.;
und die starlcen mauern wanlien und der grundstein tief
sich senlct Gaudy «. w. 3, 10;
specifi^ch der bei der feier der grundsteinlegung aufgestellte
stein, in dessen höhlung documente vermauert werden: denk-
schriften, welche in die grundst«ine groszer öffentlicher
gebäude . . . eingelegt werden Kindeelinq reinigkeit 371 ;
deszwegen machen wir diesen gr. zugleich zum denkstein.
hier in diese unterschiedlichen gehauenen Vertiefungen
soll verschiedenes eingesenkt werden zum zeugnisz für
eine entfernte nach weit Göthe 20, 99 W.; der in dem
grundsteine zu verschlieszenden kapsei übergaben wir . . .
einen . . . vers R. Wagneb ges. sehr. 9, 325; sein gedieht
imd seine auf dem gr. gehaltene rede waren vortreflich
Schubabt br. l, 62 Strausz.
b) formelhaft in religiöser spräche für Christus {gott) und
die apostel: Christus unser einiges heubt und gr. Luther
24, 510 W.; denn so fest und steif der felsz, gr., Christus
selber ist Jon. Mathesius Sarepta 52*;
o mach dein volclc beilig und rein,
sei sein haupt und grundstein
gesangbuch d. brüder in, Behemen (1560) 100;
. . . o selig, wer baldt schaut
drob Abraham sich freut, undt auf den grundstein baut
A. Gkyphius sonn- u. feiertagssonette 29 ndr.;
ehr {Judas) war ein grundtstein der gantzen christenheitt
wie Petrus Lutheb 33, 305 W.; da . . . die zwölf apostel
als grundsteine der mauern angesehen werden Jung-
StILLING W. 3, 224.
c) vielfältig bildmäszig oder halb entsinnlicht für das, was
die stütze, grundlage eines dinges oder zustandes darstellt:
er {der text Joh. 6, 47) ist der gr. unser rechtfertigung
Lutheb 33, I6l W.; das fundament und der gr. dieses
bundes ist der gesegnete saamen Dannhaueb catechis-
musmilch 1, 91 ; nachdem mahl aber das vornemste funda-
ment des kriegsstats . . . auf dem ertzstift und der Stadt
Colin . . . beruhen that . . ., suchte der h. reichscantzler
gelegenheit, dem gegentheil solchen ansehnlichen gr. zu
entziehen v. Chemnitz schwed. krieg 2, 190; sie hätte . . .
keinen andern gr. ihrer wohlfarth als die Vergessenheit
Lohenstein Arminius 2, 55*;
so rüttelt letzt mein kiel den grundstein aller sätzc,
den ich gewisz auch nicht vor unumstöszlich schätze
JOH. Chk. Günther ged. (1735) 673;
diesen gr. befestiget der Verfasser mit schönen gleich-
nussen Gottsched beytr. z. crit. hist. 4, 277; das poetisch
wahre, welches der gr. alles ergetzens ist Breitinger
crit. dichtkunst 1, 67 ; tugend {ist) allein der echte gr. einer
daurenden Verfassung Hebdeb 23, 45 S.; grundsteine der
moral und religion Kant 3, 324 akad.; ein ganzes volk
{ist) ohne den gr. des Wohlstandes niemals zu der selbst-
befreiung einer höheren cultur aufgestiegen W. H. RiehIj
dtsche arbeit 241.
d) unter betonung des beginnens, anfangens, eintretens
'das erste factum, auf das andere folgen oder von dem eine
entwicklung ausgeht', oft durch adj. wie erste verdeutlicht:
seit dem ersten gr. des krieges und brudermords, so Cain
an seinem bruder Abel begangen Kirchhof wendunmuth
2, 300 Ö.; das war der erste gr. des Verderbens Beckeb
weltgesch. 9, 483 ; eine vollständig neue verf assting, als deren
erster gr. die schon früher durchgesetzte neuerung er-
scheint MoMMSEN röm.gesch. 2, 104; absolvi:
. . . allein die schlimmsten wercke
der weiber geben noch ein werckzeug ihnen ab,
. . . ihrer männer grab
zum grundstein ihres glucks ... zu machen
Lohenstein Sophonisbe (1680) 61;
es ist . . . vielleicht der gr. zu seinem künftigen glücke
Chph. v. Schmid ges. sehr. 8, 114; wenigstens halt ich
dafür, dasz die alten Jungfern die grundsteine zu hospi-
tälern gewesen sind Hippel ehe 85; mit euch bekommt
unsere familie gr., stamm und wurzel bis auf gott hin
und vater Adam Herder 7, 5 8.; hier läge denn der gr.
meines tagebuchs Göthe III l, 9 W.; als den anfang und
gr. eines ehrenvollen lebens Raupach dram. w. ernst,
gatt. 5, 176; der erste keim oder der gr. einer verworrenen
geschiohte G. Keller ges. w. 4, 89.
e) als Zwillingsformel grund- und eckstein: die Stein-
metzen . . ., welche den grund- und eckstein vollkommen
bearbeiten Göthe 25, 221 W.; fürsichtige regimentsrähte
seyn die seulen, die grund- und ecksteine, worauf die
paläste der könige am unbeweglichsten ruhen Butschky
Pathmos 800; allhie lieget der grund- und eckstein Jac.
Böhme sehr. 2, 113; dies {experiment) ist nun der grund-
und eckstein des newtonischen optischen werks Göthe
II 2, 26 W.; die 'deutsche grammatik', der grund- und
eckstein von Jacob Grimms deutschen Studien Scheeeb
kl. sehr. 1,10; zusammengerückt: usz dem folgt diszer
grundteckstein, das kein gröszer . . . werck ist Judas
Nazabei V. alten u. neuen gott 9 Kück; den bisherigen
eck- und grundstein seiner bürgerlichen existenz Hebbel
w. 12, 42 W.
f ) in festen verbalen Verbindungen.
a) am weitesten ausgebreitet den (einen) gr. legen, wozu
wieder häufig verdeutlichendes erst beitritt; eigentlich: anno
domini ist das kornhaus . . . angefangen zu bauen imd
der erste gr. gelegt chron. d. stadt Eger 54 Oradl; der erste
gr. zu der stadtmauren ward geleget Schütz hist. rer.
pruss. (1592) 80*; wer ein haus will bauen, musz den
ersten gr. auf seinen beutel legen P. Winckler 2000 gute
gedancken (1685) b 1*; die bauleut legen den grundtsteyn
dahyn, da er gewisz und fest stehet, das er den gantzen
bau tragen kan Luther 12, 305 W.; er hat . . . sogleich
in Eisenach den gr. zu einer neuen bürgerschule gelegt
Göthe IV 37, 264 PF./ in substantivischer wendung: zu
legung des grundsteines {hätte man) den hohen geburts-
tag sr. königl. majestät . . . angesetzet Gottsched neueste
905 GRUNDSTEIN 2. s — GRUNDSTEINLEGUNG
GRUNDSTELLE - GRÜNDSTIMME 1 906
9, 727; Charlottens geburtstag durch legung des grund-
steins zu feiern Göthe 20, 89 W.; vgl. die feyer des grund-
steinlegens III 8, 261 und grundsteinlegung unten; bild-
lich im sinne 'die grundlage herstellen^ {vgl. c) :
der himmel musz durch seinen segen,
damit das tiaus besteht, den grundstein darzu legen
Stoppe Parnass 274;
Tneist aber steht die Vorstellung 'den anfang machen, fce-
ginnen', auch 'vorbereiten^ im Vordergründe {vgl. d) : ein
guter edelmann, welcher den ersten gr. seines adels legt
Ebiedbich Wilhelm sprichw.-reg. {i&77) n2b; zuspre-
chung ohne leutseligkeit legt den ersten gr. zur feind-
schaft BüTSCHKY Pathmos 682 ; auf das wirken dieser
männer folgte dann . . . die Wirksamkeit des Bonifaz
und Odilo, gewisz mit ganz anderem erfolge als in Thü-
ringen, wo jener den ersten gr, zu legen hatte Gervinus
gesch. d. dtsch. dicht.^ 1, 75; dissem hochnützlichen wercke
nun einen anfang zu machen und den gr. darzu gleich-
samb zu legen, resolvirte der könig . . . v. Chemnitz
schwed. krieg 1, 435; so seyn hier zween steife gr. zu dieser
. . . reformation zu legen Guärinonius greuel d. veru)ilst.
(1610)843; entschlossen, noch diesen tag den gr. ihrer
wohlfarth und meiner vergnügimg ... zu legen H. A.
V. Zieqleb asiat. Banise (1689) 491; gelegenheit, den gr.
zu der vierten monarchie zu legen v. Fleming soldat,
vorher, ö;
. . . dasz du mit reichem segen
des himmels, der dich liebt, den grundstein müssest legen
der neuen Sicherheit . . . Opitz opera (1690) 1, 22;
in der Übergangszeit des 17. Jahrhunderts wurden ... in
Holland . . . die grundsteine moderner . . . denkweisen
gelegt D. Te. Stbatjsz ges. w. 11, 3; es gilt den gr. zu
einer neuen Ordnung der dinge zu legen Immeemann w.
h.&B.
ß) weniger häufig einen gr. setzen, zum gr. setzen:
(ah) man zu morgens da wolt allein
anfangen zu setzn die gnindtstein
Hans Sachs 15, 469 K.- O.;
so kömmt sie (die liebe) in ein fremdes land
und setzt den grundstein auf den sand
Che. Weise grün, jugend überfl. ged. 96 ndr.;
meine absieht war, einen gr. zu künftigem gemeinschaft-
lichen bau manches wissenschaftlichen denckmals zu
setzen Göthe IV 9, 71 W.; der herr {hat) ... zu erstem
grundstain aufgesetzt Petrum Beeth. v. Chiemseb
teutsche theol. 629 R.; darumb will ich solchs mit einer
. . . lugen anfahen und die zum grundtstein setzen Jon.
Nas antipap. eins u. hundert 3, Sl^ ; Salomo setzet zum
gr. der weiszheit die erkantnisz solcher eitelkeiten Haes-
DÖEFEE frauenzimmergesprächsp. 3, 245.
2) basisstein; unterster theil der säule, sockd: gr. 'vnrd
von dem Goldmann das unterste und graste glied in dem
fuszgesimse genennet . . ., die werckleute hingegen nennen
es platte' Che. Wolf math. lex. 626; gr. sode Beil 265; die
Säulen sind von ihrem grundsteine an mit ihrem ganzen
gebälke 58 fusz hoch Nicolai reise d. Dtschld. 12, 93; gr.
'der untere mühlstein' Ltteger 4, 799; gr. {in der mühle)
gite Beil 265.
3) als name vongestein, bergmännisch {wie comp. -typ. 5 o ?,
so Adelung vers. 2, 832) : gr. ist ein grobes sandgestein,
mit . . . quartzen . . . vermenget Schönberg berginform.
(1693) 2, 46; sein {des 'ziengebürges') vor- und nachgebürge
ist ein sandiger gr. im rechten mittel H. K. Ejechmaiee
instit. mefall. (1687) 43; vgl. Kbünttz 20, 287; anders: gr,,
eine kalkartige felsgelDirgsart Mothes baulex. 2, 542; gr.,
in Ostgothland eine art von kalkstein, der die vorwaltende
gebirgsart daselbst ausmachen soll Voigt mineralog. . . .
abhandl. {1789) 2, 277; als 'urgestein' aufgefaszt: gr. röche
originaire Beil 265; weiter: gr., eine sorte bemstein
Bechhold hwb.d.nat.u.med.^ 609^; steinlegung,
/., als compositum ziemlich jung, vgl. legung des grund-
steins oben, erst im 19. jh. auftretend; der vielfach unter
feierlichen Zeremonien vollzogene act des beginns der bau-
arbeiten, bei dem der grundstein in die richtige läge gebracht
wird und vom bauherrn, baumeister u. s. w. drei symbolische
hammerschläge erhält, vgl. Göthe 20, 96^. W.: da die
warmen tage heranrückten . . ., wurde das fest der gr.
des hauses gefeiert Stifteb s. w. 2, 282 8.; zur feier der
gr. wurde eine kleine rede gehalten Moltke ges. sehr. 6,
76; die feierliche gr. der neuen Griechenstadt Mommsen
röm. gesch. 5, 348; der donner des geschützes {verbündete)
die gr. zum denkmal Friedrichs des groszen Gutzkow
ges. w. 9, 180; im bilde: Beethoven {war) . . . schon zu
hoch im ausbau der kuppeln so vieler anderer dorne be-
griffen als das er zur gr. eines neuen fugengebäudes zeit
gefunden R. Schumann ges. sehr. 2, 101 ; die mitarbeit . . ,
an der gr. zur . . . einigung des gesammtdeutschen Vater-
landes v. Bennigsen nationalliberale partei 20.
GRUNDSTELLE, /., in verschiedenster Verwendung ;
wie comp.-typ. S o: gr., in der gottesgelahrtheit eine
schriftstelle, welche den beweis von einem lehrsatz ent-
hält Scheader dtsch.-frz. 1, 581; etuxis anders: so köst-
liche grundstellen diese Schriften auch enthalten Göthe
46, 35 W.; terminologisch bei Schottel: dann weil offen-
barlich in diesen wörteren {nämlich sündentilger. höllen-
stürmer) der grund ist tilger, Stürmer . . ., darumb musz
es auch nohtwendiglich die gr., das ist den letzten theil
desz Wortes, einnehmen t. 8prachkunst{l&i\) 126; zu comp.-
typ. 5 i : flachmuster . . ., die dann gleich den hoch liegen-
den masem blank polirt werden, während die grund-
stellen duff bleiben Schönermabk-Stübee 915 ; wie comp.-
typ. 5 f 'grundstück' : auszer der rente von der gr. Garvb
A. Smith nationalreichth. (1794) 4, 274.
GRUNDSTEUER, /., seit der 2. hälfle des 18. jhs. als
juristischer begriff auftretend, fehlt noch Adelung, vgl.
Campe 2, 475 ; ältere bezeichnung ist contribution u. a., vgl.
hwb. d. staatsiviss.^ 4 (1927), 1242/., woselbst geschichtliches
über die gr. ; gr. ist im weiteren sinne jede real- (ertrag-,
Objekt-) Steuer, deren besteuerungsgrundlage der grund-
besitz bildet, im engeren sinne eine solche, die zum gegen-
ständ nur den imbebauten grundbesitz (die Hegen-
Schäften) hat, im gegensatz zur gebäudesteuer v. Bitter
hwb. d. preusz. verwaltg. 1, 748; er genieszt 10 bis 20 frey-
jahre, während welcher er keine gr. zahlt Nicolai reise
d. Dtschld {1783 f.) 3, 153; er {Colbert) zeigte bey der
provinz Montauban die möglichkeit einer bessern und
beständigen einrichtung der grundsteuren A. v. Haller
ta^eb. (1787) 2, 7; unter den direkten steuren . . . scheinen
mir die grundsteuren . . . die zweckmäszigsten K. L.
v. Haller rest. d. staatswiss. 2, 336 ; eine hohe gr. in ge-
treide oder in geld Mommsen röm. gesch. 5, 574 ; die Über-
weisung eines theils der grund- und gebäudesteuer Ben-
nigsen nationallib. partei 132; die durch auf legung der
grund- und häusersteuer einmal begangne Ungerechtig-
keit Bismarck ged.u.erinn.2,2ZQ; in zahlreichen tri-
compositis, z. b. grundsteuerbuch hwb. d. staatswiss.^
4, 1269; -Steuererhebung Luegee 6, 65; -Steuer-
freiheit Mommsen röm. gesch. 2, 381; -steuerpflich-
tig hwb. d. staatswiss. 2,355; die possessores sind die
grundeigenthümer oder grundsteuerpflichtigen Savigny
gesch. d. röm. rechts 4, 468.
GRUNDSTIFTEN, vb., 'stiften, gründen', aus grund-
stifter vereinzelt gebildet: so hat sie gleichergestalt ge-
grundstiftet in dieser stadt denselben loblichen frawen-
orden D. Federman Niderlands beschr. (1580) 150; —
-Stifter, m., 'erster Stifter, gründer' : Cäsar {sei) dieser
statt gr. gewesen D. Federman Niderlands beschr. (1580)
253; {er sei) ein vater und gr. des geschlächtes . . . gewesen
0. Dapper America (1673) 337; — -Stiftung, /., vgl.
comp.-typ. 5 o: auszer einzelnen stücken kaufte er die
berühmte Sammlung des herzogs von Mantua, nachdem
er vorher eine gr. gelegt hatte von dem, was er von
seinem bruder erbte Göthe w. 49, 276 W.
GRUNDSTIMME, /. {vgl. comp.-typ. 5 d).
1) 'bassstimme, unterstimme' : grund- oder unterstimme
(bassus) allein zu singen Harsdöbtee frauenzimmerge-
sprächsp. 2, 245 ; sofern aber die bloszen melodeyen sollen
von liebhabem gehöret werden, musz ein gut fundament
907 GRUNDSTIMME 2-4 — GRUNDSTOCK
GRUNDSTOCKVERMÖGEN-GRUNDSTOFF i. 2 908
bey der gr. seyn Neümark poet. u. mus. lustw. (1652) vorr.
12^; weil man sie (die noten) in einem zur gr. gesetzten
generalbasse selten zu finden pfleget Heinichen general-
bass (1728) 331; der generalbass . . . musz unfehlbar eine
bass-, unter- oder grundstimme sejoi Mattheson kl. ge-
neralbassschule {17 S5) 41; wie kann eine musik gut klingen,
wo die hauptstimmen von den grundstimmen . , . über-
täubet und unterdrücket werden Quantz anw. d. flöte zu
spielen (1789) 186; er bemühet sich, den unterschied zu
zeigen, den er unter dem wesentlichen generalbasse und
einer technischen und methodischen gr. giebt Gottsched
netteste 3, 464,
2) gr. ''hasse fondamentale, in JRameaus System die folge
der ideellen grundtöne der harmonien^ H. Riemann mu^ik-
lex.^ 414^' (s. grundbass sp. 754).
3) gr., Hn der orgel eine stimme, welche auf die taste c
au^h den ton c oder eine seiner oktaven gibV ebda; hinsicht-
lich der tonhöhe, welche die pfeifen eines registers geben,
unterscheidet man grundstimmen (hauptstimmen) und
hilfsStimmen ebda 801*.
4) grundstimmen oder radicalstimmen eines accords
werden diejenigen genennet, welche unter sich selbst
keine 8ve (octave) noch unisonum ausmachen Heinichen
generalbass {1728) 558 anm. — -stim.mung,f., vgl. comp.-
typ. 5 o, p, Stimmung, die die eigentliche basis einer ge-
fühlslage bildet: wie es zwei allgemeine grundstimmungen
des gemüthes giebt, heiterkeit . . . und betrübnisz
SCHOPENHAtTER W. 2, 536 ör.;
aus vier grundstoflfen Ist gemischt die körperweit,
die als grundstimmungen dein innres auch enthält
EÜOKERT w. 8, 406;
einfache menschen werden sich ihrer gr. oft kaum be-
wuszt RosEGGER 5cAr. II 2, 211; die gr. seiner seele
Treitschke hist. u. polit. aufs. 1, 466; ein ernster, fester
mann mit tragischer gr. Scherer litteraturgesch. 324 ; die
gr. dieser jungrömischen schule ... ist vorwiegend die
lyrische gefühlspoesie F. Greoorovius wanderjahre in
Italien'^ (1874) 2, 260; objectsbezogen: die bunte fülle des
einzelnen darin ist durch die einheit der gr. sehr fest
zusammengehalten D. Fr. Strausz sehr. 6, 237 ; allein
durch eine solche änderung wäre . . . die ganze gr. des
lessingschen Stückes alterirt worden 2, 79; die gr. des
ganzen romans {ist) die einer schwärmenden resignation
G. Freytag ges. w. 16, 165.
GRUNDSTOCK, m., im 16. jh. auftretend als compo-
situm von stock 2 {vgl. th. 10, 3, 1 sp. 16), ''stamm, haupt-
schosz einer pflanze'' : der gr. oder bäum, der zwy {zweige)
gibt matrix arbor Frisius 805 und die von ihm abhängigen
lexikographen, so noch Dentzler cfev. (1716) 142^; bei
Adelung, Campe, Heinsius fehlt gr. überhaupt; ent-
sprechend bildlich: auf sorgfältige Vermeidung aller ärger-
nisse und die exstirpation ihrer eigentlichen grund-
wurtzeln und -Stocks . . . gerichtet gb. Zinzendorf Sieg-
frieds bescheidene beleucht. (1744) 89; aus diesem ersten
gr. wächst . . . die fernere Jüngerschaft Jesu . . . zweig
um zweig heraus D. Fr. Stbattsz ges. w. 4, 125 ; vergleich-
bar: aus den späteren denkmälern der einzelnen indo-
germanischen stamme den gemeinsamen gr. ... er-
schlieszen Fb. Kluge etym. wh.^ xn, doch sind diese
fälle schwerlich unmittelbare erben des alten gebrauchs, denn
das gegen ende des 18. jhs. wieder auftauchende gr. hat als
neubildung {im sinne der comp.-typ. 5 o bzw. p) von stock
5 f bzw. g {vgl. th. 10, 3, 1 sp. 37) zu gelten, vgl. das erste
gold, das ich zum grund des künftigen Stocks auf Zinsen
legte Klinger w. 9, 147; wie ^grundkapitaV : ich fühle ...,
dasz ich von dem gr. meines Vermögens nichts zugesetzt
habe Göthe IV 5, 72 W.; man . . . schlägt die Wahrheit
nicht nach ihrem ewigen gr., sondern nach der rente an,
die sie für den augenblick abwirft Gutzkow ges. w;. 7, 317;
hauptbedeutung jedoch 'der erste, die grundlage einer sache
bildende bestand, aus dem sich ein gröszeres gebilde ent-
wickelt^ : der erlös . . . war der gr. ihrer . . . wunderschätze
L. V. Francois l. Reckenburgerin l, 173; Viehzucht und
ackerbau . . . sind . . . der gr. des Staatsvermögens
Zschokke s. ausgew. sehr. 35, 33; (er) ersuchte ihn, diesen
fund als gr. einer Sammlung anzusehen Auerbach sehr.
6, 60 ; die vielen unehelichen kinder {sind) . . . überall ein
zuverlässiger gr. für ländliches Proletariat Scheffel ges.
w. 3, 134; diese gesänge . . . wurden also der gr. dea
dramas Hebbel tageb. 2, 130 W.; auf solche weise . . .
entstand der gr. seiner {Handels) schönen . . . sätze für
das clavier Chbysandee Händel 1, 143; feste Verbindung
ist den gr. bilden: diese drei . . . Sammlungen bildeten
den gr. dieses hellenistischen schriftthums Döllingeb
akad. vortrage 1, 168; {gedichte,) welche den gr. seines 'ir-
dischen Vergnügens in gott' bilden Schebeb litteratur-
gesch. 349; wie nahe für moderne spräche gr. an grundstein
gerückt ist, zeigt den gr. legen: der gr. zu der heutigen
argentinischen marine wurde 1874 . . . gelegt v. Alten
1, 458; zu stock 4 k {vgl. th. 10, 3, 1 sp. 33) technisch: der
gr., auf dem die centrifuge gebaut ist Muspbatt chemie
6, 796; als 'unterstes Stockwerk'' eines gebäudes: die kugel-
festen gewölbe im gr. W. v. Polenz Qrabenhäger 1, 27. —
-stockvermögen, n.: das grundvermögen der stadt-
gemeinden, das hier {in Hessen- Nassau) gr. genannt wird
Bitter hwb. d. preusz. verw. l, 635; und alles zusammen-
schmilzt bis auf den bauch, der als christlich-germani-
sches gr. übrig bleiben musz Fb. Hecker in: br. von u.
an Herwegh 250.
GRUNDSTOFF, m.
1) die einfachen als untheilbar gedachten Substanzen eines
körpers, urstoff, element, vgl. comp.-typ. 5 p; bei Adelung
2, 836; grundstoffe oder unzerlegte stofEe (chemisch)
HoYEB wb. d. artillerie (1804) 2, 206; Stoffe . . ., die man
nicht weiter . . . zerlegen konnte, haben den namen che-
mische elemente oder grundstoffe erhalten Stöckhabdt
ehem. feldpred. 1, 6; der . . . chemiker . . . vermuthet, . . .
dasz sie aus den und den grundstoffen bestehen möge
Fb. Schlegel s. w. 12, 64; zwar bestehen die organisirten
gebilde vorzugsweise aus den . . . sogenannten organi-
schen grundstoffen Sömmebbing menschl. körper 8, l, 74;
die materie zersetzt und trennt sich in ihre grundstoffe
Hufeland kunst 56; der stein der weisen, der die heute
noch unzerlegten Stoffe ineinander umwandelte und aus
einem höheren grundstoffe, wenn nicht dem urstoffe
selber, erzeugte du Bois-Reymond grenzen d. naturerk.
3, 10; allgemeiner die 'ersten und wesentlichen bestandtheile" :
kalkerde, . . . beygemischtes wasser und vorzüglich mehr
oder weniger brennstoff können, mit der zuckersäure
verbunden, die grundstoffe zu den mancherley pflanz -
säuren darbieten Westeumb cAew. (1788) 42; so besteht
jede spräche aus andern . . . grundstoffen W. v. Hum-
boldt in Fr. Schlegel dtsches museum 2, 499.
2) der als ausgangsstoff aller materie gefaszte 'urstoff, ur-
materie': Diogenes hielt die luft für den gr. aller dinge
Tennemann grundrisz d. gesch. d. phil.* 59;
diese (natur) nennen wir auch in unserer lehre den grundstoff,
allerzeugende körper, die saamen und Stoffe der dinge
K. L. Knebel Lukrez 5;
in weiterem sinne der ausgangsstoff eines productes all-
gemein {s. au^h comp.-typ. 5 k): der gr. der färben schreibt
sich nirgends anders her als von dem Schwefel Göthe
II 3, 300 W.; da kupfer der gr. dessen ist, was wir . . .
bronze nennen H. Meyer in Winckelmänn w. (1808^.)
5, 426; von den produkten, die eine glasartige erde zum
grundstoffe haben Muspbatt 7, 516;
ich sahs, als dieser unförmliche klumpen,
als der grundstof der weit auf seinen befehl sich in häufen
(sammelte) Zachakiä poet. sehr. 6, 300;
der gr. der moralischen weit hält gewisz auch durch-
gehends die fähigkeiten der tugend in sich S. Laboche
frl. V. Sternheim 2, 172; das germanische volk {hat) ... so
vielen ächten tüchtigen gr. in die epoche mit eingebracht
. . ., welche das christenthum in der geschichte und bil-
dung der Völker machte E. M. Arndt sehr. 2, 427; aber
wahrnehmen, vergleichen . . . erfordern eine von aus-
dehnung und bewegung ganz verschiedene bestandheit,
einen andern gr. M.Mendelssohn ges. sehr. 2, 160; alle
909 GRUNDSTOFF 3. * — GRUNDSTÜCK i
unsre einfachen Vorstellungen und hiermit der ganze gr.
unseres bewusztseins sind wirkliches geschehen in un-
serer seele Hebbart w. l, 266 H.
3) Stoff, der grundlage und quelle einer dichtung, einer
abhandlung u. s. w. ist: der gr. (bei jeder dichtung) musz
allemal kenntlich seyn und, wo möglich, existirt haben
Ramler einleitg. 2, 117; so wählt der dichter seinen grund-
stof am liebsten aus der . . . geschichte Eschenbttbg
entwurf 155; immer bleibt diese geschichte der gi. der
ebräisehen gesetzgebung und dichtkunst Hebdeb w. 12,
311 S.; auf diesen mitgetheilten gr. eine ordentliche ge-
schichte der deutschen Schaubühne . , . bauen Gott-
sched nöthiger vorrath c 2P vorr.; der gr. unseres ge-
spräches W. Raabe Schüdderump 1, 8.
4) entsprechend cotnp.-typ. 5 i: die Verzierungen auf dem
rothen gr. . . . werden mit goldcordonet gemacht kirchen-
schmuck 16 (1864), 30; ein seidenfaden {wird) ... in den
gr. eingeführt Dillmont encycl. d. weibl. handarb. 38.
GRUNDSTRICH, m. l) im 17. jh. als 'basislinie' einer
geometrischen figur, vgl. gr., bodenlini basis figurae planae
Kepler opera 5, 611; wann die grundstriche, durch welche
der schnitt gegangen, einander gleich, so . . . 517; sie
wollen aber diese figur also gestochen wissen, dasz der
leu im triangel die spitze, die widder am grundstriche
(oder dreieckboden) die rechte und der schütz die lincke
Seite halte E. Fbäncisoi eröffn. lusthaus (1676) 1419. 2) als
avsdruck der schreibkunst erst im späten 18. jh. : gr., die
ersten striche zu einem buchstaben, jambage Schrader
dtsch.-frz. (1781) 1, 581; im gegensatz zu den feineren schrä-
gen haarstrichen (aufstrichen) sind die grundstriche (ab-
striche) die dickeren senkrechten striche eines buchstabens;
in der anleitung . . . werden ... die grundstriche zur
kurrentschrift . . . beschrieben allg. dtsche bibl., anh. 37-52,
248; die geraden und krummen grundstriche und züge
unserer symbolischen und typischen . . . handschrift
Hamann sehr. 6, 41; die handschrift is wie von ner dame,
blosz ein biszchen zu dicke grundstriche Fontane w. I
10, 454. 3) die ersten, einfachsten und das wesentliche dar-
stellenden striche einer Zeichnung u. ä. : so künstlich aber
auch ihre figuren aussehen, so . . . bestehen sie doch alle
aus folgenden wenigen grundstrichen Gottsched neueste
2, 333; da haben sie ein paar grundstriche von dem ge-
mälde, das der mühe nicht werth ist, vollendet zu werden
Chr. A. Fischer Genf (1796) 79; die fünf sinne reichen
ihr (der einbildung) nur die kartons, nur die gnmd-
striche des Vergnügens oder miszvergnügens Jean Paul
w. 1, 383 H.; (man) wird ... sie (die ereignisse) nicht
so äuszerlich mit groben grundstrichen aufzeichnen
P. Heyse ges. w.lZ,i3S; nach diesen grundstrichen
können sie meine jetzige Situation . . . vollkommen beur-
theilen Hebbel br. 5, 33 W. ; so dasz die regeln der Sprach-
lehre mit den grundstrichen ihres Charakters parallel
laufen Herder w.2,27S.; une 'grundzug': wo der gr.
des nationalcharakters phlegma ist Campe br. aus Paris
179. 5) der unterste anstrich (vgl. comp.-typ. 5 i): das bley-
weisz ist also der unterstrich oder gr. Krünitz 200, 69;
gr. MusPRATT ehem. 6, 1820. — -Strömung,/., die Strö-
mung in der tiefe, die das innerste wesen repräsentiert; in
der hauptsache uneigentlich verwendet: ein von den geisti-
gen mächten der zeit genährter Staatsmann, dessen blut
an den tiefen und bleibenden grundströmungen haftete
Meinecke v. Boyen l, 222; um sie (die klöster) als grund-
strömungen des katholischen lebens anzufeinden B. We-
ber cartons 433 ; die gr. ist das gemüth imd gewissen, die
ganze sittliche Constitution des menschen B. Goltz hinter
d.feigenbl. 1, 37.
GRUNDSTÜCK, n.
1) mit der 2, hälfte des 16. jhs.für älteres gleichbedeutendes
stück (II C 2, s. th. 10, 4 sp. 212) im sinne des comp.-typ. 5 f
auftretend und das simplex schriftsprachlich völlig zurück-
drängend; in der ma. kaum aufgenommen vgl. Fischer
Schwab. 3, 879; grundstücke immobilia Schottel 473; gr.
fondo, podere, campo, vigna ö simil bene stabile Kramer
teutsch-ital. 2, 1019; wie bei stück II C 2 verbindet sich mit
GRUNDSTÜCK 2
910
gr. gegenüber grundeigenthum, gnmdbesitz, liegende
gründe u. s. w. der begriff der mehr oder minder eng be-
grenzten bodenfläche, die auch theil eines gröszeren ganzen
sein kann; vil zertailung irer eitern gründ und Wein-
garten . . ., also das oft manichs grundstuck und Wein-
garten in 2, 3 und 4 stuck zertailt worden österr. weisth.
10, 195 (v. j. 1572); dann so er allein in bedencken nemme,
dasz der ander brueder nach mit ihme oder seinem vatter
gehaltener theilung . . . seine gründtstück besser alsz die
eignen . . . gemacht hette und darumben eine neue ab-
theilimg begeren dürfte, so soll er solche neue abtheilung
der güeter . . . erlangen A. Wagner decretum (1599) 38»;
der Inhaber des verpfenten grundstücks stadtrecht v. Mün-
chen 223 Auer (v. j. 1571).
a) ländliches oder städtische stück grund und boden ohne
baulichkeiten: die khaufbrief umb die heuser imd grund-
stuckh im burckhfridt gelegen ebda 244 (v. j. 1572);
schätzimg der bürgerlichen häuszer, städel und grund-
stücker LoRi baier. bergrecht 423^ (v. j. 1655); ist auch ein
jeder richter der burgerschaft zu iren gruntstikern . . .
die weg zu machen schuldig lassen österr. weisth. 10, 219
(y. /. 1688); imbewegliche guter als haus, hof, gärten,
grundstuck und felder Matth. Abele v. Lilienberq
künstl. unordn. 3, 216; so der gesalbten und geweichten
priesterschaft . . . gantze wisen, äcker und grundstuck
abschneiden Abraham a s. Clara Judas 4, 78; (bei kauf
eines gutes ist zu beachten,) ob . . . nahend angräntzende
Wasser ... an den grundstücken nicht zu Zeiten . . .
schaden v. Hohberg georg. cur. 1, 10; ein landesherr ist
. . . berechtigt, sich derer häuser und grundstücken derer
untherthanen . . . anzumaszen v. Fleming soldat 386 ; der
bauer besitzt seine grundstücke als nutzbares eigenthum
allg. dtsche bibl., awA. 37-52, 921; sein gütchen war nach
und nach durch ankauf neuer grundstücke eine ansehn-
liche besitzung geworden Wieland s. w. (1853^.) 9, 206;
auch vergnügte uns . . . der anblick einer menge von an-
gebauten grundstücken Forster s. sehr, l, 74; ein gutes
teil der viel zerhackten und durchfurchten grundstücke
G. Keller ges. w. l, 14; die grundstücke umgeben ge-
schlossen den hof Wimmer gesch. d. dtsch. bodens 10 ; vgl.
grundstücke 'die das dorf umgebenden äcker, unesen,
weiden' K. Bruns volkswörter d. prov. Sachsen 27*.
b) von meist städtischem, seltener bäuerlichem, grund-
besitz als ganzem einschlieszlich der gebäude anscheinend
jünger, vgl. Jacobsson 5, 752*, Helfft wb. d. landbau-
kunst 165, Heynatz syn. wb. l, 89^ und weniger ausge-
breitet: dessen herr vater ... in der nachbarschaft ver-
schiedene herrliche grundstücke . . . besasz Leipziger
avanturieur (1756) 1, 265; als das gr. nach seinem abieben
in andere bände kam, verfiel das gebäude nach und nach
GÖTHE 49, 341 W.; wenn er ihm seinen willen tun und
beide grundstücke (den meierhof und das haus in Dresden)
übernehmen wolle H. v. Kleist w. 3, 159 Schm.; wo
wohnt hier der Schneidermeister? . . . just am andern
ende drüben, das vorletzte gr. Holtei erz. sehr. 4, 147;
wir haben ein recht schönes gr. — das heiszt nur ge-
miethet G. Hauptmann eins, menschen 29; ähnlich als
ganzes von ländlichem besitzthum:
. . . ein treffliches grundstück,
schön, voll rebenhügel und ackerfluren
BüRaEE s. w. 232 B.;
das ganze gr. (ist) in einem gröszeren besitz aufgegangen
und auch der hof längst verschwunden G. Keller ges. w.
6, 30; ähnlich schon: welches hammergut und gr. im . . .
Waldeck liegt Lori baier. bergrecht 479 (v. j. 1670).
2) wie comp.-typ. 5 h 'sockel, Untersatz', vgl. gr. posti-
ment, stereobata, . . . basis Aler dict. (1727) l, 990^', Stein-
bach 2, 755, wohl als steinerne grundblöcke aufzufassen:
da denn im ausgraben der fundamenta schöne geschlos-
sene gnmdbogen und gewölber von den besten grund-
stücken, sehr künsthch ausgehauene seulen und gesimser
unter der erden . . . gefunden worden F. v. Troilo orten-
tal. reisebeschr. (1676) 84; auf dem im jähr 1574 ausge-
grabenem marmernem grundstücke G. Arnold kirchen-
u. ketzerhist. (1699) 43»;
911 GRUNDSTÜCK 3 - GRUNDSTÜTZE
die pfeiler, welche dich dereinsten eollen stützen, . . .
bekommen allzufrüh und allzu viele ritzen,
ein grund- und quaderstück fällt nach dem andern ein
Henrici ged. (1727^.) 1, 191;
die gmndstücke der treppenwangen calces scaporum
Rode Vitruvius, anh. 12; gr. 'auch gnmdstein, auf dem
eine banlc u. dgl. befestigt isV Müller-Fbaubeuth 1,
447*; grundstücke, pierres, die 1 bis l^/j eilen lang und
eine halbe eile im geviert haben Fäsch kriegslex. {1735)
846»; gr. ... 'heiszt in den meisznischen landen die ge-
wöhnliche Sorte bausteine von Sandsteine" Mothes baulex.
2, 542, wohl weil als steine für den grundbau benutzt; 'unter-
theiV: {Klopstock fügt) seinem fragmente hier noch eins
und andres, tiefer von dem grundstücke des baues her-
genommen (hinzu) Gebstenbebg merkwilrdigkeiten 294
lit.-dkm.; nach Campe 2, 475 heiszt in der anatomie ^ein
theil des Steigbügels im ohre das gr. {basisY; diese mutze
besteht aus einem gr. von musselin Niebuhr nachgel.
sehr. 215; uneigentlich: wer ... die zahl, das masz und
ge^vicht als wesentliche grundstücke . . ., auf welchen die
Wahrheit, gerechtigkeit und billigkeit gebauet werden
müsse, ansieht neuer büchersaal (1745^.) 9, 499; m^hr wie
comp.-typ. 5 o: in den grundstücken der religion gemein-
schaft und einhälligkeit {haben) Valvassor hzthm. Crain
(1689) 2, 376.
3) das 'erste, ursprüngliche stück, dement' {vgl. comp.-
typ. 5 p): die grundlehr von den dementen und grund-
stücken aller endschaftlichen dinge E. Weigel toürkung
d.gemüths (1684) 35; beziehungen der grundstücke und
Substanzen, die den stofE des weltbaues ausmachen Kant
1, 293 H.; gr. .... 'die einfachen theile . . ., woraus die
körper bestehen' Adelung 2, 832; als Übersetzung von prin-
cipium : die worte, die Renatus des Cartes in seinen grund-
stücken der Philosophie gebraucht Knobb v. Roseneoth
pseudodoxia (1680) 473 (= de principiis philosophiae); die
grundlehrsätze des . . . festungsbaues samt den anfangen
und grundstükken des feldmässens Zesen kriegsarbeit
(1672) 1, *7a vorr.; jenes principalstück als das gr. gibt
grundzahlen E. Weigel a. a. o. 56. — -stürzend, adj.,
aus formelhaftem zu gründe stürzen {Irans., vgl. sp. 691)
entwickelt und seit dem 16. jh. als feste zusammenrückung
bezeugt; in der regel übertragen verwendet, Campes grund-
stürzende erdbeben 2, 475 sind papieren; alt grundstür-
zende irrthümer, eigentlich 'irrlehren, die alles bestehende
wnstoszen' : Mahomeds grundstürtzende irrthümer fraszen
um sich wie der krebs Mabtin Dietrich nachricht v. d.
rdigionszustande (1539) 5; dieselbe kirche hat grund-
stürzende irrthümer Thomasiüs ernsth. gedancken 4, 245;
dieser gottlose mann {behauptet) . , . schändliche grund-
stürzende irrthümer Nicolai Seb. Nothanker l, 40; in
neuerer spräche mehr als affectvoller ausdruck für 'voll-
ständig, gründlich' gefaszt {s. auch grundlegend) : um die
dogmen der kirche religiös verwendbar zu machen, musz
man das jüdische gift in ihnen entfernen, den grund-
stürzenden irrthum vom werthe des einmaligen faktums
Pafl de Lagarde dtsche sehr. 30l; {der trojanische krieg)
ist dadurch . . . der unerschöpfliche quell aller der grund-
stürzenden miszverständnisse geworden F. Schlegel
pros. jugendschr. 1, 229 Minor; in Zusammenhang mit aus-
drücken des veränderns aber besser bewahrt, 'umwälzend' :
nur eine . . . grundstürzende Umgestaltung konnte helfen
Philippson in: allg. weltgesch. 9 (1889) 647; grundstür-
zende reformen galten . . . als ausgeschlossen hwb. d.
staatswiss.^ 2, 204; adverbial: gr. ... hatte . . . gewirkt,
dasz ... 4, 838; substantiviert: die tückische bosheitdes
glucks hätte wirklich nichts so grausames . . ., so grund-
stürzendes für alle seine projekte herausgrübeln können
BoDE gesch.d. Thom. Jones 1,218. — -stürzung, f.:
grundstürzungen, wenn der grund unter der ... in-
wendigen dossirung des deiches von dem überstürzenden
Wasser . . . ausgewühlet worden Benzler deichbau 2, 269.
— -stütze, /., 'die basis bildende stütze' {vgl. comp.-typ.
5 h): gr., fundamen Steinbach 2,764; da immer eine
seule auf der andern stehet, welche mit absätzen oder
grundstützen, pieds d'etaux, von einander unterschieden
GRUNDSUPPE 1. 2
912
Staat d. königr. Persien 18 Olearius; man betrachte gleich
das fundament und gr. desselben {körpers) Volkamer
nürnberg. Hesperides (1708) 55; übertragen: der aberglaube
{findet) an den tückischen gemüthern seine rechte grund -
stützen J. Chr. ICbügeb d. geistlichen a. d. lande (1743)
101; die zweckmäszige Wechselwirkung beider {klassen)
ist die wahre gr., auf welcher die Verbesserung des men-
schengeschlechts beruht Fichte s. w. 4, 364; die höchsten
eigenschaften . . . gottes zu entwickeln, die der Vernunft
und religion der menschheit zu ewigen grundstützen
dienen werden Herder w. 12, 77 8.
GRUNDSUPPE, /., mhd. einmal als gruntsophe be-
legt, im 16. jh. stark verbreitet, namentlich von Luther als
kraftwort viel variiert {s. u. 3), bis ins 19. jh. literatur-
sprachlich veraltet es späterhin; mundartlich z. th. gehalten
vgl. Schambach 70»'; Bauer-Collitz 41^, Woeste-Nörr.
86b; ^gi jyi^i grontsop, n., ags. grundsopa, m. Bos-
wobth-Tollee suppl. 489*, überall in der bedeutung
'bodensatz' ; formelhafte Verbindung hefe und gr. {s. u. 3 e).
1) eigentlich: 'bodensatz, der auf dem gründe einer Flüssig-
keit abgelagerte niederschlag' ; vgl. grundsupp fcex fundi,
crassamen, sedimen Henisch 1769; so der {hefige) 'rest
im weinfasz, neige' :
(Servatius) . . . gemerte die lützeln trophen.
da wuochsen die gruntsophen,
ie baz und baz si erspruzzen
s. Servatien leben, s. 254 Wilhelm;
mit besonderer betonung des ungenieszbaren, unbrauch-
baren bei Henisch 1769: grundsuppen, neigent, ver-
rochener und verdorbener wein vappa; entsprechend bei
andern flüssigkeiten vom bodensatz oder den rückständen:
van der seycken {urin) dat gloem of grontsop sedimen
v. D. ScHUEREN Tcuthon. 232" Clignett; setzt sich das grob
zu boden, alsdann seyhe das oberst gemach herab, daz
ist zu brauchen, so das dicke nichts soll und nur ein
gnmdsupp ist Wirsung artzneybuch (1568) 12*; die grund-
suppen der salben magma B. Faber thes. (1587) 474^; die
gar zu schöne gr. {des kaffees) soll sich meine frau auf-
heben Troschel reise (1784) 162; grundzoppe 'die dickeren
teile der suppe' Schambach 70*; in der nicht ungegrün-
deten meinung, die kraft der güUe zu erhöhen, liesz ich
die gr. dabei fleiszig aufrühren Schwebz ackerbau 72;
vom schlämme des wassers: under welchem {wasser) eine
dicke gr., der schlam . . . geblieben ist Comenius ianua
(1644) 6b; im moraste und gr. der seen Prätorius tointer-
flucht {1Q78) A 4b vorr.; musz man sich sothaner morasti-
gen wasser bedienen, so ists rathsam, dasz man sie . . .
sich also setzen lasse und hernach gemächlich von der
gr. und gesetzten schleim abschöpfe v. Fleming soldat
326; grundzoppe 'das schlammige wasser auf dem gründe
eines brunnens' Schambach 70*; anders 'das beim be-
wässern zurückgebliebene wasser, nachwasser' : wan ain
gemainer man wässert, so gehert das nachwasser oder
die grundsuphen in den nächsten wal österr. weisth. 5, 56
{v.J. 1462); OMCA die mehr festen rückstände heiszen gr.:
die gr., welche im tuche liegen bleibet, wird den arbeitern
. . . zur speise und zum trancke gegeben 0. Dapper
America (1673) 435b; kannen und gläser {sind) mit einer
schwartzen grundsuppen beflecket Hohbebg georg. cur.
1, 51; seigebeutel, welche nichts als die gr. oder das ab-
genutzte gewürtz behalten Mattheson capellmeister
(1739) 28 vorr.; vgl. (er wendet den sack völlig um, es
fallen noch einige bücher und viel häckerling heraus) da
kommt erst die gr.! Göthe 17, 56 W.
2)das 'wasser im untersten Schiffsraum' {vgl. grundbrühe) :
die stinckende grundsuppen im schiffe nautea, aqua sen-
tinae B. Faber thes. (1587) 539b; ^^ hattind unsern platz
unden im schiff — und der bitter bös geschmak von der
grundsuppen hat uns im haupt übel beleidiget J. Maaler
Tiach Staub-Tobler 7, 1237 {von 1593); so wenig als ein
schiff gesund und reinlich seyn könte, wenn beydes nicht
von der stinckenden gr. gesäubert würde Lohenstein *
Arminiu^ 2, 965b; auch an einer garstigen gr. fehlte es
dem hof schiffe nicht D. Fe. Sträusz ges. w. 7, 226; dasz
913
GRUNDSUPPE 3
GRÜNDSUPPE 3
914
im erdkreis das wasser . . . wie die gr. in den schifEsraum
empordringe J. H. Vosz krit. blälter 2, 136.
3) namentlich im älteren nhd. ist aus gr. 1 ein reicher
bildlicher gebrauch entfaltet, der bis in jüngere spräche
nachwirkt; meist nach einer seite hin specialisiert;
a) qualitativ im sinne einer unteren minderwertigen
Schicht: darausz abzunemen, welch ein abscheuliche
grundsupp in demselben (herzen) müsse verborgen ligen
Dannhaueb catechismusmilch 2, 404; vmfriede ist die gr.
deines hertzens H.Müller erquickst. {IQ67) 5Q0; (sie)
machen platz der aufgewühlten gr. des menschlichen
herzens, der thierischen begehrlichkeit Jer. Gotthelf
ges. sehr. 3, 180; blosz um den anstand unsers geschmacks
durch die gr. unserer eigenen kritik zu betrüben Hamann
sehr. 2, 515 B.; die gr. der sogenannten cultur in ihrer
hassenswürdigsten abscheulichkeit Oöthes gespräche 1,
186 V. B.; die gr. rühren heiszt daher ^das schlimmste thun,
an die ärgste stelle kommen' : der teufel will die gr. rüren
und den boden gar ausstoszen, got wolle yhm weren
Luther 18, 358 W.; wer dise grundsuppen hat gerürt und
in den binstock gestochen See. Fbanck chron. zeylb.
(1531) 297^; vgl. das ist eben der fleck, wo die gr. um-
gerührt wird (der hauptschade liegt) Auerbach ges. sehr.
(1863/.) 18, 74; neutral 'die innerste gesinnung\- da kommt
die gr. raus Fischer schwäb. 3, 880; vielfach wie lat.fcex
plebis in anwendung auf die niederste, schlechteste klasse
der menschlichen gesdlschaft (vgl. hefe th. 4, 2, 765) : die gr.
des Volkes, der gemeine pöbel Butschky Pathmos (1677)
458; ihr schäum und gr. des menschlichen geschlechts!
Stbanitzky ollapatr. 103 Wien.ndr.; dieser edlere theil(der
nation) musz erleuchtet seyn, wenn die gr. nicht so roh . . .
seyn soll Moses Mendelssohn ges. sehr. 5, 351; dem mit
der gr. von menschen überschwemmten Rom Herder t^;.
8, 886 S.; sich mit der gr. des pöbeis einlassen Müller
V.Itzehoe Siegfr.v. Lindenberg l, 207; je weiter man
aber in der bildung fortschreitet, um so mehr entfernt
man sich auch von der lieben gr. der menschheit Hebbel
br. 4, 75 W.; von hier aus variiert: die gr. der litteratur,
die nachbeter und uneinsichtigen Grillparzeb s. w. Iß, 124
Sauer; nicht nur feuilletonisten und zeitungskorrespon-
denten, nein auch romanschreiber, dichter, kurz die ganze
gr. groszstädtischer Verhältnisse G. Keller br. u. tageb.
2, 885 Bächtold; unsre sinne sind die gr. unsrer Innern
republik Schiller 3, 104 O.; selten neutraler: das Schick-
sal faszt die dinge gröszer und weiter, es denkt nicht an
imsre kleinen begehren, sondern wühlt überall die gr. des
volksthums auf Varnhagen v. Ense tageb. 5, 34.
b) im Vordergrund steht die mehr quantitativ bestimmte
Vorstellung 'neige; letzter, schlechter resV : die gr. bleibet
den gottlosen (glosse zu psalm 75, 9) Luther bei Dtez 2,
180»;
der gottlosz haul in irem satisz
müssen die grundsup saufen ausz
Bükkard Waldis psalter (1553) 129»;
vgl. die gr. saufen müssen Kramer teutsch-ital. 2, lOil;
diese betrübte neige . . ., schimlichte gr. . . . vom jüden-
thum Luther 53, 501 W.; eine form, welche ihren geist
überlebt hat, . . , (ist) die gr. menschlicher erkenntnisz
Fb. Schlegel pros. Jugendschriften 2, 73; vereinzelt auch
neutral 'das, was zurückbleibt': das kaum die hefen und
grundsup vom volck selig werde Luther bei Diez 2, 180^ ;
dasz sie sich für dem groszen häufen nichts entsetzen
dürffen, es weren nurt die gr. und der nachrest von denen,
die sie . . . one alle mühe abgeschlagen Schütz hist.
rer. pruss. (1592) 78^'; in zeitlicher hinsieht mit negativem
accenl gr. der weit u. ä. : in der letzten gr. der weit Luther
36, 482 W.; bericht von der gr. der weit, wie man sich in
diese letzte, allerärgste, greulichste zeit zu schicken Am-
BROSius Tauber (1589) titel; epicureer und spötter, derer
diese letzte grundesup der weit voll ist Daniel Schaller
iheol.herolt (1604) 23; als wäre nunmehr in der letzten
gr. dieser weit erst ein stern aufgegangen Chr. Weise
polit. näscher (1679) 83; so leben wir doch in der gr. der
letzten weit Harsdöefee t. secretarius 2, 91 ; bis es sich
... in der gr. der tage . . . sein naturrecht erfände Hebder
IV. 1. 6.
w. 6, 312 S.; anders mit dem beisinn der letzten, höchsten
Steigerung (s. u. c), vgl. etwa redensartlich es kommt am
dicksten: dasz diser stern darumb eben die letzte grund-
suppen ausgüssen und die weit damit eingehen werde
J. Kepler. opera 8, l, 317; (Trinculo:) ich will mich
hier einwickeln, bis die gr. des gewitters vorüber ist
Shakespeare 3, 65; die batterien spieen einander die gr.
ins gesiebt Jer. Gotthelf bei Staub-Tobler 7, 1237 ; wenn
er (der papst) gleich die gr. tmd gantze helle seiner un-
gnad . . . über uns ausschüttet Luther 32, 339 W.; die
gr. alles Unrechts (ist) . . . über den erdboden gleichsam
auszgeschüttet Scsotsel, friedenssieg 71 ndr.; die gr. der
Sünde war noch nicht über ihn ausgeschüttet Zinzen-
DORF Londoner pred. (1756) 1, 338.
c) von der Vorstellung ausgehend, dasz gr. sich aus der
ablagerung aller dicken, übeln bestandtheile bildet, gilt gr.
als das product, der inbegriff aller schlechten dinge: der
bapst . . ., der fast alle ketzerey zu sich yn ein grund-
suppen eamlet Luther 7, 441 W., vgl. 10, l, l, 236; das
bapsthumb, welches eine gr. ist, darinnen alle andere
ketzereien zusammen gerunnen und in eins geflossen Cyr.
Spangenberg wider d.böse sieben (1562) l3i>; in diese
letzte weit (ist) alle sünde ... als in eine gr. zusammen
geflossen J. Prätorius catustrophe mwÄ. (1663) 82; es werde
diese unsere muttersprach ... zu einer endlichen grund-
suppen, darein aller andern sprachen unart . . . zusammen
flieszet Schill ehrenkranz (1644) 123; die gr., in der alle
niedertracht der gegenwart zusammenbrodelt Auerbach
sehr. 11, 200; häufig mit dem genitiv des zu steigernden
abstractums verknüpft: ein gr. . . . aller greuel und ketzerey
Luther 23, 723 W.;
bisz endtlich gar die gsellschaft lebt
in grundsup aller boszheyt schwebt
Hans Sachs 3, 447 K.;
in summa, bey in ist zu finden
ein grundsup aller lastet fast
Fischakt «. Dominici leben 4045 Kun;
das grosze bubenstück und grundsupp aller schänden
G. Treuer dtsch. Dädalus (1675)1,216; bei ... dem
Zeisigbauer sei aber die gr. des Übels zusammengeflossen
W. Raabe unsers herrgotts kandei * S77; absolut: das ist
die gnmdtsuppe und die helle selbs Luther 30, 2, 288 W.;
die Sarracen, die erstlich disen greuel und grundsup ein-
namen Seb. Franck wdtbuch (1534) 98»;
ein grundsupp und recht Sodoma
und erbpardel flndstu allda (zu Rom)
Kirchhof tcendunmuth 2, 114 österley;
mit persönlichem subject: (Luther ist) nach der bäpst ur-
theil ein ertzketzer und grundtsupp aller ketzerey Seb.
Franck cÄron. (1585) 3, 422; die grundtsuppe des Wu-
chers, der dieberey und rauberey sein unser herren und
fürsten fiugschr., kämpf der Schwärmer gegen Luther 25
ndr.; er ist neidig, geitzig . . ., ja ein rechte grundsup aller
ubertrettung und laster worden J. Gretter erklerung
(1566) 306; die gr. des Wuchers . . . sind unsere groszen
Heine s. w. 5, 156 E.
d) in abstrahierender anlehnung an grund IV B 2 im
sinne 'ursprungsstätte, brutstätte', vgl. Ursprung und urhab
alles unraats, grundsupp seminarium Frisius 1196^; der
recht Ursprung alles lasters, die grundsupp und haupt-
sächer ders, dict. (1541) 139^ ; Thomas von Aquin, der born
und gr. aller ketzerey, yrthum und Vertilgung des evan-
gelii (wie seyne bucher beweysen) Luther 15, 184 W.;
denn ich zuvor aus andern büchern hab, was ich gewuszt
hab, und den heubtbrun oder gr. nicht also gesehen 39, 13
W.; man sehe nur zum Ursprung und grundtsupp der
Frantzosen Seb. Franck paradoxa (1558) 191''; müszig-
gang, eine grundsupp aller Versuchungen J. WiRZ spiegel
(1560) bei Staub-Tobleb 7, 1237; dasz mich die menschen
selbst die wurtzel alles Übels, das ist ein Ursprung, cloac
und gr. nennen alles desjenigen Grimmelshausen 2, 845
Keller; die almosen (können) eine gr., eine grundursach
aller lästeren sein A. Klingler summ, bericht (1693) bei
Staub-Tobler a. a. o.
Ö8
915
GRUNDSUPPIG — GRUNDTEXT
GRUNDTEXT — GRUNDTIEFE
916
e) typische Verbindung hefe und gr.: die hefen und gr,
vom volck Luther bei Diez 2, 180»; und die hefen und
gr. wird dir gespart A. Pape garteteufel (1586) d 8*»; in der
hefen und grundsuppen der versammleten aberglauben
Grimmelshausen 4, 265 Kurz; das gemeine volck in
einem Staate, welches gleichsam die hefen und gr. ist
Chr. V. RyssELu. d. Seelenfrieden {1686) 321. — suppig,
adj.: gr. (radical) benennen die rühmser ihr maszloses
schelten Fr. L. Jahn 2, 750 E. suppler, m., mensch,
der der grundsuppe des Volkes {vgl. grundsuppe 3 a) ange-
hört, gauner: ein erschräcklich geschieht von dreyen
Spielern, denn bey solchen grundsupplern und schand-
fleckigen lastervögeln . . . pflegen würfel und karten das
gratias zu seyn Kirchhof wendunmuth 1, 271 Ö.
GRUNDTATSACHE, /., entscheidende tatsache, auf
der ein Vorgang, eine ansieht u, a, w. beruht {vgl. comp.-typ.
5 o) : so zog sich das wahre und begründete, das ge-
schichtlich bedeutende, was noch eine analogie hat, mit
der gr. der erlösung immer mehr zurück Schleiermacher
s. w. 1 12, 593; eine wie die andere nimmt die Wahrheit
ihrer grundthatsachen auf treu und glauben der von ihr
heilig gehaltenen erzähler an D. Fr. Straxjsz ges. w. 2, 75;
die gr. der existenz Otto Flake Rvland (1922) 115. —
-teil, m., als ''ursprünglichster, erster, einfachster bestand -
teil, elemenf {s. comp.-typ. 5 p) vgl. Campe 2, 475*, gr.
'principe {ehem.) Beil 265; drei chemische grundteile der
körper . . ., nemlich salz, schwefel und queksilber Blan-
CARD arzneiwiss. wb. (1788) 1, 771; die mineralogischen
körper, insofern sie ähnliche oder verschiedene grund-
theile enthalten Göthe II 8, 79 W.; {eine) kraft, die im
Innern des körpers seinen ersten grundtheilen anzuhängen
scheint Schellinq w. I 2, 157; die verwickeltste an-
schauung besteht aus einfachen grundtheilen Pestalozzi
s.schr. 5, 109; ein fundamentalgesez der gemischten na-
turen, das in seine letzte grundtheile aufgelöst ohn-
gefähr also lautet Schiller 1, 158 0.; ^hauptsächlichster
teiV {vgl. comp.-typ. 5 r): {das System) in seinen grund-
theilen . . . entwickeln Thümmel reise 7, 90; wie comp.-
typ. 5 h, 1, n, als 'basistheil': dauerhafte grundtheUe eines
glücksbaues Laroche frl. v. Sternheim 2, 104 ; am grund-
theile gegliedert {vom maikäfer) allg. dtsche bibl., anÄ.53-86,
753; der kelch {fällt) bis auf einen sehr kleinen gr. . . . ab
Schlechtendal flora 21, 273; gr. von dem schädel Söm-
MERRiNG menschl. körper 2, 115. — -teilchen, n., was
grundteil ^dement' : die gr. . . . der beiden elementarischen
flüssigkeiten Schelling w. I 2, 162 ; krystalle, deren gr.
gleich sind Göthe II 7, 160 W. — -teilung, /., älterer
juristischer terminus 'gründliche, völlige und endgültige
teilung^ {s. comp.-typ. 5 u), dasselbe wie totteilung; gegen-
satz ist mutschierung, teilung der nutzung; ein aufrich-
tige, redliche, unstrafbare, doch gantze grundtheilung
{v. j. 1459) bei Meichsner decis. divers, caus. in camera
imper. (1606) 4, 278; dann diweil kein gr. geschieht, was
dan den stief- oder rechten kindern bei leben vatter oder
mutter von erbschaft zufeit, kombt in gemeinen häufen,
wan aber die grundthailung geschehen, so erbt volgends
iedermann sein freuntschaft und hat des gemachts und
einsatzung der kinder ein ende {stadtordnung d. grafen
V. Wertheim, 1509-1528) in: oberrhein. stadtrechte 1 1, 46,
dafür auch grundliche thailung ebda; kinder . . . werden
. . . durch eine grundtheilung dergestalt von den eitern
abgesondert, dasz sie mit den kindern folgender ehe
weiter nicht erben Haym jur. lex. 415; hierher auch mnl.
grontdelinge Verwijs-Verdam 2, 2176; secundär an
grund II A 3 angelehnt? : die gütliche länders- und grund-
theiliuig der herren grafen zu Hohenlohe Chr. Weise
cur. ged. v. d. Zeitungen (1703) 150; echt wie comp.-typ. 5 f
'bodenver teilung, bodenaufteilung'' : die gr. ist in erster
linie von dem gesammtstande der landeskultur abhängig
Berkhardt gesch. d. waldeigent. 3, x ; grundteilungen bis
zu 0,11 ha, man möchte sagen bis zu tischgrösze, kommen
hier vor Wimmer gesch. d. dtsch. bodens 183.
GRUNDTEXT, m.. Hext, auf dem ein anderer beruht;
urtext, originär {vgl. comp.-typ. 5 o), vgl. gr. testo originale
Kramer teutsch-ital. l, 574^^; seit dem 17. jh. gängig, neuer-
lich von urtext zurückgedrängt; hauptsächlich der ur-
sprüngliche text gegenüber der Übersetzung: zu dem hat
der dolmetscher hier nicht können von dem gr. ab-
weichen Harsdörfer frauenzimmergesprächsp. 5, 163;
{man) könte . . . sich nicht so vorsehen, dasz nicht ein oder
ander merckmahl aus dem grundtexte übrig bliebe Chr.
Weise polit. redner (1677) 186; ich könnte hinzufügen,
dasz einige {Übersetzer) von dem grundtexte . . . abge-
führet worden Breitinger crit. dichtkunst (1740) 2, 157;
diese worte hat der gr. nicht Gottsched versuch e. crit.
dichtkunst 10 anm. l; wir theilen die merkwürdige steUe
und zwar im grundtexte mit Göthe 41, 2, 132 W.;
{möchte) jeder virtuose und dilettant ihn {den Homer) in
dem göttlichen grundtexte selbst ganz verstehen Bürger
w. 175 B.; namentlich auch specifisch für den urtext der
heiligen schrift: in dem jud- und heydentzenden papst-
thumb scheinet nicht . . . das liecht der warheit rein,
allein, unverfälscht nach dem gr. nicht an und für sich
selbst frey, sondern . . . erleuchtet von dem papst Dann-
hauer catechismusmilch 6, 399;
mich drängts den grundtext aufzuschlagen
GÖTHB 14, 62 W. (Faust v. 1220);
er sprach immer mit Salbung, besonders wenn er auf
den gr. kam Kotzebue s. dram. w. 4, 253 ; von jeher
{war) in äuszeren und innem kämpfen seine . . . waffe
der gr. gewesen Ranke s. w. 3, 58; anders Hext, der einer
melodie zugrunde liegf :
hier hast du das liedgen; gefällt es nun dir,
so sing es dem schätzgen selbst heute noch für;
erklär ihr den grundtext . . .
Henrici ernst-scherzh. u. sat. ged. (1727/7.) 4, 347;
vergleichbar: man stimmt sich selbst . . ., nach gewissen
angenommenen akkorden und Verhältnissen, ein klavi-
zembel von anmutigkeiten zusammen, die aber gar
seichte eindrücke machen, weil die ewigkeit . . . nicht
wie in Davids psalmen gr. dabei ist Schübart leben u.
gesinn. 2, 216; eiwas anders: {ich) kümmere mich nicht
um die noten der weit zu diesem heiligen gr. Hebbel
tageb. 1, 165 W.; Hext, der einer ausgäbe zu gründe gelegt
wird' : wenn daher unter den zugänglichen {handschriften)
die verhältnismäszig beste zum gr. genommen . . . würde
Uhland briefwechsel 3, 15 Hartmann; gr. ''Urschrift . . .
im gegensatze der abschrift oder kopie" Krünitz 202, 361.
— -thema, n. {vgl. comp.-typ. So): gewisz aber bleibt
ihr {der er Zählung) gr. unveränderlich dasselbe Holtei
erzähl, sehr. 7, 142; dasz alle philosophische erkenntnis
aus der Organisation des geistes stammt, ist das gr. für
die ganze bewegung der deutschen philosophie Windel-
band gesch. d. neuer, philos.^ 2, 310; musikalisch: das gr.
{ist) nicht einmal sein eigen und unterscheidet sich nur
rhythmisch vom ersten thema der beethovenschen a-so-
nate R.Schumann ges. sehr. 4,144; diese einheit giebt
sich ... in einem das . . . kunstwerk durchziehenden ge-
webe von grundthemen R. Wagner ges. sehr. u. dicht.
10, 185. — -tief, adj., gesteigertes tief mit anklingen von
grund I, vgl. abgrundtief : ein rechter abf all von got und
ein grundtiefe ketzerey Seb. Franck chron. zeytb. (1531)
417^; in grundtiefer demut H. Gholtz lebendige bilder
(1557) X 2^; und holte gnmdtiefe seufzer aus dem dun-
keln unrath ihres herzens herauf U. Bräker s. sehr. 2,
145; bei dem grundtiefen gegensatze der meinungen
Treitschke dtsche gesch. 3,627; adverbial, intensivierend:
wollt ihr euch nicht erbarmen
und nehmen meiner an
als eines grundtief armen
Reinicke )uchs (1650) 285.
— -tiefe, /. 1) durch grund I gesteigertes tiefe Hiefste
tiefe' : er versamlet als uf ainen schober di wasser des
meres; er leget die grundtife in verborgene schetze
Schede psalmen 121 ndr. (= ponens in thesauris abyssos
ps. 33, 7) ; in der gr. des meeres Hebel w. 2, 341 Behaghd;
diesen auserwählten mag es überlassen bleiben, die
grundtiefen der philosophie auszuspüren Hufeland
kunst (1797) 358. 2) als ersatz für genitivverbindung Hiefe
des grundes': {der schacht hat) die rechte gr. noch bei
917
GRUNDTON i
GRUNDTON 2. 3 — GRUNDTREU
918
weitem nicht erreichet VAiiVASSOB, ehre d. hzthm. Crain
1, 405; ebenso zu grund IV A: einem hölzernen hause gibt
man den dritten theil der gr. von einem gleich hohen
steinernen hause Keünitz 20, 260; nach 1 hin neigend:
ein haus, in dessen grundtiefen sich grosze goldschätze be-
finden sollen BE. Geimm dtsche sagen^ 1, 150 ; die . . . achtung
des Volkes vor dem gesetz {würde) in ihren grundtiefen
zerstört werden F. Lasalle ausgew. reden u. sehr. 3, 622 ;
vgl. bereits wie grundfeste aufgefasztea grundtyeffy funda-
mentum Diefenbach nov. gloss. 185^.
GRUNDTON, m., im 18. jh. in musikalischer fach-
sprache gebildet für älteres fundamentalton J. G. Wal-
THEE mu,s. lex. (1732) 7*, in gleicher Verwendung auch
grundnote ebda 268 *, vgl. comp.-typ. 5 d.
1) musiktechnisch im eigentlichen sinne.
a) zunächst in der generalbasslehre 'der klanglich die
grundlage bildende, in der regel der tiefste ton des (terzen-
weise aufgebauten) accords' : eine accord ist eine zusam-
menstimmung etlicher klänge . . ., die theils wol, theils
hart und wiederlich lauten, nach dem verhalt gegen dem
gr. Mattheson kl. generalbassschule (1735) 157; zugleich
findet herr S., dasz wenn man richtig reden will, aUe
dissonirende accorde auf zween grundtönen ruhen Gott-
sched neueste 3, 464; dasz bey energischer erscheinung
des dreyklanges, man nehme an c als dem grundtone,
nach unten f imd as mitbeben Schlossee an Göthe
IV 25, 304 W.; der ausdruck dieser dreyklänge wird etwas
verändert, wenn man die töne verwechselt und entweder
die terz oder die quinte zum gr. nimmt Heinse «. w.
6, 22 Seh.; auch wie ^basston' verwendet: grund- und mittel-
töne ... in einem vielstimmigen gesang Wieland 23,
188 Hempel; stimmen, die unisono im tiefsten gr. ...
buszpsalmen miymeln W. Haüf s. w. 2, 87 ; in der phy-
sikalischen akustik ^der tiefste und meist stärkste ton eines
klanges'' im gegensatz zu seinen übrigen teiltönen {ober-
tönen): das ohr . . . hört nicht nur denjenigen ton, dessen
tonhöhe durch die dauer der Schwingungen , . . bestimmt
ist, . . . sondern es hört auszer diesem noch eine ganze
reihe höherer töne, welche wir die harmonischen ober-
töne des klanges nennen, im gegensatz zu jenem ersten
tone, dem grundtone Helmholtz tonempfindungen^ 37;
z. b. die feinsten Schwingungen der obertöne, die dem gr.
erst glänz und fülle geben; noch anders ''der ton, der die
klang färbe entscheidend bestimmV : jedem (ist) der gr.
seiner stimme so gegeben, dasz er ihn nicht ohne affec-
tation ändern wird Fe. Ceeuzee br. an C. v. Oünderode
(1912) 224 Preisendanz; ähnlich: lieblichkeit ... ist der gr.
dieses herrlichen Instruments Schubäbt ästh. d. tonkunst
314.
b) weiter 'der unterste ton einer tonleiter bzw. einer ton-
arf, die tonica: da jeder ton zu einem grundtone . . . an-
genommen werden kann . . ., so entstehen 12 tonarten
allg. dtsche bibl. 94, 131; die grundtöne dieser harten und
weichen tonarten . . . stehen (in der tabelle) immer über-
einander QiTANTZ anweis. d. flöte zu spielen (1789) 53;
a bedeutet auch die tonart, in welcher der ton a der gr.
ist SuLZEE theorie d. schön, künste 1, 1; setzen wir einen
bestimmten ton als anfang einer octavenreihe (als gr.),
so ergiebt sich • . . Vischee ästh. 3, 4, 854 ; anders (vgl.
comp.-typ. 5 q) 'ausgangs-, normalton': zusammenwir-
kende instrumente müssen auf denselben gr. gestimmt
sein Lxtegee 7, 155.
c) mehr zum comp.-typ. 5 r neigt gr. in der bedeutungs-
abart: gr. 'oder hauptton . . . (ist der) ton, dessen diato-
nische tonleiter einem m,usikstück zu gründe gelegt und in
demselben herrschend isC E. Beensdoep universallex. d.
tonkunst 2, 260; das instrumentalstück dort bringt ein
kurzes, volksthümliches hauptthema von vier takten,
das im gr. beginnt Böhme gesch. d. tanzes 134; Gluck
(liesz) in seinem berühmten chor der unterirdischen götter
einmal den gr. der harmonie durchschneidend herrschen
Heinse s. w. 5, 17 Seh. ; von hier aus begreift sich die schon
innerhalb des musikalischen bereiches erkennbare Über-
tragung auf das, was zutiefst Wesenheit und Charakter
eines mu^kwerkes ausmacht: die gesetze, nach welchen
ein musikalisches kunstwerk gebildet wird, erfordern es,
dasz . . . der gr. der gesammten Situation in ein motiv
zusammengefaszt werde 0. Jahn Mozart 1, 388; diese
c-mollsymphonie (fesselt uns) als eine der selteneren kon-
zeptionen des meisters, in welchen schmerzlich erregte
leidcnschaft als . . . gr. . . . bis zum ausbruche sieges-
bewuszter freude sich aufschwingt R. Waqneb ges. sehr,
u. dicht. 9, 99.
2) hauptsächlich von 1 c her vielfältig in andere bezirke
übertragen: noch im bilde: durch sein leben klingt ein
tief tragischer gr., geht eine disharmonische Stimmung
hindurch Beenhaedt gesch. d. waldeigent. 2, 321; der
hexameter ist zugleich der Inbegriff und der gr. aller
harmonie des menschen imd der Schöpfung W. v. Hum-
boldt Latium u. Hellas 125 lit.-dkm.; abgezogener : auf
die höhere tragödie der Griechen scheint es (das gesetz
des wechseis) nicht anwendbar, vielmehr geht bei dieser
ein gewisser gr. durch das ganze Göthe gespräche 6, 53
v. Biedermann; bedarf es eines Zeugnisses für den deut
sehen gr. dieser lateinischen poesie, so ... J. Geimm kl.
sehr. 3, 32; jene selbstgenieszende behaglichkeit . . .
welche als gr. der . . . wechselnden empfindungen die all
gemeine Stimmung der meisten dieser gedichte ist Fe
Schlegel s. w. 8, 134; das war der gr. in seiner betrach
tung Fontane ges. w. 1 1, 544; der gr. und grundzug des
Hettnerschen buches (ist) durchaus positiv Hebbel w.
12, 338 W.; dieser gr. geht durch alle die äuszerungen
preuszischer Staatsmänner . . . hindurch L. Häuszee
dtsche gesch. 1, 566; pluralisch weniger häufig: die königs-
liebe, einer der vorherrschenden grundtöne des fran-
zösischen nationalcharakters Matthisson erinnerungen
1, 256;
nur in den ewigen grundtönen seines wesens
lebte jeder . . . Hölderlin ges. dicht. 2, 82 L.;
von 1 b aus seltener übertragen: man findet unvergleich-
liche Worte, grosze gedancken , . ., aber alsdann gehören
sie nicht so wol zur natur als zur schönen natur und haben
den poetischen gr. an sich Ramlee eirdeitung (1758) 1,
191; ich (möchte) von ihnen selbst in drei Zeilen . . . den
gr. anklingen hören, in dem sie ihr neues leben zu spielen
begonnen haben Geevinus briefw. zw. J. u. W. Qrimm,
Dahlmann u. Qervinus 2, 229; da sie (die Wiederkehr) . . .
aus dem gleichen grundtone geht (ude die flucht) G. Kel-
LBE ges. w. 4, 27.
3) der den grund (V A 3) bildende farbton (vgl. comp.-typ.
5 i) : der tondruck ... ist auch f arbendruck mit einer färbe
... als gr., auf welchen dann der schwarzdruck . . . gegeben
wird Kaemaesch-Heeeen 5, 607; der gr. des rückens
(der dlritze) erscheint ölgrün Beehm thierl. 8, 265;
die Veränderungen im reiche der Wissenschaften (können
sich) nur gleichsam als zarte schattirungen . . . von dem
nationalcolorit und dem gr. des Jahrhunderts imter-
scheiden G. Foestee s. sehr. 6, 10. — -tonart, /., auch
haupttonart im gegensatz zu den nebentonarten, die ton-
arten c-dur und a-moll als grundlage aller übrigen ton-
arten: es musz . . . die klangleiter der gr. alle terzen und
quinten der harmonischen dreyklänge der haupttöne
derer mit ihr verwandten tonarten enthalten Scheibe
crit.musicus (1745) 472; weiter gefaszt 'die in einem ton-
stück herschende tonarf : der process, welcher den ton-
dichter diese oder jene gr. zur ausspräche seiner empfin-
dungen wählen läszt, ist unerklärbar R. Schumann ges.
sehr. 1, 181; mittelst Übergängen, die schnell von der gr.
weiter abführen Vischee ästh. 3, 4, 875; er zeigt uns
allemal erst sozusagen die gr., aus der sein held geht
0. Ludwig ges. sehr. 5, 136.
GRUNDTREU, adj., gesteigertes treu (vgl. comp.-
typ. la):
das strafet er mit stetem trieb
yedoch ausz reclit grundttreuer lieb
Hans Sachs 9, 161 K.;
dem allwaltigen, grundtreuen gotte . . . dank zu sagen
ScHOTTEL /nedewssiesr 59 wir.; mancher ehrlicher ritters-
mann und grundtreuer minister E. Feancisci traursaal
58*
919
GRUNDTRIEB — GRUNDÜBEL
GRÜNDUNG 1
920
(1672) 3, 482; reich mir mal deine grundtreue . . . tatze
her G. Hauptmann Mose Bernd (1904) ll.
GRUNDTRIEB, m., als psychologischer terminus seit
der ersten hälfle des 18. 7 As. im schwang; Hrieb, auf den sich
andere begierden und streburu^en zurückführen lassen" {vgl.
comp.-typ. 6 p/?), die 'prima Tiaturaiia' wie glückselig-
keitstrieb, Selbsterhaltungstrieb, fortpflanzungstrieb u. s. w.,
vgl. Dessoib gesch. d. neuer, dtsch. psychol. (1902) 447;
über religiöser gr. vgl. Hans Günther psychol. d. rdigiosi-
tat Jung-Stillings {Berliner diss., 1925) 195/.; zuerst na-
mentlich von Chb. Aug. Crusius neben grundbegierde
gebraucht: der erste unter den menschlichen grundtrieben
ist der trieb nach unserer eigenen Vollkommenheit an-
weis, vernünftig zu leben (1744) 133; die genauere erklärung
der thierischen grundtriebe und begierden 175; folglich
müssen in iedwedem willen ein oder etliche grundtriebe
seyn nothw. vernunftwahrh. (1766) 919; Unterscheidung des
geistigen und thierischen grundtriebes der seele allg.
dtsche bibl. 106, 27; der weltweise . . ., der die grundtriebe
seiner seelo kennen lernen will briefe die neueste litt. betr.
19, 58; da der glaube zu den natürlichen bedingungen
unserer erkenntniszkräfte und zu den grundtrieben un-
serer seele gehört Hamann sehr, i, 326 li.; der mensch
. . . lebt als tyrann und sklave nach den gleichen grund-
trieben seiner thierischen gefühle Pestalozzi s. sehr. 7,
31; indessen jagen die anerschaffenen grundtriebe . . . die
eingekerkerte seele Jüno-Stilling s.schr. 6,461; diese
beyden grundtriebe unsrer moralischen und fühlenden
natur A. W. Schlegel im: Athenäum 1, 161; ohne gnmd-
sätze, aber mit starken grundtrieben, ein beweglicher
geist im dienste starker grundtriebe Nietzsche w. (1895)
4, 164; auch auf andere bcreiche übertragen: Schilderung
der . . . politischen zustände in allen ihren beziehungen
zu Preuszen, Österreich, Europa mit ihren grundtrieben
und grundwirkungen E. M. Arndt sehr. f. u. an s. l.
Dtschen 3, 388; der gr. des republikanismus ist . . . hasz
gegen die groszen Lichtenberg verm. sehr. 2, 243; den
versuch machen, die grundtriebe der ganzen rechtsbil-
dung aufzufinden Jhering geist d. röm. rechts 2, 1, 19.
— -triebt eder, /. {vgl. comp.-typ. 5 p, o) 'letzte, eigent-
liche triebfeder\- die grundtriebfedern dieser bewegung
Fichte s. w. 2, 4O6; jedes volk regiere eine gr. fürst
PÜCKLER tutti frutti 3, 42 ; die haupt- und grundtriebfeder
im menschen ... ist der egoismus Schopenhauer w.
3, 577 Gr. — -tugend,/., 'haupttugend, cardinaltugend\
vgl. gr. virtü cardinale, principale ö fondamentale Kramer
teutsch-ital. 2, 1160t>; stimmen dise eben so wenig mit
den benannten grundttugenden zu Guarinonius greuel d.
verwüst. (1610) 634; die gr. der temperantia Garve Cicero
de off. (1783) 154; thätigkeit aber allein ist das eigentliche
leben, zugleich die gr., aus der alle andern entspringen
FÜRST PÜCKLER briefw. u. tageb. 2, 328. — -typus, m.
{vgl. comp.-typ. h -p ß): eine lösung, die dem bedürfnisz
nach einem idealen zurückführen der formen auf gewisse
grundtypen entspricht A. v. Humboldt kosmos 1, 22;
durch die . . . analogie aller formen, den gr., der in allen
erscheinungen sich wiederfindet Schopenhauer w. 1,
203 Or.; {die) combination des . . . vertikalen prismas und
der geraden endfläche . . . kann als gr. aller rhombisch
tafelartigen crystalle gelten Oken allg. naturgesch. 1, 272;
beide {dichtungen tragen) das gepräge eines älteren ge-
meinschaftlichen gr. an sich Uhland sehr. 4, 354; diesem
gr. der deutschen lyrik entspricht Heines poesie durch-
aus Hebbel w. 10, 416 W.; diese Niedersachsen sind der
gr. des Norddeutschen Laube ges. sehr. 16, 91.
GRUNDÜBEL, n., übel, das letztlich Ursache anderer
übel ist {vgl. comp.-typ. 5 p): gr., lehrer die zu ihrem
geschäft nicht taugen allg. dtsche bibl., anh. 25-36, 2071;
das eigentliche gr. hätte müssen auch in den einfachsten
naturzuständen verderblich werden Göthe IV 42, 172 W.;
jenem gr. des dogmatismus Fichte s. w. 4, 229; ein geist-
tötender rationalismus {war) das herrschende gr. Fr.
Schlegel s. w. 2, 168; ein gr. unserer zeit J. Grimm kl.
sehr. 1, 238; {Dante erkannte) ... als das gr. der zeit . . .
die allgemeine habgier der menschen Döllinger akad.
vortr. 1, 96; nordseebad ist für mich nichts neues und ich
weisz, dasz meine gr. dadurch nicht geheilt werden Dahl-
mann in: briefw. zw.J. u. W. Orimm, Dahlmann u. 0er-
vinus 2, 216; bildmäszig an grund I A angelehnt: wie die
hiesigen wasser zur abwendung nicht n\ir des oberfläch-
lichen, sondern auch des grundübels möchten gebraucht
werden Göthe IV 37, 132 W.
GRÜNDUNG,/., abstractbildung zu gründen II und III,
nicht vor dem ende des 17. jhs. feste, selbständige bildung;
occasionell in isolierten bedeutungen älter {s. u. 3).
1) in der hauptbedeutung von gründen II A ausgehend
überwiegend als thätigkeitsbezeichnung 'herstellung desgrun-
des, des fundaments, der grundlage\ vgl. gr. solidatio, sub-
structio,fundatio Stieler 711; gr.fundatio Frisch teutsch-
lat. 1, 379b.
a) bautechnisch 'die fundamentierungsarbeiten' : die gr.
ist die herstellung des grundbaues Schönermark-Stüber
488; unter künstlicher gr. versteht man die arbeiten,
welche erforderlich werden, wenn man mit den grund-
mauem nicht bis zu dem guten baugrund gelangen kann
Helfft wb. d. landbaukunst 165; das wesentlichste der
arbeit {an der appischen slrasze) ist aber die gr., der
unterbau Niebuhr röm. gesch. 3, 357; auch objectiviert für
das product selbst, 'fundament' , vgl. gr. fundamentum,
sustentaculum, firmamentum Stieler 711; gr. fondamento
Kramer teutsch-ital. 1, 574, aber nicht eigentlich technisch:
den stürm . . ., der die gegend zu verwüsten und die
häuser aus ihren gründungen zu heben drohte TxECK ges.
nov. {l8S5ff.) 6, 352;
ein theil (der bienen) . . . legt . . . leim aus der rinde
unten zuerst im gewirk zu gründungen (= fundamina)
J. H. Vosz Virgilii georg. (1789) 261 ;
. . . und als ich geboren,
erzitterte der erde bau und gründung Sfuikespeare 6, 94;
im bilde: ein beweis . . ., dasz dieses grosze werk der
neuen zeit in sich fest und vollendet dastand, so dasz
das gerüst und die stützenden träger seiner gr. hinweg-
gebrochen werden konnten Droysen gesch. Alexanders
d. gr. 517.
b) in breitester Verwendung bei concretis entsprechend
gründen II A 3 {vgl. sp. 786), meist die handlung aus-
drückend: nach der gr. der neuen stadt Droysen d. Äschy-
lus w. 571; die gr. und benennung solcher ansiedlungen
W. v. Humboldt ges. sehr. 4, 152 ; die gr. Prags {titel)
Brentano ges. sehr. 6,21; die gr. angemessener hafen-
etablissements Bismarck polit. reden 3, 6; nach der gr.
der neuen Staaten Eichhorn dtsche Staats- u. rechtsgesch.
1, 99; die gr. einer mahlerakademie dtsches museum l,
250 Fr. Schlegel; man fand die gr. einer solchen schule . . .
ganz besonders am platz Göthe 25, 91 W.; gr. der natio-
nalliberalen partei v. Bennigsen d. nationallib. partei 5 ;
die gr. des hausstandes Jhering geist d. röm. rechts 1, 91 ;
gr. einer familie G. Freytao ges. w. 17, 87; vor allem als
halb texihnische bezeichnung gr. eines geschäftlichen, gewerb-
lichen, industriellen unternehmen^: die mitglieder des Vor-
standes und des aufsichtsrats haben den hergang der gr.
zu prüfen handelsgesetzbuch § 192 abs. 1, auch mit dem
beigeschmuck des unsoliden {vgl. gründer sp. 795/.), z. b.
durch gründungen zu vermögen kommen; ein kleines
gehässiges expose, betitelt: 'zur Vorgeschichte einer mo-
dernen gr.' daheim 31 (1895), 288^; weniger häufig als 'das
durch die gr. geschaffene objecV, z. b. verkrachte grün-
dungen.
c) ähnlich bei institutionen verschiedenster art und ab-
stractis als Umschreibung des verbalbegriff es; 'Stiftung'':
geschichte der gr. des christenthums Herder 19, 35 S.;
ihnen ward wohlthätiger gründungen rühm
PIATBN 1, 244 R.;
diese stelle {eines oberaufsehers) ist eine gr. des sechzehn-
ten Jahrhunderts Justi Winckelmann 2, 2, 23; 'begrün-
dung^ : gr. und ausf ührung aller Wissenschaften, die eine
theoretische erkenntnisz a priori von gegenständen ent-
halten ELant 3, 40 akad.; die gr. der volksfreyheit Nie-
buhr röm. gesch. 2, 176; das verbrennen des leichnams
921 GRÜNDUNG 2. 3 — GRÜNDUNGSSTOCK
trug ... zu ihrer {der lehre von der seelenwanderung) gr.
bei Herder 16, 78 S.; bei gr. der ersten liebe G. Keller
ges. w. 6, 20; das wünschen und wollen wir zu gr. eines
wahrhaften wissens Göthe IV 36, 72 W.; die beitrage . . .
zu gr, eines bessern geschmacks Herder w. 18, 105 S.;
gr. des eigenen ruhmes J.H. Vosz antisymb. 1, 129; die gr.
des glüks von deinem söhne Schubart briefe 2, 257 D. Fr.
Strausz; zur gr. des gehorsams Ranke «. w. 1, 8.
d) weniger fest und gängig in anderen bedeutungen von
gründen; zu gründen II A 1 c:
. . . Bounenhell wars dir
schon vor der weiten gründung
J. A. Ckauer 8. ged. 1, 43;
die gr. der erde Brentano ges. sehr. 5, 391; zu gründen
II A 2 a 'festigung^ : über der hauptsache, der festen gr.
der republik G. Forster s. sehr. 8, 315; einflusz auf das
System unsrer denkart und also auf die gr. des karakters
Schiller 2, 339 0.; nach gründen II A 2 b: dem wahren
wie dem falschen zur bestätigung und gr. dienen Göthe
II 5, 1, 334 W.; entsprechend gründen II B: gr. des Staats
auf den ackerbau Herder 5, 425 S.; wie gründen II C:
keine . . . Verknüpfung der umstände, keine gr. des
einen in dem andern briefe die neueste lit. betr. 20, 51;
passivisch: solche meinungen in ihrem zusammenhange
zu begreifen und ihre notwendige gr. in anlagen der
menschlichen natur einzusehen A. W. Sohlbqel in:
Europa 2, 66.
2) technisch im sinne von gründen III 1 und 2, in neuerer
spräche von grundierung verdrängt: gleich nach voll-
endeter gr. nimmt man . . . bimsstein Lichtenberq briefe
1, 138; zur gr. der leinwand, worauf gemalt wird, macht
es (das wachs) . . . den grund sehr biegsam Böttioer kl.
sehr. 2, 125; objectiviert '^ grundier ungsfarbe\ daher heiszt
bey den mahlern die gr. . , . die erste färbe, welche man
auf die leinwand gleich und eben aufträgt Krünitz 20,
219; das weiszo . . . machet den Überzug der leinwand
der jnumien und hier ist dasjenige, was unsere maier gr.
nennen Winckelmann s. w. 3, 254; gr. in gründungseisen
der kupferstecher Adelung vers. 2, 827.
3) in älterer spräche mehrfach zu gründen I A 3 {vgl.
sp. 777^.) gebildet: hohe und tiefe gr. Jac. Böhme sehr.
(1620) 5, 2 vorr.; kluge schlüsz und gr. der gemüther
ROMPLER VON Löwbnhalt erstes gebüsch (1647) 50; dann,
hat er die unverhoffte wirckung desz schwefeis gesehen,
warum hat er fernere gr. nicht eingestellet frantzös. 8im-
pliciasimus (1683) 3, 39; nicht sicher deutbar, nach Staub-
ToBLER 2, 779 ''Vertiefung, gründlichkeit\- nisus Sperrung,
trang, gwaltiger truck, gr., arbeit, müy und arbeit die
einer nimpt etwas ze thün Frisius 870''. — gründungs-
arbeit,/. {vgl. gründung la): der grundbau besteht in
den gründungsarbeiten Schönermark-Stüber 486. —
gründungsdocument, n. {vgl. gründung Ib): Roon
hatte das gr. zu verlesen Roon denkw. 2, 403. — grün-
dungsfest, n. {vgl. gründung 1 b): das gr. des . . . lese-
vereins fand am 3. märz 1877 . . . statt jahrb. d. Grill-
parzergesdlsch. 6, 221. — gründungsfieber, n. {vgl.
gründung 1 b): das allgemeine gr. {warf sich) mit . . . ver-
liebe auf die eisenbahnen hwb. d. staatswiss.^ 3, 540. —
gründungsgeschäft, n. {vgl. gründung Ib): die ...
arten des gründungsgeschäftes {im börsenwesen) ebda 2,
1043. — gründungsgeschichte,/.(vgrZ. gründung ib):
Korinthos gr. ist sehr wunderbar K. O. Müller d. Dorier
1, 84. — gründungsjahr, n. {vgl. gründung 1 b): nach
dem gr. dieser stadt Niebuhr röm. gesch. 1, 103 ; in der
ersten freude der gründungs jähre Sybel begründung d.
dtsch. reiches l, 73; halbtechnisch: das erste jähr ist das gr.
der bank hwb. d. staatswiss.^ 4, 1254. — gründungs-
kapital, n. {vgl. gründung 1 b) 5, 571. — gründungs-
kosten, pl. t. {vgl. gründung 1 b) Lueger 619. — grün-
dungssage, /. {vgl. gründung 1 b): die gr. der stadt
MOMMSEN röm. gesch. 1. 50. — gründungsschwindel,
m. {vgl. gründung 1 b): der übermüthige milliardentanz,
der gr. Roseqqer sehr. II 8, 397; hwb. d. staatswiss.^ 7,
226. — gründungsstock, m. {vgl. gründung 1 b), ge-
GRÜNDUNGSTAG - GRUNDVERDERBEN 922
legenheitsbildung an grimdstock angdehnt: ihre hoheit,
die eine so reiche beysteuer in den gr. geworfen haben
Göthe IV 32, 212 W. — gründungstag, m. {vgl. grün-
düng 1 b) : der gr. der Universalmonarchie Fr. L. Jahn
1, 165 E. — gründungstiefe, /. {vgl. gründung 1 a)
LuEOER 4, 794. — gründungsurkunde, /. {vgl. grün-
dung 1 b) Krünitz 198, 461 ; nach der weihung von wasser
und salz wurde die gr. unterzeichnet Stifter 3. w. 14,
284. — gründungsverfahren, 71. {vgl. gründung 1 a)
LtTEOER 4, 794. — gr ündungsversammlung, /. {vgl.
gründung 1 b) hwb. d. staatswiss.^ 2, 628. — gründungs -
zeit, /. {vgl. gründung 1 b): das zweite Studienjahr eines
neuen Instituts . . . gehört jedoch auch mit zur gr.
Hegel w. 16, 148.
GRUNDUNTERTAN, m., was grundholde: grund-
unterthanen Casp. Schmid bei Scherz 1, 574. — -unter-
tänig, adj.: so würde der staat gefahr laufen, alles
eigenthum des bodens in den bänden der regierung zu
sehen und alle unterthanen als grundunterthänig (glebae
adscripti) Kant s. w. 7, 142 H.
GRUNDURSACHE, /., im 16. jh. zunächst wohl nichts
als zusammenrückung der formd grund und Ursache {vgl.
sp. 727): aber Rafenstainer wer die gruntursach des Ver-
derbens der lant Wilwolt v. Schaumburg 84 lit. ver.;
doch ungefehr ist ohne grundtursachen nichts geschehen
G. Kraus siebenbürg, chron. 1,165; dann in comp.-typ.
5 p übergehend 'die einem Vorgang zugrunde liegende, erste
und ursprüngliche Ursache^ vgl. grundursach causa, ragione
fondamentale Kramer teutsch-ital. 1, 574; die recht grund-
lu-sach der leiblichen trübsalen Guarinonius greud d,
verwüst. (1610) 295; die einige und grundursach solcher
liebe ist die liebe gottes Dannhaüer catechismusmileh 2,
27; die feuchtigkeit als die gr. alles wachsthumes Prä-
torius anthropod. plut. (1666) 1, 304; die würckenden
grundursachen einer ledern art, es sey von erdgewächsen
oder von thieren, sind auch geistlich Knorr v. Rosen-
roth pseudodoxia (1680) 161; eine kranckheit wird nicht
gewisser curiret, als wenn man die wahre grundursachen
hebet Stranitzky ollapatr. 265 W. ndr.; zärtliche wirckung
eines so reizenden triebes der natur, der, so sonderbar
auch seine gr, ist, so nöthig und nützlich . . . seyn musz
Scheibe crit.mus. (1745) 54; nach denen ... grund-
ursachen der färben Noel Chomels öcon. lex. 3, 1315; es
hat Ursachen und grundursachen Gerstenberg schlesw.
lileraturbr. 150 lit.-dkm.; die gr. des Verfalls Jhering geist
d. röm. rechts 2, 1, 156; adjectivisch verdeutlicht: der Ur-
sprung und die erste gr. von rifen und schneelawinen
{v. j. 1816) österr. weisth. 3, 243; erkenntnisz der ersten gr.
BoDMER V. d. wunderbaren (1740); diese hauptaxe der
ansch wellung {ward) ... die ursprüngliche gr. der . . .
gesamterhebung Ritter erdkde 2, 50; im sinne 'oberstes
princip': die innersten grundursachen der erschaffenen
und natürhchen dinge I'riller poet. betracht. (1752) 4, 1;
die hypothese von zweien einander feindseligen grund-
ursachen der dinge Herder 18, 295 S., vgl. zschr. f.
dtsche wortforsch. 8, 881»; das streben nach den letzten und
höchsten grundursachen A. v. Humboldt kosmos 1, 151;
flacher, nach comp.-typ. 5 r hin, 'wesentliche, hauptsächliche
Ursache': doch dünke ich mir die grundursachen . . .
richtig bemerkt zu haben J. H. Vosz krit. blätter 1, 124;
welche waren die grundursachen der zahlreichen ... in
Baiem gestifteten abteyen allg. dtsche bibl., anh. 53-80,
855. — -Ursprung, m. Schottel 473.
GRUNDVERDERB, m. {vgl. grund verderben 2 und
comp.-typ. h o): durch den gr. unserer kirche Gutzkow
zaub. V. Rom 9, 35. — -verderben, n. 1) im 16./17. jh.
durch grund im sinne des comp.-typ. 5 u gesteigert, 'völliges
verderben': eyn war gr. und giftsucht des jungen bluts
Fischart 3, 287 H.;
. . . ihr sucht mein grundverderben
GEYPmus trauerspiele 157 Palm.
2) später nach comp.-typ. 5 o, p 'verderben, auf dem ein
schade beruht, von dem ein übd ausgeht': das soll eben ihr
verderben imd noch darzu ihr gr. sein, hat wol je ein
923 GRUNDVERDERBLICH - -VERHÄLTNISZ
GRUNDVERKEHRT— -VORAUSSETZUNG 924
enthusiaste ärger auf die systematische theologie ge-
schmählet? J. G. Schütze herrnhuthianismus in tumore
(1748/7.) 2,131;
verändre meinen sinn und zeige meiner seelen
ihr grund verderben an . . . Gottsched neueste 6, 846;
ein gr, scheint mir das zu seyn, der mangel an publicität
der Wissenschaft Hegel w. 19, 1, 53. — -verderblich,
adj., intensivbildung {vgl. comp. -typ. la): m schädlichste
zwitracht und grundtverderbliche krieg gestürtzt Chr.
Besold motion (1637) 45; wein . . . bringet ... an der
Seelen, leib und gemüth einen grundverderblichen scha-
den GoOKELiTJS cur. beschr. (1697) a 2^; die wahre quelle
alles bey denen handwerkern eingerissenen grundverderb-
lichen Unwesens corpus juris opificiarii 26 Ortloff; zu aller-
hand grundverderblichen neuerungen anlasz geben Spöt-
tereien d. teuf eis (1788) 206; zu einer grund verderblichen
maszregel Dahlmann gesch. v. Dännemark 3, 123; grund-
verderbliche lüge Schopenhauer w. 4, 215 Qr. — -ver-
derbt, adj. partic. {vgl. comp.-typ. 1 a): an der . . . grund-
verderbten lebensart Vernunft, tadlerinnen 1, 351; das herz
kann niemals so gr. werden Schiller 2, 362 0.; er über-
legte, ob es {das mädchen) . . . gr. sei Auerbach sehr. 10,
156; in diesen grund verderbten Zeiten Bodmer samrrd.
crit. poet. sehr. 1, 75. — -verdorben, adj. {vgl. comp.-
typ. la):
und die grundverdorbnen freunde
lieben wir doch ungemein
ZiNZKNDORF d. letzten stunden (1723) 25;
das grund verdorbene menschliche geschlecht Jüng-
Stillinq s. sehr. 2, 125; schaden dieses grundverdorbenen
Europa Gutzkow ges. w. 3, 181. — -Verdorbenheit,
/., vom vorigen abgeleitet:
diese grundverdorbenheit
zeigt euch, dasz ihr sUnder seid
ZiNZBNDORF in KNAPP /ted«f «cAa<2 * 588 » j
wir haben unsere gr. erkannt Jung-Stillino s. sehr. 2,
322; die gr. der Sphäre R.Wagner ges. sehr. u. dicht.
9, 128.
GRUNDVERFASSUNG, /., die aus den grundgesetzen
einer gesellschaftsordnung bestehende, das fundament bil-
dende Verfassung: die bürgerlichen gesetze müssen auf
das wesen der republiken und die gr. des Staates gegrün-
det seyn Gottsched neueste 7, 539; es ist ihre {der Herrn-
huther) gr. so, dasz nach selbiger einrichtung kein mensch
ehrlich sich nehren . . . kan Alexander Volck d. ent-
deckte geheimnis (1750) 1, 563; die gr. der bürgerlichen
gesellschaft allg. dtsche bibl., anh. 37-52, 400; das haupt
einer freyen nation in einer durch gr. und gesetze . . .
eingeschränkten monarchie Gramer Neseggab 3, 24; die
gesetze des Vaterlandes (werden) durchgesehen und der
gr. des reiches . . . angepaszt E. M. Arndt geist d. zeit
(1813) 3, 361; ihre regierung war der gr. nach . . . mon-
archisch Fr. H. Jacobi w. 6, 342; der gr. der stadt zu-
wider Nicolai Seb. Nothanker 2, 65 ; anders ''die den äusze-
runden des gemütslebens zu gründe liegende seelische Ver-
fassung^ : ich glaubte, dasz, was ihm so schnell und heftig
auf einander begegnete, sein junges gemüth in etwas aus
seiner gr. gesetzt habe Heinse s. w. 4, 150 Seh.; die
Schlechtigkeit der innern gr. eines solchen vorsätzlichen
mörders Gutzkow ges. w. 8, 331; männer in einer kriege-
rischen gr. des gemüths Nietzsche w. 4, 168. — -ver-
hältnisz, n., ^das verhältnisz, auf das die erscheinungen
letztlich zurückzuführen sind" {vgl. comp.-typ. 5pjS): ein
maasz für die verschiedenen gattungen der Schönheit fest-
zusetzen, das heiszt ihre grundverhältnisse auszumitteln
Solger Erwin (1815) l, 65; die im ersten buche aufge-
stellten einfachsten grundverhältnisse von waare und
geldwerth Fichte s. w. 3, vorr. 42 ; der begriff hat es . . .
mit den einfachsten grundverhältnissen zu tun Vischer
ästh. 1, 310; es ist der nämliche fall, nur mit etwas ver-
wickeiteren umständen, die grundverhältnisse sind sich
gleich G. Büchner s. w. 75 Franzos; tritt man aber näher
heran, so zeigt sich nicht selten, dasz das gr., auf welchem
alles beruht, leicht und zart ist Ranke s. w. 38, 345; das
herrschaftsverhältnis ist das einheitüche gr., aus dem sich
einzelne rechtsverhältnisse . . . entwickeln können hwb.
d. staatswiss.^ 6, 917; die beziehung zwischen der histo-
rischen richtung in der auffassung der abstrakt-theore-
tischen und der praktischen geht als ein gemeinsames gr.
durch die geisteswissenschaften W. Dilthey einl. in d.
geisteswiss. 1, 33. — -verkehrt, adj. {vgl. comp.-typ. la),
personell {vgl. verkehrt th. 12, 1, sp. 634/.):
du liebest, herr, gerechtlgkeit
und hassest grundverkehrte leut,
die sich scheinheilig stellen
Georg Werner bei Fischer- Tümpel kirchetüied 3, 27;
ihr falsch-gelehrte,
ihr grundverkehrte,
fort, packet euchl
Weichmann poesie d. Niedersachsen 2, 329;
objectsbezogen: diese grund verkehrte bestimmung des zu-
fälligen behält auch Kant bei Schopenhauer w. 1, 593
Or.; es ist also gr. zu sagen Görres mystik (1836) 1, 6.
GRUNDVERMÖGEN, n. l) 'grundfähigkeif im sinne
von comp.-typ. 5p^: aus diesem gr., zu lieben und zu
verabscheuen, müssen sich alle . . . leidenschaften er-
klären lassen Moses Mendelssohn ges. sehr, l, 282; nun
ist aber alle menschliche einsieht zu ende, sobald wir
zu grundkräften oder gr. gelangt sind Kant s. sehr. 5, 47
akad. 2) 'oms grundbesitz bestehendes vermögen\' der kein
gr. besitzet und kein steuerbares gewerbe treibt Börne
ges. sehr. 6, 25; die neuen ansiedier . . . durften . . . mit
dem gr. wie eigenthümer schalten Raumer gesch. d.
Hohenst. 5, 36. 3) 'der grundstock eines Vermögens, fonds',
vgl. grundkapital: welche {beitrage) mit zusammen 1610 fl.
das gr. der gesellschaft darstellten jahrb. der Grillparzer-
gesellsch. 2, 324, vgl. Campe 475''. — -Vermögenssteuer,
/., zu grund vermögen 2: in . . . Schwaben wurde . . . neben
einer gr. . . . das familienschutzgeld . . . eingeführt hwb.
d. staatswiss.' 3, 411. — -verschieden, adj., intensi-
viertes verschieden {vgl. comp.-typ. 1 a): die neuere astro-
nomie hat längst die grundverschiedene natur beider
arten von weltkörpem erkannt D. Fr. Strausz sehr. 6,
110; andere {buchstaben) sind gr. und lassen sich durch
keine entartung daraus ableiten Fr. Schlegel s. w. 1,
187; wie leib und seele zwei grundverschiedene Substanzen
sind Schopenhauer br. 221 Chr.; formelhaft: grundver-
schiedene dinge Geibel w. 4, 92. — -Verschiedenheit,
/., als ''völlige verschiedenheiV {vgl. grundverschieden u.
comp.-typ. 5 u): gr. des alten und neuen testaments Nova-
lis sehr. 3, 193; die gr. des geistes des kynismus von dem
der askese Schopenhauer w. 2, 179 Or.; aus der groszen
innern gr. zweier Schwestern Stifter s. w. 4, l, 79 8.;
auch ^wesentliche, entscheidende Verschiedenheit' {vgl. comp.-
typ. 5 r): diese gr. zwischen dem johanneischen Jesus und
dem synoptischen D. Fr. Strausz ges. sehr. 3,113; es
{dürfte) sich aber auch aus denjenigen grundverschieden-
heiten der grammatik, die wir . . . entwickelt haben, er-
klären lassen Fr. Schlegel s. w. 8, 380; wie comp.-typ.
5 p : diesz sind die vier elemente . . . und sie sind die
grundverschiedenheiten nicht nur für das gefühl, son-
dern auch für die übrigen sinne Heinse s. w. 4, 294 Seh.
vertrag, m., vertrag, der die basis eines rechtsverhält-
nisses bildet {vgl. comp.-typ. 5 o), namentlich ein die
grundgesetze, grundrechte {s. dort) berührender: dasz
Staatsrechtshändel zwischen kaiser und reich nur durch
einen gr. gehoben werden können allg. dtsche bibl., anh.
53-86, 1713; die kaiserlichen decrete . . . nahm der hüter
des grundvertrages . . . gefaszt entgegen Treitschke
hist. u. polit. aufs. 3, 315; die bürgerliche gesellschaft
{könne) nicht auf einem einzigen, unter den theilnehmem
abgeschlossenen oder vorauszusetzenden grundvertrage
beruhen Rehbebg pol.-hist. kl. sehr. (1829) 145. —
-Voraussetzung, /. {vgl. comp.-typ. ^ o): das ist eben
unsere gr., dasz das christenthum absolute Wahrheit ist
Schleiermacher s. w. 1 12, 90 anm.; hinter den mora-
lischen begriffen liegen noth wendig, als erste gr., ästhe-
tische begriffe verborgen Herbart w. 2, 79; die gedanken-
mäszigkeit der äuszeren weit ist die gr. der Wissenschaft
925 GRUND VORSTELLUNG - GRUND WALLUNG
W. DiLTHEY eird. in d. geisteswiss. 1, 412. — -Vorstel-
lung, /., ursprüngliche einfachste Vorstellung, von der ein
vorstdlungscomplex ausgeht {vgl. comp.-typ. 5 p): wenn
man die priorität gewisser grundvorstellungen . . .
leugnen will allg. dtsche bibl. 86, 359; weil in (der kosmo-
gonie der Färsen) einige grundvorstellungen hervor-
treten, die sehr vielen anderen später entwickelten unter-
liegen RiTTKB erdkde 8,43; in einer solchen klasse bilden
sich gewisse grundvorstellungen, in die sie festgerannt
sind Hegel w. I 7, 326.
GRUNDWAGE, /., Instrument zur nivellierung des
grundes {vgl. grund II A 2 b «. th. 13, sp. 366), 'horizontal-
wage, wasserwage' Fäsch kriegslex. (1735) 3781», vgl. 409^;
Helfet wb. d. landbauk. 165; Beil 265. wagen, m.,
von unsicherer bedeutung, vereinzelt belegt: mit was für
gewaltigen schrauben, waltzen und grundwagen er unser
kaltes, faides und zur barmhertzigkeit verdrossenes hertz
wird forttreiben Val. Herberg ee hertzpostilla (1613) l,
591, vgl. 343.
GRUNDWAHR, adj., gesteigertes wahr {vgl. comp.-
typ. 1 a) : wi üb mir dero brif lein ist, so gr. bleibet auch
dessen Inhalt Bütschky hochd. kanzelley (1652) 321; dieser
satz {ist), obwol für sterbliche menschen grundfalsch,
doch für deren unsterbliche werke gr. Jean Paul w. 37,
67 H.; es war mein ernstestes bestreben das eigentliche
grundwahre . . . darzustellen Göthe an Zelter 5, 393 Riemer.
GRUNDWAHRHEIT. /. l) im älteren nhd. und mund-
artlich verstärktes Wahrheit, 'völlige, gewisse, sichere, wirk-
liche wahrheif {vgl. grund der Wahrheit sp. 716, gründ-
liche Wahrheit sp. 856 u. comp.-typ. 5 t, u): sed debet esse
die grundwarheyt Luther 15, 545 W.; uns ist bisz noch
die grundtwarheit verborgen Fierrebras (1533) g 1*; das
ist eine gewisse grundwarheit als Versicherung sformel
Fischer schwäb. 3, 880; das ist eine gr. Th. Bindewald
oberhess. Sagenbuch 49.
2) 'fundamentale, nicht weiter beweisbare Wahrheit, auf
deren evidenz sich andere Wahrheiten, sätze, lehren usw.
aufbauen' : so folget nun daraus, dasz eine Wahrheit mit
der andern verknüpft ist und dasz, solange als eine
Wahrheit durch eine andere erwiesen wird, jene der haupt-
grund oder quell nicht genennet werden möge, sondern
allerdings eine grundwarheit unerweiszlich sein müste
Chr. Thomasius einl. zu d. vernunftlehre (1691) 152; diese
Sätze oder conclusiones nun sind entweder dergestalt
beschaffen, dasz deren imstreitige Wahrheit alsbald und
ohne einige raisonirung der mensch versichert wird, weil
sie mit denen grundwarheiten ohnmittelbar verknüpft
sind auszübung d. vernunftlehre (1691) 23; die einfalt der
groszen grundwahrheiten, welche die ersten tiefdenken-
den weisen entdeckten Gottsched neueste 5, 625; die
ersten grundwahrheiten der weltweisheit Schwabe belust.
4, 366; die allgemein anerkannten grundwahrheiten der
Vernunft Wieland s. w. (1794^.) 24, 42; einwürfe . . .
wider grundwahrheiten, die von allen schulen einmüthig
angenommen werden Lessing 7, 51 L.-M.; dergleichen
Sätze von ursprünglicher, also durch keinen beweis ver-
mittelter gewiszheit, wie sie die grundwahrheiten aller
Wissenschaft ausmachen Schopenhauer w. 5, 29 Or.;
dasz der Verfasser die grundwahrheiten seiner religion
aus dem judenthume mitbringt Schleiebmacher s. w.
I 5, 16; die ableitbarkeit der religiösen grundwahrheiten
aus der bloszen vemunft Windelband gesch. d. neuer,
philos.^ 1, 284; Widersprüche mit den merkantilistischen
grundwahrheiten hwb. d. staatswiss.^ 5, 757.
GRUNDWALLEN, vb., vereinzelt, 'vom gründe (grund
I A) her aufwallen' {vgl. wallen I th. 13, 1269) : loschen,
gruntwallen, strotzen estuare {voc. v. j. 1482) Dieeenbach
211 8', vgl. grundwallung, grundwelle und th. 10, 4, sp. 83.
Wallung, /., 'das aufwallen des wassers vom gründe
(grund I A) her', nur lexikalisch bezeugt und vielleicht ledig-
lich glossierung ad hoc : gruntwallung esttis vocab. optimus
(14. jh.) 56** Wackern. {neben ausdrücken meereskundlicher
art!); gruntwallunge, hicze estus {voc. v. anf. d. 15. jhs.)
Diefenbach nov. gloss. 157^; grundtwallung, strotzung
GRUNDWÄRTS - GRUNDWEHR
926
fervor ders. gloss. 23ic, vgl. th. lO, 4, sp. 89; 5. auch grund-
welle. wärts, adv., mehrfach als gdegenheitsbildung ;
zu grund I F 2, 'in die unter der erde liegende tiefe hinah'
{vgl. comp.-typ. 5 c): kehr in morgen an dem berge, nach-
dem grundwarts, da sind braune körner sehr ganghaft
Thurneyszer magna alchymia {I58i) 121; zu grund III A,
'talwärts' :
dasz die nebelschwarzen dufte von der höhe grundwarts
fllehn
K. G. Lindner dtsche ged. u. Übersetzungen (1743) 9;
zu gnmd lA, 'in die wassertiefe hinunter':
grundwarts tauchte sie rasch, wie das bleierne senkel der angel
W. Jordan Ilias 523.
— -wase, /., auch grundwasen m., 'für den Wasserbau
verwendete f aschine' {vgl. comp.-typ. 5 a): grundwaase ist
ein prismatischer körper von erde imd steinen, welcher
mit busch bekleidet worden Benzler deichbau (1792) l,
280; gr. MoTHES 2, 542; grundwasen Jacobsson 5, 752;
anlegung eines grundbettes mit und ohne gnmdwasen
allg. dtsche bibl., anh. 53-86, 567; s. wase th. 13, 2274. —
- wasen, m., durch grund II A 2 näher bestimmtes w., 'erd-
scholle, in der die pflanzenvmrzel liegt' {vgl. wasen II 1
th. 13, 2277): derjenige aber, so den kranebit (= Wachol-
der) sambt gruntwäsen heraus reiszt, {hat) iedesmohlen
per zween gülden abzubieszen {v. j. 1696) österr. weisth.
2, 200.
GRUNDWASSER, n., 'aus der tiefe der erde herauf-
drängendes Wasser' {vgl. comp.-typ. 5 c), zufrühest berg-
männisch im gegensatz zum tagewasser, 'die unterhalb des
Stollens zudringenden wasser, grubenwasser' : wenn . . . die
tag- und grundwasser verschroten und abgefürt werden
Mathesius Sarepta (1571) 35^; dasz jeder gang seine gr.
habe, so von imten in die höhe brechen und quellen
A.Beyer otia metallica (1748^.) 3,227; allgemeiner für
jedes unter der erdober fläche vorhandene wasser, vgl. Zinckb
öcon.lex. (1744) 1002; Luegeb 5,1; die gr. ... ausge-
schöpfet V. Fleming jäger{n\<d) 4; um von der gegend der
fora . . . das gr. mit dem von den bergen herabkommen-
den ihr {der cloaca) zuzuführen Niebuhr röm. gesch. 1,
433; man sorge dafür, dasz die miststätte undurchlässig
sei, damit {kein) . . . gr. {eindringe) STÖCKHARDT/eZdpred.
1, 115; in der küche stand auf dem estrich alle morgen
ein ganzer pfuhl, das gr. drang aus dem boden Gl. Viebtg
d. schlafende heer (1904); man {mutzte,) . . . um gr. zu er-
reichen, über 30 m in die tiefe graben Brehm thierleben
2, 437; die mineralwasser sind gr. allg. dtsche bibl. 9, 2, 16;'
redensartlich: 's gr. chunnt mer, sagt einer, der austreten
musz' Bächtold spr. d. Schweizer Soldaten 64; im bilde:
ich patsche noch im gr. herum Zelter an Göthe 4, 46
Riemer; dieses gr. {ist) unerläszlich für das bestehen
irgend einer geseUschaft H. Laube ges. sehr. 4, 184; wenn
so recht des herzens gr. aus den äugen quellen J. Gott-
helf ges. sehr, (1855^.) 13, 207; deichbautechnisch gr. für
drängwasser, 'weil es aus dem gründe unter und neben den
deichen hervordringt' Jacobsson 2, 166; ebenso bei Frisch
teutsch-lat. 1,207^; Mothes 2,543; gelegentlich für die
'untere wasserschicht' eines gewässers {vgl. comp.-typ. 5 a):
das gr. von unten hob das eis, dann erst kam das auf-
wasser und half seine zerborstenen stücke forttreiben
E. M. Arndt sehr, für u. an s. l. Dtschen 3, 625; bildlich:
ein mensch, der sicher in den grundwassern des lebens
wohnte H. Stehe drei nachte (1928) 92. — -Wasser-
spiegel, m.: das sinken des grundwasserspiegels infolge
der regulierung des Rheins Hoops waldb. u. kulturpfl. 169.
Wasserstand, m.: den gr. zu kennen, ist erste be-
dingung bei jedem baue Schöneemark-Stübee 499. —
-wehr, n., wasserbautechnisch {vgl. comp.-typ. 5 a): gr.,
'unvollkommener Überfall, bei welchem . . . der Wasser-
spiegel unterhalb des wehres noch höher als die über-
fallsschwelle liegt' Mothes baulex. 2, 543; die grundwehre
sollen nur 0,9 m über die sohle hervorragen; sie unter-
scheiden sich diu'ch ihre geringere höhe von den über-
fallwehren Schweez prakt. ackerbau 215. — -wehr, /.,
'unterer theil der brustwehranlage' : damit man den berg
927 GRUND WELLE - GRUND WERK i. 2
GRUND WERK 3. * - GRUNDWESEN 928
nicht auf- oder absteigen kan . . ., hat man von der statt
und underporten zu rings umb mit grundwehren ausz-
gestoszen D. Specbxe orcA. v. vestungen (1589) 88*'.
GRUND WELLE, /. 1) 'vom gründe des meeres herauf-
drängende welle' von besonderer stärke und gefährlichkeü
für den schiff er {vgl. grundaee):
die starken gruntwelle quelten si vil sßre
Kudrun 85, 3M.; vgl. 261, 4;
die schifwendo krachten, dö begunden wagen
von den gruntwellen ir kiele harte sere ebda 1137,- 3,
wo es sich nicht um die 'brandung\ sondern um wogenberge
des offenen meeres handelt {vgl. ebda 1138, 4); die under-
wällen von der tiefe här oder unden auf, grundwällen
infernus fluctus Frisius CöO^; es sind grund wällen gangen,
die stillen wasser desz meers sind auszgebrochen von den
tieffisten wasserfurten, das ist von grund auf von wägen
desz groszen ungewitters imis vadis refusa stagna 1343"*;
{du) entgest den ungestimmen grvmdwellen {dieses Welt-
meeres) J. G. ScHiNBEiN encomia b. Mariae (1595) nach
Alemannia 10, 183; die grund wellen schlugen so heftig an
das schiff, dasz es sich wie ein röhr bewegte N. E. Klee-
mann reisen (1771) 4; indem er {Petrus) hurtig fortlaufet,
treibet der starke wind eine grundwellen gegen ihn
M. Schott kurtzweil d. ewigen weiszheit (1790) 150; das in
seinen tiefsten tiefen erschütterte meer tobt . . . noch
lange fort, denn nun fangen die grundwellen an aus der
tiefe nach oben zu gehen Zsohokke s. ausgew. sehr. 14,
107; gr. LUEGEB 5, 5.
2) daneben steht gr. in älterer spräche vereinzelt bezeug
im sinne 'aufwallende bewegung des meeres' , vielleicht auch
'flutströmung\' grundwel estus {voc. d. 15. jhs.) Diefen-
BACH nov. gloss. 157*, vgl. grundwallung, eine stelle des
deutschen Lucidarius: so daz wazer an dem gründe vihtet
in die löcher, so hebet sich die welle an dem grimde. die
welle tribet daz mer über den staden 19, 10 Heidlauf u.
den am Bodensee gebrauchten au^druck grundgewelle, n.
Alemannia 1, 285 u. 4, 260, Germania 35, 55; Variante zu
diesem gr. ist bedeutungsmäszig nahestehendes mhd. grunt-
walle, bildlich:
der ougen gruntwalle
von herzen dö den fluz truoc
klage 1076 L.,
vgl. das simplex walle th. 13, 1208 neben wall 1263; zum
sachlichen s. Germania 35, 55^.
GRUNDWERK, n. 1) eine stauvorrichtung {vgl. comf.-
typ. 5 a); mühlenbautechnisch: 'gr. heiszt bey einer Wasser-
mühle dasjenige gebäude, worüber das wasser in denen
gerinnen wegläuft' Zincke öcon. lex. (1744) 1002; so bereits
alt: si in edificiis et grund werke dictus Arnoldus aliquid
expenderit, sibi restituetur {v. j. 1280) mecklenburg. urk.-
buch 2, 627; in huno modum, quod profunditas aque a
fundo linificii, quod vulgo gruntwerc dicitur, in exitu
aque ante asserem {v. j. 1296) ebda 3, 637; nullum defec-
tum in aliquo paciencia, scüicet dammones, gruntwerg,
slusas, molenbedde {v. j. 1298) cod. dipl. lubec. 1, 1, 601;
item 4 m vor mos und vor Ion, das grundtwerg czur walk-
mole czu buwen {v. j. 1402) Marievburger konventsbuch
87 Zies.; es laufet nemlich das wasser durch die grund-
werke . . . aus einem see oder wasserhalter durch die
rinnen hinunter auf die räder L. Chb. Sturm mühlenbau-
kunst (1718) 1; auch allgemeiner wasserbautechnisch: oc
moghen se den graven suveren unde dat gruntwerc
beteren van deme ackere {v. j. 1364) mecklenburg. urk.-
buch 15, 416; von wassergusz an den werchen, archen und
gruntwerchen bey unserm salzärzt zu Reichenhall merk-
licher schade geschehen ist {v. j. 1482) Loei baier. berg-
recht 119; 'gr. . . . hölzernes wehr in flüssen' Mothes 2, 543;
anders beim deichbau: oberfutterung {ist) ... so viel als
die obere bekleidung eines deiches ... an dessen gr.
Benzler deichbau 2, 15.
2) als 'fundament, grundbau' {vgl. comp.-typ. 5 h) seit
dem späten mhd., im ganzen unhäufig:
du wart vlrterbit Wynneta
noch fynd man grundwerck alda,
slnt dy stad ist widder gebuwet
E. V. KiKOHBEEG mecUenbuTg . chron. 597 Westphalen;
als ... das feuer an das grundtwerck angeleget, gieng
es mechtig wol an und verzehrte ein stück mauers
H. Rätel beschr. d. krieges (1590) I 2*>;
. . . das erdrelch, welches er
hat unbewöglich föst als ein grundwerck gelöget
Weckheklin ged. 2, 41 F.;
den bis ans grundwerk klaffenden ruinen
Pkeiligkath ges. dicht. 5, 256;
hütten, die auf dem alten gr. aus den abgebrochenen
steinen wieder aufgeführt worden sind fürst Pückler
weltgang v. Semilasso (1835) 2, 220.
3) in mehr gelegentlichen bildungen verschiedenen comp.-
typen zu^ehörend; zu comp.-typ. 5 o: ja wan das grund-
werck nicht getrieben, . . . laufet dan nicht das moral-
werck alles zu einer bossenparade . . . aus ? Th. Under-
EYCK narr, atheist (1722) 560; in ceremoniensachen richtet
sich ein christ nach dem, bei dem er grade ist; denn sie
beide sind in dem grundwercke völlig eins Zinzendorf
amerik. reden (1746) l, 183; in vielen stücken sahen wir
bereits weiter als dieser . . ., theils durch das gr. des
meisters selbst D. Fr. Straüsz ges. w. 10, 225; {Konfutse)
hat grundwerke, besonders geschichtliche, kommentiert
Hegel w. 13, 139; die grundwerke {des socialismus)
0. Flake Ruland (1922) 112; diesem grundwerke der
neuen kunst {Michelangelos jüngstes gericht) Göthb IV 32,
86 W.; zu comp.-typ. 5 p:
wer pflanzet ihnen wol das erste grundwerck ein
aus dem ebrelschen, dem griechschcn und latein?
F. G. Peklensee lob d. geldsucht (1709) 698.
4) technisch zu comp.-typ. 5i, 'grundiermaschine' : er , . .
erfand eine solche maschine, die ein gr. genannt wird
Jacobsson 5, 752; zu comp.-typ. h: gr. als theil einer pa-
pier Verarbeitungsmaschine Lueger 6, 5.
GRUNDWERT, m., 'bodenwert' {vgl. comp.-typ. bi):
der gesteigerte zinsfusz {drohte) in einzelnen gegenden den
gr. herabzudrücken hwb. d. staatswiss.^ 1, 211; capitalicn
gingen dem verkehr und erwerb verloren, die grund-
werthe sanken Gutzkow ges. w. 9, 378; anders zu comp.-
typ. 5 p : der innerliche, eigentliche ur- und grundwerth
(der bibd) geht niu: desto lebhafter und reiner hervor
GÖTHE 7, 182 W., vgl. 24, 297.
GRUNDWESEN, n. 1) 'seiendes, das als Ursprung,
ausgangsstoff , dementarkraft usw. gilt' {vgl. comp.-typ.
5 p); vgl. schon gr. materia {voc. d. 15. jhs.) Diefenbach
nov. gloss. 248, aber erst im 17. jh. breiter bezeugt; als Ver-
deutschung von 'element' : der cörper des crystalls . . . hat
sichtbarlich in sich diejenigen gr., darin sich die gemischten
cörper auflösen und zerlegen lassen Knorr v. Rosenroth
pseudodoxia (1680) 450; element, urstoff, gr. Kinderlino
reinigkeit 257; von den . . . drei gr., erde, wasser und luft
J. H. Vosz krit. blätter l, 12; der . . . zeolith . . . wurde
als eine zinkmine ohne luftartiges gr. erfunden allg. dtsche
bibl. 74, 488; natur philosophisch, kosmologisch, metaphy-
sisch gr. im sinne der höchsten principien des seins: die
berühmten drei gr. des Isaa«i Hollandi, des Basilii und
Paracelsi Knorr v. Rosenroth pseudodoxia (1680) 128;
also dasz gott gleich im anfang, da er der materie eine
gestalt geben wollen, dieselbe in in zwey haupt-grund-
wesen abgetheilet ; deren eines das förmliche und gestalt-
gebende, nemlich der himmel, das andere das materia-
lische und gestaltnehmende, nemlich die erde 82; die
trennung seiner dreierlei gr., der materie, der ideen und
der gottheit von der gegenwärtigen weltordnung der zeit
nach Feszler Abälard u. Heloise 1, 91; zwey principia
oder gr. . . ., ein böses und ein gutes M. Claudius Asmus
1/2, 142; die drei gr. der sogenannten zoroastrischen Phi-
losophie Herder 24, 518 *S.; ich nenne diese ideen (rea-
lisierte ideen der gottheit) gr. Jung-Stillino s. sehr. 6,
608; dann das 'urwesen' , aus dem alles hervorgeht; so
hylozoistisch gefaszt für den lebensgeist: dieses ... ist des
Helmontii archaeus, des Takenii regent, anderer ihr welt-
geist; etliche nennen es ihr drittes mercuriaüsches oder
quecksüberhaftiges gr. Knorr v. Rosenroth pseudo-
doxia 250; eines jedweden dinges innerliches, würcküches
929 GRUNDWESEN -GRUNDWISSENSCHAFT
GRUND WISSENSCHAFTLICH — WORT 930
und erstes gr. und urkraft E. Francisci d. höll. Proteus
(1695) 744; archaeus, der formal- und innerliche schaffer
bei der würckung, die ein werck ausübt: principium hil-
archicum (= hylarchicum), das grundhauptwesen E.
Weigbl tugendüb. rechenkunst (1687) 52; allgemeiner:
wenn man . . . erwägt . . ., dasz die wesen aller dinge in
einem gewissen gr. ihren gemeinschaftlichen Ursprung
haben müssen Kant 1, 314//.; ein durch den causalzu-
sammenhang in allen seinen theilen verbundenes gr., die
natur selbst Fr. A. Lange materialism. Iö9; er wird in ihm
(gott) das urbild und gr. aller der Schönheiten wahr-
nehmen, die er in der Schöpfung zerstreut findet Cbamer
nord. aufsehet 1, 92; dem schaffenden oder zeugenden gr.
und allvater Wieland Ldtcian 5, 307.
2) 'ursprüngliches wesen, anfängliche beschaffenheit eines
dinges" (vgl. comp.-tijp. 5 pa): einer solchen spräche, die
. . . die einigste ist, welche nach aller der andern unter-
gange nur allein in ihrem gantzen gr. noch rein und un-
verfälscht geblieben Zesen helikon. roserUahl (1669) 39;
einzelne weltweise nur erhoben sich unter ihnen ... zu
einem höheren begrifE von dem . . . einfachen gr. der
natur Fb. Schlegel s. w. 8, 69; entwickelter in dem sinne,
dasz in dem gr., auf das sich ein ding oder Vorgang zurück-
führen läszt, das eigentliche, bestimmende, wahre wesen
sich repräsentiert {vgl. comp.-typ. 5 p j? mit einschlug von
6 r) : in einem einfachen gr. musz hier vieles vorgestellet
• . . und das verschiedene in vergleichung gebracht wer-
den Moses Mendelssohn ges. sehr. 2,160; unsere Ver-
nunft . . . hat ... zu ihrem gr. das abstraktionsvennögen
Schopenhauer 3, i17 Or.; einen fehler, den es {das
Schauspiel) . . . ins grab mitnehmen musz, weil er in sein
gr. verflochten ist Schiller br. l, 48 J.; das eigenthche gr.
des dramatischen O. Ludwig ges. sehr. 5, 456; ein weiteres
moment, das . . . auf das gr. der baukunst zurückführt
ViscHER ästh. 3, 2, 249; die bildung des papiers . . ., wenn
man sie in ihrem gr. betrachtet Kabmarsch-Heeren^ 6,
506; persönlich gewendet: unser ganzes gr. müszte sich . . .
ändern R. Wagner ges. sehr, u. dicht. 9, 115; etwas anders
gefärbt der 'wahre kern des wesens' : ich {mag) denn an
der ehrlichkeit seines grundwesens nicht zweifeln Görres
ges. br. 3, 133; das gr. Vischers ... ist also wirklich nur
. . . romantische anschauung Gutzkow ges. w. 10, 319. —
-wesentlich, adj., 'das grundwesen (grundwesen 2) be-
treffend^: unsere gewohnte dreifache eintheilung der
dichtarten nach gewissen allerdings grundwesentlichen
kategorien des gegenständes oder der darstellung Fr.
Sohlegel s. w. 3, 208; die heterogensten dinge zu ver-
einigen, ihren übrigen, grundwesentlichen, unermesz-
lichen abstand dabei übersehend Schopenhauer 1,
662 Gr. — -wind, m. 'wind, der von unten her weht': an
dem vierundzwantzigisten tag so chümbt ein neppel, den
treibt der grunttwint über sich von der wirm, die daz
erdreich unden herauf hal (14. /15. jh.) Alemannia 1, 286;
als besonders heftiger wind gefastt: grund ö orkanwind
orcano Krämer teutsch-ital. 2, 1351"'.
GRUNDWISSENSCHAFT, /., Wissenschaft, die grund-
läge anderer Wissenschaften ist {vgl. comp.-typ. 5 o): diese
heyden{rechnen und geometrie) sind die grund Wissenschaften
aller der übrigen v. Fleming soldat (1726) 31; mechanic
heiszt die nützliche und nöthige gr. der wirtschaftskunst
ZiNCKE öcon.lex. 1838; bey allen ... lobsprüchen, die
man dem naturrecht ertheilet, indem man es die . . . gr.
aller . . . rechte nennt allg. dtsche bibl. 114, 2, 235; Vor-
lesungen, die sich auf die grund- und die fach Wissen-
schaften erstrecken hwb. d. staatswiss.^ 5, 509; eine schule
für die grund- und hilfswissenschaften der forstwissen-
schaft Schwapp ACH hb. d. forst- u. jagdgesch. 2, 544
anm. 19; mit dem beisinn des elementaren: wer von ihnen
ungeübt . . . kommt, . . . kann durch alle coUegia laufen,
. . . ohne dasz . . . seine seele in den versäumten grund-
wissenschaften . . . gebildet würde Herder w. 30, 71 8.;
namentlich in philosophischer spräche verschieden speciali-
siert: die Vernunft {wird) immer einer allgemeinen gr. zu
ihrem eigentlichsten kenntnissen benöthigt sein Tetens
phil. versuche 1, 16 Übele; Kants transzendentale logik
IV. 1. 6.
{setzt sich) in eine philosophische gr. um, welche das
System der kategorien als dasjenige der absoluten Wirk-
lichkeit betrachtet Windelband neuer, phil.'^ 2, Sil; für
die Philosophie als ganze, sofern sie allgemeinste bestim-
mungen für alle einzelwissenschaften bietet: philosophie
als gr. JoH. Rehmke titel; innerhalb der philosophie von
Chr. Wolf als Verdeutschung für ontologie eingeführt:
{man) nennet . . . den theil der weltweisheit, darinnen die
allgemeine erkenntnisz der dinge abgehandelt wird, die
ontologie oder gr. v. d. kräften d. menschl. Verstandes (1727)
8 ; einen kurzen begriff der ontologie oder gr. Gottsched
neueste 9, 298 ; erweitert auch für die ganze metaphysik ge-
braucht vgl. Adelung vers. 2, 833, ähnlich: zu dieser Voll-
ständigkeit ist sie {die metaphysik) daher als gr. verbun-
den Kant 3, 15 akad. — -wissenschaftlich, adj.:
welche {grundideen) zuvor in der wesensschauung gr.
nachgewiesen worden sind K. Chr. Fb. KLrause grund-
wahrh. d. vnssensch. 615; grundwissenschaftliche philo-
sophie (1924) J. E. Heyde titel.
GRUNDWOLLE, /., 'unterhaar, grundhaar'' des feiles:
bei den jungen fuchsen ist das deckende ober haar noch
nicht ausgewachsen und deshalb wird ihre färbung . . .
durch die der gr. . . . bestimmt Brehm thierleben 2, 191;
anders, wie comp.-typ. h^: die gr. {baumwolle) von gos-
sypium arboreum {ujird) durch säuren . . . gefärbt Mu-
spratt 1, 1774.
GRUNDWORT, n., 'wort, das die grundlage für Zu-
sammensetzungen, ableitungen u. s. w. bildet\ daher auch
'ursprüngliches worV, vgl. gr. dictio primitiva Henisch 1769
{s. comp.-typ. 5 o, p).
1) im späteren 16. jh. zur wiedergäbe des grammatischen
terminus subjectum aufkommend: subiectum ist ein gr.,
denn es leget und setzet den grundt, als davon handeln
und zu reden vomimpt W. Bütner dialectica teutsch
(1588) 83*>, namentlich durch Schottel eingebürgert, der es
neben grund, hauptglied auch für den zweiten, geschlecht-
gebenden bestandtheil eines compositum^ verwendet: das bey-
gefügte aber ist das übrige worttheil oder das vorderste
glied des Wortes, welches also und darum wird vom bey-
gefüget, dasz durch dessen bey- oder vorstand das gr.
gleichsam anders gefüget und zu einer andern deutung
gebracht werde t. Sprachkunst (1641) 110, vgl. Jellinek
gesch. d. nhd. gramm. 2, 170/.; so wohl der fohrsatz . . .
als das gr. {hat) seinen eignen natürlichen toon Zesbn
Helikon (1649) l, e S**; erstlich setz ich das gr., nach wel-
chem sich der articul richtet, wozu gefügt wird ein an-
ständiges epitheton und substantivum J. Chb. Männ-
LING europ. Helikon (1704) 57; so stehet auch in der Zu-
sammensetzung das bestimmungswort allemahl vor
seinem gr. Adelung umst. lehrgeb. 2, 216.
2) daneben gilt gr. wie Stammwort, wurzelwort für das
'wurzelwort, urworV gegenüber allen ableitungen, vgl. gr.
sive Stammwort radix, primitivum Stielee 2578; wollet
ihr di grund- und wurtzel Wörter, di vor- und nachf ügungs-
silben idweder spräche nebenst ihrem wesen erlernen,
hir findet ihr si Q. Kuhlmann gesch. herold (1673) e 4*;
diese unterschiedliche mundahrten sind uhrsprünglich
nach ihren stamm- und grundwörtem alle teutsch Neu-
MAEK neuspr. t. palmb. (1668) 110; der teutschen sprach
eigene art ist, beynahe alle ihre grund- oder Stamm-
wörter . . . nur mit einer sylbe darzugeben Gbimmels-
hausen 2, 1116 Kell.; andere ausländer dürfen schreiben,
es wehren ohngefehr zweyhundert teutsche grundwörter
Schottel 24; es ist das teutsche wort man in den meisten
sprachen gebräuchlich und ohnzweifel eins von den ersten
grundwörtem Morhof unterr. (1682) 1, 124; eine spräche
von . . . nicht mehr als 272 einsylbigen grundworten Fr.
Schlegel s.w. 13,81; ich halte sie für uralte grund-
wörter, die aber in der ganz flectirten spräche als solche
verschwinden W. v. Humboldt an A. W. Schlegel briefw.
238; die ersten grundwörter aller sprachen der weit {sind)
ursprünglich schildernde töne gewesen Sulzeb theorie d.
schön, künste 3, 16l; das gr,, woraus die namen der fisch-
weiber . . . abgeleitet werden müssen Creuzer mythol.
2, 70.
59
931
GRUND WÜRZ — GRUNDZAPFEN
GRUNDZEICHEN - GRUNDZUG
932
3) weniger häufige Verwendungen; als 'wort der grund-
spräche^ gegenüber dem daraus übersetzten: welches auch
mit der bedeutung des grundwortes wohl übereinkommt
Knorr V. Rosenroth psevdodoxia (1680) 808; das gr. be-
deutet . . . reiben, zermalmen allg. dtsche tibi., anh. 1-12,
539; um den sinn des geistes nach unserer spräche recht
vorzustellen, muste er freilich bisweilen von den grund-
worten etwas abgehen J. Fr. Bertram nähere beleucht.
(1741) 13; anders 'wort, text als grundlage einer rede" : be-
gierig horchten sie auf das gr., welches der herr der schrift
entnommen Gotthelf ges. sehr. 13, 368; für ' Substantiv,
hawptworV : die Stellung dieser haupt- und grundworte
GÖTHE 32, 124 W.
GRUNDWURZ, /., pflanzenname. l) entstelltes grind-
wurz {vgl. sp. 378) für das schellkraut, chelidonium maius:
schelle-, gruntwurcz hyrundinia Diefekbach nov. gl.
204^. 2) nicht sicher zu deuten als name des mannstreu,
eryngium campestre Pritzel- Jessen 145* nach Toxites;
vgl. HoLL pflanzenn. 137"^. 3) anscheinend für die gelbe See-
rose, nuphar luteum, weil sie im gründe des loassers wur-
zelt: nim ein puckling und dan gr., die in den teichen
wachsen, mit den breiten blettern, die gelbe blumen ha-
ben haushaltung in Vorwerken 225 Ermisch, dafür auch
grundwurzel 214; vgl. H. Fischer mittelalterl. pflanzenkde
276: gruntwurtz neben wasserwurtz, sewurtz.
GRUNDWURZEL, /., seit dem 16. jh. belegbar; die
' Wurzel, aus der sich etwas entwickelt, die den Ursprung
darstelW (vgl. comp.-typb-^); sinnlich: aus diser grund-
wurtzel schlieffen järlichs neue wurtzeln Bock kräuter-
buch (1539) 2, 88; im bilde: so der tugend zuwider leben,
die ausz der grundtwurzel desz rechtgeschaffenen glau-
bens wachsen J. Nas warnungsengel (1588) 12; die drei
grundwurzeln des keltischen Stammes Bernhardt gesch.
d. waldeigent. l, 6 ; 'letzte, untheilbare Substanz, grundwesen' :
es ist ... aber offenbar, dasz diese grundwurtzel nicht
unter die art der sonderbaren formen gehöre . . ., da doch
dieses wurtzelwesen stehen bleibet und nicht umkommt
Knorr v. Rosenroth pseudodoxia (1680), bes. abh. l, 156;
auf das ursächliche, wirkende ding überhaupt übertragen:
er ist die hauptquell und grundwurtzel alles gutes Dann-
HAVSB, catechismu^milch l, 344; kranckheiten, derer grund-
wurtzel und principia die milch in dergleichen gift ver-
wandeln J. Schreyer milchcur (1694) 158; {der wille ist)
die eigentliche gr. des menschen Fichte s. w. 7, 281 ; die
faulheit bleibt . . . alles Verderbens gr. E. M. Arndt sehr,
f. u. an s. l. Dtschen 2, 496; die wurzelhaften demente in
der spräche: die morgenländischen sprachen {sind) voll
verba als grundwurzeln der spräche Herder 5, 52 8.; wir
{besitzen) an den grundwurzeln volk, deut, leut . . . eine
Wörterschar Fr. L. Jahn j^. 2, 511 A'.; anders im sinne
'zutiefst liegende basisstelle, ansatzstelle'' {vgl. comp. typ. 5^):
die grundwurtzeln der . . . insuln E. Francisci ind.-chin.
lustg.{166S) 1, 135; von der gr. des fingers bis in die spitze
E. Th. A. Hoffmann 9, 202 Qr.
GRUNDZAHL, /., 'zahl, die einer berechnung zugrunde
liegt, basiszahl, wurzeV ; im 16. jh. zufrühest und zunächst
als wiedergäbe von numerus radicalis : radicem extrahirn,
das ist eine wurtzel oder gruntzal zu finden E. v. Ellen-
bogen rechenbuch (1538) a %^; wird die potenz als summe
genommen, so ist auch die gr, derselben, die wurzel, als
summe gefaszt Hegel w. 3, 335; gr., 'basis . . . diejenige
zähl, welche angiebt, wie viel einheilen einer niederen art
eine höhere bilden' Mothes 2, 543 ; gr. eines logarithmus
base Hoyer-Kreuter techn. wb. l, zn;für numerus car-
dinalis 'cardinalzahl, hauptzahV: jenes prinzipalstück . . .
gibt grundzahlen, heiszen eins, zwey, drey . . . E.Weigel
würckung des gemüts (1684)56; es sind aber dieselben
{zahlen) zweyerley; die grundzahlen (numeri cardinales)
und die Ordnungszahlen (numeri ordinales) Gottsched
dtsche Sprachkunst (1748) 219; allgemeiner 'letzte einheit bil-
dende zahl' {vgl. comp.-typ 5 q) : so ... bleibt die Zeitzahl von
24 stunden der cyclus, die gr., nach welcher alle räder
berechnet sind Jung-Stilling w. 3, 450. — -zapfen, m.,
'zapfen zum wasserablassen am bodcn des teiches' Mothes
2, 543; so bereits urkundlich grunttappe {v. j. 1442) urk.-
buch d. Stadt Hildeaheim 4, 420; so wird der gr., Ständer
oder wie der teich zum ablassen eingerichtet ist . . ., ge-
zogen Döbel jägerpractica (1754) 4, 101; der ferne gr. im
teich murmelte traulich Fr. Bouterwek graf Donamar
2, 329. — -zeichen, n., 'hauptsächlichstes, wesentlichstes
zeichen' {vgl. comp.-typ. 5r): dise mögen ebnermaszen ausz
dem gr. gekennt werden Guarinonius greuel (1610) 635;
anders: gr. sigiium infallibile et necessarium alias notzei-
chen Stieler 2610; namentlich 'einfachstes zeichen, das
einer Zeichenverbindung, Zeichensprache usw. zugrunde
liegt': die nothwendigkeit einer solchen Zeichensprache,
wo das gr. die erscheinung selbst ausdrückt Göthe II
1, 305 W.; alle diese zeichen {lassen sich) wieder in eine
kleinere zahl von sogenannten gr. oder schlüsseln zer-
legen Schlosser weltgesch. (1844) l, 20; die gr. {des morse-
alphabets) sind . . . punkt und strich Karmarsch-
Heeren* 3,219. — -Zeichner, m., gr. ichnographe Beil
265. — -Zeichnung, /., /ttr 'zeichnung des grundrisses' :
gr. ichnographie Beil 265; von jeder stadt {wird) auch
eine gr. . . . erscheinen allg. dtsche bibl., anh. 53-86, 2169,
vgrZ. grundzeuchung; 'erste, ursprüngliche Zeichnung als be-
stimmende grundlage der ausführung' : ein in seiner gr.
fehlerhaftes gemählde briefe d. neueste litter. betr. 16, 79;
'Zeichnung des Untergrundes' : die striche der gr. unter dem
farbenspiel der oberfläche Fouque reiseerinn. 2, 192. —
-zeuchung,/.; gr., entwerf ung eines gebendes ichnogra-
pAta Henisch 1770. — -zeug, m. n., fischereigeräth {vgl.
comp.-typ 5 &): es soll auch verbotten sein gruntzeug,
streüchgarn, rackvüschen österr. weisth. 6, 328 {v. j. 1617);
Unoer-Khull 31 1^1; für fischgift ebda; anders 'was auf
dem gründe des wassers liegt' : mit erde, steinen und ande-
rem grundzeuge . . . unter dem wasser schöpfen O. Dap-
PER Africa (1671)432''; 'grundstoß, grundmaterie' {vgl.
comp.-typ. 5 p): jeder gr. der natur Lohenstein Arminius
(1689) 1, 966; also sind die einfachen Wörter der deutschen
spräche der erste gr. ihrer zusammengesetzten Schön-
heiten Gottsched crit. hist. l, 66.
GRUNDZINS, m., an den grundherrn, grundbesitzer für
die benutzung eines Stückes grund und boden zu entrich-
tende abgäbe; dann auch wie 'pocht' {vgl. comp.-typ. 5 f),
vgl. gr., bodenzins, hauszins solarium vectigal Henisch
1769; gr. nicht vor dem 15. jh. zu belegen: viell erfs, dat
boyven den vayr ind gruntzijns hondert rijnsche gülden
wert sij {v. j. 1437) acten z. gesch. d. vcrfass. u. verwalt.
d. Stadt Köln l, 667; item hat ein camerer alle jare fallen
von stuckehusz ast und gruntzinse 4 Schilling heller {v. j.
1443/44) urk. in: archiv d. hist. Vereins f. d. groszhzt.
Hessen 15, l, 172; item weisen und erkennen die scheffen
über die grundtzinss wie folgt {v. j. 1537) weisth. 2, 275;
und darumb den gruntzins nit ertragen mecht österr.
weisth. 5, 670 (16. jh.); die järlich schuldigen gruntzins
{v. j. 1644) 3, 62; an grundzinsen erhebet das hospital st.
Bernhardin 127 thl. 17 sgr. {v. j. 1743) cod. dipl. Silesiae
4, 120; von dem an, das ers {das hau^) nutzen kan, wird
der pacht- oder grundzins angerechnet GR. Zinzendorp
büding. Sammlung (1728) 2, 10; der geldpreis dieses theiles
ist das, was man den gr. oder die landrente nennt Garvb
A. Smith nationalreichth. (1794) 1, 89; Simons gr. {ist) alldort
erniedrigt worden Stifter s. w. 2, 125 S. ; zu den reallasten
gehören die grundrenten, grundzinsen, zehnten, fronden
hwb. d. staatswiss.'^ 1, b; bildlich: weil ihr täglich gottes
grund und boden betrettet, so seid ihr ihm auch täglich
seine gebührliche erdzinse, hausz- und grundzinse abzu-
legen schuldig Val. Herberger trauerbinden 5, 382. —
-zinsgut, 71.: zinseigene guter hieszen oft auch stab-
rechts-, gatter-, gilt-, grundzinsgüter Btjck fiurnameyi-
buch 95. — -zinsmann, m. Campe 2, 476. — -zins-
leute, pl.t.: gr., die auszer lands gezogen sind rechts-
altert.^ 1, 539. — -zinsrecht, n.: gr. ist auch ein
contract, da wir unsern grund und boden gegen einen
zinsz oder nur vor ein miethgeld andern überlassen allg.
haushaülex. (1749) 1, 320".
GRUNDZUG, m., ende des 18. jhs. gebildet fehlt es noch
in Adelungs versuch (1774), aber im wb. 2, 838 verzeichnet;
bei Schiller l, I7l G. für 1780 zu belegen; die von Ade-
933
GRUNDZÜG — GRÜNE
GRÜNE 1
934
LTJNG und Campe 2, 476 gegebene bedeutung 'wesentlicher
zug eines buchstabens, einer figur, eines gemäldes' ist kaum
je fachsprachlich lebendig gewesen, doch vgl. skizze, der
erste entwurf, die grundlinien, grundzüge zu einem ge-
mälde Voigt hwb. (1807) 2, 436; gr. (maierei) trait princi-
pal Beil 265 ; hebraismen giebt er mir für grundzüge des
Originalgemäldes Gebstenberg schlesw. literaturbriefe
308; in den grundzügen {des gesichts) bat er verschiedenes
von Lavater Fb. H. Jacobi w. 4, 3, 72; im 19. jh. weit aus-
gebreitet und gegenüber grundlinie als inconcreter empfun-
den; 'erster, ursprünglicher und wesentlicher, die ganze er-
scheinung im letzten bestimmender oder charakterisierender
zug^ (vgl. comp.-typ. bp): die grundzüge, die die natur
ihnen anerschuf . . ., dauren unangetastet fort Schiller
1, 171 O.; es bleibt . . . nur . . . dieser gr., worauf sich
alles . . . beziehet allg. dtsche bibl., anh. 53-86, 1900; das
lyrische ist für die romantische kunst gleichsam der ele-
mentarische gr. Hegel w. lo, 2, 134; das notturno . . .,
auf seine grundzüge zurückgeführt, wird auch dann noch
aufs gefälligste wirken R. Schumann ges. sehr. 3, 106 ; diese
empfindung liegt als gr. in ihrer seele H. v. Kleist 4, 68
E. Schmidt; mit betonung des anfänglichen gegenüber der
ausführung: das werck {den 'ödipus") . . . von seinen ersten
grundzügen an . . . durchdenken Meyer an Göthe in:
sehr. d. Göthegesellsch. 5, 179; den ersten grundzügen
nach allg. dtsche bibl., anh. 25-37, 1777; ein Schema meiner
biographie, das wenigstens in seinen grundzügen ziem-
lich vollständig dasteht Göthe IV 30, 159 W.; Winckel-
mann {gingen) an diesem orte die grundzüge seiner kunst-
geschichte auf Justi Winckelmann 2, l, 143; das in seinen
grundzügen . . . feststehende projekt RooN denkw. 1, 375;
den allgemeinen sprachtypus wenigstens in den grund-
zügen ... entwerfen W. v. Humboldt ^&s. «cAr. 5, 374;
Tuehr wie comp. -typ. 5 r 'hauptsächlichster, hervorstechen-
der z'ug\ so namentlich von charakterzügen: einen gr. der
menschlichkeit Lavater aussichten in d. ewigk. 4, 171 ;
die traurigkeit, die den gr. seines wesens bildet H.Grimm
Michelangelo 1, 274; das beobachten des nachbars, dieser
gr. ächter kleinstädterei J. Schopenhauer reise (1824)
1, 148; realistisch ist der gr. der zeit G. Freytag g^e^. w.
18, 111 ; ähnlich: in der alten kunst ist das regelmäszige . . .
der herrschende gr. Solger vorles. über ästh. (1829) 166;
allgemeiner die 'hauptlinien, in denen sich das wesen einer
erscheinung repräsentiert^- grundzüge des gegenwärtigen
Zeitalters Fichte titel; die groszen hauptmassen und
grundzüge der menschlichen bildung Fr. Schlegel s. w.
4, 29; so der plan in seinen groszen grundzügen H. v.
Barth Kalkalpen 60; karakteristische grundzüge der
deutschen und französischen Wortfolge (1817) J. G.
Breidenstein titel; grundzüge der Zoologie (1868) C.
Claus titel.
GRUNDZWECK, m., 'wesentlichster, letzter, eigent-
licher zweck': zu jenem folgenden . . . noch unerlangtem
nachzwekke oder endlichem grundzwekke Zesen gecr.
majestätl75; wofern der gr. nicht recht getroffen Butschky
hd. kanz. (1666) 2, 105; ist der orden mit andern zu einem
einzigen gr. verbunden? Hippel kreuz- u. querzilge 2, 214;
anders 'ursprünglicher zweck' : fragen wir nun nach dem
ur- und grundzweck dieser putzkämme Böttiger kl. sehr.
3, 106; grundquelle sowohl als der gr. alles strebens nach
wissen v. Meyern hinterl. kl. sehr. 1,9; zwei einander
diametral entgegengesetzte grundzwecke {des lebens)
Schopenhauer 2, 753 Cr.
GRÜNE, /., viriditas, viror, chloritas, acerbitas, virecta.
ahd. gruoni, mM. grüene, mnd. grone, mnl. groene Ver-
wijs-Verdam 2, 2152; entsprechend mit dentaler ableitung
nl. groente, ostfries. grönte ten Doobnkaat-Koolman
1, 695^', vgl. gruende Hesler apokalypse 21629 H.; adjec-
tivabstractum auf -in zum adj. grün, daher ist als ausgangs-
bedeutung inconcretes 'das grünsein' von pflanzen und der
färbe an sich anzusehen, vgl. ahd. röti, bläwi; doch erweisen
die frühesten Zeugnisse bereits concrete Verwendung für
pflanzliches grün in collectivem sinne und den begrünten
erdboden; bis in die wende des 18. /19. jhs. noch gebräuch-
lich, tritt es später mehr in poetische spräche zurück und
erliegt der concurrenz der neutra das grün, das grüne
{s. sp. 654) ; auch mundartlich nur in theilen des obd. rdict-
jnäszig weiterlebend, vgl. Schmeller-Fr. 1, 1002 ; Schöpf
tirol. 217; Unger-Khull 3101^; Lexer kämt. 125; Staub-
ToBLEB2, 755; TSCHUMPERT bündn. QhZ; ZiNGERLE lu-
sern. 33'^; Fischer schwäb. 3, 880; die ursprünglich aus-
gedehntere Verbreitung/ bezeugt sich vielfältig in orts- und
flurnamen, vgl. Schmelleb-Fb. a. a. o., Fischer schwäb.
a. a. 0., Müller-Fraureuth l, 446^, E. Schwarz Orts-
namen d. Sudetenländer 113, BucK obd. flurnamenb.^ 91,
Förstemann-Jellinohaus altd. namenb., ortsn. 1, Uli;
doch ist dabei die concurrenz von grien zu beachten, s.
^grien l b.
1) als bezeichnung der farbvorstellung bei in saß stehendem
pflMnzenwuchs im sinne 'das grünsein' , der 'zustand des
begrünt seins, des grünseins' entsprechend grün I : viror
grunung, die grüne voc. pred. (1480); viriditas grunhait,
die grüne ebda, vgl. Diefenbach &22^, nov. gl. 382^.
a) so in bezug auf das erste junge grün des frühjahrs,
wobei die Vorstellung 'das grünen, sprossen, in saft treten,
grün werden', also das beginnen der Vegetation, den bedeu-
tungsgehalt vorwiegend bestimmt {s. grün I A 1) :
des meien kunft mit grüene Lohengrin 3810 R.;
auff, jung und altl ir macht euch küen
und gailt euch gen des maien grüen,
der sich erglenzt lustlich zu plüen
Oswald von Wolkenstein 11, 18 Schatz;
mertzen griene, pfaffen kiene, armer weiber schöne hält
nit usz Keisebsberg in Jon. Adelphüs margarita facet.
s. theil 5, sp. 2579;
die schöne grüen bringt der aprill
Innsbrucker holender v. 1667 hei Schöpf tirol. 17;
lust und freude ist vergänglich als wie der meyen gr.
und schöne Chr. Scriver Oottholds zufäll. and. (1671)
3. hundert, 28; die gr. zu weynachten . . . bedeutet uber-
flusz an körn J. Prätorius saturnalia (1663) 394; ähnlich:
ein jedes wasser hatt sein eygen blüe so wol als ein
kraut , dann mit hülf der sonnen . . . erregen die steme
eine heimliche gr. auf dem wasser Paracelsus op. 1,
344 H.; temporal gewendet, die 'zeit des grün werdens' : {der
schuMnz) wechst ym {dem pfau) auch wider, das er mit
der blüst oder gr. der bäume voll ist H. v. Eppendorf
Plinius (1543) 147; so mundartlich gehalten: grün /. 'zeit,
da die reben grün werden' Unger-Khull 310*^; grueni
'zeit, da die wiesen grünen' Staub-Tobleb 2, 755 ; jez
chund den di grüeni wider 'der frühling kommt' Tschum-
PEBT bündn. 653.
b) allgemeiner die grüne färbe der pflanzen überhaupt mit
hauptgewicht auf der farbvorstellung : der ist virgini unde
semptembrio gegeben, wanda diu gruoni in demo manode
beginnet kan in roti Notkee l, 752, vgl. wanda danne ist
loub unde gras in alegruoni 750;
sumer, sumer, sumerzit,
waz uns din kunft vröude git,
als diu heide in grüene lit
V. D. Hagen minnesinger 1, 327;
wa ist der anger grüene unt manger bounie dach?
2,27;
elliu grüene in dühte val,
sin röt harnasch in dühte blanc
WOLFKAM Parz. 179, 20;
die blümin, die zem erste in dem sumir wahsint, die hant
me saffes und gruni in sich gesogin von der crafte des
sumirs sog. Georgener prediger 163 Bieder; weilen es (das
ehrenkränzd) sein blute und gr. beständig und rechtfärbig
erhalten v. Brandis immergrün, ehrenkränzd (1678) tvid-
mung; das feld weidete mit seiner angenehmen gr. die
äugen Morhof Unterricht (1682) 2, 164; die wolriechenden
kräuter und gewächs . . . mit ihrer annehmlichen gr. und
edlen geruch v. Hohbeeg georg. cur. l, 531; ein wald . . .,
so wegen seiner . . . schönen gr. fast alle äugen an sich
ziehet Abeaham a s. Claea etwas für alle 2, 308; das gras
(erschien) von einer unendlich schönen gr. Göthe II 1,
28 W.;
59*
935 GRÜNE 2
frühling will das blau befreien,
aus der grüne, aus dem schein
ruft es lockend: ewig dein
EICHKNDORF 8. W. 1, 1, 66 S./
im bilde: oben hätte dieser einer zwar wie die epheu-
blätter eine lebhafte gr. tapferer entschlüszungen, unten
aber die blässe tödtender feindschaft Lohenstein Armi-
nius (1689/.) 2, 753a, vgl. 778^'.
c) der bedeutung des adj. grün I B entsprechend kann gr.
den 'zustand des im soft Stehens, der frische" vor oder neben
der farbvorstellung bezeichnen.
a) im gegensatz zum zustand des verdorrens, verwelkens
(grünl B 1): {die insel) hatt den aller gesündesten luft,
der . . . zierd und gr. behält Herold Diodorus (1554) 250;
Avie ein bäum, den die erden verderbet, nimpt ihm seine
gr,, sein arth, sein kraft Paracelsus op. l, 79 H. ; alles
steht jetzt noch in seiner gr. und reife Hölderlin ges.
dicht. 2, 130 L.; der erste gab den geschöpfen milch {nah-
rungssaft), der zweite gr., der dritte wärme Herder w. 24,
521 S.; bildlich:
wenn sie (die hoffnungen) stehn in voller grüne,
welken sie und fallen ab
Hoffmann v. FallersIiKBbn mein leben 5, 257;
wie blätter gilben, blumen welken . . ., wird auch unserm
leib seine frische und gr. benommen Jac. Grimm kl. sehr.
1, 197; gr. des hohes: daz feur wirckt in daz holtz und
benymt im die feuchtigkayt und die gr. Taulbr sermones
(1508)84».
ß) der zustand des grünseins vor der reifezeit, 'unreifheiV
{s. grün I B 2): sangen über jar zu behalten als körn oder
weitz, so nym sy in der gr. ab, so sy seng seind kuchen-
maisterey (1497); körn oder weitzen . . . nimb sie in der gr.
Schnurr wunxlerbuch (1657) 50; die gr., rouwe, härbe der
unzeytigen fruchten oder die ee zeyt abgeläsen sind acer-
bitas Frisius 22*>, vgl. grüeni 'herber geschmack einer un-
reifen fruchV Staub-Tobler 2, 755; bildlich: es ist ganz
lächerlich neben solch unreifer gr. die Welkheit des über-
reifen zu sehen Varnhagen v. Ense an Caroline 68
Leitzmann; anders, wie grün II A 2 b als 'zustand des un-
fertigseins, allzu frischseins' : das leder {wird) zu bald, ee
wan es genug gerwt ist, aus der werckstatt genommen
zu verkaufen, das man in der gruene nit erkennen kan
{v. j. 1507) urkundenbuch d. Stadt Heilbronn 3, 155.
2) seit alters concretisiert gilt gr. für den pflanzenwu^hs
in seinen verschiedenen er scheinung sformen; allgemein
'pflanzliches grün' ohne nähere bestimmung, vgl. gruoni viror
ahd. gl. 1, 603 {viror omnis interiit Jes. 15, 6); daz si nit
schadten dem hew der erd noch einer ieglichen grüne
noch eim ieglichen bäum erste dtsche bibel 2, 491 lit. ver.;
die Schönheit der gr. und blüthe, die lieblich- und
schmackhaftigkeit der fruchte Chr. v. Ryssel v. d. See-
lenfrieden (1685) 59; der tag erzeigte sich vollkommen
günstig, die rings umgebende gr. voll und reich Göthe
36, 242 W.; so an gr, reich A. V. Droste-Hülshoff lyr.
ged. (1879) 94.
a) alt in engerer Verwendung unbildlich, 'die den erd-
boden bedeckende Vegetation, gras und krautwerF, vgl.
gruoni gramina ahd. gl. 1, 371 {deuter. 32, 2), 620; das feld
war an underschiedlichen enden mit rosenstöcken be-
setzet und das übrige mit einer anmüthigen gr. gezieret
Opitz Arcadia (1638) 192; die fruchtbarsten felder, mit
groszer lustbarkeit der gr. Schupp sehr. 690; geben hat . . .
gott die erden, der erden die weide, der weide die felder,
den f eidern die gr., der gr. die blumen Abraham a s.
Clara abrah. bescheidessen (1717) 2; die schaafe treibet in
diesem monat an keine sumpfichte örter oder nasse wie-
sen, weil sie . . . von der ersten grüne im blute ersticken
allg. haush.-lex. (1749) l, b2'*; ähnlich als technische for-
mal die gr. geben {vgl. in das grün stellen): gr. geben
'heiszt die pferde . . . mit grünem gras, kräuter . . . pur-
giren" Zincke öc. ?ea;. (1744) 994; vgl. gräne /. 'alpenheu'
Lexer kämt. 120; die grain 'pflanzentrieb, knospe'' Unger-
Khull 302 ; in junger poetischer spräche secundär vom
f arbbegriff aus vergegenständlicht:
GRÜNE 3
936
hätt ich, holde Wilhelmine,
wie du lagst in dunkler grüne,
dir doch einen kusz geraubt
J. H. Vosz s.ged.h, 143;
ZU einer zeit, wo sie {die gebirge) grösztenteils mit schnee
bedeckt sind und noch mit der gr. alles reizes entbehren
Grillparzer br. 35.
b) minder häufig und z. th. als jüngere bildung meta-
phorischen Charakters steht gr. für die grünen theile von
bäumen und sträu/^hern, 'blattwerk, laubwerk^ : da syn die
bäum gar lang und schön, die durch wynter und summer
yre gr. nit verlassen Breidenbach heyl. reiszen (1486) 66b;
sampt dem alten bäum . . . auch sein fröliche gr. sampt
ihme verwelcken und verschwinden thut Guarinonius
greuel d. verwüst. 313; die gr, des gestrüttichts Opitz Ar-
genis 1, 190; wi di gr. des zarten krauts abfallen Schede
ps. 140 ndr.; auf was für eine betrübte art der winter
denen bäumen ihre gr, wegnimmt v, Breszler merk-
vMrd. d. natur (1708) 60; des baums gr. und schatten
Klopstock gelehrtenrep. ll;
der bäum hat seine gr.,
die blätter, schon gewonnen TiBOK sehr. 1, 6 ;
'belaubter zweigt : den fischen soll hinfüro khain purdl
{reisigbündel) noch grüene gelegt werden Chiemseer fisch-
ordn. v. 1507 bei Schmeller-Fr. 1, 1003; deutlich auf
der grenze zu Xh als metapher sind fälle wie diese zu
fassen: die cypressen . . . hätten zwar eine fettere gr.
Lohenstein Arminius 2, 427 ä'; aus der vergoldeten gr.
der Wälder Schiller l, 215 O.;
des haines düstre grüne KöKNBK w. 2, 43 ;
die aurikel, mit staubiger gr. gerändet J. H. Vosz
s. ged. 2, 5.
3) alt auch gr. als 'der mit Vegetation bestandene ort, der
grüne platz", vgl. grueni virecta ahd. gl. 1, 493, 245.
a) mhd. breit entvnckelt in der bedeutung 'der begrünte
erdboden, grüner anger, grasplan" :
ich saz üf einer grüene
unt dähte an maneger hande dinc
Heineich v. Meiszbn 263 Ettm.;
ich r&te dir, ritter küene
erbeize nider üf die grüene Laurin 441 Jan.;
in epischer dichiung namentlich als kämpf platz:
er stürzte in üf die grüene vor im üf daz gras
Alpharts tod 247, 2
fehten uf der grüne und uf dem witen plan
Wolfdietrich 1042, 2 Hollztn.
alsust der werde junge vil tot zu der grüne
jg. Tüurel 1319, 2
wsernd ir an der grün,
da disiu schar sol vehten
JOH. V. WÜKZBURG Wilh. V. Österreich 8058 ;
(der Schwan) . . . macht noch vil da rotes velds üz grüene
Lohengrin 6746 R.;
in die gr. niedersetzen Abraham a s. Clara gemisch 413;
auch der nutzbare grünplatz, 'wiese, weide\ im bilde: da
wil unse herre spisen sine schaf in der grüne alUr crea-
turen paradisus animae int. 115 Str.; siben schon ohssen
giengen von dem wazzer und waren so gar vaist von
der grünen, die sie fünden in dem wazzer cgm. 341 in:
Münch. museum 3, 110; sampt allen holzern, grünen und
werden {v. j. 1477) stadtrecht v. Neuenburg 7SMerk; vergleich-
bar: zu wasser und weide . . ., buesche und hecken, gruene
und duerre {v. j. 1542) weisth. 2, 261; entsprechend mund-
artlich: grueni 'grün bewachsene stelle, grüner Weideplatz''
Staub-Tobler 2, 755; grüeni 'grüne stelle in wiesen und
weiden^ Tschumpert bündn. 653; die grüene 'grasplan"
Schöpf tirol. 217; vgl. gr. grünes feld Kramer hochnider-
teutsch 101*»; waidmännisch auf der gr. schieszen d. h. auf
der feldsaat im frühjahr Kehrein wb. d. weidmannsspr .
148; hierher stellt sich gr. als die 'begrünte flur' im gegensatz
zum wald in orts- und fiurnamen, vgl. novalia in gruone
juxta montem Thilchelberc {v. j. 1234) bei Schwarz Orts-
namen d. Sudetenl. 113; in neuerer poetischer spräche ist
wieder mit metaphorischer herkunft zu rechnen:
erblickt ich nebenaus auf der grüne
aufgeschlagen eine lehrbühne Rückeet w. 11, 518.
937
GRÜNE 4
GRUNE5-GRÜNELN1
938
b) weiter 'mit bäumen, gesträuch bestandener ort, wald,
gebüsch, hag; auch 'grüne freie natur' :
er tet alsam daz vogellln,
daz wider in die grüene senet
KONKAD V. WüRZBURa Partonopier 2743 B.;
so sie sich swlngen In die grün
zu holcz, zu feld und auch zu weid
Hans Foiz 97, 9 M.;
ob er in einem walde ein magt so klar alelne fürte,
mit disen meren sUzzen in einer grün sie sazzen
jg. Tüurel 5015, 2;
damit begund wir fürbas gan
uflE und nider In der grön
liederbuch d. Hätzlerin 163;
alle bis auf das nochtmale in der lustigen gr, mit spa-
cziren geen die zeit vertriben Arigo decamerone 309 lit.
ver.; wie Florimundus mit seinem gespann ... in ein gr.
ausspatzieren gangen Abraham a s. Clara gemisch 187;
von hier aus zu verstehen: grüene bdustigung im, grünen
Schmeller-Fr. 1, 1002; formelhaft fest in die gr. gehen
ire, concedere in viretum Dentzler clav. (1716) 872^; in
die grüene gen mit einer 'meist im verdächtigen sinne"
Schmeller-Fr. 1, 1002, vgl.
ach solt ich gän
mit minem liebe wol gitAn
an eine heimeüche grüene sän
Hadlaub 79 Ettm.;
die äugen in der grün erwittern
Hans Sachs 1, 419 K.;
wie der Adam im paradeisz gesündiget . . . und mit einem
wort in der grüne es gar zu braun gemacht Abraham a
s. Clara Judas ertzschelm 2, 423 ; in neuerer spräche poe-
tisch mit bildcharakter von 1 b aus übertragen:
tief in wundersamer grüne
steht das schlosz, schon halb verfallen
ElCHKNDORF 8. w. 1, 679;
wenn du mir freundlich reichtest deine hand
und wir zusammen durch die grüne wallten
A. V. Droste-Hülshoff to. 1, 147 Seh.;
wie man an heiszen tagen . . . sich des haines liebliche
kühlung . . . wünscht, um sich tief in der dunkeln gr.
zu ergehen Tieck sehr. 16, 262.
4) die grüne färbe an sich, von anderen als pflanzlichen
objecten, entsprechend grün II B : under dero gimmon
gruoni Notkeb i, 751;
der marmeline esterlch
der ist der stoete gelich
an der grüene und an der veste
GOTTFRiD V. Stkaszburo Tristan 16975 Marold;
des gruenen stelnes grüene
Hksleb apokalypse 21413;
so daz des viures brunst
blaichet niht die grün {des Schildes)
JOH. V. WÜKZBUEQ Wüh. V. Österreich 3667 ;
und wenn man in (smaragd) wescht . . . , so erhoeht sich
sein grüene K. v. Meqenberg buch d. natur 459; smarag-
dus . . . verwinnet an der grone alle krut dat groine is
bei Schiller-Lübben 2, 152^; er (mercuriusmetall) lest
sein grüni herauszen ligendt, sein blewi bey ihr und all
ander färben, die er in ihm hatt Paracelsus op. l, 642 H.;
in der grüne des cleides buch geistl. gnaden (1503) 1353-;
der grünspan . . ., welcher wegen seiner sonderlichen gr. zu
den färben begehret wirdt Comenius ianua (1644) 24; wo-
mit sich zugleich das niedergeschlagene kupfer vereiniget
und seine gr. darstellt Jacobsson 5, 754; der purpur wie
liebeslieder, die grün wie sanfte flöten, das roth wie trom-
petengeschmetter Stifter s. w. 1, 97 S.; als färbe des Was-
sers: gr. des sees Göthe III 2, 167 W.;
du sähst doch etwas, sähst wohl in der grüne
gestillter meere streichende delphine
1 15, 1, 71 {Faust 6243);
mit durchsichtiger gr. prangte des Rheines klares ge-
wässer Jül. Mosen s. w. 8, 324; für grünen farbstoff: im
bergbaue wird das kupf ergrün zuweilen, gr. genannt Krü-
NITZ 20, 228.
5) übertragene Verwendung geht, entsprechend grün IIA 1,
von gr. 1 c aus; zuf ruhest in geistlicher spräche, parallel mit
lat. viror 'der zustand des menschen, der frisches geistliches
leben in sich trägt, nicht religiös verdorrt, sondern ernev^ert,
sündlos isV {vgl. Luc. 23, 31), z. b. 'mentis perusiae vulnera
munda viroris gratia" mit der fehlerhaften Übersetzung a. d.
12. jh. : des mütes verbrantes wunden reiniu von der grüne
gnade {statt 'reinige durch'') bei Kehrein kirchen- und
relig. lieder 17; sus kehiez truhten: föne durri bechero ih
sie ze gruoni Notker 2, 259; etwas anders im Wortspiel
mit gr. 3 als der aue des paradieses: in der hohe des bergis,
da sint alle dinc nuwe und grüne; da si valiin in zitheit,
da blichin si und aldint. da wil unse herre . . . spisen
sine schaf in der grüne allir creaturen, die da sint in der
grüne, in der hohe, alse si in den englin sin. die grüne
were der sele luistlicher dan alliz daz in dirro werlinde
ist parad. animae int. 115 Str.; wie 'frische, lebenskraff :
deiner jugend gr. Stieler geharnschte Venus 130 R.; das
alter benimmt die gr. Aleb dict. (1727) 1, 989*; unsere
Jugend war kein blendwerk, wir lieferten ihr gr. und
leben K. A. Varnhagen V. Ensb Rahel 3, 448; schlichter
'leben, existenz" :
{die schuld) verliert zugleich mit ihr hier (im fegefeuer) ihre
grüne
K. Streckfüsz Dantes götU. kom. 2 (1825) 146;
GRÜNELN, grunehi, vb.
1) nach art der zahlreichen mundartlichen odorativa ge-
bildet zu grün I B 2 'unreif^ und grün I A 1 bzw. I B
'sprossend' ; das umlauilose gruneln könnte an sich auf
umlautlose nominalformen bezogen werden (s. grün form 1,
sp. 640) ; doch kreuzt sich in dem vb. anscheinend mit dieser
nominalen ableitung eine auf das doppelformige grünen,
grünen zurückgehende verbale derivation, der man für die
bedeutung 2 primären charakter zusprechen möchte; vgl.
bedeutungsgleiche bildungen wie grunnenzen, ^grunzen.
a) grünein 'unreif schmecken oder riechen", vgl. Schmel-
ler-Fr. 1002; Lexer kämt. 125; Unger-Khull 311»;
Schöpf tirol. 217; von zu früh geerntetem merretich Höfeb
1,329; Staub-Tobler 2,756; gründen Fischer 5CÄ träft. 3,
880; dann überhaupt ' under wärtig riechen oder schmecken^,
vgl. grähneln der herbe geschmack, den zu lange in der erde
oder t?i kellern gelegenes grünzeug bekommt Hügel 69^' ; von
fifCisch, morcheln, wildhoden Höfer 1, 329; grunele" übel
riechen, stinken Fischer schwäb. 3, 880; md. nicht belegt,
vgl. aber grüne /. 'kellerartiger geruch der kartoffeln" , das
aus dem vb. rückgebildet scheint Müller-Fraureuth
1, 447; selten literarisch bezeugt: wann die würm {seiden-
uMrmer) stincken . . ., ist allein des warters nachlässigkeit
daran schuldig, auch wann man das überbüebene von den
blättern, so sie nicht fressen mögen und etwas grünlet,
zu lang liegen läszt Hohberg georg. cur. 2, 417.
b) 'nach frischem grün riechen\ grüenelen Schmeller-
Fr. 1, 1002; auf einen wetterregen grüenelt es gar schön
ebda; grunele" Fischer schwäb. 3, 880; auch das von
Göthe im alter gern gebrauchte gruneln ist zweifellos aus
mundartlicher Sphäre gehoben, enthält aber neben der bloszen
geruchsvorstellung das dement des lebendig wer dens der
Vegetation: dasz der sonnenstaub, den ein gewitterregen
aus der atmosphäre niederschlägt, sogleich lebt und be-
lebt, wie der grunelnde geruch erquicklich andeutet
IV 27, 61 W.;
heile mich, gewitterregen,
lasz mich, dasz es grunelt, riechen
16,26; vgl. 27; 290;
hier weht gar eine weiche luft,
es grunelt so, und mir behagt der duft
1 15, 1, 166 {Faust 8266);
von anderen übernommen:
eh die weit das labsal schmeckt,
und wir, dasz es grunelt, riechen
ÄÜCKEET w. 2, 455;
der hof des klosters ... ist ebenfalls von weihrauch-
artigen und von grunelnden duften erfüllt G. Haupt-
mann griech. frühling (1908)111; haben wir nicht mitte
mai? es grunelt mir, es verduftet mich wie rosenhauch
Bettine dies buch geharrt d. könig 2, 427.
939
GRÜNELN 2 — GRÜNEN
GRÜNEN A 1
940
2) als deminutivbildung 'grün zu werden anfangen' auf
den optischen eindruck beginnender Vegetation zielend: der
junge . . ., grünelnde, . . . graszkäumende, vogelreiche
lentz Treuer dtsch. Dädalus (1675) l, 592; wie es überall
zu grünein anfangt R. Schümann br. i, 293 E.; schaut die
hügel; das blaue grünelt schon Jül. Mosen s. w. 2, 103;
auch ivie 1 b umlautlos:
im märz
da gruneln die dornen am zäun
B. Dehmkl ges. w.* 1, 161;
sie sagen ja doch, dasz es drauszen um den Hanoversee
schon grunelt G.Hauptmann Atlantis (1913)345; das
macht zitig z gruenele Friedli Bärndütsch 5, 2, 519; an-
ders Hns grüne hinüberspielen^ von der färbe an sich: meta-
thorax grün und hinterleib an der basis grünelnd Ratze-
burg ichneumonen 1, 165; grüenilan ins grüne übergehen
Lexeb kämt. 125.
GRÜNEN, vb., virescere, virere, florere.
herkunft und form.
1) gr., mhd. gruonen, grüenen, ahd. nur als intr. verb
gruonen III. schw. kl. belegt, vgl. Graff 4, 300, ist auszer-
halb des ahd. in den germ. schwestersprachen nicht zu be-
zeugen; ableitung inchoativen Charakters vom adjectiv gruoni
{vgl. sp. 640) zur verbalwurzel *grö-, die innerhalb des germ.
in verschiedener ablautstufe als grundlage einer reichent-
wickelten Wortsippe erscheint und in ahd. gruoen virescere
Graff 4, 298, mhd. grüejen, mnd. gröien, afries. gröia, mnl.
groeyen, anord. gröa, schwed. gro, ags. gröwan, engl, grow,
sämtlich 'wachsen' {s. au^h greien sp. 5) vorliegt; dazu
stellen sich deverbative substantiva une ahd. gruoti /. viror
Graff a. a. o.; mhd. gruot/. 'frischer wuchs' ; mnd. grode
'begrüntes land'; anord. grödi 'wachsthum', schwed. gröda;
mnl. groede 'wuchs, wachsthum' (s. auch greede sp. 4) und
das adj. gruoni < *gröniz mit seinen ableitungen; dasz von
einer idg. wz. *ghr5- auszugehen ist, wird durch die ent-
sprechende e-stufe in ags. grsede m. 'gras' Bosworth-
TOLLER 486^ wahrscheinlich gemacht, woraus sich mit dem
folgenden die basis ghre : ghrö : ghra ergäbe; innergerma-
nische verwandte aus gleicher wz. mit s-ableitung got., ahd.,
mhd., nhd., anord. gras n. 'gras, kraut' ; ags. grses, gsers n.;
mhd. gruose/. 'pflanzensaft, junger trieb', mnd. grose dass.,
mnl. groese 'junges grün' ; auszergermanisch sind gesicherte
beziehungen spärlich, zweifelsfrei erscheint nur lat. grämen
au^ *ghras-men ■und gerade von der bedeutung aus glaub-
haft der Zusammenhang mit der wz. gher 'hervorstechen' ;
vgl. zum ganzen Walde- P. vergl. wb. 1, 606 u. 645/., wo
weitere versuche nichtgerm. anknüpfungen verzeichnet sind.
2) gruonen, gruonen (grüenen) beschränkt sich in ahd.
und mhd. spräche deutlich auf obd. und md. gebiet und ist
anscheinend mindestens dort alteingesessen, wo es heute in
der ma. umlautlose form bewahrt; ein as. grönian Gallee
120 existiert nicht(die glosse ist obd.), mnd. gronen Schiller-
LÜBBEN 2, 152 ist versprengter eindringling und mnl. groe-
nen gleichfalls vereinzelt, vgl. Veravijs-Verdam 2, 2154; erst
in neuerer spräche gewinnt gr. aiif nd. gebiet an boden und
steht auch nl. voll entfaltet neben groeien, vgl. nl. wb. 5,
840^.; aux:,h ahd. drängt neugebildetes ahd. gruonen altes
gruoen zurück, vgl. croent virent ahd. gl. 1, 266 ; groio vireo
4, 210; etewaz peginnet cruen Notker 1, 751; gruet und
wahset 1, 178 und weitere belege bei Graff 4, 298; mhd.
grüejen, ergrüejen selten, vgl. mhd. wb. l, 580^ und une die
folgenden fälle dialektisch bestimmt : (die) wurtsel, da die
roed ist usz ghegruet br. Hans marienl. 605 (clevisch); ir
werdet wider gruende Hesler apok. 18284 ; gruwen vigere
DiEFENBACH nov. gl. 38l'5 (voc. von 1476, rheinisch); ältester
zeuge für gruonen ist die glosse cruaneton vernabant ahd.
gl. 2, 13, jüngere belege s. Graff 4, 300; mhd. tritt neben
gruonen ein Irans, grüenen, refl. sich grüenen; die meist
gebotene auffassung (Heyne wb. l, 1269), dasz von Irans.
grüenen aus das intransitivum nach dem 13. jh. den um-
laut übernommen habe, erregt bedenken, weil das Irans, verb
unhäufig war und das intr. in den obd. maa. noch heute
weithin ohne umlaut gilt; wo sich der umlaut zeigt, wird
er une in der Schriftsprache vom adj. grün her zu erklären
sein; umlautlose formen, z. th. neben umgelauteten, bewahren
das bair., r^rZ. Schmeller-Fr. 1, lOOO/.; Lexes, kämt. 125;
Schöpf tirol. 217; Unger-Khull 302^; das alem., vgl.
Staub-Tobleb 2, 754 {wo neben länge gronen auch grö-
nen); Friedli JSörn^i. 3,217; Bühler i)ai'08 53; Fischer
Schwab. 3, 881/.; Fulda idiot. 14l grünen /ür schwäb.; we-
niger md., vgl. grnne Crecelius 441; wo beide formen
nebeneinander stehen, ist die umlautsform in der regel der
Schriftsprache entnommen, was meist auch an der bedeutung
erkennbar wird, vgl. Tschumpert bündn. 653; Martin-
LiENHART 1,277 u. 2,; Bacher luscm. 2&i; ebenso steht
grünen neben dem alten grüejen in rhein. und nd. maa., vgl.
Jos. MÜLLER rhein. 2, 1456 U. 1444; MensiNG 2, 497 U. 485;
Dähnert 162 u. 161; Berghaus l, 620 u. 615; so auch
fries.grene, greie Jensen nordfries. 169 «.168; entspre-
chend zu werthen ist umlautlosigkeit in druckwerken, na-
mentlich des älteren nhd.: das gantze land grünet und
stehet lüstig Luther bei Dietz 2, 180^*; grünen, grün
werden verdoyer Hulsius-Ravellus lex. it.-gall.-germ.
(1616) 147*'; die meer wie sie wüten . . ., die bäume wie
sie grünen Meyfart himml. Jerusalem (1630) 2, 222; grü-
nen gleichet dem wort grünen, doch scheinet grünen der
anfang zu der grunung Harsdörfer poet. trichter 3 (1653)
247; das grunete und trieb, dasz es eine helle pracht war
Jer. Gotthelf ges. sehr. 19, 68.
bedeutung und gebrauch.
als wurzdhafte bedeutung von germ. *grö. ist, im Zu-
sammenhang mit der würzet *gher- und der bis ins nhd.
hinein sichtbaren grundbedeutung von gTün,'hervorsprieszen,
herauswachsen' in bezug auf die Vegetation zu erschlieszen,
eine art gegenstück zu der in ihren verbalen und nominalen
ableitungen mannigfach ähnlichen verbalwurzel *blö- in
blühen ; hier der höhepunct, dort der beginn des pflanzlichen
wachsthums; ahd. gruoen hat, wie in den übrigen west- und
nordgerm. dialekten, bereits die tveitere bedeutung 'wachsen,
gedeihen', die auch in den rhein. und nd. maa. fest-
gehalten ist; im mnl. erscheint neben ihr die ursprüng-
licher scheinende 'sprossen'; das adj. *gr6niz erweist eben-
falls 'sprossend, frisch' als seine grundbedeutung (vgl.
sp. 640), nicht 'grasfarbig' wie Falk-Tobp 357 will; ent-
sprechend bedeutet sein derivat gruonen 'grün werden' vom
jungen, sprossenden pflanzenwuchs, übernimmt aber in
späterer spräche daneben auch die bedeutung en 'wachsen,
gedeihen', 'grün sein' und durativ 'grün bleiben'; in den
maa. tvie in neuerer Umgangssprache erliegt gr. vielfach den
Verbalverbindungen grün werden, grün sein, grün gehen
u. ä.; das factitiv mhd. grüenen 'grün machen' bleibt im
ganzen selten und tritt mundartlich seine bedeutung auch
an das umlautlose intransitivum ab, vgl. Martin-Lien-
hart 1, 277; ZiNGERLB lusem. 33"^.
A. in der alten und bis in die heutige spräche bewahrten
hauptbedeutung bezieht sich der im verbum ausgedrückte
Vorgang auf die Vegetation.
1) im inchoativen sinne 'grün werden, sich mit pflanz-
lichem grün bedecken', wobei die grundbedeutung von grün
neben dem optischen dement lebendig bleibt.
a) 'ausschlagen, das erste junge grün bekommen, sich be-
grünen', namentlich von der erwachenden Vegetation des
frühjahrs.
a) von bäumen, dem wald 'sich bdauben' :
in dem abereilen
so die bluomen springen,
8Ö louben die linden
und gruonen die buochen
Heinr. V. Veldeke in: minnes. frilhl. 62, 28;
ah! nu kumet uns diu zit
der kleinen vogelllne sanc.
ez gruonet wol diu linde breit,
zergangen ist der winter lanc
DiETMAK V. Eist in: minnes. früM. 33, 17;
so si («e. diu beide) den walt siht gruonen
Walther v. d. Vogelweide 42, 22 ;
welcher zwar unter allen bäumen im jähre der letzte zu
gr. beginnet S. v. Birken forts. d. Pegnitzschäferey (1645)
)( 3^; schon fangen die büsche an zu gr. Moltke ges.
941
GRÜNEN A 1
GRÜNEN A 2. 3
942
sehr. u. denkw. i, 255 ; in der ersten half te des aprils, wenn
eben die weiden zu gr. anfangen Naumann naturgesch.
d. Vögel 2, 1, 467.
ß) ''sich mit grün bedecken, grün hervorbringen^ von der
erde, dem acker u. ä. : das erdrych ist gheiszen grünen
ZwiNGLi dtsche sehr. \, 63; der acker fieng an ... zu gr.
grillenvertreiber (1670) 46;
die erde regt sich, grünt und lebt
NOVALIS sehr. 1, 81 M.;
Amalias liebe machte den brennenden sand unter ihm
gr. Schiller 2, 150 O.; neu Uesz den schutt sie {diefrei-
heit) gr. Feeiligrath ges. dicht. 5, 16; vergleichbar:
das wasser will, das unfruchtbare, grünen
GÖTHE 3, 78 W.;
übertragen auf die thätigkeit des frühlings als bringer des
pßanzenwuchses : der frühling grünte zeitig Göthe 4, 5 W.;
drauszen grünte der frühling G. Freytag verlor, hand-
sehr.'' 1, 353; woher gras und bäume und ein ganzer grü-
nender früling noch ohne einen stral der sonne? Herder
6, 30 S.
y) unpersönlich es grünt 'es wird grün" bereits in älterer
spräche:
wan ez gruonet in dem walde
V. D. Hagen minnesinger 1, 356»;
da war es recht ym lentz, das es daher grünet Luther
24, 155 W.; ye mehr der früling sein wärme herfür laszt
und auszspeut, ye mehr grünt es allenthalb See. Franck
«prtcA«;. (1541) 1, 137b;
dann grünt es über ein weilchen
Geisel w. 1, 52;
sobald es gr. wird, sagen wir es ihnen Gervinus t»;
fyriefw. zw. J. u. W. Orimm, Dahlmann u. Oervinus 2, 237 ;
vgl. as grounät widär Bühler Davos 1, 53 ; hierzu gehören
auch folgende fälle:
Bwanne der wlnter abe ginc
und der sumer ane ginc
und iz begunde grünen
Straszburger Alexander 5249;
hir fengt es ahn, starck zu gr. überall Elisabeth Char-
lotte V. Orleans 3, 639 lit. ver.;
jetzunder geht das frühjahr an,
und alles fängt zu grünen an
Mittler dtsche Volkslieder 657;
b) specidler 'treiben, sprieszen, angehen, ausschlagen^ ,
t«7^ gruonen puHulare Diefenbach 472*; grünen germi-
nare 261*; gr., ausschlagen germinare, frondere Wieder-
hold dict. (1669) 1521'; ^gi^ gruenen umrzel fassen, keimen,
sprossen Schmeller-Fr. l, 1000;
drü holcz dar an begunden
grünen und gabent este
SCHWEIZER Wernher Mot. 8027 P.;
dar nach gab sie sich in eins hulczes art,
dar umb die rüde gegrunet hat
Alsfelder passionsspiel 4723 Grein;
der stecken künde grünen J. Agricola sprichw. (1534)
y 7''; die grünende rut Mosis Fischart binenkorb (1588)
55b; und daz noch wunderlicher ist, fieng der mastbaum
an zu gr. Gabe. Rollenhagen indian. reisen (1603) 145;
darnach wol auf den dritten tag
der stecken hub an zu grünen
J. PeäTORIüs Blockesberges verricht. (16Q8) 23;
die Schäfte (der Speere) begannen zu gr. dtsches museum
2, 247 Fr. Schlegel; sprichivörtlich:
wenn gott es will,
grünt auch ein besenstiel
Binder sprichwörterschatz 21;
ein bäum, der vom wetter geschlagen, schlägt doch wider
ausz und grünet Lehman florileg. polit. (1662) 2, 797; dasz
der abgehauene bäum wohl noch einmal gr. könne
O. Peschel völkerkde 309 ; dann auch 'keimen' vom Samen-
korn: si (die ameisen) peizent daz körn enzwai, daz si
eintragent, daz es icht anderweid keimel und grüen
K.v. Megenberg fcttcA d. natur 302; der samen grünet erste
dtsche bibel 1, 134 (lesart für keimet); der samen grünet
und wechset bibel v. 1483, 487*; die lest samen, die auch
zu der selben zeit ligen in der bermutter der erden, die
werden gr. und mit hilf der sonnen blüen und wachsen
Petrus de Crescentiis teutsch (Speyer o. j.) 2S^ ('pullulant'
im lat. original); überhaupt 'sprieszen, hervorwachsen\
gaben des hailigen gaistes, die die pluomen Christum
machten grüenend in der zarten schalen unser frawen
K. V. Megenberg buch d. natur 84;
wann rechte zeit macht grünen ein iglichs Icraut
fastnachtspiele 744 Keller;
es lasse die erd härfür grünen grasz und kraut Züricher
bibel (1531) 1**; das erste leben ist die wirckung der seelen,
nach welcher . . . die vegetabilien ihren saft an sich ziehen
und gr. Prätoriüs anthropod. pluionicus (1666) 1, 411; der
regen . . . macht gras und gartenkräuter gr. Göthe IV 8,
78 W.; bildlich:
ein spröszling grünt aus seinen wurzeln (des Stammes Isai)
allg. dtsche MW., anh. 53-86, 2580;
swelch guott&t e verdorben was,
diu gruonet herwider als ein gras
Freidank 38, 2 Gr.
2) die Vorstellung vom beginn des wachsthums erweitert
sich zu der des Wachsens überhaupt, wobei nur theilweise
noch das moment der quantitativen zunähme bestimmend
ist, öfter dagegen der begriff des gedeihens hervortritt; auch
diese Verwendung ist alt: du bist wole slozhafter garto,
suester min gemahela, . . . also in demo garten allerslahto
krut gruonent Williram 67, 4 Seem. ; sie (die haare) gruo-
nent ouch alliz ana quasi palma 88, 13; bildlich:
(da) grünet wol der edele stam
Passional 402, 51 K.;
dar US so wfichs ir herczcn drut
und gronet in dem gard
Ph. Wackernagel kirchenlied 2, 279»;
kann auch ein simmes grünen on feucht erden? Luther
bibel 1, 403 W. (Hiob 8, 11); was auf der erden und in
theleren und auf den alben webert oder grünet, ist des
erdenkreysz in superficie ehr und schmuck Mathesius
leichenpred. (1561) y 3*>; der zauberte . . . ein lilien in den
hafen, die grünete daher volksb. v. dr. Faust 97 Br.;
das küszkraut da wie blumen
an allen ecken grünt
schattsp. engl, komöd. 250 Creizenach;
womit haben wirs verdienet,
dasz uns alles so grünet?
unser acker, recht zu sagen,
solte thorn und tisteln tragen
Gabe. VoigtlInder öden u.lieder (1642) 96;
fruchte, die im schatten und dunkeln platzen gr., haben
weder preisz noch geschmakk P. Winckler 2000 gute ge-
dancken (1685) c 3; vertraut mit allem, was im walde . . .
grünt Herm. Schmid alte u. neue gesch. a. Bayern (1861)
41; sieh, wie auf einmal rosen auf dem mist gr. malee
MüLLEE w. 2, 114; sieht dieser bäum da nicht dem ähn-
lich, der in S. vor unserm hause grünt? Tieck sehr. 11, 351;
daher auch gr. und wachsen als zwillingsformel: von der
zeit an grünet und wächsset laub und gras wider herfür
Sebiz f eidbau (1579) 53; ein guter name kan . . . wie ein
wächsiger guter bäum gr. und wachsen Aitingee jagd-
büchlein (1681) )( 3^; sogar: von den orten, da das gold
grünet und wachset Jos. de Acosta America (1605) 99.
3) schon mhd. spräche eigen ist die Verwendung, die gr.
als einfache zustandsbezeichnung faszt, 'im grün der Vege-
tation stehen, grün sein', vgl. gruonen o. grien syn virere
Diefenbach 621 C; gruonen frondere gemmu gemmarum
(1508)12*; gr., frondeo, cpvX'AocptQü} Dbcimatob. thesaurus
(1606) 539^.
a) mit vorwiegen des farbeindruckes :
anger gruonet unt diu liebte beide,
des stet wunneklich ir ougenweide
V. D. Hagen minnesinger 1, 357»;
mit schccner gruene gruenet tal, uz roete rot da glestet
2, 69»;
943
GRÜNEN A 3
GRÜNEN A 4. 6. B 1
944
das lant in gröner varwe lit
grünende alse der gräne chle
RuDOiF V. Ems weltchron. 1444 ;
auch laub und gras
das grünet schon
Förster /r. teutsche liedlein 42 ndr.;
{wir) sechen gr, die preyten wisen Abigo decamerone 10
lit. ver.;
auch grünen beyde, weld und wiesen
Hans Sachs 1, 24 K.;
die au und auch der anger
recbtschaflen grünen fein
RiNOWALD Christi. Warnung M ö*;
das grasze grünt in vollem pracht
Opitz t. poemata 51 ndr.;
voll balme grünt das land
J. H. Vosz 8. ged. 5, 2;
thäler grünen, hügel schwellen
GÖTHE 15, 1, 4 W. (Faust 4654) ;
und die erde grünte grüner TracK tchr. 1, 275 ;
weil schön die wälder gr. Stoem w. 2, 272; poetisch ganz
frei verwendet:
es müssen lilien um ihre schlafe grünen
H. A. V. ZiKGLKR asiat. Banise (1689) 837;
(e«) grünt ihm der lorbeer, den der sieg ihm gab
Brentano ges. sehr. 2, 488.
b) entsprechend wird das partic, namentlich in poetischer
spräche, attributiv verwendet, wobei im mehr oder minder
bewuszten gegensatz zum adj. grün die reine farbvorstellung
hinter die des pflanzlich im grün Stehens zurückgedrängt
wird; vgl. ein grünend ort viretum Frisius 1387'^; dicke
sat und grünende wisen, mögen der seel zu staten komen
Albbecht von Eyb Spiegel d. sitten(lSll) h 6^; auf beiden
Seiten lagen grünende felder und wiesen Nicolai reise 1,
46; die Stadt N. . . ., von grünenden gärten umgeben
Meyb erzähl, a. d. Ried \, 54; ihr grünenden bäume . . .,
euch rufe ich zu . . . zeugen an Chr. Weise pol. redner
(1677) 12;
wenn man im untern gange steht
und in der grünenden allee spazieren geht
B. H. Brockbs 8, 23;
und das schönste gemlsch von blühenden feldern
goldenen saaten und grünenden Wäldern
Schiller 1, 219 O.; vgl. 11, 76;
eh ich noch daran dachte, war ich tief in die grünenden
schatten hinein Fouque Jahreszeiten 1, 39; diese . . .
sangen aus grünenden zweigen lieder der f reiheit gr. Stol-
BERO ges. w. 3, 98; {sie) nahm . . . der langen grünenden
blätter einige Möbike w. 1, 266; mit seinem körper den
grünenden rasen decken W. Hauff m>. l, 32.
c) der grundbedeutung von grün nahe gilt gr. im gegen-
satz zu welken, verdorren auch in älterer spräche im sinne
frisch bleiben, im saft bleiben' (vgl. grün I B 1), wobei der
f arbbegriff vielfach stark verblaszt:
das laub, das on den eschten stund,
das fieng da an zu pleicben,
und das es darnach nimmer grundt
Sigenot str. 79 Schade;
der (ulmbaum) hat die art, . . . daz er gar gern grüenet,
wan ist, daz er dürr worden ist, der in dann fäuht mit
wazzer, er wirt wider grüen K. v. Megenberg buch d.
natur 353; ein blüm des feldes, die heut in glück grünt
und obschwebet, morgen verdorret, abgestorben ist Seb.
Franck sprichw. (1541) 2, 104^;
und folgte dazumahl dem bäume von Japan,
der von dem regen stirbt und in der sonne grünet
Hoffmannswaldau-Nettkirch 1, 126;
kaum einen tag hat diese kürbisstaude gegrünet Abra-
ham A s. Clara etwas für alle 2, 41 ; bei einem oberhalb
verdorrten, unten grünenden bäum Herder 22, 78 S.;
nebeneinander stehen, vereint gr. oder welken, alles das
gehört zum walde Brentano Godwi 2, 27; oft mit einem
temporalen adv. verdeutlicht: wie die bletter nicht immer-
dar grünen, sondern . . . verwelcken und abfallen theatr.
diabol. (1569) 511^; gleichwie wir sehen, dasz die bäume,
so immer gr., von ihrem saft es haben J. Prätorius
winterflucht (1678) 275; links strebte die immer grünende
eiche zur breite wie zur höhe Göthe 49, 312 W.; etwas
anders von der tanne, die ihr grün das ganze jähr bewahrt:
o tanne, du bist ein edler zweig,
du grünest winter und die liebe Sommerzeit;
wenn alle beume dürre sein,
so grünst du, edles tannenbeumelein
Uhland volksl. 1, 1, 385 (um 1550);
die . . . allzeit grünende tannen Neumark /orij/ep^. mus.-
poet. lustw. 1, 5 ; nur vereinzelt wie grün I B 2 im sinne
'noch nicht reif, unreif sein': was zeittig umbher war,
Ilesz er abschneiden und zu häuf füren, was aber noch
grünet . . ., liesz er alles zertretten und verderben Car-
BACH Livius (1551) 266*.
4) den gesichtspunct des vortrefflichen Wachsens und ge-
deihens hebt mit gefühlsbetonter stärke die formel gr. und
blühen heraus: jhe mehr der kreutter seind, jhe mehr sie
gr. und blüen, jhe mehr wassers zu verhoffen ist Michael
Herr feldbau (1551) 296; so grünet und blüet alles aus
der erden Barth weiberspiegel (1565) ki^;
die beume, die blühen und grünen mit macht
Zksen verm. Helikon 2,118;
izt gr. und blühen wir als die blumen und müssen doch
endlich widerum verdorren Butschky kanzdley (1666) 4,
64; man findet bäum, die auszwendig gr. und blühen,
inwendig ist das marck gantz faul und verdorret Lehman
florileg. polit. i, 68; um sie grünte und blühte es H. Stef-
fens was ich erlebte (1840) 1, 358;
grünt und blühet
schön der mal
GÖTHE 1, 80 W.
5) das partic. präs. vertritt substantiviert in älterer spräche
gelegentlich die collectivbezeichnung 'das grün, gewachst
das er holz, körn unde gras
und swas da grfinendis was
zerslug . . .
Rudolf v. Ems weltchron. 10275 Ehrism.;
welches, so es geschieh, ist allen grünenden vil nutz
H. ÖSTEBBEICHEE Cölumella 264 lit. ver.; eim yeglichen
grünenden erste dtsche bibel 2, 491 {Variante zu einer ieg-
lichen grüne); ich hab alles grünende geben euch ziu"
speyse 1. Mos. l, 32; vgl. grünende viretum {voc. v. 1420)
DiEFENBACH nov. gl. 383».
B. wie beim adj. grün ist namentlich in älterer spracJte
eine reiche Übertragung auf andere als pflanzliche objecte
enttvickelt; dasz aber neben der bildhaften anwendung auf
Personen, dinge, zustände und abstracta auch alte directe
verbale ableitung von grün II A möglich ist, ergibt sich in
vereinzelten fällen, wo die wurzelhafte bedeutung 'frisch
sein* näher liegt: dasz man seinen körper noch grünend
und onverzert domalen fonden hab J. v. Watt dtsche
hist. sehr. 1, 153 G.; und grünet sein fleisch, die weil er
daran {tot am galgen) hieng der heiligen leben winterteil
(1471) 27"'; vgl. d rüde grüne« flieszen, von den nassen
flechten Staub-Tobler 2, 754.
1) von gr. A 1 her leitet sich die Verwendung, diedas Schwer-
gewicht auf den beginn eines zustandes legt; im bilde: wo
dignitas peginnet dar virescere gruonen Notker 2, 389;
des lop gruonet unde valwet so der kl6
Walther v. d. Vogblweide 35, 14;
sie {die ehre) gruont niht wider als der cl6,
als meien zlt an argez we
meisterlieder 570 Bartsch;
alsdenn wird der glaub ausschlagen, der fried grünen
Z. Theobald H u^zitenkrieg {IQOd) 384; aber meist ohne un-
mittelbare metaphorische beziehung, vorab im älteren nhd.
häufl-g, 'sprossen, erwachsen, aufblühen"":
mein hart und auch mein hör begund
mir gleich zu grünen an der stundt
Wickram w. 8, 196 B.;
Cassandra . . . wol abnemen kund, das die früntschaft
irer tochter schon anhüb gegen der Lucia zu grünen 2,
219; dieweil . . . fieng sein ungluck an zu gronen Knebel
chron. v. Kaisheim 265 lit. ver.; im glück grünt übermuth
945
GRÜNEN B 2. 3
GRÜNEN B 3
946
W. H. V. HoHBERG habspurg. Ottobert (1664) e 3^; rechten
studiis, so zu unserer zeit wider gegrünet und an tag
kommen Hütten opera 2, 213 B, {zeitgenöss. Übersetzung);
diser zeyt grünet der tödtlich krieg zwüschen der statt
Zürych und den eydgenossen Stumpf Schweizerchron. 109'' ;
die furcht läszt keine hoffnung grünen
A. U. V. Braunschweig Octavia (1677) 1, 854;
am grünen donnerstage, an welchem unserer seelen heyl
. . . hat angefangen zu gr, B. Schupp sehr. (1663) 64;
ich fordre keinen rühm, der aus dem unrecht grünet
J. E. Schlegel w. 1, 241;
aus diesem haupte, wo der apfel lag,
wird euch die neue beszre freiheit grünen
Schiller 14, 383 6.;
plastisch:
im thale grünet hoffnungsglück
GÖTHE 14, 49 (Faust 905) W.
2) einen vom vorigen fühlbar unterschiedenen bedeutungs-
charakter gewinnt gr., wenn der begriff des zunehmens,
Wachsens, der Steigerung überhaupt im Vordergrund steht
und die metaphorik an A 2 anknüpft; so in der Verbindung
gr. und wachsen u. ä. :
Seneca sprichet, daz der git
gr&net, wahset alle zit
der BCBlden hört 4854 Adrian;
daz lebin unses herren daz grunete und wuchs in der lüte
herze Pfeiffer myst. l, 4; ye mer in im (dem menschen)
wachst und grünet die göttlichen ding d. ewigen wiszheit
betbüchlin (1518) 66*^; also sind wir alle yn Adam . . .
beraubet unsers Ursprungs, das ist gottes, von %vilches
einflieszen wir sollten grünen und wachsen Luther
18, 509 W.; und dieses himmelliecht wird nicht abnemen,
sondern immer ins helle klare gr., das ist wachsen und
zunemen V. Herberger himrrd. Jerusalem (1609) 130; da-
mit ins künftige ... die freyen Studien wachsen und
gr. mögen Happel akad. romon (1690) 227; alle freye künst
erwachsen, grünen und zu voUstande gelangen Hars-
DÖRFER frauenzimmergesprächsp. 1, 10; der geistlich wird
dann gr. und wirdt zunemen wie der mond Paracelsus
opera 2, 608 H.; wie aber die Jesuwider ... gr. und zu-
nehmen J. Prätorius Turcicida ¥ 3^ ;
dardurch sein lob grün, blü und wachs
je lenger mehr, das wünscht Hans Sachs
Hans Sachs 21, 303 K.-G.;
ebenso auch gr. allein im älteren nhd. und mundartlich im
sinne ^aufblühen, voran kommen, sich erholen' von men-
schen und dingen, vgl. gleichbedeutendes begrünen th. l,
1313;
der gmein nutz fleng zu grünen an,
das sich frewd iedermann darab
Hans Sachs 8, 477 E.;
durch den gemainen ruf würt das werk wider grünen
Steinhöwel de dar. mul. 194 lit. ver.; wir vermeinten uns
durch ihn zu bessern, zu gr. und aufzukommen Petreius
historien (1620) 365; ihr sehet, das die falschen propheten
. . . nicht gr., nicht fürkommen Paracelsus opera (1589)
2, 83; ähnlich 'körperlich (und geistig) wachsen und ge-
deihen, erstarken, bes. von kindern, rekonvalescenten . . .;
das kind grünet, der kranke grünet wieder^ Fischer
Schwab. 3, 881 ; vgl. es gruenet -mu es fängt an, ihm gut zu
ergehen Staub-Tobler 2, 754 ; ». auch Martin-Lienhart
1, 277; Fischer schwäb. 3, 881.
3) nahe angrenzend, jedoch mit stärkerer betonung des
zuständlichen, Hn kraft und frische stehen, gedeihen, flo-
rieren' entsprechend A 3, vgl. gr., in seinem wäsen oder
kraft seyn vigere Calepinus xi ling. (1598) 1542; so in
den mannigfaltigsten beziehungen.
a) von menschen und dingen, 'im zustand des Wohlbefin-
dens sein':
oder du gronest nimmer ufl erd
und gewinst laster und schaden
Friedrich v. Schwaben 4344 Jellinek;
dar umb so mag er (der mensch) grünen nyt
Seb. Brant narrenschiff 38 anm. Z.,
IV. 1. 6.
es wird niemand verschonet,
wer noch ein wenig grünet,
musz auch erfahren groszes laid
Steiff geschichü. lieder u. Sprüche Württ. 538 (p. j. 1632);
etwas anders:
ihr brüder! aufl verjagt den ernst,
weil wir noch grünen
Bamler lyr.ged. (1772) 211;
in älterer spräche wie lat. florere im sinne Hn der blute
des lebens stehen, leben': er lebt und grünet zur zeit
Tiberii Nie. Heiden Valerius Max. (1565) einl. 2; des
propheten Anani sun hat zu der zeit Baese oder Basse
gegrünt Seb. Franck chron. zeytb. (1531) 58*'; Demas . . .
grünete und lebete zur zeit desz groszen Alexandri Leh-
man florileg. polit. 4, 94; dieses königliche geschlechte
(würde) nicht so viel hundert jähre gegrünet haben
LoHENSTETN Ibrahim sultan, lobschr. o 1*; allgemein 'ge-
deihen, blühen, florieren" von zuständen und einrichtungen,
socialen gebilden u. s. w.:
daher kan grnonen der gmain nutz,
dann wa man gottes wort lieb hatt,
so gruonet eine soliche statt
FiziON chron. v. Reutlingen 232 nach Fischer schwäb. 3, 881 ;
das es (das vaterland) . . . noch heuntigs tags griene und
wolstehe v. Brandis ehrenkräntzel (1678) 131;
und lange wird der frauen reich nicht grünen
Brentano ges. sehr. 6, 129;
unsere alten deutschen stamme gr. seit einem halben
Jahrtausend Fr. L. Jahn l, 285 E.;
lasz sein haus noch ferner grünen
Gottsched ged. (1751) 1, 327;
die ainigkait gepflantzet und . . . alweg gronend erhalten
wirt städtechron. 23, 380; da dan die gaistlichait und
Ordenszucht für ander ort gronet Knebel chron. v. Kais-
heim 81 lit. ver.; zu dessen zeit die lateinische sprach
und alle Wissenschaften am vortreflichsten gegrünt und
in herrlichster ziehrde geblüht Rompler v. Löwenhalt
erst, gebüsch 17 vorr.;
hoch grünte kunst und Wissenschaft
Fr. Kind ged. 5, 7;
schöner grünte sie (die cvltur) nirgends G. Forstee s.
sehr. 4, 186.
b) 'in voller, strotzender kraft (der Jugend, gesundheit
u. 8. w.) stehen" ; ähnlich auch im bezug auf das alter 'in
rüstigkeit und frische sich befinden"; vgl. grünende sterck
vigor Diefenbach 619»: nu grün ich, nu bin ich siech, nu
leb ich, nu stirb ich czuhant J. v. Neumarkt soliloguien
21 Kl.; vorhin, da er annoch in bester kraft gegrünt,
hat er sie nicht gemocht Caspar Abel Boileau (1729) 335;
vgl. grüenen gesund sein Martin-Lienhart l, 277; wie
sie (die menschen) . . . jetzt gr. und frisch sind Herder
17, 140 S.; der jung grünend mensch Seb. Franck Germ.
cliron. (1538) 137»;
wollte gott, ich grünte noch jezt in der fülle der Jugend!
J. H. Vosz Odüssee 267 Bernays;
damahls grünet mein jugent werth
J. Spreng Ilias (1610) i.ges., 45»;
der grünenden Jugend überflüssige gedanken Chr. Weise
titel;
geniest die jugend, weil sie grüent
Königsberger dichterkreis 103 ndr.;
sein fleisch grüne wider wie in der jugent Hiob 33, 25;
wem die locken noch jugendlich grünen
Schiller 14, 49 Q.;
daz alter . . . benimpt . . . doch di grünenden kräft
J. V. Schwarzenberg t. Cicero (1535) 67;
deine knlee noch folgten, noch grünte die stärke der jugend
GR. Stolberg ges. w. 11, 129;
eyn frolich hercze macht eyn gruende aldir Sprichwörter
der Freidankpredigten 50 Klapper; das grünad alter mit
sterck des libs H. Österreicher Columella 1, 9 lit. ver.;
in grünendem alter Kirchhof wendunmuth l, 379 lit. ver.;
weil . . . noch mein alter grünt
Simon Dach in: Königsb. dichterkr. 19 ndr.;
60
947
GRÜNEN B 3
GRÜNEN B 4. 5. C
948
es ist . . . in der Ordnung, dasz . . . zuletzt das grünende
alter als rückhalt sich aufstellt (als landalurm) Fr. L.
Jahn 2, 474 E.
c) 'tw vollem f,or stehen, prangen, reich sein an etw.\ in
hinsieht auf gesinnung, Stimmung, eigenschaften, tuten-
den u. 8. w.; bildlich:
mir stolzfc der muet von rechter gier
und gruenet als ain päm
Oswald v. Woikenstein 269 Schatz;
dln herze in Beeiden gruone
Konrad v. Wükzburq Trojanerkrieg 5707 ;
wan ir hertze grönet
zu hoher vreouden gl&eten
Johann v. Würzburq Wüh. v. Österreich 9148;
doch grünat er (der ritter) vil mer in der tugent seiner
keuschait Hartlieb dial. miracul. 54 Drescher; du grünest
an allen tugenden d. heiligen leben winterteil (1471) 58^;
weil sie (die Römer) an tugenden grünten U. Budrym
kriegsregiment (1594) 8; seltener bei negativer wendung:
seit das in eitel falscheit grünt ir mut
Hans Tolz meistert. 140 M.;
blasser, 'tra einem lebendig, vorhanden sein*; aber noch im
halben bilde:
fröd gronet mir nimmer mer
von Fridrichs schaiden in dürrem hertzen ser
Friedrich v. Schwaben 3631 Jellinek;
das in innen zu dem päbstlichen stül gantz kain gehorsam
gronet G. Oetolff päpstlich bull (1509) A4'*; wo aber
solch unnutz thorlich fragen noch in dir gronent Eberlin
V. GÜNZBURG s. sehr. 2, 147 ndr.
d) entsprechend auch von abstractis Hn der fülle, auf der
höhe ihrer qualität stehen'; im bilde:
(tilgenden) die nimmer vor im {gott) verlischen
und immer grünen und vrischen . . .
sam ein naz ligende owe
Hbinr. V. Heslee apoJcal. 8218 Helm;
ir wipllch 6re gruonet
Lohengrin 6219 Rückert;
höchliches ehren, aufwarten und dienen,
. . . warlich! die machen die liebe stets grühnen
Venusgärtlein 16 ndr.;
doch grttnt die frische lieb
A. Grtphius lyr. ged. 194 Palm;
allein je mehr dein preis in aller äugen grünt
B. Neukirch ged. (1744) 189;
in der brüst zufriedne demut grünte
ESCHENBURO bcxspielsammlg . 1, 292;
hoffnung grünt in schöne mild
A. V. Arnim 22, 21 Gr.,
wo grün als färbe der hoffnung hereinkreuzt (vgl. sp. 654) :
ihre freundschaft grünt wieder, seit sie vom könige be-
rufen sind Dahlmank an Oervinus in: briefw. 1, 442; in
einem lande . . ., darinn der friede grünet Grimmels-
hausen 3, 390 Kell.; von hier aus gilt das part. geradezu als
steigerndes adj.:
von welchen gelehrten man rühmlich hört sagen,
dasz sie itzo stehen in grünender ehr
Neumark fortgepfl. mus.-poet. lustw. 1, 259;
die grünende hofnung, dasz wir freud und wonne ge-
nüszlich empfinden werden Butschky M. kanzelley (1666)
3, 129; feste formet ist das glück grünet (vgl. blüht):
wann das glück uns fügt und grünet
Paul Gerhard bei Fischkr-Tümpkl 3, 419»;
ihr glücke grünet in frembder luft Ziegler Banise
(1689) 504;
seht, wie das glück den dummen grünet
Ramlee fabellese 3, 12.
e) eine» besonderen reichthum entfaltet gr. in geistlicher
spräche, wofür in biblischer metaphorik zahlreiche ansatz-
puncte gegeben sind; 'in religiöser lebendigkeit stehen, nicht
geistlich verdorrt sein'', vgl. etwa Luc. 23, 31, psalm 1, 3
u. ä., vgl. gotzmann, gode gegebin, grünender Nazarenus
Diefenbach 377^; daz wir mit demüdekeide hie suUen
grünen uf ertriche Nie. V.Landau ser mone 120 ZwcMoZrf;
alle creature grünen in gode parad. animae 114 Str.; zu
bedeuten ihr grünend hertz zu gott Seb. Franck chron.
(1685) 3, 520;
mein hertze sol dir grünen
in stetem lob und preis
Paul Gerhard bei Fischer- Tümpel 3, 824«;
also, sag ich, wird auch grünen,
wer in gottes wort sich übt
3, 362*;
anders 'ewig leben\ wohl im anschlusz an psalm 92, 13/.;
herr, es genügt mir nicht, dasz ich dir englisch diene
und in Vollkommenheit der götter für dir grüne
Anqelus Silesius Cherub, wandersm. 14 ndr.;
keiner grünet, der nicht Christo dienet Abraham a
s. Clara etwas f. alle 2, 298;
so werd ich dort in ewlgkeit
bey dir im paradise grünen
Drollinoer ged. 49;
noch anders, vgl. grün II A 1 b : ein grünender, der da
one sund ist viridis Diefenbach 622''.
4) von gr. A 3 c ausgehend entwickelt sich übertragenes
gr. mit durativem Charakter 'grün, unverwelklich, frisch
bleiben'; so als typische formel entwickelt von der fortdauer
des andenkens, vgl. Campe 2, 477 ; auch hier scheint eine
biblische würzet in Sirach 46, 14 mitzuwirken: die richter
. . . werden auch gepreiset; ir gebeine grünen noch imer,
da sie ligen, und ir name wird gepreiset in iren hindern,
auf welche er geerbet ist; auch im tode werden seine
gebeine gr. pflichtsvorhaltung ( 1714) ; ihr (der toten) gedächt-
nis sei gesegnet, und ihr gebein grüne an seinem ort
Scheffel ges. w. 2, 24 ; meist aber liegt directe Übertragung
von der Vegetation her näher: hierzu kömpt die hoffnung
vieler künftigen zeiten, in welchen sie (die poeten) fort
für fort gr. Opitz poeterei 56 ndr.;
ihr nachruhm wird mit meinem grünen
Stieler geharmchte Venus 84 ndr.;
das grabmaal eines beiden . . ., dessen andenken bey uns
im segen gr. wird Gottsched neuest, l, 347;
sein angedenken grünt
J. N. GÖTZ verm. ged. 3, 69;
vgl. im grünendsten andenken Herder 1, 14 S.;
soll seines nahmens rühm auf späte nachweit grünen?
J. D. Uz s. poet. V). 103 Sauer;
ähnlich atich im sinne 'fortdauern in frische' :
ol dasz sie ewig grünen bliebe
die schöne zeit der jungen liebe
Schiller 11, 307 G.;
in unmittelbarer anlehnung an gr, A 3 c : ich werde gr.
und ihr werdet dürr feygenbäm werden Paracelsus
opera 1, 201 H.; die Deutschen sind gewohnt in glück und
Unglück färbe zu halten, wie das frauenhaar bey dürrer
hitze zu gr. Lohenstein Arminius 2, 779''.
5) seit alters beliebt und in fast allen Schattierungen der
einzelverben verwendbar das paar gr. und blühen; meist
als affectvoller ausdruck für 'im zustande schönsten ge-
deihens stehen': und in der kraft ist got ganz blüende
unde grüenende Pfeiffer myst. 2, 397 ; daf on grunit und
bluwit und lebit alliz, daz in dirre werlinde ist paradisus
animae 17 Strauch; vgl. Tauler pred. 98 F.; so gruneth
und blueth die Christenheit Luther 2,l\iW.; die weil
das gemeynd regiment und wesen der Römer blüet und
grünet Carbach Livius 256^; da gr. und blühen die
hertzen in gute und liebe Schupp sehr, 153; philisterei . . .,
wie sie nur in irgend einem klubb gr. und blühen mag
E. Th. A. Hoffmann s. w. 6, li Gr.; redensartlich iro-
nischer wünsch: du säst grönen und blöen as'n Stock-
fisch in Norwegen W. Lüpkes seemannsspr. 20; du schasst
grönen un blöhen as en torfsood, is ok'n wünsch, seggt
se in Holsteen Mensing 2, 497.
C. im ganzen selten und zumeist poetische sonderbildung
des f arbbegriff es, 'grüne färbe haben' ; nicht ganz sicher
bereits so: die bihtere lühtent in grünender Schönheit
(angeblich im bezuge auf die grünen paramente am fest
der bekenner) Seuse dtsche sehr. 244 Bihlm.;
949
GRÜNEN CD- GRUNENZEN
GRUNFAHREN — GRÜNGELB
950
den grünenden smaragd und brennenden rubin
Opitz opera 3, psalmen 405 ;
können esel grünen?
Hagedokn poa. MC. (1757) 2, 253;
wie diese wangen grünen I
wie blau der weite mund!
Wieland «. vi. (1853) 15, 100;
zween {flilgd) mit perlen im grünenden felde Geesten-
BEBO recensionen 14 lit.-dkm.; die grünende färbe also
von der verschiedensten art Göthe II 5, 2, 159 W.;
vor fäulnis grünt er {der see)
J. H. Vosz e. ged. (1825) 3, 218;
(die Wasser) sie spielen in grünendem feuer
MÖKIKB w. 1, 74;
elvms anders, 'tra grüner färbe leuchtend
ihr hämisch, unter dem der hofnung färbe grünet
JOH. E. SCHLEQEL w. 4, 29;
nur der smaragd allein verdient,
dasz er an deinem herzen grünt
GÖTHE 15, 1, 212 {Faust 9308) W.;
technisch sich gr. 'grüne färbe bekommen^' wobei sich das
öl zuerst grünt, später eine bräunlichschwarze färbe an-
nimmt Karmabsoh-Heeren iechn. wb.^ (1854) 2, 776.
D. transitiver gebrauch erscheint als vereinzelte neu-
bildung zu verschiedenen bedeutungen des adj.; vgl. stark
0. lebendig machen, gruonen vegetare Diefenbach 608 *=;
vegetiren, erfrischen, stärcken, kräftig machen, gr., er-
quicken F. Gladow ä la mode-sprach (1727) 770»; in mhd.
spräche grüenen 'frisch, neu machen':
doch wolt er kriege drije
gerner vii versönen,
e das er einen gr&nen
wolt von sinen schulden
bruchstüek bei Pfeiffee forsch, u. kritik. 1, 80 ;
'wachsen machen' : minne ich aber got, der stirbet niemer
und belibet bi mir . . . und grozet min minne und gruonet
und hizzet min minne beichtbuch 91 Oberlin; zu grün
I B 1 wird gehören gruenen ein eingetrocknetes hölzernes
gefäsz durch einschütten von wasser wasserdicht machen
Martin-Lienhart 1, 277'"', d. h. das holz wieder grün,
feucht machen: welcher {gerber) sein vasz grimen oder
leder waschen will (aus einer alten Straszburger polizei-
Ordnung) Frisch teutsch-lat. l, 380'', vgl. ufgruenen im
wasser aufquellen, von bahnen, erbsen Martxn-Ltenhart
1, 277»; technisch zu grün II B 1 'grüne färbe geben': die
lösung , . . grünt . . . violensaft Liebiq handb. d. chemie
(1843) 436; deswegen musz die gefärbte wolle auszer der
küpe gut gegrünet, d. i. gut ausgebreitet werden Jacobs-
SON 2, 167''; reflexiv sich gr. im sinne 'sich errueuerrC ab
und an in älterer spräche:
do so stritet aller meist
mit dem übe hie der geist.
daz sich hie stete gruonet
und niemer wird vcrsunet
Hugo V. Langenstein Martina 271, 81 E.;
gitekeit die grünet sich
an allen Inten steteklich
Boner edelstein 89, 50 Benecke.
GRÜNEN, n., selten auftauchende bezeichnung älterer
Jägersprache für eins der zeichen der hirschfährte: disz
zeichen {in der hirschfährte) halten der kunst erfahrne für
gewisz hoch und gut, und nennen etlich Jäger das grünen
und etlich das burgstall neu jägerbuch (1590) 28''; es were
. . . noch viel zu sagen von den Jägern, vor- und nach-
fährt, eylen, schreken, blenden . . ., wagen, ragen, grünen,
fedemlin Harsdörfer frauenzimmergesprächsp. 3, 117;
bedeutung? herkunft?
GRUNENZEN, gruninzen, vb., ableitung durch suffixales
-enzen aus altem 8^lbst. gruon 'dus grün' {vgl. sp. 640, in
schles. widergrün erhalten), mundarÜ. im schles.: grunen-
zen grün riechen Weinhold 31^; gruninzen nach grün
duften, nach dem regen vom gras Jung Andreas schles.
zeitwortbild. 84;
grunenzen tutts Anill sissem duft
HOLTEI schles. ged. 412 Reclam;
vgl, grünein, ^grunzen.
GRÜNFAHREN, vb., unreif riechen: dann er {der
hopfen) reucht noch gar grasig, das heist der hopf grün-
fahret haushaltung in Vorwerken 138 Ermisch; nach
Frisch teutsch-lat. l, 378 c Tneist fälschlich als grünf arten
angesetzt. — -färb, -färben, adj., grüne färbe habend:
der stain ist grüenvar sam ain lauch K. v. Megenberg
buch d. natur 464; mit bleichen grünfarben blettern Hie-
ron. Braunschweig kunst zu distilieren (1500) 16''; ein
grünf ar trübli 19''; die ader . . . wirdt grünf arb Ruff
hebammenbuch (1580) 137; sein . . . grünf arbenes röcklein
Jag. Böhme sehr. 5, 67. — -färbe,/.; grünfarb color verde
HuLSius t.-ital. (1618) 143»; gr. technisch Muspratt 3,
1843. — -farbig, adj., vgl. groenvarwich viricolor
Diefenbach 622»; grünf ärbig prasinus Dasypodius 340'';
die pletter sein . . . grünf ärbig Sebiz feldbau (1579) 225;
gr. Butschky hd. kanz. (1659) 41; das meer gr. und
schleimig Ritter erdkde 5, 14. — -färbung, /.; es tritt
. . . eine gr. der flamme ein Muspratt 4, 1716. — -faul-
baum, m., name der rainweide, liguster {ligustrum vul-
gare) Gleditsch bei Pritzel-Jessen 214, neben grüner
faulbaum ebda. — -faule, /., holzfäule, bei der sich ein
grünfarbiger pilz entwickelt, vgl. C. K. Schneider hwb. d.
botanik 285; die traubenmotte ..., welche die gr. hervor-
bringt Oken allg. naturgesch. 3, 3, 1869.
GRÜNFINK, m., als name des grünhänflings, grün-
lings {s. dort), loxia chloris, chloris cMoris, chloris hortensis
seit dem 16. jh. bezeugt: grünfinck, grunling C. Geszner
hist. avium (1555) 247; grunling, grünfinck Heyden Pli-
nius (1565) 455 note; gr., kuttvogel chloris GoLius onom.
(1585) 313; groenvincke vireo, chloris KiLlAN 162; der
grünfinck, grunling oder kutvogel J. Prätorius unnterfl.
(1678) 7; die grünfincken, die man insgemein grunling . . .
nennet Hohberg georg. cur. 2, 683; auch für die finkenart
fringilla serinu^ Nemnich 212; für die goldammcr {embe-
riza citrinella) Naumann naturgesch. d. vögd 4, 234; für
den buchfink, vgl. Staub-Tobler l, 867; von einem men-
schen mit blasser gesichtsfarbe ebda. — -fisch, m.,
entsprechend grün II A 2 b, 'frischer fisch'' : mangel an grün-
fischen und Stockfischen und gesalczen fischen städtechron.
2, 334; ein Stockfisch, ein erbesmus und ein essen hering
oder ein essen grunfisch {v. j. 1573) küchenzettel in: zschr.
f. gesch. d. Oberrheins 10, 316; gr. als bezeichnung einer
makrelenart mit grüner färbwng Oken naturgesch. 6, 187. —
-fischer, m., gr. gegenüber gesalzenfischer flacher, der
frische fische verkauft Nicolai beschr. l, beilage 114; an-
ders, zu grien: weder schef-, zins- noch grienvischer österr.
weisth. 5, 8 u. 10. — -frau, /., gemüsehändlerin: die gr.
G. Hauptmann eins, menschen (1891) 63, vgl. gr. Fbisch-
BiER 1, 257, grünesweib Fischer schwäb. 3, 881. — -fut-
ter, n., frisch gemähte futterkräuter : ein wagen mit gr.
Spielhagen s. w. ll, 174; grün- und trockenfutter Brehm
thierl. 3, 54; vne weide: die pferde ins gr. und die sau in
die eichein Düringsfeld sprichw. 1, 80. — -futter-
ernte, /., ScHWERZ ackerbau 473. — -futtermast, f.:
weide- und grünfuttermast d)da 790. — -fütterung,/.,
fütterung mit frischen fviterpflanzen, gegensatz trocken-
f ütterung : auf einem zur gr. bestimmten felde Thaer rat.
landw. 4, 129; klee zur gr. oder zum heuen Schwerz
ackerbau 102.
GRÜNGARTEN, m., grashof, krautgarten, baumgarten :
grüngart viridarium Diefenbach nov. gl. 383»; gr. Fri-
sius dictionariolum 103»; vgl. grüngärtchen G. Keller
ges. w. 5, 117.
GRÜNGELB, adj. l) gelb, das ins grüne fällt, vgl. grien-
gel citrinus Henisch 1762: das mittelst theil inwendig
ist grüngeel Tabernämontanus (1588) l, 130'J ; mit ... grün-
gelber blüst ToxiTES hörn d. heils B b 5'' ; grüngelbe
blumen Hohberg georg. cur. l, 615; grüngelbe blüten-
rispen Wimmer gesch. d. dtsch. bodens 252; ein scharpf
scheinend gesycht, gryengeel wie ein katz bey der nacht
v. Eppendorf Plinius (1543) 206; vielfach von leichen-
blasser ungesunder gesichtsfarbe: nur erscheint sie {die
natur) als eine abgelegte matrone, rothe schminke auf
ihren grüngelben wangen Schiller 2, 349 G.; ihr gesicht
60*
951
GRÜNGELBIG - GRÜNHART
GRUNHAUS — GRÜNHOLZ
952
ist gr. J. M. MiiiLBR briefw. 1, 188. 2) grüne und gelbe
färbe habend: in grüngelber tracht Lohenstein Armini'us
1, 1378"; die unionsflagge neben der grüngelben landes-
fahne Auerbach sehr. 8, 35. gelbig, adj.: ihr gewand
wird gr. colorirt oder gefärbt J. v. Sandbart iconologia
deorum (1680) d 3^. — -gelblich, grüngelblicht, adj., in
älterer spräche was grüngelb 1, in jüngerer mehr bei
schwächerem ton von gelb:
(die pflanze ist) gliedweisz, grüngelblich, schmahl
wird sonst genant roth anagal
ROLIENHAGEN IroschmäuseUr (1595) Kl";
grüngelblichte frösche S. v. Birken forts. d. Pegnitzschäf.
(1645) 35; die schönen äugen schillerten grüngelblicht
wieder Gotthelf ges. sehr. 7, 309; eine grüngelbliche
flamme Muspratt l, 852; vom gesteht: der eine von ge-
siebt grüngelblicht Moscherosch gesichte (1650) 2, 799;
häszlich von zahnen, nicht zu klein von munde, grün-
gelblicht von färbe Müller v. Itzehoe Sieg fr. v. Linden-
berg 1, 210. — -gewächs, n.: grungewechsz viretum
DiEFENBACH 621 <!; der erdpoden {ist) ettlichermasz mit
garten und grüngewachs gezieret G. Alt buch d. cron.
(1493) SOS'; gr. virguUum virens Henisch 1763; topfe mit
grüngewächsen Rosegger sehr. III 6, 336. — -gewicht,
n., gewicht im frischen zustande: das gr. in der saftzeit ge-
fällten holzes Ratzeburo waldverderbnis 1, 12; grüne
rindhäute . . . und gesalzene rindhäute, bei welchen das
gr. angegeben ist Luegeb 6, 97. — -golden, adj., grün
und golden schimmernd: das magische Christuskind mit
grüngoldnem gefieder Jean Paul w. 6, 127 H.; besonders
von auf oder durch grün fallenden Sonnenstrahlen: der
Sonnenschein {fiel) durch den kastanienbaum . . . gr. auf
die Ziffern Eichendorf s. w. 3, 18; die Sonnenstrahlen
traten ungehört auf das gras und prägten grüngoldne
spuren Stifter s. w. l, 235. — -goldig, adj., dasselbe:
am anfange der stirn mit einem grüngoldigen glänz
Naumann naturgesch. d. vögel 8, 547; die • . . sonne legte
auf den . . . berg noch ihr grüngoldiges licht Rosegger
sehr. III 4, 119. — -gras, n., poetische zusammenrückung:
und wie sie (die nachtigall) sang, sprosz überall
grüngras, viole, apfelblüt Heink w. 1, 207 E.;
ein mit gr. vollgepfropfter korb Rosegger Wildlinge
(1905) 398.
GRÜNHAARICHT, adj. {vgl. comp.-typ. l c): ein be-
laubter . . . grünhaarichter ast Treuer dtsch. Dädalus 1,
131. haarig, adj.: grünhaarige nixe J. H. Vosz Luise
27; grünhaariger dummkopf G. Freytag ges. w. 5, 70.
GRÜNHAG, m., 'lebende hecke"; alem., namentlich
Schweiz, wort; zugrunde liegt ein gruonhag ohne umlaut,
weswegen das alte subst. gruon {vgl. sp. 640) als erstes com-
positionsglied vorliegen könnte, später vielfach an grün
adj. angeglichen: nieman soll keinen gruonhag han in
unsren zeigen {um 1390) nach Staub-Tobler 2, 1070; gr,
sepes viva Fbisius 1396*; der baumgarten . . . soll . . .
mit nichts anders unterschieden oder zu den selten be-
schlossen werden als mit selbs gewachsenen grünhagen
Sebiz /eM6att (1580) 31; seinen platz weder durch einen
dürren noch grunhag einzufangen {v. j. 1800) nach Staub-
Tobler a. a. 0.; vgl. gruenhaag oder läbhaag Friedli
Bärndütsch 3, 264. — -händler, m., gemüsehändler : der
gr. . . . mit seinem Schubkarren M. Reich ausgew. w. 196.
— -hart, m., n.?, wort der gauner spräche: grunhart ^eldt^
liber vagatorum (1510) bei Kluge rotw. 1, 54 u. 79; gr.
'matte, wiese, besamet feM" Moscherosch gesichte 237 Bo-
bert.; gr. 'wiese' bei Wencel Scherffeb (1652) s. Kluge
rotw. 158; grünhard 'besaamtes feld' GnotMAi^i spitzbuben-
spr. 27^; gr. 'matte, wiese, besätes feM" Hörn soldatenspr.
117;
wenn sie (die gauner) das halb bekommen han
an dem begerten groszen Ion,
ziebn sie den grünhart auf darvon
KiKCHHOF wendunmuth 2, 166 österley;
vielleicht hierher grunert, m., n., kraut, gemüse Fischer
Schwab. 3, 881 ; das wort liesze sich nothfalls unmittelbar aus
altem gruon subst. bzw. grün adj. und hart boden, un-
bebautes land, anger {vgl. th. 4, 2, 509) deuten, ist aber in
seinem zweiten bestandtheil doch eher zu rottvelsch häufig
als ableitung verwendetem -hart zu ziehen, vgl. Schmeller-
Fr. 1, 1167, Fischer schwäb. 3, 882. — -haus, n., ge-
wächshaus, engl, greenhouse nachgebildet: unter andern
bemerkte ich im grünhause bycas circinaUs G. Forster
s. sehr. 3, 238; in den grünhäusern brach ich die beyden
zweige Göthe IV 38, 137 W.
GRÜNHEIT, /., abstractbildung, 'das grünsein', ver-
schiedentlich zu grün gebildet, aber im ganzen unhäufig im
Verhältnis zu grüne, /.; grunheit viriditas Diefenbach
622^, viredo 621 C; gr., grüne färb viriditas Reyher thes.
2, 2195; daneben steht in älterer spräche grüenekeit, grüe-
necheit s. unier grünigkeit.
1) von grün I A 'zustand des sprossens'; bildlich:
(du sollst) . . . darna to gronen beginnen;
■wente neyn vrucht vullen komen kan,
ze enheve syk myd gronheyt an
farbenallegorie in nd. jahrb. 8, 75 ;
'grüne färbe des pflanzlichen' : wisen, die einem mit ihrer
gr. und lüstigen blumen das hertz erfreuen G. Braun
beschr. u. contrafactur (1581) 3, 5*; aller creatur wurtzel
ist grün, wann aus der gr. kompt die schwartze Pära-
CELSUS opera 2, 687 H.; hier {ist) eine Üppigkeit und gr,
des blumenwuchses Hettner griech. reis. 263 ; concret ge-
faszt 'das grün, laubwerk, kraul' : so schadet den bäumen
gar vil das geschlechte der rupen, die alle grunheit und
blute abenagen Petrus de Crescentiis teutsch {Speyer o. j.)
66^; metaphorisch:
du, auf dessen gartenbeeten
wuchert ewgen lenzes grünheit
RÜCKERT w. 11, 443.
2) zu grün I B 'zustand des frischseins' , vgl. friszheit,
gruneheit recentia Diefenbach 486 C; was ihm die frisch-
heit und gr. der ingwerswurtzel weiters wolle J, Präto-
Rius vnnter flucht {1678) 171; auf den geistlichen sinn zielend
{vgl. grün II A 1 b, grüne 5, grünen B 3 e): selig, keusch
und bluende sein deine inwendigen glidmos, di do aus in
gelassen habe die blume der ewigen grunheit Bonaverdura
dtsch. Marienleben {1516) u 8^"; sint si denne ie und ie an
dem borne des lebens clebeth, szo verleust si nimmer di
grunheit Hedwiglegende (1504) a 4*,
3) zu grün II B von der färbe an sich:
(der Smaragd ist grüner als alles) irdisch dinc daz gruen is,
wen her von der grunheit brunet
Heine, v. Hesler apokal. 7933, vgl. 7960;
he (der smaragd) is so grüne, dat he andere Sachen
bit siner grünheide mach grünvare machen
Marienlieder, zs. /. d. a. 10, 117, vgl. 126;
gr. und gelbheit Schellino w. I 6, 114, — -heu, n.,
grünes heu gegenüber braunheu, sauerheu: man unter-
scheidet unter grün- und braunheu Thaer grundzüge d.
rat. landw. 3, 260. — -höker, m., gemüsegärtner und
-händler, dazu grünhökersche gemüsefrau Richey idiot.
Hamburg. 81.
GRÜNHOLZ, n., vgl. grünholtz ligna viridia Henisch
1763; laubholz, laubwald: das kainer in kainem schwarz-
noch gruenholz nicht reuten noch schwenten {soll) österr.
iveisth. 1, 277 (16. jh.); frisch geschlagenes holz: von ainer
pur grienholz und Zaunlatten (17. jh.) 4, 57, vgl. Unger-
Khull 311*; wie grünes holz frisches, saftiges holz:
zehnmal ärger jedoch ists, wenn fäulnis sich zeiget im grün-
holz G.Hauptmann Anna (1921) 74;
als pflanzenname: für den färberginster {cytisus tinctoria)
in Schlesien Pritzel- Jessen 218, vgl. grünling; Holl
137^; für die kiefernarten pinus montana Pritzel- Jessen
279 nach Münchhausen havsvater (1770), pinus sylvestris
Holl 137*, welch letztere gränholz, gränbaum, gränen-
fichte heiszt Pritzel-Jessen 280, offenbar dasselbe wort;
nach Krünitz 20, 2\7 für pinus montana, den krummholz-
bäum 'in einigen obd. gegenden wie auch in Ungarn'; das
kiefernholz, auch ... gr. ist zu bauholz . . , vorzüglich
geeignet Mothes 3, 175; weiter gr. holz eines in Guinea
953
GRÜNICHT-GRÜNITZ i
GRÜNITZ 2 — GRÜNKRAUT i
954
wachsenden baumes Karmabsch - Heeren '' 4, 166. —
-holzig, adj.: grünholziger lorbeer Dietrich lex.d. gärtn.
5, 351.
GRÜNICHT, grünecht, adj., grün, vgl. grünig: mit
grunechtem moosz Schottel 816; grünicht florescen?,
virenSyfrondens, progerminans Stieler 710; grüneht grasig
Schmidt elsäss. 157^ : der grünehte weg {urk. aus Bindern-
heim V. j, 1344).
GRÜNIG, grunig, adj., mundartliches wort, dessen häu-
figes schwanken im umlaut die entstehung aus den partic.
grünend, grünend erkennen läszt, vgl. dazu Staub-Tobler
1, 719; eigentlich, ^grünervV, wie grünen A: gruenig Statjb-
TOBLER 2, 756; grüenigi matten Martin-Lienhärt 1,276;
gruoniger walt, gruoniga wise, aue etc. Lexeb kämt. 125;
es gingen zwei verliebte durch einen grunigen wald
MiTTLBE Volkslieder 175, vgl.i%7;
da flieszet ein klares bächleln hell
herunter im grünigen tbal
T. Eblach Volkglieder 2, 127;
auf grüniger aue Hartmann volksschausp. 117; anders
grunig vom erdgeruch der im keller liegenden kartoffeln
Mülleb-Fraureuth 1, 447*, wo grünen keimen {vgl.
grünen Alb) zugrunde liegen mag; zu grünen B 2: grue-
nig lebhaft, munier, rüstig Staüb-Tobler 2, 756; Fischer
Schwab. 3, 882; gruneg angenehm, lustig Schmelleb-Fr. 1,
1001; SOHMELLER cimbr. 126*>; vereinzelt grunig übel aus-
sehend, mit grün gleichen sinnes vermischt Fischer a. a. o.;
technisch grünige säure Karmarsch-Heeren 4, 166.
GRÜNIGKEIT, /., zunächst abstractbildung 'das grün-
sein", vgl. grunekeit viror Konr. v. Heinrichatj vocab.
387* Ousinde; grönecheyt viredo Diefenbach nov. gl.
382''; grünigkeyt viror, viriditas Dasypodius 340*'; gr.
verduta,verdezzaB.vijSivsteutsch-it. {1618) 143*; Campe 2,
477*; zu grün I B 1: {das f euer) benimmet ime {dem holz)
die füchtekeit, die grunekeit und die grobekeit TaüXjER
pred. 120 V.; zu grün II B:
die grunekeit des Steines
Heinr. V. Hkslkr apokal. 7967 H.;
besonders von grün I A her concretisiert toie grüne 2 ; nach
apokal. 9, 4:
und suln daz how nicht irslan . . .
die boume noch die grunlkeit
und swaz vrucht in der werlde treit
Heine, v. Hesler apokal. 13961;
{die Stadt habe) den nahmen von der gr. . . ., dann die
statt auf einem weiten, ebenen und grünen plan gelegen
Matth. Quad enchiridia cosmogr. {iQOi) 116; auf nd. bo-
den, namentlich im norden in älterer mundart ist grönigkeit
frische gemüse, suppenkräuter, zugemüse {legumes) u. ä.
RiCHEY idiot. Hamburg. 12; brem.-nds. wb. 2, 548; Schütze
holstein. 2, 73; achter was een lütte gaam mit allerhand
gröiügkeiten br. Grimm kinder- u. hausmärchen l, 70;
schon um Weihnachten findet man in Neapel grünigkeiten
und frische fruchte Chr. H. Groszkitrd Björnstahls briefe
(1777) 1, 366; von Göthe aufgenommen:
ich trage braten . . ., ich grünigkeiten
13, 1, 148 W.;
für pflunzen überhaupt: die allerliebsten wunderlichen
grünigkeiten IV 32, 80; anders: voll gärten, matten und
Wohnungen der menschen . . ., voll enger pfade zwischen
den grünigkeiten G. Keller in Bächtold G. Kellers
leben 2, 354.
GRÜNING, m., zu grün II A 2 a, im älteren nd., 'grüner,
unerfahrener junge\ vgl. groeninck rrMli genus viride et
juvenis temerarius Kilian 162, wohl daraus mit druck-
fehler grunick, ein frecher jüngling juvenis temerarius
Henisch 1761; solcker fabelhans, averbörstiger und rodt-
kagelsche gröninck van Apenberge Gryse leienbibel (1604)
nach Schiller-Lübben 2, 152^; als name des grünfi,nk
Krünitz 20, 215; s. auch grünling.
GRUNINZEN s. grunenzen.
GRÜNITZ, m. l) name des vogels 'kreuzschnabel' {loxia
curvirostra), mit bemerkenswerth variabler form seit dem
14. jh. bezeugt: grinis (14. jh., echlea.) nach Weioand-Hiet
1, 1153; crinis (15. jh.) Germania 6, 99; krinis Schwenkfeld
iÄer. /SiZes. (1603) 252; grims («cÄZe«.) Frommann d^scÄcmoa.
4, 170; grenes {mähr.) 5, 465; krims {nordböhm.) zs.f. dtsche
phil. 21, 211; krinitz Eber-Peucer vocab. (1552) f 4*; kri-
nitz Schwenkfbld o. a. o.; grenitz Hohberg georg, cur.
3, 361; grirütz Döbel neueröffn. jägerpr. (1746) 56; kriniz
PopowiTSCH versuch {17S0) 293 aus Schlesien u. Schwaben;
mit anlehnung an grün: grünitz angen. landlust (1720) 336;
Müller-Fraureuth 1, 442; Hertel Thür. llO; s. auch
grienitz sp. 264, krinitz th. 5, 2317; die etymologie ist noch
nicht völlig geklärt; sicher ist nur, dasz wie bei anderen vogel-
namen entlehnung aus dem slav. vorliegt, nach Weigand-
Hirt 1, 1153 otw oberlaus.-wend. skjrenc, zur wz. sker-
'spalten' Miklosich 299, vMch Suolahti vögeln. 141 aus
tschech. kfivonos 'krummnase" ; noch näher läge alitschech.
krzywnos in krzywnosecz Gebauer alttschech. wb. 2, 148;
beide herleitungen sind lautlich nicht ohne hemmnis zu
altbezeugtem grinis, crinis zu führen; vielleicht liegt über-
haupt eine andere, nur suffixale erweiterung von slav. krivü
'krumm' zugrunde wie sie in ostmd. kriwittze Elbinger
vocab. (auf. d. 14. jhs.) in: Berneker d. preusz. spr. 244
belegt scheint, also etwa kfiwrüca, kfiwniec; der ersatz des
auslaut. s in crinis durch z ist sonst aus analogie zu kiebitz,
Stieglitz, wonitz, girlitz allenfalls zu begreifen; als schrift-
sprachliche form gilt grünitz : wer einen creutzvogel oder
grünitz im haus hat J. G. Schmidt gestr. rockenphilos.
(1706) 2, 362;
draul kamen die kleinen, worunter die lerche,
der gimpel, der grünitz und sperling mit war
LiCHTWER äsop. lab. 26.
2) als pfixinzenname für die ginsterarten cytisus scoparius
Pritzel- Jessen 127, Holl 135''; cytisus tinrtorius Nem-
NICH 212, wohl unter einunrkung des vogelnamens ent-
stelltes ginster.
GRÜNKÄFER, m. {vgl. comp.-typ. 4 c), imme der 'spa-
nischen fliege' {cantharis vesicatoria L.): grünkefer scara-
beus viridis, et galleruca M. Mylius nomencl. (1590) e 2*;
spanisch mucken, grüenkefer, goldkefer cantharis Megiser
<AeÄ. (1603) 1, 210''; gr., goldkäfer . . . grünfliege Henisch
1763. — -kap, n. {vgl. comp.-typ. 4 a): des grünkaps insel-
vulkanen Baggesen poei. w. 2, 347. — -kern s. comp.-
typ. 4 b {sp. 664).
GRÜNKOHL, m., name einer kohlart {brassica oleracea
acephala), atich braunkohl, blaukohl, winterkohl; heute
gilt der name namentlich in Norddeutschland, Mitteldeutsch-
land, auch in Württemberg und Baden, vgl. P. Kretsoh-
mer Wortgeographie 221, ist aber bereits im 16. jh. bezeugt:
der gemeyn köl, welchen man sonst den langen und grün-
köl nennet, soll allwegen mitten im augstmonat oder im
herbsmonat gesäyet werden, wo man änderst in der
fasten oder im winter pletter davon gedenckt zu haben
Sebiz f eidbau (1579) 176; gehört hierher das rätselhafte
grunchol n. pr. bei Graff 4, 299?; für das 17. jh. mangelt
es an belegen, für spätere zeit vgl. Chomels öcon. lex. 4, 1377;
Fränzchen . . . half der brummenden Liese den gr. ver-
lesen Gutzkow ritt. v. geisle 7, 419.
GRÜNKRAM, m., gemüse, in compositionen wie grün-
kramhandel H. Seidel Leber. Hühnchen (1899) 42;
grünkramhändler Sudermann d. hohe lied (1922) 582;
grünkramkeller ebda 149; grünkramladen usw. —
-krapfen, m.: grünkrapffen von ayern, käsz und kräu-
tern oder spinet herbosum moretum Henisch 1764.
GRÜNKRAUT, n., zusammenrückung von grün(es)
kraut {vgl. sp. 643), auch als grünskraut Jac. Ayrer 4,
2628 lit. ver.; sowohl collectivbezeichnung für verschiedene
im frühjahr als gemüse gegessene grünpflanzen als auch
appellativ für einzelne dieser kräuter.
1) als einzelname; für eine farnart {asplenium adantium
niger): gruenkrut Hieron. Braunschweig distil. (1500)
nach H. Fischer miltelalterl. pfianzenkde 261; vne grün-
kohl/ttr kohl, ohne Unterscheidung der abart koel, grunkrut
caulis Brack voc. rer. (1491) 53^'; grienkrut caulis Diefen-
bach 108 *>; abgefallen obst, gr., rüben, möhren, heubt-
kraut haush. in Vorwerken {um 1570) 22 Ermisch, wo bras-
955
GRÜNKRAUT 2 — GRÜNLICH
GRÜNLICH - GRÜNLING
956
stca oleracea acephala gemeint sein soll; für die melde {atri-
plex hortensis): gr., muten, mölten atriplex sativa rubra
Henisch 1763, so noch in Schlesien vgl. Pkitzel- Jessen
51 ; für den spinal {spinacia oleracea) im Elsasz ebda 385,
vgl. Märtin-Lienhart 1, b28; für den wilden Sauerampfer
(rumex acetosa) Ruckert unterfränk. 65 ; für die schlangen-
wurz (polygonum Bistorta) in der Ober- und Niederlausitz
Fechner erkl. volksth. pfl. 8; für das sumpfmoos {sphag-
num) Fischer schwäb. 3, 882 ; für basilikenkraut {ocynum
basilicum) Holl 137*; für eine rübenart KiscH Nösner
Wörter 56.
2) im collectiven gebratich 'grünes krauV allgemein, im
besonderen 'eszbares grüngemüse, grünzeug, suppenkrauf:
in diesem jar warn so viel raupen in Schottland, dasz sie
alles gr. und frucht abfraszen Niorinus papist. inquis.
(1589) 483; grönkraut, gehackt krut minutal (u. 7. 1530)
DiEFENBACH 362; kan ihr jemand nachsagen, dasz sie
einen frosch hat ins gr. gethan? Chr. Weise grün, jugend
überfl. gedancken 234 ndr.; gr. 'allerley frisch zusammen-
gelesene kräuter' Amara^tses frauenzimmerlex. (1715) 699;
die doch am grünendonnerstage haben gr. gegessen J. G.
Schmidt gestr. rockenphilosophia (1706) 2, 220; gr. 'allerley
kräuter als spinal, melden, gundermann' Zincke öc. lex.
(1744) 996; FRISCHEIER 2, 526; Spiesz henneb. 86; Anton
oberlaus, l, 12; nicht eindeutig: synaw ... ist auch eyn
schön Schweitzer gr. Bock kräuterb. (1539) 1, \b\^. —
-küste, /., wohl entstellt aus grienküste pfefferküste: die
grünkisten . . . wegen des pfefEers, so grün genennet wird
M. Hemmebsam westindian. reisebeschr. (1663) 18, vgl.
Frisch t.-lat. 1, 378*', der anders deutet.
GRÜNLAND, n. 'begrüntes land, grasland" , vgl. ahd.
gruonlendi virecta gl. 2, 621 als neutrale -i&-bildung mit
aftemgruon(i), und die geographische bezeichnung Gruonlant
mhd. wb. 1, 582; im nd. 'vnesenland' im gegensatz zum hoch-
moor, vgl. ELrtjnitz 20, 218; gr. grasland Martiny wb. d.
milchw.iS; Lüeger 4,795; er pflegte auf das gr. ein oder
zwei füllen zu treiben H. A. Oppermann hundert jähre
(1870) 2, 40; (man) bevorzugte zunächst das gr. an den
Aussen Wimmer gesch. d. dtsch. bodens 154; für die oase:
{eine) dreieinigkeit von Weltstadt, grünland und sand-
meer fürst Pückler Moh. Alis reich (1844) 2, 25. —
-länderei,/..' betätigung auf allen grünländereien d. h.
wiesen und weiden sowie feldfutterflächen Meyer' 5, 749.
— -landmoor, -landsmoor, n.; das wiesen- oder grün-
landmoor, aus elastischen grasflächen mit wässerigem
Untergründe bestehend Wimmer gesch. d. dtsch. bodens
151; man unterscheidet {die moore) in grünmoore, grün-
landsmoore Thaer grundz. d. rat. landw. 3, 174.
GRÜNLICH, adj., subviridis. der unterschied der Suf-
fixe -leht, -loht und -lieh scheint sich im mhd. noch auf die
bedeutung zu erstrecken; grüeneleht == subviridis 'an-
nähernd grün, ins grüne spielend^ {vgl. Grimm gr. 2, 382):
medus ist ain stain . . . und ist ain tail grüenlot K. v.
Megenberg b. d. natur 452, 25; dagegen grüenlich be-
deutungsgleich mit grüene adj., verwendet als adj. neben
abstractis oder adverbial {vgl. Grimm a. a. o.):
sin (des Smaragds) gruenliche brune ('tiefgrüne färbe')
lutter daz gesune Heinr. v. Hesler apokal. 7935 H.;
(der mai hat) die weit durchreut grüenleichen
OswAiB V. Wolkenstein 179 Schatz;
im nhd. beides vermengt, vgl. grünlächt viride Frisius
1387'', grünlächt, zum teil grün subviridis 12601*; grün-
licht subviridis et viride Stieler 710; eine färbe, welche
grünlicht sähe un color che sembrava verde Kramer
teutsch-ital. 2, 738^; mit dem 19. jh. veraltet grünlicht gegen-
über der im 17. jh. aufkommenden form grünlich, diese
lexikalisch bei Steinbach (1734) l, 648; grünlecht nach
dem 17. jh. mit seinen parallelformen in der hauptsache nur
noch mundartlich, vgl. grünlochet Fischer schwäb. 3, 882;
gruenlacht Stafb-Tobler 2, 756; grüenlächt Fbiedlx
Bärndütsch 3, 234; grüenlecht Martin-Lienhart 1, 276^;
grüenlat Lexer kämt. 125 usw.; durch -ig erweitert:
grünlechtig Tabernämontanus kräuterbuch (1588) 662*';
grüenlochtig Staub-Tobler 2, 756.
1) als farbvorstdlung in verschiedenster anwendung: ir
gall ist seer scharpf, grünlacht, als Galenus züget Herold -
Forer Qeszners thierbuch{lb&Z) 2, l^^; die edlen und natür-
lichen erdglasz oder grünlichte und weisze edelgesteine
Mathesius ausgew. w. 4, 231 Lösche; weil kupfer bey der
müntz ist, wirdt das scheidewasser grünlecht darvon
L. Ercker mineralertzt (1580) 71!!; schwartz und halb
grünlicht volksb. v. dr. Faust 72 Br.; grünlecht, gelb und
weisz gesprengt 54; von färben grünlecht, auf aschenfarb
zu schwartz geneigt J. Witichius bericht (1589) 3; des
grünlechten giftes M. Opitz Argenis (1644) 1, 213; ihr
klar-grünlechtes aug Weckherlin ged.2,S56F.; mit
grünlichten blumen Lohenstein Arminius l, 1377*'; des
grünlichten stroms Schiller 11, 77 0.; dünne grünlichte
matten Görres br. l, 207; davon der leib . . . gr. . . . wirdt
Guarinonius greuel (1610) 868; auch das stehend wasser
{wird) gr, Harsdörfer /mMenz.-jespröcÄsp. (1641) 7, 222;
wan er den grUhnspahn künstlich weis
ins mark des stokkes einzusprühen,
dasz seine rosen grühnlich blühen
Zesen helik. rosentaM (1669) 115;
die klare, grünlich dunkle flut Brockes 1, 96;
das hellblaue wird gr. Göthe II 2, 40 W.; ein dunkler, gr.
blauer himmel Stifter s. w. 14, 125 S.; von der färbe des
auges oft als merkmal bösartigen Charakters:
sein aug war stier und grünlich
Grabbe w. 1, 193 Bl.;
die niedrige stirn, unter der die grünlichen äugen tückisch
und boshaft funkelten Hesekiel Nürnb. tand 2, 69; von
minderwerthigem glase: selbst mit einem prisma von grün-
lichem glase Göthe II 5, l, 44 W.; in einfache grünliche
gläser G. Keller ges. w. 1, 305; als färbe der Verwesung,
des moders: indem das kind schon todt gewesen und gantz
grünlicht wie verweset ausgesehen Chr. Thomasius ged.
u. erinn. (1720) 1, 39; der Verwesung grünlichem moder
Grillparzer s. w. 2, 56 8.; als tönung des himmels: deinen
gr. klaren himmel Just. Kerner briefw. 1, 138; dar grün-
liche firmament v. Erlach volksl. 3, 593 ; oder einer andern
färbe: grünlicht wunderblau Triller poet. betr. l, 46;
grünlichtes gold S. Geszner sehr. 1, 112; dazu feste verbale
fügungen: gr. anlaufen oxydieren H. Meyer gesch. d. bild.
künste (1824) 1, 280; ins grünliche fallen: fällt die asch-
graue rückenfarbe etwas ins grünliche Naumann natur-
gesch.d. Vögel 2,13; dafür in älterer spräche: wann das
wasser grünlicht . . . fällt mediz. maulaffe (1719) 189.
2) selten nach grün II A 2 a : allzu grünlicht in allen
seinen gesinnungen Tieck sehr. 19, 165; ähnlich: gr. keck,
vorwitzig Unger-Khull 311**.
3) spurweise auch im sinne der bedeviung grün lA;
grünlich, wachselich vegetabilis, Vegetativum gemma gemm.
(1510) D 1^, wo aber die parallelen bei Diefenbach öOS"
auf vorausliegendes gruondlich oder gruonendlich {partic.)
weisen; der grünliche . . ., grünende april Treuer dtsch.
Dädalus 1, 103; nach grünein 2 {vgl. sp. 939):
so wie uns oft nach warmen regen
ein grünlichter geruch erquickt
J. Chr. Günther ged., naehl. 94 ;
vgl. mundartlich gr. keimend Unger-Khull 311**. — seit
dem 17. jh. in composition mit andern farbbezeichnungen:
grünlichblau Oken allg. naturgesch. 1, 186; grünlich-
braun A. G. Werner oryktognosie (1792) 85; grünlich-
fahl: mit grünlichfalben blättern Harsdörfeb /rawenz.-
gesprächsp. 5, ){){){){){ 2^; grünlichgelb: mit grün-
lichtgelben blumen Lohenstein Arminius 1, 1377*';
grünlichgolden Klopstook öden 1, IMM.-P.; grün-
lichschwarz: der cypress ist grünlichschwartz Hars-
DÖRF-ER frauenz.-gesprächsp. 8, 67. — grünlichkeit,/.,
was grünigkeit: wenn er mit grünlichkeiten in meine
küche kam Holtei erz. sehr. 1, 161.
GRÜNLING, m., in zahllosen, meist volksthümlichen
bezeichnungen appellativ für ein ding, dessen hervorste-
chendste eigenschaft in grüner färbung besteht, besonders
thier- und pflanzennamen, im 14. jh. zuerst belegt {s. u. 2).
957
(
GRÜNLING — GRÜNNÄSIG
GRUNNEN - GRÜNSCHLICHT
958
1) thiernamen. luime des grünfinken (cMoria chloris),
vgl. gr. oder ein gilbling, grünfinck, rapfinck, gerold chlo-
ris, charadrius, Icterus Henisch 1761; diser vogel (chloris),
so gr., grünfinck . . . genennt wirt P. Heuszlin Geszners
vogdbuch (1557) 67^»; der grünfinck, gr. oder kutvogel
J. Pbätorius winterflucht (1678) 7; schwuntz, schwanschel,
gr. oder welschen hänfling Döbel jägerpractica (1754) 1,
62; der specht (friszt) des grünlings (eier) Fischart
Oargantua 308 ndr.; kautz und gr. Jon. Nas antipap.
eins u. hund. (1567) 4, Q9^;
der grünling frisch, der grünling frisch
satzt sich zu oberst an den tisch
Uhland volhsl. 1, 40;
auch für andere grünfarbige vögel, so den 'kanarienzeisig^
{pyrrhula serinus) ein groszer gr. regaliolu^ Frisitts 1133''^;
die 'goldammer^ {emberiza citrinella) Krünitz 20, 215; der
konchinchinesische gr. Müspratt 7, 514; für eine
Schlangenart {sauritae) schlangenbuch (1613) nach zs. f.
dtsche wortforsch. 5, 271, vermutlich die ringelnatter (luber
natrix) Staub-Tobler 2, 756; /ttr einen Schmetterling, pa-
pilio rubi Nemnich 212; Oken allg. naturgesch. 5, 1381;
weitere, sonst nicht ausreichend bezeugte anwendungen gibt
ScHRADER dtsch.-frz. 1, 581.
2) pflanzennamen. für eine rebensorte {clementea loci-
niata) greanling Höfer-Kronenfeld volksn. d. nieder-
österr. pfl. 131, entsprechend urkundlich gr. (r. j. 1321 u.
1366) bei Chr. Schmidt elsäss. 157; für eine apfelsorte:
grünling äpffel J. Bauhin hist. tiov. (1598) 4, 88, vgl.
Grimm gr. 3, 376, gr. paulinerapfel Unger-Khull 311**;
für eine birnenart: gr., eine grüne saftige, kegelförmige bim
Nemnich 212 nach Cordus botan. (1534) 179*': grünlinge
id est prasina; grünlinge prasinum Stieler 167, vgl. grün-
lingbirn pyra prasina Henisch 1761; für den pilz russula
{agariciis) virescens Pritzel- Jessen 455, so schles. Mat-
TUSCHKA enum. (1779) 329; Unger-Khüll Sil**; HÖFER-
Kronenberg volksn. d. niederösterr. pfl. 13; Popowitsch
versuch 574; für den ginster, cytisus scoparius und c.
tindorius Pritzel- Jessen 127, 128; Nemnich 214, 212.
3) nach grün II A 2: pisces, qui ling vel lingfische . . .
dicuntur et recentes gruneling B. Faber thes. (1587) 1016'';
früh wie grünschnabel {vgl. zur deviung sp. 647/.) von
menschen im sinne ^unerfahrener, neuling'' : keinen neo-
phytum, das ist gr. und ungebruchten zum lerer ordnen
H. BuLLiNGER leeren d. widertäufern (1531) bei Staub-
Tobler 2, 756; nehmen sie es dem gr. nicht übel Tieck
sehr. 17, 194; besitzt etwa ihr grünlinge das monopol des
versemachens J. Scherr Schiller 1, 214; er war, was man
zu meinen Studentenzeiten scherzweise einen gr. nannte,
das heiszt ein unreifer v. Maltitz d. alte Student (1828) 9;
vgl. Kluge stvd.-spr. 93; entsprechend grün II B 1 b
tnensch von ungesunder gesichtsfarbe Schmeller-Fr. 1,
1002; Staub-Tobler 2, 756; nach grün II B 1 a für den
grüngekleidelen jäger usw.: der junge gr. (forstmann)
W. Raabe meister Autor^ 4 ; so rotwelsch, vgl. zs. f. dtsche
wortforsch. 10, 215.
i) einzelnes, gr. quarz mit kupfergrün Voigt mineral.
ahhandl. (1789) 2, 277; rotw. für garten, wiese, zäun, gras,
kraut, laub Kluge rotw. 228, Ostwald rinnsteinspr. 63. —
grünlinger, m., aus dem vorigen erweitert; als vogelname:
disem grünUng ist nit ungleych ein anderer vogel, gr. ge-
nennt, doch grüner P. Heuszlin Oeszners vogelbuch (1557)
67^; name des apfels gr. mälum vitreum, viride Stieler
1378.
GRÜNMACHER s. grünacher.
GRÜNMALZ, n. (vgl. comp.-typ. 4^): sowohl das frische
gr. wie auch das . . . luftmalz v. Alten 2, 271. — -markt,
m., gemüsemarkt : grünmarckt mercato, piazza di herbe
Kramer teutsch-ital. 1, 572^; Sallmann neue beitr. 32;
LuEGER 6, 280. — -moor, n., s. unter grünlandmoor,
Thaer grundz. d. rat. landw. 3, 174. — -nase,/., unreifer
mensch, wie grünschnabel: den ausdruck gr. H.Laube
ges. sehr. 8, 247. — -näsig, adj. Brendicke Berliner
wortsch. 130.
GRUNNEN, vb., auch grünnen; schallmalendes wort
tcie ähnlich grummen {s. d.); ags. grunian ^knirschen,
grunzen'; dazu vielleicht ahd. sg. grün, m., plur. grunni,/.,
'Jammer, stöhnen*, 'elend' Schatz ahd. gr. § 370; grund-
wort zu dem bedeutungsparallelen, ausgebreiteteren grunzen
(s. d.); mit vocalwechsd grinnen grunzen, knirschen {s. d.),
ahd. granon grunnire Graff 4, 327 ; grannen weinen, jam-
Tnern (s. d.); vgl. auch gro(n)nen murren, grunzen, sowie
lat. grunnire, grundire, griech. yQv grunzlaut der schweine,
yqvXog, yQvffawi' ferkel, yovCoi, yQvliCa vom grunzen der
Schweine, vgl. Walde- Pokorny 1, 658; Wackernagel
voc. var. animantium 29/.; zs. f. d. wortf. 12, 41. vom
Schwein 'grunzen': (da) kamen sie wie die grunnende
sau herzugetrollt Fischart Garg. 313 ndr.; (die schweine)
des morgens fro, went dach wert, anheven tho grün-
nen Gryse leienbibel (1604) 2, s 1^; also grüszte ihn
das Schwein mit grunnen Schott kurzweil d. eungeyi
weish. (1690) 17; das rüchlen, winszen oder grunnen der
schweynen Frisius (1556) 1247"'; grunzen, grunnen, grom-
men, rüchlen wie ein schwein grunnire Henisch (1616)
1764; grunnen fland., grunnire Kilian (1605) 164; baulare
(eig. 'bellen') grunnen (vom hund?) Diefenbach gloss. 70*';
vom knurren des bauches (vgl. grunsen): es werdend auch
seine kranckheiten grünnen in dem magen M. Pegius
geburtsstundenbuch (1570) S t 6^. uneigentlich: die letzte
Ölung ist kein sacrament, viel weniger von Christo ein-
gesetzt, wie die rangen zu Löven (die theol. facultät von
Löwen) grunnen Luther w. 65, 174 Erl., dieselbe stelle mit
grinnen th. 4, 1, 6, 379. hierhin wohl auch grünen 'sich
gütlich tun, ausruhen' (Henneberg) v. Klein provinzial-
wb. 1, 167, lyl. 'grunzen 3 in derselben bedeutung. mit
dehnung (vgl. grönen : gronnen) grünen murren, knurren,
grunzen Schöpf tir. 218; (der bär) wäre aber sehr bes
und grunete immerfort ebda; vgl. auch: nichts denn
murrn, grünen könn die katzen Kirchhof icendtmmuth
4, 190 Österl.
GRÜNPLATZ, m., mit pflanzlichem grün bestandener
platz: ein grunplatz viretum locus gemma gemm. (1518);
gr. verdezza Hulsius dict. (1618) 143»; hübsche . . . grün-
plätze Jean Paul w. 20/23, 236 H.; modern in städtebau-
licher fachsprache. — -rebe, /., statt grundrebe hedera
terrestris Fischer schwäb. 6, 2075. — -rock, m., mensch
im grünen rock, meist der 'jäger' in volksthümelnder,
scherzhafter bezeichnung: was für grünröck mögen das sein
Schiller 12, 19 O.; ein jeder schwarzrock und gr. Göthe
6, 222 W.;
bald war der gr. nur behebt in stadt und land
Fe. Kind ged. 2, 192;
Schmeller-Fr. 1, 1002; Fischer schwäb. 3, 883; vgl. gr.
als name eines frosches bei Rollenhagen froschmeus.
(1595) E 8. röckig, adj.: den grünröckigen . . . diener
Holtei erz. sehr. 24, 86. — -rot, adj.: grünroht Schottel
83; die . . . blütchen sind gr. Schlechtendal flora^ 9, 73;
lebhaft grünrothe tücher Bismarck br. a. s. braut 349. —
-rötlich, adj.: aus dieses baumes grünröthlichter blute
Lohenstein Ärminius 2, 309*'.
GRÜNSAND, m., glaukonithaltiger Sandstein Kar-
marsch-Heeren 4, 167. — -Sandstein, ?»., dasselbe,
ebda 4, 92. — -schattig, adj.: den grünschattigen berg
Jean Paul w. 15/18, 174 H. — grünschau, n., entstelltes
griechisch hau = heu (trigoneUa foenum graecum) : heist
in den officinis foenum graecum, griechisch häw; unsere
bauren sagen . . . grünschaw Bock kräuterb. (1630) 475,
Zusatz der ausg. v. 1630; vgl. Pritzel- Jessen 409. —
-Schicht, /..• man unterscheidet an der rinde unserer
bäume . . . die bastschicht, die gr. Roszmäszler d. wald
110. — grünschlicht, od/., bergmännisch: grxmsch\ic\\-
tes gestein grobäugiges und taubes gestein, welches bei den
Zwittern bricht Campe 2, 477'', etwa von grüsch, grünsch;
kaum hierzu grünschielericht : alle kupfergäng, die viel
Silber geben, . . . brechen mächtig kiszig und rohtgläszig,
grünschielericht mit gelben blumen Valentini chim. sehr.
(1677) 2, 193, es ist wohl 'grünschillernd', vgl. th. 9, 14.
959
GRÜNSCHLING - GRUNSEN
GRÜNSIECHTAGEN - GRÜNSPAN i 960
GRÜNSCHLING, m., als name der goldammer (embe-
riza citrindla), von unsicherer Herkunft: gründschling
CoLEEüs öcon.rur. {IGOd) bei Suolahti vögeln. 106; gold-
ammer, gr., emmerling Reyheb iAe«. (1668) 1,3951; gr.
Döbel neueröffn. jägerpr. (1746) 1, 62; grinschling Popo-
wiTSCH versuch 139; gr. Frischeier l, 258; grüuzling
Adelung vers. 1, 219.
GRÜNSCHNABEL, m., von der gelbgrünen haut junger
Vögel an der schnabelwurzel, auf einen sehr jugendlichen,
unerfahrenen menschen übertragen, vgl. gelbschnabel; s.
auch sp. 647; verbreitetes Scheltwort: a iess a rechter gr.
M. Robinson curieuse sammig. v. tausend . . . sprichw.
(1726) nach Wander 2, 160; ich bin wohl was jünger wie
ihr, darum aber auch kein gr. mehr Holtei erz. sehr. 6,
117; ein gr. wie ich G. Keller ges. w. 1, 311; vgl. Hörn
soldatenspr. 32; Brendicke Berliner wortsch. 130; Mi
mecklenb. 29; Frischbier i, 258; Ruckert unterfränk. 65;
Staub-Tobler 9, 1066; Fischer schwäb. 3, 883; als name
des regenpfeifers (charadrius hiaticulu) Nbmnich 212. —
-schnabelig, adj.: dem grünschnabeligen vorreiter
Holtei erz. sehr. 16, 91. — -schnäbler, m., vogelname
{oedicemus crepitans) Naumann naturgesch. d. vögel 7, 92;
für den steinwälzer {srepsilas interpres) vgl. Suolahti
vögeln. 273. — -schnäblig, adj.: grünschnäbeliger
pardel Naumann naturgesch. d. vögel 7, 92; er jrün-
schnäblijertietkendreher! Glaszbrenner Berlin 2, 19.—
-schwarz, adj., schwärzliches grün oder ins grüne spie-
lendes schwarz: epheubletter grünschwartz Lqnicer
kreuterbuch (1557) 90^; in der grünschwarzen welk Fi-
schart grroszm. (1607) A 4»; das gr. der tannen Stifter
s. w. 14, 179 S.; salze von grünschwarzer färbe Luegeb 1,
337. — -schwärzlich, adj.: eins grünswertzleten
Bchwantzs G. Alt buch d. cron. (1493) lOS^-; grünschwärtz-
lecht als die melantzan öpfel J. Witiohius bericht (1580)
4; eine grünschwärzliche färbe Sohlechtendal flora
30, 200.
GRÜNSE, /., bodensatz bei der butterbereitung Staub-
Tobler 2, 784; als grunse Martiny wb. d. milchw. (1907)
48, ist es verstümmeltes grundsuppe.ä"
GRÜNSEIDEN, adj. {vgl. comp.-typ. 1 d): einen . . .
grünseidenen gurt Gottsched neuest. 9, 112;
mit einem grünseidnen band
Mittler volksl. 573;
die grünseidnen vorhänge Stifter s. w. 2, 56 8.
GRUNSEL, m., grundsuppe, bodensatz, meist pl. grun-
sele, auch die klümpchen beim buttern, rückstände beim
buttersieden u. ä. Jos. Müller rhein. 2, 1469, vgl. jronsele
pl. RovENHAGEN Aachener ma. 48; dazu grunselig adj.
Jos. Müller a. a. o.; in deutlichem Zusammenhang mit
grünse, grunse.
GRÜNSEL, m.?, name des liguster (ligustrum vulgare)
Waldbrühl pflanzenn. 38. — grünselbaum, m., das-
selbe Pritzel- Jessen 214 aus Gleditsch; ist grünsei
verstümmeltes grünholz? — grunselbeere, /., s. grusel-
beere.
GRUNSEN, vb., grünsen, schallmalendes wort, mit
grunzen bedeutungsparallel, bes. in ndd. und benachbarten
mdd. gebieten, aber ursprünglich selbständige bildung von
grunnen nMch dem muster der -isön-, -a,aön-gruppe, wenn
auch gelegentliche Vermischungen denkbar sind; vgl. grinsen,
grinzen von grinnen th. 4, l, 6, 379. verwandt ist mnl.
grun(d)selen 'brummen, brüllen' Verwijs-Verdam 232*'.
— die älteren belege weisen gegenüber grunnen auf ein
schwächeres geräusch: da die meusz fast greinen und
grunsen, zeygt es auch ein kälte an M. Herr feldb.
{Slraszbg. 1551) 15^; vom knurren des bauches {vgl. grun-
nen): wann er auch nur {auf) seim secretstul gesessen,
nicht eins hab können grunsen oder ein f ürtzlin schleichen
lassen Fischart binenkorb (1588) 174^; von schwachem,
entferntem donner: dat grünst bloots 'n beeten Mensing
schlesw.-holst. wb. 2, 503, vgl. auch ^grunzen in ders. bedeu-
tung bei Notker 1, 743; vom grunzen des schweins: grun-
sen oder grunzen Kindleben stud.-lex. (1899) 87; grunsen
Dähnert vorpomm.-rüg. \&i^; grunschen lux. ma. 157S';
grunschen neben grunzen Müller rhein. 2, 1468. ähnlich
vom dachs: {dasz) mit schwerfälligen tritten und halb-
unterdrücktem grunsen ein unförmliches, graues, schwein-
artiges tier durchs gebüsch bricht, es ist der dachs Fr.
V. TscHUDi tierleben d. Alpenw. (1853) 191; sonst 'stöhnen,
ächzen' : de bull grünst Mensing o. a. o. ; grunschen,
grunzen 'von tieren, klagende töne von sich geben" Müller
rhein. 2, 1468, auch vom menschen: 'grunsen in der stille
seinem schmerz nachhängen, ohne ihn laut werden zu lassen,
höchstens zuweilen einen stöhnenden ton hören lassen"
Danneil altmärk. spr. 71»; sikk grunsen, heimlich grämen
Dähnert vorpomm.-rügen. 164»; grunsen (ifeciZenftgr.) «tcÄ
grämen Fulda idiot.-samml. 141. wie grunzen 4 'm,urren\
'zürnen': dasz {der elephant), als ihme sein speisz zu rech-
ter zeit nicht sei gereicht worden, über seinen meister
oder pfleger gewaltig hat gemurret und gegrünset Peter
Uffenbach {Frankf. 1609) Atlas minor 640; sinnlicher:
der {elephant) denn dem Schmit durch sein grunsen und
schreien den begangenen fehler hat verwiesen ebda 640;
grunsen grollen, sich ärgern Schumann Lübeck 30; grun-
schen greinen, dazu grunschech 'mürrisch', grunsch, /.,
'greinendes frauenzimmer' lux. ma. 157*, vgl. grunscheln
'grunzen, zanken' Schmeller cimhr. 126'' und das adj.
grunsig 'grimmig, wütend' Lexer 1, 1086:
des wart er gar ain grunsig man
der maget cröne s. 66 Zingerle;
ein saukopf , das ist faul, wüst, unflätig, grunsig Fischaet
w. 3, 256 Hauffen.
GRÜNSIECHTAGEN, m.: vertreibt die bleiche, blöde
todtenfarb des leibes, von etlichen der grünsiechtagen
genannt Tabernämontanus kräuterb. (1588) 4.
GRUNSIG 8. grensing. — grünsing, m., name des
gänsfiiigerkrauts {potentilla anserina) Pritzel- Jessen 304;
HoLL 137*; Frischbier i, 258; entstelltes grensing s. dort.
— grünsingkraut, »., vne grensing ic für die Schafgarbe
{achiUea millefolium) Pritzel- Jessen 6 nach Cordus.
GRÜNSOLE, /.?, name der gartenminze, roszminze,
wasserminze {mentha aquatica) : gruensol mentastrum vocab.
opt. 52'' Wackern., vgl. C. Geszner cai. plant. (1542) 63»;
müntzen, gartmüntz, grünsolen Fbisius 815'>; dasz der
name alt ist, erweist der ortsname Grunselbach (11. jh.)
Förstemann altd. namenb. 2, 1, 1119; liegt beziehung zu
ahd. gronisal Graff 4, 300 vor?, vgl. Staub-Tobler 7, 768.
GRÜNSPAN, m., basisch kohloisaures bzw. essigsaures
kupferoxyd von intensiv grüner färbe, aerugo; in älterer
spräche auch als rost, rot, meszingesrod, missingesrost
bezeichnet; seit dem frühen 15. jh, wird der als viride His-
panum eingeführte farbstoff aus künstlich hergestelltem
essigsaurem kupferoxyd in spangrün, spanesgrun und mit
bewahrter Wortstellung, vielleicht unter einwirkung von
span m., in grünspan übersetzt; dasz gr. nicht jünger ist
als spangrün {s. th. 10, 1 sp. 1881/.; Seiler lehnw. 2, 78)
ergibt sich aus frühen umdeutungen wie grunspat {vocab.
aus den ersten jähren d. 15. jhs.) Diefenbach 622^, vgl.
gruenspat virispanitum nov. gl. 383*, hierher {nicht zu spat
wie th. 10, 1, 1971) auch gruenspatt viridis {l. viride) eris in
cgm. 660, Sl'' bei Graff 6, 326, grünspat Hohberg georg.
cur. 1, 257, grüenspant Martin-Lienhabt 2, 571, wohl mit
anlehnung an spat oder spanieta, spanitum; grunspach
Diefenbach 622^5, grunspach {v. j. 1571) bei Fischer
schwäb. 3, 883 wie spache neben span; grüenspan spanieta
{voc. V. j. 1429) Diefenbach nov. gl. 344*; grünspan oder
spangrun spameta voc. Theut. (1482) n 2*; mit dem 17. jh.
gewinnt subst. gr. gegenüber spangrün die oberhand, doch
vgl. noch: gr., spangrün, kupfergrün Jacobsson 2, 168^*,
während spangrün sich als adj. besser hält.
1) eigentlich, natürliches oder künstliches kupferoxyd:
gr. oder spanschgrün Eber-Peucer vocab. (1558) n 2*;
wie man auch gr. von kupferplantzschen, mit kinder-
harn begossen, abzuschaben pfleget J. Mathesius Sa-
repta (1571) 72*;
victril . . . mit grüenspahn
in schustertinten wird getlian
RoiLKNHAGEN froschmeus. (1595) N 5»;
961
GRÜNSPAN 2. 3 — GRÜNSPECHT
GRUNSPEISE - GRÜN VOGEL
962
berggrün, lasurfarb oder gr. Ph. Bech Agricolas berg-
werckb. (1621) 81;
wan er den grühnspan künstlich weis
ins mark des stokkes (der rose) einzusprfiiien
Ph. Zeskn helikon. rosentahl (1669) 115;
(die) maler haben . . . berggrün, schiefergrün, saftgrün,
gr. H.ABST>ÖB.YES, frauenz.-gesprächsp. 8, 173; der köpf und
die brüst (einer Victoria), welche der edle gr. zart über-
zieht GöTHE IV 11, 74 W.; als zeichen des alters, verdorben-
seins: der schwere messingklopf er ... ist fast schwarz
von gr. Stoem w. 2, 278;
und der unfruchtbare mammon
lauter grünspan, ganz unkenntlich
MÖRIKE w. 1, 167;
vgl. do hätts grünspahn gezoge es wäre verdorben Aske-
NASY 22; als zusatz zu giftigen mixturen, grüner salbe u. ä. :
wie sie aus meel, eyerklar, hirn, blut und gr. eine mixtur
zurichtet Grimmelshausen 2, 347 Keller; dann rühre ich
darunter reinen und zart geriebenen gr. medic. maulaffe
(1719) 133; unter dem gesichtspunct der giftigkeit {vgl. gift-
grün) : dasz sie nur den giftigen grünspahn davon hinunter-
schlucke Jeak Paul w. il, 87 H.
2) bildhafte anwendung; von der färbe aus: der bäume
gr. {das laub) Teeueb dtsch. Dädalus 1, 174; urvd ihrer
giftigkeit: aus dem gr. des hasses Gutzkow gea. w. 6, 54;
sein äuge blickt grünspan
Nietzsche ged. u. spr. (1901) 199.
3) als pflanzenname volksetymol. deutung entstellter
ginsternamen une etwa grimsche, grinzsche, grünsper
Pbitzel - Jessen 127 für cytisus scofarius Holl 137*,
cytisus tinctorius Nemnich 213. — -spanbereitung,/.,
allg. dtsche bibl. 65, 185. — -spanblume, /., Chomels
öcon. lex. 4, 1382; grünspanblumen {acetas cupricus)
LiEBiQ handb.d. Chemie 761. spanessig, m., Jacobs-
SON 5, 758'*. — -spanfarbe, /..• ein sehr lichtes meer-
grün oder blasse grünspahnfarbe Naumann naturgesch.
d. Vögel 2, 201. — -spanfarbig, adj., ebda 2, 610. —
-spangeist, m., allg. dtsche bibl. 53, 410. spangrün,
adj.: mit grünspangrünem . . . licht Lichtenberg br. 1,
204. — -spanig, ad}.: von kiesigen grünspänigen
dünsten E. Francisci lust. Schaubühne (1098) 2,499; an
der grünspanigen mauer . . . ruhten einige gondeln
Fe. Werfel Verdi (1924) ll. — -spankristall, n.,
Jacobsson 5, 758*. — -spankuchen, m., kuchenförmig
gepreszter grünspan Chomels öcon. lex. 4, 1382. — -span-
lösung,/., Kaemaesch-Heeeen 6, 114. spanöl, n.;
gr., wie das zu machen Wiesuno artzneybuch (1588) reg.
— -salbe, /..• und so sie wol gereinigt ist mit grün-
sponsalb, so heil sie M. Hebe schachtafelen d. gesuntheit
(1533) L 6'''. — -Spanspiritus, m., Hoyee-Keeütee 1,
315. — -spanwasser, n., onomatolog. curiosa {17 Qi) I2ii.
GRÜNSPAT, m.: grünspath, ein kalkstein mit band'
artigen . . . dunkelspargelgrünen lagen Zappe mineral.
handlex. l, 425; gr. malakolith Beockhaus^* 8, 445; gr.
für grünspan s. dort.
GRÜNSPECHT, m., name des vogels picus viridis; seit
ahd. zeit bezeugt: gruonspeht merops, nomen avis ahd. gl.
2, 372, 61, vgl. die zahlreichen glossenbelege bei Suolahti
vögeln. 32, daneben grünispeht, grunispet, grunespech,
vgl. auch Geögee kompositionsfuge 120; grünspehte, grün-
specht sumerlaten 10, 55 u. 11, 59 Hoffmann v. Fallersl.;
grünspecht merops {gloss. um 1300) zs. f. dtsche tcortforsch.
5, 20; grünespecht, gruenspecht merops, lafMs, ferax
Diefenbach 358 c, 316», 230^; man vnrd danach für mhd.
zeit ein nebeneinander von gruonspeht und grüenespeht
anzunehmen haben, wobei die dem adj. grün am nächsten
stehende form sich erhielt: von dem gr. P. Heuszlin
Oeszners vogelbuch (1557) 227^;
grünspecht die lagel an thet zepfen
Hans Sachs 4, 283 E.;
jetzt höret er auf seinem zug
im dicldcht einen grünspecht krähen
Pfeffel poet. vers. 8, 72;
IV. 1. 6.
ein gewand von färbe eines grünspechts Scheffel ges. w.
1, 226; scherzhafte bezeichnung eines grün uniformierten
oder bemützten menschen: gr. feldgendarm Mauszeb sol-
datenspr. 13; jäger Imme soldatenspr. 26; polizist zs. f.
dtsche wortforsch. 2, 51; Seminarist Eisenbeegeb pen-
nälerspr. 56; wie grünschnabel für einen unerfahrenen
jungen menschen:
erlahmst du grünspecht eher als ich graukopf?
Immermann 2, 53 B.;
mich . . . hat ein armseliger gr. öffentlich, vor den äugen
der ganzen europäischen weit angefallen Ceamee an
Bürger 1. 170 Strodlm.; anders, für ein bleiches kind
FiscHEE Schwab. 3, 883; in den maa. scheint gr. als vogel-
name nur noch in teilen des md. bewahrt, vgl. Suolahti
a. a. o. 33, doch s. Sohmelleb-Fb. l, 1003.
GRÜNSPEISE, /., gekochtes gemüse Ungee-Khüll
311''; von grünspeisen kennen die wäldler viele arten
Jos. ScHRAMEKi?öÄmentwW6aMer (1915) 44. — grünsper,
m., entstelltes ginster {cytisus scoparius) Peitzel-Jessen
127.
GRÜNSTEIN, m., für den edelstein prasius grunstein
Diefenbach 451*; seit Cronstedt mineralogischer ter-
mimis für 'die an hornblende, av^it und olivin und deren
grünen . . . Umrandung sprodukte reichen . . . gesteine'
LuEGEB 4, 796; vgl. Jacobsson 2, 169*' u. 5, 754^; nun
aber hatte ich kaum . . . den diorit als gr. anerkannt
Göthe IV 37, 58 W.; gr., der aus hornblende, feldspat
und quarz besteht Hegel w. 7, l, 447. — -steinfels,
m.: er erhebt sich als gr. Ritteb erdkde 2, 691. — -stein-
gang, m.. Zappe mineral. handlex. 1, 454. — -stein-
porphyr, m., ebda 425; auf dem berg fand sich . . . gr.
allg. dtsche bibl. 109, 480. — -steinschiefer, m., diabaa,
feinkörniges grünliches eruptivgestein 0. W. Schmidt wb.
d. geol. (1928) 109; Behlen jagdkunde 3, 516.
GRÜNTUM, n., zu Wachstum parallel gebildet, vgl.
grünen und wachsen {sp. 945): in schönen grün- und
wachsthumb Geimmelshausen l, loi Keller.
GRÜNUNG, grunung,/., abstractbildung zu grünen, im
ganzen unhäufig gegenüber grüne; das grünen der Vege-
tation, vgl. grunung vegetatio Diefenbach 608*^;
den bäumen gebe ich kleidonge
gheen dem sommer grünonge
Pilgerfahrt d. träum, manches 1429 Pr.
und ist ein garten voller wollust, denn allda ist stetige gr.
Widmann Fav^ts leben 189 K.; wegen der gr. und be-
liebte auszschlahung der bäume Peätoeius Blockesberges
verr. (1668) 470; der bäume gr. und fruchtbarkeit Döbel
neueröffn. jägerpractica (1754) 3, 73; vgl. gruening das
grünen Maetin-Lienhabt l, 277*; zu grünen B 3 e {vgl.
sp. 948) : ein alte frau hat ire jar mit löblichem werck zu
ewiger grünung gesteckt G. Alt 6mcA d. cron. (1493) 70*;
mit betonter farbvorstellung, vgl. grunung viriditas Die-
fenbach 622''; gr. viror, viriditas Stielee 710; die gr.
der wiesen pratorum viriditas Steinbäch 1, 649; die Öl-
bäume haben ihren augenblick der frischesten gr. A. v.
Waesbeeg odyss. landsch. 244; wo karges grün mehr und
mehr übergeht in dunkle, feiste gr. H. Laube ges. sehr.
5, 40; concret gefaszt: allerhand groninge {viror omnis)
Schillee-Lübben 2, 152/.; de erde make samen unde
gruningh ebda; da nichts an gr. der bäum . . . mangelt
G. Beaun beschreibung (1572) 1, 14*; vgl. gruening das
keimende grün der wiesen Staub-Tobleb 2, 756; local,
grüner ort: über gassen und grünungen R. H. Baetsch
frau Utta 31; {ich) reiste ... zwar in der lieblichsten gr.,
aber beständigem regen K, v. Steenbeeg ausgeiv. w.
(1909) 201; absolut 'grüne färbung\' die erze waren ...
kupfererze . . ., derbe gr. allg. dtsche bibl. 93, 319.
GRÜNVERKÄLTFER, m.: grünverkauf er, kräutler,
gärtner olitor, olerum cultor et venditor Henisch 1763,
nach groenverkooper Kujlan 102?
GRÜNVOGEL, m., appdlativ für den grünfink {chloris
chloris, fringilla chloris) Naumann naturgesch. d. vögel
5, 62; für die lerchenart alauda spinoletta Nemnich 213. —
61
963
GRÜNVÖGLEIN — GRUNZELN
iGRUNZEN 1
964
-vöglein, n., als name des baumpieper {anthus arboreus):
grünvögelin, ickerlin, guckerlin avicula, quae muscis vic-
titat Hbnisoh 1764 ist miszverstandenes grienvogel, das
seinerseits greinvogel = greinerlein entspricht, vgl. Süo-
LAHTi vögeln. 95.
GRÜNWAARE, /., gemüse, namentlich nd. wort: grün-
wahr, gartenkraut olus Henisch 1764, vgl. groenware oliis
KiLiAN 162; alle gattungen von grünwaaren Stifter
s. w. 5, 1, 347. — -Warenhändler, m.: an diese schlie-
szen sich die grünwaarenhändler Danziger polizeiverordn.
V. 28. Juli 1858. — -händlerin, /.; die . . . leichnamen
eines schifiEerknechtes und einer gr. Th. Mann tod in
Venedig (1913) 125. — -wasengang, m., feldprocession
an den ostertagen, vgl. Ungbr-Khxjll Sll^^; dann folgt
der gr. Roseggeb sehr. I 4, 231.
GRÜNWEISZ, adj., färbe zwischen grün und weisz:
der grünweisze köU hat breyte dicke . . . bletter Tabeenä-
MONTANUS kräuterb. (1591) 2, 109; vgl. groenwit glaucus
Kjlian 162; die . . . sich ins grünweisze verlaufende röhre
Schlechtendahl flora 19, 97; grün und weisz: die grün-
weiszen grenzpfähle Teeitschke dtsche gesch. 3, 507. —
-weiszlich, adj.: ihre grünweiszlichen hülsen sind ofEen
S. v. BiEKEN /or<s. d. Pegnitzschäf. (1645) 64; der seiden-
haarige kelch ist gr. Schlechtendahl flora 23, lli. —
-werk, n., krautwerk: eine . . . hohe, senkrechte felsen-
wand, mit grün- und buschwerk überwachsen G. Foestee
8. sehr. 1, 136.
GRÜNWURZ, /., als name von sempervivum tedorum:
gruenwurz Vitus Auslassee gloss. z. Macer Floridus bei
FiscHEE mittelalterl. pflanzenkde 284, wohl nur eine con-
tamination der sonst altbezeugten namen ingrün, singrün
und hauswurz, vgl. Peitzel- Jessen 372/. — -wurzel,
/., als name des erdrauchs {fumaria officinalis) Peitzel-
Jessen 156 nach Nemnich 213 scheint aus grundwurzel
umgedeutet, vgl. mhd. ertwurz.
GRUNZ, m., postverbale bildung zu ^grunzen; zu grun-
zen 4 ^groll, Unwille':
nach dem bescheid {nahm abschied)
fraw unde mald
in zorens grüntz
H. Sachs /a&. u. schwanke 5, 32 ndr.;
vielleicht hierher als schwacher plural: sihe da, so geht es
den trunoken fechtem, die das schwerd bey der schney-
den und den spiesz bey der spitzen fassen und geben
lecherhche gruntzen {Widerreden, einwände) für Luthee
w. 7, 634 W.; zu grunzen 3 der ^grunzlauV : die drei grunze
auf Preuszen {als zeichen der Verachtung) nationalzeitung
{Bln. 1847) 23, 611 s. Sandees ergänzungswb. 240.
GRÜNZEL, grunzel, /., als name der Stachelbeere {ribes
grossularia): grüntzel Peitzel- Jessen 334 aus Feisius,
uva Spina, uva crespina Keamee t.-ital. 1, 572*5; grunzel
Nemnich 214, zur deutung s. u. gruselbeere; für die
Zuckerwurzel {sium sisarum) Holl wb. deutsch, pflanzen-
namen 137*.
GRUNZELN, grünzeln, vb., Weiterbildung von ^grunzen ;
'grunnire': {das schwein hat) geschnarchelt oder gruntzelt
Messbeschmid esels adel (1617) 119; wie können doch
au£E dem wege der seeligkeit seyn, welche mit ihrem
Zorn das wüten der tyger, {mit) ihren unflätigen worten
das gruntzeln der garstigen säuen weit übertreffen
Meyfaet himml. Jerusalem (1630) 2, 302; vom menschen:
eine dicke ist darunter {urtter den dirnen),
die vorzüglicli quiekt und grünzelt;
ob dem gioszen lorbeerkopfputz
nennt man sie die grüne sau
Heine s. w. 1, 352 Elster;
mit einem gruntzelnden Wonnegefühl hob er ihn auf
Laufe Pitt je Pittjewitt (1903) 84, vgl. grunzen 3 sp. 965^.;
'murren, grollen", s. grunzen 4:
meinstu, dieweil du wieder mich
murrest und gruntzelst zorniglich,
das du dran recht thust und billich?
Papb Jonas rhythmicus (1605) 0 3";
{dasz er) für alle andern fast seer gruntzelt {widerstrebte)
und sich unser lere feind gar herrlich rhumete Luthee
bücher u. sehr. (1561) 6, 31^; anders: {bei teuerung erzeigt
sich der bauer einem bürger nicht ehrerbietig) dann dem
rülpen {rüpel) thuts trefflich wohl, dasz ihm der ehrliche
bürgersmann so herrlich gruntzelt {ums maul geht) Veeo-
andee bauernstandes lasterprob (1684) 145, vgl. grinsein
niedrig schmeicheln.
^GRUNZEN, vb., grunnire, murmurare. intensivbil-
düng zu grunnen (s. d.), vgl. auch grunsen. ahd. grunzen,
gigrunzen; apätmhd. grunzen; ags. grunnettan; me. grün-
ten; engl, grünt; norw.-dän. grynte, alle in der bedeutung
grunnire. im ahd. wie grunsen (s. d.) und grummen,
grummeln, auch grunzen vom dumpfen laut des donners:
{aether und aer sind geschwister) ane daz er {aether) io
in guotemo ist. si {aer) grunzet aber diccho föne un-
geuuitere Notkee sehr. 1, 743 Piper, statt grunzen ge-
legentlich gronzen, wobei aber gron(n)en teil 4, 1, 6, 443
zu beachten: gronzen Abe. a s. Claea Judas 3 (1692) 93;
gronza Saetoeius Würzbg. 50, vgl. auch kronzer, m.,
^mürrischer mensch' aus Geimmelshausen s. v. krunzen
teil 5 sp. 2471. selten ist umlaut des u: grunzen Keisees-
BEEG Seelenparadies (1510) 43 C; H. Sachs l, 329 lit. ver.;
S. Bränt V. d. losen fuchsen (1546) v 2=^; Schöpfer syji.
(1550) b 6^; Oesäus nomencl. (1623) 51; Schottel haubt-
spr. 60. formen mit anlautendem k s. bei krunzen teil 5
sp. 2471, vgl. auszerdem ahd. crunnizodon ahd. gl. 2, 543, 4.
das wort ist dem nd. fremd und zeigt, wenn es gelegentlich
erscheint, die aus dem hochdeutschen entlehnte verschobene
form, vgl. gruntzer chron. d. dtsch. städte {Braunschweig
1488) 16, 101; zur Verbreitung in den maa. s. sp. 965; 966.
1) meist bezeichnet grunzen die rauhen, stoszartigen,
einem gebell ähnlicheyi laute des Schweines; ahd. ist das
wort in dieser bedeutung als verbum nicht belegt, aber zu
erschlieszen aus dem subst. grunnizoton, crunnizodon
grunnitibus {glosse zu Prud. apotheosis 416) ahd. gl. 2, 537,
30; 2, 543, 4. gebucht in md., obd. glossaren seit dem 15. jh.:
grunczen grunnire Diefenbaoh gloss. 270^ ; grunnire por-
corum est gruntzen Bas. Fabee thes. (1587) 368''; grunnio,
grundio gruntzen wie die säw Corvinus fons lat. (1660)
653. wie grunnen auch als glosse zu baulare {eig. 'bellen')
pellen ader grunczen bei Diefenbach mlat.-böhm. 49. in
fester Substantivierung: das gruntzen der schwein grün-
nitus J. Bentzius thes. lat. (1596) 71; Hulsius-Ravellus
(1616) 147*'; Steinbach dtsch. wb. (1734) 1,651: ist ein
sau . . . den Wendelstein raufkommen, gegrunzet, davon
wir ims gefürchtet Schweinichen denkw. 16 Ost.; hörete
einen gantzen hauffen seuwe kirren und gruntzen Lu-
thee tischr. {Frkf. 1576) 202^5 Aurifaber; bald schracken
die elephanten für den trommetem und gruntzen der
Schweine Gabe. Rollenhagen indian. reisen (1603) 24;
{das ansinnen) so widrig klingt, wie das gruntzen der
Säuen im judenhause Ee. Feanoisci lu^t. Schaubühne
(1702) 1, 974; die Schweine in den koben fingen erschreckt
an zu grunzen Gl. Viebig das schlafende heer (1904) 1,
190. mit stärkerem affectgehalt: ist es, das inen eine {eichel)
entgat, so grüntzent sy und schnauwent mit dem grans
{rüssel) herumb Keiseesberg seelenparadies (1510) 43^;
{ein schwein, das) seine äugen rollt und' wuth grunzt
Pestalozzi sämtl. werke (1927) 2, 29 krit. aiisg.; mit 4
spielend: wenn man gleich ihren {der schweine) gesellen
die kehle absticht; ob sie wol ein wenig drüber grunzen,
so ists doch bald vergessen Peätorius unnterflucht d.
sommervögel (1678) 357. das grunzen ist eines der zoolo-
gischen m,erkmale des schweins: die schlänge zischet, das
schwein ^untzt, die spansau rültzt Haesdöefee /raMC»-
zimmerges'prächsp. 3, 292;
will grunzen, wiehern, bellen, brummen, flammen
wie eher, pferd, hund, bär und feur zusammen
Shakespeare 1, 223.
im partic. als stehendes beiwort: ein gruntzend schwein
Peätorius philos. colus (1662) ii; Triller poet. betrach-
tungen (1750) 2, 612; Freytag ges. w. 12, 63; die saudirn
mit ihren grunzenden Zöglingen Steub drei sommer l,
244 ; grunzen wie die schweine, säue u. a. : das er kerren
und gruntzen kondt wie die schwein V. Dietrich christl.
965
iGRUNZEN 2. 3
iGRUNZEN i
kirche zu Regensburg (1555) p l''; Mathesius Sarepta
(1571) 219^'; Peätobius saturnalia (1663) 137. daher auch
ohne specielle nennung verständlich: in den fluszarmen,
welche durch die stadt führen, hat das vieh seine schwem-
men, dort brüllt und grunzt es und verengt den weg für
menschen und karren Freytag ges. w. 18, 123;
und tausendstimmig brüllt und blökt und grunzt
ein zahllos herdenvolk auf deinen wiesen
Geibel w. (1888) 4, 82;
und endlich mit des Ulysses seinen geferden dörfte in
der gruntzenden zunft verfallen Pkätorifs der aben-
teuert, glückstopf (1669) 16. in den maa. ist die bedeutung
nicht durchaus verbreitet oder nicht consequent notiert:
grunzen Schmellee-Fe. l, 1006; grunzen Ch. Schmidt
Straszb. 45^; gronza Saetoeius Würzb. 50; grunzen neben
grunschen rhein. wb. 2, 1468; grunzen Ceecelius ober-
hess. 441; gruinze Heetel Thür. 110. auf norddeut-
schem boden nur nordfries. gryinte Jensen 173, sonst
grunsen (s. d.).
2) seltener von anderen, dem grunzen des Schweines ähn-
lichen tierstimmen: ein gruntzender bär Ettnee f. Eite-
eitz muulaße (1719) 752; da {die wanderer) näher kamen,
wurde das gekläfE der rüden wilder, die grunzenden
stimmen einer bärenf amilie mischten sich darein G. Feey-
tag ges. w. 8, 228; {der äffe) streckte sich {im zorn)
auf allen vieren, grunzte und machte bedrohliche be-
wegungen Brehm tierl. 1, 142 P.-L.; {des gorillas) bald
rollendes, bald grunzendes gebrüll ebda 1, 66; {du vnrfst)
über den grunzenden tiger das joch malee Müllee w.
(1811) 1, 176; die einsiedler {unter den grunzochsen) ge-
sellen sich den herden, laufen, kühe suchend und dabei
beständig grunzend, wie sinnlos umher Beehm tierl. 3,
255 P.-L.; der fisch läszt im wasser ein grunzen hören
Oken allg. naturgesch. 6, 93. im zoologischen namen:
cottus grunniens der grunzende brummer {ein fisch) ebda
6, 47, 5. au^h grunzochse, grunzer. auch fabelhafte, un-
heimliche lebewesen grunzen: grunzender lindwurm
Fe. Th. Vischee auch einer (1879) l, 337;
(der Winter) hat mir verhunzet
des gartens zier
und knurrt und grunzet
vor meiner thür
Fr. StolbeeG ges. w. (1820) 2, 3;
und grunzend entfliehen die dämonen J. V. v. Scheffel
ges. w. (1907) l, 133; in einem träume {spielt) dieser
krückenjunge eine hauptroUe, indem er . . , grunzende
töne ausstöszt Holtei vierzig jähre (1843) 1, 51.
3) auf den menschen übertragen 'rauhe töne von sich
geben': dann begannen wir ein ceremonielles gespräch,
das jener {der eingeborene) des öfteren unterbrach, um
sein erstaunen über unsere weisze hautfarbe durch grun-
zende töne auszudrücken v. Götzen durch Afrika (1895)
180; die halbnackten Baschkiren, verschiedene sprachen
grunzend und schnaufend Roseggee höllbart (1903) 111;
{aus dem küchenfenster) kann man mitunter einen grun-
zenden gesang vernehmen Stoem ges. sehr. 7 (1877) 194.
mit mannigfachem psychischen geholt: nur durch ein
grunzendes gestöhn giebt {der gymnasiast in den ferien)
seinem behagen ausdruck Raabe Horacker (1876) 4; musz
ein held die würde seines epischen Charakters dadurch
behaupten, dasz er wie ein karthäuser nur sein memento
mori! ernsthaft und sauertöpfisch grunze? Herdee s. w.
3, 221 8.; {ein herr) der dem redner mit groszem beifall,
welchen er durch kopfnicken, grunzen kund gab, zuhörte
Spielhagen s. w. 2, 386; bald erklang jenes urkräftige
grunzen, wodurch damals (1849) die sittliche entrüstung
sich zu offenbaren pflegte Teeitschke hist. u. polit. auf-
sätze 1, 493 ; eigenartig im reime schon bei H. Sachs ;
(ich sah sehmelzwerke)
mit ertzbrechen, schmeltzen und zrennen,
mit schayden, probieren und müntzen;
vor wunder gleich mein hertz thet grüntzen
ob diesem groszem arbeyten und zabeln
3, 480 lü. ver.
gern als einschub in eine unwillige, cynische, unbeherrschte
anttvort: 'schwindel' grunzte John Bull, welchem wenig
oder nichts an dem graben gelegen ist W. Raabb
Abu Telfan (1870) 1, 31; 'ich weisz, was ihr mir sagen
wollt', grunzte er mir entgegen Ppeffel pros. versuche
(1810) 3, 174;
'ach himmel!' gruntzt er (der von glätibigern heimgesiichte)
'wirds noch sctüimmerl'
Chr. Günther ged. (1739) 167;
Robert: 'ich will jetzt blos noch nach innen musik
machen . . .' Josef (hat sich abgekehrt, um seine heiter-
keit zu verbergen, grunzt jetzt:) 'nach innen?' Hiesch-
feld die mütter (1896) 65. an dem gebrauch von 1 be-
reichert: daher grunzen zoten in liebevollen versen, daher
flieszt die hefe der natur in empfindsamen silbenmaszen
Jean Paul w. 40/41, 42 Hempel; unter allem romantisme
grunzt und giert der Instinkt Rousseaus nach räche
Nietzsche w. 8, 118; morgen internationalistisch geifern,
übermorgen kommunistisch grunzen J. Scheee Schiller
(1873) 1, X. selbständigere bedeutungen, die aber den ge-
brauch von 1 oß deutlich durchspüren lassen, sind in diesem
bereich: grunzen 'behaglich der ruhe genieszen, une ein
Schwein, das vor behagen grunzt' Ch. Schmidt Straszb. 45*' ;
grunzen 'schlafen' Eilenbeeger pennälersprache 18;
Müller - Fraureuth obersächs.-erzgeb. l, 447^; hierher
auch 'schnarchlaute von sich geben' :
wenn ich (die junge verliebte frau) in kümmernusz und lauter
liebesschmerz
musz meine junge zeit mit leerer hand verzehren,
da ein Saturnus (ihr alter ehemann) stets an meiner seite
gruntz JOH. Riemer polit. Stockfisch (1681) 116.
4) 'murren, grollen' ; von alters im ränge einer selbstän-
digen bedeuiung:
thie guate es sar biginnent joh iz frambringent,
joh sint fro thrato rehtero dato;
thie andere alle fliu fma sero grunzent tharzua
OXFRID V25, 85;
in derselben bedeutung gigrunzen mit d. gen.:
odo inan wiht sar smerze, thaz er es thoh gigrunze
ebda V 23, 252,
vgl. gmncenti caperrans {die brauen zusammenziehend)
Graff 4, 329; irasci ergrimmen, griszgrammen, grüntzen
Schöpfer syn. (1550) b ß''; sonst gebucht zu lat. stomachari
Diefenbach nov.gl. 349^ (15. jA.); altercari, expostulari,
fremere Stieler stammb. 701; itul. mormorare di qualche
cosa Kramer l (1700) 5753'; frz. grogner, gronder, mur-
murer Schrader dtsch.-frz. l, 582*;
sl grunzedin und grynen,
war umme her (gott) were heymelich den genen,
de da waren groize sundere
vier geistl. ged. 648 Heimel, zs. /. dt. altert. 17, 31;
so gott diesz thun kan und . . . dem grüntzen und der
gewalt der phariseer durch einen einigen Nicodemum
wehren Luther w. 33, 485 W.; {der capitän) hat soviel
ausgerichtet, dasz diakonus auf seinen teil 10 rthr. wieder
bekommen zum viatico, nicht ohne grunzen der Soldaten
acta publica 7, 249 Palm; die öbirsten von disen worten
erbittert, gruntzten noch dartzu in irem mut, daz er im
so vil gewalts beym volk einneme Michael Risch para-
phr. d. evangdium Joh. (1524) s 4^; offt stirbet der man,
den dass weib zu tode gegruntzet Mathesius Syrach
(1586) 174». gern mit sinnverwandten ausdrücken; sehr
sinnkräftig bei Luther: nu ist doctor Luther ein wenig
hoffertig und gibt nit vil auf der romanisten rimtzen und
grüntzen w. 6, 289 W.; schmollen und grüntzen ebda 53,
621 ; fluchen, grüntzen und schelten Herberger trauer-
binden (1617) 4, 217; sie grolleten und gruntzeten Zbsen
Assenat (1679) 62;
da grunzt ein jeder, zürnt und greint
Pape chrisiiani hominis sors (1612) E 4";
kein greinen und kein grunzen, meine söhn und töchter !
U. Bräker sehr, l, 269;
wenn die braut zuweilen In der nacht
von einem schweren träum in ihrem schlaf erwacht
und weckt den bräutgam auf und will es ihm erzehlen,
so soll er darum nicht viel grüntzen oder schmählen
Heneici ernst-, scherzh. ged. (1727) 2, 161 ;
61»
967
'GRUNZEN 4 — 2GRUNZEN
GRUNZER — 2GRUNZIG
968
besonders murren und grunzen: kommet aber unglück,
creutz, trubsahl, {dann) gehet das murren und gruntzen
an Dännhawer katechismusmilch 1, 260; wo lauter mur-
ren, gruntzen und argwon ist, da wohnt der teufel Petri
d. Teutschen weish. (1604) 2, Mmm 7*; Ambras, liederb,
32, 21 lit. ver.; Dan. Schaller herold (1595) f 4»; mit
jemandem, wider, auf jemanden grunzen:
auch kan ich {de» teufeis groszmutter) mich verdrehen an
diesem tanze,
darumb solt ihr nicht mit mir gruntzen,
last mich auch schütteln die alten runtzeln
D. ScHEKNBERQ spiel V. frau Jutten 6 Schröder;
gruntze nicht wieder gott J. Gioas furcht d. pestilenz
(1546) a 3ä'; (dasz sie) auf einander gruntzeten Prätorius
Blockesberg (1668) 574; auf dem wege zu einer specialisie-
rung 'undersprechen, raisonnieren' : ihr tummen kerle,
müszt ihr noch gruntzen? Steinbach deutsches wb. (1734)
1, 651, vgl. entgegengrunzen ebda; etwas begrunzen:
magst es benuscheln, beneifeln, begruntzen
W. SCHKRFEK ged. (1652) 408;
darnach lassen sie den gefaszten zom aus dem hertzen
durch sawrsehen, morren, gruntzen und andere un-
freundliche geberde herfür Sigism. Suevtjs Herodis bankett
(1569) H 7^; auf 1 anspielend: wollt ir brüUen, brummen,
gruntzen und murren, so geht hinaus unter die kühe
und Schweine Luther tischr. (1576) 187* Aurifaber; öfters
übertragen vom knurren des hundes:
gleich wie ein groszer kettenhund
kan nichts dann gruntzen alle stund
B. KEÜQBE anf. «. ende d. weit (1580) 0 3»;
{der hund) bellet den frembdling an, den zu nahe herbey
nahenden beiszet er auch wol heimlich und gruntzet und
murret wider in Comenius ian. ly ling. (1643) 67.
der lebenskreis des Wortes in dieser bedeutung ist die
niedere Umgangssprache; vgl.: einsmals hörte man, die
keine schäfer waren (formula loquendi rusticis usitata)
über das Schmiergeld {draufgeld, das die bauern dem lohn
der schäfer zusetzen) gruntzen Veroander bauernstandes
lasterprobe (1684) 97; es verdankt seine im 16. jh. vorüber-
gehend starke Verbreitung wohl vor allem Luthers einflusz,
während Luther selbst es mit anderen nicht hochsprach-
lichen Worten 1540 aus der Übersetzung apostelgesch. 12, 20
tilgt, vgl. C. Franke schriflspr. Luthers 2, 70'' : er gruntzet
{>)y de d^vfiojuaxSiy) aber mit den von Tyro und Sidon,
später: er gedacht wider die von T. und S. zu kriegen.
im 17. jh. seltener, darf die bedeutung im 18. jh. trotz ge-
legentlicher belege (Henrici, U. Bräker 5. o.) und buchun-
gen {s. sp. 964) allgemein als ausgestorben gelten, vgl.
'grunzen wird nur noch von den schweinen gesagV
Frisch l, SSO**. in einem teil der maa. hat sie sich da-
gegen erhalten: grunzen ^murrend klagen" Staub-Tobler
2, 786; grunzen Martin-Lienhärt 1, 279; gronza ^murren,
grollen^ Sartorius Würzbg. 50; ''vom murren des men-
schen^ Crecelius oberhess. 441; grunzen, grunschen 'sicA
beschweren, murren, brummen' rhein. wb. 2, 1468.
* GRUNZEN, grunzen, vb. 1) ableitung mit -z- {oft > s)
■suffiz zum subst. grün bzw. subst. adj. grün nach dem
.typus der verba odorativa {vgl. A. Feuerstein die nhd.
verba mit der bedeutung riechen und schmecken nach etw.,
diss., Freiburg i. B. 1921, s. 24/^.) ^n/ich grün riechen oder
.schmecken', oft mit dem Charakter des üblen, widrigen, vgl.
grünein {sp. 938), grunenzen {sp. 949); seit dem 16. jh. be-
legt und in den maa. lebendig: disz gewächsz mit stengel,
kraut und blümen stincken und gruntzen Bock kräuterb.
(1539) 633'; gruenzen von wurzelspeisen 'nach kraut oder
erde riechen oder schmecken' Schmeller-Fr. 1, 1003 aus
dem Spessart; gruenzen nach grünenden pflanzen riechen
Martin-Lienhart 1, 277 ä'; grengsen nach frischem grün
riechen lux. ma. 153^, bezeichnet den geschmack von grünem
kaffee, ebenso grunzen rheinisch, wb. 2, 1456; doppelte
erweiterungen sind grüenzelen, grünschelen nach unge-
kochtem kohl schmecken Staub-Tobler 2, 784, grüenslen
nach frischem grün riechen Martin-Lienhart l, 2Ti^,
gruanseln von gekochtem Fischer schwäb. 3, 883; anders,
als intensivbildung zu grünen aufzufassen: es grunzt alles
es grünt alles Crecelius oberhess. 441.
2) zu grund 'erde' gehört grundsen nach dem boden
schmecken rheinisch, wb. 2, 1468; grunzen unangenehm
nach erde schmecken Crecelius oberhess. 441; doch sind
beide grunzen nicht immer scharf zu scheiden, s. Schmel-
ler-Fr. a. a. o.
GRUNZER, m. l) der, der grunzt; zu grunzen 1 'etw
mensch, der vne ein schwein grunzt'' J. D. Ernst denk-
uMrdigk. (1693) 107; für das schwein Martin-Lienhart
elsäss. 1, 279; Ostwald rinnsteinspr. 63; zu grunzen 2
appellativ: grunzer seifen fisch Oken allgem. naturgesch. 6,
254, vor allem in der bedeutung grunzen 4 vom menschen
'der unzufriedene, zänker, murrkopf {vgl. auch kronzer
teil 5 sp. 2471): tetrici senes die mürrischen alten gruntzer
CoRViNUS /orw lat. (1646) 893; altercator, iurgiosus Stieler
stammb. 701; Kramer 1 (1700) 575*, in der ma.: grunzer
murrkopf Crecelius oberhess. 441; gruntscher, grüner
Schöpf tirol. 218; gruntscher {für Kärnten) Frommanns
zs. 4, 158; es sey nichts mit den groszen Schnarchern und
gruntzem, es sind die wort, die sie treyben und sonst
nichts AoRicOLA sprichw. (1534) d 4^^; ein solcher gruntzer
und zombrater oder grinsebeutel, {der) allezeit seinem
bruder zuwieder war Mathesius Syrach (1586) 29^^; ein
Stürmern neidhammel und gruntzer ist selbst bösz Petri
d. Teutschen weish. (1604) 2, Y7''; den so alten grunzer
JoH. Riemer polit. Stockfisch (1681) 111. vereinzelt im
nd. text, wohl entlehnt:
van munte {mümrecM) wegen wart de jacht {ein aufstand),
to benemen dem rade {ratscollegium) macht;
It was neyn munte men de stat {stadtgewaU),
dar der gruntzer jacht do natradt {nachstrebte)
(1488 Braunschiveig) chron. d. dtsch. Städte 16, 101,
in derselben quelle auch gruntzerspeel spid, das diese un-
zufriedenen gespielt, aufgeführt haben 166.
2) grunzender, rauher laut: dar stiesz an kurzen grunzer
aus wie ä f rädiges schweinla Lowao ges. sehr. 5, 35; er
gab einen grunzer von sich, den sie vorzog nicht zu be-
achten H. V. Kahlenberq familie Barchwitz (1902) 66.
GRÜNZEUG, n., grünes gemüse, suppenkräuter u. ä.,
vgl. Heynatz antibarb. 2, 80, der es als schles. verzeichnet;
Unger-Khull 3lit>; Anton Oberlaus. 8, 16; Mensino
schlesw. -holst. 2, 496; Sallmann neue, beitr. 32: hier
pflanzte sie das nöthigste gr. und etliche gemüse D. Fr.
Strausz ges. w. l, lOl ; er fängt an, das gr. aus dem korbe
zu werfen Grillparzer s. w.^ 8, 50 8.; ein stück feld, wo
sie gr. pflanzen und bauen Holtei erz.schr. 1, 124; als
sie nach gr. durch den garten gingen Anzenoruber
ges. w. 2, 187; grüne zweige, verächtlich: das gr. zu einem
kränze G. Freytaq verl. handschr. (1864) 3, 62. — -zeug-
handel, m., E. Th. A. Hoffmann in H. v. Müller
Hoffm. im pers. u. briefl. verkehr 1, 206. — -zeughänd-
ler, m., lit. echo v. 1. juni 1914, 1174. zeugweib, n.:
die grünzeugweiber H. Laube ges. sehr. 12, 2.
1 GRUNZIG, grunzicht, adj., mürrisch: {die alten levie)
sint gruntzeht und urteleht Tauler pred. 369, 30 Vetter;
grunzicht grunniens, carpens, fremebundus, reprehens
Stieler stammb. 701; gnintzig murmurans Steinbach
dtsch. wb. (1734) 1, 651.
2 GRUNZIG, grünzig, grunzicht, adj. l) zu ^grunzen,
grunzen 'nach grün schmeckend, riechend, unreif: wasz
{von den speisen) feiszt ist, grüntzecht, schlymig B. Adel-
PHUS Mars. Ficinus von d. ges. u. lang, leben (1505) 140'';
graintsich unreif Kisch Nösner w. 56; anders: grengzech
grünlich lux. ma. 154*, grünzig grünlich rheinisch, wb.
2, 1456.
2) zu grund erde, doch teilweise mit 1 verrinnend, 'erdig
im geschmack': grunzig Weoeler Coblenz. 20; grundsig
Pfister nachtr. 86; grunzig vom merreltig Kehrein
Nassau 1, 176; Crecelius oberhess. 441; grundsig vom
wein rheinisch, wb. 2, 1467; den grundigen und grun-
zigen Albaneser {wein) K. Braun reiseeindrücke 2, 48;
vgl. grunzelige kartofEele Askenasy Frankf. 120.
969
GRUNZLER - GRUPPE
GRUPPE 2. 3
970
GRUNZLER, m., grünzier, ableitung von grunzein;
jemand, der murrt, vgl. auch grunzen 4: ein alter ver-
drieszlicher und widerwärtiger grünzeler Ettner tj. Eite-
RITZ doctor (1697) 167; areopagita, capitosus gruntzler
{VOC. V. 1517) DlEFENBACH glosS. 48^.
^GRÜNZLING, m., name der goldammer {emberiza
citrinellä), s. auch grünschling; grüntzling Zincke öcon.
lex. (1744) 997; grünzling Trichter riUerlex. (1742) 966;
Naumann naturgeach. d. vögel 4, 234, vgl. Suolahti
vogdn. 106.
"GRÜNZLING, m., '8chwein\ sckerzJiaße bildung zu
^grunzen 1; im bilde: unter den vornehmen und geist-
reichen Säuen von Perigord, welche die trüffeln erfun-
den und sich damit mästen, verleugnete ich nicht die
bescheidenen grünzlinge, die daheim im Teutoburger
wald nur mit der frucht der vaterländischen eiche sich
atzen H. Heine s. w. 6, 390 Elster.
GRUNZOCHSE, m., bos {poephagus) grunniens, bison
poephagua Brehm tierl. 3, 253 P.-L., s. atich bei grunzen 2:
zu den wisentrindern {gehört auch) der grunzochs J. N.
V. ScHWERZ prakt. ackerbau (1882) 600; er hatte den
Winter im gebirge zugebracht, um yake, tibetanische
grunzochsen, zu schieszen Sven Hbdin abenteuer in
Tibet^'^ 158.
GRUNZTON, m., ton, der dem grunzen des schweins
ähnelt: in allen tonarten, dm-, moU, in grunz- und fistel-
tönen Gutzkow ges. w. (1872) l, 123;
also sprach mit bebend weichem
grunzton Atta Troll Heine w. 2, 414 Elster.
GRUPP, m., kleiner fisch, cottv^ gobio, a. gropp.
GRUPPE, /., vereinzelt m., um die wende des 17. und
18. jh. aus dem frz. groupe, m., in der bedeutung l ent-
lehnt, an die fremde herkunft erinnert bis in die 2. hälfte
des 18. jh. die häufige Schreibung groupe Marperqer
kaufmannnmgazin (1708) 561; Val. Trichter ritterlex.
(1742) 964; J. A. Ebert Youngs nachtgedanken (1760) 1, 188
anm.; grouppe Gottschedin br. (I77l) l, 244 Runkel;
Wieland I 2, 4, 449 akad. ausg.; portraits (Lpz. 1779) 199.
irn gegensatz zum frz. ist das geschlecht in angleichung an
die feminine gemischte deklination auf -e weiblich; ein ver-
einzeltes masc: in einem grupp Bodmer mahler d. aitten
(1746) 1, 263. das neutr. grupo bei Winckelmann {s. u. 1)
ist in genus uiuL form beeinfluszt von ital. gruppo in der-
selben bedeutung.
1) das wort stammt aus der bildenden kunst: 'groupe
wird in der maMerey eine Versammlung viderhand leiber
nahe an einander genennet, als eivxin von tieren oder
fruchten; also ist der Laokoon eine zusammengesetzte groupe
oder groppo von drey schönen figuren' Marperoer kauf-
nuinntnagazin (1708) 561; so, oft auaschlieszlich, für die
bildenden künste bis ins 19. jh. häufig gebucht: Val. Trich-
ter n«erZex. (1742) 964; Adelung 2(1775)835; Sulzer
theorie d. schön, künste (1792) 2,153; Jacobsson technol.
wb. 2, 169b; VoiGTEL wb. (1793) 2, 145; Beil technol. wb.
(1853) 1, 260^; tod des Ägist und der Clytämnestra; die
gruppe der todten gut angelegt Göthe 47, 342 W.; der
nächtliche brand, die löschenden, der Wasserstrahl aus
den spritzen {und) die gruppe zu pferde, — dies sind
lauter bestandtheile des gemäldes, die keiner erläuterung
bedürfen G. Forster s. sehr. 6, 174; die anordnung {des
gemäldes) ist falsch berechnet, weder gruppe noch figuren
gewähren einen harmorüschen totaleindruck Matthison
erinn. (1810) 2, 254; seine bücher und geräthschaften
legte (er) so, dasz ein niederländischer mahler gute grup-
pen zu seinen stillleben hätte herausnehmen können
GöTHB 21, 87 W.; erweitert: dasz im flieszenden gemälde,
im epischen gedieht, die gruppen wechsehi Fr. Schlegel
proa. jugendschr. 1, 222 Minor; ein flüchtiges gemälde von
einem abend in London, {das) ich mündlich nicht blosz
ausmalen, sondern auch noch mit einigen gruppen ver-
mehren will, die man nicht gern mit so dauerhafter färbe
als dinte malt Lichtenberg verm. sehr. 7, 62. geradezu
für die besondere gattung des nur ein motiv darstdlenden
bildes: ich wünschte, dasz wir beide so glücklich gewesen,
von ihnen bemerkt zu werden; welche anmuthige grouppe
hätte der vortreffliche griffel einer Wemerin nicht ent-
werfen können Gottschedin br. l, 244 Runkd; alles
drängte sich nun in seiner einbUdungskraft zusammen
und machte zusammen eine dunkle gruppe, ein schönes
nachtstück aus K. Ph. Moritz Anton Reiser 330 lit.
denkm. besonders in der plastik ist die verdinglichung
stark: dieses grupo stellet vielmehr die Phädra und den
Hippolytus vor Winckelmann s. w. (1825) 3, 14; die un-
nachahmüche gruppe des Laokoon Schiller 3, 578 Oöd.;
ein weiter kreis beschäftigter künstler, aus dessen mitte
sich eine colossale gruppe günstig aufgestellt erhob
Göthe 25, 15 W.; {Salicdti) verfertigte eine artige gruppe
... in marmor A. v. Arnlai w. 8, 162 Orimm; {er lieferte)
an reliefs, Statuetten und gruppen, was irgend zum
Zimmer- und gartenschmuck diente Mörlkb w. (1905)
3, 20 Göschen.
2) in der aphäre dea tätlichen lebena von mannigfachen,
meiat ausgedehnteren, das gesichtsfdd kräftig gliedernden
gegenständen, die durch ihre räumliche anordnung inner-
halb der gesamtsicht ihrer Umgebung als zusammengehörig
erscheinen; öfters noch mit einem nachhall der bedeutung 1 :
der wald stiesz an eine reihe von felsen, die sich in man-
cherley gruppen gegen die wölken thürmten Fr. M.
Klinger w. (1809) 10, 126; die wunderlichen gruppen der
granitblöcke H. Heine s. w. 3, 51 Elster; in ungeheurer
länge stehen die gruppen schlanker Säulen da G. Förster
8. sehr. (1843) 3,27; diese kleine gruppe von gebäuden
Göthe III 2, 164 W.; die zähnestarrenclen gruppen eines
Watzmann-, Hocheisspitzgebirges H. v. Barth nördl.
Kalkalpen 68 ; zuerst fand er eine gruppe von vier inseln
G. Forster s. sehr. (1843) l, 16; ein physikalisches atom
würde in diesem sinne eine gruppe von viel kleineren theil-
chen sein J. Liebig ehem. briefe (1844) 58; die Vereinigung
der haare zu einzelnen gruppen O. Pesohel Völkerkunde
(1874) 99; vgl. bildungen vne Inselgruppe, berggruppe, fel-
sengruppe, dächergruppe : schöne parkbäume umgaben
eine dächergruppe G. Keller gea. w. (1889) 3, 137. gern
von der formation des pflanzenvmchses: {hohe) bäume
stehen in groszen und meist verbundnen gruppen hinter-
einander Göthe IV 8, 258; wir wandelten zwischen einigen
gruppen von bäumen und gebüschen durch Jung-Stil-
LiNG s. sehr. (1835) 2, 299; eine gruppe von buchen und
riesenhaften ahornen A. Stifter a. w. (1901) l, 257; üppige
gruppen hochstämmiger und niedriger rosen Storm a. w.
(1899) 1, 251; {ein park) mit heiteren gruppen saftiger laub-
hölzer Holtei erz. achr. 2, 68; vgl. zuaammenaetzungen
wie buchengruppe, cypressengruppe, ulmengruppe. in
specidlerer bedeutung in der mineralogie und chemie von
einer form der cristallisation: die krystalle {aind) in grup-
pen zusammengehäuft J. R. Zappe mineral. handlex.
(1817) 1, 380; {die aenfaäure) krystallisirt in glänzenden
gruppen C. Sprengel chemie für landwirte (1831) 2, 118;
auch von der Zusammensetzung chemischer Verbindungen,
z. b. die gruppe SO^; wenn eine aromatische gruppe in
der ammoniumbase vorhanden ist Muspratt cÄemfc (1888)
1, 177, vgl.: jede base enthält ein metall und die hydroxyl-
gruppe OH Remsen-Seubert stvdium d. chemie (1920)
88; die einwertige nitrogruppe NOj ebda 109; {der er salz
des wasserstoffatoms) durch andere atome oder atom-
gruppen d)da 321. in anderer bedeutung vgl. bei 6. in der
elektrotechnik von mehreren durch Schaltung verbundenen
Stromkreisen: gruppe, engl, sd Blaschke wb. d. elektro-
technik 56*>, vgl. gruppenschaltung; vereinzdt von den der
buchstabenzahl eines wortes entsprechenden chiffern: wäh-
rend der tmterhaltung wurde mir gemeldet, dasz ein
Ziffertelegramm von ungefähr 200 gruppen ... in der
Übersetzung begriffen sei Bismarok gedanken u. erinn.
2, 108 volksatisg.
3) besonders lebendig und früh bdegt ist die anwendung
auf den menschen.
a) vom 18. bis ins 19. jh. in erster linie von in ruhe ge-
dachten oder aus der bewegung zur ruhe kommenden per-
971
GRUPPE 3
GRUPPE 4. 5
972
sonen; meist visuell im Zusammenhang mit der bedeulung 1
empfunden: ich setzte mich ins gras und die fünf kleinen
um mich her. der gute prediger sähe diese gruppe Hippel
lebensläufe (1778) 3, 2, 402; man sieht mädchen in wol-
lüstigen gruppen auf dem canapee maler Müller w.
(1811) 2, 89; der genius schwebte jetzt fort über der
gruppe, die der hofmarschall mit den kammer Junkern
nebst andern hofschargen bildete E. Th. A. Hoffmann
s. w. 10, 23 Orisebach; über dem balgen (Philinens mit
Serlo, der sie küssen vnll) fielen ihre langen haare herunter
und wickelten sich um die gruppe Göthe 22, 168 W.; die
ganze Versammlung hieng {dem redner) in starren, schröck-
lichen gruppen entgegen Schiller 3, 67 Oöd.; leicht mit
dem nebensinn des schönen, malerischen:
und wie sie bliclct, entwirret
sich rings der knäul in wohlgefällige gruppen
BÜCKERT poet. w. (1868) 1, 285;
den kämpfenden ist es gewisz nicht darum zu thun, ein
malerisches Schauspiel darzustellen, nur der zufall führt
sie in manchen augenblicken des kampfes zu malerischen
gruppen zusammen Fr. Th. Vischer ästhetik (1846) 2, 20;
sie verschlangen die arme zu lieblichen gruppen in ein-
ander 0. Ludwig ges. sehr. 2, 407; im spiel mit 1: keine
maler hat solche gruppen (wie diese bewirtung der gaste)
dargestellt Hippel kreuz- und querzüge (1793) 1, 362,
in speciellerem sinne ist gruppe das 'lebende bild\ die
plastische dar Stellung eines Vorganges durch menschen: so
fiel mir neulich auf, dasz man auf unserm theater, wenn
man an gruppen denkt, immer nur sentimentale oder
pathetische hervorbringt, da doch hundert andere denk-
bar sind Göthe IV 12, 85 W.; mehrere gesellschaften
schlössen sich daher theils an einander, theils bildeten
sie einzeln sinnreiche gruppen [für die maskenzüge) ebda
16, 187 W.;
dies (das glückt, familienleben) müszte hübsche grup-
fürwahr! ein froher, seliger leben [pen geben 1
bewirthen selbst palläste nicht
E. Baumbistbr zimmermannsspr.' 15.
die verliebte, zärtliche gruppe 'das liebespaar\- wohin
man sah, stand die verliebte gruppe zusammen Wieland
s. w. (1853) 12, 31; die zärtliche gruppe unter dem mango-
baum war von dort oben vollkommen sichtbar Gutzkow
ges. w. (1872) 6, 247; den anblick der zärtlichen gruppe
Göthe 21, 70 W.; im deminutiv:
(dirnchen) kugelten dann sich die hügel
schalkhaft hinunter in sitzender hlrten und hirtinnen grüpp-
chen,
die mit lautem ge juchz auseinanderflogen und rings sich
durch die Auren zerstreuend gesellten zu anderen grüppchen
V. SONNBNBERG Dotwioa 1 (1806) 230;
ähnlich:
die jugendliche gruppe kniet
ihm (dem vater) schnell zu f üszen (um seinen segen zu erbitten)
ThÜmmel «. ro. (1854) 8, 173.
eigenartig gebraucht, um eine umarmung auszudrücken:
Murray betrachtete den Sprecher, die gestalt, die züge
des antlitzes; . . . 'ha,' sagte er, 'du bists! bist — mein
söhn?' — die totengräber überraschten eine gruppe
Gutzkow ritter v. geiste (1850) 8, 392;
Zriny (er breitet seine arme aus):
'kommt an mein herzl gottl gott! wie reich ich bin!'
(gruppe)
Th. Körner w. 3, 54 Hempel.
b) seit dem ende des 18. jh. tritt die Vorstellung des ruhen-
den, bildartigen gegenüber der der häufung, der Vielzahl
zurück: neben dem zelte stand oder sasz eine gruppe
damen und herren Laube ges. sehr. (1875) 2, 34; {in den
kasernen) ein summendes gewimmel von vielen hundert
jungen leuten, (welche) jedoch bald von einer gruppe
grimmiger kriegsleute zur stille gebracht (waren) G. Kel-
ler ges. w. (1889) 2, 90; in veränderlichen gruppen —
bald die zwei mädchen allein, bald mit einem dritten —
betraten wir die in gras umkleideten blumen Jean Paul
w. 1, 342 Hempel; meine fantasie (war) eine gruppe von
tanzenden, schwelgenden, wiehernden faunen Schubart
leben u. ges. 1, 185;
ich würde, kämen ganze gruppen
von mädchen, traun!
nicht aus der laube gehn
HÖLir ged. 137 Halm;
in gruppen und grüppchen leistet man widerstand HiN-
denburo aus m. leben (1920) 391; prägnanter ohne attri-
butive bestimmung als 'häufe, kleine schar von menschen" :
als er seine frau auf eine gruppe aufmerksam machte, die
den hohen weg . . . fortschritt A. v. Arnim werke 7, 296
Grimm; (sonntags) sind keine gruppen auf den straszen,
kein fuhrwerk darf des weges fahren J. V. v. Scheffel
ges. w. (1907) 3, 97; dann füllen sich die prächtigen baum-
gänge der villa Borghese mit mannigfachen gruppen und
trachten L. v. Ranke s. w. (1867) 40/41, 151; gern von
mehreren sich imterhaltenden menschen: es entstanden
während des kaffeetrinkens verschiedene gruppen im
saale Heinse w. 5, 100 Schüddek.; beim palais national
und in der rue st. Honore waren viele gruppen. ich trat
an mehrere heran, sie erörterten die Vorgänge A. Rüge
briefw. u. tageb. 2, 105 Nerrlich; (wenn der herzog) zwischen
das plaudern der übrigen gruppen hinein sich besonders
mit ihr unterhielt Mörike w. (1905) 3, 72 Göschen; mit
specificierung des sinnes: die wunderliche gruppe (Wil-
helm, Philine, Mignon) fand sich in dieser einsamkeit
allein Göthe 22, 40 W.; im dortigen gasthause eine sehr
muntere gruppe kaiserlicher Jägeroffiziere Holtei vierzig
jähre 1, 321; in anderem bereiche: einen äuszerst wohl-
tuenden eindruck gab ihr eines abends der erstmalige
anblick eines theaters, wozu eine wandernde gruppe das
publicum einlud Mörike w. (1905) 3, 60; vgl. Zusammen-
setzungen wie theatergruppe, singgruppe, spielgruppe,
Wandergruppe, Volkstanzgruppe, die für zweckvereini-
gungen so und ähnlich nicht selten auch appellativ ver-
wandt werden.
4) gruppe als bezeichnung bestimmter Unterabteilungen
in der Organisation eines Verbandes; besonders militärisch:
gruppe Unterabteilung der companie, bestehend aus 8 mann
und dem gruppenführer v. Alten handb. 4, 480 (frz.
dafür nicht groupe, sondern escouade); die compagnie
wird vom rechten flügel aus in gruppen zu 4 rotten
eingeteilt exerzierreglement f. d. infant. (1906) § 83; die
bezeichnung 'gruppe' schlieszt in sich, dasz die schützen
möglichst beisammen sind Wilhelm i militär. sehr. 2,
238; die gruppe (wurde) ausgesprochen die einheit im
gefechtsaufbau der Infanterie Ludendorff kriegserinn.
(1919)306; 'die gruppe Bosemüller'W.BEUMELBURG(1930);
mit gruppen rechts schwenkt, marsch ! (commando) ; danach
bei marschierenden turnbünden, militärähnlichen organi'
saiionen z. b. eine gruppe SA; 'als schiffsverband in der
früheren segelschiffstaktik ein verband von schiffen, die in
loser Ordnung um ein führerschiff geschart fochten" v. Alten
handb. 4, 480*^; 'in der österreichischen marine die grund-
einheit für die schiff srolle\ daneben 'die hauptunterab-
teilung des mannschaftsquartiers, z. b. heizergruppen, un-
teroffiziersgruppen' ebda, gröszere einheilen faszt gruppe
zusammen in heeresgruppe Kronprinz; heeresgruppe Ost,
die unter gemeinsamem Oberbefehl vereinigten einzelnen
armeecorps. — ähnlich in der Organisation von parleien,
jugendverbänden, vgl. Ortsgruppe, landesgruppe.
5) als ausdru^k einer inneren beziehung von dingen und
menschen, die wegen charakteristischer merkmale als zu-
sammengehörig erscheinen; zuerst mit sächlichem aussage-
gegenstand im sinne von 'gattung^, 'sorte^, 'kategorie' : ihr
ist darum zu thun, dasz sie die arbeiten, verschiedener
art und natur gemäsz, in gruppen und massen bei-
sammen finde Göthe 42, l, 79 W.; nur da, wo man die
erscheinungen (des kosmos) gruppenweise ordnet, erkennt
man in einzelnen gleichartigen gruppen das walten
groszer und einfacher naturgesetze A. v. Humboldt
kosmos (1845) 1, 65; seit der mitte des 19. jh. an ausbreitung
mehr und mehr gewinnend, von dingen verschiedenster art:
wie auf der andern seite die gegenständlichen Ursachen
dieser eindrücke immer mehr in gruppen sich sondern
973
GRUPPE 6. 7 (Zusammensetzungen)
GRUPPE 7 {Zusammensetzungen)
974
D. Fr. Stbattsz sehr. 6, 99; als dasz irgend eine gruppe
von erscheinungen {durch die atomtheorie) eine erhebliche
erläuterung gefunden hätte H. Lotze mikrokosm. (1856)
1, 34; die erkenntnis dieser mängel rief die gruppe der
letzten bearbeitungen hervor E. Schmidt in O. Ludwig
ges. sehr. (1891) 4, 10; der humoristische roman jener zeit
war bei uns weit entfernt eine so reinliche gruppe zu
bilden wie in England Gebvinxjs gesch. d. dtsch. dichtung
(1853) 5, 153; eine etymologisch zweifelhafte und um-
strittene gruppe von namen Hoops waldbäume (1905) 150;
eine ähnliche gruppe bilden die composita auf -porcis
MoMMSEN röm. gesch. (1894) 5, 189; eine besondere gruppe
von jetons bilden (die) krönungsjetons Luschin v. Eben-
GBEUTH münzk. (1904) 26; vgl. Zusammensetzungen wie
ableitungsgruppen, bildungsgruppen, bedeutungsgrup-
pen. seit der 2. hälfte des 19. jh. auch von manschen: ich
wuszte, dasz Wächter zu jener gruppe künstler gehörte,
{welche) die deutsche kunst in lebensvollere bahnen ge-
führt hatten L.Richter lebenserinn. (1909) 302; die
engste gruppe der allein bewährten freunde Jusxi
Winckelmann 1, 205; (sie verstand sich) auf feine leute,
und der assessor gehörte dieser gruppe zu Fontane ges. w.
I 6, 130; der grosze gutsbesitzer tritt geradezu heraus aus
der socialen gruppe der bauem W. H. Riehl die deutsche
arbeit 85; mit bezug auf das gemeinsame der interessen:
alle die nuancen von möglichkeit, Wahrscheinlichkeit
oder absieht, für den fall eines krieges dieses oder jenes
bündnis zu schlieszen, zu dieser oder jener gruppe ge-
hören zu können Bismarck ged. u. erinn. \, 181 volks-
ausg.; es bildeten sich gruppen aus verwandten und
freunden, welche den wirth und die spielleute aus ge-
meinsamer kasse bezahlten Böhme gesch. d. tanzes 189;
in der composition: die demokratischen, pazifistischen,
sozialistischen und kommunistischen Studentengruppen
der tag 20. xi. 1931; appellutiv: dort war es, wo sich die
'volkswirtschaftliche gruppe' zusammenfand v. Ben-
ninqsen die nationalliberale pariei 6; heute eine politische
Vereinigung mit festem programm, aber ohne parteimäszige
Organisation: an verbände, gruppen und parteien möchte
ich aber in dieser stunde die mahnung richten, daran
zu denken, dasz sie nicht Selbstzweck sind v. Schlei-
cher rede, in der tägl. rundschau 16. xn. 1932.
6) in diesem sinne insbesondere in der nomenclatur
mancher Wissenschaften als terminus der Unterteilung;
'gruppe, tribus {auch zunft oder sippschaft) zeigt mehrere
Pflanzenfamilien an, die wieder mit einander in wesent-
lichen merkriMlen übereinkommen'' v. Behlen forst- und
jagdkunde 3, 513: {die vögel) bilden mit {den Säugetieren)
die gruppe der so genannten Warmblüter J. A. Naumann
naturgesch. d. vögel (1822) l, 23; die andere gruppe von
familien der asträaceen sind die sternkorallen mit festem,
nicht porösem skelett Bbehm tierl. 10, 594 P.-L.; bei
der vertheilung des menschengeschlechtes in gröszere
gruppen oder racen 0. Peschel völkerk. (1874) 337; grup-
pen 'tTi der analyt. chemie diejenigen Zusammenstellungen
von stoßen, die auf grund der gemeinsamen fällbarkeit
durch bestimmte reagenzien (gruppenreagenzien) erhalten
werden' Remy ehem. wb. 131*; eine gleiche ähnlichkeit
in der Zusammensetzung {une) bei den phosphor- und
arseniksauren salzen {die zu der stickstoffgruppe gehören)
findet man in den anderen gruppen nicht wieder J. LiE-
Bio handb. d. chemie (1843) 76; die gruppe des chlors:
chlor, brom, jod, fluor Remsen-Seubebt Studium d. che-
mie (1920) 169; jede dieser familien (des 'periodischen,
natürlichen [nach atomgewichten geordneten] Systems' der
demente) zerfällt wieder in zwei Unterabteilungen oder
gruppen ebda 324.
7) Zusammensetzungen sind seit dem 18. jh. belegt, zu-
nächst in gelegenheitsbildungen zu 1 : zwei gruppenkinder,
die Jahreszeit vorstellend {zusammen mit anderen gemäl-
den) an der fa^ade des Carlischen hauses allgem. dtsch.
bibl. 6, 296; ihre drey {auf dem bilde dargestellten) freun-
dinnen, die ihrem triumph zuschauen sollen, werm sie
nicht leere • gruppenmaschinen sind, haben auch ganz
matte züge Heinse s. w. 7, 284 Schüddekopf, vgl. auch
gruppenweise, seit der mitte des 19. jh. avszerordentlich
zahlreich im ganzen umfange des simplex. die bed. 1 zeigen
bildungen wie gruppenaufnahme, -bild, -composition,
-werk, -Wirkung; eine mehrheit gleichartiger dinge unrd
ausgedrückt in gruppenbefestigung, -bremse, -dorf, -ehe,
-feuer, -gebirge, -ofen, -Siedlung, -tanz; die bedeutung 6
erscheint in gruppenbezeichnung, -name, -paar, -reagens,
-stufe, geschlossen hebt sich der militärische bereich her-
aus: gruppenangriff, -colonne, -formation, -führet,
-schieszen. jun^ ist gruppe- in sociologischen begriffen,
die sich auf das collectiv im gegensatz zum individuum
beziehen, s. gruppenaction, -existenz, -handlung, -Inter-
esse, -wille, -zweck; sie sind vorbereitet durch die bed.
Interessengruppe', s. oben sp. 973. — gruppenakkord
eine art der lohnzahlung, bei der nicht einzelne, sondern
gruppen von arbeitenden einen akkord bilden, s. handwb.
d. staatswissensch. (1898) 4, 925; -action corporativea
handeln: die Unterstützung, zu der die gesamtheit im
eigenen Interesse verpflichtet ist, die der arme aber in
den weitaus meisten fällen nicht zu fordern berechtigt
ist, macht ihn zu einem object der gruppenaktion
G. SiMMKL Soziologie 486; -angriff das abwechselnde vor-
gehen von Schützengruppen v. Alten handb. (1909) 4, 480;
-aufnähme: die einzige photographische platte {umrde)
zu einer gruppenaufnahme verwendet v. D. Steinen
naturvölker Zentralbrasiliens 124; -befestigung be-
festigte, in gruppen zusammenliegende Vorwerke einer
festung v. Alten handb. (1909) 4,480; -bezeichnung
gemeinsamer name gleichartiger dinge: unter der gruppen-
bezeichnung ultramarinverbindungen Muspbatt chemie
(1905) 8, 1504; -bild bild, das eine reihe von menschen dar-
stellt RosEOGER sehr. 114,247; -bildung aufteilung in
gruppen; als terminus der composition in der bildenden
kunst: die verschlingung der körper hat auch Lionardo
von der gruppenbildung gefordert Schmaesow beitr. zu e.
ästhetik {IB^Q) 3, 133; zu gruppe 5 die herausbildung von in-
teressen-, abhängigkeitsgemeinschaften: der gedanke dieser
gruppenbildung {die kleinen fürsten gröszeren unterzuord-
nen) würde eine gefahr heraufbeschwören v. Treitschke
hist. u. polit. aufs.^ 2, 151; {man kann) uimiöglich allein
auf die politische gruppenbildung rechnen handwb. d.
staatswissensch. (1898) 6, 803; zu gruppe 2: {die) Unter-
suchungsmethode durch numerische gruppenbildung {in
der Statistik) ebda 6, 1007; -bremse eine bremsanlage, die
zugleich auf eine gröszere anzahl von wagen wirkt Lueger
lex. d. ges. technik (1894) 5, 5; -colonne eine marschord-
nung: {Übergang) aus der halbzugkoloime in die gruppen-
kolonne v. Alten handb. 1, 5* ; gruppenkolonne ! com-
mando im gegensatz zu marschkolonne ! exerzierreglement
f. d. inf. (1906) § 91; -composition, zu gruppe als
plastisches kunstwerk {s. sp. 970): dieses werk {Eirene mit
Plutos) nimmt in der geschichte der gruppencomposition
eine sehr bestimmte Stellung ein H. Brunn kl. sehr. 2,
381; -dorf ^unregelmäszig angeordnete, nicht allzu zahl-
reiche gehöfte" 0. Kende geogr. wb. 80; -ehe eine {aUrStra-
lische) art der ehe, bei der mehrere frauen und männer die
eheliche gemeinschaft bilden Giese philosoph. wb. 69*;
-existenz, im gegensatz zur individualexistenz : {diese
form) genügt für sich allein nicht, diesen bestand oder gar
den fortschritt der gesellschaft zu gewährleisten, {aber
sie ist) die grundlage jeder gruppenexistenz G. Simmel
Soziologie 567; -feuer mehrere zu einer gruppe vereinigte
blinkfeuer Lueger lex. d. ges. technik (1894) 5, 5; milit.
vom Schützenfeuer der einzelnen Schützengruppen; -for-
mation, zu gruppe 4, auf Stellung in gruppen: {die caval-
lerieverbände) attackieren in einer gruppenformation
V. Alten handb. l, 607 ; die gruppenformation wurde
während des ersten englisch-holländischen krieges durch
die kielliniengefechtsformation ersetzt ebda 4, 480; -för-
mig, adj. u. adv., in gruppen angeordnet; zu gruppe 2:
{das cubebin ist) aus nadeln gruppenförmig vereinigt
J. Liebig handb. d. chemie (1843) 1117; derlei geschlossene
follikel liegen gruppenförmig um einen aderzweig von
beträchtlicher stärke Sömmerrinq bau d. men^chl. körpers
(1839) 6, 999; -führer; zu gruppe 4: neuemannte cor-
975
GRUPPE 7 {Zusammensetzungen)
2GRUPPE — GRUPPIEREN i
976
porale werden in eine rekrutenschnle einberufen, {wo sie)
als gruppenführer wirken v. Alten handb. 2, 294; die
Stellung der Unteroffiziere als gruppenführer gewann
erheblich an bedeutung Ludendobff kriegserinn. (1919)
306; filhrer einer militär. gruppe in anderm sinne (s.
sp. 972) : 'gruppenführer heiszt in der österreichisch-UTigari-
sehen marine der ranghöchste kommandant der vereinigten
torpedofahrzeuge^ v. Alten handb. 4,481; im Weltkrieg
führ er einer heeresgruppe ; -gebirge ^ enger mit ihrem
gebirgsfiisz verwachsene, an sich aber selbständige einzel-
erhebungen^ O. Kende geogr. wb. SC*: gruppengebirge
aber schlieszen sich den amerikanischen kettengebirgen
{kaum) an Ritter erdk. 2, 34; -handlung die handlung
einer gemeinschaft: {nach) den tiefsten elementen {der
gemeinschaß) musz der charakter einer gruppenhandlung
gravitieren G. Simmel Soziologie 550; -interesse das
Interesse einer gemeinschaft: diese ihre gruppeninteressen
nur in der leidenschaft {verfolgende) menge verfällt dem
sozialen indifferentismus handwb. d. staatswissensch.
(1898) h, 118; -lampe aus mehreren leuchtkörpern be-
stehende lampen v. Alten handb. 2, 104^; -name, zu
gruppe 6: bronze {ist) der gruppenname einer reihe von
kupf er- Zinnlegierungen Kaemaesch-Heeren (1877) 2, 60;
-ofen, zu gruppe 2: einzelöfen {oder) gruppenöfen Mxrs-
peatt Chemie (1905) 8, 536; -reagens reagens, um die
chemischen elemente in verwandtschaftsgruppen zu trennen
{s. sp. 970) Lueger lex. d. ges. techn. l, 298; -reich, adj.,
reich an gruppen; zu gruppe 1 : sie sind {einem) gruppen-
reichen relief zu vergleichen D. Fe. Steausz ges. w. (1876)
7, 182; -Schaltung serienschaUung, m^ntage en series, s.
sp. 970 Blaschke wb. d. elektrotechn. 50^; -schieszen
'die abgäbe einer anzahl aufeinanderfolgender {granaten-)
Schüsse mit gleicher erhöhung, um die flugbahn zu prüfen"
V. Alten handb. 4, 480''; -Schläger 'läute werk für eisen-
bahnsignale, das sich nach einer bestimmten zahl von
schlagen selbsttätig hemmt' Luegee lex. d. ges. techn. (1894)
6, 6; -siedelung 'dörfer und städte im gegensatz zu ein-
zel-, bzw. kleinsiedlungen' O. Kende geogr. wb. 80*;
-stufe, zu gruppe 6: {Linne, der das) ganze tierreich auf
gruppenstufen verteilte Brehm tierl. l, 2 P.-L.; -tanz:
nach der zahl der tanzenden gibt es solotanz, {und) grup-
pentanz, von einer kleinen anzahl paaren getanzt
Böhme gesch. d. tanzes 3; -weise, adv. u. adj., in gruppen
angeordnet, zu gruppen geordnet:
(»ie selten) viel reiche zelte aufgeschlagen
und ritter, mehr als zwanzig an der zahl,
die gruppenweis umher im palmenschatten lagen
Wieland «. w. 5, 32 Düntzer;
gruppenweise lagerte sich die gesellschaft unter den bäu-
men und büschen Göthe 22, 36 W.; die anderen, die in-
zwischen auch gruppenweise zurückgeschlendert waren
G. Keller ges. w. (1889) 4, 189; gruppenweise über ein-
ander gepflanzte wälder C. C. L. Hieschfeld theorie d.
gartenkunst (1779) 2, 99; bei dieser methode werden die
registerzüge gruppenweis geordnet G. Töpfer lehrb. d.
orgelbaukunst 794; die Stellung {im Seegefecht) wird in der
regel gruppenweise so angelegt, dasz die lücken {durch
die geschütze) zu bestreichen sind v. Alten ha-ndb. 2, 29;
der auf marsch {beim abholen und abbringen der fahne)
kann erfolgen auf : gruppenweise — rechts eingeschwenkt !
spielleute und musik schwenken gruppenweise rechts ein
exerzierreglement für die Infanterie (1906) § 503; das mo-
ment der Vielheit stärker herausstellend: da stehen {die)
Pyramiden bald einzelnd, bald gruppenweise den Nil
entlang Ritter erdk. l, 878; die versammelten im zelte
standen endlich gruppenweise {auf) A. Stifter s. w. (1901)
2, 350; -werk, zu gruppe 1: dasz mür ein einziger schöner
köpf {lieber ist) als dies heillose allegorische gruppenwerk
K. Gutzkow ges. w. (1872) ll, lll; -wille vnlle eines
colledivs: die stimme der mehrheit bedeutet, {dasz) der
einheitliche gruppenwille sich nach dieser seite entschie-
den hat G. Semmel Soziologie 190; -Wirkung, zu gruppe 1 :
ohne perspectivische gruppenwirkungen Fe. Th. Vischer
ästhetik 3, 2, 291; -zeichen lautphysiologischer begriff:
ich nenne solche buchstaben {wie x und z) gruppen-
zeichen {nicht consonanten) E. Beücke grundzüge d.
Physiologie u. Systematik d. sprachlaute (1876) 82; -zweck
gemeinschaftszweck G. Simmel Soziologie 539.
* GRUPPE, gruppe, /., Wassergraben, jaucherinne; s.
auch "grippe teil 4, 1, 6, 383: 'gruppe, gruppe ein kleiner
graben, eine rinne im lande" Benzlee deicÄ6au(1792) 1,181;
'ein oben weiter, unten schmaler graben" Mothes baulex. 2,
543; nd. wort, seit dem anfang des 16. jh. in nd. glossaren,
z. b. gruppe canale Diefenbach gl. 94^»; grope lacus ebda
316*; gruppe, grippe /ovea, cloaca Kilian (1605) 164; in den
nordwestdeutschen maa: gripp, gröpp, grüpp abzugsrinne
im acker, rinne im stall hinter dem vieh Mensing 2, 503;
gruppe rinne zur entwässerung brem.-nieders. 2, 653;
gr6p(e) 'jaucherinne im stall" Dooenkaat-Koolman 1,
695''; grup mistrinne hinter den viehständen Jensen nord-
fries. 174; mit suffix grüppel Schütze holst. 2, 76; Dooen-
kaat-Koolman o. a. 0. es entsprechen nl. gruppel, grip-
pel, greppel, nl. dial. grup(pe), woneben grope, groepe
s. Franok-vän Wijk 213''; vgl. auch mnd. grope Schil-
LER-LÜBBEN 2, 153*. nur vereinzelt schriftsprachlich:
die liebste steht im stall und macht die gruppen rein
Rachel satir. ged. 104 Dretcher.
— dazu gruppen, grüppeln, vb., eine solche rinne aus-
heben, anlegen Mensing 2, 504; Jensen nordfries. 174;
brem.-nieders. 2,553; uszsnyden, gruppen cavare {15. jh.
ndd.) Diefenbach gl. 109^.
GRÜPPELBER, m., auch greppelber, 'groszes fisch-
netz an langer gegabelter stange in sackform" Unger-Khull
steir. 305'' aus älterer spräche: es soll auch verbotten sein
gruntzeug, Streichgarn, rackvüschen, grüppelpem, zug-
gam {fischordnung von 1617) steir. u. kärnt. taidinge 328, 42.
vgl. fischbeere teil 3, 1681.
GRÜPPELN, vb.; wie grübeln 2 a {s. d.) hastig grei-
fen, vgl. auch mundartliches gruppen in ders. bedeutung
rheinisch, wb. 2, 1470; grupsen 'hastig greifen" Hertel
Thür. 111 und weiterhin die gruppe grippen, gripsen,
groppen, grappen, grapsen, grapschen und ähnliche
bildungen. auch obd. gruppen 'an etwas herumtasten
kleine arbeiten umständlich verrichten" Fischer schwäb.
3, 883: mögen ock vischen myt band to gruppelnde weis-
tum bei Brinckmeier gloss. diplom. 1, 939; uneigentlich:
wann nun ain armer ungelerter lay {in) der bibel mit
ungewaschnen bänden grüppelt, mert, sudelt nach seinem
aignen beduncken, schmeltzt er ime ain aigne religion
darausz F. Staphylus christl. gegenbericht (1561) m l";
wie grübeln 3 übertragen im sinne von 'perscruiari',
'Untersuchungen anstellen": das man erst in den . . . be-
schlossenen vortragen taidingen und grupplen wolte
mit stillsteung der betzalungen quelle a. d. 16. jh. bei
Fischer schwäb. 6, 2076. zur etymologie s. grübeln 4.
dazu grüppelung, /., das herauswühlen, -sammeln: die
fünft ursach ist, {dasz) als wol die gest, als die inwoner
des lands merkliche grüplung unter den kreuzern habent,
nachdem als die an wenigem enden geslagen werden
copeibu£.h d. gemeinen stadt Wien 185.
GRUPPEN, vb., gelegenheitsbildung zu ^ gruppe für
sonstiges gruppieren: jeder dürfte sich beliebig und will-
kürlich, unbekümmert um sonst und dereinst, aufs neu
gruppen und ganzen Fr. L. Jahn w. (1884) 2, 740; ge-
paart und gegruppt ebda 2, 749; gruppen 'in den schönen
künsten in gruppen zusammenstellen' Campe 2, 478*.
GRUPPIEREN, vb., zu ^ gruppe, vgl. auch frz. grouper.
1) in der regel transitiv: etwas in gruppen ordnen, durch
Zusammenstellung oder aufteilung in eine sinnvolle einheit
bringen; zuerst im bereich der bildenden kunst: {kann der
m/der) seinem werke handlung geben, kann er mehrere
personen gruppiren Herder s. w. 3, 90 Suphan; du grup-
pirst leidlich, malst mit frischen färben Holtei erz.
sehr. 3, 68; bildlich: {er) malte die natur {durch) einen
reichthum von thatsachen, welche er künstlerisch zu
gruppiren wuszte Ritter erdk. 1, 49; als specielle be-
deutung öfters gebucht z. b. bei Jacobsson technol. wb. 2,
169''; Voigtel wb. (1793) 2, 145''. in diesem bereich im
977
GRUPPIEREN 2
GRUPPIEREN 2 — GRUPPIERUNG
978
18. jh. vereinzelt auch intransitiv; gegen, mit etwas
gruppieren mit etwas eine gruppe bilden: da er den tod
als eine figur betrachtet, gegen die eine andere, mit
blumen gekrönt, nicht wohl gruppiren möchte Lessing
8. sehr. 9, 76 L.-M.; Prometheus und die Okeaniden,
will nicht recht gruppiren Göthe 47, 341 W.; alles dieses
weisz (die seele) in harmonie zu bringen, gleichsam in
eine einzige gruppirende masse von licht und schatten
zu verbinden Moses Mendelssohn ges. sehr. 3, 441. über'
tragen auch von nichtdarstellender kunst: man erkennt hier
(in e. oper) das grosze talent Mozarts zu gruppieren, einen
klaren, symmetrischen plan aufzustellen 0. Jahn Mozart
2, 469; doch wählt er sehr gut und weisz aus verschie-
denen compositionen sich eigene, seinem geiste anpas-
sende stücke zu gruppieren Schxtbart ästh. d. tonkunst
162; (der dichter musz) die nebencharaktere diesem gehörig
unterzuordnen und so damit zu gruppiren wissen, dasz
der totaleindruck dadurch erhöht (wird) Eschenbubo
theorie d. schön. Wissenschaften (1783) 175; indifferenter:
wer schwor nicht, als Lenzens hofmeister erschien, dasz
ihn der Verfasser des Götz von Berlichingen gnippirt?
K. Fk. Gramer Neseggab 2, 49. allgemeiner angewendet
im ganzen sonstigen umfang von gruppe; dem bezirk von
gruppe 1 mehr oder weniger nahe (vgl. gruppe als 'lebendes
bild' sp. 971): der zug bestand beinahe aus 150 personen;
diese charakteristisch zu costümieren, zu gruppieren, in
reihe und glied zu bringen (war) keine kleine mühe
Göthe w. IV 31, 43 W.; häufig im partic. perf.: geputzte
herren und damen, sorgfältig gruppiert (bühnenanwei-
aung) G. Büchner nachgelassene sehr. (1850) 189; bes.
malerisch gruppiert: (die landleute) sitzen auf den balken
des zerbrochenen gerüstes mahlerisch gruppiert Schiller
14, 407 O.; FouQufi reiseerinn. (1823) 2, 202; Hauff s. w.
(1890) 1, 214; anmutig gruppiert H. Seidel Leberechi
Hühnchen (1899) 64; weiter bald mit schärferer betonung
des geordneten, gefügten, bald mehr in reiner Ortsangabe:
die klippen sind mannigfaltig gruppiert Novalis 1, lxix
Minor; ob (die bäume) rechts, ob sie links, ob sie so oder
anders gruppirt stehen fürst Pückler briefw. u. tageb.
1, 284; (die streifen im Sandstein) sind aber nicht parallel,
sondern gruppiert L. v. Buch ges. sehr. (1867) l, 58; ge-
wöhnlich sind die crystalle gruppiert und zu drusen ver-
bunden Oken allgem. naturgesch. 1, 137, vgl. gruppe
sp. 970; ein bücherschrank, um ihn gruppiert bildmsse
G. Hauptmann einsame menschen (1891) 1; (rund herum)
sind die festungen Frankreichs gruppirt Hebbel tage-
bücher 2, 306 Werner; ich hatte die jungen mädchen um
den alten herzog gruppirt fürst Pückler briefw. u. tageb.
1, 161. zu gruppe 4: es musz (das) gruppiren im offenen
terrain verworfen und nur bei durchschnittenem als ver-
wendbar erklärt werden Wilhelm I militär. sehr. 2, 238.
zum begriff gehört das moment des organischen, geglie-
derten bei gruppen innerer Zusammengehörigkeit (s. gruppe
5): nach zwei gedanken läszt sich deren hauptmasse
gruppiren W. H. Riehl deutsche arbeit 119; pragmatische
Übersichten, (in) denen ich personen und ereignisse zu
gruppiren mich bemühe D. Fr. Strausz Schubarts leben
1, xvni; (die menschen) in mannigfaltig verschlungenen
geselligen verhältm'ssen vereinigt und gleichsam gruppirt
K. L. V. Haller restauration d. staatswissensch. (1816)
1, 343; die mehr gruppierende als verkettende form
Beiner gedankenverbindung Justi Winckelmann l, 72; zu
gruppe 6 : die zahlreichen arten (der möwen) in f amilien
gruppiren J. A. Naumann naturgesch. d. vögel 10, 461.
2) reflexiv: sich gruppieren sich in gruppen, zu gruppen
ordnen oder geordnet sein; local im bereich von gruppe 2
U7i4 3: die berggipfel, welche sich an dem horizont grup-
piren V. Gaudy s. w. (1844) 5, 102; die damen gruppirten
sich hin und wieder auf den ottomanen in malerischen
und ziemlich unanständigen Stellungen Eichendorff
s. w. (1864) 2, 167;
er studiert, wie mit dem mantel
sie sich malerisch draplern,
wie sie auf dem Icarren sitzen,
wie sie stehn und sich grupplern
Hopfmann v. Falleksleben ges. sehr. 5, 45;
IV. I. 6.
weniger prägnant im sinne von 'sich versammeln', doch
immer mit dem gedanken an das sich bietende bunte bild:
copirende und studirende maler . . , gruppirten sich täg-
lich unter dem gewölbe der gallerie Justi Winckelmann
2, 1, 116; man drängte nach dem salon zurück, wo die
damen sich schon gruppiert hatten H. v. Kahlenberg
familie Barchwitz (1902) 51; man gruppierte sich zu ge-
sprächen H. Laube ges. sehr, l, 58; häufig sich um et-
was gruppieren von dingen oder menschen, die um einen
gemeinsamen mittdpunkt herum aufstdlung haben oder
nehmen: die päppeln lispelten im leisen winde und grup-
pirten sich um frische, murmelnde quellen Fr. M.
Klinger w. (1809) lO, 27; (bauernhöfe,) um die sich das
wohlgepflegte ackerland, die grüne wiesenflur und der
dimkle Waldgürtel gruppierte Wimmer gesch. d. dtsch.
bodens (1905) 11; die hausangehörigen (blieben) beisammen
imd gruppierten sich um den kamin Fontane ges. w. I
6, 255. übertrafen: die einfachheit und Sparsamkeit, die
keuschheit und treue, sie gruppiren sich um das (römische)
haus und die familie als ihren eigentlichen mittelpunkt
Jhebing geist d. röm. rechts 2, 1, 208; in den vielgliedrigen
körper der abendländischen, um den mittelpunkt Rom
sich gruppirenden Christenheit Döllinger akadem. vor-
trage 1, 57; mit einem anklingen von gruppe 5 uneigentlich:
um Parzival (als den gegenspieler von Oawan) gruppiren
eich ernste männer Schbrer gesch. d. dtsch. lit. 180; um
den Vorauer fund . . . gruppierte sich mehr oder weniger
die ganze wissenschaftliche thätigkeit Diemers ders. kl.
sehr. 1, 89. sich zu etwas gruppieren sich zu gröszeren
einheiten zusammenfinden: dasz anfang (und) ende (des
epos) nicht mit einander streiten, sondern sich zu einem
schönen ganzen harmonisch gruppiren Fr. Schlegel
pros. jugendschr. 1, 228 Minor; (der pflanze) einfachsten
faser, die sich zu blatt und zweig gruppirt A. Schopen-
hauer s. w. 1, 362 Orisebach; sich gruppieren in sich
verteilen, sich gliedern: nach den ersten höflichkeitsbezei-
gungen gruppirte sich die assemblee wieder in verschie-
dene kleine zirkel MusXus volksm. 1, 60 Hempel. fest
heraus tritt azich hier die bedeutung gruppe 5: sich grup-
pieren sich aufgrund wesentlicher merkmale als zusammen-
gehörig ausweisen: (wenn) allmählich die guten Sachen
hervortreten und mit hülfe der von Winckelmann an-
gezündeten historischen lichter nach den Zeiten sich
gruppiren Justi Winckelmann 1, 273; so gruppiren sich
unsere gröszeren Verleger mehr und mehr nach (wissen-
schaftlichen) richtungen W. H. Riehl dtsch. arbeit 230;
die gedankenlosen und formfrohen lyriker, (die) sich an
Schiller anlehnen, und die in dessen musenalmanach
sich anfangen zusammen zu gruppiren Gervinus gesch.
d. dtsch. dichtung (1853) 5, 410.
GRUPPIERUNG, /., aufstellung, Verteilung in grup-
pen; seit der 2. hälfte des 18. jh. belegt, zuerst, wie die ganze
Wortfamilie, im bezirk der bildenden kunst: in ansehung
der anordnung und gruppirung, besonders in der per-
spectivischen Zeichnung, glaubt man durchgehends, (dasz)
unsere künstler die alten übertreffen Sulzer theorie d.
seh. künste (1774) 2, 737'''; die untere hälfte des blattes zeigt
in ganz gleicher anordnung und gruppirung schafe, denen
die lämmer weggenommen werden A. Schopenhauer s. w.
1, 403 Orisebach; der ausdruck der leidenschaft und die
ganze gruppierung (des Laokoon) lassen dem forschenden
äuge nichts mehr zu beobachten übrig Schiller 3, 578
Oöd.; bildlich: nicht im colorit, in der gröszem oder
kleinem lebhaftigkeit der färben, sondern in der Zeich-
nung, stelluing und gruppirung der gedanken liegt das
eigenthümliche einer Schreibart Börne ges. sehr. (1829)
3, 4. als fester terminus der darstellenden composition: in
dieser beziehung würden die zwei hauptbestandtheile der
kunst eines gemäldes die Symmetrie und die gruppirung
seyn Schelling w. 1-5, 528; und schwadronirte aller-
hand von heildunkel und kolorit, (von) gruppirimg und
motiven und Idealisierung v. Gaudy s. w. (1844) 2, 126.
das tätigkeitsmoment stärker betonend: eine übertriebene
anstrengung der musceln, (ohne) weitere bedeutung als
die der gruppirung (ist ein) mittel, wodurch die nach-
62
979
GRUPPIERUNG - GRUS
GRUS - GRUSCH
980
ahmer des Michelangelo die äugen zu blenden suchten
D. Fe. Stbausz ges. w. 2, 270.
wenig später, wie auch gruppe, gruppieren von den ver-
schiedensten gegenständen und dingen, die sich innerhalb
ihrer Umgebung als zusammengehörig abheben, meist auf
das ergebnis des (sich) gruppierens gesehen, seltener als
Vorgang; gelegentlich noch m,it der Vorstellung des bild-
mäszigen: die Alpen, die nach ihrer ganzen länge (in)
einer durchaus neuen und pittoresken gruppirung wie
aus dem spiegel auftauchen A. v. Droste-Hülshoff an
Levin Schücking 58 Schilcking; die büschelförmige grup-
pirung der haare 0. Peschei, Völkerkunde (1874) 362; die
obere gruppierung (der mannlöcher im kessel) ist vorteil-
haft Mttspeätt Chemie (1898) 6, 1729; die freiere behand-
lung und gruppirung der blasinstrumente O. Jahn Mo-
zart X, 534; die unregelmäszige Verbindung mehrerer cry-
stallindividuen nennt man gruppirung Oken allgem.
naturgesch. 1, 66; von der Constitution der chemischen ele-
mente {vgl. gruppe sp. 970) : der kohlenstoff , welcher («rw)
in der holzfaser oder der muskel entgegentritt, kann
nach der Zerstörung jener körper in anderer gruppirung
eine verschiedene gestalt annehmen Büchner kraft u.
Stoff (1856) 13; (abhängig) von der gruppirung der sich
umsetzenden atome, von der richtung, in welcher sie sich
umsetzen J. Liebio ehem. br. (1844) 160/61. gelegentlich
indifferenter, mehr als au^druck bloszer häufung, Zusam-
menstellung: durch belebung von naturschilderungen
durch landschaftsmalerei und durch gruppirung exoti-
scher pflanzengestalten in treibhäusem A. v. Humboldt
kosmos l,xni; wie fast zu erraten, läszt diese gruppirung
zweier wurzeln in unzählbaren fällen einen doppelsinn
zu 0. Peschel völkerk. (1874) 119. — vom menschen im
sinnlichen bereich immer mit der Vorstellung des bild-
mäszigen: (ein ballet) ist die darstellung einer begeben-
heit durch mienen und geberden, tanz und gruppirungen
für das äuge Heinse s. w. 5, 277 Schüddekopf; unter
passender gruppierung fällt der Vorhang Nestroy ges. w.
(1890) 2,206; zu gruppe 4: sodasz der soldat in einem
augenblick ins feld zog, wo die gliederung und grup-
pirung eine andere, seine officiere zum theil neu und
unbekannt waren L. Hättszeb dtsch. gesch. 2, 683.
wenn gruppe 5 zugrunde liegt, ist vor allem der Vorgang
des gruppierens betont; ^sonderung\ Hrennung\' in der
Sammlung und gruppirung solcher climatischen, sitten-
geschichtlichen, politischen daten Justi Winckelmann
2, 2, 190; die nothwendigkeit der begrenzung und der
gruppierung um einen geistigen mittelpunkt Fr. Th.
ViscHER ästhetik 2, 21; endlich ward in beiden (ländem)
ein miütärstaat der kern (einer) realen gruppirung der
Parteien Treitschke hist. u. polit. aufsätze 2, 222; zu
gruppe 6: keine von diesen natürlichen gruppirungen
nach färbe und Zeichnung des gefieders hält stich J. A.
Naumann naturgesch. d. vögel 10, 461; erst im vorigen
Jahrhundert wurde (die) gruppierung der tierischen for-
men (gefördert) Brehm tierl. 1, 2 P.-L.
GRÜPS, m., kernhaus des obstes, s. griebs u. grübs
sp. 254 u. 626: fraszen ihre gestohlene äpffel (und) warffen
die butzen oder grüps denen andächtigen mägdlein in
die (Ä;ircÄ)stühle simplician. Haspel-Hannsz (1684) 75.
GRUS, m., Schutt, kleines steimjeröll, grober sand; aus
nd. grus (neben grüs) rhein. wb. 2, 1415; Woeste-Nöeren-
BERG westfäl. 86; Mensing schlesw. -holst. 2, 502; DooRN-
kaat-Koolman ostfries. 1, 703^'; Bauer-Collitz waldeck.
41 ; Frischbier preusz. l, 258. entsprechend mnd. gros, grüs,
n., 'was in kleine stücke zerbrochen ist, bes. von steinen^
Schiller-Lübben 2, 154; 6, 145, m,nl. gruus, gruis 'grus,
grober sand, kieselsand, grob gemahlenes korn^ Verwijs-
Vebdam 2, 2201^., nl. gruis woordenboek 5, 1160^.; doch
vgl. daneben auch alem. grus aus mhd. grüz (schweiz.
grüssig sandig, steinig Staub-Tobler 2, 811 und grüszel
kies s. u. ^grusel), dem schriftsprachliches graus (s. d.) ent-
spricht: grus 'feiner sand' Martin-Lienhart 1, 282; grüs
'häufen, bündd, z. b. gdd' Staub-Tobler 2, 810. nd. grüs
und hd. grüz gehören zu zwei verschiedenen erweiterungen
der idg. wurzel ghreu- 'zermalmen', s. Walde- Pokorny
1, 649/. und gries teil 4, l, 6, 273: dat bolwerk aver de
Dune tho füllen myt gruse (a. d. j. 1572) monum. Livo-
nianae antiqu^ie 4, 234 ; graus, grus schult, kummer; poln.
grus KiNDERLiNG reinigkeit d. deutschen spr. (1795) 346;
wird man nicht in der folge die urgebirgsgänge zu er-
schürfen suchen, woher dieser so reichhaltige grus und
grand sich herleitet? Göthe 40, 91 W.;
(du solltest mit freuden lesen, wie)
aus erde, grus, gerill, geschieben
dir diamanten ausgespült
ebda 6, 157;
Schutt und grus 49, 257; sand und grus 25, 162;
zuteuerst sand und grus besieht
MÖEIKE (1905) 1, 163 Göschen;
im grus unter der dammerde sind sie (die kry stalle) am
schönsten anzutreffen Leop. v. Bucng^es. sehr, l, 10; der
flugsand zieht weiter, der grobkörnige grus und die frei-
gewehten roUkiesel bleiben liegen Ritter erdkunde 1,
1020; gemeiner glimmer. ein wesentlicher gemengtheil
der gewöhnlichen crystallinischen gesteine, des granits,
gneises, glimmerschief ers; er gelangt bei deren Zer-
setzungen in den grus und sand, welcher daraus entsteht
Oken naturgesch. l, 175; grusz grober kies Mothes baulex.
2, 543; grusz überhaupt grobe brocken von steinen 2, 543;
der grant, grusz ist ein gerölle von quarz, granit, basalt usw.
Schönermark-Stüber hochbaulex. 482; man verwendet
die kleineren kohlenteile, den grus (zu briketts) v. Alten
handb. f. heer u. flotte (1909) 2, 517. übertragen erscheint
grus als bezeichnung verschiedener begriffe, m,it denen die
Vorstellung des grobkörnigen, Schuttes, der in menge auf-
tretenden kleinen bestandteile einer gedeichten einheit ver-
bunden ist: was in den bienenstöcken auf den boden fällt,
heiszt neben das griesig auch der grus Campe 2, 478;
Vollbeding plattd. ma. 28; Fulda 142; Krünitz 20, 291 ;
'Umschreibung für gdd, wohl eigentlich kleingeld, wie hd.
kies' Mensing schlesw. -holst. 2, 502. fachsprachlich: 'wenn
der Vitriol in setzfässern angeschossen und das reine vom
unreinen abgesondert worden, wird das letztere mit warmen
wasser zu lauge gemacht und grus genennet' bergmänn. wb.
(1778) 246. dazu die compositionen: grusförmig: grus-
förmige brennstoffe Muspratt chemie 8, 523; -grand
feiner kies Mensing 2, 502; -halde: wo die ganze berg-
masse gegen Pompeji nur als eine einzige, mächtige,
ebene grushalde abfäljt H. Allmers bei Siebs leben und
dichten 195; -kohle: die verschiedenen komgröszen un-
terscheidet man als Stückkohlen, . . . gruszkohlen Lueger
lex. der ges. technik 2, 677; -lager: auf dem gruslager der
glacialen periode Hoops waldbäume u. kulturpfl. 8;
-masse Oken naturgesch. 1, 343; -regen Staubregen
Mensing 2, 502; -rubin: die salamsteine (gruszrubin . . .)
in Bengalen Zappe mineral. handlex. 2, 327; -sand grober
sand, der aus kleinen körnern von quarz, feldspath u. s. w.
bestehet Campe 2, 478; -schiebt: (sandbank) aus . . .
gruszschichten A. G. Webner gebirgsarten (1787) 27.
GRÜSCH, /. u. n., seltener m., 'kleie', vgl. auch krüsch
teil 5, 2477.
herkunft und form. mhd. grüsch; ahd. nicht vorhan-
den: anstdle des von Graff 4, 344 (mit berichtigung 1279)
aus den Florentiner glossen verzeichneten crusc gibt Stein-
MEYEB-SiEVERS 3, 616, 37 crus. Vgl. JuD archiv f. d. stud.
d. neueren spr. 126, 137. das relativ späte auftreten des
ivortes und seine beschränkung auf das schweizerische
(Staub-Tobler 2, 817), schwäbische (Fischer 3, 884), el-
sässische (Martin-Lienhart l, 284), tirolische (Schmel-
ler-Fr. 1,1015; Schöpf 214), luxemburgische (luxemb. wm.
250) u. rheinische (nach m,itteilung Jos. Müllers nur in der
westl. Eifel u. Köln), soune vor allem das nebeneinander von
gr- und ehr- (bezw. kr-) im schweizerischen ( Jud aao. 138/.)
u. rheinischen (mitteilung von Jos. Müller) führen auf
entlehnung aus rom. *crüsca in südostfrz. krutze, räto-
roman. crisca, nordital. crusca; crusca ist seit dem 13. jh.
belegt: furfur crusca vel remula Löwe glossae nominum
148. auf ♦cruscum geht nach Jud burgund. krö zurück;
auch das neutrum im deutschen könnte durch *cruscum
981
GRÜSCH
GRÜSCH {Zusammensetzungen) — GRUSE l. 2 982
veranlaszt sein, eher aber analogisch nach mehl. die kürzung
des stammvocals ist vielleicht schon romanisch, der umlaut
ist durch das folgende -sc- hervorgerufen, umlautsloses
grusch ist belegt bei Diefenbach gl. 253^; nov. gl. 186*>;
Sebiz f eidbau (1579) 81; Schottel 1331; Stieler 712;
Keambr 1 (1700) 575^; ders. hochndd. (1719) 1, 535"; Fi-
scher Schwab, 6, 2076. entrundetes ü zeigen grischen {acc.
sing.)tirol. weist. X, 26; 3, 245; grisch Österreicher Colu-
mella 2, 124; Serranus (1540) k 5»; HULSIUS (1618) 142»;
Marperöee beschr. d. hanffs u. flachs (1710) 295. auf Ver-
mischung mit nicht hergehörigem grist (Basler chronik 1,
120 Vischer- Stern; Wickram 5, 233; Staub-Tobler 2,
820, vgl. bei griesgramen teil 4, l, 6, 268 u. ags. grist moli-
iura) beruhen grust, grüst Fischer schwäb. 3, 884; Mar-
TIN-LlENHART 1, 284; DiEFENBACH gl. 253^; waytzin-
gruste aus dem voc. theut. {Nürnberg 1482) ebenda 9&^; auch
grytsch gemma gemm. (1508)133'. unklar ist grünsch
kleien, furfur Veneroni {Köln 1766) 78. das genus von
grüsch ist femininum in einem teil des schweizerischen
(Staub-Tobler 2, 817) und schwäbischen (Fischer 3,884),
im tirolischen (Schöpf 214) U7id in Köln; neutrum in den
übrigen teilen der Schweiz und Schwabens, sowie im Elsasz
(Martin-Lienhart 1, 284); masculinum in der Westeifel
{mitteil, von Jos. Müller), Luxemburg {luxemb. maa. 250)
und in Lusern (Bacher 264). literarisch ist es meist nicht
sicher zu erkennen; neutrum bei Niclas v. Wyle trans-
lationen 267 Keller; masc. oder neutrum: viel gryschs und
lützel melbs Ulmer ord. a. 1403 bei Brinbjvieier gloss.
dipl. 1, 939*; dem (gutem) grüsch Joh. Adolphus enchi-
ridion (Basel 1520) t2^'; (1616) stadtrecht von Neuenburg
125 Merk; Frisiüs dict. 488; von den lexikographen gibt
das femininum Kramer l (1700) 575, das neutrum He-
NISCH 1760 an. der plural lautet grüschen im tirolischen
(Schmeller-Fr. 1, 1015; Schöpf 214), vgl. auch grüschen
quisquilia tnd. 15. jh. bei Diefenbach gloss. 480", ver-
einzelt grüscher {wie spreuwer) im Elsasz (Martin-Lien-
hart 1, 284); die grüsch Kirchhoff Schweiz, sprüchw. 296
kann f. sg. sein.
bedeutung. kleie, getreiderückstände: swel pfister . . .
schuldig wirt, das er ze klain gebachen habe, der git von
ieklicher becke an die stat drige Schillinge phenninge, er
swerre denne . . . das er an der becke nit mer gewinne
danne vier phenninge und sin grüsch (1331) stadtordnung
von Frauenfeld in zs. f. ungedr. Schweiz, rechtsquellen 2
(1847) 120; item wenn man von pillens {d.h. von rechts
wegen) oder ander Sachen wegen auffhebt, sobald sy
widerumb auffgesetzt, soll sy der müUer damit on under-
lasz mit seinem aigen gut nämlich ainer wannen vol
spreuwer, grüsch oder kleyen und ainem metzlin herts
koren bemalen und bestätigen bayr. recht a. d. j. 1346 bei
J. HeumäNN opuscula (1747) 252;
s6 tuot er grüsch in das mel senken
teuf eis netz 9431;
sprichwörtlich {vgl. ital.farina del diavolo va tutta in crusca)
des teufeis mehl wird zu grüsch Kirchhofer Schweiz,
sprüchw. 35; Simrock sprüchw. 553; als schweinefutter :
so verdirb ich under swinnen,
du man hört rühein und grinen
nach grüschen (den aswingen
zerganlclicher dingen) scelden hört 4321 Adrian;
daher sprichwörtlich: wer sich unter die grüsch mischt,
den fressen die säue Kirchhofer Schweiz, sprüchw. 296;
als hundefutter {vgl. furfur i. hundaz ahd. gl. 4, 236, 3 u. ä.):
do fiengent sie an, im {dem hunde) flaischsbrü zu geben
mit brot usz grüsch gemacht Steinhöwel Äsop 221
Osterley. zur bezeichnung des wertlosen und nichtigen:
die sehs umm ain grfische (d. h 'durchaus nicM')
vorhteu do den ainen
Johann v. Wükzbueg 4700 Regel.
selten anders, als glosse zu triestern grüsch, tröber glossar
zum Basler neuen testament 1523 {Luc. 15, 16); abfall von
holz, kleine holzstücke Staub-Tobler 2, 817.
Zusammensetzungen: grüschenbrot: darnach ist
gesetzet, swer grüsschin brot ald ungebachen brot git.
der sol gen dem amman 5,/y., den burgern 5jj. württ.gesch.
qu. 21, 89 {Ravensberg 1378), kaum adjediv Fischer
schwäb. 6, 2076, vgl. kleienbrot teil 5, 1086 und grüschbrot
Staub-Tobler 5, 960; Fischer schwäb. 6, 2076 und
grüschmehl Fischer 2, 885; grischmehl Frommanns zs.
3, 464 {Tirol); grüschengrant truhe zur aufbewahrung
von kleie: gruschen granndt 1495 Zingerle mittelalt. in-
ventare 61*; grüschhengst, Schimpfwort:
■wir müssend unglückhaflt lut sin
mit eym solchen herlin (d. i. pfaffen) . . .
hettind wir Inn vertriben lengst,
was sol uns nun der grüschhengst?
Utz Eckstein rychstag (1527) in Scheibles Wosier 8, 834;
grüschsack Staub-Tobler 7, 622; grüschentrog:
auss dem vollen spiel- und sudel- in den sauberen gri-
schen- oder kleyentrog Guarinonius greuel d. Verwüstung
(1610) 589.
GRUSE, /., mnd., rhein. und nl. daneben au4;h als m.,
mhd. gniose, mnd. grose und in Vermischung mit grus ver-
einzelt grus(e), mnl. groese, nl. groeze; umlautsform grüsz
ist unorganisch und selten, vgl. Schmeller-Fe. 1, 1014;
mit vmrzelerweiterung -s zur wz. *grö- wie ebenso gras,
vgl. zur etymologie sp. 939; eine sicherlich alte bildung, doch
ahd. bisher nicht belegbar; als frühe bedeutungen sind
'junger pfl/inzenumchs, trieb" {s. u. l) und 'pflanzensaft'
{s. u. 2) zu bezeugen, die auf einen ursprünglichen bedeu-
tungscomplex 'frische, im saß stehende Vegetation^ deuten
können; zu den formen vgl. Verwijs-Verdam 2, 2156, nl.
wb. 5, 879^., Schiller-Lübben 2, 154*', woselbst irrige
vermengung mit grus; bis in das ältere nhd. lebendig, zieht
sich gruse in jüngerer spräche in mundartlichen bereich
zurück, besser im nl. erhalten, vgl. nl. wb. a. a. o.
1) concret für jungen, im soft stehenden pflanzenvmcJis;
bereits mhd. 'frisches gras\'
maneg ors daz s!t nie gruose enbeiz
WOLFKAM Parz. 387, 23 ;
vgl. mnl. groese junges grün Verwijs-Verdam 2, 2156;
mundartlich ist der charakter des jungen, treibenden ver-
einzelt noch im obd. bewahrt: gruesen das erste, frische
grüne gras im frühling Staub-Tobler 2, 813; gruasa das
erste frische gras, der erste stosz gras Bühler Davos 1, 276;
grüse {pl. ?) 'die abgeschnittenen . . . gipfelhalme einzelner
dinkeläcker im frühjahr' Fischer schwäb. 3, 885; mit grus
abschneiden, gras mehen ebda, aus e. quelle d. 16. jhs.; auch
'kurzes, dichtes gras'' Staub-Tobler a. a. o.; für das nd.
vnrd gruse als 'grüne saat, grünes gras, rasen" in wbb. des
18. jhs. angegeben, so Frisch teutsch-lat. l, 380*', Krünitz
20, 291 u. a., doch weist hier die form in der gruse auf lit.
entlehnung, wohl aus einer nicht nd. jagdordnung, also mit
bedeutung 4; aber vernieder deutscht: welche in der setzzeit
und auf der grose auf fremden feldern sich betreten lassen
brem. jagdordn. v. 1692 art. 11; in den nd. dialektwbb. sonst
zwar nicht bezeugt, vgl. jedoch grus, m., 'gras, grüner raserC
rhein. wb. 2, 1470 und nl. groeze 'begrünter erdboden, gras"
nl. wb. 5,880/.; anders: gros 'grünes, unreifes' wie z.b.
unreifes obst oder frische blätter von kohl u. ä. ten Doobn-
KAAT-KooLMAN ostfries. 1, 696, Vgl. grusen, grusig.
2) pflanzensaft, alt und bis in neuere mundart gehalten;
so der durch ausquetschen von pflanzen gewonnene saß:
des wilden crütes gruose
die Schyron mit slner hant
üz den würzen dike want
KONEAD V. WÜRZBUKQ Trojanerkrieg 6072;
briuwet man daz krut, daz man die grusen {mit schw.
flexion) daruz muge geduhen {drücken) quelle des 14. jhs.
bei Schmellee-Fr. l, 495; ist gut, die gruse darauf gelegt
{a. d. j. 1566) bei Fischer schwäb. 3, 885; wrink dor eynen
dok dat sap ud unde do dar to se vele etikes alse der
grose is bei Schiller-Lübben 2, 154, wo weitere belege;
so noch mundartlich: gruse saß aus grünen gewachsen ViL-
mar kurhess. 139; Bauer-Collitz waldeck. 146; Scham-
bach Göttingen 70*, hierzu: gros grüner farbstoff aus saß
von frischen grünen kräutern ten Doornkaat-Koolman
ostfries. 1, 696*; in älterer spräche auch die als träger des
62*
983
GRUSE 8-6
GRUSEL — GRUSELBEERE
984
lebens gedachte feuchtigkeit in pflanzlichen oder überhaupt
organischen hörpern:
{die haut) . . . erwelket als ein krüt
dem diu gniose ist entwichen
unt fluhtelös erblichen
die Warnung 141 in zs. /. d. altert. 1, 442;
in der nacht wart gezogen
sin Stab zu eime bäume.
an vruchtigeme daume
hete er gruse unde saf passional 350, 21 K.;
von hier aus zu verstehen: äne mannes gruosen Konbad
V. WÜBZBXJRG gold. schmiede 272; im sinne 'lebenssaft\'
als daz gras uf der wisen
winterzit virtirbet,
swan im diu grüse irstlrbet
Väterbuch 3921 Reiszenberger;
ir {der fruchtbäume) gruse so vorroste {verdarb)
Nicolaus v. Jeroschin 25777 Strehlke;
mit manigerhande dampfe
derret er {der teufet) des vleisches gruse
Väterbuch 835 R.
3) der zustand des grünens, Wachsens, im soft Stehens;
aiich das 'grün werden, sich begrünen^ vereinzelt:
darnach über dru jar
begonde ez lusteclich sich irgruen,
nach der gruse schone bluen
Väterbuch 22150 R.;
sonst der 'zustand der frische, der lebemJcrafi\ vgl. groese
rigor ELilian etym. (1605) 162»:
dar enmitte stunt ein gras,
daz wol in siner gruse
stete bllben muse passional 36, 77 Hahn;
{du Maria hast) beide gruze unde blut
bewart, daz sich wol ougete
passiowtl 667, 3 K.;
im genüget joch genfic
an eime melmuse,
daz hielt im sine gruse
an dem übe und die craft väterbuch 6062 R.;
wol stend bein und spitzig füez,
ir angesicht stet in gruoz
MEiSTBR Altswbrt Spiegel 122, 30;
vergleichbar, etwa 'üppiger wuchs': wann alsdann (im
frühjahr) die sog. gruos an den Winterfrüchten überhand
nehmen wollte nach Fischee schwäb. 3, 885; ähnlich ist
gr. für ' Zwilling sobsV zu verstehen ebda.
4) temporal, die 'zeit des grünens, in safl tretens oder
Stehens, des üppigen gedeihens\ vgl. bereits:
darnach in der sumergruB
brudir Huig von Almenhüs
der voit von Samelande
achthundirt man benande
Nicolais v. Jeroschin 24742 Strehlke;
bisz dasz buchenlaup herusz komet, welche zeyt man die
greusz {lies gruesz) nenet quelle d. 16. jhs. bei Fischer
schwäb. 3, 886; da einer ... in der gruesz dem andern
sein somen abgeschnitten (v. j. 1621) ebda;
es ist ein hirsch von hinn nit ferr,
der hat warlich groszen fusz;
dieweil es ietz ist in der grus {in der zeit des
möcht ir denselben fahen wol [graswuchses)
Teuerdank 33, 16 Qoedeke;
in der älteren Jägersprache die frühjahr szeit als die Schon-
zeit des vnldes, so 'die hegezeit von Walpurgis bis Johanni^
Schmellbr-Fr. 1,1014; Kehrein wb.d. weidmannsspr. 149,
vgl. gruszzeit: der haas darf auch im frühüng in der
gruesz zum lust und kurzweil gesezt werden {v. j. 1609) nach
BiRLiNOER schwäh.-augsb. 205; in der grüsz und auf den
samen soll man keine hasen schieszen oberpfälz. landes-
ordn. V. 1657 bei Schmeller-Fr. 1, 1014; wird die grose
verstanden und gerechnet von domin. judica bis den
10. august patent v. 11. dec. 1705 bei Kehbein o. a. o.
5) nicht sicher hier anzuknüpfen vereinzelt belegtes gruus
kleine köder fische Mensinq schlesw.-holst. 2, 502, dazu
gruusslep kleines zugnetz; vgl. grusenetz, grusegarn flsche-
reigeräte [zum fang der fischbrut?) Sanders 2,430" u. 431^,
s. auch grühnetz sp. 635; dazu grüseck, m., name des
flaches asellus virescens Adelung 2, 836 ?
^GRUSEL, m., auch grüsel; postverbale bildung von
gruseln, gruseln. 1) die empfindung des gruselns; der kälte-
schauer: es toufEend sich vil, die im toufif nüt dann den
grusel des wassers empfindend L. Jud von wahrem und
falschem glauben {1526) 8 4*'; schauder der angst, furcht:
grusel und f orchte scheiden von euch nicht, wo ir wandert
und wonet ackermann aus Böhmen 4 {var. zu 1, 15) Bernt;
der soll nit gan in die versamlung und rat der ketzeren,
{sondern) ein schuhen und grusel darab haben L. Jud
au^legung d. ersten psalmen (1520) 7**. seit der mitte des 10.
bis ins 19. jh. unbelegt, dann wieder in gebrauch als neue
ableitung von dem durch das Grimmsche märchen neu ver-
breiteten vb. gruseln («. d.): keine stadt und keinen namen,
die mir so mit schreck und grusel imprägniert schienen
Fontane I 4, 23; versteckplätze {mit) ihrem glück und
grusel ebda 4, 271; zu dem grusel \ind schauer, den man
von dem anblick des räubers erwartete E. v. Wilden-
bruch novellen (1883) 173; sehr sinnkräftig : wenn mein
name bei ihnen genannt werde, so gehe einem ordentlich
ein 'grusel' von oben runter Bismärck briefe an s. braut
u. gattin 135; ein grusel stieg mir auf Fb. Th. Visoher
aux:,h einer (1879) 2, 334, für die maa. häufig mit gruseln
zusammen notiert z. b. grüsl schauder, beängstigender zu-
stand Lexer kämt. 126; grusel Knothe Nordböhmen 273;
lux. ma. 167*^; grusel 'grausen, nervöses zittern^ rhein. wb.
2, 1470; Creoelius oberhess. 442; Damköhler Nordharz.
66»; Frischbier preusz. l, 254, 2) etwas, was gruseln
macht; von einem schlechten pferd:
der knecht erschrack ob diesem allen,
in dem war gleich sein grusel {im Wechsel mit merrhen)
stallen {urinare) H. Sachs 9, 316 lit. ver.;
ein solcher grüsel {grausige gestalt) Gotthelf Uli der
Pächter (1850) 250, vgl. grüsel grober, roher mensch Seiler
Basl. ma. 149»; grusel häszliche person rhein. wb. 2, 1470,
s. auch gräusel. — gruselbang, adj.; manches märchen
gruselbang W. Jordan in talar u. hämisch (1899) 207.
'^GRUSEL, grüsel, n. auch f., junge gans; ostmd., obd.
dialektwort: grusel, auch grüsel 'junge gans, solange sie
noch mit gelbem flaum bedeckt ist' Mülleb-Fbaubeuth
obers.-erzgeb. 1, 447^; gruschel kleine gänschen, grusel gans
Anton Oberlaus. 1, 12; gruschel,/., Weinhold schles. 31;
grüsel, grisala 'gänschen' Schröeb ungr. bergl. 245; grusel,
auch grutzelein, gruschelein, grünlein 'gans, bes. in der
kindersprache' Fischee schwäb. 3, 885; s. auch Schweiz.
krüseli teil 5, 2478; die gruscheln sind die jungen gänse
J. D. KöHLEB schles. kernchronika {17 li) 2, 721; die junge
und lustige weit {der) grieschel und huschel, der jungen
gänse Retters Stoffsammlung in d. deutschen maa. Böh-
mens 53. in ableitungen gruselgelb: 'gelb wie die jungen
gänschen' Anton Oberlaus. 1, 12 ; 'grüselgelb sagt man {in
Bayern), wenn jemand sehr gelb aussieht' v. Klein pro-
vinzialwb. 1, 166; gruselgelb Zaupsee 33; grieschelgal
Pettebs stoffsamml. 30; gruselklein {Salzburg.) so klein
wie junge gänschen zs. f. dt. wortf. 4, 320; sehr klein und
zart Unger-Khull steir. 31li>, dazu gruseln, vb., schnat-
tern:
was wollt ihr mehr? der Streusand rüselt {die zeit ver-
und ob gleich bei dergleichen art [geht),
ein toller schedel altklug gruselt,
so bin ich doch wie er verwalirt,
weil, wenn mich stumme würmer reiszen,
auch ihn die stummen würmer beiszen
GÜNTHER ged. (1735) 922.
vgl. Schweiz, gruscheln, kruscheln 'lallen' Staldeb
Schweiz, id. 1, 486.
^GRUSEL, m., kies und steine untereinander; zu grus,
graus {s.d.): niemand soll grüszel oder materi in die
Stadtgräben werfen quelle v. 1730 bei Staub-Tobler 2,
810; auch auf nd. baden in gruselwerk: da etwa kalk und
gruselwerk begunte zu krümeln im glockenthurm, liefen
alle leute zur kirche hinaus Chph, Schultze stadt Oarde-
legen {Stendal 1668) 207,
GRUSELBEERE, /,, ribes grossularia, Stachelbeere; s.
auch kräuselbeere teil 5, 2097 und groszel-, grosselbeere
teil 6, 1, 6, 532; zur herkunft, Verbreitung und form vgl. Jos.
985
GRUSELBEERE - GRUSELIG
GRUSELN
986
MtJLLER in d. zs. d. rhein. ver. f. denkmalpflege 1929, 231
und Th. Frings Oermania Bomana (1932) 148. auch als
aimplex grusel, /., woneben zahlreiche Spielarten tvie gru-
schel(-), grutschel(-), grossel(-), greussel {s. d.) u.a.; oft mit
anlautendem d-, neben den g-formen, druschel(-), dro-
schel(-) u. a.; mit inlautendem -n-, wohl von grün beein-
fluszt grünzel [s. d.), grunsel(-), grün8cliel(-), grinschel, vgl.
auch Jos. Müller u. Frings a.a.O.; Grassmann pflan-
zenn. 95; Pritzel-Jessen l, 334. gebucht als groszelbeere
uva Spina bei Stieler stammb. 119; Weismann lex. bipart.
(1698) 2, 169; grunselbeere Weber ökon. lex. (1829) 210*.
lebendig vor allem in den rhein. und den angrenzenden obd.
UTid nd. maa.: Stachelbeere, Johannisbeere rhein. wb. 2,
1423^.; Stachelbeere Autenrieth pjälz. id. 58; Schön
Saarbr. 89*; Kehrein Nassau l, 176; Martin-Lienhart
1, 283; Ch. Schmidt Straszb. 64^»; Fischer schwäb. 3, 887;
chrüsel Stachelbeere, Johannisbeere Staub-Tobler 3, 862*;
kronzel Stachelbeere Leithäuser Barm. 87*, sonst selten:
gruseln Stachelbeeren {im lande ob der Enns) Popowitsch
557; grüselbeer Thurneiszer von wassern (1572) 117; die
einfältigsten zogen brot ausz dem busen, fünfpletterklee,
grüselbeer, kreutzblumen, mörzwibel Fischart Qarg. 364
ndr.; es kam ihr aber ein erschrecklich erbrechen ahn,
aber es ist kein wunder, sie hatte zwey stundt ohne auff-
hören in der comedie allerhandt wüstereyen gefreszen,
peche au caramel, kastanien, patte von gruszelbehren
Elis.-Charlotte V. Orleans briefe 2, 218 Holland; dazu
gruszelbeerhecke : alles ist grün im feit, die roszen und
gruszelberghecken Elis.-Charlotte v. Orleans briefe 4,
63 Holland; hierher auch: item mit dem eirsten hamel-
vleisch mit dein groisselrich ind catten, dairin hoinre ge-
braiden 1454 Köln, zunfturkdb. 2, 113 Loesch?
GRUSELEI/., von einem bild, das gruseln erregt: hier
in diesem versuche, zeigt sich immer noch ein gewisses
können; ein unerfahrener, nichtkünstler hätte die gru-
selei nicht zustande gebracht G. Keller ges. w. 2, 267. —
gruselgefühl, n., gefühl des schauderns Fontane von
20 bis 30 (1898) 105. — gruselgeschichte, /., Schauer-
geschichte: sie erzählten sich gruselgeschichten v. Omp-
teda Sylvester v. Oeyer (1900) l, 178.
GRUSELIG, gruslich, grüslich, adj. u. adv.; seit dem
15. jh. belegte ableitung von gruseln («. d.); vne dort ist eine
klare abgrenzung gegen graus-, gräus- nicht immer möglich,
s. grauslich, grauslich, grauselich; die Verbreitung in den
mundarten entspricht der von gruseln, 'schrecklich, furcht-
bar'': und das selbe swert was gestrecket gein dem gruse-
lichen volg, das der prophet etwan gesehen hett E.
Windeck denkvMrdigk. 354 Ältmann;
mit solchen grusellchen Sachen
verschwindt uns aller schimpf und lachen
J. Aal tragödia Johannis (1549) A 3;
{eine Verfolgung, die) so gar grausam, erschrecklich gruesz-
lich gewesen H. Gholtz leb. bilder (1557) l 1^; gruszlich
schreiende verschwand J. Schenck ein schöne chronica
(1522) 14; in Franckreich worden die Lutherischen grusz-
lich abgethan H. Gholtz leb. bilder a 2.^; in meist mdd.
vocabularien des 15. jh. als glosse zu terribilis Diefenbach
gl. 580^; sevus 531*=; severus, severiter 531^; crvdelis 159^;
distortus 187 C; abhominabilis 2^; als Steigerungsadv.: da
wart er grüsslich bekümret Eulenspiegel 84 ndr.; ander
fisch, die auch gruszlich lang und schmal waren (1509)
Balthasar Springer merfart b l*; noch heute mund-
artlich: grussehg schöne Autenrieth pfälz. id. 58; e grys-
lig vurnemen frau Hertel Thür. 109; gruselig überaus,
ungemein Knothe Nordböhm. 273, vgl. in dieser anwen-
düng auch grauslich und grausam, so wie heute schreck-
lich und furchtbar.
wie grusel, m., wird auch gruselig erst im 19. jh. wieder
literarisch im Zusammenhang mit dem durch Qrimms mdr-
chen neubelebten gruseln, vb. {s. d.), als ausdruck der sub-
jectiven empfindung des ängstlichen erschauerns: den hab
ich untergehen {und) ertrinken sehen; acht tage später
hab ich ihn helfen herausziehen ; {und) wie er da aussah —
hu — gruselig! Holtei erz. sehr. 7, 163; ich denk es mir
wie Vineta, poetisch, gruselig Fontane ges. w. I 4, 75;
ich habe ein biszchen gruselige freude, wenn ich daran
denke S. Hensel fam. Mendelssohn 2, 66; ich sah den
mond so gruszelich durch den groszen kastanienbaum
scheinen Gutzkow ritter v. geiste (1850) 2, 74; hier kann
einem ja gruslich werden Fontane ges. sehr. I 6, 416;
auf den empfindenden selbst bezogen: ihr macht einen völlig
gruslich mit euern geheimnissen, euern ceremonien!
Bauernfeld ges. sehr. 7, 125, vgl. gruselig schreckhaft
Reinwald hennebg. 2, 56 ; grusehg, grüsehg 'leicht grauen
bekommend' Fischer schwäb. 3, 886; gruslert ängstlich,
fröstelnd HÜGEL Wien. 71. zu graseln frösteln; Hans badet
jetzt {wo) das wasser gewisz gruselig war Th. Storm an s.
frau 109. zu gruseln als ausdruck für das empfinden eines
hautreizes überhaupt: dies grüsehche {der löschsand beim
streuen) nicht zum ertragen Fb. Th. Vischer auch einer
(1879) 2, 168.
GRUSELN, vb., gruseln, ein prickeln, einen schauder
empfinden; erschauern vor kälte, vor furcht; meist unper-
sönlich es gruselt mich, mir, daneben aux:h reflexiv, und,
besonders in älteren belegen, intransitiv, von physischen
empfindungen :
ey wie ist mir mein hals so rauch,
und gruselt mich in meinem baucht
das macht, ich bin heint drauflF glegen
Ayrek dramen 1, 562 Keller;
so bald nun {der) kopff anfangt zu schmertzen, der magen
zu gruszlen, und der doctor zu zweifElen, {da) fangt er an
zu gott zu seufEtzen Abr. a s. Clara Judas 2 (1689) 191;
desz groszen und starken trunck waszers gruszlet mir
alleweyl etwas bei den peuschel, allwo die zwo grosse
glocken lungel und leber henken, herumb Abele künstl.
unordn. (1669) 3, 80, vgl. die redensart: kaltes wasser gibt
läuse im bauch ; der zahn fängt an zu gruseln, zu schmer-
zen Frischbier preusz. l, 253*^; vom prickeln der haut:
gruselen /ormicare cutis Schönsleder prompt. (1618) e 4^;
Aler dict. (1727) 1, 991^ {das 'ameisenlaufen' als krank-
heitssymptom vgl. bei Höfler krankheitsnamenb. 207);
mundartlich es gruselt mir die haut von frost, vom kriechen
und krabbeln eines kleinen tierchens u. a. Schmeller-Fr.
1, 1013; es soll nicht auszusagen sein, was dieses grüsseln
des {auf den nabd gebundenen) kefers für eine plage
Habsdörffer schaupl. lust- und lehrreicher gesch. 2,
171. vor allem von der empfindung der kälte: grussein,
grisseln schaudern vor kälte {ma. in Fallersleben) From-
manns zs. 5, 146; griseln, gruseln /rösteZ«. Frischeier l,
253*>; grouselen eine gänsehaut bekommen Bauer-Collitz
waldeck, il^; wenn es einem über den leib gruselt Lexer
kämt. 126, vgl. auch grusler, m., 'eine art fieberfrosV
Hügel Wien. 71. als begleiterscheinung einer seelischen
erregung: ich zytter und grusel gantz, so ich sie angesehen
hon {tremo horreoque) Terenz deutsch (1499) 39*; insb. das
blut gruselt, öfter bei Hans Sachs:
ich zitter und grüsselt mein blut,
bald ich nur hört die wolgemut,
dasz ich kaum auf mein füssen steh
20, 7 lit. ver.;
vor angst dem knecht gruselt sein blut
ders. 2, 288 lit. ver.;
dein red thut gleich mein hertz bewegen
zu trauren und grossem unmut,
mir gruselt gleich im leyb mein blut,
ich bin geleich von hertzen schwach
ders. 15, 81 lit. ver.,
vgl. grus'ln 'das prickeln des blutes zwischen der haut, eine
unangenehme empfindung im innern überhaupt" Castelli
unter d. Enns 153; das herz krüselt mir Schmid schwäb.
wb. 243; vgl. auch grisseln.
im ausgehenden 16. und im 17. jh. nur noch spärlich
belegt {s. oben), fehlt gruseln dem Schrifttum des 18. jh. an-
scheinend völlig, seit 1819 kommt das wort mit dem Grimm-
schen mär chen von dem, der auszog das fürchten zu lernen,
in die literatur des 19. jhs. ebenso wie grusel und gruselig
{s. oben); nur vereinzelt auf die rein sinnliche empfindung
des rieselnden erschauerns bezogen: {als die königstochter
dem der auszog das fürchten zu lernen, einen eimer kalten
987
GRUSELN
GRUSELN -GRUSEN
988
Wassers mit kleinen, zappelnden fischen über den bloszen
leib gieszt) ach, was gruselt mir, liebe frau ! ja nun weisz
ich, was gruseln ist kinder- u. hausmärchen (1819) l, 25;
zumeist ist die anwendung eingeengt auf das erschauern vor
furcht und angst, wobei die physische empfindung als bedeu-
tungscomponente mehr oder weniger sinnkräftig ist: (wenn)
geschichten erzählt wurden, wobei einem die haut schau-
dert, so sprachen die zuhörer manchmal : 'ach, es gruselt
mir!' kinder- u. hausmärchen (1819) l, 14; dasz dem lehrer
s' hat gegruselt den ganzen rücken hinunter 0. Ludwig
ges. sehr. (1891) 2, 49; von einem geheimen gruseln über-
laufen starrten sie nach ihm hin Viebig d. schlafende heer
(1904) 1, 225; das wort 'Justiz' verursacht mir so ein hals-
wehartiges gruseln Nestroy ges. w. (1890) 3, 135; die
Schwestern gruselten sich und weinten Ompteda Sylvester
V. Geyer (1900) 1, 114; an langen Winterabenden, wenn die
weiber gruseln wollten, erzählte man sich geschichten
RoSEGGER sehr. I 3, 330; mir gruselts, wenn ich daran
denke Bauerneeld ges. sehr. 5, 105; gruselnd kraut sie
(dem zwerg) die borsten G. Keller ges. w. (1889) 10, 171;
mir hat schon lange vor dem gegruselt, was heraus-
kommen wird, wenn die uns einmal reinen wein ein-
schenkt über ihr häusliches glück Ebnek-Eschenbach
ges. sehr. 4, 463 ; brüllaffen gaben uns ein abendkonzert
und thaten so fürchterlich, als ob wir das gruseln lernen
sollten v. D. Steinen naturvölker Zentralbrasiliens (1894)
48; mit näheren bestimmungen, die den sinn des unan-
genehmen umbiegen: (sie guckten) mit köstlichem gruseln
durch die winzigen fensterscheiben Ebner-Eschenbach
ges. sehr. 6, 212; ich möchte den büchermacher kennen,
den nicht ein wundersames gruseln durchschauert, wenn
er (in) einen buchladen tritt Holtei erz. sehr. 39, 39; ein
ästhetisches gruseln H. Heine s. w. 6, 83 Elster; das an-
genehme gruseln A. Schnitzler d. grüne kakadu (1899)
169. in fester Verbindung jemanden gruseln machen: gru-
seln kann und soll den leser diese frostige allegorie nicht
machen jahrb. d. Grillparzerges. 9, 5;
(die Troer) welche du gruseln gemacht wie der löwe die
meckernden ziegen W. Jordan Ilias (1892) 233.
in den maa. ist die bedeutung ^schaudern vor furchV sehr
verbreitet, so grüsln schaudern bei Lexer kämt. wb. 126;
gruseln schaudern, kalt überlaufen XJnger-Khtjll steir.
311^5; ^\x&G\n fröstelnd, beängstigt sein Hügel Wien. dial.
71; gruseln schaudern Schmeller-Fr. 1, 1613; Knothe
schles. ma. in Nordböhmen 273; gruseln grausen mit dem
nebensinn des fröstelns Müller-Fraureuth obarsächs.-
erzgeb. 1, 447^; gruseln leise schaudern Hertel Thür. 109;
gruseln vor angst schaudern Damköhler Nordharz. 66^;
gruselen, es gruselt mir Fischer schwäb. 3, 886; gruseln
Mabtin-Lienhart elsäss. l, 283; gruselen, gruselen
Staub-Tobler 2, 808; gruseln grausen, ekeln Sartobius
Würzburg. 51; gruseln neben grisseln, grieseln Kehrein
Nass. 1, 175; rhein. wb. 2, 1444; 1470; grussein schwach
schaudern Woeste westfäl. 86**; gruseln leise schaudern,
frösteln vor kälte oder vor furcht Schambach Qöttingen 70^;
gruseln neben griseln Doornkaat-Koolman ostfries. 1,
703^; gruseln, gruseln (neben griseln, griseln) grausend
schaudern, frösteln Frischeier preusz. 1, 253^; selten in
Schleswig -Holstein Mensing 2, 502.
unsicher in Zugehörigkeit und bedeutung ist eine reihe
mundartlicher belege: gruseln jemand zum zorn reizen, er-
schüttern Lobitza id. vienn. 55*';
diende (dirndel) gea sag mer,
wie stellst es denn an,
dasz d' lieb aus dein äuglan
sou gruselen kann?
bei Lexee kämt. wb. 126;
gruseln vom auerhahn, gewisse locktöne ausstoszen:
das hahnl das gruselt sehen,
das hendl soll zuwi gehn
wildschützerUied bei Unger-Khull steir. 311'';
ach seht sein schönes kleines maul!
das gruselt wie ein ackergaul
(Thisbe über Pyramus in der liebesszene)
A. Gryphius lustsp. 35 Palm (Peter Squenz).
die Verbreitung in den sonst diphthongierenden dialekt-
gebieten verlangt als grundlage eisten stamm grüs-, neben
dem mit langem wurzelvocal grüs- steht, hauptsächlich ver-
treten durch grausen, graus und das bedeutungsparallele
gräuseln (s. d.). — neben grus- steht eine bedeutungsgleiche
Wurzel gris-, ebenfalls mit länge und kürze, vgl. Falk-Tobp
et. wb. 356 und s. v. grieseln und griseln, greislich und
greisemlich.
GRUSELN, vb., schnattern, s. ''grusel.
GRUSELNACHT, /..• nicht einmal eine regelrechte
gruselnacht (steht) uns bevor Fontane ges. w. I 4, 351. —
gruselstück, /., schauerstück:
ein kriminalroman, gekürzt
zum lach- und gruselstück, gewürzt
mit hasz und liebelzoten
W. Jordan im talar u. hämisch 91.
GRUSEM, subst., 'harter, gekörnter, gestandener oder ge-
ronnener honig^ Nemnich wb. d. naturgesch. 214: wenn
auf eine gehnde Witterung plötzlich eine sehr kalte folgt,
so körnt (sich) das honig in den bienenkörben. von der-
gleichen (körnigem) geronnenem honig oder grusem (ist
bereits) erwähnung geschehen Krünitz 4, 730; vgl. gru-
sam, grusem, grussem 'körnig, bes. vom schnee^ Statjb-
Tobler 2, 810.
1 GRUSEN, i;6.
1) zu gruse 2 pflanzensaft, 'den soft aus pflanzen aus-
pressen\ 'durch zerquetschen, stampfen, zerreiben eine
breiige masse herstellen", woraus die im nd. erkennbare an-
lehnung an grus (s, gruse sp. 982) verständlich wird; seit
dem 15. jh. bezeugt: auch sunderlich widder der leber hitze
mag man grüsen das krut und ufbynden Petrus de Cres-
centiis (Speyer o.j.) 110^ (valet ipsa herba contrita); de
schal grosen weghebreden unde huslok Oothaer arznei-
buch nach Schiller-Lübben 2, 154; schwarz gegrüset und
gednmken mit wein (v. j. 1485) nach Fischer schwäb. 3,
886; so in nd. maa.: grüsen aus kräutern den saft aus-
pressen Schambach Göttingen 70'i; grausen Woeste-
NÖRR. westfäl. 84^; greosen 'durch reiben, stampfen saft
aus pflanzentheilen bringen' (lippisch) Fro'mmanns zeitschr.
6, 210; uutgrosen saft aus den gewachsen pressen oder
ausziehen lassen brem. wb. 2, 549 (in Stade); hierzu wohl:
grösen grünes essen und kauen Doornkaat-K. ostfries. 1,
696^, vgl. auch rhein. wb. 2, 1470; in formalem anschlusz an
grüsen 'zerkleinern" (s. u. ^grüsen): grüsen contundere,
tcrere in sua liquore Schottel haubtspr, 1331 ; dieses krauts
nimpt man zwei oder drei handt voll, grüset das Burck-
haüd Mithobius seuche d. pestilentz (1552) p 4»; etwas
anders 'zu saft, pflanzenbrei loerden': nym rughelen ene
hant vul unde stot yt, dat yt grose Gothaer arzneib. bei
Schiller-Lübben 2, 154, vgl. grasen in seinem safft sein,
gestoszen Henisch 1770.
2) zu gruse 1 im schwäbischen: grasen 'die gipfel des
zu mosten kornes (dinkels) im frühjahr beschneiden"
Fischer 3, 886.
^GRUSEN, grüsen, vb., von grus, m., abgeleitet, 'zu grus
machen (oder werden), zerbröckeln, zermalmen', vgl. nl.
gruizen nl. wb. 5, 1173; gruysen redigere in rudus Kilian
etym. (1605) 164^, ähnlich bei Henisch 1760: grüsen, zu-
grüsen conterere, comminuere, vgl. A. Helvigitjs orig. dict.
germ. (1620) 147; gegrüset, gestam-pit farreum, farreatio
Henisch a.a.O.; grasen, grüsen zermalmen, in schutt ver-
wandeln Fulda idiot. 142, wohl aus dem nd. geschöpft, vgl,
grüsen zermalmen brem. wb. 2, 554, ebenso Vollbeding
plattd. 28; grasen reibend und knirschend zerkleinern ten
Doornkaat-Koolman ostfries. 1, 703; grüsen, danken
grüsen zu grus machen oder werden Mensing schlesw.-holst.
2, 504 u. 503; grasen Danneil altmärk. 71; grüsen sich in
grus auflösen, zerbröckeln Frischbier 1, 268 ; aus der Ver-
mischung mit ^grüsen in Zeugnissen des 16./17. jhs. ist sein
Vorhandensein bereits für das ältere nd. zu folgern, was die
Schiller-Lübben 5, 564 aufgeführten belege der Zusammen-
setzung togrusen 'zerkleinern' bestätigen, vgl. auch zer-
grusen; schwed. grusa ist dagegen nicht vor dem 18, jh. be-
legt, vgl. schwed. wb. 10, 1066.
989
GRUSENER — GRUSZ A
GRUSZ B 1
990
GRUSENER, subst., teil der rüstung, s. gräusenier.
GRÜSER, m., attch grusel, grüsel, grül, die doppel-
schnepfe, brachvogel, numenius, scolopax arcuata, vor allem
im Schwab, u. Schweiz. Fischer 3, 886; Statjb-Tobler
2, 812; numenius arquata gruser J. A. Naumann natur-
gesch. d. vögel 8, 478; der schnabel (der doppelschnepfe)
gekrümmt, die füsze graublau; {man) nennt sie grüsel,
grüel G. L. Hartmann vers. e. beschreibung d. Bodensees
(1808) 111, vgl. auch halbgrüel /ttr die 'regenschnepfe" bei
Brehm tierl. 6, 15 P.-L.
^GRUSIG, grusicht, adj., zu grase 2 und l, doch ohne
dasz im adj. beide ausgarogsbedeutungen zu trennen sind:
grusig, safftig, gestampfft, zustoszen, gestoszen succulen-
tus, contritus Henisch 1770; grusig succulentus, contritus
ScHOTTEL haubtspr. 1331; grusig mit grünem safte ver-
sehen Vilmar kurhess. 139; grösig grün, frisch, saftig TEN
DooRNKAAT-KooLMAN ostfries. 1, 697; tnd. und besonders
nd. im sinne 'nach herbem grünem soft schmeckend, unreif
schmeckend' , vgl. Vilmar a. a. o.; grusig was nach gras
schmeckt Frisch teutsch-lat. l, 380**; der braune kohl
schmeckt grusicht Adelung 2, 840; der taback . . . be-
stehet aus langen . . . blättern eines scharffen geschmacks
und grusicht schlafEbringenden geruchs Hohberg georg.
cur. 3, 2, 503; grosig grasig, grün, unreif brem. wb. 2, 549;
grosig unschmackhaft Mensing 2, 493, daneben auch grusig
unreif, sauer ebda 504 ; grusig, grosig wie gras schmeckend,
herbe wie unreifes obst Danneil altmärk. 71''; grösig un-
reif, roh, herbe ten Doornkaat-Koolman ostfries. 1, 697.
^GRUSIG, adj., von grus, m., abgeleitet; vom thee, der
mehr theestaub als blätter enthält Schütze holstein. id. 2, 78;
grusig vom kartoffelacker, vom honig {'körnig') Mensing 2,
504, vgl. gröselig in staub zerfallend, bröckelig Schambach
Göttingen 69'' und grusicht farreus, contusus, contritus
Stieler stammb. 712.
GRUSLING, m., quarz mit feldspat Nemnich l, 214:
unter die quarzwacken bringt er: grusling, granitling
allg. deutsche bibl. anhang z. bd. 25-36, 1195.
GRUSZ, m., salutatio.
grusz ist erst in mhd. zeit aus dem vb. grüezen entunckelt,
mhd. graoz st. m., md. grüz, gröz Lexer 1, 1105; mnd.
gröt, grüt Schiller-Lübben 2, 155 ; mtidl. groet Verwijs-
Verdam 2, 2158; ndl. groet woordenboek 5, 865; afries.
gret RiCHTHOFEN 785. über die etymologie vgl. grüszen.
daneben steht ein st. u. schw. fem., das dem obd. fehlt und
auch auf dem übrigen Sprachgebiete nur spärlich bezeugt ist,
s. niederrhein. Marienlieder z.f. d. altert. 10, 72, 1; 73, 27;
Heinrich v. Hesler apokalypse 214H Helm, weitere,
jedoch weniger sichere belege Lexer 1, 1106. vgl. mnd.
grote fem., mnl. groete, gruete, nl. groete.
A. grusz ohne jeden freundlichen beisinn, meist als feind-
liches entgegenkommen, angriff, anfechtung, anklage, in
diesem sinne nhd. nur selten, bei den jüngeren belegen ist
es unsicher, ob die alte bedeutung erhalten, literarisch wieder
aufgenommen oder ironisch aus der positiv-freundlichen
bedeutung gewonnen ist. anknüpfend an die bedeutung
grüszen 'reizen', 'antreiben' :
wierz ors üzem walap
mit sporen gruozes pine . . .
üf den poinder solde wenken
WOLFEAM Parz. 174, 1;
vorne speldet her {der stier) den vuz
durch des scharfen tribers gruz
Heinrich v. Hesler apokalypse 8452 Hdm;
vielleicht auch noch nachklingend als 'auftragt, 'befehV in:
lehrte ihr gleichen sprach und grusz : 'hüpfe kleine grille,
über das gebirge zu Ratibor, dem fürsten des landes,
und zirpe ihm ins ohr, die getreue Emma begehre ent-
ledigung ihrer banden durch seinen starken arm' MusÄus
volksm. 1, 15 H.;
nach gar vielen kehr- und wenden
war doch endlich diesz der schlusz,
einen boten ihm zu senden,
der ihm bringe diesen grus,
dasz er solt zu hofe kommen
Reinicke luchs (1650) 52.
als 'auff orderung zum kämpf oder auch 'kämpf:
dö vor her an ir möte
ind gaf in solhe gröte,
dat ir manich söchte den sant
Beethold v. Holle Crane 1592 Barttch;
si begunden so herten gruoz
einander beide bieten,
daz si die sclülte schrieten,
unz si der blöz wurden gar
Stricker Karl 11564 Bartsch;
da was ein kämpf zu Furt . . . zum ersten gras do {stach
der) burger einer den andern zu tot städtechron. 2, 9; das
geschwader {hat) diesen ersten und ernstlichen grusz {an-
griß) angehöret Reütter v. Speir kriegsordn. 89. weniger
sicher erscheinen: das sind märmer, die . . . mit dem ersten
grusz ihm den grosdank für den zweiten ersparen {gemeint
ist todesstosz) Schiller 3, 31 Q.; umgeben von tromm-
lern . . . und anderen musikanten, giebt er mit einem
ungeheuren tusch dem feinde auf den höhen gegenüber
den ersten grusz H. Grimm Michelangelo (1890) 2, 81;
da woUn ■wir steine sammeln, für unsre hand gerecht,
mit hartem grusz zu grüszen den ersten feigen knecht
W. MÜlLBB ged. 185 Hatfield.
als 'peinliche klage*, s. grüszen Alb und afries. gret 'klage' :
wand er die engestlichen trite
vor den hohen richter muz,
da im wol gibet herten gruz,
waz er ubels uf im weiz
passiondl 213, 44 Köpke;
hat der velscher boten gehabt zu dem gruze, di mac man
manen, als recht ist Freiberger stadtrecht {anfang d. li.jhs.)
im urkundenb. v. Freiberg 3, 47; vgl. ebda 92; 102; 112; mit
synonymen {s. deutsches rechtswb. 1, 733) : gestet he aber
an der anspräche unde an dem gruze 73. kemplicher
gruz {s. grüszen Alba): unde daz sal he teidingen, ee
he boten bite zu dem kemplichen gruze 86. vgl. auch
diebsgrusz teil 2, 1095.
als 'unglücksschlag', auch 'noV, 'leid':
got in ergazte maneger gröze genesis 105, 3 Diemer;
bedenche mlne wenicheit,
la dir minen gröz wesen leit ebda 64, 1;
leides gruz 21, 16; 71, 13. in solch genitivischer Verbindung
hielt sich die Verwendung bis ins spätmhd.:
wand Ich von ungemaches gruz
grobelichen sufzen muz
passional 199, 21 Köpke;
seit das der diebe dez todes grüz
umb einen kelich leiden mäz
kleinere mhd. erz. 19, 11 Leitzmann,
diese Verbindung öfter, vgl. ebda 26, 137; kl. mhd. erz. Xll,
26 Rosenhagen;
ez Ist ein ungelückes gruoz,
der gät für aller hande swsere,
daz ich von friunden scheiden muoz
Haetmann V. Aue minnesangs irühling 214, 23.
B. grusz als freundliches entgegenkommen ohne den feind-
seligen beisinn: salutatio Maaler 194^'; salutatio, salus
Stieler 713; salutatio Haltaxjs 757; grus, glückwün-
schung Salus, salulatio Henisch 1770,
1) als allgemeine höflichkeitsbezeugung beim zusammen-
kommen, vorübergehen, abschied, der grusz kann auf grund
einer formelhaften oder individuellen redeweise, meist einer
heiluMnschung, mit hilfe einer geste oder bewegung, durch
Übersendung eines briefes oder geschenkes oder durch ver-
mittelung dritter geschehen.
a) allgemein, es unrd nicht ausgedrückt, auf welche art
der grusz geboten unrd:
daz siniu chint und ir bam
an gruz von im wseren gevam
genesis 61, 19 Diemer,
weitere belege mhd. wb. 1, 582, auch im weiteren sinne von
'empfang' :
des gruozes si dö dancten den recken über al
Nibelungenlied 1125, 1;
991
GRUSZ B 1
GRUSZ B 1
992
ebenso 'gunaV, 'huld\ vgl. unten die formein grusz und huld,
grusz und gunst:
Ich Bihe wol, daz man herren guot und wibes gruoz
gewaltecllch und ungezogenllch erwerben muoz
WALTHKE V. D. VOGELWEIDE 32, 9;
ich pünd mich in der maid grüsz,
der rainen chäuschen himelporten
Konrad v. Megenbekq deutsche sphära 3, 50 Matthäi;
we mir, wie sol mir gesehen,
80 ich von got scheiden muzl
ich ban verlorn sinen gruz
kleinere mhd. erz. 6, 264 Rosenhagen,
daher die verbalen Verbindungen: eines gruoz erwerben,
gewinnen, s. mhd. wb. 1, 682. in nachmM. zeit ist dieser
besondere gebrauch nicht mehr bezeugt: si habent lieb die
ersten rue in den abentessen und die ersten stull in den
sjTiagogen und die grusz an dem marckt und ze werden
gerüffen von den menschen maister erste deutsche bibei 1,
87 lit. ver.; die frauen gewenen die liebhaber mit griiszen
und hübschen worten Albr. v. Eyb Spiegel d. sitten t \^;
(Pampinea) mit frölichem angesicht iren grusze gab
Abigo decamerone 12, 38 Keller;
wer dir begegnet aufif der Strassen,
den Boiltu für sich ziehen lassen,
unangeredt, on grüsz, on bscheidt,
on alle zucht und freundtlichkeit
Scheit Qrobianus 1169 ndr.;
vom ritter (den er lies im walde da zu fus)
er {Rinaldo) keinen abschied nam und bot ihm keinen grusz
DiETEiOH V. D. Werdke ras. Roland ges. 2, str. 19;
ihr grusz war ohne falsch Schwabe belustig, l, 487; was
ist seliger, . . . als der frohe grusz des manns, dem wir
gutes gethan Geszneb 1, 132; wenn dir an dem grusz
eines kleinen knaben etwas gelegen ist Meiszneb Alci-
biades 1, 21; menschen, die ... an ihm mit einem grusze
vorbeigingen Göthe 21, 136 W.;
erröthend folgt er ihren spuren
und ist von ihrem grusz beglückt
Schiller 11, 307 Oödeke;
doch ich weisz noch, dasz ich mit erbitterung aufstand,
als von allen meinen vorübergehenden bekannten keiner
mich nur eines gruszes gewürdigt hatte ebda 4, 69;
voll gedanken, wenig achtend
auf des Volkes grusze, das schon damals
nach dem edlen knaben staunend blickte,
folgte Carl Ulr. Hkgnkr ges. sehr. 5, 174 ;
er ging ergrimmt und ohne grusz davon
Geibel w. 6, 38;
wie er nun aber mehrere tage nichts von sich hören liesz,
und endlich, als sie allein mit ihm zusammentraf, auch
nur mit gewöhnlichem grusz an ihr vorüberging Melch.
Mbyb erzähl, aus dem Ries 1, 48;
wir ziehn euch demuthsvoll entgegen
mit blödem grusz und frommer scheu
A. V. Droste-Hülshoff 2, 236.
b) der grusz besteht in einer geste, einer gebräuchlichen
bewegung vne nicken, hutabziehen, handbewegung , handhusz
usw.: baise-main handkusz, grusz Wächtleb (1714) 51;
... er beut uns seinen kusz.
o unverhoffte wonnl o seelerquickend grusz 1
\ Geyphius trauersp. 128 Palm;
sieh, der knabe reicht dir die hand zum grusz Klingeb
neues theater 1, 9; ein grusz von Philinen, den sie ihm
aus ihrem fenster zuwinkte, versetzte ihn ... in einen
heitern zustand Göthe 21, 201 W.;
er kommt mit peitsch und sporen,
nikt freundlich jedem seinen grusz
Schiller l, 256 Oödeke;
der mann . . . nickte mir seinen grusz zu Pfeffel pros.
vers. 5, 10; ironisch: wohlgezogen reckt er zum grusze
gegen den vater die zunge maleb Müller 1, 152; die
dankbaren grusze, die mir Franziska häufig empomickte,
brachten mich nach und nach mit den eitern auch auf
den grüszfusz Holtei erz. sehr. 1, 39; das glück . . . trat
. . . herein, beide bände . . . zum grusz darbietend
W. Raabe hungerpastor (1864) 1, 6; so ziehen wir den hut
zum grusze auf der strasze Peschel Völkerkunde 75; der
grusz besteht in tiefem bücken Ratzel Völkerkunde 2, 200 ;
der alte Wurten zog die mutze tief zum grusze v. Polenz
Qrabenhäger 1, 121. über die sitte des schiffsgruszes s.
Kluge seemannsspr. 330.
c) der grusz besteht in Übersendung eines briefes oder
Überreichung eines geschenkes. grusz gewinnt die bedeuiung
brief, brieflicher ausdruck des gedenkens, der anteilnahme,
Verbundenheit: dasz fräulein Ulrike sich beschwert, von
dir seit langer zeit keinen grusz vernommen zu haben
GÖTHB 34,130 W.; es kann auch grusz durch Vermittlung
einer dritten person (s. u. e) bedeuten: der letzte hat neu-
lich meinem vater geschrieben, um sich nach meinem
bruder zu erkvmdigen . . ., dem er immer so viel grusze
nach Amerika schickte Caroline l, 8 Waitz;
gib nachricht jeden tag zu jeder stunde;
schon die minut enthält der tage viel. —
leb wohll kein mittel lasz ich aus den händen,
um dir, du liebe, meinen grusz zu senden
Shakespeare 1, 115.
grusz und brief erscheinen in formelhafter Verbindung:
grüsz oder brief entpfahen Scheit Orobiun. 3 ndr.;
weil du weder brief noch grusz deiner liebsten schickest ein?
Chr. Kkuter Schelmuffsky 44 vollst, ausg.;
nein, laszt euch an der gunst der kleinen zahl,
der euch ein brieflf, ein grusz, von mir empfahl
(die, achl stets kleiner wird!) genügen
J. A. Ebert episteln u. verm. ged. (1789) 6.
im schwäbischen und schweizerischen ist grusz auch in der
bedeutung ^geschenk' zu belegen: grüezli kleines geschenk,
welches als grusz übersandt wird Staub-Tobleb 2, 812,
vgl. da bring ich dir e grüszle mit ein kleines geschenk
FisCHEB Schwab. 3, 887. die kinder haben grusze, gefärbtes
papier, in den büchern als buchzeichen ebda.
d) der grusz ist eine anrede, bestehend in einer formel.
a) die worte des gruszes sind nicht genannt:
dö enwart d4 niht gesprochen
wan gruoz gegen gruoze gute frau 1813;
derohalben konte ich nicht vorbei gehen, ohne ihm mit
einem freundlichen grusz zuzusprechen Gbimmelshausen
4, 620 Keller; läszt sich ein könig mit worten abspeisen?
komm! dein fleisch wird süszer seyn als dein grusz
{spricht der löwe zum widder) Lessing 8, 57 L.-M.; aber
kaum sah er den teufel schärfer an, als er von seinem
gesiebte so begeistert wurde, dasz er alle worte des gruszes
vergasz Klingeb 3, 172;
sende all die kronenbinder,
jene blumen einzusammeln, . . .
deren namen dankespsalmen,
süsze grusze, Wohlgefallen,
wie unschuldge kinder lallen
Brentano 5, 216;
und der grusz der frommen lippe
fluch scheint in dem fremden ohr
Geillparzer 7, 119 Sauer;
er bot mit seiner sonoren, wohlklingenden stimme freund-
lichen grusz Immebmann l, 146 Bozb.; von den blühenden
Ortschaften an den weithin sich ziehenden ufern rechts
und links schallten grusze und winkten fahnen herüber,
und mit stolz wies man den gasten das wohlbekannte
land, die reichen Wohnsitze und Ortschaften G. Keller
5, 256; das flachsfeld . . . lag kaum weiter, als man einen
grusz rufen kann, vom wege ab Sohnbey im grünen klee
211. auf bestimmte gruszformeln weisen hin: sie {die
meisten menschen) sind wie jener rabe, der den grusz an
den kayser so fertig aussprechen kunte, aber selbst nicht
wüste, was er sagte die vernünft. tadl. (1725) 1, 13; spricht
Persius, wer hat underwisen den sittich sinen grüsz
Riedebeb spieg. d. wahren rhet. (1493) m 2^. unter Voraus-
setzung der kenntnis der jeweiligen gruszformel wird vom
üblichen, gebührlichen, angemessenen grusz gesprochen:
der älteste (der gesandtschaft) sprach den üblichen grusz,
hernach trat Authari selbst vor Gbimm deutsche sagen
(1891) 2, 30; und thät nach zuentbietung des gebürlichen
993
GRUSZ B 1
GRUSZ B 2
994
gruBz meine Werbung Schweinichen denkvMrd. 160 Ö.;
nachdem er einen angemessenen grusz vorausgeschickt,
li esz der gesandte sich also vernehmen Moltke gea. sehr,
u. denkw. l, 59.
ß) es wird eine formelhafte Wendung genannt:
ad) allgemein üblicher art:
*8it willekomen, hör wirf, dem gruoze muoz ich swlgen:
'slt willelcomen, hör gast', so muoz ich sprechen oder nlgen
WALTHKR V. D. VOGELWEIDE 31, 23;
nun willkommen im deutschen vaterlande, Emil! da sie
mir diesen freundlichen grusz nicht bringen, so musz ich
ihn zuerst aussprechen Holtei erz.schr. 3,130; 'guten
tag, herr förster', wiederholte . . . frau Böhmer den . . .
grusz auch ihrerseits Fontane I 6, 14; vgl. I 5, 2Z\. fremd-
sprachlich: signor Romeo, bon jour! da habt ihr einen
französischen grusz für eure französischen pumphosen
Shakespeare 1, 69, vgl.: wohl verstanden: ein altdeutscher
grusz hat bei mir mehr zu bedeuten als eine ganz ge-
horsamste empfehlung Schfbakt briefe l, 101. dem gott
grüsze dich, grüsz gott entsprechend ist die gruszformd
gott zum grusz in wort und brief, aber auch beim abschied
oder am briefschlusz gebräuchlich: gott zum gruesz!
Schwabe tintenfäszl (1745) ASii; gott zum grusz, herr
Redlich, ich bringe gute nachrichten Bätjeele kom.
theater 2, 48; gott zum grusz, mein söhn Andreas A. v.
Kotzebue sämmtl. dram. werke 18, 9;
fahr hin, fahr Iiin nun falle und Jagd,
und gott zum grusze, vielschöne magdl
Stkachwitz ged.(lS50) 68;
gott zum grusz, bruder Ulrich, das ist schön, dasz du
auch da bist Holtet erz. sehr. 7, 12; adieu imd gott zum
grusz PÜCKLEB brief w. u. tageb. 6, 126; gott zum grusz,
gnädige gräfin! Gbillpabzeb 11, 44 Sauer; gott zum
grusz 0. Ludwig 2, ll, vgl. Fischer schwäb. 3, 886. vgl.:
mit gott und grusz sei hier empfahn,
dann wird der teufel dir nit nahn
türimchriit, Fischer schwäb. 3, 886;
{enget:) Maria syst gegrüezt von gottl
du, die der herr begnadet hott.
(Maria:) was gruez ist das?
FUNKEliiN (1553) bei Staub-TOBLBE 2, 812.
die heute gewöhnlich an das ende des brief es geselle grusz-
formet des absenders an den empfänger wurde in älterer
zeit in ardehnung an den lat. gebrauch allgemein zu beginn
des briefes geboten, vgl. das ist der grus, wie man pflegt
vom an die brieff zu schreiben Luther 14, 15 W.: Clau-
dius Lisias sendet den grusz Felix, dem bessten lichter
{ Cl. L. optimo praesidi Felici salutem) erste deutsche bibd
2, 387, 35 lit. ver.; an den Bock zu Leyptzck doctor Mar-
tinus Luther, dem Bock zu Leiptzck meinen grusz
Luther 7, 262 W.; dem strengen imd ernvesten her Se-
bastian vom Rotenhan ritter, meinnen lieben Schwager,
entbeut ich Ulrich von Hütten . . . meinen freüntlichen
grüsz Hütten opera l, 323 Böcking; Theophrastus mei-
ster Leoni . . . sein grusz Pabacelsus opera bücher u.
sehr. (1616) 2, 637.
ßß) besondere, in bestimmten kreisen gebräuchliche grusz-
formeln. die handwerker haben ihre eigene gruszformel,
vgl.: bey den handwerkem ist die gebung und bringung
des gruszes, wozu jedes handwerk seine eigene formein
hat, ein sehr wichtiges stück, indem keiner von einem
orte weggehen und bey einer Innung fortkommen konnte,
ohne den grusz von dem meister und den gesellen des
handwerkes empfangen zu haben ELrünitz 20, 291. von
den salzgewerken zu Halle heiszt es: jr grusz ist: gott
förders werk Mathesius Sarepta ll5'>; vgl.: sie meinten,
dasz ich meinen wünsch wohl erreichen würde, und lehr-
ten mich den üblichen grusz 'glück auf !', womit ich den
Steiger anreden sollte Novalis 4, 114 Minor, vgl. Mine-
bophilus bergw. lex. (1730) 317. — der eidgenössische
grusz ist 'die feierliche eröffnung der allgemein-schweize-
rischen tagsatzung sowohl, als die anrede eines jeden depu-
tierten der Schweizerkantone bei derselben^ Staub-Tobler
2, 812: diesen morgen wurde die ceremonie des eidge-
IV. 1. 6.
nössischen gruszes in der Jesuitenkirche mit vieler feier-
lichkeit begangen Pückler briefw. u. tageb. 2, 140.
e) der grusz wird als zeichen des wohlwollenden gedenkens
oder auf grund gesellschaftlicher höflichkeit einer person
durch eine dritte person ausgerichtet, in rede und brief:
geh, sage mich indessen
mit grüBzen wahrer treu dem lieben Jauer an
GÜNTHER ged. (1735) 677;
mit freundlichem grusze läszt er dir sagen Klingeb 3,
154; wollen sie die gute haben, eins der exemplare an
Niebuhr mit meinen freundschaftlichsten grüszen zu be-
sorgen W. v. Humboldt br. an Welcker 143 ; noch ein hand-
schlag, 'grüsze an die deinigen' und der wagen rollt fort
Hebbel briefe 1, 79 W.; die herzlichsten grüsze und Ver-
sicherungen meiner liebe an die eitern Bismabck briefe
an s. braut u. gattin 11; nochmals herzlichen grusz an die
Schwestern und Vips Moltke ges. sehr. u. denkw. 4, 6,
s. auch die verbalen Verbindungen unter 4 b.
2) grusz in religiösem Zusammenhang:
a) grusz erhält die bedeutung anrufung {des göttlichen
Wesens), gebet: im Capitolio starb Aulus Pompeius, wie
er sein grusz gegen den götteren uszgerichtet Eppen-
DOEF Plinius (1548) 33; die nackten weiber bringen in der
reihe diesen nackten heiligen grusz und anbetung Zim-
MEBMANN et7wamfcei< l, 343; wenn ein weib zu bette gehet
und grüszet die steme am himel, so nimmt ihr der geyer
oder habicht kein jung huhn . . .; wenn sichs alsden be-
giebt, dasz ihnen die jungen hüner unverletzt bleiben,
so vermeynen sie, dasz wahrhafftig der grusz, den sie
an die stemen gethan, solchen schütz zuwege gebracht
habe J. G. Schmidt rockenphilos. l, 203.
b) eine besondere rolle spielt hier der englische grusz,
grusz des engeis u. ä., d.h. die anrede und folgende
mitteilung des engeis Gabriel an Maria, also Maria Ver-
kündigung, des weiteren au4:h das gebet ave Maria und die
malerischen gestaltungen von Maria Verkündigung:
a) Gabriels grusz und mitteilung an Maria: der enge-
lisch grusz war Marien wunderlich in ihren äugen Lutheb
7, 562 W.; jetz hört der englisch gruz uf , das ist der
engel hat nit wyter gesprochen Zwinoli deutsche sehr. 1,
92; und do ist ein kirch gewesen, do wardt unser frauen
der grusz geben von dem engel Gabriel Schiltbebgeb
reisebuch 73 lit. ver.;
80 heists ave ein grusz so fein
Maiiä der jungfrawen rein
vom engel Gabriel so schon,
sie solt geberen gottes son
Eyeeino proverb. 1, 780;
vielleichte haben die alberstoltze ihr absehen auf des
engeis grusz gegen die hochgelobte Jungfrau Maria Pbä-
TOEius der abentheuerliche glückstopf (1669) 363;
mit heyl! empfleng sie (Eva) der engel
und gab ihr den heiligen grusz, den er lange nachher
gegen die hohe Maria, die zweyte Eva, gebrauchet
Zaohariä poet. sehr. 7, 151;
den näheren ton zu christlichen gesängen gaben indesz
die lobgesänge Zacharias und der Maria, der grusz des
engeis . . . Hebdeb 18, 14 8.
ß) das ave Maria als gebet, anredeformel an Maria: wir
. . . gryeszen die mit dem engelischen grüsz manuale
curatorum predic. prebens modum (1516) 57*; wir be-
nügen uns an wenigen, als einer der sein gebett mit
einem engelischen grusz uberlaufft Fischabt binenkorb
(1588) 177''; das vater unser und den englischen grusz zu
beten Bbentano 4, 21; den englischen grusz kann ich
nur noch bruchstückweis Bettine die Günderode l, 171.
y) der englische grusz als bilddarstdlung von Maria
Verkündigung: vil ave Maria werden gesprochen vor ge-
maltem englischen grus, die sonst underwegen beUben
Bebthold v. Chiemsee theologey 596 Reithm.; genug, sie
haben dieses werk ... in einem winkel . . . setzen lassen,
v/o es nun schon seit mehr als hundert jähren zwar ein
wenig besser als Veit Stoszens englischer grusz in seinem
sacke steht Nicolai reise d. Deutschi. u. d. Schweiz l, 219;
es folgt der englische grusz (gemälde) GtÖthe 24, 15 W.
63
995
GRUSZ B 8
GRUSZ B i
996
c) vereinzelt begegnet auch die bezeichnung evangelischer
grusz u. ä.: das brüder Frantz seinen brüdern für-
echreybt den evangelischen grüsz, der frid sey mit
euch, ist ain teüfelischer betrug Eberlin v. Günzburg
3, 62 ndr., vgl. : ingleiohen giebet der schöne grusz friede
sey mit euch nochmals gelegenheit vom frieden zu reden
Chr. Weise polit. redner (1677) 638; bald fiel dem predi-
canten ain evangelischer grüsz ein Jon. Nas das antipap.
eins und hundert 2, b8*; grusz des Christen: (er) stand
nun vor dem junger des herm. der redete ihn an mit
dem grusze des Christen: gelobt sey Jesus Christus
AuRBAOHER volJcsbüchlein (1835) 6.
3) in poetischer oder gehobener spräche kann grusz aus-
druck des gefühles der begrüszenden freude, der freudigen
anrede, der Sehnsucht usw. sein, der pathetische sinn
dieser besonders auf die natur angewandten au^drucksweise
ist meist offenbar:
a) grusz an die ruUur und ihre er scheinungen:
der letzte trunk sei nun, mit ganzer seele,
als festlich hoher grusz, dem morgen zugebracht
GÖTHB 14, 41 TT.;
sieh, beym grusze froher lieder
steigt die sonn empor
GOTTEE 1,14;
gruisz dem tage,
grusz den tagesstunden,
grusz der tagesdämmrung !
FOUQUÄ hdd des nordens (1810) 1, 68;
vergisz mich nicht und denke darauf, wie du die ufer des
Rheines einmal begrüszen kannst — sie werden dir deinen
grusz lebendig zurückgeben, denn deine alte freundinn
steht an der brücke Caroline 1, 95 Waitz;
und die erde hört ihn (den lern) klingen,
breitet weit die arme aus,
sehnsuchtsvolle grusze dringen
heimlich in die nacht hinaus
Arbnt, Conradi, Henckell mod. dichterchar. 190.
b) umgekehrt geschieht der grusz der natur, ihrer er-
scheinungen und der auszermenschXichen wesen an den
menschen jisw. der grusz wird meist akustisch oder optisch
empfunden:
a) das singen oder schreien der vögel gilt jus grusz:
{voenn) die lerche . . . dem morgen den grus der Schöpfung
singt
Dusch verm. w. (1754) 113;
des adlers grusz, der lerche sang,
des menschen dank
BChaUt, sonne, dir zum lobgesang
Stolbeeq gei. w. 2,, 222;
ß) das rauschen der bäume erscheint als grusz:
da klinget so herzlich und süsze
im garten ein inniges lied.
die bäume, sie senden ihr grusze,
die blume lauschend ihr blüht
Bekntano get. sehr. 2, 119;
und, als wollt der herr vom himmel steigen,
hört ich wieder durch das tiefe schweigen
rings der wälder feierlichen grusz
ElOHENSOEF (1864) 1, 401;
y) der die bäume bewegende wind ist der entbieter des
gruszes:
vor dem fenster durch die linden
spielt es wie ein linder grusz,
lüfte wollt ihr mir verkünden,
dasz ich bald hinunter musz?
EIOHENDOEF (1864) 1, 589.
d") das nicken der zweige, die Wellenbewegung des Stromes
und andere optische beobachtungen gelten als grusz:
und wenn alle zweige sich neigen
und nicken dir grusze zu,
berzliebste, das ist mein sehnen,
hat nimmer rast und ruh
WiLH. MÜLLEE ged. (1868) 1, 76;
gleich leichtbeschwingten liebesboten jagen
die silberströme hin durch nacht und grauen,
dem oceane von den hohen frauen {den Alpen)
manch einen sehnsuchtsvollen grusz zu sagen
Heeweoh ged. einet lebendigen 1, 49;
an den ufern dieser tiefen Charente, in welche die fluth
des oceans täglich heraufsteigt wie ein grusz gnädiger
gottheit Laube 3, 160; so sah er in dem auftauchen der
turmspitze einen grusz 0. Ludwig l, 149; wenn sich der
Wanderer . . . westwärts wendet, so wird ihm zwischen
unscheinbaren hügeln bald hier bald da ein stück däm-
merblau hereinscheinen, grusz und zeichen von drauszen
ziehendem gebirgslande Stifter l, 212.
e) das glänzen der Sonnenstrahlen oder ihre wärme gilt
als grusz. Hartmann spricht vom grusz des wetters :
daz der süezen weter gruoz,
d& von diu werlt gesten muoz
und diu heimliche linde
von regen imd von winde
mir sint also gemeine
als ob ich waere reine Gregorius 3529;
den ersten grusz der morgensonne zu erwarten A. v. Ar-
nim 1, 59 Orimm;
wie rosen aufgehn von der sonne grusze
TiBCK (1828) 1,307;
vielleicht weckt dich der morgensonne grusz
POGOI tust. komödienbücM. 4, 37.
vne mit dem grusz der morgensonne die Zeitbestimmung des
morgens verbunden ist, so auch mit des mittags grusz die
Zeitbestimmung des mittags:
so hoch hebt Moro nicht den fusz,
wenn er den ganzen tag
sich mit der arbeit kerkern musz,
als wenn er, auf des mittags grusz,
der Schüssel denken mag
Michaelis einzelne ged. 145.
c) grusz mit abstracten in attrib. gen. :
der grusz der liebe ist zeichen, äuszerung der liebe:
es hörte diese zelle
noch nie der Hebe grusz J. G. JAOOBI 1, 97 ;
du hast aus deinen lilien, deinen rosen
den grusz der liebe mir gebracht
Hoffmann v. Fallkesleben l, 32.
der grusz der begeisterung als erstes auftreten der 6c-
geisterung:
und er musz berr sein, wie ich singen musz
und bilden, wenn mich der begeistrung grusz
geweckt hat Müllnee dram. w. 3, 97.
4) verbale Verbindungen:
a) der grusz geschieht als directes zeichen der aufmerk-
samkeit von person zu person, wesen zu wesen: ablegen:
einen grusz ablegen kann sowohl grüszen wie begrüszen,
besuchen, einen besuch ablegen bedeuten: maszen ich ihme
auch bey erster meiner ankunft einen grusz abgeleget
S. v. Birken fortsetzung der Pegnitzschäferey (1645) 14;
dasz er seinen unterthänigsten grusz bey derselben nicht
könte ablegen Rist das friedejauchz. Teutschland (1653)
93; das bürschel . . . leget mit aller höfflichkeit so gut er
konnte seinen grusz ab Abraham a s. Clara etwas f. alle
(1699) 2, 32; deren er alsobald den göttlichen grusz imd
seine botschafft ablegte v. Birken ostländ.lorbeerhayn
(1657) 392. — ausbieten: hergegen wirt . . . allen schiffen
. . . ein grusz auszgebotten Fronsperger kriegsbuch (1578)
1, e 1^. — bieten: der meiste theil unter denen vom
adel auf dem lande . . . lassen sich bedüncken, wenn
sie einem diener göttlichs worts einen grusz bieten, . . .
ihr schildt und heim würde ein loch davon bekommen
Dan. Schaller theol. heroldt (1604) 80; ich bot der Jung-
frau meinen grusz A. v. Arnim w. 13, 85 Orimm, vgl.
Reinke oem, ik bede iu nünen groetl
Reinke de vos 49 Prien.
— bringen: da sie mir diesen freundlichen grusz nicht
bringen, so musz ich ihn zuerst aussprechen Holtei erz.
sehr. 3, 130. — empfangen: ein grüsz empfahen salutem
accipere Henisch 1771;
ich hab kein grusz empfangen nie
Muknek narrenbeschw. v. 39 ndr.;
grüsz oder brieff entpfahen Scheit Qrobianus 3 rtdr. —
entbieten, in älteren quellen häufig belegt, diese Verbindung
997
GRUSZ B 4
GRUSZ B 5
998
gehörte zum brief- und urkundenstü, vgl. einen grusz ent-
bieten salutem impertire Stieler (1691) 713; Maalek 194^ ;
Henisch 1771: embietten wir Adrianus . . . unsem grus
das summerteil der heyligerdeben (1472) 599^; ich enbutt
dir gern Lucrecia in geschrift minen grusz Niclas von
Wylb translat. 33 Keller; der konig Alexander entbeut
Beinem bruder Jonathe seinen grus l. Maccabäer 10, 18;
(sie) im iren freuntlichen grusz enpot Arigo decamerone
274 Keller; ich . • . entbiete Lucifem, der hellen grosz-
fürsten, meinen grusz Ayeeb histor. processus juris
(1600) 333;
edler Pregel, dessen flusz
nie sieb seelischer kan schätzen,
aufl entbeut jetzt deinen grusz
diesem thewren weltergetzen
S. Dach in Königsb. dichterkreis 24 ndr.;
superi inferis scUuiem . . . das ist, die obem entbieten den
untern ihren grusz Prätorius anthropod. Pluionicus (1666)
1, 78; ich graf Kxafft . . . embüte . . . dem Stoufiacher
landtammann zu Schwitz min getrüwen grusz und alles
lieb TsCHUDi chron. Helv. 1, 156, vgl.: sie beschlosz nach
der Wartburg zu eilen, ims aber befahl sie, die zarten
kinder in diese Stadt zu geleiten und den guten bürgern
von Eisenach, wie sie sagte, mit ihrem grusze zu ent-
biethen, dasz sie ... Meisl theatral. quodlibet 1, 201. —
erwidern: sie erwiderte leichthin den grusz der beiden
älteren herm Fontane I 5, 22, vgl. Göthe 24, 73 W.
— geben:
mit heill empfieng sie {Eva) der engel
und gab ihr den heiligen grusz
ZACHAßii poel. sehr. 7, 161 ;
alle gaben freundlich um die wette
sich die ersten grüsze Heeder 25, 196 S.
— sprechen:
sie gpr&chen gruoz nach zühte kür
Wolfram Parzival 84, 19;
vor tafel erschienen die zimmerleute — . sie sprachen
ihren grusz Götee 17, 155 W, — tun: begegnete ihnen
ein grauröcklein, that seinen grusz und fragte Grimm
deutsche sagen (1891) 1, 47, kann auch einen wink geben
bedeuten, vgl. Kluge rotwelsch 89 v. 200, — wechseln : was
gesellschaft und anspräche hat man auff dem dorff, als
mit einem groben baurenrülpen einen grusz zu wechseln?
Harsdörfer teutscher secretarius (1656) 1, 100, vgl. G. Kel-
ler 1, 175. — zurückgeben: sie werden dir deinen grusz
lebendig zurückgeben Caroline l, 95 Waitz. — zuwin-
ken: ein grusz von Philinen, den sie ihm aus ihrem fernster
zuwinkte Göthe 21, 201 W. in poetischer spräche auch
lächeln:
da kommt der lenz, der schöne junge . . .
und lächelt seinen grusz Lenau 26 Barthel.
— singen:
wenn . . .
die lerche . . . dem morgen den grusz der Schöpfung singt
Dusch verm. w. (1754) 113.
b) der grusz loird überbracht, bestellt oder durch eine
tnittelsperson aufgegeben: ansagen:
ich seit
euch von im einen grusz ansagen
H. Sachs 17, 6 lit. ver.
— aufgeben: sie ... mir noch einen grusz an meinen
könig aufgäbe Ant.Ulr. v. Braunschweiq Octavia (1677)
1, 178. — auftragen: Leontine trug ihm an dieselbe seine
schönsten grüsze auf Eichendorf (1864) 2, 119. — aus-
richten: leben sie recht wohl, und richten viele grüsze
von mir aus Göthe 23, 148 W.; von all dieser pracht
überrascht, wuszte Johannes kaum, wo die äugen hin-
wenden, und geriet nur mit einiger mühe dazu, der auf-
schauenden frau Kunigunde den grusz des bischofs aus-
zurichten und ihr seinen brief zu übergeben G. Keller
6, 59. — bestellen: und wenn Quaas nicht da ist, so be-
stelle der frau meinen grusz tmd sei . . . manierUch Fon-
tane I 6, 305. — bringen : denn wo ein student bey einem
Professor um etwas anhalten wiU, da bringt er zuvor
einen grusz von vornehmen leuten Chb. Weise polit.
redner (1677) 177;
der königin von England
bringt meinen schwesterlichen grusz
ScmLLEE 12, 568 Gödeke;
ich bring euch so viel grüsze, dasz ich nicht weisz wo
anzufangen Göthe 8, 43, 3 W.; er brachte mir grüsze von
dem fernen geburtslande Steffens was ich erlebte 1, 99. —
melden :
allen und jeden, die lesen und bezahlen,
melde meinen grusz zu tausend malen
KOETDM Jobsiade 1, 4 ;
sie schritt auf den bauer zu, meldete ihm einen grusz
von seinem hochwürdigen herm bruder . . . Anzenqbuber
3, 125. — sagen: sag jhm mein freundlichen gruesz Fer-
dinand v. Tirol spec. vitae hum. 79 ndr. — vermelden:
wenn die gesandten . . . kähmen, solten sie ihnen seinen
grusz vermelden A. Olearius pers. reisebeschr. (1696) 26;
Mars, . . .
vermeldet hier durch mich zwar einen schönen grusz
Henrici ernst- scherzh. u. tat. ged. 1, 52;
vermelden sie ihr meinen groszen deutschen, schwäger-
lichen grusz S0HITBART brieje 1, 219 Strausz. — zuschrei-
ben : er hat befohlen, das du mir einen grusz zuschreibest
mandavit, ut mihi salutem adscriberes Henisch 1771.
b) formelhafte nomirudverbindungen, besonders im brief -
Stil: grusz und dienst; grusz, dienst und gnade:
Attaganoras im pot
sein dienst und seinen halden grüs
Heinrich v. Neustadt ApoUonius 16347 Singer;
gottes gnad, meinen grusz und dienst zuvor volksb. v. dr.
Faust 3 Braune; junckher, euwrer guter freund Gandales
läszt euch seinen freundtUchen grusz und dienst ver-
melden Amadis 49 Keller; . . . wenn ich euch mein
grusz, dienst und genade . . . angeboten Mathesixts Sapt.
(1578) 4i> ; zületst bot ich jm dienst und grüsz Schwaszbn-
BERO Cicero (1535) 159^; dem emnesten ... Francisco
von Sickingen entbeut Ulrich von Hütten . . . seynen
freuntlichen grüsz vnd wilUgen dienst U. v. Hütten 1,
247 Böcking. vgl. : in diesem 2. theil sind die formular der
grusz und diensterbietungen ... zu ersehen Habsdörffbb
teutscher secret. 1, 10;
vermeld ihm meinen grusz, samt dienstergebner treu
Grob dichter, versuchg. (1678) 53.
— huld und grusz:
um sine hulde und sinen gruoz
BÖ diente si ime alle wege
Hartmann armer Heinrich 308.
— grusz imd gimst: unse gunst vnd frimtlichen gruz
vor (1386) Bauer-Collitz 301; wir, Philipp Rudolf, ent-
bieten allen und jeden bürgern, inwohnem imd haus-
genossen der stadt Glaz imseren grusz und gunst acta
publica 7, 157 Palm; imsere gunst, gnädigen grusz,
freundschaft, freundliche vnd ganczwillige dienste zuvom
1, 31, vgl.: unsern gunstlichen grus bevor, ersam weiz
xmd besunder lieb städtechron. 4, 197. — grusz und segen:
Clement den lieben sünen, abbt und convent des gotzhus
der groszen Ow . . . unsem grüs und bäbstlichen segen
Öheim Reichen, ehr. 139 lit. ver. unsem grusz und aposto-
lischen seegen zuvor, geliebter söhn HLtppel lebensl.
1, 58 u. ö. — friede und grusz : Esra dem priester und
schrifftgelerten im gesetz des gottes von himel fried
und grus Esra 7, 12. — grusz und heil: vil grüsz, hau
vnd gsimthait sey mit vns allen ! Albr. v. Eyb deutsche
sehr. 2, 65 Herrm.; grusz und heil in der nähe und nach
allen selten (xÖthe 41, 21 W.;
habt grusz und heil, geliebte Rosalinde
Shakespeare 4, 262,
vgl.:
Porsenna köngklich mayestat
entbeut dem römischen senat
sein grus, wolfart, heyl und gelück
H. Sachs 8, 214 lit. ver.;
ich I^iblius, tribun, entbiete grusz
und wünsche heil und wohl den bürgern Borns
COLiJN Regulus 20.
63«
999
GRUSZ B6-GRÜSZBAR
GRUSZBARKEIT — GRÜSZDICHGOTT 1000
— grusz und andenken: es ist mir gar lieb, dasz J, L.
mein vetter, der landtgraflF, meinen grusz undt ahn-
dencken so gar güttig auffgenohmen hatt Elisabeth
Charl. V. Orleans br. l, 27 Holland. — grusz und hand-
schlag: dafür bekam Viggi dann von den rachsüchtigen
correspondenten doppelt so viele unfrankierte Zusen-
dungen mit 'grusz und handschlag' und heimlichen Ver-
wünschungen G. Keller 5, 147. — grusz und kusz:
gleych wie Judas gellt nam und mit frimtlichem grus
und kusz den herm gab yn seyner feynde hand Luther
10, 1, 1, 65 W.;
vf&n kus und grus ist aus,
dan scheitzet ehrst im hertzen,
der kleine wühtericli
Zesen verm. Helikon 1, 142;
in der weit findet man . . . Joabs grüsze, Judas küsse
BüTSCHKY Pathmos (1677) 324;
lord Ashley, sag ich, kom . . .
ihm grusz und kusz zu geben
Gottsched neueste flted. (1750) 114;
und so nimm grusz und kusz J, v, Müller s. w. 5, 125;
von dem sogenannten lustigen örtl sahen wir den see
noch einmal, . . . die andern warfen grüsze und küsse
zurück A. Stifter s. w. l, 149 ; und geben sie den kleinen
viele grüsze und küsse von mir aua Schleiermackers leben
1, 106.
6) Sprichwörter:
grusz kompt von hofiE schöne weise klugr. {15i8) 76^;
grusz kompt von hof vnd grossen leuten Henisch 1772,
zur erklärung vgl.: der herr Jesus ist ja ein könig der
ehren, er weis von ehren zu sagen, er macht den an-
fang, sich umb uns zu bekümmern, wie grosze ehrliche
herren pflegen, drumb saget man: grusz kömpt von
hofe V. Herberger herzpost. (1613) 91; guter grusz ist
halbe speisz Franck sprichw. (1541) 2, 67'', vgl. Lehman
ilor. polit. (1662) 3, 132. guter grusz ist viler kranckheyt
büsz Franck sprichw. (1541) i, 112^, vgl. schöne weise
klugr. (1548) 170^ ; Henisch 1772. qui quae vult dicit, quae
non vult audiet gut grusz gibt gute antwort Tappius adag,
Cent. Septem (1545) 121''; gude grote eiget ein gude and-
wörde Tünnicius nr. 628 Hoffmann; wer den rechten
grus zu hof nicht weiszt, der kan leicht übel anlauffen
Henisch 1771; freundtücher grusz behellt die freundt-
schaft Henisch 1771; ein leerer grusz geht barfusz {ge-
schenke sind willkommener als blosze Mflichkeit) Fischer
Schwab. 3,887, vgl. Staub-Tobler 2,812; ein seltener
gast ist ein grusz wert Fischer schwäb. 3, 887 ; wie der
gruesz, so der dank Staub - Tobler 2, 812 ; der grusz
kimmt vun gutt, un war nicht griszt, is ä stuck Müller-
Fraureuth 1, 447*>.
GRUSZATEM, m.: wir wollen, meine lieben, dissmahl
alleine bey dem allerheiügsten und holdseligsten grusz-
und kuszathem des heiligen geistes still stehen Dann-
hawer catechismusmilch 6, 52. — gruszauftrag, m.:
daher der gruszauftrag seiner mutter Frenssen Jörn UM
(1902) 483.
GRUSZBAR, GRÜSZBAR, adj., wer grüszt. gern
grüszt, oder passivisch, wer sich leicht anreden läszt, affa-
bilis, freund{schaft)lich, liebenswürdig, höflich, heute in
süddeutschen mundarten auftretend, vgl. Fischer schwäb.
3, 887; Schmeller-Fr. 1, 1014; Stattb-Tobler 2, 812:
saluta libenter bis grüsbar, sprich die leüt freundlichen
an M. Corderius Catonis disticha de moribus A 5^;
affabilis gruszbar Diefenbach gl. 15^, vgl. Altbnstaiq
vocab. (1516) s. v. affabilis; affabilis ein gruszbar mensch
Melbeb a 6^; comis lieblich, freundtüch, gruszbar, ge-
spräch Schöpfer syn. b 2^; ja rat ich, daz du grüsbar
syest vnd gemain allen vnd dich selbs gebest zesechen
vnd jetz disen dann den anredest Niclas von Wyle
translationen 211 Keller; er ist so grüsbar bei den leüten,
er tut sich umb bei yederman Keisersberg siben Schwer-
ter 7; und so ain mensch want, er sey gruszbar, er hab
lieb, er sey haylig, so hat er büberei im herzen Keisers-
berg sieben hauptsünden (1510) 2*'; Äneas rottharig.
gestoszen, wol beredt, gruszbar, dapffer in radtschlegen
Marcus Tatius trojan. krieg (1536) 67^; ist er [der mensch)
weise, sein äugen, kleydung vnd gang zeygen vom man,
er ist gruszbar, tugentsam, räthlich, vol lieb, trew vnd
gnad schöne weise klugr. (16^8) 141''; es ist vor all andern
orten teutscher landt ein leudselig, freuntlich, redsprech,
gruszbar volck zu Augspurg S. Franck chron. Oerm.
(1538) 281»^; vnd sind gut heuchlerisch fromm, gruszbar,
freündtlich ders. paradoxa (1558) 197''; du solt gruszbar
syn {obviantes saluta libenter) Steinhöwel Äsop 69 lit. ver.;
er was gegen menigklich fründtlich, grüsbar und gantz
gütiger milter wort Wiokram 2, 238 Bolte; so geht in
solchem ein jimckfraw für dem hausz annhien, zu deren
der selb stattschreiber nach anderer grüszbaren reden
sagt . . . Jac. Frey gartengesellschaft 145 Bolte; sodan soll
man sie {die kinder) grusbar, redgeb und sprachsanft
gegen männiglich zu sein, anweisen Fischart 3, 302
Hauffen; grusbar . . . significat, qui humaniter et facile
resalutat Schottel haubtspr. (1663) 325. die belege aus
dem 18. u. 19. jh., die das adjectiv nur in der bedeutung
^wer {durch einen dritten) gegrüszt werden kann, bzw. musz'
haben, beruhen auf neuschöpfung ohne Zusammenhang
mit dem älteren gebrauch: grüsz alles grüszbare und habe
geduld mit mir Lavater an Oöthe (8. 4. 1780); ich wäre
glückselig, wen nun noch ein grusz bestellt würde an
Zimmer, an Grimm und die leute in Landshut und was
sonst gruszbar ist GtÖrres 1808 an A.v. Arnim, neue
Heidelb. jahrb. 10, 118; haltet euch wohl und grüszt alles
grüszbare Görres ges. briefe l, 421. neben gruszbar er-
scheint die adv.bildung gruszbarlich Diefenbach gl. 15'» s.
V. affabiliter; Melber aö*». — gruszbarkeit,/., freund-
lichkeit, leutseligkeit Diefenbach gl. 15 s.v. affabilitas;
Melber a 6"', nur alte belege (15.-16. jh.): dann ab allem
gefallen gegen der weit so hat demüt vnd grüszberkeit
sich mengkUch zu erzeigen den preisz vnd danck Mar-
QUART VOM Stein Spiegel d. tugent (1498) b 2''; zum ersten
so verbirgt sich der schalk der unkeüschhait under ge-
stalt der gruszbarkeit, affabilitas oder früntlichkeit, red-
gebig, ansprechlich. wenn die grüszbarkait mit rechter
masz, mainung und weise gehalten würt, so nennet sy
der Arestotiles ain tugent, affabilitas Keisebsbekg siben
hauptsünden {1510) S 2^; disz mein liebkosen fteucht her . . .
von einem rechtgeschaffnen aufrichtigen glantz und mu-
nier der gruszbarkeit und leutsäügkeit, welche vil näher
der jugent ist Seb. Franck mor. encom. 80 0.; die gemeine
gruszbarkeit hat der herr an keinem ort verbotten
Schweickhart zu Helffenstein Basilius Magnus (1591)
847. daneben gruszbarlichkeit : suavitas, grüszbarlichkeit,
wonsamkeit, schmackhafftigkeit t;oco6. predicantium{li8Q)
d 3''. — gruszbekannter, m.; ich bin auf einige grusz-
bekannte angewiesen, deren spurloses verduften mir
keine gröszere gemüthsbewegung hervorrufen würde als
das auslöschen einer lampe Treitschke briefe 1, 388. —
gruszbote, m.: herzlieb bruder, syt myn grossbod und
gruszen myr urer huszfrou ser und urer juffern ouch
bei Steinhausen privatbr. d. mittelalters l, 158. — grusz -
brief, m.. Stieler 239; Kramer did. l (1700) 158''; 575'';
gruszbrieff {unter dem titel ^brieffarten' verzeichnet) Be-
SOLD thes. prakt. 2, 719'': der 2. theil enthaltend ... hof-
liche gruszbriefe an mannspersonen Harsdörffer teut-
scher secret. l, ll, vgl.: erst besagter grusz- oder bona dies-
brieflein handelen von freundschafft und diensterbieten
ebda 1, 74. s. auch frauenzimmergespr. 1, 153. — grusz -
brieflein, n. Butschky hochd. kanz. 1 u. öfter.
GRÜSZCHEN, n., deminutivbildung zu grusz : denn es
sollte ein Zürchgulden zum grüszchen drinn stecken
Bräker 1, 101, vgl. grusz B 1 c ;
eial da nick ich Macbeth ein grüszchen
BÜEGEK 287 Bohtz;
diessmal nur ein . . . grüszchen von mir schrift. d. Oöthe-
^es. (1890)5, 107. — grüszdichgott, 7i.,i;5rLgrüszenB5c:
ein grüszdichgott oder ein patschhandel Rosegger I 13,
223, vgl. : am grüsz-dich-gott-sonntag sehen wir uns wieder
Rosegger I 4, 194.
1001
GRÜSZEN A 1
GRUSZEN A 1
1002
GRÜSZEN, vb., salutare.
herkunft und form.
grüszen, germ. *grötjan ist catisativbildung zu got. gre-
tan, an. grata (dän. grsede, schwed. grata, norw. gräte), as.
grätan, ags. gräetan weinen, oh mhd. gräzen, schw. vb.,
schreien, rasen hierher gehört, ist fraglich, das causativum
ist zwar im got. nicht belegt, darf aber als gemeingermanisch
angenommen werden; ahd. gruozan anreden, angreifen,
Geaff 4, S37ff.; mhd. grüezen Lexeb l, 1099; as. grotian
anreden, anrufen Sehrt 211; Wadstein 68, 23; mnd.
groten, gruten Schiller-Lübben 2, 156; mndl. groeten
nötigen, grüszen, angreifen, ndl. groeten Verwijs-Ver-
DAM 2,2158; woordenboek 6,865^.; afr. greta grüszen,
klagen Richthopen 783; ags. gretan in berührung kom-
men mit, angreifen, grüszen Bosworth 488*', engl, greet.
— als idg. wurzel ist *ghred-, *ghröd- anzusetzen, eine
sichere Verwandtschaft mit dem Wortschatz anderer idg. spra-
chen besteht nicht, wenn auch mögliche parallelen vorliegen,
am wahrscheinlichsten ist die Verwandtschaft mit ai. hrä-
date Hont, rasselV , av. zrädanh- 'ringpanzer\ eig. 'der klir-
rende\ npers. zirih 'panzer\ wenn auch hier die beziehung
zu gr. xixXäJcc, xa/hiCu), air. ad-glädur möglich ist. andere
Verbindungen sind: zu fehl, gristan 'weinen'' Johansson
idg. forsch. 14, 298, zu apreusz. gerdaut ''sagen', gr. rpQtcCc»
Uhlenbeck ebda 13, 218, vgl. zum ganzen Falk-Tobp 1,
339 8. V. graad und Walde- Pokorny l, 659. — eine neben-
form mit affricata liegt vor in: got gruetze dich alid. pred.
46, 157 Wackernagel; vielleicht auch schon ahd. provocare
gigruozan, gigroizin usw. gl. 1, 626, 4 ; die form ist beson-
ders dem alemannischen eigen, s. für die heutige mundart
Staub-Tobler 2, 812; FiscHER schwäb. 3, 887, für ältere
zeit die glossare zu Haimonskinder 289 Bachmann; Mor-
gant d. riese 381 Bachmann; dtsche volksb. 494 lit. ver.; vgl.
auch Paul u. Braunes beitr. 28, 435.
bedeutung.
die bedeiäungsdifferenz zwischen nordgerm. greta 'weinen
machen^ und westgerm. grötjan 'grüszen\ ahd. auch 'reizen',
antreiben, veranlassen' {s. u. A l), ist erklärlich, wenn man
als ausgangspunkt die causative bedeutung 'zum sprechen
veranlassen' , 'zum klingen bringen' usw. annimmt, wo-
durch auch der anschlusz an ai. hrädate 'tönt', 'klingt' er-
reicht wäre, ein bedeutungsübergang von 'zum sprechen
bringen' zu 'grüszen' steht nicht vereinzelt, vgl. an. kvedja
'grüszen', eigentlich 'reden machen', kvedja 'grusz', as. qued-
dian 'grüszen' zu an. kveda, ags. cwedan u^sw. reden;
ebenso got. goljan 'grüszen' zu ahd. galan 'rufen', zu beachten
ist, dasz 'der ankömmling in der regel erst sprechen durfte,
nachdem der hausherr ihn mit dem heilgrusz angeredet
hatte' Neckel eddaglossar s. v. kvedja. vgl. auch Kl.
Ströbe altgerm. gruszformen Paul u. Braune« beitr. 37,
173/. die Sonderentwicklung im ahd. (s. u. A 1) bleibt frei-
lich auch bei annähme dieses gemeinsamen ausgangspunktes
ungeklärt.
A. grüszen in der bedeutung 'an jemand in bestimmter ab-
sieht herantreten', ohne den sinn freundlichen entgegen-
kommens:
1) jemand antreiben, aufreizen, häufig im ahd. zur wie-
dergäbe von irritare, agitare, provocare, sollicitare, conci-
tare, excitare, lacessere, suscitare, s. Gräfe 4, 338; 342, wie
die nachfolgenden belege zeigen, durchaus nicht nur als ver-
bum des Sprechens:
flant ni luccer kacniazze
wanchontem ruachon mendinum
(hostis ne jallax incitet
lascivis cutis gaudiis)
Murbacher hymnen 15, 3 Sieters;
cruozta si sia chuzelondo an dero niderun stete ze nietegi
{pruritui subscalpentem circa ima corporis i. circa genitalia
apposuerat voluptatem) Notker l, 699 Piper; mit angäbe
des Zieles oder ergebnisses:
wan za kabcizzam cacruaze
{spes ad promissa provocet)
Murbacher hymnen 5, 6 Sievers;
unde geruozton in ze zorne tifen iro buolen, dar sie ab-
kotdienist uobton Notker 2, 321 Piper; 317; nehein guot
netate ih, negegruozti er mih darazuo 223; mit unpersön-
lichem object:
kapulubt noc paga kakruazze
kitagi noh wamba kaanazze
(iram nee rixa provocet,
gutam nee venter incitet)
Murbacher hymnen 4, 5 Sievers;
gigruoztez sollicitum {mare) ahd. gl. 2, 644, 13. übergehend
in die bedeutung heimsuchen, quälen, beunruhigen, beson-
ders neben abstracten: so aber die sorgun gruozent {pulsarU)
tiu herzen Notker l, 788, 3 Piper; menniskon sorga ne-
gruozent sie {deos) l, 817, 7; gelüste gruozzent 2, 598,
2; übel minna, übel forhta 158, 13. daher auch molestiam
urdreoz odo cruozisal, kruozzisal ahd. gl. 2, 100, 22; 111,
54 und grusz als 'leid, not', s. grusz A. vgl. auch gi-
gruozis concuties {me per visiones horrore) ahd. gl. 1, 501,
43; gigruozent confundent (venti furorem ejus, qui fecit
illos) 1, 581, 24. vgl. auch die bedeutung 'strafen' unten c.
über das ahd. und mhd. hinaus hielt sich die bedeutung an-
treiben, aneifern, herausfordern in bestimmten Verwen-
dungen, und zwar
a) in der Verbindung den hund grüszen:
dd gruoztern (den löwen) als ein suochhant
und volgt im von der strftze
Hartmann Iwein 3894;
ob sich noch Lust lleze beeren
und daz ich In mit jagen solte giüezen
Hadamar V. Laber jagd 385 Schmeller;
jaget ein man en wilt buten deme vorste unde volgent
ime die hunde binnen den vorst, die man mut wol volgen,
so dat he nicht ne blase noch die hunde nicht ne grute
Sachsenspiegel^ l, 167 Homeyer. in dieser oder ähnlicher
form auch in anderen gesetzlichen bestimmungen, s. weist.
3, 224; S. Meichszneb land- und lehnr. (1566) 76^'.
b) besonders in der kampfes- und gerichtssprache.
a) als 'zum kämpfe reizen, herausfordern':
dö hörter daz geriten quam
des selben waldes herre.
der gruozt in harte verre
als vient slnen vient sei
Hartmann Iwein 1002;
swer iuch dar umbe grüeze,
dem ir vll lasters hat get&n,
der woltez doch durch vorhte Iftn
Wolfram Parz. 89, 24;
über das mhd. hirmus erhalten geblieben ist kampflich,
kämpflich, kämpferlich, zu kämpfe u. ä. grüszen, d. h.
zum kämpfe, auch zum gerichtlichen Zweikampf heraus-
fordern: sve kampliken grüten wille enen sinen genot,
die mut bidden den richtere Sachsenspiegel l, 91 Ho-
meyer; ebenso 207; also verwint man den ok, die to
kampe gevangen unde gegrot is 96 ; also überwindet man
auch den, der ze kämpfe gevangen oder gegrüezzet ist
Schumbenspiegd 404, 48 Wackernagel; kämpferlich grüszen
est capitis accusare et duellum indicere Stieler Stamm-
baum 712; kampferlich grüszen capitis accusare, criminis
accusare, indicere duellum Henisch 1771; 'kämpflich
grüzzen heiszt einen auf kämpf um leib und seele an-
sprechen, das der angesprochene, ohne verlust seiner ehre,
nach alten recJiten nicht atisschlagen kann' Westenrieder
(1816) 280, vgl. 220; einen kämpflich grüszen ihn heraus-
fordern und, wie noch jetzt im nd., zum trunk auffordern,
zuwinken Heinsius 2, 560. vgl. Haltaus 757; Fischer
schwäb. 3, 887; mein vater hatte andere Ursachen seinen
herren amtsbrüdem kein rappier anzubieten oder sie
kämpflich zu grüszen Hippel lebensl. l, 79.
ß) weiterhin auch 'angreifen' mit und ohne nähere an-
gaben, und zwar:
aa) das mittel, womit, oder die art, wie man grüszt, ist
nicht näher erläutert:
alse den leun oder die levinnen lernen getar wekchen,
809 er llgit ruwen mit offenen ougen:
same giturrin viante din iuweht dich girüzen
genesis in Hoffmann« fundgr. 2, 77;
1003
GRÜSZEN A 2
GRÜSZEN B 1
1004
Wate stuont niht müezic, des Ich gelouben wil.
er hete ir vil gegrüezet des Itbes an ein eil
Kudrun 1429 Martin;
dö räch der künec Vruote slnen alten haz.
er sprach: ich sage dir, Günther, ich wil dich grüezen baz,
Sit du mir hie bist komen üf des strites vart
rosengarten D 370 Solz;
den so wend wir in dem namen gocz die beiden grüeszen
dtsche volksb. 209, 18 Bachmann; aber tag und nacbt
ritte der soldan mit seiner ritterscbafft, aufE dasz er
Dagobertum, den konig auaz Frankreicb, desto ehe
mochte grusen (feindlich mit ihm zusammen kommen)
buch d. liebe (1587) 11"^; die zugen auch für Basel hin den
balg zu wagen vnd jhren feynd zu gruszen Stumpf
Schweizer chron. {1606) 699*.
ßß) das m,iUel oder die art des grüszens wird durch pas-
sendes subject, adverbial oder durch eine präpositionale Ver-
bindung ausgedrückt;
in gruozet hiute min swert:
ih pringe in in not
other iz ist ther min tot
Rolandslied 6179 Bartsch;
disen hie dort ienen
gruzter mit grozzen siegen
Herbort v. Fritzlar liet v. Troye 8813 ;
{ich) wil an iuch gern,
daz ir mich grüezet mit den spern
Ulrich v. Liohtknstkin 462, 6 £.;
ich wil dich hiute grüezen mit dem swerte min,
daz ist geheizen Balmune und glt liebten schln
rosengarten D 512 Kolz;
es hat auch mancher erfarn, wie vbel ich yhn gegrüst
hab auch yn wenig bösem geschrey Ebeelin v. Günz-
Bimo 3, 142 ndr.; als sie aber vermerckten, dasz sie nichts
damit schafften vnd fruchteten, machten sie jhre schleu-
dern losz vnd fiengen an, jhme das gebor mit fauste
groszen steinen zu gruszen {steine an den köpf zu werfen)
BästeIj V. D. Sohle Harnisch (1648) 205; wer einen mit
einem schwerd grüst, dem danckt man mit einem rappir
Lehman ß,or. polit. (1662) 2, 611;
die furcht last keine hoffnung gr&nea,
da mich das Unglück feindlich grüst
A. U. V. Braunschwkiq Octavia 1, 854.
c) besondere anwendungen in älterer zeit;
ich danck dem herren lobesan,
das er mich also grüeszt,
mit dem ich mich versündet han,
das mich dasselbe püeszt
Oswald v. Wolkknstein 84, 14 Schatz;
ein alder was ge wonlich dicke siech und eines jares ver-
meit in der siechtum. do weinet er unde sprach: herre
hastu mich verlazzen, das du in diesem jare mich nicht
woldes gruzen? der veter buoch 24 lit. ver.;
swer danne hat behalten
sine sunde ungebuzzet
untz in daz alter gruzzet,
der stirbet danne lihte
ans riwe und ane bihte Dooen^wüc. 2, 215;
SO in diu suht grüeze, bint im den {riemen) umbe den
hals arzneibücher 66 Pfeiffer,
2) jemand ansprechen, anreden, anrufen, ohne den sinn der
bewillkommnung, stets ein verbum des Sprechens; alloquor.
ich Sprech zu, grusz Albbrtjs dict. (1540) 27*'; gruszen,
gruszen compellare, alloqui Wachtee 621: inti gruozta
{vocavit) einan fon then scalcun inti frageta waz thiu
warin Tatian 97, 6, ebenso 17, 5; bare boren alle zuo,
imsib unde sie gruozet got Notkbe 2, 337 Piper; mit an-
gäbe des Zieles;
stunta kiwaldaniu sehstuntom
unsih za petonne cruazzit
{hora Valuta sexies
nos ad orandum provocat)
Murbacher hymnen 12, 1 Sievers;
waz tuo wirs nu, so siu hirates scal gegruozet {var. ge-
fraget) werdan? Willieam 141, 3 Seemüller; als 'befragen';
gab er (Christus) mo (Nicodemus) antwurti mit mihileru milti,
joh er mo iz al gisuazta so wes soso er nan gruazta
0TrRiDlI12, 28;
ähnlich in einer dorf Satzung : wann das war, daa ainer zu
dem dorfrechten {gerichtssitzung) nit kam und den dorf-
maister nicht gegrieszet und sein willen nit biet, den
sol er {der umsager) pfenden österr. weist. 5, 159, weitere
belege s. u. bei Otfeid auch in der bedeutung 'in der
er Zählung berühren', 'berichten':
sie thiu bede (Gregor und Augustin) gruazent joh uns iz
harto suazent
thesses, thi ih nu hiar giwuag, es ist uns follon thar ginuag
V 14, 29, ebenso 12, 1; IV 1, 24 und an Eartmut 97.
bereits mhd. spielt fast stets die bedeutung der begrüszenden
anrede hinein;
er küene, traecllche wls
(den helt ich alsus grüeze)
er wlbes ougen süeze
Wolfram Parz. 4, 19.
in späterer zeit tritt die bedeutung der reinen anrede am
deutlichsten wohl in der Verbindung jemanden um etwas
gruszen hervor, der sinn ist: jemanden wegen etwas an-
sprechen, ihn um etwas bitten, nach etwas fragen: . . . ainen
abgot darausz machten, den wir in allen spänen rhat-
frageten, sonder das wir jn darumb gruszen, und gelaszen
den verstandt suchen S. Feanck paradoxa vorr. 3 ; umb
den verstandt und ausslegung rhatsfragen und gruszen
S. Feanok Erasmi v. R. lob d. thorh. (1534) 114; ich
wils yhn auch keynen danck nicht wissen, noch sie {die
concilia) drumb gruszen noch von yhn begehren Ltjthee
12, 238 W.; vgl. gehen daher in ihrer vermessenheit und
gruszeten gott nicht ein mal drumb ebda 15, 370, 14;
aber ich bin gar ungewisz,
weisz keinen den ich darumb grflsz
Fisohart 1, 2698 Kurz,
vgl. ; den herren vogt zuvor darumb grüeszen und fragen
(1581) bei Stafb-Toblee 2, 812; um des grüsz i die net!
Fisohee Schwab. 3, 887. hierher gehört auch die bei Staub-
ToBLEE 2, 813 verzeichnete bedeutung 'zur rede stellen',
möglich, aber unwahrscheinlich ist die bedeviung des reinen
anredens in fällen wie: er grust jn in nachfolgender
maszen hertzog Aymont (1535) cl^; im Sprichwort: wie
man dir rüfft oder dich grüszt, also antwort Feanok
sprichw. 2, 109^; schöne weise klugreden (1548) 43^; ant-
worte, wie man dich grüszet Feiedrich Wilhelm sprich-
wortreg. (1577) a 1**.
B. jemandem durch wort oder tat freundlich entgegen-
kommen, sich ihm freundlich nähern, ihn begrüszen. in
den glossaren durch salutare u. ähnl. übertragen: Dieeen-
BACH 509 c s. V. salutare; salutare, persalutare, salutationem
facere,ferre salutem alicui, salutem impertire Mäalbe 1948';
salutare, salutem alicui dicere, nunciare, salvere jubere
Stielbe 712; salutare, salutem precari aliis Haltaus 757.
ahd. ist die bedeutung 'salutare' nur in glossaren des 11. u.
12. jhs. belegt, s. ahd. gl. 2, 609, 46; 611, 50.
1) jemand bewillkommnend anreden, ohne den beisinn
des gesellschaftlich-conventionellen. die belege unterscheiden
sich von den unter A 2 angeführten durch die hinzutretende
bedeutung der bevnllhommnung ;
a) diese bedeuiung ist ahd. bereits da:
so Petrus thaz tho gisah fon themo skifl er zi imo sprah,
gruazta baldo (ih sagen thir thaz) then meistar, so er
giwon was Otfrid III 8, 31 ;
mit Zusatz: daz sie mih friuntlicho gruozton . . . unde sie
doh trugelicho dahton Notkbe 2, 121 Piper;
din wärhafter munt
den werden und den süezen
mit rede nu sol grüezen
Wolfram Parz. 781, 26.
b) in späterer zeit tritt diese bedeutung in bestimmten
constructionsweisen und bei bestimmten Zusätzen noch deut-
lich hervor:
a) mit dem doppelten accusativ construiert bedeutet
gruszen 'jemanden als träger einer bestimmten eigenschaft,
eines titeis usw. anreden, nennen' . stets ist der sinn der
begrüszenden anrede eingeschlossen, schlieszlich kann sich
1005
GRÜSZEN B 1
GRUSZEN B 2
1006
die Bedeutung 'zu etwas gratulieren'' ergeben, parallel ge-
bräuchlich ist die Verbindung 'jemanden als etwas, für
etwas grüszen'.
aa) doppelter accusativ: die jn ein vatter grüsztind vnd
nenntind qui se patris appellatione salutarent Fbisius
lOöl»; er fürt unseglich grosz gut ausz Egipten mit jm
gen Rom, darumb ward er Augustus gegruszt S. Franck
chron. öerm. (1538) le''; 27* u.ö.; nach disem sieg ward
er ein vater des vatterlands, ein herr und imperator
von iederman grüszt ebenda 86*'; liesz sich gleichfals
ein konig gruszen, wiewol er nit ein erweiter konig war
Stttmpp Schweizerchronik 222'' ; haben ihn zu einem kö-
nige und römischen keyser erweit, bestetigt, angenommen
. . . und ihn Augustum gegrüszet Hossmann von keyserl.
wähl u. krönung 196;
hört wunder, hört des könlgs söhn,
der sprang herab von seinem thron
und liesz sich schäffer grüszen
Angklus SttESitJS seelenltist 196 Ellinger;
würd er . . .
bekennen, dasz dir, heid, nichts kayserliches mehr
ermanglet dan der nam, und dich selbs Caesar grüszen
Weckheklin ged. 1, 429 Fischer;
und froh bestürzt (loird er)
sich einen dichter grüszen hören
Bamler lyr. ged. (1772) 86;
zum pfände noch gröszerer ehren, . . . soll ich dich
graf von Cawdor grüszen Büeger 290 Bohtz; er grüszte
sie brüder Schiller 2, 77 O.; denn sein rufen soll eine gar
gefährliche Vorbedeutung seyn, und wen juckt es nicht
ein bischen an der stirne, wenn er sich kuckuck grüszen
hört Shakespeare 1, 226;
bis Superintendent irgend ein Städtchen ilm grüszt
RÜCKERT ges. ged. 2, 279.
ßß) für etwas, als etwas grüszen: es wolte aber nicht
jederman allenthalben jhn für ein bapst grüszen vnd
halten Kirchhof wendunmuth 1, 457 lit. ver.; zwei edle,
die . . . den Macbeth als than von Cawdor grüszen Her-
der 23, 368 /Sf.; Bettina von Arnim kam, grüszte mich
als minister der auswärtigen angelegenheiten, rieth aber
gleich dringend, ich möchte es nicht annehmen Vabn-
HAGEN v. Ense togeb. 5, 186; als der führer der Göttinger
sieben von seinem eide nicht lassen wollte, da grüszten
ihn seine Studenten als 'den mann des wertes und der
that* Treitschke hist. u. polit. aufsätze 1, 348.
ß) mit namen grüszen, d. h. mit dem oder einem beson-
deren namen grüszend anreden, bei namen grüszen mit
namen anreden: dieser (hat mich) mit meinem eigenen
namen . . . gegrüszet theatrum amoris (1626-31) 127;
darf ich zum erstenmahl dich mit dem süszen,
vertrauten namen: männchent grüszen Gotter 1, 288;
Paris und London ! — wo man ohrfeigen einhandelt, wenn
man einen mit dem nahmen eines ehrlichen mannea
grüBzt Schiller 2, 35 0.; als er eines abends . . . sich
zum Schlummer niederstreckte, erschien ihm jemand im
träum, grüszte bei namen und forderte ihn zum gesang
auf J. Grimm kleine sehr. 1, 109; mit dem jarlsnamen
grüszend Dahlmann gesch. v. Dänemark 2, 306; jeden
bürger der hauptstadt wuszte er beim namen zu grüszen
MoMMSEN röm. gesch. 3, 14.
y) mit Worten grüszen jemanden mit bestimmten worten
anreden: als nun der engel zu jro {Maria) hinynkommen
ist, hat er sy gruzt mit disen worten Zwingli dtsche sehr.
1, 92;
und ich euch hie mit wortten grfiesz:
sagt, acht halb schoflf, wie vil hatz föesz? (beginn eines
rätselstreites) pfarrer v. Kaienberg 26 ndr.;
singularisch:
ich sprach: monsleur, monsieur (es war mir schon bewnst,
dasz man nüt diesem wort alleine gr&szen must)
Rachel sat. ged. 88 ndr.;
die bedeutung des höflichen grüszens gesellschaßlicher art
(s. u. 3) ist deutlicher vertreten in: nun grüszten wir ein-
ander mit ein paar Worten Heinse 9, 199 Schüddekopf.
b) in religiösem Zusammenhang: ein göttliches wesen,
einen in den bereich des cultischen gehörigen gegenständ
grüszen, d, h. ihm seine ehrfurcht durch anrede (gebet) oder
aufmerksamkeit bezeugen, grüszen adorare Henisch 1771 :
wir knien nlder tzu deinen füeszen
und wellen dich all hye grueszen
altd. passionssp. aus Tirol 120 WaelerneU;
ich man iuch bi Marien klage,
daz ir si grüezent alle tage
scTiausp. des mittelalters 1, 250 Mone;
bücken sich vast höfflich gegen der ampel, grüszen die
heiligen Judas Nazabei 41 ndr.;
warumb tregt diser hertzog doch
ein schweres unverschuldtes joch,
musz frembde sünd und unthat büszen,
der doch die gStter pflegt zu grüszen,
mit gaben und gebett diemütlg
Spreng Ilias (1610) 284»;
wie gewisse Völker bey keinem bUde eines heiligen vorbei-
gehen, ohne ihn zu grüszen Joh. E. Schlegel 3, 479;
sonst erschienen uns (menschen) die götter . . .
wann wir mit festlicher pracht der hekatomben sie grüszen
Voss Odyssee 122 Bernayt;
räumen sie ihr (der Nemesis) eine stelle im lararium ihres
herzens ein und grüszen sie sie jeden abend Herder^15,
331 S.; wenn du nach Einsiedeln kommst, grüsz mir d
mutter gottes! lege auch für mich fürbitte ein Fischer
Schwab. 3, 887. vgl.:
ere wy de rede begynnen,
so grote wi erst de koninghinne
myt eynem 'pater noster' vorwar
vnde myt eynem 'ave Maria' dar
Theophüut 22 PeUch.
2) grüszen im sinne von begrilszen im allgemeinen, seiner
freude über ein ereignis durch wort oder gedanken aua-
druck geben, das conventionelle ist in diesen fällen nicht
eingeschlossen:
a) in gehobener oder poetischer spräche, freudig will-
kommen heiszen", auch 'preisend besingen\ 'preisen'.
a) land, stadt usw. beim vnedersehen oder erstem er-
leben grüszen:
du beimath süsze,
du lieber ort,
ich grüsz dich, grüsze
mit bitterm wort
FOUQUÄ zauberring (1812) 1, 5;
ich grüszte ... die gegenüber liegenden küsten E. M. Arndt
s. w. 1, 91;
nun grusz ich dich von hertzen,
du edles Wittenberg!
Wackernagkl deutsches kircherdied 3, 75.
ß) natur, steme, die aufgehende sonne usw. grüszen:
o liebe sonne, sey gegruszt I
Becker mildh. liederb. (179Q) 3;
mutter erd und mutter Lucina, ich grüsz euch beide!
Herder 26, 22 S.;
. . . wie glücklich ich aufgestanden bin und die schöne
sonne gegrüst habe . . . Göthe IV 3, 33 W.;
dort, wuszt er, grüszten muntre zecher
oft Eos strahl bei vollem becher (durch zutrinken)
Kind sred. (1817) 1,93;
wie freudig grfisz ich nun das licht des tages
TiECK 3, 482;
Ol wann grüszest du den morgen wieder?
schöngelockte wirst du lange ruhn?
Bettine die Günderode 1, 120;
und grüszt ihr einstens dort das morgenroth,
SO denkt der schwesterhand, die es euch bot
A. V. Droste-Hülshoff 2, 232 Seh.
der grusz geschieht mit hilfe von musikalischen instru-
menten:
all warens freudig, das maus wag,
vnd grüszten da den lieben tag
mit trummen vnd trommeten schall
Fischart glückh. schiff 8 ndr.;
1007
GRÜSZEN B 2
GRÜSZEN B 2
1008
mit jungem muth
begleitet sie der hirt, und grüszet
seine gefllde mit neuen tönen Heedek 27, 70 S.
y) das subject des grüszens ist die natur, ein tierisches
Wesen, ein abstractum.
aa) der gesang, das lied, das jaitchzen, der segen usw.
grüszen. das akustische moment tritt hervor:
ich kann sie kaum erwart€n
die erste blum im garten,
die erste blüth am bäum.
sie grüszen meine lleder . . . Göthe 1, 23 W;
dasz er kalt an meinem leicbensteine
stehet, und des modernden gebeine
keines Jünglings stiller segen grüszt
HÖLDEKLIN 1, 56 Litzmann;
beilger boden, dich grüszt mein gesang I
KÖRNBE 1, 109 H.;
ein allgemeines lautes jauchzen grüszt
den theuren ort A. v. Deoste-HOlshOff 2, 235;
vgl.:
und immer heller grüszt sie der gesang
2, 235.
ich grüeze mit gesange die süezen
die ich vermtden niht wil noch enmac
KAISES Heinrich in minnesangs frühl. 5, 16.
ßß) sehr reich vertreten ist die gruppe mit tieren, meist
vögeln als grüszenden wesen. der gesang der vögel, das
brüllen des viehs u. s. w. wird als ein zeichen des gruszes
aufgefaszt:
in dem tal
hebt sich aber der vögele schal.
s! wellent alle grüezen nü den meien
Neidhaet 6,21;
laszt ewrer bunten vögelscbaar
die weit mit tausent liedern grüszen
R. BOBEETHIN in Königsb. dichterkreis 85 ndr.;
das Vieh verläszt den stall,
und grüszt das nahe thal
Schwabe belustigungen (17 4tl) 3, 142;
und ihr, gefiederte Sänger der büsche und Wälder, . . ,
stimmt eure tonreichen kehlen, ihrer erscheinung ent-
gegen zu grüszen Bodb gesch. d. Th. Jones 2, 14;
ein bach, von raben nur gegr&szt,
der am bereiften ufer flleszt
J. G. Jaoobi sämü. w. 1, 132;
dagegen die Glamer fütterten . . . ihren hahn, dasz er
freudig und hoffärtig den morgen grüszen könne (mit
hahnenschrei sollte der grenzlauf mit den Urnern beginnen)
Gbimm deutsche sagen l, 193;
gleich wie die lerche grüszt den ersten funken,
der aus dem aug des jungen tages bricht
Herwegh ged. eines lebendigen (1843) 2, 3;
unsichtbar aus der luft die eule grüszt
A. V. Deostb-Hülshoff 2, 112.
yy) musikalische, klingende instrumente grüszen:
und grüszend vertönet das hörn
Geisel (1888) 1, 7;
drauszen schlug soeben die uhr vom thurme, als wollte
sie mit dem wohlbekannten klänge grüszen Eichendoef
(1863) 3, 359.
(ftf) die natur und ihre erscheinungen grüszen. optische
oder akustische eindrücke vermitteln die anwendung, so wird
der strahl der sonne oder die welle des Stromes als grüszend
aufgefaszt: die sonne (begann) si . . , mit anmuthigen
blikken zu grüszen Zesen adriat. Rosemund 12 ndr.; die
anmuthige morgenrSthe grüste den tag mit lachendem
munde Lohenstein Arminius l, 146^;
Aurora, wenn sie kaum der berge spitzen grüszt
Neukiech anf angsgr. (,172i) 497;
die sonne grüszt die Auren,
beginnet neuen lauf
R. Z. Beckbe müdh. liederb. (1799) 82;
dort wo der alte Rhein mit seinen wellen
so mancher bürg bemooste trümmer grüszt
BÖHME voUcsthüml. lieder d. DeutscJien 30;
freundlich grüszend und verheiszend
lockt hinab des Stromes pracht Heine 1, 33 E.;
Sirenen buhlen mit der fahrt gesellen,
aus bergestiefen grüszt sie daa metall (blinkt grüszend
entgegen) Beentano 2, 304 ;
das weisze bauschen schaute freundlich grüszend aus den
dunklen linden herüber Stifteb 3, 160; vgl. auch: jene
stuckomamente, die . . . vom plafond herab grüszten
Fontane 1 1, 390.
ee) abstracte begriffe als stihject:
seht, die milde himmelsgunst
euch mit holden blicken grast . . .
Knittel poet. sinnenfrüchU (1677) 21;
dasz die gute späht und früe
mag die treue grüszen
Adeesbach bei Fischee-TüMPBI 3, 101 ;
unser dank, und wenn auch trutzig,
grüszend alle lieben gaste,
mache keinen frohen stutzig Göthe 3, 64 W.;
doch lächelnd grüszt der friede die gefllde
und streut die goldne saat Schiller 11, 362 0.;
jauchzend um die blumenhügel
grüszten gram und sorge dich
HÖLDEELIN 1, 118 Litzmann.
CC) der blick, die äugen, das herz als subject:
leb wohll dich grüszt mein letzter blick!
leb wohl und liebe mich in unserm theuren söhne!
Schillbe 6, 383 G.;
soll mein suge noch einmal ihr antlitz grüszen?
BODMEE Noah 16;
o hertz des königs aller weit,
des herrschers in dem himmelszelt,
dich grüszt mein hertz in frenden
P. Qeehard bei Fischee-Tümpel 3, 412»;
dein äugen, deinen mund,
den leib, der noch verwundt,
da wir so vest auf trauen,
das werd ich alles schauen,
auch innig hcitzlich grüszen
die mahl an blind und füszcn ders. 3, 404 s
b) in gehobener, pathetischer oder poetischer spräche be-
gegnet als freudige anrede sei mir gegrüszt! sei gegrüszt!,
au^h abgekürzt gegrüszt!, dem lat. salve oder ave entspre-
chend, in älterer zeit bis gegrüszt usw. im sinne von
'sei mir willkommen\
a) belege in älteren Wörterbüchern: gegrust systu gemma
gemmarum (1508) c 2**; sey von uns allen gegrüszet salve
ab Omnibus nostris Stielek 712; vgl. sey gegrüszt von
uns allen Henisch 1771; pisz, bysz, syest, seyest, sist,
wisz gegrüszet Diefbnbach 609^, vgl. auch s. v. ave üO^.
ß) belege für den älteren imperativ des hilfsverbums:
Juden künig, pis von mir gegrüszt!
altd. passionsp. aus Tirol 71 Wackemell;
bis wolkomen oder gegrüszt, merer des rychs, ein keiser
vnd gebieter Riedeber Spiegel d. wahren rhet. (1493) m 2* ;
wer redt hie : Misis biss gegrüsset? (quis hie loquitur? Mysis
salue) Terenz deutsch (1499) 16^; bisz gegrüszt (vale) erste
deutsche bibel 11, 388, 45 lit. ver.;
du holdselige, bisz gegrüszet
H. Sachs 1, 258 lit. ver.
y) sei gegrüszt, du seist gegrüszt, sollst gegrüszt sein
u. ähnl.
aa) als anrede von menschen oder personifiziertem, meist
poetisch: sey gegrüszet Demea Boltz Terenz deutsch
(1539) 96^;
seit all gegrüszet in gemein
H. Sachs 21, 17 OöUe;
gegrüszet seystu, lieber herr,
sonst weis ich dir zu thun nicht mehr
B. Keügbe orfton (1580) 0 7";
o du geliebter vatter mein,
in frewden wir gedencken dein,
gegrüszet seyest heut von mir,
der himmel ist bescheret dir,
gegrüszet sey dein seel vnd geist
Speeng Äneis (1610) 85»;
ihr weisen, seyd geküsset,
ihr lehrling, seyd tausendmal gegrüszet
Neumaek fortgepfl. mtis.-poet. lustw. 1, 182;
1009
GRÜSZEN B 8
GRÜSZEN B 3
1010
was hat jener rabe zum Augustum mehr kömien sagen,
als ave Caesar, sey gegrüszet kayser Prätobiüs winter-
flucht d. sommervögel (1678) 41;
zarter erstllng, süszer knabel
du, des hlmmels eigne gäbe,
die so BchÖD als edel ist;
sey willkommen, sey gegiüsztl
Gottsched ged. 1 (1761) 106;
gegrüszet seid mir, edle herrn,
gegrüszt ihr, schöne damenl
GÖTHE 1, 162 W.;
sein sie mir nach einer so langen abwesenheit herzlich
gegrüszt 23, 208;
tapfre Preuszenl tapfre Preuszen!
heldenmänner seyd gegrüszt I
E. M. Arndt sehr. f. u. an s. l. Deutschen 1, 314;
gegrüszt, ihr herrenl zur gelegnen stunde
find ich euch hier versammelt all
EICHENDOEF 4, 579;
gegrüszt, liebe Schwester Göthe 24, 319 W.
häufig ist die bedeutung 'sei gepriesen, sei besungen\ be-
sonders bei der anrede an Maria, dem ave Maria entspre-
chend: gegrüszt seistu vol der genaden: der herr ist mit
dir erste deutsche bibel l, 197 lit, ver.;
du holdtsellge, sey gegrüszet,
vol genaden gar ubersüszetl
H. SACHS 11, 167 lü. ver.;
gegrüst seystu, o heyl der weit,
viel tausent grüsz ich dir vermelt
BÄüMKEE hath. kirchenlied 1, 495.
ßß) als anrede der natur oder freudige begrüszung von
naturerscheinungen; poetisch:
gegröszet seist du, schönster strahl 1
Zesbn vertn. Helikon (1666) 1,241;
sey uns tausendmahl gegr&szet
söszer tag, geliebtes licht,
MORHOF Unterricht v. d. dtsch. spr. (1682) 2, 164;
sey mir gegrüszt mein berg mit dem röthlich strahlenden
gipfel SOHiiLKR 11, 76 O.
3) als allgemeiner ausdruck der höflichkeit bekannten
oder geschätzten personen gegenüber, gegrüszt vnrd im
vorübergehen, beim treffen als einleitung einer Unterhaltung,
beim abschied, je nach zeit, sitte, stand geschieht das grüszen
durch formel, hand- oder kopfbewegung, hutabnehmen usw.
a) in warten, von person zu person, meist durch gebratich
einer der gewöhnlichen grv^zformeln:
du solt dich site nieten,
der werlde grüezen bieten
WOLFRAM Parz. 127, 19;
den vriunden niht mit dienste laz,
da bt in zühten wol gezogen,
und grüeze, den du grüezen solt
Wimbecke 39, 9 Leitzmann;
besonders im minnedienst ausgebildet als ausdruck des
Wohlwollens, der huld einer frau, s. grusz B 1 :
swer wlrde und fröide erwerben wil,
der diene guotes wibes gruoz.
swen si mit willen grüezen muoz,
der hat mit fröiden wlrde vil
Walther v. d. Vogblweide 90, 17;
swenn ir munt ein grüezen bot,
der brähte sselde unz an den tot
Wolfram WUlehalm 155, 11.
'den ankommenden begrüszen" führte zur bedeutung ^emp-
fangen' :
ir heizet Slfriden zuo miner swester kumen,
daz in diu maget grüeze: des habe wir immer frumen.
diu nie graozte recken, diu sol in grüezen pflegen
Nibelungenlied 288, 2;
ebda öfter: 104, 4; 1156, 3. 1657, 3 überliefern C D enphähen
statt grüezen, als offt er zu seinen jungem komen, hat
er sy gegrüeszt mit dem frid Bebth. v. Chibmsee theologey
92 Reithm.; als er nu von der kirchen wider in den palast
keret, das niemandt so kün was ym nachzufolgen oder
jn au£E dem weg anzusprechen, . . . oder anschreyen und
grüszen, wie die Römer pflegen zu thon, vivat rex (die
IV. 1. 6.
rede ist von einem türkischen k&nig, der sich aus hochrufen
usw. nichts macht) S. Franck chron. u. beschr. d. Tur-
CJfcey (l530)D2b;
der knecht Matthies spricht bona dies,
wan er gut morgen sagt vnd grüst die magd
Moscheeosch gesichte (1650) 2, 123 ;
dann darumb grüszet man bona dies, dasz der ander
antworte semper quies Fischart Garg. 63 ndr.; an der
pforte des stalles empfieng sie der kutscher Andreas,
that sein pferdemaul auf und grüszte die gnädige com-
tesse Zachariä poet. sehr. (1763) l, 293;
ein bäuerleln . . .
grüszt mich ganz froh und munter
'ein guten abend, ein gute zeit'
Cl. Brentano (1852) 2, 4;
dann grüszte sie mich mit städtischem accente G. Keller
1, 186.
mit poetischer sttbjectsverschiebung. es findet eine be-
rührung mit den unter B 2 verzeichneten gebrauchsanwen-
dungen der gehobenen spräche statt:
bald grüszt beruhigt mein verstummter mund
den schlichten wnkel . . .
MÖRIKE (1905) 1, 47 Göschen;
der mund grüszet dich, das hertz flucht dir Henisch 1771 ;
die zunge, die grüszet zwar lieblich und saget : mein lieber
bruder, es ist niemand den ich lieber solte xmd mochte
sehen als dich Beinicke fuchs (1650) 411;
wenn seine lippen grüszen,
dann schwindet alles leid
Keukirch ged. (1744) 43;
hier ist die bedeutung 'küssen^ möglich, vgl. mit dem munde
grüszen.
in älterer zeit sehr häufig in Verbindung mit verben des
sagens: wann so ir eingeet in das haus, so grüszt es
sagent: fride sey disem haus erste deutsche bibel 1, 36 K/.
ver.; er aber grüszet sie freundlich imd sprach, gehet es
eurem vater dem alten wol l. Mos. 43, 27; {sie) The-
daldo Sachen unter seiner tür sten, im entgegen gingen
\md grüsten und zu im sprachen Arigo decamerone 215,
32 Keller; im freuntlichen zusprach und grüszet Wickram
1, 14 lit. ver.; ein reuter, der ongeferd für ritt, der grüszt
sie und sagt Frey gartenges. 88, 20 Balte; gprüsze gern
und sprich den leuten f rexindtlich zu Barth weiberspiegel
(1566) L f>^\ findet (ihn) auff der . . . Zugbrücken stehen,
grüszet ihn und spricht Hennenberger preusz. landtafei
(1695) 47; es kompt auch der fuchs dahin (zu dem löwen),
grüszet den alten und spricht Olearixjs verm. reisebeschr.
(1696), Lokmans fab. 112.
b) durch gebärde, bewegung, besonders handbewegung,
hutabnehmen tisw. : und weil er (der priester) die . . . kappen
an halsz gestreifft , . . den hut, als ob er sie (die frau)
grüszet, ein wenig rücket Kirchhof wendunmuth 2, 159
lit. ver.; (er ist) freundlich mit den leuthen, neigt sich all-
mahl und grüszt alle weit Paracelsus opera (1616) l,
238 C;
wer lobt mir Engeland? da grüst man durch den kusz
LOQAU sinnged. 342 lit. ver.;
wo er das frauenzimmer mit so tieffen reverentzen grüszen
wird Chr. Weise erznarren 36 ndr.;
die höflichkeit braucht jährlich einen hut.
man grüst sich arm Stoppe Parnasz (1735) 241 ;
er redte mit sich selbst, vergebens grüszt man ihn,
es fehlt ihm an der zeit, den huth herabzuziehn . . .
Rost verm. ged. (1769) 40;
er legte seinen hut vor seinen bauch und beide bände
in den hut, grüszte die anwesenden mit einem halbtiefen
bücklinge Nicolai Seb. Nothanker l, 45; sie bog beschei-
den zurück . . . und machte eine bewegung, als ob sie
mich grüszen wolte Bahrdt gesch. s. lebens (1790) 3, 246;
ihn grüszte sie (Mignon) . . . mit über die brüst geschla-
genen armen Göthe 21, 172 W.; und ihn tief grüszte Alexis
Boland 1, 106 u. ö.; sitte ist, was sich in dem menschen
festsetzt . . ., ihre herrschaft beginnt von dem sessel.
1011
GRÜSZEN B 8
GRÜSZEN B 4
1012
worauf er sitzt, von dem topf, worin er kocht, . . . von
der Verbeugung, womit er grüszt E. M. Arndt sehr. f. u.
an s. l. Deutschen 2, 153;
und freundlich grüszend mlt]|de3 hauptes neigen
Grillpakzkk 6, 78;
Stine stand oben am fenster, er grüszte mit der band
und stieg dann . • . hinauf Fontane I 5, 94; Frey l^steht
mit paketen da): guten abend, gnädige frau. pardon,
wenn ich nicht grüsze . . . G. Hiesohfeld die mütter
(1896) 27. vom militärischen grusz: wenn die generalität
oder ein anderer groszer herr vor einigen trouppen vorbey
fährt oder reitet, wird solcher entweder in stehen oder
marchieren von ober- und unterofficiers und von denen
gemeinen mit dem gewehr gegruszet Fleming vollk. aoldat
(1726) 425; als der fähnrich die beiden erblickte, hob er
sich wie zum tanz, senkte grüszend die fahne und liesz
das tuch in kunstvollen wellen durch die luft sausen
G. FRBYTAa 11, 8. weiterhin bei der hand grüszen, d. h.
mit hävdedrvAk begrüszen: die hochzeitsgäste bei der
hand grüszen Reiser sagen d. Allgäus 2, 258. mit dem
munde grüszen bedeutet 'küssen' : hättestu mir meine mey-
nung gebUliget, wolte ich dich mit dem munde gegrüszt
haben Prätoritjs bericht v. Katzenveite (1665) l 7*.
c) in den meisten fällen toird die art des grüszena nicht
näher erläutert: vnd ob ir alleine grüszt ewer brüder: waz
thüt ir mer? {et si salutaveritis fratres vestros tantum, .
quid amplius facitis) erste deutsche bibel 1, 21 lit. ver.;
werfen die ougen hin und her,
lachen, gaSen alle winkel an,
und thout eins ums ander traben,
damit verführens die knaben,
die sie grüszen und gaffen an
8. Bbant narrenschiff 4, 13 (interpol.) Zarncke, vgl. 2, 11;
die ehre stehet nit in grüszen oder neygen allein Luther
26, 487 W.; kumpt iemans zu vch vnd bringt nit mit im
dise lere, so entphohent in nit in uwer husz, auch grieszent
in nit Mubnbr an den adel 47 ndr.; ir sollen in nit gryeszen
noch zu herberg imd haus entpfahen Eberlik v. Günz-
BTJRa 3, 69 ndr.;
spricht: habt acht auff die schrlftgelerten,
die gern gehn in langen kleydern
vnd lassen sie auch grüszen gern
^ am marck und gassen, wo sie stan
H. Sachs 6, 375 lit. ver.;
was ist es, das so mürrisch bist?
ich glaub förwar, das dich verdries,
das ich dich nicht gnug höflich grüs
FiscHAET 1, 250 Kurz;
es ist ein böszhafftiges ding der menschen, dasz sie ein-
ander die mäntel vnd kleyder grüszen, aber sich nicht
Selbsten Lehman flor. polit. (1692) 3, 140;
gedenke bey dir selbst, kommt jemand angegangen
noch fremd und unbekant, er wird gar wol empfangen,
bescheidentlich gegrüszt Kachel tat. ged. 91 ndr.;
und halt nicht flugs mit ihr ein peinlich halsgerichte,
wenn ein bekannter mensch auch euer weibgen grüst
Henrici ernst-scherzh. u. sat. ged. 1, 249;
kein mensch so wild und roh, der, wenn er Ihn nur grüszte,
nicht auch zugleich empfand, dasz er ihn lieben müszte
Nkukiroh grei. (1744) d5»;
imd machte sich fertig, uns zu danken, wenn wir ihn
etwa grüszen würden A. v. Knigqb roman meines lebens
1, 35;
soll ich sie grüszen? soll ich vor ihr fliehen?
QÖTHE 2, 158 W.;
ich, der vernünftige, grüsze zuerst
Schiller 14, 21 G.;
Renot . . . ward etwas betroffen, als ihm ein heiterer,
schöner jüngling frey und ofEen entgegentrat, ihn an-
ständig grüszte Klinger w. 8, 109; allgemein reden sich
die thiere herr und frau an, grüszen und bewillkommnen
sich J. Grimm Reinhart fv^hs, vorr. 41 ; die Walpurgis
stand an der gartenhecke und grüszte, indem wir vorüber-
gingen Bettinb Cl. Brentanos frühlingskranz (1844) 55;
doch plötzlich faszte er die beiden anwesenden ins äuge,
grüszte verbindlich . . . und ging davon Holtei erz. sehr.
3, 189; er sah sie starr an, ohne sie zu grüszen Ranke
S. w. 4, 136;
nach Sevilla, nach Sevilla,
wo die letzten häuser stehen,
sich die nachbarn traulich grüszen, . . .
dahin sehnt mein herz sich sehr Laube 8, 12;
er grüszte und wollte neben ihr vorbeistürzen G. Frey-
tag 4, 97; er schien fast ein fremder; denn von den vor-
übergehenden grüszten ihn nur wenige Storm 1, 3.
d) im sinne des zutrinkens, als ausdruck der höflichkeit:
der wein ist treflich gut, vnnd laszt euch nicht ver-
drieszen, ausz einem fasz, aus einem glasz thu einer
den andern grüszen Fischart Oarg. 70 ndr.;
er nam ein becher voller wein,
gr&szet damit Achillem fein
Spreng Utas (1610) 112».
e) der briefschreiber übermittelt dem empfänger zu beginn
oder am ende seines Schreibens seinen grusz:
die Zeilen, welche mir letzt aus der feder flieszen,
sind von mir abgeschickt, herr bruder, dich zu grüszen
Canitz i/ed. (1727) 117;
die zehn minuten, die mir bleiben, kaim ich nicht besser
anwenden, als dich in gedanken noch recht herzlich zu
grüszen Moltke 6, 3 ; Philipp! war eyn eynige stadt und
hatte viel bisschoffe, wilche Paulus hie grüst Luther
8, 500 W.; wo wird z. e. ein handlungsbedienter itzt an
seinen herm schreiben wohledler und ihn am ende des
briefes freundlichst grüszen allg. deutsche bibl. 1, 2, 297.
f) vom Schiffs- und kanonengrusz , 'der seemännische
grusz gilt entweder von schiff zu schiff oder einer einzelnen
persönlichkeit, bes. einer fürstlichkeit oder einem höheren
Seeoffizier; gegrüszt wird entweder mit karumenschüssen,
dippen der flaggen oder streichen der segel, bei hochgestellten
persönlichkeiten mit hurrarufen' Kluge seemannsspr. 338:
endlich kam nach uns von mittag gegen norden ein
holländisches schiff, dieses schnurrte, ohne uns zu grüszen,
behend vorbey, und setzte seinen weg gegen Balassor
ganz unerschrocken fort Stöcklein weltbott (1726) 4, 94^',
s. auch Krünitz encycl. 20, 244 ; endlich fielen die anker,
und die festung grüszte mit einem königüchen salut
unsere trauerflagge Moltke ges. sehr. u. denkw. l, 199.
4) jemanden im auftrage einer dritten person grüszen,
einen grtisz von jem. an jem. bestellen, ihm ein zeichen der
höflichkeit, des gedenken^ übermitteln, diese Übermittlung
kann mündlich oder schriftlich vor sich gehen.
a) Fabius grüszete sie sehr von seinen eitern Bucholtz
Herkuliskus 129; vor lauter köpf weh, schnuppen und
herzenleid hab ichs vergessen, alle ihre wahre freunde
zu grüszen Schubart briefe 1, lOl Strausz; kinder tmd
enkel befinden sich übrigens wohl und grüszen Göthe
IV 34, 130 W.; er grüszt sie — liebt sie — wir sind über
wenig menschen so einig Caroline l, 80 Waitz.
b) besonders häufig imperativisch: grüsz mir, grüsz von
mir, grüsz!, d. h. vermittle meinen grusz an den und den:
herre, zuo dem rltent ir
unde grüezent in von mir
Hartmann Iwein 5114;
leyve süestergin, grüesze mir vrauwe Geyrdrut inde sayge
i r, dat sy bei Steinhausen privatbriefe l, 5 ;
. . . eile nach dem norden,
grüsz mir mein vertrautes kind,
hörst du disz, mein sudenwind
Neumark lortgepfl. muaik.-poet. lustw. 1, 278;
grüszen sie mir den auserwählten mann S. v. Laroche
gesch. d. frl. v. Sternheim 1, 100 ; grüsze ihn von meinet-
wegen Adelung lehrg. 2, 123;
grüsz alle deine lieben mir
Schubart sämmü. ged. (1825) 2, 127;
grüszen sie herzlich alle die unsrigen Göthe 24, 107 W.;
grüszt alles, ich bin in gedanken immer mit euch, und
liebt mich ebda 32, HO; grüszen sie Göthens Sylli Gleim
briefw. 1, 223 Körte;
1013
GRÜSZEN B 5
GRÜSZEN B 6
1014
80 sagt nur, ich kam ia zwei tag oder drei
und griiszt mir mein bübel und rührt ihm den breil
MÖRIKE (1905) 1, 35 Oöschen;
doch magst du sie, wenn du es mit schick machen kannst,
immerhin von mir grüszen; ein grusz bedeutet heut zu
tage nicht viel mehr wie ein 'guter tag', den man auf
der strasze ohne unterschied einem jeden zuwirft Hebbel
briefe 1, 16 W.; wie gehts Adelen? grüszen sie recht herz-
lich, wenn sie schreiben A. v. Dkostb-Htjlshofb' brieje
96 Schücking.
c) grüszen lassen, grüszen heiszen : er heiszt dich grüszen
avere te iubet, mein sun Cicero laszt dich grüszen salvebis
a meo Cicerone, unser gantz hauszfolck laszt dich grützen
domus te tota nostra aalutat Maaler 1943'; avere te iubet
heiszt dich grüszen, sagt dir ein grusz Feisius 138''; er
laszt dich grieszen dausentmal Wickbam 4, 39 Bolte; er
lest euch ewre Sidonia wiedrumb gar freundlich grüszen
671^^ kom. (1624) z 8''; er laszt dich grüszen il vous salue
affectueusement, plurimam tibi salutem dicit Wiedebhold
(1669) 152^; 'guten tag, Melle, dein buntes lamm läszt
dich grüszen!' (der unbekannte hatte es gestohlen und ver-
spottet jetzt den eigentümer)W.Gvaym deutsche sagen 1, 152;
der Raspelmeyer laszt sie grüszen, und laszt ihr einen
schönen guten morgen wünschen Sbb. Bbunner erz. u.
sehr. 1, 97 ; das ganze dorf läszt grüszen ! Fbeytäq 3, 27.
5) freundlich, teilnehmend entgegenkommen,
a) in der sprichwörtl. redeweise gott grüszt die men-
schen, sie wissen es aber ihm nicht zu danken u. ä., seit
Luther in verschiedenen Variationen: gott grüszet alle
weit, aber wenig dancken jm 24, 393 W.; gott grüszt offt
einen, aber weiszt ihm nicht zu antwortten deus saepe
nobis offert praeclaram occasionem rei bene gerendae, con-
sequendae, sed nos nolumus eam amplecti, rep/udiamus eam
Henisch 1772, vgl. Lehman /?or. polit.{l(iQ2) l, 283. inab-
leitungen: gott grüszet uns gnädiglich, danken wir ihm
nicht, so werden wir uns hochlich versündigen Luther
briefe 4, 382; weil jn gott grüszet und beut jhm das ferck-
lein, soll er gott dancken Mathesius Sarepta (1571) 23^;
wenn einen gott und das glücke grüszet, so soll man
beyden billig dancken Jon. Hoffmann polit. Jesus Syrach
(1740) 8.
b) die gelegenheit, das glück grüszt die menschen, d. h.
bietet sich freundlich, gibt eine chance, die genutzt werden
sollte, im Sprichwort: wenn die gelegenheit einen grüszet,
soll er jhr dancken Lbhman ßor. polit. (1662) 1, 283, vgl.
Wille Sittenlehre (1781) 76. heute in süddeutschen mund-
arten: wenn di d'glegenheit grüezt, so dank ere Staub-
TOBLER 2, 812; wenn die gelegeheit grüszt, musz ma ihr
danke Fischer schwäb. 3, 887; ihr bruder, das glück
grüszet uns, wir müssen jhm dancken Harsdörffer
frauenz. gesprächsp. 2, 288; vgl. auch unter a. hierher Un-
geschick läszt grüszen Schmellbr-Fr. 1, 1014 u. ö.
c) gott als die menschen grüszend erscheint dem lat. do-
minum tecum entsprechend in der heute in Süddeutschiand
weit verbreiteten gruszformel: gott grüsze dich, grüsz gott
usw., d. h. gott sei dir wohl, helfe dir:
a) belege aus glossaren: avete got grüesz üch, grusz euch
gott obd. 15. jh. DiBF. 60 *; gott grüsz dich salve, salw^ sis
Maaler 194*; gott grusze dich, ave, salve, salvus sis\
Stieler 712; gott grüsz dich, gott behüte dich Henisch
(1616) 1771; ove gott grüsz dich Frisius 1381». in modernen
mundarten: grüsz gott Fischer scAzcäft. 3, 887 {'im haupt-
gebiet geläufigste beurillkommnung unter gleichstehenden,
antwort darauf ebenso oder grosz dank ! gott dank ! dank
(dir, ihne) gott! die formet wird nicht beim abschied ge-
brauchf); gott grüez-i, grüez gott Staub-Tobler 2, 812l>,
vgl. god groet(e) u! woordenboek 5, 871 s. v. groeten; Ver-
WIJS-VbrDAM 2, 2158.
ß) küng fründ, got grüsze dich
Friedr. v. Schw. 5609 Jellinek;
got grüsz üch, fräwen mein! ebda 6025;
'dominus tecum' sicut nos dicimus: got grust dich, got
helff dir Luther 17, l, 153 W.; got grüsz dich auch mein
herr und mein ernerer Albr. v. Eyb Spiegel d. sitten (1511)
H5a;
gott geh, gott griesz, ich sags fürwar,
nüt schedlichers dann ein gelerter narr
MiTBNSK narrenbeschw. v. 119 Spanier;
nun grieez dich got, min vatterland
MUKNER badenfahrt 24, 72 Michels;
Barbali, gott grüetz dich in din herz
N. Manuel 142 Bächtold;
sij spotten sein, sagent, gott grüsz dich künig der Juden
erste deutsche bibd 1, 119, 19 lit. ver.; die Juden . . .
sprachen: gott grüsz dich, Judenkönig Luther 11, 444 W.;
grüsz dich gott Eppendorf Plinius (1548) 23; gott grüsz
euch Friedrich Wilhelm sprichw. reg. (1577) < 1^;
gott grüsz üch schone hie in einer gmeyne,
af disem plone, alie grosz und kleyne
Schweiz. Schauspiele d. 16. jfis. 1, 59 Bächtold;
gott grüsz euch, Jungfrau reine I
A. y. Arnim 21, 4 Orimm;
grüsz dich gottl siegesgreis,
grüsz dich im heldenkreis
deutsches gestlrnl (gemeint ist Blücher)
Cl. Brentano 2, 48;
grüsz gott, grüsz gott, liebs schätzelein,
was machst du hier im bettelein?
Mittler dtsehe Volkslieder (1865) 139;
'gott grüsze dich, Erich, und dank für dein willkommen!'
Stobm 1, 25. mit lasziv verhüllender bedeutung: gott
grüszens machen, d. h. beiliegen: soll ich dir (gott helff
uns) gott grüszens machen? Schumann nachtbüchlein
17 Bolte.
d) umgekehrt vnrd von dem menschen gesagt, dasz er
gott, der ihm begegnet, oder das sich bietende glück nicht zu
grüszen, d. h. ihm seinerseits entgegenkommen, ihm freudig
willfahren, ihm guten vnllen entgegenbringen vermag, in
sprichwörtlicher redensart: gott begegnet uns täglich dar-
mit, wir können in aber nit grüszen Luther 18, 6 W.;
das dis Sprichwort war ist: gott begegnet uns offt,
wer yhn künde grüszen 24, 573; und wilche solch sein
werck und wege nit leyden, die treiben von sich seine
gnaden und künden gott, der yhn begegnet, nit grüszen
und seinen grusz noch vorstehn noch dancken 7, 365, 4.
das Sprichwort erscheint in mannigfacher Variation: gott
begegnet manchem, wer yhn grüszen kondt Agricola
teutsche sprichw. (1534) b 6*; es begegnet manchem unser
hergot wol, wann er jn grüszen möcht S. Franck sprichw.
(1541) 1, 99"; vgl. schöne weise klugr. (1548) 36; Friedrich
Wilhelm sprichw. reg. {1577) s zf^; eine erklärung des
Sprichwortes bei Albr dict. {1727) 1, 285*: gott begegnet
manchem, wan er ihnen nur grüszen könte, das ist, gott
thut allen gut, wan sie es nur erkennen köTÜen. vgl. nd.
gott begegent mennieen, de em man gröten kunn Mbn-
SING 2, 497;
gar manchem thut das giflck begegen,
und bringt mit im ein guten segen,
damit er möcht sein Irummer büszen,
er weisz es aber nit zu grüszen
BURKARD Waldis Esopus 1, 191 Kurz.
6) in berührung kommen mit, daher betreten, besuchen,
auch gedanklich streifen.
a) besuchen, betreten, angewandt in poetischer oder ge-
hobener diction. der sinn des freudigen Wiedersehens ist
meist eingeschlossen:
als wir das ufer nu gegrüszet
Stieler geJiarn. Venus 57 ndr.;
neun jähre sind vorbey geschossen, . . .
dasz ich die liebe Vaterstadt
nicht habe, wie ich sol, gegrüszet
Nettmark lortgepfi. musik.-poet. lustw. (1657) 1, 173;
bis, mit dem siegskranz In der band,
ihr wieder grüszt das Vaterland
KÖNIG i?ed. (1745) 102;
ach hlmmell lasz mich doch die thäler grüszen,
wo ich den lenz des lebens zugebracht
Haller ged. 6 Ritzel;
ich hab sie gebeten, diesen sommer noch einmal Königs-
berg zu grüszen Hippel briefe 14, 365. vgl. auch: in Jena
64*
1015 GRÜSZEN B 7. 8 - GRUSZFORMEL
GRUSZFORMULARIEN-GRUSZLIED 1016
halte ich mich nicht länger auf als nötig ist, Knebel und
Hendrich zu grüszen Göthe IV 21, 387 W.
b) hierher gehört wohl auch die redewendung das hand-
werk grüszen, d. h. bei einem berufsgenoasen vorsprechen,
ihn besuchen: er findet noch musze, gelehrte zu besuchen?
— nun, nun, Schwester, er musz doch das handwerk
grüszen Kotzebue sämmtl. dram. w. (1828) 18,248; vgl.
auch unter grüszer und gruszlied; «otc ie Fischee schwäb.
3, 1137.
7) sprichwörtliche redensarten: wie man dir rufft oder
dich grüszt, also antwort S. Fbanck sprichw. (1542) 2,
1091*; ebenso schöne weise Mugr. {I5i8) 43*>; wie du mich
grüszt, so wil ich dir danken Fbanck sprichw, (1545) 1, 30^»;
dem lat. prospicere tardum et a limine salutare d. h. nur
oberflächlich sich auf etwas einlassen (Seneca ep. 49, 6)
entspricht vor dem geschwell grüszen Fbanck sprichw.
(1545)1,11'; Eyebing 2, 276; schöne weise klugr. {I5i8)
135^. in anderer formulierung : under der thür grüszen
Feiedeioh Wilhelm sprichw. reg. (1577) £E 1«=; der wolff
grüst kein schaaf Lehman flor. polit. l, 334, vgl. ebda 3,
73: es grüszet kein wolff ein lamb, s. auch Henisch 1771;
den zäun wegen dem garten grüeszen bedeutet nach
Schmellee-Fr. 1, 1014 jem. aus geheimen absichten schön
thun: ma grüszt de zäun wegem garten Fischee schwäb.
3, 887. älter: der geiszbock grüszet den zäun um des
gartens willen Moscheeosch ges. (1666) l, Q^; man soll
kein hungerigen ansprechen oder grüszen schöne weise
Mugr. (1548) 142b; freundlich grüszen kostet nicht vil
Henisch 1771, vgl. Staub-Tobleb 2, 812.
8) besondere construxUionsweisen:
a) construction mit dativobjed, entgegen dem üblichen
gebrauch des accusativobjectes : dem ersamen man, bruder
Conrade von Homecke, keiner zu Marburge, odir bruder
Frideriche von Salzberg gruzen ich, bruder Ditmar von
Gemunden, mit allin truwin in gote (c. 1300) hess. urkun-
denb. 2, 1 Wyss-Reimer; Thusnelda grüszt ihnen J. H.
Meeck an herzogin Amalie v. Sachsen-Weimar 2, 166
Graf;
wir fallen ihr (Maria) zu füszen,
der wir grüszen Hitt^^v. deutsche Volkslieder 30i;
es stehen dreu sternlein am himmel,
die geben der lieb ihren scheun,
gott griesz dir schönster engel mein
deutsche erz. d. 18. jahrh. 80 Fürst.
b) reflexiver gebravx^h ist mundartlich, z. b. im obersächs.
nach Müllee-Featjbeuth l, 447^ : der grüszt sich nicht
(vor mir) er grüszt mich nicht, ich hab mich gegrüszt,
er tat sich nicht griszen.
GRÜSZER, m., einer, der grüszt, gern und oft grüszt,
sa^MtonM« Diepenbach509C; sa^wto^or FBisiusli77a'; Ca-
lepinus undec. ling. (1598) 1293*; salutator, salutiger, salu-
tigerulus Stielee 712 : ein fleisziger grüszer und anspre-
cher Stephanus Vigilitts de rebus memorandis (1541) 14^ ;
do es der kaiser höret, sagt ehr, hör auff, solcher grüszer
hab ich dahaim genüg ebda 32»; mane salutandum totis
vomit aedibus undam, hoc est turbam er leszet die
grüszer oder glückwunscher mit groszem hauffen aus
dem gantzen hause Bas. Fabeb thes. (1587) Q56^. nd.
en gröter ein gern und viel, besonders damen begrüszen-
der Schütze holst, idiot. 2, 75. ruich Ungee-Khull 312*
war der grüszer in der älteren spräche der mit dem sog.
handwerksgrusz {im gegens. zum lehrbriefe) ausgestattete. —
gruszform,/.; die alte gruszform der Palau-insulaner,
weiche mit band oder fusz des zu grüszenden sich das
gesicht reiben Ratzel Völkerkunde 2, 200; die gruszform
ist nicht da, um zu verbinden, zu verbrüdem, sondern
ganz im gegentheil, um zu unterscheiden, zu trennen
RoSEGGEE II 2, 51. — gruszformel, /., eineformel oder
die Worte, womit man andre zu grüszen pflegt Campe 2, 478,
vgl. Keünitz encycl. 19, 206: ihre {der kuhhändler) grusz-
formel bey . . . besuchen: herzevetter, herzemuhme, bis
hübbisch, bis frumm! deutsches museum 4, 118 JP. Schlegel;
ich denke: besiers de vin, ein kus und küssen vom
wein, beim trinken, die ganze zeUe gruszformel der zecher
J. Gbimm kleine sehr. 3, 77; das 'friede sei mit euch!'
... ist bei ihm nichts als die bekannte hebräische grusz-
formel D. Fb. Steausz 4, 365; mit dem maurer wechselte
der bursche die gewöhnlichen gruszformeln Melchioe
Meye erzähl, aus dem Ries 1, 272 ; andere unserer land-
läufigen gruszformeln mag ich gar nicht berühren
RoSEGGEB II 2, 47 ; in den bergreien, die . . . der zeit vor
dem 17. Jahrhunderte angehören, . . . findet sich 'glück
auf' gleichfalls nicht, weder als gruszformel noch als
muntemder ausruf Veith bergwörterb. 246. — grusz-
f ormularien, pl.: ihrer {der Stutzer) complementen seyn
sodann unbeschreiblich viel, die von allerhand frantzö-
sischen grusformularien . . . gläntzen Butschky Pathmos
487. — gruszfriede, m.: da finden wir alle stücke, so
zu einem grusz und liebeskusz gehören: os suave, die
holdseligen lippen, aus welchen geflossen der gruszfriede
Dannhaweb caiechismusmilch 6, 5.
GRUSZFUSZ, m., in Verbindung mit verben, z. b. auf
dem gruszfusz stehen so weit mit jem. bekannt sein,
dasz man sich grüszt: gunntag, gunntag bezeichnet das-
jenige gesellschaftliche Verhältnis, bei welchem man mit
jemand nur auf dem grüszfusze steht Kleemann nord-
thüring. id. 7^. auf den gruszfusz geraten, kommen: wenn
ich mit Schreinzer nach dem theater ging und er, die ihm
hier und da begegnenden kollegen anredete, wuszte ich
mich bescheiden ins gespräch zu mischen, wodurch ich
mit den meisten auf den gruszfusz gerieth Holtei vierzig
jähre l, 368; auf den gruszfusz kommen deutsche rund-
schau, okt. 1903, 64. femer: die dankbaren grüsze, die mir
Franziska häufig empomickte, . . . brachten mich nach
und nach mit den eitern auch auf den gruszfusz Holtei
erz. sehr. 1, 39. — gruszgabe,/.; die grusz- und wunsch-
gab, auff welche weis die freund Job wegen wider er-
langten gesundheit . . . gratulirt . . . {haben) Dannhaweb
catechismusmilch 2, 342. — gruszgebot, n., der grusz,
das entbieten des gruszes Campe 2, 478:
trautes nicken, grüsz euch gottt
war der mädcben gruszgebot
Bltjmauer ged. 102.
— gruszgesang, m.: endlich hörte er den wunderbaren
gruszgesang an die schlafende . . . aus der dämmerferne
Jean V avl 20, ^02 Hempel. — gruszgespräch, n.:
grusz- und willkommgespräche A. U. v. Bbaunschweig
Octavia S, As^. — grüszgott, m.: dös is a schöner
grüszgott dafür, dasz mer dir was z' lieb thut Anzen-
GEUBEE 8, 202; mit dem fröhlichen 'grüszgott' Th. Keb-
neb Kernerhaus 40. — grüszhaft, adj., qui libenter
salutat Diefenbach gloss. 509^ (15. jh.). — gruszhand,
/., die zum grusz dargebotene hand: die Kathrin schreitet
kühnlich voran, ihr tut keine wähl weh, wem sie ihre
gruszhand bieten soll — dem Hies Roseggee II 7, 325. —
grüszig, adj.: grüszig salutatorius, gemgrüszig libenter
salutans Stielee Stammbaum 713. — gruszkusz, m.,
kusz als begrüszung: der . . . niemand eines gruszkusses
solte gewürdiget haben Dannhaweb catechismusmilch
6, 50. — gruszläuten, subst. inf., abendläuten zum * eng-
lischen grüszt Ungee-Khttll 312*. — grüszlein, n., de-
minutivbildung zu grusz Rist himml. lieder (1652) vorr. 3*.
GRÜSZLICH, auch gruszUch, adj., gern grüszend,
freundlich {vgl. grüszbar), salutaris Diefenbach 509'': es
gezimet einem guten boten, dasz er seine botschaft
minder oder mehr kündt gütig und grüszlich reden A. V.
Pfobe alte weisen (1565) 118^»;
gar zu minniglich
dankt ihr mund:
lacht so grüszlich,
lockt so kuszlich,
dasz mirs bebt in des herzens grund
J. H. Voss ged. 4, 24.
— gruszlied, n.: in dem eben erwähnten gruszliede
Regenbogens zeigt sich besonders noch eine beziehung
auf die form der handwerksgrüsze TJhland sehr. z. gesch.
d. dicht, u. sage 2, 358;
nun hinabzieht mit dem gruszlied
an die gottheiten der bürg dort
Drotsen Äschylus (1841) 323.
1017
GRÜSZLING - GRUSZWORT
GRUSZZEILE - iGRUTZE
1018
GRÜSZLING, m., eine art eszbarer pilze Nemnich wb.
d. naturg. 214. vgl. zs. f. d. wortf. 5, 188.
GRUSZLOS, adj„ ohne zu grüszen oder ohne gegrüszt
zu werden:
lasz mich lied- und gruszlos liegen,
lasz nur an deine knie mich schmiegen,
seis in staub auch und allein 1
R. KÖGEL flred." 28;
gruszlos jagt RiwaUn von dannen Immermann 13, 42
Boxb.; auch die gruszlose begegnung mit der geliebten
auf einsamen wegen war ein erlebnis, ein markstein auf
der lebensreise G. Keller 6, 69. — grusznachbar, m.,
ein nachbar, der nur in einer gruszbeziehung zu jem. steht:
der andere auserwählte stritt sich mit einem der blos
grusnachbaren wegen der schlechten zelten Hippel
lebensl. 3, 2, 51i. — gruszpflicht, /.; die gruszpflicht
der burschen in livree regelt der gouvemeur v. Alten
handb.für heer u. flotte 2, 641. — gruszpredigt, /.; am
ersten sonntag wollte ich eine schöne gruszpredigt halten
Rosegger II 1, 51. — gruszrede, /., Sohottel havbt-
sprache 420; Stieler 1540; Kramer dict. i (1700) 575^:
nach etlichen gewechselten grusreden, fing er straks wider
an von seinen gestrigen treumen zu sprechen Zesen Asse-
nat (1672) 185; der alte war nach den üblichen gruszreden
zu dem knecht getreten, ihm anweisung zu geben, wie er
die rosse zu füttern habe Melchior Meyr erzähl, aus d.
Ries 3, 344. — gruszsam, adj., freundlich, leutselig: er
was ouch ein gnadricher, grüszsamer mann, wer in an-
gesach, der gewan ein liebe zu im Stretlinger chronik 109
Bächtold. — gruszschreiben, n., vgl. gruszbrief:
Sattler teutsche rheforik (1610) 260; und ist nichts lächer-
lichers alda zu sehen, als wann ein novitius ein neuer
Schwärmer von ihnen ankommet, seine literas commenda-
titias grusz- und vorschreiben einhändiget Moscherosch
gesichte 1 (1650) 17; erhellet deiner liebe anstralung, im
jüngsten gruszschreiben Harsdörffer fewiscÄcrsecrei. 1,22.
— gruszträger, m., Überbringer von grüszen oder briefen:
salutigeruli gruszträger, die von dem müszigen frauen-
zimmer zu den guten schwestem geschickt werden, jhnen
einen guten morgen zu sagen vnd zu fragen, wie sie die
nacht geschlaffen Corvinüs fons latinitatis (1646) 732.
gerichtsdiener: und bin seit dreisig jähren wohlbekannter
posten-brief e-gruszträger, ansager alles glückes Petrasch
sämtl. lustsp. 1, 374. — gruszträgerin,/., Überbringerin
von grüszen oder briefen: die brauchte zu einer hin und
her post- oder gruszträgerin ein lediges bettelmensch
V, LiLiENBERG küTistl. Unordnung 2, 232.
GRÜSZUNG, /., grüszende anrede, begrüszung Stieler
713; Krämer dict. l (1700) 575''; Steinbach l, 651: der
trachenschwantz ist auch im mittel des himels gestanden,
widerumb von der sibenden grüzsung wegen Saturni
imd Jovis im mittel des himels Grünbeck spiegel der
sehungen c 4^; als so das volck alte männer, . . . mitt • . .
grüszung, entweychung, . . . ehret Schwarzenberg Cicero
(1535) 35; dieweil der Arkalaus kein heim auff hat, vnd
on ansprechen oder grüszung bisz zu dem könig für ritte
Amadis 224 Keller; sobald die abgeordneten, nach aus-
führlicher betitelung und grüszung, über den hergang
ihrer Verrichtungen rechenschaft abgeleget hatten, fragte
der schultheisz ...Zschokke 28,5. — grüszungsart, /..•
alle küsten einander . . . auf den mund nicht so wohl,
weile diese grüszungsart unter . . . August aufkommen,
als weil es eine alte gewohnheit der . . . Deutschen war
Lohenstein Arminius 2, 743''. — gruszverbindung,
/. ; ich selbst, der brief faule, hatte mit Lobeck nicht ein-
mal gruszverbindung J. H. Voss antisymb. 2, 77. —
gruszwechsel, m.; er wolte sie diesmal recht darauf
ansehen, ob sie denn wirklich eine solche sei, wie die
leute sagten; deshalb liesz er seine äugen während des
gruszwechsels tief prüfend a\if ihr ruhen Melchior Meyr
erzähl, aus d. Eies 1, 199. — grusz weite, /., eine für den
grusz ausreichende entfernung : schusz- und grusz weite Jean
Pattl 11/14, 255; 27/29, 321 H. — gruszwort, n.: einige
gruszesworte zukommen zu lassen Welcker (1814) bei
K.Wild K. Th. Welcker 343; 'aber', — fügte er den ersten
gruszworten hinzu — 'jetzt und hier ist keine zeit zur
Unterhaltung' Immermann l, 182 Boxb.; ein gruszwort ist
kein leerer schall, aber das rechte musz es sein Rosegger
II 2, 50. — gruszzeile, /.: so möge er denn diese grusz-
zeilen für ew. durchlaucht mitnehmen Pückler briefw.
u. tageb. 3, 212.
GRUSZZEIT, grüszzeit, /., 'schonzeit, hegezeit des wil-
des^ wie gruse 4 {s. sp. 933) und daraus abgeleitet; in
der älteren Jägersprache gebräuchlich: weder wehr noch
hochzeug (darf) gebraucht, noch in solcher grüeszzeit
der haas geschossen werden (v. 1609) nach Birlinqer
Schwab. -augsb. 205^; geschlossene oder bann-, auch hege-,
grusz- und waidsperrzeit wird zwaymal des jahrs be-
obachtet, nemlich zu sezzeit und vogelbruth, dann zur
prunftzeit Heppe wohlred. jäger^ (1779) 180, vgl. Unger-
Khüll steir. 312».
GRUTSCH, m., hamster, daneben steht in älterer spräche
grütz(e) (s. u.), in jüngerer zeit auch grutschel Nemnich
wb. 2, 651; grentsch teil 4, 1, 6, 117; grontsche Müller-
Fratjreuth sächs. volksw. 46; damna vel melota grutsch
(15. /Ä.) DiEFENBACH gloss. 165''; melo grutsch voc. teut.
{Nürnberg 1482) nach Diefenbach nov. gloss. 250*: furun-
culus ist ain tier, daz haizt in gemainer sprach ein grütz
{var. grutsche) KoNR. von Megenberg buch der natur 139;
diu frouwe beiz umbe als ein grutsch (handschr. gruisch)
Seifhid Helblinq 1, 1216 Seemüller;
reht als die grutschen und malwerf
machten si lochet, grub und kerf
M. Beheim buch V. d. Wienern 380, 10 Karajan, vgl. 118, 21;
der grutze oder cirogull, der do eintruckt (wiederkaui) und
teilt nit die klaw erste deutsche bibel 3, 392 lit. ver. (choero-
grillus, qui ruminat ungulamque non dividit), wo eine bibel
von 1583 grutzer übersetzt, s. Frisch wb. l, 380. in älterer
spräche ist grutsch auch für die Steiermark bezeugt,
8. Unger-Khüll 310*. unsicheres griuzel bei J. Enikel:
der verswant sam ein griuzel (: Priuzel)
tuot in einer valle fürstenbuch 2172
stünde im abtaut zu grütze. dazu als ableitung: verchauffet
man daz grütschein oder lampvel, so geit man von dem
pfimt vier phen. qu^le (14. jh.) bei Lexer 1, 1108; von den
grütschein, lampvellen nimpt man . . . ebda; eichhorneins
und grutzeins mag ein kursner . . . kaufen als vil als in
gelust Olmützer stadtb. 103 Saliger. — grutschner, m.,
verarbeiter und Verkäufer von hamsterf eilen, nur in älterer
spräche Unger-Khüll 310*.
GRUTSCHEN, vb., knirschen, grutschen stridere Al-
TENSTAiG (1516) nach Diefenbach gloss. 556*; grutschen
(mit den zahnen) grogner, marmotter Schrader wb. 1, 582.
heute in obd. mundarten noch gebräuchlich, s. Fischer
Schwab. 2, 889, auch als grutzgen K. Reiser sagen des
Allgäus 2, 705; Schöpf tirol.21Q; in der Schweiz dafür
gritzen Staub-Tobler 2, 836; teil 4, 1, 6, 386.
GRUTTEL, m., auch grüttel, aufregung, unruhe: als der
gruttel zergieng (1468) bei Staub-Tobler 2, 828, ebendort
weitere belege.
GRÜTZ, m., d. i. grübs, griebs {s. o. teil 4, 1, 6, 254 und
grotz(en) 2, s. teil 4, 1, 6, 598), arulla grubsz, grutz, gricz
Diefenbach gl. 52'' : wer die öpfel in wendig aussneid und
den grütz davon werf Konr. v. Megenberg buch d. nat.
37iPf.; daneben begegnen auch die formen grotz, grotze,
grotzen, grutzen, s. Crecelixjs oberhess. wb. 438 ; rhein.
wb. 2, 1441; krotze, krotzen, 5. teil 5, 2424; Vilmar Kur-
hess. 229. vermutlich gehört hierher auch: glandula trüsen,
grützen an den Schweinen oder seuwen Frisius dict. (1556)
605^; Calepinus Xlling. (1598) 30*, vgl. dazu griebs in
der bedeutung 'adamsapfel, kehlkopf\ s. teil 4, 1, 6, 255. —
grützwerk, n.:
bringt mir vor allen dingen
die groszen öpfel auf dem bret,
die ich einkaufet nechten spet!
was soll wir mit dem gritszwerck than
J. Ayeer 1868 Keller.
^GRÜTZE, m., hamster, s. grutsch.
1019
2 GRÜTZE 1
2 GRÜTZE 1
1020
^GRÜTZE, /., m., geschrotetes gdreide.
herkunft und form.
ahd. gruzzi, gruzze, grutze, nM. grütze, ags. grytt, n.,
poUis, grytta, gTjttein{pl.f.)furfur, engLgrit, mnd. grutt«,
/., gehören wie grausz, griesz, grosz, an. grautr, m., grütze,
ags. grot, n., pollis, particula, grotan, engl, groats grütze
zur idg. würzet ghreud- zerreiben, zermalmen, die im germ.
im st. V. ahd. f ergrozziniu excollocta ( = excuJta) gl. 2, 207,
67 ; 211, 77 und gigrozzan broth panis cretinus ( =xqi&iu6s)
gl. 3, 507, 6 sowie in mhd. griezen zerkleinern, zermalmen,
streuen fortlebt, die bei einer schweren wurzel zu erwartende
langvokalische form der Schwundstufe begegnet wie in ags.
grüt, mhd. grüz in lit. grüdas körn, grüdiene grützbrei.
dagegen geht ksl. gruda erdscholle ow/*gröudä zurück, wei-
teres bei Walde- PoKOKNY 1, 649/.; Tkautmann bsl. wb.
99; Bernekeb 357. das geschlecht ist ahd. und mhd. un-
klar, nhd. erscheint neben dem fem. auch das masc. und
neutr.: da Bchmissen die mönche . . . den grütze mit der
Schüssel auf den ofen Hbebergeb. herzpost. (1613) i, 263;
hat die köchinne aufsieht auf ihre mutz, . . .
BO hat sie nicht sonderliche gedancisen auf den grütz
Pkätoeius phüosophia colus (1662) 128;
brennt euch der kalte grütze auch sehr aufs hertze? Chb.
Weise grünende jugend 183 ndr.;
die liebe brennt wie heiszer grütze
und würcket tausend banglgkeit
Henrici ernst-scherzh. u. sat. ged. 2, 403.
weitere belege s. urUen. das nd. wechselt zwischen gört(e),
DOOBNKAAT-KOOLMAN OStfricS. l, 6Q5; WÖSTE 82^; MÜL-
LER-WeITZ Aachener ma. 70, gööt Höniq Köln 67 und
grüt(te) HÖNiQ GQ'j'Kimecklenb. 2ö;Sohambaoh Oöttingen
70, fast nur als fem., doch vgl. das masc. bei Frischbier
preusz. 1, 268; HuPEL Lief. u. Esthl. 83. auch das md.
(grütz, gritz, grötz, gretz) bevorzugt das fem., doch vgl.
Crecelius oberhess. 442; Hofmann niederhess. lil* und
die historischen belege bei Müller-Fraureuth 1, 448. auf
obd. boden ist das wort seit je wenig verbreitet oder unbekannt
gewesen. Augsburger und Züricher bibelübertragungen mei-
den es, s. Byland Wortschatz des Züricher alten testamentes
von 1526 und 1531, s. 46; Fischer schwäb. 3, 889 anm. die
bayrisch-österreichischen dialektwbb. verzeichnen grütze
überhaupt nicht, während das schwäbische das wort heute
nur in der bedeutung 'verstand' kennt, es steht aber nicht
fest, ob grütze 'verstand' und grütze 'getreidekörner, brei'
ursprünglich gleiche Wörter waren, die Verbindung der erst-
genannten bedeutung mit kritz (s. u. teil 5, 2341) ist möglich
und es könnte die uneinheitlichkeit im geschlecht auf alter
entstehungsverschiedenheit beruhen, allerdings scheinen von
der idg. wurzel *ghreud- auch Wörter, die sich auf das see-
lische gebiet erstrecken, gebildet worden zu sein wie russ.
grustB kummer, lit. graudüs 'brüchig, rührend, wehmütig;
vgl. auch ahd. grüsön schrecken empfinden' Walde- P. 1,
648/, eine klärung des Sachverhalts scheint nicht mehr
möglich.
bedeutung.
1) m^hr oder weniger grob geschrotete und enthülste körner
von gerste, hafer, buchweizen, hirse oder der daraus ge-
kochte brei.
a) getreidekörner, geschrotet oder gestampft: pabulum
grosz, grutz als die swein essen, mancherlei körn ge-
menget vocab. theuton. (1482) nach Diefenbach gl. 405^,
vgl. 2263', s. V. farrago; gritze alica Aler dict. 1, 983*;
grütz (der) est far comminutum, polenta, farrago, granea
ptisana Stieler 712:
da wird brimel, grütze
daz ist auch gar nütze,
und den pferden füter
KÖNIG V. Odenwald 5, 39 Schröder;
item 41/2 f. vor 2 tunne grucze handelsrechn. d. deutschen
Ordens 4 Sattler; item 1 firdung 1 seh. vor grucze, pottir,
böten, dorsch zu schiffe zu brengen Marienb. treszlerbuch
17 5 Joachim, häufig im groszen ämterbuch, auch als grocze,
s. register; und das weib nam und breitet eine decke über
des brimnen loch und breitet grütze drüber, das man es
nicht mercket 2. Samuel 17, 19; der er bar mann . . . dörret
sein gerstene graupen oder weitzene grützen Mathesiüs
2, 130 Lösche; wie bei den nidern Sachsen der brauch {ist),
. . . den grütz oder bauchweitzen mit milch zu sieden
Ryff Spiegel u. regiment d. gesundth. (1544) 38*; appenda
die hülse vom hirtz oder grütz nomencl. lat. germ. {Ham-
burg 1634) 103 ; nachdem dann linsen, bonen, hirse, beide,
habern, garsten, grütz, auch erbeiszen, sehr gute speiszen,
zum krieg dienstlich S, Wolder türck. Untergang { 1664) e i^» ;
mit erbsen, gritz und bohnen
kompt {der bauet) axif den marck gar schone
Agyktas grülenvertreiber (1670) 97;
man richtet daraus {aus dem heidekor n) wenn es auf der
mühle zurecht gemacht und ausgehülset, den grützen zu
v. Rohr obersächs. hausvdrtschaftsb. (1722) 205;
sie waren ehmals rüstige gesellen,
der eine, der den mais gemahlen, dieser,
der graupen und auch deutsche grütze machte
TiEOK 10, 186;
was die niedern bedürfnisse betrifft, bitte ich zur grütze
noch von jeder nudelsorte ein pfund packen zu lassen
(3ÖTHE IV, 10, 196 W.; von der Dresdner grütze so viel,
dasz ich mir alle morgen kann in den bouillon das nöthige
einrühren lassen ebda IV 21, 81; eine habersuppe, worin
man wasser und grütze, butter und salz . . . unterscheiden
kann J. Moser s. w. 2, 304 ; der mann hatte gritze gehabt
da drinnen in dieser beinbüchse Rosegger II 15, 17; er
trug grütze und liirse aus Reichenberg im zwerchsack
MüsÄus Volksmärchen 1, 38; Luther« Übertragung von
Sprüche 27, 22 wenn du den narren im mörser zustieszest
mit dem stempfei wie grütze, so liesze doch seine narr-
heit nicht von im {si contuderis stultum in pila quasi pti-
Sanas feriente desuper pilo, non auferetur ab eo stultitia
eiu^) wurde sprichwörtliche redewendung, vgl. noch ob man
uns gleich im mörser zerstiesze wie ein grütze Luther
15, 253 W.:
wenn du in dem mörser den narren
zerstleszest mit seim zanck und schnarren
mit dem stempflel klein wie den grütz,
80 wer es im doch wenig nütz
Hans Sachs 19, 360 lit. ver.;
ja, wenn man sie (die toren) im mörser stiesz,
und so, wie grütze, stampfen liesz,
so würden sie doch Wahrheit hassen
Tkillee poet. betracMungen (1750) 2, 644;
noch laszt die torheit nit von ihm, wann du ihn gleich
wie ein gritz in einem mörser zerstleszest S. Franck
sprichw. 1, 141**, vgl. 2, 172*; doch vgl. schon
drum ist allzeit an den toren
hopfen und auch malz verlohren,
stieszt du ihn wie grütz so klein
S. Brant narrenschiff 24 Z. {interpol.).
b) gekochte grütze, brei; puls grutz, gratz, grutte, grütte,
gurt, gorte Diefenbach gl. 472^; puls, pulmentum . . .
weiche speis, brei, soppen, grötz, mus E. Alberus dict.
f f 2^ ; polenta grütte, dicke gerstenbrüh Orsäus nomencl.
methodicus (1623) 89; über die mannigfache art der Zube-
reitung vgl. Mensinq schlesw. holstein. wb. 2, 504: und ein
brot und ein kuchen und grutze nichten esst von der säte
{panem et polentam et pultes non comeditis ex segele)
1. deutsche bibel 3, 439 lit. ver.; dar umbe solche schwacheit
ein wenig zu geringern, nutzte si gekorner und grotze mit
bir gesotten Hedwigslegende (1504) Dl*; ihre kinder . . .
speck und grütz, kohl, schincken, . . . und dergleichen
sieben Sachen satt zu fressen haben B. Schupp Schriften
(1663) 188; ein anders wäre es, so es solche bratwürste
sollen werden, als in Salfeld bei uns in der Marck von den
bauren verschluckt werden, dann diese sind voll grütze
gestopft VbI-TOBIVS Blockesberg {1668) 457, vgl. grützwurst;
weil noch der ehrsucht nessel
im angeflammten blut wie heiszer gritze brennt
M. WiEDEMANN gejangensch. (1668) aug. 68;
kocht weder grütz noch kraut,
der greuel kommt ihr an, wenn sie ein spinnrad schaut
J. Rachel sat. gediehte 18 ndr.;
1021
2GRÜTZE 2
2 GRÜTZE 3. 4 (Zusammensetzungen) 1022
setzt ihm grütze oder andere hiesige speisen vor Gott-
sched schaubühn^e 2, 434; meinst du, man soll süsze grütze
fressen, ehe man zum examen geht? L. Holberg dän.
Schaubühne 3, 16; dicke grütze, rindfleisch imd Sauer-
kraut . . . GöTHE IV 23, 328 W.; ihre nahrung ist . . . fast
nur gerste . . . unter mancherlei formen, als grütze oder
geröstet Ritter erdkunde 1(1822) 903; Botta soll gesagt
haben, er wolle machen, dasz man von der grütze essen
könne, ohne sich den mimd zu verbrennen Ranke «. w.
29, 78; ein schönes altes dithmarisches gericht hat deine
mutter mir oft gekocht . . . : grütze in buttermüch Hebbel
briefe 2, 84 Werner, übertragen: hastu in deiner luthe-
rischen grütz und in deiner wittenbergischen suppen
nicht mügen finden, was Ezechiel . . . weissagt bei Luther
18, 371 W.
als kärgliche speise hervorgehoben:
well ich sonst all tag In mein haut
musz essen grützen, ruhe vnd kraut
H. Sachs 21, 211 lü. ver.;
hat mich imd die kinder lassen darben, grütz und Wasser-
suppen fressen Cochläüs ein heimlich gespräch 24 ndr.;
bei Pasteten, austern, fisch
kont er grütz und wurst vergessen
H. Che. Boie bei Weinhold Bote 347.
in Sprichwörtern und redensarten: es sind nicht alle
koche, die gern grütz essen Petri d. Teutschen weish. 2, C c
6^, auch mnd. : et sinth nicht alle kuken, de gherne grutte
eten Schiller-Lübben 2,16l ; in den bauern gehört grütze,
in den ochsen gehört stroh Düringsfeld sprichw. 1, 80*' ;
arme leute kochen dünne grütze Körte sprichw. 277; dai
het ök all mär dän as görte eten Wöste 82. weitere
zahlreiche belege Wander 2, 163; Mensinq 2, 605.
2) verstand, in dieser bedeutung mundartlich weit ver-
breitet, vgl. Fischer schwäb. 3, 888; Staub-Tobler 2, 839;
ViLMAR 138; Creceuüs 442; Bauer-Collitz 146; Frisch
BIER 1, 268; Stürenburq 73. die literarischen belege sind
jung: einen honneten mann kann man aus jedem weiden-
stozen (weidenstumpf) formen, aber zu einem spitzbuben
wills grüz Schiller 2, 82 0.; der eine, scheints, hat nicht
viel grütze Platen 2, 33 H.; sie glauben, {wir) hätten
selbst nicht grütze genug, die zu verstehen Bettine dies
buch gehört dem könig l, 190; der hat mehr grütze als alle
anderen Laitbe 10, 173. vne kritz und witz stehen auch
grütz und witz in Verbindung: ab hoc et ab hoc, confus,
ohne Ordnung, durch einander, ohne witz und gritz
Sperander (1727) 2*'; habt ihr witz und gritz im köpf,
habt ihr ein herz im leib, so lasset heute eure fauste
unsem feinden solches zu fühlen geben S. v. Birken
Androßo 70; maszen er denn solches zu thun alle seine
witz und gritz zusammenraspelt schefflerischer Protheus
(1664) b 1^;
wolt voll euch zeigen meinen witz,
möchte aber nehmen vor grütz
GÖTHK III 1, 2 W.
grütze steht in diesem sinne am häufigsten in der rede-
Wendung grütze im köpf haben u. ä. erst seit dem 17. jh.
literarisch zu belegen, vgl. au^h grützkopf: dasz dir das
gehim zu leicht ist, denn du hast keinen gritz in köpfe
FiLiDOR Ernelinde (1666) 103;
ein köpf, der spreu vor grütze führet
GÜNTHEK ged. 374;
ihr habt nicht allein den grütze,
der scharf dencken kan
ebda 426;
es kan einer zum verstaunen gescheut sein und gleichwol
nit so viel grütz im köpf haben Schwabe tintenfäszl
(1746) 18; ihr seid in der gröszten gefahr, in die ein tüch-
tiger junger kerl . . ., der grütz im köpfe hat und
stärke in den gUedern, nur geraten kann E. Th. A. Hofe-
MANN 10, 197 Orisebach; er hats hinter den obren, hat
grütz im köpf, der teufelskerl! Tieck 5, 21; und wer sein
bischen grütze im köpf hat, der bringt sein Schäfchen ins
trockne Alexis ruhe ist die erste bürgerpflicht (1862) 3, 138;
wie du ein geschickter arbeiter gewesen, wie du grütz
und gaben hättest, dich den ersten meistern in deinem
fache gleichzustellen Mörike 4, 86; er habe grütze im
köpf und sei ein gar braver junge Rosegger 1 13, 25;
denn er . . . hat mehr grütz im kleinen finger als wir beide
im ganzen leib Immermann 3, 115 Boxb. nur selten er-
scheint grütze in dieser Verbindung auch in seinem eigent-
lichen sinne, grütze im köpf haben nimmt dann die gegen-
teilige bedeutung an, nämlich dumm, töricht sein\ die ent-
stehung ist durch die gedankenverbindung 'grütze statt ge-
him im köpf haben' verständlich, vgl. he heft statt marcks
grött öm kopp Frischbier preusz. l, 268*': der köpf sei
mit gritze angefüllet oder habe doch zum wenigsten kein
gehim mehr Thomasixjs vernunftlehre (1691) 32; denn die
wenigsten wissen . . . die magern einfalle vieler mit grütze
angefüllten köpfe recht zu beurteilen J. B. Mencke char-
latanerie 36 ; ich haa ooch fünf sinne und ooch gehem im
kupp, es stäckt kee grütze drinne curiosa Saxonica (1762)
37. vgl. grütz im köpf grillen, seltsame einfalle Staub-
Tobler 2, 839 und grützkopf.
3) besondere bedeutungen, besonders des obd. Sprach-
gebietes, hier ist nicht immer sicher, ob es sich stets um
dasselbe wort handelt, die etymologische Verwandtschaft je-
doch steht auszer frage, grütze im sinne von etwas zer-
kleinertem, zerbröckeltem, vgl. gritz {l. grütz) bruchstein,
farrago Harsdörffer poetisch, trichter {lQi7) 2, 146; grüetz
kalkscherben und dergleichen, steingemüsel, bruchstein von
verfallenen gebewen Henisch (1616) 1760; sed grütz etiam
dicuntur rvdera sive lapidum frusta Stieler 712; gruts,
m., zerbröckeltes, kleine stücke Bauer-Collitz 41*'. vgl.
auch das nd. grott, m. und n. {teil 4, 1, 6, 594), gruuts Txr-
bröckeltes {neumärkisch) Zeitschrift f. dtsche maa. 1910, 44
und weiterhin das bedeutungsfeld 'kleinigkeiV , 'etwas un-
scheinbares\ in mannigfacher anwenduTig, s. grütz(e) Staub-
Tobler 2, 840; luxemb. mundart 167; grotzen, grutzen
Crecelius oberhess. 438. im sinne von 'körnchen, häuf-
chen, prise\ ein grützen saltz grumu^ salis Frisius dict.
1174"', dazu das deminutivum grützel («. d.) und grützet
{s. d.).
4) Zusammensetzungen, grützabfall, m.: am häufig-
sten kommt der abfaU des getreides, die kleien, das grobe
und das steinmehl, der mühlenschlamm, der graupen-
imd grützabfall in gebrauch Thaer grundzüge 4, 322. —
grützähnlich, adj.: eine dieser grützeähnlichen masse
der balggeschwülste ganz gleiche Substanz v. Sömmerring
menschlicher körper s, 1, 214 {vgl. grützbeutel). — grütz -
bank, /., lade für den vorrat an grütze Mensino 2, 507. —
grützbauch, m., scherzhafte bezeichnung für corpulente
personen oder auch solche, welche gerne und viel grütze ge-
nicÄzen (gröttbük) Frischbier 1,258. — grützbeutel,
m., balggeschwulst v. Alten hdb. f. heer und flotte 1, 791
{vgl. grützähnlich), als abfällige bezeichnung für hals, kehle:
deszwegen denn, da er auszreiszet, das kriegsrecht nicht
seinen handschuch, sondern ihn Selbsten hencken und ihm
den grützbeutel zerschnüren lasset Erasmus Francisci
lust. Schaubühne 1, 522. — grützblume, /., als grütt-
blom, görteblaume im niederdeutschen weit verbreitete
Pflanzenbezeichnung, so für das unesenschaumkraut {carda-
mine pratensis) Pritzel- Jessen 79; Wöste Z80^, für das
hirtentäschel {capsella bursa pastoris); Frischbier preusz.
2, 526; Schumann Lübeck 6, weitere anwendungen bei
Pritzel- Jessen 6; 199; 324; Mensing 2, 607. — grütz -
brei, m., ptisanarium gritzbrei Stieler 227; Hupel
Lief- u. Esthl. 83 : der öconom oder speisewirth . . . wollte
durchaus unsere jugendlichen magen und unsern kind-
lichen frohsinn in grützebrei ersticken v. Rahden Wan-
derungen 1, 9; der tisch stand . . . gedeckt, obgleich nur
mit . . . einem grützbrei besetzt v. Francois die letzte
Reckenburgerin 1, 68; es ist ein schlechter grützebrei,
den das neue deutsche reich wohl schwerlich verdauen
wird Hoffmann v. Fallersleben 8, 369. sprichwörtlich:
gehen wie die katze um einen heiszen grützbrei Dürings-
feld sprichw. 1, 138^». — grützbüttel, m., Schimpfwort,
s. Pansneb 263-. — grützesser, m., pultivorax gurteter
(1420) Diefenbach gl. 472C. — grützezähler, m., auch
grützchenzähler, einer, der die grützkörner zählt, knauser,
kleinigkeitskrämer , bes. vom kleinlichen ehemann gesagt.
1023 2 GRÜTZE i {zuaammenaetzungen)
görtenteller WöSTE westfäl. SS», vgl. holl. gortentelder ;
ostfries. görteteller Stürenburg 73 *; grützchenzähler
ScHEMiONBK Elbingcr ma. 14; Frischeier preuaz. l, 258:
pfui, . . . frauenquäler,
pfui, topflies, l£Üclienvogfc, reiszslchter, grützezähler
J. Cats sinnr. wercke (1711) 2, 184.
— grützfresser, m.: bo wie einem grützfresser auf dem
hallischen weisenhause zu muthe sein mag, wenn nach
einem langen magern jähre der grosze feierliche bratentag
sich nähert, so geschah jetzt dem magister Acidalius
J. G. ScHUMMEL der Heine Voltaire 176. — grützgarten,
m., ein kleines gärtchen unmittelbar vor dem haus Mo-
THES illustr. baulexikon Z, 19. — grützgesicht, n.:
am tage, wo ich von deck geh, spuck ich ihm in sein
grützgesicht Frenssen Hilligenlei{\905) 151. — grütz-
g raupe, /., augengeschumlst, gerstenkorn, vgl. Henisch
(1616) 1765: von Wassergallen oder grützgraupen der
äugen: weiter findet man ein gewechse an den augen-
liedern, das wird genant ein wassergalle oder wasser-
gewechse, bei den alten atlantif as aquosum, endlich wirds
grosz und harte als ein breimusz, grisz Bartisch augen-
dienst{\h&Z) 149; der maulworf . . . wird von den oculisten
zu den wassergallen oder grützgraupen der augenliede
gebrauchet M. Bäpst von Rochlitz artzneibuch 494. —
grützhandel, m., handel mit grütze Campe 2, 479. —
grützhändler, m. ebda. — grützhafer, m., der bata-
vische grützhafer oder nackte hafer, eine art hafer, die sich
stark bestaudet und viel kleine körner trägt Campe 2, 479;
avena nuda v. Schlechtendal flora v. Deutschland 7, 262 :
der chinesische grützhafer hat weit von einander stehende
ährchen Karmarsoh-Heeren 4, 229; der nackte hafer,
tartarische grützhafer, avena nuda, wird bei uns nicht
in gebrauch kommen Thaeb grundz. 4,91. — grütz-
heisz, adj., heisz wie grütze: eines weisz ich noch zu er-
zehlen, welches ein grützheisz verliebter seiner liebsten
gemacht, in dem er sie also angeredt gepflückte fincken
(1665) 103. — grützjöckel, m., ausdruck der bergbau-
sprache, 'der name eines ganz grünen vitriols, welcher aus
dem gestein tröpfelt, und sich une zapfen an demselben
hänget' Jacobsson technol. wb. 2, 170''; vgl. Adelung 2
(1775) 837. — grützkäfe,/., theodora Oken allg. natur-
gesch. 3, 3, 1716. — grützkasten, m., 1) köpf: nimm
deinen grützkasten zusammen! Frischeier 1, 258''.
2) krankenhaus, lazarett, nach der grütze als krankenkost
benannt, Kxuge seemannsspr. 338; Hörn soldatenspr. 127;
Imme soldatenspr. 138; Ostwald rinnsteinspr. 63; Frisch-
bier 1, 258''. — grützkessel, m., kessel für grütze: (die
mutter) tauchte das grosze stück bergsalz, das an einem
stricke aus dem rauchfange baumelte, in den grützkessel
M.Keyserling werwolf l, ise. — grützknoten, m.,
s. grützgraupe : wenn denn die wassergalle oder wasser-
gewechse an den äugen, atlantifas aquosum, also harte
wird, so nennet mans ein wehnen, grützknoten oder athe-
roma Bartisch au^/endienst (1583) 150. — grützkopf,
m., einer, der grütze im köpf hat statt gehirn, dumm-
kopf, Adelung 2 (1775), 838; Bbendicke 130^; Frisch-
eier 1, 258; Mensing 2, 507; Pansner 25^: da thut
gleichwohl ein iedweder etwas und zeigt dadurchen,
dasz er nicht gantz einen grützkopf hat Chr. Weise
erznarren 149 ndr.; auszerdem aber wird er sich ver-
geblich bemühen, mir aus der camera obscura recen-
tiorum alegorum (das ist aus der gauckeltasche der neuen
grützkopf e) was vorzugauckeln J. Chr. Edelman Christus
und Belial (1741) 89; finden sich oftmahls so wohl unter
denen zuhörern als lesern sonderbare gritzköpfe, welche
dasjenige, so ihnen fürgetragen wird, in zweifei ziehen
J. D. Ernst denckwürdigk. (1750) b 3*; diese männer er-
klärten den wisch . . . für die geburt eines elenden grütz-
kopfs Laukhajrd leben u. Schicksale l, 20; so unterstunden
sich diese unwissenden grützköpfe Lessing 13, 64 Lach-
mann; er (der lehrer) musz es bald inne geworden sein,
wo seine . . . grützköpfe . . . sitzen Herder 30, 260 8.;
ein solcher verworrener grützkopf und dummbart von
kerl BoDE Tristram Schandi 2, 12; den feldprobst . . .,
einen erzorthodoxen und stupiden grützkopf beitr. u. be-
2 GRÜTZE 4 {zuBammensetzungen) 1024
rieht, zu Bahrdts lebensbeschr. 62 ; ihr grützköpfe, was
zankt ihr euch Alexis Eoland v. Berlin (1840) l, 32;
'grützkopf, versetzte Jürgen, 'ich wette, du ahnst es
nicht, dasz wir heut abend den stein der weisen gefunden,
haben! Hebbel w. 8,129 W. — grützköpfig, adj.,
dummköpfig, dumm: Anselm war ein Ignorant, ein grütz-
köpfigter Schwärmer gewesen beitr. u. bericht. zu Bahrdts
lebensbeschr. (1791) 35; ei, du grützköpfiger wanst! du
yemsigelteT tvo])H (Falstaff) Shakespeare 6, 74; diese grütz-
köpfige geringschätzung des feindes hat uns schon einmal
bei Jena und Auerstädt geschlagen B. Goltz ein jugend-
leben 2, 437; affenschänderisches volk! grützköpfige
dummheit, wenn du nun gar noch ausländische bettel-
pfennige für holländische dukaten nimmst! GxrrzKOW
Zauberer v. Rom 5, 224. — grützkorn, »., augenge-
schwulst, gerstenkorn: wenns denn also harte wird, so
nennet mans ein wehnen oder grützkorn (atheroma), die
gemeinen leute heiszens auch ein uberbein Bapst v. Roch-
litz artzneibuch 495. — grützleute, pL, producten-
händler allg. haush.-lex. 1, 626; Chomel 4, 1384; 5, 485. —
grützmacher, m., der auf einer handmühle grütze macht
und damit handelt, auch bezeichnung für produ^tenhändler.
pultarius gruczenmacher Diefenbach gl. 472 C; mnd.
gruttemaker Schiller-Lübeen 2, 161*; pultifex ein
grutte meker Diefenbach nov.gl.soQ^: 1 last grutcze,
herrengrutcz czum grutczmecher gr. ämterbuch 231 Zie-
semer; ob es dort (auf d. Mars) auch Standesämter, grütz-
macher, historische romane giebt? v. Liliencron 5, 62.
— grützmann, m., a, grützmacher, leguminarius, hali-
carius KntscH com. 2, 159^; Aler did. l, 983*:
der grützmann kommt, mein liebes kind,
das ding bat seine mucken
Henrioi ernst-scherzh. u. sat. ged. 4, 304.
— gr ützmörsel, m., mörsel zum zerstoszen der grütze: ein
hölzerner indianischer gritzmörsel Leipziger avaniurieur
2, 47. — grützmühle,/., mühle, auf der grütze gemahlen
wird, mala manualis eyn groczmole Diefenbach gloss.
365*; die buchweitzen- und hafergrütze läszt sich besser
auf handmühlen, die vom menschen beweget werden,
bereiten, und diese heiszen eigentlich grützmühlen Ja-
cobsson technol. wb. 2, 170*; vgl. Campe 2, 479: in dieser
armen kindischen Jugend, hat mich mein seliger vater
mit meiner auch jetzo seligen mutter Anna HofEmannin,
welche mich hernach in theuren zeiten mit der grütze-
mühlen hat ernehren müssen, gelassen Hebberger hertz-
post. (1613) 1, 147; was soll ich sagen von den grütze-,
hirse- und senfmühlen? v. Stosch polit. staatsgarten(lQ76)
538; wie der esel in der grützmüle aus dem kreise seines
eignen Schattens nicht herauskommen Reiske Thucy-
dides, vorr. — grützmüller, m., müller, der grütze macht:
item ein grützmüller kauft 7 wispel heidekorn J. Al-
bbecht rechenbüchlein (1534) g 4*; gruetzmolner S. Grü-
nau preusz. chronik 1, 226. — grützmus, n.: käsz, salz,
schmalz, brodt, grüzmuosz S. Bürster schwed. krieg 188,
— grützpappe, /., grützbrei: abends wenn die sterne
aufgehen, so nimmt sie mit grützpappe vorlieb Weise
curieuser körbelmacher (1705) 169; dein vater hat das ge-
hirn vergessen, der hat deinen groszen schädel mit grütz-
pappe gefüllt Chr. Weise poetenzunft (1683) c 6; wo die
leute den schade! mit grützpappe gefüllet . . . haben
J. Chr. Edelmann göttlichkeit d. vernunfl 91. — grütz-
rad, n.: der caplan quam und fant einen persönlichen
man sitzen und er treib das grütze rat S. Grünau preusz.
chron. 1, 220. — grützschleim, m., grützsuppe: (sie)
weigerte sich von dem grüzschleim zu trinken, der ihr
angeboten wurde Mungo Park reise im innern v. Afrika
(1799)296. — grützstampfe,/., Hn den stampf mühten eine
stampfe, in welcher grütze gestampft unrd' Campe 2, 479,
vgl. blätter f. litt. Unterhaltung (1841) 2, 1192. — grütz-
suppe,/., suppe aus grütze, ptisanarium jusculum Stie-
ler 1687; Staub-Tobler 7, 1237. — grütztisch, m.,
'unrd der extratisch am waisenhause genannt, an welchem
jeder unentgeltlich essen kann, weil es hier gewöhnlich nichts
als grütze mit wasser gekocht giebt' stud.spr. u. -lied 52 Burd. :
er hat nämlich an dem sogenanten grütztische gesessen
1025 2 GRÜTZE i {Zusammensetzungen) — GRÜTZIG
GRÜTZNER — GUARDIAN
1026
R. A. KÖHLEK tagebuchbl. 225. als Bezeichnung des frugalen
freitisches bei G. F. Rebmann Leipziger stud. 41 Wust.
— grütztopf, m., topf zum kochen der grütze: wenn
der grütztopf voll ist, kommen die fliegen haufenweise
herzu Hebbeegeb Jesws Sirach 1243'; ausgerissene haare,
schmerz im nacken und einen zerbrochenen grütztopf
Hebbel taget. 4, 279 W.; wer nicht den bratspiesz und
den grütztopf vom herde reiszt dem eindringenden feinde
entgegen, ist nicht wert, verachtet zu werden v. LniEW-
CRON 3, 45. in abfälligem sinne: schöne jungfrawen haben
einen verschwiegenen mundt, sie plappern nicht, wie ein
grützetopf Hebbergeb hertzpost. (1613) 2, 670. — grütz-
wurst, /., sind gewisse wurste, welche meistenteils als
eine gemeine kost für das gesinde, aus halbgekochter grütze
und darein geschnittenem schweine- oder rivdsfett zube-
reitet werden Jacobsson 5, 758''; botulus et botellus, ein
brad^Tirst . . ., ein grützwurst apud Saxones Corvinus
fons latinit. (1646) 115; farcimen granea, ptisana aut far-
ragine impletum Stieler 2588; vgl. Sallmann Esthl. 80;
Danneil altmärk. wb. 250*; Mensino schlesw.-holst. wb.
2, 508: davon die leute nach dortiger art das ganze jähr
haushalten mit grützwürsten, grabenbraten J. Dietz
lebensbeschr. 107 Consentius; gestern war (sein) geburts-
tag, den wir mit grütz- und anderen wursten und rhein-
wein feierten Th. Stobm an seine braut (1915) 140. —
grützzähler s. o. grützezähler.
iQRÜTZEL, GRÜTZLEIN, n., demin. zu «grütze,
brosam, krume; panis mica brosam, brosmen, grützel,
grumen Megiseb pol. (1603) 2, 201''; hochteutsch grutzel,
grumen, brosam und brosmen Tabernämontantjs kräu-
terb. (1687) 591; grützlein, grützel, grumus, grumulus,
mica Stieleb 712: das so etwan under dem sand glitzeret
wie glas oder Silber, wirt genommen für allerlei grützle
oder broszmen vom brot Fbisitjs dict. 820. in der Schweiz
ist grützeli knöllchen in der mölke, irA haferbrei, anken-
grützeli kleine butterbläschen, die bei der butterbereitung in
der rührmilch schwimmen, hier liegt wohl die bedeutung
kornartiges gd)ilde ebenso wie bei grützel, krume, zugrunde,
dazu grützelbrot, mica, brosamen, grützlenbrot Me-
giseb pol. 2, 62*'.
*GRÜTZEL, n., l) krickente Fischee schwäb. 3, 889;
Staub -ToBLER 2, 84i; 2) junges gänschen Fischer
schwäb. 3,889, «. «grusel. — grützelmöhre,/..* staaro»
est oleris . . . genus, quod geierlin vocant germani et klingel-
mören, grützelmören Bas. Faber thes. 765*' ; Henisch
1760, 41. s. kritzelmöhre teil 5, 2342.
GRÜTZE(L)N, vb., auch grutzen, grotzen, grundbedeu-
tung 'kleine teile abschneiden', 'in kleine teile zerlegend
mundartlich sehr verbreitet mit stark differenzierten einzel-
bedeuiungen, offenbar handelt es sich hier nicht immer um
dasselbe wort, s. Statjb-Tobler 2, 840; rhein. wb. 2, 1476;
Crecelius 438; Baiter-Collitz 40''. vgl. auch igrotz(en)
teil 4, 1, 6, 598 und Schmeller-Fr. l, 1018.
GRÜTZEREI, /., coMec«. zu igrütze: alsdenn (mö«s<e
man) die unterschiedenen bei den speisen nöthigen
materialien als milch, wein, hier, essig, butter, . . . fische,
grützereien, obst, gewürtze u. s. w. anführen v. Rohr
hauszhalt. bibl. 239.
GRÜTZET, /. (w.?) 1) zerbröckeltes, was gegrützt {vgl.
grützen vb.)ist: obe etwas . . . überhüben würde von stücke-
lin brotes oder sust grützott, inen das zu geben durch
gotts willen bei Ehebebg verfassungsgesch. v. Straszburg
1, 318 (a. d. j. 1481); ihm allerhand hauszfäget und grützet
darein {in die grübe) führen und werfen und also mit
einander verfaulen lassen Sebiz vom f eidbau 485; wo auch
sonst etwas unsaubera unnd mistechts ist, item thun
äschen von sprewen, dornen, holtz und anderer grützet,
das werfen sie alles auf den mist M. Hebb f eidbau 42** ;
in der Schweiz bez. für geschabsei von äpfeln; kleine holz-
späne Staub - Tobleb 2,841. 2) brosam, krume, mica,
brosam, grützet Goliüs onom. (1582) 340.
GRÜTZIG, adj., zerbröckelt, bröckelig, grüsicht,
grützicht farreus, contv^us, contriius Stieleb 712; gur-
tich pulteus {nd. voc.) Diepenbach gl. 472 c; grutzlich
IV. 1. 6.
Baueb-Collitz 41*': da nemlich kinder und erwachsene
leute mit vielen incken, krimmen und grützlichten aus-
schlage geplaget wurden Breslauer samml. v. natur- u.
medic.-gesch, 3, 388.
GRÜTZNER, m., grützmacher, productenhändler ; grüz-
ner, grüzler in Schlesien {krämer) Popowitsch versv/^h
140: dem bischoflEe war liebe und er erloste Sideniam von
dem grötzner Gbunau preusz. chronik 1, 220; nadler,
kleinbinder, grützner, stärkemacher schles. capitation v.
1645 {Breslau 1661) B 4».
GRYLLE, /., vogel aus der familie der ftügeltaucher :
so macht er . . . auf gryllen . . . jagd {der tagscMäfer)
Naumann vögel 6, 153; Steppenbewohner: die tatarische
lerche . . ., steppenmäuse . . ., sonderbare gryllen Ritter
erdkunde 2, 756; dazu grylUumme cepphus grylle Nau-
mann Vögel 12, 461; -taucher ebda; -teiste: die gryll-
teiste übertrifft in der grösze unsere anas crecca wenig
ebda 12, 463.
GUARDE, /., wache, besonders leib wache, nebenform
von garde {s. d. 3 a), {ital. guardia), auch gewardi {s. d.),
guardi, quardi; praetoria cohors des vogts anhang, gwarde
und rott, wenn er auf seiner vogtei ist Fbisius dict. (1556)
1051*; custodiae ein gwarde oder die Wächter 360*; aditum
custode coronare ein gwarde oder hüt legen zum eingang
336*:
weil ich han
gerQst mein gwardi und trabanten
umb mich Hans Sachs 7, 263 lit. ver.;
die gwardi stot In dlner huet
H. BUIiLINGEK Lucretia (1533) nach Staub-TOBLER 2, 844;
{die cardinäle) verordenen und bestellen allda für anderen
villerlei gewarde, das conclave zu verwaren W. Linck
bapsts gepreng (1539) a l''; die andere gewarde ist an der
ersten thür ebda; die gewarden {pl.) ebda; es habend et-
lich angehept, sich in die gwardinen, herrendienst und
frömde krieg begeben (1572) nach Staub-Tobleb 2, 844;
hauptmann des kaisers über die guardi der Spaniolen . . .,
hauptman über die teutsche guardi städtechron. 23, 266 ;
darein ward er . . . allezeit mit einer gewaapneten gwarde
verhütet J. Stumpf concil zu Costentz 21''; leibhüter . . .
des königs {von Quinta), guardy und drabanten HuLSius
7. schiffart (1606) 95; die welsche quardi (1625) nach
Staub-Tobler 2, 844 ; der hertzoge guardia oder tra-
banten . . . mögen ohngefähr 30 Schweitzer und Hoch-
deutsche sein J. W. Neumäier reise d. Welschland (1622)
99; 101; da folgten ihm deutsche guardi und die andern
Deutschen getrost nach Schickfus chronik von Schlesien
(1625) 4, 292; wie auch zehen gehamischte männer . . .
das castell von innen und auszen gleich einer guardia
umbtretten und verwachet trincirbuch (1652) 218; weitere
belege Staub-Tobler 2, 844; Fischer schwäb. 3, 890;
Schmeller-Fr. l, 1020. dazu guardif ähnlein: es
wurden auch guardifähnletn und ein grosz theil des rei-
sigen Zeuges in Europa darzu verordnet, dasz sie aufs
erste wieder in Asia kriegen sollten G. Forberoer wahr-
hafftige beschr. (1570) 274; ebenso 79; -knecht, satdlea
trabant, gwardeknecht, helleparthierer Schöpfer Syno-
nyma 108 Schulte- K.; trabant, gewardtknecht, schrim-
knecht Dasypodius (1536) 209; umb streichende guard-
knecht Chr. Wuhstisen Basler chronik (1580)240;
-leute: wenn er nicht von gar ritterlichen trabanten
oder guardileuten von dieser gefahr were erlöset worden
FoRBERGER wahrhafftige beschr. (1570) 257; -reuter: und
liesz . . . die guardireuter auf einer breiten gassen an-
rennen ebda 392; -volk ebda 264.
GU ARDEIN, m., münzprüf er, erzprüf er, seltene neben-
form zu wardein {s. d. und Staub-Tobleb 2, 845) : hütten-
reuter, probierer oder guardein, der die ertz ausz gusz,
plick und silberkuchen probieren . . . solle Mathesius
Sarepta (1571) 147*; gvardein . . ., verständiger probirer,
UKlche ihre kunst vollkommen und rechtmäszig erlernet
Chb. Hebttwig neues bergbuch (1734) 193''.
GUARDIAN, m., klostervorsteher bei den bettdorden, be-
sonders bei den Franziskanern, ital. guardiano, häufiger
65
1027
GUBEL— GUBERNIEREN
GUBERNIERER - GUCK
1028
gardian, s. teil 4, l, 1344: item der gwardian czur Nuwen-
borgh handelsrechnungen d. deutschen ordens 244 Sattler;
der guardian der mündern brüeder zu Verona (1319)
Bbandis landeshauptleute von Tirol 41; pater guardian
Pfeffel poet. versuche l, lio.
^GUBEL, m., auch gubelein, n., hügel, felsabhang, heute
noch in der Schweiz lebendig, s. Staub-Tobler 2, 98, wo
als grundbedeutung rundliche anschwellung , erhöhung an-
gegeben wird, vgl. eitergubel ebda und giebel, gufel: den
wiesen, welche ein gübelin haben oder sonst in der höhe
abheilig liegen Sebiz f eidbau 458; die wölfin macht ihre
jungen in dickem geholtz und finsterm gebüsch oder
irgendt an einem gübelin und berglin ebda 615. dazu
gubelnagel, m., hufnagel; gumpfus gubelnagel vocabularius
optimus 17* Wackernagel.
''GUBEL, m., moder, flüssig gewordene klei- und spitt-
erde Benzler deichbaulexikon (1792) l, 183.
GUBERNAMENT, n., befehlsgewalt, amtsgewalt, amt,
namentlich vom Stellvertreter des Souveräns: also war inen
die negste drei jar ... Wenzeslaus Carolus . . . zur assi-
stenz im gubernament zuegeordnet Brandis landeshaupt-
leute von Tirol 52;
dem eur consens langst zuvor schon
das gantz gubernament frei eben
über den heerzug hat gegeben
W. Spangenbekg griechische dramen 2, 55 Dähnihardt;
mancher fürst forschet wenig nach, ob derjenige, welchem
er ein ehrenamt oder gubernament gibet, was sonder-
liches Studiret Butschky Pathmos (1677) 530;
80 ihr königliche majestat
aus Schweden nun beisamen hat
unter seim ganzen gubernament
zwei mal hundert und 40000 genennt
ohne Sachsen
bei Opel-COHN dreiszigj. krieg 419;
weil durch diesen Granvelle ihm das guvernament derer
Niederlande entzogen Ziegler Schauplatz (1695) 1087*.
— gubernantin, /., statthalterin: die von der guber-
nantin wider die ketzer ausgegebene befehle Ziegler
Schauplatz (1&95) 660*'; die prinzeszin von Parma, guber-
nantin der Niederlande mo<>: — gubernator, m., herr-
scher, gebieter, auch feste bezeichnung für den Statthalter,
potesta d'una citta Statthalter, gubernator einer stadt
HULSIUS (1618) 2,305'':
allerhöchster rex, allermächtigster imperator
und aller Türken, Seraphe!, beiden gubernator
iastnachtspiele 1, 301 Keller;
wer ich dein vater,
dein herr aber oder dein gubernator
Hans Sachs 12, 100 lit. ver.;
die heren . . . satzten Ordnung in allem land und machten
ihren wirt Tzipion gupernator über alles land Morgant
der riese 225 Bachmann; oberster gubernator über statt
und land Lützelburg Kirchhof wendunmuth 2, 381 Öster-
ley; der königliche indianische gubernator auf Bantam
Butschky Pathmos (1677) 390; gott selbst (hat) die strah-
lende sonne zu einem gubernator des tages gemacht
Abr. a s. Clara etwas für alle l, 677; eine prophezeiung
fand glauben, nach welcher königtum und adel zugleich
vertilgt, eine neue regierung unter vier von den gemeinen
gewählten gubernatoren eingerichtet werden sollte Ranke
s. w. 14, 172. — gubernatorei, /.; so als der könig were
gestorben, so were das regiment und gubernatorei wieder
auf ihn kommen P. Eschenloer gesch. der stadt Breslau
1, 41.
GUBERNIEREN, vb., guvernare, reggere regieren,
gubernieren, verwalten Hulsiüs dict. (1618) 2, 179^, schon
früh bezeugt:
gots gnade, durch die sich regieren
sollen alle konnige und gubernieren
Pilgerfahrt d. träumenden mönchs 5185 Bömer.
der gebrauch des wortes hält sich bis in die jüngste Ver-
gangenheit, besonders häufig von der befehlsgewalt des Statt-
halters:
vor manchen tagen
zu Sparta guebernlrt
Likurgus wol regirt
Hans Sachs 22, 211 lit. ver.; vgl. ebda 2, 92; 20, 161; 483;
18, 352; 12, 452;
wie ein spanischer gouverneur selten über 3 jähr zu gu-
berniren hätte Chr. Weise erznarren 106 ndr.;
habe . . .
die schönsten dörfer auf der weit,
aber mir fehlts am rechten mann,
der all das guberniren kann Göthe 16, 66 W.;
die insel Cuba
die ich jetzto gubernire
für Juanna von CastiUen
und Fernand von Aragon Heine 2, 135 E.;
helstu uns für feldherren nit,
die wir den eid nach auch hiermit
die gantz armada gubernieren
W. Spangenberg griech. dramen 2, 128 Dähnhardt;
auf dem meer gibt niemand die weis zu gubernieren als
der schifEherr J. B. Schupp sehr, (1663) 743. häufig in reli-
giöser spräche von gott:
der da lebet und regiert,
ewig alles gubernirt,
unser lob er gerne hört
bei Fischer-Tümpel Mrchenlied 1, 215;
aber der himelsch vatter, der guberniert grosz und klein
nach seiner unergrüntlichen Weisheit und gerechtikeit
Keisersberg trostspiegel bb 4**;
der die planeten selb reglhrt
und alle dinge gubernihrt
M. Frydwalt apweiehunge der lande Preuszen (1578) H h 2*;
wie gar der herr der weit zuwider sein reich anjetzo
gubernire Joh. Saubert currus Simeonis (1627) 590;
den Philosophen möcht ers (Zeus) übertragen
die weit statt seiner klug zu guberniren
Immermann 11, 298 Boxb.
in mannigfacher sonstiger anwendung: so mag auch ein
helfant auf seinem bloszen rugken vier männer tragen,
von welchen . . . der vierdte in mitten gestelt das thier
guberniere Herold-Forer Geszners thierb. (1563) 78; der
geist . . ., der da gubernier in den creaturen Paracelsus
opera (1616) 2, 338; ohne die geringste . . . befleckung
seines freien geistes {des menschen), der alle zeit . . . das
äuszere naturreich gänzlich unter sich gubernirte O. L.
Lisoow samml. satir. u. ernsth. sehr. 669;
dann wi gott alle weit regiert,
di seel den leichnam guberniert
SCHWARZENBERO Cicero (1535) 252.
— gubernierer, m.: nach diser zweier {sonne und mond)
grosze Weltherrschaft und gubernierer bewegung Sebiz
feldbau (1579) 47. — gubernierung, /..• derhalben uns
. . . gott, als dem die oberste gubernierung {gebüret), mit
mancherlei strafen plagt Kirchhof wendunmuth l, 412
lit. ver.; darum der alten gubernierung weret bis in ihr
end Paracelsus op. (1616) 2, 629.
GUBST, /., das weibchen des Steinbocks, capra ibex
Nemnich wb. der naturgesch. 214; chkvre sauvage Schra-
DER deutsch-frz. wb. l, 582. dazu gubsttier: die geis von
solchem wildpret {Steinbock) wird ein gubstthier genannt
Feyerabend jag- und weidwerkbuch 102*' ; Sebiz feldbau
570; Jägerkunst (1611) c i^.
^GUCK, m., einzelner kurzer blick, gebräuchlich in der
Verwendung einen guck tun Staub-Tobler 2, 178; Heyne
wb. 1, 1271, vgl. in anderer bed. die geläufige zss. ausguck.
die anwendung smöglichkeit geht so weit wie bei ^gucke, daher
begegnen auch hier, besonders beim deminutivum (guggeli
u. ä.), die bedeutungen 'fensterchen\ 'winket', 'Öffnung'
usw., s. Staub-Tobler a. a. o. und ^gucker.
^GUCK, lautmalend, in der älteren spräche in derformel
weder guck noch gack verstehen nichts verstehen o. ähnl. :
ja alle papisten auf ein häufen wissen nit, was tauf oder
nachtmahi ist, und künden weder guck noch gack von
den zeichen der Christen sagen S. Franck chron. zeyt-
buch (1631) 459^; dasz er kan weder gugk noch gagk ver-
stohn KoLROS betrachtnusse {ibZ^) "e i^ ;
1029 GUCKAHNE - GUCKE
und gibt eben manichem sein sun den Ion,
das er nit Ican gucl£ noch gaclc verston
Wickram 5, 38 lü. ver.;
wann er sampt seinem reichthumb von den Sachen noch
guck noch gack zu sagen noch zu reden noch jhme zu
rahten weisz Guarinoniüs grewel (1610) 257, ebenso 1078.
vgl. auch die verbale ableitung:
glich also kielent wir die backen
vnd kinnent weder guck noch gacken
Murner schelmemunft 62, 2 ndr.
GUCKAHNE, m., f., urahne, uhrahnin, urgroszvater,
urgroszmutter . die Zugehörigkeit des ersten compositions-
elementes bleibt unsicher, das wort ist im obd. weit ver-
breitet, häufig als guckänle, guckandl usw., s. Schmeller-
Fb. 1, 887; Fischer schwäb. 3, 891; Ungeb-Khull 312*;
LoRiTZA Wien 56; Lexer kämt. 6; 201:
dös hat mein guckenl
mein rechten enl gesoat
A. Hartmann Volkslieder 120;
und der dies schreibt, stammt von ihnen her, imd sie sind
seine guk-guk-ähnle (ururgroszeltern) gewesen Atjrbacher
Volksbüchlein 263; (er hatte sie) der guckahne ... zu lieb
ins haus genommen Auerbach sehr. 11, 135; hörst schon
schlecht, alte guckahnel? Anzengrubeb 2, 275. eine noch
unerklärte nebenform scheint vorzuliegen in: si . . . was als
alt, das ain gugin was, da was kain mensch in Augsburg
zue der zeit, der nie weder gugen noch gugin gesechen
hett städtechron. 22, 390; des jars ist Barbara Walthaim
. . . ain gugin worden am vierten tag nach Jacobi, denn
ihr urancklin hat ain kind bracht ebda 23, 454. hier schei-
nen die formen guck(e), m., flekt. -en, und guckin, /., vor-
zuliegen, vgl. FiscHEB schwäb. 3, 891. mit einiger Wahr-
scheinlichkeit wird guge (mins vater guge) bereits ange-
nommen bei Ottokab v. Steiebmabk reimckronik 91602
Seemüller. — guckahnfrau, /..• so kan es viel weniger
geschehen mit seiner uhrgroszmutter, uhrahn oder guck-
ahnfraw Dannhaueb catechismusmilch 3, 254,
GUCKAPFEL, m., zu ^gucken, äuge, augapfel: wäh-
rend die obern augenlider gewöhnlich wie kürassierhelme
über den kleinen guckäpfeln lagen Sohnbby im grünen
klee 26. — guckauge, /.;
Ihr gang, ihr zopf, ihr frischer wuchs:
frank alles! nichts geduckt!
gukauge blau, das wie ein luchs
durch herz und nieren guktl
K. Schmidt itn Leipz. almanack d. deutschenmwen (1779)251.
— guckäugelein, n., demin. zu guckauge ocella . . .
gugäugle CoEViNUs/ow5 latinit. (1646) 504; Campe 2, 479;
Gebebt Vogtland 359:
mein liebchen, thu deine guckäugelein zu!
mit rosigen armen empfange dich ruh!
Langbein ged. 1, 134;
wer konnte es wagen, den hellen guckäuglein bittre
thränen zu entlocken? v. Gaudy 14, 87; hast als Jungfer
Hasenbart deine beiden guckäugelein auch nicht ver-
gebens im köpfe getragen Holtei erz. sehr. 19, 105.
übertragen: o seht, hier schimmert schon ein tröstlich
lichtlein durch die guckäugelein eures fensterladens ebda
4, 95.
^GUCKE, /., deverbativum zu ^gucken, mannigfach an-
gewendet auf gegenstände, die zum vorgange des sehens in
beziehung stehen, vgl. auch ^guck und ^gucker. so als augen-
höhle: sticht er ihm aber ein aug aus, so seil er ihm die
höhle oder guggen mit habern füllen Österreich, weist. 11,
42; als kopftuch:
das bunte kopftuch über dem blonden haar,
die 'guge*, die sich so hüpsch an rote backen schmiegt
und unterm kinne zipfelig geschlungen ist
O. J. BiERBATJM ges. werke 1, 309;
im sächsischen allgemein in diesem sinne gebräuchlich, s.
Mülleb-Fraubeüth 1, 448. andere Verwendungen im sinne
von 'äuge", 'gesichtsausdruck\ 'lücke zum durchsehen',
"■fenster' s. Fischeb schwäb. 3, 892; rhein. wb. 2, 1481. —
guckel(ein), n., äuge, besonders der kindersprache an-
GUCKE — GÜCKEL (Zusammensetzungen) 1030
gehörig, s. Bebnd Posen 380; Göpfebt Erzgeb. 36; Spiesz
henneb. 86; Gebbet Vogtland 359: du muszt dir muntere
guckelein herrichten, bis er kommt Boseogeb nixnutzig
Volk (1906) 49.
*GUCKE, /., papiertüte, ein vornehmlich obd. wort,
s. Fischeb schwäb. 3, 892; Mabtin-Lienhabt l, 206;
Schmeller-Fr. 1, 186. aber auch Müller-Fratjreuth l,
448; Gerbet Vogtland 359: ich erhalte eine grosze gucke
mit makronen Mörike br. a. Marg. v. ÄpeeiÄ (1906) 31; der
vater . . . legte eine gucke voll 'schifflein' und eine
städtische bretzge (brezel) auf den tisch M. Meyr erz. au^
d. Ries 3, 170; dafür spielte er vergnügt . . . mit einem
kaufladen, auf dessen wage er mehl, salz und sand abwog
und in kleine gucken verpackte H. Hesse nachbarn (1909)
13. hierhin wohl aux:h: die batzen, groschen, halbe batzen,
kreuzer . . . ordentlich in gucken oder überhaupt zu-
sammen gezehlt und ausgeworfen werden A. J. Röslin
abhandl. von inventuren (1761) 17.
^GUCKE, /., schale (des eies) s. kucke teil 5, 2518:
als es {doi ei) der saimer essen solt . . .,
det ers gar hinein schluecken
und warf hinfuer
«u der stubtuer
die leren aiergucken
H. Sachs fabeln u. schwanke 4, 102 ndr.;
häufig als masz in der heilkunde: nim von zwein erein (d. i.
eiren) daz wizze und zeslach das schön und vaim iz abe
und nim ain eirguken lutters weins und wol ain halbe
guken honchsaim Meister Bartholomäus arzneibuch
47 5 Jos. Haupt; slach aier auf, thue das inder daraus . . .,
thue es wider in die gucken quelle bei Schmeller-Fr. l,
886; daruz (aiw der wurzel) drucket man ein gucken vol
mit wine Breslauer arzneib. 90 Külz; ein aiergucken vol
(1571) qu^le bei Fischer schwäb. 2, 565, s. a. Unger-
Khull 312»; Hoffmann v. F. fundgr. l, 374.
GÜCKEL, m., hahn, eine mundartliche form, die gelegent-
lich auch in die Schriftsprache gedrungen ist; dialektisch
namentlich dem schweizerischen (als güggel) eigen, s.'
Staub-Tobler 2, 192, seltener in anderen mundarten,
8. Fischer schwäb. 3, 729; Vilmar Kurhessen 126; Rein-
wald AeTmeAergr. 1, 55; verbreiteter sind die formen gockel
(s. d.), gickel («. d.): gallus ein güggel oder han Frisius
dict. (1556) 597»; cdsa cristis avis ein gückel mit auf ge-
strecktem kämmen ebda 208»; ein hahn, hauszhahn, gul,
güggel und gockelhahn . . . genennet E. Gockelius der
eierlegende hahn (1697) 1;
wie gefiel der alte gückel dir.
beim alter hat man oflft zur zeit
kunst, weiszheit gsüeht, jetz ist es neit
L. Thurneisser archidoxa (1575) 41;
(er) fraget, warumb er in ein güggel oder hauen nannte
history von Diogenes (1550) e 4»; der hühnerträger findet
keinen güggel, keine tauben und keine eyer mehr feil
Pestalozzi 5 (1930) 267 krit. ausg.; (ein fuchs) bisz dem
gückel den köpf ab L. BECHSTEiNmärcÄen6.(1846) 157. häu-
fig in redewendungen: er wüste nit darwider dann usz dem
decret, so im das nüt sölte gelten, so stund er eben wie ein
ander güggel L. Hätzer acta u. geschieht (1523) h 2^; so
auch sonst, s. Staub-Tobler 2, 193 ; von eim f ürnemmen
oder von ein unglück in das ander fallen, vel ut Galli
dicunt vom gückel zum esel springen Frisius dict. (1556)
190^; er marschirte . . . heim wie ein güggel, grüszte nur
den zehnten menschen J. Gotthelf ges. sehr. 12, 213;
auch (vgl. teil 8, 776 i^.):
vielleicht das sie der gückel reit
A. Calagius Siisanna (1604) E 1».
dazu gückelhahn: sich brüsten als ein bunter gückel-
hahn Fr. Rückert nachlese (1867) 227; -kämm: Peter
wurde rot wie ein güggelkamm auf diese anspielung
H. Nydegger Hans der Chühjer (1894) 15; vom neu wen
hanenpropheten, von gugelkam Fischart Gargantua 314
ndr.; -schritt, schritt(weite) eines hahns, auch zur be-
zeichnuTU] von geringer räumlicher oder zeitlicher au^deh-
nung Staub-Tobleb 9, 1679; -schwänz, hahnenschtoanz,
65*
1031
GÜCKELESTAG - 'GUCKEN
2 GUCKEN 1
1032
atich pflanzenname für den lerchensporn oder den gelben
hirschschwamm ebda 9, 2028.
GÜCKELESTAG, m., kuckuckstag, tag, der nie kommt,
Fischer schwäb. 3, 893: wenn ich nicht einmal darüber
war, die reifen sollten liegen wegen mir bis zum gückeles-
tag {auf evng) O. Ludwig 2, 30.
GÜCKELN, vb., demin. zu ^gucken, halb zusehen, ver-
stohlen blicken, neckisch hervorsehen Fischer schwäb. 3,
893 ; Spiesz henneberg. id. 86 ;
mein brueder Abrahamb bey dem brückle
soll hin und wieder heimblich gückle,
den bach hinauf und abin sehen,
dasz uns kein gfahr nicht möcht geschehn
Endinger judenspiel 39 ndr.;
endlich fing ich an ein wenig zu gücklen Moscherosch
gesichte (1650) 123; aber weil das auch gückelnde äugen
bei den leuten machet, die ihren spot und gelachter draus
haben J. Zader breutigams ehrenkrantz (1606) 174; nach
und nach ward ihnen (den kindern) bange, da groszvater
die äugen immer zu hatte, sie güggeleten alle augen-
blicke, ob sie noch zu seien Gotthelf 10, 268; dort hinter
dem rebengelände gückelt die kirchbäuerin heraus Auer-
bach neues leben (1855) l, 271.
GUCKELRÜBE, /., brassica rapa Nemnich wb. d.
naturg. 214: einige (saatrüben) machen eine breite, runde,
. . . zwiebeiförmige bolle . . . andere eine spindelförmige,
die unten spitz zuläuft, und in die pfahlwurzel allmählich
übergeht, welche guckelrüben genennet werden Thaer
grundzüge d. rat. landw. 4, 232.
GUCKELTERN, pl., ahnen, vgl. guckahne: alle meine
altern, . . . ururguckeltern sind lauter koche Ph. Hafner
ges. lustsp. 2, 72.
^GUCKEN, vb., cuculare, guggen, schreien wie der
gugger oder guggauch Maaler 197<', heute noch obd. ge-
bräuchlich, s. Fischer schwäb. 3, 895; Ch. Schmidt elsäss.
158; Staub-Tobler 2, 182; mit der nebenform gucketzen
Schmeller-Fr. 1, 886; Schöpf tirol. 222; Lexer kämt.
.126: dir scolo dir scofficit io unde dir gouch der guccot io
Wackernagel leseb.^ l, 123;
als der gouch
der in dem meien gugzet ouch
Konrad v. Würzburo goldene schmiede 132;
swa man dem schalke ein spanne
gewaltes lat, da wil er dri.
man mac da bi
den gouch so lange pfsewen daz er vri
wil guckens sin Frauenlob 324, 5 EUmüller;
ir wüst wol, im sumer
so guckt der guckgug auch
MEISTER Altswert 158 lit.ver.;
lasz die storcken klöpren, . . . die enten schnartern, die
gäuch gucken, es singt ein ieglich vogel sein gesanck
J. Pauli Keisersbergs narrensch. (1519) 89'"'; von jarstag
an bisz uf sant Walpurgen tag, das der gauch guchzet
weisth. 1, 524; wir prediger thunt wie ein guckgauch; ein
gauch sitzt auf einem bäum und gucket einist; einer auf
dem andern bäum und gucket zweimal; der ander drei-
mal und wil jeglicher über den andern sein Keisersberg
evang. (1517) 78*^; wie aber der gut einfaltig baur von
Mündingen sähe, das jener frembder gauch dem Mündiger
mit dem gucken überlegen was, zu zeiten 15 oder 16 guck
guck mer guckt . . ., stige (er) auf den bäum zu seim
gauch und half ihm gucken J. Frei gartengesellschaft 42
Balte, im Volksglauben hat der kuckuksruf eine gute Vor-
bedeutung: ich horte den gouch gucken, der seite mir, ich
solte noch fünf jor leben, do von weis ich wol, daz ich
noch nit stirbe Germania 3, 422 Pfeiffer; also was ein
nerrisch alt weib, daz meint, sie solt noch 20 jar leben,
wan der gucgauch het ir 20 mal im wald geguckt J. Pauli
Keisersbergs narrenschiff (1519) 169''; da ich zu dem nech-
sten bin durch den wald gangen, da hat mir der guck-
gauch fünfmal geguckt und ich stirb noch in fünf jaren
nit J. Pauli schimpf u. ernst l, 183 Balte;
wann er {d. i. der guckguck) zu gucken hebet an,
nicht wiederumb aufhören kan,
das auch die kind fragen anheben:
sag guckguck, wie lang sol ich leben?
Eykring prov. 1, 467.
wohl auf der doppelsinnigkeit von gauch als 'kuckuk^ und
'narr, tor' beruht es, wenn gucken abschätzigen beisinn er-
hielt und bedeutungen vne 'lästern', 'schmähen' usw. an-
nahm:
metten, hegen, nase rimpfen,
spotten, gucken, valsches schimpfen,
itewlzen, fluochen, smehen
valsches rünen, diepllch spehen
Hugo v. Trimberg 14164 Ehrismann;
also soi man den toren
daz gucken büezen, laz du gouch der rede mich gehören
Colmarer liederhandschr. 18, 81 Bartsch;
das ein solcher böser gouch
nit mer guckte oder liege
und kein frummen mere betriege
Murner narrenbeschw. 6, 90 ndr.;
am anvang wil ich buwen
die zehen staffeln hoch,
die nit bekent der goch,
wie wol er gucken kan
Hermann t. Sachsenheim goldener tempel 651 Martin.
adten als 'locken\ Weizen":
manch tusend man ist darumb gestorben
jo, vor der statt zu Troy verdorben,
allein das Helena, die schon,
ir gucken nit hat underlon.
Bersabea, die locket ouch
David, dem künig, dem groszen gouch.
so bald er ir do wider guckt,
ward gottes huld von im verzuckt . . .
die man von wiben solten leren
züchtig berden, werck von eren;
so müssendt si ir gucken hören.
guckatu mir mit dinen brüsten,
ich wider guck mit minen gelüsten
Murner geuchmatt v. 837/. Fuchs.
*GUCKEN, vb., sehen, schauen, das wort drückt in der
Schriftsprache meist nur den Vorgang des sehens aus. die an-
spannung des aufmerksam blickenden au^es, sein ausdruck
und seine richtung wird durch gucken besonders hervor-
gehoben, daher die häufige anwendung des verbums um
neugierde, aufmerksamkeit, aufdringlichkeit des blickes zu
betonen oder das sehen durch eine mehr oder weniger enge
Öffnung zu bezeichnen, 'wegen dieser neugierigen aufmerk-
samkeit auf gegenstände, . . . vne av^h wegen der gröszeren
annäherung zu dem gegenstände, . . . ist es nicht höflich, an-
statt sehen gucken zu sagen' Eberhard Synonymik 6, 87.
zu den synonymen und ihrer Verbreitung vgl. Kretschmer
Wortgeographie 454, wo gucken aus der kindersprache her-
geleitet tvird. in den glossaren seit frühnhd. zeit: conspicere
gucken Diefenbach gl. 144° {obd. 15. jh.); visere schou-
wen vel gocken 623* {md. 15. jh.); tuor lügen, schauwen,
sehen, guggen Frisius dict. (1556) 1337''; video sehen,
lügen, guggen 1377; gucken spectare, aspicere Stieler
713; gucken, kucken spectare, prospectare Wächter 622.
gucken /eÄZt dem nd., doch vgl. kiken teil 5, 701; von md.
und obd. mundartenwörterbüchern wird es durchgehend ver-
zeichnet, vgl. besonders: rheinisches wb. 2, 1479; Hertel
Thür. 111; Müller-Fraureuth l, 448; Schmeller-Fr.
1, 886; Fischer schwäb. 3, 893; Staub-Tobler 2, 182.
1) als ausdruck des neugierigen, forschenden, staunenden
oder stieren hinsehens auf einen gegenständ, die art des
Sehens vnrd bisweilen besonders hervorgehoben: die ebre-
cherinne die müezent . . . hin gucken unde her gucken
unde herwider gucken Berthold v. Regensburg pred.
1, 231 Pfeiffer; dasz ers deutlich, klar und grob schreiben
solle . . ., dasz man nicht dafür müsse stehen und gucken
und die buchstaben zelen und zusamen lesen Luther 19,
391 W.; {wenn jemand einen brief liest, so)
lisz heimlich mit und guck darein,
so sichstu, was da neus mag sein
Scheit Chobianm v. 4328 ndr.;
eben so genau, scharpf und tief {hat) Maria ins grab Christi
geguckt Dannhawer catech.-milch 1, 60; so guckte ich
von hinten auf seinen zettel Chr. Reuter Schelmuffsky
52 ndr.; der stadtpoete {schlich) umher und guckte in den
erdboden, als ob er hineinsinken wollte Eschenburg bei-
Spielsammlung 8, l, 257 ; immer guckt er ganz finster in sich
hinein J. J. Engel schriften l, 89; dann schwieg er eine
weile still, guckte steif ins licht U. Bräker sämmtl. sehr.
1033
2 GUCKEN 2
2 GUCKEN 3
1034
1, 68; Elanuh flog hinüber . . . und guckte voll neugier
in ein prunkhaft eingerichtetes schlaf gemach M. v. Eb-
NEB-EsCHENBACH 1, 55; der alte Bernd . . . guckt dann
mit ernstem gesicht forschend herein G. Hauptmann
Böse Bernd (1904) 136. mit angäbe der Wirkung: sich die
äugen aus dem köpfe gucken Wieland 22, 385;
sie ist ein mädchen worden,
und ich, ich werd ein kind
und gucke mir die äugen
nach ihrem fenster blind
WiLH. MüllEE ged. 1, 100;
während hier sich hundert schöne äugen müde gucken
nach ihnen Holtei erz. sehr. 5, 35.
als subject erscheinen häufig kinder oder tiere, was sich
aus der grundbedeutung des verbums («. o.) erklärt:
und sab das kind sich smucken
und US der deld gugen
in under wilunt lachen an
der scelden hört 111, 80 Adrian;
die kinder . . . guckten, was er in seinem weidenkörblein
habe Chph. v. Schmid ges. sehr. 2, 216; die kinder guckten
und staunten M. v. Ebneb-Eschenbach 4, 415;
so wart ich ir recht als ain fuchs
in ainem hag mit stiller lausz,
gugg ansz der standen, smeug dich luchs
Oswald v. Wolkenstkin 48, 8 Sehatz;
die Vögel aus dem schlaf erwachend guckten hie imd da
aus den nestern Cl. Brentano 5, 64 ; Gockel, Hinkel und
Gackeleia standen am fenster und guckten hinter dem
Vorhang allem zu 5, 107. in pejorativ-humoristischem Zu-
sammenhang das gucken des menschen mit dem des tiers
verglichen: seine trefifliche reden breiteten sich so fern aus,
dasz der richter stunde und guckte eben wie ein esel, der
in den schlämm gefallen ist Olearius pers. baumgarten
(1696) 52»; anfangs guckte sie wie ein schaf, bestürzt und
mächtighch verlegen Wieland 21, 108 Gruber.
2) gucken bei sachbegriffen im sinne von 'hervorragen,
sichtbar werden", also mit passivem charakter, gern dann
angewandt, wenn gegenstände dem beobachter auffallen oder
aus einem anders gearteten umkreis unerivartet bzw. auf-
fällig hervorragen, die grenze zu den unter 1 genannten be-
legen ist nicht immer scharf zu ziehen, häufig von körper-
teilen: der neuevangelisch esel die obren so lang aus
der löwenhaut reckt und gucken last St. Hositjs dialog
(1558) p 1^; da lästd er teufel die eselsohren so weit her-
vorgucken Pbätorius sieblaufen (1677) e 3''; sein geschor-
ner köpf guckte possierlich aus seinem scharlachmantel
Heinse 2, 73 Seh. ; seine band guckte aus dem schwarzen
weiten ermel Bettine Oünderode 2, 67;
seht dochl die schmutzigen eilbogen gucken
euch aus den zerrissenen jacken;
ElCHENDOKFF 4, 373;
die löffel (de« hcisen) gucken aus dem schnee Stobm 1, 283.
auch mannigfach sonst:
das Stroh, das er in schuhen hatt . . .
das nahm ich, als herauszer guckt
und hab es hinder ihm verschluckt
Ekabmus Alberus labein 53 tuLr.;
da leszt abermal der hoffertig geist sein unart gucken
C. Ulenbebg antwort auf Joannes Bady wamung (1592)
Rr3l';
flug hoch entpor und sah den rucken
des bergs Atlantis herfür gucken
Sprekg Äneis 68»;
hier guckten die grasspitzen schon unterm schnee hervor
U. Bräeeb sämtl. schriften 1, 54 ; ich sah aus (seiner) rock-
tasche ein paket gedichte gucken, und lieber wollte ich
den pasz lesen als die Göthe gespräche 3, 156 B.
erweitert erscheint die anwendung als aus den äugen
gucken: tmd martern sich selbst mit ihren uberigen ge-
dancken, gleich wie ein hültzerne latern, das in der todt
gleich ausz den äugen gugket Lindbner rastbüchlein 163,
4 lit. ver.; der leibhaftige hunger gukt ihm aus den äugen
Miller Sieg wart l, 53. vgl. auch: der teufel guckt ihm
aus den äugen Binder 192.
in sprichwörtlichen redensarten: lügen guckt allezeit
oben mit dem köpf hinaus Lehman fior. pol. l, 508; geld
. . . guckt überall oben aus 1, 280; wenn man das hertz
trifft, so guckts herfür 1, 335; solang ein mensch in seiner
haut wohnt, guckt der alte Adam und die Eva immer
herfür 2, 522.
3) typische äuszere begleitumstände sind häufig angegeben,
durch die die bedeutung von gucken in dem oben erwähnten
sinne als angespanntes, neugieriges, heimliches, verstohlenes
sehen charakterisiert wird.
a) es besteht nur eine begrenzte sieht, weil man durch eine
Öffnung oder über ein hivdernis blickt, so häufig durch (in)
ein fenster, aus einem fenster gucken:
ein narr unverschemet allein
guckt einem zu dem fenster nein
Hans Sachs 19, 87 lit. ver.;
denn auch vielmal zu allen fenstern und löchern am
schlosz dieses hellische, wütende geschwürm heraus-
gucket KJBCHHOP wendunmuth 2, 213 lit. ver.; ein bauer
guckte zu seinem fenster heraus Chr. Weise erznarren
84 ndr.; eilte ich sogleich nach meines vaters haus und
klopfte stark an; da guckte ein tolles, buckeüchtes weib
aus dem fenster Göthe 43, H6 Vt'.; übertragen: ob sie
zwar endlich . . . die eifersucht aus dem fenster seines
herzens herfür gucken sah Lohenstein Arminius 2, 50^;
ähnliche begleitumstände liegen vor in: so man den diu tor
beschliuszet, so gugen siu dur die zun us Seuse deutsche
sehr. 361 Bihlmeyer; sobald ich von ihnen ging, schlich ich
mich bis vor des alten türe und guckte durch das Schlüs-
selloch, um zu sehen, ob er schon bei seinem schreibe-
pult beschäftiget wäre Gottsched deutsche Schaubühne 4,
472; Marthe durchs vorhängel guckend Göthe 14, 142 W.;
die leser werden, wenn sie nicht einmal durch ein passage-
instrument oder einen quadranten geguckt haben, wenig-
stens vom hörensagen wissen, dasz ... F. Th. v. Schu-
bert verm. sehr. 1, 235; hier {steigt man) hinab in einen
keUer und gucket dann durch (eine) drei meilen lange
röhre am hellen mittage nach dem mond und den sternen
G. Förster sämtl. sehr. 3, 151; er guckt durch einen spalt
A. v. Arnim 19, 20 Qrimm; und ich durfte nur soeben aus
der schlitze gucken Immermann 2, 60 B. blickt man über
ein hindernis hinweg, so ist nur der köpf des intensiv
schauenden sichtbar, in solchem falle vnrd gucken besonders
gern gebraucht: {sie) guckt ihm über die achseln theater der
Deutschen 13, 310; so befürchte ich von dem bösen {dem
teufel), der den eitlen mädchen, die sich des abends noch
bespiegeln, über die schultern guckt, nicht mehr als von
allen teufein J. Moser 5, 40 Äbeken; einer guckte dem
andern über die Schulter W. Raabe hungerpastor (1864)
1, 170; 'der wolf kömmt!' ... er guckt schon über die
hecke K. Fr. Gramer Neseggab 4, 472 ;
wenn sie (die riesen) mit ihren groszen perucken
über den zäun herüber gucken Ci. Brentano 2, 337.
b) mit angäbe des zieles, wohin man sieht, meist in (nach)
etwas gucken, z. t. geht dieser gebrauch schon über in feste
Verbindungen, s. u. i; in den Spiegel gucken:
hosen strifen, Spiegel gucken,
als ein wib mit zieren schmucken . . .
das sindt als fantasten werck
Murner narrenbeschw. 12, 55 ndr.;
weswegen sie sich alsobald umbschaute und, da sie nie-
mand hinter ihr sähe, wieder in den spiegel guckte
Gremmelshausen 3, 401 Keller; wer disen monat ein
schalck will sehen, der guck in ein Spiegel Prätorius
saturnalia 307; sie {die menschen) sind den kindem ähn-
lich, die, wenn sie in einen spiegel geguckt, ihn sogleich
umwenden, um zu sehen, was auf der andern seite ist
Göthe gespr. 7, 21. sprichwörtlich: wenn man nachts in
den Spiegel guckt, guckt der teufel heraus Binder 185.
in den himmel gucken, nach den stemen gucken und ähn-
lich: lauft davon etlich schritt und guckt gen himmel
GuARiNONius grewel 35; lasz dir jetzt aus dem lauf des
himmels wahrsagen und nach den stern gucken Abb. a
s. Clara etw. für alle 2, 646; sie schmachtet ohnedies
nach dir, da könnt ihr zusammen die geige spielen und
1035
2 GUCKEN i
2 GUCKEN 5
1036
in den mond gucken Eichendobff s, 81. vom flüchtigen
hinsehen: studia leviter attingere das blau vom himmel
studieren, nur in die schuel gucken Corvtntjs fons lat.
(1660) 1417, in gleichem sinne in ein buch, ein Schriftwerk
gucken, d. i. '■einen schnellen blick hineinwerfen" , 'sich
rasch orientieren^ daneben aber auch allgemein 'lesen',
s. Stieler 713:
ich wolt, dasz Ich ein buben het,
der erst l£em von dem ABC,
den noch die ruthen theten we,
der nur geguclit het in Donat
Fischart nachtrab 12 Kurz;
es finden sich auch etliche ungelehrte, die kaum in den
Donat gegukket Neumärk palmb. (1668) 90; ein wenig in
die kriegescharte gegucket Fleming teutscher soldat 320;
eines {ein Schulkind) guckte noch schnell ins buch, wohl
im bewusztsein, dasz die lection nicht ganz fest sitze
W. V. PoLENZ Grabenhäger 1, 18; übertragen:
und doch mit gröszerm fleisz und wohn
in der weit groszes buch geguclcet
Weckherlin ged. 1, 512.
in die weit gucken die weit kennenlernen: etwas ge-
nauer in die närrische weit gucken Chr. Weise erznarren
10 ndr.; was einem groszen herrn an credit gelegen sei,
das wird ein jeder wissen, der nur ein wenig in die weit
gegucket hat B. Schupp sehr. (1663) 121. anders vom ge-
sichtsausdruck des kindes oder kindlichem menschen: {die)
wiege, aus welcher ein kleiner Karl, das abbild der mutter,
in die fremde weit guckte G. Freytag 13, 163; {ein
bursche), hellblonde haarbüschel fielen ihm bis in die
stirne und drunter guckte er mit treuherzigen blauen
äugen in die weit Anzenoruber 3, 29, vgl. u. 5 guckindie-
welt. in ein land gucken {alt. spr.): si auch von ferrem
nit solten in ir vatterland gucken Caspar Hedio chron.
Germ. (1530) d 5*^; nun aber so sie von auszen in das
teutsch land gucket haben . . . magst du wol bei dir selbs
ermessen, was groszes mangels do sei gewesen S. Mün-
ster cosm. 306 ; wann ein Teutscher etwa ein viertel jähr
in Franckreich gegucket oder nur einen Franzosen hören
reden, so ist ihm seine muttersprache schon erleidet
teutscher sprachverderber (1643) 2; seine ursprüngliche ab-
sieht war gewesen, bis Triest und weiter nach Italien
zu gucken {zu reisen) Holtei erz. sehr. 18, 43.
4) aus der häufigen Verbindung von gucken mit typischen
äuszeren begleitumständen erwuchsen feste Verbindungen,
die besondere bedeutungen annahmen.
a)in den hafen, das häflin gucken: wann er auf
dem dreifusz stund, in den hafen gucken kundt Joh. Nas
das antipap. eins und hundert 1, 5''; wann jr disem rhat
folgt, so werd jr sehen, dasz ihr . . , grosze buben solt
werden, die auf eim dreifusz in hafen gucken können
Fischart Gargantua 60 ndr; guck in dein häflin quae
nihil ad te, ne velis scire S. Franck sprichw. l, 7'^, vgl. 2,
120 a; guck in dein eigen häfelin {unter sihe dich selbs an
n^sce te ipsum) schöne weise klugreden 57^.
b) ins bergwerk gucken bedeutet so viel als dorthin
gucken, wo man nichts sehen kann, eine sinnlose anstren-
gung machen: in aqua sementem facis ins meer sähmen,
ins bergwerck gucken S. Franck sprichw. 2, 83^; vgl.
schöne weise klugr. BT"'.
c) durch die finger gucken tun, als ob man etwas
nicht sieht, was unerlaubt oder gegen die Ordnung geschieht:
durch finger guckende poUicey Gtjarinonifs grewel (1610)
1323; und dann guckt er uns durch die finger und wir
haben gute tage Fontane I 6, 47.
d) in den topf gucken, wenn die redewendung im
Zusammenhang mit dem begriffsfeld des Wortes topf bleibt,
bedeutet sie 'sich um das eigene oder fremde essen kümmern' :
was gehts blosz die an, was wir essen? die solln doch in
ihre teppe gucken G. Hauptmann biberpelz (1893) 28; aber
es ist mittagszeit; da musz man die art nicht stören, da
wollen sie für sich sein, es belästigt jedermann, wenn
man ihm in den topf guckt W. v. Polenz Grabenhäger
2, 135. die aufdringlichkeit oder belästigung gehört zum be-
deutungskreis der Wendung, so wird sie auch heute noch zur
Charakterisierung der ehemänner gebraucht, die sich zu sehr
um die angelegenheiten der frauen kümmern:
guckt in die topfe nicht,
stürtzt nicht die näppgen um
Henrici ermt-scherzh. u. sat. ged. 1, 248;
die männer sind wol greuliche narren, wenn sie ihren
weibem einbilden wollen, sie müssen den gantzen tag
nichts anders sich zu thun machen, als in die töpfife
gucken, der köchin nachrechnen Stbanitzky ollapatrida
330 Wiener ndr. übertragen bedeutet dann in jemandes topf
gucken sich um die angelegenheiten anderer ungebeten
kümmern, auf fremde angelegenheiten achten: die europäi-
schen berichterstatter gucken uns dann nicht mehr in
den topf Kürnberger Siegelringe 69. hier liegt eine ähn-
liche bedeutung vor wie bei der redewendung in jemandes
karten gucken (s. u.). vgl. auch: si tu hie esses, aliter sen-
tires guckt ein solcher in sein eigen töpfgen, alsdenn wird
er es gewahr und glaubet, was er vorher nicht hat glauben
wollen der wohlgeplagte priester (1695) 90.
e) in die karte(n) gucken, eig. beim kartenspiel un-
erlaubt in die karten des spielpartners sehen, erhält die be-
deutung 'heimlich jemandes plane zu durchschauen suchen,
dem vorgehen jemandes auf den grund kommen' : hätte er
einen politicum gebraucht, der hätte ihm in die karte
geguckt Schupp Schriften (1663) 37; nun musz der Ver-
walter ein narr sein, dasz er sich so last in die karte
gucken Chr. Weise erznarren 206 ndr.; man lasset ihme
nirgends gern, am ungernsten aber bei klugen höfen in die
karten gucken Butschky Pathmos (1677) 19; nachdeme
dem Aristoteles ein bissei in sein carten guckt hab J. J.
Schwabe volleingeschancktes tintenfäszl (1745) b 3^; am
wenigsten in diesem stück läszt sich das Schicksal in die
karte gucken {was den tod betrifft) schrift. d. Götheges. l, 59.
f) ins glas gucken: nun guckte er ins leere glas
MALER Müller l, 164; frau von Barchwitz musz den
alten Padburg {zu tisch) übernehmen, der kerl ist zwar
auf dem rechten obre taub und guckt am liebsten blosz
nach vorne ins glas, aber ich kann ihr nicht helfen dies-
mal Kahlenberg familie Barchwitz (1902) 22. zu tief,
zu viel ins glas gucken bedeutet über den durst trinken, sich
einen rausch antrinken: es wer dann dasz einem die prill
entfallen weret oder zu tief ins glas geguckt hette Fi-
schart binenkorb {lb9>9) 225^; Starkhans tritt in den lärm
herein, und da er etwas zu tief ins glas geguckt, wird die
Sache nicht besser Göthb 41, 1, 158 W.; lamentier der
herr nicht so schrecklich in der finsternis und vexier er
nicht die leute, wenn ihm sonst nichts fehlt, als dasz er
zu viel ins gläschen geguckt E. Th. A. Hoffmann 1, 182
Grisebach; vgl.: ich glaub du hast in die kannen geguckt
oder der flaschen getreten auf den riemen, daz du schon
anfängst zu reimen? Fischart Gargantua 212 ndr.;
der loclire Phöbus scWumraert noch,
weil er zu tief ins fläschchen gestern guckte
H. V. Kleist 1, 207 E. Schmidt;
5) vom imperativ guck gebildete satzwörter:
guckindiewelt, von einem sorglosen, unerfahrenen,
jungen menschen, der nicht ganz trocken hinter den ohren
ist {s. unter kucken), vgl. Ludwig teutsch-engl. lex. 820:
es sind ein paar junge 'guckindiewelt', die ins blaue
reisen Bauernfeld 5, 55;
es war einmal ein faun,
ein kleiner, nackter Springinsfeld,
so ein guckindiewelt
mit äuglein lustig braun
F. Lanöheinrich an das leben 72;
ich war damals erst so ein guckindiewelt von elf oder
zwölf jähren Sohnrey im grünen klee 154; was doch die
guckindiewelte heutzutage klug sind! Stürm, 71.
guckinhafen, topfgucker:
garfrosz, fiillwanst und guckinhafen,
du thüst all ding bschneicken und schlafen
Wickram 4, 53 Bolte;
ei über schöner guckinnhafen,
was mainstu dan mit deinem strafen?
FrsCHAKT glilckh. schiff v. Zürich 99 ndr.
1037
GUCKENBERGEN - iGUCKER
iGUCKER icompoaita) - 3 GUCKER 1038
guckinsloch, guckkasten Fischer schwäb. 3, 901;
Castelli 158.
gucküberdenzaun, so heiszt in einigen gegenden
wegen seiner höhe der hohe schlichte 'pommerische kohl oder
Ruppiner kohl Nemnich wb. d. naturg. 214.
GUCKENBERGEN, vb., verstecken spielen, gugge-
bergen . . . est genus ludi puerorum Schönsleder prompt.
(1618) X 5^; guggenbergen . . . ist ein kindersjnel, da sie
sich verbergen Aler dict. 1, 992**. in obd. mundarten noch
gebräuchlich, jedoch im schwäbischen nicht mehr nachweis-
bar s. Fischer 3, 895; guckenbergens machen Martik-
LiENHART l, 207, Vgl. 2, 86; gugkabergen . . ., wobei der-
jenige, der sich verborgen hat, gugkul ruft, um gesucht zu
werden Schmeller-Fr. l, 886 ; Schöpf tirol. 222 ; schweize-
risch guggelibergen Staub-Tobler 2, 155, das hier zu güg,
m., deminutiv gügli 'ton, laut, ruf gestellt wird: in der
ganzen weit ist nichts gemeiners bei vilen als blinde mäusel
undgugebergenspilen(l708)ira^Zemama5, 63. dazualsde-
verbativ guckenberger: wie schändlich sich aber solche
kindische gugeberger selbsten betrügen ebda, älter bezeugt
guckenberglein in des guckenpergleins spilen {obscön)
fastnachtssp. 153, 3 Keller, ebenso des guzepergleins spiln
653, 14.
GUCKENHÄUSLEIN, n.
1) zu ^gucken gehörend in der bedeutung dachfenster,
warte, sich oft deckend mit guckenhürlein (dachreiter mit
atisguck, oberteil eines gebautes mit freiem ausblick, s.
Fischer schwäb. 3, 895), daher hypethra ( = vnnixi^Qa) gug-
genhäuszlein Dentzler clavis (1716) 142*: gieng ein
streich in M. L. . . . hausz oben zum guggenhäuszlein
hinein (1700) quelle bei Fischer schwäb. 3, 896.
2) gleichbedeutend mit *gucke(5. d. ), 'papiertüte' u. ährd., in
diesem sinne heute im schwäbischen gebräuchlich, in der form
gug9us, dem. gugaisle; bei den nachfolgenden historischen
belegen ist diese bedeutung nicht immer gewisz: setzt mans
{die Seidenraupen) in ein guckheuslin von papyr gemacht,
so fahen sie an ze spinnen Leonh. Fuchs neu kreutterbuch
(1543) 198; giebs den krämern zu kaufen, dasz die gucken-
häuslein und scarmützle {tüten) daraus machen J. Heer-
brand nach Fischer 3, 896; hierauf haben sie alsbald
den rechten verstand und den lebendig machenden geist
... in lauter papirine pollwerck, guggenhäuslein, ge-
mahlte wend, larven und träum . . . verwechslet und ver-
kehrt CoNR. Vetter lutherischer schräckengast (1599) b 4*';
so man doch seiner seer spottet und sein schritt zu gug-
gisslen in kramen braucht Eberlin v. Günzburo s. sehr.
371 ndr. weitere belege Staub-Tobler 2, 1709; Fischer
schwäb. 3, 895.
GUCKENKEL, m., urenkel: für einen urenckel C. und
für einen guckenckel C. B. ... gehalten Tob. Wagneb
nach Fischer schwäb. 6, 2077. s. guckahne.
IGUCKER, GUCKER, m., zu igucken.
1) kuckuk, lat. cuculus canorus Naumann vögel 5, 196;
cuculus gugger Diefenbach gl. 161 '^; coccyx ein gucker,
guckauch Frisius (1556) 237**; cuculus ein gugger oder
guggauch 348^ ; guckguck, guckgauch, gutzgauch, gucker
WiRSUNQ arzneybuch (1588) reg.; oberdeutsch weit ver-
breitet, s. Fischer schwäb. 3, 897; Schmeller-Fr. i, 886,
besonders Staub-Tobler 2, 184: den widhopfen, heher,
Scherben, gugger, alster, gimpel städtechron. 22, 422 ; diser
vogel, so gucker, guggauch und kukkuck genent wirt,
hat nit krumb klawen, sunder er ist mit den selbigen als
auch mit dem köpf und Schlund den tauben ähnlicher
dan dem habichen Heuszlin Konr. Geszners vogelb.
(1557) 72»;
der gugger singt sein lebenlang
und lernet doch kein ander gesang
loci communes (1572) 141;
der gucker wunderlich gern auf alten faulen bäumen
hockt GuARiNONius grewel 42 ; e settige narr paszt gerade
auf einen bauernhof wie ein gugger auf ein nest voll eier
zum brüten Gotthelf ges. sehr. 1, 106; wohl redensartlich:
obschon die eiteren so torecht sind gewesen und alles
ir gut verthon und usgeben habend, das si den gugger
in in daz näst satztind Leo Jud von warem und valschem
glauben (1526) d 8"-.
2) bezeichnung des teuf eis, s. teils, 2526; Fischer
schwäb. 3, 897; Staub-Tobler 2, 186, wo die Verwendung
in diesem sinne in mundartlichen redewendungen zahlreich
belegt wird: heiszt das heimlich geschlichen, so kenne ich
des guckers nicht J. Heerbband propfung (1588) 296;
der müsziggang ist des guggers ruhbank Kjrchhofer
Schweiz, sprichw. 163; Eisi wollte fürs guggers gewalt . . .
noch dazu schlagen, was man für kosten damit gehabt
Gotthelf ges. sehr. 18, 175.
3) une kuckuk («. d.), guckgauch (s. «.), guckguck {s. u.)
erscheint auch gucker-, gugger- als erstes compositions-
element zahlreicher pflanzennamen, häufig solcher, die zur
zeit des kuckuksrufes blühen: guckerblume (guggerblume)
Fischer schwäb. 3, 903; Staub-Tobler 5, 74; -brot
Fischer schwäb. 6, 2077; Staub-Tobler 5, 959; -klee
ebda 3, 607; Fischer 3, 903; -kraut Fischer 3, 903;
-laub Staub-Tobler 3, 956; -lauch: guggerlauch oder
saurer klee, das saft da von heilet alle bösz blättern in
dem mund J. Tollat v. Vachenberg margerita medic.
(1516) 4^; -milch Staub-Tobler 4, 202; -sauer Pri-
tzel- Jessen 259; -schuh cypripedium calceolus ebda 125.
4) nach ihrem dem kuckuksruf ähnlichen schrei ist eine
kleine rote wasserkröte gucker genannt Bück flurnb. 80.
^GUCKER, m., {mit lecker eien gefüllte) tüte: so über-
nahm sie es, ihm für den gottesdienst das gesangbuch und
zugleich einem . . . vetter . . . einen gucker zu über-
reichen M. Meyr erz. aus d. Ries 3, 32. vgl. *gucke.
^GUCKER, m., zu ^gucken, s. Fischer schwäb. 3, 896;
Staub-Tobler 2, 183:
1) ein guckender mensch, spectator der gucker Stieler
713: es ist ein artznei, die alle alte scribente geschweigt
und ihr jungen gugger Paracelsus chirurg. bücher (1618)
16 H.; es sollen auch alle knecht in eignen personen täg-
lichs auf den vorst reiten und nit gucker oder knechta
knecht an ir stat anrichten (1540) Reyscher samml.
ujürttemb. gesetze 16, l, 19; cernuus . . . ein gucker, der
die nase gar aufs buch legen musz, wann er etwas lesen
will, der nichts sehen kann, wann er die nase nicht gar
drauf legt Corvinus fons latinit. 183.
2) der blick selbst: du habest ein heimlichen calender
bei dir, darinnen du etwan hinderrucks meiner behend
ein gucker gethan Guarinonius grewel 1022. — im
schwäb. und Schweiz, bedeutet gucker av^h äuge, s. Fischer
3, 896; Staub-Tobler 2, 183.
3) etwas, wodurch man guckt:
a) kleines fenster, luke. Kramer dict. 1, 575^; Adeluno
2 (1775) 839; FiscHER Schwab. 3, 897; Staub-Tobleb 2,
183; Schmeller-Fr. l, 886, /rItAscAonaZs guckerlein (s.d.):
nachdem wir viele stunden geschlafen, wird der vater
anfangen im hause umherzusteigen, von einer uhr zur
anderen, wird zu den guckern Mnausschauen . . . Ros-
EGGER III 10, 86; einen gucker haben sie dir auch her-
gethan, fuhr ich fort, auf das fensterchen deutend 1 3, 306;
80 reisz i auf den gucker glei,
schaug auszi zu dem hag
W. Pailler ueihnacktslieder 1, 213;
rechts und links {vom gang) sind zwei löcher . . . ausge-
schnitten, sie werden gugga genannt {über ein steirisches
bauernhau^) Wörter u. sachen l, 123.
b) brille, fernrohr u. s. w. telescopium, tubus opticus
Stieler 713; gucker nennen die schißer ein taschenper-
spectiv, deren sie beständig einige bei sich führen Jacobs-
SON 2, 170*; au^/englas, zwicker, opern^Za« Unger-Khull
312*'; vgl. heute opemgucker; wir sahen mit dem gucker
{fernglas), wie beide {falken) sich bestrebten, den gegner
zu übersteigen E. Dürckheim erinnerungen 409;
die kugeln pfiffen hin und her,
doch das genirte ihn nicht sehr,
er sah durch seinen gucker
A. V. Winterfeld Spazierritt n.Jütland 68;
1039
GUCKERCHEN — GUCKES
GUCKEZER - GUCKGAUCH
1040
fand sich denn etwas wasche, eine Wolljacke, fernrohr,
gucker, messer, notizbuch H. V. Babth nördl. Kalkalpen
147; vgl. ebda 589; in Berlin werden sie lateinisch spre-
chen, die jungen sollen durch die gucker in die sterne
sehn Alexis hosen l, 330. auf büchsen früherer zeit glas
zum visieren, s. Staub-Tobler 2, 183; Eischeb schwäb.
3, 899, wohl nachlebend in auf dem gucker {nd. kiker)
haben: sie haben ihn wohl auf dem gucker als falschen
Spieler Holtei erz. sehr. 18, 91; s. aufs körn nehmen
teil 5, 1818.
GUCKERCHEN, n., demin. zu ^gucker, äugelein, vgl.
guckel: das kind im hemdchen sitzt da und sieht die
mutter mit seinen guckerchen an A. Eeuerbach an d.
mutter 1, 179; ist, als ob ihr die guckerchen aus dem köpf
wollten Fontane I 2, 459.
^GUCKERLEIN, n., zu ^gucker, bezeichnung der kraut-
lerche oder des brachpiepers alauda campestris Nemnich
wb. der naturg, 214; anthus campestris Naumann vögel 2,
745 : disz vögelin, so zu Straszburg gickerlin, guckerhn oder
grienvögeün genennt wird Heuszlin Oeszners vogelb. 71 8'.
«GUCKERLEIN, n., zu «gucker:
1) äugelein:
mich hat der blitz aus diesen guckerln getroflen,
die andern blitz tuschleren mich nicht
Nbstroy ges. w. 2, 33;
von den sternen:
wie äugelt mit den feurgen guckerln
der himmel deutungsvoll mich anl
MOH£ gedickte (1846) 126.
2) fensterchen, kleine luke zum durchgucken, dachfenster;
finestra picciola, finestrella fensterlein, guckerlein HuL-
sius 2, 165^'; guckfenster, guckerlein kykvenster Kbameb
niderhochteutsch (1719) 2, lOlC; K. Reiser sagen des All-
gmis 2, 706; EisOHEB 3, 896: mit den blinden gucker oder
fensterlein Fronsperger bauordnung (1564) 26; man
musz {den gläsern) die besten wort geben, dasz sie einem
ein guckerl flicken Abb. a s. Clara etwas für alle i, 517;
der Zaggier klopfte, rlsz das guckerl auf
und bot ein frisches gläschen kirscheler
A. PiOHLKR neue Marksteine (1890) 183 ;
drei kleine viereckigte guckerln Anzengbuber 3, 107.
weitere belege bei Fischer schwäb. 3, 896.
GUCKERN, vb., von eintönigem, pochendem gerävsch:
die uhr guckert, und es ist ganz still und heimlich W. V.
EiCHENDOBFF an Joseph 13, 78, vgl. kuckern teil 5, 2520.
GUCKERT, m., ausdruck der bäckersprache, ein kleines
längliches eisen mit einer schneide wie eine messerklinge,
das mit seinem rücken in einem eben so langen hölzernen
heft befestigt ist, mit welchem der teig nach dem auswirken
ab- und zusammengeschabt wird Jaoobsson technol. wb. 2,
I70i>.
GUCKES, /., oberdeutsche form von kux («. d.), anteil
am bergwerk, s. Schmelleb-Fr. 1, 887:
die hoSen aU auf erden
durch perckwerck reich zu werden:
vil guckas sie verleien
Hans Sachs 22, 207 lü. per.;
ein guckus oder zween geschenckt Kirchhof wendun-
muth, 2, 258 lit. ver.; die menschen suchen mancherlei
Wege zur Vergebung der sünden, schlagen hie und dort,
suchen in diesem und jenem guckes und vergucken
darüber leib und seel S. Artomedes erkl. des catech. (1605)
283; so lobt er die gäng fälschlich . . ., damit er die
guggise zweimahlen teurer möge verkaufen Ph. Bech
Ägricolas bergwerkbuch (1621) 18; pluralisch: und hett
darzü verthan das geld, so er gelöst hett aus den ver-
kauften guckessen S. Münster cosmograph. 852; ich rede
nicht von den guckesen und bergwercken, welchs gaben
gottes und zum brauch des menschlichen lebens not-
wendig sind theatrum diabolorum (1569) 2391»; dazu
guckeskränzler, s. kränzler teil 5, 2061: das sie . . . sich
nicht also geschwind und unbedacht auf alle unfündige
massen und zechen legen und einem jeden guggiskräntz-
1er glauben geben Ph. Bech Ägricolas bergwerckbuch (1621)
vorr. 2.
GUCKEZER, m., kuckuk, deverbativ zu guckezen, s.
unter ^gucken : guckitzer Germania 6, 90 Pfeifer;
sing ich mit suszer melodei,
so tu ich als der guckuzar
Hätzlbein liederb. 239;
weil der guckezer gar aso schreit
K. Stieiee ged. 1, 11;
GUCKFENSTER, n., kleines fenster, das sich in einem
gröszeren befinden kann, s. EIbameb dict.X (1700) 5750; vmd
durchs guckfenster, welches ein wenig offen stand,
hineinschaut Ebasmus Feancisci lust. Schaubühne (1627)
3, 226; in dem Innern saal aber, darin die mahlzeit ge-
schah, war ein besonder guckfenster, vor welchem sich
die mutter des jungen unterköniges ohne unterlasz prä-
sentirete J. NEtTHOP gesantschaft (1666) 65''; an der seite,
nach dem kleinen hirschgraben zu, hatte sich mein vater
in der mauer ein kleines guckfenster . . . angelegt Göthb
24, 313 W.; als er aber auch der frau etwas zu lang aus-
blieb, so stand sie auf, ging an das guckfenster in der thür
Jxjng-Stillinq 6, 414; ein kind imter drei jähren, schiebt
man es zu einem guckfenster ein, so wächst es nicht mehr
Gbimm mythologie (1878) 3, 157; als ich durchs guckfenster
auf den flur hinaussah, da war es der fremde von vorhin
Stürm 4, 326; alle vierzehn tage diudPten besuche emp-
fangen werden. . . . dann fragte der schwarze hiUspolizist
zum guckfenster hinaus, dann öffneten sich die eisernen
tore (des gefängnisses) Hans Grimm volk ohne räum 2, 482.
in bildlichem sinne: ihre gute hat mir wenigstens ein
kleines guckfenster geöffnet, durch welches ich in die
Werkstatt der schaffenden geister blicken kann G. Frey-
TAQ 7, 263. für äuge: die wehmut schaut ihm ja aus
seinen schwarzen guckfenstern ganz deutlich heraus
W. Hauff 3, 50. vgl. mitten in das aug hat die natur
ein harten augapfel, gleich als ein guckfenster gesetzt
H. V. Eppbndorff Plinius (1543) 207. — guckfenster-
chen, n., kleines guckfenster: und sonderlich, wenn man
möcht ein guckfensterchen zu dem hertzen haben, hett
ich sorg, man solt heimlicher Epicurer mehr finden, als
gut were S. Artomedes christl. auszlegung (1609) 1, 369.;
der brief lag auf dem sims des kleinen guckfensterchens
der portierstube K. Gutzkow zauberer v. Rom 7, 9; der
Sträfling . . . kann zu jeder secunde von dem aufseher
durch das guckfensterchen beobachtet werden Roseggeb
II 15, 214. — guckfensterlein, n., kleines guckfenster,
riscus guck- oder gutzfensterlein in der wand Kxbsch
cornucop. (1732) 949; es solt der mensch ein guckfenster-
lein auf der brüst haben G. Rivius Vitruv (1575) 197; {es
begab sich), dasz eines Schneiders . . . weib . . . sich durch
ein enges guckfensterlein . . . plötzlich auf die gassen ge-
stürtzet Wolfg. Habtmann Augsb. chron. (1596) 3, 108;
welche {erker) rings herumb von unterschiedlichen färben
gemahlte guckfensterlein haben P. ddla Volle reise-
beschreibung (1674) l, 12; in diese hütten werden unter-
schiedene guckfensterlein gemacht J. C. Aitingeb jagd-
u. weidbüchlein (1681) 189;
durchs alte guckfensterlein
drang nie der volle tagesschein
IMMEKMANN 11, 32 Boxb.;
es war eine ganz winzige, aber aus derben baumstämmen
gezimmerte hütte, sie hatte neben der thüre nur ein
schmales guckfensterlein Anzengbubeb 4, 118.
GUCKGAUCH, m., kuckuk, zur bildung vgl. ^gucken
'vne ein kuckuk rufen^ und gauch 'kuckuk'', s. o. teil 4, 1,
1524. form und Schreibung wechseln stark: cuculus guck-
guck, guckgauch, -goch, gugguch vel -ug, guckgouch
Diefenbach gloss. 161 3'; guckauch cuculus E. Albeeus
dict. (1540) r3'>; gugger oder guggauch cuculus Fbisius
dict. (1566) 348^; guckauch 237**; vgl. weiter Suolahti
vogelruimen 7; Lexeb 1, 1109; Fischbb schwäb. 3, 899;
Staub-Tobleb 2, 105 und die belege unten, in die eigent-
liche bedeutung spielt die von gauch 'narr' häufig hinein:
swem der guggouch sunge
und ouch ein distelvinkelJn
Walthee V. Metzb in deutsche liederd.' 255 Bartsch;
1041 GUCKGAUCHBLUME -GUGKGUCK
GUCKGUCK (Zusammensetzungen) 1042
darzu brauch ich der glocken klang
und was heuer der gucksgauch sang
und das getümmel von der brücken
E. AlBEEXTS fabeln 173 ndr.;
er (der pfaff) hab seim guggengauch zu Wittershausen
geholfen zu guggen zimmer. chron. 2, 496 Barack; in des
grünlings näst legt etwan der guggauch seine eier Heusz-
UN Geszners vogelbuch (1557) 67^; als ich ein geschrei ver-
nahm, eines guckauchs, fragte ich, wo dann die wissent-
liche gäuche, welche sonder zweifei auch in der hölle
wären, ihre näster hätten Moscherosch geeichte 1 (1650)
448; ein sonderer vogel ist oft gern zwei kälber wert, die
Hepsisauer haben ihre kirchweih um einen guckigauch
verkauft Mörikb 2, 71 Göschen; der kuckuk gilt als ein
undankbarer vogel, daher: darumb wirstu (gott) den un-
danckbaren gucksgauchen nicht beistehen V. Heeberger
her izpost. (1613) 1,47; ais schelte: o ihr guckgeuch, wollend
ihr mit mir disputieren, wider mich schreiben oder an-
schlagen und kennen die simpUcia nicht Paracelsus
opus Chirurg. (1566) 298; redensartlich, vgl. die bedeutung
'hahnrei\ s, teil 5, 2526:
wann du kompst in ehlichen stadt,
dein leiden erst doppel angaht.
dann müst du erst den guckauch treiben,
das garn winden, ein esel pleiben
WiCKKAM 4, 64 BoUe.
— guckgauchblume, /., flos cuculi N. Fbisohlik no
mencl. (1586) 51^. — guckgaucherei, /.; ich mag ein
mahl mein aigne guggaugerei nit selbst ausblasen Grim
MELSHATJSEN 3, SdUt.ver. — guckgauchklee, m., oxys
trifolium acerosum hasenampfer, saurklee, guckgauchklee
B. Faber thes. (1587) 578*. — guckgauchlauch, m.
RöszLiN kräuterbuch (1533) nach Diefenbach gloss. 23^
GUCKGLAS, n., glas zum durchgucken, brille, perspectiv
vgl. Krämer l (1700) 575^; lorgnette Schrader d.-frz. wb
1, 582 : dieses guckglas, das ich auch selbst geschliffen habe
F. V. Sallet sämtl. sehr. 8, 31; unter den altem trugen
viele brillen aller art und selbst ein paar der jungem
damen waren neugierig genug, um sich die sache durch
das guckglas anzusehen J. Venedey England 3, 46. als
das glas des guckkastens: gleichwol habe ich gelegenheit
gehabt, hier und da gleichsam als durch die guckgläser
eines schönen spielwerckskasten hinein zu sehen H. Lin-
denborn Diogenes l, 284; früher hat ihm auf dem Jahr-
markt der guckkastenmann für zehn kreuzer durch das
guckglas die weit in bildern gezeigt Roseggeb II 7, 296,
vgl. 11, 97. übertragen: . . . vortreffliche menschen, die,
weil wir nun einmal kein guckglas an unsrer brüst an-
bringen können, . . ., ihr ganzes haus zu einem guckglas
machten Klinger werke 6, 250. — guckgläschen, n.;
alle seltsamen, merkwürdigen und artigen dinge von den
reichskleinodien bis zum Nürnberger guckgläschen Gl.
Brentano 5, 6.
GUCKGUCK, m., nebenform des heule allgemein gelten-
den kuckuk, s. teil 5, 2520/., schriflsprachlich lange in
gebrauch:
1) vom vogel selbst, vgl. kuckuk II 1 a:
und ain zaiselein das nennet sich gugguck
OswAXD V. Wolkenstein 10, 12 Schatz;
die guckguck singend in dem meigen
Seb. Beant narrenschiff 110», 20 2.;
der guckuck ruft, der Anke schlaget
D. W. TRIIiIER poet. betr. (1750) 2, 403;
der guckuck wie die nachtigal
sie möchten den Irühling fesseln Göthe 1, 112 W.;
der guckguck scherzt, der aurhahn pfalzt
A. V. Arnim w. 13, 278 Or.
redensartlich: er hört den guckguck nimmer schrein
SCHELLHORN sprichw. (1797) 59; wan der guckuck zur
nachtigal wird Fr. Wilhelm sprichw. -register (1577) G 1",
als ausdruck des unmöglichen;
ich bin der sach genzUch verdrossen,
weil ich hab ein guckgu geschossen
Hans Sachs 12, 253 lü. ver.,
IV. 1. 6.
anscheinend im sinne von 'miszerfolg haben\ der kuckuk
wird gern wegen seines gesanges verspottet, s. kuckuk II 1 b :
fuchs Reinicke . . . verriet sich selbst durch das Interim,
das ist des gugkugs geschrei, darbei man in kennet, er
rufet seinen eigenen namen ausz E. Alberus dial. vom
interim (1548) El*; er ruft seinen namen selbst aus, wie
der ghuckghuck E. Alberus widder Jörg Witzein (1539)
0 3*; du singest immer einen gesang, wie der guckguck;
der guckguck mus im selber seine urgicht ausrufen
B. Faber thes. (1587) 1066''. der kuckuk legt seine eier in
das nest fremder vögel, besonders der grasmücke: sieh doch,
wie manchen nichtswürdigen guckguck du unter deinen
jungen mit ausgebrütet hast Lessing 1, 204 L.-M.; die
jungen gelten als undankbar, s. kuckuk II 1 c : du lohnest
mir, wie der guckguck dem gorsen (der grasemücken)
B. Faber thes. (1587) 1066^'; gott nehrt einen . . . aus-
setzigen und undanckbaren guckguck, . . ., wie viel mehr
einen menschen Petri der Teutschen weish.2, Qtg3^;
als anrede: o du undankbarer guckguck, ist das der lohn,
das ich dir zweimal das leben errettet? Lohenstein Ar-
minius \, 1295*; zur bezeichnung des hochmutes: so oft ich
mich dieser guckgucken (studenten), die ihren eigenen
namen immerdar ... in dem schnabel führen, erinnere
M. Meyfart chrisÜ. erinner. (1636) 131.
2) vom teufel, s. kuckuk II 3 : hett ich wol mögen sammt
meiner gemeinen gesondtregel zum guckgu fahren GuA-
RiNONius grewel (1610) 157; ich fragte meinen dutzbruder,
wo ihne der guckguck bisher aufgehalten, dasz wir ihn
fast länger als drei tage nicht gesehen /rz. kriegssimpliciss.
(1683) 2, 64;
als Thyrsls sich den guckguck reiten Ilesz,
die muntre Sylvia zu lieben,
wie konnte Daphne das betrüben?
HOFFMANNSWALDAU M. a. 5, 260 Neukirch;
da geiles rabenaas ! dich soll der guckguck plagen
ebda 6, 125;
hohle der gnckguck die melancholey Abb. a s. Clara
närrinnen (1713) 43; dasz so ein armer junge oft vor lauter
poesie des guckgucks werden möchte Seb. Brunner
erz. u. sehr. 1, 30; des guckgucks will ich sein Iffland
theatr. w. 7, 327; dasz dich der guckguck hätt 0. Ludwig
ges. sehr. 2, 332. in adverbieller Verbindung: nun zum
guckguck ! so erzählen sie Chr. F. Weisze lustspide 8,
297; beim guckguck! beim st. Veiten! Göthe 9, 465 W.
atich:
mädchen, was guckguck hast du da?
Gottsched deutsche Schaubühne 6, 137;
wie kommt das schöne kästgen hier herein? . . .
was guckguck mag dadrinne sein?
GÖXHB 39, 260 W.
4) sonstige Verwendung: Wittembergiach hier, alias
guckuk Wittenbergensis cerevisia Stieler (1691) 146, vgl.
kuckuk 5:
dort schwärmten sechzehn wüste köpfe
von guckguck voll, von sinnen leer
GÜNTHER ged. (1735) 162;
sie (die Studenten) . . . sitzen ... in den bierkneipen, wo
sie ihren gukkuk trinken Laukhabd leben u. Schicksale
2, 466; der in Wittenberg ebenso oft eingeschenkt als ein-
getunkt und gleich sehr nach der Hippokrene und nach
gukguk gedürstet hatte Jean Paul 3, 65 H.
5) Zusammensetzungen, es handelt sich, soweit nichts be-
sonderes bemerkt ist, um pflanzennamen, unter denen die
composita wiederkehren, die bereits unter kuckuk, guck-
gauch, gucker angeführt sind: guckguksblume Schwan
dict. (1783)1,800*; FiSCHER schwäl). 3, 903; 6,2077;
Pritzel- Jessen 79; 224; 254; luxemb. ma. 157*; teil 5,
'2528; -bruder, m., 2« guckguck 4: diesmal ein ärztliches
attest dabei, vielleicht von einem seiner medizinischen
guckucksbrüder J. Kbebs Rübezahl 1, 112; -brot Fi-
scher Schwab. 6, 2077; teil 5, 2528; -dank, undank: gibt
. . . den schandtlichen guckuksdank C. Dieterich nach
Fischer schwäb. 6, 2078; -ei Fischer schwäb. 3, 903;
teil 5, 2528; -gesang: dasz er seinen guckucksgesang
immer, doch ohne grundt wiederhole quelle des 16. jh. bei
66
1043 GUCKGUCK (zusammenaetz.) — GUCKKASTEN
GUCKKASTEN {compos.) — GUCKLOCH 1044
Fischer schwäb. 6, 2078; -klee MAUPERaER kauf mann-
magaz. (1708) 5; Pritzel- Jessen 259; -kohl Pritzel-
Jessen 259; -kraut Fischer schwäb. 3, 903; -krug, zu
guckguck 4: der in Wittenberg hinter dem guckgucks-
kruge die heilige theologie studirte J. Krebs Rübezahl 1,
112; -lakai: (der Wiedehopf) ist ein Zugvogel, der vor dem
guckguck kommt und daher guckguckslakai genannt wird
Oken allgem. naturgesch. 7, 203; -lauch Pritzel-Jessen
259; teil 5, 2529; -nägelein, s. teil 5, 2529; Fischer 3,
903; -pfeife, eine pfeife, die den kuckuksruf nachahmt,
beschreibung bei N. Öhomel 4, 1410; -speichel Pritzel-
Jessek 224; teil 5, 2529; SO findet man (von der schaum-
zikade) schäum, welcher . . . den namen guckgucks-
speichel . . . hat Oken naturgesch. 5, 1598; -stein: der
thonschiefer . . . führt den trivialnamen gukukstein
A.G.Werner oryktognosie (1792) 72; -tanz, ein Volks-
tanz, getanzt nach einem liede, in dem das wort guckuck
wiederkehrt Fischer schwäb. 6, 2078; -uhr, «. teil 5, 2529;
Fischer schwäb. 3, 903.
GUCKIG, adj., neugierig, intensiv guckend, spectans,
perlustrans, intentis oculis intuens Stieler 713: und
schier so guckig werden die jungen dirndeln, wenn ein
mannsbild den Johannestrieb ansetzt Roseoger I 15, 227.
GUCKKASTEN, m., 'ein kästen mit optischen Vorstel-
lungen, in welchen man die Zuschauer für geld sehen läszV
Adelung 2 (1796) 844; Fischer schwäb. 3, 90l; Martin-
LiENHART 1, 476^: auf dem markt, wo man hin und her
läuft, vom guckkasten zum Puppenspiel Bettine Günde-
rode 1, 160; wir sitzen wie kinder vor dem guckkasten
Auerbach l, 14l; gewöhnlich eracAeia^ guckkasten in ver-
gleichen, häufig mit dem theater, meist in abfälligem sinne:
wir sehen mit eben dem guten glauben in die bühne
hinein, als ob wir ... in einen guckkasten sähen Gersten-
berg recensionen 104 lit. denk.; im theater St. Carlo
führen sie auf 'Zerstörung von Jerusalem durch Nebu-
cadnezar'. mir ist es ein groszer guckkasten; es scheint,
ich bin für solche dinge verdorben Göthe 31, 35 W.; für
jetzt ist das theater nichts weiter als ein ausgedehnter
guckkasten Ad. Müller verm. sehr. 2, 107; weil ein
theater kein guckkasten ist Ayrenhoff werke (1814) 2, 96;
das theater ist vom publicum noch immer durch einen
wunderlichen Vorhang . . . getrennt . . ., das theater sieht
dadurch wie ein guckkasten aus Gutzkow 11, 45. in Zu-
sammenhang mit literarischen werken: bei gelegenheit seiner
abschätzigen kritik an Dusch sagt Lessing der guckkasten
wird nun zu einer marionettenbühne 8, 105 L.-M.; es
sieht hier jetzt mit einigem unterschiede so aus, als wie
in Amors guckkasten beobacht. in d. lit. u. mor. weit (1773)
13, vgl. den titel Amors guckkasten theater der Deutschen
12, 211; wer guckkasten von . . . erbaulicher Zusammen-
setzung verlangt, lasse mein tagebuch ungelesen Thüm-
mel reise 6, 385; jeder roman ist ein guckkasten, darin
man die . . . konvulsionen des . . . herzens betrachtet
Schopenhauer 2, 677 Orisebach; ich darf hier wohl mei-
nen guckkasten schlieszen [die Schilderungen des Indianer-
lebens) v. D. Steinen naturvölker Zentralbrasiliens (1894)
467. auch mannigfach sonst: wer zur damaligen zeit die
ganze herrlichkeit Ludwigsburgs wie in einem guckkasten
beisammen sehen wollte Schubart leben u. gesinnungen
1, 142; {die erscheinungen wechseln) wie bilder auf dem
tuche bei dem guckkasten H. v. Kleist 5, 109 E. Schm.;
wer die weit wie in einem guckkasten ansieht, . . . der
sieht sie an, wie der narr ein narrenspiel ansieht Fr. M.
Klinger werke 12, 37; sie (die n/itur) gibt in dem kinde
. . . nur einen guckkasten; die altern, die erziehung, die
Umgebung zündet das öl an und stellt die bilder hinter
die gläser Gervinus grescA. d. deutschen dichtung 5, 151; der
grosze guckkasten (Paris) reizt mich nicht mehr, wie frü-
her Fr. Hebbel briefe 6, 361 W.; in der jetzigen zeit wech-
seln die aussichten . . . wie in einem guckkasten RooN
denkumrdigkeiten 1, 169. — compos.; guckkastenartig:
dasz er sein werk in zusammenhängender, ununterbro-
chener darstellung vollendet hat, statt jener fragmenta-
rischen stückelepik . . ., wo denn guckkastenartig ein bild
nach dem andern eingeschoben wird Grillparzer 18, 138
Sauer; -bau: dagegen hat dieselbe classische periode
des französischen theaters . . . uns den tiefen guck-
kastenbau unserer bühne, der aus den bedürfnissen des
ballets und der oper entstanden war, hinterlassen G. Frey-
TAO ges. M>. 14, 27;-bild: jetzt schwebt der ganze auftritt
vor mir wie ein guckkastenbild Th. Huber bemerk, über
Holland (1811) 5; denn so folgen sich die guckkastenbilder
für höhere geister fort und fort auf unserer närrischen
erde fürst Pückler südöstl. bildersaal (1840) 2, 307; die
miniatures sind guckkastenbilder für kinder R. Schu-
mann ges. sehr. 1, 321; ihr wollt guckkastenbilder: brand
von Moskau, . . . Übergang über die Beresina, alles in drei
minuten Fontane 1 1, 55; -bilderreim: im nu reimten
wir guckkastenbilderreime Hoffmann v. Fallersleben
ges. sehr. 7, 217; -geschichte: nie . . . habe ich so eine
guckkastengeschichte auf den brettern gesehen J. Ve-
NEDEY England 2, 533; -glas, glas, durch welches man
in den guckkasten blickt: und doch ist ihm (Faust)
diese betrachtung der natur und ihr wirken von auszen
hinein durch das guckkastenglas der Wissenschaft nur
ein Schauspiel Jul. Mosen 8, 123; -licht: mein schlechtes
gesicht kann daran schuld sein, da die gläser immer mehr
oder weniger guckkastenlicht über die landschaft ver-
breiten Th. Huber bemerk, über Holland 203; -lied
H. Hansjakob bauernblut (1896) 285; -mann, der Vor-
führer, ausrufer, besitzer eines guckkastens, s. guckkästner :
er selbst übernimmt die demonstration mit . . . dem be-
kannten tonfall der guckkastenmäimer Chamisso 6, 6;
früher hat ihm auf dem Jahrmarkt der guckkastenmann . . .
durch das guckglas die weit in bildern gezeigt Rosegoer
II 7, 296; nicht weit davon (von einem tanzbär) steht ein
guckkastenmann und ruft mit heiserer stimme sich Zu-
schauer heran Glassbrenner Berlin wie es ist und trinkt
3, 30; -mäszig, adv., in der art eines guckkastens: die alten
Schlösser stellen sie (die ufer) von unten hinauf gesehen,
ohne allen vorgrund, ohne alle Perspektive, guckkasten-
mäszig dar Th. Huber bemerk, über Holland 388; -scherz
scherzhafte darstellung innerhalb einer guckkastenartigen
literarischen arbeit: ich werde hier aus meinen, seit meh-
reren Jahren in Berlin gesammelten guckkastenscherzen
eine scene zusammenstellen Glassbrenner Berlin wie
es ist und trinkt 6, 1, 10; -stück, bühnenstück mit guck-
kastenartigem ablauf: ebenso verwarf er 'Wallensteins
lager', und nannte es ein guckkastenstück C. L. Coste-
noble tagebücher 1, 225; -träger, träger, besitzer eines
guckkastens: mehr als fünftausend handwerksburschen,
. . . gaukler, guckkasten träger, . . . sollen alljähr hch dieses
weges gehen W. H. Riehl naturgesch. d. Volkes 4, 287;
-Vorgang: wüszte ich nicht sicher, dasz ich ihn (den auf-
tritt) wirklich sah, hielt ich die hecken und die menschen
und die handlung für einen guckkastenvorgang Th. Hu-
ber bemerk, über Holland 5.
GUCKKÄSTNER, m., guckkastenmann: es gibt nur
wenige solcher leute in Berlin, aber die wenigen sind
so originelle käuze, besonders beim erklären ihrer bilder,
dasz ich sie nicht unbeachtet lassen darf, abends, wenn
die sonne untergegangen ist, und die gaslaternen auf-
gehen, stellen sie ihren schemel an eine straszenecke, . . .
rufen sich mit lauter stimme einige kunstliebhaber heran,
und geben den schlechten gemälden, welche man durch
vergröszerungsgläser betrachtet, einen groszen reiz durch
die beschreibung derselben Glassbrenner Berlin wie es
ist und trinkt 6, 1, 9; die guckkästner sind ebenfalls
am verscheiden (sind sehr selten geworden) E. Dronke
Berlin 1, 15. dazu: guckkästnerliteratur: er ist der
Schöpfer der sogenannten guckkästnerliteratur, welche
dem Berliner jargon ein so groszes pubükum in allen
ständen durch ganz Deutschland erschaffen hat K. Rosen-
kranz aus einem tagebuch (1854) 183.
GUCKLOCH, n., ein loch zum durchgucken, häufig
kleines schubfenster oder türchen in einer wand, einer tür
oder einem gröszeren fenster: sah von den fenstern und
gugket durch die gucklöcher Anth. Margaritha der
gantz jüdisch glaub (1531) f 3''; aber die spiesze, mit wel-
chen sie durch die guklöcher (der mau^r) häufig auf den
1045
GUCKROHR - GUFE
GUFE - GUFFEN
1046
heranklimmenden feind stachen A. H. Bücholtz Her-
cuUskus (1665) 49; musz die hütte . . . aussehe- oder guck-
löcher haben H.W.Döbel neueröffn. jägerpract. (1754)
2, 214;
ein knappe geht ans pförtchen, rückt
das guckloch auf und schaut
Bamler fabellege 3, 134;
gut, dasz ich ihm nicht gleich aufgmacht und erst durchs
guckloch aussi gschaut hab! Ayrenhoff i, 307; lauter
neue domestiken, auszer Augusten und dem alten Fasser,
der noch immer seinen köpf aus dem guckloche . . . her-
vorsteckt A. V. DßoSTE-HÜLSHOFF briefe an L. Schücking
227; eine festung der Bergkalmücken . . ., wo die . . .
Schiefermauer mit schieszscharten und gucklöchern durch-
brochen ist Ratzel völkerk. 3, 365; Tumayana spähte
durch die gucklöcher im Strohdach v. d. Steinen natur-
völker Zentralbrasiliens (1894) 105; er war in der gieszerei
gewesen und hatte durch das guckloch in den ofen ge-
sehen K. Fischer denkw. eines arbeiters (1903) 256 Göhre;
Richter fragte nach des kriegskameraden . . . ergehen . . .
und beobachtete . . . die schenke durch bequeme guck-
löcher Hans Grimm volk ohne räum 2, 154. — guckrohr,
n., perspectiv, f er nglas, s. Kramer dict. 1 (1700) 575*=: er
offenbarte das geheimnis des wvmdersamen guckrohres
{kaleidoskops) Göthe IV 29, 203 W.
GUCKRÜBE, /., rübenart, 'eine ort langer rüben,
welche in den brachfeldern Englands und der Niederlande
wachset, rapa sativa oblonga' Adelung 2, 840.
GUCKSCHARTE,/., scharte, wodurch man gucken kann :
ein besonderes geschick solche guckscharten durch die
mauern zu bohren und sich eine aussieht, die niemand
erwartet, zu verschafEen Göthe 34, 363 W. — guck-
spiel, n., eine art Zauberei vermittelst eines krystalls
ScHRADER d.-frz. wb. 1, 582; auch die eitelkeit des acteurs
begünstiget das guckspiel Ayrenhoff 2, 226, hier theater-
spiel. — guckscene, /., theaterszene: Gotter . . . bringet
da guckszenen auf die bühne, die man, . . ., schon in so
vielen italienischen . . . opern . . . gesehen hat Ayren-
hoff 5, 192. — gucktürchen, n., guckfensterchen: er
{der diener) hatte das guckthürchen offen gelassen
H. Laube lo, 148.
GUCKUK, s. o. guckguck und kuckuk teil 5, 2520.
GUCKUMER, /., gurke, s. kukumer teil 5, 2585; Fi-
scher Schwab. 3, 903; 6, 2078; Staub-Tobler 2, 191;
MaRTIN-LiENHART 1, 201; FOLLMANN 220.
GÜDEL, OT., magensack: und wenn das zirbus, das ist
der sack oder güdel oder die derm oder ander ding heraus-
gat Braunschweig chirurgia (1498) 78*'; gat aber der
zyrbus, das ist der güdel oder sack herusz Gersdorf
feldb. d. vmndarzney (1528) 37; vgl. Hyrtl kunstw. d. ana-
tomie 68; Staub-Tobler 2, 125 und die form geudel teil 4,
1, 4619.
GÜDSE,/., hohlmeiszel, mit denen die schiff szimmerleute
hohle flächen bearbeiten und die blockmacher die keepen der
blocke ausschlagen Bobrik seewb. 321*'; dän. gyds; schwed.
gyts; ndl. guts; frz. gouge.
^GUFE, /.(?), knäuel: glomus, circulus oder ein gufe
oder ein kluwel garns gemmagemm. (1512) 1 5^; vgl. schwei-
zerisch gof kleines gebund rohen wergs oder flachses, ehe er
gebrochen wird Staub-Tobler 2, 131.
*GUFE, f.{?), ein fisch, eine art gründet oder schmerle,
cyprinus gobio Nemnich wb. d. naturg. 215; cobitis barba-
tula Megiser pol. (1603) l, 278!^; rhein. wb. 2, 1482.
^GUFE, /., Stecknadel, vornehmlich alemann, nebenform
von glufe, vgl. teil 5, 1261; v. Bahder zur Wortwahl 149 u.
anm. 2: monile spendel, gluffe, guffe Diefenbach gl. 366 c
{voc. theut. 1482 Nürnberg) ; spinter nov. gloss. 345^; acicula
ein gufen Frisiüs dict. 29^. für die mundarten vgl. Martin-
LiENHART 1, igg^J; Seiler Basler ma. 153; Schmidt id.
Bernense 33; Staub-Tobler 2, 607 ; Schmeller-Fr. i, 1327:
thu den stich ufl mit einer gufen und mach ein pflaster
daruf M. Herr schachtafeln der gesundheit (1533) h 3»;
ich aölte recht gon zum ofen sitzen,
spennen und (wölt ich gern) gufen spitzen
Utz Eckstein reichstag (1592) 21;
durchstich das ort mit einer glüenden Stecknadel oder
gufen Fröhlich offenh. d. natur (1591) 348; wann man
nur mit einer kleinen guffen oder nadel dareingestochen
Dannhawer catech.-milch 8, 97; dasz sie (die Juden) . . .
ein knäbli verstolen und mit guffen so lang gestupft,
bisz er gestorben Tschudi chron. Helv. 1, 378; er ist ein
nadler und machet einen tag in den andern gerechnet
neun tausend gufen discourse d. mahlern 2, 131; die Marie
. . . breitet mit der gufe den docht ein wenig auseinander
J. P. Hebel 2, 369 Behaghel; häufig ausdruck der gering-
wertigkeit: sie kromen (kaufen) ettwan ein heller wert
guffen Keisersberg brösaml. l, 92;
er würt sich bald eins guten bdencken,
euch ein hellerwert gu&en schencken
Wickram 4, 73 lit. ver.;
ich geh dir nit ein böse Icrumme gufen . . .
um dinen falschen ablasz und ban!
N. Manuel 121 Bächtold;
irgend eine guffe oder hafte . . ., eine bohne oder sonst
teufelstreck in den gottes kästen geben Moscherosch
insomnis cura parentum 106 ndr.; nicht einer gufen grosz
ne helum quidem Aler dict. 1, 992'';
un s'duriedu, un s'gigrigy
sinn mr kein gu& meh werth
D. HiRTZ ged. (1846) 205.
dazu: gufenbett: ort der verdamnis, eigentlich ein mit
Stecknadeln gespicktes bett Staub-Tobler 4, 812; -knöpf,
Stechnadelkopf Staub-Tobler 3, 751: ein klein löchlin,
das einer kaum mag ein gufenknopf oder speilknopf
hinein stoszen Paracelsus chirurg. bücher u. sehr. (1618)
575»; wenn sie eine schnelle bewegung machte, ... so
muszte sie den athem suchen wie einen gufenknopf Gott-
HELF 12, 207; -macher, nadler, Staub-Tobler 4, 50.
hernach ligt an einem kleinen . . . see . . . die Stadt Nantua
mehrertheils von gufenmacheren bewohnet Grasser
Schatzkammer (1610) 67; darunder der erste ein armer
guffenmacher oder spingier gewest Moscherosch gesichle
1(1650) 20; -spitze, nadelspitze: das durch das gantze feil
der blosen gar kein körnlein, auch eines gufenspitz grosz,
dringen mag Thurneiszer von probierung der harnen
(1571) 2; alsdann lachten sie . . ., eine nannt ihn mein
kleiner dille, mein deitelkölblin, die ander mein gulden-
glüflin, mein guffenspitzlin Fischart Qargantua 202 ndr.;
-spitzer, n/idelspitzer , nadler: halbhöszler, guffenspitzer,
einleger, brunnefeger Fischart praktik 12 ndr.; umb den
forst zu Thelema, auf ein halbe meil, war ein gantzer
flecken, darinn saszen nichts als goldschmid, guffenspitzer,
näherin, seidenstrickerin Fischart Qargantua 452 ndr.
GUFEL, n.,felseinbuchtung, überhängender f eis, im süd-
lichen obd. verbreitet, häufig in fiurnamen, s. Schmelleb-
Fr. 1, 875; Fischer schwäb. 3, 905; Staub-Tobler 2, 132:
jetzt sind sie auf sehnsweite von dem rudel entfernt, das
teils in kühlen gufeln lagert, teils sich tummelt oder ver-
traut äst M. Tipp gamsbart in illustr. volksfreund (sonn-
tagsbeibl. zur Berl. morgenzeitung) nr. 35 (29. 8. 1909); im
compositum: von der schützengufel (so nennt sich diese
höhle) ziehen die Steilwände H. v. Barth Kalkalpen 577.
verwandt sind gaufe teil 4, 1, 1, 1542, gubel hügel, auch
kofel (gofel), das im südlichen bayrischen in der bedeutung
bergkuppe undfelshütte zum schütze gegen unwetter begegnet.
^GUFFEN, vb., mit Stecknadeln zusammenheften Mar-
tin-Lienhart 1, 200. ■
^GUFFEN, vb., mhd. guffen, goffen 'seine freude laut
äuszern, übermütig sein\ etymologie unsicher, lett. gaübju,
gaübt kann wegen des anlautes nicht mit den deutschen
Wörtern unter idg. *gheup- 'spielend oder ausgelassen sich
herumtreiben' verbunden werden, guffen gehört zur sippe
guft, guften, güfter, guftig (s. «.), die im mhd. überaus
reich entvnckelt ist, jedoch nur in wenigen ausläufern ins
nhd. reicht, s. mhd. wb. 1, 586; Lexer 1, 1112. im mnd. ist
guf 'verschwenderisch'' und gufheit 'Verschwendung^ bezeugt,
8. Schiller-Lübben 6, 145. aus dem deutschen sprach-
kreis lassen sich hierher stellen mhd. gief 'tor, narr\ bair.
66*
1047
GUFFER-2GUGEL
2GUGEL
1048
go£E 'dummkopf, engl. goS, gaS, osifries. guffel 'narr'
U8W, :
•wer . . . stets einhergeht in guter wath,
ein Wochen dreimal geht ins bad,
guffet und geudet auf der straszen,
viel gelts wil in der herberg lassen
Eyeking prov. 1, 160.
die Verbindung guffen (güften) und geuden ist auch sonst
bezeugt, s. teil 4, 1, 4623 und Schmelleb-Fe. l, 875.
GUFFER, m., n., schult von sand und steinen, {glet-
scher-)geröU, ablautend zu gauf, s. Statjb-Tobler 2, 132:
die kirch hats angefüUet mit guffer, lett und sand (1762)
quelle bei Staxjb-Tobler 2, 132. dazu guf f erlinien, pL,
mit steinen und schult bedeckte eiswelle, gletschermoräne.
— guferwesen durch wasser oder lawinen mit steinen
überdecktes land Statjb-Tobler 3, 1305, s. ebda 3, 1285.
GÜFNER, m., zu ^gxde, nadler, auch gufener, guffener,
s. K. Bücher Frankfurter beruf swb. 54 a; güfner MarTin-
LlENHABT 1, 200.
GUFT, m., lautes schreien, Übermut, prdhlerei, mhd.
guft; fama geche vel guft Diepbnbach gloss. 224i>. —
güften, vb., übermütig sein, verschwenden, mhd. güften;
gewden, gufften prodigere Diefenbach gloss. 462 c, «. teil
4, 1, 4623: wir haben unser gute mit güften nit gewunnen
und sind dennoch auch bei den leuten gewest privatbriefe
des mittelalters x, 90 Steinhausen, vgl. noch Fischer
Schwab. 3, 905; Schmeller-Fr. 1, 877. — güf ter, m., no-
men agentis zum voraufgehenden, Verschwender, geudiger,
guffter prodigus Diefenbach gloss. 462 C; gufter prodigus
nov. gloss. ZQi^; geuder, gufter voc. quattuor linguarum
{Augsburg 1516), s. teil 4, i, 4629; Fischer schwäb. 3, 905:
für complex sag ich euch fürwahr,
ihr seit ein groszer gufter zwar
fastnachtssp. 1, 143 Keller.
— guftig, adj., verschwenderisch, üppig, mhd. güftec;
gydig, gudig, geudisch, gufftig ding prodigalis Diefen-
bach gloss. M2^; guftig hochmütig, aufgeblasen Loritza
id. Viennense 56: der lenze sprach, er erquickte und
machte guftig alle frucht ackermann aus Böhmen 33, 6
Burd.-Bernt. — guftigkeit, /., Verschwendung, prodi-
galitas Diefenbach gloss. 462*'.
^GUGE, m., s. guckahne.
^GUGE, m.{?), käfer, wurm, auch sonst kleine gelier,
s. Staub-Tobler 2, 160; SCHMELLER 1, 881: crustata ani-
malia thier die einen herten rauhen Überzug habend, als
käffer, gügen, krebs usw. Frisius dict. (1556) Sil^; can-
tharus ein gügen oder kä£fer 182i>; ein groszer käfer oder
güge Hefszlin Oeszners vogelb. 167 a; der thomkretzer
(neuntöter) gläbt der groszen käferen oder gügen 237^.
iGUGEL, adj., s. gogel.
^GUGEL, /., m., kapuze, mlat. cuculla, cucullus, ahd.
cucalun cucullam kl. ahd. sprachdenkm. 145 Steinmeyer;
anu cugulun sine cucullo ahd. gl. 1, 139, 3; mit ypocrisi
preitero blattun witero chugelun Notker 2, 249 Piper;
mhd. gugel Lexer 1, 1114; nachtr. 222; ags. cug(e)le,
cu(h)le BoswoRTH- Toller 173!^; suppl. 135^; neuengl.
cowl; mnd. kogel, kagel Schiller- Lübben 2, 512; auf
dem gesamten Sprachgebiet bezeugt und obd. z. t. noch leben-
dig, s. Fischer schwäb. 3, 906; Schmeller-Fe. 1, 880;
Statjb-Tobler 2, 155.
1) allgemeine Verwendung in der bedeutung kapuze oder
mantel mit einer kapuze; die chape, gugel d capuzo, die
chapen li chapuzi ital. -deutsches sprachb. (1424) bei Brbn-
ner-Hartmann Bayerns mundarten 2, 390^; gugel capi-
tium J. Pinicianus prompt. (1521) nach Diefenbach gl.
97^ ; gugul halszkappe, gugel, kutte Schöpfer synonyma
87'' 8ch.-K.; bardocucullus ein mantel oder kleid, das ein
gugel hat, ein Spanierkap Frisiüs dict. (1556) 152»:
uz siner kappen {var. gugel) z6ch er
einen köpf und ein lit
Heinkich y. d. TtJKLiN krotie 1072;
von Muret ein gugeln guot
roit lütrem v§hen bunde
V. D. Hagen gesamtabent. 2, 438;
der ist nu deheiner
grözer unde kleiner,
er müez an dem kragen
stset ein gugel tragen,
daz im der hals beübe wlz
Ottokar v. Stbiekmark 77589 Seemüller;
6 liezen sich die man schouwen
äne gugel vor den frouwen,
nu siht mans in den gugeln gän
vor den frouwen als ein man,
der sin houpt niht sehen lät
vor dem brechen den er h&t. . . .
86 siht man die frowen tragen
ouch die gugel für gebaut
Teiohnee in Pfeieeek altd. übungsb. 164;
in des (rockes) mitzt oben wirt ein gugelein erste deutsche
bibel 3, 315 lit. ver.; es sol kain leitgeb eim paurnknecht
nicht mer parigen dann sein gurtelgewant, . . . swert und
gugel wert ist österr. weist. 11, 193, 22; ez süUent auch die
sneider von ainem siechten röche und gugel nemen
5 grosz . . . , von ainer gugel 1 grosz 5, 392, 6; auf dem
haupt kan sie {die Ungerechtigkeit) tragen einen türkischen
bund oder kugel Harsdörffer gesprächsp. 8, 446 ; eine
sogenannte kappe, das heiszt, einen kurzen mantel von
grüner wolle mit rother gugel angelegt L. Hesekiel
Nürnberger tand 1, 102.
2) besondere Verwendungen
a) als beruf s- und Standestracht, am häufigsten als mönchs-
tracht, s. kugel 1, teil 5, 2533; gugel oder mönchskutte
cuculla Brack vocab. 15; cappa col cappucio, eine kapp
mit einer gugel, wie die münch tragen Hulsitjs (1618) 2,
75*: der münich, der di cleidere gap, der legete ime an
sin bete eine chogele regelf. ein vollk. leben 78, 30 Priebsch;
man gleube allein den langen handschuchen und gugeln
des rectors zu Ingolstad Luther 15, 119, 4 W.; ob aber
gepoten wirdt dem münich gehaben ein gugel, so wird
dem ritter groszers gepoten, daz ist ein pantzer offenb. d.
hl. Birgitte {1602) n 5^; man sie {die manche) dar bei under-
scheiden {vom wdtklerus), das sie ein käppiin oder gugel-
chen auf dem häuptlin haben Fischart binenkorb (1588)
262»; aller münnich und pf äffen gugel und kappen, men-
tel und korhemmet reformationsflugschr. l, 11 Giemen;
die pfaffen mit ihren platten,
die münch mit ihren gugeln schon
bergreihen 26 ndr.;
auf dem heim ein schwartzen mönch barhaupt mit einem
spitzen gugel Stumpf Schweizerchron. (1606) 698»;
er (der mönch) zog die gugel von der platten gare
A. V. Arnim w. 13, 116 Orimm.
die gugel gehört seit je zur narrenkleidung :
diu frouwe nam ein sactuoch,
si sneit im hemde unde bruoch . . .
ein gugel man obene drüfe vant
WOLFRAM Parz. 127, 6;
er (Tristan) hiez im ein törenkleit
an der stete machen:
von wunderlichen Sachen
einen roc seltsfin getan
und eine gugelen daran
H. V. Preiberq Tristan 51, 34 Berni;
der rothe Pickelhäring mit kolben und gugel Immermann
20, 103 Boxb. bei den bergleuten ist gugel der dreieckige
zipfel der bergkappe, s. Göpfert zs. f. d. wortf. beih. 3, 40:
wie dieser brauch noch heutiges tags bei dem bergk-
werck geblieben und die gugeln von bergkappen an die
kauen genagelt werden Mathesius Sarepta (1578), an
diesen brauch knüpft die redewendung die gugel an die
kaue nageln, s. Schönberg berginform. (1693) 2, 46, im
sinne von 'scherz, unfug treiben', ein kogel, wie vor zelten
die magistri und Studenten kogel trugen Luther zu Hese-
kiel 23, 15, bibdübers. 7, 527 Bindseil; vgl. die Vorstellung
von den alten philosophen: die philosophi sein in langen
rocken und mänteln und guglen herein gangen, lang pärt
und ein stab in der hand tragen, haben schuel gehalten
AvENTiN w. 4, 424, 20 Lexer; gabban col capuccio da mari-
naro schiffersrock mit einer gugel Hulsius (1618) 2, 167''.
öfter als frauenkleidung genannt: cucullus ein gugel, den
die frauwen tragend, wenn es rägnet Frisius dict. (1556)
1049 GUGELFAHRT - GUGELFUHR(E)
GUGELFUHR(E) - GUGELHUPF 1050
348''; frawenzimmer . . . mit iren schwarzen sammatin
schapperen und gugeln nach niderlendischen sitten zim-
mer. chron. i, 293, 32 Barach. heute noch als kopßuch,
haube, s. Lexer kämt. 126; Unger-Khull steir. 313*>;
Hügel Wien 74.
b) als Meldung bei besonderen anlassen, so bei leichen-
begängnissen, s. Bibunger schwäb. wb. 205; Schmeller-
Fr. 1, 880 oder jrrocessionen, s. L. Stetjb drei sommer in
Tirol 1, 105; Schmeller-Fr. o. a. o.
c) in der Schweiz auch 'hilgel', besonders in flurnamen,
S. StAFB-TOBLER 2, 155.
d) in der bergmannssprache ist gugel ein aus der tiefe
in die höhe geführter schachtartiger bau: sowohl abteufen
als aufbrüche, erstere wurden 'gesenke', letztere 'gugl'
oder 'hohe fahrt' genannt jahrb. der bergakademie Sehern-
nitz 14, 137; wollten wir hingegen auch die gugeln sehen
wo firstenweise oder aufgelehnet, das ist, über sich ge-
bauet wird Sperges tyrol. bergwerksgesch. (1765) 321,
GUGELFAHRT, /., mutvnlliges treiben, lärmende lust-
barkeit Staub-Tobler 1, 1032: wir . . . hofEen, dasz die
jetzt unterbUebene gugel- und gogelfahrt einige wochen
später statt finden wird Hebbel briefe 7, 320 Werner. —
gugelfechten, vb., sich närrisch aufführen, narren,
fantasieren, gauglen und gugelfechten ZwENOEL/ormMtor-
bu^h (1568)39''. — gugelfeuer, /., s. unter gugelfuhr.
— gugelfranz, m., spöttische bezeichnung eines mönchs
Drechsler Wencel Scherffer ged. (1652) 124; Hörn sol-
datenspr. 58; Grolmann 27 a; Fischer schwäb. 3, 906,
vgl. Luther 26, 652 W.: im achten capittel leeret gugel-
frantz, wie seine brüder {die franziskaner) sollen ain
generalmünister über seinen orden haben E Berlin v.
GÜNZBURQ sehr. 3, 53 ndr.; ihr lieben gugelfrantzen, was
hab ich euch zu leidt gethan? J. Fuglinüs depraestigiis
daemonum (1586) 363*'; da stehen oder knien neben
ihme zwen gugelfrantzen S. Hübeb erkl. d. abenteuerl.
abenteuers (1590) 43. — gugelfränzin,/., nonwcMosCHE-
ROSCH ges. 4 (1646) 168, s. FisCHER schwäb. 3, 906;
Luther 26, 652 W. — gugelfritz, m. , schelte, wohl
nach gugelfranz gebildet, mönch: selbstheiligen und vom
himmel dünkelheilige gefallene gugelfritzen Fischart
binenkorb 106*; wann söllichs nit allein züstat cardi-
nälen, bischöffen, pfarrern, pf äffen und gugelfritzen,
wie sie sich dann berüment Lonicerus berichtbüchlein
a 3*; warum lästernt dann ihr gugelfritzen mein schrei-
ben? Paracelsus op. (1589) 2, 15; ir hört, was der un-
gelert gugelfritz Martin Luther zügericht hat mit sein
anhang bei Schade Satiren 3, 214; Fischer scAiüöft. 3, 906.
— gugelfug, m., späsze, unfug {vgl. gugelfuhre): gugel-
fug unter einander {haben) Gotthelf ges. sehr. 18, 10,
vgl. Staub-Tobler l, 700.
GUGELFUHR(E), /., scherz, spasz, narrheit, au^h in
der gegenwart noch lebendig, s. Fischer schwäb. l, 906;
Staub-Tobler l, 972; Schmeller-Fb. i, 881. offenbar
sind mhd. gogelvuore (gogel scherz, posse), gaukelvTiore
(s. teil 4, 1, 1550) und gugel {in der bedeutung ^narrenkappe')
in diesem worte zusammengeflossen, vereinzelt begegnet auch
die form gugelfeuer {s. u.). als lustiges, ausgelassenes
treiben, toller streich:
was habt ir für ein gugelfur?
H. Sachs 5, 60 lü. ver.;
einer thut dir bullieder singen,
ein andrer seidenspil lest klingen,
der dritt schnaltzt und juclitzt vor dem hausz —
was meinst, dasz die nachbaurn denclsn,
die hören solche gugelfuhr
J. Ayker 2689 lü. ver.;
der hueb er die klaider dahünden uf . . ., die herzogin
wüst nit, wer dise gugelfuer anfieng zimmer. chron.^ 1, 455
Barock; blumenwesen, feuerwerk mit girandola, musik,
grosze gugelfuhr Fr. Th. Vischer auch einer (1904) 520;
moinst, dia gugelfuahr gang wieder an Mörikb 3, 126 O.
häufig gugelfuhr treiben: und man kan sie dar bei under-
scheiden, dasz sie ein käppiin oder gugelchen auf dem
häubtlein haben und daher seltzam gugelfur treiben
Fischart binenkorb 237*; wiewol er {der geist) nit ge-
sehen worden, hat er den mägten die schlüsel ab der
gürtel hinweg gerissen und dergleichen gugelfuren ge-
triben zimmer, chron.^ 4, 89 Barock; die geiszeler fiengen
da an umbzuziehen im jar 1349, trieben ein wilde gugel-
fahr vor den leuten J. Herold chron. aller ertzbisch. zu
Mointz (1551) 26^'; es ist aber kein wunder, dasz die Zau-
berer, mit welchen der teufel sein gugelfuhr treibet, . . .
von einem ort an das ander getragen werden J. Fuqlinus
de praestigiis daemonum (1586) 104 a^. vereinzelt auch: aus
dem folgt nun, dasz der irdisch leib sein gugelfuhr macht
und leucht bis in sein consumation, der himmlisch leib
ist ewig und ohne end Paracelsus opera (1616) 2, 460,
bei ihm ein lieblingswort mit wechselnder bedeutung, so von
menschlicher absonderlichkeit, närrischer eigenart: so
kommt der teuffei und lernet die Schneider kleider der
Üppigkeit machen . . ., nach den bauern also und nach
den pf äffen und mönchen also, ein jegliches in einer be-
sondern gugelfuhr Paracelsus bücher u. sehr. (1591) 10,
368; das beweisen euere mancherlei scribenten, da ein
jeder ein besondere gugelfuhr hat op. (1616) 1, 341 Huser;
warumb wolt dann ein artzet von disem grund und Ur-
sprung weichen . . . und solte hierauf ein besondere gugel-
fewr anfahen chirurg. b. u. sehr. (1618) 359 a. als abfällige
bezeichnung von etwas wertlosem: also werden viel solcher
schaden geheilet durch blatersalben, durch rauchen,
durch Wäschen, durch das holtz und ander dergleichen
gugelfewer chir. b. u. sehr. (1618) 123°; ich meine nicht
moralem noch ethicam noch ander gugelfuhr, damit sich
Erasmus geübt und umbtreibt op. (1616) l, 1062 b, in
moralisch verwerflichem sinne: der fünft {raufbold) schreit
gotts fleisch, der sechst schreit botz kraut und füren ein
solch gugelfuhr und seltzams regiment Fronsperger
ÄTte^a6. 2(1573)h 6''; ob sie {die hexen) nicht gefressen,
gesoffen, getantzt und andere gugelfuhr mit den teufein
daselbst getrieben Besold thes. pract. 1 (1697)387''; so
gern vom liebesabenteuer: ich waisz aber nit, was der
maister mit der magt . . . für ain schimpf und gugelfur
anfieng. sie wardt schwanger zimmer. chron.^ 2, 555
Barock; der fünft der bulet und hat sein gugulfuhr mit
hübschen mägdlein N. Höniger Keisersbergs narrev^chiff
56''; die männer aber under ihnen selbsten haben ihre
seltzame gugelfuhr mit leichtfertigen, unzüchtigen ge-
bärden je zween und zween gegen einander H. J. v. Breu-
NiNG Orient, reisz (1612) 58; 'n mann, den ich alsn Spiegel
der züchte und keuschheit stets gekannt, . . . nie seine
gugulfuhr gehabt mit den dimen Görg Bider drei mär-
lein (1777) 211. — gugelgans, /., alberne gans, schelte:
ich furcht, dasz mir ein furz entwüsch,
also lachen ich der gugelgans!
N. Manttel V. 191 Bächtold.
— gugelgesang, m., mönchsgesang, pejorativ: noch
wollen sie ... den basz zu ihrem gugelgesang führen
Hüber calvin. predic. (1591) 29. — gugelhaube, /.,
frauenhaube Fischer schwäb. 3, 907; Ungeb-Khull siS*»:
d' frau eine klane untersetzte frau, schon bei jähren, mit
einer gugelhauben Ayrenhofe w. 4, 295.
GUGELHUPF, auch gogelhopf, m., bezeichnung eines
kuchens. nieder- und mitteldeutsch entsprechen topf-, napf-,
asch- oder formkuchen. der zweite bestandteil dürfte zum
verb. hüpfen gehören und bezieht sich auf die infolge der
hefe sich vne eine gugel hebende obere fläche des kuchens.
das wort ist vornehmlich oberdeutsch und reicht nur wenig
in mitteldeutsche gebiete hinein, vgl. Follmann lothr. 318;
ViLMAB Kurhessen 139; Reinwald henneb. 2, 156; Mar-
TiN-LiENHART elsäss. 1, 362; Fischer schwäb. 3, 735;
Staub-Tobler 2, 1492; Schmellee-Fb. i, 880; Lobitza
id. Vienn. 56. im schwäb. und bair. herrscht die form gogel-
hopf vor. zum ganzen vgl. Kretschmer wortgeogr. 352/.
vereinzelt bedeutet gugelhupf auch eine art gebockener
nudeln: zu was für einen schleckerbiszl? villeicht hat ihn
gelust nach einen bairischen gogelhopf ? Abb. a s. Clara
Judas 1, 275; da soll sie alleweil hinter dem ofen hocken
wie ein bairischer goglhopf 228; an statt des brods kan
man mandeln mit rosenwasser abstoszen, eier daran
schlagen, zuckern, dann auf gugelhöpflein oder semmel-
1051 GUGELHUPF {compos.) — GUGELMÖNCH
GUGELMÜTZE - GUGLER
1052
schnitten erhöhet aufstreichen Hohbbrg georgica curiosa
3(1715) 5^; welches kind wird seinen gugelhopf aus schnee
mit ziegelsteinmehl gebräunet in dem bratofen backen
wollen? Jean Paul 38,12^.; da möcht man sich in
einen gugelhopf verwandeln! 1, 51; montag früh tunkte
ich den letzten schönen rest des guglupfs meiner lieben
Julie in den kaffee Lenatj an E. v. Reinbeck 69; sie wur-
den mit kaffee und 'goglopf (guglhupf ) trätiert M. Meyr
erzähl aus d. Eies 1, 130; den köstlichen gugelhopf en ver-
zehrte ich sogleich aus dem Stegreif K. Gebok ein lebens-
bild 94; und endlich stellte sie auf einem seitentischchen
den nachtisch zurecht, die hüpli und offleten, das gleich-
schwer und die pfaffenmümpfel oder den gugelhupf
G. Keller 6, 305; schaff uns etwas krausgebackenes oder
einen napfkuchen oder, um auch in Ölsau gut wienerisch
zu bleiben, einem gugelhupf Fontane I 4, 37. vgl. aha,
bei dem hat der gugelhopf auch nicht weiter gereicht
d. h. dem ists ergangen wie dem Peter in der fremde
BiRLiNGER schwäb.-aiigsb. wb. 206a'. dazu gugelhopf-
becken, form zum backen des gugelhopf s Nicolai österr.
id. 95; -blech blechform zum backen Fischer schwäb. 3,
736; -modeil Hikmann wiener, bewährtes kochb. 454;
Fischer schwäb. wb. 3, 736; -stück: eine aushelfende
küchenmagd, welche auf einer groszen schüssel aufge-
thürmte gugelhupf stücke trägt Nestroy 2, 250; -tanz,
tanz bei hochzeiten, bei dem die kränzet jung fern mit bren-
nenden kerzen besteckte gugelhupf e auf dem köpfe befestigen
und so lange damit herumtanzen, bis die kerzen herab-
gebrannt sind Unger-Khull 313''.
GUGELHUT, m., kapuzenhut, mitra Lexer l, lll4;
Bentz thes. (1596) 129; Statjb-Tobler 2, 1786; Fischer
schwäb. 3, 907: und satzten ein creutzgang allweg für-
hin uf s. Lucastag in ewig zeit, barfusz in grawen mentlen
und gügelhüten und mit prennenden kertzen zu halten
S.Franck Oerm. chron. (1532) 224'>; dieses fiele jetzt einem
tänzer schwer, der . . . mantel, rock und gugelhut (kapuze)
vom halse schüttele Böhme gesch. d. tanzes (1886) 34;
sie brachen in das Elsasz ein
mit Schwert und eisenstecken.
in lederwams und gugelhut
LiENHAKD gedickte (1906) 62.
GUGELIEREN, vb., schwelgen: dann das ander jar
war ein solch gugelieren bei dem guten most J. Herolt
chron. 185 Kolb.
GUGELKAPPE, /., kapuze, saga cucullus gugelkapp
rRisiusll74a;6ardocwcM?ZM5EMMELiuswomewcZ.(1592)335;
Staub-Tobler 3, 389; FiscHER schwäb. 3, 907: eine härige
hülse, wie eine gugelkappe anzusehen J.MuRÄLT(l715)«ac/t
Staxtb-Tobler 8, 389; die gugelkappen ihrer schwarzen
mäntel hatten sie bis über die stirn gezogen, und so that
es das ganze trauergefolge L. Hesekiel nürnb. tand 2,
282; vier . . . henkersknechte mit schwarzen gugelkappen
. . . bändigen und halten mit aller anstrengung den . . .
hengst Liliencron 4, 212; seine braune guggelkappe . . .
war ihm von dem kurzen schwarzhaar abgeglitten Storm
6, 257. als bezeichnung für mönch: heiszt nicht Plautus
(welchen einmal ein gugelkapp für Paulus las) sich vor
den . . . tagkritlern vnnd tischpropheten hüten Fischabt
Qargantua 253 ndr.; — gugelkopf , m., Calendula offici-
nalis gugelkopf Pritzel - Jessen 72; binsaugnesseln,
hummelsköl, mönchspfeffer, gugelkopf, minbrüdermüntz
Fischart binenkorb (1588) a 2. — gugelmann, m.,
mönch: den Avicennam und den gugelmann Galenum
Paracelsus (1616) op. 1, 242 B; die gugelmänner erfreuen
sich aber der weitern auszeichnung, dasz sie die geheim-
nisse (bei der procession) tragen dürfen Steub drei sommer
in Tirol 1, 105; die gugelmänner schleppen leichen,
kranke Liliencron 9, 60. — gugelmäuslein, n., cu-
cullaris musculus, das guckelmäuszlein, ist das erste des
schulterblats, wird von der figur, weil es gleichsam eine
kutte präsentiret, so genannt J. J. Woyt thesaurus (1696)
136, vgl. Statjb-Tobler 4, 477. — gugelmönch, m.,
{kapuzen-)mönch: dasz jederman sehe, wie falsch unsere
gugelmönche zu ihres ordens- Verteidigung der ersten
kirchenexempel anziehen Calvin christl. relig. 2, 156. —
gugelmütze, /., kapuzenmütze: am meisten sind es
fiaker, erkennbar durch ihre roten mäntel und roten
gugelmützen, die ihr offenes kabriolett famos zu lenken
wissen C. v. Przibram erinnerungen (1912) 2, 31.
GUGELN, vb., um sich schlagen: mit den geberden, mit
dem rauhen scharren, poltern, drowen, sawr sehen, mit
bänden und füszen guglen und zittern vor zorn C. Httbe-
EiNUS viertzig predig (1567) Gl*, wohl dasselbe wort, das
heute noch als gügeln im schwäbischen gebräuchlich ist, be-
sonders in der Verbindung das herz gügelet mir hüpft vor
freude; unklar ist der einmal belegte reflexive gebrauch:
also (wie beim turmbau zu Babel) tuend vll der layen hie,
die gügeln sich gar hoch enbor
und wissend nit die rechte spor
Herman V. Sachsknheim mörin 4378 Martin;
das wort begegnet auch in den nachbarmundarten : gügelen
vor zorn zittern Staub-Tobler 2, 159; gügeln schaukeln
Halter Hagenau 155; als gugen schwanken, schaukeln
Seiler Basel 153; Martin-Lienhart l, 204.
GUGELNARR, m., (gaukel)narr : nun schmeckt, wer
ich sei, ihr gugelnarren! Paracelsus op. (1616) l, 148
Huser; Fischer schwäb. 3, 908. — gugeltuch,7i..- Jung-
hennen, des buwes knecht, sin kogelnduche geben (1449)
Bücher Frankf. beruf swb. 37*; dan sol er dem ambtman
ain rock und gugltuech gebn, ain ein für 33 pfennig österr.
weist. 8, 1042, 17. — gugelzipf el, m., zipfel einer kapuze,
kapuze, capucipendium Diefenbach gl. 99^; leripipium
324C; retropendium 496"^; relipendium 491*; nov. gl. 316*:
diser gugelzipfel beschwärt euch nur beide achselen Fi-
schart Qargantua 382 ndr.; und sag das ain man dem
andern, das niemant in gugl oder guglzipfl verpunten
mit Waffen oder haken auf der gassen gen sol copeibuch
der stat Wien (1454-64) 176; welcher mit dem honig
schneiden vmgehet, . . . zihe eine kappen oder ein gugel-
zippel an S'ebiz f eidbau 305, vgl. kugelzipfel teil 5, 2546;
kogelzipfel teil 5, 1578 und gugelzipf bei Lexer l, 1114.
GÜGER, m., goldfink, dompfaff, s. Staub-Tobler
Schweiz. 2, 196; loxia pyrrhula Nemnich wb. der nxiturg.
215; pyrrhula vulgaris Naumann vögel 4, 383; güger heiszt
er von seines gesangs wegen, blutfink von seiner färb,
thumbpfaff und pfäflin, dasz er ein münchkappen an
seinem hals trägt Heuszlin Qeszners vogelb. 21^; den
güger nennend auch etlich zu teütsch goldfinck, lobfinck,
blutfinck 53b.
GUGLE, n. ( ?), Johanniskäferweibchen lampyris Nem-
nich wb. der naturgesch. 215, dem. zu guge, s. d.; in der
Schweiz güeg, güegli, hier auch der Johanniskäfer Staub-
Tobler 2, 160: in manchen gegenden Deutschlands
leuchtet . . . nur das als gugle bezeichnete weibchen {des
Johanniskäfers) Brehm tierleben 9, 115P.-Z.
GUGLER, m.:
1) eine art bunter leinwand, gewöhnlich in der form
gugler, doch auch als kugler, s. teil 5, 2546, guguler, gogeler,
gygeler u. a., s. Diefenbach gloss. 239* s. v. fl.avilinum;
nd. kogeler Schiller-Lübben 2, 513: vom barchant und
schedter jedem stück ain pfenning und vom gugler und
zwilchlen jedem stück ain haller städtechron. 34, 229 anm.;
ain gugler 1 häller und ein schetter l ^ ebda 23, 446; und
desgleichen welche geste herbringen zu verkauften lein-
wat, geferbt oder ungeferbt, schetter, goitschen, gugler
. . . Nürnb. polizeiordn. 129 lit. ver.; weitere frühnhd. belege
mhd. wb. 1, 585; Lexer 1, 1113; Diefenbach gl. 239*;
vgl. auch Fischer schwäb. 3, 908; Schmeller-Fr. 1, 881;
Staub-Tobler 2, 158.
2) vereinzelt bezeichnung für mönch, also gugelmann ent-
sprechend: das beten vermöge niemant dann die grawen
gugler Eberlin v. Günzburg 2, 19 ndr.
3) bezeichnung englisch-französischer truppen nach ihrer
kopfbedeckung, s. Staub-Tobler 2, 158: da kamen aber-
mals in das Elsas über die Zaberer steig ein volck, die
nante man auch die Engelländer und gugeler B. Hertzog
chron. Älsatiae (1592) 2, 64.
1053
GUHR-GÜLDE
GULDEN
1054
GUHR, gühr, /., pl. guhren, gärung. verbalahstract. zu
gären, s. d. da im ahd. und mhd. unbelegt, ist die grund-
form nicht sicher anzusetzen, rhein. gur, gür (rhein. wb. 2,
1497), mnd. göre, göre gärung und der sich dabei ent-
wickelnde starke geruch, mnl. göre, göre, m. u. f., geru^h,
nl. geur gehen auf *guri- zurück, vgl. weiter ahd. gor pmus,
ags. gor, n., kot, dünger, an. gor, n., der halbverdaute
mageninhalt, mrü. goor schmutzig, kotig, faul, göre, goor
schlämm, kot,fäulnis. schweizerisch gur frischer kot Staub-
ToBLER 2, 409; Walde-Pokorny 1, 688; FiCK 33, 128/.
1) der gärungsvorgang oder der zustand eines alkoholischen
getränkes in der gährung: dieser weinkrancke habe des
mosts zuviel gekostet, dasz ihm die gühr des trüben weins
in den köpf gestiegen Harsdörffer gesprächsp. 2, 100;
doch ein gelehrtes werk stralt, wenn der neid verschwunden,
wie aufgeklärter wein nach überstandner guhr
neuer büchersaal 3, 65;
das hier steht in der guhr Jacobsson technol. wb. 2, 171»;
dem hier eine gute guhr geben e^ gut ausgären lassen
Adelung 2, 840. rheinisch bedeutet guhr au^h die würze,
den geschmack des weines und weiterhin den fleischsaft und
seinen geruch.
2) eine breiige, erdige flüssigkeit, bis in die gegenwart
fachausdruck der bergmannssprache: in alten zechen und
verfamem felde richten sich bergverständige leute nach
der ghur, so aus den Strassen (s. ''strosse) giert und treuft
und sihet wie buttermilch, welche oftmals von ertz her-
sintert und eine maute ertz verkundschaft Mathesiüs
Sarepta (1578) 37''; wie aber erd oder asche und das fette
und efere (acerbvs) wasser zu einer guhr vermenget und
temperirt werde, das weisz gott allein 30*'; wenn nun ein
guhr oder schweblicht und quecksilbricht materien zu-
sammentreuft oder fleuszet ders. ausgew. w. 4, 199 Lösche;
und sihet, dasz ein weisze guhr oder molckenfarb wasser,
wie ihr bergleut redet, erstlich auf den Stempel gesiegen
oder gesieffert P. Albinüs meiszn. bergchron. (1590) 60;
wann nemlich erde und wasser in einander vermenget,
dasz eine guhr und schweflichter und quecksilberrichter
same draus wird Prätorius wünschdruthen (1667) 200;
guhr ist eine flüszige materie, so ausz den Strossen gieret
und treuft G. Junghans auszgeklaubte gräublein ertz
(1680) c 3''; zudem giebts auch der augenschein, wenn
man in manchen bergwercken gewonnen ertz auf einer
strecken oder fellort eine Zeitlang liegen last, dasz etwan
aus einer kluft eine guhr oder steinmarck darein treuft
V. Rohr hauszhaltungsbibl. (1716) 405; {raseneisenstein
kommt vor) theils im zustande eines Schlammes oder
einer sogenannten guhr Oken allg. naturgesch. l, 363;
insbesondre die mehlartige kieselguhr: wird graue kiesel-
guhr verwendet, oder selbst weisze guhr in flammenöfen
gebrannt, so bleiben kohlenpartikelchen in derselben, und
das dynamit erhält dadurch eine schmutzigbraune färbe
Muspratt cÄemie (1900) 7, 906. dazu guhrgattung, f.:
um nun die färbe bei allen Zufälligkeiten des glühens der
guhr und für die verschiedenen guhrgattungen gleich-
mäszig zu haben, ist es . . . üblich, dem dynamite . . . ocker
zuzusetzen Muspratt chemie 7,906. — guhrweise, adv.:
bergkork {unreinere varietät des asbests), welcher guhr-
weise zu entstehen scheint und nach feuchter Witterung
in den klüften . . . gefunden wird Göthe II 9, 62 W. —
gührig, adj., 1) guhren absetzend Veith bergwb. 256: gürig
gebirge B. Rössler spec. metall. (1700) 58^*; dergleichen
umstände kommen auch bei gührigem gebürge vor bericht
vom bergbau (1769) 86. 2) bei den eisenarbeitern von dem
Stahle üblich und so viel als spröde Adelung 2 (1775) 840.
GÜLDCHEN, n., deminutiv zu gülden, m.; nur als
plural belegt:
da must der arme Jäckel bückn,
un wühl hunnert güldchen rausz dückn
Mart. Binckhart Müntzer. bawrenkrieg (1625) G 2».
^GÜLDE,/., goldfarbene reife: de weize schneid in der
gülde ... de roggen in der weiszreife Fischer schwäb. 6,
2078, vgl. güln, vb., goldgelb leuchten, vom reifen körn
Bacher Lusern 264.
2 GÜLDE, s. gilde und gülte.
GULDEN, m.
form.
das aus dem adj. guldin, s. golden, vgl. au^h poln. zl^oty,
verselbständigte nomen bleibt in der reget unflectiert, s. die
belege unter 1. obd. sind daneben hier und da adjectivische
pluralformen belegt: gen. pl. guldiner, guldeinr (1355) mo-
num. Hohenbergica 471; (1359) geschichtsfreund 2, 179/.;
(1374) monumenta Zollerana 4, 301; (1378) bei C. Ferd.
Jung miscellanea^nz^) 4, 41 {vgl. auch unten guldener, m.) ;
vereinzelt die schwache form der selben guldinen quit,
ledig ind lose (1356) monum. Hohenbergica 474; zwei-
deutig ist der dat. pl. auf -en: an den guideinen ebda 395;
vgl. noch 462, 772 u. ö. {aus den j. 1346-1397); mit guldinen
{bezahlen) (1351) Zürcher stadtbücher 1, 179; gen den
dreizzigtausent guideinen (1375) mon. Zollerana 4, 330. nd.
ist die Verbindung mit penning 'mttreze' lebendiger geblieben
und flexion häufiger belegt, für den gen. pl. fehlen hier die
formen auf -er: van der güldenen wegen (1336) quell, z.
gesch. d. st. Köln 4, 235; der betzalingen der . . . tzien-
dusent güldenen content (1385) 5,450 {neben güldene);
der hundert güldenen ( 1393) 6, 157. der mehrdeutige dat. pl.
z. b. myt ungerschen ghuldenen (1451) chron. d. d. städte 30
{Lübeck) 122. ferner findet sich güldenen /wr den acc. pl.:
dy vurschreven hundert güldenen {bezahlen) (1393) qu. z.
gesch. d. st. Köln 6, 157; güldene sowohl für den nom. und
acc. pl., z. b. (1372, 1386) bei Jesse quellenb. z. münzgesch.
167/J'., als für den gen. pl., z, b. (1374, 1385) qu. z. gesch. d.
st. Köln 5, 62; 450/., auch für den nom. sg. Diefenbach
nov. gl. 142"'. ein starker gen. sg. des subst. gülden ist
zuerst im 16. jh. nachweisbar: guldens Luther 34, l,
186 W.; güldens Ruoff hebammenb. (1580) 48; neben gül-
den bei Wehner observationum liber (1624) 251*^; 246*'.
neben dem regdmäszigen nom. sg. gülden, gülden ist vom
15. bis 17. jh. die teils dialektische, teils analogische form
gulde oder gülde ziemlich häufig, z. b. (1444) bei Jesse
a.a.O. 115; (1454) chron. d. d. städte 36,322 {Lüneburg);
Diefenbach 361"; 381"; Luther 15, 3i2 u. ö. W.; Al-
BERUs nov.dict. (1540) 86'"' (ein güld); Wehner a.a.o.
246'' {neben gülden); Orsäus nomenclator (1623) 147.
umgelautete oder aus dem umlaut entwickelte formen sind
aus mundarten von Ostprevszen bis ins Elsasz belegt, z. b.
gille Frischbier preusz. 233''; gülden, güllen Dähnert
pomm. 164; giln Hentrich Eichsfeld. 102; gülle, güllen
Schambach Oötting. 70''; gülen Bauer-Collitz waldeck.
42*; güllen Woeste-Nörr. westfäl. 87''; drai gilla Sar-
TORius Würzburg 212; gille Autenrieth pfälz. 54; Schön
Saarbrücken 83 *; gülde, kilte Martin-Lienhart elsäss.
1, 213''. bis ins 15. jh. ist der umlaut nur sporadisch be-
zeichnet, z. b. (1349) pfälz. urk. in zschr.f. gesch. d. Oberrh.
3, 315; (1400) handelsrechn. d. d. ord. 105, 136; (1467) chron.
d. d. Städte {Straszburg) 9, 1006; (1495) Wortnser reichstags-
abschied bei Joh. Chr. Hirsch teutsch. reichs münzarch.
(1756) 1, 168; dann regelmäsziger, vgl. etwa Kirchhof
wendunmuth i, 234; 2, 54 Österley; Wehner a. a. o. 245^.;
Schupp (1663) 26, 68, lOO; P. Gerhardt bei Fischer-Tüm-
pel 3, 407 a u. ö.; Gryphius lustsp. 95 Palm; J. L. Frisch
d.-lat. 1382; bei Luther, H. Sachs, Fischart herrscht
schwanken {vgl. dazu Molz nhd. Substantiv flex. in P.-B.
beitr. 27, 267). seit Gottsched etwa wird die umgelautete
form unliterarisch zugunsten der heutigen schriftsprach-
lichen, nicht umgelauteten, die in der südd. literatur bewahrt
geblieben war, z. b. bei Jac. Frey gartenges. 39, 179 Bolte;
Schweinichen 110; 163 u. ö. Österley; Guarinonius
greuel (1610) 17; S. v. Birken verm. Donaustrand (1684)
132, und bis heute in den obd. mundarten, s. Schmeller-Fr.
1, 896; Fischer schwäb. 3, 9ii; Staub-Tobler 2, 227, so-
wie in hannoverschen und angrenzenden maa. gilt, s. z. b.
Flemes Kaienberg nachtr. 11; Damköhler Nordharz 66»;
Frederking Hahlen 12*'. die umlautlose münzbezeichnung
blieb fortan, auszer etwa noch bei Herder: wie der Talmud
schreibt: wer hundert gülden im handel hat 24, 74 Su-
phan, vom umgelauteten adj. gülden, s. golden, getrennt,
wie teilweise schon vorher, z. b. (1444) sächs. münzordn. bei
Jesse a.a.o. \i\§.; Dasypodius dict. lat.-germ. (1536)
1055
GULDEN 1
GULDEN 1
1056
340''. functionelle Scheidung der form gülden als singular
vom plural gülden s. Fischer schwäb. 3, 9il. über einen
Sachunterschied zwischen gülden und gülden s. unten 2. —
u erscheint zu o geöffnet in goldin, golden, z. b. pfabrer
z. D. Hechte schachbv^h (um 1355) in zschr.f. d. alt. 17,
305; Marienburger treszlerb. 4; 519 Joachim; handelsrechn.
d. d. ord. 208, 304, 497^. Sattler, golden {plur.) nur belegt
bei LoQATJ 463 Eitner. — labialisierung des endconsonanten
findet sich in guldem {plur.) mon. Hohenberg. 810; 823; 838
{a. d. Jahren 1401 bis 1410).
bedeutung und gebrauch.
1) ursprünglich eine goldmünze, bezw. der ihr entspre-
chende geldwert.
die Substantivierung des altrib. adject. guldin bei münz-
bezeichnungen wie pfennig, florin u. a. ist etwa um 1300
eingetreten; gelegentlich läszt sie sich noch im entstehen
beobachten:
der (zoll) glltet vlerzec tusent guldin
bysantzer der Sarrazin
JOH. VON WÜKZBTTEG V. 6193 Regel;
neben
daz im iegliclier sendet dar
tusent guldin für bar
haidnischer bysanzer v. 6168;
die zal der gült (zw Baldach) sag ich auch:
der ist drizzec tusent guldin i'. 6213;
SO steht auch der früheste beleg {um 1280):
sehzec tusent guldin sie versliezen hiez
Lohengrin v. 3852 Rückert
neben
guldiner phenninc tusent pfunt ebda v. 6511.
als Ursache für die allgemeine Verbreitung dieser sprach-
lichen Verkürzung kommt kaum das mlat. aureus {sc. de-
narius, i. florenus), s. Diefenbach gloss. 61», in betracht,
sondern vor allem der eroberungszug des goldfiorens, s. unter
a, der ersten goldmünze von europäischer bedeutung.
&)für den goldfloren, mlat. florenus {vgl. die durchgängige
abkürzung fl. für gülden), dessen urbild, zuerst 1252 von
Florenz ausgeprägt, seit 1300 etwa über die Alpen drang,
seit spätestens 1340 wurde er auch in Deutschland ge-
prägt, gegen ende des Jahrhunderts hatten diese deutschen
-münzen die Florentiner verdrängt, vgl. v. Schrötter wb.
d. münzkde 228''. die belege sind nur eindeutig, sofern sie
nähere angaben, s. e a, ß, y, enthalten, z. b. mit guten und
gewegen guldin Florentzer müntze {bezalt) (1349) urkb. d.
bisch, z. Speyer 2, 24 Remling; jedoch dürfen die frühen,
auch ohne solche angaben, auf die florene gedeutet werden,
für die es neben dem seltnen florin, vgl. e ß, keinen andern
namen als gülden gab: {ein goldschmied und sein weib
bekennen,) daz sie hetten verkaufft alle ire recht ... an
6 hubin landes . . . dem convente des huses zu Sassinhusen
. . . umb 20 gülden (1300.?) hess. urk. 1, 299 Baur; enen
güldenen vur ene marc {Köln 1326) altes rathsbuch in
zschr. f. gesch. d. Oberrh. 11, 391; umb siben hundert
march silber und um zwainzich march, ie vir guidein für
ain march (1340) notizenbl. z. arch. f. kde österr. gesch. -qu.
9, 135; insbesondere gehören die belege hierher, in denen
gülden als fester begriff unbestimmtem gold, d. i. anders-
artigen goldmünzen gegenübersteht: gold und guldin, tur-
ney etc. (1335) Zürcher stadtbücher 1, 69 Zeller-W.; vort
so sal man alle andere goilt, dat wichtich ind gut is,
nemen na syme werde, darop dat dat goilt na gebuere
ind na werde der gülden nu gesät is (1372) ndrhein. urkb.
3, 613 Lacomblet; deutlich auf die deutschen prägungen
gehen: vort solen wir {d. erzbisch, v. Trier u. Köln) doen
slain sware güldene, as gut as man sy hude zu daghe zu
Duytze sleit (1372) etda; ein iecliche herre von uns sal
in sinen münzen tun slan güldene, die halden sidlent
driu und zwenzig krait. unde der güldene suUen gen ses
unde seszig uf ein mark gewegen (1386) rhein. münzverein
bei Jesse qu.-b. z. münz- u. geldgesch. 170; als gattungs-
begriff die fülle der Spielarten einschlieszend: item 97 gül-
den . . . ungerische, rynisch, ducaten, gellirsche under en
ander (1404) Marienb. treszlerb. 281 Joachim; dasz alle
gülden mit dem gewicht genomen würden (1495) Joh.
Chr. Hirsch münzarch. (1756) l, 168.
h)für goldmünzen andrer art, s. o. bysantzer, vgl. lea,ß;
später wohl in übertragenem gebrauch; für den ähnlichen
ducaten {vgl. e d): von eim gülden . . . ein ducatus ge-
heissin (1404) bei P. Joseph goldmünzen 126; ducate, eyn
güldene van der stad to Venedic Diefenbach nov. gl.
142*; vgl. das compositum ducatengulden (1444) Jesse
o. o. o. 113 und (1481) numismat. zschr. 41, 157; selten für
artverschiedene ausländische goldmünzen: und nament den
aht pilgerin, der warent . . . vier von Engeliant, siben
hundert bar guldin; der warent achzig nobol (1388) urkb.
Freiburg i. B. 2, 72 Schreiber; vgl. nobulus ein guidein
Diefenbach 381 C; das compositum nobelgulden s. ebda;
einen guldin, den man nemmet schiltfranken (1416)
Zürch. stadtb. 2, 54.
c) für gülden nicht näher bestimmter art, bezw. für gold-
münzen überhaupt, vor allem im liter. gebrauch:
viertzig guldin er ir gab
Heink. V. Neustadt Apoll, v. 15725 u. ö. Singer;
guidein chöph (humpen) und silbrein schal,
dar in vil guidein tzu dem mal
SUOHENWIET 4, V. 500 Primisser;
als ob ain mensch wölt geen zu dem babst und im brin-
gen ainen guldin, und der . . . gab im hundert tausent
pfundt goldes wider Tauler pred. 100 Vetter; da nam
Georius einen guldin und sprach: den guldyn opfer ich
der sunnen got summerteil der heyl. leben (1472) 12*>; über
das alles haben wir etlich tausent guldin ... in unserm
closter vergraben Schade satiren 3, 216; mit dem 16. jh.
vArd gülden in der bedeutung 'goldmünze'' durch goldgulden
{s. d.) ersetzt; vgl. i. f. g. hatten auch . . . 1000 goldgulden
bekommen . . . die lOOO gülden {bei einem aufenthalt) ver-
zehrt wurden H. V. Schweinichen denkw. 163 Österley.
in Übersetzungen an stelle von 'aureus^ oder fremden münz-
werten: do er {Naaman) . . . mit im hett genomen 10 talent
des Silbers und 6 tausent guidein (aureos vulg.; gülden
Luther) erste d. bibel 5, 366 (4. kön. 5, 5); gaben . . . zum
schätz ans werk ein und sechzig tausent gülden {auri
solidos) Esra 2, 69 ; namen f ünff und dreissig tausent gül-
den {septuiLginta milibus didrachmis acceptis) von inen
2. Macc. 10, 20; zwenzig gülden becher, die hatten tausent
gülden (gtti habebant solidos millenos) Esra &,2T ; auch 2,69.
d) mit dem aufkommen der guldenrechnung im kleinver-
kehr, vgl. ort I 4 und ortsgulden, schied man den gülden
an golde vom gülden an gelde {silbergeld) oder an werunge
u.ähnl.: 1 gülden an golde (1444) sächs. münzordn. bei
Jesse a.a.o. 114; wa einer ein gülden an gold soll
{schuldet) (1490) bei Staub-Tobler 2, 228; dat gy my
sanden anderen halven gülden, 1 an golde, ^/a an gelde
(1458) Germania 10, 390; vierzig guldin an golde und
44 // 13 seh. an werunge (1380) Frankfurter urkde bei
Lexer 3, 797; {einem boten vnrd u. a. geraubt) gereide gelt
alz elff gülden an golde imde an Bemeschen (1430) bei
Steinhausen privatbr. l, 29; auch: tusent guter rynischer
guldin an golde (1438) urkb. v. Freiberg i. S. 2, 83; 60 guter
rinischer guldin in gold (1398) bei Fischer schwäb. 3, 909;
hierzu noch zimm. chron.^ 4, 185 B. unter 1 e e. vgl. auch
geld 4 b {teil 4, l, 2, 2898), Währung {teil 13, 1011) und
goldgulden.
e) für die verschiedenen guldenmünzen finden sich be-
sonders in Urkunden und münzerlassen mannigfache, ört-
lich verschiedene, nähere bestimmungen:
a) form, gewicht und gediegenheit hervorhebend; specidl
klein im 14. jh. formelhaft für den floren {vgl. florenus par-
vus, z. b. (1313) bei Joh. P. Schunck cod. dipl. [1797] 189),
aus dem gegensatz zu gröszeren französischen u. englischen
münzen zu erklären {vgl. E. Kruse köln. geldgesch. 43),
vielleicht auch zw doppelgidden(l37l/Mr Trier u. Luxemb.
belegt bei Jon, Chr. Hirsch münzarch. [1756] l, 43): {ein
bürger von Köln beschwört,) dat ime dye bürgere van Vene-
dychen genomen hedden he vurmoyls seys inde drissich
cleinre güldenen in irre stat (1336) qu. z. gesch. d. st. Köln
4, 235 Ennen; der gegensatz nur einmal:
daz (pferd) trug ain deck, diu was wol wert
füml tusent grozzer guldin
Joh. von Würzbueg v. 6447 Regel;
1057
GULDEN 1
GÜLDEN 2
1058
öfter zusammen mit schwer für die vollgewichtigen oder
leicht /ttr eine {brabantiache?) abart {vgl. E. Kruse a. a. o.
43, dazu quell, z.gesch. d.st. Köln{\Z%4t) 4, 482; (1374) 5,61):
{münzver. Köln-Jülich-Aachen) vort so sin wir . . . oever-
comen van deme güldenen gelde . . ., dat . . . eyn cleyne
gülden van Florencie guyt van golde ind svair van deme
avairen gewichte sal gelden zwei ind zwentzich schillincge
. . . ind eyn cleyne gülden guyt van golde ind svair van
deme lichten gewichte eyn ind zwentzich schillincge (1357)
ndrhein. urkb. 3, 481; eychtzien gülden van Florenzie
gut van goilde ind van lichten gewichte (1355) quell, z.
gesch. d. st. Köln 4, 411; vunfdusent swairre guldenn (1376)
ebda 5, 187; für einen guten cleynen sweren guidein (1374)
bei Heinr. Günter münzwes. i. Württemb. 49; anders:
guldin der gewicht von Florentz, z. b. (1359) monum,
Hohenbergica 490; gut und gäbe u. ä.: zway tuaent
guldin guter und geber guldin, gut von gold und swer
von gewichte (1368) monum. Hohenberg. 559 u. ö.; zweinzig
guldin guoter und geber (1402) geschichtsfreund 8, 82; vier-
zehenhundert guldin guter und genemer guldin (1385)
monum. Hohenberg. 727. vgl. auch unter ß und &, e.
ß) nach dem typus. bair.-alem. belege zeigen eingedeutsch-
tes florin {s. Lexer 3, 413) verdeutlichend mit gülden zu-
sammengestellt: fünffzig guldin guter florin (1342) ulm.
urkb. 2,1,230; auch 401; umb ... zehen tousend gui-
dein guter florin (1352) monum. Hohenberg. 445 u. ö.;
auch: für sechtzig tusent guldin florin (1348) qu. z.
bayer. u. dtsch. gesch. 6, 404; vereinzelt: umb zwaintzich
guidein guter und geber florentin (1350) monum. Boica
10, 101 {von ital. fiorentino beeinfiuszt?); zwenzig guldin
guoter und genger florener (1383) geschichtsfreund 8, 66
u. ö.; drissig guldin guoter und wolgewegner florentiner
(1361) ebda 8, 63; acht dusent gülden von florentiner (1363)
monum. Hohenberg. 521.
y) nach der herkunft: von Florenz u.ähnl.: eynen
kleynen gülden van Florenze, de wigich is imd van gudin
golde (1337) ndrh. urkb. 3, 253 u. ö. Lacomblet; 200 gülden
van Florentien (1362) qu. z. gesch. d. st. Köln 4, 468; ellip-
tisch : 225 florentien (1370) ebda 4, 606 ; meist, vne in späterer
zeit auch die namen unter 6, e, als artbezeichnung aufzu-
fassen, s. besonders die belege zu leicht unter a; seit ende
des 14. jh. auszer gebrauch; später z. b. ein Florentzer (1416,
1425) Zürch. stadtb. 2, 55, 215; andere herkunftsbezeich-
nungen, z. b. Qenueser {vgl. vatik. quell. 2, einl. 51 K. H.
Schäfer), vielfach entstellt: einen jenever g. (1370) Hirsch
münzarch. 7, 17; eynen geneboesschen g. (1372) ndrh.
urkb. 3, 613; Januars güldene (1386) Jesse 170; ein ...
jenuersch (1409) P, Joseph goldmünzen 130; lübische {vgl.
Jesse 89): einen guden schwären lübschen g. (1370)
Hirsch 7, 17;
der (kauftnann) hett gar vil duckat
und lübisch gülden auch
Herm. V. Sachsenheim sleigertäechlin 228 Holland u. Keller:
ebenso: beiersche (1420) Hirsch 7, 31; gellerische g. (1399)
Marienb. treszlerbuch 34, u. andere; die päpstlichen als
kamerguldin (1419) Zürch. stadtb. 2, 299 {vgl. Vatikan,
quell. 2, einl. 58; v. Schbötter 293).
d) ungarischer gülden, seit dem 14. jh. die übliche bez.
für die seit etwa 1325 nach dem vorbild des {dem floren
wertgleichen) ducaten Venedigs in Ungarn geprägte gold-
münze {vgl. v. Schrötter a. a. o. 1673'), die vorunegend in
Süd- und Nordostdeutschland verbreitet war: vierhundert
guldin ungerischer und beheimischer (1372) augsb. urkb. 2,
172. Meyer; vgl. auch bei Fischer schwäb.wb. 3,910;
viertzig guidein guter, genger und wolgebegen ducatten
oder ungrisch guidein (1391) monum. Boica 19, 444; 60 un-
gersch golden, hirundir woren 15 ducaten ende 1 Florentz
golden (1434) handelsrechn. d. dtsch. ordens 518 u. ö. Satt-
ler; als ungarsk gylden auch in Skandinavien umlaufend
und bis ins 19. jh. nachgeprägt, s. v. Schrötter 167*^; in
Deutschland bis ins 17. jh. belegt: die gelahrte rechnen
ausz, dasz David seinem söhn Salomon . . . verlassen hab
. . . 10000 ungarische gülden Schupp schriften (1663) 68;
ungriache gülden soll man zweymahl {doppelt) zehlen
Gryphius lustap. 95 Palm.
IV. 1. 6.
e) rheinischer gülden /ür die zunächst von einzelnen, seit
1386 einheitlich nach münzvereinen geschlagenen goldflorene
der rheinischen kurfürsten {vgl. v. Schrötter 2293'), die
die spezifisch deutsche goldmünze vrurden. aus ihr ent-
standen zahlreiche rechnungsgulden {s. 2): 188 gvddin un-
gerscher und behemscher und 162 guldin rinscher guter
und genämer (1377) monum. Hohenberg. 625, au^h (1385)
718 u. ö.; seyssindtzwentzich hundert rynscher gülden
(1391) qu. z. gesch. d. st. Köln 6, 14;
(ich) band daz lumpli uf und nam daz gelt,
do han ich acht rinsch gülden gelt {goldstücke)
Schauspiele des mittelalt. 2, 386 Mone; vgl. 399.
als artbezeichnung bis ins 17. jh. für die von nichtrheini-
schen fürsten nach rhein. muster geprägten {s. Weilmeyr
1, 223, 226, 275; av^h in Dänemark, s. V. Schrötter 230*),
zuweilen als jninderwertig verbotnen goldmünzen: reinisch
gülden sol er {der münzmeister) slahen so guet als . . .
ertzherzog Sigmundt von Osterreich und des ertzbischof
zu Saltzburg sein (1510) österr. münzordn. in numism.
zschr. 54, 1; (er gab) ain reinischen gülden in gold , . .,
nemlich ain bayrischen gülden, doran unser frow im ge-
preg zimm. chron.^ 4, 185 Barack; der preceptor sprach,
er hett ain verbottnen rheinischen guldin ussgeben ebda
3, 163; ob an reinischen gülden . . . was untüchtiges ein-
schleichen solte (1618) acta publica 1, 21 Palm.
C) sonstige Unterscheidungen: sehr häufig rmch dem münz-
herren, z.b. ein gülden, die bischoff Adolff {v. Mainz) slug,
die man nennit Adolffsgulden (1400) P. Joseph goldm.
214; 14 new Arnoldus golden (1432) handelsr. d. dtsch. ord.
512 {vgl. V. Schrötter 37'') u. ähnl.; ferner 6 new arnam-
sche golden (1428) handelsr. d. dtsch. ord. 497; hornsche g.
{vgl. V. Schrötter 275'», 228*'); hierzu: die hoernichten g.
Luther 27, 397 W.; rmch dem titel im gepräge: bisc^ofs-
gulden (1430) handelsr. d. dtsch. ord. 505; postulates g.
(1450) chron. d. d. städte 36, 272 {vgl. v. Schrötter 527^);
schlieszlich nicht selten nach dem geprägebild; nach dem
reichsapfel: apfelgulden (1432) P. Joseph goldmünzen 188;
nach dem räderwappen: redergulden (1550) Hirsch l, 317;
nach dem dargestellten heiligen, z. b. Stephansgulden, s.
Schmieder hdwb. d. münzkde, nachtr. 172; elliptisch: ein
peter (1386) Jesse 170; 17 peters (1434) handelsr. d. dtsch.
ord. 521; s. auch peter 1.
2) ein rechnungswert. im 16. und 17. jh, liefen goldgulden
nur noch selten um. gülden bezeichnet nun, vielfach auch
schon früher, teilweise sogar bis ins 19. jh., einen festen,
von der bewertung des goldgulden^ herrührenden rechen-
wert in landesüblichem kleingeld, für den es, nachdem der
goldgulden weiter gestiegen, kein münzstück gab {s. jedoch 3),
vgl. V. Schrötter 229^, P. M. Wehner observationum
select.liber (1624) 247**: (26) guldin, ie zwenzig plaphart
für ein guldin; dieselben sechs und zwenzig guldin {sind
auf s. Hilarien zahlbar) (1405) geschichtsfreund 8, 85; umb
2206 guldin, ie fünffzechen batzen oder sechzigk crützer
für den guldin gemeiner lantzwerung gereidt (1543)
monum. Hohenberg. 914; neunthalben goldgülden . . . thut
zu 60 creutzern 10 gülden dreyzehenthalben creutzer (1551)
bei Hirsch l, 320; in der regel ohne berechnungsangabe:
ein schock grüner hechte . . . um zehen gülden (1569) haus-
hält, in Vorwerken 206 Ermisch-Wuttke; wenn einer . . .
ein 300 oder 400 gülden zu hauff hat bracht (1595) Hen-
nenberg er preusz. landtafel 292; {der schuster bringt
9 goldgülden, dagegen)
der goldtschmld sie so bald verehrt
mit einem ring und andern Sachen,
thet als bey achtzehn gülden machen
L. Sandrub poet. kurzweil 68 ndr.
in Mitteldeutschland trat später, s. 3, neben gülden {mit
Umlaut) für den rechnungswert gülden als silberstück, s.
Chomel ökon. u. physical. lex. 4, 1427, Jacobsson techn.
wb. 2 (1782) 172*; trotzdem erhielt sich ersterer bis ins 19. jh.,
s. Weilmeyr l, 268; Schmieder 214. die verschieden-
artigen, als rechnungsgulden üblichen kleingeldsummen be-
zeichnete man gern ruich dem gebiet, in dem die betreffende
art kleingeld galt; so waren 60 kreuzer ein rheinischer gul-
67
1059
GULDEN 8
GULDEN 4
1060
den oder gülden rheinisch u. ä.: ain yede mark
umb acht gülden reinisch und fünff kreutzer ze reitten
(1496) numism. zschr. 54, 4; einen defekt von funfzigtau-
send gülden rheinl. Nicolai reise 1 (1783) 82; für Baiern,
Württemberg und Baden noch im 19. jh. bezeiigt, «. Weil-
MEYK 1, 279; auch reiohsgulden oder leichter gülden ge-
nannt, ebda; 21 gute (aächs.) groschen waren ein meiszni-
scher gülden, s. v. Schkötteb SSS^'; Zincke ökon. lex.
(1744) 1, 1005; 25 leichte groschen ei» fränkischer gülden, s.
ScHMiEDEB 214; Wbilmeye 1, 268; Reinwald Henneb.
2, 56; beide auch gute gülden oder schlechtweg gülden;
vom silbergulden abzuleiten: ein gülden preusz. Weilmeyb
1, 279. besondere bezeichnungen schieden in Köln ver-
schiedene, seit dem 14. jh. nacheinander entstandne {vgl.
E. Kruse geldgesch. 8Sff.) rechnungsgulden, wie paga-
ments- oder kaufmannsgulden, s. auch teil 5, 341, ober-
ländischer oder kurrentgulden oder gülden kölnisch (bis
1824, 8. Jos. Müller rhein. wb. 2, 1483); ebenfalls in Trier
{vgl. V. SoHRÖTTER 229^); soust Werden besondre städtische
rechnungsgulden meist als kurrentgulden bezeichnet: zu
Frankfort nun zweyerley gülden sint . • . goltgülden in
gold . . . currentgülden in müntz Wehner o. a. o. 252*';
a. noch Weilmeyr l, 271^.; ähnlich: münzgulden in Lu-
zern, s. v. Sohrötteb 419; ein gülden giro in Augsburg
Jacobsson 2, 172 3'. 8. auch zählgulden.
3) übertragen auf silbermünzen, im 16. jh. erst vereinzelt,
durch silbern eindeutig bestimmt, für in silber ausgeprägte
gold- oder rechnungsgulden {vgl. guldener): wiewoll die
gantzen und halb {l. halben) silberin guldin und örter
ainander am gradt und khorn etwas ungleich sein möch-
ten (1539) Hirsch a. a. o. l, 295; silbern kayszers gülden
(1582) ebda 7, 202. ganz allgemein seit dem ausgehenden
17. jh. für silbermünzen, die tatsächlich oder ursprünglich
ausgeprägte rechnungsgulden darstellten, zuerst für die be-
liebten, in Preuszen bis 1750, in den nachbarländern bis
ins 19. jh. üblichen zweidritteltaler, vgl. v. Sohrötteb 245^,
700^'; Weilmeyb l, 150, 152, 270^.; 2, 215, 2I8: gülden
stücker auf den Thorgauer fuesz {geprägt), nehmlich zu
12 rthlr. die mark fein {silber) (1692) bei v. Schbötteb
münz- u. geldwesen in Trier 181; ich kriege auf einmal
solch eine lust nach dem Oberon, dasz du ihn mir
gewisz kaufen solltest, wenn er nicht einen gülden
kostete Caboline 1, 16 Waitz; so auch in Österr.: {ein
junggesdlenstand, in dem) eine grosze anzahl gülden jähr
aus, jähr ein nicht da ist A. Steftbr sämtl. w. 1, 69 Sauer;
wer einen gülden zu verzehren hat, wird bereits zu
den honoratioren gezählt L. Steub sommer in Tirol
1, 47. mundartlich blieb die bezeichnung gülden auch nach
einführung einer andren Währungseinheit erhalten: für
das zweifrankenstück Schmidt Straszburg 47 *; Martin-
Lienhart 1, 213^; in Österreich nannte man nach 1892 das
wertgleiche zweikronenstück so. amtliche bezeichnung der
Währungseinheit ist gülden in Holland {seit 1816 = 100
Cents) und in Danzig {seit 1923 = 100 pfennig), s. v. Schböt-
teb 246. seit beginn des 19. jh. tritt papiergeld neben das
münzgeld: ein gülden papiergeld {teilbetrag eines Wiener
bankzettels) Sohmiedeb (1811) 40; {ich steckte) ihm eine
banknote von zehn gülden in die hand Füest Pückleb
briefw. 2, 4. an besonderen benennungen ist häufiger pol-
nischer gülden für dritteltalerstücke, wie sie im nordosten
bis 1850 etwa gängig waren, vgl. v. Schbötteb 246a;
Weilmeyb 1, 278; Bebnd Posen 84: 300 poln. gülden
oder 50 thl. {sc. sächsische) v. König ged. (1745) 202; eine
polnische fürstin mit einer halben mülion gülden jahres-
rente — mögen es meinetwegen nur polnische gülden
sein — ist durchaus nicht widerwärtig Holtei erzähl.
Schrift. 3, 20; {früher kaufte man) ein ganzes ferkel für
einen halben polnischen gülden C. Viebig schlaf, heer
(1904) 335. in der münzkunde werden die zahlreichen
guldenprägungen des 17. und 18. jh. gern entsprechend
den talern nach ihrem bilde bezeichnet: bretzen-, rösz-
chengulden Weilmeyb 1, 84; 2, 216; baren-, hirsch-,
hunds-, schiff-, Sebastiansg. Schmiedeb; s. auch Stock-
fisch-, wildemannsg. ; andererseits nach ihrem anlasz:
ausbeute-, auswerf-, gedächtnis-, gratulations-, huldi-
gungs-, krönungs-, sterbe-, vermählungsg. u. a. Ad. Chb.
Weise guldencabinet (1780) passim. — s. auch: silber-
gulden.
4) der literarische gebrauch von gülden knüpft gern, bes.
in älterer zeit, an die Wertvorstellung an, die dem gülden
besonders als goldmünze eignet: heist das nicht Christum
für ein kind odder narren halten, dem man einen gülden
neme, und gebe yhm einen zalpfennig odder ein espen
laub dafür, und beredet es, das es kostlicher ding were
denn der gulde? Luther 23, 158 W., s. auch zahlpfennig
3, 4; denn eyn ewiger gewisser pfennig ist ja besser denn
eyn zeytlicher ungewisser gulde 15, 312;
ein gülden war ihm nichts, ein thaler eben viel
Kachel satyr. ged. 33 ndr.;
der ßchreiber gab einen gülden drum,
dasz man das liedlein nimmer sung
bei A. v. Arnim 13, 59 Grimm;
oft durch runde zahlangaben wie zehn, hundert und vor
allem tausend noch gesteigert und so volkstümlich und for-
melhaft geworden, vgl. auch hundert-, tausendgüldenkraut
sp. 1067 : ich wolt zehen gülden darumb geben, das hertzog
George meine handschrift und siegel bekomen bette
Luther 30, 2, 27 W.;
und solts mich zehen gülden gstan
H. E. Manuel weimpiel v. 1031 ndr.;
sie ist eine gute fraw worden, ja für hundert gülden besser
denn gestern engl, comedien u. trag. (1624) c 6*; ain ver-
nüfftiger mensch gäbe . . . ain band oder füesz oder
awg nit umb tausent gülden B. v. Chiemsee theologey
348 Eeithm.;
doctor Brandt hat manchem man
die narrenschellen knipffet an,
der das liesz tusent guldin gelten,
man dörfft in keinen narren schelten
Murner narrenbeschwör. 119 ndr.;
ich bin sein einzigs töchterlein,
er würde mich nicht geben
um tausend gülden fein
F. L. Mittlee dtscfie volksl. 395;
der spasz ist für tausend gülden nicht theuer Theod.
KÖBNEB werke 4, 59 Hempel. in neuerer zeit wird, durch
Verwendung des worts für den silbergulden veranlaszt, ei?i
absinken der wertvorstellung deutlich:
und wenn die frau was braucht, so hat sie keinen gülden
GÖTHE 9, 48 (die mitschuldigen) W.;
da hat er einen gülden für seine bemühung, Johann!
Gottsched Schaubühne 4, 479; satyren . . . lästern den
guten Geliert, der für seine fabeln einunddreyszig
gülden zum trinkgeld von Wendlern empfing Gleim
briefw. 1, 173 Körte; ich kann also über mein persönliches
tägUches fixum . . . nicht hinaus und habe triftige gründe,
auch keinen gülden schulden zu machen Gbabbe 4, 499
Blumenthal; {leute,) welche keinen gülden für ihre kinder
hergeben, ohne damit zu prahlen, zu lärmen G. Kelleb
ges. w. 3, 47, vgl. heute keinen pfennig, keinen heller in
gleicher Verwendung.
formelhaft sind in der regel auch beiwörter, die auf den
äuszeren eindruck, die freude am besitz zielen; in älterer
zeit bes. rot, vom golde her:
da greif er in die taschen sein,
er gab ihm rother gülden neun
(14. jh.) bei A. v. Arnim 21, 23 Grimm;
{jungen leuten) ist auch mehr an einem schönen apfel
denn an einem rothen gülden gelegen Lutheb 3*, 66 Erl.;
und begunden die rothen gülden ihm in die äugen zu
scheinen Kiechhof wendunmuth 2, 54 lit. ver.; als reim-
formet:
dem will ich vil der gülden rot
geben für sein verdienten Ion
Maximilian Teuerdank 91 Qoed.;
so nemet hin den gülden rott
Barth. Krüger v. d. baut, richtern 25 Bolie;
vgl. auch die belege teil 8, 1291. — auf den silbergulden geht
bes. blank, vgl. blanker thaler: deine mühe soll dir ein
1061
GULDEN 5-6
GULDEN 7—9 {composita)
1062
blanker gülden belohnen J. Fr. W. Zächakiä poet.
Schrift. 2, 157; bis die braut . . . den musikanten . . . einen
blanken gülden verabreicht hat F. M. Böhme gesch. d.
tanzes 191. — der kauf mann besah mich und die schönen
gülden mit wunderlichen blicken G. Keller ges. w. 1,
123; manchen lieben gülden Heike l, 125 Elster. — ver-
einzelt in diesem Zusammenhang personificiert: und ein
roter geselle, ein gülden, erfrewet dich mehr denn alle
gottes verheissungen? Luther 28, 693 W., der auch sonst
personification verwendet: das gold ist fein und gut an
im selbs . . . der frome gülden hat nicht gesprochen zu
dir: ich bin dein gott, ja er würde vielmehr zu dir sagen,
wenn er reden köndte: ich bin dein knecht 28, 553 W.;
vgl. noch junker gülden 22, 266.
als beiwort erscheint des öfteren alt, wertsteigernd, uAe
auch sonst bei münznamen, vgl. groschen sp. 449, aufgrund
der tatsache, dasz die neuen prägungen vielfach gering-
wertiger waren als die alten: einer der vil guter alter
gülden hinder sich legt Keisersberg bilgersch. Z\^;
{er fand) gülden und thaler mannichlalt
meistens von gepräge rar und alt
KORTUM Jobsiade 1, 35;
sie hat schon einen alten gülden {für das hochzeitscarmen)
parat gelegt Lessing 3, 212 L.-M.; selten anders, als oiw-
druck ästhetischen Unbehagens:
(der reiche setzt sich an den tisch,) durchsuchet seine schulden,
wieviel er zinse hat, rührt in den alten gülden,
die grau und schimmlicht seyn, und ganz veraltet sehn,
weil sie stets eingesperrt, und in dem kästen stehn
Triller poet. betrachtungen 1, 281.
5) in Sprichwörtern reich belegt, fast immer mit betonung
seines wertes; meist gegenüber geringwertigem münzarten:
wer eynen pfenning nit so lieb hat als eynen gülden, der
Wirt selten reich oder gülden wechszlen Tappiüs ada-
giorum centuriae (1545) F S^^; der heller macht den gülden
gantz Petri d. Teutsch. weish. 2, o 1*^; wer den pfennig
nicht achtet ... ist des güldens nicht wehrt Kramer (1702)
2, 197C; weiter in gegenüberstdlungen wie: es ist ein guter
batz, der einen gülden erscharrt Aler dict. 1,266^; es
ist ein böser pfennig, der eim einen güldin schadt Terenz
deutsch (1499) c l**; ich wolt dir lieber ein gülden borgen
dann einen pfenning Agricola sprichw. l,v ^^; auf das
rechte geldausgeben zielend: de rappe (münzsorte) spare und
de gulde fare la Staub-Tobler 2,227; ein gülden hat
einen grossen namen und ist doch bald auszgeben Petri
2, V s'' ; ein gewechselter gülden ist auch schon weg Wan-
der 5, 1384; einen gülden auf brot und zehn auf schwere-
noth 2, 166; häufig: es ist ein guter gülden, der hundert
erspart seh. w. klugreden (1548) 76'', . . . der tausend er-
spart ScHELLHORN sprichw. 141; eignen und fremden besitz
betretend: es schlefft einer desto sanffter, wenn himdert
gülden für dem bette stehen Petri 2, C c 7^; die reichen
mit den gülden klingen, wenn arme ums brot singen
R 2*; besser ein gülden, den man werbet, denn zehen, die
man erbet K 5»; es ist nie kein sack seiden worden, ob
er wol voll gülden ist seh. w. klugreden (1548) 162a; ein
gülde bleibt ein gülden auch in desz diebes hand Petri
2, V Z^. anderer art: kein gülde ist so roth, er gehet durch
die noth Petri 2, L 1 4»; an gekrümmeten (dwrcA verbiegen
entwertet, s. teil 5, 2459) gülden verleurt man wenig J 4a;
fünftzehen batzen für ein gülden {gleiches für gleiches)
geben seh. w. klugreden (1548) 146"; ebenda eine reihe auch
anderweitig belegter redensarten: es redt mancher, wer es
ein gülden, er legt in inn die taschen 149**; von einem be-
stochenen: es stecken im hundert gülden im hals, es ligen
ihm hundert gülden auff der zungen 180*; vom charakter
eines menschen: der gang vermag tausent gülden 10*;
soviel wie 'niemaW : wann es gülden regnet 145*. viele
dieser Sprichwörter und redensarten auch für die Volks-
sprache der neueren zeit belegt, z. b. bei Fischer 3, 910.
6) der plural gülden in älterer zeit gern in allgemeiner
bedeutung als 'geld\ zunächst vom goldgeld im gegensatz
zum silbergeld {vgl. teil 4, l, 2, 2898) in der formet gülden
und gelt, z. b. sprichw., seh. w. klugreden (1548) 67*; ab-
gewandelt:
wer nit gülden hett und pfennig,
des denkt man ietz zuon eren wenig
MxjRNEE mühle 27 ÄlbrecM;
die weder müntz noch gülden haben
narrenbeschwör. 246 ndr.
dann blasser ohne den gegensatz:
der (advocat) dient uns, do wir gülden hatten,
do er uns geleret die deschen,
nam er myr an dem herdt die eschen
schelmenzunft 9 ndr.;
quando diu gaudium habes von gülden, venit unlust
Luther 29, 653 W.; als wir einen reichen man darümb
reich nennen, das er vil gülden und gutt hat 10, 3, 349 W.;
hab ich der gülden keine,
so hab ich doch frischen muth
Mittler dtsche Volkslieder (1865) 576;
sie sagt, sie hätt viel gulde,
8 warn aber lauter schulde
Erk-Böhme 2, 360.
7) gülden iw bezeichnungen der prozentualen höhe be-
stimmter abgaben: {sie namen) den czenden gülden zu
lenrecht von einem iglichen erbe K. Stolle thür. chron. 6
lit. ver.; die losung {bürgersteuer zu Nürnberg) nennen wir
. . . den 6ten gülden Nicolai reise 1 beil. 79; von abgaben
stammen zahlreiche composita her wie meistergulden {s.
d.); grabengulden zur aufrechterhaltung des bürgerrechts
in abwesenheit Chomel 4, 1289; brautgulden Schmeller-
Fr. 1, 900; appellationsguldi, erb- und schirmbgulden,
wachtgulden etc. Staub-Tobler 2, 228/.
8) als masz- und gewichtsangabe verwandt; so 2. 6. in
alten recepten: so ein menschen die kranckheit anstoszt,
so gib einem kind eines pfenning schwer, aber einem
alten eins guldins schwer Gäbelkover artzneybuch (1595)
1, 32; ähnlich Sis^Biz f eidbau {1579) 78; J. RvoFV hebammen-
buch (1580) 48; weitete belege ab 1500 s. bei Schmeller-Fr.
1, 896; vgl. gülden ein quintlin Henisch (1616) 1774; auch
sonst wohl:
ein keten von ungrischem goldt,
die wug wol hundert gülden schwer
Thym Thedel v. Wallmoden p. 1007 Zimmerm.
vereinzelt als 7nittel zur bestimmung des goldgehalts einer
prägung: {k. Sigmund befiehlt,) daz die selben unser
moncze . . . ye an himdert gülden einen gülden besser sin
suUe dan die vorgenanten gülden (1418) Jesse quellenb.
z. münzgesch. 91.
9) die composita mit gülden-, gülden- als erstem 6e-
standteil gehören einesteils der münzunssenschafl und dem
geldverkehr der vorigen Jahrhunderte an, wobei gülden die
münze mit ihren eigenschaften vertritt, z. b. -geld: man
gab . . . auf das effective guldengeld ein agio von l^/g
bis 2 kreuzer K. Braun bilder 3 (1876) 156; -gepräge:
nachahmung des guldengepräges Luschin v. Eben-
GREUTH münzkde (1904) 47; -gewicht: {es soll) iglich
gülden sein recht guldengewicht haben (1420) Jon. Chr.
Hirsch münzarch. (1756) 7, 30; -kurs: {holztaxations-
tafeln) im thaler- und guldenkurs berechnet Bernhardt
gesch. d. waldeigentums 3,204; -System: es war also
das {auf der zahl 60 basierende) guldensystem, wie wir es
heute noch alle kennen, das hier {in Kleinasien) zu gründe
ag MoMMSEN reden u. aufs. (1905) 257; andernteils be-
zeichnen sie im täglichen leben das, was einen gülden
kostet oder einbringt oder nach gülden veranschlagt wird,
z.b. -mahl, ein hochzeitsmahl, das von den gasten mit je
einem gülden bestritten wurde Böhme gesch. d. tanz. 1, 183 ;
-Scheibe, eine glasscheibe, von denen das hundert einen
gülden kostete Unger-Khull steir. 314*; -Steuer, der
von den Juden als schutzsteuer zu zahlende gülden (16. jh.)
Staub-Tobler 2, 227; -stunde: nächst frühjahr, heiszts,
kommt der grosze streik, eine guldenstunde und acht-
stundentag! Rosegger laszt uns v. liebe reden (1909) 66;
-wein: eine halbe {sc. masz) guldenwein! ... er ist keiner,
der apfelmost trinkt, er mag nur guldenwein ders. Schrif-
ten (1895) II 13, 200; auch 1, 64. vgl. hierzu bicomposita
wie vierguldenwein Meisl theatral. quodlibet (1820) 3, 114;
halbguldenfasz, ein fasz, das für einen halben gülden hier
67»
1063 GULDEN 9 (composita) — GÜLDEN-
GÜLDEN-
1064
faszt K. G. Anton Oberlauaitzer Wörter (1825) 18, 17; 5000
guldenpräbende beitr. zu Bahrdts lebensbeschr. (1791) 177.
in wenigen compositis ist gülden im allgemeinen sinne von
geld als zidvorstellung enthalten, z. b. -fieber: die silber-
sucht und das güldenfiber Luther 53, 512 W.; -fresser:
Johannes Calaguritanus, ein überaus geitziger und un-
ersettiger güldenfresser, kratzte und zupfte Alphonsum,
den konig Hispanie und Arragonie, das er fast verarmet
W. BÜTNER epitome historiarum (1596) 137*'; -gierig
M. V. Ebner-Eschenbach sämtl. w. 6, 17. die geläu-
figeren composita s. an alphabetischer stelle.
GÜLDEN, gülden, vb., vergolden: {erst wenn das holz
mit einer grundfarbe versehen ist, soll man) gülden darup
unde malen . . . dat snedene werk boven de bilde (altar-
figuren) . . . schal men gülden fyn golt edder twistgolt
(goldlegierung). dat twistgolt schal men fornissen {fir-
nissen), dat math {matt) gheghuldet is edder bruneret
{poliert) {um 1460) Hamb. zunftroll. 95 Büdiger; er hab
die bülder {ornamentale kleinplastik) . . . bey der nacht
gülden muesen (1610) quellenschr.f. kunstgesch. n.f. 6, 84.
GÜLDEN, adj., s. golden.
GÜLDEN-, zum adjectiv gehörig, als erstes glied in
compositis, die goldähnliche färbe oder den goldgleichen
wert ausdrückend, seit dem 16. jh. häufig, besonders in pflan-
zennamen. im einzelfäll ist dabei die zusammenrückung
noch wenig fest, in neuerer zeit ist gülden- meist durch
gold-, selten durch golden- ersetzt {s.d.): güldenader,
guldenader, /., auch goldader. eigentlich die goldne
ader, gewisse blutgefäsze des mastdarms, s. golden; die
zusammenrückung gülden-ader im 17. und 18. jh. häufig,
z. b. {arzneien) zu der güldenader Gäbelkover {Eisleben
1595) 138; die natur das übrige blut . . . durch die nasen
oder durch die guldenadern . . . von sich treibt Guari-
NONius greuel (1610) 1111 u. ö.; noch wirksamer aber hält
der hr, V. den flusz der güldenader {beim aderlasz) allg.
dtsche bibl., anh. zu 1-12 (1771) 153. als terminus für das
flieszen der ader: die güldenader fluxus haemorrhoidalis
Blanoard medic.wb. (1710) 295; güldenader eine kranck-
heit Frisch d.-lat. (1741) l, 381^; der die güldenader hat
haemorrhoicus ebda. — hierzu: güldenaderflusz haush.
lex. (1740) 351. — -ei, n., mittel gegen pest und Vergiftung:
alexicacus Corvinus fons lat. (1660) l, 72; das güldeney
für die infection macht man also: man nimmt ein frisch
neugelegtes ey . . . v. Hohberq georg. cur. (1682) 1, 249;
die sogenannte königs- oder giftlatwerge Unger-Khull
steir. 299*. — -erz, n.: electrum, gunterfei, gülden ertz
Jer. Felbinger nomencl. (1646) d l**; 'bergstuffen, welche
gold halten' Frisch d.-lat. l, 382; s. güldig. — -färb,
adj.: guldenfar carpasinus Diefenbach 102^=; {junge
wilde bienen sollen) güldenfarb . . . sein Sebiz feldbau
(1579) 297; bei Fischart substantivisch: siehst im hafen
{gefäsz, honig enthaltend) güldenfarb, und im bett kinds-
treckfarb Oarg. 357 ndr. — -flusz, guldenflusz, n., das
goldene vliesz, s. vliesz 3; vgl. noch: der schendtlichen kot-
lachen {eine schrift von Oeorg Eder 'das güldene flüsz
christlicher gemein und gesellschaft' 1579), so ie ein gul-
denflusz intitulieret Nigrintts papist. inquisition u. gul-
denflüs der röm. kirchen (1589) a 2*; lieb ist der Christen
liberey {abzeichen) und guldenflusz, darbey man sie er-
kennet Otho ev. krankentrost (1671) 679; vgl. noch flusz,
. . . fliesz, guldenflusz vello d'oro, ritter des güldenen
flieszes Kramer d.-ital. (1700) 1, 390^. — -gänserich,
m., vielleicht im gegensatz zum einfachen gänserich {poten-
tilla anserina) für den gelbgrün blühenden frauenmantel
oder sinau {alchemilla vulgaris): nimm Wintergrün, rot
bisem, güldin genserich, das ist synaw Wirsung artzneyb.
(1584) 644 a u. reg.; vgl. Tabernämontantjs kräuterb. (1588)
1, 309*. verschiedentlich bis ins 19. jh. belegt, z. b. Nemnich
lex. d. naturgesch. 1, 162. günsel, auch güldengün-
zel u. ä., m. ursprünglich wohl f., da aus mlat. consolida
entstanden; so auch Bock kräuterb. (1539) l, 89^»; Tabernä-
MONTANUS (1687) 946^. sicher als m. zuerst bei Hohberg
georg. cur. 3 (1715) 1, 425. der nxime ist seit dem 16. jh.
reich belegt für den vermeintlich heilkräftigen, blaublühenden
günsel {ajuga reptans), vgl. Krünitz 20, 316; Heoi flora
V. Mitteleur. 5, 4, 2541 ; in der älteren wissenschaftlichen
literatur als consolida media aufgeführt, z. b. guldin günsel
. . . consolida media genant würt, wie wol etlich spre-
chend, das es consolida minor heisset . . .
güldin günsel ist der namen myn,
myn blum gibt bloen schyn
H. Bratjnschweig kunst zu distilieren (1500) 52»; con-
solida media gülden guntzel Gersdorff wundarzney
(1517) 91»; vgl. noch: gildengunsel H. Braunschweiq
chirurgia (1539) 110*>; güldinguntzel Gäbelkhover artz-
neyb. (1595) 2, 244. vereinzelt übertragen auf das gelb-
blühende helianthemum chamaecistus Nemnich lex. d. na-
turgesch. 1, 1051; vgl. Pritzel- Jessen volksnamen d.
pfianz. (1882) 178. — -haar, n., s. güldenwiderton. —
-jähr, n.: {Bonifaz viii.) der die weit zum ersten mit
dem güldenjar generret und verfüret hat Luther 7, 385
Bindseil; das bepstisch römisch jubel oder, wie maus ge-
nennet hat, güldenjar 18, 252 W. u. ö.; s. golden. —
-klee, guldenklee, m., teilweise für den gelbblühenden
Steinklee {melilotus officinalis) gebräuchlich, bezw. für latus
corniculatus, s. Nemnich lex. d. naturgesch. 2, 1478 u. 447;
Frischbier preusz. wb. 2, 526; s. auch güldensteinklee.
allgemein vom 16. bis ins 19. jh. für die leberblume {ane-
mone hepatica), z. b. leberkraut . . . synd drey kreuter . . .
das dritt ist gülden clee H. Braunschweig destilier.{\5Zi)
79^; vgl. dazu Bock kräuterb. (1539) 1, 154'>; 2, 3* u. reg.;
guldenklee, die leberblume Danneil altmärk. 72*; glei-
cherweisefür die gärtnerisch veredelte: hepatica aurea oder
trifolium aureum, das gefüllte, wird allein in den gärten
gefunden, wird teutsch das gefüllte edle leberkraut ge-
nennt oder guldenklee Hohberg georg. cur. (1682) l, 674*;
auch weisz und rot blühend, s. A. v. Haller onomatol.
medica (1755) 1,780; öfter in der schönen literatur, z.b.
indeaz die töchterchen emsig
Schlüsselblümchen und guldenklee und vergiszmeinnichtcheu
lasen, und Lottchen sie brachte, um bunte kränze zu winden
VOSS-GÖKINGK musenalm. f. 1785 16
blau, roth und weiszen guldenklee {im strausze)
EscHENGURa beispielsamml. z. theorie (1788) 5, 114
vielfarbiger guldenklee wird gepflückt Göthe 40, 265 W
s. auch güldenleberkraut. — -kraut, guldenkraut, n.
aus der Schweiz für verschiedene gelbblühende pflanzen
belegt {teuer ium supinum, Solidago virgaurea, helianthemum
chamaecistus), s. Pritzel- Jessen 399, 383; 178; C. Gesz-
NER (1561) bei Staub-Tobler 3, 892; vgl. güldengünsel.
s. auch guldenkraut sp. 1067. — -lack, m.,für goldlack,
cheiranthus cheiri, aus Mitteldeutschland belegt, s, Pritzel-
Jessen 89; ursprünglich wohl gülden- lac-viol allg. haus-
halt-lex. (1749) 2,211: duften neben mir in einem glase
nelken, rosen, güldenlack Stolberg ges. werke (1820) 6,
326; die fürstin ging weg, um einen lorbeerzweig und
blühenden güldenlack zu brechen Jean Paul 15, 486
Hempel;
büsche und beete der wiese,
bängros und güldenlack
Stefan Geobge d. siebente ring 120.
— -leberkraut, n., vielleicht in Vermischung mit dem
namen guldenklee {s. d.) für die leberblume {anemone he-
patica): {im febru^r) blühen, wo es nicht gar zu kalt ist,
Schlüsselblumen, crocus, güldenleberkraut Hohberg ge-
org. cur. (1682) 1, 109; edel- sive güldenleberkraut epatica
nobilis Stieler 1031; vgl. noch F. Holl wb. dtsch. pfian-
zennamen (1833) 138*. der name erscheint wegen des gleich-
artigen geschmackes der pflanze auf chrysosplenion über-
tragen, s. Tabernämontanus kräuterb. (1687) 1224*>; fer-
ner Nemnich lex. d. naturgesch. 1, 1033; s. auch gülden-
milzkraut, -Steinbrech. milzkraut, n., Verdeutschung
von chrysosplenion: Tabernämontanus kräuterb. {l^SB) 2,
512; F. Holl wb. dtsch. pfianzennamen {XSZZ) 138*; av^h
guldenmilz v. Heufler botan. beitrag z. dtsch. Sprach-
schatz (1852) 20. s. auch güldensteinbrech, -leberkraut. —
-mund, m., der übertragene beiname chrysostomus: sihe,
dein Jesus stehet da, der güldenmund, mit seinen hold-
seligen lippen Otho ev. krankentrost (1671) 102; in deminu-
1065
GÜLDEN-
GÜLDEN— GULDENGROSCHEN 1066
tivform: das güldenmündlein {Jesuskind) ebda 63. dazu
-mündig, adj.: der edle guldenmündige lehret Johann
Chrysostomus Dannhawer catechismusmilch (1657) 8, 50.
— -raute, -rute, /., goldrute (Solidago virgaurea), z. b.
F. HoLL wb. ätsch, pflanzennamen (1833) 138^'. s. auch
gülden wundkraut. — -schnitten,/. pL, mit ei gebackne
semmein, z. b. Vilmab Kurhess. 140; als güldenschnitz
artolaganus bei Diefenbach 52 S' und Decimatob the-
saurus (1608) 124^; s. golden. — -schön, adj., Stieleb
(1691) 1754. — -stein, m., Speckstein Nemnich wb. d.
naturg. 215. — -Steinbrech, m., öfter für das gelbblühende
chrysosplenion, z. b. Nemnich lex. d. naturg. l, 1033 ; s. auch
güldenleberkraut, -milzkraut. — -Steinklee, m.: tri-
folium . . . Medica (sc. herba), codab güldensteynklee Al-
bebus nov. dict. (1540) g q l^; vgl. Bock Icräuterb. (1539)
2, 3*'. — -stück, guldenstück, n., goldstoff: (wir brauchen
nicht) szo grewlichen grossen schätz für seyden, sammet,
guldenstuck, und was der auszlendischen wahr ist, szo
geudisch vorschütten Lütheb 6, 465 W.; ein mäntelin
von gülden stück mit eingemengten und eingewirckten
köstlichen blumen Amadis 161 lit. ver.; mit gold und
guldenstucken wol geziert B. Hebtzoq chron. Alsatiae
(1592) 5, 127; (wenn man die häszlichkeit) in güldenstücke
kleidete Lohenstein Armin. (1689) l, 203*^; (mit köst-
lichen kleidern:) ihre rocke güldenstück, mit sehr grossen
perlen und edelgesteinen breit gesticket Oleabius per-
sian. reisebeschr.(lQ9Q) 21; es wird zwar allhier (in Arruida-
bad) güldenstück gemacht, welches prächtig ins äuge . . .,
dann sie gebrauchen dazu plat und blinkent gold, wel-
ches auff seide liederlich gewircket, wenn es ein wenig
getragen wird, springt das gold ab. ist bei weitem nicht
so gut als persianisch güldenstück Mandelslo morgen-
länd. reisebeschr. 48^ bei Oleabius verm. reisebeschr.; noch
im 19. Jh.:
im gleichen augenblicke
versetzt ein goldfasan: wer prangt in der natur
wie ich, im reinsten güldenstücke
Pfeffel poet. versuche (1812) 6,194;
ihr mocht der weihe! (nonnenschleier) süszer stehn
als andern güldenstück und seide
Dkoste-Hülshoff 1, 105 Schäcking;
s. stück II C 7. — hierzu: -kleid Stieleb 979; —
-macher Dasyfodius 846^; — -wirker: güldenstück-
und seidenwircker Oleabius pers. reisebeschr. 261 a^. —
-stücken, adj., analog seiden? der pristafE im gülden-
stücken rocke ebda 2i^. — -wasser, guldenwasser, n.,
soviel wie 'universalmitteV , ursprünglich wohl Übersetzung
von 'aurum potabile', insbesondere verschiedne arten von
mit gold versetztem kräuterbranntwein: guldinwasser oder
sonst guten gebrannten wein Ruofe hebammenb. (1580)
130; ein gut roht gülden wasser für gifft und alle kranck-
heiten, so von kälte herkommen, erstlich mach ein
brandten wein . . ., wie im oberen rohten guldenwasser
gemeld worden Gäbelkhover arzneib. (Eisl. 1595) 395^;
(ich) verkaufte solchen (gefärbten branntwein) den leuten
vor ein köstlich guldenwasser, das gut vors fieber sey
Gbimmelshausen 1, 577 lit. ver.; andre m,ittel: der saur-
brunne, ob er zwar ein köstlich trefflich guldenwasser
(17. ^'A.) bei FiscHEB schwäb. 6,2079; guldiwasser tinct.
antihyst. aur. Abends volkst. namen d. arzneim. (1930)
108*; übertragen: (im abendmahl haben ivir) das rechte
aurum potabile . . ., ein bewehrtes guldenwasser und ge-
segnete goldarznei wider alles, was schädlich ist an leib
und seel Scbiveb goldpredigten (1690) 283. s. wasser II E
i c C; zur Sache vgl. noch H. Bbaunschweig destill. (1531)
77 S.V. kapponen; ein güldin wasser zu allen glidern
leben Marsilii Ficini (1531) 40*^ u. ö. widerton, m.,
das moos polytrichum: ein gewechs mit goldfarben
stemlin wie goldfarb hör (haar), der güldin wyderdon
genant; gegloubt würt von einf eltigen menschen, das sie,
(wenn sie) verzoubert werden, sobald sie das gehenck an
den halsz tragen, sind in wyderbracht gethon und ge-
holffen werd, darum und umb syner goldfarb den gülden
wyderdon nennent H. Bbaunschweig kunst zu distilieren
(1500) 120»; nim güldinwiderthon . . . wächszt gern an
den mauren oder steinfelsen, an einem braunen stenglin
Gäbelkhoveb artzneyb. (1595) 2, 174; s. ferner: allg. haus-
halt.-lex. (1749) 1, 629; Peitzel- Jessen 300; mit verän-
derter namensform: der guldenwiderthat Pabacelsus
Chirurg, buch. u. Schriften (1618) 22 Huser; gülden wider-
todt Mabpeegeb kaufm.-magazin (1708) 566. daneben für
den farn adiantum capillus veneris und die krähenbeere
(empetrum nigrum) belegt, s. Pbitzel- Jessen 10 und 139.
wundkraut, n.,für Solidago virgaurea, z. b. Stieleb
1031; Mabpebqeb kaufm.-magazin (1708) 1326; consolida
aurea Tabebnämontanus kräuterb. 2 (1591) 258''.
GULDENER, m., omcä guldiner, güldener, gildener
u. ä.; zu gülden, m., vne schillinger (s. d.), örterer (a. u.),
kreuzerer (s. z. b. Job. Chb. Hirsch münzarchiv [1756]
1, 401; 8, 495) zu Schilling, ort, kreuzer. offizielle,
durch die reichsmünzordnungen von 1524 und 1551 ein-
geführte bezeichnung für die neue silbermünze vom werte
eines goldgulden; oft reichsguldener, daneben vereinzelt, s.
Hirsch a. a. o. l, 423 z. j. 1560, goldguldiner genannt:
zum ersten das stuck oder pfenning, deren einer einen
reinischen gülden thut, und acht auff ein marck geen,
funfzehen lot feines Silbers halten . . ., sollich stucke
durch das reich güldener genannt werden sollen. . . . mit
der gutten silbrin müntz, als . . . guldenern, halb gul-
dener, örtterer und zehener (1524) Hirsch a. a. o. l, 241
bezw. 243; zum ersten, ain stuck das ain goldtgulden oder
zwen und sibenzig kreutzer gelten, . . . soll durch das
reich ain guldiner genannt werden (1551) ebda 345. die
reichsmünzordnung von 1559 (in einzelnen ländern schon
1535 vorweggenommen, s. den münzvertrag Hibsch l, 269)
ordnete guldener vom werte eines rechnungs^uldens an:
zum ersten ein stuckh das l reichsguldens oder 60 kreuzer
gelten, . . . soll durch das reich ein reichs gildener ge-
nendt werden ebda 384, au^^h 401. die bezeichnung wie die
münze nicht sehr häufig: nimb zu einer prob, wanns thaler
sein, 9 schweren rein bley, und zu den neuwen güldnem
8 schweren Ebcker mineral. ertzt (1580) 26*'; man werde
die reichsguldiner schwerlich umb 16 bazen zu Ulm an-
nemmen (1595) bei Fischee schwäb. 5, 254; ebda weitere
belege, auch 3, 910. für die späteren silbergulden, s. gülden
3, noch bis ins 19. jh. verwendet, z. b. Apinus glossar. no-
vum (1728) 260; HlBSCH O. O. 0. 8, 522; WeilMEYB 1, 277;
im steir. zu gulinger entstellt Ungeb-Khull 314».
GULDENFUSZ, m., eigentlich der münzfusz des gülden.
seit dem 18. jh. spricht man von einem 18, 20, 24 oder 24^/3
guldenfusz, womit die ausprägung einer kölnischen mark
Silbers zu 18, 20 etc. guldenstücken, bezw. gülden kleingeld,
angegeben ist (vgl. v. Schbötteb wb. d. münzkde 418):
(der vf.) rühmt den schweren conventionsfusz, d.i. den
20 guldenfusz allg. dtsche bibl., anhang l (1771) 318; die
einführung des 24 guldenfuszes (wird für Hessen befür-
wortet,) doch so: dasz sowohl der 20 als 24 fusz bey-
behalten wird; ersterer zum behuf . . . derjenigen grenz-
gegenden, wo der 20 guldenfusz eingeführt ist, letzterer
aber zum gebrauch des inneren Verkehrs und der übrigen
reichsländer, die den 24 guldenfusz haben ebda, anh. zu
bd. 25-36, 2207; die prägung (des herzogt. Nassau) be-
schränkte sich . . , auf zwanziger oder eindrittelgulden-
stücke des 20 guldenfuszes K. Braun bilder 3^ (1876) 152;
er begann . . . eine Zeitschrift . . . unter dem namen: 'der
süsze breite gänsefusz' (wird im vierundzwanziggulden-
fusz bezahlt) Gl. Beentano ges. sehr. (1852) 5, 478; durch
die aimahme des zollpfundes als münzgewicht (1857)
wurde aus dem . . . 24^/2 guldenfusze ein 52^/^ guldenfusz
hdwb. d. staatswissensch.^ (1898^.) 5, 899.
GULDENGROSCHEN, m., ein groschen, d. i. eine sil-
berne dickmünze, im werte eines goldguldens, zuerst 1484
in Tirol ausgeprägt, dann vorzugsweise in Sachsen (vgl.
V. Schrötter wb. d. münzkde 558a'): und gilt der silberin
guldengroschen eyner, auf 21 zinszgroschen geschlagen,
23 und 24 groschen pfenning Ageicola sprichw. (1534)
X b^; zum sibenden . . . gantz guldengroschen (zu prä-
gen), der 8^/2 groschen auf (Nürnberger) mark geen (1536)
Joh. Che. Hirsch teutsch. reichs münzarchiv (1756) 1,
275; das der guldengroschen . . . über 25 groschen nicht
1067 GULDENKABINETT — GULDENKRAUT
BoU . . . eingenommen werden (1542) sächs. münzordn.
ebda 306, auch 312; in besiegen (eine erdschicht) findet
man offt weisz silber, so klein als wer es von einem
güldengroschen abgef eilet Mathesius Sarepta (1571) 28a;
das einer dem andern ein güldengroschen leihet dera.
Syrach (1586) 2, 22^; im laufe des 16, jh. durch die bezeich-
nung thaler {a. d.) verdrängt, vgl. thaler oder güldine
groschen (1549) Hirsch a. a.o. l, 316, auch 323: erstlich
soll unser muntzmaister schlagen und muntzen 1 gülden-
groschen, welche man auch daller nenet (1673) zschr. f.
geach. d. Oberrheins 6, 303; f. g. {d. i. florenu^ grossus) (be-
deutet) güldengroschen, die man taaler namset Seb.
Hblber teutsch. syllabierbüchl. (1593) 49; im bergbau länger
im gebrauch: dannen her die bergleut noch einen thaler
lieber mit dem alten nahmen einen güldengroschen nen-
nen P. Albinus meiazn. bergchronica (l&dO) 31; es gebühret
sich . . ., von erlangten silbern . . . ein güldengroschen
. . . ufiF ieden kux auszutheilen A. v. Schönberq ausführl.
berginformation (1693) 1, 7; güldengroschen . . . bey den
sächsischen bergleuten , . . ein speziesthaler zu 32 gr.
Jaoobsson techn. wb. (1781) 2, 172*. in aüddeutachen
münzurhunden nach 1559 häufiger mit guldener (a. d.) für
den auagemünzten rechnungagulden aynonym gebraucht,
z. b. (1571) Hirsch a. a. o. 2, 89 (vgl. v. Schrötter a. a. o.
247*), oder contaminiert, ebenso mit reichsgxildener oder
reichsgulden; dabei wird guldener z. t. als adjectiv an-
gesehen, a. golden, adj.: 43 werckh (prägungslieferungen)
reichsguldener groschen (1562) Hirsch a. a. o. 2, 5; zwey
werck reichs güldene groschen ... 48 werck reichs fl.
groschen (1563) ebda 7; 58 werck guldener groschen (1567)
ebda 31; so auch schon einmal (1529) bei Sohmid achwäb.
(1831) 244; vgl. groschen II 1. im 18. jh. in Mittel- und
Norddeutschland wiederum für den ausgemünzten rech-
nungsgulden, a. gülden 3, belegt, z. b. güldengroschen, ist
auch so viel als ein 16 groschenstück oder 60 kreutzer
Frisch d.-lat. (1741) 1, 382'»; ebenso Weilmeyr l, 283;
beide unterscheiden davon einen alten güldengroschen oder
zwanzigbätzner. vgl. noch: der erste nürnbergische gül-
dengroschen oder sechziger von 1559 dllg. dtache bibliothek
(1765^.) 4, 2, 125; güldengroschen 'eins holländische ailber-
münze' Jacobsson techn. wb. (1793) 5, 760*'; 'ein conven-
tionagulden" ebda 6, 681*. a. atich guldentaler.
GULDENKABINETT, n., als büchertitel nach dem
muater von thaler- und groschenkabinett (a. d.) gebildet:
vollständiges guldencabinet von A. Chr. Weise (1780).
GULDENKRAUT, güldenkraut, nur ala bicompo-
situm: tausendguldenkraut, n., daa rosablühende, ala be-
sonders heilkräftig geltende centaurium, gr. xei'TctvQioy.
die mlat. nebenform centaurea ergab in etymologisch fal-
scher, willkürlicher Übersetzung himdertgulden, volkstüm-
lich stets zu tausendgulden gesteigert (vgl. Heqi flora v.
Mitteleur. 5, 3, 1969): dusentgüldinkrut ... in latinischer
Zungen centaurea, von den Tütschen dusentgüldin. bil-
licher hiesz es hundert güldin, wann centum heisset hun-
dert und aureum golt . . . des kruts geschlecht zwei sint
grosz und klein H. Braunschweig kunst zu distilieren
(1500) 38*; hunderguldin oder fieberkraut Pinicianus
prompluar. (1516) a 6^; im 15. und 16. jh. vorwiegend noch
uncomponiert: dusentgüldin (md. 15. jh.) bei Diefenbach
gloss. 112^; tausentguldin (15. jh.) ebda; ebenso Trochcts
voc. rer. prompt. (1517) k &^; tusentgulden vocabulariua
theul. (1515) 1 2^ Hüpfuß; centauria sive centaurium . . .
tausendgulde Frisius dict. (1556) 209*; so avsh häufiger
bei Bock kreuterbuch (1539) u. Tabebnämontanus a. u.
deutlich als fem. gebraucht und antiker Überlieferung fol-
gend die pflanze als kleines centaurium einer andern als
groazea (vgl. H. Braunsohweio a. a. o.; NsMiacH lex. d.
naturgesch. 1, 936; 2, 35) gegenüberstellend: (wir kommen)
zur kleynen dausentgulden Bock kräuterb. (1539) l, 35,
ebenso l, 153; (Aetiua achreibt) dasz die klein tausendt-
gülden ein krafit . . . habe, . . . schleim ausz dem leib
zu führen Tabernämontanus (1588) 2, 456''; grosz tau-
sendtgülden heist lateinisch centaurium malus ebda 2,
455*. das jetzt allein übliche compositum tausendgulden-
GULDENLAND - GULDENSTÜCK 1068
kraut achon seit dem anfang des 16. jh.: 1500 bei H. Bbafn-
schweig, a. o.; eyn handtvol dausentguldenkraut Bock
kreuterbuch (1539) 1, 35; das bitter dausentguldenkräutiin
ebda; Tabernämontanus (1588) 2, 456*; Calepinus dict.
IXling. (1598) 220'>; DeNTZLER (1716) 2, 284;
ich bin kein arzet niclit, doch sag ich überlaut,
das beste mittel liier sei tausendguldenkraut
JOH. Grob dichter, versuchgabe (1678) 27.
in der Schweiz erscheint der name übertragen auf die gleich-
falls heilkräftigen pflanzen potentilla, hypericum perfora-
tum, epilobium anguatifolium, a. Staub-Tobler 3, 892/.
ein anderes gülden-, guldenkraut als zsa. mit dem adject.
gülden a. oben ap. 1064.
GULDENLAND, n.: selbst unsre fürsten geben etwas
dazu, einen gülden oder einen thaler, je nachdem sie
über gülden- oder thalerland herrschen Immermann 1,
29 Boxb.; der Westerwälder des südabhanges wohnt noch
im guldenlande, er rechnet aber trotzdem nach thalern
W. H. RiEHL naturgeach. d. volkea (1851) 1, 194. — - gul-
denmesse, /., eigentlich 'goldene messe', von Luther 1,
424 W. in satirischer absieht ala guldeneinbringevde inter-
pretiert (aureae miaaae . . . ab aureo nummo aic dictae); ao
auch Eb. V. GÜNZBURG : die prediger münch erdencken
siben guldin mäsz, die darumb guldin haissen, dann man
musz in ein guldin . . . geben 1, 160 ndr., a. golden. —
guldenmünze, /., münze vom typua dea gülden: unser
mitscheffe und radgeselle hat uwerer keyserlichen gnaden
begere und meynunge der guldenmoncz halber uns an-
bracht (1475) bei P. Joseph goldmünzen 205; zum 12. soll
die guldenmünz bei 19 graden bleiben Knebel chron. v.
Kaiaheim 289 lit. ver. in weiterem ainne, münze 7, teil 6,
2706, entaprechend, daa recht, guldenmünzen zu prägen: (der
bischof zu Bamberg) mag ein guidein müncz haben und
daselbst haizzen slahen (1354) zschr. f. numiam. 28, 324;
OMCA als prägestätte der guldenmünzen: Peder Donne, der
goltsmydt und isengreber (münzstempelachneider) der gul-
denmoncze by uns (1427) K. Bücher Frankf. beruf awb.
G3^, vgl. münze 6. — guldenpfennig, m., goldmüme:
einen vreimden guldenpenning . . ., de wale ö^/j mark
wert was (1396) Köln, zunfturk. 2, 552 Lösch; (könig Karl
sprach:) kauft mir für meine guldenpfennige, was ich
bedarf W. Grimm d. sagen (1891) 2, 64; ao viel wie gülden-
groschen (a.d.): Binder-Ebner uMrttembergische münz-
kunde 40; vgl. auch den familiennamen Güldenpfennig.
— guldenschein, m., auf gülden lautende banknote:
(die mutter) steckte ein schmales häufchen guldenscheine,
wohl ihren ganzen nothpfennig, sorgsam in ein papier
P. Heyse novellen 10. aamml. (1875) 31; mit zahlwort als
bicompositum: einen zehnguldenschein in kreuzer (um-
wechseln) Mommsen red. u. aufsätze (1905) 245.
GULDENSCHREIBER, m., vom 15. bis 17. jh. häufig
ala titelfür achreiber, schreib- und rechenlehr er; ursprüng-
lich illuminist, s. Nyström achultermin. 141; vgl. aurigra-
phua guldenschriber neben goltschriber (s. d.) Diefen-
bach gloss. 62*>; guldenschryber aurigraphua est, qui
acribit cum auro vocab. (1515 Hüpfuff) k 5*': Johannes
Konig, guldenschriber, 11 seh., 6 hl. pagavit Frankfurter
urkde von 1463 bei Lexer 1, 1115; des guldenschribers sun
(15. ;A.) chron. d. d. städte 10,306 u.ö.; vier künstliche
aiphabet oder ABC, allen canzeleien und guldenschrei-
bern nützlich und lustig zuo gebrauchen buchtitel (16. jh.)
bei Staub-Tobler 9, 1539; er kondt die gelegte, die ge-
brochene, die currentschrifEt . . . wie ein dintenklitteriger
guldenschreiber und schlangenzügmaler Fischart Garg.
277 ndr.; rechenmeister und guldinschreiber (1521)
Fischer achwäb. 6, 2079; in pädag. lit. fälschlich auf einen
gülden lohn gedeutet, vgl. S. Nyström schultermin. 142.
hierzu -schule: rechen- und guldinschul(1519) Überling.
ratsprotok. bei Fischer achwäb. 6, 2079.
GULDENSTÜCK, n., die guldenmünze im gegensatz
zum rechnungsgulden oder zur kleingeldsumme vom werte
eines gülden: die guldenstück (sollen gelten) eines vor
48 gr. (1621) acta publica 4, 129 Palm; jedes guldenstück
war ihr (der mutter) beinahe ein heiliges symbolum des
1069 GULDENTALER - GULDENZOLL
GULDENZÖLLNER - GULE
1070
Schicksals G. Kelleb ges. w. 1, 148; Jakob, der sich das
guldenstück ansah Fontane ges. w. I 6, 347; ein goldenes
döschen . . ., nicht gröszer als ein guldenstück Ebneb-
Eschenbach ges. sehr. (1893) 4, 442, mehrfach mundart-
lich belegt: mit neie guldesticker kennt ich em . . . net
ufwarte Niebeeqall 245 Fuchs; halbgileschdeg Schöneb
Eschenrod 336; meist in deminutivform: ein guldestickelche
A. Stoltze ges. w. 5,357; a guldenstückel K. Stielee
ged. 1, 61 Reclam; wenns kronetaler regnet und gulde-
stuckle schneit Fischer schwäb. 3, 912; es guldistuk, es
guldstükli HuNZiKEB Aarg. 263; es schöns püscheli füf-
zähebätzegi tütschi gullestückeni Fbiedli bärnd. 3, 526.
GULDENTALER, m. volkstümliche bezeichnung für
die grosze, offiziell guldener {s. d.) benannte silbermünze
vom ursprünglichen werte des rechnungsguldens, des sog.
reichsguldens; daher auch reichsguldentaler : ö^/j guiden-
taler = 1 köln. mark {nach 1560) vMrttemb. jahrb. (1902)
39; ein reichsthaler 21 batzen, reichsgüldenthaler 18 bat-
zen (1609) JoH. Che. Hirsch teutsch. reichs münzarchiv
8, 53 u. ö.; ob nicht zu . . . erhaltung der thaler ... im
lande . . . fürnemlich güldenthaler oder dreisziggröscher
. . . abgeschafft . . . werden möchte (1619) acta publica 2,
40 Palm; auch 4, 237; es hat einer frey die 60 auff dem
güldenthaler ausgekratzt, dasz er siehet wie ein reichs-
thaler CoEViNUS /oTW latin. (1623) 21; dasz er demselben
(geiger) eine gantze band voll funckelneuer güldenthaler
von einem schlag zuwarff Grimmelshatjsen 3, 406 Keller;
auch 4, 581 ; weitere belege bei Fischer schwäb. 3, 912 und
5, 254; seit dem 18. jh. auszer gebrauch, vgl. Weilmeye 1,
284. vgl. auch guldengroschen.
GULDENWÄHRUNG,/., locale zahlungsweise für den
gülden: die gemeine güldenwehrimg {zu Frankfurt) . . .
ist 24 Schilling oder 27 albus P. M. Wehnee observationum
sei. liber (1624) 252*'. auf dem gülden aufgebautes geld-
wesen: wenn man seitdem {ende des 18. jh.) von einer taler-
währung spricht, so ist der gegensatz dazu nicht gold-
münzen Währung, sondern erstens : hauptwährung in einer
andern groszen silbermünze, z. b. guldenwährung. der
zweite gegensatz ist die Scheidemünzen Währung v. Scheöt-
TEE wb. d. münzkde 731'*. — guldenweise, adv.: gulden-
weis d fiorini Keameb d.-ital. (1702) 2, 1304*;
fein einzeln liab icii sie gegeben guldenwelse
RÜCKKET werke (1867) 3, 232.
— guldenwerk, n.: {Nürnberger waren werden vertrie-
ben) bey dutzend, einige nach dem hundert, noch andere
nach dem guldenwerck, das ist, so und so viel stück oder
dutzend werden vor einen reichsgulden oder thaler ver-
kauft, bedungen und verhandelt allg. haushalt.-lex. (1749)
2, 449*'; tisch und handglocken . . . sogenarmte gulden-
werk ScHEDEL waarenlex. (1834) 1, 462. — guldenw^t,
OT., wert im betrag eines gülden; bes. von handelsobjecten:
unde namen da den kauf luden me dan vir dusent gulden-
wert gewandes Tilem. E. v. Wolfhagen limburg. chron.
62 Wysz; jeder gulwert {von Schweinen) gibt unserem gned.
herren zum geburlichen dechan 1 albus (1579) weist. 3, 747;
er wuszte von jedem stück den preis auswendig, und bei
jedem gülden werte einen kreuzer dazuschlagen, das war
. . . leicht auszurechnen Roseggee Schriften II 10, 159;
auch vom gelde: {B. B. hat verloren) eyn halff guidewert
geldes chron. d. d. städte 16, 541. der wert des guldens: die
wichtigste entscheidung lag in der festsetzung des gulden-
wertes in gold hwb. d. staatswissensch.^ (1898) 6, 32. —
guldenzettel, m., ein gülden papiergeld W. Hoffmann
wb. d. d. spr. 2, 718: {mit worten so sparsam, als ob) jedes
einen guldenzettel koste M. v. Ebnee-Eschenbach ges.
sehr. (1893) 5, 146; wann er da einer person . . . mit seine
guldenzetteln d' äugen verpicken will, so is das natürlich
Anzengruber ges. w. (1890) 10, 149; vereinzelt als n.: da
ist ein einspänniges guldenzettel. aber wenn die noth-
leidenden wieder zu geld kommen, so musz es mir ersetzt
werden A. Bäuerle kom. theater (1820) 2, 33; auch 5, 81. —
guldenzoll, m., zoll im betrage eines gülden oder vom
guldenwert einer wäre: ein rhein. goldgulden vom fuder
wein Schmeller-Fr. l, 900; J. Che. Hiesch münzarch.
(1756) 7 register; Steuer von verkauftem vieh Fischer
schwäb. 3, 912; weitere belege ebda, hierzu -Zöllner, ebda.
GÜLDERLING, gulderling, m. eine apfelsorte, auch
bezeichnung für eine bestim,mte klasse von äpfeln, s. Mu-
SPRATT chemie 6, 203. der name in dieser form schon bei
Maepeegee kaufm.-magazin (1708) 910; andre formen:
güldling Henisch (1616) 1074; Coevinus fons lat. (1660)
1, 820; güldaling {niederösterr.) zschr. f. d. wortforsch. 2,
193; guUing Dijkstra /nescÄ wb. 1, 483 *; guldeling v.Dalb
groot woordenboek^ 721».
GÜLDIG, guldig, adj., s. goldig, doch auch gültig. — berg-
männisch für 'goldhaltig' bei silber und sand {vgl. güldisch):
{electrum,) das nechste {metall) nach dem gold . . . ein
güldig Silber, da inn der marck natürlichem golde das
fünffte theil . . . silber innen ist Mathesius Sarepta (1678)
54^ u. ö.; güldig silber oder silber, darinnen gold stecket
Peätoeius urilndschelruthe (1667) 203; im 19. jh. vereinzelt
belegt: {ein) anbruch güldiger und silberhaltiger ocker,
der sogleich geschürft die reichsten erze förderte Rittee
erdkunde (1822) 2, 670; neben goldig, güldisch und gol-
disch, göldisch verwendet: ich hab ein güldig silber . . .
probirt L. Eeckee mineral. ertzt (1580) 59*. hierzu: gül-
dig sand: {ein) goldweschwerck, da man die goldertzt
oder güldigsand . . . über rauhe fehl und löcherichte
breter gewaschen Mathesius a. a. o. 13*.
GÜLDISCH, adj., goldhaltig, in der bergnuinnssprache
besonders seit dem 18. jh. reich belegt, z. b. silberröllgen
sind güldische silberkömer, so ... in den scheidekolben
geworffen werden, um das gold vom silber zu salviren
Mineeophilus (1730) 619; auch 300; 303; güldisch sind die
erze und metallische mischungen, welche in der probe
etwas gold geben Jacobsson techn. wb. (1781) 2, 129*;
güldisches silber ist eine mischung von silber und gold,
in welcher weniger als 4 loth gold ist ebda 172*; die ganze
güldische silberproduction Rittee erdkunde (1822) 2, 854;
auch 3, 341; gold kommt nur in metallischem zustande
vor, selbst in den sogenannten güldischen erzen, d. h. in
kupfer, arsen- und eisenkiesen Kaemaesch-Heeren 4,
120; ältere belege: güldisch, quod auro intermixtum est
Schottel haubtspr. (1663) 357; im güldischen silber
Eeckee mineral. ertzt (1598) 59* neben güldig {s. d.), göl-
disch u.a. hierzu -gediegen: mit ... güldischgedie-
genem silber Zappe mineral. handlex. (1817) 1, 99; -sil-
ber: das gold findet sich . , . theils als güldischsilber im
eisenkies Müspeatt chemie 3, 1690.
GÜLDKETTLEIN, n.:
und küszt ilir leis des mundes säum
und nimmt vom hals das güldkettlein
Stoem sämü. werke (1897) 8, 279.
GULDNER, m., pfründner, zu gülden: stipendiarius
quelle d. 15. jh. bei Staub-Tobleb 2, 229; ebda die com-
posita wochenguldner, zwanzigguldner.
GÜLDUNG, /., goldglanz:
welch dunstig dunstbild dunstet auf vom boden?
zwar guldig hell in guldger waffen güldung
lUHEEUANN 16, 129 Boxberger.
GULE, m., haushahn, ein alemannisches wort, auch in
der form gul, gulen, guler, guli, daneben mit kurzem vocal
gull(e), guller, gulli, die beiden letzten formen auch um-
gelautet; zur idg. umrzel ghel- schreien, s. Fischee schwäb.
3, 912, Staub-Toblee 2, 220, oder eher mit gul 'männliches
tier, pferd" identisch, s. teil 4, 1, 1, 1566 u. Sommee idg.
forsch. 31, 371 : {gallus gallinaceus) wirt von Teutschen han,
haushan, gul und güggel gnennt Heuszlin Qeszners vogel-
buch (1557) 76^; hauen oder gulen {pl.) H. Bullinger
Verantwortung (1557) nach Staub-Tobleb 2, 220; eier
hüener, güU U. Meyer Winterthurer chron. {um 1550) ebda;
über die Verbreitung und abgrenzung der einzelnen formen
in den heutigen alemann. maa. s. Fischer schwäb., Staub-
ToBLER a. a. 0., Maetin-Lienhaet elsäss. l, 212**. im
Schweiz, wie elsäss. atichfür den truthahn. allgemein alem.
zur bezeichnung eines zornigen, geschwätzigen oder narren-
haften menschen, vornehmlich in der form guli, bereits im
15. jh.:
1071 GÜLER-GULKEN, GULKERN
GULKGLAS-iGÜLLE
1072
ein müUer hiesz Oumprecht der gül
und waz geseszeu in einer mfll
bei Keller erzähl, a. altd. hs. 463, 2;
wer wolt also ein guli sein, . . . der in seinen krankheiten
nicht all sein poesim, graecum, hebraeum . . . gebe um
einiger kraft zu wissen zu seiner gesundheit? Pabacelsus
op. (1589) 4, 368;
du wüster guli, grober flitz,
ich wil dich bzalen drumb, was gilts
JOH. Aal trag.Johannis 143 ndr.
als pflanzenname für rotblütige gewächse, im eis., Schweiz,
bes. für corydalis cava, lerchensporn, hahnensporn, im
Schwab, vor allem für papaver rhoeas, ackermohn, auch
gockeler genannt.
GÜLER, m., bettler, s. giler.
GULF, m., verschiedener herkunft und bedeutung. i) zu
golf, m. {s.d.): ein böser gulf des meers {15, jh.) bei
Fischer schwäb. 3, 745, dem einheimischen schwäb. fremd,
vgl. mlat. gulfus du Canqe-Henschel 4, 137°; Diepen-
BACH 267*; zweifelhaft bair. gülf, /., 'fluszmündung* in
Frommanns dt. maa. 5, 443. 2) scheunenraum für getreide,
ostfriesisch, s. Doobnkaat-Koolman l, 706 »: hier {in der
Scheune) steht in langer reihe das vieh, während im mittel-
raum, 'gulf' genannt, von unten bis zur höchsten spitze
des gebäudes die körn- und heumassen lagern H. All-
MEES marschenb. 436; vgl. das schwed. golv 'fuszboden',
'abteilung\ 'speicherraum für saat oder heu, stroK" ordb.
över svenska spräket 10, 753^./ norw. dän. dial. gulv 'ab-
teilung\ 'räum"; an. golf, n., fuszboden abteilung\ s. Falk-
ToBP norw.-dän. etym. wb. 1, 361. 3) unklar in herleitung
und bedeutung: an den lärm der groszen städte habe ich
mich weder in Warschau noch in Berlin gewöhnen können
. . . die Peripherie mit den Vorstädten ist für mich ein
wahrer gulph, in den ich, der ich gern in zehn minuten
nach allen gegenden zum thore hinaus in gottes freie
natur schreite, mich mit betäubung verliere Seume (1801)
bei Planee-Reiszmann 303.
GÜLFEN, vb., wimmern, schreien, j-bildung zu gelten,
im 15.-17. jh. vereinzelt literarisch, s. teil 4, 1, 2, 3014 nr. 2 b
und FisoUBB, schwäb. 3, 658; vgl. ndrhein. gulTpen fürchter-
lich schreien von tieren und menschen rhein. wb. 2, 1485
sowie mit anderm wurzelavslaut {vgl. teil 4, 1, 3014 nr. 2 c
und W. Schulze zs. f. vgl. sprachforschg . 57, 297) gxilfen
weinen Woeste westf. 87**; gulfern kläglich bitten Dähnert
plattd. 140^; 164^ neben galfern, gilfern.
GULGEN, /., brandmal { .?) :
das Calvinus jetzt klagen thuet,
ist zwar nit gar ein ubermueth,
dann ihn die gulgen gar hart krenclft,
die im hencker aufFen rucken brendt
flieg, bl. Spiritus famüiaris ScuUeti (1620) in Alemannia 18, 26,
herleitung ? vgl. gülgen löten Staub-Tobleb Schweiz. 2, 233.
GULICHT, n., unschlittlicht, s. gaulicht, golicht teil 4,
1, 1, 1572. dazu schwäb. guUüchter, vgl. goUeuchter leuch-
ter zum talglicht, a. a. o. 1573 nr. 2: von Martini bis wihen-
necht sollen die schuler morgends einander mit gull-
lüchtern zünden Ordnung von 1501 {Stuttgart) bei A. L.
Rbyscheb sammig. d. Württemberg, ges. XI 2, 4.
GULKEN, GULKERN, vb., bezeichnet das geräusch von
flüssigkeiten, die durch eine enge gehen, vgl. golkern, kolken,
kolkern teil 5, 1613, kulken ebda 2585, klucken ebda 1259,
weiterhin glucken, glucksen, klucksen mit ähnlichen be-
deutungen; in skandinavischen mua. norw. gulka auf-
stoszen, sich räuspern, schwed. gylka schlucksen, sich er-
6rccÄen Falk-Tobp et. wb. 1, 364/.; en^l. dialektisch gulch
gulk gierig schlingen Wbiqht 2, 758^; kolk . . . inde est
. . . kolken ingurgitare item gulken et golkeren bombum
edere Stielee 684; gulken bibire vom laut, den das ge-
tränke macht, wann es aus einem hals des geschirres heraus-
kommt Fbisch 1, 382^'; modern in md. maa.: mit geräusch
trinken Kkothe schles. ma. in Nordböhmen 274 ; gulkern
gurgeln; von wasser, das durch eine dünne röhre sich zwängt,
auch vom geräusch der eingeweide Hebtel Thür. 111; 150;
Müllee-Feaubeuth 449b; 430^; gulksen glucksend trin-
ken Jungandbeas schles. zeitwortbildg. 79; stark mit aus-
wurf husten rhein. wb. 2, 1483 {vgl. kolkern husten wie ein
brustkranker teil 5, 1G13). — gulkglas, n., vgl. kulchgles
teil 5, 2585; kluckglas ebda 1259: baucalium, . . . bocalium
. . . ein bokälichen, ein gulckglasz Bas. Faber thes. (1587)
105^; gülkerglas vitrum angusto ore, sonum inter bibendum
edens Stieler 684, vgl. kolkerglas ebda 942; gülchglas
bombylius Dentzlee (1716) 2, 1^2^; vgl. auch gülker, m.,
gefäsz Fischeb schwäb. 6, 2079.
GULL, m., s. gule.
^GÜLLE, /., 'tümpel, pfütze, jauche'.
schwundstufige ableitung mit -1-formans von der idg.
Wurzel gheu 'gähnen, klaffen^ Walde-Pokoeny 1, 566;
norw. dial. gyl 'Muff a. a. o.; schwed. göl 'tümpel, pfütze^
Hellqüist SV. et. ordb. 217*; mnd. gole, goel, m. und f.,
'sumpf, feuchte niederung^ Schilleb-Lübben 2, 131^; viel-
leicht au^h 'ndl. geul 'schmales tiefes wasser\ 'kanaV wb. d.
ndl. taal 5, 1872 {anders Vebwijs-Veedam 2, 1770; J.
Feanck-v. WiJK et. wb. 192^); ins finnische aus germ.
*guljö(n) als kulju 'tiefes wasser, pfütze^ entlehnt; über das
frühe eindringen des wortes ins romanische in der bedeutung
'pfütze, sumpfiger orV vgl. Tabpolet d. ahm. lehnw. i. d.
frz. Schweiz 69; Staub-Tobleb 2,223; Meyeb-Lübke
3912; ins mittellat. als gollia 'canalis, aquae decursus, locus
cavus, per quem aquae decurrunV, golena 'parvus locus'
DU Cange-Henschel 4, 853-; 85^. Vgl. auch die zur wurzel
ghei, germ. *gilja- 'klaffen' (Hellqüist 217 '^) gehörigen
bildungen wie aisl. gil, n., 'a deep narrow glen with a stream
at bottom' Cleasby-Vigfusson 199*'; geil, /., 'o narrow
glen' ebda 195**; schwed. mundartl. gilja, /., 'hohlweg'
RiETZ 192*'; engl, gill o ravine Skeat 233^.
neben güUe erscheinen vereinzelt formen ohne umlaut:
guU, güU {obd. 15, jh.) Diefenbach nov. gloss. 261^; guUen
Calepinus dictionar. undecim ling. (1598) 1017''; ent-
rundung zeigten gillenbehälter Pestalozzi säm<Z.scAr.(1819)
1, 178, vor allem schwäb. flurnamen s. u. sp. 1073. unsicher
ist die Zugehörigkeit von gill, m., 'urin?' Alsf. pass. 4912,
von Lexee nachtrag 222 als gülle angesetzt, vgl. auch gillen
'menschenkoth' Fischee schwäb. 3, 913.
allgemein schwach fiectiert, stark nur gelegentlich, e.
Tschumpeet bündner. lex. 671 und in der fachsprache. ver-
einzelt obd. apokopiert guli, güU bei Diefenbach nov.
gloss. 261; als güllen bei Feisius dict. 942; 1405; Calepinus
a.a.O.; Hulsius (1618) 143; vgl. auch Staub-Tobleb 2,
222. lebendig im alem., bes. im Schweizerdeutschen, woher
es die landwirtschaftliche fachsprache in der bedeutung
'jauche' übernahm, s. u. 2.
bedeutung und gebrauch.
1) 'schmutziges gewässer', 'sumpf, 'lache', 'tümpel'.
gewisse frühe belege legen ein bedeutungselement der tiefe
nahe: nattatorium guli, güU voc. rer. (15. jh.) bei Diefen-
bach nov. gl. 26l*>, vgl. natatorium ein wasser, daz man
nicht gewaten kan glgss. 376*; gurgitem tunccuUe ahd. gl.
1, 54, 2;
wser si {d. i. frou Melde) in ainer güllen
ertrunken, daz wser ane clage
Johann von Würzbüeq Wilhelm von Österreich 1704 ;
gulle vetus germ. sax. sicamJbr. palus, volutabrum, vorago,
gurges Kilian 166*;
die man sint schüllen!
wer kans erfüllen,
die fülen güllen
gar verzaget?
Ulrich von Winterstbtten 64 Minor;
so auch in der anwendung auf die hölle, vgl. der helle
sumpf, söt, pfuol, lache, pfütze, aber auch der helle ab-
gründe u. ähnl. :
(heiden und teufet sind) in die helle versigelt,
die nieman kan erfuUin
in der helle gullin,
wan daz verworhte hol
nimet so ungefuogen zol
unde Wirt doch niemer vol
Hugo von Lanöbnstbin Martina 434 Keller;
1073
iGÜLLE — 2GÜLLE
3 GÜLLE — GÜLTE
1074
zuo der helle gullen ebda 381; vgl. der erde gullin ebda 168;
in der folge dagegen fehlt die Vorstellung besonderer tiefe,
während der bedeutungsgehalt 'schmutzig'', 'sumpf stärker
hervortritt; schon:
wan er viel in einen graben,
die gulle im durch die ringe dranc
Ulrich von Zatzikhoven Lanzelet 2921,
als Variante in cgp 371 (1420) zu hör; palus respirat ma-
lignam aera von der güUen oder lachen gadt ein ver-
gifter dampf Frisiüs (1556) 11543'; die lachen, güUen palus
Maaler 258^; pejorativ auch in der Übertragung: umb
solicher Ursachen willen hat in {Luther) gott vielicht die
statt Rom sechen lassen als den cistern und güUen, usz
welichen soliche antichristliche verfürung ufquellet und
herum geflossen sind Joh. Kessler Sabbata 66. ohne
diesen beisinn neutraler vom trinkbaren wasser in einer
bodenvertief ung : ein weg über das ägkerli zuo der güllen
der zeig {des eingehegten feldes) 1433 bei Staub-Tobler
2, 222;
acli got, fund icli doch nun ein güllen,
das ich möcht halb mein fläschen füllen
Habeber Abraham (1592) 0 2>;
in ahm. flurnamen, wohl zur bezeichnung der wasserhaltig-
keit: güUenacher, -graben Staub-Tobler 2, 222, gillen-
acker, -bach, -wiesen, gillgraben Fischer schwäb. 3, 913.
im mnd., aufs Oldenburg, beschränkt?, s. Schiller-Lübben
2, 131, 'feuchte niederung mit weiden oder schlechtem holz
bewachsen': he heft vorkoft enen orth van der ghole,
dar men widenholt inne stej^ und nyn eken edder ander
nutte holt Oldenburg, urkde von 1480 ebda.
2) 'jauche', die heute gebräuchlichste verwenduTig des
Wortes in den alem. dialekten, von der landwirtschaftlichen
fachsprache übernommen; diese specielle bedeutung zuerst
in mistgüllen stercorata colluvies cortis Frisius (1556)
1241^'; vgl. auch: volutabrum mistlach, kaatlach, güllen,
darinn sich die seuw walend ebda 1405*>; die gewächse
. . . werden . . . unfruchtbar, wenn sie ... weder mit
güllen noch regenwasser bedünget werden v. Muralt
eydgen. lustg. (1715) 57; auf diese weise hält man den
festen und mit stroh gemengten mist von dem flüssigen
oder der sogenannten gülle ganz abgesundert Thaer rat.
landwirtsch. 2,214; dazu kam seit 1703 die aus allerlei
abfallen präparierte flüssige gülle Wimmer gesch. d. dt.
bodens (1905) 199; im Sprichwort:
im herbst der mist, im frühling die güllen
tut dem bur die schüren füllen
bei Staub-Tobler Schweiz. 2, 223,
ähnlich mit aprillengüUen Fischer schwäb. l, 301; Mar-
TIN-LlENHART clsäss. 1, 212^».
3) composition von gülle; in flurnamen s. oben l ende;
zur bedeutung 'sumpf, tümpeV im Schweiz. güUenrugger
'unke' u. ähnl. bildg. Staub-Tobler 6, 776 ; häufiger jedoch
nur im sinne von 'jauche', in der form gülle- und güllen-,
bes. im schweizerdeutschen Staub-Tobler 2, 223, z. 6.;
güllenfasz ebda l, 1050; -gumpen jau^htümpd ebda 2, 310;
-pumpen e6do 4, 1266; im alem. güllenschapfe Fischer
3, 914; -wagen ebda; in der fachsprache: güUenbehälter
Thaer rat.landw. 2, 214; -bereitung, -wesen, -Wirtschaft
Joh. Nbp. v. Schwerz prakt. ackerb. 69. 68. 72; als früher
beleg für die bedeutung 'jauche' hervorzuheben: güllenloch,
n., jauchgruhe:
weil hast die magd geschändet,
Ins elend auch gesendet,
stinkst als ein güllenloch
(aus dem 17. jh.) 52 ballad. 168 v. Ditfurth;
vgl. Staub-Tobler 3, I03l; Joh, Nep. v. Schwerz o. a. o.
444.
* GÜLLE, /., grind, halsgeschwulst, ein bair. wort,
mundartlich heute im steir. u. kämt, erhalten; vielleicht eine
mtlehnuTig aus dem südslav.? vgl. guliti schinden, schaben
im serbokr. und slov., gula beule, geschumlst in russ. und
poln. dialekten, Berneker slav. et. wb. l, 362; zur idg.
Wurzel geu schaben, reiben Walde- Pokorny 1, 562; kaum
IV. 1. 6.
ZU lat. gula Schlund Höfler dt. krankheitsn. 208*; porrigo
{das grind, im 15. jh. daneben aber auch rankkorn 'hals-
geschwulst' glossiert, vgl. teil 8, 108) gulla Admonter hs.
d. 11. jh. in der ahd. gl. 4, 88, 9; in andern bair. hss. bis
ins 13. jh. gulla, gulle, gulli ebda; in einer Prager hs. gulla
ebda; heute güU, gill entzündung der haarumrzeln Unger-
Khull 314»; Lexer kämt. 114; güll scrophula dicuntur
quaedam apostemata, quae nascuntur pueris { ? etwa porcis)
in collo Oräzer voc. bei Lexer 1, 1116; ethica aytergüll
(15. /Ä.) bei Schmelleb-Fr. 1,894; güll, gill name einer
krankheit verschiedener tiere, die geschwüre am hals zeigt
Unger-Khull 314 a; ähnlich Lexer kämt. 114; zusam-
mengesetzt in dem pflanzennamen güllwurz, -kräutel, die
als Viehheilmittel verwandte nieszwurzel, veratrum album
und helleborus niger, auch güllen, m., Unger-Khull 314,
vgl. rhizoma veratri grindseck v. Wijk dict. of plantn. 1,
1394b,
^ GÜLLE, /., Übelkeit, brechreiz: gull nau^ea vulgariter
gruer voc. prima ponens dict. theut. {Straszburg 1515 Hüpf-
uff) K5^; güUa keuchhusten mit erbrechen Schmeller
cimbr, 189''''. — güllen, vb., sich erbrechen: gullen nauseare
vulgariter gruen, Unwillen voc. primo ponens dict. theut.
(1615) K 5'»; güllen vomitare brechen Schmeller cimbr.
127*; güle sich erbrechen Bacher Ltwern. ' 264 ; vgl. auch
goUen Lexer i, 1045; Schneller- Fr. i, 893, wüllen, wul-
gern u. ähnl. bildungen.
GULLER, GÜLLER, m., s. gule,
^GÜLLIG, güllachtig, adj., paludosus, pfützig, zu
^ gülle: güllachtig paludosus Frisius (1556) 942; giülig,
güllachtig pfützig, mistjauche enthaltend, allgemein Staub-
Tobler 2, 224.
* GÜLLIG, adj., widerlich von der speise: man sol auch
kein gülliges smalz noch kein schelmig {von einem ge-
fallenen tier) smelzen . . . innerhalp der maure . . . und
swer ez brennet, der sol sich keren alle zeit, daz der wint
den smac von der stat treibe (2. hälfte 13. jh.) Nürnberg,
polizeiord. 212 lit. ver.; vgl. bes. gol, golig bitter schmeckend,
ranzig rhein. wb. 2, 1295 sowie gaulig teil 4, l, i, 1573.
GÜLTBAR, giltbar, adj., zu ^gülte, gute gebildet.
1) zinspflichtig; gUdbar vectigalis Stieler 658: künig
Osee . . , wolt im nit mer gültpar und sein lehenmann
sein Aventix 4, 260, 20 Lexer; die Teutschen . . . haben
in ( = sich) . . . das alt groszmechtig römisch reich gultpar
gemacht ebda l, 261, 5; höf, huob, widumb und söld, auch
andere . . . gültbare, zeinsbare . . . güeter (1526) bei
Fischer schwäb. 3, 916; die zinspare, gultpare oder
dienstpare guter von dem gotzhaus inhaben {bair.) weist.
6, 186; ein gult gültbar zum kastenambt (= Verwaltung
der landesfürstl. Speicher und dazugehöriger gefalle) bei
Schmeller-Fr. 1, 910; giltbar ist derjenige, der mir gilt
leisten musz Estor teutsch. rechtsgel. 3, 1214; von Ade-
lung 2 (1796), 845 für seine zeit als 'in einigen gegenden
für zinsbar üblich' verzeichnet.
2) 'gültig': ob das {sc. besiglen) nit beschehe, sollen die
brief . . . unkräftig und nit gültbar sein (16. jh.) bei
Fischer schwäb. 3, 916; dazu gült-, giltbarkeit: pasz-
porte von so schlechter giltbarkeit E. G. Happel Wite-
kind 3, 95; das gewicht und die giltbarkeit alles goldes
la doppia impiccata (1668) a 2*.
^GÜLTE, gilte,/., Zahlung; schuld; abgäbe; einkommen;
wert.
form und Verbreitung.
1) aufs deutsche beschränkte -^ö - ableitung zur tief-
stufe des verbums gelten, vgl. Willmanns 2, 249; neben
gülte ohne Umlautbezeichnung gulte, bes. obd. gulte ( : en-
schulte) Stricker Daniel 4049 R.; j. Titurel 1766; (1290)
Züricher urkdb. 6, 83; ebenso md. gulte weist. 6, 69 neben
gulde und gülde, s. unten; bis zur mitte des 16. jh. belegt,
s. Knebel chron. v. Kaisheim 80 lit. ver.; österr. weist.
10, 9, 4. apokopiert gült und gult, vor allem obd.: meiner
gulht(1293) württemb. urkdb. lo, 196; gült (1347) stadtrecht
V. München 88 Auer; der gult (15. jh.) tirol. weist. 2, 211, 13 ;
68
1075
GÜLTE
GÜLTE A 1-2
1076
in den modernen obd. maa. vorwiegend gült; öfter auch
auf md. gebiet: umbe gult (1330) achtbuch von Eger 243
Siegl; rent und gült Luthbe 24, 8, 17 W.; gult {um 1600)
bei Knothe schles. ma. i. Nordböhmen 274. vereinzelt er-
weichung des dentals: umbe deheine gülde Schwabenspie-
gel 27 W.; von . . , gülden und zinsen Avbntin 4, 43, 6 L.
nd. gulde seit dem 13. jh., vgl. Schilleb-Lübben 2, 164/.
tins unde gulde Sachsenspiegel 2, 1, 489 JH.; schulde und
gulde ScHOTTEL teutsche haubtspr. 784; ebenso md. im 14.
und 15. Jh.: die gulde (1326) hess. urkdb. 2, 369; bes. ostmd.:
gulde K. V. Heinbichatj 387 Ouainde; urkdb. v. Freiberg
i. S. Z, 29 (14. Jh.); Elisabeth 6806 Rieger. vereinzelt md. u.
nd. gülde: gülde neben gülte (13. jh.) Nürnberger polizei-
ordn. 16 lit. ver.; mit guylde (14. jh.) hansische geschichtsqu.
S, 112; gülde bei Jelinek mhd. wb. 336.
2) neben den formen mit -ü- und -u- stehen solche mit -i-,
gilte, gilt, bes. schwäbisch: gilte (1282) urkdb. d. Stadt Frei-
burg i. Br. 1, 95 Schreiber; zwanzig viertel roggen gilts
(1402) bei Fischer schwäb. 9, 914; so heute auch mundart-
lich, s. Fischer 3, 916; gilten (acc. plur.) L. Aubbaohee
Volksbüchlein (1835) 132; auch elsässisch gilt Mubneb
narrenbeschwör. 95 ndr.; gilte {dat. sing.) Wickbam 1, 195
Bolte; kilt bei Mabtin-Lienhabt l, 2.1S^ und schweize-
risch seit 1462 bei Staub-Tobleb 2, 260^.; gildenvogt
Ulb. Bbäkeb 8. sehr. 1 (1789) 53; ebenso bair.: a. d. j. 1404,
1608 bei LoBi bergrecht 17*; 436'^; güeter und gilten
(16. jh.) österr. weist. 6, 353, 34; gilt voc. 1618 bei Schmel-
lee-Fb. 1, 909 ; mit starken gilten Äg. Albebtinus Luci-
fers kgr. 146 Liliencron; Steub drei sommer 2, 357; md.:
gilte (15. jh.) bei Diefenbach gloss. 4881»; di gilt J. Aybeb
dramen 5, 3181 Keller; gute Haltaus 723; Chomel (1750)
4, 1092; vgl. auch die composita giltbar, giltbarkeit {oben
sp. 1074) giltbrief, -geber, -nehmer, -pflichtig, gilten-
register, giltzeit {unten sp. 1081^.) bei md. autoren. gilde
neben gulde bei Nie. v. Jebosohin 9413 Str. und 9149,
neben gülde bei Stielee 658, ebenda gildebrief, gildbar.
die dichte der -i-formen vor allem in entrundungsgebieten
{schwäb. bair. md.) läszt gilte, gilt als secundär entrundetes
gülte gult erscheinen; da aber auch der entrundung ab-
geneigte gebiete an ihnen teilhaben {Nürnberg, Schweiz),
bleibt auch i-bildung von der e-stufe des verbs zu erwägen;
selbst rundung eines ursprünglichen gilte > gülte und
damit gegenseitige Vermischung beider bildungen könnte
stellenweise eingetreten sein, siehe auch gültig und giltig
unten sp. 1034^.
3) in der form gult, gült, gilt, vielleicht unter einflusz
von gelt, geld, im alem. gelegentlich als stark flectiertes m.
und n. gebraucht: das gült Appenzeller landb. (1409) bei
Statjb-Toblee 2, 287.; als n. noch in Wallis ebda 2, 285
{die ansetzung gült stn. Lexee 1, 1116 ist ein miszverständ-
nis). m.: ein gült . . . der war 90 fl. reinisch {Augsburg
15. jh.) ehr. d. dt. Städte 5, 75; umb ein zimblichen gult
bei Fischee schwäb. 3, 914; Tobleb appenz. 332; güld,
gült, m., Rädlein sprachsch. 1,415**; m. oder n.: zwanzig
viertel roggen gilts (1402) Fischee schwäb. 3, 914; zum
gmeinen gult (1633), mit dem fahrenden gült (1741) bei
Staub-Toblee 2, 287. — die starke flexion des pl. ver-
einzelt wohl noch bis ins 16. jh.: die frücht und gülte
N. V. Wyle tra-nslationen 178 lit. ver.; ire anligende gült
und güeter (1572 steir.) österr. weist. 10, 200; schwache
flexion des pl. seit dem 14. jh.: die gülten, die ich schuldig
bin (1313) bei J. A. Beandis gesch. d. landeshauptl. v. Tirol
50; die gulten und die güeter (1480) Zür.stadtb. 3,229;
im pl. vereinzelt {attrdhiertes?) gülter: alle, die guter und
gülter auf dem lande haben (1471) in forschg. z. verfass.-
und verwaltungsgesch. d. Steiermark 7, 30.
übernommen ins mittdlat. als gulta seit dem 13. jh.
DU Gange 4, 138*. ins östl. mnl. im 14. jh. als gulde
VeBWIJS-VeBDAM 2, 2209.
4) zuerst im mhd. seit anfang des 13. jh.: Waltheb v. d.
Vogelweide loo, 26; Gotfeid v. Stbaszbüeg 355, mit
dem 17. jh. allgemein zurücktretend, nur im alem. in ein-
zdbedeutungen mundartlich lebendig geblieben; im schwei-
zerischen von der rechtssprache bei der neuen civilgesetz-
gebung (1912) wieder aufgenommen, vgl. Fe. E. Meyee d.
schuldrecht d. dtsch. Schweiz (1913) 6; daneben seit der
wende zum 19. jh. mit archaischem klang in der geschichts-
schreibung uoid historischen dichtung.
bedeutung und gebrauch.
A. gülte entspricht in der bedeutung im allgemeinen dem
älteren und verbreiteteren gelt, s. teil 4, 1, 2, 2889^. und
bezeichnet wie dieses eine zu leistende Zahlung oder abgäbe,
die sich von seilen des empfängers als eine einnähme dar-
stellt, vgl. A 4. dieses gegenseitigkeitsverhältnis beruht in
der regel auf einer ständischen abhängigkeit oder rechtlichen
Verbindlichkeit verschiedener art. nur selten allgemeiner
auszerhalb einer solchen besonderen beziehung, so als 'kauf-
preis, bezahlung'' schlechthin:
do si {die brüder Josephs) kamen wider hein
und ir körn entladin begunden,
das si in ir sacken fundin
die gülte . . . Rudolf v. Ems weltchr. 7710 E.;
als 'abschlagszahlung\- {für) ein erbe {einen städtischen
besitz) . . . sal her {der käufer) alle jor geben 10 {preusz.
mark) uf ostem, so lange bis her beczalt. die erste gulde
czu geben uf ostern 1403 handelsrechn. d. dt. ord. 34 Satt-
ler; als 'gegenleistung^ , vgl. gelten 3 a und c, bildlich:
ouch galt er {der gegner) im die arbeit
mit so rlcher gulte,
daz er in niht enschulte
Steicker Daniel 4059 Rotenh.
innerhalb seines eigentlichen anwendungsgebiets, dem
rechtlichen Vorstellungsbereich, hat das wort fester umrisse-
nen Charakter.
1) 'ersatz' : wir . . . globen {geloben) ...» daz wir dez
selben silbers im . . . schuldic sin ze rechter gulte (1272)
urkdb. V. Basel 2, 52; vgl. ndl. ghulde ende verset hebben
van hueren scade (1348) hans. urkdb. 3, 66. besonders
''Schadenersatz, genugtuung'' in der rechtsformel mit gulde
unde (oder) mit rechte u. ä., entsprechend der mlat. formet
iure vel solutione respondere, vom nd. ausgehend: dem kle-
ghere mach he {der gegen ihn die waße zog) beteren mit
ghülde efte mit rechte (1346) westf. stadtr. 1, 3, 10; schaden
unde smaheit . . . vorantworden mit guilde eder mit
rechte (14. jh.) hans. gesch.qu. 3, 112 {vgl. ebda 75; 82; 123);
in Gelder sehen urkdd. s. Vebwus -Veedam 2, 2208/.;
vereinzelt hd.: dut, der da beklaget ist, nicht gülte
oder recht {wiederholt, im verfolg wechselnd mit gelt
oder recht) {a. d. j. 1327) Lehmann chron. Spirens.
(1698) 293*.
2) 'gddschuld' , vgl. geld 3 g, vorwiegend fürs obd. be-
zeugt, lebendig bis ins 16. jh., im schweizerischen noch
heute, s. Staub-Toblee 2, 287 ; der früheste beleg ist Glicht
einheitlich überliefert:
frö Welt, du solt dem wirte sagen,
daz ich im gar vergolten habe:
min grceste gülte ist abe geslagen,
daz er mich von dem brieve schabe,
swer ime iht sol, der mac wol sorgen,
e ich im lange schuldic wsere, ich wolt e zcinem Juden
borgen
Walter v. d. Vogklweidb 100, 26 L., *'
50 in C gegenüber gelt in A;
{im ablaszjahr Moses' sollte)
. . . nie man sinir gülte gern
an sinin genoz
BuDOLF VON Ems weltchr. 15423 E.;
ez ensol nieman ouf den andern invarn noch leisten {ein-
lager halten) umb dhein gült, diu hinder zehen pfunden
ist (1281) motu Oerm. hist. leg. sect. IV, tom. 3, 270; von
nöthen miner gulht {urgente me debitorum meorum
onere) han {ich) verkaft min aigen (1293) württemb.
urkundenbuch 10, 196; man sol nieman lenger halten
{festsetzen in haß) umbe gülde wan ahtage Schwaben-
spiegel 230 Wackernagel; der konvent waz komen in
grosz gülte Seüse dt. sehr. 15 Bihlmeyer; wan eyn mann
on liberben abgat, so soll das farend guot das gült gar
zalen Appenzeller landb. (1409) bei Staub-Toblee 2, 287;
1077
GÜLTE A 3
GÜLTE A 3
1078
{wer dem gericht die benutzung eines unrechtmäazigen wein-
maazea anzeigt,) der ist von demselben wirt ledig und los
aller der gult, die er zu im vertrunkchen hiet (15. jh.) tirol.
weist. 2, 211, 13; das stift was in groszer gült an Christen
und Juden, es war urliugs wegen in so groaze gült gefallen
{16. jh.) WiG. Hund metrop. Salisburg. (1582) 2, 206; in
formelhafter Verbindung: wann wir und unser stat Aus-
purg in grosz gült und schulde gevallen warn vor manigen
jaren her (1363) ehr. d. dt. städte 4, 158; der muz einen eit
in dem rate t\xn, daz er von keiner gult noch schult wegen
nicht entwichen sei, und muz, den er schuldig ist, ir gelt
verpürgen, vergewissen und gelten (1400) stadtgesetze von
Eger 16 Khull; schulde und gulde richten cognoscere de
causis civilibus et pecuniariis Schottel haubtsprache 784.
3) 'abgäbe*, die am stärksten entwickelte bedeutung von
gülte neben dem älteren gelt, geld, s. teil 4, 1, 2, 2891.
a) zunächst eine leiatung von Untertanen oder unterwor-
fenen an den herr scher, auch als tribut:
die stete muosen sich ergeben
und loesen ir guot unde ir leben,
reht alse liep als ez In was,
unz er {der Sieger) zesamene gelas
gülte unde guotes die craft
GOTFRID V. Straszbueo 355 R.;
nü hat mich angest unde leit,
kumber, not unde arbeit
dur gröze gülte ergriffen
Rudolf v. Ems Barlaam 124, 21 Pfeiffer,
mit beziehung auf:
daz er solde dö zestunt
umbe zehentüsent phunt
ze rehte vor dem keiser stän
121, 26;
da von sie (die Christen) uns (den heiden) hlut ze Zinsen müezen
11p unde leben unt gülte von ir lande . . . [l&n
Lohengrin 5060 Rackert;
ich {der könig) schaff mit üch, das ir mir gült und rent
geben {tributa ut exhibeatis ac vectigalia tribuatis) Stein-
HÖWEL Äsop 64 Oesterley; si müssen auch den Saracenen
tribut oder guldt geben Beknhabd v. Bbeidenbach hlg.
reyszen n. Jherusalem (1486) 93''.
b) von der obrigkeit auferlegte Steuer, vgl. gelt 3 c, census,
vectigal:
die gemeinde amptlüte hat,
die Zölle und ander gülte nement In
KUNEAI v. Ammenhusen schachzabelb . 16723 Vetter;
{die bürger A-ugsburgs behaupten,) daz die stat also nit
beliben mocht aun gült und xingelt si müst verderben
(1397) ehr. d. dt. städte 4, 109, 13; gult, die er {ein auswär-
tiger) in dem markt gelten {bezahlen) solt, die soll er van
derselben hab gelten (1408) österr, loeist. 10, 266, 18;
unser lieben geteuwren ... in unser stat Wertheim jer-
lichen mit groszen und sweren bethen, steuern, zinszen,
gulten . . . beswert und überladen seint (1437) oberrhein.
stadtr. 1 1, 27; die weltliche oberkeit musz . . . schosz,
zinsze, gült und renthe auf die unterthonen schlagen
J. Aqkicola teut. sprichw. (1534) l l^^; ghulde, de dat
rike hevet to Lübeke (1318) Lüb. ehr. 1, 209 Orautoff.
c) abgaben der bauern an ihre herrschaft (herrengülte),
auch an geistliche, die in naturalien, vornehmlich getreide
(komgülte) oder in geld (pfenniggülte) bestanden und
meist jährlich zu leisten waren, vgl. gelt unter geld 3 a a :
he desseme heren gaf den teinden penning der jarliken
gulde Sachsenspiegel 2, 1, 452 Homeyer; deu Weide und
Parkstein giltet anderthalbe hundert mutte (scheffd)
und zweie mutte kornes und eine halbe mutte und
sehzig mutte habern und drizig swein und zwaintzig
pfunt Regenpsurger ze rehter gulte (13. jh.) man. Germ,
hist. leg. sect. IV, tom. 3, 629, 20^.; die bauren musten
dem marggraven sweren, daz sie im die gült zu ewigen
tagen reichen wolten (1449) ehr. d. dt. städte 2, 148;
wir sein von Schnigling herein eur mair
und pringen euch zu gült oft kes und alr
lastnachtsp. 2, 567 Keller;
die paurn . . . beklagen und begern, das . . . alle unzim-
liche Wucher oder gult, sie sein gestif t, waruf sie wollen.
. . . ein erleichterung ... zu machen bei Baumank quellen
z. gesch. d. bauernkriegs aus Rotenburg o. d. T. 134;
wann bawren nicht weren und ihr gült,
so wer ein bettelsack der edelleut schilt
Fischart groszm. (1607) BS»;
die leibeigenschaften samt allen zollen, accisen, Zinsen,
gülten und ungelten . . . aufheben Grimmelshaüsen
Simplicissimus 211 ndr.; in der Verbindung zins und gülte,
vgl. auch 3 d, 4b: (es wird bestimmt,) das ieder seine
zins und gülten seiner herrschaft ... zu der rehten zins-
zeit abrichte und bezale (16. jh.) tirol. weist. 1, 108, 3; dar-
umb so geben die guter noch so viel an Zinsen xmd
gulten, als sie von alters haben getan weist. 6, 13 Qrimm;
diser baur müst zinsz und gült geben einem edelmann
Val. Schumann nachtbüchlein 196 Bolte; als ich durch
das gebirg nach den zinsen und gülten ging Immebmann
3, 74 Hempd. neben alten dienst-, specidl lehnsverhält-
nissen beruhen die abgaben später auch auf Pachtverträgen,
dann gleichbedeutend mit grundzins, pacht: wie aim
{bauern) ein gut geliehen werd umb ein zimblichen gult
(1525) bei FisCHEB Schwab. 3, 914; pension, zina, gült,
reichnus von einem glihenen acker oder sonst von einem
gut Roth dict. m 4*; in lehengütern ... ist der Lehns-
herr schuldig, an der järlichen gült etwas nachzulassen,
wenn das jähr unfruchtbar LoEiCHius v. wdtl. ständen
(1594) 2, 131; doch hofie ich, er werde tms die heurige
pacht erlassen . . . allein er will mir nur die halbe gülte
nachlassen Pfeffel pros. vers. 6, 63 ; als 'pacht' im da.
heute noch lebendig s. Martin -Lienhabt l, 218*.
d) erstattungen au^ liegenachaßen als gegenleistung für
eine durch den sog. gültekauf getätigte capitalsanlehnung,
die an dem grundstück und nicht an der person des Schuld-
ners haftde, vgl. Blumeb rechtsgesch. 1, 452^.; in dieser an-
Wendung kommt gülte dem heutigen begriff von zins nahe:
rechte gult soll auf gründen gemacht werden, die sind blei-
bend und nit erstörlich (1585) österr. weist. 1, 217; grund-
zins, daz gult heist ebda; vgl. auch wa einer geUhen hat uf
heuser, acker, wisen, hölzer und doch gultweis die haupt-
summa {das angdiehene capital) empfangen hat, verhofit
ein gemein, das gut sein ledig und frei aller verpfendung
bei Baumann qu. z. gesch. d. bauernkr. aus Rotenbg. o. d. T.
138; versäumte er stattung der gülte konnte pfändung nach
sich ziehen: were ouch, dat se on dusser gulde nicht en-
geven . . ., so mach {der gddgeber) dat sulve lant to sik
nemen vor gulde unde vor gelt unde wat der gulde worde
entseten, unde mach sin gelt daranne soken (1355) bei
Schiulee-Lübben 2, 165*; last ers {sc. des gottshausz
underthan) aber anstehen 14 tag, ist er verfallen halbe
gült, wie er von sein guet schuldig zu geben ist (1630)
österr. weist. 9, 3, 112, 29, allgemeiner auch ohne diese bin-
dung an ein grundstück 'zins für ein darlehen\' anno 1345
verschreibt ime marggraf Ludwig um dreihundert dreis-
szig gülden anlehen zehen marckh Ferner gült und sein
haus . . ., bis er die 330 fl. wider bezalt J. A. v. Beandis
landeshauptl. v. Tirol 61 ; bes. in der Wendung gülte kaufen,
vgl. ein gelt kaufen teil 4, 1, 2, 2893 nr.Z&y und gültkauf
unten sp. 1082: {es wird bestimmt,) dat men na desem
daghe neine gulde mere kopen sal dan einen penninch
vor viftein ebda; mit hundert gülden haubtgelds {capital)
fünf gülden jährlicher gülten erkauft . . . wird Schottel
628; in oder auf gülte(n) legen: hundert pund penninge,
de se in ghulde hebben ghelecht (1366) bei Schilleb-
Lübben 2, 165*;
der sein gold auf gülten legt,
von güldgebers gnaden lebt
Lehman floril. polit. 2, 928;
oft auch hier zins und gülte: der viel zinsz und gülten
an sich bringt, der dient einem papirenen und perga-
mentenen kalb Dannhaweb catechismusmilch 1, 173;
gott \md dem acker ist gut auf wucher leihen, sie
geben reiche zinsz und gülten Lehman floril. pol. 2, 928;
das gebürende . . . Interesse und gült davon {d. i. von
einem capital) (1630) Meichelbebk histor. Frisingensis
(1729) 2, 2, 379.
68*
1079
GÜLTE A 4
GÜLTE A 5
1080
man hat drei arten von gillteverhältnissen zu unterschei-
den, die älteste: ewige zinszgülten, so benamset weilen
der ansprecher {der gläubiger) zu keinen Zeiten den Schuld-
ner zum ablösen des hauptguots halten und treiben mag
(18. jh.) bei Staub-Tobleb l, 610; welcher hinfür sin gelt
nit an ein gesatzte und, wie man spricht, ewige gült an-
legen , . . wil (1582) ebda 7, 1629; vgl. ewig gelt unter geld
3 ay; attch eingelegte oder gattergült (vgl. gatterzins teil
4, 1, 1511), eiserne gülten, s. Westenbieder gloss. germ.-
lat. 183; 221; sie waren bis zu beginn des 15. jh. auch von
seilen des Schuldners unablöslich; seitdem aber gibt es die
ablosige gult vel zinsz redemptorius contractus {ende des
15. jh.) bei DiEFBNBACH 488 C; ablösige gülten oder renten
reditus redimibiles Schottel haubtsprache 347: der, so daz
gelt liehet und die gult kouft, umb daz houptguot oder
den widerkouf nit manen mag, wie wol doch der koufer
{so iti d. hs.) den widerkouf und die losung tuon mag
(1419) Zürcher stadtb. 2, 118; kein järlich galt, gilt umb
uszgelihen gelt sol fürhin den klöstern geben werden,
aber ein vogt und gericht sol ordnen zimliche zil, uf welch
die Schuldner daz houptgüt abzalen oder ein stat das
houptgüt den klöstern darzelen und die gült zu inen
nemen Eberlxn v. Günzbubg ausgew. sehr, l, 135 ndr.;
{der handwerker) beschwernusz , . ., gult abzulösen 1 ort
(= viertelgulden) mit 5 fl. bei Baumann qu. z. gesch. d.
bauernkr. aus Rotenbg. o. d. T. 2, 122; vgl. ebda 119. seit
dem 16, jh. waren die gülten auch vom gläubiger aus auf-
kilndbar, gleichzeitig dehnt sich der begriff gülte mit auf
das die gülte begründende capital aus und kommt so dem
modernen begriff 'hypotheF nahe: wer gelt umb zins us-
lychen wurd und im selbs vorbehält, das houptguet in-
zezüchen, es sie über kurz oder lang, soll söUichs ein gült
heiszen (1566) bei Staub-Tobler 2, 286; so hab ich mein
hab und guot fast in zinsz und gilte, die ich dann, so ich
will, in kurzer zeit zuo barem gelt machen(ion?i) Wickbam
werke l, 195 lit. ver.; so in der Schweiz heute noch lebendig
vgl. vordrist, hindrist, gueti, schlechti gülte 'hypotheken'
Staub-Tobleb Schweiz, id. 2, 286; das gut war sehr grosz,
sein ertrag bedeutend, und doch würde ohne gülten der
bauer nicht haben bestehen können J. Gotthelf ges. sehr.
1, 120. im Schweiz, gülte auch die über sie lautende Urkunde,
dergültbrief {s.d.): gvXtiinstrumentum, in quo debitor cre-
ditori certam summam spondet Schmidt-Tobleb id. Ber-
nense 34^; die verschreibung eines zinses heiszen wir gül-
ten, die verschreibung einer hauptsumme aber Schuld-
brief (1763) bei Staub-Tobleb 2, 286; die gült ... ist von
Martini 1539 datiert, ein gutes altes Wertstück G. Kellee
ges. w. 2, 102 ; in einer kleinen anzahl gülten, die in seines
Vaters truhe lagen E. Zahn helden d. alltags (1907) 113.
4) ' einkommen\ diese bedeutung entwickelt sich auf
grund des gegenseitigkeitsverhältnisses der gülte dadurch,
dasz der leistende nicht genannt wird und statt dessen der
empfang er in den Vordergrund der Vorstellung tritt, vgl. auch
gelt Z&ß.
a) noch innerhalb der gegenseitigkeitsvorstellung in den-
selben anwendungsbereichen wie 3 ; entsprechend 3 a :
es was ein grafschaft reich . . .
es hette da wol tausent marck
gütter gulte alle jar
Heikeich v. Neustadt Äpollonius 20389 Singer;
es hatt der chönig zu Persia mer gült von der stat Tha-
bres dann der mächtigst chönig . . . der christenhaitt
Schiltberger reisetageb. 58 lit. ver.; König David hatte
. . . zween söhne und drei töchter, denen liesse er grosze
gültes {l. gülten) oder einkommen M. Joach. Heller
Franc. Alvares ber. v. Ethiopien (1566) 226; entsprechend
3 c: (er) het . . . von einem dorf ein chleine gült, davon er
sein dienär . . . ausrichtet (15. jh.) A. v. Regensburg
sämtl. w. 601 Leidinger; die gülten sind alle einkommen,
so die herrschaft von ihrem vermögen einsammlet, dar-
unter sonderlich die dienste der Untertanen gehören
Hohberq adel. land- u. feldl. 1, 53^;
ich pfalzgraf Götz von Tübingen
verkaufe bürg und Stadt
mit leuten, gülten, feld und wald
L. Uhiand gedickte (1898) 1, 278. I
fUr geistliche, pf runden: ein capelle . . . besorghet {= do-
tiert) mit ghude unde ghulde (1407) Schilleb-Lübben
2, 165»; sacerdotium des priesters gülti, die pfrund Dasy-
PODIUS (1536) 206C ; dem abt wird bestätiget, was an gütern,
gülten oder Jahrzeitstiftungen ihm sonst zusteht J.
v. MüLLEB sämtl. w. 22, 78. — gerade in dieser anwendung
häufig in der Verbindung mit rente, vgl. auch teil 8, 816:
ich verkope . . . twe hustegheden {-zehnten) mit aller rech-
tigkeit, tobehörige, rente, ghulde (1400) bei Mushabd
monum. nobil. ant.fam. 205; {ülyssis ist) in järlichen gül-
ten, renten und einnemen reicher gewesen dann ander
zwanzig Schaidenbbiszeb Odyssea (1537) 59 *; daz sie
{die Frankfurter) in {könig) sin gulde und rente folgen
lassin (1406) Frankf. reichscorrespond. 1, 130 Janssen; die
genannten geistlichen . . . solten . . . ire güldt und renthen
besitzen Sleidanus reden 64 lit. ver.; renten und gülten,
die ihm sein mann und erblehen . . . jährlich ertragen
MoscHEBOSCH gesichte (1650) 2, 370; seltener gülte und
gelt, vgl. auch unter h: den geitigen ligt ir herz auf
acker und matten, auf güldt und gelt Keisebsbebg irrig
schaf {Straszburg o. j.) h 2*.
b) allgemeiner, 'einkommen' ohne andeutung eines wechsel-
seitigen Verhältnisses:
sin {d. i. des milten küneges) hant vil manigem sine gülte
mSret
BRTJDBR Wernhee in V. d. Hagen minnes. 2, 233" ;
ähnlich Konbad v. Würzburg lieder u. spr. 18, i Schröder;
do Uz der edle vurste dar
sich durch got irbarmin
den kammir der vil armin (frau)
und schuf ir gulde also vil,
daz si an iris lebin zil
davon di libnar mochte han
Nie. v. Jeroschin 9413 StreMke;
min hus, min koste und min pfant
Stent alliu jar in gelückes hant,
wenne Ich gewisser gülte niht han
H. V. TRiMBERa renner 18927 Ehristn.;
ez schol ein ieclich burger Verlosungen ( = versteuern) . . .
alle gulte Nürnb. polizeiordn. 16 lit. ver.; gulde reditus
Konrad v. Heinbichau 387 Gusinde; welcher hausz-
vater von gülten zu leben hat Lehman fioril. polit. 1, 404;
die . . . Unkosten sein mit jedes gülten zu aestimiren und
also zu moderiren, dasz innerhalb der einkommener seien
Schupp sehr. (1663) 739. geläufige Verbindungen:
die täschenwitz nicht lenger gilt,
on als lang man hat gelt und gült
Fischart flöhhaz 506 Hauffen;
es hat dise stat reich burger, die zum guten teil leben von
zinsz und gült Seb. Münster cosm. (1550) 140.
c) leibrente, die man sich für lebenszeit erkauft: Bartolo-
mes . . . hat geschickt (= verfügt), das man an sol legen
dreihundert gülden und die gült dovon sol sein bruder
. . . nissen sein lebtag. . . . das gelt haben die purger auf
dem rothaus und geben alle jor davon zu zinsz 15guld.
(2. hälfte 14. jh.) ehr. d. dt. städte 1, 66, 25; ein burger . . .
hett ein gült kauft von dem bistum, der was 90 fl. reinisch,
die solt man im geben von dem zoll (1. hälfte 15. jh.) ehr.
d. dt. Städte 2, 75, 3; corporei ein leibgeding, ein gült, die
man eim sein ieblang gibt Roth dict. E2^.
d) uneigentlich: tätigkeit, fähigkeit, woraus man ge-
winn hat:
(wenn sich die grobiane raufen)
das ist der scherer gült und renten
Scheit Grobianus 2314 ndr.;
sprichwörtlich: ein band werk, ein täglich gült sprichw.
schöne weise klugr. (1548) 6»;
min wiszheit macht mir zinsz und gült
Schweiz, schausp. d. 16. jh. 2, 143 Bächthold.
5) landgut, secundär als bezeichnung eines ursprünglich
wohl gültepflichtigen besitzes im Steiermark. -kärntn.: die
gülten werden hier im herzogtum Steyr diejenigen land-
güter genennet, so allein dem landsfürsten und anstatt
seiner der löblichen landschaft dienstbar seynd . . . aber
1081
GÜLTE B. G (compoationen)
GÜLTE C (compoaitionen)
1082
aonsten frei und keiner andern particularherrschaf t dienst-
bar I. Beckmank id.jur. (1688) 185; die gröszten (do-
minien) . . . heiszen herrschaften, minder grosze guter
. . . noch kleinere heiszen gülten und ämter I. K. Kindeb-
MANN repertor. d. steierm. gesch. (1798) 84; in älterer zeit
vielleicht in dieser speciellen bedeutung schon in der Ver-
bindung gült und güeter : all, die galt und gueter auf dem
landt hietten, solten geben halben teil aller irer gult {um
1600) J. Unrest chron. Ausir. 569 in S. F. Hahn collectio
monument. vet. (1724); der pfarr und kirchen ire anligende
gült und güeter österr. weist. 10,200,10; ebda 199,17;
6, 353, 34.
B. wert, gdtung: bis ins 18. jh. hinein, zunächst:
1) der reale wert von gegenständen:
. . . manig türe goltvaz,
daz man gein bohir gülte maz
Rudolf v. Ems weUchr. 29926 Ehrism.;
(die hl. Elisabeth erhielt)
ein hertes unde ein smehes cleit
an gestelle {aussehen) dunkelvar
unde an gulde snode gar
Elisabeth 6806 Rieger;
guld und gute der Sachen Habsdörffer gesprächsp. 3,
344; vom geld: twintich mark gheldes lodighes silveres
rechter gulde (1330) bei Schilleb-Lübben 2, 165*; von
der monze und iren gulten mon. Boica n.f. 2, 1, 14.
2) seit dem 17. jh. allgemeiner: die abwürdigung der
gülte ihrer Schriften E. Fbanoisci lust. schaub. (1698) 2
vorrede; meinungen . . . von schlechter gülte ind.-chines.
lustg. (1668) 1, 73; eine solche gülte hat der friede in sich,
dasz auch die feinde dessen . . . nicht entpehren können
Lohenstein Arminius l, 409''; juristisch mehr als 'gel-
tung\ wohl unter dem einflusz von gültig B 2, vgl. gül-
tigkeit: es sollen . . . alle andern brief und Schriften kein
gült noch kraft haben (1721) bei Staüb-Tobleb 2, 287.
im spiel: basta . . . bedeutet . . ., dasz es in trefle und
seiner gülte nach der dritte von oben Sfebandeb ala
modespr. 67^.
C. die compositionsbildung von gülte, gilte bevor-
zugt die form gult-, gült-, gilt-, gegenüber gulte-, gulten-,
gilte-, gilten-; nur vereätizelt gildebriefe Stieleb 658; 6»«
auf gültgebig, -haftig, -pflichtig, -weise substantivcompo-
sition, in der bedeutung A 3 zur bezeichnung des abgabe-
pflichtigen besitzes (gültacker, -gut, -hof), der zinspflich-
tigen bzw. -heischenden personen (-bauer, -herr), des er-
stattbaren gutes (-frucht, -geld, -körn), der rechtlichen ein-
richtungen (-brief, -kauf), seit dem 14. jh. bezeugt; eine
vereinzelte bildung des 13. jh. gehört zu Al (gultehaft).
bemerkenswerte bildungen: gültacker: {es hat) keiser
Augustus ein coloniam mit gultäckern reichlich versehen
Weblichixts augsburg. chron. (1595) 23; in flurnamen, s.
R, Vollmann (1924) 48, ds. heute noch 'verpachteter acker^
Martin - LiENHABT l, 218^'; -bauer: als der . . . seine
äcker Unachtsamkeit halben inn unbau (schlechte be-
bauung) kommen sein vermerket, hat er seinen gült-
bauem . . . herbeigefordert Fischart ehzuchtb. 304
Hauffen; wann der gultbawr die gült . • . nicht bezahlen
kann Balth. Lang zinszscharmützd (1645) 107; colonus
ein pachtmann, gültbauer Corvinüs(1660) i, 354; im 18. jh.
noch bair. Schmelleb-Fb. l, 909 urui schwäb. Fischeb 3,
916 bdegt, eis. 'pächter' Mabtin-Lienhabt 2,83; -brief
{neben geltbrief Lexeb 1, 286) über die gülte ausgefertigte
Urkunde, 'Schuldschein", 'zinsschein" {s. A 2 und 3); litterae
redituum Stieleb 658, später hypothekenschein{zuAZ ende) :
des {wegen der schuld) geburet . . . sinen erben, die unsze
etedte alte gultebriefe inne haut, druhundert guldin (1382)
FiCHABD archiv 1, 183; so werden die bauwern jetzt auch
Wucherer mit zinsen, gültbriefen (1521) Jon. Römeb seh.
dialog. 41 Lücke; gultbrief kaufen und verkaufen (c. 1550)
bei Staub-Tobler 5, 455; überantworten einhimdert
pfund an einem guten, wolhabenden gultenbrief (1591)
ebda; die realisierung des . . . insatzantheils und des rech-
neiamtlichen giltbriefs Gtöthe IV 28, 333 W.; sein ver-
mögen, so in barschaft und gültbriefen bestand H.
ZsCHOKKE sämtl. ausgew. sehr. 2, 90; {eine Jungfrau, die)
einen gultbrief von siebenhundert giüden ihr eigentum
nenne G.Keller w. (1892) 4,228; -buch anschlagsbuch
für die gülten : die lantschribere soUent ir innemen setzen
nach der lute dez gültbuechs (1437) Mone zs. f. d. gesch.
d. oberrh. 6, 391;
ein rentmeister, der me nempt, dann gultbucher weisen,
und das uberig in sein saclc leszt reisen
(15. jA.) bei Keller alte gute schwanke 78;
grosse herrn ire gült- und legerbücher haben Jac. Gbet-
TEB ep. S. Pauls (1566) 580; der markt {flecken) ... in
einer löblichen lantschaft gültbuch . . . einverleibt (17. jh.)
österr. weist. 6, 186, 30; schwäb. noch im 18. jh. Fischer
3, 917; -frucht als gülte entrichtetes getreide: ins land ist
befelch ergangen, alle gültfrüchten zu Ufern (1636) ebda
3, 918; {Joseph) brachte . . . neben den . . . güldfrüchtea
in den sieben fruchtbaren jähren eine . . . menge , . .
getreid zusammen Grimmelshausen 4, 814 lit. ver.; bis
ins 19. jh. gebräuchlich Fischer schwäb. a. a. o.; -gebe,
-gebig abgabepflichtig: höf, die gültgeb sind dem gotz-
haus (1456) bei Schmeller-Fr. l, 866; {die Römer machten
Britannien) zinsbar und gültgebig Ringmann Caesar bei
Schmidt ds. 160*; -geber: munifez giltgeber (15. ^A.)
bei DiEFENBACH 371 c; es müszen die gültgeber jehrlich
uf Martini von jedem malter drei heller ze zehenten geben
bad. weist. 1, l, 78 Brinkmann;
der sein gold auf gülten legt,
von güldgebers gnaden lebt
Lehman floril. polit. 2, 928;
-gut 1) fundus vedigalis gültgvit Golius (1582) 46; zh-
f ruhest: der herr ... ist kumen zu einem meigerhof . . .
oder zu einem gültgüt Keisersbero postill (1522) 2, 69;
da hett mein man ein gültgut zwar einen bawren schon
etlich jähr verliehen W. Spangenberg mammons sold
(1613) A 5; noch im 18. jh. Schmeller-Fr. 1, 909; 2) Unter-
pfand (1573) nach Fischer schwäb. 3, 918; -haft(ig)
1) geldschuldig: ir verkoufet, daz iuwer kinder . . . iemer
deste armer müzent sin oder du selber iemer mer nothaft
unde gultehaft Berthold v. Reoensburg l, 459, 37
Pfeiffer; 2) zinspflichtig: leut, so . . . dem stift gulthaft
seint Mechtel Limburger ehr. 42 Knetsch; 3) ersatzpflich-
tig: es macht ein chnecht seinem herren wol gülthaftig
werden umb allez daz gut, daz er im vergamlost {nach-
lässig verbringt) (1332) bei Schmeller-Fr. l, 910; -herr
1) der herr, der den zins bekommt Frisch l, 382 c, zuerst
(14. jh.) bei Fischer schwäb. 3, 918; {du) sollest . . . deinem
lehen- oder gultherren . . • zinsz, gult, stewr . . . reichen
bei Baxjmann qu. z. gesch. d. bauernkr. aus Rotenbg. 586;
endlich bezahlt er {der bauer) den gultherren mit der aller-
leichtesten frucht, die er hat Grimmelshausen satyr.
pilgr, (1684) 25; 2) gläubiger {entspr. der bedeutung von
gülte A4): dieselbige gülthern in bezalung der jerlichen
zins oder gülten . . . nit bei 60, 61 oder 62 kr. pleiben
(1554) bei Fischer 3, 741; der wlderverkäufer tind gült-
herr die zalung gern . . . hette angenommen J. Vetter
pract. (1581) 38; 3) rentmeister, städtischer finanzbeamter,
s. Götze frühnhd. IIS''; -hof: die herren und edelleut die
gülthöf nicht verteilen lassen Speidel notabila (1634) 252;
seinem grundherren für die gült das alles zustellen . . .,
was auf dem erblehen oder gülthof erwachsen Balth.
Lang zinszscharmützel (1645) 143; schwäb. noch im 18. jh.
Fischer 3, 918; -huhn(vgrL gelthuon Lexer l, 928): zum
sibenden ist unser beger, das f ürohin in allen kewfen . . .
keins handlons ( = abgäbe) oder gulthunr nimmer gedacht
werden soll bei Baumann qu. z. gesch. d. schwb. bauernkr.
aus Rotenbg. 123; hanen . . . und andere gilthiener (1682)
bei Fischer schwäb. 3, 918; heute noch in Franken über-
tragen: der magerste, unscheinbarste in einer gesdlschaft
s. ebda; -kauf 'creditus seu census annui, wann mit hun-
dert gülden haubtgelds (= capitäl) fünf gülden jährhcher
gülten erkauft . . . wird' Schottel 528; -kauf er gläu-
biger: dem narrenfresser Satur . . . {sind) verwand . . .
als alle ungeratene kind . . . zinsz- und gültkeufler, schul-
denheufler, geitauf bringer Fischabt groszm. (1607) o 1*;
1083 GÜLTE C (Kompositionen) — 2 GÜLTE
3GÜLTE- GÜLTIG
1084
gültkaufer (1553) bair. lanndtsord. 56^; Fischer schwäb. 3,
918 ; - körn annona Twinoer v. Königshofen bei Scheez-
Obbelin 577; gultekorn, die sie geben suUent jergelich
(1346) MoNE 2W. /. d. gesch. d. Oberrh. 5, 427; mine herren
zu allererst ire gultekorn, habern und gelt bezalet sin
solten (1445) weist. 6, 69;
. . . ein bawer wol in die statt
Landshut wolt lahrn, in Beyerland, . . .
sein güldlforn dem fürstn bringen nein
H. Sachs 17, 285 lit. ver.;
-leute: {sie haben die) eigenthumbsherren ... zu Colonen,
gültleuten und sclaven gemaclit Dannhawer catechism.
(1657) 1, 108; schon im 14. jh. s. Fischer schwäb. 6, 919;
-mann bereits 14, jh. ebda; die anzal gelts, so der gült-
man . . . biszher gereicht hat (1526) pfälz. hofordn. 2, 164
Kern; so kan ein gültmann . . . ein nachlasz desz bei-
standtgelts begehrn Balth. Lang zinszscharmützel (1545)
106; -nehmer municeps ein giltnemer (15. jh.) bei
DiEFENBACH 371"; -pfenning s. Frisch l, 382C;.pf erd:
milites munifici, edelleut, die ihr güldpfert dem fürsten
schicken, wann ers bedarf Corvinus (1646) 566; mit . . .
300 gültpferden (das ist, mit so vielen reutern der craine-
rischen ritterschaft Valvasor ehre d. hzgt. Crain (1689)
4, 2, 465; -pflichtig: der giltpflichtige wurde flugs aus-
gepfändet EsTOR rechtsgelahrtheit 3 (1767) 1214; -re-
gist er: tobende bauern stürmten die Schlösser der grund-
herren und verbrannten . . . die zehnten- und gilten-
register Treitschke dtsche gesch. i. 19. jh. (1897) 4, 129;
-reicher: der gültreicher jerlichs ein gülden . . . aus-
richten solle Marstaller aufruhrbuch (1525) 27; von den
gultreichern . . . , die teils ihr Schuldigkeit mit geld
bezahlen wollen (1620) bei Fischer schwäb. 3, 919;
-reichung: durch saumselige gültreichung zu klag
kommen Balth. Lang zinszscharmützel 21; vgl. bair.
lanndtsordn. (1553) 56*' ; -schar werk abtragung einer gülte
durch körperliche arbeit, operae dominicales servitia domi-
nicalia Scherz-Oberlin i, 577; o. d. j. 1616 bei Schmel-
ler-Fr. 1, 909; -verschreibung wie gültbrief: zinsz,
den . . . die Teutschen . . . ein gülte, den brief aber,
darein sich einer zur bezalung verobligiert, eine gült-
verschreibung nennen Balth. Lang zinszscharmützel 2 ;
die loskündigung der gültverschreibung auf einen wieder-
kauf {rüchhauf) richten Sfeidel speculum iuridico-polit.
(1683) 547'*; -weis, adv., s. oben A 3 d; -zeit, vgl. geltzit
Lexer 1,828: we on gheven...to der vorgenomten ghulde-
tid veftein mark (1383) urkdb. d. höchst. Hildesheim 7, 421;
ir erben . . . dem gotzhaus . . . järlichen ... zu rechter
gultzeit zu herrengxdt reichen . . . sollen . . . zehen gülden
(1479) bei Haltatjs 723; die giltzeit ist der tag, daran die
gilt musz bezalet werden Estor rechtsgel. 3 (1767) 1214.
2 GÜLTE, m., -]&n-ableitung zu gelten oder wahrschein-
licher -&n-bildung zu gülte; ein alem. wort, im n. sg. öfter
apokopiert gült; in der bedeutung mit gelte, m., s. teil
4, 1, 2, 3062 zusammengehend, ähnlich wie ^ gülte in wech-
selseitiger anwendung für Schuldner und gläubiger, vgl. auch
gelter teil 4, l, 2, 3096 und gülter.
1) 'Schuldner' : ist auch, dass unser burger deheiner
umb sin gült hinusvert und den gülten benotet an lib
oder an guot, . . . das enmag nieman verbieten (1315)
bei Greinbr d. ölt. recht von Bottweil 169; burger . . . uf
ihr almende genomen hant vier tusendt und hundert
gülden . . . und unser gulten worden sind (1363) bei
Haltaus 723; als . . . unser lieber herre graff Hans von
Habspurg . . . unser rechter Schuldner und gult worden
ist an . . . graf Rudolfs von H. seligen statt in alle der
wise und in allem dem rechten als er sich verbunden hatt
. . . gegen der bescheyden frouwen (1387) ebda 724; das
wir als rechter gült und Schuldner . . . zugesagt die ge-
melten angülten und mitschuldner und ouch die yetz-
geschriben bürgen (1476) mon. Habsburgica I 2, 190 Chmel;
im 16. jh. noch in hauptgülte der eigentliche Schuldner
Fischer schwäb. 3, 1251 ; s. a. Scherz-Oberlin 621/.
gegenüber mitgülte dem mithaftenden bürgen, s. teil 6, 2350.
2) 'bürge', wie angülte {s. Fischer schwäb. 1, 214;
Stafb-Tobler 2, 289) und mitgülte («. o.): der küng . . .
gab . • . ainen besigelten brief, die schuld ze bezalen,
darnach uff die nächsten pfingsten, mit vil gülten, die
da nach dem solten leisten, wenn si gemant wurden, das
zil ging usz und solliche schuld ward nit gezalt und dar-
nach mantend sy die gülten . . . das sy solten laisten
(1431) Richental chron. 148 lit. ver.; expromittere sich
zum Schuldner verbinden und mit im geloben, . . . gült
und bürg sein Frisius (1556) 520''; so hätten wir gleich-
sam gülten und bürgen darfür, dasz es nimmermehr
wurde ein Verwüstung werden (1655) bei Statjb-Tobler
2, 289. vgl. auch gültschaft sp. 1093.
3) 'gläubiger' : sterbent aber die bürgen, e daz dem
gülten werde vergolten, so sol er es wider han uf in,
den schuldiner, und sine erbin (1275) recht d. st. Freiburg
81 Schreiber; vgl. ebda 85 u. ö.; meinte aber der Schuldner,
der gült hätte pfänden genuog für sin schuld (1480)
Stattb-Tobler 2, 289; doch ist der gült der nächste erb
(1721) ebda; noch lebendig im appenzell., vgl. ebda und
Tobler appenz. 232\
'GÜLTE, /., s. gilde.
GÜLTEN, gilten, vb., von ^ gülte, gilte abgeleitet, auf
obd. boden, bes. im westen heimisch.
^) bezahlen {vgl. ^ gülte A eingangs): wir haben denn vor
bezahlt die erbern lüt, denen wir gülten sollen (1445) bei
StAUB-ToBLER 2, 290;
wo ich find feil ein eisern hut,
der mir vor lügen möcht sein gut,
und einen schUd gewisz vor schuldten,
die zweig wolt ich gewisz thewr gülten
in einer Freidankrecension bei Zinkgeef apophtheg.
(1653) 3, 213;
vgl. zwi-, drigülten doppelt, dreifach bezahlen bei Lexer
3, 1216 und nachtr. 126.
2) abgäbe leisten, vgl. ^ gülte A 3: und mit nomen güldet
jede vorbenannte hueb besonder einem jeden herrn dom-
propst j ehrlichen ein fueder wein, ein malter kom und
41/2 wurzb. Pfenning {vMrzburgisch 1396) weist. 6, 83
(oder = giltet, zu gelten 4b?); zwei guter, die zusammen
... 8 herbsthühner, 2 fastnachthühner, 100 hersbsteier
und 100 Ostereier gilten (1435) bei Fischer schwäb. 3, 917;
die pischof . . . wolten solche steur ir arme leut, so in
gülten, nit geben lassen Aventin 5, 415, 4 Lexer; jeglichs
jar zwo million lötigs golts zu gülten und zu gelten
Fischart Oargantua 430 ndr.; bis ins 19. jh. als 'zins
leisten' erhalten, jetzt woht untergegangen, s. Fischer
schwäb. 3, 917.
3) zins erheben, vgl. ^ gülte A 3 m. 4; so ist doch soliches
eigne gülten one consens oder bestetigung zu machen . . .
ein abwege österr. weist. 10, 55, 14, im sinne von zins dar-
auf schlagen vgl. ebda 54, 16. heute noch gülten 'schuld-
briefe auf sein gut machen lassen' Statjb-Tobler 2, 290.
GÜLTER, m., nomen agentis zu gülten, oder wahr-
scheinlicher ableitung von ^ gülte wie ^gülte {s. d.), in der-
selben zweiseitigkeit der bedeutung wie dieses und gelter, m.
(5. d. nr. 2 und 3).
1) gläubiger, nur fürs spätmhd. belegt:
so tno dein gschäft pei gsuntem leben,
das du daz schuldig mügest schaffen
dein gültern Wittenweiler ring 5170 Wieszner;
hat er {der Schuldner) dann nit zu gelden, so mach in
{den kläger) zu einen gesworenen gulter (14./15. jh.) stadt-
gesetze von Eger 23 Khull.
2) Schuldner:
wir haben noch so vil der paurn,
desgleichen gulter, gelt und körn
J. Ayeer dram. 5, 3179 lit. ver.
GÜLTIG, giltig, adj.
form und Verbreitung.
abgeleitet von dem verbalabstractum ^ gülte, /.; das wert
ist nur auf hd. gebiet heimisch, seit dem 17. jh. in^ schwed.
gedrungen als giltig Hellquist et. ordb. 187 *; als gyldig
auch ins norw.-dän. entlehnt Falk-Torp 1, 363.
1085
GÜLTIG
GÜLTIG A 1-3
1086
1) seit anfang des 14. jh. bezeugt, zunächst als gültig
(1319) bei 3. A. v. Brandis gesch. d. landeshauptleute v.
Tirol (1850) 34 und guldiger (1324) urkdb. d. stifles Kloster-
neuburg 210 Zeibig; gültig (1356) bei Fischer schwäb. 6,
2079. etwas älter ist das compositum hochgültic Hugo
VON TrIMBERO 431; 13489 U. Ö.; NlCOLAUS VON StRASZ-
BüRG bei Ppeiffkr myst. 1, 269, das aber eine selbständige
Weiterbildung des altern adj. höchgülte, 5. Lexer 1, 1315,
sein kann, die formen ohne umlaut reichen bis ins 16. jh.:
hochgultigst Thurneisser magn. alchym. (1583) 45; gül-
tig ScHERDiGER novae novi orbis historiae (1591) 422, ver-
einzelt bis ins 17. jh. MiCRÄLlus altes Pommerland 3, 574;
mit medialem dental: guldiger (1324) s. oben; bes. md.:
guldegeme {rheinfrk. 15. jh.) weist. 4, 623; guldig (1483)
urkundenb. v. Freiberg i. Sa. 2, 370, 30; goldigen (1618)
acta publica Verhandlungen d. schles. fürsten 1, 58 Palm;
güldig Harsdörffer frauenzimmer gesprächsp. (1641) 2,
19. in der folge steht gültig als die hauptform des Worts
bis in die gegenwart durch.
2) neben den formen mit -ü- und -u- stehen seit dem
16. Jh., häufiger seit dem 17. jh. solche mit -i-, ein verein-
zeltes frühes giltig (1319) bei J. A. v. Brandis landeshauptl.
V. Tirol (1850) 44 neben mehrfachem gültig im gleichen
Urkundenstück; bair.-österr.: giltig Huberinus christl.
ritter (1558) D 7^; GuARiNONiüS grewel der verunLstung
(1610) 225; giltige v. Ayrenhoff w. (1814) 2, 248; mund-
artlich gUti Schmeller-Fr. l, 910; alem. bes. schwäb. in
nachgiltig S.Frank chron. zeylbuch (1531) 121; Thur-
neisser erkl. d. archidoken (1575) vorr. 3, vgl. auch giltig-
keit Dannhawer catechismusmilch (1657) 5, 825; giltig
Wächter (1737) 590; Uhland ged. (1898) l, 69; mundart-
lich neben gültig Fischer schwäb. Z, 918; auch neben
geltig Staub-Tobler 2, 290; bes. ausgedehnt sind die -i-
formen bei md. autoren: nachgiltig Aler (1727) 1432*;
giltig GöTHE II 5, 1, 169 W.; giltige M. I. Schmidt gesch.
d. Deutschen (1778) 4, 89; giltigsten GöRRES ges. Schrif-
ten (1854) 1, 419; im östl. md. giltig S. V. Birken verm.
Donaustrand (1684) 221, vgl. giltigkeit 0. Ludwig ges. sehr.
(1891) 2, 361, vor allem obersäclis.: giltig Ludwig teutsch-
engl. lex. (1716) 820; Reiskb Demosthenis und Äschinis
reden (1784) l, 362; O. Peschel völkerkde (1874) 15; gil-
tigen (dat. sg.) Treitschke histor. u. polit. aufsätze (1886)
1, 107; gütigkeit H. Lotze mikrokosmos (1856) 1, 28; RiCH.
Wagner ges. sehr. u. dicht. (1897) 9, 72 und schles.: gütig
(1621) acta publica 4, 130 Palm; gütige G. Freytag ges. w.
(1886) 17, 17; gütigkeit Lohenstein Arrn. 2,697^; Holtei
erzähl, sehr. 3, 98, doch auch sonst auf norddt. boden:
gütigmachung Jagemann (1799) 522; giltigkeit Immer-
mann 5, 93 Hempel; Mommsen röm. gesch. (1874) 2, 143.
3) ndien gültig und gütig steht in gleicher bedeuiung
älteres, aber sehr viel selteneres geltig; schon bei Wolfram
VON Esohenbach geltio Willehalm 279, 12; Schweiz, geltig,
glichgeltig Staüb-Tobler 2, 281, eis. in zinsgeltigen (n.
pl.){lZ39) weist. 4, 186, fränkisch in nichtsgeltig Melissus
psalm. T 2^, schles. in geringgeltig Butschky kandei 168.
4) auf grund der bildungsart, der anfänglichen bedeutung
{s. unten A) und der früheren und überwiegenderen bezeu-
gung erweist sich gültig gegenüber gütig als die grund-
form, die auch nach dem eindringen von gütig in die
Schriftsprache stets die vorherrschende blieb, gütig kann
nach seiner vorwiegenden bezeu^/ung im entrundungsgebiet
{bair. alem. md.) als entrunduTig eines ursprünglichen
gültig oder auch als ableitung von gute [s. o. sp. 1075) an-
gesprochen werden, da aber das ursprünglich vom subst.
gülte, gute abgeleitete adjectiv im laufe seiner bedeutungs-
entwicklung immer mehr, vor allem seit dem 17. jh., unter
den einflusz des verbums gelten geriet, ist wahrscheinlicher,
dasz das vordringen des verbalen bedeutungsgehalts au,ch
die aru/leichung der form an die -i-formen des verbs nach
sich gezogen hat, zumal gerade im 17. jh. die form gütig
häufiger wird.
bedeutung und gebrauch.
von gültig lassen zwei gruppen erkennen, von denen die
eine (A) durchweg an das subst. gülte anknüpft, die andere
(B) nur auf das verb bezogen wird und mit dessen gebrauch
parallel geht, auch von dieser seile her wird die frage einer
zwiefachen herkunft des worts, vom nomen und vom verb,
aufgeworfen, insbesondere da gütig in einwandfreier Ver-
knüpfung mit dem Substantiv zu fehlen scheint, in dem
verbalen bereich B schon früh, nach vereinzelter, unsicherer
bezeugung zu anfang des 14. jh., seit dem 16. jh. auftritt,
doch überwiegt auch in B die form gültig, in jedem fall
ist zu bemerken, dasz der bedeutungsgehalt des adjectivs
gültig in seiner entwickelung wesentlich stärker vom verbum
gelten als vom subst. gülte bestimmt wird.
A. zu gülte,/.; seit dem 14. jh. bezeugt und schriftsprach-
lich bis ins 17. jh. reichend.
1) 'zinspflichtig', zu gülte A 3 'abgahe' : der hof . . . get
von uns zu lehen und ist auch gültig (1356) bei Fischer
schxoäb. 6, 2079; {die klöster) nomend des adels kinder ab
denen orten am meisten, zu welchen sie glegne güeter
und gült hattend, damit inen dieselben dester basz ge-
schirmpt und dester giütiger wesind J. v. Watt dt.
histor. sehr. 1, 424, scho7i mit anklang an giütig A 2; vgl.
auch zinsgültig: freies lediges eigen . . ., das nicht borcht-
haftig sei noch zinszgültig (1401) mon. Boica 25, 171.
2) 'einträglich^ vgl. gülte A 4 und gelten 4 c : die nunneu
. . . wurden ze rat mit sampt uns {dem bürgermeister), daz
sie die einen {badestuben) fuder {fürder) liezzen gen, so
wurd deu ander dester guldiger (1324) urkdb. d. st. Kloster-
neuburg 209 Zeibig; der kucks {teil einer bergwerksgrube)
ist . . . guldig {vorher: gewinnhaftig) wurden (1483) urkdb.
V. Freiberg i. Sa. 2, 370, 30.
3) 'ertragreich', 'vollwertig\ 'ausgereift^ 'gehaltvolV , zu
gülte B: der pluger sal dienen dem pfaltzgraven . . . bit
wizeme silber, guldegeme körne (15. jh.) weist. 4, 623; wo
. . . die mühle auch wohl zugerichtet und ganghaftig und
das getreide güldig ist, mag man einen müUer annehmen
haushaltg. in Vorwerken 155; das getreid behalten, bisz es
gültig oder werth wirdt caritatem exspectare Henisch
(1616) 1777; im gleichen sinne auch: recht reife und gültige
melonen (1772) bei Staüb-Tobler 2, 290. bergmännisch
von erzen, häufig componiert weisz-, rotgültig: weisz- und
rothgültig oder gülden ertz heisset deszwegen nicht gültig
oder giüden, dasz es gold führe, sondern dasz es reich-
haltig sei und die kuxe viel gelten Minerophelus neues
. . . bergwerckslezikon (1730) 319; {beim schmelzverfahren)
sollen der Schichtmeister und schmeltzer zu guldigem
ertze hart blei, glet {bleioxyd) und stein nicht sparen
(c. 1500) urkdb. v. Freiberg i. Sa. 2, 491, 23; ertz {im gegen-
satz zur tauben oder leeren bergart) heist, was gut und
gültig ist imd metall füret Mathesius Sarepta (1578) 28^';
rothgültigerz ein reiches Silbererz, das nebst silber
Schwefel, antimon und arsenik enthält Scheuchen-
stuel öslerr. berg- u. hüttenspr. (1856) 198. z. t. vermischt
mit güldig 'goldhaltig', vgl. rotgüldig teil 8, 1309; s. auch
güldig und güldisch oben sp. 1070. kostbar von der qualität
des Stoffes; von metallen: {sie haben die) ducaten . . . des
Silbers, das zu schwer und wenig giütig were, nichts
geachtet A. Scherdiger novae novi orbis historiae (1691)
422; metaUen, aus einem in das andere verwandelt, . . .
besser und gültiger . . . werden Prätorius wünschelruthen
204; sonst: carmesingefärbte tücher, welche an der
färb gültiger als das tuech selbsten bei Schmeller-Fr.
1, 910; gültig thewre weiherfisch pisces lacustres pretiosi
Henisch (1616) 1777. in diesem sinne wohl auch noch
zu verstehen:
wie uns betrug geschieht
gar leicht mit edlen steinen,
die manchem, der sie sieht,
recht, acht und gültig scheinen
C. Knittkl poet. sintienfrüchte 165.
häufig in dieser bedeutung componiert s. hochgültig teil 4,
2, 1622, geringgültig teil 4, 1, 2, 3703, ringgültig teil 8, 1010,
nachgültig teil 7, 66; kein solches vögelein, das doch ein
unnutz noch gültiges {zu lesen nachgültiges) vögelein ist,
ohn den willen gottes auf die erden fället Widmann
Fausts leben 52 Keller, in kreuzung mit der verwen-
1087
GÜLTIG A 4-5. B 1-2
GÜLTIG B 3
1088
düng A 5 : derhalben zu gleicher weis wie ein gering gültig
pferd, welchs zu vilem geprauch dienstlich sein mag,
disem fürzusetzen ist, das vil kostet und weniger ist zu
geprauchen Fischärt 3, 241 Hauten.
4) übertragen, 'wertvoll' im geistlich-sittlichen bereich,
vgl. auch gelten 7 c : daz hochgültig wirdig verdienen
unsers herren myst. 1,269 Pf.; (Christi) gültige, glück-
hafte . . . seelige höUenfarth G.Teeueb dt. Dädalus 1, 327.
anders:
nlm weg die eitelkeit von allen unsern werken,
was wird dir übrig sein und gültig zu vermerken?
LOGAU sämtl. sinnged. 458 Eüner;
mehrdeutig, da auch nach B 3 b deutbar: was einer recht
und gut, der ander vor nit gültig achten will J. Mechtel
Limburger ehr. 17 Knetsch; dein grosses almusen, hilf und
stewer der armen leut . . ., das ist giltig und in grossem
ansehen vor gott Huberinus christl. ritter (1558) d 7''.
5) 'wert', d. h. einem bestimmten geldwert entsprechend,
doch vgl. auch gelten 7 b /3 : für einen köpf pecher von
Silber fünfzig pfund Ferner gültig (1319) A. v. Bbandis
gesch. d. hauptl. v. Tirol 34; brachte ichs an mich und
darzu nicht einmal um halb geld, was es gültig war
Gbimmelshausen Simplicissimus 262 ndr.; mit einem
schönen creutz . . . über 200 luis d'or giltig S. v. Birken
verm. Donaustrand (1684) 221.
B. der weitaus überwiegende gebrauch von gültig, giltig
entspricht dem des verbums gelten, seit dem 14. jh., vom
17. jh. ab fast ausschlieszlich so verwandt, bes. im über-
tragenen gebrauch, gültig 'geltend, durch Satzung', legiti-
w,us, oder 'allgemeine anerkennung, geltung besitzend' , pro-
batus, usualis; entsprechend dem bedeutungswandel von
gelten, s. d. 7 ff., teil 4, 1, 2, 3075/7.
1) von der münze.
a) vcm dem wertgehalt {vgl. gelten 7 a a) : ein pfenning
. . ., wie gültig der ist, den sol er ver guet haben (15. jh.)
tirol. weist. 1, 324, 19; mit einem schnöden ducaten . . .,
der am körn oder gewicht den andern guten nicht gleich
gültig geachtet Korchhof wendunmuth 351 österley.
b) von der landschaftlich verschieden geltenden Währung
{vgl. gelten 7 a jS) : einwächselung der in Hungarn güldigen
Sorten (1618) acta publ. l, 58 Palm; kupferne pfenninge . . .,
die . . . bei frembden nicht gültig waren J. Micrälius
altes Pommerl. (1640) 3, 574;
nimm diesen säckel, jeder grifi giebt dir des golds
zehn wichtge stück, im lande gültig, wo du weilst
TIECK sehr. (1828) 3, 133.
2) von Satzungen, bestimmungen, Vereinbarungen recht-
licher art {vgl. gelten 9 e), 'rechtskräftig' , 'rechtsgültig' .
a) zuerst von Schriftstücken, bes. von testamenten: ich
• . . will, das dises mein letstes testament allein giltig
sei nach den rechten eines testaments (1319) J. A.
v. Brandis gesch. d. landeshauptl. v. Tirol 44; ein gültig
testament Ramler fabell. (1783) 1, 96; auch im neueren
recht noch ist das testament gültig R. v. Jhering geist
d. röm. rechts 136; ständische ausschnittsobUgationen
wurden . . . gegen andere gültige staatscreditpapiere . . .
verwechselt Nicolai reise d. Deutschi. u. d. Schweiz 3, 317;
was gültig ist als pasz, durch dieses tor zu kommen
Fr. Eüokeet w. (1867) 8, 617;
ein Indossament ist gültig, wenn der Indossant . . . seinen
namen auf die rückseite des wechseis . . . schreibt allgem.
dt. wechselordg. art. 12; (er) bedarf . . . eines giltigen
legitimationsscheines handwb. d. staatswiss.^ 4, 489; in
der Umgangssprache bes. von fahrscheinen und eintritts-
karten {vgl. gültigkeitsdauer).
b) von durch das rechtsverfahren als gültig bestätigten
Vorgängen, einrichtungen, bes. in Wendungen wie für gültig
erkennen, erklären: die handlungen der reichsstände
solten vor gültig erkennet . . . werden Zesen gekrönte
mxLJ. (1661) 158; eine auszergerichtliche Schenkung für
gültig erkennen J. Moser sämtl. w. 1, 201 ; ich halte da-
für, der Wucherer seie unter den gültigen sachen, weil
den menschen vonnöthen ist, dasz sie einander geld
leihen B. Schupp sehr. 721; bes. von der ehe, s. auch un-
gültig und gültigkeit l: aus gültiger ehe entsprossen
A. v. Aenim w. 8, 307 Qr.; die ehe . . . für gültig . . .
erklären Ranke dtsche gesch. im Zeitalter d. ref. (1867)
3, 95.
c) innerhalb des gerichtlichen Verfahrens selbst; im ersten
beleg bereits uneigentlich: {den papst wählen) durch men-
schen urteil . . ., die alle falsch seind und nichts gültig
noch werth Paracelsus op. (1616) 2, 593;
das recht, das uns gesetze giebt, . . .
und giltig urtheil spricht
Uhland ged. (1898) 1, 69;
zu einem gültigen richterspruch gehöre auch, dasz der
richter keinen willkürlichkeiten räum gebe Ranke sämtl.
w. 40/41, 290; weil keine rechtmäszig- und giltige Ver-
antwortung . . . anzutreffen, wurden wir sämtlich rele-
girt Gbimmelshausen simplic. Haspelhannsz (1684) 81;
drum könte ich . . . schweren, dasz ich ihn für keinen
gültigen zeugen erkennen kan H. Lindenborn Diogenes
1, 357; sie sind minorenn, ich kann ihre aussage nicht
als gültig annehmen Nestroy ges. w. (1890) 2, 57;
ihr Engelländer streckt die räuberhände
nach diesem Frankreich aus, wo ihr nicht recht
noch gfiltgen anspruch habt auf so viel erde
als eines pferdes huf bedeckt Schiller w. 13, 233 G.;
in dieser function weiter lebendig, wie die Übertragungen
zeigen {s. 3).
d) vom gesetz, der rechtsordnung :
. . . des Oppius gesätz ist abgebracht,
das aber von stund an der kaiser gültig macht
D. C. V. Lohenstein Ibrahim sultan 36 ;
tze, . . . welche noch bis dato . . . insgemein die gül-
tigsten Leibniz dt. sehr, l, 273; er kannte das dort gültig
lübsche recht J. H. Voss antisymbol. (1824) 2, 179; eine
ideale gesetzgebung für alle zelten und alle fälle gültig
Savigny V. beruf unserer zeit (1814) 7;
es darf nicht sein: kein ansehn In Venedig
vermag ein gültiges gesetz zu ändern
(a decree establUhed) Shakespeare (1797) 4, 118.
e) von vertragen u. ähnl. : darumb er denselben {d. i.
accord) nicht so in allem gültig sein lassen B. Ph. v.
Chemnitz schwed. krieg 2, 210^; diesen vertrag als gültig
anzuerkennen Ranke sämtl. w. 4, 27; der fremde . . .
konnte keine gültige geschäfte . . . geltend machen
Niebuhb röm. gesch. 1, 391.
f) im öffentlichen leben: z. b. das jetzt gültige meter-
masz Fr. L. Jahn w. (1884) 2, 6; nach dem bis 1760 gül-
tigen schulplan Justi Winckelmann 1 (1866) 23.
3) in übertragenem gebrauch nach gelegentlicher Verwen-
dung im 16. jh. {s. oben Paracelsus 2, 593), ausgebildet
seit dem 18. jh., im engeren anschlusz an B 2, mit oft noch
wörtlichem anklang an diese rechtssprachliche Verwendung
(gültiges gesetz, urteil, gültiger richter, zeuge u. ä.).
a) geltung nach dem wert innerhalb einer logischen ge-
dankenfolge oder eines bestimmten geistigen Zusammen-
hangs, vgl. gelten 9 c cf; die relative gültigkeit ist dabei zu-
weilen besonders hervorgehoben: {das wort) absolut . . . dem
blosz comparativ oder in besonderer rücksicht gültigen
entgegensetzen Kant 3, 253 akadem. ausg.; nach den ge-
setzen der sinnenwelt und des in ihr gültigen mecha-
nischen Systems ganz richtig Jung-Stilling sämtl. sehr.
6, 391; nun ist das, was von Übertragimg der geistigen
empfindungen auf thierische gesagt worden, auch . . .
von Übertragung der thierischen auf die geistige gültig
Schiller i, 164 G.; dem willen . . . kommt so wenig ein
beharren als ein vergehen zu, da dieses in der zeit allein
gültige bestimmungen sind Schopenhauer w. l, 369 Gr.;
so hat man sich gewöhnt, dem nur dramatisch giltigen
absoluten wert beizulegen Treitschke hist. u. pol. aufs.
1 (1886) 107; demgegenüber allgemein gültig {vgl. auch
die zss. allgemeingültig teil 1, 234): die allgemeine gültige
ordnimg Hegel w. (1832) 2, 280; ich mag keinen despo-
1089
GÜLTIG B 3
GÜLTIG B s
1090
tismus, auch nicht den der allgemein gültigen principien
G. Förster sämtl. sehr. (1843) 8, 99; damit seine wissen-
schaftlichen bestimmungen einen universelleren und all-
gemein gültigeren werth erhalten H. Steffens was ich
erlebte (1841) 3,253; in den allgemein gültigen gesetzen
der kunst 0. Jahn Mozart 4, 144; eine aufgäbe, welche
. . . noch zu keiner allgemein giltigen lösung geführt ist
Laistner nebelsagen 4; ähnlich: giebt es dabei {bei dem
Wohlklang der sprachen) etwas allgemeines und an sich
gültiges A. W. Schlegel im Athenäum l, 17.
a) im denkprocesz 'richtig', 'folgerichtig': wan ich dieses
urteil {über anwendung eines reimschemas) nicht fohr
tüchtig und gültig erkenne Ph. Zesen Helikon (1656) 3,
11; er musz in seinen Wissenschaften so gründlich sein,
dasz er ein gültiges urteil über den werth der dinge fällen
kann A. v. Haller tageb. s. beobachtg. 1, 32; gesetzt aber
auch . . ., man nähme den schlusz, hier wirkt eine innere
Ursache, als giltig an, so ist doch die folgerung übereilt . . .
GöTHE II 5, 1, 169 W,; keine folgerung scheint gül-
tiger sein zu können als die, dasz . . . Niebuhr röm.
gesch. 1,170; es wird also blosz darauf ankommen, ob die
erklär ungen gültig sind, aus denen der verf. den . . .
begrif der christlichen religion abgezogen hat allg. dt. bibl.
1, 2, 90; die einzig gültige Voraussetzung einer lebendigen
Wirksamkeit O. Jahn Mozart 1, 444.
ß) mehr auf ein ergebnis zielend, von wissenschaftlichen
gesetzen u. ä.: die hier {in der spräche) gültigen posi-
tiven gesetze können daher keine andern sein Adelung
lehrgeb. 2, 654; vergebens suchte er (Newton), sie {seine
messungen) zu allgemeinen Verhältnissen, zu durchaus
gültigen natmrgesetzen zu erheben Göthe II 5, 1, 173
W.; das princip, was durch die revolution . . . der
europäischen politik gegeben wurde, ist das nach meiner
meinung bis heute gültige Bismarck ged. u. erinner. 1,
190 volksausg.; {Benecke) stellt die für alle zeit gültigen
grundsätze der einrichtung altdeutscher texteditionen
mit erklärungen auf W. Scherer kl. sehr. 1, 90.
y) 'zuverlässig, beweiskraft besitzend" , häufig in der Wen-
dung gültiger zeuge, gültiges Zeugnis u. ähnl.; bes. in den
historischen Wissenschaften: er hat seine Zeitrechnung
nach den besten ausländischen geschichtschreibern ein-
gerichtet und gültige zeugen angeführet Gottsched d.
neueste a. d. anmuthigen gelehrsamk. 7, 824; nur derjenige,
der zwischen zwei verschiedenen epochen in der mitte
steht, ist ein durchaus gültiger zeuge der art ihres Über-
gangs W. V.Humboldt ges.schr. (1903) 2, 24; Jordanes
... ist in chronologischen fragen kein gültiger zeuge
MoMMSEN röm. gesch. (1894) 5, 218; auch sonst in all-
gemeinerer anwendung: empfangen sie die gültigsten
Zeugnisse von dem tode ihres mannes Fr. L. Schröder
dramat. w. (1831) 3, 87; öfter bei Göthe: was sich seit
jener zeit . . . entwickelt, davon gibt gegenwärtige con-
ourrenz ein gültiges zeugnisz 49, 376 W.; das gültigste
zeugnisz . . . durch that und arbeit selbst ablegen 44,
2, 351 W.;
wie auch das mlsgeschaflfne antlitz dir
ein gültig zeugnisz giebt von dem gemütbe
FoUQUfi held d. nordens (1810) 2, 112;
Treumunds lob ist der gültigste beweis ihres werthes
V. AyRENHOFF W. (1814) 1,248;
. . . um dir ein gültig zeiclien
von meiner danckbarlceit noch in der weit zu reichen
J. Chk. Günther ged. (1735) 766.
3) für anerkennende beurteilung 'ausreichend, befriedi-
gend begründet', 'stichhaltig' {vgl. gelten lassen unter
gelten 8 g) :
. . . was werd ich fürwenden für Ursachen,
die mein entschuldigung ihr gültig können machen?
DiKTK. V. D. Wkeder rasend. Roland (1636) 27. gesang 18. str.;
es soll mir sehr lieb sein, eine gültige entschuldigung für
ein betragen zu hören, welches einer entschuldigung zu be-
dürfen scheint J. J. Chr. ^ode Thomas Jones 6, 156; da
es vielmehr, wan diese uhrsache gültig, die sinische sein
würde Ph. Zesen rosenmänd (1661) 178; die lästerungen
IV. 1. 6.
eines ohne alle gültige Ursache gegen mich aufgebrachten
troszbuben Heinse sämtl. w. 10, 138 Schüddekopf; diese
widerstrebung gegen gründe, die mir gültig vorkommen
H. P. Sturz sehr. (1779) 2, 188; doch hatte er dafür, dasz
er sich nicht zu werken der schönen literatur entschlosz,
auch gültige, treffliche gründe Gervinus gesch. d. dt.
dichtg. (1853) 5, 168; er fand keinen gültigen einwurf wider
des (Crespo ansuchen A. v. Haller Usong (1771) 359; ge-
bildete leute • . . werden jedoch, eh sie händel anfangen,
nie ermangeln, vorher für einen gültigen vorwand zu
sorgen v. Gaudy sämtl. w. 13, 78; was versteht man nicht
alles unter bildung? und poesie allein scheint vielleicht
manchem kein gültiger anspruch dazu Fr. Schlegel
pros. jugendschr. 1, 61 Minor; die grosze betrachtungsart
der begebenheiten scheint die gültigste vollmacht bei
groszen gelegenheiten zu handeln Caroline i, 384 Waitz.
b) allgemeiner, was im leben geltung hat, gegenüber a in
einem mehr subjectiven Zusammenhang zwischen ding und
anerkennender, wertender umweit.
a) durch sein ansehen: so ist daz sacrament der weich
{weihe) bei inen etlichen gültig, bei etlichen aber nicht
Joh. Nas d. antipapist. ein« u. hundert 1, 136*; eure {der
heiligen) bildnussen . . . sein nichts bei denen ungehewren
köpfen {die an schamlosen darstellungen gefallen finden)
giltig; sie finden nichts an ewrem gottseligen leben
GuARiNONiüS grewel d. Verwüstung 226; beredsamkeit,
welche bei hofleuten und Soldaten güldig ist Harsdörfeb
frauenzimmergespr. 5, 442; weil der stand der geistlichen
allenthalben gültig, für fromm gehalten und beliebet
wird Olearius pers. rosenthal (1696) 28''; im sinne von
'für den gegenständ geeignet, berufen und anerkannt' in der
heute kaum noch üblichen Wendung gültiger richter: ich
verspreche meinem Laokoon wenig leser und ich weisz
es, dasz er noch weniger gültige richter haben kann
Lessing 17, 223 L.-M.; die leichten poesien der Inder lobt
herr Jones sehr, gewisz ein gültiger richter Herder «.
t». 16, 91 8.; wir sind so eingerichtet, dasz wir wohl selten
gültige richter dessen sein werden, was uns nützlich ist
Lichtenberg vermischte sehr. 1, 105; die geschichte, in
diesen dingen die gültigste lehrerin und richterin E. M.
Arndt ausgew. w. 13, I5l Meisner- Geerds.
ß) durch seine vnrksamkeit, seinen einfiusz; von gedan-
ken, Worten, handlungen u. ä.:
wo änderst kraft mein bitten hat
und gültig ist im liimmel hoch
Spkknq Äneis 119«;
wie gültig und nutz solliche lehr und red were Guabi-
NONius grewel d. vervMstung 80;
freund, wenn die dankbarkeit durch worte gültig war,
so schwur ich dir anjetzt . . .
Gottsched dt. Schaubühne 5, 11 ;
weil die vorspräche eines mannes sehr gültig war Th.
Abbt verm. w. (1768) 2, 34; für uns musz immer gültig
bleiben der alte Wahlspruch, dasz die gottseligkeit zu
allen dingen nütz ist Schleiermacheb sämtl. w. 2, 4, 2;
da ihr euer vorhaben und rathschläge mit einer erspriesz-
lichen that . . . gültig machen werdet Reiske Demosthenis
und Äschinis reden (1764) 1, 333;
so müsse mein bemühn die hölle dir versühnen,
es müsse gültig sein und dir zur ruhe dienen
J. E. SCHLKGKt VI. 1, 18;
am dritten tage . . . faszten {sie) den gültigen entschlusz,
in Lüderitzbucht . . . bauarbeiten auszuführen Hans
Grimm volk ohne räum 2 (1923) 147; es wuchs ihm von
dorther doch eine ahnung dessen, dasz es noch gültige
kräfte gäbe, die nicht auf arm und lenden allein ge-
stellt seien Kolbenheyer Paracdsus (1926) 3, 294; ge-
wählt in der bedeutung 'treffend' : als Joie ihr beider gefühl
mit einem gültigen wort benaimt hatte Bindinq opfer-
gang 30 inselverl.
y) bes. durch seine beurteilung seitens der menge, des
durchschnitts, leicht pejorativ gefärbt: und musz nur das-
selbe . . . gelten, was die herrschende gewohnheit der
weit als gültig zulesset Schottel friedenssieg 10 ndr.;
69
1091
GÜLTIGEN — GÜLTIGKEIT
GÜLTIGKEIT - GÜLTIGMACHUNG 1092
diese meinung eolte wol an diesen orten gültig sein, da
die leute nackend gehen Harsdöefkb frauenzimmer-
gespr. (1641) 1 o 4^; künstler . . ., deren mehr oder weniger
gültige meinungen er aufzufassen . . . wuszte Göthe 46,
34 W.; und doch ist jene durch bedingungen sogleich zer-
störte lehre noch immer die gültige II 2, 200 W.; dasz
diese bunte zusammenfügung territorialer gewalten ein
der . . . erhaltung werthes ganze bilde . . ., das waren
nun einmal die gültigen Vorstellungen L. Häuszke dt.
gesch. (1854) 1, 243; die bisher giltige Vorstellung von der
beharrlichkeit der artenmerkmale Pbsohel völkerkde.
(1874) 15.
GÜLTIGEN, vb., nur in Wörterbüchern begegnend: gül-
tig machen, gültigen validare (d. h. bestätigen, rechtskräftig
machen) Kramer teutsch-ital. (1700) 1, 503"; Campe 2,
480*; vcUider, legitimer, sanctionner Mozin wb. d. frz. spr.
8 (1856) 805^.
GÜLTIGKEIT, /., adjedivobstradum zu gültig mit
denselben formvarianten (s. d.).
A. die bedeutung 'wert' begegnet nur in der ableitung von
compositis, s. bei gültig A 3. 4 ; mhd. hochgültigkeit, vgl.
hochgültig, oben sp. 1087 : daz er an dem kriuze erstarp . . .
daz was allez ein verdienen immeziger höchgültikeit
myst. 1, 281 Pf.; ähnlich ebda 299; frühnhd. geringgültig-
keit, s. oben sp. 1086 : gleichsam . . . Donatus, Arrius recht
von der geringgültigkait Christi gehalten Joh. Nas d.
antipap. eins und hund. 3, 43*; geringgiltigkeit vilitas,
levitas, exilitas, ignobilitas Henisch 1517.
B. die vorherrschende bedeutung ist 'geltung^ nach gül-
tig B 2.
1) von Satzungen rechtlicher art; beim rechtsverfahren,
entsprechend gültig B 2 c : so sollen wir beider theil unser
schiedliche rethe ... in die stad schicken . . . und fleisz
thun, die Sachen gutlich czu richten, ob sie aber die
gultigkeit alsdann nicht erlangen mochten, so sollen wir
einen obmann benennen (1459) bei Longolius sichere
nachr. (1751) 2, 28; vo7i Schriftstücken {s. gültig B 2 a): die
gultigkeit eines testaments Liscow samml. sat. u. ernsth.
sehr. (1739) 147; die gultigkeit der {geld-) verschreibung
G. Forster sämtl. sehr. (1843) 5, 34; ihre reisepässe . . .
seit monaten nicht mehr visirt und abgelaufen, hätten
streng genommen keine giltigkeit mehr gehabt Holtei
erz. sehr. 3, 98; für rechtsgültig erklärte handlungen («.
gültig B 2 b) : die gultigkeit einer abgezwungenen wähl
Lohenstein Ärminius 2, 1296*; die gultigkeit der heirath
Rädlin (1711) 1, 416*; die gultigkeit der kindertaufe
K. L. v. Haller restaur. d. staatswiss. 4,97; wo das
bundesrecht für die gultigkeit eines rechtsgeschäf tes keine
besondere form vorsieht Schweiz, civ.-ges.-buch art. 10;
vom gesetz {s. gültig B 2 d): jedes recht, welches in dem
siegenden Staate gultigkeit haben mochte Savigny gesch.
d. röm. rechts l, 94; jede abänderung der bestimmungen
des grundgesetzes . . . bedarf ... zu ihrer gultigkeit der
genehmigung des bundesrats bankgesetz (1875) § 47; von
staatsrechtlichen vertragen {s. gültig B 2 e) : sie {die chatte)
ist weniger ein zu voller gultigkeit gelangter vertrag als
ein Vertragsentwurf Ranke w. 14 (1875) 65; auch manche
der andern bundesgesandten bezweifelten die giltigkeit
der neuen verfassimg Treitschke dt. gesch. im 19. jh.
(1897) 4,99; im öffentlichen leben {s. gültig B2f): eine
dauernde gultigkeit können sie {die Preislisten) über-
haupt nicht ansprechen Stöckhardt ehem. fddpred.
1, 140.
2) übertragen, wie gültig B 3 ; der beschränkte geltungs-
bereich wird hervorgehoben: dem poeten schadet der aber-
glaube nicht, weil er seinen halbwahn, dem er nur eine
mentale gultigkeit verleiht, mehrseitig zu gute machen
kann Göthe 41, 2, 55 W.; um . . . das theoretisiren des
Verstandes . . . von dem gebiet abzusondern, wo es keine
gultigkeit hat W. v. Humboldt ges. sehr. 5, 338 ; immer
aber hat das interessante in der poesie nur eine provi-
sorische gultigkeit Fe. Schlegel pros. jtigendschr. l,
83 M.; eine auf eine bestimmte periode beschränkte gul-
tigkeit Schleiermacher sämtl. w. i, 3, 75; demgegenüber
allgemeine gultigkeit: Wörter, die zu alt . . . sind, auch
keine allgemeine gultigkeit mehr haben briefe d. neueste
litt. betr. 20 (1764), 163; die allgemeine gultigkeit der von
mir angewandten grundsätze J. J. Engel sehr. 8, 240;
auch componiert: der volle denkact greift nach zwei rich-
tungen in das transsubjective hinaus: nach seite der all-
gemeingiltigkeit und der seinsgiltigkeit J. Volkelt quell,
d. menschl. gewiszheit 37.
a) geltung innerhalb eines geistigen Zusammenhangs;
im denkprocesz: um einem solchen begriffe aber objec-
tive gultigkeit . . . beizulegen Kant 3, 17 akad. ausg.;
wenn man . . . erkannt hat, was der satz vom gründe sei,
. . . worauf . . . sich seine gultigkeit erstrecke Schopen-
hauer w. 1, 12 Gr.; die resultate mögen . . . noch so sehr
eine unbedingte gultigkeit in anspruch nehmen Ranke
sämtl. w. 30, 3 ; von wissenschaftlichen geselzen, grund-
sätzen: selbst die ausnahmen zeugen also von der gultig-
keit des hauptgesetzes Herder w. 5, 99Ä.; die grenze
der gultigkeit des Maxwellschen gesetzes Boltzmann
popul. sehr. 32 ; man könnte vielleicht diesem grundsätze
. . . die hinlängliche gultigkeit absprechen W. v. Hum-
boldt ges. sehr. (1903) 1, 153; theorien . . . von sehr zwei-
felhafter gultigkeit JuSTi Winckelmann (1866) 2, 1, 123;
zweifei ... an der unbedingten gultigkeit der beiden
kriterien W. Scherer kl. sehr. 1,639; auch: solche ...
lebensregeln möchten . . . ihre praktische gultigkeit haben
E. M. Arndt l, 147 M.-B.; wissenschaftlich zuverlässig:
(Zeugnisse), deren gultigkeit ich . . . annehmen oder ver-
werfen . . . konnte Lichtenberg briefe (I90l) 2, 228;
bei der gultigkeit der historischen beweise stehen blei-
ben Gerstenberg recens. 238 lit.-dkm.; die gultigkeit
dieser beweise aber hängt von der . . . glaubwürdigkeit
der Zeugnisse ab Eschenbueg entwurf {n%Z) 286; Zwdngli
hat gegen die gultigkeit der wörtlichen erklärung . . .
eingeworfen Ranke dt. gesch. im Zeitalter d. ref. (1867)
3, 60.
b) allgemeiner was im leben geltung hat: gultigkeit
dignitas, aestimatio, excellentia Stieler 683; durch sein
ansehn; dieses opfer unendliche kraft, würde und giltig-
keit schöpfen muszte, der söhn gottes muszte in der
wag gleichsam das gewicht geben Dannhawer catechism.-
milch 6, 825 ; nebst der wachsenden gultigkeit des mensch-
lichen ansehens in glaubenssachen Gottsched d. neueste
a. d. anmuth. gdehrsamk. 3, 870; durch seine wirk-
samkeit:
der in der höh
ist von sich selbst bereit,
des Segens gültigl^eit
auf selbige (gaben) zu legen
Henrici ernst-, scherzh. u. sat. ged. 1, 32;
die gultigkeit des Versprechens Babo schausp. (1793) 10;
Cecilie glaubt an die gultigkeit, an die dauer dieser
schwüre Holtei erz. sehr. 19, 41.
3) compositionsbildung in beschränktem umfang im sinne,
von gultigkeit B: gültigkeitsbedingung, zu B 2 a:
(man) wäre genötigt, die bedingungen dafür jederzeit im
äuge zu behalten, sie immerfort als 'gültigkeitsbedin-
gungen' weiterzuschleppen E. Schröder algebra d. logik
1 (1890) 198; -bereich, zu B2a: doch sind die con-
stanten je nach . . . dem gültigkeitsbereich . . . anders
gewählt worden LuEGER 4, 451; -dauer, zu B 1, häufiger
begegnend: alle haben einen so wunderlichen pasz, so ohne
angäbe des reiseziels, ohne bestimmung der gültigkeits-
dauer Schleiden Studien (1855) 15; grenzkarten . . . mit
28tägiger giltigkeitsdauer handwb. d. staatswiss.^ 3, 1271;
die giltigkeitsdauer der neuen Vereinbarung ebda 5, 897;
-kraft zuB 2 a,: der historiker würde die gültigkeitskraft.
seiner forschungen überschätzen Börschel Scheffel und
E. Heim (1906) 139.
GÜLTIGMACHUNG,/., nur lexikalisch, Verdeutschung:
legitimation gültigmachung, erbfähigmachung Kinder-
LING reinigk. d. dt. spr. (1795) 293; Campe wb. z. erkl. u..
verdeutsch. (1801) 2, 442.
1093
GÜLTIGUNG- GUMMI
GUMMI
1094
GÜLTIGUNG, /.; rechtfertigung und giltigung alles
dessen, was . . . Fk. W. Riemer bei K. W. Müller
Oöthes letzte lit. tätigkeit (1832) 60.
GÜLTSCHAFT, /., bürgschaft: 150 fl. . . . mit bürg-
schaft oder mit gültschaft nach noturft versichern J.
V.Watt dt. histor. sehr. 3,274; vgl. "gülte.
GUME, GUM, GUMEN, m., s. gaumen teil 4, 1, 1, 1576^.
GÜMEN, vb., auch gumen, gummen gähnen, das maul
offen halten, ableitung von ahd. mhd. guomo, guome der
gaumen, der rächen, vgl. gaumen, s. teil 4, 1, l, 1581, gamen
ebda 1208 von goume: guemen (1445), güemen oscitare bei
Schmeller-Fr. 1, 913; gümen (15. jh. obd.) Diefenbach
nov. gl. 203=1; von tragheit, wann wir sitzen bei unerkanten
leuten, die wir gern on weren, oder von groben dünsten,
die der magen vol ist, gümbt der mensch Aristotelis pro-
blemata (1546) a6^; ein anderer grappelt in den zahnen
mit gummendem maul, als stehe schon das thor offen
zum mist ausführen Stranitzki ollapatrida 138 Wiener
ndr.; deminutiv-iterativ gummeln: vor gott gummeln und
betteln stehen G. Treuer deutscher Dädalus 1, 191 ; das
thränenreiche, heulende, seuftzende, gummelnde . . . ge-
bet ebda 606; intensiv gümizen: guemezen (1445) bei
Schmeller-Fr. l, 913; gümiczen hiare (15. jh. md.) bei
Diefenbach rwv. gl. 203*; gumezen gähnen Schköer wb.
d. dt. ma. d. ung. bergl. hl^.
GUMM, GUMME, m., n., s. gummi.
GUMME, GUMM, GUMMEN, m.. s. gaumen teil 4,
1, 1, 1576/7.
GUMMEL, /., ursprünglich bezeichnung für ein pferd:
die naohthalt {hüten zur nachtzeit) der rosz und gumeln
(1577) österr. weist. 8, 207; steir. noch für altes, abgetriebenes
rosz Unger-Khull 314^; son^t heute übertragen wie gurre,
mähre: üppig entwickeltes, rasch aufgeschossenes mädchen
oder dicke, ungeschickte, alberne Weibsperson, scherzhaft und
verächtlich, im bair. schles. schwäb.; eis. Schweiz, gumsel;
Benjamin zu Hagar:
botz taubennäst, botz hundert gummel,
du gehst gleich wie ein tiemmlsch bummel
N. Fkischlin dt. dichtg. 125 lit. ver.
GUMMELN, GUMMEN, vb.. s. gümen.
GUMMEN, vb., gummieren nach gumme (s. gummi)
gebildet: gummen gummire Henisch 1777; gummen mit
gumm steifen M. Krämer hochniderteutsch 2, 102*.
GUMMI, m., n.
herkunft und form.
vereinzelt schon im 13. jh. {s. u. l), allgemeiner im 15. jh.,
aus mlat. gum(m)i (auch gum[m]a, -um, s. Diefenbach
271*) entlehnt, das selbst über tat. gummi, cummi, n.,
griech. xöfi/ni, n., auf altägyptisch kmj.t zurückgeht, der
bezeichnung eines wohlriechenden harzes, vgl. E. Littmann
morgenländ. Wörter^ 12; H. Schulz dt.fremdwb. 1,258.
die fremde form ganz als deutsch empfunden: gummi la-
teinisch gleichfalls gummi Wirsung artzneib. (1588) reg.;
ältere eindeutschung zeigt die endungslose form gum in
selbständigem gebrauch zur glossierung von lat. armonia-
cum, euforbium, lacca u. ähnl. schon im 16. jh. bei Diefen-
bach 637 c; 641*; 642*; noch im 18. Jh.: der klare gumm
Brockes Jahreszeiten (1745) 215 und in mod. westl. ma.
Martin-Lienhart elsäss. l, 219*; rhein. wb. 2, 1486; El-
berfdder ma. 64*'; gumme bei Hesler («. u.) und (15. u.
16. ^'A.) bei Diefenbach 271*, ebenso bei Simon Roth dict.
(1572) 0 8**; noch Schweiz.: zweier gattig {gattungen) gu-
mene J. Gotthelf ges. sehr. 18, 75 ; daneben vereinzelt
gomme ndrh. 1507 bei Diefenbach gloss. 271* sowie
gummis,/., nach lat. cummis, gummis,/., Corvinus (1660)
1, 655; contaminationsformen, latinisierend: ein schäum
oder leimächtige gumia Zoleckhofer beschreibg. (1564)
157; entsprechend gummien (pl.) Harsdörfer frauen-
zimmergespr. 4, 469; weiterhin formen wie gumin, gum-
mig u. ä.
das genus schwankt im deutschen seit dem 16. jh. dem
lat. entsprechend scheint das n. vorzuherr sehen, so durch-
aus noch in den wbb. des 18. jh.: 'gummi n., von einigen
im deutschen irrig im, männlichen geschlecht gebraucht^
Adelung vers. 2, 841; heute neigung zum m., z. b. Seiler
kultur im spiegel d. lehnw. 2, 138; H. Schulz dt. fremdwb.
1, 258; Weigand-Hirt 1, 779; aber: 'gummi, n., österr.
als gleichberechtigt auch m., so auch volksmäszig bes. in
der bedeutung radiergummi' Duden (1929) 202''. gummi
gewöhnlich indedinabel: der mastix, die gummi, die glet
etc. vermögen nicht einen tropfen fleisch zu geben Para-
CELsus op. (1616) 1, i2; für den plural Umschreibung durch
aus lat. gummata gebildetes gummate: die mortification
der . . . gummaten Paracelsus op. (1616) 1, 895, ebenso
Kaltschmidt gesamtwb. (1834) 363*; für jüngere zeit
kennen gen. sg. und n. acc. pl. gummis Sanders 1, 639«,
Duden a. a. o.; von gum(me) starke und schwache plural-
formen (s. u.).
bedeutung und gebrauch.
1) ein z. t. in flüssigkeiten lösliches harz aus dem soft
verschiedener bäume, zunächst orientalischer: gummi ara-
bicum heizt ein arabischer zäher Konrad von Megen-
berg bu^ch d. nat. 369, 3 Pf.; in einem md. kräuterverzeich-
nis: armoniacum {harz des ammoniakbaums), euforbium
{der milcharlige soft eines afrikanischen gewächses), sarco-
colla {persisches gummi) u. a. ein gum Diefenbach 637 C;
641*; 644*; labdan, das ein gummi aus Cypern ist
Hebold-Forer Oeszners thierbuch (1563) 19; drithalb lot
des frembden gummi armoniaci W. H. Ryff spiegel u
regiment d. gesundheit (1544) 115*; ihr {einer amerikani
sehen baumart) schweres hartes holz . . . liefert ein röth
liches gummi G. Forster s. sehr. 4,192; auch von ein
heimischen baumarten, bes. von kirschbäumen: gummi kat
zen clare flinsche ( = kirschharz) vel gumme voc. lat. germ
(15. jh. md.) bei Diefenbach 271*; gummi gumme, bech
hartz, aber solches von weichsei- und kirschbäumen, das
fein braun ist, wie man an dem arabischen sieht, den
man für den besten achtet S. Roth teutsch dict. (1572)
G 8^; s. auch unten Sebiz feldbau (1579) 348; v. Fleming
d. vollk. t. Soldat (1726) 340*'; das fremde und das einhei-
mische gummi gegenübergestellt: gummi cerasorum kirsch-
bäumen gummi und gummi arabicum arabisch gummi
JoH. Orsäus nomenclator method. (1623) 243; in der teut-
schen spräche aber soll er {der Harz) den namen haben
vom hartze oder dem zehen safft und gummi, so häuffig
ausz den bäumen im walde fleust J. Prätorius Blockes-
berges Verrichtung (1668) 75; als krankheitser scheinung :
also wie ein bäum, wann er aus untauglicher erden die
nahrung an sich ziehen musz, von brand, wurm, gummi
und andern zufallen belästiget wird W. H. v. Hohberg
georgica curiosa (1682) 1, 155; au^h mundartlich für harz-
flu^sz, s. rhein. wb. 2, 1486; in dieser Verallgemeinerung er-
scheint es im gewöhnlichen Sprachgebrauch bis ins 18. jh.:
gummi wird insgemein eine jede gestandene öligte oder
hartzigte feuchtigkeit genennet, so aus . . . bäumen ge-
flossen und hernach hart geworden ist G. H. Zincke
allgem. Ökonom, lex. (1744) 1005; heute wieder beschränkt
auf das harz bestimmter tropischer bäume, aus dem insbes.
gummi elasticum gewonnen wird, s. u. 3. in dem weiteren
sinne nur noch fachsprachlich für bestimmte organische
safte überhaupt: die bestandteile der pilze sind . . . pilz-
stoffe, zucker, gummi, gallert Oken naturgesch. 3, 36;
gummi und rohrzucker gelangen durch die nahrungs-
mittel ins blut Sömmerring menschl. körper 6, 975 ; gummi
ein höher organisirter körper als zucker Sprengel ehem.
f. landw, 2, 167.
unbestimmter in den frühesten belegen als besondere
kostbarkeit:
stuchten (lat. Stades), gumin und resin
sol iuwer kleinöde sin £. v. Ems weltehr. 7644;
als räu^hermittel:
do wart im in daz vaz (d. i. rouchvaz) gegeben
ein brunst, allen guten smacken eben . . .
das sint al edele gumme,
die vor gote wol riechen
H. V. Hbsleb apokal. 12796 ;
1095
GUMMI
GUMMI (composita)
1096
vgl. der weyhrauch, die myrre, der mastik . . . und das
pech sindt gewisser bäume säfft und gummi Comenius
janua aur. vfling. (1643)39; vor allem als arzneimittel,
innerlich und äuszerlich {vgl. gummipflaster) angewandt:
wenn man den diadragant {ein harz) zerlaet in warmem
gerstwazzer und tuot dar zuo den zäher, der gummi ara-
bicum heiszt, und gorgelt in der kein damit, daz ist gar
guot wider die kalten huosten Konrad von Megenberg
buch d. nat. 376 Pf.; von pflastern ... da inne geent kost-
liche stugke zafEran, kamfir und edele gummen (1461) bei
Kriegk bürgerth. im ma. (1868) 73; euforbium, ein gumi
... ist gut, den unflat ausz zu ziehen ausz den glidern
T. V. Vachenbebg marg. med. (1516) 16v; balsamus ist
ein gumi . . . mit groszer, wolschmäckender subtiligkeit
Brattnschweig Chirurg. (1539) 117^; gummi von kirss-
bäumen . . . zermalen den . . . plasenstein Sebiz feldbau
(1579) 348; ... so wirst du sehen, dasz von diesem gummi
{pflaumenbaumharz) die wunde so bald zuheilen wird, als
wenn du ein ander kostbar pflaster darauf gehabt hättest
V.Fleming d. vollk. teut. aoldat (1726) 340*^; weiter als
färb- und bindemiUel: weullendoich . . . mit gallen, leck-
moisz ind gummen verwen (15. jh.) Kölner zunfturk. 2,
107; färben . . . einmachen und genau erkennen, zu wel-
chen gummi . . . erfordert wird v. Fleming vollk. teut.
aoldat 16; als schminke {vgl. gummiwasser) :
sie aber bleibt, wie sie ihr schöpler hat gezieret,
hat sich mit gumme nicht noch siiberglüt beschmieret
Zesen verm. Helikon 1, 76»;
schreibdinte ausz . . . kupferwasser gummi vmd wein . . .
zu machen Mathesiüs Sarepta (1571) c i^;
du must auch, fuhr die argllst fort,
mehr gummi in die dinte schmeiszen;
die schrift wird desto schöner gleiszen
Stoppe Parnasz (1735) 141;
zu rogeten {raketen) . . . zum zusatz griechisch hartz oder
reschen gummi, genannt colophonium L. Fronsperqer
kriegsb. 1 (1578) z 6v.
das schon früh {vgl. oben Konbad von Megenberg 369)
au^ den verschiedenen gummiharzen hervorgehobene gummi
arabicum aus der rinde, zunächst arabischer akazienarten
bleibt auch später von bedeutung: das gemein gummi,
welchs die apotecker arabicum nennen Ryff confectb.
(1548) d3^; auch übersetzt: ein ... linderung von ara-
bischem gummi Sebiz /eW6oM (1579) 75; in der folge auch
umgangssprachlich geläufig für das gewöhnlich aus ihm
hergestellte gummi 2, bes. zum unterschied von gummi
elasticum {s. 3) so benannt.
2) klebstoß, der seit dem 17. jh. in der Umgangssprache
aus der im täglichen leben gewöhnlichsten Verwendung des
Stoßes entwickelte sinn: denn diese {die liebe) ist . . . das
festeste . . . gummi der weit Lohenstein Arminius 2,
135* {vgl. zuvor: meine seele fester als eine klette klebt);
einem halben dürren leim oder gummi ähnlich (1732) bei
H.Schulz dt.fremdwb. 258; . . ., dasz man mit etwas
gummi ein . . . stück papier darauf leimt Lichtenberg
verm. sehr. (1800) 6, 470; mit jenem gummi, das aus der
rinde der arabischen acacia vera quillt, . . . bUder . . .
auf papier zu heften Gl. Brentano ges. sehr. 5, 4 ; so bis
heute vor allem gummiarabicum, s. oben l ende.
3) der feste elastische stoß, das gleichfalls aus bestimmten
gummiharzen durch eintrocknen gewonnene gummi elasti-
cum oder kautschuk, auch federharz genannt, 1736 in
Europa eingeführt; zunächst gewöhnlich gummi elasticum,
»71 jüngerer zeit einfach gummi, bei zurücktreten der Ver-
wendung von gummi 2 ausreichend eindeutig: gummi ela-
sticum, elastisches gummi, federharz, ein zäher saft aus
der rinde eines baumes in Südamerika Heyse verdeutschg.-
wb. (1819) 238. da im gebrauxih nur in verarbeitetem zustand,
vorzugsweise companiert mit dem aus ihm hergestellten
gegenständ {s. 4); als simplex für radiergummi geläufig:
Siegbert antwortete, indem er mit dem gummi die neger-
knaben etwas corrigiren wollte Gutzkow ritter v. geiste
(1850) 3, 289; sonst für die entspr. composita z. b. redens-
artlich: fahren auf gummi {auf gummireifen) C. Viebig
schlaf, heer (1904) 1, 134; oder bildlich und vergleichsweise:
denke nur, welche treue und ausdauer dazu gehört —
gummielastikum ist ja garnichts dagegen Seidel Leb.
Hühnchen (1899) 45; für elastische beweglichkeit: so einen
vom Jahrmarkt . . . halb närrisch herumtanzen . . . und
kerzengerade in die höhe hupsen, als sei er von gummi
Emil Strausz freund Hein (1909) 121; dehnbarkeit, ab-
schätzig: eine rede, die sich etwas in die länge zog wie
gummi elasticum Heine sämtl. w. 3, 148 E.; der abend
dehnte sich wie elastisches gummi in das unendliche Jul.
MosEN sämtl. w. (1863) 7, 422; ein gewissen Tsie gummi
bei Heyne l (1890) 1272.
4) composita mit gummi begegnen seit dem 16. jh.,
vgl. gummitragant, gummipflaster, gummireich, adj.,
SiiBiz feldbau (1579) 424, bis auf gelegenheitsbildungen wie
gummiähnlich, -artig, -haltig, -reich, substantivisch; zu-
nächst in der bedeutung 1 in der medizin {vgl. gummi-
pflaster, -tragant, -gutt), vor allem im botanischen bereich
zur bezeichnung gummihaltiger pflanzen und bäume, vgl.
gummiakazie (Ritter erdkde 14, 174), -bäum, -distel
(Oken 3, 734), -wirbelkraut {ders. 3, 1628) u. a. sowie für
die aus ihnen gewonnenen producte wie gummiharz, -lack,
-Wasser, in neuerer zeit überwuchert von den zahlreichen
bildungen von gummi 3 zur bezeichnung von gerätschaften
der technischen und chemischen industrie{z. b. gummikabel,
-pfropfen, -riemen, -röhr, -Scheibe), diese bedeutung ist auch
umgangssprachlich die vorherrschende; in niederer sprach-
schicht scherzhaft verächtlich bes. von zähen speisen gummi-
bälle {klösze), -gans, -wiirst; -soldat {armierungssoldat
Imme soldatenspr. 108). bemerkenswerte bildungen: gum-
miball: gewöhnliche gummibälle werden leicht hart und
brüchig Kregenow-Samel gerätkde (1905) 114; öfter ver-
gleichsweise: bei jedem schritt federte der ganze körper
mit wie ein gummiball v. Kahlenbebg d. familie Barch-
witz (1902) 127; -band, an kleidungsstücken: den . . . hut
hielt sie am gummiband Auerbach sehr. 5, 5; -bäum,
ostind. feigenbaum, fi^us elastica: gummibaum . . . eine
baumgattung, die in zahlreichen arten auf Neuholland
vorhanden ist Mothes baulez. (1882) 2, 545; als Zimmer-
pflanze verwandt: der grosze gummibaum, der seine
blätter über das verlassene kontorbuch neigte R. v. Gott-
schall d. adlerhexe 46 Eedam; -bereifung an fahr-
zeu^en: meist müssen die räder . . . mit gummibereif ung
versehen werden v. Alten handb. f. heer u. flotte 1, 137 ;
-gutt, n,, ein gummiharz aus garciniaarten, das als gelber
f arbstoß und arzneimittel Verwendung findet: nimm gummi
gutta ein quentlein Eisenberg reitschule wb. (1746) 38";
die drei eckfarben {der farbenpyramide) sind carmin,
Berlinerblau und gummigutt allgem. dt. bibl. 23, 275;
-harz: gummiharz, gummi resina, ist ein saft, der aus
gewissen bäumen ausschwitzt Kjiünitz 20 (1780) 339;
meist zu medicinischen zwecken, s. Blancard arzneiw. wb.
(1788) 2, 98**; -knüppel, hiebwaße der Schutzpolizei; -ku-
gel, medicinisches präparat gegen heiserkeit: einige nach-
wehen der . . . erkältung wollten sich durch reiz zum
husten . . . unnütz machen, weshalb ich den dienstbaren
geist . . . nach gummikugeln wegschickte Holtei erzähl,
sehr. 39,201; -lack: gummilack, ein natürliches harz-
und farbstoffgemenge, welches die zweige mehrerer in-
dischen bäume und zwar croton lacciferum . . . bedeckt
LuEGER lex. d. ges. technik 5, 18; es wird auch auf Siam
gummi-lack gefunden W. Schultz ostindische reise (1676)
144^; firnisz vom gummilack Böttiqer kl. sehr. 2, 99;
-pflaster: gummipflaster lat. gummatum emplastrum
. . . ein jedwedes pflaster, wozu auszer anderen dienlichen
ingredientien auch etwas gummi genommen wird Chomel
öcoruym. u. physic. lex. (1750) 4, 1432; heile mit dem
gummipflaster zu Paracelsus op. (1616) 1, 668; -rad:
auf gummirädern rollte
die equipage weich
D. V. LiLiENCEON sämü. w. 9, 208;
-reifen: der wagen war hergestellt, zwar die gummi-
reifen hatten geopfert werden müssen P. Rosegger sehr.
III 9, 65; -schuh zum überziehen über anderes schuhzeug
gegen nässe:
1097
GUMMI (compoOTte) — iGUMPE
iGUMPE
1098
durch hundert kleine wassertruhen,
die wie verlcühlter spüligt stehn,
zu stelzen mit den gummischuhen
A. V. Droste-Hülshoff ges. sehr. (1878) 1, 217;
dann zog er gummischuhe über G. Keller gea. t«. (1889)
8, 110; -tragant, n., gummi tragacantha; ein gummiharz
aus astragalusarten, älter noch gummi tragacanth: misch
darunder arabischen gummi und gummi tragacanth
Seutter Aipptofria (1599) 4; gummi dragant H.v.Brattn-
SOHWEio kunat zu distillieren (1508) ff 2'*; gumtraganth
in rosenwasser eingebeitzt Wolley frauenzimmer. (1688)
110; auszer zu medicinischen zwecken zur appretur {s.
gummieren ),/är6er ei und als bindemittel von condiforwaren
benutzt: das bunte dessert, das aus bergen . . . von ge-
färbtem Zucker und gummitragant bestand MusÄus
volksmährchen l, 61 Hempel; -wasser: gummi in aquam
infundere gummiwasser machen Corvinus (1646) 401;
ala binde- und klebstoß verwandt: etliche . . . mit gummi-
wasser auf dem taffet . . . gold- und silberne blumen
mahlen Widerhold beschreibg. (1681) l, 264**;
die heuchele! nahm ihre muscbelfarben
und machte sie mit gummiwasser ein
Stoppe Parnasz 142;
feinster . . . talk, . . . mit etwas gummiwasser vermischt,
dient dazu, . . , die ädern aufzumalen {als schminke)
MusPRATT Chemie (1898) 6, 2106; ein kleiner stift , . ., an
dem die goldstreifchen mit . . . gummiwasser oder etwas
firnisz befestigt sind Lichtenberg verm. sehr. 6, 464;
-zelle für tobsüchtige in irrenanstalten.
GUMMICHT, GUMMICHTIG, adj., harzig, klebrig, zu
gummi in der bedeutung 1 u. 2 gebildet, bis ins 18. jh. ge-
bräuchlich: gummosus gummicht Corvintts (1646) 401
gummicht, hartzigt Rädlein europ. sprachsch. l, 416^
gummicht, klebricht M. Kramer hochniderteutsch 2,102"'
die zapfen (der fichte) sind . . . gümmechtig und geben
einen geruch von sich Tabernämontanus kräuterb. (1687)
1345'>; gummecht ebda 1473; die gummichte materi,
welche ein jeder (seiden-)wuiTa hat V. Hohberg georg.
cur. 2, 432; ein gummicht-hartzichter saft eines fremden
baumes Chr. Hellwig kurze beschr. (1704) 21; das gum-
michte quecksilber allg. dt. bibl. anh. zu 25-36, 3187.
GUMMIEREN, vb., zu gummi 1: die gummierten cata-
plasmata (pflaster) Paracelsus chirurg. bücher u. achr.
(1618) 244; das wasser . . . gummiret die kirschen- und
weixelbeume Btttschky Pathmos (1677) 362. zu gummi 2,
etwas mit einer lösung gummi arabicum, dextrin u. ä. be-
streichen, um es nach anfeuchten zum aufkleben leicht be-
nutzen zu können; appretieren von stoßen mit entsprechen-
den gummilösungen, um den geweben griß und Steifheit zu
verleihen, vgl. Lueger lex. d. ges. techn. 5, 19: die nied-
lichen hopfenzäpfchen . . . rauschen . . ., wie gummirter
taffet Ghph. v. Schmid ges. sehr. 5, 58 ; ein röhr . . . umgiebt
(man) . . . mit gummirter leinwand Muspratt chemie
(1893) 4, 1148; ZU gummi 3: stoße mit kautschuk tränken,
um sie wasserdicht zu machen.
GUMMIG, adj., zu gummi 1: gummich gummosus
V. D. Schweren Teuthonista 113*; gummig . . . voll gum-
mi, voll päch gummosus Henisch (1616) 1777; eine halbe
unze eines sehr bittern gummigen extract Blanoard
arzneiw. wb. (1788) 3, 349'''.
^GUMPE, m., vereinzelt f., teich, tümpel; Vertiefung im
fiieszenden gewässer, wirbel.
form und herkunft.
das wort ist obd., bes. ahm. aeit dem 14. jh. bezeugt,
vereinzelt im 17. jh. md. (B. Schupp achr. 690; fiachbüch-
lein 169), ungewisz im nd.: gumpe germ. sax. gurges
KiLiAN 166^1, vgl. gumpen gurges JuNius (1567) 426^.
apokopiert gumpp (1482) Diefenbach 629*', häufig im
16. Jh., modern mundartlich schwäb. Fischer 3, 920; das
flexivische -n dringt seit dera 16. jh. auch in den nominativ:
gumpen Finokler v. Weyl Olai magni hist. 50; Borstel
V. d. lieb Astreae 1, 17; gompen Maaler 189 c; heute all-
gemein in den obd. mundarten; gumpf (1657) bei Fischer
schwäb. 6, 2080; Kaltschmidt gesammtwb. (1834) 363*;
abgeleitet: gümpel, m., tümpfel, wirbel Rädlein (1711) 1,
416*; kleine Wasserbecken, tümpl oder gümpl genannt
K. Stieler natur- u. lebensbilder aus d. Alpen (1886) 159;
carybdia . . . ein dümpffel oder gümpffel Melber vocabul.
predicantium (1486) d 2*, vgl. mrhein. weaterw. kümpel
'Vertiefung, worin aich das wasaer aammelV teil 5, 2613.
ala verwandt eracheint ahd. gumpiten (acc. ag.) atagnum
Notker 2, 211, 3 Piper; vgl. auch unten gunt.
wie dieaes gumpiten auf ein alpinea cumbeta keltiacher
herkunft zurückgeführt wird, ist entsprechend gumpe von
eimm alpinen, ursprünglich gall. cumba 'taV herzuleiten,
vgl. Gruber in phil. u. volkstürrd. arbeiten K. VollmöUer
dargebr. 327 und Meyer-Lübke 2386. bedeutung smäszig
engeren anschlusz an die quelle zeigen formen wie mhd.
küme, /., (1345 Schweizerdeutsch) talachluchV Lexer 1,
1768; kum, kump, gumm, m., gummi, /., u. ä. 'wellen-
förmig gekrümmte bodenfläche bea. enge, mulden- oder
keaaelförmige' Staub-Tobler 3, 290; noch im 16. jh. leben-
dig: die hohen clausen und gumb Frontinua v. d. guten
räthen (Mainz 1532) 35*, erhalten in achweizeriachen fiur-
namen, a. Staub-Tobler o. a. o.; vgl. auch aga. cumb
'o hollow among hills^ Bosworth-Toller 173**, neuengl.
combe Skeat et. dict. (1888) 123*, desselben kelt. Ursprungs
une wahrscheinlich auch mndl. comme, cumme 'door ber-
gen ingesloten vlakte' Verwijs-Verdam 3, 1730/., neundl.
kom. bei der form gumpe u. ä. dagegen besteht steta die
voratellung einer waaaerhalligen bodenvertief ung , auch in
fiurnamen (vgl. Grüber a. a. o.; Bück flurnamenb. 93).
doch läszt der bedeutungsunterschied die herleitung von der
gleichen quelle nicht bedenklich erscheinen, zumal der 6c-
deutungswandel des verwandten, in der herleitung vom
alpin.-kelt. sicheren gumpiten atagnum in gleicher richtung
liegt, jüngeres, au^h in alem. mundarten auftauchendea
gumpe 'gefäaz' (Fischer schwäb. 3, 921 ; Staub-Tobler 2,
316; vgl. md. gumpen Ruckert unterfrk. 67; gumpa Sar-
TORiüS vmrzimrg. 52; gump et gumpe poculum immane
Stieler 714; in gleicher bedeutung Kramer teutsch-it. 1
(1700) 576*') geliört zu den besonders md. u. nd. verbreiteten
gefäszbezeichnungen wie kumme teil 5, 2588, kump, kumpe,
kumpen, kumpf ebda 2611^.; vgl. auch Walde- Pokorny
1, 562; alter und Verbreitung sprechen gegen die Verwandt-
schaft beider worte.
gumpe unrd achwach flectiert und zeigt im pl. achweiz.
und bair. (hier entrundet) umlaut, a. Staub-Tobler 2,315;
Schmeller-Fr. 1, 915; ala fem. aeit dem 17. jh. bezeugt:
gumpe, /., Hulsius-Ravellus (1616) 148*; Stör (1662)
2, 221*; Stieler 714; im bair. a. Schmeller-Fr. a. a. o.
in der blauen gumpe Steub drei aommer in Tirol (1895)
1, 12; örtlich begrenzt auch in achweizer. maa., a. Staub-
Tobler a. a. o.
bedeutung und gebrauch.
1) 'teich': den vischern von Loffenberg, die von uns
belehent sint uf den wegen (d. i. wsegen) und vischenczen
. . . dise vorgenannten wege sint gelegen in Baseler bis-
tüme ... zu dem breiten wage, zu der flühe ... zu dem
gumppen (1347) za. f. d. gesch. d. Oberrh. 12, 300; fisch zu
fahen aus einem wog (d. i. wag) ader gumpen fiachbüchl.
169; auch ein besonders tiefer teich oder kleiner see: das
er . . . den gumpen, darin er oft nahend ertruncken ist,
meide S. Franck bei Fischer schwäb. 3, 921 ; wenn sie
(die Lau) im unmut den gumpen übergehen liesz, kam
Stadt und kloster in gefahr Mörike ges. sehr. (1905) 2, 75
Göschen; so auch bildlich: dein billichkeit ist wie ein
tiefer gump (abyssus) Züricher bibel (1531) 2, 24^; das
verbot der pfaffenehe wer . . . doch billich ein bodenloser
gump der sünden zu nennen Eberlin von Günzbueo
sämtl. sehr. 2, 29 ndr.; ansamndung von wasser in einer
bodenvertief ung , 'tümpel' : ein sonn, die ein gumpen mit
wasser auszdrücknet Paracelsus chirurg. (1618) 120
Huser; wo aber der mensch zum rechten brunnen nicht
gehen will . . . und trinckt von den pfützen und gumpen
opera (1616) 2, 489 Huser; 'lache, pfütze' Staub-Tobler
2, 316; wo das dachkendel, rinnen oder zinnen an be-
1099
2GUMPE — GUMPEL
GUMPELN — GUMPEN
1100
hausungen sich in eigen oder gemein winckel dem traff und
gefeil nach erstrecken und von dannen , . . iren fall und
auszlauff ... in gruben, gumppen oder ander weg darein
versuncken gehabt hetten L. Fbonspergeb bauordnung
(1564) 37^; ein . . . wasserschusz . . . bildet in ausgehöhlten
felsmuscheln zwei kleine, schön bläulichgrüne gumpen
H. V. Barth nördl. Kcdkalpen 466; nicht wahrhaftig sei,
das die wasser also ob den metallen, wie ein gump ist,
ein bestimpte zeit standen Thubneisser von wassern
(1612) 8; {wundwasser) senckt sich allmal gehn boden und
macht ein gumpen, welcher hindert, das die artzney da-
durch nit wircken mag Päbacelsus chirurg. (1618) 40
Huser; weiterhin als wasserbehältnis : die saurbrünnenlein
. . . laufen durch ein röhrlein in den underen gumpen
und erlustigen den trinkenden mit solcher liebligkeit und
gesundheit B. Schupp sehr. 690; für brunnen im schwäb,
Fischer 3, 92i; vgl. kump(f) hess. 'brunnen' teil 5, 2614;
vgl. auch Schweiz. kum(m)e (1491) Hiefe wassergrube, eine
art cisterne' teil 6, 2589; kumm 'ein aus stein gehauenes
wasserbehältnis, cisterne' brem.ndsächs. wb. 2, 895.
2) Vertiefung in flieszendem gewässer: reuma ein gump
i. profunditas aquae (15. jÄ.) Diefenbach nov.gl. 318*>;
gurges dicit tife des wassers oder gump Altbnstaio voc.
(1516) 2Z^; das gestad (ist) allda sandechtig und voll tiefer
gumpen H. Megiser newe nortwdt (1Q13) 172; (ea ertranken
beim Übergang über einen flusz) reuter und pferd, welche
durch das starcke antringen der hindersten . . . die un-
tiefen verfehlten oder den tiefen gumpen oder krippen
zu nahe gekommen französ. Simplicissimus (1683) 1, 428;
ich setzte mich an den bach, o bis zu tränen rührten mich
die gumpen, die dort mein lustiges bad gewesen Ulrich
Bbäkeb (1784) bei Staub-Tobler 2, 316. speciell 'Ver-
tiefung im wasser unterhalb des räderwerks der mühle'
Martin-Lienhart elsäss. 1,219^': dahero der gump bei
solchen mühlen uf diesen tagh der waszerfrauen stuben
genandt wird G. Widman chron. 74 Kolb; so zog der
müUer unversehens den schlusz auf, und hopps, purzelte
einer nach dem andern in den gumpen hinab L. Aub-
bacheb Volksbüchlein (1835) 1, 89. 'wirbeV : vortex gump
(1482) Diefenbach 629^5; gurges locus in flumine profun-
dus, in quo aqua vertitur gump Pinicianus (1516) l 1*;
nicht immer ist es deutlich, ob der wirbel oder die ihn ver-
ursachende tiefe gemeint ist: enz wischen dise orth ein
solcher gumpen und wirbel ist, das die schiff, so ... zu
nahend hinzu kommen, erschnappet in einem trödel
herumbgerissen . . . werden J. B. Finckleb von Weyl
Olai magni hist. (1567) 50; ein gumpen und widerwasser,
so der felsz zurück fiieszen und als ein würbel machte
Borstel von der lieb Astreae (1619) 1, 17; mundartlich als
'Strudel, vnrbeV auch bei Fischer schwäb. 3, 921.
^GUMPE,/., schwäb. auch m., pumpe, pumpwerk, post-
verbal von gumpen 5 abgeleitet; gump Martin-Lienhabt
1, 219^; FOLLMANN wb. d. lothring. ma. 220*^; gumpf
Autenrieth pfälz.id. 58; gumpen, m., brunnen Bxr-
LINGER wb. z. volksthüml. 38; vgl. gumper kolben eines
Pumpwerks, das pumpwerk selbst Schmellbr-Fr. 1, 914;
pumpwerk eines Ziehbrunnens Staub-Tobleb 2, 313: auch
einen neuen gumpen und bronnen darinn gericht {um
1600) E. HoLL Selbstbiographie (1873) 36 Meyer; es werden
solche teuchel oder canall, darinn das schöpffwerck oder
gumppen auff und ab gezogen wird, von gantzem firnen-
holtz auszgebort D. Speckle architectura (1589) 8^; com-
poniert: gumpbrunnen rhfrk., alem., schweizerdt. neben
gampbrunnen {von stammverwandtem gampen) Statjb-
ToBLEB 5, 667; bair. Zaupseb baier. u. oberpfälz. id. 34.
-Schöpfwerk: ein gumppenschöpffwerck anrichten D.
Speckle a.a.O.; -werk:
doch lob ich gar vil mehr die schönen wasserbrunnen
und disen, welcher hat von anfang auszgesunnen
die gumpenwerck, und das wasz schweres wasser zwingt
J. BOMPLER V. LÖWENHALT erstes gebüsch
s. reimged. (1647) 53;
gumperwerk (1770) bei Fischee schwäb. 3, 923.
GÜMPEL, m., 8. gimpel.
GUMPELN, GÜMPELN, vb., ableitung von gumpen.
1) hüpfen, tänzeln:
effen, gumpeln unde liegen
mit pärät als ein gumpelman
KONRAD V. Haslatj Jüngling v. 998;
mein härtz, das focht jetz an zu gumplen,
erst thüt die lieb recht in mir rumplen
GENaENBACH 145 Oödehe;
heute noch schweizerisch, s. Statjb-Tobleb 2, 315; bair.
Schmelleb-Fb. 1, 914; im hess. als 'herumtreiben, schlen-
dern' Vilmab nachtr. 73; Kehbein 1, 150; 177; schles.
als 'gehen' Junqandbeas schles. zeitwortbildung 66. — com-
posita bes. mhd., s. Lexee l, 1118; gumpelmann 'narr':
nun wollen wirs heben an,
zu singen von elm gumpelman
Erasmus Alberus fabeln 138 ndr.;
mnd. 'narr, mit dem man sein spiel treibt' Schilleb-
Lübben 6, 146 3'; mhd. 'springer, possenreiszer' , s. Lexer
1, 1118 und nachtr. 222, so auch noch rhein. wb. 2, 1488.
2) trödeln, mit minderwertigen sacken handeln Mabtin-
Lienhabt 1, 220»; Staub-Tobler 2, 318. dazu die com-
posita gumpelfrau: scrutaria gümpelfrau Dasypodius
(1587) bei Diefenbach 521*'; noch im 17. jh. Fischer
schwäb. 6, 2080; -markt: forum scrutarium Dasypodius
(1536) 340^; der gümpelmarkt, darauf man feil hat alt
lumpen und alt hader Keiseesbebg predigten (1508) 45^;
uneigentlich: der gantze gümpelmarckt desz verblendens,
verzauberns und fatzwerckes Joh. Fuglinus de praesti-
giis daemonum (1586) 100»; bis ins 17. jh. belegt: dasz an
feiertagen gümpelmarck . . . gehalten werde der statt
Straszburg polizeyordn. (1628) appendix 7, — occasionell:
gümpelf eiert ag: wie ist es ... mit den halben feiertagen,
da eins werckt, das ander feiret, ich kan inen kein namen
geben, ich wil es nennen gümpelfeiertag, do man allein
am morgen feiret . . . daz man am morgen mesz höre und
nach dem essen klein werck thüt Keisersbebg brösaml.
(1517) 1, 89*».
GUMPEN, vb., springen, hüpfen.
ableitung von der Schwundstufe der wurzel guhemb-
Walde-Pokobny 1, 678 oder einer kürzeren wurzelform
ghem- FiOK-ToBP 3^ 127; Falk-Torp l, 299 mit labial-
erweiterung; im ablautverhältnis zu gampen 'sich gaukelnd
bewegen, luftig springen u. ä.' teil 4, 1, 1, 1213 und schwei-
zerisch gimpen, gimpfen Staub-Toblee 2, 311; 320 {vgl.
auch norw. dän. mundartl. gimpe 'wippen, schaukeln'
Falk-Torp l, 311). die u-form begegnet auszerhalb des
deutschen als schwed. dialekt. gumpa 'springa och vicka
med bakändan' Rietz 222*», dän. gumpe 'wippen' A. Tobp
nynorsk 190*», engl, jump Skeat (1888) 311=^; ndl. als gum-
pen ontspringen exilire Plantin thes. (1573) v 1*», tripu-
diare Kilian 166^ verzeichnet, seit dem 15. jh. im deutschen
bezeugt, auf obd. boden heimisch, heute mundartlich dort
noch lebendig wie im anstoszenden rheinfrk., s. Auten-
rieth pfälz. id. 58; seltener bei md. autoren Lutheb 19,
458 W.; H. Sachs 17, 332 lit. ver.; Mathesius Syrach (1586)
3, 19»; LoGAU 109 Eitner. als gompen Guabinonius grewd
der Verwüstung (1610) 84; 186; (er) gumet bei FiSCHAET
Oargantua 149 ndr.; gumt Abb. a s. Claba Judas (1691)
1, 98, vgl. gumme hüpfen, tanzen Schmid schwäb. 218;
als gumpfen (1475) bei Steinhausen privatbriefe des
mittelalters 1, 153; gumpffen Mathesius Syrach{lB8&)l, 80»,
wie bei gampfen, gimpfen o. a. o,; als ableitung s. gümpeln.
1) springen von tieren, vom esel, pferd bes. vom Jungvieh:
das kalb gumpet, stiesz und schlug so vil und lang, daz
es das joch von im warf Steinhöwel Äsop 156 lit. ver.;
ein jung kalb, wenn man es usz dem stal laszt, so springt
es und gumpet und blitzget binden und fornen Keisees-
bebg brösaml. 2, 76*'; wie das junge viehe, wenn es auf
die lustige weide gelassen wird, anfähet zu gumpen
Geimmelshausen Simplicissimus 488 ndr.; wenn dem
esel zu wol ist, so gumpet er J. Ageicola Sprichwörter
(1534) F 8»; gumpen quadrupediare sicunt faciunt equi voc.
primo ponens dictiones theut. (1515 Straszburg) TS.h**;
es (das rosz) gumpet ungestümer art
und thut den kopö zerschütten hart
Spreng Amis 231»;
1101
GUMPEN
neben dem begriff der lebensfrische und der mldheit als
äuszerung der geilheit:
kein gaul ist so alt und kranclc,
er gumpt, wenn er zur stuten komt
Lehman florüeg. polit. (1662) 1, 167;
mundartlich schwäb.: der hagen {zuchtstier) gumpet bei
FisoHEK schwäb. 3, 922.
2) mit den gleichen bedeutungsnuancen vom menschen;
zumeist als vergleich oder bildlich übertragen: das ist also
nötlich gebare und unbertig sie mit hin und her sehen
oder gumpen, dann es ist gezogen von den unvemünff-
tigen thieren zu dem menschen Terenz (1499) 53*; häufig
in der Verbindung mit blitzen, das auch zunächst von Heren
gilt (vgl. teil 2, 133); im vergleich mit dem tierischen gum^n
zum ausdruck der wildheit und Widerspenstigkeit: wenn
man si da [an ihren lästern) anrüret, so blitzen und gum-
pen si und schlagen umb sich wie ein böses pferdt
Keisebsberg häslein (1510) E e 1*; dardiu-ch das volck,
gleich wie ein ungezämpt pferd, gantz wild und un-
gehorsam worden, dasz sie anfingen zu blitzen und zu
gumpen Xylander Plutarchus (1580) 86*'. ebenso redens-
artlich in der wendung: wider den stachel (sporn) gumpen
Eberlin V. GÜNZBURG sämtl. sehr. 3, 132 ndr.; gumppest
du also wider die sporen F. Alber Loiola (1591) 123; mit
der gleichen Vorstellung: daz die leib minder gumppen
wider den geist dialog Erasmi von Rotterdam von fasten
und flaischessen (1524) ä 2''; das hat dein hochtrabenden
geyst also gespornt, das er gumpet und schlecht Luther
19, 458 W. sonst vom umherspringen der kinder: (urie die
buben) aufif allen gassen . . . bei hellem tag herumblauffen
und gompen H. Güarinoni0S grewel der verivüstung (1610)
84; vom jugendlichen treiben überhaupt: das gumpen ihrer
Jugend hat sich geendigt, ihr muthwill und Vorwitz hat
sich gelegt Gbimmelshäüsen simpliz. sehr. 1, 9 Tittmann;
als äuszerung derfreude: si gumpend vor fröuden Züricher
bibd (1530) 437; darnach hat er . . . vor im mit frewden
gegumpet und gesprungen Xylander Plutarch (1580)
420*; auch: das hertz gumpet mir vor fröuwden salit mihi
cor Maaler 198^; Michels herz gumpete fast vor freude
Gotthelf ges. sehr, (1855) 7, 133. von geiler ausgelassen-
heit, lascivire: schwer sunden, ergernüszen, schand und
laster, das sind die fruchten, die man uff der kirohwyh
erlangt, sollich putzen, gumpen und füllen gehört in
die hürenhüser Keisebsberg postille (1522) l, 24*; die
jungen leut machen sie (buhlbücher) hitziger als das fewer
selber, machen auch die alten narren gumpen und reitzen
inen ire vor langst erkalte glider Pütherbei v. Thubon
tractat (1581) 34*^; sie . . . erlauben den zarten herrn und
frawen in der fasten das fleischessen, damit sie desto
besser geilen und gumpen mögen Albebtinus Lucifers
kgr. 47, 10 Liliencron; dann wir wollen springen an dem
danz und gumpfen an dem bett (1475) bei G. Stein-
Hausen privatbriefe des mittdalters 1, 153.
3) vor allem vom hüpfen beim tanzen und gleichbedeutend
mit tanzen selbst:
von dem gumpen und gedreng
ward der tancz so übrigs eng
WiTTENWEiLKE ring 171 BecJistein;
tantzen . . ., das die Schwitzer gumpen heiszen Lindeneb
rastbüchlein 52 lit. ver.;
ir ding ist nüt dann gumpen, springen
am ringeltantz und ballen schlan
H. B. Manuel weinspiel 1832 ndr.;
bes. unldes, lautes, stampfendes tanzen:
kein tantz der was mir nimmer zlang,
ich gumpet, zablet, randt und sprang
das mir der schweisz zendumb abran ebda 2521;
ir gumpet ... ja, dasz der Säntis zu wanken und schüt-
tern anhebt J. Scheffel ges. w. (1907) 2, 167; vgl. auch:
strepere gumpen donen vel mit den fusen scharren (obd.
voc. anfang 15. jh.) bei Diefenbach 655*^; s. auch gumpen-
donnerstag donnerstag vor fastnacht Fischer schwäb. 3,
924.
GUMPOST - GUNDELREBE 1 102
4) von einer hüpfenden bewegung schlechthin:
was schreist und thust hupffen und gumpen?
H. Sachs 17, 292, 28 Keller- Götze;
(sie) haben auf iren rossen gumpet
J. Feischlin bei Fibohee schwäb. 3, 922 ;
(auf rentieren saszen sie,) mit dem . . . gantzem leib zu
gumpen, . . . damit sie fort kommen möchten Mosche-
rosch gesichte (1650) l, 168; der gumpende weber Abra-
ham a s. Clara etwas f. alle (1699) l, 499; der fisch gum-
pet und schnattert vor im (paljntare coepit) Züricher bibd
(1531) 1, 292*1; gleich ak ein eingeschlossen büchsenpul-
ver, das angezündt wirdt, hin und her gumpt Pabaoelsus
op. (1616) 2, 90 Huser.
5) die bedeutung 'pumpen' wohl aus der bewegung des
pumpenkolbens oder Schöpfeimers zu erklären, mundartlich
obd. und südl. rheinfrk.; zuerst bdegt in gumpen ex puteo
aquam per fistulas attrahere Henisch 1778, s. *gumpe.
GUMPOST, m.,n., auch gumpast, -est, -ist, gumbst s.
kompost teil 5, 1686/.
GUNDEL, /., 8. gondel.
GUNDELKRAUT, n.. quendd, neben kundelkraut s.
teil 5, 2624, wie quendel sdbst au^ lai. cimila gebildet; in
medizinischer Verwendung: nimb attich, päppeln, klein
gundelkraut Seutteb hippiatria (1599) 333; so noch im
18. jh. V. Hohbebo georgica curiosa 3 (1715) 186.
GUNDELREBE, /., glechoma hederacea, eine am boden
kriechende pflanze, als heilkraut in der alten und in der
Volksmedizin gebraucht, der erste bestandteil des composi-
tums, ursprünglich gunde-, gehört zu ahd. gund, m., eiter,
eiterndes geschwür Gbajf 4, 219, das von der wurzd
ghendh- 'geschumr' hergdeitd wird, Walde- Pokobny 1,
588. seit dem 9./10. jh. bdegt als gund(e)reba ahd. gl. 3, 513,
18 u. öfter; 3, 516, 18 (10. jh.), volksdymologisch umgedeutd
als grunderebe ahd. gl. 3, 263, 65 seit dem 13. /14. jh., viel-
leicht aber schon im 11. jh. vgl. die Schreibung grundeba
ahd. gl. 4, 28, 52, s. auch unter grundrebe teil 4, 1, 6, 881 ;
seit dem 15. jh. ist gimdelrebe die geläufige form, vidleicht
unter dem einflusz von gundelkraut: gundelreb (1432) bei
Fbommann dt. ma. 4, 303 ; mit abschleifung des zweiten
bestandteils vom 12. jh. ab gunderam ahd. gl. 3, 522, 55;
im 17. jh. umgedeutd zu gundermann Coevinüs fons lat.
(1646) 408, entsprechend auch gnmdermann Ludwig dict.
engl. germ. (1736) 296. neben den vielfachen mundartlichen
Umbildungen finden sich die formen gundelrebe, gun-
deram, gundermann allgemein hd. verbreitd, obd. auch
noch gundrebe, bair. gunrebe. auf nd. boden scheinbar
seltener: gundelreve (15. jh.) Diefenbach 530*; grunt-
reve Schillee-Lübben 2, 158; gunderam Fbischbier 1,
259; mndl. gondrave Verwijs-Verdam 2, 2062. vidleicht
hai das im nd.für diese pflanze gebrauchte hederich gundel-
rebe nicht zur entfaltung kommen lassen, s. Nemnich
cathol. 2, 51. das wort steht als glossier ung der mittdlat.
namen von glechoma hederacea, bes. für acer gundereba
(10. ^A.) ahd. gl. 3,573,21; hedera terrestris gundram
(14. jh.) ahd. gl. 3, 524, 14. auch für andere ähnliche boden-
pflanzen begegnet es, wie erdefeu, erdweihrauch Nemnich
wb. d. naturgesch. 215, erdpfau, erdunnde Adelung vers.
2, 842. als heilkraut schon im 11. jh. in einem recept:
sumat thus, myram, cundereba . . . omnia contunde et
cum vino bibat ieiunus ahd. gl. 4, 370, 9; gundelreben in
wein oder wasser gesotten und den halsz damit gegurgelt
heilet die verserung Book kräuterbuch (1539) 2, 64*»;
minszohr und gundelreben gestoszen, in die ohren gethan,
ist fürs zanweh Lonicebüs kreuterb. (1604) 127*. als heil-
kräftig gegen verhexte kühe verwandt, wobei man beim
m^ken die verse spricht:
kuh, da geb ich dir gundelreben,
dasz du mir dei milch sollst wiedergeben
rhein. wb. 2, 1490;
ebenso in der schles. ma. Knothe schles. ma. in Nord-
böhmen 275; s. ferner hdwb. d. dt. aberglaubens 3, 1203;
dazu häufiger compositionen wie: gundelrebensaft:
gundelrebensafit in die oren gethan bringt das hören
1103
GUNDERMANN — GÜNSEL
GÜNSEN — GUNST
1104
T. V. Vaohknbero margarita med. (1516) 16r; -reben-
wasser: für die pestilentzische beulen, netz ein zwifach
tuch ... in gundelrebenwasser und legs über, so würst
du wunder sehen 0. Gäbelkover artzneyb. (1595) 2, 206.
GUNDERMANN, GUNDRAM, GUNDREBE s. gun-
delrebe.
GUNKELN, GUNKEN, vb., schaukeln, sich hin und
her bewegen; mundartlich alem. rheinisch, hessisch schles.:
ein par flügel, die das pferd zu beiden Seiten zu guncklen
und zu gauncklen herab hangen hatte Moscherosch
gesichte 114 Bobertag, vgl. dann sähe ich die gunckläte
stiffel an . . . und ja, ja sprach ich: dasz sind gewisz seine
flügel: ja, es ist der Pegasus ders. gesichte (1650) 2, 26;
nach dieser seite hin türmte sich die verwilderte Stadt-
mauer auf, in die überall fenster gebrochen waren, dasz
es an abenden aussah, als gunkten und flackerten noch
die lichter der Wachmannschaften auf dem mauerkranze
H. Stehr drei nachte (1909) 96.
GUNBIRZEL s. unter burzel teil 2, 553.
GUNNE,/., gunnen, vb., gunner, m., gunnig, adj.,
g. gönnen, gönner, gönnig.
GÜNSEL, GÜNSEL, awÄ gunzel, günzel, m., f., ein
heilkraut, ajuga reptans. aus mlat., lat. consolida, das von
consolidare 'festmachen' hergeleitet ist und die dieser pflanze
zugeschriebene zu^ammenschweiszende kraft bezeichnet
A. Walde-Hofmann lat. et. wb. 265. im deutschen seit
dem 14. jh. in zunächst der quelle ähnlicheren formen:
cunsele (14. ^'A.) ahd.gl. 3,52,39; consul voc.opt. 51 *
Wackernagd; gunsul (14./15. fA.) bei Mone anzeiger n.f.
1, 273; gunsol (15. jh.) bei Staub-Tobler 2, 376; seit 1500
gunsel H. Braunschweio kunst zu distilieren (1500) 52 a',
80 bis ins 19. jh. F. G. Dietrich lex. der gärt. u. bot. (1811)
4, 56 verzeichnet; verbreiteter, bes. nach 1600 die formen
gunzel (1533) DiEFENBACH 144i> und vor allem umgelautet
günsel Camerariits kreutterb. (1590) 329; entrundet in
güldenginsel (1566) bei Fischer schwäb. 3, 379. dem lat.
entsprechend erscheint das wort zuerst als fem.: die grosze
gunsel H. Braunschweio kunst zu distilieren (1500) 52»;
die gülden günsel Camerarius kreutterb. (1590) 329, s.
auch güldengünsel sp, 1063, noch bei Köne pflanzennamen
(1840) 38; als m. seit dem 17. jh.: den güntzel Lohenstein
Arminius 1, 13798', so in allen botanischen Schriften und
den mundarten. dialektisch ist das wort im rückgang 'kaum
mehr volkstümlich' Hegi ftora V.Mitteleuropa 5,4,2537;
bei Martin-Lienhart l, 2261» als veraltet gebucht, fürs
schwäbische als populär in frage gestellt Fischer schwäb.
8, 926, im schweizerischen in engem bezirk Staub-Tobler
2, 376; im 17. /18. jh. wohl noch ausgebreiteter: guntzel
nomencl. lat. germ. in usum schol. {Hamb. 1634) 114; gün-
sel Chomel öcon. u. phys. lex. (1750) 4, 1420.
günsel bezeichnet eine reihe ähnlicher heilpflanzen, vgl.
Diefenbach 144^. zunächst wie schon lat. consolida die
Schwarzwurz (symphytum oßicinale): consolida wizwurz
(weil sie innen schneeweisz ist, vgl. Pritzel-Jessen 393)
vd cunsele ahd. gl. 3, 52, 39; consolida walwürt ald consul
voc. opt. 51 a Wackernagd; dann brundla vulgaris: die
ersten fünf (sc. arten) brunellen sind die gunsel Bock
kreutterbuch (1539) 1, 90; vor allem aber consolida media
{die mittelalterliche bezeichnung für aju^a reptans, s.
Pritzel-Jessen 14), die gewöhnlich mit gülden günsel
wiedergegeben wird: guldin gunsel . . . consolida media
genant würt, wie wol etlich sprechend, das es consolida
minor heisset H. Braunschweio kunst zu distilieren (1500)
62 a, weiteres vgl. unter güldengünsel. für verschiedene
andere pflanzen in der composition: hirschgünzel Kräu-
termann blumen- u. kräuterbuch (1723) 311; sonnen-
güntzel Tabernämontanus kreutterb. (1591) 768^; stein-
günsel Frisch l, 383. verwandt als innere und äuszere
medizin: mach ein pflaster mit güldengunselsafft, bisz
es hart genug gesotten ist Wirsuno artzneybuch (1588)
648; ein köstlicher bewährter wundtrank: heidnisch wund-
kraut, anderthalb hand voll Wintergrün, . . . golden gün-
sel V. Hohbero georgica cur. (1682) 1, 287; als Volks-
medizin:
wer gunsel und sanickel hat,
biet trotz dem wundartzt mit eim platt
Sebiz feldbau (1579) 213,
ebenso in einem arzneibuch von 1710 bei Staub-Tobler
2, 376, in abergläubischer Verwendung, s. hdwb. d. dt. aber-
glaubens 3, 1207.
GÜNSEN, günseln, vb., unnseln, seufzen, von tier und
mensch gebraucht, wahrscheinlich ein schallmalendes wort
J. Franck-J. Wijk 207^-, mnd. gimsen, gunselen Sciiil-
ler-Lübben 2, 167*, im nd. in diesen formen mundartlich
verbreitet, früher auch in md. quellen wie passional 104,
2; S. Artomedes christl. auszlegung (1609) 1, 283, als
gaunsen Fischer schwäb. 3, 107; günsen Staub-Tobler
2, 375. im obd. oft als bezeichnung schriller geräusche.
auszerhalb des deutschen noch ndl. gonzen, zuerst gonsen
holl. su^urrare Kilian (1605) 156, fries. gonzje, günzje
DlJKSTRA 1, 469^. seit dem 13. jh. belegt:
ir (die zum martyrium geführten) sult uwer kröne
und der liohsten vreuden stam
durch gunseln dirre wibesnam (jammern der sie begleitenden
nimmer lan versturzen [irauen)
passional 104, 2 Köpke;
(in einer regieanweisung :) weil er also redet . . . mus
er (der ungeratene söhn) immer stehen und die hende
winden, die haar rauffen und günsseln Heinrich Julius
V. Braunschweio trag. Hiehadbel v. ungeratenen söhn
(1594) D 1»; und wenn sie denn zu ihm winseln und
günseln, so erhöret er sie S. Artomedes christl. ausz-
legung (1609) 1, 283; (sie) werden . . . mit nassem leibe,
ihr kärmen, günsen, seufftzen und winseln ungeachtet
immer fortgetrieben J. Neuhof d. gesantschaft d. ost-ind.
gesdlsch. (1666) 69**; der hund . . . winselte und günste
nach ihr H. Seidel Leberecht Hühnchen (1899) 310.
GUNST, /., in älterer spräche auch m.
herkunft und form.
1) das wort ist verbalabstract mit t-formans zu gönnen
(ahd. gi-unnan), wenn die wurzel des grundwortes als
(ans-,) uns-, und nicht als (an-,) un- anzusetzen ist, s.
Walde- PoKORNY l, 68. es erscheinen zwei ablautstufen,
eine jüngere von der Schwundstufe, auf das deutsche be-
schränkt: ahd. unst seit dem 9. jh. ahd. gl. 2, 172, 24; 2,
174, 2; OS. *unst in abunst 'invidia' Heliand 3274; mhd.
gunst, gonst; mnd. gunst; mnl. onst, gunst, gonst(e); nnl.
gunst, in bes. bedeutung gonst, s. u. sp. 1116. ins nordische
aus dem deutschen entlehnt als dän. norw. schwed. gunst;
entlehnt ist au£,h afries. gunst, gonst neben enst, est (s. u.)
V. RiCHTHOFEN 789; HoLTHAUSEN afries. wb. 36, als gonst
auch in neufries. ma. Schmidt- Petersen 52*^. gemein-
germanisch dagegen ist die bildung von der o-stufe: got.
ansts; an. ^st, äst; ags. est; as. anst; ahd. anst; mhd.
anst, ganst; frühnhd. noch vereinzdt ganst: (a. d. j. 1490)
lehnsurk. u. besitzurk. Schlesiens 2, 100. afries. enst, evest
ist zweideutig, da es sowohl auf unsti- wie auf ansti- zu-
rückgehen kann, s. van Helten altostfries. gr. 43/. — als
jüngste bildung erscheint mhd. gunt 'gunst' Lexeb 1, 1120,
doch vgl. an. 9fund, afund; älterdän. avend; dän. avind;
norw. ovund; schwed. afund, alle in der bed. 'invidia'
Falk-Torp 37.
unpräfigierte formen der Schwundstufe erscheinen mhd.
nur noch in compositis, z. b. überunst 'miszgunst' Lexer
2, 1671 ; dem nhd. fehlen sie völlig, für das präfix gi- steht
in Zusammensetzungen auch bi- z. b. mhd. abunst; mhd.
u. frühnhd. urbimst, s. teil 11, 3, 2393. vgl. auch urbanst
ebda 2374 und verbunst.
2) das ge^chlecht ist regulär femininum, so atcch got.
ansts; an. äst. daneben steht vom ahd. an bis ins nlid. das
masculinum, auszerhalb des deutschen auch ags. est, m.
und f. allerdings ist aus dem ahd. formenbestand das fem.
für unst nicht deutlich zu belegen, dagegen gratia der unst
(10. jh. alemann.) ahd. gl. l, 790, 51, aber as. abunst ist
sicher femininum, während andererseits für ahd. anst ein-
deutige masculine formen fehlen bei mehrfach gesichertem
femininum. — eine besondere stdlung haben die composita
mit -anst, -unst (abanst, abunst), die ahd. mit ausnähme
1105
GUNST
GUNST A
1106
von niuueiz einiga abanst mons. fragm. 29, 22 Hench
durchweg als masculina belegt sind und noch in manchen
modernen maa. das männliche geschlecht bevorzugen, z. b.
die gunst, aber der vergunst, der miszvergunst Martin-
LiENHABT dsäss. \, 227; Staub-Tobler Schweiz. 2, 377. —
mhd. überwiegt für gunst das fem. {s. Lexek 1, 1120) und
ist auch weiterhin die regel. doch ist das masc. nicht selten
und beschränkt sich keineswegs auf bestimmte bedeutungs-
gruppen: Ulrich v. Eschenbach Alex. 12647 Toischer;
Oswald v. Wolkenstein 94, 21 Schatz; altdeutsche pas-
sionssp. aus Tirol 264 Wackerndl; Frankf. reichscorre-
spondenz 1, 684 Janssen {a. d. j. 1402) ; Aventin 4, 363 ;
374 L.; Eberlin V. GüNZBüRG s. sehr. 1, 6 ndr.; Kirch-
hof wendunmuth 2, 431 Ö.; Guarinonius grewel (1610)
139; Äqid. Albertinüs Lucifers königr. 42 Liliencron.
av^h mnd. stehen beide geschlechter nebeneinander, s.
Schiller-Lübben 2, 1672', Vgl. für das masc. auch eyn
teken gunstes nd. voc. von 1417 bei Diefenbach nov. gl. 2^.
bevorzugt scheint für das masc. das schwäb.-alemann.
Sprachgebiet: Reinfried v. Braunschweig 6777 Bartsch;
Stainhöwel de claris mulieribus 69 lit. ver.; Jag. Stbausz
beychtpüchlin (1523) e 1^; Murner narrenbeschwör. 141
ndr.; Zwingli dtsch. sehr. 1, 92; Hedio chron. germ. (1530)
K 3'^; BoLTz Terenz (15SQ) 20b; Wickram w. l, 86 lit. ver.;
zimmer. chron. 1, 583; 4, 96 B.; Spreng Ilias (1610) 38^;
68^; Äneis (1610) 92* u. a.; auch ahd. der unst {s. o.) ist
aiemann. Luther gebraucht gunst als masc. gelegentlich
ohne bedeutungsunter schied neben sonstigem fem., vgl. etwa
w. 17, 1, 181 u}id 7, 361, 5 W. unten sp. 1108, une auch sogar
im alem. gelegentlich der gleiche autor beide genera neben-
einander anwendet: gen. sing, günste Konrad v. Würz-
burg Trojanerkrieg 1956 Keller; dinen gunst ebda 28857;
ein liebende gunst ew. wiszheit betbüchlin (Basel 1518)
1568'; eines gunstes ebda l5ü^; ihrer gunst Fischart
binenkorb (1588) 29 *; etwas gonstes oder Vorschubes
Oarg. 342 ndr. seit dem 17. jh. kommt das masc. völlig
auszer gebrauch; nur mundartlich ist es für das schwäb. in
kleinen resten erhalten, s. Fischer schwäb. wb. 3, 927 anm,
3) die flexion ist ahd. und mhd. die eines masc. bezw.
fem. i-stammes. im 17. jh. dringt in den plural des femin.
wie allgemein die schwache flexion ein, z. b. christliche gun-
sten Jac. Böhme sehr. (1620) 4, 46; Logau 153 lit. ver.;
der umlautlose dat. plur. zu gunsten seit dem 15. jh.
sp. 1121. leizte bezeugungen für den starken plural sind
etwa gen. günste Neumark palmbaum (1668) 348; acc.
günste Reinecke fuchs (1650) 20, doch kann der an sich
wenig gebräuchliche und darum unfeste plur. auA:h später
noch spontan stark gebildet werden: acc. pl. günste E. M.
Arndt sehr, für und an s. l. Deutschen 2, 103. umlaut bei
schwacher flexion: acc. plur. günsten Reinecke fuchs (1650)
409. vereinzeltes eindringen der schwachen flexion in den
Singular: man musz den gunsten für die gäbe nemmen
Tappius adag. cent. sept. (1545) p ö^.
4) nicht selten, bes. obd. und im hess. -thüringischen, ist
die form gonst, s. auch günstig sp. 1127: siner gönste jung.
Titurd 4334; gonst LoRi bair. bergr. 33; Salzburg, taidinge
36; 163; GuARiNONius grewel (1610) 139; S. v. Birken
forts. der Pegnitzschäferey (1645) 25; gonsten chron. d.
dtsch. Städte 5, 375 (Au^sb. 1434); gonstes Fischart Garg.
342 ndr.; gonsten discourse d. mahlern (1721) 2, 158; gonst
hess.urkdb. 2,575 Wyss-Reimer (o. d. /. 1350); Wigand
Gerstenberg 259 Diemar; Eyering proverb. copia (Eis-
leben 1601) 1, 647. Luther hat beide formen: gonst 8, 695
Weim.; 10, 1, 1, 420; 26, 574; 34, 2, 388; psalm. 5, 13; gunst
7, 361; 10, 1, 1, 649; 14, 372; 18, 275; 18, 462.
zum abfall des t in einigen mhd. belegen (s. Lexer 1,
1120) des alem. Sprachgebietes vgl. Weinhold alem. gr.
§ 177. ebenfalls alem. ist der gdegentliche verlust des nasals
mit gleichzeitiger dehnung des stammvocals vgl. Frommanns
ZS. 7, 25-20; 7, 202: güst, goust Staub-Tobler 2, 377;
göst, goust, güst, auch guhest Fischer schwäb. 3, 926 und
927, vgl. auch ahd. äst/iir anst Murbacher hymn. 10, 1, 3;
12, 3, 4; 20, 6, 2 Sievers, sowie küst/ür kunst teil 5 sp. 2666/.
der vocal kann dabei stärkere Veränderungen erleiden,
IV. 1. 6.
s. Kaufmann gesch. d. schwäb. ma. §83: gaunst Weck-
HERLIN 1, 72 Fischer (vgl. aunser < unser ebda 1, 70);
Sbb. Fischer chron. v. Ulm 220 Veesenmeyer, vgl. auch
günstig sp. 1127.
bedeutung und gebrauch.
A. die nach der bildung zu erwartende bedeuiung als
nomen actionis 'das gönnen, das gewähren' erscheint ahd.
gelegerdlich recht rein: deus auiem omnis gratiae, a quo
omnis gratia totius bonitatis procedit föne demo der unst
alles cuotes chumit ahd. gl. 1, 790, 51 St.-S.; nü hilf mir
echert, taz Jovis uuillo darana si unde sine unste (lat.
volensque nutus) Notker sehr. 1, 718, 25 Piper, nicht
durchaus eindeutig:
ich diende elm der heizet got,
e daz so lästerlichen spot
Bin gunst übr mich erhancte:
min sin im nie gewancte,
von dem mir helfe was gesagt:
nu ist sin helfe an mir verzagt
Wolfram Parz. 447, 27 L.,
wohl eher bitter ironisch im, sinne von B 2; auch der formd-
hafte, wenig sinnschwere gebrauch im reim ist nicht mit
Sicherheit in diesem sinne anzuziehen:
von miner (Äthenes) helfe günste
■Wirt sselde vil gewannen
Konrad v. Würzburg Troj. 1956 K.;
mit vruntllcher helfe gunst
pasiional 117, 71 H.
reiner, aber sichüich von B beeinfluszt (vgl. B 3 b) : vrunt-
hke, heilsame grot in gode tovoren mit lütterer steder
gunst alles gudes, erbaren heren (a. d. j. 1390) livl. urkb.
3, 6023' Bunge, gdegentlich erwächst nhd. der Vorgangs-
Charakter secundär aus formdhafter Umgebung heraus:
wenn aber wündschen und gonst hülffe, wolte ich im
gern ein ander hertz wündschen und gönnen Luther w.
38, 102 W.; man musz den willen für das werck, die
gunst (d. h. den guten willen) für die gaben nemen
Seb. Franck sprüchw. (1541) 2, 87*',
deutlicher und fester ist die bedeutung in der anwendung
auf einen bestimmten, einmaligen anlasz, 'gewährung, ein-
verständnis, Zustimmung' , consensus gunst oder verwilli-
gung gemma gemmarum (1508) k 2*:
wan ez was ein grözer kriec d& zwischen in
umb einen päbst. mit beider teile günste
mäht er einen neven päbest
Lohengrin 7453 Rückert;
vgl. vor allem mit gunst F 4 b sp. 1120; imsern gunst,
willen und erlouben darzuo geben urk. v. 1482 bei Staub-
Tobler 2, 377; und solichs . . . des romanischen kaisers
ze thon gunst und verwilligimg het Knebel chron. v.
Kaisheim 8 lit. ver.; dadurch si wider der rate . . . hie
zu Augspurg in der statt gonst und willen zu beleiben
gehanthabet werden sölten (a. d. j. 1438) chron. d. dtsch.
Städte 5, 378; nach der herren gunst und willen (16. ^A.)
steir. und kämt, taidinge 264; wer das tätte (gegen die
Schenkung sei), der soll unsre (des papstes) Verfluchung
haben, und hinwider die, so gunst und willen darzu
gabend, . . . den ewigen sägen haben Tschudi chron.
Hdvd. (1734) 40. 'erlaubnis' :
daz ir {d. hl. Elisabeth) der selecliche man,
der priester (Konr. v. Marburg) widersten began,
daz er si nit gewerte
laube, der si gerte,
und ir nit sine gunst engab
zu grifene an den bedelstab
hl. Elisabeth 6517 Rieger;
ich lass bschehen
und muss mein gunst darzu geben
Maximilian Teuerdank 256 Oödeke;
darumb bitten wir, e. f. g. wolt uns gnediglich dieses not-
baws gunst imd laub erzaygen Luther br. i, 386 W.
doch spidt auch hier, ebenso wie bei dem hierher ge-
hörigen mit gunst 'mit verlaub' (s. sp. 1120), leicht die
bedeutung 'favor' hinein; auch gunst 'privileg' (sp. 1114),
das sich seinerseits mit gunst 'Vergünstigung' berührt,
liegt nahe.
70
1107
GUNST B 1
GUNST B 1
1108
B. als seelische haltung, Stimmung des gemütes: 'liebe,
Zuneigung, neigung, wohlwollen'. — fast immer liegt der
begriff einer bezeigung, äuszerung der neigung nahe {in der
gruppe C wird dieser g ehalt zur bedeutung); doch unrd die
einem solchen geholt entgegenkommende anwendung auf
die neigung eines rechtlich oder gesellschaftlich überlegenen,
etwa eines fürsten, kaum die ursprüngliche sein, da sie
dem got. ansts, an. dst, as. anst, ahd. anst, unst fehlt {für
den an. gebrauch vgl. vor allem die anwendung auf die
liebe der treuen, alle gefahren teilenden tochter zum vater
Egilssaga cap. Lxvni) und auch im, ags. nicht deutlich
wird; die vom got. an durch die ganze christliche Uteratur
hindurchgehende anwendung auf gottes gnade (B 2), die für
die ursprünglichkeit dieser gruppe angezogen werden könnte,
ist nicht beweiskräftig, da jeder entsprechende gebrauch im
altnord. fehlt, sie scheint vielmehr durch die christliche
terminologie, vor allem durch x(i()i^, gratia hervorgerufen
zu sein, die grundbedeutung wird demnach die gutes wün-
schende, gebefreudige Zuneigung des einen menschen zum
andern sein (B 1), und erst secundär, dadurch dasz das
occasionelle moment der Überlegenheit des gebenden inner-
halb besonderer anwendungen in den Vordergrund tritt, die
neigung des höheren zu dem von ihm abhängigen (B 3).
diese letzte gruppe setzt sich jedoch im laufe des 17. jh.
mehr und mehr gegen B 1 durch, sie bestimmt auch den
bildlichen gebrauch (B 4).
1) von der Zuneigung unter personen, die nicht in einem,
äuszeren abhängigkeitsverhältnis stehen, oder bei denen
eine solche abhängigkeit keine beziehung zu ihrem gemüts-
verhältnis hat, vgl. benevolentia liebe, gunst und guter
oder geneigter will gegen eim Fhisiüs (1556) 162*^:
gotes liebe und friundes gunst
sint gein gewinne gellch gewegen
Hugo v. Trimbbrg renner 8862 Ehrismann;
oych, leyve sustergin so dancke ich dir dinz suverlichen
nuwen jaers alze sere inde dinre grosser gunste, dat du
ain mich gedacht hays (a. d. j. 1367) Steinhausen privat-
briefe 1, 5; {aus der sich verratenden liebe) mochten ent-
springen zwey böse : das erste, das ir . . . verlieren wurden
ewres vattern und muttern gunst V. Wabbeck schöne
Magelone 28 Bolte;
willat du von disteln frucht, von schlangen gunst erlangen
Lohenstein Agrippina (1685) 35
{r^gl. zur Verbalverbindung unten sp. 1116); ähnlich:
da jene (die feinde) viel zwar uns, wir ihnen nichts genommen,
indem wir uns bemüht (o, eine feine kunstl)
zu brechen ihren trotz durch unsre gute gunst {freundlichkeü,
entgegenkommen) LOGAU sinnged. 6 lit. ver.
gern mit sinnsteigernden oder differencierenden adjectiven:
si hiez ouch balde blgen
von Silber eine wigen (/wr das kind)
in muderlicher gunste
leb. d. hl. Elisabeth 607 Rieger;
daz er so lustecliche
mit sinen brudern allen zwein
künde dragen überein
in dugentlicher munste
zu bruderlicher gunste ebda 3934;
{dasz wir) uns leider gegen dir {Luther) alsz einem ab-
gesagten findt erweren müssen und briederlichen, leut-
lichen gunst in ein ungimst verendren Murner an d.
adel 8 ndr.; eure brüderliche und christliche gunsten
Jäc. Böhme sehr. (1620) 4, 46; mit synonymen: gunst und
freuntschaft {singulare amistd) zu einem reichen Juden
Arigo decamerone 29 lit. ver.; sobald nu solliche mer
auszgebrochen, ist ein grosser schrecken in die, so mir
vor mit gunst und lieb verwandt, gefallen Hütten op.
omn. 1, 409 Böcking; wohl auch noch in diesem sinne:
lieb und gunst der unterthanen ist dem regenten besser
und gewisser denn ein stalen maur Henisch (1616) 1781;
wie lang ein frau ihren lieben mann hat, so lang geniest
sie allerseits gunst und günstige äugen Abr. a s. Clara
mercks Wien (1680) 49.
<Ü8 besondere anwendungsgebiete treten hervor
a) die anwendung auf die liebe des menschen zu gott,
nur bis zum 16, jh. belegt:
swer in {den göttern) treit dienestllche gunst,
dem länt si ungelönet niht
Rudolf v. Ems Barlaam 243, 36 Pleiffer;
mer wysent üoh eynes lebendigen gunstes gegen gott und
süchent in inwendig d. ewig, wiszh. betbüchl. (1518) 156*';
mit hertzlicher, grundlicher gunst zu Christo und Un-
gunst auff unsz selbs die sund betrachten, das ist rechte
rew Luther 7, 361 W.; so grosz war der gunst und der
will zu Christo ebda 17, 1, 181. occasionell, aber auf der
gleichen linie:
{Christus am kreuz zu Veronica:)
lang mer dinen sleyer (sclUeier) herel
ich wel der ein zeichen geben,
da bi saltu mercken eben,
dasz ich erkenne din gunst
Alsfelder passionsspiel 5454 Grein.
b) Verknüpfung mit nichtpersönlichem object: yhr liebe
und gunst zur zucht, ehre und erbarkeyt Luther 10, 1,
1, 649 W.; lautter gunst und lust zu dem gutten ebda
450; vil vätter ihre kinder ... an ein ort stossen, da sie
weder gunst, liebe noch willen hin haben Wickram w.
2, 142 lit. ver.
c) die anwendung auf die liebe des mannes zur frau und
umgekehrt; vom manne:
desz wurd der jung schier doli und wütig,
gedacht sich selber oflt zu tödten,
fürnamb im auch in diesen nöten,
von ir zu wenden all sein gunst
H. Sachs 2, 295 lit. ver.;
als ich dir, Delia, ein schreiben zugesandt,
darausz du meine . . . grosse gunst erkannt
M. Opitz teutsche poemata 108 ndr.;
es fleng ein schäfer an zu klagen,
wie seines faertzens treue gunst
von Karitillen . . . gehalten würde fast umsonst
G. Neumakk fartgepfl. mus.-poet. lustw. (1657) 1,293;
wenn ich {die briefschreiberin) glauben dörffte, dasz
deine gunst aufrichtig gegen mich wäre Schnabel irr-
garten der liebe (1738) 5; vgl. auch gunst tragen sp. 1118.
von der frau: in dieser scena wird angezogen der arg-
won Chremetis, des knaben, von liebe und gunst Thaidis
gegen im, die er dann zwar gantz ernstlich understatt
zu fliehen Boltz Terenz deutsch (1539) 42'';
'Cardenio, mein freund, ich will die deine sterben*.
'sein undanck hat ja nie so treue gunst verdient'
Gryphius trauersp. 294 Palm;
nun sich meiner Phyilis gunst
an mir hat verliebet,
ist mir aller rühm ein dunst,
den das glücke giebet
Königsb. dichterkreis 129 ndr.
doch neigt diese anwendung, bei der das moment des huld-
vollen gewährens bewuszter ist, besonders seit dem 18. jh.
stärker zur auffassung B 3 :
noch hastu {das herz) dir vorgenommen,
durch deine lieb in ihre gunst zu kommen
Gabe. VogtlXnder öden u. lieder (1642) 13 ;
nur der verdient die gunst der frauen,
der kräftigst sie zu schützen weisz
GÖTHE 15, 1, 217 W.;
so wuszte er wiederholt nicht, wie es kam, dasz die,
welche er liebte, sich plötzlich und misztrauisch von ihm
abwandte, während eine andere, an die er nie gedacht,
ihn unversehens mit ihrer gunst beehrte und, einmal im
Zuge, nicht mehr nachliesz, bis er mit ihr im gerücht
war G. Keller ges. w. 5, 215; {der fahrende sänger) ein
gefährlicher mädchenfänger, der in der gunst der frauen
den ritter zu verdrängen sucht Scherer litteraturgesch. 74.
bildlich: die Wahrheit ist eine so spröde schöne, dasz
selbst, wer ihr alles opfert, noch nicht ihrer gunst gewisz
seyn darf A. Schopenhauer w. 1, 18 Orisebach;
frau Fortuna, ganz umsunst
thust du spröde 1 deine gunst
weisz ich mir durch kämpf und ringen
zu erwerben, zu erzwingen
H. Heine w. 1, 281 Elster.
vgl. die weitere entuncklung unter C 2.
1109
GUNST B 2
GUNST B 3
1110
2) ait ist wie für anst so auch für unst, gunst die an-
Wendung auf die gnädige, gewährende liebe gottes, vgl. für
got. anats etwa: jah ansts gudis was ana imma Luc. 2, 40;
für alts. anst : an was imu anst godes Heliand 784 ; für ähd.
anst : enti din anst enti dino minnä in uns f oUicho kahalt
Freisinger paternoster, kl.ahd.sprachdenkm. 44, 46 Steinm.;
f ol bistu gotes ensti ! Otfeid I 5, 18 ; II 2, 37 ; für ahd. unst :
gotes unste bei Notker unter C sowie die gleiche anwen-
dung oben unter A:
so behaldit ie der {heidnischen) gote gunst
thür. Katharinenspid 216 Beckers;
SO aber wir nit on göttlich gnad vermögen, sollen wir
frii und spat anrüffen Maria so zart, so rein, das sy unsz
allen erwerb in gemein ires kindes gunst der ew. wiszheit
betbüchlin (1518) loo'^; deyne (gottes) gonst wird sie (die
gottesfürchtigen) mit eym schild umbringen {scuto bonae
voluntatis tuae) psalm 5, 13; gottes gunst sey mit euch,
amen Luther lo, 2, 60 W.;
darinn er klar geyt zu verston,
wie in eim frommen menschen wohn
gott durch die gunst und geiste sein
und geust ihm alles gute ein
H. Sachs 16, 470, 19 lit. ver.;
Jehovah, straf mich nicht, wenn deines zornes flammen
verzehren alle gunst, gehn über mir zusammen
Fleming dtsch. ged. 1, 6 lit. ver.;
allwesend ewigkelt! lasz deiner bUtzen macht,
der ernsten donnergluth und, was die ernste nacht
dräut deiner armen magd, in tieffste gunst verschwinden
A. Gryphius trauersp. 111 lit. ver.;
prägnanter: gott ist nüt wan eyn liebende gunst der ew,
wiszheit betbüchlin (1518) 156*. gern in paarung mit ver-
wandten begriffen: so ist . . . seine {gottes) unaussprechliche
liebe und gunst . . . bewiesen M. Opitz teutsche poemata
171 ndr.;
ach schone, groszer herr, ach schone mich zu strafen,
wenn deine huld und gunst bei dir ist ganz entschlafen,
und du für zorne brennst I
Fleming dtsch. ged. 1, 3 lü. ver.;
denn wer gottis gnaden und gunst haben will, der musz
sich aller ander gnaden und gunst erwegen Luther 10,
1, 1, 20 W.; und ist kein nehrer weg zu der gnade und
gunst gottes J. Barth weiberspiegel (1565) d 3*; (den)
menschen mit unendlicher gute, gnade und gunst zu
überschütten Bodmer samml. crit.-poet. sehr. (1741) l, 15;
(die sacramente) das sinnliche symbol einer auszerordent-
lichen göttlichen gunst und gnade Göthe 27, 119 W.;
irbuit, irbuit ir {der hl. Barbara) wirde gröz,
daz si vlechte sundir drßz
zu dir (dem Deutschen Orden) in stetin gunstin sich
und mit dir bllbe ewicllch
Nicolaus v. Jekoschin 6659 Strehlke.
feste Verbindungen: des himmels gunst:
... wo nicht ist des himmels gunst,
da ist alle müh . . . umsonst
G. Nkumaek jortgepfl. mus.-poet. lustw. (1657) 1, 271;
des himmels kurtze gunst Loa au sinnged, 4 lit. ver.;
hat dir des himmels gunst die Wissenschaft beschieden,
zu leben frölich mit dem nötigen zufrieden,
so findest du genug Heqnee ges. sehr. (1828) 5, 184.
der götter gunst:
gering ist die anzahl
deren, die unverdrossen
und durch der götter gunst . . .
zu dem gestirn geflogen
ZiNKGREF aitserles. ged. 34 ndr.;
du hast der götter gunst erfahren
Schiller 11, 230 ff.
»71 stehender Verbindung seit dem 18. jh. die gunst der
musen:
selbst der redner edle kunst
hast du mir zuerst gewiesen
und der musen süsze gunst
durch dein beyspiel angepriesen
Gottsched ged. (1751) 1, 198;
nur durch die gunst der musen schUeszen sich
so viele reime fest in eins zusammen
GöiHB 10, 116 W.
3) gern, und heute vorwiegend, von jemandem, der mit
seiner neigung einen (oft materiellen und social bedingten)
gevnnn zu vergeben hat und zu dem der begünstigte in
einem gewissen abhängigkeitsverhältnis steht:
a) von alters in der sphäre des hoflebens: gunst die huld
eines fürsten gegen seine Umgebung, seiner Würdenträger
gegen rangtiefere u. s. w.:
wände er (der kaiser) ouch gein in üi stund,
mit aller gunst (etwa 'leutseligkeit') er in entfle
passional 88, 33 Hahn;
daz er mit keinen sinnen
niemer möht gewinnen
des künigs hulde noch den gunst
Reinfried v. Braunschweig 6395 Bartsch;
ich den gimst des hertzogen fast gegen im spüren thü
Wickkam w. l, 86 lit. ver.; wer den gonst der fürnembsten
herrn am hoff allein hat Guarinonius grewel (1610) 139;
was neulich oben war, erfüllt mit gunst und gnade,
das ist jetzt unten an
M. Opitz opera, geist- u. weltl. ged. (1690) 3, 284;
wie lang er (d. höfling) kupfern geld so häuflg lassen regnen,
als seines fürsten gunst zum deckel ihm gedient
ESCHENBUKG bcispielsamml. (1788) 2, 206.
in stehender Verbindung: groszer herren gunst Alberus
fabeln 145 ndr.; Dan. Schaller heroldt (1604) 79; der
herren gunst grillenvertreiber (1670) 13; deutsche Volks-
bücher 6, 13 Simrock; der groszen leute gunst Ambach
vom ztisauffen a 2»; Paul Gerhardt bei Fischer-Tüm-
pel kirchenlied 3, 321; die gunst der groszen E. v. Kleist
w. 1, 67 Sauer; Schubabt briefe l, 189 Strau^z, vgl. av^h
herrengunst, fürstengunst. in diesem sinne prägnant:
die schmale stürzebrücke,
darauff nach gunst man zeucht, die bringt mir
nicht gefahr Logau sinnged. 164 lit. ver.
charakteristisch sind in diesem bereich adjectiv- und ver-
balverbindungen wie: eines fürsten flüchtge gunst Rau-
pach dram. w. ernst, galt. 5, 29; blinde gimst Chr. Wolff
d. menschen thun und lassen (1720) 89; um die gunst der
mächtigen buhlen H. P. Sturz sehr. (1779) i, 70; sich in
jem. gunst einschmeicheln Schiller 14, 192Ö., stehlen
ebda 12,81; (des sultans) gunst erkaufen Lohenstein
Ibr. sultan (1680) 20. vgl. auch B 5.
b) daher wie auch günstig und seine ableitungen (s.
sp. 1129/.) gern in officiellem stil: mitler zeit will ich mich
in . . . der gantz kunstliebhabenden wittenbergischen
gesellschaft huld und gunst, als eigen, befolhen haben
Scheit Grobianus 7 ndr.; ich ergreife daher die gelegen-
heit, mich der ferneren gunst und gewogenheit ... zu
empfehlen Bremser medicin. parömien (1806) 302; anders:
ihr herrn von gunsten lobesan,
euch allen grossen danck wir han
Hayneccius Hans Pfriem 84 ndr.
in der gruszformel: unse (d. i. des grafen) gunst und frunt-
lichen groz vor eingang e. lohnordnung von 1886 bei
Bauer-Collitz waldeck. 30l; unsir (der herzöge) gunst
und allis gut, erbere und wolweize bezundere getrawen
(o. d. j. 1451) lehnsurk. Schlesiens 1, 419, vgl. und ermant
sie in dem (einladungs)hneS groszen gunst, und daz sie
solten zu im kumen Eulenspiegel 78 ndr.
c) allgemeiner: den getreusten diener, . . . der eurer
(des bürgers) huld und gunst am meisten geweitig sey
Abigo decam. 442 lit. ver.; ein hund so klug von natur,
dasz er kein frembden hund in seinem hausz leidet, da-
mit er ime nicht seines herrn gunst und sein brot abtrage
Lehman florileg. polit. (1662) 1,430; wie ich dem edlen
herrn durch meine kunst beweisen möchte, dasz er gab
und gunst an keinen unwürdigen verschwendet habe
Storm w. (1899) 3,213; (Paulus) erschmeichelte sich
weder durch worte, noch durch gaben die gunst seines
richters Lavater verm. sehr. 2, 382; (zum carriere machen)
bedürfen sie der ministeriellen gunst mehr als des Wohl-
wollens der kreisbevölkerung Bismarck ged. u. erinn.
1, 30 volksausg.; (Rudolf v. Habsburg) warb demütig um
die römische gunst (d. h. die des papstes) Fbeytag ges. w.
(1886) 18, 85.
70*
1111
GUNST B 4
GUNST B 5-6
1112
d) eine feste gruppe bildet die anwendung auf subjecte
tvie Volk, publicum u. a.: (er) luget noch immerdar, wie
er den gunst und gutwilligkeit seiner predigtkinder er-
halten möge Jac. Grettbr epistel s. Pauli (1566) 36; ehe
er sich dort in der gunst des publicums festgesetzt hatte
0, Jahn Mozart 3, 12. leicht trübt sich dabei der gehalt
des Wortes: aura popularis gunst desz volcks Frisitjs
(1556) l^Z^i krohnen gibet manchem die gunst des volkes
oder das erbliche recht: aber ein krohnenwehrtes gehirn
kommt allein vom herrn aller herren BtiTSCHKY Pathmos
779; die folge des . . . buhlens der . . . aristokratie um die
gunst der menge Mommsen röm. gesch. 2, 73, vgl. auch
der weit, der menschen gunst unten B 6.
e) der begriff des nicht völlig verdienten tritt bisweilen
stärker hervor: ach, es wollen e. h. gleiche gunst gegen
diesem armen unmündigen wercklein spüren lassen
MoscHEBOSCH insomnis cura 8 ndr.; {der entschlusz) be-
darf gunst {nachsieht), um den mangel seiner rechts-
ansprüche zu ersetzen Kant s. w. (1838) ii, i5d Hartenstein;
bey klugen, du mein buch, thu willig einen bug,
und bitte sie um gunst für das, was nicht hat fug
LOQAU sinnged. 562 lit. ver.
4) bildlicher und übertragener gebrauch sieht als träger
der empfindung vor allem schicksalskräfte, wie natur,
glück, geschick u. a. {vgl. auch günstig sp. 1131); anschlusz
an^l ist selten{vgl, auch bei B 1 c) : wie man pflegt zu sagen
auch nach der natur, die da offt yhr gunst wirfift auf ein
unlieblich ding und spricht: gunst und liebe feilet so
schier auff den frosch als auff die purpur Luther 10, l,
1, 420 W,; es herrscht durchaus die Vorstellung B 3 vor.
das bild ist um so sinnkräf liger, je stärker es das moment
des gewähr ens bewahrt: wer wil nit sagen und bekennen
alle ding under des gelückes gunst und Ungunst gere-
gieret werden? Niclas v. Wyle translat. 57 lit. ver.;
dem meister bleibt doch seine kunst,
ob ihm schon glück versagt sein gunst
Lehman florileg. polit. (1662) 1, 485;
wie sehr versiehst du dich
in deiner gunst, du blindes glücke
Gottsched gcd. (1751) 1,111;
ein unbedingtes vertrauen auf die eigene kraft und die
gunst des glückes Gutzkow ges. w. (1872) 6, 313;
es reizet mich die milde gunst
des gar zu gütigen geschickes
"Weichmann poesie d. Niedersachs. 1, 82;
des glückes abentheuerlichen söhn,
der von der zelten gunst emporgetragen
SCHILLEE 12, 8 O.;
gönnen wir ihnen das vergnügen, sich ein wenig sonnen
in der gunst des augenblicks Alexis ruhe ist die erste
bürgerpflicht (1852) 1, 83. anders: so ging heute {am reise-
tage) die sonne so schön auf, als wolle sie Hans Unwirrsch
ein ganz specielles zeichen ihrer gunst . . . geben W. Raabe
hungerpastor (1864) 1, 188; um schnell das gute wetter
noch zu benutzen, das seit einigen tagen uns mit aller
seiner gunst erfreute Pückler briefwechsel u. tageb. (1873)
2, 269 ; welches nicht unf üglich unter der decke nächt-
licher finsternisz geschehen konnte : weil ihre Wohnzimmer
nicht übrig weit von einander, und also eines zum andern
unter der gunst des Schattens . . . hinüberschUch Er.
Francisci höll. Proteus (1695) 149;
schilt nicht als flatterliebe mein ergeben,
das dir die gunst der stillen nacht verrieth
Göthb 9, 196 W.;
wo das bild verblaszt, tendiert die gruppe auf eine mehr
objective bedeutung 'günstigkeiV 'zweckdienlichkeit' {vgl.
auch günstig 4): jedem dinge, welches . . . sich entwickein
soll, musz dazu gunst der zeit und gelegenheit gegeben
werden E. M. Arndt sehr, für u. an s. l. Deutschen 3, 13;
dieselbe gunst des Zufalls . . • kann aber auch auf andere
weise eintreten Fr. Th. Vischer ästhetik (1846) 2, 10;
unter der gunst einer momentanen politischen combina-
tion Ranke s. w, 31-32, 17. vgl. auch 0 4, gegen das eine
klare abgrenzutig nicht immer möglich ist.
5) das besondere emotionale moment der bedeutung, das
sich vor allem in der gruppe 3 zeigt, erscheint verdichtet im
speciellen sinne, 'ungerechtes wohlwollen', 'unllkür':
ir richter, ich üch hie ouch bit,
lond üch nit bewegen iener in
kein gyrlichkeit, kein bösen sinn;
die gunst land farn und den nyd!
Schweiz, spiele d. 16. jh. 2, 84 BäcMold;
dann laider, mancher ist dahin {zu würden) kommen, dasz
nit die verdienst, sonder der gunst die idioten zu den
digniteten erhebt Ägid. Albertinus Lucifers königr. 42
Liliencron; da ist weder . . . gunst noch ansehn der person
MoscHERoscH gcsichte (1650) 1, 19;
von der parteien gunst und hasz verwirrt
SCHILLEK 12, 8 G.;
das regiment der landesherren wie der städte ist voll
gunst und animosität Freytag ges. w. (1886) 17, 14; über-
tragen: so beschirmbt {die natur) etlich in tref liehen sor-
gen, laszt etlich in wenigem sorgen fallen; das ist der
gewalt und gunst der natur Paracelsüs chir. (1618) 277 a
Huser. gern in formelhafter redeweise, rechtssprachlich,
sprichwörtlich, besonders auch im gleichklang mit ver-
wandten begriffen: und des nit zu lassen durch liebe,
myede, gäbe, gunst . . . noch durch keinerley ander sache
willen {diensteid a. d. j. 1406) K. Bücher Frankf. berufs-
Wörterbuch 65^; wer in der geselschaft will sein, der musz
schweren, wo er ain Christen anchom, den soll er töten
und . . . nicht gefangen nemen, weder von gimst noch
von guts wegen Schiltberger reisebuch 93 lit. ver.;
gunst geht für gespunst Kirchhofer schweizer, sprichw.
157; ein halb pfund kunst soll mehr gelten als ein centner
gunst Abr. a s. Clara mercks Wien (1680) 15;
gewalt, gelt und gunst
schwecht recht, ehr und kunst
Seb. Franck sprüchw. (1546) 1,81';
gunst geht für recht, das klag ich armer knecht Neandeb
dtsch. sprichw. 16 Latendorf. vgl. auch aus gunst, nach
gunst unten F 1, 2.
in anderer richtung liegt die begriffliche einengung bei
der stehenden Verbindung gunst der weit, der menschen
als summarischer inbegriff irdischer diesseitsbefangenheit;
die auffassung neigt gelegentlich zu C {'gäbe'):
{sie gelobte, dasz sie) des nummer nlht geplege,
da uppekeit an lege
unde werltliche gunst hi. Elisabeth 507 Rieger;
sölten ouch nu selten werden frö
von dirre gltigen werlde günste
Hugo v. Trimbeeg rentier 10075 Ehrismann;
aus B 3 d : dasz es nicht gelte geld noch gut noch menschen
liebe und gonst Luther 34, 2, 388 W,;
weltl was hab ich noch mit dir
und mit deiner gunst zu schaffen?
Günther ged. (1735) 7;
nicht rühm und nicht der menschen gunst
beschütze mich Platen w. 1, 11 Redlich.
6) im passivischen sinne 'beliebtheit', 'anklang', ent-
wickelt aus verbalen Verbindungen possessiven geholtes
wie gunst bei jem. haben, verlieren, erwerben, ge-
winnen (s. 1117), die vom begünstigten aus gesehen
werden:
s6 höher tugende si pflac.
den liuten si sich künde
wol lieben ze aller stunde,
da von si gröze gunst gewan
Mai u. Beafior 96, 35
{vgl. zur Verbalverbindung unten F); er möchte gunst und
freundschafft verlieren bey denen, derer er genieszen
kan J. A. Qubnsted ethica pastoralis (1678) 231;
als von den rechten freyen kunsten,
dardurch man kombt zu grossen gunsten
bey keyser, könig, fürsten, herrn
M. Mangold marckschiff (1596) d4;
und ihm ein ruhiges alter, hohes ansehen und grosse
gunst bey menniglich verliehen H. Rätel chron. d. hzt.
Schlesien (1607) 266; und da {die kinder) nun in der regel
noch keine Verstellung üben, so können sie uns als die
1113
GUNST C
GUNST C 1-3
1114
trefflichsten barometer dienen, um an ihnen den grad
unserer gunst oder Ungunst bei den ihrigen wahrzuneh-
men GöTHE gespräche 7, 21 i; dies gelang mir mehrmalen
durch die gunst meiner freunde unter den obern Bahbdt
gesch. s. leb. (1790) 1, 87; die präp. von bewahrt einen rest
des activischen ainnes: dardurch er im ainen grossen
gunst und wolwöUen von der gantzen stat . . . machet
Fortunatua 74 ndr.; mit sachlichem object:
der frembden sprachen gunst
merklich schon begint zu wanken (in DeutscJdand)
Königsb. dichterkreis 66 n4r.
auch bestimmter 'ansehn, macht, einflusz' : da schweygt,
da heuchlet yderman, auf das sie nit vorlyren yhre gutter,
yhr ehr, yhr gunst und leben Luther 6, 275 W., so wohl
schon mhd.:
die kunst,
diu manigem guot, §re und gunst
hat bräht
Hugo v. Teimberq rentier 16658 Ehrismann;
also bringt die tugendzierde
ihr auch hohe gunst und würde
Schupp sehr. (1663) tüelbl.^;
eine gunst und Stellung wie er habe noch nie jemand
gehabt Schlesiek bei Gentz sehr, l, xvin; in diesem
sinne gern gunst und geld:
all menschlich witz, gewalt, gunst und geld
im augenblick zu boden feit
Friedr. Wilh. tprichw.-register (1577) A l*;
künstler haben weder gunst noch gelt Seb. Fbanck
sprichw. (1541) 2, 100*;
ein cavallier heist jetzt, was weiland hiesz ein held,
dort macht es hertz und mut; hier macht es gunst und geld
LOGAU sinnged. 71 lit. ver.;
wer geld und gunst hat, kan thim, treiben und erhalten,
was er will Reinicke fiLchs (1650) 155; vgl. auch gunst haben
sp. 1117,
bei sachlichem object auch 'geltungskraft, gdtung' : grothe
gimat hefft de leste wille alt. lüb. recht 588 Bach, d. h. von
mehreren letztwilligen Verfügungen gibt die letzte den auf-
schlug Wander 2, 169. — vgl. zur ganzen gruppe günstig
6 'angenehm',
C. äuszerung, bezeigung des Wohlwollens; im ganzen
bereich der bedeutungen von B, zu dem im einzelnen die
grenze nicht immer scharf zu ziehen ist; charakteristisch
ist für C artikel und pronomen, sowie der plural: gotes
unste (d. i. die äuszerungen seiner gunst) irrahton {expli-
cabant) iro {der feinde) ununste unde haz unde ähtunga
Notker psalm 104, 25;
dö man zu Kieflande vernam,
daz des landes meister quam,
man entpflenc in s6 wol,
als man zu rechte den meister sol.
war er in die hüs quam,
die gunste er gerne von in nam
livl. reimchronik 2314 Meyer;
al der arzte kunst,
ob sie im (Oawan) trüegen guote gunst
mit temperte üz würze kraft,
äne wlpllch geselleschaft
so müeser sine schärple not
hän bräht unz an den süren tot
Wolfram v. Eschenbach Parz. 643, 22;
und auch vil gnaden und gunstes von siner (des papstes)
heilikeit haben enphangen (o. d. j. 1402) Frankf. reichs-
corresp. 1, 684 Janssen;
er hatte schon die günste
des königes geschmekt
Reinicke luchs (1650) 368;
nachdem so manche gunst und gutthat ich empfangen
Dietrich v. d. Werder buszpsalmen (1632) b 1»;
alle andere gunsten und wohlwollen desz glucks J. Tonjo-
lam Aristippus (1662) 2; und zwingen mit gewaff neter
band dem glück eine gunst ab Schiller 3, 95 0.; ohne
irgend eine gunst des Schicksals genossen zu haben
Göthe 46, 21 W. die in den bisherigen belegen bisweilen
anklingende bed. 'gäbe" erscheint gelegentlich deutlicher:
denn das Schicksal hat ihnen seine höchste gunst ver-
liehen: die schlichte Schönheit der seele Scherer kl.
sehr. 1, 14, besonders wo gäbe als synonymen erscheint:
freylich, freylich, die schöne kunst
ist gottes gab, geschenck und gunst
Gilhusius Orammatica (1597) 1, 19;
leider ist bey solchen dingen das wollen dem vollbringen
nicht sehr förderlich, es sind gaben und gunsten des
augenblicks Göthe IV 35, 158 W. — auszerhalb des deut-
schen entspricht got. ansts ' %(iQi(T/ia' , 'gnadengabe' z. b.
Rom,. 6, 23; 1. Timoth. 4, 14; ags. est 'gabe\ z. b. Beoumlf
2165; specialisiert estas 'dapes\ 'ddiciae' Bosworth-
TOLLER 259* und SUppl. 194*'.
1) gelegentlich specieller im hinblick auf einen besonderen
einmaligen anlasz 'Vergünstigung' , wobei der Zusammen-
hang mit B zurücktreten kann: [dem cardinal wurde) die
ersten tage erlaubt, sich aus der küche seiner mutter
besorgen zu lassen; da aber der papst hörte, dasz . . .,
entzog er ihm diese gunst M. Klinoer w. 3, 247 ; ich bitte
in diesem brief um eine grosze gunst Schiller 12, 406 G.
mit abhängigem satz: da bat Virginius den decemvir um
die einzige gunst, von seiner tochter abschied nehmen
zu dürfen Niebuhr röm. gesch. 2, 137, mit stärkerer be-
tonung des unverdienten: wenn myr eyner zehen gülden
schenckt, mit welchen ich meinem schuldiger bezalet,
das geschenck wer eytel gunst oder gnad Luther 18,
462 W. als gunst, als eine gunst in Verbindung mit verben
des bittens und gewähr ens {s. au^h sp. 1117) : vornehme guts-
besitzer standen demüthig harrend im Vorzimmer der
fremden und erbaten als gunst, ihnen feste veranstalten
zu dürfen Freytaq ges. w. (1886) 13, 57; unter tausend
bittenden . . , ist es mir als eine gunst bewilligt worden
Raumer gesch. d. Hohenstaufen 4, 51; ich würde mir als
letzte gunst erbitten, dort begraben werden zu dürfen
Sfielhagen s. w. (1877) 1, 110,
2) liebesbeweia der frau gegen den mann {vgl. B 1 c); 'ge-
währung, erhörung' :
allen (freiern) verheiszt sie gunst und sendet jedem besonders
schmeichelnde botschaft; allein im herzen denket sie anders
J. H. Voss Odyssee 246 Bernays;
concreter:
so schwer ists nicht, wie ich geglaubt,
dem mädgen eine gunst zu rauben Göthe 37, 23 W.
vor allem prägnant für den liebesgenusz:
Ihr Jungfern, euer leib, den wo gewalt verletzet,
wird ehrenlose nicht mit billigkeit geschätzet,
Cunninna weisz es wol; wer an um gunst sie spricht,
dem gibt sie die und schreyt: o nein, o nein, o nicht I
LOGAU sinnged. 100 lit. ver.;
willfahret jedem, gönnet eure gunst
dem ersten besten haushahn auf zwei beinen
Lenz ged. 101 Weinhold;
nun ist mir gar wohl bekannt, was ein ritter der ehre
solcher damen, deren gunst ihm heimlich zu teil wird,
schuldig ist H. v. Kleist 3, 397 Schmidt; so wird bes.
verstanden die, alle gunst, die letzte, höchste gunst:
Proba ward von einem buUer um die gunst gesprochen an
LooAU sinnged. 407 lü. ver.;
sie diesen mann in ihr garn locken und ihm alle gunst
vergönnen solte Leipziger avanturieur (1756) 1, 186; damit
hängt es zusammen, dasz die Schilderungen der höchsten
gunst ganz in den dienst der Sinnlichkeit gestellt werden
Paul Schultz erot. motive (1907) 63; mir gab sie nach
und nach alles preis, seel und leib, nur die letzte gunst
ward mir vorbehalten Heinse s. w. 4, 63 Schüddek., vgl.
auch der letzte wille teil 14, 2 sp. 153, nicht selten wird
euphemistisch der gebrauch von B in diesem sinne gewandt:
so freüwet mich nichts dann schöne frawen und junk-
frawen, wo ich der lieb und gunst überkommen möcht
Fortunatus 107 ndr.; der kaiser von Ruszland schenkt in
Berlin einem schönen hutmachermädchen für ihre gunst
himdert ducaten Hebbel tageb. 2, 326 Werner.
3) als terminus älterer rechtssprache 'vorrecht', 'privileg'
{vgl. gunstbrief im gleichen sinne): den fieischhauern
1115
GUNST C *
GUNST D. E
1116
ist die gunst gethan, das sie mögen fleisch auf iren
wagen wegen, doch nicht über zehen pfundt Jenaer
stadtordn. v. 1540 ort. 138 Michelsen; als aber vergangen
zeit die macht der herrschaft Venedig mit freihaiten, zü-
lassingen, günsten auch des römischen stüls gelt offt hilff
empfunden, ist dieselbig . . . grosz auszgewachsen G.
OßTOLFF päpstlich bull (1509) A 3»; fünf groschen von
einer gunst; ein gülden von einer gunst, wann es hundert
gülden und darüber ist {einnahmen aus privilegierten
quellen?) Urkunden bei Besold thes. pract. (1697) 348'', vgl.:
von einer amtsgunst fünf groschen ebda, anders in der
bed. A: gunst consensu^ in oppignorationem vel alienatio-
nem (veräuszerung eines lebens, pfandes) Haym Jurist, lex.
(1738) 276, s. auch herrengunst 2 teil i, 2 sp. 1140. etwas
zu gunst haben ex gratia aliquid possidere, non iure
proprio ac hereditario Halt aus gloss. 758: an. 1417 hat
W. . . . verkaufft und gegeben zu einem steten ewigen
kauff Könlein Reicherten ein erbrecht auf dem fisch-
wasser mit sambt hausz und hoff, ... in maszen er dann
solches biszher um ein zinsz zu gunst von im gehabt hat,
doch also, dasz er . . . hinführo . . . ihm davon mit Zin-
sen und andern gewerttig sey urkde ebda, gelegentlich
auch übertragen auf das die gunst enthaltende actenstück:
{es wurde gestohlen) die kirchenlade mit denen günsten
Steckbrief a. d. j. 1687 bei Jon. Gabk. Süsze hist. d.
Städtgens Königstein (1755) 116. in neuerer zeit klingt die
bedeutung im rahmen von C 1 noch gelegentlich an: der
adel . . . erschlich sich oft gnaden und gunste, die ihm
der bürger und bauer beneideten E. M. Arndt sehr, für
u. an «. l. Deutschen 2, 103.
4) in gewissen anwendungen verlegt sich der Schwerpunkt
des sinnes von dem gewährenden subject auf das gewährte
object: gunst als summarischer ausdruck dessen, was {sub-
stantiell) angenehm, gut, nützlich ist: die eitern . . . ihren
kindern . . . alle gunst und gutes schuldig sein J. Barth
weiberspiegel (1565) o 5**; gelegentlich specieller: wa wir
deinen feinden etwas gonstes oder Vorschubes beweisen
Fisch ART Garg. 342 ndr.; wo das subject nicht genannt
wird, ist es oft noch latent vorhanden: jede gunst und jeder
gewiim, die mich aufsuchen, nachdem ich Rahel verloren,
kommt mir wie höhn vor Pückler briefw. u. tageb. 3,
186, doch kann es ganz zurücktreten:
wenn es ging nach desz fleisches muth,
in gunst und gesund mit grossem gut,
gar bald werden wir erkalten
Pktki d. Teutschen weish. (1604) 1, O 1»;
Strefon, muster deutscher gunst (d. i. dessen, was g%a deutsch
ist), bild der alten redlichkeiten,
meiner Jugend tugendmodel
Stieler geharnischte Venus 11 ndr.;
gering ding hat auch sein gunst {sein gutes) Henisch 1781,
besonders seit in neuerer zeit auch das neutrum des adj.
hereinkreuzt, gunst 'das günstige':
doch wir {die kundschafter) bringen wenig gunst
GÖTHK 15, 1, 261 W.;
da solche {erfolgreichen) personen gewöhnlich den ort
verändern und als reisende bald hier, bald da eintreffen,
so kommt ihnen die gunst der neuheit zu gute ebda 28,
185; völlig eigenschaftlich: wenn etwa der finanzminister
die gunst seiner amtlichen Stellung benützt, um neben-
her als Privatmann gute geldgeschäfte zu machen W. H.
RiEHi, deutsche arbeit (1861) 229. so von der gunst eines
landes, klimas u. a., d. h. von seiner guten Wirkung auf
den menschen: {um) zugleich die gunst der seeluft zu
genieszen, liesz er sich ... an den Strand hinausfahren
Stoem w. (1899) 6, 213; abhängigkeit von der gunst oder
Ungunst des Wohnortes 0. Pesohel Völkerkunde {1874) 338.
die belege führen an die gruppe B 4 heran, die nicht immer
scharf abzugrenzen ist.
wohl eher hier als oti B 6 anzuschlieszen in besonderem
sinne 'ansehnlichkeit\ ^schönes äuszeres\ 'frische', 'kraft':
ich vberkam wider die vorige gunst und gestalt des an-
gesichts NiQBiNUS von Zauberern (1592) 179; speciell von
pflanzen:
der veilgen süsze gunst, der anemonen pracht
macht, dasz die Iduge frau oft in sich selbsten lacht
Fleming dtsche ged. 1, 60 lü. ver.;
vgl. medulla peddich; der gunst pomorum; das werck o.
heden i. flos Uni voc. von 1517 bei Diefenbach gloss. 353^;
in der mundart: jonts nähr wert, saß und kraft in speisen,
mark in knochen rhein. wb. 2, 1494; doa es de jonts us
von schalem wein, verdorbener speise, pelzigen radieschen,
ZU lange gekochtem fleisch ebda; dazu stimmt nnl. gonst
'kraft des düngers', fruchtbarkeit des bodens woordenboek
5, 399; 1293.
D. eine Übertragung der empflndung B 3 auf die person
des empfindenden ist der nicht an einen bestimmten rang
gebundene titel euer gun8t(en) {vgl. als ähnliche bildungen
euer gnaden, euer liebden): diese kurtze vormanung . . .
will ich euch meinen groszgünstigen herrn, beide stets
regierenden burgermeistern . . . dediciret und zugeschrie-
ben haben, der meinung, das ewer günsten . . . solchem
übel wehren und steuren wollen Musculus hosenteuffel
26 ndr.; bitte demnach ew. günsten um gottes willen
J. Prätorius Katzenveit (1692) 86; ew. wohledl. hochw.
und hochgelahrte günsten Rist sabbat. sedenlust (1651) 43;
Balth. Schupp sehr. (1663) 620; 622. gern mit synonymis:
dediciere und zuschreibe {ich) ewern gnaden, herrlig-
keiten und günsten . . . mehrgemeltes buch Hans Sachs
18, 6 lit. ver.; ewer gnaden und gunst Hütten op. omn.
1, 418 Böcking; ewer gnad, gunst und frundschafft H.
v. Cronberg sehr. 131 ndr. das alter der Verbindung mit
dem auch sonst verknüpften gnade läszt daran denken, dasz
der gebrauch parallelbildung zu euer gnaden ist.
in anderer weise hierher gunst als 'anhang, parteigänger-
schaft': wer nun guete gunst, befreunte oder gfattersleit
darunder {unter denen, die die steuern veranlagen) hat,
und dem man wol wil, dem wierts dest ringer, entgegen
aim andern schwärer . . . angesehen {an steuern ange-
rechnet) {anf. d. 17. jh.) steir. taidinge, nachtr. 57; dasz du
{Luther) dise ding allein darumb einzühest, dir ein gunst
und anhang damit zu erschopffen Murner an d. adel
36 ndr., vgl. unten E s. v. erzeigen; des was eyn in dem
rade, gebeten her H., de was van her Rubenauwen gunst,
wente se hadden twe sustere to echte Lübeck, chron. 2,
270 Orautoff. vgl. auch günstig im gleichen sinne sp. 1129,
sowie gunstiger.
vereinzelte eindeutschung bleibt: monfavori mein liebster
freund, mafavorite mein gunst Stör frg.-all.-lat. (1663) 1,
412^
E. stehende verbalverbindungen. bei verben wie erlangen,
erwerben, gewinnen bevorzugt gunst die ins passivische ge-
wendete bedeutung B 6 {'beliebtheit', 'ansehen'), besonders
wenn sie mit der präp. bei verbunden sind, bei verben des
gewährens wie erweisen, erzeigen, gewähren, schenken,
tun liegt die bedeutung C nahe, vor allem wenn durch
artikel oder pronomen (eine, die, diese gunst) die einmalig-
keit der handlung festgelegt wird, die Verbindungen mit
tragen, stehen verlassen den bereich der bedeutung B 1—4
selten, am vielseitigsten ist gunst haben.
jemandes (bei jem.) gunst erlangen: {sie) erlangen
gunst und hulde des vatters Luther 10, 3, 137 W.; weil
er mit dem befehlichshaber im haf en kundschaf t gemacht
und seine gunst erlanget hatte Bucholtz Herkuliskus
(1665) 2; er vergiszt nicht, vergiebt nicht, auch dann
nicht, . . . wenn man alles anwendet, seine gunst wieder
zu erlangen Knigge Umgang m. menschen (1796) l, 156;
im erotischen bereich (B 1 c, bezw. C 2): zu dero {concubine)
schicken, mit vermelden, wie ir {anr.) gegen iro, wegen
ihrer schöne in brünnende liebe entzündet: ihr wüsten
auch nichts under dem himmel, das ir nicht, . . . allein
ir gunst und liebe zu erlangen, gern thun weiten
J. Wetzel söhne Oiaffers 27 lit. ver.; zw B 6 neigend:
darumb er dan ein grossen gunst bei meniglich erlangt
AvENTiN bair. chron. 4, 374 Lexer.
jem. gunst erweisen:
wem gott will rechte gunst erweisen,
den schickt er in die weite weit
ElCHENDOEFF ». w. (1864) 1, 237;
1117
GUNST E
GUNST F 1
1118
deutlicher im sinne C: mit welchem {nachsichtigen ver-
schweigen) ihr noch eine grosze gunst durch mich . . .
erwiesen worden Zendorius a Zend. winternächte (1682)
641; es war das erste und letzte mal, dasz sie mir diese
gunst erwies {sie hat ihm einen kusz gegeben) Göthe 26,
331 W.
(jemandes, bei jem.) gunst erwerben:
etwerbent der werlde und gotes gunst
Hugo v. Teimbeeg rentier 17470 Ehrism.;
durch solchen dienst und solche kunst
erwarb sie so ein grossen gunst
Murner mühle v. 262 AlbrecM;
ich erwarb mir {durch vorlesen) die gunst der frauen
G. Keller ges. w. l, 252. im erot. bezirk:
(die kupplerin:)
o herr, all arbeyt ist umbsunst,
zu erwerben der jungkfraw gunst
H. Sachs 2, 5 lit. ver.
im sinne von B 6: damit sie {die hofleute) bey grossen
potentaten gnad und gunst erwerben buch d. liebe (1587)
tilelblatt; auch mit sachl. subject: das industriecomptoir
gab eine abbildung mit einigem text heraus, welche auch
auswärts soviel gunst erwarb, dasz . . . Göthe 36, 9 W.
jem. gunst erzeigen: sampt allen seinen anhangern
und die ihm gonst erzeygen Luther 8, 695 W.; {der könig)
erzeigt scheinbarliche zeichen besonderer liebe und gunst
gegen ihnen Amadis 1, 255 lit. ver.; zu C: seinen freunden
eine gunst über die andere zu erzeigen Ettner medizin.
maulaße (1719) 4;
ich grüsze dich, du einzige phiole 1 . . .
erweise deinem meister deine gunst
GÖTHE 14, 40 W.
jem. gunst gewähren, vor allem zu C:
die gunst (d. t. ein kürzeres leben) gewähret ihm der gott
Eamlkr fabeUese (1783) 1, 33;
möge mir diese gunst des guten geschicks bald gewährt
seyn Göthe IV 31, 56 W.
jemandes, bei jem. gunst gewinnen Mai und Beaflor
96, 35, s.oben sp. 1112; meine besten geschichten . . . gab
ich ihm so nach und nach zum besten und gewann seine
gunst dadurch H. Seidel Leberecht Hühnchen (1899) 55;
2M B 6:
kunst bei Vernunft viel gunst gewinnt
Lehman florileg.polü. (1662) 1,322;
dagegen haben seit einiger zeit denkwürdigkeiten von
Privatpersonen steigende gunst gewonnen Scherer kl.
sehr. 1, 46, im erot. bereich zu B 1 c: das ist ja, als war
er der Heiterethei zu gefallen im begriffe, ordentlich zu
werden, und um ihre gunst zu gewinnen 0. Ludwig ges.
sehr. (1891) 2, 122.
gunst haben; jemandes gunst haben von ihm geschätzt,
begünstigt werden:
got weiz wol, lieber vater min,
swaz du hast an ir getan,
des soltü mtne gunst hän
E.UDOLF V. Ems gut. Oerh. 2864 Haupt;
er sagt, er wer auch von der kunst
und hett viel grosser herren gunst
Fischart Eulenspiegel 3261 Hauffen;
Essex hat die gunst des volkes Lessinq 10, 40 L.-M. im
gleichen sinne, nur in älterer spräche gunst haben von jem. :
(manchen mannes) gunst,
die er von riehen und armen hat
Hugo v. Teimbeeg renner 2000 Ehrism.;
solche Satzungen, die von gott keinen gunst haben
Zwingli dtsche sehr. (1828) 1,204; du wirst glück und hayl
haben und grossen gunst von teütschem land Eberlin
V. GÜNZBURG s. sehr. 1, 6 ndr. — in der bedeutung B 6
gunst haben bei 'gratia apud aliquem florere' nomencl. in
vsum schal. {Hambg. 1634) 230: (er hat) bei des römischen
künigs räthen ein grosen gunst gehapt zimmer. chron. 4,
96 B.; 1, 583; 2, 521; als ob die fründ gotes . . . minder
ansehens oder gunst hetten bei got Hieron. Gebwyler
lob Marie (1523) 14»; das bey etlichen gunst, das hat bey
anderen Ungunst Frisiüs (1556) 618*; deutlich auch bei
unpersönlichem subject: das kleyn vyhe hat auch ein
grossen gunst {bdiebtheit) zu den opffern der götter
Eppendorff Plinius (1543) 8, 81; das neue hat als solches
schon eine besondere gunst Göthe 45, 179 W. — gunst
haben zu, gegen jem. une gunst tragen ihn schätzen,
lieben; nur in älterer spräche: umme gonst und gnade, die
wir hant zu dem erbern manne (a. d. j. 1350) hess. urk.-b.
2, 575 Wyss-Reimer;
zu dir (Helena) hab ich (Paris) so hohen gunst
Spreng llias (1610) 38»;
die Präposition kann auch durch einen obliquen casus ver-
treten sein:
doch hat st minem übe gunst
der von Gliees bei Baetsch Schweiz, minnes. 205;
(der hund) hett trewUch dient bey seinen tagen,
des hat der herr sein (gen. object) gunst und gnaden
H. Sachs 9, 230 lü. ver.;
mein bastu weder bnld noch gunst
Speenq llias (1610) 69».
in gun8t(en) bei jem. stehen: Horatio . . . hat bei
ihm {dem könig) in gunsten gestanden Göthe 22, 160 W.;
die damals sehr in gunst stehende theorie der Schwin-
gungen {des lichts) ebda II 2, 210.
gunst (zu) jemandem, gegen jemand tragen; nicht
über das 17. jh. hinaus belegt:
swer in (den göUern) treit dieneetUche gunst
KüDOLF V. Ems Barlaam 243, 36 Pieiffer;
ZU B 1 c :
nach der mein hertz ye tbet verlangen,
ir lang trug heymlicb lieb und gunst
H. Sachs 2, 28 lü ver.;
ich weisz nicht, woher eine Jungfrau noch einige gunst
zu euch tragen kan Happel akadem. roman (1690) 248.
mit sachlichem object:
er reitzet mich zu meiner kunst,
zu der ich trag die gröszte gunst
Herlicius musicomastix (1606) 13".
jemandem gunst tun: dussem boden mode we gunste
don unde senden on erliken to hus ndd. Alexander
bei P. J. Bruks romant. u. a. ged. in altplattdtsch. spr.
(1798) 361; thut mir die gunst und . . . notiert bei Ludwig
teutsch-engl. (1716) 821;
o sUsze brüst, thu mir die gunst
und fülle mich mit deiner brunst
Paul Gerhard bei Fischee-Tümfel kirchenlied 3, 411».
F. präpositioncUe Verbindungen.
1) aus gunst favore commotu^: in welchem zweimal
ettliche usz gunst dem bapst {von seinem rechte) zu fil
zügeben, die andren alsz du {Luther) usz Ungunst dem
bapst zu fil understast zu nemmen Murner an d. adel
29 ndr.;
wann entlich durch vern&nftig kunst
dem Schöpfer dien ausz lieb und gunst
Schwaezenbeeg Cicero (1535) 155'';
mit stärkerer betonung des unverdienten: mer ausz gunst
dann umb verdiensts willen Wickram w. l, 47 lit. ver.;
du hast aus unverdienter gunst
auch manch gedichte hoch geschätzet
Teillee poet. betracht. (1750) 4,661;
sogar dachkämmerchen werden nur aus gunst vergeben
Göthe IV 21, 342 W.; 'freiwillig': haben . . . zületst wil-
liglich auss gunst die statt wider von sich geben W. Xy-
LANDER Polybius (1574) 84; auch: gratis, gratiose ausz
lauterem gunst, umbsunst Calepinus Alling. (1598)
627 b :
dis schencket sein gnad gar umsonst
dem Thedel nur aus lauter gunst
Thym Thedel v. Wallm. 1648 ndr.
'parteilich' {s. B 5) : da mancher ausz gunst seine zeche
{bergwerk) mit listen und fristen erhelt Mathesius Sarepta
(1571) 59^; da die saczmeister {Schatzmeister für Preisfest-
setzung) hinlässig oder aus gonst was über die billichait
zuegeben und underlassen wolten (a. d. j. 1585) salzbg.
1119
GUNST F 2-1
GUNST F 4
1120
taidinge 163; da sey der himmel vor! dasz ich aus gunst
. . . einem mädchen den kränz zuerkennen . . . sollte
theater der Deutschen (1768) 12, 380. zu gunst A {'erlaub-
nia'): hochwirdiger in got vater, gnediger her, ausz ewer
gunst wil ich diszen hern auch fragen bei O. Clbmen re-
Jormationsfiugschr. 1, 73 {vgl. sonst mit gunst unten 4);
ain endurtail . . . von wegen ains tribs {triebr echtes), den
die pauren wolten haben in sein holtz wider seinen
willen, dan er briefE und sigel von in hett, dasz si aus
gunst (nur erlaubter maszen, d. h. widerruflich) darein
triben (a. d. j. 1516) chron, d. dtsch. städte 25, 50.
2) nach gunst parteilich, willkürlich {vgl. B 5): die
got nit vor äugen haben und nach gunst und irem müt-
willen regieren Geiler v. Keisersbebo hellisch lew (1514)
23; so strafft auch die obrigkeit bissweilen nach gunst
und ansehen der person theatr. diabolorum (1569) 261*;
es geht nach gunst v. Fleming soldat 152; {da) der kaiser-
liche hof auch mehr nach gunst . . . urteilte Eichhorn
dtsch. Staats- u. rechtsgesch. (1822) 3, 112. auch in der
mundart: et get na gunst un gäbe ungerecht Woeste-
Nöbrenbebg 87; 't geht alles der gonscht no lux. ma. 150.
3) durch gunst; der erste beleg ohne rechte sinnschwere
im reim:
durch liebe, durch gäbe, durch vorhte nleman
8ol plaffen wlhen noch pfarre län
denne durch got, durch zuht, durch kunst,
durch ordenliches lebens gunst
Hugo v. Tkimberg rennet 2746 Ehrismann;
'aus gefälligkeiV : twintech marc lödeghes silveres, de de
selve biscop Otte ös dor leve und günste hevet to borghe
geleghen {geliehen) urk. z. geach. d. herz. v. Braunschw. 1,
227 Sudendorf. später derfunction einer zusammengesetzten
Präposition sich nähernd, 'durch das wohlwollen jemandes^
'mit hilfe" : per favore durch gunst Hülsius teutsch-ital.
(1618) 143''; doch ist er bald härnach durch der hüteren
gunst entrunnen H. Pantaleon mitnächt. völck.-hist.
(1562) 1, 250; bis sie durch gunst des himmels ... zu der
schön- und Vollkommenheit gebracht worden Schottel
haubtsprach 38 ; {dasz wir) durch gunst irgend eines gottes
auch in den anfang . . . der gerechtigkeit scheinen ein-
geschritten zu sein Schleiermacher Piatons w. (1804)
6, 258; mit instrumentalem gehalt {lat. entspräche 'per\
bezw. abl. instr.):
die schönen Pierinnen,
die nun durch Opitz gunst auch hochteutsch reden können
Fleming dtsch. ged. 1, 60 lit. ver.;
so bleiben diese drey {freundschaft, klugheü, tugend)
mit treu verbunden frey
durch gunst der schreiberey
Habsdörffee secretar. 1, (a) 2*,
ähnlich gelegentlich auch mit gunst, s. 4 c. — anders zu Gl
'durch Vergünstigung^ : {man) kan . . . mit einem eydt dar-
von kommen, durch gunst oder vorbitte Reutter
V. Speib kriegsordn. (1594) 21.
4) mit gunst, in verschiedener bedeutung formelhaft.
a) zu B 'gnädig', 'wohlwollend'' :
der alle flust erkennet,
und der hcshest ist benennet?
der neme min da mit günste war
Wolfram Willeh. 122, 13 ;
ihr wolt (hortativ) mit gunst uns nemen an
Dedekind papista eonvers. (1596) Al»;
gar zwo göttinnen sind dem Menelas
mit gunsten zugethan Bürger w. 156» Bohtz.
'eifrig, fürsorglich': die muter hett irem sone {dem Äneas)
geben ein geziertes hare und ein rosentlichen schein der
jugent, und hett ime geben mit gunst ein frolich angesicht
M. v. Kemnat chron. Friedr. I. 16 Hofmann; im sinne von
'gern', 'bereitwillig' :
, sei diu rede stsete s!n,
als uns sagete Käedin,
so gebe wir s' (die eitern die tochter) iu mit guoter
guns
Ulrich v. Türhkim Tristan 187 OMher.
wöliches {ansinnen) mit gutem gunst und als der billich-
kait gemes beschehen {Augsbg. mitte 16. jh.) chron. d.
dtsch. Städte 34,151; ähnlich: übe dich zum tüchtigen
Ariolinisten und sei versichert, der capellmeister wird dir
deinen platz im Orchester mit gunst anweisen Göthb
24, 51 W.
b) meist zu A, 'mit billigung, mit erlaubnis'. aber in der
auffassung leicht von B zu beeinflussen; bald von ausdrück-
licher ermächtigung , bald mehr als beipflichtung, {still-
schweigendes) einverständnis :
ich wolde man und darzuo wlp
und ander dinc vil gerne sehen,
möht ez mit dfner gunst geschehen
Rudolf v. Ems Barlaam 29, 24 Pfeiffer;
desz solte er mit gunst und zuegebung ainer ganzen
nachbarschaft, mit derselben bewilligung thuen {a. d.
j. 1655) steir. und kämt, taidinge 8. von B aus gefärbt:
daz ich han virkauft mit gudir gunst hern Rychartis {des
mitbesitzers) . . . dri maldir korngeldis gudis rockin alle
jar uz unseme habe (a. d. j. 1349) hess. urkundenb. 2, 566
Wyss-Reimer; da es uns denn mit gunst unserer leser
wohl erlaubt sein wird, uns über diese gegner . . . lustig
zu machen Göthe II 2, 268 W., vgl. der günstige leser
sp. 1030. häufig gepaart mit willen : libeniissimis omnibus
mit yedermanns gunst und willen Maaler sprachsch.
198"; daz die selbe süne und richtunge mit unsrer aller
gunst, wissende und willen beschehen ist (a. d. j. 1368)
stadtrecht von Neuenburg a. Rh. 32 Merk; {dasz der bürger)
kein ander . . . burgerrecht . . . hab noch an sich neme
denn mit des rats gunst und willen Nürnberger polizei-
ordn. 26 lit. ver.;
mit unsern gunsten seis, mit unserm willen,
wer schauen will, was wir verhüllen
GÖTHK 15, 1, 165 W.
stereotyp wird die formel seit dem 16. jh. gebraucht, um
eine unschickliche äuszerung abzuschwächen {vgl. mit ver-
laub) :
lag er da in einm rinstein tieff
in schlam und dreck (mit gunst) und schlieft
HoLLONius somn. vitae 95 ndr.;
allein wer so viel friszt, der musz
mit gunst 1 auch viel boflren
BÜRGER w. 27* Bohtz;
war eine reiche fraw, die war von jugendt auff ein grosse
. . . hur gewesen, mit gunst der frommen weyber Lin-
DBNER katzipori 144 lit. ver.; formelhaft erweitert: {da)
schisz er mit gunst, wissen und willen in den zuber ebda 72.
ähnlich verbal: mit gunst zu reden ne vous desplaise
Hulsius-Ravellus (1616) 1488'; do gab ihr Ciawert (mit
gunst zu melden) seinen hosenlatz in die hand B, Krüger
Ciawerts werckl. hist. 19 ndr.; mit gunst gesagt Rachel
sat. ged. 66 ndr. auch als redeeinleitung :
gros wunder mus ich sagen fry,
mit gunst zu melden von aim bry,
der droben inn dem Schwizerland
noch dan gekocht von wiber hand . . .
ins Elsas chon ist diser frist
FiscHABT glückh. schiff 34 ndr.;
vor allem in höflicher anrede Chr. Weise drey klügst, leute
(1676) 174;
mit gunst und Urlaub, gnädiger herr landsmannl ...
wir kommen her, ob ihr die gutheit hättet
und gäbt uns etwas geid
Grillpaezee «. w. 6, 84 Sauer;
seit dem 18. jh. daneben gern bei einwänden, entgegnungen
u. a.:
mit gunst, den Cäsar,
ich war euch stets mit neigung zugethan, . . .
doch . . . ebda 1, 7;
doch wenn Ichs nehme (da$ geschenkte buch), grundgelehrter
mit gunst: musz ich es dann auch lesen? [mann,
Lessing 1, 34 L.-M.
die formel hat sich neben vereinzelter mundartlicher bezeu-
gung {etwa Jecht Mansf. 44i>; Rothbr schles. sprichw.
174) bis heute gehalten als stehende höflichkeitsfloskel der
handwerker spräche: 'anrede wandernder handwerksgesellen
ihrem handwerksmeister gegenüber, wenn sie um arbeit oder
das geschenk bitten' Wander 5, 1384; Rother schles.
sprichw. 257^; biszweilen gebrauchen sich die bergleute
1121
GUNST F 5-6
GUNST G (Zusammensetzungen)
1122
bey ihren zusammenkunfften auch wohl dieses gruszes:
glück aufiE ! alle mit einander . . . mit gunst bin ich aufE-
gestanden, mit gunst setze ich mich wieder nieder Chr.
Herttwio neues u. vollk. bergb. (1734) 187*; dasz ein
reisender handwerkspursch nicht einmal seinen hut ab-
nehmen darf, er thue es dann mit gunst B. Mayb fäck-
chen Satiren (1769) 108; Baumeister zimmermannsspr. 68.
c) vereinzelt wie das instrumentale durch gunst, s. 3:
ein guter nachbar, mit gunst {vermöge) seines handt-
wercks ein flycker der schüe und pantoffel Lindeneb
katzipori 114 lit. ver.
5) ohne gunst ohne erlaubnis, einwilligung : der was
der erste, der ... zu keiser wart on des senatus gunst
(14. jh.) chron. d. dtsch. städle 8, 28; Esau . . . nimpt zwey
weiber ane gunst und willen der eidern Luther 14,
353 W.
6) ZU gunst(en), auch in ein wort zusammengerückt.
a) im anschlusz an B besonders in älterer spräche 'zum
Wohlgefallen, zu liebe": nachtbuchlein, darinnen vil selt-
zamer . . . historien, . . . allen denen zu lieb und gunst,
die gern schimpflich bossen lesen oder hören Val.
Schümann nachtbüchl. l lit. ver.; nit ze smaichen noch
liebzekosen, nit zu gunst den lewten noch zu gefallen der
weld Beuth. V. Chiemsee theologey 101 Reithmeyer ; sal-
vey, ein kraut, . . . ward meinem vater zu gunsten an
v^y die meisten schusseln gelegt, die meine mutter anrichtete
\ Hippel lebensläufe (1778) 2, 637. in diesem sinne wohl
\ auch der älteste beleg: dan die heilige kirchen und wir
1^ ^ {die obrigkeit) die judischheit nicht in zu gonsten, sunder
dem gleubigen folckhe zu einem gedechtnisse der türen
marter unsers herren . . . behalten {in der stadt dulden)
{a. d. j. 1434) chron. d. dtsch. städte 5, 375. in verbalem
Zusammenhang weniger functionell: disz erste theil {des
buches), das wir dem leser zu gunsten befohlen haben
wollen Thurneyszeb magna alchym. (1583) 144; em-
pfehlen sie mich ... zu gnaden und gunsten Göthe IV 20,
191 W. s. auch zu gunst haben oben C3.
b) seit dem 18. jh. im anschlusz o» C 4 Hm interesse,
zum nutzen, besten jemandes', eigentl. 'auf das zielend,
was für das obj. von vorteil ist' :
im weiten kreise rectitlicher erfahrung
sctiaust du zu meinen gunsten um dicli tier
GÖTHE 10, 340 W.;
eine regung zu des prinzen gunsten,
dem das gesetz die kugei zuerkannte
H. V. Kleist 3, 106 Schmidt;
dem kaiser selbst versagten wir geliorsam,
da er das reciit zu gunat der pfalfen bog
Schiller 14, 327 ff.;
das geheimnis des hauses war auf eine seltsame weise
gelöst, und zwar nicht zu gunsten meiner nachtruhe {da
er nicht schlafen kann) H. Seidel vorstadtgesch. (1880) 118.
— oft mit einem psychologischen accent 'dahin zielend, dasz
etwas anklang (B 6) finde': dieser {Vorschlag) wäre, dasz
wir uns bereiten wolten, die meinung der stadt zu wider-
fechten, die über den punkt der Schönheit regiert, und
{diese meinung) durch gewisse practicken ... zu verän-
dern und zu gonsten unserer gestalt-und forme {d.h.
auffassung) zu disponieren discourse der mahlern (1721) 2,
158; besojiders bei ausdrücken des sagens und denkens: die
Vorurteile zu gunst der Hofmanns'waldauischen scjireib-
art Bodmeb bei Webnicke poet. vers. (1763) lO; sage mir
ein wort über dieses büchlein: denn du wirst leicht über-
sehen, was ihm zu gunsten und zu Ungunsten spricht
Göthe IV 23, 198 W.; den ausführungen des herrn ab-
geordneten ... zu gunsten seines antrages Moltke sehr,
u. denkw. (1892) 7, 88; dasz sich zu gunsten der adels-
institution nichts vorbringen läszt M. v. Ebner-Eschen-
BACH ges. sehr. (1893) 4, 2.
die formet liebt anwendungen, die ein Wechsel-, aus-
tauschverhältnis ausdrücken: wie löst dem reiche gottes
zu gunsten der staat, der von dieser weit ist, sich auf?
Fichte s. w. (1845) 4, 592; die abdankung des königs zu
gunsten des grafen von Paris A. Rüge briefw. u. tage-
IV. 1. 6.
buchbl. 2, 7 Nervlich; {er) liesz sich solche huldigungen
gern gefallen, ermangelte aber andererseits nie, natür-
lich nur zu gunsten neuer malicen gegen Krach, seinen
Schlauheitstriumph über diesen ... in abrede zu stellen
Fontane ges. romane u. novellen (1890) I 7, 117. — mehr
auf das resultat gesehen {vgl. günstig sp. 1133): im ganzen
jedoch fiel das resultat zu gunsten des examinanden aus
W. Raabe hungerpastor (1864) 2, 108; das haus der römi-
schen Imperatoren, welches in dem gegensatz der reü-
gionen die entscheidung zu gunsten des Christentums
gegeben hat Ranke s. w. 8, 5. banktechnisch: nachricht
von 2 assignationen, jede zu 400 thlr. zu gunsten Haides
Göthe III 5, 224 W.; die reichsbank überweise zu lasten
meines girokontos . . . dem girokonto von herrn N . . .
zu gunsten von herrn N.N. reichsbanküberweisungsscheck;
zu ihren gunsten sind eingegangen.
G. Zusammensetzungen mit gunst- erscheinen vereinzelt
schon im 15. jh.: consensus verhennusz vel gunstgebung
obd. glossar bei Diefenbach nov. gl. lOQ^ ; faudicus {i. pal-
panista 'Schmeichler') gunstsagiger voc. theut. (1482 Nürn-
berg) bei Diefenbach gl. 227 C; sie sind aber noch im 16. jh.
nicht eben häufig zu belegen, vgl. unten gunstbrief, -freund,
-hantierung, -los, adj., -recht, -reich, adj. -wind, das 17. jh.
dagegen bringt eine fülle allerdings vorwiegend occasionel-
ler bildungen hervor. — es sind mehr oder weniger alle be-
deutungen des simplex vertreten; beispiele für die gruppe
B 1 geben gunstbändlein, -gemerk, speciellfür B 1 c -tränk-
lein, -zeichen, für B 2 -gemüt. es überwiegt aber bei weitem
die Sphäre von B 3, s. gunstbewerbung, -genösse, -strahl,
-wind, insbesondere auch in abschätzigem sinne: gunst-
bettler, -diener, -Jäger, -sklave. gunst B 5 {'unllkür') er-
scheint in gunsthantierung, -prediger, B 6 {'beliebtheit, an-
sehen') in gunstreich adj. 2, -sucht, gunst A bzw. C führt
zu rechtssprachlichen bildungen wie gunstbrief, -brunnen,
-geld, -hafer, -hut, vgl. auch gunstrecht, charakteristisch
besonders für die spräche des barock sind bildungen, in denen
gunst- im anschlusz an B das ervMnschte, zum guten wir-
kende des an zweiter stelle componierten begriff es ausdrückt,
vgl. z. b. gunstblick, -geist, -stern, -wetter, -wind; bezeich-
nend für diese zeit ist auch die gruppe gunstgeneigt, -ge-
wogen, -gewogenheit, -neigung, -Zuneigung, vgl. dazu un-
ten sp. 1131. — bildungen wie gunstausteilung, -beweis,
-bezeigung, -bezeugung, -erweis(ung), -erzeigung, alle im
bereich von C, ähnlich auch -zeichen, haben ihre Ursache vor
allem in dem bedürfnis nach einem ersatz für den wenig ge-
bräuchlichen plural, s. sp. 1105; sie sind seit dem 17. jh. be-
logt. — gunstausteilung im sinne von gunst C : welchen
der könig in gunstausztheilung nicht so liberal als sein
herr vater gewesen A. Gryphius verm. teutsche ged. (1698)
1, 347; -bändlein, zm B 1: indem er frommer, züchtiger
eheleute sinn und mut mit lauter güldenen liebeshäStlein
und güldenen gunstbändlein zusammen hat geknüpfet
Heeberger hertzpostille {1613) l, 164; -bereiter: (er war)
ein verursacher zur weiberüeb und gunstbereyter guter
leut J. Ayreb process. juris (1600) 740; -bettler zu B 3:
er verachtet kriechende gunstbettler Fr. v, d. Trenck
ges. ged. u. sehr. (1786) 2, 61; -beweis bildung des 19. jh.
für gunst C : {die abreise) wurde mir indirect dadurch ver-
weigert, dasz ich auf das {königliche) gefolge übertragen
wurde, ein hoher gunstbeweis Bismarck ged. u. erinn. 1,
170 volksausg.; vor allem im plural:
sie, bald mit höhn, bald falschem mitleidswort,
versagungen und neuen gunstbeweisen
entzündete mein herz
Q. Regis Bcjard. verl. Roland (1840) 139;
darum wetteiferte Palmerston mit Talleyrand in gunst-
beweisen gegen die aufständischen Belgier Tbeitschke
dtsch. gesch. im 19. jh. {1807) 4, 52; -bewerbung: manhat
zweyerley eingänge {bei einer rede) zu unterscheiden:
einige werden durch den weg der gunstbewerbung ge-
macht . . . Ramler einl. i. d. schön, wissensch. (1758) 4, 55;
{so spröde,) dasz er selbst die unschuldigsten gebräuch-
lichsten gunstbewerbungen . . . unter freunden . . . ver-
schmähte Eichendorff s. w. (1846) 2, 114; -bezeigung
beweis des Wohlwollens im sinne von gunst C : wir bedanken
71
1123
GUNST G (Zusammensetzungen)
GUNST G (Zusammensetzungen) 1124
uns dieser Offerten halber gnädigst und werden es mit
hoher gunstbezeigung gegen deiner person ... zu deme-
riren uns . . . angelegen seyn lassen Rist d. friedejauch-
zende Teutachl. (1653) 102; meinen hochg. hn. der allmäch-
tigen beschützung, mich aber in dessen gunstbezeigung
übergebe (briefschlusz) Butschky kanzelley 13; weil man
ihm hier nicht so viel gunstbezeigungen erwies, als er zu
Tahiti genossen hatte G. Forster s. sehr. (1843) 2, 108;
domänen sollen nicht als gunstbezeigung an hofleute ver-
geben werden hwb. d. staatswissensch.^ 5, 1028. im sinne
von gunst C 2 : welchen soll man mehr tadeln, den, welcher
sich gunstbezeigungen rühmt, die er nicht empfangen hat,
oder . . . Adelung magazinf. d. dtsch. spr. (1783) 2, 4, 19;
ein mensch, der . . . glaubt, dasz sein general gewisse
gunstbezeigungen seiner frau mit ihm getheilt hat Ger-
stenberg briefe über merktvilrdigk. 119 lit.-denkm.; - be-
zeug ung dasselbe: für sotahne (vom groszen Pan) erwie-
sene gunstbezeugungen S. v. Birken forts. d. Pegnitz-
schäferey (1645) 59; wer gunstbezeugung, libselige blicke,
. . . reichthum . . . bisz in ewigkeit haben wil, der kehre
die spitze seiner liebe gen himmel an Chr. v. Ryssel
Seelenfrieden (1685) 350; gunstbezeugungen, womit mich
das glück . . . überschüttet hatte Wieland Agathon (1766)
1,361; ich verabscheue gunstbezeugungen, die von den
tränen der unterthanen triefen Schiller 3, 471 0.; dasz
er andere schuldige für geld und für gunstbezeugungen
ihrer weiber und töchter losgelassen Laukhard leb. u.
Schicks. 4, 198; -blick gutes verheiszender oder bringender
blick: (es möge) die glückssonne den gunstblick versetzen
Valvasor ehre des hzt. Crain (1689) 2, lOö*»; wer bei dem
richter solange aus- und eingegangen, und lauter gunst-
blicke . . . von ihm empfangen hat, der kan seiner gunst
wol vertrauen Er. Francisci wol d. ewigk. (1717) 874;
jenen zärtlichen gunstblick Lavater verm. sehr. (1774) 1,
300; g. (der musen) Herder 24, 213 8.; -brief literae con-
cessionis fevdum alienandi, concessio dilationis investi-
turae Haym Jurist, lex. (1738) 276; Stieler stammb. 239;
in allgemeinerem sinne permissionis literae gunstbrief,
Willbrief Besold thes. (1697 — 99) 2, 720», 'privilegverbrie-
fung', vgl. auch willebrief teil 14, 2 sp. 165/.; zum 8. be-
clagen sich die von der ritterschaft, dasz viel gunstbriefe
uns hinder den andern lehntregern wissen und wollen aus-
gebracht werden (a. d. j. 1540) kurmärk. ständeacten 1, 88
Friedenburg; indem sie vorgeben, dasz graf Wilhelm . . .
im selbigen jähre den Amsterdammern einen groszen
brief vol Satzungen und Vorrechten verliehen; . . . aber
wer solchen gunstbrief recht . . . anblicket, der wird das-
selbe {den Ursprung des stadtrechts) daraus nimmermehr
ersehen Zesen beschr. d. stadt Amsterdam (1664) 19; wie
dann in den gunstbriefen gemeiniglich diese wort ange-
hängt . . . werden: geben darzu unser gunst und verwilli-
gung, doch unser landsfürstlichen obrigkeit, regalien . . .
thun (wir) uns hiemit . . . vorbehalten Besold thes. pract.
(1697) 642; -brunnen 'aus bes. gunst einem privaten be-
willigter brunnen, der sein wasser aus der leitung eines ge-
meindebrunnens empfängt': sollte es sich erweisen, dasz
(trotz der herbeiziehung neuer quellen) noch wasser man-
gelte, so sollen alle gunst- und nebentbrunnen, bis ge-
meiner Stadt geholfen, abgestellt verbleiben quelle von
1681 bei Staub-Tobler Schweiz, id. 5, 667; -diener im
sinne von günstling : Mourray hatte (ihm) öfters mit dem
galgen gedräuet, bisz er das landgütlein, welches ihm seine
ehefrau zugebracht hatte, einem von des Moiu-ray gimst-
dienern abtreten müssen Er. Francisci traursaal (1665)
2, 331 ; es fanden sich unter so viel tausend gunstdienern
und freunden kaum zween, die ihm in solcher noth bei-
stand leisteten ebda l, a4''; -erbe wohl rilckübersetzung
von heres favorabilis, das auf miszverstandenem ganerbe be-
ruht, vgl. ganerbe 3 a teil 4, 1, 1217: ganerben vel gunst-
erben, in latino heredes accelerantes P. M. Wbhner ob-
servationes (1643) 143''; gimsterbe heredes mutui, acceleran-
tes Haym Jurist, lex. 276; -ergeben, adj.: durch dienst-
und gunstergebene küsse Chr. Weise polit. redn. (1677)
471; -erweis dass. wie gunstbezeigung Herder w. 25,
159 Ä.; -erweisung dass. Chr. Weise drey klügst, leute
(1675) 16; A. U. V. Braxtnschweig Octavia (1677) 1, 642;
-erzeigung do«5. J. Helwig 0/-mMwd(1666) 194; Ludwig
teutsch-engl. (1716)821; -freund wohl zu C 4: dann es
seindt etliche heuchler, . . . maulfreundt, gunstfreundt,
genieszfreundt und tischfreundt Huberinus spiegd d.
hauszu^ht (1552) 287a; gunstfreunde, stundenfreunde Her-
berger J&sm« Sirach (1698) 124*; -geist: Baccho, den sie
den guten gunstgeist nenneten Wolfh. Spangenbero
anm. weish.lustgarten (1&21) 10; -gc\d eine gewisse abgäbe;
'das geld der instleute, so sie dem herren jährlich geben, dasz
man ihnen nemlich vergönnt, im dorf zu wohnen' Frisch
1, 383; anders: das in der zollrulle gesetzte und vor alters
üblich gewesene gunstgeld auf grosz und kleines vieh, so
auf die markte getrieben und sonst verkaufft wird, sind
die unterthanen zu entrichten schuldig pomm. dorfurkunde
von 1683 ebda; -gemerk zeichen der Zuneigung:
(nehmt) dieses frohe Venuswerk
als ein kleines gunstgemerk
SxiELER geharnschte Venus 30 ndr.;
-gemüt gnädiger sinn, s. gunst B 2:
gott zeiget heut sein gunstgemüthe,
wie ihn nach unserm heil verlangt!
J. Chr. Männlino poet. blumengarten (1717) 43;
-geneigt, adj., wohlwollend, voll günstiger empßndung
(vgl. günstig Alb, A 2): den gunstgeneigten läser M. J.
Bellin hocM. rechtschr. (1657) b 7^; dem gunstgeneigten
beschauer unsers bilderhauses J. D. Ernst histor. bilder-
haus (1691) 157; gunstgeneigte beförderung neuentlarfftes
Rom (1672) 80; gunstgeneigter affection hdlauszpolirt.
crystall. jungfrawnspiegel (1653) A2''; ihr. excell. gunst-
geneigtes gemühte gegen die freyen künste G. Neumark
poet. u. mus. lustto. (1652) ö^^; -genösse Schützling, günst-
ling: dasz die ehrenkränze, welche der sieg seinen lieb-
lingen und gunstgenossen aufsezzet, nimmermehr so feste
stehen, dasz man sie nicht herunterreiszen könne Ph. Ze-
sen Ibrahim (1654) 2, 551; ich müsse der erste sein von
deinen gunstgenossen, den du (gott) nicht hören woltest
Chr. Scriver seelenschatz (l70l) 2, 601; -gewogen, adj.,
dass. wie gunstgeneigt: der gunstgewogene leser Zesen
verm. Helikon (1656) 1, 12; in den gunstgewognen äugen
der beschauer Er. Francisci traursaal (16Q5) l, 326; -ge-
wogenheit wohlwollen, neigung (vgl. zur bildung unten
sp. 1131): in unaussätzlicher gunstgewogenheit Hars-
DÖRFFER secretar. (1656) 1, 25; das vornehmste zeichen der
gunstgewogenheit ... ist dasjenige, dasz er seine band auf
ihre achseln leget J. Chr. Beer ^«ia (1681) 1, löO^*; daher
die hoffnung ihn soviel kühner machte, vor andern um
die gunstgewogenheit der schönen Messalina sich zu be-
werben A. U. V. Braunschweig Octavia (1677)1,233.
oiicA im sinne von gunst C: vor erzeigte gunstgewogen-
heiten sagen wir verbundensten danck Ettner medizin.
maulaße (1719) 210; -hafer hafer, der als amtsvergütung
mitgewährt ivird, zu gunst C : welk ok unser kumpane, de
to enem ampte wert ghesettet, dar gunsthaver äff völt, . . .
de schal to des rades behuff holden en perd quelle von 1451
bei Schiller-Lübben 2, 167; -haftig, adj., handwerk-
sprachlich, dasselbe wie günstig Alb: gunsthaf tige gesellen,
. . . ich bitt, ihr wollet das wort verstehen, als ichs mag
geredet haben Marperger beschr. d. hanffs u. flachs (1710)
179; -hantierung zu gunst B 5: (aus der kirche) ist ein
geldthandel, . . . freundekram, schweger- und brüder-
spiel, gunsthandtierung . . . worden J. Letzner dassel. u.
einbeck. chron. (1596) l, 16^; -hut weiderechtlicher begriff:
die hut ist mancherlei; man hat die vor-, koppel-, mithut,
gunsthut, gemeine hut und weide, überhut Estor rechts-
gelahrth. 3 (1767) 876; -jäger mit dem abschätzigen Sinn-
gehalt von gunst B 3 a : Schmeichler, gunstjäger Sonnen-
fels ges. sehr. (1785) 7, 1, 214; die masse der gunstjäger
und stellensucher Treitschke dtsch. gesch. im 19. jh. 5,
533; -los, adj.,favore defectus gunstlos, dem gunst mang-
let Frisius (1556) 376i>; -neigung benevolentia: (sie wer-
den) meine . . . vermögende dienste zu gegengefälliger
gunstneigung gereichen . . . lassen Habsdörffer secre-
tarius (1656) 1, 374; gnädige gunstneigung gegen unsere
löbliche poesie G. Neumark fortgepfl. mu^ik-poet. lustw.
1125
GUNST G {Zusammensetzungen)
GUNST G {Zusammensetzungen) — IGÜNSTER 1 126
(1657) Zuschrift 4; -prediger, im sinne von gunst B 6:
weit- und menschenprediger seind wir, gunstprediger
seind wir, nach gunst seind wir befördert, nach giinst
handelen wir Chr. Hoberg spiegel d. miszbräuche (1644)
711; -recht zu B l: das ist, es sind {zur zeit der ersten
Christen) nicht die gewissen damit {mit einzelnen Verord-
nungen) beladen gewest, sondern {was sie taten) sind eitel
liebedienst und gonstrechte gewest, dem nehesten zu
willen Luther 26, 574 W.; Vergünstigung:
gesetzt, dasz Nero auch
das leben möchte mir so wie ein gunstrecht gönnen,
würd ich die blutge faust als gnädig küssen können
LOHENSTEIN Epicharis (1685) 113;
-reich, adj. 1) wer gunst empfindet, spendet {entspr.
günstig A 1 — 4) :
den frled verender ich In streyt,
fruchtbare jar in thewre zeit, . . ,
die gunstreichen in ungenaden, . . .
die fröhlichen In hertzenleyd
H. Sachs 5, 312 lü. ver.;
dieser {mensch) ist hübsch und schön, jener gunstreich und
huldselig standtbuch (1609) 11; {des) gunstreichen glück-
wunsches aber sagte er von wegen seiner liebsten danck
Er. Francisci Iv^t. Schaubühne {X^Q») 2, 61; holdseligkeit,
gimstreiche höflichkeit derselbe traursaal 2 (1669) 176;
gunstreicher leser J. Prätorius glückstopf {IMQ) vorr. 1;
mehr im sinne von gunst C 4 : das bild ist . . . vielleicht der
höchste, gunstreichste augenblick in Cranachs leben
GÖTHE 48, 158 W.; die bündner verloren einen gunst-
reiohen augenblick Zschokke s. ausgew. sehr. (1824) 38, 71 ;
2) entspr. günstig A 6, gunst B 6: favorabilis gunstreych,
der gunst hat Frisiüs (1556) 548'>; kirnst- \md gunstreich
. . . seynd die bildhauer Abr. a s. Clara etw.f. alle (1699)
1, 218; so wollest du, gnädige Fortuna, diese pfeile mit
. . . gunstreichesten Vergnügungen . . . übersüszen Schot-
TEii friedenssieg 20 ndr.; -sklave mit dem abschätzigen
accent von gunst B 3 a : wider diesen heuchler und gunat-
sclaven desz ergrimmten kardinals Er. Francisci traur-
saal 4 (1681) 1021; -stern gutes verheiszender stern:
wie ein schiflmann auff der see
Bein gemüte frölich machet,
wann der gunststern Hellce
aus dem goldnen himmel lachet
TSCHEKNINO vortrab (1635) A 1»;
Lohenstein Epicharis (168 5) 46; -strahl z« gunst B 3 a:
der gunststrahl, der auff mich vons sultans äugen fällt,
wll mir ein sterbelicht und todtenfackel deuchten
Lohenstein Ibrah. sultan (1680) 81;
gunststraalen {des herzens) G. Neumark /or<grep/Z. musik.-
poet. lustw. (1657) 438; -suchend, partic. gern substanti-
viert: er kommt als gunstsuchender Varnhagen v. Ense
tageb. (1861) 6, 99; -sucht begierde nach ansehen, einflusz
{zu gunst B 6): da ist die geltsucht, . . . die lustsucht, die
gunstsucht, unter welche ie ein die ander ablöset Dann-
hawer catechismusmilch (1657)1,169; F. K. v. Strom-
beck darstellungen (1835)3, ix; -tränklein, zu gunst
B 1 c : philtra, lieb- und gunstträncklein beybringen und
damit die gemüther verzaubern, ist die art der römischen
damen Dannhawer salve u. friedensgrusz (1658) 621;
-voll, adj., günstig gesinnt:
ihm sind die Pieriden nimmer gunstvoll
Stkachwitz ged. (1850) 120;
gunstvoller augenblick Zschokke s. ausgew. sehr. (1824)
35, 141; -Wetter gutes weiter: disz schöne, warme gunst-
und glückswetter Er. Francisci traursaal 4 (1681) 279;
-willig, adj.: ein freiwilligen odder gunstwilligen, unge-
zwungen geist Luther 18, 505 W., vgl. aus gunst '/ret-
willig' sp. 1118 ; 'wohlwollend' : mit gunstwilligen äugen zu-
sehen H. Fabricius auszug bewerter hist. (1599) 84; -Wil-
ligkeit benevolentia Er. Francisci traursaal 1 (1665)
1050; -wind gutes bringender, günstiger wind: in den ge-
genden des indianischen und theils andrer offenen seen
folget gleich, sobald der vorige gunstwind seine zeit von
etlichen monaten erfüllet hat, ein andrer wind, so dem
ersten gantz entgegen Er. Francisci lufftkreis (1680)
1651; bildlich: das ist der zeit und gelegenheit sich be-
dienen und vielmehr mit dem gunstwinde als gegenwinde
fortzusegeln Treuer dtsch. Dädalu^ (1675) l, 642;
wenn sich aber der gunstwind wend (d. h. wenn da» glück
untreu wird) A. Lobwassek calumnia (1583) B 6';
zu gunst B 3 :
der den mantel weisz zu hängen nach dem ihm der gunst-
wind weht
J. Claj enget- u. drachenstreit (1645) B 3»;
-zeichen, zu gunst B 1 c: im thumier muste ich ihre
gunstzeichen führen Dianea (1671) 39; 'gunstbezeigung' :
unter solchen äuszerlichen gunstzeichen sein abtrünniges
gemüt zu verbergen Er. Francisci traursaal 3 (1672) 686;
Chr. Weise polit. redn. (1677) 459; -Zuneigung dass.
wie gunstgewogenheit : gunst- und liebzuneiguug W. H.
V. Hohbero unvergnügte Proserpina (1661) 149».
GUNST, adj., angenehm, schön:
in grosser ndt mit gunster fräd
was ich ains tags, davon Ich geüd,
wann mich gelUck gelaitet hatt,
aller meiner sorgen ist worden rat
HJCtzlerin liederb. 194.
GUNSTAG, m., mittwoch; in westndd. maa., vor allem
westfäl. WoESTE-NÖRRENBERG 87*; rhein. wb. 2, 1482; aus
gudensdach, gunsdach, s. Schiller-Lübben 2, 163, auch
godensdach, gonsdach, s. ebda, vgl. auch mythol.* 1, 103;
zugrunde liegt Wödanes dag, Wödensdach {engl, wednes-
day, dän. norw. schwed. onsdag) Sarauw vergh lautlehre
d. ndd. maa. 201; 343; urkundlich seit 1497 bei Woeste-
Nörrenbero a. a. o.: in urkund und bevestigung hebbe
wy unser seegel beneden an diesen brieff doen hangen
1534 am gunstedage post palmarum Urkunde bei N. Kisv-
LiNOER münster. beitrage z. gesch. Deutschlands (1787) 1, 2,
291; upp den gunstag na omnium sanctorum urk. v. 1648
ebda 3, 2, 686; des anderen gunstages nach paschen urk.
a. d. j. 1549 bei A. Fahne grafschaft u. freie reichsstadt
Dortm. 3, 240; anno 1599 ist der tagh Mathiae des apostels
gefallen uf den ersten gunstetagh in der vasten, also das
man den dinxtetagh zu leste vastelabend hette moessen
vasten gesch.-quellen des bisthums Münster 3, 141 Janssen.
GÜNSTELN, vb., ableitung von gunst; nach dem munde
reden, schmeicheln: aber so etliche grosse prelaten, denen
uffrur am allermeisten zu förchten were, solten diese
Schreier, lesterer und leutschmäher von ihrer ungebühr-
lichen weisz abgewisen haben, so haben sy inen {eben
diesen schreiern) erst darzu günstelet, sy angericht, sye
gelobet, das es so dapfer leut seyen M. Zell christl. Ver-
antwortung (1523) z 3^; und ihnen {den iumultuanten) offt
. . . gutte wort geben müssen, sintemal sie sahen, dasz
sie ihnen nicht widerstehen kunten; wie denn der herr
regius {richtertitd) der stadt, so ihnen alleweil günstelt,
nicht wenige ursach darzu gab, indem er in öffentliger
Versammlung des gantzen volcks sich hören liesz, sie
{jene tumultuanten) hetten eine rechte sach und billiges
begehren (o. d. j. 1645) G. Kraus siebenbürg, chron. (1862)
1, 161. mundartl. notiert günsteln als 'parteiisch sein'
Fischer schwäb. 3, 927.
GUNSTEN, vb., dem 16. u. 17. jh. angehörende bildung
von gunst, vgl. auch begunsten teil 1 sp. 1314; gunsten et
saepius begunsten favore complecti, cupere alicui Stieler
stammb. 684:
ich wache umbsonst,
wan der herr die statt nit gunst
(um 1545) bei H. ZiEGLER geschützinsckr. (1886) 50;
das glück ist eine weibesperson, so jungen leuten gunstet
Treuer dtsch. Dädalus (1675) 1, 924;
ist Jason mein geselle,
so gunstet mir das glück, so schadt mir keine welle
S. V. Birken ostländ. lorbeerhayn (1657) 74;
^GÜNSTER, m., gönner: nu sult ir prüeven, daz der
erste sterne, Saturnus, ist ein fürber; der ander, Jupiter,
ist ein gunster; der dritte, Mars, ist ein zürner Meister
Eckhardt bei Pfeiffer dtsch. mystiker 2, 212;
71*
1127
2GÜNSTER- GÜNSTIG Ai
GÜNSTIG A 1
1128
manch gut günner und gönster
hett unser pfalzgraS
Mich. Beheim reimchr. 115 C. Hof mann;
auch sieht man täglich welliche söUicher Sachen {d. i.
dynastischer interessen der hohen geistlichkeit) günster seind
Steinhöwel Spiegel menschl. lebens {Augsburg 1479) 132'».
2GÜNSTER, m., geniata, s. ginster.
»GÜNSTER, m., s. güster.
GÜNSTIG, adj. und adv., zugetan, geneigt; förderlich,
geeignet; beliebt.
ahd. unstig ; mhd. gunstic, günstic ; mnd. gunstich ; mnl.
gonstich; nni. gunstig. wie bei gunst entspricht auf der o-
stufegot, ansteigs; an. ästigr; ags. estig; ahd. enatig (in der
compos., ohne umlaut, apanstig), zu altfries. enstich {neben
gunstig, gonstig) vgl. bei gunst sp. 1104. 7wrw. dän. schwed.
gunstig ist wie das subst. gunst aus dem deutschen entlehnt,
der umlaut fehlt obd. nicht selten, z.b. gunstig obd. gloss. des
15. jh. bei DiEFENBACH gl. 22?,^; nov. gl. 246»'; Tannhäuser
15, 42 Singer; Xylandek Plutarch (1588) 310*, bleibt aber
bis ins 17. jh. auch in nd. und md. quellen oft unbezeichnet.
letzte bezeugungen: Tabeus Maynhincklers sack (1612)
( :) 2»; engl, u.frz. comed. u. traged. (1624) a 2». — der sub-
stantivform gonst {s. sp. 1105) entspricht auch in seiner Ver-
breitung gonstig, gönstig z. b. gonstig Diefenbacii gl.
456C; gönstig A. DÜRER menschl. proport. (1528) a 2^; Fi-
schart binenkorb (1588) 125^; Güarinonius grewel (1610)
43; Balth. Schupp sehr. (1663) 411; discourse d. mahlern
(1721) 2, 51. auch hier braucht Luther beide formen;
günstig 6, 404 W.; 16, 81; gonstig 11, 331; 23, 30. zu alem.
gaunst bei S. Fischer chron. v. Ulm 220 {s. sp. 1106) schickt
sich geinstig ebda 216a; iigi^ auch geunstlich J. v. Watt
dtsch. sehr, l, 7. entrundung zeigt ginstig urk. d. Iglauer
meistersinger 4 Streinz.
Bedeutung und gebrauch.
A. adjectiv.
der ausgangspunkt der bedeutungsentudcklung ist der
prädicative gebrauch bei persönlicher anwendung (1 a), vor
allem in Verbindung mit dem verbum substantivum {vgl. auch
das synonyme gewogen teil 4, l, 3 sp. 6459). aus ihm folgt
zu einem teile der attributive gebrauch (l b), in dessen bild-
lichem bereich (3) sich die Bedeutung weiterentwickelt (4, 5).
ein dem nomen actionis gunst 'das zulassen, gewähren'
{s. gunst A) entsprechender gebrauch erscheint in verein-
zelten belegen noch deutlich:
er sprach: Hebe swestir, tuoz
durch minlr sele genist,
ob du mir der gunstic bist {gönnst)
Athis und Profüias f 132 Kraus;
do begert er, daz man im der zeit günstig war, darinn er
sein Sünde möcht püszen Andreas v. Regensbubg s. w.
608 Leidinger; sonst im rahmen der anwendung l gelegent-
lich anklingend: Mülard bedanckte sich . . . gegen die . . .
compagnie, dasz sie . . . ihr vergnügen eine Zeitlang zu
unterbrechen günstig gewesen {d. i. geruht habe) Ettner
mediz. maulaße (1719) 45.
1) mit persönlichem subject 'wohlgesinnt, gewogen, zu-
getan', der gefühlsgehalt ist im allgemeinen nicht sehr in-
tensiv, vgl. etwa gegenüber Stellungen wie: wir haben Fran-
tzen aufE unser Seiten, . . . nit allein gunstig, sundern
gentzlich hitzig und entzündet {nonfaventem iam, sed com-
motissime ardentem) Hütten op. omn. 2, 61 Böcking; das
yderman gonstig und geneigt, ja frölich dazu sein wird
Luther 23, 30 W.; doch neigen gewisse anwendungsbe-
reiche zumal in älterer zeit auch zu intensiverer tönung {vgl.
auch gunst B 1).
a) prädicativer gebrauch, seit dem ahd.
a) jemandem günstig sein 'ihn schätzen, werthaben", als
ausdruck einer steten gemütsstimmung, ohne dasz an eine
besondere bezeigung der Zuneigung gedacht wird {vgl.
gunst B): eim wol wollen und günstig seyn complecti ali-
guem benevolentia Frisius dict. (1556) 162''; portar favore
HüLSius teutsch-ital. (1618) 143^, entsprechend auch bei an-
deren Verben wie werden, bleiben, sich zeigen u. ähnl.:
so wil Ich (Priamus) niemer werden
den Kriechen holt noch günstic
KONRAD V. WÜRZBURO Trojanerkr. 2MS5;
dien durvon {davon, der rehabilitation des heiligen) kund
was und ime günstig waren, die loptan got H. Sefse dtsche
sehr. 129 Bihlmeyer; unde hebben den unmüd, den wy
hadden myt Herman Blughere, . . . em tügheven unde
willen em vortmer hold unde gunstich wesen {urk. von
1363) Wigger gesch. d. fam. Blücher 267; und der aide
herre also zu den burgern zoch und mit on fröhlich was;
das behagete den burgern und dem gemeynen volke gar
wol und worden ome sere gunstig K. Stolle thür. chron.
18 lit. ver.; wem der herr wol wil, dem müssen auch alle
seine feind günstig sein Luther 16, 81 W.; hat ein storck
vil jar auff eines bürgers hause genistet, . . . weil ime der-
selbige bürger sehr günstig war bei Heyden Plinius (1565)
438; ein kuhe, pferd oder hirsch . . . welchen die rebhuner
sonderlich günstig und lieb haben sollen Aitinger jagd-
u. weidbüchl. (1681) 29;
ich habe noch keinen bekannten gesehn,
dem du (ein falscher freund) von hertzen günstig wärest
Chr. Weise grün. jug. 106 ndr.;
inzwischen gehabe dich wol und bleibe günstig Balth.
Schupp sehr. (1663) 274; {die) absieht, sich das volk günstig
zu machen W. v. Humboldt sechs aufs. 84 Leitzmann. im
bereich von gunst B 1 a :
(gott) liebet alle frommen
und die ihm gönstig seynd
Paul Gerhardt bei Fischer-Tümpel kirchenl. 3, 352*';
zu gunst B 2 (gottes gunst): der herre alzeit di boesen
hasset, aber den frommen günstig ist Paul Schbde-
Melissus psalmen 20 ndr.;
ich rühms auch ohne scheu,
dasz gott der höchst und beste
mir gäntzlich günstig sey
Paul Gerhardt bei Fischer-Tümpel kirchenl. 3, 387*;
in der sphäre von gunst B 3 a : ihm der oberste cämmerer
gnädig und günstig ward Dannhawer catechismusmilch
(1657) 1, 165. von der liebe des mannes zur frau {vgl. gunst
B 1 c) : derselbigen {Jungfrau) ward Walter fast günstig
Wickram w. 2, 431 lit. ver., von der der frau zum manne:
grosz forcht und schreck sie darzu trieb,
dasz sie ihm günstig ward und hold,
zu rechter eh ihn haben weit
H. Sachs 2, 249 lit. ver.;
weil sie {Marüis) ohne trug und list
dir (dem liehhaiier) von hertzen günstig ist
Chr. Weise grün. jug. 111 ndr.;
zu ß hinüberspielend:
ey junckherr, schweigt, die sach steht wol,
ich (die magd) merck, mein fraw die ist euch günstig
H. Sachs 17, 7 lit. ver.,
vgl. im übrigen unter ß. — auch mit unpersönlichem object
{vgl. gunst B 1 b) : es müszt ein schändlicher schelm sein,
der seinem Vaterland nicht günstig sein wollt Luther w.
51, 450 W.;
und jagten in von in blutrünstig,
wann keiner war der warheit günstig
H. Sachs 9, 173 lü. ver.;
der tag
dem sonst kein Pafoskind recht günstig werden mag,
die glüht
der göldnen strahlen, . . .
Stieler geharn. Venus 51 ndr.;
(der eine hat diesen, der andere jenen wünsch,)
der (dritte) dem salate günstig ist
Chr. Weise grün. jug. 123 ndr.;
aber was können diese liebe reimen, dasz ihr ihnen so
gönstig seyd? discourse der mahlern (1721) 2, 51; {ich) war
dem maschinenwesen weniger günstig als der unmittel-
baren handarbeit Göthe 25, 106 W.
ß) die anwendung auf einen einzelnen fall, in dem sich
die günstige gesinnung bewährt oder bewähren soll, ent-
spricht der bedeutung von gunst C («. d.); günstig 'dem be-
sonderen wünsche oder bedürfnisse jemandes geneigt' : unde
scunde in, daz er unstig si unserro begunste {allubescat
nostris nisibus) Notker sehr. 1, 724 Piper;
1129
GUNSTIG A 1
GÜNSTIG A 2
1130
darumbe solten mir die biderben gunstic wesen
unt mir min armuot mit ir güete büezen
MEISTER SlOKHER 10, 12 Btodt;
den patronen fleiszig auffwarten, diese auff allerley weg
ihme gönstig zu machen Balth. Schupp sehr. (1663) 540;
■will Nepomuck durch euer heiszes flehen
noch nicht gerührt, nicht günstig werden?
GOTTSCHED ged. (1751) 1, 298;
vor allen {monaten) ist dein vater, der august,
mir der geliebteste, . . . weil er meiner liebe günstig war;
er hat zuerst zu Daphnen mich geführt
GiSEKE poet. w. (1767) 252;
günstig sein gelegentlich geradezu 'begünstigen^ 'gunst
spenden^ :
versuche nicht
die götter, die dir zweymal günstig waren
Schiller 13, 392 ö.
— auch im erot. bereich im sinne von gunst C 2 :
diu minne wac in (Paris und Helena) unde maz
geltche ir wunnebseren solt.
si wurden beide ein ander holt
und ftne mäze günstic
Konrad v. Würzburg Trojanerkr. 22947 lit. ver.;
sag in (den zechgenossen) vil der fantaseyen,
wie dir die töchter günstig seyen,
und habst ein buln nach all deim willen
Scheit Qrobianus v. 1320 ndr.;
erst hat er sie geliebt, doch nie gelang es,
sie zu bereden, günstig ihm zu sein
TiECK sehr. (1828) 2, 223;
wird Daphne mir einst günstig,
dann küss ihr mund ihn brünstig
zum dank an meiner statt!
J. M. Miller ged. (1783) 104.
y) eine, kleine gruppe von belegen spiegelt den gebrauch
von gunst D {'anhang, parteigängerschaft') wider: der allain
lutherisch genempt soll werden, des Luthers leer . . . an-
hängig und günnstig Philadelph. Regius von luther.
tounderzaichen (1524) a 2''; hie frag ich alle, die Luthern
günstig sein Murner a. d. adel 20 7idr.; so auch attributiv:
die wollten nit allein mit dem künig, sonder auch mit
all seim günstigen anhang nicht zu thun haben Seb.
Franck chron. Oerman. (1538) 122b.
b) attributiver gebrauch in dieser gruppe, bezeugt seit
dem anfange des 15. jh., ist kaum einheitlichen Ursprungs;
a) aus dem prädicativen gebrauch entwickelt: vil burger,
den Zürichern günstig, . . . entwichen Stumpf Schweizer-
chron. (1606) ölO**; unter den kleinen bürgern hat es eine
dem könig günstige partei gegeben Ranke w. (1875) 14,
51; er wolle, hat er einigen ihm günstigen mädchen er-
klärt, mit dem geschlechte nichts zu schaffen haben
Holtet erz. sehr. (1861) l, 19. ohne nähere bestimmung
ebenso wie ß, mit dem der gebrauch schlieszlich zusammen-
flieszt, über das 18. jh. hinaus wenig gebräuchlich: ist besser,
dasz sich die ding begeben, dasz die hauszfraw unwirsch
wider dich redt und die sie zorniglich im sinn gedenckt,
dann das günstige eitern {lat. parentes propitii) gedencken
BoLTZ Terenz (1539) 85^; mach dir ein günstigen koch
{indem du nicht an den speisen mäkelst) Scheit Grobianus,
randglosse zu v. 2785^.; in besonderem sinne (vgl. gunst
Bö): ein günstiger richter, . . , der nach gunst und nit
nach billigkeit rieht iudex obnoxius gratiae Frisius dict.
(1550) 740 a; nur Verbindungen wie die folgenden sind auch
später noch geläufig: (ich) hoffe, die günstigen musen
werden auch unsern babylonischen bau zu stände bringen
GöTHE IV 28, 67 W.; in der gestalt einer günstigen gott-
heit Gerstenberg recensionen 123 lit. denkm.; o all ihr
günstgen götter Fouque held des nordens (1810) 1, 144.
ß) die hauptmasse der belege begegnet in formelhafter aus-
dru^cksweise (vgl. geneigt teil 4, l, 2 sp. 3365), wohl als paral-
lelbildung zu dem in gleicher anwendung festen gnädig, vgl.
auch euer gunsten nach euer gnaden sp. 1116: die schäm
trug stete der eren Spiegel vor iren äugen; got was ir
gunstiger hanthaber (beschützer) , er was auch mir gunstig
und genedig durch iren willen ackermann a. Böhmen 11,
15 Bernt; ersamer, weiser, gunstiger herr burger meister
(anf. d. 17. jh.) urkd. d. Iglauer m^eistersinger 1, 3 Streinz.
geläufigere formein: unsere ginstige obrigkeit ebda 4; unser
gnedigsten und günstigen obrigkeit Mathesius Sarepta
(1571) 2308'; günstiger herr: den gestrengen . . . Hein-
rico von Pogk . . . und Nicoiao von Rottenburg, . . .
meinen günstigen herrn Rinowaldt lauter warheit (1597)
A2a; meinem günstigen herrn schwagern (widmung)
W. Spangenberg ausgew. dichtungen 3 Martin; haben
etliche meiner gunstigen herrn und freunde . . . inständig
bey mir angehalten, dasz ich dasselbe publicieren . . . solle
Sandrub kurzweil 7 ndr.; noch im 19. jh.: ihnen, meine
günstigen herren, widme ich diesen versuch A. v. Kotzb-
BUE s. dram. w. (1828) 18, 235. hier wie bei den anderen
Verbindungen gern mit synonymis: minen günstigen lieben
herren Riederer Spiegel d. wahr. rhet. (1493) a 2*;
M. Agricola miisica instr. 129 Eitner; gnädigen, günsti-
gen, lieben herren Hütten op. omn. 1, 405 Böcking; wir-
diger, geystlicher, günstiger lieber herr (anrede an prcbste)
notariat und teutsche rhetoric (Franckf. 1565) 2*' u. a.; vgl.
zu dieser formet: solche aber werden nicht auff eine art
geherret (herr genannt), dann etliche nennet man günstig,
andere gestreng, höhre gnädig, gnädigst Harsdörffer
teutsch. secretarius (l<Sö6) 1,30. auch sonst in der titulierung
und anrede: günstiger Junker Wickram w. 6, 3 lit. ver.;
Val. Schumann nachtbüchl. 2 lit. ver.; Heyden Pliniua
(1565) vorr. 2»; günstige fraw Amadis 1, 62 lit. ver.; als an-
rede an eine äbtissin unadliger herkunft: ehrwirdige (oder)
günstige fraw notariat u. teutsche rhetoric (Franckf. 1565)
2^; günstige jungfraw Amadis 73; dem achtparn . . .
herren . . . Nicoiao von Amszdorff . . . tumherrn zu Witten-
berg, meynem besundern gunstigen freundt Luther
6, 404 W.; Montanus schwankb. 135 lit. ver.; vereinzelt noch
im 18. Jh.: und bin ihre günstige, gute freundin Anna
Maccaroni (an einen mann, briefschlusz) J. Moser s. w.
(1842) 2, 78; auch handwerksprachlich: alles mit gunst, ihr
günstigen gesellen und junger um und um, alles mit gunst
M. Fr. Frisius künstler- u. handwerkerceremon.-polit.
(1705) 848. am aiisgebreitetsten und langlebigsten ist gün-
stiger leser (vgl. schon class. lat. Icctor amicu^s): also
haben wir dir, günstiger leser, die fürtreflichsten lat-
wergen . . . beschriben W. Ruff confectbuch (1548) 19*>;
damit aber hie nit underlassen werde, so dem günstigen
läser nutz . . , bringen möchte Herold-Forer Oeszners
thierbuch (1563) 126«; Broker mineral. ertzt (1580) 108";
GuARiNONius gretvel (1610) 4; Treuer deutscher Dädalus
(1675)1,130; J. C. AiTiNGER Jagd- u. weidbüchl. (1681)
)( 1». nicht selten noch im 18./19. jh. v. Hohberg georg,
curios. aicct. 3 (1715) 1, 246"; verschone dich selbst damit,
günstiger leser, wie man dich in allen vorreden nennt
Lessino 13, 49 L.-M.; wir fordern alle günstige und un-
günstige leser auf Göthe II 4, 34 W.; II 2, 115; E. Th. A.
Hoffmann s. w. 2, 7 Grisebach; Fouque zauberr. (1812)
1, 1; Immermann w. i, 103 Boxb.
2) übertragener gebrauch in Zuordnung zu begriffen wie
herz, angesicht, äuge, ohr, die als träger oder vermittler
des Wohlwollens gedacht werden:
min (kaiser Ottes) herze ist im in triuwen holt
und muoz im iemer günstic wesen
KONRAD v. WÜRZBima Heinrich v. Kempten 635 Schröder;
werdind iro (der bitte) alle vernünftige herzen günstig
H. ZwiSGudtsch. sehr. 1, 32 Schuler -Schulthess. hier über-
wiegt durchaus der attributive gebrauch: lieb ist ein gunstig
hertz zu eim andern, des not und nutz es ansihet Luther
29, 515 W.; pietas gunstik gemute, gutis willen, suzemute-
keit Konrad v. Heinrichau voc. 387" Gusinde; über
wilche woldistu mit gnedigem und gunstigem angesicht
sehen Luther 18, 30 W.; wie bei l b oft formelhaß:
wirf (herzogin) dein günstiges geslcht
auf disz kurtze lobgedicht!
Q. Neumark fortgepfl.mus.-poet. lustw. (1657) 1,213;
so lasz von satz zu satz . . .
dein günstig äuge sich nicht minder hier verweilen
(an August von Sachsen) V. KÖNIG ged. (1745) 192 ;
mutter der sterblichen,
himmelsbewohnerin,
neig uns ein günstiges,
schirmendes augl
Grillpaezbe I 4, 108 Sauer;
1131
GÜNSTIG A 8
GÜNSTIG A 4
1132
etwas mit günstigen äugen ansehen v. Fleming soldat
(1726) Vorbericht 12; GöTHE IV 36, 13 W.; günstige oren,
die eim gern losend aures amicae Fbisius dict. (1556) S3^;
groszer Plantagenet, erlauchter prinz,
leih unserem gesuch ein günstig ohr
Shakespeare 9, 129.
ähnlich bei begriffen, die an sich schon eine Zuwendung, ein
wohlwollen oder dessen äuszerung bezeichnen: unsern gün-
stigen gnisz zuvor Landorp acta publ. (1668) 1, 868; ich
sag e, 1. und euch allen freundtlichen und günstigen danck
Amadis 1, 310 lit. ver,; unsern günstigen willen zuvor
gesch. des Götz v. Berlichingen (1861) 116; entbieten ew.
gnaden . . . gnädigen und günstigen willen Schwbinichen
denkw. 100 Österley; er suchet . . . günstige erlaubnus
Lohenstein Arminius (1689) l,b*; dasz ich mir dein
wohlwollen und eine günstige aufmerksamkeit ausbitte
Rabeneb s. sehr. (1777) l, 188; und der letzte {brief) bald
mit Wehmut, bald . . . mit günstigem interesse gelesen
worden fürst Pückler brief w. u. tageb. (1873) 1, 144; da-
bei liebt das 16. und besonders das 17. jh. einen gevnssen
sinnschweren pleonasmus {vgl. auch Zusammensetzungen
wie gunstgewogenheit, -neigung, -Zuneigung, s. oben
ap. 1122, sowie solche mit günstig, z. b. günstiggeehrt
BuTSCHKY kanzdley 10; günstiggeliebt ebda 70):
gott bhüt uns und thut uns als guts
durch sein günstige lieb und gnad
H. Sachs 1, 31 lit. ver.;
liebe und günstige gewogenheit Reinicke fuchs (1650) 321;
gönstige Willfährigkeit d. unartig teutscher sprach verderber
(1643) 8; e. w. wollen solches im besten anerkennen und
zu günstigem gefallen von mir aufEnemen Barth. Krüger
spiel V. d. bäur. richtern 8 Bolte; ders. action v. d. anf. d. weit
(1580) A 7^; PtrscHMANN meisterges. 6 ndr.; zu sonderlichen
ehren und günstigen gefallen dem ehrenfesten und mann-
haften herrn Danieli Stettern Opel-Cohn dreiszigj. krieg
38. schon neutraler: befehlen uns ... in deroselben gün-
stiges urtheil Chr. Weise erznarren 222 ndr. ; zu günstiger
Prüfung zu übersenden Göthe IV 29, 69 W. rein differen-
zierender gebrauch wird demgegenüber erst seit dem 18. jh.
gebräuchlich: doch indesz hat sich der zorn der königinn
gelegt und günstigem gedanken für den Essex wiederum
räum gemacht Lessing 10, ll L.-M.; möge nachstehen-
des eine günstige aufnähme erfahren Göthe 40, 86 W.;
dasz ihr als zeichen günstiger meinung nicht verschmäht,
von diesem sect zu trinken G. Freytag ges. w. 11, 39;
(es) regte sich eine günstige Stimmung im parlament
Ranke s. w. 4, 12.
3) in bildlichem gebrauch von schicksalskräften wie glück,
geschick, zufall u.a., vgl. gxinst B4: du solt denen nit
gehässig syn, den das glük günstig ist Steinhöwel Äsop
69 lit. ver,; wer weisz, wo ihm das glücke günstig ist Chr.
Weise erznarren I6ö ndr.; (nach einem siege) ist es am
sichersten, den feind zu verfolgen, weil das glück günstig
ist V. Fleming soldat (1726) 302;
sagt, wie endlich
das glück euch günstig ward
SCHIHER 13, 346 O.;
wie günstig uns die natur gewesen Btttschky Pathmos
(1677) 85; wie der himmel gar so günstig sich erwies
Weichmann poesied.^ieiersocÄ5en( 1721) 1,60. auchhier
ist der attributive gebrauch stark entwickelt: das günstig
glück Stumpf Schweizer ehr on. (1606) 295»; Chr. Weise
polit. redner (1677) 178; Wieland I 3, 20 akad. ausg.; die
günstige natur Treuer dtsch. Dädalus (1675) 1, 126; das
günstige geschick v. König ged. (1745) 22;
bis mir zuletzt das günstige geschick
noch einen tag, den ich nicht hoffte, gab
GÖTHE 5, 61 W.;
wenige tage darauf führte ein günstiges geschick mir un-
erwartet einen lieben freund zu v. Gaudy s. w. (1844) 4, 69;
ein besonders günstiger zufall wollte Mörike w. (1905) 3,
62 Göschen; (es) ist noch für die hören ein günstiger stern
erschienen Göthe IV 10, 301 W.;
und also, Ihr getreuen, lieben,
willkommen aus der näh und ferne I
ihr sammelt euch mit günstigem sterne,
da droben ist uns glück und heil geschrieben
ebda I 15, 1, 10 {Faust II 4763).
ähnlich auch: wie dem ritter Montfaucon die waffen immer
günstig gewesen waren FouQui; zauberring (1812) 1, 15.
4) günstig 'der er reichung eines zieles, der verunrklichung
einer absieht, eines Zweckes dienlich' , 'förderlich', aus dem
bildlichen bereich erwachsen, der vereinzelt schon im 16. jh.
(s. unter 5 günstiger himmel sp. 1133), allgemein seit dem
18. jh. in gewissen anwendungen verblaszt, indem sich der
Schwerpunkt des sinnes vom vorgange des gewährens auf
die eigenschaften des gewährten verlegt und ein gewährendes
subject im sinne von 3 schlieszlich nicht mehr empfunden
wird (vgl. gunst C 4). der prädicative gebrauch wahrt das
bild am ehesten:
'ich habe spähend in die zeit geschaut.'
'und war die künftge zeit der Jungfrau günstig?'
Bkentano ges. sehr. (1852) 6,289;
» komm, eilen wir, der augenblick ist günstig
Schiller 15, 1, 73 (?.;
aber noch ein umstand war mir höchst günstig A. V. Ar-
nim s. w. 2, 132 Grimm; denn die äuszern umstände waren
solchen Unternehmungen (numismatischen Zeitungen)
nichts weniger als günstig Luschin v. Ebengreuth
münzkunde 10. die Umstellung erfolgt in erster linie bei den
attributiven fügungen: dasz sie ... eine so günstige zeit
mit unnöthigen erklärungen verlohren Wieland Agathon
(1766) 1, 26; darum nahest du auch jetzt zu günstiger
stunde, denn heut ist der tag, wo ich dir schenken will,
was ich dir einst versprach G. Freytag ges. w. (1886) 9, 26;
verlieren sie keine zeit, es ist gerade jetzt der günstige
augenblick Schiller 14, 219 Q.; seine kraft zusammen-
fassen . . . auf den günstigen augenblick, der schon einige
male verpaszt ist Bismarck polit. reden 2, 29 Kohl;
man paszt, man merkt auf jedes günstige nu,
gelegcnheit Ist da, nun, Fauste, greife zul
GÖTHE 15, 1, 253 W.;
benutzte die erste günstige gelegenheit, um ihr seine liebe
anzutragen Pfeffel pros. vers. (1810) 5, 186; (anlagen,)
die durch günstige umstände entwickelt . . . werden kön-
nen Göthe 22, 106 W.; die erreichung des zieles war unter
den günstigsten umständen . . . nicht zu gewärtigen
H. V. Barth Kalkalpen 318 ; ganz als sachliche eigenschaft
'aptus, idoneus' : meiner ansieht nach würde der günstigste
angriffspunkt die . . . Porta Pinciana sein Moltkb ges.
sehr. (1892) 1, 189; ähnl.: dieses auftauchen . . . der grau-
sigen sitte . . . beweist, dasz immer ein günstiger boden
für dieselbe übrigblieb Ratzel Völkerkunde (1885) 2, 126;
doch kommen vielfach auch päppeln, espen, weiden . . .
noch in den genannten steppenlandschaften an günsti-
geren stellen vor Nehring tundren und steppen (1890) 57;
schon mehr im sinne von 5: die eitern bezogen aber eine
andere wohnung, die eine höchst günstige läge hatte
H. Steffens was ich erlebte (1840) l, 52. der zweck wird
mit dem dativ oder präpositional angefügt: die für den han-
del ungemein günstige läge Mommsen röm. gesch. (1894)
5, 80; ein zweites bild, eine aussieht des Schlosses vom
park aus, von einem punkte, den ich einmal als günstig
dazu angegeben hatte Moltke ges. sehr. (1892) 4, 30;
verbal: das gestein des Haagengebirges ist steilem steigen
etwas günstiger H. v. Barth Kalkalpen 123; zum natür-
lichsten beispiel für das helldunkel wäre die kugel günstig
GrÖTHE II 1, 337 W. ähnlich 'die Voraussetzung für etwas
schaffend, enthaltend' : stoffe mit stark vorwärtstreibenden
leidenschaften ... als die für die tragödie günstigsten
anzusehen 0. Ludwig ges. sehr. (1891) 5, 93; (die) Schlacht-
ordnung auf der weiten, ihrer überzahl günstigen ebene
Raumer Hohenstaufen (1823) l, 69; ist also g die anzahl
der dem ereignis E günstigen und m die anzahl aller mög-
lichen fälle, so ist W(E) =-|^ die Wahrscheinlichkeit von E
CzuBER Wahrscheinlichkeitsrechnung 1, 14; verbal: das
seichte wasser ist der nebelbildung besonders günstig
Laistner nebelsagen (1879) 258; da eine gewisse einseitig-
1133
GÜNSTIG A 5-6
GÜNSTIG B 1-2
1134
keit der Virtuosität so günstig ist Europa (1803) 2, 90
Schlegel; anders: der weg war schlimm, für tanzschuhe
nicht günstig Göthe 25, 208 W.
5) in gewissen anwendungen bezeichnet günstig mehr die
erwartete oder eingetretene positive möglichkeit gegenüber
der negativen, 'gut, vorteilhaft' im gegensatz zu 'uner-
wünscht, unvorteilhaft, tvidrig'; in diesem sinne vereinzelt
schon im 16. jh.: sehen wir doch jetz zu unser zeit das
widerspill, das wir gemeynlichen ein günstigen himmel
(klim^) haben, und ein geschlachten (d. i. zur bestellung
geeigneten) boden Seb. Münster cosmogr. (1550) 319; so
in der folge als stehendes attribut vom klima, weiter u. a.:
gestalt, färbe, haltung jener vom günstigsten himmel um-
schienenen landschaft Göthe 33, 199 W.; unsere zehen-
tägige reise ... ist nun glücklich vollendet, wir haben das
günstigste wetter gehabt IV 18, 77. die grenzen zu 4 wer-
den mitunter flieszend: bei der günstigen Witterung alles
mit ackern und säen . . . beschäftigt ders. III i, 276; unter
günstigem luftstrich gedeiht sie (die tierfabel) und gewinnt
formen J. Grimm Beinhart fuchs (1834) vi. ähnlich gün-
stiger wind:
schon fördert die reise
der günstigste wind
GÖTHE 2, 44 W.;
mit günstigem wind 1, 329; das wetter ist schön, . . . der
wind günstig aber schwach Moltke ges. sehr. (1892) 6, 119;
schon im 17. /A.."
bey dem günstigen Südwesten
schweer iclis, Teiesllle, dir:
dein verbleib icti für und für
Stielkr geharn. Venu* 112 ndr.
prädicativ bildhafter: der wind macht sich auf, er ist uns
günstig TiECK sehr. (1828) 1, 132; (Körner und Kleist) star-
ben in der blüthe, denn die Witterung unserer tage ist den
dichtem nicht günstig Börne ges. sehr. (1829) 1, 134.
günstiges licht: (der) Charakter des feldherm, der anfangs
nicht in dem günstigsten lichte erscheint Göthe 7, 159 W.;
(etwas) in einem günstigen lichte darstellen 22, 147; dasz
ich (im Oötz) das faustrecht mit zu günstigen färben ge-
schildert habe 28, 205; in eigentlicher anwendung mehr im
sinne von 4 : dasz wir nunmehr den stein in ein günstiges
licht gebracht, ihn mit öl getränkt, wodurch denn die
Schrift viel deutlicher zum Vorschein kommt dera. IV 31,
146.
bevorzugt sind für diese bedeutung substantiva, die einer
resultataussage entgegenkommen (vgl. gunst sp. 1122): auf
mein promemoria habe ich eine günstige (d. i. 'zusagende,
positive') entschlieszung erhalten Göthe IV 21, 31 W.; ein
ritterheer mochte günstige entscheidung herbeiführen,
wenn es einmal mit gleich geschulter höfischer schaar zu-
sammenstiesz Freytaq ges. w. (1886) 18, 34; auf die stol-
zen (machte) das Selbstgefühl des mädchens einen gün-
stigen eindruck M. Meyr erz. a. d. Ries (1868) 1, 100; von
einem so günstigen vorurtheil Wieland Agathern (1766)
2, 50; er bekommt günstigere bedingungen 0. LüDwia
ges. sehr. (1891)5,302; günstige resultate J. A. Stöck-
hardt ehem. feldbriefe (1851) l, 11; (dasz) aus keinem gün-
stigen oder ungünstigen erfolge für uns heil zu erwarten
ist Fichte bei L. Häüszer dtsch. gesch. 3, 208 ; eine gün-
stige handelsbilanz hwb. d. staatswissensch. (1898) 4, 981;
ich müsse selbst im günstigsten falle mehrere jähre lang
warten A. v. Droste-Hülshoff br. 250 Schücking; gün-
stigen f alles Stürm w. (1899) 6, 75; günstigenfalls KosEG-
GER sehr. (1895) II 2, 427. anders: ich hoffe dennoch jetzt
auf eine günstige wendung (d. i. eine wendung zum guten)
und nahe befreyung Caroline br. l, 120 Waitz; einen
nicht minder günstigen eiuflusz Liebig ehem. briefe (1844)
302; nach Wien war ihnen (Mozart und s. vater) bereits der
günstigste ruf vorausgegangen 0. Jahn Mozart 1, 36.
6) 'angenehm, lieblich, beliebt' entsprechend dem ins passi-
vische gewendeten gunst B 6 : favorabilis gonstig vel kon-
stich vel lieblich obd. gloss. des 15. jh. bei Diefenbaoh
gloss. 228 a; favor non respondet meritis der gunst ist dem
verdienst nit gleyoh; man ist nit als günstig als man ver-
dienet hat Frisiüs dict. (1556) 1154!*; von pflanzen (vgl. bei
gunst C 4) : der lenze sprach, er erquickte und machte
guftig (var. gunstig, gustig) alle frucht ackermann otw
Böhmen 33, 6 Bernt, vgl. sajndus gustig, kustig, konstig
Diefenbaoh gloss. 511*^;
auf liebe nägelein, auf gönstige narcissen,
auf schönen hyacinth ist sie schon jetzt beflissen
P. Fleming dtsch. ged. 1, 60 lü. ver.;
es glentzt ihr (der lilie) weiszes kleid für allen blumen vor,
ihr günstiger geruch erfrewet hertz und sinnen
Opitz teutsche poemata 57 ndr.;
gehe mit mir zur angenehmen Sommerszeit ein wenig
hinausz, einen günstigen lufft zu schöpffen, da wirst du
gleich hören der nachtigal ihr villstimmiges fletl, . . . desz
stigelitz sein passarello Abr. a s. C1jAS.a Judas (1686) 1, 19
(doch vgl. günstiger wind in anderem sinne oben 6); woM
als nachleben dieses barocksprachlichen gebrauchen noch bei
Wieland :
Izt kommt die frohe nacht, es eilt erseufzt
der gynstge mond auf seinem silberwagen
in vollem glänz herauf I 1, 349 akad. autg,
B. adverb.
tritt seit dem 16. jh. an die stelle des älteren günstlich
saune der ableitung günstiglich. der gebrauch unterscheidet
sich nicht wesentlich von dem des adjectivs.
1) von personen 'wohlgesinnt, in guter absieht': welches
die heil, kirch gönstig zum besten deutet Fischart binen-
korb (1588) 192»;
dann der sein vil in solchen spil,
die mir nicht günstig wollen
Forster frische teiUsche liedl. 168 ndr.;
richte {geliebte) deine lustgeberden
günstig auf den diener tiin
Cur. Weise grün, jugend 36 ndr.;
wo gott die ersten Verbrecher günstig ('milde') gerichtet
BoDMER Noah (1762) 136; wan sie der abend günstig über-
schattete imd die nacht ihnen beschirmung angelobte
Zesen gekrönte majestät (1661) 225; in der absieht, sie
günstig für ihn zu stimmen Ebner-Eschenbach ges. sehr.
(1893) 4, 74. auch hier beliebt in officidlem stil: sie wollen
mich . . . vor gewalt . . . günstich handthaben H. v. Cron-
BERQ sehr. 93 ndr.; darauff wöU der leser günstig bericht
sein, dasz Ercker mineral. er<2< (1580) 2^; günstig geruhen
G. l^EVMARK fortgepfl. munik.-poet. lustw. (1657) 1, 8; mir
behülflich zu seyn imd günstig zu verhelffen Balth.
Schupp sehr. (1663) 412; anders: wollen euch demnach
günstig ersucht haben archival. quelle von 1640 bei Besold
thes. pract. (1697) 348*. jem. oder etw. günstig auf-,
annehmen: das nemen wir auch freundlich, gnädig und
günstig zu dank von euch an Ayrer hist. process. (1600)
184 ; ew. excellenz mögen die f reiheit, womit ich . . . gegen-
wärtiges erlasse, günstig aufnehmen Göthe IV 28, 39 W; in
neueren belegen leicht differenzierender, mehr auf den posi-
tiven ausfall der entscheidung gehend (s. bei A 5 und unten 2) :
so ists kein wunder, dasz er von Deutschen und Welschen
gleich günstig aufgenommen wurde Schubart ästh. d. ton-
kunst 233; dasz der könig mein gesuch günstig aufge-
nommen hat H. V. Kleist br. an seine schwester 104 Ko-
ber stein.
2) in sachlicher aussage; zu Ai 'aptus, idoneun' : Fer-
habad lag zwar höchst günstig zu jagd- und hoflust Göthb
7, 196 W.; eine colossale gruppe, günstig aufgestellt ebda
25, 15; vor allem urie bei A 5 (s. sp. 1133) in aussagen, die
sich auf das resultat irgend einer entscheidung, auswahl
unter mehreren möglichkeiten richten: weniger günstig läszt
sich über zwei andere vasenbilder urteilen H. Brunn kl.
sehr. 3, 86; dasz sein werk im Journal de l'empire günstig
angezeigt sey Göthe III 4, 341 W.; doch deine wähl mag
nun für den Samson günstig oder unglücklich ausfallen
samml. v. Schauspielen (1764) 1, 25; so würden allerdings
unsere finanzen heute sehr viel günstiger liegen Moltke
ges. sehr. u. denkw. (1892) 7, 139; unsere sache steht gün-
stig Hans Grimm volk ohne räum 2, 168; wer in den ta-
schen nicht zu klimpern vermag, dem bietet selten einer
günstig an ebda l, 74. der älteste beleg dieser aniuendung
1135
GÜNSTIG C-GÜNSTIGLICH
GÜNSTLEIN - GÜNSTLICH
1136
noch in anlehnung an AZ: bisz sich das glücke günstiger
fügen wolte Chb. Weise erznarren 177 ndr.; schienen die
dinge . . . sich günstiger wenden zu wollen Mommsen röm,
gesch. 327; seine gegenwart wirkte recht günstig auf die
gesellschaft Göthe 23, 294 W.
G. gebrauch als Substantiv; masc. nur vereinzelt als 'an-
hänger'' {vgl. A l a y) : als etliche seiner günstigen {dagegen
griech. Tai((C()/toi'), die von im gen Rom geschickt, gehört,
wie man im sein hauptmannschaft abstricken und nit er-
strecken wollen Xylander Plutarch {1580) Sio^'. neutrum:
einen zu etwas bereit machen, umstimmen zum günstigen
LÜFKES seemannsspr. (1900) 9; das kleinliche kinn allein
benimmt dem gesichte von seiner männlichkeit und liesze
etwas günstiges für die wollust hoffen Lavater physio-
gnom. fragm. (1775) 1, 126.
GÜNSTIGEN, vb., ableitung von gunst, mit transitiver
und intransitiver rection; 'schätzen, lieben': und nachdem
gemelte jugent nicht allein ungehaszt, sonder auch ge-
günstiget ist, so künden sie gemelte grosse ding dester
statlicher und basz volbringen Johann v. Schwaezen-
BERG officia (1533) öo''; 'begünstigen': so geschieht
auch vil, das richter und urteyler die missetetter günsti-
gen und ir handlung {d. i. die urteilsfindung) darauff rich-
, ten, wie sie, in zu gut, das recht verlengern und wissent-
lich ubeltetter dadurch ledig machen wollen bambergische
gerichtsordnung Karls V. 75 Kohler -Scheel; jemandem
günstigen 'zu gute halten': ob er {der papst) schon der
tüffel selb wer, sol man im dannocht günstiger sein dan
dir {Luther), dan in allen zweifflen anklagen solt dem ant-
wurter me gegünstigt werden dan dem anklager Mürner
an d. adel 54 ndr. — günstiger, m.: ghever, gunstiger
in qwaiden {unglück) fautor Schueren Teuthonista 136
Verdam; die literarischen belege weisen auf gunst D, gün-
stig A 1 a y : item alle schaden, wie sie {in dem beigelegten
kriege) geschehen sein ein teil dem andern von iren heifern
ader günstigem {anhäng ern), . , . sollen alle vergeben und
vergessen sein S. Grukaü preusz. chron. 2, 303; Seras, ein
beschützor und günstiger Ecii {eines Arianers), der saget,
dasz disz, was biszher unbewiszt und auch den aposteln
verhalten worden, yhm wer eröffnet S. Fbanck chron.
zeytbuch {15S1) 436*>. — günstigkeit,/., idem g-wod gunst
benevolentia, Studium, dementia Stieler 685; in neuerer
zeit anstelle von gunst C 4, bes. innerhalb der gruppe günstig
A 4, 5, B 2 : die günstigkeit des angebots, der läge, des
klimas. in unklarer bedeütung schon 1476 gunstekeyt bei
Diefenbach n. gloss. 2Q3^.
GÜNSTIGLIGH, adv., vereinzelt auch adj.; von günstig,
" durch dessen adverbialen gebrauch es im lauf des 17. jh. ab-
gelöst wird {s. d. B), aber zuweilen auch im 18. jh. noch be-
legt. — die bedeütung bleibt fast ganz auf den bereich von
günstig B 1 beschränkt: günstiglich favorabiliter Cale-
PiNtrs Alling. (1598) 551»; freundlich, günstiglich, mit
liebe amanter Decimator thes. (1608) 75'>'; günstiglich bene-
vole Steinbach dtsch. wb. l, 620: bürgerliche gesetze, die
kommen günstiglich zu hülff den armen weisen J. Barth
weiberspiegel (1565) n ö*';
ist auch mein sin, gemüedt und hertz
euch günstiglich also geneiget
J. Ayker dramen 5, 3287 lü. ver.;
endlich wird dem sommer von dem umbstehenden volck
. . . der sieg günstiglich zugesprochen J. Prätorius
Blockesberges verricht. (1668) 478; hab ich . . . ehrlichen
bergleuten . . . günstigklich verehren wollen Mathesius
Sarepta (1571) 3^ {vorrede); in besonderem sinne: so hat
doch ain ersamer rat . . . beschehne f ürbitt angesehen und
ime {dem ausgewiesenen) die stat wider gonstiglich {auf
dem gnadenwege) eröffnet (a. d. j. 1542) chron. d. dtsch.
Städte 33, 430. — wie günstig B, günstlich gern mehr oder
weniger formelhaft als Umschreibung eines ausdrucken des
'geruhens' {vgl. das heutige gütigst): wan uns der bischof
zu Brichsen . . . günstikleich und mit aller Schönheit, die
darzu gehört, verliehen hat alle lehen {a. d. j. 1400) quelle
bei SiNNACHER beitr. zur gesch. d. bischöß. kirche Säben u.
Brixen (1821) 6, 12; untertenig dancksagung, . . . das sy
in so gütiglich und günstiglich gehört haben Luther 7,
856 W.;
ach edler herr, wir alle vier
haben ein grosse bitt zu dir,
wölst die anhörn günstigklich
H. Sachs 12, 80 lit. ver.;
inen solche regierung . . . gunstigklichen zu vergunnen
(16, jh.) chron. d. dtsch. städte 34, 384; die will ich höchlich
gebetten haben, dasz sie günstiglich erkennen und be-
dencken wollen Weckherlin ged. l, 295 lit. ver. — adjec-
tivischer gebrauch ist selten und begegnet nur prädicativ:
und wellet ewch ... so günsticlich darynnen beweisen
(a. d. j. 1483) chron. d. dtsch. städte 10, 36; dencke der rat,
sich mit zymlicher vererunge gegen ime gonstiglich zu
bewysen (a. d. j. 1493) bei K. Bücher Frankf. berufswb.
106";
yetz aber scheinst du (Fortuna) mir gantz ertig,
so günstigklich mit deinen gaben,
das ich forthin gut rhu wil haben
H. Sachs 1, 439 lü. ver.;
im 18. jh. erscheint auch hier die bedeütung von günstig
B2:
(welchem beim spiel) immer die karte günstiglich fiel
KOKTüM Jobsiade (179Ö) 1, 41.
GÜNSTLEIN, n., eig. 'eine kleine gunst'; im sinne von
gunst C 2 : wo sie {die hennen) etwa bey ihren buhl-
schäftger ein günstlein genossen, oder vermeinen etwa
ein süszes blickgen eingeschlückert zu haben, so können
sie . . . das maul nicht halten und müssen solches allent-
halben ruhmräthig auskachlen Lindenborn Diogenes
(1742) 2, 380. redensartlich: des günstleins spielen dicitur
de judice affectibus indulgente, vulgo partialem esse, par-
teyisch seyn Stieler stammb. 684*' : das die richter nit miet
und gab nemen, des günstleins spilen und die schuldigen
vor den unschuldigen gefüdert werden Aventin s. w. 5,
103; aber die sün {Samuels) . . . hetten das gelt lieber dan
die gerechtikait, spilten des günstleins, waren verdacht
richter, verkerten das götlich recht ebda 4, 202; 4, 1173,
vgl. auch günstlichs spielen sp. 1137; izo aber get es nur
nach dem gunstlen zue, es fürdert nur freund den freund
Aventin s. lo. l, 249; wardt gross untrew gespilt und
gieng günstleins zue fortsetzer von ü. Füetrer bair. chron.
268 Spiller. — günstler, m., günstling, Schützling:
und wenn auch war des gröszten königs günstler
ein dichter D. v. Liliencron w. (1904) 9, 35.
in anderer bedeütung als zweites compositionsglied in her-
rengünstler, s. teil 4, 2 sp. 1139.
GÜNSTLICH, adj. und adv.; ableitung von gunst, zu-
sammen mit günstiglich {s. d.) den adverbialen gebrauch
von günstig bis ins 16. jh. ersetzend; doch schon mhd. auch
adjectivisch gebraucht, in beiden anwendungen wird günst-
lich während des 16. jh. von günstig verdrängt, reicht aber
vereinzelt, zumal in formelhafter spräche, bis in das 19. jh. —
zur form geunstlich J. v. Watt dtsch. sehr, l, 7 s. bei
günstig sp. 1127. das mnl. hat formen ohne präfix: on-
steleke, unstelech Verwijs-Verdam 5, 948.
1) wohlgesinnt, liebreich, gnädig; als attribut zu persön-
lichen beziehungsworten {entspr. günstig A l) nicht belegt;
sonst deckt sich der gebrauch völlig mit dem von günstig A 2
und 3 {s. d.):
(Saturnus) ist gewaltic unde guot,
swer im hat gunstlichen muot,
des sselden wird er ein gewer
Rudolf v. Ems Barlaam 244, 12 Pfeiffer;
mit günstlichem herzen
wünsch ich dir
ain vil guet jar
zu disem neu
Oswald v. Wolkenstein 74, 1 Schatz;
daz sl warn im zügewant
in gunstllchlr pflichte
Nicolaus v. Jekoschin 7383 StrefUke;
und hab ain milte gunstlich anhangen an got Tauler
sermon. (1508) c 7''; wij dancken u sere uwes gunstelijcs
briefs {um d. j. 1373) Steinhausen pyrivatbriefe 1, 15; mit
hilf günstliches gelaites Steinhöwel dar. mul. 16 lit. ver.;
1137
GÜNSTLICH - GÜNSTLING
GÜNSTLING
1138
unsem gunstlichen gras bevor (schreiben des Herzogs v.
Bayern an die stadt Augsb. a. d. j. 1398) chron. d. dtsch.
Städte i, 197; Ried?:rer rhetor. (1493) r 5^; verhandl. über
Thomas v. Absberg 130 lit. ver.; freundlichen dienst und
gunstliche furdrung bevor {um 1500) böhm. bergrecht 2, 474
Zycha; bisz glück ihnen ergehn würde, welchs so günstUch
sich endtlichen erzeigt, das dieses schiff zu land käme
Amadis 1, 178 lit. ver. — synonym erscheinen begriffe des
helfens: dar tho unser eyn den anderen ghunstlich und
forderlich sin schal (bündnisacte a. d. j. 1450) Hoyer ur-
kxirulenb. 306 Hodenberg ; {die obrigkeit von Soest soll den
eingesetzten richterlichen behörden) to aller redelicheit
gunstlik, behulplik und bistendich syn {a. d. j. 1434) wrM6.
zur landes- und rechtsgesch. V/estfalens 3, 73 Seibertz. 'par-
teiisch' {vgl. gunst B 5): so ver die dorfmeister . . . sollichen
. . . rechten und strafungen gegen einer oder mehr günst-
lichen und verdächtlich befunden wurden {hs. von 1805)
tirol. weist. 3, 158; substantiviert im genitiv in der redensart
günstiichs spielen {^(/i. des günstleins spielen oben sp. 1136):
{die rate) möchten dester minner pracktiken machen und
alfantz und aigennutz suechen und dester minner günst-
iichs Spillen fortselzer von U. Füetrer bair. chron. 260
Spiller.
ähnlich adverbial {vgl. günstig B 1); mit gutem willen,
günstlich benevole Frisius dict. (1556) 162^:
do inflenc in die rtchc (königin)
harde gunsteliche könig Rother 3182 Bahder;
die Bund ich haiss, die sünd ich rat,
die sUud ich iieb und leich ir stat
gUnstlicb (nur allzugern)
Oswald v. Wolkenstein 106, 27 Schatz;
und baden daz gunstlich zu versteen und uffzunemen
(o. d. j. 1438) Frankf. reichscorrespondenz 1, 423 Janssen;
im sinne von gunst B 1 c :
pei ainer, der ich nacht und tag
günstlich mit guetem herzen pflag
Oswald v. Wolkenstein 11, 14 Schatz.
in besonderem sinne: wanne se aver dat selve {geliehene)
ghelt willet weder hebben . • ., so scole we en dat weder
gheven günsteliken {d. i. 'gütlich, gutwillig') {a. d. j. 1325)
urk. z. gesch. d. herz, von Braunschw. 1, 227 Sudendorf. wie
günstig und günstiglich gern in Umschreibung des begriffes
'geruhen': dasz e. w. ihm solches günstlich wolle gefallen
lassen Melanchthon opera 5, 54 Breischneider; euch
fleiszig zu bitten, mir ein gab und schenckin günstlich
zustellen und nicht versagen wollet Amadis 1, 118 lit. ver.;
darauf die gedachten . . . obleut sich der sache gunstlich
und willig unterfangen (18. jh.) tirol. weist. 3, 326.
2) wohlgefällig, beliebt (vgl. gunst B 6; günstig A 6); plau-
sibilis loblich, günstlich, yederman angenäm Frisiüs dict.
(1556) lOll^: der ander stein ist ein saphir, und den hat
dir zugelegt der, der gunstliche ding dir redet in deinem
angesicht(/avom6i7m loquebatur) puch d. himl. Offenbarung
d. hl. Birgitte (1502) a i'"'; (das vorbildliche leben mancher
geistlichen) ist zwar an obgemelten mennern . . . ein lob-
lich und geunstlich möncherei gewesen J. v. Watt dtsch.
sehr. 1, 7; der handel (näml. der kreuzzug) was wol günst-
lich (wurde begrüszt), . . . der auszgang aber und das end
bezeuget leider, dasz diss hitzig f ürnemen nit gut gewesen
ebda 1,226. — günstlichkeit, /., wohlwollen, liebe:
dann komt er (Jesus) voller günstlichkeit
und thut, eh sle's gedänken,
zu mehrung ihrer seeligkeit
gantz reichlich sie beschenken
Angelus Silesius sintü. beseht. (1675) 108.
GÜNSTLING, m., der, der bei jemandem in gunst steht,
gegen ende des 17. jh. aufkommende Verdeutschung des frz.
favori, neben der seit dem frühen 18. jh. liebling belegt ist,
s. teil 6 sp. 972 : günstUng un favorit, cliens vjb. i. dreyen
spr. (Genf 1695) 152 *; favorite eines günstling Wächtler
manual (1703) 134; günstling acceptu^, qui apud aliquem
in magna gratia est Steinbäch dtsch. wb. l, 620.
1) das wort erscheint zuerst und vor allem in der sphäre
von gxmst B 3 a, 'liebling, Schützling eines mächtigen, für-
IV. 1. 6.
sten': könig Jacobus in Engelland hatte einen favoriten
oder günstling namens Overbury, welcher von natur so
aufgeblasen und stoltz war, dasz er einen jeden . . . neben
sich verachtete und gar schimpflich hielt, aus eitelem ver-
trauen auf des königs gnade Erasm. Francisci lustige
Schaubühne 2 (1671) 545; in den äugen der meisten schö-
nen ist der günstling eines monarchen allezeit ein Adonis
Wieland Agathon (1766) 2, 217;
der könig schenkt dem Gyges, seinem günstling,
die schöne sclavin, die ihm wohl gefälltl
Hebbel w. 3, 276 Werner;
der monarch eine art von gefangenen, der keinen schritt
thun kann, ohne dasz seine günstlinge es wissen Nicolai
reise (1783) 5, 198. meist mit stark geringschätzigem geholt:
du weiszt mit welcher kunst der niedre günstling heuchelt
theater der Deutschen (1768) 1, 140;
die übermüthigen günstlinge ... in das nichts zurück-
zustoszen G. Forster s. sehr. (1843) 6, 30l; verschnittene
und günstlinge J. v. Müller 5. w. (ISIO) l, 17l; (der mi-
nister) hatte sich aus dem pöbelstand zu seinem ersten
günstling emporgeschmeichelt Schiller 2, 103 G.; immer
entreiszt euer letztes Stückchen brot dem hungernden
kinde und gebt es dem hunde des güustlings ! Fichte s. w.
(1845) 6, 7;
der grosze stürzt: seht seinen günstling fliehen
Shakespeare 3, 251 ;
die alten günstlinge am hof
sind unbeachtet wie verjährte moden
TlKCK sehr. (1828) 3, 271.
auch im sinne von gunst B 3 d: so sehr er auch ein günst-
ling des Volks war Akchenholz Engl. u. Ital. (1785) 1, 2,
500; (Homer) nicht blosz der einseitige günstling eines
Stammes, sondern der dichter aller Hellenen Fr.Schleqel
8. w. (1846) 3, 149; auch er (Euripides) ist das geschöpf
so wie der günstling seiner zeit Göthe IV 35, 193 W.
2) auszerhalb dieses anwendungsbereiches waltet das be-
deutungsmoment des hegenden Schützens und förderns vor,
während der abschätzige accent seltener bewuszt wird: (der
erbe) war der letzte und jüngste jener günstlinge, an deren
gewandtheit und Wohlergehen sie (die alte Händlerin) ihre
freude gehabt hatte G. Keller ges. w. 1, 80; .
Apollo schmäuchelt sich, dasz er dein günstling ist
(an einen mäcen) Gottsched ged. (1751) 1, 374;
günstlinge der götter Wieland Agathon (1766) 1, 266; er
ist ein liebhaber und ein günstling der musen 1, 144;
(sagen, die) die Aphrodite mehr denn einmal für ihre
günstlinge hochzeitsäpfel vom golderfüllten bäum ab-
pflücken . . . lassen E. Gerhard akadem. abhandl. (1866)
1, 85. bildlich von glück, natur u. a. personificiert gedachten
Schicksalskräften: ein günstling des glucks sehnte sich, die
unaussprechliche natur zu umfassen Novalis sehr, i, 44
Mi7ior;
ein mörder, stadt- und landverrähter,
wo er nur dein (des glückes) günstling, heiszt ein held
Weichmann poesie d. Niedersachs. (1721) 2, 320;
des körpers schöne, ein offnes sclireiben,
das die natur dem günstling gewährt
Gaudy s. w. (1844) 4, 35;
und jeder fühlt an deiner holden seite
sich augcnblicks den günstling des geschickes
Göthe 3, 25 W.;
dem günstlinge der Weisheit M. Mendelssohn ges. sehr.
(1843) 5, 285.
3) seltener sind belege, in denen das moment der materiellen
Hilfeleistung zugunsten desjenigen einer innerlichen gemüts-
beziehung zurücktritt (vgl. dagegen liebling, das diese be-
deutung reich entwickelt hat): der major . . . suchte gleich
nach tische seinen alten günstling (einen Jugendfreund)
allein zu sprechen Göthe 24, 271 W.; doch die allzu zärt-
liche liebe der mutter willigte nie ein, ihren einzigen günst-
ling, den söhn, . . . von sich zu lassen A. G. Meiszner
Alcibiades (1781) 1, 71; und da in dem stücke selbst sehr
viel getrunken und angestoszen wurde, so war nichts
72
1139
GÜNSTLINGIN - GUNT
GUNTELKRAUT - GÜNTER
1140
natürlicher, als dasz die gesellschaft {von Zuschauern) . . .
gleichfalls anklingte und die günstlinge unter den han-
delnden personen hoch leben liesz Göthe 21, 198 W.;
{unter den Heren) war einer seiner günstlinge ein schnarren-
der, purpurflügliger Springer Stifter s. w. (1901) 1, 176;
dasz, wenn etwa ein träum Ziliens wimper küszt,
du nur säumend den günstling (d. h. diesen träum) scheuchst
(an den Westwind) Overbeck verm. gcd. (1794) 126;
ich bin und bleibe einmal der frauen günstling Göthe
IV 5, 127 W.; {er war) besonderer freund und günstling
der frauen Savigny gesch. d. röm. rechts 4, 329; {der) rühm,
für günstlinge und schoszkinder des frauenzimmers an-
gesehen zu werden Schwabe belv^tigungen (1741) 2, 75.
in diesem sinne vereinzelt auch von sachlichen ob jeden: {die
reinheit der form) gibt einem solchen antlitz einen adel
der linien, der es zum günstüng der plastik erheben muszte
JusTi Winckdmann (1866) 2, 2, 153; jedoch die haube
a l'aventure, die musz ihr günstling seyn Sonnenfels
ges. sehr. (1783) 2, 216; {ich umnsche), dasz sie sich {unter
den gedichten) einige günstlinge aussuchen mögen Göthe
IV 13, 182 W, für die Zusammensetzungen {s. an alphabet.
stelle) wird dieser gebrauch, anders als bei lieblings- {s. teil 6
sp. 973), nicht von bedeutung. — günstlingin, /.; die
königin theilte ihren {l. den) schmerz ihrer günstlingin,
aber noch wagte sie nicht, ihren hasz ausbrechen zu lassen
Geiser A. v. Kotzebue (1802) 200; da sie {die zofe) die
günstlingin der gn. frau war J. Thim. Hermes /. töchter
edler herkunft l, 146;
es sind fünf jähre nun,
da Ich, noch selber eine günstlingin
des glucks, in niedern sclavenstand euch sab
Schiller 13, 462 O.
entsprechend dem frz. favorite die geliebte eines für sten: die
wähl, ... ob ich verstohlen sündigen, oder als erklärte
günstlingin {maitresse des herzogs) mit meiner schände
pralen wolle A. G. Meiszner Bianda Capello (1785) 267;
{Alexander) hätte auch mit so vielen andern königen ein
weichliches und dunkles leben mit günstlingen und günst-
linginnen durchschwelgen können E. M. Arndt geist d.
zeit 2 (1813) 312; seit jenen Zeiten, wo die günstlingin
Maria den hof tyrannisierte Gerviküs gesch. d. dtsch.
dicht. (1853) 2, 299. — günstlingschaft, /., beliebtheit,
einflusz: zum mindesten dürfte es um seine günstling-
schaft gethan sein MusÄus volksmährchen (1853) 255; des
künstlers günstlingschaft beim grafen Jean Paul w.
45-47, 195 Hempel. 'günstlingswesen': von den vorfahren
des königs sei man dergleichen günstlingschaft nicht ge-
wohnt FÜRST Pückler briefw. u. tageb. (1873) 5, 394.
s. auch günstlingsschaft. — günstlingsherrschaft,/.;
begann ein System von f amilien- und günstlingsherrschaft
Gervinüs gesch. d. 19. jh. (1855) 7,29. — günstlings-
natur, /. H. Laube ges. sehr. (1875) 2, 71. — günst-
lingsregiment, n.: im stillen ein günstlingsregiment
geführt, das ganze land in parteien gespalten W. H. Riehl
gesch. aus alter zeit (1863) 1, 198. — günstlingsschaft,
/., in collectivem sinne: einflüsterungen der höfischen
günstlingsschaft L. Häuszer dtsch. gesch. (1854) 1, 378,
6. atich oben günstlingschaft. — günstlingswesen, n.:
{die hofleute unssen) dasz, wenn das günstlingswesen ein-
mal bedürfnis geworden ist, die reihe auch an sie kommen
kann Fr. M. Klinger w. (1809) ll, 73. — günstlings-
wirtschaft,/..- die günstlings- und maitressenwirtschaft
MoMMSEN red. u. aufs. (1905) 193.
GUNT, m. und f., auch gunte, gunten; ahd. gumpito;
frühmhd. gunbet; wie gumpe {s. d.) bezeichnung für eine
höhlung: du got uuirfest sie in dia buzza dero ferlorni, in
stagnum gehenne ignis {interlinear glosse: in den gumpiten
helle fiuris) Notker 2, 211, 3 P. {psalm 54, 24); 'Vertiefung
im fiuzsbett, teich, gröszere lache^ : es soll in der Rüss noch
in allen andern giessen und gunten im land niemand
fachen by verlierung des fischerzügs Verordnung von 1607
bei Staub-Tobler 2, 384, vgl. gurges ein wassergunte oder
gompen oder grosze tiefe eines flusses Frisius (1556) 614*',
sowie gunde, m., deminutiv gidle 'wasserstauung^ Fischer
achwäb. 6, 2080, gunne, /., grübe, Vertiefung {tirolisch)
Frommanns zs. 5, 444, vor allem ^hochtal, hochmulde im
gebirge\ zuältest als gunbet in gemeinengunbet (1059)
in einer regeste bei Baumann gesch. d. Allgäus l, 593 ; der
Tegelbach {flieszt) von diesem in den markstein zu endt
des gunten quelle von 1595 bei Fischer schwäh. 3, 924;
noch bis heute in zahlreichen flurnamen besonders des All-
gäus z. b. Hochgundspitze, Güntlealpe, Gundsbach, Küh-
gund, Roszgund, der wilde Gund, starkets Gund u. o.,
s. K. Gruber in philolog. und volkskundl. arbeiten Karl
Vollmöller dargeboten (1908) 327; Birlinger in Alemannia
8(1880)143; Schmeller-Fr. 1,920, vgl. auch tirolisches
gungk, /., Weideplatz zwischen hügdn Schöpf 224. iden-
tisch ist ndd. gunte groszer zuber Bauer-Collitz Waldeck,
wb. 4,2^, das ein gumpe in derselben bed. neben sich hat, s.
8p.l099; demin.: gunteke merenga {vgl. Diefenbaoh 357c),
cimbr{i)a {d. i. vas) in vocab. öciSchiller-Lübben 2,167;
ichteswelke gunteken, dar men in den gyltscoppen ut
plecht to schenken Halberstädt. urk. v. 1492 ebda 6, 146*>;
eynen veregeden disch . . . hef t gegeven Hans Adam ; ... item
de alderman Olrik . . . eyn dislaken unde gele hantwelen;
. . . item S.Johannes {d. i. die s. Johannesgildschaft) heft
xn gunteken, item ii grote vatbodden unde seyvat (a. d.
j. 1464) urkdenb. der stadt Halberstadt 2, 284 Schmidt. —
das wort stammt aus *cumbeta (/rz. combette), einer Weiter-
bildung von ndat.-gall. cumba 'toZ; gefäsz' (Holder alt-
celtischer Sprachschatz l, 1189; Meyer -Lübke 2386),
woraus gumpe {s. d.) K. Grüber a.a.o. 327; Birlinger
o. a. 0. 142/., Behaghel t» Wörter u. sach. 2, 61; gesch. d.
dtsch. spr.^ 111 ; 2M dem ursprünglichen lautbestand stimmen
formen wie kumbitzi urk. von 1450 bei Staub-Tobler 3,
290; gommetten ebda 3, 291.
GUNTELKRAUT, n., platanthera bifolia, orchis bi-
folia, kuckucksblume Staub-Tobler 3, 893 ; Bühleb Davos
2, 10; vielleicht so benannt wegen des langen blütensporns,
der mit einem gunten {s. u.) verglichen wurde, s. Staub-
Tobler a. a. o. : erdmoos- oder güntelkrautblühe gedörret
wird von herrn Camerario sehr wider den stein gelobet
v. Hohberg georg. curios. aucta 3(1715) l, 428^,
GUNTEN, m., schweizerisches wort, bezeichnung eines
eisernen keils, der in gefällte bäume getrieben wird, um
an ihm eine handhabe zum fortschleifen zu gewinnen, s.
Staub-Tobler 2, 382 mit belegen. — guntlen, vb., ab-
leitung von gunten, m., holz fortschleifen: das brönnholz
guntlen quelle von 1433 im schweizer, geschichtsfreund
11, 208.
GÜNTER, m., teil des dickdarms: das klein gedärm
bisz zum groszen günter J. Dryander arzenei (1542) lö*'
{hessisch) ; das colon oder gunter, so für das f ünffte {stück
des gedärms) gezehlet, bedeckt den magen . . . und den
grosten theil der leber, ist auff den seyten voller falten
und winckel Uffenbach neues roszbuch (1603) 1, 130; der
pferde günter oder darm ebda 2, 175; eine darmwurst:
faliscus vel venter faliscus der ghünter, gefüllter mag,
sewsack, faliscorum inventum Alberus nov. dict. gen.
(1640) E e 3=^; goniei faliscus ebda bb 3'>'; {ein dreschvers,)
den die alten bauern auf den günther oder die endwurst,
auch die magenwurst (die man eigentlich erst im sommer
essen darf) gemacht haben . . . :
im Winter
mein günther
da drischt man das körn,
wenns kalt ist,
nicht alt ist,
lasz ich dich ung'schorn
E. Wagner «. sehr. 10 (1828) 168.
das wort ist noch heute in hessischen und in benachbarten
gebieten geläufig: günter magen, bauch, mastdarm des
Schweins, daher günterwurst die in den mastdarm gefüllte
leberumrst, Schwartengünter, auch günter schlechthin
YihiiAB, Kurhess. 140; günter gefüllter und dann gepreszter
Schweinsmagen Crecelius oberhess. 444; günter teil des
Schweinedarms, der mit leberwurst oder schwartenmagen
gefüllt wird Hofmann niederhess. 111*; göntert unge-
wöhnl. breiter, kurzer sack; herausgenomm. magen eines
Schweines; der dicke freszbauch eines kindes Schmidt
1141
GUNTERFECH-GUPF
GÜPFEL-GURFEI
1142
westerwäld. id. 68, vgl. auch güntereck das dickste darm-
ende des Schweines Baueb-Collitz waldeck. 42. — her-
kunft zweifelhaft, verwandt mit keutel, kutteln und kunte
(teil 5, 2901) und an den fersonennamen angelehnt? abzu-
lehnen ist Weigands Zusammenstellung mit ksl. jetro,
polab. jötra 'leber\ jötreneica HeberwursV Weigand-Hirt
1, 780.
GIINTERFECH, n., gunderfei(n) s. conterfei teil 2
sf. 635, kunterfei teil 5 sp. 2745, kunterbunt ebda 2745/.
GUNZEL, günzel, m.,f., sieh gunsel, günsel sp. 1103.
GÜNZELGEVATTER,/., ähnlich wie gummel, gumsel
(». d.) von einem, schwatzhaften weib:
(der mann:) dein alte günczel gfater hastu (die frau),
die dir heimlich tregt ab und zu
H. Sachs lastnacMsp. 7, 104 Götze.
GUPF, gupfe, m., gupfe, /. kuppe, spitze, gipfel.
entweder entlehnt aus lat. cuppa oder echt germ. wort zur
Wurzel gheub(h) 'biegen', s. Walde- Pokorny 1, 567 u.
561, V. Friesen germ. mediageminatorna (1897) 43. unver-
schobene formen gupe, guppe, guppen u. a. s. Lexer 1,
1124; Fischer schwäb. 6, 2081; Staub-Tobler 2,390/./
rhein. wb. 2, 1495. der bei Staub-Tobler a. a. o. an-
genommene ablaut mit gipfel ist lautlich unmöglich, dies
vielmehr aus güpfel entrundel. das masc. mit starker
flexion überwiegt; bei schwacher form ist das genus zu-
weilen unsicher, z. b. Parz. 161, 24; Hartlieb Cäs. v.
Heisterb. 105 («. u. 1).
1) etwas hervorstehendes mit meist runder spitze be-
zeichnend, vgl. kuppe, koppe ; nur in Oberdeutschland ver-
breitet:
hin geln dem abent er dersach
eins turnes gupfcn unt des dach
Parz. 161, 24 L.;
ein hutt, der nicht spiczig was noch ein gApphen hett
(non acuminatus) Habtlieb Cäs. v. Heisterb. 105 Drescher;
ihre hüte sind flach und haben in der mitte eine gupfe,
wie sie in Thessalien . . . üblich Winckelmann sämtl. w.
(1825) 9.. 585; sein hut hatte keinen hohen gupf, desto
breiter war der schirm J. Gotthelf ges. sehr. (1855) 21, 1;
{hut) mit hohem . . . gupfen Hansjakob bauernblut (1896)
262;
wenn man mit bysam bstrelcht die gupffen
des haubts, so vertreibt es die schnupflen
H. Sachs 16, 512 lit. vor.;
{er stieg) ufE den gupf des felsen Öheim Reichenauer chron.
81 Barock;
(du) hattest dir auch gäntzlich vorgenommen
bisz auff die gupffen gar am HeUkon zu kommen
BOMPLER V. LÖWBNHALT cTstes gebüsch (1647) 127 ;
umbo gupf am bugler {am schilde) voc. opt. 32 Wacker-
nagel; die besten pauken {pocken) sind, die nit sehr hart
sein und keren die güpfen, das ist reife orth zum altern,
under sich und nit zwygüpfet, das ist an zweien orten
wollen aufbrechen Conradinus ungerisch sucht (1574) 168;
(e* sollen die baumstämme nicht) über ainen werchschuech
von der erden hoch . . . abgestöckt, auch nit lang
gupfen {stumpfe) gemacht, sondern dieselben samt den
afterschlegen, sovil des zu gebrauchen ist, zu nutz
gebracht werden österr. weist, l, 261 u. ö.; hierzu: das
kupfengraben {stubbenroden) ebda 1, 8; {ein fuder) ist
ein kegelförmiger salzstock . . . der obere theil eines
fuders heiszt der gupf, der untere hingegen der herdt
V. LoRi baier. bergrecht 641 a; (perkuffen sind) leere kegi-
förmige Zargen, die man auf den gupf oder spitzigen
obertheil stellet und mit salz einstosset ebda 643*' u. ö.;
weitere specielle Verwendungen s. Staub-Tobler 2, 391;
Fischer schwäb. 3, 928.
bair.-österr. bezeichnet gupf besonders das, was über den
rand eines gefäszes übersteht: jedes warf lebkuchen, nüsse,
birnen und allerhand hinein, bis die schwarze butten voll
war und sogar einen hohen gupf hatte P. Rosegger II
13,108; s. Hügel Wieyi7i; bildlich: {dasz er mir) sein
ganzes, wer weisz wie lange schon bis zum gupf gefülltes
herz vor die füsze schüttet P. Rosegger III i, 42; ob-
wohl 8 glück bei dem bubn schon völlig ein gupf gmacht
hat Anzengrubeb ges. w. (1890) l, 253. «. auch *gupfen.
2) das fem. bezeichnet mhd. speciell einen helmoberteil
{entsprechend dem hutoberteil, s, oben 1) oder einen beson-
deren köpf schütz, letzteres wohl in anlehnung an afrz. coife,
s. kuppe 4 e; mhd. wb. 1, 857*; 9150':
(ein schlag) den er im twerhs gap an den heim,
da von sich diu gupfe tränte, daz dem melm
sie wart ze teile und Im enplozt daz houbet
Lohengrin v. 5765 Rückert;
davon manig heim ward zertrant,
des gupffe gar zerzerret
OöUtoeiger Trojanerkrieg v. 13185 u. ö. Koppüz;
vgl. dazu gueffe, guffe eine weiberhaube Staub-Tobler 2,
134; guflte verächtlich für hut und au^ch für köpf Lexeb
kämt. 127.
GÜPFEL, m., s. gipfel.
^GUPFEN, vb. stoszen, hüpfen, gleich isl. goppa, schwed.
guppa 'auf und niederhüpfen, schaukeln' zur wurzel
gheub(h), s. Walde-Pokorny l, 567.
1) mhd. 'stoszen' in Verbindung mit schupfen:
trut, du setze mich uz klage . . .
schupfe, gupfe leit hindan,
wise mich Ilse uf minnen ban
Ulrich v. "Winterstettbn 13 Minor;
geln der sunden wellen,
die gehin und die snellen,
die uns dicke schuppfent
und frevllllchen guppfent
In frömede habe unser schlf
H. V. Lanoenstkin 223 Keller.
2) in schweizer, mundart: sich plötzlich auf die fusz-
spitzen erheben, auch: hüpfen u. ä. Staub-Tobleb 2, 392.
^GUPFEN, vb., bair.-öst. 'über den rand auffüllen', ab-
geleitet von gupf: waiz und körn gestrichen, den habern
und hiersch aber gupft oder gehäuft (1572) österr. weist.
10, 197; auch 10, 234 u. ö.; in mehrerwehntem kreisgeneral
von anno 1570 wirt der statt Steir alte gupffte metzen zu
einer durchgehenden landmetzen geordnet J. Kepler 5,
603 Frisch; umso stattlicher wird bei jedem zug der
löffel gegupft oder die gabel belastet P. Rosegger erinn.
eines siebzigjähr. (1914) 96; mundartlich, s. Unger-Khull
steir. 312"; LoRiTZAtd. itenn. 57. Äierz« ghupftvoll, guf t-
voU ScHRANKA Wien. dial. 68.
GUPFHUT, m., zu gupf Unger-Khull 312*. — gupf -
knöpf, m.: da war eine schnür angefaszter rasselnder,
silberner gupfknöpfe Stifter s. werke (1901) 2, 132 Sauer;
s. auch Unger-Khull 312*. — gupfvoll Stelzhameb
ausgew. dicht. (1884) 4, 52; vgl. ^gupfen.
GUPPE s. gupf.
GUR, /., s. guhr.
GURBE, /., speciell ahm. 'schiffsrippe' : costae navium
gürben, krumme höltzer, so die sytenladen zusamen
haltend Frisius dict. (1541) 227*; s. Kluge seemannsspr.
339; ähnlich vom bau des hölzernen pferdes:
die gurben setzten sie gowisz
inwendig, als die rippen seyn
WOLFH. Spangknbeko anm. weiszheit lustg. (1621) 613.
soviel wie 'kurbeV: {eine pfeffermühle) obenher mit einer
eisernen schüssel, der darein gehörigen steilschraube und
leyer oder gurbe allg. haushalt.-lex. (1749) 2, 533*. s. im
übrigen kurbe und kurbel, teil 5, 2795/., sowie Staub-
Tobleb 2, 415, Fischer schwäb. 4, 863. vgl. noch 'plec-
trum' gurbel voc. opt. 35^ Wackernagel.
GÜRBEL, m., s. girbel.
GURDE,/., eingedeutscht aus frz. gourde 'kürbisfletsche' ;
{wir füllten) unsere mitgebrachten gurden mit frischem
trinkwasser C. Friedrich vierzig jähre (1915) 3, 133; aitcA
fachsprachlich H. Vollmer kunstgesch. wb. (1928) 99.
GURFEI, m., eine pferdekrankheit: von dem gurfei.
nim hönig und knobloch . . . und bindt es dem pferdt
auf Albrecht roszarznei (1542) 31. s. curfiss oder gurfeule
unter curfes, sowie kurfes 3. wohl identisch mit dem
folgenden.
12*
1143
GÜRFEL- GURGEL i
GURGEL 1
UM
GÜRFEL, gurfel u. ähnl,, m., n., die mundfaule der
kinder: die Voigtländer nennens gürfel, die Märker die
schwämme, die gelehrten die weisze brenne . . . ligt den
kindern auf der zungen oben im gaumen . . . wie ein
weiszer hirso Coleeus hausapothek (1040) 129; mit dem
schindmesser muszte man einem kind, das den gurfel
hatte, dreimal durch den mund fahren A. John sitte,
brauch in Westböhm. 287. s. kurfes, teil 5, 2805 und
Fischer schwäb. 4, 864, sowie gorfei Staub-Tobler 2, 416.
GURGEL, /., kehle, luftröhre, Speiseröhre.
herkunft, ausbreitung , form.
ahd. gurgula {ahd. glossen 3, 689, 69, 9./10. jh.), gurgela
(3,71,4, IB. Jh.), gurgulla (geschr. gurgutta ahd. gl. 3, 362,
43, 13. Jh.), mnl. gorgel, mnd. gorgelstrote. entlehnt aus
lat. gurgulio, aus dessen i sich die gemination in gurgulla
erklärt, die genusdifferenz von gurgula gegen gurgulio be-
ruht auf einflusz von querca, querchela, dem einheimischen
wort {vgl. an. kverk /., mnd. querke, quarke 'gurgeV, afr.
querka 'erdrosseln'), an dessen stelle gurgel trat. mlat.
gurgula, belegt als lemma in deutschen hss. des 10.-12. jh.
{ahd. gl. 3, 433, anm. 2; 434, 26; 430, 11), dürfte aus dem
deutschen stammen, doch vgl. gargula 'guttur' du Gange
4, 33 (gargula, gurgula im anschlusz an gula, vgl. aJtd.
querca chela ahd. glossen 3, 433, 5?) sowie gargel 'ein-
kehlung am fasz' {s. d.). — im 16. jh. vereinzelte männliche
belege: der gurgel Paracelsus chirurg. (1618) 126 Huser;
den gurgel Rachel 24 ndr. neben ahd. gurgula aus gur-
gulio steht die form gurgile aus lat. gurgulium, das sich
in dem alem. gurgele, n., fortsetzen wird: gurgulium gur-
gile ahd. gloss. 3, 661 {aus d. 13. jh.); gurgele Frisius dict.
(1541) 383»; I&Q'^; Fischeb schwäb. 3,929; MabTIN-LibN-
hart 1, 231 ; Staub-Tobler 2, 418.
in der literatur des 13. /14. jh. ist gurgel mir spärlich
und vorwiegend alemannisch belegt: bi der gurgelen {lesart
gurgel) Hartmann v. A.v& Iwein 176; zuo der gurgelen
lesart für zuo dem gorgen {des drachen) Gottfried v.
Straszeurg v. 9213 Marold; auch 2982; {acc. pl.) gurgeln
{der kühe) König v. Odenwald 41; querkele {s. o.), nicht
gurgel steckt wohl in die qrquele {nom. sg.) Herbort
V. Fritzlar v. 10568 Fromm.; hierzu noch flurnamen wie
in der gurgelun (14. jh.) Alem. 8, 189; weitere bei Fischer
schwäb. 3, 930. Konrad v. Megenbero kennt das wort
nicht, in den glossaren des 15./16. jh. fehlt es noch oft. erst
im 16./17. jh. wird es allgemein beliebt, seit der klassischen
literaturperiode herrscht das als feiner empfundene kehle
vor. mundartlich noch kräftiger erhalten; das schwäbische
braucht sogar kehle gar nicht, sondern nur gurgel.
die form gurgel ist durchweg fest; gorgel findet sich
literarisch bei Ortolff v. Bairland artzneipuch (1477);
K.Stolle thür. chron. 116; Luther 18,199 W. {neben
gurgel); Dürer proport. (1520) N 3C; H. Sachs 2, 7
lit. ver.; 3, 515 u. ö.; dialektisch z. b. Lenz Handschuhs-
heim. 29^; RucKERT unterfränk. 63; Haltrich sieben-
bürg. 130; Fischer samländ. 54. auch umgelautete formen
sind selten: die gurgel {acc. sg.) Rist Parnasz (1652) 778;
Aler dict. (1727) 1, 994b; gorgel Chyträus nomencl. (1594)
109; güörgl Bauer-Collitz waldeck. 42»; görgl Danneil
altmärk. 68^; gördel Fritz Reuter 2, 221 u. ö. Seelm. —
schwache flexionseiidungen im singular zuletzt im 16. jh.
belegt, z. b. der gvirgeln {dat.) S. Franck sprüchw. (1545)
1, 105^; die gurglen {acc.) Wickram 6, 138 lit. ver.; Frisius
dict. (1556) 133'' u. ö.; mundartlich jedoch noch z. b. Seilee
Basler ma. 156.
bedeutung und gebrauch.
1) hohlraum des halses, im sinne von 'luftröhre' und
'Speiseröhre', nicht immer in dieser Scheidung, häufig
als 'rachenhöhle': {ist das zäpfchen geschwollen, so gibt
man) ein löffel vol dyamargariton zu der gorgeln mit
einem löffel vol warmes wassers und thu es wider zu dem
munde Ortolff v. Bairland artzneipuch (1477) von
dem plate;
BO lacht das alt weib ongehewr,
das man ihr bisz an d gurgel sach
EisCHAKT flöhhatz 14 ndr.
andererseits in ausdrücklicher nebeneinanderstellung beider
bedeutung en: Avie die supp im magen gedewet wirdt, und
hatt sein sondere gurgel : also wird der chaos in der lungen
gedewet und hatt auch sein eigen gurgel Paracelsus
opera (1616) l, 644; guttur g\xvge\, athemrohr, gula gurgel,
speiszrohr Frischlin nom. (1586) 738'.
a) luftröhre: gurgulio die gurgel, dardurch der athem
gehet Dasypodius (1537) m 2"; fistula gurgel oder ror
dardurch man athmet Frisius dict. (1556) 566*'; die gurgel
oder lufftröhr, vulgo die unrechte kahl, das oberste theil
an der luftröhren Zehner nomencl. (1645) 267; wann dem
valcken die gurgel und die kele ynwendig verswollen ist
und zücht den atem swärliche Mynsinger v. d. falken
24 lit. ver.; die süssen mandeln . . . sein den personen
gesund, welchen die gurgel voller schleims ist SEBiz/eZi-
bau (1579) 345; {man musz) den athem in der geschwindig-
keit nur bis an die gurgel ziehen Quantz anw. d. fiöte
zu spielen (1789) 75.
meistens als 'sitz der stimme', gewöhnlich ohne klare
örtliche und differenzierende Vorstellung 'kehle' schlechthin
entsprechend: das man aber wenig reden soll, lert auch
die natur, die der gurgeln ein zäpflin oder thürlin für-
gsetzt Seb. Franck sprüchw. (1545) 1, 105^; wann dem
raben das gesang in der tieffen gurgel krachet Sebiz
f eidbau {lb7Q) 41; wer das lied zu hoch anfängt, der musz
die gurgel enge machen, dasz er es kan hinausbringen
P. WiNCKLER 2000 gutte ged. (1685) F8b; weil unsere
gurgel zu tausend liederchen gestimmt ist Hamann
Schriften (1821) 2, 181. besonders in Wendungen, die eine
kehlige sprech- oder singweise bezeichnen: ein Franzos
aber beschuldigt die Deutschen, dasz sie aus dem
halse oder aus der gurgel sprechen Gottsched sprachk.
(1748) 10; durch die gurgel sprechen G. Forster sämtl.
Schriften (1843) 2, 328; vgl. unter hals 11; auf gleicher
linie liegen: (des castraten) stimme wäre nicht so übel,
wenn er sie nicht in den hals und in die gurgel nehmte
Mozart bei 0. Jahn (1856) 2, 433; auch brachte er alle
töne hinten aus der gurgel oder, wenn man will aus dem
rächen hervor Immermann 1, 152 Boxb.; bildlich, das ge-
schmacklose solcher Vortragsweise ins lächerliche ziehend:
{Nieder Sachsen) sang mit offenen nasenlöchern und voller
gurgel Patriotismus Lichtenberg verm. sehr. (1844) 2, 210;
mit dicker gurgel wie vom dreifusz geheimnisvoll herun-
terlallen ebda 7, 67. speciell auf die gesangstechnik ab-
zielend: {eine Sängerin) welche 1. eine schöne stimme
2. eine galante gurgel {hat) bei 0. Jahn Mozart (1856) 1,
629; die aria von der Courtanze . . . habe ich ein wenig
der geläufigen gurgel der mlle. Cavalieri aufgeopfert ebda
3, 106; vgl. noch: eine feste gurgel {stimme) haben Fischer
schwäb. 3, 929; die geprüften gurgeln des theaterpersonals
Mommsen röm. gesch.*' 3, 293. abschätzig: die kehle der
nachtigall wird durch das frühjahr aufgeregt, zugleich
aber auch die gurgel des guckucks Göthe 28, 161 W; für
einen Sprecher: es hätte einsmals eine gottlose gurgel ge-
sagt, er wolte, dasz der teuffei in die kirchen und pfaflen
schlug M. Hammer hist. rosengarten (1654) 55. — im 18. jh.
häufig für sie singstimme der vögel {vgl. auch gurgeln B 2) :
von den gurgeln kleiner sänger sey jetzt jeder wald erfüllt
Bkockes Jahreszeiten (1745) 539;
da wars, als hört ich einen schall
wie die gurgel der nachtigall
Kretschmann sämtl. w. (1784) 1, 196.
b) Speiseröhre, in dieser Verwendung hält sich gurgel
am festesten; seit dem 15. jh. belegt: die zaichen eines kalten
magen: rützung, hesschen {aufstoszen) und pitrikeit in
der gurgel kuchenmayatrey (1497 Augsb.) e 5»; vgl.frumen
gurgel, intruck Diefenbach gloss. 249l>; gula stomachi
dy gurgel nov. gloss. 222''; sowie aus spätrer zeit: Oeso-
phagus, gula der Schlund, die Speiseröhre oder gurgel
onomatol. medic. 2 (1756) 1163; enger gefaszt: der magen-
schlund ist ein häutichter gang ..., dessen oberster theil
die gurgel ist v. Fleming vollk. soldat (1726) 348; so auch
Henisch: der obertheil desz proviant rhor, da die speisz
und trank durchgehet (1616) 1782. auch bei tieren: {wenn
1145
GURGEL 1
GURGEL 1-2
1146
die kraniche) das land ergreiffen, so schyessen sye . . . den
sand usz der gurgel (e gutture) Eppendorff Plinius
(1543) 150.
meistens in ivendungen des sinnes 'schlemmen, prassen',
die gurgel symbolisch als sitz der esz- und irinklust auf-
gefaszt: {einer, der danach strebt) ab andern lAten mit
essen, trincken und vergebens komen sin gurglen ze
emÄrwn und buch ze hitzigen Riedebeb sjnegel d.
rhetoric (1493) q 4*'; (der gefräszige Grobianer:)
wolt jr vll brangen und hofflcrcn,
dieweil will Ich mein gurgel schmieren
Scheit GroManus v. 840 ndr.;
die g. schmieren stravizzare, mangiar e bere allegramente
Keameb 2 (1702) 609^'; die gurgel schmieren 5. auch u.;
(der ehemann) soll kein löwe sein, noch stets im hause brüllen,
noch sich in vollem sausz die gurgel allzeit füllen
MOSCHEROSCH gesichU (1650) 2, 345;
fülpauch preist man in aller weit,
wer die wil nidcr legen,
der musz sein gurgel regen bergreihen 78 ndr.;
in symbolischer deutung: Sardanabalus ... ist die gurgel
oder Schlund . . . hat sich nur auf schwelgen und schlam-
pampen . . . begeben Mathesiüs Sarepta (1571) SS''; für
den Schlemmer selbst: Belsazer, der wird auch eine gurgel
und trossel, denn er ist ein schlampamper, säuft sich
voll ebda 84^. in belegen des 17. jh. auch wie sonst gaumen
als sitz des geschmackssinnes : (sachen) mit welchen die
apotheker unser gurgel anreitzen Schupp 737; {dcuiz der
Schiffer) ein solcher gurgel, der einesz bürgermeisters söhn,
mit so schlechten speisen begegnen dürffte {um 1630)
JoH. Schulte briefe (1856) 2 Merk;
der gurgel ess ich nicht; ich esse nur dem magen
LOGAU sinnged. 138 Eitner.
in reichster fülle lebt gurgel in den redensarten und
bildern, die sich auf das trinken beziehen: Fürstenberger
{wein) zu Bachrach . . . wie wird dein gurgel lachen
Fischart Garg. 84 lulr.; {er musz) seiner alten gurgel zu-
sprechen und musz den creditoren tag und nacht voll-
sauffen Schupp (1663) 26; er soll nur drauf los schaben
und scharren, du wollest dir dafür die gurgel absauffen
ScHiLLEB 2, 33 Gödeke {räuber), vgl. mundartlich Fischeb
3, 929; Martin-Lienhabt 1, 231; ähnlich schon: sauf,
das dir der trunk die gurgel abstos Reinicke fuchs (1650)
282. in der Wortverbindung gurgel und magen tritt gurgel
in einen functionellen gegensatz zu magen analog essen
und trinken : der magen und die gurgel sind böse gläubiger
Kotzebue werke (1827) 31, 69; folglich verschlangen
gurgel und magen die einkünfte der mittelmäszigen
pfarre Holtet erzähl, sehr. 16, 16. eine trockene gurgel
haben u. ähnl. im sinne von 'durstig sein' : wenn als-
denn der fastnachtstag vorbey ist, so sind denen hand-
werckspurschen ihre gurgeln von denen gesaltzenen und
gewürtzten wursten gantz dürre J. G. Schmidt rocken-
philos. (1706) 1, 336; der südwind aber hat im hergehen
mir die gurgel . . . ausgetrocknet med. maulaffe (1719) 71;
ich bin alleweil nüchtern, meine gurgel ist trocken Meisl
theatral. quodlibet 1, 115; e truckeni gurgel ha 'gern trinken"
Martin-Lienhart eis. 1,231; zahlreich sind die mund-
artlichen ausdrücke für trinkfestigkeit, z. b. der hat e
gurgel wie e stiefelrohr od. ähnl. Fischer 3, 929; sei
gurgl is weider als e Paulaner erml Schmeller-Fb. 1,
936. — an diesen anwendungsbereich ist wohl anzuknüpfen
die bezeichnung kriegsgurgel {s. d.), rohe begierde aus-
drückend; später auch kurzweg gurgel für einen soldaten-
bettler v. Tbain chochemer loschen 51^; vgl. auch mord-
gurgel Adelung 2,848; sowie sauf- und spielgurgel.
die g. waschen, schmieren u. ä., im sinne von 'saufen' :
ey, wo wir ziehen auff der strass,
hast du stets an der gürtl dein flaschen,
darmit du thust dein gorgel waschen
H. Sachs 17, 173 lü. ver.;
vgl. den hals waschen ders. unter hals IIa;
setz in den trog die fleschen,
80 mögen wir die gurglen weschen
Wickram 6, 138 lü. ver.;
alemannisch noch jetzt: d sufer chönnid d gurgele wider
Wäsche {wenn der wein gut geraten) Staub-Tobleb, 2, 418.
{ein trinker, der) weidlich vom abend an bisz morgen früe
die gurgel schmieret Kiechhof wendunm. 2, 122 Ost.;
nun die gurgel geschmirt, dieser stauf hie mag die bin
{bühne) netzen Fischabt Garg. 129 7idr.; s. auch oben
sp. 1145;
(ich) fass mit dem maul ihre vollen zitzen,
thu mir mit macht die gurgel bespritzen
GÖTHE 16, 80 W. (Satyros);
ähnlich jemandem die gurgel schwenken, spülen: wenn
er ihne {anrede) nor di gorgel schwenkt Niebebgall
dram. w. (1894) 267; eim d gurgel schwenke 'frei halten'
RIartik-Lienhart eis. l, 231; freunden, denen er so offt
die gurgel gespület und ihnen aus nöhten geholffen hatte
Schupp /reu7id i. d. not 6 ndr.; vgl. dem kerl soll ik blosz
de jurjel ausspülen {trinkgeld geben) Bbendicke Berlin,
wortsch. 131*. im gleichen sinne den wein usw. in die
gurgel gieszen u. ä. Wendungen: wir gössen den wein
nicht allein in die gurgel, sondern auch auf den köpf
Zendobius winternächte (1682) 775; {sie hatte) so viel von
diesem flüssigen feuer {pimsch) in ihre gurgel gegossen,
dasz davon der qualm anfing in ihr pericranium zu steigen
BoDE gesch. d. Th. Jones (1786)4,270; {der wirt) gosz
langsam den punsch . . . die eigene gurgel hinab Raabe
hungerpastor (1864) 2, 70. iw fester wendung durch die
gurgel jagen: {toie er mit seinen nachbarn) zwantzigk
und mehr tonnen bier durch die gurgel gejagt hat
MicEÄLius Pommerland (1640) 416; und wehre weit besser,
dasz solch getreidig denen nothleidenden . . . ümb ein
billiges verkaufft würde, als dasz es . . . von den brandte-
weinbrüdern durch die gurgel gejagt wird Prätobius
saturnalia (1663) 371. bildlich sein geld, sein gut, alles
u. ä. durch die gurgel jagen 'verprassen, vertrinken',
bis auf den heutigen tag allgemein verbreitet und literarisch
häufig belegt: {nüchterne können) manchen groschen, den
ein andrer unnützer weise durch die gurgel jaget, in dem
beutel behalten v. Fleming vollk. soldat (1726) 97; {bur-
schen, die) tag für tag in den schenken rumhocken, bis
der letzte pfennig durch die gurgel gejagt ist G. Haupt-
mann die «;e6er (1892) 78; etliche verschwenden und jagen
ihr gut durch die gurgel Fischabt 3, 287 Hauffen; {der)
jaget sein gütel durch die gurgel Dannhaweb catech.-
milch (1657) 2, 60; haus und hof durch die gurgel jagen
W. KÖBTE sprichio. (1837) 194; so mus es doch alles mit
guten brüdern verzeret, verschlemmet und durch die
gurgel gejagt sein Pape bettel u. garteteuffel (1586) g 4^;
was das weib daheim ersparet . . . anderwerts durch die
verdampte gurgel jagen Moscheeosch cura parentum 74
ndr.; elliptisch: in einigen tagen waren diese pferde und
ochsen durch die gurgel A. v. Arnim 9, 159 Grimm; vgl.
bei dem musz alles die gurgel na Fischer schwäb. 3, 929.
seltener ijitransitive Wendungen:
was uns s fechten gwinnt,
durch die gurgel rinnt
Nestroy ges. ic. (1890) 1, 72;
was du nur bekompst, alles dir durch die gurgel fleusset
Kibchhof wendunm. 1, 365 Österley; der wein ist ein gute,
edle creatur gottes. wann er nu musz in einen bösen
argen schalck und trunckenboltz gehn . . ., erseufftzet er
darüber und ist im leid, dasz er dem weinschlauch durch
sein gurgel lauffen müsse Gbetteb erkl. d. ep. Pauli o. d.
Römer (1566)491; himmlischer wein! der schleicht die
gurgel nunterl maleb Müller werke (1811) l, 163.
2) die anschauung der luftröhr e von auszen her be-
stimmt einen anderen bereich der anwendung. nur selten
geunnnt das wort dabei die bed. 'auszen am halse sichtbare
luftröhre'.
a) in anatomischer u. ä. beschreibung : {ich) mach den
hals dick vom gnick pysz zu der gorgel Dürer menschl.
Proportion (1520) N 3<=; drüssel {ist) der vorder teil am hals,
darin sich die gurgel sehen läszt Henisch 760 ; {der vorder-
hals) begreifft in sich pomum Adami und jugulum die
gurgel Prätorius colleg. cur. (1713) 63; {die kehle) deren
1147
GURGEL i
GURGEL 2
1148
mittlerer teil, die gurgel Oken naturgesch.^ (18S9) 4, 828.
gchon älter in weiterer bedeutung für den hau selbst:
mit grözen kreften stach er In
enbor üz dem satele hin,
daz Im ein ast den heim gevienc
und bl der gurgelen hienc . . .
{dort) leit er hangende not
Hartmann v. Aub IwHn 176 Beneeke;
{der elephant hatte) sein schnabel und gurgel ob dem hals
Fabritii auszgestreckt Kirchhof wendunm. 2, 25 österley;
seine gemahlin, des Iphicrates tochter, schnitt er mit
eigener band vom geburtsgliede bis zur gurgel entzwey
LoHENSTEiu Arminius (1689) 2, 32*. im vollen dinglichen
sinn als losgelöster körperteil z. b. in belegen für die Ver-
wendung tierischer luftröhr en: {von der kuh sind ver-
wendbar)
lebern, nleren, langen,
hertze, gurgeln, zungen
KÖNIG V. Odbnwaldb 41 Schröder;
die gurgel sie (die gans) . . .
testieret {vermacht) hat der Spinnerin
das sie diesclbig dörren fein
und machen daraus ringlein klein
ihr garn und faden drauf zu winden
W. Spangknberq ausgew. dichtungen 44;
es nehmen auch einige die gurgel vom wolfe Döbel jäger
practica (1754) l, 35;
durch den Schornstein mit vergnügen
sehen sie die hühner liegen,
die schon ohne köpf und gurgeln
lieblich in der pfanne schmurgcin
W. Busch Max u. Moritz 10.
— älternhd. besteht besonders in den Wörterbüchern Un-
sicherheit in der anatomischen definition; mit der weiteren
bedeutung: guMur die gurgel oder kälen Fblsius dict. (1556)
eis"-; ingluvies der kragen oder die gurgel eMa 6ö7^.
auszerhalb des üblichen gebrauchs in specialisierenden be-
deutungsangaben: gurgel, der undertheil desz halsz iugu-
lus Henisch (1616) 1782; gurgel, das knöpflin am hals
. . . nodus gutturis ebda; dagegen auf das halsinnere
zielend: caruncula quaedam . . . quam . . . columellam ap-
pelamus die gurgel, athemzünglin, item zäpfflin im halsz
CALEFiNtrs XI ling. (1598) 632»; gurgel: das z&pflin, der
obertheil des lufffcrohrs Henisch o. a. o.; vgl. Hyrtl
kunstworte d. anatomie 21,
b) am reichsten in Verbindungen und ausdrücken des
Sinnes 'jemandem mit blanker waffe ans leben gehen": als
ermannete er sich endlich, und stiesze ihm selbst den
dolch in die gurgel A. U. V. Bra-UNSCHWEIo Octavia (1677)
1, 1059; gesetzt dasz jemand mir das messer in die band
gäbe, und seinen halsz hinstreckete, mit dem begehren
ihm dasselbe durch die gurgel zu stoszen d. Vernunft,
tadlerinnen (1725) l, 110;
eil desto besser! er wird also auch
nicht kreischen können, wenn ich ihm
das eisen in die gurgel stoszc
Grabbe werke 1, 260 Blumenthal;
ich dörfft dich durch dein gorgel stechen
H. Sachs 2, 7 Keller;
{Ingo) erhob das schwert, ihm mit der spitze die gurgel
zu durchstechen Gust. Feeytag werke (1886)8, 102;
küst Schwerter, die man euch durch brüst und gurgel treibt,
wenn euch der eine schätz des heiigen glauben bleibt
A. GRYPHitrs trauerspiele 220 Palm;
■wer diese nymfe nicht last ungeschmähet stehn,
dem sol Astreen schwehrt durch hertz und gurgel gehn
J. Bist neuer teutscher Pamatz (1652) 269.
beim fechten: stosse mit ausgestrecktem arm nach seiner
gurgeil zu SvroKivs fechtbuch (1612) 79;
{er greift) den knappen an . . .
stöszt nach der gurgel frei
A. V. Arnim 13, 239 Grimm;
{er gab) ihm in die blosze gurgel einen solchen streich
Amadis 78 lit. ver.; darüber ist Casirairus . . . tödtlich in
der gurgel verwundet Micrälius Pommerland (1640) 351;
besonders jemandem die gurgel abschneiden:
erstlich dieselben mit ein stich
hinferckh {hinfertige), hinricht gleich wie das vich,
hernach die gurgell woll abschneiden,
so werden sies nlt lang mehr treiben
ündinger judenspiel 39 ndr.;
da er den wechter fandt, dem schneyd er die gurgel ab
Aymont v. Dordons süne (1535) f 2''; diese teuffelinnen
{liefen die gefangenen) grausamlich an, schnitten ihnen
mit dem schwerd die gurgel ab Prätorius saturnalia
(1663) 159; die hänn gehet so lang, bisz ihr das messer
die gurgel abschneid Lehman floril. polit. (1662) 2, 600;
wie thörlich! wenn man sich die gurgel selbst abschneidet
A. Gryphius trauerspiele 65 Palm;
einem solchen menschen zu gelde verhelfen, heiszt das
nicht dem wahnwitzigen ein messer in die bände geben,
womit er sich die gurgel abschneiden kann? Lessino 2,
134 L.-M; wo der freund dem freunde dadurch seine
liebe beweist, dasz er ihm die gurgel abschneidet Hebbel
w. 1, 37 Werner; im älternhd. bis ins 18. jh. in gleichem
sinne auch die gurgel abstechen:
do sprach er, er sehe vil lieber grossls strites glancz,
tod Blähen und gorgiln abe stechen,
Btormen, fechten, stete und slosz brechen
K. Stolle thür. chron. 116 lit. ver.;
wie nun der böszwicht das messer in der band hette,
stach er dem töchterlin die gurgel ab Montäntts scAwanÄri.
89 lit. ver.; machs auff metzgerisch, kratz die sau, dasz
sie sich legt, und stich ihr die gurgel ab Lehman florileg.
(1662) 1, 414; so zog gott die band von ihm ab, dasz er aus
Verzweiflung ihm selbst die gurgol abstach P. F. Sper-
ling Nicodem. quaerens (1718) 1, 404. für das schlachten
von tieren mannigfachere ausdrücke, z. b. zerschneiden
Voss Odyssee 199 Bernays; durchschneiden Bürger 154
Bohtz; aufschneiden Grimm kinder u. hausm. (1812) l, 102.
anders:
ich sprang herzu, und sägt die gurgel ihm herab
D. V. D. Werder ras. Roland (1636) ges. 9, str. 40;
zwischen den beinen hielt er eine ungeheure baszgeige,
die er so wütend strich, als habe er in den Abruzzen
einen armen reisenden niedergeworfen und wolle ihm
geschwinde die gurgel abfiedeln Heine 3, 249 Elster;
runter vom hof, oder ich drehe dir die gurgel ab Petri
rothe erde (1895) 320; (er tvird) eure gurgeln umdrehen
Ratzel völkerk. (1885) 2, 208. — der zweyte wolfE kam
von binden, wurff den dragoner zu boden undt bisz ihm
die gurgel ab Elis. Charl. v. Orleans 136 Menzel.
Wendungen bildlichen gebrauchen 'jemanden in äuszerste
bedrängnis bringen' ; besonders einem das schwert, messer
itsw. an die gurgel setzen: {weil die kaiserlichen) ihres
haubt feindes, der ihnen bishero das schwert recht an die
gurgel gesetzet, los geworden v. Chemnitz schwed. krieg
2 (1653) 5; weil die Franzosen schon zum feldzug bereit
seien und den Italienern den dolchen an die gurgel setzten
M. I. Schmidt gesch. d. Deutschen {\719i) 4, 336; wer weisz,
welchem unter uns er {der tod) zum ehesten werde das
messer an die gurgel setzen Jon. Prätorius abdanckun-
gen (1663) 163; wer Wollüsten nicht das messer an die
gurgel setzt, den bringen sie um leben und seelig-
keit Lehman ßorileg. polit. (1662) 2, 922; die Wendung be-
ruht auf eigentlichem gebrauch {s. auch oben): {er) sagt,
mit gesetztem schwert an sein gurgel, zu im Amadis 116
Keller; {als Abraham den Isaak) auff dem holtzhauffen
band und das messer an die gurgel setzte J. B. Carpzov
leichpredigten (1698) 91; vgl. eim das schwärdt an halsz
oder an die giu-glen haben oder setzen Frisius dict. (1556)
133^, sowie frz. mettre le poignard sur la gorge.
der bildliche gebrauch in einer reihe anderer Wendungen:
das Wasser an die seel uns geht,
das schwerd ihr an der gurgel steht
Dav. V. Schweinitz bei Fischer-Tümpel 1, 379;
erfahrung hofft, ob pfeil und degen
ihr schon an hertz und gurgel stehn
A. Gryphitts ged. 998 Palm;
der sebel grassirt euch noch nit so nahe an der gurgel
wie uns Ungarn unterred. eines Ungarn u. teutsch. cavaliers
(1664) c 1*^; {der mohr) verriet nichts, bis das messer an.
1149
GURGEL 2
GURGEL s-i — GURGELABSCHNEIDEN 1150
ihre gurgel ging Schiller 8, 118 Oöd.; es geht an die
gurgel soviel wie 'es geht ans leben'':
wo du (DeutscMand) die lenge wirst zusehn,
so wird dirs an die gurgel gehn,
der grosse schlag dich rühren
(1628) V. SOLTAU histor. tolktl. (1845) 478;
kömmst du nochmals vors conseil, so wirst du arretirt
und es geht an deine gurgel Laukhaed leben (1791) 4, 46;
für 'das leben'' steht gurgel auch in:
also sorg Ich, meim sommergsellen
wöll der tod nach der gurgel stellen
Fischakt 1, 5 Hauff en;
einem nach der gurgel graben Schottel haubispr. (1663)
119, 'finanziell ruinieren' :
mit parem gelt thut er ihn pochen,
das hcist die gorgel abgestochen
H. Sachs 3, 515 lU. ver.
c) Wendungen im sinne von 'jemandem die luft ab-
schneiden', die gurgel als luftröhre, sitz des lebens. vom
hängen, erdrosseln, erwürgen: seinem begehren ist gnügen
geschehen: ihm die gurgel zweimal zugezogen E. Fran-
cisci traursaal (1665) 1, 416; {da) bunden sie ihn mit
andern stricken und rayttclten (knebelten) ihm die gurgel
ab JoH. Nas anlipap. eins u. hund. (1567) 2, o 6*; wie er
sie mit einem küssin ersteckt und die gurgel abgetruckt
het Seb. Franck chron. Germ. (1538) 221; (soll ich) diesem
abgerichteten Schäferhund (dem pater) die gurgel zu-
sammenschnüren Schiller 2, lOz (räuber) Q.; vereinzelt
präpositional: (ich) drückte meinen fremden gast fest in
die gurgel, dasz er sich nicht rühren konnte Cl. Bren-
tano ges. sehr. (1852) 4, 260. humoristisch: verbinde im
die gurgel collum obstringe homini B. Faeer /Äes. (1587)
806"'; dasz mir fast die gurgel hette dörffen verknüpfft
und zu eng gemacht werden Joachim Caesar J. Har-
nisch aus Fleckenl. (1648) 287. übertragen: (der der Frei-
heit) den würgerstrick der knechtschafft an die gurgel
geworfen Butschky Paihmos (1677) 203.
jemanden bei, an der gurgel fassen, packen:
darauff fasset er ihn geschwind bey der gurgel, dasz er
nicht weiters schreyen konnte Grimm elshaüsen 3, 423
Keller; wenn ich einen bei der gurgel fasz . . ., der giebt
gwisz kein laut mehr von sich Nestroy werke (1890) 3,
61 ; der reitknecht faszte den kammerdiener in die gurgel
Nicolai Nothanker (1773) 2, lll; er hat ihn gewisz an die
gurgel gefaszt W. Alexis hosen d. h. v. Bredow (1846) 1,
313; übertragen: (wenn) es mich an die gurgel faszt, wie
ein meuchelmörder Göthe 19, 79 W. ( Werther), seit dem
18. jh. wird packen in dieser Verbindung fest, meist mit der
Präposition an, seltener bei:
wie? fletschtet ihr die zahne, wie ich kam,
bereit schon, bey der gurgel euch zu packen
Shakespeare (1797) 9, 40;
hat dich sein geist an der gurgel gepackt, dasz du stock-
test? F. M. Klinger neues theater (1790)1,272; jetzt
gings über den Bayer her; der Blitzschwab packte ihn
an der gurgel Atjrbacher volksbüchl. (1835) 215; während
die übrigen sich schön paarweise noch an den gurgeln
gepackt hielten G. Keller werke (1889) 5, 226; als lässi-
gerer ausdruck öfter kriegen, z. b. kriegen sie ihn . . . bei
die gördel, so, mit diesen griff, bis ich ran komm Fritz
Reuter 2, 221 ; 224 Seelm.; ohne verb: (scen. bemerkg.) den
mohren an der gurgel Schiller 3, 38 0. (Fiesko 1, 9) ; soll
ich dem schuft an die gurgel? Liliencron sämtl. w. 6
(1900) 171. — ohne den sinn des erdrosselns: (gott) solt ihm
wol ein weil zu sehen, aber zu letst ihn bey der gurgel
nemen und zum haus hinaus füren Luther 13, 302 W. —
ebenso bildlich 'einem hart zusetzen', vgl. o. sp. 1148: aber
las uns dem schalck an die gorgel Luther 18, 199 W.;
wir aber greiffen im (dem papst) nach der gurgel und
käle tischreden (1574) 240*'; öfter in älterer zeit, vgl. Frisius
dict. (1541) 659»; Alemannia 11, 170; auch: an die gurgel
greifen Laube ge,s. sehr. (1875) 14, 122; mundartliche Wen-
dungen: einem auf die gurgel trappen (ihm zusetzen, bis
er bekennt) Fiscb^er schwäb. 3, 929; muess di bim gurgle
ne (nehmen)! Staub-Tobler 2, 418. aws andrer sphäre:
zu theuer schnüret die gurgel zu P. Winckleb 2000 gvMe
gedanken (1685) h 1*; vgl. d gurgel zue drucke 'finanziell
ruinieren' MARTiN-IiiENHART eis. 1, 231. — hierher auch
das wasser geht an die gurgel für 'in gefahr laufen zu er-
trinken': wenn einem das wasser an die gurgel gehet, so
lernet einer schwimmen Kramer d.-ital. (1700) 1, 576^;.
bildlich:
es Ist recht, wenn euch einmahl s wasser an d gurgel geht
Mexsl tkeatral. Quodlibet 2, 72;
übertragen: der auf rühr schwelle mir an die gurgel
Schiller 2, 14 Oöd.
von seelischen mrkungen so viel wie den athem rauben :
das schnürt die gurgel mir, ich musz wohl schreln
Zach. Weknee M. Luther (1807) 105;
als werm dir der ärger die gurgel verschnüren thät
O. Ludwig ges. sehr. (1891) 2, 356; es ist ein inneres un-
bekaimtes toben . . . das mir die gurgel zupreszt Göthe
19, 150 W. (Werther).
3) in übertragener bedeutung ein krummes verbindunga-
rohr an einer druckpumpe v. Eggers kriegslex. (1757) 1,
1124; Vitruviu^ de architect. (1800) anh. 32 Rode; eine runde
einbuchtung zwischen den zahnen einer säge Karmarsch-
Heeren (1876) 7, 498. ah botanischer terminus bei Behlen
forst- u. jagdkde (1840) 3, 518.
4) composita sind zu den einzelnen anwendungsbe-
reichen jederzeit leicht bildbar und darum häufig nur ein-
malig zu belegen.
zu 2 mit beziehung auf die auszenseite des halses z. b. aus
vogelbeschreibungen bezeichnungen ivie gurgelband, n. : ein
gurgel band braunschwarz, . . . brüst band schwarz Brehm
5, i&7 P.-L.; -fleck, m,: der weisze gurgelfleck ist grau-
lich gefleckt Naumann naturgesch. (1822) 4, 278; -Zeich-
nung, /., ebda 7, 274; ferner etwa verschiedenartige aus-
drücke für den beim manne am halse sichtbaren kehlkopf
wie -knöpf, m., gorjelknopp Askenasy Frankf. 160;
Martin-Lienhart 1, 507; -stock, m. Hertel Thür. lll;
-zapfen, m. Martin-Lienhart 2, 911.
zu 1, das halsinnere betreffend, gehören bezeichnungen
wie -drüslein, n., uvula, das zäpfflein oder gurgeldrüszlein
WoYT thes. (1696) 373; vgl. Hyrtl kunstworte d. anat. 21;
-klamm, m., angina Krämer (1700) 1, 577»; -loch, n.,
orificium, vulg. mundtloch vocab. (1515 Hüpfuff) k 6»;
-pfeife, /. .• (am oberende der luftröhre hat die rohrdommel)
keinen rechten kehlknoten oder gurgelpfeiffe, einen schall
oder laut zu machen Knorb v. Rosenroth Browns
pseudodoxia (1680) 692; -ritz, m., languette nouveau dict.
(1762) 361»; -Seuche /..• (der tod) ausz dem wulcken
(würgen, ersticken), oder einer anderen gurgelseuche
M. Pegius geburtsstundenbuch (1570) Qql»; -wehe, m.,
mal dellagorga, angina Kjiamer teutsch-ital. (1700) 1, 577»;
n., bräune Schrader d.-frz. 1, 584.
eine besondere gruppe bilden die composita zu ih mit
bezug auf essen und trinken, z. b. -leder, n.: (weinliebhaber)
die ihr verschrumpffenes gurgelleder wiederum gern mit
linder salbe ausschmiereten E. G. Happel d. sächs. Wite-
kind 3, 385; (wein, den die alte) in den dürren schlauch
ihres verschrumpfften gurgelleders hinabgeschüttet Er.
Fbancisci lust. Schaubühne (1702)1,1041; -öl, n.: der
wirth hat ein fäszchen, da ist ein trefflliches gurgelöl
darin P. Roseggeb U, 10, 270; -provision, /. ; mit vorrhat
von gurgelpro Vision (lesart: speisz) Fischabt Oarg, 420
ndr.; -Schinder, m., schlechter kuchen Spiess henneberg. 86;
-sucht, /. .• über das hatte der gute kerl die gurgelsucht :
denn was er desz tags mit betteln sammlete, das versoff
er desz abends in gutem hier Er. Francisci lust. schau-
bühne(16Q8) 2,665; -vergnügen, n.: jeh mal vor mir nach
de andre ecke un hole mir en halb quart jurjelverjnüjen
A. Glasbrenner Berlin, wie es ist u. trinkt 7, 36.
GURGELABSCHNEIDEN, n., im sinne von hinter-
rücks ermorden: weil das gurgelabschneiden dein geschäft
ist Alexis Woldemar (1842) 1, 180; uneigentlich von un-
sauberen handlungen: sich ins eigne oder fremde gurgel-
abschneiden (hineinduseln) F. Kürnberger w. 2 (1911)
1 151 GURGELABSCHNEIDER— GURGELHAHN
161 Deutach. — gurgelabschneider, m., mörder, als
romanfigur: ( wer interessiert sich noch) für die biederen
gurgelabschneider, die herz und messer an der rechten
stelle haben Spielhagen 7, 302; die typischen gestalten
des tugendhaften gurgelabschneiders, des harten Wu-
cherers und der . . . bordellsohönheit Tbeitschke auf-
sätze (1886) 3, 232; wie halsabschneider heule aiich für
'Wucherer^ üblich; vgl. gurgel 2 b sowie gurgelschneider.
GURGELADER, /., Schlagader Krämer t.-ital. (1700)
1, 677 ä': man solle im schlage {schlaganfall) . . . die gurgel-
adern . . . schlahen lassen J. Wittich consilium apoplect.
(1594) 160. — gurgelbein, n., kehlkopf, adamsapfel:
welche unter dem gurgelbein kein holes grüblein haben
(le noeud de la gorge) Comenius jan. iv ling. (1643) 100; der
Adamsbisz Ludwig d.-engl. (1716) 822; Heinsiüs 2, 563'^;
anders bei tieren: (beim bratenvorschneiden) stich die gabel
recht mit der einen spitzen in das gurgelbein trincirbuch
(1652) 62; embrochire die gabel in das gurgelbein, hebe
den (kalbs-) köpf damit auf Maeperger küch- u. keller-
dict. (1716) 1265a.
GURGELEI,/., abschätzig für coloratur Verzierungen im
kunstgesang, zu gurgeln B 1 c: {man hat bisher dem italieni-
schen) des gesanges halber oder, wie sich der verf. auszu-
drücken beliebt, . . . der gurgeley wegen bey der Vokal-
musik den Vorzug gegeben allg. dtsche bibl. (1765) 10, 2, 31;
eine musik ohne solfezieren, oder wie ich es lieber nennen
möchte, ohne gurgeley Sonnenfels ges. sehr. (1784) 5, 150;
gern pluralisch gebraucht: ich spreche . . . nicht davon,
dasz in den entscheidenden augenblicken die sänger
gurgeleien und trillerchen und passagen machen müssen
S. Hensel, /«TO. Mendelssohn 1,148; G.Weber that es
weh zu glauben, dasz Mozart den chorstimmen 'wilde
gurgeleien', wie die 'kraus verbrämten chromatischen
Schlangengänge' . . . hätte aufbürden können O. Jahn
Mozart (1856) 4, 708; die abgedroschensten gurgeleien
J. A. Hiller anw. z. singen (1792)4; vgl. noch: (ausge-
bildet zur) opernarien-gurgelei Z. Fünck erinn. (1836) l,
16, — von unarticvlierten aßenlauten Brehm 1, 135 P.-L.
GURGELEIN, gürgelein, n., deminutiv zu gurgel: (ein
dieb sagt aus:) ich hab wol 1500 gülden wert gestolen . , .
esz ist als durch des gurgelin hinabgelaffen, er maynet,
er hett es alles vertruncken Baumann quell, z. gesch. d,
bauernkrieges 1, 230 lit. ver. (vgl. gurgel ib); (die nach-
tigall) hat in ihrem kleinen unansehnlichen gürglin die
gantze kunst, welche die menschen mit . . . pfeiffen,
schweglen . . . kaum austrucken mögen Heyden Plinius
(1565) 452;
da netzet (vögelein am brunnen) eure züngelein . . .
da spület hals und gürgelein,
dann singt ihr noch so reine
A. V. Arnim tvunderhorn (1845) 3, 355.
das demin. auf -lein ersetzt in älteren Wörterbüchern zu-
weilen vielleicht auch jenes alem. gurgele, das als nebenform
zu gurgel (s. d.) urspr. nicht deminutiv ist: iugulus das
gürgelein umb den knopff Calepinus xi ling. (1598)
777"'; rumen das gürgelein am hals Kirsch cornw copiae
(1732) 954*'; vgl. rumen das gurgele am halsz Frisius dict.
(1541) 769''; auch ZS,Z^; iugulus das gurgele oder trossel
am halsz ders. (1556) 1i\^; ebenso Maaler 198^.
GURGELFREUDE,/., diefreude am essen und trinken,
zu gvu-gel 1 b : die epicurischen bauchknechte, suchen
nur die elende gurgelfreude L. Pollio v. ewig, leben (1583)
117*; drey ding sind . . . , die einem podagramischen
den schmertzen verursachen und mehren, die gurgel-
frewd, die buhlerey und der gähehitzige zorn Mosche-
ROSCH gesichte (1646) 4, 56; der gurgelfreude allzu geneigt
sein V. Kobbe gesch. v. Bremen u. Verden (1825) 2, 259.
GURGELGRIFF, m., zu gurgel 2 c 'griff an die gurgel':
faustschläge, gurgelgriffe und beinschläge F. L. Jahn 2,
133 Euler.
GÜRGELHAHN, m., auerhahn (vgl. gurgeln B 1 a)
Adelung 2, 849; Naumann naturgesch. d. vögel (1822) 6,
277; vom gattungsbegriff her auch als gurgelhuhn bezeichnet
Brehm 5, 474 P.-L. vgl. die ältere bezeichnung grügelhan
GURGELHIEB -iGURGELN Ai 1152
grygallua maior Heuszlin Oesners vogelbuch (1567) 107;
s. teil 4, 1, 6, 634.
GURGELHIEB, m. 'hieb in die kehlet mein printz . . .
sich des einen feindes durch einen giu-gelhieb entledigte
v. Ziegler asiat. Banise (1689) 142;
und neben diesem lag dort auf der wiese,
mit einem gurgelhieb, ein todter riese
Geies Bojardos verl. Roland (1835) 2, 332.
— gurgelkehle, /., gurgel: (durch aderlasz kann man
keinen schleim entziehen;) soll dann die ader ein nasenloch
oder ein gurgelkeel . . . seyn, dardurch der . . . schleimb,
so mit harter mühe durch die weite gurgl herauffgebracht
wirdt, . . . soll herauszgetriben werden? Guarinoniüs
grewel (I&IQ) 1044; vgl. gurgelstrosse. — gurgelklappe,
/., bei pumpen (vgl. gurgel 3) Jacobsson technol. wb. (1781)
2, 173^; von der luftröhre, im humoristischen vergleich mit
der orgel: (er war fest eingeschlafen und im besten zuge)
mit allen gurgelklappen und nasenwindladen den melo-
dischen Choral 'nun ruhen alle Wälder' abzuspielen
O.M\!iÄ.^B. Bürger (1873)1,102. — gurgelkropf, m.,
'der vorwanst der thieren, ausz dem sie die speisz wider-
holen' Megiser thes. polygl. (1603) 2, 440^.
GURGELLAUT, w., für 'gutturaler consonanf , zu
gurgel la: (unter den consonanten) giebt es: l. einen
hmgenlaut ... h; 2. drey gurgellaute ... ch, g, k
Adelung dtsche Sprachlehre (1781) 29; ein mensch, der
darüber wahnsinnig wird, weil er . . . einen neuen gurgel -
laut, der nicht im a b c aufgeht, hervorbringen will
Hebbel tageb. 2, 297 Werner, allgemeiner, mehr im sinne
einer stark guttural gefärbten articulation(vgl. gurgeln B 1 b) :
(er) fragte den schwer verständlichen kellner, welcher in
wunderbaren kehl- und gurgellauten versicherte, er
spreche deutsch Laube ges. sehr. (1875) 15, 482; (Eng-
länderinnen reden stets laut im museum) wobei die gurgel-
laute des englischen das ganze noch besonders verscheusz-
lichen 0. J. Bierbaum mit der kraft (1906) 133. s. auch
gurgelton.
^GURGELN, vb. den rächen (gurgel) spülen; laute in
der gurgel oder solchen ähnliche gerauscht hervorbringen.
von gurgel, /., abzuleiten, vgl. it. gorgogliare; doch ist
zu beachten, dasz einer der frühesten belege im Breslauer
arzneib. 52 (s. B 1 e ß) auf das knurren im leibe geht (vgl.
gurren 1 a) und dasz hier wie bei K. v. Megenberg (s. l)
gurgel noch fehlt; das legt die Vermutung nahe, dasz in dem
denominat. ein schallnachahmendes verb aufgegangen ist.
gorgeln hat sich gegenüber gurgeln auf die ma. zurück-
gezogen: (1421) bei DiEFENBACH nov. gl. 189»; Ortolfp
v. Bairland (1479) 40», jedoch (1488) 56b gurgeln; buch
der liebe (1587) 153*'; görgeln Hulsius d.-it. (1Q18) U3^;
8. auch Fischer schwäb. 3, 751; Woeste 82^; Men-
siNG 2, 466. mnd. tritt gorgeln nehen entlehnungsversuchen
wie gargaren, gargariseren, gargheln nach lat. gargarizare
auf, s. Schiller-Lübben 2, 13''; 134»; vgl. mnl. gorgelen.
mit dem ende des 16. jh. hat sich gurgeln schriftsprachlich
durchgesetzt, s. auch gargeln. mlat. gurgulare Diefen-
bach 271 '^ wird aus dem deutschen stammen.
A. Spülbewegungen im halse, in der gurgel hervorbringen.
1) in specißscher Verwendung für das rachenspülen, pleo-
nastisch im hals gurgeln: so man damit (mit eisenkraui)
gorgelt in dem hals und in dem mund K. v. Megenberg
blich d. natur 424 Pfeiffer; auch 329; 365; 367; gargarizare
gurgelen in der kelen oder in dem halsz gemma gemm.
(1508)13^1; gargarizo ich gurgel im hals Alberus dict.
(1640) i i 33'; dann bis heute ohne jede ergänzung gebraucht:
gragari gorgelen (1421) (»ei Diefenbach nov. gl. 189 »;
gargarizare gurgeln, gorgeln gl. 257^; gargarizatio das
gurgelen Frisius dict. (1541)388''; durch gurgeln, ab-
waschung . . . curiert werden Ettner v. Eiteritz med.
maulaffe (1719) 829; man quälte mich mit gurgeln und pin-
seln Göthe 27, 214 W.; des morgens kann ich ruhig eine
Viertelstunde lang gurgeln, ohne irgend wen zu be-
lästigen Fontane familienbriefe (1905) 1, 138.
in älterer zeit sind verschiedene abiveichende constructions-
weisen in gebrauch; reflexiv sich gurgeln se gargariser
1153
iGURGELN A 2-B i
iGURGELN B 1
1154
nouv. did. (1762) 1, sei»; Adelung 2, 844: damit soll sich
der kranck offt lawlecht gurgeln, oder vil mehr den mund
und die ziingen damit schwencken und waschen Gäbel-
KOVEK arzneib. (1595) l, 61; und gurgel dich damit
J. Aghicola chirurgia (1643) 129; stark gurgeln aber darf
sich der kranke nicht Bremseb med. parömien (1806) 267;
transitiv wie spülen gebraucht: das pulverlin von den ge-
brannten hundtszänen ... in wein gesotten, und den
mund damit wol gegurglet, vertreibet das zanwee (Pli-
nius, nat. hiat. 30,3: colluunt) Heyden (1565)205; {ein
Wasser) damit man den hals, so er siech, gurglet, wescht
und heylet S. Roth did. (1571) o 6»; (wasser) den mund
zu gurgeln jjour gargariser la boucke DuEZ guidon (1657)
594; noch Adelung den hals mit wasser gurgeln 2, 844.
wohl vom lat. gargarizare aliquid beeinfluszt: wenn man
ez {aufgelöstes baummark) gorgelt in dem hals, so pricht
ez die apostem in der kein K. v. Megenberq buch d. nat.
364; nym sein {des medicamenls) eyn löilel vol in den
mund und gorgel es umb und umb und spey es denn
wider aus Obtolff v. BAmLAND arbzneipuch (1479) iO^.
s. auch gurgelung.
2) unter röchel- und umrgebewegun^en 'von sich geben''
und 'zu sich nehmen': gurgulare {i. e. erudare) gorgeln vel
vyern Diefenbach gloss. 271"; 'vom würgen und dem
damit verbundenen laut beim erbrechen oder beim reize dazu;
sich erbrechen' Staub-Tobleb 2, 418; vgl. utgörgeln vo-
mieren, von kindern Woeste west/äl. 283 «■; s. auch gurgel-
suppe. blut von sich geben: und gurgelte das blut häuffig
ausz dem halse A. H. Buchholtz Herkules (1660) l, 487;
aber das häuffige geblüte, welches er von sich gurgelte,
machte, dasz er mir nicht antworten konte poln.-preusz.
Robinson (1736) 14. umgekehrt: ingurgitare in sich gur-
gehi vel schlucken Diefenbach gloss. 298^; bes. vom
trinken:
mein träumen gieng allein auf trinken, gurgeln, schluken;
jedoch mund, hala und Schlund, die blieben immer truken
JOH. Grob epigramme 170 lit. ver.;
noch heute mundartlich eins gurgeln Maetin-Lienhakt
1, 231; Staub-Tobleb 2, 418; ähnlich bier hineingurgeln
Hebtel Thür. 111; vgl. noch durch-, herunter-, ver-
gurgeln Sandebs 641»; ergwb. 241^; s. auch gurgler 3.
B. laute von bestimmter art hervorbringen, durch ähn-
liche be7vegungen im halse wie unter A; hier bestimmen
z. l. greifbar onotnatopoetische absichien die Wortwahl.
1) dumpfe, unscharfe, unklare, also meist häsdiche laute
hervorbringen, mit der rein terminologischen bedeutung
verbindet sich oft ein mehr oder weniger pejorativer gehalt.
a) von dumpfen tierischen kehllauten, gurren, quarren,
special für balztöne: {der birkhahn) gurgelt und pullert,
wie die kleinen pflugräder, dasz man es weit höret H. P.
V. Fleming d. teutsche jäger (1719) l, 142; {zuerst hört man
das zischen des birkha,hns) nachher das sogenannte . . .
gurgeln J. A. Naumann imturgesch. d. vögel (1822) 6, 344;
s. auch gurgelhahn. von tauben: {da) gurrt, gluckst und
gurgelt es durcheinander Gutzkow zaub. v. Rom l, IC;
seine tauben gurgelten auf dem Strohdach Pbeytag soll
u. hab. (1855) 3, 112; ferner: {der rohrsperling) zwitschert,
pfeift, schnattert, zischt und gurgelt li. Allmeks 7nar-
schenb. 103; vom quarren der f rösche: mooriges schilf,
worin die frösche gurgeha Gutzkow ges. w. (1872) 11, 127;
unbestimmter in dichterischem bilde:
wo gefleckte kröten
sich gurgelnd blähn bei menscheniisern
Schubart sämtl. ged. (1825) 2, 293.
anders von unartikulierten kehllauten: nun erfreute er {der
äffe) sich seines sieges auf das lebhafteste, indem er . . .
ein bedeutungsvolles gurgeln hören liesz Bbehm tierleben
(1890) 1, 85.
b) mit vorwiegend gutturaler articulation sprechen: {für
die ausspräche des hebräischen wurde mir) ein gewisses
näseln und gurgeln als ein unerreichbares nicht wenig
empfohlen Göthe 26, 201 W.; {manche können) den kon-
sonanten r nur gurgelnd aussprechen Möbike 5, 133
Krausz; Sophiechen spricht das echt stralsundische
IV. 1. (i.
deutsch, das etwas tief in der kehle sitzt und — gurgelt
K. v. Pommeb-Eiche tagebuch (1911) 150; vgl. der gurglet,
as häb er en wirtel im hals Fischeb schwäb. 3, 930. da-
neben öfter ein halbunterdrücktes sprechen umschreibend:
als ich mich zu ihm herüber beugte, gurgelte er mir
schnarrend 'generös' in das ohr Hauff sämtl. w. (1890) 3,
269; pack dich, gurgelte ich endlich nach dem lästigen
hin Laube d. junge Europa (1908) 1, 79; bestien, ver-
fluchte! gurgelte Hans Adam {im zorn) Handel-Maz-
zetti Jesse u. Maria 2 (1906) 213.
mit stärker abschätzigem gehalt {vgl. u. c): {der söhn des
rabbi recitiert die thora;)
und er gurgelte gar lieblich
jene fetten gutturalen Heine 1, 439 Elfter;
{Kamtschadalen) die ihre töne aus grosen kröpfen heraus
mehr gurgeln als sprechen Schubabt leben u. gesinn. 1, 80.
c) rein pejorativ, auf geschmacklose weise singen, dann
plärren, grölen {vgl. auch 2). von den unnatürlichen kolo-
raturen der arien: eine Sängerin muszte, um bewundert zu
werden, gurgeln und trillern wie eine nachtigall Wieland
I 10, 29 akad. {Abd. I 2) ; {arien, aus dem Zusammenhang
gerissen, in fremden sprachen gesungen, sind für die
meisten) ein bloszes gurgeln und trillern Heinse 5, 108
Seh.; {halbkenner wollen) die vortreffliche Sängerin bereden
. . . eine ganz fremde aria d'agilitä nach italienischer art
zu gurgeln V. Aybenhoff werke (1814) 3, 275; die sänger
der hiesigen nationalbühne verdienen das lob, dasz sie
gefühlt haben, was sie sangen; . . . dasz sie nicht blos
gurgelten, sondern sprachen bei O. Jahn Mozart (1856)
3, 470; wenn ich mit ausdruck singen höre — nicht leiern
oder gurgeln — so was eigentlich singen ist Iffland
Iheatral. w. 4, 218; bildlich für überkünstelte poesie:
statt unnatürlicher töne,
die ein Lobenstein gurgelt, hört man in teutonischen haynen
ileder von geist und anmut beseelt
Wieland 1 1, 457 akad.
für grölen, plärren schlechthin: 'oiw vollem, halse singen,
plärren' wb. d. dt. spräche {Prag 1821) 110*;
(sckildwache:) wir singen auf befehle,
nur zu, es glückt uns schon.
ich gurgle falsche töne Kotzebuk (1827) 1, 175;
anders, im sinne von 'röcheln' etwa {vgl. u. d): auch musz
der küster, der ein gespenst ist, nicht singen, sondern
gurgeln Büegeb 469^ Bohtz; s. vorgurgeln.
d) vom, hervorbringen geringster menschlicher kehllaute,
meist soviel wie 'röcheln' ; bes. von sterbenden oder nach
Ivft ringenden menschen, s. Ludwig t.-ewjl. (1716) 822;
Woeste ivestf. 82^; Fischeb schwäb. 3, 930: {wenn er
stirbt) so fehet dan der mensch an zu rubelen und zu
gurgeln in der kelen wie ein trechter Keisebsbeeg emeis
(1517) 9^; über dem röcheln und gurgeln erwachet die
magd, so in der kammer lag A. v. Kreckwitz lustwäld-
lein (1632) 266; {indem ich den einen mörder entwaffnde)
wollte mein camerad dem gurgelnden Merillo die schlinge
vom halse machen Schnabel d. im irrg. d. liebe herumt.
cavalier (1738) 527; ein tiefes gurgelndes stöhnen kam von
ziemlich nahe W. Alexis d. hosen (1846) 1, 295; gurgelnde
und pfeifende laute . . . trafen sein ohr G. Hauptmann
bahnwärter Thiel (1892) 55; bub, stammelte er . . . dann
kam ein gurgeln aus seinem munde, als müszte er er-
sticken E. Zahn schattenhalb (1917) 155. ebenso bei sprach-
behinderten:
ihr nennt es st-ottern? weisz nicht, wie es heiszt,
ich weisz nur, dasz der hals mir so gewachsen,
da klemmt sichs, schnurrt und gurgelt wohl ein bischen
TiECK schrijten (1828) 3, 273;
{des lehrers worte waren) nicht sehr klar des weges, und
bei aufpassen hörte man sie vor ihrer ankunft gurgeln
Hans Geimm volk o. räum l, 508. für 'unarticulierte laute
von sich geben, stammeln' im schwäb., s. gorgeln Fischeb
3, 751.
e) hervorbringen unarticvlierter geräusche auszerhalb des
bereiches der kehle, oft in unpersönlicher construdion.
73
1155
iGURGELN B 2
2GURGELN - GURGELSTROSSE 1 156
a) meist vom wasser, gluckern, plätschern, murmeln, rau-
schen: wenn nicht mehr in dem trechter ist, so fahet es
an zu gurgeln und bluttern KEiSEKSBEKGemei.s(1517)8^;
ähnlich: trinklieder, die das gurgeln und plodern der
weinschlücke nachahmen Gervinus gesch. d. d. dichtung^
(1871) 2, öüC; anders:
(der pfaffen heller sind) al vol wein,
der würt unsz gurglen süsz hinyn
MuKNEE luth. narr 97 Kurz;
in neuerer literatur für das ger dusch flieszenden oder be-
wegten Wassers sehr beliebt:
lauter gurgelt der bach
durch mäander des veilchenthals
HÖLTY ged. 65 Halm;
Valtin und Grete hörten nichts mehr als das gurgehi des
Wassers Fontane I 2, 402; (das hochwasser) gurgelte und
mm-melte lustig B. Atjeebach sehr. (1892)11,131; (der
bach bildete einen sumpf, in dem es) geheimnisvoll gurgelte
und murmelte E. v. Dincklage kurze erzähl.^ 177; unten
gurgelte die flut klagend an den holzpfählen G. Feeytag
geg. w. (1886)4, 129; von anderen wassergeräuschen eben-
falls nicht selten:
nur manchmal, wenn vom tiefen grund
die bläschen gurgelnd aufwärts quellen
G. Kinkel ged. 2 (1868) 365;
(es) rauschte ein dichter guszregen nieder, auszen plät-
scherte es von den traufen und gurgelte in den rinnsalen
Anzengeuber ges. w. (1890) 2, 184; das wasser gurgelte
dumpf am bug und tröpfelte silbern von den rudern
H.Hesse P. Camenzind (1905)167; wie Tantalus stehe
ich mitten in der fluth, und die wasser gurgeln zur tiefe
rings um meinen dürstenden mund G. Fkeytag ges. w.
(1886) 2, 297.
ß) in verschiedenen anderen bereichen; vom, knurren im
leibe schon im 14. jh. belegt: swer di vicblatern hat von
grozir vuchte, di leimic ist, der hat bladem {wind), des
zu vil ist itwederhalp bi den siten unde gurgelt in dem
buche Bresl. arzneib. 52 Külz; von darmblähungen auch
Bacher Lusern 260; ähnlich: ich glaube, dasz mein
kurtzer ahtem nur von winden kompt; den wie ich ein
wenig starck gehe, gurgeln sie mir im halsz Elisabeth
Charlotte bricfc v. 1707-15, 236 Holland.
vereinzelt von mehr surrenden geräuschen: {er stieg in
den lift) die maschine gurgelte, es ging in die höhe
B. Auerbach sehr. (1892) 18, 190; im kriege von granaten:
bei jedem gurgeln und sausen in der luft P. Alverdes
Reinhold (1931) 44; danach hieszen bestimmte geschosse
gurgelaugust, gurgelpanje Th. Imme soldatenspr. (1917)
63, 136,
2) singen, schmettern, zwitschern, meist von vögeln:
gar suze gedune er da vernam:
uz heller stimme gorgeln (chorum)
Schönbach miit. a. altd. hss. 6, 112 in Wiener sb. 1897;
im 18. jh. fest:
hört, wie gurgeln sie so schön!
höret, wie sie musicieren
Beockes ird. vergnügen (1721) 4, 10;
(es) erfüllt ihr liederreicher chor
und helles gurgeln luft und ohr
ebda 4, 57; auch Jahreszeiten (1745) 65; 73;
bes. für das schlagen der nachtigall:
ich hörte sie bezaubernd streicheln
mit holdem gurgeln luft und ohr
Chr. Fr. Weichjiann poesie d. Niedersachsen (1721) 2, 108;
sie gurgelte, tief aus der vollen kehle
den silberschlag Hölty ged. 56 Halm.
vielleicht auch hierher, wenn nicht abschätzig geineint und
dann also zu B l c : {sie hatten) musicisch mit vier und
fünff stimmen zu figuriren, . . . bergreyen, Bremberger,
vülanellen und . . . reuterliedlein zu singen, zu gurgelen
und im halsz nachtigallisch zu dichten und zu uber-
werflEen Fischart Garg. 277 ndr.;
(wir) gurgelten nach einer melodie
ein muntres lied, die arbeit zu beleben
Wieland II l, 57 akad. (sommernachtstraum in 7),
für das engl, to warble 'trillern, trällern'' ; ebenso über-
setzt von Herder 25, 112 S.
^GURGELN, vb., junge neubildung vom subst. gurge),
'jemand würgen'; vgl. quergeln teil 7, 2360: du gurgelst
den nackenden, du schlegst den hungerigen G. Wicelius
unchristl. wucher (1537) D 6^; (sie berichteten, dasz) der
schalckhafftige knecht seinen mitknecht gurglete, steckte
und blockte {Matth. 18) C. Htjberinus spiegel der haus-
zucht (1554) Bb 4^; einfach für 'töten': 4700 hat er als
proscribirten oder verschribnen lassen gurgeln H. Gholtz
leb. bilder, vorred Q>^; im ursprünglichen sinn: wenn man
einem an den halsz feilet, jhn mit den henden, strick
oder handquell(-<McÄ) gurgelt {kann er den schlag be-
kommen) J. Wittich consilium apoplect. (1594) 20"^; offoco
gurglen oder erstecken Calepinus Xlling. (1598)986^;
{ich will dich) so görgeln, dasz du all dein bischen basz
und discant drüber verlieren sollst maler Müller werke
(1811) 3, 198; (er wollte seine Stiefmutter nicht ermorden)
doch wisse er, dasz er in bosheit sie recht gegurgelt
Gesky criminal-chron. (1825) 18. in beschränkter Ver-
breitung noch in den mundarten, z. b. Fischer 3, 930;
Batjee-Collitz 42"'; Reinwald 53; 2, 54; Mensing 2,
455; abgeblaszt zu 'quälen' Crecelius 444; vgl. noch
Hertel Thür, 111. s. auch abgurgeln, entgurgeln,
gurgen.
GURGELPLATTE, /., 'halsschutz der plattenrüstung
des 16. jh.' Otte archäol. wb. 94.
GURGELROHR, n., auch gurgebröhre, /. l) luftröhre
{vgl. gurgel 1 a): es ist auch solche käl oder gurgelror mitt
den fellin umbgeben Ryff anaiomi (1541) k 23-; von iedem
81 wirt die kele und gurgelror rauch und heyser ders.
Spiegel d. gesundh. (1544) 59^; der weisz magsaamen ist
aine nutzliche artzney der brüst, lungen und gurgelröhr
Tabernämontanus kräutb. (1687) 964"'; gurgelrohr auch
L. Remmelin kl. Weltspiegel (1632) 6. 2) Speiseröhre {vgl.
gurgel ib): gurgelrohr foce, canale della gola Hulsius
d.-ital. (1618) 2, 157t>;
der Schöpfer setzte mann un weib
e richtig leber in de leib
un übe druff e gurgelrohr —
mer habe durscht — wer kann davor?
11. Thomas unter künden (1905) 221.
3) technisch, bei wasserpumpen {vgl. gurgel 3): gurgel-
röhren . . . anzuordnen allg. dtsche bibl. (1765) 10, 139;
gurgelrohr Karmaesch-Heeren 10, 382; Lueger 5, 22;
7, 868.
GURGELSCHNEIDERi, m., gedungener mörder, raub-
mörder, zu gurgel 2 b: unser eins hat auch ehre im leibe.
— die ehre der gurgelschneider ? — ist wohl feuerfester
als eurer ehrlichen leute Schiller 3, 29 O. {Fiesco I 9) ;
herr, die gurgel ist ihm abgeschnitten ... — du bist einer
der besten gurgelschneider Bürger 300 Bohtz {Macbeth
III 6); so! der gurgelschneider wollte mich ums leben
bringen G. Forster sämtl. sehr. (1843) 9, 291. in über-
tragener bedeutung für 'Wucherer' Ruckert unterfränk.
rna. G3; für 'kritiker' R. Delcourt expressions d'argot
(1917) 112''.
GURGELSTECHER, m., in übertragenem sinne, vgl.
gurgel 2 b, für ' Wucherer' : solche fynantzer heyst man
die gorgelstecher odder kelstecher Luther 15, 308 W.;
ein junckfrawschwecher oder ehbrecher
ein wuchrer, Wechsler, gorgelstecher
H. Sachs 3, 568 Keller.
— gurgelstimme,/..* wenn man die zunge an dengau-
men drücket ; oder . . . die zahne einbeizet . . . : so wird da-
durch der ton verhindert, und nehmen daher die haupt-
fehler des singens, nämlich die sogenannte gurgel- und
nasenstimme ihren Ursprung J. Quantz versuch {ns,9) 40.
vgl. gurgel 1 a. — gurgelstrosse,/., gurgel, vgl. strosse
teil 10, 4, 76; pleonastisch wie gurgelkehle {s.d.): {Qrosz-
gisier s])rach) wie hast so gar ein grosz . . . gorgelstrosen.
darauflf schlosz gleich der gantz umbstand . . ., dasz dieser
durstig schreiling darumb müszt den nam Gorgellantua
oder Gurgelstrozza tragen Fischart Oarg. 161 ndr.;
1 157 GURGELSUPPE - GURGEL WASSER
GURGEN- GURKE
1158
de eine rüspert uth der gorgelstrate,
als queme idt uth einem halen vate
Lauremberg scherzged. 05 ndr. (4, 585).
— gurgelsuppe,/., das erbrochene des trinkcrs: die sew
. . . seine gorgelsuppen umb yhn her fressen Luther 19,
397 W. vgl. gurgeln A 2.
GURGELTON, m. l) wie gurgellaut 'gutturaler con-
sonanV: in den Alpenländern hat sich der gewöhnliche
klimatische einflusz gebirgigter länder auf eine rauhe
ausspräche und die harten gurgeltöne bewährt Fr.
Schlegel sämtl. w. (1846) i, 20ö; zu gurgel i a.
2) zu gurgeln, vb.; von affenlauten (B l a): beruhigende
gurgeltöne Brehm 1, 131 P.-L.; traurige gurgeltöne ebda
1, 135. von gurgelndem sprechen (B 1 b): ein neger hatte
eben madagassisch gesprochen und gurgeltöne hervorge-
bracht, die noch kaum der menschlichen spräche anzu-
gehören schienen Gutzkow zauberer (1858) 9, 420; in
ächzend herausgestoszenen gurgeltönen redete er weiter
RosEGGER sehr. I 2, 133. von kehlgeräuschen (B 1 d; A 2):
nun gieng ein husten, niesen, mit untermischtem schluk-
ken, seltsamen, wilden gurgel- und schnapptönen . . . los
VisCHER auch einer (1879) 1, 36; er beugt sich {betrunken)
über das geländer. schreckliche gurgeltöne, halt mir
doch den köpf . . . neue gurgeltöne Lilienckon sämtl. w.
(1896)2,200. vom Wasser im engen gefäszhals (Blea):
gurgeltöne von sich geben (glunkern) Unger-Khull
steir. 296*>.
GURGELTRANK, m., synonym zu gurgelwasser, zu
gurgeln Al: gurgeltranck Kramer <ew<5cA-i<. (1700) 1,5773';
man kann gurgeltränke machen, wenn man . . , Krünitz
20, 359; ganz verblaszt, im sinne von einzugebender medizin:
in der kranckheit wird dem viehe ein gurgeltranck ge-
geben casselische zeitung (1732) 71.
GURGELUNG, /. gurgelung machen im nd. statt des
einfachen gurgeln in der mediz. bed. gebraucht: (den mund)
dar mede ghespolet effte gorgelinghe in deme halsze dar
mede ghemaket (1520) bei Schiller-Lübben 2, 134»; vgl.
2, 13''. sonst 7iur als contrafactur von gargarismus belegt
Stieler 715; Kramer teutsch-it. (1700) i, 577'i; in ver-
derbter form gurlung vocab. opt. 33*' Wackernagel.
GURGELWÄSCHE, /., das trinken, vgl. die gurgel wa-
schen unter gurgel l b: {ein grund,) dasz man eine steiffe
gurgelwäsch darum halten kunte Joh. Riemer«/, trunkene
träumer (1684)405; (214 arten, das geld) zu verthun, die
gurgelwäsch nicht mit gerechnet G. Regis Rabelais (1832)
1, 264. — gurgelwaschen, n.: was soll mirs gelt in der
täschen, mir thut viel basz das gurgelwäschen Fischart
Qarg. 135 ndr. — gurgelwäscher, m., trinker: wann
sie {die prediger) vil wider die gurgelwescher schreien
Casp. Adler allen frummen Christen zu lesen (1523) a 4*.
GURGELWASSER, n. l) gurgdmittel , mundwasser;
schon K. V. Megenberg {mit der form gargel- für
gorgel-; vgl. gurgeln, vb.; gurgel,/.): ain gargelwazzer dar
auz {aus diadragant) . . ., daz ist guot wider der prust
siehtum buch d. nat. 366 Pf.; allaun in wein zerlassen ein
seer nutzlichs gurgelwasser gibt Ryff spiegel d. gesundh.
(1544)97'"'; kreftige mund oder gurgelwasser Joh. Wit-
tich consilium apoplect. (1594) 96; ich bin fro, dasz ihr
ewers böszen halsz quit seydt; man hatt ja so viel gutts
gurgelwaszer, dasz soltet ihr brauchen Elis. Chakl. v.
Orleans briefe 1676-1706 378 Holland; die myrrhetinctur
wird gurgelwässern ... oft zugesetzt Muspbatt chemie
(1893) 4, 109. in ältrer zeit auch für einzuführende medi-
camente {vgl. gurgeltrank): lasz dem pferd ein gurgel-
wasser zurichten, dasselbige desz tags vier oder fünfE-
mahl gebrauchen — als giesz jme 4 becher einer mixtur
fein allgemach in den halsz hinein Uffenbach roszbuch
(1603) 2, 114; einem ein gurgelwasser einspritzen Kjiamer
teutsch-it. (1700) 2, 895^.
2) übertragen, für getränke: ein gütiger s. Urban, der
uns so gut giu-gelwasscr schafft Fischart Garg. 385 ndr.;
wie der reiche gesell alle tage geschlempt, hat ihm doch
solches tägliche gurglwasser ein freud gemacht Abr. a s.
Cl,ara Judas (1686) l, 86; das gurgelwasser von den Wein-
reben ders. auf, auf ihr Christen 107 Wiener ndr.; {sie
schenken ein) gebrannte wasser — meistens aber gurgel-
wasser von labewein, das man nicht hinunterbringt
Jean Paul li, 440 Hempel.
GURGEN, gorgen, vb., lauinachahmende bildung. in
verschiedenen bedeutungen belegt; 'gurgelnd trinken' : wie
sie jetzunder im wasser gurcken, würden sie auch,
wann sie ... hauswirtin würden, im weine schlucken
W. Bütner epitome histor. (1596) 3251*; gurken gurren,
von der taube rhein. wb. 2, 1500; gurgen röcheln ebda
1499; knurren im leibe Schmid schwäb. 238; vom wasser:
der {kranke) hab das aug in ein wasser, das gorgent sei
bei Schmeller-Fr. l, 936; vgl. auch garken sich erbrechen
ebda, anders, zu ^gurgeln, in der bedeutung 'an der gurgel
packen' :
under sin vind er . . .
sprangt als ein hungriger wolff,
der under ein herde der schaff
springet mit schnelligklichem laff,
an der kein mit (mute) in gurget,
angreiftet und sie würget
M. Behaim reimchronik 134 Hofmann;
in verwandter bedeutung: dat görgt em hals zieht die kehle
zusammen rhein. wb. 2, 1499.
GÜRGENPROZESZ, m., entstellt aus injurienprozesz:
dieser injurien- oder, wie es die bauren exprimiren,
gürgenprocesz J. C. Dippel abgezwungene fatale ab-
fertigung (1733) 108; ebda auch gürgenklage 132.
GURGLER, m. l) abschätzig für sänger, zu gurgeln
Blc:
der fürst: wie? was? ihm gurgler! ihm? fünftausend golden?
mein kanzier hat fünfhundert nur! —
mag seyn, spricht der sopran
Fr. W. gotter gedickte (1787) 1, 202.
in übertragener Verwendung: {manche verzichten,) die hohen
triller des formtriebs und spicltriebs und das hohle
gurgeln der Wissenschaft nachzumachen; deswegen, weil
sie dazu nicht gelangen könnten, ohne etwas ganz ge-
meines aufzuopfern, was die trillerschläger und gurgler
nicht achten Fr. Nicolai anh. zu Fr. Schillers musenalm.
(1797) 61. — 2) trinker, zu gurgeln A 2, in compos.: wein-
und biergurgler Kirchhof wendunm. (1581) 212»; gaffi-
görgeler Staub-Tobler 2, 418; durstgurgeler Fischart
Garg. 405 ndr. — 3) im lu^ernischen gorglar für den, der
g\irgelt: brumnnbär; qudlname; und für 'gurgelnder laut',
'brummende schelte' Bacher 261.
GURGSEN, vb., neben gorgsen, gurksen, gorksen «.
ähnl.; dialektisch, i&s. für magenger äusche, aufstoszen, s.
Staub-Tobler 2, 449; Fischer 3, 930; 751; Martin-
Lienhart 1, 235; rhein. wb. 2, 1500; 1307; Müllek-
Fraureuth 1, 450^; JuNGANDREAS zeitwortbild. 79: sie
geifern und gorgsen und lont reubszen Keisebsberg
brösaml. (1517) 1, 54*».
GURIG, adj., armJ wie wenig zwei gurige menschlein
ohne kind und kegel brauchten, um sich ihres ehestandes
zu trösten M. Krummacher un^er groszvater 351 ; vgl.
gurig, gaurig, gorg, görg hager, mager, schlecht genährt,
geizig rhein. wb. 2, 1497; 1061; 1306; s. auch gorig.
GURIMUSCH, m., das durcheinander; aus der Schweiz
belegt, s. Staub-Tobler 4, 507:
ördle {ordne) den gurimusch doch, und räume zusammen
das ungschirr G. v. Gaal nord. gaste (1819) 12.
GURIS, güris, m.?, gartenschierling Nemnich 216;
gurisch Pritzel- Jessen 12; gürisch Amaranthes (1715)
699.
GURKATZEN, vb., gurren: g. als die tauben, pulpare
vocab. (1515 Hüpf uff) k 6»; vgl. gurgsen, gurretzen; ähn-
lich: lasz die tauben gurucketzen Abb. a s. Cl,ara Judas
4(1695)385.
GURK, GURKE, m., s. kork.
GURKE,/., cucumis sativus, pflanze und frucht.
herkunft und form.
das wort ist im deutschen seit dem 16. jh. als enilehnung
aus dem westslav. bezeugt, poln. og6rek {älter ogurek); cech.
73*
1159
GURKE
GURKE
1160
okurka,okurek. mit einer erweiterung durch das deminutiv-
suffix ist es dort wiederum aus dem spätgriech. ((yyovqiov,
äyovQo^ entnommen YASnaES, griech.-slav. stvd. II izvestija
otd. russk. jaz. imp. ah. nauk. 12, 2, 260, das seinerseits
auf persisch angörah zurückgeführt wird Kltjge-Götze
etym. wb. 222**; sorb. korka stammt aus dem deutschen, s.
H. H. BiELFELDT dt. Ichnwörter im obersorb. 169.
in näherem anschlusz an die slav. quelle steht nd. agurke,
augurke (s. teil l, 190; 816). beide formen kommen neben-
einander vor: agvircken {pl.) Oleäkius pers. reisebeschr.
(1696) 13^; ajurcken (pl.) ebda lOS**; aujurcken (pl.) pers.
rosenthal 109**; ebenso agurke, augurke Htjpel id. d. dt.
spr. in Lief- und Esthland (1795) 5; mit dem akzent auf der
ersten silbelA'ESSiSQschlesw.-holst. 1, 95. das dreisilbige tuort
zuerst beiCTSYTRÄvs^Rostock 1582) nacÄ Ejlttge-Götze 222^ ;
lexikalisch noch agurken LtiDWio teutsch-engl. 69; sonst
nur mundartlich, auszer den obengenannten formen bezeugt
als augurke brem.-ndsächs. wb. l, 32; Dornkaat-Kool-
MAN 1, 71^; als agurke /ttr Lübeck, Braunschweig, Osna-
brück Kosegarten wb. d. nd. spr. (1856) l, 157; als ver-
altetfür Emmerich rhein. wb. \, 81. oiw diesen mundarten
weiterentlehnt als agurk, augurk ins ndl. J. Franck-Wuk
et. wb. d. ndl. taal 22^; fries. augurch Dijkstra l, 62'';
dän. agurk, älter augurk Talk-Torp 1, 17; schwed. ver-
altet Hellqüist SV. et. ordb. 21l'>. anguricke Henisch 83,
angurke Nemnich cathol. 1, 1306 mögen Vermischungen
von agurke mit angurie, /., streifengurke, Wassermelone
sein (s. Sakders frcmdwb. [1891] l, OO''; Nemnich cathol.
1, 1302), das wie mittellat. angurius du Gange-Henschel 1,
257c, ital. anguria Rioutini - Bulle ital.-dt. 1, 43^ un-
mittelbar aufs griech. zurückgeht, die form gurke begegnet
zuerst als gurcken (pl.) W. H. Ryfe confectbüchlein (1544)
156'''; ob in dem beinamen Johannes diotus Kurke (1326)
urkdb. d. stadt Freiberg in Sa. 1, 408 bereits unser wort vor-
liegt Kluge-Götze 222*>, M. GoTTSCHALD dt. namenkde
210'', bleibt fraglich; vgl. denfamiliennamen Gurke, Ogorek
GoTTSCHALD o. O.G.; dagegen spricht cech. Ales Krk( = hals)
urlcde von 1351 bei Gebauer slovnik starocesky 2, 150.
häufig die o-form: gorcke Kirsch cornu cop. (1732) 2, 157"';
gork(e) Müller-Fraureuth i, 450^ ; gorge F. Hofmann
niederhess. 111*'; apokopiert gark, gork Metssi'sq scJilesw.-
holst. 2, 510; gork Frisch 1, sei''; Müller-Fraubeuth
a. a. o.; mit flexivischem -n im nom. sg. gurcken vocabula
rei numinariae {1652) j 4''; Henisch 625; gorchen, gurchen
Aler (1727) 1, 966»; 994^; korke, korke s. teil 5,1811;
Pritzel-Jessen 120. neben den Weiterentlehnungen aus
dem- deutschen agurke, augurke {s. o.) steht schwed. gurka
Hellqüist sv. et. ordb. 211''; engl, gherkin Skeat et.
dict. (1888) 232l>.
mundartliche Verbreitung.
das wort ist in nd. und ostmd. dialekten lebendig, neben
den formen agurke, augurke {s. 0.) als gurke und neben-
formen; im nd.: Fkischbier 1, 259; Mensing schlesw.-
holst. 2, 510; Bauer-Gollitz 42^; im md.: Müller-
Fraureuth 1, 450b; Wenisch heimatforschg. Nordwest-
böhmens 1, 92; Hentrich Eichsfeld 3; Hertel Thüring.
111; F. Hofmann niederhess. lli^; im kurhess. kaum,
üblich ViLMAB 230; im rheinischen dringt gurke allgemein,
nur nicht rhfrk., erst vor rhein. wb. 2, 1499; im schiväb.
gürklein 'kleine essiggurken' jetzt verbreitet, vereinzelt schon
im 16. jh. girgel Fischer 3, 930, der eigentlichen mundart
aber fehlt es, s. ebda 904. das westmd. alem. bair. brauchen
dafür das aus dem lat. übernommene kukumer und seine
ableittingeyi {s. teil 5, 2585), das auch im westl. nd. bis ins
holsteinische verbreitet ist. im österr. steht aus ungar.
umorka entlehntes unmorke, unmurke, umurke (5. teil 11,
3, 1194), bair. auch amurke Schmeller-Fr. 1, 936. der
mundartliche unterschied im gebrauch der worte kukumer
und gurke geht darauf zurück, dasz es sich ursprünglich um
zwei verschiedene arten der gattung cucumis handelt; die
erste brachte die römische colonisation mit, die andere aber,
die im frühen mittelalter von Byzanz aus in Europa ein-
drang, gelangte über die östlichen nachbarn nach Deutsch-
land, wie lat. cucumis bezeichnete 'ursprünglich ivohl auch
das aus ihm stammende dt. kukumer eine grosze, Jcürbis-
ähnlichefrucht' Schrader reallex. d. idg. altertumskde. 484 ;
V. Hehn kulturpflanzen u. hausthiere (1902) 316; vgl. die
grfossierwig' cucumer CMcwr6ito Diefenbach lei''; Schmel-
ler-Fr. 1, 887. seit der mitte des IG. jh. stehen beide be-
zeichnungen jedoch synonym nebeneinander: cucumer et
cucumis cucumern, gurcken Golius (1582) 376; (die Tür-
ken) essen wenigk zwibeln und knoblauch, ein wenigk zer-
schnittener cucumern, so wir gurken nennen R. Lubenau
beschreibg. der reisen 237 Sahm. deutlich wird die westliche
pflanze mit gurke wiedergegeben, wenn es mit berufung auf
Plinius üb. 20 cap. 2 (ed. sec. 3,304 Mayhoff) heiszt: was
mit dem pulfEer der langen gurcken besprentzt wirt, rüren
die meiiss nicht an Heyden Plin. (1565) 293; desgleichen
in der glossierung: cticumis . . . welsch gurcken Eber-
Peucer voc. rei numm. (1558) k 8'^; ebenso Freigius
quaest. phys. (1579) 839. während die mundarten die ent-
lehnungsgebiete noch unterscheiden, hat sich schriftsprach-
lich gurke durchgesetzt.
bedeutung.
1) die über Byzanz in Europa eindringende pflanze
namens äyyovQioi' scheint mit der heutigen langen gurke
(cucumis sativus) nicht identisch gewesen zu sein; denn die
pers. spätgriech. lat. und ital. benennungen, das entlehnte
dt. angurie (s. o.), selbst älteres slowakisches angurka
Preobrazensky etym. wb. d. russ. spr. (1910) 6398' be-
deuten 'Wassermelone' . auch im deutschen kann gurke ver-
einzelt noch bis ins 17. jh. kürbisartige fruchte bezeichnen;
aber das geht wohl auf einflusz des synonym gebrauchten
kukumer i?i seiner ursprünglichen bedeutung zurück: voce-
mus ergo melones Oermanorum melaunen et melopepones
pfeben, pepones pluzern et gurcken Eber-Peucer voc.
rei numm. (1558) k 8^; cucumern, gorcken, saturey (con-
combre, courges, sariette) S^Bizfeldbau (1579) 171; vgl. au^ch
W. H. Ryff confectb. (1544) 156''' (s. u.); gurcke, gurchen
. . . ein art einer frucht anguria, cucumer Aler (1727)
1, 994".
2) die bedeutung 'cucumis sativus' aber ist die gewöhn-
liche im deutschen, auch im slav. und in neugriech. dyyovQi
HfipiTÄs dict. grec.-fran^. 1, 27^*. die ersten belege lassen das
wort bereits bis ins alem. hinein als bekannt erscheinen,
vgl. W. H. Ryff confectb. (1544) 156^; Ssbiz feldbau (1579)
171; Golius (1582) 376; Freigius quaest. phys. (1579) 839
s. 0.; Seutter hippiatria 35 s. u.; girgel (16. jh.) Fischer
Schwab. 3, 930. im einzelnen kann man dabei noch an eine
Unterscheidung der heimischen kukumer von der im osten
eindringenden gurke als zweier besonderer arten denken,
früh verwandt als heilpflanze: kalte, einfache stuck, dem
magen dienstlich : . . . kürbsz und alle andere frembde
kürbiszfrücht als melaunen, beben, gurcken und citrullen
W. H. Ryff confectb. (1544) 156"; nimb . . . safft von
manhauptlen ein untz, der kern von gurcken vier lot
Seutter hippiatria (1599) 35; vgl. auch gurkensaft. als
gericht, eingemacht als saure gurke ist sie 'nur in den
theilen Deutschlands üblich geworden, . . . die ehmals von
Slaiuen bewohnt waren' V. Hehn a. a. 0. 316; gork cucumis,
eine frucht, die gar gemein ist, eingemacht, saure gorcken
Frisch i, 361";
... im kühlen gewölbe
gährt ihr der kräftige kohl, und reifen im essig die gurken
GÖTHE 1, 303 W.;
während ich ihr bald antworte, bald schreibe, bald einem
excellenten frischen schweinsbraten mit eingelegten gur-
ken zuspreche fürst Pückler briefivechselu. tageb. (1873)
6, 439; allgemeiner scheint die kleine, als zukost genossene
essiggurke bekannt: gelb eingemachte girgel (16. ja.)
Fischer schwäb. 3, 930, hetite dort gürklein s. ebda; nach
der art des einmachens unterscheidet man noch fenchel-,
pfeffer-, salz- und senfgurken s. Sanders 1, 641"-. i?i der
niederen Umgangssprache wird das wort gurke gern ver-
wandt in redensarten, wie besonders: sich bey jemandem
eine gurke zu viel herausnehmen figürlich 'sich einer un-
erlaubten fr eyheit bedienen' Adelung 2, 849. schon 1603 bei
J. B. Schupp s. Wander 2, 172; ein kürbs unter den
1161
GURKE (Komposita) - GURRE
GURRE
1162
gurcken, umbschrieben : nur grosz gegen andern G.Treueb
dt. Dädalus (1C75) 1, 851; das bringt ja eine saure gurke
ums leben Holtei erzähl, sehr. 21, 183; weiteres s. bei
Wander o. a. o.; vulgär im vergleich für nase: der begiszt
seine koblrote gurke mit brantwein G. Hauptmann weber
(1892) 64; vgl. Th. Imme soldatenspr. 102; Ostwald rinn-
stein.s'pr. 63; vgl. gurkennase bereits bei Stielee.
3) in der botanik wird das wort auch für andere aus-
ländische, gurkenähnliche gewächse gebraucht, z. b.: voluta
glahella glatte gurke Nemnich cathol. 2, 1577; melothria
schwarze gurke dida 547.
in der composition zielt gurken- in der zweiten be-
deutung gewöhnlich auf die der frucht ähnliche form, so bei
gewachsen: gurkenapfel, -bäum, -kartoffel U7id im ver-
gleich: -haupt, -nase: gurkenähnlich: gurkenähnliche
fruchte Campe 2, l, 4811^; -apfel momordica, eine apfel-
Sorte, gut in der haushaltung Nemnich wbb. 216; -bäum
ist ein bäum, welcher in Java wachset und fruchte wie
gurcken traget Chomcl (1750) 4,1437; magnolia acutni-
nata Nemnich cathol. l, 490; -form: da finden sich solche
(gefäsze) von kugelform, gurkenform v. d. Steinen natur-
völker Zentralbrasiliens (1894) 240; -förmig: seine fruchte
aber sind gurkenförmig Bunzlauische monathschrift (1775)
2, 171; -haupt: ein südlicher magazinswirt mit einem
blasierten gurkenhaupte D. Spitzer ges. sehr, l, 99;
-kartoffel kartoffdart M.^rzc'ER pflanzenkde (1841)538;
-kraut: borretsch oder gxirkenkraut borago officinalis,
kraut als zusatz zum salat Muspeatt chemie (1898) 6,190;
-maier: gurckenmahler rhyparographus Steinbach (1734)
2, 13, vgl. Qvnc<Qoy()<icpo^ schmutzmaler, maier kleinlicher
gegenstände, von fruchtstücken usw. PassowII(1857) 1352^;
sie wären in der that nur sogenannte schlechte gurken-
mahler, die nicht werth, dasz man sie mahler nennete
BiEDEEMANN reiscbeschr. (1735) 133; vgl. dazu H.Meyer
gesch. d. bildenden hünste (1824) 3, 251; -nase: grosznase
appdlant etiam gurkennase Stielee 1333; -saft: thu
auch darzu gorckensafft M. Bapst v. Rochlitz artznei-
buch (1590)327; -salat Stieler 1676; der gurkensalat
steht bei vielen ärzten in einem schlechtem credit {wegen
seiner schweren bekümmlichkeit) Krünitz 20, 382;
gute antwort kann mancher magen
noch weniger als gurkensalat vertragen
HOFFMANX v. Fallersleben mein leben 6, 332;
-zeit die geschäftsstille, an politischen ereignissen arme
zeit des hochsornmers s. sauregurkenzeit teil 8, 1924 und
0. Ladendorf hisior. schlagwb. (1906) 276. vgl. ferner
K. Alrrecht Leipziger mxi. 127*; Fbischbiee prsz.
sprichw.^ 1, 101; Holtei erz. sehr. 25, 9.
GURLEFE, n., entstdlt aus caur Icve, liebesgram:
die kranckheit heiszt das gurlefe
MUKNEK gäuchmatt 381 (w. anm.) Fuchs.
GURLEN, gurletzen, s. gurrein.
GÜRMSCH, m., schtveiz. für vogelbeerbaum: unz an den
gürmsch, der am hag stat (1472) bei Staub-Tobler 2, 419 ;
{die alpenhasen) leben von gürmsch- und andern baum-
rinden Bonstetten br. üb. ein Schweiz. hirtenland (1782) 36.
GURPS, s. gorps, görps. — gurpsen, s. gorpseu,
görpsen.
GURR, lautmalendes klaiigwort, vgl. gurren, vb.:
eine Wildtaube lacht ihr gurr, gurr
LiXJENCRON 8. w. (1896) 2, 181;
aus dem sonst so schweigsamen munde {des geistesgestörten)
brach ein merkwürdiges knastern: gurr-gurr-klabauter-
mann G. Engel Ha7m Klüth (1905) 14.
GURRE, gorre, /., auch m., 'pferd'; 'stule' ; meist ab-
schätzig, herkunfl dunkd. formal ist zu beachten, dasz
gurre im gegensatz zu gurren, das - wie girren ein kirren -
ein kurren neben, sich hat, die anlautende media durchaus
festhält, die anknüpfung an gurren, vb., von Heyne haus-
altert. 2, 177 u. andern versucht, wird auch durch dessen
bedeutung nicht gestützt, gewisse mundartliche tierbezeich-
nungen klingen wohl nur äuazerlich an: gurri, lockruf
und bezeichnung für puter, hahn, gänserich, s. Staub-
ToBLEE 2, 411; Fischee schwäb. 3, 932; rhein. wb. 2, 1500;
afrz. gorre ebenso, für die sau, s.Meyee-Lübke 3820; doch
vgl. das plattdeutsche zurre, zöre 'altes, schlechtes pferd,
auch altes weib' Gilow de diere 769^; Dähnert 562.
1) pferd.
a) abschätzig für geringwertige, schlechte pferde. schon
seit dem mhd.; als kämpf unfällig, zu ritterlichem gebrauch
nicht mehr geeignet:
Appolonius der was {im streite) zu fusz.
er slug dl rosz, das sie churren,
er machte gute rosz zu gurren
H. V. Neustadt Apoll, v. 9434 Singer;
ähnlich :
zu gajher raise mein pferd wenig tochte . . .
von müde es da struchte,
das es gelag de nider uf baiden knewen;
und (sc. ich) stund darvon und lies die gurren ligen
der minnejalkner str. 120 in Hadamae v. Laber Schmeller.
von schlechten, nicht rittermäszigen pf erden überhaupt:
Ir pfert waren, diu si (die gefangenen) riten,
totmager unde kranc:
ir ietwedez struchte unde hanc . . .
den gurren (eben diesen pferden), die si truogen hin,
den warn die zagele under in
zesamcne gevlohten Iwein v. 4941 B.-L.;
auf ein mageres, struppiges fohlen bezogen:
(der bauer) hete ein gurren feile
Eraclius v. 1451 Maszmann;
{sie} ritten all auff gurren (i?i jumentis) Jon. Haetlieb
Ces. V. Heisterbach 378 Drescher; als Schimpfwort herab-
setzend von guten pferden; Laurin über die streitrosse Diet-
richs und Witegs:
wer hat iuch tören gehcizen
her nider üf den plan erheizen
und iuwer gurren spannen
fif minen grüenen anger
Laurin v. 261 MüUenhoff;
Hdmbrecht über den hengst, den ihm der vafer kaufen soll:
daz ich so lange bellbe
des irret mich ein gurre
• meier Helmbrecht v. 369 Panzer;
im Zorn über unruhige reitpferde:
(der abt v. Fulda ritt) ein pfert, daz was gar gemeit
und was ouch übel zwar:
daz beiz daz keisers pfert gar
durch die manen, daz es kar . . .
(der kaiser:) 'ez kunit mir niht ze maz da,
daz iuwer gurr daz pfert min
8ol bizen' Enikbl weltchron. v. 27821 Strauch;
schnöde gur, das du vermaladeit werdest {zu einem edlen
pferd) Aymonts süne (1535) r 6^. als verächtliche bezeich-
nung mit verschiedener färbung bis in moderne miindarten
belegt: equus debilis gul, gorre, eyn cranck pert Diefen-
bach nov. gl. 154*^; runcinus gurr, baw-, ackerrosz ebda
s-2'Z^; 'schlechtes pferd' Zaupsee 34; Bauee-Collitz 42^;
meist dabei zugleich alt: gurr (gorre) 'gemeinlich ein alt dürr
rosz' Henisch 1783; gurre, gorre caval magro, vecchio, bolso
e con altri difctti Keamer teutsch-it. (1700) 1, 577*; alt, ab-
getrieben Hübnee curieus.u.real.'lex. {171^)122; Vilmae
141; 'alter gauV Hertel TMr. 111. vgl. mhd. er-, ver-
gurren 'zu einer gurre werden, schlecht laufen' Lexee 1, 634;
3, 121 und ackergurre teil 1, 174. — oft neben adjectiven,
die von sich aus fehler und geringicertigkeit bezeichnen:
wlrt danne ein eltiu gurre zeinem vüln,
so siht manz in der werlte twerhes stende
minnesangs frühling^- 430 Vogt;
altiu gurre darf wol fuoters Beeth. V. Reobnsbueg 2, 143
Pfeiffer;
(müediu beln) gelich den lamen gurren
Hadamar V. Labee 89 Schmeller;
tzwene stetige (störrige) gorren schüfen, daz der wagen
stunt so stille
MEISTER Gervelyn in Jenaer liedhschr. 1, 69" Holz;
{ein reiter) auff einer hinckenden gxur Guaeinoniüs grewd
(1610) 638; {oft) wil ein krancker von einem selbst
krancken, machtlosen, dürren gurren getragen werden
H. W. Kirchhof milit. disciplina (1602) 118;
1163
GURRE
GURRE
1164
mit seiner dürren gurren
will er auch helffen vil
Fr. L. V. Soltau hist. Volkslieder 221;
{wie er) das pferd, welches zimblich beindräxlerisch . . .
angebunden, da haben die schlauhe vögel die gantz matte
gurren in der still hinweg geführt Simplicissimi albern,
briefsteller (1725) 16; ein lohnfuhrmann eine elende gurre
durch stacheln . . . ermuthiget Voss Aristophanes (1821)
1, 297; geringschätzig von einem deutschen pferd:
nun führt er auch die sporn
umsonste nicht, weil er ihm einen teutschen gorn
ersparet an der Icost
W. SCHERFFER geist- u. weltl. ged. 1 (1652) 612.
im vergleich: {man miisz beim tanzen) an ihr ziehen wie
an einem faulen gorren theatr. diabol. (1587) 1, 181^;
übertragen:
{die vom cngel geblendeten Juden)
we uns hude und immer mel
wi han wir blinde gurren
als die von Sodomorren
godes zorn irworben
Marien himmelf. v. 1373 in zsclir. f. dtsch. alt. 5, 552;
er (mein alter mann) ist ein abgejagter görr,
umb sein lenden mager und dörr
B. Waldis Esop 2, 204 Kurz.
b) daneben ist die bedeutung 'pferd' ohne jeden pejora-
tiven nebensinn sicher bezeugt; vielleicht bezeichnete das wort
ursprünglich im bäuerlichen bzw. bürgerlichen bereich das
'pferd' schlechthin als nutztier und hatte eben darum im
ritterlichen bereich den abschätzigen sinn, etwa wie 'bauern-
gauV, 'ackergauV ; jedenfalls ist nicht zu erweisen, dasz die
sachliche bed. erst durch verblassen des pejorativen sinnes
entstand: komet eyne to Grussen, so rostiret {beschlag-
nahmt) men ome dye gorren (1462) lübecJc. urkb. 10, 262;
{dort) Schach vake roverye in den Straten: dar men
{den reisenden) de gorren losede {weg nahm) lüb. chro7i. 2,
597 Qrautoff; {etliche) von solcher ubermessigen hitze und
dursts not von jhren gorren stürtzten und tod blieben
Script, rer. Livonicarum 2, 225; die hällischen baurn hetten
sie gern under die gurn geschossen Heeolt chron. l, 122
Kolb; und schlugen unser schützen irer burgermeister
einen unter die gurren Kirchhof wendunm. 2, 359 Österley;
dasz es nicht weit fehlet, er were unter die gurren gefallen
ebda l, 245; {sie halfen) jhrem haubtman . . . wider auf die
gur Fischakt Oarg. 313 ndr.; der gurren wol zum aug lugen
'seine geschäfte wohl ausrichten' Fkisius dict. (1556) 161^.
die unverächtlichkeit zeigt sich besonders durch anerken-
nende epitheta: {er hat sein) geldt an golden keden . . .
sammet unde siden, unde an stadtliken gorren wol
dusentfoldich wedder gekregen Script, rer. Livonicar. 2,
87; in neuerer mundart vereinzelt: {als neujahrsumnsch)
dem Scheuster krist striäwe {derbe) gurren tem fahren
bei Bauer-Collitz icaldeck. 194».
übertragen: {ein altes mütterchen redet den palmesel an) o du
himmelische gurre B. Herzog schiltwacht c 1^.
c) in den verbind-ungen gurre wie gaul {s. gaul II 3 a)
u. s. w., redensartlich reich entwickelt im sinne 'beides ist
gleich, einerlei' , schlägt bisweilen wohl die bedeutung 'stute'
{u. 2) durch; im allgemeinen aber nur rein formelhaft
identificierend; als 'gleiches um gleiches' : lohn umb lohn,
gaul umb gurre Petri weish. (1604) 2, MmSä'; er gab
mir ein hund umb ein hund, einen gaul umb einen
gorren Luther 26, 357 W.; beide begriße in deutlich ab-
schätzigem gebrauch:
{wo beide liebenden untreu und unstät)
da hat fraw Statt verlassen {zugelassen),
das gurr an gaul war chomen
liederbuch der Eätzlerin 240 Hallaus;
so auch bes. in der redensart es ist gurr als gaul u. ähnl.;
zuweilen vielleicht im sinne einer gegenseitigen abhängigkeit
gebraucht, analog 'wie der herr, so der knechf : es ist eben
gurr als gaul, vihe als stall S. Pranck sprichw. (1541) 2,
10^; wie die gurr, so ist der gaul Lehman ßoril. polit. (1662)
1, 350; ausdrücklich so Henisck 17 8S; gemeinhin jedoch für
zwei gleichgestellte und als solche gleich schlechte dinge:
wie lond sich dino töchtern an? —
es ist warlich fast gurr als gul:
sind d knaben bösz, so sind sy füll
H. 11. Manuel das iveinspiel v. 1829 Odinga;
in unserem convent geschieht es auch, ist eben gleich gur
als gaul, grysz als grammen dialog zwischen Qötzer und
Scotus (1524) D 3»;
es heisst bei euch wol gurr ist gaul,
dann einer wie der ander ist
NicOD. Feischlin dtsche dicJdungen 117 lit. ver.
die copula ist oder als verschmilzt mit gurre zu neuen aus-
drücken im sinne von 'einerlei' : es ist schier gurris gaul
JoH. Dectjmanus dialog. (1601) 111; unsere landsleute . . .
sprechen, es seye gurr asz gaul Moscherosch gesichte
(1650) 1, 43; schlieszlich ist aus der zweigliedrigen form.el ein
neues Schimpfwort geworden: gurus gaul und dergleichen
ehrnrierischen wort mehr in Alemannia 18, 26; {hab dank)
für deine wohlgemeinte predigt, welche du auch selber
dir applicieren magst, weilen wir fast gleiche gurausz
gäule sein, und ist bei uns beiden das geworffne wie das
gestohlne französ. Simplizissimus (1683) 2, 390.
dagegen nur vereinzelt mit gurre als 'schlechteres pferd'
im gegensatz zum höher bewerteten gaul:
{ein handwerksbursche, der aus gutem dienst wegwandert und
schlechten findet)
hat ein gaul umb ein gurren geben
H. Sachs 17, 300 Ht. ver.;
für ein gaul ein gur ist böser tausch Petri weish. (1604) 2,
Ee3i'.
d) vereinzelt für sp^-iiighengst: emissarius gorre (13. jh.)
bei Dieeenbach 200^; gurr hengst Henisch 17S3; vgl.
gorre, m., ividder Lexer kämt. 127.
2) Stute.
a) im rein sachlichen sinne schon früh in obd. ländlichen
quellen: chumb einer herzu mit einer gurren {im gegensatz
zu rosz) mit jungen füllen, die niht beslagen sind, die sind
auch {dem fergen) nichts pflichtig (14. jh.) österr. weist. 7,
964; auch (1469) 8, 104; {vom Ghiemsee) es süll auch chain
rosz in daz weidach . . . auszgenomen der mair von 0. sol
des morgens ain gurren mit ainem fül mit seinem galten
vich hinein treiben (1443-63) weist. 6, 169; equa eyn stüdt
oder gurr Dasypodius (1537) 65^'; cavalla ein gurr oder
mutterpferdt Htjlsius ii.-tZ^. (1618) 81^; equa gurr, stute,
mutterpferd Aler(1727) 1,995'''; ein hengst, den man zu
den gurren oder stuten laszt Fßisius dict. (1556) 39^; et-
liche pferdt leben biss an die fünfftzig jar, aber die gurren
sollen ihr leben nicht so hoch bringen {femina minore spa-
tio) Heyden Plin. (1565) 214 u. ö.; wenn einer ein gurren
gen Rom ritte, so könt er siegel und brieff herausz bringen,
das es ein hengst were Petri weish. 2, B b b 8^. mund-
artlich erhalten, s. Bühler Davos 2, 4; Kramer Bistritz
43; vgl. gorre ivbl. schaf, mutterschaf Lexer kämt. 127;
Schöpf tirol. 200; s. auch gurrenfüllen, gurrenpferd
zf. ähnl. Fischer schiväb. 3, 932.
b) pejorativ, schlechte, alte, abgetriebene stute, sehr un-
sicher bezeugt: gurr(e), gorre equa. annosa, strigosa et maci-
lenta Stieler 715; hodie apud Suevos equa vilis et maci-
lenta Wächter (1737) 627; gurre 'ein schindmerr', equa
strigosa Aler dict. (1727) 1, 995*; 'stute von geringer und
schlechter art' Keünitz enzykl. 20, 392; das weibchen {des
Pferdes heiszt) stute, im verächtlichen sinn gurre Oken
naturgesch. 7, 1234; gur 'schlechte stute' Kisch Nösner
Wörter 59. — im sinne von 'bäuerliche stute', vgl. 1 b: merhe,
vulgariter gurr oder sttiden runcina, dicitur equa rusticalis
voc. (1515 Hüpfuff) Q 4b; letslich gieng er in den stal,
sähe, was er noch für pferdt hette, fandt er kaum mehr
ein bawren mehrre oder gur darin Nie. Höniger hoffh.
d. türk. keisers (1573) 73.
c) übertragen als Schimpfwort für frauen und mädchen,
vne stute B 3. für grosze, grobe weibliche personen Tschttm-
PERT bündn. 686; Schmeller-Fr. l, 932; hessisch: ä lange
gurr ESTOR d. Teutsch. rechtsgelahrth. 3 (1767) 1410; vgl.
hierzu rosz 3 d ; für sinnliche, liederliche, z. b. Stalder 499 ;
Martin-Lienhart 1, 230; des ischt a reachta gurra aus
1165
GÜRRELN- GURREN
GURREN
1166
Ulm in Z8.f. hochd. maa. 6, 36; keinen bissen kann ich in
ruhe fressen, so lang die gurr noch unter einem dach mit
mir ist H. L. Wagneb kindermörd. 29 lit. denkm.; eben-
falls im geschlechtlichen bereich:
worumme scheide ik de rosen (d. i. eine Jungfrau) dorren
efte makon to ener gorren
Bchaekspd (15. ja.) bei Schiller- Lübben 2,134;
für alte, auch häszliche, s. Schöpf tirol. 225; K. Reiser
Allgäu %, 707; Sfiess Henneberg. 86; alte gurre schon im
15. Jh.: {als die nachbarn) dannan koment, do starp ouch
die alte gurre predigtmärlein in Germania 3, 422; bildlich
verwendet: die sage ist gar eine vielmäulige gurre, hoch-
beliebt in zechhäusern, kunkelstuben Schubaet vaterl.
chron. (1787) 186.
auch verächtlich für weibliche tiere: gurre Schimpfname
für alte, störrische kuh und andere tiere Staub-Toblek 2,
402; für ein altes gelttier beim rotwild Behlen forst- u.
jagdk. 1, 248,
3) 'muUebria' , vereinzelt: {bäuerin in unfreivnlligem
doppelsinn für 'stute') mein guter geselle, so pletze mir
mein gurre auch, dasz sie lustig werde Tabeus Mayn-
hincklers sack (1612) e 2^»; Schweiz, einem s gurrli figge
Staub-Tobler 2, 402. — kaum an gurre meretrix (2 c)
anknüpfbar; vgl. aber u. 4 gurre 'pfMzime' uiid heute berlin.
pflaume 'muliebria\
4) eine pflaumenxirt: die gestalt einer kriechen oder
gurren, wie mans hie zu land haisst J. Kepler 5, 527
Frisch.
GURRELN, vb., in ähnlichen bedeutungen belegt wie
gurgeln ; von flüssigkeitsgeräuschen: die krug gurrelt, gluckt
amphora bilbit Aler dict. (1727) l, 905 a; gurrein bilbire
Frisch dt.-lat. (1741) i, 384^; gorln Müller-Fbaüreuth
obsächs. 1, 451'"' ebenso und vom kollern der eingeweide {vgl.
gurgeln B 1 e/S und gurren 1 a). Schweiz, gurlen für "un-
verständlich ivelsch reden\ s. Alemannia 15, 203, und für
'lallen', auch von den ersten tönen junger vögel, s. Staub-
Tobler 2, 411 {vgl. gurgeln B 1 a). hierher wohl auch gur-
letzen jodeln Unger-Khtjll 315^.
GURREN, vb., laut wort schwacher flexion wie girren,
kurren, knurren u. ähnl. mhd. vereinzelt bei Freidank
140, 7 {s. 1); frühnhd. mit kurren, das die gleichen bedeu-
tungen entwickelt hat, im Wettbewerb, z. b. kuchenmaisterey :
gurren (1497) E 4'>'; kurren (o. o. u. j.) d 5; Mathesius:
gurren Syrach (1586) ss^; kvuren 38*^; vgl. auch die paare
gurrein -kurrein, gnurren -knurren, im stammvokcä fest,
auszer Luther (er) gorret 16, 279 W. im 19. jh. allgemein
schriftsprachlich für die eigentümlichen laute der tauben
{S. 2).
1) soviel wie 'knurren', zufrühst isoliert bei Freidank
belegt:
der esel gurret üf den wän,
er wsenet wol gesungen hän 140, 7 Qrimm.
ebenfalls vereinzelt von knarrenden und anderen geräuschen
{vgl. kurren a) : alt karren gurren gern S. Franck sprichw.
(1541) 1, 87'''; von neuem lederzeug Vilmar Kurhess. 141;
von türen, schnee, schuhen Fischer schwäb. 3, 932.
a) regelmäszig bezeugt vom knurrenden geräusch im
leib: unser herr gott hat butter milch gessen, wie gurret
ihm der bauch darvon Gr. Strigenicius Jonas (1595) lio'» ;
das wert dem wülen und stellet das gurren in dem plöden
magen kuchenmaisterey (1497) e 4»; venter latrat, rugit
gurrt Alberus (1540) r S^; corporis flatus, wmd im leib,
wenn einem der bauch gurrt, blehungen Corvinus(1660)
582; Frisch (1741) 1,361^; 633^; {bei darmgicht dem pferd)
offt der gantze leib schwitzet und das inngeweid gurret
Hohberg georgica cur. 2 (1682) 207; wann die alten
pferd traben, so gurrt ihnen der bauch Frisch dt.-lal.
(1741) 1, seit»; vgl. noch Höfler krankheitsnamen 20S*'.
literarisch als unfein empfunden: die Übersetzung . . .
ist höchst elend . . , wer kann ohne eckel das: indeme,
einstweilen, . . . baumstarke lenden, der bauch gurrt
etc. lesen allg. deutsche bibl. (1765) 9, 118. später von
gnurren (knurren) abgelöst, nebeneinander bei Schrader
dt.-frz.{l'iS>\) 1, 56ia. in den mundarten erhalten, s. St^vb-
Tobler 2, 410; Fischer 3, 932; Lexer kämt. 127; Sae-
TORius Würzburg 53; Knothe Markersdorf. {Nordböhm.)
48; auch brem. wb. 2, 529.
b) 'knurren, murren, schelten, aufbegehren' ; an a unmittel-
bar anknüpfend vom hungrigen magen, vgl. unser heutiges
der magen knurrt: so sehen nu die kinder Israel {in der
wüste) nur au£E den bauch, wie der gorret und zu trincken
haben will Luther 16, 279 W.; es ist mit dem bauch nicht
gut reden, weil er nicht höret, sondern gurret . . . nach
den newen egyptischen fleischdöpffen G. Wicelius beten,
fasten u. ahnosen (1535) m 4**;
der arme bauch fing an zu gurrn,
diewell er hört den hauffen {die glieder) murrn
Ee. Alberus fahdn 43 ndr.
in allgemeiner anwendung, meist in Verbindung mit
murren : {die Korinther) die da auch murreten und gurre-
ten wider iren Mosen und Aaronem Mathesius epist. a.
d. Corinthier (1591) 1, 225«=; die armut giebt manchmal
ursach auff die reichen zu murren, zu gurren Syrach {1586)
85»; vgl. der geitz . . . gurret alweg aufE S. Franck sprichw.
(1541) 1, 44**. mundartlich Loritza id. vienn. 57; für zan-
ken Fischer schwäb. 3, 932. mehr vom akustischen ein-
dru^k her: vor dem sausen und brausen, von dem
summen und brummen, von dem gurren und murren {des
fernen meeres) erschrecken J. M. Meyfaet d. jüngste ge-
rieht (1037) 1, 247;
(der priester segnet Reineke als püger ein)
fing drauf im maul zu murren
und, weis nicht was, her zu gurren
Reineke fuchs (Rost. 1650) 203.
2) vom laute der tauben, vgl. auch das gleichbedeutende
girren, erst später bezeugt als 1.
a) eigentlich:
die frösche coaxen und quaxen und murren,
die tauben, die turteln und lachen und gurren
D. Schirmer singende rosen (1654) licd 67;
holztauben gurrend ich vernahm aus einem strauch
W. H. V. hohberg habsburg. Ottobert (1664) Vuu 3»;
{die lurteltaube) mit ihrem traurigen gurren (1701) in Ale-
mannia 12, 42. diese wenigen frühen belege lassen es zwei-
felhaft, ob das wort speciellfür den laut der wildtaube hoch-
gekommen; bei Lindenborn Diogenes (1742) 2, 786 auch
für die haustaube. nach Heynatz antibarb. (1796) 2, 81
nur 'von dem gröberen tone der taube' und auch da noch
'nicht in allen gegenden J^^eutschlands angenommen' ; jedoch
setzt es sich seit dem l5. jh. schriftsprachlich durch: ein
blutgieriger falke schosz einem unschuldigen tauben-
paare nach . . . schon gurrten sich die zärtlichen freunde
ihren abschied zu Lessing l, 231 L.-M.;
horch, wie fern die taube gurret
und von bienen summt und surret
rings der blütenvolle räum
J. H. Voss sämü. ged. (1802) 5, 144;
die tauben gurren auf dem dache,
die bunten tauben, wie verliebt
Geibel werke (1888) 8, 97;
während . . , das gurren der Wildtauben aus . . . einer
edelgewachsenen, alten birke klang G. Hauptmann Em.
Quint (1910) 50. in Verbindung mit ähnlichen lautworten:
der tauber dort
gurrt und kurrt sein liebes wort
V. DITFFETH dtsche Volks- u. gesellschaftslieder (1872) 189;
{turtdtauben) die dir im köpf girren und gurren B. v. Ar-
nim Brentanos frühlingskr. (1844) 334; da purren und
gurren ja noch die tauben K. Gutzkow zaub. v. Eom (1858)
1, 18. auch vereinzelt von andern vögeln: gleich einem alten
papageien hatte er gegurrt und gegrammelt ebda 5, 63;
eines dieser schönen thiere {feuerländische albatrosse)
flatterte {getroffen) krampfhaft einige augenblicke umher,
dann sank es gurrend in die see A. E. Brachvogel
Benoni (1881) 2, 181.
b) in die menschliche sphäre übertragen, von ähnlichen
lautäuszerungen: wie auf einem bazar im asiatischen Rusz-
land, wo alle nationen unter einander plappern und
maulen, gurren und schnurren W. Hauff sämtl. w. (1890)
1167
GURRENGAUCH - iGURT
iGURT
1168
3, 22; besonders von lieblichen, liebenswürdigen lautäusze-
rungen: {das jüngste) kann schon so schelmisch und intelli-
gent lächeln und gurren, dasz es eine lust ist Fbeiligeath
bei Buchner Freiligrath (1881) 2, 170; ein paar mal lachte
sie, leise, glückselig, gurrend H. V. Kahlbnbeeg Eva
Sehring (1901) 28; ganz ins allgemeine gewendet, etwa für
freu7idlich sein: bie ennem gurrt e, hinger ennem knurrt e
L. CuKTZE volksüberl. a. Waldeck 348 ; 'verliebt, zärtlich tun
und reden\ wohl nur abschätzig: der alternde mann als
gurrender liebhaber war mir fatal Sudermann bilderb.
(1922) 209;
■wer von Hebe girrt und gurrt
J. H. Voss sämtl. ged. (1802) 6, 24.
vereinzelt schon im 17. jh.: da wäre es viel besser ge-
than, wann ein knecht den andern, eine magd die ander
... in den hauptstücken der christlichen lehr . . . unter-
richtete, als dasz man, sonderlich am eonntag, die zeit
mit gumpen, gurren, tantzen und dergleichen Üppigkeit
zubringe Dannhawee catechismusmilch (1657) 3, 401;
vgl. den alern. von tändeln bis huren sich erstreckenden
gebrauch Fischer 3,932; Martin - Lienhart i, 230^;
V. Klein provinz. 1, 173; Staub-Tobler 2, 410.
GURRENGAUCH, m., sumpf schnepfe, zu gurre 2, über-
setzt, ein dem yord. horsgök entsprechendes cuculus equa-
rum: (nepae campestres . . . cuculi equarum dictae) der feld-
schnepff oder gurrengauch J. B. Fickler v. Weyl Olai
Magni historien (1657) 551.
GURRETZEN, vb., knarren {vgl. gurren 1): die hauss-
thür mit fieisz zurichten lassen, damit sie im auff- und
zugehen starck krachet und gurretzt Guarinonius grewel
(1610) 288; wann ein karrn oder wagen gurretzt und kürrt
Abr. a s. Clara Judas 2 (1689) 312; auch etw. f. alle 1
(1699) 247; 350; noch mundartlich, s. Schöpf tirol. 225.
anders, von den gedärmen Schmeller-Fr. 1, 932; hierzu:
gurretzer, m., gurrender laut ebda; Unoee-Khull 315.
GURRIG, adj., in den gleichen bedeutungen wie kurrig,
s. teil 5, 2818. 1) knurrig: (lasten) die ihm sein hausdrache
von weibe aufbürdete, wie er hinter ihrem rücken die
gurrige ehehälfte aus gerechtem eifer zu nennen pflegte
MusÄus Volksmärchen (1826) 5, 115. 2) kräftig, munter: die
stiere besaszen so viel kräfte und munterkeit, dasz sie in
einem tage mehr land umi-issen als zwölf joch ochsen . . .
sie waren rasch und gurrig, wie der stier im kalender
{zum april) abgebildet wird ebda 3, 26; ebenso kurrig
Schambach Oött. 117».
GÜRSCHE, /., älter gurse, gofse, auch m., goldammer.
mnl. geelgorse, gelgurse, nl. gors. als gürsche heut im
rhein. reich bezeugt, z. b. gel wie en gel gürsche, s. rhein.
wb. 2, 1501. bei Albertus Magnus als gursa nach Ges-
NEE de avium natura (1555) 628; {die goldammer wird)
auch ein gorse oder gurse genennt Heuszlin Ocsners
vogelb. (1557) 224*^; im sprichiuort, auf die kuckuckseier an-
spielend: du lonest mir wie der guggouch dem gorse ebda;
dasselbe mit merkwürdiger sinnverdrehung : du lohnest
mich, wie den kuckuk die gorse Tappius adagiorum cent.
(1545) A a 4*^; auch Gesner de avium nat. 628; durch dieses
Sprichwort ist der name gorse fälschlich auf die grasmücke
übertragen worden, die gleichfalls die eier des kuckucks aus-
brüten soll, so Gesner a. a. o. 326; Junius (1567) 66^^;
gürse, gorse grasmucke Henisch 1783 ; gürse Harsdörffee
poet. trichter (1647) 2, 147; dagegen gors goldhammer Popo-
wiTSCH versuch {11 8Q) 159; vgl. Suolahti vogelnamen 104/.
GURST, wohl m., ginster, ags. gorst, m., s. Walde-
PoKORNY 1, 610 : gurst V. Heppe wohlred. jäger (l 763) 1 51 a ;
gurst, gürst genista tinctoria Nemnich 216.
^GÜRT, m., gurt, gurte, /., gürtel, sattelgurt, band..
form.
mnl. gort, m., gorde, /., im, ahd. nicht bezeugt; mhd. als
simplex sehr selten, häufiger die composita über-, umbe-,
undergurt. daher postverbales Substantiv zu gürten, vb.,
s. Walde-Pokorny 1, 608. — das starkflectierte masc.gVLTt
herrscht in älterer wie neuerer literatur vor. der plur. lautet
im nom., gen., acc. gurte, z. b. Jacobsson 2, 173''; Th. L.
V. Jacob volksl. d. Serb. 2, 251; v. Alten i, 36; ostmd.
gorte treszlerb. 241 Joach.; in älterer zeit ist er zuweilen um-
gelautet: under den gürten Mynsinger 70 lit. ver.; mit
gürten Lohenstein Armin. 2, 484 »; hierzu gürt {pl.)
Seiler Bas. I5ö.
das fem. lautet im sing.frühnhd. meist ohne flexionskenn-
zeichen gurt, z. b. {nom.) 2. Mos. 28, 8 u. ö.; Henisch
1783/.; {dat.) Jon. Arndt paradiszgärtl. (1626) 85; {nom.)
HoHBERG georg. cur. 3 (1715) 76»; so auch noch {acc.)
Pfeffel poet. vers. 7, 196; {dat.) Jean Paul 5, 107 Hem-
pel; {dat.) E. M. Arndt ansieht, d. teutsch. gesch. (1814) 91.
abweichend: gurte {voc. 1482), gorte {md. 15. jh.) cingula
DiEFENBACH gl. 563C; 120»; ferner gurten {schwach nom..
sing.) ebda 563^; H. Feölich offenb. d. natur {IMI) 9; He-
nisch 1783; mundartl. die gurten noch jetzt, s. Schmellee-
Fr. 1, 943; Hartmann -Abele volksschausp. i. Bay. 56;
Jacob Wien 78^; Staub-Tobler 2, 445; mit umlaut: gürt
{acc.) theatr. diab. (1575) 305»; gürte {dat.) Lindenborn
Diog. 1, 181. gegenwärtig ist das fem. nur {in der bed. 'band'
u. 'gurtbogen') in der form gurte allgemeiner verbreitet {s. 2;
4). hierzu wird ein schwacher plural gurten gebildet, wie er
{in der bed. 'sattelgurt') schon frühnhd. belegt ist: Aymont
(1535) p ib; RYFFiraMmfe. (1570) 102»; nd. gorden {m.?) Lüb.
zunftrollen nr. 379 Wehrm. starke fem. pluralform ist selten:
gürte Luther 24, 91 W.; Hohberg georg. cur. 2, 158.
als n. findet sich gurt bei Jacobsson 2, 173'' {neben dem
m.); Staub-Tobler 2, 444; vielleicht schon König vom
Odenwald 62 {s. unter l).
bedeutung und amvendung.
1) im gebrauchsbereich von gürtel.
a) band, riemen, gürtel zum gürten der kleider. heute nur
selten neben gürtel; als kräftiger empfunden, daher in ge-
hobener literatursprache bevorzugt, vereinzelt schon im
13. Jh.:
(er hob die beiden männer) ho uf impor,
wen er si ot gevazzit vor
zurucke hatte In den gurt
Nie. V. Jeroschin krön. v. Pruzinl. v. 12973 Strehlke;
(die frauen weben) zyechen unde teppich,
stullachen, daz sage ich,
gurte haben sie uzderlcorn
und einz, dran henket man daz hörn
KÖNIG VOM Odenwald 62 Schröder;
seit dem 16. jh. häufig: seine gurt drauff sol derselben
kunat und wercks sein 2. Mos. '2.8, 8; auch ZQ, h; {ein
Spieler, der) seines weibs kleinoter, ring, gurt und sturtz
verspielt Äg. Albertinüs hirnschleiffer (1664) 390; auch
darf ein (^■ä^er-)junge noch kein . . . hirschfänger tragen,
sondern blos mit dem gurt um den leib gehen V. Heppe
lehrprinz (1751) 221; {in einem kleide) das unter der brüst
über einen gurt . . . ein wenig sich senkt Gleim briefw. 1,
278 Körte; dichterisch:
mutter der liebe, dir weiht Kallirhoe den kränz hier;
Pallas, die locke dir; dir o Diana den gurt
Hekdee 26, 82 Suph.;
gürt ihm den gurt, und häng ihm um das schwert
KtJCKERT werke (1867) 9, 128;
in jüngster zeit besonders auch für den hosengürtel, der die
hosenträger ersetzt: farbiges hemd, verschlissene sammt-
hose, gurt, abgetragener rock J. Greber Lucie (1901) 10.
die kennzeichnenden beivjörter von gürtel kehren hier wieder,
aber tveniger zahlreich und mannigfaltig; z. b. auf material
und herstellung bezüglich: es schien nach dem ledernen
gurt, den er um den leib trug, ein reisender Viehhändler
zu sein Hebbel werke 8, 221 Werner;
das ganze brustgebild . . .
bis wo den leib der goldne gurt umschlleszt
H. V. Kleist 2, 35 Schm. (Penth. in) ;
hinsichtlich der form wird besonders die breite hervorgehoben:
{der reisende sorgte) für eine ungeheuer breite gurt um den
leib Jung-Stilling sehr. (1835) 4, 88; {fahne) deren stock
in einem breiten gurt steckte Fontane I 2, 210. auch mit
der Standesbezeichnung ritterlich findet sich gurt: als er
kommen war, gürteten sie ihm den ritterlichen gurt als-
bald ab, und befohlen, dasz er ein priesterlich kleid an-
legen solt G. Älurius Olaciographia (1625) SöQ; vgl. hierzu
1169
iGURT
iGURT
1170
gürtel 6 c. in Verbindung mit verben, die Verwendung des
gurtes als träger und behälter spiegelnd.: {ein mensch, der)
in den bänden . . . ein scliwerd und dolchen, und ein paar
handröhre in der gürte trüge Lindenboen Diog. (1742)
\, 181; elliptisch: {wo) jeder auf eigne faust richter spielt,
den revolver im gurt C. Viebig schlaf, heer (1904) 1, 181;
ein schwelt, mit Jaspis reich bezogen, glüht
an seinem gurt Schiller 6, 398 Oöd.;
diese pistole, die ich mir wegen des silbernen beschlags in
den gurt steckte A. v. Aknim 10, 24 Gr.; er zog ganz ruhig
eine pistole aus dem gurt Eichendokff w. (1864) 3, 36;
er risz wütend die faustwaffe aus dem gurt Watzlik
Pfarrer v. Dornloh (1930) 241. — iji speziellen anwendungs-
ber eichen; bei bestimmten beruf siätigkeiten: 'der gürtel, den
arbeitsame leute von leder umgürten . . . wenn sie schwer
heben oder das getraide hauen' Zincke ök. lex. (1744) 1009;
bei fuhrleuien und reitern Kbünitz 20, 393 ; 'kuppet oder
wehrgehenk des Jägers' Heppe wohlred. jäger (1763) 154*;
vgl. auch dess. lehrprinz (1751) 260 und Jacobsson 2, 174*^;
'leibgurl des Spinners' zschr. f. d. wartforsch, beiheft 9, 40
{Wortschatz v. Lübeck), im, bair. der schmuckgürtel der
männer: die gurten, die gurt Schmeller-Fr. 1, 043;
Schöpf 225; {Goliath) in der perlengestickten giu-ten ein
langes schwert Hartmann-Abele volksschausp. 56. —
übertragen vom gürtel des als menschengestalt vorgestellten
Sternbilds des Orion:
Orions sternlcht gurth
LOHENSTKIN Epüharis (1685) 28;
{ich sah) Orions hellen gurt
Hbkdek 29, 377 Suphan.
poetisch gelegentlich in tveit hergeholten bildern und Über-
tragungen, z.t. gürtel 8 b ähnlich:
den weiszen gurt, gev/ebt aus sonnen,
legt er (der himmel) zum erstenmal um sich
J. E. Schlegel ged. (1787) 1, 65;
gottes donnergewölk im farbigen gurte des friedens
rollt ostwärts J. H. Voss ged. (1802) 3, 88;
wie'n gurt umschnallt seine (de« MotUblanc) hüft ein wald
Heine 2, 225 Ehler;
{die skalden waren in jeder schleicht umgeben mit) einer
schirmenden gurt von Jünglingen, skaldaburg genannt
Jean Paul 5, 107 H.emj>el.
in einigen redewcisen; im gleichen sinne wie unter
dem gürtel tragen {s. gürtel 4) findet sich: der mir {der
schwangeren) under der gurt ligt, sol solchs an dir rechnen
Iheatr. diabol. (1509) 360^; dagegen vereinzelt: schon am
22. raai war er wieder in Berlin, um feuer hinter dem gurt
zu machen, d. h. um auf alle ... im sinne der . . . neuen
aussiebten ... zu wirken R. Haym leben M. Dunckers
(1S91) 104. sich mit jemandes gurt binden etwa für 'ge-
meinsame Sache mit ihm machen':
{Chursachsen, lirandenJburg) gedachten nicht also
sich mit der cardinäl und mönchc gurt zu binden,
sie wuszten allbereit ein bessern bund zu ^ii.A.Ka(mü Schweden)
Opel-Cohs dreiszigj. krieg (1862) 284.
als Symbol und träger von kräften und eigenschaften, wie
u. gürtel 6. als symbol weiblicher schäm: die weiber aber
sitzen für der kirchen . . . und wenn jemand für über-
gehet und eine von jnen hin weg nimpt und bey jr schlefft,
rhümet sie sich wider die andern, das jene nicht sey werd
gewest wie sie, das jr der gurt auffgelöset würde Bar. 6,43;
eine, die sich nicht an den gurt kommen lies {der die bur-
schen nicht zu nahe zu treten wagten) Fkenssen Jörn UM
(1902) 461. — im sinne von 'zierende wappnung' , wie u.
gürtel 0 a, meist von ethischen begriffen im gefolge des bibel-
wortes gcrechtigkeit wird die gurt seiner lenden sein und
der glaube die gurt seiner nieren Jes. 11, 5 (Luther zitiert
auch .. . eyn gürtel ... ein gurt 12, 281 W.); (er) begürtet
seine lenden mit dem gurt der gcrechtigkeit Stumpf
Schweizerchron. {1606) 355^; umbgürte meine lenden und
nieren mit der gurdt der keuschheit Jon. Arndt paradisz-
gäril. (1626) 85;
der lenden gurt sey klarer warheit schein
Opitz opera (1690) 3, 144;
IV. 1. 6.
die liebe gegen gott und den nechsten wird . . . das band
oder der gurt der Vollkommenheit genennet Harsdöeffbr
t. secretar. (1656) 1, 694; mit ausgeführtem- bilde: {wir sind)
umbgürtet mit der harmoni göttlicher warheit als mit
einer ahmen gurt und geschupten eisenschurtz Dann-
HAWKR catechismusmilch (1057) l, 188. ohne das starke
ethos, rein zuständlich:
. . . seiner nieren gurt ist friede
K.A11LEE lyr.ged. (1772) 330;
zieh hin im gurte deiner kraft
ins edle Schweizerland
SCHUBAST ichr. (1839) 4, 132;
{die Vorsehung gottes) ist der gurt, womit ich mich morgens
gürte ders. leb. u. gesinn. 2, 285.
b) gürtel, um geld darin zu tragen, wie gürtel 2 b: sieh,
was dem metzger eine gurt voll geld unter dem brusttiich
hervorschaut Hebel 2, 201 u. ö. Behaghel; er zog einige
Wechselbriefe hervor, so wie einen mit gold angefüllten
gurt G. Keller w. (1889) 4, 212; vgl. Martin -Lienhart
1, 234*'; Jos. MÜLLER rhein. 2, 1502; ähnlich auch: die paar
harten stücke, die noch ... in dem gurt eingenäht steck-
ten Gaudy 10. (1844) 2, 39; vom markt heimgekehrt, ihnen
aus dem ledernen gurt das geld vorzuzählen M. Meyk erz.
a.d.Ries (1868)2,11; vgl.: das täschchen ... das an
meinem gurte hing und neben . . • anderen dingen einen
teil der letzten barschaft enthielt G. Keller w. (1889) 2,
206; bildlich von der biene:
. . . Immer mehrend ihren werthen gurt,
die reiche katze um des leibes mitten
Droste-Hülshoff w. (1879) 1, 82 Schücking;
mit reichgefülltem gurt kehrten emsige bienen . . . heim
Eener-Eschenbach sehr. (1893) 3, 162.
c) in weiterem sinne 'schürz': {Adam u. Eva) machen yhn
schürtz oder gürte von blettern geflochten Luther 24,
91 W.; Hesiodus habe nackte Wettkämpfer ohne gurt ein-
geführt JoH. H.Voss krit.blättcr (1828)2,336; wie ein
Dorier der erste war, der . . . den lästigen gurt . . . abwarf
K. O.^IÜLLER Dorier (1824)2,260; vgl. succinctorium
gurte Diefenbach gl. 563 C; cingulus gurt, schurtz 120^.
d) die stelle des körpers, wo der gürtel sitzt, ebenso wie u.
gürtel 6 als 'Scheidelinie, mitte zwischen ober- und Unter-
leib': die alten Sachsen haben den huren die haar und
kleider abgeschnitten bisz an die gürt theatr. diabol. (1576)
305 11; von dem gurthe bisz an die knie war sie zwar mit
einer zarten leinwand verhüllet Lohenstein Armin. 1,
1127'^; {die) bisz über den gurth v^atenden ebda 2, 850; ein
camisol, das nur bis auf den gurt gehet Ludwig dt.-en^l.
(1716) 822; dagegen nur vereinzelt im directen sinne von
'laille' : der gurt, die hüfften, da wo ein mensch sich gürtet
ebda:
gleich an äugen und haupt dem donnerfrohen Kronion,
gleich dem Ares an gurt, und an hoher brüst dem Poseidon
Voss Ilias (1793) ges. 2, v. 479.
vielleicht auch:
ihr {der Jünglinge) haupt kann er mit blumenkränzen,
mit rosen ihren gurt umwunden sehn
GÖthe 16, 183 W. {geheimnisse v. 348).
e) in, einigen Übertragungen technischen gebrauchs glei-
cher art une gürtel. von einem bleiring um den bäum, wie u.
gürtel 7 : wann aber die öpffel anf ahen zu wachsen . . .
so thu die gurt wider hinweg M. HERR/eWia« (1551) 122'^ ;
von einer gürtelartigen Verstärkung am kanonenrohr, frz.
ceinture Fäsch kriegslex. (1735) 4033'; Eggebs 1, 1124;
WoLFF math. lex. 633; vgl. gürtel 7. geographisch, als lehn-
übersetzung von gr. Cüjut], lat. zona, une u. gürtel 8 a: wann
man nun diese {grade) mit iren underen zusammenthut
. . . mag man die zonam oder gurten nennen H. Frölich
Offenbarung d. natur (1591) 9; welchen gurt oder umbkreisz
wir den zodiacum nennen Pabacelsus op. (1616) 2, 553
Huser. wohl in gleicher lehnüberselzung, im sinne von
'streifen, gegend': auff das die werme des fewers die zon
oder den giurdt des alembics {teil des experimentier gefäszes)
nicht erreichen mag Thurneysser alchymia (1583) 31.
2) üj der baukunst terminologisch ausgebildet.
74
1171
iGURT
1GURT-2GURT
1172
a) gürtelartige Verzierung, an einem gebmide: ein gurt
oder sims, der am ganzen hause hinläuft, gibt das bild,
dasz ihm drinnen eine balkenlage entspreche V.v.Strätjsz
lebensführ. (1888) 2, 279; neben dem balkengesiras oder
balkengurt, der die Stockwerke trennt, auch für brüstungs-
gesimse oder fenstergurte, s. O. Mothes ill. baulex. (1882)
2, 546 : (rechts am portal ein schlangenkopf) der sich mit dem
halse in das gesims verliert, links . . . steigt aus dem ge-
sims ein Schlangenschwanz herab, so dasz, die gurt als
leib betrachtet, eine schlänge die ganze kirche umgiebt
Th. Kernbr d. Kernerhaus 24; vgl. schon Keamek zier-
gurt an einem bolwerk, an einem gebäu dt.-it.{nOQ) l, 577*' ;
s. auch gurtband, -sims. ein stufenförmiger absatz scheint
in den folgenden belegen gemeint zu sein: gurt an gebenden
praecinctiones {Vitruv.) Stieler 716; Aler dict. (1727) l,
995b; vgl. gürtel 8 b;
aber der flscher von auszen vernahm mit innigem lachen
jegliches wort, er war auf den gurt an der mauer gestiegen,
dicht am fenster das ohr
MÖKIKB 1, 262 Göschen {idylle v. Bodensee);
an seinem (des turmes) untern gurt war eine merkwürdige
alte Inschrift eingehauen ebda 3, 178. vereinzelt bei säulen,
wohl für eine bestimmte unUstung der basis: (von den 5 arten
von) seulen, wie selbe mit ihren fuszgestellen, leisten,
Vierungen, gurden, ringen . . . unterschieden werden
Harsdökffer gesprächsp. (1641) 8, 437; vgl. der ring sive
gurt der seulen annulus, torques, torus, torulus Stieler
1693; Krünitz 20, 393; s. auch gürtlein.
b) der eigentlichen bed. 'gürteV ferner gerückt, mehr der
bed. 'band' (u. 4) entsprechend, speciell bei gewölben für die
das gewölbe stützenden bogen, s. Mothes ill. baulex. (1882)
2, 546; als fem., gurte, pl. gurten Karmarsch-Heeren
4, 190: (mit) gürten überruck gewölbt (1619) E. Holl bei
Meyer hauschron. d.fam. H. 72; merkwürdig war mir ein
tonnengewölbe mit stark vortretenden gurten W. Stier
hesperische blätter (1857) 36; (von einem keller gewölbe:) die
gurte der alten Wölbung . . . verwandelten sich ihm Frey-
TAG ges. w. 4 (1909) 69 (soll u. hob.);
{die schatten) beginnen hörbar am gewölb zu gaukeln
und auf und ab die gurten anzuklimmen
L. SCHÜCKING in Dkostk-Hülshoff briefe (1893) 30.
s. auch gurtbogen. — bei brücken wohl für die steinerne
loölbung:
{bei einer flut der Mosel)
der brücke gurt erbebt
Ci,. Brentano ges. sehr. (1852) 1, 412.
anders bei eisenbrücken, für die einfassung des gittertverks,
die zugleich die eisernen spannbögen oder geraden träger
bildet, s. Meyer konv.-lex.^ 8, 531: der eine gurt (ivird) auf
'zug' ... beansprucht Kabmarsch-Heeren 2, 81; die wage-
rechten gurte V. Alten 2, 564.
S) Sattelgurt, die Vorstellung des gleichmäszig umschlieszen-
den gürteis weicht hier der des befestigenden bandes oder rie-
mens (vgl. 4); seit etwa 1400 in gleichmäszig er häufigkeit
belegt, z. b. :
der afterraif was hänfein
und der gurt pestein fastnachtspiele 440 Keller;
lYi mark vor setil, zoume, gorte Marienb. treszlerb. 241
Joachim;
durch dieses heyden stärck . . .
must jtzt die gurt entzwey am sattel unten relssen
D. V. D. Wekdek ras. Roland (1636) ges. 23, str. 87;
den gurt, der vom sattel unib den leib gemacht wird
J. Walther pferde- u. Viehzucht (1658)28; (ich bückte)
mich, als wenn ich etwas am gurte (des reitesels) zu thun
hätte Göthe 24, 30 W.; er sasz in der gurt unter der stute
BR. Grimm ir. elfenmärchen (1826)114; jene stellen des
satteis, der gurten und des andern geschirres der eselin
Stifter w. (1901) 3, 62 Sauer; in bestimmungen der körper-
gegend mehr oder minder abstract: (dem boten) wurde nachts
sein pferd bis an die gurt in hafer gestellt (1560) 6ei Grimm
rechtsalt.^ 1, 545; durch eine leidlich gangbare fürt reitend,
in der den gäulen das wasser noch über die gurte reichte
und den reitern in die Stiefel schöpfte Bernh. v. d. Mar-
wiTZ stirb u. werde (1931) 104; (ein pferd,) schlank und voll
im gurt Auerbach schatzkästl. (1862) l, 160; und nicht nur
von rentieren: um das gurt werden die kühe gemessen bei
StaUB-ToBLER 2, 444.
4) band, speciell eine breite, feste bandart von gutem hanf-
garn, wie sie ursprünglich besonders zu sattelgurten ver-
wendet wurde, s. Zincke öcon. lex. (1744) 1008: gurten, wie
an den satteln zu bauchgurten genommen werden Döbel
jag. -practica (1754) 2, 75; im 15. jh. mit der bezeichnung
leinen belegt: (das pferd erzählt:) ain mennlin bint mich
mit . . . lynin gürten Steinhöwel Esop 237 lit. ver.; vgl.
auch basten oben 3. in weiterer Verwendung zu betten,
stuhlen, polsterungen, als trag- und ziehbänder u. s. w. : dasz
er geschwind unter das bett kriechen und füsze und bände
in die gurte stecken solle, w^elche das bett trugen, um sich
... zu verstecken Heinse 2, 177 Schüddelc; der sitz des
Wagens ist von weichen gurten Hackländer soldatenleben
(1850) 150; der giu:t (mit dem er den holzschlitten zieht) reicht
ihm vom rücken . . . bis ans kinn Auerbach sehr. (1892)
15, 154; (er zog) die um seinen oberleib geschlungene
gurte ab (mit der er den karren gezogen) ders. schwäb. dorf-
gesch. (1884) 2, 52; vgl. noch: das nackziehseil besteht aus
zwei ... 2-3 zoll breiten gurten oder hülsen, deren enden
durch zv/ei . . . stränge verbunden . . . ; jeder legt sich
einen gurt über den nacken, sieht den gegner an und sucht
ihn rückwärts zu ziehen F. L. Jahn 2, 78 Euler; rings um
den(/esse^)ballon läuft . . . ein kräftiger gurt, an dem der
korb für den beobachter (befestigt ist) v. Alten 3, 211.
lexikalisch als m. gurt, plur. gurte Jacobsson 2, 178'';
(plur.) Karmarsch-Heeren 1, 402; Lueger 5, 23; da-
neben ist von Süddeutschland her, z. t. fachsprachlich, das
fera. gurte verbreitet: Staub-Tobler 2, 445; Martin-
Lienhart 1,234**; Hoyer-Kreuteb techn.wb. 1,319; plur.
gurten Karmarsch-Heeren 4,190; 9,683; wozu compo-
sita wie gurtenband, -bett, -macher zu vergleichen sind,
seltener für bänder andrer art: (opf er stiere, c^ere») rücken
mit seidenen gürten überlegt waren Lohenstein Armin.
2, 484 a; eine bibliothek . . . mit 15 gefach, gefüllt mit
fliegenden blättern, die . . . durch holzstäbe und seidene
gurten verbunden sind Ritter erdk. (1822) 3, 323; gurte
von kautschuk, lediglich zugeschnitten, ohne weitere be-
arbeitung Troje Zolltarif (1886) 171; für riemen schlechthin:
dan {wird man) strichen en {Jesus) mit gurten
Alsfelder passionsspiel 77 Grein;
für kleine riemen zum zuschnallen:
weinend löst ihm {dem toten) Montesinos
heim und seiner riistung gurte
ElCHENDORFF w. (1864) 1, 723.
verschiedene specielle Verwendungen: gurt 'pastetenband'
Amaranthes /rawe?i2;.-Zea;. (1715) 125; ' windelschnur' ebda
706; die gurt gängelband für kleine kinder Biblinger
schw.-au^sb. wb. 208**; der gurt 'riehmen, welcher um die
walze läuft' Täubel wb. d. buchdruck. (1805) anh. 32*»; als
die gurte bei Hoyer-Kreuteb techn. wb. (1902) l, zw ;
gurten oder pergamentstreifen (werden zum buchbinden)
in die heftlade gespannt Karmaesgh-Heeren 2, 113.
de7n siym von 'gürteF wieder näher, wenn es sich nicht so
sehr um bänder und streifen, als um ein umschlieszendes
handelt; 'band zum umschnüren eines bündeis':
glychmasz, die soll der reitel syn,
der gurt war bald gebrochen,
brächt dich in grosze pyn
Val. TSCHüdi trostUed (1530) bei STAUB-TOBLEß 2, 444;
vgl. vinctus, vincidum band, gurt Frisius dict. (1556) 1381;
gorde,/., binde, die etwas e7ig umschlieszt Hofmann ndhess.
Ill"; gurt, gurtkette bei leiterbäumen Fischer schiväb.
nachtr. 2082. in neuerer zeit für riemen über die schütter:
über die schulter ein gurfc, an dem das schwert hing
Holtei vierzig jähre 1, 261 ;
am gelben gurt den schwarzen operngucker
stelzt durchs museum nun der Inglishman
Arent-Conkadi-Henokell mod. dichterchar. (1885) 141.
2GURT, m., hof, rvohl aus mlat. curtis: curia, curtis,
familia, praedium rusticum Henisch 1783; hof, rafhaus
SCIIRADER dt.-frz. 1, 584.
1173
3GURT — iGÜRTEL
iGÜRTEL 1
1174
^GURT, /., soviel wie grütze, mit metathesis des r. nl.
gort alica Diefenbach gl. 272^; gürt P. APHBBDiANtrs
method. (1601) 185; Jos. Müller rhein. 2, 1502, 1477; görte
WoESTE 82/.; als gürtl(?) bei Henisch 1783.
GURT-, s. auch gurten-.
GURTBAND, n. l) band als gurt, gürtelband {s. d.):
gurtband an hosen Ludwig dt.-engl. (1716) 822; Haille-
band' Stäub-Tobleb 4, 1328; als tragband: ein mit gurt-
band, versehener köcher archäol. ztg. (1843) 3, 65 Gerhard.
2) starkes band, zu gurt 4: hosenträger aus ganz grobem
gurtband Troje Zolltarif (1885) 410; auch leinenes ebda
399; für den friedensgebrauch hat man besondere stall-
halfter aus leder, gurtband oder schnür v. Alten 4, 507;
übertragen: wie naturgemäsz {sind bei den Griechen) . . .
die horizontalen platten und bänder mit . . . perlen-
sohnüren, an ihrer Unterseite mit starken geflochtenen
gurtbändern verziert P. Th. Vischeb ästhetik (1846) 3, 2,
290. 3) geradliniges gurtgesims von geringer ausladung, zu
gurt 2 a, s. LuEOEB 5, 23; Mothes ill. baulex. 2, 546: die
gurtbänder als Verbindung der vertikalen Schmabsow
ästh. d. bild. k. 2, 270; anders: das in den fels gehauene
halbrund des durch zwei gurtbänder in drei Stockwerke
getheilten theaters H. Hettneb griech. rciseskizzen 216.
GURTBETT, n., fddbett, zu gurt 'band\- gurtbette
lectus loris subtentus Aleb dict. (1727) 1, 995»; gurtbett,
feldbett Mothes baulex. (1882) l, 285; (er) liegt droben wie
eine leiche auf dem gurtbette Jean Paul 11, 412 Hempel.
auA:h gurtbettstelle Keünitz 176, 86.
GURTBOGEN, m., stützbogen bei gewölben, wie gurt 2 b,
5. Mothes 2, 546; Hoyer-Kbeutee l, 319: (tempelinne-
res, abgeschlossen) von himmelanstrebenden gewölben und
sich durchkreuzenden gurtbogen Zschokke sehr. (1824) 30,
373 ; die gurtbögen (treten) nicht als glieder hervor, sondern
bleiben versteckt F. Th. Vischeb ästhetik (1846) 3, 2, 295.
hierzu: gurtbogenanlage für den 'Stützpfeiler' Mülleb-
Mothes 1, 497*, bzw. -vorläge oder -pfeiler Hoyeb-
Kreuteb 1, 319; gurtbogenstärke Schönebmark-Stüber
hochbaulex. 897.
^GÜRTEL, m., auch f. und n., cingulum, zona.
herkunft und form.
nomen instrumenti mit suffix -ilo- zu got. bigairdan 'negi-
fwfffKffi^Kt', idg. vmrzel gherd 'flechten, winden, umfassen,
umzäunen, timgürten', s. Walde-Pokorny 1, 608; ahd.
gurtil, aisl. gyrdill, ags. gyrdel, afr. gerdel, mnl. gordel,
n., m., mnd. gordel, n. (selten m.);für sich steht got. gairda
= an. gJ9rd, mnl. gerde. — wie auch sonst gelegentlich bei
gerätenamen atif -il-, s. Kluge nom. stammbild. § 90/.,
zeigt das ahd. neben der starken männl. starke oder schwache
wbl.form: gurdil Isidor 41 Hench; der gurtel Notkee 2,
472 Piper; curtil(ll. jh.) Steinmeyeb-Sievees gl. 3, 654»;
gurtil 3, 146a (12. u. 13. jh.), 3, 181» (12. Jh.); daneben: ciu:-
tila (10. jh.) ebda 3, 654^; gurtila (11. jh.) 2, 399l>; vgl. noch
gurtil aus gurtila verbessert (11./12. jh.) 3, 651^. dies fem.
hält sich neben dem stets überwiegenden masc. bis gegen
1700 ; jetzt ist es au^h mundartlich so gut wie ausgestorben,
in mhd. zeit herrscht es auffällig in den rechtsformeln (s. 2 a
und 3) und mit wenigen ausnahmen in den präpositional-
verbindungen (s. 5), auch bei Schriftstellern, die sonst das
masc. haben, z.b. Wient v. Gbafenbeeg niderhalb der
g. Wig. 178 Pfeiffer; den g. 13; 24; Ottokae als in diu g.
umbevienge 10941 Seem.; mit einem g. 7942; 62613; auch
noch frnhd. bei H. Sachs an der g. 14, 32; 17, 173; aber
2, 142; Stumpf zu halber gürtein Schweizerchron. (1606)
750*'; a6er(einew) beschlagnen gürtel 233^. darüberhinaus
ist das fem. hauptsächlich im umkreis des bair. belegt, z. b.
meier Helmbrecht 1121; weinschwelg 349; H. v. Trimberg
renner 16478 Ehrism.; Dürer tageb. 49; Spreng Ilias iZ^
u. ö.; Abr. a s. Clara etw. f. alle X, 340 u. ö.; oft mit dem
rfiasc. daneben: gürtein (schwacher acc. pl.; s. unten)
Parziv.2Zi,S,; aber m. 410, 4; 341,20; 168,16; an der
gurtel H. V. Neustadt Apoll. 6755 Singer; m. gottes zuk.
317; an ainer gürttel Fortunat 129 ndr.; m. 116; ein schöne
g. Val. Schumann nachtb. 87 Bolte; m. 160; ein cöstliche
girtel (acc.) Zimm. chron.^ 4, 302 u. ö.; m. 145; 244; 303;
SCHAIDENBEISZEE Odyss. 58''; m. 21^.
die nicht sehr häufigen schwach flectierten formen von
gurtel werden sämtlich dem fem. zuzuweisen sein: gürtein
(acc. pl.) Parziv. 234, 8; 563, 18; König v. Odenwald 38
Schröder; kein silberin gürtein (acc. sg.) Nürnb. polizeiord.
65 lit. ver.; gürtein (acc. pl.) Johan Barth weiber-
Spiegel (1565) t 3*'; deutlich fem. sind: magedcurtelun (gen.
sg.) Notkee l, 815, 19 Piper; mit der gürtein K. v. Me-
genbebg b. d. nat. 59; die zwu gürtein ders. sphaera 25
Matthäi; an der gürtein erste dt. bibel 1, 36 Kurreim.;
4,206 (aber stori 2,473); Stumpf Schweizerchron. (l&oei)
750^ (s. o.); archaisierend G. Kelleb (1889) l, 50; s. auch
gürtle, /. Staub-Tobleb 2, 447.
gurtel als neutr. (nach as. gm-disli ?) ist vorvnegend nd.,
s. Schtlleb-Lübben 2, 133; Diefenbach gl. 412*=; Ger-
mania 14, 197; ferner beudee Hans Marienl. 1183 Minzl.;
altd. tischzuchten 12^ Geyer; dann auch das gurtel Luther
12, 282 W.; das gurtel W. Hildebrand magia Twttor. (1610)
127; M. Schneider Amintaa (1632)113; M. Schibmee
Virgil (1668) 439; Zesen Ibrahim (1645) 2, 11; Assenat
(1672) 212; ins gurtel Chb. Reutee Schelm, (vollst, ausg.)
25 ndr.; vielleicht auch schon, wofern nicht deminutiv, das
gurtel H. V. Neustadt Apoll. 12582 Singer.
bedeutung und gebrauch.
die grundbedeutung des Wortes und deren charakteristische
abwandlungen und anwendungen entsprechen den Verhält-
nissen von griech. fwr/;, lat. zona, auch cingulum, genau;
in vielen fällen liegt nicht eigenständige entuncklung, son-
dern Übernahme des antiken gebrauchs vor.
1) ein nach stoff und form mit der mode wechselndes band,
mit dem man die kleidung gürtet:
. . . der gurtel umb Ir lip
Ulr. V. EsOHENBACH Wüleh. V. Wenden v. 1485 Toischer;
Ich pin ain welb mit gurtel umbevangen
Osw. V. Wolkenstein 189 Schatz;
unterschiede in stoff, machart, form, färbe sind vielfach
durch attribute bezeichnet, feilen, ledern, hären, seiden,
wollen, golden, silbern: (Johannes hatte) ein fellin gurtel
umb sein lancken (Matth. 3, 4) erste dt. bibel 1, 12; Luther
dafür: einen leddern gurtel umb seine lenden; ein hären
gurtel antragen Fr. Spee tugendb. (1649) 738; zona serica
seiden gurtel Albebus did. (1540) B b 2*»; zona bidentis
wullyn gurtel von wollen Diefenbach 635C; stropheum
gülden gurtel 557 »; begürtet . . . mit einem güldnen
gurtel offb. 1, 13; (Mignon als engel mit) einem goldenen
gurtel um die brüst Göthe 23, 158 W.; sprichwörtlich:
guter ruf ist goldnen gurtel werth ders. 45, 52 (Rameaus
neffe); vgl. Keünitz 20, 320; (kein bürger eine) silberin
gürtein mer tragen sol danne die ainer halben mark
Silbers wert sei (14. jh.) Nürnb. polizeiordn. 65 lit. ver.; ein
silbern gurtel von 36 loth Schweinichen denkw. 526 Ost. —
die machart bezeichnen z. b. beschlagen, gewirkt, gestickt:
■wol beslagen
waren in ir gurtel beide samt (den dörpern)
Neidhart 60, 14 Haupt-Wieszner;
(sie sollten) kein ring noch beschlagnen gurtel haben
Stumpf Schweizerchron. (1606) 233^; mit vier finger
breiten und mit gülden blech beschlagenen gürtein
Oleaeius reisebeschr. (1696) staat d. kön. Pers. 19; balteus
beschlagner gurtel Diefenbach gl. 67^; zona bullata ge-
spengelt girtel 635 C;
ir gurtel gewurket in der ram
Wernhek marienleb. v. 12913 Päpke;
gewirkte gurtel um die lenden
V. Droste-Hülshoff 2, 61 Schücking;
(eine schere hing ihr) von blumig gesticktem gurtel herab
Göthe 25, 265 W. hinsichtlich der form wird besonders die
breite hervorgehoben: des kinderspiels und narren werks von
. . . breiten gürtein Luthee 50, 196 W.;
die breit und dicke gurtel eben
hat mich erhalten bei dem leben
Spreng Ilias (1610) 43».
farbbezeichnungen: mit einem feinen schwartzen ledern
gurtel Riemee polit. maulaffe (1679) 139; (sie) trug einen
74*
1175
iGÜRTEL 2
iGÜRTEL 8
1176
roten gürtel H. Seidel Leb. Hühnchen (180Q) 51 ; mit recht-
licher bedeutung: einen roten gürtel tuont si im (dem
herzog) umbe Schwabenspiegel 418 Wackernagel. — den
gürtel lösen (s. auch u. 6 b), aufbinden, beim entkleiden:
nach dem ihm der bischof Clemens erstlich den gürtel
aufgelöst hatte . . . {stieg er in das taufwasser) A. U.
V. Bbaünschweiq Octavia 2, 818;
(er) loste ihr dann den gürtel und tat ihr die glänzenden
kleider (ab)
Th. V. SCHBFFER homcr. götterhymncn (1927) 49;
bei tische:
swer ob dem tisch des wenet sich,
daz er die gürtel wlter lat
altdi. tischzuchten (progr. Altenb. 1882) W- Geyer; auch 8» u.ö.;
so dir der gürtel ist zu eng,
80 lösz in aufl nach guter leng
Scheit Qrobianus v. 2933 ndr.;
wann einer vil essen musz, so spricht man : tue den gürtel
uff, dz ist: rüst dich darzu Terenz (1499) 124^; oder ein-
fach: den gürtel auff, lasz dem bauch seinen gangFiscHAET
Garg. 149 ndr.
gelegentlich in Specialbedeutungen: 'frauengürteV im
gegensatz zum 'riemen^ des mannes Kramer Bistritzer dial.
34. — ohne besondere kennzeichnung für den 'priester-
gürteV üblich: de vestimentis sacerdotalibus , cingulum gurtil
aM. gl. 3, 146, 21. 181, 29. 655, 37; de vestibus sacris. zona
gürtel voc. opt. 27'' Wackernarjel; alben, gürtel und hu-
meral bei Schöpf tirol. 225; die skapuliere, gürtel und
meszgewande Nicolai reise 5, 17. — in dem als mensch-
liche gestalt vorgestellten Sternbild des Orion: an des curtele
sehs Sternen michellicho zeichenhafte sint Notker l, 770
Piper; in der Zeichnung, die . . . von dem gürtel bis zum
anfang des rechten schenkeis reicht Humboldt kosmos
(1845) 3, 335; bildlich von der milchstrasze:
wie der sonnenbesäete gürtel der nacht
tönend mit himmlischen harmonieen
GEAFEN ZV Stolberq ges. w. (1820) 1, 120.
2) neben dem gürten der kleider dient der gürtel zum be-
festigen und tragen von dingen, die bequem zur hand sein
sollen; daher besonders in Wendungen wie etwas am, im
gürtel tragen, aus dem gürtel ziehen, in den gürtel stecken.
a) besonders von waffen, auch von anderen geraten: suc-
cingulum ein gürtel, das schwärdt daran ze hencken
Frisius dict. (1556) 1262'^; {ein Icriegsgötze mit) sieben am
gürtel hangenden sch-werdtern Micräliüs Pommerl. (1640)
2, 254;
doch mild am gürtel trägst du (kön. Ludwig) das reine schwert
Platen 1, 189 Redlich;
sprichwörtlich: honig auf der zungen und das scheer-
messer am gürtel haben P. Winckler 2000 gedanken
(1685) Dl!*; ein rosenkranz hängt am gürtel herab
Schiller 12, 554 Oöd.; den prächtigen dolch, den er im
gürtel trägt A. W. Schlegel sämil. w. 9, 58; ein oder zwei
pistolen im gürtel FouQut gefühle (1819) 1, 63; die pistoh-
len stackte ich ins gürtel Chr. Reuter Schelm, {vollst,
ausg.) 25 ndr.; er soll manchmal einen dolch ... in den
gürtel gesteckt {habeyi) Göthe 21, 87 W.;
er da» messer aus dem gürtel
ziehet und ganz stille sitzt
A. V. Aknim w. 22, 128 Orimm;
ich zog das messer aus seinem gürtel Schiller 4, 76 Göd.;
mit verkürztem ausdruck: das rappier aus dem gürtel {in
der hand) Kirchhof wendunm. 2, 375 Ost.
unter dem gürtel tragen (s. auch 4) u. ähnl.: wie an dem
angriffe 300 oder 400 eydgenossen . . . ein tannast under
den gürtlen getragen Tschüdi chron. hdvet. (1734) 2, 386;
{die geige) die er unter dem gürtel stecken het Lindener
rastbüchl. 20 lit. ver.; als er ein halbes roszeisen gefunden
und selbiges undern gürtel gesteckt hatte grillenvertreiber
(1670) 148; bes. in der redewendung: {die) hende unter die
gürtein stecken und feyern Boccaccio decam. 154 lit. ver.;
vgl. die bände im gürtel haben, müszig sein Frisch dt.-lat.
(1741) 1, 384^.
Schlüssel werden am gürtel getragen: {einer lief zu dem
toten) die Schlüssel zu nemmen, welche an seiner gürtel
hiengen Amadis 208 lit. ver.; {Schlafrock) an dessen gürtel
ein groszes bund Schlüssel hing J. Kerner bilderb. 154;
sprichwörtlich: es hangen nicht alle Schlüssel an einem
gürtel Lehman florileg. pol. (1662) 2, 916; übertragen: {wer
heiraten will, soll eine fromme frau nehmen) dasz er ihr
nicht dörff hüten oder sie am gürtel tragen ebda 1, 164. —
daher den gürtel auflösen, recken, beim concurse soviel wie
'die Schlüssel ausliefern': si wolten ir girtel auffiesen {var.
von irem leib abgirten) und von aller ir hab und gut gan
und wölten aiu aid schweren dt. städtechron. 23, 222/.
{Augsb. i); gleichbedeutend den gürtel recken: han ich mich
des vorgenanten hofs genzlich mit der gürtel verzihen,
die ich gerekt han (1343) monum. boica 1, 443; vgl. zum
letzteren Grimm rechtsall.* l, 624.
b) gürtel um geld darin zu tragen, geldgurt, wie lat. zona:
zona gürtel, seckelgürtel, dareyn man das gelt lägt
Frisius dict. (1556) 1425^'; cingulum gürtel, der zugleich
an statt eines beuteis ist, darinn man das geld sicherlich
über das land tragen kan A. Corvinus /o?is lai. (1646) 194;
nit wölt besitzen golt und silber noch müntz an eueren
gurtein {Matth. 10, 9) erste dt. bibcl 1, 36; Luther dafür:
ir sok nicht gold noch silber noch ertz in ewien gürtein
haben; seinen solt sol er an der gürtel und nicht im zäch-
haus haben H. Megiser annales Carinthiae (1612) 210;
hieran anknüpfend:
und der soldat, um rascher sich zu wenden,
erleichtert schnell den gürtel seiner lenden (vom metallgeld)
GÖTHE 15, 1, 64 W. (Faust t. 6108);
ebenso: er hett sein gürtel verloren, das ist, er ist um hab
und gut kommen Seb. Franck sprichw. (1541) 1, 38*; ähn-
lich 2, 23''; im anschlusz an HoRAZ: zonam perdidit epist.
2, 2, 40. — sachlich gleichbedeutend ist die tasche am gürtel:
(das kind) truoc an dem gürtel sin
ein maszigez tcschelin Lanzelot 5807 Hahn;
{sie spann ein netz) das sie wie eine geldtasche nachher
am gürtel trug maler Müller w. (I8ll) 2, 177; daher
sprichwortartig :
das man und frauen wol zusammen fügen
reht Bam ain gürtel zu einer taschen
fastnacMspiele 694 Keller.
3) in der mittelalterlichen rechtssprache, bis ins älternhd.
lebendig, heiszt was der gürtel umschlieszt der geringste
persönliche besitz, der unpfändbar ist, bei expropriieruruj
zu belassen u. s. w.; besonders in den Wendungen als einer
mit gürtel umfangen ist; als einen die gürtel umfangen,
begriffen, beschlossen hat, umfängt, begreift; was die
gürtel begreift, beschlieszt; vgl. quae cingulum capit (1240)
monum. boica 3, 135; ähnlich 156. vielfach in den be-
dingungen des abzugs von belagerten: {freier abzug mit) nicht
mehr, als was sie unterm gürtel mit sich heraustragen
können Chemnitz schwed. krieg 2 (1653) 208;
er hiez in bediuten,
daz ie der man her uz gienge,
als in diu gürtel umbevienge,
und sin swert in der hant
Ottokak chron. v. 10941 Seemüller;
das man sie plosz, wie sie der gürtel begriff, liesz ziehenn
Seb. Franck chron. Germ. (1538)145; muszt all sein
kriegszvolck . . . wie sie die gürtel beschlosz, abziehen
Adam Reiszner hist. Georg v. Frundsberg (1572) 173'»; es
ward ihnen angeboten, sie ohne pferd und gewehr, jedoch
mit dem, was der gürtel beschliesse, passieren zu lassen
Simpliziss. 224 ndr.; Loths weib soll haus und hof ver-
lassen, und wie sie der gürtel beschleuszt, ins bittere elend
wandern Otho krankentrost (1671) 705; ähnlich: {er hätte
aus dem gefängnis) nichts anderes herausgebracht als die
girtel (1442) jhrb. d. hist. ver. Dillingen 19, 106. — speciell
bairisch früh und häufig für die art der auslieferung eines
missetäters an den zuständigen richter: {den totschläger) ant-
wurten, als in die gürtel umbfangen hat monum. boica 2,
525/.; auch 509; {wem die todesstrafe zukommt) den suUen
. . . dez klosters amptleut . . . antwurten, als er mit gürtel
umbvangen ist, und waz er hab hat, die sol alle dem
gotshous genczlich beleiben (1386) urk. d. Karthause Aggs-
bach 50 Fuchs; als er mit gürtl umbfangen ist österr. weist.
1177
iGÜRTEL 4-5
iGURTEL 5-6
1178
1, 4; 10, 121 und oft; noch im 17. jh.: überliefern, wie er
mit der gürtel umfangen ist v. Hohberq georgica cur.
(1682) 1, 35; vgl. Geimm rechtsalt.* 1, 140; 2, 516; Lexer 1,
1126; ScHMELLER-Fr. 1, 944; FlSCHER schiväb. 3, 933; in
Wilderer wendung: (hat der verurteilte) ros, Harnisch oder
gut, das ist des vogtes; was darnach oberhalb gürteis ist,
das ist des weibels; und schwert und messer und was
unterhalb gürteis ist, das ist des henkers quelle bei Grimm
rechtsalt.* 2, 517. — im pfand- und concursrecht : es sol ouch
nieman sin gelter (Schuldner) noten an aim bett . . . und
waz die gürtel begriffet Memm. ratsb. bei Fischer schwäb.
3, 033; er habe auch nichts aigens, ja nichts mer, als sein
gürtl beschlüeszt (1633) gesch.-büch. d. wiedertäuf. i. Ost.
453 Beck; von aller irer hab und gutem ... nichtz dan wie
sie die girtel umbfacht . . . darvon nemen noch haben dt.
städtechron. 23, 230. — dazu im gegensatz wird das, vjas der
gürtel nicht umschlieszt, als ob, über, auszerhalb der gürtel
bezeichnet: daz kain wirt . . . nicht verner weren sol, dan
was si ob der gürtl tragent weist. 6, 120; der da verspilet,
mag nimmer verlisen nur das, daz er über seiner gürtel
hat Altjyrager stadtrecht 121 Röszler; als er an beraitschaft
bei jme hat an dem gwandt auszerhalb der gürtl (1335) bei
Schmeller-Fr. 1, 944.
4) einen neuen gürtel bekommen 'schwanger werden',
vielleicht in dem sinne, dasz der alte gürtel dann nicht mehr
paszt; kaum anknüpfend an die sitte der brautgürtel: cestus
prawtgurtel Diefenbach nov. gl. 87^; gürtel der liebe,
damit der breutigam seine braut umgürtet H. Decimator
thes. (1615) s. V. gürtel; vgl. begürten, befruchten, schwan-
ger machen gravidare, vulgo incingere Henisch 1784; zu
vergleichen ist etwa auch den gürtel lösen entjungfern{u. 6 b).
nur älternhd.: es ist eines weibes rühm, ehre und kröne,
da sie, wie man pflegt zu sagen in züchten und in ehren,
einen newen gürtel bekommen und schwangeres leibs ist
H. Braxjn kinderspiegel (1610) 46; (Joseph wollte Maria
nicht) beschuldigen, da er an ihr ein newe gürtel spüret
Mathesius hochzeitspred. 241 Lösche; (Joseph) wolte nicht
eine braut haben mit einem frembden gürtel J. Gigas
pos<iZ/a (1595) 1, 36*5; (sie hatte) ihr krentzlein verloren und
ein unehrlich gürtel bekommen ebda 52'^. wohl kaum
hierher:
ouch was der frouwen da genuoc
etsliu den zwelfteu gürtel truoc
zo pfände nach ir minne.
es warn niht küneginne:
die selben trippaniersen
hieszen soldiersen
W. V. ESCHKNBACH Parzivol 341, 20 Lachm.
in sachlich gleichem bereich ein kind unter dem gürtel
tragen, urspr. griechisch vno CMiT^g (pioew, für unser
'unter dem herzen":
unter dem gürtel trag ich {Aphrodite) ein kind aus sterbUchem
lager
Th. V. SCHEFFEK homer.göüerhymnen (1927) 52;
(sie sprach) den ich unter dem gürtel trage, soll diesen
mord an dir ... rächen Grimm dt. sagen (1891) 1,51;
ähnlich:
ernährte unterm gürtel sie dich nicht?
GRAFEN zu STOLBERQ W. (1820) 15, 224.
5) gürtel im sinne der Scheidelinie, der mitte zwischen
ober- und Unterleib; in mancherlei präpositionalverbindun-
gen, über und unter dem gürtel u. ähtü.:
(es) si gegeben iu für eigen
min lip, als ich gegürtet bin,
niderhalp der gürtel hin
oder oberhalp der gürtel min
die heidin I v. 860 Pfannmüller;
domit wir frauen dienst erpleten
unter der gurtel und darob
fastnachtspiele 519 Keller; auch 728; 735;
oberhalb der gürtel einer frouwen gar gelich
Wolfdietrich B 27 Amelung;
(die eine quelle der unkeuschheit) ist ob der gürtel, vileicht
das hertz Berth. v. Chiemsee theol. S70 Eeilhm.;
niderhalp der gürtel gar
het si (das ungeheuer) eines rosses lip
W. V. Grafknberq Wigalois 178 Pfeiffer;
was (an krankheitserscheinungen) im angesicht oder halsz
ist . . . was fomen oder binden am leib ist . . . was under-
halb der gürtel ist Paracelsus chirurg. sehr. (1618) 90;
nimpt er ein weib zuo der ee
die under der gürtel wer hungrig und geitig
fastnacUsp. 317 Keller;
(eine miszgeburt hatte) zwen leibe, vier arm, aber unter
dem gürtel war es ein mensch Niobinits papist. Inquisition
(1582) 598.
bis in die neuzeit bis an den gürtel; von oben her:
für eigen habt (ihr) gegeben mir
unz, uf die gürtel iuwern lip
die heidin I v. 945 Pfannmüller;
entblöst bisz an die gürtel unden
H. Sachs 2, 241 Keller;
(die rasende Jiatte ihres mannes) lincken arm und selten
bisz auff den gürtel alsbald gefressen J. B. Carpzov
leichpred. (1698) 122;
eine geschwisterte nun, zum gürtel ab griechische Schönheit,
sittig hinab zum fusz nordisch umhüllt sie das knie
GÖTHK 4, 126 W.
besonders oft vom hart gesagt, z. b. :
(ihnen war) der hart snevar
nider gewachsen also tief,
daz er in uf die gürtel awief
H. V. AUK Erec v. 2083;
er trägt einen weissen hart, der ihm bis an den gürtel
geht Gottsched dt. Schaubühne (1741) 2, 272. von unten
her: wie gezämi ainer jungfrowen, daz si ainen rok an
hetti, der ir untz an den gArtel schlügi ? s. Oeorgener pred.
45 Bieder; er schneit inen die kleider halb ab bis an den
gürtel 2. Sam. 10, 4; (die mauer) dreyer schuch hoch, also
das sie einem man ongever bis an die gürtel reych Dürer
befestigung (1527) B i^; dann zerrisz sie ihr weiszes kleid
vom säum bis aii den gürtel Stürm iü. (1899) 3, 41. häufig
vom stehen in wasser, schnee u. a.: die landsknechte, bis
an den gürtel im wasser Ranke sämtl. w. (1867) 2, 193;
bis zum gürtel in dem schlämm versunken Mommsen
röm. gesch. 2, 257 ; bes. mit der präpos. über : (er ist) bisz
schier übern gürtel hindurch gewaten Kirchhof mit. dis-
ciplina (1602) 181; der vorderste ... sasz oft bis über den
gürtel (im schnee) Göthe 19, 291 W. änhd. zu halber
gürtel 'halb bis zum gürteV: dem sie sich . . . zum gesiebt
und gefallen bej' nahe zu halber gürtein zum fenster ihres
hauses herausz liesz Stumpf Schweizerchron. (1606) 750'';
setzt in zu halber gürtel fein
im nechsten feuerofn hinein
Satiren u. pasquiUe 1, 108 Schade.
vom gürtel ab: nun waz der elende Jüngling von der
gürtel hin auff . . . naeket Bocaccio decamerone 354 lit.ver.;
alle ding von der gürtel hinauff seyn euch zimlich und
erlaubt Henisch 1784; (ihr leib war) von der gürtel hinab
von ainem weiszen decklach verborgen Montanus
schwankb. 239 lit. ver.; von der gürtel bis auf die knie
weisze schurtz unterred. e. Ungarn u. e. dt. cavaliers (1664)
F Z^; man trug das wamms von . . . seide, geknöpft vom
gürtel bis zum halse Laube ges. sehr. (1875) 4, 224.
ähnlich steht gürtel auch sonst im sinne von 'gürtelgegend
des kör per s\-
sie (die armen) sint zo deme gurtele also smal,
en stat er liph harde wal
könig Rother v. 1371 v. Bahder;
du hast am kiertag einer frawen
beidt hende mortes abgehawen,
das ir stümpfl an der gurtel hingen
H. Sachs 14, 32 lit. ver.; auch 21, 52;
den schwanenarm
womit sie um den gürtel ihn umfangen
Wieland Oberon 6. ges., str. 74.
6) der gürtel als symbol und träger hoher eigenschaften.
a) in mythos und poesie in mannigfachen beziehungen.
ungewöhnliche stärke verleihend:
dar zuo nam er (Siegfried) ir gürtel : daz was ein borte guot . . .
done was ouch sl (Brünhüd) niht sterker danne ein ander wip
Nibclunge not 628/. Lachm.;
1179
»GÜRTEL 6
iGÜRTEL 6
1180
mit einem gurtel so guot
zder zit ich (der zwerg) dich bewar . . .
ob er (der gegner) zweinzic manne sterke phliege,
daz im daz niht gen dir wjege,
du werdest an im sigehaft
Ottokae chron. v. 62613 Seemüller;
dazu der gürtet Laurins, s. gürtlein ; vgl. den megingjardr
Thors und aus dem klassischen altertum den gürtel der
Amazonenkönigin: Hippolyte, die einen gürtel hat, den
ihr Ares schenkte, es heiszt, dasz er . . . dem, der ihn
trägt, eine übermännliche kühnheit verleiht A. Schäffek
griech. heldensagen l, 104. den eingesetzten edelsteinen ver-
dankt der Wandergürtel im Wigalois seine kraft:
(Oawein) gurte do
den gürtel umbe sin isengewant.
do het ouch er zehant
wol drizec riter manheit
WiENT V. GEAFENBEEa Wig. 21 Pfeiffer.
mit andern ungewöhnlichen eigenschaften: ein gürtel ausz
dem wolfsmagen gemacht, umb den blossen leib zu tragen
sein lebenlang, so sey eins . . . sicher {vor asthma) Wibsung
arzneib. (1588) 258; wolfsgestalt verleihend, s. Geimm myth.*
2, 916. aus neuerer literatur z. b. hätte die fürstin . . . einen
gürtel angeboten, vermittelst dessen man sich unsichtbar
machen kann: ich wüszte nicht, was ich gewählt hätte
Hippel kreuz- u. querzüge (1793) 1, 60; um den gürtel der
unsichtbarkeit ... zu erlangen B. v. Arnim d. buch gehört
d. kön. (1843) 1, 193; diesen magischen gürtel will ich ihnen
leihen Pocci tust, komödienbüchl. 5, 148. — gürtel voyi
heiligen, bes. Mariens, im kirchlichen brauchtum: die re-
liquien der muttergottes, deroselben hausz, rock, gürtel,
haub Dannhawer catechismusmilch (1657) 1, 156; von
unser 1. frawen . . . gürtel, der auch daselbst ligt, dar-
durch so viel weiber fruchtbar sind worden, wann man
sie einmal darmit umbgürtet hat Fischart binenkorb
(1588) 63 a; daneben ein Monicagürtel, s. Schmeller-Fr. 1,
944, und andere, vgl. {die Pfalzgräfin) hat auch von kinder
wegen walfarten gethon und sich mit etlichen hailigen
gurtlen umbgürtet zimm. chron. 4, 145 Barark.
in der klassik spielt der gürtel der Aphrodite als träger
der Schönheit eine grosze rolle:
sprachs, und löste vom busen den wunderköstlichen gürtel,
buntgestickt: dort waren des Zaubers reize versammelt;
dort war schmachtende lieb und Sehnsucht, dort das getändel,
und die schmeichelnde bitte, die selbst den weisen bethöret
Voss Iliaa (1794) 2, 47 (ges. 14, v. 214^.);
auch schon in ältrer dichtung:
sie ( Venus) nam den gürtel auch, darin betrug, list, schimpf,
sich selbs vereinigen mit gailheit, lust und glimpf
Weokheelin ged. 2, 352 Fischer;
wie die anmuth und die reizungen in den gürtel der Venus
eingenäht waren JoH. E. Schlegel (1761) 5, 214. als Sinn-
bild des liebreizes: {ein liedchen) worin sie die Venus um
ihren gürtel bat S. v. Laroche/t^ v. Sternheim (1771) 2,38;
was ist, ohne liebe, ehre?
was Zytherens gürtel ohne sie
ScHiLLEE 1, 314 ööd.;
der gab dir Pallas aug, der Heres arm,
der Aphroditens reizdurchwirkten gürtel
Geillpaezee (1892) 4, 146 Sauer;
an den gürtel der Aphrodite anknüpfend:
scheidend reicht
eine fürstin der andern
den gürtel der anmuth
SCHILLEE 14, 60 Oöd.; auch 6, 266;
der Schönheit goldner gürtel webet
sich mild (mit der hunst) in seine lebensbahn
ebda 6,273; vgl. 11, 367;
ähnlich: die schönsten reize, die sich in ihrem {der nutur)
gürtel der Schönheit fanden Herder 13, 53 Suph.; vgl. 15,
318. hierher, wohl in anlehnung an jungfräulichen gürtel,
den gürtel des reizes lösen 'Schönheit enthüllen':
neige dich lieblich, göttliche Kyprisl
löse den gürtel jeglichen reizes
deutsches museum (1812) 2, 182;
still hebt der mond sein strahlend angesicht,
die weit zerschmilzt in ruhig grosze massen,
der gürtel ist von jedem reiz gelöst,
und alles schöne zeigt sich mir entblöszt
Schiller 11, 209 Oöd. (d. erwartung);
ähnlich, im sinne von 'nackt':
dem sie zuerst sich ohne gürtel wies
Haobdorn poet. w. (1769) 2, 189; vgl. 3, 86.
s, auch gürtellos.
in völlig abstractem gebrauch steht gürtel im sinne von
'schütz und trutz\ auch 'zier': triuuua sindun sinero lendino
gurdil Isidor il Hench, s. auch gurt la {sp. 1169); der
glaub wirt seyn ein gürtel seiner nieren(Je.«. 11, 5) Luther
15, 808 W.; es werden viel falsche lerer . . . ewern synn
verrücken und das gurtel des glawbens aufflöszen ebda 12,
282; {wir sollen) stehen umbgürtet mit dem gürtel der
warheit F. Dedekind christl. ritter (1590) b 5t>; {nichts
kann) den strengen gürtel seiner nüchternheit lösen
Schiller lO, 446 Göd.;
sein gürtel heiszet milde
SCHENKENDOEF ged. (1815) 4.
vereinzelt in ausgeführtem bilde: der gürtel der bulschaft
hab fünf knöpf: gesiebt, reden, greiffen, küssen, das
werck Keisersberq narrensch. (1520) 128^.
b) der gürtel als symbol der Jungfräulichkeit; schon im
Nibelungenlied: {Kriemhild zu Brunhild)
ja was ez niht min bruoder der dincn meituom gewan . . .
Ich erziugez mit dem gürtel den ich umbe han
daz Ich niht liuge: ja wart Sifrlt diu man
783, 4; 792, 3 Lachm.
den gürtel der Jungfrau und braut lösen im sinne von ent-
jungfern, gr. C*^VT]U IvEiy: (das lösen des gürteis in der
brautnacht war antiker brauch, wie) CatuUus spricht, das
er die gürttel, die lang verbunden ist gewest, auflöset hab
{irrtümliche auslegung der stelle 2, 13 zonam solvit diu ne-
gatam, sc. malum) M. Tatius Alpinus Polyd. Vergilius,
v.d. erfindern (1537) 8";
wenn man die erste nacht der braut den gürtel löst
Lohenstein rosen 118 (reine liebe);
auf den obersten sölIer des hauses schlich das verschämte
mädchen (Ästpoche) zum starken Ares, hier löst er ihr heim-
lich den gürtel
BÜEGEE 201 Bohtz (Ilias 2, 515);
des gürteis kunst war über alles lobenswerth.
und diesen gürtel hab ich liebend aufgelöst
GÖTHE 50, 327 W. (Pandora v. 627).
bildlich: wenn Hymen den gürtel der Jungfrau lösete, trat
die verlobte aus dem dienst der strengen Diana Herder
17, 356 Suph.; du {deutscher Rhein) bist der jungfräuliche
gürtel Deutschlands, den sie nicht lösen sollen mit fre-
velnder hand Gutzkow (1872) 7, 59; s. auch unten und 1.
nhd. bes. in der redewendung den jungfräulichen gürtel
zerreiszen: ist er dem megdlein umb den halsz gefallen,
und ir als bald den jungfräulichen gürtel und das band
der keuscheit zurissen und zustöret Jon. Fuglinus
J. Wier, de praesligiis daemonum (1586) 339^;
. . . nimm meine tochter. doch
zerreiszt du ihr den jungfräulichen gürtel,
bevor der heiigen feyrlichkeiten jede
nach hehrem brauch verwaltet werden kann,
so wird der himmel keinen segensthau
auf dieses bündnis sprengen
Shakespeare (1797) 3, 99 (stürm 4, 1);
auch in anderen Wendungen gleichen sinnes:
da ging es an ein küssen,
er kriegt nicht satt an ihr;
fürwahr ihr güldner gürtel war
zu schaden kommen schier Möeike 1, 40 Göschen;
ach des lebens schönste feier
endigt auch den lebcnsmai,
mit dem gürtel, mit dem Schleier
reiszt der schöne wahn entzwei
SCHILLEE 11, 308 Qöd.;
(sie hat durch Jiäszlichkeit) die freyer abgeschreckt, den krantz
aus noth gespart,
den gürtel trägt sie noch, weil keiner ihn verlanget
GÜNTHEE ged. (1739) 1003;
in Nachahmung der antike:
nun widerstrebe nicht mehr; nimm gürtel und kränz,
und weihe sie der strengen göttin,
an deren ödem altare du dienst
ßAMLEE poet. w. (1800) 1, 8.
gürtel der keuschheit «. ö., .9. Kramer «Z<.-i<. 1, 577*';
schon alt in übertragenem sinn: wenn wir uns gürten mit
1181
iQÜRTEL 7-8
iGÜRTEL 8
1182
der gürtein der käuschait und der rainikait K. v. Megen-
BERO b. d. nal. 59 Pf.; {Thomas v. Aquin) mit dem gürtel
einer ewigen jungfrauschafEt umgeben Abr. a s. Clara
eiw. f. alle 2 (1711) lö7; modern im eigentlichc.i sinn:
den gürtel
der keuschbeit ihr zu lösen, verstattet sie ihm nicht
SCHTJBAET sämil. ged. (1826) 2, 109;
schmeichelnd löst er den gürtel der kcuschheit und liesz sie
entschlummern ('/.vm di nuijdi\'niv ucHi/i)
Voss Odyssee 11, 245;
ähnlich:
den gürtel meiner zucht und tugend (hat niemand) abge-
bunden Geyphiüs gcd. 361 Palm.
c) gürtel als symbol und ausweis eines amts- oder standes-
characters, auch in rechtlichem sinne: wirt en monik oder
ene clostervrowe tu biscop oder tu abbatissen gecoren,
so mögen si dat gurdel irer gewalt . . . hebben van deme
rike Sachsenspiegel (1861) 1, 26 Homeyer; [der kaiser)
schenkte ihm gürtel und ring und belehnte ihn mit vielen
gütern vom reich Grimm dt. sagen (1891) 2, 170. bes. seit
dem 15. jh. als symbol ritterlichen Standes: alda komen die
Behem und die Hungern zu ime, in willen die statt Rom,
die kaiserlichen bekrönung . . . ze schawen und die gürtel
der ritterschaft ze verdienen G. Alt buch d. cronicken
(1493) 247"'; (er erteilte) die ritterwürde, indem er ihm ein
purpurnes kleid gab und einen gürtel umschnürte
v. Haller Alfred, kön. d. Angels. (1773) 84; ritterlich
als attribut: {er fragte ihn) wo er mit dem ritterlichen
gürtel angeleit were Seb. Münster cosmogr. (1550) 151;
kein Saracenen mit dem ritterlichen gürtel . . . umbgürten
noch edel machen N. Falckner Nie. Oilles, frantzös.
chron. (1572) l, 313; in den deutschen Städten (wird) noch
kein handwerker des ritterlichen gürteis gewürdigt
NiTZSCii dl. Studien (1879) 176; vgl. noch: da liez her sich
zcu ritter seynen . . . mit vel andern ediln jungelingen,
dy her alle begabete mit ritters gorteln, pferdin, bunten
rogken und ritters geczüge Schoettgen-Kreyszig dipl.
et Script, hist. Germ. 1 (1753) 91; rittergürtel Stainhöwel
Bocaccio, de claris mulieribus 76 lit. ver.
7) auszerhalb des bereiches der menschlichen taille in
sonderanweiidungen und Übertragungen; soviel wie knie-
gürtel :
(eine perücke soll) das Ingenium und poetenkästchen decken,
goldne gürtel, seidne strumpfe ziebren das gelehrte bein
Hoffmannswaldau u. ariderer ged. (1697) 7, 233 Neukireh.
— am Pferdegeschirr für gewöhnliches gurt (3): man mag
auch dem pferd für die strenge sail durch den hals stossen
ob der gürtel, und sol ain sail von dem andern stan dreyer
vinger weitt Myksinger v. d.falken, pferden 73 lit. ver.;
vgl. cingula ain pfertgirtel Diefenbäch gl. 120*; auch cin-
gulum eyn perdesz ader eyns andern diers gortel 120^;
antela 'brustriemen an einem satteT gürtel S7^; für 'fürbug
und hinderbug^ Hektisch 1784; s. auch rhein. wb. 2, 1502.
— freier, aber immer unter festhaÜung der eigentlichen
bedeutung 'womit gegürtet, gebunden wird'': der gürtel {mit
dem sich die fenchelraupe vor der verpuppung festheftet) be-
steht . . . aus vielen, aber dickern und stärkern fäden
zwischen dem fünften und sechsten ringel Oken natur-
gesch. (1839) 5,1110; {Schlüsselbein u. Schulterblatt, ferner
das hüftbein bilden je) einen gürtel, welcher die vorderen
und hinteren extremitäten an den rümpf heftet Sömme-
BING bau d. menschl. körp. (1839) 2, 223; weiterhin 5, 272;
6, 859; wann man einen bäum mit eynem bleien gürtel
umbgürtet, so laszt er die frucht nicht fallen M. Herr
feldbau (1551) 137»; auch Sebiz (1580) 375; an der kanone:
die ganze carthaun . . . zehen schuhe . . ., der gürtel stehet
f ünffthalben schuh von dem mundt Wallhausen kriegs-
inanual (1616) 110; undeutlich: 4 scheibkrappen {spann-
haken für armbrustwinden) mit 4 gürtel Zingerle inven-
tare 122» u. ö.
8) im sinne von 'zone! ; die eigentliche bedeutung 'das,
womit man gürtet^ geht völlig verloren zugunsten der neuen
rein örtlichen bed.
a) geographisch und allgemeiner topographisch; am älte-
sten von den um den globus herum vorgestellten streifen.
anknüpfend an griech. C(öyrj: gürtel des erdbodens, streifen
auf unserer erdkugel, welche durch die besondere läge
gegen die . . . Sonnenbahn . . . von einander unterschieden
werden onomatologia c«rio5a(l704) 809; schon bei K.v.Me-
genberg als Übersetzung von zona: die zwu gürtein, die
umbslozzen werden von dem pernkraizze {circulu^ arcticus)
und von dem widerpernkraizz . . ., die sint unwonhaft
durch der grozzen kelden kraft sphaera 25 Matthäi; dich-
terisch:
ihr sollet die gürtel der erde
wieder mit Völkern ergänzen
BODMEK Noah (1752) 288 (9, 660);
mit besonderen beiwörtern: {die sonne ist beschwerlich)
denen nahe an dem mittelsten gürtel der erdkugel liegen-
den Südländern Lohenstein Armin. 2, 169»; wie viel
landes in der verbrennten gürtel oder zona torrida lige
Kepler 5, 519 Frisch; dasz unter dem heiszen gürtel der
weit alles brennen müszte Gottsched anm. gdehrsamk.
9, 651 ; die Wohnorte aller genannten Völker . . . fallen . . .
in die subtropischen gürtel 0. Peschel völkerkde (1874)
105; dichterisch: der engel und Noah . . . wandten ihren
schlüpfenden gang in die nördlichen gürtel \Vieland I 3,
346 ak. — vom himmel: (der ebennehter, aequinoctialis)
haizt auch dez obersten waltzhimels gürtel {cingulus primi
motus), dar umb daz er dez selben himels lauf ze mittelst
umbgreift K. v. Megenberg sphaera 16 Matthäi; mehr
bildlich :
der sonnenwagen hatte dreyzehnmahl
den gürtel des zodiakus durchrannt
JOH. NiK. GÖTZ vermischte ged. (1785) 1, 84.
in junger zeit von erdgebieten gleichartigen Charakters, in
flächiger Vorstellung: derselbe fette, schwarze, überaus
fruchtbare boden . . . charakterisiert den ganzen gürtel
der KoUa {tiefland, von wald umschlossen) Ritter erdk.
(1822) 1, 245; {in dem) gürtel der gebirgsgrasarten Dahl-
MANN gesch. v. Dänemark 2, 80; den breiten gürtel der
deutschen mittelgebirge vom Rhein bis zum Riesen-
gebirge Wimmer gesch. d. dt. bodens (1905) 6. politisch-
geographisch: {die behauptung) dasz ein 500 quadratmeilen
enthaltender gürtel dem greuel der russischen krieg-
führung {gegen die polnischen Insurgenten) preisgegeben
wäre BiSMARCK polit. reden 2, 128 Kohl. — in stärkerer
aimäherung an die eigentliche bedeutung des wortes 'ring-
förmig um einen mittelpunkt herum, gelegenes, sich im bogen
erstreckendes gebiet'; besonders von stadt- und speciell von
fe-stungsanlagen: das sogenannte suburbano, der durch-
schnittlich eine meile breite gürtel von villen und vignen
Moltke (1892) 1, 184; der gürtel von 10 hauptwerken
sollte . . . beide Rheinufer umfassen v. Alten hdb. f. heer
u. flotte (1909) 2, 49; bei der anordnung des weit ins Vor-
feld vorgeschobnen gürteis einer gröszeren f estung ebda 4,
480. anders: wäre auch irgend ein staat im stände . . .
wie Frankreich seine grenze mit einem dreifachen gürtel
zu umschlieszen Fb. Meinecke v. Boyen 2, 152. — in leb-
hafter Schilderung 'teil der landschaft, der sich um den be-
schauer mehr oder weniger kreisförmig erstreckt': als blau-
goldner gürtel schlingt sich das . . . meer um den zauber
Scheffel (1907) l, lll; {es) lag ein ganzer gürtel von
pallästen um die schwarze bucht geschlungen Stifter
(1901) 3, 70; der Vesuv mit dem grünen gürtel von Wein-
bergen Gaudy (1844) 14, 67; bes. von gebirgen: die jen-
seitige grenze der ebene, den kleinen Atlas, sieht man,
einen blauen gürtel, herumreichen weithin nach süden
Laube (1875) 5, 281; einen purpurrothen gürtel bildete die
alpenrose der Cordilleren Humboldt kosmos (1845) 1, 13.
vgl. gürten 7 b. auf gröszere erdräume übertragen:
mit seinem gürtel hält der ocean,
mit ihrer Wölbung uns die luft umfangen
Hagemeistkr bei Fe. L. Jahn werke (1884) 1, 152.
b) i?i anderen bereichen 'sich sichtbar abhebender, etwas
umschlieszender streifen'; vereinzelt schon, etwa im sinne
von 'kränz': {den pflanzen) ein gortel mit miste {geben)
Petrus de Crescentiis, v. ackerbau (1531) 1091»; sonst jung,
immer in mehr oder weniger technischer spräche: ein edel-
gestein, welcher . . . viel ädern hat, die mit milchfarbenen
1183
2GÜRTEL - GÜRTELBAND
GÜRTELBESCHLAG - GÜRTELHOCH 1 184
zirckeln oder gürtein um ihn herum gehen haush.-lex.
(1749) 2, 481^; {die männchen des flughuhns) sind durch
schwarze oder weisze gürtel . . . von den weibchen ver-
schieden Naumann naturgesch. d. vögel (1822) 6, 256; in der
heraldik soviel ivie 'quer über den schild laufender balken'
QüERFüRTH 57; Schumacher wapenkunst (1094) C2. in
der architcctur, vgl. auch gurt 2, für das griech. Coh'r] 'fries^
Vitruv, de archit, (1800) anh. 72 Rode; mehr bildlich: die
auf merksamkeit mehr auf den äuszeren y.öafAos der tempel,
den gürtel der metopenbilder {gerichtet) Welcker alte
denkmäler (1849) l, 174; anders: 'trennungsglied zwischen
dem säulenhals und -schaff, griech. hypotrachelion Meyer
konv.-lex.^ 5, 668*" ; {die Sitzreihen des theaters sind durch
zwei) absatzstufen (praecinctiones, ö'ueCoj/jarcc) in drei
gürtel zerschnitten W. v. Humboldt aufsätze 70 dld. —
einfach 'streifen' , ohne die Vorstellung des ringes: in einem
lichten gürtel des himmels, den zwei lange wolkenbänder
zwischen sich lieszen Stifter (1901) 1, 14; man entdeckte
breite dunkle gürtel auf dem stillen meere H. Steffens
was ich erlebte (1841) 3, 14; buschige gehänge . . . von steil-
wandigen gürtein durchzogen H. v. Barth nördl. Kalk-
alpen (1874) 435. anthropomorphisierend, im sinne von
'gürtelgegend' {s. 5) : {ei7ie bergwand,) ihr gürtel und ihr f usz
belaubt fürst Pückler briefw. 8, 282.
^GÜRTEL, m., meist pl., taue zum segeleinholen, um-
gestaltet aus dem gleichbedeutenden nd. und seemännischen
gordings, 5. Kluge seemannsspr. S23: gürteis, gordings
qu. a. d. j. 1735 bei Kluge ebda; gürtel Chomel 4, 1421;
Campe 2, 482.
^GÜRTEL, m., 'beifusz\ seltener 'bärlapp' , volksetymo-
logisch umgestaltet aus gertel, s. teil i, 3745 u. ahd. gl. 3, 547
(a. d. 14. Jh.), weil kränze aus beifusz zu Johanni umgelegt
werden, s. Staub-Tobler 2, 446; Grimm mythol.* 2, 1013;
lex. d. aberglaub. 1, 1004; wenn ihr nun das kraut arte-
misia, Johannisgürtel genannt, findet und kleine gürtel
daraus flechtet, sollt ihr sprechen . . . Gl. Brentano (1852)
4, 115; 'bärlapp': disz gürtel- oder seylkraut . . . die jung-
frawen machen krentz und gürtel daraus Bock kräuter-
buch (1539) 1, 164''; daher auch in der botanik nur im com-
pos. johannisgürtel (s. teil 4, 2, 2334): artemisia sanct
Johannskraut oder gürtel Diefenbach gl. 530*'; beyfusz,
S.Johannes gürtel Bas. Faber <Ae«. (1587) 83'>; desz-
gleichen musz ihn auch für Verzauberung dienen das kraut
artemisia, das ist beifusz oder s. Johannes gürtel J. Prä-
TORius blocksberg (1668) 113; 'bärlapp": st. Johannisgürtel
Marperger Ä;aM/TO.-TOasr. (1708) 571; Pritzel- Jessen 226;
als gürtel wohl erst in bewusztem spiel: das kriechendt
mosicht grün gürtelkraut ist druckener qualitet, . . .
dieser gürtel in wein gesotten und davon gedruneken
Bock kräuterb. (1539) l, 164''. — vgl. auch gürtelkraut.
GÜRTELARTIG, adj., wie ein gürtel etwas umgebend,
ringförmig: (die eier sind mit) grauen fäden, oft gürtel-
artig in der mitte des eies, umsponnen Brehm tierl. 4,
349 P.-L.; streifenförmig: {steilstufen) durchstreichen dies
gehänge gürtelartig H. v. Barth nördl. Kalkalp. (1874)
506. — gürtelbahn,/., bahnlinie, die eine stadt oder ein
bestimmtes gebiet umfährt: 'chemin de fer de ceinture'
Hoyer-Kreuter techn. wb. 1, 319; {die) eisenbahnen,
welche durch die Pariser gürtelbahn in Verbindung stehen
besitzen . . . 16 000 güterwagen Bismarck in briefw.
V. Gerlach-0. V. B. 2^9; {fahrende panzerbatterien werden)
auf gürtelbahnen, walleisenbahnen, strandeisenbahnen
verwendet Mothes ill. baulex. 1, 278.
GÜRTELBAND, n., ein leichtes band, als gürtel ge-
tragen: über dem falben streif von gürtelhand Gleim br.
1, 242 Körte; es gab unendliche dispute ... ob das gürtel-
band frei flatternde enden haben sollte oder nicht G. Her-
mann J. Oebert (1907) 418; schlechthin für gürtel, bes. in
ältrer zeit:
und an dem gurtilbande
truc he manchirhande
PFAKKER zu DEM HECHTE schachbuch in zschr. f. d. alt. 17, 309;
gurtcUband, leder und schüch C. Hedio chron. germ.{l^ZQ)
c 4"'; als m.: um den leib tragen sie{Japaner) einen gürtel-
band, welcher von allerhand gefärbter seide als ein fischer-
netz gestrickt J. Andersen 88 bei Olearius reisebeschr.
(1696); uneigentlich:
er faszte sie um ihr gürtelband
. und schwang sie wol hin und her
Mittler dt. Volkslieder (1865) 253.
ütr., von den ringförmigen streifen eines feiles Brehm tierl.
1, 510 P.-L.
GÜRTELBESCHLAG, m., metallbeschlag auf gürtein:
zu wehrgehencken, gürtelbeschlägen . . . mögen sie von
dem besten geätzten eisen . . . tragen sächs. policei- u.
kleiderordn. (1612) 32; die gewandnadel . . . war samt den
gürtelbeschlägen {in der bronzezeit) ein kostbarer schmuck
Weinhold dt.frau (1897) 2, 212. — gürtelborte, m.,
borte, zum gürtel verwendet, mhd., z. b.:
die gürtelborten wol besiagen
von Silber, golt vant man da
der Salden hört v. 6990 Adrian.
— gürtelchen, ;;., demin. zu gürtel, als gürtlichen bei
Steinbach (1734) l, 653:
wer hat mein gürtelchen gelöset?
Cl. Brentano (1852) 1, 375.
— gürtelechse, /. Brehm tierl. 1,^8 P.-L. — gürtel-
eidechse, /. Oken naturgesch. (1839) 6, 617. — gürte-
lejn, n., s. gürtlein. — gürtelf estung,/., 'ein mit einem
gürtel weit vorgeschobener selbständiger werke befestigter
platz' V. Alten hdb. f. heer u. flotte 4, 501; 3, 702: Nowo
Georgiewsk wird vielleicht die letzte gürtelfestung ge-
wesen sein, die nach einer einschlieszung genommen
wurde Ludendorff kriegserinn. (1919) 121. — gürtel -
flechte,/.,/Mrgürtelrose(a. d.) Meyer Ä;o?»'.-Zea;.' 6, 068*'.
GÜRTELFÖRMIG, adj., wie ein gürtel um etwas
herumgehend, ringförmig: {runder hohlspiegel) gantz, oder
zergäntzt und gürtelförmig geschnitten E. FRANCisciZjtsi-
haus (1670) 695; die gürtelförmigen knochen {rippen,
beckenknochen) Sömmering menschl. körp. (1839) 2, 242;
7, 120; {das) absatzweise den berg gürtelförmig um-
spannende gewölke L. Laistner nebelsagen (1879) 48;
bandähnlich, streifenförmig : der körper des venusgürtels
{quölle) verlängert sich nach zwei selten bandartig und
das ganze gürtelförmige gebilde ist eine wahre augen-
weide Brehm tierl. 10, 547 P.-L.; die grasreicheren stellen
. . . nicht selten durch gürtelförmige mauerabsiltze völlig
unterbrochen H. v. Barth nördl. Kalkalp. 556.
GÜRTELGESCHMEIDE, n.,5rMHeZscÄmMc7j.- ain gürtel-
geschmeid (1563 als meisterstück der goldschmiede) Frankf.
zunfturk. 1, 247; als fem.: ein versilberte gürtelgeschmeid
J. J. Gbasser Schatzkammer (1610) 30; bildlich: {die wellen)
die an den Strand eilen, ihm ihre weiszen Schaumkronen
als ein schimmerndes gürtelgeschmeide zum geschenk
zubringen Gust. Falke d, stadt m. d. gold. türm. 285.
GÜRTELGEWAND, n., obergewand mit zugehörigem
gürtel für den dolch u. s. w.:
ze sines bettes houpte suocht er sin gürtelgwant
Wolfdietrich A 89 Amelung {str. 75);
ich pin ain dörper Schoppinswang . . .
ich trag heur nun mein erstes schwerd
und han ain neues gürtlgewant
fastnachtsp. 400 Keller;
in rechtssatzungen häufig: {ein wirt) sol eim pawTnclmecht
nicht mer parigen {borgen) wann sein guertelgewant, swert
und sparn wert ist (15. jh.) urbar Nikolsburg 256 Bretholz;
als nachlaszstück: {dem waibel gebührt, wenn ein männl.
erbe fehlt) guertellgewand, däschen, hossen, kappen,
schuech . . . {ebenso, wenn eine frau ohne tochter stirbt)
gürttelgewand, düicher, hendscbüch weist. 1, 240; als
bloszer name einer abgäbe: {von jeder) mit leib zugethanen
mans oder frawen persohn ... so sich alda verhewrathet,
wirdt zu brautlauff oder gürttelgewandt ein salzscheiben
eingezogen bei Fischer schwäb. 3, 934.
GÜRTELHOCH, adj., adv., in hüfthöhe, vgl. gürtel 5:
dieses etwa gürtelhoch in der luf t dahinfahrende fuhrwerk
{des wilden gejaids) Grässe jägerbrevier (1869) 2, 237. von
einem bestimmten masz im oldenburgischen: 'eine höhe von
3 ftisz oder IY2 eilen' Benzler deichbaulex. (1792) l, 183. —
1 185 GÜRTELHÖHE - GÜRTELMAGD
GÜRTELMAUS - GÜRTELSCHMUCK 1 1 86
gürtelhöhe, /.; die hände in gürtelhöhe vor dem leib
übereinandergelegt P. Alverdes pfeif erstube (1929) 02. —
gürtelkette,/., 'schlüsselkette, welche ehemals die frauen-
zimmer um den leib trugen'' Jacobsson 2, 174''; 'kostbarer,
kettenähnlicher gürtet' Staüb-Tobler 3, 506: die kleider
rauschten, die gürtelketten und degen klirrten E. v. Han-
del-Mazzetti Jesse u. Maria (1909) 84;
sie trat in gürtelketten
so stolz einher G. Keller (1889) 10, 82.
— gürtelkind, n., voreheliches kind, s. v. mantelkind
Meyer ^ortv.-Zex.' 13, 249''. — gürtelklau, /.,/ür gürtel-
kraut (s. rf.)NEMNiCH 216; C. A. Fechner t?oiÄ:5<. pflanzen-
warn. (1871) 4. — gürtelknopf, m., gürtelverzierung als
Vorarbeit zum meisterstück der goldarbeiter: {jeder soll) einen
wolgeniachten gürtelknopff zu verferttigen . . . gehalten
sein (1695) Frankfurier zunfturk. 1, 251; ein mönchsstrick
mit knoten Frisch dt.-lat. 1, 384''; daher als Spitzname:
bischoff gürtelknopff, so den nammen von der knodrichten
barfüssergürtel hatte Stumpf Schweizerchron. (1606) 705»;
gemeiniglich bischof knoderer oder gürtelknopf genennet,
von dem knottichten seil, wormit er sich als ein francis-
caner zu gürten pflegte Rheinstrom (1685) l, 563.
GÜRTELKRAUT, n., zu »gürtel. l) beifusz: Johannis-
tag gürtet man sich mit beifusz und wirft ihn unter
Sprüchen und reimen ins feuer. daher die namen johannis-
gürtel, Sonnenwendgürtel, gürtelkraut J. Grimm myth.
(1876) 2, 1013; arlemisia gurtelkraut Diefenbach nov. gl.
35; girtelkraut artemisia abrotanum Schmeller-Fr. 1,943;
Fischer schwäb. 3, 935. 2) bärlapp: soldana berlapp,
giirtel- oder seylkraut Diefenbach gl. 540''; beerlap,
gurtelkraut . . . die jungfrawen machen krentz und gürtel
darausz muscus marinus Bock kreutterb. (1539) l, 164*';
muscus terrestris, clavatus, lycopodium beerlapp, gürtel-
kraut {cingularia . . . kräntz und gürtel draus) Pancovius
herb. (1673) 266; bärlapp ... st. Johannis gürtelkraut
Chomel 4, 1422; gürtelchrut, gem. bärlapp Staub-Tobler
3, 893. hierzu: gürtelkrautsamen, m., als hausmittd
Krünitz 20, 56.
GÜRTELKUGEL,/., sphaera armillaris Stieler 907;
gewehrkugel mit gürtelförmiger Verstärkung v. Alten 4,
501. — gürtellinie, /., Knie in hüfthöhe: reiterinnen in
kurzen roten Jacken, die mit der gürtellinie abschnitten
K. H. Strobl Bismarck 92; bei festu>igen Mothes baulex.
2, 71; Hoyer-Kreüter techn. wb. l, 319.
GÜRTELLOS, ad], in eigentlichem sinne 'ohne befesti-
genden gürteV; antikisch vom tanz, vgl. solutis Gratiae zonis
Horaz, carm. I 30, 5:
ja, tanzte schon im schatten junger meien
mit ihren grazien Cythere gürtellos
J. C. Blum idyllen (1773) 71;
auch sonst: während sie ein tuch über ihr lockeres gürtel-
loses nachtgewand schlug Fb. v. Heyden br. e. flüchtlings
(1838) 4, 210; im sinne von 'ärmlich, nachlässig gekleidet':
denn Deutschland war alsdann durch krieg recht gürtellos
und gieng erbärmelich an vielen gliedern blosz
Opel-COHN dreiszigjähr. krieg 284.
uneigentlich 'nackV, vgl. gürtel 6:
o liebe! liebe! wehend umsäuselten
da deines odems hauche mit wärmeduft
der neuvermählten gürtellosen
schoosz GKAFEN ZU Stolberg (1820) 2, 30;
bildlich, etwa im sinne von 'ungebunden':
die wilde lüsternheit
und gürtelloser scherz stehn neben Ihr gereiht
Wieland l, 46 akad.
GÜRTELMACHER, m., häufig für gürtler (s. d.) Die-
fenbach gl. 120a; 635C; Frisius dict. (1556) 1425; Chomd
4, 1422; Krünitz 20, 322; vortviegend nd.:
beide peltzer ind smede
ind gurdelmelcher damede (waren dabei)
dt. städtechron. 12 {Köln) 250.
— gürtelmagd,/., kammer Jungfer:
ein jungfraw wol bedagt
und auch ein gürtelmagt,
die gingen beid mit ir
iiEiSTER Altswert 218 HoUand-Eeller;
IV. 1. 6.
aie solle gemach und kammer unserer seligen mutter für
gräfin Oda und ihre gürtelmagd rüsten J. Wolff raubgraf
(1886) 78; Elsbeth, die alte gürtelmagd der gestorbenen
freiherrin J. Gotthelf(1855) 15, 149. — gürtelmaus,/.,
chlamydophorus truncaius Brehm 2, 679 P.-L. — gürtel -
messer, n., das im gürtel getragne messer: {er machte)
einen zuckenden griff an sein gürtelmesser Rosegger III
10, 190; so schon, mit der nd.form -mest: {sie nahmen ihm)
swerd, taschen, gordelmest dt. städtechron. 6, 151. —
gürtelmoos,n.,^/eicAgürtelkraut 2,2.6. Krünitz 20, 321.
GÜRTELN, vb., denominativ zu gürtel. 1) 'gürten', zu-
frühest im mnd. : dat gordel . . . dar se mede gordelt was
bei Schiller-Lübben 2, 133''; weitere belege ebda; dann
auch nhd. öfter: {mit) breiten gürtlen über den rock ge-
gürtelt M. Sebiz de partu caesario (1583) 29 »; in gestalt
eins mönchs mit einer gegürtelten gürtel Paracelsus
(1616) 1, 250 Huser;
Cupido gürtelt sich und ffigt sich auch dabei
Z. LüNDiüS dt. ged. (1636) 18;
{in) zwiefach gegürtelte alben gekleidet G. Regis Rabelais
(1832) 1, 733; ihre weiten mäntel schlotterten und wehten,
denn sie hatten sie nicht gegürtelt P. Alverdes Reinhold
(1931) 82. — 2) fachsprachlich, s. Sanders l, 641 c, mit der
bedeutung 'die rinde eines baumes gürtelförmig abschälen':
{meine versuche) des von alters her sogenannten ringelns,
alias gürtelns Ratzeburo waldverderbnis (1866) 2, 106. —
3) als 'durchprügeln' im Elsasz, s. gürten C: gürtle Martin-
Lienhart 1, 234''.
GÜRTELPANZER, m., beim gürteltier: ähnlich dem
gürtelpanzer des armadills Immermann 18, 200 Boxb. bei
Panzerschiffen 'der streifen der panzerung, der den gefähr-
detsten teil des schiff es schützt' v. Alten 4, 501 : die deut-
schen panzerkanonenboote der wespeklasse haben gürtel-
panzer Lueger 5, 713. — gürtelpfennig, m., abgäbe von
leibeignen, s. schürzenzins, bettmund.
GÜRTELREGION, /., bei bergen die mittleren lagen
zwischen fusz und gipfel, vgl. gürtel 8 : wie ein mächtiges
seebecken erschien das . . . hochauf zur gürtelregion der
berge erfüllte thal J. Nordmann meine sonntage 303. —
gürtelriemen, m., der lederriemen, den man als gürtel
trägt: gordelryeme Diefenbach gl. 350«=; gurtelriem
Krämer c?<.-i<. (I70ü) 2, 355^; skapuliere, gürtelriemen,
bilder . . . die lockspeisen, womit die . . . abergläubischen
leute angelockt werden Nicolai reise 5, 81. — gürtel-
ring, m., fibula schöner gurtelring 'schnalle' Brack voc.
rer. (1512) 17''; gürtelspange, -schnalle, -ring buckle or
ring of a girdle Ludwig dt.-engl. (1716) 822; {eine flasche
hing) ihr am gürtelring {haken?) Platen 1, 49 Redlich,
ebenso: gürtelrinke, m.: gürtelrincken fibbia della cin-
tura Kramer dl.-it. (1700) 1, 577''. — gürtelrose, /.,
krankheit, bei der unter fieber ein streifen starker rötung den
rümpf zu einem teil umgibt, herpes zoster Höfleb krankh.
519'»: urplötzlich brach die gürtelrose bei mir aus E. Cur-
Tius lebensbild in br. 667 Fr. Curtius; die gürtelrose, an
welcher ich krank war, . . . kennzeichnete den fehlbetrag
in dem damaligen zustande meiner gesundheit Bismarck
ged. u. erinn. 2, 224. auch gürtelflechte genannt {s. d.).
GÜRTELSCHLOSZ, n., schlosz des gürteis: seine band
war . . . schon kunstreich genug, das gürtelschlosz zu
fassen für madonna Porcia Stier hesper. blätter 9;
{sie hakte los) die verbundnen adler,
die ihr der earl geschenkt: ihr gürtelschlosz
Freiligrath (1870) 5, 198;
im Volkslied:
er nahm schöns Annelein beim gürtelschlosz,
er Schwungs wol hinder ihn auf sein rosz
bibl. ä. schriftw. d. Schweiz I 4, 114.
— gürtelschmuck, m..'die originellen köpf- und gürtel-
schmucke {in Daghestan) Ratzel völkerkde (1885) 3, 727;
seht! wie wir {Nereiden) im hochentzücken
uns mit goldenen ketten schmücken,
auch zu krön und edelsteinen
spang und gürtelschmuck vereinen
GÖTHE 15, 157 W. (Faust II, v. 8058).
75
1187 GÜRTELSCHNALLE - GÜRTELTIER
GÜRTELWIRKER - GÜRTEN A i -2 1188
— gürtelschnalle, /.;
er liesz ihr auch machen eine gürtelschnalle,
damit stolzirt sie über berg und thale
Mittler Volkslieder (1865) 248;
ein guter maier musz mehr verstehen als . . . eine gürtel-
schnalle gut nachzumalen H. Gbimm Michelangelo (1890)
2, 296. — gixTtelschnuT , f., schnür aus harif, seideu.a.w.,
als gilrlel getragen: gurtelschnur zona Diefenbach gl.
esB'^; schon mhd.: {wer quecksilber) seudet mit paumöl und
ain gürtelsnuor darein daucht K. v. Megenberg b. d. nat.
305 Pf.; bes. vom mönchsstrick: diese kleine stricke oder
gurtelschnur derjenigen, die st. Franciscus trug ... so
gar nicht gleichen G. d'Emilliane merkw. beschr. (1693)
496; die braune kutte, von der weiszen gurtelschnur fest-
gehalten Gutzkow zaub. v. Rom (1858) 2, 190; anders: sie
tragen nur eine gurtelschnur in gestalt eines baumwoll-
fadens v. d. Steinen naturvölk. Zentralbrasil. (1894) 191.
— gürtelshawl, m., schärpenartiger gürtd bes. der Orien-
talen: im gürtelshawl dürfen nie die silber beschlagenen
pistolen fehlen C. v. Hailbronner morgenland 2, 424;
die linke, zugekniffen,
hält starr den gürtelshawl
FREILIGRATH (1870) 1, 50.
— gürtelspange, /., gürtelschnalle: bulla Diefenbach
nov.gl. 62^; Stieler 2071;
der mutier bild, umringt von edlen steinen,
in gürtelspangen künstlich eingefügt
Grillparzer (1892) 8, 152.
— gürtelstätte,/., änhd. für gürtel (s. 5) im sinne von
^gürtelgegend\' (der weg war) so gesenckt, dasz das ufer
des ackers einem bisz zur gürtelstett reichete G. Klee
berümter leule leben (1589) 1, 354;
und spaltet brüst und bauch bisz auf die gürtelstette
D. V. D. Werder ras. Roland 23. ges., str. 167;
bisz an die gürtelstette gantz nacket Joach. Cäsar j. Har-
nisch (1648) 48; kurtze bis zur gürtelstette hangende
mäntel J. A. v. Mandelslo 113; auch 77 bei Olearius
verm. reisebeschr. (1696); (ein Meid) so von der gürtelstätte
bisz hinunter gehet Männling exoiicus curios. (1717) 400;
vgl. ilia die weiche des bauchs, gürtelstatt Orsäus nom.
(1623) 58. — gürtelstellung,/., bei festungen: während
die truppen den gegner . . . belästigen, werden in der
gürtelstellung alle beschädigungen . . . ausgebessert
V. Alten 2, 74; auch 4, 480.
GÜRTELTASCHE,/., am gürtel befestigte tasche Mül-
ler-Mothes 1, 497*': er zog aus seiner ledernen gürtel-
tasche sogleich eins der pulver H. Laube (1875) 15, 459;
sie entnahm ihrer gürteltasche eine kleine mappe
v. Ebneb-Eschenbach(1893) 4, 238. — gür tel taube,/.,
turtur, turteltaube, vielleicht aus diesem volkstümlich ent-
stellt, vgl. jedoch eis. kränzletube Mabtin-Lienhart 2, 644;
vereinzelt in einem md. vocabular: turtur gurteltawb (1429)
bei Diefenbach gl.^üZ^; häufig im bair.: tuben und
gürteltuben und spatzen Berth. v. Regensburg 2, 248
Pf. neben turteltauben la. u. 249; turtur turteltaub gurtel-
taub AvENTiN 1, 389; auch 392; s. auch Schmelleb-Fr. i,
944; Lexer nachtr. 224. hierzu das deminutiv: gürtel-
täublein, n.:
beleib stet an deinem pulen gut
als das gürtelteublein tut
klopfan (15. jh.) in Weimar, jahrb. 2, 107; auch 106.
— gürteltief, adj., bis an die hüften reichend: denn ich
zimlich weit gehen muste, ehe ich das wasser gürteltieff
gefunden J. G. Harant christl. Ulysses (1689) 628; unten
im dorfe flössen die wogen zu einem bache ab, der . . .
gürteltief war Immermann 7, 213 Boxb.
GÜRTELTIER, n., nach den gürtelförmigen streifen sei-
nes Schuppenpanzers benannt, dasypus Brehm 2, 667 P.-L.:
von drei arten . . . gürteltieren, werden zwei arten nicht
{als eszbar) gelobt v. d. Steinen naturvölk. Zentralbras.
(1894) 36; {f eider mit dornstrauch) umgeben, der gürtel-
tiere, wilde schweine . . . abhält E. v. Hesse-W artegg
zw. Anden u. Amaz.^ 479; auch auszerhalb von reise-
beschr eibungen häufiger:
ein Stachelschwein ersah ein gürtel tier
Peeffkl poet. versuche (1812) 9, 26;
bildlich: doppelsinniger spasz und nörgelnder spott regen
das dickfellige gürteltier — nur zur naseweisheit F. L.
Jahn (1884) 1, 232. — gürtelwirker, m.: {in den Steuer-
registern um 1403) gürtelwirker, Schleyerwirker und der-
gleichen professionen P. v. Stetten kunslgesch. v. Augsb.
(1779) 1, 214; vgl. Heyne altdt. handw. 154.
GURTEN, vb., denominativ zu ^gurt 4. l) 'mit gurten
versehen^ als fachausdruck bei der Herstellung von matratzen
s. Staub-Tobler 2, 445. 2) anders im zimmerluindwerk,
vielleicht entsprechend dem sich überschneiden der gurte in
Polsterungen: 'überschneiden zweier höher, überblatten' ,
s. MoTHES baulex. (1882) 2, 546; LuEGER Ux. d. ges. techn.
(1894) 5, 23. als denominativ {zu ^gurt 3) wird meist auch
nicht umgelautetes gurten beim reitsattel empfunden, s. unter
gürten A 6 und B c.
GÜRTEN, gurten, vb., als yverb gleich dem subst. gürtel
tiefstufig, zum starken vcrb got. bigairdan 'vc^ii^waaa&ai'
gehörig; idg. tvurzel gherdh 'fischten, winden', 'umfassen,
umzäunen, umgürten\ s. Walde- Pokobny 1, 608. auszer-
deutsch entsprechen aisl. gyrda, ags. gyrdan, afries. gerda,
mndl. gorden.
A. mit einem gürtel umgeben, begürten, gürten mit äusze-
rem object.
1) als gewöhnliche Verrichtung beim ankleiden, besonders
in früheren Jahrhunderten tvichtig; biblisch lat. cingere,
accingere u. ähnl. übersetzend: mittiu thu iungiro uuari,
bigurtos thih . . . mittiu thu altes, thenis thino henti, inti
ander thih gurtit Tatian 238 Sievers {Joh. 21, 18); Luther
dafür: da du jünger wärest, gürtest d\i dich selbs . . .
wenn du aber alt wirst, wirstu deine bände ausstrecken,
und ein ander wird dich gürten; /er reer; umb ewr lenden
solt jr gegürtet sein 2. Mos. 12, 11 u. ö.; in allgemeinem
gebrauch: hübsche jungfrowen spulgent (pflegen) sich ze
gArten mit zwain giirtlen st. Georgener prediger 46 Bieder;
(die reichen Florentiner) gürteten sich mit ledernem gürtel
Raumer gesch. d. Hohenstaufen (1823) 6, 565; mit örtlicher
prüpositionalbestimmung in einem humorvollen ausdruck
der mittelalterlichen rechtssprache: (wer) sich gürtet zwü-
schent zwene harte (erwachsen is<) (1341) weist. 1, 366; auch
3, 521; vgl. Staub-Tobler 2, 446; Germania 29, 25. im
Sprichwort: ein jeder gürte sich, so schlodert ihm nicht
Lehman fiorileg. polit. (1662) 3, 84; wer sich selbst gürtet,
dem drückt es nicht Stieleb 715. besonders um sich zum
kriege zu rüsten, eigentlich sich mit dem an besonderem gurt
hängenden schwert versehen (vgl. auch 4 u. B b):
{segen Jacobs für Gad)
vil wol dir daz swert stat,
gegurter du vehtest,
diu liut du beschirmist genesis 112 Diemer;
nicht vrewe er sich gewapent, gegurt gleicherweise sam
entwapent und entgurt Wenzelbibel (l. kön. 20, 11) bei
Jelinek mhd. wb. 337; vgl. wappen antun, gurten accin-
gere (1432) Diefenbach nov.gloss. b^; auch gloss. 7; in
neuerer literatur häufig: (Götz) gürtet sich und sitzt auf
ohne hämisch Göthe 8, 155 W.; durch instrumentales ob-
ject verdeutlicht: gürte dich mit deinem Schwerte Klingeb
(1809) 1, 26; vereinzelt von der schwertleite:
daz he zcu rittir wirt gegurt
PFARRER zu D. HECHTE schachb. in, zschr. f. d. alt. 17, 220.
2) auszer der bis ins 7ihd. geläufigen form jemanden
gürten kommen besonders in alter zeit andere constructionen
vor. jemandem gürten ihm den gürtel anlegen, s. auch u. 5:
unz thu jung wari, so was thlr thaz gizami,
thaz thu thir selbo gurtos joh giangi, thara thu woltos
Otfrid 5, 15, 40 (Joh. 21, 18).
in absolutem gebrauch, s. auch u. 5, im sinne von 'enger
schnallen, festziehen, einschnüren\-
Sit ich niht wines tranc,
des ist mer danne ein woche:
des gürt ich drier loche
an dem gürtel min hinhinder
meier Helmbrecht v. 1121 Panzer.
mhd. u. mnd. auch sich gürten in einen gürtel, vgl. auch
u.Bd:
1189
GÜRTEN A 3-4
GÜRTEN A 5-6
1190
ßwenne Ich mich gegürte
In einen borten, der ist siecht
Neidhakt li, 30;
W. V. L. . . . de so vet was, dat sik ver man in sin gordel
gorden Magdeburger schöppenchron. ISO Janicke. der gür-
tel gürtet jemanden, s. auch u. 7 und 8:
der gurt, der künstliche, welcher den alten (Nestor)
gürtete, wann zur mordenden schlacht er gewapnet einherzog
VOSS Ilias 10, 77.
3) das gewand gürten bes. in neuerer zeit als sachlich
genauerer ausdruck. zunächst 'mit dem dazugehörigen gurt
versehend dar na gordet he (prister) de alven mit enen
gordele, dat hefft twe strengen bei Schillek-Lübben
2, ns^;
als er die alben guertet het
H. Sachs fab. u. schwanke 2, 38 ndr.;
waz gürtst die kutt mit knopfifecht stricken
Fischart binenkorb (1588) 24».
dann in festerem gebrauch 'mit einem gurt befestigen': {sie
tragen) gegürteten weissen leibrock Amäeänthes frauen-
zimm.-Zex. (1715) 1372; ein reichgesticktes gewand, wie
nur vornehme frauen es tragen, aber nachlässig gegürtet
FouQui: zauberring (1812) 1, 121; ein langes dunkles ge-
wand . . . dicht unter der brüst gegürtet G. Keller (1889)
6, 341; OMCA 5, 254; auch speciell 'hochgürten, raffen, auf-
schürzen": ein langes gewand, das, wenn es nicht zweymal
gegürtet wäre, ihr weit über die füszc lierabfallen müszto
Göthe IV 11, 73; in dem heiligen räume gürteten die
priester ihr gewand zum tanze Mommsen red. u. aufs.
(1905) 283.
4) im Zusammenhang des sich ankleidens gelajigt gürten
zu der bedeutung sich vorbereiten, rüsten, fertig machen:
gurten oder bereytin precingere Diefenbach gl. 452^;
gürten praeparare, promptum et paratum esse Stieler 715;
accingersi sich gurten, fertig machen Castelli it.-dt. (I7il)
10*; so auch: haben wir uns nit ungern zu dieser arbeyt
gegürtet S. Frakck weltbuch vorr.; auch sonst mit der an-
gäbe wozu: zum andern soll er sein gegürtet zum weg
Iprecinctus ad viam) offenb. d. hl. Birgitte (1502) l l''; (sie
saszen) um den tisch herum . . ., zur reise gegürtet Laube
(1875) 8, 59; ungewöhnlich mit der angäbe wohin:
musz ich (fischerknabe) in das meer mich gürten
GÖTUB 3, 31 W.
besonders 'sich zum kämpfe rüsten', d. h. die waffe um-
schnallen, vgl. auch o. 1: bereyten od. gurten zu stryten
procingere gemma gemm. (1508) u l**;
ich sehe dich gegürtet und gerüstet
Schiller 14, 308 Oöd.;
auf ! zum kämpf dich gegürtet . . .
Voss sämtl. ged. (1802) 2, 182;
bildlich:
und selbst die liebe, wie in stahl gerüstet,
zum todeskampf gegürtet, tritt sie auf
Schiller 12, 154 Oöd. {Piccol. III 9).
öfter mit dem in gleicher bedeutung sentwicklung begriffenen
schürzen zusammengestellt {s. d. ) :
Flordelcyse schurtzte und gurte sich (zum Zweikampf)
H. V. Neustadt Apollon. v. 20249 Singer;
das wir gegürtet und auffgeschürtzt sein Luther 34, 2,
399 W.
im gleichen sinne SQine lenden gürten, hierbei tritt
der körperieil an stelle des personalen objects; aus dem bi-
blischen Sprachgebrauch (lumbos accingere): (£'üisa) sprach
zu Gehasi: gürte deine lenden (und gehe nach Sunem)
2. kön. 4, 29; atich 9, 1 u. ö.; so auch: (beim erscheineyi des
wahren Messias) würden die Juden ihre lenden fröhlich
gürten, sich auf die bein machen und . . . nach Jerusalem
marchircn Grimmelshausen 4, 605 Keller; so gürtete er
ohne aufschub seine lenden, und langte ... in Jemal an
Wieland lO, 450 akad.; (es war ihm) als müsse er eines
tages seine lenden gürten, den stab nehmen und weit,
weit von seiner heerde gehen Stifter (1901) l, 179; par-
odistisch: gürte lenden, manuskripte und bücher, besteige
. . . die eisenbahn fürst Pückler briefw. (1873) 6, 72. im
sinne der Vorbereitung zum kämpf und andrer tätigkeit:
lenden gürten heisset in der schrifft . . . sich schürtzen
und rüsten, das einer fertig und geschickt sey zu laufEen
odder zu kempffen Luther 34, 2, 399; des bin ich mon-
archa . . . und gürt euch ewer lenden (rüste eu^h aus zu
wahrem arzttum) Paracelsus (1616) l, 233.
5) das pferd gürten, in speciellem gebrauch 'den sattel-
gurtfest (oder nachträglich fester) schnallen', cingulam equi
constringere Stieler 715; seit dem mhd.:
sin ros daz was schocne. daz gurte der degen baz
Wolfdietrich B 541 Amelung;
je fester das rosz gegürtet ist, je besser kan man reiten
J. Walther pferde u.vielizucht (1658)28; gürtet mein
pferd, gürtets aber nicht zu hart Ludwig dt.-engl. (1716)
822. seltener für 'satteln' überhaupt: equum sternere
Stieler 715; da stund Abraham des morgens früe aufif
und gürtet seinen esel l. Mos. 22, 3;
schnell war ihm das rosz gegürtet,
und Ich trug das banner vor
Uhland ged. (1898) 1, 217.
dem rosse gürten m,hd. in festem gebrauch:
(ich) gurte mime rosse baz Iwein 35 Ben.;
den rossen was vil wol gegurt
si rantten auif den puhurt
H. V. Neustadt Apollonius v. 6331 Singer.
in gleichem sinn auch mit dem dativ der person; mhd. ver-
einzelt:
sich huop ein grozcr buhurt.
8wem da niht was wol gegurt,
der moht sich vallens wol bewegen
Mai und Beaflor 234 Pfeiffer;
frühnhd.: wer ihm selbst gürtet, dem stehet der sattel
steiff Henisch 1785; wer sich nicht gürtet, ehe er reitet,
der feit leicht Petri d. Teutsch. weish. (1604) 2, Iii8'>'.
auch in absoluter construction:
groz arbeit ez (da» rosz) ringe wac . . .
er dorft im keines gürtens wonen
doch eines loches naher baz,
swer zwene tage druffe saz Parzival 101, 14;
■wer nit vor gürt, ee dann er rytt
S. Brant narrenschiff 14 Zameke;
zu hoch gürten sprengt die gurt Fischart Garg. 367 ndr.;
gurten cingulas constringere Duez nomend. (1652) 180. s.
auch den sattel gürten B c.
6) in zucht nehmen; sich oder andern hartes auflegen;
bezwingen; ausgehend vom enger schnallen des leibriemens
beim fasten, s. auch o. 2: ir soUent euch eins lochs enger
gürten Keisersberg postille (1522) 2, 10^; allgemeiner
'hart anfassen':
die . . . münch besorgten (von dem neuen abt) das,
ob er sy würde gürten basz,
geistlicher würde reformieren
MüRNER narrenbeschw. 57 ndr. u. ö.;
hierher modern bildlich: (mit dem) Schmachtriemen der
enthaltsamkeit gegürtet Lavater handbibl. 1, 329 ; im
sinne straffer Ordnung und rastlosen fleiszes: sie (die haus-
frau) gürtet ire lenden fest und sterckt Ire arme spr.
Salom. 31, 17; vielfach aufgenommen, z. b.:
in zucht und fleisz
erstarkt sie ihren arm und gürtet fest die lenden
Cl. Brentano (1852) 2, 569;
dagegen sich lose gürten sich gehen lassen: ein schlack ist
ein loses, leeres vergebens metall . . . (das Sinnbild für)
lose leute, die sich lose gürten, darinn kein guter tropffen
mehr ist von gott, glauben, ehre und warheit Jon. Ma-
thesius Sarepta (1671) lll^^; vgl. einer der sich lose gürtet
discinctus, i. e. improbus, negligens et iners Henisch 1784;
ähnlich: wi übel sich N. N. alhir gürtet, liast du beyligend,
gleich aus einem spigel, zu ersehen Butschky hd. kan-
zelley (1659) 241. auf einen weiteren ausgangspunkt, das
festschnallen des satteis und damit der last des lasttieres,
s. auch 0. 5, deutet vielleicht: man soll einen bogen nicht
überspannen und einen esel zu sehr gürten (onere gravi
supprimitur) Steinbach (1734) l, 653. — auf solchen con-
creten Wendungen beruht die abstracte Verwendung neben
zwingen, vo7i diesem in der bedeutung kaum unterschieden:
75*
1191
GÜRTEN A 7-8
GURTEN B
1192
mancherlei iingluck wirdt mir angethan . . . und gurtet
mich oder zwingt mich, dasz ich nicht herausz kummen
kan Hafeknitz Job (1530) 208i>; {die gestirne) nöthen,
treiben den faulen zu der arbeit und zwingen ihn . . . wie
Petrus gezwungen und gegürtet warde, dahin zu gehn,
da er nicht hin wolte Paracelsus (1616) 2, 413 Huser.
sogar in auszermenschlicher sphäre: (schwerer boden tut die)
sammen zwingen und girten semina comprimere atque
strangulare Östereeicher Golumella 1, 205 lit. ver.; im
sinne von 'kräftig bearbeiten" : sol sich der acker wol lösen,
so musz man ihn erst wol gürten Petri d, Teutschen weish.
(1604) 2, Ppp i'^.
7) übertragen im vjeiteren sinn von 'umwinden, umgeben,
umbinden', auszerhalb des bereiches der menschlichen taille
und des pferdebauches.
a) alt, in beschränktem gebrauch, vom anbinden der reben:
gurten oder cruden 'die rebe mit stroh oder bandweiden am
pfähl befestigen' (15. jh.) bei Mone zschr.f. gesch. d. Oberrh.
10,183; 14,33; noch jetzt gebräuchlich, s. Jos. MtJLLBB
rhein. 2, 1502; Haltrich siebb.-sächs. 95.
b) jung in mancherlei Übertragungen; andre körperteile
mit etwas anderem als einem gürtel umgeben:
ein goldncs band,
das knie der braut zu gürten
Ramler lyr. ged. (1772) 108;
aufl gürtet den fusz euch {mit Schlittschuhen)
R. Z. Becker müdh. Uederbuch (1799) 49;
(werin) so ein narr sicli das scliienbein gürtet mit schwarzem
{leder)
W. Binder Horaz^ 2, 23 («erw. 6, 27).
im sinne von bekränzen:
grünt (ihr myrten), um meine welke stirn zu gürten,
meine laute, der nur schmerz entflosz
Novalis 1, 163 Minor;
an den 'leibgürteV nahe angelehnt: das fett, womit gelehrte
sich gürten (ist nichts) gegen den fettpolster eines ge-
sunden und weisen rathes Jean Paul 15, 22 Reimer,
anders: schon gürteten die felsriesen mit wolkenschleiern
ihre leiber H. v. Barth nördl. Kalkalpen 387. poetisch
in landschaftsschilderungen 'umgeben, begrenzen, um-
schlieszen' , vgl. auch gürtel 8 a:
da, wo des Chzechus stamm mit bergen sich gegärt
LOGAtr sinnged. 184 Eitner;
(klivpen) mit denen sich die küste gürtend schützt
Grillparzer (1892) 7, 64;
Flandern gürten sandge banken
EiCiiENDOREF (1864) 1, 714;
die feste selbst und ihren garten gürtet
ein mauerring mit turmesschmuck und zinnen
LILIENCRON (1896) 9, 64;
ganz unbestimmt für 'umgeben':
blühest, wie rosen, welche mit moos
gürten ihr blatt Klopstock öden 2, 140 Muncker.
8) schützend umgeben, wappnen, ivie gürtel 6 a und
gurt 1 a, von ethischen werten: got ist, der mich curtet
mit tugede (psalm 17, 33) Notker 2, 53 Piper;
ist er mit tugenden so gegurt,
das er sin rein gemute
went an rechte gute,
des lobe volgit wirdikeit
herzog Ernst v. 4509 Hagen-Büsching;
diu rede wart dem künege swsere,
den doch menlich eilen gurt
U. V. D. TtJRLiN WiUeh. 46 Singer; auch 13;
ähnlich: (gott zu Hiob) gürte deine lenden wie ein man,
ich will dich fragen Hiob 38, 3; 40, 7;
und die da wankten, gürtet er mit kraft
Herder 12, 199 Suphan;
gürte mit stolz mich und kraft und Wahrheit
HÖLDERLIN 1, 91 Litzmann;
der glaub musz die nieren gürtten und halten Luther 10,
2, 130 W.; du hast meinen sack ausgezogen und mich mit
freuden gegürtet psalm 30, 12; wenn aber alle fäderm . . .
zerreiszen . . . musz er sich nur mit gedult und hofEnung
gürten Lohenstein Armin. 2, 781'';
es gürtet schaam den keuschen leib
Schiller 11, 248 Oöd.
bildhafter, vgl. gürtel (6) als Symbol der Jungfräulichkeit:
(wenn) wir uns gürten mit der gürtein der käuschait
K. V. Megenberg 6. d. nat. 59 Pf.; vereinzelt auch gegen-
sätzlich vom üblen:
swer schände hat unt schände gert
den la sich gürten mit der schänden borden (borte)
MEISTER BOPPE in minnesinger 2, 382" Hagen.
B. 'umtun, umbinden, timlegen, anlegen', gürten mit
innerem object.
a) einen gürtel, strick und ähnliches gürten, meist mit
der Präposition um:
(er) gurte do
den gürtel umbe sin isengewant
Wigalois 21 Pfeiffer;
du bist darumb kein Christen, so du ein seil umb dich
gürtest, man mag einer sauw auch ein seyl umbiegen
Eberlin V. GÜNZBURG 2, 116 ndr.; die weiber gürten ein
stück zeug um ihre lenden G. Forster sehr. (1843) 4, 212;
zog ich meines einsidlers hinterlassen härin hembd an und
gürtete seine kette darüber Grimmelshausen Simpl. 37
ndr.; uneigentlich: gürtet man aber die hant umb die
hufften, so lagert sich das hüffte und nieren wehe Bapst
V. Rochlitz arzneib. 150. übertragen. von kränzen:
ums haupt euch gürtet myrten und Jasminen
Strachwitz ged. (1850) 109.
ganz entsinnlicht für 'schlingen':
die erste der silben mit zaubergewalten
gürtet um geister das magische band
KÖRNER 2, 258 Hempel.
in älterer zeit ist auch eine gegenteilige wendung üblich
'etwas von sich gürten' :
den (borten) kund si nu von ir gurten schone
jung. Titurel str. 1250 Hahn;
(sie) gürte mir den gürtel von den lenden
LOHENSTKIN Sophonisbe (1680) 14;
bildlich, vgl. o. A 6: (dort wollte er alle ihm) auffgebunden
klag von sich gürten und sich bessern See. Franck chron.
Germ,. (1538) 157.
b) das Schwert gürten, eigentlich 'mittels des (meist
daran befindlichen) gurtes umbinden' :
(wollte gott, dasz) van Bulion der konynck wert
mir hedde gegurt min swert
Karlmeinet 375 Keller; auch 66.
in der regel mit präpositionalen beslimmungen, mit 'um' :
curte die suert umbe din dich accingere gladio tuo circa
femur tuum (ps. 44, 4) Notker 2, 168 Piper;
siegesdürstend gürten keine söhne
um die lenden ihrer vätcr stahl
HÖLDERLIN 1, 109 Litzmann;
mhd., bis ins frühnhd., ist 'um sich' stehend:
sein Schwert das gürtet er umb sich
Laurin 2115 Schade;
gürte ein jglicher sein schwert umb sich l. Sam. 25, 13 u. ö.;
der printz . . . gürtete seinen sebel mit diesen Worten um
sich Ziegler as. Banise (1689) 398; mit der präp. an erst
nhd. belegt und dann sehr häufi/j: du hast (als ein Goliath)
diss schwerd an dich gürttet und lessist dir den kopff
damit abhawen Luther 7, 660 W.; gurte dein schwert an
deine Seiten du helt psalm 45, 4;
ich nam mein schwert wol in die hand
und gürt es an die seyten
Forster irische t. liedlein 132 ndr.;
so gürtete ich mein schwerd an meine seite Heinse 2, 152
Schüdd.; daneben mit anderen bestimmungen, z. b.: David
gürtet sein schwert über seine kleider 1. Sam. 17, 39; die
capuziner der Ligue, die das schwert über die kutte gür-
teten Ranke sämtl. w. (1867) 9, 41; nur in bes. fällen ohne:
gürte ein jeder sein schwerd und ermorde seinen bruder
den kälberdiener (2. Mos. 32, 27) Jag. Böhme (1620) 3, 262;
nun feyern die Schwerter . . .
wie schön! sie zu gürten
umschlungen von myrten
F. v. Matthisson sehr. (1825) 1, 249/.
c) von anderen gegenständen; vom sattel: (dasz die ärzte)
fein alle Sättel können gerecht gürten Fischart 3, 1/
1193
GÜRTEN C — GURTENTIEFE
GÜRTGESIMS — GÜRTLER
1194
Hauten; vgl. den sattel gürten cingiare un cavallo Httl-
siXTS (1618) 143^ ; ferner : das mundstück soll einem jeden
pferde . . . einen querdaumen über die hackenzähne ge-
gürtet werden allg. haush.-lex. (1749) 2, 379^;
die sporn
könn wyr euch gürtten
P. Speratus bei PH. Wackeenagel dt. kirchenlied 3, 41.
d) 'umtun, anlegen'' von kleidungsstücken: {schürzen) die
sie {Adam u. Eva) umb sich her gürteten Luther 24,
91 W.; ungewöhnlich:
(in die decke) er sich elnwicklen thet,
gärt sie zu ihm nach bettlers art
H. Sachs 17, 241 lit. vere-
dle meisten Zeugnisse erscheinen jedoch zweideutig, da auch
ein umtuti, der kleider mittels gürtung, also ähnlich dem ge-
wöhnlichen das gewand gürten (o. A 3) vorliegen kann:
{ein Schleier) der umb Marien was getan,
gegürtet und gebunden
Wernher marierUeben v. 14059 Päpke;
gürtet secke umb euch {als zeichen der trauer) 2. Sam. 3,
31 u. ö.; {da) gürtet er das hembd umb sieb, denn er war
nacket JoÄ. 21, 7; braucht ein havelländischer Junker sich
zu scheuen, um den leib zu gürten, was der markgraf
urathut? {puffhosen) Alexis hosen (1846) 1, 71. von der
rüstung:
etslicher niht vollen die semftenier
zu den beinen gebunden hct,
dlrre im die platen gurten tet
kreuzlahrt Ludwigs v. 6198 Naumann;
den diamantenen panzer
gürte jeder sich wohl, und jeder binde den heim fest
Zachariä poet. sehr. (1763) 7, 260.
ebenso auch sich in ein gewand gürten:
junger man mit harte gürtet sich in toren wat
minnesinger 3, 422» Hagen;
ich sach sy her gen mir gan,
gegürt in iren pesten rock
liederbuch der Hätzlerin 145 Haltaus;
vgl. hierzu:
des seibin gewerkis
was ein roc ir gesnitin . . .
da hete si sich in gegurt
mit eime beslaginin bortin
Athis u. Prophiiias D, r. 162 Grimm;
au£E die zeitt giengen leutt umb in leinin tücher und ge-
wand mit stricken gegürtt dt. städtechron. 4, 316. — über-
tragen, etwa im sinne von wappnen, s. auch o. A 8 :
(in gottes) genade wil ich gan
unde ich wil mich gurten
in des beilegen gotes worten
denkmäler^ 143 MilUenhoff-Scherer.
C. schlagen, urspr. mit dem gtirt schlagen, vgl. prügeln,
peitschen :
nun streich weidelieh uflf denn schalck,
wir wollenn im recht gurtten den balck
Heidelberger passionsspiel 210;
(ich) dich mit einem scheit werd gurten
iastnachtspiele 253 Keller; auch 215;
{dasz man) den son oder knecht . . . mit worten oder mit
streichen tapffer gürte Jon. Heroldt v. d. zting (1544)
123^; mundartlich erhalten, s. Jos. Müller rhein. 2, 1502;
luxemb. (1906) 158; bes. in der Schweiz in reicher Weiter-
entwicklung, s. Staub-Tobler 2, 446.
GURTENBAND, n., feste bandart, wie gurt 4: {zum
einspannen einer Stickerei) hat man an zwei gegenüber-
liegenden Seiten . . . ein gurtenband oder einen gerade
geschnittenen stoffstreifen . . . anzunähen Dillmont wbl.
handarb. 83; s. auch gurtband 2. — gurtenbettstelle,
/.; falls dir die gurtenbettstelle nicht durchreiszt Bog.
Goltz kleinst, in Ägypt. 32; auch: jugendleben 1, 102; vgl.
gurtbett. — gurtenmacher, m.: C. von Colne, gurten-
mecher (1400) bei Bücher Frankf. berufswb. 55a. _ gur-
tenschlagstock, m., schmaler Webstuhl für gurten,
8. PrechTL 7, 264; KaEMARSCH-HeereN 4, 190; 7, 677. —
gurtentiefe, /., die relativ geringe höhe der gurtgegend
beim pferde: {dem engl, pferd ist) eigen: grosze gurtentiefe
V. Alten 3, 380 ; vgl. gurt 3.
GURTGESIMS, n.: mehrgliedriger, reicherer gurtsims
Mothes baulex. 2, 547; msist aber für sims schlechthin,
s. Lueger 5, 23; Karmarsch-Heeren 3, 762: auf dem
{stichbogen) ein gurtgesims mit einem muster ruhet Gott-
sched anm. gelehrsamk. 9, 265; alle dächer, gurtgesimse
und was nur irgend eine fläche bot {von lavastaub bedeckt)
GöTHE 31, 29 W.; im auf bau der Stockwerke sind es die
gurtgesimse, die . . . das ganze in einzelne teile zerlegen
H. WÖLFFLiN architekt. d. dt. renaiss. (1914) 7.
GURTGEWÖLBE, n., 'tonnengewölbe mit vorstehenden
gurtbogen, oder daraus gebildetes kreuzgewölbe' Müller-
MoTHES 1, 497*»; Hoyer-Kreuter 1, 319; auch bei tech-
nischen bauten: heizcanal mit gurtgewölbe Muspratt 8,
540. — gurthaken, m., haken am gürtel Beil techn. wb.
1, 2M; fachaxisdruck bei der feuerwehr : an gut vernieteten
beschlagen hängt ein sog. gurthaken Karmarsch-Heeren
5, 649; LuEGER 1, 607. — gurtholz, n., ein wie ein gürtel
herumgehendes holz bei schiffen Mothes baulex. 2, 546; ein
Verbindungsbalken beim brücken- und hochbau ebda; hei
deichen Lueger 7, 45; beim wagen Jos., Müller rhein. 2,
1503. — gurthose, /., bestandteil der mittelalterlichen
rüstung:
gurthosen, halsperc unde swert,
kursit unde platten
f Ottokar v. 58806 SeemOller.
— gurtkamra, m., webrahmen, 'womit der seiler die gurte
webV Jacobsson 2, 174». — gurtkette,/., kette, die um
den wagen zum zusammenhalten der wände oder der lasten
herumgebunden wird, z. b. Jos. Müller rhein. 2, 1503.
GÜRTLEIN, n., deminutiv zu gürtel: curtilin, curtelin
balteus ahd. gloss. 1, 370, 2 Steinm.-S.; mit hochalem. plural-
form kurtelliu semicinctia ebda 2, 37, 8 ; gürtelin cincticulus
Frisius dict. (1556) 222''; daneben gürtele zonula 1425'';
gürtlein Stieler 716; Kramer dt. -it. (1700) l, 577''. in
älterer zeit gern gebraucht:
ain gürtellin von siden smal
der Salden hört v. 2827 Adrian;
nempt euwer gArtelein und legt es dem tracken ... an
seynen hals summerteil d. heylig. leben (1472) \b^; für den
zaubergürtel des zwergenkönigs Laurin:
(um die brünne) lac ein gürtelin;
daz mohte wol von zouber sin,
da von hat ez (der zwerg) zwelf manne kraft
Laurin v. 191 in dt. heldenbuch, hg. v.Jänicke; auch v. 1419;
sinnentleert und danach entstellt in der bezeichnung eines
kinderspieles : gArtelin drage ich dich Diefenbach gl.
1210; gurtulli trag ich dich z. f. dt. wortforsch. 5, 6. in
weiterer bedeutung: {sie binden das haar) aufE dem haupt
zusammen mit etlichen güldenen gürtelein J. Kellner
China (1589) 27. als technische bezeichnung: 19 alter arm-
brost und 9 krapfen {spannhaken) mit im gürtlein ZiN-
GERLE inventare 183; vgl. gürtel 7; {bei der tuscanischen
säule gliedert sich das untere dritteil des capitäls, dasfriesz,
in zwei teile.) der selben teil einer ist die breite des gürtlis
oder leystlis, welches in drey teil sol geteilt werden, einer
zum blättle (Ä;?eme platte), zwen zum stäble H. Blum beschr.
u. gebr. d. säulen (1596) 1; auch Serlius archit. (1609) 6*;
vgl. gurt 2 a.
GÜRTLER, m., cingulator, zcmarius; gurteler, girtler,
gordeler h. ähnl. Diefenbach gl. 120^; 635«=; gürtteler
Alberus dict. (1540) B B 21; gürtler Frisius dict. (1556)
1425''; Henisch 1784; Stieler 716. seit dem späteren
mittelalter häufig als besonderes handwerk auftretend, viel-
fach mit der neigung zum kleinhandel mit modewar en:
daz groezist volc, daz Wienne hat,
daz sint hantwerkiere . . .
gurtlser und irhaere (weiszgerber)
Ottokar chron. v. 65691 Seemüller;
etlich ausz der kramerzunft als gürtler dt. städtechron. 5,
118; au^h 2, 507 u. ö.; vgl. K. Bücher Frankf. berufswb.
55 a-; der gurteler willekur, des di ratlute habn gestatet
cod. dipl. Silesiae 8, 115; die gürtler haben ihr handwerk
1195
GÜRTLEREI — GURTSIMS
GURTSPANGE - GUSCHEL
1196
schon in solche Vollkommenheit gebracht, dasz deren
etliche fast unter die künstler zu zehlen Abk. a s. Clara
eiw.f. alle (1699) 1, 341; arbeiten, wie sie namentlich dem
goldarbeiter und gürtler vorkommen Müspbatt chemie
(1891) 3, 827. in jüngerer zeit mannigfache einschlägige ar-
beiten ausführend: gürtlers machen allerhand pur meszinge
oder . . . beschläge auf wehrgehäng, item . . . knöpffe und
Schuhspangen, allerley zierrahten auf die spiegeis und zu
andern hausgeraht Marperger kaufm.-magaz. (1708) 571;
s. ferner Chomel öcon.lex. (1750) 4, 1422; Jacobsson 2,
Xlh^; Krünitz 20, 322; NICOLAI reise 1, beil. 1, 115; zwei
Schiefertafeln . . . werden in diesem augenblick vom
gürtler und vom schreiner eingerahmt Mörike an Marg.
V. Speeth (1906) 14; teilweise dem urspr. beruf ganz ent-
fremdet: 'jetzt gelbgieszer' Sanders 1, 642^; 'silberschmied,
der den zur weiblichen Bernertracht gehörenden silber-
schmuck anfertigt' Staub-Tobler 2, 447 ; (sie wolle) ihre
göllerketteli zum gürtler tragen, um sie ausputzen zu
lassen J. Gotthelf (1855) l, 141. — gürtlerei, /.; (sie)
trieb neben der gürtlerei . . . noch einen andern handel
J. Gotthelf (1855) 12, 202. — gürtlergeselle, m.: ein
junger gürtlergesell Montanüs schwankb. 293 lit. ver.;
Krünitz 20, 329. — gürtlerin, /.; [es wurde) ein kind
von einer gürtlerin geborn J. Fincelius wunderzeichen
(1566) j 41; GüARiNONius grcwcl (1610) 311. — gürtler-
knecht, m.: ein gortelerknecht . . . hat einen orfrede
gesworen (1429) cod. dipl. ■ Lusatiae super. 2,123. —
-meister, m.: ich schwatze . . . mit meinem hausherm,
gürtlermeister (1817) bei L. Geiger Ther. Huber (1901) 251.
— -mittel, n.,gürllerzunft: die gelbgieszer müssen auszer
dem gürtlermittel leben und dürfen . . . keine . . . gürtler-
gesellen . . . zum nachtheil des gürtlermittels an sich
ziehen Krünitz 20, 328 (wohl aus Zunftordnungen). —
-wäre, /.; dergleichen magd sol auch nicht . . . gürtler-
wahre feil zu haben gebraucht werden A. Beier lehrjung
(1683) 23; Troje Zolltarif (188 :i) 399.
GURTNEN, vb., nebenform zu gürten Schmeller-Fr.
1, 943; gurtna, 'partic. gurtent Jacob Wien (1929) 788'.
GURTRIEMEN, m. l) soviel wie gurt, gürtel: lorum
Frisius dict. (1556) 782t>; gürtel, cingulum Henisch 1784;
er faszte den harten gurtriemen des messers Freytag
(1886) 8, 359; (das gutachten spricht) für die bisherige form
(der reithosen) mit dem gurtriem Wilhelm i. milit. sehr. 1,
401. — 2) für den satielgurt: cingula Stieleb 1610; cinghia
da cavallo Kramer dt.-it. 2(1702), 355C: die gurt-, brüst-,
schwänz- und sattelriemen des . . . bürgerlichen lebens
hatte sein Buzephalus längst abgesprengt Jean Paul 15,
217 Hempel; als obergurt 'sopraccinghia' Jagemann dt.-it.
(1799) 2, 562; speciell der kleine riemen am satielgurt, an
dem die schnalle sitzt: girthleather Ludwig dt. -engl. (1716)
822; Heinsius 2, 5658'. _ z) für das futtcrkraut hedysarum
onobrychis, esparsette Nemnich wb. d. naturg. 216; Krü-
nitz 11, 562.
GURTRIPPE, /., für gewölbegurt: die palmensäulen
mit ihren mächtigen gurtrippen nach den kreuzzügen
M. Waldau a. d. junkerweit (1851) l, 131; speciell für die
quergurte im gegensatz zu den längsgurten in der längsrich-
tung der schiffe Lueger 5, 23.
GURTSATTEL, m.: (ehe man dem pferd das gebisz ein-
hängt) ists viel nutzer, man reits im gurtsattel J. Fayser
hippokomike (1623) 33. — gurtscheibe, /.; (das dritte
meisterstück der seiler ist) ein gurtscheib von sechtzig ein
(1580) Frankfurter zunfturk. 2, 72; Chomel 8, 1181; als
Scheibe, über die ein gurt läuft Hoyer-Krbüter l, 319. —
gurtschnalle,/., am leibgurt: das köstlichste (ist) einem
vornehmen zu liebe in die ixrne geleget worden; so ist auch
dessen gurtschnalle dazu genommen Gottsched anmuth.
gelehrsamk. (1751) 1, 416; (da) habe er etwas im gestrüpp
blitzen sehen; es war die gurtschnalle des Oberförsters
Droste-Hülshoff 2, 288 Schücking. — am satielgurt:
fibbia da cinghia Kramer dt.-it. 2 (1702) 617 <=; boucle de
sangle Hoyer-Kreüter l, 319.
GURTSIMS, m., ein horizontaler, meist die Stockwerke
abteilender sims Müller-Mothes 1, 497*5: (man musz die
flächen eines turmes) mit gurtsimsen unterbrechen allg. dt.
biblioth. (1765) 22, 86. — gurtspange, /.; 1 gürtel mit
einem silberin rinkin und senkel, gortspangin (1426) cod.
dipl. Lusatiae super. 1, 339. — gurtträger, m. 1) säul-
chen an den gotischen pfeilern, das eine gewölbrippe trägt
Mothes ill. baulex. 2, 547. — 2) tragstein, auf dem ein ge-
luölbegurt aufsitzt, konsole ebda;
Eulenspiegel am kreuzgang, was? der verrufne geselle
als gurtträger? und wem hält er sein spiegelchen vor?
MÖKIKE 1, 206 Göschen.
— gurttuch, n., cinctorium vulgo gurtthuch (1540) quell.
2. gesch. d. st. Kronstadt 2, 677 ; auch 1, 205.
GURTUNG,/., von gurten, gurt: 'überblattung, Über-
schneidung von bauhölzern' Lueger 5, 23 ; Mothes baulex.
2, 547; 'Verbindung durch gurte, gurthölzer' (b. pfahlrost)
ebda; Verbindung von schräg sich kreuzenden Zaunlatten
Karmarsch-Heeben 11, 153; bes. im brückenbau für die
fortlaufende Verbindung und einfassung des fachwerks, die
die brückenträger darstellt: (bilden die stäbe, die ein) fach-
werk nach oben und unten begrenzen, zusammenhängende
linienzüge (bögen oder geraden), so werden die betreffenden
stabfolgen obere . . . und untere gurtung . . . genannt,
das Stabsystem zwischen beiden gurtungen heiszt füllung
Lueger 4, 21; gurtung eines brückenträgers Hoyer-
Kreuter 1, 319. zu dieser Verwendung gibt es auch zahl-
reiche composita, z. b. gurtungsform Kabmarsch-Heeren
2,89; -material Lueger 1, 782; -stab 4, 26; -stehblech
4, 57.
GÜRTUNG, gurtung, /., die handlung des gürtens:
procinctus bereytung, gurtung gemma gemm. (1508) v 1**;
die ankleidung und gürtung B. S. v. Stosch trauerreden
(1674) 132; (Odysseus) bei seiner gürtung Herder 3, 219
Suph.; bildlich im sinne von 'zuchV , wie gürten 6: mir
lianstu von strenger gürtung . . . sagen, diesem aber
sagestu nichts, der ist liebes kind S. Artomedes christl.
auslegung (1609) 1, 96; seine starke phantasie bedurfte
einer festen gürtung Betsy Meyer G. F. Meyer 179. im
sinne eines zustandes, das gegürtetsein : die gürtung ist ein
zeichen, dasz einer mannlich, ... zu der arbeit geschickt
und tauglich sei Schweickhart gbaf zu Helfenstein
Basilius magnus (1591) 791 ; tiefere gürtung des weiblichen
chiton (zeigt) amazonencharakter (an) Fr. Th. Vischer
ästh. 3, 2, 397.
GURTWEITE,/., 'entfernung von einem gurtbogen zum
andern' Mothes baulex. 2, 547. — gurtwerk, n., 'ein
band mit zierrathen an einem gebäude' Chomel 4, 1438;
'zierrat an den säulen, der ganz um die säule herumgehet'
ScHRADER dt. -frz. (1781) 584"; von der gesamtheit der gurt-
bögen: die gewölbe mit ihren kappen und ihrem gurt-
werke A. ReichensbeeCvER verm. sehr. 129.
GURZ, m., s. gorz, görz.
GURZEN, gorzen, vb., aufstoszen, rülpsen, aus gur-
retzen, gurgetzen oder gurketzen, vgl. gurren, gurretzen,
gurgsen, gorpsen: eructare gürtzen, so eim die speyse uff-
stoszt, uffrochtzen vor föUe vocab. predicantium (i486)
J 3'"'; (essen) bisz er vol würt, das er gortzet Keisersbebg
sünd. d. munds (1518) 5; dieser saft (der brunnenkresse) ist
gut wider das gurtzen und brechen des magens Tabeenä-
montanus (1687) 847; in gleicher bedeutung wohl schon: es
sal auch nimants in der orten von Verlassenheit fortzen,
fysten, gortzen noch ander unzucht triben (1476) Frank-
furter ztmfturk. 2, 84; mundartlich z. b. görzen Jos. Müller
rhein. 2, 1308; in ganz andrer bedeutung: gurzn 'lärmende
töne des jubeis ausstoszen, laut jubilieren' Neubauer
Egerld. 68.
GUSCHE, /.-, s. gosche.
GUSCHEL, n., wie goschel (s. d.) demin. zu gusche,
gosche 'maul', jedoch im schles. zur speciellen bed. 'kusz'
entwickelt wie lat. osculum, dt. mäulchen, mündchen u.
dergl., s. Rother sprichw. 357; auch im Erzgeb., Vogtland
Müller-Fraureuth 1, 451 »■:
ich wilter hundert guschla gähn
H. W. V. LoGAU poet. Zeitvertreib (1725) 346;
1197
GUSCHELN-GÜSEL
GUSELICHT— GUSSE
1198
(dem) Marie-Liesel viele tausend guschel und patschhandel
HoLTEi erz. sehr. 13, 217. s. auch unter kusz 3.
GUSCHELN, vb., küssen, vom vorigen wort in der glei-
chen sonderbexleutung abgeleitet, nur im umkreis des schles.,
s. Anton oberlaus. w. 1, 12:
ihr sanften küsse schöner llppen . . .
. . . küszt ihn trunken, küszt ihn satt,
ja guschelt ihn auf du und du
Stoppe Parnasz (1735) 418;
sie aber guschelt mich und schmeichelt immer mehr
Karschin ged. 380 Klenke.
GUSCHEN, vb., sich legen, still sein, nicht mucksen, aus
frz. coucher; neben mehr norddeutschem kuschen (5. d.) bes.
obd. bezeugt, s. Staüb-Tobler 2, 481 ; Fischer 3, 936 ;
Martin-Lienhart 1, 239''; Sartorius Würzb. 53; Lo-
KiTZA id. vienn. 57:
hund und katz kann nur guschen
und — 8 viech ghert zum viech
Stelzhamer 1, 339 Rosegger;
guschts euch nur, und geht hinein, es hat seine grimmige
Ursachen Hafner ges. lustsp. (1812) 2, 149. in der kinder-
sprache auch speciell 'sich zu bell legen, sich unter die bett-
decke schmiegen, schlummern', z. b. Martin-Lienhart 1,
239*'; Schöpf 225.
GUSEL, m., erregung, aufregung, vereinzelt güsel; alem.
wort, postverbale von alem. gusein, vgl. besonders dessen bed.
'lustig sein; kitzeln, siechen; antreiben^ s. Staüb-Tobler
2, 474; das vb. ist nicht über die mundart hinausgelangt;
dasz gusein zu anord. giosa gehöre (Staub-Tobler 2,
477), ist aus den bedeulun^en beider verben nicht zu ent-
nehmen.
in ältrer zeit bes. vom zustand sinnliclier erregung: (die
esel) reyssen sich zu zeyten ausz den halfftern, springen
auff die stütten . . . dasz in diser gusel vergange, sei man
sy ein weyl eynspannen und das mülinrad ziehen lassen
Gesner-Forer thierb. (1563) 49*'; man soll die geile hur
... in kalt wasser setzen, wie man einer hennen pflegt
zu thun, so immerzu brütlen will, damit ihr der güsel
gelege Jon. Grassäüs d. kleine baur (1618) 236;
den jungen lecker nem beym kämm
und werff ihn in den kerckcr nein,
vertreib darmit den gusel sein
BIRCK ehespiegel (1598) 142;
neuerdinjs im allgemeineren sinne von 'aufregung, eifer,
freudiger Himmung': (der pachtherr hatte den armen Päch-
tern hinterdstig zugeredet, ihren ertrag durch kauf von düng
auf borg zu steigern) er hatte seinen zweck erreicht, neu
in gusel hatt^ er die leute gebracht J. Gotthelf (1855) 19,
110; 5. StaübTobler a. a. 0.
GUSEL, adj , ganz ähnlich wie geil 'fröhlich oder sinn-
lich erregt', zu gisel, m., und dem ihm zugrunde liegenden
vb.; alem., auszer schweizerisch: frisch, gails, guseis rosz
Altenstaiq voc. (\516) 35c ; ein esel aber, warm man ihm
ruh laszt ... so wrd er gimmelich, geil oder gusel J. H.
Heerbrand fasten22; dieweil unser fleischlicher Adam
so gusel und geil is , so ist von nöten, dasz der mensch
sein fleisch . . . lerni abwürgen und tödten J. Willino
pred. in Alemania 7, 90. bes. auch gusel machen:
das du so tolichen lachst
und dich so -echt gusel machst,
darum das d> erwellet bist
ze kung so ai kurtze frist
JÖRQ Zobel bei feiHMELLER-FR. 1, 951 (a. d. j. 1455);
die münch werden dis jar -«1 kesz samlen, wann das füter
ist wol geraten, das wirtsie faszt stechen und gusel
machen, vorausz die noch b.hopff und schwantz haben
dr. Boszschwantz practica (l5ti) cap. 14;
las von dir schrepfe dasselbig bluot,
das dich zuo geile rttzen duot . . .
schrepfft hindan das ose bluot,
das uch so gusel macbn duot
MURNEE badenfahrt 14 Marti.- auch: luth. narr 44 Kurz.
GÜSEL, n., 'abfall, rückstand.icehricht, staub', auch
giesel, vereinzelt gusel. postverbale vo gusebi, z. 6. 'stöbern;
durcheinander regnen' (Staub-Tobbr 2, 474); güseln.
gusein, z. 6. fein zerbröckeln, zerfallen' (477); vgl. s. v.
gusel, m. alemannisches wort: pulvis güsel staub, puiver
Frisius dict. (1541) 717*'; nauci alles das vom obs als
unnütz abgaat ebda 572; güsel, n., alles das man ring hin-
wirfft, peripsema; auszwüscheten Maaler 198*>; puiver
stup, staub, gusel, niszl Roth dict. (1572) n 6^; als giesel
kehricht KmscH cornu copiae (1732) 911»; bes. abgang vom
gelreide, kleie, s. Stalder 1, 501, soune grannen, hülsen,
spreu: Obermüller zu Dubendorf sol 30/3 um güsel (1489)
dokum. z. gesch. d. bürgm. H. Waldmann 2, 226 Qazwardi;
(wer sein lehngut aufgeben will, soll das angebaute gelreide
mähen und ausdreschen) und dann ui dem gut lassen stro,
güsel und anders weist. 5, 115 Grimm; bildlich: der geist
gottes . . . verwejet . . . alls gstüpp und güsel der glychs-
nery Zwingli dt. Schriften 1, 193; (dasz er) der Sophisten
güsel nit recht erlesen hat ders. üb. M. Lutera buch, be-
kentnusz genant (1528) 82''; anders:
Ich wird der weit ein schowspil werden,
veracht wie a gusel uff der erden
JOH. Aal tragödia Johannis Q 1.
von gesteinsschutt : er wirdt alle altarsteyn machen wie
güsel zerschlagnen (l. zerschlagner) steynen sicut lapides
cineris allisos(Jes. 27, 9) zürch. bibel (1531) 2, 84a; die kol-
hüfen und güsel von dem zerfallnen und verbrunnenen
kloster ab der hofstatt ze rumen geschichtsfreund 3, 181.
von rückständigen bruchteilen in der mölke: gysel M artin Y
wb. d. milchwirtsch. (1907) 49 a. d. kanton Glarus; s. gisel
Staub-Tobler 2, 468. in der bed. 'kehricht' vielfach in
compositis lebendig, z. b. güsel besen ebda 4, 1669; güsel-
chübel 3, 113; güselfuhre 1, 972. die reichere dialeclische
bedeutungsentwicklung s. ebda 2, 473; 476.
GUSELICHT, adj., wie einfaches gusel, adj.: ich höre
wol, welcher nicht gern tanzt, nicht frech, prachtig und
unzüchtig gebaret, nit wüst und guselecht ist . . . der ist
ein mönich, tolpe, sawerseher M. Ambach v.tantzen (1545)
j 2".
GUSELN, vb., s. gusel, m.
GÜSSE,/, u. n., die Überschwemmung, nur hochdeutsch
belegtes wort. ahd. cusse cataclismum, diluvium ahd. gl.
1, 81, 34; cussa inundatio 1, 282, 39; cussi adluvionem 1,
511, 40; gusu flumina Tatian 43, 1; vgl. urguse affluentia,
superabundantia Notker l, 91, 20; 484, 7. voie das neben-
einander von einfachem und doppeltem Spiranten lehrt,
das auch in mhd. güse Hugo v. Trimberq renner 2518;
Zürcher bibel (1531) psalm 32 und in nhd. gusi, güsi
Staub-Tobler 2, 477; 478 unederkehrt und sich aus
einem ursprünglichen paradigma *gusi, *gusjes erklärt, ge-
hört güsse als -ja- und -iö-stamm zu *geus in an. giosa 'her-
vorströmen' und nicht mit dentalsuffix zu der wurzdvariante
*geut in gieszen, vgl. Walde- Pokorny 1, 564 gegen FiCK
3*, 136 und Schatz ahd. gr. § 201. doppelbildung von -ja-
und -]ö-stämmen ist nicht selten, vgl. die parallelen bei
Schatz ahd. gr. § 375. — formen ohne Umlautsbezeichnung
mit vorhandenem wie apokopiertem -e sind häufig (durch
einflusz von gusz?). das ahd. endungs-i ist in den aleman-
nischen formell gusi, güsi bis heute vertreten, s. Fischer
Schwab. 3, 937; J. V. Watt 2, 147; Staub-Tobler 2, 477;
478. die zu gisz entrundeten formen können durch ahd.
giozo torrens, mhd. giesze beeinfluszt sein, z. t. sind sie mit
diesen identisch, s. Fischer 3, 938; österr. weisth. 2, 251
(16. jA.); TscHiNKEL Qottschee 310. das neutrum ist nur
selten bezeugt, im schwäbischen gehört es namentlich dem
norden an, s. Fischer a. a. o.; auch ahd. ist das neu-
trum nördlich, das fem. südlich, schw. pl. findet sich
zweimal: Fischer 3, 937 (1424); österr. weisth. 2, 251 (16.
Jh.). in der Schweiz begegne der pl. güsine, 5. Staub-
Tobler 2, 478.
bedeutung und gebrauch.
1) güsse bezeichnet das ergieszen, die Überschwemmung,
schon seit ältester zeit belegt, s. die ahd. belege oben, seit
jeher der vorherrschende gebrauch, vgl. die belege bei Staub-
Tobler 2, 478; Fischer schwäb. 3, 937; Jelinek mhd. wb.
337: inti nidarsteio regan inti quamun gusu (venerunt
fiumina) Tatian 43, 1; 2; der abganch ist, das die gusse
1199
GÜSSE
&ÜSSE
1200
wol das dritail paws verderbet hat daz noch nieman
pawen m&ch fontes rer. Austr. (1310) 36, ih^Zahn; biz du
üf gesihst, so hat daz güsse daz hüs undergraben Berth.
V. Regensburg l, 45 Pf.; wan swer ein hüs üf eine boese
gruntvesten büwet, daz nimt schiere ein ende, ob ez ein
groz wint bestet oder ein regen, ein güsse l, 44;
daz geschach von der gusse
diu kom mit solhen fluzzen
daz diu wazzer sich enlcuzzen
und daz darüber nieman molite
Ottokar österr. reimchron. 9071;
ey wie sälig er da was,
der vor der gusse genaszl
Heinrich v. Neustadt Apollonius 9158;
wann der Neker usget oder gussen hat (1424) Fischer
Schwab. 3,937; item desselben sumers was gar grosser
schaur, das erschlug das trait gar vast und warff heusser
und städel darnider und ward grosz guisz, das sy den
leuten an hew, an füter grosz schaden tet und dörfer hin-
fürt (1447) städtechron. 4, 114; besonders häufig in chroni-
kalischen berichten als grosz güsz, vgl. städtechron. l, 75;
349; 2, 352; 3, 287; 15, 149 u. ö.; auch was das gusz
oder wasser (alluvio in latein) deinem acker zugeit, ist
dein clagantwurt (1497) 62'';
nun war das geschrey im dorflfe sein,
die güss im winter hett voran
der Ysser-brucken schaden than
Hans Sachs 17, 285 lü. ver.;
item, auch sol niemant kain holz slahen vor den güetern,
da die guss mocht angeen und das gross wasser österr.
weisth.h,h2b {l&.jh.); es solt auch kainer den grossen
gatter aufthon, dieweil die gisz get, es ist verboten bei
fünf pfund perner österr. weisth. 2, 251 (16. jh.); so wirdt
jn die güse der grossen wassern nit berüren Zürcher bibel
(1531) 2, 13, ps. 32 (diluvio aquarum multarum, Luther:
grosse Wasserflut); . . . der mülibach so erschreckenlich
grosz ward, dasz man nacht lüt uf die blaiche schikt, die
linwat ufzeheben, damit si vor der güszi errett wurde
J.V.Watt 2, 177 O.; darnach im somer ward der Rin
so grosz, dasz er zu Straszburg an der stainstrasz ainen
hochen turn underfrasz und umstiesz und allenthalb vil
Schadens tet mit güsinen 2, 288; da lieff der flusz Tanarus
ausz und thet der statt grosze hilff, da warde jn profandt
und hilff in der gusz auflt dem fiusz Tanaro und Pado
von den ej'dtgenossen und bundsverwandten zuge-
schickt . . . nach der verlauffenen gusz brachen die
unsern bey nacht ... in die statt See. Franck chron.
Germ. (1538) 164^; auch die güsz allenthalb vil dörffer
hinrisz ebda 56;
bach, brunn und flusz, ja grosze gusz
der armen wein wrdt machen
für gott dem lierrn, das die feynd wem
desselben gar nicht lachen
FOKSTER irische teutsche liedlein 177 ndr.;
. . . das dy wasser mechtig in augusto grosz, auch im
September grosz gusz het. es luff seer ausz, thet grossen
schaden städtechron. 15, 154 (um 1547); der Neckher vil
prucken, sche%vren und heuser weggefürt JoH. Hekolt
chronika 149 Kolb; doch das si die jung prüt wider in das
wasser, daran sz sie durch die güsz getragen seind, werfen
bair. landtsordnung (1553) 152!^ {gegen das auswerfen von
gruben, in denen nach der Überschwemmung fische zurück-
bleiben) ; wie die Cimbri aus ursach der güsse des meeres
verlassen haben die lander, in welchen der Rein in das
meer auszgeet Lacius khunigreich Hungern (1556) b Q^;
das erdterich vor jaren alt,
war gantz allda, hett keinen spalt,
hernacher es die wasserflüsz
zertheylten, und die grosse güsz
Spreng Äneis (1610) 53";
in den beiden letzten fällen von der meeresüberschwemmung.
von der flusz Enypei wegen, der alle gelegenheit herumb
mit seim gusz unwegsam gemacht hette L. Tatius in
Fronspergee Icriegsbuch 3 (1573) 247''';
weil noch das bächl seicht her rindt,
da solt man wem und retten,
wen kombt ein güsz, so reist es geschwindt
das landt ein und die gstätten
Theob. Hock schönes blumenjeld 82 ndr.;
darüber sich am 18. juny ein grosse mechtige gusse an
dem wasser, die Liser genannt, erhoben H. Megiser an-
VMles Carinthiae (1612) 1479; item fürbau und verwörung
der gewässer und gissen österr. iveisth. 5, iSO (17, jh.);
item wenn ain güsz der wäszer ist, was dann die Mhuer
von schufen, flesden, holz alt oder neu bringet österr.
weisth. 6, 326 (17. Jh.); die weil sich auch oft begibt, dasz
die steurer und schärler mit den leeren schiffen am ent-
gegenfahren durch güszl oder wasserpläen . . . verhindert
werden (1616) Lori bair. bergrecht 501'^: das ist die gross
güsi g'sin van dere" d'historenen erzellen tuend Staub-
ToBLER 2, 477; vereinzelt von der sündflut als der gröszten,
bekanntesten Überschwemmung :
dö wert diu güss und der regen,
unz in got sant sinen segen,
vierzic tag und vierzic naht
Jansen Bnikel weltchron. 2583;
di\ {auf den bäum) het diu güss üf getragen,
daz mac ich wol für war sagen,
ein äs, des was der rab frO 2637;
üz der arehen wilcnt liez
einen raben her Noe, den er hiez
den gevangen bringen liebe mßre,
ob daz güse verflozzen were
Hugo v. Trimbeeg renner 2518;
OMCA von der künstlich herbeigeführten Überschwemmung:
. . . die tam, die da sint geslagen
für daz wazzer datz Valbach,
b! der naht er diso üf brach
unde macht ein gusse gröz,
wand daz wazzer mit kreften flöz,
da des kunics her lac
Ottokak österr. reimchron. 11308;
schweres hochwasser heiszt wuetgüss: item, wenn ain wuet-
güss oder ain gros wasser auskümbt ... so hat kain
vischer recht das guet aufzuvahen österr. weisth. (1450) 7,
926; vgl. guetgüss ebda 7, 785; 7, 787. eine Überschwem-
mung durch vereisu7ig eisgüss: item in wuetgüssen, in eis-
güssen und in grossen sturmwinten sol man nicht mer
geben an das lant wen den dritten phenning österr. weislii.
(1450) 7, 928; in der bedeutung 'Überschwemmung'' auf
tränen übertragen:
sin kumber leider was ze gröz,
ein güsse im von den ougen vlöz
WOLFRAM V. Eschenbach Parzival^^, 0;
daz gap zahers gusse
ir friunde ougen unde herzen
Ottokar österr. reimchion.
)51;
von hier aus bei den dichtem des 14. /15. jhs. in wrßchreiben-
den (blümelnden) gen. auf alle arten von cori^reten und
abstracten subst. bezogen:
überhebet mich verderbnusse
in diser urliuges gusse
Ottokar österr. r^mchron. 35341;
ze keren in den val
der verdampnusse
und der helle gusse
52138;
wirf in mit zornes güsze
in die uzzern vinsternisse
Heinr. v. Neustadt gottes zukunft 7250;
lieht ane vinsternisse,
freude ane truren gusse
friede, Sicherheit ist d? gantz 7765 var.;
das rein formale prinzip solcher fildungen kennzeichnet
folgende Steigerung: /
er wcere äne wider/rit
von kummers übe^asse
verdorben in der/ancnusse
OTyKAR österr. reimchron. 39708.
2) güsse meint die wogen, grk^e, wassermassen in starker
bewegung: /
daz sich von /eni wäcgedrenge
diu güsse befinde werren,
blödern und/kerren
als ein win/sprüt üf dem mere
weinschwelg 139 Schröder;
hat bein M^ arme ragen
als in di/ Busse dar habe getragen
Konrad v. Haslau jüngling 560;
vgl.: (im satlel sitzenM^ ob in dar die güsz hab gefürt
ScHMELLER 1, 951 (ofi ^gm. 379); wann da zu ihrem tode
1201
GUSSE
GÜSSE — GÜSSIG
1202
die guise von grosse der wind al so hoch wurden und der
steurnagel des Schiffs verloren was . . . und das schiff
ward von uibrigen guisen gar zerprochen dialogi Oregorii
(1476) 89; darumb aber, dasz der geist des lebens inmitten
des menschen ligt, so ertrinckt er, gleich wie ein mann,
den das gusz ubereylet und nit ab Stadt fliehen kan Paba-
CELSüS opera (1616) 1, 516 Huser.
3) regengusz; güsse platzregen Fischer schwäb. 3, Ö38;
jedoch: gisse Sprühregen Tschinkel Gottschee 310:
güsse schadet dem brunnen
Spervogel minnes. frühl. 30, 34 ;
ich hab eins regens und nicht einer güsz begehrt, sie ist
von einem engel zu einem groszen teufel worden Bebel
facetiae (1589) 58*'; wie ein gemacher regen mit kleinen
tropffen die erde viel besser und fruchtbarer besprenget,
als wann eine gähe güsse oder wolckenbruch herabfället
Hohberg georg. cur. 1 (1682) 52*>;
gleich wann in einer güsz unt wann die wolclien regnen
zwen wasserlauf in grund einander sich begegnen
HOHBERO habsb. Ottobert (1664) N 5";
het mir zu freuden auszgesät,
ein ander hat mirs abgeniät,
das macht das weiter unstät,
ein lileiner wind der mirs hin wät;
do kam ein groszes güsse
und fürt mir alles dahin,
schafft dasz ich so traurig bin
L. Uhland }toch- M. niederd. Volkslieder 128;
in umschreibendem genitiv:
grözer sorgen gusse
ir herze begöz Ottokar österr. retmchron. 6594.
4) flieszetides tvasser, ßusz, back, slurzbach; gusse torrens
voc. ieutonicus (1482) Diefenbach gloss. 589**:
mtnes Sinnes Icraft vert oben hin
als über ein güse ein dürrez ris
Hugo v. Trimberg renner 13948;
die zeher gelichent sich der güsse diu vaste ze tal loufet
und die steine mit ir füert deutsche pred. d. 13. u. 14. jhs.
16 Leyser; das schöne frische wasser, bronnen und weyer-
werck auff Melantz, und der klein gussen under dem
gschloss Tratzberg Guarinoniüs greivel d. Verwüstung
(1610) 418; ist für thunlich angesehen worden, die roboten
in disem markt Sillian in drei thail abzutheilen, darunter
die giss, worunter das cruzifix stehet, und das pächl bei
der Scharlingerschen wirtstafern, die abtheilungsmarch
sein sollen österr. weisth. 5, 580 (17. jh.); über die güsz
Cedron, id est ein wasser, das het etwen wasser und et-
wen nit, und darumb hiesz es ain güsz Schmeller l, 951 ;
sie stosseten das kind in eine güsse oder ausfluss des Jnns
bei Schöpf tirol. id. 225 {beleg v. 1738); güsi brausender
wasserstrom Staub-Tobler 2, 477. bildlich:
man sach die güsse (blutströme) enouwe gän
sam von regen tuet ein bach
Dietrichs flucht 9278;
vnnd von der güsz alles woUustes werdenn sy getrenckt
(nach psalm 35, 9 torrenfe voluptatis tuae) Kaisersberg
granatapfel g 7^.
5) compositionsbildungen: güszbett gemauerte
stelle, über die sich das wasser des angeschwollenen teiches
ergieszt: ist überkomen mit . . . (den) Steinmetzen des
güszbetts halb am see zu Liebenzelle, als das yetzt schad-
haftig ist herf unden worden, dasselb widerumb zu bessern
(1485) Mone anzeiger 6,253; gemauertes bett für ausgetretene
wasser, für das wasser des mühlbaches: mer soll der Stadt
paumeister machen lassen und in wesen halten das güs-
pett, das do ist unterhalb des wers zwischen dem newen
fleischhaus und der müU, die im wasser steet doselbst,
also wenn güsz sein und das wasser uberfelt, das es dann
nit als sere spüU, als es sust thet Tucher baumeisterbuch
201 lit. ver., vgl. 167; 180; 217 u. s. w.; die suw füret in
zuo ainem güssbett, durch das das waszer uff die mulin
louffet Steinhöwel Äsop 216 lit. ver.;
und führt den wolflf nahent darbey
zum wasser, das auff ein güspet,
auff ein mül schnell zulaufen thet
H. Sachs 17, 461 lü. ver.;
IV. I. G.
allg. haushält. -lex. (1749) 1, 1640; -feier das stilliegen der
schifleute wegen güssen LoRi bair. bergrecht (1764) 641*»
(glossar): vergleich des churbaierischen salzfertiger s und
der schiffleute wegen der güszfeier (1685) ebda 510; -f eyr-
geld: nachdeme gedacht churbaierischer salzfertiger und
gegenschreiber mit denen samentlichen schifleuten zu
Lauffen wegen 45 fl. 45 kr. güszfeyrgelds und anders
halber einen rechtstritt angefangen (1685) Lori bair.
bergrecht 516!*; -fischlein von fischen, diedas güsse herbei-
geführt hat Fischer schwäb. 3, QiS; -geld: güszgeld warl-
geld, so den schifleute n wegen den güszfeyren bezahlt urird Lori
641^ (glossar): und wann unterwegen ohne ihr schuld ein
schif zerbrochen wurde, solle dasselb auf des fertigers
kosten gemacht und alsdann durch sie gegen bezahlung
des hernach benannten güszgelts herein gebracht werden
(1581) ebda 323; wenn das beschicht, als dann zahlt ihnen
der salzfertiger das güszgeld nach gelegenheit des orts,
da sie die güsz angetroffen (1616) 501*^; -holz durch wasser
herbeigeschlepptes holz: in allen bantaidingen soll man
guete Ordnungen machen wegen des güssholz, damit das-
selbe keiner einfüre österr. weisth. 6, 213; -wasser: gusz-
wasser lorrensDiETEVUACü gloss. 589''; de inundatione von
guszwassern, wie man in guszwassern fischen möge
Besold thes. pract. (1697) 2, 65*'; guszwasser inundatio
Stieler 2444 : wenn du die walvisch mit enander ssehest
gen, du waentest verrlingen, daz ain groz güzzwasser da
fluzz und gar snell flüzz Konr. v. Megenbebg buch d.
natur 247; fliessent vil wasser in das mer und vil flüss,
ouch güsswasser Steinhöwel Asop 58 lit. ver.; als üwer
iedem wol wiszend ist, daz vil flieszende waszer, ... vil
güsz waszer in das mer fallend 59; als sie an den fluss E.
kamen, funden sie in von güswasser so gross gewachsen,
das nit lycht darüber zekomen was Steinhöwel de daris
muiieribus 88 lit. ver.;
das sey zu vergleichen alwegen
eim guszwasser von eim platzregen,
das von eim berg ablaufl zu thal
Haxs Sachs 7, 367 lit. ver.;
kein schnee, der doch mochte solches guswasser gebracht
haben Dreytwein essling. chrcm. 146; darauff ein güss-
wasser komen ist geschichtsbücher d. iviedertäuf er (1746) 573.
^GÜSSEL, n., 'heiszt an einem gegossenen gefäsze das-
jenige stück, welches den räum der Öffnung der form ein-
nimmt und von dem gefäsze, welches gegossen worden, ab-
gebrannt wird' Jacobsson techn. wb. (1793) 5, 766a.
^GÜSSEL, n., deminutivum zu güsse: dieweil sich oft
begibt, dasz die steurer und schärler mit den leeren
schiffen am entgegenfahren durch güszl oder wasserpläen
verhindert werden und still liegen müssen (1581) Lori
bair. bergrecht 333.
GÜSSELN, vb., frequentativum zu giessen, schnell und
dicht rinnen oder flieszen, s. Schmelleb-Fbommann 1,951;
Bacher Lusern (1905) 264:
do giengs den andern an daz leben,
den daz wasser in den Schlund
güsselt in des baches grund
Heinrich Wittenweiler fing 248 Wieszner.
GÜSSEN, vb., überschwemmen, denom. von güsse: wo es
gisset oder das wasser hoch Schmeller-Fbommann 1, 951,
vgl. ahd. uparcussoen affluant Murb. hymn. 8, 9.
GÜSSIG, adj., 'vom regen angeschwollen, flutend':
wen die wasser trüb und gissig sind mhd. wb. 1, 543 j
wenn es (das wasser) güssig was (cum inundasset) J. Hart-
lieb dialogus miraculorum des Cäs. v. Heisterbach 29, 37
Drescher; in disem drissigsten jar ward der Tiber zu Rom
so merklich grosz und güszig, dasz er vil hüser under-
frasz und umfallt J. v. Watt l, 291. häufiger bezeugt als
'liquidus': zerflossen und das rünnt wie wasser, güssig
Joh. Fbisius dict. 774^; liqitor saft, fruchte, güssig ding
774*^; liquidus, liquido, flüszig, güszig F.Verantius dict.
(1595) g 4**; etliche andere waschen die unsauberkeit (des
goldes) nicht mit warmem wasser ausz, sonder mit
scharpffer laugen unnd essig, dann solche güssige ding
schütten sie in ein töpff, und in denselbigen werffen sie
76
1203
GUST
GUST
1204
auch das gekretze Ph. Bech Agricolaa bergwerckbuch
(1621) 190; nit salb, das sich streichen lasst, sondern das
güssig und flüssig ist Stäub-Tobleb 2, 478 {beleg v. 1650);
auf meiner metall form und gestalt
warm, feucht, trucken und, auch kalt,
abr nicht gediegen, sonder güszig,
im feur und an der kälte sprüszig
A. Hauptmann bergbedenken (1658) 68;
allhier entgegnet uns abermahls zuerst die eussere, durch-
scheinige und flüssige oder güssige substantz des wassers
A. V. Fbanckenbeko gemma magica (1684) 34. als
'strömend\- und alzuhant floz gussiges blut aus demselben
bilde J. V. Neumabkt Hieronymua 180 ; das plut güsset
von im flos Schmeller-Fkommann l, 951 ;
die priinn und Wasserkunst anstatt sie güssig sein
mit Achelous quell, hier milch und edler wein
aus quellen brennen lauft
V. HOHBERG der habsburgische Ottobert (1664) Ili 7";
in der medizin: in dem alter, do ist . . . langwierig ge-
bresten der oren, äugen und der naslöcher, sonderlich ein
durchflüssiger bauch und was daraus erfolgt, als do ist,
die rot rur oder Schlüpfrigkeit des gedärms und die an-
dern gefährlichkeit eines güssigen bauchs {ceteraque ventris
fuai mala) J. Khüfener acht buchet d. Aur. Corn. Celsi
(1531) 8^.
GUST, m., geschmack. im 16. jh. aus dem ital. gusto (lat.
gustus) entlehnt, neben häufigerem gusto begegnen die selte-
neren nebenformen gustus, gustum, gustes, guster, gustem,
gusti, gusdius «. s. w.
am ältesten und bis ans ende des 17. jhs. allein herrschend
gust, seit der ersten hälfte des 16. jhs. in der Schweiz belegt,
bis heute rein süddeutsch {nicht über den Main gedrungen),
im 18. jh. wesentlich durch gusto verdrängt, vor allem in der
schriftspr., in der das letztere durchaus geläufig wird {vgl.
H. Schulz deutsches fremdwb. 1, 259). im 19. jh. sinkt
gusto wieder zur rein dialektischen geltung herab und herrscht
vorwiegend in den Österreich, und süddeutschen maa., wird
aber auch am Rhein entlang bis zum Niederrhein gebraucht,
vereinzelt sogar in Schleswig-Holstein, s. Mensinq 2, 511,
obgleich hier gout vorherrscht {vgl. Schulz 1, 250).
die anderen formen treten nur sehr selten auf und sind
teilweise spontane literar. bildungen wie gustus (Fontane
ges. werke I 2, 54), gustum (Ludwig ges. sehr. 2, 129),
gusti ( J. GoTTHELE ges. sehr. 7, 6), teilweise local eng be-
grenzte mundartliche bildungen wie gusdius Chbista Trier,
ma. 103, gustes Honig Kölner ma. 70; Müller rhein.
wb. 2, 1507, gustem Spiesz henncberg. id. 86, guster
LoRiTZA Wiener id. 57; Unger-Khull stoV. 315.
bedeutung und gebrauch.
1) objectiv, und zwar als geschmackssinn: dass aber etliche
von jhnen aussgeben, wie einen überaus scharpffen gust
oder geschmack sie {die mause) haben sollen, nimpt mich
wunder I. Heyden Plinius (1565) 187; so viel aber die
sinn belanget, wird der gust oder geschmack mehr von
den nässen oder scharpfen, denn von den bitteren ver-
letzet H. Frölich Offenbarung der natur (1591) 81. als
sachliche eigenschaft: {der wein um Zürich) b'halt doch {im
alter) sein gust und härbe (1600) bei Staub-Tobleb 2, 492;
eines guten geruchs, geschmacks, tons und gusts (1608)
ebda 2, 492 ; dass nicht diese speisen zusammen ganz einen
unguten geruch und gust von sich geben (1702) ebda
2, 492.
2) bis heute vorwiegend angewendet für die subjective
emp findung, so als neigung zu einer person: würde man
die ausgeschlossen hassen, so möchten die obern anneh-
men, dass man wenig gust zu ihnen trage (1534) Staub-
Tobleb 2, 492; als 'verlangen nach eiwas" : was nun die
arbeit betrifft, so musz ich gestehen, dasz ich . . . noch
keinen ganz auszerordentlichen gusto dazu habe Görres
ges. briefe 1, 367; nach gusto nach freiem belieben, er-
messen: nach schwerer reisbemühung . . . recht nach gusto
auszurasten J. V. Neiner tändlmarckt (1734) 275; wenns
einmal gedient sein soll, will ich nach gusto dienen Göthe
11, 409 W.; anders: wenn mer nooch vermöga heiroothet
und net nooch gusto Fischer 3, 939; von der inneren
fr ende: in solchen Schwellungen der grazie hat er sich in
einer noch vorhandenen kalligraphischen musterhand-
schrLft der öden des Anacreon mit besonderem gusto er-
gangen Justi Winckelmann l, 44; ähnlich als 'Wohlge-
fallen': wir sahen mit grösstem gust die färben eines
regenbogens G. König Wiener reise (1715) bei Staub-
Tobler 2, 492; und {ich) bis dato viel gusto daran ge-
funden habe Fb. L. Schröder dram. werke (1831) 3, 144.
die formelhafte Verbindung iust und gust findet sich häufiger
in religiös-moralischen Schriften: einige, so auch den
kirchenbann verachten, jhren gust unnd Iust nur an den
schmutzigen häfen und stinckendem knoblach irdischer
gelüsten suchen und wayden Dalhoveb gartenheetlein
(1689) 2, 6368'; 1, 166»; mancher menschen all ihr Iust und
gust . . . bestehet in fressen und saufen Neiner tändl-
marckt (1734) 162; häufig bei Abb. a s. Clara: deswegen
mit groszem Iust und gust, mit unbeweglicher Verständig-
keit, mit höchsten begierden wollte er {St. Georg) leiden
und litt wirklich werke 1, 164 Strigl; er naschte mit
groszem Iust und gust das süsze weltgift ebda 2, 373; {der
Schmeichler) der seinem herren zuträgt, . . . verteufflets
. . . nach seines herren neigen, Iust und gust. o schelm !
etwas für alle 2 (1711) 395; mehr objectiv von den freuden
der weit: grillen und pf rillen seynd alle Iust und gust der
weit gegen dem, was Paulus schon gekost mercks Wien
(1680) 32; und da andere weltbürstel gleichwol nach ver-
kosten Iust und gust zur höUe schlipf ern, müst ihr (geizige)
aller hitz und schwitz über tragen ebda 72.
3) individueller geschmack, in den frühen belegen auch
die fähigkeit zur ästhetischen wertung: es musz wohl ein
verdorbener gusto seyn, der sich in solche waar würde
verlieben Cällenbach eclipses (1714) 37; sintemalen sie
ein jedem leser, der für ein heller gusto habn thuet, besser
gefallen werdn Schwabe tintenfäszl (1745) 31; so lange
mein Ingenium practicum noch wenig gelegenheit hatte,
sich zu developpieren : so war mein gusto noch schlechter
als jetzt ZiNZENDORF neQi tavxov (1746) 9; nun ich werde
ihren gusto schon treffen Gottl. Stephanie d. jung.
sämtl. lustspiele (1771) 146;
ein wunderlicher gusto
für eine dam, in solchem kriegsgetümmel
bey nacht und nebel hin und her zu reisen
KOTZEBüE sämtl. dram. werke 16, 81 ;
wer wird denn so einen gemeinen gusto haben! F. Rai-
mund werke 1, 31 Qlossy u. Sauer; s hat halt jeder
seinen gusto P. Rosegoeb schriflen (1895) II 1, 130; in
einem engeren sinne: man musz auch wegen des unter-
schiedenen gousto der leute bey einer gasterey die spei-
sen in einer kleinen anzahl aufsetzen PvOHB Zeremoniell-
wissenschaft (1728) 1, 434; der koch wunderte sich sehr
über den gusto der baronesse, v/idersprach aber nicht,
sondern machte eine gute portion Schnecken Ph. Hafneb
gesammelte lustspiele (1812) 1, 5; nach . . . gusto: es ist
nicht nach meinem gusto displicet mihi, minus arridet
Apinus gloss. nov. (1728) 260; das wäre nach meinem gusto,
es stehet auch besser Cällenbach wurmatia (1714) 67;
man wählt sich die kleider,
nach gusto den Schneider
GÖTHE 4, 155 W.;
Künstler? eyl den lass geschwind herein,
gib acht, das wird ein mann nach meinem gusto seyn
KOTZEBUE sämtl. dram. w. (1828) 33, 238 ;
wenn ich eine tichterlesfrau {frau für meinen enkel) nach
meinem gustum finden müszt Ludwig ges. sehr. (1891) 2,
129; auch in der form: dies Franzosenvolk ist sonst nicht
mein gustus Fontane ges. werke I 2, 54, s. auch Schultz
fremdwb. 259 u. vgl.: bei den kauf Leuten aber, die im einzeln
verkaufen, nennt man einen zeug nach dem gusto, der zwar
kein reicher zeug, noch aiich besonders gut fabriziert ist,
oder der eben kein schönes muster hat, noch atich jedermann
gefällt, sondern wobey es nur auf eigensinn und die phan-
tasie der käufer ankömmt, dessen mode gemeiniglich sehr
kurze zeit dauert; und womit ein verständiger kauf mann
sich nicht gern in groszer menge beschweret, weil auf der-
1205
GUST — GÜST
GUST
1206
gleichen zeugen fast beständig zu verlieren ist, wenn man
nicht ihrer los zu werden eilet, so lange eiwan die phantasie
dauert Jacobsson technol. wb. 5, 766''.
4) im 18. jh. auch im überpersönlichen sinne als allge-
meine geschmacksrichtung gebraucht: einer der sich nach
dem heutigen gusto richtet Philo rühm d. tabaks (1722) 10;
je mehr wird es nach dem allgemeinen gusto seyn Phi-
Lippi reimschmiedekunst (1743) 201; denn solches ist dem
gusto unsers itzigen seculi entgegen 203; nach italieni-
schem gusto Ramler an Gleim briefw. 2 (1757) 279
Schüddekopf; ich kriegte 10 zimmer alle schön und wohl
meublirt nach Frankfurter gusto Göthe IV 1, 226 W.
5) composita sind nur sehr selten bezeugt: gustlos: in
diesen und künfftigen exempeln müssen wir nothwendig
mehr auf! unser vorhaben als au£E ein gustloses aus-
künsteln des recitatives sehen Heinichen generalbass
(1728) 618; -brettl: gustobrettl in den gasthäusern das
brettl, auf dem besondere speisen ausgestellt waren Schranka
Wiener dial.lex.Q9; -sach: gustosach geschmackssache
Fischer schwäb. 3, 939.
GvST.adj., nicht milchgebeml, unfruchtbar, mnd.gnste,
mnl. nl. gust. ob aofr. geste <gu8tja- oder gest(e) <gaista-,
bzw. gaistja- anzusetzen ist, läszt sich nicht entscheiden
{vgl. V. Heltek idg. forsch. 19, 197 und z. lexicol. d. aofr.
154). möglicherweise zur wurzel gheu- 'gähnen, klaffen",
wie geest zur gleichbedeutenden Variante ghei-, vgl. nisl.
gi^inn, dän. gissen 'vor trockenheil geborsten, rissig', ags.
gii'sne 'unfruchtbar', aM. keisini 'sterilitas' und Walde-
PoKORNY 1, 551. es wäre dann von einer grundbedeutung
'dürr, unfruchtbar {vom lande)' auszugehen, was sich freilich
durch die Chronologie der belege nicht stützen läszt {s. u. 3). —
neben den formen gust, güst begegnet auch guste und gutes.
mundartliche sonderformen: goest in Schleswig-Holstein
Mensino 2, 457; brem.-niedersächs. wb. 2, 558 und
am Niederrhein Müller 2, 1507; Waldbrühl rhingscher
klaaf 169. gist in Nord- u. Mitteldeutschland Schemio-
NEK eJbing. ma. 13; Frischbier 234; Damköhler Nord-
harzer wb. 61; WOESTE 88; MÜLLER rheinisch 2, 1506;
Kehrein 165 und bei Frisch (1745) 385*. weitere formen
s. Mensino 2, 458. — auf ml. gebiete herrscht güst. nur im
preuszischen hat es gelt neben sich, s. Frischeier l, 225,
auszerdem begegnet im niedersächsischen gelljehemp,
s. brem.-niedersächs. wb. 2, 497; gelt, im nordischen (geldr),
ags. (gelde) und nl. (gelde) bezeugt, herrscht bereits im schle-
sischen, obersächsischen und thüringischen, im hessischen
und rheinischen stehen beide synonyme nebeneinander, in
beiden landschaften jedoch ist gelt in den südlicheren be-
zirken lebendiger, vgl. Vilmar Kurhessen 123; 141; Crece-
Lius o6erAe55. 445; Müller rheinisch. 2, 994 u. 1506. das
bayrisch-österreichische hat ausschlieszlich galt — ein ver-
einzeltes güste aus dem jähre 1733 bei Unger-Khull 315
— im schwäbisch-alemannischen stehen güst und gelt
nebeneinander, jedoch hat gelt die vorhand, auszer im el-
sässischen, das mit seinem vorherrschenden güst dem nd.
näher steht, s. Martin-Lienhart l, 241.
1) güst in der bedeutung nicht milchgebend, unfruchtbar,
von tieren gebraucht; guste sterilis Diefenbach 651 c
(1425 nd.); nov.gloss.Zi8 [nd. 15. jh.). vorwiegend und
primär in anwendung auf rindvieh, vgl. die gleiche an-
wendtmg bei gelt {teil 4, 1, 2, 3059): 22 hovede gustes
quekes {rindvieh) urkundenb. der stadt Lübeck 6, 624 {a. d.
j. 1425); eyn güste kue Vilmar 141 (a. d. j. 1436); hirvor
sal her Johan jarlikes geven . . . ene guste ko erbebücher
d. Stadt Riga (1455) 100; in einer rechnung von Borken vom
jähre 1489 wird die melke kuwe der geste kuwe entgegen-
gestellt, s. Vilmar 14l; man nennet gühste oder gelde
vieh, das nicht kälber und milch bringet viehbüchl. (1667)
31; damit aber das mülcke vieh, schaaff und kühe bey
dem forbergo desto basz weide und Unterhaltung haben
mag, wird das junge und guhst rindvieh . . . auff ein
ander forberg . . . verordnet ebda 33; so hatte auch
Treina butter verkaufft, da sie doch nur eine güste kuhe
gehabt Marburger hexenprocessacten (1673) bei Vilmar 141 ;
güst wird von kühen gebraucht, die nicht kalben J. Mo-
ser sämtl. töcrfce(l842) 6, 35; da von ihren fünf kühen . . .
eine güste war Sohnrey im grünen klee (1905) 199;
man kamen wi up Juist,
sünd alle kojen güst
Kkrn-Willms ostfriesl. sprichw. 15;
de koh göst maken eine kuh, welche fett gemacht werden
soll, durch gewisse mittel in den stand setzen, dasz sie
aufhört, milch zu geben {also wohl künstlich unfruchtbar
machen) Mensino 2, 457 {beleg v. 1755); in Verbindung
mit den beiden verben gehen und stehen: güste gehen
eo anno non vitulum parere Frisch 1 (1741) 385»; Krü-
NITZ 20, 332; gust gän de vaccis, quando gravidae lacte
non spoliantur Staub-Tobler 2, 493; Woeste westf. 88;
Martin-Lienhart i, 241; Fischer schwäb. 3,939; güst
stehen: de koh steit güst M. Richey 82; Woeste westf.
88; Schambach 70. vereinzelt und local erscheint die be-
deutung auch erweitert: die güste- oder geltkühe heisset
man diejenigen, so unfruchtbar sind oder nur kranck,
lahme oder sonst gebrechliche kälber bringen Hohbero
georg. cur. 3 (1715) 2, 243»; auch allgemein: güst mager
vom vieh Müller rhein. 2, 1507.
von anderen tieren, vornehmlich von schafen: 220 melke
schape, 230 guste mit den botling (1511) bei Schiller-
LÜBBEN 2, 168; einem güsten schaafe, das in einem
jähr oder dreyen nicht trächtig gewesen, dem schlägt
alle milch zur fettigkeit Hohbero georg. cur. 3 (1715)
2, 255*'; güste, gist, kühe oder schafe, so xmfrucht-
bar sind bos vel ovis non lactaria Frisch 1 (1741) 385».
auch auf ziegen angewendet: Schambach 70; Müller
rhein. 2, 1507; Leihener Cronenberg 47; von Schweinen:
wy en beerfdelet nycht ... de mutten, de drechtich synt,
mer wann se guste synt, dat men se wyll affdriven, so
dele wy de oeck Schiller-Lübben 6, 146; ebenso von
Stuten: zwo alte güste stuetten (1733) bei Unger-Khull
315; aus dem Harzburger gestüt kommt die meidung,
dasz in diesem jähre die 38 köpfe zählende stuten-
herde insgesamt 25 fohlen gebracht hat, von denen 3 be-
reits wieder eingegangen sind. 10 stuten blieben güst,
während 3 verfohlten beilage zur Braunschw. landeszeitg.
vom 30. nov. 1900 {morgenausg.); stuten, die ... stark
rossen, bleiben güst v. Alten hdb. f. heer u. flotte 2,
208; vgl. ebda 4, 503; mitunter auch auf vögel übertragen:
güste hühner, welche bei eröffnung der jagd keine jungen
haben Staub-Tobler 2, 493; güstes huhn {in Nord-
deutschland), eine wegen alters, krankheit oder mangel
an hähnen unbefruchtet gebliebene henne, auch gelt-
henne genannt Wurm das auerunld 12; es gibt . . . alle
jähre eine menge sogenannter güster storche, die nicht
hecken Naumann vögel 9, 273. allgemein, ohne nähere
tierartbezeichnung : dat en scal nein unfruchtbar in dem
lande noch güste werden {infecunda nee sterilis) halberst.
bibel 2. Mos. 23, 26 bei Schiller-Lübben 2, 168; so lange
güst, so lange melk Wander Sprichwörter 2, 174.
2) vom menschen, zumeist in festen, formelhaften Wen-
dungen, literarisch nicht bezeugt: de borst ist göst von
einer frau, die das Und nicht stillen kann Mensino 2, 457;
göst gohn nicht schwanger werden Müller rhein. 2, 1507;
die blif göst kommt nicht zum heiraten ebda; auch 'mager'
ebda 2, 1507.
3) güst, in der bedeutung unfruchtbar, vom lande, nur in
jüngerer zeit mundartlich belegt: Adelung 2 (1775) 847;
rhein. wb. 2, 1507 {vom felde und von der wiese); Staub-
Tobler 2, 493; auch in der bedeutung 'brach, unbestellt,
unbesät, ohne ertrag': C. H. Stürenburg 78; Doornkaat-
KooLMAN 1, 709; giste gän vom acker, der brach liegt
Woeste westf. 88»; in Schwaben: die felder gehen güst
es gibt eine miszernte Fischer 3, 939.
4) verschiedene Übertragungen und anwendungen von
güst, nur im volksmund verbreitet und daher fast nur in den
ma.-wb. zu finden: güste kindelbiere feiern: in vielen
dörfern giebt es noch güste kindelbiere. das ist eheleute,
die keine kinder haben, können einmal in ihrem leben
auch ein kindelbier halten, damit sie sich wegen dessen,
was die andern geopfert haben, erholen können J. Moser
76*
1207
GÜST
GÜST — GUSTO
1208
sämtl. werke 4, 35; vgl. Dooenkaat-Koolman 1, 709;
Sanders wb. l, 642^, auch nl. bezeugt, s. woordenboek 5, 1310.
vom austrocknen, versiegen eines brunnens de sood ward
güst Mensing 2, 457; ähnlich Staub-Tobler 2, 493; güst
geschmacklos, fade, von speisen; trocken, zähe, vom fleisch
Müller rhein. 2, 1507; he geht göst (seine bemühung ist
vergeblich) ebda; scherzh. min geldsack geht dato gust ich
habe kein geld Martin-Lienhabt l, 241; vom kohl: güster
kohl, unfruchtbarer kohl Adelung 2, 847 ; güster kohl
a) so heiszt an einigen orten der winterbraunkohl;
b) kohl der im dritten jähr erst schösset Nemnich wb. d.
naturg. 216.
5) als subst. adj. weist gust zahlreiche formvarianten auf.
in der Schweiz und in Schwaben lautet die form meist gusti,
seltener gust, genus: neutr. in Niederdeutschi, sowie im
Elsasz heiszt es gust, güst, güste, genus: fem. als masc.
göss nur bei Müller rhein. 2, 1507.
a) gelegentliche allgemein-abstracte Verwendung: die kü
haben ein Zeitlang ee dann sy kalberen bei 10 tagen kein
milch, zu welcher zeit man sy nennet ze gust gon Herold-
Forer Gesners ihierb. (15C3) 122*5, ygi_ qI^^ji gy^^i gehen
unter 1 ; se hett de göst von frauen, die ihr kind von der
brüst entwöhnen Mensing 2, 458.
b) vornehmlich in concrcter Verwendung, so in der be-
deutung Jungvieh, besonders junges rindvieh, vgl. Fischer
Schwab. 3,939; Martin - Lienhart i, 241; 242; Müller
rhein. 2, 1507; BucK ßurnb. 95: wenn eine kuh 18 monate
alt ist, kann sie schon mit dem stiere laufen und wird
dann ein rind genannt, vorher aber ein gusti bei Staub-
Tobler 2,494; von einer sache so viel verstehen als ein
gusti vom geigen Gotthelf ebda 2, 494 ; dass die unsern
im land Entlibuch gar kein vech (weder guste noch an-
dere) ins land nemmen sollen ebda 2, 494. auch 'kuh, die in
einem jähre nicht belegt wird' Martin-Lienhart 2, 241;
von anderen tieren: güste ein einjähriges mutterschaf, wel-
ches noch nicht geworfen hat Schambach 70; jährige ziege
Staub-Tobler 2, 494; als 'braches land':
wie? soll ich . . .
. . . nicht fragen was es ist,
dasz ein landsmann sich zu eigen
einen fremden ort erliiest,
da er itzt mit höchster lust
bringt sein heerd auf feiste gust
P. Fleming deutsche ged. 2, 626 lü. ver.;
vgl. Adelung 2, 847; E. Krüger plattd. spr. bes. in Em-
den 55. locale Übertragung auf menschen: gusti 'scherzhafte
benennung eines kindes, schelte für ein schmutziges kind
oder einen groben burschen, auch für einen dummen (jungen)
menschen' Staub-Tobler 2, 494; gusti meretricula, hure
ebda 2, 494.
6) compositio7ien (mit güst- oder gust-): güstfalge:
brache, brachacker (friesisch) Stürenbürg 78; Doorn-
KAAT-KooLMAN 1, 709; Berghaus 1, 629; dazu: güst-
falgen: 'brachen, umpflügen und eggen ohne zu besäen'
Stürenbürg 78; Doobnkaat-Koolman l, 709; Berg-
haus 1, 629; Krüger Emden 55; in übertragener bedeu-
tung: he güstfalgt von einem ehemann, welcher mit seiner
frau keine kinder zeugt (scherzhaft) Stürenbürg 78; -gut
vieh, das nicht trächtig ist und keine milch gibt Stüren-
bürg 78; Berghaus 1, 629; -häufen 'häufe schafe,
welcher mit lämmern geht itvd zur zeit nicht gemolken werden
kann' Vilmar 141; -hanf : güsthemp männlicher (keinen
samen tragender) hanf Doornkaat - Koolman 1, 709;
-beider jungviehhirte (1787) Fischer schwäb. 6, 2083;
-hirt dass. Fischer 3, 939 (beleg a. d. j. 1700); -kindel-
beer (vgl. oben 4); -knecht jungviehknecht Fischer
6, 2083 (beleg v. 1699); -kohl Campe 2, 483, vgl. oben 4;
-kuh HoHBERG georg. cur. 3 (1715) 2431; -land hohes
und unfruchtbares land brem.-nieders. wb. (1767) 2, bbd;
-pflügen nur zxir brache, nicht zur saat pflügen Staub-
TOBLER 2, 493; ADELUNG 2, 847; -pflaster rotes mennig
enthaltendes bleipflaster; auch trockenpfiaster (drög-
plaster), um die milch bei stillenden müttern zurückzu-
treiben, wenn das kind entwöhnt ist Mensing 2, 457; -vieh
Jungvieh, schmalvieh, das noch unfruchtbar ist und keine
milch gibt: melckkhüe und gustviech Fischer schwäb. 3,
939 (beleg v. 1580); wann sie des nachts mit dem gustvieh
in Schönbuch bleiben wollen 3, 940 (beleg v. 1625); oxen,
melchkühe, gustvieh und junge kälber ebda (beleg v. 1630);
jedoch nimmt man auch an, dass die aussenweiden das
jung- und gustvieh erhalten Thär landwirtsch. 1, 60; zur
landschaftlichen Verbreitung vgl. folgende ma. wb.: Staub-
Tobler 1, 648; Fischer schwäb. 3, 939; Martin-Lien-
hart 1, 242; Berghaus l, 629; Doornkaat-Koolman i,
709; GiLOW de diere 204; -wäre kleinvieh: 4 stück
gustware Fischer schwäb. 6, 2083 (beleg v. 1770); -weide
weide für gustvieh Stürenbürg 78; magere weide Doorn-
kaat-Koolman 1, 709: he geit mit Nebukadnezar in de
güstweide (weide für fette kühe), hergenommen von Nebu-
kadnezar s auf enthalt bei den tieren desfeMes Kern-Willms
ostfriesl. sprichw. (1869) 23.
^GUSTEN, vb., nicht trächtig werden oder noch keine
milch geben Staub-Tobler 2,493; auch transitiv: machen,
dasz eine kuh keine milch gibt ebda 2, 493; Doornkaat-
Koolman 1, 709.
^GUSTEN, vb., kosten, schmecken: güste oder versuche
das öl (1608) bei Staub-Tobler 2, 493. dazu güstlen, vb.,
ein wenig versuchen, kosten, prüfen ebda.
^GÜSTER, m., Lexer l, 1128, auch gusterer = küster,
s. teil 5, 2880/.
^GÜSTER, m., geschmack, s. gust.
^GÜSTER, m., eine art weiszf^ch, cobitis blicca Oken
naturgesch. 6, 316. sonst auch blicke oder blecke genannt,
vgl. Brehm tierleben 8, 280 Pechuel- Lösche; jedoch werden
landschaftlich auch andere fische darunter verstanden, so in
der Altmark vorzugsiveise der matjeshering Berghaus l,
629; Danneil 72 (also zu güst gehörend?), schon im 16. jh.
bekannt:
darnach folgen ghuster und zup,
die rotaug, quap, welcher alrup
genennt wird, was ich weiter find,
das sind nur flschlin fürs gesind
Erasmus Alberus fabeln 84 ndr.;
gebraten sind die weiche phlegmatische fische, als
parpffen, aal, eltfisch, gustern, alend, prassen am besten
fischbüchlein 13; item pleger, gustern, quappen, neun-
augen, etc. ebda 15; es werden hie gefiinden . . . gold-
fische, graupen, gründlinge, güsten (ob güster?) J. MicRÄ-
Lius Pommerland (1640) 6, 384. — dazu als compositum:
gusternetz: dat die von Plauve, die fischer sind, ichlicher
alleine 4 gusternetten und sovele plötznetten . . . fuhren
magte ; alle andern Avide netten unde mowesen sollen ganz
von den von Plauve abgedahn seyn Riedel urk. d.
klosters Lehnin (1516)247; ungerümet, dat sie tu buten
und open water met einem kahne unde met güster unde
plötznetten darup fahren und stellen mögen e6tZo(l5l6) 248.
GÜSTERPLÖTZE, /., abramis blicca Brehm tierleben
8, 281 P.-L.
GUSTIEREN, vb., kosten, an etwas geschmack finden,
s. Staub-Tobler 2, 493; ausdruck beim hazard-karten-
ßpiel, bedeutet: die karten mit der rückseite gegeneinander
legen und langsam abziehen, so dasz eine zahl nach der
anderen zum Vorschein kommt und erst schlieszlich die
ganze karte erkennbar ist Hügel Wien. 74: ihr langsames
forschendes aufnehmen der karten (gustieren), indes un-
geübte Spieler ungeduldig und rasch zugreifen Grill-
parzer 12, 191 Sauer.
^GÜSTLING, m., animale non impregnato Jagemann
(1799) 2, 552; besonders in Nieder scbchseii ein güstes, d. i.
unbefruchtetes tier Adelung 2, 847.
^GÜSTLING, m., galtung heringe Berghaus 1, 629;
schon mnd., vgl. ^güster: ock scholen de gemene, de den
heringk uthwerpen en vorkopen Avyllen, eyn iewlik staen
upp siner stede, alse myt dem hilgenlandesschen heringe
vor dem vleschhuse, myt den gustlinge unde schoenschen
heringe vor de potteschen hutte bei Schiller-Lübben
2, 168.
GUSTO, m., geschmack s. gust.
1209
GUSTOS -GUSZ lAi
GUSZ I A 1
1210
GUSTOS, adj., schmackhaft, geschmackvoll, zumeist von
der kleidung, vgl. Fischee schwäb. 3, 939; Staub-Tobler
%, 493 ; madame Blunt und Miranda sind abgegangen, sich
gustöser des französischen gastes wegen zu machen Les-
siNO 3, 408 L.-M.; lassen sie mich nur machen; ich will
ihnen zeigen, dasz ich ein ziemlich gustöser buchhändler
geworden wäre ebda 17, 147; sie fiel recht artig, sagt die
gnädige tante recht gustös sur mom honneur und spreitet
ihren damastenen schlamp weit aus Schiller 2, 6
Oödeke; sie wissen sich damit (bänderchen) so gustös zu
putzen, dasz man sich in ihren kopfputz verlieben
möchte J. H. Fr. Ulrich bemerkungen eines reisenden
(1779) 2, 207; die braut trug ein hellgelbes atlasznes kleid,
sehr gustös gestickt J. G. Müller die herren von Wald-
heim 4, 51;
meint ihr, man hätt so hergericht't den prater
und alles so gustös illuminiert,
wenn es so stehen thät?
M. Greif ges. werke 2, 292.
GUSTRUM, m., aus lat. ligustrum, rainweide, ligv,8trum
vulgare Pritzel- Jessen 214; Mensing 2, 5il. — gu-
strumholz, n., holz der rainweide Pritzel- Jessen 214.
GUSTUM, auch gustus, m., geschmack, s. gust.
GUSZ, m., das gieszen, das gegossene, behälter, aus dem
oder in den inan gieszt. verbalabstractum {masculiner i-
stamm) zu gieszen. gemeinwestgerm. wort: ahd. guz, mhd.
guz, mnd. göte, mnl. ghöte, ags. gyte, mengl. blod-gyte.
im neund. ist vereinzelt Vermischung mit mnd. gote, gate
= altniederdt. gota canalis, hd. gösse eingetreten, so in
teilen des Rheinlandes (rhein. wb. 2, 1309) und in Schleswig-
Holstein (wo auch hd. gusz eingedrungen ist Mensino 2,
458/.); im gröszten teil des nd. Sprachgebietes sind aber
göt(e) 'gusz^ und gote 'gösse" geschieden, vgl. rhein. wb.
2, 1506 mit 1309, WoESTE 87 mit 83, HOLTHAÜSEN TOO. V.
Soest § 66 mit 63, Doornkaat-Koolman l, 668, brem. wb.
1, 502, RiCHEY 72, DÄHNERT 140 mit 144. im übrigen
siehe auch gösse, in obd. dial. herrscht fast ei7iheitlich die
masc. form gusz, jedoch können auch hier gelegentlich form-
vermischungen mit dem obd. güsse/. (s. d.) infolge gleichen
pl. eintreten; als gosz erscheint gusz im fränkischen:
träum, mönch 5098 Böhmer; Elsen v. Holczhusen inventar
(1410), hs. Frankf. archiv; Härsdörffer trichter 2, 144.
zur nasalierung in günsze Straszhurg. chron. 1019 (1349)
vgl. Weinhold ahm. gr. § 201 ; mhd. gutz Karlm. 469, 21 ;
nhd. gutz Fischer schw. wb. 3, 973 ; Staub-Tobler 2, 582
beruht auf anlehnung an ahd. gutzen Hibare, profundere"
ahd. gl. 2, 648, 3, mhd. gützen 'vergieszen' (dazu das f.
gütze 'gusz, ström" Johann v. Würzbürg Wh. v. Österr.
19040), Schweiz, gutzen überflieszen Staub-Tobler 2, 582.
— der plural ist im ahd^zufällig nur als guzza (ahd. gl.
2, 513, 61) belegt, vgl. Braune ahd. gr.^ § 216 anm. 3; im
mhd. ist nur der plural güzze bezeugt; bei Luther er-
scheint einmal ein zweifelhaftes gösse (pl.) bibel 1, 134 W.,
vgl. sp. 1213.
bedeutung und gebrauch.
gusz begegnet in der bedeutung des nomen actionis =
gieszen (I) uyid der des nomen acti == das gegossene (II).
die anwendung von gusz auf ort oder behälter des gieszens
erscheint erst in frnhd. zeit (vgl. III).
I. gusz als nomen actionis bezeichnet das gieszen, sich
ergieszen von flüssigkeiten, umfaszt also den transitiven,
intransitiven und reflexiven gebrauch des verbums gieszen.
A. das ausgieszen, sich ergieszen von flüssigkeiten im
allgemeinen sinne.
1) gusz als Vorgang des gieszens.
a) das einmalige ausgieszen aus einem gefäsz:
noch dö der stolze Iwän
slnen guz niht wolde län
uf der ftventiure stein
Wolfram v. Eschene ach Parz. 583, 30;
dasz also ein kleyd von 70 gülden in einem gusz (indem
ein gefäsz aus dem fenster geleert wird) gantz vertilgt und
verderbt wird Guarinoniüs grewel (1610) 508;
80 gehstu morgens hin, tuhst dreymal einen gusz
vom Tyber autf das haupt, entsündigest den flusz
der hingelegten nacht Kachel sat. ged. 55 ndr.;
seht, er läuft zum uler nieder:
wahrlich! ist schon an dem flusse,
und mit blitzesschnelle wieder
ist er hier mit raschem gusse Göthe 1, 216 W.;
es ist die gründlichkeit der Danaiden, die auch immer
hofften, der nächste gusz würde nun der rechte und letzte
sein TiECK sehr. (1828) 4, 52;
. . . doch unerwartet
plätscherte nieder ein gusz aus überströmendem eimer
J. H. Voss s.ged. 2, 142;
so floss ein glas eiskaltes wasser über meine erhitzte
brüst ; ich schrie, ein zweiter gusz folgte A. v. Arnim
2, 332;
kein gusz der schale soll, noch in die gruft
geleiten ihn der klage heller ton,
die freunde folgen seiner leiche nicht
F. L. Stolbero sieben gegen Theben 15, 120;
bildlich:
du bist der brinnden minne fluz,
der minnde giuzet manigen guz
und süezen duz in brinndiu minndiu herzen
angeblich von Gottfried 2, 33 v. di Hagen;
der mai hat da sinen guz
in manig rosen gegossen
JOH. V. WÜRZBURQ 6796 Regel.
b) vom heftigen hervorquillen des blutes:
der lewe uf drlen fttezen spranc:
ime Schilde beleip der vierde fuoz.
mit bluote gaber solhen guoz
daz Gäwän mohte vaste sten
Wolfram v. Eschenbach Parz. 572, 2;
und heten ouch darumb erliten
vil manigen bluotes guz
Ottokar österr. reimchron. 40779;
endlich so kriegt er hervor auch die füsze,
ob es gleich kostet gar blutige güsze
Reinicke fuchs (1650) 73;
in schwarzen güssen strömend hin sein blut
Grillparzer 2, 224 5.;
im bilde:
brechet auf ihr wunden I
flieszet, flieszet!
in schwarzen güssen
stürzet hervor ihr bäche des blutes
Schiller 14, 110 G.
ebenso von tränen:
do si hat abgeweschen
in alles hör und eschen
mit haisser trehen güsse
Salden hört 8007 Adrian;
auffs new die zähr verschwendet,
mit noch so starckem gusz
Spee trutznacht. (1649) 69;
mit vieler bewegung hörten die bischöfe solches an, und
unter einem gusz von thränen antworteten sie : des herrn
wille geschehe ! J. A. Chr. v. Einem Mosheims kirchen-
gesch. 3(1771), 19;
wie tropfen blutes, roth vom fackelschein,
rann ihrer thränen wilde sturzfiuth nieder,
heisz, gusz auf guszl
F. Freilihrath ges. dichtungen 5, 28.
vom schweisz, selten: unter einem gusz von angstsch weiss
platzte er heraus Alexis ruhe (1852) 1, 343.
c) von objecten, auf die sich die Vorstellung des sich er-
gieszens übertragen läszt: das ganze (geröll-)ie\d in be-
wegung, hinabfliessend nach seinem nahen steilrande,
über welchen es in prasselndem gusse seinen überschusz
entleert H. v. Barth Kalkalpen (1874) 70;
lasz mich wägen all mein gold,
deines haares schwere güsse Keller 10, 87.
vor allem neben weniger concreten und abstracten begriffen:
(da) ging der zweite, übervoll geschöpfte eimer, die
sonne, in die höhe, und die güsse des lichtes flatterten
immer breiter Jean Paul 3, 105 IL;
nieder schwang er das schwert, da stürmten güsse von
flammen,
zischend, wie feuerregen herab, auf die fürstin der städte
Fr. V. SONNENBERG Donatoa 1, 90;
wie? lauschte sie der goldnen saiten gusz?
Fr. Kind ged. 1, 277.
1211
GÜSZ I A 2
GUSZ I A 3-4
1212
wie halbverwischter färben gusz
verrinnts um dich . . .
A. V. Droste-Hülshoff 1, 168 Schücking.
von plötzlicher begeisterung , empßndung, dichterischer oder
gedanklicher eingäbe: wo endlich Klopstock im gusse seiner
empfindung und im fluge der phantasie gedanken ein-
webt Herder 5, 361 S.; es kocht zu laut in meiner brüst,
und alles kann ich nicht mit einzeitigem gusz auf das
papier schütten Chamisso (1864)5, 180; und das ganze
weniger aus dem einen groszen gusse der begeisterung
Kerner briefw. 1, 96; könnt ich in einem glühenden gusz
die quälen meiner seele strömen lassen Linog (1847) 2, 51;
das bild ist ein moment, ein gusz des gedankens Göthe
48, 158 W. mhd. in umschreibenden {blümehiden) geni-
tiven :
nun merkend wie der süsze Jhesus
von ymraerwerender minne gusz
sich geben wolt durch uns in not
und och in den vil grimmen tod
KONiiAD V. Hklmsdorf Spiegel 1129;
las fiissen schir
zw mir der gnadin güsse
H. FOLZ meisterl. 82, 20 Mayer;
2) gusz in der bedeutung regeiujusz, starker regenfall, in
dieser anwendung seit dem 13. jh. belegt, zunächst noch
durch ein beigefügtes regen oder wasser in seiner engeren
bedeutung bestimmt:
do zergie des wazzers fluz.
von dem tage nie wazzers guz
uf das ertriche Icam
KUDOIF V. Ems weltchron. 34338;
es waz in der naht ein gus wassers komen, und waren
die becho gross H. Seüse deutsche sehr. 71 Bihlmeyer;
na dem schonen weder kompt des regens gos
träum, manch 5098 Mejboom;
eyn frow, die hell, das erterich
das schluckt all wassers güsz ]n sich
S. BsANT narrenschiff 63 Zarncke.
alleinsteJievd :
und wart ie grözer sin vrftz,
als daz mer von vluzzen,
von regene und von guzzen
Albrecht v. Halberstadt xx, 216;
er sprach und der geist des hageis stund und sein unten
{var. güszs) sein erhaben erste dtsche bibel 7, 405 (dixit
et stetit Spiritus procellae et exalti sunt fluctus ejus); und
er satzt iren hagel in das wetter, und sein untten die
sch-\vigent (war. güssz) ebda 406 (siluerunt fluctus ejv^); ein
glaubig hertz ist wie ein hauss ufE einen fclsen gebawen,
dem weder güss, schlägregen, noch Sturmwind schaden
mögen Eberlin v. Günzburg 2, 165 ndr.; gehet man doch
einem regen nicht gerne entgegen, ich geschweige einem
platzregen oder solchem gusse J. Prätorius glückstopf
(1669)21;
ach, welch gewltter dräut mit diesen strengen güsscn
A. Gryphius ged. 391 lit. ver.;
früh ein gusz, hernach regnicht Prätgritts zodiacus merc.
29; dergleichen werder (kleine inselchen) entstehen ... auch
im sommer, da jähe güsse und wolckenbrüche . . . grosze
teiche unversehens ausreiszen G. H. Zincke allg. oecon.
lex. (1744)3185;
wie viel nebel seynd im mertz,
so viel güsse sind im jähr ohn allen schertz
{bauernwetterregel)
v. HOHBERG georg. cur. 3, 1, 95";
bis des gewitters strenger gusz,
wie sie einmal vergnügt spazierten und unbehutsam fern
sie unvermittelt überfiel [gegangen,
Brockes Jahreszeiten (1745) 239;
wir duldeten viel auf dem langen wege, watend jetzt
durch wilde ströme, jetzt in ungewittern von güssen
überströmt Herder 18, 233 S.; vor einigen tagen war
auch hier ein gewitter und starker gusz Göthe III 4,
279 W. ;
möge das drohende wetter, so sagte Hermann, nicht etwa
schlössen uns bringen und heftigen gusz
GÖTHE 50, 252 W.;
in Kirchenlamitz trieb uns ein gusz ins Wirtshaus, wo
wir das fluchen fortsetzten Jean Paul 3, 212 Hempel;
zu Ziltz hat uns ein sehr starker gusz überfallen
J. V. EiCHENDORFF 11, 2 Kosch-Sauer; und in wenigen
minuten stand . . . alles in wasser, so heftig war der
guss und Sturm Ritter erdk. 10, 127;
gell stürzt, vom gusz geschwollen,
der quell vom felsenkamm,
G. Kinkel ged. (1868) 2, 81;
. . . aber schon bewegt sich das letzte fuder auf dem
feldweg rasch ins dorf, und wenn unter donner und blitz
der gusz beginnt, ist es auf der tenne des stadels geborgen
M. Meyr erz. aus dem Ries (1868) 3, 140; der himmel hatte
sich drohend umdüstert, und schon bei Goricani über-
raschte uns ein kurzer, kräftiger gusz Hassert reise durch
Montenegro (1893)185; die schwarzen wölken am himmel
platzten und sandten einen gusz nieder M. v. Ebner-
EscHENBACH ges. sehr. (1893) 4, 99. von eiyizclnen heftigen
regenschauern : der regen fing erst gegen abend an, etwas
nachzulassen; doch kamen von zeit zu zeit noch einige
güsse I. G. Förster sämtl. sehr. (1843) 2, 44; als ich bei
Seefeld hinaufgekommen, gingen die güsse nicht mit . . .
GöRRES ges. 6r. (1858) 3, 526; und nach fünf minuten hörte
es wieder auf (zu regnen), allein da neue güsse drohten,
und doch die gänge nasz waren, so zog ich mich klüglich
nach hause zurück Varnhagen v. Ense tagebücher 3, 384;
der regen liess gegen abend allmälig nach und hörte mit
einem letzten tüchtigen gusse ganz auf W. Raabe schüd-
derump (1870) l, 235; verkroch ich mich, besserung des
Wetters abwartend, der ärgste gusz ging denn auch bald
vorüber Herm. v. Barth nördl. kalkalpen 216.
3) als starker trunk, hinuntergieszen einer flüssigkeit,
vielleicht schon ahd. guzza 'hausttis' (largos locus accipit
haustus) ahd. gl. 2, 513, 61: ^
dö huob er üf unde tranc
einen trunc, der gröze güzze truoc
weinschwelg 185 E. Schröder;
Inn allen gliedern kalte flüsz,
horkummen durch die grossen güsz
übriger füll, die mich ernert,
der ich mit arbeyt nye verzert
H. Sachs 3, 489 lit. ver.;
wie Venus schwächt der glider kraft,
gleiches auch Bachi weingab schaft,
hindert den tritt und schwächt die füs
und geben güsz auch wider flüsz
FiSCHART w. 3, 23 H.;
die ihn {den tabak) bald nach den mittagsessen brauchen,
verderben den magen und durch zugesetzte starcke güsse
die gantze substantz menschlicher Constitution med.
maulaffe (1719) 91;
und leert sie aus auf einen gusz
Ch. Fr. Henrici ernst-scherzh. u. sat. ged. (1727) 4, 398;
du stärckest mich un^ machst gesund
durch deiner güsse hlraigs külilen {vom wein)
F. V. Hagedorn vers. einiger ged. 34 ndr.;
sprichwörtlich: durch das freszen und sauffen, wirt die
natur verderbt, ein bösz vorzeitiges alter, blöden doUen
köpf, ... wie man spricht, lasz die güsz, so lassen dich die
flüsz S. Franck trunkenheit {ibZl) c 1^ ; darub ginner artzet
zu dem follen sprach, liessestu die güss, so liessent dich
die flüss Th. Murner bei U. v. Hütten op. 5, 468 Böcking ;
güsz machen flüsz gulosi morbosi Aler dict. (1727) 1,995"^;
güsse machen flüsse Staub-Tobler 2, 472; mit neuer sinn-
gebung: grosse güsse bringen flüsse (von den folgen grosser
ereignisse) Wander 2, 173; anders: der gusz geht nach
dem flusz (das geld flieszt immer dem reichen zu, frz. Veau
va toujours ä la rivihe) ebda.
4) besondere bedeutung sschattierungen gewinnt gusz bei
fliessendem wasser, sich ergieszenden wassermassen, wobei
auch die Vorstellung einer horizontalen Strömung möglich ist.
a) der ursprünglichen bedeutung noch nahestehend von
plötzlich vordringendem, abstürzendem wasser:
der prünnen quäll und wassers flüss
sah ich aus velsen manche güss
J. V. Schwarzenberg teutsch Cicero (1535) 156;
die Maasz . . . stürzt sich endlich . . . mit einem gewal-
tigen gusz in das grosze meer Ufitenbach geogr. tabdn
(1612) 232;
1213
GUSZ I A4 — B 1
GUSZ I B 1
1214
^
ein regenstrom aus felsenrissen,
er kommt mit donners ungestüm,
bergtrümmer folgen seinen güssen
SCHILLEK 11, 15 ö.;
ati/ch geradezu als sturzbach, gieszbach (vgl. guszbach,
sp. 1220): dann wann es regendt, so pringen es (edles ge-
stern von den bergen) die güsz herab Schiltberger reiseb.
59 lit. ver.; also geschiht oft under den wazzem, diu vest
gründ habent, und so ir gründ erhebt werdeiit, so vleuzt
das wazzer auz. da von koment dike groz güzz auz den
pergen, an regenwazzer und auch an snewazzcr Kokk.
V. Megenbero buch der natur 113; oder als 'Wasserfall,
Stromschnelle': hirnachcr gerieh te er unter ein klein klip-
pigt eiländlein, da zween güsse oder Wasserfälle von
einem hohen steinfelsen mit einem erschröcklichen ge-
räusch in die see hinabschossen M. Krämer leben u.
tapffere thafen (1081) 560;
gleichförmig wie der gusz von katarakten
roll hin, o lied! der Sänger ist zu schwach
zu widerstehen deinen riesentacten
J. MOSKN (1863) 2, 230.
b) von den anschwellenden und überflutenden gewässern,
neben das üblichere güsse 'Überschwemmung' (s. d. ) tretend
u)id von ihm nicht immer zu unterscheiden: groz guzz
diluvium Dieffenbach-Wülcker 625: (der grosztürke
Moratbey) soll, ward gesagt, haben gehabt allein drey-
hundert tausent reysiger, das Ungerland zu uerderben,
das auch an zweyfel geschehen wer, wo nit ein
groszen gusz und überflusz des wassers aus gottes Ord-
nung yn hett verhindert und abgefodert Seb. Franck
chron. u. beschr. d. Turckey (1530) a 41»; thet der ueber-
schwall, gusz und auslauff der Tiber ein mercklichen
schaden S. Franck germ. chron. (1534) 191; und es er-
schynen rlie gösse des meeris (effusiot^es maris) 2. Sam.
22, 16 (var. zu wassergösse);
(der Rhein) hat mit der weil auch mit sein güssen
der stat ain gut stück hingerissen
Fisch ART glückhalt schiff 17 ndr.;
gleich als ein schneller wasserflusz,
der sich ausbreyt mit starckem gusz
JOH. Spreng Ilias (1610) 53»;
. . . und Averden wir der weiszheit vergessen, (so leben wir)
wie das röhr im wasser und sein kein augenblick sicher,
wo ein gusz komme und uns hinführe Paracelsüs op.
(1616) 2,016 Huser; 'räumet auf, 's kommt ein gusz',
ruft eine geisterstimme vor jeder Kocherüberschwemmung
Fischer schwäb. 3, 937.
c) in dichterischer spräche von der Strömung des vxisser-
laufs:
so rausche, so laufe mit stärkerem gusz
weil meiu zehren dich vermehret (vom fiusse)
HaksdÖkffer fraucmimmergesprächspiele 4, 128;
der bachvermehrte flusz
kan seinen lauf nicht zwingen,
er eilt mit scliuellem gusz
Harsdörffer trichter (1647) 1, 83;
wo der gelbe Pregelflusz
durch Pontenens braune matten
ziehet seinen leisen gusz
K. Stieler geh. Venus 32 ndr.
d) als fiusz, wasserlauf, bach: da kam ein solch unge-
witter, fiel ein söllichs nasz wetter an, das die päch und
güsz überal anliefen Aventin bayr. chron. 2, 293 L.; sie
liebeten diese angenehme Waldungen, . . . das gerausche
dieser güsse und fiüsse Schupp sehr. (1663) 848;
seufifzet mit, ihr stillen flüsse,
bejammert eures königs fall!
weinet doch, gesambte güsae,
weinet doch, ihr quellen, überall!
D. Frommer bei Fiscueu-Tümpel kirchenlied 4, 196».
B. gusz als arbeitsvorgang bei den gewerken.
1) in der eigentlichen bedeutung 'gieszen von metallen'.
a) der gesammte arbeitsprocesz von der entnähme des
flüssigen metalls aus den Schmelzöfen an bis zum ein-
bringen in die form v. Alten handb. f. heer u. flotte
4, 502; schon aJÜl. guz 'fususio' (l. [opere] fusorio) ahd.
gl. 1, 324, 47: es leit vil am guss ob ein glock darauss
wert oder ein büchs Joh. Nas dcLs antipap. eins und
hundert (1567) 5, 29; item, so die stück zu dünn, krum,
und ungleich bort, zu kalt gegossen, daz die tem-
peratur des metall sich miteinander nicht wol resoluiren
unnd vereynigten, daz sie im gusz schifferig, oder inn-
wendig verborgne klüfften . . . gewunnen haben L. Frons-
perger kriegsbuch 2 (1573) z 1^; nim . . . bley . . ., das
zerlasz in einem tigel . . . des bleis nim 8 oder 10 pfimd
auff ein gusz zumal, lasz es . . . schmeltzen Gäbelkover
artzneybuch (1595) 1, 205; und gleich dieser stund nach
dem gusz (des metalls) so Schlags dünn Paracelsüs op. 2,
555 Huser; derhalben das pley darein gössen (in die
höhlung der zange), fleuszt herab durch die löcher in die
hole theil, und werden also mit einem gusz zwey pley-
kügelin Ph. Bech Agricolas bergwerckbuch (1621) 195; in
besorgung, sie (die weibsperson) möchte ihre menses haben,
welches (tvie mancher gieszer fest glaubt) zu gäntzlicher
verderbung seines gusses Ursache geben würde J. G.
ScHSiiDT rockenphilosphia (1706) 2, 420; geschieht dieses
(das kugelgieszen) , wann der mond im schützen läufft, und
drey schützentage nacheinander stehen, auch insonder-
heit dies martis eintrifft, so soll man sehen, dasz der
gusz in hora martis geschehn, so wird man seine Ver-
gnügungen haben v. Fleming vollk. teutscher soldat (\Ti.&)
363*; der maier ahmet sie (die natürlichen dinge) durch
pinsel und färben nach ; der bildschnitzer durch holz und
stein oder auch durch den gusz in gyps und allerhand
metallen Gottsched crit. dichtkunst (1751) 98; ingleichen
bedienen sich auch die meister im gusz — fabri aerarii —
der steine aus diesen brüchen zu formen beim gusz in erz
Rode Vitruvius' baukunst (1796) 1, 84; weil die nachricht
von dem vollendeten gusse (zweier bronzereliefs) länger,
als zu vermuthen war, auszen bliebe Göthe IV 29, 291 W.;
laszts mit aschcnsalz durchdringen,
das befördert schnell den gusz
Schiller 11, 306 O.;
allein die ungeheuren kosten und Schwierigkeiten, die mit
dem gusz verbunden waren, machten, dasz man nach
vielen vergeblichen vei-suchen endlich mittel fand, die
grössten Spiegel zu blasen F. Th. v. Schubert verm. sehr.
1, 211; da wären die bürger der Stadt herbeigelaufen und
hätten ihm (dem künstler) ihre silbernen löffel gebracht,
um den gusz zu vollenden H. Heine werke 3, 145 E.; als
aber der meister nicht kam und der gesell selbst gern
eine probe thun wollte, so fuhr er mit dem gusz fort und
verfertigte . . . eine glocke Grimm dtsche sagen (1891) 1, 98;
auf die metallegierung und damit auf die quralität gehend:
er hat die glocken läuten hören, wo sie hängen, wie sie
hängen, aus welchem gusz sie sind, darüber findet man
bei ihm keine auskunft Gutzkow ges. werke (1872) 9, 310.
b) gusz in der bedeutung gieszen zwecks Scheidung der
metalle, mitunter in der formelhaften wendung gusz und
flusz; gusz und flusz eine scheidungsart des goldes und
Silbers, wenn diese metalle unter sich oder mit anderen
metallen vermischt sind, man bedient sich hierbey nebst
dem feuer verschiedenen mineralien, als schwefel, zuge-
setztes fluszpulver u. dgl. Jäcobsson technol. wb. 2, 176:
sind die silber güldig, müssen sie noch ein mal durchs
aqua fort, oder durch den gusz geschieden werden
J. Mathesius Sarepta (1571) 65''; das ander buch be-
schreibt, . . . Silber und golt im starcken wasser und im
grusz zu scheiden L. Ercker beschr. aller mineral. ertzt
(1580) ^X^; quinta essentia . . . reinigt das silber und goldt
in seim guss und last . . . kein unflat in jhm Paracelsüs
op. 1, 827 Huser; Scheidung durch gusz und flusz Mus-
pratt 3, 1814.
c) der arbeitsvorgatvg des metallgieszens übertragen auf das
enlsteheii literarischer oder künstlerischer werke: solches
corpus juris habe er zu mehrerer deutlichkeit angefangen
in einen neuen gusz zu bringen Liscow sat. u. ernsth. sehr.
(1739) 780; nach meiner Überzeugung hat das ganze sehr an
klarheit gewonnen und verhältnismässig nur wenig von
dem glänze des ersten gusses verloren aus Schleiermachers
leben 2, 66; das werk des meisters . . ., das im grossen
gusse hervorgeht B. G. Niebuhr röm. gesch. 1,138; sie
1215
GÜSZ I B 8
GUSZ II 1-2
1216
begreifen nicht, welche arbeit ich habe, um . . . durch
einen besonnenen guss ein harmonisches ganze hervor-
zubringen H. Heine 6, 4 E.; aber diese Überarbeitungen
in längeren Zwischenräumen haben dem drama auch das
schöne ebenmasz genommen, welches bei gleichzeitigem
gusz aller theile möglich ist G. Frkytag 14, 166. die nach-
stehenden Verwendungen in qualitativem sinne stehen unter
dem einflusz der festen Verbindung aus einem gusse sein ;
sie gehen auf die geschlossene composition: kein blick, kein
ohr, kein herz ward von dem ganzen verwendet, und es
fing schon an, gediegen und zu einem gusse zu werden
(aus der beschreibung einer chorprobe) Heinse 5,15 Schild-
dekopf; was diese an geschlossenheit, an gleichem guss,
an gehaltenem ton vor jenen voraus hat, das überbieten
jene an weitem Interesse und an groszartiger Wirkung
{Karlssage und Nibelungen) Gebvinüs gesch. d. deutschen
dichtung 1, 238; manche, die ich neuerdings gesprochen,
halten den Jenatsch für ihr meisterwerck und dem gusze
nach mögen sie recht haben L. v. FBANgois an C. F. Meyer
briefw. 18. jedoch spielt auch die Vorstellung mit hinein,
dasz die art des gusses von der art der metallegierung ab-
hängig ist, wie in den nachfolgenden belegen: das fleisch
ist hart, die sehnen sind stramm, wie eisen von bestem
gusse H. Heine werke 2, 117 Elster; j unker waren sie alle
drei gewiss; ... sie waren von anderm guss als die
bürgerherren unten Alexis Roland v. Berlin (1840) l, 202.
2) gusz in präposilionalen fügungen.
a) am entwickeltsten ist aus einem gusse; in allge-
meiner Übertragung auf beliebige dinge: 'aus einem gusse
sein in einem zuge gearbeitet, aus der metallgieszerei : die
meisten metallguszaxbeiten wurden früher in einzelnen
teilen gegossen und diese dann zusammengeschweiszt, wobei
■oft nähte sichtbar bleiben, im gegensatz dazu lobt die redens-
■art ein werk, das keine nähte erkennen läszt, einen voll-
kommen einheitlichen eindruck machf Bobchabdt-Wust-
MANN sprichtwörtl. redensarten (1925) 168; gern in an-
wendung auf künstlerische, besonders literarische werke:
es (ein von Palladio erbautes kloster) steht wie aus einem
gusz GöTHE 3, 110 W.; da entsinne ich mich, dasz ihre
kleider nicht so aus einem gusse sind als diejenigen, die
.sie ihren freunden bereitet IV 22, 47 W .; alles strebt er
. . . freundlich zu verbinden, so dass das ganze wie aus
einem guss ist Athenäum l, 127; wo dann das ganze wie
aus einem gusse ist, da fühlt der gleichartige sinn den
lebendigen hauch und sein begeisterndes wehen Athenäum
2,36 [über die philosophie v. Fr. Schlegel); schöner, was
so aus einem gusse kömmt, als woran täglich geflickt
wird J. v. Müller sämtl. werke (1810) 6, 432; in den . . .
gedichten ... ist die empfindung aus einem gusse Bettine
briefiv. m. e. kimle 1, 63; dadurch nimmt diese schrift
unwiderstehlich für sich ein, dasz sie so ganz aus einem
gusz ist Görkes briefe 2, 20; hier eine treffliche, fest
ineinander gefügte fabel aus einem gusz in gehaltener
gleicher darstellung J. Grimm kl. sehr. 5,266; Wilhelm
Meister ist kein werk aus einem gusse D. F. Stbauss sehr.
•6, 210; seien sie fleissig, . . . damit der zweite und der
dritte band Avie aus einem gusse erscheinen Holtei erz.
sehr. 22, 8; qualitativ einfach ist das recht, wenn es wie
aus einem gusse ist R. v. Jhering geist d. röm. rechts
2, 2, 345; bei ihnen war die betrachtung der gegebenen
weit, in die sie sich gesetzt sahen, und der gegensatz, in
den sie sich selbst zu ihr setzten, immer aus einem
ganzen gusse Gebvinus gesch. d. deutschen dichtung 5,
147; und alles (auf dem bilde) ist aus einem gusse und in
einem zarten schmelze, dass keine harte, keine leere
stelle sich aufzeigt A. Stifteb 14, 226; wie aus einem gusz
aufgeführt (von einem gebäude) J. V. v. Scheffel ges. w.
{1907) 3, 230; trotzdem bleibt der Samson ein wunder-
schönes gedieht, ein werk aus einem gusse Tbeitschke
hist, u. pol. aufs. 1, 54; das werk, wie es im wesentlichen
vollendet war, . . . konnte hiernach kein kunstwerk aus
einem gusz sein K. Justi Winckelmann 2, 2, 20.
b) aus einem gusz erweitert durch andere subst.: so
musste freilich beer- und wehrordnung durch ganz
Deutschland . . . bei dem stehenden beere bei der land-
wehr und dem landsturm ganz aus einem guss und
schluss sein E. M. Abndt Schriften f. u. an s. l. Deutschen
3, 223; sie erschienen ihnen damals durchaus wie ein
Volk aus einem guss und stamm ebda 4, 85; von geisti-
gen, namentlich künstlerischen gebilden: eine geistige
Schöpfung ist es (Mozarts Don Juan), das einzelne wie
das ganze aus einem geiste und gusz und von dem
hauche eines lebens durchdrungen Göthe gespräche 8, 98
Biedermann; sie (die deutsche spräche) ist ein werk aus
einem gusz und flusz Fr. L. Jahn werke 2, 11; ... das
ganze zuletzt weder aus einem stück und gusz erscheint,
noch ... F. Schleiebm ACHER 5ttm<Z. werÄ-e(l834) i, 5, 168;
es (das klavierstück) ist so klar und schön, so aus einem
gusz lind flusz, in der Verbindung mit dem Orchester so
eigenartig und wirkungsvoll, wie es dem kunst jünger
selten, und nur dem meister in guter stunde gelingt
R. Schümann briefe 2, 50.
c) fügungen mit in, auf, von usw. zur bezeichnung
der einmaligen oder der nicht unterbrochenen handlung:
gleich wie ich aber, was ich will, gern aus allen kräften
will, so Hess ich alles liegen und stehen, um nur in einem
guss dieses werk darzustellen Gleim briefwechsel 2, 585
Körte; nun ging alles in einem guss fort Caroline 2, 170
Waitz; so dasz nun die freie Schönheit ganz ungehindert
wie in einem gusze hervorgegangen zu sein scheint Hegel
werke 10, 2, 246; ich erwarte nie, dasz irgend etwas
groszes, das nur durch vereinigte kräf te und hartnäckigen
fleisz einer groszen anzahl der geschicktesten und besten
männer eines volkes zustande kommen kann, sich so auf
einen gusz, wie man eine metallene bildsäule gieszt,
machen lasse K. Fr. Gramer Neseggab (1791) 3, 21; er hat
sich bemüht, alles wie von einem einzigen gusse zu
machen Winckelmann sämtl. werke l, 152.
II. gusz als nomen acti bedeutet das ausgegossene, be-
sonders fa^hspr achlich.
1) allgemein als ausgegossene flüssigkeit, sich mit den
belegen unter I 1 noch nahe berührend:
dlsen seleclichen guz (von himmelstau)
den heilsamen uzfluz leben d. hl. Elisabeth 10339 ;
worauf der frevelnde junge bösewicht, weil er einen ziem-
lichen gusz (aus dem nachtscherben) bekommen, . . . mit
fluchen, hageln und donnern davon geloffen Erasmus
Francisci höll. Proteus (1695) 1017; diese seeangst, kalte
güsse und saltzige trüncke wolten sich mit der zuvor
auf dem königlichen schiff empfangenen freude und ge-
sundheiten in uns und unserem magen nicht vertragen
Adam Oleariüs verm. reisebeschr. (1696) 133; die holz-
stösse . . . löschten vor drüber hingeströmten güssen aus
flusz und bach und trinkhorn Fouque altsächs. bildersaal
(1818) 2, 202; gusz das ausgegossene wasser, womit ein ver-
storbener abgewaschen wird Alemannia 15, 75/ über einen
gusz gehen bedeutet böses ebda.
2) im brauiüesen: 'die zu einem gebräude bestimmter
grösze, zu einem bestimmten schult nach der brauordnung
gehörige, aufzugieszende menge tvassers' Weber term.-ökon.
lex. u. id. (1829) 211; anders: gusz im brauen ein gewisses
■maasz weitzen oder gerste zu einem brau Frisch 384: so
sollen sie sich dohin vorgleichen, dasz der schutt und
gusz deromaszen angestellt, dasz ein jeder von dem losz
nach ein doppel und einfaches hier . . . verhoffentlich
brawen könne stadtrecht von Eisenach 102; daraus kan
gesehen werden, dasz über vermögen des getreides der
gusz nicht einzurichten, sondern alles in richtiger masz
zu halten sei, damit ein gutes bier daraus erfolgen kan
schles. Wirtschaftsbuch (1712) 635. in der weinkelterei der
ausgusz, ausflieszende strahl als menge, s. Fischer schwäb.
3, 973; Staub-Tobler 2, 582: und sol in den vorlas under
dem wingarten geben ; war aber, daz von dem vorlasse nit
als vil werden möchte, so sulen sie herabe volgen under
die kälterrun und suln da den ersten gusz nemen, bis sie
geweret werdent (1343) Württemberg, geschichtsqu. 4, 382;
wievil weins ir von dem gusz nemen, daz ir denselben
wein in den weisen wein schüten Fischer schwäb. 2, 974.
1217
GUSZ II 3-5. III
GUSZ IV— V {Zusammensetzungen) 1218
3) in der hausmrtschaft: 'bei backwerken flüssig aufge-
goszner oder au fg estrichner und dann hartgebackner zucker
mit eiweisz' Sandeks wb. l, 642''; einen gusz von zucker,
etc. auf pasteten crostata di zucchero Jagemann dtsch-
italien. wb. (1799) 2, 552, vgl. Fischer schwäb. 3, 937: gusz
zu einem groszen kuchen von frischen zwetschen. ein klei-
ner Suppenteller dicke saure sahne, ..,, 2 eszlöffel zucker,
1 teelöffel zimt Henr. Davidis kochbuch (1920) 245; mau
kann dem gusz {zuckergusz) oder etwas von demselben,
auf folgende weise eine färbung geben 246; übertragen:
der atem der kälte legte sich über den wald in zuckrigem
gusz C. Viebig schlaf, heer (1904) l, 134.
4) vom gegossenen unschlitt, schmalz: auch sollen si
{die fleischhacker) geben inszlet vierding oder mer, was
ainer zu bezallen hat; und ob ainer ainen groszen gusz
inszlet het, das sol er zustechen und davon ainem
geben was er zu bezallen hat, ob des an in begert wirdt
österr. weist. 9, 722. dazu die deminitivform : das güszlein
schmalz stöckchen Schmalzes, wie es durch ausgieszen der
zerlassenen butter in gewisse geschirre entsteht Schmeller
1, 950; vielleicht hierhin: ithem 3 gülden 4 hllr vür einen
gosz onslechtes der weig Lvm </i und vür xxvi // rohes
ungesmelzten unslechtes Elsen v. Holczhusen inventar
{Frankf. archiv 1410, hs. mitget.); doch vgl. goss Fischer
Schwab. 3, 754.
6) als das gegossene metall oder der gegossene gegen-
ständ, bei bildwerken der abgusz: und behielte ihme . . .
das schloss Croman, voll gefüllter mit bahrem gelt,
getraidt, grosse güss goldt undt silber mit ainem cost-
lichen credentz clainodien N. Hermann Bosenburgsche
chronik 1Ö6; die neu wen güsz aber sein schöner und
stärcker J. Th. de Bry archelei (1614) 2; doch zeiget
der gusz {der figur) eine Schönheit, der sich ein meister
nicht schämen darf Gottsched anm. gelehrsamkeit (1751)
6, 284 ; denn es ist schwer, einen neuen gusz an den bruch
eines alten Stückes von erzt zu verbinden J. J. Winckel-
MANN von den herkulan. entd. (1762) 26; wenn er geräth,
werde ich mich sehr freuen, noch mehr aber wenn ich dir
einige güsse in bronze liefern kann Göthe br. 6, 388 ; gute
güsse der antiken Göthe 4, 3, 67 W.; wer würde hier {in
arie 19 des Figaro) an ein einschiebsei denken? oder nur
ein ähnliches verfahren erkemien, wie das des ciseleurs,
der die mängel des gusses mit geschickter band über-
arbeitet? O.Jahn Mozart {18ö6) 3, 449; weisses roheisen
ist . . . zu feinen güssen wenig geeignet Karmarsch-
Heeren 2, 772; es erfolgen sehr dichte und blasenfreie
güsse {mit platin) Muspratt 7, 298; al frauen un ale gösz
krit mer iweral umsos Müller rhein. wb. 2, 1506; fach-
sprachlich hat gusz specidle bedeutungen erhalten: gusz als
hals der kugelform: wenn man vom maas der kugelform
redet, so musz man den hals oder gusz nicht darzu
rechnen J. F. Stahl gewehrgerechte jäger (1762) 151 {vgl.
guszhals, sp. 1219); in Schwaben bezeichnet man mit gusz
auch den gusseisernen teil des modernen pfluges Fischer
schwäb. 6, 2082.
III. gusz = behälter, aus dein oder in den etwas gegossen
vnrd.
1) behälter aus dem etwas gegossen wird, nicht litera-
risch belegt: gusz waschgefäsz, aus dem man durch eine
röhre beym waschen der hände das wasser in ein darunter
stehendes kupfernes becken laufen läszt Stalder 1, 502 ; gut
gefäsz zum gieszen Krüger plattd. spräche, bes. in Emden
55; gusz von topfen mit einem ausgusz {rohmguss)
Mensing 2, 511; auch der ausgusz selbst: göt ausfluszrohr
einer pumpe, gieszkanne usw. ebda 2, 458; de gut an de
tepot Doornkaat-Koolman l, 70 ; als m^sz einer flüssig-
keit: gütt iVie masz, kännchen Woeste 88; gosz gieszkanne
als masz: duh noch e gosz wasser druff Reuting wb. d.
Höchster ma. 19; in speciellem gebrauch bedeutet gusz auch
die guszform: derhalben alsbald das ertz geflossen ist,
disz geuszt er {der probierer) in ein eisernen gusz, der
grosz oder klein pflegt zu seyn Ph. Bech Agricolas
bergwerkbuch (1621) 204; wenn . . . das gold in den
gusz des künstlers . . . käme, würde das vollkommenste
IV. 1. ß.
gemachte daraus D. C. V. Lohenstein Arminiua (1689)
1, 134; wenn alles ist wie in den tagen des glückes,
blank, wie aus dem gusse des goldschmiedea kommend
A. Stifter i, 217.
2) als gösse, rinnstein, ausgusz in der küche, vgl. gusz
ein ort, wo man das unreine wasser durch- und weggiesset,
fusorium culinae Frisch 1(1741)384*=:
mir Ist verfroren heut der gusz,
denselbn man widr öffnen musz,
dasz das wasser kan dadurch rausz
J. Ayebk 2400 lü. ver.;
darnach laufit dasselbe wasser durch heimliche güsse
wieder weg und führt aller unflat mit Erasmus Franisci
lu^t. Schaubühne (1697) 3, 1018; heute noch in obd. mund-
arten, s. gusz gösse, rinne Sartorius ma. d. st. Würz-
burg 53 {beleg von 1700); Fischer schwäb. 3, 937; mit dir
tut man im himmel den gusz pflasteren {wo der regen
herauskommt) Fischer schwäb. 6, 2082. in Schwaben be-
zeichnet man mit gusz auch den penis.
in der seemannssprache bedeutet gusz 'auf den schiffen
beym wallfischfang eine rinne von brettern, darinnen man
den speck des loallflsches vom obern schiff hinein in die
lücke streicht, dasz er durch die mammierung in den
unteren räum falle {canalis in quödejicitur lardum belaenae
in inferiora navis loca) Frisch i (1741) 384^ ; vgl. Jacobsson
techn. wb. 2, 176; Kluge seemannssprache 339.
IV. Sonderbedeutungen.
a) gusz als krankheit, podagra, vielleicht durch die
sprichtwörtlichen redensarten sp. 1212 bedingt? so sind die
weibszpersonen mehrern theils schwach und sonderlich
von Aussen und güsen geplagt T. Knobloch kurtzer be-
richt V. d. podagra (1606) 29; oder wie sie zu reden pflegen,
die güsse bekommen ebda 44.
b) in der Soldatensprache ist gusz ein Spottname für den
train, nur in Sachsen gebräuchlich, vgl. Müller-Frau-
reuth 1, 452; HoRN soldatensprache 32.
V. Zusammensetzungen mit gusz kommen fast nur
mit Substantiven vor, vereinzelt schon im ahd., s. u,
guszfasz, gusopfer, das 19. jh, bringt eine fülle von neuen
bildungen, vor allem in der spräche der technik: gusz-
anstalt: man baute einen reverberirofen, um altes eisen
zu schmelzen und eine gussanstalt ins werk zu setzen
Göthe 35, 58 W.; -arbeit: ich meine den kunstsinn, der
. . . den rothschmied zum meister kunstreicher guss-
arbeiten erhob L. Uhland sehr. z. gesch. d. dichtung u.
sage 2, 359; kupferne fingerringe, . . ., könnten ebenfalls
auf guszarbeit deuten Ratzel Völkerkunde 2, 588; -art:
der Inspektor . . . sagte mir, dasz er diese guszart er-
funden PüCKLER-MusKAU briefe eines verstorbenen (1836)
1, 150; -bahn: man sticht dasselbe {blei) in einen eisernen
giesstrog ab, welcher ... an der aussenkante der guss-
bahn mittels rollen bewegt wird Muspratt l, 1637;
-berechnung: {es) sei erwähnt, dasz nach den gusz-
berechnungen der Wiener münzstätte im 15. jh. der
Schlagschatz 13% vom metallwert der münze ausmachte
LuscHiN v. Ebengreüth münzk. 217; -bereit: tagsüber
modelliere und korregiere ich an der kleinen figur, . . .,
den ich im f ebruar guszbereit zu haben hoffe K. Stauffer
/ami7iew6ne/ß (1890) 338; -blase: gewehrkugeln werden
aus bleischienen . . . gepresst und dadurch jene hohl-
räume (guszblasen) beseitigt, welche beim kugelgieszen
unvermeidlich sind Karmarsch-Heeren 5, 147 ; durch
gusz {der münzen) entstehen gewöhnlich nur vereinzelte
guszblasen Luschin v. Ebengreüth 77 ; -block: {es)
lassen sich messingröhren durch walzen aus einem guss-
blocke herstellen Muspratt 4, 2050; -boden: die con-
struction des neapolitanischen guszbodens {astrico ge-
nannt) ist ... folgender G. F. Schinkel nachlasz 1, 73;
hier {im oberen teil des apparates) kann die Zuleitung
durch den gussboden (aw5 guszeisen) dauerhaft dicht her-
gestellt werden Muspratt l, 409; -decke: sobald die
gussdecke erstarrt ist, werden die dochtenden abge-
schnitten {bei der kerzenfabrikation) Muspratt 6, 188;
-eisern«, aw alph. stelle; -f abrik: er vereinigte sich . . .
77
1219
GUSZ V (Zusammensetzungen)
GUSZ V (Zusammensetzungen)— 0\]SZEmEN 1220
mit Th. zur begründung einer gussfabrik Müspratt 8,
1357; -fähig: geschmolzenes zinn ist sehr gussfähig
Schöneemakk-Stübeb 929; -fehler: dies also sind die
guszfehler Rietschel an Bauch (1838) 1, 433; -gedinge
bei den gusawerken in akkord gegebene arbeifsleistung C. v.
ScHEUCHENSTUEii öst. berg- u. hüttenspr. (185Q) 9Q; -ge-
fäsz: ... seltsames guszgefäsz mit bügelschenkel oben,
mit tüUe A. Fvrtwä'Sotl.^'r vasenbeachr. (1885) 15; -gegen-
ständ: die gussgegenstände werden in tiegel, guszeisen-
kästen oder blecbbüchsen mit adoucirpulver so einge-
schichtet, dass sie rings von demselben umgeben sind
Kahmaesch-Heeeen 3, 41; die eisenhochofenschlacken
werden mit kalk gemengt weiter verwandt zu gussgegen-
ständen Müspratt 2, 1308; -gerinne: 1) mit wänden
eingeschlossener kanal, um darin das roheisen zur form
laufen zu lassen; 2) sehr steiles gerinne, besonders bei miitel-
schlächtigen mühlen vorkommend Mothes baulex. 2, 549;
-glas: (eine beschränkung der dachfenster) wird erreicht
. . . bei Ziegeldächern durch lichtziegeln aus gussglas in
form des deckmaterials Lueoer 3, 97; -glashütte:
Peter Ziegler . . . gebührt das verdienst, . . . die erste
und dermalen einzig bestehende gussglashütte dort er-
richtet zu haben Liebig ein arbeiterleben (1871) 165; -hals,
auch gieszzapfen, guszzapfen: bei allen kugelformen ist
darauf zu sehen, dasz das guszloch nicht sehr grosz ge-
macht werde; denn seine grösze bestimmt den guszhals
Seydelli einrichtung des kleinen gewehrs (1811) 135;
-haut die oxydierte Oberfläche gegossener metallgegen-
stände, rauh, von grauer, schwärzlicher oder bräunlicher
färbe Bucher reallex. d. kunstgewerbe 173: schwer kommt
in veränderten falten ein wahrer Zusammenhang, selbst
die weiszen frischen stellen neben der gelber gewordenen
guszhaut stören ihn Rietschel an Bavx:h briefwechsel
1, 255; -hütte: in Russland existieren eine gusshütte
(für Spiegelglas) zu Dorpat, . . . eine zweite ... im Rjäsan-
schengouvernementKARMABSCH-HEEREN 4,76; -kästen:
die kastenform steht (bei der eisengieszerei) meist noch
in einer aussenform, dem guszkasten 0. Mothes 2, 549;
-köpf «. ap. 1222; -körper: dasz weder das ganze eines
guszkörpers noch seine theile homogen waren Müspratt
chemie 4, 1954; -kruste die oberflMche grosser gu^zeisen-
stücke, welche früher erkalten als das innere derselben
C. v. Scheüchenstüel 116; -kunstwerk: obgleich die
guszkunstwerke nun . . . um die hälfte billiger beschafft
werden können und entsteht in dieser beziehung ein
wohlbegründeter vortheil den bildhauern Rauch an
Rietschel briefw. 2, 401; -lag er: während die wellen 1 und
2 in gusslagern gehen, läuft die dritte welle ... in einem
rothgusslager (b. d. centrifuge) Müspratt 5, 1570; -löffel
dienen zum schöpfen des roheisens atis dem hochofen C. v.
Scheüchenstüel 116; -lücke Vertiefung in der flache
eines deiches, worüber das wasser bei groszer flut geht
Mothes 2, 550; -masse: der leere räum ..., in welchem
später die gussmasse eindringt Rossmässler d. mensch
im Spiegel d. wofür (1855) 103; -mauer: der bergfried
hatte noch Überreste römischen mauerwerks, guszmauern
B. Auerbach sehr. 6, 43; Mothes 4, 71; -metall: guss-
naht entsteht durch einfliessen von gussmetall in die
fugen bei zweiteiligen gussformen v. Alten 4, 503 ;
-modeil: in der artülerietechnik wird . . . das holz der
roterle . . . verwendet . . . zu . . . gussmodellen v. Alten
3, 413; -mörtel gleichbedeutend mit beton v. Alten 4, 502;
-mündung im wasserbaue, der äuszerste teil oder die
mündung eines rohres, welches auf den springbruymen auf-
geschraubt wird und durch welches der Wasserstrahl aus-
fährt Campe 2, 482^ ; - m u 1 1 e r in den schriftgiesze-
reien die form, in welcher der buchstabe gegossen vnrd
(matrice) Campe 2, 375^; matrize giszmutter oder gusz-
mutter J. Kinderling reinigk. d. deutschen spr. (1795) 297;
-naht erhöhungen an einem rohgusz, welche durch das
eindringen des flüssigen metalls in die fugen zwischen den
einzelnen stücken der guszform entstanden sind Bücher
reallex. d. kunstgew. 173; -Oberfläche: feiner sand
liefert eine glatte, grober eine rauhe guszoberfläche (in
der eisengieszerei) Lueger 3, 619; -pfanne: gusspfannen
dienen zum schöpfen des . . . roheisens aus dem hochofen
Scheüchenstüel ii6; -platte: ein vertiefter kästen . . .
durch dicke guszplatten begrenzt Kaemarsch-Heeren
3, 24; -probe: anmerkungen über gussproben von zinn
und blei (buchtitel) allg. deutsche bibl. 63, 614; -putzen
die reinigung der gusswaren von oxydschichten, gusshaut
LüEQER 5, 25: eine specialität (der bürstenwalzen) sind
die bürsten mit giisstahldrahtbüschel, die zum gussputzen
dienen ebda 2, 762; -schale: guszschale auch im deut-
schen vielfach mit kokille bezeichnet, ist eine guszeiserne
form zur aufnähme des flüssigen metalls als ersatz für lehm-
und Sandformen v. Alten handb. 4, 502; -scharte Ver-
tiefung in der fläche eines deiches, worüber das wasser bei
grosser flut geht Mothes 2, 550; 4, 503; -tafel: Peter
Ziegler gebührt das verdienst, die gusztafelglaserzeugung
in Österreich eingeführt zu haben J. Liebio arbeiterleben
165; -technik: man hat auszerdem die gusztechnik
neuerer zeit sehr vervollkommnet Luschin v. Eben-
geeüth 131; eiserne kugeln grossen kalibers zu giessen
war bei dem niedrigen stände der gusstechnik nicht mög-
lich V. Alten 4, 187; -tiegel: glauben, dasz sie (Sappho)
mit ihren lieben liebesgesängen der liebe ewige form und
gusztigel hinterlassen habe? Herder 25, 85 5. ; -Wöl-
bung: ... das kunststück . . . bestand in metallenen
Stäben, welche der flachen Wölbung eine fast unbegreiflich
weite spannimg gaben und so eine sohlenartige gusz-
wölbung gestatteten C. A. Böttiger kl. sehr. 2, 343
Sillig; -zapfen: der guszzapfen entsteht durch das ver-
härten des . . . metalls im eingusskanal 0. Mothes 2, 551 ;
die oinguszspur, da wo der guszzapfen an dem ge-
gossenen stücke gesessen hat G. Loos (in gerichtsaden
1833); Hoyer-Kreuter 1, 298; -zink: des gusszinks be-
dient man sich grossentheils zu Verzierungen J. J. Hklfft
wb. d. landbaukunst 420.
GUSZADER, /..• dasz er sich die guszader am halse
selbst öffnete viridarium historicum (1&70) 3^ — gusz-
bach, m., torrente, abondanza d' acqua alV improviso
HüLSIÜS (1618) 143l>.
GÜSZBETT, n., gemauertes bett, s. o. unter güsse 5. —
guszbild, n.: man wundre sich über die ungeheure
menge der kleinen schnitz- und guszbilder von göttern,
Philosophen und Schäfern, nymphen und thieren Gott-
sched anmuthige gdehrsamkeit (1751) 6, 410; der ver-
meintliche baumstamm mit seinen blätterlosen ästen
über dem linken arm des gussbildes F. G. Welcker
alte denkmäler 3, 240; dazu guszbildnerei statuaria
W. Fr. v. Meyern hinterlassene kl. Schriften 3, 76. —
guszbogen, m., zuckerbackwerk : guszbögen. zu einem
bogen rechnet man 1 esslöffel voll von der masse, bakt
sie . . . und krümmt sie über ein wällholz Fischer schwäb.
9, 2082. — guszbrett, n.: unter zweyen Jochen . . . sind
gussbretter oder fluthbetten gemacht (reusenartige Vor-
richtung au^ brettern und pfählen zum lachsfang) H. W.
Döbel neueröffnete jägerpractica (1754) anhang 66.
GUSZEISEN, n., gegossenes eisen zum unterschiede von
dem geschmiedeten Adelung; diejenige eisenart, aus
welcher . . . alle andere eisenarten . . . dargestellt werden
Mothes 2, 547, ebda näheres über arten und herstellung:
das guszeisen hat den Vorzug, dasz es nicht so wie der
stein die feuchtigkeiten in sich aufnimmt und daher auch
nicht so leicht übelriechend wird Helfet wb. d. landbau-
kunst 158^; der stahl unterscheidet sich aiich vom eisen
dadurch, dasz er spröde ist, einen kernigen bruch hat;
ebenso das guszeisen Hegel werke l, 7, 200; in Verbindung
mit dem aus dem material hergestellten gegenständ: man
kann nicht ohne grausen an das unglück denken, welches
das zerspringen dieses gefäszes von dem stärksten gusz-
eisen, ganz ähnlich einer kanone, in einem von zuhörern
vollgepfropften saale verursacht haben würde J. Liebio
ehem. 6ne/e(1844) 95; ein alterthümlich geformter ofen
von guszeisen K. Gutzkow ritter vom geiste (1850)7,^;
einen würfel als grabstein, auf welchen von guszeisen
heim, Schild, seh wert . . . kommen sollten Gutzkow 6, 99;
die pfeiler, welche die ketten tragen, sind wahre thürme
aus guszeisen Moltkb ges, sehr. u. denkwürdigk. 1, 220..
1221 GUSZEISEN {zusammensetz.) — GUSZFORM
GUSZGEWÖLBE - GUSZOB^EN
1222
I
übertragen die qualität bezeichnend: der kerl sieht aus,
als wenn er von guszeisen war F. Raimund werke 2, 279;
später, als sie schon auf den mond geheiratet hatte,
waren die Russen und Preuszen da gewesen, grosze statt-
liche männer wie aus guszeisen W. Hauff sämtl. werke
3, 48; so hart und unnachgiebig erscheinen wir uns selbst,
so spröde sind sehnen und muskeln, wie guszeisen
Fr. Schauweckeb feurige weg (1926) 26.
Zusammensetzungen sind besonders in der spräche der
techniksehr häufig, vgl. darüber die einschlägigen techn. wb.:
gusz eisenarbeit: was Hermann von ... den prächtigen
guszeisenarbeiten, . . ., vernahm, überzeugte ihn, dasz
gattenliebe hier das kostbarste mausoleum gründen wolle
Immermann 7, 17 Hempel; --kreuz: heute plumpe gusz-
eisenkreuze mit ebenso plumpen bildnissen, . . . von ge-
schmacklosigkeiten höheren Stiles nicht zu reden P. Ro-
SEGQER sehr. 112,260; --tor: der wie die Juden die
mauern von Jericho, so die steinwälle und guszeisenthore
von Idas herzen mit zinken und pauken habe nieder-
blasen wollen W. Hauff s. werke 3, 78; --wäre: küchen-
geschirr, guszeisenwaaren Ritter erdkunde (1822) 6, 72.
GUSZEISERN, adj., aus guszeisen: an den sich durch-
kreuzenden Strassen der stadt fand Erman grosse guss-
eiserne kohlenbecken mit bänken umgeben Ritter
erdkunde 3, 201; Schnitzarbeiten von elfenbein und
hirschhorn, guszeiserne cruzifixe K. Gutzkow ritler vom
geist 1, 294; eine guszeiserne pforte von geschmack-
voller Zeichnung ebda 2, 374; ein guszeisernes denkmal
Fontane ges. werke I 4, 271; ein gusseisernes grabkreuz,
wie sie mode seien Fontane I 6, 404 ; bekanntlich ist die
eisenbahn ein weg mit geleisen aus starken, gusseisemen
schienen Moltke sehr. u. denkwürdigk. 2, 237. uneigenllich:
so über sich selbst zu sprechen, das vermag, ja, das
erträgt nur eine guszeiserne eitelkeit R. Heller brust-
bilder aus der paulskirche (1849) 154; der gang des
{röm. gerichts-)veTi&h.Tens schritt in unabwendlicher
gleichmäszigkeit vorwärts, in denselben ein für alle mal
festgesetzten fristen und guszeisernen formen R. v. Jhe-
BINQ geist d. röm. rechts (1852) 2, 1, 108; laszt du nix
nach an dieser f orderung? . . . dann hast du eine gusz-
eiserne seel J. Nestroy ges. werke 2, 243. — guszerker,
m., ein auf consolen ruhender, unten offener balkon an
einem festungsthurme, über einem thore etc. zum herabwerfen
tödlicher dinge auf den andringenden feind Otte archäol.
wb. (1877) 95. — guszfasz, n.: infusoria guzvaz ahd. gl.
1, 686, 9. — guszfest, adj.: während die sprachen des
alterthums . . . den eigensten grund und boden besitzen,
auf dem eine entschieden ausgeformte und guszfeste
metrik . . . entstehen konnte Th. Wundt kunst. d. deut-
schen prosa 41.
GUSZFORM, /., erst seit dem 19. jh. zu belegen.
1) eine form, worin man einem flüssig gemachten körper
die form gibt, welche er hohen soll Campe 2, 482:
drum geh und hole kreide, denn ich musz
versuchen, ob Ich etwas mir vielleicht
diaus machen kann, das einer guszform gleicht
A. V. DÜRING Chaucer 3, 223;
in kurzem erwarte ich nun den vollständigen vorrath,
und werde dann auf befehl des herrn minister von Alten-
stein die matrizen und guszformen nach Berlin senden
A. W. Schlegel an W. v. Humboldt briefw. 13; es leuchtet
ein, dasz diese bestimmung der oberfläche durch meiszel
und guszform nicht nachgebildet werden kann Fr. Th.
ViscHER ästhetik 3, 371 ; Brasseur gibt an, die Zapoteken
hätten guszformen aus kohle gehabt Ratzel Völkerkunde
3, 684; dem feinde fehlten hohlgeschosse zur belagerung
der f estungen, die guszformen dazu verwahrte er in eisen-
werken Oberschlesiens G. Freytag ges. werke 13, 71; bei
gegossenen stücken (münzen) ist die guszform . . . für den
umrisz der münze bestimmend Luschin v. Ebengreuth
münzkunde u. gddgesch. 36.
2) Übertragungen: dasz die verschiedenen racen, die
seit der Völkerwanderung überall gemischt sind, sich in
die guszform des Staates zu einem gleichartigen ganzen
verschmolzen haben L. Bücher bildet aus d. fremde (1862)
1, 138; arbeiten, für welche die geistigen guszformen so
zu sagen erst hergestellt werden muszten tfusTi Winckd-
mann l, 202; das was seine aesthetik auszeichnete, war
die enge beziehung auf . . . ein gegebenes von canonischer
bedeutung — feste guszformen für den flüssigen stoff der
philosophischen meditation 2, 78. — guszgewölbe, ».;
die grosze leichtigkeit dieses steins läszt ihn übrigens bei
den sogenannten g\iszgewölben sehr anwendbar erscheinen
C. F. ScHiNKEL nachlasz 1, 71, vgl. O. Mothes 2, 549;
Luegeb 5, 25; Schönermark-Stüber 888. — guszklam-
mer,/.; 1 güssclammer zur treppe vor unser frauen thore
9 sol. 3 gr. (1435) cod. dipl. Lus. sup. 2, 568 (vielleicht gu^z-
klammer, die mit blei eingegossen ist). — guszkönig, w.,
rohe form des geldes, aus flachen silberkuchen bestehend:
auch im münzfunde zu Läszig in der provinz Branden-
burg wurden vier harren in form von guszkönigen ge-
funden Lüschin V. Ebenoreuth münzk. 142. — gusz-
kanne, /.; einer der schränke zeigte . . . becken, gusz-
kannen, zierliche gefäsze aller gattungen, sämmtlich aus
den gröszten kristallen geschnitten H. Zschokke sämtl.
ausgew. sehr. 34, 137 (vgl. gieszkanne). — guszkehle,
/..• das höltzlein gibt nachmahlen die guszkehl Joh.
Grassäus kleine baur (1658) 57. — guszkern, m., deakalb
wurde durch Verschiebung des gusskerns die höhlung . . .
aus der mitte verlegt (bei geschossen, um drehung um die
ochse zu vermeiden) v. Alten hdb. f. heer u. flutte 3, 461. —
guszkopf, m.,feeding-head, meselotte Hoyer-Kreuter 1,
319; MusPRATT 2, 1463: das metall hat sich unten eine Öff-
nung gemacht, und ist soviel herausgeflossen, dasz oben der
guszkopf zum druck der masse fehlt Rietschel an Rauch
(1838) 1, 430. — guszkuchen, m.: guszkuchen. man
bestreicht ein äpfelkuchen blech . . . mit butter, legt
es mit oblaten aus . . . und füllt die masse auf die Ob-
laten und lässt sie nur langsam backen Fischer schwäb.
6, 2083; man erhält dabei (beim gieszen flüssigen silbers
in Wasser) dünne flache guszkuchen von verschiedener
grosze Luschin v. Ebengreuth münzhunde 139.
GUSZLE, /., 'ein musikalisches Instrument, in form
einer zither, aber nur mit einer aus mehreren pferdehaaren
bestehenden saite bezogen, es wird mit einem bogen, der
auch mit pferdehaaren bezogen ist, gestrichen'' Sanders
fremdwb. 1, 467 »:
lautlos, gleich dem leichenmahle,
ohne Saitenklang und zinkenschmettern,
ohne pauken und der guszle schwirren,
denn mein vater hat nicht einen spieler
Gaüdy sämtl. werke 16, 64.
GUSZLOCH, n.: l) in der metallgieszerei: guszloch bey
den gieszern /055o Jagemann (1799) 2, 552; loch oder die
öffniing, durch welche das geschmolzene metall in die
form läuft Campe 2, 482 : sogleich liesz ich die mündung
meiner form öffnen, und zu gleicher zeit die beiden gusz-
löcher aufstoszen Göthe 44, 212 W.; die grübe ist aller-
dings nicht geeignet, da der ofen und guszloch eine treppe
hoch ... ist Rietschel an Eatich 1, 430; im kriegstech-
nischem sinne: die pechnase ... ward benutzt, um durch
das gussloch pech auf den gegner hinabzugieszen v. Alten
3, 412; als rinnstein: im zwielichten aber . . . ging es auf
einmal holterpolter, holterpolter die stiege hinab und
durchs guszloch hinaus in den garten Möbike 6, 178
Krausz. — gusz mann, m., auf den schiffen, welche auf
dem wallfischfang sind, derjenige, welcher den wallfi^ch-
speck von der speckbank in den gusz schiebt und mit einer
schuppe fortstreicht Campe 2, 482; Jacobsson 2, 176a';
Kluge seemannsspr. 339. — guszmedaille, /.; ihres
Wunsches, deutsche guszmedaillen zu erhalten oder besser
deren holzmodelle, nehme ich mich gerne an Rietschel
an Rauch 1, 291; in die erste haltte des 15. jhs. fallen die
groszen guszmedaillen des Victor Pisanus, der diese
technik zur gröszten Vollendung brachte Luschin v.
Ebengreuth 25. — guszofen, vi.: auch solche öfen mit
gestel], worin in der regel nicht sehr manganhaltige,
strengflüssige erze Verblasen werden, welche, wenn der
ofen in gutem betriebe seyn soll, graues roheisen geben
77*
1223
GUSZOPFER — GUSZSTAHL
müssen, hat man guszöfen genannt Blumhof eisenhüUen-
kunde{1817) 1, 498 ; der mann war nichts als eine glänzende
bildsäule zu pferde, welche so marzialisch und ähnlich,
als gussform und gussofen zugelassen, den seligen vater
der regierenden herrn . . . abbildete Jean Paul 27/29,
322 H.; und es ging in den feuerhäusern wohl schon so
gewaltsam und kraftvoll her, wie an jenem gussofen zu
Florenz, als Benevenuto seinen Perseus goss G. Kelleb
2, 177. — guszopfer, n.: libamen guszoffar aJid. gl. 4,
204, 56.
GUSZREGEN, m., heftiger regen, platzregen: unde wur-
den gefuchtet mit deme guseregene, dasz was der hailige
gaist hohe lied 81, 20 J. Haupt (11. jh.); wann sy fürchten
ain grossen gwssregen J. Hartlieb dialogus miracul.
V. Caes. V. Heisterbach 280, 34 Drescher; den 10. junii zu
nacht tet es ein gosz- und platzregen J. Mechtel Lim-
burger chron. 214; dann der luft wirdt ietzo mit unge-
stümen guszregen . . . vergiftet werden G. Alt buch d.
chron. (1493) 259^; und in dem grossen guszregen schlug
das Wasser zu uns in unser stantzen hinab F. Faber
eigendlich beschr. (1557) 19^; der f eider durst musz noth-
wendig durch starcke guszregen gelöscht werden Weioel
grund aller tug. (1687) 19; worbei zugleich, nebst vielen
winden, auch starcke gusz- und platzregen zu verspüren
gewesen Breslauer samrrd. v. nat. u. med. gesch. (1717) 2,16;
sie (heringe) schiessen mit einem geräusch, wie von einem
gussregen ... ins meer zurück Oken naturgesch. 6, 375;
der verhenkerte guszregen wäscht mir vor aug und fern-
rohr alle gegende durcheinander C. D. Gbabbe tverke 3,
218 Blumenthal; an einem deutschen sommertage, wo
guszregen und schwüler sonnenblick wechselten Immeb-
MANN 5, 5 H. ; ein starker guszregen fluthete nieder
P. RosEOOEB sehr. I 6, 337; das titanische fühlten wir
wohl in seiner nähe, den eigens geschaffenen wind, den
guszregen von wasserperlen Ii.Stevb drei sommer i7i Tirol
1, 264; nach herzlichem abschied brachen wir während
eines guszregens auf Sven Hedin abcnteuer in Tibet 16,
281. — guszreifen, m.: wenn die kugel nicht recht
rund und an einem ort höher als am andern ist, und
grosse guszreiffen hat {kan7i eine Sprengung des geschützes
eintreten) J. S. Gruber /nedens- u. kriegsschule (1697) 435;
(beim kugelgieszen) . . . abtheilungen ... wo ... 2 mann
endlich die güsse abkneipen, und die kugeln in einem
fasse rollen, um sie von guszreifen zu befreien J. G.
HOYER allg. wb. d. artillerie (1804) 1, 137. — guszrohr, n.:
welcher den von den gusz- und windröhren auszerdem
gereinigten gusz der statue beurtheilt Rauch an Rietschel
1, 439. — guszröhre, /., 'dasjenige metallene röhr,
welches auf eine Wasserkunst aufgesetzt und durch welches
der Wasserstrahl in die luft dringet und sichtbar wird''
Jacobsson 2, 176»; Campe 2, 482; Mothes 2, 550. in
der metaUgieszerei : ich hätte alsdann einen weit gröszeren
ofen machen müssen, und eine guszröhre {für das heisze
metall) wie mein fusz Göthe 44, 204 W. — guszrunse,
/.; ain ieder nachpaur an der winter- und sumerzeit sol
die gussrunsen vor seinem haus räumen österr. weist.
8, 76. — guszscheiden, subst. inf.: solch guszscheiden
aber sol man also verstehen, weil das goldt in dem arm-
haltigen goldischen silber weit auszgetheilt ist L. Ercker
beschreibg aller mineral. erzt (1580) 76*>.
GUSZSTAHL, m., 'gegossener stahl, zum unterschiede
von dem geschmiedeten" Campe 2, 482: der englische gusz-
stahl ist gewöhnlich mit dem namen martial, walker,
oder hurtsmann bezeichnet Hoyer wb. d. artillerie (1804)
2, 195; wird derselbe {brennstahl) mit . . . glaspulver ge-
schmolzen, so gibt dieses guszstahl J. Ltebig hdb. d. chemie
(1843)531; die erzeugung des cement- und guszstahls,
der Übergang des fasrigen gewebes des eisens in körniges
durch erhöhte temperatur Humboldt kosmos l, 272;
geht nur näher zu der mauer
ohne scheu . . .
seht, sie ist durchaus von guszstahl
Immermann 12, 58 H.;
die Stange {reckatange) muss aus feinstem guszstahl ge-
fertigt werden Kbeoenow-Samel gerätkunde (1905) 24;
GUSZSTAHL {composita) - GÜSZVOGEL 1224
in bildlichem gebrauch: mein hirn ist . . . abgestumpft
wie n brettnagel auf guszstahl Südermann hohe lied
(1926) 594.
composita. wie bei guszeisen sehr viele Verbindungen
in der spräche der technik, vgl. die einschlägigen techn.
wb.: --fabrikation: er hörte ... zu, wie v. E. . . .
die guszstahlfabrikation darlegte B. Auerbach sehr. 7,
15; --härte: Napoleon ist nicht mein idol, ich lob
und liebe ihn nicht; aber er hat eben die . . . guszstahl-
härte und das metall, . . . alle die handgriffe und prak-
tiken, kiirz und gut alles das, was uns eben fehlt Bog.
Goltz ein jugendleben {I802) 2, iSS; --werk: ich begab
mich . . . nach dem guszstahlwerk Pückler-Muskau
briefe eines verstorbenen 4,227. — guszstählern, adj.,
aus guszstahl verfertigt, nur in der spräche der technik nach-
weisbar: das guszstählerne geböhr Veith bergwb. (1870)
220 ; . . . guszstählerne räder finden sich selten beim berg-
bau Karmarsch-Heeren 1, 403.
GUSZSTEIN, m., spülstein, wasserstein, gosz- oder
guszstein scafa, sciacquatoio dove si lava le scudelle
Matth. lüiAMER 2(1702) 949C; 'ein ausgeliauener steinerner
trog, aus welchem ein röhr gehet, damit das dahineinge-
schüttete wasser dadurch geleitet werde G. H. Zincke
öconom. lex. (1744) 971; vgl. goszstein, gossenstein:
item Vi m- den gossteyn in des treszlers gemache zu
legen den muweren Marienburger tresslerbuch (1399-1409)
312 Joachim; item ein hulczene rinnen hab ich aus dem
guszstein in derselben kuchen über den zwinger in den
statgraben geleit Tücher baumeisterb. 289 lit. ver.; item
ausz derselben küchen von dem guszstein wart ein
hulczene rin . . . hinausz gemacht 301; alle technischen
mittel, wodurch dies resultat erreicht worden und wobei
begreiflich die anläge von luftzügen, abtritten und gusz-
steinen eine hauptrolle spielt, würdest du, besonders ohne
Zeichnungen so wenig verstehen, als ich sie beschreiben
könnte V. A. Hüber reisebr. (1855) 1, 133; dann . . .
gössen sie das spülicht weg, putzten den guszstein Gottfr.
Keller ges. werke 8, 295; für die das spülicht ableitende
röhre oder rinne, s. Mothes 2, 551 ; steinerne rinne, durch
die das schmutzige küchenwasser ausgegossen wird Rein-
wald henneb. id. (1793) 55; all gusstain, von den kücheln
auf die gassen geend österr. tveisth. 5, 290 (1570):
wie jede küche so bereitet,
dasz ein canal und guszstein Ist,
durch welche man das spühlicht leitet,
und was sonst nichts mehr tauget, gieszt
D. W. TRILLER poet. betr. (1750) 1, 181.
— guszstrahl, m.:
wie aber aus der felsenkluft,
nach überstandnem stürm und regen,
der Sonnenschein die tauben ruft,
dasz sie sich wieder wärmen mögen:
doch bald darauf nun andermal
ein neuer gusz- und wetterstrahl
sie wieder in die höhe jaget
D. W. Triller poet. betr. (1750) 3, 478;
die wölke hingegen, wie sie vorrückte, unterlag im
einzelnen der erdanziehung, und es senkten sich ganz
verticale guszstrahlen herunter Göthe II, 12, 28 W.; in
der technik: gusstrahl jet of metal, jet de metal Hoyer-
Kreuter 1, 320. — gusz ström, m.: von regen, gusz-
strömen und wüthendem stürme gepeitscht A. v. Wars-
BERG odysseische landschaften (1878) 1, 212. — gusz-
stück, n.: die guszstücke zur luftpumpe Göthe III, 4,
266 W.; sie {die gusznaht) wird beim putzen des gusz-
stückes . . . entfernt v. Alten 4, 503.
GÜSZVOGEL, w., der kleine brachvogel, numenius
phaeopus Brehm tierleben 6, 15 Pechud- Lösche; Naumann
vögd 8, 506; auch der grünspecht {picus viridus) wird
darunter verstanden Schmeller 1, 951;
da giszvogel sait:
dasz s bal rögnat wird wern
Fr. Stelzhamer ausgew. dicM. 1, 285 Rosegger.
etymologie wie Schreibart unsicher, häufig auch güsvogel
geschrieben, vgl. Suolahti deutsche vogelnamen 281. in
Schwaben ist der name und die volkstümliche function des
1225
GUSZWACHS - GUT, adj.
GUT, adj.
1226
Vogels auf schleierarlige wölken (güszvögel) übertragen,
die auf regen deuten Fischer 6, 2083. — gusz wachs, n.,
das aus den Scheiben geschmolzene und gereinigte wachs
Makperger kaufmannsmagazin (1708) 1346. — gusz-
ware, /., allerlei waaren oder sachen von eisen usw.,
in formen gegossen Campe 2, 483; es kann wohl sein,
dasz sie ... manches metallische, gusz- und andere
waaren . . . zurückgenommen Göthe 48, 153 W.
GÜSZWASSER, n., s. o. sp. 1202.
GUSZ WERK, n., der gegossene gegenständ, das kunst-
werk, die statue, in dieser bedeutung am frühesten belegt:
es sein auch (im zeughaus) ain hauffen modell von
spritzenwerck, gusswerck, schuswerck und anderen inven-
tionen und künsten vorhanden (1629) quellenschr. zur
kunstgesch. neue folge 10, 215; . . . der rothschmied Peter
Vischer, der mit fünf söhnen das wunderbare gusswerk,
S. Sebalds grab, in der Sebalduskirche, verfertigt hat
L. Uhland sehr. z. gesch. d. dichtung u. sage 2, 360; ferner
gehören manche statuen und ähnliches gusswerk . . . dem
rothgusse an Muspratt 4, 2051; so erscheint ein guss-
werk des Phoikos dem Pausanias noch unbeholfen
H. Brunn kl. sehr. 2, 34. von der herstellungsart: die stadt
Nürnberg wollte . . . ihrem erretter . . . ein stattliches
denkmal aus guszwerk errichten Fr. L. Jahn werke 2,
386; näher bestimmt, so als gemisch von mörtel, cement:
sie {die brunnen) sind alle aus wasserdichtem gemäuer,
aus einem gusswerke von mörtel, mit vielen kiesein ver-
mischt, eingefasst Ritter erdkunde 17, 351; mit groszem
Scharfsinn löste Hirt, . . . dieses räthsel durch das leichte
guszwerk aus bimsstein C. A. Böttioer kl. sehr. 2, 343
Sillig; das dicke gemäuer ist völlig zyklopisch von un-
behauenen granitsteinen, durch guszwerk verbunden auf-
geführt H. Allmers marschenbuch 1/2, 143. die statte, an
der metall gegossen vnrd, vgl. C. v. Scheuchenstuel
hüttenspr. 104: noch liegt an unserem wege wie ein fetzen
staubiger prosa das guszwerk P. Roseqoeb sehr. I 7, 194;
da kommt sie ins guszwerk, wo die groszen hochöfen
stehen Rosegger nixnutzig volk (1907) 115. — gusz-
wesen, n.: unter allen ist das feine englische und das
Schlackenwalder bergzinn zum guszwesen das beste
Gruber mathem. friedens- und kriegsschule 424; chemie
oder scheidekunst, welche die Untersuchung der qualita-
tiven und quantitativen Verhältnisse der bestandtheile
. . . aller körper lehret, ist dem artilleristen sowohl in
absieht des guswesens als der kunstfeuerwerke nöthig
J. G. HoYER artillerie 1, 192. — guszzwieback, m.,
zuHeback mit zuckergusz Brendicke berl. Wortschatz 131^;
Meyer d. rieht. Berliner 90; Betcke Königsberger ma. 31.
GUT, adj. adv., bonus, idoneus, utilis, nobilis, jucundv^,
benignus, probus, sanctus.
gemeitujerm. wort, got. go^s mit der nebenform gods
(nach Braune got. gr. § 74 anm. 1 spätgot. schreiberform,
na<;h Streitberq got. elem. § 25 satzphonetische Variante),
ahd. mhd. guot, as. mnd. god, ags. göd, eTigl. good, anord.
godr, norw. schwed. dän. god. in süddtsch. maa. mit be-
wahrtem diphthong guet, guat, guat, im nd. gebiet got,
gaut, gut {vgl. anz. f. d. a. 22, 112^.) und kurzvokalisch
gut besonders itn hess. u. schles. 7id. teilweise mit geschumn-
denem dental in flektierten formen, vgl. gön {guteti) jung,
göa dern Mensing 2, 423, rhein. wb. 2, 1509 u. anz. 22,
115/., vgl. schon goen dach in Teweschen hochtydt (1640)
in JEtLiNOHAUS nd. bauernkom. 233 ; mit palatalem über-
gangslaut -j- vgl. rhein. wb. 2, 1509, anz. a. a. o. und
ebenso schon goje in Teweschen hochtydt a. a. o. 240.
über formen mit -r-, -1- iisw. vgl. anz. a. a. 0.; vgl. zum
ganzen den Sprachatlas des Dtsch. reiches, karten nrr. 220
(gut), 221 (gute).
form und herkunft.
1) formal stellt sich gut als adjektivbildung zu einer idg.
Wurzel *ghadh- in II. hochstufe mit {wohl partizipialem)
o-suffix dar und wäre als idg. wurzeladjektiv *ghädho- >
germ. »göda- aufzufassen, vgl. F. Schmidt zur geschichte
des Wortes 'guf {Leipziger diss. 1898), wenn seine bildung
von gr. ayaO^ög geschieden bleibt {s. u. 3); direkte oder
zweifelsfreie parallelbildungen fehlen jedoch, den Zu-
sammenhang von gut mit dem stamm germ. •gad- in got,
gadiliggs 'vetter\ as. gaduling 'verwandter, Volksgenosse^
ahd. gagat, adj. Graff 4, 143, as. gigado 'genösset , ahd.
bigatön Graff o. a. o., mhd. gaten 'passen, paaren\ arurrd.
gadda 'zusammenheften" , mhd. gate 'genösse, gatte\ ags.
geador, -gaedere 'vereint, zusammen' , vgl. nd. gader, und
gätlich {vgl. teil 4, l, l, 1490), gätlos {ebda 1494), gatter
{ebda 1502) hat bereits Grassmann 1863 {vgl. Kuhns zs.
12, 128/.) erkannt, den gemeinsamen stammbegriff der
Wortsippe von *gad- erschlosz schon Jac. Grimm {gr. 2, 51)
als jüngere 'verbinden', der als 'vereinigen, eng verbunden
sein, zusammenpassen' bereits als Wurzelbedeutung von idg.
*ghadh- anzusetzen ist, vgl. Walde-Pok. vgl. wb. 1, 531.
grammatischer Wechsel ist für gut nicht nachzuiveisen;
der Wechsel der Schreibung als gutte, guttin und gude im
älteren schles. beruht auf Sprachmischung, vgl. W. Juno-
andreas besiedlung Schles. (1928) 76, 127, 247.
2) die aus den auszergerm. sprachen beigebrachten urver-
wandten Wörter erweisen, soweit sie überzeugend verknüpft
werden, dasz ein teil der bedeutungsstränge des adj. gut in
gewissen abschattier ungen der idg. wurzelbedeutung oder
deren fortbildungen seine parallelen findet, so besonders im
slav., vgl. russ. godnyj 'tauglich' {s. gut I A), russ. prigozij
'gut, passend' {s. gut I A), 'schmuck, hübsch' {s. gut III),
niedersorb. g6dny 'günstig' {s. gut I C), ksl. godü 'passende
zeit; zeit, stunde', abg. ü-goda 'Wohlgefallen', ksl. godinü
'gefällig' {s. gut III), lit. gadnus 'geeignet, tvürdig' entlehnt
aus weiszruss. {s. gut I. II); fraglicher bleiben schon lit,
güda (-U- = idg. -ö-l) 'ehre', lett. güds 'ehre, rühm' , gudigs
'anständig, ehrbar' {s. gut V), vgl. Berneker slav. etym.
wb. snf. im skr. bietet sich nur die wz. gadh- in ä-gadh-ita
'angeklammert' , pära-gadh-ita 'umklammert' und gädh-ia-s
'festzuhalten' {vgl. Gbassmann a. a, o.). dazu noch lit.
{aus weiszruss.) gädas 'Vereinigung' . dagegen bleiben tat,
habere und verwandte besser beiseite; weitere versuche bei
Walde- PoK. o. a. 0. 532/.
3) der etymologische Zusammenhang mit gr. (cyn&os ist
{trotz Jac. Grimms zweifei, gr. 2, 43) viel erörtert, aber nicht
hinreichend glaubhaft gemacht worden, da die lautlichen
inkongruenzen nur durch gewagte hilfskonstruktionen weg-
erklärt werden können und auch die bedeutung des gr.
Wortes eine so prägnante ist une sie dem germ. gut nicht
zukam. HirT5 ansatz {vgl. 'd. idg. ablaut' [1900] 107) idg.
•aghödh- 'gut' , dazu got. göds und als reduktionsstufe gr.
ayuH^öi ist ebenso abzulehnen une der oft benutzte umweg
über das hesychische ((xn9-<if, z. b. Johansson in Bezzen-
berger beitr. 13, 116/.; etwas anders zu idg. *ghädh- ein
sm-ghadh- > ay.a&ö; Güntert idg. ablautprobleme (1916)
132. au^h die identität von gut als *ghät6s mit gr. /äaiog,
lakon. yjäos {*yäxiog), vgl. Laoercrantz in Kuhns zs.
35, 290/. ui\d Güntert. a. a. o., ist schwerlich gültig.
komparation und adverbbildung.
die alte komparation, die in allen germ. sprachen erhalten
ist, tvird von der umrzel idg. *bhäd- {vgl. Walde-Pok. 2,
152) gebildet, nhd. besser {vgl. teil 1, 1644^.) und best,
beste {vgl. teil l, 1649/., iQbQff.), dazu als adv. des comp.
basz {vgl. teil l, 1153^.). die anomalie der komparation
erklärt sich aus der ursprünglichen begriffsgrenze von gut,
das in der bedeutung 'passend' keiner Steigerung fähig war,
eine allseitige kongruenz der bedeutung sinhalte des positive
und der komparationsformen fehlt bis heute, die folge ist
das in den maa. und der kindersprache sichtbare bestreben,
die anomalie zu beseitigen und namentlich für bestimmte
sonder bedeutung en von gut eine wurzelechte steiger^ing zu
schaffen, die jedoch bestenfalls neben der alten komparation
besteht, schon im mhd. setzen diese bildungen ein, sind
aber nicht zu allgemeinerer Verwendung gelangt:
fürstinne wart nie guoter
danne diu grsevlnne Irmetscbart
Ulkich v. d. Türlin Wülehalm 247, 4 Singer;
noch den ist der minneste heilige in himelriche guter und
getruwere dan alle menschen mochten wesen heil, reget
19, 25 Priebsch; alsus vindest du an dem einvaltigen aller
1227
GUT, adj.
GUT, adj., I A 1
1228
gutesten gute, daz got ist Tauleii pred. 426, 4 Vetter;
der aller gütste got 173, 19; die heiligen seind all gut,
doch ist unser frow die gütest und dye gnädigest d.
heiligen leben summerteyl (1472) 160*'; mal. in gewissen
bedeutungcn im schwäb. guter, gutest und mit umlaut
guter, gütest, vgl. Fischer 3, 940: eine gütere milch 3,
941; mein feld ist guter als das deine ebda; im Schweiz,
(kanton Schaffhausen) güeter, güetist, sonst nur scherzhaft
und in der kindersprache Staub-Tobleb 2, 535; 'güeter
(güetest) kommt im physischen sinne in bezug auf speisen
und mehr bei kivdern vor, besser (best) in allen andern
fällen, wo es bas nicht vertritt' Tobler appenzell. 245*;
güeter, guetst in der kindersprache Martin-Lienhart
1, 248, vgl. guder sprich (= besser ausgedrückt) 'mit andern
warten' Follmakn lothr. 221; jöar, jotsto 'bei beteuerungen
und emphatisch'' rhein. wb. 2, 1509: hea is goer äs got ebda;
et jotste keukche Rovenhagen Aachener ma. 46; meine
mutter is gitter als deine {Meiszen) Mülleb-Fraueetjth
1, 452 in der kindersprache, aber auch sonst: gemochter
arbeit wor ar giter Rob. Pöschel Oösznitzer bilderbuch
(1909) 158; 065. und anderorts namentlich als anrede mei
gutster (herre) Mülx,er-Fraureuth o. a. 0.; sehen sie,
gutester herr lieutenant, nu sind sie mir noch drei mal
lieber Holtei erz. sehr. 7, 154; na, mein gutester W.
Raabe Abu T elf an 124; sie ist ihrem vater guter gewesen
als er ihr Hippel Lebensläufe 3, 94; dem Copernikus bin
ich am gutsten 1, 378; so bin ich dem liederdichter Hans
Rist nur noch guter geworden Fr. Ludw. Jahn br. 158
Meyer; mit übernähme des komparativ-r in den Superlativ:
güatBr, güat^rstg Bacher Lusern 264; gütor, gütorst
ScHMELLER cimbr. 127^; guterst 'der beste' (oberhess.)
EsTOR rechtsgelähriheit 3 (1767) 1410. im bayr. oberland
tritt güetiger, güetigist als Steigerung von gut auf, vgl.
Schmeller-Fr. 1, 965; sonst hilft sich die spräche bei der
komparation von bedeutungcn, die besser, best nicht be-
sitzt, durch Umschreibung mit mehr, meist.
das adv. von gut ist in älterer spräche allein wohl {got.
waila, alid. wela, wola, mhd. wol), was darauf deuten
dürfte, dasz gut zufrühest noch keine qualifizierende be-
deutung zukam, die auf handlungen hätte bezogen werden
können, sondern dasz gut lediglich als adj. in anwendung
auf concreta deren gebrav^hsfähigkeit feststellte, seit dem
13. jh. tritt im deutschen gut neben wohl als adv. auf,
gewinnt aber erst mit dem nhd. seinen vollen umfang als
adv.; genaueres s. u. gut VII köpf.
bedeutung und gebrauch.
die bedeutung sgeschichte des Wortes gut fällt in ihren
wesentlichsten abschnitten in vorlilerarische zeit und seine
hauptbedeutungen lassen sich bereits teilweise (I-IV) im
frühesten Schrifttum erkennen, entscheidend für die Weiter-
entwicklung zum ethischen begriffsinhalt (V) und für die
Umbildung zu zahlreichen Sonderbedeutungen war der ein-
flusz von lat. bonus und seiner vielfältigen verwendungs-
arten in theologischer, juristischer und poetischer literatur.
der germanische bedeutungsumfang des wortes läszt sich
daher nicht mehr bis ins einzelne abschätzen, gerade im
gegensatz zu bonus erweist sich die teleologische Verwendung
(I) mit zweckangabe in abhängiger konstruktion (I A 1) als
ursprünglich und läszt sich im sinne 'passend' , dann 'ge-
eignet, tatiglich, nützlich' unmittelbar aus der wurzdbe-
deutung von idg. *ghadh- (s. o. 1) herleiten, nach ags.
(Beowulf) und anord. zeugnis ist in anwendung auf per-
sonen die bedeutung 'tapfer, tüchtig, welker' (I B) und
terminologisch als Standesbezeichnung 'edel, vornehm' (IIB)
früh entfaltet, die bereits für das ältere germ. die entwicklung
zum allgemeineren qualitativbegriff (II) voraussetzt, wie ja
go{)3 im gotischen gleicherweise gr. nyad^os und xaXög ver-
tritt, die bedeutung szweige 'angenehm, freudig' (III) und
'geneigt, freundlich' (IV) sind als psychologisch begründete
Seitentriebe von gut I aus verständlich, jedoch in den
frühesten denkmälern nur spärlich bezeugt, dasz im got.
als attribut gottes und Christi durchaus j)iuj)eigs auftritt,
weist aber darauf, dasz die religiös gefärbte bedeutung
'gütig, gnädig' jüngeren lehnursprungs ist; auch 'freund-
lich' wird im got. trotz lat. bonus (gr. yorjGxös) durch sels
wiedergegeben {wie bonitas durch seli); doch steht go{)s für
benignus {Luk. 6, 35), wo es als eigenschaft des herrschers
offenbar urtümlicher Verwendung entspricht, die ethische
bedeutung (V) entwickelt sich, wohl auf der grundlage von
I B und I C, unter unmittelbarem einflusz des christlichen
sittlichkeitsbegriffe^ zu ihrem religiösen gehall, wie die
älteste Übersetzungsliteratur es verdeutlicht, die entkernung
zum bloszen intensitäts- und maszbegriff (VI) ist erst in
mhd. spräche zu beobachten.
I. die genetisch älteste und der etymologisch erschliesz-
baren grundbedeutung 'passend' am nächsten stehende
hauptbedeutung wird durch den teleologischen char akter
des Wortgebrauches bestimmt: eine sache, eine person, ein
zustand ist gut, weil sie im hinblick auf einen im be-
beziehungswort mehr oder minder deutlich erkennbaren
ztveck als 'passend, zweckdienlich, tauglich, brauchbar',
'tüchtig', 'günstig' usw. erscheinen, gut ist damit zunächst
von den ältesten zeiten bis heute als relalionsbegriff zu
fassen, der stets erst die Vorstufe zum absoluten wertbegriff
darstellt, und zwar als bezeichnung einer objektiv fest-
stellbaren tauglichkeit.
A. von dingen aller art und personen allgemein im sinne
'zu einem zwecke dienlich, tauglich, brauchbar, geeignet,
verwendbar' .
1) die funktion als relalionsbegriff zeigt sich am deut-
lichsten da, wo gut mit einer angäbe der Zweckbestimmung
durch bestimmte abhängige konstruktionen oder mit der be-
zeichnung der an einer sache interessierten person im per-
sonalen dativ verbunden ist.
a) neutral in der bedeutung 'für einen zweck geeignet,
passend, tauglich'.
a) durch präpositionale Verbindungen näher bestimmt.
aa) so seit alters durch zu {vgl. für das got. I A 1 b a),
das in neuerer spräche bei substantivischem beziehungswort
abkommt und gelegentlich durch als ersetzt wird {s. u. y) ;
von Sachen:
ze sselde unt ze erzente guot
was d& maneges Steines sunder art
WOLFKAM Parzival 792, 2;
die gallen und die lebbern behalt dir, denn sie sind seer
gut zur artzney Tobias 6, 6 ; hat sy von mir in bevelh die
gelocheroten teil mit minem alten rock zu verbletzen, so
wirts {das tuch) gut zu einem decklachen Fb. Riederer
rhetoric (1493) A2*';
d6 was der Hagene wille niht ze kurzewlle guot
Nibelungen 1856, 4 L.;
{der knappe sprach) zem fürsten: war zuo Ist diz guot {der
daz dich so wol kan schicken? [Mrnisch),
WOLFKAM Parzival 124, 2;
es ist nichts zu gering, es ist war zu gut Henisch 1795;
wenn die kuh den schwänz verloren hat, weisz sie erst,
wozu er gut war Binder sprichw. 116; lokal gewendet:
ungefangen fiske
BÜnd neet goot to diske
LÜPKES seemannsspr. 6;
vielfach mit subst. inf. {bzw. gerundium):
der Site was ze trüren guot
WOLFRAM Parzival 231, 19;
abir das ole ist uneze, doch ist is gut czu burnen Marco
Polo 4, 9 V. Tscharner; doch wirt er {der Leopard) s6 zam,
daz er zuo jagen guot wirt Megenbeeg buch d. natur 145
Pf.; der win ist gut ze trinkenne und ist nüt übele
schwabensp. bei Fischbb schwäb. 3, 944 ; oliven die noch
nit gut ze essen sind drupae Feisius 449i>; zalbar, gut
zezellen numerabilis 885*', vgl. gut zu senden missilis
Diefenbach 363^; ebenso in neuerer spräche geläufig:
das mehl ist zum backen gut; das messer ist gut zum
schnitzen usto.; substantiviert: eyer, die auch zur aus-
brütung der hüner dienstlich und gut seyn viehbüchl.
(1667) 97; von personen:
sl dühte des, er wsere guot
ze herren ir lande Hartmann Iwein 3808;
mancher fünf oder sechs pfarren . . . besitzt, so seiner
kunst halben kum zu einem sigristen gut wer H. Geb-
1229
GUT, adj., I A 1
GUT, adj., I A 1
1230
WEILER beschirm, d, lobs Marie (1623) 36^; welcher nit kan
lassen wort für om gehn, der ist nit gut zu ainem bevelch-
haber G. Mayr sprüchw. (1567) a 5^; böse weiber sind gut
zu bösen Sachen Petri d. Teutschen weish, 2, l 4t>; wer
zu seinem rath und kanzler tauge, werde wohl auch zu
einem domherrn gut genug sein Ranke s. w. 1, 103; mit
einschlag von III A 'genehni' :
daz sin (goUes) genäde und sin gebot
erzeigte wer im wäre
guot ze rihtaere Haetmann Gregorius 2988;
gut sein zu im sinne 'dienen als':
ich bin dir zu elm vatter gut
Jag. Ayker dram. 2, 971 K.;
'brauchbar sein für': (es) hat sich meiner so sehr bemäch-
tigt, dasz ich zu nichts anderm gut bin Wieland
8. w. (1795) 13, 34; 'mit (subst.) inf.: {sie sind) zu nicht
anders gut dann zu rauben und stelen Arioo decam. iSK.;
zum schwatzen sind die liebhaber ebenso gut Bauern-
feld ges. sehr. 1, 3.
ßß) mit anderen präpositionen; besonders für seit dem
älteren nhd. gebräuchlich an stelle von älterem zu: für
bittere wasser sind gestoszen corallen gut Sebiz feldbau
(1579) 16; bildlich: de het en gut perd för de wage rhein.
tvb. 2, 1510 'gute für Sprache' ; seltener mit anderen präposi-
tionen, wenn der verwendungsort genannt ist: gut auf den
tisch, gut ins bett Fischer schwäb. 3, 944, vgl. das er {der
papst) nicht gut in ein schuch were, geschweig zum fusz-
küssen Fischart binenk. (1588) 4*'.
ß) durch einen abhängigen satz: die galle vom fisch ist
gut, die äugen damit zu salben Tobias 6, 10;
er (der tag) ist gut, sich zu zerstreuen,
zu was anderm taugt er nicht
GÖTHB 2, 119 TT.;
das ist gut, der sau vor den arsch zu gieszen Hst un-
brauchbar' Frischbier preusz. sprichw.^ l, 227; und seind
die leusz darzu gut, das sie manchem betler zusuchen
und zuschafEen machen Lindener rastbüchlein 8 lit. ver.;
die gottcsmutter rauchgeschwärzt
ihr eingeräuchert Iciudlein herzt,
verzeiclmet, bunt, doch gut genug,
dasz es dem manne sonder trug
mit andacht so die seele füllt
A. V. Drostk-Hülshoff w. 2, 74;
■mit abhängigem geniiiv eines verbum in älterer spräche: es
ist gut genug vergebens ( = zum verschenken gut genug)
sprichw. schöne weise klugreden (1548) 155'^, vgl. es ist guet
gnueg vergebe Staub-Tobler 2, 537; entsprechend in an-
wendung auf personen: die anderen sint gut, in clöster
zu stoszen, pfaffcn, münch und nunnen darusz zu machen
KEiSERSBERG6iig'er-.sc7i.(l512) 24^; ich mein, dasAnnedorle
ist über nacht geblieben im Zainhammer, . . . die ist gut
nach dem tode schicken 0. Ludwig ges. sehr. 2, 144.
y) in neuerer Umgangssprache findet sich ein gebrauch
gut als etw. sein, z. 6. der stock hier ist ganz gut als waffe;
als kindermädchen bin ich dir natürlich gut genug usw.;
tor not ia n botsmann got {als ehcmann) W. Lüpkes see-
mannsspr. 3.
b) die Vorstellung der tauglichkeit verengert sich in der
bedeutung förderlich, nützlich, heilsam'.
a) der bestimmungszweck wird durch präpositionale Ver-
bindung mit zu näher bezeichnet, vgl. warzu gut sein rem
praebere aliquas utiliiates Henisch 1787; 'dienlich, nütz-
lich', vgl. {)atei go{) sijai du timreinai galaubeinais got.
bibel Eph. 4, 29:
Amor was sin krie.
der ruoft ist zer dßmuot
icdoch niht vollecliehen guot
Wolfram Parzival 479, 2; vgl. 2, 18;
(ich) gedäht in minem muote
waz guot wajr zuo des herzen huote
Lamprbcht V. ßEGENSBtrEQ tochter Syon 2169 W.;
mäze ist z allen dingen guot ebda 2989;
armüt ist zu vil dingen gut sprichw. (1548) 978; eygen
wüle ist zu nicht gud prov. Fridanci 74; der ganze Vorfall
{scheint) zu nichts anderem gut gewesen zu sein, als mich
nur noch unzufriedener zu machen Brunner erz. u. sehr.
1, 343; wortzu sind doch so viel überflüssiger wort nütz
und gut? Luther 8, 527 W.; was einsamkeit wirket . . .
und wozu sie gut ist Zimmermann üb. d. einsamk. l, 6;
wir brauchen contrast, wahre mängel zu empfinden,
diesen giebt uns die englische bühne, und dazu sind die
Übersetzungen gut Gerstenberg Hamb. n. ztg. 36 lit.-
dkm.; spezieller von mittein, denen eine bestimmte unrkung
zugeschrieben wird, namentlich heilmitteln:
er (der adamas) ist ze manegin dingin gut
du mir niht rehte sint bekant
RUD. V. Ems weltchron. 1847 Ehr.;
zue dem so ist der Christen bluet
zue vU Sachen gar nutz und guet
Endinger judenspiel 26 ndr.;
das kraut ist zu siben dingen gut Frisius 159^; wenn
auch ein viehe die blätter isset, so soll es ihme zur milch
trefflich gut seyn viehbüchlein (1667) 50;
wozu es alles schon gut gewesen,
ist aufm gedruckten zettel zu lesen
GÖTHB 16, 29 W.;
vgl. w6 gaud tau sin wogegen helfen Schambach Gott. 60*.
ß) das objekt, für das ein ding dienlich ist, wird durch
präpositionale bestimmung angegeben; bis in das ältere nhd.
kann au^h hier zu gebraucht werden, später wird es völlig
durch für verdrängt; 'heilsam, wohltätig': si sint auch guot
zuo den äugen Megenberq b. d. natur 368 Pf.; Wildtpad
ain stattl und ain natürlich päd ... ist gut zu den gelidern
Ladisl. Suntheim in: Wttbg. vierteljahrsh. jahrg. 1884, 128;
das ist ein liquatur, das zun wunden gutt ist Paracelsus
opera (1616) 1, 1039 H.; nüt ist gut für d äugen, aber nüd
für den buch Staub-Tobler 2, 539; so allgemein nhd.: die
ruhe (ist) gut vorn schlaff Lehman floril. pol. (1662)1, 57;
2. 6. diese tropfen sind auch für den magen gut, für die
Verdauung gut usw.; hierher: Verzug ist für Unglück gut
{dient, führt zum Unglück) Kirchhofeb Schweiz, sprüchw.
(1824) 157.
y) das objekt, für dessen Vermeidung oder beseitigung eine
sacke zweckdienlich ist, unrd durch präpositionale bestim-
mung gekennzeichnet,
aa) mit für:
ist ez mir guot für ungemach
ich gloub 8wes ir gebietet
WOLFRAM Parzival 818, 2;
daz was in guot vür den tot
Hartmann Iwein 5395;
für trüren und für ungemüete ist niht so guot
als an ze sehen ein schcene frowen wol gemuot
Walther 27, 34;
(der Smaragd) ... ist vor di vallende suche gut
JOH. ROTHE lob d. keuschh. 2841 N.;
Liebenzeil ain stättl und natürlich päd ist für die gelsucht
gut Ladisl. Suntheim in: Wttbg. vierteljahrsh. jahrg.
1884, 126;
ein abgefleischtes bein
^t gut für ihren hunger
Stieler geh. Venus 114 ndr.;
do kauft er ihr ein pfauenhut
und der was für die sonnen gut
A. V. Arnim w. 21, 15 Gr.;
wat gaud is vor die bitte is äk gaud vor de külle Scham-
bach plattd. sprichw. nr. 343; {der doktor) verschriewet
pillen, dei sit für olles gudd Bauer-Collitz 192 a, so nhd.
in volkssprachlicher redeweise verbreitet, z. b. der tee ist
gut für den husten usw.; was ist gut fürs zandweh? s
hören {aufhören) Staub-Tobler 2, 539.
ßß) mit wider, gegen:
und wer ess (das hörn) in sinen dranck tud,
so ist ess wider di pestilencien gud
JOH. ROTHE lob d. keuschh. 3871 N.;
daz ist gar guot wider die kalten huosten Megenberq
6. d. naiur 367 Pf.; disz ist gut gegen dem geschütz
A. DüREB underricht (1527) B3''; ebenso modern üblich:
das präparat ist gegen alle erkrankungen der luftwege
gut ; die Verwendung von gegen statt für stellt die schrift-
sprachlich gehobenere form dar, weil sie heutigem Sprach-
gefühl logisch exakter erscheint; statt präpositionaler fügung
selten mit dativ der sache: heydöchsen . . . sampt zihlen
1231
GUT, adj., I A l
GUT, adj., I A 8
1232
gepülfert ... ist disem schadten auch gut Hebold-Foeeb
Oesznera thierbuch (1563) 19.
c) absolut mit dem dativ der person, 'dienlich, förderlich,
nützlich^ vgl. altnord.
, . . at ])ü räd nemir —
niöta mundo, ef I)ü nemr,
I)6r muno göd, ef jjü getr —
Hdvamdl 112, 4 Neeka:
kuot ist mir föne dinemo munde chomeniu ea {bonum
mihi lex oris tui) Notkee ps. 118, 72; intellectus ist guot
dien, die in skeinent 110, 10;
eine würz i* u geben wU
da von ir släfet: daist iu guot
WOLFKAM Parzival 580, 21, vgl. 572, 25
kundestu noch geswfgen daz wsere dir guot
Nibelungen 839, 2 Bartsch,
ich wil mich von dir scheiden
daz ist uns beiden guot Walthee 88, 24
was er selb sprichet, daz sey im gut oder schade Schwaben-
Spiegel Idr. 172 nach Fischer schwäb. Z, 944; was von
anfang geschaffen ist, das ist dem fromen gut, aber dem
gottlosen schedlich Sirach 39, 30; ain zimliche Übung ist
dem leib gut G. Mayk sprüchw. (1567) c l*; wie der mist
den wurtzlen gut ist M. Herr fddbau (1551) 47;
was ist gutes in der weit
das nicht mir gut wäre?
Paul Gekhardt bei Fisohke- Tümpel 3, 384;
sie friszt nicht mehr als ihr gut ist Rabeneb s. w. l, 195;
deinem alter ist der schlaf gut Tieck sehr. 1, 63; wenn
dirs gut ist, gern! Müllnee dram. w. 2, 56; häufig auch
in der zwillingsformel nütz und gut:
so nemt durch got in iuwern muot
waz iu st nütze unde guot
Haktmann Iwein 1988;
wüste, der im himmel lebt,
dasz dir wäre nütz und gut
Paul Gkehardt bei Fischee-TüMPEL 3, 318 ;
und läuft ihnen {den pferden) das übrige blut weg, das
ist ihnen gut und nützlich J. Waltheb pferde- u. Vieh-
zucht (1658) 153; der gegenständ der beziehung unrd gelegent-
lich in präpositionaler fügung beigestellt:
daz was geln werdekeit ir guot
WOLFSAM Parzival 403, 28;
und ist in auch gut an der sele
kl. mhd. fabeln u. lehrged. 129, 153 Rosenh.;
ern tsete swaz im guot wsere
vür des siechtuoms swiere
LAMPRBOHT V. ßEGENSBURö «. Fruncisken leben S609 Weinh.;
ein alter gebrauch mit personalem subjekt im sinne 'förder-
lich, dienlich sein, helfen^ findet nhd. keine fortsetzung:
vll gerne wser ich dir guot mit minem Schilde
Nibelungen 2133, 1 L.;
er bat sl flizicüchen
daz si im guot wasren
gegen die Sttrseren
Ottokar v. Steiermark reimchron. 2313 See»».
d) mit persönlichem dativ und der näheren bestimmung
dessen, was als 'förderlich, dienlich, nützlich^ gilt, in ab-
hängigem Subjektssatze bis in das ältere nhd. geläufig; gof)
ist imma mais, ei galagjaidau asiluquairnus ana halsaggan
got. bibel Mark. 9, 42; ist mir guot, daz du mih kenidertost
NOTKEB ps. 118, 71, vgl. 42, 2; guot wäri imo, thaz giboran
ni wäri ther man Tatian 158, 6; es ist dem menschen gut,
das er kein weib berühre 1. Kor. 7, 1; es was ime nit
gütt, das er mir ye understund zudrawen hertzog Aymon
(1535) c 2^; es ist ihnen gut gewesen, dasz er tödt ist
worden bono ejus fuit illum occidi Maalee 199^; ent-
sprechend mit inf. : {)ata goj) ist mann swa wisan got. bibel
1. Kor. 7, 26; rabbei, goj) ist unsis her wisan Mark. 9, 5,
was Luther nach III hin verlagert; mir ist aber guot
ze gote haften Notker ps. 72, 28;
. . . 'nis that', quad he, 'mannes reht,
gumöno nigenum göd te gifrummienne,
that he is barnun brödes altthe Heliand 3016;
guot ist thir zi libe ingangen wanaheilan odo halzan,
thanna . . . Tatian 95, 4; es wäre gut einem menschen
also zu syn Zwingli dtsche sehr, l, 133; in jüngerer spräche
wird statt dessen die unpersördiche konstruktion mit per-
sonalem Subjekt im abhängigen satz verwendet, vgl.sp. 1259.
e) nur im mhd. mit partizipialkonstruktion:
von du ist gewisse
dl heilige misse
uns sundigen also gut gehört
Hartmanns rede v. glauben 1127 v. d. Leyen;
. . . mlniu wort
sint Iu guot gehört
Ulrich v. Eschenbach Alexander 1412 T.
2) als eigenschaftsbezeichnung bei gegenständen, die einen
bestimmten gebrauchszweck besitzen und diesem entsprechen
und daher als werthältig gelten.
a) bei waffen, gerätschaften, Schutzvorrichtungen tisw.,
vgl. ags. sigeeadig bil . . . god ond geatolic, giganta geweorc
Beowulf 1562; het him ydlidan . . . gödne gegyrwan 199,
wo aber wie zumeist der begriff 'brauchbar' in die wertvor-
Stellung (vgl. II A) hinüberspielt; vom schwert 'scharf,
früh zur formet erstarrt:
mit dem guoten swerte daz hiez Balmunc
Nibelungen 96, 1 L.;
mit seinem guten und bewährten schwerdt buch d. liebe
(1587) 15C;
wir haben hye tzway guete schwert
altdt. passionsspiele a. Tirol 30 Wack.;
wenn wir nicht auf der wacht zusammen wären
bewies Ichs euch mit meinem guten schwert
MÜLLNER dram. w. 3, 12;
daz im ein garzün widerstiez,
der einen guoten bogen truoc
Hartmann Iwein 3265;
eine gute klinge, ein gut messer una lamma, un coltdla
di finissima tempra Krämer t.-ital. 1, 578*'; eine gute
klinge bin ich, wers nit glaubt probir mich {schwert-
inschrift um 1700) H. Ziegler geschüizinschriften 70; {die
löwenjagd) betrieb ich ganz allein, indem ich mit nichts
als mit einer guten büchse bewaffnet zu fusz ausging
G. Keller ges. w. 4, 70;
mit drin starken wunden die er dem künege sluoc
durch eine wlze brünne diu was guot genuoc . . .
Nibelungen 187, 2 L.;
so hert und gut ist sein geschmeid
keiner hand schwert dadurch nie schneid
Laurin 735 Schade;
entsprechend vom material:
und hiez In vaste spengen mit stAle der was guot
Nibelungen 979, 3 L.;
darzuo von guoten Isen
ein vestez banzler enge
Weintchwelg 406 Schröder;
allgemeiner 'gebrauchstüchtig^ :
die masboume wurden veste unde guot
Kudrun 265, 1 M.;
Bwle guot ir anker wseren, an daz vinster mer
magneten die steine heten sie gezogen.
Ir guote segelboume stuonden alle gebogen 1126, 2;
es (das haus) schützt vor regen, frost und wind
wenn gut nur thüren und fenster sind
E. Baumeister zimmermannssprüche 13;
hertzog Berchtold . . . umfieng das dorff mit einer ge-
waltigen ringmauer und guten gräbnen Tschtjdi chron.
Hdv. 1, 50;
ihr schlagt mir eine gute faust, gevatter!
H. V. Kleist 1, 209 Schm.
b) im allgemeinsten sinne 'geeignet', ohne dasz der ge-
brauchszweck näher gekennzeichnet zu sein braucht, in viel-
fältiger anwendung, für die nur beispiele zu geben sind.
a) aufsacken bezüglich: und gott sähe das das Hecht gut
war 1. Mose 1,4; bynnen Dorsey is ene haven, mer se en
is nicht alte gud seebuch 18 Koppm. ; da gab mir der
musikus . . . ein stück (mundstück einer klarinette) mit der
Versicherung, das sei gut, er könne gut darauf spielen
H. V. KJLEiST br. a. s. braut 58 Biedermann.
ß) von tieren, je nach der art ihrer Verwendung; vgl. ags.
ne god hafoc geond sael swinged Beoioulf 2263, für die
jagd tauglich:
dö nam ein alter jägere einen guoten spürehunt
Nibelungen 933, 1 Bartsch;
1233
GUT, adj., I A 2
GUT, adj., I A 2
1234
US soimderm vertruwen bitt ich uwer lieb mit flisz frunt-
lich, mich zu styren mit gutten laithunden {v. j. 1493) bei
Steinhatjsen privalbr. d. mittelalters 1, 300; guter leit-
hund, der flux auf dem gespor ist Maalkr 200»; man ver-
gleiche: gut werden heiszet allhier: der Jäger arbeitet
seinen leithund . . . aus, dasz er sich hernach . . . auf ihn
verlassen kann Heppe aufr. lehrprinz (1751) 47; bei trag-
tieren ^schnelV oder 'stark'':
ouch was s!n ros also guot,
daz er vil nach was komen hin
Hartmann Iwein 1060;
wider an, wider an vorterbet manch gut phert proverbia
Fridanci 82; do sint gar gute pfert unde mule Marco
Polo 3, 24 V. Tschabnee;
der schöne sattel macht auch kein gut pferd
Gabe. Voigtländer öden u. lieder (1642) 95;
item ein moller ze Ascha sol haben zwehen gute esel,
damit er den nachbauern zu der molen holt tueisthümer
6, 41; andere beziehungen: ne guda hahn wiard selde fett
rhein. wb. 2, 1510; god swien fritt allens Mensing 2, 424;
hinsichtlich des nutzwertes: da sind sie (die fische) wiederum
fett und gut fischbüchlein 11; ähnlich: sie wissen nicht,
was für ein guter vogel sie {die gans) ist Gramer Neseggab
1, 8.
c) abzusondern ist eine bedeutungsrichtung, bei der der
haupisinn in der brauchbarkeit einer sache liegt im gegen-
satz zu einer im Vorstellungsbereich enthaltenen uniaug-
lichkeit.
a) alt, wenn auch zunächst in Übersetzungsliteratur be-
zeugt, in einer Verwendung, bei der es um die Unterscheidung
zweier Massen von dingen nach ihrem gebrauchswert geht;
die nutzbare sorte wird der wertlosen gegenübergestellt; auf
grund von Luk. 8, 8: jah an{)ar gadraus ana air{}ai godai
got. bibel; daz auuar in guota haerda uuarth gasait Monseer
fragm. 13 Hench; etliches fiel auf ein gut land Matth. 13, 8;
der grundt ist an im selb so gut,
das er so groszen wücher thut
MüENER dische sehr. 6, 142;
'durch tiefpflügen der guet härd ga z verloche und der
bös, mager obef ür z mache' Friedli Bäryid. 1, 99 ; etwas
anders im technischen gebrauch guter boden: ein boden
ist gut, wenn er . . . dem pflanzenwachstum günstig ist
LuEOER 5, 25; pflanzen . . ., welche ... als zeichen eines
guten fetten bodens angesehen werden Körte sprichw.
377; dein vater . . . hat die fünfhundert morgen . . . par-
zelliert, und was von gutem boden übriggeblieben ist, ist
nicht viel Fontane ges. w. I 5, 165; bildlich: was sie mir
sonst sagen, soll in gutem boden gedeihen Göthe IV
19, 3 W.; swa all bagme godaize akrana goda gataujif),
ijj sa ubila bagms akrana ubila gatauji{) got. bibel Matth.
7, 17 ; eyn gud boum brenget gute fruchte prov. Fridanci
44; ob du bist ausgehauen von dem wilden natürlichen
Ölbaum und bist in gezweygt wider die natur in ein guten
Ölbaum erste dtsche bibel 2, 46 Kurr.; daz reich der himel
ist gleich eim man der do seet guten samen an sein acker
1, 50; das Unkraut {musz) ausgejätet werden, welches den
guten samen ansteckt Justi Winckelmann 1, 251 ; nament-
lich hinsichtlich der Verwendbarkeit als nahrung: inti bi
stedu sizente arläsun thie guoton in faz, thie ubilon
üzwurphun Tatian 77, 3; s6 . . . mag man dann niht wol
erkennen die guoten nägel {geivürznelken) von den valschen
Megenbeeg b. d. natur 368 Pf., vgl. gueti nägeli gewürz-
nelken Staub-Tobler 2, 537; gute kräuter herbe mangia-
bili Kramer t.-ital. l, 578^; gute pilze 'eszbare pilze'
Müllee-Fbaueeuth 1, 452, vgl. gut ze essen seyn und
für die speysz ze brauchen Frisius 2203'.
ß) verwendbar, weil noch nicht im zustande der un-
brauchbarkeit: dise {wurmstichigen) öphel {sind) ... als
schön geschaffen als die guten Taulee pred. 185 Vetter;
kein gut (= unverdorben) stück fleisch kriegten wir &vd
den tisch Grimmelshausen Simpl. 285 ndr.; die milch
ist nicht mehr gut sauer geworden usw.; disz bad bleibet
drey tage gut, sonderlich in Winterszeiten Chr. Wibsunq
artzneybuch 304C; ein solch erdgestübe soll mit dem kol-
IV. 1. 6.
gestübe vermischt seyn, welches man werfen soll in ein
gruben, daselbsten zu feuchten, dasz es lang gut bleibe
Ph. Bech ^grncofew bergwerckbv^h{l&2.\) 314 ; gut bleibende
waaren Jacobsson techn. wb. 5, 766''; gode waar 'von
Sachen die haltbar sind" Mensing 2, 424; es ist nicht gut,
wenn es nicht frisch ist nequam est nisi recens Seez
idiotismen 59 »; vgl. dazu: nig guet due 'sich nicht halten^
Seiler Basler ma. 153; namentlich in jüngerer spräche
häufig von kleidungsstücken, die noch als brauchbar anzu-
sehen sind: 'ein rock, eine hose, ein strumpf udgl. ist
(noch) gut noch nicht zerrissen, noch anständig zu tragen'
Fischer schwäb. 3, 943 vne allgemein nhd., vgl. das kleid
ist nicht gut vestimentum non est integrum Steinbaoh
1, 654; 2. 6, der verlorene hut war noch ziemlich gut;
bildlich: in keinen guten schuhen stecken 'übel dran sein'
Fischer a. a. o.; vielfach in Verbindung mit genug, was
msist schon als hart an der grenze der unbrauchbarkeit
empfunden wird, z. b. für den bettler ist das hemd noch
gut genug; daher redensartlich: guet gnueg ist schlecht
gnueg Schmeller-Frommann i, 963; det is lange jut vor
den Brendicke Berliner wortsch. 131.
y) umgekehrt 'tauglich' gegenüber dem vorhergehenden zu-
stande der unfertigkeit, unreife usw. : was eyn gutter hocke
werdyn wyl, das krommyt sich yn czeiten proverbia Fri-
danci 43; das mustu 3 oder 4 mahl überfärben, so ist
es . . . gut J. Walthkb pferde- u. Viehzucht (1658) 153;
im bilde:
ein Stockfisch wlrt auch nimmer gut,
den man nlt weidlich plewen thüt
K. SCHEIT Grob. 3950 ndr.;
die kirschen sind noch nicht gut le cireggie non sono ancora
buone, mature Kramer t.-ital. l, 579''; so überhaupt von
dingen, die in bearbeitung befindlich sind, meist in negativer
Wendung, z. b. der kuchen ist noch nicht gut 'aufge-
backen', die bohnen werden bald gut sein 'gar', erst wenn
die Oberfläche gut ist, darf poliert werden 'glatt' usw.,
im leben der alltagssprache das wort, das eine genauere be-
stimmung der gemeinten eigenschaft ersetzt durch den
bloszen begriff der Verwendbarkeit.
d) im sinne 'unversehrt' :
sol mich toeten ditze wip?
nu ist mir guot noch der Up
bl dirre konen niht gegeben
d. böte frau 718 Sehr.;
'der guet schueh wenn der andere löcher hat' Staub-
Tobler 2, 539 ; 'die guet mür der noch nicht baufällige
teil einer mauer' ebda; der berg {hat) also gebrannt, dasz
in der stadt Catanea nicht ein eintzig haus gut ge-
blieben Che. Weise pol. redner (1677) 665;
für dem unzyfer nun ist kein kraut gut gebliben
G. K. Wkckhkrlin ged. 2, 160 F.;
'der guet arm im gegs. zum kranken' Staub-Tobler 2, 539 ;
he kreeg em bi de gode hand bei der gesunden hand
Mensing 2, 425; 'ungeschwächt': {es) gebührt dem der
preis, der . . . am ziele unerschöpft bei guten kräften
anlangt Fr. L. Jahn w. 2, 26.
e) noch anders im sinne 'wiederhergestellt' gegenüber
einem durch Schädigung geschaffenen zustande, z. b. nu is
dat weller {wieder) god Mensing 2, 426; die wunde wird
bald gut sein usw.; es wird schon gut bis d heurathst
oder stirbst {in Oberösterr.) Wander 2, 184; ähnlich auf-
zufassen wohl schon: wers erharren künde, er wurd alles
gut prov. Fridanci 63, doch vgl. auch gut werden sp. 1258;
geläufig riamentUch in der festen Verbindung etwas gut tun
oder machen 'wiederherstellen, vergüten, ersetzen, ent-
schädigen, bezahlen'.
aa) gut tun in neuerer spräche veraltend, aber noch ende
des 18. jhs. mundartlicher Verwendung entsprechend ver-
einzelt gebraucht, vgl. den schaden gut thun, auf sich
nemen Henisch 1788: er {der ratsdiener) hett etlichs gelt
in seiner rechnung übersehen, das kind er nit wider gut
thun {v. j. 1571) städtechron. 32, xi; {ich werde) wie bisher
die kosten (ob mir schon hier deswegen nicht das geringste
gut gethan noch von mir gefodert wird) nicht ansehen
Leibnitz dtsche sehr. 2, 92; soll das abgenommene wieder
78
1235
GUT, adj., I A 2
GUT, adj., I A 2
1236
ersetzen und gut thun (v. j. 1664) bei Fischer schwäb.
3, 948; dasz ... er gehalten seyn wolle, die helfte der
Unkosten zu einlegung der röhren in seinem hause . . .
gut zu thun und zu bezalen Menantes neue br. (1723) 674;
man grüst sich arm. ■wer thut den schaden gut?
Stoppe Parnass 241;
8 gr. werden für die meile gut gethan Göthe IV 9, 298 W.;
und 35 (prozent) wurden ehedem auf dasjenige (linnen)
wieder gut gethan, was nach den englischen colonien aus-
geführet wurde J. Moser s. w. 6, 9o A.; noch mundartlich
bewahrt, s. Staub -Tobler 2, 540, Cbecelixts oberhess.
445; bildlich:
sie hat vergeben 1
nein, ihre thränen
thust ihr nicht gut Göthe 11, 327 W.
ßß) gut machen seil dem älteren nhd. bezeugt; im sinne
'ersetzen, vergüten, bezahlen' mit angäbe der summe bis ins
18. jh. gebräuchlich: sollen mir gut gemacht werden uff
pferdt 14 fl. {v. j. 1580) bei Fischer schwäb. 3, 948; undt
erstlich der kays. cammer (ist) gutt gemacht worden
17 178 thl 21 gr4 hl acta publica 1, 39 Palm; zur erhaltung
des zauns sollen dem weibel 3 fl. gut gemacht werden
(v. j. 1742) bei Staüb-Tobleb 2, 540; hierher auch: hat der
marktrichter macht . . ., bemelte pfennwerth . . . hinwek
zu nemben und solle niemant nihts dafür guet zu machen
schuldig sein {v. j. 1662) österr. weist. 0, 173;
nu, was denkstu, wenn damahlen
ich ihr hätte gut gemacht,
was verliebte liönnen zahien,
hättestu sie auch bewacht?
Stiklee geharnschte Venus 129 ridr.;
bis heute üblich unter arujabe des objekts der Vergütung: die
magdt {hätte) ihr eine eile tuch gestohlen, wann sie ihr
das tuch gut mache, wolle sie . . . {v. j. 1659) bei Fischer
schwäb. 3, 948; was sonst in den gastzimmeru verloren
gieng, muszte durch mich gut gemacht werden Ph. Haf-
ner ges. lustsp. l, 70 ; besonders einen schaden : der grosze
gott . . . wolle . . . den schaden ersetzen und gut machen
Chr. Weise pol. redner (1677) 488; es ist leichter, schaden
zu verhüten, als wieder gut zu machen Hebel w. 10 Beh.;
isoliert:
wolani mein leid ist auch volbracht,
die schuld bezahlt und gut gemacht
Königsb. dicMerkr. 156 ndr.;
wie 'aufwiegen' gebraucht:
den Verlust von gut und blut
macht der sold der minne gut
BÜRaER «. w. 17" B.;
volksläufig ist gut machen einmal im sinne 'entschädigen',
vgl. Martin-Lienhart l, 248; Honig Kölner ma. 67^;
Lambert Pennsylv. 75^; dann namentlich als 'wieder-
erstatten, vergelten', eine gäbe durch eine gegengabe auf-
wiegen: ha, ihr werdent net auch noch schenken, ich
weisz ja net, wie ichs gut machen soll Fischer schwäb.
3, 948; eppes gutt mächen vergelten, bezahlen lux. ma. 158;
wieder jut machen wiedererstattenBB.^^mcKiEBerl.wortsch.
131, aber auch berlinisch meist als vergelten einer empfan-
genen freundlichkeit z. b. nich doch, nich doch, det kenn
wa ja janich wieda jut machen; weiterhin in moralischer
hinsieht 'ein durch eine fehlerhafte handlungsweise be-
gangenes unrecht sühnen': machen sie also ihren fehler
wieder gut, so weit es noch möglich ist, ihn gut zu machen
Lessing 2, 29i L.-M.; als ob eine Schlechtigkeit durch
eine toUheit wieder gut gemacht würde A. W. Schlegel
in: Athenäum l, 2, 5; ob ich die himmelschreiende sünde
bereuen und gut machen wolle v. Gaudy s. w, 2, 136; die
äugen machten alles wieder gut, was die nase {durch ihre
schärfe) sündigte W. Raabe hungerpastor l, 32; er ...
wollte das unrecht der menschen an dem fremden weib
wieder gutmachen Blunck sprung ü. d. schwelle 169; vgl.
crem gutt mächen sühnen lux. ma. 158; etwas anders Hn
Ordnung bringen': Gelanor hatte zeit, dasz er die sache
wieder gut machte Chr. Weise erznarren 142 ndr.; ich
konnte ihm nicht begreiflich machen, dasz man viel zeit
brauche, um so etwas gut zu machen Göthe 43, 279 PF.;
neutral im sinne 'aufwiegen, ausgleichen' in negativer
richtung ganz vereinzelt: so wir von gote in bösen gedanken
werden verlazen, das geschiet darumbe . . ., das die un-
subern gedanken unser kleine gutete gut machen und
demutic an uns d. veter buoch 17 lit. ver.
d) im zustande der tauglichkeit, eine bestimmte funktion
richtig auszuüben oder ihr zweckentsprechendes ergebnis
zu sein.
a) von körperlichen organen 'funktionstüchtig' : auch das
der cirurgicus hab ain gutt scharpff lautter gesicht
H. Braunschweio chir. (1539) l; was . . . dem menschen,
der ein gut gesiebte hat, nicht kan verborgen sein Sper-
ling Nicod. quaer. (1700) 2, 828; das rosz ... ist jung und
starck und hat gute äugen, mag darzu wol laufen buch
d. liebe (1587) S,^; ich hab eine sichere hand und ein gutes
äuge Fontane ges. w. I 6, 5; eine gute nase . . . hat der
hund, welcher die ferte richtig verfolget Joh. Täntzer
jagtgeh. (1682) 1, 12; bildlich: er hat eine gute nasen
sprichw., schöne weise klugr. (1548) 26*'; redensartlich
modern: einen guten riecher haben für etwas; der grosze
oren hat oder ein gut gehör Fbisius 145''; mit guten
zänen übel essen sprichw. (1548) 1543'; ain iegleich vogel,
der guot flügel hat, daz ist der snell fleugt Megenbebo
b. d. natur 164 P/.; es müssen gute bein sein, die gute
tage tragen mugen Luther 14, 286 W. ; wer hoch anfangt,
der musz ein gute stimm haben oder bald aufhören Leh-
man flor. polit. (1662) 1, 25; indesz ein guter magen weisz
sich zu helfen Bremser medic. parömien 291; deinem
derben gaumen und guter verdauungskraft Göthe IV 33,
240 W.; er hat auch eine gute hand zum schlagen B. Mayr
päckchen satiren (1769) 38; daher heiszt die rechte hand,
mit der sich geschickter arbeiten läszt die gute hand : muszt
opa de gode hand geben Mensinq 2, 425.
ß) vom körper, seinem zustande und aussehen, und
einzelnen seiner teile, 'gesund, kräftig': so reiniget sich
das loch {der brüst) und wächst gut fleisch und heilet
bald Gäbelkover artzneyb. (1594) 2, 00; wann man sieht,
das im (demfalken) gut vedern wider wachsen Mynsinger
V. d.falken 27 lit. ver.; ein gesunder hat gutes blut Fischer
schwäb. 3, 941; ein gutes blut, ein langes leben K. Reiser
sagen d. Allgäus 2, 569 bei Fischer a. a. o.; übertragen in
der redensart gutes blut machen {s. blut teil 2, 170): was
soll es guts blut machen, das ein pfaff voll ist und
truncken Eberlin v. Günzburg s. sehr. 2, 84 ndr.; das
soll gewisz gut blut machen, wenn August . . . sagt Göthe
IV 10, 323 W .; das man warnemen soll, wie die leuth ge-
staltet und geschaffen sindt, die inn eim luft wohnen,
nämlich, ob sie gute lebhafte färb . . . haben Sebiz f eid-
bau (1579) 5; wohX hierzu: ein gut angesicht Maaler 1993';
modern: ein gutes aussehen haben; vgl. guter und wol-
geschickter naturen vitalis Diefenbach 623"; es ge-
hört eine übermenschlich gute natur dazu, um so etwas
auszuhalten Storm w. (1904) 3, 29; sie schreiben meiner
kunst zu, was deine gute natur gethan hat Ebner-
EscHENBACH ges. sehr. 2, 8; etwas anders 'zur gesundheit
gehörig': wenn nur die schmerzen weg sind, die guten
kräfte werden bald wiederkommen Göthe IV 5, 213 W.
y) in anwendung auf die organe geistiger tätigkeit und
auf geistige eigenschaften und leistungen überhaupt.
aa) zunächst im sinne 'imstande, die normale funktion
auszuüben' : der kaiser het ein edlman im hör . . ., der nit
alzeit bei gueter vernuft was Wilwolt v. Schaumburg 26 K.;
durch göttliche gnad bei gesunten leib und gueter Ver-
nunft {testament v. j. 1319) in v. Bbandis gesch. d. landes-
hauptleute 32; {ich) nahm dessen anstatt meines beaute-
weins so viel zu mir als ich mit guter Vernunft zu ertragen
getraute Grimmelshausen 2, 426 Keller; so noch mund-
artlich: er isch bim gude verstand gstorb Follmann
lothr. 221; besser gehalten in der Wendung gute sinne:
dann solches lastcr nimpt dahin
Vernunft, weiszheit und gute sinn
K. Scheit Qrob. 1873 ndr. ■
welcher mensch wil sich dann unterstehen, der noch bey
guten sinnen, ein ander Verwandlung der menschen ... zu
bestÄttigen Nigrinus v. zäuberern {lö82) 177; der was an
1237
GUT, adj., I A 2
GUT, adj., I A 3
1238
dem leibe khranckh, doch von den gnaden des allmechtigen
gottes gueter süne v. Bkandis gesch. d. landeshauptleute
24; lieber, bist du bei guten sinnen? C. F. Meybb d.
heilige^'' 32.
ßß) dann auf ein überdurchschnittliches masz geistiger
hräfte bezogen 'qualitativ leistungsfähig^ :
das gesiebte her (der smaragd) sere stercket,
ein gud gedechtnisse her wercket
Johannes Kothk lob d. keuschh. 2844 N.;
denn es gehortt tzu dem geyst, wer predigen wil . . . eyn
gutt gedeehtnisz und ander naturliche gaben Luther 8,
497 W.; freu de über dein gutes gedächtnisz Göthe 21, 10
W.; {die Hessen, die) als Teutsche dennoch von gutem
gehirn und verständig seyn Prätorius bericht v. Katzen-
veite (1665) A 6*; und war ein weib guter Vernunft 1. Sam.
25, 3;
Hiltebrant gut vermmfft da het:
wenn er begund zu mercken,
dasz sich der risz eins Schlags erholt,
so sprang er aus den bäumen
recht als ein degen solt Sigenot 148 Schade;
gütter verstand dotes ingenii Alberüs nov. dict. 79*;
kurz rede von guoten minnen
diu guotet guoten sinnen (leuten verständigen Urteils)
GoTFKiD Tristan 12190;
häufiger als guter verstand ist in jüngerer spräche guter
köpf : auch ein guter köpf kann unter den mittelmäszigen
mit durchschlüpfen Gerstenbero Hamb. nat. zeitg. 7 lit.-
denkm.; die guten köpfe aller nationen waren heimlich
mündig geworden Novalis sehr. 2, 32 Minor.
yy) zur kennzeichnung des ergebnisses der geistigen tätig-
keit, 'verständig^'
ich was mit sehenden ougen blint
und aller guoten sinne ein rint
Walthkr 123, 35;
die guten vernünftigen sinne den weisen man ausz groszer
sorge und angste pringen Arigo decam. 33 K. ; was sie
eben sagten, scheint einen sehr guten sinn zu geben
Gerstenberg schlesw. liier. -br. 199; z.b. das alles hat
seinen guten sinn; allen denen ze wüssen, die Hierony-
mum mit gutem urteil lesend Zwingli l, 141 dtsch. sehr.;
z. b. der Verfasser beweist ein gutes urteil ; leviten, die ein
guten verstand (Verständnis) hatten am herrn 2. chron.
30, 22; etwas anders: über die prosa des guten Verstandes
Herder 2, 324 Ä.;
dwil Kom die wyszheit hielt bevor
do gieng ir regiment enbor
ouch gut anschleg zu aller zyt
P. Qengenbaoh 4 Oödeke;
(er) entfernte sich schnell wie einer, der plötzlich einen
guten einfall hat Eichendorf s. w. 3, 4ll ; Schiller hat
deswegen einen sehr guten gedanken gehabt, dasz er
ein kleines stück ... als prolog vorausschickt Göthe IV
12, 143 W.; wiewohl auch hie unter den commenten eyner
guten wähl not ist Luther 15, 52 W.; ebenso modern: eine
gute wähl treffen, wobei aber II A stark hineinklingt;
ähnlich: so zog ich mich mit gutem vorbedacht schweigend
unter die leser und zuhörer zurück Kretschmann 5. w.
1, 1; indesz die alte den Überrest des weins mit gutem
bedachte genosz Göthe 21, 38 W.
e) schlieszlich ganz allgemein 'im zustande des gedeihen«,
der fülle, der kraft befindlich\
a) von konkreten; von vieh und menschen gut bei leibe
'wohlgenährt, fett': ein zart gut kalb l.Mos. 18,7; gut bei
leib nennt man das wild . . ., wenn es nicht mager ist
v. Thüngen-v. Traik waidm. n. pract. 299 ; he is god bi
fleesch Mensing 2, 425; die frau schint guet am Hb Staub-
TOBLER 2, 536; guter bock 'ein rehbock, der stark und feist
vom leibe sowie auch stark am gehörne ist' Jacobsson
techn. wb. 2, 177^; hierher: das dasselbe gut darnach also
gut ('ertragsfähig') pleibe, das min her aller siner gulte,
zinse, feile und recht sicher gnüg davon sin möge (urk.
V. j. 1483) weisth. 6, 15; von ländern 'üppig ausgestattet,
blühend' :
sie buent mit geziugon
in guatemo lante
(]oh warun io thes giwon)
Otfrid 1 1, 66;
in der hofnung . . . irgend einen gespaanen anzutreffen,
der es mit mir in das gute land . . ., da mann brod genug
zu essen hätte . . ., durch wagen thäte Moscherosch
gesichte 2, 25; gut land, feig leut Neander sprichw. 16
Latendorf.
ß) bei abstrakten: der ist ains snellen sinnes und ainer
guoten behenden nätür (anläge), der lindez flaisch hat an
seinem leib Meoenbero b. d. natur 50 Pf.; in guter ge-
sundtheit seyn bene valere Frisius 16lt>; in guter gesund-
heit Grimmelshausek 2, 25 K.; unerachtet aller be-
schwerlichkeiten einer harten ungewohnten lebensart
(blieben wir) . . . bei guter gesundheit Forster s. sehr.
1, 27; namentlich auch vom zustande selbst, 'gedeihlich' : das
du das . . . also versehen und zu gutem stände bracht
hast Arigo decam. 253 K.; der oberrock war in gantz
gutem stand Lichtenberg aphor. 2, 174 Leitzm.; die ab-
güsse befinden (sich) in vollkommen gutem zustande
Göthe IV 32, I6O W.; der gute zustand seiner casse I
22, 8; für uns und des heiligen reichs Seligkeit und gut
wesen (v. j. 1360) bei Haltaus 1678; als unnser statt Am-
berg und unnsere bürger daselbs durch bergwerckh lange
zeit in ufnem kommen umd in guethen wesen gewest
seint (v.J. 1455) bei v. Lori baier. bergr. 46; nachdem sie
die Sachen in Africa geschickt und zu gutem wesen ge-
richtet hatten Xylander Polybius (1574) 67; m,ehr nach
1 A.lcß hin modern: in gutem zustande 'g^rauchsfertig'
z. b. die Wohnung befindet sich in gutem zustande.
3) nd)en dingen, handlungen usw. zur bezeichnung der
Wirksamkeit oder zweckmäszigkeit im sinyie 'nützlich' oder
'ratsam', vgl. gut, nutz, nutzlich, ersprieszlich, tauglich
bonus, utilis, aptus, idoneus, accomodatus Henisch 1785.
a) bei konkreten dingen mit bestimmter zweckioirkung
'wirksam', dann 'nützlich, heilsam' : go{) salt. i{) jabai salt
unsaltan wair{)i{), Ive supuda? got. bibel Mark. 9, 50; samo
mit den guoten salbon geheilet werdent die gekniston
unte die siechon lichamon Wilubam 70, 10 Seem.; 'heil-
kräftig':
wir strichen an die wunden
. . . die guoten salben nardas
Wolfkam Parzival 484, 15; vgl. Haktmann Iwein 3689;
das durch beyn und marck gehet, wie denn die guten
salben thun nach yhrer art Luther 19, 607 W.;
eine gnote würzen nam er in die hant
und eine bühsen da was phlaster Inno
Eudrun 530, 2M.;
allgemein 'loirksam': das lächerlichmachen der neben-
buhler ist überhaupt ein gutes hausmittel bei den weibern
Deinhardstein ges. dram. w. l, 8; mit gutem mittel
Frisius 159=^; vgl. alle diese gut heilsame hülfsmittel
Fischart binenk. (1588) 123*; entsprechend in heutiger
spräche z. b. ein gutes mittel, die steuermoral wiederher-
zustellen; es gilt als ein gutes mittel bei Venenentzün-
dungen usw.
b) neben ausdrücken für tätigkeiten, die eine bestimmte
Wirkung ausüben sollen im sinne 'zweckmäszig, nützlich';
so guter rat, vgl. gödrädr adj. Gripispd 26, 3 Neckel:
. . . quad that he is im gödan räd
seggian mahti Heliand 4482;
swer volget guotem rate
dem missellnget späte
Hartmans Iwein 2, 153;
wolte sie (die Vernunft) gott einen giiten rat gegeben haben
Luther 51, 247 W.; der freunde rath ist gut, wenn er
wol gerath Petri d. Teutschen weish. 2, N 71*; da war
guter rat teuer! Göthe 21, 36 TF.; is der räd gaud?
ScHAJiBACH Qölt. 60»; gute lehre:
ich bedarf wol guoter lere
Hartmann Iwein 4876;
gut ler er (Catö) seinem sun las
liederb. d. Hätzlerin 274 H.;
der sol die färb der pluomen nit grosz achten, sunder die
guoten lere Steiniiöwel Esop 4 Ö. ; erstlich haben boten
hieraus eine gute lehre zu fassen Reinecke fuchs (1650) 216 ;
nun habt ihr für diesen tag gute lehren genug Th. Storm
w. 1, 9;
78*
1239
GUT, adj., I A 3
GUT, adj., I A 4
1240
du kanst mir gut anleitung geben
K. Scheit Orob. 46 ndr.;
seines Junckern guten Unterricht Geimmelshattsen 2, 344
K.; guter dienst: ich hoffet von im vil guter dienst ze
haben Abigo decam. 167 K.;
(deshalb) meint ich ein guten dienst zu thun
wann ich euch davon abhülf nun
Fischakt geschichtsklitt. 2 ndr.;
die ihr in der that gute dienste leisten Ramler einl. (1758)
1, 3ö; wir sind hergekommen, euch einen guten dienst zu
leisten Geestenberg schlesw. lit.-br. 150 lit.-dkm.
c) allgemein bei dingen und zuständen usw., die im Zu-
sammenhang der aussage als 'nützlich'' bezeichnet werden:
darumb wil ich dich zu einem guten handwerck thun
buch d. liebe (1587) 7*'; ledig thet er {der esel) keinn guten
tritt sprichw. (1548) 588; prädikativer gebrauch überwiegt
hier: das wasser wer gut, hette es der han nicht umb-
geschütt Eyeeing prov. 1, 278; gut ist in der band ein
epiesz Denis lieder Sineds (1772) 66; ai, wor gät äss de
rät! {wie gut ist die rute) Wandee 2, 174; zwischen nach-
bars gärten ist ein zäun gut Binder sprichw. 137; na-
mentlich bei abstrakten: a{)lmn witum jjatei go{) ist witoj)
got. bibel 1. Tim. 1, 8;
ein schade ist guot, der zwßne frumen gewinnet
Walther 19, 28;
klosterleben und gelubde möchten vorzeiten gut gewesen
sein LuTHEE 23, 421 W.; sweygin ist gut, redin ist bessir, der
ym recht tuth prov. Fridanci 84 ; darumb solche erkand-
nusz nutz und gut sind Paeacelsus op. 2, 507 H.; drey
stück und vortheil seindt gut: der jung inn thaten, der
mittel im rathen, der alt im gebet Henisch 1795; (die
bauern) sprechend, mertzenblust sig nit gut Tsohudi
chron. helv. 2, 133; ähnlich 'segensreicK' : unglück ist auch
gut GöTHB IV 1, 183 W.;
freyheit das best man achten thut
und ist doch auch nit allzeit gut
Eyering prov. 2, 620;
vollcsherrschaft ist nicht gut EüCKERT w. 1, 46.
d) im sinne 'passend, angemessen, ratsam, tunlich, ge-
ziemend, richtig'' in bestimmten verbalen Verbindungen.
a) gut dünken zunädtst mit personalem akk., für den
seit dem älteren nhd. der dativ eintreten kann; doch bleibt
der akk, die regel bei pronominalem objekt:
dö daz den liünec niht dühte guot,
dö belehrte sl ir muot Hartmann Itoein 6749;
. . . s6 diuht in llhte guot,
ob ein eit hie wurd zebrochen
darumb daz er an iu gerochen
wurd an disen stunden
Ottokar v. Steiermark reimchron. 4132 Seetn.;
du Salt unse gote anebete,
daz dunlcit mich gut noch unsemc sete
Katharinempiel 130 Beckers;
alse verre alse it uch goyt dünket unde ur wille ist Stein-
hausen privatbr. d. mittelalters 1, 6; die hertzogin gut be-
dunckt, ein abscheyd ... zu nemen Wickeam w. 1, 18 B.;
darnach nit . . . jeder alles, das in gut bedunkt on grund
der . . . gschrift an der kanzel predige Zwingli dtsche
sehr. 1, 116; neutral:
nennt es, so längs euch gut dünkt, nennts Verschwörung
BÜCKERT w. 1, 13;
mit dativ der person: dan er wolts do hin füren, wo es
im gut geduncket Waebeck Magelone 59 B.; folgende an-
merkung, von der sie übrigens glauben mögen, was ihnen
gut deucht Geestenbeeg schlesw. lit.-br. 141 lit.-dkm.;
langt mit den flngerspltzen so viel sprossen
hervor als gut dünkt ihrer Wissenschaft
atJCKERT u). 3, 121 ;
modern namentlich gut scheinen: es schien ihm jetzt nicht
mehr gut, den ehrgeizigen ... M. in Italien fusz fassen
zu lassen Ranke s. w. l, 112.
ß) gut heiszen (achten, sprechen) 'etw. angemessen
finden, billigen'; erst frühnhd. zu bezeugen, in der älteren
rechtssprache namentlich als subst, inf. 'einverständnis\'
so ist auch mit guethaiszen der gnädigen gerichtsherr-
lichen Obrigkeit . . . iederzeit . . . breichig gewest (v. ^'.1568)
österr. weist. 4, 126;
dasselb kan nit gut heiszen ich
J. Spreng Ilias (1610) 1. get. 7»;
ich . . . werde . . . niemanden zwingen, dasz er meine
gedancken müsse gut heiszen Logau sinnged., vorr. 1 L.;
schritte, die sie nicht gutheiszen durften Schillee 4, 133
0.; bald würden sie seine thorheit gut heiszen be. Geimm
dtsche sagen 2, 43; entsprechend mundartlich, vgl. Lambeet
Pennsylv. 75^; Beendicke Berl. w. 131; etwas anders
'das einverständnis erklären': die gesandten aber . . .
wolten ihm zwar anfänglich solches nicht gut heiszen
Oleaeius verm. reisebeschr. 361 ; und wollen uns dort ver-
binden {heiraten) wenn sie meine Sehnsucht gut heiszen
werden Holston u. Augusta {1780) liS; eps guet heiszen
bestätigen Martin - Lienhaet l, 249 ; er het drei mosen
win guet gheiszen zum besten gegeben ebda; gut achten
probare Maajler 199 ";
dargegen achtet mancher gut
das leib und seel doch schaden thut
Henisch 1795;
solches gereicht der obrigkeit ... zu kleinen ehren, die
heilig Schrift und alle vernünftige leute können auch
solches nicht gut sprechen J.MATHESiusÄarepto(1571)48^.
y) in präpositionaler Verbindung mit für bei verben des
meinens, denkens oder sagen« im sinne 'passend, geziemend,
richtig, ratsam'.
aa) für gut ansehen bis in das 17. jh. gebräuchlich:
wie es inen . . . für gueth und ratsam angesehen
sein würdet {wird) urk. v. j. 1319 bei v. Beandis landes-
hauptl. V. Tirol 33; gleichwohl haben sie vor gut an-
gesehen, einen iedweden in seiner eigenen spräche zu
beschreiben Chr. Weise erznarren 215 ndr.; vereinzelt mit
personalem akk. in vermengung mit gut dünken : das ist,
das mich für gut hat angesehen, die partickel der astro-
nomey zu erklehren Paeacelsus opera 2, 336 H.
ßß) für gut halten löst das vorige ab; zufrühest bei
Henisch: für gut halten bonum cestimare 1787; die katze
hielt das für gut und ging mit br. Grimm kinder- u. haus-
märchen (1895) 31; möge sie {die Schützengesellschaft) über
mich beschlieszen, was sie für gut hält Brentano ges.
sehr. 6, 339; die kaiserlichen räthe hielten doch für gut
. . ., einen andern kenner der jüdischen literatur ... zu
rathe zu ziehen Ranke «. w. 1, 185; mit ellipse der prä-
position: gutt halen billigen lux. ma. 158.
yy) für gut befinden, finden: endlich wurde vor gut
befunden, nach der obrigkeit zu schicken Geimmels-
HAUSEN 2, 425 X.; niemand aber, der gesetze giebt, ist
denselben weiter unterworfen, als er es selbst für gut be-
findet Rabener s. w. 1, 202; (er) habe . . . für gut befunden,
bei einer kartenlegerin nachzufragen Holtei erz. sehr.
1, 26; mit ellipse der präposition:
mit welchem von ihr zu und aufgeschlossen werden,
wie sie es gut beflndt, die schätze dieser erden
V. KÖNIG ged. (1745) 77;
nach dieser hauszhaltung fand unser held für gut
sich weiter umzusehn . . . LiOHTWER äsop. labein 65;
man fand für gut, einige arien und gesänge einzuflechten
GöTHE 21, 196 W.; die frage . . . hat keiner der herren
Vorredner wieder zu berühren für gut gefunden Bismarck
pol. reden 4, 357.
66) für gut erkennen: Alexander M. beim Curtio hat
es auch vor gut erkannt, daz ein mann seine f rau schlagen
möchte Che. Weise erznarren 14 ndr.; sollte für gut er-
kannt werden, dieses denkmal ... zu den acten der
societät zu bringen, so erbiete mich hier am orte, eine
genaue lithographische nachbildung zu besorgen Göthe
IV 32, 221 W.; vereinzelt: für gut gäben adjicere calculum
Feisius 35^; vor jut erkleeren als richtig anerkennen
Beendicke Berl. wortsch. 132.
4) gut im sinne 'passend, zweckmäszig' gewinnt einen
besonderen bedeutungsbereich innerhalb einer sphäre, in der
das, was bestimmten objektiv gültigen normen oder durch
gesellschaftliche konvention festgesetzten regeln entspricht,
als gut d. h. 'ziemlich, schicklich', 'richtig, ordnungsgemäsz'
bezeichnet wird.
1241
GUT, adj., I A i
GUT, adj., I A i
1242
a) bei formen menschlichen Verhaltens.
a) gute sitte; zunächst im sinne ^schickliches gebaren':
da schiltet sl vil maneger mite
so dunketz mich ein guot Site
Hartmann Itoein 1872;
versage er lu die reise, ir sult mit guoten siten
durch iuwer swester liebe der bete in vriuntltchen piten
Nibelungen 532, 3 Bartsch;
hie mit sundigt man nicht wider gutte sitten, sondern
wider den glauben Lutheb 8, 546 W.;
dasz jederman gleich spürt und sieht
dU'habst gelernt gut Bitten nicht
K. Scheit Orobianu» 3349 ndr.;
entsprechend auch in moderner spräche, z. b.: eine solche
reklame verstöszt wenn schon nicht gegen das Strafgesetz-
buch, so zumindest gegen die guten sitten, wo g. s. fa^t
terminologisch das verhalten im rahmen der regeln an-
ständigen geschäftsgebarens ausdrückt; auf der grenze zu
V B 1 : dieweil er sähe, dasz sie (die Jungfrau) gantz
züchtig und guter sitten war J. Wetzel reise d. söhne
Giaffers 124 lit. ver.
ß) ebenso bei. anderen Substantiven; mhd. namentlich im
bereich höfischer konvention 'geziemend, anständig, fein':
guot gebserde und Iduscher site
den zwein wont vil steote mite
WOLFRAM Parzival 414, 23;
stn leben daz ist höfsch unde guot
GOTFRID Tristan 499;
darzuo gebt mir vier kint,
mit guoter zuht, von höher art
Wolfram Parzival 8, 5;
{der Jüngling) aller guter zucht und sitten, dopey schön
und liebe . . . waz Aeioo decam. 131 K.;
Bwaz ie guoter tugende an vroun Heichen lac
der vleiz sich vrou Kriemhilt dar nflch vil raanlgen tac
Nibelungen 1380, 1 Bartsch;
sy anhangent der lere guter tugend Niclas v. Wyle
iranslat. 21 K.; in neuerer spräche vergleichen sich: gutes
benehmen, gutes betragen, guter anstand, gute manieren,
wobei gut die Übereinstimmung mit den regeln des schick-
lichen Verhaltens angibt (anders der gute ton, die gute
lebensart vgl. II B) : diese leitete die stunden und tage
des kindes zum leben, lernen und zu allem guten betragen
GÖTHE 24, 128 W.; der gute . . . anstand ist ein äuszerer
schein, der andern achtung einflöszt Kant s. w. (1838) 10,
151 H.; ähnlich von einzelnen handlungsf armen: so suchte
er mich auf eine gute art von Florenz zu entfernen
GÖTHB 43, 114 W.; der nachforschung der elemente
unserer erkenntnis . . . mit guter manier ausweichen
Kant s. w. (1838) 3, 321 H.; der miszbrauch (der Presse-
freiheit) . . . wird unendlich von dem groszen nutzen
überwogen, den der gute gebrauch dem gemeinen wesen
gewährt Archenholz E7tgl. u. Italien 1, 9; die schuld
(lag) ... an dem gebrauch oder vielmehr an dem misz-
brauch, den man neben der guten anwendung davon
machte Fr. Schlegel s. w. 2, 15.
b) allgemeiner bei zuständen des sozialen lebens, die mit
ihrem sinncharakter in einklang stehen, d. h. sind wie sie
sein sollen, also 'zweckentsprechend, geziemend, gebührend' :
dann etliche kirchenordnung sind gemacht umb guter
ordenung und fridens willen Luther 26, 222 W.;
von frid und einigkeit der alten
und wll sie gut Ordnung gehalten
K. Scheit Grobianus 1287 ndr.;
von welchen die meisten Verwirrungen und Zerrüttung
guter Ordnungen herkommen polit. maulaße (1679) vorr.;
die gemeinde stand in guter Ordnung um die kanzel
V. Arnim s. w. 2, Sll Or.; wenn der geselle schon ins
madt gehen kann, wann noch die Jungfrau im bad liget,
so wird eine gute heirat Mathesiüs hochzeitpr. (1584) 30^;
es ward auch ein gute ehe, dann die history sagt gäntz-
lich und für gewisz, dasz ihr keins das ander ihr leben
lang nie mit einem wort erzürnet hab buch d. liebe (1587)
30^', heute aber mehr nach III hin als 'glückliche ehe'
empfunden; er ist mechtig und helt sein landt in güttem
fride also Warbeck Magdone 51 B.; thut dasz ein weib
... in gutem frieden? Mosoherosch ins. cur. par. 13 ndr.;
darumb inn eyner guten pollicei sol nit alleyn das arg
gestraft, sonder auch das gut belont werden Carbach
Livii röm. hist. (1551) 27''; er regierte solches (Bayern) mit
guetter rhue fünf jar lanng v. Brandts landeshauptl. v.
Tirol 14; — hierzu gehört auch das gute recht, d. h. ein
recht, das den f orderungen des natürlichen rechtsempfindens
oder rechtlicher konvention entspricht: Christus soll sein
reich auflEs erst ordenen, zurichten und fertigen, das es
stehe und gehe ynn gutem recht Luther 19, 167 W.;
wenig gesatz, gut recht Lehman fior. polit. 1, 291; etwas
anders das recht, das einem zusteht, 'gebührlich" : man solt
im zu Kolen gut recht doin (sein gutes recht verschaffen)
städtechron. 13, 114 (1. hälfte d. 15. jhs.); die eifrigsten Ver-
treter von Adherbals gutem recht überzeugten . . . sich
davon, dasz Mommsen röm. gesch. 2, 140;
{wo) der Würtemberger zecht
da soll der erste trinkspruch sein:
das alte, gute recht 1 Uhland ged. 1, 69;
wir bedürfen dieser deckung nicht, wir stehen fest auf
dem boden unseres guten rechtes Bismarck pol. reden 2, 79.
c) bei modaliiätsbegriffen; in älterer spräche gute masze,
guter fug, besonders in präpositionaler Verwendung 'in
ziemlicher weise, in schicklicher art':
wanne god dem menschen gud bescheret
des her gebrucht in guder masse
unnd nicht in vollede adder in quasse
JOH. Rothe lob d. keuschh. 2026 N.;
Mo.: ,halt frled, er ■nirds nun bleiben lassn.
Ha.: Ja herr, ich thues zu guter massn
Hayneccius Hans Pfriem 83 rtdr.;
(mein vater) hat uns ein testament gemacht
und auch das landvolck guter massn
freybeiten drinn genieszen lassn
M. Binckhart Christi, ritter 26 ndr.;
wie kanstu denn hie mit gutem fug raten, das die heim-
liche Verlöbnis . . . solle ein ehe bleiben? Luther 30, 3,
225 W.;
es kan dich wol mit gutem fug
hosen und wammes decken gnug
K. Scheit Grobianus 1044 ndr.;
oft mehr im sinne 'berechtigt' : dann wiewol ich das züthün
gute füg und mer dann gnügsame ursach gehabt Hütten
opera l, 418 B.;
. . . mein gelücke thut mir nichts von diesen allen,
was ich ihm mit gutem fuge zugemutet, zu gefallen
LOGAF sinnged. 582 L.;
(die obrigkeit,) die mich wegen so scheinbarlicher an-
zeigung mit gutem fug an die tortur werfen dörfte
Grimmelshausen 2, 431 K.; (sie sind) so gar ähnlich, dasz
sie sich nicht mit gutem fuge in etliche kleinere classen
eintheilen lieszen Rösel v. Rosenhof insectenbelust.
(1746) 1, 165.
d) bestimmten objektiven regeln entsprechend.
a) den Sprachgesetzen folgend, 'richtig': nu wil ich
sprechen einen sin, den nut ein iekliches verstot und
doch sprich ich iemer gut tutsch Tauler pred. 144 F.;
gottes werck wirken ist nicht gutt deutsch geredet
Luther 33,25 W:-; ausz italiänischer sprach in gut hoch-
teutsch gebracht Wetzel reise d. söhne Giaffers 9 lit. ver. ;
ich hab ihn (den schüler) angezeichnet . . ., das er nicht
gut latin geredet Orsäus nomencl. meth. (1623) 308;
so hat die barbarey das gut latein zerstükket
und gotisch, wendisch, teutsch mit macht hinein geflikket
Rachel satyr. ged. 118 ndr.;
das gute latein (musz sich) zuweilen von dem gesunden
menschenverstande sehr weit entfernen Lessing 10, 336
L.-M.; hierher auch als 'richtig gebildet': kunstrichterey
... ist zum exempel kein gutes wort Klopstock gelehrten-
republ. (1774) 147; besonders gern präpositional, wobei
der begriff des richtigen in den meist drastisch aufgefaszten
begriff 'unverfälscht, echt' oder 'grob' übergehen kann:
einer kennt syn gesellen über den zun
und welszt behendt, was er sol thun;
zu güttem tütsch helszt es ein vertragk
oder gesungen: der habersack
MUENBE narrenbeschw. 71 ridr.;
1243
GUT, adj., 1 A 5
GUT, adj., I A 6
1244
communia auf gut lateinisch bedeutet allgemeine dinge
Bamleb einl. (1758)3,261; teutschet Luther dise wort
auf gut bulerisch Emsee in Luther 17, 1, 6 W.; auf gut
schwäbisch : herr magischter, es ischt ein groszer . . .
Schupp, sehr. 27; in spezifischem gebrauch erscheint auf
gut deutsch im sinne 'deutlich ausgedrückt: ir seind
narren auf gut teutsch gerett Eberlin v. Günzburg
s. sehr. 2, 9 ndr. ; soll wohl auf gut deutsch heiszen : ein
sehr fein gebildeter mann H. Beck schachmasch. (1798) 12.
ß) ähnlich so bei kunstwerken, handarbeiten u. dgl., die
den regeln der kunst, des handwerks usw. entsprechen,
'kunstgerecht, vorschriftsmäszig\' danne daz sy oft und vil
lese in geschriften guter und zierlicher gedichten Niclas
V. Wyle translat. 8 K.;
welche haben ir seel und leben
und reinen guten text darneben
diese aller ehren werd sein
A. PusoHMANN gründl. bericht 2 tidr.;
gnug, dasz die verse gut, die lieder lieblich gehn
Che. Weise grün. jug. 172 ndr.;
es ist schwer gute perioden ... zu machen Göthe IV
1, 258 W.; oft hört man sie ... melodisch singen und
guten takt halten Bücher arbeit u. rhythm.* 66; redens-
artliche Wendung: gute arbeit leisten, vgl. gott hat jedem
in seinem beruf ein rocken angeleget, daran er soll schaffen
und gut garn spinnen Lehman fior. pol. 1, 18 ; hierzu stellt
sich auch: rechtsinnig, der ein recht und gute meynung
hat orthodoxus Calepinus XI ling. 1005»; die ent-
sprechende adverbielle Verwendung gut evangelisch ge-
sinnt sein usw. vgl. unter VII.
e) prädikativ seit alters in gebrauch im sinne 'es ist ge-
ziemend, billig, richtig': gote sol man jehen, daz ist guot
NOTKER pS. 91, 2;
ich prlse in swä er rehte tnot
und verswlge ein laster: daz ist guot
Habtuann Itoein 2404;
■was man dem bederben ere tut
das ist billichen unde gut
herzog Ernst D 1831 in: V. D. Hagen dtsche ged. d. mittelalters;
es ist ganz gut, was er thut, dem man wohl will PiSTORlus
thes. paroem. 10, 65;
dasz du in das gehelmnisz deiner abkunft
vor mir wie vor dem letzten stets dich hüllest,
war unter keinem volke recht und gut
GÖTHE 10, 13 W.;
darum ist es nicht anmaszung sondern recht und gut,
wenn . . . v. Savtgny v. beruf u. zeit (1814) 1; in diesen
Zusammenhang reiht sich der ausruf des erstaunens das ist
gut!, der ironisch verstanden gerade dünn gebraucht wird,
wenn eine sache nicht ordnungsgemäsz erscheint, vgl. dei
ass gutt das ist doch sonderbar lux. ma. 158; redensartlich
so ist es gut! oder meist elliptisch gut so! im sinne 'so
gehört es sich, so ist es richtig, recht so\- s ist gut so, sagte
Grete und öffnete schrank und truhe Fontane ges. w.
1 2, 394; auch das oft ironisch: got so, broder Liedtke,
kannst so leege, kannst so stehle Frischbier jw.sp"-^ 1» 170.
5) einen besonderen bedeutungsbereich hat gut seit dem
jüngeren mhd. in der spräche des rechts- und geschäfts-
verkehrs inne.
a) der ausgangspunkt der bedeutungsreihen 'beglaubigt,
'vollwertig^ 'sicher' in bezu^ auf Urkunden, münzen, Wert-
papiere u. ä. liegt in der bedeutung 'taiiglich, wirksam' in-
sofern ein bestimmter juristischer zweck, der der rechts-
gültigkeit, zu erfüllen ist.
a) 'beglaubigt, sicher, rechtswirksam': daz si dar über
haben gute brieve urk. v. j. 1295 bei Fischer schwäb. 3,
941; nach guten briven und wizzintlichen Urkunden
andirer kurfürsten urk. v. j. 1354 in: Zeumer gold. bulle
2, 65;
daz uns dhein schad
(geschähe) ... an unsern alten rehten
diu uns mit guoten und mit sichten
hantvesten sint bestistigt
Ottokar v. Steiermark reimchr. 19849 Seem.;
auch 'urkundlich anerkannt': dasz mein gnediger herr von
Bieneck ein gut halsgericht hir hab weisth. 6, 13; und
bettend all und jeglich vollen und guten gewalt von irn
herren mit briefen und och insigeln Biohental ehr. d.
Const. conzils 52 lit. ver.; ähnlich: wir musztens geben
laut pakt und gutem wort Alexis Roland v. Berlin 1, 115;
in verbaler Verbindung: gut machen 'verbürgen' :
mit gfseln und mit hantvesten
woldens in daz machen guot
Ottokar v. Steiermark reimchr. 46317 Seem.;
bis sie {die verdächtigen) inen umb die sprüch ain bemüegen
thuen oder zum rechten guet machen und verpürgen
österr. weist. 5, 648; 'beweisen' : die stellen, welche gut
machen, was ich gesagt habe Lessing 11, 102 L.-M.; gut
geben 'bestätigen' : {eine abtwahl) gut geben mit urkund
Vadian bei Staub-Tobler 2, 541 ; für gut bestätigen 'für
rechtsgültig erklären': daz ist der recht grundt, das solcher
kauf für gut bestettiget ward Jacob Strausz das wücher
nemen (1524) d^;
iedoch er sie verbürgen sol
sicher mit guter bürgschalt wol
H. Sachs 2, 9 K.;
in neuerer spräche klingt diese Verwendung noch in einzelnen
archaisierenden formein nach im sinne 'sicher, verläszlich' :
er selbst aber ging mit gutem geleite nach dem Bourbon-
nais H. Laube ges. sehr. 2, 47; unter guter bedeckung und
kaiserlichem schütz Scheffel ges. w. 1, 270.
ß) auf münzen, Währungen und geldsorten bezüglich.
aa) 'vollwertig, von richtigem gewicht': umbe 120 guter
Pfenninge Tuwinger müntze {v. j. 1317) bei Fischer
schwäb. 3, 941 ; namentlich in formelhafter Verbindung mit
gebe, genge, geneme, die den begriff 'gangbar, gültig' bei-
fügen: guter und geber Augspurger pfemiing städtechron.
22,336; guter und gebir werunge hess. urk.-buch 2,660;
drizechen pfund pfenn. guoter und genger Züricher münz
{v. j. 1369) bei Staub-Tobler 2, 538; i ^ haller guter,
gselaer und genemer(v. j. 1346) bei FiscuEn schwäb. 3, 942;
so soll man nemen . . . ein ducaten und ein ungarschen
guldin, die gut sind Tschudi chron. helv. 2, 158; archai-
sierend:
ich ihn an mich gekaufet hab
für richtig gutes schweres geld
TiECK sehr. 1,135;
vergleichbar: der gute gehalt der münzen {ist) gefallen
Babener s. w. 3, 10.
ßß) daraus spezieller entwickelt 'echt' gegenüber dem
schlechten gelde mit geringem gehalt an eddmatall oder dem
falschen:
(hätten toir) ein müntze und gut gelt
so stund es wol in aller weit
tprichw. (1548) 73»;
trauet mir, mein geld ist gut
Che. Weise grün, jugend 64 ndr.;
falsch müntz hat ein gepreg eines herren der gute müntz
macht Lehman flor. pol. 1, 107; wer geld einnimmt, der
thue . . . die äugen recht auf, dasz nicht zwey- vor vier-
groschenstücken . . . oder sonst falsch geld vor voll und
gut mit eingezählet werde J. G. Schmidt gestrieg. rocken-
phil. 1, 13; übertragen:
hie nimmt der arme Jost solch honigsüszes streichen
für gute gülden an Rachel sat. ged. 21 ndr.;
auch modern ein gutes Zweimarkstück usw. im sinne 'ein
echtes, nicht gefälschtes', vgl. Fischer schwäb. 3, 942;
gueti banknöt echte banknoten Staub-Tobler 2, 538.
yy) vereinzelter im sinne 'gültig, gangbar' gegenüber den
auszer kurs gesetzten münzen:
wer die müntze recht nicht kennt, dem ist ieder groschen gut
LOGAU sinnged. 265 lü. ver.;
dat geld is good gangbar Dähnert 157^; god geld gültiges
geld Mensing 2, 424.
66) terminologisch im sinne 'vollwertig, hoch im kurs
stehend' gegenüber der zwar gültigen, aber niedriger be-
werteten Währung und ihrer münzsorten, vgl. 'gutgeld opp.
dem keyserlichen geld, welches alsdann leicht geld heiszf
Scherz-Obeblin 581: dieweyl aber von wegen imser
schwachen münzen, die im rych nach der selben wär-
schaft und halt nit gäng und gab, imsere kouf- und
1245
GUT, adj., I A 5
GUT, adj., I A 5
1246
werbende lüt^ so im rych waren koufen und mit gueter i
rychsmünz zalen müeszend, so solle von diser ursach ■
wegen unsern kouflüten zuegelassen syn, dasz sy gegen
einandern uf guet gelt handien {v. j. 1568) bei Stäub-
ToBLEB 2, 538; dedit 6 // 16 ß guttes geldes handelsrechn.
d. dtsch. Ordens 17 Sattler; nach beiliegender rechnung
(bin ich) . . . 125 thlr. 49 grote gut geld schuldig, welches
nach unserem cours ohngefähr macht 135 thlr. Göthe IV
16, 224 W.; es (mache) mehr als 8 thaler im guten gelde
aus Ayeenhoff s. rv. l, 21; 7ioch redensartlich: er wirft
das gute geld dem schlechten nach Fischer schwäb. 3, 942;
bei einzelnen milnznamen: 'guter gülden (= 21 groschen)
opp. leichter, kayserl. gülden (= 16 groschen)" Feisch t.-lai.
1, 385^; wir (haben) . . . für 50 gute gülden 103 papier-
gulden erhalten Götke IV 19, 342 W., weiteres s. gülden
teil 4, 1, 6 sp. 1059; guldiner, eine teutsche reichsmüntze
und so viel als 16 gute groschen Apikus gloss. nov. (1728)
260 ; ein andrer musz mir zwar acht gute groschen geben
Gottsched dtsche schaub. 3, 283; einen tagelohn von 6-8
guten groschen Bismakck pol. red. 1, 131;
gut krönen und dick Pfenning schwär
E. R. Manuel weinspiel 3086;
hundert Schilling guter güldener pfennig buch d. liebe
(1587) 101».
es) in jüngerer spräche im sinne ''sicher'' : die besagte
summe für den kaufmann M. ... in guten landespapieren
H. V. Kleist 4, 88 Schm.; guete Schuldbrief, guete zedel
gesicherte hypothek Staub -Tobler 2, 538; ähnlich auch:
gute papiere mündelsichere papiere, erstrangige Prima-
wechsel, aktien solider Unternehmungen, wobei aber auch
(vgl. 6ö) an hohen kurswert oder hohe Verzinsung gedacht
werden kann; was den wustischen insatz betrifft, so er-
suche (ich) dagegen dessen verkauf nicht vorzunehmen,
denn da er sicher und gut ist . . ., so lassen wir denn
diese sache auch auf sich beruhen Göthe IV 29, 51 W.;
anders 'verfügbar\ gute schulden debiii liquidi Kramkb
t.-ital. 1, 5781».
b) die bedeutung 'sicher, zuverlässig^ in bezug auf zeugen,
bürgen usw. ruht in der Vorstellung, dasz die personen für
eine juristische funklion 'tauglich' anzusehen sind; bei
zeugen auf grund ihrer Stellung, ihrer herkunft, ihres
Charakters usw., bei debitoren oder bürgen auf grund ihrer
Wohlhabenheit, ihrer geschäftlichen Zuverlässigkeit usw.
a) bei zeugen oder anderen gerichtlich beeidigten Sach-
waltern; gute leute fester terminus der älteren urkunden-
sprache, vgl. lat. viri, homines boni, d. h. 'biedermänner\-
die formel geht wohl von gut V aus und bedeutet zunächst
'rechf^chaffene" und deshalb 'zuverlässige^ leute: her (soll)
ime sine kost gelde näh guter lüte kure Sachsenspiegel 66
Weiske; das habent och gut lüt dik und fil hie gesait
Elsb. Staoel schw. z. Tösz 109 F.; (man) hat . . . etlich
in gelubd genomen, aber man hats nit können binden,
dasz nit sei . . . ist jederman gut gewesen (zeuge gewesen)
städtechron. 29, 48 ; wie wir bey ein anderen sind gewesen,
bist du ein guter zeug Frisius 159*; so sollen sie die
sache gründlich und mit guten bewehrten zeugen be-
weisen Eeinicke fuchs (1650) 369; in gegenwart seiner und
ihrer guten männer (hat er) 120 mrk. zu erlegen sich er-
boten nach e. westpreusz. schöppenbuch v. 1642 in: neue
preusz. provinzialblätter 12, 333; entsprechend mal.: guter
mann, gutmann zeuge bei der trauung, taufe und Verlobung
Frischeier jrr. wb. l, 260; guter mann kirchlicher trau-
zeuge Betcke Königsb, ma. 31; in engerer bedeutung von
gerichtspersonen, Schiedsleuten oder gerichtlich vereidigten
Sachwaltern, vgl. gute mannen, beidermänner arbitri, boni
viri Henisch 1791 : der herr foit (vogt) die sachen zuweilen
auf gutte leuthe gibt, dan domitte werden viele sachen
durch gutte leuthe in der suehne vertragen Olmülzer
gerichtsordn. 11, wo die bedeutung IV hineinspieü; leut . . .,
die etwann bluetiges gewant antruegen und iemant
sollichs chauf et, die sollen gestraft werden, wie dann weiter
durch guete leut erkennt ■WTirde (v. j. 1629) österr, weist.
6, 258 ; durch gute männer (arbitri) . . . einen streit beilegen
Hippel s. w. 6, 199; 'beeidigter Sachwalter'' : er brauch
ihn erstlich in schweren sachen und vertragen zum guten
mann, so wird er ... (17. 7A.) Casp. Stein peregrinus 12, 41
bei Frischbier wb. 1, 261; gute männer . . ., welche alle
beliebte nachbarliche Zulagen treulich und fleiszig ein-
sammeln, aufschreiben und . . . richtige rechnung geben
sollen A. Haetwich geogr. hist. landesbeschr. (1722) 508;
'guter mann, omcä geschworener mann, sind beeidigte
leute, durch welche die gerichtlichen aussagen der auf
grundstücke bestätigten kapitalien geschehen müssen' Klein
dtsch. prov.-wb. 1, 174 für Danzig; 'n gooden mann ein
als zeuge oder vermittler zugezogener unbescholtener, un-
parteiischer mann, im letzteren prägnanten technischen
sinne ist der pl. goode mannen' Stürenbtjro ostfries. 73*.
ß) bei debitoren usw. 'sicher, zuverlässig', au^h 'kredit-
ivürdig', vgl. besondere arten der vollmacht sind, wenn
. . . man einen unter dem vorgeben, dasz es ein guter
mann, dem wol zu trauen, bey dem keine gefahr zum
anlehn oder creditgeben beweget, davor man allerdings
stehen musz Haym jur. lex. (1738) 1280: daz dhain pfleger
. . . dhainen man nicht vahen sol, der gut zu dem rechten
ist (mit rücksicht auf besitz dem gerichte sicher ist) österr.
weist. 1, 321; der mann ist gut, warumb solte er durch-
gehen? polit. bratenwender (1682) 246; glauben sie nur
nicht, . . . ich wollte sie mahnen — das hat zeit, sie sind
mir gut Heine w. 3, 321 E.; der oheim G. war so gut
wie sein wort W. Raabe hungerpastor 54; von da au^ oft
mit dem beisinn 'wohlhabend, zahlungskräftig' , vgl.
wills b8chulden, wo ich bin so guet
J. Aal Joh. (1549) hei Staub-Toblke 2, 536;
da nun heir St., wie die anderen hier anwesenden Berliner
versichern, 'gut' ist Isolde Kurz lebensfluten (1907) 151;
mal.: der ina ist gued reich Tobler appenz. 245*; nu
betahl man, dat dröppt ja n goden mann Mensino 2, 424;
vereinzelt gut sein 'besitzen': guet sein um 1000 gülden
1000 gülden besitzen Schöpf tirol, 220; bescheiden theil
was du gut bist Petri d. Teutsch. w. 2, k 4*.
y) formelhaß in den wend^ingen von (in) guter band,
aus guter quelle u. ä. im sinne 'verläszlich' : der graf von
Strahl, uns vielfältig und von guter hand bekannt H. v.
Kleist 2, 182 Schm., vgl. dazu auch guter hande leute
sp. 1267; wir (machen) uns ein vergnügen daraus, ihnen
eine parodie darauf mitzutheilen, die wir von guter hand
bekommen haben Lessino 5, 446 L.-M.; sie sind schlecht
berichtet, herr M., ich musz es doch zum teufel aus guter
hand haben Lenz ges. sehr, l, 229 ; es liegt in guter hand
Schiller 12, 401 O.; modern oft plur.: der küster, da er
seine sache in guten bänden sah Immeemann Münchh.
(1838) 3, 43; es ist aus guter queUe Klix bei Wander
5, 1440.
c) in festen verbalen Verbindungen.
a) wie in b ruht die Vorstellung darauf, dasz eine person
als 'tatiglich' angesehen wird für die Verpflichtungen einer
zweiten person einzustehen.
aa) unmittelbar personell gut sein, werden; im sinne
'bürgen, haften' meist mit für: wer wü mir bürge und gut
dafür seyn, das sie recht sagen Luther bei Dietz 2, 187 **;
wie die alle durch vielgemelten N. also stet und feste zu
halten, gelobt und geschworn seind, selbschuldige bürgen
und dafür gut wurden seind A. Machholtl /ormuZar (1560)
94*1; hürumme vorwillekorden syk de borghere, dat se
wolden güd wesen vor allen schaden (v. j. 1450) städte-
chron. 30, 110;
da für sy mir der künig gut,
das mir hie üwer keiner thüt
Murner narrenbeschw. 272 ndr.;
scheue dich nicht, sie auf zu nehmen, ich bin dir guht
vor ihre ehre Zesen helik. rosent. (1669) 42; für das der
H. gegebne (geld) bin ich auch gut Göthe IV 19, 217 W.;
ebenso mal., vgl. Mensing 2, 424; eiicas anders 'sici. ein-
setzen': weil nun . . . Th. auch ihm rund abschlug, für
ihn bey Z. gut in Worten zu seyn Lohenstein Arminius
2, 923*>; auch 'dafür bürgen, dasz eine gefahr, ein schaden
nicht eintritt': gut für alle gefahr sein Reyher thes. 3, 626;
1247
GUT, adj., I A 6
GUT, adj., I A 6
1248
ich wil dir gut vorn schaden seyn
M. BiNCKHAET Christi, rittet 27 ndr.;
sey gut für allem schaden
du aug und Wächter Israel
Paul Gerhardt bei Fischer-Tümpei, 3, 298;
dann ^sich für eine eigene behauptung verbürgen, nach-
drücklich versichern\ oft mit personalem dativ:
du lernst in wol kennen hierin,
vorwar ich dir darfür gut bin
gatir. u. pasq. 1, 80 Schade;
da schrieb ich ihr nun was auf, ich bin gut dafür, wenn
sie es gebrauchet, so wird sie in 4 wochen keinen menschen
ähnlich sehen Chr. Reuter ehrl. frau 28; ich bin dafür
gut, dasz niemand . . . jemals wieder zu jener alten . . .
Scheinwissenschaft zurückkeliren werde Kant s. w. (1838)
3, 295 27.; so mal. verbreitet, vgl. Dähnert is?*^; Scham-
bach 60*; Hofmann niederhess. lll*'; Christa Trier, ma.
103*'; Martin-Lienhaet 1, 248; vereinzelter mit um: die
sind mir gutt umb mein vordrung U. Füetrer bat/er.
chron. 211; ich wil gut darum b seyn ad me recipio Frisius
1121''. gut werden, vgl. der für ein andern gut wirt, der
für ein andern verheyst Albertjs nov. dict. 16^: dy ob-
genante fraw unnd (volljährigen) kinder obgenant sindt
gudt wordenn vor dy kinder dy noch nicht mundigk
seindt {v. j. 1492) Melbacher gerichtsbuch (handschr. quelle);
ist dem vogt gut worden, daz er von sollichen geltz
wegen nit angelanget werden sol (r. j. 1493) bei Fischer
Schwab. 3, 948; wan der schuldig man guet wird oder
seiner freund ainer für die wandel (busze), so soll man
ihm sein hab nicht anfallen (v. j. 1C60) österr. weist. 9, 430.
ßß) gut stehen ist nicht vor dem 18. jh. zu bezeugen: ein
freund ihres bruders ist für ihre hiesigen schulden gut
gestanden J. Nestroy ges. w. 1, 58 ; sie sagte mir auf die
letzt, dasz sie sich getraue, mir mit ihrem leben gut zu
stehen, dasz das, was ich bis dato geschrieben, gewisz ge-
fallen wird Mozart an d. vater bei Jahn Mozart 3, 45;
wenn er ihn umgebracht hätte? . . . gut stehe ich nicht
dafür, sprach der Vorsteher von G. W. Raabe Horacker
103; ebenso mal. in westl. maa., vgl. HöNio Kölner ma.
67''; Martin-Lienhart 1, 248; Seiler Basler ma. 153;
Fischer schwäb. 3, 948; sich gud stelle Follmann lothr.
221; etwas anders im sinne 'einstehen, entschädigen'' : auch
ist hie und da wohl ein zug oder eine scene gelungen, die
für das ganze dann gut stehn müssen Tieck sehr. 4, 287.
yy) gut sagen, gut sprechen seit dem 17. jh. geläufig;
isoliert mit akkusativ objekt im sinne 'versprechen' :
denck nur, es sey der weit nit neu,
das sie es gut sagt on alle treu
B. \V ALDIS Esopus 2, 291 Kurz;
die regel ist konstruktion mit für oder abh. satz in der be-
deutung 'bürge?i\- als wenn du den bundsverwandten,
bürgern und dem regiment nicht allein für deine person
sondern auch alle reichsdiener gut sagetest und Versiche-
rung tätest Reyher thes. (1668) 3, 626; sagt doch hier
gut vor dasjenige, was ich im wirtshausz werde schuldig
seyn Schupp sehr. 256; wenn sie für meine schulden all
gut sagen wollte Schiller 2, 134 0.;
Neptun kann keinem gut für seinen schaden sagen,
der sich in seiner flut auf späten herbst wil wagen
P. Fleming 1, 167 Läpp.;
{ich habe) mich nicht getrauet, für anderer leute arbeit
gut zu sagen Jöcher compend. gelehrtenlex. (1725) vorr.
§ 25 ; ich könnte nicht dafür gut sagen, dasz in ermanglung
eines solchen (königs) die nächste generation nicht
republikanisch werden könne Bismarck ged. u. erinn.
1, 173 volksausg.; mal. im nd. und md., vgl. brem. -nieder s.
2, 526, Beendicke Be.rl. wortsch. 131, Sciiambach Gott. 60 *,
Spiesz henneberg. 87; gab darauf seinen dienern befelch,
mich in ein wirthshausz zu führen und dem wirth gut-
zusprechen vor alles, was ich . . . verzehren würde Grim-
melshausen Simpl. 532 ndr.; dann er hat gut gesprochen,
dasz ich mich wiederum gestellen würde Hofemanns-
WALDAU sterb. Socrates (1679) 145; er hot uns vor alles gut
gesproche, hörsts? maler Müller w. 2, 31; mal. vgl.
Seilee Basler ma. 153; Staub-Tobler 2, 541.
ß) andere Verbindungen dagegen sind elliptischer natur
und aus zu gut schreiben, haben usw. herzuleiten (vgl.
gut subst.).
aa) gut schreiben einen betrag zugunsten des Zahlers auf
sein konto schreiben oder auf seine schuld in anrechnung
bringen: und soll uns auch dieses nicht in rechnung gut
geschrieben werden, dasz die anfangsepoke unsrer dicht-
kunst die jüngste von allen ist Kretschmann s. w. 2, 38;
modern z. b. : den zuviel gezahlten betrag werden wir ihnen
für die nächste bestellung gutschreiben; anders im sinne
'durch bürgen sichern' : ein gut geschriebener Wechselbrief,
mit dem auch der bankerottirer zur noth noch hinauslangt
Schiller 2, 25 0.; gut bringen: gütigst gesandte m. 46.80
haben wir ihrem conto bestens dankend gut gebracht
hdschr. beleg.
ßß) gut haben im sinne 'etw. zu fordern haben", vom
gläubiger gescujt: es scheint also wohl . . . nur ein irrthum
zu seyn, wenn sie bey mir noch zwanzig thaler gut zu
haben glauben Göthe IV 30, 70 W.; er habe . . . bei sei-
nem ältesten bruder, dem fleischer, sechs groschen gut
für ein zicklein O. Ludwig ges. sehr. 2, 512; den dahler
haben se jut Brendicke Berl. w. 181; etwas anders 'sich
auf grund einer unbeglichenen forderung schadlos halten
durch etwas, was an stelle der bezahlung tritV: wie aber der
bapst, der sin verräteri zu Basel gut hatt, sölichs vernam,
bracht er den obersten patron derselben armaden dahin
mit gelt, dasz er siner part was J. v. Watt dt. sehr. 2, 32
Oötzinger; ich hatte noch schlechte streiche bei dem
menschengeschlechte gut, weil ich im voraus dafür ge-
litten hatte Schiller 4, 70 0.; auch umgekehrt 'schuldeji":
du bist mir 5 m. gut schuldest mir 5 m. Fischer schwäb. 3,
949 ; vereinzelter: gut behalten noch zu fordern haben Spiesz
henneberg. 87.
6) neben abstrakten, namentlich bei begriffen der äuszeren
und inneren erfahrung, bezeichnet gut eine form der taug-
lichkeit oder ziveckmäszigkeit, die sich durch die Überein-
stimmung von anspruch und erfüllung manifestiert; die be-
deutung 'sicher, zuverlässig' geht dann teilweise in den sinn
'genau, richtig' , 'überzeugend, begründet' über.
a) neben begriffen der Wahrnehmung u. ä.:
und swaz der jeger scite,
des nam der künec vU guote war
GOTFRiD Tristan 3317;
des gesteines nam er guoten war
Otte Eraclius 847;
darumb so thuet guet achtung han
so khönt ihrs desto basz verstahn
Endinger Judenspiel 23 ndr.;
so jemand jetzt ausz euch begert
dem feind ein jraub zu jagen ab,
derselbig gute achtung hab,
dasz er nicht ferr dahinden bleib
Spreng Ilias (1610) 6. gesang 7S^;
so haben die lieben frommen alten auf alle umbstände
dieses tages . . . gute achtung geben Peätoeius saturnalia
(1663) 3; in neuerer spräche wird dafür meist das adv. ein-
gesetzt, vgl. gut aufpassen.
b) neben begriffen des wissens und kennens u. ä.:
hie non fuit ullus thes hafon ig guoda fulleist (sichere
nobilibus ac Uberis thaz thid allaz war is [bestätigung)
cui non fecisset Heinrich aUero rehto gUtch
de Beinrico 25;
der (ritter) AUessander gute kuntschaft het Aeigo decam.
67 K.; so sie frembde und unbekand sind, sol man sie
heiszen gute kundschaft schriftlich und mündlich bringen
Luther 30, 3, 227 W.;
darvon soltu guot wissen han
Endinger judenspiel 56 ndr.;
wiewol wir neben dem gut wissens haben, das etlich usz
fürsatz den durst überwunden haben H. v. Eppendoef
Plinius (1543) 8, 15; der landgraf ward gewarnt von einem
manne . . ., 'der . . . gut wissens darum trage, es sei etwas
im werke' Ranke s. w. 3, 24 ; sie hätten . . . um die bünd-
nisz des adels gute Wissenschaft gehabt Zieglbe schaupl.
(1695) 660";
1249
GUT, adj., I A 7
GUT, adj., I A 7
1250
und kennt mit guter Wissenschaft
was In uns denket und empfindet
Gottsched ged. (1751) 1, 169;
ähnlich in neuerer spräche gute kenntnis, z. b, gute kennt-
nis aller einscUägigen arbeiten ist bedingung {für den be-
werber).
c) anders bei grund, Ursache; zunächst noch bei konkret
empfundenem grund in der bedeutung 'zuverlässig'' : so ist
auch unserm glauben not, das er guten sichern grund für
sich habe, damit er der Sachen gewis sey Lutheb 23,
649 W.; denn schrift und guten giund wollen wir, nicht
seinen eigen rotz und geifer 26, 323; die bebstlich gesetz
(haben) . . . kein guten grund H. v. Ckonbeeg sehr. 5 ndr.;
dann mehr im sinne 'beweiskräftig, überzeugend' :
dein Danzig, das zwo töchter hat,
mit welchen es fürwahr aus gutem gründe pralet
Gottsched ged. (1751) 1, 274;
vor allem beschwerten sich die städte und zwar mit gutem
gründe Ranke s. w. 1, 122; wie 'begründet, berechtige : (er)
warf kurze scharfe blicke in alle winkel, ob ihm nicht
jemand guten grund zu ordentlichem zorne geben wollte
Eichendorf s. w. 3, 230; da mit im der Jude dienet oder
guter Ursache halben dienen müszte Arigo decam. 33 ; die
vorspräche wegen St. will ich bis nach Hamburg, aus
guten Ursachen, versparen Lessing 17, 401 L.-M.
7) das urteil darüber, dasz eine handlung ihren zweck-
mäszigen abschlusz erreicht hat und damit die weitere fort-
führung als unnütz anzusehen ist, findet in festen konklu-
dierenden formeln seinen ausdruck.
a) im sinne 'es ist erledigt'' als satz es, das ist gut : wann
mein herren das gericht wolden hin lassen, so sol man es
die gemain anvailen. bestent se es, das ist gut. bestent
se es nicht, so suUen es mein herrn lassen, wem se wellen
(v. j. 1414) österr. weist. 11, 198; lost er es, das ist guet, lost
er es aber nicht . . . weisth. 6, 120; meine frau mutter liesz
dem kauf mann aber wieder sagen : es wäre schon gut und
sie wolte mich wieder zu ihm thun Chr. Reuter Schdl-
mußsky 12 ndr.;
kompt er drein (ins haus) so ist es gut,
wo nicht, er nicht grosz drumb thut
Gabe. VoiqtlInder öden u. lieder (1642) 89;
oft elliptisch: nympt sie es an, gutt, wo nicht, so habe
sie . . . Luther 12, 233 W.; könnt ihr helfen, gut! Klinqeb
w. 3, 122.
b) anders mit dem beiklang der abwehr gegenüber einer
lästigen erklärung, frage u. ä. : er sprach, warumb wiltu zu
im? ... sie sprach, es ist gut 2. kön. 4, 23; namentlich
durch schon verstärkt: es ist schon gut, alles ist abgemacht
. . ., belästige mich nicht Bettine dies buch geh. d. kön. 1,
41; 'es ist schon gut, Schulmeister', fiel ihm der alte in die
rede Immermann w. l, ll B.; elliptisch: schon gut! schon
gut! dergleichen schwüre sind nichts werth Kotzebue
dram. w. 2, 186.
c) als ausdruck eines einverständnisses mit einem Vor-
schlag, einer bitte, meinung, Situation usio.: is god, laat
uns man hingahn Mensing 2, 426;
gut, gut, herr Harlequin, ich will hier bleiben stehn
Chr. Reuter Harlequins hochz.- u. Jcindb.-schmaus 71;
und schreyt man mich gleich oft für dumm und boshaft aus,
gut! ich bin dennoch herr in meinem eignen haus
V. Cronegk sehr. 1, 8;
gut! sagte er, so reit ich in die weit, bis ich umkomme
Göthe 25, 294 W.; 'gut denn', antwortete Jacob, ... so
lassen wir diesen pvtnkt der anklage fahren K. Fr. Gramer
Neseggab l, 22; eine wette? nun gut, so schlagt sie vor
Göthe 13, i, 234 W.;
auch gut! dacht ich, ergriff sie (die vipern) im genicke
Fr. Kind ged. 1, 39;
nach ooch jut m^g es drum sein Brendicke Berl. wartsch.
132; etwas anders als feststelhing eines tatbestandes :
es fehlt an geld, nun gut, so schaff es denn
GÖTHB 15, 15 W.
IV. 1. G.
I d) im sinne 'es ist genug\ vgl. es ist gut sat est Albebus
nov. dict. 394*>; ähnlich bereits mhd.:
ich saget iu vil armaot:
war zuo? diz ist als guot
Wolfram Parzival 257, 30;
herre, dem orae enthaldet nu
enjaget niht mt, ez ist gut
land'jr, Ludmgs kreuzfahrt 2145 mon. germ.;
es ist gut, freund! Schiller 3, 119 G.; nu is t god jetzt ist
es genug Mensing 2, 426; un damed guad! Woeste-Nöbr.
873'; jut dem dinge 'genug davon', Übergangsformel bei er-
zählungen Brendicke Berl. wartsch. 131.
a) aus solcher verwendungsweise versteht sich die formel-
hafte Verbindung etwas gut sein lassen 'etwas beenden, ge-
nug sein lassen':
ich sprach: mein hordt, ich gab ain pfunt,
das du verstündest den willen mein,
sy sprach: das wollen wir gut lan sein
und richten uf ainen andern lauf
liederb. d. Hätzlerin 281 H.;
und schikten fruntlich zu bischuf Diderich und betten in
gern underwist, dat er dat het lassen gut sin städtechron.
13, 113; do sprach der bischof Turpin: ich bit uch, land
uwern zorn guot sin dtsche Volksbücher 61 Bachm.; lasz es
doch einmal gut sein, höre doch auf B. Faber thes. (1587)
5631^;
lasz es jetzt gut seyn, Senil komm herab!
Schiller 12, 205 G.;
nu lasz eck gut sein, a hat sei fett G. Hauptmann weber
40; lor as gut sin unterlasse es\ Hofmann niederhess. Hl'';
etwas anders 'es bewenden lassen bei etw., sich zufrieden
geben mit etw.', vgl. lasse es gut seyn ne ultra tendas Serz
idiot. 59"': wir müssen aber die zeit und andere gaben
gottes nit unnützlich verlieren . . . {antwort:) ey herr ma-
gister, lasset es gut sein Vogelgesang heiml. gespräch 12
ndr.; das ir das zu disem mal guet sein lasset Brandis bei
Schöpf tirol. 220; lassen sies gut sein, herr Unwirrsch,
ich stehe schon meinen mann W. Raabe hungerpastor 233;
losz das ding guet sin gedulde dich Martin-Lienhart 1,
248, vgl. Staub-Tobler 2, 540; spezifisch: lassen set man
jut sind seien sie vemichert, das kommt ganz anders Bren-
dicke Berl. wortsch. 131; als 'etw. hingehen lassen, dulden':
Silenum, der nit muncket und helt Knebel inne, redt auch
dem Mida nicht ein, leszt es alles gut sein, was er redet
imd thut J. Mathesius Sarepta (1571) 141'; hat jetzt neu-
lich seinem bruder ein weib mit gewalt genommen, das
muszte der bruder gut sein lassen H. Megiser chorogr.
Tari. (1611) 311; welches er (Sokrates) doch mit groszer
langmuth vertrug und gut seyn liesz J. B. Carpzov leich-
pred. (1698) 100; weil er gern durch bilder das mögliche
und unmögliche verwirklichen mag, so liesz ich es gut sein
Göthe 24, 216 'W.; im sinne 'etw. auf sich beruhen lassen,
sich nicht kümmern um etw.': (er) kramte viel wissens aus
. . ., ich liesz das gut seyn Göthe 19, 13 W.; ich habe über
diese sache niemals nachgedacht, sondern sie eben so gut
seyn lassen, sie interessirt mich aber für die zukunft mehr
IV 13, 325; und so liesz er denn auch alles gut sein und
wollte mit grübehi das glück nicht versuchen, das ihm
so unversehens über den köpf gewachsen Eichendoef
s. w. 3, 414.
ß) die formel kurz und gut, erst mit dem 16. jh. bezeugt,
aber wohl älter, heiszt zunächst 'so knapp, dasz das erzählte
wirksam bleibt', vgl. kurtz und gut compendiarius Albebus
nov. dict. (15i0) 89»: kurtz und gut d. h. wann der schimpf
am besten ist, sol mann aufhören sprichw. (1548) 36i>;
disz sey dir gschriben kurtz und giit
wie mich das Flaccus heiszen thut
K. Scheit Orobianm 4859 ndr.;
maket äwwer kuort un gudd . . . un nit te arig (beim er-
zählen) Bauer-Collitz waldeck. 210^; meist am ende der
rede im sinne 'um es in kürze zusammenzufassen':
drum kurz und gut: gesegnet sei . . .
E. Baumeister zimmermannsspr. 21 ;
kurz und gut, andre wollen auch die krönung des jungen
kaisers mit ansehn Tieck sehr. 3, 176; dann überhaupt 'in
79
1251
GUT, adj., I A 8
GUT, adj., I B i
1252
kürze treffend gesagV: {sie) glauben, kurtz und gut,
nicht bisz endtlich die heiligen selbs kummen werden
J. Nas antipap. eins u. h. (1567) 1, 58^; so wil ich euch
mit enckern rationibus kurtz und guet abfertigen J. J.
Schwabe tintenfässl ll; wie soll ich ihnen . . . kurz und
gut den gegenwärtigen vorstellen? Göthe 24, 175 W.; er-
weitert zu der bedeutung 'kurzum, kurzerhand, kurzweg^:
ich machte kurtz und gut den besten Schnitzer lahm
Hoffmannswaldau-Neükiroh 5, 210;
anstatt dessen aber ist alles . . . flüchtig beurtheilt und
in einem spöttischen ton kiu-z und gut abgewiesen allg.
dtsche bibl. 2, 2, 164; ich nahm also kurz und gut abschied
Ule. Bkäker s. sehr. 1, 69; überhaupt dächte ich . . ., sie
entsagten kurz und gut dem theater Göthe 23, 81 W.;
durch ein schmutziges wetter trug man den leichnam und
scharrte ihn kurz und gut ein ohne das allergeringste ge-
pränge W. Raabe hun^erpastor 60.
8) eine besondere Verwendung, die bereits im mhd. sichtbar
wird, gewinnt gut als glied eines komparativen ausdrucks,
der das beschaffenheits- oder Wertverhältnis zweier gröszen
beschreibt, in so gut als, so gut wie.
a) zur bezeichnung einer Wertgleichheit.
a) im sinne 'ebenso beschaffen, tauglich, brauchbar wie'
in prädikativer fügung mit sein; gebrauch mit dem attrib.
adj. tritt nur ausnahmsweise auf: ein krumb holtz gibt so
gute hitz als ein gerades Lehman floril. pol. (1662) l, 351;
eine Vorstufe dieser komparationsformel bilden ver-
gleiche wie:
daz das mer und iesltch b6
als guot {'ertragreich') w»r als daz beste laut
toeinschwelg 293 Sehr.;
er wolts im nicht geben, wann er hett das mitt dem
schwertt gewonnen und er were als gutt {'geeignet') darzu
als er Schiltbebger reisebuch 23 lit. ver.; ich bin so gut
als du bist Eyerino prov. cop. 3, 51 ; früh zur formet er-
starrt zur bezeichnung der wertgleichheit 'ist ebenso viel wert
wie, gilt so viel wie": tusint bysante {Byzantiner), die sint
also gut als v guldin floren Marco Polo 31 v. Tsch.; so hat
her weder eyn pfert von mir als gut als 5 m. handelsrechn.
d. dtsch. Ordens 36 Sattler; zween unfi dreiszig alte kreu-
tzer, die sind wol so gut als jetzt ein halber güldengroschen
J. Mathesius Sarepta (1571) 169^ und entsprechend re-
lativisch: leth beschrieven den schaden, wo gud {'hoch') de
vorlust was Lüb. chron. 2, 602 Orautoff; der ersparte pfennig
ist ... so gut als der erworben Petri d. Teutschcn weish.
2, N 6''; das der ehliche stand eben so gütt sey als der
juncldrawen stand Luther 12, 349 W.; stehet die eiserne
mauer nicht fester, ... sie ist nicht so gut als papyren
26, 431; Stehler und hehler ist einer so gut als der ander
Lehman floril. pol. l, 137; do ist einer so gut wie der anner
Martin-Lienhart 1, 248; sie treiben allerlei hantierung
und eine ist ihnen so gut wie die andere G. Keller ges. w.
4, 215; etwas anders 'gleichkommen' : wer dem hund das
bellen und beiszen nicht wehrt, der ist so gut als hetzt er
ihn an Lehman floril. pol. 2, 721 ; dieses weibergezänck ist
wol so gut als ein Schauspiel Kramer teutsch-ital. 12,829^^;
so redensartlich: dreimal umgezogen ist so gut wie einmal
abgebrannt.
ß) absolut im sinne 'in gleicher weise, in gleicher art
beschaffen' ; wohl noch als attr. adj. zu fassen, aber deutlich
hinüberleitend: daz die holzer und die bach seien ein
rechte gemein und der arme als gut recht dar in hat als
der reiche weisth. 6, 17;
bein und ädern, fleisch und blut
hast du eben auch so gut
Chr. Weise grün, jugend 102 ndr.;
schon rein formelhaft auf der grenze zum adv.: hab ich
nicht alle meine leibesbewegungen so gut als jemals
Kramer tetitsch-ital. 2, 829 a^
er war so gut ein held im sterben als Im leben
V. KÖNIG ged. (1745) 120.
b) zur bezeichnung einer annähernden wertgleichheit im
sinne 'nahezu, beinahe, fast' erst in jüngerer spräche ent-
wickelt; die grenze gegenüber a ist gelegentlich unscharf:
dasz sie eine so gut als freywillige erklärung . . . thun
Lessing 13, 99 L.-M.; m,eist aber wird die einschränkung
deutlich: {die) männer . . . hatten auf dem heiszen kies die
kleider des Jünglings schon so gut als getrocknet Göthe
25, 298 W.; die geschichte der kaiserlichen landgerichte
seit dem 14ten Jahrhundert ist so gut als noch gar nicht
untersucht Eichhorn dtsche Staats- u. rechtsgesch.^ 3, 169;
{ein schlosz, das) so gut als in gar keinem style gebaut ist
Stifter s. w.2,12;
hat einer dreiszig jähr vorüber,
80 ist er schon so gut wie todt
GÖTHE 15, 99 W.;
schon war die capitulation so gut wie abgeschlossen
Mommsen röm. gesch. 2, 9 ; so hab ich dich so gut wie gar
nicht mehr Fontane ges. w, I 5, 147; vgl. so jut wie ja-
nischt unsinn Brendicke Berl. wortsch. 132.
B. in spezifischer anwendung auf personen und deren
eigenschaften und leistungen steigert sich die in A aufge-
zeigte bedeutung 'tauglich zu etwas' zum sinne 'tüchtig'; doch
bleibt die zweckrichtuvg der so gekennzeichneten persönlichen
eigenschaft noch im Vordergrund; seit alters bezeugt, ist diese
Verwendung besonders im engl, so weit verselbständigt, dasz
{im gegensatz zum deutschen) das persönliche Subjekt den
teleologischen charakter entbehren kann, z. b. a good man
'ein tüchtiger mensch',
1) 'tüchtig' im hinblick auf eine hantierung oderfertigkeit,
die von der person ausgeübt wird.
a) prädikativer gebrauch mit zweckangabe: wie guot er
ie wart in der verbekunst Megenberg b. d. natur 245 Pf.;
sehet nach eym man der gutt sey auf seyttenspiel Luther
bibel 1, 64 W.;
und das er gütt sy uff der pfiff
Seb. Brant narrenseh. 75 Z.;
vgl. wenn es gleichs Polen schneiete • . ., so wirdt den-
noch der hohem.(-eia<er) in allem gutt genug sein
Grünau preusz. chron. 2, 501; modern z. b.: er ist aber
als redner gut, so M'enig er sonst taugen mag u. ä.;
auch mal. entsprechend: er ist gut in der feder Fischer
Schwab. 3, 940; ein schüler ist gut im Schönschreiben ebda
liegt schon auf der grenze zu II ; voruszen sigs {das mädchen)
es güets mit werchen, aber im hüs innen chennds nit
Staub-Tobler 2, 536; gut zo machen scattole geübt,
schachteln zu machen Schmeller cimbr. 127^'; anders im
sinne 'rüstig': gut zu fusz sein: weil . . . die ente auch
nicht gut zu fusz war br. Grimm kinder- u. hausm. (1895)
31; gaud tau weg Fr. Reuter strömt. Zib Seelm.; über-
tragen: he is ni god to weg 'nicht ganz richtig, schlecht ge-
launt' MeNSING 2, 425.
b) in dieser Verwendung auch attributiv 'tüchtig für eine
tätigkeit':
des antwurte Hagene ich pin niht böte guot.
lät mich pflegen der kamere
Nibelungen 531, 1 Bariseh;
ob einer nicht geschickt zur lehr
gibt er ein guten arbeiter
Eyerino prov. cop. (1601) 3, 273;
oft negativ gewendet: der ist kein guter mäurer, der ein
stein abzunehmen verweigert Lehman floril. pol. l, 5.
c) bei beruf sbezeichnungen, 'geschickt' in seinem gewerbe :
pata insakands brojjrum gops wair{)is andbahts Xristaus
Jesuis got. bibel l. Tim. 4, 6;
. . . gSng flskari göd,
Simon Petrus, warp an theua seo innan
angul an üdeon . . . Heliand 3209;
. . . swaz der (tiere) von lagere stuont,
di erjageten die gesellen, so noch guote jägere tuont
Nibelungen 933, 4 Bartsch;
{die provinz) hot gar gute vogeler Marco Polo 4, 21 v. Tsch.;
Hiram sandte seine knechte im schiff, die gute schiffleut
und auf dem meer erfaren waren 1. kön. 9, 27; hieruf
sprechent eudeiles meister, sunderlichen di guden arzide,
daz endciles worden danzen, di von heiszer naturen waren
Limburg, chron. 64 Wysz; und gab sich usz für einen guten
1253
GUT, adj., I B 1
GUT, adj., I B 2-4
1254
artzet zu aller krankheit Eulenspiegel 25 ndr.; viel unfals
geschieht, das man nicht gute hebammen hat J. Bugex-
HAGEN Braunschw. kirchenardn. (1531) p 3; da war gar ein
guter schmid zu Marppach Götz v. Beelichingen lebens-
beschr. 68 Biel.; auf eine gute köchinn stelle ich überall
aus und gestern ist mir eine vorgeschlagen die sehr gut
seyn soll Lessing 18, 188 L.-M.; hier werd ich in gesell-
schaft eines guten architecten . . . die gebäude besehen
GöTHE IV 8, 41 W.; ähnlich: ein guter griech gnarus lin-
guae graecae Aler did. 1, 997'''.
d) ebenso beim nomen agentis überhaupt zur bezeichnung,
dasz die betr. tätigkeit zweckentsprechend ausgeübt tvird:
gute schwymmer ertrincken gerne und gute steyger fallen
gerne Luther 11, 117 Erl.; es ligt an einem guten aus-
leger spricht man Luther 54, 273 W.; du ghevest ein
guden vischmenger Tappius adag. cent. sept. (1545) c 7*^;
ein guter fürer macht das volck nacher gehen sprichw.
(1543) I4ia; guter tänzer MusÄus volksm. (1826) 4, 130; en
gueter mäder (mäher) Staub-Tobler 2, 536; entsprechend
'guter seegier ewi schiff, so das wasser gut schneidet und gut
segdV Jacobsson techn. wb. 4, 116'''; im Übergang zu stei-
gernder funktion: gute bancketirer geben gute bancke-
rottirer Pistobxus thes. parocm. 254 ;
dann er ein guter sclüucker Ist,
dem nimmer küler wein gebrist
K. SCBEIT Grobianus 49 ndr.;
ne gude söper {sauf er) äwir ne schielte löper {lauf er) rhein.
tcb. 2, 1510,
e) dann allgemein von funktionen und Verpflichtungen, die
eine person in richtiger weise aufführt: hairdeis sa goda
saiwala seina lagji{) faur lamba got. bibelJoh. 10, 11;
(Jose]) was thlonostman guater bisuorgeta ouh thla muater
Otfrid I 19, 2;
tho quad imo sin h§rro: gifih, guot scalc inti gitriu%vi
Tatian 149, 4; ein guter amptmann ist desz königs unter-
than und hertz Lehman floril. pol. 1, 22 ; das es {das land-
gut) einen guten hauszvater . . . möge ernehren Sebiz/cW-
6aM (1571) 1 ; ein jeder gute haushalter sollte sie{die doppelte
buchführung) in seiner wirthschaft einführen Göthe 21,
51 W.; funfzigtausend thaler hat er im vermögen und ist
ein guter wirth Rabener s. w. 3, 288; wobei er stets darauf
zurückkam, dasz ihr Christentum sie nicht einmal dazu
befähigte, ihren kindern eine gute mutter zu sein Rio.
Hu GH vita somn. breve* 466; er war keineswegs ein guter
gatte Ranke s. w. 14, 42; ebenso ein guter söhn, eine gute
tochter sein; vgl. gude dernen en gude gas {gast) kommen
betits {beizeilen) no hus rhein. wb. 2, 1510; prägnant
"fleiszig\- den guten gesellen dürst Eyebino prov. cop. 2,
473 ; bei abstrakten personalia: gut regiment, gute regierung
TSjrau'EB, teutsch-ital. 1, 577^;
dargegen wo gut regiment
Ist über leut und über land
Hans Sachs 2, 20 K.
i) eine andere färbung gewinnt gut wenn es, nach II
hinüberspielend, auf den künstler sowohl hinsichtlich seiner
kunstfertigkeit als auch im hinblick auf deti, wertgehalt des
kunstwerks angewendet wird; mehr aufs handwerklich tech-
nische zielend 'kunstreich'' :
dö stuont so mlnnecllche daz Sigemundes kint,
sani er entworfen wsere an ein permint
von guotes meistcrs listen ...
Nibelungen 280, 3 Bartsch;
gute meister feylen auch Luthers sprichw. 18 Thiele; du
bist ein guter flötenspieler Sal. Geszner sehr. 1, 54; man
will jetzt noch ein guter künstler und dichter sein oder
werden wie vor Jahrhunderten, die mittel aber, wodurch
man zu dem zwecke gelangt sind nicht jedem klar Göthe
47, 19 W.; für einen guten Schauspieler gelten 21, 31; es
wäre zu wünschen, dasz irgend ein guter dichter sich
dieser verse erbarmte und ihnen einen besseren aesthe-
tischen zuschnitt gäbe Bremser med. paroem. 201 ; ist
Zeichnung und licht, charakter, färbe nicht bei jedem
guten mahler ein harmonisches untrennbares ganze?
Fb. Schlegel s. w. 6, 59 ; mehr von der geistigen bedeut-
samkeit gesagt: sie hatte alle guten deutschen und fran-
zösischen dichter fleiszig gelesen Nicolai Seb. Nothanker
1, 12; etliche dieser kirchen besitzen gemälde von guten
meistern Chamisso w. 2, 129; er ist ein . . . guter Schrift-
steller Seez idiot. 59 *; mehr 'geschmackvoW : wenn der
kunstrichter nicht sowohl gute Schriftsteller als nur blosz
gute leser bilden will Lessing 8, 39 L.-M.
2) als epitheton des kriegers spezialisiert sich gut zur be-
deutung 'wacker, tapfer, mannhaft', eine verwetiduruj , die
zweifellos bereits der ältesten sprachstufe angehört wie sie
auch die hauptsächlichste im Beowulf darstellt; nur das
anord. hat sie schwach bewahrt: jju nu arbeidei swe gods
gadrauhts Xristaus Jesuis (w«,- xa^os (TTQax cwtt]^) got. bibel
2. Tim. 2, 3; vgl. ags.:
Jjset üre mandryhten mcegenes behöfad
gödra gfidrinca Beowulf 2648;
gldan Ist es nu redina thaz sie sint guate thegana
Otfrid I l, 111;
sie wären guote knehte
thes kelseres vorevehten
Rolandslied 71 Bartsch;
so seht ir helme houwen von guoter helede haut
Nibelungen 195, 3 Bartsch;
daz er und stne degene wunder vil der guoten recken valten
Kudrun 1430, 4 M.;
und pflägens mitten swerten
als guote riter solten
Hartmann Iwein 5345;
do das herr Jacob verstünde, warde er zornig, dan er ein
gutter ritter war Wabbeck Magelone 33 B.; kein ge-
duldiger frommer mensch gibt einen guten kriegsmann
Friedrich Wilhelm sprichw.-reg. (1577) c 2^; die Russen
sind gute Soldaten, sie wanken und weichen nicht Campe
4, 467 ; doch wird in dieser Sphäre gut schon früh zum
stehenden beiwort in blasser Verwendung 'vortrefflich'' :
. . . thö sprak eft the landes ward
angegin the godes sunu gödumu thegne
Eeliand 3249;
Slvrit was gehelzen der snelle degen guot
Nibelungen 20, 1 Bartsch;
Ir minne hat gepfendct
an freuden manegen rtter guot
■Wolfram Parzival 769, 13;
gut reuter bey dem weine sasz, oho,
der sich vil stoltzer wort vermasz, do do
FISCHART Oargantua (1594) 92".
3) 'tüchtig' in hiiisicht der gesinnungsfestigkeit und Zu-
verlässigkeit: se . . . loveden, se wolden gude cristen bliven
städtechron. 7, 33 ;
so mach ich ihm ein freundlich gesiebt;
gute Christen die thätens nicht Göthe 4, 256 W.;
zu geschweigen, dasz es wider die pflicht eines guten
bürgers läuft Rabener s. iv. l, 154; dieser auszerordent-
liche mann würde . . . für das muster eines guten Staats-
bürgers haben gelten können H. v. Kleist 3, 141 Schm.;
in manchem guten deutschen erwachte die hoffnung
Ranke s. w. l, 108; vgl. der ist guet, denen kann mer
allein schicken Martin-Lienhart 1, 248.
4) auch ganz allgemein 'tüchtig', ohne dasz der tätigkeits-
bereich näher bezeichnet ivird, vgl. ags.
Emercan söhte ic ond Fridlan ond Eastgotan,
frodne ond gödne feeder Unwönes Widsiö 114 Holth.:
so ist da nieman so guot,
so wise noch so wol gemuot,
die daz gemaeldc kunnen sehen
Pfaffe Amis 521 Lambel;
halt für gut jederman
du weist nicht was ein ander kan
Hknisch 1787;
hierher auch ein guter menschenschlag 'tüchtiger menschen-
schlag' ; de greve is uns gelegen, den syn wy guet ge-
noch {'gewachsen') münst. chron. l, 174 Ficker; du solt
mir nicht gut genug seyn, mich eine handbreit erde
weichen zu machen EIbamer teutsch-ital. 1, 579**, vgl,
ungut 'unfähig' Schmeller cimbr. 127^; he krichte dän
Wilddieb jewisse, su jut wer ä niche Jecht mansf. 45*;
du pist mir nicht zi guote dir bin ich schon gewachsen
' Lexer kämt. 128; oft auch ironisch im sinne 'allzu tüchtig':
79*
1255
GUT, adj., I B 5-7. C 1
GUT, adj., I C 1
1256
der ist auch guet, ich soll enweg gehn, dasz er annen kann
Martin-Lienhaet 1, 248; ähnlich in Berlin du bist aber
jut! 'du bist ja ein ganz geriebener bursche', oder auch: der
is jut, der kann so bleiben; das ist mir ein guter schlag
von menschen, die jetzt auf der erde wirthschaf ten !
KlINGER W. 3, 292.
6) in anwendung auf die eigenschaften und taten seibat in
älterer spräche, doch im ganzen selten, 'tüchtige mannes-
hrafC, vgl. ags.:
. . . Sü de worna fela
gumcystum göd, giida gedigdc Beowulf 2543;
Simon F€tru8 sprak sän angegin
6no for Im allun habda imu elllen göd
Heiland 3066;
tho zalta Krist thla hertl theiz alleswlo wurtl,
baldi slnes muates joh ellenes guates
OtfridIV13,30;
'tüchtige taten", vgl. ags.
8wä bealdode bearn Ecgdeowes
guma giulum cüd gödum dasdum Beoiculf 2178;
da taten guote rltterschaft
nlun hundert rltter die wol striten
WoiFRAM Parzival 214, 19;
auch in neuerer spräche noch vereinzelt unethisch:
auf, ihr brüder,
ehrt die lieder!
sie sind gleich den guten thaten
QÖTHE 2, 24 W.
6) die Vorstellung der tüchtigen leistUTig geht vom handeln-
den Subjekt auf die leistung selbst über bei einer bestimmten
prädikativen gebrauchsweise, wo gut das akkusativobjekt
charakterisiert; so in mhd. spräche in direktem anschlusz
an 2 in der formet ez guot tuen 'tapfer kämpf en":
Slfrit der reelle der het ez guot getan;
des im jehen muosen alle Guntheres man
Nibelungen 220, 3 L.; vgl. 2072, 1;
der was von rlterschefte wunt
und hetz ouch da vll guot getan
Wolfram Parzival 46, 19;
diu maget tetz da harte guot
WiRNT V. Gravenbekg Wtgolois 11016;
aber adverbial gewendet:
si hetenz diclce wol get&n
an maneger rlterschefte 9140;
für die jüngere spräche ist in fällen wie eine sache gut
machen u. ä. die Objektsbeziehung nicht mehr deutlich, so-
dasz gut als adv. eintritt.
7) neben Verbalsubstantiven zur kennzeichnung der tätig-
keit entsprechend der funktion des adverbs bei verbaler
fügung:
im ist ab guoter helfe not
Wolfram Parzival 578, 2;
swer also minnen Ican, der habe undanc,
und da bl guoten dienest übersiht
Walther 96, 23;
ain iegleich gefügel, daz krum kläen hat, daz ist guotes
fluges Megenbeeo buch d. natur 164; ein gut sehen ist
halb arbeit Henisch 1795; gute Wartung bringt ain
langkwirig alter Mayb sprüchw. (1507) e 5»;
. . . solche kranlce
wie du, mein söhn, verlangen gute pflege
Schiller 5, 2, 206 O.
C. eine weitere abart der teleologischen Verwendung beruht
darauf, dasz gut den durch einen Vorgang herbeigeführten
effekt oder den handlungsverlauf selbst in der weise näher
bestimmt, dasz er als den zwecken eines beteiligten Subjekts
angemessen erscheint, d. h. 'günstig, glücklich'; ob schon
anord. f)enn vard gott til fjar Möbitjs altn. gloss. 146 be-
reits so wie gut werden {vgl. 2) aufzufassen ist oder als
subst. neutr. gelten musz, bleibt zweifelhaft, doch spricht die
Vereinzelung des falles eher für die zweite möglichkeit.
1) in attributivem gebrauch.
a) bei konkreten begriffen wie wind, wetter, vgl. vom
guten oder glücklichen wind Feisitjs 83 ^r
daz ich vor diseme berge mit guoten winden üzer not
entrünne
Kudrun 1132, 4 M.;
Hetele und die sine
si begunden segelen
guoten luft gewan.
nach ir vlanden
846, 2;
inndem stund auf ein guter wind;
der patron M-olt abfaren gschwind
H. Sachs 2, 258 K.;
die götter dörfen mir nur guten wind verleihen
Gottsched dtsche Schaubühne 2, 11;
gut si uch weder unde wlnt
daz weter wart gut
gevuge unde ouch linde
Elisabeth 594 Rieger;
passional 48, 78 K.,
e. Urban, der sol gut wetter zum wein geben Luther bibel
4, 118 W.; (Dionysius,) da er den tempel beraubet hatte
und gut wetter zu schiffen kreig, das er sich rhümet und
sprach : sehet wie gut wetter gibt gott den kirchendieben
19, 380; aTiders gutes wetter 'schönes weiter' s. unter III
A 2 ; gute reise, fahrt :
man grüezet sunderlingen die künige und ir man.
wir haben niht guoter reise zuo dirre höhgeztt getan
j Nibelungen 1738, 4 Bartsch;
ir geschach ein guote vart
I BONER edelstein 53, 50;
gute fahrt wird den Schiffern gewünscht Fe. L. Jahn tv.
2,921; guter weg 'günstiger, sicherer weg': kain con-
scientz haben, ist ain guter weg reich zu werden G. Maye
sprüchw. (1567) E 7».
b) bei begriffen, die einzelne phasen eines handlungs-
verlaufes atisdrücken wie anfang, fortgang, verlauf, ende
u. ä. :
daz anegenge ist selten guot daz bcoses ende hat
Walther 83, 39;
gute anfang initia bona Feisiüs 1598'; guter anfang macht
guten fortgang Wandee 1,81; guter fortgang hat oft
bösen auszgang Lehman floril. pol. 850; sie hatte plötzlich
das gefühl, dasz alles einen guten verlauf nehmen werde
Fontane ges. w. 1 1, 327;
swer ir vient ist, dem wil si mite
rünen; daz guot ende nie genam
Walther 53, 12;
wenn ich betracht Im hertzen mein,
das allzu schnell und küner rath
kein gut ende nie genammen hat
Hayneccitjs Bans Pfriem 23 ndr.;
angesehen . . . E. May. beger ich nicht volführen noch zu
gutem ende bringen (kann) Amadis 1, 19 lit. ver.; formel-
haft: fürbas zu gon syn walfart und die volbring zu einem
guten end Geilee v. Keiseesbeeg bilgersch. (1512) 16^;
wen gleich dy sach nicht eyn guten auszgangk gewünne
Hütten opera 2, 190 B.; anders gutes ende als 'erfreu-
liches, angenehmes ende' siehe unter III A 4.
c) bei begriffen, die die zeitlichen umstände der handlung
angeben wie zeit, stunde, gelegenheit u. ä.; gute zeit: gut
tijd tempus fortunatum lune Diepenbach nov. gloss. 360";
so bedeutet namentlich dieformel zu, bei guter zeit zunächst
'zu passender, rechter, gelegener zeit' , auch 'zu einem be-
stimmten zwecke günstiger zeit' : ehe er zu bequemer guter
tagezeit das läger erreyche Kiechhof milit. disc. (1602)
100 ; ist er zu gutter zeit da erschienen Xylandee Polybius
255; das Pisaner schiffe . . . do guter zeit meinet zewarten
Aeigo decam. 93 K.; etwas anders: so besuchten sie mich
vielleicht bey guter tageszeit auf ein Stündchen, vielleicht
im mittage Göthe IV 17, 243 W.; im sinne 'rechtzeitig' :
wie man den causenmacher kan
bey guter zeit zurücke treiben
Cur. Weise grün, jugend 43 ndr.;
Fitz versprach zu guter zeit in den hallen des riesen-
schlosses wieder einzutreffen Göthe 24, 59 W.; speziali-
siert im sinne 'frühzeitig':
{du sollst) der erst in d platten greifen
und nemen rausz bey guter zeit
das best, an welchem ort es leit
K. Scheit Grob. 635;
darauf nahmen sie bey guter zeit skbschied und fuhren
davon Che. Weise erznarren 91 ndr.; it mot gut tyt
1257
GUT, adj., I C 1
GUT, adj., I C 2
1258
l
krammen, dat ein gut hake werden sal TxJNicius sprichw.
nr. mQ Hoffm.;
wer nichtes widerlichs mag hören oder sehen
der mag bey guter zeit hin zu den Vätern gehen
Rachel sat. ged. 35 ndr.;
wenn sich die megdlein gut zeit wo für halten, so thun
sie gut zeit alten Petei d. Teutach. weiszh. 2, D d d 3*>;
in bezug auf die tageszeit einmal 'frühzeitig am morgen':
(ich) wünschte daher, dasz sie sonntags bey guter zeit von
Weimar ausführen Göthe IV32, 33lF.; der herr pro-
fessor {soll) morgen bei guter zeit den zugang gebahnt
finden G. Freytag ges. w. 7, 339 ; dann 'frühzeitig am
abend, noch vor dunkelheiV : wir kamen noch bey guter
zeit in Schaff hausen an U. Bräker s. «cÄr. (1789) 1,90;
{um) dann noch bei guter zeit die letzten meilen bis zu
Manfreds wohnung zurück zu legen Tieck sehr. 4, 45;
gute stunde, vgl. glücklich oder unglücklich, in einer
guten oder bösen stund Frisius 158*':
(Äneas) traf an desz glucks ein gute stund
Spreng Rias 12. ges. 255»;
für die proben {musz) . . . immer erst die gute stunde
kommen Gutzkow ges. w. 4, 128; präpositional formelhaft
'zur günstigen, passenden zeit':
wann sie dann all sind überwunden (vom wein)
so schlafstu auch zu guter stunden
K. Scheit Grob. 2077 tidr.;
Gelanor sagte, wo dieses {gesv^h) dem fürsten zur guten
stunde ist überreicht worden, so ist kein zweifei, dasz . . .
Chb. Weise erznarren 186 ndr.; ew. wohlgebomen beyde
freundliche briefe beantworte ich zur guten stunde : denn
indem mein söhn August seine herreise zurückgelegt hat,
so ist das kleine nunmehr vollendete werk eben im begriff
die hinreise nach Leipzig zu machen GrÖTHE IV 21, 98 W.;
'zur richtigen zeit, rechtzeitig':
indehm so boU in guter stund
Melanipus unser hirtenhund
und dieses war mein höchstes glücke
Stieler geh. Venus 136 ndr.;
zur guten stunde kam ihm Philipp von Hessen zu hülfe
Ranke s. w. 2, 151; (er) versäumte, diese rettenden anker
zu guter stunde auszuwerfen Fontane ges. w. 1 1, 202;
bezüglich der tageszeit 'frühzeitig' :
schau da, bey guten stunden
ich hab gewachet früh
Spee trutznacM. (1649) 63;
und nach Bodinkthorpe reiten
morgen wir zu guter stunde (vorher in aller frühe)
Fr. W. Weber Dreizehnlinden "341 ;
etwas anders 'früh genug': frisch voran des morgens den
luftigen höhen entgegen . . . bedacht zu gut«r stunde
herab zu tisch und obdach, den wettersturm zu meiden
und . . . die nacht v. Barth Kalkalpen 636 ; auf die innere
disposition des Subjekts zielend: doch wird, wenn man zu
guter stunde ein paar selten drinne liest, die geistreiche
behandlung immer reizend seyn Göthe IV 13, 346 W.;
heute aber sasz ich wieder hier . . . und hatte einen guten
augenblick IV 3, 95; gute gelegenheit : {die Sprichwörter)
sproszten und sprieszen plötzlich au^ bei guter gelegenheit
Körte sprichw. (1837) vi; hätte ich damals geheirathet,
damals, als ich so gute gelegenheit {hatte) Ebner-Eschen-
BACH ges. sehr. 4, 13.
d) bei begriffen, die die erfolgsmöglichkeit des Handlungs-
verlaufes andeuten wie zeichen, Vorbedeutung, aussiebten
u. ä., vgl. ein gutes zeichen faustum omen R.eyhee thes.
(1668) 2, 2560: aber das ist nit aUweg ein gut zeichen
Geiler v. Keisersberg post. 2, 39 ; {kluchsen) ist ein gut
zeichen eins unflats K. Scheit Qrob. s. 105 ndr.; nach
überstandener gefahr hielt er diese begebenheit für ein
gutes zeichen Göthe 43, 20 W.; {Götz) hielt das für ein
gutes Wahrzeichen Ranke s. w. 1, 138;
o, mög es gute Vorbedeutung sein
für meiner frauen zukunft
Grillparzer, I 6, 13 5.;
ich nehm es als eine gute Vorbedeutung Fontane ges. w.
I 5, 159; gute aspecten ILramer teutsch-ital. 1, 5783'; das
waren keine guten aussiebten W. v. Polenz Chrahenhäger
1, 5; ähnlich auch: ein glückfal, ein guter acYäck fortuitum
bonum Frisixts 159*^.
e) bei begriffen, die den ha'ndlungseffekl ausdrücken wie
abhilf e, erfolg, Wirkung u. ä.; hierher gehört bereits mhd.
guot rät werden m. gen. d. Sache 'glückliche abhilf e schaffen' :
bevindent siz, so ez ergät,
des Wirt danne guot rät
Harthann Iwein 944
des sol doch guot rät werden
WOLFRAM Parzival 340, 13
der schände würde guot rftt
Moritz V. Craün 1665 Sehr.,
nachwirkend in: dem wer noch gut rat zu thün Eulen
Spiegel 24 ndr.; für den wald fanden wir eine gute aus
kimft Göthe 21, 35 W.; {sie) verkündigte ihrem bräuti
gam den guten erfolg ihrer bitten Brentano ges. sehr. 5
44 ; das blatt wird eine gute Wirkung thun Göthe 11, 49 W.
auch als vmnsch: wünsche guten erfolg, gute besserung
u. ä.: und gute besserung! Geisel w. 7, 141; ich wünsche
gute Verrichtungen Kbameb teutsch-ital. 2, 347 ".
f ) in älterer spräche gutes heil 'günstiges glück, glücklicher
erfolg':
zwäre so bftstü guot heil,
gescheidestü mit 6ren dan
Hartmann Itcein 596;
als wünsch:
ode vart iuwer sträze
mit guotem heile 888;
god hael dy vale Diefenbach 605*'; 'gut heil' ist ein
deutscher grusz wie nur irgend einer Fr. L. Jahn w.
2, 921.
2) in prädikativem gebrauch; die unter 1 angeführten be-
lege sind auch in prädikativer Wendung möglich, doch im
ganzen bleibt diese weniger häufig; hier kommen daher nur
fälle in betracht, die nur prädikativ vorkommen; bis ins
16. jh. mit persönlichem dativ mir wird etwas gut 'es tvird
für mich günstig, es schlägt mir glücklich aus, es gelingt mir':
iu habt ez eine, werde iu z guot
Hartmann Iwein 854;
wie mancher desz begeren thüt,
es Wirt im aber nlt so gut
K. Scheit Grob. 3415 tidr.;
der inen noch für und für feind war und in tröwet, das
stettlein zu verbrennen, wa es im möcht so gut werden
LiNDENER rastbüchl. 24 lit. ver.; denn ich fürwar sein acht
genommen habe, wo es ihm als gut werden mag, er dich
von gantzem hertzen anblicken thut buch d. liebe (1587)
236 'i; ohne personäldativ, vielfach auch mit pronominalem
neutrum als subjekt oder sache :
die sache ist noch ytel guot
Hans v. Bühel königst. 1866 Merzd.;
es mag all sach noch werden gut
Hans Sachs 2, 26 K.;
es habe ein Schulmeister nach zwölfjähriger gefängnusz
endlich den schlusz erhalten, seine sache wäre gut ge-
worden Chr. Weise pol.redner (1677)151; alle Sachen
stehen gut, nur die meinigen nicht samml. v. schausp.
(1764) 1, 4;
ir mugt ez dannoch heizen guot
ob erz wlllecUchen tuot Hartmann Iwetn 1923;
besonders: es wird gut 'es geht günstig aus': aber {diefrau)
wol gedacht, es möcht noch gut wem Arigo decam. 79 K.;
da gedacht Ulenspiegel, daz wil nit gut werden, wollen
die thoren die warheit sagen, so mus ich warlich wandern
Eulenspiegel 41 7idr.;
(ich) hoff alles werde gut und recht
Opitz t. poem. 37 ndr.;
s irrt ihn, ohm! das wird nicht gut!
MÜLLNER dram. w. 1, 54;
etwas anders: es ist gut 'es ist im wünschenswerten zustand':
wollte gott, ich hätte den unseligen sprang nicht gewagt !
alles wäre gut gewesen Gerstenberg Ugolino 250 nat.-
lit.; so wäre jetzt alles gut! maler Müller w. i, 148.
1259
GUT, adj., I D 1-
GUT, adj., II A i
1260
D. unpersönliche Iconstruktion es ist gut 'es ist
passend, zweckmäszig , ratsam, richtig, nützlich, geziemend"
usw. ohne personaldativ tritt bereits in der ältesten über-
setzungsliteratur auf; für die gleichfalls alte Verbindung mit
persönl. dativ vgl, sp. 1231; in der bedeutung treten ver-
schiedene der unter A bis C behandelten nuancen auf, die
aiis gründen syntaktischen interesses {arten der abhängig-
keit) nicht besonders geschieden werden.
1) mit abhängigem infinitiv: unte ni goj) ist niman hlaib
barne jah wairpan hundam got. bibel Mark. 7, 27; aj){3an
gof) ist aljanon in godamma sinteino Oal. 4, 18; ... göd
is it her te wesanne Heliand 3138; ist kuot, ze sagenne
dina gnada Notkee ps. 91, 3 ; is ist gut, etwas czu wissen
prov. Fridanci 61 ; es ist gut, unglückhaf tiger leute müszig
gon sprichw. (1548) 158^; indesz ist es doch gut, hier bey
der Untersuchung nicht zu streng zu verfahren Klop-
STOCK gelehrtenrepubl. (1774) 4; nicht selten mit Umstellung
unter ellipse des neutr. pron.: die ader aufs creutz ist gut
zu lassen, wenn sich ein rosz hat wehe gethan J. Walther
pferde- u. Viehzucht (1658) 158;
guten Worten Ist nicht alzcit gut zu trauen
J. Gkob dicht, versuchg. (1678) 30;
muste man erst in tausend generationen so weit kommen,
es einzusehen, dasz die spräche zu verbessern gut sey
Hebder 5, 107 S.; von dem, was ich thue, ist nicht gut
reden GtÖthe IV 19, 410 W.; an solche geheimnisse sei
nicht gut rühren I 25, 295.
2) mit abhängigem nebensatze bei selbständigem subjekt.
a) alt durch dasz eingeleitet; 'es ziemt sich': kuot ist, daz
man in lobot Notker ps. 146, 1 ; 'es ist günstig': is ist gut,
das her icht hat prov. Fridanci 70; es ist noch gut, dasz
er warnet Geimmelshaxjsen 2, 344 K.; 'es ist zweck-
mäszig':
wedr Ist ez übel od Ist ez guot,
daz ich min leit verhelen Ican
Waithee 120, 25;
es ist nicht gut, das der mensch allein sey 1. Mos. 2, 18;
aufs erste were wol gutt, das Luther 12, 12 W.; es were
gut, dasz man nicht nur salbte, sondern Gäeelkover
artzneybuch (1595) 1, 8; es ist gut, dasz man von zeit zu
zeit aus seinen Umgebungen zu scheiden . . . gehöthigt
wird GöTHB IV 32, 242 W.;
es ist gut und ist recht,
dasz verschiedene Icräfte
im groszen staatsgeüechte (sind)
IIÜCKHRT w. 1, 47;
verkürzte formen: ist gut, dasz also gerathen ist Eyering
prov. cop. 3, 109 ; die herrn ist gut, dasz man sie weit hab
sprichw. (1548) 162*;
gut, dasz Europa christlich worden
Stoppe Parnass (1735) 16;
gut, dasz es die menschen nicht so genau mit einander
nehmen Göthe IV 6, 57 W.; 'es trifft sich günstig':
gut, Hafl, dasz du Isömmst
LkssinG w. 3, 44 L.-M.
b) jünger ist konditionalsatz mit wenn, doch vgl. mitd. :
ich vürhte, ez sl mir niht guot,
obe ich mit der höchvart var
Mai und Beaflor 38, 10;
es ist nicht gut, wenn die stüle auf die benck hüpfen
wollen Henisch 277; es were nicht gut, wenn die geisz
ein schwantz hett Lehman floril. pol. (1640) 53; es ist gut,
wenn wir uns das alles deutlich vorstellen Jung-Stilling
w. 3, 29 Gr.; mit konjunktivischem nebensaiz vereinzelt:
hsote ich dtnem rate
gevolget, daz wsere guot
Moriz V. Craün 1762 Sehr.
c) mhd. in Verbindung mit partizipialkonstruktion:
nü rata, degen Sifrit, waz des guot sl getan
Nibelungen 312, 4 L.;
daz wier geläzen also guot
XJleich V. ESOHENBAOH Alexander 486 T.
so ist es auch guet auf den see an beiden orttern ain wenig
pley daran gesenket Tegernseer angelb. zs.f. d. a. 14, 165.
II. aus der Vorstellung der tauglichkeit für einen be-
stimmten zweck entwickelt sich gut als absoluter wertbegriff,
der ohne teleologischen beisinn rein den ävszeren oder inne-
ren wert eines gegenständes oder einer person ausdrückt;
da lat. bonus in gleicher funktion gilt, ist nicht auszumachen,
wieweit das germ. das adj. als blosze qualitätsbezeichnung
selbständig entmckelt hatte; noch auf der grenze zu I
steht ags.
standed me her on eaxelum .-l-'lferes läf,
göd ond geapneb, golde geweordod
Walderebruchst. 2, 19 HoUh.
A. in anwertdung auf dingliche Subjekte, konkrete und
abstrakte.
1) im sinne ^wertvoll, kostbar', besonders von kleidungs-
tind Schmuckstücken, perlen, edelmetallen usw.: manne
suolihentemo guotä merigriozä Tatian 77, 2; gute perlen
Matth. 13, 45; guter stein ist im mhd. fester begriff 'edel-
stein':
vingerlin Icleine
mit eime guoten steine
Moriz V. Craün 606 Sehr.;
vier unt zweinzec pouge mit gesteine guot
Nibelungen 558, 1 Bartsch;
hwat thu at thesaru thiodu thiggean willies
gödaro mStImö . . . Heliand 4489;
ich wil es wol gelauben, das er kostliche klainat hab, so
er üch so guter ring zwen geschenkt hat Forlunatus 115
ndr.; die plenschen tragen die Indianer am gestirn für
ein zir als hie zu landt die grosen herren guette khettcn
am hals tragen U. Schmiedel reise n. Südamerika 31
lit. ver.;
von NinnlvS der slden si den porten truoc,
mit edelem gesteine: ja, was er guot genuoc
Nibelungen 850, 2 Bartsch;
dar in si leiten steine; des wurden guotiu Icleit 362, 3;
übermuot und guot gewant
was iu durch mich unerlcant
V. d. Jungesten tage 579 Wül.;
ab wol di kleider sint kostlich unnd gut,
treid dl ein mensche an Itel ere,
wer kan si yra danne verkere?
JOH. BOTHE lob d. keuschh. 812 N.;
hab erst das gute kleid da von den schultern
und umgehüllt dein derbes sctilflerwams
Grilipakzer s. w. 7, 31 5.;
ein böser ris ynn ein gut tuch Luthees sprichw. -samrrd. 4
Thiele, vgl. guttuch, guttüchen von echtem scharlachtuch
Schmellee-Fe. 1, 963 und
gut lündisch rot von tüch er {der rock) was
Hans Folz ebda;
etwas anders 'kostbar wegen seiner heiligkeif vom rock
Christi:
thiu tunicha thiu guata bi thia ther loz suanta
Otfrid IV 29, 15;
ebenso von Stoffbezeichnungen 'kostbar':
joh hete er under brünne von vil guoten slden
von Aballe ein hemede Kudrun 864, 3 M.;
guot man ist guoter slden wert Walthek 44, 10;
namentlich von edelmetallen 'wertvoll':
nemet von mir ze minne ditze golt vil guot
Nibelungen 1559, 2 Bartsch;
zweintzig (striche) von kostbarliehem zin
auch zwölff von gutem gold lürhin
Spreng Ilias 10. ges. 138»;
die verpfändeten zwei kästen
. . . glaubten sie voll guten goldes
Heedee 28, 510 S.;
dann auch im sinne 'gediegen, echt': auch ist die müntz
gefelschet, kain gut gold kan man meer finden Eberlin
V. GÜNZBURG s. sehr. 1, 10 iidr.; jetzt wollen wir einmal
sehen, wie die gesohenke beschaffen sind, vor allem die
probe, ob es gut gold ist Brentano ges. sehr. 5, 103; mehr
technisch: silberertz . . ., wann sie nicht gar gedigen und
gut Ercker mineral. ertzt (1580) 3^; von münzen: gülden
gut am golde und swer gnug am gewichte lehnsurk. Schles.
1261
GUT, adj., II A 2
GUT, adj., II A 2
1262
1, 106 Orünh., vgl. Fiscser achwäb. 3, 942; gut von gold
heiszt zunächst kostbar, weil aus gold gearbeitet'' :
ouch was der zoum riebe genuoc,
daz gereite (sattelzeug) guot von golde
Haetmann Iwein 3463;
mundartlich im sinne 'von echtem golde\- guet vom gold
Schmeller-Fb. 1, 963; des kreutzl is gued von silber ebda,
vgl. Schöpf tirol. 220, Fischer schwäb. s, 942; auch ohne
materialangabe im sinne 'echt von gold bzw. silber\' vast
köstlich {meszgewänder) von gülden stücken, sammat und
damastkt mit guten kreuzen städtechron. 15, 159; e guede
haubm haube mit echtem silber oder golde gestickt Schmel-
ler-Fr. 1, 963; guete borten Schöpf tirol. 220; es ist nicht
alles gut, was vergoldet ist Fischer schwäb. 3, 942; 'kost-
bar' auch von spezereien:
(ich habe) . . . min guote salben vlorn
Hartmann Iwein 3689;
weil solcbe brü gewürtzet sey
mit guter thewrer spetzerey
K. Scheit Grob. 1629 ndr.;
auch sonst vielfach von dingen besonderen iverles: zu Ach
hab ich gesehen die proportionirten seulen mit ihren guten
capitelen von porfit grün A. Düber tageb. 64; da sinds
eitel flüchtige fladdergeister, bescheiszen die weil viel guts
papyrs mit unnützen vergeblichen Worten Luther 26,
303 W.; gute prise in der seefahr ersprache: was ein deut-
scher einem ausländer abnimmt, sey immer gute priso
Lessing lO, 274 L.-M.; der frachtvertrag tritt auszer
kraft, wenn . . . das schifiE . . . für gute prise erklärt wird
handelsgesetzbuch § 628; feste formd, wohl aus I A 5a/S
entwickelt, gutes geld 'wertvolles geld\- wenn er mit seinem
guten gelde . . . nichts denn leeren wind und nichtige hof-
uung erkauft Thomasius kl. dtsche sehr. 136; ein mann . . .,
der um sein gutes geld auch ein Mäcenas sein will A. Stif-
ter s. w. 1, 94; mehr quantitativ: dort bepackte ich mich
für gutes geld mit tabak Göthe 33, 88 W.; mit affektgehalt
nach IV hinüber spielend: mein gutes geld tut mir leid, vgl.
Fischer schwäb. 3, 942 ; dafür ist mir mein gutes geld zu
schade u. ä.
2) 'hochwertig, qualitativ hervorstechend', dem äuszeren
vjerte nach; vielfach bei gegenstandsbezeichnungen in be-
tontem gegensatz zu einer geringwertigen art.
a) in anwendung auf genusz- und nahrungsmittd seit
alters: iogiwelih man zi §rist guotan win sezzit inti mit
thiu sie foltruncane sint, thanne thaz thär wirsirä ist
Tatian 45, 7;
si fuorten riebe spise dar zuo guoten win,
den besten den man Icunde vinden umben Bin
Nibelungen 380, 1 Bartseh;
und sandten nach malvasier, den man da gut fand Fortu-
natus 60 ndr.; wo der wein gut ist, darf man kein reif
auszhencken Eyebino prov. cop. 3, 677; spezifisch im
gegensatz zum sauren wein: sy züchend gären vom suren
zürichwin zum gütten Platter 61 Boas; redensartlich: er
drinkt guete wi er ist beim wein lustig Seiler Basl. ma.
153*; modern: eine gute flasche, einen guten tropfen trin-
ken; ist gut hier, es gilt dir, liebes thier, ein stübgen oder
vier Fischabt Garg. {159i) 96»; terminologisch god beer
vollbier Mensing 2, 424, i;grZ. gutbier; gueti oder ganzi
milch Vollmilch Friedli Bärnd. 1,483; ebenso in Schlesien,
vgl. Maetiny wb. d. milchunrtsch. 49; es guetes kaffi kaffee
ohne Surrogat (Basel) Staub-Toblee 2, 537; e guets kaffe
kaffee mit rahm Tobleb appenzell. 245^; gute frische
meyesche putter (maibutter) Luther 38, 234 W.;
das brod sei frisch, die butter gut
A. V. Dkoste-Hülshoff u\ 2, 87;
terminologisch ist gute butter im gegensatz zur kunstbutter
(margarine) ;
dein brot sey weder warm noch alt
geseurt und leicht, nicht gar ohn saltz,
von gutem getreyde wolgebacken
regimen sanitatis (1642) A i"»;
dat wilk die lehren, ehr, als gode klütjen backen
lust. hoehzeit (1708) in: nd. jahrb. 8, 136;
guete leckerli lionigkuchen von feinerem mehl Tobler
appenzell. 245*; dasz für das pf. guete fische aber als
hecht, forellen, aal, treischen und esch 12 kr. bezahlt
werde (v. j. 1790) Staub-Tobler 2, 538;
de mussei is good fis
wenn de anners nix is
LüPKES seemannsspr. 6;
friske ejere (eter), gude ejere Bauer-Collitz 25*; wenn
ich mir einen neuen tabaksbeutel voll guten ächten unga-
rischen wünsche v. Gaudy s. w. 13, 89; z.b. eine gute
Zigarre; feine und gute braugersten sind weiter gefragt
kreuzzeitg. v. 16. 8. 34., wo gut wie in moderner handels-
sprache häufig die zweitbeste qualität bezeichnet; ähnlich
spricht man von einer guten Sorte, guten marke gegenüber
der besten einerseits und der billigen anderseits.
b) entsprechend bei waren und produkten aller art, oft
technisch: ich hab zu Frankhfurt stan lassen in der vast
im 49. jar . . . meinem wirt: item am ersten (saumiuch)
guter arbait 3 tausend und 6 hundert \md 55 duczet, item
mer 9 hundert und 31 duczet ausschusz Ott Ruland
handlgsb. 27 lit. ver.;
die selben schaf gend gute wullen
NiKL. Manuel 60 Bächt.;
bonwolle, {die) . . . geschowet und von unsern schowem
erlobet und gut gegeben ist (15. jh.) wttbg. geschichtsqu. 8,
131 ; wer den nahmen hat, dasz er gut gam spinnet Leh-
man floril. pol. 1, 326; man unterscheidet {in der bäum-
Wollspinnerei) gewöhnlich guten abgang . . . {und) schlech-
ten abfall Pbechtl techn. encycl. 21, 362; gute libetten. . .,
kupfer, so von garschlacken durch nochmaliges schmelzen
im frischofen gewonnen Jacobsson techn. wb. 2, 176^; gut
erz ... ist reichhaltiges, edles erz 2, 177*; gut wahr merces,
res venalis Henisch 1785; sein dinck ist nit gute waar
E BERLIN V. GüNZBURO 8. schr. 3, 22 ndr.;
gut und schlechte wahren
durch desz meercs tiefe fahren
Schupp sehr. aI"»;
gute wäre lobt sich selber, verkauft sich selber Fisohbb
schwäb. 3, 941; ein gutes exemplar {des divan) ist für dich
bestimmt Göthe IV 32, 52 W.; {er) schicket ihnen hiermit
eine mittelmäsige scheere, ein gutes messer und leder zu
zwey paar pantoffeln. sie sind alle von gutem Stoffe IV 1,
163; entsprechend modern z. b. wir verwenden für unsere
fabrikate ausschlieszlich gutes material; etwas anders: die
{dem büttgesdlen) entgegenstehende seite heiszt der gute
rand, weil das papier von dieser seite ein wenig stärker ist
Jacobsson techn. wb. 7, 30**; ähnlich wird bei Stoffen die
gute seite, die rechte seite, gebildseite usw. von der innen-
seite unterschieden; diese qualitative sonderung gilt auch für
die sprichwörtliche Wendung {über ihren Ursprung vgl. zs. f.
dtsche maa. 3, 279/. ) kein gutes haar, kein guter faden {ist
an dem menschen), vgl. wo haut und har böse ist, da wird
kein guter peltz aus Luther 19, 514 W.; da ist weder
haut noch haar gut Henisch 1788;
an fauler waar
ist kein gut haar Binder sprichw. 206;
es ist doch keine gute haar an keinem Studenten Schoch
Studentenleben (1657) cS''; et is ken gut har an ieme
Bauer-Collitz 45*; kein guete fetzen (faden) an eim lan
eine vernichtende kritik üben Staub-Tobler 2, 539, auch
kein gutes haar an einem lassen in gleichem sinne.
c) halb terminologisch in mehr rdativer Verwendung im
sinne 'schön, fein" , auch 'neu": item 37 m. 4 scot vor 5 gute
panzer Marienb. treszlerbu^h 220 Joach.; das gute geschirr
das feine porzdlan; alle ihre guten kleider und neues haus-
geräth im stich lassend A. v.' Deoste-Hülshoff w. 2, 264;
der gute anzug {neuer anzug) Müller-Feaub. l, 452; guter
rock gala-, sonntagsrock Fischer schwäb. 3, 942; et gud
kled rhein. wb. 2, 1512; van hier aus zu verstehen die guet
kammer kammer, in welcher das bessere an kleidern und
sonstigem hausrat aufbewahrt wird Schmeller-Fr. 1, 963;
ein solcher {Stammbaum) sei allerdings noch da und be-
finde sich halbvergessen in der 'guten kammer' Steub
wand, im bayr. geb. 27; anders die gute stube, das gute
1263
GUT, adj., II A 2
GUT, adj., II A 8-4
1264
zimmer prunkstube, salon: die sopha- und stuhlkappen
aus den guten zimmern Schiller br. 7, 175 Jonas; de gud
stuff, gud kamer staatszimmer rhein. wb. 2, 1512; gute
Stube Sudermann d. hohe lied 312, Müller-Fraureuth
1, 452; (er) war nun erst imstande, sich all der kleinig-
keiten zu freuen, die die 'gute stube' schmückten Fon-
tane ges. w. I 3, 290; im sinne 'rein, frisch^ bergmännisch
gut Wetter : gut wetter ist die gute reine luf t in der grübe
Junghans gräubl. ertz (1680) c 3^.
d) terminologisch bei Zeitbestimmungen wie tag, woche
und wochentagsnamen, vgl. Grotefend zeitrechn. 78/,
a) im sinne 'hoch, heilig' namentlich bei den festlagen und
Wochentagen der karwoche und des Osterfestes, wo vielleicht
die bedeutung VA2 nachwirkt: de gude weak karwoche
rhein. wb. 2, 1512; Westenrieder 224; guder mandag
(montag vor ostern) Stralsunder chron. l, 58 ; dit schach an
deme guden dingstage {dienstag) Schiller-Lübben 1,520;
an dem guden middeweke in der martelweke (v. j. 1383)
bei Grotefend a. a. c; an der guten mittwochen Richen-
TAL chron. d. Const. conzils 64 lit. ver.; der gut dunstag
cena domini Diefenbach nov. gloss. 84*; item in den
spital uflE den guden donnerstag in der karwochen {v. j.
1372) urk. in: Limb, chron. 125 Wysz; auf dem guten
donnerstag (mögen sie predigen) . . , vom osterlamb
BuGENHAGEN Braunschw. kirchenordn. (1531) o 2; so noch
mundartlich z. b. rheinisch, vgl. rhein. wb. a. a. o., und
Schweiz., vgl. Staub-Tobler 2, 639 ; der gude fritage paras-
ceve Diefenbach 412^; des goeden vrydags vor paeschen
{v. j. 1314) bei Grotefend a. a. o.; das gelt berechente uns
der scheffer am guten frytage Marienb. treszlerbuch 340
Joachim; wie die kirche gesungen am guten freitag
Luther 20, 334 W., mundartlich s. rhein. wb. a. a. o.,
Staub-Tobler a.a.O., Knothe schles. 2.77 ; am Nieder-
rhein auch guda sodeschtig rhein. wb. a. a. o.; auch von
andern feiertagen gesagt:
up einen gueden Cristusdaich
zo allen drin (er) misse sprach
GOTTFRID Haqkn teimchron. 128;
in deme guden donredage dyner claren weldighen hem-
melvard Schiller-Lübben l, 540 ; ene guda dag ein fest-
lag, gure dags an feiertagen, der gude dag han zur ersten
hl. kommunion gehen, sei guda dag hon die osterkommunion
empfangen rhein. wb. a. a. o.
ß) speziell der gute montag, wohl zu gut III A 2 gehörig,
als der blaue montag bei den handwerkern, vgl. Grimm
myth.^ 113; in Norddeutschland terminologisch für den
montafj nach trinitatis, den tag des maigangs einiger hand-
werke, s. Grotefend zeitrechn. 79/., der zugleich einer der
vier Jahrestermine ist; meist allgemeiner arbeitsfreie mon-
tage und zechtage:
ich guetter montag mach dollsopf
lere peuttel und volle kröpf
meisterlieder d. Berliner hs. germ. fol. 23 nr. 231;
was manche handtwercksleuth . . . die die wochen über
mit irer schweren arbeit zusammen treiben, das musz
am Sonntag oder auffn guten montag versoffen sein
SiGiSMUNDUS SuEVUS Herodis banckel (1569) c 5^; disz jar
würd ein schalckjar sein von halb hundert guten faul
montagen Fischart praktik 3 ndr.; bey den hand-
werckern herkommen und noch übrig sey die gewohnheit
einen guten montag zu machen Prätorius philos. col.
184; in neuerer zeit angeblich noch Schweiz., s. Grimm myth.
a. a. o. und obersächs. nach Müller-Fraureuth 1,452,
hier wohl nur in der bergmannssprache, vgl. so genannte
gute montage und andere muthwillige sauftage sind
gäntzlich verbothen Chr. Herttwig bergbuch (1734) 134a;
dann übertragen: guter montag 'erntefesttag, so genannt,
aber am sonntag gefeiert' Bruns volksw. d. prov. Sachsen
27^; mehr formelhaft:
de soine, di do geschaich
up einen gueden maindaich
reicht na paischen velrzein naicht
GOTTFEID Hagen reimchron. 6276;
auch lediglich guter t&g für den 'montag', vgl. Grotefend
a. a. o., wo belege, u. Grimm myth. a. a. o.: die prüdere
i mugen ezzen fleisch an deme guten tage auzerhalb des
I coventes (v.j.l286) bei Schmeller-Fr. 1,964; dis ge-
j schach do man zalte von Cristes giburte drincehin
i hundert jar an dem nehesten gutendage (montag?) urk.
V. j. 1300 urk. -buch d. kl. Heiligkreuztal l, 62, doch vgl.
auch gutentag 'miltwoch' an alph. stelle.
e) 'hochwertig' in hinsieht auf die spielstärke: ein guter
i steyn im brett sprichw. (15iS) 89'^; bildlich: einen guten
; stein im brett haben (bei jemand) haver un buon patrone
! Kjiamer l.-ilal. 2, 950*'; behalt ein gut blat (im karten-
spiel) auf die letzsten lasse sprichw. (1548) 140*; wer weisz,
ob er ein bösz oder gut kart bekompt, hat ers, so sieht
ers Lehman floril. pol. 2, 627; so noch heule z.b. ich muszte
das spiel verlieren, denn ich hatte keine guten karten.
f ) in der musik und melrik vom 'schweren, betonten' teil
des lakles: denn so wie der accent bey tiri auf der zweyten
sylbe liegt, so fällt derselbe bey didll auf die erste und
kömmt allezeit auf die note ein niederschlage oder auf
die sogenannte gute note Quantz anweisung (1789). 69;
der gute tacttheil, nehmlich im schlechten tacte die erste
minima, das Iste und 3te vierthel Walther mus. lex,
(1732) 106 für franz. bon temps de la mesure; ebenso in
der melrik vom akzenttragenden taktteil.
g) als glied einer werteskala ohne substantiellen eigen-
gehall; so in den schulzensuren: sehr gut, gut, im ganzen
gut, ziemlich gut, genügend usw.; weiter in Wendungen
wie: eine gute zensur erhalten; ein gutes Zeugnis aus-
stellen; eine gute leistung aufweisen und in der sport-
sprache: in guter form sein, ein gutes rennen machen
u. ähnl.
h) gut machen spezifisch im sinne 'eine hochwertige
qualilät herstellen, veredeln, verfeinern': kirschen gut
machen veredeln Müller-Fraureuth l, 452; im bilde:
ich war ein wilder reben
du hast mich gut gemacht
Paul Gerhakdt bei Fischer-Tümpel 3, 343;
technisch: die grobem graupen, welche nicht durch das
obere sieb fallen und die gut gemachten graupen in dem
2ten siebe fallen zur seite heraus Jacobsson techn. wb.
5, 767*; guet mache mästen Seiler Basler ma. 153.
3) als epilhelon bei slädten in verschiedener färbung; zu-
nächst in bezug auf festigkeil und Wohlhabenheit, noch
gehallvoll:
wes sint disiu erbe und ditze rlche laut
und ouch die guoten bürge? wie ist er genant?
Eudrun 1226, 2 M.;
ende was ein schedeliche boese vrouwe, alle de cristenheit
zo Schinnen und goide stede zu verderven städtechron.
13, 183; und ist etwan gewesen ein gute Stadt, nun ist es
ein ciain dorf Schiltberger reiseb. 72 lit. ver.; termino-
logisch gute Städte in Württemberg seit 1811 sieben alte
residenz- bzw. reichsslädte mit besonderen rechten, vgl.
Fischer schwäb. 3,942; blasser: der mann stand vielleicht
in Boppard oder Greifswald oder in Görlitz, in einer von
den guten alten städten Moltke ges. sehr. u. denkw.
7, 61; mit aßektgehalt ähnlich: alles gute, was sie dem
Professor V. erzeigen, ist auch mir und der guten Univer-
sität Jena gethan Göthe IV 21, 111 W.
4) der werlgehalt bezieht sich auf innere, geistige werte.
a) 'inhaltlich wertvoll, gehaltvoll': |)ata godo anafilh
fastai |jairh ahman weihana got. bibel 2. Tim. l, 14; bei
warten und gedanken usw. 'verständig, inhaltsreich, treffend':
i . . . gi ni thurbun an enigun sorgun wesan
I ... hwat gi im than tegegnes sljulin gOdoro wordö,
spählikoro gesprekan Eeliand 1900;
Catho hat . . . latinisch geredt mit guten, kurtzen
wortten Agricola t. sprichw. (1534) a 1*; es ist . . . ein
gutes wort im leben . . . : wir sollen die liebe, die wir den
todten mit ins grab geben, nicht den lebenden entziehen
W. Raabe hungerpastor 145; gute gespräch gute sitten
erhalten llARSDÖnvEn frauenz-.gesjn-ächsp. l, A4'';
oba wir wollen wahten mit gidrahton fliu rehten
mit githankon guaten thes Kristes grabes hueten
Otfrid IV 37, 2;
1265
GUT, adj., II A 5
GUT, adj., II B 1
1266
(die Zeichnungen) sind . . . eine unerschöpfliche quelle
guter gedanken Göthe IV 42, 231 IF.; 'gehaltvoll' von
werken geistiger arbeit: in diesem exemplar stand ge-
schriben: vier gütü büchlü in H. Seüse dt. sehr. 3 Bihlm.;
im kloster liesz man dich nit läsen gute bücher E Berlin
V. GÜNZBURO s. sehr, l, 29 ndr.; gutte bücher . . . seyn
das brodt unseres Verstandes Butschky Pathmos (1677)
)( 3^; wenn sie mir von den neusten, artigen und guten
Schriften nachricht gäben Göthe IV 1, 202 PT.; (er konnte)
dabei eine gute predigt ausarbeiten Bahrdt gesch. s. leb.
(1790) 1, 15,
b) namentlich von künstlerischen erzeugnissen, in bezug
auf ihre inhaltliche qualität sowohl wie auf den künst-
lerischen wert:
(der bischof) . . . hiez macheu ein vil guot werch:
er hiez dl sine pbaphen
ein guot llet machen Ezzos getang 2 u. 4 ;
ähnlich, auf die künstlerische leistungskraft bezogen :
Beimar was guoter kunst an dir verdlrbet
Walthbr 82,29;
gute Schauspiele behalten auch im drucke ihren werth
samml. v. Schauspielen (1764) 1, 4 vorher.; hier schicke ich
dir mein letztes gedieht, ich halte es für gut Göthe IV 1,
152 W.; in guten gedichten herrscht die leidenschaft A. W.
Schlegel in: Athenäum l, 45; bei werken der bildenden
kunst: also kan für uns nichts rührenders gefunden werden
als ein gutes gemälde von den leidenschaften und hand-
lungen der menschen Ramleb einZeii. (1758) 1, 75; fänden
sich bei seinem tod einige gute cla vierstücke Göthe 45,
21 W.; so ist die gute zeit eines künstlers, einer stilperiode
usiv. die zeit der meister werke: die zweite (form) vertritt
die gute zeit des Stiles 0. v. Leixner lehrb. d. baustile
(1916) 2, 102; mehr im sinne 'technisch gelungen' : für eben
diese fehlende originalien und auch für die gute kopien
ist plaz gelassen Göthe IV 4, 279 W.; in religiöser hinsieht
wertvoll: das lobgesang Marie, so im ix. hundert jar gut
ist gewesen, {würde) umb dein oder anderer köpf willen
hinweg gethon Hieron. Gebweiler beschirm, d. lobs
Marie (1523) 7''; das gebet wil das hertz gantz und allein
haben, wenns sol ein gut gebet sein Petri d. Teutschen
weish. (1004) 1, A 5*^: bilder aus der schrift und von guten
historien ich fast nützlich . . . halte Luther 26, 509 W.
c) hochwertig in hinsieht der geistigen tcirkungskraft : das
man ynn stedten sollt gute schulen aufrichten, damit man
gelerte menner . . . aufzöge Luther 15, 360 W.; gute
schule macht gute künstler Wander 4,377;
... in guter schule
hat er des schmeichelns liünste ausgelernt
Schiller 12, 475 G.;
ähnlich gute ausbildung, guter Unterricht; etwas anders
'als hochwertig erprobt, bewährt' : um nach älterer guter
methode die Schönheiten der alten sprachen kennen zu
lernen Göthe 46, 91 W.; z. b. die Untersuchung zeigt die
gute methode der Rankeschule.
5) ganz allgemein ist früh eine unprägnantere anwendung
entwickelt, die im sinne einer einfachen Wertschätzung, oft
nur als epitheton ornans, für die verschiedensten sachbe-
zeichnungen und abstracta stattfindet, also 'trefflich, vor-
trefflich, herrlich'; beispiele dafür:
welon endi willeon
göd Höht mld gode
endi wonodsam lif,
Heliand 2138;
Ich wil im guot geleite tuon
Wolfram Parzival 720, 15;
stricke mit guten knoten Arigo decam. 249 K.; das pferd
gehet einen guten pasz Kramer teutsch.-ital. 2, 183^;
zuoberst woll er uns verleihen
in die kornböden gut gedeihen
Baumeister zimmermannsspr. 46;
sie befleiszigen sich, ihre gute gaben . . . wohl anzu-
wenden Schiller l, 15 0.; er hat gar eine gute art von
aufpassen, theilnehmen und neugier Göthe IV 4, 79 W.;
diesen geistreichen köpf mit so guter art . . . entwerfen
I 43, 279; mit einschlag von III in der zvnllingsformd gut
IV. 1. 6.
und schön: der tag wächst und so ist alles schön und
gut IV 33, 29 W.; häufig ironisch oder doch einschränkend
gebraucht: so sind alle piae fraudes der katholischen gut
und schön Gottsched neueste 6, 42; brav sein und sich
rechtschaffen halten, das ist alles sehr gut und schön
Fontane ges. w. I 5, 45; als reines epitheton ornans in
älterer dichtung oft nachgestellt:
die guldtnen scä^iel ob liehtem pfelle guot
Nibelungen 670, 3 Bartseh;
mtt deinem grönen krentzlin gut
K. Scheit Grob. 33 ndr.
B. in anwendung auf persönliche Subjekte und abstrada,
die sich auf personale Verhältnisse beziehen.
1) alt und für das gesamte germ. bezeugt ist gut als bezeich-
nung des menschen hinsichtlich seiner herkunft und seines
Standes im sinne 'vornehm, edel, angesehen' , vgl. got. manna
sums godakunds gaggida landis franiman sis {)iudangardja
got. bibel Luk. 19, 12, vgl. ags. cynegod Widsib 56.
a) lieben abstractis, die einen bestimmten herkunftsbereich
oder einen sozialen kreis bezeichnen, vgl. ags.
Qecyste i>ä. cyning se^elum göd
Beowull 1870 Eolth.;
und altnord.
Atta ]>iönar, odlom gödir SigurOarkv. 70, 4 Necket;
u. ättom goda 18, 11:
. . . ik gisibu that gi sind ediligiburdiun
kunniea fon knösle gödun Eeliand 558, rgl. 254;
diu edlen guoten alten geschlecht von gräfen, herren
Zürch. Jahrb. 65 nach mhd. wb. 2, 2, 390*'; die selbig frau
was von gutem edelm geschlechte Arigo decam. 176 K.;
die benachbarten orte {hätten) ... als geisein frauen und
Jungfrauen von guten geschlechtern gefordert Niebuhb
röm. gesch. 2, 286; vil ritter ind knechte van goider art
städtechron. 13, ]55;
weil er auch einer ist vom adel
von gutem stamm on allen tadel
Hans Sachs 21, 5 ö.;
er ( wäre) eins hochen gütten herkommens Wabbeck seh.
Magdone 13; in der that ist er von eben so guter geburt
als der marquis Lessing 9, 253 L.-M.; kein einziger
mensch von gutem stände Gottsched dtsche Schaubühne
2, 87; mehr steigernd:
und that mir wie ein griifin her
als obs von gutem adel war
N. Manuel v. papst 474 BäcM.;
es 's\'aren mit alle dem junge herren von sehr gutem adel
darunter Wieland Agathon 2, 107; jünger und ebenso von
personen adligen wie bürgerlichen herkommens gebraucht
mehr im sinne 'angesehen' gutes haus, gute familie: Über-
bringer dieses mr. H., ein junger mensch von gutem
hause imd artigen qualitäten Bodmer an Gottsched i. j,
1732 in: zs. d. f. dtsch. unterr. 11, 6; junge leute von
gutem hause und sorgfältiger erziehung Göthe 21, 315 W.;
mit III 7 c vermischt kaufmännisch ein gutes haus 'eine
angesehene, solide firma': so musz ich vorher zeigen, dasz
ich nicht unbesonnen in den tag hineinkaufe sondern
meine waare aus einem recht guten hause, um kauf-
männisch zu reden, oder aus einem recht alten, um
heraldisch zu sprechen, ausnehme Jean Paul w. 1, 34 H.;
vgl. Fischer schwäb. 3, 941 ; klassifizierend: in den motiven
wie in der spräche steht Plautus in der kneipe, Terenz
im guten bürgerlichen haushält Mommsen röm. gesch. 2,
434 ; gute familie ! . . . gehört dem ältesten adel Sachsens
an V. Ebner-Eschenbach ges. sehr. 4, 56; das wohler-
zogene mädchen aus guter familie W. v. Polenz Graben-
hager 1, 22; spezidler im sinne 'sozial hochstehend' gute
gesellschaf t oft mit dem beisinn 'ästhdisch kultiviert' : was
gute gesellschaft genannt wird, ist meistens nur eine
mosaik von geschliffnen karikaturen Fb. Schlegel in:
Athenäum 1, 2, 4; bey manchem worte, das kein anderer
mensch in guter gesellschaft ausspricht Zimmermann
üb. d. einsamk. l, 15; hierzu stellt sich der gute ton als
die lebensart der feinen gesellschaft: den sogenannten
weltleuten such ich nun abzupassen, worinn es ihnen
denn eigentlich sitzt? was sie guten ton heisen Göthe IV
80
1267
GUT, adj., II B 1
GUT, adj., 11 B 2-3
1268
4, 160 W.; der mann, der in den assembleen des guten
tons gelitten wird, konnte nie deine partkie seyn Schiller
3, 44 0.; bei vielen gehört es zum guten ton Körner w.
1, 60; das wichtigste stück der guten lebensart ist die
dreistigkeit Schleiermacher in: Athenäum l, 2, 125;
formelhaft ist in älterer rechtssprache guter hande leute
Heute vornehmer arV : de pauwelun over dem sacrament
wart gedragen van twen greven und andern guder hande
luden städtechron. 7, 401; guter hande lute und gebur
weisth. 6, 101; in die ethische Bedeutung hinüberspielend:
der ist nicht gar von guter arth, der nicht gedencket an
wolthat Pbtri d. Teutsch. weish. 2, o 3^.
b) absolut neben personen; in älterer spräche neben
Standesbezeichnungen 'edel', vgl. ags. |)8et waes göd cyning
Beowulf 11 Holth.; aus dieser formel hergeleitet:
.-. . so mag Im thea gödon giwirkean
huldi hebankuninges Heliand 901;
tunc surrexit Otdo ther unsar keisar guodo
de Heinrico 9;
der (Jungfrauen) gedäht im eine erwerben Günther der
künec guot
Nibelungen 325, 3 Bartsch;
ow6 wer sol nu troesten des guoten maregräven w5p?
2259, 4;
dö sprach diu guote künegtn Hartmann Iwein 230;
und solde ich tragen kröne, ze w!be wolde ich hän
die iuwern schcenen tohter: des wünschet mir der muot
diu ist minneclich ze sehene, darzuo edel unde guot
Nibelungen 1675, 4 Bartsch;
terminologisch gute leute {boni homines) im sinne 'edd-
leute', namentlich wohl 'ritterbürtige' : dissen eyt stavet
öme weme id de heren, de stede unde de guden lüde
heten städtechron. 6, 82; was der dote guter luite, so
trugent in die guten, was er ein gebur, so trugent in
sine genossen Königshofen in: städtechron. 9, 769; es
wirt auch in keiner historien gefunden, das je also gutte
leutte (fürsten und herren) weren auf ein mall in diser
Stadt gewesen Warbeck seh. Magelone 31 B.; alda wart
der buschof van Coellen verraden ind me goider heren
städtechron. 13, 165, vgl. Statjb-Tobler 2, 536; ebenso-
wenig deutlich in seiner terminologischen gdtung ist gute
mannen, vgl. offenbar werden hier die 'guden manne'
d. h. die bloszen freyen, der Überrest der alten volks-
gemeine, von den rittern . . . unterschieden Savigny
gesch. d. röm. rechts 2, 22; als 'edelleute, die keine ritter
warerC, vgl. J. Grimm rechtsalterth.* l , 408 :
ir ritter und euch ir guten man
gedieht v. d. gerechtigkeit in: Oermania 18, 460;
von papen und moneken, von rittern und gudemann,
von buirgern und bauem in Lbibnitz scr, rer. brunsv. 3,
411 ; he was eyn gut mann geboren ebda 2, 257 ; vgl. gut
mensch 'eddmann': ich bruder AUonsus ein gutmensche
von Spangen (Spanien) bei Scherz-Oberlin 582*^; es
bittet abermal die gute frawe Hanna von der Dame
LtTTHER briefw. 274 Burkh.
c) dann überhaupt in weiterem sinne 'den besseren
ständen angehörig, wohlhabend, angesehen': auf das jar
starb hie füll reichs gütz folck, als nie erhert was, mer
denn armer städtechron. 23, 451; mehr im sinne 'ehrbar',
vgl. goda eina ('nur anständige leute') Hdrbarzliöb 8, 7
Neckel; formelhaft für frum man, biderman: so das wasser
ainen weg zerbricht, so soU der gute man hinein fahren
mit seinem grund (v. j. 1597) österr. weist. 7, 339;
mir ist harte wo! geschehen,
Sit ich hie solde gesehen
also guote Hute Hartmann Greg. 3107;
o laszt ihn! er ist guter leute kind
Schiller 12, 30 ö.;
das mädchen war auch 'von guten leuten' O. Ludwig
ges. sehr. 2, 338; 'wohlhabend' : grosze goldne ohrringe
und eine recht massive kette zeigten schon an, dasz sie
guter leute kind seyn müsse v. Gaudy s. w. 2, 98 ; ich bin
gottlob es guets bürli, ha schöns vehli und ha mis zisli
(Steuer) zalt Statjb-Tobler 2, 536; 'stolz' in dem pflanzen-
namen guter Heinrich chenopodium bonus Henricus: des
unflätigen geruchs halben nennen sie das kreutlin den
guten und stoltzen Heinrich Bock kräuterb. (1595) 265^*;
'ehrlich' in der alten formel gut machen: landgraf Albrecht
. . . liesz . . . seinen bastardt Ludwigen Apetz . . . vom
keyser eheliehen und gut machen Binhardus thür. chron.
(1613) 206; die landsknecht machten in (den vom galgen
gefallenen) einhellig wider gut Kirchhoe wendunm. 110
Ost.; ähnlich: sollt er ein jähr und tag aller landtsknecht
versamblung meiden . . . gleichwol alsdann neben gnug-
samer schriftlicher kundschaft seines Verhaltens . . . für
gut wieder angenommen sein Kirchhof milit. disc.
(1602) 265.
2) in schlichtem sinne 'wertvoll' von personen; seit dem
jüngeren mhd. namentlich zu gut sein 'zu wertvoll, zu
schade sein':
des red nit mer, ich will ze gut
dir zu schumpfleren sein
liederb. d. Eätzlerin 249 H.;
mein jüngstes söhnlein ... ist dir nicht zu gut gewesen
und du hast ihn auch umbringen lassen Tieck sehr, i, 184 ;
als trophäe in ihrer band zurückzubleiben, dazu . . . bin
ich zu gut FÜRST Pückler briefw. u. tageb. 1, 455; Mac
Mahon, der viel zu gut für die Franzosen ... sei Fontane
ges. w. I 6, 24; seit dem älteren nhd. giit genug mit dativ
des interesses: dise Buchdorf er . . . hieszen k. maiestat ain
öpfelking . . ., wasz inen nyemauds gut genüg, auch ir
aygner herr abt . . . wasz in zu schlecht Knebel chron.
V. Kaisheim 360 lit. ver.; weyl ir kein handwercksgesell
gut genüg war Schumann nachtbüchl. 234 B.; gleich gut
sein im sinne 'gleichvid wert sein': wenn wi dood sünd,
sünd wi all lieker god Mensinq 2, 426; oft in verbalver-
bindung 'für wert halten, schätzen', vgl. mhd.
dö man mich vür guot erkande
Moriz V. Craün 438 Sehr.;
oder acht man mich nicht so gut,
dasz man mirs nicht wol günnen thiU
K. Scheit Grob. 723 ndr.;
werd ich von dir gut geschäzt,
nun so ist mein wünsch geschehen
J. Grob dicht, versuchg. (1678) 12;
selten in der konstruklion wie la aoa (vgl. sp. 1228):
des ist si guot ze lobenne (lobes würdig)
Meinloh v. Sevelingen in: minnesangs früM. 12, 35;
absolut: mitbürger dieser erde, jeder in seiner art voll-
kommen und gut S. Geszner sehr. (1777) 1, 108.
3) häufig in blasserer anwendung als lobendes bei wort
'vortrefflich, brav, wacker', vgl. ags. fela godra monna ehr.
871 bei Bosw.-ToLLER 482^:
... he (Johannes) was thftr managumu llof
gödaro gumono Heliand 2704;
so vil guter lüte
an tichtenne gewesen ist
daz sie ez an mich habent gevrist
Albrecht v. Halberstadt 56 Bartsch;
wolt man in solher spise wenen
daz er (der Löwe) guote liute gscze
WOLFRAM Parzival 572, 9;
joch schät ez guoten liuten, waere ich tot
die nach fröiden rungen Walther 114, 34;
(Jupiters gewalt) auch über alle menschen gut
auf erden sich erstrecken thut
Spreng Ilias l. ges., 7»;
viele gute musikalische leute haben geglaubt, die men-
schen könnten diesen gesang von den vögeln abgelernt
haben Herder 5, 57 8.; die schriftsteiler selbst, gute
wackere männer aus dem bürgerlichen stände Göthe 40,
176 W.; (er) ist also verschollen \de viele gute männer
Hans Grimm volk ohne räum l, 9 ; vergleichbar die redens-
art: (jem. oder gott) einen guten mann sein lassen, im
eigentlichen sinne 'wertschätzen' bei Frisius 9583' ver-
zeichnet, dann redensartlich so viel wie 'es dabei bewenden
lassen, ihn trefflich zu nennen' , d. h. 'sich um ihn nicht
weiter kümmern' : last unsern herr gott ein guten mann
seyn J. Gruter flor. eth.-pol. 3 (1612) 62; nun war er
wieder guter dinge . . . und liesz gott einen guten mann
sein BR. Grimm kinder- u. hausm. (1895)252; nun wolan.
1269
GUT, adj., II B 4 - III A
GUT, adj., III A i
1270
du bist auch ein gut kerl Schottel friedenssieg 5 ndr.;
oft ironisch: a guater bruader ein netter geselle Jakob
Wien. T?''.
4) 'ehrenvoll, ehrlich^ bei abstrakten, die die Spiegelung
der qualität eines menschen in den äugen seiner umweit
bezeichnen, vgl. lat. bona iama; guten liumunt geben
famare Diefenbach 224 *>: unte von den tugedon quam
guot luimunt Willibam 42, 6 Seem.;
daz ist gut liumunt
Vorauer Moses bei Diemer dtsche ged. d. 11. u. 12. jhs. 83, 21;
swie gar guot unde hei
äne alles tadeis mäs
des erweiten liunt was
Ottokar v. Steiermark reimchron. 23523 Seem.;
ir lieber puele mit falschem lügen sie irer eren und guten
leymet genomen (hat) Abigo decam. 152 K.; mhd. ge-
läufig guot wort hän, bejagen vgl. mhd. wb. Z, 808: sinen
guoten liumunt und sin guot wort Verliesen altdtsche bl.
1, 137;
das bringt dir gar ein gut glimpf
K. Scheit Grob. 1133 ndr.;
auch musz er ein gutt gerücht haben bey den ungleubigen
Luther lO, 2, 113 W.;
(dasz er) sich selber ein gutes gerücht bei den menschen
erwürbe J. H. Vosz OdBssee 37 Bern.;
gieb, dasz ich . . . des nachbars guten ruf durch kein
übles urtheil richte Schmolokb s. trost.- u. geistr. sehr.
(1744) 1, 4; guter ruf ist goldnen gürtel werth Göthe 45,
52 W.; davon wir deutschen . . . nit ein gut geschrey
haben in frembden landen Luther 6, 467 W.; seinen
christlichen guten geruch lauter und rein . . . erhalten
Lessxng 18, 350 L.-M.; eine pflanzstätte klösterlicher
zucht von gutem klang in deutschen landen Scheffel
ges. w, 1, 163; besonders guter name: wir müssen dennoch
einen guten namen und ehre haben Luther 6, 221 W.;
{ich will) meinen guten namen . . . bestermahszen ver-
thädigen J. RisT/nedcto. Teutschl. (1648) 28; noch immer
wird bei uns . . . guter name für ehre, rühm und ansehn
genommen Fe. L. Jahn w. 1, 337; ich lies drucken, weil
man mir schmeichelte, dasz ich leuten gefallen könnte,
deren beyfall einen guten namen verschafte Lessino 8, 6
L.-M.; ebenso sich einen guten namen machen 'sich be-
kannt milchen'; mehr in steigernder Verwendung gutes lob,
vgl. gut lob geben famare Diefenbach 224^, ein gut lob
haben bono nomine esse Fbisius 159 »:
man hat mich offt geprisen;
solt mein gut lob hie untergan,
het ich noch tausent leibe
sie müsten all daran Sigenot 9 Schade;
hierzu:
wärt ihr kinder guter ehren,
scheutet ihr so nicht
Stieler geh. Venus 56 ndr.
III. gut bezeichnet seit alters die eigenschaft, die ein
ding subjektiv für eine empfindende person hat und die
durch einen psychologischen akt des Wohlgefallens, der
freude usw. bestimmt wird, also 'angenehm, bequem, vor-
teilhaft, erfreulich, schön" ; in mhd. spräche entsprechen
namentlich süeze und liep.
A. in persönlicher konstruktion attributiv und prädikativ;
verhältnismäszig selten bleibt der ältere gebrauch, die be-
ziehungsrichtung dessen, was angenehm ist, durch einen
abhängigen infinitiv anzugeben; hierin liegt noch eine
brücke zu gut I A 1 zutage:
[oben was ein rubin
darinne beworht als ein huot;
des schln was ze sehen guot
und gap dem herzen wünne
WiRNT y. Grayknberq Wigalois 7085;
unz ich kunt gemache
ander hande sache
die ouch guot sint ze hören
Ottokar v. Steiermark reimchron. 22760 Seem.;
{diese geschichte) nicht minder gut ze hörn {ist) als die
gesagt gewesen ist Arioo decam. 47 K.; do sint ouch stere
gar groz und vet und gut czu essin Marco Polo 8, 21
v. Tsch.; dorumb daz weip sach das holtz daz es was
gut zu essen erste dtsche bibel 3, 52 lit. ver., vgl. 1. Mos.
3, 6; der pfau . . . {ist) gut zu essen Sebiz /eZdfta« (1579) 114.
1) 'angenehm" in hinsieht auf die empfindungen der
Sinnesorgane.
a) vom geschmack, vgl. göda mi9d Qrimnismdl 13, 6
Neckel, 'wohlschmeckend^ von speisen und getrunken:
diu wisheit in des herzen gründe
smecket rehte als in dem munde
dem guom ein guotiu spise tuot
Lamprecht v. Beqessburq tocMer Syon 2798 Weinh.;
swer ez az, das er bevant
beidü übü und gut vil gar
BUDOLF V. Ems weltchr. 281 Ehr.;
der brunne was küele lüter unde guot
Nibelungen 979, 1 Bartseh;
ys möchte eyn hunth wol schmeckyn, das dy fladyn gut
wern piov. Fridanci 54; sich enthalten von guten bissen
Luther 23, 590 W.; isz, mein son, honig, denn er ist gut
spr. Sal. 24, 13; wir können uns zwar die guten franzö-
sischen brühen gefallen lassen Nicolai Seb. Nothanker
1, 57 ; die vorsichtigen freundinnen {hätten) . . . gute
bissen herübergesendet Göthe 24, 362 W.; wie schmeckt
er dem hauptmann? recht gut, euer majestät, er ist so
gut als schön Aybenhoff w. 1, 27; {der) äärbsfisel {wird)
nummen {nur) in em äärigen {irdenen) hafen rächt gued
Fbiedli Bärnd.2, 458; gern gueti mümpfeli hän 'ein fein-
schmecker sein' Staub-Tobler 2, 539; {eine speise) ist kalt
guet schmeckt auch kalt Fischer achwäb. 3, 950; termino-
logisch bei obstnamen: gute bir eine bestimmte birnensorte
ebda; gute christbirne, in einigen gegenden die zucke-
ratenbirne Dietrich lex. d. gärtnerei 7, 687 ; au^h die be-
friedigende menge einbegreifend: tugenden, von deren
Schönheit . . . sich nach einer guten mahlzeit am be-
redtesten sprechen lässt Wieland Agathon 2, I5l; mit
einem guten frühstück H. v. Kleist l, 347 Schm.
h) vom geruch, 'wohlriechend', vgl. ein guter ruch
redolentia Diefenbach 489»: also die tuiren salben die
quekke des guotes stankes Williram 70, 8 Seem.; ein
gut gerücht ist besser denn gute salbe pred. Sal. 7, 2;
der gut geruch lang drinnen bleibt,
so mans nur wol In d kleider reibt
K. Scheit Grob. 1630 ndr.;
ist er {der mensch) vaiszt, so Ist im teur
gilter attem liederb. d. Hätzlerin 151;
vier höhe boume habeten in
guoten smac unde schaten
Konrad Fleck Flore u. Blanschefiur 191 Sommer;
und wird stanck für gut geruch sein Jes. 3, 24; {ein)
garten voll guter gerüche Rückert w. li, 513: redens-
artlich sich in guten geruch bringen 'sich angenehm, be-
liebt machen'.
c) vom gehörseindrvck, 'wohlklingend', wobei auszer
dem rein sinnlichen Wohlklang oft das ästhetische empfinden
hineinspielt: lobont in mit zymbon wola skellenten unde
guoten chlanch habenten Notker ps. 150, 5;
ir (der naclitigallen) stimme ist lüter unde guot,
sie gebeut der weit höhen muot
GOTFKID Tristan 4757;
wil du guote stimme gewinnen, so nim senef dtsch. arznei-
bücher 27 Pf.;
dasz mirs an guter stimme fehlt
Bamxeb fabellese 1, 47;
etwas anders:
das Schwert von gutem klang
Uhland ged. 1, 148;
dö sprach der videlaere 'swenn ir die selten min
verirret guoter doene . .".' Nibelungen 2270, 2 Bartsch;
ich singe iu ze allen zlten also guotez sanc
Kudrun 377, 2 Martin;
last giite saitenspil erschallen
Schede-Melissus ps. 117 ndr.;
alte kirchen haben gute geleut Lehman fior. pol. l, 14;
vom harmonischen zusammenklang: gut lut, susz gedon
euphonia Diefenbach 213"'; ein guter ton, der wol
zesamen stimpt oder lautet canor Frisius 181^; nicht
80*
1271
GUT, adj., III A 2
GUT, adj , III A 3
1272
guote weter linde
heten si ül al der vart
Mai u. Beaflor 107, 36:
... in einen guten ton gestellt imtnodulalua Cai^epinus ;
XI ling. 682''; ein gleiche harmonia gibt ein gute
music nicht wann der discant zu hoch ist Lehman flor.
pol. 1, 39.
d) vom geaichtseindruck und dem dadurch vermittelten
Wohlgefallen:
BUS gleiz ez allez vaste:
die steine gegen dem golde nlder,
und daz golt gegen in wider.
daz was guot ougenweide;
in allem slnem leide
die gezierde er gerne sach
WiENT V. Gkavenbeeg Wigolois 7281;
(die Stirn) breit, glat und klar, von färben gut,
getemperiert wie milch und blüt
K. Scheit Grob. 2139 ndr.;
ein gute färb color bonus Frisitjs 158'^; gut gestalt eugenia
DiEFENBACH 219''; David war guter gestalt 1. Sam. 16, 12;
die gestalt ist oft gut, der köpf ein narr Lehman fior. pol.
1,37; guter wuchs Lichtenberg aphor. 2, I3l Leitzm.;
gutes aussehen von dingen 'gefälliges aussehen''; etwas
anders bei verhältnisformen, wo I A hineinklingt: und was ,
ein jung man under driszig jaren von guder lengde j
Limb, chron. 55 Wysz; \
ein gut proportz von glidern haben
K. Scheit Orob. 1593 ndr.;
ähnlich auch modern, z. b. fensterreihen und wandflächen
stehen im guten Verhältnis.
2) auf das körperliche Wohlbefinden im ganzen gehend,
'angenehm, behaglich'.
a) bei konkreten:
vil guote hereberge gap man den edelen gesten sint
Nibelungen 1297, 4 Bartsch;
euch enwlrt diu Wirtschaft (bewirtung) nimmer guot
äne willigen muot Haetmann Iwein 2693;
(die königin) ein bette hiez bereiten,
da für ein teppech breiten
bl einem guotem flure
WOLFEAM Parzival 578, 7;
bej'^ einem guten feuer sitzen nomencl. lat. germ. (1634) 386;
ein gutes quartier Haktmann volksschausp. 9 ; du hättest
ein gutes haus, . . . ein gutes bett Göthe 45, 22 W.; bild-
lich: ( Ulenspiegel) und der wirt vertrügen sich der schalk-
heit, so das er hinfurt uf ein gut bet kam Ulenspiegel
118 Läpp.; 'gesund': alda ist guter gemesser luft S.
Fkanck iveltbuch (1534) 204^; 'wohltuend, erfrischend':
(die heiligen) trostent sie {die seelen im fegefeuer) mit
guteme lüfte Lucidarius 61 Heidlauf;
(der Tcönig) ... oft gieng spacieren weit
... zu schöpfen guten luft und wind
Hans Sachs 8, 559 K.;
die gute frische morgenluft ist hereingekommen v. Ebner-
Eschenbach ges. sehr. 4, 197 ; terminologisch gutes wetter
'angenehmes, schönes weiter' , vgl.
die einen reisgesellen herebergen bat
der Wirt vil minnecllchen unt schuof in guot gemach
Nibelungen 1164, 3 Bartich;
und gaffet auf des anderen gut gemach Luther 30, 2,
573 W.; er sie (die schißbrüchigen) mit guter Wartung und
ruhung labet und tröstet Arigo decam. 108 K.;
... die ^lle sult ir gän
in iuwer herberge und sult vil guote ruowe h&n
Nibelungen 1450, 4 Bartsch;
und er sähe die rüge, das sie gut ist 1. Mose 49, lö; in
guter still und ruh Micyllus Tacitus (1535) bi^:, wovon
ich guten genusz wünsche Göthe IV 21, 17 W.; das
Wetter war unsern Seefahrern so günstig, dasz A. gute
musze hatte Wieland Agathon i, 35; glück also und
gutes behagen! GröTHE IV 41, 114 W.;
. . . ir leben daz wart guot Kudrun 467, 2 M.;
ach, frau, sagt, habt ir nicht gut leben?
Hans Sachs 17, 3 K.-Q.;
der hunger . . ., der nach essen und trinken und einem
guten leben verlangt W. Raabe hungerpastor 260 ; ge-
steigert zum sinne 'üppiges leben':
gut leben und gesund tag
steen nimmer in einem hag
sprichw. (1548) 1508;
gut wetter ist eine gute gab gottes Luther 26, 234 W.;
ein wandersmann . . . musz gutes und klares wetter
haben Chr. Weise pol. redner (1677) 150; wenn er spazie-
ren gehen will, so ist es niemals gut wetter J. E. Schlegel
w. 5, 313; bildlich in redensarten: gut wetter machen be-
sänftigen Seiler Basler ma. 153, um gut wetter bitten
'um Versöhnung, entgegenkommen bitten'; ähnlich gute
Jahreszeit 'die periode des schönen wetter s' :
. . . den söhn, welcher schon über die
gute Jahreszeit verzeucht
Bamlee lyr. ged. (1772) 192;
während der guten Jahreszeit Mommsen räm. gesch. 2,
239; ist guter herbst unzweifelhaft Uhland 2, 150.
b) bei abstrakten vne pflege, bequemlichkeit, genusz,
behagen, leben zur Unterstreichung der subjektiven Wirkung
bei der empfangenden person:
(das) brahta imo selben guat gimah want er scono gisah
Otfeid III 20, 28;
dö er guot gemach gewan Haetmank Iwein 1783;
zu gute und reiche leben
das für einen Jüngling
E. M. Arndt s. w. i, 54.
c) spezieller für gesundheitliches Wohlbefinden: womit ich
gutes befinden wünsche Göthe IV 41, 65 W.; das zahn-
weh hat mich gestern abend nicht geplagt und heut früh
bin ich recht gut 5, 105, wozu gut zufrieden sein, sich
gut fühlen bei dem adv. zu vergleichen ist; mehr objektiv:
er ist wieder guet gesund Martin-Lienhart 1, 248.
3) in anwendung auf zeitbegriffe drückt gut oms, dasz
der genannte Zeitabschnitt für die ihn durchlebende person
'angenehm' verläuft; namentlich in gruszformeln verbreitet.
a) gute zeit, vgl. du hast gute zeyt bene tibi est Frisius
161*»:
thaz leben wir, so ih meinu, mit frewi joh mit heilu
simbolon gimuato joh eigun ziti guato
Otfeid ad Ludov. 81 ;
Erec und frou Bnite
häten guote zlte Haetmann Eree 8613;
hyerumb ist wol die freuntschaft deren, die sich zu guten
und glückhaftigen zeyten beweisen . . . dannocht nitt zu
verwerfen Hütten opera 1, 448 Böcking; die falschen
freunde, so zur guten lebenszeit sich bey uns häufig be-
finden lassen Prätorius winterflucht (1678) 3; als wünsch:
so zih hin von meint wegn ihr sag;
viel guter zeit, viel guter tagl
GiLHUSius grammatica (1597) 98;
ich wünsch ihr viel guter zeit Arnim w. 21, 1 ; feste forme!
ist die gute alte zeit, in der das leben in angenehmen
formen verlief: man möchte sich gern bequem, fröhlich
und auf die dauer einrichten wie in der guten alten zeit
Eichendobe s. w. 2, 387; mehr wertend: gewisz ein mann
der guten alten zeit JusTi Winckelmann 2, 1, 203.
b) gutes jähr, in älterer spräche für 'glückliches jähr',
doch mundartlich noch bewahrt und auch schriftsprachlich
als neujahrsgrusz ein recht gutes neues jähr! erhalten:
als vil Stern am himel stan
als manig gucz jar gee dich an
jastnachtssTpiele 1150 K.;
ein guet seligs jar, wasz schafstu hie? sprachbuch (1423)
in: Bayerns mundarten 2, 442; 'vom christtag bis Sylvester
wünscht man ein gutes jähr, an neu jähr selbst ein gutes
neues jähr' Fischer schwäb. 3, 946; auch für den neu-
jahrstag selbst: die gab, die du mir geschickt hast zu
ainem guten jar (v. j. 1510) bei Fischer a. a. o.; s gute
jähr bringts (das Weihnachten riicht erhaltene geschenk) ebda;
dann auch für das neujahrsgeschenk: wenn dir got ein gut
jor heim zu hus schickt Gehler v, Keisersbebg tiZg^erscÄ.
(1512) 84*=; ein schenke oder gaab, die man eim auf einen
feyrtag oder auf das neuw jar gibt, ein gut jar strena
Frisius 1246*'; das gute jahx geben neujahrsopfer sam-
1273
GUT, adj., III A 3
GUT, adj., III A 3
1274
mein (16. jh.) bei Fischer a. a. o., s. gutjahr an alphab.
stelle; vom neujahrsumnsch aus in redensarten entwickelt
jem. ein gutes jähr haben lassen im sinne 'jem. gutes,
angenehmes vmnschen\ meist aber ironisch 'jem. mit einem
u'unsche stehen lassen'', d. h. 'sich um jem. nicht mehr
kümmern': etliche sagen, es geschehe im(rfem papste) nit
zu gefallen und sie lieszen in wol ein güts jar haben Slei-
DANüs reden 82 Böhmer; darum wollen wir sie ein guts
jar lassen haben und es mit den Juden halten Fischaet
binenkorb 171 =*; ähnlich ein gut jähr haben 'den abschied
nehmen' : wollen wir des sathan? so habe dir ein gut jar
mit deiner und meiner geschicklickeit Luthee 30, 2, 618
W.; als Verwünschung : ey, das dich ein gut jar annkum!
was redestu da? reformationsflugschr. 1, 39 Giemen; ein
gut jar 'etwas geringfügiges, nichts' : weystu ouch, was
Christus sey? ja jha, eyn gut jhar wissestu, du werest
sunst nicht schwermütig Luther 34, 2, 70 W.
c) guter tag der tag, den man auf angenehme weise
verbringt:
mac ein man danne Mn
guoten tac und senfte zit,
der üf den l!p gevangcn llt?
Haetmann Iwein 1749;
namentlich in hinsieht auf essen und trinken in der redens-
art sich einen guten tag machen: unsere canzleyleute
werden sich für den reichlichen übcrschusz einen guten
feyertag machen Göthe IV 15, 165 W.; wenn sie irgend
angegriffen sind, faulenzen sie ja und thun sich einen
recht guten tag an L. Schücking in: A. v Droste-Hüls-
HOFF br. 345; he hett n goden dag lebt sorgenlos dahin
Mensino 2, 242; guter tag 'beim mililär . . . {der) tag des
arrests, wo man volle kost erhälV Fischer schwäb. 3, 950;
meist pluralisch gute tage ' Wohlleben': und dennoch das
beste essen und trinken, faule gutte tage haben Luther
10, 1, 1, 498 W^.; man hat aber nit so gute tag bey den
arbeytern als bey den gelerten Vooelgesano-Cochläus
gespräch v. d. trag. Joh. Russen 24 ndr.; es müssen starcke
beyn sein, die gute tag künnen ertragen sprichw.{l5i9.) 15»;
die meisten, welche sich zum mönchsstand bequemten,
hatten keine andre idee als sich gute tage ohne arbeit
zu machen Ranke s. w. l, 171 ; mehr auf die ökonomischen
Verhältnisse gehend, vgl. gude richtage mammona Diefen-
BACH 345c : sie hatten gute tage gesehen W. v. Polenz
Orabenhäger l, 3; noch anders im sinne 'vergnüglich':
Friz wird gute tage mit uns haben Göthe IV 3, 68 1^.;
nach I C hin 'glücklich verlaufen' : eynen gutten tag sal
man uf den obent loben prov. Fridaru:i 48; mehr 'inner-
lich befriedigend' : gestern hatt ich einen guten tag Göthe
IV 3, 54 W.; seit alter zeit als umnsch- und gruszformel:
got gebe ir lemer guoten tac
Walther 119, 17;
schoenen morgen, guoten tac
unt süeze zit müezet ir hän
Otte Eraclius 3498 Gr.;
des muoz Mr Walther singen
'guoten tac, bcEs unde guot' !
Wolfram Parzival 297, 25;
so solle der schultheisz anfahen zu reden und ihnen {den
richtern) einen guten tag wünschen Fronsperger kriegsb.
1, A 5I*; guten tag, meine liebe tochter! ich gebe dir einen
guten tag! ollapatrida 238 Wiener ndr.; bei uns heest et:
Juten dach un juten weech und damit hat et een ende
Brendicke Berl. wortsch. 131; guten tag sagen bei der
abwesenheit der bewohner einbrechen Ostwald rinnstein-
spr. 64; als herausforderung gebraucht:
Everart Neisgin, guden daicli!
er Everart Neisgin, wa sit ir?
GOTTFRiD Hagek Teimchr. 3882 (städtechron. 12, 132);
als morgengrusz bzw. für die zeit des Wunsches, die
morgenfrühe: zweien wächteren jedem 15 ß, dasz si von
s. Michels tag bis uf osteren den guten tag den bürgeren
. . . singent {v. j. 1595) bei Staub-Tobler 2, 539; et get
eweil gudon dag es wird hell rhein. wb. 2, 1512.
d) bei den verschiedenen tage^zeiten in der regel nur in
gruszformeln:
daz ich den liuten guoten morgen bot
Friede, v. Hausen in: minnesangs frühl. 46, 4;
nü gap im Erec
mit gruoze guoten morgen
Haethakn Eree 3506;
es sind wol viel, die • . . sprechen 'gutten morgen' zu
dem nehisten, dencken aber ym hertzen 'der teufel holl
dich' ! Luther 12, 355 PJ''. ; einen schlimmen guten morgen
geben v. Cronegk sehr. 1, 25; ihr guter morgen war mir
sehr werth, war er nur nicht ein zeichen einer Übeln
nacht gewesen Göthe IV 4, 41 W.;
si hiez in guoten äbent hän
Tristan als mönch 2281;
der wolf ihr guten abendt bot
Eeasmus Albkeus fabeln 82 ndr.;
ey, guten abend, lieber Valcour Schiller 14, 131 G.;
der Wirt bot im gnote naht
WOLFEAM Parzival 242, 22;
got gebe dir, frowe, guote naht
Walthbe 101, 21;
berre ir suit siäfen gän
guot naht wil ich von iu hän
Oarel v. d. blüh, tal 3012;
ade wolan, habt gute nacht
und euch den abendt fröiich macht!
HAYNKCCirs Hans Pfriem 84 ndr.;
ich musz ihnen noch . . . eine gute nacht sagen Gtöthe IV
3, 16 W.; präpositional :
sie füren hyn mit gutter nacht
ein yedes do an sein petstat
Pfarrer v. Kaienberg 1242 ndr.;
und hiermit zu tausend guter nacht Che. Weise grün,
jwfend 213 ndr.; im sinne 'zum abschied':
und ais sie (die sonne) es sah schir voilpracht
sprang sie noch ains zu guter nacht
Fischaet glückh. schiff 692 ndr.;
(diesen musz) zur guten nacht ich was zum besten geben
GÖTHE 14, 100 W.;
schlechthin als abschiedsgrusz: das sind die letzte wort
als des, der da wil hinweg scheiden und gute nacht oder
den Segen gibt Luther 45, 623 W.;
80 balt ich meinen streich voilbracht,
80 heist es dan: ade, gut nacht!
DlHNHAEDT griech. dramen 1, 76 lit. ver.;
daher gute nacht geben u. ä. mit dat. 'von etw. abschied
nehmen, sich lossagen':
wenn aber nun das liecht der sonnen höher steiget,
der lentz gibt gute nacht Kachel sat. ged. 37 ndr.;
willst du dich darum nur zum götterchor erheben
um aller menschlichkeit gar gute nacht zu geben?
Gottsched dtsche schaub. 1, 214;
attch als 'sterben':
wenn du diesem armen leben
endlich gute nacht must geben
Neumark fortgepfl. mus. poet. lustw. (1657) 1, 66;
doch Sappho kann, wenn sie gleich gute nacht gegeben,
verewiget in ihren schritten leben
B. Neukiech ged. (1744) 284;
absolut mit vokativ 'ade':
ihr Waffen, gute nacht! es musz gestorben sein ebda 32;
vne 'es ist vorbei mit etw.': gute nacht, religion, wenn die
untrüglichkeit des pabstes aufgehoben wird v. Einem
Mosheims vollst, kirchengesch. 8, 84 ; alsdenn gute nacht,
weiberfeindschaft! Lessinq 2, 11 L.-M.; auszerhalb der
formelhaften Verwendung seltener; von der liebesnacht:
er gedähte, des llhte niht geschach,
mit ir vil guote naht hän
Haetmann Erec 6354;
dieweyl sie von der guten nacht sagten, die Rinaldo mit
der schönen frawen begangen het Arigo decam. 65 K.;
wer ausz lieb ein frau nimbt, der nimbt immer gute
nacht aber böse tag Lehman flor. pol. l, 162; vereinzelter
'zu guter nachtrxihe' :
die herren riten sä zehant
von dem kunic ze guoter naht
Ottokae v. Steiermark reimchron. 1621 Seem.;
1275
GUT, adj., III A 4
GUT, adj., III A 5
1276
aufs geistige gehend 'unterhaltlich': hoffte heut auf einen
guten abend mit ihnen Göthe IV 3^ 72 W.;
e) gute stunde stunde, in der man sich wohlfühlt, vgl.
sy laszt im wenig guter stunden Feisitts 322b, allgemein
kein gute stund noch zeit ich hab
ich werck mir selbs das leben ab
K. Scheit Grob. 1562 ndr.;
ich sprach zur guten stunde,
da mirs noch wol ergieng
Paul Gerhardt bei Fischer-Tümpel 3, 349 ;
{das mädchen) wird dir manche gute stunde machen
können ollapatrida 43 Wien, ndr.; bezüglich des körper-
lichen beßndens, 'schmerzfrei^- sy {ist) in disen groszen
arbaiten ain gantzes jar . . . gewessen also das sy nie gütte
stund gewan Elsbeth Stagel schw. z. Tösz 115 Str.;
wenn Anna an sonnigen nachmittagen eine gute stunde
hatte G. Keller ges. w. 2, 69; auf seelische werte bezogen:
ich werde gewisz mich jederzeit . . . der guten stunden
erinnern, die ich das glück hatte, in ihrer gesellschaft
zuzubringen Göthe IV 29, 15 W.;
in allen guten stunden
erhöht von Heb und wein I 1, 117;
im südl. Deutschland redensartlich verbreitet: ein mensch
wie die gut stund commodus homo Fbisius 261 b; denn
es war ein mann wie die gut stund, der keinen krieg f ür-
nam, dann so er zur gegenwehr greifen müst Sbb.Franck
chron. Oerm. (1538) i6^; es ist die gute stunde selbst: ein
mann, den man um den finger wickeln könnte portraits
(1779) 221.
4) im allgemeinsten sinne für alles, was dem menschen
gefällt oder wilnschbar scheint:
da si ensament lägen
und guoter minne phl&gen
Hartmann Erec 8616;
so auch in älterer sprachstufe gut dünken 'gefallen' :
(die frauen) begunden Waten vrägen ob in daz diuhte guot,
swanne er bl schoenen vrouwen sitzen solte
oder obe er gerner in den herten stritcn vehten wolte?
Kudrun 343, 2 M.;
vil ding dem menschen lieben, gut duncken und gefallen
Akigo decam. 269 Z.;
insonderheit dunkt sie gar gut,
zu trinken sein das zarte blut
FiSCHART flöhhatz (1610) 5»;
'das buch ist gut heiszt es gefällt mir' studentenspr. in
Halle (1894) 52; modern verbreitet: einen guten eindruck
machen, haben ti.ä.; besonders bei ding, sache:
guoter dinge gnuoge hei waz man der da vantl
vrische kalte brunnen die vluzzen in dem tanne
Kudrun 1143, 2 M.;
an allen gnoten dingen hän ich wol gemeine,
wan da man teilet friundes 11p Walther 70, 33;
er sprach: gotes hulde
ist mir ein Überguide
vor allen guoten dingen
> Jansen Enikel weltchr. 3985 Strauch;
gute ding vergisset man bald
das böse kan man besser behalten
Lehman fior. pol. 3, 131 ;
und Rom als spinne sasz satt im netz der guten dinge
W. ScHÄEEE dreizehn bücher (1925) 211; in sprichwörtlichen
Wendungen: es gilt noch eines umb guter gesellen \villen:
aller guten ding sollen drey sein Luther 26, 550 W.;
aller guten dinge sind drei Herder 5, 103 S.; gut ding
wil weil haben Luthers sprichw. 23 Thiele; gut ding wil
haben zeit und weil Eyering prov. cop. l, 731, wo II A
stark hineinspielt;
sich treit der werlde sache
vil ofte z ungemache
und aber von ungemache
wider ze guoter sache Gotfeid Tristan 1866;
date han ihr guet sach grusz an feiernde Martin-Lien-
hart 1, 248 ; guete sach han behaglich leben Staub-Toelee
2, 537; der weisz nicht, was gut ist, der schlimmes nicht
erlebt hat Wander 2, 175; in bezug auf den ausgang einer
handlung 'vmnschenswerf :
swer sime rehte unreht tuot
da Wirt daz ende selten guot
Feeidank 106, 21 Gr.;
{das Unglück) sich doch ze gutem seligen ende gefüget
hat Arigo decajn. 5iK.; {es) nemmen die teufelsbe-
schwerer selten ein gut ende volksb. v. dr. Faust 9 Br.;
ähnlich auch im Sprichwort ende gut, alles gut : wenne das
ende gut ist, so ist is gar gut prov. Fridanci 53; ende
gut, alles gut Pistorius thes. paroem. 3, 342; besonders
von einem sanften und seligen lebensende im gegetisatz zum
bösen tod, dem gewaltsamen und unbuszfertigen ende:
und hab uns herre in diner hüt
und mache uns unser ende gut
H. V. BtJHEL Diodetian 9494 K.,
vgl. ähnlich adverbiell gewendet in:
ich bitt durch Christi blut
machs nur mit meinem ende gut
ÄMiLiE Juliane v. ScHWARZBURa-RuDOLSTADT bei Fischbe-
TtJMPEL 5, 564;
wer dem barfüszer orden widerig ist, der stirbt keins
guten todts Eberlin v. Günzburg s. sehr. 1, 158 ndr.;
wer ein junckfrau schendet, der stirbt keins guten tods
sprichw. (1548) 116^'; gute seite 'angenehme seile': jedes
übel hat eine gute seite vgl. Rother schles. sprichw. 254^.
5) spezieller auf den zustand des gemütslebens gehend,
geht der begriff gut vom angenehmen, behaglichen zum er-
freulichen, freudigen über, eine entwicklung, die bereits in
älterer spräche einsetzt, vgl. er {der äther) io in guotemo
ist immutabili laetitia renidebat Notkee bei Graef 4, 159;
tes tu nu trurig pist, tes soltöst tu in guotomo sin ebda;
s. auch got. wen goda {l^niöa uya&rjy) 2. Thess. 2, 16.
a) inhaltlich neutral ist in älterer zeit mut (herz) als
'gesinnung, sinn' , die kraft des adj. im sinne 'freudig,
getrost' kommt daher hier zu voller geltung; doch kennt auch
das lat. in bonus animus die gleiche Verwendung und kann
von einflusz gewesen sein, vgl. mit cuatu muatu {cum bono
animo) Benediktinerregel cap. 5 in: Steinmeyer kl. ahd.
sprachdenkm. 208, ein guter mut bonus animus Eeisius
158^, guds muds animequior Diefenbach 35^:
1& guoten muot den hassen muot von dir vertrlben:
minne got, so mäht du frö bcHben Walther 37, 28;
Sit bl guotem muote!
Ulrich v. Eschenbach Alex. 2593 T.;
guttir mut ist halbir leib {leben) prov. Fridanci 38; S. bot
ihm die hand, . . . hiesz ihn gutes muthes seyn Nicolai
Seb. Nothanher l, 138;
du trauerst, liebelt er,
sei guten muthes, freund I Göthe 2, 75 W.;
als abschiedsgrusz: gehab dich wol und pisz gütz mütes
Akigo decam. 192 K.; als adverbialer ausdruck 'lustig,
vergnügt', vgl. güts müts, frölich oder leychtsinnig Fei-
sius 158^ : der baur . . . gieng dahin guts muhts Kirchhof
wendunm. 2, 420 Ost.; sie aszen und tranken gutes mutes
J. P. Hebel w. 2, 85 Beh.; mit guttem mut ynn aller
Sicherheit zechen und wol leben Luther 30, 2, 100 W.;
runda, runda, das hier ist gut,
... es macht uns einen guten muth
Chr. Beuter Harleq. kindb.-schm. 85;
wir kommen in ainem monat wider, so wellen wir erst
ainen gütten mut haben {dann soll es erst lustig hergehen)
Fortunatus 60 ndr.; guter muth secundus nuptiarum dies
Scherz 582; im sinne 'ziiver sichtlich, tapfer, getrost':
doch hab ich mir fürgenommen heut
ich wöll einen guten mut haben
Hans Sachs 5, 47 K.;
so mögen sie bei einen fridtlichen gutten muth sein
(18. jh.) österr. weist. 11, 297;
gäbet ihr uns auf der erde
festen sinn und guten muth Göthe 2, 86 W.;
auch unter den anwachsenden Schwierigkeiten behielt er
guten muth Ranke s. w. 1, 117; so auch ein gutes herz:
sie sprach: 'ich bin unlustig und kan nichts essen', 'ey',
sprach ihre basz, 'es wirdt villeicht heind besser, hab
nur ein gutes hertz!' Schumann nachtbüchl. 219 B.; sie
hätten niemahls mehr Ursache gehabt, ein gut hertz zu
1277
GUT, adj., III A 5
GUT, adj., III A 6
1278
haben Lohenstein Arminius 2, loei'^; als 'vergnügt, fr oW
in gute laune, guter humor: mein vater, der guter laune
war, . . . hatte . . . zugesagt Stobm w. (1899) l, 152; heute
hat er die gute {laune) Fischer schwäb. 3, 951; ein
büchlein, das . . . uns in guten humor versetzt Göthe
IV 35, 141 W.; ihr mann war guter humor 3, 107; in
heutiger spräche besonders gute Stimmung sowohl für die
zuversichtliche wie für die vergnügte gemütsverfassung ;
mehr nach IV B hin: damit er ihn in gutem laun haben
und ihn zum gnädigen herrn behalten möge Gkimmels-
EAUSEN 2, 357 K.
b) bei abstrakten, die einen bestimmten, positiv bewerteten
geniütszustand angeben, so bei hoffnung, Zuversicht und
ähnlichen begriffen im sinne ^getrost, freudig, zuversicht-
lich': jah atgaf gajjlaiht aiwema jah wen goda in anstai
got. bibel 2. Thess. 2, 16;
und hetent des vil guoten wän
Tristan als manch 1482;
etwas anders 'in freudiger erwartung':
dei künic in guotem wäne dö vra3lichen saz
Nibelungen 659, 1 Bartsch;
60 dien ich dir uS guten won
liederb. d. Eätzlerin 280 H.;
diu groeste vröude, die wir hän,
deist guot gedinge und lieber wän
Fkeidank 134, 23 Gr.;
um guot geding und übei leben
•Wirt vil swacher lön gegeben
BONEK edelstein 22, 5;
habe guoten drost nihil igitur pertimescas Notkeb 1, 49P.;
euch hän ich guoten tröst daran
GOTFKID Tristan 13318;
(er) macht mich guter hoffnung so vol Luther 23, 31 W.;
ich (bi'/i) tröstlicher guter hoffnung Heyden Plinius (1565)
vorr. 4^^;
seid guter hoSnung unverzagt!
Haynecciüs Hans Pfriem 27 ndr.;
die fromme, guter hoffnung lebende Maria Göthe IV 34,
10 W.; mehr nach I C hin: erg sthet die sach in einer guten
hoffnung Luther 28, 669 W.; von hier an seh ich keine
gute hoffnung Göthe IV 4, 16 W.; zu I A 6 c neigend: so
ist gute hoffnung zu machen, ihr werdet bald gar catho-
lisch werden Griaimelshausen 2, 359 K.; feste formet
guter hoffnung sein 'ein freudiges ereignis erwarten,
schwanger sein': als sie zunächst wieder guter hoffnung
ward, brachte sie eine tochter zur weit Göthe 43, 18 W.;
gude zuversycht inducie Diefenbaoh 295'»'; ohn gute Zu-
versicht diffidenter Calepinus XI ling. 422'>'; mehr in ver-
stärkender funktion:
theist thaz minaz heila muat joli ouh min frewida so guat
in imo sint mir follo tlüa mina frewida allot
Otfrid II 13, 15;
und wie sl beidiu wolten
. . . guoter vröude walten
Hartmann Iwein 6530;
mit guoten Ireuden er az
WOLFEAM Parzival 581, 26;
(er) freuete sich drüber mit der guten freude eines Werk-
meisters Herder 6, ii S.
c) guter dinge sein 'fröhlich sein\ nicht vor dem 15, jh.
zu belegen, vgl. Hollander zs. f. dtsche wortforsch. 7, 307 ;
die dort 805/7. verstichte erklärung, die rcdensart aus gut
gedinge (s. b) 'frohe hoffnung' herzuleiten, ist ansprechend,
enthält aber iwch die Schwierigkeit, dasz ein mhd. guoter
gedinge sin im sinne 'lustig sein' nicht nachgewiesen wird;
brücken für diese bedeutungsentwicklung wären, etwa
stellen wie:
mich bat liep gedinge
in den vröuden her behalten
minnesinger 1, 360» v. d. Hagen;
mir male min guot gedinge noch die sorge wol vertriben
1,295";
eine art mittelstellung zeigen noch: sie solten guter dinge
und nicht zaghaft sein Schütz hist. rer. pruss. (1592) l,
e 4^ ; einen heiszen, mutig, f rölich und guter dingen seyn
FrISIUS 158'3;
gnedige frau, seyt guter ding!
Hans Sachs 2, 37 K.;
prägnant: frölich und guter dinge sein Luther 50, 511 W.;
oder da man drüber von hertzen leichtsinnig und gar
guter ding ist Mathesius Äarepto (1571) 231^; unterdessen
sind die gaste lustig und guter dinge Oleabius verm.
reisebeschr. (1696) 55; mittlerweile war Otto der schütz
guter dinge zu Cleve Grimm dtsche sagen 2, 187; verein-
zelter: das sie den (bösen) man guter ding machten Geiler
V. Keisersberg brösaml. (1517) 56^', wo gute dinge {s. V)
im sinne 'rechtschaffene dinge' hineinkreuzt; im 16. jh. auch
guter küchlein sein : nachdem ich erf aren, wie das ir guter
küchlin bei den gesten . . . gewesen (seid) schwanke d.
16. jhs. 392 Bobertag; über gut geschirr machen vgl. teil 4,
1, 2, sp. 3893.
6) auf die gegenstände bezogen, deren artung den gehobenen
gemütszustand herbeiführt.
a) im sinne 'erfreulich' ; so alt für evangelium, vgl. gut
virkundunge Diefenbach 2123', gut kundung nov.gl.lbl^:
that sea slioldin ahebbean
godspell that guoda
helagaro stemnun
Heliand 25;
kuot arende evangelium Notkeb 2, 107 P.; das evangelium
ist als vil als ein gute botschaft in tutscher sprachZwiNGLi
dtsche sehr. 1, 33;
ich bring euch gute neue mehr
Luther bei Fischke-Tümpel S, 23 ;
ebenso von nuchrichten aller art:
waz maere hästü vernomen?
guotiu msere! sage doch wie?
Hartmann Iwein 2207;
6 der morig abend kome, ir gute mere haben sölt Arigo
decam. 210 K.; es ist uns ein änickel geboren ... du ver-
kündest uns gütte bottschaft Boltz Terenz (1539) 128*;
du wirst, das wil ich hoffen
mir bringen gut bescheid
Reinicke fuchs (1650) 368;
einem gute post bringen Kbaueb teutsch-ital. 2, 224 C; ich
bringe gute zeitung mit Bamleb ei7Ü. (1758) 1, 300; wer
will gute Wahrsagung? maleb Mülleb w. 1, 117; gute
nachricht kommt stets gelegen Wandeb 3, 840 ; von da
aus übertragen auf den boten, vgl. guter bott, der gute bott-
schaft bringt evangelus Maaleb 1991»;
ich bin ein engl von gott gesandt
meins ampts ein gutter bott genannt
JOH. V. ScHWARZENBEEG bücM. V. Zutrinken 41 ndr.;
doch auch in allgemeiner anwendung 'vergnüglich, lustig':
wenn wir auch dahin (zum teufd) kommen, so haben wir
doch gute geselschaft Ambach v. tanlzen (1543) a 4'"'; bey
guter gesellschaft ist gut sitzen Petbi d. Teutsch. weish. 2,
L l'i; B. (zeigte) ... in seinen besten jähren in guter ge-
sellschaft einen sehr erfreulichen humor Göthe II 2,
192 W.; gute Unterhaltung sei halber weg O. Ludwig ges.
sehr. 2, 11; wir sind schon eine weile in Zürch und haben
ein gutes leben mit Lavatern Göthe IV 4, 151 W.; ver-
gleichbar gut lewens machen spielen Mabtin-Lienhart 1,
248, mer wend guot leaban thuan wir wollen etwas spielen
ScHMiD schwäb. 246 wohl im sinne 'sich vergnügen' ; mit
I C sich mischend 'erfreulich' : es ist mein unglück, dasz
ich . . , alles von der guten seite ansehe Göthe IV l, 201 W.;
ich . . . freue mich des guten eindrucks IV 41, 129.
b) im sinne 'lieblich, schön' , namentlich von dingen ästhe-
tischer Wirkung; ähnlich schon in alter spräche:
. . . thär ward so wunsam spräka
so göd Word undar gumun Heliand 3133;
Sit daz gedenken dar von hinne {an die himmlische
so süeze ist und so rehte guot, Iherriichkeit)
daz sich der geist entwindet
Lamprecht v. Beöensburg tochter Syon 2130 Weinh.;
guoter rede (feiner worte) kimnet ir vil
d. heidin 959 Pf.;
besoThders von künstlerischen werken:
dur si man singet unde seit
so guot getiht und suez gedoene
Hadlaub in: minnesinger 2, 281* v. d. Hagen;
unt wisse er, wa
guot sank noch weere
er würbe vil endelich darna
2, 280»;
1279
GUT, adj., III A 6
GUT, adj.. III A 7
1280
dar umb wel Ich springen
und ein gut litgen (liedchen) singen
Älsfelder passionsspiel 56 Grein;
nichts schiclit, dünclit mich, nicht sich basz
als gut trancli und gute lieder
Königsb. dichterkreis 23 ndr.;
gut ghemelte anaglifa Diefenbäch nov. gloss. 22^;
dar an si wol geschriben vant
mit guoter schritt wis unde wort
U. V. Lichtenstein frauendienst 321, 24 L.;
heute ist gute handschrift mehr die leserliche als die eigent-
lich schöne handschrift und nähert sich damit I A 3 ; feste
Verbindung guter geschmack 'der dem ästhetischen fein-
gefühl entsprechende geschmack': derjenige gesclimack ist
gut, der mit den regeln übereinkömmt, die von der Ver-
nunft . . . albereit fest gesetzet worden Gottsched ver-
such (1751) 125, wo noch I A 4 durchschmeckt; der gute
geschmack in den künsten Ramler einl. (1758) l, 7; ver-
stand ist die seele, genie der körper, und die erscheinung
beider in einander heiszt: guter geschmack Herder 5,
60S 8.; doch kann ich mich nicht enthalten, den guten
geschmack zu predigen Göthe IV l, 181 W.; mehr von der
schönen erscheinungsform: (ein) saal, im guten geschmack
decorirt 1 17, 3 ; eine recht artige gratulation . . ., die einen
guten ton hat und überhaupt wohl gerathen ist IV 8, 9.
c) gute künste 'die schönen künste' übersetzt lat. artes
bonae, deren bereich durch die mittelalterlichen artes libe-
rales bestimmt wird: der zirckel aller guten künsten en-
cyclopaedia Calepinus XI ling. 480*' ; ein liebhaber der
guten künst philologus GoLitrs onom. (1585) 169; demnach
wir vil herrlicher exempel haben, wie so ein schön, lustig,
herrlich und auch zierlich ding sey umb ein menschen,
der in guten künsten erfaren ist Montanus schwankb. 3
lit. ver.;
all gute künst sind gottes goben,
glchrte zum reich gotts soll man loben
FiscHAKT s. dicht. 2, 379 Kurz;
dahero . . . die tugend und guten künste in aufnehmen
gesetzt wurden Lohenstein Arminius l, 115*'; in freierer
anwendung:
heil ihm, der aus lorbeerwäldern
aus des Ölbaums stillem hain
heimkehrt — allen guten künsten
bringt er weizen, öl und weinl
Brentano ges. sehr. 2, 84 ;
(es) wurden einige mondscheine aufs papier gebracht,
dann sonst allerlei gute kunst getrieben Göthe 32, 40 W.
d) im sinne 'ergötzlich, erheiternd, unterhaltsam':
ich sünge gern hübeschen sang
und seit euch guotiu msere
minnesinger 2, 355 » v. d. Hagen;
ßo waren in irem mund vil hoflicher schimpfrede guter
schwencken Niclas von Wyle transl. 23 K.; voll
schimpfreden und guter schwäncken facetosus, jocosus
homo Maaler 2008'; gute schwenck facetiae Zehner
nomencl. (1645) 8;
verzeuch ein weil und hab gedult,
es ist des guten gschwätz hie schuldt;
doch will ich komen jetz behend
sobald ich hab gehört das end
K. Scheit Grob. 2210 ndr.;
ähnlich in neuerer spräche guter witz, gute anekdote: ein
guter witz musz den schein des unabsichtlichen haben
v. Ebner-Eschenbach ges. sehr, l, 43 ; vielfach ironisch
gute geschichte 'unerfreuliche angelegenheif: das wird eine
gute geschichte werden, seufzte ich innerlich v. Gafdy
s. 10. 2, 113; ähnlich auch gute possen, zunächst im sinne
'lustig\ oft auch ironisch:
das macht uns guter bossen vil
und treibt visierlich aflenspil
K. SCHBIT Grob. 2561 ndr.;
wil sunst ein guten possen machen
H. B. Manuel weinspiel 74 ndr.;
ebenso gute streiche 'schlimme streiche': wan sy [die
pharisäer) erlagen in kunst, so wendeten sy sich zu
Schmachworten, ufrür und guten streichen Judas Na-
ZAREi V. alten u. neuen gott 10 ndr.
7) einen besonderen bedeutungskreis gewinnt gut im sinne
'zufriedenstellend hinsichtlich der ökonomischen läge', ge-
radezu 'ertragbringend, vorteilhaft'; das attribut gut ist hier
zwar teilweise als objektive Wertangabe av.ffaszbar, doch
überwiegt in den meisten fällen das subjektive moment der
. Wertschätzung.
a) bei Zeitbestimmungen: guotiu jar unde ubeliu feraces
annos et steriles Notker 1, 56 Piper; da waren gude jar,
da kaufte man uf dem Rine ein gut fuder wines umb
echte (acht) gülden Limb, chron. 78 Wysz;
ei was! es war ein gutes jähr, der bauer kann
schon wieder geben . . . Schihee 12, 70 0.;
s war heuer wieder a gudes jähr G. Hauptmann weber 54;
goode ia&re fruchtbare jähre Dähnert 157^; item in disen
jaren was gude zit von fruchten unde von wine Limb,
chron. 34 Wysz; gode tijd wolfeile zeit Dähnert 157^;
guter Sommer Fischer schwäb. 3, 941; etwas anders: er
. . . hatte auch allem ansehen nach keinen guten sommer
gehabt Grimmelshausen 2, 20 K.
b) bei begriffen, die den ertrag selbst bezeichnen: diu lant
diu guoten v/uocher bereut Notker ps. 88, 6; hundert -
faltigen guoten wuocher bringen dtsche pred. d. 13. jhs. 2,
52 Qrieshaber;
farit im ford mid thiu, antfähit is mieda,
guod lön at gode, nl sindun cniga geba beteran
Heliand 3484;
vgl.
mundo aldrcgi
Hdvamdl 123, 3 Neckel;
l>viat af illom manni
göds laun um geta
ziu scal iu Ion sin thanana guat?
OtfridII 19, 26;
Ich wil aber miete:
■Wirt min lön iht guot,
ich sage iu vil lihte daz iu sanfte tuot
Waither 56, 19;
Ich wil dir geben guten Ion
Hans Sachs 2, 4 K.;
neuere spräche empfindet aber guter lohn, gutes gehalt,
gute bezahlung u. ä. mehr als quantitative kennzeichnuruj ,
vgl. gut VI;
daz düht si ein guot gewin
wan si het got beraten
J. Enikel weltchron. 9208 Str.;
das er an jedem füder guten gewinne hat Straszb. wein-
zapfordn. 545 Brucker; guter und groszer gwün lucrum
bonum Frisiüs 159*; ich wil die sinnebilder (gemälde) umb
meinen Stammbaum mit gutem gewinn vergelten Bach-
mann janua lat. bipatens (1631) nr. 865; München macht
einen guten gewinn an dem professor Phillips Brentano
sehr. 9, 283 ; gute ernte : gute düngung verspricht gute ernte
Herder 23, 8 S., vgl. gute erndte buona raccolta Kramer
teutsch-ital. l, 578''; guter kauf vom kauf er aus 'wohlfeiler
kauf , vgl. ein guten kauf thün bene emere Frisius 472*;
woUfeul und sehr guets kaufs S. Kiechel reisen 244 lit.
ver.; es were ein güttir kauf Platter 94 Boos; [der rosz-
händler) vernomen het wie söliche grosze rosz zu Napolis
gar in gutem kauffe weren Arigo decam. 78 K.; die mütter
gibt so guten kauf als die tochter sprichw. (1548) 95t>; gut
kauf oder guten kauf es wohlfeil Müller-Weitz Aach. ma.
70; vom Verkäufer aus 'gewinnbringend' : andern gewerbe-
treibenden (wird) gutes geschäft (gewünscht) Fb. L. Jahn
w. 2, 921; Türken . . ., die eine gute handlung (handel) mit
Seide . . . betreiben Jung-Stilling w. 3, 32; wen dy kin-
der und toten czum markte komen, zo wirt her gut prov.
Fridanci 53 ; die spaten merckt werden gern gut sprichw.
(1548) 8^; nachdem die mesz gut gewesen, giengen sie . . .
in der stadt spazieren Kirchhop wendunm. 1, 182; 'ein-
träglich': das ich dir wil fünfhundert cronen geben und
dich dartzu an ain gutt ampt schaffen Fortuiiatus 21 ndr.;
diese gute pfründe Göthe 24, 21 W.; ebenso guter posten,
gute Stellung; du (soldat) bedörftest wohl wieder einen
guten krieg, damit du wieder ein wenig zurecht kämest
Grimmelshausen Simpl. i, 246 Kurz; ein alter jaghund
macht eine gute jagt Lehman floril. pol. l, 10; eyiah ich
hab ein fast gütten fund Boltz Terenz (1539) 77»; auch
modern einen guten fund machen; 'vorteilhaft': ich wnsztQ
1281
GUT, adj., III A 8. B
GUT, adj., III B 1-5
1282
für meine schülerinn eine sehr gute partey Gottsched
dtsche sckaub.(nil) 1,86; eine sogenannte gute parthie
Baüernfeld ges. sehr, l, 124.
c) zur bezeichnung der günstigen wirtschaftlichen Situa-
tion, in der sich die perso7i befindet: sie müssen bey guten
mittein seyn Chr. Reuter ehrl.frau 12 ndr.; der Schneider
befand sich jetzt in guten Verhältnissen v. Ebner-Eschen-
BACH ges. sehr. 3, 8; sie nahmen dadurch selbst an gutem
Wohlstände zu Nicolai Seb. Nothanker 1, 26; in guden
heften sein wohlhabend sein Bauer-Collitz ib^; sin sach
guet han wohlhabend sein Staub-Tobler 2, 540; 'vermög-
lich'': sie {war) ein töchtergen aus einem guten kaufmanns-
haus U. Bräker s. sehr, l, 244; gut machen: der todt und
ein braut machen die armen gut, den da gibt man all-
mosen in den kästen für die armen Petri d. Teutsch.
weish. 2, p 2^; anders 'verdienen' : sie hatten heuer e
hübsch biszchen gut gemacht Müller - Fraureüth
1, 452,
8) gut als 'angenehm, erfreulich^ verengert als 'ohne
Schwierigkeit, keine mühe machend' wendet sich in begrenz-
ter anwendung zum sinn 'bequem, leicht\
a) bei begriffen wie reise, fahrt, weg, vgl. bane, eyn gut
wech planities Diefenbach 7iov. gloss. 29i^: gud weck
umme had keyne krumme prov. Fridanci 40; im bilde: wer
ist der, so er vindet sein veind, daz er in lest an dem guten
weg erste dtsche bibel 5, 107; auf gutem wege sein 'bequem
vorwärtskommen, erfreulich fortschreiten'' : meine freude ...,
das geschäft auf so gutem wege zu sehen Göthe IV 41,
45 W.; 'sich in erfreulichem zustand befinden' , gesundheit-
lich: ich war auf recht gutem wege, habe mir aber donners-
tag . . . ein haisweh geholt 30, 84 ; seelisch-geistig : der her-
zog ist auf sehr guten wegen . . ., es klärt sich vieles in ihm
auf 6, 173; er . . . ist gewisz auf einem guten wege der
kunst 8, 46; es hat gute wege mit etw. seit dem 17. jh. im
sinne 'nicht viel mühe haben, es sich bequem machen mit
etwas\ 'zu spät sein\ wann der vogel ausz dem gebauer ist,
so hats mit der wache gute wege Chr. Weise grün, jugend
222 ndr.; von da aus zu verstehen als 'es hat keine eile\-
o herrl mit dem hats gute wegel
Pfeffkl poet. ters. 2, 45;
noch nicht, erwiderte der geleiter, damit hat es gute wege
Fr. L. Jahn w. l, 4C2; au^h das hat gute wege 'hat keine
eile', vgl. Brendicke Berl. wortsch. 132; schlieszlich 'es ist
unmöglich': fürs leben gern möchte er den löwen spielen
. . ., doch das hat gute wege! er bleibt dennoch nur ein
nachahmer Kretschmann s. w. 6, 49.
b) redensartlieh gutes spiel haben 'müheloses, leichtes spiel
haben': wem das glück wol wil, der hat gut spiel Petri
d. Teutsch. iveish. 2, A a a 2^ ; weil aber die liebe mensch-
heit niemals beysammen ist, so hat die natur gut spiel,
sich vor unsern äugen zu verstecken Göthe IV 13, 77 W.;
vereinzelt mit machen: diejenige {literaturzeitung) , die den
angreifenden theil spielt, {wird) . . . vor dem lieben deut-
schen publico unrecht behalten und der andern dadurch
gut spiel machen 17, 39.
c) halb terminologisch bei stoßen, die leicht zu verarbeiten
und arbeiten, die mühelos zu verrichten sind: guete side
leicht zu verarbeitende seide Staub-Tobler 2, 539; e guetes
wupp webearbeit, die leicht vonstatten geht ebda; ebenso von
rätseln und rechnungen 'leicht zu lösen' {in Zürich) ebda.
B. in unpersönlicher konstruktion mit abhängigem in-
finitiv (bzw. gerundium) tritt gut bereits in älterer spräche
mit den bedeutungen 'es ist angenehm, lieblich, vorteilhaft,
bequem, leicht' auf, doch zeigt erst das nhd. diese anwendung
voll entwickelt; der zunächst am satzanfang oder satzende
stehende ausdruck es ist gut, wie gut ist (es) rückt früh
direkt vor den infinitiv und kommt dem charakter des adv.
nahe, sobald die strenge Scheidewand zwischen gut adj. und
wol adv. fällt; mit flektierfetn inf. nach zu: wieo guot {'lieb-
lich') sament dir ze wesenne ist Notker ps. 83, 2;
ez ist ze vehtenne guot {'leicht')
da nieman den widerslac tuot
Hautmann v. Aue Iwein 2477;
IV. 1. 6.
auch mit personalem dativ:
den frowen ez guot ('bequem') ze sehene was
her nider von dem palas
Wolfkam Parzival 387, 19;
mit einfachem inf.: wieo guot ist sament puen {quam ju-
cundum habitare fratres in unum) Notker pjs. 132, l,
1) im ganzen selten bleibt voranstehendes es ist gut mit
abhängigem inf. nebst zu: es ist gut {'vorteilhaft'') riemen
ausz ander leuth heut zu schneiden sprichw. (1548) 37^';
es ist gut {'leicht') herr zu seyn, wenn einer das recht unter
bänden hat Petri d. Teutschen weish. 2, A a 7'*:
da ist es gut ('angenehm') zu seyn und hütten aufzubauen
LOGAU sinnged. 199 lü, ver.
2) häufiger ohne zu; mit anfangsstellung :
es wer gut ('leicht') schneclien mit dir jagen
Hans Sachs 1, 372;
es ist gut mit kindern spielen {statt mit den fortlaufenden
hunden) spriehw. (1548) 159*^; es ist gut {'vorteilhaft') den
schnit an fremdem duch lernen Eyebing prov. eop. 2, 536;
es ist gut {'leicht') geduldig seyn, wann es eim wohl geht
J. Gruter flor. eth.-pol. (1610) l, 33; mit schluszstellung :
gelt elnnemen sey allzeit gut ('vorteilhaft')
K. Scheit Orob. 2298 ndr.;
gelt zehlen ist gut aus ander leute beutel Friedrich
Wilhelms spriehwörterreg. (1577) 3 2»; unglück ahnen
ist nicht gut {'angenehm') Müllner dram. w. 1, 4.
3) gut steht vor dem inf. mit zu : wie ist hie so gar gut
{'lieblich') zu syn d. ew. wiszh. betbüchlin (1518) 29*; wir
nahen einer epoche bei der nicht gut {'angenehm') zu ver-
weilen ist Göthe 23, 61 W.; mit objektsdativ : dir ist gut
{'leicht') gx&m zu sein Luthers spriehw. 14 Thiele; de sik
loten Seggen, den is gut to raden Tunnicius sprichw.
nr. 364 Hoffm.
4) gut steht vor dem inf. ohne zu: es ist ynn eine frembde
haut gut {'vorteilhaft') schneiten Luther 30, 3, 210 W.; den
es firwar nicht gut('fortei/Äo/'t')scherczen ist mit solchen
klugen herren 19, 275; und ob es zwar gut {'angenehm')
in diesem saal wohnen war Grimmelshausen 2, 406
Keller; im winter ist nicht gut wandern Luther gl. zu
Matth. 24, 20 bei Dietz 2, 187*'; nach geschehener arbeit
ist gut feiern K. Scheit Orob. 47 {randglosse) ndr.;
mit groszen herren ist nit gut kirseu essen, sie schieszen
gern mit steinen zu und werfen die stil eim ann köpf
spriehw. (1548) 9»;
nachtigall, wohl Ist gut wohnen
in der linde grünen krönen
Brentano ges. sehr. 6, 98;
im dunkeln ist gut munkeln, vgl. Bauer-Collitz 24*';
mit personalem dativ: wer gern dantzt, dem ist gut {'leicht')
pfifen Geiler v. Keisersberq post. (1522) 2, 36»; den
gelarten ist gut predigen Ey bring prov.cop. 1, 395; aber
einem gelehrten ist gut predigen Tieck sehr. 6, 92.
5) das Objekt des Infinitivs tritt als subjekt des satzes auf,
eine erscheinung, der eine mischung mit dem gebrauch von
gut III A zugrunde liegt; meist mit zu:
er sprach: frou, die rede läz
under wegen beliben.
ich bin niht guot ze vertribenl
Ottokae V. Steieemaek reimchron. 18396 Seem.;
hie dicz gut ('leicM') zu mercken ist,
dasz hie sijhe der wäre Crist
Alsfelder passionsspiel 874 Qr.;
was ich dich lern ist gut ('vorteilhaft') zu thon
K. Scheit Orob. 409 ndr.;
alte hunde sind nicht gut bendig zu machen prov. Fridanci
41 ; er wiszte wol, wir weren gut zu verfüren von rechtem
wesen Eberlin v. Günzbutrq s. sehr. 1, 80 ndr.; in heutiger
spräche entsprechend, z. b. das ist gut zu machen kann
leicht gemacht werden; seltener ohne zu: es ist ein ding gut
{'mühelos') sehenden, aber bösz nachthün spriehw. (1548)
155*'; wenn ich einen schönen langen hals sehe, musz ich
gleich wider willen denken : der ist gut köpfen Göthe 8,
212 W.; frischi wunden sind guet heilen Martin -Lien-
HART 1, 248; dis ist guet machen ebda.
81
1283
GUT, adj., IV A i
GUT, adj., IV A i
1284
IV. gut bezeichnet die sinne^richtung einer person hin-
sichtlich ihres Verhaltens zu anderen personen und die akte
und ergebnisse solchen subjektiven gesinnungsausdruckes
nach verschiedenen seilen hin; als grundlage der einzel-
bedeutungen läszt sich die bedeutung 'geneigt, wohlmeinend,
freundlich' ansehen, die das als ausgangsbedeutung er-
schlieszbare Verhältnis des Verbundenseins, passens, taugens
(vgl. sp. 1228) auf das gebiet des psychischen überträgt; vgl.
gut, freundtlich amabilis, benignus, humanus Henisch
1785. diese offenbar bereits in gemeingerm. zeit ansetzende
bedeutung verrät noch in den fällen ihre beziehung zur teleo-
logischen verwendungsweise (gut I), wo die sinnesrichtung
auf einen bestimmten bereich eingeschränkt bleibt, vgl. wes
|)ü Ü8 lärena göd ( 'sei willig, geneigt zur lehre^ ) Beowulf 269 ;
war die gemain guet('OTZ%'),das gesetz gottes anzünemen
städtechron. 2Q, 27; ähnlich auch im sinne freigebig^ (A 1 a)
und 'gefällig' (A 1 by); vgl. auch ^güte 3 und gütig 1.
A. in bezug auf persönliche Subjekte alt bezeugt.
1) in aktiver beziehung; die gesinnung wird durch das
handeln der person sichtbar, 'geneigt, wohlmeinend, freund-
lich, gefällig, gütig, liebreich.
a) als vielleicht frühester ansatz dieser bedeutungsrichtung
erscheint eine Verwendung, die auf die gesinnung des unllig
gebenden, so des gefolgsherrn gegenüber seinen gefolgsleuten
und des gastgebers gegenüber seinen gasten abzielt, vgl. got.
gastigojjs rpÜM^evos i. Tim. Z, 2 u. Tit. 1,8 M?id gastigodei
rpiXo^Evict Rom. 12, 13; vgl. anord. matgödr Orimnismdl
proöm. 28 Neckel; und
fannka ek mildan mann eda svä matar gödan
Hdvamdl 39, 2 Nechel;
als 'freigebig' und darum zugleich 'von huldreicher, gütiger,
edler gesinnung' namentlich epitheton des herrschers in der
ältesten Überlieferung, vgl.
ond ic wcBS mid Eormanrlce Calle Jiräge,
\)dL'.i me Gotena cynlng göde dohte;
sc me beag forgüaf, burgwarena fruma,
on I)äm siexhund wass smates goldes
gescyred scöatta scilllngrime WidsiO 89 HoUh.;
cyning and cwen sceolon geofum göd wesan cod. Exon. 90*
nach BOSWORTH-TOLLER 482^';
wela glslhu Ih in dlnßm hnistim,
dat du habSs hime hferron göten,
dat du noh bi desemo riebe reccheo ni wurtl
Hildebrandslied 47.
im got. bietet sich eine stelle ähnlichen Charakters in Luk.
6, 35 'gnädig, gütig': wairf)i{) sunjus hauhistins, unte is
gods ist f)aim unfagram jah unseljam, während sonst sels,
bleij)s die bedeutung 'gnädig, barmherzig' mit mehr ethisch-
religiösem geholt vertreten {vgl. auch sp. 1285); in der as.
bibeldichtung klingt diese bedeutung noch nach:
. . . ik biun th!n egan scalc,
hold endi gihörig; thu bist mtn hfirro so guod,
mödmö so mildi ... as. genesis 169 Heyne;
. . . was is helpdno göd
mannun mildi . . . Heliand 2174 Heyne;
schon im mhd. tritt diese anwendung zugunsten von milte
ganz in den hintergrund, doch vgl. noch etwa:
hie het her Iwein
stne not überwunden
unde guoten wirt vunden
Haetmann V. AUB Iwein 3654;
wo in jüngerer spräche gut im sinne 'freigebig' angegeben
wird, vgl. Staub-Tobler 2, 535 u. 537, Fischer schwäb.
Z, 951, handelt es sich um sekundäre einengung von 2 aus.
b) allgemein 'freundlich gesinnt, liebreich, wohlmeinend,
gewogen, gütig' in prädikativem gebrauch, vgl. in kontra-
stierung:
Ich sprach: 'bist übel ode guot?'
er sprach: 'swer mir niene tuot,
der sol ouch mich ze vriunde hän'
Hartmann v. Aue Iwein 484;
a) alt mit dem dat. des objekts einem, einer sache gut
sein, vgl. anord. |)4 er J)d vart honum lllr Jjä, var bann {)er
gödr bei Clbasby 21 0^'.
aa) mit personalem objekt, 'jem. zugetan sein, freundlich
gesinnt sein; jem. gern haben, lieben'; von freundlicher ge-
sinnung im allgemeinen:
tbat man is nähist on niudüko skal
minniön an is möde, wesan is mägun hold,
gadulingun göd endi wesan is geba mildi
Heliand 1450 H., vgl. 3274;
wie seit ich den geminnen der mir übele tuot?
mir muoz der iemer lieber sin der mir ist guot
Walthkr 26, 11 ;
(er gebot) daz si dem fremeden kinde
guot unde genoedic wseren
GOTFKiD V. Steaszbueg Tristan 3387;
die schwiegern alle diese art haben, das sie ihren schnü-
ren nicht gut sein Barth weiberspiegel (1565) <s^;
den leuten bin ich von hertzen gut
Che. "Weise erznarren 3 ndr.;
die bauern, die ihm nicht gut sind Rabener s. tv. 6, 21;
ich bin ihm sehr gut, achte den tapfern mann Klinger
w. 1, 73; der geistliche herr sprach dabei freundlich mit
allen, sodasz ihm bald ein jeder gut wurde Eichendorf
8. w. 3, 92; schwächer, 'gewogen': den symbolikern konnte
ich bisher nicht gut seyn Göthe IV '11, 30 W.;
verflucht! der teufel ist mir gut
H. V. Kleist 1, 393 Schm.;
auch mxil. allgemein verbreitet, vgl. Fischer schwäb. 3, 951 ;
Müller - Fraübeuth i, 452; Doornkaat - Koolman l,
655 usw.; häufig eingeschränkter auf erotische Zuneigung
gehend, doch oft und besonders in heutiger Umgangssprache
auch von einem schwächeren grade der Zuneigung als er in
lieben ausgedrückt wird; im rahmen des minnedienstes 'ge-
neigt, hold':
ichn weiz, wes s! mir niht ist guot
Haetmann v. Aue 1. büchl. 98;
prägnanter erst im nhd.:
mein mädgen ist mir gut!
Che. Weise grün, jugend 27 ndr.;
denn ich bin dem artigen fräulein Amalie so gut Gott-
sched dtsche schaub. 1, 85;
warum bin ich dem hirtenmädchen
so gut und möchts auf meinen armen
in himmel tragen? Schubakt s. ged. (1825) 2, 36;
liebe Wilhelmiue, . . . ich bleibe dir herzlich gut in der
festen Überzeugung, dasz du auch mir noch herzlich gut
bist H. V. Kleist briefe an s. braut 81 Biederm.; o, mein
einziger Botho, wie schön das ist und wie gut ich dir bin
Fontane ges. w. I 5, 187; bistu mi good? 'liebest du mich?^
Dähnert 1583'; ich bin ihm so gut, dasz ich ihn fressen
möchte Rother schles. sprichw. 157"'.
ßß) mit sächlichem objekt, 'etw. gern haben, einer sache
ztigetan sein':
si ist so minneklich unt sajldebsere
zuht und eren ist si guot
Hadlaub in: minnesinger 2, 284* v. d. Hagen;
und deiner spräche, liebes glücke,
sind doch die mädgen gar zu gut
LiCHTWER Äsop. fabeln (1748) 10;
ich bin dem küssen gar zu gut
Th. Köknee w. 2, 134 Hempel;
wir sind der französischen Schreibart in mancher absieht
recht gut Gerstenberg Hamburg, n. zeitg. 41 lit.-denkm.;
dem gelde gut sein geizig sein Müller-Fraureuth l, 452;
anders 'günstig sein, befördern' :
Sit daz du (minne) also gewaltik bist,
80 wis minen vröuden guot
rninnesinger 1, 316» v. d. Hagen.
ß) weniger ausgebreitet in präpositionaler Verbindung mit
personalem objekt; gut gegen, mit, zu jem. sein, 'jem..
freundlich behandeln':
got selbi lerti unsich chuschi undi dimut,
gidult undi wesin widir ubUi gut
undi vrenüdiz leit irbarmin
summa theol. 256 Waag;
sein sie gut gegen arme Göthe 24, 91 W.; umgangssprach-
lich gern verwendet z. b. meine Stiefmutter ist immer gut
gegen mich gewesen;
1285
GUT, adj., IV A i
GUT, adj., IV A 1
1286
vergib, ■wenn Ich aus angeborner neigung
mit einem jeden gut und froh zu sein,
mich dir verdächtig machte Göthk 11, 288 W.;
er is gut mit mir 'gut gegen mich' Mülleb-Fkaueeuth
1, 452; in anderem sinne 'freundschaftlich mit jemand
stehen'': gut seyn mit jemand esser in buona Kramer
t.-ital. X, bTi^; sie sind nicht gut miteinander non sono
amici 1, 678 C; sie soll doch recht gut mit der gräfin sein
Lenz ges. sehr, l, 300 T.; sie sind guet mitenander sind
freunde Martin-Lienhart l, 249; die zwei sind nimmer
guet mit einander Fischer schwäb. Z, 951; modern mit zu:
sie gewann mit der zeit den mann auch in ruhiger und
einfacher weise lieb, denn er war gut zu ihr Paul Ernst
d. schmale weg z. glück (1926) 282.
y) im sinne freundlich, gütig, gefällig' in beschränkung
auf ein bestimmtes tun; oft mit nebengeordnetem satz, der
den inhalt des handelns näher bestimmt, namentlich in
formein des bitten^ verbreitet; vor dem 17. jh. nicht geläufig:
ist herr pfarrer so gut gewesen und hat uns . . . geben . . .,
was wir gebraucht {v. j. 1692) bei Fischer schwäb. 3, 951;
er ist noch so gut gewesen und hat mir . . . KLramer
t.-ital. 1, 579*; der herr wolle doch so gut seyn und . . .
ebda; seyd nun auch so gut und verschafft uns audienz
Gottsched dtsche schaub. l, 469; sey nur so gut und
schreib mit einigen werten deine billigung Göthe IV 21,
133 W.; sind se so jut un ricken se n bisken hin Bren-
DIOKE Berl. wortsch. 131''; au<:,h mit abhängigem infinitiv-
satz: ich möchte doch so gut sein, ihm seine mutze . . .
wieder zu geben Göthe 43, 275 W.; absolut als bittformel:
lieber Blum, geb er mir doch einmal ein paar blümchen
für den gnädigen graf en ! sei er so gut ! Gotter in F. L,
Schröder hamb. theater (1776^.) 2, 209;
a feuer, san s so guat!
K. SHELER ged. 3, 14;
andere Wendungen sind seltener: sie sind sehr gut, mir das
zu sagen Göthe 23, 83 W.; in der form es ist sehr
gut von ihnen, mir das zu sagen in heutiger Umgangs-
sprache gebraucht.
c) im sinne 'gnädig, gütig, hilfreich', 'freundlich' von
einer mehr habituellen sinnesrichlung , oft mit einschloß von
gut V her.
a) von gott, Christus und übermenschlichen wesen und
mächten.
aa) als attribut gottes tritt im got. {auazer Luk. 6, 35 s. o. a)
nicht gut, sondern {)iu{)eigs auf, vgl. Mark. 10, 17. 18, aM.
dagegen entsprechend lat. bonus erscheint es bereits geläufig:
thuo im the guoda god hebanriki
sniumo gisagda, that hie so weidi
ISstian an then landa o». genesi» 216 Heyne;
. . . 'thär thu mi, herro min', quad siu,
'nerienderö batst, näher wäris
hfileand the gödo than ni thorftl ilj sultli härm tholön
Heliand 4033 Heyne;
. . . nu lat thu sie, h§rro the gödo,
ßldön thär sie selida flden; näh sind her gesetana burgl
2825;
flrlih ouh mir gethinges, thes mines heiminges;
wis fater mir joh muater, thu bist min druhtin guaterl
Otfeid III 1, 44;
der Israhelis got wieo guot der ist Notker ps. 72, l;
got vori bimeintl in disin zweln dingin
al sin lob vuri bringin,
daz er si giwaltic undi gut (d. h. = woliwillic 26)
summa theologiae 23 Waag;
Bi bat got den guoten siner sele pflegen
Nibelungen 1103, 3 Bartsch;
rScher got der guote,
wie sei ez mir nü ergän?
Hartmann v. Aue Iwein 5972;
wan got gut ist, darumb sint wir und als, daz alle crea-
turen gütz haut, daz ist alles von der wesenlichen gute
gottes allain Tatjler pred. 8 Vetter;
zwar ist stehts unser gott barmhertzig und getreu . . .
zu geben ist er gut und zu vergeben güttig
Weckheelin ged. 2, 150 F.;
in ausrufen erstarrt:
ach guter gott im himmel! wie so ruhig
die Idnder schlafen 1 . . . Tieck sehr. 1, 81;
ob ich erlaube, fragt sie? guter gottl
soll ich erlauben? und hab nie verwehrtl
Grillparzer «. w. 6, 156 Sauer;
seid mir hold, ihr guten götter!
Fr. W. Weber Dreizehnlinden^" 114;
die gute gottheit Mommsbn röm. gesch. (1874) 1, 27;
wenn der gute himmel mir
ewig, ewig doch vergönnte BÜRGER w. 5* B.;
und ein dorf nun — guter himmel !
o mir ahnet, was es sei
MÖRIKE ges. sehr. (1905) 1, 26 Göschen.
ßß) bei der beziehung auf andere übernatürliche wesen
und mächte spielt oft die bedeutung I C hinein, insofern ihre
gütige gesinnung den glücklichen ausgang einer sache ver-
spricht oder, mit einfärbung von gut VAS her, ein sittlich
einwandfreies handeln bewirkt: du hast da einen guten
engel gehabt Luther 23, 512 W.;
ein guter engel leite deine tritte
Wieland I 3, 157 akad.;
wicht, gude holden penates Diefenbach nov. gloss. 285^;
besonders gute geister gegenüber den schädigenden bösen
geistern, vermutlich schon in älterer spräche geläufig {vgl,
th. 4, 1, 2, sp. 2635/.), vgl. die gute geister les bons esprita
DuEZ nomencl. (1663) 2: dein guter geist füre mich auf
ebener ban ps. 143, 10; wir sind ein paar gute geister und
von einiger macht Deinhardstein ges. dram. w. 1, 11;
und wer die götter lachen hört,
als er den liebesmeineid ausgesprochen,
von dem hat sich der gute geist gekehrt
Brentano ges. sehr. 2, 444;
ihr guter geist sey immer bey mir und die gegenwart des
lieben gesezzes mache mich gut und glücklich Göthe IV
5, 114 W.; auf gutgesinnte menschen übertragen: laden sie
einige gute geister ein Göthe IV 5, 19 W.; mein guter
genius gab mir im träum ein, mich ... zu entfernen
Gleim bricfw. l, 7 Körte; mehr wie aa gute natur in Per-
sonifikation:
. . . ich tadle nicht gern was immer dem menschen
für unschädliche triebe die gute mutter natur gab
GÖTHE 40, 237 W.;
guter Stern:
auf dem meer hat er guten stem:
Seins todts die erben nicht begern
Mangold marckschiff (1596) b4;
eh mich . . . meine guten sterne
an meines kaisers hof hieher geführt
Schiller 13, 372 O.;
möge sein unternehmen vorwärts gehen, damit in die
anarchisch-trübe kunst doch ein guter stern einmal
wieder hereinleuchte Göthe IV 42, 163 W.
yy) älter ist gutes glück; in der regel personifiziert ge-
dacht, wenn nicht der effekt selbst gemeint ist wie in den
folgenden fällen, vgl. guot gluck successus Diefenbach
563b :
Wirt m!n gelücke also guot
s6 min herze unt der rauot
Hartmann v. Atte Iwein 5517;
got gheve uns guet gelucke, wy werden in allen enden
wol getrost recesse u. akten d. hansetage 2, 227;
es geh ihm, wie es woU, er ist gerüst zu leiden
das gut und böse glück Zinkgref auserl. ged. 62 ndr.;
in der formel zu gutem glück 'glücklicherweise' , vgl.
zu gut geluck auspicato Diefenbach &Z^: eben zu gutem
glück hat der jiincker . . . sein visier fürgethan Amadis 60
lit. ver.; sie würden aber nicht viel nützliches verrichtet
haben, wan nicht zu guten glück ein schäfer darzu ge-
kommen wäre Anton Ulrich v. Braunschweig Octavia
(1677) 1, 32; zum guten glück stand bei den kranichen und
reihern ein schmucker Silberfasan Scheffel gre«. w. l, 142;
sonst ist die Personifikation meist ausgesprochener: gut
glück ist nimmer on duck sprichw. (1548) 1518';
ist mein gelücke gut,
so will Ichs bald erleben
Chr. Weise grün, jugend 54 ndr.;
■wir brennen von ergebenheit,
dem guten glücke dank zu sagen
Stoppe Parnasz (1736) 9;
81*
1287
GUT, adj., IV A i
GUT, adj., IV A 2
1288
wir sind ohne schuld in diese Verwirrung gerathen, das
gute glück mag uns wieder heraushelfen Göthe 23, 213 W.;
formelhaft mit gutem glück:
TOD Zürch ein Rselllg burgerschaft
mit gutem glück und mannesljraft
gen Straszburg auf das schieszen fuhr
Fischart glückh. schiff 88 ndr.;
wenn er sein verrähtrisch stük
hett verbracht mit gutem glük
Beinicke fuchs (1650) 182;
auf gut glück Hm vertrauen auf die gunst des glückes' ist
nicht vor dem ende des 18. jhs. geläufig: du verlassest mich,
. . . einer person zu gefallen, welche auf gut glück herum
zieht samml. v. schausp. (1764) 1, 71; wollen sie es daher
auf gut glück mittwochs wagen und herüber kommen,
so sollen sie wohl empfangen seyn Göthe IV 18, 81 W.;
gekröpfte weiden . . . bezeichneten die richtung, in der
sich die fahrt, im übrigen auf gut glück hin, vorzubewegen
hatte Fontane 1 1, 137; etwas anders im sinne 'ohne Über-
legung, blindlings'': tausend dinge musz man blindlings
und auf gut glück annehmen Tieck sehr. 7, 228; nunmehr
gab es augenblicke, in welchen ... er auf gut glück nach
allen selten hin umhergriff W. Raabe hungerpastor (1864)
2, 23; seltener gutes geschick: eine reihe von . . . Jubel-
festen auf eine ... dankbare weise gegen das gute geschick
zu feyern Göthe IV 41, 33 W.
ß) von menschen 'gütig, freundlich' :
neinä hßrrel eist so guot,
swenne ir güete
erkennet mtn gemüete,
daz sl mir daz beste tuot Waithee 14, 18;
als beiname: ich, Otto der gütt, gelob und schwer dir
Judas Nazarei v. alten u. n. gott 30 ndr.; die guten patres
thaten mir alles gutes Jürgen Andersen oriental. reise-
beschr. (1696) 129 Olearius; Herder war gar gut, wenn
er öfter so wäre, man mögte sich nichts bessers wünschen
GÖTHE IV 5, 132 W.;
o freyheiti freyheitl nicht nur der demokrat
■welsz, was du bist,
des guten königes glücklicher söhn
der welsz es auch Klopstook öden 1, 148 M.-P.;
war sie nicht von hoher gestalt . . . und so freund-
lich, so gut? Klinger w. 4, 22; gott, sie sind immer
so gut, frau Dörr, aber was wird nur ihr alter sagen?
Fontane ges. w. I 5, 129; o tadel, mein guter feind,
singe du meinen grabgesang v. Ebner - Eschenbach
ges. sehr. 1, 149; er hett guet {'gefällige') lütt gfunge
{gefunden) Seiler Basler ma. 153; vgl. ein guter kerle
Fischer schwäb. 3, 951 ; gott und guete leute haben mir
immer geholfen ebda 952; etwas anders mit einwirkung
von h her 'wohlmeinend, gewogen' , 'liebevolV: kein guete
mensch han Statjb-Tobler 2, 535; kein mensch, der mit-
leiden mit ihr hat, sie hat keinen guten menschen {v. j.
1787) ebda; danck für die bratens, wir wollen sie in gesell-
schaft mit guten wesens verzehren Göthe IV 4, 328 W.;
dieses zärtliche, gute, liebliche geschöpf I 21, 30; auch
kann ichs nicht verschweigen, wie gut du warst maler
Müller w. l, 117;
sie Ist gar zu lieb und guti
Grillparzee «. w. 7, 132 S.;
so glücklich war ich den abend und du warst so lieb und
gut Fontane ges. w. I 5, 154; noch anders: en guete
meister nicht strenge Staub-Toblbr 2, 535.
y) auf die organe der gesinnung übertragen, besonders vom
herzen, vgl. m.hd. holdez herze; im spiel mit gut V:
doch was ir herze niht so guot,
sine hsete zorn und unmuot
GOTFEiD v. Steaszbueq Tristan 10253;
von gutem hertzen und gemüt amicus ex animo Feisitjs
dict. (1556) 83'''; einem etwas von gutem hertzen gäben
Maaler 199^; das ir zu thün die spitalerin verhiesche mit
güttem hertzen Wabbeck Magelone 81 ^ B.;
so nimm doch meinen grusz mit gutem hertzen an
Che. Weise grün, jugend 32 ndr.;
ihr mädchen kommt, theilt mit, was euer gutes herz ver-
mag MALER MÜLLER w. 1, 117 ; wie kann tücke in ein äuge
kommen, wo das herz ... so brüderlich gut ist Gebsten-
berg Ugolino in: dtsche nat.-lit. 48, 254; im erstarrten ge-
nitiv: bemelter könig trüg wenig güts hertzens zu den
abten Stumpf Schweizerchron. (1606) 369^», vgl. herzensgut
(teili, 2, sp.l235 ; ebenso vomgemüt, der seele usw. : gott wolle
mir solche leute bescheren, die eben so ein gutes gemüthe
. . . bey sich führen Chr. Weise polit. redner (1677) vorr.;
vgl. en god geniöd gutmütiger mensch Mensing 2, 424; eine
gute seele una buon anima Kramer t.-iial. 1, 577 f'; die
person vertretend:
habt dank ihr götter! auch zu Peckin sollt ich
eine gute seele finden ScmLLEE 13, 341 O.;
mehr nach 2 a hin: dein vater war übrigens eine gute seele,
gott wirds nicht so genau mit ihm nehmen A. v. Droste-
HÜLSHOFF w. 2, 274 Sch., vgl. eine gute seele Fischer
schwäb. 3, 951 ; ähnlich auf die person als ganze bezogen:
Hans erkannte zu seiner hohen freude, dasz das Fränz-
chen in gute bände gefallen sei W. Raabe hungerpastor
(1864) 3, 157; streute eine gute band wermuth darauf
Göthe 43, 103 W.
2) in mehr passiver beziehung; die gesinnung wird durch
die art und weise, wie die person sich im Umgang mit andern
allgemein verhält oder auf bestimmte anforderungen psy-
chisch reagiert, gekennzeichnet: 'gutmütig', 'gutwillig, gut-
artig', 'versöhnt'; in einigen maa. gilt als gegensatzbildung
ungut, vgl. Fischer schwäb. 6, l, 191, Staub-Tobler 2, 545.
a) ansätze zur bedeutung 'gutmütig' mit dem nicht seltenen
negativen beisinn der gutmütigen schwäche begegnen schon
mhd. :
er tete als ein guot man
und liez ez aber hin gftn
frauenlist 577 Eenschel, vgl. 615;
swä guot man hat ein übel wip
unt da bt unverwizzen gar, vervluochet sl der Itpl
Beinmae V. ZwETEE 464, Str. 105 R.;
{er) ist zu grund gangen, weiln er zu gut war Schupp sehr.
794; oft in sprichwörtlichen Wendungen: allzu gut ver-
derbt es gar Henisch 1790; wenn einer gut ist, so hoffirt
man ihm gar aufs maul Serz idiot. 59''; gar zu gut ist
liederlich Binder sprichw. 81; zu gud isch e stick von
der lidderlichkeit Follmann lothr. 221, vgl. Martin-Lien-
hart 1, 248; zu jut is halb liederlich Brendicke Berl.
131*»; ol tou güd is olermans huntsfüt Bauer-Collitz 42";
hai is sou ghudd, hai dait kainer flaige wat te lehe {zu leide)
Firmenich Germ, völkerst. l, 356; mit anklang an Y Cl
als 'brav, aber schwach': ville zu jut vor disse weit Bren-
dicke Berl. 191^; mit Weiterentwicklung zum sinne 'ein-
fältig, dümmlich', vgl. Fischer schwäb. 3, 952: den ge-
dultigen nimpt man alles, das sie haben, heyszt sie narren
und gute leuth sprichw. (1548) IQ'^; möchten ir etwa ein
guoten schlechten gsellen nemmen, an dem nützit gelegen
wäre {v. j. 1531) bei Staub-Tobler 2, 536; ich bin so gut,
so einfältig gewesen und hab es geglaubt Kramer t.-ital.
2, 829^'; ein guter narr un sempliciotto ebda 1, 577 '=; en
gueter Tscholi ein mensch von fast einfältiger gelassenheit
und gutmütigkeit Staub-Tobler 2, 536; e gueter Jokli
Martin-Lienhaet 1, 248; a aler guder norr Rother
schien, sprichw. 338.
b) jünger erscheint die bedeutungsrichtung 'guticillig,
gutartig, verträglich, geduldig, lenksam, folgsam', die im
gegensatz zu a mehr die positive bewertung der sinnesart
betont: als der pabst in Frankrich zum keiser kam, dor
rit im der gütt, duldig keiser entgegen Judas Nazarei
v. alten u. neuen gott 28 ndr.;
der meister was zu guter man,
er liesz im dieses auch hin gähn
FiSOHAET 2, 235 B.;
man ist gut, wann es umb den finger gehet, wann es aber
einen seine haut trifft, so krümbt sich auch ein wurmb
Lehman fior. pol. (1640) 381;
Aiax soll nicht mehr, alsz ich mein,
in dem spiel ihr guts mänlein seyn
W. Spangenbbeg bei Dähnhaedt griech. dram. 2, 68 lü. ver.;
ich bin gut, aber ich kann auch bös seyn, weim ich will
Krämer t.-ital. l, 578 c; immer kän ma net gutt sein
1289
GUT, adj., IV A 2-3
GUT, adj., IV A 3
1290
Rotheb achtes, sprichw. 254''; dor blief mal ener god bi!
das soll man sich nun gefallen lassen Mensing 2, 425; hei
{der igel) was en guden kerel un konnte olles verdrägen,
äwer up sine beine let hei nicks kumen Bauer-Collitz
261*; 8 is a gudr man — ja, wenn a schläft Rothee schles.
sprichw. 264*'; go nhd. ein guter narr, guter irrer 'ein un-
gefährlicher, harmloser geisteskranker^ in anwendung auf
liere im sinne 'nicht bösartig, fromm\ vgl. de brune gohde
als pferdename im viermannbuch (17. jh.) Meksing 2, 428;
folgsam wie ein gutes lamm Göthe IV 1, 170 W.; z. b.
fürchte dich nicht, es ist ein guter hund ; noch anders mit
affektwert 'brav, lieb': du bist mein alt gut tier 0. Ludwig
ge.?. sehr. 2, 322; in Übertragung auf krankheiten harmloser
und ungefährlicher natur: die guten blättern im gegensafz
zu den bösen, vgl. Frisch 1, 386^; ein spitzig und hitzig
gewächs am leyb, wie ein gute blater, ein kleiner eisz
Frisius (1568) 595a, vgl. guetbläterli hitzbläschen Staub-
TOBLEB 2, 540.
c) spezifischer im sinne 'versöhnt', namentlich nhd. in
Verbindung mit wieder; vergleichbar:
Esau wart alse gut,
das er vil gar zc gute
becherte in sinim mute,
swas er zornes ie gewan
BUDOLP V. Ems weltchron. 6696 Ehr.;
dann spricht sie honigsüsz, bald wendet sie den muth
und fährt ihn schnaubend an, ba!d ist sie wieder gutli
Rachel sat. ged. 18 ndr.;
wo ist denn die frau mutter? sie sitzt schon am tische
und wartet auf sie. kom nur fort Seh., sie ist schon wieder
gut Chb. Rectter ehrt, frau 35 ndr.; sie ist in ihre kammer
gangen, H., du kannst wieder rauf, nu ist sie wieder gut!
O. Ludwig ges. sehr. 2, 328; he ward wol weller god Men-
sing 2, 425; mer sein wieder gut mitenanner Mülleb-
Fbaureuth 1, 452; wieder jut werden sich versöhnen
Brendicke Berl. 131; ähnlich gut sein als 'sich zu-
frieden geben': sei nur gut, Hannesie! 0. Ludwig ges. sehr.
2, 383; mit personalem dativ une 1ha verbunden: und wenn
mir der vetter nun auch wieder gut wäre Schiller 14,
143 0.; er war so lieb, dasz es nicht möglich war ihm
böse zu sein, man muszte ihm wieder gut werden Kon-
stanze Mozabt in O. Jahn Mozart 3, 172; mit perso-
nalem akkusativobjekt einen wieder gut machen, vgl. einen
wiederum gut machen rachettare uno Kramer t.-ital. 1,
578 C; wenn er etwas gethan hat, was ihm verboten wor-
den, so darf ich ihn nur ernsthaft ansehen und er kommt
gelaufen und küszt mich, mich wieder gut zu machen
Schiller br. 4, 66 Jo?ias, vgl. Staub-Tobler 2, 536.
3) zur allgemeinen kennzeichnung dessen, dasz zwischen
personen ein Verhältnis der geneigtheit, Zuneigung, freund-
schaft, Vertrautheit usw. besteht, wird gut als den affekt-
charakter betonendes beiwort dem personalnomen beigefügt;
in jüngerer spräche geht dieser gebrauch in weitem umfange
zugunsten des ähnlich verwendeten lieb in eine mehr stei-
gernde funktion über, erhält sich aber in bestimmten Wen-
dungen bis in die neuste spräche, oft durch den zusammen-
klang mit andern bedeutungen gestützt; im mhd. zeigen
sich liep, vriuntlich und trüt oft als synonyma dieser an-
wendungsweise, die bedeutungsschwere von gut wechselt je
nach dem sinnzusammenhang; als allgemeinster Oberbegriff
kann etwa 'wohlgesinnt' gelten, der sich nach verschiedenen
Seiten hin nuanciert.
a) guter freund; als 'geneigt, wohlgesinnt' , dann 'hilfs-
bereit, treu':
wer hat mich mlnes Idndes und iuch des iuwern man
bl also guoten friunden sus mortlich äne getan?
Nibelungen 1023, 4 BarUch;
wer bräht iuch her'?
'guote friunt'I 'nü sagcnt doch, wer*?
Hartmann v. Aue Erec 9034;
ensament solten wesen
gerne guote vriunde: s6 möhten si genesen
Kudrun 237, 2 M., vgl. 1419, 4;
ein gut gancz freund ist besser dann gold und silber oder
edelgestein Otto v. Passau nach C. Schulze bibl.
sprichw. 101; wer ein guten freund hat, der hat ein gut
pfand sprichw. (1548) 23''; schwächer an eigengehalt bei
mehr intensivierender Verwendung 'vertraut, lieb, intim",
vgl. ein geheimer, ein guter freund familiaris amicus, in-
timus Calepinus XI ling. 5ib'>-: uneinikeit und kriege
under guten freunden ze machen, er meister was Arigo
decam. 20 K.; so ich doch oft mitten auf dez margkt bey
guten freunden zwo oder drey stunden gestanden Hütten
opera 2, 81 Bock.;
so man dir gibt ein guten bissen
den dir ein guter freund thüt senden
K. Scheit Grob. 742 Tidr.;
da ich itzo dieses schreibe, kömmt von einem guten
freunde ein brief J. Riemer polit. maulaffe (1679) vorr.;
könnt ihr euch beim guten freunde bedanken Schiller
3, 89 G. ; ähnlich als antwort auf den anruf der schildwache
im sinne 'wohlmeinend, nichts böses im schilde führend':
{Fautt:) wer da? (Meph.:) gut freund!
QÖTHB 14, 160 W.;
prädikativ gut freund sein 'nahe befreundet sein': Franck-
reich und teutsche nation {sind) alle zeit gut freund ge-
wesen und {haben) treuwlich gut und blut zusammen ge-
setzet N. Falckner frantz. chron. (1572) 1, 173*; mit
Hellbach schien sie besonders gut freund H. v. Kahlen-
berg Eva Sehring 144; er will überall gut freund sein er
ist ein Schmeichler Staub-Tobler 2, 535; mehr formelhaft
in der anrede guter frunt, wer bistu oder von wannen
komest? Reuchlin Lukian in:ztschr.f. vgl. litteraturgesch.
n.f. 8, 413;
gnt freund, gesellen, weib und kind
Hans Sachs 1, 433 K.;
den erbarn und ehrngeachten Hermes von Wingen . . .
und Lorentzen Gossmann, rathsverwandten imd bürgern
zu Waldcappel, meinen besondern guten freunden Kirch-
hof irewdurtm. 265 Ost.; guter freund, frage lieber: wozu
diese ganze schrift? Hippel üb. d. ehe (1774) vorber. v; ihr
lieben leute von Köln und guten freunde von Beilin
Alexis Roland v. Berlin 1, 24; ironisch: bleib, guter
freund ! Schiller 3, 28 0.
b) von stärkerem eigenwert ist die affekttrcLgende bedeutung
von gut bei begriffen, die ein nicht ohne weiteres als affekt-
hallig anzusprechendes Verhältnis persönlicher beziehungen
aufrücken, so guter geselle, guter nachbar, guter be-
kannter usw.; in guter geselle kreuzt besonders stark
die bedeutung I B 4 hinein und gewinnt nicht selten die
Oberhand, doch bleibt meist ein spürbarer rest von affekt-
gehalt zurück; mehr objektiv:
thes dages fuarun thanana sine drutthegana
giscilou zuene guate seragemo muate Otfkid V9, 4;
vom geliebten:
wol dir geselle guote
daz ich ie b! dir gelak
minnesinger 1, 4* v.d. Hagen;
meist von freunden und gefährten, nicht das 16. jh. über-
dauernd:
ez glengen zwen gesellen guot
mit einander dur einen walt
BONEK edelstein 73, 1 Pf.;
es kan nyemant recht pedencken,
was wird und eren an im leitt,
der es mit red nit übergeitt
und gut gesell wesen kan
liederb. d. Hätzlerin 242 H.;
und {die ritter) beliben darnach gütte gesellen Waebeck
Magelone 9 B.; der was Oporini und min gütter gsell Th. u.
F. Platter 88 Boos; in einem stettlin drey burger saszen
. . ., die alle drey gut gesellen mit einander waren
M. Lindnere rastbüchl. 24 lit. ver.; im 15. u. 16. jh. mit
einfärbung von gut III A 5u. 6 her im festen sinne 'trauter,
lustiger geführte', besonders als zechgenosse:
die man heizet guot gesellen
die legent wfnic guotes vür
Heineich d. Teichner 231 Karajan;
sol er dann faren zu der hell
80 well er syn eyn gut gesell
und leben recht mit andern wol
Sbb. Beant narrenschiff 57, 10 Z.;
1291
GUT, adj., IV A 3
GUT, adj., IV A 4-5
1292
thu fort in allem wolIust schweben
mit gutn gesellen nacht und tagt
Hans Sachs 6, 138 K.;
es gilt noch eines umb guter gesellen willen, aller guten
ding sollen drey sein Luther 26, 550 W.;
sitz nider, bisz ein gut gesell
K. Scheit Orob. 641 ndr.;
guter gesell bei dem wein ist ein böser kindervatter Leh-
man flor. pol. (1662) 3, 135; mit prävalenz von gut I B:
noch so cagten sie da bt,
daz er ein gut geselle st
landgr. Ludwigs kreuzfahrt 2626 Naum.;
wan das waeser trybt grosze mülreder mit seiner sterck,
auch so trincket gar manicher guter gesel den tod daran
Eulenspiegel 31 ndr.;
es ist gar mancher gut gesell auf erden,
dem solches nicht kan beygemessen werden
G. VoigtlXnder Oden u. lieder (1642) 106;
ein guter nachpaur vicinus bonus Feisius 150^;
{ich habe) gut nachbauren, freund, maid und knecht
Hans Sachs l, 439 K.;
ein guter nachbar ist ein edel kleinot Eyering prov.
copia (1601) 2, 102; war sich salba lobt, hot ken guda
nubber Rother schles. sprichw. 338 a; ein guter bekandter
un buon amico Kramer t.-ital. l, 577«=; modern blasser: es
sei nur eine freundschaftliche coUation guter bekannten,
die hier zufälligerweise zusammenträfen Müsäxts Volks-
märchen 1, 61 Hempel;
bleib du im ewgen leben
mein guter kameradi ühland ged. (1863) 248;
er hatte das unglück, sich von der neigung zu der frau
eines . . . guten gefährten in feld und jagd . . . hinreiszen
zu lassen Ranke s. w. l, 224; in ähnlicher Verwendung
auch auszerhalb fester formelbindung, vgl. ein frund, ein
guter gunner amicus Diefeneach nov. gl, 20*»; durch
etliche seine gut güner Arigo decam, 42 K.;
darfifstu eins guten gasts zu dir,
80 bring Bacchum auch her zu mir
K. Scheit Grob. 47 ndr.;
vergleichbar:
willkommen meine vielgetreuen bürger
aus Orleans! wie stelits um meine gute Stadt?
SOHIILEK 13, 194 ff.;
all ihr vögel im guten grünen wald! E. M. Arndts, w.
6, 243 R.-M.
y) als ausdruck der Zuneigung oft als epitheton bei Ver-
wandtschaftsbezeichnungen oder bei namen verwandter oder
befreundeter menschen:
hier gute mutterl dieses götterbild
ruft mich zu meinem Schicksal
Schiller 13, 362 C;
unsre gute mama hat mich an Starekens handbuch er-
innern lassen Göthe IV l, 168 W.; mein guter vater ge-
rieth darüber in Verzweiflung 43, 24;
und wer der zeit vorauseilt, guter bruder,
kommt früh ans ziel
Grilipaezee s. w. 5, 42 S.;
grüszet und küsset den guten Gustel Göthe IV 8, 20 W.;
ich bin aber krank, meine gute Bettina fürst Pückler
briefw. u. tageb. 1, 86; gute Mathilde, lieber Heinrich, das
war alles, was sie einander sagen konnten Novalis sehr.
4, 160 Minor.
c) einen besonderen charahter hat gut seit alters als epi-
theton in der vertraulichen anrede; der anredende drückt
durch gut die dem angeredeten wunschmäszig beigelegte
eigenschaft des Wohlwollens, der freundlichkeit aus, in die
je nach der Situation auch andere bedeutungen einbezogen
werden können;
sie quatun zi in, sos iz zam: 'wes scowot ir thar, guate man?'
Otfrid V 18, 3;
biwaz keröst thü, guot man, daz ih thir geba trinkan
Christus u. d. Samariterin 7 ;
Ir guote schifliute, Ir bringet mich ze lande
Eudrun 133, 3 M.;
suochent, guote liute.
In winkeln und under benken
Hartmann v. Afe Iwein 1286;
er sprach 'als Ichz iu nbiute,
komt wider, guoten liute'
Wolfram Parzival 208, 80;
guetter man, dir sey bekannt
altdt. passionssp. a. Tirol 21 Wackernell;
o ir gute männer, wie seyt ihr so irr gereiset volksb. v.
dr. Faust 61 Br.; wir sind reisende ritter, ihr guten
leute, die das unwetter überrascht hat H. v. Kleist
w. 2, 217 Schm.; ihr gueti lüt vertrauliche anrede Martin-
LlENHART 1, 248;
dar inne werde erlischet, herre guot,
6 du volendest dinen muot
KONRAD V. WOrzbueg Partonopier 7767;
guter junger herr, dergleichen leut packen sich nicht wie
ein flüchtiger dieb Göthe 8, 85 W.;
gutes weib, lasz mich weiter schreiten
Klinger neues theater (1790) 1, 9;
ihr pflegt auch zu singen, guter alter Göthe 21, 203 W.;
hierher:
guter tnond, du gehst so stille
in den abendwolken hin
bei Böhme volksth. lieder d. Deutschen 857;
ironisch: o ihr guten herren apotheker, wie man die sim-
plicia einzelte, so würde denen kranken viel eher geholfen
Ettner V. Eiteritz ungewissenh. apot. (1700) 790; spöt-
tisch: o du guter kerle Fischer schiväb. 3, 952; gern
substantiviert:
wie meine gute? rätselhaft war sonst
nie deine rede Schiller 1, 317 ff.;
nach kurzer zeit, mein guter, tret ich wieder vor und zwar
dieszmal mit wünsch und ansinnen Göthe IV 38, 73 W.
4) im 15. und 16. jh. ist eine Verwendung spezieller art
gebräuchlich, die sowohl auf 1 freundlich, gefällig, freigebig^
wie auf dem in erotischer richtung liegenden 2 Hieb, traut'
beruhen kann und ins pejorative 'hurerisch' übergeht: der
W. was in ainem hausz bey ainer gütten dieren (15. jh.)
städtechron. 22, 352; die des benanten Schwarz burgers
gute diern gewesen ist und büberey mit der gepflogen hat
(r. /. 1494) Ulmer einungsbuch bei Schmid schwäb. 24&;
dasz dieselbig guet dürn mit anderer gespilschaft in die
zimbrisch behausung kam Zimmer, chron.^ 3, 366 i5.;gude
dochter (u. j. 1485) 'dirne, prostituierte' K. Bücher Frankf.
beruf swb. 54 a; do aber die gut tochter vernam {von einer
dirne gesagt) Fortunatus 100 ndr.; die ain gütte geselliu
ist und die durch geltes willen im leib nyeman versagt 98 ;
gute hää7\e\n. (dirnen) Lindener katzipori {l^bS) 126; wohl
hierzu- guota Lisal {Schimpfwort) in: Frommänn d. dt. maa.
7, 471, vgl. das guotli Elsi Kürze und derglycben liederlich
frowen (1508) bei Staüb-Tobler 2, 537; anders, euphe-
mistisch für ^schädlich, unheilbringend' : {die hexe hat) vor
dreyen jähren Matthes Herman zwey paar gute kinder,
wie sie sie nennet, oder elben zugebracht, derowegen,
dasz er ihr einen scheffel körn verweigert {v. j. 1583) in
Carpzov pract. nov. rer. crim. (1635) 1, 440^^.
5) eine vorab in älterer spräche gebrauchte sonderbedeu-
tung ist hier anzuschlieszen, wenn auch ihr Ursprung nicht
völlig aufgehellt werden kann; vielleicht von gut IV A 2 aus
im sinne 'sich viel gefallen lassend, viel erdulden müssend'
entwickelt und zur bedeutung 'bemitleidenswert' verengert,
doch läge auch Verknüpfung mit den den bresthaften leuten
zugewandten guten werken {s. gut IV G 3 und V B 3 a a)
nahe, vgl. etwa: den armen knechten {almosenbrüdern) , die
man nennet die brot-durch-got urk. v. j. 1376 in: ztschr.
f. d. gesch. d. Oberrheins 12, 14; anderseits könnte für gute
leute 'aussätzige' auch von der krankheit aus die bezeich-
nung erklärt werden, entweder als volkstümlicher euphemis-
musfür 'gefahrbringende, ansteckende menschen' {vgl. oben
4 schlusz) oder als benennung für leute mit einer krankheit,
die nicht zum jähen tode führt wie etwa die pest.
a) seit dem 13. jh. bis in das ältere nhd. hinein gilt gute
leute für 'aussätzige' , mhd. sonst miselsühtige, üzsetzige,
sundersieche, veitsieche, als fester terminus, vgl. 1 pfd.
1293
GUT, adj., IV B 1-2
GUT, adj., IV B 2
1294
rappen den armen luten in den siechenstüben im spital
. . .; 1 guldin, ye 12 14 ß für 1 guldin, den guten lüten;
mer 1 guldin den armen lüten im platerhausz testam. a. d.
anfang d. 16. jhs. in: ztschr.f. d. gesch. d. Oberrheins 12, 30:
gute leuthe in der rothen kirch seeig er ätebrief v. 1271 bei
Schebz-Oberlin 581; bi den guten lüten vor der stadt
ze H. urk. v. j. 1296 in: württbg. urk.-buch 10, 547; und
setzet den siechen des alten spitals nun untze hellere und
zweier cappen zinses, die man git von Drutzenhuse . . .
und den guten lüten ein phunt hellere urk. v. j. 1318 in:
ztschr.f. d. gesch. d. Oberrheins 12, 13 anm.; {ein) knecht,
genant Klobelauch . . ., der den guten luiten im garten
iiesz {v. j. 1439) bei Scherz-Oberlin 581 ; der guten leute
sein, werden 'aussätzig sein, werden^ : ein swester . . ., die
was der guten leut (15. jh.) bei Fischer schwäb. 3, 952;
des alten Deckers weib, so der guten leut sein soll, soll
sich schauen lassen ratsprotokoll v. 1528 bei Schmtd
schwäb. 246; der abbt ward der gütten lütt (15. jh.) bei
Fischer a. a. o.; auch als Zusammensetzung: ist aussätzig
oder gehört zu den gutleuten Martin neu parlement (1637)
157, vgl. auch gutleuthaus.
b) allgemeiner 'bemitleidenswert^ ; die traditionell für 'be-
dürftig, arm" hierher gewiesene stelle: Nibelungen 1061, 2 B.
gehört indessen zu gut V A 2, was die bearbeitung in hs. C
besonders deutlich werden läszt; daher erscheint diese be-
deutung für mhd. zeit noch nicht gesichert und ist nicht not-
wendig die Voraussetzung für a, zumal bei b auch gut IVA 3 c
als ein das mitgefühl ausdrückendes epitheton in der anrede
hiveinspielen dürfte und gut V C 6 nicht weit abliegt; für
'bedürftig' vgl. nur godeman mendicus, qui ostiatim stipem
petit KiLiAN dict. (1623) l 3*; für leibeigene leute:
ja, täglich mir selnd für der tür
die guten leut und bringen für,
wie sie es nit mehr mügen erzügen,
80 tüind sie die herren bügen
MyeioäUS Bercht. rediv. (1630) nach Staüb-Toblkr 2, 536;
'bedauernswert': der guet mann ist kummen um all syn
hab und guet U. Meyer Winterth. chron. v. 1540-1573 ebda;
die gueten seien die seelen im feg f euer ebda.
B. alt ist auch die beziehung auf formen des subjektiven
gesinnungsausdrucks, also abstracta une gesinnung, mei-
nung, wille u. ä.; vgl. neben den alten bezeugungen für
guter wille (s. u. 2) altnord. godr hugr 'wohhcollen':
ver I)ü heill, Hymlr, i hugom gödomi
HymiskviOa 11, 2 Neekel,
s. weitere belege bei Neckel edda 2, 63=^;
. . . hwanda hie habda starkan bugl,
mildean endl guodan Heliand 30 Heyne.
l)fast ganz auf ältere spräche beschränkt bleibt guter mut
als 'freundliche gesinnung' , vgl. auch nhd. gutmütig:
zalt er managfaltaz guat ufan sia joh thes ginuag
Job luad sia baito guates joh suaslichea muates
Otfkid V 12, 90;
weder wider mich sin muot
waere übel ode guet,
desn weste ich nlbt die wärbeit
Hartmann v. Attb Iwein 476;
gap diu minne guoten muot (machte gtUherziger)
WiRNT V. Gkavenbkrq Wigulois 5465 Ben.;
wan das in gutem mute (in gutem einvernehmen)
einvalteclih in gute
dii selbü zal (Zählung) alda geschab
Rudolf v. Ems weltchron. 31076 Ehr.;
tvie A 2 b : etwas . . . dultig und von gutem gemüt tragen
und leyden animo meliore aliquid ferre Frisifs 158^;
•mehr nach III A 5 hinüberspielend: der kreis, aus dem
diese lieder kommen, ist zwar ein beschränkter,
aber heiter, von gutem muth und willen Göthe IV
29, 19 W.
2) bis in heutige spräche steht guter wille durch; es ent-
spricht lat. bona voluntas, doch ist es kaum entlehnte formet,
vgl. altnord. gödvild,/. 'wohlwollen': hann syndi enn god-
vild slna bei Möbius altnord. gloss. 146; meist nicht mehr
als 'geneigter, freundlicher, tatbereiter wille', doch gelegent-
lich an gut V B 1 b angelehnt wie schon in den Übersetzun-
gen von Luk. 2, 14: mannam godis wiljins {EvJoxiciff) got.
bibel, vgl. unten sp. 1305; vgl. auch gutwillig.
a) als 'freundlicher, geneigter, wohlmeinender wille' , vgl.
gunstig gemute, gutis willen susigkeit pieias Diefenbach
433C:
al 8Ö bie tbia tbioda gibörda
wrfidon wordon, ne was is willio guod
Heliand 5584 Heyne, vgl. S972;
lehn welz wie dln wiUe stö
wider micb: der mine ist guot
wider dich
Walther 60, 21 L.;
ir müget nun wol mein guten willen und freuntschaft zu
euch vernomen haben Arigo decam. 267 K.; das e. m. von
nöten het umbzüsehen und zu trachten, aller stend gunst
und guten willen zu bekomen Sleidanüs reden 150 B.;
mein guter will und neigung gegen euch (unrd) weder
frembd noch wunderlich beduncken K. Scheit Orob.
vorr. 3 ndr.;
des tlscbes arme kost, den guter wille deckte
Götter ged. 1, 275;
. . . 'kommt, dem nacbbar
Btebt die thür des nacbbarn offen' 1
drauf der greis: 'dem gut-en wlUen
besten dank'l
Fr. W. Weber Dreizehnlinden "* 101 ;
in verbaler Wendung:
der belt von Burgonden in allen guoten willen trnoc
Nibelungen 1736, 4 Bartsch;
eim günstig seyn und einen guten willen zu im haben
etwas diensts zebeweysen Frisiüs dict. (1556) 160*>; einen
guten willen zu einer tochter gewünnen animum adjicere
ad virginem 94^; auch guten willen haben, vgl. ich
soll hiemit (4 kannen wein) von ihnen verehret sein und
ihren guten willen haben Düber nachl. 112 L.-F.; mit
Botschkai im bey den seinen ein guten willen gemacht
Stumpf Schweizerchron. (1606) 50^; schon formelhaft in
präpositio7uiler Verbindung 'freundlich', vgl. mit gutem
willen benevole Fbisiüs dict. (1556) 162'':
mit guotem willen gruozter st
Hartmann v. ArB /wein 7953;
'gern':
daz ist och ftne mtnen zorn
mit guotem willen gar verkorn
WOLFRAM Parz. 402, 18;
'wohlwollend, nachsichtig' : aber fühlen hätte der Verfasser
sollen, dasz man seine arbeit mit gutem willen lesen
musz, deszhalb der ausfall besonders gegen uns nicht am
rechten flecke steht Göthe an Schiller 841 ; ut gauen willen
aus gefälligkeit Schambach Oött. 60»; nach gut IV A 1 c a
hin vom vnllen höherer wesen 'gütig, gnädig': din {gottes)
guot willo ist ims skerm unde era Notkeb ps. 5, 13;
In deme guten willen
entpflenc der vater stillen
die gnade die der sun begieno
Heinrich v. Hesler apokal. 932 H.;
feste formet ist gottes guter gnädiger wille : gottes guter
gnediger wille geschieht wol on unser gebet Lutheb 30,
1, 252 W.; von hier aus zu verstehen: s wer e guete gotswill
es wäre gut, sehr zu wünschen Seiler Basler ma. 153.
b) das moment der freundlichen gesinnung kann früh zu-
gunsten einer bloszen inneren bereitschaft zu einem tun
zurücktreten; gut drückt dann oft nur den begriff des tat-
bereiten, freivnlligen handelns aus und wird nicht selten zur
bloszen Verstärkung:
lät uns stSn die mcere, mir und minen man.
wir wellen sclere hinnen: des Ich guoten willen (ernste absieht)
hän Nibelungen 76, 4 Bartsch;
das der mensche . . . vinde des in ime einen wol bereiten
guten willen, was er wiste das got von ime wolte . . ., das
er sich darzü zemole bereit vinde, das ze tünde Taüleb
pred. 139 Vetter, vgl. 137, 27; do die künigin irer gesell-
schaft guten willen vername Abigo decam. 16 K.; sie
wollen meinen hertzlichen gutten willen und meynimg,
der armen jügent . . . nützlich zu sein, christlichen an-
sehen Maet. Agricola mus. instr. vorr. 4 Eitner; nament-
lich der tatbereite iville im gegensatz zur mangelhaften oder
mangelnden ausführung: so nem ewr genad den gueten
1295
GUT, adj., IV B 2-3
GUT, adj., IV G 1
1296
willen zusampt meinem werck für guet U. Füetbbr
bayer. chron. 214 Sfilhr; es solt an gutem willen villeicht
weniger denn bey dem Turcken mangeln Luther 30,
2, 142 W.;
all gutar will wlrt ta bewisen
all frait, die fll farmaintcn,
auch träumten unt for langst farhisen
Fischart Oarg. 50 ndr.;
und überall es mir gebricht,
als nur am guten willen nicht
GÖTHE 16, 152 W.:
das Schicksal^ welches den guten willen nicht zur that
werden liesz W. Raäbe hungerpastor (1864) 1, 246; den
guten willen zu etw. haben, einem den guten willen
machen Fischer schwäb. Z, 951 ; mein guter wille ist nix
höfliche entschuldigung ebda; in präpositionaler fügung
mit (von) gutem willen erstarrt 'mit geneigtem vnllen, mit
einwilligung':
mit mlnem guoten willen si tuot in allen aller sorgen buoz
KEINMAE V. ZWETEK 19, 6 R.;
die andere helfte der wandernden Cimbern zohe mit
gutem willen der Chautzen . . . über den Rhein Lohek-
STEiN Arminius 1, 900*; meinen bedienten aber liesz ich
mit seinem guten willen zurücke Rabener s. w. 6, 264;
ganz verblaszt: es ist mir abscheulich, etwas von ihrem
guten willen zu erhalten, was mich . . . verletzt oder be-
leidigt GöTHE IV 19, 517 W.; besonders rechtssprachlich alt
im sinne 'freier wille' und präpositionxil 'freiwillig' , vgl.
dienstbarkeit usz gutem willen unverpflicht obsequium
DiEFENBACH 389^, in zusammenrückung gütswillens volun-
tate Fbisius (1556) 1404»; ich (habe) mit guden willen unde
vrien wilkore . . . werzegen unde ufifgelazen al daz gut
[v. j. 1299) hess. urk.-buch 1, 482 Wysz; das soll der vor-
geschribnen pürgen guet willen sein {v. j. 1347) bei v. Bran-
Dis landeshauptl. v. Tirol 64; {was er) nicht schuldig ist
zu üben, es sei dann, daz er dazselbe tun welle mit seinem
guten willen (r. j. 1356) bei Zeumer gold. bulle 2, 118;
darumb besorget (Saladin), er {der Jude) im von gutem
willen nicht mit solcher groszer summe gelt ze liebe würde
Arigo decam. 33 K., wo die quelle di sua volontä bietet;
ähnlich noch heute in gebrauch, vgl. das is mei freier gudr
wille Rotheb schles. sprichw. 302»; zur leeren füllformel
entkernt:
undern arm sluoc er
mit guotem willen daz sper
Hartmann v. Aue Iwein 6026;
der leit so lütez krachen gap
als der einen starken stap
mit guotem willen brajche enzwei
Ulrich v. d. Türlin WüleTialm 54, 9 S.
3) gute meinung, gute absieht u. ä., gern in präpositio-
naler fügung, die in älterer spräche oft durch das subst.
mit durch wiedergegeben ist durch guot (s. gut IX B 5);
vielleicht schon hierzu: tannan geskihet taz kuot anawa-
nunga eresta dero sih keloube dien misselungen ist {existi-
matio bona 'wohlwollende beurteilmig') Notker 1, 37 Piper;
in guoter meine ich warne iuch alle stunden
Feauenlob 400, 2 E.;
so ich gute wolmeinung der leser . . . spüren würd
K. Scheit Qrob. vorr. 7 ndr. ; dann der geschrifft halb wer
guter meynung geschehen Seb. Brant W. v. Hohensteins
waal, anh. zum narrensch. 204'' Z.; etwas thün oder reden
in guter meynung oder ausz gutem hertzen Frisius (1568)
158''; die weyl es ausz einer gutten meynung und allen
kunstbegirigen zu gut geschieht A. Dürer underweysung
(1525) A l''; {die Gatten hätten) unterschiedene römische
kaufleute, die guter meinung {in friedlicher absieht) zu
ihnen kommen, beraubet Lohenstein Arminius 1, 22»;
m,it beimiscMing von gut II B 4 :
sie werden unvermerkt die gute meynung,
worauf du jetzo fuszest, untergraben
SOffiLLER 12, 212 ö.;
er soll sich vor mir reinigen, er soll
mir meine gute meinung wiedergeben
Geillparzer s. w. 8, 9 Sauer;
etwas anders nach gut I C hin liegend: lassen sie pich in
ihrer guten meinung von diesem kritischen werke nichts
irren Lessing 8, 39 L.-M.; {die) viel zu gute meinung
vom kunstvermögen der alten Etrurier Göthe 46, 71 W.;
nur mhd. ist guter wahn als 'freundliche gesinnung' :
sin trüwe, sin stet, sin güder wan
is gar an mir zurblichen Musoatblüt 34, 24 Or.;
als 'gute meinung': daz bezeichnet die guoten wän und
daz guot wort, die man hat von eines guoten menschen
heiligen lebene Leyser pred. 41, 9; jung ist gute absieht:
{eine) leidenschaft . . ., deren herrschaft über ihn allein
hinlänglich war, alle guten absiebten seines neuen freun-
des zu hintertreiben Wieland ^g-a^A. (1766) 2, 200; betreten
darüber . . ., dasz der alte seine gute absieht so übel auf-
nahm E. T. A. Hoffmann s. w. 6, 152 Gr.; wenn du mir
nur glaubst, dasz ich in guter absieht gesprochen habe
Th. Mann Buddenbrooks (1901) 2, 99; so auch gutes ver-
urteil, das aber meist nach gut I G hinübergreift: da er von
seiner tüchtigkeit ein so gutes vorurtheil gefasset hatte
WiELAND Agathon 2, 46; könnten sie jedoch einstweilen
hier und da ein gutes vorurtheil für die sache erregen
und mir irgend jemand anzeigen, der schon vorbereitet
wäre und den prospectus freundlich aufnähme . . . Göthe
IV 19, 419 W.; ähnlich: dann purgierts auch die über-
trieben gute einbildung, die man von sich selber hat
U. Bräker s. sehr. 2, 112; hierzu stellt sich ein gutes an-
denken, vgl. |)atei gaminjji unsar habaif) god sinteino
got. bibel 1. Thess. 3, 6: die reden der . . . beamten, die in
gutem andenken bei den Soldaten standen Mommsen
röm. gesch. (1908) 2, 307; behalten sie mich in gutem an-
denken Göthe IV 4, 181 W.
C. seit früher zeit werden auch die ausdrucksresuüate der
geneigten, freundlichen gesinnung wie wort, gebärde, tat
durch gut auf die psychische haltung des handelnden Sub-
jekts zurückbezogen; gut erhält dann die bedeuiung 'aus
freundlicher gesinnung stammend', vgl. den entsprechenden
gebrauch der ableitungen gütlich und gütig.
1) von der rede, den worten usiv., die eine freundliche
gesinnung zum ausdruck bringen:
. . . siu ni wissa that sia thie suno drohtines
gruotta mid gödaro spräkun; siu w&nda that it thie gar-
därl wftri Beliand 5929 Heyne;
diu rede was im ande und dühte in niht guot
Kudrun 992, 2 M.;
ir mochtet mir bescheinen
doch mit guoter rede daz
ir mir weret nicht gehaz
Heine, v. Freiberq Tristan 1027 Bechst.;
eyne gute rede findet eyne gute stat prov. Fridanci 58 ;
lützel guoter (güetlicher var.) sprüche redet er (Hagen)
derzuo Nibelungen 1500, 2 Bartsch;
am häufigsten und bis heute lebendig gutes wort, besonders
im plural; mit einschlag von gut III A 6 :
dö gap er mir vil guotiu wort
Lohengrin 1404 R.;
gut wort, arg tück,
vil grüsz, bösz blick,
das ist der sit auf erden
G. Forstee fr. teutsche liedlein 19 ndr.;
und sollen kein gut wort mehr von mir hören Luther
30, 3, 470 W.;
jedoch stillt ers (das heer) mit guten worten
Hans Sachs 8, 450 K.;
allzu gute wort haben wenig glaubens Friedrich Wil-
helms sprichwörterreg . (1577) a 1»; wenn ich geklaget,
hätte er mirs schon zahlen müssen und der tebel hohl
mer kein gut wort darzu Chr. Reuter Schelm. 97 vollst,
ndr.; allem ansehn nach werden wir heute von dem herrn
baron nicht viel gute worte zu erhalten haben ollapatrida
145 Wiener ndr.; des tages wuszte er sich nicht zu er-
innern, an dem der 'wohlthäter' ihm ein gutes wort ge-
gönnt . . . hätte V. Ebner-Eschenbach ges. sehr. 2, 10;
'versöhnend' :
unbewegt und stolz will keiner dem andern sich nähern,
keiner zum guten worte, dem ersten, die zunge bewegen
GÖTHE 50. 221 W.;
feste Verbindung ist gute worte geben, s. o. Lohengrin 1404:
wie er {der papst) . . . einem jeden theil gute wort geben
hat Sleidanus reden 206 B.; er gab ihr so gute wort, dasz
1297
GUT, adj., IV C 2-3
GUT, adj., IV C 4
1298
endlich Gretel ja sagte Geimmelshattsen 2, 365 Keller; um
das Service zu haben, muszt ich auf der fabrick gute worte
geben Göthe IV 20, 83 W.; andere Verbindungen in der
bedeutung 'f Ursprache tun': ein gut wort gegen einem ver-
leyhen Fbisius (1556) 930*', vgl. Sekz idiotismen 59^; das
sie uns ein gut wort gegen irem herren verleyhe Vogel-
GESANG-CocHLÄus gespr. V. d. trag. Joh. Hussen 26 ndr.;
modern besonders ein gutes wort einlegen : ein gutes wort
für sie bei euch einlegen Schiller 3, 90 G.; einem e guetes
wort zuechen tuen {Basel) dasselbe wie für einen e guetes
wort inieggen {Zürich) jemd. zu gunsten reden, ihn em-
pfehlen Staub-Toblek 2, 537; sprichwörtlich: ein gut wort
findet eine gute statt Luthers sprichw. 407 Thiele, vgl.
oben prov. Fridanci 58; ein gutes wort findet eine gute
statt, aber ein vernünftiges keine Göthe IV 29, 19 W.;
ein gutes wort findet ein gutes ort Fischer schwäb. 3, 951 ;
formelhaft mit geld und guten worten, vgl. schon guete
wort und alt gelt, das verriebt bei der höchern oberkait
. . . alles Zimmer, chron.^ 3, 600 B.; mit gelde und guten
Worten Micbaelius altes Pommerland (lG'i9) 2, 291 ; vor geld
und gute wort Chr. Reuter Schelm. 3 vollst, ndr.; oft ins
pejorative umschlagend freundlich scheinende, gleisznerische
worte': gute wort, nichts dahinter Luther 39, 355 Erl.;
guot hofwort und bös kauf M. Frecht (1549) bei Fischer
schwäb. 3, 9bl; gut wort müssen böse wahr verkaufen
sprichw. (1548) 1753'; betriegen geschieht mit guten worten
Lehman flor. pol. (1662) l, 106; redensarllich sich durch
gute Worte fangen lassen sich betrügen lassen; fälle ent-
sprechenden gebrauchen von gut freundlich' auch sonst
nicht selten, doch klingt oft gut I C mit hinein: ein gut trost
erfrewet das hercze prov. Fridanci 74; die freundlichkeit
und der gute trost des Wundarztes Göthe 23, 27 W.; wir
daiiken ew. gn. wegen des guten anerbietens tugend- u.
liebesstreit in: Creizenach schausp. engl, comöd. 79; gut
grusz gibt gut antwort Luther bei Schulze bibl. sprichw.
55; der kaiser begann damit, seinen Vorschlag zu erneuern
und um gute {'wohlwollende') antwort zu bitten Ranke
s. w. 1, 130; modern häufig gute wünsche: der grosze gute
wille ruft alle unsere besten guten wünsche Göthe IV
41, 54 W.
2) von gebärden und körperlichen ausdrucksformen
freundlicher gesinnuny; mit einschlusz der worte guter
grusz :
der guote gruoz der vreut den gast, swenn er In gät
Spervogel in: minnesangs frühl. 25, 5;
guter grusz ist vieler kranckheit busz Neander dt.
sprichw. 14 L.; guter grusz ist halbe speisz Lehman flor.
J)oL(1662) 3, 132;
die tritt mit gutem grusz herein Göthe 16, 124 TT.;
weil ihr durch mich seit gebracht zu diesem glficlc,
laszt mich genieszen auch biszweil ein guten blick
ZiNKGREF auserl. gcd. 59 ndr.;
dieser {konnte ihn) . . . nie wieder mit gutem äuge ansehen
Fr. H. Jacobi w. 5, 68; einem kein guetes aug gen {geben)
unwirsch sein im Umgang Staub-Tobler 2, 537; en ;feoas
auga up äinan häbn jem. lieben Böger Schwalenberg. ma.
150; ebenso hd. ein gutes äuge auf etwas haben oder werfen
im sinne 'etw. gern besitzen wollen' ; etwas anders freund-
lichkeit verratend': aus den schönen guten äugen Göthe
25, 254 W.; {er wurde) bey dem eintritt in sein haus durch
. . . die menge und die gute mine der bedienten ... in eine
art von Verwunderung gesezt Wieland ^gra^Aon (1766) 1,
46; {er) brachte sie durch seine . . . gemachte lustigkeit
dahin, zu allen seinen grausamen erklärungen eine gute
miene zu machen Gutzkow ges. w. 4, 43; redensartlich
gute miene zum bösen spiel machen, vgl. v. Gaal sprüchw.
(1830) 257; sie hatte dieselbe art . . ., immer gute miene
zum bösen spiel zu machen Fr. v. Reventlow ges. w.
(1925) 1127; ihr {der mutter) gutes gesicht war alt, so alt
geworden E. G. Kolbenheyer Montsalvasch (1912) 319.
3) von handlungen und handlungsergebnissen verschie-
dener art, die durch gut im sinne 'aus freundlicher gesin-
nung geschehen, wohlwollend gegeben, gern gewährt' u. ä.
charakterisiert werden:
IV 1. 6.
endi selbo gibdd,
that sea an fride förin widar fiundo nid,
thea idisl mid is orlöbu gödu . . . Eeliand 4213 Heyne;
si kust ir vriunt die nsehsten, swaz si der bi ir vant.
mit guotem urloube si körnen üf den se
Nibelungen 526, 3 Bartsch;
dö wart der rlterllchen magt
von mir gnäde gesagt
ir guoten handelunge
Haktmanu V. Aue Iwein 389, vgl. 6480;
fräulein Reseda, welche so oft im wochenblättchen an-
zeigt, dasz sie mehr auf gute behandlung als groszen ge-
halt sehe Brentano ges. sehr. 5, 65; die gute aufnähme,
welche die erste ankündigung . . . gefunden hat Wie-
land d. deutsche Merkur l, 3; den 27. ging eine kleine
Sendung noch von Jena, der ich guten empfang wünsche
Göthe IV 34, lO W.; {ich musz) ein mal meinem hertzen,
das gesteckt voll guter gedänken und freuntlicher güt-
willigkeit, . . . einen luft geben Hütten op. 1, 449 Bock.;
darumme ab ir, so ir böse sit, künnit gute gäbin gebin
üweren sünen des Malth. v.Beheim evang.-buch 19 B.; ein
gnediger segen und gute gäbe gottes Mathesius Sarepta
(1571) l"' inhaltsang.; bey dieser gelegenheit seh ich doch
auch, dasz ich diese gute gäbe der himmlischen ein wenig
zu kavalier behandle Göthe IV 4, 21 W.; einen gar guten
brief von meiner mutter hab ich kriegt ebda 12; er tut
mir kein gutes stücklein nicht den kleinsten gefallen
Fischer schwäb. 3, 951; gute werke u.a. siehe unten V
BSa.
4) gut bestimrrd die verhältnisart mehrerer personen zu-
einander als 'auf freundlicher gesinnung beruhend' und
nähert sich dem sinne 'freuiidschaftlich, vertraut', doch ist
auch blassere Verwendung als bloszes epitheion des affekt-
wertes häufig; mit vollem gehalt:
ist unser minne äne kraft,
Böne wart nie guot geselleschait
Haktmann V. Aue Jwein 5110;
ich war newlich yon einer gutten gesellschafft Luther 26,
552 W.; gef arten . . ., die under dem schein einer freund-
schafft, einer guten gesellschaft euch in abwege zu führen
begehren Moscherosch insomn. cura par. 24 ndr.; kuche
über den zäun, kuche herwidder, helt gutte gefatterschaft
prov. Fridanci 51; man musz etwas thun von guter nach-
baurschafft wegen sprichw. (1548) 180; dabei hielt man
doch auf gute nachbarschaft, . . . beging häusüche feste
mit einander Ranke s. w. 1, 231;
halten also der Mayn und Rhein
correspondentz und gut verein
M. Mangold marckschiff (1596) b 4;
um zu sehen, ob auch zwischen den erwachsenen ein
gutes verhältnisz entstehen könne Göthe 24, 7 W.; Paul
von Lichtenstein, der in gutem verhältnisz mit Venedig
stand, war für einen angriff auf Mailand Ranke s. w. l,
118; einige besitzer benachbarter bergschlösser standen
mit den kaufleuten in gutem vernehmen Novalis sehr. 4,
99 Minor; der kaiser war . . . genöthigt, ein gutes ver-
nehmen mit dem papst aufrecht zu erhalten Ranke s. w.
1, 205; mir liegt daran, dasz wir in gutem einvernehmen
scheiden Freytag ges. w. (1887) 6, 71; bei diesem guten
einverständnisz in hinsieht der auswärtigen angelegen-
heiten Ranke s. w. 1, 114; hierher stellt sich auch die junge
redensartliche wendung auf gutem fusze mit jem. stehen
u. ähnl., die ihren ausgang aber wohl von gut I A auf gutem
fusz {'solider grundlage') stehen {s. U. Bräker s. sehr. 2,
138), auf guten fusz stellen (s. Göthe IV 21, 240 W.) u.
ähnl. her genommen hat; heutigem Sprachgefühl nach ist auf
gutem fusze bedeutun^sgleich mit auf vertrautem, freund-
schaftlichen fusze: Preuszen setzt sich auf guten fusz
mit Frankreich Grillparzer s. w. 14, 146 8.; Saturnius
und Glaucia waren . . . keineswegs auf gutem fusze mit
der geldaristokratie Mommsen röm.gesch.^^ 2, 204; war es
unvermeidlich, sich mit signor Camilla auf guten fusz zu
stellen JusTi Winckelmann 2, l, 182; der verstand und
das herz stehen auf sehr gutem fusze v. Ebner-Eschen-
bach ges. sehr. 1, 36.
82
1299
GUT, adj., V A 1
GUT, adj., V A i
1300
V. gut bezeichnet in anwendung auf menschen, mensch-
liche eigenschaften, handlungen und einrichtungen, zustände
und erscheinungen des lebens aller art, dasz ihnen vom Stand-
punkt der ethischen bewertung, sei es nach der in den sitt-
lich-religiösen geboten gottes niedergelegten oder in der philo-
sophischen ethik aufgezeigten morallehre, das prädikat 'dem
bereiche des sittlichen zugehörig' zukommt; die moralphilo-
sophisch und moraltheologisch in frühchristlicher zeit schon
scharf ausgeprägte ethische bedeutung des lat. bonus hat auf
die entwicklung dieser bedeutung von gut Tiach der Christia-
nisierung der Germanen entscheidend eingewirkt, es na-
mentlich dem theologischen Verwendungszweck zugeführt;
wieweit in vorchristlicher zeit germ. gut ethisch wertenden
Sinngehalt gehabt hat, läszt sich nicht mehr ausmachen, aber
sowohl gut I A 4 'schicklich', I B 2 'tapfer', I B 5 'tüchtig'
(nicht I C wie sp. 1228) wie namentlich gut II B l 'edel,
vornehm' und IV A 1 'huldreich, freundlich' enthalten be-
reits ethische Wesenselemente, die die Verwendung von gut
für die sphäre des sittlichreligiösen empfindens vorbereiten
konnten, vgl. eddisch godr 'ehrlich, anständig';
(der fährmann sagt zu Thor:)
badat hann hlennimenn flytia ecJa hrossa Jiiöfa,
göda eina, ok Jid er ek gprva kynna
Eärbarzliöö 8, 7 Necket.
A. sittlich gut von personen und den Organen der mora-
lischen gesinnung spezialisiert sich nach verschiedenen
richtungen je nach den anwendungsgebieten der ethisch be-
stimmten haltung; der ethisch-religiöse gehalt von lat. bonus
übt in der ausbildung der Sonderbedeutungen hier einen um
so stärkeren einflusz aus, als die differenzierung der mora-
lischen Qualitäten nach dem Vorbild der lat. theologischen
und philosophischen Schriften erfolgt; im got. ist die per-
sonale Verwendung nur in einem einzigen falle und nur in
der Substantivierung bezeugt: ubilans jah godans {noy/jQov^
y.ccl ayad-ovs) Matth. 5, 45, doch fehlt es an einer gröszeren
zahl geeigneter Vergleichsstellen, sodasz nicht sicher auszu-
machen ist, ob die christlichen Ooten das attributive ad-
jektiv in diesem sinne nicht auf personen angewendet haben,
weil sie für diesen gebrauch jjiujieigs benutzten, vgl. Luk. 6,
45: f)iuj)eigs manna (6 nyah^os äy&QüJjiOs); in ahd. zeit ist
die ethische bedeutung von gut bei personaler Verwendung
stark von der religiösen seile her bestimmt und zweigt daher
auch spezifisch religiöse Sonderbedeutungen ab, vgl. guot
probus, sanctus, pius Graff i, 157 (s. unten 2).
1) in allgemeiner ethischer Verwendung; gut im sinne
'rechtschaffen, tugendhaß, nach den göttlichen geboten und
den irdischen gesetzen einen sittlich reinen lebenswandel
führend' , vgl. gut, sittig moralis Diepenbäch nov. gl. 257^;
gut probus, albus, apertus, candidus, dexter, castigatu^,
honestus, redicors, innocens, integer, inculpatus, justus,
purus ab humanis cupiditatibus, illabefactabilis ad impia
Albeeus nov. dict. (1540) 394.
a) früh mit stark religiös bestimmtem gehalt hinsichtlich
der sittlichen beurteilung nach den geboten gottes.
a) im gegensatzpaar gut und böse, besonders im hinblick
auf das urteil gottes beim jüngsten gericht, vgl. gerecht und
ungerecht; substantiviert:
. . . skedit that werod an tw6
thea gödun endi tbea ubilon
Eeliand 4447 H.;
in einerweo gahwelihero steti gascauwont enti gasehant
gotes augun guote joh ubile Monseer fragm. 27, 23 üench;
giwisso, thaz nl hlluh thih, thoh sint thie liuti missilih,
fehemo muate, ubile joh guate Otfkid II 19, 24,
weitere fälle für subst. adj. s. unten gut VIII A 1 a; guot
man fon guotemo tresewe sines herzen frambringit guot
intiubil man fon ubilemo bringit ubil Tatian 41, 5;
thea forgrlponon gumon s6 samo so thea gödun man
Eeliand 2591 H.;
di undir iu {Jakobs söhnen) werden gut
die sin mine sun in got;
die ubelen ich zersprenge,
elliu genade si in enge
genesia u. exodus 107, 34 Diemer;
der gute (mensch) lidet sich darinne (der Versuchung) durch
got . . ., aber der böse enmeinet got nüt und vellet in die
as. genesis 115 H.;
Sunde Tatjler pred. 116, 15 F.; der mensch ist nit genüg
gut, der nit bös leut umb sich geleiden mag und in ver-
tragen Geiler v. Keisersberg häslein (l5io) D d 2*'.
b) auch ohne den betonten gegensatz zu böse zeigt gut ein
moraltheologisch bestimmtes gepräge, doch ist in älterer
spräche die abgrenzung gegenüber c und d oft kaum möglich:
guot man inti reht Tatian 212, l;
. . . thanan quamun guoda mann,
wordun wisa gewitt linödun
kuot man ih nebin Notker ps. 68, 20;
wanta iagilih tho thar instuant, thaz ther man scolta
wesan guat,
zi guaten sih gizeliti, ther suntigan so quelitl
Otfkid III 17, 47;
ther ther thanne thiob was, Inder thanana ginas,
nam sina vaston: s!dh warth her guot man
Ludwigslied 16;
und were ein iglich mensche alse getruwe und also gut
d. heil, regel 19, 24 Priebsch; wie not wer dis manigen guten
menschen, die in guter einvaltikeit ungewarnet uzlöffent
von irme gründe in gut schinenden wisen und werken
Tauler 36, l F.;
und wer auch diss nicht entud,
der ist ein schalk und nicht gud
Joh. Rothe lob. d. keuschh. 1769 ^.;
daz also eines guten gerechten man sele solt verdampt
sein Arigo decam. 29 K.; aber disse (menschen) sind durch
und durch gutt Luther 10, 1, l, 456 W.; ich byn nicht
gutt gnug, das du unter mein dach gehist var. zu Luc. 7, 6
bei Dietz 2, 186^; ähnlich gehaltvoll:
o, ich will gut noch werden, fromm und gut!
Geillparzee 4, 152 S.
c) allgemeiner, und auch in neuerer spräche die geläufigste
Verwendung, von dem in einklang mit dem sittengesetz
lebenden, moralisch hochstehenden menschen im sinne 'recht-
schaffen, ehrenhaft, gradsinnig': der gegensatz ist hier in
älterer spräche übel, böse, arg, in neuerer namentlich
schlecht: taz . . . übel man an demo guoten geskeinen
mag sinen argen willen (posse contra innocentiam quae
sceleratus quisque conceperit. Boethius) Notker 1, 32 P.;
daz er {der mann) im selben ein urchunde tuot
daz erne ist reht noch guot
vom rechte 286 Waag;
man wirt bl guoten liuten guot,
bl deme bcese, der übel tuot
Frbidank 107, 10 Gr.,
vgl. subst. :
guoten tac, bces unde guot
WOLFRAM Parzival 297, 25;
wan llez ich die {die versprochene hilfe) danne,
wie zsem daz guotem manne?
Hartmann v. Aue Iwein 4898;
der guot man, swaz der in guot
und niwan der werlt ze guote tuot,
swer daz iht anders wan in guot
vernemen wil, der missetuot
GOTFEiD V. Straszbueg Tristan 5;
reht und einvaltis mütis
was er der reine gute,
in herzen und in mute
hat er sih valschis gar bewegln
Rudolf v. Ems weltchron. 5490 Ehr.;
es werden offt von guten und edlen vättern böse unertige
kindt . . .-geboren Carbach Livius (1551) 5^;
man helt manchen für bösz und manchen für gut,
da man beiden unrecht thut Henisch 1787;
was würdet ihr nun vorziehen, dasz Racine ein guter
mann gewesen wäre . . . oder dasz er schelmisch, verräte-
risch, ehrgeizig, neidisch gewesen wäre? Göthe 45, 15 W.;
besonders gehaltvoll:
ein guter mensch in seinem dunklen dränge
ist sich des rechten weges wohl bewuszt 14, 22;
all die einrichtungen der natur, die dem guten und ge-
rechten menschen seine seel reifen Bettine dies buch geh',
d. kön. 1, 38;
war nur der mensch erst wahr, er war auch gut
Grillfarzer 8, 11 S.;
1301
GUT, adj., V A l
GUT, adj., V A 2
1302
gut und arm bleibt hinter der thür,
reich und schlecht kommt herfür
Wandbe 2, 179;
8 kan m guda menscha a schlecht gihn Rother schles. spr.
237*'; besser guet als schön Staub-Tobler 2, 535.
d) schon auf dem wege zur abgeschwächten bedeutungs-
gruppe (s. unten C), aber noch mit uneingeschränktem
ethischen Sinngehalt tritt in neuerer spräche gut als 'brav,
wacker, ordentlich, anständig' hervor:
ein edles volk,
das nur durch friedenswerke sinnt und strebt,
gott wohlgefällig, gut und brav zu sein
Hoffmann v. Falleksleben ges. sehr. 5, 309;
gut und brav gewesen sein, ist das schönste lob auf
den leichenstein Wander 2, 179;
ist die mutter gut von Sitten,
magst du um die tochter bitten
Binder sprichw. 136 ;
e guter mann brav, ordentlich Follmann lothr. 221.
e) eine besondere prägung erfährt gut im rahmen hoch-
mittelalterlicher Standesethik; so ist gut in der klassischen
mhd. dichtung vielfach ein terminus, der die tatsache um-
schreibt, dasz die charakterisierte person alle höfischen tuten-
den und die damit geforderten ethischen qualitäten besitzt;
vgl. dazu auch R. Brodführer: Untersuchung üb. d. ent-
wickl. d. begriffes 'guot' in Verbindung mit personenbezeich-
nungen im minnesange (diss. Leipz. 1917):
(Oawein,) an dem niht tes erschein
ern wsere hövesch unde guot,
der erzeicte getriuwen muot
Haetmann V. AUK Iwein 2699 ;
ich bin mit rehter stsetekeit eim guoten rtter undertän
BtTRGGKAF V. Regknsbtjrg in: minnegangs frühl. 16, 2;
jft hoere vil der tugende sagen von eime ritter guot
Dietmar v. Eist ebda 39, 4;
■wart le guotes und getriuwes mannes rät,
8ö kum ich mit vröiden hin
Reinmar D. a. ebda 173, 20
Ich wll guotes mannes werdekeit
vil gerne hoeren unde sagen Walther 41, 21
reiniu wlp und guote man,
swaz der lebe, die müezen sajüc s!n
91,9
besonders häufig als wertendes epitheton in höfischer epik
und im minnesang von der frau, doch achunngt dabei nicht
selten auch gut IV A l c ^ mit:
vor gote ich guoten wlben bite,
daz in rehtiu mäze volge mite
Wolfram Parzival 3, 3;
'daz glt gelücke und höhen muot,
op si kiusche ist und guot
128, 2;
sl (Belakane) phlac so schoener zühte
und was so wlpllchen guot (von edler fraulichkeü)
d. böse frau 585 Sehr.;
höhe stät min muot:
wan al diu werlt noch nie gewan
ein schcene wlp s6 rehte guot
Dietmar v. Eist in: minnesangs frühl. 36, 26;
swer guotes wlbes minne hat
der schämt sich aller missetät
Waithek 93, 17 ;
guot wlp in eines jungen mannes muote
diu entwirfet dem sinne vil tugentlichlu bilde
DER VON HOHENFELS in,: minnesinger 1, 208 v. d. Hagen;
vil schcene unde biderbe darzuo edel unde guot
so weiz ich eine frouwen: der zimet wol allez daz si tuot
Meinloh v. Sevelingen in: minnesangs frühl. 15,1;
zur bloszen formet erstarrt:
. . . waz solde ich einem man
der ie herzen liebe von guotem w!be gewan
Nibelungen 1218, 4 Bartseh;
si vil minnecUchiu guote, guot von rehter güete, guot für
elliu guoten wlp
Ulrich v. Lichtekstsin irauendienst 401, 5 £.;
kunig Teramens tochter die gut
Friedrich v. Schwaben 1386 Jell.
f) in den von a-d unterschiedenen bedeutungen findet oft
eine Übertragung von der person auf das wirkend gedachte
organ der ethischen gesinnung statt; namentlich herz: J)ai
ize in hairtin godamma jah seljamma gahausjandans {)ata
waurd gahaband got. bibel Luk. 8, 15; wola tuo, du
thruhten, guot unde reht herza habenten Notkee ps.
124, 4;
ir wlpltch herze was s6 guot,
ein arke für unkiusche fluot
Wolfram Parzival 477, 11,
vgl.
reinez herze unt reiner muot
sint in aller waete guot Fkbidank 112, 21 Or.;
aber das hertz ist grosz und gut
ROLLENHAQEN ffoschmeuseler (1595) 0 4";
wenn das hertz durch den glauben gut ist, so ist alles gut,
was es im glauben thut Petri d. Teutschen weiszh. 1,
F7*';
und die Unschuld eines guten herzens
regte sich im busen hin und wieder
Göthe 2, 101 TT.;
vereinzelter bleiben andere objekte: vone dannan sint mit
den wibon bezeichenet die guoton sela, die der in selbon
sint consciae iro brode Williram hohelied 52, 38 Seem.;
anders:
Schwester, Schwester! reine gute seelel
Hölderlin ges. dicht. 1, 40 Litzm.;
so was doch Innerhalp der muot
sd reine geart«t und so guot,
daz edeler muot und reiner art
under helme nie bedecket wart
GOTFRiD v. Straszburg Tristan 6722, vgl. 17895;
schwartze haar und rother hart
ist selten einer guten art
Düez nomencl. (1652) 101;
wenn sie [die seele) sich auf etwas rechtschaffenes wendet,
heiszet es ein gutes und ein edles gemüth Noel Chomels
öcon. lex. (1750) 4, 869; Tiberius war eine gute und sitt-
liche natur Mommsen röm. gesch.^'^ 2, 84 ; hierher: sie freute
sich innerlich, weil sie einen so schönen . . . blick in sein
gutes theil hatte werfen können Gutzkow ges. w. 6, 100;
feste formel ist guter charakter, vgl. Staub-Toblek 2, 537;
warum verirren sie sich in politik? ... sie verderben
sich ihren guten charakter Fontane ges. w. I 8, 34.
2) in älterer spräche hat sich die anwendung von gut in
der religiös-sittlichen sphäre zu einer spezifisch religiösen
bedeutungsform verengert, die später durch fromm verdrängt
wird, aber bis in neuere zeit nachunrkt, vgl. dazu Fr.
Schmidt z. gesch. des wortes 'gut' {diss. Leipz. 1898) s. 16/.;
gut Via wird zur bedeutung 'gott wohlgefällig, fromm,
heilig' gesteigert, vgl. guot pius, sanctus Graff 4, 157, und
dient als ständiges epitheton heiliger personen, namentlich
auch solcher, denen das prädikat heilig nicht offiziell bei-
gelegt ist, so der alttestamentlichen frommen, der anhänger
Christi im neuen testament sowie der angehörig en des geist-
lichen Standes; doch tritt es auch bei den namen der heiligen
oft zu sanct hinzu, vgl. dem guten sant Peter (v. j. 1326)
mon.Boic. 6, 415; den guden sent Severin städtechron. 13,
78; den guten sanctum Brendanum Lucidarius 1, 16
Heidi.;
dem guoten sante Stephanen
kaiserchron. 13754 Sehr.;
diu guote sande Elisabet
Lampeecht v. Reqensbxteg s. Francisken leben 1081 Weinh.;
vgl. auch terminologisch als subst. :
diu kristenheit wser übel beriht,
genüzzen wir der guoten {der heiligen) niht
Feeidank 24, 6 ffr.;
bei alttestamentlichen personen:
. . . thanan mahta he thena gödon skawön,
Abraham gesehan . . . Heliand 3360 H.;
thie forasagon (propheten) guate thle sint ouch alle dote
Otfrid III 18, 30;
wellet ir gihoren Daviden den guoton
psalm 138 v. 1 in: denkm." 31 Müllenh.-Scherer;
Moj'ses der vröne böte guot
Ezzos gesang 326 Waag;
do sprach Jacob der gute
Rudolf v. Ems toeltchron. 5519 Ehr.;
mit deutlicher trennung: die guoten liute in der alten 6
und die heiligen in der niuwen 6 Berthold v. Regens-
BUKG 266, 13 Pf.; von neutestamentlichen personen:
82*
1303
GUT, adj., V A 2
GUT, adj., V A 3. B l
1304
. . . thö habda eft garo
Johannes the gödo glau andwordi
Lazarus ther guato
Heliand 930 H.;
ward kumig fllu thrato
Otfrid III 23, 5;
mid thiu godesbarnu endi mid theru gödan thiornon
(Maria) Heliand 706 H., vgl. 361;
muater thlu guata (Maria) thaz kind ouh thara fuaita
Otfrid I 15, 11;
ein maget guote (Maria)
uzzer einem edelen chunne d. hochzeit 188 Waag;
. . . s6 ISrda tlie lielago Icriat
tliea is gödun jungaron . . . Heliand 3225 3'.;
es waren aber diese guten jünger {Christi) nicht gar einer
ungereimten meinung Abraham a s. Clara w. 4, 251
Strigl; von frommen kirchenmännern:
Gregorins ther guato er spunota iz glmuato
Otfkid V 14, 25;
daz hörte der guote Francisk wol
Lamprecht v. IIegensburq s. Francisken leben 1141 Weinh.;
der gutt Urrich Zwingle See. Fischer chron. 17 Veesenm.;
bei geistlichen Standesbezeichnungen:
der guote biscoph Güntere vone Babenbereh
Bzzos gesang 1 Waag;
Wärbel der vil snelle den guoten bischof vant
Nibelungen 1427, 2 Bartsch;
hey waz guoter pf äffen ze siner pifllde was 1065, 4;
Sit bräht ez ein münlch guot
ze Ilegensburc in die stat Alber Tnugdalus 44 Wagner;
wsen aber min guoter klösenjere klage und sSre weine
Walther 34, 33;
drei vil selig gut prüder gingen ein selig heg(weg)8egens8pr.
d. 15. jhs. in: mitt. d. ver.f. d. gesch. Böhmens 39, 26; guter
bruder, ihr schlagt euer gebet ziemlich hoch an Klinoer
w. Z, 87; ähnlich: got wes wol, wer eyn gut pilgram ist
prov. Fridanci 56;
kommt als gute pilger wieder
steiget froh den berg heran,
tief gefühlte reuelieder
künden uns die brüder an GÖthk 2, 30 W.;
fast terminologisch ist guotei man, guote liute für die
religiösen, fromme einsiedler u. ä.:
si stuonden üf und giengen dan,
Parziväl unt der guote man
Wolfram Parzival 487, 22;
man saitt uns, daz küng Minoss
für in die insal Battmoss
und da wurde ain vil gütt man
Oöttweiger Trojanerkrieg 22679 Koppitz;
urbar üf der erden teiltes in diu hant,
swä s6 man diu klöster und guote liute vant
Nibelungen 1061, 2 B.;
er für in dugenlicher craft
zu den clostern umme.
wa er icht guder lüde vant,
die bat der herre so zu hant . . .,
daz sl in rechter minne
got ufte für in beden Elisabeth 4217 R.;
allgemeiner: {ein) heiliger guter alter wirdiger man, ein
meister der heiligen schritt Arigo decam. 23 K.; aber auch
von profanen personen 'fromm'':
Wirt ein wip ze gote guot
Lamprecht v. Regensburg tocMer von Syon 2845 Weinh.;
nü was ein guot edelman
in der gegene, hiez Johan
8. Francisken leben 3096;
he was en gut man. he gewan enen sone . . ., der was oc
van siner jugent en wol cristen man unde vor to Rome
sächs. weltchron. 264 Weiland; noch vergleichbar: das gebet
einer guten mutter holt vom meeresgrunde herauf Lüpkes
seemannsspr. 127; formelhaft scheint guter sünder '6msz-
fertiger sünder\-
hie hebent sich von örste an
diu seltsaenen msere
vome guoten sündsere (d'un bon peckeor)
Hartmann v. Atte Oregorius 6;
{der betende) sol mit aller andaht dar in ziehen {in
das gebet) alle menschen, die armen sunder und die
guten und die gevangenen des vegfürs Tauler pred.
165, 24 F.; in anwendung auf die göttlichen personen
selbst erhält gut im ahd. geradezu die bedeutung 'heilig',
doch ist die abgrenzung gegenüber gut IV A 1 c a meist
nicht ganz deutlich und darin liegt ivohl auch der grund
für das frühe absterben dieses bedeutungsziueiges:
thuo im the guodo god hebanrlkl
sniumo gisagda, that hie ...
as. genesis 216 H.;
. . . thö sprak waldand Krist,
the gödo wid is jungaron . . . Heliand 3769 H.;
thaz ist uns irougit, thaz got ist Kristes houbit,
wizist thaz gimuato theist druhtin unser guato
Otfrid V 8, 16;
niuwiboran habet thiz lant then himilisgon heilant,
theist druhtin Krist guater, fon jungeru muater 1 12, 14.
3) weniger auf die persönliche Wertung des Subjekts als auf
die umschreibwng des objektiven wirkens geht gut, wenn es
sich um übernatürliche wesen und rnächte handelt, deren
einflusz das menschliche handeln ethisch bestimmt; guter
engel ist zunächst 'der dem göttlichen gebot treu gebliebene
enget' gegenüber dem abgefallenen Lucifer und seinen ge-
nossen :
dö dt gütin engili al
ani sähin den sinin (Lucifers) val
surnma theol. 59 Waag;
geschöpfe . . ., die von der menschlichen art so ungemein
weit abweichen als die guten und bösen engel Bodmer
V. d. wunderbaren (1740) 12; dann aber 'der dem reich des
göttlichen wirkens angehöreiule engel, der den menschen zum
sittlichen tun leitet':
zwene engele sint bescheiden
einen guten, einen leiden
ein iechelich mensche bi Im hat
d. alte passional 337, 48 Hahn;
vielleicht ausz trieb desz bösen feinds, dann darbei kein
guter engel gemerckt Kirchhof wendunm. 2,476 Österley;
durch zusprechung des guten enge! Moschekosch in-
somnis cura par. 53 'iulr.;
lasz dich den guten engel warnen,
und nicht vom bösen dich umgarnen
BÜRGER w. 70» B.,
vgl. aber auch IV A 1 c « ßß; ähnlich guter geist 'dem
bereich des sittlich guten angehörender und gutes wirkender
geist' im gegensatz zum bösen geist, teufel usw.; ältere be-
lege fehlen, doch ist der bekannte ausruf alle gute geister
loben gott den herrn! Göthe IV 27, 224 W., Tieck sehr.
2, 243 schwerlich jung, zumal böser, arger, übeler geist
alter spräche geläufig ist, s. Lexer l, 799 und teil 4, l, 2,
2637/?.; eine gewisse, wenn auch bedeuttingsmäszig mehr zu
V A 2 gehörige parallele ist schon:
. . . enti dar wärun auh manake mit inan
cootllhhe geistä enti cot heilac Wessobrunner gebet 9;
neueren datiims und abstrakter bildung ist der ausdruck das
gute prinzip, eigentlich das prinzip des guten, das gegen-
über dem bösen prinzip die allgemeinste seinsform des sitt-
lich guten darstellt: das böse prineip erscheint ganz über-
wunden, das gute aber in ungestörter heiterkeit Fr.
Schlegel s. w. 6, 28.
B. sittlich gut, dem gebot goites oder dem sittengesetz eyd-
sprechend, von gesinnungen, handlungen und zuständen ist
wie A in seiner entwicklung und differenzierung von der
gleichartigen anwendung des lat. bonus stark beeinfluszt.
im got. gibt diese bedeutung von gofis sowohl gr. xaXöi wie
ccycix^os wieder, nur einmal dagegen inl. Kor. 15, SS/QTjarö^,
und ist im gegensatz zur personalen Verwendung {s. oben A)
überaus häufig, vermutlich im sinne 'schicklich, anständig'
{vgl. gut I A 4) auch schon bei den vorchristlichen Germanen
in gebrauch gewesen.
1) von der ethischen gesinnung des menschen und ihren
psychischen erscheinungsformen: 'sittlicher Vorschrift und
göttlicher lehre gemäsz' .
a) allgemein vom denken und meinen:
. . . them wastom ISh
hebanas waldand endi hugi guodan
as. genesis 110 H.;
triuwe und andern guoten sin
Hartmann v. Aue Iwein 2427;
1305
GUT, adj., V B 1
GUT, adj., V B 2
1306
die sie da leren solten, die sint guoter sinne äne
Walthke 33, 32;
oba wir wollen wahten mit gidrahton filu rehten,
mit githanlson guaten thes Kristes grabes hueten
Otfrid IV 37, 2;
noch guot gedanc
im nie gewurzet inne
pseudogotfridischer Marienpreis 4 Wolff;
(ich könnte nun) manchen guten moralischen gedanken
. . . anbringen Göthe IV 1, 241 W.; auch mundartlich so:
'man chann bi der arbet gueti gidanken han es bedarf
nicht des gebetbuches, um religiöse gedanken zu bewegen'
Stafb-Tobler 2,537; schwächer: heb gueti gidanken
underwegs! ebda; im sinne 'rechtschaffen, ehrlich, auf-
richtig': wie ein böser, der ein weib nympt nicht guter
meynung, der ehe raiszbraucht Luther 26, 209 W.; ein
teil sich daran übel verböseret und das usz guter einfal-
tiger meinung H. Zwinoli v. freih. d. speisen 4 ndr.
b) guter wille: sumai f)an in godis wiljins Xristu mer-
jand got. bibel Phil. 1, 15; {gott,) forgip mir in dino ganädä
rehta galaupa enti cötan willeon Wessobrunner gebet;
. . . haMt im gikoranan muod,
willion guodan, werold-saka midit,
larlätit is lusta . . . Heliand 3453 H.;
si in erdu fridu ouh allen, thie fol sin guates willen
Otfrid I 12, 24;
moht ir der werke niht begän
ir sollt doch guoten willen hftn
Fkeidank 178, 23 Or.;
der gute wille machet den menschen gut Roth dtsche pred.
d. IS. und 14. jAs. 53; dise widderwertigkheit hat uns
geben der böse geyst, . . . die weyl wir nicht haben
wollenn bewilligen in seine böse anfechtung, . . . unser
beyder gütten willen zu brechen Warbeck Magelone 48 B.
der tod ist gar ein theurer mann,
fragt nichts nach gutem willen
Paul Gerhardt bei Fischer-Tümpel 3, 366»;
v-mgangssprachlich heute entkernt zur intensivierung 'ernst-
hafter wilW: guter wille macht nicht jung A. v. Arnim w.
22,16 Or.; redensartlich: mit einem biszchen guten willen
wirds schon gehen!
c) guter glaube; religiös:
mid leohtu hugi endi mid gilöbon gödun
endi mid hluttrun trewun . . . Heliand 290 H.;
in der regel vorn allgemeinen sittlichen empfinden aus ge-
wertet 'rechtschaffener, ehrlicher, aufrichtiger glaube': dann
der geist Christi . . . würt on zwyfel byston allen denen,
so solich geschrifft läsen mit gutem glouben Eberlin
V. GÜNZBURG s. sehr. 1, 164 ndr.; besonders in juristischem
sinne entsprechcTid lat. bona fides: welcher ein sölichen esel
verkaufen wollen, der hat wärschaft und guten glauben
versprechen müssen, dasz er kein mangel wüsse Herold-
Forer Oesners ^ierö. (1563) 42*»; oft mehr mit objektsvor-
stellung 'glaube an die rechtmäszigkeit oder richtigkeif: wo
das gesetz eine rechtswirkung an den guten glauben einer
person geknüpft hat, ist dessen dasein zu vermuten
Schweiz, zivilgesetzb. art. 2; parallel lat. bona fide häufig in
präpositionalen Verbindungen: dan wo man nicht alle ding
lauter, einfeltig und mit gutem glauben redt und handelt
Hütten opera omn. 2, 193 B.; das er solch recht und
Servitut . . . mit gutem glauben gebraucht U. Tengler
laienspiegel (1544) 20; bei gutem glauben bona fide Al-
BERUS nov. dict. 238'; modern noch mit in: was ein aktionär
in gutem glauben als geAvinnanteil oder als zinsen bezogen
hat, ist er in keinem falle zurückzuzahlen verpflichtet
handelsgesetzb. § 217; verbal: ich bin auch in gutem glau-
ben, daz {'bin fest überzeugt, dasz') H. Gebweiler be-
schirm, d. lobs Marie (1523) 17*; auf guten glauben scheint
aus einer mischung mit auf treu und glauben entstanden:
auf guten glauben und treuw empfahen Frisius dic<.(1556)
16*^; auf guten glauben handeln trattare di buona fede
Kramer t.-ital. 1, 578a'; Hinz folgete ihm (dem fuchs) auf
guten glauben Gottsched Reineke fuchs 22 Bieling; wir
müssen es blosz auf guten glauben annehmen Gersten-
BERO briefe über merkw. d. lit. 297 lit.-denkm.; diese wun-
derbaren kräfte, die uns auf guten glauben versichert
wurden Göthe 17, 185 W.; verblaszt: daz (pferd) kauft er
und het guten glauben, daz es lang leben würd Eulen-
spiegel 101 ndr.
d) gutes gewissen, wie lat. bona conscientia, das sittlich
lautere, von schuldbewusztsein nicht belastete geunssen, vgl.
reines gewissen; zunächst religiös: us hrainjamma hairtin
jah mi^wissein godai jah galaubeinai unhindarweisai got.
bibel 1. Tim. 1, 5; got gawizzida Graff 4, 158; von reinen
hertzen und von guter gewissen erste dtsche bibel 2, 210;
wo gut gewissen ist, da ist auch groszer mut Luther 19,
623 W.; ein gut gewissen machet eine grosze Zuversicht zu
gott J. Arno nachf. Christi (1631) 4; sonst meist allge-
meiner:
dar neben mich zu trösten
mit giitem gwissen hab,
das kainer von den hosten
mir eer mag brechen ab
Hütten opera 2, 93 B.;
die miszbrauchung solcher gaben (des trinkens ustv.) . . .
ungestrafft ... zu lassen, (zvird) mit gutem gewissen nit
zu verantworten sein K. Scheit Grob. 5 ndr.; als Cla wer-
ten diese beute geriete, das er in eil und mit gutem ge-
wissen achtzig thaler bekam, gedachte er B. Krüger
Ciawerts werckl. hist. 17 ndr.; in der stille wird jeder sein
gutes gewissen preiszen Schiller 3, 515 0.; wenn der
Verfasser ein gut gewissen hat, warum erwähnt er denn
der färben hier auszer der Ordnung Göthe II 2, 201 W.;
sprichwörtlich: ein gutes gewissen ist ein sanftes ruhe-
kissen, vgl. Wander 1, 1669/., hierzu: eersame lüt und
guter conscientz H. Zwingli v. freih. d. speisen 4 ndr.
2) von menschlichen strebungen und eigenschaften, die
einer sittlichen intention entspringen.
a) allgemein: kuot sint die gelüste beide Notker ps. 118,
20 ; es sint etliche lüte alzühant, alse in in uffstet ein gute
begerunge eins nüwen wesens . . ., alzühant so sint sü alse
küne . . . Tauler pred. 12 F.; der herr schenk mir nur
gute triebe Schiller 1, 4 0.; der mensch ist nun einmal
ein kentaur und auszer guten antrieben gibt es auch
schlechte R. Hüch d. fall Deruga (1917) 68; doch wird
dabei gefordert, dasz zur ausführung guter intention nur
gute mittel in anwendüng gebracht werden Brockhaus
convers. -/ex. ^^ 9, 631*; mit eindringen der objcklsvorstellung
gute absieht als die 'absieht gutes zu tun': kein tadelhaftes
mittel wird durch eine gute absieht entschuldigt Geb-
STENBERO recensionen 145 lit.-denkm.; vergleichbar:
und ihr verbrechen war ein guter wahnl
GÖTHE 14, 229 W.;
eine sanfte seele, ein mitleidiges herz krönte ihre übrigen
guten eigenschaften Nicolai Seb. Nothanker l, 18; daz
negibet dir nicht ubil minna nube kuot minna Notker
ps. 79, 17; fiel ir umb iren hals und thet sie freuntlichen
küssen in rechter, gütter liebe Warbeck schöne Magelone
68 B.
h) feste formel ist seit alters gute treue; als eine treue,
die im sittlichen beumsztsein des menschen verankert ist,
'aufrichtige, ivahre, echte treue' scheint diese formel zu-
nächst dem ethischen Sinngehalt von gut ihre prägung zu
verdanken, doch ist z. t. schon früh, besonders in präpositio-
nalen fügungen, die entkräftung zur intensivierenden Vor-
stellung fühlbar ; vgl. auch lat. bona fides; das subst. treue
kann je nach dem Zusammenhang verschiedene bedeutungs-
nuancen enthalten:
. . . trewa habda he göda,
adal and-bäri . . . Heliand 1195 H.;
ir muget sie sehen gerne: ir triuwe diu ist guot
Nibelungen 1815, 2 Bartsch;
ist iuwer triuwe guot {ist euer versprechen ehrlich)
rittertreue 721 Pfannm.;
under dem schein guter treuw und billigkeit Frisius dict.
(1556) 970*'; präpositional :
si habent uns iu recken üf guote triuwe gesant
Nibelungen 1440, 4 Bartsch
daz ir mir werbet sunder twftl
mit guoten trlwen umben gräl
Wolfram Parzival 428, 22;
1307 GUT, adj., V B 3
daz gut behielt diu frouwe wol
mit guten triuwen als man sol
BONBK edelstein 72, 21 ;
wanne allez, daz eu anget, daz main ich mit guten triuen
von inwendikeit meinez herzen brief um 1340 bei Stein-
HAUSEN privatbr. d. mütelaUers 1, 4;
wie Luther lehrt mit guten trewen
FiSCHAET s. dicht. 1, 19 Kurz;
daz sy ein solches, daz er ir in guten treuen (aufrichtigem
vertrauen) gesaget het, pey ir beleyben liesze Arigo decam.
197 K.; in guten treuwen candide Fkisiüs did. (1556) ISOfi,
vgl. buch d. liebe (1587) 260^; als ich das alles zu halten
und darwider nit ze thon gelobt und versprochen hab by
guten trwen und aides stat paktverschreib, v. 150Q (Kon-
stanz) in: samml. selten gew. pädag. sehr. 13, 160; bi miner
guten trawen Basler urk. 1 , 201; ich will ouch den friden
. . . halten bi guten trüwen on allen betrug Tschudi chron.
helv. 1, 91 ; bey guten treuwen und on allen falsch sagen
Frisius dict. (1568) 158^; ausz guten treuwen 49*; ähn-
lich gutes vertrauen: aber also eins sehr gütten ver-
trauwens Boltz Terenz (1539) 88 *; daher er auch zu
ihm ein gut vertrauen hatte A. Oleärius persian. rosen-
thal (1696) 471».
3) von den haiidlungen und lebensformen der menschen
im sinne 'mit dem siitengesetz und den göttlichen geboten in
einklang stehend, die forderungen der ethischen maximen
erfüllend\
a) gutes werk, gute tat u. ä.
a) zunächst religiös bestimmt: gaskapanai in Xristau
Jesu du waurstwam godaim (tnl tQyois nya^oli) got.bibel
Eph. 2., 10; ei gasailvaina izwara goda waurstwa (la xaXä
ioya) Matth. 5,16; thaz sie gisehen iuuaru guotu werc
(vestra bona opera) Tatian 25, 3;
. . . Ißstead luwa gödon werk,
samndd iu an himile hord that mera
Eeliand 1648 B.;
odo (wenn du) werk guatu joh druhtine gimuatu
woUes io mit willen fora gote irfullen Otfrid II 20, 3;
harent ze imo (gott) mit knoten werchen Notker ps. 4, 4;
samo zierent dih guotiu werch in minero anasune Willi-
ram hohelied 66, 14 Seem.;
80 der tiuvel nlht erwenden kan
guotiu werc an manigem man,
BÖ . . . Freidank 68, 17 Gr.;
ist daz er (der mensch) guotiu werch begät,
der ist üf der rehten sträze
Lamprecht v. Regensburg tochter von Syon 1898 Wemh.;
du ahtest niht uf gotes gebot,
guotiu werc, diu warn din spot
V. d. jüngsten tage 128 Will.;
(in Rom) ist weder andacht noch heiligkeit, keinn gut
werck noch züchtig leben Arigo decam. 32 K.; besonders
die kirchlich empfohlenen opera bona, die einzelnen gott
wohlgefälligen frommen werke wie fasten, kasteien,
almosengeben usw., die das Seelenheil fördern sollen:
wer in disem gründe in der worheit nut enstot und tete
als vil guter werke als alle die weit mit einander tut:
si werdent alle wurmstichig Tauler pred. 188 F.;istnott,
das söllichs (das lebensende) nieman unberait vinde, das
er von diser weit one Zuversicht gutter werk nit schaide
G. Oheim Reichen, chron. 9 Bar.;
mein gute werck die gölten nicht,
es war mit yhn verdorbenn
Luther bei Wackern agel hirchenl. 3, 5;
doch sollen wir nit züvil hoffen, als mögen wir on glaub,
lieb und gute werch, besonder on die sacrament, sälig-
kait erlangen Berth. v. Chiemsee t. theol. 16 Reithm.;
denn es gilt bei gott gantz niett, erwechst ausz einer übel-
riechenden pf ützen der angenomen gutten werck Caspar
GÜTTEL schutzredt (1522) o 8*; 'der ungerechte mammon',
mit welchem ausdruck man die kirchlichen guten werke
. . . bezeichnete Ranke s. w. 4, 29 ; auch als 'durch gelübde
verheiszenes werk\ vgl. een voerloeper van goeden werken
apostata Diefenbach nov. gl. 28*»; kein pilgrim . . . körme
die strasze ziehn, um sein gutes werk . . . auszurichten
Ranke s. w. 1, 145; allgemeiner überhaupt 'liebeswerk.
GUT, adj., V B 3
1308
wohltätigkeiV : die gutten werck der liebe gegen den nehi-
sten Luther 15, 183 W.; wer gute werke übt, soll die
linke nicht wissen lassen, was die rechte thut W.H.Riehl
d. dtsche arbeit 17.
ß) ohne spezifisch religiöse färbung von handlungen, die
den allgemeinen sittlichen normen entsprechen:
der meistir ist guot,
der selbe guotiu werch tuot (= daz reht beg&t 328)
V. rechte 324 Waag;
es ist kein tugent on fahl und kein gut werck on nachteyl
sprichw. (1548) 1653'; ein jeder sol sich fleiszen, sein ge-
dechtnus nicht auf grabsteinen, sondern in guten thaten
hinder ime zulassen Friedrich Wilhelms sprichw.-reg.
(1577) q 2», nr. 979; gott lest kein arbeit, sie sey gut oder
bösz, unvergolten Lehman flor. pol. (1640) 88; etwas anders
im sinne 'edle, hochherzige taf:
singst du einst von dem glück, welches die gute that
auf dem freyeren throne lohnt 1
Klopstock Oden 1, 88 M.-P.;
vom lohne jeder guten that
Denis lieder Sineds (1772) 101;
uns rührt die erzähiung jeder guten that Göthe 23,3 W.;
ähnlich: Faust tröstete sich, durch eine gute handlung
die sündige nacht versühnt zu haben Kxinger w. 3, 108.
y) in ganz abgeschwächter Verwendung nähert sich gutes
werk auch gut I A 3 c, doch ist in dem beisinn der bewirkten
wohltat oder des rechtschaffenen tuns der Ursprung von
V B 2 a aus meist noch spürbar: vermainten, sy betten
ain gut werck volbracht, das sy Theodorum . . . mitt
ainem weib allso zam hetten gemachet Fortunatus 4 ndr.;
ich hatte gar keinen zweifei, weil es eine geistliche art
und unentgeltlich, nur um ein gutes werk zu thun, ist
Mozart bei 0. Jahn Mozart 3, ll; wenn die andre hälfte
meines hiesigen aufenthaltes der ersten gleich ist, so werde
ich an guten werken arm zurückkehren Göthe IV 10,
279 W.
b) vom wort als dem ausdruck religiös-sittlicher wesens-
haltung; von den warten Jesu im sinne 'heiligt
. . . stöd Ina werod umbi
gröt folk Judeöno, gihordun is gödon word
Eeliand 3784 H.;
ni habet therer (Christus) ander wort ni si guat einfolt
Otfrid IV 31, 13;
von menschlicher rede 'fromm, rechtschaffen' :
thanne nist thaz wort gnat,
thaz sie mo batin ubiles
III 20, 139;
an gote lobon ih miniu wort (sermones meos), wanda er
gab mir siu, er getuot siu wesen guot Notker ps. 55, 5;
noch mundartlich gutes wort für 'gebet': laat uns en god
wort spreken laszt uns ein tischgebet sprechen Mbnsing 2,
424; allgemeiner 'ehrbar'':
slniu wort diu sint guot:
von den scheidet sich der muot
Hartmann v. Aue Iwein 3125;
guet wort bösz that hat sie verbleut Brandis tirol. adlers
immergr. ehrenkr. (1678) 75; ähnlich: die da nicht gerne
hören guette lieder singen C. Spangenberg v. d. musica 3
lit. ver.; spezifisch religiös vom gebet 'fromm, gottgefällig'':
ich das wol getan und erber schäcz, das wir uns auf den
tage ee zu guten gepeten . . . schicken süllen dann neue
fabeln ze sagen Arigo decam. 162 K.; ein gut beet (gebet)
Luther bei Dietz 2, 187 a; etwas anders 'aufrichtig, von
herzen kommend, innig'': das gebet sol kurtz und gut sein
Petri d. Teutschen weish. (1604) 1, a 5»; verwandten sinnes
auch in der formet des alten wallfahrtsliedes:
nu ist diu betfart so gut
einzugsleis d. geiszier 5 bei A. Hühner d. dtsch. geiszlerlieder
(1931) 174,
vgl. Freidank 133, 17 Or.
c) von den lebensformen im ganzen; gutes leben, guter
Wandel, gute sitte u. ä.:
SW& mensche in guotem lebene ist,
dar köret der tiuvel manigen list
Freidank 68, 22 Gr.;
oba thu scowost thaz muat,
wanta wantum harte thes.
1309
GUT, adj., V B 4
GUT, adj., V B 5
1310
{bo kommst du) van sunden in ein gudes leben,
das Bi dir gantz werden vorgeben
Johannes Rothk lob d. keuschheit 5092 N.;
der münch . . . ein heiliges gutes leben füret Aeigo decam.
177 K.; wir haben keyn ander frucht dan unser guett
leben Luther 9, 532 W.; darumb werden uns die heiligen
in irem gütten leben in der schrifft für getragen zu einem
exempel JoH. Diettenberoer wider d. unchristl. buch
Marl. Luth. (1526) F4; ein guter wandel eutrapelia Die-
FENBACH 213''; guter wandel buona conversatione Kramer
t.-ital. 1, 577 C; und vleiszigen uns guten wandel zufüren
bey allen Hehr. 13, 18; die übrigen (mönche) stellen bürg-
schaften für ihre gute aufführung Raumer gesch. d.
Hohenst. i, 48; ein gut alter ist besser dann eine böse
jugent Friedrich Wilhelms sprichw.-reg. (1577) a i*,
nr. 25; bildlich für sittlich reinen, ehrbaren lebenswandel
ist seit alters guter weg in gebrauch:
thuruh is hand-megin hwiribit thiu sSoIa,
thie gest an gupdan weg as. genesis 144 H.;
er gegagenwerta sih wegelichemo der guot neist {omni vie
non bone) Notker fs. 35, 5; modern üblich z. b.: ich hoffe,
sie werden nun wieder auf den guten weg kommen d. h.
ein ehrbares leben führen; von hier aus abgeschwächt: ich
. . . hoffe . . . wieder auf den guten weeg zu kommen
Göthe IV 5, 83 W., wo jedoch gut I C 1 hineinspielt; in ver-
wandter bildvorstellung : du bist mein anker an der guten
Seite des uf ers, reiszt der, so sei gott meiner seele gnädig !
'BisuAB.CKbr. ans. braut u.gatt. (1900)226; gutesitte: riur-
jand sidu (/jS-r^ /?'?öT«) godana gawaurdja ubila got. bibel
1. Kor. 15, 33;
thar duent se uns io zl muate situ fllu guate
mäht lesan io in ahtu werli fllu rehtu Otfrid IV 5, 59;
Iftnt si (die äugen) guote site spehen
und die bocsen übersehen Walther 87, 19;
swer sich vlizet guoter site,
dem volget diclie sajlde mite
Fkeidank 108, 23 Gr.;
die gepot gutter sitten Luther 7, 423 W.; Lisabetta {war)
. , . züchtig von loblichen syten und guter gewonheyt vol
Arigo decam. 277 K.; so noch sprichwörtlich: böse bei-
spiele verderben gute sitten Wander 1, 304.
4) bei abstrakten, die die forderwngen und Vorschriften für
die lebensführung ihrem inhalte nach zum ausdruck bringen,
im sinne 'die maximen des sitteng csetzes und die geböte
gottes enthaltend oder zeigend': namentlich gute lehre, gutes
beispiel: alands waurdam galaubeinais jah godaizos lai-
seinais J)oei galaistides got. bibel l. Tim. 4, 6; bi den dü-
sent skilten hanget ouh allerslahte wiggewäffene bider-
bero gnehto, daz ist aldaz gerustc guoter lero Williram
hohdied 58, 23 Seem.;
swer lu guote ISre gebe
unt selbe Iht geebecliche lebe,
da nemet ir guot bilde bl Feeidank 71, 3;
(Herren,) die gut leer und exempel geben
und füren ein unsträflich leben
K. Scheit Orob. 1179 ndr.;
etwas anders 'rechte, reine lehre" religiösen Inhalts: man
kund nymmer szo viel auszwerffen mit gutter lere alsz
die bösen hewbter eyn werffen mit falscher lere Luther
10, 2, 110 W.; ir heiligen sela, ir dir durhtan birt in gottes
minna, stüret mih mit iuweren guoten biliden wie ir die
biderbecheit ana ringet Williram hohel. 31, 6 Seem.;
(Christus, der) . . . uns manich guot bilede vor begiench
d. hochzeit 895 Waag;
die uns guot bilde solten gebn,
der velschent vil ir selber lehn
Feeidank 69, 21 Gr.;
also sollen dl kuschen mit irem lebn
den luten gute bilde gebn
JOH. EOTHE lob d. keuschheit 956 ^.;
ironisch:
das lasz dir sein ein g&t beyspill
K. Scheit Grob. 302 ndr.;
das gute beispiel aus dem vaterhause E. M. Arndt s. w. 1,
69 R.-M.; allenn fursten und hern zu einem gutten
exempel Luther 7, 603 W.; denen Bernhardus mit gutem
exempel vorstund Stumpf Schweizerchron. (1606) 361*;
modern auch gutes vorbild, z.b.: du solltest deinen jünge-
ren geschwistern ein gutes vorbild seinU vgl. he geit hum
mit n göd forbäld föran Doornkaat-Koolman l, 537 *>.
5) bei abstractis, zuständen und erscheinungen aller art
zur kennzeichnung dessen, dasz ihr Sinngehalt oder ihre
ausdrucksform dem religiös-sittlichen empfinden gemäsz ist.
a) gutes ding, gute sache; gutes ding, namentlich im
plural, das 'sittliche, ethisch vollkommene guV, besonders mit
religiösem akzent in älterer spräche:
got, vater öwlch, ist daz angengi
allir guoten dingin summa theöl. 2 Waag;
got minnen äne meil
und äne allerleie wanc,
wan der rehte ein anevanc
aller guoten dinge ist
Fraueniob bei W. Geimm Vridankes bescheidenheü (1834) 319;
mehr im sinne 'fromm': abtretten von guten dingen aposta-
tare Diefenbach gl. 41 C; als 'rechtschaffen, ehrlich', auch
'gerecht' seit dem älteren nhd. in gute sache : das gerechte
unschuldige lebenn, das niemant unrecht thut odder wie
man auff deutsch sagt: eyn gutte sache Luther 7, 622 W.;
namentlich von der Streitsache, auf deren seile das mora-
lische recht steht: der obsieg folgt nit der guten sach und
dem rechte, sondern stehet beym glück und richter Leh-
man ^or.poZ. (1662)2,806; ein redlicher, auffrechterhandel.
ein gute, eerliche sach causa 6ona Frisius dict. (1568) 158*';
sich auff seine gute sache verlassen confidere sua cav.sa
ReYHER thes. (1668) l, 1322;
die gute sach ihn tröst, solt auch der feind obsiegen
ZiNKGEEF auserl. ged. 63 ndr.;
ein eyd, den streitende partheyen darüber leisten, dasz
sie eine gute und gerechte sache zu haben glauben Haym
jur. lex. (1738) 214; mit neubelebter hoffnung auf den sieg
ihrer guten sache v. Ebner-Eschenbach ges. sehr. 3, 385;
anders im sinne 'edle, das ethisch gute betreffende sache':
alle stände haben der guten sache mit einer kraft und
eintracht gedient, welche fast beispiellos genannt werden
kann Thibaut über d. notw. e. allg. bürgerl. rechts 411 ; dem
andenken aller freien beiden, die für gute sache streitend
einsam unter philistern gesunken sind Brentano ges.
sehr. 5, 403.
b) 171 älterer spräche von der bloszen erscheinungsform im
gegensatz zum wahren wesen guter schein, gute gestalt,
vgl. auch das noch gebräuchliche frommer schein; verbal
erschinen gut sin simulare Diefenbach g'Z. 535** : menschen,
die . . . uzlöffent von irme gründe in gut schinenden
wisen und werken Tauler pred. 36, l V.;
hkt er guoten schln
und ist guotes willen blöz,
so ist er Judas genöz
D. Teichner 145 Karajan;
wie alle weit durchs gleiszen und guten schein betrogen
wird Luther 26, 548 M''.; das ir so schädlich und unschrist-
lich verfürt werden under so einem guten schein des gots-
diensts Eberlin v. Günzburg s. sehr. 3, 22 ndr.; matter:
es ist nichts so gemein
als falsche wort im guten schein
Lehman Hot. pol. (1640)357;
und mit erborgter pracht nimmt oft dein guter schein
auch herzen, die dich sonst verachten müszten, ein
V. Cronegk sehr. (1771) 1, 4;
um die seelen zu verfüren mit einer guten gestalt {vom
teufel) H. ZwiNGLi dtsche sehr. 1, 43; {die päpste) suchten
die hoff der fürsten und keiser, warden ir rädt eben wie
ietz das volck noch in bruch hat, rieten stäts in iren sach,
doch unter guter gestalt Judas Nazarei v. alten u. neuen
gott 25 ndr.; vergleichen läszt sich noch: dasz er aber mit
ihr beständig in keuscher ehe gelebt . . ., ist ein gute fabel
H.iHN vollst, einl. (1721) 2, 197, wo heutige spräche nur
fromme fabel verwendet.
c) allgemein von begriffen verschiedenster bedeutung, deren
geistiger inhalt, zweck, art der Verwendung usw. vom ge-
sichtspunkt moralischer beurteilung aus als der sphäre der
sittlichen werte angehörig bezeichnet werden kann; die Viel-
falt der möglichkeifen solchen unpräzisen gebrauches ge-
stattet nur beispiele für diese weiteste bedeutung 'ethisch
1311
GUT, adj., V B 5-6. G
GUT, adj., V G 1-4
1312
bewertet vortreßlidi' : haifstei J)o godon haifst galaubeinais
got. bibel 1. Tim. 6^ 12, bei Ltjthek: kämpfe den guten
kämpf des glaubens;
buent ouh gimuato zua suester iro guato,
reht inti frithu, thar Otfkid V 23, 126;
swie geswsesllchen er ez tuot,
da ist daz reht vil guot
V. rechte 453 Waag;
swft man dem ungetriuwen man .die triuwe wider gtt,
da Ist daz gerihte guot Walthek 107, 8;
guot ist guot, daz mit schänden nie gewannen wart
minnesinger 3, 420» v. d. Hagen;
das gelt syg indifferens, daz ist für sich selbs weder bösz
noch gut H. ZwiNGLi v.freih. d. speisen 11 ndr.; dasz wier
. . . uns von unserem guhten zwecke nicht im geringsten
werden abhalten lassen Zesen verm. Helikon (1656) 1, a t'';
heute ist guter zweck halb terminologisch für wohltätiger
zweck z. b. für einen guten zweck sammeln eine wohl-
tätigkeitssammlung veranstalten; der moralische wert der
handlungen richtet sich nach der Intention und nicht
nach dem erfolg, doch wird dabei gefordert, dasz . . . nur
gute mittel in anwendung gebracht werden Brockhatjs
convers.-lex.^^ 9, 631^; (es) ist der betrug auch gut, so dem
der betrogen wird zum besten gereicht, wie eitern die
kinder, lehrer die Jugend, gewalthaber das gemeine volck
und die medici die patienten betriegen Lehman flor. pol.
(1662) 1, 105; im sinne 'gerecht' {s. oben gute sache 5 a):
wenn dich einst ein guter krieg ins Schlachtfeld ruft,
deiner heimath, so geh, man wird deinen werth empfin-
den, wenn die noth drängt H. v. Kleist w. 5, 317 Schm.;
im sinne 'redlich, ehrlich': alle gute Übungen und handtie-
rungen oder gewärb Fßisius dict. (1568) lös**; als 'den sitt-
lichen anforderungen genügend': skal auk is weitwodiJ)a
goda haban fram |)aim uta, ei ni atdriusai in idweit jah
hlamma unhul|)in8 got. bibel 1. Tim. 3, 7; auch modern in
diesem sinne gebräuchlich gutes Zeugnis z.b.: über den
lebenswandel des Zöglings kann ein gutes zeugnis ausge-
stellt werden, doch klingt meist gut II A 2 g mit; mit neu-
tralem Subjekt:
rehte weiz er (gott) im den muot,
ez sl ubil odir guot v. recMe 457 Waag;
von des {des baumes d. erkenntnis) fruht wart irliant,
swas gut und ubil was genant
ßun. V. Ems weltchron. 278 Ehr.;
(menschen,) die nit in in finden ain gunst und ain lieb doch
zu dem minsten zu allem dem, daz gut und göttlich ist
Taxjleb sermones (1508) 42 »;
so würd bey in {den gemütern) erreget gleich
ihr art und was ist thugentreich,
was in in mutig ist und gut
Fischart l, 255 Eauffen;
es ist alles bösz oder gut, wie der ist, ders thut Henisch
1785;
{hat er) als söhn geehrt meine grauen haare
und immer gethan, was gut und recht?
Kotzebus «. dram. w. 2, 282;
schön, auch gut? du bannst das arge!
doch es trägt dir fluch statt segen
Fr. W. Weber Dreizehnlinden "« 52.
6) unpersönliche konstruktion, die formal von gut I D
ausgeht, bleibt bei gut V selten, ist aber in negativer fassung
öfter bezeugt:
wars gut und recht, dasz du, ein wackrer söhn,
solang die teure lebte, fromm bemüht
und ihr, der tiefbekümmerten, zu willen,
am Strand des meeres wohntest, fern der stadt
und menschen fern, nur kindespfllchten übend . . .
Griliparzer s. w. 7, 30 S.;
es ist nicht gut, das man den gerechten schindet, den
f ürsten zu schlahen, der recht regiert Sprüche Sal. 17, 26 ;
ez ist net gut zo köden (sagen) luge Schmeller cimbr. 127.
C. die auf personale Subjekte bezügliche ethische bedeu-
tung (gut V A) wird bei einigen veriuendungsarten in stark
abgeschwächter oder eingeschränkter form weiterentwickelt
oder bei ironischem gebrauch in das gegenteil verkehrt; die
moralische qualität bezieht sich hier nicht so sehr wie in A
auf die gesamte lebensform, sondern wird mehr in hinsieht
auf bestimmte einzelne f orderungen als gut gekennzeichnet
oder für einen konkreten einzelfall als gut aber wirkungslos
charakterisiert.
l) im sinne 'brav, wacker, ehrlich, bieder' von Charakter,
doch meist mit mehr oder minder deutlichem beiklang von
gutmütiger nachsieht gesagt, vgl. ein 'guter mensch' zu sein,
ist zwar gewisz ein recht wünschbarer preis — aber
dennoch khngt ein unreiner oberton hinein : fast als wäre
der so gerühmte ein ganz klein wenig dümmlich oder
schwächlich J. Schultz d. philosophie am Scheidewege
(1922) 111, die Ursache dieser entwertung liegt im verrinnen
mit gut IV A 2 a ; noch nahe anY Al d, aber mit gewisser
einschränkung , die sonst gern negativ durch nicht schlecht
ausgedrückt wird: die Hannah ist unbesonnen, aber gut
Lichtenberg br. 2, 4; geizig is er und ein biszchen wun-
derlich . . ., aber eigentlich doch ein guter mann Fon-
tane ges. w. I 5, 129; namentlich in ausdrücken wie gute
haut, guter kerl, guter junge u. ä.: du bist noch die alte
gute haut Corvini fons lat. (1646) 60; so ehrliche gute
häute als wir hat die weit nicht mehr Börne ges. sehr. 6,
87; (deshalb) bitte ich dienstfreundlich, man wolle den
guten kerl als einen redlichen landsmann passirn lassen
Rachel sat. ged. 12 Tidr.; B. empfahl dem freunde aufs
dringendste eine anknüpfung mit dem 'guten kerl'
Gutzkow zauberer v. Rom (1858) 3, 201; du bist ein guter
junge! Fr. L. Schröder dram. w.\,b; (er war) ein arger
Schlingel, aber sonst ein guter junge W. Raabe s. w.lll,
420; hierher stellen sich auch : ich brauche ihnen die gute
Seele nicht weiter zu empfehlen, er verdient ihre gnade
und Unterstützung Göthe IV 9, 167 W.; er hat ein gut
gesicht, nur zu wild ist er Storm s. w. 1, 239; mit ironie:
er ist ein guter mann, er friszt keine Schuhwichse und
scheiszt in keine kirche Rother schles. sprichw. 338^;
mehr nach gut IV A 2 hinüberspielend: was überkommt
. . . denn sonst das gute arme volk für staatehre, indesz
. . . jeder edelmann sogar im frieden kriegsauszeich-
nungen erhält Jean Paul w. 37, 32 Hempel.
2) von kindern 'gehorsam, artig, folgsam', auch hier in
mischung mit gut I V A 2 b : danck habe ruthe, du machest
gar gutte kinder jyrov. Fridanci 77; rüt macht die kinder
gut sprichw. (1548) 8t>; gute kinder beschenken und un-
artige bestrafen Göthe 23, 157 W.; der webet ein gutes
webe, der ein gutes kind aufziehet Rother schles. sprichw.
S)im sinne 'unverdorben, harmlos, arglos', auch mit dem
beisinn 'leichtgläubig'; besonders von kindern und jungen
menschen:
ende deines kindes noth
weil es klein noch ist und gut
MüIiLNER dram. w. 1, 68;
und {du herz) glühtest, jung und gut,
betrogen, rettungsdank
dem schlafenden da droben GÖTHE 2, 77 W.;
namentlich in der formet gutes kind :
doch sie weisz nichts hier von, das gute kind
Stieler gehamschte Venus 70 ndr.;
Julie ist ein gutes kind — so wenig eitel — sagen sie das
mir zum angehör? Chr. F. Weisze lustsp. l, 154; aber
son gutes kind, das alles ernsthaft nimmt Fontane ges. w.
I 5, 121; er ist gut wie ein kind Wander 2, 183, vgl. guet
hin arglos Martin-Lienhart l, 248.
4) oft mit pejorativer färbung wie 'brav, bieder, einfältig'
als milder ausdruck der nachsichtigen g er ing Schätzung ,
wobei es sich auch mit gut IV A 2 a berühren kann: die
guten leute meynen nicht, das gott yhren anschlag wisse,
gedencken, er sey gen Calakutten odder ynns morenland
gezogen Luther 19, 315 W.; wenn doch die guten leute
aufhörten, eine Weissagung zu erklären, die nicht erklärt
werden kann Jung-Stilling w. 3, 5 Or.; da behüt euch
gott ihr Teutschen, das ihr ja nicht so bald klug werdet,
auf das ihr eine gute weile noch gute Zärtlinge bleibet und
lasset wehrlinge und nehrlinge sein Moscherosch gesichte
(1650) 2, 106; und fiel der gute tropft (Ikarus) zur erden
Lehman flor. pol. (1662) l, 223;
1313
GUT, adj., V C 5-6. VI
GUT, adj., VI A 1-2
1314
er weis, der gute herr, selber nicht,
er thet mir sonst gar gern bericht
HatnecciüS Hans Pfriem 2332 tidr.;
er klaget in allen gesellschaften über eure gottlose Schrif-
ten, davor kein ehrlicher kerl mehr sicher sey , . ., der
gute herr ist unter dem hüte nicht richtig Gottsched
Vernunft, tadl. l, 199;
das kommt nun unter einer decke
dem guten leser in die band Göthe 1, 11 W.;
wie konnte der mann • . . sich besser rächen, als indem er
... mitleidig ausrief: ach, da hat der gute Mozart auch
einmal gelehrt thun wollen 0. Jahn Mozart 3, 308; der
gute Oels danke doch ja gott, dasz man ihn erträgt, und
poche nicht auf ein talent, das täglich zurückgeht Göthe
IV 20, 317 W.; C. hatte nicht ohne Ironie an den 'guten
Uhland', wie er ihn zur bezeichnung des 'überwundenen
Standpunktes' nannte, erinnert Gutzkow ges. w. 3, 219.
5) häufig verblaszt gut V A zum fast farblosen epitheton,
das nur noch die aufgäbe behält, die bezeichnete person mit
einer ehrenden kennzeichnung ohne besonderen Sinngehalt
zu versehen; häufig klingt dabei ein ton mitleidigen be-
dauerns mit, vgl. auch gut IV A 5: der gut Jude Gianotto
antwürt (il giudeo hat die vorläge) Abigo decam. 29 K.;
eben so gehet es hie diesem guten Habacuc auch und
verdreust yhn seer, das seine lere nicht wil eytel werck
und that werden Luther 19, 364 W.; ym niocht aber nie-
mandt gehelffen und starb allso der gut Lüpoldus Fortu-
natus 75 ndr., vgl. der gute mann hat so bald sterben
müssen Fischer schwäb. 3, 952; die guten jüngling, nach
dem sie desz keisers urtheil vernommen, waren . . . etwas
erschrocken J. W^etzel reise d. söhne Oiaffers 17 lit. ver.;
was solte nun der gute Juncker thun? Gbimmelshaüsen
2, 334 Keller; der gute mensch soll aus Leipzig und hat
kein blut gespien Göthe IV l, 186 W.;
und verlegen sie (die an laden gebundenen brotstücke) genau
in den bof der guten frau W. Buscu Max u. Moritz 2;
du machst den guten leuten bang
K. Scheit Grob. 1889 ndr.;
sie werden . . . kaum glauben, wie die guten menschen
in diesem departement sich beholfen haben Göthe IV 30,
129 W.;
die guten leute zitterten und bebten
MÜLLNEE dram. w. 3, 13.
6) mit einem gut V A entgegengesetzten bedeutungsinhalt
bei ironischer Verwendung:
daz si den guoten man,
den si da kunic hiezen,
wider üf daz hüs iiezen
Ottokar v. Steiermark 96749 Seem.;
darumb wurden die zwen guten kärli (die mörder des Iby-
kus) gefangen Zoleckhofer vilvaltige beschreib. (1564) 10;
wäre der gute kerl mit seiner kleinen injurie zufrieden
gewesen, so dürffte er letzt nicht etliche wochen in des
barbierers gewalt liegen Chr. Weise erznarren 22 ndr.;
da ligts, sprach die gut magd, da empfiel ir das kindt am
tantz K. Scheit Orob. 3446 (am rawde) ndr.; sündigerweise
benützt der gute mann auch die porträts schöner fürst-
licher damen W. Hauff s. w. 3, 210 ; modern gern in iro-
nischen ausrufen: doü bist mei en guder künde! Baüeb-
Collitz waldeck. 63».
VI. seit mhd. zeit ist die entkernung von gut zum masz-
begriff oder zur steigernden kennzeichnung in weiterem uyn-
fange zu belegen, vielleicht nicht ohne einflv^z der entspre-
chenden Verwendung von lat. boiius; für ältere spräche
liegen nur unmittelbar übersetzte fälle ähnlichen gebrauches
vor une die Übersetzungen von Luk. 6, 38 : gibaid, jah gibada
izwis, mitads goda {fjtxQoi' xaXoi') jah ufarfuUa jah ga-
wigana jah ufargutana gibada in barm izwarana got. bibel;
gebet, thanne gibit iu: guot raez {mensuram bonam), gi-
fultaz inti giwegan, inti ubarfliozentaz gebent in iuweran
buosum Talian 39, 3, vgl. Tauler pred. 336 V.; hier liegt
die mehr normierende Vorstellung 'richtig, ordnungsgemäsz"
{vgl. auch gut I A 4) noch so nahe, dasz ein Übergang zur
quantitiererulen Vorstellung 'reichlich' nicht vorauszusetzen
ist, doch vgl. für das altengl. we däer göde hwile stödon
IV. 1. 6
rood kmbl. 140 bei Bosworth-Toller 482^; ob gut in
ward tho giwentit in guota ernust {et factum est in agonia)
Tatian 182, 1 bereits intensivierend gedacht ist, bleibt
zweifelhaft.
A. zu bezeichnungen von maszen, gewichten, bei mengen-
oder zahlangaben und anderen begriffen, die eine Quantität
ausdrücken, tritt gut als normbegriff im sinne 'angemessen,
richtig, ordnungsgemäsz', dann als maszbegriff 'die masz-
einheit überschreitend, reichlich".
1) gutes masz als 'richtiges, angemessenes masz', dann
'hinreichendes, genügendes masz" in präpositiorudem aus-
druck mhd. ze (zuo) guoter mäze; in älterer spräche bis
in das 16. jh. gebräuchlich, vgl. im mhd. ebenso verwendetes
ze rehter mäze, ze maze : den arczte dauchte, er zu guter
masze die ursacher (der) . . . krancheit vernomen het
Ariqo decam. 132 K.; das ander stück, mein leben und
personlich wesen, weis ich zu guter maszen selbs wol, das
es sundlich ... ist Luther 23, 29 W.; solches . . . lateins
zu guter masz gnüg gelachet ward M. Lindeneb rast-
büchl. 33 lit. ver.;
du hast zu guter masz gehört
wie ich dich droben hab gelort
K. Scheit Grob. 818 ndr.;
au^h ohne zu : wie guter masz im 3 buch hievor verzeichnet
ist Stumpf Schweizerchron. 303*, vgl. gütermasz 'genügend'
(ü. y. 1463) Fischer «cAM;ä6. 3, 943; als 'ziemlich' in be-
grenzender funktion :
(er lag) nä ze guoter mäze (nicM allzu weit)
b! der lantstr&ze Hartmann v. aüb Iwein 3365;
im sinne 'erheblich, beträchtlich' als quantitative Steigerung:
der risz (riese) der gieng zu guter masz
über herr Dieterichen;
herr Dieterich mooht mit seim zeichen
nicht an des risen gürtel reichen
Sigenot 85 Schade;
abstrakter 'in hohem masze':
der künec was sinen gesten ze gnoter mäze holt
Kiidrun 325, 2 M.
2) bei masz- und mengenbezeichnungen verschiedenster art
im sinne 'reichlich, beträchtlich'.
a) bei längenmaszen, entfernungsangaben oder allge-
meinen Streckenbezeichnungen:
einer guoten mile
an der lenge het diu schar
Ottokar v. Steiermark reimchron. 96001 Seem.;
bürden ihm zwei schock parchend auf, gute anderthalb
meilen wegs G. Hauptmann d. weber (1892) 17; etwas
anders 'grosze meile', die detäsche meile gegenüber der klei-
neren welschen meile, vgl. 'gut pro longo vel magno ali-
quando utimur: gut meil i. (idem) lang oder grosz Alberus
dict. (1540) 394*': wol sieben guter, groszer, deudsche meile
wegs von der stad Luther bibel 7, 357 Bindseil- Niem.; an
der Stirnen lasz es einer guten handbreit ledig O. Gäbel-
KOVER arlzneybuch (1595) 1, 5; ein gutten stainwurf oder
bey achtzig schritten geystlich strasz (1521) g 4*; dar is
id deip 30 vademe enen guden bussenschote van dem
lande seebuch 24 Koppm.; auf der süder scheeren liegt ein
grund, einen guten musquetenschusz vom lande Mansons
seebuch (1701 ) 6; ein guter weg 'ein weg von beträchtlicher
länge' bis ins 18. jh. üblich:
diu Ime geselleschaft tete
einen guoten wec hin
Hartmann v. Aue Iwein 5553;
Achiron lief hlnder sich
aineu guten weg hin dan
Heinrich v. Neustadt Apoll. 5043 S.;
wenn man auch schon einen guhten weg deszwegen reisen
solte J.Rist n.t.Parnasz (1652) 85; als er aber schon
einen guten weg damit fort wäre Abraham a s. Clara
etuMS f. alle 2 (1711) 15; moderner eine gute strecke:
ich schleppe sie erst eine gute strecke
GÖTHE 12, 159 W.;
eine gute strecke weiter vorwärts D. Fr. Strausz ges.
sehr. 3, 12; ebenso gut«r schritt 'ein groszer, beträchtlicher
schritt', meist übertragen verwendet: im Verständnis einen
83
1315
GUT, adj., VI A 2
GUT, adj., VI A 2
1316
guten schritt weiterkommen Lange gesch. d. mat. 22;
ähnlich: an solche (luftlöcher) kan man nit in den ge-
welben beleiben, welche derhalb . . . ein gutte weyten
haben müssen A. Dübeb underr. (1527) 3 4^; auch über-
tragen gueti witi han Spielraum haben, im frieden gelassen
iverden Staub-Tobler 2, 539: die anemonen wollen gute
weite haben J. C. Sulzeb gartenb. (1772) nach Staub-
Toblee ebda; dise fisch wachsend ... zu guter grösze
Heeold-Fober Oesners thierbuch (1563) 3, 27;
dasz er (der bauch) sich auszstreck breit und lang
und guten räum bab nach seim willen
K. SOHBiT Grob. 611 ndr.
b) bei mengenbezeichnungen, sowohl relativen wie be-
stimmten,
a) ein guter teU 'groszer, beträchtlicher teiV:
Bwaz der -wtten rfche uns ist undertän,
der sult ir teil vil guoten samet Kriemhilde bän
Nibelungen 693, 4 B.;
der Frankfurter drvA^k des renner ersetzt ein michel teil
8268 Ehr. durch ein guttes theil 41 a, vgl. P. Waelies (diss.
1912) 67; ein gut teil (eine ziemliche anzahl) schlaffen
1. Kor. 11, 30; er erschlug einen guten theyl eins raths zu
Rom Seb. Feanck chron. Oerm. (1538) 22»; der kleinste
kelch hett 18 marck goldes . . ., der gröst ein gut teyl
mehr 73^; als sie aber nun des weins ain gut theil em-
pfangen hetten M. Lindeker rastb. 17 lit. ver.; ein guten
teil desz tags ad multum diei Feisius dict. (1556) 27''; (die
vettern, die) im begriffe sind, ein gutes teil der viel zer-
hackten . . . grundstücke an sich zu bringen G. Kellee
ges. w. 1, 13; en gaud del Sohambach Qütt. 60»; auch in
der materiellen arbeit steckt nämlich ein gutes bruchtheil
geistiger cultur W. H. Riehl d. dt. arbeit 73; als adverbiale
bestimmung formelliaft, 'zu einem erheblichen teil, zumeist' :
ich briefschribender art (die zu gutem teil ... in der
rhetoric reglen grundt hat) ze pflegen mich üb Riedeeee
rhetoric (1493) a 3»; 'erheblich, beträchtlich': (um) meinen
Faust . . . doch wenigstens um ein gutes theü weiter zu
bringen Göthe IV 12, 167 W.; sie ein gut teyle getrost was
Arigo decam. 108 K.; nur dasz er ein gut theil alberner
schreibt Geestenberg recens. 93 lit.-denkm.; auch zu-
sammengerückt: der Stoff ist ein gutteil ernster Scheffel
ges. w. 4, 48; namentlich im genitiv, vgl. groszen teils,
gröszten teils : das gantze Burgund sampt der statt Lyon
und waz umb Lyon herum in Provansen guts teils liget
Stumpf Schweizerchron. (1606) 213»; und warfen guten
theils das gewehr von sich v. Chemnitz schwed. krieg 2
(1653) 195; die . . . guten teils unschuldige behaghchkeit
E. M. Arndt s. w. i, 66 R.-M.
ß) ein gutes stück 'ein groszes, beträchtliches stück':
drumb wartent, so gehe ich geschwindt
bring euch darfür ein guet stüclth brodt
Endinger judenspiel 34 ndr.;
ein guts stück wegs sind wir nun fro
FiSCHAXT glückh. schiff 484 ndr.;
worden dem Helene zu theyl
ein gutes stuck von seinem reich
Speeng ÄnMs (1610) 51»;
unter der aufforderung, ein gutes stück essen, das in der
Schüssel übrig geblieben war, zu sich zu nehmen H. v.
Kleist 3, 229 Schm.; er könnte sich hier ein gutes stück
geld verdienen Eichendoef s. w. 3, 33, vgl. e guet stück
rewen Martin-Lienhaet l, 248; en god stück 'reichlich
bemessen' Mensinq 2, 424 ; e guder fetze, e guder schmurre
'ein groszes stück' Follmann lothr. 221; entsprechend:
und schneid ein gute portz darvon
K. Scheit Grob. 719 ndr.
y) eine gute zahl, anzahl, summe u. ä. : eine grosze oder
gute zal bene multi Feisius 161»; dasz ir (der schafe) ein
gute zal der wolf erhaschte Kiechhof wendunm. 1, 541
Ost.; eine gute zahl, ihrer viel aliquammülti Reyhee thes.
(1668) 1, 260; sein eheliches beilager (ist) ... im beisein
der fürstlichen personen und sonsten in guter anzahl ehr-
licher leute gehalten worden v. Schweinichen denkw. 11
Ost.; als der hertzog eine gute anzahlen allerley wahren,
sammet, seiden etc. bedurfte Mäynhincklers sack (1612)
B 3^; ich hatte eine gute anzahl sogenannter anakreon-
tischer gedächte verfertigt Göthe 26, 225 W.; ein gute
summ geltes Aeigo decam. 78 K.; mit einer guten summe
scudi reiste ich von Mantua Göthe 43, 116 W.; eine gute
reihe jähre habe ich auch gelebt Fe. L. Jahn w. 2, 727 E.
(J") bei bestimmten und unbestimmten mengen- und bei
zahlangaben: darmit man inn eim jeden zug auf das we-
nigste ein gut halben omen wassers herauf mög schöpfen
Sebiz f eidbau (1579) 12; nimm diey gute bände voU das
grüne von den welschen nüssen J. Walther pferde- u.
Viehzucht (1658) 150; ein gute halb mas wein Grimmels-
HAUSEN 2, 17 Keller; darbey die pauren nach alter gewon-
heit ein gut fasz hier zuvertrincken hatten B. Keügee
Ciawerts werckl. hist. 27 ndr.; (mische) lilü convallii wasser
zween gut löffel voll Paeacelsus op. 1, 360 H.;
ein gutes glas von dem bekannten saft
GÖTHE 14, 123 W.;
zur guten hälfte germanischer art und abkunft E. M.
Aendt sehr. f. u. an s. l. Deutschen 3, 101 ; en gueter Zentner
Staub-Toblee 2, 539 ; Krommer, ein guter fünfziger, stand
um 1815 im zenith seines ruhmes W. H. Riehl musik.
charakterk. 2, 219 (Kr. ist 1759 geb. 2, 215); vor die zahl ge-
rückt: noch gute vierzehn tage habe ich hier zu thun
Göthe IV 35, 119 W.; (das lied) ist seine guten dreyszig
jähr alt 41, 36; in neuerer spräche ist statt dessen vor die
Zahlangabe das adv. gut getreten, z. b. er wiegt gut andert-
halb Zentner, ich komme in gut drei wochen zurück, sie
ist gut siebzig jähre alt, vgl. auch sp. 1328.
£) von gut III A 7 b ausgehend, aber in nhd. zeit schon
vorwiegend als quantitative kennzeichnung empfunden bei
unbestimmten angaben über entlohnung, bezahlung, preis,
besitz u. ä.; noch mit dem beiklang subjektiver Wertschätzung:
und dir dartzu aynen guten sold geben Fortunatus 43 ndr.;
ein ampt ohne guten sold macht dieb Lehman flor. pol.
(1662) 1, 18; (der chirurg) sol . . . von dem reichen gütten
Ion haischen H. Braunschweig chirurg. (1539) 2»; ehr
und guter lohn seynd zur arbeit scharpfe sporn Lehman
jlor. pol. 1, 86; ein gutes trinckgelt buch d. liebe (1587) 20»;
für diese nachricht sollst du ein gutes trinkgeld bekom-
men V. Ceonegk scÄr. (1771) 29; gute belohnung macht
wilHge arbeiter Petei^. Teutschen weiszh. 2, Hh 1»; wer
sich eines guten Vermögens trösten kan, der darf . . . nicht
verzweifeln Che. Weise pol. redner (1677) 6; sie sollen
ihren männern eine gute konstitution geben und gut ver-
mögen zubringen Fr. L. Schröder dram. w. 1, 18; objek-
tiv: ir heymsteuer gut und nicht klein ist Aeigo decam.
99 K.; ayn so kostliche kirchen, ... die er so eerhch be-
gäbet hatt mit guten zinszsen in ewig zeit Fortunatus 64
ndr.; ein jeder burgersman (soll) . . . mit einen gueten
opfergelt versechen sein österr. weisth. 6, 210;
um guten preis gemachte kleider
Pfeffel poet. vers. 1, 79;
freylich würde dieser scandal gutes geld eintragen Göthe
IV 29, 30 W.
c) bei Zeitangaben und bezeichnungen der dauer, vgl. schon
ags. göde hwile, s. oben VI köpf; bei unbestimmten Zeit-
angaben, gute weile, zeit 'Zeitraum von beträchtlicher dauer' :
da. stuont er guote w!le ob in
■weinende unde klagende
GOTFEID V. Straszbukö Tristan 18654, vgl. 8487 ;
er ein gut wüi sin herz also mit got erkülte H. Seuse
dtsche sehr. 85 Bihlm.; der abte ein gute weyel in der
kamern gestanden was Arigo decam. 46 iT.; dasz er . . .
mit gebücktem haupt uberzwerch diesen wald ein gute
lange weil einritte Amadis 87 lit. ver.; also war mein
printz eine gute weile mit seinen äugen an den ihrigen
geheftet verblieben A. v. Ziegler asiat. Banise (1689) 299;
ohne die mindeste hast zu zeigen, bUeb Thiel noch eine
gute weile im innern der bude G. Hauptmann bahnw.
Thiel (1892) 25; präpositional: vor einer guten weyl jam
dudum Frisius 641»; das man in guter weil (für längere
zeit) nit waiszt Fortunatus 60 ndr.; sein ampt münd-
lich und mit guter weile (mit beträchtlicher zeit, in aller
ruhe) . . . verrichten Moscherosch ins. cura par. 135 ndr.;
1317
GUT, adj., VI A 2. B 1
GUT, adj., VI B 2
1318
ähnlich: wir haben gute weile {zeit genug, d. h. wir können
es uns bequem machen) Gerstenbeeg Ugolino 252 nat.-lit.;
vgl. Schweiz, en gueter rung weile, zeit (Zürich) Staub-
ToBLER 2, 539; (er) gut zeit vor essen kam Arigo decam.
46 K.; also wasz ain gute zeit zwayung in dem reich
Knebel chron. v. Kaisheim 66 lit. ver.; ihre königl. maje-
stät (ist) , . . schon eine gute zeit hero jämmerlich ver-
führet worden 3. 'Rist: friedewünsch. Teutschl. (1647) 24;
bis mir . . . dieses gelänge, möchte wohl eine gute zeit
vorbeystreichen Göthe IV 22, 216 W.; gute zeit im sinne
'frühe zeit' vgl. unter gut I C 1 c (sp. 1256/.), dazu als
nachtrag:
8i benimet mir noch guot zlt (frühzeitig) den l!p
d. Heidin 1390 Pfannm.;
in älterer spräche verbleibt gutes alter 'hohes alter', vgl. eins
guten alters und wol betaget proveda aetate Frisius 54^,
wohl nach dem lat. bona aetate ebda 158^:
in gütim altir man in ( Oideon) sah
von dirre weite scheiden hin
EUDOIF V. Ems weltchron. 18961 Ehr.,
vgl. 'mortuusqiie est Qedeon . . . in senectute bona' jud. 8,
32; du wirst begraben in eim guten alter erste dtsche bibel 3,
87 Kurr.; (David) starb in gutem alter 1. chron. 30, 28; er
ist endlich bey gutem alter gestorben Barth weiberspiegel
(1565) E 7^; Theodosius (ist) . . . nach langer regierung in
gutem alter ausz diser zeyt gescheiden Stumpf Schweizer-
chron. (1606) 192 8'; in gleicher Verwendung auch guter tagen,
guter Jahren in erstarrtem genitiv, vgl. guter tagen aetate
provectus Frisius 1084'': er ist gsammlet zu synen vätem,
als er guter tagen gsjTi L. Lavater v. gespänsten (1590)
nach Staub-Tobler 2, 540; guter jaren, vast alt annis
plenus Frisius 10121 ; bei bestimmten Zeitangaben: ein
guette stund lang Sbutter bei Fischer schwäb. 3, 943;
als der priester . . . eine gute halbe stunde gesungen per-
sian. reisebeschr. 14 in: Oleariüs verm. reisebeschr. (1696);
eine gute, starcke, lange stund Kramer t.-ital. 2, 1026'>';
'wie weit ists von hier?' 'eine gute stunde' Lenz ges. sehr.
1, 137; in den türm ist es drei gute stunden W. Hauff
s. w. 4, 312; wenigstens hast du in 3 guten monaten nichts
nach ihr gefragt Göthe IV 1, 156 W.
d) im Übergang zur intensivierenden anwendung, aber
noch auf qtiantitative gröszen bezüglich im sinne 'beträcht-
lich grosz, tüchtig, kräftig':
ich musz mich vor ein wenig Itröpfen,
dasz ich ein guten truncl: mög schöpfen
K. SCHKIT Grob. 96 ridr.;
nach diesem soll sie ethche morgen ein guten trunck
keszwasser thun Wirsung artzneyb. (1588) 545<J; sie ...
alsobald drey gute zechzüge thut S. v. Birken verm.
Donaustr. (1684) 13; ein guter sufE in einem athem Hul-
sius diel. (1618) 2, 59 »; mit einem guten schöpf oder
truncken Frisius 1031'^; auf einen guten rausch gehört
ein gute ruhe Lehman flor. pol. (1662) 2, 779; e gueti well
ein tüchtiger rausch Martin-Lienhart l, 248; en gueten
schluck, e gueti mögi han im trinken und essen bedeutendes
leisten Staub-Tobler 2, 539; umgangssprachliche redens-
art: der hat aber einen guten zug an der kehle, am leibe!
u. ä.;
(der betrüger gibt)
für pfeffer mäusedreclt, tuht einen guten satz
der sllbermüntze zu . . .
BacheIi eai. ged. 60 ndr.;
an Wilhelm habe ich fortgefahren, vieUeicht thut er dies-
mal einen guten ruck Göthe IV 7, 60 W.; he hett n goden
settdidal einen sehr dicken hintern Mensing 2, 424; en
gueter schueh stark gemessener fusz Staub-Tobler 2, 539.
B. bei der Verwendung als mittel der Steigerung bleibt nur
noch ein funktioneller wert zurück, der den Sinngehalt des
beziehungswortes intensiviert; in neuerer spräche geht dieser
gebrauch von gut zugunsten anderer adjektive stark zurück.
1) bei ausdrücken objektiver art als gradbezeichnung wie
'tüchtig, kräftig, gehörig' in steigernder funktion gebraucht:
ain prügel, den nymm in die hannd,
gib deinem herren gut straich
in den ruggen und in die waich
liederb. d. Eätzlerin 292 H.;
dasz ich wie ein edler Spartaner wol einen guten streich
ausstehen kan Rachel sat. ged. 4 ndr.; wyr musszen yhn
myt eynem vater unszer eyn gutten puff geben Luther
27, 445 W.; und greif den fordersten bei dem har und gab
im einen guten rupf Eulenspiegel 12 ndr.; ich wolt im nach-
reiten und im ein gut schlappen (ohrfeige) schlagen 66;
gäbe ihr eine gute maultaschen mit der hand Mäyn-
hincklers sack (1612) a 2*; dasz sie ihren bräutigam mit
guten schlagen zu dem altare begleitet Chr. Weise pol.
redner (1677) 782;
dasz er on kertzen schlafen gieng
und guter beulen vil entpfleng
K. Scheit Grob. 2388 ndr.;
die bUdnisz haben ettlich schendhch gehandeUt . . ., die
wol eyner guten straff werd weren Luther 10, 2, 33 W.;
einem einen dichten, guten, scharfen verweis geben
Kramer t.-ital. 2, 1307''; denn das er gute, fette, starcke
lügen auslesst Luther 18, 191 W.;
folgt mir nur nach in guter eyl!
GiLHUSius gramm. (1597) 41;
obwohl die sache . . . noch lange nicht zum ziel gediehen,
so war sie doch in guten zug gebracht Ranke s. w. 1, 88 ;
damit diesz mich nicht treffe, will ich auf guter hut sein
Herder 3, 44 S.; deswegen bleibt doch immer . . . der
gute unterschied Jean Paul w. 4, 69 H.; dis isch e guder
dreck eine kleinigkeit Follmann lothr. 221; adverbial gut
ding 'tüchtig': das crucifix ist auch eynmal der stecken
gewesen, damit man ine gut ding abgeschmiert hat
Fischart binenk. (1586) 177^; meist zusammengerückt:
der schwartz hund laufft guetding J. Pauli (1519) bei
Sohmeller-Fr. 1, 964; mit dem gaiszelstecken guetding
zugeschlagen (v. j. 1657) bei Fischer schwäb. 3, 965; noch
mundartlich: ich habe a gutding (recht sehr) geweint
Klein prov.-wb. 1, 172; der Natz hat uns schon oftmalen
gutding geholfen Rosegger sehr. I 13, 218, s. auch unten
guting an aiphabet, stelle.
2) in entsprechender anwendung auch bei begriffen aus
einer mehr subjektiven sphäre; ob hier gut noch einen
eigenen bedeuiungsklang enthält oder lediglich Steigerungs-
mittel ist, läszt meist nur der sinnzusammenhang des ganzen
abschätzen, weswegen ähnliche belegfälle auch anderorts ver-
zeichnet sind: er solle von innen in gutem friden hüben
Tauler pred. 173 F.;
sollicher weisz Troya die statt
vor dir noch guten friden hat
Spreng Ilias (1610) 98»,
vgl. auch sp. I24l/.;
gluck zu, gluck zu, mit guter rhu
vollbringet frisch und gsund die reiszl
F18OHART glückh. schiff 214 ndr.;
der fette hahn schlief noch in guter ruh Grimm dtsche
sagen l, 193, vgl. sp. 1272; er het nit guten lust, allen tag
mit den feinden zu fechten Eulenspiegel 33 ndr.; guten
lust und sondere neigung zum feldbau SEBiz/eM6ott(1679)
37; damit du deine stunde nicht ganz bey dir verloren
habest, hätte ich gute lust . . ., dir eine kleine lehre mit
nach hause zu geben Wieland s. w. (1794) 13, 140; doch
habe ich immer noch gute lust, hier länger zu verweilen
Göthe IV 19, 386 W., vgl. sp. 1277/.; er daran ein gut
vergnügen hatte A. Oleariüs persian. rosenthal (1696) 45;
do von dir sol ein gute genügen geschehen Arigo
decam. 21 K.; sie wolle an dem ein gut benugen haben
Warbeck seh. Magelone IQ B.;
lieben gesellen, habt guetten flelsz!
altdtsche passionssp. a. Tirol 51 Wack.;
da läse der könig den brief mit gutem fleisz bu/^h d. liebe
(1587) 93*'; gut strenckhait, das übel zu straffen zehis
DiEFENBACH gl. 635^; einer dame . . ., der es einkömmt,
sie in gutem ernste zu lieben Lessing 2, 386 L.-M. (die
handschr. hat in allem ernste); auch ihm bot er . . . die
hand zum frieden, es scheint in gutem ernste Mommsen
röm. gesch. 2 (1908) 322, vgl. sp. 1310; die ausführliche
fabel von der Pasiphae ist mit gutem vorbedacht in die
geschichte des Cephalus und der Procris verwandelt
worden Ramler einl. (1758) 1, 408.
83*
1319
GUT, adj., VI B 3. VII
GUT, adj., VII A 1
1320
3) nach ihrer Verwendung im nhd. stellt sich die Verbin-
dung zu guter letzt hierher; die herleitung aus zu guter
letze 'als erfreuliche abschiedsgabe, erfreuendes andenken^
{vgl. gut III A6)ist nicht unwahrscheinlich, vgl. A. Richter
dtsche redensarten* (1921) 130; da letze auch 'ende'' be-
deviete, irnr der sinn 'zum guten ende, zum guten schlusz'
{vgl. gut III A 4) leicht erreichbar, doch ist der ausdruck
wohl unier dem einflusz von VI A 2 c bereits im älteren nhd.
zur Steigerungsformel 'zu allerletzt, ganz zum schlusz' ver-
allgemeinert, vgl. was wol ansetzt, laszt gern gute letz
{'findet ein spätes ende, läszt sich viel zeit'), quae sero con-
tingunt magnifi,ca, zu: spat obs ligt lang sprichw. (1548) 8»:
so wll Ich euch ein täntzleln klein
zu guter letzt (ehe ich gehängt werde) vor hören lahn
A. Dietrich baurenknechi (1618) b 4";
doch wolte ich zu guter letze s. Johannis segen noch
trincken Grimmelshaüsen 2, 374 Keller;
daaz er mir zu guter letzt
mein begräbnisliedt gemachet
S. Dach 761 Ost.;
da befahl Josef seinen brüdern noch zu guhter letzte,
sie selten seinen vater nicht sagen, dasz er von ihnen ver-
kauft worden Zesen AsseruU (1679) 282;
ich hab es tausend mahl zu guter letzt gelcüst
Hoffmannswaldaü-Neukikch 2, 32;
ich will sie {die Wahrheit) auch noch zu guter letzt sagen
J. E. Schlegel w. (1761) 3, 587; er wird also zu guter
letzte noch einmal alle seine kräfte anstrengen Jung-
Stilling w. 3, 247 Or.; dasz wir die wort- und klang-
wiederholung zu guter letzt noch hinausbringen Göthe
IV 37, 51 W.; bevor mr abzogen zu guter letzte sangen
mr nochs bluttgerichte G. Hauptmann d. weber (1892) 40.
VII. adverb zum adjektiv gut ist seit alter zeit wohl
{s. sp. 1227); nach F. Bechs angeblichem nachweis — von
R. Bechstein Gottfrieds v. Straszburg Tristan^ 1, 183
{anm. zu 5236) zitiert, aber nicht auffindbar — soll guot um
die mitte des 13. jhs. als adv. schon geläufiger sein, vxu je-
doch starke zweifei verdient; diu guote gemuote Tristan i
5236 enthält das ad}., wie der stete gemute graf Rudolf d 7 j
Gr. und den senften gemüten ebda k** 29 erweisen, und
statt diu suoze gemuote Hartmann v. Aue Iwein 7300
legt auch die Überlieferung das adj. süeze näher; die beleg-
stellen im mhd. wb. 2, 1, 256/. lehren, dasz im mhd. zu ge-
muot sowohl das adj. wie das adv. treten kaym, je nachdem
peraon oder funktion {vgl. wol gemuot ebda 2, 1, 268, baz
gemuot 2, 1, 256) im sinnvordergrund steht, eine ähnliche
doppelung zeigt sich in der formet ez guot tuon {vgl.
sp. 1255) neben ez wol tuon (Hartmann v. Aue Erec 2260,
Kudrun 184, 2), wo objekt und verbum rivalisieren; solche
doppellösungen bereiten ebenso wie die seit dem 14. jh. auf-
tretende feste Zwillingsformel wol und gut der Umbildung
des adj. zum adv. den boden; zunächst gut I A 7 a ent-
sprechend: antwurtt in der wirt herauz oder wil in ver-
antwurten, wol und gut! {anf. d. 14. jhs.) weisth. 6, 116;
redent si dann und khoment über ain mit unns, das uns
der gelt, den wir von den. Putschen ehmaki gehabt haben,
von in widerkhert wirdt, der an uns genügt, wol und gut !
{v. j. 1337) in: v. LoRi baier. bergr. (1764) 10; wollen si
williklich die pfrönden lassen, wol und gut! Eberlin
V. GÜNZBURG s. sehr. 1, 188 ndr.; qualifizierend: wer alles
wol und gut rede sprichw. (1548) 176'';
vor dieser zeit und noch anjetzt erscheint,
wie gutt und wol, herr Höpner, ihr mich meint
TSCHKRNINQ dtsch. gct. frül. (1642) 125;
so mundartlich gepaart: t is bi mi to hüs all göd un wol
TEN Doornkaat-Koolman 1, 655; als Verstärkung {s. unten
F 2 a): he hätt t good un woll vergäten Stürenburg 73;
got on wähl Leithäuser Barmer ma. 61*; auch unver-
bunden: wol gut, saget er, ich wil sie besehen Ämadis
74 K.;
wol gutl weil gott sein reich den kindern anverspricht,
erbt jene weit allein, und diese weit erbt nicht
LOGAU sinnged. 35 E.;
umfänglich tritt gut als adv. im frühnhd. auf, doch beruht
ein groszer teil der fälle auf Umbildung ursprünglich ad-
jektivischer oder substantivischer Wendungen, z. b. gute
acht geben {vgl. sp. 1248) zu gut acht geben: der . . . geb
gut acht auf die propheten und aposteln J. Mathesius
Sarepta (1571) 43»;
und gut acht nemen aller Sachen
H. B. Manuel weinspiel 73 ndr.;
vgl. weiter es ist mir zu machen gut {s. sp. 1282) zu ich
habe gut machen {s. unten C 7), kein gut tun zu nicht
gut tun {s. unten A 1 c /5), mhd. einem guot {subst. n.) tuon
zu einem gut {neben wohl) tun {s. unten A 1 c c)') usw.; der
prozesz der ablösung von wohl durch adverbiales gut
schreitet noch in neuerer spräche fort, sodasz wohl als quali-
fizierendes adv. stetig zurücktritt; in heutiger spräche sind
z. b. die um 1800 noch geläufigen Verbindungen es schmeckt,
riecht, klingt wohl {vgl. teil 9, sp. 968 und Adelung 4
[1801] 1591) nicht mehr möglich und durch es schmeckt,
riecht, klingt gut ersetzt {s. unten G 1), was sich nd. im
15. jh. bereits anbahnt, vgl. gud rukende crut anetum {voc.
V. 1417) Diefenbach nov. gl. 2S^.
A. aus gut I als adverb entwickelt.
1) entsprechend gut I A bzw. B.
a) bei verben, die eine technische oder künstlerische
fertigkeit bezeichnen {vgl. gut 1 B 1 d), als ausdruck dessen,
dasz die tätigkeit in zweckentsprechender, richtiger weise
ausgeübt wird; meist mit der qualitativen wertung ver-
bunden; häufig mit dem verb zusammengerückt, vgl. komp.-
typ.ld: aber dise meyster und richter müsz er (der
baumeister oder Schreiber) leiden und eben die, die es so
gut zu bauen und zu schreiben nimmer mehr vermöchten
sprichw. (1548) 50*;
viel lürsten fechten gut und herrschen doch nicht wohl
Besser sehr. (1732) 1, 4;
. . . man sollte nicht glauben,
dasz ein jüngerer manu so gut zu reden verstünde
J. H. Vosz Odyssee 38 Bern.;
unter mir wohnte eine Wäscherin, die mir sehr gut kochte
Göthe 43, 235 W.; wenn Goldoni gut übersetzt würde,
das wäre ein schätz für unsere spräche Gerstenberg
recens. 56 lit.-denkm.; gut gebrüllt, löwe! gut gelaufen
Thisbe! gut geschienen, mond! Shakespeare 7, 341; gut ist
sie gemauert {die steinsäule), noch im sommer 1873 zeigte
Peter sie mit stolz den besuchem des Rainthaies Barth
Kalkalpen 587; in adjektivische fassung umgebogen: bren-
net es, sie haben gute gemaurte heuser darfür sprichw.
(1548) 66*; er . . . spielte ein gutes klavier Schubart leb.
u. ges. 1, 5.
b) ebenso bei allgemeineren tätigkeitsbezeichnungen:
hastu es gut eingebrockt, so isz es gut aus Eyerinq prov.
(1601) 1, 389; lassen sie mich das gut vollenden, was gut
angefangen ist Göthe IV 8, 41 W.;
wir ziehen rasch von dannen,
wie wehrt die landwehr gut
SCHNECKENBURGER dtsche lieder 21;
gut gekauet
ist halb verdauet Bremser med. paroem. 219;
'der rahm {wird) über die morgenmilch gegossen und mid
der chellen gued zertriben' Friedli Bärnd. 2, 398;
werd nehmen grüne linsen, gut
mit zehn pfund reis gemischt
K. BÜCHER arbeit u. rhythm.* 181 ;
na, binde man alles gut zusammen Fontane ges. w. I 6,
127; so bei rezepten und gebrauchsanweisungen häufig ver-
wendet, z. b. gut umrühren, gut verreiben, gut reinigen,
gut trocknen lassen; berufssprachlich vielfach in festen
technischen Wendungen im gebrauch: 'gut abkommen be-
deutet, wenn beim abdrücken des feuergewehrs die richtung
desselben auf dem Zielpunkt geblieben isV Behlen forst- u.
jagdhmde 3, 518; 'ist das grattier gued trofiens, so wird
es gleich ausgeweidet' Friedli Bärnd. 2, 223; 'gut ge-
flossene {zinnschlacken) sind mehr glasartig und leicht'
Lampadius hwb. d. hüttenkde (1801) 1, 92; 'gut gelagert
sagen {die roszhändler) . . . von einem pferde, wenn es gerade
auf seinen füszen stehet' Jacobsson 5, 767*; 'gut treiben
{heiszt) . . . , wenn bey dem treiben das geschmolzene bley-
1321
GUT, adj., VII A 1
GUT, adj., VII A 1
1322
werk, ohne sich zu verschlacken, auf der aschenkapelk rein
fUeszV 4, 433^; 'der schriftgieszer nennt böse buchstaben
solche, die nicht oder nur schwer bei gewöhnlicher behand-
lung gut fallen, d. h. sich nicht vollkommen und rein aus-
gieszen' Pkechtl techn. encycl. 16, 574; 'gut gefallene
presse [heiszt) die zwcyie warme fresse, welche das tuch bei
der appretur erhäW Jacobsson 2, 177*; ein sehr gut wir-
kender, dauerhafter und leicht nachzuschärfender vier-
schneidiger Senker {in der bohrmaschine) Pkechtl techn.
encycl. 21, 574.
c) etwas gut machen 'etw. in richtiger, zweckmäsziger
weise ausführen' ; das adv. ist hier wohl aus dem prädika-
tiven adj., das zum akkusativobjekt gehört, herausgebildet:
so man solche gepeu recht und gut macht, darf man das
in vil jaren nicht pessern A, Düeer eil. underr. (1527) E 4*»;
man sol ein ding nit zu gut machen sprichw. (1548) 136'';
hastus gut gemacht, so wirstus gut finden Eyering prov.
(1601) 3, 7; er machts eben so gut egli fä altrettanto Krä-
mer t.-ital. 2,829''; sie haben ihre Sache ... gut gemacht
GÖTHE 21, 162 W.; das hast du einmal gut gemacht
Alexis Roland v. Berlin l, 25; das macht der guat das
ist nicht übel Jakob Wien, n^; nach gut IC hinüber-
greifend als abschiedsgrtisz im nd. und md. verbreitet machs
gut, machts gut!, vgl. machts gut fatela galantemente
Kramer t.-ital. l, 579, z.b. Schambach Gott. 60^, Bauer-
CoLLiTZ wald. 42^, Hofmann niederhess. lli'', Lambert
Fennsylv. 75* u. ö.; mehr nach gut III A 4 hin:
deiner sorge schwere last
niint er weg, macht alles gut
Paul Gerhardt in: Fischkr-Tümpel 3, 320;
gott macht es gut Arndt s. w. 4, 6 R.-M.; etw. kurz und
gut machen vgl. unter gut I A 7 d /S {sp. 1250).
d) gut tun ist genetisch anderer herkunft; in dieser Ver-
bindung setzt sich zumeist das subst. gut fort {s. gut, n.,
A 3 b) ; vereinzelter liegt echtes junges adverb im wechsd
mit wohl vor (s. u. e).
a) gut (daran) tun mit abhängigem objektsatz, 'rätlich,
nützlich, zweckmäszig verfahren", vgl. wohl (daran) tun;
vergleichbar schon: diewijl Anthea mit so groszem zug
kam, hettest du guot gehept, vor dinem unglück ze sin
Morganl 277 Bachm. (nach frz. tu avois beau eviter
ton malheur);
der den schöpffer weisz zu schaffen, thäte wol so gut daran,
wenn er eine weit auch schaöte, die ein solches glauben kann
LOGAtr 543 E.;
gut daran tun mit inf. in neuerer spräche gebräuchlich:
ich {mache) euch darauf aufmerksam, dasz ihr gut
daran thut, möglichst bald . . . dies haus zu verlassen
E. Carlssen Stadt Junker v. Braunschweig (1882) 306; hat
Homer nicht also gut gethan, dasz er 'seiner göttin
nicht so offenbar eine körperliche grösze gab, die alle
natürliche maasze weit überstiege?' Herder 3,119 5.;
wer die {Privilegien) antastet, der würde ebenso gut thun,
einen schlafenden . . . wolf bey den obren zu zupfen
Klinger w. 3, 45.
ß) gut tun im sinne 'nützlich, rätlich, ersprieszlich sein,
etuxis taugen", und oft mit Übergang zu gut I C 'günstig aus-
gehen" in negativer weruiung mit sächlichem subjekt, ist
aus der älteren formel kein gut tun {s. gut IX A l)
zu adverbialer fassung entwickelt: hohmut thut nimer gut,
und kan nichts denn arges draus erwachsen Lutheb bibd
5, 70 Bindseil-Niem. ;
welches doch die lenge nit that gut
und mag ouch nit erlitten werden
Schweiz, schausp. 3, 16 Bäeht.;
spate rew thut selten gut Berthold v. Chiemsee
teutsche theol. 30 R.; es ist solch ding eine rechte . . .
kätzerey und wird in die harre nicht gut thun Mosche-
ROSCH insomn. cur. par. 36 ndr.;
das plaudern thut nicht gut, man wird zu sehr zerstreut
Körner vj. 4, 8 Hempel;
es thut selten gut, wenn der autor sich unterfängt, dem
geneigten leser genau zu beschreiben, wie diese oder jene
. . . person — ausgesehen E. T. A. Hoffmann s. w. 12,
18 Or.; vereinzelt mit persönlichem subjekt: ein bekümmert
mann thut selten gut {nimmt selten ein gutes ende) He-
NISCH 1795; positiv gewendet nur gelegentlich: ich wiU
fleisig seyn, das thut gut Göthe IV 5, 243 W.; anders guet
tuen fügen, passen Schöpf tirol. 220.
y) gut tun mit persönlichem oder personifiziertem subjekt
im sinne 'sich ordnungsgemäsz, geziemend, schicklich be-
tragen', an gut I A 4 a anknüpfend, ist wie ß aus-
schlieszlich aus der substantivformel kein gut tun {vgl. gut
IX A 2) hervorgegangen; 'ordnungsgemäsz arbeiten, im
richtigen zustande sein': item dasz sie aus dem Schnabel
ihren koth wissen von sich zu geben, wenn der bauch
nicht gut thun wil Prätorius winterfiucht (1678) 130; im
waasen wül er {der Pfirsichbaum) nicht gut thun, sondern
wässerige und ungeschmacke fruchte bringen v. Hoh-
berg georg. cur. aucta (1715) 3, 339''; vom menschen, auch
mit einschlag von gut V B, 'sich schicklich, anständig be-
tragen': da sie ein liederlicher mensch sind, der nirgends
gut thut G, Stephanie d. j. s. lustsp. (1771) 284; der platz-
schuster ist . . . ein gemsenwildschütze gewesen und hat
überhaupt in seiner Jugend . . . nicht gut gethan A. Stif-
ter s. w. 5, 1, 210 S.; mit personalem objektsdativ im sinne
'gehorchen': die zither, . . . mit der sie mich sonst einzu-
schläfern pflegte, wenn ich ihr nicht gut thun wollte
Gotter ged. (1787) 3, 545;
BO lang ein edler biedermann
mit einem glied sein brod verdienen kann,
. . . doch thut Ihm endlich keines mehr gut
BÜRGER ». w. 79* B.;
an gut U A 1 anknüpfend bergmännisch: 'gut thun, . . .
von lagerstätten: erze enthalten' Veith bergwb. 256:
es thut kein gang so gut
er hat denn einen eisernen hut
(d. h. er gehe denn nach oben in einen eisensteingang aus)
Dannenberg-Frantz bergtn. wb. 183.
6) gut tun mit persönlichem objektsdativ im sinne 'gutes
erweisen', vgl. daneben wohl tun, leitet sich ebenso aus dem
subst. her {vgl. gut, n., A 3 b): die aber das evangelion
Christi lieb haben, . . . das böse vermeiden und dem
nechsten gut thun und sein bestes gedencken, warumb
solten die nit oft zum sacrament gehen? J. Bugenhagen
Braunschw. kirchenordn. (1531) c 2; elliptisch: wir sollen
gut thun die uns hassen Luther 10, 3, 222 W.; allge-
meiner: ek döe minen väder god 'ich behandele meinen
vater gut' Schambach Qött. 60*; auch präpositional mit
gegen: darumb sollen wir gegen allen menschen güet
thuon, dieweyl wir zeyt haben zum verdienen Berthold
V. Chiemsee t. theol. 570 R.
c) jung aus gut I A 1 c oZ« adv. hergeleitet mit personalem
objektsdativ gut tun im sinne 'heilsam sein, helfen' vgl.
wohl tun : die kalten umschlage . . . hatten ihm gut getan
Gutzkow ritter v. geiste l, 112; das Lauchstädter bad . . ,
hat ihnen früher doch ganz gut gethan Göthe IV 19,
367 W.; de kaffe deit enen god Mensing 2, 427; 'nützlich
sein, gebühren, verdieneyi" : die herren soUten nur einen
tag und eine nacht das leben führen, das ich drei Wochen
lang ausgestanden habe, es würde ihnen gut thun
W. Raabe s. w.lll, 458; von hier aus zu verstehen: emm
guet gnueg thue 'einem {im schlimmen sinne) gehören, es
verdienen' Tobler appenzell. 245*, vgl. modern als aus-
druck der Schadenfreude: das tut dir gerade gut!
e) bei verben der äuszeren %t,nd inneren erfahrung ent-
sprechend, gut I A 6{sp. 1248) im sinne 'genau': Leviathan,
der so gut wuszte, was dem satan gefiel Klinger w. 3, 34;
{ich) erinnere mich recht gut Schiller 12, 69 0.; von
allem war er gut unterrichtet Göthe 33, 12 W.; ich kenne
ihn gut lo conosco benissimo Kramer t.-ital. 1, 579 C; der
bruder hatte ihn weislich nicht darin eingeweiht, weil er
ihn zu gut kannte 0. Ludv5t:g ges. sehr. 1, 157; Rudolf . . .
sah aber alles und paszte gut auf Fontane ges. w. I 5, 132;
ohne bedeutungsgehaü mehr intensivierend 'vollständig' : ich
begreife nun recht gut, wie Flaxmann der abgott aller
düettanten sein musz Göthe 47, 245 W.
f ) zii gut I A 4 a im sinne 'geziemend, schicklich, an-
ständig' {vgl. gut tun dy): und wenn er sich immer gut
aufführt A. v. Arnim s. w. l, 251 Qr.; in heutiger spräche
geläufig sich gut benehmen, betragen.
1323
GUT, adj., VII A 2-3
GUT, adj., VII B. C 1-3
1324
2) zu gut IG im sinne 'günstig, glücklich'.
a) bei verben, die einen handlungsverlauf bezeichnen, wie
angehen, gehen, fahren u. ä.: die invention gehet gantz
gut an Chr. Reutek ehrl.frau 9 ndr.; wie gut es zwischen
uns sich anliesz, ersiehst du daraus, dasz wir mit einer
Umarmung endigten Göthe IV 39, 237 W.; die sache ging
gut durch ihre treue pflege und Wartung Ramler einl. i.
d. schön, wissensch. (1758) 1, 294; wenn alles gut geht,
wünsch ich ihn wohl auf eine stunde zu mir Göthe IV 8,
24 W.; gesteigert in fester wendung das geht noch einmal
(mal) so gut, wobei sich der sinn oft nach gut III A 8 hin
verlagert: wenn die Luise mithalf, ging es noch mal so
gut beim brotbacken oder einschlachten H. V. Kahlen-
BERQ Eva Sehring (1901) 42; nachdem es mit der erklä-
rung der himmelsbewegungen nicht gut fortwollte Kant
3, 12 aJcad.; wenn ihr den zum muster nehmt, so werdet
ihr gut dabey fahren Klinger w. 3, 85.
b) bei verben, die ein handlungsergebnis oder einen zu-
stand ausdrücken: es war ein glück für sie, dasz diese un-
gestempelten tage die meiste zeit für sie . . . gut ausfielen
Hippel lebensl. 1, 26; man . . . wünschte sich . . . glück,
so gut aus einem schlimmen handel gekommen zu seyn
Klinger w. 3,72; ah, da bist du ja auch, rief ihm dieser
entgegen, das trifft sich gut Tieck sehr. 4, 260; s steht
nicht gut ums schiff Müllner dram. w. 3, 67 ; modern z. b.
sein prozesz (seine sache) steht nicht gut.
3) entsprechend gut I A 8 in komparativen ausdrücken
verbalen Charakters.
a) allgemein mit komparierten verben oder nomina im
sinne Hn gleicher weise, ebenso wie'; so gut als : nachdem
es aber nicht zu ändern war, musten sie . . . so gut als
es die zeit und der ort lidte, in Schlachtordnung stellen
Lohbnstein Arminius (1689) 1, 37»;
ich welsz so gut als du den zunder deiner sinnen
Hoffmannswaiüaü-Neukikch 1, 3;
(er) hielt leider auf diese weise das falsche so gut als das
wahre fest Göthe 22, 140 W.;
wir haben auch unsern helden fürwahr,
80 gut als wie die groszen,
die uns wie nichts verstoszen
BÜCKERT «7. 1, 58;
etwas anders 'mit gleichem recht': sie könnte . . . eben so
gut die Bravethei heiszen als die Heiterethei O. Ludwig
ges. sehr. 2, 12; so gut wie: (Newton) setzte ihm {dem lichte)
auch bedingungen entgegen so gut wie wir Göthe II 2,
11 W.;
hört seine letzten lehren an;
er hats so gut wie ihr gethan
und kennt des glückes grenzen I 4,87;
oft ohne relationsadverb : er ... tröstete mich, so gut es zeit
und gelegenheit zuliesz Grimmelshatjsen Simpl. 33 ndr.;
man schreyt, so gut es sich nur fügt
Stoppe Parnasz (1735) 7;
das ist die wahre Weisheit . . ., seine Schuldigkeit thun, so
gut es gehen will GtÖthe 45, 11 W.; sie wissen ja . . ., so
gut sie es wissen Arndt s. w. (1892) 2, 6; z. b. was ich
heute zu tun versäumte, kann ich eben so gut morgen
noch nachholen.
b) schon frühnhd. mit ellipse des zweiten vergleichs-
verbum bei kann, vermag, weisz ; mit als und unbestimmtem
Objekt: der baumeyster macht es wie es im gefeilt, ein
büchschreiber auch also gut als ers kan sprichw. (1548)
50»; als er den zwirn einfädeln konnte so gut als er es je
gekonnt hatte br. Grimm kinder- u. hausm. 2 (1850) 124;
ohne unbestimmtes objekt: ich excusirte mich so gut als
ich kunte Chr. Rextter ehrl.frau 26 ndr.; ein hund ... fiel
über den dieb her, der sich mit dem degen so gut verthei-
digte als er konnte Göthe 43, 149 W.; und ohne relations-
adverb :
liebe mich und treib mich an
dasz ich dich so gut ich kann
^viderumb ümbfang und liebe
Paul geuhardt bei Fischer-Tümpel 3, 300;
ich . . . tröste mich so gut ich kann Caroline l, 3 Waitz;
blasser im sinne 'soweit möglich': ich faszte mich in
meiner wuth so gut ich konnte und wartete Göthe
43, 48 W.; bei modern gebräuchlichem so gut ich es ver-
mag bleibt Objektsausfall selten; so gut ich (es) weisz ver-
bleibt im älteren nhd.:
wer aber dein herr nicht content,
und sprach, dien mir zu disch behend:
80 rhat ich dir, so gut ichs weisz,
du thüst was er dich selber heisz
K. Scheit Orob. 1580 ndr.;
mein hertze soll dir grünen
in stetem lob und preis,
und deinem namen dienen,
so gut es kan und weisz
Paul Gerhardt bei Fischer-Tümpel 3, 324.
B. aus gut II adverbial gebildet bei verben aller art im
sinne 'vortrefflich' als allgemeinster ausdruck einer wert-
bezeichnung, die oft zur bloszen Steigerung verblaszt; die
fülle der möglichkeiten gestattet nur beispiele: fräulein Ul-
rike ist . . . zurückgekommen, hat gut gesehen und er-
zählt gar wacker Göthe IV 41, 192 W.; die tanzenden
(kamen) doch nicht aus dem takte, so gut hatten sie ihre
schule gelernt Klinger w. 3, 30; da in allen allgemeinen
Sprüchen, sie mögen noch so gut durchdacht sein, etwas
unfaszliches . . . liegt Göthe II 6, 11 W.; gut gesagt,
mylord Fr. L. Schröder dram. w. 1, 40; guet gegeben
gut geantwortet Martin-Lienhart 1, 248; reiseberichte
und sagen . . ., die . . . mit den allerältesten andeutungen
gut übereinstimmen Ritter erdk. 1, 168; Kayser läszt
sich gut an, ich hoffe, sein leben hier soll ihn geschmei-
diger machen Göthe IV 5, 56 W.; der Stallmeister halte
sich gut I 25, 35; wir . . . wurden recht gut erzogen
E. M. Arndt s. w. 1, 12 B.-M.
C. aus gut III als adverb gebildet.
1) entsprechend gut III A 1 bei verben der sinnlichen
emp findung:
mir schmäkket nichts so gut als wasz Ich selber esse
Angelus Silesius cheritb. wand. 122 ndr.;
gelt ock alter, du weeszt, was gut schmeckt? G. Haupt-
mann weber (1892) 39; gud rukende crut anetum (gl. v.
j. 1417) DiEFENBACH nov. gl. 23^»; aU wat good rükt,
kummt vun mi, seggt de apteeker un harr in de büx
scheeten Schütze holst. 3, 313.
2) nach gut III A 2 vo7n körperlichen befinden in ver-
balen Wendungen; mit dem verbum substantivum mir ist
(nicht) gut 'ich befinde mich gesundheitlich (nicht) wohl'
neben häufigerem gebrauch mit wohl besonders mundartlich
und umgangssprachlich: (Marthel:) is dir ni gutt, Rusla?
(Rose:) o ja, mir is gutt ! G. Hauptmann Rose Bernd (iQOi)
133; s mer als nit guet 'ich fühle mich fortwährend unwohl'
Martin-Lienhart 1, 248; es ist mir wieder gut Fischer
Schwab. 3, 956; persönlich gewendet: ech sen (gar) net gut
bin krank, ech bön nicks jet gut bin gar nicht wohl und
ähnl. redensarten, vgl. Müller rhein. 2, 1512; ik bün ni
god 'mir ist übel' Mensing 2, 425; auf das geistige Wohl-
befinden übertragen: dem es et net gut 'der ist wohl ver-
rückt' Müller rhein. 2, 1513; gelt s ist dir nit guet 'das
ist nicht wahr' (d. h. du bist wohl nicht bei verstand) Mar-
tin-Lienhart 1, 248; vgl. ähnlich Müller rhein. 2, 1513;
umgangssprachlich geläufige Wendungen sind: sich gut
fühlen, z. b. der kranke fühlte sich gestern wieder nicht
so gut; ech fohle mech net gut Müller rhein. 2, 1512;
gut zufrieden sein, z. b. ich bin heute gar nicht gut zu-
frieden (/MÄ^e mich unwohl); hierzu stellt sich: der gesang
und die anspräche hat mir wieder gut gemacht (hat mein
befinden gebessert) E. Strausz freund Hein^^ 138; er findet
guet druf 'er befindet sich daraufhin wohl' Martin-Lien-
hart 1, 248; eigentlich war es nur verkältung . . . nun
geht es wieder gut und ich treibe mein wesen wieder
fort Göthe IV 29, 218 W.; sachlich hierher gehörig, doch
eher von gut I A 2 d ^ ausgehend: er war ganz gesund und
sah sehr gut aus A. Stifter s. w. 2, 241 S.
3) zu gut III A 4 gebildet vom wünschbaren zustande, an-
genehmer lebenslage.
a) in festen Verbindungen.
a) seit dem älteren nhd. bis ins 19. jh. in der negativen
formel es wird mir nicht so gut (vgl. mhd. ez wirt mir also
1325
GUT, adj., VH C 3-4
GUT, adj., VII C 5-7
1326
wol) im sinne 'ich komme in die angenehme läge, es wird
mir vergönni' : käme Christus selber wider . . ., es würde
im kaum mehr so gut, dasz man in im kühstall sein leger
haben liesz K. Scheit Orob. 4 ndr.; dem fürsten R. aber,
welcher auf dieser waUstatt gerne eine ruhmwürdige
heldenbaare erlanget hätte, ward es nicht so gut, dasz
er sterben mochte Lohenstein Ärminius (1689) l, 43»;
es wird ihm nicht so gut, seinen entschlusz in einer an-
deren seelenlage noch einmal anzuschauen Schiller 6,
79 0.; welches . . . der theologischen facultät nicht so
gut wird Kant w. (1838) l, 220 Hartenst.; ähnlich: denn es
kömmt mir nicht so gut Chr. Weise grün, jugend 63 ndr.;
pfuil dasz 68 nie so gut
mit mir vorhin geschehen
Königsberger dicMerkr. 29 ndr.
ß) es gut haben 'in angenehmen umständen leben' seit
dem frühnhd. geläufig: wie es die gerechten zuletzt gut
haben werden weish. 2, 16; der gut fürst liesz beschehen:
mächten sis gut, so hetten sis gütt Judas Nazarei v. alt.
u. n. gott 29 ndr.; viertens habens auch auf den reiseij
gut diejenigen, welchen die kunst zu singen ein an-
sehen machet Olearius persian. rosenthal (1696) 54;
ich wollte es auch einmal so gut haben wie andere
menschen Lessino 18, 259 L.-M.; auch mundartlich ver-
breitet, vgl. z. b. Seiler Basler ma. 153, Fischer schwäb.
3, 950, Brendicke Berlin, wortsch. 131'', er het s zue guet
ist verwöhnt Martin-Lienhart 1, 249; ironisch: ich heff
di jümmer seggt, du schusst dat nalaten, nu hesst du
t so god Mensinq 2, 426; prädikativ gewendet: in hanns
guoter Lexer kämt. 128; von hier av^ gebildet es gut be-
kommen, kriegen Hn angenehme Verhältnisse kommen\
vgl. Fischer schwäb. 3, 950; awcA es bei jem. gut haben,
bekommen ist heide verbreitet.
y) es geht mir gut, vom gesundheitlichen und wirtschaft-
lichen Wohlbefinden gesagt, ist erst jung bezeugt: erem gutt
gin genesen lux. ma. 158; mir ging es zu gut, das konnte
nicht dauern Göthe 45, 81 W.; o mir gehts auch in der
Stadt gut V. Ebner-Eschenbach ges. sehr. 4, 17; als ab-
schiedsgrusz verbreitet lasz dirs gut gehen! vgl. Mensing
2, 427.
(f) es tut gut 'es ist angenehm" neben häufigerem es tut
wohl scheint erst spät von A 1 c ^ her auf gut III A als
adv. übertragen: du weiszt nicht, vne gut das thut maler
Müller w. l, 126; nach schwerer arbeit tut es gut sich
hinzulegen Crecelius oberhess. 445; es tut gut es ist an-
genehm Müller- Fraureüth l, 452.
e) es sich gut geschehen, sein lassen im sinne 'sich etwas
gutes gönnen, üppig leben" bleiben seltener neben noch ge-
bräuchlichem wohl:
so ein guter baron hat nix zu essen,
während der böse baron sich gut geschehen läszt
J. Nestroy ges. w. 3, 72;
er schwelgte und liesz sich gut seyn Klinger w. 3, 85;
vgl. sech et gutt si lössen 'gemächlich leben" lux. ma. 158.
b) ebenso in allgemeinerer Verwendung : betracht, daz
got dyn herr ist und das du sja. knecht bist, ist er nun
din herr, wie mocht er dich denn nit gut haben {gut halten)
Geiler v. Keisersberg bilgersch. (1512) 29C;
merke wohl: die bringer werden
gut in brot und hier gehalten
Fr. W. Weber Dreizehnlinden 300
es ist des nachts still und gut schlaffen Luther 18, 158 W.
wei sek gut bedet, dei slsepet gut Bauer-Collitz lO^^
häufiger wünsch schlaf gut!; kann man gut zur miethe
wohnen, warum soll man sich sein eigenes haus an-
schaffen? Hippel üb. d. ehe (1792) 35; wer gut webt, der
gut lebt G. Hauptmann weber (1892) lO; ich sitze gut,
sagte die katze, da sasz sie auf dem speck Wander 2, 180;
da wäre ich gut daran, hier einen buckligen leib und die
seele nach dem tode in alle winde S. Brunner erzähl, u.
sehr. 1, 276; ein kerl, mit dem sichs gut zusammen war
H. V. Kleist i, 330 Schm.
4) aus gut III Ab als adv. entunckeü im sinne 'froh,
heiter\'
ihm war gar gut zu muth, als hett er nie betrübt
ein eintzigs waszerchen . , . Reinicke fuchs (1650) 136;
bin ich nicht immer gut aufgelegt gewesen? und wo ist
meine heiterkeit hergekommen? S. Brunner erzähl, u.
sehr. 1, 825; so gut gelaimt sein, z. b. ich bin heute be-
sonders gut gelaunt;
dann Ist der gut gelaunte Sänger
mitunter auch ein kinderfänger Göthe 1, 183 W.;
vgl. auch gutgelaunt an alphab. stelle; anders, in bezug auf
die innere freudigkeit oder bereitwilligkeit 'gern":
alle Ohnwitzer mögen sie gut leiden
KORTUM Jobsiade (1799) 2, 187 ;
wenn er seinen spasz hatte mit jemand, den er gut leiden
mochte, so stiesz er den mit der lockeren f aust in die seite
Anzengruber ges. w. 3, 48; was sagst du zum Wilhelm?
Verena war verlegen, 'gut mag ich ihn', sagte sie lächelnd
E. Zahn helden d. alltags (1907) 18.
5) zu gut III A 6 als adv. vom ästhetischen eindruck
'schön, hübsch', vgl. mit Übertragung von 1 a y her: nim die
harfen, . . . machs gut auf dem seitenspiel und singe ge-
trost Jes. 23, 16; meist vom optisch vermittelten eindruck:
wie gut sie schreibt! kalligraphisch gewisz und ortho-
graphisch beinahe Fontane ges. w;. I 5, 155; besonders in
festen Verbindungen gut lassen, stehen, aussehen u. ä.: eine
Säule in der Adrienne würde ja wohl so gut lassen als
eine im faltigten kleide Kästner rerm.scÄr. (1753) l,i2i;
die frauen beteuerten, diese tracht lasse ihm vorzüglich
gut Göthe 22, 15 W.; utverschamt lett nig good Unver-
schämtheit kleidet nicht Schütze Twist. 50;
ich dreht den ring, — den grafenhut
hat ich sogleich, er stand mir gut
Cl. Brentano ge«. sehr. 5, 75;
übertragen: herr Abel, euch steht es auch gut, wenn euch
so grob begegnet wird Tieck sehr. 3, 179; aim guet asto
gut stehen, von kleidern Seiler Basler ma. 153; der hirsch
wird durchaus nicht schön genenhet, sondern: er siehet
gut aus am leibe Döbel jägerpr. (1754) 1, 19''; sie (die
ringe) sahen sehr gut aus Göthe 43, 86 W.;
dich kleidet reiz and milde gut
Mastaliek ged. (1774) 55;
die bärenmützen der grenadiere nehmen sich sehr gut aus
Solger nachgel. sehr. (1826) l, 52; die blühenden bäume
und das junge gelbgrün zwischen und vor den alten
grauen felsen, den finstem fichtenwäldern machten sich
sehr gut GJöthe IV 20, 71 W.; das kupfer thut im ganzen
sehr gut und ist in seinen theilen fürtrefflich gestochen
12, 279.
6) an gut III A 7 als adv. angeschlossen für die kenn-
zeichnung der ökonomischen läge einer person 'zufrieden-
stellend, vorteilhaft'; vgl. es geht mir gut oben 0 3 a y; denk
ock ä mich, wenn dersch watt gutt gihn Rother schles.
sprichw. 2503'; verbreitet in moderner spräche sich gut
stehen, vgl. sech gutt stoen 'wohlhabend sein' lux. ma. 158;
gut schtehn Lambert Pennsylv. 7b^; als frau Hinkel
hörte, dasz er den Alektryo so gut hätte verkaufen
können, machte sie dem Gockel bittere vorwürfe Gl. Bren-
tano ges. sehr. 5, 56; sie dankt noch dem himmel dafür,
wenn sie ihr geld so gut an den mann bringt Deinhardt-
STEiN ges. dram. w. (1848) 1, 8; aus kaufmännischer vor-
stellungsweit entwickelt im bilde gut angeschrieben sein bei
jem. 'in jemandes gunst stehen' : dieses kerlchen war . . .
bei den frauen . . . gut angeschrieben E. M. Arndt s. w.
1, 28 B.-M.
7) im sinne 'mühelos, bequem, leicht' hat sich adverbial-
bildung aus gut III A 8 früh entwickelt, der wohl gut B
den weg gebahnt hat, indem sich alte unpersönliche kon-
struktion mir ist etwas zu machen gut in die persönliche
ich habe etw. gut machen umbog; vereinzelt noch mit zu:
ein mit messen {messern) unde bussen {büchsen) heft den
nakeden gut to vorslän Tunnicius sprichw. 471 Hoffm.;
sonst ohne zu: du hast gut reden Luther 46, 110 W.; ha,
sagt sie, ihr habt gut sagen, were dem fasz der boden ausz
Fisch ART Oargantuxt 155 tidr.;
du hast gut reden, dacht ich, zum geleite
gab dir ein gott die gunst des augenblicks
Göthb 3, 26 W.;
1327
GUT, adj., VII D 1
GUT, adj., VII D 2-3. E. F l
1328
da hatte freilich der teufel gut machen Luther 26, 197 W.;
er hat gut reich werden sprichw. (1548) 79*'; der dichter
. . . hat gut nach einem ideal arbeiten, der kunstrichter
hat gut nach ideen urtheilen Schiller 14, 4 G.; ich hatte
gut schwärmen, alle diese bilder erreichten sie nicht
Klinger w. l, 243; im sinne 'leicht, aber erfolglos' : aber
die beiden hatten gut winken. Kramer kehrte sich nicht
daran S. Brunner erzähl, u. sehr. 2, 28; aber auch auszer-
halb dieses festen gebrauche« nicht selten: sintemal . . . alle
gemachte äuserlich entweder dieselbe anmuth oder ver-
drüszligkcit zeugen, die dem künstler in seinem gehirne
gesteckt, wenn ihm die arbeit entweder schwer oder gut
von bänden gegangen Lohenstein Ärminius {ifiiQ) 1, 86^;
wie mit der zeit und jaren die mannschaft in eim dorf,
also hett auch, wie gut zu gedencken, die summ des
Viehes zugenommen Kirchhof «jendMwm. 2, 295 Österl.;
das sagt sich gut, allein es übt sich schwer
Grillpakzer «. w. 5, 157 S.;
in negativer Wendung abgegriffener 'nicht so einfach,
Tcaurn' : der witz läszt sich freilich nicht gut wiedergeben,
denn er ist zu derb H. Steffens was ich erlebte (1840) 1,
180; ein ancien ministre {kann) nicht gut wieder vor das
barreau treten und processe führen wie früher Gutzkow
ges. w. 7, 314; ähnlich: die Charakterentwicklung ... kann
das rhetorische nicht gut brauchen 0. Ludwig ges. sehr.
5, 206 ; so in heuliger spräche formelhaft das ist nicht gut
möglich !
D. aus gut IV als adv. abgeleitet seit dem frühnhd. im
sinne 'freundlich, liebreich\
1) 21t gut IV A bzw. B gehörig.
a) formelhafte wendung ist es gut meinen, 'freundlich
gesinnt sein, freundschaftliche gesinnung hegen', vgl. wohl-
meinend: ich meyne es ohn zweyffel gutt Luther 12,
232 W.;
gleichwol verzeih mir mein ungllmpf
das Ich zu bekant mit dir schimpf,
ich malnt es gut . . .
FiSCHAKT glttckh. schiff 58 ndr.;
dasz alles, was die rosengenossen würken, hertzlich guht
gemeinet sein sol Zesen helikon. rosenthäi (1669) 28;
indem es die sonne dergestalt gut mit uns meynete
Schnäbel insel Felsenburg (1731) 4, 241; jut meinen
liebkosen Jecht Mansf. 45; auch ins pejorative um-
schlagend bei einem miszverhältnis von absieht und
Wirkung: sie meinen es gut und werden mich noch um-
bringen Göthe 22, 127 W.; 8 war guat gement, s it halt
Schlacht ausgf alln Ruckert unterfr. 67 ; nuch gut V B
hin 'ehrlich': aber sein {des papstes) grimmigkeit ereugt
sich so dan am allermeisten, wan er . . . sich stellt als
meynet er es gut und trewlich Hütten opera l, 384 Bock.;
er meinte es treu und gut Stifter s. w. 3, 147 8.; mit per-
sönlichem Objekt präpositional durch mit verbunden:
ich mein es hertzlich gut mit dir
J. Spreng Utas (1610) 5";
dann ich seh in allen dingen
wie 80 gut ers mit mir meyn
Paul Gerhardt bei Fischer- Tümpel 3, 347»;
deinem alten freund und lehrer, von dem du weiszt, dasz
ers gut mit dir meint Fontane ges. w.I 6, 9; vereinzelt mit
Objektsdativ: schauen sie, ich mein ihnen s gut Nestroy
ges. w. 2, 233.
b) entsprechend in anderen Wendungen gleichen sinnes
gebräuchlich: und kan dyr wol die sprüch, die du am
besten gefasset hast, ausz den bänden nehmen, das dyrs
feylet, wenn du es gleych gütt ym synn hast Luther 12,
363 W.; ihr seid mir ein schöner hahn, herr candidate, der
alte hats gut mit euch im sinn, er wird euch schön den
text lesen W. Raabe hungerpastor (1864) 3, 88; in gleicher
bedeutung üblich es gut mit jemand vorhaben; verblaszt
'die absieht haben': ich gedachte: auf eine luge gehöret
ein maultasche. hats auch gut im sinn, ihme eine solche
mitzutheilen Grimmelshausen 2, 379 Keller;
und wie Ihr wolltet allen gut Göthe 16, 65 TT.;
ists nicht gut gemacht, so ists doch gut gedacht Henisch
1795; ich dachte gut von ihm Göthe 22, 170 W.; hier
schicke ich dir einen brief meiner mutter, daraus du sehen
kannst wie gut sie denkt IV 12, 151; schlecht gebetet ist
doch gut gedenkt Fischer schwäb. 3, 951; 'freundschaft-
lich': lassen sie uns einander gut gesinnt bleiben fürst
PÜCKLER brief w. 1, 271; 'gnädig' zu gut IV A 1 c ayy:
der königliche gast erstaunet,
dein glück ist heute gut gelaunet
doch fürchte seinen unbestand Schiller 11, 231 0.;
so auch von der aufnehmenden person: ein ding ist nicht
bös, wann mans gut versteht sprichw. (1548) 58*; er maint
es gut, es wills aber niemand gut verstehn Henisch 1795;
nehmen sies gut auf, dasz ich für ihre gesundheit be-
sorgt bin Göthe IV 5, 30 W.; dat nehm he em nich god
af das nahm er ihm übel Mensing 2, 427.
2) 'freundlich' vom reden und handeln entsprechend gut
IV G 1-3, z. b. einem gut zu reden, zusprechen: sie redete
ihm gut zu und bat ihn viel: er wäre noch jung
G. Frenssen Jörn ühl (1902) 166; einem guet reden
schmeicheln Martin - Lienhart 1, 248; der herzog geht
auf Dresden, er hat mich gar gut eingeladen mit zu
gehn oder zu folgen Göthe IV 6, 50 W.; deswegen gehet
man sehr freundlich und gut mit ihnen {den leithunden)
um Heppe jagdlust (1783) 1, 39; man {musz) den burschen
noch gut behandebi E. Carlssen sladtjunker v. Braun-
schweig (1882) 117;
er (goU) hat die kleinen klnder gut
und hält so treue wacht
E. M. Arndt «. w. 3, 287 B..-M.:
alle haben mich gut empfangen br. v. u. an Herwegh 13;
etwas anders: (sie) war nicht gut auf sie zu sprechen Bren-
tano ges. sehr. 5, 185.
3) rwfcA gut IV C 4 als adv. von dem Verhältnis zweier
personen; besonders im formelhaften ausdruck (sich) gut
stehen u. ä.:
wenn ein mensch mit gott gut steht,
der steht wol, wenns übel geht
LOGATT sinnged. 44 E.;
er steht gut bei der frau amtmannin Rabener s. w. 4, 120;
wie oft haben die römischen nuntien . . . ihm {Heinrich IV.)
vorgetragen, dasz er sich schmeicheln dürfe, mit beiden
Parteien gut stehen zu können Ranke s. w. 9, 83; modern
üblich sich mit jem. gut stellen 'jemandes gewogenheit er-
werben'.
E. adverbbildung aus gut V bleibt seltener: sie {diefertig-
keit) ist nichts als eine leichtigkeit, gut oder schlecht zu
handeln Ramler einl. i. d. schön, wiss. (1758) 2, 21;
wirke gut, so wirkst da länger,
als es menschen sonst vermögen Göthb 2, 24 W.
F. im anschlusz an gut VI adverbial als maszbegriff oder
Steigerungsmittel verwendet.
1) als maszbegriff im sinne 'reichlich'.
a) neben verben: ich dachte wunder, wie gut versehen
ich wäre Göthe 43, 77 W.; seine tafel war so gut besetzt
Klinger w. 3, 113; er bezahlte mir sie gut Göthe 43,
75 W.; der rogg hett god geben {reichlich körn gegeben)
Mensing 2, 427;
der ninasz guat pulver und blei mittragn
A. Hartmann volksschausp. 18;
vgl. gut gewogen, z. b. der sack hat gut gewogen 50 pfund,
entsprechend gut gemessen u. ä.
b) besonders neben zahlangaben, vgl. gut VI A 2 d d";
Glatmund wird verstand und wiz hundert jähre gut bewahren,
weil er solche beide pflegt in der Jugend sehr zu sparen
J. Grob dicht, vers. (1678) 70;
und 40000 mann warens gut, welche die flucht nahmen
Chr. Reuter Schelmuffsky 32 ndr.; {wanderer:) wie weit
ists hin^ {frau:) zwei meilen gut Göthe 2, 176 W.; seiner
kräftigen statur wegen war das tier von Heilmann er-
standen worden, der gut seine zwei centner in den sattel
brachte W. v. Polenz Orabenhäger l, 33; dat is gut hun-
dert däler wärt reichlich 100 taler Bauer-Collitz 42^; dat
gellt hunnert god in de föftig mark reichlich 150 m/irk
Mensing 2, 427; guet tusig ad minimum mille Schmidt
id. Bern. 33; 'früh' : des morgens gut um achte {la mattina
a buon'ottä) Göthe 43, 221 W.
1329
GDT, adj., VII F 2
GUT, adj., VIII A 1
1330
2) in intensivierender funldion.
a) neben verben, den begriffsinhalt allgemein steigernd:
die fabeln des la Fontaine haben ihr glück sehr gut ge-
macht Ramler einl. i. d. schön, wiss. (1758) l, 292; dem
theater recht gut angemessen Geestbnbekg Schlesw. lit.-
br. 159 lit.-denhm.; denn weisz auf schwarz sticht gar gut
ab MALER Müller w. l, 127; die bäuern fuhren gut Hol-
stonund Augusta (1780) 171; wer gut schmiert, der fährt
auch gut Binder sprichw. 174; kan 9 guad raffe, so kan
ar a guad zaln Schmeller-Fr. l, 963; da hätte man sehen
soUen, wie die beiden einander {beim prügeln) gute gaben
KuHNAU music. quacks. 165 lit.-denkm.; dat hesst em
god geben Mensing 2, 427; dein junge ist scheu, weil ihn
die andern ein paarmal gut durchgedroschen haben
A. V. Droste-Hülshoff w. 2, 270 Seh.
b) neben adjektiven als Steigerungsmittel, besonders in obd.
muvdarten geläufig;mhd. adjektivisch empfunden, vgl. ex{der
Sattel) was guot {echt) hagenbüechin Hartmann v. Aue
Erec 7501; gut kindische sitten stehen wol an eim
kind und seind ein gut zej'chen sprichw. (1548) 63^;
wie inen dann der prophet Jeremias am 9. capitel
solches gut rund sagen darf Jag. Gretter erkl. d. ep.
s. Pauls a. d. Römer (1566) 144; darum haben sie so gut
rond on vil omwicklens dasz kind getaufft Fischart
binenkorb (1581) 187*'; er ist recht gut edel von rechtge-
schaffnem adel, aber also arm, daz er bluten möcht
sprichw. (1548) 73''; ich konte aber auf fleisziges nach-
forschen nichts anders erfahren, als dasz er zwar gut edel
von geburt, aber hingegen so blutarm gewesen, dasz er
sich elend behelfen müssen Grimmelshausen simpl. sehr.
1, 23 Tiitm.; so ist doch gnädiger fürst und herr gut
kundtlich, offenbar und beweiszlich Mich. Herr f eidbau
(1551) 3=1; es ist gut kühl diesen morgen J. Gotthelf
Uli d. knecht (1846) 370; do ist gut warm Martin-Lien-
hart 1, 249 ; bear ist gut lustec steen wer kann fröhlich
sein ScHMELLER cimbr. 127^; des is guod richti Schmel-
ler-Fr. 1, 963 ; dar steet gut res of der steht sehr zeitig auf
GusiNDE poln. Oberschles. 171^; geat nasz sehr nasz, geat
länzem sehr langsam Haltrich sitbenbiirg.-sächs. 43*;
kaufmännisch bei farbbezeichnungen, z. b. des rohkaffees
gut grün 'intensiv grün' gegenüber blaszgrün; auch als
milderndes beiwort 'ziemlich'' : was sich der gestrenge herr
einbildet, da meint er guet keck, ich werde ihm nach-
laufen A. V. Bücher s. w. 4, 242; vgl. Schmeller-Fb. 1,
963, Schöpf tirol. 220.
c) etwas anders aus gut I B 3 entwickelt; wo das adjektiv
die beschaffenheit der gesinnung bezeichnet, noch gehaltvoll
'treu': also sind zu unser zeit viel leute gut evangelisch,
aber sie halten das evangelium nicht werd, das sie ir leib,
leben ... in fahr setzen Luther 28, 369 W.;
Mars beweiset alle stunden,
dasz er gut catholisch sey
LOGAU sinnged. 128 E.;
sagen sie . . . meinen kameraden . . ., ich sei gut öster-
reichisch geblieben Körner w. 3, 264 H.; farbloser im
sinne 'echt, unverfälschV , vgl. er ist guet von hie {ein echter
Straszburger) Martin-Lienhart 1, 248: die lieb Grand-
gurgel . . . soff gut prelatisch Fischart Garg. 73 ndr.;
ebenso Jude und Türkin, obgleich in gut altdeutscher
manier ä la Cranach veduttenmäszig hingestellt Hebbel
br. 6, 143 W.;
. . . wer wollte nicht viel lieber
an einen sichtbarn feind, für den er stehen kann,
und auf gut ritterlich es mit ihm nehmen an,
als einen matten tod im faulen bette leiden
P. Fleming dtsche ged. 1, 49 L.;
wo ich dich . . . recht auf gut berlinisch im schwelgen
finde Göthe IV 39, 103 W., vgl. 6, 297; z. b. er redete ihn
(auf) gut bairisch an.
d) feste Zwillingsformel mit steigernder funktion im sinne
'vollständig, ganz gewisz" ist gut und gern, die aus älterem
gut und gar entstellt scheint: wyle doch gut und gar nach
im leben notdurftig ist, daz wir unser gemüt mit sorgen,
arbait und müdi belestiget etwenne hier von berüffent
NiCLAS V. Wyle translat. 14 K.;
IV. 1. 6.
an frässmern (den brei) gutt en goar
an llss mich ne a bissa D. Stopps ged. (1729) 5;
o freund, dasz in des Lorchens gärtnerel
die liebe gut und gern die erste pflanze sei,
das weiszt du . . .
KL. Schmidt poH. br. (1782) 102;
deutsche hexameter, freund, lassen sich gut und gern
verfertigen Bürger w. 176» B.; schon um 6 uhr glaubte
sie aufstehen zu müssen, gut und gern hätte sie sich
noch eine stunde gönnen dürfen Gutzkow zaub. v. Rom
3, 34; die wolln behaupten, de weber kennten gut und
gerne auskommen, se wem blosz zu faul G. Hauptmann
weber (1892) 40; mundartlich meist als quantitative Steige-
rung gebraucht 'reichlich': das sinn jüt unn jären zwä
soheffel Jecht Mansf. 45; eine stunde weit ist es gut und
gerne {derbe stunde) Albeecht Leipz. 127 **; vgl. Bren-
DiCKE Berl. w. 131, Reuting Höchst. 20: das reh hier, das
hat seine dreiszig fund. aber gutt un gerne, kann ich
ihn sagen G.Hauptmann bibcrpelz (1893) 18; auch umge-
stellt: dat sen gern on gud 50 steck Müller rhein. 2, 1513.
VIII. Substantivierungen des adj. gut mit adjektivi-
scher flezion begegnen seit ahd. zeit.
A. als m. und f. substantiviert für personen oder sachen,
deren hervorstechende eigenschaft durch gut gekennzeichnet
wird, vgl. auch ags. wses endedaeg gödum {den tapferen)
gegongen Beovndf 3036 Holth.
1) alt und bis in gegenwärtige spräche die geläufigste
personale Substantivierung aus gut V A abgeleitet.
a) der sittlich vollkommene mensch, der den religiös-
sittlichen forderungen gottes entspricht; oft in gegensatz
zum bösen {vgl. gut V A 1 a und b), s. alte belege auf
sp. 1299:
die vriunde an dem rate
daz sint die tougen guote,
wan sie uns helfent bringen
ruo den christenllchen dingen
d. hochzeü 376 Waag;
die guoten enphahent vröuden leben,
die übelen varent der helle grünt
V. d. jungeHen tage 370 WiUoughby;
wan dem guten gypt und tut
daz man nennet geistlich gut
und riche geistliche gäbe
md. Hiob 10580 Karsten;
syd das vil widergangen würt iren bösen meinungen und
anschlegen, scheltend sy das evangelium, das aber die
guten nit erlyden mögend, simder wider sy strytend
ZwiNGLi V. freiheit d. sp. 21 ndr.; der gute wird erben
auf kinds kind, aber des sünders gut wird dem gerechten
furgespart spr. Sal. 13, 22.
b ) allgemeiner wie gut V A 1 c 'der rechtschaffene, ehr-
liche, moralisch hochstehende mensch': nu suochent, chad
si, die guoten summum bonum, daz peiden gelicho er-
boten ist, knoten ioch ubelen mit temo ambahte dero
tugedo NoTKER Boeihius bei Hattemer 3, 168*';
. . . ir dekelnlr das niht lat
guter noh unguter,
si slahin vater und müter
so si beginnent alten
Rudolf v. Ems weUchron. 1650 Ehr.
(er) bat die tumben und die wlsen,
guot und unguot, sich bewisen,
wie er möhte baz geleben
Laufreght V. Rkgensbükg 8. Francisken leb. 3260 Weinh.;
... es ist ye der valschen lob
so den guten gat fräd ab
liederb. d. Hätzlerin 245 H.;
wä der guote hat gemeinschaft
mit den guoten
Ulrich v. Esohenbach Alex. 22451/52 T.;
denn die gutten würden dadurch nur träger, die bösen
aber ... schlimmer Lohenstein Arminius (1689) 1, 74*;
habt Ihr thränen, die ganz des guten innerstes rühren
... so weint 1 Klopstock öden 2, 102 M.-P.;
sowohl sie als ihre landsleute wuszten sich, bey dem
hiesigen aufenthalte, die achtung aller guten zu gewinnen
Göthe IV 33, 73 W.;
84
1331
GUT, arfj., VHI A 2-3. B t
GUT, adj., VIII B 2
1332
aulmerkend hört ich da manch kluges wort,
was der verständge denkt, der gute wünscht
SCHIHEU 14, 284 ö.;
entsprechend gut V A 1 d in höfischer Verengung des be-
daz gevüeget wol diu guote
minnesinger 1, 72'* v. d. Hagen;
blasser 'keiner, der als wacker bezeichnet werden kann' :
sin kelserllchez houbet zlmt ir (der kröne) also wol,
daz si ze rehte nieman gueter scheiden sei
Walther 18, 33;
er sprach: ichn habe genäden niht:
swem Talus dienstes not geschiht
und swer guotcr des gert,
dern wlrt es nlemer entwert
Haetmann V. Aue Iwein 6003;
mit pejorativer färbung entsprechend gut V C 4 : wie viel
darf man nicht laut sagen, um nicht von den dummen
guten gesteinigt zu werden Niebühb leben 2, 494; selten
mit einschlug von gut I B 4 für den tüchtigen, strebsamen
menschen: der gute macht den guten, der schlemmer
macht den schlemmer Henisch 1785; vereinzelt nach gut
II B 3 hin: die guten aller zeiten bestrebten sich, das
schöne als eine darstellung des wahren und guten an-
sohaubar zu machen Heeder 22, 9 S.
2) weniger häufig atw gut IVA substantiviert.
a) zu gut IV A 1 b für den freundlichen, gütigen, hilf-
reichen menschen:
. . . vor allem aber
hätts ihn (das volk den Nathan) den guten nennen müssen
Lessinq 3, 36 L.-M.;
lasse beim grabe des guten verlassene redliche weinen
GÖTHK 2, 136 W.;
wie nenn ich dich? verruchter, milder, guter?
Geiilpaezer s. w. 5, 196 5.;
etwas anders, nach gut IV A 2 hin: hei is ken güder nit
{'man kann ihm nicht trauen') Bauer-Collitz Wald. 42*>.
b) entsprechend gut IVAlca für gott: ihr seyd zu
unruhig zum gebeth, und könnt an den guten und barm-
herzigen nicht ohne furcht und unruhe denken J. M. Mil-
ler pred. f. landvolk (1776) 1, 15;
o ich glaube 1 guter I vater deiner kinder;
glaubend, glaubend tret ich deinem throne nah
HÖLDEELIN ges. dicht. 1, 38 Lüzm.;
anders, mehr nach gut V A 2 hin, 'der heilige" von Christus:
ak geng imo thö the gödo endi is jungaron mid imu
fridu-barn godes Ueliand 2381 Heyne.
c) entsprechend gut IVAsbj^ tmd c als affekthaUige
bezeichnung für eine vertraute, geliebte oder geschätzte
person:
müde von dem gartenfleisz: vom pelzen
junger apfelstämm und kirschenruthen
ruh ich aus zur seite meiner guten
Schmidt v. Wbeneuohen alman. für 1802, 85;
wenn die gute nun kommt vor den hohen stengel getreten
MÖRIKB ges. sehr. (1905) 1, 121 Göschen;
erst ergötzte der gute sich daran Göthb 25, 237 W.; ich
warte keine neuen briefe von dir ab, meine gute, um dir
zu schreiben G. Forster s. sehr. 9, 6; und nun, mein
guter, seid uns willkommen! A. Schnitzler d. grüne
kakadu (1899) 19.
3) von Sachen unter ellipse der Sachbezeichnung, so z. b.
vom wein zu gut II A : en schoppen (vom ) gueten {d. h.
win) Staub-Tobler 2, 541, ivo weitere belege dieser art.
B. Substantivierung des adj. neutr. mit artikel und
schwacher flexion das gute ist ahd. und mhd. selten, weil
das substantivisch flektierte neutr. ohne artikel {s.u. gut, n.,
A) den gebrauch beherrscht, im nhd. aber besonders in
jüngerer spräche ausgebreitet.
1 ) die häufigste Verwendung stellt sich zu gut V im sinne
'das sittlich vollkommene':
a) religiös-ethisch für das tun und handeln, das den ge-
boten gottes und dem sittengesetz entspricht, in betontem
gegensatz zum bösen als dem sündhaften tun, oder abstrakter
für das prinzip des religiös-sittlichen:
want er thaz ubila flrmeid joh iz garo thana sneid;
thaz guata steit gihaltan joh mag sib baz giwaltan
Otfrid V 25, 50;
von dem holze des lebenes des guten und des ubeles
von dem holze der gewizzene vindet hie geschriebene
genes, u. exod. 9, 23 Diemer;
also kleine schat ez iht,
dö der man daz guote sagt
Ulrich v. Eschenbach Alex. 22461 T.;
hasset das böse und liebet das gute Arnos 5, 15;
hlerausz ein mensch soll undterscheyden,
das gut zu thun, das bösz zu meyden H. Sachs 2, 20 E.;
die tödtliche weiszheit zu scheiden in das gut und böse
Paracelsus opera (1616) 2, 336 Huser; dadurch man
. . . das angebohrne böse und guthe des hertzens sehen
kan Ph. Zesen rosenmänd (1651) 39; da tritt sodann das
gute und böse gleich ans licht Herder 17, 12 S.
b) allgemeiner das sittlich vollkommene überhaupt, so
vom tun selbst: wann wunnickUch und ere und frid eim
yghchen der do wirckt das gut erste dtsche bibel 2, 16 Kurr.;
die gedanken nur sind wahr,
und die liebe, die du fühlest,
und das gute, das du thust
Geillpaezee 8. w. 7, 132 S.;
vergleichbar: aber alles wurde ihm zum guten ausgelegt
U. Bräker s. sehr. (1789) 2, 263; abstrakter 'das sittlich
vollkommene' als erscheinungsform: das gut leidt wol ie
not, aber nimmer den tod sprichw. (1548) 177^; so be-
finden wir, dasz die gerechtigkeit alles gute nicht allein
erwerben, sondern auch zu gewisser erhaltung bestätigen
müste Chr. Weise pol. redner (1677) 47; das schlechter-
dings und in aller absieht gute, nämlich das moralische
Kant w. (1838) 7, 50 Hartenst.
c) oft in gegenüberstellung mit anderen prinzipien,
namentlich dem wahren oder schönen : das wahre sey das,
so mit dem verstände, und das gute das, so mit dem
wiUen gottes . . . übereintrifft Leibniz dtsche sehr. 2, 35;
diese form des wahren und guten ... ist Schönheit
Herder 17, 377 8.; die Wissenschaften haben das wahre
zum gegenständ, die künste das gute und das schöne
Ramler einl. i. d. schön, wissensch. (1758) 1, 53; das
schöne gefällt ohne alles Interesse, . . . das gute . . .
durch einen begriff Schiller lO, 53 0.; das gute und
schöne, die kraft etc. an demselben erkennend 0. Lud-
wig ges. sehr. 5, 106.
d) anders zu gut IV B 5 b formelhaft unter dem schein
des guten {vgl. guter schein sp. 1310) im sinne 'unter dem
deckmantel der rechtschaffenheit, des redlichen Vorhabens' :
so ist auch demselben tausendlistigen meyster {dem
teufel) leycht und putz müghch zuthun gewesen unter
dem schein des guten den abtrünnigen menschen von
got ... in unzcelich unuberwintliche stricke . . . zcufuren
Jac. Stratjsz beychtpüchlin (1523) a 2''.
2) im ganzen jung ist das gute als ableitung von gut
III A 4, wofür sonst gutes {s. u. C ) und in älterer spräche
gut {s. u. gut 71. A) eintritt, als 'das, was dem manschen
an vmnschbarem, erfreulichem, angenehmem zuteil wird'.
a) allgemein vom erfreulichen zustand, oft in gegensatz
zum übel: ein gesätz, das natürlich {von natur) dem übel
feind ist und dem guten hold sprichw. (1548) 90**; es
könnte dieses kurze gute so grosz seyn und das lang-
wierige übel so klein, dasz dennoch das gute überwöge
Leibniz dtsche sehr. 2, 41; das gute hat seinen Ursprung
vielmals einem übel zu danken Rabener s. w. 1, 151;
ich habe manchen tag getrauert,
dasz alles so vergänglich ist,
und dasz das gute selbst nicht dauert,
und dasz man sein so bald vergiszt
HOFFMANN V. Falleesleben ged.' 31;
nach gut IC hin 'glück': wäre nicht zu besorgen, dasz
er ... im widrigen den reichsstab würde lassen aus der
hand fallen, im guten aber sich versteigen Lohensteik
Arminius (1689) 1, 183; ähnlich etw. zum guten wenden
'zu einem erfreulicheren, günstigeren zustand bringen':
wer nun vest hofft
dem gehets offt
glükwunderlich von bänden,
gott kans zum guten wenden
Reinicke fuchs (1650) 89;
1333
GUT, aclj., VIII B 3
GUT, adj., VIII B i
1334
(er) überliesz sich gern der hoffnung, noch allea zum
guten wenden zu können Eichendorf «. w. 3, 324; er
kenne am genauesten meine ganze läge und werde noch
alles zum guten lenken U. Beäkee s. sehr. (1789) 1, 207;
das in der kirche drüben geschlossene vornehme ehe-
bündnis war nicht zum guten ausgeschlagen Stobm ges.
sehr. (1884) 2, 93.
b) enger gefaszt von einzelnen tatsachen oder handlungen,
die den erfreulichen zustand herbeiführen:
du bewisest mich des guoten
bl der krummen ruoten
Ulrich v. Eschenbach Alex. 1917 T.;
alle . . . lobten gott, den geber alles guten maler Müller
w. 1, 60; jenes manigfaltige gute, das kunst und Wissen-
schaft ew. durchlaucht verdanken Göthe 46, 6 W.; ist
einer indiscret, so musz ich es hingehen lassen und auf
das gute, was ich stiften wollte und sicher stiften werde,
trotzen G. Forster s. sehr. 8, 36; so häufig als wünsch:
heil, gesundheit und alles gute zuvor, wo sie dieser brief
auch antrifft Göthe IV 8, 235 W.; mehr verdinglicht: es
geht mir so gut, dasz mich es nxir offt betrübt das gute
nicht theilen zu können 8, 25 W.; zu gut III A 1: es soll
nicht heiszen, wie von den wirthen zu Seldwyl, die alles
gute selber fressen und den fremden die knochen vor-
setzen G.Keller ges. w. 5,15; zu gut III A4: das
Krügern zugedachte gute hat sich zufällig gesteigert, er
möge nun dessen genieszen Göthe IV 42, 162 W.; dem
herrn pfarrer lasse ich mich recht schön für die geige und
für alles gute miteinander bedanken S. Brunner erzähl,
u. sehr. 1, 55; ich verspreche mir alles gute von meinen
zukünftigen Zöglingen Spielhagen s. w. 1, 3; das gute,
das eine gute 'rfer erfreuliche umMand\ z. b. das eine
gut« hatte seine Vereinsamung, dasz der dichter nun
die unterbrochene arbeit an dem Schauspiel wieder
aufnahm ; noch mehr nach gut III A 7 hin als 'vorteiV :
freilich das gute hat die enge französische Ordnung in
der Wortfügung, dasz sie den ungestüm und den un-
mittelbaren ausbruch kühner Sprünge des gedankens und
der rede hemmt und zügelt E. M. Arndt sehr. f. u. an
s. l. Deutschen 1, 398.
c) die redensart des guten zu viel tun geht zunächst in
negativer formulierung von 1 b av^: ich wil zuwarten,
meine vermessenheit gerne gestrafft und verdampt haben,
aber noch ist das auch war, man kan des guten nicht zu
viel thun Luther 30, 2, 270 W.; man kan des guten nit
zu vil thün nulla facietas rerum honestarum spriehw. (1548)
38*; auch dativisch gewendet: dem guten kan man nicht
zu viel thun Spanutius spriehw.-lex. (1720) 595; dann
meist auf 2 b angewendet 'zu viel des erfreulichen, ange-
nehmen'; im spiel mit gut I A 1 b :
... zu der gesundtheit köstlich ist,
sich brechen alle monats frist,
ein mal aufs wenigst: merck mich nun,
des guten nicht zu viel kanst thun
Scheit Grob. 1015 ndr.;
das er wol zusehe, er dem guten nicht zu vil thue
Seutter roszarznei (1599) 7; besonders vom allzu reich-
lichen genusz von speisen und namentlich alkoholischer
getränke, vgl. ich habe des guten zu viel gethan liberaliua
m£ invitavi Serz idiot. (1797) 59*: man hatte den wein
nicht gespart . . . und wenn der alte amtmann des guten
ein wenig zu viel getan hatte Göthe 28, 21 W.; sah ich
ihn aber bei mir oder sonstwo, so hatte er gewöhnlich
schon des guten zu viel gethan Hoffmann v. Fallees-
LEBEN ges. sehr. 7, 131; auch variiert: als die gesellschaft
in die freie luft kam, merkte fast jedes, dasz man für
diesen abend des guten zu viel genossen hatte Göthe
22, 209 W.; en huet des gudden zevill 'das ist mehr als
man ertragen kann' lux. ma. 158; he hett dat gode to vel
hatt 'er ist betrunken' Mensing 2, 427.
3 ) zu gut II gebildet von dingen und zuständen, die einen
loertgehalt besitzen.
a) für konkrete dinge 'wertvolles' gegenüber dem wert-
losen {vgl. gut II A 2): und der mage der kochet die spise
und teilet das grobe, das böse von dem guten Tauleb
pred. 294, 7 F.;
kein artzt purgieret so gar mit heyl,
er nimpt desz guten auch ein theil
Pbtri d. Teutgchen weiszh. (1604) 2, LI 3»;
man bewere alles imd behalte das gütt C. Hedio thron.
Germ. (1530) 6»;
alsdann wird das gut' erkannt,
wenn es ist aus der hand
Spanutius spriehw.-lex. (1720) 595;
das alte Sprichwort, dasz das beste der feind des guten
ist A. Stifter s. w. 14, 142 S.; traurig, dasz jedes gute
in der weit eine unvollkommenheit im gefolge hat
K. Gutzkow ges. w. 7, 443; rein qualifizierend:
sondern eins guten dich bedenck
Spreng Äneit (1610) 70».
b) entsprechend gut II A 4 für geistige und sittliche
werte:
ir ist s6 vil, die des nu pflegent,
daz si daz guote z'übele wegent
GOTFRiD V. Straszburo Tristan 30;
dasz sein herz . . . dem zuge zu allem groszen und guten
nicht verschlossen gewesen, zeigen hundert stellen seiner
Schriften Herder 17, 32 S.; jeder nachdenkende mann
{habe) für das gute und grosze laut zu reden Thibaut
notw. e. allg. bürgert, rechts (1814) 405; gern vom eharak-
terlichen wert: dieweU stündlich zu geschehen pfleget,
dasz die kinder denen eltem immer eher in der unvoll-
kommenheit als im guten nachschlagen Riemer polit.
maulaffe (1679) vndmung; sie {hätten) alle anlagen zu
einem glücklichen volke . . ., wenn ein gesetzgeber das
viele gute anzuwenden wüszte A. v. Haller Usong (1771)
23; auch die stimme ist oft der freywillige ausdruck
unsers characters, und sie wird also auch das gute und
fehlerhafte desselben an sich nehmen Lavater physiogn.
fragm. (1775) 1, 31.
4) ZM gut IV B in festen präpositionalen Verbindungen^
die aber auch artikellos mit starker flexion auftreten {s. u.
C) und den älteren gebrauch des substantivisch flektierten
subst. neutr. {s. u. IX B) teilweise ablösen.
a) im guten 'in gewogenheit, freundschaft, freundlich-
keit' ; die doppelte möglichkeit im guten oder in gutem
führt auch zu der mischform in guten: der künig batt yn,
das er das thäte und kain gelt dar an sparete, er wölt
daz gegen ym und den seinen in allem guten erkennen
Fortunatus 137 ndr.; eur lieb hat . . . vernomen, dasz
ain ersamer rat . . . den im truck ausgangnen ratschlag,
die religion belangende, in allem guten angenommen
städtechron. 32, 41 ; wohl aufnehmen, in allem guten ver-
mercken in meliorem partem accipere Faber thes. (1654)
21*'; ich nehme solches in allem guten auf schausp. engl,
comöd. 279, 28 Greiz.; in allem gooden 'freundlieh'
Dähnert 158*; auch im guten? (ein frag, ob man auch
guts von ihm gesagt hab) Henisch 1787; nun gedenke
meiner im guten Göthe IV 32, 243 W.; aber so lasz sich
der herr nur im guten sagen Nestroy ges. w. 2, 175;
besonders gegenüber gewaltättigen methoden, vgl. in der
gute, in gute unter ^güte Z A. ß yy):
wil er in guten folgen nicht,
ist ihm was ergers zugericht
Hayneccius Hans Pfriem 1516 ndr.;
hye frag ich dich in gueten, obs mit der sprach . . . auszer-
rucken wilst J. J. Schwabe tintenfäszl (1745) 67; dreck!
werds gehn {geben), aber nich im guden. wo wer a so was
im guden gangen? G. Hauptmann weber (1892) 61; im
guten 'auf freundliche, friedliche art' Müller-Fraureuth
1, 452; da s beter in goden as mit störtigkeit Mensing
2, 427.
b) mit guten in gleichem sinne bleibt seltener: sundern
hefft de gemelte legation. mit allem guden voraffschedet
Script, rer. Livoniae 2, 64; soll ich nicht mitreisen, so
sagt mir es nur mit guten, ich will von hertzen gern zu
hause bleiben Chr. Weise erznarren 11 ndr.; mit goden
'im guten' Mensing 2, 427; mit goden 'gutwillig' Dähnert
158*.
84»
1335
GUT, adj., VIII C 1
GUT, adj., VIII C i
1336
c) in verwandten Wendungen: Xenophon hält mehr
davon, dasz man ihnen {den pf erden) die lippen mit den
fingern niederdrucke, das thut ihnen nicht wehe und
behält sie beym guten (in williger Verfassung) J.Waltheb
pferde- u. viehziicht (1658) 21; artikellos: welche beyde
stücke von alters her für sehr nöthig geachtet worden,
das neugierige volck bey guten zu erhalten J. J. Mäscou
gesch. d. Teutschen 2 (1737) 65; vgl. 67 u. 206; Stine ver-
suchte zum guten {zur Versöhnung) zu reden Fontane
ges. w. I 5, 38.
C. Substantivierung des adj. neutr. mit starker fiexion
ohne artikel gutes oder mit unbestimmtem artikel ein gutes
tritt seit ahd. zeit auf, bleibt aber bis in das ältere nhd.
selten, wo es das substantivisch flektierte neutr, {s. gut, n., A)
ablöst; ahd. nach lat. bona auch im plur. guotiu.
1 ) die ausgebreitetste Verwendung erwächst aus gut III A,
indem gutes all das bezeichnet,wa8 dem menschen angenehm,
wohltätig, erfreulich, ivünschbar, vorteilhaft und vielfach
mit einschlusz von gut I A 1 förderlich, ersprieszlich er-
scheint.
a) die handlangen, mit denen jemand etwas angenehmes
erwiesen wird, wohltaten, freundlichkeiten usw., vgl. anord.
ok vill J)ü af hdnom gott geta Hdvamdl 44, 3 Neckel.
a) in fester Verbindung gutes tun; meist mit personalem
objektsdativ 'jem. eine wohltat erweisen" : cuatiu, dei
du mir tati Graff 4, 158; habent lieb üwer finde,
thuont denen güts die üch hassent Geiler v. Keisers-
BBRG bilgersch. (1512) b e^^; wegere dich nicht, dem
dürftigen guts zu thun spr. Sal. 3, 27;
wir dtirffen keins gelelds noch schütz
gott bhüt uns und thut uns als guts
durch sein günstige lieb und gnad
H. Sachs w. 1, 31 K.;
dat 86 keinem minschen, so lange alse die roverie ge-
waret, mehr gudes dohn wolden Script, rer. Livoniae
2, 143;
nun seh und lern ein jederman,
wie sehr viel gutes uns gethan
der bräutgam unsrer Seelen
Paul Gerhardt in: Fischer-Tümpel 3,306;
beym freunde war ich jetzt, zur freundln kumm ich nun;
hier that der tag mir guts, dort wird die nacht es thun
LOGATT sinnged. 65 E.;
thut er euch denn nichts gutes? Göthe 45, 10 W.; in
besonderer Verengung auf den sinnlichen genu^z bezogen:
seinem maul guts thun far del bene alla sua bocca Kramer
t.-ital. (1702) 2, 32''; meist reflexiv gewendet wie 'sich güt-
lich tun':
es ist die mäszigkelt die mutter aller tugend,
die uns, je minder wir uns guts thun, gutes thut
Chr. Warnecke poet. vers. (1704) 23;
nun will ich schlafen! will mir gutes thun mit schlafen
Klinger to. l, 83; auch zeigte er ihm einen keller, darin
lag commiszbrot, hier, branntwein, tabak und pfeifen,
der gute bärenhäuter war froh und thät sich ein gutes
in solcher buchkammer Brentano ges. sehr. 5, 463; in
mischung mit sich etwas zu gute tun {vgl. VIII B 1 c ;S ßß),
sich etwas zum guten thun darsi un pö di buon tempo
Kramer t.-ital. l, 580*; auch präpositional verkoppelt mit
an: lasset uns gutes thun an jederman, allermeist aber
an des glaubens genossen Oal. 6, 10; es kann dir meinet-
halben nirgend übel gehn, dasz du guts an mir gethan
MALER Müller w. 1, 118; absolut verwendet:
ob in wol afterrew tut pinden,
das er nun geren ain gütz tätt,
so Ist es worden mir ze spät
liederb. d. Hätzlerin 247 B.;
wen du gutes thust, so denk nicht dran Eyering prov.
(1601 ) 3, 449 ; die macht gutes zu thun ohne einschränkung
Th. Abbt verm. w. (1768) 2,18; spezialisiert: se schall
wat godes doon 'sie ist schwanger' brem.-nieders. 2, 526;
zu gut I A 1 selten, im sinne 'nützliches hervorbringen':
sintemal keyn erdrich . . . mag ungebauen guts thun
Sebiz feldbau (1579) 455.
ß) mit anderen verben verbunden oft weniger konkret
die einzelne wohltat als allgemeiner das erfreuliche oder
ersprieszliche geschehen überhaupt: wuo mihhiles mer
iwer fater, thie in himile ist, gibit guotu inan bitentSn
Tatian 40, 7;
sie sprach 'nieman enmac
guotez verdienen {sich ein verdienst erwerben) umb den man,
der ganze triuwe nie gewan'
Ulrich v. Eschenbach Alex. 483;
er {Christus) schut guts ausz und nimbt übel drumb
heim Luther 17, l, 264 W.; du wirst auch keinen freunde
finden, der dir also vill güttes beweyset als ich Warbeck
Magelone 58 B.; sehwet einer güts, so schneidt er nichts
bösz sprichw. (1548) 146^; gutes mit gutem vergelten ist
ein wolstand Henisch 1795; bey welchen {arbeiten) ein
ehrlicher, geschickter . . . mann so viel gutes stiften kann
Rabener s. w. 6, 189; er • • . zeigte ihm, wie viel guts
der einzelne mensch wirken könnte Kling er w. 4, 53;
hierzu: was gutes auf erden unterbleibt, . . . das siehe
du als einen ruf von gott selbst an K. L. v. Haller
rest. d. staatswiss. (1816) 1, 29.
y) gern in formelhaften gruszfragen verwendet: was
habt ihr gutes darin zu schaffen? Amadis 113 K.; ähnlich:
ließ er zu sehen, was sie guts machten Fischart Garg.
321 ndr.; wie gehet es sonsten auf der Universität? sind
auch viel bursche daselbst? was machen sie guts? Schoch
stud.-leb. 36 Fabr.; was schafft ihr gutes? hub Ekkehard
das gespräch an Scheffel ges. w. 1, 208; nu, wat hefft
ji goods um de band? Mensing 2, 424; was mache sie
guts? 'wie befinden sie sich" Schmidt Straszb. 47*.
b) besonders von der empfangenden person aus gesehen
die erscheinungen, zustände, Verhältnisse, ereignisse, dinge,
die den Charakter des erfreulichen, angenehmen haben.
a) allgemein: wer ein ehefraw findet, der findet was
guts spr. Sal. 18, 22; ein grosze schar . . . die mir eeren
und güts günnen Hütten opera l, 412 Bock.; in den
landen ... da pin ich gewesen manichs jar und han guts
und args versucht, davon vil ze sagen were Schilt-
BERGER reiseb. 79 lit. ver.; was hätten die Deutschen sich
nunmehr denn für gutes zu versehen? Lohenstein Ar-
minitis (1689) 1, 24'>;
wiederfehrt ihm (dem don Juan) guts zur stund
schweigt er fein und wischt den mund
G. VoigtlXnder Oden u.lieder (1642) 89;
kinder und alte wüszten nicht zu schätzen, was ihnen
gutes täglich begegnete Göthe 21, 18 W.; von keinem
haben wir etwas gutes zu erwarten v. Ebneb-Eschen-
bach ges. sehr. 2, 135; Therese hofte gutes von einer
kleinen entfernung aus ihrer eitern haus Caeoline br.
1, 29 Waitz; man stritt ... ob der anschlusz an den zoU-
verein was gutes wäre H. Laube ges. sehr. 1, 147; det
hat ooch sein jutes Brendicke Berlin, w. 132*; i han
ke guds meh 'ich bin sehr besorgt' Follmann lothr. 221;
also doch ein gutes beim übel A. v. Droste -Hülshoff
br. an L. Schuck. 132. alles gute {s. oben B 2 b) und gutes
in formaler addifion gelegentlich alles gutes : denn weil wir
uns selbst . . . alles gutes gönnen, so erfreuen wir uns
Gottsched vernünft. tadl. (1725) 2, 222; so wahr mir gott
alles guts gebe Heine w. 3, 327 E.
ß) besonders häufig als inhalt von wünschen: du solt
inen weder glück noch guts wündschen 5. Mos. 23, 6 ;
meinen willigen dienst und alles guts zuvor, wirdiger . . .
herr doctor in: Luther 26, 539 W.; gott bewar dich wol,
es begegne dir alles güts bene sit tibi Frisius 161^; sie
wissen nicht, wie lieb ich sie habe, wie viel gutes ich
ihnen wünsche A. v. Droste-Hülshoff br. a. L. Schük-
king 267; negativ gewendet: das dich nimer güts angon
müsz, du thüst als die schelck all pflegen zu thün Eulen-
spiegel 82 ndr.
y) in festen negativen Verbindungen nichts gutes, wenig
gutes :
wir wern nichts gutes an ihm erleben
H. Sachs 1, 57 K.;
armut und geitz treibt zu nichts guts Petri d. Teutsch.
weiszh. (1604) 2, j 6l>;
wir kundten uns nichts guts versehn
Sprbng Äneis (1610) öö»»;
1337
GUT, adj., VIII C 1
GUT, adj., VHI C 2
1338
stumm führte ich sie nach hause und erwartete mir
nichts gutes Göthe 25, 149 W.; ach mutter, du quälst
mich und richtest nichts gutes damit an Fontane ges. w.
I 6, 4; ich hab nix guets uf der weit Maetin-Lienhart
1, 248; die Schroffheit dieses kammes, die abgehackte ge-
staltung seiner gipfel verspricht in der that dem berg-
wanderer wenig gutes Barth Kalkalpen 549;
ihr eitern, thut die kinder zu der heurat nicht zwingen,
denn es thut ja selten ein wenig gutes bringen
Mittlee dtsche volksl. 578;
formelhaft wie (als wie) nichts gutes; zunächst im sinne
'wie etwas, das nichts erfreuliches, angenehmes bedeutef,
vgl. es riechet als wie nichts gutes questo rende {ne viene)
un odore di cosa non buona Krameb t.-ital. l, 580": die
haut fing mir an zu gucken {jucken) wie nichts guts Chr.
Reuter Schelmußsky 96 vollst, ndr.; ein förmliches rennen
von sechs rittern, . . . wobei die hiebe auf den hämischen
klatschten wie nichts gutes Gbillparzer s. w. 20, 63 8.;
dann zur bloszen Steigerungsformel entstellt 'auszer ordent-
lich, heftig^ : das arme vieh hat sich am widerrisz gedruckt
wie nichts gutes Shakespeare 6, 41;
wenn wie nichts guts dich schilt ein wicht
RÜCKERT ged. (1841) 234;
80 mundartlich verbreitet, vgl. ass all niks göds ''auszer-
ordentlich' Danneil 67''; he regeret as niks godes 'er
lärmt und poltert als ein unsinniger' brem.-nieders. 2, 526;
he höllt hus as niks goodes 'er lärmt als wenn er rasend
ist' Dähnert 158*; 9s get wi al nyst guds 'es geht sehr
gut' Hofmann niederhess. X\l^; wy aU neisd guds 'tüchtig,
sehr' Christa Trier. lOS''; do gchts wie all nix gutes
MaRTIN-LiENHART 1, 249 USW.
J) namentlich von bevorstehenden oder erwarteten ereig-
nissen gebraucht:
o weh, mich andtet nichtsen guts
H. Sachs 2, 36 K.;
wie lang ists schon helle,
mir ahnet niclits guts
Brkntano ges. sehr. 6, 314;
also hast du bewerung der naturlichen meister, das die
cometen nichts guts bedeuten M. v. Kemnat chron.
Friedr. I. 88 Hofm.;
das deutet gutes, laszt uns eilen denni
Grillparzer «. w. 5, 0 S.;
dat bedüdt nix godes Mensinq 2, 428;
was hör ich? o disz wird was gutes prophezeihn
V. KÖNIG ged. (1745) 44;
der anfall verspricht mir aber für die Zukunft nicht viel
gutes br. v. u. an Herwegh 36.
e ) zu gut IIT A 6 von erfreulichen, angenehmen nach-
richten, vgl. etwas guts bringen, eine gute bottschafft
verkünden apportare bonum Frisius ib^^:
sihe do, gespan, was bringt der guts?
Haynbccius Hans Pfriem 31 ndr.;
zu vememen, was man guts neues sagte Grimmblshafsen
2, 421 Keller; fragte die wirthin : was denn guts neues in der
Stadt Venedig paszirete? Chr. Reuter Schelmuffsky 102
vollst, ndr.; guten abend, Pinkus. nun? was guts?
G. Stephanie d. j. s. lustsp. (1771) 124; was bringen sie
mir gutes? Göthe 23, 7 W.
C) präpositional verbunden mit einschlug von gut I C
etwas zu gutem kehren, bringen, wenden, kommen u. ä.
'eine sache zum erfreulichen, glücklichen ende führen' {vgl.
zum guten sp. 1332/., zu gute «p. 1345):
du solt es zu gfittem keren,
deinen schaden sech ich nlt gern
Friedrich v. Schwaben 1217 Jell.;
der herr und alles hauszgsind dacht,
ir sach wer nun zu gutem bracht
K. Scheit fröl. heimfart J 1";
glücklich sol dtrs erspriszen
zu gutem als gewend
Schede-Melissfs ps. 202 ndr.;
ain rath het inen zugesagt, die sach nimer zu gedenken,
und {sie sei) zu gutem komen und hingelegt worden
städtechron. 29, 31; ich kan für war nit gedencken, das
daraus etwas möcht ... zu guttem kommen Reüchlin
augensp. (1511) 18».
c ) verdinglicht aus gut III A 1 a 'gute speise und trank,
delikatesse, hckereV, vgl. etwas gutes essen mangiare cibi
delicati Kramer t.-ital. l, 680'':
kompt etwas guts (auf den tisch) so spitz dich drauf,
dasz du ertapst die beste speisz
K. Scheit Grob. 825 ndr.;
eszt und trincket etwas guts,
und last waldvöglein sorgen
Gabe. VoiGTLlNDER od.u.lied. (1642) 61;
was sie guts auf die nacht würde zurichten lassen Grim-
melshausen 2, 340 Keller; dank, mein herr wirth. nun,
was kann ich . . . heute gutes bei euch haben? Tieck
sehr. 3, 57; ich möchte etwas gutes und ein biszlein viel
Fischer schwäb. 3, 950; als 'naschwerk, konfekV :
bringt es {das Christkind) ihnen {den hindern) guts genug
und ein schönes bllderbuch
Heinr. Hoffmann-Donnee Struwwelpeter 1;
ebbes guhds 'süszes zuckerwerk' Laven ged. i. Trier, trui.
235; guts 'bei kindern alle zuckerbäckertoare', guts 'nennt
auch die hausfrau ihr kleines weihnachtsgebäck' Reuting
Höchst. 20; jots 'leckerei' Rovenhagen Aach. 46; guets
Martin-Lienhart 1, 249 ; auch mit angäbe der sache:
was hastu guts von wiltpret gefangen
GiLHUSiUS gramtn. (1597) 81;
was es nur gutes gab an äpfeln und trauben . . . war
alles dein maler Müller w. l, 132.
2 ) zu gut IV gebildet für den gesinnungsau^druck, der
aus wohlwollen, freundlichkeit, freundschaft hervorgeht,
also gegenüber 1 mehr auf die subjektive motivation der
handelnden person bezogen, im sinne 'freundliche meinung,
absieht'.
a) von dem inhaÜ der gesinnung selbst, vgl. gut IV B.
a) allgemein: der nichts guttis gedenckt Ltjthee
grund u. urs. (1521) bl**;
dar Ick my gudes to verleth,
dat was de genne de my verreth
Hüsemann spruchsamml. 89 ITetnifc.;
BO aber mein ich alles liebs und guts
FOUQUÄ held d. nordens (1810) 1, 24.
ß) besonders in präpositionalen Verbindungen; alt ist in
gutem 'in wohlwollender gesinnung': taz se in guotemo
sin {ui judices faciat benevolos) Graff 4, 159; aber nach
gut III A 5 hin verschoben bei Notker, s. sp. 1276; im
sinne 'in freundlicher meinung, in freundschaft': alle die
meinen und die meiner in gutem gedencken volksb. v.
dr. Faust 116 Br.; ir wollen ... mich euch in allem guttem
lassen bevolhen sein S. Lotzer bei Fischer schwäb. S,
951; auch in gutem? Friedrich Wilhelms sprichw.-reg.
(1577)al'';
... in gutem will ich hoffen!
Grillparzer «. to. 6, 87 S.;
gestern aszen wir ein gerüchte Sauerkraut . . . mit ein-
ander in allem gutem, denn wir geben einander den
gantzen tag kein bösz wort Ollapatrida 143 Wien, ndr.;
'in freundlicher absieht': der Stouffacher gedacht wol,
dasz er {der landvogt) in nit in gutem frage Tschudi
chron. Helv. 1, 235; ich sag dir in guetem 'in guter absieht'
Martin-Lienhart l, 248; von der aufnehmenden {pas-
siven) person 'freundlich, willig':
nlmb also disz {das buch) in gutem an,
und bleib allzeit ein grobian
K. Scheit Grob. 4873 ndr.;
verste in gutem {v.j. 1525) bei Fischer schwäb. 3, 951;
häufig im gegensatz zur gewaltsamen oder gerichtlichen aus-
einandersetzung ; 'freiwillig':
mich freuts, dasz ihr in gutem euch gefügt
Schiller 12, 254 G.;
'friedlich': {der) entschlusz, sich anderwärts entweder
mit gewalt oder in gutem niederzulassen M. I. Schmidt
1339
GUT, adj., VIII C 8
GUT, adj., VIII C 4-6
1340
gesch. d. Deutschen 1, 130; mit, in gutem sich vertragen
accordarsi ICramer t.-ital. l, 581*; sich in jutem ver-
drajen 'ohne prozesz vereinigen' Brbkdicke Berlin, w.
131^; kommet in gutem miteinander ab FiscnEB schwäb.
3, 951; mit anderen präpositionen: dasz mit gutem nichts
mehr ausz ihnen vorzubringen Wickram rollw. (1579) 63^;
wolt ihr mit gutem gehn, so thuts J. Ayreb dram. 1954
K.; er solte . . . den V. mit gutem oder gewalt in Syrien
führen Lohensteik Ärminius (1689) 2, 1125^; wöUest
... zu gutem annemen das, so ich dir freuntlichen und
treuwer meynung rhaten wU Wickram w. l, 21 B.; die
müter aber {war) . . . wirdig, das man ir zu gutem ge-
dencke Zürcher bibel (i531) 3283'; us guetem 'aus gute'
Martin - Liekhart i, 248; dat hett se ut goden daan
* in guter absieht'' Mensing 2,428; {um ihn) bey gutem
zu erhalten MusÄtrs Volksmärchen (1788) 4, 153.
b) namentlich vom gesinnung sausdruck durch wort und
rede {s. gut IV Cl), vgl. ich red güts, segne benedico
AiiBERTTS nov. dict. (1540) 28*, guts von einem sagen
benedicere alicui Frisius 161 **: des fyndes munt reth . . .
zelden gutis prov. Fridanci 50; je mehr man einem bösen
menschen guts sagt, desto gröszer wird die boszheit Leh-
man floril. polit. (1662) 1, 116; der papst sagte viel gut«s
von mir Göthe 43, 121 W.; sie hätte gern etwas freund-
liches und gutes zu Minna gesagt H. v. ELihlenberq
Eva Sehring (1901) 60.
c) von den handlungen, die aus freundlicher gesinnung
hervorgehen, vgl. guts umb einen beschulden, eines huld
verdienen demereor B. Garth lex. (1657) 192*: unsere . . .
brüderliche dienste und was wir sonsten mehr liebes und
guttes vermögen zuvore acta publ. 1, 13 Palm;
mein welb zu ehren hochgeneigt,
hat euch alls llebs und guts erzeigt
Spreng Ilias (1610) 181»;
also . . . seind wir erbietig, euch . . . alles liebs und guts
zuerzaigen Weckherlin ged. l, 18 F.; do ist Hebs und
guets binden und vornen Martin-Lienhart l, 248; mir
waren die äugen . . . zuwider gewesen und auch jetzt
noch schienen sie mir nichts gutes zu versprechen Stobm
ges. w. (1899) 1, 75; euch traue ich auch nichts gutes zu
Babth Kalkalpen 563.
d) auf die freundlich gesinnte person übertragen in der
Wendung jemand (wer) gutes u. ä.: grüszen sie Lavatern,
. . . auch Schlossern und wen sie gutes begegnen Göthe
IV 6, 382 W.;
und niemand gutes gab mir einen blick:
die jungen herrn, die hoch nach fenstern schielten,
erniedrigten nach mir nicht ilir genick
atJcKERT w. 3, 119.
3 ) ZU gut V B von dingen, handlungen und eigenschaften,
die den sittlichen maximen entsprechen.
a) allgemein: wuo mugut ir guotu sprehhan, mit thiu
ir ubile birut Tatian 62, 10; mich bedünket nichtz gütz
weder irer wort noch werke Arigo decam. 32 K.; als ge-
schriben steet, das aufrecht Christen durch gewonheyt
haben sollen geyebt sinn, zu erkennen guots und pösz
Berthold v. Chiemsee t. theol. 15 B.;
die götter in dem hlmmel hoch
so guts und bösz erkennen noch
Spreng Äneis (1610) 2. ges., 53»;
schimpfflich gutes lehren, heist dem bösen glimpfflich
wehren Fischart 2, 16 Hauff en; {ich) wüste weder gutes
noch böses zu unterscheiden Grimmelshausen Simpl.
9 ndr.; also wahres und gutes miteinander vemichtiget
würden Leibniz dtsche sehr. 2, 35; das musz einen be-
festigen, dasz man mit allem guten bleibender und näher
wird GrÖTHE IV 5, 1 W.; es {gebe) ein absolut gutes nicht
Lange gesch. d. material. 15.
b) spezieller die sittlich guten handlungen: min wercke,
als ain ding mer arges dann gutes lerende Niclas v.Wylb
translat. 13 K.;
und gar nichts guts hast thon {getan) vor mir
H. Sachs i, 25 K.;
drumb thut er {der gottlose) gutes mit verdrusz,
dasz er mit frewden doch thun solte
D. v. D. Werder buszpsalm. (1632) D 3»;
{niemand kann ohne gotles gnade) etwas guts und rechte
woUen oder vollbringen Lehman flor. pol. (1662) 1, 33;
. . . keiner ist,
der gutes thut, und sein (gottes) gesetz erfüllt
GiSEKE poet. w. (1767) 12;
nach 1 a a hin:
. . . denn gott lohnt gutes, hier
gethan, auch hier noch Lbssinq 3, i8 L.-M.;
vom lebensivandel: die . . . dienen guten leuten und sehen
alsdenn viel gutes engl. com. u. trag. (1624) g ö*».
c) als sittliche intention oder eigenschaft: ich weisz, dasz
in mir nüt güts wonet Zwingli dtsche sehr. 1, 61; die
natür keert eim ein laster zu gutem oder zu tügend
Frisius 1393*; da ist nichts guts, kein ehr und redligkeit
Henisch 1788; o ich arme frau! nun sol nichts gutes an
mir seyn Chr. W^eise grün, jugend 234 ndr.;
von andern Völkern borgt das schlimme nicht,
wei weisz, ob euch erreichbar Ist ihr gutes
Grillparzer s. w. 6, 166 S.;
über seinen Charakter jedoch hüllte man sich ins unklare,
wollte nicht viel gutes wissen G. Keller ges. w. 2, 24 ;
'redliche absichV , vgl. nichts gutes im sinn haben disegnare
qualche furbaria Kramer t.-ital. 1, 580f>: wers hcht scheut,
hat nichts gutes im sinn Schulze bibl. sprichw. 166.
4) von gut II hergeleitet unhäufiger; besonders auf
geistige erzeugnisse bezogen, entsprechend gut II A 4, im
sinne 'etwas, was einen geistigen wert besitzt'; vom kunst-
werk:
wurde Ich von der guoten vro,
■waz Ich danne guotes noch der werlte sunge!
minnesing er 1, 318'* v. d. Hagen;
was soltistu guttis schreyben Luther auff d. ubirchristl.
buch (1521) J 2*; desz geringsten namen, der irgend etwas
guts und artiges geredt oder geschrieben Zinkgref
apophthegm. (1628) a 5; wan sie in den schrancken der
gottesforcht bleiben, so können sie zehen mahl mehr
guts schaffen als einer der nicht studiret hatMoscHEROSCH
insomn. cura parent. 47 ndr.; etwas gutes von eigener
erfindung hervorgebracht ,zu haben G. Stephanie d. j.
s. lustsp. (1771) vorr. 3; wenn in dem ganzen buche nichts
gutes ist, so sind wenigstens die worte des alten Schrift-
stellers gut Rabener s. w. 1, 146; es {das buch) ist in dem
lieben Deutschland verschollen und mit vielem andern,
gutem und nützlichen von den Sandwehen des tages zu-
gedeckt Göthe IV 32, 242 W.; gelesen hab ich schon viel,
und was mehr ist, viel gutes Caroline br. l, 92 Waitz;
anders zu gut II B 2 in fester Verbindung etw. gutes halten
von jem. 'wertvolles an jem. finden, jem. für wertvoll
hauen', vgl. die leut haltind güts von mir Frisius 1419*;
das myrs leyd ist, was ich yhe guttis gehalten . . . habe
vom bapst Luther 10, 2, 233 W.; ähnlich: sie waren . . .
eifrige vaterlandsfreunde, lieszen an den Franzosen nichts
gutes gelten A. Stifter s. w. 5, l, 355.
5) zu gut VTA2b)S gehört (um) ein gutes im sinne
'ein beträchtliches stück', wo ursprünglich wohl ellipse des
maszbegriffes, wie stück, teil vorliegt: umb ein güts elter
seyn Frisius 54'' ; doch weisz ich auch einen eingang von
dieser seite, wo wir um ein gutes näher gehen Göthe
24, 63 W.; bei der die gutmütigkeit die weibliche ränke-
sucht um ein gutes überwog W. v. Polenz Büttnerbauer
1, 107; sind wir ein guts dahinden bheben Frischlin bei
Fischer schwäb. 3, 943;
ich gab ir noch ein guts an schlaf (schlafe)
H. Sachs 5, 233 K.;
ein güts witziger dan sein meister Frisius 952^; so hat
sich doch das volck gemeinlich ein guts vor tag ... an
gedachte orth {den circus maximus) begeben Grasser
Schatzkammer (1610) 351; es wird ein gutes kosten costara
del buono Kramer t.-ital. 1, 580^; ein gutes teurer Fischer
schwäb. 3, 943 ; vereinzelt in gleichem sinne etwas gutes :
so hat er {der hundsaffe) . . . zän wie der hund, ist gantz
Avild . . . , etwas güts grösser dann ein hund Herold-
Forer Oesners thierbuch (1563) 7''.
1341 GUT, adj., VlII C 6. IX A 1
6) bildungen zu gut I A 1 sind im ganzen unhäufig,
aber doch belegbar.
a) im sinne 'nützliches, taugliches, förderliches', oft von
1 a nicht deutlich zu trennen, vom ergebnis eines zweck-
bestimmten tuns, vgl. vermegenlichait zu guottem faciliiaa
DiEFFENBACH gl. 222 S': zweyffelt nicht, weyl ewer gebet
auf des sons blut gegründet ist, es dringe durch alle
himel und richte viel gutes ausz Mathesiüs ausgew. w.
1, 104 Lösche; es wird überhaupt in gar manchem gutes
und vortrefEhches geschehen können Göthe IV 27, 224 PF.
h) an diese Verwendung angeschlossen lud die alte Ver-
bindung zu gute (s. gut IX B 1 ) im älteren nhd. bis ins
18. jh. hinein auch die form zu gutem (guten) im sinne
'zum nutzen, vorteiV entwickelt, vgl. von gott zu gutem
gegeben donatus Fkisius 448'^; meist mit personalem
objektsdativ, vereinzelter mit abhängigem genetiv: dise und
jene spysz . . ., weliche aber gott zu güt€m den menschen
. . . geschaffen hat Zwingli v. freih. d. sp. 8 ndr.; uns und
unaern nachkommen zu gutem (v. j. 1566) weisth. 6, 79;
die getreuen dienste, die er seinem Vaterland zu gutem
in krieg und friedenszeiten erwiesen hatte J. B. Schupp
sehr. (1663) 492; in fester paarung mit nutz: wo dmrch
die gwercken . . . dem paw zu nutz imd guetten, etwas
betracht und fürgenomen wirdet {v. j. 1532) in: v. Loßi
baier. bergr. (1764) 214; andere . . . mögen von dieses
priesters that urtheilen wie sie wollen, und sam sie zu
nutz und gutem des reychs geschehen sey Stumpf
Schweizerchron. (1606) 242''; an typischen verben besonders
mit kommen, seltener gereichen: demselben (menschen)
kumbt auch das leiden Cristi oder ander gnad gots nit zu
guotem Berthold v. Chiemsee t. theol. 375 B.; und
unsere gemüther . . . haben diesen unfehlbaren vortheü
über alle andere hertz, dasz das übel ihnen zu gutem
gereicht VVeckheklin ged. 1, 61 F.; oft auch an das schwach
flektierte subst. adj. neutr. (s. o. B) angeglichen als zu
guten: so alles . . . der herrschaft Guettenberg, auch ge-
mainen markt zu gueten und nuzen geschechen soll (17./A.)
österr. weist. 6, 187; zu gueten der minderjährigen {v.j.
1669) bei Schmelleb-Fk. l, 964, vgl. noch mundartlich:
ze gueten 'ihm zum frommen' Schöpf tirol. 220; auch
mit artikel verschen: dasz thu ich dir alls zu eim guten
A. Dieteich baurenkn. (1618) a 8**; ich weisz, dasz dessen
befehle zu meinem guten abgezielet sind Hunold neue
br. (1723) 281; in gleicher weise neben zu gute halten {s. u.
IX B 1 a e), zu gute haben (s. u. IX B icy): dasz es
ja die frau zu gutem hielte, thut sie, dasz er ein fremd-
ling wer buch der liebe (1587) 214*; wann ich es deiner
dummheit nicht zu guten hielte ... so wollte ich dir den
hals umdrehen Ph. Hafner ges. lustsp. 1, 20; nun hab
ich einen überzähligen dummkopf zu guten Bauernfeld
ges. sehr, l, 36; mundartlich entsprechend sich etw. zu gute
tun (s. u. gut IX B 1 c /3) : darup do ikk mi recht wat to
goden 'darauf bilde ich mir nicht wenig ein' Dähnebt 158*.
IX. der folgende abschnitt enthält die fälle der substan-
tivisch flektierten substardivier ung (s. gnt, n.), in denen
gut nicht mehr ohne weiteres als Substantiv erkennbar ist;
diejenigen, welche zu adverbialen Wendungen umgebogen
wurden, stehen unter gut VII.
A. von dem substantivisch flektierten subst. adj. neutr.
au^zerhalb präpositionaler fügungen hat sich bis in heutige
spräche nur in mundarten und dialektisch gefärbter Um-
gangssprache die Verbindung kein gut gehalten, die sonst
durch nichts gutes oder nicht gut ersetzt ist.
1) im sinne 'kein nuizen, kein vorteiV {zu gut I A 1
bzw. III A 7):
fein langsam, wie faulhenszlin thüt,
von eylen kam doch nie kein gut
K. Scheit Orob. 1687 ruLr.;
(seit) die kauffleut kauffmanstrew verlieszen,
Juden der herrn Vormünder hieszen,
ist in der weit kein gut gewesen
Petei d. Teutsch. weiszh. (1604) 2, Br 8";
er konte noch in etwas gedult tragen, weil in der gegen-
wärtigen sache eilen kein gut bringen möchte Chb.Weise
pol, redner (1677) 235; bes. in fester Verbindung mit tun:
GUT, adj., IX A 2-3. B 1
1342
zwar zweifei tett noch nye chain gut
liederb. d. Eätzlerin 54 H.;
dasz es in {den geizigen) kein gut thüt sprichw. (1548) 65*;
wann sie lang mit den cavallieren conversirt haben,
dencken sie endlich, das ding thue kein gut J. B. Schupp
sehr. (1663) 4; gleichwie eilen mehrentheüs kein gut thut
und schlechten nutzen bringet Sperling Nicod. quaer.
(1718) 1, 40;
o weh, o weh, ein sacrilegiumi o weh,
das thut kein gut
FouQUfi altsächs. bildersaal (1818) 1, 103 ;
du willst wein trinken, und weiszt er thut dir kein gut
0. Ludwig ges. sehr. 3, 86; so mundartlich bewahrt, doch
schon oft im Wechsel mit der wendung ins adverbiale nicht
gut tun («. sp.lZZl): kan guat tuan 'schlecht enden'
Jakob Wien. 77^; kein gut tun 'nachteil und Unglück
bringen' Crecelius oberhess. 445; es thut kein gut 'bringt
schaden' Spiesz henneb. 87; dat dait kain guad 'bringt
keinen segen' Woeste-Nörr. 87*; dat will keen good doon
'das reicht nicht aus' Mensinq 2, 427; in das adjektivisch
flektierte subst. adj. neuir. überführt: von eilen kam nie kein
gxLts sprichw. (1548) 25*.
2) kein gut tun mit persönlichem Subjekt schlieszt sich
an gut V A 1 d, aber auch gut IV A 2 b an im sinne 'sich
rechtschaffen, brav, anständig beiragen':
ihr thut kein gut, ihr böszewicht,
wan man euch nicht zuboden schlegt
GiLHUSius gramm. (1597) 73;
solche müsziggänger, welche in der jugend kein gut
haben thun woUen und sich muthwülig in armut ge-
stürtzet haben J.B.Schupp sehr. (1663) 341; dasz die
unterthanen kein gut thäten, wenn sie viel geld hätten
Chr. Thomasius kl. dtsche sehr. 138; er . . . hatte in seiner
Jugend kein gut gethan v. Ebner-Eschenbach ges. sehr.
2, 193; ebenso mundartlich, vgl. kain guet tuen Schmelleb-
Fb. 1, 965; er thuat kan guat 'er ist von sehr schlechter
aufführung, schlechtem lebenstvandeV idiot. austr. (1824) 78;
der pue tuot kan guot Lexer kämt. 128; der junge will
nich {oder kain) gut tun Müller-Fraur. 1, 452; he wül
keen good doon 'er will sich nicht schicken' Mensing 2,
427; auch von tieren 'störrisch sein' : so bald sie mercken,
das man sie vil zuschlagen und zu poltern begert, wollen
sie darnach keyn gut mehr thun S^Bizfeldbau (1579) 599;
in das adjektivisch flektierte subst. adj. neutr. umgebogen:
{sie) klagen, wie das gesinde gar kein guts thun wolle
D. Schaller theol. heroldt (1604) 72;
ich hab mein leben kein guts gethan
und habs auch nicht im sinn
Mittler dtsche Volkslied. 560.
3) zu gut in A 4 mit personalem objektsdativ 'eine wohl-
tat, etivas angenehmes erweisen':
darumb gelaub ich, er thu ir kein gut
fastnachtsp. 2, 544 K.;
doch hat sie ihm auch kein gut gethan
J. Aykek dram. 1, 553 K.
B. feste präpositionale Verbindungen.
1) zu gute, in neuerer Schreibung zugute, früher auch
zu Gute geschrieben, vgl. Göthe 9, 246 W.; zu Gut Heeder
23, 411 8.
a) zu gut I A 1 {bzw. nach gut III A 7 hinüber) im sinne
'zum nutzen, vorteil', vgl. niener zu gut und unnütz
Frisiüs 119*.
a) mit dem dativ der person, vgl. gut I A 1 c und d:
wir sculun uns zi guate (zum heil) nu keren thaz zi muate
Otfkid II 5,1;
nach gut III A 4 übergleitend: mir ze guote {zum Wohl-
gefallen) bin ih got, dir ze freison nebin ih diu got Not
KEB ps. 49, 7;
und wie si mit dem blute
In solten da ze gute
bestrichin du ubirtur
EUDOLF v. Ems weltchron. 10511 Ehr.;
des grundpuechs, das wier . . . allen unsem underthan
zu guet fürgenomen . . . haben {v. j. 1494) österr. weist.
6, 229; minen jungern zu gut ... hab ich söHcher trans-
1343
GUT, adj., IX B 1
GUT, adj., IX B 1
1344
laciones etwa vil gemachet Niclas v. Wyle translat. 9 K.;
zu gut dem vatterland . . . verteutschet Xylander Poly-
bius (1574) vorr.; weil er (gott) den baw der weit dem
menschen zu gute gesetzt Oleariüs persian. reisebeschr.
(1696) 1 ; dasz dieaelbe {Luthers Schriften) in gewisse tomos
zusammen gedruckt und den nachkommen zu gute er-
halten würden Leibniz dtsche sehr. 2, 389; ihm (Sickingen)
und dem groszen häufen des deutschen volks zu gut
schrieb Hütten jetzt . . . deutsch Herder 16, 284 S.;
mundartlich variiert: das ist mer nicht zi guote 'das kommt
mir wohl zu, darum braucht nxin mich nicht zu beneiden^
Lexer kämt. 128.
ß) zu gute kommen erscheint als feste formel im sinne
'zum nutzen, vorteil, heil gereichen':
sol daz heizen guot, daz nieman hie ze guote kumt?
DER Maeker 116 StravLch;
die mhd. belege spielen oft mehr nach gut I C oder gut
III A 4 hinüber {'zum erwünschten, glücklichen ziel'):
. . . daz enkam den nlht ze guote,
von den si den schaden nam d. klage 68;
auf das die gütte, die er bey yhm selber hatt, auch andern
lasse bekandt werden und tzu gutte komen Luther
10, 3, 287 W.; ist also fast nichts an den ziegen zu finden,
welches dem menschen nicht zu gute käme viehbüchl.
(1667) 65;
. . . kommts nicht dem herrn zu gut,
wenn sein kriegsvolk was auf sich halten thut?
Schiller 12, 51 &.;
einem botanischen Institut . . ., welchem der ertrag dieses
grundstücks zu gute kommen sollte Göthe IV 10, 137 W.;
das . . . war . . . den Hohen Vietzern mehr als einmal zu-
gute gekommen Fontane ges. w. I l, 62; mit ellipse der
Präposition:
was einer früh um viere thut,
das kommt ihm nachts um neune gut
Binder sprichw. -schätz 59;
mit persönlichem subjekt 'zu hilfe kommen':
Maria, gotis muter, bis du ein loserin,
so kum oucb uns zu gute, wan wir gevangen sin
sp. V. d. zehn jungfr. 513 Beckers.
y) zu gute werden u. ä. 'zum nutzen, heil und segen
gereichen', vgl. at godo goraz Helgakv. Hinrv. 33, 11 Neckel:
. . . joh ward uns iz zi guate Otfrid IV 32, 3;
werdent tir is tie friunt ze guote {zum schütz), du ne sist
unsichure {an praesidio sini amici) Notker bei Graff
4, 163; de Düdschen darna ock also, alse se segen, dat
idt den Schotten alles to gude wordt, begunden crem
exempel to volgende Script, rer. Livon. 2, 100; aber Oreste
und Augustulo wurd die untrewe nicht lange zu gutte
Kantzow chron. v. Pomm. 22; mit anderen verben:
In rehtemo muate erge uns iz io zi guate,
thaz wir io muazin bilde wesan scalka sine
Otfrid III 20, 141;
was das ie ze keinir vrist
reht, gut unde wol getan,
80 milzes iuh ze gute irgan
KUDOLF V. Ems weltchron. 19105 Ehr.;
ezn habe deheinlu groezer kiaSt
danne unsippiu selleschaft,
gerate si ze guote
Hartmann v. Atjb Iwein 2705;
dö sluoc des gelückes kür
mir ze guote, im ze arge vür
Ulrich v. Eschenbach Alex. 5093 T.;
wer untrewUch handelt, dem gehet es ein weil zu gut
Agricola sprichw. (1534) c l*;
höret auch, ir herren, mlnen raid,
der gar woll zu gude gaid
Aisfdd. passionssp. 2467 Or.;
bemühungen, . . . welche der ganzen nation zu gute gehen
GrÖTHE 41, 1, 116 W.; es gelange denn zu gottes ehren im
menschlichen herze zu gute J. Böhme sehr. (1620) 2, 62;
das ims zu gut
nit spreiszen mag
G. Förster fr. t . liedl. 10 ndr.
d') in transitiven Verbindungen zu gute kehren, wenden,
bringen, geben in älterer spräche im sinne 'zum nutzen,
heil, segen bringen, gedeihen lassen' :
cheret thaz in muate bi thia zuhti iu zi guate
Otfrid S. 25;
ze ubele noch ze guote wanton sie beneficia dei Notkee
bei Graff 4, 163;
{die Weisheit) . . . trcestet den muot
mit allen den dingen,
diu man kan ze guote bringen
Lamprbcht V. Begensbueg tolUer van Syon 2801 Weinh.;
ähnlich zu gute geben: wenn wir von einem reden, dem
gott das gedeien gibt zu seiner narung, so sprechen wir
gott gebs im zu gut G. Edelman hochzeitspred. (1580)
N n ö''; nachbar Alex, ihr habt, gott geb euchs zu gute,
nicht zu klagen Schoch stud. leb. (1657) h 6^; anders, vne
zum besten geben {zu gut III A): bruchstücke, die sie
mir zu gute gaben Thümmel reise 2, 46; vergleichbar: to
gaue räen 'gut rathen' Schambach Oött. 60^.
b) zu gute halten u. ä. mit personalem dativ 'jem. etwas
nicht als nachteil, als schuld, zu hoch anrechnen; etwas nicht
übel nehmen, nachsehen, verzeihen', vgl. zu gut halten dare
veniam B. Faber thes. (1587) 253*', du wollest mir zu gut
halten quod pace tua dixerim Henisch 1789, einem ein
verbrechen hingehen lassen, eins zu gut halten amittere
alicui unam noxiam Reyher thes. (1668) 313: were nu
eine finsternis drynnen, so wirstu mirs wol zu gut halten,
das ichs nicht treffe Luther 26, 447 W.; aber gott kan
denen, so busze thun . . . viel zu gut halten J. Mathesius
Sarepta (1571) 83*'; er woUe ihr ... zu gut halten, wie
sie ihn auch geschmähet Grimmelshausen 4, 563 Keller;
einem poetischen {Übersetzer) aber musz man . . . schon
eine kleine abweichung zu gute halten Gottsched crit.
dichtk. (1751) 6; herr Dreisziger, man musz es seiner
Jugend zugute halten G.Hauptmann weber (1892) 77;
mit ellipse des dativ:
. . . 'wer an der thür?'
'halt zu gut, ich brenge für,
wahnt nicht der meister Juncker drin?'
Binckhart ehrisU. ritter 27 ndr.;
der leser . . . wolle ... zu gutt halten Butschky Pathmos
(1677) vorr. )( 4*'; vereinzelt mit anderen verben: zu gut
nemen, auszlegen accipere in bonam vel Optimum partem
Henisch 1789; diesem {dem glücke) müste man wie einem
narren alles zu gute haben Lohenstein Arminius (1689)
2, 1046*;
war etwa Mars wo from, so kelirt es ihm zu gute;
ea ist gewlsz geschehn ausz unverdachtem mute
LOOAU sinnged. 75 E.
b) zu gute machen (bringen) im sinne 'zu einer nutz-
baren, gebrauchsfähigen sache machen', besonders berg-
technisch 'aufbereiten, scheiden' schlieszt sich wohl an gut
I A 2 cy an: die hüttenherrn, so hütten gehabt und da
die ertze geschmolzen und zu gutt gemacht, haben auch
gewisze Ordnung und sonderhche Satzung gehabt Har-
DANUS Hake bergchron. (1583) 25; dasselbige {zinn) kan
nicht ein jeder gemeiner goltschmidt oder probir'er zu
gut machen und scheiden Ercker mineralertzt (1580) 34'';
wie man ein jedes erz solle und könne gewinnen, auf-
bereiten und zu gut machen Mathesius Sarepta (1571)
vorr.; schiffe, welche die erze . . . {bringen), um zu gute
gemacht zu werden Ritter erdk. 2, 666; in Substanti-
vierungen: er erzählet . . . das zugutmachen der erze
allg. dtsche bibl. anh. 1-12, 303; als wenn sich die chemie
blosz mit zugutmachung der erze . . . beschäftigte allg.
dtsche bibl. 53, 619; in gleicher bedeutung: der prozesz
{fälü) mit der zugute bringung silberhaltigen bleies zu-
sammen Karmarsch-Heeben 4, 127; allgemeiner 'nutz-
bar machen' : und da gleich etwas in die scheuren bracht
ward, wuchs es dennoch aus, entbrant aufeinander, oder
kundte doch nicht zu gute gemacht werden H. Megiseb
ann. Gar. (1692) 498; dem poeten schadet der aberglaube
nicht, weil er seinen halbwahn, dem er nur eine neutrale
gültigkeit verleiht, mehrseitig zu gute machen kann
1345
GUT, adj., IX B 1
GUT, adj., IX B 1
1346
GöTHE 41, 2, 55 W.; auch 'verwirklichen'' : zu gute ge-
macht wurde dieses durch die . . . nach Wahrheit streben-
den männer Ritter erdkunde 1, 33; etwas anders zu gut
I A 2 0 /3 die Verbindung zu gute halten 'in gebrauchs-
fähigem zustande erhalten': auch die zerunge der stadt
an allen stedten bas zu gute halten, dan biszhero ge-
schehen ist bei Steenge-Devrient stadtr.v. Eisenach 65;
item sal auch keiner nichtz verkauffen, ... er sal es dem
andern zufur anschiben und das selbige als dan jar und
tag zugute halten chron. d. stadt Ellbogen 11 Schles.
c) an gut III A angeschlossen für die erfreuliche, an-
genehme, vorteilliafte sache, zu der etwas gebracht wird, oder
den erfreulichen zustand.
a ) allgemein in verschiedenen Verwendungen; schon ahd.
belegbar:
80 bluama thar in crute so scono theh zi guate
Otfrid I 16, 24;
ruore dine hendc unde bruche sie ze guote Notkke ps.
91, 2;
SU8 teilte ich in mim muote
und wände wein ze guote
und li&n des michel lelt genomen
psbüdo-Hartmann V. Aue 2. büehl., 634;
etw. zu gute bringen, kehren 'etw. in einen wünschbaren,
erfreulichen zustand bringen', vgl. gut III A4:
ich bring ez wol ze guote
Ulkich v. Esohenbach Alex. 2594;
ir haut mich ofte g§ret
und ze guote gekeret
mtn dinc so voUecitcben
Hartmann v. Aue Iwein 7534;
nach gut III A 5 hinüber zu gute werden Hn einen
erfreulichen zustand kommen':
mein seel empfindet groszen schmertz
und wird kein mal zu gute
B. ßiNGWALDT handbüchl. (1586) 0 1»;
zu gut III A 2c persönlich gewendet: ek kan nich drup
(derbi, däbi) to gaue weren Hch kann nicht dabei genesen,
mich erholen' Schambach Oött. 60*.
ß) in fester Verbindung zu gute tun mit personalem
Objektsdativ 'jem. etwas als eine angenehme, erfreuliche,
vorteilhafte sache geben', vgl. zu liebe tun.
aa) allgemein:
due uns thaz zi guate blidemo muate
Otfuid Salom. 43, vgl. IV 37, 20;
ßwaz ich ir gedienen kan, si tuot mir niht ze guote
minnesinger 1, 111'' v. d. Hagen;
waz wollent ir mir (Judas) zu gude dun(a2« belohnung bieten)!
ich geben ueh Jhesum, Marien sun
schausp. d. mittelalt. 1, 99 Mone;
wo man ein undankbar herz öndet, da vergehet lust und
liebe, dasz man ferner helfen und solchen leuten etwas
sollte zu gut tun Luther 6*, 26 Erl.; ich will deinem
männchen kein leid, sondern euch beiden etwas zu gute
thun J.Mosen s.w. 8,475; dem ehrlichen alten Panzacchi
. . . musz man doch auch etwas zu gute thun Mozart bei
O. Jahn Mozart 2, 553; ohne objektsdativ:
swaz ich le tete ze guote (gewann),
daz verlius ich ganzliche
erzähl, u. schw. 30 Lambel.
ßß) reflexiv im sinne 'sich etwas gutes, eine erquickung
verschaffen', meist auf materielle genüsse bezogen: allwo
sie sich nunmehr was zu gute thun und das biszherige leid
ablegen wolten J. Riemer pol. maulaffe (1679) 72; wenn
ich gleich noch so verliebt bin, so thue ich mir gleichwohl
auch was zu gute ollapatrida 35 Wien, ndr.; ich ver-
schlosz das zimmer . . . und that mir etwas zu gute Göthe
25, 136 W.; Schlüters sind gesund und . . . sehr heiter,
sie thun sich etwas zu gute A. v. Droste-Hitlshoff br.
a. L. Schücking 209; ebenso mundartlich: ik wil mei mal
wuot te güde doun Baüer-Collitz waldeck. i2^; zu jute
dhun '^tlich thun' Brendicke Berl. w. 131.
yy) zu besonderer bedeutung entwickelt sich etw. zu gute
tun auf etw. 'sich in bezug auf etw. eine Schmeichelei sagen;
IV. 1. 6.
sich etwas einbilden, stolz sein auf etw.\' nicht vor dem
18. jh. zu belegen: wo sich neid, hochmuth und die über-
hebung unsrer zelten, auf die rechnung der Verdienste
des vergangenen alters etwas zu gute thut Gottsched
d. neueste 7, 529; so viel er sich auf seinen alten vater zu
gute thut, so stolz bin ich auf meine liebe tante Rabeneb.
s. sehr. 3, 288;
der mond schminkt sich und stiehlt der sonne stralen,
thut auf gestohlen brod sich wunderviel zu gut
Schiller 1, 244 G.;
das bild ging zur belustigung der gesellschaft herum,
weil sie vergasz, dasz der urheber sich vielleicht etwas
zugute that auf dasselbe G. Keller ges. w. 6, 86; hei
doüt se!k wuot drup te güde 'er ist stolz darauf Baueb-
Collitz 42''; gelegentlich mit über: wir haben nachher
uns oft was drüber zu gute gethan GtÖthe 8, 25 W.
y) handelstechnisch zu gut III A 7 (sp. 1280) in be-
stimmten Wendungen bedeutet zu gute 'zum vorteil; als
guthaben, f orderung' , vgl. zu gute komen prevenire {'über-
vorteilen') Diefenbach gl. 458^ (15. jh.); vergleichbar
auch zu gute lassen 'vorteil, vorsprung lassen; nachstehen':
dasz es {das maultier) auch in seinem sinn den rossen
mit lauffen . . . nichts zu gut lassen wolte Heyden
Pliniu^ (1565) 228; ähnlich zu gute gehen 'zum vorteil
gereichen': damit dem kauffer, weil er im herausz-
schmeltzen desz silbers einen abgang leiden musz, die
übrigen pfundt ... in seinem kauf zu gut gehen Ercker
mineralertzt (1580) 13'*'; zu gute schreiben 'als guthaben
blichen', vgl. einem so viel geld zu gut schreiben notare
qualche somma in credito ad uno Kramer t.-ital. l, 680*:
du kannst diese nun an Bucklen auszahlen und ich will
sie dir zu gute schreiben Göthe IV 5, 89 W.; sie ...
lassen sich für die Vorschüsse, die sie geben, eine provision
zu gut schreiben Gutzkow ges. w. 5, 97; zu gute haben,
behalten 'als guthaben haben, behalten': wenn ich mich
aber alle acht tage resignire, so hab ich es freilich bei
dreyhundert und fünf und sechzigen zu gute Göthe 1 4,
125 W.; der alte marm hat zwei groschen zu gute für die
uhr, die er mir gestern ausgeblasen hat Gutzkow ritter
V. geiste 4, 143; so mundartlich verbreitet, oft bildlich: i ha
selb no z guet 'habe es noch zu erwarten' Seiler Basler
ma. 153; eps ze guet han 'geld ausstehen haben' Mabtin-
LiENHART 1, 249; en holt nach eppes bei mir ze gud
Gangler Luxemb. 489; ik heff noch enen togui Men-
siNG 2, 423; aus der beyliegenden rechnung sehen sie,
dasz sie nach abzug der 200 laubthk. bey mir noch zu
gute behalten Göthe IV 11, 228 W.; ähnlich: dem künst-
ler, mit dem ich in abrechnung stehe, habe ich 15 du-
katen zu gute gethan 30, 44 ; häufl^er elliptisch gut schrei-
ben, gut haben usw., vgl. sp. 1248.
d) im anschlusz an gut IV C bezeichnet zu gute be-
sonders in älterer spräche, dasz die handlung den attsdruck
freundlicher gesinnung bezweckt oder den zustand freund-
schaftlichen einvernehmens herbeiführt.
a) bei verben des sagens und denkens; ahd. zi guote
nennen u. ä. übersetzt tat, benedicere:
(Zacharias) was ein ewarto, zi guate si er ginanto
Otfeid I 4, 2 ;
dero rehton geburt wirt ze guote genamot {benedicetur)
NoTKER ps. 111, 2; ze guote gechattost du dina erda
(benedixisti) ps. 84, 2; zi guote sprechan 'freundlich,
gnädig anreden':
so ist themo gotes drute gisproclian zi guate,
Moysene in wäre themo wizodspentare
Otfrid V 8, 35, vgl. zi guate gruazen II 16, 24;
zu gute gedenken 'in freundlichkeit gedenken, in gutem
andenken behalten':
gedsehte man ir ze guote niht,
von den der werlde guot geschiht,
8Ö wsere ez allez alse niht
GOTFRiD V. Straszbfkg Tristan 1;
meister Jordan prediger ordens (so sein got zuo guot
{gnädig'] gedenk) Meoenbebg buch d. natur 196 Pf.;
liebir meistir ..., gdenckt mein zu gut, ee es mitag
85
1347
GUT, adj., IX B 8
GUT, adj.. IX B 2
1348
würt, ich scheid darvon Eulenspiegel llO ndr.; ähnlich in
negativer formet:
daz ich Ir guoten guete
ze guote niht vergezzen wil
minncs. 1, 73" v. d. Eagen.
ß) bei Verben des aufnehmens und empfangens 'freund-
lich aufnehmen':
selben Krlst thar betota joh slnaz wort ouh lobota
intflang iruz zi guate mammuntemo muate
Otfeid in 11, 20;
swer guote rede ze guote
und ouch ze rehte kan verst&n
GOTFRID V. Stkaszbubo Tristan 4632;
stelle s! diu mir daz wol verstß ze guote'
Walther 109, 3;
allergnedigste junckfrauw, ich nim euweren schimpff gern
zu gut Wickkam w. 2, 299 B.; in zusagung der steuern
hat man die gesandten zu gut genommen quelle
bei Schmeller-Fk. 1, 964; anders 'vorlieb nehmen, sich
zufrieden geben mit etwas': die (söhne) muesten sich
alles erbs . . . für sich und all ir nachkomen verzeihen
.... muesten ains auf ainem schaitlein (wie man spricht)
von so vil land und leuten , . . zu guet nemen Türmatr
w. 5, 165 L.;
nembt mit mir armen gsellen z gut
SCHMEiTZL hochzeit z. Cana (1543) 18».
y) bei verben des Schaffens vom herzustellenden zustand
freundlicher gesinnung; subjektiv:
man macs üz übelem muote
bekßren wol ze guote
unde niht von guote
bringen ze übelem muote
Hartmann v. Aue Iwein 1880;
das er (Esau) vil gar ze gute
beclierte In slnem mute
swas er zornes ie gewan
Rudolf v. Ems weltchron. 6696 Ehr.;
damit er ze guote brsehte
die vintschaft und den häz
Ottokar v. Steiermark reimchron. 3500 Seem.;
objektiver 'freundschaft, einvernehmen':
BUS brAht siz in ir muote
ze suone und ze guote
und machte im unschult wider s!
Hartmann v. Aue Iwein 2051;
der redt sampt mit im und bracht die sacli zu gut zwi-
schen des und seins vatters (15. jh.) städtechron. 4, 122;
alsz ers {den auf rühr) nu nicht . . . konte wieder zue guete
machen, ist der Fritz Hans uff dem predigstuel gestiegen
und das volck vermanet 27, 153; etwas anders 'in wohl-
ineinender absieht':
tuost du daz ze guote,
söne wize ich dir dar umbe niht
Walthkr 50, 29;
ähnlichen sinnes im schles. sich zu gute geben 'sich be-
schwichtigen lassen, sich beruhigen, sich zufrieden geben',
vgl. Knothe schles. 277, Rother schles. sprichw. 254^:
gieb dich zu gute, mein junge, für dich ist noch nicht
jede aussieht verschwunden Holtet erz. sehr. 24, 128; (er)
konnte sich noch immer vor lachen nicht zu gute geben,
bis er sich endlich ganz verhustete Eichendorf s. w. 3, 92.
e) vereinzelt zu gut V B 'rechtschaffenes handeln':
wis horsam io zi guate ni hori themo muate
Otfeid I 18, 40;
wider zu gut keren resipere {vocab. v. 1440) Diefenbach
gl. 494''; was tu ich zu gut, das ich habe das ewig leben?
erste dtsche bibel 1, 73 Kurr.
2) für gut in bestimmten Verbalverbindungen seit mhd.
zeit bezeugt ist zunächst als substantivierter gebrauch des
adj. neutr. aufzufassen im sinne 'für eine gute sache', vgl.
im spiel mit gut, n.:
daz solt ir nemen für gröz guot
Berth. V. Holle Crane 1391 B.;
neuerer spräche ist diese ableitung nicht mehr bewuszt, so-
dasz Schreibungen mit groszem anfangsbuchstaben nicht auf-
treten; im mhd. und älteren nhd. häufig zusammengerückt
unter Schwächung des nebentonigen vokals der präposition
als verguot, vergut, so auch mundartlich; bedeutungsmäszig
stellt sich gut hier meist zu gut III A als 'angenehme,
erfreuliche, zufriedenstellende sache', oft mit besonderer
färbung 'eine sache, die nicht völlig dem umnsche ent-
spricht, die man sich aber noch gefallen läszt', vgl. analog
gebrauchtes für lieb teil 6, sp. 911.
a) für gut haben hält sich schriftsprachlich bis ins 17. jh.
hinein; 'zufrieden sein, vorlieb nehmen, sich begnügen mit
etwas' :
die wlle ich singen wil, so vlnde ich iemer wo!
ein nluwe lop daz ir gezimet.
nü habe ir diz für guot: so lobe ich danne m6
Walthbe 64, 26;
das sullin si für gilt wol han
und für das die vorderunge lan
an unsirn roub
KüDOLF V. Ems weltchron. 26179 Ehr.;
er dailte mit im was er hett,
geleich was er asz:
hab verguett was ich han
Heine, v. Neustadt Apoll. 1417 S.;
wo ich yhm aber wurd tzu wenig thun, woltist für gut
haben, ich wils ein ander mal bessern Luther bulla
cene domini (1522) a Z^; so ists 8icher(er) im walt
für guet zu haben, dann in der Indianer heuser oder
fleckhen U. Schmidel reise 107 lit. ver.; soUend wir billicb
iez mal an dissem vergun haben und gott dem herrn
darumb dank sagen abt Witwyler bei Schmeller-Fr.
1, 964; wer den wein hat getruncken, der soll auch vor
gut haben, wann er auf die hefen kompt Lehman flor.
pol. (1662) 1, 172; wärsch vur gutt hot, wils no bessr han
Rother schles. sprichw. 214^1; mit umgekehrtem sinne in
formelhafter Verbindung übel für gut haben 'etwas als ein
übel betrachten, mit etwas unzufrieden sein, etwas übel
nehmen', vgl. übel vergut aufnemmen adversis animis
accipere Frisiüs 93'', ein ding übel für gut haben aliquid
aegre boni consulere Henisch 1787, ich hab das laben nit
übel vergut patior non moleste eam vitam Frisius 958*^:
bald darnach aber hat Lysias . . . übel für gut ghept,
die ding die sich verlauffen hattend Zürcher bibel (1531)
330'>; dasz k. Friderich . . . solchen krieg . . . nit befolhen,
sonder solche Verhinderung übel für gut gehabt habe
Stumpf Schweizerchron. (160C) 19'», vgl. Staub-Tobleb
anders wie zu gute halten («. o. sp. 1344) 'freundlich 2, 542;
aufnehmen, günstig anrechnen':
nu suochet iu w!p s6 gemuot,
die solhe schimpfe hän verguot
Heeeant V. WILDONIE in: erz. u. schw. 210 Latnbel;
es ist myr zcu vül, das e.f.g. szo weyt jmn mejmn sache
und mühe gezcogen wirt, die weyl aber die not und gott
szo fuget, bitt ich e.f.g. wolt myrs zcu gnaden vor gute
haben Luther br. 1, 207 de Wette; verguot habn 'zu gute
halten' Lexer kämt. 128; 'gern sehen, billigen':
ez was dem abte ungemach
unde het ez niht verguot
Ottokae V. Steiermark reimchron. 26624 Seem.;
vgl. substantiviert 'billigung': mit der vorgut des N. Augsb.
spitalurk. v. 1313 bei Schmeller-Fr. l, 964; im sinne
'etwas hingehen lassen, dulden':
und hetten für guot gat alle man
was man die frawen sähe begän
. . ir etzliche wurden unguot
Ulrich v. Lichtenstein frauenbuch 1962 Bergm.;
das wolt der hertzog nit für gut haben, sunder fieng den
pfaltzgraven Seb. Münster cosmogr. (1550) 1018; diesen
spotbossen wolt graf L. nit verguet haben Zimmer, chron.^
3, 415 Bar.; in entschuldigungsformeln 'verzeihen':
es (das JesusJHnd) ist noch jung, haben vergütt!
Erasm. Schaltoeffer (1478) bei Schmeller-Fr. 1, 964;
hab ietz vergut I K. Manuel 28 Bächt.;
auf gut V 5 übertragen 'für etwas rechtsclmffenes halten' :
wan enem kan niht geschaden swer für guot hat swaz er
tuot Walther 107, 9.
1349
GUT, ad}., IX B 8
GUT, adj., IX B 4—5. X (kompositionstypen) 1350
b) für gut nehmen oder mit ähnl. verben erhält sich gleich-
falls bis ins 17. jh. und ivird dann durch vorlieb nehmen
verdrängt; im sinne 'zufrieden sein, sich begnügen mit etw.' :
minne sol daz nemen vür guot
Walthbr 58, 12;
der riche vriunt sol nemen verguot
den dienst, den im der arme tuot
Freidank 98, 5 Or.;
bitt, ihr wollet auch die geringe malzeit nicht verachten,
sondern , . . damit für gut nemmen volksb. v. dr. Faust
98 Br.;
(freundschaft) . . . nimmet auch für gut,
was ein treues freundgemühte mit paplergeschenken tuht
Stielkr geh. Venus 11 ndr.;
verguet nemmin 'vorlieb nehmen' Lexek kämt. 128; etwas
anders wie zu gute halten 'freundlich aufnehmen', vgl.
für gut nemen, annemen, aufnemen in bonam partem
accipere Henisch 1787:
lob ich sl s6 man ander frouwen tuot,
dazn nlmet eht si von mir niht für guot
Beinmar d. a. in: d. minnes. Jrühl. 159, 6;
ez nimt got selten vur gut,
swaz man dem teufel liebes tut
kl. mhd. lab. u. lehrged. 3, 194, 69 Rosenh.;
■wo sie freundlichen scherzen thut
und nimbt auch scherz wieder vergut
H. Sachs 9, 345 K.;
daz nam die muoter niht verguot
ztschr. f. dtsch. altert. 6, 498
'freudig annehmen :
des Vaters klag was so gros,
das in des lebens gar verdros;
den tod biet er für gut genömen,
wer er in nur ane chömen
Havich d. Kellner st. Stephans leben 4620 McClean;
noch anders 'als gültig anerkennen':
sie nämen verguot den eit
Hkrbort v. Fritzlar 16011 Fr.;
in entsprechenden bedeutungen für gut aufnehmen, vgl. für
gut aufnemen, im besten verston aequi boni facerc
Frisius 159^; für gut auf nemmen, zulassen, annemmen
recipere et respuere 1121^;
sorg nicht, was da zucht halb gezlmpt,
beim wein man alls für gut aufnimpt
K. Scheit Grob. 3697 ndr.;
woferne der fürst ein nachsinnen hat, kan er sein gedieht
nicht vor gut aufnehmen, als in welchem da sein fried-
liebendes haupt mit einem krieges- und siegeskrantze
also schertzende bekrönet d. unsichtb. Charmion (1697)
615.
8) in gut, in gute hält sich bis in frühnhd. zeit hinein.
a) in gut 'in richtung auf das gute hin' ; Z7i gut IV B
^ind C im sinne 'zur freundlichen gesinnung und zum
gütigen handeln hin', d. h. 'freundlich, gütig, gnädig' :
inphah mih in guot Notker ps. 118, 122;
dar an er im bescheinde,
daz erz in guot melnde
Hartmann v. Aue Erec 4902;
swer daz iht anders wan in guot
vernemen wil, der missetuot
GoTFRiD v. Straszburg Tristan 7;
darumb thut und laszt, was euch eben ist, nempt es in
gut oder in übel auf, so ist sie doch mein weib Aeigo
decam. (1580) 2, 204t>;
so bitten wir euch all vorahn,
ir wölt es in gut hie verstahn
und uns zu dem besten auszlegen
H. Sachs 14, 3 K.- 6.;
zu gut III A 4 'zu einem erfreulichen, glücklichen zustand
hin' :
swenne du ez keren wilt in guot,
nu rät, zierlicher degen vruot, «
daz wir von disen sorgen kumen
Heinrich v. Frexberq Tristan 2871 Beehst.;
du mäht ain iegleich dinch wol handeln in übel oder in
guot KoKEAD V. Megenberg buch d. nat. 380 Pf.;
swaz er uns ze leide tuot,
daz machet uns got in guot
V. d Siebenschläfern 369 Karajan.
b) in gute zu gut IV B ^in vnlliger, freundlicher, gütiger
gesinnung'; 'in freundlicher absieht':
diz sprach er niht in gute
noh in einvaltem mute
KUDOLF V. Ems weltchron. 30403 Ehr.;
her, den rät den wir iu geben,
den vervähet uns in guote
Ottokar v. Steiermark reimchron. 31384 Seem.;
so solstu ir den fried anblten
durch ein bottschaft in allem gut
H. Sachs 6, 212 K.;
vielleicht noch hierzu: in jüte {ohne umlaut) 'in gute, in
frieden' Jecht Mansf. 45.
c) vereinzelt zu gut V A 5 : concupiscentia unde desi-
derium dei lutent beidiu giride, so ist desiderium ette-
wenne in guote {'in positivem, nicht pejorativem sinne'),
ettewenne in ubile gesprochen {'gesagt') Windberger ps.
497 Oraff.
4) mit gute (gut) reicht ebenso noch vereinzelt in nhd.
zeit hinein; zu gut III A 5 'mit freudig keif :
'far' quad er tho innan thes, 'tohter, heimortes
mit fridu joh mit guatu . . .' Otfrid III 14, 47;
zu gut IV C 1-3 'mit gütigem handeln, durch gütliches
zureden':
ob st ir vrouwen haz
bekerte mit guote
ze senfteren muote
Hartmann v. Afk Iwein 2007;
etuxis anders zu gut IV B 2 b 'mit willigem sinn':
was nicht sein sol noch kan,
soltu mit gut fahren lan
Petri d. Teutschen weiszA. (1604) 2, Z z 2'»;
fraglich, ob noch hierher zu gut V B oder aus das gute
{s. o. gut VIII B 1 b) erdwickeU: wenn men med gaue
dör de weit wil 'wenn man ehrlich durch die weit will'
Schambach Oött. eo"'.
5) durch gut beschränkt sich ganz auf ahd. und mhd.
Sprache; zu gut IV C 1-3 'zum zwecke eines aus freund-
licher gesinnung hervorgehenden tuns' d. h. 'in freund-
licher absieht':
. . . ir quamut hera thuruh guat
Otfrid V 4, 38;
... er reitez durch guot
Nibelungen 1953, IL.;
ez sl durch guot getan
Ulrich v. Eschenbach Alex. 2603 T.;
eme sagiz im durch guot v. rechte 301 Waag;
ich frage iuch niuwan durch guot
. Hartmann v. Aue Erec 3519.
X. kompositionstypen.
Zusammensetzungen mit gut als erstem hompositionsglied
treten seit ältester Sprachüberlieferung auf, vgl. got. goda-
kunds {evyeyTJ^) Lukas 19, 12, ahd. guotwillig, as. god-
spräki Heliand 567, anord. godrddr Gripisspd 26, 3,
bleiben aber noch in mhd. zeit im ganzen selten; erst nhd.
ist ein stärkeres anwachsen der komposita zu beobachten,
doch erscheint nur der typus der partizipialen adjektive
von ungehemmter triebkraft. Stichwörter ohne belegstellen
sind an alphabetischer stelle behandelt.
1) adjectiva.
a) Zusammensetzungen von gut adj. mit einem adjekti-
vierten subst., vgl. got. godakunds {s.o.): gutachtlich;
-artig; -batzet: ein gutbatzete feyste brat- oder leber-
wurst GuARiNONius greuel d. verwüst. (1610) 1201; -batzig
Staub-Tobler 4, 1974; -blutig: die asche des gutblütigen
faullenzers v. Göchhattsen meiree reisen 13; -bürgerlich;
-dünklich; -dünkUsch; -gängig: hünerhunde {sind) sehr
gutgängig Heppe ZeArpriwz (1751) 16; -geschirrig; -gläu-
big; -grundig; -günstig; -herrschaftlich; -herz; -herzig;
-kauf; -launig; -meinig; -mutig; -säftig; -sinnig; -sittig;
-tätig; -tuchen; -wächsig: schöne bäume, gutwächsige
säten J. B. Porta nat. magia (1617) 407; -willig; hierzu
stellen sich die formal nach art der partic. praes. gebildeten
adjektive: gutbeleibt: kein so gut beleibter bestürmer
Gleim briefw. l, 169 K.; -geartet; -gebeint Staub-Tob-
ler 4, 1306 ; -gemutet : ein gutgemütheter mann Sonnen-
85*
1351
GUT, adj., X (Jcompositionstypen)
GUT, adj., X (Jwmpoaitionstypen) 1352
FELS ges. sehr. (1786) 9, 274; -gelaunt; -gemut; -gesinnt;
-gesittet: gutgesittete leute M. Claudius Asmus (1775)
7, 3«; -gestaltet: wie er so dastand, jung, gutgestaltet
G. Freytag ges. w. 13, 17; -gewillt: ein gutgewillter
mensch Gervinüs gesch. d. ätsch, diehtung 3, 425.
b) Icompositionen mit einem adjektiv, wobei gut stei-
gernde funktion {vgl. gut VII F 2) besitzt, soweit nicht
zusammenrückung einer doppelformel vorliegt wie in den
ältesten (15/16. jh.) gutgern, gutselig; gutbeständig: in
gutbeständiger ruhe Bdtschky Pathmos (1677) einf. )( 5^;
-edel; -gern: guotgern, wole enstich benigna (15. jh.) bei
Schmeller-Fr. 1, 063; -katholisch: dieser gutkatholische
könig ZscHOKKE s. ausgew. sehr. 5, 324; -moralisch: dem
gutraoralischen karakter A. G. Meiszner Alcibiades (1781)
2, 50; -protestantisch: die gutprotestantischen Christen
Läükhard leb. u. schicks. 4, 128; -prosaisch: ein gut-
prosaisches nachtessen Zschokke s. ausgew. sehr. 24, 58;
-ratsam: doch befand man gutrhatsam, dasz , . . Ftsch-
ABT Oarg. 361 ndr.; -richtig Rother schles. sprichw. 351;
-schweizerisch: diese drey gutschweizerischen Wörter
La VATER physiognom. fragm. 3, 329; -selig.
c) participia praesentis als adj. in komposition mit gut
VII begegnen seit dem 14. jh., vgl. gutscheinend; gutbe-
stehend: eine kleine kolonie von gutbestehenden G. Kel-
ler ges. w. 5, 179; -denkend; -gehend: eine flotte und
gutgehende bäckerei denkw. u. erinn. e. arbeiters (1903) 17;
-herzend; -klingend: einen gutklingendon vers Dahl-
MANN gesch. v. Dänem. l, 26; -laufend: die gut- und
sicherlau Sende pferde v. Hühberg georg. cur. (1682) 2,
179; -meinend; -scheinend; -schlieszend : ein gut-
schlieszendes glasgefäsz Li e big handb. d. chemie 626;
-sitzend: man passioniert sich eben für das gerade und
gutsitzende, wenn man von der natur solche irreguläre,
krummbeinige flickschusterstatur mitbekommen hat
H. V. K AHLEN BERG d./omt7ie Barchtvitz (1902) 37 ; -tuend;
-wirkend ; -wollend.
d) besonders triebkräftig ist der junge typus (17. jh.) von
kompositionen der participia praeieriti als adj. mit gut VII;
da nahezu jedes Irans, vb. so verwendet werden kann, folgen
nur häufigere beispiele; gutbebaut: der grosze, gutbebaute
garten G. Keller ges. w. 1, 17; -beleuchtet: von dem
mahlerischen effekte eines jeden gutbeleuchteten mundes
Lavater physioqn. fragm. 2, 239; -bereitet: in einer gut-
bereiteten blutlauge allg. dtsche bibl. 38, 500; -besetzt:
eine gutbesetzte tafel Justi Winckelmann 2, l, 356; -be-
standen : am rande des gutbestandenen hochwaldes Auer-
bach sehr. 5, 24; -besucht: die gutbesuchte Sitzung jahrb.
d. Grillparzergesellsch. 8, 325; -bezahlt: seine gutbezahlten
erfolge B. Weber Tirol, u. d. reform-. 47; -dotiert: die
gutdotierte stelle des jüngstverstorbenen alten kanzel-
redners Holtei erz. sehr. 8, 103; -eingerichtet: gutein-
gerichtete Seelen Ramler einl. (1758) l, 99; -erzogen: ein
feines, wohlgewachsenes und guterzogenes mädchen
A. G. Meiszner skizzen (1778) l, 34; -frisiert: ein gutfrisier-
tes haar J. A. Gramer d. nord. aufs. (1758) 2. 47 ; -fundiert:
auf dieser gutfundierten schule .1. Grimm kl. sehr. 1, 3;
-gearbeitet: gutgearbeitete . . . musik W. H. Riehl musik.
charakterk.^ 1, 373; -gebaut; -gebildet: einen gutgebil-
deten und wohlgekleideten menschen Schiller 4,223 0.;
-gedacht: geistreiche, gutgedachte einfalle Göthe IV 22,
84 W.; -gedüngt: das gutgedüngte land Mothes baulex.
1, 309; -gefaszt: kan ein gutgefaszter schlusz nicht seinen
zweck erreichen? oraf Sporck streitged. 93; -geformt:
den gutgeformten köpf J. Rank erinn. 13; -geführt: die
haupteigenschaft eines gutgeführten bogens Quantz an-
weis, d. flöte zu spielen (1789) 189; -gehalten: ein mäsziger
häufen von hundertdreiszig gutgehaltenen häusern Steub
drei sommer i. Tirol 2, 99; -gekleidet: sein äuge . . . ver-
weilte auf jedem gutgekleideten frauenzimmer Miller
Siegwart (1777) 2, 507; -gemacht: mit einer gutgemachten
suppe d. wohlgepl. priester (1695) 55; -gemalt: (ein) gut-
gemahltes bild Lohenstein Arminius (1689) 2, 1541»;
-gemeint; -geschaffen: ein solch gutgeschaffen gewächs
J. G. Schmidt gestr. roc.kenphilos. (1706) 2, lO; -ge-
schrieben; -gesetzt; -gespielt: gutgespielte rollen J. A.
Gramer d. nord. aufs. (1758) 1, llO; -gestellt: das gesicht
. . . der gutgesteUten landfrau M. Heyne körperpfl. 33;
-gestimmt: gutgestimmt« menschen allg. dtsche bibl. 63,
410 ; -getroffen : ein gutgetroffenes portrait fürst Pückler
briefw. 1, 398; -gewachsen: kinder von . . . gutgewachsenen
Zwergen Holtei erz. sehr. 11,126; -gewählt: gutgewählte
und unwidersprechliche beyspiele J. A. Gramer d. nord.
aufs. (1758) 1, 243; -gezielt: gutgezielten stöszen imd
hieben E. T. A. Hoffmann s. w. i, 12 Or.; -situiert:
aus dem gutsituierten, aber nicht sehr fleiszig besorgten
posten BisMARCK ged. u. erinn. 1, 144; -unterrichtet: die
'gutunterrichteten' leute wollen behaupten J. Venbdey
die wage (1845) 4, 3; -vermeint: sie wollen lieber einen
guten freund als eine gutvermeinte antwort verlieren
Harsdörfbr geschichtsp. (1654) 658; -versorgt: wohl-
gepÜegte küche und gutversorgten keller W. V. Polenz
Orabenhäger (1897) 2, 272.
2) adverbia.
adverbiale bildungen aus substantivierten Verbindungen
zusammengerückt bleiben seÜen: gutenteils; gutermaszen;
gutesteils; gutwillens.
3) verba.
von den verbalkompositionen sind die aUeren {seit dem
14. Jh., vgl. gutwillen) meist au^s präpositionalen Verbin-
dungen ziisammengerückt {vgl. gutachten), die jüngeren
stellen sich zu gut VII oder sind technische fachausdrücke
zu gut lAcy: gutachten; -bedünken; -befinden;
-dünken; -finden; -heiszen; -jähren; -kochen; -machen;
-meinen; -rösten; -sagen; -schreiben; -sprechen; -stehen;
-treffen; -treiben; -tun; -willen; -züchten.
4) substantiva.
a) kompositionen von gut mit echten Substantiven treten
seit ahd. zeit auf, vgl. guttat, gutwerk, und sind meist
zusammenrückung fester Verbindungen des adj. mit be-
stimmten Substantiven.
a) zu gut I gehören folgende bildungen: gutart; -brief;
-bürge; gutegroschen ; gutfeuer; -geld; -genug; -land;
-ofen; -schein; -Schrift; -spräche; -spruch.
ß) zu gut II gehören: gutbier; gutemann; guterz; -frei-
tag; -mann; -tuch; -weizen.
y) au^ gut III sind entwickelt: gutenacht; gutfurt;
-jähr; -leben; -mut; -tag; -tat; -wetterperiode.
J) an gut IV schlieszen sich an: gutefrau; -hulde; gut-
freund; -geselle; -glück; -leute; -leuthaus; -leuthof;
-leutmann; -männlein; -meinung; -sinn; -tat; -täter;
-Wille.
e) zu gut V stellen sich: gutgetat; -sittigkeit; -tat;
-täter; -werk.
b) Zusammensetzungen mit Substantivableitungen aus
adjektiven begegnen seit dem 15. jh., vgl. gutartigkeit ;
-gesinntheit; -gläubigkeit ; -herzigkeit; -mildigkeit;
-mütigkeit; -sinnigkeit; -tätigkeit; -Willigkeit.
c) komposita aus substantivierten verben, teils subst.
inf., teils suffixale ableitungen treten mit dem 15. jh. auf,
vgl. gutgefallen; gutachten; -achter; -achtung; -ansehen;
-bedünken; -befinden; -befindung; -befund; -behagen:
ich führe dir nach meinem guhtbehagen den arm Schot-
T^h friedenssieg 31 ndr.; -brand Kerl thonwaaren (1907)
1406; -denken; -dunkel; -dünken; -dünkenheit; -dünker;
-dunkler; -dünklichkeit; -dünkung; -erachten; -färben;
-färber; -finden; -findung; -gedunken; -gefallen; -gönner;
-haben; -häber; -handeln; -heiszer; -heiszung; -macher;
-machschein; -machung; -meiner; -mögen; -sage; -sager;
-sagung; -schau; -schmecke; -schmecker; -Schreibung;
-sein; -sprechen; -sprechung; -steher; -stehung; -tuer;
-tuung; -wählrung; -Wandlung; -Wartung; -wischen;
-wöller.
d) gut als erster kompositionsteil in pflanzen- und tier-
namen bleibt unhäufig, bei pflanzennamen liegt zumeist
gut I A 1 b vor: gutberat; -blatterkraut; -erbse; -fink;
-fisch; -heil; guterheinrich ; gutkraut; -merle; -schlösz-
chen; -vergesz; -vogel; -wurichkraut; -würz.
1353
GUT,
A 1—3
GUT, n., A4-5
1354
GUT, n., Substantivbildung aus dem adj. gut, ahd. mhd.
guot, as. göd, ags. göd, anord. göd, nhd. gut; die plural-
Jorm ist (im nom., acc.) bis in das jüngere mM. mit dem
sing, gkichlautend, vgl. gut v. Lobi baier. bergr. 3, gut
( = gut) weisth. 6, 25, im spätmhd. treten formen mit den
sekundären endungen -e und -er hinzu: gute JoH. Rothe
rittersj). 414 B. und wohl hierzu gen. pl. einer goide
chron. d. stifts s. Simon u. Judas 593 Weiland, dat. pl.
gnden.{lS'il)hess.urk.-buch2, 504 PFysz; gutir Joh.Rothe
rittersp. 413, guddern (1290) Hess, urk.-buch 3, 509 Reimer,
godere chron. d. stifts s. Simon u. Judas 594 Weiland; der
er-plural ist bereits im 15. jh. die geläufige form und
ebenso im nJid. gängig.
A. Substantivierung des adj. neutr. gut mit substantivi-
scher ßezion als st. n. erscheint seit alters bis in das ältere
nhd. hinein schriftsprachlich verwendet, um die verschie-
denen bedeutungen des adj. ins gegenständliche zu erheben,
in ahd. und mhd. spräche ist diese bildung vom sub-
starUiv der sachbezeichnung (s. u. B) bedeutungsmäszig oft
nicht sicher zu scheiden, vgl. Gbaff 4, 160, und deshalb
lexikalisch verschieden bewertet worden; das mhd. wb.
z. b. reiht sie unter das st. n., das wb. zum Iwein unter das
adj. ein; im älteren nhd. ist diese bildungsweise als solche
im erlöschen und wird durch die adjektivisch flektierte das
gute und gutes (s. gut VIII B und C) ersetzt, doch ist in
den fällen, wo frühnM. noch abhängiger genitiv möglich
ist (z. b. viel gutes, was gutes) die Unterscheidung vom
stark flektierten adj. gutes nicht durchzuführen, in er-
starrten formein und festen pronominalen Wendungen hat
sich auch diese bildung in neuerer spräche erhalten, wird
aber nicht mehr als echtes Substantiv empfunden (s. gut IX).
1) zu gut I A nur vereinzelt; für eine taugliche, nütz-
liche, brauchbare sache: fon Nazareth mag sih waz guotes
weean? Tatian 17, 3;
die Schilde wären vür stlche deheln guot
WiRNT V. Gravenbkrg Wigalot» 6662;
du Salt alle zyt sin eines solichen mutes,
das du beginnest etwas gutes {nützliche arbeit)
JOH. Rothe lob d. keuschh. 3226 N.;
das gut und die nutzbarkeit des studierens oder lemens
bona studii Frisius löO*»; präpositionale Verbindungen zu
gute, für gut, in gut(e), mit gute, durch gut s. oben
gut IX B.
2) selten auch zu gut II A; für etwas geistig wertvolles:
theist al fon themo brunnen, tliaz wir hiar guates Zeilen
Otfrid V 23, 292;
künd ich, swaz ieman guotes kan,
daz teilte Ich mit dem werden man
Walthek 18, 21;
für die kostbare, wertvolle sache als besitzgegenstand s. u. Bl.
3) seit alters überaus häufig für alles, was dem menschen
angenehm, erfreulich, vorteilhaft ist, entsprechend gut III A,
vgl. ags. gödes ond yfles Widsid 51 Holth.
a) allgemein:
du (gott) mannun
sO manac coot forgäpi
Wessobrunner gebet 11;
ir . . . wizzut guot zi^ebanne iuwerln kindon Tatian 40, 7;
. . . hwat, thu thar alla tlilna wunnea farsliti,
gödes an gardun . . . Heliand 3379 Heyne;
thiu wanna joh ouh manag guat
Otfeid II 16, 4;
ih geswigeta guotes (silui a bonis et dolor meus renovatu^
est) NoTKEE ps. 38, 3;
. . . swä liep und guot
den recken widerfüere des müese ich vreude hän
Nibelungen 1342, 2 L.;
ir bewiset mir übel wider guot
Ulrich v. Eschenbach Alexander 20341 T.;
. . . bevalch er In (den knaben)
dem gräven Eeimunde
zu hüte, als erm gunde
wol gutes, do was er wol bewart
landgr. Ludw. kreuzf. 392 Naum.;
mmser früntlich dinst und alles gut zuvor (v. j. 1493) bei
Stbinhausen privatbr. d. mittelaü. l, 304; in dem ersten
teyl will ich geben zuverstien . . ., was guttes sich in
dem eelichen stände . . . mügen begeben Albr. v. Eyb
dtsche sehr. 1, 5 Herrm.; nun Ambrogiolo Bamaba ge-
sechen und erkant het (und) im gedachte, da nicht gucz
sich gefügen möcht Abigo decam. 151 K.; ja herr, ainer
wird (auf reisen) gut und bösz innen und müsz manige
eilende herberg haben und grosze verschmähung leiden
Fortunatus 43 ndr.; von weibern geschähe nie keynem
man gut Tappius adag. cent. sept. (1545) v 8^;
bezal das bösz mit gut
und hab ein gedültigen muth
Petri d. TetUschen weiszh. (1604) 2, 12»;
vergleichbar noch mundartlich: he hett dor vel god vun
viel genusz, freude, spasz Mensino 2, 427.
b) in fester Verbindung mit tun: diu (sc. guot) den
mennisken guot tuont Notker ps. 118, 127;
daz er liep unde guot
8ö wider sinen willen tuot
Hartmann v. Aue Iwein 6667;
woUent sü (die vorgesetzten) mir gut tun und gütlich sin,
daz solte ich nemen Tauler pred. 15 V.; wie Moyses
dem volck saget, was guts ine got thun wurd erste dtsche
bibel 4, 442 Kurr.; mundartlich ist noch vergleichbar: do
hat ose hergott e gruss gut gedohn Jos. Müixee rhein.
2, 1524; tou dar e~ guad lasz dir wohl seyn Schmelleb-Fb.
1, 966; über kein gut tun vgl. gut IX A 2.
4) zu gut IV weniger häufig gebildet; für etwas, uxis aus
freundlicher gesinnung hervorgeht, vgl. ags. alwalda |)eo
göde forgylde Beowulf 956 Holth., anord. h9fnom opt g6do
Atlamdl 70, 4 N ecket:
Petrus dua mih wisl, oba ih thlr Hob fllu si,
mit minnu thines muates mir unnis alles guates
Otfrid V 15, 14;
hweo magut ir guot sprehhan, nu ir so ubile birut Monseer
fragm. 6, 17 Hench;
. . . wie moht man dö versten
waz er da mit meinte, niwan allez guot?
Nibelungen 2108, 3 L.;
ich wil in (den frauen) niuwan guotes jehn
Hartmann v. Aue Iwein 1887;
were es nicht vor dem heiligen vater gewesen, für wäre
sie Allessander und der frawen nicht gütz beweist hetten
Abiqo decam. 72 K.;
wir versechend uns nun alles gütz
ja aller frulntschaft, gütigkeit
J. Ruf in: Schweiz, schausp. 3, 165 Bucht.;
5) aus gut V entwickelt für das rechtschaffene, sittlich
vollkommene denken und handeln: framgangent the dar
guot tätun in urresti libes Tatian 88, 9; enti so hwaz so
siu in andremo guotes gasihit so sama so ira selbera
frumono des mendit Monseer fragm. 30, 16 Hench;
(der teufet zu Adam und Eva)
quad, guat joh ubil wessin, thes guates thoh ni missin
Otfrid II 5, 18;
nehein guot ne täte ih Notker ps. 58, lO;
wan der erkennet übel unde guot
Walther 44, 2;
waz hlllet edle, waz hilfet guot (in der bösen weit)
Ulrich v. Eschenbach Alexander 7789 T.;
gudt und quaet erkennen Rotmann rest. 62 ndr.;
und lernt . . .,
ob ilir, was auf der weit geschieht,
gott geb, wies alls werd ausgerlcht,
recht unrecht gleich, bös oder gut
Hayneccius Hans Pfriem 185 ndr.;
aUesgut gehet ausz dem tempel, auch kompt alles böses
darausz Petri d. Teutschen weiszh. (1604) 1, a t^; in
jüngerer spräche etwas anders aus dem adj. neu heraus-
gebildet:
dasz wir falsch für gut gewehret
LOGAU sinnged. 642 B.;
dankt immer gott, der euch vergönnt, ein tröpflein
von gut zu thun in euer meer von bösem
Grillfarzer s. w. 6, 236 S,
1355
GUT, n., B 1
GUT, n., B 1
1356
B. als Substantivierung von gut II A, mit einschlag von
gut I A 2 und gut III A 7, hat sich das neutr. des adj. früh
zum selbständigen Substantiv der gegenstandsbezeichnung
entwickelt; got. noch unbezeugt, aber auch anord. wie ags.
in diesem gebrauch belegbar, vgl. Cleasby-Vigfüsson 210*,
BoswoRTH-ToLLER i8Z^; allgemeinster ausgangspunkt
dieser bedeutungsentwicklung ist die Verwendung des subst.
adj. für eine sache, die infolge ihrer nutzbarkeit {vgl. gut
I A 2), ihrer kostbarkeit (vgl. gut II A) oder ihrer ertrags-
fähigkeit {vgl. gut III A 7) den Charakter des wertvollen
eigeniums besitzt.
1) als bezeichnung von dinglichen besitztümern und wert-
gegenständen verschiedenster art, soweit sie beweglicher
natur sind; belege aus älterem recht s. in fülle bei Fischer
Schwab. 3, 954^.
a) von einzelnen gegenständen und Wertstücken des be-
Sitzes, vgl. neitt Menio god Sigurctarkv. in sk. 52, 5 Neckel.
a) allgemein:
. . than wili in the rlkeo drohtin
gebon mid alloro gödö gehwillku Heliand 1691 Heyne;
do wurdin die brüdir (Eain und Abel) undir In eines
tages enein
daz ir iewedir noeme sines gutes des in gezaeme,
unde ez got ophoroten genesis u. exod. 24, 5 Diemer;
hüet es (das glas) vor allem guote (mehr als jede kostbarkeit)
GOTFRID V. Stkaszburg Tristan 11458;
mit huse, schüren unde Schoppen unde mit allen den
guden, die dar zu gehorent {v. j. 1341) hess. urkundenb. 2,
504 Wysz;
hertzog Äneas auch daneben
Achatl den befelch thet geben,
dasz er mit näm die guter schon
ausz Troia gebracht darvon
Spkenq Äneis (1610) 17»;
behalts (das herz), Lisette, denn es soll dir zugehören,
nicht schäme dich des schlechten guts
Hoffmannswaldau-Nkukiroh 2, 58;
die schaflnerin schaltete drinnen
tag und nacht und bewachte die guter mit sorgsamer klugheit
J. H. Voss Odyssee 377 Bernays;
in diesem augenblick, da er seine beiden groszen guter
{den väterlichen hof und die geliebte) gegeneinander gestellt
sah, entschied er sich für die arme Fränze P. Dörfler
d. notwertder 8; vergleichbar die umgangssprachliche Wen-
dung das liebe gut für die als lebenswichtigen besitz an-
gesehenen nahrungsmittel, besonders brot: das liebe gut!
{milch mit brot und zucker) man musz es nun wegwerfen
GöTHB 17, 303 W.; det liebe jut 'das liebe brot', det liebe
jut musz man nich uff de erde Uejen lassen Brendicke
Berl. w. ISl**; in übertragenem sinne redensartlich: da hat
mers {man das) liebe gut und es ist noch nicht ausge-
backen.
ß) seit aÜers pluralisch verwendet für die summe der be-
sitztümer, aus denen sich die habe eines menschen zusam-
mensetzt: thara gisamanon alliu thiu dar giboraniu sint
mir inti miniu guot Tatian 105, 2, vgl. halftonod minero
guoto 114, 2; dusse gaf den negeden del al siner goide,
de dar horden to siner tresekameren, to der provende der
heren chron. d. stifts s. Simon u. Judas i. Ooslar 593 Wei-
land; {sie) den grosten teyle ir verseczten guter wider
lösten Arigo decam. 66 K.; es haben aber diese beide . . .
leib und leben neben verliehrung ihrer guter ... in gefahr
dersetzen müssen Moscherosch insomn. cur. par. 7 ndr.;
ist sie an gutem reich,
so will sie herre sein
Zesen verm. Helikon (1656) 1, 75»;
du weiszt doch, dasz die Ungleichheit der guter die quelle
alles Unglücks auf erden ist? Klinger w. l, 114; einer von
unsern bürgern ward beschuldigt, er hätte verschiedenes
von den gutem eines mündeis . . . veruntreut Lenz ges.
sehr. 3, 139 Tieck;
das köstlichste von Phryxus gutem aber,
68 war ein köstliches, geheimnisvolles vliesz
Gkillpakzer «. w. 5, 71 S.;
formelhaft habende und kriegende guter 'besitztümer und
einkünfte" : da einer nicht allein seiner nachbarn und mit-
bürger ausneunet {anzeigt), sondern auch alle seine
habende und kriechende guter zu berechnen und anzu-
geben weisz Scriver goldpred. (1658) 130.
b) namentlich kollektiv im singular für die gesamtheit des
dinglichen besitzes 'vermögen, habe, eigentum'' verwendet.
a) seit ahd. zeit allgemein gebräuchlich, jedoch im jüngeren
nhd. abkommend und nur noch in festen formein {s. u. ß)
bewahrt: der in ehlentin was faranti halota sine scalcha
enti selita im siin guot {bona sum) Monseer fragm. 20, 24
Hench;
. . . habda im th&r welöno ginuog
guodas giwunnan as. genes. 262 Heyne, vgl. 190;
cuotes nebeteilet er unsundige {non privabit bonis) NoT-
KER ps. 83, 12; aba minemo guote verstozener l, 37 Piper;
Kachel unde Lie die sprachen beide
sine wielten niuhtes ir vater gutes,
gewandes noch schazzes
genesis u. exod. 60, 24 Diemer;
liute und guot, swaz heizet min,
daz ker ich iu gcin diens siten •
WOLFRAM v. Eschenbach Parz. 362, 2;
damit er wol hat behuot
beide sin hüs und s!n guot
Ottokar v. Steiermark reitnekron. 1230 Seem.;
gestern hct du hohen mi'it
groszes erbe und riches gut
Heinrich v. Neustadt visio Phüiberti 26 .S.;
nemen sie den leib,
gut, eher, kind und weib
Luther bei Wackernagbl kirehenl. 3, 20;
o du schendlich verfluchtes gut!
H. Sachs 6, 144 K.;
also der kaufmann durch sein verstandt und weltliche
weiszhait kam umb sein gut V. Schumann nachtbüchl. läB.;
groszes gut und stetes prassen
macht vielmehr die leute blassen
LoGAU sinnged. 406 E.;
durch schweisz erworbnes gut
wird plötzlich weggerafft
Weichmann poes. d. Niedersachs. (1721) 1, 5;
in einer nacht verlor Aret
sein gut durch einen brand
Pfeffel poet. vers. (1812) 1, 72;
und ein wurf, auf den du hast
frevelspielend all dein gut verpfändet
MÜHNER dram. w. 1, 6;
haben sie mir nicht hundertmal gesagt, ihr hättet aU eur
gut am leibe und kein brod im schranke A. v. Droste-
HtJLSHOFF w. 2, 296 Sch.; im Sprichwort viel verwendet, z. b.
also dem manne wasset dat göt, so wasset eme sin mot
EiKE v. Repgow zeitbuch 254 Maszm.; gut macht muth
-prov. Fridanci 82 ; der eilt nach frembdem gut, auf den
wart armüt sprichw. (1548) 148*; unrecht guth gedeyet
nicht Spanutius sprichw. -lex. (1720) 595; in juristischer
formet: in ungetheiltem gut sitzen omnia cum aliquo com-
muniter possidere Serz idiotism. 59^; fester gegensatz ist
in älterer spräche eigen gut 'Privatbesitz' gegenüber gemein
gut 'kollektivbesitz', vgl. eigen gut jyrojyria res Diefen-
BACH gl. 466* (15. Jh.):
had her in den klostern eigen gud,
ess machet ym vil dicke (unkusch) den mud
Joh. Rothe lob d. keuschheü 4082 N.;
gemeyn gut res publica Diefenbach gl. 495*: der Hans
Graff uff dem richthusz ist an groszer diebstall des ge-
meinen gutz ergriffen Thom. Platter br. 19 Burckhardt;
ähnlich:
denn raub begeht am allgemeinen gut,
wer selbst sich hilft in seiner eignen sache
Schiller 14, 336 G.;
anders der unterschied von erbgut und gewonnenem gut,
vgl. Stafb-Tobler 2, 546; geistliches gut 'kirchengut':
kirchengut oder geistlich gut hat eiserne zeene, es frisset
eins mit dem andern hinweg B. Faber thes. (1587) 8721^,
vgl. auch sp. 1365; alte juristische formein sind gut em-
pfangen, gewinnen, anfangen, kaufen, anfassen, angreifen
im sinne 'in den besitz von etw. kommen', vgl. Fisohkb
achwäb. 3, 954.
1357
GUT, Tl., B 1
GUT, n., B 1
1358
ß) vielfach in festen paarungen; parallel verwendet in
hab und gut: wer der war, der von dem streit fliechen
wurd . . ., der . . . und sein weip . . . sullen als ir gut und
hab verloren haben bair. forts. d. sächs. weltchron. 364, 26
Weiland; der yetzgenannt reuter {habe) sy irs heyratguts
auf aller seiner habe und gutern, so er nach seinem ab-
gang verlassen, verwisen tirk. z. gesch. Maximilians I. 16
lit. ver.; die ungeheuren f orderungen des feindes hatten
hab und gut verzehrt G. Freytag ges. w. 13, 2\h; formel-
hafte gegensatzpaare sind leib und gut oder gut und leib
(leben) :
waz sol mir guot unde 11p?
Hartmann v. Aue Iwein 1467;
und wer auch verstollens aerzt kauft, . . , der ist der
herrschaft leib und gut verfallen {v. j. 1308) v, Loei
baier. bergr. 6; da geht leib und gut miteinander Binder
sprichw. 121; erweitert: Christus gibt seine Christen in
gwalt des heidnischen regiments ir leib, leben, gütsz halb
Eberlin v. Günzbürg sehr. 2, 178 ndr.; jedoch alles mein
leip, gut und vormugen ist alles ir Warbeck Magelone
19 B.; jünger ist die reimformel gut und blut: gut und
blut sprichw. (1548) 73''; da es den andern fürwitzigen
vöglen haar und haut, so wol als der laboranten ehr, gut
und blut gilt Guabinoniüs greueld. verwüst. (1610) 41;
gut und blut für volk und freiheit geben
KÖKNEU w. 1, 112;
in gut und ehre wird der dingliche besitz dein ideellen gegen-
über gestellt:
ir hant 6re unde guot:
daz meinet mlnes herren muot,
wan er lu leit nie gesprach
und ouch daz guot nie abe gebrach
Haetmann V. AUK arm. Heinr. 617;
es ging gleich auf leib, gut und ehre sprichw. (1548) 91*;
straife der boszhaftigen appellanten an leib, ehre und gut
Chr. Thomasius ged. u. erinn. (1720) 2, 16; gut und geld
stellt anders den dinglichen besitz dem gemünzten, baren
vermögen gegenüber: dann . . . soll mich keyn müh, gelt
noch gut daran verhindern Wickram w. 1, 6 lit. ver.;
ich bin ein reicher edelmann,
habe gar viel gut und geld Göthe 16, 66 W.
c) stehende formet zur Unterscheidung vom unbeweglichen
Eigentum {s. u. 3) ist bis ins 18. jh. fahrendes gut {zu B 1 b),
»71 nhd. spräche meist im pl. fahrende guter {zu B 1 a), im
jüngeren nhd. auch bewegliche guter {7iwbilien):
diu zwei sint ere und varnde guot,
daz diclfe ein ander schaden tuot
Walthkr 8, 14;
(Parzival) sprach 'liute, lant, noch varnde guot,
der decheinez mac gehelfen dir'
Wolfram v. Eschenbach Parz. 267, 10;
est varnde guot, mit dem wir varn:
nu vuege, herre, mir des stseten guotes iht
minnesinger 1, 298* v. d. Hagen;
liegentz und farentz gut städtechron. 23, 447;
und hette in also
zu ainem erben aingeseczt
all seiner güeter ligent und auch farent
H. Sachs fab. u. schw. 5, 8 ndr.;
{dasz) alles gemein seyn soUe an ligenden und fahrenden
gütern B. Schupp sehr. (1663) 6; vom verbot auf fahrende
guter allgem. dtsche bibl. anh. 37-52, 1161; das bewegliche
gut . . . ward den Soldaten zur plünderung preisgegeben
MoMMSEN röm. gesch. (1874) 2, 37; mein freund, muhmen
gehören nicht unter die beweglichen guter Cl. Brentano
ges. sehr. 7, 58; hierher au^h: mit ir ve und ungebundnem
gut sullen s' si unbekümbert lan {v. j. 1437) bei Staub-
TOBLER 2, 547.
d) in älterer spräche auch kollektiv für die gesamtheit
dessen, was jemand als belohnung, geschenk, bezahlung
usw. empfängt oder gibt; oft für die dingliche gäbe gegenüber
dem gelde:
ist ave hie dihein man,
der guot nemen wil,
man gtt im sin vil
PFAFFK KONEAD RolandsUcd 5, 23 W. Grimm;
sie sprach zen boten beiden 'nu dient mlchel guot,
daz ir minen willen vil güetlichen tuot'
Nibelungen 1354, 1 L.;
gelt, zilblr unde gut
erweicht manchen harten mut
prov. Fridanei 66;
besonders in präpositionalen fügungen:
er bot sin dienest umbe guot,
als noch vil dicke ein riter tuot
WoLFEAM v. ESOHENBACH Parz. 17, 12;
swaz ein phafte haben sol,
. . . der predigen wil nach guote,
daz vuort der phaffe Amis
erz. u. schwanke 31 Lambel;
mit grözem guote und mit kunst
gewan er zweier herren gunst
Ottokae v. Steiermark reimchron. 21242 Seem.;
daz mort stift der von Wirtemberg und gab gut darumb
dem von Nidberg städtechron. 4, 125; aber auch mit ein-
schlus'!'. der geldlichen Vergütung: {sie sollen) uf ir aygen guet
{'eigene kosten') einen sundern briester haben {v. j. 1398)
fontes rer. au^tr. 2, 18, 459; daz si {die richter) allen liuten
rehte richten, nimer durch gut noch durch gäbe daz
gerihte verkeren heil, rcgel 70 Pr.; darumb ist man dem
landrichter von sein desselben, so ime selbst den todt
gethan hat, guet feUig sechzig und fünf phund phennig
auf gnadt, das übrig guet soll den erben imverkomert
bleiben (1565-1581) österr. weist. 6, 428; bauwet das schlosz
Gottlieben ausz seinem eignen gut Stumpf Schweizer-
chron. (1606) 402^»; gut nehmen 'sich bestechen lassen": die
drie meister müstent han gut von den Juden genomen,
daz sü sü alsus fristeten städtechron. 8, 128; ganz all-
gemein für 'geld' : liet ein burgeri enimi manni sin gut
zu enimi tage {termin) Mühlh. reichsrechtsb.^ 163 Meyer;
daz ein man ein kint hin lat gan durch lerunge und git
da von ein genantez gut {bestimmtes lehrgeld) Schwaben-
spiegel, landr. 247; gut nemen ze wücher ebda 160; gut
uszlyhen fenerari Diefenbach gl. 229^; drey pfennig wert
guots tressis 594^; und nempt mit euch zwyfeltigs gütte
{pecuniam quoque duplicem) und widertragt das, das ir
habt funden in den secken erste dtsche bibel 3, 193 Kurr.;
um ein ringe summa guots J. v. Watt bei Staub -
Tobleb 2, 546;
da Simeon müntzt falsches gut
Reinicke fuchs (1650) 184;
geltendes gut 'einkünfte, renten, zinsen\ vgl. bischöfl. salz,
üb. d. eidgeschosz in Zeitz 1, 13 Bech: ez sint ouch, die da
lihent üf geltende guot Berth. v. Reqensbubq 1, 437 Pf.;
anders verdientes gut 'arbeitserträgnis': swer sin erbe ist
näh lantrechte, der sal nemen sin verdiente gut in dem
lene Sachsensp.^ 68 Weiske-Hildebr.
e) spezialisiert für bestimmte hauptsächliche teile des be-
sitzes; so namevilich für den unbeweglichen und grund-
besitz, s.u. 3; für das 'vieh\' und en hadden ock nyn rechte
to dem edriftighen gude {riTidvieh) bei Schiller -Lübben
2, 169^ {v. j. 1387); des scholen de kopere den hemen in
temeliken thunen, graven unde wrechten holden, dat
ander lüde gudt dar nicht können in stigen {v. j. 1560)
ebda; item band wir ein weg mit gewetnem gut {zugvieh)
{v. j. 1536) bei Staub-Tobler 2, 547; es soUe die weid-
fahrt . . . allein für das grosze vieh bestimmt und alles
das kleine gut, darunter fürnehmlich die Schweine ver-
standen werden, hiervon ausgeschlossen sein {v. j. 1679)
ebda.
f) ohne die besitzvorstellung für alle objekte, die das phy-
sische oder psychische begehren des menschen befriedigen.
a) allgemein:
drumb leb, meine liebe seel, von allen
güttern nach deinem wolgefallen
H. Sachs 6, 138 K.;
umb arbeyt haben die götter alle guter feyl sprichw. {15iS)
29^; dasz . . . e. fürstl. gn. . . . mit seinen {gottes) reichen
gütern und gnadengaben gefüllet und gesättiget werden
mögen Neumark neuspr. t. palmb. (1668) 300; jeder zahlt
für die guter, die ihm behagen, den preis, für welchen
sie feil stehn Sturz sehr, i, 76;
1359 GUT, n., B 1
von des lebens gutem allen
ist der ruhm das höchste doch
SCHILLKE 11, 393 ff.
ß) mit besonderem Charakter bei der bewertung vom reli-
giösen oder idealistischen Standpunkt aus; im gegensatz zu
religiösen und ideellen werten (s. u. 2) durch bestimmte
formelhafte Verbindungen als materielle und daher weniger
wertvolle dinge gekennzeichnet; guter der erde, der weit
gegenüber den himmlischen oder geistigen, vgl. erdeguot
(terrena bona) Notker ps. 72, 23: kühn warf ich dieser
erde guter alle weg von mir Bettine Oünderode l, 102;
dise statt war . . . rieh wesen von allen güttern diser weit
Bbkidbnbach heil, reyszen (i486) öO"';
die guter dieser weit sind schadenreiche netze
Neukikch anfangsgr. (1724) 55;
ähnlich:
schatten sind des lebens guter
Grillparzer 8. w. 7, 132 S.;
entsprechend zeitliche, irdische guter: daz ecchert zit-
lichiu guot geheizzen sint {temporalia bona) Notker ps.
89, 10, vgl. werltzitelichiu guot 36, 26;
und (heiraten) bewilen durch zitlich gud
JOH. BOTHE lob d. keuschh. 1754 N.;
gesunder leib alle andere zeitliche guter und schetz auf
erden . . . weit übertrifft Ryff spiegel u. regim. d. gesundlh.
(1544) aa 3*; warumb . . . tragest (du) schmertz nur umb
das zeitlich gut? J. Prätoriüs glückstopf (1069) vorr. 5;
sie wollen vorher zeitliche guter retten und mich vielleicht
ewige darüber verscherzen lassen Lessing 2, 276 L.-M.;
eiu machet in contemptorem allis irdisken guotes unte
machet in giregan des ewegen richtuomes Willibam hohel.
140, 4 Seem.;
daz sy mit Iren synnen
In mugen gar wol gewinnen
yenz daz man nennet irdisch gut
md. paraphr. d. b. Hiob 10593 K.;
vor allem ist demnach streben nach irdischen gütern . . .
vom übel D. Fr. Strausz sehr. 6, 41 ; ebenso vergängliche,
eitle guter u. ä., vgl. gutter die verschwinden transitoria
DiEFENBAOH gl. 593"': daz ist daz zerganclich gut, wan
daz ist in vil Ueber et alliu andäht pred. d. 13. jhs. 1, 47
Grieshaber; wi vollincumen ein mensche ist, forlusit he
icht forgenclichis gudis, sin herze wil sich wandelin und
betrubin mbister Eckhart in: parad. anim, int. 105,
SO Str.;
die nur mit schattenwerk, (als blieb es), sich ergözt,
und unvergängllchkeit verscherzt für eitle guter
Heraus ged. u. inschr. (1721) 170.
g) aus B 1 a a entwickelt sich in mlid. zeit die bedeutung
'gegenständ, sache, materiaV von bestimmtem geldwert oder
gebrauchswert.
a) namentlich von der 'wäre" des kaufmanns, vgl. kauf-
mannsgut, oder allgemeiner 'gebrauchsgegenstand, wert-
gegenständ, der als wäre transportiert wird'.
aa) kollektiv im singular vorab in älterer spräche ver-
wendet: da mit man , . . ässig {eszbares) und trinkig (trink-
bares) gut koff und verkoft {v. j. 1365) bei Fischer schwäb.
2, 386; daz si gewalt haben ze furn trukens gut und palln
... an alle widerred und hinderung {v. j. 1371) österr.
weist. 3, 2 anm., vgl. trucken gut (opp. nasz) bei Fischer
schwäb. 3, 958; ein schef mit guot oneraria Diefenbach
gl. ZW^; die fail gut fürend in unser stadt {v. j. 1520) bei
Fischer schwäb. 3, 958; [ein kaufherr gibt) commission . . .,
frisch darein zu kauffen und ihn mit neuem guht zu ver-
sehen Stieler zeitungslust (1697) 142; wer von den herren
sich aufs würdigen versteht, wird es schwerhch , . . für
auswörtigs gut . . . halten Hippel lebensl. l, 9;
und wenn ihr nun mit ausgesuchtem gut
der ganzen weit ein einzig schiff befrachtet
RÜCKEET w. 3, 133;
verkauft des herzens heldenmuth
wie ein gemein verächtlich gut
B. Arent mod. dichtercharakt. (1885) 102;
'gepäck': und hatte viel gut mitgebracht, welches er den
folgenden tag auszupacken vorgab J.Riemer polit. maul-
GUT, n., B 8
1360
aße (1679) 16; 'fracht, ladung\ vgl. gut loading Hoyer-
Kreüter 1, 320, 2. b. der völkerrechtliche grundsatz frei
schiff, frei gut, d. h. neutrale flagge deckt feindliche ladung;
in moderner spräche in Zusammensetzungen für frachtstücke,
vgl. Stückgut, eilgut, passagiergut, postgut, rollgut usw.;
allgemeiner: 'ivertobjekV : vindet ein man gut uf der frien
strazze Schwabenspiegel, landr. 347, vgl. modern herren-
loses gut, diebesgut; oft übertragen 'stoß, materiaV: die
art wie das entlehnte gut verbraucht ist (in der krö-
nungsmesse) 0. Jahn Mozart 4, 768; Zeugnisse für altes
gut sind die Übereinstimmungen zwischen allen drei
handschriften G. Ehbismann gesch. d. dt. lii. 2, l, 331.
ßß) im plural von den einzelnen waren, warensorten,
gegenständen, gepäckstücken, frachtsendungen usw.; so auch
noch in heutiger spräche geläufig: das niembt kainen un-
gewimbten traid, noch kainerlai argkwänige war noch
güeter kauf (16. jh.) österr. iveist. 2, 372; und den stüber
hab ich geben von güttern zu fahren Dübeb tageb. 152
Leitsch.; da man . . . über die gefrornen wasser auf dem
eysz wandert und die guter fertigen mag Stumpf Schwei-
zerchron. 4**; ( Welschkmd und Spanien,) w&s da vor schöne
gütter heraus kommen, als nemhch von feigen, von
mandelkern Prätoriüs saturn. (1663) 54; das schiff, wel-
ches mit gütern für ihn beladen war samml. v. schausp.
(1764) 7, 135;
. . . wagt doch
der kaufmann um geringe guter schiff
und mannschaft an ein wildes dement
Schiller 13, 385 ff.
dann ganz allgemein von nutzbaren objekten des Wirt-
schaftslebens: guter (sind) ... die mittel der realisierung
der wirtschaftszwecke hwb. d. staatswiss.* 4 (1927) 1273;
(die münze ist) der allgemeine wertmaszstab für alle im
verkehr befindUchen guter Lüschin v. Ebengreuth
münzkde 148; vgl. moderne kompositionen wie produktions-
güter, Verbrauchsgüter usw. und volkswirtschaftliche defi-
nitionen wie wirtschaftliche guter, freie guter, verbrauch -
liehe guter u^w., s. hwb. d. staatswiss.* 4 (1927) \2izß.
ß) in besonderer technischer Verwendung für das material,
die masse, aus der ein nutzbares erzeugnis hergestellt wird
oder besteht, vgl. gut substantia Diefenbach gl. 561^; in
älterer spräche für 'getreide" : 10 malter beider guots (dinkel
und hafer) v. j. 1406 bei Staub-Tobleb 2, 547, wo weitere
belege, vgl. auch saatgut; und sollen gleichwohl die becken
(bäcker) aus einem gut nicht mehr dann vier stuck dar
semelmelh, vier stuck pull und zwey stuck aftermelh
malen und machen lassen, und wo das gut geringe, sollen
sie nuhr virdehalb stuck pull, virdehalb stuck semelmelh
und zcwey stuck aftermelh bereiten lassen Leipz. bäcker-
ordn. V. 1513, art. 2; für 'mehV: das besser guet mit dem
schlechtem guet vermischen und verbachen (v. j. 1671)
bei Staub-Tobleb 2, 547; in neuerer technischer spräche
überhaupt für 'masse': die schönsten krystalle sind das
Mayländer gut Zappe miner. handlex. 1, 117;
ey seht doch, was die mode thut!
sonst achtes Silberzeug, dann zinn;
sonst porzellan, itzt englisch gut (Steingut)
Kretschmann «. w. (1784) 6, 381;
das gut wird in den gähr- oder gutbottichen ... zu einer
dickflüssigen masse angerührt Karmarsch -Heeren 8,
416; (bei der sodafabrikation wird) das gut flach ausge-
breitet Muspbatt-Stohmann 6, 986; 'gut bedeutet in der
spräche der gieszmeister soviel wie metallmischung' v. Alten
4, 503.
y) in nautischer spräche für die Zubehörteile des schiß es,
wohl aus B 1 g a entwickelt: stehendes gut für die starren,
feststehenden teile wie mäste, stengen usw. gegenüber laufen-
des gut, dem tauwerk, vgl. Bobrik nuut. wb. 322'»: ab-
stampfen . . . des klüverbaums oder des stehenden gutes
v. Alten l, 44.
2) von B 1 a Aer auf ideelle besitztümer und werte über-
tragen, die nicht dinglicher natur sind oder keinen objektiv
bestimmbaren materiellen wertgehaU besitzen, sondern mehr
subjektiv als wertträger gelten; philosophisch -theologischer
gebrauch von lat. bonum (gr. äyati-öv) ist seit alters von ein-
flusz auf diese verwendungsweise.
1361
GUT, n., B 8
GUT, Tl., B 2
1362
a) alt in theologischer spräche für das, was als religiöser
wert, als eine von gott gewirkte geistliche gnadengabe oder
als geheiligter gegenständ angesehen wird.
a) höchstes gut u. ä. entsfrechend der theologischen Ver-
wendung von summum bonum; allgemeiner als höchster
religiöser schätz oder wert:
. . . quad that im than ■wftri hebanrikl
garu, gödö mest . . . Heliand 4258 Heyne;
wanda mit tiu (mit gottes gesetzen) daz meista guot {sum-
mum bonum) gewunnen wirt Notker fs. 104, 45;
(die gottesminne will) sin In dem herzen daz hohste guot
unt daz aller liepste herzebluot
minnes. 2, 227 » v. d. Hagen;
um die menschen zu der erkenntnisz ihrer selbst und des
wahren und höchsten gutes zu bringen discourse d. mah-
lern (1721) 2, 0; speziell in fester terminologie von gott: daz
din (gottes) namo ist kuot unde daz fursta guot (summum
bonum) Notker ps. 53, 9; der vadir und der son und der
heilegeist di sint ein in der nature und in deme wesine
und sint daz obirste guit parad. anim. int. 9, 26 Strauch;
uff das her (der mensch) dirkenne das hogeste gut
und alletzld sinen willen tut
JOH. ROTHE lob d. keuschh. 593 N.;
(gott) kindlich zefürchten, nit von wegen vergelltung, son-
der von wegen sein selbs als das höchst gut Bekth.
V. Chiemsee t. theol. 10 R.; sie haben sich durch ihren
eignen mutwülen von dem höhesten und einigen gute ab-
gewandt theatr. diab. (1569) 20'';
auf dasz du, höclistes gut, mögst bleiben auch in mir
LOGAU sinnged. 7 E.;
vergleichbar: wer Christum findet, der hat einen guten
scliatz gefunden, ja ein gut über alles gut Jon. Arnd
nachf. Christi (1631) 51.
ß) ewiges gut, nach tat. aeternum bonum; allgemeiner
als geistliche gnadengabe, die das ewige heil vermittelt:
thier (Jesus die jünger) in himilkamaru irf ulUt io mit gamanu
bildliches muates joh ewiniges guates Otfkid II 9, 10;
dat se (die leute) to himmelrike varen,
darinne se ok sein unses hcren licham unde sin blöd
daraf uns komet dat ewige got
Eberhard v. Gandersheim reimchron. 26 Weiland;
der brunn der ewgen guter,
der ist mein hirt und hüter
Paul Gerhard bei Fischer- Tümpel 3, 356»;
auf Christus oder gott angewandt:
tho thaz ewiniga guat uz fon themo grabe irstuant
Otfrid V 9, 1 ;
die Unfähigkeit der creatur . . ., durch ihr ich und selbst
. . . sich dem ewigen gute hinzugeben Ranke s. w. 1, 193.
y) geistliches gut, besonders im plural, gegenüber den
irdischen gutem (s. o. B 1 f ß), die religiösen gnadengaben
gottes, wie Sündenvergebung usw.:
wan dem guten gybt und tut (gott),
daz man nennet geistlich gut
und riebe geistliche gäbe
md. paraphr. d. b. Hiob 10580 Karsten;
begeren geistlich gut zu kauffen, heiliger ding hebung
simonia Dieeenbach gl. 534'' ; (damit wir) das recht lehen
und erbschafft der geistlichen und himlischen guter em-
pfahen Mathesiüs Sarepta (1571) 52»; wir haben tage-
bücher, in denen man die ausgaben für die geistUchen
guter neben anderm weltlichen ankauf in rechnung
bringt Ranke s. w. l, 200.
ö) heiUges, hoch würdiges gut für die vom priester ver-
wandelte hostie: sie hat das haüig gütt . . . betrest mit
dem plütt irer nasen städtechron. 25, 86; deren (der ordens-
herren) einer trug das hochwürdige gut Brentano ges.
sehr. 4, 45; terminologisch besonders im Superlativ das
hochwürdigste gut 'aüarsakramenf , vgl. Jos. Müller
rhein. 1524.
e) besonders in der spräche der mystik in vielfacher ab-
warullung für gott, Christus, den seelengrund usw. ge-
braucht: der ist wenic, di daz inre guit minnen, daz man
alleine minnen solde parad. anim. int. 87, 21 Str.; ach
IV. 1. 6.
hertzigliches, unbegriffliches gut d. ewig, wiszh. beibtichl.
(1518) 17^; in dasz verborgen weyslosz vinstemusz des
weislosen gutes, da wirt der gaist allso nahe eingefürt in
die ainikait gottes Tauler sermones (1508) 38»; sundt
sey nit anders, dan das sich die creatur abkert von dem
unwandelhaftigen gut theolog. deutsch 10 Mandel;
(Jesus) du bist daz übervlüzzic gut,
des herzen spil, der genaden vlüt
schausp. d. mittelalt. 1, 210 Mone.
C) ganz allgemein von geistlichen gaben und religiösen
werten:
joh thar irflsgot thinaz muat barto managfaltaz guat
Otfrid III 7, 36;
wer chan uns ieht kesagen föne vita eterna, wer ouget
uns daz kuot? Notker pa. i, G;
kom heyliger geyst, herre gott,
erfüll mit deiner gnaden gutt
deiner glaubigen hertz, mut und sinn
bei Kehrein kathol. kirchenl. 1, 550 ;
was für grosze unermesliche guter er (gott) uns durch in
(Christus) schencken wolle N. Herman sontagsevang. 3
Wolkan; die gnade gottes war sichtbar in Antiochien, das
unsichtbare gut der kirche liesz als leuchtendes licht sich
sehen im bekenntnisz und im wandel der gläubigen
Besser bibelst. 3 (1877) 570.
b) im ganzen jünger bezeugt im profanen gebrauch für
besitüümer nicht materieller art und ideelle werte.
d) noch nahe an der dinglichen bedeutung in anwendung
auf persönliche objekte, die als gegenständ der liebe und
Verehrung einen ideellen schätz bedeuten, besonders mit ad-
jektiven der gefühlsbetonung ; subjektiv:
uf der erde ist also guotes niht
sam daz reine guot, min vrouwe
minnesinger 1, 361» v. d. Hagen, vgl. 2, 283'';
sprich nicht, da er so früh dein allerliebstes gut
von deiner seite reiszt, dasz er dir unrecht thut
Giseke poet. w. (1767) 60;
ja, so erschein ich mir im geist gegen dir über, du mein
liebstes gut (anrede an die Oünderode) Bettine Oünde-
rode 2, 92; neutraler: herre, waz ist der mensche, daz du
un so sere geminnit haist? he ist ein guit in deme ge-
saminit werdin alle manicvaldige dinc in ein enikeit
MEISTER Eckhart in: parad. anim. irit. 38, 21 Strauch.
ß) allgemein gebraucht von erscheinungen und zuständen
verschiedenster art, die ein wertgefühl oder eine glucks -
empfindung auflösen.
aa) wo der singular erscheint, liegt die Übertragung von
B 1 a a her noch fühlbar nahe; oft mit ad jektiven, die den
affektwert betonen:
alles guotes überguot
ist diu liebe, ir lop daz wil ich triben
minnesinger 1, 26 ' v. d. Hagen;
hulffe ist eyn notig gut prov. Fridanci 80 ; das f rölich gut
des gelückes Niclas v. Wyle translat. 24 K.; (ein) un-
sterbliches und geleich der seel unwandelbares gut
ScHAiDENRAiszER Odyssca (1537) vorr. 4;
der froheit fakkelkien, o welch ein teures gut!
SiGM. V. Birken iorts. d. Pegnitzschäf. (1646) 10;
dir, dem das edle gut, der güldne fried entbricht
J. Bist friedewünsch. Teutschl. (1647) 30;
auch nicht wegen des decori oder Wohlstandes, denn
solchen verstehen ist ein gut der seele Leibniz dtsche sehr.
2, 45; ihr vorurtheil, ein falsches gut, ein scheingut, hält
sie zurück Gottsched d. neueste (1751) 9, 599; als ich eine
solche erneuerung unserer schönen früheren Verhältnisse
für ein gut halten musz, dessen ich nicht länger entbehren
darf GöTHE IV 37, 17 W.; der Franzose verdankt seinem
erbkönigthum ein nicht genug zu preisendes gut, seine
Staatseinheit Dahlmann gesch. d. frz. revol. 4 ; der dritte
((ej'ü)aber sei mir ein heiliges, unantastbares gutW. Hauff
5. tr. 4, 37; die Vorsehung verlangt, . . . dasz der physische
mangel in irgend einer . . . weise zu einem geistigen gute
umgewandelt werde P. de Lagarde dtsche sehr. 19; etwas
86
1363
GUT, n., B 2-3
GUT, n., B 3
1364
anders in betontem gegensatz zum übel oder bösen in an-
lehnung an gut III A 4, vgl. oben A 3 a : aus diesen gründen
nun ist leicht zu erkennen, welch gut dem andern für-
zuziehen, welches böse ärger ist als das andere Leibniz
dtsche sehr. 2, 39; ein vergangenes übel ist ein gut Göthe
IV 1,142 W.;
er tröstet eifrig sie und macht ihr muth,
aus ihrem unglück komme noch ein gut
A. W. Sohlegel in: Athenäum 2, 273.
ßß) pluralisch objektiver in Übertragung von Elf aus für
verschiedene als wertbehaftet angesehene erscheinungen; so
in philosophischer terminologie die neben der lehre von den
pflichten {den sittlichen gutem) aufgestellte güterlehre, die
die einzelnen zur glückseligkeit und Willensbefriedigung
nötigen guter behandelt: die einteilung der guter in äuszer-
liche und innerliche, diese aber wieder in leibes- und
seelenguter Leibniz dtsche sehr. 2, 45; es sind dreyerley
guter, welche der grosze und mildreiche vater denen
menschen in der weit ausgetheilet hat, . . . glücksgaben,
. . . leibesgaben, . . . gemütsgaben d. wohlgepl. priester
(1695) 34; von werten geistig -seelischer natur: allein die
guter des gemüts sind dem glück nicht unterworffen
Fbxedbxch Wilhelms sprichw.-reg. (1577) a 2»;
selbst bey männern sieht man selten
solcher guter zahl vereint,
als in deinem thun erscheint
Gottsched ged. (1751) 1, 231;
die guter des geists erhalten beim knaben nur durch
Übertragung einigen werth Schiller l, 153 0.; wenn die
brüder Grimm das Vaterland unter die ewigen guter des
lebens rechneten W. Scheber kl. sehr. 1, 13; von werten
physisch -ästhetischen Charakters :
auch deren geist dem immer erneuerten
gescblecht der menschen guter und künste fand
Eamlee lyr. ged. (1772) 135;
das alter mag doch eigentlich eine lästige sache seyn, da
es uns hindert, solche so wünschenswerthe guter zu ge-
nieszen Göthe IV 34, 226 W.; mit steigerndem adjektiv:
das leben ist der guter höchstes nicht
Schiller 14, 128 ff.;
so schlummre fort, bis deines Volkes brüder
. . , mit gott versöhnt, die rostgen Schwerter brauchen,
das leben opfernd für die höchsten guter
Th. Körner w. 109 E.;
aber immer . . . um gott oder glaubens- oder höchster
guter willen Fontane ges. w. I 2, 26.
yy) das höchste gut entspricht in philosophischer termi-
nologie dem summum bonum (finis bonorum), der Ver-
einigung von tugend und glückseligkeit: den Ursprung desz
höchsten güts von der ersten ankunfft der läbendigen ge-
schöpfften här nemmen {nach Cicero) Fkisius 1000^; ich
nenne die idee einer solchen Intelligenz, in welcher der
moralisch vollkommenste wille, mit der höchsten Selig-
keit verbunden, die Ursache aUer glückseligkeit in der
weit ist, so fern sie mit der sittMchkeit ... in genauem
Verhältnisse steht, das ideal des höchsten guts Kant S,
526 akad.; in den modernen philosophemen wurde das
höchste gut transcendent behandelt Schleiermacher w.
III 5, 83; von neueren philosophen vielfältig anders defi-
niert, vgl. Eisler ivb. d. philos. begr.* l, 611^.; dann ent-
sprechend h ßaa allgemeiner verwendet für das wertvollste
überhaupt: under diesen {heiden sind) treffenlich viel ge-
funden worden, welche . . . die tugend doch für das
höchste gut gehalten und geehret haben J. Wetzel reise
d. söhne Giaßers 4 lit. ver. ; die ehre ist nicht das höchste
gut SiGM. v. Birken ostländ. lorbeerhayn (1657) 2^;
in der ruh vergnügter sinnen
steckt das höchste gut der weit
Chr. Günther 2, 151 lü. ver.;
das höchste gut, was gott allen geschöpfen geben konnte,
war und bleibt eignes daseyn Herder 15, 326 S.
3) im älteren mhd. spezialisiert für das hauptsächlichste
und wichtigste besitztum der ackerbautreibenden bevölke-
rung, dem ländlichen besitz an grund und boden, meist ein-
schlieszlich der dazu gehörigen unbeweglichen objekte, des
Wohnhauses, der stalle, scheunen und ackerfrüchte; in
älterer tvie neuerer zeit wird dabei zivischen persönlichem
eigentum und lehen oder pacht nicht unterschieden, vgl. mhd.
eigenguot {allodium), lehenguot {feudum) ; wie weit die im
nhd. sichtbare und auch durch die mundarten bestätigte Vor-
stellung, gut besonders als ein gröszeres landwirtschaftliches
grundstück im besitz sozial höher stehender {besonders ad-
liger) grundeigentümer {vgl. rittergut) aufzufassen, in ältere
Sprache zurückreicht, ist nicht sicher auszumachen; mhd.
kann guot sowohl das gröszere ritterliche grundeigentum
oder lehen wie den kleineren bäuerlichen ackerhof bezeichnen,
doch scheint letzteres weniger häufig zu sein.
a) zunächst aus B 1 b a entwickeü und gegenüber dem
beweglichen besitz {s. o. fahrendes gut B 1 c) ats Hegendes,
gelegenes gut {immobilie) determiniert; vom grundstück
selbst: suaz (= swaz) von der vrowin dari cumit hgindis
gutis Mühlh. reichsrechtsb.^ 143, 9 Meyer; uff hüsern und
uff bomgärten, gärten, hofstetten, ackern, wisen, höltzern
oder andern liegenden gutem alt. recht, v. Rottw. bei Fischer
Schwab. 3, 958; kainer, der in der gemain nit haus, hof
oder ligunde güeter hat, {soll) zu der gemain gepoten . . .
werden {v. j. 1568) österr. weist. 4, 112; du all deine ligen-
den guter verkaufft hast Wickbam w. 1, 198 lit. ver.;
Im landt Phaenicia ohn zil
hett er llgender guter vil
Spreng Äneia (1610) 10»;
die liegenden eigenthümUchen guter eines Franken
wurden . . . salische guter genannt M. I. Schmidt gesch.
d. Deutschen (1778) 1, 314; an hüben {sie) ze verseczen und
ze verkauffen ire gelegne guter eines nach dem andern
Arigo decam. 66 K.; ähnlich: nur blosz bürger dürfen un-
bewegliche guter in und vor der stadt besitzen Fr. Nico-
lai reise (1783) 1, 225; doch gehören zum liegenden gut
axiszer grund und boden auch gebäude, feldfrüchte und
nach älterem recht bestimmte teile der gerätschaften: were
auch, dasz körn uff dem veld stund . . ., so heiszt und
ist es ligend gut {v. j. 1435) weisth. 4, 274; so hoert der
säm oder die gewechst zu ligendem gut {v. j. 1439) 2, 14;
man soll auch wissen, was nach des hofs recht zuo
ligendem guot hören soU: des ersten harnasch, waegen,
karren, hüser und alle ungeschliffen waffen {v. j. 1480)
nach Staub-Tobler 3, 1207; vgl. auch teil 6, sp. 1016.
b) früh ohne solche determination als ländliches grund-
stück bezeugt, vgl. si aliquid beneficium, quod lazgut
dicitur, vacare contingat {urk. v. j. 1190) Graff 4, 16&^:
mit minnen sich schieden die gebrüder lieben
Esau für an sin gut Jacob für ze Sochot
genes, u. exodua 67, 24 Diemer;
swelk herre doch dirre eyneme liet gut, van deme haben
se lenrecht an deme güde, unde ne erbit iz nicht an ir
kindere Sachsensp. 165 Eckh.; liet ouch eyn herre eyn
gut eyneme manne sunder underschid, swaz da büwes
upphe is, daz is des mannes mit sament deme güde 75;
daz ich daz gut ze Wilmodingen, swaz ich hate in dem
dorfe, enholzen, envelde, aker und wisen, . . . han ge-
geben . . . dem closter ze Stetin {v. j. 1296) Monum. Zoller.
1, 103; {verkauft wird) Bisingin daz dorf, gut und lüt mit
aller zö gehörd {v. j. 1342) l, 155; daz gut (= hofstat)
giltet jserglich drü malter {v. j. 1347) 1, 170; item 5 m.
Niclus Swittirgals dyner gegeben, der eyn gut zu Soldow
gekouft hat Marienb. treszlerb. 285, 21 Joachim; chainer
sol . . . pehausts guet . . . verchaufen an unsers anbalds
wissen {v. j. 1450) österr. weist. 11, 391; item auch wisten
sie alle die gut, die da zu Sunderitt sin {v. j. 1424) weisth.
6, 24 ; das sind di gut und die urbar, di zu meines herm
des herzogen von Bayrn ambt gehörend {v. j. 1285)
V. LoRi baier. bergr. 3; dusse {graf) gaf der kerken de
godere to Slanstede unde to Dedelewe chron. d. stifts
s. Simon u. Judas i. Goslar 594 Weiland; ain reicher burger
zu Hall, der wolt auszreiten zu seinen guetem und wolt
die besehen städtechron. 5, 25; gleich als wenn ein fürst
odder lehenherr einem edelman ein gut schenckt odder
leihet Luther ivie d. gesetz u. evang. zu untersch. (1532)
1365
GUT, n., C (kompositionstypen)
GUT, n., C {kompositionati/pen)
1366
A4''; dasz ich mit der zeit ein adeliges guth hätte pachten
können Chb. Weise erznarren 105 ndr.; die dame dieser
guter sieht mit betrübten blicken ihr gantzes glück auf
der erde liegen Ramleb einl. in d. schön, wiss. (1758) l, 295;
auf seine guter wird er sich zurückziehn
Schiller 12, 143 G.;
wie diese Thüringer bauern pflegen, von denen immer
ein bruder das gut behält, während die andern ihr fort-
kommen auf andere weise suchen Ranke s. w. 1, 195;
in einer halben stunde war das gut des amtsrates erreicht
G. Kellek ges. w. 5, 22; mehr lokal: auf seinen eigenen
gütern findet man zum wohltun gelegenheit genug Göthe
8, 21 W.; zum mundartl. gebrazich vgl. Fischer achwäb.
3, 959, Staub -ToBLER 2, .546, Müller rhein. 2, 1523 usw.
c) in festen Verbindungen besonders in älterer spräche;
freies gut 'allodialgut\ vgl, ein fry gut allodium bei
Staub -ToBLER 2, 547:
und koufln si gutir di nicht sint fri
und vorzinsln si di seibin gute,
so mogin si frome gebur wol si
JOH. ROTHE rütersp. 413 B.;
item die hern von Khunigsperg haben freie gueter zu
Zigerwerg aufzufarn und abzulassen (16. jh.) österr. weist.
11, 5; walzende guter 'guter die frei verkauft werden
können' {beleg v. j. 1515) bei Fischer schwäb. 3, 959; des
reiches gut 'grund und boden, der zum reichseigentum
gehört': daz selbe dienst is ouch die man plichtig von
sineme eigen sime herren zu dünde, ob her iz zu leene
von yme hat, daz her yme plichtich is zu dünde von des
riches güde Sachsensp. 227 Eckh.; hat der man des riches
gut von dem herren zu lehen, er sol im teidingen uf des
riches gut Schwabensp., lehenr. 112.
d) nhd. oft so unscharf gebraucht, dasz die Vorstellung
des ländlichen besitzes nur die vorherrschende ist, aber auch
das übrige bewegliche eigentum mit einbegriffen bleibt: unde
se geven hertogen Otten 4 mark, dat he den vordreven
ore goydere weddergaff städtechron. 16, 317; A. ziehet des
aufgestandenen adels guter ein Lohenstein Arminiua
(1689) 2, 1093; dasz du den einzigen söhn deines jugend-
freimdes der falschen anklage seines verräthers schnell
aufopfertest und ihm seine guter nahmst Herder 12,
202 S.; (sie vmrden) in acht und bann gethan und ihrer
guter verlustig erklärt v. Ebner-Eschenbach ges. sehr.
4, 4; geistliches gut 'kirchliches eigentum, besonders
liegende guter':
o, heiszet das patronum sein,
geistliche guter ziehen ein?
HOLLONius somit. Vit, hum. 64 ndr.;
fürsten hetten kein besser bergwerck als die hohe stifEt
und geistliche guter Zinkgref -Weidner t. nation weiszh.
(1653) 3, 12.
e) ohne die vermögensrechtliche bedeutung in physikali-
scher hinsieht für den grund und boden an sich, die lände-
reien, den acker verwendet, vgl. noch Schweiz. Staub -
Tobler 2, 546/.; ein inbeschlossen gut (umzäuntes Weide-
land, V. j. 1478) nacA. Staüb-Tobler 2, 547; man sol den
bu niht scheiden von dem gute e zer liehtmesse Schwaben-
sp., landr. 150; wurden aUiu gut wol gebuwen und zu-
geset städtechron, 4, 167; ein wüt umb einen weyher oder
sunst flüsz und wasser, darmit und es nit auszbreche in
die umbUgenden guter Frisius 63 »; wann ich an deiner
stelle wäre, ich kauffte ein stücke gut, gäbe ein starck
angeld Chr. Weise erznarren 52 ndr.
C. kompositionstypen.
composita mit gut, n., als erstem gliede treten seit mhd.
zeit auf, sind aber erst im jüngeren nM. zahlreicher ent-
wickelt; formal sind drei haupttypen zu unterscheiden: die
Zusammensetzungen mit gut- (sing.), mit guter- (plur.)
und mit kopulativem s guts- (sing,); Wörter ohne belege
s. an alphab. stelle.
^ 1) Zusammensetzungen mit gut- bleiben im ganzen selten,
sind aber namentlich älterer spräche geläufig.
a) zu gut B 1 a-f gehören folgende kompositionen, deren
älteste mhd. guotswender, guotswende ist; nhd. bleibt
dieser typus unfruchtbar; gutarm : die blutedle, aber gut-
arme Jungfrau Maria v. Herbebqer traurbinden (1611)
1, 156; -begierig; -durstig; -geber; -geiz; -geizig; -ge-
winner; -gierig; -gierigkeit; -los; -pfleger; -rauber;
-reich; -sammeln; -Sammlung; -süchtig; -verdämpf er;
-vergeuderin; -verlämmerer; -verschlinderin; -Verschwen-
der; -verzehrer.
b) an gut Big schlieszen folgende composita an, deren
frühestes mit dem 16. jh. auftritt; im ganzen wenig aus-
gebreitet und im jüngeren nhd. nur noch durch bildungen
aus der spräche der technik (vgl. B 1 gj5) bereichert: gut-
fallkasten; -ferger; -fertiger; -lauge; -markt; -ofen;
-pfanne; -soole; -wagen (s. u. güterwagen).
c) vereinzelt bleiben zu gut B 3 gehörige kompositionen;
gutbeschreibung: das wird die gutbeschreibung und der
stall gelbsten an hand geben v. Hohbebg georg. cur.
aucta 3 (1715) 44»; -gericht: ein gutgericht, dessen mit-
glieder die bauern jährlich selbst . . . erwählen H. Mer-
kel d. Letten (1797) 134; -herr (s. u. gutsherr); -recht;
-schaden.
2) composita mit guter- erscheinen seit dem jüngeren
mhd.
a) zu gut B 1 a-f sind folgende komp. gebildet, unter ihnen
zahlreiche aus juristischem Sprachgebrauch; ältester zeuge
dieses typus ist aus dem 15. jh. güterzahl; güterabfindung :
(die) töchter erhielten güterabfindungen allg, dtsche bibl.
72, 460; -ablösung: das recht auf güterablösung rechts-
altert. 1, 643; -abteilung divisio bonorum Stieler 2270;
-anhäuf ung hwb. d. staatswiss. 5, 996; -arm: aus einer
alten, doch güterarmen famiUe Platen w. 3, 32 Hempel;
-arrest: güterarrest wegen früherer verbindhchkeiten
hwb, d. staatswiss.^ 5, 696; -austausch: der güteraustausch
ist also die folge eines allen gemeinsamen geistigen
Impulses Bernhardt gesch. d. waldeigent. 2, 221; -bedarf
hwb. d. staatswiss. 4, 83; -begierde: der nie zu erfüllende
rächen dieser geld- und güterbegierde K. v. Eckarts-
hausen prinz u. freund (1789) 403; -beraubung: wo zu
raten sie denn nur zu widerspenstickeyt, tzwitracht,
gütterberaubung, schlachten und fleischhchem wessen
Luther li, 347 W.; -confiscation : mit güterconfiscation
bestraft werden acta publ. 6, 225 Palm; -einheit: (das)
Verhältnis, in welchem gütereinheiten . . . gegen gewisse
geldeinheiten erworben werden können Luschin v.Eben-
GREüTH münzkde 181; -entwendung spolium bonorum
Stieler 2504; -erwerb: (dasz) der materielle gütererwerb
nicht Selbstzweck (sei) W. H. Riehl d. dtsche arbeit 226;
-erzeuger: was die menschen in Wirklichkeit heute wollen,
das ist, dasz sie nicht mehr gütererzeuger sein wollen,
sondern menschen Paul Ernst tageb. e. dicht. (1934) 296;
-erzeugung : eine beständige Steigerung der gütererzeugung
Lange gesch. d. mater. 506 ; -gewinn : was nicht auf krieg,
Wollust und gütergewinn zielte Zschokke ausgew. sehr.
37, 39; -gewinnung: nach privatwirtschaftlichen grund -
Sätzen zur gütergewinnung benutzt Bernhardt gesch.
d, tvaldeigent, 3, 57; -gleichheit: das prinzip der guter -
gleichheit K. 0. Müller d, Darier 2, 199; -klage klage
auf gut (beleg v, j, 1580) Fischer schwäb, 3, 963; -kraft:
die wirtschaftliche politik ... ist darauf gerichtet, un-
benutzte güterkräfte zu entbinden hwb. d. staatswiss 4,
930; -kreislauf: das ist der güterkreislauf der national -
öconomen Hebbel br. 7, 88 Werner; -krieg:
mein selbsten bin ich herr, nicht vor der thür zu stehen,
nicht in den güterlirieg und blutrecht auszzugehen
V. HOHBEKQ d. habsp. Ottobert (1664) p 2»;
-ladung: die beute . . . von mehr als 20000 güterladungen
Ritter erdk. 14, 924; -last: (es) ward ihm endhch ernst,
... die güterlast abzuschütteln Göthe 24, 303 W.; -leben:
der credit, das talent . . . fungiren in unserm heutigen
güterieben als höchst werthvolle wirtschaftliche factoren
Jhering geist d, röm, rechts 2, 2, 456; -menge hwb. d.
staatswiss, 6, 1133; -nähme: güternam apprehensio bono-
rum Stieleb 1359; -pfleger, treuhänder im konkurs (cura-
86*
1367
GUT, n., C (kompoaitionatypen)
GUT, n., C (kompositionsti/pen)
1368
tor bonorum): er kann auf veranlassung dieses einigen
gläubigers . . . ihm einen güterpfleger setzen lassen allg.
dtsche bibl. 32, 77; -preis: höhere zinsen bewiesen geld-
mängel . . ., aber auch geringe güterpreise seyn deren
folgen ebda 100, 237; -produktion: die kapitalistische
Organisation der gewerblichen güterproduktion hwb, d.
staatswiss.^ 1, 179; -spende: {eine) ausbeute frommer
güterspende Göthe 49, 358 W.; -stand: über den guter-
stand der eheleute hwb. d. staatswiss. 3, 267; -trenming:
mit dem grundsatz der gütertrennung . . . steht auch
ein eheliches erbrecht nicht im einklang hwb. d. Staats-
wias. 3, 270; -Umlauf: der geringe gütenimlauf 3, 587;
-verbrauch: die art des güterverbrauchs eines Volkes
5, 317; -Verhältnis: Statuten über die güterverhältnisse
der eheleute Eichhorn dtsche Staats- u. rechtsgesch.' 3,
296; -Vernichtung: objektive gütervernichtung verur-
sachend hwb. d. staatswiss. 6, 248; -Verwahrer: {der Vor-
mund hat) hierin vollkommen rechte und pflichten eines
unentgeltlichen guter Verwahrers M. Mendelssohn gea.
sehr. 6, 27; -vormund: Ephraim, den ihr vater als güter-
vormund eingesetzt {hatte) W. Alexih Isegrim 1, 187;
-wähl et erbschaftswahl optio bonorum et portionis here-
ditariae Stieler 2467; -weit: die güterweit {sei) . . . un-
wandelbaren naturgesetzen unterworfen Treitschke
dtsche gesck. 5, 449; -wesen: Veränderungen . . . bey dem
kirchlichen güterwesen Eichhorn dtsche Staats- u. rechts -
gcsch.^ 1, 439; -zahl: deme die lande noch fieczaU und
die stette noch gutterczall musten schössen {v. j. 1473)
act. d. Ständetage Preuszens 5, 270; -Zählung:
bei deiner gtiterzäblung lasz mich fem,
doch unter deinen schätzen dulde mich
Stefan Georoe Shakespeares sonnette 142.
b) zu gut Big stellen sich besonders seit dem 19. jh.
bildungen aus der wirtschaftlichen spräche; die ältesten
bildungen sind güterballen, güterwagen, güterzille {sämt-
lich 16. Jh., s. an alphab. stelle); güterabfertigung : ein-
richtungen . . . durch welche die reihenfolge der güter-
abfertigung festgestellt werden kann verkehrsord. f. d.
eisenb. Deutschlands § 56, abs.5; -aufzug: waren- und güter-
auf züge MoTHES baulex. 1, 190; -ausfuhr: güterausfuhr
als bezahlung für frachterwerb hwb. d. staatswiss. 3, 357;
-bef örderung : die tarife für güterbeförderung 3, 536; -be-
wegung: die eisenbahnen {bilden) eher ein hindemisz als
ein befördernisz der güterbewegung Moltke ges. sehr.
7, 29; -d&rmpier, frachtdampfer hwb. d. staatswiss. 2, 871;
-führe: eine lange reihe einspänniger güterfuhren
ZsoHOKKB ausgew. sehr. 25, 55, vgl. Staub-Tobler 1, 972;
-f uhrmann ebda 4, 255; -handel: das ganze vermögen,
das seinem güterhandel zum gründe lag H. v. Kleist
3, 361 Schm.; -haxis: ist vorhin da nur ein wirts- und
gütterhausz wegen der wahren gewesen M. Zeiler itin.
Ital. (1640) 498-; -lager Kramer hochnidert. (1719) 2, 102^;
-niederlage aUg. dtsche bibl. 86, 222; -schuppen Mothes
baulex. 1, 106; -Sendung hwb. d. staatswiss. 3, 518; -stadel
Kramer hochnidert. (1719) 2, 102"; -tarif hwb. d. staats-
wiss. 5, 101; -transport: der ochs . . . dient ... zu lasten
und gütertransport Ritter erdk. 5, 257; -Versender Spedi-
teur Chomels öcon. lex. 4, 1425; -Versendung: güterver-
sendungen für ein anderes handelshaus Voigt hwb. f. d.
geschäftsführ. 2, 448; -waage, wage zur abwägung von
kaufmannsgütern Campe 2, 486.
c) ZM B 3 treten kompositionen mit dem 15. jh. auf, vgl.
gütergülte {an alphab. stelle), doch ist die mehrzahl erst im
18. u. 19. jh. entstanden; güterabtrennung : güterabtren-
nungen können nur aus dem domänenfonds des königs
hergenommen werden K. L. v. Haller rest. d. staatswiss.
3,502; -agentW. V. PoLENZÖraöenÄäger (1897) 1,151; -an-
reiner, grenznachbar: mit beizugdes dorfmeisters,derwald-
rieger und einigen güteranreinern {v. j. 1818) österr. weist.
2, 243; -aufseher: güteraufseher reicher hoher familien
J.Vbnedey Irland (1844) 2,20; -beschreibung: von güter-
beschreibungen gibt die amtstabelle des . . . hertzogen zu
Sachsen-Gotha ein muster Zincke öcon. lex. (1744) 1088;
-bub: die gute groszmutter starb, als ich schon ein guter -
bub geworden Gotthelf ges. sehr. 1, 49, vgl. Staub-
Tobler 4, 931; -buch: grundbücher, auch gewähr-,
guter-, mutationsbücher genannt hwb. d. staatswiss. 4,
1270; -eigen proprium quoad fundum Stieler 25; -ein-
kunft: rückständige zehnten und gütereinkünfte J. v.
Müller s. w. 22, 99; -einziehung: geldstrafen und güter-
einziehungen H. Zschokke s. ausgew. sehr. 9, 20; -ertrag:
steuerf usz nach dem güterertrag allg. dtsche bibl. 100, 238 ;
-fall, abgäbe an den grundherrn bei Veränderung der person
eines grundholden Fischer schwäb. 3, 963; Staub-Tobler
1, 739; -gemarkung: der reichsadel {habe) blosz güter-
gemarkungen allg. dtsche bibl. 96, 73; -händler: drinnen
ist eine ganze bände güterhändler, ein agent, ein notar
Gotthelf ges. sehr. 19, 6; -hauptrecht, was güterfall
Fischer schwäb. 3, 963; -holz: (er) besasz zerstückelte
Waldungen, sogenannte güterhölzer W. Weigand d.
Frankenthaler (1901) 86; -inspektor: nach der rückkehr
wurde er ... güterinspektor sehr. d. Oöthegesellsch. 17, cxxi ;
-kind: wie der schnödeste eigennutz die kinder misz-
braucht, güterkinder und eigene Gotthelf ges. sehr. 8,
219, vgl. Staub-Tobler 3, 345; -mal: schiedmal sive
gütermal lapides privatorum Stieler 1217; -mann, land-
wirt Staub-Tobler 4, 257; -milch: raubung der güter-
milch Prätorius Blockesberges verr. (1668) 146; -rolle:
die güterrollen haben eine geringere bedeutung {im höfe-
recht) gewonnen hwb. d. staatswiss. 4, 1223; -Schätzer,
bonorum taxator Stieler 1741; -Schenkung: deutscher
adel hat güterschenkungen bekommen E. M. Arndt sehr.
f. u. an s. l. Deutschen 4, 101 ; -Schinder extortor bonorum
Stieler 1798; -Spekulant: Napoleon glich . . . einem
güterspeculanten L. Häuszer dtsche gesch. 4, 742; -ver-
kauf: daher muszte ... zu geldanleihen und güterver-
käufen Zuflucht genommen werden Zschokke s. ausgew.
sehr. 35, 231; -Verlegung, güterzusammenlegung, feldbe-
reinigung Lueger 4, 151; -Verpachtung: güterverpach-
tungen wurden durchaus verboten Jüno-Stillinh s. sehr.
5, 26; -Verzeichnis: die sein eigentum beschreibenden
güterverzeichnisse {kataster) Lueger 5, 481; -Zerschlagung
hwb.,d. staatswiss. 3,836; -Zersplitterung: die petition,
die gegen . . . güterzersplitterung gerichtet war B. Auer-
bach sehr. 13, 90; -Zerstückelung: kartoffelbau und güter-
zerstückelung gehen hand in hand W. H. Riehl natur-
gesch. d. volkes l, 215; -Zusammenlegung, s. güterver-
legung : die güterzusammenlegung ist weit vorgeschritten
B. Auerbach sehr 17, 210.
3) Zusammensetzungen mit guts- sind der jüngste typus,
der im 17. jh. sichtbar wird, vgl. gutsbericht, gutsinhaber,
gutsname, gutsstrafe; doch bringen erst das 18. und 19. jh.
den typus zur vollen entfaltung; bildungen zu gut B 1
bleiben vereinzelt: gutsabtretung : die gutsabtretung bei
lebzeiten hwb. d. staatswiss. 2, 1192; -strafe: damit ain
ieder sein rauchfank und hüszstatt gar vleiszig bewahr,
solches bei Vermeidung leibs- und guetsstraff {v. j. 1629)
österr. weist. 6, 260; das gros der bildungen gehört zu
gut B 3, aus deren fülle nur wichtigere beigezogen werden;
gutsacker: in fällen, wo der ganze gutsacker . . . durch
hofedienste . . . bestellt wird Thaer grundz. d. rat. land-
wirtsch. 1, 64 ; -adel : dem benachbarten gutsadel Moltke
ges. sehr, l, 92 ; -anschlag : der gutsanschlag ist ein auf -
satz, welcher die beschreibung aller zu einem landgut
gehörigen grundstücke . . . enthält G. H. Schnee d. an-
gehende Pachter* {18S7) 3; -arbeiter: warum er denn nicht...
lieber mehr gutsarbeiter angenommen hätte W. v.Polenz
Qrabenhäger 1, 40; -areal: graf M., dessen weites guts-
areal ein vorzügliches terrain bot Fontane ges. w. I 1,
395; -aufseher: ich nahm Gottfried als gutsauf seher in
meinen dienst Meisl theatr. quodlih. l, 152; -bauer: das
unterthanenverhältnisz der gutsbauern Gervinus gesch.
d. 19. jh. 1, 609; -beamter: {der hasz), den er in der seele
des gutsbeamten entzündet hatte W. v. Polenz Qraben-
häger 1, 241 ; -bediente : in die klasse . . . der gutsbedienten
herabgewürdigt Hirschfeld theor. d. gartenkunst 4, 18;
-bericht: gedachter herr Schreyer (hat) . . . fünftens den
gutsbericht zu hinterlassen {v. j. 1693) v. Lori baier.
bergr. 523; -heachieihung hwb. d.staatswiss. 7,60; -bezirk:
1369 GUT. n., C (kompo8iUonstypen) — ^Gm
GUTACHTEN
1370
(amtsbezirke,) die aus dörfern und gutsbezirken bestehen
sollen Treitschke hist. u. pol. aufs.^ 3, 523; -buttert
hof butter oder gutsbutter (ist) bessere, in gröszeren land-
wirtschaftsbetrieben selbständig erzeugte butter Mar-
TiNY wb. d. milchwirtsch. 54; -eigentümer: die leibeignen
eines gutseigenthümers sind zur freiheit noch nicht reif
G. Förster«, sehr. 6, 408; -einkommen Krünitz 198, 550;
-ertrag: es wird geprüft . . . wie viel sonach mit dem
gutsertrage für den gutsherrn übrigbleibt Fr. L. Jahn
w. 2, 360 E.; -fron, fron für das herrschaftsgut Krünitz
20,407; Fischer schwäb. 3, 970; -garten: auf der terrasse
des gutsgartens W. Raabe schüdderump (1870) 3, 135;
-gebäude: ein palastähnliches gutsgebäude Göthe 34, 8 17.;
-gerichtsbarkeit : die Privilegien des adels wurden ver-
mehrt, wie z. b. durch die vollkommene gutsgerichtsbar-
keit K. L.v. Haller rest. d. staatswiss. 3, 404 ; -handwerker :
gutshandwerker für den eigenbedarf hwb. d. staatswiss.^
1, 167; -haus: an einem hang, auf dem allerlei niedrige
nutz bauten um ein längliches gutshaus lagen W. Weioand
d. Löffelstelze (1919) 257; -hörige: bedrückung der guts-
hörigen Bernhardt gesch. d. waldeigent. 2, 31; -Inhaber
Krünitz 198, 547: dergleichen wildbahn {sei) . . . durch
seine vorfahren oder gutesinnhabere jederzeit gejaget
V. HoHBERG georg. cur. (1682) l, 37; -Insasse: sie wollen
damit wiederum den glauben unter ihren gutsinsassen
oder unterthanen heraufbeschwören, dasz der gutsherr
ihre von gott vorgesetzte obrigkeit sei H. Jahn badeleben
in Karlsbad (1850) 13; -kauf: indessen wird der guts-
kauf abgeschlossen Göthe 23, 183 W.; -meier: land-
übliches besitzrecht, welches im zweifei die Verhältnisse
von gutsherrn und gutsmeier regulierte Stüve wesen u.
verf. 228; -meierei: hofmeierei, gutsmeierei {ist die) eigne
molkerei eines gröszeren landwirtschaftlichen betriebes
Martiny wb. d. milchwirtsch. 78; -nachbar: {ich) werde . . .
an meinem gutsnachbar . . . räche nehmen Wieland Lucian
(1788) 1, 315; -namen: nichts ist gemeiner hir in Franck-
reich, alsz dasz man seinen nahmen vor ein gutsnahmen
fahren lest Elis. Charl. v. d. Pfalz br. 1, 278 Holland;
-obrigkeit: jedem durchziehenden orgeldreher {ist) von der
gutsobrigkeit in Gadendorp ein zwanzigmarkstück aus-
zuzahlen D. v. LiLiENCRON 5. w. 5, 20; -pächter: ein un-
abhängiger gutspächter E. M. Arndt s. w. 1, 88 R.-M.;
-pflichtig: ein echtes feudalwesen mit seinen hörigen,
hintersassen, fronarbeitern, jagd- und gutspflichtigen
meiern Allmers marschenbuch 1/2, 211; -pflichtigkeit :
von jeglicher gutspüichtigkeit frei E. M. Arndt s. tv. l,
84 R.-M.; -rente: der grund und boden {gibt) eine jähr-
liche rente, . . . die grundrente oder gutsrente hwb. d.
staatswiss. 7, 117; -schmied: vom gutsschmied war der
dietrich zum öffnen des Schlosses geliefert worden
W. v. PoLENZ Grabenhäger 2,165; -stück: bestimmung
der grösze der gutsstücke nach der aussaat allg. dtsche
bibl. 113, 258; -tagelöhner: die Schnitter gehörten noch
viel weniger unter seine kontroUe als die guts tagelöhner
W. v. PoLENZ Grabenhäger 1, 59 ; -übergäbe : die sitte,
bei gutsübergaben das alte feuer zu löschen rechtsaüert.*
1, 268; -Übernahme: dasz der junge Lehnhold . . . ge-
schenke bei der gutsübernahme austeilte B. Auerbach
sehr. 13, 132; -Untertan: nun sind meine gutsunterthanen
. . . ehrliche unbescholtene männer MusÄus physiogn.
reisen (1778) l, 89; -Untertänigkeit: in Schlesien hatte die
gutsunterthänigkeit 1807 rasch aufgehoben werden
müssen Gervinxjs gesch. d. 19. jh. 2, 572; -Verwalter: die
gutsverwalter sollten entsprechende ausscheidung zwi-
schen wald und ackerland treffen Schwappach handb. d.
forst- u. jagdgesch. 1, 77; -verweser: als er ... in den hof
eines herrensitzes gelangte, wo er den gutsverweser her-
ausklopfte Fr. L. Jahn w. l, 462 E.; -Vorsteher, amts-
vor Steher eines gutsbezirks: zum stellvertretenden guts-
vorsteher {gebrauchen) W. V. Polenz Grabenhäger 2, 226;
-wert : Verbesserung des gutswerths Thaer grundz. d. rat.
landwirtsch. l, 29; -Wirtschaft: Verdrängung der klein -
wirthschaft durch die gutswirthschaft Mommsen röm.
gesch. (1874) 2, 74.
^GUT, n., 'schlagfliisz, lähmung* s. gutt.
GUTACHTEN, vb., jüngere verbalbildung aus gut-
achten, n., vgl. gutachten, sich beduncken lassen, meinen
putare, statuere, arbitrari Henisch 1787: dies recht der
magistratischen mittlieilung ist wesentlich verschieden
von dem recht zu gutachten und zu stimmen Mommsen
röm. Staatsrecht \, 156.
GUTACHTEN, n., zusammenrückung aus der Ver-
bindung etw. gut achten {vgl. sp. 1240), mit dem beginn
des 16. jh. auftretend; zumeist von der meinung, Über-
zeugung, billigung oder, wie namentlich in neuerer spräche,
von einein fachmännisch abgegebenen urteil; im lö. jh. tritt
vereinzelt ein mehr objektiver gebrauch zutage etwa im sinne
^erf Order nis\' dartzu haben sie {die Augsburger) in . . .
brauch gehabt, so sie ainen aufrechten . . . erfarnen man
. . . gewuszt, dasz sie ine auch beruft und nach irer not-
durft, gelegenhait und gutachten zu erlichem bevelch
gebraucht städtechron. 32, 147; er leget hamen und flügel
. . . nach nothdurft und gutachten des orths in eine
furche oder graben Aitinger jagd- u. weidb. (1681) 20.
1) im sinne 'meinung, ansieht', die das zum ausdruck
bringt, was eine person subjektiv für richtig hält.
a) allgemein, die ohne bestimmten zweck geäuszerte mei-
nung: derhalben ist mein gutachten, dasz man dergleichen
pferd . . . Hörwart v. Hohen bürg ritterl. kunst d. reiterei
(1581) 70*'; ob dises ein Weissagung oder conjectur ge-
wesen, hat damalen mennigUch nach seinem gutachten
aufnemmen mögen Dietz annales (1621) 6; sei doch
einem jeden gemeinen underthanen so viel erlaubt . . .,
sein gutachten von vorgefallenen Sachen . . . seinem
herren zu eröffnen und anzuzeigen C. Ensz fama Austr
(1627) 1, 71*; diejenigen fuhr er oft sehr hart an, welche
sich unterstunden, in einigerlei Sachen ihr gutachten zu
eröffnen J. Chr. Beer Asia{l&8l) l, 159*'; wenn ich meine
gedancken und gutachten hierüber eröffnen soll, so sage
ich, dasz . . . J. G. Schmidt gestr. rockenphilos. {1706) 1, 31;
ihre base Calliste gibt ihr bisweilen ein buch zu lesen
und fraget sie hernach um ihr gutachten Gottsched Ver-
nunft, tadler. (1725) 1, 191; wir wollen ihr {der gelehrten
gesdlschaft) aber mit dieser antwort kein joch auflegen;
sondern nur unser unmaszgebliches gutachten eröffnen
Gottsched d. neueste 5, 122;
(zwar wäre) für ihn ... Im Baierlande
die beste Zuflucht gewesen wohl,
wenn ich mein gutachten sagen soll
KORTüM Jobxiade (1799) 1, 179;
da nun die zeit wo solche nöthig werden, herannaht, so
werden ew. wohlgeb. mir aufs baldigste ihr gutachten
darüber zu erkennen geben Göthe IV lO, 236 W.; ob er
dies nur für seine meinung, sein unvorgreifliches . . . gut-
achten halte, oder ob er es zu \vissen . . . glaube Fichte
s. w. (1845) 2, 4; noch neutraler 'dafürhalten' : ich {habe)
gelegenheit gesuchet ein gymnasium anzuordnen nach
meinem sinn und gutachten Schupp sehr. 686; sie über-
setzte, ohne äuszeren antrieb, aus innerer neigung und
gutachten, eine grosze masse der vorliegenden gedichte
Göthe 41, 2, 151 W.; gelegentlich auf die Urteilsfähigkeit
der gutachtenden person übertragen: dieses unser progno-
sticon ist . . . vom chursächs. astrologo, und andern für-
nehmen gelehrten leuten reiffücher gutachten gebilliget
Prätorius anthropod. Plut.{l6a6) l, 128: welchem urtheile
ich mich auch, meinem wenigen gutachten nach, beyge-
selle Schwabe belustig. (i74l) 3, 248.
b) die ansieht, in deren mitteilung zugleich eine empfeh-
lung, ein ratschlag enthalten ist: wie der achtfüssig fisch
polypus sein färb mit dem erdtrich verändert, also wurd
auch (er) nach dem willen und gutachten seiner freund
. • . das gemüt ohn underlasz verwandlen Schweickhart
GR. zu Helfenstein Basilius (1591) 417; ein fürst be-
treugt und verderbt sich, der seiner landständ rath und
gutachten . . . nicht hört und annimmet Lehman ftor.
pol. (1662) 2, 696; der advocat entschuldigte sich, er hätte
hierin vornehmer leute gutachten angesehen Chr. Weise
erznarren 82 ndr.; unsern pyastischen fürsten {bewegte)
keine . . . regirsucht . . ., sondern {der) . . . räthe gut-
1371
GUTACHTEN
GUTACHTEN
1372
achten Lohenstein George Wilhelms lobschrißt (1679)
r 4^; und weil uns d. Id. wegen verwilligung obberürter
Suspension armorum dero rath und wohlmeinendes gut-
achten aniczo . . . zur handt giebet acta publ. 2, 11 Palm;
Propheten, bey denen man raht und that gesuchet hat in
wichtigen sachen und fast nichts sonderliches ohn ihr
gutachten angefangen Widmann Fausts leben 76 K.;
gutachten an einen jungen mahler, dasz er sich in die
schule eines bildhauers begeben möge Göthe IV 13, 165
W.; also lasz uns dabey bleiben, Meyers gutachten aber
befolgen Caeoline 2, 58 Waitz.
c) in gleichem sinne besonders in 'präpositionaler fügung
mit auf im älteren nhd. häufig: auf dieser weniger rath
und gutachten hat er sich understanden einen wunder-
groszen bäum . . . abzuhacken H. Fabbicius auszzug
(1599) 374; ich geschweige, dasz ich ihn auff euer gut-
achten ... an den tag bringe Opitz teutsche poenuUa 166
ndr.; auf des königlichen schwedischen legaten . . . ein-
rathen und gutachten (hat) gedachter Lesle dieser insul
eich zu bemächtigen . . . einen versuch gethan v. Chem-
nitz schwed. krieg 1 (1648) 43; sonsten verblieb Fabius
auf der gesanten gutachten nach deren abzuge zu Prag
BucHHOLTZ Herkuliskus (1665) 253; {ich) will . . . das-
jenige urtheil fällen, welches auf gutachten meiner mit-
schwestern vor billig erlcannt worden Gottschedin Ver-
nunft, tadl. 2, 191; mehr nach 1 b hin: der baron setzte es
nicht einmal auf das gutachten des rechtsfreundes aus
Hippel kreuz- und querzüge (1793) i, 122.
d) im sinne 'Zustimmung, billigung' im ganzen unhäufig:
in zweifelhafften . . . fällen müssen sie mit dem feld-
medico communiciren . . ., auch ohne sein gutachten und
genehmhaltung nichts vornehmen v. Fleming soldat
(1726) 179; ich habe selbst mit meiner eitern gutachten
die ehe dem herrn Leander versprochen L. Holbeeo
dän. Schaubühne (1743) 2, 253; ich wurde gegen sein und
herrn Benners gutachten konsistorialis und muszte das
vom ersten tage an empfinden Bahrdt gesch. s. lebena
(1790) 2, 170; deutsche komödien für den gemeinen mann
(sollten) nicht von den schülern dargestellt werden, es sei
denn unter dem vorwissen und gutachten der regierung
Gekvinus gesch. d. dtsch. dichtung 3, 92.
2) häufiger und auch in neuerer spräche verwendet für
die aus einer bestimmten meinungsäuszerung oder urteils-
bildung hervorgehende entscheidung.
a) im sinne 'entscheidung'' : stelle esz demnach pur,
oder auf gut bremisch klar, zu e, 1. gutachten, wie sie es
machen wollen, nur das man bei zeit nach jungfrawen
umbhöre und es nicht bisz auf die letzte zeit verschiebe
briefd. geh. rats R. Bluhm v. j. 1654 in: archiv für kultur-
gesch. 7, 191; des churfürsten von Brandenburg wolver-
meintliches gutachten Micraelius altes Pommerland(\&iO)
5, 301 ; das, was nicht nachfolgender maszen insonderheit
geändert, (soll) allerdings bey derer darzu abgeordneten
. . . gutachten verbleiben acta publ. 1, 24 Palm; das be-
ruhet alles auf Plutus einsieht und gutachten L. Hol-
BERQ dän. schaub. (1743) 5, 9; ihr gutachten fiel dahin aus,
man wolle erst nach Chios segeln Heilmann gesch. d.
Pelop. krieges (1760) 1038; für die wichtigsten Staatshand-
lungen sollte er an das gutachten des staatsraths gebunden
sein Ranke s. w. 17, 108; noch ähnlich: da gedachte herr
Spazzo pünktlichen vertrag zu erstatten und frau Had-
wigs fürstliches gutachten einzuholen Scheffel ges. w.
1, 108.
b) als das ergebnis einer Überlegung oder eines meinungs-
austausches im sinne 'beschlusz" besonders im 16./17. jh. be-
legt, vgl. ein beschlusz, ein gutachten decretum Corvinus
fons lat. (1646) 183: dises war nun (bei einer abstimmung
der götter) das votum oder gutachten Apollinis Äg.
Albebtinfs Ousman (1515) 38; umbfragen, was für ein
Sinnbild er in seinem schild zu führen vermeint und
darüber gutachten zu erwarten Harsdöeffer /rawenz.
gesprechsp. (1641) 1, F 3^; zu der botschafft ward durch
ein einhelliges gutachten ernennt der götter gesandte
MoRHOF Unterricht (1682) 2, 160; sindt folgends nach be-
schriebene punct in beratschlagung genomben undt
zue einhelligem guetachten gerichtet worden acta publ.
1, 53 Palm.
c) etwas anders 'anweisung, Verordnung, befehV: auf Ver-
ordnung und gutachten seines anherrn, keysers Maximi-
liani, ward ihm vermählet frau Anna, königs Vladislai
tochter Rätel Curäi chron. (1607) 262; welchem des h.
reichs cantzlers und bundes raths gutachten und Ver-
ordnung fast in allem nachkommen worden v. Chemnitz
schwed. krieg 2 (1653) 236; bisz der Lateiner kriegesheer
. . . auf guthachten Innocent III. die waffen wider die
Griechen wandte Olearius persian.reisebeschr.(l^Q&)nO;
so verrichteten . . . die ältesten als hirten und lehrer
einerley und blieben nach und nach bey dieser und jener
gemeine beständig nach dem gutachten der apostel
Arnold kirchen- u. ketzerhist. (1699) 35*'; ich hatte meine
kindheit nach andrer leute gutachten zugebracht dis-
course der mahlern (1721) 2, 10; dasz er sich . . . nach des
papstes gutachten richten solle M. I. Schmidt gesch. d.
Deutschen 3, 37.
d) in ähnlicher Verwendung wie 'gutdünken' , auch ge-
radezu wie 'belieben' : derhalben mag er . . . die schrift
nach allem seinem gutachten auszlegen Fischart binen-
korb (1588) 1343'; (der hauptmann) wolt es ihrem (seiner
Soldaten) gutachten haben heimgestellt Zinkgeef apoph-
thegm. (1628) 36; ich beantwortete . . . ihre fragen nach
meinem gutachten Schnabel insel Felsenburg 13, 8
Ullrich; wenn sich zweifelhafte fälle bey der auswechse-
lung ereignen, die in denen cartellen nicht deutlich aus-
gemacht, so ist es am sichersten, dasz man deren ent-
scheidung der willkühr und den gutachten der krieg-
führenden partheyen überlast v. Fleming teutsche soldat
(1726) 314; die Unterscheidungszeichen, die im Ducker
schlecht, im Camerar aber abscheuhch waren, hat er
ganz nach eigenem gutachten eingerichtet Gottsched
d. neueste 8, 665.
3) die hauptverwendung in neuerer spräche geht auf eine
meinungsäuszerung, die zugleich ein aus Sachverständnis
flieszendes urteil über den in rede stehenden gegenständ ent-
hält, unterscheidet sich aber vom eigentlichen urteil durch
den Charakter einer mehr subjektiven und unverbindlichen
aussage.
a) von der meinungsäuszerung selbst im allgemeinen:
wir bekennen unser Unvermögen und wüntschen anderer
hülfliches gutachten Gueintz dtscher sprcuM. entw. (1641)
7; hes derowegen . . . theils wetterauische graffen und
andere . . . stände ... zu sich erfordern und begehrte ero
gutachten v. Chemnitz schwed. krieg 2 (1653) 10; im
sechsten hauptstücke trägt der Verfasser nun sein neues
gutachten vor Gottsched d. neueste (1751) i, 94; ein gut-
achten . . ., auf welche weise es (das werk) am zweck-
mäszigsten anzugreifen sei O.Ludwig ges. sehr. 1, 188;
mit beziehung auf gut II 'anerkennendes urteiV: in diesem
meinem gutachten bin ich sehr gestärcket worden Gott-
sched vern. tadl. (1725) 1, 161.
b) auch gleichbedeutend mit 'begutachtung', dem akt der
meinungsäuszerung oder urteilsbildung : darinnen nun sind
. . . viel anleitungen . . . dargestellet worden, so ... zu
beliebung dem vernünftigen gutachten übergeben sind
Gueintz dtsche rechtschreib. (1666) 3; in wichtigen sachen
(wurden) die stimmen der sämmthchen staatsräthe dem
fürsten Kaunitz zum gutachten vorgelegt Nicolai reise
d. Deutschi. (1783) 3, 281; alle aussprüche, auch die civil-
gerichte, unterlagen seinem gutachten Ranke s. w.
40/41, 412.
c) namentlich für eine von fachleuten, sachverständigen
oder einer amtlichen körperschaft abgegebene beurteilung:
nach der kriegsverständigen gutachten Kirchhof milit.
discipl. (1602) 198; welcher über alle seine Sachen ge-
lehrter freunde guetachten erfodert Opitz poeter ey 56 ndr.;
hier ist auf der spräche kündigsten vernünftiges gut-
achten . . . alles gesetzet Gueintz dtsche rechtschreib.
(1666) )( 5^; alle vornehme gelehrte leute von Universi-
täten schickten alle ihre schrifften, bevor sie selbige in
druck geben, ihm erst zu durchzusehen mit erforderung
1373
GUTACHTEN
GUTACHTER— GUTART
1374
seines gutachtens J.Riemer polit.maulaffe{1679) 223; oder
schicke den urin ... zu 3. 4. medicis, deren gutachten
darüber auszzuforschen medicin. poatconsilium (1680) 16;
bei der abgäbe eines gutachtens über die qualität eines
. . . brotes sollte der damit betraute Chemiker sich der
gröszten vorsieht befleiszigen Muspratt-Stohmann
chemie 2, 219; was man von den pontifices begehrte, war
mehr ein gutachten als ein urtheil Jhering geist d. röm.
rechts 267; das gutachten der sachverständigen {hatte) ihn
in dem zweifei befestigt v. Ebner-Eschenbach ges. sehr.
5, 150; gestützt auf die eigene, durch das gutachten der
kronsyndici bestärkte rechtliche Überzeugung Bismarck
polit. reden 3, 7.
d) wo zugleich eine bewertung oder entscheidung vor-
liegt, kommt gutachten der bedeutung 'urteil' noch näher,
vgl. gutachten Judicium, arbitrium, sein gutachten über
was geben Judicium suum interponere Steinbach dtsch.
wb. (1725) 2: wo es einen streit zu schlichten . . . gab,
war es sein gutachten, das . . . eingeholt . . . wurde D. Fr.
Strausz ges. w. 10, 197; die alte gräfin . . . verhinderte
eine erklärung, . . . indem sie mit unendlich vielem Inter-
esse mein gutachten über einen fasan einforderte Moltke
ges. sehr. 1, 48; jetzt wirds wohl zu spät sein, sonst nähme
ich ihre gutachten noch gern entgegen A. v. Droste-
HÜLSHOFii" br. an L. Schücking 258; nach dem gutachten
aller riesen war für seine Zukunft keine andere als eine
mäszige mittelgrösze zu erwarten Freytag ges. w. 4, 92.
e) in formelhaften Verbalverbindungen; in älterer spräche
ein gutachten sagen: der selige V. ward von dem direc-
torio aufgefordert, sein gutachten zu sagen allg. dtsche
bibl. anh. 53-86, 2059; die reihe {kam) an ihn, sein gut-
achten zu sagen Rabener s. w. 2, 48 ; damit unterschieden
sie {die apostel) ihre personen vom geist des gemein-
wesens selbst, in dessen sinn sie die sache geprüft hatten
und darüber jetzt ihr gutachten sagten Herder w. 20,
36 Ä.; bis in die heutige spräche durchstehend ein gutachten
geben, abgeben, erstatten: nehmen sie sich nicht so viel
heraus, ihr gutachten über irgend eine sache zu geben,
bis sie gefragt werden samml. v. Schauspiel. (1764) 8, hoch-
zeittag 38 ; {ich) wünschte . . . , dasz sie mir ein mineralo-
gisches . . . gutachten gäben Göthe IV 19, 125 W.; die
pontifices {gaben) . . . auf verlangen rathschläge und gut-
achten ab MoMMSEK röm. gesch.^^ 1, 471; ich sollte mein
gutachten über diese spräche abgeben Immermann 2,
131 B.; der commissarus {musz) nebst einschickung des
protocoUs über den zustand des regiments seine ausführ-
liche pflichtmäszige relation samt seinen gutachten, wie
in allen fall zu helfen, an die generalität oder krieges-
kantzeley erstatten v. Fleming teutsche soldat (1726) 207;
Preysz . . . wird ein amtliches gutachten über das bad
erstatten jahrb. d. Qrillparzergesellsch. 1, 146; formelhaft
auch ein gutachten einholen: der druyden hierüber ein-
geholtes gutachten Lohenstein Arminius (1689) 1, 164'';
ich werde . . . rathen, dasz man bey decorirung unseres
Schlosses auch sein gutachten einhole Göthe III 2, 119 W.;
der Schiffer {hat) zur rechtfertigung seines Verfahrens das
gutachten von sachverständigen einzuholen handelsge-
setzbuch § 530 abs. 2.
4) verdinglicht für die schriftlich in form einer begrün-
deten erklärung abgegebene beurteilung: er {sollte) in even-
tum sein gutachten . . . verfertigen Ayrer hist. proc. juris
(1600) 151; die oberenserischen stand haben uf begern
ihro maist. ein gutachten wie zu beständigem frieden
zu gelangen, übergeben Cuspinianus fama mundi (1620)
0 2^; durch diese worte solte sich der leser einbilden,
dasz dieses gutachten von einem unbekannten auszer
Leipzig gemacht worden Thomasius ernsth. gedanck.
(1720) 3, 163; ich habe die gutachten der geschiktesten
ärzte von England über den zustand unserer theuern
kranken bey mir Wieland I 3, 231 akad.; berichte und
gutachten fasse man nach diesen gesichtspunkten, und
zwar ohne rechte kenntnisz der läge der sache Ranke
8. w. ZXjZi, 38; die büanz und die gewinnberechnung,
welche nach ablauf des geschäftsjahres vom reichsbank-
direktorium aufgestellt, mit dessen gutachten dem reichs-
kanzler . . . überreicht . . . wird bankgesetz v. 14. mürz
1875, § 32; etwas anders, wie 'erläuterung, erklärung' : dasz
andere aber {ist) mit gutachten zue eur. f. gnd. undt der
andern herrn fürsten undt stände resolution aufgestellet
cu:ta publ. 1, 40 Palm. — gutachter, m., jemand, der
ein gutachten abgibt; anscheinend im 17. jh. unmittelbar
aus gutachten, n., gebildet, da das vb. gutachten nur
Singular auftritt; im sinne 'beurteiler' : dann gewisz, dasz
kein mensch, so, wie dieser guttachter will, es gemachet
Gueintz bei G.Krause ertzschrein 253; modern namentlich
für 'sachverständige' , die beruflich oder gelegentlich ein gut-
achten {vgl. dort 3 c) abgeben: dasz zwei gutachter bei der
nemlichen probe zu ganz entgegengesetzten ergebnissen
gelangt waren handwb. d. staatswiss. 5, 954.
GUTACHTLICH, adj. und adv.; weniger häufig, be-
sonders im 18. jh. auch gutachtlich; im 18. jh. aus gut-
achten, n., gebildet im sinne 'ein gutachten enthaltend oder
darstellend'.
1) als adj. namentlich von schriftlichen äuszerungen, be-
richten usw.: {dasz er) die acta, nebst einem gutacht-
lichen bericht, an uns . . . einschicken {solle) V. Friedbn-
BERG abh. V. d. in Schlesien übl. rechten (1741) 2, 5; er
forderte die cardinäle auf, ihm ihre gutachtlichen äusze-
rungen darüber zugehen zu lassen Ranke s. w. 39, 184;
Hippokrates ertheilt den Abderiten einen gutachtlichen
rath Wieland s. w. (1794) 19, 223; zwey abschriften liegen
bey von jenen gutachtlichen vorschlagen des vorsorgen-
den bibhothekars Göthe in: Göthejahrbuch 22, 25; ew.
herzogliche durchlaucht geruhen sich über einige punkte,
die freye zeichenschule sowohl hier als in Eisenach be-
treffend, eine gutachtliche meynung vortragen zu lassen
Göthe IV 30, 118 W.; man teilte mir die gutachtliche
bewilligung . . . mit B. Weber bei Wackernell Beda
Weber 149; im papiernen amtsstil auch anstatt 'als
gutachter' verwendet: unter gutachtlicher mitwirkung der
gemeindebehörden handwb. d. staatswiss. 4, 549; ebenso
gutachtliche tätigkeit u. ä.; isoliert als 'rätlich', vgl. gut-
achten 1 b: ich hielt es daher für gutachtlich, vor an-
fang der Verhandlung ihn durch gegenstriche aufzu-
wecken Jean Paul w. 45/47, 473 Hempel.
2) als adv. im sinne 'in einem gutachten sich äuszernd,
durch ein gutachten urteilend' zum ersatz für präposiiionale
Verbindungen gebraucht: also konten diese das maul nicht
aufmachen, wenn etwa über eine vorkommende sach die
stimm gutachtlich zugeben wäre Lindenborn Diogenes
(1742) 2, 631; um gutächthch zu berichten Wieland s. w.
(1794) 19,210; wir geben euch auf, euch gutachtlich darüber
auszulassen H. V. Kx,eist w. 4, 88 Schm.; hatte {ich) . . .
die befehlshaber der truppen . . . aufgefordert, sich dar-
über gutachtlich zu äuszern Wilhelm I. milit. sehr, l, 257;
über . . . Verletzungen des rechts gutachtlich zu ent-
scheiden MoMMSEN röm. gesch.^^ 1, 169; anstatt 'in einem
gutachten, als gutachter': insbesondere ist der centralaus-
schusz gutachtlich zu hören bankgesetz v. 14. märz 1875,
§ 32 th. 2 ; noch anders 'auf grund von gutachten' : die be-
stände {vmrden) gutachtlich in die perioden verteilt
Schwapp ach handb. d.forst- u. jagdgesch. 2, 738. — gut-
achtung, /., durch gut verstärktes achtung, aus der in
älterer spräche lebenden redensart 'einer sache gute achtung
haben {vgl. sp. 1248) hervorgegangen, im sinne 'genaue
aufsieht': bemelte 4 männer sollen . . . auf das ganze
lerninger mos der guetachtung und aufsechen haben {v.
j. 1590) österr. weist. 6, 21; anders loeiterbildung von gut-
achten, n.: gutachtung, guttdüncken Judicium nomencl.
lat. germ. (1634) 225. — gutansehen, n., zusammen-
rückung aus der formel etw. für gut ansehen {vgl. gut I A
3 d y aa, sp. 1240) im sinne 'ansieht' , 'gutachten' , 'billigung'
im 16. jh. gelegentlich bezeugt, namentlich schwäb., vgl.
Fischer 3, 960, wo belege. — gutart, /., gelegentliche
bildung, wohl aus gutartig rückgebildet: er erwähnte noch
nebenher anderer gründe, . . . und besonders der gutart
jener gemeinde Hermes für eitern und ehelustige (1789)
3, 293; (sie) setzten . . . aus einer unsumme neuer klein-
tugenden ein ganz erträgliches Vollbild weiblicher gutart
zusammen H. Hoffmann teufd vom sande (1907) 31.
1375
GUTARTIG
GUTARTIG
1376
GUTARTIG, adj., vereinzelt adv.; im 16. jh. auftretend
und aus der Verbindung gute art (vgl. gut II B 1 a, sp. 1267)
entwickelt, wobei gut verschiedenen bedeutungen zugehören
kann.
1) in älterer spräche und technisch entsprechend gut II
A 2 'von hochwertiger beschaff enheiV : die edlen und gut-
artigen füllen erkennet man bei natürlichen und leib-
lichen eigenschafften M. üsuRfeldbau (1551) 185''; es laszt
auch ein gütartige stüt kein anders dann ein gütartigs
rosz zu ir Chr. Bruno de inst, christ. foem. (1566) i2^;
ebenso vom boden 'fruchtbar^ vgl. Staub-Tobler 1, 477;
je gutartiger die eisensteine, desto günstiger stellt sich
der brennmaterialverbrauch Muspratt-Stohmann 2,
1199; selten sonst: verschiedene ^seiner kleinen gedichte
sind zum theil gutartige fruchte desselben Göthe 49, 36 W.
2) häufiger vom menschen, seiner geistigen und sittlichen
anläge nach, also sowohl gut I A 2 d als auch besonders
gut V B 6 einbegreifend; vgl. gutartig bonae indoles
Henisch 1790: so findet man auch gutartige ingenia
W. BÜTNER dialectica teutsch (1588) 107*;
gift also selbst,
find ich, kann in gutartigen naturen
zu etwas besser m sich veredeln
SCHIIIER 3, 10 G.;
diser gutartige fürst ward unversehenlich ausz diser zeit
erfordert C. Wurstisbn Pauli Aemilii . . . hist. (1572) 2,
51; da sich in ainer geplütschaft unablässig vil tugend-
beflissene . . . herfür thaten, das man verursacht worden,
aus hoffnung der gutartigen nachkommenschafft, die
lehen . . . erbUch zu verleihen Fischart 3, 41 Hauffen;
dem, was der Deutsche gemüth nennt, dem Innern gefühl,
worin alle gutartige menschen übereinkommen, d. h. also
der humanität Göthe 41, 2, 277 W.; er heiszt Vulpius und
ist mir als ein gutartiger junger mann bekannt IV 9, 152;
besonders von kindern, vgl. gutartig, knab guter art bonae
indolis puer Dentzler clav. (1716) 1, 353 •>, gutartig
ingenuus 2, 1438': ein gutartiges kind achtet auf seines
vatters wort F. Wysz (1653) Tiach Staüb-Tobler 1, 477;
beide waren sehr gutartige, wohlgesittete kinder Chph.
V. ScHMiD ges. sehr. 4, 75; das bewusztsein andern lieb
zu sein, . . . giebt der gutartigen Jugend einen kom-
pasz in die band Roon denkw. 1, 35; ebenso von den
seelischen organen: ihr gutartig gemüthe Bodmer Noah
(1752) 61; (die) meynung . . . dasz ein schöner leib eine
gutartige seele verkündiget Wieland I 3, 332 akad.;
die Philosophen bewiesen ihnen: sie wären rohe thiere,
die zwar alle tugenden, aber gänzlich ohne verdienst, aus
bloszem instinkt und gutartigem herzen ausübten
Klinger w. lO, lOl; nur vereinzelt von den handlungen
selbst: das dieselbigen erstlich gutartiger sitten folgends
landläufiger sprachen, auch solche deutlich mit wolge-
löseter zungen auszusprechen färtig seien Fischart 3,
283 Hauffen.
3) die hauptsächlichste Verwendung in neuerer spräche
schlieszt sich an gut IV C an und erhält bedeutungen, die
denen von gut IV A entsprechen.
a) von menschen 'wohlmeinend, freundlich'' ; vereinzelt
wie gut IV A 1 b/3 m,it präposition: immer hast du mir
gefallen, denn du warst treu im dienst und gutartig gegen
meine gesellen Freytag ges. w. 8, 105; wie gut Alb/5,
doch klingt meist noch gutartig 2 m,it hinein, wie namentlich
der gegensatzbegriff bösartig zeigt: so wie jene alten volks-
dichter ist er ( Gerhard) ungeheuchelt und unangestrengt
fromm, naiv und tüchtig; gutartig und freundHch macht
ihn die Seligkeit seines glaubens Gervinus gesch. d. dtsch.
dicht. 3, 354; vergnügt über die landschaft und die gut-
artigen leute Freytag ges. w. 16, 122; manche dieser
Zwerge waren gutartig und den landbewohnern . . . be-
hülflich BR. Grimm dtsche sagen l, 117; unter der ge-
sundesten, nüchternsten, mäszigsten, fröhlichsten und
gutartigsten nazion von der weit Wieland s. w. (1794)
7, 225; tausend segen wurden mir von diesem gutartigen
Volke nachgewünscht Fr. v. d. Trenck lebensgesch. 1, 226;
aber mit betonler ausnähme des ethischen beiklangs: es
giebt eine geringere, eine faunen- und satyrennatur in
der menschlichen bildung, die wir nicht verläugnen
können; sie ist ... gutartig, dienstfertig, wohlgefällig,
freundlich Herder 17, 364 S.; wo menschen, die nur gut-
artig, nicht sittlich sind, sich höchstens bis zum mitgef ühl
mit der leidenden thierheit erheben Fr. Schlegel pros.
jugendschr. 2, 127 Minor; mehr nach gut IV A 2 hin passiv
im sinne 'gutmütig, friedlich' : die einwohner in diesem see
waren friedliche, gutartige leute G. Forster s. sehr. 4, 26;
die leute sahen mich an . . ., aber waren so gutartig und
lachten nicht Seume spazierg. (1803) 140; aber nein!
auf meine ehre, das gutartige meisterlein denkt ohnehin
nicht daran Jean Paul w. l, 371 Hempel; selbst wenn
sie es geradezu vergessen hätten, würde ihnen dies bei
einer so gutartigen person . . . keinen eintrag tun A. v,
Droste-Hülshoff br. an L. Schücking 227; auch nahm
michs wunder, dasz er . . . auf dein zureden sogleich
wieder gutartig geworden ist G. Forster s. sehr. 9, 302;
ebenso verwendet: es war ein gutartiger, allerliebster früh-
Ungstag Hippel lebensl. 3, 2, 402; anders, wie gutartig 3 d
(vgl. gut IV A 2 b) im sinne 'harmlos, ungefährlich' : von
den vielen arten der geisteskranken sind die gutartigen
immer der häuslichen pflege und aufsieht vorbehalten
gewesen M. Heyne körperpflege (1903) 168.
b) bei abstractis im sinne 'aus freundlicher, wohl-
wollender gesinnung entspringend': empfindsamkeit, . . .
die aus der gutartigen ansieht von der menschlichen
schwäche und kleinlichkeit flieszt Gervinus gesch. d.
dtsch. dicht. 5, 150; deine gutartige kindlichkeit Kortum
Jobsiade (1799) 108; sie zitterten für Meropen selbst, die
durch die gutartigste Übereilung gefahr lief, die mörderin
ihres sohnes zu werden Lessinq 9, 383 L.-M.; also die
gerech tigkeit laster? das nicht, aber höchst gutartige ein-
falt Schleiermacher Piatons w. (1804) 6, 109; (cme) bibUo-
thek . . ., daraus er nach dem antriebe seiner gutartigen
laune las Göthe 46, 85 W.; mehr objektiv nach 3 d hin 'als
harmlos anzusehen, nicht bösartig': (die weichmütigkeit ist)
eine gutartige leidenschaft Kant 5. w. (1838) 7, 390 Har-
tenst.; ob sie (die erscheinungen des gesetzlosen ungcfährs)
als bösartige oder als gutartige erscheinungen ausfallen
werden, müssen wir erwarten Fichte s. w. 5, 496; die un-
schuldige eitelkeit, sie ist die gutartige Verzierung des
daseins G. Keller ges. w. 3, 134; diese (satire) ist an den
meisten stellen gutartig genug Solgbe nachgel. sehr.
(1826) 1, 2.
c) von tieren, die nicht bösartig und gefährlich sind, vgl.
gut IV A 2 b, im sinne 'harmlos, lenksam, fromm' : ja, das
ich euch auff den hund bring (welches thir . . . unter
allem das . . . gutartigest ist), habt ihr nicht gesehen, wie
andechtich er das marckbein verschiltwachtet Fischart
Garg. 23 ndr.; die feldelefanten helt man vor guhtahrtig,
zahm, und lehrsam O. Dapper Äfrica (1670) 15a'; auch
haben wirklich alle rinder dieses thals ein glänzendes
silberweisz, und sind auszerordentlich gutartig mit ihren
Ungeheuern groszen hörnern Heinse s. w. 4, 363 Seh.; der
kleine geselle (ein gorilla) war nichts weniger als gutartig
Brehm tierl. l, 62 ; mit negativer bewertung 'geduldig, eira-
fältig' :gVitaxt\g wie die schaf e Kant w. (1838) 4, 298 Hartenst.
d) von krankheiten 'harmlos, ungefährlich' ihrer natur
nach, oder auch 'leichte form zeigend, ohne komplikationen
vorübergehend', vgl. benignus morbus, eine gutartige
kranckheit, wird genennet eine solche kranckheit, die
keine sonderlich böse zufalle hat Blancard med. wb.
(1710) 87: man weis, dasz ein gutartiges fieber über das
gift in unsern bösen feuchtigkeiten sieget Gottsched d.
neueste (1751) 8, 527; alle (impfpocken) sind gutartig, und
die meisten schon auf dem rückwege Schiller br. 2, 49
Jonas; folgen, welche selbst nach den gutartigsten masem
drohen Bremser medic. paröm. 282; diese frau bekam
viermal das bösartige friesel, einmal das gutartige allg.
dtsche bibl. anh. 37-52, 1413; Herders kinder haben die
natürlichen, doch gutartigen blättern Göthe IV 6, 154 W.;
die sogenannten gutartigen hypertrophien entstehen ge-
wöhnlich dadurch, dasz kleine exsudationen sich . . .
wiederholen Sömmerring menschl. körp. 8, l, 88; ähnlich:
die gutartigen safte verirren Schiller l, 160 G.; alles
1377 GUTARTIGKEIT— GUTBEDÜNKEN
GUTBEDÜNKEN
1378
bisher vorgetragene gilt nur von dem regelmäszigen und
gutartigen verlaufe der krankheit Bremser medic.
paräm. 272.
4) gelegentlich adverbiell gewendet; wie 2 : dieser wackere
mann . . . arbeitete ... an der geistlichen erziehung seines
pathen, der ihm gutartig zuhörte und mit häufigem 'ja,
ja' beistimmte M. Mbyb erzähl, a. d. Ries 2, 266; wie 3 d:
epidemien können bösartig seyn und doch . . . personen
gutartig kranken allg. dtsche bibl. 6, 76.
GUTARTIGKEIT, /., Weiterbildung des vorigen Wortes,
vereinzelt mit anderem adjektivsuffix gutartlichkeit (s. m. 2).
1) entsprechend gutartig 1 'hochwertige beschaß enheit,
vortreffliche qualilät', doch selten und jung: die gutartigkeit
des bodens, die gutartigkeit des werkes selbst Bode
Tristram Schandi (1774) 6, 91; bergtechnisch von S her
übertragen: bei der gutartigkeit des gebirges, welche
himmelsbrüche nicht so leicht entstehen läszt Veith
bergivb. (1870) 118.
2) wie gutartig 2, die 'vortreffliche beschaffenheit der
geistig -sittlichen artung' des manschen: desgleichen auch
von inen der ungerhatenen ubelgesitteten mitschüler
gesellung abzuschaffen, dan dise auch die beste gut-
arthchkeyt zuverkehren genug vermöglich sind Fischart
3, 312 Hauff en; ja nicht allein dieses, sondern auch seine
sonderliche guhtarthigkeit und angebohme fürtrefüche
geschiklichkeit brachte ihn in groszes ansehen Zesen
Assenat (1672) 99; mit dieser manier zu unterweisen,
wird alle gutartigkeit und tugendhafftigkeit aus dem
gemüthe verschlagen und verderbet Faszmann d. ge-
lehrte narr (1729) 24; ein Jüngling ohne gutartigkeit
Herder 16, 147 S.; die gutartigkeit der menschlichen
natur Wielakd s. w. (1794) 1, 314; die gutartigkeit seines
willens Kakt w. (1838) 4, 296 Hartenst.; objektiv, an gut
V B 5 a angeschlossen: so steht öfter die lauterkeit der
gesinnung im umgekehrten Verhältnisse der gutartigkeit
der Sache selbst Kant 3, 491 akad.
3) entsprechend gutartig 3 als 'wohlmeinende, freund-
liche wesensarf.
a) vom menschen: es ist eine blosze höfligkeit, ja über-
mäszige gutartigkeit des egiptischen frauenzimmer Zesen
Assenat (1672) 20; was wir in der spräche des gemeinen
lebens das gute herz nennen, die natürliche gutartigkeit
Sohleiermaoher 8. w. I 12, 223; auf die handlungsweise
übertragen: da doch jeder, dessen patron mit leidlicher
gutartigkeit verfuhr, die . . . ehrerbietung . . . zurück-
halten muszte Niebuhr röm. gesch. 1, 383.
b) vne gutartig 3 d auch von krankheiten 'ungefährlicher
Charakter, harmlosigkeif : von den zeichen der krankheit,
. . . der dauer, . . . gut- und bösartigkeit allg. dtsche bibl.
anh. 53-86, 407; gewöhnlich setzte man die gutartigkeit
einer geschwulst in den umstand, dasz sie nach ihrer
exstirpation nicht wiedererscheint Sömmerrinq menschl.
körp. 8, 1, 173.
GUTBEDÜNKEN, vb., zusammenrückung aus es be-
dünkt mich gut {vgl. sp. 1239), im 16. jh. wohl unter ein-
fiusz des subst. gutbedünken geschaffen, jedoch selten be-
zeugt: und wie es euch dann gutbedunckt, das es gegen
den gefangen wirten gehalten werden soll, das mügt ir
uns wider zuerkennen geben verhandl. über Thomas v.
Absberg 181 lit. ver.; unsern herren Christum (hat) gut-
bedunckt, daz . . . allen sondern kirchen . . . ain stäte
kirch . . . fürgesetzt sey Berthold v. Chiemsee teutsche
theolog. 632 R.
GUTBEDÜNKEN, n., Substantivbildung aus der formet
es bedünkt mich gut (vgl. sp. 1239), seit dem 15. jh. auf-
tretend und bis ins 17. jh. hinein lebendig, später von gut-
dünken, n., verdrängt; vereinzelt im 15. jh. an die ins präs.
gedrungene präteritalform des verbums angeschlossen: er
also eim spruch volgen oder ein besunder urteil . . . nach
skiem gütbedüchen vellen mag Fr. Biederer rhetoric
(1493) A 4".
1) noch mit stark verbalem char akter als 'das denken und
meinen darüber, was eine person für angemessen, ratsam
IV. 1. 6.
oder richtig hält', vgl. gut I A 3 d a: gaben und das leggelt
sollen nach ansehen und gutbedimcken der verordneten
sibener auszgethaUt und durch gemein . . . gesellen erlegt
werden {v. j. i486) urkundenb. d. stadt Heilbronn 2, 353; so
ich nun alle lengen, dicke und preiten . . . bezeichnet hab,
. , . alszdann zeuch ich die gestalt . . . nach meinem gut-
beduncken darein A. Dürer menschl. proportion (1528)
A4d^; nachmals hat er (Christus) in (den Seelsorgern)
macht geben, nach irer erkanntnus und güetbeduncken,
nachzelassen etwas oder nichts Berth. v. Chiemsee
teutsche theolog. 507 R.; der gefangen soU auch zum
minsten über den andern tag nach der marter nach gut-
beduncken des richters in die büttelstuben . . . für (vor)
den bannrichter gefürt (werden) Carolina 36 Kohler-Scheel;
dann die heilige römische kirche hat der alten lehrer
schrifften niemahls anders annemen wollen, dann mit
diesem geding, das sie dieselbige mögen auszIegen nach
ihrem gutbedujQcken und bester gelegenheit Fischart
binenkorb (1688) 6^,
2) besonders im sinne 'meinung, ansieht' (vgl. gutachten
1 a) verbreitet: sytenmal wir der firmung ze reden worden
sind, will ich min gutbedünken davon sagen Zwinglx
dtsche sehr. 1, 239; darumb so wollest disen brieff selb
lesen und mir darnach auff mein frag dein gütbeduncken
zu verston geben Wickram w. 2, 401 B.; ieglichem aber
(sei) sein urtheil und gütbeduncken frey gestellet Kjbch-
HOF wendunmuth 2, 96 Ost.; einem jeden sein wohn und
gütbeduncken laszen Stumpf Schweizerchron. (1606) 510*';
ist dann ein sach also beschaffen, dasz es weiters be-
denkens bedarff, so lassen sies ehrenthalben an landvogt
gelangen, dasz er . . . sein gütbeduncken mag sagen
Megiseb newe nortwelt (1613) 74; als 'lehrmeinung' : als
ob sie keine gewiszheit ires glaubens hetten, sondern
weren soviel evangelia als lehrer und so vielerley religion
als gütbeduncken Kirchhof wendunmuth 1, 469 Ost.;
dasz unser hebe mutter sein (des Thomas von Aquino)
gütbeduncken fürs best erkannt und angenommen hat
Fischart binenkorb (1588) 186».
3) häufig als die mit einer empfehlung verbundene
meinungsäu,8zerung (vgl. gutachten 1 b) im sinne 'rat-
schlag'; oft in doppelformeln : und wie eur freundliche
lieb die sach im besten furnämen und betrachten wirt,
sezen wir ganz zu euerem rate und gutbedunkchen bei
Steinhausen privatbr. d. mittelalters i, 47; was aber in
solichem not were oder wurde, sol er allezeit mit selben
seinen rat und gütbeduncken an dieselben unser stathalter
unser schatzcammer zu Insprugg bringen in: urk. z.
gesch. Maxim, I. 163 lit. ver.; dieser erstgemeldte raht
und gütbeduncken ward von ihnen allen mit fleisz und
ernst erwogen Aqyrtas grillenvertr. (1670) 20; dann ge-
melster bapst Adrian hat fürgenommen, der geistlichen
personen miszbrauch, wandel und wesen, mit neuwen
gesetzen ... zu verbessern, darinnen Pauli hilff und güt-
beduncken brauchen wollen A. Henricpetri general-
historien (157 7) 2; nach gutbedunckchen meiner vertrauten
commissarien v. Brandis landeshaupÜ. v. Tirol 37;
andere wöUen dem könig in Hispanien ihr gütbeduncken
uberschicken, wie die Gösen ... zu verjagen seyen Äg.
Albertinus Lucifers königr. 190 nat.-lit.;
mein vater, so besteh
dein weises gütbeduncken I
dein, nicht mein wuntsch ergehl
GRYPmus ged. 301 Palm;
wie 'veranlassung' : reytze und ermane in auch nicht
leichtlich zu etwas, das ers nach deinem gütbeduncken
fürnemme, aus bedenken, das das end miszlich ist
Fischart 3, 186 Hauffen.
4) zu verschiedenen Sonderbedeutungen verengert; als kri-
tische meinungsäuszerung vne 'gutachten, urteil': rat-
schlege und gut beduncken verfasset und zuschicket
Reuchlin augenspiegel (1511) 3^; erwirdig lieben herren,
hye schicken vnv euch zu unser gütbeduncken uff ewer
klag Eberlin v. Günzbübq 5. sehr. 2, 93 ndr.; der herren
gütbeduncken auf der chur- und fürsten gestelte aini-
87
1379
GUTBEDÜNKEN — GUTBEFINDEN
GUTBEFINDEN
1380
gungsnotel zwischen denen von herren iind zünften (v.
j. 1552) städtechron. 32, 272; die empfehlung einbegreifend
als 'Vorschlag': das eyn yder chürfürst . . . ettlichen ge-
lerten . . . personen befehell thun soll, . . . des Luthers
lere, predig und bücher ... zu examiniren ... als denn
, . . alles mit yhrem gutbeduncken, wye die selbige be-
schwerung auf leydenlich pan (bahn) . . . bracht werden
möchten . . ., uns furzubrengen Luther 15, 274 W.; be-
hielt ir mt. ir bevor, auf des neuen rats gutbeduncken
weiter masz und Ordnung, wie es die notdurft ervorderte,
hinfüran zu geben {v. j. 1548) städtechron. 32, 87; mit dem
beisinn der getroffenen entscheidung als 'beschlusz': wo dann
dieselben unsere rate . . . ains ainhelligen gutbedunckens
miteinander nit vergleichen künden, . . . soUen si uns
des . . . aigentliche relation thun bair. lanndiordn. 21^;
im sinne 'anordnung, befehV: nach des rats gutbeduncken
und wolgef allen städtechron. 2, 347 ; dann ihnen ausz gut-
beduncken desz soldans befohlen ward Amadis (1595) 24,
401 ; wie gutachten l d im sinne ''Zustimmung, billigung' :
volgents deren von herren gutbeduncken und bewilügung
{v. j. 1552) städtechron. 32, 266; dasz ein jeder . . . gemeint
hab, im gebür seines gefallens oder gutbedunckens . . .
namen zugeben Stumpf Schweizerchron. (1606) 56''; da
man nicht allzeit hinschicken und sich eines andern ordre
oder gutbeduncken erholen könte Chemnitz schwed. krieg
1, 169; wenn die erben auch bey des gerichts» gutbe-
duncken nicht ruhen wollten Mainzer landrecht (1755)
XVI § 7.
6) im sinne 'Wohlgefallen, gutdünken, belieben'; als
'Wohlgefallen' : das er ihnen gebe nach seinem gutbe-
duncken Züricher bibel (1531) Jes. Sirach 33; wollestu in
darumb für einen ungerechten und tyrannischen gott
auszrufifen, dasz er seine kyrch nicht nach deinem
kopff und gutbeduncken regieret Jag. Gketteb ep.
8. Pauls a. d. Römer (1566) 602; als 'gutdünken, belieben' :
nachdem die pfieselschreiber biszher durch die salzmair
irs guethbedunkhens und zue zeiten gering gesellen
darzue aufgenommen . . . haben, ist darauf der . . . be-
velch . . ., das nun furo die salzmair mit rathe der gegen-
schreiber aufnemmen {v. j. 1509) v. Lori baier. bergr. 138;
ain jeder mann . . . die h. bibel lese . . . und legs ausz
zu seinem gefallen und nach seinem gutbeduncken JoH.
Nas antipap. eins (1567) 1, 55*'; der heilig vater der
pabst . , . hat dan guet recht und macht, das römisch
reich . . . seins gefallens und guetbedunckens zu verwalten
J. TuEMÄiR w. 5, 458 Lexer; welcher nach jedes poten-
taten, fürsten und herrn gutbeduncken gestellet ist
Kirchhof milit. discipl. (1602) 66; gott hätte ihn mit
einer Schwester und tochter, die reichsgesetze Britanniens
aber mit dieser gewalt begabt, dasz er selbte nach seinem
gutbeduncken durch verehligung . . . versorgen . . .
möchte Lohenstein Arminius (1689) l, 160^; vereinzelt,
aus metrischen gründen, noch im IQ.jh.:
zum führer nimm fortan dein gutbedünken
Steeckfusz Dantes fegfcuer 27, 130.
GUTBEFINDEN, vb., gelegentliche zusammenrücicung
aus der formel etw. für gut befinden (vgl. sp. 1240), wohl
unter einflusz des subst. gutbefinden, n.: dem gutbefun-
denen concluso sträklich nachzugehen Schottel haubt-
spr. (1663) 658; (eine) anekdote, die er auf angeben eines
seiner freunde ... zu publizieren gutbefunden hat Nico-
lai reise durch Deutschi. (1783) 8, anh. 57.
GUTBEFINDEN, n.
1) Substantivbildung aus der verbalverbindung etw. für
gut befinden (vgl. sp. 1240), im 17/18. jh. häufig, im 19. jh.
wieder abkommend.
a) 'das, was eine person für angemessen, schicklich,
richtig hält' so ganz allgemein als 'dafürhalten, gutdünken,
ermessen', vgl. gutbefinden Kramer t.-ital. 1, 582'i: ich
folgete meinem gutbefinden, vor der thür anzuklopffen
Grimmelshausen Simpl. 94 ?idr.; namentlich in präposi-
tionaler Verbindung mit nach häufig: ich wolte, nach
meinem wenigen guhtbefünden, mich dieser . . . reime
lieber gahr äuszem Zesen verm. Helikon (1656) 1, 104;
der handlung nach seinem vernünfftigen gutbefinden auf-
helfEen Gladow d la ^ode sprach (1727) 152 *; (der ober-
Jägermeister erteilt) . . . die Verordnungen und befehle vor
sich selbst, nach seinem pfüchtmäszigen gutbefinden
Heppe lehrprinz (1751) 202; nach eigener einsieht und
eigenem gutbefinden Fr. v. Gentz sehr. 3, 5 Schlesier;
abstrakter 'ermessen' : die treuhertzige Antonie . . . stellte
ihr frey alles nach ihrem gutbefinden einzurichten Lohen-
stein Arminius (1689) 1, 392^; wenn ich wiederhole, dasz
ich es ganz und gar ihrem gutbefinden überlasse, so ist
das keine blosze redensart H. v. Kleist 5, 400 Schm.;
solange ihr, nach der Überzeugung und dem gutbefinden
herzoglicher commission, in dieser quaUtät angestellt
seyn werdet Göthe IV 21, 167 W.; der testator wünscht
den erben in die läge zu versetzen, dasz er je nach gut-
befinden die erbschaft auf einen andern übertragen . . .
kann Jhering geist d. röm. rechts 3, l, 236; dann wie 'be-
lieben': denn man schlaget nach gutbefinden eine von
den beyden stimmen, so man harpeggiren will, zuerst an
Heinichen generalbasz (1728) 558; 'ewig' ist ein wort,
welches ein jeder nach seinem gutbefinden . . . braucht
Rabener w. 2, 232; alle vor angeführten stücke, von
denen freilich nach gutbefinden gewählt — nie aber eins
durchgängig kann ausgeschlossen werden Herder 2,
241 8.; halten sie es darum damit nach ihrem gutbefinden
GÖRRES ges. br. 3, 145; geradezu als 'unllkür': auch durch
das schwerdt der gerechtigkeit sezt der grosze den bürger
in furcht, . . . dessen leben selbst von seinem gutbefinden
abhängen kan Haller Alfred (1773) 179; über ihre person
. . . nach gutbefinden schalten und walten Hippel ehe
(1792) 149; sollte Clemens erleben, ganz und gar in die
bände desselben (Karls V.) zu gerathen und seinem gut-
befinden überlassen zu sein? Ranke s. w. 37, 76.
b) prägnanter im sinne 'anweisung, anordnung': die ge-
meine (wäre nicht) gehalten gewest . . ., ihrem (der quaty,
d. i. dem rate) gutbefinden oder Schlüssen allein zu folgen
und nachzukommen insul formosa 41 bei Olearius verm.
reisebeschr. (1696) anh.; dessen gutbefinden mich zu
widersetzen ich . . . bedenken getragen Schnabel
insel Felsenburg vorr. 9 Ullrich; jener hätte sich so mit
den ärzten zerschleppet, und alle sein thun und lassen
nach dem gutbefinden derselben eingerichtet Linden-
born Diogenes (1742) 2, 596; ist jede gemein schuldig
aljährl. nach gut befinden des forstbedienten Schonungen
und gehege anzulegen forstordn. v. j. 1773 bei Schwappach
handb. d. forst- u. jagdgesch. 1, 505 anm. 40; den fort- und
ausgang aber last sie (die seele) gott anheimgestellt nach
seinem gutbefinden Abraham a s. Clara etw. f. alle 2, 45;
ähnlich 'ratschliisz' : alle christhchen regenten nennen
sich von gottes gnaden und bekennen damit, dasz sie
nicht durch ihr verdienst, . . . sondern durch das gut-
befinden der Vorsehung, . . . zur kröne gelangten Herder
13, 386 S.; die Waldhörner sind, nach beschafEenheit der
stücke und gutbefinden des componisten, so wohl zu
einer kleinen als groszen musik nöthig Quantz anweis.
d. flöte zu spielen (1789) 185; ebenso in präpositionaler
fügung mit auf: den zwelfften tag jenners kam auf gut-
befinden des h. reichs cantzlers feldmarschalck Kniep-
hausen davor an Chemnitz schwed. krieg 2 (1653) 358;
sintemahl die gefangenen . . . auf des Cato gutbefinden
im kercker erwürget . . . wurden Lohenstein Arminius
(1689) 1, 956^; wenn (ein marktfiecken) dieses auf gut-
befinden seiner obrigkeit . . . thut, so dürfen . . . die
Schweine auch zur unbeschlossenen zeit die gassen nicht
belaufen J. Moser s. w. 3, 205 A.
c) verschiedentlich zu Sonderverwendungen verengert; im
sinne 'ratschlag': dise schöne nümmet, auf mein guht-
befünden und einrahten, ihre Zuflucht zu ihnen Zesen
adriat. Rosemund 4 ndr.; auf des Clemens gutbefinden
(hatte er) sich entschlossen, nach Gallien zu reisen A. U.
v. Braunschweig Octavia(l&77) 2, 1 022; welchen (scAi^en)
er auf gutbefinden seiner capitaine entschlösse den kopff
zu bieten M.Krämer leben (1681) 73; auf gutbefinden
seines geheimen raths erwiderte Jones Bode gesch. d.
1381
GUTBEFINDEN-GUTBIER
GUTBLATTERKRAUT- GÜTCHEN 1382
Thomas Jones h, 442; blasser 'Veranlassung^ : und ist dieses
gegeben an dem jetzigen orte desz ertzschreines, in bey-
seyn und auf gutbefinden des nehrenden Hars Dörfer
frauenzimmergesprechs'p. (1641) 2, b 2''; auf gutbefinden
der gesamten hochzeitgäste trete ich hervor Chr. Weise
pol. redner (1677) 750; die deutsche rechtschreibung auf
sonderbares gutbefinden durch Christianum Gueintz
. . . verfasset Chr. Gueintz dtsche rechtschr. (1666) titelbl.;
im sinne 'vorschlag\' dergleichen raht (sollte) . . . geord-
net werden . . . und des directorii und consilii formati
wie auch der stände gutbefinden nach an einem gewissen
orte residiren Chemnitz schwed. krieg 2 (1653) 86; der
hofrath {möge) . . . seinen rath und gutbefinden auch un-
erf ordert {beilragen) Thomasius ernsth. ged. u. erinn.
(1720) 3, 240; wie 'entscheidung^ : so kommt es auf dero
gutbefinden an, darauf ichs lediglich beruhen lasse Leib-
Niz dtsche sehr. 2, 110; wenn er den pabst oder die
römische kirche beleidigt habe, wolle er nach gutbefinden
der kardinale . . . genugthuung leisten M. I. Schmidt
gesch. d. Deutschen (1778) 2, 624; als 'beschlusz" : dasz die
ganze Versammlung nach einhelligem gutbefinden aus
dem gesamten häufen zween herausgenommen und dar-
gestellet Chph. Starke Synopsis (1735) 2, 37; Karl war
erst 15 jähre alt, aber auf gutbefinden seines groszvaters,
des kaisers sowohl als der stände hatte er die regierung
der Niederlande angetreten M. I. Schmidt gesch. d.
Deutschen (1778) 4, 145; als 'billigung': wolte der landgraff
seine . . . vasallen, ... so offt es die noth erforderte, auf
des königs begehren und gesambtes gutbefinden be-
schreiben Chemnitz schwed. krieg l (1648) 196; ohne des
berghauptmanns und amtleute zulassen und gutbefinden
Herttwig bergbuch (1734) 381^; vereinzelt wie 'gutachten"
(vgl. gutachten 3) gebraucht: ich lege diese meinung . . .
dem gutbefinden euer exzellenz also vor Schiller br.
1, 72 Jonas.
2) nur gelegentlich von der wendung sich gut befinden
(vgl. gut III A 3 c) aus gebildet anstelle des üblichen Wohl-
befinden, von dem gesundheitlichen zustand: leider hat sich
nach langem gutbefinden wieder ein alter anf all gemeldet
Göthe IV 21, 355 W.; schreibe des grafen gut- oder übel-
befinden so oft als möghch jahrb. d. Orillparzergesellsch.
1, 36. — gutbefindenheit, /., vereinzelte bildung im
Juristendeutsch des 17. jhs., vgl. auch das folgende wort:
nach guetbefindenhait des ausschusses österr. weist. 5,
139. — gut befindung,/., Weiterbildung aus gutbefinden,
im 17. jh. besonders im präpositionalen ausdruck beliebt;
'ratschlusz\' aus gnädiger guhtbefindung gottes Schottel
friedenssieg 75 ndr.; 'anraten^ : er zwar Uesz sich auf gut-
befindung seines advocatens nicht lange nöthigen Chr.
Weise polit. näscher (1678) 287; 'billigung\' bey bevor-
stehender handlung (solle) nichts dan mit vorbewust und
gutbefindung der hohen officirer vorgenommen . . . werden
V. Chemnitz schwed. krieg 2 (1653) 742. — gutbefund,
m., vereinzelte bildung im 17. jh., vgl. das vorige wort;
'billigung': alles (solle) auf vorwissen und gutbefund der
Obrigkeit geschehen v. Hohberg georg. cur. (1682) l, 48.
— gutbegierde,/., begierde nach besitz (vgl. gut n. B l):
denn die unersättUche geld- und gutbegierde eines regenten
verblendet ihm die äugen des leibes und der seelen J. M.
WiLHERR tugendschatz (1659) 177. — gutbegierig, adj.,
begierig nach besitz; im älteren nhd. gebräuchlich, vgl. gut-
hegirig avarus Maaler 199^, guhthegiiig nimitim inhians
bonis Schottel haubtspr. 350: und eure vorferend, als
einfaltig gutbegyrig lewt, leichtlich mochten verfürt
werden , E BERLIN v. Günzbtjrg s. sehr. 3,4 ndr.; der
geitzigen, ehr- und guthbegierigen, unvergnüglichen und
ungläubigen weit (musz) gezeiget werden, wie leicht es
sei, arme und geringe aus dem staube zu erheben G. Dexe-
LiXJS histor. lustgarten (1701) 296. — gutberat, m., name
der pflanze 'froschlöffd' (alisma plantago), s. Nemnich
wb. d. naturgesch. 216, Pritzel-Jessen 16.
GUTBIER, n., das stark eingebraute vollbier gegenüber
dem leichteren dünnbier, vgl. gut A II 2 a (sp. 1261); seit
dem spätmhd. bezeugt: item 2»4 m. vor 6 tonnen gutbir,
dy tonne vor 10 scot., item 2 m^ vor acht tonnen tafel-
byer Marienb. treszlerbuch 431 Joachim; es wurde- nur
gutbier und dünnbier gebraut, aber beides war gut für
den durst und nicht so gallenbitter wie das jetzige Storm
ges. sehr. (1882) 14, 6, i;gri. Mensing 2, 424. — gut blatter-
kraut, n,, auch gutsblatterkraut (in Schlesien) Peitzel-
Jessen 265, name der "einbeere' (paris quadrifolia) Nem-
nich wb. d. naturgesch. 216, Holl pflanzenn. 140*', wegen
des früheren offizinellen gebrauchs gegen blättern, vgl.
blatternblatt, schwarzblatterkraut Pritzel-Jessen a.a.O.
— gutbrief, m., Urkunde, die die rechtmäszigkeit eines
anspruchs u. dergl. bestätigt; aus gut in der juristischen
Verwendung von gut I A 5 a a (vgl. sp. 1243) und brief
'Urkunde^ zusammengerückt:
sprichstu: den gütbrieff ich hab,
so sagendt sy: den frisz dorabl
MüRNER schelmemunß 16 ndr.
— gutbürge, m., verstärktes bürge, 'sicherer bürge"; aus
der Verbindung guter bürge (vgl. gut I A 5 b, sp. 1245/.)
gebildet: dasz wir . . . der mehrgedachten unser gnädigen
herrschafft gutbürgen und selbstschuldner . . . worden
seyndt urk. v. j. 1489 bei Haltaus gloss. germ. 764. —
gutbürgerlich, adj. und adv., häufige zusammen-
rückung von gut adv. in der bedeutung von gut II B 1 c (vgl.
sp. 1267) 'der Lebensart des besseren, wohlhabenden bürger-
standes entsprechend\' bei dem gut bürgerlichen mittel-
masze der bewirthung . . . gingen allen . . . die herzen auf
D. Fr. Strausz ges. w. l, 170; 'mit wem werde ich denn
die ehre haben?' fragte in gutbürgerUcher höflichkeit frau
Cl. Rosegger sehr. II 13, 140; feste termini sind gut-
bürgerUcher mittagstisch, gutbürgerliches gasthaus usw.;
abverbial: man müszte diese herren gut bürgerlich in
die bank des tribunals caution machen und es gerichtlich
deponiren lassen Herder 23, 477 S.
^GÜTCHEN, n., auch gutchen, name eines kobolds,
hausgeistes, unchtelmännchens; ursprünglich vielleicht von
gott abgeleitet im sinne 'götze\ aber früh als freund- ,
licher, hilfreicher geist auf gut IV A l c a jS/3 (vgl. sp. 1286)
bezogen, s. Bächtold-Stäübli hdwb. d. aberglaubens 3,
1233/. und unten ^gütel, vgl. güttgen cobalus ('kobold')
gemma gemmarum (1508) nach Schmeller - Fr. 1, 963;
literarisch erst seit dem 17. jh. bezeugt: in Deutschland
hat man sie (die hausgeister) gehaiszen gutichen, wicht-
hchen Peätorius anthrop.Plut. (1666) l, 360; man nennet
sie sonsten erdmännlein, gütchen und gute hulden oder
hausgeister Widmann Fausts leben 157 K.; wenn aber
das kind im schlafe lacht, sollen sie es ja nicht stören,
das gütchen spielt mit ihm, welches sehr gut ist der
biedermann (1729) 2, 192;
da trippelt ein die kleine schar (der gnomen) . . .
den frommen gütchen nah verwandt Göthe 15, 2, 53 W.;
ein kleiner kobold trägt es (das flämmlein) durch die nacht,
stehl kleines gütchen, leuchte mal dem Wehrmund 1
FoUQrÄ büdersaal (1818) 1, 220.
^GÜTCHEN, n., deminutiv zu gut, n.
1) seit dem jüngeren mhd. für ein kleines ländliches be-
sitztum, vgl. gut, »., B 3 b (sp. 1364): umme anspräche, die
sie zu sprechenne hatte zu dem commentüre und den
brüdern des Düczhin hüsis by Marthpurg umme daz
gütdchin zu Damme (v. j. 1347) hess. urkundenb. 2, 551
Reimer; die (beute) nahm ich und kauffte ein wüst
gütgen Chr. Weise erznarren 42 ndr.; mein güthgen trägt
mir jährhch mein leidhch auskommen noch zu Ettner
V. Eiteritz mediz. maulaße (1719) 103;
er hat ein hübsches gütchen hier
mit einer hufe feld
BÖHME volksth. lieder d. Dtschen 286 ;
das schöne gütchen kennst du ja,
das ich den alten ausersah
GÖTHE 15, 2, 300 TT.;
weit von hier am fernen Rhein
ist ein schlosz, ein gütchen mein
Grillparzee s. w. 4, 79 Sauer;
seine durchlaucht besitzen ihre Schlösser nicht wie der
bauer sein gütchen Immermann 6, 93 Boxb.
87»
1383
GÜTCHEN— GUTDENKEND
GUTDENKEND— GUTDÜNKEL
1384
2) nur vereinzelt von einem kleinen beweglichen besitz,
vgl. gut, n., B 1; vom geld:
also kompts güttgen fein zu hauff
Gabe. Voigtländer öden u. lieder (1642) 74;
täglich im sausze und schmausze zu leben, das gütgen
unnützlich durchzujagen Schoch stvdentenleben 5 Fabr.;
von der dinglichen habe überhaupt: {wir können) den er-
littenen schaden nicht anders alsz mit Verpfändung . . .
unserer wenigen güterger • . . ersetzen bittschreiben v. j.
1707 in Ceecelius oberhess. 445.
3) in der redensart sich ein gütchen tun, ^sich etwas
angenehmes verschaffen^ , vgl. sich etwas zu gute tun
{sp. 1345), sich eine gute tun (s. ^güte 5 b), sich gütlich
tun (5. gütlich B 1 f « yy), namentlich im essen und trinken:
dachte aber so bei mir: 'diese nacht willst du dir hier
ein gütchen tun L. E. Grimm erinner, a. m. leben 180;
mit der absieht, sich mit dem häuflein geldes . . , ein
besonderes gütchen anzutun W. Speck zwei seelen^ 108;
da hat mein boshafter hund sich diese nacht ein gütchen
gethan in meinem Samenbeete M. Nathtjsius ausgew.
sehr. (1889) 2, 108.
GUTCHEN, n., auch gütchen {s. u. gütchenbüchse),
'bonbon, leckerei, naschioerk\ vgl. gutsele, gutlein: der
geist (schüttelt) seine sacke und beutel aus, allerlei gut-
chen, leckereien und geklimper E. M. Arndt sehr. f. u.
an s. l. Deutschen (1845) 3, 206; der lieben mutter danke
ich herzHch für die gutchen K. Gerok lebensbiM 119. —
gütchenbüchse, /., auch gütchenbüchse 'bonbonniere,
büchse für rMschwerk: sein werk {ist) . . . eine bonbonniere
voU historischer bonbons . . ., eine gütchenbüchse voll
geschichtlicher süszbrödchen Börne ges. sehr. (1840) 3,
117. — gütchenshaar, n., was gütchenzopf {s. dort):
gütchenshar cirragra, vulgo plica polonica Stieler Stamm-
baum {1691) 7 Q7. — gütchenzopf, m., we weichselzopf,
auch wichtelzopf, judenzopf {zu ^gütchen, vgl. Bächtold-
Stäubli hdwb. d. aberglaubens 3,1236, weil dem Volks-
glauben nach von kobolden hervorgerufen), name einer
krankhaften haarver filzung: gütchenzöpflfe crines perplexi
E.HuTTER dict.harmon. {lb98) 197; gütchenzopf it. juden-
et salbenzopf cirragra, plica polonica Stieler 2633.
GUTDÄCHTIG, adj., zu gut IV A l b im sinne
'freundlich^ vgl. wohlmeinend, gutdenkend: milde vel
gutdechtig hilaris {voc. v. 1476) Diefenbaoh nov. gl. 203^.
— gutdenken, n., seltene bildung, statt gutdünken 1 b
{vgl. sp. 1387) im sinjie 'ermessen' : wers aber wider befelch
öfter thätte, soU nach guetdenken der herrschafft abge-
strafft werden {um 1660) österr. weist. 11, 275; anders,
rüclcbildung aus gutdenkend, im sinne 'rechtschaffenheit,
wohlgesinniheif : in ansehung der fremden sprachen be-
hauptet der verf., dasz ihre erlernung zum . . . gutdenken
gar nichts . . . beytrage allg. dtsche bibl. 105, 288.
GUTDENKEND, part. adj., seit dem 18. jh. bezeugte
und viel verwendete zusammenrückung.
1) am häufigsten von gut im ethischen sinne {vgl. gut
V B 1) 'rechtschaffen, ehrlich denkend, gradsinnig\- bey
gutdenkenden seelen ist alles dieses {da^ übersenden des
ringes) überflüssig Gottsohedin br. 1, 141 v. Runkel;
wenn anders in ihren äugen . . . ein gutdenkendes, recht-
schaffenes, tugendhaftes und gefälliges weib ein glück
für ihren mann ist Mozart bei 0. Jahn Mozart 3, 160;
ich überlasse es ihrem gutdenkenden und aller classen
der moral und klugheit kundigen manne S. v. Laroche
frl. V. Sternheim (1771) 1, 291; nichts ist einem jeden gut-
denkenden mädchen leichter, als einen stutzer . . . auf
seine gränze ... zu bringen Hippel leben^läufe (1778) 2,
310; diese belohnung wird jeder gutdenkende mann . . .
über alle vortheile setzen Wieland Lucian (1788) 4, 142;
was soll vielmehr ein gutdenkender mensch thun bei
böser nachrede über seinen nächsten? Herder 30, 329 S.;
gern substantiviert: welcher gutdenkende kann ganz froh
sein glück genieszen, wenn er es mit seinen freunden
nicht theilen kann? Gottschedin br. 3, 315 v. Runkel;
wird ein solcher . . . mann . . . nicht von allen gutdenken-
den und rechtschaffenen geliebt? J. M. Miller pred.
(1776) 1^ 160.
2) im sinne von gut IV A 1 als 'wohlmeinend, freundlich
gesinnt' : betrübnisz macht sonst so gutdenkend Lessing
11, 242 L.-M.; die freude, welche die gastfreien alten und
ihr gutdenkender söhn darüber bezeigten, dasz uns ihr
mahl so wohl schmeckte G. Forster s. sehr, l, 248; die
. . . umstände {sind) von der art . . ., dasz einem jeden
gutdenkenden eine . . . erquickung wohl zu gönnen wäre
GÖTHE in: sehr. d. Göthegesellsch. 17, 51; etwas anders
'willig, gläubig': so wirds jedem rechtschaffenen geist-
lichen sein, der gutdenkende gemüther nicht mit worten
bezahlen will Göthe 37, 156 W.; mit besonderer note 'für
das wohl jemandes bedacht, das beste wollend': da müssen
gutdenkende altem wachen, dasz . . . H. Beck schoch-
maschine (1798) 17; wie viel dieses kostet, weisz jeder
rechtschaffene, für seine kinder gutdenkende vater
Grillparzer in: jahrb. d. Orillparzergesellsch. 8, 248; so
dasz . . . die thätigste mitwirkung seiner gutdenkenden
minister dazu gehört, um die hindemisse . . . wegzu-
räumen Fr. Nicolai reise d. Deutschi. (1783) 2, 508; {ich)
erwarte . . . von gutdenkenden österreichischen schul-
leuten dank allg. dtsche bibl. anh. 37-52, 334.
3) eine politisch gefärbte Sonderbedeutung zeigt sich in
der ersten hälfte des 19. jh. entwickelt, wo gutdenkend als
widergabe von loyal den königstreu gesinnten bürger be-
zeichnet; auch hier vergleicht sich wohlgesinnt: der ganze
mädchenflor gutdenkender bürger prangte in neuge-
waschenen kleidern E. T. A. Hoffmann ausgew. sehr.
(1839) 11, 81; ich bin wohl konservativ, aber bisher
hielten mich die sogenannten gutdenkenden für einen
Jakobiner Varnhagen tageb. 4, 354; was die hoffnung
der gutdenkenden aufrecht hält, ist die Versicherung, . . .
dasz der könig nicht nachgeben werde GtÖrres ges. br.
3, 385; der zweck, . . . ein mitglied des kaiserlichen hauses
in ein weniger gehässiges licht zu stellen, als dasjenige
ist, worin die öffentlich meinung es am 13. märz erblickte,
{mu^z) von jedem gutdenkenden gebilligt . . . werden
Hebbel w. lO, 64 W. — gutdeutsch, adj., zusammen-
rückung mit gut adv. {vgl. sp. 1329) im sinne 'echt deutsch' :
deren friedlieb und gutteutsch gemüht Londorp acta
publ. (1668) 1, 240; zu wünschen wäre es, dasz der Ver-
fasser künftig . . . sich der . . . gutdeutschen worte be-
dienen möchte allg. dtsche bibl. 88, 2, 167; wogegen die
graublasse färbe seiner lebhaften äugen unzweifelhaft auf
gutdeutsche abstammung hinwies 0. Müller Münch-
hausenim V ogelsberg {192^) 82. — gutdunk, m., verein-
zelte kurzform zu gutdünkel, gutdünken {s. dort) 'das
sich gutdünken, einbildung': allsdann werden sy iren gut-
tunck und hochmut fallen lassen L. Thtjrneiszer von
probierung (1576) 47.
GUTDÜNKEL, m., von Luther häufig verwendetes
und anscheinend aus gutdünken, n. {s. dort) und dunkel,
m., gebildetes wort; besonders bei Protestant, theologen bis
ins 17. jh. hinein sehr gebräuchlich.
1) das was den menschen gut dünkt {vgl. gut I A 3 d a,
sp. 1239), ihm angemessen, ratsam, richtig erscheint.
a) vom menschlichen denken, besonders dem eigen-
willigen und selbstherrlichen meinen im gegensatz zum
göttlichen gesetz und der lehre Christi: das du solches
haltest on eigen gutdünckel und nichts thuest nach gunst
Luther l. ep. Pauli an Tim. 5,21; gott macht sie so
zu narren in irer klugheyt und gutdünckel 19, 375 W.;
durch in würt der gantz mensch getödt, alles liecht der
vernunfft, aUe erwölung, anschlag, gutdünckel Eberlin
V. GÜNZBURG 8. sehr. 2, 183 ndr.;
du irrst und thust dich selbst verführen
mit deim gutdünckel und glosieren
A. Glasee phasma (1593) K 6»;
o ihr hoffärtige, blinde menschen, wie lasset ihr euch den
gutdünckel ohne gottes geist verführen J. Böhme sehr.
(1620) 3, 53; man find aber leyder vü {junge leute), so
weder umb beyspil, loben noch schelten gar nichts geben,
sunder auf ihrem gutdünckel also hinauszfaren, geben
weder umb vatter, müter, leer und Schulmeister gar nicht
Wickram w. 2, 3 B.; sprichwörtlich: meister gutdünckel
1385
GUTDÜNKEL
GUTDÜNKELHEIT-GUTDÜNKEN 1386
ist aller ketzerey wurtzel Lehman f,or. polit. (1662) 3, 229;
besonders häufig in präpositionaler Wendung mit aus, nach :
dasz wir aus unserm gutdünkel und Vernunft etwas an-
fallen Luther br. 2, 224 de Wette; so {die auslegung) ausz
eigenem menschlichen gutdünckel herfür bracht und er-
funden worden ist G. Nigrinus anticalvinismus (1595) 2;
es soll wohl aber ein gewissenhafter prediger dieses amts-
werck nicht aus eigenem gutdünckel verrichten, sondern
mit wissen und willen der gantzen kirchen J. Feinler
gewissenh. priester (1694) 117; und musz im so viel sein
als frei leben nach seinem eigen gutdünckel, ja gottes-
dienst G. Wicelius annotat. (1536) 144t>; und wöUen gott
nach irer hertzen gutdimckel an ein ort binden J. Mathe-
siTJS Sarepta (1571) 96*; die ehrgeitzigen seyn den Babel-
bauern gleich, wie {l. die?) nach eigenem guttdünckel ihr
werck bis an die wölken erheben wollen Butschky Path-
mos (1677) 349.
b) die aus dem eigenwilligen denken hervorgehende will-
kürliche, unbegründete 'meinung, ansichf : du hast noch
nit versucht, was schrifft füren für kunst und arbeyt sey,
lieber Murner, du ixxnst yhe keyne, redist nur deyn gutt-
dünckel, lessist meyn schritt unaufgelöset Luther 7,
682 W.; darumb ist sich zu hutten für allen leren der
menschen, für allem guttdünckel der vemunfft 10, 1, 1,
527; namentlich die irrige, eingebildete, abergläubische
meinung und lehre: nu ist diszer artickel biszher von mir
noch nie gehaltenn andersz denn ein wahn unnd gutt-
dünckel, nit für eyn bestendig gewisze warheit 7, 345;
szo sein darnach umb solchs der seelen yrthumb und
falschen gutdünckel, auch alle werck des leibs bosz und
f urworffen 7, 553 ; sonst were alle unsere hoffnung, auszer-
halb gottes wort und geist, eine lautere triegerei, gespenst
und fleischlicher gutdünckel Huberinus form zu predigen
(1557) 16l'>; werden wir andere nebensteige suchen, und
uns auf eigene träume und gutdünckel wenden, so werden
wir verleitet werden H. Decimator hochzeitpred. (1601)
Li!*; auch geradezu wie 'belieben, tvillkür^ gebraucht: {gott)
wil nicht, das wir yhm dienen soUen aus eygener wal
und gutdünckel, wie denn die natur und vemunfft pflegt
zu thun Luther 16, 425 W.; was sie aber sonsten nach
trem guttdünckel in euszerlichen dingen . . . statuiert und
beschlossen haben G. NiGRiNUS papist. inquis. (1582) 103;
wann sie mich dann gar wol beschissen
und in gar Isleine stücic zerrissen,
80 wirflt mich dann ihr gntdünclcel
etwan in einen flnstern winclcel
A. Tharäus erberml. klage (1609) 57".
2) die eigenschaft des menschen sich gut zu dünken {unter
hinwendung zu gut I B, II B oder V A), mit deutlichem an-
schlusz an dunkel 2 {vgl. teil 2, sp, 1539) im sinne 'Überheb-
lichkeit, Selbstgefälligkeit, ehrsucht\ vgl. gutdünckel, uber-
hebung praesumtio Henisch 1790: lesterlicher gutdünckel
die menschen also aufbleset Luther tischr. (1576) 117^
Aurifaber; denn wenn es menschen glücklich und wol
gehet, schleichet gutdünckel, stoltz und hochmut mit ein
J. Jonas Melanchthons Daniel deutsch (1546) 27; wie sie
aus lautter gutdünckel und stinckender hoffart sich
lassen düncken, sie sind viel besser denn gemein leute
C. Spangenberg jagteuf el (1660) m z^; und khondten wier
nicht bedenckhen, wie wiers euch solden gerecht machen,
wier woldens dan nach eurer überwitz imd gutdunckhel
auf eine solche weitleuftige Inquisition und ausfor-
schung stellen, derer ende wier . . . vieleicht nicht er-
leben khonten v. j. 1569 in: ständeakten Joachims II. 2, 596
Friedensburg; als nun hierzwischen Conradus der ander
keiser worden, . . . stach könig Stephan der gutdünckel
dermaszen W. Dilich ungar. chron. (1606) 110; diese
geister verführet ihr eigener hochfahrender macht und
guttdünckel, dasz sie meinen, alles was sie thun, sei wol
gethan A. v. Franckenberg gewinn u. verl. (1634) 27; in
mischung mit eigendünkel (s. teil 3, sp. 97) als eigen gut-
dünkel: ubirausz aber, yhr hewbtherr der babst, der
stinckt doch von eytellem eygen guttdünckel und selbs
wolgef allen yn aller wellt Luther 10, 1, 1, 636 W.; und
wil den hoffart ingemein stracks nennen den eygen gut-
[ dünckel in der menschen hertzen J. Wbstphal hoffartS'
I teuffei in: theatr. diabol. (1587) 2, 197; als wann man
j aus eigenem gutdünckel dieses und jenes mit stoltzen
I Worten heraus streicht Harsdörfer teutsche secret. (1656)
j 2, 543.
j 3) bei Luther av^h mit anschlusz an gut III A 5 für
die emp findung des Wohlgefallens: wenig und gantz hoch-
geystliche menschen müssen das seyn: die yn ehre und
lob blosz gelaszen und gleych bleyben, das sie sich den
selben nit an nehmen : guttdunckeÜ und gefallen drynnen
haben, szondem gantz frey und ledig bleyben 9, 247 W.;
in die weyszheit begreifft er allis, was do sind geystlich
gutter und hohe gaben, davon ein mensch ein wolgefallen,
rum und gutdünckel haben mag 7, 578, vgl. dazu mund-
artl. gutdäuchte, /., 'Wohlgefallen' Hertel Thür. 111, gut-
deuchten, vb., 'einen angenehmen kitzel und dergl. hervor-
bringen' Albrecht Leipz. 127^. — gutdünkelheit, /.,
Weiterbildung von gutdünkel 2: szo leyt alle hoffart, uber-
muth und gutdünkelheit damydder Luther 9, 130 W.;
dat erste {capitel) in ypocryserie efte guddunkelheit
maniger, de gheme willen ghepriset wesen efte lovet
Reinke de vos 42 Prien.
GUTDÜNKEN, vb., zusammenrückung der formelhaften
Verbindung mich (mir) dünkt etwas gut {vgl. gut I A 3 d a,
sp. 1239) im sinne 'ratsam erscheinen, zusagen, gefallen' :
darzu wil er nicht mit uns handlen, wie es uns gefeit imd
gutdünckt HuBERiNUS vom zorn u. d. gute gottes (1535) 67^ ;
füll alsdann die kugelseck . . . mit den brenenden zeugen,
welcher dich gutdünckt, auff das hertest eyn Frons-
perger kriegsbuch (1578) 1, 148»; begehre von mir, was
dir gutdäucht Meiszner Alcibiades (1781) 4, 127; aufzu-
bauen und zu pflanzen, wie es ihm nach gott gutdünken
würde M. I. Schmidt gesch. d. Detitschen (1778) 3, 49; da-
mit der musicus vollkommenen räum habe seine stickerey
. . . mit starken oder feinen fäden, wies es ihm gutdünkt,
auszuführen Göthe IV 23, 23 W.; auf jede dem könig
gutdünkende bedingung Mommsen röm. gesch.* 1, 366;
anders 'richtig erscheinen': dogma {bedeutet) seinem ur-
sinne nach das gutdünkende, nicht das wahre P. de
Lagarde dtsche sehr. 191.
GUTDÜNKEN, n., seit dem jüngeren mhd. bezeugte
Substantivbildung aus der Verbindung mich (mir) dünkt
etw. gut {vgl. gut I A 3 d a, sp. 1239), in älterer spräche
oft gutdünken; die bei Taxjler auftretende form gut-
dünkende ist nichts als reguläre elsäss. dativform des
gerundiums, gutdunkend im älteren nd. dagegen wohl
sekundär durch epithetischen dental erweitert, vgl. gud-
ghedunckent Schiller-Lübben 2, 170*.
1) vom subjektiven menschlichen denken und meinen,
das sich auf dinge richtet, die den menschen gut dünken,
ihm ratsam, richtig, erstrebenswert erscheinen.
a) in gegensatz zum gebot gottes und der christlichen
lehre gestellt namentlich in älteren theologischen Schriften
bis ins 17. jh. hinein verbreitet: das sint ir uf setze und ir
wisen, die si in irem gutdünkende gestiftet und gesazt
haut Tauler pred. 287 V.; und ir wellent einen ieklichen
setzen und lu-teilen nach uwer wise und nach uwerm gut-
dünkende 180; also si got irvechten wollen, alliz bit in
selver in irme eygenen willen, vol gütdunkens in ire
eygene naturen Seuse dtsche sehr. 533 Bihlm.; und nicht
viel mehr achtet die besserung der leütte denn unsem
eygen synn und gutdünken Luther 18, 419 W.; dasz wir
. . . die hafligen . . . Schriften . . . on alle menschliche
züsetz und abwege, die von der göttlichen lehre auf der
menschen gütduncken und vertrauen abfueren mögen,
predigen ... wöUen städtechron. 32, 275; ein weil sagt er,
ye mehr yemandt seinem gütduncken trawe, ye mehr er
verfürt werd J. Nas antipapist. eins u. hundert (1567) 3,
131»; weltmenschen, die alles nur mit ihrer weiszheit
und gutdünken anfahen und hinausz führen wollen, unbe-
trachtet gottes worts oder ihres beruffs Kirchhof wevd-
unmuth 2, 249 Ost.; auch ist in diesem stuck eigenem güt-
duncken und affect nicht zu trauen Dannhauer catechis-
musmilch (1657) 1, )( 3*; wenn solche {gottes verheiszungen)
1387
GUTDÜNKEN
GUTDUNKEN
1388
der Vernunft zuwider, so setzen sie ihr vertrauen und
glauben nicht darauff, sondern aufEs gutdüncken Lehman
fior. polü. (1662) 2, 948.
b) bis in heutige spräche gehalten allgemeiner für die be-
urteilung und entscheidung dessen, was für ratsam, richtig,
tunlich gehalten wird: man sei geschribene und gebreuch-
liche recht und gesetze mehr gelten lassen, denn sein
eigen affect oder gutdüncken E. Menius chron. (1560) 1,
OS*; pruchnasticatz (prognosticatio) . . . gestellet durch
gütdunken . . . des stirnweisen H. Winhold Wüstblut
vom Nebelschiff Fischaet praktik 1 ndr.; die künste er-
schaffen ihre regeln nicht selbst, sie sind kein werck ihres
gutdünkens, sie liegen unveränderlich in dem vorbilde
der natur Ramler einl. in d. schön, wissensch. (1758) 1, 16;
die lehre, dasz der papst der einzige Stellvertreter Jesu
Christi, dasz die gewalt der Schlüssel seinem gutdünken
anvertraut . , . sei, wollte er {Paul V.) in ihrer vollen be-
deutung behaupten Ranke s. w. 38, 213; wie 'ermessen':
hängt solches blos von ew. wohlgeboren Überzeugung
und gutdünken ab Göthe IV 37, 273 W.; aber nicht mehr
von freiem gutdünken der Völkerschaften und ihrer
häupter hing er ab Rakke s. w. 8, 11; auch hier meist mit
dem beisinn des eigenwilligen oder willkürlichen denkens:
sich sonst den launen und dem gutdünken eines unter-
thans ... unterwerfen Kant w. (1838) 5, 480 Hart.; wir sind
gewohnt, gesetze zu nennen, was aus dem gutdünken der
Volksversammlungen . . . entsprang Fe. v. Gentz sehr.
3, 211 Schlesier; mit dem dogma {waren) auch die cultus-
formen dem persönlichen gutdünken der geistlichen an-
heimgefallen Tebitschke dtsche gesch. S, 395; besonders
in festen Verbindungen, so bis in das 18. jh. einem gut-
dünken folgen : wo ein her nach seinem tollen kopff regiret
und seinem gutdüncken folget, der ist gleich wie ein
toller furmann, der mit pferd und wagen stracks zu-
rennet Luther 6, 261 W.;
allein folgst du nur deim gutdüncken
H. Sachs 17, 146 K.- G.;
so lang er seinen anregungen und gutdüncken allein nach-
folgend seinen unterthanen gebotten hat, ist ihm auch
allein gehorsam geleistet worden Fischart discours (1589)
A3''; er {der komponist) musz . . . seinem eigenen musikali-
schen gutdünken folgen Scheibe crit. musicus (1745) 165;
in ansehung der eigentlichen begebenheiten des krieges
selbst bin ich nicht den ersten den besten nachrichten
noch meinem eigenen gutdünken gefolgt Heilmann gesch.
d. Pelop. krieges (1760) 25; etw. dem gutdünken jemds.
überlassen, vgl. schon alle ding in eins andern gutdüncken
lassen permittere omnia iudicio alterius Frisius 985'', und
im gleichen sinne: gleichwol wollen wir hierin nieman
nichts vorgeschrieben, sondern eynem jeden sein gut-
düncken vorbehalten haben Fischart 3, 307 Hauffen; ich
überlasse es deinem gutdünken theater d. Deutschen (1768)
16, 68; jemanden kränken ist eine grausamkeit, ihn aber
zu suchen oder zu meiden bleibt meinem gutdünken
überlassen G. Büchner nachgel. sehr. 246; was das hono-
rar für Hannibal betrifft, überlasse ich ihrem gutdünken
Grabbe w. 4, 549 Bl.
c) die breiteste Verwendung findet sich noch in neuerer
spräche vor allem in präpositionaler Verbindung.
a) im ganzen seltener bleibt Verbindung mit aus; am
häufigsten im älteren nhd. : aus eigenem furnemen und gut-
düncken Luther 32, 302 W.; ob man mich nun dagegen
beschuldigen wolte, ich hette aus eignem gutdüncken
irer tabulatur straffartickel etliches theils verendert, . . .
kan ich dasselbige nicht verneinen Puschmann meisterges.
9 ndr.; ob er solch beginnen aus befehl seines königes oder
aus eigen guthdüncken thäte Olearius persian. reise-
beschr. (1696) 69; wann stöszt man da endlich auf einen,
ders aus eignem gutdünken gemacht hat Bettine dies
buch gehört d. könig (1843) 1, 27.
ß) hauptsächlich mit nach im sinne 'wie es jemd. ratsam,
richtig, erstrebenswert erscheine ; oft mit dem Personalpro-
nomen, bestimmenden adjektiven oder dem gen. der person
verbunden: wij bidden juw gutlijken dat gij uns bij ju in
juwer kerken eder beholtnissen lehnen unde gunnen
willen ener bequemen stede na juwen guddunckende urk.
V. 25. 5. 1442 {handschr. beleg); er kuntschaft bestellen sol
auf die mortbrenner noch seinem gutdüncke städtechron.
2, 88; wenn ich mir aber ein besonder zeychen nach
meinem gutdüncken machte Luther 16, 427 W.; nach
meinem gutdüncken und verstand Henisoh 1790; ein
ieder mag hievon nach seinem begriff und gutdüncken
urtheilen Besser scAr. (1782) 2, 488 König; {das Parlament)
werde seine Sitzungen nach belieben ausdehnen, und der
nation eine religion nach seinem gutdünken auflegen
können Ranke s. w. 17, 131; dieselbigen soll aber weder
die meyersfrau selbs, noch jemand anders one allen unter-
scheyd und nach irem eygenen gutdüncken gebrauchen
Sebiz f eidbau (1579) 527; die urtheilung und erkäntnusz
nach eigenem gutdüncken hatte den verstand des richters
damahls noch nicht eingenommen Bastel v. d. Sohle
Harnisch {16i8) 126; ich war bereits übermüthig geworden
und kletterte nach eigenem gutdünken geradlinig auf-
wärts H. v. Barth Kalkalpen 348; gott nach mensch-
lichem gutdüncken dienen Mathesius 8arepta{l57l) 199^;
inmittelst wird einem jedweden nach seinem vernünftigen
guhtdünken von diesem meinem Schauspiele auffrichtig
zu urtheilen bülich anheim gestellet J. Rist friedew.
Teutschl. (1648) 21; die nahmen in dem calender {sind)
mehrentheils nach gutdüncken einiger päbste . . . ange-
setzt worden J. G. Schmidt gestr. rockenphilos. (1706) 2,
291; jeder sünder, . . . der . . . nach dem gutdünken seines
hertzens . . . handeln wül Lavater verm. sehr. (1774) 2,
309; dann auch in unmittelbarem anschlusz nach gut-
dünken, wobei besonders gern der begriff des beliebigen oder
auch des willkürlichen ermessens sich beigesellt: aber alle
junge und unerfahrne astrologi machen ihre practica
nach gutem wohn und gutdüncken volksb. v. dr. Faust
43 Br.; wer nach gutdüncken redt, der sucht einen hügel
auff ebenem weg Petri d. Teutsch. weiszh. (1604) 2, H hh
41»; man solte . . . eines oder das andere ausz eigenem
verstand nach gutdüncken beysetzen HARSDÖRFER/raMew-
zimmergesprächsp. (1641) 1, n 6*; der zehend {soll nicht)
nach gutdüncken im feld gelassen werden v. Hohberg
geogr. cur. (1682) 1, 41; diese . . . lassen anfang und ende
weg, ändern und verbessern das übrige nach gutdünken
Fr. Nicolai 8eb. Nothanker l, lOO ; handeln sie von morgen
an nach gutdünken J. Nestroy ges. w. 6, 61 ; die tausende,
die er angab, sind mir obiter in erinnerung, die übrigen
Ziffern setze ich nach gutdünken hinzu Bismarck ged. u.
erinn. l, 84 ; wo es sich um die nach gutdünken erfolgende
anwendung von maszen oder mengenbezeichnungen handelt,
tritt aber der begriff des beliebigen oft hinter dem des an-
gemessenen zurück: sind die victualien in dem lager an-
gekommen, so müssen sie ... nach gutdüncken und
billiger gebühr geschätzet {werden) v. Fleming soldat
(1726) 165; Übrigens bezahlt man die ärzte hier nach gut-
dünken Hebbel s. br. 2, 233 W.; so vielfach bei rezepten
und kochvorschriften, z. b. man füge nach gutdünken
butter hinzu usw.; vereinzelter mit nachgestellter prä-
position: aller liebster bruder, wie wol ich meinem gut-
düncken nach vatter schreyben solt H. v. Cronberg sehr.
61 ndr.; andere ihrem gutdünken nach, es {das staats-
ruder) führen und lencken thaten Chemnitz schwed. krieg
2 (1653) 238; er wolte aber niemanden rathen, das er
solche Sachen seinen gutdüncken nach brauchte Ett-
NER V. EiTERiTZ mcdiz. maulaffe (1719) 399; im sinne
'Schätzung'' : den einwohnern so viel ... zu geben, als das
geraubte vieh dem gutdünken nach werth sein mögte
G. Forster s. sehr, i, 236.
y) statt präpositionaler fügung findet sich bis in das
18. jh. hinein auch absoluter genetiv: susth suUen uns . . .
obgeschrebene lande . . . mit allen hirschafften . . . unsers
. . . eygen gutduncks und wolgefallens volmechtig zu
thuen und zu lossen zusthen urk. v. j. 1504 in: lehnsurk.
Schlesiens 1, 469; er . . . den krieg gegen den Römern seins
eignen gutdunckens hab angefangen Xylander Polybius
(1574) 121; und für gewisse arbeiten eignes gutdünkens
hübsche gesellen anstellen möchten Wieland in: br. an
Merck 1, 82 Wagner.
1389
GUTDÜNKEN
2) bis in das 18. jh. hält sich eine im 16. und 17. jh. ver-
breitete bedeutung, die das ergebnis des meinens und denhens
umschreibt.
a) so im sinne 'meinun^, ansieht u. ä., vgl. nach seiner
meinung und gutduncken reden sententiam dicere Frisius
410'', gutduncken . . . , gutachten, meinung sententia,
opinio, consilium Henisch 1790, gutdünken aviso, opini-
one, parere Hulsitjs dict. {U18) 144 a, gutduncken, meinung
opinion, sentiment Wideehold (1669) cZtcMSS''; von den
jungfrawen aber hab ich keyn gepott des herrn, ich sage
aber meyn gutdünken Luther 12, 96 W.; ich wü meyner
torheyt nach der erste mein gutduncken furlegen, mit
vorbehält eynsz yghchen bessers vorstand 6, 454;
liesz drauf in der landschaft fragen,
was hierin ir gutdunlien war
Maximilian Teuerdank 13 Oöd.;
wollet . . . lieber auch unser gutduncken vernemen, und
dan ewern hilfflichen rat zu erkennen geben J. Schenok
cronica (1522) 61; der Plato hat nach dem gutduncken
und meinung des Pythagorae gerathen Barth weiber-
spiegel (1565) b 2''; eines gutduncken und meinung folgen
Henisch 1790; wir ihme unser gutduncken sagen wolten
theatr. amoris (1626) 86; ich geschweige, dasz auch nach
des Fabii gutduncken geringe leute durch geringe Sachen
am besten mögen verständiget werden Prätorius winter-
flucht (1678) 2; wenn er höret, dasz dieser oder jener junge
lehrer eben so groszmüthig von allem, was ihm vor-
kommet, sein unzeitiges gutduncken eröffnet Gottsched
Vernunft, tadl. (1725) l, 170; mehr als 'lehrmeinung': hiemit
sollen ge warnet sein alle, die uff menschen gesetz und gut-
dünken oder uff ire eygne werk bawhen H.v.Cronberg
sehr. 76 ndr.; deszhalben klärUch hierausz erscheint, das
die gewonheit und das gutduncken der römischen kirchen
wol mög die gebott Christi . . . ändern und gar ab-
schaffen Fxschärt binenkorb (1588) 12a'; wie gutachten
1 b auch als 'empfehlung, ratschlag' : were wol meyn, auch
meyns meisters guttüncken, ob es e. 1. gefylle, ir wolten
doctorem Hildebrandum ... zu mir . . . geschickt {haben)
V. j. 1479 bei Steinhausen privatbr. d. mittelalt. l, 200;
es ist beydes nütz und nötig, dasz sich ein jeder, so
seiner gesundheit in acht hat, in diesem nach berühmpter
ertzt lehre und gutduncken regulire J. Ruoff hebammen-
6mcA(1580) A 2*>; we gutachten 3 gelegentlich für die kri-
tische meinungsäuszerung , entscheidung, das urteil, vgl.
er raubet uns unser gutduncken spoliat nos judicio B. Fa-
ber thes. (1587) 648'', gutachtung, guttdüncken Judicium
nomencl. in iisum schol. (1634) 225, sein guttdüncken von
etwas geben Judicium de re aliqua ferre ebda, der aus-
sprach eines schiedemanns, das urtheil, gutduncken
arbitrage Spanutius sprichw.-lex. (1720) 153: eines jeg-
Uchen ehr bestehet in den wercken und gutthaten, nicht
aber in der menschen reden und gutduncken Lehman
ßoril pol. (1662) 4, 79; etwas anders, 'Urteilsfähigkeit : ich
meines theils würde allezeit mein gutdünken eher ver-
achten als den Vorwurf einer einbüdung Heraus ged. u.
lat. inschr. (1721) 21.
b) geradezu wie 'willkürliche annähme, einbildung, phan-
tasie', vgl. nach meiner fantasey oder gutduncken meo
arbitratu Frisius 112*: do sie aber ire guttdungken und
träume, menschen tandt und menschen Satzungen predig-
ten Luther 14,398 W.; aber man sol sich hüten, daz man
keinen witzigen ein narrenkappen mit schäUen anlegen,
das ist, das man nit eins yeden nüwen lerers tröum oder
guttüncken darüber läse P. Gengenbach 196 Oöd.; latet
juw gein gudtduncken noch ydel philosophie bedregen
B. Rotmann restit. 5 ndr.; das sie (die bischöfe) in fried-
lichem und einheUigen gespräch (hindan gesetzet aUen
menschlichen wohn und gutduncken) . . . reden, handien
und schheszen solten M. HERR/eW6aTt(155l) 4*'; ein ander
mensch seinem gutduncken und fantaseyen . . . nach-
geben wirdt Paeacelsus Chirurg, bücher (1618) 752
Huser.
c) wie gutachten 1 c vereinzelt im sinne 'anweisung, be-
fehV : (sie) wurde . . . auf gutduncken der obrigkeit, in dem
GUTDÜNKENHEIT-GUTDÜNKUNG 1390
gefängnisz so lange verwahret Widmann Fausts leben
527 K.; diesem ungeachtet muste auf gutduncken Brügge-
manns ... die lust ('lustbarkeW) doch noch eine weUe
fortgehen Oleabius persian. reisebeschr. (1696) 282.
3) vom menschen als objekt der meinung über sich selbst,
von er dünkt sich gut {s. gut V A 1) herzuleiten, imfrühnhd.
im sinne 'dünkelhafligkeit, Selbstgefälligkeit, hochmuV, vgl.
gutdünkel 2; älter in adjektivischer fügung bezeugt:
unnd lassest daz gute dünken und er wegen
und woldest der demutilceid piegen
Joe. Roths lob d. keuschheü 3806 N.
in fester komposition: voll guetduncken fastuosua (1517)
Diefenbach gl. 227^; erlosze mich von meinem gut-
duncken und vor der geysthchen hoffart {Spalatins gebet-
büchl. V. 1522) Luther lo, 2, 496 W.; sie wüten freilich,
sintemal sie von dem gutduncken des fleisches verfürt
seindt J. Menius sprüch Salomo (1526) 128a.. — gut-
dünkenheit, f., Weiterbildung von gutdünken; wie gut-
dünken 2: gutdunckenheit . . . gutachten, meinung sen-
tentia, opinio, consilium Henisch 1790; wie gutdünken 3:
nun leg von dir güthdünckcnheit,
das manchen In dieser zeit verleit
Wackernagel kirchenlied 5, 686.
— gutdünker, m., ein mensch, der sich gut dünkt, sich
einbildet rechtschaffen zu sein, vgl. gutdünken 3 u. gut-
dünkler 'hochmütiger, dünkelhafter mensch':
darnach flndt man gutdüncker viel,
die ander leut vertümen
RiNQWALDT handbüchl. (1586) B 5";
ähnlich 'besserwisser\- witzige leut seynd gutdüncker Leh-
man flor. polit. (1662) 2, 919. — gutdünkler, gutdünke-
1er, m., was gutdünker, doch häufiger als dieses bezeugt; als
'viensch, der sich seinem gutdünken (2 b) überläszt, besser-
wisser, phantasV: es gefeit gott also, das er solch geheymnis
verberge ... für den schwetzern und gutdüncklern Luther
23, 686 W.; es seint auch von den gutdunckelern das
arm gemein volk in hasz und Widerwillen irer oberkeit
gefurt (v. j. 1625) in: akten u. br. z. kirchengesch. Georg V.
V. Sachsen 2, 466; denn als die Juden zu Jerasalem
gott verUeszen und mehr denen gutdunckelern denn
dem gesetz folgeten, drewete ihnen gott hefftiglich
C. Spangenbero pestilenz (1552) o l**; darumb ob nun in
beschreibung dieses krieges etwas mit unterleufft, das
nicht einem yglichen (sonderlich den unwissenden gut-
dunckelern, die aÜe ding, boltzen und federn, recht
machen wollen) deuchte recht getroffen zu sein, der wisse
J. Letzner Dass. chron. (1596) 1, 52''; witzige leut seynd
gembsensteiger, gutdunckler, männer von sieben sinnen
Lehman flor. polit. (1662) l, 914; lexikalisch noch im 17. jh.,
vgl. gutdünkler Schottel 84. — gutdünklich, adj., ab-
leitung aus gutdünken ; im sinne von gutdünken 3 '■selbst-
gefällig': de Joden weren guddunckelych und homodich
6. d. profec. 78'' nach Schiller-Lübben 2, 170», — gut-
dünklichkeit, /., bei Tauler als gutdunklicheit belegt;
Weiterbildung aus gutdünkhch, um die eigenschaft des im
sich gutdünken (vgl. gutdünken 3) lebenden menschen aus-
zudrücken; im sinne 'anmaszende Selbstgefälligkeit, dünkel-
haftigkeit: die frijen geiste, die mit iren valschen üechtem
wenent die worheit bekant han, imd swimment do mit
uf in ir eigen beheghcheit und in ir gütdunkUcheit
Tauler 'pred. 250 V.; das es (das rechttun) der mensche
nut entü von einer tumber künheit oder von einer blinder
vermessenheit oder einer gütdunkhcheit 272; als sich
disser am groszen feiertage sehr geschmöcket hatte,
predigte im die heihge Ehzabeth lange von der hoffart
und gutdünckligkeit S. Grünau preusz. chron. l, 187. —
gutdünklisch, adj., ableitung von gutdünkel 2 im sinne
'selbstgefällig, dünkelhaft, hoff artig' : menschen . . ., die
gottes kraft in ihnen selber verleugnen, sintemal sie seind
. . . gutdünckhsche menschen Ringwaldt lauter warheit
(1597) A 2''; (damit) gutdünckelische gesellen und spötter
etwas zu grübeln bekämen Aitinger jagd- u. weidbüchl.
(1681) )( 1^. — gutdünkung, /., Weiterbildung von gut-
dünken; wie gutdünken 2 a im sinne 'empfehlung' : aber
1391 GUTDÜNKUNGSBRIEF— GÜTE i
GUTE 1
1392
auf unsern rat und guttunkung wollen sie darmit ein
kleine zeit stiller halten v. j. 1509 in: hess. landtagsakten
1, 44. — gutdünkungsbrief, m., was gutachten 4,
älterer kaufmännischer terminus, s. Jacobsson 2, 176*'. —
gutdurstig, adj., analogiebildung zu blutdurstig im an-
schlusz an die paarung gut und blut, im 16. u. 17. jh. be-
liebt; 'begierig nach habe, beutegierig^: die anf enger und
stiffter solches blutigen lermens, der wider aUe göttliche
und menschliche rechte . . . durch die gut- und blut-
dürstigen Calvinisten in diesem ertzstifft erregt worden
Ulenberg cÄromcÄ; (1586) vorw. b^; und nahm die ober-
stathalterschaft ... in eine blüht- und guhtdürstigen
klauen Zesbn beschr. d. stadt Amsterdam (1669) 147; die
unfuechsamen {sollen) ermant . . . und durch ritterliche
thaten und geschenk kün und gutdurstig gemacht {wer-
den) Frokspeegbr kriegsb. (1578) 1, g 1*. — gutdurstig-
keit,/., vom vorigen wort gebildet: die unerleschUche blut-
und gutdurstigkeit vorbesagter Spanier E. Francisci
traursaal (1665) l, 931 ; es ist Entropius, welcher . . . die
hohe Obrigkeit . . . zum raub und gutdurstigkeit . . . an-
geführet hat J. M. Meyfaet teutsche rhetorica (1653) 48.
^GÜTE, /., bonitas, probitas, benignitas, gratia.
herkunft und form.
abstraktbildung aus gut, adj.; got. godei, ahd. guoti, as.
gödi, mhd. güete, mnl. goede, nhd. gute; eine mit dem
Suffix -Jn gebildete form ahd. *guotin scheint sich bis in
neueren dialekt vereinzelt obd. erhalten zu haben, soweit
nicht mit dem plural oder schwacher flexion zu rechnen ist,
vgl. guotin ( : sin) v. rechte 354 Waag, vgl. Diemer gloss.
z. genes, u. exod. 156*; gütin Seusb dtsche sehr. 258
Bihlm., Mone schausp. d. mittelalt. \, 161; gütten bei
Matthäi minnered. l, 17; guten Mtjrner an den add
49 ndr., urk. v. j. 1613 bei Fischer schwäb. 3, 960; güadn
Schmellbr-Fr. 1, 965; fraglich, ob hierher gehörig die fälle
im reimgebrauch: in gütten Fleming 306, 15 Läpp., voller
guten Brentano ges. sehr. 3, 172; die bildung fehlt ags.,
anord., ist auch mnd. nicht belegt und kann daher kaum
als gemeingerman. gelten; im anord. entspricht bedeutungs-
mäszig ein masc. gödi, vgl. Fritzner ordbog 1, 621'' und
ein fem. goezka, vgl. Neckel gloss. z. Edda 69**, im engl,
vergleicht sich goodness.
bedeutung und gebrauch.
theoretisch liesze sich zu jeder bedeutung des adj. gut
eine entsprechende von gute denken, doch beschränkt sich
die spräche im allgemeinen auf wenige bedeutungsstränge;
die auszerhalb dieser auftretenden Sonderbedeutungen er-
scheinen daher als mehr individuelle Schöpfungen, das gilt
namentlich für die ahd. zeit von Otfrid, dessen verschwen-
derische anwendung des Wortes stilistisch zu werten ist und
keine bedeutungsgeschichtlichen rückschlüsse erlaubt, so-
weit nicht andere Zeugnisse beispringen.
1) in allgemeinster Verwendung bezeichnet gute die be-
schaffenheit einer sache, der das prädikat gut als 'taug-
lich, vortrefflich, hochwertig^ zukommt; die Zugehörigkeit
zu gut I, II oder III ist nicht überall deutlich zu schei-
den, doch neigt das adjektivabstractum dazu, sich als rei-
ner qualitätsbegriff an das abstraktere gut II anzuschlieszen,
vgl. gütti bonitas Diefenbach nov. gl. 57; als Übersetzung
von lat. bonitas bereits ahd., s. Grapf 4, 167.
a) als bezeichnung des äuszeren oder inneren wertes einer
Sache im sinne 'vortrefflichkeit, hochwertigkeit, vorzüglich-
keif.
a) von dingen mit eirt^m .bestimmten gebrauchswert, also
gut IA2 entsprechend:
daz swert Im üz der scheide schöz:
des güete was aisö gröz,
deiz im durch die halsperc brach
und eine gr6ze wunden stach
Hartmann v. Aue Iwein 3946 ;
do was das hüs (eine bürg) in der güete,
daz ez ze stürme niht entohte
OxTOKAK V. Steikkmark teimchron. 29397 Seem.;
und begunde wol erscheinen
des phärdes güete Hartmann v. Aue Erec 7412;
gleichwohl aber machten sich S. und I. durch die gute
ihrer mauritanischen pferde noch aus dem staube Lohen-
stein Arminius (1689) 2, 1178'''; von dener gute kriegst
nit bald wieder ein rosz Fischer schwäb. 3, 960; jäger-
sprachlich: und ist solches {der beitritt) ein gutes zeichen,
weün dadurch des hirsches gute oder feiste vermuthet
wird V. GöcHHAUSEN notab. venat. (1741) 25; gleych wie
du des bawms früchtte magst nennen eyn offenbar gutti-
keyt des baums, die da folget und beweyszet ynnerliche
naturliche gutte Luther lO, 3, 288 W.; die marcische
Wasserleitung, die an gute und fülle des wassers . . . un-
übertroffen blieb MoMMSEN röm. gesch.^ 2, 390; sintemal
kejTi erdrich . . . mag ungebauen guts thun, noch inn
seiner gute pleiben SEBiz/eW6aM (1579) 455; zum andern
musz ein hausvatter . . . seines grundes beschaffenheit
. . . gute und mängel wissen v. Hohberg georg. cur. (1682)
1, 8; durch diese gute des bodens {war) einer und der an-
dere zu einem gröszeren vermögen gelanget Heilmann
geschichte des Pdop. krieges (1760) 3; nach gut II A 2
von erzeugnissen und waren: ist den lederern hiemit
auferlegt, das si . . . solches {leder) gerecht und guet
machen und darunter ainiche verfortaUung weder mit
nembung sovil kalchs oder in ander weeg, dardurch
dem leder sein guet entzogen, gebrauchen {v. j. 1523)
österr. weist. 10, 22; ihr gröszter Staat besteht in der
gute der zeuge, die sie trägt J. E. Schlegel w. (1761) 5,
192; das tuech hed ekei güeti {'Solidität') Staub-Tobler
2, 556; die gute des pulvers gründet sich auf . . . Stahl
gewehrgerecht, jäger (1762) 36; so brach endlich der ver-
borgene honigwuchs mit solcher stärke hervor, dasz er
das glas, welches ihn bedeckte, gewisz würde zersprenget
haben, wenn es nicht von gar zu groszer gute gewesen
wäre Schwabe belust. (1741) l, 459; an gute der waffen
wären sie den Deutschen überlegen Lohenstein Arminius
(1689) 1, 58";
alles das man bütet feil,
das ist nun uff den kouB gemacht,
der gütte nimpt man wenig acht
MUKNER narrenbeschw. 10 ndr.;
die wiederbringung alter verlegener waare von beson-
derer gute Kinderling reinigkeit {iTAh) 96; wird eine nur
der gattung nach bestimmte waare geschuldet, so ist
handelsgut mittlerer art und gute zu leisten handels-
gesetzbuch § 360; bildlich:
war meine wahre nicht recht gut, so geh ich etwas zu,
damit, was nicht die gute thet, vielleicht die menge thu
LOGAU sinnged. 409 E.;
{jede reichsmünzstätte) haftete für die gute ihrer erzeug-
nisse, weshalb sie auch ein eigenes münzbild verwendete
Luschin v. Ebengreuth münzkunde 80; hierzu auch:
dasz aber bei meinen künden sich das geld in den von mir
erhandelten beuteln so wohl konservirte, lag meinem be-
dünken nach weder an der glücklichen hand des meistere,
noch an der gute der arbeit MusÄus volksm. 1, 64 Hem-
pel; hauptsächlich aber hielt er die innere gute der hol-
steinischen truppen nicht für ausreichend Moltke ges.
sehr. 6, 184 ; gern mit steigernden adjektiven besondere, vor-
zügliche, hervorragende, einzigartige gute usw.: zu
Schwertern und waffen von vorzüglicher gute Ritter
erdk. 1, 139.
ß) von dingen, denen ein gefühlswert {geruch, geschmack,
sinnliches Wohlgefallen überhaupt) zukommt im anschlusz
an gut III:
irfulta thiu ira {der salbe) guati thes selben hnses witi
Otfrid IV, 2, 20;
die gute und clarheit der lufft Peirus de Crescentiis
(1493) a 2";
von des weines guete tranch er so vil,
das in der sin vil gar verlle
H. V. BuRGUS der seele rat 372 Rosenf.;
nichts desto weniger wäre die gute des weines so grosz
LoHENSTBiN Arminius (1689) 2, 295*;
der wein vom vorgen jähr hat rechte gute
A. V. Arnim w. 19, 220 Gr.;
1393
GÜTE 1
GÜTE 1
1394
well-e güeti ist der most! Statjb-Tobler 1, 556; durch
andere fehler {ist) das hier von seiner alten gute und ge-
schmack gekommen v. Hohbekq georg. cur. aucta (1715)
43'"'; den erfrischenden trank {xvasser) . . . , der uns
trotz seiner zweifelhaften gute vortrefflich mundete
Hassert reise d. Montenegro 60 ; und konnte sich am ende
doch wenigstens damit trösten, dasz alles getränk eine
besondere gute hat Thibaut notwendigkeit (1814) 459; der
salm um s. Jacobs tag, als er jetzt verleichet hat, seinen
geschmack und gute, darzu auch seinen namen verleuert
ßschbüchlein 144; denn der kenner mit feinerem gaumen
muszte bald merken, dasz insbesondere die rotweisze,
groszohrige, bayrische landsau . . . sich an gute und
Zartheit des fleisches von keiner anderen rasse über-
treffen läszt WiMMEE gesch. d. dtsch. bodens 449;
der biruen gute wird vom Wespenstich erkennt,
dasz sie schmackhaftig sey, sie wird drum angestochen
Neumark neuspr. t. pcUmbaum (1668) 156;
wodurch die sonne desto besser in die stocke und trauben
wircken und sie zu rechter zeit zur reife und gute bringen
kan allgem. haush.-lex. (1749) 1, f 2'>'; o ischt der äpfel &n
(eine) güate, 4n süasse, an mürbe G. Sailer geistl. reden
29 nach Fischer schwäb. 3, 960; ähnlich: das brot ist
eine gute ebda;
ein dragoner zu pferd auf dem päcklcin rühmte die sorte
als der gesundheit dienlich und von preiswürdiger gute
MÖRIKE ges. sehr. (1905) 1 260.
vergleichbar bei Jahreszeiten in hinsieht auf ihre lieb-
lichkeit (vgl. gut III A 2) :
vergisz mein nit, als ich dir getraw
wol durch des mayen gute
liederbuch der Hätzlerin 75 Halt.;
verdinglicht: güeti andauernd schönes wetter Staub-
ToBLER 2, 656; auf ältere spräche beschränkt bleibt gute
im sinne 'angenehme lebenslage, Wohlergehen' :
tho batun sine sibbon so ofto maga sint glwon,
then ist io gimuati thero nahistono guati
Otfrid III 15, 16;
er sprach: zehenzich unde drizzich so maneger iare alt
bin ich
dei han ich mit swseren mute gelebet in deheiner gute
genesis u. exod. 108, 12 Diemer;
nun lobt ihr menschen wie ihr wolt,
des erdenlebens gute
Pato Gerhardt bei Fisohbe-Tümpel 3, 321 ;
wie 'lusf verwendet:
thiu {das greisentum) mo allaz liob inselzit joh mahto
nan gihelzit
duit imo widarmuati thia jugundlichun guati
Otfrid V 23, 142.
y) von Objekten, die einen ästhetischen oder geistigen
wert besitzen {vgl. gut III A 6 bzw. II A 4 b): es werden
vieleicht auch hier nit wenig Sachen gefunden werden, so
den andern an der gute der wort und erfindung nit glei-
chen Opitz teutsche poemata 8 ndr.; welche (die meister-
sänger) aber immer an gute abgenommen Morhof Unter-
richt (1682) 1, 336;
und blikke mehr auf meine gemüht
als auf der schnellen versehe gut
Neumark fortgepfl. musik.-poet. lustw. (1657) 1,222;
man weisz, dasz die poetische gute in der ähnUchkeit des
bildes mit seinem urbilde besteht Ramler einleit. i. d.
schön, wissensch. (1758) 1, 322; die bisher angeführten
kennzeichen der gute eines Stückes Quantz anw. d. flöte zu
sjnel. (1789) 306; wenn der kunstrichter werke von einer
ausgemachten gute vor sich hat Lessikg 8, 39 L.-M.; die
gute des gemäldes besteht allein in dem colorit Jüsti
Viinckelmann 1, 327; wir alle meinen, es sei die gute
eines kunstwerkes . . . bewiesen, wenn . . . Nietzsche w.
I 2, 168; es läszt sich also ganz; sicher von dem leben
eines solchen mannes auf die gute seiner denkungsart
schlieszen Wieland Agathen (1766)2,311; HrifligkeiV:
aus gründen, denen es weder an kürze noch an gute
fehlte Klopstock gelehrtenrepublik (1774) 315; mehr nach
gut I A 4 d hin als Wichtigkeif : und doch nyeman zwyfeln
IV. I. 6.
soU, das der setzer des willens gewesen sye: wider recht
billicheit, wider natur oder güty zeschriben Riedereb
rhetor. (1493) a 5*'; wir sind leute vom fach, der herr
graf können sich auf die gute unserer auslegung ver-
lassen Brentano ges. sehr. 5, 68.
d) allgemein 'vortrefflichkeif; nach gut II B 1 gebildet
'vornehmheiV :
ni ward io in woroltzitin thiu zisamane gehitin,
thaz sih gesto guati sulibhero ruamti
Otfrid II 8, 6, vgl. I 3, 22 ;
nach gut II A 2 b:
des de arme nicht kan vorstan,
de den penningh unwerde achtet,
synen schaden nicht betrachtet,
gar dür kofft, gar weynich vordenfc,
des he aulvest doch nicht en mendt,
den tal ansüdt, nicht de goyde
KhicMspeel to Brunswick 4750 in: «tätöecÄron. 16, 249;
vielfältig ganz neutral: weilen . . . was gut ist, seine gute
behält, wenn es gleich kein mensch sich zu nutze machte
Leibniz dtsche sehr. 2, 35; 'gute beschaff enheif : die werte
gabt über die gute Fischer schwäb. 3, 960; werdi {be-
gehrtheit) ist über güeti Staub-Tobler 2, 566; natur-
fehler musz man verzeyhen, wenn das wesen sonst seine
gute hat Heinse s. w. 9, 276 Seh.; man hat . . . die
bürger von der gute . . . der gesetze überzeugen wollen
W.V.Humboldt ges. sehr. 1,245; einstmals wurde die
gute oder Schlechtigkeit einer Vorschrift der sitte ebenso
festgestellt wie jetzt die jeder anderen Vorschrift: durch
hinweisung auf den erfolg Nietzsche w. 4, 31; da ich
der gute meiner abänderungen keineswegs sicher bin
A. V. Droste-Hülshoff br. an Lev. Schücking 268; an-
ders, nach gut IA2e hin 'krafV :
gib, das dieser duple friede
mög in steter gute stehn
LOGAIT sinnged, 441 E.
e) namentlich in älterer spräche verengert zum bloszen
begriff des wertes {vgl. gut II A 1), vgl. werdigen, achten
eyn ding na siner goude taxare Diefenbach vmv. gl. 369*
{nd. lö.jh.); 'wert, kostbarkeif:
die grifen wonent ouch da,
die der gimmen hüten,
nicht daz sie sich guten
an der gute des Steines
Heinrich v. Hesler apokal. 21648 Helm;
disz metal hat nach dem golt den höhsten grad, seiner
gute halb Seb. Münster cosmogr. (1560) 9; das glaszertz
. . . {ist) fast dem gedignen silber an der gute zuver-
gleichen Ercker mineralertzt (1680) 3^; soll . . . kein nutz
so hoch und grosz geschätzt werden, das umb seiner gute
und grösze willen, das heyl des menschen ... in höchste
und letste gefahr solle gebracht werden Ph. Bech Agri-
colas bergwerckbuch (1621) 3; es were aber sehr übel, dasz
jedes aUen gefiele, weil der bösen vielmehr als der from-
men, und solcher lob bülich für schände zu erachten,
dardurch die güld und gute der sachen nicht mag ver-
nachtheUet werden Harsdörfer frauenzimmergespräch-
sp. (1641) 3, 344; als 'höchster wert, krone\' gott hies es
yhn {Abraham), das gottes heiszen ist die güete und
adel des wercks Luther 24, 360 W.; etwas anders im
sinne 'vorzug\- gefallt im aber ein werck für das ander,
so ist es ein zeychen, das er die gyete gibt dem werck
und nit dem glauben Clemen reform.-flu^schr. 3, 340;
in Vermischung oder Verwechslung mit mhd. {md.) giude
'überßusz" : an dem was den menschen zur notdurft ge-
reichet, hat man bey uns die gute und fülle Albintts
NiVEMONTius comment. nov. de Mysnia (1580) 624 bei
Müller-Fratjreuth 1, 453.
f) entsprechend gut I A 1-3 vereinzelt in älterer spräche
als 'heilsamkeit, nützlichkeif:
er {Christus) nam er sin gewatl tho zalta in {den jungem)
sar thio dati
thes selben Werkes {der fuszwaschung) guati tho Judas
es ni horti Otfrid IV 11, 42;
von unsäglicher guti der betrahtunge des götUchen lidens
Seuse dtsche sehr. 254 Bihlm,;
88
1395
GÜTE 8
GÜTE 2
1396
böses glück hat diese gütte,
dasz die ungewissen Sachen
uns gewisse freunde machen
LOGAU sinnged. 16 E.;
mehr nach gut III A 1 hin 'lieblichkeit\' endlich kam der
. . . herbst, da sich alle fruchte ... in ihrer nutzbaren
gute und würckung häuffig einstelleten Chr. Weise
polit. redner (1677) 484.
7]) vereinzelt nach gut IClc gebildet, als 'gunst^ der
zeit:
koftim, Dorinde, lasz uns eilen,
nimm der zelten gut in acht
Königsberg, dichterkreis 130 ndr.;
damit ein weinschenk dem andern nicht schaden mach,
nach gelegenhait der zait und der guet ein trank für das
ander halten, also dasz der arm gegen reichen auch sein
nuz schaffen mög {v. j. 1603) österr. weist. 6, 115.
b) gute als begriff der guten qiialität wird seit dem älteren
nhd. zu dem der beschaffenheit überhaupt relativiert, doch
bleibt der wertbegriff soweit noch erhalten, dasz wohl eine
weniger vorzügliche qualität, nicht aber die schlechte be-
schaffenheit durch gute ausgedrückt werden kann, z. b. zwar
von geringer gute, aber niemals von miserabler gute : und
thü das nach der grösze des boms und der giette der rind
Österreicher Columella l, 155 lit. ver.; wiewol in den an-
deren simplicibus grosze artzney gesucht ist worden und
in mancherley weg und form : jedoch nichts erschieszhchs,
dann was die zeit und gute der kranckheit zugelassen hat
Paracelsus Chirurg. fcttcAer (1618) 164 Iluser; etliche wol-
len die gute des thees aus der färbe des wassers urtheilen
Ettner V. EiTERiTZ mcdiz. maulaffe (1719) 189; und
pflegt man also aus der menge derer dinge, die man sich
wieder vorstellen, und . . . wieder erkennen kan, die gute
des gedächtnisses zu beurtheilen Chr. Wolf ged. v. gott
(1720) 126; aus sothanen färthen nur . . . musz der Jäger
{das wild) . . . anzusprechen wissen . . . nach gute,
. . . jagd- und unjagdbarkeit Heppb lehrprinz (1751) 25;
die zweyte lieferung enthält . . . zwey an alter, gute und
grösze sehr ungleiche gedichte Adelung magazin f. d.
dtsche spr. 2, 2, 153; die wolle wurde nach ihrer gute ab-
gesondert A. V. Arnim 3, 79 Or.; ihre fragen nach grösze
und gute des ackers verschlangen sich förmlich G. Haupt-
mann bahnwärter Thiel (1892) 13; unabhängig von der
gute solcher abhandlungen steigt in ihnen, wie bei ein-
gegossenem getränk, ein augenblicklicher schäum ihrer
geistigen bestandtheile auf J. Grimm kl. sehr. 1, 248; be-
sonders mit adjektiven, die im vergleich oder absolut den
qualitätsgrad angeben: sind ihre übrigen Wahrheiten von
gleicher gute? Lessing 2, 54 L.-M.; der wein ist von
verschiedener gute und preise Forster s. sehr. 1, 45; ohn-
geachtet ihrer {der Schriften) . . . sehr mittelmäszigen gute
fanden sie doch guten abgang v. Einem Mosheims vollst,
kirchengesch. (1774) 6, 334; die ausführung ist von mittlerer
gute Brunn kl. sehr. 3, 149; zobel, die schon längst von
geringerer gute geworden sind Ritter erdkde 2, 1042 ; die
viel billigeren afrikanischen diamanten minderer gute
Hesse-Warteqg zw. Anden u. Amazonas^ 73; in kauf-
männischer spräche oft klassifiziert z. b. weizen erster gute,
hafer zweiter gute usw.; von hier aus scherzhaft für
'Masse' überhaupt verwendet, so bei der eisenbahn, droschke
usw., z. b. wir fahren immer vierter gute (4. Masse), eine
droschke erster gute: und für einen baron taxiert man
mich obendrein? wahrscheinlich, weil ich zweiter gute
fahre; eine erste klasse scheint überhaupt nicht vorhan-
den zu sein Fr. Jacobsen waldmoder in: daheim 31, 213''.
2) von gut V A ausgehend bezeichnet gute die Wesens-
art des menschen oder seine handlungen hinsichtlich der
sittlichen qualität; wie bei gut V A l a in älterer sprä-
che besonders auch die ethisch-religiöse Vollkommenheit;
in diesem sinne glossiert ahd. guoti lat. bonitas, probitas
Gräfe 4, 167, vgl. Uk van gude {unius et eiusdem statis
et probitatis) coequalis Diefenbach nov. gl. 993-; gute,
frommkeit probitas Frisius 1061*; lat. probatio, vgl. guoti
probaiione {Tob. 3, 21) ahd. gl. l, 478, 3; lat. justitia guodi
justitiam, bonitatem ahd. gl. 1, 710, 45, vgl. Otfrid II 18, 6
{Matth. 5, 20); lat. pietas kuoti pietate ahd. gl. 2, 528, 23 u.
25, ebenso 2, 650, 1, vgl. Otfrid II 8, 24; lat. virtus Notker
1, 1, 103 Piper.
a) die sittliche Vollkommenheit des menschen; religiös
die gerechtigkeit vor gott, allgemein ethisch die 'recht-
schaffenheit, tugendhaftigkeiV : jabai Yvo godeino, jabai Ivo
hazeino, fiata mitoj) {eX Tis uqst?] xal t xig 'inuivos
ravTct loyO^ead-e) got. bibel Phil. 4, 8;
... he (der Jesusknabe) ni was ödnin mannun glllk
the gumo an stnera gödi . . .
Heiland 786 Heyne, vgl. 3264;
er avur themo liubit ther sinan wlllon uabit
jo themo ist io gimuati ther wonet In ther guati
Otfkid III 20, 154, vgl. 10, 42;
nl quam iz in sin muat in war (thaz ni mohta wesan sar),
odo ouh thes herzen guati wiht innana biruarti
11 4, 106;
zesehenne an dero guoti dinero irweleton {in bonitate elec-
torum ps. 106, 5) Notker 2, 451 Piper; ane daz sie iro
geliehen lerent, die iro bürge sint, hazen die rehten. ziu
tuont sie daz? wanda in iro guoti ubeU gedunchet 2, 580;
habet stätlgen muot,
habet zuht mit guote,
wesct theumuote
PFAFFE Konrad Rolandslied 215 Bartsch;
weit Ir nu gote fliegen leit,
... 80 slt ir der verlorne.
nu keret iwer gemüete,
daz er iu danke güete.
WOLFEAM V. BscHKNBAOH Parz. 467, 10;
der wehsei niemen missezimt
swer güete vür die schoene nimt
Feeidank 104, 19 Or.;
mit valschelöser güete lebt
ein man, der mir wol iemer mac
gebieten swaz er 6re wil Walthee 72, 9;
alrerst dö bevander,
daz bi ir wünnecllcher jugent
wonte güete und michel tugent
Haetmann V. AuB Iwein 6496 ;
ez ist war, ein iglich mensche trede mit fornuftikeit in
sin herze, he vindet daz ho nicht minnit dan vollincumene
gude, und darum inhait got keiner creature vollincumene
gude gegebin meister Eckhart in: parad. an. intell. 84,
36 Strauch; {er) umb seiner gute und tugent wiUen von
yederman wol gehalten was Arigo decam. 81 K.; von
seiner frombkeit und gute genennt ein vatter der vätter
Stumpf Schweizerchron. (1606) 501*; in neuerer spräche
durch gute 3 stark zurückgedrängt und oft mit deren bei-
mischung: man sieht in seinem {des tugendhaften) ganzen
betragen den Charakter einer allgemeinen gute ausge-
drückt Gramer nord. aufseher (1758) l, 49; ich musz also
auf die erklärung der moralischen gute zurückgehen
M. Mendelssohn ges. sehr. 2, 14;
drey gleiche söhne,
an innrer gute gleich und gleich an äuszrer schöne
E.AMIEE labellese (1783) 1, 98;
dasz Vernunft sich ebenso wohl mit groszer boszheit als
mit groszer gute im verein findet Schopenhauer w. l, 134
Or.; die unbedingte und bewegungslose gute und Schlech-
tigkeit sind für hauptrollen schon dadurch ausgeschlossen
G. Freytag ges. w. 14, 267; tief überzeugt von seiner
eigenen gute und noch tiefer von der Verworfenheit seiner
gegner Treitschke dtsche gesch. 4, 4; die Überzeugung,
dasz reine tugend und gute irgendwo sind, ist ja die
beste, die uns werden kann G. Keller ges. w. 3, 17;
von den organen der gesinnung, dem charakter usw. :
welches andeit eyn sittsam gmüt,
so sieh in gut vor argem bhüt
riscHAET 1, 271 Hauffen;
wenn wir an die natürliche gute des menschlichen herzens
glauben, die von einigen mit unrecht angenommen wird
GrÖTHE 43, 6 W.; und zwar schien diese edle Selbständig-
keit gepaart mit der einfachen kindlichkeit und gute des
Charakters G. Keller ges. w. 4, 37; der gemeine ratio-
nalismus . . . glaubte harmlos an die gute der mensch-
lichen natur Treitschke dtsche geschickte 2, 87 ; vereinzelt
ganz abstrakt wie das gute: sei fleiszig in der musik und
1397
GUTE .2
Zeichnung, es sind die unschuldigen organe der gute und
Schönheit Bettine Cl. Brentanos frühlhuj skr. (1844) 2; als
phir. im mhd. wie tugent verwendet:
der gr41 ist mit höher kür,
BÖ suln s!n rJter hüeten
mit kiuscheclichen güeten
Wolfram v. Eschenbach Parz. 493, 24,
'/. 823, 13;
do de vröwe Sophie so bederve were,
dat or Gandersem hedde vromen unde ere,
under den frauden, de men vor oren guden hadde,
ein grot ungerede erhof sek dar harde drade
Eberhard reimehron. v. Oandersheim 1793 Weil.;
'fromme handlung':
swie vil ein man guotes begät,
die wlle er toetllch sünde hat,
diu güete gar verdirbet,
ob er an riuwe stiibet
Frkiuank 37, 24 ffr.
b) der ethische bedeutungsgehalt kann zugunsten der all-
gemeinen Wertvorstellung zurücktreten, sodasz gute der
bedeutung von gut I B näher kommt, doch bleibt namentlich
für den gebrauch in der höfischen dichtung die Verbindung
mit gut VAle deutlich; 'tüchtigkeit' :
liut slh in nintfuarit thaz iro (der Franken) lant ruarlt
nl sie bi Iro guati in thlonon zi not! Otfrid I 1, 78;
s6 sende thlnen boten dare,
. . . ther dir beste gevalle,
ther thurh sine guote
thaz rieh behuote
PFAFFE Konrad Rolandslied 1290 Bartsch;
die vrouwen ze aller zlte genuzzen slner (Hagens) güete
Kudrun 103, 3 M.;
er (Schionatulander) pflac manltcher güete,
sin sterben mich dö müete
WoiFRAM V. Eschenbach Parz. 252, 23, vgl. 92, 22;
swer an rehte güete
wendet sin gemüete,
dem volget saslde und tie
Hartmann v. Aue Iwein 1 ;
als lebete er In der werdekeit
und in der rehten güete,
die er In stn gemüete
mit tegellchen tugenden nam
GOTFUiD V. Straszbueg Tristan 519;
er was ein wise junger man
und het mit güete vil getan
bl slner zlt, daz ere birt
Ulrich v. Lichtbnstein frauendienst 1060, 6 Sechst.;
die gute, welche Aristoteles (für den hdden) federt, will
er also durchaus für keine moralische gute gelten lassen.
es musz eine andere art von gute seyn, die sich mit dem
moralisch bösen ebenso wohl verträgt als mit dem
moralisch guten Lessikq 10, 136 L.-M.; auf einmal so
rasch und so störrisch? doch auch diesz hab ich erwartet,
da deine gute in deiner stärke liegt Klinger w. 4, 73;
sie selbst waren zwar dahingegangen, aber ihre gute
und tüchtigkeit lebte noch Stokm w. 1, 198; entsprechend
gut V B gelegentlich auf die qualität der handlungen be-
zogen:
erzelist thu ouch thla guati waz iagllicher däti
Otfrid II 9, 22;
zu gut V B 5 a : dann trete er ohne winkelzüge, aber
kühn und fest, voU Zuversicht auf die gute seiner sache
. . . hervor Knigge Umgang m. menschen (1796) 2, 179.
c) eine besondere note hat gute in der spräche der minne-
poesie bei anwendung auf die Sinnesart der frau als des
gegenständes der Verehrung und Werbung; wie bei gut
VAle ist vielfach ein ethisch gefaszter bedeutung sker7i
noch spürbar, doch gewinnt nicht selten auch gute 3 stark
an übergewicht, sodasz die mit sittlicher untadligkeit und
höfischer Vollkommenheit verbundene huld den bedeutungs-
inhalt bestimmt; mit prävalenz der ethischen bedeutung:
vil süezlu Irowe högelopt mit reiner güete,
dln kiuscher 11p glt wünneberndez hochgemüete
Walther 27, 27;
(er sah) ir starkez ungemüete
unde ir stsete güete,
Ir wlpllche triuwe
und ir senllche riuwe
Haetmann v. Aue Iwein 1602 ;
GÜTE 3 1398
meist inhaltlich neutraler Hnnere Vollkommenheit*:
slt si wll, deich von ir scheide,
dem sl dicke tuot gellch,
ir schoene unde ir güete beide
die läze si, so kere ich mich
BUEGOR. V. RiETENBUEG in: minnes. frühl. 19, 29;
als Ist mit güete umbevangen diu schöne,
des man ir jet: slst aller wlbe ein kröne
Heinr. v. Morungkn in: minnes. frühl. 122, 9;
daz ich von ir gescheiden niht enkan,
daz hat ir schoene und ir güete gemachet
Walthke 110, 18;
bl schoene was ie güete,
daz hän ich wol geraerket
Hadaiiar V. Labee jagd 644;
im Volkslied nachklingend:
so verzehrte mich dein gute,
ein jähr war bald hinfür
Mittler dtsche Volkslieder 13;
mit überunegen von gute 3:
ich bin ein böte her gesant, frowe, ül mange dtne güete
Dietmar v. Eist in: minnes. frühl. 38, 14;
min langez ja daz was ie der vil lieben nein,
swie doch ir güete ie vür ir herte schein
minnesinger 1, 313» v. d. Hagen;
neihä herre! s Ist so guot,
swenne Ir güete
erkennet min gemüete,
daz si mir daz beste tuot Walther 14, 19;
daz man st (die frauen) also dicke siht
in wankelm gemüete:
ez kumet von ir güete
Hartmann v. Aue Iwein 1878;
und daz ir güete manigvalt
im (dem mann) so guettlich guottet
vor traweren in behuottet
Ulrich v. Lichtenstein frauenbuch 974;
namentlich in formelhafter Verbindung wiplich güete :
bit si, daz9 ir wlplIch güete gegen mir kdre
Walther 109, 27;
nu gewert mich, frouwe, des ich ger,
durch wlpllche güete
WiENT v. Gravenbeeg Wigolois 12, 12 Pf.;
erstarrt: ^^^^ welpliche gut
tut
mich straffen
Oswald v. Wolkenstein 38, 2 Weber;
freueleln, wann chumpt der tag
das mich dein trost gehelfen mag,
dein weiblich gftte? Erlauer spiele 4, 573;
allein dein zucht
und weiblich g&t
mein hertz und gm&t
für all dich grlnd
in lieb erzind
Forster fr. teuische liedlein 12, 1 ndr.;
als traditionelle höfische tutend auch personifiziert:
da saz vrou Guete gallen vrl,
der kröne was gewieret;
Milte und Ere Ich vant dabi
nach wünsche wol gezieret
KONEAD V. WÜEZBURQ klage der kunst 10, 1 Schröder;
dar nach frow Stet ir wonung nimpt,
frow Tr&w ir gezelt dar nach hat in,
frow Gut ist ir nachburin
mhd. minnereden 1, nr. 1, 754 Matthäi.
3) nach gut IV A gebildet als die Wesensart von per-
sonen in hinsieht auf ihr verhalten zu anderen personen im
sinne 'freundlichkeit, wohlwollen, huld, milde, nachsieht'
usw.; got. nur in der Substantivierung von gastigofis {vgl.
gut IV A 1 a, sp. 1283) gastigodei bezeugt: gastigodein
galaistjandans {xrju ^iXo^eviku Sköxovtes) got. bibel
Rom. 12, 13; ahd. nur bei Oterid vom menschen, aber
durch die entsprechende anwendung auf gott für den all-
gemeinen Sprachgebrauch (s. u. 3 b) gesichert, vgl. guoti
gratia Gräfe 4, 167; freundtlichkeyt, leudtseligkeyt,
sanfftmüt, gute Aleerus nov. dict. (1540) 8^; gute, miltig-
keit, freygebigkeit beneficientia, benignitas, bonitas, muni-
fi^-entia Henisch 1785.
a) als Charaktereigenschaft von der habituellen Wesensart
einer person.
a) vom menschen, der eine freundliche, liebreiche ge-
sinnung gegen seine mitmenschen hegt und diese in ent-
88*
1399
GÜTE 3
GUTE 3
1400
sprechenden taten äuszert, vgl. der fleisz andern gutes zu er-
zeigen, wird gute genennet CHB.WoiiFP ged.v.gott (1720)
580.
««) vom menschen im allgemeinen:
thu scalt haben guati joh mlhllo otmuati,
In herzen lo zl notl waro karitati
Otfeid I 18, 37 ;
er sol driu reht haben:
eiuiz ist diu guotin
daz ander diu diemuottn
bei DiEMEE gloss. z. genes, u. exod. 156»;
kiuscheit mit der diemüete,
geduld, senfte unde güete
und ander unser gespiln
eullen sich ze ringe ziln
Lampeecht v. Regensburq toMer von Syon 3855 Weinh.;
di seiste (frucht) ist gude, daz ist suzikeit des gemudis
Eckhart Rübe in: parad. anime intell. 71 Strauch;
ouch wonte in ir gemüete
ze schoener Isunst diu güete {'barmherzigkeü'),
daz sl in schier ernerten
Hartmann v. Aue Iwein 5618;
ir höfscheit unde ir güete ('mitgefühl')
beswärten ir gemüete
3387;
der sine güete {' wohlioollen') an mir begät
und tuot mir eteslichen rät
GOTFEiD V. Steaszbueq Tristan 7633;
als ich In (fierrn Ulrich) ganz habe erlcant:
alle gute ich an Im vant,
nach der wären liebe geböte
kreuzt, landgr. Ludwigs 1066 Naum.;
wann sie (das gesinde) irs Iierren gute , . . spüren Sebiz
f eidbau (1579) 37;
kein orth wirdt irgendt je gefunden weit und breit
der ihnen glaichen mag an gut und freundlichkeit
Opitz teutsche poemata 76 ndr.;
wer Tyridates dapfre faust und hoch gemüte
wie auch des Italus so oft gepriesne gute (wissen will)
A. U. V. Braunschweig Octavia (1685) 1, )( 6";
ich zweifle nicht an eurer vätterlichen gute discourse d.
mahlern (1721) 1, 4; sie sind sich immer gleich, immer die
unendliche heb und gute Göthe IV 3, 71 W.;(Lucinde ist)
die gute, das wohlwollen selbst I 24, 169; sein strenger
. . . geist kannte also doch auch gute und milde Zimmer-
mann üb. d. einsamkeit 1, 259; das bleiche, verlebte gesicht
war reich an ausdruck von sanftmuth und gute Holtei
erzähl, sehr. 2,8; die gute, die nicht grenzenlos ist, ver-
dient den namen nicht M. v. Ebner-Eschenbach ges.
sehr. 1, 13; das . . . zeigt . . ., dasz du hart bist und ohne
rechte gute Fontane ges. w. I 5, 88; und sieh dabey {in
diesem gesicht) diese himmlische gute Lavater physiogn.
fragm. (1775) 1, 266; jedes der unzähligen kleinen fält-
chen war eine gute und eine freundlichkeit Stifter s. w.
8, 267 8.; seine {des Münsterländers) züge sind weich, oft
äuszerst liebHch, und immer durch einen ausdruck von
gute gewinnend A. v. Droste-Hülshofp w. 2, 368; (er)
glaubte ... in ihren bücken theilnahme, in ihren äusze-
rungen gute für ihn wahrzunehmen Moltke ges. sehr.
1, 83; ebenso mundartlich in redensarten tvie: er ver-
springt vor gute Fischer schwäb. 3, 960; wegen der
güeti fressed en d müs nüd {von einem unwirschen) Staxjb-
ToBLER 2, 556; in präpositionaler wendung besonders mit
aus verbunden: wenn jemand gnade erweisen will, ists
besser er thue es vor sich selbst ausz angebohrner gute,
andern guts zu thun Lehman floril. pol. (1662) 1, 378; sie
beschlossen, ohne alle überhebung, sondern aus reiner
gute, diesem opfer aus dem wege zu gehen G.Keller w.
5, 340; besonders auch als typische eigenschaft der frau, für
ältere spräche vgl. 2 c : die frau ist das symbol der gute
und Schönheit Novalis sehr. 3, 92 Minor;
der nothwendigkeit heilige macht
hütet der züchtigkeit köstliche blüthe,
hütet Im busen des weibea die gute
Schiller 11, 36 ö.;
zum scherz belebt den kreis der frauen gute
Fe. Sohleqel in: Athenätim 3, 2.
ßß) spezifisch als eigenschaft des herrschers gegenüber
seinen Untertanen mehr im sinne Leutseligkeit, huldvolle
gesinnung, m,ilde\'
da erkendten desz reiches fürsten,
welche nach ghrechtigkeit war dürsten,
durch sein natürlich lieb und gut,
das er wer von des köngs geblüt
Hans Sachs 2, 269 K.;
dem fürsten sey die gut als schärfte mehr erkoren
LOGAU sinnged. 289 E.;
das redliche gemüthe,
der mehr denn fromme fürst, das bild der linden gute
Gryphius trauersp. 21 Palm;
es ist der könlg ja mitleidig vom gemüte
so zärtlich und gerecht, von solcher huld und gute,
dasz keine nation sichs besser wünschen kann
Wbichmann poesie d. Niedersachsen (1721) 1, 35;
o wie schön glänzt die gute vom angesicht des gewal-
tigen {des groszcophta) Göthe 17, 177 W.; von hier aus
wie gnade auch zur Umschreibung der fürstlichen person
entwickelt, so des bischofs: denn er musz das seh wert
fürchten, und wo er am licht sollt handeln, möchte
solch antwort gefallen, dasz s. f. gute Antonius Schenizt
vielleicht müszte bezahlen, und nicht allein ungehänget
lassen Luther 32, 61 Erl.; mein herr {bischof), ich bitte
umb Verzeihung, das ich das für ewer gute {d. i. in ge-
genwart euerer person) gethan B. Hertzog schiltwache L 1 *.
yy) von den psychischen Organen, namentlich vom
herzen, vgl. herzensgute:
eur wohlgeneigtes herz, das voll von fester gute
sich uns zu pfände gibt Gryphius trauersp. 188 Palm;
edelmut, grösze des geistes, gute des herzens waren die
grundzüge seines Charakters S. v. Laroche frl. v. Stern-
heim (1771) 1, 2; dir schwellt erhabne gute das herz
Platen w. 1, 187.
öd) ein formelhafter präpositionaler ausdruck besonderer
prägung ist in älterer spräche durch deine gute 'um deiner
gute willen^ u. ä., der bei bitten als appell an die wohl-
wollende gesinnung des gebers gebraucht wird; vgl. für die
anrufung gottes die belege unter cß:
dua mir thaz gimuati thuruh thin selbes guati 1
Otfeid III 10, 32;
ei (Jakob) bat in (Esau) durch sin gute, daz er im genadote
unde im unde sinem gesinde inlentis gunde
genesis u. exod. 63, 19 Diemer;
frowe, dur iuwer güete
rucket üf die hüete!
Walthee 75, 6;
ei.frouwe, durch iuwer güete I
waz hilf et iu mSn sterben?
nemt iu ein guot gemüete,
und l&t mich . . . gunst erwerben
Hadamae V. Labee jagd 632;
künic durch din güete (mit deiner erlaubnis)
ich sag dir m!n gemüete
Jansen Bnikel weltchron. 9894 Str.;
jünger mit um:
darum thü es um dln gute
und haisz uns des grabs hietten
MONE schausp. d. miitelaU. 2, 146;
noch anders gewendet:
apostole Johannes
dlne gute manen dlh des
daz du unsir wider gut nit ne vergezzis
litanei 619 bei MASZMANN ged. d. 12. jhs.
ß) entsprechend gut IV 2 in mehr passiver hinsieht 'gut-
mütigkeit, geduld, nachsieht'; vergleichbar schon:
in thlu ir thie armuati
githultet lo mit guati ('geduld')
Otfeid II 16, 2, vgl. h 94;
getruobet was sin gemuote,
iedoch vertruogenz sine michile guote,
daz er sich is nicht irzeigete
PFAFFB KONEAD Rolandslied
3, 7 Gr.;
der pabst hiez auch durch sin geitichait in den chirchen
. . . stoke machen und auch dorzu daz chrauz predigen,
daz enpfiengen die christenleut in ainvaltiger gut sächs.
weltchron. 334 Weil.; etwas verlieren und um etwas kom-
men von wägen der gute und freygäbne amittere aliquid
bonitate Frisius 160^;
sin g&tte hatt inn bracht dahin
Schweiz, schausp. d. 16. jh. 3, 228 Bächt.;
mich . . . verdrossen die uberschwenckhche demutigkeyt
und erzeygte gütte gegen seinen feinden hertzog Aymon
1401
GÜTE 3
GUTE 3
1402
(1535) a 2»; als er (kaiser Friedrich III.) dem könig von
Ungern zuliesz, Wien zu straffen, sagt er : sie miszbrauchen
meiner gute, und wollen die früsch den hültzemen ploch
nicht, so will ich den storcken über sie schicken Zink-
GEEF apophth. (1628) 73; sie werden hoflEentlich, nach ihrer
weltbekannten gute, . . . wo etwan was mangelhafftes,
schlechtes oder ungereimtes mit untergelaufen wäre,
solches gnädig übertragen und entschuldigen v. Hoh-
BERG georg.cur. (1682)1, vorr.&2^; überdrüszig der oft
misbrauchten gute sezte nunmehr Alfred über North-
umberland und über Ostsachsen zwei sächsische grafen
A. V. HALLEE^Z/red(1773) 38; mit deiner unzeitigen gute
nahmst du alles, wie mans dir gab Beäkeb s. sehr. (1789)
1, 212; immer genug (entschuldigungen), Schwester, um,
wenn du deine gute noch dazu in die wagschaale legst,
alle vorwürfe zu überwiegen, die du mir machen könntest
GÖTHE IV 1, 83 W.; (die) niedertracht dieser leute, die
meine gute nur benutzen würden, um mich zu hinter-
gehen und auszubeuten Ric. Httch triumphgasse (1902) 6;
gute macht ungütige knechte Bindee sprichw. -schätz 81;
d' güeti wird z' letzt zur untuged Staub-Toblee 2, 556;
in der württembergischen gute hat er alles eingebüszt
Fischee Schwab. 3, 960.
y) seit ahd. zeit von gott als dem Spender alles guten;
gute gilt als diejenige unter den haupteigenschaften gottes,
aus der heraus er der ganzen kreatur alle lebensbedürfnisse
gewährt und dem menschen die ewige Seligkeit zugänglich
gemacht hat, betont daher im gegensaiz zur gnade als der
verzeihenden oft mehr die aktive seile der liebe gottes, vgl.
gut IV A 1 c a und lat. bonitas.
aa) in prägnanter Verwendung:
. . . ik (Abraham) wSt, that ik thas wirdlg ni bium,
ni st that thu it willeas b! thinaro giiodi, god hebanrikl,
thiadan, gitbolöian . . . as. genesis 229 Heyne;
'ih ougta lu', quad (Christus), 'gimyatu manigu werk guatu
fon mlnes fater (gottes) guati suazlicho dati
Otfeid III 22, 38;
unde got, chade du, mit temo stuorruodere dero guoti dia
werlt alla rihten (deum quoque bonitatis gubernaculis
universitatem regere disputabas) Notkee 1, 219 Piper,
vgl. 214;
dö vrAgte si alle 'wie mohte daz wesen,
daz ir bl den grtfen so lange sIt genesen?'
dö sprach der junge Hagene: 'daz wolte diu gotes güete'
Kudrun 125, 3 M.;
'ei*, sprach er, 'got der rtche,
so rtche du genäden bist,
so vll güete als an dir ist
GOTFEiD V. Straszburg Tristan 2490;
er git sin gnad gar vergeben von siner miltekait, von siner
ganzen güti s.Oeorg. pred. 66, 8 B.;
got leite stne süezen haut
an daz reine kindeün
unde tet ime stne güete schtn
Rudolf v. Ems Barlaam 21, 24 Pf.;
es meinet aber, daz er {gott) sine wunder hie an dir wil
erzoigen und den uberflusz siner gute Seuse dtsche sehr.
467 Bihlm.;
dir werd gesprochen ewig lob,
herr, deiner gar mildreichen gut
Hans Sachs 1, 28 K.;
der mensch hat des bergwercks nicht mögen gerahten, ja
es hat gottes gütte nicht wollen, dasz er dessen manglete
Ph. Bech Agricolas bergwerckbuch (1621) 17;
er lasse seine lieb und gut
umb, bey und mit uns gehen
Paul Gerhardt bei Fisohek-Tümpel 3, 312;
dasz die gute gottes ihr hertz erleuchten und sie zu wahrer
busze bringen woUe Geimmelshäusen 2, 48 Keller; dasz es
ein irrwahn sei, gottes macht, Weisheit und gute in einer
Unterbrechung des naturlaufs . . . erkennen zu wollen
D.FK.STRAUSzgrcs. 5cAr.(1877) 3, 16; die entstehung dieses
Sinnes für das schöne . . . weisz er nicht nachzuweisen, er
schreibt ihn unmittelbar der gute gottes zu Solgee vor-
les. üb. ästhetik (1829) 2^; feste formet ist namentlich väter-
liche gute (gottes):
do aber dein (gottes) veterlciche guet
ir (der seele) verwandelt das gemuet
Heinr. V. Burgus d. seele rat 5933 Rosenf.;
da hat dennoch der . . . vater nach seiner göttlichen veter-
lichen gute daa arme . . . geschlechte nicht wolt lassen ver-
loren sein F. Dedekind pap. conv. (1590) ( ) 2^.
ßß) häufig unschärfer gebraucht von gottes 'gnade, barm-
herzigkeit, erbarmender liebe' ganz allgemein; in dieser Ver-
wendung auch von Christus und der Jungfrau Maria:
ther (heiland) niemen äne trost ne lät,
80 wer mit theumuote
suochet sine guote
PFAFFE KONRAD Rolandslied 3488 Bartsch;
{den) sundigen menschen ... zu begnaden . . ., herre, . . .
es stat diner groszen guti also reht zimlich Settse dtsche
sehr. 447 Bihlm.;
(Jesiu,) du kanst von güete niht versagen,
erhöre herre min klagen
MoNE schausp. d. miUelaU. 1, 210;
künigin der barmherczikait . . .,
ob uns ümmer heil beschicht,
das möss din güti helfen uns 1, 170;
sein {gottes) langmuth und gute ist zu grosz Dannhauee
catechismu^milch (1657) 1, 66;
ach, wie hungert mein gemüthe,
menschenfreund, nach deiner gute
PiETSOH geb. sehr. (1740) 326;
Jungfrau voller guten I
Brentano ges. sehr. 3, 172;
seit alters besoiiders in formelhaften präpositionalen Ver-
bindungen:
... so tbu ml, drobtin, will
fargeban thurh thina gödl . . .
Heliand 4523 Heyne;
thia ginada ouch, druhtin, dua in mir mit mahtin,
thla thu in thina guati themo scachere dati
Otfrid IV 31, 28;
umbe dina guoti, truhten, wanda ih knote frehte ne-
habo {propter bonitatem tuam, domine ps. 24, 7) Notkee
2, 77 Piper;
und (gott) ruoche iu durch stne gfiete
iuwer swaerez ungemüete
vU schiere verkSren
Hartmann v. Aub Iwein 5537;
da vor uns got behüte
durch alle sine gute
kreuzt, landgr. Ludwigs 646 Nautn.;
Jhesu mein heiland, daran sieht
emphach mich in dein huet
durich dein suesse guet
Heinr. v. Burqus d. seele rat 4612 Rosenf.;
sunder (gott) wird sich bald unser armen
durch sein gut und mildte erbarmen
Hans Sachs 1, 56 K.;
das hilfl mir, o herr Jesu Christ,
durch deine grosze gute
RiNGWALDT evangelia (1581) Q 8";
und hilfif mir aus der sünden not
umb deiner gute willen
ders. handbüMin (1586) A 10»;
um der gute gottes willen frage nicht mehr, warum ich
gekommen Stifter s. w. l, 289 S.;
gott läszt üch die sünd nach us genaden,
allein us siner güete
N. Manuel ablaszkr. 478 Bächt.;
gott musz mit unserm armseligen dienste zufrieden sein,
aus übergroszer gute Göthe 37, 164 W.
wan er mit seiner süessen güet
cunt wenden aller menschen schmertzen
altdtsche passionssp. o. Tirol 475 Wack.;
in dem der getrewe gott nach seiner groszen gute seinem
volcke viel herrliche . . . victorien . . . verliehen Chemnitz
schwed. krieg 2 (1653) 426; stehende paarung ist gnade und
gute, gute und gnade:
(wenn man) soll zweiffein an gotts gnad und gut
Pischart «. dicht. 2, 347 Kurz;
der herr aus lauter gnad und gut
ist über deiner rechten handt
dein schatten bei FiSOHER-TttMPKL 1, 5;
1403
GÜTE 3
GUTE 3
1404
er heiszet uns arbeiten, und dann gibt ers, nicht um
unserer arbeit willen, sondern aus seiner gute und gnade
Luther 14, 85 Erl.; Lucem ist die königin unter den
stetten Schwytzerlands von gottes güette und gnaden
Renward Cysat § 48 Brandstetter.
yy) von hier aus als formelhafte Interjektion des er-
staunens oder des mitleids entwickelt, die aus scheu vor
der anrufung von gottes namen diesen durch gottes eigen-
schaft ersetzt, vgl. im 16. jh. noch potzgietten (aus gottes
guten) cod. hist.fol. 397 d. landesbibl. Stuttg. 79 bei Fischer
Schwab. 3, 961: ach, du myn heiland und myn gieti com.
beati (16. jh.) bei Staub-Tobler 2, 556; ach gott und alle
gute ! J. GoTTHELF nach Staub-Tobler ebda; herr (du)
mini güeti! ebda; umgangssprachlich und mundartlich be-
sonders verbreitet in der form (ei) du meine gute ! (statt
mein gott), vgl. eh du mini güeti! Friedli Bärnd. 3, 610;
i du meine gute! Müllek-Fr. 1, 453; ei du meine
gute! Hertel Thür, 111 usw.: da schlug aber der mälder
ein mal übers andere die bände zusammen und schrie
immer dazwischen : 'ei du meine gute ! ei du meine gute !
aber herr Traugott, herr Traugott!' E. T. A. Hoffmann
s. w. 6, 165 Gr.;
du meine gut, da lobt man sich
so frommen ofen dank barlich
MÖEIKE ges. sehr. (1905) 1, 162;
ach du meine gute, da sind der herr graf mal wieder aus
irrland, un ganz gehörig Fontane ges. w. I, 5, 87 ; o du
meine gitte, das werd a tanz werden ! G. Hauptmann
weber ( 1892) 61 ; auch du liebe gute, du grosze gute ! : du
Hebe gute, da vergasz ich ganz, dasz ich zu herrn Bartho-
lomeus tochter spreche Alexis Roland v. Berlin l, 388;
o du grosze gute! Fischer schwäb. s, 961.
ö) unhäufiger von anderen wesen und mächten, von deren
wohlwollendem einwirken sich der mensch abhängig fühlt
(vgl. gut IV A 1 caßß): du . . . meinst sie (die natur) er-
nehre dich nicht ausz lauter gute Heyden Plinius (1565)
18 ; heilige natur ! deine wege sind immer gute und Wahr-
heit Hippel üb. d. ehe (1792) 65;
doch hat in Juppiter behüt
ir hausz und hoff durch seine gut
K. Scheit Irölich heimfart 0 3»;
so lassen sie sich doch erbitten, die gute der Vorsehung
nicht gering zu schätzen Bode Thomas Jones (1786) 3, 362;
warum wünsche ich mir denn also das, was mir das weisere
Schicksal nur aus gute versagte? Lessing 2, 317 L.-M.
b) die in einzelnen handlungen und tatsachen sich
äuszernde freundliche, wohlwollende sinnesweise einer per-
son, also eine nur augenblicklich in erscheinung tretende
gesinnung.
a) wie gut IV A 1 b /S mit abhängiger präposition gegen :
doch seytemal dein gute also grosz gegen mir ist, das sie
mein schäm überwunden hat Montanus schwankb. 113
lit. ver.; die lieb undt giete gegen den armen schien des
fegfeirs verdekt die menge der sinden Abraham a s.
Clara 27 lit. ver.; der allmächtige schöpflfer (hat) . . . den
menschen in die weit gesetzt, dasz er gegen andere hebe
und gute ausüben soll v. Fleming soldat (1726) vorber. 2;
gegen seine coUegen und untergebenen war er gute,
f reundschaf t und dienstbeflissenheit Rabener s. w. 1, 67 ;
selbst dieser mensch, sonst die lautere gute gegen mich,
(war) nun ernst und scheu und kalt Stifter s. w. 1, 136 S.;
seltener für: die für euch so viel gute hatten Göthe 45,
81 W.
ß) allgemein besonders in neuerer spräche verbreitet, vgl.
wenn mich dein gute nit betreugt si bonitas tua respon-
derit iudicio meo Frisius 1154'': dasz sie (die götter und
göttinnen) unter dem schein ihrer gute ein todesgift ver-
borgen haben Schottel friedenssieg 29 ndr.;
ein jedes wort war gut und freundlichlceit
Nkukirch ged. (1744) dö^;
ohne die verrätherische gute des freundes, der ihn (den
fuchs) von mir entlehnet, . . . würde er seinen einsamen
wald nie verlassen haben Gottsched d. neueste 3, 387 ;
glauben sie immer, dasz ich ihre einwilligung als eine
herablassende gute ansehe S. v. Laroche frl. v. Stern-
heim (1771) 1, 35; was seine bosheit an meinem herzen
noch ganz lies, zerreiszt seine gute Schiller 3, 385 G.
ihre gute, mein herr, . . . ängstigt mich Göthe 24, 88 W.
so versprach ich mir viel von seiner verstellten gute 44, 86
die bekannte gute, mit der eure fürstliche gnaden das
gesuch jedes impetranten aufzunehmen . . . gewohnt sind
Grillparzer in: jahrb. d. Grillparzergesdlsch. 2, 4; Louise
ist tief gerührt über die pantofEeln und auszer ordentlich
froh über ihre gute L. Schücking in: A. v. Droste-
Hülshoff br. an L. Schücking 239.
y) vielfältig in redewendungen des höflichen Verkehrs
verwendet, z. t. in festen redensarten: kein befehl, freund-
liche bitte, gute von eurer seite ! maler Müller w. 3, 278;
'ich werde von ihrer gute gebrauch machen, fräulein'
erwiderte Berger Brunner erz. u. sehr. 1, 334; wir werden
ihre gute nicht miszbrauchen Fontane ges. w. 1 4, 251;
auf zehn jähr? welche übermäszige gute! Lessing 2,
145 L.-M.; zu viel gute! Müllner dram. w. 6, 115; gern
in dankesformeln: (ich halte mich schuldig) für ihre gute,
womit sie mich öffentlich ihrer aufmerksamkeit versi-
chern Dusch verm. krit. u. sat. sehr. (1758) vorr. a 3"'; ich
danke nochmals für die gute G. Stephanie d. j. 5. lustsp.
(1771) 152; mein erstes, sir, sey dank für die gute, mit
welcher sie sich meines glucks annahmen Kxinger w.
1, 233; in bittformeln, entsprechend gut IV A 1 b y 'freurtd-
lichkeit,gefälligkeit,liebenswürdigkeit'; im 18. jh. gebräuch-
lich und noch mundartlich bewahrt von der gute sein ivie
so gut sein (vgl. sp. 1285) :
der dichter, lauft geschwind! soll von der gute seyn,
und mir sein trauerspiel auf eine stunde schicken
Gelleet 8. sehr. (1839) 1, 61;
dasz er von der gute sein und sich zu seinem oheim ver-
fügen möchte v. Meyer peculat (1762) bei Staub-Tobler
2, 556 ; wollten sie von der gute seyn, meinem vater solche
gelder . . . einzuhändigen Göthe IV 3, 3 W.; schwäb. noch
verbreitet: sind sie von der gute Fischer 3, 960; gleichfalls
im 18. jh. auftretend und noch moderner spräche geläufig
die gute haben, meist mit abhängigem infinitiv: doch habt
die gute Schnabel insel Felsenburg 16 Ullrich; die Breit-
kopfische buchhandlung hatte die gute, mich dieser sorge
zu überheben Meiszner Alcibiades (1781) 2, vorber.; habe
die gute, mir die merkwürdigsten Sachen der stadt zu
zeigen dtsche erzähl, d. 18. jhs. 47 Fürst; haben sie die gute,
mich unseren gnädigsten damen ehrfurchtsvoll zu füszen
zu legen Göthe IV 23, 73 W.; herr Hansen-Grell wird die
gute haben, uns einiges vorzulesen Fontane ges. rom. u.
nov. 7, 87; haben sie die gute, platz zu nehmen H. Seidel
vorstadtgesch. 86; weniger häufig mit beigeordnetem satze:
meine herren, . . . soUten sie doch wohl auch die gute
haben und mir in einem verworrenen rechtshandel ihren
guten rath ertheilen? Meiszner skizzen (1778) 1, 33; habt
die gute und begleitet mich Schiller 3, 149 G.
ö) in älterer spräche auch wie 'gute absieht':
thoh er (Judas) thaz tho quati, ni det er iz bi guati (aus
guter absieht) Otfrid IV 2, 27;
sie beut mir diese grosze ehre nicht durch gute buch d.
liebe (1587) 85«^.
• c) in festen präpositionalen Verbindungen zur bezeichnung
der ausdrucksform des . Wohlwollens, namentlich von der
freundlichen rede, verwendet; mit gute:
und swaz ich sprach, daz hörte sl
und antwurt es mit güete
Haktmann v. Aue Iwein 343;
ho ho, saget es doch mit gute, wann ihr gleich böses ge-
dencket schausp. engl, comöd. 223 Creizenach;
gleich lehrten' sie mit ernst und gute,
von altvergessenen geschichten,
wie maus herz fleiszig soll abrichten
TiECK sehr. 1, 343;
(wir) wurden gleich vorgelassen und von ihm mit aus-
nehmender gute empfangen Fr. Nicolai reise d. Deutschi.
(1783) 12, 74; dieser . . . hat mir mit zuvorkommender gute
die benutzung derselben (Mozarts Manuskripte) gestattet
1405
GÜTE 3
GUTE 3
1406
O. Jahn Mozart i, 187, a?im. 47; bei in steht in älterer
spräche vielfach der artikel, so noch gelegentlich bei Göthb
und mundartlich:
damit sie gar thetten erwelclin
den fromen füisten ir gemüt,
das sie zu gnad und in der gut,
zu gnad, sag ich, sind auffgenomen
B. Waldis streitged. 5 ndr.;
ist also vorbemelter knab . . . durch die zuverordnete räht
in der gute und mit ernst angefragt, wie er doch hinder
disen handel kommen J. Näs antipap. eins u. hundert
(1567) 1, 225*; und doch haben wir gemessene ordre, euch
in der gute zu überreden Göthe 8, 124 W.; i häb esm s
i~ da bestn güadn gsagt Schmeller-Fb. 1, 965; entspre-
chend ohne artikel:
verstet mtn red in güete,
sint ichz in güete meine
Hadamar V. Labee jagd 638;
gut einfeltige schwencli in gut
bewegen o£ft ein ernsthafft gmüt
Hans Sachs 21, 33 ff.;
hab ich Schwachheit und gebrechen,
herr, so lenclie meinen freund,
mich in gute zu besprechen
Paul Gerhardt bei Fischee-Tümpei 3, 419";
ich wül der wos söge, Fritz, und zwor in gibt Nieber-
GALL dram. w. 134; anders %n gnädiger laune' :
Klio, Klio, lasz erbitten,
lasz erbitten dich doch Itzt;
zeige dich einmal in gütten
V. Fleming 306, 15 L.;
absolut loie ''gütliches zureden' : gute und drohen waren
vergebens Grillparzer s. w. 19, 231 8.; ohne gute 'ohne
Schonung, unter aüen umständen': se wollts anegitt
wissen (erzgebirg.) Müller -Fratjr. 1, 453.
d) alt ist die anwendung auf die handlungsweise als
solche, deren beschaff enheit der freundlichen gesinnung des
handelnden entspricht.
a) in allgemeinem gebrauch:
wie mac siz behüeten?
ich fröwe mich noch ir güeten
Walthee 115, 21;
wä von sie {die planeten) güete (gnädige einwirkung) müezen
hän XJlr. V. Eschenbach Alexander 8407 T.;
dasz eine wunde seele heilt
durch freundes Zuspruch, gunst und gute
K. Stieler geh. Venus 31 ndr.;
wenn gut, in solcher absieht ausgeübt,
noch gute heiszon kann Lessinq 3, 5 L.-M.;
eim alli güeti versprechen Stafb-Tobler 2, 556; aber
alles war verschwendet, alle gute, alle fürsorge Polenz
Orabenhäger (1897) 1, 126;
darum bltt ich um die gute,
dasz man sie vor katzen hüte
Brentano ges. sehr. 5, 130;
besonders im gegensatz zum ernsten, strengen oder gewalt-
samen verfahren: doch schlage ich nicht ab, das man
am ersten die gute mit yhn versuchen soU Luther 15,
129 W.; dasz der keyser . . . nach nicht verfangter gute
den ernst vor die band namb v. Brandts ehrenkräntzel
(1678) 215; ernst und gute versuchen ufar rigore e dolcezza
Jaqemann dtsch.-it. wb. (1799) 2, 554; CeUa, seine Schwe-
ster, die immer zur gute räth 0. Jahn Mozart l, 288;
(der könig) redete zur gute bei den einzelnen, weil er
aber der Versammlung im ganzen groUte, hielt er seinen
minister noch fest Dahlmänn gesch. d. frz. revol. 112.
ß) speziell in festen präpositionalen fügungen:
aa) durch gute im sinne 'durch freundliches vorgehen,
zureden', oft im gegensatz zur gewalt:
durch reht noch durch güete
enhete siz nimmer getan,
si muose gewalt od vorhte hän
Haetmann V.Aue Iwein 7706;
die auszenstehende schulden durch gute und recht einzu-
treiben HuNOLD neue br. (1723) 630; als es ihm gelang,
mehr noch durch gute als durch anwendung von gewalt.
seinem rechte auf den thron von England räum zu ver-
schaffen Ranke s. w. 14, 35; anders im sinne 'durch
freundschaftliche handlungsweise, durch freundliche be-
mühung' : es ist uns durch die gute einer gewissen freundin
zugestellet Gottsched vernünft. tadl. (1725) i, 177; durch
die gute eines gelehrten reisenden A. v. Humboldt kos-
mos 2, 124; durch Ernst Martins gute war er {der sammel-
band) mir zugänglich geworden K. Burdach in: W. Sche-
ber kl. sehr. 1, vi ; ebenso gelegentlich mit aus : er lernte
das gerbergewerbe aus gute mildtätiger menschen Stif-
ter s. w. 5, 1, 105 8.
ßß) mit gute 'mit gütiger behandlung, freundlicher ein-
wirkung' :
(dasz ihr) joh untar tu mit guati irbietet otmuati,
mit mihilen mlnnon iz frammort zeigot mannon
•Otfeid IV 11, 51;
das ist ein gröszer narr: er legt die sporen an,
da er sein treues pferd mit gute lencken kan
Che. Weise erznarren 18 ndr.;
es lautet aller meister lehr:
man gewinnt mit gute mehr
BiNDEE sprichw. -schätz 81;
mit gute und gelindigkeit musz also der offizier den
jungen Soldaten bilden Meinecke v. Boyen \, 31; oft im
betonten gegensatz zur gewaltanwendung :
was man oft könnt mit gute schlichten,
soll ihre macht und trutz verrichten
Seb. Brant narrenschiff 13, 3 Z.;
wer gotts wort nicht will hören mit güete, der mus den
hencker hören mit der scherpffe Luther 18, 386 W.;
und als er nun sähe, dasz er mit gute nichts an ir ge-
haben mocht, da hub er an und dräwet ir buch der liebe
(1587) 343*1; dardurch er die knecht weder mit gute
noch böse fort bringen mögen Stumpf Schweizerchron.
(1606) IQ^; maszen er . , . mit schörffe und güete darauff
trang, das Friderico seyn entzogene ehr und gueter
widerumben zuekamb v. Brandis ehrenkräntzel (1678)
165; was man mit der gute haben kan, soll man nicht
mit gewalt suchen D. Kern auserles. sprüchw. (1718) 54
bringt ihn zurück, mit gute, mit gewalt
Geillpaezee «. w. 6, 240 S.
anders vom bedrohten subjekt aus 'gutwillig, freiwillig'
drumb gib nur her mit gut das geldt
B. KeüQee spiel V. d. bäur. richtern 47 B.
oder gebt sie (die u^ürste) mir mit gute wider Pape garte
teuffei (1586) p 2».
yy) in der gute, und bis in heutige spräche erhalten in
gute im sinne 'in freundlicher handlungsweise', auch hier
oft gegenüber der gewalt: derhalben ihn {einen landstreicher)
gemelter amptman gefängUch hesz einziehen und in der
gute {ironisch für 'peinlich' ?) besprechen, bekennete er
seiner redhchen stück so viel, dasz er an galgen ward
gehenckt Kirchhof wendunmuth 2, 228 Österley;
ihn zu erweichen in der gut
W. Spangenbeeg bei Dähnhaedt griech. dr. 1, 206;
man berathschlagte sich . . ., wie pabst Johann zur Voll-
streckung seines Versprechens entweder in der gute oder
durch gewalt könnte gebracht werden M. I. Schmidt
gesch. d. Dtsch. 4, 94; alles anwenden . . ., um in der gute
die verdorbene menschheit vom thier ab- und zu Christo
zu ziehen Jung-Stilling w. 3, 362 Or.; S. aber schicket
er, sich umb der Ambre liebe in gute zu bewerben Lohen-
stein Ibrahim 8ultan vorr. b 5»; warumb hab ich dann
nicht . . . mit gewalt . . . dasjenige genommen, was mir
in gute nicht hat werden können schausp. engl, comöd. 221
Creizenach; wenn er {der regisseur) dieses nicht selbst
in gute vermöchte, bey der üitendanz ungesäumt davon
anzeige zu thun Göthe IV 28, 17 W.; dies muszte jedoch
in gute geschehen M. v. Ebner-Eschenbach ges. sehr. 1,
172; vom bedrohten subjekt aus 'gutwillig, freimllig' :
die thut gar nichts nicht in der gute,
sie wUl und musz geschlagen seyn
J. Rachel sat. ged. 146 ndr.;
wenn sie in der gute nicht ausziehen wollen, so stoszen
wir sie mit gewalt aus dem hause Sperling Nicodemus
1407
GÜTE *
GUTE *
1408
quaerens (1718) 1, 1314; wenn sie mich nicht in der gute
lieben wollen, so müssen sie Stoppe Parnaaz (1735) 491;
der marquis . . . fragte, ob sie in gute sich zum katholi-
schen glauben bekennen würde A. V. Aenim s. w. 2,
134 Gr.;
. . . denn in gute
geb ich dir diese dabin, obschon unwilligen herzens
BÜRGER w. 213 B.
4) von gute 3 d aus übertragen auf den durch friedliche
gesinnung und freundliche handlungsweise hervorgerufenen
zustand der ' eintrachV , des 'einvernehmens, Übereinkom-
mens' usw.; auch rechtstechnisch als 'einigung, Versöhnung,
vergleich' in fester frägung; vergleichbar ist schon:
wio ■wunnisamo guati ('eintracht') joh minna so gimuati
thar unter then ist iamer bi thaz hiar thultent thaz ser
Otfkid V 23, 5;
wir sollen es ee mit guet {'einträchtig, gemeinsam') überlegen
das man im sein leben nem
altdtsch. passionssp. a. Tirol 17 Wack.
a) in juristischer Verwendung als 'einigung, überein-
kommen, gütliches einvernehmen, vergleich' seit dem 15. jh.
{vgl. unten hy u. d) zu belegen, aber wohl älter: {es) wart
berichtet mit gude, also dat de bischop de borgere
vragede, eft he sik an der stad sodaner wis vorgrepen
hedde städtechron. 7, 252; in allen zweiffehchen . . . fäUen
. . . erstlichen die guten ... zu suchen {v. j. 1613) bei
PiscHEB Schwab. 3, 960; worüber der klagende schuldherr
dem beklagten Schuldner die gut angeboten, und sich
alle aufgelaufene zinsen zu erlassen erkläret Scbiver
seelensch. (1701) 2, 348; gelegenheit ..., den gütlichen ver-
gleich zu abrumpiren, und mir hernach die schuld bey-
zumessen, dasz sich die gute zerschlagen Chb. Thoma-
sius ernsth. gedank. (1720) 3, 42; die pflegung der gute ist
eine gerichtliche handlung, darinnen ein richter die vor-
gefallenen handlungen gütlich beizulegen und zu ver-
gleichen suchet Haym jur. lex. (1738) 279; von Versuchung
der gute allg. dtsche bibl. anh. 37-52, 1161; der stadt-
richter versuchte die gute noch einmahl und die parteyen
fingen schon an, es allmählich näher zu geben Wieland
s. w. (1794) 20, 14; ich stand demnach schon im termin
in person, verwarf vorher gute, und befestigte sogleich
den krieg rechtens J. Paul 5, 83 Hempel; auch für das
gerichtliche güteverfahren selbst {vgl. unten ß M) : vor wohl-
gedachten löbhchen oberhofgerichte oder wohin sonsten
die Sache gedeyen möchte, zur gute und recht zu er-
scheinen HuNOLD newetr. (1723) 633; von diesem juristi-
schen gebrauch aus zu verstehen die redensart ein Vorschlag
zur gute, vgl. Vorbescheid zur gute decreto con cui sono
esortate le parti alla transattione amichevole Kbamer
t.-ital. 2, 487^: überlegt es immer, gnädige frau amt-
mannin, ich dächte nun so, es wäre ein Vorschlag zur gute
Rabener s. sehr. (1777) 3, 68; in der zeit, da die alte ehr-
liche Schreibung . . . noch obwaltete, wurde ein verschlag
zur gute gethan Klopstock gram, gespr. (1794) 24; es geht
unser Vorschlag zur gute dahin, dasz . . . Göthe II 11,
66 W.; formelhaft auch im wege, auf dem wege der gute:
soviel konnte man voraussehen, dasz die feindseligkeiten
nicht im wege der gute ausgeglichen werden würden
Ranke s. w. l, 226; noch einmal versuchte er die sache
auf dem wege der gute Dboysen gesch. Alexander d. gr. 83.
b) besonders in formelhafter präpositionaler fügung mit
in; mit artikel in der gute nur bis ins 18. jh. hinein ge-
bräuchlich, aber noch mundartlich erhalten, vgl. Baueb-
CoLLiTZ waldeck. 41^.
a) in allgemeiner anwendung; Hn eintracht' :
ich und mein bruder wollen in guten
dasz reich regiren, weil wir leben
J. Ayree dram. 19 lü. ver.;
gern in paarungen:
hier sey von herzensgrund, in gut und frieden
an Hermlas huld mein antbeil dir beschieden
Shakespeare 1, 237;
alles in liebe und gute, herr erbförster, wie gestern der
Sänger im theater sagte Holtei erz. sehr, 3, 24.
ß) hauptanwendung im sinne 'auf dem wege gütlichen
einvernehmens' , auch in bezug auf das juristische Ver-
gleichsverfahren, vgl. schon mnl. : om die sake der geschillen
... in der gueden tot eynen mynliken accort . . . te vol-
bringen publ. Limb. 14, 84 bei Vebwijs-Vebdam 2, 2019 :
welche stadt ingleichen ihren accord in der gute machte
S. V. Birken verm. Bonaustr. (1684) 196; wie nun ihr
vater aUe hoffnung, seine tochter in guten wieder zu er-
langen verzweiffelt, habe er solches durch list . . . aus-
zuüben getrachtet Lohenstein Arminius (1689) l, 541»;
bilhge Zahlungsfristen in gute zu erwerben J. Moser s. w.
1, 238 Ab.; legt die feindseligen Werkzeuge aus der hand,
und überlaszt es mir, durch des kaisers vermittelung in
gute die rechte meiner kinder zu verfechten Meisl theatr.
quodlibet 1, 181 ; wei wilt et iner güde afmaken Bauer-
CoLLiTZ waldeck. 41^; in göden afmaken Mi meckl. 25;
Renald hielt sich noch, ... er wünschte immer noch, alles
in gute abzumachen Eichendoef s. w. 3, 314; wäre es
möglich, ihn zu disponiren, dasz er mit der academie
friede machte, so Uesz sich durch Voigt, der jetzt pro-
rektor ist, wohl alles in gute abthun Göthe IV 10, 238 W.
y) in (der) gute als fester terminus, vorab in der rechts-
sprache, mit typischen verben verknüpft, so vertragen,
vergleichen, beilegen, vereinen, handeln usw.:
man köndts vertragen in der gut
und richten einen rezesz auff
J. Ayrbr dram. 138 lit. ver.;
vertragen wir uns lieber in der gute miteinander! Gry-
PHius lustsp. 161 P.;
und ineinander leg ich euch die bände,
. . . vertraget euch in gütel
Brentano ges. sehr. 6, 106
was sich vor gebrechen, irrungen und Zwiespalt zutragen
werden, dieselben soll unser hofmarschalck kegen ein
ander verhören und vleisz haben, die in der gute zu ent
scheiden und zu vergleichen sächs. hofordnungen 56 Kern
wenn sich aber beyde theile entweder in gute miteinander
vergleichen M. I. Schmidt gesch. d. Dtschen l, 309; {wel
che) gebrechen in der gute und fruntschaft hin und bey
geleget mochten werden {v. j. 1495) rezeszbuch d. sächs
oberhofger. bei Haltaus 764 ; sie {die Streitsache) wäre noch
in der gute beygeleget Chr. Weise d. klügst. Ieute{l675) 35
Zacharias . • . liesz sich angelegen seyn, die sache in der
gute beyzulegen M. I. Schmidt gesch. d. Dtschen l, 276
und alle sach {ein prozeszhandel) jti git hingelegt wordn
ist und abgethan stadtb. v. Falkenau 49 Pietsch; die chur
fürsten Sachsen und Brandenburg die sache in gute bey
zulegen gesuchet {haben) Chemnitz schwed. krieg 1 (1648) 5
einen versuch den zwist in gute beizulegen Mommsen röm.
gesch. (1874) 2, 45; die parthey {hat) solcher puncten zum
thail mit iren gueten willen und vorwissen in der giette
veraint {v. j. 1518) LoRi baier. bergr. 159; in wie fern
nun die itahänischen theoretiker sich in gute vereinigen
können, wird die zeit lehren Göthe 41, 1, 138 W.; {man
soll) solches auch mit den geschwomen desz goldschmid-
handwercks also in der gute handien Nürnb. Urkunde
V. j. 1583 in: anz.f. d. künde d. dtsch. vorzeit, n. f. 24, 256,
vgl. in der gute handeln accorder Widerhold dict. (1669)
163^, in der gute sich scheiden partirsi ä bona dolce
Castelli wörterb. (1741) 1, l^; bat derwegen, er wolte
die Sachen dahin richten helffen, dasz sie in gute von
einander geschieden werden möchten Binhaedus thür.
chron. (1613) 94.
6) als 'im Schlichtungsverfahren, güteverfahren' in beton-
tem gegensatz zur entscheidung durch rechtsurteil: es mögen
auch die vorgenanten abt . . . die ding guthch handeln
und versuchen lassen, usserhalb rechts in der gute grunt-
lich zu verfassen {v. j. 1465) bei J. B. Mencke script. rer.
germ. 1, 570; das alles haben die dorfsjunkern und ganer-
ben mit recht oder in der guete zu vertragen {v. j. 1508)
weisth. 6, 43; was denn durch die selben obman . . . ynn
der güete gesprochen odder zu recht erkend wird Luther
18, 339 W.; ein mager vertrag in der gute ist besser denn
ein fetter mit rechte Petri d. Teutsch. weiszh. (1604) x 6»;
ob sie sich wollte mit ihrem ersten manne in gute setzen,
oder ob er durch die rechte es suchen müsse Holston und
Augusta (1780) 249.
1409
GÜTE 5
GUTE 6 -GUTEFRAU
1410
5) von gute 3 b und c aus verdinglicht auf das saddiche
ergebnis der freundlichen handlungsweise übertragen.
a) allgemein 'wohltat, liebesbeweis, gnadener Weisung,
gunstbezeugung, aufmerksamkeiV :
starb afur therer noti, er nnsih samanoti
joh sines tothes guati zisamane gifuagti
Otfrid III 26,48; vgl. Hartm. 151;
der also manege güete
mit väterlicher staete
ime erzeiget haete
GOTFRiD V. STKASZBURa Tristan 5044, vgl. 1365;
eUiu gute chumit von im (von gott) specul. eccl. 89 Kelle;
und die vorgeschrebene gäbe und gute tuen wir und
haben getan urk. v. j. 1409 in: lehnsurk. Schlesiens 1, 358;
got der almechtig, der aller gute ein überflüsziger geber
ist Arigo decam. 103 K.;
wir danken dier (Cliristru) der lieben gut (die ftuzwaschung)
MUKNEK dtsche. sehr. 1, 2, 39;
daraus ich gottes sonderliche führung ... zu spüren, ihm
vor seine erweisete gute und wohltaten ... zu danken
(hätte) V. ScHWKiNiCHEN denkwürd. 6 Österl.;
(die sonne) streuet lauter gut und gaben
LOGAU sinnged. 380 E.;
gott selber können wir vor seine gute und gutthaten
nichts höhers zahlen S. v. Bikken ostländ. lorbeerhayn
(1657) 2b;
wann Ich schlafe, wacht sein sorgen
und ermuntert mein gemüth,
dasz ich alle liebe morgen
schaue neue lieb und gut
Paul Gerhardt bei Fischer-Tümpel 3, 348";
wie dein erbarmend hertz so manche huld und gute
an denen leidenden und armen auszgeübt
Henrici ernst-, scherzh. u. sat. ged. (1727) 1, 50;
{wir rasteten) im Lentinschen hause, welches uns mit gute
überhäufte Bahrdt gesch. s. lebens (1790)4,17;
ich darf euch wohl um eine gute bitten?
ich bitt euch, mir durch einen eurer diener
nur ein glas wasser freundlich zu gewähren
GÜTHE 11, 239 W.;
nun zeigt euch dankbar für die viele gute,
die ihr von mir empfingt Grillparzer s. w. 8, 256 S.;
wenn einer undankbar war, so seid ihr hingegangen und
habt ihm eine neue gute erwiesen Stifter s. w. 2, 159 S.;
vereinzelt an gut tun 'wohl bekommen' (vgl. sp, 1325) an-
geschlossen:
bei tische trank sie niemals bler,
denn dessen fetter saft erwies ihr keine gute,
erweckt ihr herzensangst und stocken im geblüte
Arist Schild. (1764) 9;
ich wollte der alten eine gute thun Storm s. w. 1, 144.
b) von hier aus seit dem 18. jh. in fester formel ent-
wickelt reflexiv sich eine gute tun, antun, die an gut
III A 1 angeschlossen wird und in die bedeutung 'sichs
wohl sein lassen, sich delektieren, sich eine erquickung
verschaffen^ übergeht, vgl. sich gütlich tun, sich etwas
zu gute tun, sich ein gütchen tun: der alte hat mir ein
schönes bette aufschlagen lassen, da will ich mir eine
gute tun samml. V. schausp. (1764)2, Burlin d 1^; eines
theils verlangte seine natur eine erquickung, und zwar
mit eben dem recht, mit welchem sie häufig die kindtaufs-
väter anreizt, sich eine gute zu tun Hertzbero Eulenspie-
gel (1779) 1, 42; von den einwohnern der stadt, die sich
in wein oder hier oder meth bei musik und tanz eine
gute thun Chr. Fr. Schulz reise c. Livländers (1793) 5, 241 ;
da hätte ich mir nun eine gute anthun und ein halb
schock austern in den kaffee tunken können Gaudy
3. w. 2, 66; da hatten sich die leute eine gute gethan, aber
sie waren die Sachen nicht gewohnt denkwürd. e. arbeiters
2, 359 Qöhre; mundartlich verbreitet, vgl. z. b. ich tue mir
eine gute Fischer schwäb. 3, 960; sich anne gitte tun
Müller-Fraur. 1, 463; Sek en gute andonn Müller
rhein. 2, 1525; sich eine gute anthun Hertel Thür. 111;
ohne den unbestimmten artikel vereinzelt in mischung mit
sich gütlich tun:
. . . meine ganze suito
sei schon in freudenreichem schall
an bord und thät sich gute
SlICHENDORF «. W. 1, 249. l
IV. 1. 6.
6) auf ältere spräche beschränkt bleibt die verdinglichung
für 'nutzbare, genieszbare, wertvolle sache^ (vgl. gut, ».,
sp. 1355); hier ist vorwiegend mit herleitung aus gute 1 aa
U7id ß zu rechnen:
liaz inan (Adam) waltan alles thes wunnisamen feidos
nuzzi thera guati zi thlu er thiz (verbot) gihialtl
Otfrid II 6, 12;
du bist min got, wanda mines cuotes nebist du dürftig,
minero guoti newirdest du salig (deus meus es tu, quoniam
bonorum meorum non eges ps. 15, 2) Notker 2, 40 Piper,
vgl. 2, 17 (ps. 7, 5); damit der vorlasz und güete, von dem
truck und schlechten wein absonderhch eingezogen . . .
werden (v. j. 1620) nach Fischer schwäb. 3, 960;
itzt, da das reiche feld in voller rose steht
und mit so mancher frucht und gute schwanger geht
P. Fleming dtsche ged. 1, 149 L.
^GÜTE, /., name eines gerätes: 'gute, eine hollandoise
oder Schwung schaufei' Benzler deichbau (1792) l, 183.
GUTEDEL, ad}., zusammenrückung aus gut urul edel;
zu gut II B 1: gutedel nobile genere natus Stieler 21; zu
gut V A 1 c: (mancher, der) nach Weisheit trachtet, . . .
nach gutedlem, über leibesbedarf erhabenem sinne des
alterthums J. H. Voss arUisymb. (1824) 2, i&7 -y^nders, aus
gutedel, m., adjektiviert:
dasz der wind anhauch . . .
ungehemmt eindring an die zarten träublein,
welche voll gutedeles mostes schwellend
bräune gewinnen J. H. Voss «. ged. (1802) 3, 180.
— gutedel, m., auch f. 1) name einer rebsorte (vitis vini-
fera aminea), wohl Verkürzung und zusammenrückung von
gut und edler wein ; anscheinend zuerst für einen frühen
weiszen wein, vgl. Pritzel-Jessen 445; seit dem 17. jh.
zu belegen, jedoch älter (s. gutedelwein) ; vgl. gutedel . . .
species quaedam uvarum Apianarum Stieler 21 ; in älterer
spräche noch als substantiviertes adj. behandelt, auf traube
bezogen als fem. *
die Glefener schwartzbraun und die gutedle weisz,
die MuscateUer gelb Weckherlin ged. 2, 382 Fischer;
vgl. mundartlich gutedel, /. 'weisze traube' Follmann
lothr. 221 ;
gutedel sind allein die reben, die er setzt,
er gleicht dem Bacchus so, wie Bacchus Ihn ergötzt
V. König ged. (1745) 483;
verselbständigt als m.: die besten trauben . . . sind die
Muskateller, . . . der gutedel . . . Oken allg. naturgesch.
3, 3, 1869;
und es hingen herein gatedel und MuscateUer
Göthe 30, 214 W.;
ihr kirschen und Ihr kästen sollt
noch manches jähr gedeihn,
auch du gutedel, flicszend gold,
auch du markgrafenweln ,
SCHKNKENDORF ged. (1815) 135;
ebenso mundartlich, vgl. Fischer schwäb. 3, 961, Martin-
Lienhart eis. l, 15, Meisinger Bappen. 81; auch roter
(gelber), schwarzer gutedel, s. Pritzel-Jessen 445, 449.
2) im alem. ironische bezeichnung für einen taugenichts,
vgl. Fischer schwäb. 3, 961, Meisinger Rappen. 81, zs. f.
hochdtsche maa. 2, 237: 'nach Amerika schick ich ihn, den
gutedel!' schrie er zornig H. Hesse nachbarn* (1909) 93;
in jedem der beiden zimmer wohnten zwei solche gutedel
mitsammen W. Ghezy erinn. l, 263; anders in positiver
bedeutung verwendet: jetzt spielt der pfarrer den gutedel
Auerbach sehr. 2, 213. — gutedeltraube,/., vxis gut-
edel, m.: den allbeliebten badischen weiszen markgräfler,
. . . einen milden und frischen lieblichen tafelwein, mei-
stens aus der gutedeltraube gezogen H. v. Zobeltitz
d. M?eiw(1901) 50. — gutedelwein, m., was gutedel, m.;
bereits für das frühe 15. jh bezeugt, vgl. gu tedil wein /a?er-
num (lat.-dtsch. gloss. v. 1410) Germania 37, 187. — gute-
f rau,/., zusammenrückung entsprechend gut IV A l caßß,
vielleicht auch euphemistisch (vgl. gut IV A 4): es werden
diese von den scribenten Sibyllen, nachtfrauen, gute-
frauen und mit dergleichen namen genennet G. Präto-
89
1411
GUTEGROSCHEN— GÜTELN
GUTEMANN— GUTEN
1412
BIFS anthropod. Plut. (1666) 2, 117; anders gutfrau zu gut
I A 5 b für die 'trauzeugin', vgl. Fbischbiek preusz. wb.
1, 260. — gutegroschen, m., zusammenrückung eni-
sprechend gut I A 5 a /3 öd': ich dachte an Harlekin, wie
er den brief seiner Colombine aus mangel eines guten-
groschens nicht von der post lösen konnte J. Mösee s. w.
3, 17 Ab., vgl. gudnkresn Henteich Eichsf. 102. — gute-
hulde, pl., zusammenrückung entsprechend gut IV A 1 c
a j3/3 : in Deutschlande hat man sie geheiszen wichtlichen,
erdmännerchen, gutehulden und helle käppelein und man
hat sie gefunden, dasz si^ schusseln in der küchen ge-
waschen haben theatr. diabol. (1569) 19^'. — güteklasse,
/., zu gute 1 b: die deutschen Spinnereien bezeichnen ihre
güteklassen mit buchstaben Luegee 5, 411.
^GÜTEL, n;, auch gutel, was ^gütchen (s. dort), 'freund-
licher geist, koboW; vielleicht zunächst ableitung von gott
als götel 'gölze', dann volksetymologisch auf gut IV A
1 ca ßß bezogen, vgl. bergmenlein, kobel, guttel daemon
subterraneus mitis G. Aoeicola de anim. subterr. (1549)
B b 3»; zur sache s. K. v. Bahdee beitr. 22, 534 und
Bächtold-Stättbli hwb. d. abergl. 3, 1233/.;
nü staut von dlnem glouben und gich dem mfnen got,
dln got Ist ein gütel, daz geloube fi.ne spot
Wolfdietrich B bei JXnickb heldenb. 3, 253;
kombt er zum beutel umb das wunschhütel,
so wird ich beiazen nicht der gütel
H. Sachs 12, 218 K.- G.;
und die (heinzelmännchen) man, weil sie sich dem mensch-
lichen geschlecht gütig erzeigen, ... zu deutsch gütel
heiszet Peätobiüs anthropod. plut. (1666) 1, 373, vgl. giü
ein kindergespenst Göpfebt sächs. Erzgeb. 36, vgl. auch
guteli:
die ■werckleut nennens (die berggeister) guteli,
werden sonst auch genant trulll
J. E. Kebmann natur. magn. (1620) 202.
*GÜTEL, n., was '^gütchen, obd. deminutiv zu gut, n.;
besonders als 'kleines ländliches besitztum' (gut, n., B3):
item ich wil, dasz das güettel undt drei dorffer . . . ver-
khaufit werden dem herrn Nobb. Heebmann Rosenberg-
sche chron. 41 Kl.; zunechst daran stoszend ein güttel, der
Mosweeg genannt, darauf der Ekhainrieder sitzt {v. j. 1578)
bei V. LoEi baier. bergr. (1764) 306; so haben wir, ich und
meine mutter, allein auf unserm gütel gehaust Anzen-
GEUBEEsres. w. 3, 85; vgl. gieti Staue v. d. Maech rurrd-
mähr. 44; güetl kleines bauernanwesen Schöpf tirol. 220;
von einem kleinen besitz im allgemeinen (gut, n., Bl):
daz du daz sin {deines nächsten) armez güetel hsetest
zuo dem dinen guote Beethold v. Regensbubg pred.
1, 62 Pf.; der, dem der schaden geschieht, (mag) dar-
nach in seines {des täters) vatters oder herrn hausz
geen . . . und sein güetl zu im nemen und von dannen
gehen österr. weist, l, 23 ; leiblicher brüeder, die . . . ainer
von dem anndern nichts aygens noch vortail süecht,
sonder all ir güetel lieblich miteinander brauchen
Beeth. V. Chiemsee tewtsche theol. (1528) v 6*'; der faul-
lentzet, jaget sein gütel durch die gurgel Dannhauee
catechismusmilch (1657)2,60. — gutele, n., von gut
III A 1 a gebildet, 'süszes nuschwerk'; im obd. kinder-
sprachlich verbreitet für bonbon, vgl. gutele Schmid
Schwab. 246, gutel Follmann lothr. 221, guteli Staldee
1, 503, gueteli Toblee appenzell. 245», guatl Schmelleb-
Fb. 1, 965, guetele Schöpf tirol. 221, gutel Lobitza Vienn.
57; verdoppelt wie bonbon: guadlguadl Castelli nieder-
österr. 157: wir lekerleten immer . . . und redten schon
sogar von den f üllungen zu diesen neuen guteinen Pesta-
lozzi s. w. 1, 35 Buchenau; ironisch zu gut IV A von
Personen: er ist ein gutele 'er ist ein etwas schlimmer
mensch' Schmid schwäb. 246.
GÜTELN, gutein, vb.; ableitung von gut IV A 1 im
sinne freundlich tun, liebkosen':
kan die deutsche spräche schnauben, schnarchen, poltern,
donnern, krachen,
kan sie doch auch spielen, schertzen, lieben, gütteln, kür-
meln, lachen Logau sinnged. 521 E.,
vgl. Hopfmann v. Falleesleben schles. wb. 8 ; anders, zu
gut III A gebildet: guetelen 'gut sein, gut riechen oder
schmecken' Schöpf tirol. 220, — gutemann, m., zu-
sammenrückung entsprechend gut II B 1 b 'edelmann' :
desse gave gaf her ridderen unde knapen,
darto harnesch, pantser unde wapen;
he begavede rlkliken alle gudeman
unde scholdo also tehen in groten eren vordan
holstein. reimchron. 413 Weiland;
dat de gudemans vomemen unde sanden se deme mar-
greven städtechron. 16, 404; {ein) spruch, wodurch er seine
gutemanns (so nante er die im krieg dienende von adel) zur
Wachsamkeit aufgemuntert {hat) Schottel haubtspr.
(1663) 781; vgl. gutmann. — gütemasz, n., zu gute 1 b:
als gütemasz für das material dienen beim schlagversuch
die beziehungen zwischen formänderung imd . . . schlag-
arbeit Luegee 7, 234.
^GUTEN, vb., intr.; mhd. und im alem. mundartlich be-
zeugt; die umlautlosigkeit setzt ableitung von gut adj., nach
der 3. kl. der schw. verben {ahd. *guoten) voraus, doch steht
neben inchoativem gebrauch auch essentieller.
1) mhd. mit persönlichem Subjekt und dat. der person;
zu gut III A 'angenehm sein, wohltun, erfreuen':
kurz rede von guoten minnen,
diu guotet guoten sinnen
GOTFEID V. Straszbukg Tristan 12190;
(du willst) . . . mit edelcr spise dime fleische gute
und nicht dir abe tzihen die spise
JOH. BoiHE lob d. keuschh. 2048 ^.;
anders zu gut IV A l c 'gnädig, hilfreich sein':
b1 sal uns guotende sin
Pilatus vorr. 91 bei Maszmann ged. d. 12. jks.
2) in neuerer alem. mundart im sinne 'gut werden, besser
werden', vgl. gueten 'gui, besser werden, von krankheiten,
wunden (m. dat. d. person), vom weiter, von feldfrüchten'
Staüb-Toblee 2, 555, guete Seilee Basler ma. 153, gueta
Stucki Jaun 297; guten Bühlee Davos 1, 43; zu gut
I A 2 c ^ : si {die sahne) tued nit gueten d' raab (sie wird
durch stehenbleiben nicht besser) Feiedli Bärnd. 2, 395; zu
gut I A 2 c y : do begond der herbste und der wyn guoten
und zyten Hans Feünd chron. (1446) bei Staub-Toblee
a. a. 0.; d trüben händ wacker g'guetet (sind im Wachs-
tum, in der reife fortgeschritten) die wuchen (Zürich) ebda;
zu gut I A 2 d: des Joggeiis bein wiU gar nicht gueten
Beeitenstein bei Stäub-Toblee o. a. o.; auch zu gut
VAld 'gut tun, gehorchen': der bub will nit gueten
(Basel) ebda; häufig unpersönlich (mit haben konstr.) zu
gut I A 2 d a und III A 3 c bzw. VII C 3 a y vom besser-
werden des gesundheitlichen zustandes, vgl. es hed mer frei
geguetet 'mein befinden hat sich bedeutend gebessert'
ToBLEE appenzell. 245*; guten 'besser werden im physischen
sowohl als moralischen sinn, dann auch aufhören oder
wenigstens nachlassen z. b. bei krankheiten, schmerzen':
s chopfweh hed mer gguetet 'meine kopfschmerzen haben
nachgelassen', es guetet mittem 'er nähert sich der genesung'
Staldee i, 503;
B het menge schade gutet übernacht
J. P. Hebel bei Schiiid schwäb. 246;
mehr wie gut werden (vgl. gut I A 2 c e) im sinne 'besser
werden, helfen', vgl. es guetet 'es wird besser; eine Un-
ruhe, bewegung usw. läszt nach' Staub-Toblee a. a. o. :
wenn du dann weiszt, woran du bist, und es gutet
nicht, so turnire dann einmal recht aus dem ff aus, da-
mit sie wissen, woran sie mit dir sind J. Gotthelf ges.
sehr. 2, 151; wie gut sein (vgl. gut I A l b): meine Vittore
ist ihre beste freundin und es gutet ihr, wenn sie bei ihr
ist, mehr als alle doktors, die ihr nicht helfen können
Aueebach neues leben (1871) l, 126; etwas anders zu gut
I A 1 c hin: es guetet nüd, bis ich mit der ruete chummel
(drohung an die kinder) Staub-Toblee o. o. o.
^GUTEN, vb., ableitung von gut, n., B l ; 'mit gut, besitz,
habe ausstatten', vgl. anord. goeda 'beschenken' Möbius 147,
a^5.gödianBoswoBTH-ToLLEB483, Grein sprachsch. 1,521;
im dtschen scheint aber, aus der umlautlosigkeit zu schlieszen,
jüngere bildung vorzuliegen, vgl. guten, erbmachen trans-
scribere, transferre, tradere alicui hcereditatem Henisch
1785:
1413
GÜTEN
GÜTEN
1414
quam buschof Coinrait in de stat
unde dede de richsten anemoiden,
hei wolde si erven unde goiden
GOTFRiD Hagen reimchron. 1191 in: städteehron. 12, 55;
als festes partizlp gegutet 'besitz habend, begiUert\ vgl.
gegutet, geerbt possessor /actus, investitus in bona He-
NISCH 1785; wol gegut, reich von erbschafEt praediatus
ebda; wer in der mark gegutet ist und eigen rauch hat bei
J. Gkimm rechtsalt ertümer* 2, 21 ; wohl analogisch mii Um-
laut bedacht: guten, begüten sive begüteren ditare opes
alicui conjerre, augere bonis Stielek stammb. (1691) 718.
GÜTEN, vb., ableitung von gut, adj. {vereinzelter von
gute, /.) nach der l. schw. verbalklasse; nach giguaten Ot-
FEID I 3, 13 wohl bereits aM. gebildet; mhd. und im älteren
nhd. gebräuchlich, noch vereinzelt mundartlich bezeugt, vgl,
awcÄ guten bonißer, accomoderd Vamiable Schaffer iiscÄ.-
Jrz. wb. 1, 783 ; poetische neubildung zu gut I A 1 im sinne
'nützen, frommen' :
das ist gut, doch hat mirs nicht gegutet,
weil ich ach mich nicht gehütet
vor dem mund, der neu das körn beblüthet
RÜCKERT w. 2, 262.
1) frans, gebrauch 'gid machen^ zu verschiedenen bedeu-
tungen von gut, adj., s. auch Schweiz, güteren Staub-
ToBLEPv 2, 556; entsprechend gut I A 2 c £ mit arUehnung
an gut V B 5 :
hänt min munt, min sin biz har
gehender missehüetet,
daz Wirt von mir gegüetet
Iteinfrid von Braunschweig 12830 B.;
ähnlich:
Moabes grosse hochvart
des tages wart gegüetet,
genideret, gedemüetet,
gedruclset unde hin geleit
Rudolf v. Ems weltchron. 17784 Ehr.;
nu laszt darvon! man sol das dink guten
und sol sich vor groszen trunken hüten
fastnachissp. 855 K.;
anders, zu gut I A 2 c e ^/? oder wie *guten zu gut, n., B 1
im sinne 'entschädigen, belohnen':
. . . der der 6ren unde min
wirdecllchen hüetet,
ob den sin sorge gfletet
mit tröst, daz ist ein billich dinc
lieinfrid v. Braunschweig 8714 B.;
zu gut II A 1 'wertvoll machen, bereichern, steigern' :
wie süezet ez den herzen
der süezen minne smerzen!
wie güetet ez der guoten guot,
der höchgemuoten höhen muot
Rudolf v. Ems Alexander Zlb\ Junk;
zu gut III A 6 'erfreulich machen' :
wibes güete ist lieber vröude ursprink,
wip kan herze luter machen,
wip kan truren s wachen:
wibes güete güetet elliu dink
minnesinger 1, 361 » v. d. Hagen;
ZU gut IV A 1 b 'gewogen machen' :
{wenn die minne aus dem lande vertrieben ist,)
wer sol danne wibes muot gegen minne gueten 2, 263".
2) zu gut IV A 2 c bzw. IV B oder igüte 3 gebildet
trans. im sinne 'versöhnen, beschwichtigen', auch 'begü-
tigen, zum einvernehmen raten'; feste Verbindung ist den
zorn guten:
lä, senften unde güeten
dln angest unde dinen zorn
Konrad v. Würzburg Trojaneririeg 17166;
des erman ich dich, frow (Maria) an diss laid
und durch din grosz erbarmhertzkaid,
das du gen mir gütist
gottes zorn und mich behfitist
KONEAD v. Helmsdorf sp. d. menschl. heils 4355 Lindqvist;
mit des kochs antwort wunderhch
wurd dem ritter sein zorn gegüt
H. Sachs 9, 477 K.;
absolut:
zu allen dingen Ist sie {die bescheidenJieit) gut
und senflftet und güdet,
vll schaden sie behüdet
, mhd. minnered. 1, 89 Matthäi;
Ist iu liep daz güeten,
86 hat ein ende dirre strlt
Ulrich v. TOrheim Willehalm 242' nach Lbxee 1, 1111;
da hilfft kein bitten, kein sönen, kein guten S. Abto-
MEDES Christi, auszlegung (lüOy) l, 785; hei persönlichem
Objekt mit an:
das er sich meint zu hüten,
wol an der bauren schar,
und wenn sie werden wüten,
BD hülflt an ihn kein guten
Ambraser liederb. 153, 164;
wie hat der herr getobt und gewüt,
wie lang hab ich an ihm gegüt
J. Ayrer dram. 4, 2688 K.;
je mehr man an den gselln thut gutten
je grausamer mit werten wöten
Eyerino prov. (1601) 3, 166;
mit sächlichem akhusativobjekt 'eine sache gütlich beilegen,':
ach lieber nachtpaur, redt darzu,
das man die sach doch guten thu
H. Sachs 9, 56 K.;
aber durch den heiligen geist wirt alles versönet, gütet,
angenummen S. Fbanck chron., zeytbuch (1531) 3^; vgl.
mundartlich {Würzburg) guten 'zur gute, zum vergleich
rathen' Schmeller-Fb. l, 965, ebenso Reinwald henne-
berg. 2, 156; etwas anders 'nachsichtig beurteilen': gotes
freiend . . . gütent und entschuldigent ain iglichs ding
nach irem vermügen {handschr. beleg a. d. 16. jh.).
3) zu gut IV A 1 b M. c gebildet intrans. von personen
'sich als huldreich, gütig, freundlich erweisen'; mit ein-
schlag von gut V A 1 e {vgl. au^h gute 2 c):
werden vrouwen
stat wol daz si güetlich gueten
minnennger 2, 58'' v. d. Hagen;
wol ir, daz sie mir so güetlich güetet,
d& von min muot höe stät
Ulrich v. Lichtenstein frauendienst 39, 35 Bechst.;
ob gleich ein zoren ich anfach,
so gütet sie und gibt mir nach
H. Sachs 1, 448 K.;
wie gut sein 'zugetan sein' {vgl. gut IV A 1 haaa):
got ist Ir (der seele) vater, brüder, wlrt,
der aller gebresten gar verbirt,
der aller güeti güetet
der tcelden hört 1469 Adrian;
zu gut V A 2 :
{die) got in den selben menschen
gloubint unde anebetent
mit dem herzen innicliche guetent
D. ARME Haetmann rede vom glauben 594 bei Maszmann ged.
d. 12. jhs.;
woM unmittelbar aus gute 2 c abgeleitet 'mit gute versehen
sein, voller gute sein' :
got ist so wol gegüetet,
daz er darumbe niht wüetet,
daz ich an slner milte spur
Hugo v. Langenstein Martina 11, 75 K.
4) reflexiver gebrauch verteilt sich gleichfalls auf ver-
schiedene bedeidungen.
a) mit persönlichem Subjekt; hierzu stellt sich ahd. gi-
guoten, im anschlusz an gut III A 4 als 'sich angenehm,
beliebt machen':
sih Abraham giguatta joh druhtlne ouh giliubta
wanta er was giborsam Otfrid 13, 13;
hete sih in sinin tagin
din vater gote geg&tit,
genidert, gedemütit,
so were im bas in sinir zit
geschehin . . .
Rudolf v. Ems weltchron. 28097 Ehr.;
anders, nach gut III Aid hin, 'sich ergötzen, Wohlgefallen
haben' :
die grifen wonent ouch da,
die der gimmen hüten,
nicht daz sie sich guten
an der gute des steines
Heinrich v. Hbsler ApoJcal. 21648 B.;
gelegentlich zu gut IV A 1 im sinne 'sich als freundlich,
gütig erweisen':
haete sich unser herre got
. . . niht so gedemüetet
unde also sere gegüetet,
daz er durch sine güete
. . . des knehtes bilde nseme an sich
Rudolf v. Ems Barlaam 323, 35 Pfeiffer;
89*
1415
GUTENACHT-GUTENTAG
GUTENTAG-GÜTERBESCHAUER 1416
owe, grundloses gut, wie hastu dich nu so suzeklich in mir
gegutet Setjse dtsche sehr. 202 Bihlm. ; öfter zu gut V A 1
als 'sich gut machen'' d. h, 'eich in ethischer hinsieht bessern,
rechischaffen werden^ :
oder ob si sint ark gewesen,
daz sie sich wider gueten
und sich dan sider hucten
HElNiilCH V. Heslee Apokcd. 11499 S.;
tseten si sich davor hüten
und sich in all sach guten
und guot bild trügind vor
d. teufeis netz 5539 Bar.;
etwas anders 'sich als fromm zeigen'' :
{der getaufte heide)
. . . let sich noter rouben
sines cristenen gelouben
dan der dar an gewachsen ist
und der sich guten wil mit list
an den geberden buzen
Heinrich v. Hesler Apokal. 6504 E.
b) mit sachlichem subjelct 'gut werden^ ; zu gut I A 5 b
'sich als zuverlässig beweisen, bewähren' :
Ir trutgebaren stset
kund sich gsen im gilten,
daz in von unmiiten
dick uz sorgen lost
Johann v. Würzbüeo Wüh. v. Österreich 16172 R.;
zu gut II A 4, 5 im sinne 'sich zur Vollkommenheit toenden,
vollkommen werden': ich {die ewige Weisheit) bin daz ewig
gut, ane daz gut nieman nüt gutes hat ; und dar umb, so
ich mich ... als gütlich und als minneklich entgüsse, so
gutet sich alles daz, da ich hine kume Seuse dtsche sehr. 233
Bihlm.; anders, an gute 2 c angeschlossen 'sich als gute
erweisen : gn ^er guoten güete
sich so güetet unde meret alle tage
U. V. SlNGENBERQ in: minnesinger 1, 292» v. d. Hagen.
— gutenacht, /., zusammenrüclcung entsprechend gut
III A 3 d, der gutenachtgrusz, vgl. lux. ma. 157: abgesehen
davon, dasz er unzählige male schmollend zu bett ge-
gangen war, ohne gutenacht zu sagen G. Kelleb ges. w.
4, 23; danach so gaben sie einander küssend gutenacht
und ging er . . . auf seine kammer Mörike w. 6, 186
Krausz. — gutenachtgrusz, m.: dem Weisz hab ich
gestern meinen gutenachtgrusz . . . vorgestammelt Bet-
tine d. Oünderode 2, 145. — gutenachtkusz, m.: wie
sie . . . nach fröhlichem gutenachtkusz gleich wieder in die
küche eilte Stobm s. w. 7, 72; na, jiebste papan keen gute-
nachtkusz? G. Hauptmann iiöerjaeZz (1893) 20. — gute-
nachtpatsch, m., handschlag beim gutenachtsagen, vgl.
Fischer schwäb. 3, 968, Martin-Lienhart 2, 122. —
gutenachtsagen, n.: wir trennten uns . . . wie beim ge-
wöhnlichen gutenachtsagen R. Waoner ges. sehr. u. dicht.
8, 193. — gutenbeere, /., name der einbeere (paris
quadrifolia) Nemnich wb. d. naturgeseh. 216, vgl. die guten
beere {Zillertal) Pritzel-Jessen 265, s. auch gutblatter-
kraut. — gutenjahr, n., geschenk zum neuen jähr, vgl.
gut III A 3 b (ap. 1272): ich ... übergab meine Sinn-
lichkeit dem t{eufel) und seiner groszmutter zum guten-
jahr U. Bräkbr s. sehr. 1, 262. — gutenmorgen, m.,
morgengrusz: es war vor seinen obren unmöglich, dasz
man nicht fein war, und aus eurem gutenmorgen drehte
er ein bonmot Jean Patjl 7/10, 291 Hempel. ■— ^guten-
tag, m., scherzliaft für eine person, die viele besuche macht
bruder gutentag : aus dieser mittheilung ersah man, dasz
Armgart in der ganzen gegend zu hospitiren pflegte und
überall den bruder gutentg^g machte Gutzkow zaub. v.
Rom 5, 100. — ^gutentag, m., in älterer spräche etwas
häufiger gutemtag; seit dem ende des 13. jhs. als name des
'montag' bezeugt, besonders schwäb. als kuomtag, kwumtig,
guamtag, guamtag usw. bis ins 19. jh. noch mundartlich
gebraucht, sonst nur noch im nordösil. Schweiz., vgl. Fi-
scher schwäb. 3, 961-63, Stalder 1, 490, ToBLER Appen-
zell. 248; eis. noch bei Geiler v. Keisersberg, «.Schmidt
eis. 141; die frühere deutung von gutentag, gutemtag als
Wodanstag wie nd. Gudenstag für den 'mittwoeh' ist von
H. Fischer württembg. vierteljahrsh. n. f. 9, 164 und
schwäb. wb. a. a. o. endgültig widerlegt worden; irrig für
'mittwoeh' bei Birlinoer schwäb. -augsb. 208^, Schmid
■schwäb. 246 (a. o. sp. 1264). ungeklärt ist, ob gutentag.
gutemtag atta erstarrter formel an dem guten, gutem
tag {s. Grotefend zeitrechn. 79/.) entstanden ist oder aus
einer Verschmelzung von gut mit montag, s. gut II A 2 d /S
{sp. 1263); auffällig bleibt, dasz guter montag erst er-
heblich jünger bezeugt scheint als guter tag, was die erst-
genannte ableitung wahrscheinlicher macht, ohne sie doch
zu erklären; reiche urkundl. und chronikal. belege bei Fi-
scher schwäb. a. a. 0., dazu vgl. noch: geschriben in gro-
ser yl am gutentag nach dem fierden sunnentag des ad-
ventz {v. j. 1483) bei Steinhausen privatbr. d. mittelalt. 2,
87; uff gutemtag nach sant Niclaus tag Nürnberger urk.
V. j. 1444 in: städtechron. 10, 163 anm. 4. — gutentag-
stock, m., mundartlieh im nd.für 'spazier stock', vgl. Fbe-
DERKiNO Hahlen 13, Flemes Kaienberg 94 naehtr. 2,
Woeste-Nörr. 87I',Danneil 68a. — gutenteils, ac?j;.,zw-
sammenrüchmg entsprechend gut VI A 2 b a ; im sinne 'zu
einem groszen teil' : die tugend samt ihren töchtern {sind)
gutenteihls ins elend verjaget Schottel friedenssieg 53
ndr.; seine redlichkeit betreffend, mögen ihm die leuthe
auch gutentheils, vielleicht ganz, fälschlich beschuldigt
haben U. Bräker s. sehr. 2, 106; wenigstens wird erzählt,
dasz . . . Sinigaglia erobert und gutentheils zerstört wor-
den sey Raumer gesch. d. Hohenst. 4, 489; 'zumeist' : ein
mischmasch gemeiner, unreifer und gutentheils gestohlner
gedanken Liscow sat. u. ernsth. sehr. (1739) vorr. 6; 'haupt-
sächlich' : Thiers verdankte seine lauf bahn gutentheils den
Zeitungen Treitschke dtsche gesch. 5, 109.
GÜTERABTRETUNG,/., römisch-rechtlicher terminns
{lat. cessio bonorum), übergäbe des eigentums {vgl. gut, n.,
B 1) an die gläubiger beim konkurs; im allgemeinen: dient
er {d. Stab) wiederum zum zeichen der güterabtretung
J. Grimm rechtsalter th.* 1, 184; wenn über das vermögen
des Schuldners der konkurs eröffnet oder der Schuldner
zur güterabtretung zugelassen worden ist Wechselordnung
art. 2, abs. 4; als 'Übereignung von landbesitz' {vgl. gut, n.,
B 3): agenten . . . treiben . . . unbarmherzig zur güter-
abtretung J. Gotthelf ges. sehr. 10, 134. — guterach-
ten, n., was gutachten, n.; wie gutachten l b: da sol der
oberst und alle seine kriegszverständigen zu raht erfor-
dert und dem guterachten angehöret werden Frons-
perger kriegsb. (1596) 3, 117 ^i; wie gutachten 2 a: die
herren {haben) . . . unser wohlmeinendes bedenckon und
gutterachten begehret und gesucht acta publ. l, 68
Palm. — güteranschlag, m., zu gut, n., B3, vgl.gütev-
anschlag cestimatio bonorum Stieler stammb. (1691) 1819:
ein solcher güteranschlag nun ist eine Schätzung über ein
gut mit seiner zubehörung, . . . um dadurch den werth des-
selben zu determiniren Zincke öcon. lex. (1744) 117;
gütheranschlag in gebürgsgegenden allg. dtsche bibl. anh.
53-86, 654. — güterarbeit, /., arbeit auf dem ländlichen
besitztum, vgl. güeterarbeit Staub-Tobler l, 423: wir
hatten ein recht gutes jähr und konnten neben unserer
güterarbeit noch eine ziemliche zeit fürs salpetersieden
entübrigen U. Bräker s. sehr. (1789) 1, 53.
GÜTERBAHNHOF, m., bahnhof für den frachtverkehr
der eisenbahn {vgl. gut, n.. Big a) : es entstehen so
Personenbahnhöfe, guter- und rangierbahnhöfe v. Alten
1, 774; aus den vorderfenstern schaut ihr auf den
güterbahnhof der Potsdamer bahn H. Seidel Leberecht
Hühnchen (1899) 315. — guter ballen, m., aus fracht-
gütern in form eines ballens zusammengepackte last:
und sein folgenden tag darnach Thomassen, ... so
damals für der reichesten einen allhir gehalten worden,
sechsz güterballen mit Venedischen wahren von et-
lichen edelleuthen genommen worden W. Hartman-
Nus Augsb. chron. (1593) 207; ein reicher kauf mann
liesz einen geldsack, unter vilen gutem in einen
güterballen mit einpacken Qu. Kuhlmann lehrhoff {1672)
519; die armen thiere stürzten nicht selten mit
ihren güterballen in die tiefen Ritter erdk. 8, 145. —
güterbeschauer, m., im 18 jh. gebräuchlich, 'eine ver-
eidigte person, welche die guter, d. i. waaren beschauet',
visiteur Schrader dtsch.-frz. l, 586, vgl. gütherbeschauer«
explorator mereium tributariarium Haym jur. lex. (1738)
279: desto glänzender ist aber auch der rühm eines für-
1417 GÜTERBESITZ -GÜTERFÜLLE
GÜTERGEFAHR- GÜTERLOS
1418
sten, dessen allgütiger wiUe sich beeifert, der oft gemis-
brauchten gewalt gieriger Zöllner, und ihres gefolges, der
giiterbescbauer, ausreuter, contrebandirer etc. etc. grän-
zen zu setzen W. C. Weckheblin d. graue ungeheuer
(1784)1,91; er verkaufte sein haus an einen güter-
beschauer, einen mann, dem die ehrlichkeit von amts-
■wegen zur anderen natur geworden war J. Ch. Gret-
SCHEL sat. blätter (1798) 113. — güterbesitz, m., besitz
an eigentum überhaupt {vgl. gut, n., B l): dies {streben) hat
einen güterbesitz geschaffen, der sich jetzt so weit über
tausende erstreckt als vormals über zehne E. M. Akxdt
sehr. f. u. an s. l. Dtschen 3, 200; nicht blosz gewinn und
güterbesitz, auch erfolg und schaffensgenusz lohnen die
arbeit W. H. Riehl d. dtsche arbeit 234; im engeren sinne
'besitz an grundeiqentum'' {vgl. gut, n., B3): nun ist aller-
dings der Wohlstand besser und sicherer, der sich auf
den ackerbau und den güterbesitz gründet Görees ges.
sehr. 2, 160; der clerus aber war reich durch die einkünfte
von dem groszen, in ganz Italien zerstreuten güterbesitz
des heiligen Petrus v. Döllinger akad. vortr. 1, 62. —
güterbesitzer, m., besitzer eines grundstücks, besonders
gröszerer ländlicher grundbesitzungen, vgl. gutsbesitzer;
in heutiger spräche ungebräuchlich: der ort . . . wird von
güterbesitzern bewohnt Göthe III 2, 136 W.; diese {be-
dürfnisse) wurden meist unmittelbar von leibeigenen be-
sorgt, die dem freien güterbesitzer auf dem lande, zum
theil auch in Städten, dienstbar waren Lichtenberg
verm. sehr. 6, 409; etwas anders 'besitzer von Weingütern' :
bei vielen güterbesitzern nimmt übrigens die ansieht über-
hand, der wein des Etschlandes entspreche noch nicht
dem trefflichen geschmack der trauben Steub drei sommer
in Tirol 2, 235; vereinzelt allgemeiner im gegensatz zu dem
armen 'wohlhabender^ kadis der städte . . . sind die güter-
besitzer und vornehmen Ritter erdk. 1, 1000. — güter-
besi tzung,/., besitz an eigentum überhaupt: alle ungleiche
güterbesitzung ist allda aufgehoben E. Feancisci wol d.
ewigkeit (1717)1098; enger 'besitz an grundeigentum' : aus
liebe zu eurem vater will ich euch in . . . euren . . . güter-
besitzungen ungekränkt lassen Platen w. 3, 154 Hempel.
— güterbestäter, m., auch guter bestätter, güterbe-
statter, güterbestätterer, güterbestätiger, im älteren obd.
'Verfrachter von versandgütern, frachtmakler\ vgl. güter-
bestätter speditore, condottiere de' colli mercantili ICbameb
t.-ital. 2, 914C, Unger-Khull 313», Fischer schwäb. 3,
963: am besten wäre es, dasz ein jede handelsstadt ihre
gewisse güterbestätters hielte, welche die fuhrleute von
langer hand her kennten Marperger kaufmannsmagazin
(1708)494; da der hiesige güterbestätter den fuhrmann
kent FRAir rat Göthb in: sehr. d. Oöthegesellsch. 4, 118;
die tätigkeit der frachtmakler, güterbestätter {ist) nicht
den normen des Speditionsrechts . . . unterworfen hdwb.
d. staatswiss. 6, 881 ; als güterbestätterer für den 'Spedi-
teur' z. b. noch in Nürnberg gebräuchlich; so sind vor
diesem gericht sowohl . . . mäckler, gütherbestätiger,
handelsdiener {anzutreffen) Haym jur. lex. (1738) 297; ein
gleiches {konzessionsnachsuchung) galt von . . . güter-
bestätigern, , . . Wägern . . ., messern hdwb. d. staatswiss.
4, 413. — güterbestattung, /., das gewerbe des güter-
bestäters {s. dort), vgl. güterbestattung speditione de colli
di mercantie Kramer t.-ital. 2, 915*.
GUTERBSE,/., zu gut III A l a, erbse mit eszbaren hül-
sen {Zürich) Staub-Tobler l, 430, vgl. guterbskiefel {pi-
sum sativum) Peitzel- Jessen 290 {für Bern).
GÜTERFÜLLE, /., fülle an grundbesitz: der scharf-
sinnige mann verschwieg, dasz die beiden privilegierten
stände reichlich die hälfte alles französischen grundeigen-
thums besaszen; denn er hätte sonst . . . die herausgäbe
dieser güterfüUe fordern müssen Dahlmann gesch. d. frz.
revolut. 167; allgemeiner 'fülle von waren" :
gerne gönnen -nir die schnellste reise,
gern die hohe fahrt dir; güterfülle
wartet drüben in den weiten deiner
GÖTHB 2, 72 W.;
'fülle an besitztümern' :
der güterfülle mäsziges genügen
Cl. Brentano ges. sehr. 6, 120.
GÜTERGEFAHR, /., parallelbildtmg zu lebensgefahr,
'gefahr, die besitztümer zu verlieren' : werdet demnach mit
uns beiden zustimmen und um Verhütung guter- und
lebensgefahr ihm das mensch folgen lassen Bitchholtz
Herkules (1666) 1, 460; {die) pest . . ., so er mit ziemlicher
lebens- und gütergefahr zum andernma] daselbst aus-
gestanden schles. Robinson (1713) 1, 173. — güterge-
meinschaft, /., gemeinschaftliches und gleiches eigen-
tumsrecht an besitztümern; noch bei Adelung fehlend.
1) allgemein: von seinen jungem und ,der ersten güter-
gemeinschaft Herder 10, 276 S.; es gibt keine familie, da-
her auch kein Privateigentum, sondern gütergemeinschaft
Schopenhauer w. 2, 738 Gr.; und dasz er(PZo<o) . . . das
geständnis macht, gütergemeinschaft sei nur bei göttem
und göttersöhnen möglich W. Wejoand d. rote flut (1935)
185; auf den gemeinsamen besitz geistiger werte übertragen:
da wir geistige gütergemeinschaft mit allen Völkern haben
A.v. Arnim trösteinsamk. 28 Pfaff; beide lebten überhaupt
in einer gütergemeinschaft des körpers und geistes, die
wenige fassen Jean Paul ii/i4, 65 Hempel. 2) im engeren
sinne als terminus im ehelichen güterrecht; das schon im
altdeutschen recht festgesetzte gemeinsame besitzrecht der
ehegatten am beiderseitigen vermögen gegenüber der güter-
trennung: die gütergemeinschaft soll ein arcanum für
den . . . hausfrieden unter eheleuten seyn allg. dtsche bibl.
anh. 25-36, 319; die eheliche gütergemeinschaft ändere an
dem eigenthum des Vermögens von dem einen oder dem
anderen theile nichts K. L. v. Halleb rest. d. staatsunss.
1, 199; vollständige gütergemeinschaft in der ehe galt
erst, als thätigerer handelsgeist geld oder zutrauen
nöthiger machten Zschokke s. ausgew. sehr. 31, 210. —
gütergewerb, m., Schweiz., 'bewirtschaflung eines
bauerngutes' : der hochmuth trieb ihn bald an, dem vater
seinen gütergewerb nicht mehr zu lassen Pestalozzi s. w.
4, 143 Btich^nau; verdinglicht für das ländliche besitztum
selbst: der alte Berghansli hatte drei enkel im hause . . .,
welche seinen ziemlich groszen gütergewerb fleiszig be-
bauten G. Keller nachgel. sehr. 279. — gütergülte,/.,
in älterer spräche ein auf ländlichem besitztum ruhender
zins: daz der herren gute oder hübe beswert wurden mit
gudergulde, atzunge oder unzemliche dinste (r. j. 1400)
weisth. 6, 88. vgl. gülte 3.
GÜTERHALLE,/., halle für waren undfrachtgüter, vgl.
güterhaUe loggia di colli mercantili Krämer t.-ital. 1,
698*, güterhalle goods-depot Mothes baulex. 2, 486. —
guterhand, adj., zusanrimenrückung aus guter hande,
s. gut II B 1 b {sp. 1267), vgl. goderhande lüde proceres
{nd. voc. d. 15. jhs.) Diefenbach gl. 461**; verkürzt zu gut-
hand : och di guothande lute zu Guttern weisth. 6, 102. —
güterkauf, m., kauf eines ländlichen besitztums: mit un-
serm güterkauf bleibts nach wie vor beym alten Kotzebue
s. dram. w. (1828) 38, 257; dieser fremde könnte vielleicht
an eine ansiedelung, an einen güterkauf denken Gutz-
kow ritter v. geiste 2, 140. — güterkäufer, m., im sinne
'bodenaufkäufer, terrainspektdanf : der bauer ist fleiszig
von früh bis spät, alles gelingt ihm, aber nicht für ihn,
sondern für die güterkäufer G. Keller nachgel. sehr. 152.
GÜTERLEHRE, /., die philosophische lehre von den
werten {s. gut, n., B 2 h ß ßß): es bleibt also dabei, dasz
sowohl eine güterlehre als eine pflichtenlehre, als eine
tugendlehre nöthig ist Herbart w. 2, 55 Hartenst.; die
volkswirtschaftliche lehre von den produktionsgütern {s. gut,
ri., B 1 g rcßß) : rechte und Verhältnisse vom Standpunkt der
volkswirtschaftlichen güterlehre E. Böhm v. Bawebk titel.
— guterling, m., name einer apfelsorte, wohl zu gut
III A 1 a gebildet: goderling, ys eyn appel Diefenbach
gl. 267"' (nrf. 1425). — guter los,cr<^;'., ohne eigentum, besitz-
los: wie soll ein kriegsmann seine tapfferkeit im streit be-
zeugen, der armseelig und güterlosz ist persian. baum-
garten 24, anhang zu Olearius verm. reisebeschr. (1696);
80 kan ein reicher mann hierinnen gott nachahmen
und wieder gutes thun dem güterlosen saamen
F. H. V. Perlensee lob d. geldsucht (1709) 743;
schwerlich gewährt dem güterlosen ein ansehnlicher mann
seine tochter als ehegemahl G. Freytaq ges. w. 8, 46. —
1419 GÜTERLOTTERIE-GÜTERRECHT
GÜTERRECHTLICH-GÜTERSTÜCK 1420
güterlotterie, /., Verlosung von grundstücken: ein
los auf seine güterlotterie Gutzkow ges. w. 5, 48. —
gütermakler, gütermäkler, m., berufsmäsziger vermittler
von grundstücksgeschäften: ein erfahrner landwirth und
gütermakler namens Lob Seligmann Gutzkow zaub. v.
Born 3, 324; und haben wir in den letzten drei Jahrzehnten
den adel in vielen deutschen landen nicht in der rolle von
gütermäklem und kaufleuten gesehen? E. M. Aendt sehr,
f. u. an s. l. Devischen 2, 113. — gutermann, m. 1) entstel-
lung aus gundermann, name der pflanze glechoma hederacea,
vgl. Pritzel- Jessen 166 (für Ulm). 2) zusammenrückung
aus guter mann entsprechend gut IV A 5 a, vgl. maletschi-
ger ...guterman leprosus voc. theut. (Nürnberg 1482) t i^. —
gütermark,/., grenze zwischen ländlichen grundstücken:
daher erhub sich der gütermarcken oder banscheide hal-
ben ein zanck und hader C. Wurstisen Pauli Aemilii
Aisfor. (1572) 1, 255. — gütermarkt, m., markt für grund-
etücke: es war in Goldenthal wie an einer landversteige-
rung oder wie auf einem gütermarkt H. Zsohokke s. aus-
gew. sehr. 14, 296. — gütermasse,/., l) menge anfracht-
gütern: erwägt man nun die Schwierigkeit des damaligen
landtransports für gröszere gütermassen Nitzsch dtsche
Studien 130; menge an gebrauchsgütern: die arbeitenden
'bände' in den fabriken (konnten) nur wenn die köpfe leid-
lich erleuchtet waren, die gröszte gütermasse erzeugen
Treitschkb dtsche gesch, 5, 477; menge der besitztümer:
mit der gütermasse der wohlhabenden (wächst) allemal
die lüsternheit der entbehrenden Herbart w. 8, 402
Harienst. 2) gesamtheit des grundvermögens : die dom-
und collegialstifter erlangten allgemein die abgesonderte
Verwaltung des zu ihrem unterhalte durch fundationen
gewidmeten oder vom bischof aus der allgemeinen güter-
masse ausgesetzten gutes Eichhorn dtsche Staats- u.
rechtsgesch. (1821)2, 434. — gutermaszen, adv., zusam-
tnenrückung aus zu (in) guter maszen entsprechend gut
I A 4 c, auch verkürzt gutermasz, vgl. ziemlicher maszen
satis, abunde, it. mediocriter, leviter, affatim, dicitur etiam
gutermaszen Stieler 1285: darauf haben die stennd des
reichs, so erschinen sind, ertzelung gethan, aber gutter-
masz auf vorige mainung urk. z. gesch. d. schwäb. bundes
138 lit. ver.; von welchem allen gutermasz hievor im end
desz 4. büchs gesagt ist Stumpf Schweizerchron. (1606)
5093'; 'i^i richtiger, schicklicher weise; gehörig^ nach dem
biszher gutermaszen der betler und gartenbrüder büberey
und mutwiUe beschrieben worden A. Pape in: theair.diab.
(1587)2, 180*>; wir zweiffeiten nicht, sie die stände oder
directores würden sich guttermaszen zu erinnern haben
acta publ. 2, 14 Palm; 'in rechter art, vollständig^ : ich . . .
verstehe gutermaszen, was David in den psalmen so oft
klaget, dasz sein herz in ihm sey wie zerschmolzen wachs
ScRiVER seelensch. (1701) 2, 385; 'rechtmäszigerweise\- (die)
jagd, die gutermaszen zu den persönlichen freiheiten ge-
hörte Moser pafr. pAoni. 2, 202. — guter meier, m., 'päch-
ter eines landgutes, lehensmami": item, weller nit gutgüter-
mair ist, der vertreibet sich selber (v. j. 1427) österr. weist.
3, 355; welcher nachtbauer zu Glurns kürchenguet . . .
innen hat und güetermair ist und richtigclichen zünset,
den hat kein pfahrer . . . nicht zu vertreiben (v. j. 1643)
3, 11. — gutermut, m., auch gutenmut, bezeichnung für
die kindtaufe (vgl. gut III A 5 a), wohl im sinne von 'belu-
stigung\ vgl. obersächs. Müller - Fraureuth 1, 453 (mit
hinweis auf ober pf alz.), Brückner landes- u. volkskde d.
fürstent. Reusz j. 1. 1, 153. — gutem, vb., Schweiz, güteren
'in einen besseren stand setzen": (wasserrunsen) bessern,
güteren, besorgen und machen (v. 1452/1544) bei Staub-
Tobler 2, 556. — güterpächter, güterpachter, m.,
'pächter eines landgutes\ vgl. gutspächter: denn auf dem
lande wohnet mancher güterpachter Stieler zeitungs-
lust (1697) 14; (er) rechnete seinen güterpächtern nach
Becker weltgesch. 4, 380. — güterrecht, n., recht, das
von den besitztümern handelt, namentlich der ehegatten: in
beziehung auf das güterrecht der eheleute entwickelte
sich von den Instituten . . . ein theil mehr durch die
gesetzgebung, ein theil mehr durch die theorie Eichhorn
dtsche Staats- u. rechtsgesch. (1823) 4, 506; wie steht es denn
hier im Kooge mit den ehelichen güterrechten? Storm
s. w. 7, 205. — güterrechtlich, adj., sich auf das güter-
recht beziehend: die ehegatten können üire güterrecht-
lichen Verhältnisse durch vertrag regeln bürgerl. gesetzb.
§ 1432. — güterreich, adj., reich an besitztümern, vgl.
güterreich pecwMosMS Stieler (1691) 1582: gold-, geld- und
güterreich Venusgärtlein 59 ndr.; reich an gebrauchsgütern
und kostbar keiten:
desz unge meszner ehrgeitz in gedanken
das giiterreiche Moskau schon verschlingt
Schiller in: sehr. d. Oöthegesellsch. 9, 19.
— güterreichtum, m.: wie der dritte stand nach dem
eigenthum in den beweglichen güterreichthum und den
grund besitz . . . sich theilt Görres ges. sehr. 4, 219; wir
verlangen von ihr (der Statistik) beispielsweise . . . kurze
notizen über gemeindevermögen, güterreichthum W. H.
Riehl naturgesch. d. volkes l, 18. — güterschaden, m.,
Verlust von besitztümern, vgl. güterschaden naufragium
bonorum Stieler (1691) 1704; bildlich: weltlust güter-
schade Luther 16, 26 W. — güterschaft, /., eine zu-
sammengehörende masse ländlicher besitztümer: der kur-
fürst . . . beschränkte die ertheilung derselben (der edel-
Tnännischen freiheit) für kommende Zeiten nur . , . auf
benannte güterschaften und rechtsame H. Zschokke s.
ausgew. sehr. 34, 32 ; übrigens war die ganze güterschaft
vermuhrt und man hatte lange zu thun, bis sie wieder
ertragsfähig wurde Steub drei sommer in Tirol 2, 266. —
güterschiff, n., schiß für frachtgüter, frachtschiß, vgl.
güterschiff vectoria navigia Corvinus /ons lat. (1646) 941:
der liebe friede aber (ist) ein reich beladenes güterschiff
J. Schmidt göttl. friedenscoal. (1641) 267. — güterschiff.
fahrt, /..• die österreichischen gebirgsseen dienen . . .
auch der güterschiffahrt hdwb. d. staatswiss. 2, 863. —
güterschlächter, m., bezeichnung für eine person, die,
wie ein schlächter ein stück vieh, berufsmäszig land-
besitzungen aufkauft und in kleineren teilen verhandelt: eine
Unzahl von Wucherern und güterschlächtern Treitschke
dtsche gesch. 5, 630. — güterschlächterei, /.; die Ver-
ödung der mittleren höhenlagen von Schleswig-Holsteiu,
... welche als nächste folge der güterschlächterei nach 1820
dort platz griff Bernh^irdt gesch. d. waldeigent. 3, 1»^.;
Benno, der ihn für seine güterschlächterei als student
aus dem Roland 'geschmissen' hatte Gutzkow zaub. v.
Rom 6, 164. — güterstein, m., grenzstein für ländliche
besitzungen, vgl. güterstein lapis angularis fines deter-
minans Stieler (1691) 2140: und stehen noch etlich ban-
oder güterstein dabei, welche in diser summa mit be.
griffen (v. j. 1603) bad. weist. 1, l, 207;. güthersteine, so
gärten, äcker, f eider, wiesen, Weinberge . . . und andere
liegende güther von einander absondern allgem. haushaU-
lex. (1749) 2, 245i>, vgl. Fischer schwäb. (belege d. 18. jhs.);
als geographischer name:
beid fürsten lieszen noch nicht ab,
lagerten sich zum Güterstein
R. V. LiLlENCßON hist. volksl. 4, 73.
— gütersteuer, /., auf grundbesitz lastende Steuer, vgl.
da man sie (die Steuer) denn auch insbesondere die güter-
und vermögensteuer zu nennen pflegt Chomels öcon. lex.
8, 1648: das solchs (beschweren) in landen und stetten
nicht alleine keine vorwustung noch vorterb anrichtet,
sondern auch ungleich weniger nachteils als die pfund-
schosse oder gutthersteuren (v. j. 1564) in: ständeakten
Joachims II. 2, 340 Friedensburg; auszer dieser güter-
steuer hat man . . . noch . . . viehsteuer allg. dtsche bibl.
50, 252; SO hat die republik in kriegszeiten das recht, vom
festen lande eine gütersteuer zu erheben Fr. v. d. Trenck
s. ged. u. sehr. 4, 305. — güterstrasze, /., chaussee für
frachtverkehr: die land- und gütherstraszen (v. j. 1711) bei
Fischer schwäb. 3, 963. — güterstück, :i., ein stück
grundeigentum, grundstück; meist von kleinerem landbesitz:
die durch diese unter den gemeinen mann gekommene
gütherstücke geschehne Vermehrung des viehs und der
menschen Merck in: br. an d. herz.-mutter Anna Amalia
u. . . . Karl August 38; auf der Sachsenhäuser markung
kann man sich am besten vom vortheil der vertheüten
güterstücke unter viele überzeugen K. J. Weber Deutsch-
1421 GUTERT-GÜTERVERWALTUNG
GÜTERWAGEN-GÜTEVERSUCH 1422
land (1828) 4, 486. — gutert, adj., bedeutung zweifelhaft;
etwa zu gut II A 1 und erde, im sinne 'aus kostbarer
erde gemachV, d. h. 'aus ton bestehend' {?): auff der taffei
114 grosze, mittlere und kleine schüssel, item drei guterte
fisch täller und 6 tutzet andere täller H. Megisek annales
Carinthiae (1612)1575. — gütertausch, m., tausch von
landbesitztümern, vgl. gütertausch bonorum commutatio
Stielek (1691) 2265: grenzstreitigkeiten, länder- und gü-
tertausche, . . . sind der erinnerung der nachweit nicht
würdig ZscHOKKE s.ausgew. sehr. 37, 56. — gütertei-
lung,/., teilung von besitztümern, vgl. güterteilung separa-
tio bonorum Stieler (1691) 2268: bist du denn toU, dasz du
mir . . . eine . . . gütertheilung zumuthest? Wieland Lu-
cian (1788)3,31; sie können sich nicht dagegen ver-
schiieszen, dasz die erste gütertheilung die hundertste in-
volvirt MoLTKE ges. sehr. 7, 76; spezieller die aufteilung von
grund und boden, namentlich unter die erbberechtigten: da-
bei war immer noch soviel kulturfähiges wüdland übrig
geblieben, dasz für die anwachsende bevölkerung keine
güterteilung notwendig wurde, sondern niu* anweisungen
auf neubruchland Wimmer gesch. d. dtsch. bodens 130; sie
wollten daher keinerlei beschränkung des handels und
Verkehrs, . . . keinen unveräuszerlichen und todten besitz,
keine erschwerung der güterteilung Gervinus gesch. d.
19. jha. 2, 288. — güterumsatz, m., 'austausch von pro-
duktionsgütern, waren': {es finden) die güterumsätze aller
regel nach durch Vermittlung des geldes statt hdwb. d.
staatswiss. 4, 83; zu diesen lehrreichen berichten über
alten güterumsatz G. Freytag ges. w. 16,447; anders
'Umladung von frachtgütern\' canalhäfen werden dort an-
gelegt, wo gröszere güterumsätze erfolgen Karmarsch-
Heeren 10, 272. — güterverkehr, w., Hransport und
austausch von frachtgütern" , namentlich der durch eisen-
bahnen: sobald der güterverkehr ein regelmäsziger wird
und die entwickelung . . . der geldwirtschaft mehr und
mehr dazu führt, dasz die guter . . . für geld erworben
werden hdwb. d. staatswiss. 4, 84; eine dem öffentlichen
güterverkehre dienende eisenbahn darf die Übernahme
von gutem . . . nicht verweigern handelsgesetzbuch § 453;
in dieser Jahreszeit waren die Stationen der kleinbahn wie
ausgestorben, weder vom passagier- noch vom güterver-
kehr war da viel zu merken W. V. Polenz Qrabenhäger
2, 71. — güterverlust, m., vertust von besitztümern:
über güterverlust erlasz dem himmel
deine klagen Herder 27, 29 S.;
güterverlust läszt sich ersetzen Göthe 41, 1, 20 W. —
güterverteilung,/., allgemein 'Verteilung der gebrauchs-
guter, der besitztütner' : man lieset nichts von einer ordent-
lichen gütervertheilung M. I. Schmidt gesch. d. Dtschen
(1778)1,313; güterverteilung nach dem maszstabe des
bedürfnisses hdwb. d. staatswiss. 4, 1343; spezieller 'Ver-
teilung des landbesitzes' : die feldwirthschaft und güter-
vertheilung und die einzelhöferei scheint ziemlich in der
weise gehalten ... zu seyn, wie wir sie in diesen landen
heutigen tages noch erblicken E. M. Arndt sehr. f. u. an
s. l. Deutschen 4, 106; jede familie war bei der kleinen gü-
tervertheilung auf ihrer parcelle mit der ernte in fröhlich-
keit beschäftigt Ritter erdk. 4, 700. — güterverwal-
ter, m., 'Verwalter von besitztümern'' (curator bonorum),
besonders der im konkurs gerichtlich beauftragte treuhän-
der, Vormund, vgl. güterverwalter manoualdo, curatore
KjtAMER t.-ital. 2, 12453'; häufiger 'Verwalter eines larid-
gutes', vgl. güterverwalter auf dem lande fattore, gastaldo,
castellano di villa Kramer t.-ital. 2, 1245^: Jelek hiesz
er, ein bauemsohn, der, aufgeweckt und tüchtig, es bis
zu dem amte meines güterverwalters gebracht hatte
M. v. Ebner-Eschenbach d<yrf- und schloszgesch. (1883) 74,
vgl. auch gutsverwalter. — güterverwaltung, /., vgl.
güterverwaltung fattoria, manoualderia, gastaldia Kra-
mer t.-ital. 2, 1245*': (die Verwaltung der forsten) bildete
einen, meist ziemlich untergeordneten zweig der allge-
meinen güterverwaltung Schwappach hdb. d. forst- u.
jagdgesch. 1, 77; persönlich gefaszt für die ausübende In-
stanz: die . . . güterverwaltung nahm anstand, die kosten
herzuschieszen allg. dtsche bibl. 107, 320.
GÜTERWAGEN, m., 'wagen für frachtgüter\ vgl.güter-
wagen vekes mercibus onusta Aler dict. (1727) 1, 996''': die
nachtwacht sowol über die geladene salz- imd traid- als
andere güterwägen {v.j. 1599) v. Lori baier. bergr. (17 6i)S69;
wandersleute, auch güterwägen, so aus der Schlesien ge-
reiset L. Peccenstbin theatr. saxon. (1608) 3, 160; ich
(mutzte) neben 100 dragonem etliche kauffleute und güter-
wägen . . . dorthin convoyim helffen Grimmelshausbn
Simpl. 247 ndr.; gott hat das, dasz er . . . denen nieder-
trächtigen herentgegen seine gnaden auff voUbeladenen
güterwägen zuschicket Gottsched d. neueste 4, 710; die
breite der strasze bleibt über aU die nämliche, zwei dick-
bäuchige güterwägen können vor einander vorbei, ohne
weder sich selbst noch den fuszgänger zu berühren Mat-
thisson ennn. (1810) 2, 347; die alten güterwägen und die
f uhrleute, welche einst über die Brennerstrasze fuhren und
alle hier einkehrten, (werden) doch nie wiederkommen
Steub drei sommer l, 28; so noch mundartlich im obd.,
vgl. güeterwaga Tobler appenzell. 245*, güeterwägn
Schöpf tirol. 220; auch gutwagen Fischer schwäb.
3, 963 f.; in neuerer Schriftsprache nur für den f rächt -
wagen der eisenbahn gebräuchlich: wird die leiche in
einem ringsumschlossenen leichenwagen befördert, so
darf zum eisenbahntransport ein offener güterwägen be-
nutzt werden Verkehrsordnung f. d. eisenbahnen Dtschlda
§ 42 abs. 5; ein bahnbeamter rief . . . die namen auf, der
betreffende muszte auf einen kleinen vierrädrigen güter-
wägen steigen H. Seidel vorstadtgesch. 204. — güter-
wert, m,, allgemein 'Preisstand der gebrauchsgüter' : die
lehre vom masze des güterwertes hdwb. d. staatsunss. 4, 85;
spezieller 'verkaufswert ländlichen besitzes': damals hielt
auszer mir kein mensch eine so auszerordentliche er-
höhung des güterwerths in diesen gegenden für möglich
Pestalozzi s. sehr. 13, 285. — guterz, n., zu gut II Al:
guterz, edles und reichhaltiges sUbererz Mothes baulex.
2, 551. — güterzille, /., eine art frachtkahn für fracht-
güter: durch die fremden schiff und grosze güterzüllen
(werden) die march im wasser hingeschlagen (v. j. 1581)
v. Lori fcafer.iergrr. (1764)315. — güterzins, m.,auf einem
ländlichen grundstück liegende abgäbe: denen (personen) die
mit widerkaufflichen und gutterzinszen verhaft (sind) bei
Strenge-Devrient stadtr. v. Eisenach, Gotha u. Walterh.
274. — güterzug, m., aus güterivagen bestehender eisen-
bahnzug, lastzug(engl. goodstrain of course, freight-train):
der zug von Weiszenfels ist ein güterzug gewesen A. Rüge
britfw. 2, 86 Nervlich; allemal abends zwischen dem güter-
zug und dem Pariser eilzug meldete Jakob das neu-
geborne beim pfarrer an B. Auerbach sehr. 18, 6.
GUTESBRINGER, m., gelegentliche bildung; einer, der
angenehmes, erfreuliches bringt:
das wird der frieden lösen,
der gutesbringer der,
der störer alles bösen
Treuer Dädalus (1675) 1, 579;
diese den Achaiem übertragenen Olympier, noch halb
waldmännische gutesbringer und Übelwender, walteten
fort J.H.Voss antisymb. 1,192. — gütesorte,/., zugute
1 b: florettseidengespinste kommen in den handel ... in
verschiedenen gütesorten Lfeger 7, 349. — gutestun,
n., zusammenrückung von gutes tim (vgl. gut VIII C 1 a a),
vgl. wohltun:
ob er (gott) dich möchte zwingen
mit lieb und gutesthun
Paul Gerhardt bei Fisoher-Tümpel 3, 398»;
du hast mir den genusz im gutsthun gegeben Göthe
IV 5, 97 W.; nun steht der philisterhafte sprach vom
gutesthun darin Rosegger sehr. II 2, 203. — gütever-
hältnis, /., zu gute 1 b, technischer ausdruck für 'Wir-
kungsgrad, nutzeffekt', vgl. güteverhältnis einer maschine
efficiency Hoyer-Kreuter techn. wb. l, 320: die Selbst-
hemmung der last kann nur auf kosten des gütever-
hältnisses der maschine erreicht werden Karmarsch-
Heeren 4, 271. — güteversuch, m., juristischer ter-
minus zu gute 4 a, 'versuch, zwischen den kontrahenten eine
einigung zustande zu bringen', vgl. insbesondere hat das
1423
GÜTEVOLL-GUTFINDEN
GUTFINDUNG - GUTGEBAUT
1424
seemannsamt, vor welchem die abmusterung erfolgt, hin-
sichtlich solcher Streitigkeiten eiaen güteversuch zu ver-
anstalten seemannsordn. v. 2, vi. 1902 § 128: in der sache
Hecker gegen hospital Haina . . . wurde . . . ein decret
wegen güteversuchs erlassen K. Bkaun bilder 4, 126. —
gütevoll, adj., zu gute 3 a, 'voller freundlichkeit, giUig\'
Franz, fuhr er fort, ist unser gütevoller fürst A. G. Meisz-
NEE Bianka Capello (1785)464; wie gütevoll und herab-
lassend er gegen mich ist Bettine d. Günderode 2, 220;
der gütevolle brief . . . hat mir . . . wohlgetan Schellinq
in: sehr. d. Oöthegesellsch. 13, 268;
und sie spricht, zu straf und lohne,
gütevolles recht herab Bürgek s. 10.113" B.;
bist du es endlich, Konrad? fragte er weich und gütevoU
H. Watzlik d.alp (1923)84. — gutfallkasten, m.,
technischer ausdruck im salinenwerk: das meerwasser
{wird) auf dorngradirwerken . . . angereichert und in dem
bassin des letzten falles, dem gutfallkasten, durch Stein-
salz . . . gesättigt Muspkatt-Stohmann 6, 594. — gut-
f ärben, n., zu gut 1 A 2 a, dauerhaft färben im gegensatz
zum schönfärben : die französische regierung hatte . . .
durch wohl überdachte Verordnungen das gutfärben und
schönfärben getrennt Göthb II 4, 146 W. — gutfärber,
m., zum vorigen gebildet: dem gutfärber {loar) ebenso wohl
verboten . . ., vergängliche materialien in der Werkstatt
zu haben, als dem Schönfärber dauerhafte ebda. — gut-
f erger, gutferker, m., zu gut, «., B l g « und ferger 'fracht-
f uhrmann bzw. frachtschiffer^ (s. teil 3, 1530), im älteren
obd. bezeugt, vgl. ein gutfergker, der kauffmannschatz
oder guter, es sey auff dem oder auff anderen wassern
fürt und fergket, eia factor exercitor Feisius 504*,
Staldee 1, 364: und sie auff ein zeit mit einander zu
einem gutfercker von Luca sich verfügeteu J. Fuglinus
de praest. daem. (1586) 270*. — gutfertiger, m., zu gut,
n.. Big« und fertigen 'absenden", ein 'Verfrachter von gu-
tem, waren", vgl. Feisch t.-lat. 1, 260 {für Ulm), Schöpf
tirol. 221, Staub-Toblee 1, 1012, Fisches schwäb. 3, 964,
BiRLiNGEE schwäb. -augsb. 20%^: mit hinführung des guets
ist man auch schuldig, wanns durch den gutfertiger be-
gehrt wird, auf einmal mit zwölf wägen zu fahren {v. j.
1607) österr. weist. 4, 257; zween gutfertiger (wagbedien-
stete) au^f. bericht (1686) 58. — gutfeuer, n., zu gut
I A 2 c y, feuer, in dem das porzellan fertig gebrannt wird:
dann folgt {auf das vorfeuer) das . . . gutfeuer . . . zum
garbrennen Müspeatt-Stohmann 8, 555. — gutfinden,
vb., zusammenrückung von etw. gut finden, vgl. gut
I As dyyy {sp. 1240), im sinne 'für richtig halten': an-
wenden mochte er {Paulus) seine lehre, wie ers konnte
und gutfand Heedee 19, 209 S.; besonders im pari, praes.
'passend, geziemend': {es) wurden die gefangenen räuber
von der behörde in der regel an ihre herren zu gutfindender
bestraf ung abgegeben Mommsen röm. gesch. (1874) 2, 79; sie
{die verlobten) würden die eitern . . . zur gutfindenden zeit
begrüszt haben G. Kellee ges. w. 8, 105; anders 'für rät-
lich erachtet': durch prokurirte, denen sie die gutfinden-
den Instruktionen geben kömien K. L. v. Hallee rest. d.
staatswiss. (1816) 2, 117.
GUTFINDEN, n,, Substantivierung des vorigen, im
17. jh. aufkommend, vgl. gutbefinden, ».; als 'das, was
geziemend, räilich, passend erscheint': da nun dieses
christlöbliche gutfinden zum effect gebracht ward, also
dasz die vomemsten selbst den geringeren mit ihrem
exempel vorgiengen Th. Undeeeyck d. narr, atheist
(1722) 172; nichts ist gefährlicher als eigenes gutfinden
über die allgemeine stimme zu erheben Fe. H. Jacobi w.
5, 382; die {gedickte) . . . werden sie nach gutfinden zum
theil oder alle aufnehmen Grambeeg in: br. von u. an
Bürger 3, 171 Str.; in ähnlichen fäUen richte dich nur
immer auch ohne meine ausdrückliche Zustimmung
nach deinem gutfinden Geabbb w. 4, 416 Bl.; im sinne
'ermessen' : termine soll der richter nach seinem gutfinden,
jedoch nicht zu kurz, setzen Che. Thomasius ernsth. ged.
u. erinn. (1720) 2, 140; eine Sammlung solcher chorgesänge,
mit denen der prediger nach gutfinden könnte wechseln
lassen Schleibemachee s. w. I 5, 202; die wähl des straf -
mittels {hängt) von dem gutfinden des strafberechtigten
ab v. Hallee restaur. d. staatswiss. (1816) 3, 337; als 'be-
lieben': aber die leicht feuerfassende fackel des aufruhrs
ist nicht nach gutfinden schnell und ganz zu löschen
J. v. MÜLLEE s. w. 24, 431; wie 'gutachten' : darum ist er
entschlossen, das guhtfinden einer freien stahtsversam-
lung zu erwarten Zesen gekr. mujestät (1661)329; im
sinne 'entscheidung' : ich aber verstelle alles zu gnädig-
stem gutfinden Leibniz dtsche sehr. 1, 407; in Altona
. . ., wo es gesetzlich von dem gutfinden der lutherisch-
mennonistischen eitern abhängt, welcher prediger ihr
kind taufen soll Claus Haems pastoraltheol. (1834) 2, 170;
'billigung': beliebte ich mit gutfinden der Antonia eine
reise nach GaUien zu thun A. U. v. Beaunschweig Oda-
via (1677) 1, 445; als 'ratschlag': der könig hat diese ein-
ladung, wider seiner mutter guhtfinden . . . unangenom-
men vorbei gelaszen Zesen gekr. majestät (1661) 153; 'an-
Ordnung': solchem nach nam derselbe des hochseligen
königs disposition und gutfinden wegen des Pfaltzgraf-
fens person allerdings in acht v. Chemnitz schwed. krieg 2
(1653)36. — gutfindung, /., vom vorigen abgeleitet 'er-
messen': die knechte {sollten) in feindeslanden aber ihren
unterhalt aus denen selben nach ihrer beyderseits gutfin-
dung nehmen v. Chemnitz schwed. krieg 1 (1648) 197. —
gutfink, m., name des buchfinks, vgl. Megisee thes. pol.
(1603) 372^. — gutfisch, m., eine schmackhafte {vgl. gut
III A 1 a) makrelenart Heinsius 2, 570*. — gutf reitag,
m., karfreitag, vgl. gut II A 2 d « (5^.1263): gutfridag
parasceve Diefenbach gl. 412*>; dazu gutfreitagsgrö-
schel, Tl.; ein gutfreitagsgröschel zu einem paar sem-
mein MusÄus volksmährchen d. Deutschen l, 46. — gut-
f reund, m., zusammenrückung entsprechend gut IV A 3 a
{sp. 1290/.): aber, gutfreund, du lernst auch gewaltig
lange an deiner rolle Foüque aUsäch. bildersaal (1818)
I, 11; gutfreund ist besser als blutsfreund Rückest w.
II, 490. — gutfurt, /., 'angenehme, bequeme fürt' zum
landen; nach Luthers Übersetzung von apostelgesch. 27, 8
eine statte, die heiszet gutfurt: sich sehnen nach der
port, nach der gutf urth und auszspann, nach einem guten,
sichern land Dannhauee catechismusmilch (1657) 7, 122.
GUTGEARTET, adj., vereinzelt im 16. jh., gebräuch-
lich seit dem 18. jh.; aus der formel gute art {vgl. gut
II B 1 a, ep. 1267) gebildet, s. auch gutartig; von der geisti-
gen anläge des menschen {vgl. gut I A 2 d) : da sich aller-
ley gutgeartete köpf . . . bemüheten, mit den Griechen
gleichsam umb die wett von den tiefsinnigsten künsten zu
schreiben Fischaet 3, 122 Haußen; meist die sittliche an-
läge einschlieszend {vgl. gut B 5): der herzog war ein gut-
gearteter mann Knigge roman. m. lebens (1781) l, 199;
diejenigen unter den bürgern, die gutgeartet sind an leib
und Seele Schleieemachee Piaton 6, 205 ; ich habe meine
geschwister immer, zum theil wegen ihrer gutgearteten
persönlichkeiten, zum theil wegen der freundschafft, die
sie für mich hatten, von herzen heb gehabt H. v. Kleist
5, 434 Schm.; besonders von kindern, vgl. gutartig 2:
Emma war ein sehr gutgeartetes, wohlgezogenes kind
Chph. v. ScHMiD ges. sehr. 2,69; don Vincenzio {war)
ein gottesfürchtig erzogener, gutgearteter junger mann
Gaudy s. w. 14, 64; von den seelischen Organen als
repräsentanten der person: gutgearteten herzen {könn^)
eine solche Wiederholung so wenig unangenehm seyn als
die jährliche Wiederkunft des frühlings ist Ceamee nord.
aufs. (1758) 1, 21; gutgearteten seelen braucht man diesz
zwar nicht zu sagen Che. F. Weisze kinderfreund (1775)
11, 6; {das häusliche leben,) das über gutgeartete gemüther
eine ruhe und einen gewissen frieden verbreitet Eichen-
DOEFF s. w. 2, 82; mehr nach gutartig 3 {vgl. gut IV A 2) hin
'wohlwollend, freundlich, liebenswürdig': Hagedorn da-
gegen war von früh auf gutgeartet und weich, jovial und
selbst locker Geevinus gesch. d. dtsch. dicht. 4, 37. —
gutgebaut, adj., entsprechend komp.-typ 1 d 'vortreff-
lich bebaut': in der besten sommerried liegen meine . . .
gutgebaute Weingärten neue schausp. (1771)10, 4, 47; 'vor-
trefflich angelegt' : sie gieng in ein gutgebautes haus hinein
MiLLEB Siegwart (1777) 2, 524; 'schön geformt' : sie tragen
1425
GUTGEBER— GUTGEMEINT
GUTGEMUT-GUTGESINNT
1426
nur kurze rocke, die nur bis an die waden gehen, und
den gutgebauten sehr vortheühaf t stehen fübst Pückleb
briefw. 2, 146. — gutgeber, m., jemand, der gutes gibt;
Spender:
du wunderstarcker gott,
gutgeber, liebesfreund, hauptbrecher, löwenzwinger
Opitz teutsche poem. 220 ndr.;
o himmelsadeler, . . . gutgeber, seelenfreund, segensvoll
Treuer Dädalus {i&7 5) 1,26^. — gutgedünken, n., ivas
gut bedünken, gutdünken; 'willkürliche annähme': wo ir
aber ewer eygen f undt und gutgeduncken sagt, soll man
euch gar nicht hören H. Sachs 22, 21 K.- G.; concilia
. . . nach menschlicher anmutigkeit und gütgedunken
etwann ufgesetzt Zwingli dtsche sehr. 1, 130; "meinung,
ansieht': hab ich solches angezeigt, dasz euch fürsten
ein Warnung sey, und also den astronomis . . . mehr folgen
dann eurem gutgeduncken Paracelsus opera 2, 302 Hu-
ser; 'ermessen" : ich will nach meinem gutgeduncken reden
Aler dict. (1727) 1, 997*'; 'belieben": er will sich die freyheit
er betten . . . nach gutgedünken zu schreiben allg. dtsch.
bibl. 5, 179; 'gutachten, entscheidung\' alsdann soll der berg-
maister und andern unverdächtlichen berckverstendigen
solches besichtigen und nach ihren gutgeduncken ainen
thail dem andern zu waichen wissen (v. j. 1548) v. Lobi
baier. bergr. (1764)247; ob er {gott) ihrer menschlichen
weiazheit und natürlichem discurs, urtheU und gutge-
duncken auch etwas heimbsetzet und frei liesze F. Albeb
Igvxttius Loiola (1591) 409. — gutgefallen, n., vereinzelt
für 'Wohlgefallen': diese meinunge han ich in der ile uch
nit wollen verhalten, die ir zu uwerm gutgefallen forder-
lichen minen herren zcu Franckfort verkünden und irrer
wiszheit dieszen zettel zuschicket {v. j. 1475) in: urk. u.
act. betr. d. belagerung d. Stadt Neusz 95; e. 1. werden
daran . . . ein gutgefaUen haben v. LoRi baier. bergr.
(1764) vorr. 51. — gutgeiz, m., begierde nach besitz, hab-
sucht: der geldt- und gutgeytz Spalatin Sprichwort (1520)
B 2*» ; der weltweise Cyneas hat den könig Pyrrhum . . . von
seinem gutgeitz weiszlich abgemahnet A. v. Kbeckwitz
lustwäldlin (1632) 3. — gutgeizig, adj., vom vorigen ab-
geleitet 'habsüchtig'; in älterer form gutgitig, gutgeitig:
und es kummend eer- und gütgytig, die wellend mit
gwalt die menschen zwingen, man solle sy für gött
halten Zwingli dtsche sehr, l, 228; derselb veldzeug-
maister was ain geschickter man, aber gar guetgeitig
Weiszkunig 189; ich kan mir wohl einbilden, wann die
geldt- und gutgeitzigen den titul dieses büchleins sehen,
sie ihnen anders nicht einbilden werden Glaubeb de na-
tura salium (1658) 12. — gutgelaunt, adj., entsprechend
gut IV B 62«;. III A 5 a 'in freundlicher Stimmung' oder 'in
froher gemütsverfassung befindlich', vgl. wohlgelaunt: als
es zum abschied ging, überreichte der gutgelaunte wirth
meinem diener einen . . . brief nach Paris an seine
Schwester Göthe 33, 47 W.; von gutgelaunten und libe-
ralen göttern steht diesz auch billig zu hoffen A. W.
Schlegel in: Athenäum 3, 258; Klärchen wuszte sich
gutgelaunt mit diesem Vorwurf abzufinden W. v. Polenz
Grabenhäger 1, 214; dem fürstl. Claryschen paare sowie
dem dechanten aller gutgelaunten bitte mich ins ange-
denken zu rufen Göthe IV 22, 54 W.; anders 'av^ günstiger
laune entspringend':
drob der alte Fritz erstaunte,
und ihm eine gutgelaunte
oheimliche nase gab
Feeiiigkath ges. dicht. 3, 34.
— gutgeld, n. 1) das bei dem tode eines mit grund und
baden beliehenen hintersassen dem grundherrn zu zahlende
gefalle: das sogenannte mortuarium wird auf mancherlei
weise ausgedrucket . . ., es heiszet auch leibfaU, haubt-
fall, trauerrecht . . ., gut-, recht-, leibgelt Estob d. Teut-
schen rechtsgel. (1767) 3, 358. 2) mit gut IA5aj5 zu-
sammengerückt: gutgeld 'geld der sog. conventionsmünze'
Ungeb-Khüll S13^. — gutgemeint, adj., 'aus freund-
licher meinung, absieht hervorgegangen', vgl. gut III B 3 :
dieser so gutgemeinte anschlag möchte sofort ins werk ge-
richtet werden A. U. v. Bbäunschweig Octavia (1677) 1,
652 ; es werden dieselben {herren) aus denen . . . begehrten
IV. 1. 6.
und gutgemeinten erinnerungen rathsam abnehmen kön-
nen, ob das . . . Projekt den intendirten zweck zu beför-
dern werde geschickt seyn Thomasius ernsth. ged. v. er-
inn. (1720)2,158; den Jünglingen gebe ich den gut-
gemeinten rath, sich noch vorzusehen J. A. Ceameb d.
nord. aufseher (1758) 2, 90; reiztest du . . . durch irgend
eine gutgemeinte strenge . . . seine empfindlichkeit?
Meiszneb Alcibiades (1781)1,75; oft im gegensatz zur
mangelnden guten ausführung mit einem stich ins pejora-
tive: {will ich) hoffen, . . . dasz diese wenige, doch gut-
gemeinte arbeit so werde aufgenommen werden Neu-
t,iAKK fortgepfi. mus.-poet. lu^tw. (1657) 235; es kann sejTi,
desz wir dem grundsatze: das trauerspiel soU bessern,
manches elende aber gutgemeinte stück schuldig sind
Lessing 17, 64 L.-M.; der frieden, welcher in dem gut-
gemeinten bilde atmete, stieg auch in meine seele
G. Kelleb ges. w. l, I5l;
gutgemeint
wird oft beweint W. Kokte sprichw. 181.
— gutgemut, adj., in zuversichtlicher Stimmung, vgl. gut
III A 5 a, vereinzelt statt des gewöhnlich verwendeten wohl-
gemut, vgl. gotgemot Honig Köln. 67^; als gevAlrzname
in einer apothekerrechnung v. j. 1604 gutgemut Ungee-
Khull 313"'. — gutgenug, m., mtindartlich obd. gebil-
dete zusammenrückung von gut genug 'das noch zu etwas
taugliche" {s. gut I A 2 c jS), meist halb ironisch für etw., das
nicht mehr viel wert ist, aber in ermanglung von besserem
noch gebraucht wird, vgl. der gutgenug hat sein lebtag
nichts getaugt vel ist sein lebtag nichts nutz gewesen
nunquam, in pretio fuit res superficiarie peracta Pistoeitts
thes. paroem. (1715)891; von personen im sinne 'lücken-
büszer' als f. und m.: meinen sie, dasz ein fräulein so
leicht eine untreue vergebe und letzt am ende die gut-
genug für sie seyn wolle v. Petbasch s. lustsp. (1765) 1,
511 ; du warst mir der gutgnug, wenn kein anderer da war
Melchior Meyb erzähl, a. d. Ries 2, 152; der gutgenug
macht s schlecht genug W. Körte sprichw. 345; vgl. der
gutgenug sein lückenbüszer sein Fischer schwäb. 3, 964,
wo belege; für ein stück zeu^ am frauenkleid, das von der
schürze bedeckt aus billigem stoß bestehen kann, vgl. Staub-
Tobler 4, 700, Staue v. d. Mabch nordmähr. 48. — gut-
geschirrig, adj., 'fröhlich, ausgelassen', gelegenheitsbil-
dung aus gut geschirr, s. gut III A 5 c {sp. 1278): dabei
blieben sie mit groszem lust und gutgeschirrig und übten
sich zuzeiten bisz sie die stund zuschlaffen scheidet
Fischabt Garg. 291 ndr. — gutgeschrieben, adj., zu
gut II A 5 als adv. : um sich . . . praktische kenntnisse
zu erwerben . . . solle man . . . gutgeschriebene akten
lesen allg. dtsche bibl. 112, 367; die erste gutgeschriebene
deutsche biographie in ihrer art Gerstenbebg recens. 354
lit.-denkm. — gutgeselle, m., zusammenrückung von
guter geselle {vgl. gut IV A 3 b, sp. 1290): weil es wol-
gehet, so sind sie gutgeselie F. Rhot Jesus Sirach (1587)
163^;
zu sehn, ob stein auf stein geblieben,
und ob die tapfern gutgesellen
was rinnet, rüstig noch verschwellen
G. Keller ges. w. 9, 250.
— gutgesetzt, adj., zu gut IA4 als adv. 'ordnungs-
mäszig, schicklich eingerichtet': vil tapffere leute haben
das balgen {den Zweikampf) nicht gutt gesprochen, wird
auch annoch unter den alten gutgesäzten regimentem
nicht zugelassen Butschky hochd. kanz. (1659) 220; zu
gut III AQh als adv.: im anfang klingt ihr {der franzosen)
geschwätz erträglich, weil es gutgesetzte phrasen sind
J. Grimm an W. Grimm in: briefw. 243.
GUTGESINNT, adj., häufige zusammenrückung neben
wohlgesinnt; seit dem 17. jh. bezeugt, gern substantiviert.
1) zu gut IV B als adv. im sinne von gut IV A 1 b
'freundlich gesinnt, gewogen, wohlwollend'; gelegentlich mit
abhängiger präposition für: der für Hütten gutgesinnte
herausgeber Herder 16, 297 S.; der prinz ist gutgesinnt
fürs bett Göthe 4, 215 W.; meist absolut:
zärtlich, treu und gutgesinnt,
ganz zur lieb erkoren
V. Erlach volksl. d. Deutschen 3, 124 ;
90
1427
GUTGESINNT-GUTGEWICHT
GUTGEWINNER-GUTGLÄUBIG 1428
viele gutgesinnte kamen uns zu besuchen, auch aus der
ferne beschreib, v. Herrnhut (1735) 7; im gründe war er so
ruhig als ein mann, . . . dem ein gutgesinnter nachbar
ein kämmerlein eingeräumet hat Hippel lebensl. (1778) 1,
140; beym theater grüsze die gutgesinnten GtÖthe IV 21,
56 W.; denn wenn diese in so zarter angelegenheit nicht
gutgesinnt und einverstanden war, so fiel der liebliche
plan dahin G. Keller ges. w. 6, 150; nun darf ich . . .
die fürsorge eines gutgesinnten genius preisen Göthe
35, 194 W.; bevor er sich entschlieszt, der gutgesinnten
gottesmacht eine Verehrung darzubringen Peschel völ-
kerkde 293.
2) mit besonderer färbung ^wohlwollend' und in gut V 'A
1 0 übergreifend 'rechtlich denkend' von Untertanen in bezug
auf ihr treueverhäUnis zur obrigkeit; allgemeiner: die gut-
gesinnten wolten dieses durch eine gesandschaft nach
Rom ersetzen A.U. v. Bratjnschweig Octavia {1677) 3, 408;
Drusus . . . liesz durch etliche andere gutgesinnte ihnen
ihr verbrechen ... zu gemüthe führen Lohensteik Armi-
nius (1689) 2, OSO**; alle geheimen nachrichten von dem-
jenigen . . ., was gutgesinnte der regierung zum besten
oder zur Sicherheit des stattes vertrauen wollen I. A.
Gramer nord. aufs. (1758) l, 55; um ihre bisthümer wieder
zu bekommen, erregten sie himmel und erde, und mach-
ten . . . die gutgesinnten weltlichen fürsten wieder rück-
fällig M. I. Schmidt gesch. d. Dtschen (1778) 2, 309; was
brauchts den gutgesinnten patrioten erst in einen him-
melsstürmer, in einen tollen Verbrecher umzuschauen
Herder 3, 67 S.; das waren gutgesinnte, ruhige, zuver-
lässige männer, gewohnt, sich dem willen der herrschaft
zu fügen ohne zu fragen W. v. Polenz Orabenhäger 2, 101;
im 19. jh. politisch enger gefaszt geradezu wie 'loyal, königs-
treu, konservativ^ : der gutgesinnte theU der bevölkerung
entfernte sich unter dem rufe : es lebe der könig ! Bauern-
PELD ges. sehr. 6, 10; diese {die Preuszen) haben gewisz
nicht ohne absieht eine colonie sogenannter gutgesinnter
hergeschickt J. Fe. Böhmer leb., br. u. kl. sehr. 2, 248
Janssen; der inhalt der . . . zusammengedruckten auf-
sätze wird weder der gutgesinnten noch der ultramon-
tanen noch der demokratischen presse zusagen P. de La-
garde dtsche sehr. 100.
3) zu gut V B 1 'rechtschaffen, ehrlich gesinrW :
wer nur sonst ist gutgesinnt . . .
LoaAU sinnged. 517 E.;
ein gutgesinnter mensch wird sich vielmehr über das
freuen, was er erweckte, als was er sagte Herder 13, 6 S.;
sey gutgesinnt, und du wirst glücklich seyn Laukhard
leb. u. Schicks. 4, 193; überhaupt verdient diese . . . grosz-
mütige Unternehmung, bei der, wie es die natur der
Sache zeigt, keine art gemeiner Spekulation obgewaltet
hat, die Unterstützung aller gutgesinnten H. v. Kleist
4, 179 Schm.; von den seelischen organen: wer von euch
solche fruchte aussäet, sie mit reinem gutgesinnten herzen
. . . aussäet Miller pred. fürs landvolk (1776)3, 39; in
religiöser beziehung: übrigens glaubten . . . selbst fromme
und gutgesinnte männer, dasz die aufhebung der wall-
fahrt wegen der vielen miszbräuche . . . nothwendig ge-
wesen sei Steub drei sommer in Tirol 1, 300; wie fromm\
blieben aber die gutgesinnten an ihrem gottgefälligen . . .
bibelforschen Jung-Stilling w. 3, 428 Or. — gut-
gesinntheit, /., vom vorigen gebildet; zu gutgesinnt 2:
es gibt leute, die metier von der gutgesinntheit machen
J. Fr. Böhjier leb., br. u. kl. sehr. 2, 2^8 Janssen; zu gut-
gesinnt 3 : ich brauche mich nicht auf den vernunf terb-
adel meines freundes zu berufen, dessen eigene Weisheit
und gutgesinntheit ich durch einen einzigen seiner cha-
rakterzüge zu zeichnen vermag Kürnberqer siegelr. 71.
— gutgetat,/., was guttat {s. dort) 'gnadener Weisung'':
{die) manigfaltigen gnad und gütgetate, die die craf t gottes
an uns blöden creaturen geleit hett {v. j. 1387) in: urk.-buch
d. Stadt Rottweil 1, 212; wyle diner gutgetäten so vil in
mir sint Niclas v. Wyle translat. 20 K. — gutgewicht,
n., zu gut VI A 2 b Weichliches gewicht, übergewicht\ kauf-
männisch das dem kauf er unentgeltlich über das geforderte
masz hinaus gegebene warenquantum: tara oder gut-
gewicht war ihm in diesem augenblick ganz unwesentMch
G. Freytag ges. w. 4, 185; ob und wieviel als gutgewicht
zu gunsten des käufers zu berechnen ist . . ., bestimmt
sich nach dem vertrag oder handelsgebrauche des ortes,
an welchem der Verkäufer zu erfüllen hat handelsgesetzb.
§ 380 abs. 2. — gutgewinner, m., zu gut, n., B l, ge-
winner von Wertsachen, geld, im sinne 'gauner, betrüger':
der geseU . . . saste sich ze tisch zu einem wilden gesinde
und gütgewünnern, die och zu dem jarmarkt waren kö-
rnen Seuse dtsche sehr. 74 B.; 'beutejäger'' : bei 1600 dra-
banten, die kain sold hetten, gutgewinner, und der raiszi-
gen waren bei 26 hundert pferdten städtechron. 22, 415; in
kurtzer zeit hat sich die Jugend dermaszen verendert,
dasz aus solchen tantz junckerlein, bulern und gut-
gewinnern, weise und verständige männer . . . worden
sein G. Maier hist. lustgart. (1625)1,143; 'Wegelagerer,
straszenräuber\- alsz die kaufleut . . . ausz der mesz
zochen ... da sprengten ethch gutgewunner ausz dem zewg
und he wen die wegen oder ballin auf, namen was ynen
geful N. Thoman Weiszenborner hist. bei Baumann qv£.ll.
z. gesch. d. bauernkr. in Oberschw. 18 lit. ver., vgl. 10; es {die
engländischen horden) warend alles ytel gutgewunner
und röuber Tschudi chron. helv. 1, 463. — gutgierig,
adj., 'gierig nach besitz, habgierig\ vgl. gutgierig avidus
bonorum Henisch 1790: sie ziehen ein wenig fort vor dem
blut- und gutgirigen Verfolger H. Fabriciüs auszztig bew.
hist. (1599) 729; weil mir allerhand hüpfende, schmeich-
lende, schändende, hoffärtige und gutgierige gestalten vor
den äugen schwebeten Lindenborn Diogenes {17 i2) 1, 112.
— gutgierigkeit, /., vom vorigen gebildet 'habsuchV :
dann die bettelhaften und eilenden fürsten ausz Europa
{seien) . . . ausz gutgierigkeit . . . dahergezogen Wurstisen
Pauli Aemilii hist. (1672) 1, 213.
GUTGLÄUBIG, adj. aus guter glaube {s. gut V B 1 c,
sp. 1305) abgeleitet; seit dem 15. jh. belegbar.
1) religiös 'rechten, aufrichtigen glauben habend' : dieser
Heinrich was ein weiszer gerechter gnadenreicher . . .
gutgläubiger . . . man G. Alt buch d. chron. (1495) 2223';
also den gutgläubigen frommen
all gotteswerck zu gutem kommen
H. Sachs 19, 175 K.- G., vgl. 17, 396;
gib mir ein gute und starcke Zuversicht und getrauen in
dein guetigkeit, das ich vor der grosze und menig wegen
meiner sund nitt in verzweyfflung falle sunder mitt ge-
trewen gutgläubigem gemuet bedencke hertzemaner {1492)
12Z^; etwas anders 'rechtgläubig': fehlgläubige männer mit
ihren weibern sind auszutreiben, die guetgläubigen wei-
ber dürfen auf den häusem bleiben Schönherr glaube u.
heimat 74.
2) allgemeiner, 'ehrlichen, aufrichtigen glauben habend',
vgl. schon: so werden sy also demütig und gelassen und
also gütgelaubig gen allen menschen Tätjler sermones
(1508) 38^1; die gutgläubigen enthusiasten, die bisher in
seinen werten gefunden, was sie wünschten, sahen sich
enttäuscht H. Prutz preusz. gesch. 4, 218 ; zu bedauern sind
die vielen ehrlichen seelen, welche gutgläubig für eine
Sache, die sie nicht kennen, ins feuer gehen P. de La-
garde dtsche sehr. 177; {was) ein federfuchser zusammen-
geschrieben hat, der es versteht, gutgläubigen menschen
eine spitze mit gift einzustechen Hans Grimm volk ohne
räum 1, 623; vielfach mit dem beiklang 'leichtgläubig': kann
man es nun den gutgläubigen weibern verdenken, wenn
sie nach ablegen! von diesen heldenblumen lüstern
sind Fr. L.Jahn l, 482 E.; anders 'gute absieht habend, es
nicht böse meineiid' : das wort vom 'beschränkten unter-
thanenverstande', das der minister von Rochow . . . ge-
braucht hatte, selbst wenn es, wie seine Verteidiger wollen,
gutgläubig und ohne bösen nebensinn geschehen sein
sollte, gab doch nur der auffassung ausdruck, die man
in jenen kreisen hegte H. Peutz preusz. gesch. 4, 172.
3) juristisch entsprechend bona fide, den 'ehrlichen glau-
ben an die rechtmäszigkeit oder richtigkeit einer sache ha-
bend', vgl. gutgläubiger Inhaber bonae fidei possessor
Schottel haubtspr. (1663) 350: ein gutgläubiger Inhaber
1429 GÜTGLÄUBIGKEIT-GUTHABEN
GUTHÄBER-GUTHEISZEN
1430
{kann) . . . noch nachträglich abstempelung seiner Schuld-
verschreibungen erlangen gesetz betr. d. infiaberpapiere m.
Prämien § 5; dem gutgläubigen besitzer gegenüber (lüar er
nicht) dazu (zur klage) berechtigt Jheeinq geist d. röm.
rechts 3, 1, 31; {die nachprägungen) waren jedoch über-
dies eine betrügliche Verkürzung des gutgläubigen emp-
fängers Luschin v. Ebengeeuth münzk. 125; der gut-
gläubige checknehmer besitzt {keinen) . . . anspruch gegen
den zusteiler hdwb. d. staatswiss. 3, 30; wer bei der auf-
merksamkeit, wie sie nach den umständen von ihm ver-
langt werden darf, nicht gutgläubig sein konnte, ist nicht
berechtigt, sich auf den guten glauben zu berufen Schweiz,
ziv.-ges., art. 3; 'oms gutem glauben hervorgehend' : der In-
haber konnte . . . nicht einmal den gutgläubigen eigen-
thumsbesitz sich zuschreiben Mommsen röm.gesch. 2*, 91.
— gutgläubigkeit, /., vom vorigen abgeleitet; zu gut-
gläubig 2: unter diesen aber . . . misz brauchten die
Spanier gleichwol der allzu vielen gutgläubigkeit der ti-
dianer A. Scherdiger novae novi orbis hist. (1591) b 4^;
auf französische leichtgläubigkeit und deutsche gutgläu-
bigkeit berechnet Fr. L. Jahn w. 1, 528 E.; ihm steht
diese gutgläubigkeit gleichsam schon im gesicht ge-
schrieben W. Schäfer erz. sehr. (1918) 4, 19; zu gutgläu-
big 3 : der Versicherer kann also trotz aller 'gutgläubigkeit',
durch Verhandlung mit einer person . . . nicht das recht
des angeblichen veräuszerers ändern Manes versicherungs-
lex. (1909)763. — gutglück, n., zusammenrückung ent-
sprechend gut IV A 1 c a yy {sp. 1286), vgl. gutglück for-
tuna secunda, felicitas Maaler 199*». — gutgönner, m.,
'jem. der einem gutes gönnt, einem wohlwill', vgl. gut VIII
C 1 a; verstärktes 'gönner\ vgl. gutgönner benevolo Khamer
t.-ital. 1, 548^': ettliche unsrer gutgönner Riederer rhe-
toric (1493) joi»; aber dise ehr ist vil süszer, so den
eintzigen menschen von iren freunden und gütgünnern
umb iergent ein herrliche that oder fürtreffliche tugend
erzeigt wirt Vielfelt sp. d. menschl. blöd. (1564) eI^^;
groszgönstiger herr und gutgönner Guarinonius greuel
d. verwüst. (1610) 764; etioas anders 'anhänger, Partei-
gänger': Maximilianus grüeszten den 12. Augusti seine
gutgönner ihren könig und ungeacht dessen war auch
Sigismundus von sein anhängern zum thron erhoben
V. Brandts immergr. ehrenkr. (1678) 212. — gutgrundig,
adj., zu gut I A 2 und grund IV A 2 'feste grundlage ha-
bend': die aufgerichte Ordnung der heiligen kirchen {wäre)
gutgrundig und bestendig H. v. d. Planitz berichte 604;
zu grund II A 2 'gute erde habend' : das land ist eben und
mehrertheils gutgrundig und fruchtbar D. Federmann
niderl. beschreib. (1580)67. — gutgünstig, adj., zusam'
menrückung von gut IV A 1 b und günstig in steigerndem
sinne, vgl. gutgünstig Henisch 1790: sie waren gut-
günstige frind miteinander C. Hedio chron. germ. (1530)
165*; 'gnädig': welchen der kaiser endlich gutgünstig
wieder in sein königreich einsetzte M. Krämer tapffere
thaten (1681) 185; substantiviert auf das objekt des Wohl-
wollens bezogen 'günstling' : des aber unangesehen ver-
kündete Hermon und alle gutgünstige des königs, wie
nun alle rüstung, thier und kriegsordnungen bereitet
wärind Züricher bibel (1530) 684i>.
GUTHABEN, n., aus der formet etw. gut haben {vgl.
gut I A 5 c /5 ßß, sp. 1248) gebildet; um 1800 auftretend,
aber vielleicht älter, s. guthäber; 'als f orderung an jem.
ausstehende geldsumme' : da Dietrich bereit war, nicht nur
ein guthaben an Bürger von beiläufig 1500 thlr. zu strei-
chen Müllner dram. w. (1828) 8, 128; in welchen das
spärliche licht . . . ohne beistand der ewigen comptoir-
lampe weder guthaben noch debet aufklären würde
Gaudy s. w. (1844) 19, 44; und er {der sünder) dachte
sich seine schuld und sein guthaben im himmel genau an-
gemerkt G. Freytag ges. w. 18, 326; so brachte ich also
nicht nur eine für meine bisherigen Verhältnisse ansehn-
liche barschaf t mit nach hause, sondern auch ausstehendes
guthaben, dessen eingang aus weiter ferne . . . von erfreu-
lichster Wirkung sein muszte G.Keller ges. w. 3, 241;
vgl. guethabe Seiler Basler ma. 153; etwas anders guet-
haba 'das herauskommende saldo' Tobler appenzell. 2453',
Stalder 1,504; vereinzelt zu gut III A 2 'gutes leben,
bequemlichkeit' : ein schlecht aussehen habe es {das Ma-
reili) nicht, sagte die mutter, doch werde das kaum vom
guthaben kommen J. Gotthelf Hans Joggeli (1893) 14;
kinder stören . . . vor allem aus ihre behaghchkeit, ihr
guthaben, durch unruhige nachte und geschreivolle tage
ges. sehr. 5, 81. — guthäber, m., zu etw. gut haben
{vgl. sp. 1248), im sinne 'gläubiger, Wohltäter': den treu-
herzigen guthäbem zu dankbarem ehrengedächtnus {v. j.
1666) bei Fischer schwäb. 864. — guthandeln, «., zu
gut VII E 'sittliches, rechtschaffenes tun' : soll durch unser
jeziges guthandeln etwas für die Zukunft ausgerichtet
werden, so musz auch durch das frühere schon jezt
etwas ausgerichtet sein Schleiermacher pred. (1801) 252;
die ahnung, die vorempf indung der lust dieses affektes kön -
nen als triebfedern wirken, durch guthandeln den affekt
wirklich zu machen O.Lüdwig 6, 8. — guthaus, n., Ver-
kürzung aus gutleuthaus (s. dort) 'leprosenhaus' , vgl. stadt-
recht V. st. Avold 42 bei Follmann löthr. 221'». — gutheil,
n., name der weiszen mistel {viscum album) als heilpflanze
zu gut I A 1 b, auch heü aller schaden ; nach v. West-
phalen bei Pritzel- Jessen 442. — gutheinrich, m.,
pflanzenname, zusammenrückung von guter Heinrich
{chenopodium bonus Henricus), s. gut II B l c (sp. 1267/.),
vgl. Pritzel- Jessen '91: gutheinrich atriplex Alberus
nov. dict. (1540) cc 4*, neszlen, papplen, guethainrich, rot-
buchen wol gesotten und das rosz darmit gewaschen
hauet bald Seutter hippiatria (1599)224; (sie) legte er-
weichende und auflösende umschlage darauf — kräuter-
pflaster von pappelweide, gutenhinrich, weisze lilien
BoDE Tristram Schandi (1774) 7, 63.
GUTHEISZEN, vb., zusammenrückung atis der formel
etw. gut heiszen, vgl. gut I A 3 d /5 {sp. 1239), im sinne
'eine sache für angemessen, geziemend, löblich halten', 'etw.
billigen', besonders vom verfügungsberechtigten aus 'seine
Zustimmung geben', vgl. gutheiszen approbare val lodare
provar per buono Hulsius dict. (1618) 2, Si^; in dieser
hauptbedeutung nicht vor dem 16. jh. zu belegen, aber wohl
älter, s. gutheiszung: mancher musz . . . viel lassen für
ohren gehen, und loben und gutheiszen, das nicht gut ist
Mathesius hochzeitspred. 240 Lösche; er köndt ihnen zu
solcher raisz nit rathen, noch dieselbige gutheiszen
F. Alber Igruitius Loiola (1571) 88;
darbey kan man Ihn auch verwelsn,
ihn nlt recht geben und gutheiszn,
was sie Unrechts haben gethan
J. Ayeke dram. 753 K.;
damit ein künftiger regierender erzbischof diesen ver-
gleich . . . gutheisze {v. j. 1612) bei v. LoRi baier. bergr.
(1764) 389; indem ich . . . betrachte, was ich geschehen
lassen, gutheiszen, thun und helfen solle Moscherosch
insomn. cura par. 53 ndr.; so kan ich . . . die furchtsame
regel, welche von einigen deutschen kunstrichtern ... ohne
einigen grund vorgeschrieben worden, eben so wenig billi-
gen oder gutheiszen J. Breitinger crit. dichtkunst { 1740) 2,
284 ; der embryon wird im verborgenen gebildet, wies kaum
die briUe des philosophen a priori gutheiszen würde Her-
der 5, 478 8.; zuletzt schrieb ich das hier beigelegte dank-
gedicht, das ich in verse bringe, wenn es der fromme
vater gutheiszet Jean Paul 15/18, 174 Hempel; der Vor-
schlag wurde gutgeheiszen, obgleich Figura ihn be-
kämpfte, weil sie dem landvogt die unangenehme scene
ersparen woUte G. Keller ges. w. 6, 244; partizipial: ob
. . . nach dem gutheiszenden breve des papstes auch noch
die bestätigung des kaisers erforderlich sei Ranke s. w.
1,38; eine von St. Amaud gutgeheiszene Verabredung
Fontane ges. w. I 4, 267; im sinne 'bürgschaft leisten', d. h.
etw. für sicher erklären {vgl. gut I A 5 c) angeblich in einem
Ulmer Schwörbrief V. j. 1397, s. Schmid schwäb. 246; anders
'versprechen' Unger-Khull 3l3ä'. — gutheiszen, n.,
Substantivierung des vorigen im sinne 'billigung, Zustim-
mung': so ist auch mit guethaiszen der gnädigen gerichts-
herrlichen obrigkeit . . . iederzeit . . . breichig {gebräuch-
lich) gewest {v. j. 1568) österr. weist. 4, 126; mit gutheiszen
der bademeistem Guarinonius greuel d. verwüst. (1610)
90*
1431
GUTHEISZER-GUTHEIT
GUTHEIT
1432
900; also dasz auf deszen bewilligung und gutheiszen
lederne und papirene pfennig eben des wertes seyn
können Beinicke Fuchs (1650) 188; sie beyde bedancketen
sich untertähnigst des ausgesprochenen gnädigsten gut-
heiszens Buchholtz Herkuliskus (1665) 264; (er) hörte ihr
urtheil an, und bestätigte es mit freundschaftlichem gut-
heiszen A. V. Hallbe Usong (1771) 86; eine neue acte . . .,
durch welche die ernennung zu den wichtigsten stellen in
der Staatsverwaltung ... an das gutheiszen des Parla-
ments gebunden ward Ranke s. w. 16, 68; wunderbar ist
es, dasz der mensch . . . durch beistimmen und gut-
heiszen sich gestärkt fühlt 0. Ludwig ges. sehr. 5, 282;
anders, nach gut I B hin abgezweigt: kein mensch . . .
kann mir durch sein gutheiszen einen werth geben br. d.
neueste litt. betr. 18, 10. — gutheiszer, m., aus gut-
heiszen, vb., gebildet; 'jem., der etw. billigt: also bekahm die
taht, wie greulich sie auch war, von stunden an ihre guht-
heiszer und vertähdiger Zesest gekr. majest. (1661) 146; ich
begreiffe wol, dasz eure verblühmte manieren zu reden,
eure lustige Vorstellungen und nicht gemeine gedancken
bei euch gutheiszer finden d. lahme teuffei (1711) ):( 3^; ich
bediene mich des ausdrueks des gutheiszers, welcher sagt
M. Mendelssohn ges. sehr. 6, 452; die reichsversamm-
lung der stände musz eine Sprechgemeinschaft (Parla-
ment) sein, nicht eine taubstummenanstalt von jaherren
und beifallnickern, nicht eine Versammlung von gut-
heiszern Fe. L. Jahn w>. l,285ß. — gutheiszung,/., s«6-
stantivierung aus gutheiszen, vb. im sinne 'billigung, zu-
stimmung\ vgl. gutheiszung comprobation Roth dict.
(1572) D 3*, gutheiszung, bewehrung approbatione, appro-
bamento Htjlsitjs dict. (1618) 2, 348': diesemnach (sind)
wir auch zue besseren nutzen und deren guthäusungen
nach auch in gnaden zue willfahren gewogen urk. v. j. 1478
in: urk. -buch d. st. Saatz 206; die Jungfrauen auszer gut-
heiszung oder widersprechen nichts darzu zu sagen
schuldig seyn Haesdöefee gesprächsp. (1641) l, e 3^; er
. . , mit deroselben approbation und gutheiszung das
gericht führe, die schuldbücher vorlege Dannhauer
catechismusmilch (1657) l, 307; derjenige griffe mit gut-
heiszung desselben viertelcommisario zu Geimmels-
HAUSEN Simpl. 290 ndr.; (die stoici) sagten ferner, auf
die einwilligung folgte die gutheiszung oder die com-
prehension Thomäsius hofjihil. (1719) 137; wissen sie, dasz
das werckchen . . . gutheiszung erhalten hat? allg. dtsche
bibl. anh. 53-88, 2264; seine einzige sorge war nun die
anstalten so zu treffen, dasz ihm der spanische hof seine
gutheiszung am ende nicht verweigern dürfte Schiller
4, 119 0.; stolz auf das ereignis, welches die gutheiszung
all ihrer opfer . . . enthielt G. Keller ges. w. 8, 144; ein
glück, für das ich früher oder später . . . die gutheiszung
der gesellschaft erwartete Fontane ges. w. I 5, 224.
GUTHEIT, /., abstraktbildung zu verschiedenen bedeu-
tungen von gut, adj., besonders gut IV ; seit mhd. zeit belegt
und bis in neuere spräche verwendet, aber weniger aus-
gebreitet als sein konkurrenzwort gute; mundartlich heute
hauptsächlich nd. und westobd., doch auch bair, belegt;
schriftsprachlich im ganzen dem modernen Wortschatz ent-
fremdet.
1) zu gut I und II seltener, entsprechend gute 1 die ^ge-
brauchstüchtige, hochwertige beschaffenheit einer sache' vgl.
guydheyd bonitas Diefbnbach gl, 7Q^, glich gutheyd
equipollentia 206"^: de gudheit des bomes is, dat he gut sy
van wortelen Johannes Veghe 400 Jostes; von der gütt-
hait des wassers ist es also allen offenbar, das es vilen
nit usz ze legen ist H. Östeeeeicher Columella 1, 26
lit. ver.; als 'vortreffliche, wertvolle eigenschaff : alle güt-
hait des leibs in der weit seind schwach und zergenck-
lich Albe. v. Eye sp. d. sitten (1511) a 6^; got der herr
mancherley krafft und gütheyten in kreütern, steinen,
wassern . . . geschaffen hat Tollat v. Vachenberg marg.
medic. (1516) 2^; zu gut I A 1 b 'nützlichkeit, zweckmäszig-
keif : das dy güthayt des tods, dy untödtlichen gött er-
kandt und geurthaylt haben J. v. Schwaezenberg Ci-
cero (1635)62''; dann erzählte der Vorsteher der anstalt
im kurzen umrisz die diesjährige geschichte des turn-
wesens, und wie erhobene zweifei wider die gutheit der
Sache nun erst recht ihren wert zur klarheit gebracht
Fr. L. Jahn w. 2, 877 E.; nach gut III A l a 'vorzüglich-
keit im geschmacF : wann sie [die Wasserschnepfen) die
grösze hätten wie die Waldschnepfen, wären sie ihnen
wegen zärtigkeit und gutheit des fleisches weit vorzu-
ziehen V. Hohbeeg georg. cur. (1682) 2, 549.
2) die hauptbedeutung schlieszt sich an gut IV an.
a) von der Wesensart oder gesinnung einer person hin-
sichtlich ihres Verhaltens zu anderen menschen, vgl. gute
3 a, 'freundlichkeit, wohlwollen, milde, nachsichf, vgl. gut-
heit beneficentia Diefenbach g'Z. 71 <^; entsprechend mund-
artlich, s. Mensing 2, 430, Stüeenbueg 73^», Danneil 67*^,
Battee-Collitz 42^», Schambach eo'', Woeste 87^,
RovENHAGEN Aach. 47, HÖNIG Kölner ma. 67**, lux. ma.
158, Follmann lothr. 221, Maetin-Lienhart 1, 249^,
FiscHEE Schwab. 3, 965, Schmeller-Fr. 1, 965, Soha-
CHEEL Böhmerwald 16.
a) von der charakterlichen habituellen Wesensart des men-
schen.
aa) in aktiver hinsieht 'freundlichkeit, wohlwollen' : ich
geschwyg ains vatters, der doch mit vil güthait syne kind
alzyt het geUebet Stainhöwel de claris mulieribus 169
Dr.; (die liebe wird) gefüret und behalten zwüschen der
frölichen güthait des gelückes Niclas v. Wyle translat.
96 K.; wir beklagten uns, dasz sie imsere gutheit so
wenig erkennet Hunold verliebte weit (1700) 2, 42;
ich kenne deine gutheit v/ohl,
du leihst mir, wie ein nachhar soll
GÖTZ verm. ged. 2, 111 Ränder;
er war die gutheit und menschenliebe selbst Gelleet
s. sehr. (1839) 4, 204;
sie (die ziege) meckert: dich (hasen) itzt aufzunehmen,
wird jenes schaf sich bald bequemen,
dir ist ja seine gutheit kund
Hagedorn poet. w. (1769) 2, 60;
ihre Schönheit (war) . . . mit einem einladenden ausdruck
von gefälligkeit und gutheit verbunden Wieland s. w.
(1794)28,169; unwürdige seele, die nicht groszheit ...
genug hätte, eben die gutheit ... zu beweisen Herdep
31, 90 S.; du wähnst, aus übergroszer gutheit, dasz uns
ein nähres band zum glück vereinen werde Göthe 39,
339 W.; ich werde nicht lange mehr die gutheit selber
seyn, ich werde eine tigerin werden Bäuerle kom. theat.
(1820) 2, 75.
ßß) mehr passiv 'milde, gutmütigkeit, nachsichf: ja die
clerisey misz brauchte des kaysers gutheit so grob Arnold
kirch.- u. keizerhist. (1699) 348^; sie miszbrauchen meine
oft leichtsinnige gutheit aufs abscheulichste Schubart
br. 2, 157 Strausz;
und weil ich noch gerührt betrachte,
wie furchtsam dich die gutheit machte
J. J. Schwabe bdmt. (1741) 2, 25;
wenn man die Wissenschaft, den glänz der Weisheit fliehet,
sich alles, andern nichts, mit gutheit übersiehet
Triller poet. betr. (1750) 3, 436;
unsre gutheit spielt uns eben immer üble streiche Cabol.
Herder in: Göthes gespr. i, 101 Biederm.; dieser einzelne
hat keine Verpflichtung, sich dem stupiden begeisterungs-
gebäh aus bloszer artigkeit oder gutheit anzuschheszen
Fontane /ami7tew6r. l, 270; dat hett he in sien goodheit
daan Mensing 2, 430; guetheit ist e dummheit Martin-
LlENHART 1, 249^.
yy) im Übergang zu b auf die erscheinungsform der
gesinnung hinweisend:
das im (dem wolf) der gfitheit würt gelonet,
die weil er im oft het verschonet
seiner schaff ... H. Sachs fab. u. schw. 2, 2 ndr.;
um mancherlei lieb, freundschaft und gutheit willen, so
ihr mir . . . bewiesen habt Dürer nachl. 209 L.-F.; er ist
aber ein bettler, der bursche, er hat nicht einen Schilling,
und meine gutheit hat er schön belohnt, wie sie wiszen
Sturz sehr. (1779) 2, 259; nimm es nun hin und lasz ihm
deine unermüdliche gutheit heilsam werden Göthe IV 8,
134 W.; so will ich dir hier ade sagen, ich danke dir für
deine gutheit Auerbach sehr. 15, 38.
1433
GUTHEIT
GUTHEIT
1434
ß) als eigenschaft gottes entsprechend gut IV A c a {vgl.
gute 3aa) 'gnade, barmherzigkeit^ :
die alle wolten schowen
daz raine wib, den werden man,
da got michel wunder an
bette in siner gottheltt (/. guotheit)
baide geformett und geleitt
Göttweiger Trojanerkrieg 12805 Koppüz;
der usflusse der verborgener gütheit gotz Taulek pred.
159 F.; dez grundlosü gütheit zwinget sich selb Seuse
dlsche sehr. 178 Bihlm.; das gott der herr allein usz
bewegung seiner überschwenklichen gütheit sich der
Seelen also völligliohen eingüsset Geiler v. Keisersbekg
seelenpar. (lölO) 3*'; es rhumet nit mehr denn gots werck
seyne gnade, seyne gutheyt ubir uns Luther 10, l, 1, 527 W.
y) anders {vgl. gute 3 d) von der temporären gesinnung
eines menschen, die in einzelnen handlungen sichtbar wird,
'freundlichkeit, gefälligkeit, liebenswürdigkeif : wir müssen
den guten freund bitten, dasz er die gutheit hat und
voran geht Chr. Weise liebesalliance (1708) 69; man hat
mich versichert, sie würden die gutheit haben und es
bestens auslegen Spanutius schreiblex. (1720)861; einige
indessen hatten vollends die gutheit, mir . . . thätlich
unter die arme zu greifen Bräker s. sehr. (1789)1, 177;
wir kommen her, ob ihr die gutheit hättet,
und gäbt uns etwas geld
Gkillparzer «. w. 6, 85 Sauer;
hab die gutheit, schwager, und geh zur Versteigerung
Rosegger sehr. II 9, 228; sien se vun der goodheit Men-
siNG 2, 430; aUes, was sie mir mit so vieler gutheit über-
sehicken will zur Vermehrung meiner kenntnisse mir zu
nutze machen Gottschedin br. 1, 26 Eunkel; des war e
guatot! Schmeller-Fr. 1, 965.
d) von abhängigen präpositionen sind für, gegen häufig,
zu bleibt selten: möchte man doch die gutheit für ihn
haben, das vergangene zu vergessen A. U. v. Bräun-
SCHWEIQ Octoma(1677) 4, 406 ; persuadire mich anbey, dasz
sie auch aus freundschafft einige gutheit vor mich haben
HuNOLD neue 6r. (1723) 200; die auferziehung eines prinzen
vollkommen zu machen, für den sie soviel gutheit hatte
J. E. Schlegel w. (1761) 3, 510; o, ich bitte, mein herr,
haben sie die gutheit für mich, und überheben sie mich
einer dienstlichen erklärung Lessing 3, 225 L.-M.; ich
schrieb ihre gutheit für dich auf rechnung des engel-
herzens Göthb 9, 139 W.; wie diese und andere merck-
mahle ihrer gewogenheit mich sehr verpflichten : so bitte
in dero gutheit gegen mich fortzufahren Hünold neue br.
(1723) 340; so wie die gutheit gegen die Völker verderblich
ist, wenn sie in ihnen die Vernachlässigung der götter
und ihres dienstes begünstigt M. Claudius Sethos (1777)
1, 317; dich grüszt sie und ist voller danckbarkeit für
deine gutheit gegen sie Göthe IV 7, 80 W.; viel theurer
und viel werther ist mir deine gutheit zu mir IV 3, 77.
s) vereinzelter für den zustand des Wohlwollens und ein-
vernehmens entsprechend gute 4 im sinne 'freundschaft,
eintrachV :
und ausz der sipschafft kan gar baldt
auffgehebt all gutheit werden,
von schlechter ursach wegen und gestalt,
wie sagen man thut, gutt scheidt das blut
Th. Höck blumenfeld 56 ndr.;
es gab gar keine unruhe mehr zwischen den beiden men-
schen, sondern nur ausgleich und hilfe und Sicherheit
und gutheit Hans Grimm volk ohne räum 2, 393.
b) seit dem mhd. für das ergebnis der aus freundlicher
gesinnung flieszenden handlung im sinne 'wohltat, gnaden-
erweisung' , auch geradezu 'schenktmg'.
a) allgemeiner:
disz zerung wil ich dir geben
umb die güthait, die du mir hast getan
Friedrich v. Schwaben 2SiSJell.;
und wollen das und alle güthait, uns von eu gethan, gar
früntlichen verdienen Steinhausen privatbr. d. mittelalt.
1, 120; gold und silber und alle gütheyt empfahen Stain-
höwel Esopus (1487) 48; und iren vil ir handtraich, al-
müsen und ander enthalt mitgethailt Knebel chron. v.
Kaisheim 14 lit. ver.; über die gutheit sie mich hat tödten
wollen buch d. liebe (1587) 131 <=;
ja Ich halts auch, es sey am bestn,
wenn eim ein guttheit wlderfar,
dasz er dleselb nicht offenbar
J. Aykek dram. 2653 K.;
ich besorge, ich habe in meinem leben mehr als einem un-
würdigen gutheiten erwiesen Bode Thomas Jones (1786)
6, 149; du betrügst sie um ihre gutheit Auerbach schätz-
kästl. 1, 11; halb technisch entsprechend beneficium im
sinne 'Schenkung'' : und solch recht, freihält, privilegia
und güthait inen verlassen und bis auf uns komen ist
städtechron. 32, 276;
zu widergelt solcher gutheit,
so thu drey ding auS disen tag
all jar hernach, wie ich dir sag
H.Sachs 12, 194 £.- <?.
ß) speziell von den gnadengaben gottes:
der gutheit halb, die unsz got gan
und willig hat getan
Hans Foiz meistert. 3, 63 Mayer;
danck sagen wir dir, Jesu Christ,
umb die speis, die du uns gibst,
und loben dich mit reichem schall
ja umb die gab und gütheit all,
die du uns gibst uf erttrich
liederb. d. Hätzlerin 82 H.;
hett in got als vi] Hechtes geben und also grosz güthait
als er dir hat gethon Tauler sermones (1508) 131^; dann
ein opffer nennet man, welches gott zu eren oder danck
seiner gütheit . . . geben wirt J. Diettemberger wider d.
unchristl. buch Mart. Luthers (1526) i> 1^; und er, wie ain
danckbarer herr, zu gedechtnus empfangener güthait, hat
kirchen gebauet H. Kilian res publ. Vinet. (1557) b 6^.
y) unhäufig mehr nach gut III A 2 bzw. 4 hin für die
'gute, angenehme erfreuliche scLche' überhaupt: und Abra-
ham sprach zu im {dem reichen manne) : sun, gedenk daz
du hast enphangen dein gutheit in deim leben cod. Tepl.
1, 105 Rüttler; der herr machet dich uberflieszend in aller
gütheit erste dtsche bibel 4, 218 Kurr.; daz ym erst in seinen
alten tagen so vil eer und güthait widerfaren soltt For-
tunatus 74 ndr.;
desz {deg fantens der reichen) doch der arm mon mag
zu nütz und güthait mag erspriesen [genisen,
von der reichen kurzweil und schlmpfif
H. Sachs 17, 347 K.- O.;
wie gut, n., Blb 'besitz, habe" :
das im im alter nicht zerrinn,
so er erst darff der gutheit wol
6, 365.
3) weniger häufig von gut V hergeleitet von der sittlichen
Wesensart des menschen oder der moralischen qualität
seiner handlungen, vgl. gute 2.
a) meist mit persönlichem beziehungswort 'rechtschaffen-
heit, tugendhaftigkeiV , und religiös gewertet 'frömmigkeit,
gerechtigkeit vor gotV : daz fünfte ist, daz man dirre geburt
grcezlichen begern sol, wan begerunge ist ein wurzel
aller tugende unde guotheit meister Eckhart bei
Pfeiffer myst. 2, 479;
das die geistlich bofarte
dir nit dein gutheit gar vernlcht,
dar vor mit fleisz dich hüte
Hans Folz meistert. 8, 68 Mayer;
wir legten der frouwen arckwon auff die waug und lag
die güttheyt auff dem andern teU d. heyligen leben, sum-
merteil (1472) 80*; das sy im hoffnung und trost versaget,
domit im verschliesz den weg aller gütheyt und tugent
Hartlieb buch Ovidii v. d. liebe (1482) 30^;
in gutheit üb dein jugent wol
J. V. Sohwakzknbeeo trostspr. 261 ndr.;
B. erkent die gütheit und redlichkeit, übergibt im frei das
furstenthumb Tancredo seines brüders sun Seb. Franck
chron. Germ. (1538) 1373'; göttliche dichtkunst, die du das
reinste feuer in mir entflammtest, woran sich tugend
und gutheit ohne furcht und erröthen wärmten Kretsch-
MANN s. w. (1784) 2, 1; als die missethat des kaisers seine
gutheit überwiegen sollte, und wir {teufel) die seele in
1435
GUTHERR- GUTHERZIG
GUTHERZIG
1436
unsere gewalt nehmen wollten, da kam der gesegnete
Lauren tius Grimm dtsche sagen' 2, 99.
b) objektiv, auf handlungen oder zustände bezogen oder
absolut 'rechtschaffenheiV:
was ich sage, das wollent !r verandern:
falscheit nennent ir gutheit,
und Schönheit nennent ir falscheit
pilgerf. d. träum, mönchs 5466 Bömer;
darümb ist das werck recht, gut, heilig und wohlgethan,
denn er (gott) selbs thuts und also die gutheit herkömet
von gott und nicht von dem werck Luther 16, 142 W.,
vgl. 6, 204; verdinglicht für die 'sittliche handlung^ selbst:
die sind all zitt berait
durch mynn und durch stätikait
ze wurcken alle gütthait
mhd. minnereden 1, 141 MattMi;
die dan hie gutheyt hant verprachte,
gent in das ewig himlisch reich und vaterlant
Hans Folz meistert. 63, 116 Mayer;
etwas anders 'alles sittlich gute" : der todt . . . aller natür-
lichen dingen ist anders nicht als ein . . . herrschung über
die gutheit und boszheit Paracelsits opera (1616) 1, 91
Huser; nach gut V B 3 a 'gute werke" :
{der kaiser) mit den klostern und kircben
er vil gutheit was wirchen
M. Beheim buc/i V. d. Wienern 355, 14 Karajan.
GUTHERR, m.,s. gutsherr. — gutherz, adj. , vereinzelte
adjektivierung aus der formet gutes herz (vgl. sp. 1287) mit
dem alten adj. herze, vgl. mhd. barmherze, adj., in der be-
deutung von gutherzig la: guthoerzer leut P. Schede-
Melissus ps. 44 ndr. — gutherzend, part. adj., ge-
legentliche bildung entsprechend gutherzig la: dieses
mein geringes werck (ist) von vielen wolmeinenden, gut-
hertzenden leuthen wol angenommen worden J. Ayber
hist. proc. jur. (1600) )( 3»,
GUTHERZIG, adj., auch adv.; seit dem späteren mhd.
bezeugt, von formelhafter Verbindung gutes herz, vgl. gut
IV A 1 c y und V A 1 f abgeleitet, vgl. guthertzig bonicors
Alberus nov. dict. (1540) k k 2a.
1) entsprechend gut IVAlcy (sp.12%1) im sinne
'freundliche, wohlwollende, geneigte, gutmütige gesinnung
habend oder zeigend\
a) mit personalem beziehungswort von menschen mit
freundlicher, wohlwollender gesinnung.
a) allgemein von der sinnesart als solcher: do dis (Sev^es
krankheit) innen ward ein getrüwer gütherziger mensche,
der sin do pflag Seuse dtsche sehr. 87 Bihlm.; (die sich)
deshalben . . . heimlich umb ainen getreuen beystandt
bey ethchen guetherzigen beworben städtechron. 22, 435;
hab ich auff bitt und begehren ethcher guthertziger leut
solches gedieht an tag zu kommen mich überreden lassen
W. Spangenberq ausgew. dicht. 16 Martin; solche weise
Friderici und guthertzige fürsten . . . seyn dünn gesäet
Zinkgrep-Weidner teutsch. nation weish. 3 (1653) 22;
von jeher sind wir unter allen europäischen Völkern das
gutherzigste gewesen Meiszner skizzen (1778) 2, 120; du
warst durch das zureden gutherziger und wohlmeinden-
der freunde dazu bewogen Leopold Mozart bei 0. Jahn
Mozart 2, 54; man pries ihre erhabenen eigenschaften,
obgleich sie nur ein gutherziges mädchen war Auerbach
sehr. 3, 141; wie 'gutmütig': indem ich mich aber so un-
freundlich hierüber ausdrucke, so musz ich doch, wie es
den gutherzigen polterern zu gehen pflegt, mich sogleich
zurücknehmen Göthe IV 20, 193 W.; neutraler 'wilUg\-
gegen sollichen güthertzigen menschen müssen wir uns
vü anders halten dann gegen den halszstarcken Luther
10, 3, 38 W.
ß) blasser 'geneigf in der formal gutherziger leser, die
bis ende des 18. jh. geläufig ist: dem freundlichen gut-
hertzigen leser wünscht Hans Sachs ein gut seligs neues
jar H. Sachs 6, 8 K.; dahin ich auch auff diszmal den
güthertzigen leser geweiset wil haben theair. diabol. (1569)
2^; zum beschlusz den güthertzigen leser der göttlichen
allgewaltigen obhut und mich zu seinen beharrlichen
gunsten empfehlende v. Hohbekg georg. cur. (1682) 2,
vorr. a 6''; gehaltvoller: dasz ein guthertziger leser zu-
weilen einen kleinen Schnitzer . . . übersiehet Bodmeb
abh. V. d. wanderb. (1740) 253; einige von meinen gut-
herzigen lesern werden bei dieser gelegen heit ein wahres
mitleiden mit mir gehabt haben Klopstock s. w. (1823)
11, 239.
y) mit dem beisinn 'wohltätig', wenn sich die sinnes-
weise in bestimmten Jmvdlungen äuszert; gelegentlich auch
mit abhängiger präposition gegen (vgl. gut IVAlbjS)
oder personalem dativ (vgl. gut IV A 1 b a) : ich kan nicht
gnugsam aussprechen, wie guthertzig sie kegen mir war
Barth weibersp. (1565) m l**; kayser Tiberius, welcher
einmahl einen unschätzbaren schätz ausz der erden
graben (ivird), weilen er so guthertzig gegen den armen
gewest Abraham A s. Clara Judas (1689) 2, 5; bat die
götter, dasz sie mir geneigt und guthertzig waren in
aller sach buchd. liebe (l^S7)ldO'^; meist absolut: un(Seu^e)
waz in derselben stat ... sin noturft vil wol zu gevallen
von gütherzigen menschen Seuse dtsche sehr. 124 Bihlm.:
machten ethche guthertzig knechte . . . ein hütten,
trugen darunder die presthafftigen Kirchhof wendunm.
1,532 Österl. ; das volck ist auch mehr gutherzig als freund-
lich MiCRAELius altes Pommerland (1640) 6, 414; ein
solcher armer knabe aber sieht, dasz er nichts vermag,
als was er von güthertzigen leuten aus gnaden bekäme
J. G. Schmidt gestr.rockenphil. (1706) 2, 122; wäre sie nicht
auch die gutherzigste und wohlthätigste ihres geschlechts
schon von natur gewesen, . . . die beichtväter hätten sie
dazu gemacht Gutzkow zaub. v. Rom 3, 165.
ö) wie gut IV A 2 a oft mit dem pejorativen beisinn der
gutmütigen, weichherzigen schwäche oder torheit: die
schwache, güthertzigen menschen Luther 10, 3, 47 W.;
das läszt sich der gutherzige scheick gefallen allg. dtsche
bibl. (1785) 1, 40; freue dich, gutherziges schaf ! neue
schausp. (1771) 7, 3, 79; der schwache oder sogenannte
gutherzige portraits (1779) 221; wil wollen nicht verachtet
noch gedruckt sein, so gutherzige narren wir auch sind
Göthe 8, 176 W.; wie 'leichtgläubig': viele seiner gut-
herzigen und unbelesenen landsleute hielten ihn für
einen rechten wundermann Klopstock gelehrtenrepubl.
(1774) 165; ich sagte weiter, kein eisen dürfe dem schätze
nahe kommen . . . und die dummen gutherzigen mord-
brenner schmissen nun auch ihre gewehre, säbel und
grausam langen messer von sich Tieck sehr. (1828) 9, 255;
eiwas anders für jemand, der es zwar gut meint, aber töricht
ist: das Christentum (wird) dadurch jeder verworrenen
ausbildung eines jeden gutherzigen Schwärmers bloszge-
stellt allg. dtsche bibl. (1765) 1, 2, 119; vorerst also zur
beruhigung dieses gutherzigen briefschreibers : ich habe
die christliche religion niemals öffenthch bestritten
M. Mendelssohn ges. sehr. 3, 310; scherzhaft, nach gut
IV A 4 hin, 'gefällig' :
verfallene nachtherbergen, aber drinnen
gutherzige mägde und freundliche wirthlnnen
KOETUM Jobsiade (1799) 2, 89.
b) mit sächlichem beziehungswort im sinne 'freundliche
gesinnung zeigend' oder 'aus freundlicher gesinnung her-
vorgehend'.
a) von seelischen organen, der gesinnung, dem Charakter
u. ä.: zu anzeigung ihres gutherzigen gemütes, so sie
zu i. f. g. trügen . . ., hätten sie ihren gesandten i. f. g.
ein präsent zu überantworten zugestellt v. Schwei-
nichen denkumrd. 104 Österl.; hierdurch werden sie ihr
gutherziges gemüth an den tag legen Schwabe belust.
(1741) 2, 13; (eine menscheng aituruj) von . . . sanftem,
gutherzigem Charakter Ratzel völkerkde 2, 215; persön-
lich gewendet: Christian Lammfell ist eine weiche, poe-
tische, unendhch gutherzige natur G. Freytag ges. w.
16, 164.
ß) von kennzeichen oder ausdrucksformen der gesinnung:
ein groszer . . . junge mit gutherzigen] äugen W. v. Polenz
Qrabenhäger 1, 257; sein gutherziges angesicht lachte vor
freu de unter dem weiszen haar G. Freytag ges. w. 6, 100;
so mengt sich zugleich ein bedauren darunter, welches
1437
GUTHERZIG
GUTHERZIGKEIT
1438
eine rührung der zärtUchkeit ist, die sich als spiel mit
einem solchen gutherzigen lachen sehr wohl verbinden
läszt Kant 5, 335 akad.; der könig vermiszte seinen
Maurepas, . . . zollte ihm seine gutherzigen thiänen
Dahlmann gesch. d. frz. revolut. 91.
y) von menschlichen eigenschaften: aus gutherziger
dankbarkeit für den schönen kaiserlichen einfall Klop-
STOCK gelehrtenrepubl. (1774) 43; hierauf* antworteten die
Noditen mit einer gutherzigen einfalt Wielakd I 3, 347
akad.; die freche dummheit ist gestraft, . . . die gut-
herzige Schwachheit ebenso sehr Heedeb 23, 12 S.; Nerva
regierte nur kurze zeit, aber mit gutherziger milde
H. Meyer gesch. d. bild. künste Z, 200.
d) vom meinen und denken: dasz sie {die bürger) . . .
aines ersamen rats handlung und gantz güthertzige wol-
mainung mit schuldiger danckbarkeit erkennen städte-
chron. 32, 36; bittend, den schimpft nit selber zu ver-
unglimpffen, dann es guthertziger meinung und ausz
mitleiden gegen den Eulenspieglern fürgenommen (ist)
Fischabt 2, 20 Hauffen; weil ich nun befinde, daz meine
güthertzige meynungen so MederUch verworfEen worden
Chr. Weise erznarren 24 ndr.; über den gutherzigen ein-
fall, den Deutschen ein nationaltheater zu verschaffen
Lessinq 10, 213 L.-M.; der sechzehnte Ludwig ... da
er jung und voll gutherziger hoffnung war Dahlmann
gesch. d. frz. revol. 3; sein verbrechen ist erwiesen; was
du sagst, ist gutherziger irrthum J. A. Eeszlee Äristides
u. Themistokles 1, 206.
e) vom ausdrucksergebnis in rede und handlung: dis güt-
hertzige straffen gelinget dem guten man nicht wol
J. Garceus v. d. heil, engein (1565) b 2C; auf der . . .
stände güthertzige erinnerungen Londobp acta publ. (1668)
1, 72; gutthertzige anttwordt Kbaeft reisen 6 lit. ver.;
ein gutherziger wolmeinender rath bei Opel-Cohn
dreiszigj. krieg 8; ich habe solche güthertzige lehre alle-
zeit in den wind geschlagen Oleaeius 'persian. rosenthal
32 in: verm. reiseöescAr. (1696) anhang; damit solches um so
leichter geschehen könne, macht er den gutherzigen Vor-
schlag M. I. Schmidt gesch. d. Dtschen (1778) 2, 452; was
kann man auf ein so gutherziges wort anders als sogleich
kindlich ja sagen Lavater in: br. von u. an Klopstock
347 Läpp.; wirkhch verdiente auch die königliche familie,
ihres durchgängig leutseligen und gutherzigen betragens
wegen mit recht allgemeine liebe G. Fobster s. sehr.
2, 73; denen sie sonst an gastfreiheit sowie an dienst-
fertiger und gutherziger behandlung von fremden nicht
nachstehen 0. Peschel völkerkde 417; (eine) gutherzige
spende an den nöthigsten kleidern G. Feeytag ges. w.
9, 5; es ist eine art von gutherziger grobheit in diesen
leuten Lichtenberg verm. sehr. (1844) 3, 274,
2) nach gut V A 1 f (sp. 1301) gebildet in älterer spräche
hinsichtlich der ethischen gesinnung des menschen 'ein
rechtschaffenes, frommes herz habend': es viel . . . eine
grosze erbermede in mich von driger weltwiser manne
wegen, die bekenne ich wol, das es gar guothertzige man
sint und ouch etewas gottes vorhte habende sint Nico-
laus V. Basel ausgew. sehr. 251 Schm.; daz es gotes guter
wiUe were, daz es fürbaz würdi gemainsamet allen güt-
herzigen menschen Seuse dtsche sehr. 6 Bihlm.; denn
ich rede hie von den guthertzigen und gottfurchtigen
menschen, die nicht gern unrecht thetten Luther 15,
297 W.; aUen unde ythüken godtfrüchtigen unde gudt-
hertigen leiffhebberen der christliker warheit B. RoT-
MANN rest. 3 ndr.;
der könig David zeyget an
ein guthertzigen frommen mann
H. Sachs 15, 193 K.- 0.;
wie merckhch die eer gottes durch die widerwertigen leren
verhindert, die gewissen der guthertzigen beschwert und
der gemein mann ... in irthumb gefiert wirt städtechron.
23, 389; der tod und jüngst tag seind grausam allen gott-
losen, erwünscht aber allen guthertzigen sprichw. (1548)
683'; derwegen will die äuszerste und höchste nohtdurfft
erfordern, das alle güthertzige Christen vor solchen
zauberischen beschwerern . . . gewamet (werden) Wid-
mann Fausts leben 34 K.; er etwan ein sonst frommes
guthertziges kind in der Versuchung fällen last Fr. Spee
güld. tugendb. (1649) 208; noch vergleichbar: unmäszige,
ungesunde, bösartige und blöde eitern haben wenig hoff-
nung zu einer gesunden, verständigen und gutherzigen
nachkommenschaft Gellert dicht. 302 Schullerus.
3) als adv. in verschiedenen bedeutungen von gutherzig 1
seit dem 16. jh. verwendet:
. . . all, so auff erden eben
mit irem nechsteu friedlich leben
guthertzig, brüderlich und treu
H. Sachs 15, 309 K.- Q.;
dasz solches, so . . . von unsern voreitern guthertzig {'in
guter absieht') gestiftet, also durch ain schlecht argument
solte profaniert werden städtechron. 32, 321; was haben
aber etliche schweitzerische ort seidher des 1520. jars . . .
diser wolmeinenden vermanung und guthertzig ge-
gebenen weisen rhats geachtet? Fischart vorr. in:
Euphorion jahrg. 1902, 642; rede ich guthertzig und in
gantzen treuen uns zu vermahnen Jacob Böhme sehr.
(1620) 6, 28; sondern es {der hausherr) guthertzig und treu
mit ihnen {dem gesinde) meynet v. Hohbebg georg. cur.
aucta 3 (1715) 821"; tanten, welche . . . sich endhch dem
wohl einer ganzen familie gutherzig aufopfern Th. Abbt
verm. w. (1768) 6, 1, 135; er antwortete immer gutherzig
Jung-Stilling s. sehr, l, 125; morgen lächle ich ihm wohl
wieder gutherzig zu? Caeoline l, lOl Waitz.
GUTHERZIGKEIT, /., vom vorigen abgeleitet; 'die
eigenschaft, gutherzig zu sein'; vereinzelt schon spätmhd.
(«. u. 2), geläufig seit dem 16. jh.
1) entsprechend gutherzig l 'freundliche, wohlwollende,
geneigte, gutmütige gesinnung', vgl. guthertzigkeit cordia-
lita, benevolenza Hülsius dict. (1618) 144'>'.
a) allgemein, die freundliche, zum wohlwollen geneigte
Sinnesart als Charaktereigenschaft {vgl. gutherzig l a a) : die
durch freimdthche sittigkeit und guthertzigkeit gleichsam
gesalbet und gelindert werde Baeth weibersp. (1565) b 6»;
wie ich offtmals von solchen leuten diu-ch meine gut-
hertzigkeit sey betrogen worden Schupp freund i. d. not
42 ndr.; im ersten falle loben wir die französische höflich-
keit, leutseligkeit und natürliche gutherzigkeit Gott-
sched d. neueste (1751) 2, 596; weil ich aber sehe, dasz
du es aus gutherzigkeit gethan hast, . . . will ichs dir
vergeben theat. d. Dtschen (1768) 12, 333; die wolbedachte
mischung deutscher gutherzigkeit und deutschen ernstes
Klopstock gelelirtenrepubl. (1774) 115; sie rechnete fest
auf seine gutherzigkeit, einfalt und stüle ergebenheit
G. Keller ges. w. 5, 124; die gutherzigkeit der mensch-
lichen natur und das vergnügen, glückUch zu machen
Wieland Agathon (1766) l, 253.
b) die sich in einzelnen handlungen äuszernde gesinnung
des Wohlwollens {vgl. gutherzig l&y): die weise und ge-
stalt peinlich zu fragen, steht gar miteinander auff er-
achtung, fürsichtigkeit und guthertzigkeit des richters
M. Beuther v. Caelstat prax. var. crim. (1565) &Q^; die
aber wegen meiner guthertzigkeit diu-chaus nichts von
mir nehmen weiten Geimmelshausen 4, 635 Keller; ein
schwartzer mohr hat aus guthertzigkeit den propheten
Jeremiam . . . aus einer tieffen gruben gezogen Abeaham
AS. Clara Judns (1686) l, 237; wir stellen es also der
gutherzigkeit unserer leser anheim, ob sie glauben woUen,
der Verfasser habe sein wort gehalten Gottsched beytr.
z. crit. hist. (1732) 1, 306; züge der gefälUgkeit und gut-
herzigkeit unter den hiesigen einwohnern S. G. Bürde
erzähl, v. e. gesellschaftsreise (1785) 186; * wohltätig keif:
er lebte . . . von der gutherzigkeit anderer Studenten
Laukhard leb. u. schicks. l, 259; nehmt als dank für eure
gutherzigkeit eine Warnung G. Feeytag ges. w. 11, 246.
c) mehr in passiver hinsieht 'gutmütigkeit, nachsieht',
auch in pejorativen sinn übergehend {vgl. gutherzig lad):
so musz ich mich über des heilandes guthertzigkeit
wundern, dasz er sie nicht besser peitschet geaf Zinzen-
DORF Christi, bedencken (1735) 20; vielleicht verlacht man
. . . meine gutherzigkeit theat. d. Dtschen (1768) 7, 276;
1439
GUTHERZIGLICH-GÜTIG
GÜTIG
1440
oder was hält man von jenem manne, dessen ganzes
hauswesen ich schildern musz, um von seiner sogenannten
gutherzigkeit urtheüen zu können? portraits (1779) 222;
wir wundern uns über die gutherzigkeit des pubUkums,
wenn es . . . diese rhapsodie ... als ein meisterstück auf-
nehmen wird GöTHE 38, 335 W.; (sie) legte mit kindischer
gutherzigkeit ihre beyden händchen in die meinen
Thümmel reise i. d. mittl. prov. v. Fr. 5, 300; worin besteht
seine gutherzigkeit? in der Unfähigkeit, jemandem etwas
abzuschlagen Gerstenberg recens. 78 lit.-denkm.
2) unhäufiger zu gutherzig 2 gebildet, doch bereits aus
älterer spräche belegbar, für 'rechtschaffenheit, frömmigkeit,
ethische wohlgesinntheit': were es denne, daz got sine
barmhertzikeit und uwere guothertzikeit wxirde ane-
sehende und uch wurde unverdienet die grosze gnode
gebende Nicolaus v. Basel ausgew. sehr. 283 Schm.;
schon mit beiklang von 1 a: und lobet ire trew und gut-
hertzigkeit Schütz hist. rer. pruss. (1592) b, f 6^; dem-
nach ich deine guthertzigkeit und treue sehe Grimmels-
HAUSEN Simpl. 370 ndr.; diese treue war vielmehr eine
Wirkung der alten redlichkeit und gutherzigkeit M. I.
ScHr«DT gesch. d. Dtschen (1778) 4, 433; die redlichkeit
und gutherzigkeit des jungen, die ihm angebohren war
Th. Abbt verm. w. (1768) 1, 138. — gutherziglich, adv.,
ältere adverbialverbildung zu gutherzig l:
wol dem mann, der guthertziglicb
desz dürfftigen annemet sich
H. Sachs 18,175 K.-G.;
also Anchises sein gcbett
guthertziglicb vollenden thet
Spkenq Utas (1610) 49»;
dis war es, dasz sich viele verwunderten, wie solche land-
zwingende wühteriche noch so guthertziglicb grausam
sein konten Zesen gekr. majest. (1661) 184; sondern bat
einen Polweichschen diener und boten, dasz er ihn die
nacht über gutherziglich beherbergen ... wolte L. Geiz-
kofler selbstbiogr. 99 Wolf. — gutheu, »., zu gut II
A 2, ältere bezeichnung für die beste heugattung [aus e. inv.
V. 1680) Unger-Khüll 313. — gutieren, vb., entlehnung
aus franz. gouter, daher meist als goutieren {s. dort) ge-
schrieben; 'geschmack an etwas finden': dasz sie 'menschcn-
hasz und reue' so sehr gutiren, wird man ihnen doch
nicht anrechnen sollen W. v. Bürgsdorff br. 172 lit.-
dkm.; und Rindvigius — gutirte das neue fach, das sie
ihm anwiesz C. F. Bahrdt pastor Bindvigius 2, 157.
GUTIG, adv., s. guting.
GÜTIG, adj., adv.; ableitung von ^güte, dessen be-
deutungen sich zumeist in gütig wiederfinden, daher direkte
bildung aus gut, adj., nicht wahrscheinlich ist; ahd. noch
nicht bezeugt und auch mhd. relativ selten drängt es sein
konkurrenzworl gütlich (s. dort) im nhd. stark zurück.
1) die hauptbedeutung entspricht ^güte 3 im sinne
'freundliche, wohlwollende, liebreiche, sanfte, milde ge-
sinnung habend oder beweisend; vgl. gütig clemens Diefen-
BACH gl. 126^=; gutig, gunstig marisuetus nov. gl. 246^';
zem und gietig mansuetus gl. 347*^; milt, guetig pius 439*.
a) von der Wesensart einer person als dauernder eigen-
schaft, die aus dem charakter oder aus sittlicher Verpflichtung
hervorgeht.
a) von der Wesensart des menschen, die sein handeln be-
stimmt,.
aa) allgemein: doch was er ersamig, gutig, weis und
gesprechig nach der werlt laufe Johann v. Neumarkt
Hieronymu^s 424 Kl.; {er) sagt . . ., ein senfEtige gütige
fraw sey ein seltzamer vogel auff erttrich Albr. v. Eyb
dtsche sehr. 1, 8 Herrm.; der ein cardinal {war) ein guttig
man Luther 7, 567 W.; diese königin war so gottfürchtig,
fromb und gütig, dasz sie mit aller billigkeit in die zahl
der heUigen und hochberümpten frauwen . . . gezehlet
und gerechnet wird H. Rätel Curäi chron. (1607) 262;
Agnes, die schön und zarte,
. . . fromm, züchtig, Ijeusch und gütig
ZiNKQREF auserl. ged. 10 ndr ;
ich möchte eine schöne, gütige und vornehme frau, die
mir aber nichts verzehret Lessing 8, 55 L.-M.; der helle
verstand - . . edler, weiser gütiger menschen Hebdeb
23, 12 S.; {meine Schwester war) gesund, stark und un-
beschreiblich gütig Göthe 22, 343 W.; der herr des ge-
schäfts sei klug und gütig Fontane ges. w. I 5, 51.
ßß) im sinne 'liebevoll' als spezifische eigenschaft von
mutter und vater formelhaft: diweil sie solcher vilf altigen
grosen gaben gleichsam als ain gütige muter ist und
solche wolthaten von den voreitern und vättern auch auf
ihre kinder . • . will kommen und erben lassen Fischaet
3, 48 Hauffen; die gütige mutter oder sonst ein ihm
zugewandtes weibliches wesen E. T. A. Hoffmann s. w.
12, 7 Or.; freude eines dankbaren sohnes über die erfolgte
genesung seines gütigen vaters Pietsch geb. sehr. (1740)
284; nun ja, miss, unser gütiger, unser bester vater
Lessing 2, 316 L.-M.
yy) im sinne 'gnädig, huldvoll, leutselig' als typische
eigenschaft des herr scher s oder herrn: bey dem volk werde
ich {Salomo) gütig erfunden und im krieg ein helt Luther
bibel 5, 31 Bindseil- Niem.; weil er ein freundlicher, gütiger
und liebhcher fürst ist Amadis 56 lit. ver.;
die königin Didonem gütig
ersuchten sie durch bitt demütig,
ihnen zu bieten dar die band
Spkenq Äneis (1610) 1»;
welches fest? o lasset hören 1
unsrer königin zu ehren,
der erhabnen, gütigen Schillee 15, 1, 6 G.;
dem braven hauptmanne . . . bewilligte der gütige fürst
eine bedeutende zulage Chph. v. Schmid ges. sehr. 2, 112;
wenn ein knecht alzu einen fromen herren hat, . . . eine
magd eine gütige fraw, so kan mans nicht leiden, je
gütiger inen geschiet von irer herrschafft, jeweniger sie
es achten Luther 28, 642 W.; ein gütiger herr kan auch
keine tyranney von andern dulden Friedrich Wilhelms
sprichw.-reg. (1577) m 2*;
{nimmer) find ich einen so gütigen berm, wohin ich auch gebe
J. H. Voss Odyssee 254, 139 Bern.;
wenn ich in jenen posten versetzt werden sollte, den mir
mein gütiger gönner bestimmt Schiller 14, 214 0.
öd) entsprechend aa von den psychischen organen: ich
bin eins demütigen und senfften, gütigen hertzen Geiler
V. Keisersberg bilgersch. (1512) 17'';
disz als bescbuS sein gütig hertz
H. Sachs 1, 178 K.;
anstatt an der Sehnsucht nach einem würdigen dasein,
nach einem gütigen herzen, nach liebe lebenslang zu
kranken G. Keller ges. w. 5, 52; ich meint dise ding
alle weren geschefft menschlicher art und eins güttigen
gemüts BoLTZ Terenz (1539) 5*"';
der eine, sagt man hier, ist gütig von gemüthe
Bamler labeU. (1783) 1, 14;
sanft und gütig war die seele, von der ich hier spreche
Zimmermann üb. d. einsamkeit 3, 229.
ß) mehr passiv gewendet 'sanftmütig, gutmütig, geduldig,
nachsichtig' {vgl. gute 3 a ß), vgl. milt, gütig, der nit
leichtlich zürnt clemens Frisius 235*', gütig machen
placare 1008 'J; gegensatz ist ungütig, vgl. bittere, ungittige
ieuthe Luther 9, 378 W.: einer was zornig, der ander
was güetig probl. Arist. (1492) 25^; Ampedo der was ain
gütig mensch, lyesz es allso beschehen, wie es sein brüder
gemacht hett Fortunatus 97 ndr.; di alten werden {durch
wein) kinder, . . . di güttigen grymmig J. v. Schwabzen-
BERQ Cicero (1535) 91;
so die musik gerhümt würd,
umb ihr lieblicheyt die sie fürt,
dasz sie die menschen machet gütig,
. . . und die gemütter so erregt,
gleich wie ein süsze red bewegt,
und macht die wilden hertzen mildt,
den zorn und all Unwillen stillt
Fischart l, 355 Bauffen;
daheim gütig, im streit wüthig Petki d. Teutschen weiszh.
(1604) 2, L 6^; ja sehn se, herr gensdarm, des is immer so!
sie sind vielleicht ooch viel jütiger, wenn se zu hause
sind, als wenn sie uf de strasze rumjehen Glaszbrenneb
1441
GUTIG
GÜTIG
1442
Berlin 6, 3, 5; etivas anders 'geneigt, günstig'' : an den
gütigen leser J. Frey gartengesellsch. 5 B.; ins pejorative
übergehend:
mein vater war so gütig schwach, dasz, wehten
die winde rauh, er sie wohl schelten konnte
TiECK sehr. (1828) 1, 393.
y) wie gut IV A 2 b von tieren im sinne 'gutartig,
ungefährlich, folgsam': da die löwen tzü den heiligen
kamen, da wurden sy zam und güttig d. heyligen leben,
summerteil (1472) 62^;
80 wird sie fein gescUacht und milt,
gleich wie ein gütigs lämblin klein
Scheit Orob. 4034 ndr.;
(der esel) ist sunst ein zam gütig thier Hebold-Foeeb
Oesners thierbuch (1563) 41^;
wo die Stareken adler sich gütiger als tauben zeigen
LOUENSTEIN Ibrahim Sultan (1680) 3.
(?) seit mhd. zeit von gott, dann überhaupt von über-
natürlichen mächten, naturerscheinungen usw. im sinne
'gnädig, huldreich, wohlgesinnt'.
aa) von gott; 'gnädig' in bezu^ auf sein handeln: (gott)
ist als reht tugenthaft, er ist als reht hertzklich gütig,
daz er es an sime muten hertzen nüt möhte vinden, daz er
den menschen möhte lan Seuse dtsche sehr. 426 Bihlm.;
ob Ich möcht gottes huld gewinnen,
der gütig und barmhertzig ist H. Sachs 1, 47 K.;
der (gott) wirt uns geben, was uns brist,
diewyl er doch so gütig ist
H. E. Manuel weinspiel 4226 ndr.;
zwar ist stehts unser gott barmhertzig und getrew,
. . . zugeben ist er gut, und zu vergeben güttig
Weckheelin ged. 2, 150 F.;
(gott ist) stets gütig, schon bezahlt, wenn sein geschöpf ihn
[hebet
und nichts, als weise huld, auch dann, wann er betrübet
GISEKE poet. w. (1767) 4;
der gütige gott verleihe uns, dasz wir das recht also
lieben in dieser weit und das unrecht schwächen in dieser
weit, dasz wir dessen genieszen dort, wo leib und seele
scheiden G. Keller ges. w. 6, 48 ;
. . . selbstischer dummheit voU
schreit dort ein protz nach 'Ordnung', ihm ja
füllte der 'gütige gott' den fleischtopf
Akent mod. dichtercharakt. (1886) 206;
als ausruf des erschreckens oder erstaunen^ formelhaft,
vgl. du gütiger gott exuUantis vox Frisiüs 407^: gütiger
gott, was kranckheit ist das? Boltz Terenz (1539) 35*^;
aber herr geheimer rath — gütiger gott, es ist in der weit
nicht anders Lenz ges. sehr. 1, 17 Tieck; denn ob zwar der
gütigste schöpffer theuer versprochen hat, dasz er uns . . .
versorgen wolle, dennoch wil er diese wolilthat . . . beför-
dert wissen Chr. Weise pol. redner (1677) 26; alle frohen
geschöpfe . . . danken ihrem gütigen erhalter maler
Müller w. l, 7.
ßß) entsprechend bei begriffen, die die überirdische macht
unpersönlicher umschreiben: so wird der gütige himmel
unsere auen . . . beschenken S. v. Birken fortsetz. d.
Pegnitzschäf. (1645) l; ebenfalls als ausruf häufig: gütiger
himmel, wie viel hat der mensch in Ordnung zu bringen,
bis er auf vögel und Schmetterlinge kommt Lichtenberg
verm.schr. (1800) l, 268; gütiger himmel, wie die zeit hin-
geht! W. Raabe iforacier (1876) 28; Voraussetzung einer
höchst gütigen . . ..Vorsehung Lessing 7, 12 L.-M.; die
gütige Vorsehung hat jedem einen gewissen trieb ge-
geben, so oder anders zu handeln Göthe 37, 331 W. die
sage dünkte ihm wie die verheiszung einer gütigen
macht Novalis sehr. 4, 92 Minor.
yy) von göttern und überirdischen wesen: desthalben ist
dem gütigen Jupiter . . . der Ölbaum . . . befreindet Lohen -
STEIN rosen (1680) 118; verzeihet mir, gütigsten götter
A. v. Ziegler asiat. Banise (1689) ll;
Hl ... genieszt der stunde,
^B^ die ihm gütge götter senden Göthe 1, 51 TF.;
^^K^^ . . . eine gütge gottheit
^^^^■^ nahm die unselge nacht des geistes mir
W^BKr '^^™ haupte M. Beek s. w. (1836) 170;
um ihn her lebte wald, busch, quelle, ström . . . unter
gs der pflege und sorge gütiger, schöner -wesen Klinqeb
w. 4, 15; mag er {der symboliker) aus seiner magischen
laterne uns vorgaukeln, wie dieser gütige nachtdämon
. . . aus Lidien her . . . nach Thrakien gezogen sei J. H.
Voss antisymb. 1, 138 ; sagen sie mir doch, welcher gütige
oder ungütige dämon sie bei einem buche hat vesthalten
können, das für mich eins der langweiligsten unsres Jahr-
hunderts gewesen? Herdes 3, 439 S.; was die alten von
den Seelen der todten oder gespenstern geglaubet, die sie
theils für gütig und wohlthätig, theils für boshafte und
schädliche kobolde gehalten haben Gottsched d. neueste
3, 432; {die) bevorzugten, denen eine gütige fee das beste
gesöhenk, die kunst glücklich zu sein, auf die wiege
legte H. Seidel Leber. Hühnchen (1899) 3;
und dann musz auch dem herzen, das den freund
sich in dem zauberspiegel gütger phantasie
so nahe wähnt, die frage schmerzlich sein
Cl. Beestano ges. sehr. 7, 215.
6ö) vom Schicksal, dem glück, der natur, naturkräften
und naturerscheinungen u. ä.: ach wie fast hilfft es, dasz
der tödtüche mensch im findet die gütigen gestirn desz
himmels buch d. liebe (1587) 114'*; es schien, als wenn
. . . das güttige verhängnüs selbst allen völckern einen
stillstand der waffen geboten hätte Lohenstein Arminiu^
(1689) 2, 906'';
es reizet mich die milde gunst
des gar zu gütigen geschlckes
Weichmann poesie d. Nieder s. (1721) 1,82;
genug, sie ist da und scheint von dem gütigen Schicksal
mir angenähert worden zu sein A. Stifter s. w. 1, 110 S.;
zwar bot ihm das gütige glück die gute gelegenheit an die
band Joh. Riemer pol. maulaffe (1679) 39; es wäre unvon-
nöhten viel regeln zu schreiben, da sich die natur selbst
gütig genug erzeiget hätte Chr. Weise pol. redner (1677)
168; nun, da mich die gütige natur durch ihre gröszten
gaben, durch die liebe, wieder geheilt hat Göthe 23, 267
W.; da ist die sunn gütig G. Alt buch d. cron. (1493) 13*;
milde regen, die so gütig die durstige erde tränken
U. Bräker 8. sehr. (1789) 2, 260; das meer war bald gütig,
bald grausam Heinse s. w. 3, 499 Seh.
b) von der gesinnung, die sich im einzelnen tun und
hundein äuszert und nur temporären charakter zu besitzen
braucht {s. ^güte 3 b), vgl. dienstbar, gutig, der geneigt
und gutwillig ist guts zethun beneficus Frisius 162*.
a) bei ausgedrückter beziehung auf ein personales Ob-
jekt mit objektsdativ (s. gut IV Alba) oder abhängiger
Präposition {s. gut IV A 1 b y5) ; vereinzelter auch in zu 1 a
gehörigen fällen.
aa) mit personalem dativ:
kunic so demütiger,
bi gewalde so gar gütiger
allen lüten, ich wene der nie
üf erden si geborn hie
landgr. Ludwigs kreuzt. 5486 Naum.;
unde was armen luten gar barmherczig unde gutick
W. Gerstenbebq chron. 32 Diemar; denn hertzog Geor-
gen fürstenthum ... ist solchem imerschrockenem und
unüberwindlichem geyst . . . allzu guetig und sanfft
kämpf d. Schwärmer geg. Luther 4 ndr.; güttig soll man
yederman sein J. Agricola sprichw. (1534) b 8'';
wem die noth um etwas bittet, ist ein narr, wers abeschlägt :
diesem bleibt sie immer gütig, der ihr nichts entgegen legt
LOGAU sinnged. 402 E.;
dasz er (gott) grosz und reich von kräflften,
rein und heilig in geschafften,
gütig dem, der gutes thut
Paul Gerhardt bei Fischer-Tümpel 3, 437";
in neuerer spräche nur noch poetisch verwendet:
schein ich dir hart? sie war mir auch nicht gütig
Geillparzer s. w. -6, 117 S.;
hoffnung zeigt sich immerdar
treugesinnten herzen gütig
G. Keller ges. w. 3, 234.
ßß) von abhängigen präpositionen ist gegen alt und
häufig:
si ist gein den vremden worden güetlk
und ist mit gebsere gein den künden worden (also'» s winde
minnes. 3, 263 ^ v. d. Hagen;
91
1443 GÜTIG
ouch Ist ez billlch,
daz ich immer umbe diu
güetic st gegen iu
Ottokar v. Steiermark reimchron. 15046 Seem.;
sich Esope, wie gütig ist iecz
dyn frow gegen dir worden
Steinhöwel Äsop 48 ÖsterL;
darzu er sich auch gnedig hilt
gen yderman, gütig und mllt
H. Sachs 8, 576 K.;
als im verwiesen ward, dasz er gegen seine feinde ... all-
zu gütig, sagt er Zinkgref-W eidner teutsch. nation
weish. (1653) 3, 27; gegen den gütigen zaigestu dich gütig
Schede-Melissus ps. 65 ndr.; er ist gütig gegen seine
gefährtei}, die er glücklich zu machen sucht Ramler einl.
i. d. schön, wissensch. (1758) 2, 102;
sonst ist sie gütig gegen alle weit
Schiller 13, 355 Q.;
'gegen den kleinen Heinrich waren sie besonders gütig',
setzte der junge graf hinzu, 'ich werde das nie vergessen'
Langbein «. sehr. (1835) 31, 75; andere präpositionen blei-
ben vereinzelt: hiemit sind gütig mit mir und zürnt nit
so bald Dürer nachl. 22 L.-F.; ich erwarte von diesem
für dich so gütig gewesenen sommer nun auch gute Wir-
kung Bettine Gl. Brentanos frühlingskranz (1844) 467;
er selb {gott) ist güttig über die undanckpem und über
die ubeln erste dtsche bibel 1, 225 Kurr.
ß) absolut seit älterer spräche in vielfacher anwen-
dung:
nun seit gUttig und vcrsunnent
Friedr. v. Schwaben 7636 Jell.;
do was Fortunatus so gütig, lud yn zu gast und erbot ym
es gar kostlich Fortunatus 92 ndr.;
du hast die lüt gewenet daran,
das ich das truwen zuo dir ban,
du seist so ein gütig man
Th. Murner badenfahrt 7, 54 Martin;
aber du meinst es nicht hertzlich, du redest hinter ym.
vor ym bistu gutigk Luther 9, 154 W.;
mit flehen bat er (Chryses) gantz diemütig,
sie wolten sich erzaigen gütig
J. Spreng Ilias (1610) 8";
sie habe schönen danck, dasz sie sich so gütig bezeigen
wollen Chr. Weise erznarren 132 ndr.; derowegen so oft
wir mit andern zuthun haben, . . . müssen wir gerecht
seyn und also gütig und weise uns zugleich bezeigen
Chr. Wolef v. d. menschen thtin u. lassen (1720) 686;
ach wie entzüclcend war es mir,
so gütig dich sehn
S. Geszner w. (1778) 2, 17;
ich fragte Ferdinando jeden augenblick, . . . und Ferdi-
nando war gütig, erzählte mir viel von euch Klinger
w. 1, 38;
und doch verljennen sie in dir den gütgen retter
Göthe 16, 21 W.;
im ganzen gings ihm leidlich; die herrschaft war sehr
gütig, und herr von S. unterhielt sich oft lange mit ihm
über die Türkei A. v. Droste-Hülshoff w. 2, 310
Schuck.; auf die ausführenden organe übertragen: er ver-
achtet die gütige hand, die ihm in der noth futter reichte
Göthe 8, 84 W.; vernehmen sie mit gütigem obre alle die
redensarten Gaudy s. w. 2, 135.
y) formelhaft gebraucht in höflichen redewendungen, na-
mentlich in dankes- und bittfloskeln: sie sind allzu gütig
G. Stephanie d. j. s. lustsp. (1771) 87; der herr sind gar zu
gütig Schliler 3, 29 0.; o wie gütig, sagt ich und drückte
ihre hand Miller briefw. dr. akad.fr. 1, 244; meine gütige
madame Singewald, ich empfehle mich ihnen Holtei erz.
sehr. 1, 105; m,it abhängigem infinitivsatz: wenn sie zu
speisen belieben, so sind sie wohl so gütig zu warten
Göthe ll, 128 W.; sie waren gütig genug meine absieht
zu büligen Meiszner skizzen (1778) 1, vorber. 3; er war so
gütig, dich zum tanzen einzuladen Storm s. w. 4, 147;
mit beigeordnetem satz: seyn sie doch ... so gütig und
schweigen sie! Gottsched dtsche Schaubühne (1741) l, 81;
GÜTIG
1444
lady wird so gütig seyn und bis zu ihrer zurückkunft
warten Lessing 2, 326 L.-M.;
. . . die herren dann sind
80 gütig und machen den chor
MÖkike ges. sehr. (1905) 1, 155;
adverbial gewendet: empfehlen sie mich gütig ihrer frau
gemalin und der ganzen famihe Göthe IV l, 182 W.; ob
sie . . . mit einem honorar von 4000 conventionsgulden
gütig vorlieb nehmen Müllner dram. w. 8, 67 ; eure kai-
serhche majestät wollen es mir gütig gestatten, dasz . . .
Bismarck ged. u. erinn. l, 13; besonders als höflichkeits-
floskel im Superlativ; noch gehaltvoll: bürger, welchen . . .
das bürgerrecht auf einige jähr gütigst vorbehalten
würdet {v. j. 1707) bei Fischer schwäb. 3, 966;
so hast du gütigst auch die aller strafi entbunden,
die dir heimtückisch selbst nach deinem leben stunden
V. KÖNIG ged. (1745) 21;
blasser:
doch bitt ich, vor der hand es gütigst zu verschweigen
GÖTHE 9, 85 TF.;
nun, da erlauben sie wohl gütigst Gaudy «. w. 2, 62 ; äe
werdn gittichst verzeihn, herr graf G. Hauptmann weber
(1892)3, 56; ich wullte se gitigst bitten Müller- Frau-
REUTH 1, 453.
c) in anwendung auf die formen und ergebnisse des sub-
jektiven gesinnungsausdrucks.
a) von den ausdrucksformen der gesinnung und ihren
eigenschaften im sinne 'freundlichkeit, wohlwollen, gute
zeigend^ :
so götic sin gebaren was,
daz manlgiu do in hertzen las,
daz sis in sei sit enpfant
JOH. v. WÜRZBÜRG Wilh. c. Österreich 16047 R.;
er was . . . nit vast langes lybes, aber ainer frölichen und
gütigen gestalt Niclas v. Wyle translat. 24 K.; sie lokket
uns mit so gühtigem . . . wesen zu ihrer königlichen
Wohnung Zesen verm. Helikon (1656) l, 216; gesellige
und gütige neigungen gefallen Schiller 1, 33 0.; sie
belohnt ihn mit keiner gegenliebe, mit keinem gütigen
blicke Rämler einl. i. d. schön, wissensch. (1758)1, 398;
nein, sagte der marquis mit gütigem tone Tieck sehr.
19, 492;
noch sonst ein andrer von den hirten allen
mag dir ein gütig lächeln abgewinnen
Schiller 13, 174 ö.;
(die) ougen stetz zu gnade und gütiger tugend gericht
Niclas v. Wyle translat. 24 K.; und wen er uns nicht
aus gütiger milde und gnade nachlysse und vorgebe, so
hetten wir alle die helle vordint Luther 9, 156 W.; nu
aber mein gütiger glimpff umbsonst ist Luther 30, 2, 27
W.; und disz wollen wir alles geredt haben un vorgreif -
lieh der gütigen Vorsehung gottes Siebiz f eidbau (1579) 46;
gütig ist allvaters gnade
Denis lieder Sinede (1772) 133.
ß) besonders häufig auf die handlungsergebnisse selbst
übertragen im sinne 'aus freundlichkeit, wohlwollen, gute,
nachsieht hervorgehend' oder 'gütiger gesinnung entspre-
chend'.
aa) von warten und handlungen allgemein:
keyn gütig wort gat usz sym {des zornigen) mundt
See. Brant narrensch. 37, 4 Z.;
zubedeuten, das die ehleut dises, so sie von ainander be-
geren, holdselighch mit freuntlichen gütigen Worten,
nicht mit palgen, pochen, trotzen und zancken fordern
und erlangen sollen Fischart 3, 127 Hauff en; Florentin
. . . verliesz unter einigen gütigen Worten das zimmer
H. Laube ges. sehr. 2, 156; er solte sich an solcher gütiger,
demütiger antwort lassen begnügen Luther 30, 2, 20 W. ;
dann ye daz meyn vornemen gewest, wie ich durch güt-
tige ermanung vorschaffen möcht, do mit die selbigen
geystUchen doch zum lesten sich zu besserung erinerten
Hütten opera l, 406 Bock.; got darumb dancken seyner
gutygen wolthat Luther 10, 3, 408 W.; insonderheit
aber sollen nachvolgende armen mit gütiger handreichung
bedacht werden d. fürsienth. Wirtembergs newe landsordn.
(1536) F 31*; die leute (haben) das vertrawen einigen gütigen
1445
GÜTIG
GUTIG
1446
und leutseligen tractaments zu derselben (armee) nicht
gehabt v. Chemnitz schvjed. krieg. 2(1653)49;
ob ihn Gyraldus gleich deswegen hönisch hält,
und über ihn kein gütig urtheil fällt
Triller poet. betr. (1750) 1, 46;
mein . . . musicahsche tractat vom generalbasz {hat) bey
musicliebenden eine gütige auffnahme gefunden Heini-
chen generalbass (1728) ) ( 3; diese unaussprechlich gütige
fürsorge Schiller br. l, 24 Jonas; mit gütiger herab-
lassung 0. Ludwig ges. sehr. 2,51; objektiver 'milde':
sollen die richter . . . allewege in das gutiger urteil sich
neigen Jon. v. Gelnhausen const. jur. metall. IV 18, lo
bei Jelinek 337; dieselb {göttliche barmherzig keit) pfligt
laslichen sünder mit gütiger straff ... aufzenemen Bebth.
v.Chiemsee t. theol. {1528) c 3^; welch einen gütigen namen
gibst du meiner flucht M^iszüer Alcibiades {1781) l, 94;
'gelinde': gewalt sol gütig sein See. Franck sprüchw.
(1545) 1, 70».
ßß) vielfach weniger gehaltvoll und oft nur als blosze
höflichkeitsformel beigefügt: ich danke für gütige nach-
frage Gottsched dtsche Schaubühne (1741)2, 492; da sie
mir nicht nur schon mehrmals ein gütiges gehör gegönnet
J. J. Schwabe tintenfäszl (1745) 83; wer behaupten will,
dasz man bey den ehen nicht aufs geld sehen soll, den
halte ich, mit seiner gütigen erlaubnis, für einen ver-
liebten pedanten Rabener s. w. 4, 207; ihr gütigs zu-
reden und mein versprechen haben mich heute früh glück-
lich den 2ten ackt anfangen machen Göthe IV 5, 5 W.;
drum danck ich gegenwärtig nur für die gütige einladung
30, 7; eine assignation . . . welche ich durch gütige Ver-
mittlung des herrn v. S. erhalten G. Förster s. sehr.
7, 105; die ehre ihres gütigen besuche Lichtenberg
br. 2, 43.
y) anders, auf den subjektiven inhalt der gesinnung be-
zogen {vgl. gut IV B 3) im sinne 'mit freundlicher gesinnung
verbunden': nach vielen empfehlungen zu einem gütigen
andencken machten sie sich von uns Gottsched vernünft.
tadl. (1725) 1, 28; ich empfehle mich zu gütigem andenken
Göthe IV 4, 35 W.; Burt bittet, sich bestens empfehlen
zu dürfen, und ich bitte in gütigem andenken zu be-
wahren ihren ergebensten Moltke ges. sehr. 1, 236; dem
glücklichen Anton zuwinkend, sagte er mit gütigem ernst
G. Freytag ges. w. 4, 162.
cF) juristisch in besonderer Verwendung in älterer spräche,
tirol. noch bewahrt; von ^güte 4 abgeleitet im sinne 'auf
friedlicher einigung beruhend', wofür neuerer spräche sonst
gütlich A 1 hy geläufiger ist: e. m. {ist) endlich dahin genö-
tigt ... die sach zu verhör und gütiger handlung komen
zu lassen Sleidanus reden 155 Böhmer; das ... durch die
vier nachborschaften . . . ain güetiger und nottwendiger
vergleich gemacht und beschlossen {v. j. 1612) österr. weist.
6, 469; und bewegte damit Mauritium dahin, dasz er die
Waffen hindann legt und sich auflf einen gütigen vertrag
lendete v. Brandis ehrenkräntzel (1678) 202^; da auch über
verhoffen sie in streit gerahten und durch gütige mittel
nicht geschieden werden könten Hunold neue br. (1723)
711; gesetz, die gütige und kostenfreie vermittelung
streitiger, noch nicht gerichtlich angängiger civilan-
sprüche durch die Untergerichte betreffend, vom 30. de-
cember 1861 {titel); adverbial gewendet: wo sie sich nicht
güthig mit ihnen vertragen konnten v. Berlichingen
lebensbeschr. 37 Biel.; derwegen sol man . . . sich gütig
und rechtschaffen vertragen und versönen Barth wei-
bersp. (1565) 4*'; wo es der brauch ist, . . . läszt man es
dabei bewenden und übergibt das gut nur 'gütig', d. h.
auszergerichtUch L. v. Hörmann Tirol, volksieb. 417.
d) adverbialer gebrauch {s. auch ihy u. 1 c cF) kommt
seit dem 16. jh. in Übung, die ältere adverbialbildung gütig-
lich {s. dort) allmählich ablösend und gewinnt auf kosten
des adverbialen güthch {s. dort B) seine heutige ausdeh-
nung; bedeutungsmäszig überwiegend gütig 1 b und c zu-
gehörig: hat auch ... sin fürstlich gnad uns nüt anders
denn gütig in sölichen sache ze handien empfolen
IL Zwingli dtsche sehr. 1, 118, vgl. 1, 120;
wo Ichs nicht mit kan machen gütig ('in gute'),
so will ich mich den unnütz machen,
kein gut wort geben in den Sachen H. Sachs 9, 52 K.;
wie gütig nun solche Calvinische mit den Lutheranern
faren, . . . wollen wir anderstwa anzaigen J. Nas antipap.
eins u. hundert (1567) 2, a S^^; güetig und glimpflich mit
den kindem umbgehen clementer tractare liberos Henisch
1786;
die Sintier mich armen gütig
ausz liebe namen auff zu sich
J. Spreng Ilias (1610) 12";
er wurde nicht so gütig wie sein herr vatter von ihr ent-
fangen A. U. v. Bbaunschweig Octavia (1677) l, 61; sie
nehmens gütig auf Chr. Reuter ehrl.frau 4 ndr.; von
dem hochberühmten groszpensionario, Johann de Wit,
urtheilt der Verfasser nicht so gütig {'günstig'), als vortreff-
liche leute seiner zeit Leibniz dtsche sehr. 2, 481;
. . . ich wink ihm mit den äugen,
. und weis ihn {den gläubiger) gütig ab. allein, den andern
so schöne minen nicht . . . [taugen
B. Nkukihch ged. (1744) 145;
wem dein äuge, Melpomene,
einmal bey der gebort gütig gelächelt hat
Ramler lyr.ged. (1772) 195;
in der hoffnung, dasz sie gütiger werden gesinnt seyn, will
ich gehen Lessing 2, 131 L.-M.; ich danke ihnen, dasz sie
ihm so gütig fortgeholfen haben Göthe IV 20, 204 W.;
höre dann, wie gütig, wie langmütig das gericht mit dir
böszwicht verfährt Schiller 2, 102 Q.; denkt nicht selbst
Gleim gütig {'günstig') von ihm? Gerstenberg recena. 146
lit.-dkm.;
die gräfln spricht wehmütig:
die liebe ist eine passionl
und präsentieret gütig
die tasse dem herren baron
HEmi! w. 1, 85 E.;
blickte sie unbeschreiblich gütig und treuherzig an
V. Ebner-Eschenbach ges. sehr. 4, 37; zu l a d:
80 wil ich {gott) doch deiner denken
und mich gütig zu dir lenken
Xevmask tortgepfi. musib.-poet. lustto. (1667) 1, 79.
2) in älterer spräche vereinzelter von ^güte 2 abgeleitet.
a) zu ^güte 2 a »wi sinne 'tugendhaft, sittlich voll-
kommen, fromm':
si ist junger dan du bist,
güetec, reine an argen list
Alexius 292 Maszmann;
ein truglicher, ablistiger mensch, du trüg ein wülfin herz
ander einem gutigen wandel und barg daz als genote
Seuse dtsche sehr. 119 Bihlm.
dise werden gebrüder drl
wären al ir site gütic,
küne, doch dfimütic
landgr. Ludw. kreuzt. 3633 Nautn.;
wie solt du, elender mensch, yemant glewben, das du bey
solchem unmenschlichen, unrugigen hasz kundist die
reyne, gutige schrifft vorstehen Luther 7, 263 W.; dazu,
von den orten der frommen Übungen, im sinne 'heilig':
auch {in) die kirchen, clöster, beetheüser und gütig
stett, wie die genendt seind H. Ortolff d. päpstl. bull
(1509) A 5^'; kirchen, clöstern, spitaln, gutigen stedten, ge-
meinen und brüderschaften Luther (1565) 3, 93^ Jen. ausg.
h) zu ^güte 2 b neutraler 'rechtschaffen, wacker, tüchtig':
der Lucius Valerius
und der Marcus Horacius!
der gschlecht und die sind allzeyt gütig
H. Sachs 2, 17 K.;
ich (habe) . . . groszen schmertzen und dawren von dem
abscheid einer so gütigen frawen {empfunden) K. Scheit
fröl. heimfart A 2»; hat er sich so gütig und dapfer in
allen sachen gehalten Xylander Polybiu^ (1574) 5;
Nestor der edel ritter gütig
Sprbnq Ilias (1610) 45*.
3) einzelne sonderbedeutun^en, die sich nicht an ^güte
anknüpfen lassen, sind offenbar direkte ableitungen vom
adj. oder subst. gut; zu gut I C 1 im sinne 'glücklich,
günstig' :
ein güetic ende
JOH. V. WÜRZBtma Wüh. v. ÖOerreieh 10» nacA Lkxer 1, 1111;
91*
1447
GÜTIG-GÜTIGKEIT
GUTIGKEIT
1448
als er (Arion) nun sprang ins meer hinunder,
hub sich ein gütig, selfczam gschlcht
B. Waldis Esop 1, 205 K.;
indem sie nun in der Jungfer kammer beyde den gütigen
ausgang ihrer noth genugsam belachten J. Riemer pol.
maulaffe {1679) 21; zztgut III A 2 'angenehm, behaglich': by
mir und mein xiiij gesellen ists ein gütige haltung, kain
lay . . . sy verbunden by todtsünden die fasten vor ostern
zu halten Eberlin v. Günzbtjrg s. sehr. 1, 21 ndr.; zur
redensart jem. gut tun {s. gut, n., A 3 b) 'gutes erweisen,
reichlich geben", ivohl vermischt mit jem. gütlich tun (vgl.
gütlich B 1 f ) : wer vor sein zugvieh sorge traget, der lasse
es einige tage vor der erndte ruhen und thue ihm in der
fütterung ein wenig gütiger allg. haushaltlex. (1749)
1, d 2^; zu gut, n., B 1 b 'reich an besitz' (?):
die priesterschaflE drifft symony,
si sint ouch ubermüdich.
wer nit hat zu frunde zwene ader dry,
der wirt ouch nymmer gutich
MtjskatblüT 157 Or,
4) unsicherer Herkunft, etwa zu gute l a e bergmännisch
im sinne 'hochwertig' ( ?), vgl. auch gütigkeit 1 b : ein wenig
festes eisen dienet zur erzeugung güttiger flössen (eisen-
blöcke) bei Unger-Khttll 3131.
GÜTIGEN, vb., mhd. vereinzelt neben güeten {s, u. 3),
im frühnhd. häufiger, später durch begütigen verdrängt;
lexikalisch noch bei Stieler stammb. (1691) 718 bezeugt:
gütiglich facilis, placidus etc., doch literarisch im 17. jh.
nicht mehr zu belegen.
1) trans. zu gütig 1 b 'freundlich machen, versöhnen,
besänftigen, lindern', vgl. senftmütigen, güttigen lenire
DiBFENBACH gl. 323 C; mit persönlichem objekt: die erbern
frowen von der stat kamen täglich . . . frid ze erwerben
und ieren sun ze gütigen Steinhöwel de clar. mul. 188
lit. ver.; darumb so beduncht mich, daz er von uns syge
zegütigen mit diensten und fründlicher erbietung Niclas
V. Wyle transl. lißK.; da funden sie, daz sie die sele
Esopi sölten gütigen und versünnen Steinhöwel Äsop
76 lit. ver.; Empedocles . . . was in dem gesang also
preiszlich, das er mit seinem süszen gesang einen zornigen
und grimmigen jungen . . . von seinem grimmigen zorn
lindet und gütiget G. Alt bu^h d. cron. (1493) 71*; (gott)
ietz den gesendt hab, in dem er gefridet und gütiget
werde H. Zwingli dtsche sehr, l, 267; mit sächlichem
objekt: ir strafft die sich widersetzent, und vereint ze-
letst die sünder mit dem öbristen got und gütiget seinen
zorn Steinhöwel spiegel menschl. leb. (1479)126; hüett
dich vor allem falsch! uns soltt alles übel und groszen
zorn güettigen dtsche volksb. 185 Bachm.-Singer ; und
gütige unsern smertzen mit deinen salben Bonaventuras
Marienleben deutsch (1516) x l'*.
2) zu gütig 1 c rf trans. 'eine sache gütlich beilegen, zur
Versöhnung bringen, vgl. ein amptman, der die sach gütiget
oder gütlich hinlegt arbiter Melber v. Gerolzhoeen
voc. pred. (1486) b 7!*: also fingen an alle potschaft zu reden
zwischen der sach und wurden sie güetigen und dem
kaiser fürhalten das törlich fürnemen wer beschehen
ausz narrheit städtechron. 3, 152.
3) vereinzelt reflexiv zu gütig 1 b wie sich guten im
sinne 'sich freundlich, milde, versöhnlich zeigen' :
le mer der mensch wirde hat,
ie mer sol er sich diemüetigen
und in allen Sachen güetigen
Hans Vintler pluomen d. tugent 5469 Z.
GÜTIGKEIT, /., von gütig abgeleitet, seit mhd. zeit ge-
läufig und bis ins 18. jh. neben gute vielfach verwendet-,
wenn auch im ganzen als geziertere bildung weniger häufig
als dieses; im 19. jh. veraltend und heute als papieren em-
pfunden kaum noch gebräuchlich, vgl. aber miindartl.
goodigkeit Dornkaat-Koolman ostfries. l, 657*.
1) die hauptbedeutung zu gütig 1 gehörend und ^güte 3
weithin entsprechend schlieszt sich an gut IV an.
a) als die freundliche, liebreiche, milde gesinnung einer
person, die in ihrem char akter verumrzeU ist und eine
dauernde eigenschaft darstellt, vgl. gutekeit, suzmutekeit
benignitas Dieeenbach gl. 638^, lutter guttigkeit cle-
mentia 126°.
a) vom menschen und seinem handeln.
aa) allgemein: ich habs erfaren, daz dem menschen
nichts bessers ist dann guttigkeit und senfftmüttigkeit
BoLTZ Terenz (1539) 100^; aber ire mutter Clara was
clare von sitten, clare in guttigkeit M. v. Kemnat chronik
Friedr. I. 138 Hofmann;
die ander gab {des hl. geistes) ist güttikeit
und die macht den menschen bereit,
sein nechston hertzlich zu lieben
und sich im guten zu üben
M. Weiszk bei Wackernaoel hirchenl. 3, 280;
ihre dunkelblaue äugen die gütigkeit selber vorstellten
A. U. V. Bratjnschwbig Octavia (1677) l, 144; die tugen-
den, so die bezeigung gegen den nächsten angehen, sind
die gerechtigkeit und gütigkeit Leibniz dtsche sehr. 1, 362 ;
stell alle sorgen ein,
denn unsro gütigkeit läszt uns nicht feinde seyn
GOTTSCHED dtsche Schaubühne (1741) 4, 13;
menschenliebe, gütigkeit,
jede tugend ist dir eigen
Gleim s. sehr. (1798) 1, 366;
ach, sie war lauter liebe und erhabne gütigkeit Gebsten-
BERG ügolino 241 nat.-lit.; des Christentums regel hatte die
frucht des geistes, menschengüte und menschenseligkeit
in sich : liebe, . . . gütigkeit, treue, Sanftmut Herder 20,
171 Ä.; blasser als höflichkeitsformel: nun musz ich eine
bitte wagen, und ich hoffe von ihrer gütigkeit, dasz sie
mir dieselbe nicht abschlagen werden Lichtenberg br.
2, 65; auf ein bestimmtes objekt bezogen im sinne 'Zu-
neigung, Willfährigkeit':
mein schätz, wie hab ich leider übel dich
genommen doch in acht I ach weh, wie schmertzt das mich !
da ich dich tag und nacht stets bey mir haben kunte,
und deine gütigkeit mir solches wol vergunte:
dasz ich gelassen dich hab in des Namo band
D. V. D. Werder ras. Roland (1636) 116.
ßß) als eigenschaft des fürsten oder herren 'wohlwollen,
gnade, leutselig keif : unser kraft die beschirmen sol mit der
besundern hant der güetichait (v. j. 1299) in: urk.-b. d.
landes ob d. Enns 4, 316; du darfst dich nicht verlassen
auff die gütigkeit deines landesfürsten Luther 28,
215 W.; , _ ,
und der marggraf ist kammerer,
tregt ein gülden stab vor ihm her,
derselbig gülden stab bedeut,
dasz der keiser brauch gütigkeit
J. Ayrer dram. 535 K.;
allergnädigster kayser und herr, dessen tugend und gütig-
keit höher ist als sie von mir kan erkennet oder begriffen
werden A. v. Ziegler asiat. Banise (1689) 292.
yy) mehr passiv gefaszt 'geduld, nachsieht, gutmütig-
keit : giij ^ns jn leiden deinen rat,
gib gütikhait für Übeltat
bei Kehrein kirchen- u. relig. lieder 140;
mich waz verwundern, wann es also hinweg gieng und
allweg des herren gütikeit (lenitas) Terenz (1499) 14*;
gütigkeyt macht ungütig knecht Seb. Fbanck sprüchw.
(1541) 1, 159''; der ungetreuwe heyd Roas von Goys, den
ich ausz gütigkeit . . . bey mir erzogen buch der liebe
(1587) 387 <i; wie sonsten grosz und kleine meiner gütigkeit
miszbraucht haben Schupp sehr. (1663) 582; die vorigen
merckmale seiner gütigkeit hätten sie beredet, dasz sie
ihre ergebung einer verzweifelten gegenwehr fürgezogen
hätten Lohenstbin Arminius (1689) l, 60^; Badizzaman
ergab sich selbst dem sieger, dessen gütigkeit der weit
bekannt war A. v. Haller Usong (1771) 96;
doch herr, geht deine gütigkeit,
die Schonung dieses orts und volkes nicht zu weit?
Ayrenhoff w. (1814) 2, 59;
sie hielt eben zu dem grafen, auf dessen gütigkeit und
wohl auch schwäche sie manchen zukunftsplan auf-
gebaut haben mochte Fontane ges. w. I 7, 278; objektiver
geradezzt, für 'milde': mit ihr {der strafe) kann zwar auch
gütigkeit verbunden werden, aber auf diese hat der
strafwürdige nach seiner aufführung nicht die mindeste
Ursache sich rechnung zu machen Kant 5, 37 akad.
1449
GÜTIGKEIT
GÜTIGKEIT
1450
ß) von der barmherzigen liebe gottes: got der wil dir
vaterlich heKen usz allen dinen nöten, ob du allein siner
gutikeit macht getrüwen Sexjsk dtscke sehr. 380 Bihlm.;
ich weisz nlt, wo is herkommet dir {gott)
anders dan von dinre gütekeit
pilgert, d. träum, mönchs 10969 Bömer;
miissen wir ins hercze bilden die gutikeit und genade
Christi unsers herren Luther 9, 554 W.;
bleib heilig jederzeit,
Bo wird er (gott) dich in aufifsicht fassen,
und weder jetzt noch ewig lassen
aus seiner gnad und gütigkeit
Simon Dach 194 österl.;
der unter andern besonderen danksagungen, wodurch er
sich gegen die gütigkeit gottes erkenntüch bezeigte, der
weit Wörterbüchermacher verschaffte Lessing 8, 9 L.-M.
y) von der gunst der götter oder des schicksah: so grosze
und so wichtige vortheile . . . welche die gütigkeit der
götter uns ohne unser zuthun . . . bescheret hat Reiskb
Demosthenes u. Äschimis reden (1764) 1, 26; wie lang, ihr
götter, soU ich noch eurer gütigkeit zeuge sein? S. Gesz-
NEB sehr. (1777) 1, 65; {Fortuna) die du durch deine grosze
gütigkeit am aller schädlichsten wirst Schottel friedens-
sieg 29 ndr.; aber ich habe gelernt, mehr auf die gütigkeit
des geschicks rechnen Knigge roman m. leb. (1781) 1, 32.
b) die in einzelnen handlungen sichtbare freundliche
gesinnung des menschen, die eine mehr augenblicklich sicht-
bare eigenschaft darstellt, vgl. güttigkeit facilitas S. Roth
dict. (1752) G 2*.
a) allgemein: durch übrige kelty und grosze gefrüri
ward ain man in gütikait bewegt, das er ain schlangen in
synem hus beherberget Steinhöwel Äsop 91 Ost.; es
komme noch ain glückhafftige stunde, darinnen euer
edels hertz bewegt werde zu gütigkait rnid euer synn
und gemüt umbgeben mit barmhertzigkait Fortunatus
134 vdr.; denn es geschieht oft, dasz weibliches gemüht
durch schöne gestalt und hübsche geberd von zorn in
gütigkeit und sanfftmütigkeit gewandelt wirdt bv^h d.
liebe (1587) 83^;
du bist, o Nyctelen, zue gütigkeit geneiget,
hast von natur und art gantz freundlich dich erzeiget
Opitz tetUsche poem. 209 ndr.;
ihr herren aber . . . werdet es meiner gütigkeit zuschrei-
ben, dasz ich euch mein hausrecht nicht gethan habe
Chr. Weise erznarren 142 ndr.;
dann werden wir uns jederzeit,
als zeugen deiner gütigkeit
voll innigster empflndung zeigen
Gottsched ged. (1751) 1, 160;
wie hat diese gütigkeit meine ganze seele durchdrungen
Lessing 2, 31 1 L.-M.; musje Würfel, ihre gütigkeit zer-
schneidet mir das herz Bätjerle kom. theater (1820) 1, 83;
ich danke dem herrn meister für seine geduld und gütig-
keit und aufmerksamkeit Brukner erz. u. sehr. 1, 116;
blasz als höflichkeitsphrase: eben wollte ich wegen meiner
nachlässigkeit um Verzeihung bitten, da mir ihre gütig-
keit entgegen eüet, mich darüber mit einem so schönen
Aveynachtsgeschenke zu bestrafen Gottschedin br. 1, 167
Runkel; deine gütigkeit wird also rath zu schaffen wissen
Schubart br. l, I8l Strausz.
ß) mit abhängigen präpositionen, namentlich gegen : ein
geitziger helt . . . nit die gütigkeit gen vater und muter
Albr. V. Eyb dtsche sehr. 1, 33 Herrm.; hastu ye mein
güttigkeit empfunden gegen dir verschlossen zewerden?
BoLTZ Terenz (1539) 34'>; so fing ich an, diese dialoge und
Sinngedichte zu verfertigen, welche herr Wieland aus all-
zugroszer gütigkeit gegen mich, ihnen hier zur Versorgung
übersendet Gleiji briefw. l, 11 Körte; andere präposi-
tionen bleiben vereinzelt: ich gedenke die gütigkait, die ich
alle zyt hab gehabt zu den gesten Steinhöwel Äsop
40 Ost.
y) häufig in formelhaften, präpositionalen Verbindungen;
aus gütigkeit: ausz guetigkait verhelfend Knebel chron.
V. Kaisheim 145 lit. ver.; die remarques aber . . . sind mir
von einem meiner damahhgen reisegefährten . . . aus be-
sonderer gütigkeit und freundschaft communiciret Ne-
meitz nachlese (1726) )( 5*;
ein reisender ist so gewohnt,
aus gütigkeit vorlieb zu nehmen
GÖTHE 14, 153 W.;
mit gütigkeit: Erasmus von Roterdam, der mit eng-
lischem ingenium für und für mit gütigkeit göttliche
gaben gemeret hat in unsz Eberlin v. Günzburg s. sehr.
1, 3 ndr.; so viel ein fürst . . . höher ist als seine unter-
thanen . . . soU er denselben mit . . . gütigkeit zuvor
gehen Zinkgref-Weidnbr teutscher nation weish. (1653)
3, 65;
allenthalben irret umher, wen gott von der thür stöszt;
wem er sie öfnet, den nimmt jeder mit gütigkeit auf
Herder 26, 389 S.;
anders im sinne 'gütlich, willig\'
wer gehorchet mit gütigkeit,
den lest man auch zu aller zeit
widerum reden auch mit rhu
H. Sachs 19, 321 O.
6) in festen redensarten des höflichen Verkehrs; der, von
der gütigkeit sein 'die freundlichkeit haben": so ist es
auch unläugbar, dasz etliche Satzung aus Unverstand an-
genommen sind, darum sollten die bischofe der gütigkeit
sein, dieselben Satzungen zu müdern .4m^56. konfess.,art. 28
bei J. T. Müller d. symbol. bücher d. evang.-luth. kirche^
69 ; der herr baron ist von einer sehr raren gütigkeit, dasz
er sich des armen frauenzimmers noch so viel erbarmet
Stbanitzky ollapatrida 149 Wien, ndr.; so noch schwäb.
als gewähltere formel statt 'so gut sein^ {vgl. sp. 1285): sind
sie von der gütigkeit Fischer 3, 966; häufig im 18. u.
frühen 19. jh. die gütigkeit haben: vielleicht pflichte ich
ihnen bey, wenn sie vorher die gütigkeit haben, folgenden
zweifelsknoten aufzulösen neuer büchersaal (1745)6,38;
haben sie daher die gütigkeit, mir für ein quartier zu
sorgen Göthe IV 27, 76 W.; {sie) bat mich anbey, die
gütigkeit zu haben und ihr nun erlauben nach hause zu
gehen d.Leipz.areniwncMr (1756)1,135; allerliebste madam
H. ! wenn sie nur die gütigkeit haben, und . . . Ph. Haf-
ner ges. lustsp. (1812) 2, 32.
c) auf die auf freundlicher gesinnung beruhende hand-
lungsweise übertragen {vgl. ^güte l d): min gütikait, Gwis-
carde, dero ich mich gegen dir gebracht han, hat in kain
weg verschuldet sölich unrecht Niclas v. Wyle translat.
83 K.; also thu du auch, du kanst in nit überwinden mit
boszheit, so versuch die gutikeit und früntlichheit, so
würstu in überwinden Pauli schimpf u. ernst 265 Ost.;
gütigkeit inn reden und embsigkeit im schreiben erhelt
gute freundschafft Lehman fior. pol. (1662)3, 135; e. ex-
ceU. wolle dero offterwiesene gütigkeit auch hierinn . . .
genieszen lassen Che. Weise pol. redner (1677) 58; konnte
ich jemals so viele gütigkeit hoffen? theat. d. Dtschen
(1768) 12, 183; ich bitte mir die erlaubnisz aus, bei einer
übers Jahr zu hoffenden rückkehr nach Böhmen mich
wieder ins gedächtnisz bringen und auf ihre gütigkeit
abermals ansprach machen zu dürfen Göthe IV 23, 92 W.;
möcht ich erlangen nur gütigkeit,
das war meinem herzen ein grosze freud
A. v. Arnim w. 21, 119 Gr.;
in präpositionaler Verbindung durch gütigkeit:
. . . dein . . . söhn
wird das verwayste volck durch gütigkeit regieren
PiETSOH geb. sehr. (1740) 55 ;
sie eilen nach dem schiff und flndens, hoch erfreut,
zur reise schon versehn und zierlich eingerichtet
durch ihres Schützers gütigkeit
WrEtAND te. 5, 80 Düntzer;
die köstlichen stücke, die ich durch ihre gütigkeit habe
kennen lernen Göthe 21, 309 W.; mit (in) gütigkeit im
gegensatz zum gewaltsamen verfahren: und als er mit
gütigkeit von ihrem furnemen abzustehen sie nicht be-
wegen mögen Stumpf Schweizerchron. (1606) 50*; biet ain
rat verstanden, daz der ursach nicht genug gewesen wer,
ich hiet mich davon lassen weisen in der gütigkait, und
bieten ewrn gnaden zu schanndt und der ganzen stat
ein solhe verpotne grobe antwurt nicht dürffen geben
1451
GÜTIGKEIT
GÜTIGKEIT
1452
fönt. rer. Austr. II 7, 35; was er in der gütigkeyt ab-
schaffen kondt, do vermitt er mit allem fleisz zanck
und hader Wickram w. 2, 433 B.; bald darnach kam
Carlen . . • der meinung, die von Zürich . . . mit gewalt
darzu zeweisen, welches er vormals in gütigkeit bey
inen nit mocht finden Seb. Münster cosm. (1550) 448.
d) früh für das aus freundlicher gesinnung und friedlicher
handlungsweise hervorgehende verfahren gütlicher einigung
und den dadurch geschaffenen zustand (vgl. ^güte 4), vgl.
vorsunung, gutichait Diefenbach nov. gl. 306 S'; in älterer
Sprache namentlich juristisch verwendet: aUs mir . . . ewer
fürstlich gnad . . . kain rechttag gesatzt, noch dy gutti-
chayt gegen meinem anwallt furgenomen hat fönt. rer.
Austr. II 2, 200; mag der verweser den parteien zu guetem
und dasz si nit in so schwären Unkosten kumben, auf
ir willküerlich ersuchen und anlangen gleichfals die güe-
tigkait zwischen inen versuechen [v. j. 1568) österr. weist.
10, 12; um gütigkeit und ruhe wUlen und nicht von
strengheit des rechten v. Lori baier. bergr. (1764) vorr. 43;
er (der vater) wird den 'Widerspruch In gütigkeit verwandeln
und führt dich, wie ich hof, mit seegen selbst zu mir
Chr. Günthke 1, 270 lit. ver.;
haben die gedachten commissari allen mugenlichen fleysz
. . . virgewent, die sach zu guetigkait bringen Knebel
chron. v. Kaisheim 51 lit. ver.; in präpositiona,ler Verbin-
dung mit in.* die vier sollen darauf den fünfften zu in
erwehlen . . . und dann versuchen, ob sie uns herrn
darumb mit wissen in der güettigkeit verainen mügen
{v. j. 1437) bei V. Lori baier. bergr. (1764) 30^; auch meinten
dieselben fürsten, ob man in der gütigkeit darein möcht
chomen, unverdingtlich zu versuchen städtechron. 2, 142;
do haben die ersamen scheffen und gericht in gietigkeit
erkant und Casparn nachgelossen, ein stand zu haben
auch zu empfohen {v. j. 1628) bei Schmoller Straszburger
weberzunft 138; für das Vergleichsverfahren: in güteheit
oder durch recht stadtb. v. Brüx nr. 345 bei Jelinek
338; es sol auch ieder teU . . . slosz, vesten, stet oder
merckte . . . inn haben und behalten, {es sei denn, dasz) . . .
er mit recht daraus gevertigt oder mit der gütigkeit davon
geteidingt wirt städtechron. 2, 166; des giengen auch bald
barteien mit wüllkür auf den priarch {von Friaul) zu ainer
guetigkait, was er darausz machte, das wolten sie treulich
halten ebda 5, 11.
e) verdinglicht für das ergebnis der freundlichen hand-
a) noch subjektiv mit bezug auf das persönliche handeln,
^wohltat, gnadenbeweis, gefälligkeiV : inen hilf, fürternisse
und bistand und güetigkeit ze tuonde, und ze erzögen an
alle gevärde H. Fründ chron. 101 Kind; verhofft durch
dise gütigkeit, es solte inen beyden an der seien geniesz-
lich sein Frey gartengesellsch. 16 Bolte; keine wohltat
und gütigkeit ist thewrer dann diese, welche durch bitten
erlangt und erkaufft werden musz Lehman flor. pol.
(1662) 4, 160; die vielen gütigkeiten, so von ihnen rühm-
lichst genossen Hunold allern. art (1718)147; für diese
gütigkeit musz ich verbunden leben Gottsched dtsche
Schaubühne (1741) 1, 53; dasz sie mich durch gütigkeiten
verpflichtet haben . . ., das alles muste ich ihnen schon
vorgestern schreiben Hermes Sophiens reise (1769) 3, 42;
{nddabot) heiszen, wie jedermann weisz, gütigkeiten, frei-
willige gaben Herder 12, 269 8.; dazu suche ich ihren
rath und beistand, weil sie ein schriftgelehrter sind
und mir mitunter eine gütigkeit erwiesen haben Immer-
mann 4, 29 Boxb.
ß) objektiv 'das gute ding, die angenehme sache'' selbst,
wie 'das gute' {vgl. gut VIII B 2 b) gebraucht:
got, aller gütigkeit wolthater
H. Sachs 1, 143 E.;
wie ich denn bey dem herren nah
den keyser Constantinum sah,
der ehr und alle gütigkeit
erzeiget hat der Christenheit
BiKOWALDT Christi, warn. (1588) D 1";
dem quelle vieler gütigkeiten,
der sonne, gibst du wärm und schein
LÖWEN sehr. (1765) 2, 10.
2) nach gütig 2, entsprechend ^güte 2 seltener im sinne
'tugendhaftigkeit, rechtschaffenheit, frömmigkeiV , vgl. gütig-
keit, gute, frömmigkeit, ehrbarkeit bonitas, üyai^ÖTr]S
Decimator thes. (1615): unsere angeborne gutekeit {in-
nata nobis pietas) Jon. v. Gelnhausen const. jur. metall.
III 6, 12 bei Jelinek 337; da lernet es kunst und güt-
tikeit und zucht d. heyligen leben, summerteil (1472) 38*;
gütikait machet rechte vätterHche trüw unt früntschaft
der kind gegen vater und muoter und nit die geburt
Steinhöwel Äsop 117 Ost.; aller gotseUgkeit und gütig-
keyt eyn unmenschlich grausam verderbnus Hütten
opera 194 Bock.; Pontus thet als einer, so voller tugend
und gütigkeit ist buch d. liebe (1587) 327*; die gütigkeit
ist gott, die boszheit der teuffei Lehman flor. pol. (1662) l,
393; farbloser:
daher ausz solcher g&tlgkeyt
entsprang auch die ehrbietigkeyt
FISCHAET 1, 272 Eauffen;
nach gut V Ale hin 'höfische erziehung, ritterlichkeit':
der rysz stuont wyder uf. und der erkant Ruollanden
güettigkeyt {courtoisie) Morgant 198 Bachm.; etwas anders
von den taten 'sittlich gute beschaff enheiV : und nu got der
mache, daz di dink di da sint von mir, sint dienent zu
dem nucze der warheit dez ewangeliumz und tut di
gütikait der werk, di da sint der behaltsam dez ewigen
lebens cod. Tepl. 2, 81 Huttier.
3) nicht unmittelbar an eine bedeutung von gütig an-
zv^chlieszen, sondern wohl direkt aus ^güte 1 mit bedeu-
tungsgehalt gespeist sind Verwendungen, die gut I-III
entsprechen, vgl. guttigkeit bonitas Diefenbach gl. 79*.
a) zu gut I in verschiedenen bedeutungen; entsprechend
gut I A 1 'nützlichkeiV : was die sache, wann sie noch vor-
handen wäre, zu der zeit gelten könne, oder was sie auf-
bringen könte und worinnen ihre gütigkeit bestünde
V. Hohbero georg. cur. aucta (1715) 3, 27''; zu gut I A 2 b
'gebrauchstüchtigkeiV : was nicht durch die gütigkeit der
pferde entrann, {vmrde) in stücke gehauen Lohenstein
Arminius (1689) 2, 1079; zu gut I A 2 c ' nutzbar keif : {die)
gütigkeit eines edlen bodens, . . . welcher seinen präch-
tigen blumen die bewunderung der Zuschauer erwirbt
J. Moser s. w. 9, ll Ab.; zu gut I A 2 d )S 'gesundes aus-
sehen" : und so der cancer getödt ist, das du erkennen magst
durch die gyetigkeit des fleisches und durch mangel des
eyters und gestancks, so curier in noch dem sinn als an-
dere eyszen Gersdore wundarzney (1517) 65*; zu gut
IA2dy: klugheit und wahrheitfindung entspringen
beide aus der natur gütigkeit und Übung Herder 17,
208 S.; zw gut I B 5 'wackere taV : ock vint me wol stede
dede or wapen hebben vorworven myt der manheyt
in stride, in blotstorting, in anderen gudicheyden, de se
by oren fursten gedan hebben städtechron. 16, 480; zu
gut I C 1 c 'gunst, förderlichkeit' : so is ouch Coellen der
zit half, men mirk an die lankheit van jaeren of guedicheit
der zit, ein wirdige vlecke städtechron. 13, 455.
b) entsprechend gut II A 2 im sinne 'hochwertigkeit,
wertgehaW: der deutsche {born) wird wegen der solen
gütigkeit vor dem besten gehalten Fr. Hondorff d.
saÜzwerk zu Halle (1670) 2; gutekeit des erczes {bonitas
metalli) Jon. v. Gelnhausen const. jur. m,etall. 1 16, 2 bei
Jelinek 337; gehalt der ertze bedeutet die gütigkeit
desselben, wie viel es an metall hält Chr. HERTTW^G
bergbuch (1734) 170''; ganz abstrakt nach gut II A 5 all-
gemeiner 'vortrefflichheit' : kanst du nu ,. . • schowen des
obresten gutes lutersten gutekait Seuse dtsche sehr. 179
Bihlm.; ja alle creaturen mit aller irer gütigkeit als ein
augenblick des ewigen lebens {können das leisten) Jon.
Arnd Thomas a Kempis (1631) 11; zu gut II B 3:
(wenn sie) um deine schöne Jugend weint,
und deine gütigkeit mit nassem aug erhebet
V. CrONEQK sehr. (1766) 2, 354.
c) zu gut III in verschiedenem sinne; entsprechend gut
III A 1 a 'schmackhaftigkeit' : eine andere gütigkeit ist der
speise, da gut so viel ist als wolgeschmack heist Hars-
döbfer poel. trichter (1653) 248; {dasz es) die gütigkeit
1453
GÜTIGLICH
GUTING-GUTKELLER
1454
und nahrung dem fleisch etwas enziehe Aitingeb jagd-
u. weidbüchl. (1681) 321; zu gut III A 1 c '■ Wohlklang'' :
dann was gütikeit der stymm von natur anhangt, das
gevalt ouch dem hörenden und machet inn uffmerckig
RiEDEßEß rlietorica (1493) g 3'^; zu gut II A 5 'fröhlich-
keif: singen . . . gibt gütikeit Albb. v. Eyb Spiegel d.
Sitten (1511) D 5».
GÜTIGLICH, adv., auch als adj. gebraucht; zunächst
adverbialbildung zu gütig, adj., mhd. adv. güetecliche,
güeteclichen ; im 17. jh. veraltend und von adverbialem
gütig verdrängt, später noch vereinzelt poetisch.
1) zu gütig 1 b 'freundlich, wohlwollend', vgl. gütiglich
candide Fbisius 180^, placide lOOS^', mite 826^, clementer
Calepinus X7 ling. 254*, mansuete 865^, vgl. noch Stieles
stammb. (1691) 718.
a) als adv.:
diu keiserinne Meliur
sprach güeteclichen wider in
KONEAD V. WÜRZBüKQ Partonopier 20781;
das ir mir nit das dis male wollent vergeben
gutteclich und keinen bösen willen beheben
pilgert, d. träum, möncha 1856 Bömer;
die göttin . . . begäbet in mit wyszheit ... als dem, der
sy gütenclich in demütikait hette beherbergt Steikhöwel
Äsop 40 Ost.; die {pilger) er doch guttigMchen enpfieng
und eyns yeden namen erforschet Breydenbach heyl.
reyszen (1486) isg^^; dasz euch gott gütiglich versammlet
hat buch d. liebe (1587) 30^; wir dancken auch gott, dasz
er uns so güttiglichen befohlen hatt der jungfrawen
Pabacelsus opera 2, lOS'' Hu^er; antworte sanfftiglich
oder gütighch dem, der da fraget Comenius janua (1644)
292; nach gütig 1 ajS 'milde' : er sol in gütiglich straffen
und bewainen sein übel Albb. v. Eyb spiegel d. sitten
(1511) F 1*; im sinne 'unllig': (die frau) sich gütiglichen
ergäbe Abiqo decam. 94 K.;
Jhesus allzyt gehorsam was
Joseph und der müter sin;
als sie hatten verloren in,
gütiglich gieng er mit in bein
P. Qengknbaoh 26 Gödeke;
entsprechend gütig c cT 'freiwillig, friedlich' :
beredt er die dry lender eben,
das sy' sich under syn berrschaft band
gütigklich ergeben mit Irem land
Schweiz, schausp. 3, 20 BäcM.;
das er desz italischen reychs gütigküch abtrete Stumpf
Schweizerchron. (1603) 203 1»; etwas anders 'auf gütlichem
wege\' dasz ich . . . kummen bin ze hören und gütighch (so
etwas Uneinigkeit entstund) helfen entscheiden Zwingli
dtsche sehr. 1, 120.
b) adjektivisch gebraucht: ich {der löwe) . . . erzögete
naich gütiglich gegen dem pferd Steikhöwel Äsop 142
Ost.; wi gutigkUch und susziglich er sich dertzeiget, vor-
dint si allein seliklich tzu erfaren buch geistl. gnaden
(1603) A 2''; sich gein den ersten ernsthch und gein den
andern guttighch und ündiglich ze beweisen Ordnung
vier lat. schulen (1505) in: samml. selten gew. pädag. sehr.
13, 152; 'bereitwillig': darauf sich ethche knecht gleich
gütighchen finden lassen Fbonspeegee kriegsb. (1578)
1, B e'';
ich weisz ihr seyd so gütiglich,
werdt itzt nicht lassen stecken mich
Wkichmänn poesie d. Nieders. (1721) 6, 391.
2) selten zu andern bedeutungen von gütig ; zu gütig 2 a
'rechtschaffen': und solich ier unzimlichen handel ofEen-
waren und erzellen. erfindt sich dan die mit ainer war-
hait, so soll man im sagen, das er sich der abthue und
wider wen si damit gehandlt bieten, abtragen und sich
furpäszer guetikhch und frumbkhch halten (14. jh.) österr.
weist. 9, 579; entsprechend gut IA5b im sinne 'zuver-
lässig, sicher': und als güticklich züglauben ist, so hat
Joseph ir gemahel auch ewige küscheit gehalten H. Geb-
WEiLEB beschirm, d. lobs Marie (1523) 5*; es ist auch
gütigklich zu glauben, das solhen sig von got erworben
haben die priesterschaft in seinem land Aenpeck s.
chron. 620 Leidinger; zu gut III A 2 'angenehm, behaglich':
er {Paulus) hat a*ch vermaint daz jhen, die gütiklich
wollen leben, soUen widerwärtigkait leyden Beethold
v. Chiemsee t. theol. 279 Beithm.; adjektivisch zu gut
V B 3 b 'ehrbar, anständig' : es bit auch der obgemelt
samler dis büchs, das man es lesen wöl in der meinung
als er es gemachet hat, nit verkeren noch verwerffen,
sundem bessern und es meren und andere gütigUche stück
herzu setzen, die sich ziemen J. Paul schimpf u. erriet
14 Ost.
GUTING, adv., seltene adj.; zusammenrückung aus
gut ding («. gut VI B 1, sp. 1318); alem. teilweise mit
nasalverlust gutig oder sekundärer erweiterung durch ad-
verbiales l-suffix guthg, gutling; auch in Steigerung
gütinger, gütlinger u. ä., s. Fischeb schwäb. 3, 965/.,
Staub-Toblee 2, 555; alem. und bair. als intensivierendes
adv. im sinne 'nachdrücklich, ausgiebig, tüchtig, hurtig,
weidlich, gehörig' usw.: wer daher guetig {ausgiebig)
. . . angefangen hat, halte mitten im höchsten genusz
inne Fbiedli Bärnd. 2, 394; ich hab es ihm guting gesagt
Staldee 1,503; adjektivisch schon bei Heine, v. Nöed-
linoen: ward ein gutiger {heftiger) krieg 16, 14, vgl. 16,
41; ebenso bair. gueting: item, welcher nit gueting fridt
{gehörig einzäunt), dardurch fiech oder anders in perg
kam und schadten dardurch beschäch oder nit, ist der
dem der frit zuegehörig ist, den schaden schultig zu zaUn
{16. jh.) österr. weist. 9, 134; las fei~ d suppen guating
ausbregln Schmelleb-Fb. 1, 964; zehen pfund gueting
reichlich zehn pfund ebda; guotink zuoschläg'n Lexeb
kämt. 128, vgl. Schöpf tirol. 220; als intensivierungsmittel
neben adjektiven: gueting bös, gueting frum Wackius
(1713) bei Schmelleb-Fe. l, 964; guting 'gewiszlich, sicher,
sehr {m^ist den folgenden adjektivbegriff verstärkend)'
Ungee-Khüll 313 ''; adjektiviert im sinne 'verläszlich' :
mein vater is a sodl.
viel rödn thuet a not;
awa wahr Is und gueting
Bor oft a wos rödt
Stelzhamer ausgew. dicht. (1884) 1, 35.
— gut Jahr, n. 1) zusammenrückurig aus gutes jähr {vgl.
gut III A 3 b, sp. 1272) im sinne 'neujahr', besonders das
am neujahrstage dem glückwünschenden überreichte neu-
Jahrsgeschenk, vgl. gütjar, schencke oder gaab, die man
einem auff einem feyrtag oder aufi das new jar gibt
strena, apophoreta Maaleb (1561) 199'', Staub-Tobleb
3, 811, Tobleb appenzell. 245*, Bühleb Davos 51, Bib-
LiNGEE volkthünü. 38: und habe ihr das backen und
mahlen abgeschlagen und gut jähr und alles auf gekündet,
wenn sie nicht auf der stelle dem sparhafenlärm ein ende
mache Pestalozzi Lienh. u. Gertr. (1831) 3, 12l; nach-
mittags hatte Käthi besuch, erhielt kram, ein soge-
nanntes gutjahr von JohannesHs pathe J. Gotthelf ges.
sehr. 4, 220; es folgt an jedem neujahr der göttibatze oder
das guetjahr Fbiedli Bärnd. l, 620.
2) bezeichnung für eine bestimmte tonfolge des finken-
schlages; mit innerer ergänzung von schlag auch m.: {be-
zeichmmgen für die melodien des finkengesanges sind:) der
doiteret, der gutjahr v. Hohbebg georg. cur. aucta 3
(1715) 369*; diese künstüchen finkenschläge ... als den
weingesang, . . . das gutjahr Naümajsn naturgesch. d.
Vögel 5, 27; 'Harzer gutjahr' nennt man diesen schlag
{der finken) v. Ebneb-Eschenbach ges. sehr. 2, 271, vgl.
gudjairsfeinken Hebtel Thür. 111. — gut jähren, vb.,
vom vorigen gebildet 'ein neujahrsgeschenk geben' Staldeb
1, 504, Fischeb schwäb. 3, 966; nach Staldee auch im
sinne 'das neujahr feiern' . — gutkauf, adj., adv.; zu-
sammenrückung aus guter kauf {vgl. gut III A 7 b) im
sinne 'wohlfeil, billig' besonders in nd. maa. verbreitet, vgl.
Woeste westf. 87*, Dobnkaat-Koolman ostfries. l, 657*;
Keen-Willms Ostfriesl. 127: proten {'kritisieren') is
gootkoop, man doon (= tun) isn ding Lüpkes seemann-
spr. 20, 253*. — gutkeller, m., zu gut, n.. Big
' warenkeller' :
(die diebe) deten da vil groszen schaden,
guotkeler und kraumgaden
si aufprachen maisterleich
H. KAUTBlNaEE 4, 44 EuL;
1455
GUTKOCHEN-GÜTLEIN
GÜTLER-GUTLEUTMANN
1456
— gutkochen, vb., technischer ausdruck, zu gut I A
2cy: das rückständige gold wird ... in einem kessel
(gutkochkessel)zweimal gutgekocht Müspratt-Stohmann
3, 1804. — gutkraut, n., name des tausendgüldenkrauts
{erythraea centaurium), nach Peitzel-Jessen 146 schon
mhd. gutherut, zu gut I A l b yS wegen seiner heilkraft,
vgl. gutkraut, heidensch wondkruid Kkameb-Moerbeck
(1768) 143*'. — gutlach, n., aus gut, n., B 3 b und
deminutivem suffix -lach (vgl. Schmellee-Fr. 1, 1426)
zusammengesetzt im sinne 'kleines landguV : auf dem guet-
lach {v. j. 1456) bei Schmeller-Fb. a. a. o.; da würd es
gemacht, dasz die von Kaiszham dem oftgemelten pfalz-
graf Friderichen selten geben zway gütlach Knebel
chron. v. Kaisheim 25 lit. ver., vgl. gütlich: mein gütlich
gangen ist an galgen H. Sachs bei Schmeller-Fe. a. a. o.
— gutland, n., zusammenrückung aus gutes land {vgl.
gut I A 2 c a) 'ackerland\ vgl. guhtland optimus ager seu
Campus ScHOTTEL haubtspr. (1663) 407; dazu gutland -
haus: wir waren dazumalen weit weg über land in einem
armen gutlandhaus am wald J. Grosze ausgew. w. 3, 272.
— gutlauge, /., technischer ausdruck, wohl für eine ge-
sättigte lösung, zu gut I A 2 c y vgl. Lampadius hdwb. d.
hüttenkde (1817) 95: nachdem sich die gutlauge ... in der
pfanne . . . geklärt hat, ist sie . . . zur alaunbildung fertig
Müspratt-Stohmann l, 798. — gutlaunig, adj., ent-
sprechend gut III A 5 a {sp. 1277) 'frohe laune habend' : er
ist . . . ein gutlauniger bursche Wieland Lucian (1788)
1, 385; einzig lustig und gutlaunig Göthe 40, 347 W.;
Leoni weisz das alles ebenso gut wie ich, und zugleich,
welch ein lieber gast man dem gutlaunigen, nur etwas
pünktlichen alten herrn ist A. v. Droste-Hülshoff br. an
L.Schilcking 288; aus froher laune hervorgehend, 'vergnügt':
das trauliebe gutlaunige geschwätz
beim abendstern in einer sommerlaube
Wieland «. w. (1794) 9, 136.
— gutleben,»., 2« gut III A 2 b neben häufigerem Wohl-
leben : kurz, was zum gutleben gehört, schneyte aus allen
ecken her U. Bräker s. sehr. (1789) 2, 262; anders zu gut
V B 3 c 'rechtschaffenes leben' : du wirst doch nicht leicht
einen andern Inhalt des gutlebens finden Schleier-
macher Piaton 2, 45. — gutlecht, adv., mundartliche
deminutivform zu gut, adj., III A 3 c 'ziemlich gut, besser',
vgl. FisOüBB, Schwab. 3, 967, Schmeller-Fr. l, 161: wenn
ein siecher schlafen mag, so spricht man, es ist ein wenig
guttelecht umb in worden Geiler v. Keisersberq post.
(1522) 2, 93 a. — gutlein, n., zu gut III A 1 a kinder-
sprachlich 'süszigkeit, zuckerwerk', in obd. mundarten ver-
breitet, vgl. Fischer schwäb. 3, 967, Maetin-Lienhart
1, 249, Meisinger Rappen. 81, Staub-Tobler 2, 554,
Schmeller-Fr. l, 965, Schöpf tirol. 221 usw.
^GÜTLEIN, deminutivbiMung zu gut IV Al caßß
(vgl. sp. 1286); bezeichnung eines freundlichen kobolds, vgl.
^gütchen, ^gütel: es lesset sich offt auch das bergmänn-
lein und cöbele oder gütlein darinne sehen und hören
J. Mathesifs Sarepta (1671) 210^; vielleicht von hier atis
verallgemeinert als masc. oder selbständige ableitung aus
gut IV Alb im sinne 'freundlicher, wohlwollender
mensch'' :
er macht ein schein, als ob er heisz
der gütlin ... H. Sachs 1, 444 K.;
so gar reiszt das glück den man dahin, blendt und ver-
ruckt im all sein sinn und vernunfft, also so einer gleich
sehend und der gütlin ins regiment kumpt, stehet er
doch gemeinkhch wie ein tyrann und adler davon Seb.
Franck chronica, zeytb. (1531) 123^.
^GÜTLEIN, n., obd. deminutivform von gut, »., s. auch
^gütel, ^gütchen.
1) seit dem jüngeren mhd. für ein kleines ländliches be-
sitztum oder lehen (s. gut, n., B 3 b), vgl. gütlein praediolum
Calepinus XI ling. (1598) 1129^': von einem gütelein,
daz dez Vlecken waz, 3 phunt {v. j. 1286) Meinhards II.
urbare 104 Zingerle; ir lönet dem knehtelin, daz den
acker büwet, dem gebet ir ein wenic güetelins Berthold
v. Regensbitrg 1, 358 Pf.; des bykantte sye sich vor
uns und vor andiris vil godir lüde, daz sye oder keyner
ir erbin keyn recht an dem güdelin hettin (v. j. 1347)
hess. urkundenb. 2, 552 Wysz; und von seiner freigebigkeit
zu grosem danke annemmen eiij solches ländlin, ein
solchs gütlin S-ebu. f eidbau (1579) 3; zu wünschen ist es,
dasz einer auf seinem, ob schon geringen gütlein ... in
friden wohnen . . . möge Moscherosch gesichte (1650) 520;
du aber, liebster bruder Mülard, kanst zeit meiner abreise
. . . mein güthlein Liddo dieweil in Verwaltung nehmen
Ettner V. Eiteritz med. rruiulaffe (1719) 104; damit du
jetzt schon gehen kannst, ohne um das deine zu kommen,
will ich dir dein gütlein aus erbarmen um einen billigen
kaufschilling abnehmen G. Keller ges. w. 6, 357; ter-
minologisch güetlein 'ein solches bauerngut, das minder
als einen viertel- und mehr als einen zweyunddreiszigstel-
hof ausmacht' Schmeller-Fr. l, 965.
2) für einen kleinen besitz von geld, Wertsachen und
habe aller art im allgemeinen {zu gut, n., Bl):
daz selbe kleine güetelin,
daz noch In dem gewalte min
bellben ist, daz soltu nemen
Konrad v. Würzburg Pantaleon. 553 Oereke;
(Judas) verriet den rehten herren sin
umb ein armez güeteltn
BRUDER Philipp Marienleben 6345 R.;
haben aber andere nicht auch arbeit gnug umb yhr
gütlin? Luther 19, 654 W.; alsbald einem wenig heUer-
lein zugehen, pflegt ihm auch das müthlein und dunkel
zu wachsen, das gütlein macht ein mütlein Mathesius
Syrach (1586) 1, 248'; j^q^ ^jg,. (^g redensartlich sein güt-
lein vermehren übermüthig sein Aler dict. (1727) 1, 996'':
ein Soldat . . . hatte sich in einer statt . . . wohnlich
niedergelassen, willens sein im krieg erworbenes gütlein
mit ruhe zu genieszen Harsdörfer gesprächsp. (1641)
6, 117; ar hat sei güatla die gorgl no gejagt {hab und gut
vertrunken) Rückebt unterfrk. 67; etwas anders 'kostbar-
keif :
(Ign. V. Loyola) welchem zuerst erscheinen soll
dises vierhornig widerhütlein;
der wirds atiffnemmen fürs gröst gütlein
Fischart 1, 246 Eauffen;
mehr zu gut I A 2 b bezogen für das 'gebrauchsfähige stück'
oder in anlehnung an gutlein als 'eszbarer teil': die hasel-
nüsse oder welsche nüsse haben die grüne schale, die
harte schale, das marck, und das güttlein oder saamkern
v. Breszler merkw. d. natur (1708) 54. — gütler, m.,
besitzer eines bauerngutes, vgl. Schmeller-Fe. 1, 965. —
gutleute, pl., zu gutmann {s. dort); zusammenrückung
entsprechend gut IV A 5 a, vgl. gutleute die aussätzigen
FoLLMANN lothr. 221^. — gutleuthaus, n., zunächst
das für die guten leute, die aussätzigen {vgl. gut IV A 5 a)
bestimmte huus, 'leprosenhaus' , dann allgemeiner 'spitaV
oder 'armenhaus', vgl. gutlüthhws {v. j. 1368) Bück flurn.
95: nun hett man . . . einen burger ... in das gutleut-
haus oder lasary gethon Wickram w. 3, 273 lit. ver.;
gegen abend suchte Eugen den Lipp in seiner wohnung,
diese war in dem sogenannten gutleuthaus in der ehe-
maligen behausung des totengräbers auf dem alten kirch-
hof Auerbach ges. sehr. (1858) 15, 26; noch mundartlich,
vgl. Fischer schwäb. 3, 967, Martin-Lienhaet 1, 383,
Staub-Tobler 2, 1717; bildlich:
lebt häuslich fort, wie heute!
bald wird vom Belt zum Rhein
ein haus voll guter leute,
ja ein gutleuthaus sein XJhland ged. 1, 85.
— gutleuthof, m., grundstück mit dem gutleuthaus {s.
dort): wie wür den gutenleuthof gekauft haben {v. j. 1434)
nach Fischer schwäb. 3, 967; für das siechenhaus selbst:
eines klösterlichen siechenhauses oder 'gutleuthof, wie
wie man im südlichen Deutschland ähnliche herbergen
der geistig und körperlich aussätzigen nannte Gutz-
kow knabenzeit (1852) 104. — gutleutkind, n., Hnd
eines siechen oder armen: unsere Straszburger soUen ge-
dencken an die waysen- und gutleutkinder Dannhauer
catechismusmilch (1657) 10, 18. — gutleutmann, m.,
zusammenrückung entsprechend gut IV A 5 b 'armer, bett-
ler': bin zerlumpet daher gangen, mit stückern zusammen-
geflickt als ein gutleutmaim Moscherosch grmcÄie (1650)
1457
GÜTLICH A 1
GÜTLICH A 1
1458
1, 415; ich schäme mich . . ., in diesem meinem erbärm-
lichen zustand gleichsamb wie ein eilender gutleuthmann
in das dorff zu gehen Geimmelshausen simpl. sehr. 4,
328 Kurz.
GÜTLICH, adj., adv.; vonj gut adj. gebildet, doch in
einigen bedeutungen von ^güte, /. inhaltlich bestimmt; ahd.
guotlih, mhd. guotlich, güetlich, nhd. gütlich, vereinzelt
gutlich, das z. t. wohl nur fehlen der umlautschreibunq
bedeutet, z. t. aber neuen anschlusz an gut, adj. verrät, vgl.
guttenlich Fischer schwäb. 3, 968. — ahd. guoUich und
dissimiliert mhd. guonlich, güenlich, frühnhd, günlich
'gloriosus^ ist von guotlich als selbständiges wort abzu-
trennen; eine ahd. assimilation von tl > 11 (von Geafp 4,
171 erwogen, von Braune ahd. gr. § 99 gebucht und in den
wbb. verzeichnet, vgl. Lexer 1, 1123) ist sonst nicht zu be-
zeugen, das allenfalls vergleichbare ahd. antluzzi < annuzzi
(wohl über anluzzi) folgt seiner dreikonsonans wegen
anderen gesetzen; auch bedeutungsmäszig sind guotlich und
guollich bei Oteeid und Notker durchaus geschieden (a
Geatf 4, 171); letzteres ist mit Gräfe 4, 184 und Kögel
anz. f. dtsch. altert. 19, 243 zu guol in urguol 'insignis
(vgl. ags. galan, got. göljan) zu stellen, s. auch Walde-Pok
1, 628; dasz guoUich von guotlich in volksetymologischer
anlehnung gelegentlich formal beeinfluszt ist, bleibt dabei
unbestritten, doch erscheint auch ahd. küotilih 'insignis
Graff 4, 170 eher als selbständige sonderbildung zu guoti,
/., vgl. aber guotlich 'gloriosum', guotlich wirt 'exaUare^
cotlih und coatlih 'glorid" und entsprechend die ableitungen
guollichi, guotlichi und guotlicha 'gloria\ guotlichen und
guotlichon, guoUichon 'gloriari, glorificari^ Graff 4,
170-73; die nähe der bedeutungen von guotlih (zu gut II
A 5) 'herrlich^ (s. u. A 2 b) und guollich 'ruhmvoll, aus-
erwähW leistete einer Wortmischung Vorschub, doch blieben
im ganzen beide Wörter bis zum erlöschen von günlich nach
form und bedeutungsgehalt geschieden. — güthch schrumpft
seit dem älteren nhd. infolge der konkurrenz von gütig auch
als adv. mehr und mehr und ist heutiger Schriftsprache fast
nur noch in festen formelhaften Wendungen geläufig.
A. adjektiv.
1) zu gut IV bzw. ^güte 3 und 4 im sinne 'freundlich,
wohlmeinend, freundschaftlich, friedlich'.
a) von Personen und den ausdrucksformen ihrer ge-
sinnung, vgl. menschhch, gutUch humanus Diefenbach
gl. 281''.
a) von personen entsprechend gut IV A 1 b 6z«». ^güte
3aa; gelegentlich mit personalem objektsdativ (vgl. gut
IV a 1 b a aa, sp. 1284) : woltent sü mir gut tun und güt-
lich sin, daz solte ich nemen Taulee pred. 15, 11 V.; er
was ouch allen mönschen, die in gesachent oder etwas
mit im ze handien hattent, lieplich und güetlich Stret-
linger chron. 118 Bächt.; meist absolut: der (gaben des hl.
geistes) sint zwo würcklich: daz ist die gutlicheit und die
kunst, denne wurt der mensche so gütlich und senft-
mütig Tauler pred. 301 F.; 'milde, gütig' :
seil min, du must jehen
daz du mit äugen nie gesehen
habst 80 gutlichen man (Jesus)
Heinkich V. Neustadt gottes zuk. 3071 5.;
mit einschlag von ^güte 2 c :
m!n sanc wil genäde saochen
an dich, güetlich wlp: nu hilf, slt helfe ist worden not
Wolfram v. Eschenbaoh lied. 7, 24 L.;
'gnädig':
on wart de dar olc by ghesacht:
de radt wolde gutlick wesen
Braunschweig, schichtspiel in: städtechron. 16, 107;
die Christen sindt gütliche leuthe unnd geben gerne
LuTHEE 33, 654 W.; SO ist aber Salomon so weisz und
zuviel güthch J. Ayeee hist. proc. jur. (1600) l, 5; ver-
einzelt mundartlich bewahrt: dat is n gödelk minsk ten
DooRNKAAT-KooLMAN 1, 656; 'friedlich': ein ander gobe,
daz ist die senftmütige miltekeit . . ., machet in (den
menschen) fridesam und güthch in siner ussewendiger
wandelunge und gesast Tauler pted. 106 V., vgl. 234;
anders, aus güthch vermitteln u. ä. persönlich gewendet
IV. 1. 6.
für den Schiedsmann: als ein gütMcher mitler (v. j. 1447)
urkundenbuch d. st. Basel 7, 199.
ß) von ausdrucksformen oder erscheinungsweisen der
freundlichen, gütigen gesinnung:
er gütlichez (aurem benignum)
zu fuge unsern stimmen,
sige heilige singen wir,
vergibe daz wir missetün
übers, e. tat. hymnus (12. jh.) bei Kehrein kirchen- u. relig.
lieder 117;
und alsus betrahtende so ward sin antlüt so fröUch, sinü
ogen so güthch Seuse dtsche sehr. 15 Bihlm.;
o huniges süssi was sin (Jesu) munt,
fruntlich, gütlich allestunt
SCHWEIZER Wernhee Marierdeben 5880 Päpke;
owe du gütliches antlüt, owe du miltes herz, ich heti es
dir nie getniwet, daz du mich so gar hetist verworfen
Seuse dtsche sehr. 127 Bihlm., vgl. 113;
friwentllche blicke und güetllches sehen
des mohte da in beiden harte vU gescehen
Nibelungen -363, 1 Bartsch;
dö sacb in der guote man
mit güetllchen gebserden an
RuDOtF V. Ems Barlaam 124, 32 Pf.;
(her Cone) stont uf sinen beinen als ein lewe unde hatte
guthche geberde gen sinen frunden Limburger chron. 51,
12 Wysz;
hab ein grewlich krumm gesiebt,
gutlichs ansebens brauch dich nicht
K. Scheit Grob. 202 ndr.;
ähnlich von der gesinnung selbst:
(Christus) des gutlich genade (benigna gratia)
chruzes durh heilige wunden
mit tugent zerloste hoher
des ersten vater gebende (vincula)
übers, e. lat. hymnus (12. jh.) bei Kehrein kirchen- u. relig.
lieder 58;
entsprechend gut IV B 2, vgl. gutwillig 2 b y :
(dasz der kaiser) ir nimmer gsebe dheinen man,
wan dem si gern wser Untertan
mit güetlichem willen
Jans Enikel fürstenb. 287 Str.
b) von der aus freundlicher gesinnung hervorgehenden
handlungsweise und ihren ergebnissen, vgl. gut IV C und
igüte 3 b.
a) häufig von wort, zusprach, bitte u. ä.:
güetllchiu wort mit triwen war
Bint guot gein werden wfben gar
Ulrich v. Lichtenstein frauend. 1331 B.;
enkanst du nüt vü getün, so tu doch ie etwas, es si mit
innewendiger oder uswendiger barmherzikeit oder sprich
im (dem nächsten) doch ein güthch wort zu Tauler
pred. 148 F.;
nach diesem so gehet fein hurtig zum tantze,
versuchet mit gütlichen werten die schantze
MORHOF urUerr. v. d. dt. spr. (1682) 2, 110;
nlht güetllcher Sprüche redet er (Hagen) der zuo
Nibelungen (hs. 0) 1500, 2 Bartsch;
bitt hiemit ein gnedige auch güthche antwort V. Schu-
mann nachtbüchl. 82 B.; diesen knaben allen soll auch ge-
sagt, bevolhen und sie darzu gehalten werden, das ye
einer dem andern, so er das an ine begert, seiner lection
guthche underweisung thue ordn. d. vier lat. schulen
um 1500 in: samml. selten geword. pädag. sehr. 13, 147;
er tet den sttgen und den wegen .
mancgen güetllchen segen
die mich gewiset beten dar
Hartmann v. Aue Iwein 358 ;
manigen guotlichen segen
tete man nach in {den abgesandten)
Ottokar v. Steiermark reimchron. 38695 Seem.;
got 16ne iu, frouwe, daz ir hie
mir gebt so güetllchen tröst
Wolfram v. Eschenbaoh Parz. 329, 17;
so heb ick dit . . . uwen vader gescreven, byddende rades
unde holpe van em myt mer gutlicher bede (v. j. 1486)
bei Steinhausen privatbr. d. mittelalt. 2, 96 ; ist derhalben
mein guthche bitte Luther br. 5, 125 de Wette; mehr
nach c hin 'wort in gute' gegenüber der strengen rede oder
tätlicher auseinandersetzung : so . . . solche unzimhche be-
schwerde über unser oder der unsern gütliche erinderung
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GUTLICH A 1
GUTLICH A 1
1460
der billigkeyt und des rechten nit abgestelt werden wölte
Bamberger halsgerichtsordn. 115 Kohler-Scheel; die säu-
migen und fahrläszigen (möchten) zu beszrer beobachtung
ihrer pflicht durch gütliche und nach erfordern ernstliche
erinnerungen angehalten werden v. Fleming Soldat (1726)
158; auf noch einiges gütliches zureden Schnabel insel
Felsenburg (1731) 2, 31; so nöthigten diese ihre tochter,
halb durch ernst, halb durch gütliche zuredung, ihm ihre
hand ... zuzusagen A. G. Meisznee skizzen (1778) l, 75;
versuch ich eines nocli — ein gütlich wort
Mich. Beer s. w. (1835) 310;
da haben er und die frau meisterin den trunkenen mann
mit gütlichen Worten sanft gerüttelt Stobm s. w. 6, 95;
herzog Bernhard sucht durch gütliche Vorstellungen die
unzufriedenen umzustimmen Hebbel w. 9, 149 W.; noch
anders, entsprechend mit gute (vgl. ^güte 3 d ;3 ßß), in (der)
gute (vgl. ^güte 3dß yy) 'freiwillig' : der gefangenen vettel
gutliches bekenntnusn bei Klingneb dorf- u. baurenr.
(1749) 3, 315,
ß) von handlungsweise und handlungsergebnia:
umbe sine hulde und sinen gruoz
so diente si ime alle wege
mit ir güetllchen pflege
Hartmann v. Aue arme Heinrich 310, vgl. 349;
gleichwohl durffte es ihr auch nach deren abgange an
beystand und gütlicher pflege nicht mangelen Besser
sehr. (1732) 2, 351; wir werden . . . nach einigen tagen
gütlicher pflege wieder in das schrecklichste wetter hin-
ausgestoszen Göthe 33, 47 W.;
sun des Sigemundes mit güetlichem site
spracli zuo sInen heleden
Nibelungen {hs. o) 690, 1 Bartgeh;
des selben wolte ich gerne biten,
daz man mit guotltchen siten
und BÖ min wort vernjeme
als ez dem lande zaemc
GOXFRID V. Straszburq Tristan 8796;
mit güetllchen 6ren (ehrenbezeugungen) man gap in allen
genuoc
Nibelungen 805, 4 Bartsch;
ich bitte euch, lieber meister Hans, last die ding also
westan guttlicher weysz und schreybt dem Heydelberg
nicht unfreundlich brieff (v. j. 1504) bei Hase d. Koberger
(1885)xcvin; auf das konkrete ergebnia des handelna über-
tragen:
(Oawan) danctem verjen unt der tohter sin
. . . ir güetlicben spfse (beköstigung)
Wolfram v. Eschenbach Parz. 623, 9;
wizzint, herzeliebe mone, daz ich uhern gütlichin brief
wol verstanden han bei Steinhausen privatbr. d. mittelalt.
1, 9; dorumbe denne em geleite unde gutlichen zcustehn
(beistand) von unsern hern zcu wart geschreben uf eine
namhaftig czit urkundenb. d. stadt Freiberg i. S. 3, 219.
y) speziell im gegensatz zum strengen oder gewalt-
samen vorgehen (vgl. ^güte S d ß ßß und yy) mit, in
gute: sunder zum andern, das wir mer begeren ir
gütliche stroff und manung Geiler v. Keisersbero
bilgersch. (1512)0 1*^; anstatt durch eine gütliche be-
handlung die gemüther wieder zu gewinnen, (forderte er)
von den vornehmsten des adels . . . geiszel M. I. Schmidt
gesch. d. Deutschen (1778) 3, 362; Trautmannsdorf, der zu
einem gütlichen verfahren (gegen die Niederländer) neigte
Ranke s. w. 31/32, 357; man machte vergebens gütliche
versuche, sie herauszubringen Göthe 12, 52 W.; entweder
das man mit schwerts gewalt die halsstarrigen strafifete
oder das man sönliche und gütliche mittel und wege für
die hend neme Mathesius ausgew. w. 3, 182 L.; eine ge-
sandtschaft . . . die dasjenige, was mit gewalt nicht ge-
schehen konnte, dm"ch gütliche mittel zu bewirken ver-
suchen sollte Gottsched d. neueste (1751) 4, 523; gütlicher
weg 'weg friedlichen Verfahrens'' : wollte er aber den güt-
lichen weg einschlagen, so verspreche ich ihn Schtjbart
br. 1, 192 Strausz; dem entgegenzutreten, hielt er für
seine seelsorgerpflicht, wenn es ging auf gütlichem wege
W. V. PoLENZ Grabenhäger 1, 242 ; so auch in juristischer
Verwendung einen streit auf gütlichem wege beilegen, sich
auf gütlichem wege einigen u. ä. statt des adv. gütlich.
c) namentlich in juristischem Sprachgebrauch aus den
präpositionalen Wendungen von gute 4 entwickelt.
a) 'freundlich^ d. h. ohne anwendung von Zwangsmitteln
(tortur) bei der bef ragung des angeklagten: diser span kam
zu gutlicher verhör Knebel chron. v. Kaisheim 94 lit. ver.;
obwohl Christoph auf befragen dem herrn judici nach
allen umständen die warheit bey gütlichem verhör von
diesem actu (hätte) entdecken sollen Chr. Thomasius ged.
u. erinn. (1720) 2, 42;
inquisitin musz man morgen laden,
heute geb Ich gütliches verhör
• SCHiLiER 1, 193 G.;
sagt an guetlicher frag (v. j. 1528) bei Fischer schwäb.
3, 968; die gütliche frage der peinlichen vorgehen lassen
inquirere un reo premieramente colle buone Krämer t.-ital.
1, 583".
ß) 'auf dem wege freundschaftlichen einvernehmens ge-
schehend' von Verhandlungen und Verfahrensarten: darumb
wir ... zu einer gutlichen, unverdingten verhörung
kumen sein städtechron. 2, 72; und als er die nit zu halten
torst und sorg het, wo sie niderlegen in groszen nach-
tail bringen wurd, darum begert er guetlicher handlung
WilwoU V. Schaumburg 45 lit. ver.; er . . . könte dem
könige unverfängliche, gütliche, billige handlung zu
einem . . , allgemeinen frieden an seinem ort leichtlich
einräumen v. Chemnitz schwed. krieg 2 (1653) 30; yhnen
gütlicher underhandlung ... zu bewilligen Luther 18,
337 W.; die Voraussetzung . . ., die Zustimmung des
papstes durch gütliche Verhandlungen erlangen ... zu
können Mommsen red. u. aufs. (1905) 87; wo königliche
be willigungen fehlten, . . . traten gütliche auseinander-
setzungen ein Raumer gesch. d. Hohenst. 5, 57; durch
gütliche Verständigung mit dem doch nur unterge-
ordneten Inhaber des landes Ranke s. w. 25, 18; je mehr
nun bei der gröszeren Verwickelung die gütliche einigung
wünschenswerth, je weniger war der wille dazu vor-
handen Moltke ges. sehr. 2, 155; unter allen geheimen
räthen war nicht einer, welcher nicht ... zu einer güt-
lichen vermittelung . . . riethen Lohenstein Arminius
(1689) 2, 823^^; (es) pflegt ein solches decisum insgemein
zur gütlichen entscheidung zwey generalen von beyder-
seits armeen aufgetragen zu werden v. Fleming soldat
(1726) 807;
der kaiser hat gesendet einen herold
imd lädt euch ein zu gütlichem gespräch
Grulparzer s. w. 6, 79 Sauer.
y) 'auf freundschaftliche, friedliche weise erreicht' vom
ergebnis des Vergleichsverfahrens und dem daraus folgenden
zustand des einvernehmens, vgl. gutlicher entscheid arbi-
trium Diefenbach gl. 44^: ist ain gutlicher spruch
(Schiedsspruch) . . . beschehen (v. j. 1493) bei Fischer
schwäb. 3, 968; sich haltend offt hendel in solcher ge-
stalt, das darüber richter, entscheider oder schidlüt in
rechtlichen oder gutlichen spruchen zehaben nodt sint
Fe. Riederer rhetorica (1493) a 5^; diese böse sache zum
ende oder gütlichen abtrage fördern Luther br. 4, 658
de Wette; ein widerversünung, gütliche vertragung recon-
ciliatio Calepinus XI ling. (1598) 1231*; gütlicher vertrag
amica transactio Zehner nomencl. (1645) 113; mit solchen
titeln würde der sache nicht abgehoKen, er bäte, man
möchte ihn zu einem gütlichen vertrag oder zu einer
vernünftigen rede anhalten Chr. Weise d. drei klügsten
leide (1675) 47;
nichts weiter von vergleich, von Unterredung,
von gütlichen Vertrags fruchtlosem versuch
Gkiliparzer s. w. 5, 79 Sauer;
(der Seeräuber hat) sich auch endlich vor diese vestung ge-
legt, selbige mit gütlichem accord aufzugeben anforde-
rung gethan Jürgen Andersen orientalische reisebeschr.
(1696) 91 Olearius; gütlicher vergleich accordo amichevole
Kramer t.-ital. l, 583^;
ob denn, eh man zu felde geht,
kein gütlicher vergleich zu hofifen steht?
Weichmann poesie d. Niedere. (1721) 2,278;
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GÜTLICH A 2
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1462
vielleicht, wendet man ein, es sei . . . ein gütlicher ver-
gleich dahin zu vermitteln, dasz J. Moser s. w. 2, 138 A.;
überdem war zu einer gütlichen vergleichung beyder
kirchen damals noch die wahrscheinhchste hofEnung vor-
handen Schiller 8, 8 0.; eine gütliche beylegung durch
einen schiedsrichterlichen spruch M. I. Schmidt gesch. d.
Deutschen(1778) 4, 30 ; ob der staat durch eine gütliche Über-
einkunft . . . sein miszlungenes ehebündnis mit der kirche
trennen . . . wird Schleiebmacher red. üb. d. relig. 212;
die hoffnung . . . dasz man doch noch zu einem gütlichen
abkommen gelangen würde Räkke s. w. 16, 128; auch
ein gütliches loskommen wäre hier am ende nicht so
schwer Hebbel br. 4, 149 W.; er sollte herrschen, wie Ales-
sandro herrschte, er soll sogar mit diesem unterhandelt
haben in der stille, um eine gütliche theilung der gewalt
herbeizuführen H. Grimm Michelangelo 2, 204; he nam
die sache uff von on beidin unde machte einen tag unde
ein guthch sten ('Waffenstillstand') biz uff sente Mertins
tag KöDiz V. Saalfeld leben d. hl. Ludwig 49, lo Rückert;
in der nacht {ist) inkomen schrifftUch und mündlich, das
dy dingk eyns gütlichen Stehens sich in warheit so dir-
geben haben, dorumb so brechen wir heute wider uff und
zihen ein jeder theil wider in sein heymeth (v. j. 1469) in:
fontes rer. Austr. II 20, 366; daz ir darauf mit dem ob-
genannten . . . von der bemelten Sachen wegen ainen
gutlichen anstand [friede) haltet {v. j. 1451) lehnsurk. u.
besitzurk. Schlesiens 1, 411;
die Griechen und Troyaner all
ersuechen dich Id gleichem fall,
das du zu ihnen wollest tretten,
gütliche bündtnusz zu bestetten
Speeng Ilias (1610) 34'';
gütlicher abschied congedo, partenza ä bocca bacciata
Kramer t.-ital.. 1, 58Z^; der böse wolf ... faszte den
gleiszenden entschlusz, mit den schäfern auf einem güt-
lichen fusz zu leben Lessing l, 224 L.-M.
ä) in äUerer rechtssprache auf den termin des sühnever-
fahrens angewendet gütlicher tag: daz dieselben fursten
und herren suUen komen czu Strelicz achte tage noch
sente Martins tage czu eyme gutlichen tage {v. j. 1372)
lehnsurk. u. besitzurk. Schlesiens 2, 445; wie dann zu ver-
gangen guetlichen tagen auch fürgschlagen were worden
verhandl. üb. Thomas v. Absberg 3 lit. ver.; es sol auch
nieman . . . glait haben oder gegeben werden, uszge-
nommen zu höfen, rechten oder gütlichen tagen urk. z.
gesch. d. schwäb. bundes 8 lit. ver.
2) zu anderen bedeutungen von gut nur vereinzelter ge-
bildet.
a) zu gut I; entsprechend gut I A 1 a im sinne 'nütz-
lieh': ist dir danne guotlihhora {erit tibi utiliv^) Graff
4, 170; zu gut I A 3 b : unser gutlicher rat kan an dir nicht
gehelfen ackerm. a. Böhmen 35, 20 Bernt; zu gut IA4:
ordenlich, gutlich analogice Diefenbach gl. 33*; thet
thiu sone se natheUk a,ndgodHik('zweckmäszig') Rüstringer
ms. 77, 20 bei Richthofen afries. 779''; zu gut I C
'günstig': das schöne aug der weit, die sonn . . . wird
betrachtet . . . von einem Sterndeuter in ihrem gütlichen
oder unglücklichen einflusz auf diese erde J. J. Scheuch-
ZER physica (1711) 1, 2.
b) zu gut II A 5 ganz allgemein 'herrlich, hehr, prächtig' :
was thftr gard gödük
paradtse geltk
endi gröni wang
Ediand 3136 Heyne;
. . . than t^gid be iu en gödllk hüs
höhan soleri tbe ia bihangan al
faganin fratahun
4543;
entsprechend von Christus:
endi siu so sübro drög
al te huld! godes helagna gest,
gödllkan gumon 336;
lat iu ir namen schriben,
wan der ist harte here
und heizit guotliche ere.
diu ist ze himel also groz
HUQO V. Lanqenstbin Martina 274, 2 E.,
wohl nur irrig statt guordiche ere une 246, 77 u. ö.
c) zu gut III A 'lieblich, behaglich, erfreulich, vorteilhaß'
in jungen belegen, die wohl z. t. sekundär aus derformel sich
gütlich tun {s. B 1 f ) poetisch stilisiert sind: lauter gütliche
gerüehe um mich her machten, dasz nach und nach alle
meine sinnen von entzücken trunken in . . . wollüstige
Ohnmacht einschlummerten Heinse s. w. 3, 86 Seh.; die
liebe zu einem gütlichen leben macht uns oft handlungen
begehen, die . . . F. W. Meyer Dya-na-sore (1787) 4, 417;
wenn er nicht das gütliche Wohlbehagen und die naive
trunkenheit dieser verse fühlte Herder 15, 19/8.; hier
fand sich, wie man zu sagen pflegt, eine sehr gütliche,
erwünschte partie Göthe 29, 99 W.
d) zu gut V A 2 'fromm, heilig' :
. . . enti dar warun auh manake mit inan
cootlihhe geista ento cot heilac
Wessobrunner gebet 9 hei MÜllknhoff-Scheebe denkm. 1;
zu gut V B 'sittlich vollkommen', mit einschlag von gut
VAle:
din güetUch geläz mich twanc
daz ich dir beide singe al kurz od wUtu lanc
Wolfram v. Eschenbach lied. 7, 33 L.;
zu gut V B 3 a : solcher güthcher wercke ir lu-sache wert,
und euch got darumb besundem lone geben würde Arigo
decam. 231 K.; zu gut V B 5 a:
swaz so ir habet vernomen, daz behaltet vil wol
ir selbe unde diu chint: daz sint giitelichiu dinch
immir ewicblichen iu selben saelichlichen
genesis u. exodus 154, 18 Diemer;
er sol sich vlizzen geren,
wie er werde zu eren
mit gutlichen dingen
kl. mhd. fabeln u. lehrged. 3, 129, 72 Rosenhagen.
B. adverb.
1) zu gut IV 62«;. ^güte 3 und 4 im sinne 'freundlich,
gnädig, willig, freundschaftlich, friedlich' ; namentlich in
mhd. spräche in der form guotliche, guotlichen und güet-
liche, guetlichen stark ausgebreitet, solange gut noch nicht
selbst adverbial verwendet werden konnte.
a) im sinne von gut IV A 1 b 'freundlich, wohlwollend,
liebreich, gütig' von der art und weise, wie sich die ge-
sinnung von personen äuszert, vgl. guttleich, stenfftmut-
tikleich benigne Diefenbach gl. 71"; senfftiglich, gütlich
amanter, amice, affabiliter, benigne, blande etc. Albebus
nov. dict. (1540) 8''.
a) bei verben der avsdrucksgebärde, vgl. kuotlicho weinon
(pias lacrimas) daz leid wende Notkeb 1, 61 Piper;
dd sach diu küniginne den recken guetlichen an
Kudrun 416, 6 Martin;
sO si begunde lachen
güetllche z etellcher stunt
KONEAD V. WÜEZBUEa Trojanerkrieg 19977 ;
sie redeten auch miteinander und lacheten einander gar
freundtlich und gütlich an buch d. liebe (1587) 98**;
den (könig) gruozt er guotlichen sä
von unserm vater dem bäbst
Ottokae V. Steiermark reimchron. 24463 Seem.;
mit armen er ex (das kind) umbevie
und kust ez güetllch an den munt
Jans Enikel weltchron. 3973 Strauch;
eine nam die ander gütlichen und freundlichen in ire
arme Wigand Gerstenberg chron. 6 Diemar;
si {die frau) sol gütlich gebaren,
Ir mannes willen varen
der scelden hört 6137 Adrian;
Woltrost streicht gütlich seinen hart
J. V. ScHWAKZENBERQ d.teutsch Cicero (1535) 157";
ebenso von der gesinnung selbst:
das gein im were nicht Laban
alse gütliche gemüt
Rudolf v. Ems weltchron. 6421 Ehrism.
ß) vom gesinnungsausdrv^k durch rede, Zuspruch,
mahnung, Unterweisung u. ä.:
swer in (den frauen) von hertzen guotes gan
und güetlich gegen in sprechen kan,
der mac ir hulde wol bejagen
Ulrich v. Liohtenstein frauendienst 1331, 4 B.;
(Vtilcanus) sprach seiner mutter gütlich zu
Sfbeng Iliat (1610) 12*;
92*
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mit den (andersgläubigen) ensüUent ir nüt vil redendes
haben denne gütlichen ja und nein Tatjlbr pred. 387 F.;
dann an einem guten botten lyt, daz er sein bottschafft
mindren und meren künd, güthch und grüszlich reden
A. V. Pfokr buch d. beisp. 105 lit. ver.;
diu maget ist eilende vrouwe ir ault si güetllchen leren
Kudrun 994, 4 Martin;
hie sol man sie gutlich unterrichten und sie nit frech
vorachten Luther 6, 247 W.; so er sach dii armen herzen
in dem jemerlichen lidene, so ward er mit in weinende
und tröste sü güthch Sbtjse dtsche sehr. 117 Bihlm.; es
ist . . . gahr freundlich geantworttet, so guthMch kondte
ich nicht antwortten Luther 33, 587 W.;
auch wer das in gesellschafft trag,
eim andern gütlich undersag,
so er sein bruder irren sieht
K. SCHBIT Orob. 4993 ndr.;
formelhaft namentlich güthch bitten, güthch danken:
Küdrün bat ir mnoter güetllchen sint
Kudrun 1579, 2 Martin;
bitte gar güthch e. g. und g. wollten mir diese schrift
zu gut halten Luther br. 3, 647 de Wette;
Fridrauna euch gütlich dankt,
dasz ir ir euren wein habt geschankt
fastnacMsp. 1, 451, 23 K.;
wenn du wisztest, das yemant dein kind von dem todte
errettet hette, du würdest demselbigen güthchen dancken
Luther 26, 209 W.
y) bei verben des Handelns :
swer aber äne koufes ir gäbe ihtes gerte,
si wären in dem willen, daz man ir manegen güetitche
werte
Kudrun 325, 4 Martin;
(dasz er) . . . mich so güetlichen liez
mit der juncvrouwen ezzen
Hartmänn V. AuK Iwein 362;
sin und sincs rosses vil güetllch man dfl, phlac
Wolfdietrich A 560;
Petrus quam dar alzuhant,
den si gutlich entphiengen
1^ passional 657, 87 K.;
die barmherczikeit war die thorwerterin, welche gutlich
einliesz, die do quomen buch geistl. gnaden (1503) 90^;
sestzehen güde kleyne swere göldin als tzü Bützpach
genge und geneme syn, dye se uns güthche geluhen han
Niederweiseier urk. v. j. 1377 (handschr. beleg); als die-
selben bitten, ine gelt zu lijhen, guthchen abslagen bei
Bücher Frankf. beruf swb. 113^; so viel weysz ich, dasz
mich ein bürger zu Paris gütlich erzogen buch d. liebe
(1587) 29C; so wirst du mir selbst zu einer erkwikkung
güthch verstatten dich zu trösten Butschky hochd.
kanzelley (1659) 888.
b) entspi-echend gut IV A 1 c und ^güte S aaßß bzw.
yßß im sinne 'gnädig^ ; vom handeln der göttlichen personen:
wie möht er (der hl. geist) gutlicher getun
anegenge 10, 61 Sahn,
des nim du {gott) gütteklichen war
und geruch dich och erbarmen
SCHWEIZER Wernhbr Marienlehen 280 Päpke;
der vadir wirkit gewaldicliche in der sele . . . und der
heüege geist guithche mit der gude parad. anime intell.
12, 15 Strauch;
wie gar gütlich,
herr, hastu mich
wider zu dir lan wenden
mit deinem wort H. Sachs 22; 86 O.
mein gott und höchstes gut
zu dir mich gütUch lencke
Fr. Spee güld. tugendbuch (1649) 254;
ebenso von menschen, besonders der obrigkeit, respekts-
personen u. ä., oft in formelhafter anrede;
er bat in vergebens,
daz er in müeste toeten
des liez er sich niht nceten,
er (der Tcönig) vergap im guotlich
Ottokar v. Steiermark reimchron. 3405 Seem.;
ein rate . . . woU . . . gütlich ansehen, das sein sun also un-
wissend zu den dingen komen sey städtechron. 2, 75, vgl.
32, 281 ; dar umb ich euch bitte, mir guttüch und gnedigk-
lichen zu erlauben und solches kein beschwerung haben
Warbeck Magelone 57 B.; dorumb bitten wir unter-
tenighch dein gnad, du wollest unsere botschaften gütt-
lich und gnediglich verhörn C. Hedio chron. Germ. (1530)
154'''; (der) bittet . . ., dasz er gütlich gehöret werden
möge Kirchhop milit. discipl. (I602) 222.
c) entsprechend gut IV A 2 und ^güte 3 a ^ in mehr
passiver wendung; im sinne 'willig\'
der vatir sprach er soldez im sagen unde dehein wis niht
verdagen
daz tet Joseph guotlichen, er sprach gezogenlichen
genesis u. exodus 74, 7 Diemer;
si leiste güetllchen allez daz man hiez
Kudrun 1021, 1 Martin;
wand ich die not wold iemer güetllche Itden,
het ich von schulden verdienet den haz
Friede, v. Hausen in; minnes. früM. 44, 9;
unde sollent dy daz guthchen von uns nemen ane wider-
spräche urk. V. j. 1373 in: Limburg, chron. 125 Wysz; disz
alles . . . verhieszent die undertanen herrn Arnolden von
Strethngen mit gutem wiUen unverdrossen, unbezwungen,
güetenkhch, stark und unzerbrochenkhch ze halten
Stretlinger chron. 49 Bächt.;
(er tat) als dann noch thüt manch gschickter man
und nara die sach (das anerbieten) gar gütlich an
P. Gencienbach 263 Göd.;
laz öch uz dinem mute
den jamer nach dem gute,
daz du gclazen hast dur got;
wis gütlich arm dur sin gebot
KUDOLF v. Ems Barlaam 385, 30 Köpke;
sehg sind die solches glauben, und verzeihen sich güthch
der weit ehre, schmuck und lohn J. Mathesius Sarepta
(1571) 97*';
des du nicht kanst gekeren (ändern),
dat salstu goetllck lyde leren (erdulden lernen)
HuSEMANN spruchsamml. 71 Weink.;
'bereitwillig^ : sohch bit ich giethch uffgenommen hab
H. Braunschweig chirurgia (1539) b 1^; im sinne 'ge-
duldig, nachsichtig, milde':
iz zimet wol guten wiben
daz si allen zom vertriben,
und soln ez idoch mit minuen
gutlich überwinden
kl. mild, fabeln u. lehrged. 3, 129, 163 Rosenh.;
wir (sollen) ausz heb unsers nähesten gebrechen güthch
und senfftmütiklich leiden und vertragen bei Tauler
sermones (1508) reg. 5^h; übersihe gütlich was man dir
thüt Geiler v. Keisersbeko bilgersch. (1512) 32^; 'fried-
lich'': denne . . . süUent si ir gute übunge tun ... in
friden und guthchen nach gotz wülen Tauler pred. 179
F.; mitten yn der mordgruben güthch leben Luther bei
Dietz 2, 190".
d) vielfach im gegensatz zum strengen oder gewaltsamen
verfahren, vgl. mit gute, in (der) gute ^lnter ^güte i d ß.
a) im sinne 'auf friedliche weise, in gute': das getreng
aufzuhalten und unsers hern rex laute gutleichen dannen
zu weiszen (16. jh.) städtechron. 3, 369; man sag yhn güthch
die warheit, wollen sie nit, lasz sie fern Luther 7, 601 IF.;
gleichwol der könlg an dem end
das gantze griechisch heer behend
gütUch vermahnet abzuziehen
Spreng Ilias (1610) 13»;
lasset euch begnügen, dasz wir noch so güthch mit euch
verfahren, wie müssen es andere machen, so gar nichts
in vermögen haben Schoch studentenleb. (1657) h 5^;
vielleicht, dasz gütlich man noch beyden Übeln wehrt
Ayrenhoff w. (1814) 203;
aus dem verschiedenen tone . . . und aus den bewegungen
. . . schien er wechselsweise zu fragen, zu prahlen, zu
drohen, herauszufordern und dann uns wieder güthch
zuzureden G. Forster s. sehr. 1, 192; dasz Grattenauer
zuerst gütlich geschrieben, hat ihn vermuthhch noch in
der tohheit getroffen Caroline br. 2, 94 Waitz; vgl. mund-
artlich güetla 'in gute, schonend, verträglich' Lexer
kämt. 128.
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GÜTLICH B 1
GÜTLICH B 1
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ß) im sinne ^freiwillig, widerstandslos':
weit ir niht güetltchen
miner bete entwichen
80 geschiht ez under iuwem danc
Haktmann V. Aue Erec 3830;
darumb beger ich, daz du mynen wiUen früntlich
vollbringest, ob das nit gütlich beschehen mag, du
wurdest dar zu bezwungen mit dem schwert Steinhöwel
de dar. mul. 172 lit. ver.;
darumb zeuch gütlich von mir ab
H. Sachs 5, 68 K.;
wirst du desz gütlich tretten ab,
so ist es gut und gibt kein streit
J, Ayrkr dram. 28 K.;
hofft (spricht sie) nicht, durch läugnen zu entgehn,
man wird euch bald die zungen lösen können;
und werdet ihr nicht gütlich eingestehn,
so soll euch mir der gott zu Delfi nennen
WIELAND s.w. (1794) 10,133;
bezal gütlich ante temjms solvo Alberus nov. dict.
(1540) 44b,
y) objektiv; 'in frieden, ohne gewaÜanwendung': hier-
umb so bescheiden . . . wir euch deszhalben einen tag
au£f das . . . new jar . . . gein Präge zu kommen und die
Sachen dieweU gütlichen bestehen lassen {v. j. 1466) in:
fontes rer. Austr. 11 20, 420; deszhalb er understündt, den
krieg gütlich abzustellen Ca»bach Livius (1551) 29 *; wir
waren mit hellem, wüthigem häuf herum, und er oben
aufm kirchthurn woUt gütUch mit uns handeln Göthe
8, 140 W.; laszt uns sehen, ob wir mit den männem nicht
gütlich zurecht kommen können Chph. v. Schmid ges.
sehr. 1, 59; die capitalisten fuhren fort die kleinen besitzer
auszukaufen . . . wobei es begreiflich nicht immer gütlich
abging Mommsen röm. gesch.* 2, 82; 'in frenndschafl,
ohne streit': also scheiden se gutliken van deme koninge
städtechron. 7, 332; do nam er gütlich sein abschied Thym
Thedel v. Wallmoden 1073 Z.; so schieden wir für heute
gütlich MöBiKE w. 1, 239; 'einträchtig': mith thinere
wive skaltu godUike libba Rüstringer ms. 132, 13 bei
RiCHTHOFEN ofries. 779''.
e) besonders häufig von der juristischen Verwendung von
^güte 4 ausgehend im sinne 'auf dem wege der einigung,
im Vergleichsverfahren'; so sich gütlich vertragen, ver-
gleichen u. ä.: sie wollen sich der Sachen gütlichen
mit eine vertragen lossen Schboeder oberrh. stadt-
rechte l, 1; item, es soll ein jeder, wie er von seinem
forier losiret wirdt, sich deszselben vorgnügen lassen
undt sich güthch undt freundlich vertragen acta publ.
1, 124 Palm; wir müssen uns gütlich vertragen G. Ste-
phanie D. J. s. singsp. (1792) 52; dasz ihr euch allhie in
meiner gegenwart . . . gütlich vergleichet Agyrtas
grillenvertreiber (1670) 210; dasz er sich aber gütlich mit
ihm über das Athen(äum) vergleiche, ist mir sehr un-
wahrscheinlich Caroline br. 1, 233 Waitz; item von des
waldts auszerhalb des Schellnperg, darumb sy zwayg
(ztoieträchtig) sindt, auch des gehags wegen, soll zwischen
hin und vierzehen tegen nach sanct Georgentag schierst
konfftigen darumb in beschau geschikht, und fletz ge-
than, damit sy gütlich veraint werden {v. j. 1458) v. LoRi
baier. bergr. 52;
gütlich sich die brüder nun vereinten,
auszutheilen alle ihre erbschaft
J. Gkimm kl. sehr. 1, 410;
also wurdent si {abt und manche) gütUch mit einander
vereinbart Äo. Tschudi chron. Helvet. 1, 68; eine sache
gütlich hinlegen, beilegen u. ä. : die sachen gütlich und
friedlich hin zulegen Luther bei Dietz 2, 190*»; die vor-
bestympten irrung all werden daselbs gütlich hingelegt
7irk. z. gesch. d. schwäb. bundes 41 lit. ver.; unter dem
scheine, die brüderliche Uneinigkeit gütlich beyzulegen
Lohbnstein Arminius (1689) 1, 231^'; Max, ich wollte
deinen streit mit dem ehrenmanne gütlich beilegen
G. Freytag ges. w. 2, 48; und sollen hiermit angezceigter
yrrunge gentzlich und gutlich geschieden und geeynet
seyn und bleiben {v. j. 1497) bei Michelsen apecim. cod.
diplom. Jen. 16;
weil nun drey Ijronen sind gütlich entschieden
J.Rist iriedejauchz. Teutsehl. (1663) 188;
weil er den alten streit mit Nürnberg gütlich geschlichtet
A. v. Arnim w. 9, 6 Qr.; {diejenigen konfiikte,) die nicht
gütlich ausgetragen werden konnten, gelangten . . . vor
die zweite Instanz hdwb. d. staatswiss. 4, 408; dise be-
schwärtsartiggl entweders giet- oder rechtlich abzuhelfen
{v. j. 1638) österr. weist. 10, 235; weil er jeden lärm scheute
und ihm daran lag, die sache, zwar durchaus nicht güt-
lich, doch in aller stille abzumachen Anzengruber ges.
w. 3, 139; entsprechend mundartlich s güetlich machen
sich in minne vergleichen Staub-Tobler 2, 557.
f) mit personalem objekt in festen verbalen Wendungen
im sinne 'auf freundliche weise mit jemand verfahren,
jem. angenehmes erweisen'.
a) stark ausgebreitet namerUlich gütlich tun, mit perso-
nalem objektsdativ einem gütlich tun 'jem. freundlich be-
handeln, jem. gutes erweisen'.
aa) in allgemeiner Verwendung: das ir herrn Fridrich
. . . gnedigelichen und güetlich thuet {v. j. 1313) bei
v. Brandis landeshauptl. v. Tirol 50; ein bischof zu
Palborne . • ., der regirete den stift zu Palbome gar
herUchen . . . unde gap rittern unde knehten . . . phert
unde gut unde det auch armen luden zu male gutlichen
Limburg, chron. 83 Wysz; das ander {gebot) das man die
fyend heb hab und yn durch gott gütlich thüg d. eung.
wiszheit betbüchl. (1518) 204 *; liesz Joseph auch nicht
unterwegen, seinen brüdern gütlich zu thun Grimmels-
HAFSEN 4, 840 Keller; der meisten arbeit zielet auch nicht
so wol dahin ein werck auszumachen, als anderer vor-
haben zu zernichten und mehr das menschliche ge-
schlechte zu vertilgen, als selbigem gütlich zu thun
Lohenstein Arminius (1689) 2, 1222»; bist du's nicht
allein, der dem vater gütlich thut ! der seine wohltat ist !
Klinger w. 1, 39; dich sollen alle Jungfrauen neiden, so
gütlich will ich dir thun maler Müller w. 1, 127; durch
dessen Vollendung ich es mir erst verdienen wUl, meinem
herzen güthch zu thun Sohleiermacher leben 1, 321;
'genugtuung verschaffen':
wenn Ich ihm mal die hüfte rühren kann,
so thu ich meinem alten grolle gütlich
Shakespeare 4, 26;
'freundlich behandeln' von tieren: er soll auch haven einen
haibge, dri fogelhonde, zwene winde, den sal man güt-
Uch doen in: rechtsaltert. 1, 357; intransitiv 'wohltun, an-
genehm sein' :
so lang ihr zartes feU auf flaum und ederdon ruht
nichts ihnen gebricht, was nur den sinnen gütlich thut
WIEIAND s. w. (1794) 4, 77;
ach, wie der träum mir gar so gütlich thut
KÖRNER w. 2, 54 Eempel;
und da wir noch von vielen andern gerichten reichlich
zu uns genommen hatten, fielen wir, weil es uns so güt-
lich that, in einen sanften Schlummer Heinse 5. w.
2, 60 Seh.
ßß) spezieller im sinne 'mit speise und trank traktieren,
bewirten', vgl. einem güttlich thun, wol tractiren benigne
alicui facere Cobvinus /orw lat. (1646) 109: da gingen die
erbern lüde dar unde luden der geiseler heim . . . unde
daten inen gutlichen ober nacht Limburg, chron. 34 Wysz;
ik byu ghekart in dat leste,
to nomen der heren gheste
den sus wart gutlick gedan
Braunschw. schichtspiel in: städtechron. 16, 228;
thu im gütlich Im leben sein,
beide mit trincken und mit essen
H.Sachs 19,382 K.-G.;
sie pflegten meiner . . . wol und thäten mir . . . gütlich
A. U. V. Braünschweig Octavia (1677) 1, 564; es ist auch
anstalt zu machen, dasz ihnen {den maroden Soldaten)
in speise und geträncke etwas gütlich gethan werde
V.Fleming soldat (1726) 327; wie hätte ich lust haben
1467
GÜTLICH B 2
GÜTLICHE-GÜTLICHKEIT
1468
können, meinem körper gütlich zu thun Thümmel reise
i. d. mittl. frov. v. Fr. 10, 224; '■gut pflegen, mästen' von
Heren: gibt man inen {den eseln) weytzen oder gersten-
kleyen, so thut man inen gütlich Herold-Forer Oesners
thierbuch (1563) 43; doch geschieht ihnen anders nicht,
denn wie den säuen, die man auf den koben leget und
mästet sie, und je gütlicher man ihnen thut, je näher
sie der Schlachtbank sind Luther tischr. 2, 73 Förstern,
yy) am häufigsten und noch heutiger s'prache geläufig
auf das handelnde subjekt zurückbezogen sich gütlich tun
'sich etwas angenehmes verschaffen, sichs wohl sein lassen,
sich delektieren', besonders mit materiellen genüssen, vgl.
im selbs gütUch thün, sich selbs schön und wol halten
molliter se curare Frisius 833*: und darumb so isz fluchxs
und thu dir selber gutlich, das dir der unterleger dick
bleib bei Steinhausbn privatbr. d. mittelalt. l, 129;
darumb merckt ich, das nichts bessers drinnen ist, denn
frölich sein und im (sich) gütlich thun in seinem leben
pred. Salomo 3, 12; auf einer bekandten Universität
wolten sich etliche Studenten gütlich thun Happel akad.
roman (1690) 379; ich will mir nur gütlich thun und mir
mein leben durch allerley beliebige lust vergnügt machen
Rbimärus wahrh. d. nat. relig. (1766) 537;
auf weicher betten flaumenschoos
kann man sich gütlich thun GröTHE 1, 135 W.;
während die leichtsinnigen bei guter zeit davon zu laufen
strebten, um in einem gasthause sich noch etwas gütlich
zu thun G. Keller ges. w. 6, 170; nur an den verlorenen
ähren . . ., an denen sich eine schar von gänsen und enten
gütlich tat, merkte man den herbst Gl. Viebiq d. schlaf,
heer (1904) l, 68; 'sich belustigen, vergnügen':
wie im lanb der vogel spielet,
mag sich jeder gütlich thun
SCHILLES 11, 314 (?.;
ähnlich 'sich eine genugtuung verschaffen^ : die thaten
dann sich gütlich, lieszen sich beigehn, mir zu sagen:
klage nicht, handle! Hölderlin ges. dicht. 2, 67 Litzm.
ß) seltener sind Verbindungen mit personalem objekts-
akkusativ: oych sendden ich uch dis hüntgin, . . . unde
bidden uch, daz ir is leyp halt unde güetlich doit bei
Steinhausen privatbr. d. mittelaUers l, 6; der selbig
pfaff macht es mit seinen pfarleuten also, das uff daz
wenigst zu dem jar einist must in ieder buer zu gast
haben, und in mit seiner magt ein tag oder zwen vol
halten und uff das gütlichst thün Eulenspiegel 105 ndr.;
inzwischen hielt Axel seine gefangenen sehr gütüch
BucHHOLTZ Herkuliskus (1665) 23, vgl. einen gütlich
halten trattare uno dolcemevie KIramer t.-ital. 1, 583^;
hab danlr, du tapfrer degen, und reit mit mir nach haus!
dasz wir uns gütlich pflegen nach diesem harten strausz
Uhland ged. (1898) 1, 289;
da sprach der pfaffe: ich will es gerne thun, auf dasz
euch der neue herr desto gütlicher handle br. Grimm
dtsche sagen 2, 180.
g) von bedeutungen wie gütlich B 1 d aus mundartlich
zum sinne 'sacht, langsam, vorsichtig^ entwickelt, vgl. güet-
lich gehen, güetlich trinken sachte, bequem, langsam
Höper österr. 341; gütlich langsam, bedächtig Unger-
Khull 313»; güetlich sachte Schmeller cimb. 127; fahr
güetle, dasz d nit umwirfst ! Schöpf tirol. 220 ; fahr (doch
'tue') jet güthch (Zan^sam) Müller rÄerra. 2, 1525; du must
hübsch giatlä gehn Lindermayb dicht, i. d. ob. d. Enns.
volksmundart (1822) 120;
ÖS liabn meine gesellen, gehts güatlä dran
A. Haetmann Volkslieder 211;
als einschränkendes adv. 'etuMs, ziemlich'' wohl mit gut-
lecht (s. dort) vermengt: es geit güetlich besser Staub-
ToBLER 2, 558.
2) zu andern bedeutungen von gut nur in vereinzelten
Sonderbildungen zu gut I A l 'zweckmäszig^:
. . . wenns (die wiese) tuch war, nicht mit der schere
schnitt maus gütlicher zu Mörikk ges. sehr. (1905) 1, 261;
zu gut I A 4 'geziemend, schicklich, rechtmäszig'' :
von diu sol ein iegelich man sinen vater und sin mütir lan
und sol bi sinem wibe guotlichin beliben
genesis u. exodus 12, 14 Diemer;
reden dann die hauszgenözzen, im beschech nit gütUch,
so sol man in mit rü lassen (anf. d. 15. jh.) österr. weist.
9, 681; es habs dann unser patron . . . wol und gütUch
verbeugt Paracelsus opera 2, 637 Huser; zu gut I A 5
'gewisz, zuverlässig^-
daraus gar gütlich wirdt geglaubt,
das der mann ye hab den Vorgang
H. Sachs 9, 303 E.;
wie darnach die engel weiter geordent, ist uns verporgen
doch gütlich zegelauben, daz got under denselben geisten
kain confusion oder zerüttung im anfang gestatt hab
Berth. V. Chiemsee t. theol. (1528) kZ^;zu gut III Aid:
Sm behaget wol der böte,
wan er was gutlich getan
Väterbuch 28377 Reiszenb.;
zu gut III A 5 'erfreulich^ :
ieglicher begunde jehen,
im wsere guotlich geschehen,
daz er den andern het erkant
Ottokab V. Stbiermaek reimchron. 43414 Seem.;
zu gut V B 3 :
hat ynndert ein weih ye missetan,
seyn mund das wol gesagen kan.
wo ein weih güetllchen thuot,
des hat er nicht ze sagen muot
Ulrich v. Lichtenstein frauenb. 1668 Bergm.
GÜTLICHE, /., Substantivierung des vorigen, im älteren
nhd. vereinzelt belegt; zu gütlich im sinne 'gütliches ein-
vernehmen': in der gütlichen disen vertrag gemacht {v. j.
1527) bei Fischer schwäb. 3, 968; etwas anders zu gütUch
'friedlicher zustaruT : darumb es auch biszher mehr irrung
dann gütlige gemacht hat Paracelsus chir. bücher u.
sehr. (1618) 383 Huser; mhd. guotliche 'rühm, herrlichkeit,
wollusV gehört zu guotUch, das aus guollich entstellt ist,
vgl. Lexer 1, 1123, s. awcÄgüthch köpf. — gütlichheit,
/., Substantivbildung älterer spräche mit dem suffix -heit aus
gütUch, neben häufigerem gütlichkeit [s. dort); zu gütlich
im sinne 'freundliches, liebevolles wesen', vgl. gotlicheyt
humanitas {voc. v. j. 1417) Diefenbach nov. gl. 206^: ein
mensche, der got gerne minnete . . ., der sol alle ding
von minnen tun gote zu lobe ... in senftmütiger güt-
licheit und fridelicher gelossenheit Tauler pred. 309 F.;
als 'wohlwollen, barmherzigkeiV : do (die ratsherren) de
oethmodicheit seghen erer borghere, se worden beweghet
to barmeherticheit unde nemen se to gnaden, do de
borghere bekanden de gutUcheyt erer herren . . . städte-
chron. 28, 88; als ,freundlichkeit, gefälligkeiV : alles das
uns syne Uebde zo gütlicheit wiUen und wolgefaUen
gethun und besteUen mach bei Steinhausen privatbr. d.
mittelalt. 1, 31; besonders entsprechend gütlich Ale 'güt-
liche beilegung einer Streitsache, einigung, vergleich": in
der meinung, ob icht darzwuschen noch in der gutlichait
zukommen were gewesen (v. j. 1453) act. d. ständetage
Preuszens 4, 156; wie wol uns die gutlichait, wa die leiden -
Ucher weise gefunden werden möcht, mer dann der krieg
gemaint wer urk. z. gesch. d. schwäb. bundes 46 lit. ver.;
ähnlich 'friedlich -schiedliches vorgehen, Vergleichsverfahren':
deszgelych haund die Gelter auch zu gesagt by ainem raut
in der gutlichait zu belyben und den drittail faUen ze
lauszen städtechron. 5, 100 anm. 2.
GÜTLICHKEIT, /., substantivbildung aus gütlich, im
jüngeren mhd. und älteren nhd. häufig, in neuerer spräche
nur noch selten verwendet; zu gütlich A 2 d 'heiligkeit,
vollkommenheiV : die tübe . . . meinet ouch di guotUch-
keit und lüterkeit unses herren Jesu Khristi mystiker 1,
53 Pfeiffer; zu gütUch A l aa (vgl. igüte 2 c):
ir güetlichkeit und ir name
die kenne ich sunderlichen wol
MEISTER Altswert 3 Tloll.;
etwas anders 'freundliches, liebevolles wesen': du kanst
dein ehr und guten leumbdt erhalten mit gütUchkeit
HÖNIGER narrensch. (1574) isi^'; hauptsächlich zu gütlich
Ale 'gütliches einvernehmen, vergleich, einigung' : da wars
die sach von recht genomen und zu gütlichkeit hinder
erber lute gegeben, die sie auch gütlich verdrugen (v. j.
1467) bad. weist. 1, 1, 35} deren (Maximilians) friedUeb
1469
GÜTLICHKEIT-GUTMACHUNG
GUTMANN-GUTMEINIG
1470
und gutteutsch gemüht . . . die gütlichkeit zu befördern
sich . . . bemühet (hat) Londoep acta publ. (1668) l, 240;
geladen von dem könlg dieses landes
zur zweisprach, zum versucli der gütlichlseit
Gkillpakzek s. w. 5, 66 «S.;
als 'weg der einigung, Vergleichsverfahren': und sprechen
wir ... in der gutlichkeit, das der gnante Hans T. für
den . . . meister Johansen . . . bezaln soll zwenzig gülden
(v. j. 1476) urk.-buch d. st. Heilbronn 2, 106; das er vor-
suchunge liede ... in der sache der vitzthume, die in
gutligkeit zu handeln Cammermeister chron. 170 Reiche;
um zu sehen, ob man {der klage) in der gütlichkeit ab-
helffen könte Lindenborn Diogenes (1742) 1, 736. — gut -
licht, n., volksetymologisch auf gut II A 2 b bezogen;
mundartlich für 'talglicht, unschlittkerze' im gegensatz zum
kienspan, vgl. Askenasy Frkf. 115, guetlicht Pfister
nachtr. 86, siehe gollicht. — gutloch, n., zu gut, n.,
Blg/3 als technischer terminus gebildet: die sog. gut-
löcher {im glasofen) Karmarsch - Heeren 4, 17. —
gutlos, adj., zu gut, n., Blh 'ohne besitz, arrn' : si wolden
lieber gütlos denn erlös werden Jon. Rothe Dür. chron.
478 V. Liliencr.; wente min arch gutlos wen ghutlos unde
erelos {v. j. 1414.?) Braunschw. urk. in: städtechron. 16, 82;
sulde her darumme leiplosz unde gutlosz mith aUin Unger-
schin werdin {v. j. 1466) in: fontes rer. austr. II 20, 402;
alle Völker der erde . . ., auch wenn sie ... diurch ihr
finanzministerium nicht gutlos gemacht worden, {würden)
dennoch alle rechtlich grosze, bürgerliche freyheiten in
jedem fall miszbrauchen Pestalozzi s. sehr. 6, 320.
GUTMACHEN, vb., zusammenrückung aus der formet
etw. gut machen {vgl. sp. 1235/.); 'ersetzen, bezahlen': was
der Soldat . . , bey den leuten zehren und schuld machen
würde, (soll) bey der abdanckung gutgemacht und be-
czahlet (werden) acta publ. 1, 18lPaZm(t;. ;'. 1618); 'sühnen':
wartet ruhig den äugen bück ab, wo sie selbst ... ihr unrecht
gutmachen Knigge umg. m. menschen (1796) 2, 107; 'zum
guten wenden, wettmachen': um noch zu rechter zeit ... gut-
machen zu können, was die alte (fee) verwünschen würde
J. Grimm kl. sehr. 8, 195; die frauen müssen nur zu oft das
gutmachen, was die männer verpatzen W. Weigand d. ew.
schölle (1927) 135; marinetechnisch 'ausgleichen, aufholen':
abweitung (ist) der auf einem schiffskurse gutgemachte
längenunterschied v. Alten l, 53; anders zu gut I A 2 c y
'verbessern' : carioUen (mit walzen), worauf! sich denn die
herrschafft . . . durch die aUeen herum führen lasset imd
damit zugleich dieselben gutmachen hüft Stürm vollst,
anweis. (1718)57; in anlehnung an gut IA5c)S bzw.
IX B Icy mundartlich: gutmachen '(geld) sparen, zurück-
legen, gewinnen' Spiesz henneb. 87; gutmachen 'einen
nutzen erlangen, profitieren' Bruns volksw. d. prov. Sachsen
27; substantiviert aus der formet zu gute machen, (vgl.
sp. 1344) 'aufbereiten' : die röstung wird (bei der amalgama-
tion der erze) nun noch (die dritte periode des gutmachens)
etwa eine stunde lang fortgesetzt Prechtl techn. encycl.
1, 251. — gutmacher, m., zum vorigen gebildet; entspre-
chend der bedeutung 'gewinnen' im sinne 'profitjäger', vgl.
gutmacher 'einer der stets auf vortheilhafte geschäfte sinnt'
Albrecht Leipz. 127'': bei der gelegenheit komme ich
unerwartet in das renomee eines intriguanten, eines gut-
machers F. Carion c. getheiltes herz (1858) 2, 94; anders
' besser unsser' : er ist gutmachers sein söhn Rother schles.
sprichw. 263. — gutmachschein, m., bewilligungsur-
kunde, vgl. gut IA5aa (sp. 1244): verpoten (ist), das
sich keiner zum inventirn gbrauchen (lasse), er hab dann
zuvor von seiner obrigkeit den consens und guetmach-
schein (17. jh.) österr. weist, l, 120. — gutmachung,/.,
aus gut machen (sp. 1235) gebildet im sinne 'bezahlung' :
da der restant länger als einen tag mit gutmachung der
Steuerrest verzögerte acta publ. 4, 144 Palm (v.j. 1621); 'ent-
schädigung' : allen obstechenten schaden aber solle der hal-
ter abstatten oder die herrschaf t für ihme die guetmachung
thuen (17. jh.) österr. weist. 11, 273; wenn die weit und
das leben . . . praktisch keiner entschädigung oder gut-
machung bedürfen sollten Schopenhauer w. 2, 679 Gr.;
zu gut I A 2 c y 'Verbesserung' : und also der frische mist
. . . desto besser zu befrüchtigung und gutmachung der
felder ausgebe v. Hohberg georg. cur. (1682) 2, 291*; aus
zu gute machen (gut IX B 1 b) 'aufbereiten' (vgl. sp. 1344) :
einen sonderüchen Vorsteher ... zur beystürtz- und gut-
machung der ertze von dem bergambt bestätigen zu
lassen Schönbeeg berginform. (1693) 3. — gutmann,
m., aus guter mann (s. gut II B l b und gutemann) zu-
sammengerückt; 'edelmann, ritterbürtiger' : und wuchs jars
myn here also uf dem wege ist geyn Steinheym zu riden
. . ., begenet im dan underwegen eyn gut man und
syn knecht, daz sal sin ein edelman und sin knecht
oder eyn priester und syn knecht weisth. 1, 510 (o. d.
j. ca. 1430 Wetterau), vgl. rechtsaltert.*' 1, 359; item
1 m her Jokup Mev.e eyme gutmane zu Schlochaw
Marienb. treszlerb. 552 Joach.; zu gut IA5ba 'zeuge'
bei der trauung, auch Verlobung und taufe Frischbier
preusz. wb. 1, 260 ; zu gut III A 5 mit einschlag von IV A 3 b
für jem., der sichs wohl sein läszt: lasset uns gütman
sein, fressen saufen Lavater d. buch Job (1582) bei
Staub-Tobler 4, 257; zu gut IV A 1 'freundlicher, gut-
mütiger mann': gutmann, der jungfraw vatter, spricht
H.Sachs 14,204 K.-O.; wie dann teutsche sprach vil
composita (hat) ... als gütmann, böszmann Stumpf
Schweizerchron. (1606) 543'; sprichwörtlich: guötmon ischt
kuatmon (kotmann) d. h. gute wird mit spott belohnt
TscHiNKEL sprichw. i. Gottscheer volksma. in: zs. f.
österr. volkskde 12, 141; zu gut VC 4:
und gutmann spricht zur guten frau:
'du riegle die thüre fest.* CKiTHE 4, 336 TT.
— gutmännlein, n., z« gut IV Al caßß: gutmännlein,
kobolde, gespensterchen, welche in den erzgruben herum-
wandern sollen ScHRADER dtsch.-frz. wb. 1, 586, vgl. gütel.
GUTMEINEN, n., Substantivierung aus es gut meinen
(s. gut Vn Dia) 'wohlwollen, freundliche gesinnung': (ich
habe) sie in irem gutmeinen gegen mir fort zu faren ver-
anlaszen wollen Bellin hochd. rechtschr. (1657) )( 5^; mehr
zu gut V B 1 a 'aufrichtige gesinnung' : das recht zu reden
beruht auf gutmeinen und ehrlichkeit Fr. L. Jahn w.
2, 472 £. — gutmeinend, part. adj., adv., neben häu-
figerem wohlmeinend aus es gut meinen (vgl. gut VII Dia,
ap. 1827) gebildet; im sinne 'freundlich gesinnt, wohlwollend':
mit karger rede kaum erwiederst du
des bruders liebesworte, der gutmeinend
mit ofnem herzen dir entgegen kommt
Schiller 14, 38 G.;
adverbial 'in freundlicher, gnädiger gesinnung': wir von
gottes gnaden Johann George . . . entbieten der ganzen
löbhchen gemeinde . . . unsem gnädigsten grusz . . . und
fügen denselben dameben gutmeüiend ... zu wiszen acta
publ. 4, 174 Palm; 'in guter absieht': welches gutmeinend
vorhero zu erinnern nicht ermangeln woUen Neumark
neuspr. teutsch. palmb. (1668) 42; ins pejorative gewendet
beim Widerspruch von absieht und ergebnis: die weisen und
gutmeinende leut haben land und leut verderbt Petri
d. Teutsch. weiszh. (1604) 2, R 5*'; näher zu gut V B 1 a
im, sinne 'aufrichtig' : der Verfasser, ein . . . gutmeynender
. . . kathohk allg. dtsche bibl. anh. 53-86, 1642. — gut-
meinenheit, /., aus gutmeinen abgeleitet: Uli . , . sah
doch, dasz auf des meisters seite die gröszere gutmeinen -
heit sei J. Gotthelf ges. sehr. 2, 42 ; all das unheil . . . rührt
von diesem einzigen schritt her, den sie in der herz-
lichsten gutmeinenheit thaten Chr. F. Sintenis Theo-
dors glückl. morgen 2 (1789) 25. — gutmeiner, m., je-
mand, der es gut meint, zu gutmeinen gebildet: diesen
guten raht, hoff ich, nehmen sie dem alten gutmeiner
nicht übel Gleim in: br. v. u. an Bürger 3, 293 Strodtm.;
namentlich in abschätzigem sinne: wollte jemand sagen,
ich thäte ihm hier zu viel, so bedencke ein solcher leise -
treter und gutmeiner, dasz ich seine worte planmäszig
geschrieben hatte J. G. Schütze Herrnhuthianismus
(1751) 3, 661, — gutmeinig, adj., aus gutmeinen ge-
bildet 'freundlich gesinnt, wohlwollend' : das er inen . . .
gntmeinig mit einraten wolte Schütz hist. rer. pruss.
(1592) 4, F f 4C, vgl. gutmeenich kindhearted Lambert
Pennsylv. 75^; etwas anders zu gut III A 5 a 'in guter
Stimmung': als Stüdi einmal so recht gutmeinig schien
1471
GUTMEINUNG-GUTMÜTIG
GUTMÜTIGKEIT— GUTRÖSTEN 1472
J. GoTTHBLF bei Staub-Toblee 4, 312. — gutmei-
nung,/., zusammenrückung aus gute meinung (vgl. gut
IV B 3, sp. 1295) : wollest dich sollich gutmeynung nichts
yrren lassen, meyn über M. Stifel d. coss (1553) 179, vgl.
ScHOTTEL haubtsjyr. (1663) 388. — gutmerle, /., name
des kirschpirols (oriolus galbula), s. Naumann nahirgesch.
d. Vögel 2, 171. — gutmildigkeit, /., verstärktes mildig-
keit : ausz geprauch groszer gütmiltigkeit G. Alt buch d.
cron. (1493) 142^. — gutmögen, n., intensiviertes mögen
im, sinne 'berechtigung^ : gutmögen und macht, ein abt . . .
zu erwöhlen Widmann nach Fischer schwäb. 3, 968. —
gutmutter,/., wohl entstellt aus göttmutter inanlehnung
an gut I A 5 b a 'patin\ vgl. gutmutter, pat parens my-
stica Henisch 1791.
GUTMÜTIG, adj., auch adv.; seit dem 15. jh zu be-
zeugen, doch im älteren nhd. noch selten.
1) zu gut IV B 1 ^freundliche gesinnung habend oder
zeigend', vgl. senftmutig, gutmutig animequior Diefen-
BACH gl. 35" (15. Jh.), gutmutig benevalens (l. benevolens) 71".
a) 'freundlich, wohlwollend, gütig, hilfsbereit': Leonide,
die am ersten geredt als barmhertziger und gutmüettiger,
war die erste, die ihne umb den leib fasset v. Boestel v. d.
lieb Astraae (1619) l, 27; er war so gutmütig, uns [das) an-
zuzeigen H. Widerhold beschr. d. sechs reisen (1681) l,
64^; derjenige denn, der eine person angenehm heiszet,
will damit sagen, dasz sie gutmüthig, liebreich . . . seye
discourse d. mahlern (1721) 3, 7; {ich) fand einen ziemhch
unterrichteten, sehr gutmüthigen mann in ihm Che. Fi-
scher reise (1799) 70; die Gr. {sei) eine nette person und
jedenfalls eine sehr gutmütige Fontane ges. w. I 5, 38;
wegen seines gutmütigen und sittsamen wesens, das von
der Wildheit der menschen vorteilhaft abstach G. Keller
ges. w. 6, 95; spezieller 'menschenfreundlich, mildtätig' : ein
gutmütiger krämer sammelte einige grosohen 7, 166; mit
abhängiger präposition wie gut IV A 1 b jS, 'dienstbeflissen,
gehorsam' : und hab ich euch jederzeit gegen mir willig,
gutmüthig, underthänig erkennet Heneicpetri general-
hist. (1577) 292; 'gutartig' : nicht so gutmüthig gegen die
menschen als die eidergans Fr. Schlegel in: dtsches mu-
seum 1, 134; häufig mehr passiv mit dem beisinn der nach-
sichtigen, geduldigen, milden Sinnesart: wir {sind) nicht so
gutmütig wie unsere liebe tante gegen den immer ver-
zogenen neffen Göthe 24, 108 W.; {dann) glaubt einen
der gutmüthige leser im besitz der bezeichneten eigen -
Schaft A. W. Schlegel in: Athenäum l, 2, 65; danach
gaben ein paar gutmütige zeichen der Zustimmung
Hans Grimm volk ohne räum l, 291.
b) früh mit mehr oder minder deutlicher geringschätzung
'allzu wohlwollend; wohlmeinend, aber töricht': Sordorea,
die einf eltig und gutmütig gewesen, hat Fredegondis ge-
antwort, wie sie recht rede N. Falckner frantz. chron.
(1572) 1, 61; gutmüthige Protestanten, welche sich ein-
bilden, dasjenige was sie einsehen, müsse auch die ganze
weit einsehen Fe. Nicolai beschr. e. reise (1787) 504 ; wie sich
die Zeiten verändert haben, dasz man das gutmüthige
jetzt für geistlos hält Deinhardstein ges. dram. w. 1, 21 ;
da ich aber nun schon ein gutmüthiger tropf bin, so sey
es darum Geillparzee in: jahrb. d. Grillparzerges. 1, 96;
die {freude verlieh) seinem gutmütigen gesiebte etwas an-
genehmes W. Hauff w. (1890) l, 34.
c) bei abstr actis 'aus wohlmeinender gesinnung hervor-
gehend': in ihren gutmüthigen und edlen hoffnungen ge-
täuscht Göthe IV 19, h W.; der natürliche kreislauf der
büdung {ist) nicht etwa eine gutmüthige hoffnung, oder
ein wissenschafthcher glaubenssatz Fr. Schlegel in:
Athenäum 2, 27; so fingt ihr an, uns mit gutmüthigen
kindergeschichten zu täuschen Göthe 23, 91 W.; 'gut-
gemeint, nicht böswillig': mit welcher unerschütterlichen
gleichmüthigkeit ich ihren gutmüthigen spott las G. For-
ster s. sehr. 7, 265; die briefe und ihr Inhalt {sind) nur eine
guthmütige täuschung beider Varnhagen v. Ense tageb.
1, 332; anders 'freiwillig, guiwillig': gesetze und sitten,
welche unverehelichte eitern zur freyen und gutmüthigen
erfüUung ihrer naturpflicht hinlenken Pestalozzi s.w. 9,
50 krit. ausg. ; wie gut I V A 2 b 'harmlos, ungefährlich' : mein
Wahnsinn war aber sehr gutmütiger art R. Waoner ges.
sehr, u. dicht, l, 92.
d) adverbialer gebrauch ist jung; 'mit wohlwollendem
sinn': wenn die frauen nicht . . . das leicht begonnene,
schwer zu vollbringende gutmüthig beförderten Göthe
47, 193 W.; 'nachsichtig' : was ich . . . dennoch überhört
oder verhört habe, wird man gutmütig verzeihn J. H.
Voss zeitm. d. dtsch. spräche (1802) 7; Gregor lächelte gut-
müthig über diese kriegerischen anstalten und liesz sie
gewähren A. Stifter«, w. l, 258 8.; 'in freundlicher weise,
nicht heftig': die Schorlemmer drängte die krügersfrau
gutmütig auf die türe zu Fontane ges. w. I 2, 72.
2) vereinzelt im frühnhd. zu guter mut froher mut {vgl.
gut III A 5 a, sp. 127 6) gebildet im sinne 'heiter, wohlgemut' :
wo ein gutmütiger mensch uf eim wagen mit andern fert,
der macht sie all frisch und frölich Geiler v. Keisers-
bero bilg. (1512) 129»; du solt haben ein fröüch frywiUige
und gutmütige hoffnung 25''.
GUTMÜTIGKEIT, /., zxim vorigen gebildet, verein-
zelt im 16. jh. belegt, allgemeiner erst im 18. jh. verbreitet;
entsprechend gutmütig 1 a 'freundliche, wohlwollende,
gütige gesinnung' : es wolt aber der könig ausz seiner
angebornen mute und gutmütigkeit nicht, das sie ster-
ben solten N. Falckner frantz. chron. (1572) i, i3l;
er begegnete mir . . . mit einer offnen gutmüthigkeit
Göthe 22, 103 W.; {sie) gab einem söhn wohlhabender
landleute, gerührt von seiner gutmütigkeit und herzens-
einfalt, gehör G. Keller ges. w. 5, 334; oft mehr passiv
aufgefaszt 'nachsieht, geduld, milde': wenn die gutmüthig-
keit der eitern den kindern eine unschuldige freiheit ge-
stattet, so ist wohl darauf zu sehen, ob sie wirkUch un-
schuldig ist Hegel w. 16, 197; halb aus gutmütigkeit,
empfahl ihn Tieck Fontane ges. w. I l, 231; anders 'guter
wille, bereitwilligkeit' : man denkt sich auch in die höheren
absiebten dieser lehrmeister leicht bei einiger gutmüthig-
keit hinein Jean Paul 49/53, 429 liempel; concreier
'wohlwollende handlung': es gibt augenblicke im leben,
wo wir von der summe unserer gutmüthigkeiten auf ein-
mal die ernte erheben Iffland dram. w. 9, 4, 27; nach
gutmütig 1 b mit pejorativem beisinn: du hast einen
groszen fehler ... in deinem charakter — die unbelehr-
bare, unbesiegbare, un vertilgbare, un bewegbare gut-
müthigkeit Lävater handbibl. (1773) 1, 137; {wer) meinte,
dasz die schleswig-holsteinische frage . . . gelöst sei . . .,
der hatte sich die deutsche erbsünde der gutmütigkeit
noch nicht hinreichend abgewöhnt Mommsen reden u.
aw/s. (1905)375. — gut mütiglich,adw.2M gutmütig la; im
frühnhd. bezeugt, vgl. gutt- oder senlitmuttikleich benigne
DiEFENBACH gl. 71*^: demütiglich bittende . . ., dises myn
büchlin güttmütiglich ze empfahen und zehören vor der
urtail Steinhöwel de clar. mul. 16 lit. ver. — gutofen,
m., zu gut, n., B 2 g |8 oder gut I A 2 c y als technischer
termimis: behufs der entsilberung werden . . . die spurstein -
mehle ... in gutöfen . . . geröstet Müspratt-Stohmann 4,
1851. — gutpf anne, /., zu gut, n., B 2 g ß als technische
bezeichnung: 'gutpf anne . . . heiszt auch die siedepfanne der
vitriolsieder' Jacobsson 5, 7673'. — gutpfleger, m., zu
gut, n., B 1 b 'Vermögensverwalter' , vgl. gutpfleger curator
DiEFENBACH nov. gl. 1248' {obd. anf. d. 15. jhs.), s. auch
güterpfleger sp. 1366/.
GUTRÄUBER, m., zu gut, n., B l a, vgl. gütrauber
ereptor Frisius 480**: bald versucht sich ein ehrenrauber
an unsrem guten leumund, bald ein geld- und gütrauber
an unsrem gut odernahrung E.Francisci letzte rechensch.
(1681) 934. — gutrecht, n., zu gut, n., B ^ für die recht-
liche Stellung liegender guter im schuldprozesz: wie lang ein
schuld, so mit liegendem gut gemacht, sein gutrechti be-
halten möge landb. d. hochgerichts Kloster (1833) 41 nach
Staub -ToBLER 6, 312 ; anders im sinne von 'besthauptrecht',
vgl. 'gutrecht in Schwaben servitus optimi capitis, a quo ci-
vitates quaedam privilegiis caesareis exemtae sunt' Frisch
t.-lat. 1, 386^, j;g'Z. Scherz -Oberlin 582. — gutreich, adj.,
reich an besitz, vgl. Stieler 1582: er war ein listiger, gut-
reichermannH.MEOiSER ann. Carinth. (1612) 145. — gut-
rösten, »., technischer ausdruck in der metallverarbeitung.
1473 GUTRÖSTUNG-GUTSCHEINEND
GÜTSCHER— GUTSEIN
1474
zu gut I A 2 c y: die zweite röstung (bei der nickelgewin,'
nung), das gutrösten, geschieht in muffelöfen Kab-
maksch-Hkeren 6, 338. — gutröstung, /., vom vorigen
abgeleitet: das röstgut (silber) wird fein gemahlen und ge-
langt in flammöfen zur gutröstung Lüeqeb 7, 392.
GUTS, n.,aus gutes {vgl. gut VIII Bio) kiriderspr achlich
für 'süszigkeiten, naschwerk'', vgl. auch gutsei: guts,gutzele
ScHMiD Schwab. 246, AsKENASY Frankf. 71, guds Christa
Trierer ma. 103^, gots Honig Köln. 67^, vgl. s guezi Seile»
Basler ma. 153''. — gutsäftig, adj.y guten saft habend
(vgl. gut IA2): er {hat) melaune und kürbis unter die
gutsäfiftigen gewächse gezehlet v. Hohbero georg. cur.
(1682) 2, 100; spezieller zu gut I A 2 d /3; gutsäfftig, der ein
gut frisch geblüt hat euchylos J. J. WoYT thes. (1616) 161,
— gutsage,/., rückbildung aus gutsagen {s. dort) mit der
bedentung 'bürgschaff : da zahle her — blank und bar.
für eine gutsage bin ich nicht feil, geld will ich Iffland
theatr. w. 2, 265; er {der richter) wird eine gewohnheit an-
führen über die dauer einer gutsage und ähnliches Paul
Ernst tageb. e. dichters (1934) 150. — gutsagen, vb., zu-
eammenrückung aus gut sagen, s. gut I A 5 c a yy (sp. 1247)
im sinne 'bürgen, haften': ich wü . . . für dessen Verschwie-
genheit gutsagen A. U. v. Braunschweig Octavia (1677)
1, 197; ich habe sie aber dran verhindert und für die
summe gutgesagt Lenz ges. sehr, l, 47; — gutsager, m.,
zu7n vorigen gebildet, vgl. der gutsager, bürge Bandtke
poln.-dtsch. wb. 2, llöst*. — gutsagung,/., aus gutsagen
gebildet, vgl. gutsagung, bürgschaft abbonamento Castelli
it.-ieutsch (1741) l, 4'': zuerst musz ich wissen, warum und
in wie fern es einer besonderen gutsagung für mich bedarf
H. Laube ges. sehr, ll, 139. — gutsammeln, n., zu gut,
n., 15 1 d: jj. jjg^jj^ ^j gutsamlen grosz acht
Seb. Beant narrensch. 9 Zamcke.
— gutsammlung, /., zu gut, «., B l a, Sammlung von
gegenständen und geld, vgl. gütsamnung {voc. rer. 1466),
guetsamung (15. jh.) collecta Diefenbach nov. gl. loo''.
GUTSBESITZ, m., besitz eines ländlichen gutes {vgl.
gut, n., B 3) : der freie erwerb, der nur auf dem Verdienste,
nicht auf der Überlieferung ruht, {ist) höher der art nach als
der gebundene gutsbesitz Görres ges. sehr. (1854) 4, 259. —
gutsbesitzer, m., besitzer eines landwirtschaftlichen be-
trieben {vgl. gut, n., B 3 b), vorab der sozial gehobenere eigen-
tümer eines gröszeren gutes gegenüber dem bäuerlichen be-
sitzer: dasz jeder guths besitzer seinem prediger die frei-
heit erlaubte Gottschedin br, 2, 26 Runkel; wogegen die
. . . gutsbesizer zu dem niedern adel gerechnet wurden
K. L. V. Haller restaur. d. staatswiss. 3, 266; von einer Zu-
lassung der nicht landtagsfähigen gutsbesitzer konnte nur
flüchtig die rede sein Görres ges. sehr. 4, 99; du lassest
doch auch den adelichen gutsbesitzer seine bauern selbst
in den wallen üben? Fouqüb gefühle l, 58. — guts-
blatterkraut s. gutblatterkraut. — gutschaden, m.,
zu gut, n., B 3 feldschaden\ vgl. Unoer-Khull 313''': wel-
cher gerichtsman den andern pfendt auf sein gründen umb
guetschaden {v. j. 1625) österr. weist. 1, 28.
GUTSCH s. kutsche. — gütach., m.,name des jisches
harausche {carassivn vulgaris), vgl. Oken allg. naturgesch.
6, 320.
GÜTSCHAU,/., amtliche prüfung, durch die eine wäre
als gut anerkannt wird {s. gut II A 2 b, sp. 1262) Fischer
Schwab. 3, 941 {beleg v. 1572).
GUTSCHE, /., name eines Zimmereiwerkzeugs, eines
Hohleisens, nach frz. -engl, gouge, vgl. Hoyer-Kreuter
techn. wb. l, 321, vgl. guts 'holle beiteV TER Laan Groning.
286*>, goets RüTTEN haspengouwsch id. 82*'.
GUTSCHE, /., 'wagen, bett' s. kutsche.
GUTSCHEIN, m., bescheinigung über ein gvLth&hen {vgl.
etw. gut haben, sp. 1248), im handelsverkehr gebräuchlich,
vgl. FiscsEn Schwab. 3, 969. — gutscheinend, part. adj.,
zusammenrückung aus gut scheinen {vgl. sp. 1310); zu gut
V B 5 b 'rechtschaffen, fromm scheinend' : mit uswendiger
gütschinender sinnelicher blinder wise Tauler pred.
288 V.; fayszte, volle, gütschynende, eygengesüchtige,
gältstrickende münch Eberlin v. Günzburg s. sehr. 1,
IV. 1. 6.
77 ndr.; zu gut IV A l b bezogen 'freundlich scheinend':
nit allein . . . leidet unbiUiche ding von den frembden . . .,
sunder ouch von den f runden und gütscheinenden men-
schen Geiler v. Keisebsbero seelenparad. (1510) 23a'.
GUTSCHER s. kutscher.
GUTSCHICK, m., schweizer, zu gut IV A 2 a 'dummer
mensch', vgl. gutschick decoctor, deperditus Dentzleb dav.
(1716) 143, guetschik Seiler Basler ma. 153.
GUTSCHLAG, guttschlag, m.,zu gutt, n., im schweizer,
für 'schlag flvnz, schlaganfalV , vgl.tvo-pi, gutschlag paralysis
Dentzler clav. (1716) 291^1: {als) das mütterli . . . bim
tisch sasz, fiel ufE ins der guttschlag {um 1600) nach
Staub -ToBLEB 9, 234, wo weitere belege; darum dies ge-
wächs billig in den zufallen des kalten haubtes, . . . bey
den gutschlägen und lähmungen gebraucht wird Mubalt
eidgen. lustgarten (1715) 98. — gutschlägig, adj., zum
vorigen gebildet, 'vom schlagflusz getroffen, gelähmt', vgl.
gutschlägig paralyticus Dentzleb clav. (1716) 143**: sy
habend ihm zuegebracht einen guetschlägigen, der lag
auf^ einem bet {bibel v. j. 1638 Matth. 9, 2) nach Staub-
Tobler 9, 234; bildlich 'lahm': welch ein namenloser
unterschied ist nicht zwischen der Wahrheit und energie
des gefühls, . . . und der zahmen Verwirrung und gut-
schlägigen künstelei, die euch das verlangen nach Cidli
vorlügen H. FüszLi d. j. in: br. a. J. H. Merck (1835)
59 Wagner.
GUTSCHLÖSZCHEN, n., Übersetzung des wissenschaft-
lichen Pflanzennamens euclidium {syriacum) bei A. Martin
pflanzenn. 51, so genannt, weil die wände des schötchens
fest zusammenschlieszen, zu gut VII B. — gutschmecke,
/., in ostmd. mundarten zu etw. schmeckt gut {vgl. gut VII
C 1) gebildet im sinne 'leckerbissen, leckerei', vgl. F. Knothe
Markersdorfer ma. 48: gutschmecke macht bettelsäcke
Müller-Fraureuth Sachs, volksw. 78; nu jaja, — nu
nee nee, das {der hundebraten) is o noch ne guttschmecke
— das macht gar a liebHch gerichl G. Hauptmann
d. weber (1892) 35; als gutschmeck s. Göpfert erzgeb. 91,
ScHBÖEB beitr. (1858) 56; gutschmecki Weinhold scfdes.
85*. — gutschmecker, m., zu etw. schmeckt gut {vgl.
gut VII C 1) tm sinne 'feinschmecker, leckermauV : zur all-
gemeinen bedauerung aller gutschmecker und feinen
züngler seiner Vaterstadt MusÄus volksmährchen 2, 109
Hempel; so und so viel tausend mark öffentliches geld
werden von einem subalternen gutschmecker für Stein-
butt . . . verausgabt P. de Laoabde dtsche sehr. 430. —
gutschmeckerei, /., zum vorigen 'feinschmeckerei' :
Agnes und die tante neckten mich mit meiner . . . prä-
meditirten gutschmeckerei B. Goltz c. jugendleb. 3, 49. —
gutschreiben, vb., zusammenrückung avn der formel
etw. gut schreiben {vgl. sp. 1248), 'zu jemandes gunsten
buchen' : ein mann, der . . . sich die ihm von rechtswegen
zukommende belohnung höchstens im hauptbuch des
himmels gutschreiben läszt W. Raabs hungerpastor (1864)
1, 130; anders zu gut VII A 1 a 'richtig schreiben': jeder
gutschreibende Schwabe {wird) vom Hamburger . . . ver-
standen v. Ayrenhoff w. (1814) 5, 205. — gutschrei-
bung,/., zum vorigen gebildet, was gutschrift: gutschrei-
bung der Zinsen Weserzeitg. jahrg. 1859, 4870. — gut-
schrift, /., aus gutschreiben entwickelt als handelstech-
nischer ausdruck für die zu jemandes gunsten getätigte
buchung: zur gutschrift gelangen auszer baren einzah-
lungen alle von dem contoinhaber . . . eingelieferten in-
cassopapiere hwb. d. staatswiss. 4, 731. — gut sein, »., zu
gut II A gebildet 'vortrefflichkeit' :
ich habe mich, mein gott, mit mir besprochen,
dasz ich der weit ihr gutsein oder pochen
ins künftige, dich liebend fromm und still,
nicht achten will
Neümark fortgepfl. musik-poet. Itistw. (1657) 37;
zu gut I V A 1 b 'freundschaft, Zuneigung' :
lies diesen brief noch hier,
den deiner freundschaft zunft in höchster eile dir
aus brüderlicher treu und gutsein hat geschrieben
P. Fleming 464 Läpp.;
zu gut V A 1 'rechtschaffenes leben' : übrigens hast du das
gutsein auch leichter gehabt als andere leute W. Raabe
93
1475
GUTSEL-GUTSITTIG
GUTSITTIGKEIT— GUTSTEHUNG 1476
Abu Telfan (1870) 1, 169. — gutsei, gutsele, n., demi-
nutivbildung zu guts, n.; kindersprachlich für 'leckerei,
naachwerk, bonbon' (s. gut VIII B l c), vgl. guatsela, gutsle
RuoKEBT unterfrk. 67, guetsele Martin -Lienhabt l, 249,
gütsel Schmidt Straszb. 47 '^, guezeli Seilek Basler ma.
153'', guetsel Pfister nachtr. 87: ohne gutsei soll der
knabe dich lieb haben H. Jäcobi in: Teutscher Merkur
(1776) 2, 63; um im gedenken der toten kaflfee zu trinken
und gutsein zu essen O. J. Bierbaum ges. w. 7, 118; a
kriecht oUe guttseln Rother schles. sprichw. 316. — gut -
selig, adj.; mhd. guotsselic 'durch vermögen beglückt' zu
gut, n., B 1 b:
er ist ein guotssellger man
Seifrid Helbling 1, 34 Seem.;
anders zvsainmenrückung aus gut und selig (vgl. gut III
A 4, sp. 1276):
zu einem gutseligen endt
H. Sachs 13, 81 K.-a.;
— gutsfrau,/., frau des gutsherrn oder gutsherrin : schrei -
ben einer gutsfrau, die freilassung ihrer eigenbehörjgen
betreffend J. Moser 3, 225 Ab.
GUTSHERR, m., der herr und besitzer eines landgules
(vgl. gut, n., B 3), im älteren nhd. auch als gutherr belegt, vgl.
YiacsER Schwab. 3, 905 (beleg von 1553): wurden die namen
der verstorbenen oder abgegangenen gutherrn gelöscht
und der neuen ihre namen in sterbe- oder kauflehen wie-
derum in das wachs gebracht v. Lüdewiq gel. anz. (1743)
142; es kam ungefehr einer seiner meiern daher, . . . der
gother oder guttsherr sprach, er solte über eine stund
oder etwas wider ansprechen und die wurst auch ver-
suchen gepfl. fincken (1665) 19; unter gutsherrn, Verwal-
tern und Pächtern fanden sich . . . erfahrne männer
GÖTHE II 6, 389 W.; die bauern muszten als entschädi-
gung für die bisherigen leistungen an die gutsherren die-
sen ein drittel oder die hälfte ihrer höfe abtreten hwb. d.
staatswiss.^ l, 202. — gutsherrin,/.; meine mutter war
... in diensten einer benachbarten gutsherrin G. Keller
ges. w. 6, 53. — gutsherrlich, adj., zu gutsherr gebildet
entsprechend bäuerlich zu bauer : (ein) garten, der . . . von
altem wohlhaben und gutsherrlicher Vorsorge zeugt
GÖTHB 84, 52 W.; wegen regulierung der gutsherrlichen
und bäuerlichen Verhältnisse Fr. L. Jahn w. 2, 358 £J. —
gutsherrlichkeit,/., vom vorigen abgeleitet, das rechts -
Verhältnis des gutsherrn: in späteren jähren erwarb er die
gutsherrlichkeit in seinem geburtsort Saviqny gesch. d.
röm. rechts 5, 26; gutsherrlichkeit und leibeigenschaft
hwb. d. staatswiss. 2, 338. — gutsherrschaft, /., die
herr Schaft eines landgutes, die familie des gutsherrn: seit
dem recesz vom 9. juni 1786 ist diese sache dahin ver-
glichen, dasz die gutsherrschaft und bauern den stamm -
ochsen in die weide nehmen (v. j. 1790) cod. dipl. 8iles.
4, 340; die kinder muszten, wie üblich, der gutsherrschaft
zum zwangsgesindedienst angeboten werden W. v. Po-
LKNZ Büttnerbauer 1, 37; als obrigkeit eines gutsbezirks:
dadurch wurden sie (kirchen und klöster) zu gutsherr-
schaften einer groszen zahl unfreier . . . hintersassen
Eichhorn dtsche Staats- u. rechtsgesch. (1821) l, 250. —
gutsherrschaftlich, adj.: eine gemilderte Vormund-
schaft der gutsherrschafthchen monarchie K. Fr. Krä-
mer Neseggab (1791) 4, 356. — gutshof, m., der durch
Wohnhäuser, stalle u^w. gebildete hof eines landgutes: statt-
liche Wirtschaftsgebäude büdeten . . . einen geräumigen
gutshof GöTHE 35, 225 W.; Renate . . . kam eben von dem
gutshofe zurück Fontane ges. w. I 2, 61. — gutsinn, m.,
zu gut IV B 'wohlwollen, nachsieht': der mehr lachte als
trauerte, unarten der menschen mit gutsinn überdeckte
W. F. Meyer Dyanasore 1, 431. — gutsinnig, adj., zu
gut IV B 'freundlich, wohlwollend', vgl. gutsinnig benignus
Stieler 2032; etwas anders, vgl. gutgesinnt, nach gut
V B 1 a hin: auf viele . . . gutsinnige, bildungsreiche
männer . . . machten die Ungeheuern geschichten ihrer
tage besondere Wirkung Zschokke s. ausgew. sehr. 9, 284.
— gutsinnigkeit, /., vgl. gutsinnigkeit bontä, amore-
volezza, benignitä Kramer t.-ital. 2, 818". — gutsittig,
adj., zu gut V B 3 c : gutsitiger morigerus voc. theut.
(Nürnberg 1482) n 3», — gutsittigkeit,/., zum vorigen
gebildet: aber ir sun Constantinus . . . mocht seiner muter
frümkeit, erberkeit und gutsittigkeit nit lenger gedulden
G.Alt buch d. cron. (Ii93) 164». — gutsittlich, ad;., zm-
sammenrückung aus gut und sitthch (vgl. gut V B 3 c) :
dasz sie führen gutsittlich leben
mit schönen tagenden umbgeben
H. Sachs 16, 451 K.- O.
— gutsole, /., technischer ausdruck im gradierwerk, zu
gut, n., B 1 gß oder gut I A 2 cy 'verarbeitungsfähige salz-
sole': die (sole) vom letzten falle nennt man . . . siede- oder
gutsoole Muspratt-Stohmann 6, 580. — gutsprache, /.,
atis gut sprechen (vgl. gut I A 5 c a yy, sp. 1247) erUwickeÜ
im sinne 'bürgschaft': die regierung (hatte) . . . eine art
von gutsprache für das verhalten ihrer Vertrauensmänner
übernommenK.BRAUN6iüder(l88l)4, 53. — gutsprechen,
vb., zusammenrückung aus gut sprechen; nach gut I A 5 c
ayy (sp. 1247) im sinne 'bürgen, verbürgen, haften' vgl,
gutsprechen rispondere, promettere, erdrar cautione, tnalle-
vadore Kramer t.-ital. 2, 883": (die meister,) welche sich
für sein des jungen aussetzen, abtragen oder andere un-
gepühr umb f ünf zehen pf und pfenning verbürgen und gut-
sprechen (v. j. 1629) bei G. Schmolleb Straszb. weber u.
tuchm.-zunft 261; (er gab befehl) dem wirt gutzusprechen
vor alles was ich dieselbe nacht über verzehren würde
Grimmelshausen Simpl. 532 ndr.; noch mundartlich be-
wahrt, vgl. Stalder 1, 504, lux. ma. 158, Hofmann nieder -
hess. lli'', Spiesz henneb. 87, Honig Köln. 67^; zu gut
I A 3 d)S (sp. 1240) im sinne 'billigen, sein einverständnis
erklären', vgl. gutsprechen, rechtsprechen approvare, com-
provare, ratificare, giustificare, lodare Krämer t.-ital. 2,
883^; es sei denn, dasz sie diese unser antwort mit ihrer
eignen bekantnus gutsprechen J. Calvin inst, christ.
relig. (1572) 2, 114; Callirea diesen list gutsprechend und
lobend den verstand, . . . gieng alsobald hin theatr. amor.
(1626) 259; als technischer terminus im gradierwerk zu
gut IA2cy eine salzsole 'für tauglich, siedeuMrdig er-
klären' vgl. Scheuchenstuel österr. berg- u. hüttenspr.
117: die soole wird . . . bis auf 26 proc. angereichert und
dann gutgesprochen Muspratt-Stohmann 6, 537; zu gut
IV 0 1 'freundlich reden' : und ist niemandt unweiser,
als der uff eines jeglichen gutsprechen sihet Opitz teutsche
poem. 8 ndr.; zu gut V A 1 'für sittlich erklären': die ge-
schichte handelt fast nur von diesen schlechten men-
schen, welche später gutgesprochen worden sind
Nietzsche w. I 4, 29; ahd. mit gut, n., 'segen' (vgl. gut, n.,
A 4) zusammengesetzt, vgl. guotsprechit benedicite bei
Graff 6, 382. — gutsprecher, m., aus dem vorigen ab-
geleitet; als 'bürge', vgl. gutsprecher fideiussor Aler dict.
(1727) 1, lOOO'', Stalder l, &0i; etwas anders 'anunlt, Sach-
walter': gott als der einige guttsprecher der unschuldigen
werde sie als eine unschuldige verthättigen sendschr. d.
Teresa v.Jesu 216. — gutsprechung,/., zw gutsprechen
gebildet im sinne 'billigung, einverständnis', vgl. gutspre-
chung, gutspruch approbatione Kramer t. -ital. 2, 883" :
der aufgereckte daumm ist bey den alten ein zeichen der
gutsprechung gewesen Harsdörfer teutsche secret. (1656)
1, 712, vgl. auch Kinderlinq reinigkeit (1795) 110. —
gutständer, m., zu gutstehen gebildet, 'bürge' vgl. Fi-
scher Schwab. 3, 970. — gutstehen, vb., aus der formet
gut stehen, vgl. gut I A 5 c a yy (sp. 1247), zusammen-
gerückt im sinne 'bürgen' : weil . . . mir niemand gutstehen
konnte, dasz ich nicht jeden augenblick mit der frage
herausfahre A. Stifter s. w. l, 80 8.; substantiviert: er
habe gerade eine grosze Zahlung an den eisenhändler zu
machen, sei mit gutstehen hängengebheben P. Dörfler
Apollonias Sommer (1932) 390; etwas anders 'sicher stehend, ^_
gut angelegt' : dank meinem vater habe ich . . . gut- ^H
stehende kapitahen A. Schopenhauer br. 43 Gr.; zu ^H
gut VII C 6 'wohlhabend': das sind gutstehende leute
G. Keller ge^. w. 8, 296. — gutsteher, m., zum vorigen
gebildet, 'bürge': sie müssen zahlen; die trupp hat ge-
trunken, sie sind der gutsteher Nestroy ges. w. 5, 141. —
gutstehung, /., von gutstehen abgeleitet 'bürgschaft^
haftung': er müsse mir das honorar schuldig bleiben und
Ä
1477
GUTSÜCHTIG— GUTTAT
GUTTAT
1478
könne also auch die gutstehung nicht übernehmen
V. PöCK humor. lustwäldch. (1825) 19. — gutsüchtig,
adj., zu gut, w., B 1 b 'gierig nach besitz': der ehrengeitzigen
und gutsüchtigen päpsten J. v. Watt dtsche hisf. sehr.
1, 343 Götz.
GUTT, gut,»., entlehnung aus lat. gutta bzw. frz. goutte
in der bedeidung des französischen Wortes (vgl. tripfe, /.,
als Übersetzung dieses frz. goutte teil 11, l, 2, 637, sowie
triefte, /., ebenda sp. 481, UTid tropf, m., in der gleichen
bedeutung); als krankheitsname ahm. im älteren nhd. ge-
bräuchlich und vielleicht als euphemismus in geschlecht und
form an gut, n., angelehnt, sodasz auch diphthongischer
vokal (ü, ue) erscheint; die allgemeinste bedeutung ist
'lähmung', die vom schlagflusz (apoplexie, vgl. gutschlag)
herrühren, aber auch gichlischer oder epileptischer natur
sein kann, vgl. schlag o. guot tactus [voc. v. 1487)
DiEFENBACH gl. 571^; erlämbt, eines glids onmächtig,
vom gut oder tropf geschlagen patalyticv^ Frisius
945»; der den schlag, das gut oder den tropff hat und
alle empfindtnusz seiner glideren verleurt attonitus 136^;
einer den das gutt oder der schlag troffen hat para-
lyticus Megiseb pol. (1603) 2, 206*: starb ain minch, . . .
als er über den altar wolt gan . . ., er {l. es) traflf in das
gut, er lebt danocht bis nacht und starb darnach städte-
chron. 25, 75; {da) traff Arnolffum das perli oder gütt
Öheim Eeichenauer chron. 67 Bar.; wider den tropff oder
das gut reibet das lam oder geschlagen glid Skbiz f eidbau
(1579) 70; vom gut geschlagen werden apoplexia corripi
Dentzler Clav. (1716) 143b, vgl. Staub-Tobler 2, 553, wo
weitere belege; als 'gichV {?): es {das Wormserbad) heilet
alle krankheiten, die von feuchte und kälte härlangen,
als da seind der schlag, der tropf oder das gut bei Tschum-
PEBT Bündn. 594; /wr ein brennendes geschwür, karfunkel
s. bei Staub-Tobler a.a.o. {beleg v. 1721); alsfem.{?) gutt
'epilepsie" : von fallender sucht, frais, gut, monsucht, das
ist epilepsia Wibsung arzn. 127 bei Fischer schwäb. 3, 970.
GUTTAPERCHA, /., auch als m., und modern, luohl
nach gummi, als n.; ein plastisches gummi, der eingedickte
milchsaft {malaiisch gutta) des baumes isonandra gutta
(malaiisch percha), aus dem engl, übernommen, vgl. der
guttapercha Seiler kultur im sp. d. lehnworts 4, 332; die
guttapercha Schönermark-Stüber 499: ein sehr schätz-
bares material ... ist die erst seit etwa 10 jähren bekannt
gewordene guttapercha Fregktl. techn.encycl. 18 (1852) 58.
GUTTAT,/., aus der formet gut { = gutes) tun {vgl. gut,
n., A 3 b und 5) entwickelt, ahd. mhd. guottät, mhd. auch
guottsete; plur. ahd.. guottäti, mhd. guottsete, im älteren
nhd. nach guttat neben jüngerem guttaten, welche form
sich nhd. durchsetzt, guttat hat von ahd. zeit an die kon-
kurrenz von wohltat neben sich, das im ahd. aber mehr
gut IV vertritt, während guttat sich ahd. besonders zu
gut V %ind III stellt; mhd. ist guottät das verbreitetere
tvort, woltät erscheint fast nur im ostmd.; im nhd. wird gut-
tat allmählich von wohltat zurückgedrängt, sodasz es in
neuerer Schriftsprache nur noch wenig gebräuchlich ist.
1) zu gut, n., A 5 bzw. B 3 'das sittlich religiös vollkom-
mene handeln, rechtschaffenes tun, tugendhafte tat', vgl. die
zu dieser bedeutung gehörenden glossierungen cuattati Ion
praerogativa Graff 5, 334, guottät lux justorum ebda;
guottäti profectu ebda; daz chit, föne fidelibus unde föne
allero ecclesia, chumet der liument kuottado {virtutum),
der also suozze ist Notkee ps. 44, 9, vgl. 41, 5; neheinen
guottatin foreganten {nullis precedentibus meritis) 67, 10;
die in guttaten tot waren 17, 9;
wände uns saget, der goloube here unde staete,
der erfüllet alle guottsete,
daz wir ze jungist schuln erstän
V. rechte 374 Waag;
harte bezzirte er sich,
her was vil stsete
allir güttete Trierer Silvester 272 v. Kraus;
nu bellbe ich dar an stsete
daz ich unz an mines tödes zil
den darumbe bitten wil,
der dehelner guottät
niemer ungelönet lät
Hartmann v. Auk Oregorius 1218 Patt/;
bösen luten und ir rote
was er dicke und dicke bi
unde aller gutete vri passional 132, 14 Köpke;
daz sich nieman siner gutete iht berüme, wan der sunder
gewinnet alse schiere daz himelriche alse der rehte
Lucidarius 38 Heidi.; daz unrecht zu vermyden und
güttet zu volbringen A. v. Pforr buch d. beisp. 12 lit.
ver.; nun in Christo bleyben haiszt, das man all sein
guthat habe als gerechtigkait, das leben und aUe tugendt
LlTTHER 12, 583 W.;
die guthat soll werden blohnet
und das übel gestraflet hart
J. Atree dram. 74 K.;
warum solte auch nicht vorhergehende gutthat das fol-
gende unrecht ausgleichen? Lohenstein Arminius (1689)
2, 1352^; die gnade rechnet mehr unsere guttat an als
unsere schuld Fontane ges. w. I 4, 339; was eine mutter
ist, kann lügen und stehlen und morden . . . und meint
noch aUeweil, es war eine guttat, für die ein lohn ist
droben im himmel Ganghofer mann im salz in: garten-
laube Jahrg. 1905, 710''; spezieller wie 'gutes werk': sume-
lichen ist ein irluterunge vasten unde wachen, oder so
getone gutete Lucidarius 61 Heidi.; nach 2 hinüber spie-
lend: er rächte Asinias tod, indem er den alten fürsten
von jeder gutthat abhielt Börne ges. sehr. (1827) 1, 5.
2) vom handelnden Subjekt aus gesehen, zu gut, «., A 3 b
gebildet, entsprechend gut, n., A 4 und gut IV C 3 mit dem
für diese bedeutung wesentlichen beisinn, dasz die erwiesene
wohltat aus freundlicher, gütiger, wohlwollender, gnädiger
gesinnung hervorgeht, vgl. gutdait beneficentia Diefenbach
gl. 71<^, guttat beneßcium gemma gemmarum (1508) c ö^».
a) allgemein 'wohltat, liebes werk', vgl. ein gutthat wol in
gedächtnusz behalten benefacta tenere Frisius 161'': noh
sinen samen brotes dürftigen, wanda er guottate sähet,
dannan habet er seti Notker ps. 36, 25;
euch lönten si der staeten
mit mangen.guottseten
des siun ze liebe ie getete
Ulrich v. Zazikhoven Lanz. 7668 H.;
so beere ich sprechen unde sagen,
ez künne ein übeler niht vertragen
guottsete, die der mensche tuo
Konrad v. Wükzburq Engelhard 1563;
solliche gutet, die ir beweist an den leuten, soUiche ge-
nade, so die leut von euch empfahen ackermann aus
Böhmen 28 Bernt-Burd.; die weit vergilt gutthat mit
ubelthat Luther 16, 7 W.; denen {den gebern) sie {die
bettler) zu zelten für ihre erzeigete gutthaten übel lohnen
Pape bettel- und garteteufel (1586) l l*»; aUerley gutthaten,
so die Polen . . . dem orden bewiesen Schütz hist. rer.
pruss. (1592) L 3*'; die besten lobserhebungen geschehen
unter dem fürwand einer schuldigen danckbarkeit, da
man die erwiesene guthaten sehr hoch rühmet Chr. Weise
pol. redn. (1677) 189; ein edelmann, von welchem wir ehe-
malen merckliche gunst und sonderbare gutthaten em-
pfangen haben Opitz Sidneys Arcadia (1638) 22; {einen)
mann, {der von) seinen gutthaten nicht viel wesens machet
Thomasius kl. dtsch. sehr. 86; bei der erzählung, dasz gut-
herzige russische husaren dem verwundeten Kleist gut-
thaten erzeigten briefe d. neueste litt. betr. 16, 28;
gott lohn euch eure gutthat
Schiller 14, 376 O.;
geht nur mit mir in meine wohnung, dasz ich euch eure
gutthat vergelte Stifter s. w. 4, 1, 42 Ä.; indem er nun seine
guttat zu ende bringen wollte Paul Ernst 10 geschieh -
ten 17 Potthoff; weil diese Engländer, selbst wenn sie betteln,
immer noch fertig bringen, ihren bettel von fremden als
guttat an diesen . . . darzustellen Hans Grimm volk ohne
räum l, 614; als 'wohltat' mundartlich vielfach bewahrt, z. b.
Seiler Basler ma. 153, Schröer ^lngr. bergl. 245, Hof-
mann niederhess. lll^, Müller rÄem. 2, 1524; vergleichbar
als neutr. 'geschenk' : 'guatthät ist das, luas die um lohn
gedungenen hirten bei guter dienstverrichtung über den lohn
noch an nahrung bekommen' Bühler Davos 1, 43; als 'al-
mosen': so tu din almüsin geben wUt, daz enmache niht
mere den lütin . . ., tu dine guttete heimelich bei Roth
93*
1479
GUTTAT
GUTTATER
1480
dtscke pred. 69; dine almüsen und guttat der erbarm -
herzekeit sind ufgangen für min angesicht Stretlinger
chron. 4 Bäckt.; es that ihr wehe, von den gutthaten an-
derer menschen leben zu müssen Hauff s. w. (1890)
4, 319; 'freundliche behandlung\-
derselbigen (pierde) Ich hab verschont,
weil sie der gutthat seind gewont
J. Spreng Tlias (1610) 56»;
freundlich warst du gegen mich, gutthat genosz ich an
deinem hofe G. Freytag ges. w. 8, 149.
b) besonders von den gnadengaben gottes: gote sol man
jehen, daz ist kuot , jich imo ouh dinero guottato, so
daz du iro imo danchoest Notker fs. 91, 2;
. . . der vil schiere vergaz
der manegen gütsete die got erboten hete
genes, u. exod. 120, 5 Diemer;
vlrnemet hie ein wunder
von gotlicher guttat,
die er an siner diet begat väterbuch 3267 Eeisz.;
auch erkenstu vül groszer guttat und gab, die du von
gott enpfangen hast Geiler v. Keisersberg granatapfel
(1510) G 6"'; gott selber können wir vor seine gute und gut-
thaten nichts höhers zahlen Sigm. v. Birken ostländ. lor-
beerhayn (1657) 2*'.
c) spezialisiert im sinne 'fromme Stiftung, Schenkung^
ein guottät diu vor gote swebt
8Ö rlche, daz nu niemen lebt,
der umb daz ewecllche leben
durch got habe als vil gegeben
KUDOLF V. Ems d. gute Gerhard 269 B.;
die todten heyligen hören dein gebet nitt, so bedorflFen sie
deiner ehr und guttadt nit Eberlin v. Günzburg s. sehr.
3, 25 ndr.; dieweü durch schrififtlich handvestinen die gut-
taten verrechnet werdend, so zu der gottshüsern dienst
. . . gegabet werdend Äo. Tschudi chron. helv. 1, 61 ; disze
kürchen ist im jähr 1628 . . . erbaut worden , . . und ge-
schehen taglich guettaten daselbst {v. j. 1638) österr. weist.
10, 237.
d) die auf wohltätiges tun hin bedachte gesinnung selbst,
' Wohltätigkeit, gute, milde': durch heil unser sele und sün-
derliche güttede und früntschaft {v. j. 1352) hess. urk.-buch
2, 585 Wysz; so mustu auch gegen dem nehesten in der
liebe gedult und guthat bleiben Luther (1568) 6, 51*' Jen.
ausg.; Reynhardt die gutthat und miltigkeyt des königs
erkant hertzog Aymont (1535) i l**;
besuecht mit gutthat sie die armen
EOMPLEE V. LÖWENHALT erst, gebüsch (1647) 41;
so ordentlich und so die gutthat selber ist gar keiner mehr,
wie mein tichterle 0. Ludwig ges. sehr. 2, 165; dür meine
güdät durch meine gutmütigkeit Bauer-Collitz 42^;
ebenso von gottes gute und gnade: also dasz ein jeder
Christ diesem gütigen vatter für seine . . . fürsorge und
gutthat zu dancken desto mehr verbunden lebet v. HoH-
BERO georg. cur. (1682) l, vorr. a 2^^;
wir aber stimmen schlecht mit gottes gutthat ein,
weil unsre danckbarkeit pflegt klein und kurz zu sein
Che. Warneckk poet. vers. (1704) 199;
in fester präpositionaler formel mit aus, vgl. aus guttat und
gnaden gottes dei benignitate Frisiüs 1638': das er ausz
seiner und des römischen volcks gnad und gutthat ein
freund und könig were genent Seb. Franck chron. Oerm.
(1538) 103'; der kaiser aber hatte ihn (den kelch) . . . dem
heiligen Laurenz zu Merseburg aus gutthat geweihet
Grimm dtsche sagen^ 2, 99.
3) zu gut, n., A 3 b und gut III A 4 bzw. 7 zu stellen, aus-
schlieszlicher vom empfänger her betrachtet für die 'erfreu-
liche, angenehme, vorteilhafte sacke, gäbe, geschenk, beloh-
nung' usw.; hierzu stellt sich bereits ahd. guottati divitie
ahd. gl. 1, 532, 51 St.-S., vgl. dienst umb guttat simula-
crum DiEFBNBACH gl. ssst*, vergangner gütthaaten nit
vergässen bona praeterita non effluere Frisius 4628':
die boten wurden wol beraten
mit maneger guotttete
Dietrichs flucht 1037 Martin;
Christi Jesu, dem herren mein,
ich alle zeit wil danckbar sein
. . . für all gutthat auf diser erd
G. FORSTEE /r. t. liedl. 198 ndr.;
in dem im der herr diese euszerliche leibliche gutthat hat
abgeschlagen, hat er ihm viel groszere . . . ewige gutthaten
zubereitet theatr. diab. (1569) 203*; das alter bedarfE geld
und gutthat Petri d. Teutsck. weiszk. (1604) 2, l 7^; man-
ches land hat grosze gutthaten von der natur Schupp
sckr. (1663) 120; damit ich die gutthat, so ich allhier in
Cypern genossen, in Venedig wiederum ersetzen möge
schaitsp. engl, comöd. 79 Creizenach; nicht wenn das . . .
herz gutthaten empfangen hat, wird es zum tempel eilen
Herder 32, 117 S.;
bleibt nur bieder und fromm, und empfangt gutherzig die
gutthat J. H. Voss s. ged. 2, 70;
ähnlich mundartlich 'etwas angenekmes' : des war 9 guatat
Schmeller-Fr. 1, 965, in winter is s 9 rechta guattat um
o"^ warms stübal ebda 1, 630; auch 'Wohlbehagen' :
und aft, wann a recht
in da güetat is glögn
Fr. Stelzhamee ausgew. dicht. 1, 19 Ros.;
als 'angenehme, erfreuliche Wirkung' : die salvatelle äderen
geschlagen bringen vü gütthät J. v. Gersdorf wundt-
artzney (1526) 18*; {dasz) sie die gutthat der selbigen
empfinden wurden Ryff spiegel u. reg. d. gesundh. (1544)
31^; nach gut III A 7 hin 'vorteil':
der bücher gutthat ists, dasz viel noch wird gefunden,
was längst hat fortgcmuszt . . . Opitz opera (1690) 3, 307;
angenommen, sie bekäme ihn doch noch . . ., was hätte
sie für eine gutthat als sein weib? M. Meyr erzähl, a. d.
Eies 2, 325, vgl. guttat das gut, der vortheil Schmeller
cimbr. 127'',
4) zu gut I B 5 und 6 im sinne 'wackere tat, tücktige
leistung' in älterer spräche gebildet, vgl. ez guot tuon
P' hie ist so manlc biderbe man,
daz vil guottät hie geschiht
Uleioh V. Lichtenstein frauend. 116, ö'X.;
es bringt mir grosze freude zu hören und sagen von der
gutthat, die ir in diesem streit vollbracht habet buch d.
liebe (1587) 323"'; hat also kaiser Karl das kaisertumb in
Teutschland durch sein guettat und geschickligkait bracht
Turmair s. w. 5, 127 Lexer; es sind zwar . . . viel, die et-
wan durch römische keyser oder könige ausz eygener be-
wegnusz ungethaner einiger manlicher vorbündigen
guthaten . . . geadelt worden sind Moscherosch gesichte
(1650) 2, 418; vergleichbar 'nützliche tat': in betrachtung
viUaltiger gutthat dises thierUns ist . . . verbotten irer
nicht eyn eynziges zutöden S'ebiz f eidbau (1579) 305; vor-
urtheilslose abwägung seiner gut- und übelthaten ergibt,
dasz er (der kornweike) schädliche (tiere) befehdet Brehm
tierleben^ 6, 396.
GUTTÄTER, m., zum vorigen gebildet.
1) zu guttat 2 a 'wokltäter', vgl. guttheter benefactorius
gemma gemmarum (1508) c 5*: daz sie ir ehtern unde lei-
digem alse wUlic sint als irn friunden unde guottetern
MEISTER Eckart in: myst. 2, 365 Pfeiffer; du achtest nit
grosz din vater, din müter, din fründ und gutteeder
NiCLAS V. Wyle translat. 97 K. ;
in allen nöten im (gott) vertrawen
als irem himelischen vater,
dem aller hohlstem guthater H. Sachs 1, 86 K.;
die nit gott und iren gutthätern zu danken stumm sein
gewesen Fischart 3, 98 Hauffen; ehrerbietung, ... so den
verblichenen gutthätern und wohlverdienten männem er-
zeiget wird Prätorius hundert auserl. abdanck. (1663) 151;
sie soUen mit freudenthränen den unbekannten gutthäter
segnen Säl. Geszner sckr. (1777) 2, 68; wahrlich, die mü-
den gutthäter müssen sich viel gefallen lassen Gutzkow
zaub. V. Rom 4, 137; {sie seien) nicht nur ohne schuld an
den verwandten, sondern ihre guttäter P. Dörfler Apol-
lonias sommer (1932) 146; vgl. mundartlick noch Müller
rkein. 2, 1524.
2) spezieller zu guttat 2 c 'jem., der eine Stiftung oder
sckenkung mackt' : helffen mir auch gott bitten für alle die,
die disz gotzhusz und des gotzdiensts darinn stiffter . . .
oder gutthäter seindt manuale curat. (1516) 67''; wie grosze
friheit der orden inhelt und manig der messen für all gut-
thäter bei Schade sat. u. pasqu. 3, 21; mitstiffter und
1481
GUTTÄTERBUCH -GUTTER
GUTTER
1482
gütthäter desz closters Wettingen Stumpf Schweizerchron.
(1606) 468*; es ward 1743 von Michael v. Khienmayr . . .
zuerst zu bauen angefangen und von ihm und mehrern
gutthätern allein 42,000 fl. auf das gebäude verwendet
Fb. Nicolai reise d. Deutschi. (1783) 3, 36.
3) seltener entsprechend guttat l für 'jem., der recht-
schaffene, fromme werke tut\' davon die wirckheiUgen und
guttheter gar nichts wissen Luther 6, 209 W.; (dasz) güt-
thäter und übelthäter under in waren Seb. Fbanck chron.
Oerm. (1588) 201*. — guttäterbuch, n., btich der Stifter,
vgl. Fischer schwäb. 3, Qll {beleg d. 17. jhs.). — gut-
t&terin,/., 'Wohltäterin' : Johan Eberlin von Gintzburg
wünscht gnad und frid . . . seiner lieben gedrewen gut-
thaterin Eberlin v. Günzburg s. sehr. 3, 126 ndr.; dasz
er . . . seiner gutthäterin die noth seines herzens klagen
könnte bb. Grimm kinder- u. hausmärch. (1812) 2, 294.
GUTTÄTIG, adj., zu guttat gebildet; nach guttat 1
'rechtschaffenes tuend", weniger häufig:
die schuldigen berefsen,
die guttetigen leren
Heinr. V. Hkslbr apokal. 6339 fl.;
gleichwol wird solche hohe, unschuldige, gutthetige und
bey jederman wol verdiente person . . . zum tode ver-
dampt Luther 28, 226 W.; so sind die Engelländer gut-
thätig und fromm ÜARSDÖRFEn frauenz.-gesprächsp.{l&il)
2, 186; meist zu guttat 2 a gehörig 'wohltätig, mildtätig,
gnädig', vgl. gütthätig beneficus Calepinus XI ling. (1598)
168»:
umb das ich (gottes gnade) gutdedlg bin
nnd kein scheldersze nlt enbin
pilgerf. d. träum, mönchs 1561 Bömer;
dartzu auch die unvoniunftige thier yhres gleichen gut-
thetig und mild sein Lütheb 6, 272 W.; das bedeut, dasz
wir uns gutthetig gegen allen menschen erzeigen sollen
Heyden Plinius (1565) 463 ; den himmel nennt man gnädig
und die unsterblichen einwohner desselben gütthätig
ßonoTTEL friedenssieg 29 ndr.; ich wolte mich der armen
mit . . . treuem hertzen (und) , . . gutthätiger band anneh-
men Schupp sehr. (1663) 429; damit ich diesen gutthätigen
leuten nicht zur last werden möchte Gellert «. sehr.
(1783) 4, 280; da er seine sinne an der kühnen hofnung
weidete, der verrufene kriticomastix . . . möchte sich
selbst dieser gutthätigen handlung unterziehen Gebsten-
BBRG br. üb. merkw. d. litt. 25 lit.-denkm.; vgl. mundart-
lich Fischer schwäb. 3, 971 ; göddedig Vollbeding plattd.
27. zu guttat 4 'tüchtig' : der künig solt reilicher den gut-
thätigen begaben Seb. Münster cosm. (1564) 1460.' —
guttätigkeit,/., aus guttätig gebildet; entsprechend gut-
tat 2 a 'ivoKltätigkeiV: gutthätigkeit beneficentia Cale-
pinus XI ling. (1598) 168*, Charites die drey göttinnen
der gutthätigkeit onom. 85*'; dasz er {der spruch) eigent-
lich von der gutthetikeit soll gesagt sein J. Meniüs spr.
Salomo (1526) 66''; darumb sollen die knaben in alle weg
zur guttetigkeit und almosen gewehnet werden BarTh
weibersp. (1565) g 3*; ein fürst solle langsam zur räche,
hurtig aber zur gutthätigkeit sein Zinkgref apophthegm.
(1628) 19; damit er den reichen umb seiner demut und
gutthätigkeit willen krönen möchte Grimmelshausen 2,
412 Keller; er gab ihr zu überlegen, ob er nicht dessen
gutthätigkeit mit undanke belohnen {müszte) Fr. Nicolai
Seb. Nothanker (1773) 3, 136; {die) religion deszen, . . . der
gutthätigkeit gegen andere zum wesen der religion machte
Herder 23, 105 S.; vgl. mundartlich guttätigkeit 'wohl-
vDoUen' Müller rhein. 2, 1524; verdinglicht für die gäbe
selbst: mit geschenken und allerhand gutthätigkeiten
E. Francisci lust. schaub. (1698) 572; nur durch drei-
maliges hinausgehen konnte eine förmUche mahlzeit ver-
hindert, die gutthätigkeit auf einen kaffee zurückgebracht
werden J. Gotthelf ges. sehr. 2, 328. — guttau, n., zu
gut, n., B 1 g y: 'guttaue, taue amrande dersegeV Schea-
DER dtsch.-frz. 1, 586.
GUTTER, m., f., flasche mit weitem bau^h und langem,
engem halse, der sich zu einer trinkschale erweitert; aus
spätantiker kultur stammende gefäszform, vgl. zur sach-
geschichte ztschr. f. bild. kunst 62, 37^. u. 166^., Belvedere
11, 85^. auch auf den destillierkolben angewendet in zahl-
reichen formenvarianten wie gütter, guttere, guttem, gut-
terer, gutturf, guttruf, gutrolf, gutterolf auftretend, neben
denen solche mit k- im anlaut stehen, s. kutter teil 5,
sp. 2905 und kutrolf sp. 2883; etymologische versuche ebda
sp. 2884; entlehnung aus lat. gutturnium ist besonders
für die formen unter 3 wahrscheinlich, die form gutter
scheint direkt mit lat. guttur {in mischung mit guttus?)
in Verbindung zu stehen, vielleicht gehört bereits spätahd.
gutter hierher, falls etwa ein Zusammenhang zwischen der
er scheinung sform des kröpf es und der benennung der dick-
bäuchigen flasche zu suchen ist: föne diu ward, daz Catullus
Nonium gutter hiez, do er an demo herstuole säze {unde
Catullus Nonium licet sedentem in curili tarnen struma
appellat) Notker 3, 107*^ Hattemer, vgl. gutter 'kröpf,
dicker hals' Staub-Tobler 2, 533, und mlat. guttura
*kelsucht, halszgeschumlst' Dikfenbach gl. 272^ {voc. theut.
V, 1482); mundartlich im bair.-alem., besonders Schweiz.,
bezeugt.
1) gutter, gütter, als m. {oder n.?),f., pl. gutteren; vgl.
gutter fiala Diefenbach nov. gl. 172^: darnach nimpt der
rabbi aber ein gutter mit wein S. Fbanck weltb. (1567)
165*; /ür 'euter' : die gaisz wirt fürnämlich gelopt ... , wann
si ouch ains groszen gutters ist und der überflüssigen milch
H. Östebbeicheb Columella 2, 86 lit. ver.; gutter 'meist
dickbauchige, enghalsige kleine flasche; krug, kolben aus
stein oder glas' FiscHEn schwäb. 3, 971; gutter, m., Schmid
schwäb. 246; der gütter Seileb Basler ma. 156; gutter, m.,
Staub-Toblee 2, 532; gutter,/., 'gläserne flasche' K. Rei-
SEE sagen, gebr., sprichw. d. Ällgäus 2, 707;
2) guttere,/., vgl. gutter(e)/., Mabtin-Lienhaet 1, 247,
guttere,/., 'flasche' A. Webeb ma. d. Zürch. Oberlandes 46,
guttere Bühleb Davos 2, 39, guttere Seileb Basler ma.
156; etwa hieraus latinisiert guttura 'gieszfasz' {voc. theut.
1482) Diefenbach gl. 272^?
3) guttern, gutteren, /. {av/:h m.?), vgl. guttern /.,
Schmelleb-Fb. 1, 963, gutteren,/., Staub-Toblee 2, 532:
ein gieszfasz oder tropfgeschirr, ein ölkrüg, ein gutteren
und geschirr mit einem zougen guttus Feisius eis**; ein
fach oder feymer, gutteren, dareyn das roszwasser oder
dergleychen empfangen wirt, wenn man distilUert excipu-
lus 497*; melancholy, die alles das ins menschen hertzen
ist, zeiget, gleych als das so man in einem glasz oder gute-
ren sieht 155^, vgl. ein ölgutteren von glasz, ein krug, ein
geschirr das ein weiten bauch hat ampulla Calepinus
XI ling. (1598) 83''; der trug zwo gutren in ietweder band,
ain mit wissen, die ander mit rotem win Richental chron.
d. Conet. conz. 120 lit. ver.; die eyer werdend mit essich
also lind gemacht, dasz sy durch einen fingerring ge-
stoszen werdend, item in ein gutteren Heeold-Fobee
Oesners thierbuch (1563) 2, 87*; fahe mayenthau auf, . . •
thue ihn in ein gutterglas und gaffer darzu, nach dem die
gutter ist Gäbelkovee ortzneyt. (1596) 2, 95; die groszen
viereckhigen guttem, so stärkher als die andern runde,
tuet man in ein fils, das sie nit verstoszen werden {v. 7.1709)
bei Schmellee-Fe. 1, 963; {der tierarzt sagte:) das ist von
den feinen einer {ein melkknecht), der . . . nimmt nicht die
leere guttem zur gewohnten zeit zum melken J. Gott-
helf ges. sehr. 3, 192.
4) gutterer, m.: ain bittrich oder flasch oder krug mit
aim kragen oder gutterer bauculum, vas ex ligno Pinicia-
Nus prompt. (1516) D 3''; gutterer, ängster Haesdöefeb
poet. trichter (1647) 2, 146 {wortbuch).
5) gutturf, guttruf, m., u. ä. ist bis ins 17. jh., lexikalisch
bis ins 18. jh. bezeug, vgl. guttrof artista {vas) Diefenbach
gl. 5ic, ghüddorff, flesch Albeeus nov. dict. (1540), gut-
torf guttus, poculum rorans Zehner nomencl. (1645) 368,
guttruff, gieszkanne guttus thes. lat.-germ. (1687) 404, gut-
ter, guttert, gutturff ampulla, bombylius Alee dict. (1727)
1, 1001 *>: Moses und Job erwenen meines wissens ge-
schmeltzten glases oder glesem geschirr ninder, denn
das die Rabinen das wort zinzsenet exodi 16 in jrer
verdeutschten postille ein glas oder guttrof geben, kön-
nen sie mit gutem gründe nit erhalten, wir lassen es
ein geschirr sein, das oben weit und unten enge ist,
wie man solche ehme unnd gleserne gefesz noch hat.
1483
GUTTER-GUTTIEREN
GUTTÜCH-GUTVERSCHWENDER 1484
die do kuttern, klunckern oder wie ein storch schnat-
tern, wenn man drausz trincket Mathesius Sarepta
(1562) 268''; (mittags) hett jeder (mönch) ein gutteruff vor
sich, soffen einander weidlich zu Kirchhof wendunrmdh
(1565) 2, 420'»; ein langhälsiger gutterruf Fischart binen-
korb {1&88) 122»; damit möcht ihr mitdemguttaruf gluck-
tratrara singen Oargantua 43 ndr.; gutruf, angster, trink -
geschirr J. Sommer ethnogr. mundi (1614) 1, 76; wenn man
. . . aus einem Zuckerrohr sieben engster oder gutruffen
füllen soU J. Ph. Abelin hist. antipod. (1631) 110; ein stru-
deln und brudeln der in diesem gutturf aufwallenden
weüenJ. Bälde trucken trunkenh. (1658) 31 ; im compositum:
da fleng der pawer seinen brunnen (harn)
in ein guttroffglas ... H. Sachs 9, 312 K.
6) gutrolf, gutterolf, m., u. ä., bis zum 16. jh. belegbar;
zuf ruhest als gutrolf e (plur.) in der Casseler hs. des WiUe-
halm V. 1334 {vgl. Wolfram v. Eschenbach Willeh. 326,
17) bezeugt, vgl. gotrolff fiala Diefenbach nov. gl. 172'':
vor zyten setzt man guttrolff dar,
' gleser mit den engen liiagen
Thomas Murner die mülle 1070 Albrecht;
in komposition: ein gutteroKglasz, den gemeinen leuten
wol bekant Hier. Braunschweig kunst d. destill. (1509)
1351; setzet er ihm ein süpplein vor in eim glasz mit
eim engen halsz, ein gutterolf genandt Kirchhof wend-
unmuth 4, 260 Österl.; — gutterglas, w., was gutter,
vgl. gutterglas, engster Stieler 1050: fahe mayenthaw
auf, . . . thue ihn in ein gutterglas Gäbelkover artzney-
buch (1596) 2, 95. — gutterkrug, m., zu gutter, 'krug
mit engem hals, sauerbrunnenkrug': die Stumpfen führ-
ten ein wasserkrug oder gutterkrug im schildt W. Hund
bayr. stammenb. (1585) 1, 343. — gütterlein, »., deminu-
tivbildung zu gutter, vgl. gütterlein guttulus Diefenbach
gl. 272 »: ein mügel, ein gütterlin oder ein kruso oder
was trinkgesehirre es ist {v. j. 1456) bei Schmidt eis. 161 3';
die salb thüet es (dasz die hexen auf der ofengabel reitend
herumfliegen) auch nit, sunst wan sie ein gütterlin salbete,
dasselb für auch darvon Geiler v. Keisersbebg emeia
(1516) 54b; etliche bringen gütterlein voU öl, salben da-
mit das bUd Widerhold beschr. d. reisen (I68I) 2, 69'';
schütte es alsdann in ein gütterlein Hebel w. 2, 203 Beh.;
den ganzen Unterleib waschen sie alle drei stunden mit
Wasser in dem langen gütterlin J. G. Zimmermann briefe
4; Ferdel, hör, der vater wartet auf das gütterli da
H. Fedbrer berge u. menschen (1911) 16. — guttern-
macher, m., flaschenmacher, vgl. ein guttermacher am-
pullarius Frisius 89'', Maaler 200<i. — guttern, vb., zu
gutter, doch vgl. auch mhd. kuteren Lexer 1, 1804, nhd.
kuttern teil 5, sp. 2805: 'gutteln, guttern ein geräusch
machen wie flüssigkeit, welche aus einem enghälsigen gefäsz
ausgegossen wird' Schmeller-Fr. 1,963; Stalder 1,489;
'gutt(e)ren ein geräusch machen une eine flüssigkeit . . .,
glucksen, rumpeln, kollern im magen' Fischer schwäb. 3,
972; 8 haut guttret inn wia im a schlauch Birlinger
schwäb. -augsb. 208''; im sinne 'aus dem gutterkrug trinken,
eine flusche ausleeren' Fischer a.a.o. nicht sicher hierzu die
bedeutungen 'werfen, treiben, machen" und 'butter machen'
ebda. — gutternputzer, m., Schweiz, pflanzenname;
wegen der kolbenartigen bluten, die wie flaschenbürsten aus-
sehen, zu gutter; für den rohrkolben ( typha latifolia) Pritzel-
Jessen 4:17; für eine distelart [dipsacus silvestris) ebda 136.
GUTTREFFEN, vb., zusammenrückung mit gut VII
A 1 a: einige junge buchhalter oder gelehrte spielten
bratsche, cello oder entwickelten guttreffende stimmen
Gutzkow zaub. v. Rom 1, 274; substantivisch: einer der
schützen sagte, zum gutzielen und guttreffen müszt man
satt sein M. Reich ausgew. w. 120. — guttreiben, vb.,
technischer ausdruck, zu gut IA2cy; Öfen, in welchen
guttreiben (des silbers) stattfindet Muspratt-Stohmann
7, 1556.
GUTTIEREN, vb., zu gutter in der bedeviung destil-
lier kolben gebildet im sinne 'herausträufeln': solches ist al-
chimistisch zugerichtet, dasz ein tropffen dem andern
nach sich herab vütriere, distilliere und guttiere in
tropffensweise Paracelsus opera 2, 84 Huser.
GUTTUCH, n., entspr. gut II A 1 (sp. 1260) kostbares,
wertvolles wolltuch, bes. scharlachtuch, vgl. guetduech ganz
wollenes zeug Seiler Basler ma. 153; das ganzwollene guet-
tuch (im gegensatz zum halbleinen) Friedli Bärnd. 1,379;
(er war) der erste, der in unserm dorfe ein scharlachwama
und fremdes guttuch zum kittel trug Pestalozzi sehr.
(1819) 2, 260. — guttuchen, guttüchen, adj,, zum vorigen
gehörig, vgl. guadtüachan 'von echtem scharlachtuch', z. b.
9 guadtüachonen brustfl6k Schmeller-Fr. 1, 963: ihr
herren reisende und ihr in schwarzen oder guttuchenen
kutten wisset nicht, was vorgeht im eigentlichen volke
J. GoTTHELF ges. sehr. 12, 164. — guttuer, m., 'Wohl-
täter', vgl. guttäter: die pettelörden baten got tag und
nacht, dasz ire gutthuer und speiser wider komen städte-
chron. 3, 148. — guttun, vb., zusammenrückung aus der
formet gut tun; zu gut I A 2 c e aa (sp. 1234/.) 'vergüten':
(dasz man) ihm sogar das pachtgeld gegen gute aufsieht
gutthäte GÖTHB IV 11, 235 W.; etwas montirungsgeld
und einem jährlich durch 80 thaler 'gutgethanen', d. h.
selbst zu stellenden pferde Gutzkow zaub. v. Rom 2, 75;
zu gut Vn A 1 d y 'sich ordentlich betragen' : (ein) zum
leichtsinn geneigter bursch, der nicht überall gutthat
M.Meyr erz. a. d. Ries 2, 422; zu gut VII E bzw. gut, n.,
A 5 'rechtschaffen handeln': es ist kein gerechter mensch
auf erden, der in dem, das er gutthuet, nicht sundigte
(pred.Salom. 7, 21) Lvthbvi bibel 9, 155 W.; substantivisch:
dann er im alles gütthüns unbewyst, wie Christus sprach :
sie reden, aber sie thüns nicht J. Nas antipap. eins u.
hund. (1567) 3, 39»; zu gut VII A 1 d d" 'wohltätigkeil':
es nelimen doch die lente
mein gutthan gegen sie nicht auf der schlimmen seite?
Gottsched dtsche schaub. 6, 416.
GUTTURAL, adj., adv., oft substantiviert; phonetischer
terminus nach gutturalis zu lat. guttur 'kehle' von sprach-
lauten im sinne 'in der kehle gebildet': davon nimmt der
herr Verfasser die gutturalen oder kehlbuchstaben zuerst
vor Gottsched d. neueste (1751) 2, 338; die rückkehr der
vielen gutturalen, welche überhaupt das mongolische aus-
zeichnet Ritter erdk. 3, II6. — gutturalaussprache,
/..• wuszte denn der Verfasser nicht, dasz das patach furti-
vum blos die gutturalaussprache anzeige ? allg. dtsche bibl.
101, 535. — gutturalreihe,/. ."SO kann der in der dental-
reihe entstandene laut unmöglich von derselben qualität
sein wie die in der labial- und gutturalreihe entstandenen
W. Schbrer kl. sehr. 1, 283. — gutturalsprache, /..•
die gröbei'e gutturalsprache der bergbewohner Ritter
erdk. 15, 314.
GUTTUUNG, /., zu gut tun, vgl. gut I A 2 c e aa (sp.
1234/.) im sinne 'entschädigung' : (der vater) hat an
seine correspondenten die Verfügung ausgehen lassen,
an seinen söhn keinen thaler mehr ausztizahlen bey
Verlust der gutthuung Göttinger Student auf d. Plesse
(1748) 1, 161; weil ich eine geliehene (laute) einem armen
Studenten V. verdorben hatte, der sich von der musik
ernährte, und dem ich keine gutthuung dafür erwiesen
Hamann sehr. 1, 203 Roth. — gutverdämpfer, m., zu
gut, n., B 1 b 'prasser, Verschwender' : gutverdempffer
catillo Diefenbach gl. 107'' (1590), vgl. catillones schl&m-
mer, fräsz, gütdämpfer Frisius dict. (1568) 198». —
gutvergesz, m., name des andorn (marrubium vulgare)
Nemnich wb. d. naturgesch. 217; entstellt aus gottver-
gesz, vgl. Pritzel-Jessen 230/. — gutvergeuderin,
/., zu gut, n., B 1 b 'Verschwenderin' :
(mode,) du flinkste gut- und geldvergeuderln
Hoffmann v. Faherslebbn geg. sehr. 5, 297.
— gutverlämmerer, m., zu gut B 1 b 'Verschwender' :
ihr aufhaspler, gutverlämmerer, vaterverderber Fischart
Garg. 15 ndr. — gut ver schiin derin,/., zu gnt, n., Blb
'Verschwenderin' : dises aber gedeiet solchen prachtschaben
und gutverschlinderin zulezt, eben wie dem prassen^olf
Fischart 3, 251 Hauffen. — gutverschwender, m., zu
gut, n., Blb, vgl. mhd. guotswendsere Konrad v. Haslau
jüngl. 363, guotswent Sbifrid Helbling 2, 429 Seem.:
ir, Finnen und Lappländer,
das seind die rechten gutverschwender
Opbl-Cohn dreiszigj. krieg 421.
1485 GUTVERSCHÖSSER-GUTWILLIG
GUTWILLIG
1486
— gutverschösser, m., zu gut, n., Blb 'verarmter
mensch' luxemb. ma. 523. — gutverzehrer, m., zu gut,
»., B 1 b 'prasser, verschwender\ vgl. gutverczerer ambro
DiKFENBACH gl. 20^, prass, guotverzerer comedo ebda
134C (15. u. 16. Jh.), vgl. Fischer achwäb. 3, 973 {v. j. 1521).
GÜTVOGEL, m., nd. name einer schnepfenart, der
'grosze und der kleine brachvogeV {numenius arquatus bzw.
phaeopus): regen-, güs-, güth-, jütvogel, kücker Bkehm
tierl.^ 6, 15; Naumann naturgesch. d. vögel 8, 478. vgl.
gieszvogel (steirisch) Sdolahti vögeln. 281.
GUTWAGEN, s. güterwagen. — gutwährung, f.:
'gutwährung, freiwillige ablegung eines dinges, einer ge-
wohnheit, frz. abdication, intermission' Schradeb disch.-
frz. 1, 580; vielleicht hierzu: dicitur enim das schelten,
treiben, auftreiben, nachschreiben, fuszhalten, gutweh -
rung A. BeiePv schelten d. handw. (1689) 55. — gutwand-
lung,/., zu gut V B 3 c 'rechtschaffener wandeV: habt eur
gutwandlung unter den leuten cod. Tepl. 3, 9 Huttier. —
gutwartung, /., zu gut III A 2 'sorgsame pflege': eine
einzige aderlässe bekam mir treffüch neben der gutwar-
tung, die ich empfing Grimmelshausen Simpl. 541 ndr. —
gutwerdung, /., zu gut I A 5 c a aa {sp. 1246) im, sinne
'bürgschaft': Nicolaus Ulrich (soll) solcher gutwerdung
entladen und losz gezcalt werden (v. j. 1494) bei Haltaus
gloaa. 766. — gutweizen, m., zu gut II A 2, ein weizen
gvier qualität: sortirung des gutweizens Karmarsch -
Hebren 6, 3. — gut werk, n., zusammenrückung aus
gutes werk ; zu gut IV C 3 'freundliche tat, wohltat' :
BÖ deda the drohtines sunu dagö gehwillkes
gödwerk mld is jungoron Heliand 2285 Heyne;
zu gut V 3 a a 'frommes, tugendhaftes werk' : das ist das
oynigk, höchst und das gewissest gutwerck, das wir uf
erden thun mögen Hartmuth v. Cronberg sehr. 50 ndr.;
mundartlich spezialisiert im sinne 'gevatterstehen' Unger-
Khuxl 313ä'. — gutwetterperiode,/., zu gutes wetter,
vgl. gut III A 2 a (sp. 1271): wir benutzten jede gutwetter-
periode zu Spaziergängen J. G. Kohl Alpenreisen l, 11, vgl.
gutwetterwind Fischer schwäb. 3, 973. — gutwierig,
adj., im 16. jh. vereinzelt auftretend; ^brauchbar, geeignet' :
die euszerst rind von den (cocos)nüssen gescheit, ist
gutwirig zuverbrennen Seb. Franck iceltb. (1534) 206^;
'berechtigt': ist mein . . . pitt, solche . . . verpott ufzu-
heben und mich in meiner gutwirigen und wolbecleidten
gerechtickheit und possession ... zu lassen Amalie v.Ysen-
bürg an Philipp v. Hessen, ungedr. schreiben v. j. 1535.
GUTWILLE, m., zusammenrückung aus guter wiUe, vgl.
gut IV B 2 a (sp. 1293/.) im sinne 'freundlicher wille, innere
bereittvilligkeit' :
disz Ist nimmer kein wolthat gut
wanns der gutwill nicht wircken thut
Eyerjng prov. cop. (1601) 3, 382;
mehr zu gut IV B 2 b hin steigernd 'freier, eigener unlle':
der die weit durch ihren eignen mutwillen oder gutwillen
betriege M. Hayneccius schuüeuffel (1603) vorr.; zu gut V
Blb (sp. 1305) 'rechtschaffener, aufrichtiger wille':
fürwahr, der ist gutwlllens blind,
. . . der solcheä führt in streit und frag,
was öffentlich liegt an dem tag
Opel-Cohn dreiszigj. krieg 331.
— gutwillen, vb. aus guter w"lle, vgl. gut IV B 2 a ge-
bildet im sinne 'guten ivillen beweisen, willfahren':
uf daz er sie (das volk) gestillete
und iren mut gutwillete,
so nam Johannes ienez gut
buch d. Makkabäer 11470 Helm.
GUTWILLIG, adj., auch adv.; schon in ahd. zeit aus der
formelhaften Verbindung guter wille geschaffen und bis in
heutige spräche durchstehend.
1) zu gut V B 1 b (sp. 1305) gebildet.
a) die bedeutung 'einen tugendhaften, frommen willen
habend' bleibt auf ältere spräche beschränkt, vgl. gütig,
fromm, auf rächt, on boszheit, ungefelscht, gutwillig can-
didua Frisius 180»;
8Ö thu nl wlli, that thär antgeldan guodwillige man
wamscadöno werek as. genesis 198 Heyne;
guotwillige mennisken (sacratoa) Notker bei Gbaff l, 829,
guotwiUigen (piis) ebda;
unde (dasz) sie {die geistlichen) den unturen
ires irretumes sturen
mit yserinnen gelten,
die gutwilligen zerten,
daz honic bevorn in troufen
Heine, v. Hesler apocal. 2290 H.;
wie got einen iegeUchen gütwilhgen menschen suchet mit
manigerleige widerwertikeit Tauler pred. 131 F.; die
guotwiUigen menschen loufent irrende alse die scheiJelin
under den woHen Nicolaus v. Basel 246 Schmidt; desz-
halb het got aufgericht das gepot der gehorsam, darein
sich gütwilhger mensch solt ergeben und gegen got under-
thänig machen Berth. v. Chiemsee t. theol. 256 R.
b) in jüngerer spräche in abgeschwächter Verwendung, die
oft mit 2 verrinnt, einen 'rechtschaffenen redlichen, aufrich-
tigen, ehrlichen willen habend', auch 'das gute wollend':
kurzewliff und geselleschaft
nement e der zit den liuten ir kraft,
die blctde und doch guotwillic sin
Hugo V. Trimbekü rennet 9873 Ehr.;
der pabst war guetwillig und bekennet frei, es geschech
kaiser Ludwig unrecht J. Turmair w. 5, 485 Lexer; der
englischen hartköpfe ziel zu verrükken und den guht-
wiUigen einen muht zu machen Zesen gekr. majestät (1661)
149; die geduld ist in der that ein schönes weibesbild,
welches nur diejenigen glücklich machet, die ihrer liebe
guttwillig genieszen Warnecke poet. vers. (1704) 252; die
mitglieder waren meist erwekte und gutwUh'ge leute, die
sich herzlich darüber freuten, wenn was gutes geschah
J. RiSLER Spangenberg (1794) 178; oft mit abschätzigem
beiklang bei dem mehr oder minder betonten gegensatz zwi-
schen wollen und handeln: ein zwar wohlmeinender und
gutwilliger, aber doch sich übereilender . . . junger mann
Göthe IV 28, 314 W.; der andere (arzt ist) zwar ein güt-
wilhger mensch, der aber nicht viel gelernt hat G. For-
ster s. sehr. 7, 297 ; dann gibt es aber auch noch . . . eine
menge blos gutwilliger seelen Jung-Stilling s. sehr. 5, 67.
2) die ausgebreitetste Verwendung schlieszt sich an gut IV
B 2 (ap. 1293^.) an; in älterer spräche steht wohlwiUig, vgl.
ahd. welawiUig benevolus, benignus Graff l, 829, als kcn-
kurrent für diesen bedeutungszweig neben gutwillig, sodasz
aUe belege weniger häufig sind.
a) zu gut IV B 2 a im sinne 'freundlichen, geneigten
tvillen habend oder zeigend', vgl. gutwillig benivolus Die-
fenbach gl. 7l<^, gutwillic clemens 126^^, gudwillig mitia 364 ».
a) allgemein als eigenschaft aktiven strebens:
endi fridu an erdu flrihö barnun
gödwilligun gumun Heliand 421 Heyne;
mit kuotwUhgemo muote (benigna mente) Notker pa. 61, 5;
mit der rede machte ich dö
die gebür guotwillic unde frö
Hugo v. Teimberq renner 1458 Ehr.;
(sie sei) unfletlc oder schoene,
guotwillic alder hoene
Hugo v. Langenstein MaHina 133, 104 K.;
von fründen und erkanten gütwilligen lüten Niclas
y. Wyle transl. 119 K.;
(ich) hab in gutwillig geredt an
H. Sachs 21,
! E.- a.;
die weyl got als eyn gütwühger almechtiger artzt sich so
gnedigkhch erbeuttet eynen yetzüchen, der das begert,
gesundt zu machen H. v. Cronberg sehr. 136 ndr.; zu
dienst dem gütwilhgen läser Herold -Forer Oesners
thierb. (1563) 116; die band des herrn (hat mich) zu solcher
erkäntnus gebracht, damit ich vielen menschen gutwillig
wiederumb gedienet habe Jag. Böhme sehr. (1620) 4, 220;
viel andere mehr, die mir treuhertzig und gutwillig in
vielem an die band gestenden v. Hohberg georg. cur.
(1682) 1, vorr. a 4; als sie in den völligen besitz aller heihg-
thümer der gütwilhgen Sophia gesetzt wurden Schwabe
belust. (1741) 1, 314; indessen bettelt man von gütwilhgen
beyträge Göthe IV 12, 236 W.; sie ärgerte immer durch
Widerrede den gutwilligen mann A. v. Arnim w. 9, 251 Or.;
'freigebig' : to gutwilhg es half lidderhch Müller rhein. 2,
1487
GUTWILLIG
GUTWILLIG
1488
1524; adverbial 'in guter ab8icht\- ir (der ratsherren) aUer
unschuldt dagegen auszüfüeren (würde) gutwillig und be-
dechtlich underlassen städtechron. 32, 281.
ß) von der mehr passiven unüenshaüung, oft mit pejora-
tivem einschlug; im sinne 'geduldig, nachsichtig': das sol
und will ich für vätterlich Warnung . . . von uwer yedem
gütwillig dulden und ufEnemen Fr. Riederer rhetor.
(1493) a2b; man spricht, es geschehe die gerechtigkeit,
wann die partheyen . . . gutwillig und mit gedult gehört
werden Nigrinus v. zäuberern (1592) 287; allein allzu gut-
willig seyn ist keine tugend Chr. Wolff v, d. menschen
thun u. lassen (1720) 681; wenn sie so einfältig seyn, und
den schimpf so gutwillig verschlucken wollen, so wiU ich
für sie denken theat. d. Dtschen (1768) 12, 158; die deutsche
weit ist gutwiUig, sie hat sich schon sehr viel kompen-
dienschreiber für Schriftsteller aufdringen lassen Fr. Ni-
colai Seb. Nothanker (1773) l, 92; als 'gutmütig': (er) setzt
seine stinkende faixlheit noch im grabe fort, unter der
nase des gutwilligen narren, dem er seine abgeschüttelte
arbeit aufgehalst hat Thümmel reise in d. mittl. prov. v.
Frankr. (1791) 6, 204; das wird kaum ein gutwühger narr
glauben Fr. L. Jahn w. 2, 222 E.; 'verträglich, nicht stör-
risch': dat is gaudwillig veih (von den schufen) Schambach
Gott. 60".
y) mit abhängiger präposition gegen, entsprechend gut IV
A 1 b^; darumb, ihr discipuh , . ., sollen von ewerm gan-
tzen gemüt ihnen danckbar seyn und in allen euch gegen
ihnen als moecenaten gutwillig erzeigen und dienstbar
finden lassen Paeacelsus opera 1, 282 Huser; er gegen
alle menschen und gegen alles ding gutwillig sey JoH.
Abnd Thomas a Kempis theol. (1661) 45; der tischler ist
wohl sonst ein ganzer kerl, aber gegen das mädchen ist
er zu gutwillig Storm s. w. 2, 132.
b) an gut IV B 2 b anschlieszend im sinne 'bereitwillig,
willfährig, willig' zu einem handeln, das nicht aus freund-
licher gesinnung, sondern aus bloszer innerer tatbereitschaft
hervorgeht, vgl. gutwillig, wilf ertig /ociii«, lubens Deoima-
TOR thes. (1615).
a) in allgemeiner Verwendung:
lasz dich iecz guetwlHig finden,
spar nit dein vergifft hefftig pheyll
altdt. pass.-spiele 282 Wackerndl;
es weren die burger guottwiUig, ir iaa,i(estät) endtgegen
zu ziechen städtechron. 25, 367; so bin ich gütwilHg, öffent-
lich zu bekennen, das er ein besserer ritter sey dan ich
Warbbck Magelone 33 B.; (sie) fügten sich darauf zu
ihm, den betraffen sie gutwiUig ihnen zu helffen Fischart
Qarg. 361 ndr.; vereinzelt mit abhängiger präposition im
sinne 'empfänglich' : welher mensch gegen derselben gnad
gutwillig, nit widerspänig ist, denselben macht got ge-
recht Berth. v. Chiemsee t. theol. 284 R. ; oft in bezug auf
die unllfährigkeit zur ausführung von befehlen und auf-
tragen:
vor anfang miner befelch du wüssen solt
zu allen ziten gutwillig bereit
unser aller willige gehorsamkeit
N. Manuel v. papst 888 BäcM.;
sie ist brav, thätig, gehorsam, gutwiUig M. Meyr erz. a. d.
Ries 2, 460; sie waren gutwiUig und gehorsam H. Stef-
fens was ich erlebte 7, 269; die (kamele) wurden angesetzt
und wiegten bei hängender Unterlippe gutwüMg und
gleichmäszig schneU los Hans Grimm volk ohne räum 2, 37.
ß) häufig passiv geivendet von jemand, der etwas willig,
ohne widerstand mit sich geschehen läszt, vgl. gern oder
gütwiUig leyden pati facile Frisius 958 a;
will mich gantz gehorsam erzeigen
und gib mich gutwillig darein
H. Sachs 10, 18 K.- O.;
ein geschlecht, das ich verachte, weU sie sich so gutwiUig
unter der niedrigsten knech tschaft der menschen be-
quemen Tieck sehr, 5, 206; (sie) Uesz sich gutwiUig von
ihm das blut stillen und die wunden verbinden Eichen -
DORF s. w. 2, 134; in pejorativem sinne 'gefällig, willig' in
bezug auf erotische hingäbe: (er) verhiesz ire, wan sie im
ein nacht zu wiUen wolt werden, ein pfund goldt zu geben,
die gut fraw . . . woit gutwiUig sein Luther 11, 280 W.;
allwo er meistens auf dem land
manche gutwillige schöne fand
KOKTUM Jobsiade (1799) 1, 48;
bei den kaiserUchen schlosz sich eine menge gutwUliger
frauenspersonen an den heereszug an Schiller 8, 273 0.
y) namentlich in neuerer spräche adverbial im sinne 'mit
innerer zustimmxmg, gern', vgl. gutwUlig und gern hören
oder auf losen aequo animo atterulere Frisius 48": dieweil
es die kay. mt. und ain ersamer rat also haben wolten,
so wolten sie . . . das underthenigist und gütwühg thün
städtechron. 32, 39; versagt er es ihr nicht, sondern liesz
sie dasselbig gern und gutwiUig nemmen Amadis 17 lit.
ver.; der einige weg guttwiUig zu sterben, bestehet in
erkäntnus des todes Butschky Pathmos (1677) 153;
denn war er (der gegen) einen häller werth,
hochwürdger herr, sie gähen ihn
gewisz nicht so gutwillig hin
Ramler fabellese (1783) 1, 28;
80 mögen wir uns gern dem zauber des dichters entreiszen,
nachdem wir uns gutwülig haben von ihm fesseln lassen
Fr. Schlegel in: Athenäum l, 2, 155; aUe nachbarn wer-
den sie (die fremden) gutwiUig als gaste empfangen
G. Freytag ges. w. 8, 81.
c) in Weiterbildung aus b bereits im älteren nhd. im sinne
'freiwillig, aus eigenem antrieb handelnd, unaufgefordert',
vgl. von im selbs, ungebätten, gütwiUig, ausz eigner wUl-
kür suapte Frlsius 1251^, gutwüUg, selbswiUig, unerfor-
dert uüro Decimator thes, (1615): (ob er daraus, dasz) ime
die Schlüssel zu dem ainen thor . . . gütwUlig mitgetaüt
(wären), ain gerech tigkait schöpfen (wollte)^ städtechron.
32, 320; 80 wiU ich mich gutwUlig für mein königreich
. . . aufopffern M. C. Schütz hist. rer. pruss. (1592) a 6»;
als nun dieser zu Wien wider einritte, zog hingegen
Eitzinger gutwiUig zum andern thor hinausz Zinkgref
apophthegm. (1628) 184; es ist nicht zu glauben, dasz ein
jeder aus denen, welche dergleichen unterschiedene Seiten
haben, sich gutwilUg selbst betriegen (werde) Leibniz
dtsche sehr. 2, 319; soU kein hamraerherr einen arbeiter
annehmen, es habe denn dieser zu vorhero einen schein
produciret, dasz er gutwiUig dimittiret sey und seinen
vorigen herrn vergnüget habe Chr. Herttwig bergbuch
(1734) 198"'; (es ist der) entschlusz eines autors, der dem
reiche der schönen Wissenschaften gutwiUig entsagt, weü
es ihn noch niemals aufgenommen hat br. d. neueste litt,
betr. 13, 33; (ich) beachtete genau, was erfahrung einzeln,
gutwiUig hergab (jÖthe II 6, 16 W.; wir sind aus der
stiUe, genügsamkeit und mittelmäszigkeit der früheren
zeit herausgeworfen, und keiner wül gutwiUig dahin zu-
rück E. M. Arndt sehr. f. u. an s. l. Deutschen 3, 201;
besonders im betonten gegensatz zu zwang oder gewaü-
anwendung, meist adverbial:
80 ferr er nit wil gutwillig syn,
so fürend in gefenclilichen hyn
Schweiz, schausp. d. 16. jhs. 3, 25 Bäckt.;
dieweil er der folter nicht gewohnt, hat er gutwiUig be-
kannt, er habe es gethan Prätorius wündscheirvihen
(1667) 80; ich wül sehen, ob ich ihr das . . . entweder gut-
wiUig oder mit gewalt abnehmen kann Gottsched dtsche
schaub. 1, 160; und wenn sie (die Steuer) nicht gutwiUig
gezahlt wird, so schicken wir den executor Bismarck
polit. reden 4, 92; man konnte sich denken, dasz er nicht
gutwilUg davon lassen würde, sein vieh auf fremden wei-
den fett zu machen Will Vesper d. harte geschlecht 34.
3) auf abstracta bezogen im sinne 'au^ gutem willen her-
vorgehend, guten willen beweisend' in den unter 1 und 2
behandelten bedeutungen.
a) zu 1 a vereinzelt, vgl. cuotwillig hohi (pium culmen)
Notker 3, 288" Hattem.er; gütwiUig tugent tempfen pös
natürlich untugent Besth. v. Chiemsee t, theol. 474 R.;
zu kestigung des lybs in underthänig machen dem güt-
wUligen gaist E Berlin v. Günzburg s. sehr. 1, 19 ndr.;
z^t 1 b: wenn ich dran denke, dasz mein argloses, gutwü-
liges gemüth so gemiszhandelt wird Babo schausp. (1793)
94; wie unvermögend ist doch der gutwiUigste fleisz der
menschen gegen die aUmacht der ungetheilten begeiste-
rung Hölderlin ges. dicht. 2, 73 Litzm.
1489 GUTWILLIG-GUTWILLIGKEIT
GUTWILLIGKEIT-GÜTWILLIGLICH 1490
b) 2u 2 a: das volck hatt ein gütwillig hertz gegen den
künigen S.Münster cosm. (1564) 1461; und hat di bey-
wonung solche guetwilUge fraintschafft auch nit wenig
gemert J. v. Schwabzenberg d. teutsch Cicero (1535) 70;
nachdem er meiner gutwilligen freundUchkeit genossen
Gbimmelshausen 2, 35 Keller; beyMegendes pro memoria
. . . habe ich mit gutwilliger meynung verfaszt Göthe IV
12, 146 W.
c) zu 2h: wenn ich euch (trost) beweisen kan, wil ich
dasselbige mit gutwilligen treuwen vollbringen Amadis
73 lit. ver.; gutwillige erlaubnusz und wiUfahrung seiner
bitt Dannhatjer catechismusmilch (1657) 1, 346; gebt mir
gutwilüges gehör, ich will euch die kunst reich zu werden
lehren Schupp sehr. (1663) 748; durch gutwillige treue und
fast bhnden gehorsam gegen ihre landesherren Herder
18, 315 (S.; nun will ich eure Rosalinde in einer gutwilligeren
Stimmung seyn, und bittet von mir, was ihr wollt, ich
wiU es zugestehn Shakespeare 4, 266.
d) ZM 2 c : alleine meine gutwillige erniedrigung ihm zu
dienen, hat er . . . nicht für eine enteuserung meines Stan-
des anzunehmen Lohenstein Arminius (1689) 2, iso''; und
musz man von ihnen ledighch ein gutwilliges geständnisz
erwarten Scheibe d. crit. musiczts (1745) 202; werden neun
zehntel der kosten von den hofgesessenen getragen und
diese . . . zur gutwilligen übernehmung dieser beschwer -
den bewogen J. Moser s. w. 2, 16 Ab. — gutwillige, /.,
abstraktbildung zu gutwilüg 2 a 'freundlichkeiV ; ahd. gut-
willig! benignilas: übe mihne scunti min guotwilligi, minen
tougenen willen mit iu ahton Notker 3, 3l4'>' Hattemer; zu
gutwillig 2 b 'bereitwilligkeit' : und begab sich wiUigklich
von dem pabstumb abzetretten . . . dann diser pabst
meint, er weit siner gutwillige harnach genieszen, dasz er
wider ze pabst erkoren wurd Äg. Tschudi chron. helv. 2, 5.
GUTWILLIGKEIT, /., seit mhd. zeit bezeugt, ableitung
von gutwillig, vgl. auch mhd. wolwiUicheit.
1) 2M gutwiUig 1 seüen gebildet im sinne 'rechtschaffenes
wollen, vnlle zum gvien" :
das auch gutwilllgkeit erwachs
bey meyd und knechten 1 räth Hans Sachs
H. Sachs 9, 353 K.;
gleichwie die gerechtigkeit ist eine allgemeine gutwilllg-
keit der weiszheit gemäsz Leibniz dtsche sehr. 2, 39;
blasser nach gutwillig 1 b 'aufrichtiger wille' : das sie auch
iren eitern folgen und solche lieb und treu axif sich erben
lassen und sie dieselbe mit gutwiUigkeyt ohne heucheley
bewaren Mathesius ausgew. w. 2, 8 Lösche.
2) besonders häufig aus gutwilhg 2 hergeleitet, vgl. gut-
willikeit benivolentia Diefenbach gl. 71^.
a) entsprechend gutwillig 2 a a; als 'mildtätigkeit, frei-
^ebigkeii" : di sibinde (frucht) ist guitwillikeit, daz ist milde -
keit des gudis parad. anim. int. 71 Strauch; es begegent
wider die sünd geitikait die tugent mUtikait, dieselb ge-
birt gütwillikait der menschen Albr. v. Eyb Spiegel d.
sitt. (1511) c 1^; {dann) werdet ihr vielleicht wirth, mahler
und andere künstler zu zeugen eurer gutwilllgkeit haben,
aber wenig hungerige, durstige, nackende, krancke
Schupp sehr. (1663) 750; dasz der schwache magen . . .
bey der gutwiUigkeit seiner gönnerinnen nicht zureiche
Schwabe belttst. (1741) 2, 253; 'freundlichkeit,freundschaft;
gnade, gute': o du unaussprechliche sueszigkeit gotllcher
gutwiUigkeit gein dem mentschhchen gesiecht hertz-
maner 17''; also gehandelt werden von eynem freunde,
dem mein glaub nu lange bekant, der meinen glimpf und
gütwilHgkeit oft erfaren Hütten opera 2, 182 Bock.; ha
ihr kavaUier, wird mir meine gutwiUigkeit dergestalt be-
lohnet? J. Rist d. friedeunlnsch. Teutschl. (1648) 103; ihm
(wäre) seine freundhche gutwiUigkeit um geld nicht feil
E. Francisci lustig, schaub. (1697) 3, 471; gern präpositio-
nal verbunden mit aus: wir aber solchen (schlüssel) . . .
aus gütwilhgkait und nachbarhchem wiUen geUehen
städtechron. 32, 327; aus innerster gutwiUigkeit gegen
einem freund Schupp sehr. (1663) 763; 'gewogenheit, gunsf :
jso setzt der redner den anvang usz dem zimUchen teil
der sach des richters neygung oder gütwillikeit zu er-
langen Fb. Riederer rhetoric (1493) a 7^; wie das fürst-
IV. 1. 6.
Uch geblüt, so auch der fürstUche muth zuvor in gnädiger
Sänfte und gutwiUigkeit gleich und eins sey Lutheb br.
1, 435 de Wette; suchet derwegen ire gunst und gutwiUig-
keit J. Gbetteb a. d. Römer (1566) 29; '■freundliches wohl-
wollen\ man findet selbst beym rohesten pöbel gutwiUig-
keit Archenholz Engl. u. Ital. l, 2, 423; ich näherte mich
ihm voU gutwiUigkeit und vieUeicht nach meiner art
etwas zu schneU Göthe gespr. 1, 43 Biederm.
ß) nach gutwillig 2 a j5 'gutmütigkeit, nachgiebigkeiV : er
miszbraucht unser gutwiUigkeit Luther <i«cÄr. 301* (1576)
Aurif.; dasz meim Vrane ob dieser einfaltigen gutwiUig-
keit und wolgemeynter einfalt der Canarrier die äugen
anfiengen uberzugehn Fischart Garg. 430 ndr.; noch ein
erschreckUcher miszbrauch ist aus der gutwiUigkeit CaroU
erwachsen Arnold kirch.- u. ketzerhist. (1699) 311*'; die
gutwiUigkeit dieser Augustiner und das ansehen des
landesherrn hat solche aber in ein nichts verwandelt
Winckelmann s. w. 2, 89; vgl. gaudwiUigkeit gutmütigkeit
Schambach Gott. QO^.
y) für den aus geneigtem willen hervorgehenden 'gvien
willen, die gute absieht': sein glawb (wäre) dannoch ge-
recht von wegen der heb und gütwiUikait, so er zu
guten werchen hat Bebth. v. Chiemsee t. theol. 36 R.;
ich hoff . . ., menigllch werd mein gutwiUigkeit und ge-
neygten wiUen loben A. Dübeb v. menschl. proportion
A 2*; (er) auch unser Unvermögen und unser gutwilikeit
darin bedachte städtechron. 10, 419; meine dumme Un-
wissenheit hat also über meine gutwiUigkeit, dir gleich zu
antworten, den meister gespielt Wackenbodeb w. 2, 18
v. d. Leyen; mit leicht abschätziger färbung : bei aUem . . .
musz man seiner gutwiUigkeit gerechtigkeit widerfahren
lassen Göbres ges. br. 3, 18.
b) zu gutwiUig 2 b im sinne 'bereitmlligkeit, vnllfährig-
keiV, vgl. begirlich kraft vel gutwiUigkait voluntas Diefen-
bach gl. 628^: (er) findet bei aUen iren reichen uberausz
grosze guttwüUgkait, volg und hüff wider den Turcken
Scheübl briefb. 214 v. Soden; {sie) würden durch anrei-
czung unserer guttwiUigkeit ... gleichmeszigen wiUen uns
erweisen acta publ. 2, 53 Palm; ich ziehe meine vorige gut-
wiUigkeit zurück Lohenstein Arminius 2, 604''; 'innere
bereitschafV : der selb herr seUg starb an aUerheiUgen
abent mit groszer andacht und gütwülikeyt Bbbyden-
BACH heyl. reyszen (1486) 142!*; 'botmäszigkeiV : {Cicero
hat) dieselben innwoner nicht weniger diurch völUge ge-
rechtigkeit . . . dann mit den waffen zu guttwiUigkeit . . .
bracht J. v. Schwabzenbebg d. teutsch Cicero (1535) 11*»;
vereinzelt nach 2 c hin 'freiwilliges handeln": {wer) ihm
nicht selbs mit eigener gutwiUigkeit undanck . . . ein-
kramen wU V. HoHBEBG georg. cur. (1682) l, 29.
c) verdinglicht für die aus freundlichkeit,freigebigkeit her-
vorgegangene handlung selbst 'wohltat, freundschaftsbeweis,
liebeswerk': {dasz er den) glaubigen ... für ihre gutwiUigkeit
und wolthaten die seUgkeit mittheüe Babth weibersp.
(1565) 0 3^; diesem nach wäre die . . . Opferung . . . eine
noth und pflicht, nicht aber eine blosze gutwiUigkeit
Lohenstein Arminius (1689) 2, 928"'; es seynd {dem wirt)
. . . wegen erzeigter gutwiUigkeit gegen denen frembden
. . . aUe sünd verziehen Abbaham a s. Claba etw. f. alle
(1699) 1, 618; einem mann, dessen . . . rathgebungen und
gutwiUigkeiten ich das meiste ... schuldig zu sein ... ein-
gestehe J. H. Voss antisymb. 2, 77; 'dienstleistung' : {sie
auch) gegen denselben ... sich aUer freuntschaft, gutwillig-
kalt . . , hiemit erbieten städtechron. 32, 279; welcher sich
aUer gutwiUigkeit und mögUcher beförderung erbotten
Habsdörfer teutsche secret. (1656) l, 323. — gutwillig -
lieh, adj., bis ins 17. jh. gebräuchlich; vereinzelt zu gut-
wiUig 1 a : bitet unsern herren, daz er euch selber berait
und lebt gütwiUikUch und innerUch Tauler sermones
(1508) L X^; zu gutwiUig 2aa; ietz streck sie {die hand)
gütwiUigüch usz zu trost den armen durch almusen geben
Geii.er v. Keisersberg bilgerschaft (1512) b 3»; er solt
im gutwilligUchen vergönnen mit ihm zu reden von aUerley
Sachen buch d. liebe (1587) 338'^; zu gutwiUig 2 b: (er) bat
W. umb ein weer, die er an der selten trug, ime zu geben,
das tet er guetwiUikUch WilwoU v. Schaumburg 68 lit. ver.;
94
1491
GUTWOLLEND-GUTZEIT
GUTZEL-iGUTZEN
1492
sein schreiben, seine hand,
die hat uns disz sein thun gutwllliglich bekant
MORHOF unterr. (1682) 2, 87;
ZU gutwillig 2 c : davon wurden sie erst so gar verzagt,
wurffen ihre wehren von ihn, gaben sich gantz gütwüligk-
hchen gefangen Wickbam w. 2, 409 lit. ver.;
du hast das lant geräumt
und in das elend dich gutwilliglich verfüeget
ROMPLER V. LÖWENHALT erst, gebüsch (1647) 92.
— gutwollend, adj., seltene bildung neben wohlwollend;
zu gut V A 1 bzw. gut, n., A 5 'rechtschaffenes wollen
habend': ain frummen gutwöllenden man Schaiden-
RAiszBB Odyssea (1537) s^; zu gut IV B 2 b hin:
sodann die kindcr, gutwollend und artig
GÖTHB III 13, 19 W.
— gutwoller, m., 'jem., der guten willen hat, aber nichts
leistet\ vgl. gut IV B 2 b : wo nicht, so ist er ein yrrer und
ein gutwöUer in der artzney Paräcelsus opera (1616) 1,
277 Huser. — gutwurichkraut, n., im Schweiz, name
der pflanze gänsejusz {chenopodium bonus Henricus), s.
auch gutheinrich, vgl. Pbitzel-Jessen 91 {für S. Oallen
bei Werdenberg), Staub-Tobler 3, 915. — gutwurz,/.,
name der pflanze Schöllkraut {chelidonium majus), wegen
ihrer heilkraft an gut I A 1 b angeknüpft, doch wohl zu-
ruichst entstellung aus goldwurz ; belegt bei Toxites kreutter-
buch (1576) nach Pextzel- Jessen 90.
^GUTZ, m., obd. nebenform von gusz («. d.) zum stamme
germ. *geut- 'gieszen^ im sinne 'das herausflieszervde, der
strahl einer flüssigkeit':
daz si so prislich striten
mit swerten und mit geschütze,
daz von in blutes gütze
gerert ward uz den haiden
JOH. V. WÜRZBURQ Wüh. V. Österreich 19040 Reffel;
den ersten gutz {vom wein) nemen {v. j. 1343) bei Fischeb
Schwab. 3, 973; schweizer, noch mundartlich: gutz flüssig-
keit, ausgieszen von flüssigkeit Bühleb Davos l, 46, Staub-
Tobleb 2, 582, vgl. 'gutzji, n., dem. zu gutz 'äuszerst
kleine flüssigkeitsmenge, vne selbe bei der ruckartigen be-
wegung des trinkgeschirrs in das glas . . . durch die röhre
oder den schnabel vorzuschieszen pflegt' Bühleb Davos 2,
132; diese kuh gibt nur noch ein gutzli {d. i. ein wenig)
milch Staub -Tobleb 2, 582.
''GUTZ, m., 'das erbettelte giä, bettelgeld', retrograde bil-
dung aus 'gutzen oder gutzeln 'betteln', im 16. jh. vereinzelt
auftretend, vgl. auch gutzel: das die armen pfefflin nit
ufE dem gutz, uff der finantz, uff dem raub dürfften sitzen
{v. j. 1523) bei Schmidt elsäss. 161 *; 'almosen, milde gäbe',
hier als gutze /. ( ?) : gange zu Andelfingen von einem hus
zu dem andern, bitte einen umb gutzen und gaben und
ein husstür dokum. z. gesch. d. bürgermeist. Hans Wald-
mann 2, 160, — gützbetterin, /., zu gutzen, gutzeln
'betteln' für eine 'bettlerin, die sich fälschlich für eine Wöch-
nerin ausgibt': es sint ouch frowen . . . heiszent gütz-
betterin {v. j. 1430) bei Staub-Tobleb 4, 1823.
^GÜTZE,/., name einer fi^chart; nur in älterer spräche
bezeugt und nicht näher zu bestimmen: item wan man
hinusz fiiret hering und ander gesalzen güz, dasz sol man
nit hinweg lassen on desz saltzmeisters zeichen {v. j. 1454)
urk.-buch d. stadt Heilbronn 2, 559; es werden hier ge-
funden . . . goldfische . . . güsten, gutzen Micbaelius
altes Pommerland (1640) 6, 384.
*GÜTZE, /., retrograde bildung aus gutzen («. dort),
benennung der gieszschaufel der leinwandbleicher {veraltet)
und einer in der form ähnlichen tonpfeif e, s. Mülleb rhein.
2, 1528.
GUTZEBERGLEIN, n., s. guckenberglein sp. 1037.
GUTZEGAUCH, s. gutzgauch.
GUTZÄHLUNG, /., aus etw. gut zählen {vgl. gut I A
3 d) substantiviert im sinne 'billigung' : Socrates . • . hat
seine discipulos von unzeitiger bestätigung der mainung
und leichtf artiger gutzehlung des gemainen wons . . . ver-
warnet Fischaet s, i Hauffen. — gutzeit, adv., zu-
sammenrilckung aus bei guter zeit (vgl. gut I C l c,
sp. 1256) im sinne frühzeitig', besonders nd. beliebt, vgl.
se gingen goodtied weg Mensinq 2,481; guöttid Woestb-
NÖBB. westfäl. 87*, wo ältere belege.
GUTZEL, m., rückbildung aus gutzeln 'betteln' im sinne
'bettel, almosenfordern': {die) armen pfarren habend mües-
sen den gutzel us armuet anheben Zwingli bei Staub-
TOBLEE 2, 683 ; was groszer bauren aber werend si gwesen,
wan si von dem kleineren zeitlichen ganzen werend, damit
sie mit dem bättel oder gutzel zu gröszerem und ja hundert-
faltigem hettind an dem zeitlichen langen mögen J. v.Watt
hist. dtsche sehr. 1, 73 Götz.; deszwegen auch der künig iren
unverschampten geit und gutzel auffs höchst mit wortten
straaffet und beschalt J. Stumpf keiser Heinrich d. vier-
dten hist. (1556) 54*. — gutzel,/., aus gutzeln 2 'sich zu-
dringlich mit liebkosungen um etwas bemühen, buhlen' her-
geleitet: gutzel, dirn, hure putana, meretrix HuLSius dict.
(1618) 144».
GUTZELN, vb., alem.-rhein. wort, besonders schweizer,
seit dem 16. jh. bezeugt; allgemeinste bedeutung ist 'dringend,
unausgesetzt bitten', iterativbildung zu ^gutzen; nachSTAVB-
TOBLEE 2, 583 ZU Schweizer, güzen {aus *guwezen) 'mit
offenem munde nach etw. blicken', doch legt das gröszere Ver-
breitungsgebiet von gutzeln und sein kurzer Stammvokal
herleitung aus ^gutzen, 'blicken' näher, entweder wneFEiscH
t.-lat. 1,387** 'gutzlen, betteln, aspicerealiquem moremcTidi-
corum eleemosynam exspectantium' , also als 'gierig blicken',
oder aber 'den köpf heischend in die türen stecken', vgl.
^gutzen 3 b; aber auch gutzeln = kitzeln {vgl. teil 5, sp. 877)
'behelligen, plagen' von kützen teil 5, sp. 2909 liesze sich
heranziehen, vgl. gutzeln'kitzeln, jucken' Lexeb kämt. 128*'.
1) allgemein 'sich um etwas mit zudringlichem wesen, z. b.
mit vielen schmeicheleyen, liebkosungen usw. bewerben'
Staldee 1, 505, vgl. umb etwas werben, höuschen, gylen,
gutzlen, anstrengen, begären procare Feisius 1063^, mit
bitten und gutzlen einen unrüwig und überlägen seyn la-
cessere aliquem 751*, so vil etwan ein eerenampt begärend,
gond sy von eim zum andern darumb ze gutzlen oder ze-
wärben competitores plures obeunt 890'': einer verhiesz
giddine berg, einer disz, der ander dasz, also das in irem
gutzlen und verheiszen kein maasz was J. Stumpf keiser
Heinrich d. vierdt. hist. (1656) 45*; ähnlich 'schmeichelnd
locken', vgl. gotzel dem ferkelchen e beszchen, da kennt
et Mülleb rhein. 2, 1528; dann überhaupt 'dringend bitten,
betteln', vgl. bitten, eins bitten, vast bitten, gutzlen ero-
gitare Feisius 481*, 'schmarotzen, betteln' Staldee 1, 505:
gutzeln 'schmeichelnd betteln, nur von menschen, besonders
um essen, namentlich von kindern, die um näschereien bitten
und nicht nachlassen': en hat ken rauh, bes en em de
groschen aus dem sack gegotzelt hat Mülleb rhein. 2,
1528; dan wo si arm gwesen, habe man den geit gespürt,
vor welchen niemand bättlens und gutzlens halb ruw
gehabt habe J. v. Watt hist. dtsche sehr, l, 308 Oötz.; was
bringt dann das ander gutzlen ain: eyer, schmalz, kes
und flaisch, och gelt JoH. Kbszleb sabbata 62 hist. ver.;
ausz welchem dann zusehen, dasz es viel besser seye, den
weibem zu kramen, darmit man ires gutzelns und betteis
ledig werde Agybtas grillenvertr. (1670) 72; beim abschied
gutzelte {der f uhrmann) um eine Vermehrung des trank -
geldes JoH. Toblee (1790) nach Staub-Toblee 2, 584.
2) in spezieller bedeutung 'umbuhlen, mit liebkosungen
umwerben', vgl. unschamhaftig anstrengen, unzüchtiglich
begären, gutzlen procare Calepinus dict. (1570) 1223, ein
mutwill, Unzucht mit gutzlen, frechheit, gaUlung Megiseb
pol. (1603) 2, 327^: als er einen sach umb ein gemeyne
dirnen bülen und ir yemerdar zümütten, das sy im mit
iren unerbars zuhandlen gestatten wolle, sprach er: du
arbeitsäliger tropff, was wüt du mit dem gutzlen und
gylen schaffen? leer u. laben Biogenis (1550) g 6*. —
gutzeln, vb., iterativbildung zu gutzen 'mutwillig eine
flüssigkeit verschütten, ausgieszen' Mülleb rhein. 2, 1528.
^GUTZEN, vb., aus guckezen, intensivbildung zu ^gucken
'blicken' {sp. 1032^.), über gukzen entwickelt; seit dem
jüngeren mhd. belegt und in obd. und md. maa. noch be-
uxihrt, vgl. Schmellee-Fr. i, 969, Schöpf tirol. 226,
Staub-Tobleb 2, 583, FiscHEE schwäb. 3, 974, Neubaueb
1493
1GUTZEN-2GUTZEN
3GUTZEN-GUTZGAUCH
1494
Egerl. 67, 'blinzeln, zwinkern" Hertel Thür. 111; litera-
risch das 17. jh. nicht überdauernd.
1) zu 'gucken 1 'neugierig, forschend blicken*:
ich sach in (den ehemann) eins die klrch durch gutzen
und ie zu Zeiten eine an schmutzen
fastnacMssp. 2, 544 Keller;
da hett man von Calandrino ein schön gutzen gesehen,
dann er die frawen durchsehen wolt Arigo decam. 564 K.
dort geht ein man, artlich gebutzt,
der stets hin und herwider gutzt,
samb er nach schönen frawen sech
H. Sachs 17, 73 K.- O.
2) besonders häufig wie ^gucken 3 in verengerten bedeu-
tungen.
a) mit begrenzter sieht durch etwas hindurch, über etvxis
hinweg oder unter etwas hervor blicken:
(zwei sehlüpften) hinter ein mantel preyt,
der do hing hinter einer Stuben thure,
do guczt der eyne pey der weil her füre
H. FOLZ meisterlieder 47, 10 Mayer;
an Irem hausz klopfet ich an,
. . . ich melndt sie solt mich einhin Ion,
gutzt herausz, hiesz mich ein fladen
Volks- u. gesellschaftslieder 54, 31 Kopp;
denn In dem fenster meines hausz
gutzt ich durch ein gitter herausz
H. Sachs 19, 251 K.- G.;
wird ein grosz gepolter und gutzet Satanas unten herfür
Jao. Ayrkr dram. 1566 K.; durch unterschiedlich mit
eiszen vergitterten fenster (sah ich) die elende einwohner
des hauszes ganz auszgemergelt, mager, pleich und halb
todt herauszer gutzen F. Axbanus münchsesel (1637) 10;
er guckte oder gutzte an den fenster . . . herausz E. Wei-
GEL tugend-üb, rechenkunst (1687) 208; mundartliche redens-
art im bair. i will do's gutzan dur'n zäun leanan will dich
bescheidenheit lehren Schmeller-Fr. l, 969.
b) nach *gucken 3 b mit Zielangabe des sehens:
und in der sünden putzen
hast du (leib) mich (seele) gehelszen gutzen
Heinrich v. Neustadt vis Philiberti 284 iS.;
in die mischung weltlicher schänden hastu nit geluget, in
irdische Wandlung hastu nit gegutzt ackermann a. Böh-
men 13 Kn.;
der pfaff ward lachen, da ward sie schmutzen,
da lies Ich sie unten in meinn spiegel gutzen
fastnacMssp. 2, 765 Keller;
ir wolt in eile Winkel gutzen 1, 142;
sobald einer in ein glas oder krausen gutzet, ist ihm schon
der dürmol im köpf Wickram w. 2, 25 lit. ver.; stehet hin-
ter dem teufel und hebt im den schwantz auff und gutzt
selber hinein Joh. Nas aniipap. eins u. hundert (1567)
1, 97i>;
er kumpt zum hausz und gutzt hinein,
ob er da find die göttin fein
H.Chr. WOLCKKNSTKIN aller practicken grosvater (1573) F 2'';
artzney ist gut in der suppen, gut baden im kuchenladen,
da der Fritz hinein gutzt und man die hund bespritzt
FisoHART prakt. 20 ndr.
3) entsprechend 'gucken 2 bei sachlichen Subjekten 'her-
vorragen, sichtbar werden"; noch in bildlicher Übertragung
von 2 a Äer;
(dag haar) gutzt herausz sam durch ein thor
H. FOLZ in: fastnachtssp. 3, 1276 Keller;
ein Spindel in eim sack, das stroh in schuhen, ein hur im
hausz gutzt selbst herausz Fischart praktik 120 ndr.; {die
fdsen) an einer langen zeil . . . herfür gutzen, wie die
zürnen an einer stattmauren J. B. Fickler v. Weyl Olai
magni hist. (1667) 76; von hier aus zu verstehen technisch
im sinne 'keimblätter treiben" : nach ... 3 tagen werden die
körner anfangen zu keimen, gutzen, wie es die brauer
neimen Muspratt-Stohmann i, 1306.
"GUTZEN, vb., intensivbildung zu 'gucken {sp. 1031)
aus guckezen über gukzen, vgl. gugzet Konrad v. Würz-
BURG gold. schmiede 132 Sehr., guchzet weisth. 1, 524, im
sinne 'wie der kuckuk rufen, kuckuk schreien":
swie lange aber wer s!n fröuden spil,
daz welz der gouch, der im vür war
hat gegutzet hundert jär
, Htrao V. Trimbeeq renner 11382 Ehrism.;
auch mit umlaut als gutzen:
den gauch (kuckuk) den hört man gutzen,
daz ist hierzu nütze
KÖNIG V. Odenwald 2, 39 Schröder;
als gutzschen: und nam den brief an der kirchtür und
schrai und gutzschet etädtechron. 11, 631.
'GUTZEN, vb., 'nach etwas eifrig werben, betteln", vgl.
gutzeln, wo etymologisches; literarisch im 16. jh. bezeug:
aber die reichen münch ernerten sich usz iren gülten und
stelleten auch das gutzen ab, damit sie auch ungezwungen
weren zu den täglichen jämerlichen messen M. Zell
christenl. verantwort. (1523) h 3*; nit achten, ob sie ewer
fürstliche gnaden tag und nacht mit geüen und gutzen
molestieren und bekümmern J. Frey gartengesellsch.
26 B.; vgl. schweizer, güzen, gauzen: ich güze nüd der-
nach 'es liegt mir an dessen besitz oder genusz nicht viel",
er tuet ja um das pösteli güzen Staub-Tobler 2, 583.
GUTZEN, vb., intensivbildung vom stamme germ. *geut-
'gieszen", aus *guttjan entwickelt, vgl. Kuhns ztschr. 15, 268;
im sinne 'ausgieszen" :
. . . waz blütes samen
von In (beim Zweikampf) do wart gegfltzet
Joh. V. WttRZBURQ Wilh. V. Österreich 8313 Regel;
mundartlich bewahrt, vgl. gutzen 'spritzen, aus einer röhre,
mit der spritzbüchse" und 'schnell, stark springen' Fischer
Schwab. 3, 974, vgl. Staub-Tobler 2, 682; im sinne 'in
strömen gieszen, regnen" : et regent, dat et götzt Müller
rhein. 2, 1528, aber 'ein wenig regnen" Fischer a. a. o. —
gutzenelle, /., volkssprachliche entstellung aus Coche-
nille, eine art der schildläuse {coccu^ cacti), vgl. Nemnich
wb. d. naturgesch. 217.
'GUTZER, gützer, m., nomen agentis zu 'gutzen, vgl.
gutzer, blinzler, gutzauge Hertel Thür. 111; anders 'ein
ding, nach dem man guckt", vgl. güzer wetterglas Seiler
Basler ma. 156. — 'gutzer, m., nomen agentis zu 'gutzen,
'bettler, Schmarotzer" vgl. gutzier: ich hab an meinem hoff
gnug solcher gutzer und gruszschmarotzer Dannhatjer
evang. memor. (1661) 699. — gutzerei, /., zu 'gutzen
'bettelei": wer meinstu der anders erdacht hat die vil
stempereyen, die gutzereyen, weder allein die hungrigen
Prediger? M. Zell christenl. verantwort. (1523) s 2*. —
gutzerlein, gutzerl, n., zu 'gutzen 3 a, 'ein ding, aus
dem man herausschaut, kleines fenster, gu^kloch", s.
'guckerlein 2; vgl. gluckfenster (= guckfenster) vel
gutzerlein fenestella ( = fenestrella) Diefenbach 229^;
gutzerlein valvula reductilis Kxbsch corn. (1723) 162*; 'ein
guckfenster, heiszt ein guckerlein, im obd. ein gutzerlein'
EoiÜNITZ 20, 295;
sie zogen links ums Herodes sein haus;
da schreit der kalfakter zum guzerl heraus
A. Hartmann Volkslieder 232;
wie 'guckerlein ifür das äuge: wers nit so guet waisz, hat
doch noch ein paar gutzerl im schedel, dasz er suechn kan
Schwabe tintenfäszl (1745) 78. — gutzfenster, n., zu
'gutzen 3 a 'guckfenster", vgl. guck-o. gutzfensterlein in
der wand riscus Kirsch cornucop. (1718) 949»: es ist
eben ein fürnehmer japanischer herr . . . bei einem
schieb- oder gutzfenster . . . gesessen E. Francisci hiat.
schaub. (1698) 2, 222.
GUTZGAUCH, gutzegauch, m., name des huchuks, aus
'gucken und gauch 'kuckuk", vgl. teil 4, l, sp. 1524, ge-
bildet, s. auch guckgauch sp. 1040; literarisch bis ins 17. jh.
belegt, im 19, jh. aus dem Volkslied wieder aufgenommen,
vgl. gutzegauch, gutzgauch, guczengauch, goczengaug
cuculus Diefenbach gl. 161»: der güczgäuch {Überschrift)
in: Germania 6, 88;
der gutzgauch hat sich zu todt gefallen
von einer holen weiden
Volks- M. gesellschaftslieder 111, 1 Kopp;
Plinlus schreibt vom gutzegauch,
dem vogel, seiner natur brauch
H. Sachs 16, 484 ü:.- G.;
gleich wie der gutzgauch der graszmucken, wann sie ihn
auszbrüt und emöhret, bisz er grosz ist worden, so friszt
er sie zu groszem danck V. Schumann nachtbüchl. 226 B.;
94*
1495 GUTZGEN— GYMNASIALÜNTERRICHT
GYMNASIARCH - GYMNASTIK
1496
er scheiszt in sein eigen nest wie der gutzgauch Etebino
prov. (1601) 2, 420;
der gutzgauch war der kemmerling,
der fürt die braut zu schlafen
Uhlani) Volkslied. (1881) 36;
der gutzegauch will seine eier
in fremde nester legen Gutzkow ges. w. 1, 255;
mundartlich in Übertragung a^if die grüne feldwanze, vgl.
Mkisingek Volks w. a. d. Wiesenthal 22. — gutzgen, vb.,
wohl metathetische Umbildung von guckzen (s. ^gucken),
auf das geschrei des raben übertragen: und künnen nicht
anders gutzgen und gatzgen, dann wie der rab C. Golt-
wüRM geistl. bedeut. d. erst, buchs Moysi (1552) 31*.
GUTZLER, m., nomen agentis zu gutzeln 1 'bettler,
schmarotzer\ vgl. gutzier, ein überlägner bitter flagitator
Maaler 200«^, gützler procax Diefenbach gl. 461*: so ha-
bend wir ... wider den gemelten (papst) Hildebrandum un-
verschämten gutzier ... uns einhellig erkennt, dasz er ab-
gesetzt solle sin Tschüdi chron. Helvet. (1734) 1, 31; die
fürnembste lastet . • . sind diese, dasz man {die Baiern)
. . . schwelger und unverschämpte, mutwillige und fre-
vele gutzier ... zu nennen pflegt P. Uffenbach Atlas
minor (1609) B 1», vgl. Staüb-Toblbr 2, 584 (beleg von 1667).
GUTZÜCHTEN, vb., zu gut IA2ea (sp. 1237) im
älteren steir. 'an körperfülle zunehmen^ Unger-Khull 3138'.
GWACKATZEN, vb., onomatopoetische bildung für
das schnattern der enten; vielleicht erweiterung zu quaken
und Vorstufe von quatschen, vgl. quieken, quickezen,
quecksen und veruxindtes Wilmanns dtsche gramm. 2,
108: gwackatzen als die enten tetrasitare Diefenbach
gl. 582a (15. ß_)^
GWARDI und ableitungen s. guardi.
GWELLFISCH, m., name des fisches aalraupe, treusche
(Iota vulgaris), der zur familie der Schellfische (gadoidei)
rechnet: item ain mausz (masz) gwellfisch Richental
chron. d. Constanzer conz. 40 lil. ver.
GYBITZ, TO., name einer art regenpfeif er : haupt-
dummer gybytz (charadrius morinellus) Naumann naiur-
gesch. d. vögel 7, 163, vgl. kiebitz und giebitz.
GYTITZ, m., name mehrerer arten des regenpfeifers, vgl.
gyfitz und gyfitzköpel 'goldregenpfeif er' {charadrius pluvia-
lis) (1666) Baldner vogelb. 55 Laut, für den kiebitzregen-
pfeifer {charadrius squatarola): eine brachamsel, groszer
brachvogel, grauer gyfitz C. Schwenckfeldt theriotr.Siles.
(1663) 316; gyfitz {charadrius vanellus = vanellus cristaius)
Naumann naturgesch. d. vögel 7, 269; vgl. auch kiebitz,
giebitz und H. Süolahti d. dtsch. vogelnamen 271/.
GYMNASIAL, adj., latinisierende ableitung von gym-
nasium 'zum gymnasium gehörig, am gymnasium befind-
lich\ z. b. das gymnasium in B. besitzt eine gymnasiale
und eine realgymnasiale abteilung; besonders in kompo-
sitionen gebräuchlich, vgl. gymnasialbildung, /..* und
diese historiker treiben nach mangelhafter gymnasial-
büdung ihr fach ziemlich abgelöst von der philologie
W. Scherer H. «cÄr. l, 729. — gymnasialdirektor,
m.: dann führst du ihn {den knaben) zu G., dem würdigen
gymnasialdirektor A. Pichler neue marksteine (1890) 57.
— gymnasiallehrer, m.: die späsze der anderen herren,
einiger gymnasiallehrer, dünkten ihn schal und laichen -
haft H. v. Kahlenbebg /ami7ie Barchwitz (1902) 181. —
gymnasialprofessor, m.: {seine) Vorbereitungen als
Zeichner mit den ansprüchen der gymnasialprofessoren in
einklang zu . . . bringen Holtei erz. sehr. 5, 10. — gym-
nasialunterricht, m.: da der gymnasialunterricht
wesentlich vorbereitend ist Hegel w. 17, 348.
GYMNASIARCH, m., n achgr. YvuvaainQ-/og; Vorsteher
einer schule für leibesübungen: zeichen der gewalt eines
gymnasiarchen Böttioer kl. sehr, l, 215 Billig; auf den
Vorsteher einer humanistischen schule, eines gymnasiums
übertragen: o, ihr konrektoren und gymnasiarchen, die ihr
über die devalvazion der alten winselt Jean Paul l, 108
Hempel.
GYMNASIAST, m., aus neulat. gymnasiasta, vgl. PaÄ-
TORius philos. salust. (1664) a 12^, für den schulet einer
humanistischen schule, eines gymnasiums; ältere belege des
18. jhs. s. bei H. Schulz dtsches fremdwörterbuch 1, 260'>:
vielleicht war es gar nichts, blosz eine milchsuppe von
Berliner, ein gymnasiast Fontane ges. w. I 6, 63.
GYMNASIUM, n., lat. gymnasium, gr. yv/uyacor
schule für leibesübungen {zu yv/uyos' nackt); in der alten
bedeutung wieder aufgenommen: nach Strabo waren die
schauenswerthesten statuen im gymnasium und im tem-
pel des Bacchus aufgestellt H. Meyer gesch. d. bild. künste
(1824) 1, 218; in späthumanistischer zeit (16. jh.) als name
für die humanistische gelehrtenschule eingeführt, weil im
antiken gymnasium der hauptsächlich steversammlungsort
der philosophenschulen zu sein pflegte: umb das jähr Christi
1346 hat pfaltzgraff Rupertus alda ein herlich gymnasium
auffgerichtet Quad enchiridion (1598) 79; die erbam sitten
auf hohen schulen und gymnasien Meyfabt v. d. hoch-
schulen (1636) 5; das herlich gymnasium oder schuelhausz
der geseUschaf t Jesu zu Insprugg v. Brandis ehrenkräntzel
(1678) 213; {Oöthes vater) hatte seine Jugend auf dem
Coburger gymnasium zugebracht, welches unter den deut-
schen lehranstalten eine der ersten stellen einnahm Göthk
26, 44 W.; eine grosze zwillingsschule, welche aus einem
gymnasium und einer realschule bestand G. Keller ges.
w. 1, 128; in scherzhafter Übertragung: gymnasium Straf-
anstalt, Zuchthaus H. Ostwald rinnsteinspr. 04; gimnasi
verstand 'K.VE^ oberschwäb. 19. — gymnasiumsprofes-
sor, m.: dann ein gymnasiumsprofessor Görres ges. br.
3, 285.
GYMNASTIK,/., nach gr. yvfivaaTiXTJ (rix^v) diekunst
der leibesübungen: die ganze gymnastik der alten Iftszt
sich in die orchestrik und palästrik eintheilen Gottsched
d. neueste (1751) 3, 435; ist die einrichtung nicht löblich,
. . . die deinen vater veranlasset, dich in der . . . gym-
nastik unterrichten zu lassen? Fr. Nicolai literaturbr.
(1759) 7, iO;für die 'ttirnkunsf eingeführt durch J. Chr. F.
GuTSMUTHs gymnastik für die Jugend (1793) titel; in
neuerer spräche aber vom eigentlichen turnen mit hilfsgeräten
wieder getrennt als körperliche Übungen ohne gerate, z. b,
rhythmische gymnastik; übertragen auf geistige Schulung
und Übung: solch ein angriff gefällt mir! das ist eine gym-
nastik des Verstandes Heinse s. w. 4, 333 Seh.; die gei-
stige gymnastik hat vor der körperlichen das übergewicht
gewonnen Rosegger scAr. II 8, 390. — gymnastisch,
adj., nach lat. gymnasticus, gr, yvfiyaaxixos 'die leibes-
übungen betreffend': hier wird nun der Ursprung . . . der
gymnastischen spiele erkläret Gottsched d. neueste (1751)
3, 435; durch gymnastische Übungen bilden sich . . .
athletische körper aus Schiller lo, 294 0.; Eros (bekam)
neben den zwei gymnastischen göttern, dem Hermes und
Herakles, bildsäulen Böttiger kl. sehr, l, 161 Sillig; er
hob ihn durch einen gymnastischen schwung auf die
Schulter Alexis ruhe ist die erste bürgerpfi. (1852) 236. —
gymnisch, adj., nach lat. gymnicus, gr. yvfiyi/.ös, was
gymnastisch: die gymnischen spiele beruhen auf der
einigung der Vernunft mit den körperkräften Sohlbier-
macher I 12, 58 beil. § I7l.
Druck von Breitkopf & Härtel in Leipzig
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ou^wii^v* t-isj« Art; JL D 1355
PF
3625
G7
Bd. 4
Abt.l
T.6
Grimm, Jakob Ludwig Karl
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