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Full text of "Deutsche Wirtschaftsgeschichte"

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Deutsche 
Wirthschaftsgeschichte. 

Voü 

Karl  Theodor  tob  Inama-SterDegg. 

Erster  Band. 


Leipzig, 
Verlag   von   Duucker  &  Hnmblot. 

1879. 


Deutsche 

Wirthschaftsgeschichte 

bis 

zum  Schloss  der  KaroliDgerperiode. 


Dr.  Karl  Theodor  von  Inama-Sternegg, 


Leipzig, 

Verlag   von   Dancker   &  Humblot. 

1879. 


Das  Cebersetzcrnggrecht  iit  vorbehalten. 


Vorwort. 


Die  Geschichte  der  deutschen  Volkswirthschaft  ist  noch 
nicht  geschrieben.  Sie  wird  aber  Jedem  als  ein  unabweis- 
bares Bedürfhiss  ei-scheinen,  der  den  Schwerpunkt  des  Völker- 
lebens nicht  in  dessen  Kriegsthaten  und  der  politischen  Action 
seiner  Regierung,  sondern  in  seiner  inneren  Entwickelung 
erblickt,  und  der  die  entscheidende  Rolle  nicht  verkennt, 
welche  gerade  der  Wirthschaft  des  Volkes  für  sein  ganzes 
sociales  Leben  zufällt. 

Es  ist  mir  längst  zur  Ueberzeugung  geworden,  dass  unser 
ganzes  öffentliches  Leben,  unsre  wissenschaftliche  Arbeit  wie 
unsre  praktischen,  politischen  und  socialen  Bestrebungen' an 
einem  auffallenden  Mangel  acht  historischen  Sinnes  leiden, 
wie  er  nur  durch  die  Unkenntniss  der  historischen  Entwicke- 
lung unserer  öffentlichen  Zustände  selbst  zu  erklären  ist. 
Insbesondere  habe  ich  es  immer  lebhaft  empfunden,  dass  die 
Wissenschaft  der  Nationalökonomie,  zu  welcher  auch  ich  mich 
bekenne,  obwohl  sie  seit  lange  eine  historische  Richtung  von 
sich  aussagt,  doch  noch  ganz  des  festen  Fundaments  einer 
quellenmässig  begründeten,  erschöpfenden  und  zusammenhän- 
genden Geschichte  unserer  volkswirthschaftlichen  Zustände 
und  Einrichtungen  entbehre. 

So  gross  und  schwer  auch  die  Aufgabe,  besonders  bei  dem 
Mangel  von  Vorarbeiten  für  die  älteren  Perioden,  ei-scheinen 
musste,  80  wäre  doch  diese  Uebei-zeugung  allein  schon  mächtig 
genug  gewesen,  mir  Muth  und  Ausdauer  zu  verleihen,  um 


VI 

einen  ersten  Versuch  in  dieser  Richtung  zu  wagen.  Nicht 
minder  aber  trieb  mich  zu  solcher  Arbeit  die  Hoffnung,  die 
Zweifel  an  dem  Werthe  und  den  Resultaten  der  historischen 
Richtung  der  Nationalökonomie  erfolgi-eich  bekämpfen,  viel- 
leicht ganz  beseitigen  zu  können.  Schon  der  vorliegende  erste 
Band,  welcher  sich  doch  mit  der  ältesten  primitivsten  Zeit 
der  deutschen  Volkswirthschaft  beschäftigt,  wird,  wie  ich  hoffe, 
zur  Genage  erweisen,  dass  die  Wirthschaftsgeschichte  keine 
bloss  antiquarische  Foi'schung,  keine  Sammlung  von  alten 
Curiositäten ,  keine  blosse  Aneinanderreihung  von  piimitiven 
täppischen  Versuchen  des  wirthschaftlichen  Sinnes  unserer 
Vorältem  ist,  aus  der  wir  fttr  das  Vei'ständniss  und  die  theo- 
i'etische  Ausbildung  unserer  Disciplin  nichts  zu  lernen  ver- 
mögen. Wohl  gehört  auch  das  liebevolle  Eingehen  auf  anti- 
quarisches Detail  der  Wirthschaft  zu  den  AiiFgfle);»€n,  ja  ich 
möchte  sagen,  zu  den  Eigenschaften  eines  Wirthschafts- 
historikers ;  aber  doch  nur  um  zu  erkennen ,  in  wie  weit  wir 
es  mit  charakteristischen  Zttgen  einer  früheren  Zeit  oder  einer 
bestimmten  wirthschaftlichen  Einrichtung  zu  thun  haben. 
Die  letzten  Resultate  sind  aber,  wie  die  ganze  Forschung 
stets  der  Erkenn tniss  der  Bedingungen  zugewendet,  unter 
denen  sich  das  deutsche  Volk  wirthschaftlich  entwickelte,  und 
geben  damit  auch  unmittelbare  Aufschlüsse  über  die  allge- 
meinen Entwickelungsgesetze  der  Völker  und  ihrer  wirth- 
schaftlichen wie  socialen  Einrichtungen.  Denn  der  Process 
der  Entwickelung  des  menschlichen  Gemeinlebens  ist  so  tief 
begründet  in  der  menschlichen  Natur,  dass  bei  ähnlichen 
äusseren  Lebensbedingungen  auch  immer  wieder  ähnliche 
Bestrebungen  und  Einrichtungen  in  Erscheinung  treten. 

Es  würde  das  allerdings  viel  deutlicher  noch  und  über- 
zeugender hervortreten,  wenn  sich  die  Wiithschaftsgeschichte 
ohne  jede  nationale  oder  territoriale  Begi*enzung,  als  Ge- 
schichte der  Wirthschaft  des  Menschengeschlechtes  darstellen 
Hesse.  Und  sicherlich  ist  das  eine  Aufgabe,  deren  Lösung 
versucht  werden  muss,  die  aber  doch  erst  dann  mit  Erfolg 
versucht  werden  kann,  wenn  einmal  wenigstens  von  den  wich- 
tigsten  Culturvölkem    die  Thatsachen   ihres   wirthschaftsge- 


VII 

schichtlichen  Lebensganges  durch  exacte  historische  Arbeit 
festgestellt  sind. 

Vorläufig  würde  auf  diesem  Wege  über  eine  philosophische 
Geschichtsconstruktion  nicht  hinauszukommen  sein,  welche,  so 
verdienstvoll  sie  auch  sein  mag,  doch  die  stete  Gefahr  in  sich 
trägt,  aus  ungenügend  erkannten,  oft  auch  geradezu  irrigen 
Anschauungen  der  einzelnen  Entwickelungsmomente  die  weit- 
tragendsten Schlüsse  zu  ziehen  und  einen  Geist  in  die  Ge- 
schichte hinein  zu  tragen,  der  am  Ende  doch  nur  „der  Hen*en 
eigner  Geist"  ist. 

Die  Beschränkung  der  wirthschaftsgeschichtlichen  For- 
schung auf  die  Untersuchung  der  Entwickelungsphänomene 
eines  Volkes  ist  vorläufig  ebenso  noth wendig  wegen  des 
Standes  der  historischen  Foi*schung  wie  wegen  der  Methode, 
die  eben  vom  Besonderen  ausgehen,  dann  die  Besonderheiten 
der  einzelnen  Völker  aus  der  Vergleichung  gewinnen  muss 
und  endlich  erst  das  Gemeinsame  ihrer  Entwickelung  mit 
Sicherheit  zu  erkennen  und  darzustellen  vermag.  Und  am 
meisten  wird  das  gerechtfertigt  sein  bei  der  Geschichte  der 
deutschen  Volkswirthschaft ,  welche  wie  die  keines  andern 
Culturvolks  so  eigenartig  und  frei  von  fremden  Gulturein- 
Aussen  entstanden,  dann  so  interessant  in  der  Verwerthung 
der  Reste  einer  alten  wie  der  Culturelemente  einer  neuen 
Weltanschauung  gewesen,  schliesslich  so  massgebend  für  die 
Culturgeschichte  von  Europa  geworden  ist 

Die  deutsche  Wirthschaftsgeschichte  ist  aber  auch  nicht 
die  Geschichte  der  Wirthschaft  des  deutschen  Volkes,  am 
wenigsten  in  der  älteren  Periode  dei*selben,  welche  in  dem 
vorliegenden  Bande  behandelt  wird.  Denn  das  deutsche  Volk 
hat  sich  ja  in  einzelnen  seiner  Stämme  bald  nach  seinem 
historischen  Auftreten  auf  Gebieten  niedergelassen,  welche 
wirthschaftliche  Einrichtungen  und  Zustände  schon  in  ungleich 
entwickelterer  Weise  besassen  als  die  Summe  deijenigen, 
welche  diese  Deutschen  selbst  in  jene  Länder  mitgebracht 
haben.  Auch  ist  die  Einheit  ihres  öffentlichen  Lebens,  ja 
selbst  die  Gleichaitigkeit  ihrer  nationalen  Anlagen  und  Inter- 
essen schon  so  frühzeitig  verloren  gegangen,  dass  sie  zum  guten 


vin 

Theile  nicht  einmal  mehr  gemeinsame  Beziehungen  und  Be- 
rührungspunkte besassen.  Die  Ostgothen  und  Langobarden 
in  Italien ,  die  Westgothen  in  SQdfrankreich  und  Spanien^ 
selbst  die  Burgunder  können  nicht  als  Zeugen  für  den  Geist 
des  deutschen  Wirthschaftslebens  angerufen  werden.  Auch 
die  Salier,  obwohl  lange  Zeit  massgebend  für  die  Entwickelung 
des  politischen  Lebens  der  Deutschen  überhaupt,  haben  doch 
ihre  Wirthschaft  unter  wesentlich  fremdartigen  Bedingungen 
eingerichtet  und  sahen  sich  Zielpunkte  ihres  Lebens  gesteckt^ 
welche,  weit  entfernt,  eigenthümlich  national  zu  sein,  geradezu 
ihren  deutschen  Charakter  selbst  aufhoben.  Die  Sachsen  in 
England  sodann,  wie  die  geimanischen  Nordländer  haben 
wieder  nach  anderer  Richtung  hin  so  vei'schiedenaitige  Zu- 
stände entwickelt,  so  wenig  volkswirthschaftliche  Beziehungen 
zu  den  Deutschen  unterhalten,  dass  auch  ihr  Leben  schon 
frühzeitig  des  Fremdartigen  viel  mehr  als  des  Gemeinsamen 
für  eine  geschichtliche  Betrachtung  des  deutschen  Lebens 
zeigt.  Nur  in  einzelnen  wenigen  Fällen  sind  daher  die  diesen 
Völkerkreisen  angehörigen  Quellen  angezogen  worden,  wo 
entweder  eine  volkswirthschaftliche  Ei*scheinung  der  Deutschen 
dui'ch  ein  Verwandtes  bei  diesen  Völkern  erläutert  oder  eine 
Lücke  der  quellenmässigen  Beweisfühiiing  mit  Sicherheit  aus 
jenen  ergänzt  werden  konnte. 

So  muss  sich  denn  die  deutsche  Wirthschaftsgeschichte 
eine  viel  gi'össere  Beschränkung  auferlegen  als  die  Geschichte 
des  deutschen  Volkes,  oder  selbst  die  deutsche  Rechts-  und 
Verfassungsgeschichte.  Denn  während  die  eine  die  Schicksale 
erzählt,  welche  die  deutschen  V51kei*schaften  überall  hatten» 
wohin  sie  auf  ihren  Wandei'zügen  geriethen;  die  andre  den 
Ideen  und  Formen  des  rechtlich  geordneten  Zusammenlebens 
nachgeht,  die  ein  Volk  zum  guten  Theile  wenigstens  auch 
unter  fremden  Verhältnissen  mit  sich  trägt  und  congenial 
ausgestaltet,  ist  dagegen  die  Wirthschaft  eines  Volkes  immer 
und  durchaus  bodenständig  und  das  um  so  mehr,  je  primi- 
tiver seine  Zustände  sind,  je  mehr  der  Natur  des  Landes 
ein  massgebender  Einfluss  auf  die  Nahrungs-  und  Lebens- 
verhältnisse des  Volkes  zukömmt.    Daher  ist  dann  aber  auch 


IX 

für  die  deutsche  Wirthschaftsgeschichte  das,  was  die  Geschichts- 
schreibung bisher  von  dem  Culturleben  der  Deutschen  erzählt, 
nur  in  dieser  Beschränkung  und  Sichtung  zu  verweilheu. 
Ebenso  ist  die  deutsche  Rechts-  und  Verfassungsgeschichte, 
welche  mindestens  die  Zustände  des  öffentlichen  Lebens  bei 
den  Franken  gleichmässig  bei-ücksichtigt,  mag  es  sich  um 
die  östlichen  oder  westlichen  Länder  handeln,  mit  Voi*sicht 
und  Auswahl  zu  benutzen.  Und  aus  demselben  Grunde  kann 
auch  von  der  werth vollen  historischen  Literatur  Frankreichs 
für  die  Periode  der  beiden  ersten  Dynastien  nur  ein  sehr  be- 
schränkter unmittelbarer  Gebrauch  gemacht  werden. 

In  dieser  Beschränkung  sollen  dann  aber  auch  alle  Seiten 
des  Volkslebens  untersucht  und  dargestellt  werden,  welche 
entweder  direkt  dem  wirthschaftlichen  Leben  angehören,  oder 
dasselbe  sei  es  in  der  Produktion,  sei  es  in  der  Güterver- 
theilung  beeinflussen  oder  Folgewirkungen  desselben  sind; 
insbesondere  also  die  Erscheinungen  des  socialen  Lebens,  der 
gesellschaftlichen  Schichtung  wie  der  Verbände  und  Organi- 
sationen, die  auf  wiilhschaftlicher  Grundlage  inihen  oder  durch 
wirthschaftliche  Zustände  ihre  Erklärung  finden.  Denn  wie 
die  Volkswirthschaftslehre  erat  in  der  Erweiterung  ihres 
Arbeitsfeldes  auf  das  Gebiet  der  socialen  Erscheinungen  ihre 
Aufgabe  abschliessen  kann  und  ihren  Untersuchungen  über 
Werth  und  Unwerth  der  wirthschaftlichen  Lebensäusserungen 
das  gemeinnützige  Ziel  setzt,  wodurch  sie  zu  einer  wahren 
LehiTOeisterin  für  die  Völker  werden  kann,  so  ist  auch  die 
Geschichte  der  Wirthschaft  eines  Volkes  nicht  anders  als 
durch  die  Geschichte  seiner  gesellschaftlichen  Zustände  zu 
verstehen.  Auf  diesem  Gebiet  ist  nun  allerdings  vielfach, 
wenngleich  mehr  einseitig  juristisch,  vorgearbeitet;  und  es 
wird  wohl  nicht  als  unzulässige  Bescheidenheit  ausgelegt 
werden,  wenn  ich  mich  hier  auf  die  gediegenen  Leistungen 
der  deutschen  Verfassungsgeschichte  über  ständische  Verhält- 
nisse stützte  und  nur  soweit  auf  selbständige  Untersuchung 
einliess,  als  eben  der  Ausgangspunkt  von  den  wirthschaft- 
lichen Momenten  aus  die  bisherige  Betrachtung  entweder 
wesentlich  zu  ergänzen,  andei*s  zu  beleuchten,  oder  zu  corri- 


X 

giren  nöthigte.  Denn  nur  für  diese  specielle  Seite  des  Volks- 
lebens erachte  ich  mich  als  Nationalökonom  besonders  zur 
Sache  legitimirt  und  musste  um  so  mehr  bestrebt  sein,  sti*eng 
innerhalb  dieser  Grenzen  der  Arbeit  mich  zu  halten,  als  nicht 
bloss  der  Stoff  an  sich  die  grössten  Schwierigkeiten  bot, 
sondern  auch  das  Ungewohnte  der  wissenschaftlichen  Arbeit 
des  Historikei-s  für  den  Nationalökonomen  noch  beträchtlich 
die  Schwierigkeiten  steigerte. 

Und  doch  ist  es,  wie  ich  meine,  kein  Zweifel,  wem  zuerst 
die  Arbeit  zufallen  musste,  eine  Geschichte  der  deutschen 
Volkswirthschaft  zu  schreiben.  Sowohl  dem  reinen  Historiker 
als  auch  insbesondere  dem  Rechtshistoriker  fehlen  zumeist 
und  im  Allgemeinen  die  Anschauungen  der  wirthschaftlichen 
Vorgänge  und  Einrichtungen,  das  Bewusstsein  der  national- 
ökonomischen Pix)bleme,  wie  sie  demjenigen  geläufig  sein 
müssen,  der  es  versuchen  will,  aus  den  trockenen  und  spar* 
liehen  Quellen  einigermassen  genügende  Antwoiten  auf  die 
Fragen  zu  erhalten,  welche  die  Nationalökonomie  zur  Erwei- 
terung ihrer  Einsicht  an  die  Geschichte  stellen  will.  Wie  die 
Rechtsgeschichte  von  Juristen,  die  Geschichte  der  Industrie 
von  Technikern,  so  muss  die  Geschichte  der  Volkswirthschaft 
von  Nationalökonomen  in  Angriff  genommen  werden.  Und  es 
ist  am  Ende  nicht  bloss  die  Vertrautheit  mit  dem  Objekte, 
das  hier  historisch  untersucht  werden  soll,  wodurch  der 
Nationalökonom  eine  Legitimation  zur  Geschichtsschveibung 
erhält;  auch  in  Bezug  auf  die  Methode  der  Forschung  hat 
der  Nationalökonom  einiges  voraus,  indem  er  an  die  statistische 
Beobachtung  der  Massenerscheinungen  gewöhnt  ist  und  nach  der 
Gesetzmässigkeit  in  den  regelmässigen  Vorgängen  des  socialen 
Lebens  zu  forschen  gelernt  hat  Nach  beiden  Seiten  habe 
ich  mich  bemüht,  die  relative  Vorzüglichkeit  nationalökono- 
mischer Denkarbeit  durch  die  That  zu  beweisen.  Die  Ver- 
suche einer  historischen  Statistik,  so  düiüig  sie  auch  noch 
sind,  zeigen  doch,  dass  nicht  alles  Bemühen  der  Ait  vergeblich 
ist  und  versprechen  noch  viel  mehr  Resultat  bei  einer  syste- 
matischen Ausbeutung  der  Quellen,  wie  sie  freilich  erst  durch 
das  Zusammenwirken  Vieler  möglich   wird.    Die  Gewinnung 


XI 

allgemeiner  Sätze,  welche  eine  dogmatische  Formulirung  zu- 
lassen oder  vorbereiten,  erheischt  allerdings  die  grösste  Vor- 
sicht und  ich  bin  damit  gewiss  ängstlich  genug  gewesen.  Aber 
zwischen  den  Zeilen  liegt  doch  so  manche  allgemeine  Wahrheit, 
die  dann  deutlich  hervortreten  wird,  sobald  das  Buch  dazu 
benutzt  wird,  wozu  es  in  letzter  Linie  bestimmt  ist,  zum  ver- 
gleichenden Studium  der  social-ökonomischen  Entwickelung 
der  Völker. 

Hoffentlich  ist  diese  Gesammtauffassung  der  Aufgabe  ge- 
eignet, meiner  Arbeit  zu  einigem  Voraug  zu  gereichen  gegen- 
über älteren  Versuchen,  einzelne  Zweige  des  Wirthschafts- 
lebens  der  Deutschen  losgelöst  aus  ihrem  Zusammenhange  mit 
den  grossen  allgemeinen  Erscheinungen  des  öffentlichen  Lebens 
geschichtlich  darzustellen,  vielleicht  auch  geeignet,  die 
Schwächen  und  Un Vollkommenheiten  einigermassen  zuzudecken, 
welche  die  Arbeit  mit  dem  Auge  des  Historikers  besehen,  an 
sich  trägt  Ich  war  zwar  durchaus  bemüht  ^  die  deutsche 
Wirthschaftsgeschichte  unmittelbar  aus  den  Quellen  zu  er- 
arbeiten und  hoffe  besondei's  meinen  Fachgenossen,  die  mit 
historischen  Daten  operiren  wollen,  damit  einen  Dienst  er- 
wiesen zu  haben,  dass  ich  alle  für  irgend  eine  wirthschafts- 
geschichtliche  Thatsache  massgebenden  Quellenstellen  ihrem 
Wortlaute  nach  angeführt  habe.  Dagegen  ist  die  Literatur, 
sowohl  die  historische  wie  die  nationalökonomische  nur  soweit 
in  den  Noten  berücksichtigt,  als  ich  entweder  auf  irgend  einem 
Punkte  besonders  der  allgemeinen  Veriassungsgeschichte  mich 
auf  eine  Autorität  stützen  zu  können  glaubte,  oder  Ansichten 
von  Belang  für  die  Wirthschaftsgeschichte  zu  bekämpfen  waren. 

Schliesslich  ist  es  mir  —  und  ich  komme  damit  wieder 
auf  den  Ausgangspunkt  zurück  —  eben  ein  unabweisliches 
Bedürfniss  gewesen,  in  einer  zusammenhängenden,  erschöpfen- 
den Untei-suchung  über  die  Geschichte  der  Wii-thschaft  unseres 
Volkes  einen  Weg  aufzusuchen,  auf  dem  die  Geschichts- 
forschung wie  die  Socialwissenschaft  mit  grösserer  Sicherheit 
als  bisher  ihren  grossen  Zielen  entgegen  gehen,  und  ins- 
besondere die  historische  Richtung  der  Nationalökonomie  zu 
jener  unbedingten  Geltung  gelangen  könne,  welche  ihr  ge- 


xn 

buhlt.  Von  dem  Boden  selbständiger  geschichtlicher  Forschung 
und  wohlbegrQndeter  Eenntniss  der  Entwickelung  der  social- 
ökonomischen  Phänomene  aus  wird  vieles,  was  man  dieser 
Richtung  bisher  mit  Recht  vorgeworfen  hat,  als  unbegiUndeter 
Vorwurf  wegfallen,  die  Nothwendigkeit  dieser  Richtung  selbst 
unbedenklich  zugestanden  werden  müssen;  ihre  Anhänger 
aber  sollen  durch  die  hier  veitretene  Auffassung  energisch 
darauf  hingewiesen  werden,  dass  das  letzte  Ziel  auch  fQr  die 
historische  Nationalökonomie  die  Gewinnung  einer  wissen- 
schaftlichen Dogmatik  ist,  ohne  welche  sie  für  sich  den  An- 
spruch auf  Geltung  in  der  Wissenschaft  ebensowenig  erheben 
könnte,  als  eine  sogenannte  dogmatische  Nationalökonomie 
ohne  die  exacte  Grundlage,  welche  eben  die  historische  Schule 
bieten  will. 

>Dann  wird  die  Wissenschaft  der  Nationalökonomie,  an 
der  gerade  in  jüngster  Zeit  das  Volk  und  seine  Leiter  viel- 
fach irre  geworden  sind,  fester  denn  je  bestehen  und  eine 
rechte  Leuchte  der  Erkenntniss  werden,  damit  auch  im  wilden 
Sturm  und  Drang  der  Meinungen  des  Tages  doch  dem  Volke 
die  Fahrt  nach  dem  Hafen  der  Wohlfahrt  nicht  vereitelt  werde! 

Schloss  Lichtenwert,  25.  August  1879. 


Inama. 


Inhalt. 


I.    Buch. 

Die  deutsche  Yolkswlrthschaft  In  der  Sltesten  Zeit  bis 

auf  Karl  den  Crossen. 

S.  1—204. 


1.  Abschnitt. 

Die  Wandemngren  der  Deutschen  und  die  Begrfindung  fester 

Wohnsitze  auf  deutschem  Boden. 

S.  3-52. 

Die  Anfänge  der  Geschichte  deutscher  Yolkswirthschaft  3.  Die  Zu- 
stände vor  Cäsar  5.  Gräberfunde  5.  Bemsteinhandel  6.  Hochäcker  6. 
Feldgemeinschaft  7.  Die  Nachrichten  Gäsars  8.  Der  römische  Einfluss  9. 
P&hlgraben  10.  Die  Schilderung  des  Tacitus  10  von  der  Wirthschaft  11, 
der  socialen  Gliederung  12.  Die  Stürme  der  Völkerwanderung  12  und  ihr 
Einfluss  auf  die  wirthschafUichen  und  socialen  Zustände  13.  Dauernde 
Sesshaftigkeit  14  der  Friesen  14,  der  Sachsen  15 ,  der  Thüringer  16,  der 
salischen  Franken  17,  der  Ripuarier  18,  der  Hessen  19,  der  Alamannen  20, 
der  Baiem  21.  Das  Verfahren  der  Deutschen  bei  Besetzung  neuer  Ge- 
biete 22,  Einfluss  desselben  auf  die  Entwickelung  der  Wirthschaft  25. 
Bedeutung  der  HeeresTerfassung  für  die  erste  Ordnung  der  öffentlichen 
Verhältnisse  27.  Lose  Besitzergreifung  des  Bodens  28.  Die  Ortsnamen 
28.  Die  Gaugrenzen  29.  Einfluss  früherer  Ansiedelungen  31.  Rasche  Zu- 
nahme der  Intensität  der  Ansiedelungen  34.  Anfänglich  wenig  dichte  Be- 
wohnung  34.  Uebergewicht  des  Wald-  und  Sumpflands  34.  Gauweise 
Ansiedelung  35.  Hundertschaften  37.  Austheilung  des  Landes  38,  der 
Dorffeldmark  39,  im  Hofsystem  39.  Vorkommen  beider  Ansiedelungs- 
formen  40  bei  den  Friesen  unpl  Sachsen  41,  bei  den  salischen  Franken  42, 
bei  den  Ripuariern  und  Ostfranken  44,  bei  den  Alamannen  45,  bei  den 
Baiem  47.  Allgemeiner  Charakter  des  ersten  Ausbaues  im  Stammlande 
49-52. 


XIV 

2.  Abschnitt 
Die  Oliederang  und  die  Orgranisation  der.  Oesellsehaft. 

S.  52—92. 

Der  Einfluss  der  SeBshaftigkeit  auf  die  wirthBchaftliche  Ordnung  52. 
Die  Veränderungen  in  der  Ordnung  der  öffentlichen  Gewalt  durch  die 
Gründung  des  Frankenreicfas  58.  Königthum  und  Volk  54.  Stammesadel 
und  Hofadel  54.  Einfluss  des  frftnkiBchen  Königthums  auf  die  anderen 
deutschen  Stämme  55.  Fränkische  Politik  56.  Keine  social-politische 
Wirksamkeit  der  Könige  56,  der  Stammesfürsten  57,  der  Grafen  57.  Die 
socialen  Zustände  57.  Die  Freien  58.  Die  Edlen  58.  Die  Unfreien  59. 
Leibeigene,  Liten  60.  Verschiedenheiten  bei  den  einzelnen  Stämmen  61. 
Die  sociale  Bedeutung  des  Adels  63,  der  Gemeinfreien  64.  Besitzende 
und  nichtbesitzende  Freie  65.  Liten  und  Freigelassene  66.  Eigenleute  67. 
Zahl  derselben  70.  Die  Bedeutung  der  Familie  72,  als  Wurzel  der  Mark- 
genossenschaft insbesondere  74.  Die  familienhafte  Struktur  der  alten 
Markgenossenschaft  74.  Die  Lebensäusserungen  dieser  Markgenossenschaft 
75.  Die  Lockerung  des  Familienverbands  77.  Bildung  von  Nachbar- 
gemeinden mit  Markgenossenschaft  78.  Keine  persönliche  Gemeinschaft  in 
derselben  78.  Ungleichheit  des  Besitzes  und  der  socialen  Stellung  der 
Markgenossen  79.  Geringe  Bedeutung  der  Markgenossenschaft  als  socialer 
Organismus  80.  .  Die  Markgenossenschaft  als  Wirtbschaftsgemeinschaft  und 
Gemeinwirthschaft  81.  Der  Ausbau  in  der  Mark  82.  Beschränkung  der 
Markrodung  82.  Nutzung  der  Markgründe  83.  Gemeinschaftliche  Weide 
85.  Zaunpflicht  86.  Gemeinschaftliche  und  abgesonderte  Herden  86. 
Wasser,  Wege,  Mühlen  und  Schmieden  88.  Die  Ortsgemarkung  eine  wirth- 
schaftliche  Einheit  88.  Die  Macht  der  Genossenschaft  90.  Ihre  sociale 
Bedeutung  91  f. 

3.  Abschnitt 
Der  Grundbesitz,  seine  Vertheilnng  und  wirthsehaftliche  Oliedemnir« 

S.  92-132. 

Das  salische  Volksrecht  und  der  Grundbesitz  92.  Kein  Alleineigen- 
thum  detf  Königs  an  allem  salischen  Lande  92.  Kein  ausschliessliches  6e- 
meineigenthum  des  Gaues  oder  der  Hundertschaft  94,  der  Markgenossen- 
schaft 95.  Spuren  eines  älteren  Gesammteigenthums  95.  Die  lex  Salica 
setzt  schon  Sondereigenthum  an  Grund  und  Boden  Toraus  96.  Beschrän- 
kung desselben  durch  das  Recht  der  Gesammtheit  98.  Aehnlicher  Zustand 
bei  den  übrigen  deutschen  Stämmen  99.  Bedeutung  der  Familie  für  die 
Eigenthumsordnung  101.  Das  Gnindeigenthum  zu  Gunsten  der  Familie 
gebunden  102.  Das  Erbrecht  am  Grund  und  Boden  103.  AUmäligess 
Zurücktreten  des  Familieneinflusses  104.  Ausbreitung  des  Sondereigen- 
thums  in  der  Markgenossenschaft  105,  an  Ackerland  106,  weniger  an  Wiesen 
und  Wald  107.  Der  Einfluss  der  königlichen  Gewalt  auf  die  Entwickelung 


XV 

des  Grundeigenthams  108.  Die  Schenkungen  von  Krongat  108.  Die  Be- 
gOnstigangen  der  Kirche  in  Bezog  auf  Erwerb  von  Gnmdeigenthum  108. 
Familiengewalt  und  Amtsgewalt  109.  Ausbildung  des  Processes  um  Gnmd- 
eigenthum 109.  Geringe  Bedeutung  des  privaten  Grundeigenthums  für  die 
Bodencnltur  und  die  Volkswirthschaft  jener  2ieit  110.  Die  Vertheilung  des 
Culturlandes  111.  Ungleichheit  schon  in  ältester  Zeit  112.  Hufe  und 
Wergeid  112.  Hervorragender  Grundbesitz  der  Könige,  Herzoge  und 
Fürsten  114;  einzelner  bevorzugter  Familien  116;  der  Grundbesitz  der  G^ 
meinfreien  116;  in  Baiem  117;  Alamannien  und  Ostfranken  117;  Friesland^ 
Sachsen  und  ThOringen  118.  Der  geistliche  Grundbesitz  118.  Die  Gliede- 
rung des  Grundbesitzes  nach  wirthsdiaftlichen  Gesichtspunkten  119.  Eigen- 
wiräischaft  der  kleinen  Grundbesitzer  119.  Herrenland  und  übertragenes 
Gut  119.  Eigenwirthschaft  der  Klöster  120.  üebertragung  an  Unfreie 
121.  Colonat  122.  Ususfructus  und  Precarium  123.  Aehnliche  Vorgänge 
beim  weltlichen  Grossgrundbesitz  124.  Die  ökonomische  Gliederung  des 
Kronguts  125.  Beneficien  125.  Secularisationen  126.  Salland  und  Zins- 
land 127.  Mansi  vestiti-absi  129.  Grösse  der  dienenden  Mansen  130. 
Verh&ltniss  der  Grösse  von  Herrenland  und  Zinsland  130.  Die  allgemeine 
Bedeutung  des  Grundbesitzes  för  die  Volkswirthschaft  jener  Zelt  131  £ 

4.  Abschnitt. 
Die  Gttterprodaction  und  das  nationale  Erwerbsleben. 

8.  132-173. 

Grosse  Einfachheit  des  Lebens  132.  Nahrung  132.  Bekleidung  133. 
Wohnung  134.  Die  Verschiedenheiten  des  nationalen  Hausbaues  135. 
Gefässe  und  Geräthschaften  138.  Die  nationale  Technik  und  der  Einfluss 
der  Römer  138.  Töpferei  139.  Weberei  141.  Metallgewerbe  143.  Die 
Gewerbetreibenden  wenig  zahlreich  145.  Hausindustrie  146.  Die  Land- 
wirthschaft  146.  Der  Betrieb  des  kleinen  Grundbesitzers  147;  in  grösse- 
ren Gutswirthschaften  148.  Die  Lasten  des  freien  Grundbesitzes  150. 
Tribute  und  Abgaben  an  den  König  150;  stopha,  agrarium,  pascuarium, 
pastip  151.  Steuern  152.  Heerdienst,  Wachdienst,  Baudienst  152.  Ge- 
rchenke,  Beherbergung  153.  Einquartierungspflicht  153.  Friedensgeld, 
Wergeid,  Strafgeld,  Bannbusse  154.  Zehenten  154.  Die  Lasten  der  Bene- 
ficien und  Precarien  154;  kirchliche  Baulast,  Zehenten,  Zins,  Arbeits- 
leistungen 155.    Die  Wirthschaft  der  unfreien  Zinsbauem  und  Leibeignen 

156.  Fronarbeit,  besonderer  Ackerdienst  156;  Botendienst  und  Fuhren 

157.  Erleichterung  derselben  durch  den  herrschaftlichen  Verband  158. 
Befreiung  von  der  Kriegspflicht  und  anderen  Öffentlichen  Lasten  158.  Ver- 
pflegung, Ausstattung  der  unfreien  Mausen  mit  Inventar  159.  Keine  Ueber- 
BchüBse  der  Wirthschaft  des  kleinen  Grundbesitzes  150.  Die  Wirthschaft 
der  grossen  Grundherren  160.  Verwerthung  dienender  Arbeit  160.  Schwache 
Ansätze  einer  Organisation  der  volkswirthschaftlichen  Kräfte  durch  die- 


XVI 

selben  161.  Yolkswirthschaftliche  Ueberlegenheit  dereelbeii  168.  Die  Zu- 
stände des  landwirthschaftlichen  Betriebs  163.  Uebergewicht  des  Waldes 
und  seiner  Nutzung  164.  Brennwirthschaft  164.  Rohe  Wechselwirthschaft 
(Feldgraswirthschaft)  auf  dem  Ackerland  165.  Geringe  Wiesencultur  166. 
Viehhaltung  167.  Pferdezucht  167.  Rindviehzucht  168.  Eleinviehzucht 
169.  Gartencultur ,  Obst-  und  Weinbau  171.  Grosse  ökonomische  Abge- 
schlossenheit und  extensiver  Betrieb  172  f. 

5.  Abschnitt 
Der  Ottterrerkehr  und  die  nationale  Werthbildiing« 

S.  173—204. 

Verkehr  der  Deutschen  mit  den  Römern  178.  Grenzverkehr,  wenig 
Activhandel  174.  Getreidehandel,  Bemsteinhandel  175.  Verfall  dieses 
Verkehrs  durch  die  Völkerwanderung  176.  Wirthschaftliche  Isolinmg  der 
Deutschen  nach  derselben  177.  Wenig  Ueberschussproduction  177.  Einzelne 
Handelsartikel  —  Vieh,  Leinwand^  friesische  Gewänder,  bairisches  Getreide 
und  Salz  177.  Hauptmärkte  178.  Handelswege  178.  Marktverkehr  179. 
Die  alten  Deutschen  ohne  eigne  Münzen  und  Metallgeldrechnung  180. 
Viehgeld  181.  Vadmal,  Ringgeld  182.  Römisches  Geld  bei  den  Deutschen 
183.  Die  Metallgeldrechnung  der  salischen  Franken  185.  Goldwährung 
185.  Solidus,  Denare  186.  Trientes  187.  Aenderung  des  MüLuzfiisses  188. 
Werthverhältniss  von  Gold  und  Silber  189.  Metallgeldrechnung  bei  den 
übrigen  deutschen  Stämmen  191.  Der  gleiche  Goldsolidus  wie  bei  den 
salischen  Franken  191.  Silberdenare  (saigae)  192.  Geringer  Geldgebrauch; 
Rechnungsgeld  193.  Münzverwirrung  im  Frankenreiche  194.  Metall  nach 
dem  Gewicht  im  Verkehr  194.  Die  nationale  Werthbildung  195.  Werth- 
angaben der  Volksrechte  195.  Legale  Werthconstenz  für  Bussen,  Com- 
positionen  und  Wergelder  196.  Verhältniss  der  Busssätze  und  Werthe 
197.  Der  nationalökonomische  Charakter  der  volksrechtlichen  Werth- 
angaben 198.  Keine  Preissatzungen;  freie  Preisbildung  198.  Keine  Rück- 
sicht auf  den  subjectiven  Gebrauchswerth  199.  Objective  Bewerthung  nach 
den  inneren  Eigenschafren  und  dem  wirthschaftlichen  Nutzeffect  der  Güter 
201.  Die  Ausbildung  einer  Scala  für  objective  Gebrauchs-(Qualilät8-) 
Werthe  201.  Anschluss  an  das  Geldsystem  der  salischen  Franken  202. 
Weitverbreitete  üebereinstimmung  und  grosse  Stabilität  dieser  Werth- 
ansätze 203. 


XVII 

n.    Buch. 

Die  Entwlekelung  der  deutschen  Yolkswirthscliaft 

während  der  Karolingerzeit. 

S.  205—484. 


1.  Abschnitt 

Die  Fortschritte  der  Besiedelung  und  Colonisation  des  Landes. 

S.  207—225. 

Fortgesetzte  Rodung  207.  Villengründong  208.  Neben  der  Kodolg 
der  einzebien  freien  Grundbesitzer  planmftssige  Bodung  und  Colonisation 
von  den  grossen  socialen  Mächten  208.  Karls  d.  Qr.  Vorschriften  für  die 
königlichen  Villen  209.  Die  Colonisation  und  die  Sachsenkriege  209. 
Ansiedelung  von  Sachsen  in  Franken,  Alamannien  und  Baiem  211;  von 
Franken  in  Sachsen  212.  Colonisation  der  Ostmarken  212;  der  Nordsee- 
manschen 213.  Die  colonisatorischen  Leistungen  der  Klöster  213;  der 
weltlichen  Gmndherren  215.  Die  Bedungen  der  kleinen  Grundbesitzer  217. 
Hufen  ausserhalb  der  alten  Dorffeldmark  218.*  Aussenfelder,  Waldbeundten 

219.  Eigenmächtige  Bodung  im  herrenlosen  und  herrschaftlichen  Walde 

220.  Gründung  neuer  Ortschaften  221.  Erweiterung  alter  Feldflurcn, 
VergrÖBserung  der  Hufen,  der  Ortschaften  221.  Der  Ausbau  des  Landes 
am  Schluss  der  Karolingerperiode  224. 

2.  Abschnitt 

Die  Zersetzung  der  altdeutschen  Stände  und  die  Anfänge  einer 

neuen  socialen  Organisation« 

S.  225—278. 

Verstärkte  Wirksamkeit  der  Ursachen  socialer  Veränderung  in  der 
Earolingerzeit  225.  Stammesadel  und  Beichsadel;  bessere  und  geringere 
Freie;  Liten,  Colonen  und  Zinsleute;  leibeigne  Bauern  und  Hausdiener 
226.  Die  Ziele  der  Merowingischen  Politik  227.  Der  Schwerpunkt  in 
Neustrien  227.  Lose  Verbindung  der  Beichstheile  228.  Der  Geist  der 
Karolingischen  Begierung  228.  Neustrische  Cultur  nach  Austrasien  ver- 
pflanzt 228.  Die  neue  Aristocratie  229.  231.  Die  Beichsbeamten  229.  Die 
kirchliche  Politik  der  Karolinger  230.  232.  Socialpolitik  231.  Schutz  der 
Gemeinfreien  232.  Wechselwirkung  zwischen  Politik  und  Wirthschaft  233. 
Veränderte  wirthschaftliche  Grundlagen  des  Volkslebens  234.  Grundbesitz 
die  wichtigste  Quelle  der  Gater  235.  Einfluss  der  Bedungen  auf  die  sociale 
Stellung  235.  Erweiterung  persönlicher  Herrschaft  der  grossen  Grund- 
besitzer 236.  Verstärkung  derselben  237.  Leibeigne  Hausdiener  237. 
Fortdauer  der  Ursachen  der  Leibeigenschaft  238.    Kauf  der  Leibeignen 

Ton  Inamft^Siern egg,  Wirtbachaftsgeschicbie.    I.  H 


XVUI 

238;  ihre  natürliche  Fruchtbarkeit  239.  i^ere  Hand  240.  Der  Einfluss 
der  Kriege  240.  Verstärkte  Attractionskraft  der  politischen  Macht,  des 
socialen  Vorrangs  und  Reichthums  240.  Die  Landlosen  241.  Die  Auf- 
tragung  des  Grrundbesitzes  242.  Die  Verarmung  243,  als  Motiv  für  das 
Aufgeben  der  Freiheit  und  der  Unterordnung  unter  die  Herrschaftsgewalt 
der  Grossen  244.  Die  Habsucht  der  Grossen  245.  Vergeblicher  Kampf 
der  Reichsverwaltung  gegen  dieselbe  245.  Drei  besondre  Ursachen  der 
Verarmung:  Das  Compositionensystem  der  Volksrechte  246;  die  Einrich- 
tungen des  Heereswesens  246  und  die  Heerbanngewalt  der  Grafen  und 
Senioren  249;  die  Verwüstungen  der  Kriege  251;  der  Zehente  252.  Die 
allgemeine  Ordnung  der  Rechtspflege  253.  Wirthschaftliche  Motive  der 
Elf  ebung  253.  Religiöse  Motive  254.  Besondere  Vortheile  der  Kirche 
254.  Erleichterter  Eintritt  in  den  herrschaftlichen  Verband  weltlicher 
Grundherrn  255.  Ausbeutung  der  Schwachen ;  brutale  Gewalt  256.  Grosse 
ökonomische  Ueberlegenheit  der  Grundherrn  258,  ihre  sociale  Bedeutung 
259.  Zersetzung  des  Standes  der  Gemeinfreien  258  f.  Die  besseren  Freien 
259.  Verschmelzung  der  armen  Freien  mit  den  Liten,  Freigelassnen  und 
Zinsbauem  260.  Verkommenheit  derselben  261.  Verbrüderungen  261. 
Sociale  Bedeutung  derselben  262;  ihre  ökonomischen  Zwecke  263.  Die 
Stellung  der  Reichsregierung  *zu  denselben  264.  Die  Erfolge  der  Ver- 
brüderungen 266.  Geringe  ßociale  Bedeutung  der  Markgenossenschaft  267 ; 
ökonomische  und  sociale  Ungleichheit  der  Genossen  267.  Uebergewicht 
grosser  Grundherrn  in  der  Markgenossenschaft  268.  Beherrschung  der- 
selben durch  jene  269.  Ausscheidung  der  Grundherrn  aus  dem  Markver- 
bande 271.  Ersetzung  der  Markverfassung  durch  die  Hofverfiissung  272. 
Veränderungen  der  politischen  Organisation  273.  Grossgrundbesitz  und 
öffentliches  Amt  274.  Vortheile  der  Grundherrn  aus  dieser  Verbindung 
275.  Eigenmächtiger  Gebrauch  der  Amtsgewalt  276.  Mehrung  des  Reich- 
thums und  Einflusses  durch  die  Verbindung  mit  dem  Könige  277.  Immoni- 
tat  277.    Seniorat  278. 

3.  Abschnitt 

Die  Aasbildnng  der  grossen  Omndherrschaften  und  ihrer 

Agrarrerfassnngt 

S.  278—346. 

Die  Herrschaft  über  Grund  und  Boden  am  Schlüsse  der  Merovinger- 
periode  278.  Veränderungen  der  Karolingerzeit  280.  Grosse  Ausdehnung 
der  königlichen  Grundherrschaft  280.  Das  Königsrecht  auf  herrenloses 
Land  281.  Bannwälder  und  Königsforste  282.  Gonfiskationsrecht  283. 
Secularisation  283.  Eigenthum  des  Königs  am  Reichskirchengute  284. 
Verminderung  des  Kronguts:  Schenkungen  284.  Beneficien;  Verleihung 
an  Colonisten  285.  Erblichkeit  der  Beneficien  285.  Ausstattung  der  Aemter 
mit  Grundbesitz  286.    Vermehrung  des  Grundbesitzes  der  Grossen  des 


XIX 

Reiches  286.  Aasdehnüng  und  Goncentration  des  geistlichen  Grundeigen- 
thnms  289.  Schm&Iernng  desselben  durch  die  Secularisationen  290.  Reich- 
tham  der  geistlichen  Anstalten  291.  293.  Augsburg,  Salzburg,  Freising, 
Trier;  St  Gallen,  Fulda  292.  Tegemsee,  Benediktbeuem,  Hersfeld,  Prüm, 
Gandersheim  293.  Ursachen  der  Ausdehnung  der  grossen  Grundherr- 
Schäften:  Bodung,  Erwerb  von  Gütern  kleiner  Grundbesitzer  294.  Gon- 
centration des  kirchlichen  Grundbesitzes  294.  Allm&liges  Verschwinden 
des  kleinen  Grundbesitzes  295.  Yolkswirthschaftliche  Beurtheilung  dieser 
Vorgänge  295.  Die  Gliederung  des  grossen  Grunde^enthums  296.  Anfäng- 
licher Mangel  einer  solchen;  die  verschiedenen  Erwerbungsarten  296. 
2ka11cktreten  der  Schenkungen;  Erwerb  durch  Auftragung,  Kauf  und  Tausch 
297.  Wirthschaftliche  Anordnung  der  Grundstücke  und  Güter  298.  Ar- 
rondirung  299.  Förderung  derselben  durch  die  Wirthschaftspolitik  der 
Karolinger  801.  Herrenland  und  dienende  Güter  302.  Besondre  Bedeu- 
tung des  Herrenlands  f&r  den  weltlichen  Grossgrundbesitz  304.  Reichs- 
domänen in  eigner  Verwaltung  304.  Eigene  WirthschaftsfÜhrung  beim 
Kirchengute  805.  Besondre  Betonung  derselben  durch  Karl  d.  Gr.  305. 
Wirkung  für  die  Dominikalgüter  der  Kirche  306.  Steigende  Bedeutung  des 
Sallands  i.  A.  807.  Salland  in  Hufen  308.  Mansi  absi  309.  Späte  Zer- 
schlagung des  Herrenguts  in  Deutschland  310.  Veränderung  der  alten 
Hufenordnung  311.  Theilung  der  Hufen  813.  Herrenhufen,  Zinshufen  314. 
Waldhufen  315.  Marsch-  und  Hagenhufen  318.  Ockonomische  Gharakteri- 
stik  derselben  318.  Einfluss  derselben  auf  die  bestehende  Hufen  Verfassung 
319.  Villenverfassung  320.  Gapitulare  de  villis  321.  Palatien,  fisci,  villae, 
ministeria  321—323.  Gentenae,  decaniae  324.  Nachahmung  der  könig- 
lichen Villenverfassung  durch  die  grossen  Grundherrn  324.  Prüm  324. 
Werden,  Bleidenstadt  326.  Reichenau,  Essen,  Freising  327.  Veränderung 
der  Ortschaften  328.  Dorfbildung  328.  Hofrerfassung  und  Hofgenossen- 
Bchaft  329.  Grundbücher  (registra,  breviaria,  polyptichia)  332.  Vorschriften 
der  Karolinger  333.  Thätigkeit  der  Missi  385.  Nachahmung  dieser  Ein- 
richtungen durch  die  Grundherrn  337.  Die  volkswirthschaftliche  Bedeu- 
tung der  Goncentration  und  wirthschafüichen  Gliederung  des  Grundbesitzes 
340.  Die  dominirende  Rolle  desselben  341.  Die  Mobilisirung  des'Grund- 
eigenthums  342.    Gegentendenzen  345. 

4.  Abschnitt 

Ble  Yolkswirthschaftliche  WirlLsamlLeit  der  grossen  Grnndherr- 
schaften  und  das  nationale  Erwerbsleben. 

5.  346-427. 

In  der  altem  Zeit  keine  nationale  Arbeit,  kein  nationaler  Verkehr  346. 
Anftnge  einer  Organisation  der  volkswirthschaftlichen  Kräfte  durch  die 
grossen  Grundherrn  347.  Bildung  von  grossen  Verbänden  abhängiger  Leute 

U* 


XX 

anter  der  persönlichen  und  ökonomischen  Herrschaft  der  Grundherrn  348. 
Förderung  der  Interessen  der  Unterworfen  durch  dieselben  348.  Be- 
friedigung von  GemeinbedQrfnissen  und  gemeinnützige  Th&tigkeit  348. 
Massgebender  Einfluss  der  karolingischen  Politik  349.  Verwandtschaft  der- 
selben mit  den  Tendenzen  der  Grundherrn  349.  Unmittelbar  volkswirth- 
schaftliche  Leistungen  der  königlichen  Gutsverwaltung  349.  Einfluss  auf 
die  Wirthschaft  der  Kronbeneficien  350,  der  Kirchengüter  352.  Die  Gliede- 
rung der  Arbeit  im  herrschaftlichen  Verbände  354.  Verschiedenartige 
sociale  Lage  derselben  354.  Grösste  Vielseitigkeit  der  Arbeit  in  der 
königlichen  Grundherrschaft  356.  Die  dienende  Arbeit  bei  den  weltlichen 
Grundherrn  358,  bei  den  geistlichen  Grundherrschaften  359.  Leibeigne 
Hausdiener  361.  Gewerbetreibende  am  Herrenhof  362.  Ministerialen  und 
höhere  Hofdiener  364.  Landwirthschaftliche  Arbeiter  auf  dem  Hexren- 
hofe  365.  Taglöhner  367.  Die  persönlichen  Dienstleistungen  der  unfreien 
Zinsgüter  367,  der  Beneficien  368.  Theils  Arbeiten  am  Herrenhofe  369; 
theils  auf  den  Hofländereien  370.  Verpflegung  der  am  Herrenhofe  oder 
im  Sallande  arbeitenden  Zinsbauem  37  L  Bei  diesen  liegt  jetzt  der  Schwer- 
punkt der  nationalen  Arbeit  373.  Die  Grundlagen  für  die  Bemessung  der 
Frondienste  374.  Bedrohung  des  Bauernstands  durch  Steigerung  der- 
selben 374.  Schutz  dagegen  375.  Oberleitung  der  Arbeit  auf  den  könig- 
lichen Villen  376;  auf  andern  Herrscbaftsgütem  377.  Die  Anordnung  des 
öffentlichen  Dienstes  378.  Ueberwälzung  desselben  auf  die  dienenden 
Güter  der  Grundherrn  379;  ähnlich  bei  gemeinwirthschaftlichen  Leistun- 
gen 380.  Grosse  Erfolge  grundherrschaftlicher  Production  durch  die  ein- 
heitliche Organisation  der  Arbeit  381.  Keine  Uebervölkerung  382.  Grenzen 
des  Erfolgs  landwirthschaftlichen  Grossbetriebs  382.  Ergänzung  desselben 
durch  die  Zinse  und  Abgaben  der  dienenden  Güter  383.  Specialisimng 
derselben  383.  Zinsverpflichtungen  der  Beneficien  385.  E^leichtening 
durch  Gestattung  der  Wahl  der  zu  zinsenden  Producte  387.  Gebrauchs- 
gliedemng  des  Vermögens  388,  durch  die  Villenverfassung  und  die  Bildung 
der  Hofmarken  388.  Bonitirung  der  Grundstücke  388,  Sorgsamkeit  in  Ver- 
wendung von  Capital  388.  Ausstattung  der  Zinseshufen  mit  Vieh  und  In- 
ventar 389.  Reichung  von  Saatgetreide  ftlr  die  Bestellung  des  Sallands 
389.  Lieferung  von  Rohstoff  und  Werkzeugen  für  die  gewerblichen  Dienst» 
leistungen  und  Abgaben  390.  Benutzung  der  wirthschaftlichen  Anstalten 
des  Herrenhofs  durch  die  dienenden  Hufen  390.  Allgemeine  Förderang 
der  dienenden  Arbeit  im  grundherrschaftlichen  Verbände  391.  Armenpflege 
391.  Vorschriften  Karls  d.  Gr.  392  besonders  für  Beneficien  und  Kirchen- 
güter 392.  Landwirthschaftliche  Buchführung  und  Rechnungslegung  auf 
den  königlichen  Gütern  393;  bei  weltlichen  und  geistlichen  Grundherrn 
395.  Bedeutung  des  kleinen  freien  Grundbesitzes  395.  Fortschritte  der 
Technik  und  Oekonomik  des  Betriebs  396.  Flurverfassung  und  Wirthschafts- 
system  396.  Veränderung  im  Dorf-  und  Hofsystem  397.  Anfänge  eines 
geregelten  Feldersystems  399;  besonders  in  der  grandherrschaftlichen  Feld- 


XXI 

Aar  400.  Winter-  und  Sommeranbau  401.  Brachfeld  402.  Dreifelderwirth- 
Bchaft  zuerst  auf  Dominikalland  403.  Keine  Einführung  derselben  durch 
Karl  d.  6r.  403.  Daneben  noch  lange  extensive  Feldgraswirthschaft  404; 
selbst  Brennwirthschaft  405.  Steigerung  der  Wiesencultur  405.  Yermeh- 
rang  der  Gemeinwiesen  406.  Ausscheidung  von  Sonderwiesen  vomemlich 
auf  dem  Herrenlande  406.  Verändertes  Wiesenmass  408.  Sorgfältigere 
Behandlung  der  Wiesen  409.  Werth  der. Wiesen  im  Vergleich  zum  Acker- 
land 410.  Grad  der  Intensität  des  Bodenanbaus  410.  Pflügen,  Eggen, 
Jäten,  Düngen  411.  Getreidearten  und  sonstige  Früchte  412.  Weinbau 
413.  Hopfencnltur  415.  Forstwirthschaft  415.  Einforstungen  416.  Nutzung 
des  Waldes  durch  die  Hintersassen  417.  Viehzucht  418.  Pferdehaltung 
418.  Rindviehzucht  421.  Besseres  Ebenmass  zwischen  Arbeitsvieh  und 
Kleinvieh  421.  Gewerbliche  Technik  422.  Metallgewerbe  422.  Weberei 
423.    Töpferei  425.    Baugewerbe  425.    Bergbau  und  Salzgewinnung  426. 

5.  Abschnitt 
Handel  und  Verkehr. 

S.  427—484. 

Gegensatz  der  merovingischen  und  karolingischen  WirthschaftspoUtik 
428.  Verfall  der  alten  Handelsbeziehungen  der  Deutschen  428.  Wieder- 
belebung des  Verkehrs  durch  die  Karolinger  429.  Die  königlichen  Pala- 
tien  als  Handelsplätze  430.  Die  Ausbildung  des  Grafenamts  als  Organ  der 
inneren  Verwaltung,  besonders  auch  für  Pflege  des  Verkehrs  431.  Märkte 
auf  den  Haupthöfen  der  Grundherrn  433.  Zollpolitik  434.  Handels- 
beziehungen mit  fremden  Völkern  434,  besonders  mit  dem  Orient  435. 
Yerfidl  des  fränkisch-levantinischen  Handels  unter  den  spätem  Karolingern 
488.  Die  Handelsbemühungen  der  Grundherrn  438;  ihre  Production  für 
den  Markt  439.  Die  grundherrschaftlich  organisirte  Arbeit  im  Dienste  des 
Verkehrs  441.  Angaria  441;  parafaredl  442 ;  scara  445.  Die  selbständigen 
Kanflente  447.  Juden  447.  Die  Gegenstände  des  Handels  449;  die 
Handelsstraasen  449.  Die  Ordnung  des  Geldwesens  450.  Verminderung 
des  Goldvorraths  451.  Factische  Doppelwährung  451.  Vermehrter  Ge- 
brauch salischer  Denare,  und  der  austrasischen  Rechnungsweise  452. 
Silberwähmng  durch  Pipin  453.  Schwererer  Münzfiiss  desselben  454.  Da- 
neben noch  längere  Zeit  der  Goldsolidus  454.  Veränderung  des  Gewichts 
durch  Karl  d.  Gr.  455.  Der  schwerere  Münzfiiss  desselben  456.  Zeit 
dieser  Beform  457,  Motive  derselben  458.  Keine  fiskalische  Massregel 
458.  Keine  Massregel  der  Münzverwaltung  460.  Wirthschafts-politische 
Gründe  460.  Verhältniss  des  karolingischen  Pfundes  zum  römischen  und 
altdeutschen  Gewichte  460.  Geldgebrauch  in  Deutschland  während  der 
Earolingensdt  461.  Keine  Münzstätten  rechts  des  Rhein  462.  Fortdauer 
der  Naturabdnse  und  Dienste  462.    Kau^reise  in  Naturalwerthen  463. 


XXII 

ZurQckweisung  yollwichtiger  Münzen  464.  Menge  des  Edelmetalls  464. 
Beträchtliche  Verminderang  desselhen  im  8.  und  9.  Jahrhundert  465. 
Rückgang  des  Geldgebrauchs  und  Geldverkehrs  unter  den  spätem  Karo- 
lingern 466.  Das  Edictum  Pistense  467.  Einfluss  des  Geldwesens  auf  die 
Preise  467.  Steigerung  derselben  durch  die  Entwerthung  der  Währung 
468.  Erleichterung  der  Bussen  und  Gompositionen  468.  Fortdauer  des 
Naturalverkehrs  469.  Geldbewerthung  von  Gegenständen  häufigen  Um- 
satzes ;  Reluitions-  und  Qualitätswerthe  469.  Fortdauer  der  objectiven  Ge- 
brauchsbewerthung  470.  Getreidewerthe  470.  Viehwerthe  471.  Grosse 
und  bleibende  Uebereinstimmung  in  der  Bewerthung  solcher  Güter  471. 
I>ie  werthbestimmenden  Momente  472.  Die  Preisbildung  474.  Das  Werth- 
System  der  Capitularien  474.  Die  sächsischen  Capitularien  und  das 
Wormser  Capitular  t.  J.  829  475.  Das  Gapitulare  Frankofurtense  476. 
Capit.  806  Theodon.  und  Gap.  808  Niumag.  477.  Die  Preistaxen  Karls 
d.  Gr.  476—480.  Das  Capit.  806  Niumag.  480.  Das  Capit.  812  Aquisgr. 
481.    Resultate  für  die  Geschichte  der  Preise  482. 

Schlnssbetrachtiuigeii. 

S.  484-493. 

Die  römische  Culturwelt  und  der  Gegensatz  der  Deutschen  cn  der- 
selben 484.  Politische,  sociale  und  ökonomische  Anlagen  der  Deutschen 
485.  Freiheitssinn  und  Gemeinsinn  486.  Politischer  Verband,  Genossen- 
schaft, Gesammteigenthum  und  Gemeinwirthschaft  486.  Die  Bildung  der 
Privateigenthumsordnung  487.  Charakter  des  Lebens  der  Deutschen  in  der 
Markgenossenschaft  488.  Die  Einflüsse  des  Romanismus  und  des  Christen- 
thums  auf  die  Umgestaltung  der  socialen  und  ökonomischen  Zustände  der 
Deutschen  488.  Nothwendige  Aenderung  der  socialen  Organisation  491. 
Die  Bedeutung  der  grossen  Grundherrschaften  hieiUr  491.  Das  Bedürfiiiss 
eines  festeren  staatlichen  Zusammenschlusses  und  einer  socialen  Verwal- 
tung 492.  Bedeutung  Karls  d.  Gr.  492.  Angebahntes  Gleichgewicht  der 
socialen  Kräfte  493. 

Beilagen. 

S.  495—527. 

I.  Die  Vertheilung  des  Grundbesitzes  in  Baiem  nach  dem  Indiculns 
Amonis  und  den  breves  notitiae  Salzburgenses  497. 

IL   Gutsbestände  500. 

IIL  Die  Zinsleistungen  kirchlicher  Benefiden  und  Precarien  im  8.  Jahr- 
hunderte 510. 

IV.  Die  Viehwerthe  der  Volksrechte  512. 

V.  Beispiele  der  Kinderfrequenz  der  abhängigen  Bevölkerung  514, 


XXIII 

YL  Gatsbestand  und  Einkünfte  der  Herrschaften  von  Prüm,  Werden, 
und  Bleidenstadt  516. 

VIL  BeschreibuDg  mzelner  königlicher  Güter  517. 

Yin.  Yiehstand  auf  den  im  Breviariom  rerum  fiscaliom  beschriebenen 
königlichen  Gütern  M8. 

IX.  Verhältnisse  des  Grossviehs  und  Kleinviehs  bei  einzelnen  Guts- 
wirthschaften  519. 

X.  Reluitions-  und  Qualitätswerthe  520. 

XI.  Fräse  von  Landgütern  und  Grundstücken  524. 


Erstes  Buch. 


Die  deutsche  Yolkswirthschaft 

in  der  ältesten  Zeit 

bis  auf  Karl  den  Grossen. 


Ton  Ia»m »-Stern egg,  Wirthtehaflsgesclüclite.    I. 


Erster  Abschnitt. 

Sie  Wandernngen  der  Deutsehen  und  die  Begrflndung 
fester  Wohnsitze  auf  deutschem  Boden. 

Die  Geschichte  deutscher  Volkswiithschaft  kann  nicht 
froher  beginnen  als  mit  der  endgültigen  Besiedeiung  des 
deutschen  Bodens  durch  jene  Völkerstämme,  welche  im  Laufe 
der  Zeit  das  deutsche  Volk  zu  bilden  benifen  waren. 

Denn  die  Geschichte  ist  die  Darstellung  der  Entwickelung 
von  den  Ideen  des  Yölkerlebens ,  wie  sie  sich  durch  That- 
sacheU;  Handlungen  und  Einrichtungen  desselben  manifestiren. 
Die  Yolkswirthschaft  aber  ist  die  Summe  von  Lebensbethäti- 

« 

gungen  der  Völker,  durch  welche  sie  die  Idee  der  materiellen 
Wohlfahrt  verwirklichen  wollen.  Die  Entwickelung  dieser 
Idee  der  Wohlfahrt  darzustellen,  ist  die  Aufgabe  der  Ge- 
schichte der  Volkswirthschaft ;  die  Summe  von  Bestrebungen 
nach  den  Mitteln  zur  Verwirklichung  dieser  Idee  ist  ihr 
Inhalt 

Das  Bingen  nach  diesen  Mitteln  ist  der  Kampf  der 
Menschen  um  das  Dasein ;  in  seiner  niederen  Erscheinung  der 
Kampf  um  die  Erhaltung  der  physischen  Existenz  und  um 
die  Erhaltung  der  Ai-t;  in  seiner  höheren  Weise  der  Kampf 
um  die  Erfüllung  der  Idee  des  menschlichen  Daseins.  So 
lange  dieser  Kampf  nur  um  das  niedere,  nähere  Ziel  geführt 
wird,  hat  der  Mensch  nur  einen  Feind,  die  äussere  Natur; 
äe  sucht  ihn  unablässig  und  überall  zu  beheii*schen  und  jener 
blinden  Ordnung  zu  unterwerfen,  die  ihr  eignes  Dasein  be- 


—    4    — 

stimmt.  Und  er  bleibt  ihr  unterworf eD ,  ist  selbst  nur  ein 
Theil  von  ihr,  so  lange  er  nur  thut,  was  sie  gebietet,  nur  das 
geniesst,  was  sie  ihm  beut;  aber  er  entreisst  sich  diesem 
Zwange  und  wird  selbst  ihr  Hen-,  sobald  er  festen  Wohn- 
sitz sich  erringt  und  in  langsam  reifender  Erkenntniss  das 
Geheimniss  ihres  Wirkens  zu  erlauschen  lernt. 

Nun  wird  sein  Wille  mächtig  über  ihre  Kraft  Wohl 
bleibt  er  in  weitem  Kreise  immer  doch  von  ihr  umschlossen; 
des  Daseins  Grenzen  setzt  sie  ihm;  aber  festen  Boden  hat  er 
unter  den  Füssen;  in  ihm  schlägt  das  Leben  Wurzel;  und 
reich  entfalten  sich  die  Keime  seines  Wesens,  die  er  dem 
jungen  Erdreich  anvertraut  Nun  heischt  er  die  Flüchte  des 
Bodens,  wo  sie  nicht  fi*eiwillig  sich  bieten;  Mass  und  Art 
dei'selben  passt  er  dem  Bedürfniss  an;  das  Bedürfniss  lehrt 
ihn  Arbeit  und  durch  Arbeit  kann  er  die  Früchte  des  Bodens 
und  die  Bedüi-fiiisse  vermehren.  So  ist  nun  nicht  nur  sein 
Dasein  gesichert;  es  wird  auch  Raum,  es  werden  Mittel  be- 
reitet, die  der  Gattung  Sicherheit  des  Daseins  und  Vermehrung 
gewähren. 

Und  nun  beginnt  erat  die  Entwickelung  des  Volkes,  jenes 
innere  Leben,  das  aus  eigner  Kraft  besteht  und  sich  erhAlt, 
das  jede  Frucht  des  Lebens  zum  Mittel  neuen  Schaffens 
macht,  das  sic^^  vom  Fleisse  und  Erfolg  vorausgegangener 
Zeiten  nährt  und  in  Bewahrung  aller  Güter  sich  selbst  die 
Quellen  seiner  Kraft  beständig  mehrt.  Nun  knüpft  nicht 
mehr  bloss  des  Bluts  Gemeinsamkeit  die  wechselnden  Ge- 
schlechter an  einander;  sie  fühlen  sich  nun  als  ein  Volk,  das, 
was  es  ist,  nur  ward  aus  dem,  was  es  gewesen. 

Ein  Volk,  das  ohne  solche  Stetigkeit  des  Lebens  wie 
flüchtiges  Wild  umherschweift,  kann  eine  Zeit  lang  wohl  des 
Götterglaubens  und  der  Abstammung  dunkle  Sage  sich  be- 
wahren, auch  wohl  an  Gliederung  der  Stände  und  Rechts- 
gebrauch festhalten;  doch  bald  verliert  sich  bei  dem  Mangel 
fester  Ordnung  auch  hiervon  Stück  um  Stück;  und  nie  wird 
es  ihm  gelingen,  an  Gütern  und  Gonuss,  an  Formen  und  Ge- 
halt des  Lebens,  an  Vorstellungen  und  Ideen  reicher  zu 
werden.    Nur  sesshafte  Völker  haben  eine  Geschichte;  not 


—    5    — 

im  Schweisse  ihres  Angesichts  erwerben  sie  die  Unsterblich- 
keit, die  sie  gewährt. 

Und  in  diesem  Sinne  gibt  es  auch  für  die  deutschen 
Yölkerstämme  keine  Geschichte  ihrer  Entwickelung  bevor  sie 
nicht  jene  Sitze  bleibend  gewannen ,  in  denen  sie  dann  end- 
gültig ihr  Leben  zu  entfalten  bestimmt  waren. 

Zwar  schon  drei  Jahrhunderte  lang  bevor  Caesar  mit 
eisernem  Schlüssel  zuerst  der  Cultur  des  Römerreichs  und 
der  geschichtlichen  Kunde  die  deutschen  Gegenden  erschlossen 
hat,  sind  diese  der  Schauplatz  des  Lebens  deutscher  Völker. 

Aber  wohl  war  es  mehr  ein  Ringen  mit  den  it>hen  Kräften 
der  Natur  als  eine  festbegründete  Herrschaft  über  sie,  was 
dieses  Leben  kennzeichnet ;  und  häufig  wechselten  die  Stämme 
ihre  Sitze,  gezwungen  oder  freiwillig  nach  neuer  Heimath 
suchend.  VoiHbergehend  sind  die  Deutschen  allerdings  wieder- 
holt im  ruhigen  Besitz  der  Lande;  vor  den  ersten  grossen 
Wanderzügen  der  Gimbem  und  Teutonen  nach  Italien,  ja 
zum  Theil  bis  zu  Caesars  gallischem  Kriege  scheint  eine  Zeit 
verhältnissmässiger  Stetigkeit  der  Zustände,  eine  Periode  der 
Golonisation  auch  ihnen  beschieden  gewesen  zu  sein ;  nicht  min* 
der  kam  dann  wieder  einige  Ruhe  des  Lebens,  als  die  Römer 
den  limes  gezogen  und  mit  dieser  Festigkeit  ihrer  eignen 
Grenzen  auch  dem  Drängen  der  Deutschen  nach  neuen  Wohn- 
sitzen eine  Grenze  setzten.  Und  beide  Epochen  des  Friedens 
and  der  Sesshafügkeit  sind  auch  durch  eine  Fülle  von  An- 
sätzen gekennzeichnet,  welche  das  zu  höhei*er  Culturentwicke- 
long  so  reich  angelegte  Leben  der  Deutschen  ausbildete,  die 
aber  durch  die  folgenden  Zeiten  grosser  Wanderung  wieder 
verloren  gingen. 

Wohl  ist  die  Kunde  spärlich,  die  uns  von  jener  ältesten 
Zeit  der  Sesshaftigkeit  deutscher  Völker  auf  deutschem 
Boden  berichtet  Aber  es  ist  Lapidarschrift  mit  der  sie  ein- 
gezeichnet ist  in  den  Boden,  von  dessen  Schicksalen  sie  er- 
zählt. 

Aus  ihren  Gräbei*n  zunächst  erstehen  die  Zeugen  von 
dem  deutschen  Leben  dieser  Zeit  Waffen  und  friedliches 
Geräth,  anfänglich  wohl  nur  aus  Stein,  aus  Holz  und  Bein 


_    6    — 

gefertigt,  haben  sie  bald  schon  aus  Bronze,  seit  Beginn  unserer 
Zeitrechnung  jedenfalls  auch  aus  Eisen  sich  geschmiedet ;  tohe 
Töpferwaare  mit  der  Hand  sich  gemacht  und  mit  einfachem 
Ornament  geziert.  Auch  mancherlei  Schmuck  ist  ihnen  nicht 
fremd ;  neben  Ziemadeln  und  Schliessen,  Ringen  und  Spangen 
besonders  des  Bernsteins  goldgelbe  Pracht,  scheinen  sie  in 
reicher  Fülle  besessen  zu  haben.  Und  das  war  ja  auch  der 
erste  Anlass  zu  friedlichem  Tauschverkehr  mit  andern 
Völkern.  Durch  dieses  vielbegehrte ,  geheimnissvolle  Harz 
der  Ostsee  ward  schon  Pytheas  von  Massilien  (320  y.  Chr.)  0 
und  vor  ihm  wohl  schon  die  Phönizier  und  Etiiisker  an- 
getrieben, der  Guttonen  (Gothen)  Küste  aufzusuchen  und  sah, 
wie  diese- den  Bernstein  an  die  Teutonen  (?)  weiter  verhandelten, 
die  ihn  auf.  den  alten  Bemsteinstrassen  dann  nach  dem  Orient 
und  nach  Italien  brachten.  Und  auf  denselben  Wegen  kam 
dann  so  manches  Gut  von  tadelloser  Technik  und  hoher  Kunst 
in  deutsche  Hände,  das  nach  zweitausend  Jahren*  noch  zum 
Zeugen  dieser  alten  Handelszüge  bestimmt  war. 

Lauter  aber  und .  anschaulicher  noch  als  die  Gräberfunde 
sprechen  von  dem  deutschen  Leben  dieser  Zeit  die  Reste 
ihrer  Ansiedelungen,  wie  sie  sich  in  Ringwällen  und  Befesti- 
gungen, in  Spuren  menschlicher  Wohnungen  und  Massen- 
gräbern, am  schönsten  aber  in  den  Ackerbeeten  erhalten 
haben,  welche  als  Hochäcker  und  Terassenbeete  bekannt  sind. 
Weit  verbreitet  auf  deutschem  Boden  finden  sie  sich,  bei 
aller  Verschiedenheit  im  Einzelnen  doch  von  unverkennbarer 
Uebereinstimmung  des  Ginindgedankens ').  Sie  lassen  uns 
ein  Volk  erkennen,  das,  offenbar  in  gi*ossen  Massen  einheitlich 
organisirt,  in  seinen  Ansiedelungen  sich  eng  zusammenhielt, 
hinter  seinen  Ringwällen  und  Verschanzungen  Sicherheit  suchte, 
auch  wohl  in  wenigen  besondei*s  gi*ossen,  festen  Plätzen  dem 


')  PliniuB  hist  nat  87,  2. 

*)  Vgl.  insbesondere  die  instnictiTe  Abhandlung  von  August  Hartoiann 
in  dem  oberbair.  Archiv  fOr  vaterländische  Geschichte  Bd.  85  S.  115  iE, 
wo  aus  Baiem,  Würtemberg,  Sachsen-Meiningen,  Pommern,  Hannover, 
Oldenburg,  selbst  aus  Dänemark  und  England  Mittheilungen  über  die 
Hoch&cker  und  ähnliche  verlassene  Culturen  enthalten  sind. 


—    7    — 

weichenden  Volke  einen  letzten  Rttckhalt  bot^);  ein  Volk, 
das  von  Bodenbestellung  und  Viehzucht  lebte,  zwar  fest  an- 
gesiedelt war,  aber  keine  Sonderwirthschaft  der  Einzelnen 
kannte;  vielmehr  die  Arbeit  des  Friedens  ebenso  geschlossen 
wie  die  Arbeit  des  Krieges  vornahm,  in  ganzen  Abtheilungen 
jene  schmalen,  aber  überaus  langen  Beete  erhöhte  und  sie 
durch  breite  Wassergräben  wie  durch  Säubeiimg  von  den 
Feldsteinen  fruchtbar  zu  madien  wusste ;  das  gemeinsam  säte 
und  gemeinsam  erntete  und  in  fester  Ordnung  dann  sich  in 
die  Früchte  seines  Schweisses  theilte.  Wir  können  aus  der 
grossen  Feldflur,  die  so  ein  Stamm  sich  mühevoll  bereitete, 
ersehen,  dass  längst  mehr  keine  Spur  Nomadenthums  bestand ; 
doch  ist  es  wohl  auch  zweifellos,  dass,  wenn  auch  zahl- 
reiches Volk  sich  hier  zu  gemeinsamer  Arbeit  vereinte,  die 
Beete  eines  Gebiets  erst  allmälich  hergestellt,  und  nui'  ein 
kleiner  Theil  alljährlich  mit  Körnerfrucht  bebaut  sein  konnte, 
dass  also  Wechsel  von  Fruchtanbau  und  Weidenutzung  auf 
demselben  Boden,  dass  eine  Feldgraswirthschaft  mit  strenger 
Feldgemeinschaft  hier  verbunden  war'). 

Von  dem  Zusammenhalt  der  Stämme,  von  der  wenigstens 
f&r  den  Krieg  und  die  Vertheidigung  des  heimathlichen  Bodens 
grossartigen  Organisation  zeugen  aber  auch  die  Stammes- 
sagen'), welche  die  drei  grossen  Zweige  des  Volkes,  die 
Ingävonen,  Istävonen  und  Herminonen  auf  gemeinsamen  Stamm- 
vater zurückführen,  zeugen  auch  ihr  gemeinsamer  Götterglaube 


^)  In  den  Mittheilnngen  der  anthropologischen  Gesellschaft  in  Wien 
Bd.  y  S.  48  ff.  schildert  Much  eine  grosse  als  Waffenplatz  benutzte  An- 
Biedelung  der  Qoaden  an  der  March,  welche  über  2000  Menschen  Friedens- 
berOlkening,  im  Kriege  aber  leicht  ein  zehnfach  grösseres  Heer  hinter 
ihren  Wällen  bergen  konnte. 

*)  Der  deatsche  ürspnmg  der  Hochäcker  ist  allerdings  noch  nicht 
m  Endenz  dargethan;  aber  die  neuesten  Ergebnisse  der  Alterthums- 
wiseenschaft  lassen  doch  kaum  mehr  viel  Zweifel  daran  übrig. 

*)  Tadtos  Germania  c.  2:  Celebrant  carminibus  antiquis,  quod  unum 
apud  ülos  memoriae  et  annalium  genus  est,  Tristonem  deum  terra  editum 
et  filimn  Mannum,  originem  gentis  conditoresque.  Manne  tris  filios  adsig- 
nant  e  quorom  nominibus  proximi  Oceano  Ingaevones,  medii  Hermiones 
eeteri  Istaevones  voeentur. 


—    8    — 

und  ihre  heiligen  Grebräuche.  Noch  nach  Tadtos  ^)  haben  die 
Suevenstämme  bei  den  Heiligthümem  der  Semnonen,  dem 
Caput  Suevorum  in  feierlicher  Weise  das  Bewusstsein  ihrer 
Zusammengehörigkeit  lebendig  erhalten. 

So  sind  die  Deutschen  dem  Caesar  entgegengetreten,  als 
er  von  Gallien  her  ziun  erstenmal  einen  tiefem  Einblick  in 
das  rechtsrheinische  Land  werfen  konnta  Keine  privaten 
und  abgesonderten  Ländereien,  kein  bestimmtes  Mass  von 
Acker  oder  festen  Grenzen  sind  den  Einzelnen  zu  eigen;  die 
Obrigkeiten  des  Volkes  und  die  Fürsten  der  Stämme  weisen 
den  Geschlechtem  und  Verwandtschaften,  die  sich  zusammen- 
hielten, so  viel  an  Land  und  dort  jeweilig  zu,  wo  es  geeignet 
scheint  und  zwingen  sie,  von  Jahr  zu  Jahr  im  Anbau  der 
Gemarkungen  zu  wechseln*).  In  grossen  Festungen  (oppida) 
bieten  sie  bei  feindlichem  Einfall  allem  Volk  und  seinen 
Schätzen  sichei*e  Zuflucht^);  und  rings  um  die  bewehrten 
Ansiedelungen  (vici)  der  Geschlechter  liegt  das  Ackerfeld  mit 
wogender  Saat^).  Im  Kriege  wählt  das  ganze  Volk  sich 
seine  Führer;  im  Frieden  Wahren  Fürsten,  über  kleinere 
Volksgebiete  und  Gaue  gesetzt,  die  öffentliche  Ordnung  und 
das  Recht «). 

Aber  schon,  so  scheint  es,  waren  sie  auf  dem  Punkte, 
ihre  alte  Volks-  und  Agrarverfassung  zu  verlassen,  verändert«i 
Neigungen  und  BedürMssen  nachzugeben  und  zu  neuen,  voll- 
kommneren  Formen  des  Lebens  und  des  Gütererwerbs  über- 


^)  Germ.  c.  39:  Stato  tempore  in  silvam  augorÜB  patnim  et  prisca 
formidine  sacram  omnes  einsdem  sanguinis  populi  legationibiis  co&ant, 
caesoque  publice  homine  celebrant  barbari  ritns  horrenda  primordia. 

*)  Caesar  berichtet  zuerst  b.  GalL  IV,  1  von  den  Sueven :  Sed  privati  mc 
separati  agri  apud  eos  nihil  est,  neque  longius  anno  remanere  uno  in 
loco  incolendi  causa  licet.  Dann  VI,  22  von  den  Germanen  überhaupt: 
Keque  quisquam  agri  modum  certum  aut  fines  habet  proprios,  se^  mag!* 
stratus  ac  prindpes  in  annos  singulos  gentibus  cognationibusqne  hominiim 
qui  una  coierunt,  quantum  et  quo  loco  Tisum  est  agri  attribuont  atqae 
anno  post  alio  transire  cogunt 

«)  Caes.  b.  Q.  VI,  10. 

*)  Caes.  b.  G.  IV,  19.  VI,  86. 

»)  B.  GaU.  VI,  28. 


—    9     - 

zugehen,  wie  sie  längere  Sesshaftigkeit  und  Bewahrung  wii-th- 
sehaftlicher  Erfolge  mit  Nothwendigkeit  erzeugt.  Was  früher 
tief  im  Wesen  des  deutschen  Volkes  begiUndet  war,  erscheint 
jetzt  nur  durch  äussere  Zweckmässigkeit  künstlich  festgehalten; 
des  Eri^es  eiserne  Nöthigung  musste  wirksam  sein,  um 
ihren  Hang  zum  Ackerbau  und  friedlichen  Ei*werb,  ihre 
Gewöhnung  an  reichlicheren  und  bequemeren  Lebensgenuss, 
um  ihre  Begierde  nach  Schätzen  und  die  beginnende  Schei- 
dung der  VermOgensklassen,  das  Streben  nach  ausschliesslichem 
Eigenthum  zu  bekämpfen,  in  denen  die  deutschen  Heerführer 
jener  Zeit  gi'össere  Feinde  deutscher  Unabhängigkeit  erblicken 
•mochten,  als  in  den  andringenden  Römern  ^). 

So  sind  die  Nachrichten  des  Caesar  ein  köstliches  Zeugniss 
von  der  ältesten  gesellschaftlichen  und  Agrarveiiassung  der 
Deutschen  und  tragen,  indem  sie  mit  den  vorhandenen  Cultur- 
tiberresten  dieser  Zeit  so  entschieden  übereinstimmen,  den 
Stempel  voller  Wahrheit  nicht  minder  als  die  Probe  innerer 
Wahrscheinlichkeit  in  sich. 

Der  Rückschlag,  welchen  die  beginnende  Eroberung  des 
deutschen  Bodens  durch  die  Römer  den  volkswirthschaftlichen 
Zuständen  zunächst  der  Westdeutschen  versetzte,  währte  wohl 
geraume  Zeit  in  seinen  Wirkungen  fort.  Aber  gleichzeitig 
fand  hier  jene  mächtige  Berührung  mit  dem  hochentwickelten 
Gulturleben  der  Römer  statt,  die  nun  mit  einem  Male  eine 
Reihe  neuer  Bedürfhisse  und  Einrichtungen  kennen  lehrte, 
wie  sie  der  reichlicheren  Entfaltung  des  Lebens  zu  entsprechen 
geeignet  waren.  Als  erobernde  Krieger  kamen  sie  gezogen, 
als  Lehrmeister  in  den  Künsten  des  Friedens  wirkten  sie 
unter  den  Deutschen;   und  mehr  noch  als  die  unmittelbare 


0  Nach  der  Schilderang  der  Agrarrerfassung  fährt  der  Bericht  Caesars 
VI,  22  fort:  Eins  rei  moltas  adfenmt  caosas:  ne,  assidna  consnetadine 
capti,  Stadium  belli  gerandi  agricaltara  commatent;  ne  latos  fines  parare 
Btadeant  potentioresqoe  homiliores  possessionibas  expellant;  ne  accaratias 
ad  fiigora  atqne  aestas  vitandos  aedificent;  ne  qaa  oriatar  pecuniae  capi- 
ditas,  qoa  ex  re  fiictiones  dissensionesque  nascontar;  at  animi  aequitate 
plebem  contineant,  quam  suas  qaisqae  opes  com  potentissimis  aeqaari 
Tideat. 


—    10    — 

Aneignung  und  Nachahmung  römischer  Zustände,  Einrich- 
tungen und  Producte  wirkte  die  feste  Grenzwacht,  welche 
die  Römer  nun  an  Donau  und  Rhein  und  zwischen  beiden  an 
dem  limes  (Teufelsmauer,  Pfahlgraben)  gegen  die  Einfälle  der 
wanderlustigen  Germanen  hielten.  Das  zwang  sie  neuerdings 
zu  fester  Ansiedelung  und  um  so  intensiverer  Bewohnung,  je 
mehr  das  Gebiet  verengt  war,  auf  dem  sie  sich  frei  bewegen 
konnten^).  Und  so  entwickelte  sich  bald  jener  sociale  und 
wirthschaftliche  Zustand  wie  wir  ihn  aus  des  Tacitus  meister- 
hafter Schilderung  des  geimanischen  Lebens  kennen,  wie  er 
aber  nur  für  die  Westgermanen  allgemeine  Gültigkeit  hat: 
unverkennbar  gleichartig  im  innersten  Ginindzug  mit  jener« 
ältesten  gesellschaftlichen  Verfassung  und  doch  in  seinen 
Einzelheiten  so  aufifällig  vei-schieden.  Noch  ist  weder  das 
Stammesbewusstsein ,  noch  die  militärische  Oiiganisation  des 
Volkes  verloren  gegangen;  aber  doch  viel  ausgeprägter  tritt 
das  Streben  nach  Geltendmachung  kleiner  Interessenkreise, 
nach  individueller  Selbständigkeit  und  abgesondertem  Leben 
hervor.  Gerade  was  die  strenge  Feldgemeinschaft  nach  Caesars 
Aussage  veimeiden  wollte,  sorgfältigeren  Hausbau  und  die 
Sucht  nach  Reichthum,  Unterschiede  des  Besitzes  und  Ver- 
langen nach  Einzeleigenthum ,  das  bildet  in  der  gesellschaft- 
lichen Verfassung  der  Deutschen,  wie  sie  Tacitus  schildert^ 
eine  Reihe  charakteristischer  Momente.^)  An  die  Stelle  der 
befestigten  Wohnplätze,  die  zahlreichem  Volke  Unterkunft 
boten,  tritt  nun  Vereinzelung  des  Wohnens  als  die  Regel 
auf;')   die  Deutschen  ertragen  es  nicht  in  eng  zusammen- 


^)  Die  Bedentang  des  limes  für  die  Culturgeschichte  der  Deutschen 
ist  neuestens  von  Arnold,  Deutsche  Urzeit  S.  81—115  sehr  anschaulich 
geschildert 

*)  Ueber  dieselben  ist  das  Köthige  ans  Tacitos  im  Einaelnen  bei  dm 
folgenden  Abschnitten  angemerkt 

')  Tac  Germ.  16:  NuUas  Oermanorom  popolis  nrbes  habitari  satis 
notom  est;  ne  pati  qnidem  inter  se  iunctas  sedes.  Colunt  discreti  ac 
diversi,  ut  fons,  nt  campas,  at  nemns  placoit  Yicos  locant  non  in 
nostrom  morem,  connexis  et  cohaerentibns  aedifidis:  sunm  quisqne  domom 
spatio  drcumdat 


—  11   — 

hangenden  Orten  zu  wohnen;  auseinanderliegend  und  zerstreut 
siedeln  sie  sich  an,  wo  eine  Quelle,  ein  Feld,  ein  Hain  ihnen 
gefällt  Auch  ihre  Dörfer  bauen  sie  nicht  nach  römischer 
Weise  in  verbundenen  und  zusammenhängenden  Gebäuden; 
jeder  schliesst  sein  Haus  mit  fmem  Räume  ab.  Die  Feld- 
marken^) besetzt  die  Gesammtheit  nach  Anzahl  derBebauer; 
dann  aber  vertheilen  sie  diese  unter  einander  nach  den 
socialen  Unterschieden  der  Genossen.  Und  diese  setzen  dann 
auf  ihren  Gütern  die  Leibeignen  gleich  römischen  Colonen 
ein^),  jedem  Selbständigkeit  des  Haushalts  und  der  Wirth- 
schaftsführung  einräumend;  nur  Abgaben  heischen  sie  von 
ihnen,  Getreide,  Vieh  und  Gewänder.  Doch  sind  sie  über 
die  rohe  Wechselwirthschaft  ihrer  Vorältei-n  nicht  hinaus- 
gekommen^  denn  für  ihren  einfachen  Haushalt  haben  sie  noch 
immer  des  Bodens  die  Fülle ') ;  aber  was  fiilher  organisirendes 
Prinzip  der  Volkswirthschaft  war,  das  ist  nunmehr  nur  Wirth- 
Schaftssystem  im  Landbau  der  einzelnen  Besitzer.  Wohl  mag 
auch  diese  Austheilung  der  Feldmark  an  die  Einzelnen  nur 
zur  Nutzung  des  Bodens  gewährt  worden  sein;  jedenfalls  ein 
Wechsel  der  Antheile  an  der  Feldmark  unter  den  Mitgliedern 
einer  agrarischen  Gemeinschaft  hat  nicht  weiter  stattgefunden 
und  ebenso  wenig  lässt  sich  an  gemeinsame  Feldarbeit  und 
Ernte  mit  Vertheilung  des  Ertrags  noch  weiter  denken.  Und 
auch  die  Feldgemeinschaft  selbst  scheint  nun  auf  kleinere 
Kreise  der  Bevölkeining  beschränkt  und  damit  war  nicht 
minder  eine  grössere  Mannigfaltigkeit  der  socialen  Gliede- 
rung gegeben ;  nicht  mehr  der  Gau :  die  Mark  der  feldgenossen- 
schafüich  verbundenen  Nachbarn,  die  Centene  scheint  nun 
die  unterste  politische  Einheit,  nach  der  Familie  der  kleinste 
sociale  Körper  im  Volksganzen  geworden  zu  sein^). 

^)  Germ.  26:  Agri  pro  namero  caltoram  ab  univenis  inyicem  occa- 
pontor,  qaoB  mox  inter  se  Becundum  dignationem  partiuntar. 

*)  Genn.  25:  Ceteris  servis  non  in  nostrom  morem,  descriptis  per 
fifcmfliam  miniBteriis,  atantur:  soam  quisque  sedem,  suos  penates  regit. 
Fmmenti  modom  dominas  aut  pecoris  ant  vestis,  ut  colono,  iniungit,  et 
Mnms  hactenos  paret 

*)  QeruL  26:  Arva  per  annos  mutant  et  saperest  ager. 

*)  Das  zeigen  besonders  die  Parallelstellen  Caes.  b.  G.  VI,  22  und 


—    12    — 

Reicher  und  vielseitiger  gestaltete  sich  das  Leben  der 
Deutschen  in  dieser  Zeit;  die  Bodenproducte  zwar  waren 
noch  nicht  mannigfaltiger  geworden;  weder  Wiesen  schieden 
sie  aus  der  Feldmark  aus  noch  legten  sie  Gälten  an^);  aber 
an  Handelswaare,  welche  zumeist  die  Römer  ihnen  brachten, 
waren  sie  doch  schon  gewöhnt  und  auch  des  Geldgebrauchs 
belebende  Wirkung  fehlte  nicht  mehr  gänzlich^),  so  lange 
das  Römervolk  noch  wohlhabend  und  kaufkräftig  war,  und 
geregelte  Wechselbeziehungen  die  Gegenden  diesseits  und 
jenseits  des  Rhein  und  des  Donaulimes  verbanden.  Und  auch 
der  socialen  Gliedeiiing  des  Volkes  scheint  solche  reichere 
Entfaltung  zugeschrieben  werden  zu  müssen,  wie  sie  aus  der 
mannigfacheren  Abstufung  der  Lebensverhältnisse  sich  auch 
leicht  erkläi*t.  Dass  das  Familienleben  sich  vertiefte,  dass 
ständische  Unterschiede  mehr  heiToitraten ,  lasst  sich  als 
Frucht  eines  ruhigeren  Daseins,  fester  Ansiedelung  und  ge- 
regelter Wirthschaft  wohl  begreifen ;  besonders  auch  ein  Adel 
mag  sich  leichter  jetzt  an  Zahl  und  an  Bedeutung  gemehrt 
haben,  wo  nicht  mehr  die  alte  Vermögensgleichheit  der  Heer- 
genossen, nicht  mehr  der  strenge  Gehorsam  ganzer  Völker- 
schaften unter  einem  Heerführer  das  organisirende  Prinzip  der 
Gesellschaft  war,  sondem  das  Leben  des  Volkes  sich  im 
kleinem  Kreis  selbständig  ordnete  und  jedem  freistand,  Macht 
und  Schätze  sich  zu  sammeln.  Aber  die  Stüime  der  Völker- 
wandeiiing  vei-nichteten  zumeist  diese  Keime  höherer  Gultur. 
Die  sociale  Organisation  der  deutschen  Völkei*stämme  während 
der  Zeit  ihrer  letzten  grossen  Wandei*ungen  ist  allerdings 
nur  aus  der  Heeresverfassung  zu  erkennen,  die,  auf  der 
Giiindlage  der  FamUien-  und  Geschlechterordnung  aufgebaut, 
geeignet  war,  sowohl  dem  Angi-iff  und  der  Vei-theidigung  zu 


Tac/Qerm.  26  s.  o.  S.  8  und  11;  dann  Caes.  VI,  23:  principes  regionnm 
atqae  pagorom  inter  suos  ins  dicont  und  Tac  Germ.  12:  principea  qui 
iura  per  pagos  vicosque  reddunt. 

^)  Oenn.  26:  Kec  enim  cum  ubertate  et  amplitudine  soU  labore  con- 
{endunt,  ut  pomaria  conserant  et  prata  separent  et  bortos  rigent:  sola 
terrae  seges  imperatur. 

<)  Vgl  5.  Abscbnitt. 


—    13    — 

dienen,  als  auch  die  Ordnung  der  öffentlichen  Angelegenheiten 
des  Volkes  überhaupt  zu  eimöglichen.  Aber  es  ist  kein 
Zweifel,  dass  diese  Heeresverfassung  auf  alter  socialer  Unter- 
lage ruhte;  ihre  Wurzeln  sind  weit  hinab  zu  verfolgen  in 
jene  Zeit,  welche  uns  die  Berichte  der  römischen  Schriftsteller 
etwas  aufhellen;  ja  sie  möchten  wohl  noch  Jahrhunderte 
weiter  zurück  aufzufinden  sein,  wenn  es  gelänge,  den  Schleier 
zu  lüften,  der  über  des  deutschen  Volkes  Urzeit  liegt. 

Zweierlei  jedoch  ist  naheliegend :  die  sociale  Ordnung  des 
deutschen  Volkes  musste  durch  die  besonderen  Zwecke  der 
kriegerischen  Wanderschaft  mancher  Aendeiiing  unterliegen, 
und  die  alten  Wurzeln  der  Heeresverfassung  starben  um  so 
mehr  ab,  je  länger  sie  aus  dem  Erdreich  gezogen  waren,  aus 
dem  sie  ihre  Nahrung  zu  ziehen  sich  gewöhnt  hatten.  So 
musste  das  Gaufürstenthum  gegenüber  dem  Hei'zogsamte,  der 
alte  Stammesadel  gegenüber  dem  Gefolgsadel  zurücktreten; 
am  meisten  aber  werden  diejenigen  Seiten  der  socialen  Ord- 
nung von  den  Verändeiningen  des  kriegerischen  Wanderlebens 
ei^riifen  worden  sein,  welche  auf  wirthschaftlicher  Giimdlage 
ruhten.  Denn  die  Wirthschaft  des  Volkes  hörte  ja  während 
seiner  grossen  Wanderschaft  so  zu  sagen  auf.  Erobei-ung, 
Beute  traten  an  die  Stelle  des  friedlichen  Erwerbs;  das  Ge- 
wonnene wurde  bald  die  Beute  des  zerstörenden  Kriegs,  bald 
ungemessener  Begier  und  Genusssucht,  bald  musste  es  bei 
weiteren  Wanderungen  wieder  zurückgelassen  werden;  die 
gftteransammelnde  Thätigkeit  des  Volkes  war  ebenso  behindert 
wie  die  gütererwerbende.  Vorhandenes  Vermögen  aber  konnte 
nur  in  Geld  und  Waffen  oder  als  Sklaven  und  Vieh  in 
grösserer  Menge  gebraucht  werden:  die  Weilhformen  des 
Volksvermögens  waren  ebenso  beschränkt  wie  die  Zweige 
seiner  Erwerbsbeschäftigung.  Und  selbst,  wo  die  Wirthschaft 
für  kürzere  Zeit  sich  wieder  einrichten  und  mit  der  Hoffnung 
auf  Dauer  festere  Zustände  begillnden  wollte,  war  doch  die 
nothwendige  militärische  Vorsicht  ein  Hindei-niss;  aus  dem 
Gesichtspunkte  der  Disciplin,  der  Abhärtung,  aber  auch  der 
Veriheidigungsfähigkeit,  und  der  Leichtigkeit  des  Angiiffs  war 
ein  rascher  Uebergang  zu  ruhiger  Wiilhschaft  auch  in  ruhig 


~    14    - 

gewordener  Zeit  lange  ausgeschlossen.  So  werden  die  wirth- 
schaftlichen  Zustände  der  deutschen  Stämme  während  ihrer 
letzten  grossen  Wanderungen  wesentlich  unvoUkommner  als 
zu  des  Tacitus  Zeiten,  im  Ganzen  mehr  den  von  Caesar  ge- 
schilderten entsprechend  gewesen  sein. 

Ei'St  wenn  ein  Volksstamm  bleibende  Ruhe  fand,  bildete 
sich  auf  dem  neuen  Boden  auch  eine  neue  Ordnung  der  Ge- 
sellschaft; bei  den  grossen  Verändei-ungen  der  ökonomischen 
Zustände  aber  ist  auch  die  sociale  Schichtung  und  Organisation, 
soweit  sie  auf  Besitz  und  Erwerb  begründet  waren,  sicherlich 
nicht  mehr  den  alten  Zuständen  ähnlich.  Vielmehr  sahen 
sich  die  Deutschen  am  Schlüsse  ihrer  Wanderungen  vor  eine 
Fülle  neuer  socialer  Thatsachen  gestellt,  welche  nach  Ordnung 
und  Gestaltung  rangen;  und  damit  beginnt  dann  erst  die 
stetige  Entwickelung  der  socialen  und  wirthschafüichen  Zu- 
stände des  deutschen  Volkes-,  seine  sociale  und  seine  Wirth- 
schaftsgeschichte. 

Aber  nicht  in  derselben  Weise  und  zur  selben  Zeit  haben 
die  vei-schiedenen  deutschen  Stämme  diese  Stetigkeit  ihrer 
Ansiedelung;  diese  Ruhe  ihrer  Entwickelung  gefunden;  und 
es  ist  wichtig,  sich  dieser  Verschiedenheit  vollkommen  bewusst 
zu  sein*). 

Am  frühesten  sind  wohl  die  Friesen  zu  dauerhafter  Sess- 
haftigkeit  gekommen.  Schon  zu  des  Tacitus')  Zeiten  haben 
sie  dieselben  Sitze  inne,  in  welchen  sie  zuerst  unter  Karl 
Martell,  dann  unter  Karl  d.  Gr.  unterworfen  und  dem  frän- 
kischen Reiche  eingegliedert  wurden ;  und  nie  hat  eine  irgend 
nennenswerthe  fremde  Völkerschaft  sich  mehr  mit  ihnen  ver- 
mischt. Am  Meere')  sassen  sie,  an  den  Niedemngen  der 
Nordsee;  zwischen  Fly  und  Laubach  die  mittleren  Friesen, 
zwischen  Laubach  und  Weser  die  Ostfriesen,  zwischen  Fly 


^)  Vgl.  i.  A.  ZeoBB,  Die  Deutschen  and  die  Nachbarst&mme,  1887. 
Gaapp,  die  germanischen  Ansiedlangen  und  Landtheilongen,  1844.  Arnold, 
Deutsche  Urzeit,  1879. 

')  Germ.  c.  84,  s.  a.  Gaupp,  Ansiedlungen  S.  560. 

')  S.  die  aasführliche  Erörterung  über  die  altfriesische  Geogn^hie 
bei  Richthofen,  lex  Frisionum,  LL.  III,  eS2  ff. 


—    15    — 

und  Sincfal  die  Westfriesen,  ohne  im  Wesentlichen  ihre  Grenzen 
zu  erweitem  oder  geschmälert  zu  sehen.  Nur  einmal,  als 
sich  Sachsen  dem  Heereszuge  Alboins  nach  Italien  anschlössen, 
scheinen  Friesen  in  grösserer  Anzahl  das  Stammland  verlassen 
und  sich  in  den  ihnen  von  dem  Frankenkönige  Sigebert  an- 
gewiesenen sächsischen  Gauen  niedergelassen  zu  haben  ^).  Und 
selbst  als  sie  in  jahrhundertlangen  Kämpfen  den  Franken 
unterlagen,  war  damit  doch  keine  Aenderung  ihrer  Wohn- 
sitze oder  eine  Vermischung  ihrer  Bevölkerung  oder  gar  eine 
durchgreifende  Aenderung  ihrer  Sitten  und  ihrer  Lebensweise 
verbunden.  Daher  die  grosse  Originalität  ihrer  Zustände, 
wie  sie  noch  aus  dem  friesischen  Volksrecht  hervorgeht,  das, 
obschon  erst  im  8.  Jahrhundert  aufgezeichnet,  doch  vielfach 
sogar  zur  Aufhellung  socialer  Urzustände  der  Deutschen  über- 
haupt dienen  kann. 

Im  Gegensatze  zu  den  Friesen  fahrten  die  Sachsen*), 
obwohl  lange  Zeit  hindurch  unangefochten,  ein  viel  unstäteres 
Leben.  Im  zweiten  Jahrhunderte  ziehen  sie  in  grossen  Mengen 
aus  ihren  Sitzen  in  der  cimbrischen  Halbinsel  theils  zur  See 
nach  Westen,  theils  nach  Süden,  in  das  Land  der  Westfalen, 
wo  damals  Franken  sassen.  Einen  Theil  ihres  Gebietes  an 
der  Fuse  verloren  sie  zur  Zeit  Domitians  an  die  Chatten^. 
Andere  -Gebiete  gaben  sie  auf,  als  sie  mit  Alboin  nach  Italien 
zogen;  Chatten,  Friesen  und  Warnen  (Nordschwaben)  traten 
hier  an  ihre  Stelle^).  Anderseits  nahmen  sie  den  Chatten 
das  Gebiet  an  der  Diemel,  den  Thüringern  das  Gebiet  nörd- 
lich vom  Thüringerwalde  ab,  während  sie  selbst  wieder  von 
den  vorriibckenden  Dänen  in  Jütland  und  Schleswig,  von  den 
Slaven  an  ihrer  Ostgrenze  bedrängt  wurden.  Seit  den  Hunen- 
zügen  sind  sie  stetig  bis  an  die  Elbe,  von  Pommern  bis  zur 

^)  Wenigstens  wird  später  auch  ein  Fdesen-  und  ein  Hessengan  im 
Gebiet  des  alten  Sachsenlandes  genannt  Arnold,  Ansiedlangen  und  Wan- 
derungen deutscher  Stämme  8.  150. 

*)  Vgl.  i.  A.  Schanmann,  Oeschichte  des  niedersächsischen  Volks 
18S9.  Seibertz,  Landes-  und  Rechtsgeschichte  des  Herzogthoms  West£ftlen 
1845—1864. 

*)  Tac  Germ.  36. 

*)  Gregor  Tur.  5,  15.    Paul.  Diac  2,  6. 


—    16    — 

Lausitz  vorgerückt.  Die  Wenden  besetzten  die  Altmark  links 
der  Elbe,  Strecken  von  Nordthüringen  links  der  Saale  ^). 
Aber  immerhin  blieb  ein  gut  Theil  des  nördlichen  Deutsch- 
lands Jahrhunderte  lang  im  Besitz  der  Sachsen,  bevor  Karl 
d.  Gr.  mit  seinen  mörderischen  Kriegen  sächsisches  Volks- 
thum  von  Grund  aus  umgestaltete.  So  bewahrten  sie  sich 
zwar  keine  festen  Sitze,  von  denen  aus  eine  ruhige  Gultur- 
entwickelung  hätte  ausgehen  können ;  aber  der  Volkscharakter 
und  die  socialen  Einrichtungen,  in  denen  sich  die  Ordnung 
ihres  Lebens  bewegte,  erhielten  sich  doch  lange  in  jener 
Eigenthümlichkeit ,  die  sich  durch  die  besondere  Betonung 
der  Wehrhaftigkeit,  die  Vorrechte  des  Adels  und  die  rück- 
sichtslose Strenge  und  Energie  ihi-er  öfifentlichen  Gewalt  aus- 
spricht. 

Ebenso  sind  die  unter  dem  Namen  der  Thüringer  zu- 
sammengefassten  Völkerschaften  in  den  ersten  Jahrhunderten 
unserer  Zeitrechnung  in  viel  zu  starker  Bewegung,  als  dass 
sich  ihre  socialen  und  wirthschaftlichen  Zustände  mit  einiger 
Buhe  und  Stetigkeit  hätten  entwickeln  können').  Mit  An- 
fang des  5.  Jahrhunderts  ist  das  Land  zwischen  Werra  und 
Saale,  Harz  und  Thüringerwald  von  ihnen  besetzt,  nachdem 
sie  ihre  früheren  Wohnsitze  theils  gezwungen,  theils  freiwillig 
verlassen  hatten.  Aber  noch  in  demselben  Jahrhundert  breiteten 
sie  sich  über  Hessenland  zwischen  Werra  und  Fulda,  und 
über  die  Maingegenden  aus'),  besetzten  das  südliche  Land 
bis  an  die  Donau  und  den  Böhmerwald  ^) ,  verwüsteten  zu 
Severins  Zeit  die  Donaugegenden  bis  zur  Enns,  während  sich 
von  Ost  und  Norden  kommend  die  Slaven  immer  mehr  thü- 
ringischen Gebiets  bemächtigten.  Im  Anfange  des  6.  Jahr- 
hunderts aber  verlieren  sie  ihre  nördlichen  Gebiete  bis  zur 


^)  Vgl.  Meitzen  in  den  JahrbQchem  IQr  Nationalökonomie  Bd.  82. 

")  Vgl.  Arnold,  Ansiedlungen  und  Wanderungen  S.  220  1 

')  Waitz,  Deutsche  YerÜASsungsgeschichte  U,  706. 

*)  Zenss,  Die  Deutschen  und  die  Nachbarsiftnime  S.  855.  Tgl.  nedeBtens 
auch  Bachmann,  die  Einwanderung  der  Baiem,  in  den  Sitzangsberichten  der 
kais.  Academie  der  WiBsenschaiten  zu  Wien  Bd.  91,  S.  869,  der  hier 
zum  Theil  nur  Verbündete  der  ThOringer  gelten^  lassen  will. 


-    17    - 

Ünstnit  an  die  Sachsen ;  in  den  Maingegenden  und  im  eigent- 
lichen ThQringen  breiten  sich  seit  ihrer  Besiegung  durch  die 
Franken  ^)  diese  bis  an  die  Saale  und  Regnitz  immer  mehr 
aus,  und  im  Süden  verlieren  sie  Gebiet  an  die  Baiern. 

Aber  immerhin  sind  Friesen,  Sachsen  und  Thüringer  die- 
jenigen ^^5Ikerschaften  gewesen,  welche  frei  von  den  Ein- 
wirkungen römischer  Cultur  geblieben,  ihre  socialen  und 
wirthschaftlichen  Zustände  in  Selbständigkeit  und  grosser 
Eigenart  entwickelten. 

Dagegen  unterlag  die  Cultur  der  im  Westen  und  Süden 
des  deutschen  Landes  angesiedelten  Völker  den  mannigfachsten 
Einflüssen  römischen  Lebens.  Ihre  Jugend  kämpfte  Jahr- 
hunderte lang  in  den  römischen  Legionen;  ihre  Verkehi-s- 
beziehungen  unterhielten  sie  zumeist  nur  mit  den  Römern, 
in  deren  Städten  und  Stationen  am  Rhein  und  im  südlichen 
Lande  sie  mit  dem  häuslichen  Leben  und  den  Bedürfhissen 
eines  hochcultivii*ten  Volks  veiiraut  wurden.  Von  ihnen 
lernten  sie  so  manchen  Zweig  der  Bodenkultur  kennen,  von 
ihnen  besseren  Hausbau  und  andere  technische  Kunstfertigkeit ; 
der  Geldgebrauch,  und  manche  Ideen  und  Formen  des  rö- 
mischen Rechts  bürgerten  sich  unvermerkt  bei  ihnen  ein. 
Dazu  kam  nun  aber,  dass  gerade  diese  Völker  reichen  Wan- 
derungen und  mannigfachem  Wechsel  ihrer  Sitze  unterlagen. 
Zwar  die  salischen  Franken  haben  in  ihrem  Stammlande 
zwischen  Maas  und  Scheide  frühzeitig  die  Cultur  eines  sess- 
haften  Volkes  entwickelt').  Hier  sassen  sie  seit  Ende  des 
3.  Jahrhunderts  unangefochten  sowohl  von  den  benachbailen 
deutschen  Stämmen  als  auch  unbei*ührt  von  den  Stürmen  der 
Völkerwanderung.  Aber  wie  es  sich  reich  entfaltete  an  Zahl 
und  an  Cultur,  wurden  dem  gi-ossen  Volke  seine  Grenzen  zu 
klein;  nach  allen  Seiten  hin  ergoss  es  sich,  gab  Anstoss 
zu  reichlicher  Volksbewegung,  um  schliesslich  der  Hauptsache 
nach  in  Gallien  neue  Wohnsitze,  neue  Einrichtungen,  zuletzt 
ein    neues  Reich   zu    gründen.     Es    tritt   damit   aus    dem 


»)  Gregor.  Tut.  III,  7. 

')  Vgl  i.  A.  Waitz  Verfassungsgeschichte  II.  S.  19  ff. 

▼  OB  InamA'Sternegg.  Wirtbachafttigeschicht«.    I. 


-    18    - 

Kahmen  einer  deutschen  Wirthschaft^eschichte  hinaus;  denn 
der  Boden  seiner  neuen  Heimath  war  von  römischem  We- 
sen getränkt;  die  Bewohner  Oberwiegend  an  die  Bedürf- 
nisse und  Einrichtungen  römischer  Cultur  gewöhnt.  Die  wenig 
zahlreichen  ^),  erobemden  Franken  nahmen  nicht  nur  Elemente 
dieser  bestehenden  Wirthschaftsordnung  in  sich  auf,  sondern 
wurden  von  dieser  aufgenommen.  So  verloren  sie  schnell  die 
Eigenart  ihres  Wirths^haftslebens  und  setzten  nur  die  Ten- 
denzen fort,  nach  welchen  sich  die  Volkswirthschaft  des  rö- 
mischen Galliens  bisher  bew^t  hatte.  Das  kleine  Häuflein 
der  in  Toxandrien  und  im  Xantner  Gau  zuiückgebliebenen 
Salier  aber  spielt  weiter  in  der  Geschichte  deutscher  Volks- 
wirthschaft keine  Rolle  mehr;  wohl  sind  hier  die  Zustände 
erheblich  verschieden  geworden  von  denen  ihrer  Brüder  in 
Gallien  und  haben  sich  mehr  in  germanischer  Eigenart  erhal- 
ten ;  aber  die  Bedeutung  der  auf  deutschem  Boden  verbliebnen 
Franken  liegt  von  nun  an  bei  den  Bipuariem  und  den  aus 
salischen  Franken  und  Hessen  gebildeten  Ost-  oder  Ober- 
franken *). 

Auch  am  Niederrhein  und  Mittelrhein,  sowie  in  den  be- 
nachbarten Gebieten  zu  beiden  Seiten  des  Stromes  sind  schon 
seit  der  Mitte  des  3.  Jahrhundei-ts  Franken  sesshaft^);  die 
Amsivarier  und  Ripuarier,  aber  auch  die  den  Saliern  ver- 
wandten Chatten  ^)  drängen  sich  auf  verhältnissmässig  kleinem 
Gebiete,  bis  jenen  die  Römer,  besondei-s  unter  Aötius  im 
4.  Dezennium  des  5.  Jahrhunderts  in  der  Germania  secunda 
friedliche  Wohnsitze  einräumten  und  die  Unternehmungen 
Chlogios  und  Chlodevechs  auch  diesen  neue  Gebiete  eröfflieten. 
Aber  in  dieser  Zeit  zweier  Jahrhunderte  sind  sie  durchaas 


^)  Nach  AogaBtin  ThieiTy  betrag  die  Anzahl  der  fränklBchen 
welche  Gbllien  eroberten,  nicht  über  100,000  Mann. 

*)  WaitK  n,  72.  m,  801.  8.  a.  Schröder  in  Forschungen  z.  deutschen 
Geschichte  XIX,  141. 

")  Waitz,  Verfiusangsgeschichte  II,  49 ff.    Arnold,   Ansiedlungen  nnd 
Wandernngen.    S.  156  ff.  ^ 

*)  Dove,  in  Zeitsch.  f&r  deutsches  Recht  XIX,  898,  und  Schröder  in 
Forschungen  XIX,  141. 


—    19    — 

nicht  im  ungestörten  Besitz ;  von  276—395  wohnen  Alamannen 
am  Mittelrhein  in  beträchtlicher  Ausdehnung;  im  Anfang  des 
5.  Jahrhunderts,  freilich  nur  einige  Jahrzehnte  lang,  besetzen 
die  von  Osten  kommenden  Burgunder  den  Mittelrhein  ^) ;  nach 
ihrem  Abzüge  rücken  wieder  die  Alamannen  vor,  bis  sie  durch 
die  gewöhnlich  von  Zülpich  benannte  Schlacht  von  496  end- 
gültig aus  diesen  Gebieten  verdrängt  werden  und  die  Franken 
nun  bleibend  Raum  und  ruhige  Stätte  in  demselben  finden. 
In  den  Gegenden  westlich  vom  Rhein  bis  zur  Mosel  wechseln 
häufig  die  Ripuarier  und  die  Chatten;  nicht  minder  sind  die 
Alamannen  bis  Ende  des  5.  Jahrhunderts  dort  vorgedi-ungen  ^) ; 
zwischen  ihnen  aber  hielt  sich  hier  wohl  am  längsten  römische 
Bevölkerung;  denn  erst  um  die  Mitte  des  5.  Jahrhunderts 
hörte  in  Trier  der  Gebrauch  der  lateinischen  Sprache  auf  ^). 
In  den  Gegenden  rechts  vom  Rheine,  besonders  im  alten 
Hessenlande^),  das  die  Chatten  schon  im  2.  oder  3.  Jahr- 
hundert inne  hatten,  ist  das  Völkergewoge  noch  gi'össer. 
Sachsen  und  Thttringer  besetzten  voi*übergehend  und  daueiiid 
die  nördlichen  und  östlichen  Marken  desselben ;  die  Alamannen 
drangen  auch  hier  vor,  und  auch  die  östlichen  Einfälle  der 
Alanen,  Sueven  und  Vandalen ,  wie  der  Hunnen  unter  Attila, 
gingen  auf  der  grossen  Völkerstrasse ,  die  durch  das  Land 
führte,  und  besetzten  oder  2;^i*störten  doch  die  alten  Wohn- 
sitze der  Chatten.  Diese  selbst  waren  wanderlustig  genug, 
tun  in  gi-o^en  Mengen  das  alte  Stammland  zu  verlassen; 
nach  Sachsens  verödeten  Gauen,  mehr  noch  aber  nach  den 
Moselgegenden,  nach  Lothi-ingen,  bis  tief  nach  Gallien  hinein 
und  in  die  oberen  Maingegenden  richteten  sie  ihre  Wander- 
züge, ohne  davon  wiedec  heim  zu  kehren  ^).    Ein  Theil  dieses 


^)  Zenas,  Die  Deatschen  S.  468. 

*)  Arnold,  Ansiedlungen  S.  289. 

0  Nach  Sidon.  Apoll.  £p.  IV.  17  war  nm  472  die  lateinische  Sprache 
in  diesen  Gegenden  schon  Terschwonden. 

*)  Hierflbr  ganz  besonders  sind  die  Namensforschongen  von  Arnold  in 
„Ansiedhingen  und  Wanderongen*"  von  grösster  fiedeatnng. 

*)  Nach  Schröder  in  Forschungen  XIX,  143  haben  sich  die  chattischen 
Franken  nach  Chlodoyechs  Alamannenschlacht  über  das  Gebiet  der  spätem 

2* 


—    20     — 

Volkes,  das  sich  schon  früh  mit  den  Uferfranken  vermischte, 
blieb  allerdings  im  Lande ;  aber  der  Wechsel  und  die  Mischung 
der  Bevölkerung  war  doch  zu  gi*oss,  als  dass  von  einer  Stetig- 
keit ihrer  Gulturentwickelung  die  Rede  sein  könnte.  Nur 
dass  sie  so  lange  Heiden  blieben,  nachdem  *schon  längst  die 
anderen  Frankenstämme  das  Christenthum  angenommen  iiattea» 
lässt  auf  eine  gewisse  Selbständigkeit  und  Eigenart  ihres 
Volksthums  schliessen-,  dass  sie  kein  geschriebnes  Volksi'echt, 
wie  die  salischen  und  ripuarischen  Franken  haben,  ist  dagegen 
wohl  mehr  ein  Beweis  ihrer  Stammesverwandtschaft  mit  den 
salischen  Franken,  nach  deren  Gewohnheitsrecht  sie  noch  bis 
in  das  10.  Jahrhundert  lebten  ^). 

In  den  Gebieten  des  oberen  Bhein  und  des  Neckar 
bis  an  das  linke  Mainufer  sassen  die  seit  Caracalla's  Zeit 
so  genannten  Alamannen;  aber  schon  im  4.  Jahrhunderte 
waren  sie  nach  allen  Seiten  über  die  engen  Grenzen  des 
Decumatenlandes  hinaus:  nach  Norden  über  den  Main,  nach 
Osten  in  das  Gebiet  der  Vindelicier  und  Noriker^);  im 
Süden  an  den  Bodensee  und  im  Westen  in  das  Elsass. 
Zwar  sind  sie  vielfach  wieder  zurückgedrängt  worden,  theils 
von  den  Burgundeiii,  theils  von  den  Römern,  die  sie  unter 
Probus  wieder  auf  das  rechte  Rheinufer  verwiesen*);  aber 
nun  breiteten  sie  sich  in  um  so^rösseren  Massen  im  Chatten* 
lande,  in  den  Gegenden  der  Mosel  und  des  Mittelrheins,  sowie 
im  rhätischen  Gebirge  aus;  und  kurz  nach  dem  Zuge  der 
Alanen  und  Vandalen  drangen  sie  wieder  im  Elsass  vor,  das 
sie  in  der  ersten  Hälfte  des  5.  *Jahrhundeits  zum  zweiten  Male 


DiOcesen  Mainz,  Worms,  Speier,  Würzburg,  sowie  im  Enbisthum  Trier 
verbreitet. 

^)  Vgl.  Doye,  Zeitsch.  für  Kirchenrecht  lY,  174.  In  dem  hier  heraus- 
gegebenen WOrzburger  Sendrecht  ans  dem  10.  Jahrhundert  wird  ein  pactos 
der  dort  lebenden  Franken  erwähnt,  der  nur  der  pactus  legis  Salicae  sein 
kann:  s.  a.  Schröder  in  Forschungen  XIX,  141. 

*)  Eugipii  Vita  S.  Severini  rec  Sauppe,  Mon.  Germ.  bist.  Auct  antiq. 
tom.  I.  p.  2;  bes.  cap.  27,  1;  19,  1.  Vgl.  insbesondere  die  Ausführungen 
Ton  Bachmann,  die  Einwanderung  der  Baiem  in  den  Sitsungsberichten  der 
kais.  Akademie  der  Wissenschaften,  Wien  1878,  Bd.  91,  S.  857  fT. 

*)  Zeuss,  die  Deutschen  S.  808. 


—    21    — 

und  nun  dauernd  besetzten^).  Vorübergehend  verloi'en  sie 
wqhl  grössere  Gebiete  am  Main  an  die  Burgunder,  welche 
hier  auf  ihrem  Zuge  von  Osten  nach  Westen  vier  Jahrzehnte 
lange  Rast  machten;  aber  im  Stammlande  behaupteten  sie 
sich  doch  immer  ausschliesslich,  ja  es  ist  nicht  einmal  nennens- 
werthe  fremde  Bevölkerung  dort  unter  ihnen  geblieben.  Und 
selbst,  als  sie  am  Ende  des  5.  Jahrhunderts  in  dem  gi-ossen 
Kampfe  gegen  die  Franken  unterlagen,  haben  sie  nur  die 
linksrheinischen  Gebiete  bis  zur  Lauter  imd  die  ferneren  An- 
siedlungen  am  Mittelrhein  aufgeben  müssen,  ohne  ihrerseits 
beträchtliche  fränkische  Bevölkerang  im  alten  Alamannen- 
lande  aufzunehmen. 

Die  bairischen  Lande  endlich  haben  in  den  ersten  Jahr- 
hunderten wohl  gar  keine  sesshafte  deutsche  Bevölkerung  ge- 
tragen. Rhätoromanen  sassen  in  den  Alpen,  römische  oder 
romanisirte  Possessoren  und  Golonisten  auch  in  den  Verlanden 
und  an  der  Donau  bis  an  die  March');  nur  Alamannen 
breiteten  sich  auch  hier  schon  fiHhzeitig  neben  diesen  aus^), 
während  Thüringer,  Rugier,  Heruler  und  andere  Stämme  mehr 
streifend  als  wohnend  das  Land  besetzten  und  verödeten.  Die 
Baiem  siedelten  sich  hier  an  der  Donau  und  im  Alpenvorlande 
zuletzt  in  nahezu  menschenleerer  Gegend  an  ^)  und  verbreiteten 
sich,  besondei*s  seit  die  Römer  fast  gänzlich  aus  Norikum  ge- 
wichen wai-en ,  auch  im  Lande  bis  zur  Enns ;  auch  über  die 
Alpen  dehnten  sie  sich  allmählig  aus  und  begründeten  da  auf 
weitem  Gebiete  deutsches  Leben  und  deutsche  Wirthschaft, 
indem  sie  öde  Strecken  cultiviilen  und  die  zurückgebliebenen 
Reste  rhäto-romanischer  Bevölkerung   germanisirten  ^).    Und 

')  Arnold,  Anaiedlongen  S.  239. 

^  Vgl.  i.  A.  J.  Jung,  Römer  und  Romanen  lin  den  Donauländem 
1877.  passim. 

')  Bachmann,  die  Einwanderung  der  Baiem  S.  857  £ 

^)  Vgl  Rieiler,  Geschichte  Baiems  I,  49. 

ft)  In  drei  bis  yier  Jahrhunderten  war  dieser  Bededelnngs-  und  Ger« 
manisirungsprocess  Deutschtirols  in  der  Hauptsache  abgeschlossen:  Tgl. 
Stenb,  Herbsttage  in  Tirol  1867.  S.  183  fg.  Jung  1.  c.  S.  226;  im  Ein. 
zflIneD  haben  sich  allerdings  romanische  Elemente,  besonders  unter  den 
Leuten  noch  lange  erhalten.     L.  Steub  hat  sich  über  diesen 


—    22    — 

ei-st  im  8.  Jahrhundert  wird  das  Land  östlich  von  der  Eons 
von  Deutschen  besiedelt  und  damit  jene  Golonisation  abge- 
schlossen, welche  von  nun  an  zunächst  dem  deutschen  Lande 
seinen  Abschluss  gab. 

Diese  zahlreichen  Wanderungen  der  deutschen  Stämme 
und  der  beständige  Wechsel  der  Gebiete,  welche  sie  inne 
hatten,  lässt  nun  schon  für  sich  allein  den  Schluss  zu,  dass 
eine  Stetigkeit  der  Entwickelung  des  wirthschaftlichen  Lebens 
nicht  möglich  war;  denn  gerade  dieses  schliesst  sich  immer 
eng  an  den  Boden  an,  auf  dem  es  sich  entfaltet;  und  je  mehr 
die  Natur  bestimmend  auf  das  Leben  der  Völker  einwirkt, 
je  weniger  diese  durch  Arbeit^ und  Kapital  sich  ihren  Ein- 
flössen zu  entziehen  und  sie  zu  beherrschen  vermögen,  desto 
entscheidender  wird  das  Land  und  die  Bodencultur  fbr  die 
ganze  Wirthschaft  eines  Volkes. 

Noch  viel  deutlicher  aber  zeigt  sich  dieser  störende  Einfloss 
der  Wanderungen  auf  Bodencultur  und  Volkswirthschaft,  wenn 
wir  das  Verfahi-en  berücksichtigen,  das  die  Deutschen  ein- 
zuhalten pflegten,  wo  sie  sich  eines  bei*eit8  von  Deutschcfli 
besetzten  Gebietes  bemächtigten.  Zwar  sind  uns  hierüber 
wenige  Nachrichten  aufbewahrt;  aber  doch  immerhin  genug, 
um  den  Vorgang  in  einzelnen  Fällen  deutlich  zu  erkennen 
und  mit  einiger  Sicherheit  auch  auf  analoge  Vorgänge  bei 
neuen  Ansiedelungen  schliessen  zu  können  ^). 

Schon  aus  der  Zeit  Caesars^)  erfahren  wir  von  dem 
Suevenkönig  Ariovist,  dass  er  den  Sequanei-n,  die  er  in  Be- 


Pankt  seinerzeit  nnnöthig  gegen  mich  ereifert;  denn  soviel  war  idh  iJ 
zuzugestehen  von  Anfang  an  bereit  and  mehr  wird  er  über  das  Beharren 
des  Romanismus  in  Tirol  jetzt  auch  nicht  aussagen  können,  TgL  über  die 
anderen  Punkte  dieses  Streites  S.  48f. 

^)  Vgl.  i.  A.  Gaupp,  Die  germanischen  Ansiedlungen  und  Landtheilan. 
gen  1844,  S.  48f. 

*)  Caes.  b.  6.  I,  31:  Sed  peius  victoribus  Sequanis,  quam  Aeduis 
yicds,  accidisse,  propterea  quod  Ariovistas,  rez  Germanorum,  in  eonun 
finibus  consedisset,  tertiamque  partem  agri  Sequani,  qui  esset  optimoa 
totius  Galliae,  occupavisset  et  nunc  de  altera  parte  tertia  Sequanos  dece- 
dere iuberet,  propterea  quod  pauds  mensibus  ante  Hamdum  milia  homi- 
num  24  ad  eum  venissent,  quibus  locus  ac  sedes  pararentur. 


—    23    - 

k&mpfuDg  der  gallischen  Aeduer  unterstützte,  Landabtretung 
abgenötfaigt  habe,  weil  er  sich  mit  mehr  als  15,000  seiner 
«ignen  Leute  in  ihrem  Gebiete  niederlassen  wollte.  Ein 
ganzes  Drittheil  des  Landes,  ein  zusammenhängendes  Gebiet, 
nicht  etwa  Antheil  an  jedem  einzelnen  Landgute  beanspruchte 
•er;  und  ebenso  liess  er  sich  später  für  24,000  Haruder  ein 
weiteres  Dritttheil  räumen.  Auch  die  Usipeter  und  Tenchterer 
wurden  von  den  Sueven  au9  ihrem  Gebiete  vertrieben  und 
hängten  ihrerseits  wieder  die  Menapier  über  den  Rhein  ^), 
und  ebenso  wurden  zur  Zeit  des  Nero  die  Ansibarier  von  den 
Chauken  aus  ihren  Sitzen  vertrieben  und  suchten,  lange 
timher  irrend,  neue  Wohnsitze  auf). 

Als  die  Alamannen  in  der  grossen  Schlacht  bei  Zülpich 
den  Franken  unterlegen  waren,  fiel  das  ganze  Land  links 
des  Rhein  bis  zum  Einfluss  der  Lauter  dem  Könige  Ghlodovech 
2u,  der  dasselbe  theils  zur  Anlegung  grosser  Domänen  ver- 
wendete, auf  denen  er  seine  Dienstleute  ansiedelte,  theils  an 
sein  Gefolge  veilheilte '). 

Nach  der  Besiegung  der  Thüringer  durch  die  Sachsen 
vertrieben  diese  die  Grundherrn,  soweit  sie  nicht  umgekommen 
waren  und  machten  sich  selbst  zu  Herren  des  Bodens.  Nur 
einen  Theil  im  Osten  des  Landes  überliessen  sie  den  Resten 
der  thüringischen  Bevölkerung  gegen  Tribut  zur  Bebauung^). 

^)  Caes.  b.  G.  rv,  4:  In  eadem  causa  fderunt  Usipetes  et  Tenchtheri, 
qni  complores  annos  Saeyomm  viiii  sustmuenuit:  ad  extremnm  tarnen 
agiis  expulsi  et  multis  Germaniae  locis  triennium  vagati  ad  Rhenam  per 
▼enerant,  qoas  regiones  Menapii  incolebant  et  ad  utramqne  ripam  flunmuB 
a^ros,  aedifida,  ricoBque  habebant:  sed  tantae  multitadims  aditu  per- 
territi,  ex  bis  aedificiis  quae  trans  flomen  habaemnt,  demigravemnt 

^;  Tac.  Ann.  XIII,  55:  Eosdem  agroB  Amsivarii  occapavere ....  qoia 
polsi  a  Chauds  et  sedis  inopes  tatom  exiliom  orabant  Aucb  die  bald 
folgende  Stelle:  Cbamavorom  quondum  ea  arva ,  mox  Tabantom  et  post 
Uflipioniin  foisse  edgt,  wie  die  Völkerschaften  auf  dem  Gebiete  wechselten. 

')  Arnold,  Ansiedlangen  und  WaDdemngen  deutscher  StAmme  1875, 
8.  210.  Derselbe  zdgt  an  den  Ortsnamen,  dass  die  Alamannen  in  diesen 
Gebieten  schon  reichlidi  feste  Ortschalten  gegrfü&det  hatten. 

*)  Translatio  S.  Alexandri  (cc  804)  SS.  II,  674:  der  Austrasische 
König  Theodorich  gibt  den  Sachsen  das  Land  der  besiegten  Thüringer. 
Qui  eam  sorte  dividentes,  cum  multi  ex  eis  in  hello  ceddissent  et  pro 


—    24    — 

Und  auch  im  Gebiete  der  Sachsen  ist  es  zu  ähnlichen 
Vorgängen  gekommen^).  Als  diese  in  grösseren  Haufen  mit 
den  Langobarden  nach  Italien  gezogen  waren,  da  besetzten 
Nordschwaben  die  verlassenen  Gaue.  Aber  die  Sachsen 
kehrten  zurück  und  nun  galt  es,  eine  Auseinandersetzung 
zwischen  der  inzwischen  sesshaft  gewordenen  suevischen  und 
der  altberechtigten  sächsischen  Bevölkerung  zu  finden.  Die 
Sueven  boten  zuerst  ein  Drittheil  des  von  ihnen  eingenomme- 
nen Landes,  dann  ein  weiteres  Drittheil,  endlich  zu  diesem 
noch  das  Vieh  auf  den  Gutem,  um  die  Verhältnisse  friedlich 
zu  ordnen;  erst  als  die  Sachsen  alle  diese  Vorschläge  ver* 
warfen,  da  kämpften  die  Sueven  um  ihren  häuslichen  Herd 
und  rieben  die  Sachsen  auf.  Allerdings  ist  hier  nicht  ganz 
deutlich,  ob  eine  Theilung  des  ganzen  Gebietes  oder  der  ein- 
zelnen Landgüter  gemeint  war;  doch  ist  ersteres  immerhin 
das  Wahrscheinlichere ').  Auch  die  Art  und  Weise,  in  welcher 
die  Langobarden  in  Italien,  die  Vandalen  in  Afiika  bei  ihren 
erobernden  Ansiedelungen  vorgegangen  sind,  zeigt  viele  Aehn- 
lichkeit  hiermit*),  wenngleich  die  Verschiedenheit  der  Ver- 
hältnisse, unter  denen  sie  hier  stattfanden,  eine  weitere 
Rücksichtnahme  für  die  Beuilheilung  der  deutschen  Ansiede- 
lungen ausschliesst  Dagegen  findet  sich  aus  der  Geschichte 
der  Colonisation  der  deutschen  Gebiete  kein  Beispiel,  welches 
mit  jenen  Landtheilungen  Aehnlichkeit  hätte,  wie  sie  die 
Burgunder  und  die  Westgothen  mit  den  Römern  vorgenommen 
haben  und  die  sich  als  Individualtheilung  der  Landgüter  gegen- 
über der  Territorialtheilung  kennzeichnen  lässt  Die  Individual- 
theilung brachte  zunächst  keine  Veränderung  in  die  Zustände 
der  Bodencultur;  die  neuangekommenen  Geimanen  (hospites) 


raritate  eomm  tota  ab  eis  oocupari  non  potait,  partem  illios  et  eam  quam 
mazime,  quae  respidt  orientem,  colonis  tradebant,  aingali  pro  aorte  f^oa 
Bub  tribato  exercendam.  Cetera  vero  loca  ipai  poBsedenmt  Aach 
Witichind  von  Corvey  I,  c  14,  SS.  V,  424.  Noch  im  Sachsenspiegel  III, 
44  ist  die  Erinnerung  an  diese  Landtheilang  lebendig. 

»)  Gregor  Tur.  V,  15. 

*)  Ganpp,  Anaiedlongen  S.  568. 

>)  Oaupp,  Ansiediungen  S.  503,  441  ff. 


-    25    - 

werden  bei  80  nahen  persönlichen  Beziehungen  zu  den  rö- 
mischen Possessoren  ihi*e  Bodenbearbeitung  mehr  oder  weniger 
conform  der  bisher  üblichen  gestaltet,  jedenfalls  rasch  vieles 
von  den  entwickelteren  Zuständen  sich  angeeignet  haben,  die 
sie  vorfanden;  eine  Yennehrung  und  Vervollkommnung  des 
Anbaues  ist  die  wahrscheinlich  nächste  Folge  gewesen.  Nur 
die  Vermögensvertheilung  und  die  aus  ihr  resultirenden  Wir- 
kungen auf  den  gesammten  wirthschaftlichen  Zustand  des 
nun  gemischten  Volkes  werden  auch  dort  das  Ereigniss  der 
Landtheilung  als  einen  Markstein  in  der  Entwickelung  der 
Volkswirthschaft  zur  Geltung  gebracht  haben. 

Wo  aber,  wie  zumeist  bei  den  deutschen  Ansiedelungen, 
welche  auf  Eroberung  beruhten,  ein  Gebiet  nach  gänzlicher 
Vernichtung  oder  Vertreibung  des  besiegten  Volksstamms 
besetzt  wurde,  oder  eine  Massenauswanderung  stattfand,  war 
jede  Fortsetzung  oder  doch  Stetigkeit  in  der  Entwickelung 
der  Wirthschaftszustände  von  vornherein  ausgeschlossen '). 
Zwar  werden  wir  bei  solcher  Landnahme  nie  an  eine  vor- 
gängige gänzliche  Landauskehr  denken  können,  so  dass  der 
erobernde  Stamm  die  Gegend  gänzlich  menschenleer  gemacht 
und  sich  nun  auf  einer  tabula  rasa  eingerichtet  hätte.  Immer 
werden  Reste  der  bisherigen  Bevölkerung  zurückgeblieben 
sein,  die  sich  entweder  als  Freunde  der  Eroberer  behaupteten, 
oder  gegen  ünterwei-fiing  in  Leibeigenschaft  oder  gegen  Tribut 
in  ihrem  Besitz  zu  erhalten  veimochten.  Auch  ward  wohl  den 
Vertriebenen  eine  Frist  gesteckt,  um  sich  neuen  Wohnsitz  zu 
suchen.  Oft  auch  rückte  das  erobernde  Volk  nur  langsam 
in  die  neuen  Gebiete  vor,  von  Gau  zu  Gau  die  alte  Bevöl- 
kerung verdrängend,  und  hier  vollzog  sich  dann  natürlich  auch 
der  Uebergang  zu  den  neuen  Zuständen  mehr  vermittelt,  all- 
mälig,  ohne  dass  doch  auch  da  einfach  auf  dem  Alten  fort- 
gebaut werden  konnte.  Wir  sehen  das  schon  bei  der  Be- 
setzung der  Sequanerlande  durch  die  Sueven  des  Ariovist,  wo 


*)  S.  die  ganz  entgegengesetzte  DarsteUung  des  Einflusses  der  Völker- 
waadenuig  auf  die  Volksgebiete  bei  Landau,  Territorien  S.  240—259,  der 
Aber  die  heterogoisten  Vorg&nge  in  unzulässiger  Weise  vermengt 


—    26    — 

zuerst  für  15,000,  dann  bald  für  immer  mehr  Sueven  Land 
verlangt  wurde  und  später  für  weitei*e  24,000  Haruder  ein 
ferneres  ganzes  Drittheil  beanspiiicht  ward.  Auch  die  Bur- 
gunder, welche  in  Gallien  sich  definitiven  Wohnsitz  bereiteten, 
kamen  nicht  das  ganze  Volk  mit  einenmiale.  Noch  im 
6.  Jahrhundert,  als  ihr  Yolksrecht  aufgezeichnet  wurde,  waren 
Bestimmungen  nöthig  über  die  Landanweisung  an  solche, 
welche  von  den  Maingegenden  oder  aus  der  Germania  piima, 
den  fiüheren  Sitzen  der  Burgunder,  nachkamen^).  Nicht 
minder  ist  die  Besetzung  des  nördlichen  Galliens  durch  die 
Franken  in  lauter  solchen  allmäligen  Nachschüben  Erfolgt'), 
nachdem  einmal  eine  feste  Ordnung  durch  die  ersten  Eroberer 
geschaffen  war;  und  auch  sonst  können  wir  diese  Erscheinung 
als  regelmässig  annehmen'). 

Ja  nicht  einmal  bei  der  systematisch  eingeleiteten  Massen- 
auswandeiiing  der  Römer  aus  Noiikum^)  ist  solches  anzu- 
nehmen; zurückgebliebene  Römer,  sowohl  Possessoren,  als 
Colonen  finden  wir  noch  selbst  in  Urkunden  des  8.  und  9. 
Jahrhunderts  ^). 

^)  L.  Borg.  CVII.  §  11:  De  Romanis  vero  hoc  ordinavimas,  ut  non  am- 
pliufl  a  Borgondionibiu ,  qai  in  lara  venenint,  reqnirator,  qoam  ad 
praesens  necessitas  fderit:  medietas  terrae.    LL.  III,  577. 

')  Ed.  Chilperici  c  8  LL.  II,  10:  Det  iili  vero  et  convenit  singula  de 
terras  istas,  qoi  si  adveniunt,  ut  leodis  qui  patri  nostro  fuenmt,  consiiaetudi- 
nem  qua  habaeront  de  hac  re,  intra  se  debeat. 

^)  Gaupp,  Ansiedlungen  ?28f. 

^)  Vit.  Severe. 89:  Aonolfus  vero  praecepto  fratris  admonitns  imivenos 
jassit  ad  Italiam  migrare  Romanos.  Tone  omnes  incolae  tanqaam  de 
domo  servitutis  Aegyptiae,  ita  de  cottidiana  barbarie  freqaentiwiimae  de* 
praedationis  educti,  S.  Severini  oracula  cognoverunt 

^)  Im  Indiculus  Arnonis  (ed.  Keinz  1869)  ist  die  Anzahl  der  Romanen 
nicht  unbedeutend,  welche  zur  Kirche  von  Salzburg  gehören:  I,  4:  prae- 
fatus  dux  (Theodo  cca.  690—717)  tradidit  .Romanos  et  eomm  tribntales 
mansos  80  inter  vestitos  et  apsos  commanentes  in  pago  Salsborgoense. 
I.  5:  in  pago  Atragaoe  Romanos  et  eorum  mansos  tribotales  5.  Y,  8: 
Tassilo  (769—788)  duz  in  pago  Salzburcgaoe  villula  nuncupante  Campus 
Romanos  cum  mansos  tributales  80.  YII,  8:  Theodbertns  dux  (nach  717) 
in  pago  Salzb.  tributarios  Romanos  116.  VII,  11:  idem  dux  Romanos  et 
eorum  mansus  80;  ib.  12:  in  pago  Atragaoe  Romanos  et  eomm  mansos 
trib.  8.    Im  Ganzen  sind  814  Romanen  mit  ihren  Mausen  geschenkt 


—    27    - 

Aber  doch  voinehmlich  die  Grundherrn,  die  social  höher 
stehenden  Glassen  des  Volkes,  sind  regelmässig  der  neu  an- 
ziehenden, siegreichen  Bevölkerung  zum  Opfer  gefallen  oder, 
vor  ihr  völlig  gewichen,  sei  es  aus  starker  Fi*eiheitsliebe, 
ivelehe  eine  Unterwerfung  nicht  zuliess,  sei  es  aus  Unduld- 
samkeit der  Eroberer^).  Damit  ist  dann  aber  auch  immer 
•die  Grundlage  der  socialen  und  wirthschaftlichen  Organisation, 
deren  Träger  gerade  die  Grundherrn  waren,  vollständig  ver- 
nichtet worden,  und  die  erste  Voraussetzung  einer  stetigen 
Entwickelung  der  Wirthschaftszustände,  die  Macht  der  Tradi- 
Ijon  verloren  gegangen. 

Vielfach  allerdings  mochte  es  in  einem  Lande,  das  nun 
iron  einem  erobernden  Stamme  besetzt  wurde,  nicht  einmal 
2ur  Auseinandersetzung  und  zu  fester  Ordnung  des  Grund- 
besitzes gekommen  sein.  Wo  das  nun  verdrängte  Volk  selbst 
nur  kurze  Zeit  im  Besitze  eines  Gebietes  war,  das  es  nun 
lineder  andern  überlassen  musste,  da  bewegte  sich  die  Ord- 
nung des  öfifentliehen  Lebens  noch  ganz  in  den  Formen  der 
HeeresverCiassung,  die  aber  nicht  Wurzel  schlug  und  sich  aus- 
prägte in  dem  Boden,  den  sie  beheiTschte  ^)  Denn  das  Heer 
ist  das  Volk  in  der  Bewegung,  nicht  in  der  Sesshaftigkeit ; 
und  die  Heeresordnung  war  umsomehr  dominirend,  je  häufiger 
solche  Vorgänge  waren.  Aber  auch  die  private  Wirthschafts- 
ordnung  unterlag  pothwendigerweise  in  Zeiten  gesteigerter 
Werhaftigkeit  des  Volkes  stärkeren  Einwirkungen  der  öffent- 
lichen Gewalt  Wie  es  undenkbar  und  sicherlich  auch  nie 
gewesen  ist,  dass  sich  die  Einzelnen  in  fremdem  Lande  an- 
gesiedelt haben  in  einer  Zeit,  in  welcher  beständig  ganze 
Volksmassen  in  Bew^ung  waren,    so  hat  sich  auch  dieser 


^)  Das  ist  noch  in  der  Ueberlieferong  von  der  ünterjochang  der 
Thüringer  dnrch  die  Sachsen  ausgesprochen,  wie  sie  der  Sachsenspiegel 
m,  44  mittheilt:  Do  irer  so  vele  nicht  newas,  dat  sie  den  acker  buwen 
mochten,  do  sie  die  dorinschen  herren  slugen  unde  verdreven,  do  lieten 
sie  die  bure  sitten  ungeslagen,  unde  bestadeden  in  den  acker  to  also  ge- 
daneme  rechte,  als  in  noch  die  late.hebbet.  Aehnliche  Fälle  hebt  Landau 
Territorien  254  henror.    S.  a.  Oanpp,  Ansiedlongen  S.  49. 

*}  Solche  Znst&nde  schildert  schon  Caesar  b.  6.  VI,  22  s.  o.  S.  8. 


—    28    — 

Zusammenhalt  der  Geschlechter  und  Stämme  in  der  Ordnung 
der  Wii*th8chaftszustftnde  in  entschiedener  Weise  für  lange 
Zeit  geltend  gemacht.  Die  Gemeinbenutzung  des  Wald-  und 
Wildlandes  durch  die  Genossen  ganzer  Gaue  oder  Hundert- 
schaften, die  Gemeinwirthscbaft  der  Geschlechter  und  Sippen 
auf  dem  ihnen  zur  Nutzung  zugetheilten  Fruchtlande  wird 
daher  in  diesen  Zeiten  der  Wanderung  als  nothwendige  Folge 
ihres  Zusammenhangs  im  Heere  immer  die  Regel  gebildet 
haben.  Intensive  Bodencultur,  wie  sie  besonders  durch  Boden- 
Verbesserung,  starke  Investirung  von  Arbeit  in  dem  Gultur- 
lande  und  beträchtliche  Wirthschaftsgebäude  sich  ausprägt^ 
sind  in  solcher  Zeit  wohl  gänzlich  ausgeschlossen. 

Das  Land  trug  wenig  Culturarbeit  an  sieh,  und  lose  war 
die  Verknüpfung  der  Menschen  mit  dem  Boden,  der  um  so 
leichter  verlassen  wurde,  je  weniger  der  Einzelne  ein  Interesse 
an  demselben  in  dieser  Gemeinwirthscbaft  geltend  machen 
konnte.  Zog  dann  ein  solcher  Yolksstamm  von  dannen,  oder 
wurde  er  vertrieben ,  so  gab  in  Wohnungen  und  Ortschaften, 
in  Flurvei*theilung  und  Wegen  wenig  Zeugniss  von  ihm;  der 
anziehende  Stamm  konnte  nicht  auf  diesen  Zuständen  ein- 
fach fortbauen;  und  aus  seiner  Heimath  brachte  er  ebenso- 
wenig mit,  was  bestimmend  für  seine  Wirthschaft  im  neuen 
Lande  geworden  wäre. 

Und  selbst  da,  wo  durch  längeren  Aufenthalt  consolidirtere 
Zustände  sich  gebildet  hatten ,  wo  etwa  Beeteanbau  stattfand 
und  das  Volk  im  festen  Bingwall  sich  die  Wohnungen  er- 
baute, ging  durch  die  Verwüstung,  die  im  Gefolge  der  Er- 
oberung einherschritt,  das  Beste  leicht  verloren,  was  die  ver- 
üiebene  Bevölkerung  an  Wiithschaftselementen  und  Gütern 
zurücklassen  musste. 

Am  Zähesten  hielten  sich  die  Namen  und  die  Gaugrenzen^ 
jene  zur  ei-sten  Orientirung,  diese  zur  Begründung  fester 
Ordnungen  auf  dem  neu  besiedelten  Gebiete  unerlässlich. 

In  den  Namen  erhielt  sich  wirklich  eine  feste  Tradition. 
Sie  waren  den  Anziehenden,  besonders  wenn  sie  zuerst  be- 
nachbart sassen,  wohl  schon  vielfach  bekannt;  sie  wurden 
ihnen  von  den  Zurückgebliebenen  zuerst  genannt  und  wareQ» 


—    29    — 

wenn  auch  fi*emd  der  Laut  klang,  doch  willkommene  Anhalts- 
punkte für  jede  weitere  ordnende  Thätigkeit.  Noch  jetzt 
erkennt  das  Ohr  des  Kundigen  aus  ihnen  den  Klang  der  ver- 
schiedenen Idiome,  die  hier  im  Laufe  der  Völkerwanderung 
wechselnd  heiTSchten;  wie  Schichten  des  Gesteins  liegen  sie 
übereinander;  die  ältesten  geben  uns  den  Grundplan  des 
Culturbaues,  den  fdlheste  Bewohner  über  dem  Lande  errichtet 
hatten.  Aber  es  sind  zumeist  nicht  Namen,  die  bestimmten 
Heimwesen  angehörten ,  in '  denen  sich  die  Wirthschaft  jener 
alten  Ansiedler  bewegt  hatte;  sie  sagen  nur  aus  von  den  Ge- 
genden, die  ihr  Fuss  betrat,  ihre  Rosse  bei  Jagd  und  Fehde 
stampften,  ihre  Herden  friedlich  weideten.  Selbst  wo  sie 
wohnten,  war  nicht  das  Gehöft  oder  das  Dorf  das  bleibende, 
das  seinen^Namen  durch  die  Zeiten  trug,  sondern  der  Oi*t,  wo 
sie  standea;  er  allein  war  stetig  genug,  dass  er  einen  eignen 
Namen  verdiente^).  Nur  wo  ein  Mächtiger  einmal  sass,  da 
mochte  wohl  auch  sein  Name  in  dem  Orte  durch  die  Zeiten 
klingen;  aber  äussei-st  selten  ist  die  patronymische  Orts- 
bezeichnung jener  frühesten  Zeit^).  Aber  schon  die  gix)sse 
Seltenheit  der  Oi-tsnamen,  die  über  die  Zeit  der  endgültigen 
Sesshaftigkeit  hinaus  reicht  ^) ,  zeugt  für  ihre  geringe  Dauer- 
haftigkeit; und  dämm  ist  auch  aus  den  Namen  noch  kein 
Schluss  auf  Wohnungen  und  Oitschaften  gestattet.  Von  Mor 
und  Heide,  von  Wald  und  lichtem  Plan,  von  Fels  und  Bach 
benannten  sie  die  Gegend;  aber  ^nicht  enthüllen  uns  die 
Namen,  welche  heute  die  Oite  führen,  ob  schon  zur  Zeit,  da 
sie  entstanden,  Wohnungen  der  Menschen  an  dieser  Stätte 
waren. 

Nächst  den  Namen  sind  es  dann  die  Gaugrenzen,  welche 
in  diesem  Gewoge  der  socialen  Elemente  einige  Festigkeit 
zeigen  und  damit  den  Ansiedelungen  auch  bei  wechselnder  Be- 
völkerung  eine  gewisse  Stetigkeit  gaben.    Die  Feststellung 

M  Die  ältestes  Namen  sind  neben  den  FIusb-  Wald-  und  Baomnamen 
einfiiche  Locative.    Arnold,  Ansiedelungen  124. 

*)  Waitz,  Verf.  GescL  I,  79.  Förstemann,  Ortsnamen  178.  Arnold, 
Ansiedlungen  238. 

^)  Arnold  a.  a.  0.  S.  62. 


—    30    — 

des  Gebiets,  auf  dem  sich  ein  neu  anziehender  Stamm  nieder- 
Hess,  und  das  er  nun  seiner  ausschliesslichen  Herrschaft  unter- 
werfen wollte ,  gehört  jedenfalls  immer  zu  den  ersten  oi^ani* 
satorischen  Leistungen.  Sie  konnte  um  so  weniger  entbehrt 
werden,  da  es  bei  den  Deutschen  zu  jeder  Zeit  ein  festgefQgter 
Volksverband  war,  auf  dem  die  Ordnung  alles  öffentlidien 
Lebens  beruhte.  Ueber  die  Zugehörigkeit  des  Einzelnen  zum 
Volke  konnte  also  nie  ein  Zweifel  bestehen,  wie  er  durch 
unsichere  6augi*enzen  stets  hätte  ^entstehen  müssen.  Gerade 
das  Gaufüi-stenthum  aber  ist  die  älteste  Form  einer  organi- 
sirten  öffentlichen  Gewalt,  welche  wir  bei  den  deutschen 
Stämmen  finden  ^).  Der  sociale,  in  der  Heeresverfassung  aus- 
geprägte Zusammenhalt  der  Gaubevölkerung  brachte  es  aber 
auch  mit  sich,  dass  die  Wanderungen  meist  y9n  ganzen 
Stämmen  oder  Gauverbänden  ausgingen*)  und  daes  ebenso 
die  besiegte  oder  vertriebene  Bevölkerung  immer  wenigstens 
die  eines  ganzen  Gaues  war.  Gauweise  also,  wie  das  Volks- 
heer zog,  ging  auch  der  Wechsel  der  Bevölkeining  vor  sich, 
und  die  Grenze  des  Gaues,  wie  sie  die  abziehende  Bevölkerung 
festgestellt  oder  die  überkommene  gewahrt  hatte,  wurde  auch 
von  den  Ankömmlingen  festgehalten.  Jedes  Hinausdrängen 
über  dieselbe  hätte  sie  wieder  in  Gonflict  mit  einem  ganzen 
Gau  gebracht,  den  sie  sich  unterwerfen  oder  dem  sie  sich 
hätten  unterordnen  müssen.  Verstärkt  wurde  diese  Noth- 
wendigkeit  der  Innehaltung  der  Gaugrenzen  theils ,  durch 
natürliche  Momente,  denen  diese  so  gerne  folgten  (Flüsse,. 
Gebirgszüge,  Wälder),  theils  durch  die  Schwierigkeit  neuer 
Abmarkung  derselben,  theils  durch  die  stets  dauerhaft  her- 
gestellten, gut  gepflegten  Verhaue  und  NVälle^),  welche  die 


^)  Gaes.  b.  G.  VI,  28:  Prindpes  regionom  atqne  pagomm  Inter  saot 
108  dicont,  controveniasque  minuimt,  8.  o.  8.  111 

')  So  berichtet  Tadtiu  6.  29  von  einem  Theil  der  Chatten,  welche  in 
den  Niederlanden  die  Civitatee  der  Bataver  und  Cannine&ten  gründeten. 
Femer  auch  Tac.  Bist.  4,  12.  S.  a.  Gieeebrecht,  Qeschichte  der  deutschen 
Eaiaerzeit,  4.  Aufl.  I,  69,  und  Bethmann-Hollweg,  Qvilprooess  IV,  1, 
S.  88,  der  noch  mehre  Beispiele  beibringt 

')  Schon  Tacitns  Ann.  II,  19,  70  berichtet  von  dem  lato  aggere,  der 


—    31     - 

Deatschen  an  den  Gaugrenzen  errichteten ;  theils  endlich  auch 
durch  die  überall  wahiiiehmbare  Neigung  späterer  deutscher 
Ansiedelung,  nicht  in  dichtgedrängten  Massen  an  wenigen 
Mittelpunkten  des  Gaues  zu  wohnen ,  sondern  sich  nach  allen 
Seiten  hin  in  zei-streuten  Gehöften  oder  wenig  bevölkeiten 
Dörfern  anzusiedeln,  was  die  Einhaltung  sicherer  Gaugrenzen 
zur  Stärkung  und  Sicherung  des  socialen  Verbandes,  wie  zur 
Sicherung  eines  unanfechtbaren  Culturlandes  für  die  Ansiedler 
onerlässlich  war.  Eben  dieser  Umstand  gestattete  aber  auch 
die  Innehaltung  gegebener  Gaugrenzen  trotz  beträchtlicher 
Verschiedenheit  der  Volkszahl,  da  die  zerstreute  Besiedelung 
des  Landes  die  grössten  Schwierigkeiten  der  Bodenbenutzung 
aus  dem  Wege  räumte;  denn  das  urbare  Land  war  dadurch 
in  nähere  Verbindung  mit  dem  Wiilhschaftshofe  gesetzt,  auch 
jede  Nutzung  des  Gemeinlands  wesentlich  erleichtert;  überall 
konnte  leicht  ein  Heimwesen  gedeihen,  wo  eine  gedrängte 
grosse  Dorfanlage  unmöglich  gewesen  wäre  und  nur  wenige 
nahe  gelegene  Fluren  eine  Bestellung  hätten  finden  können. 
Erst  nachdem  mit  eingetretener  Buhe  die  Stämme  friedlich 
neben  einander  wohnten  und  der  Ausbau  im  Stammlande 
erfolgte,  konnte  auch  die  Gaugrenze  verändert  werden,  theils 
durch  Vorrücken  der  Ansiedelungen  in  die  unbesetzten  Ge- 
biete, die  sich  oft  in  weiten  Strecken  zwischen  den  Gauen 
hinzogen,  theils  durch  freiwillige  Verachmelzung  der  ange- 
sessnen  Bevölkerung,  bis  dann  neue  sociale  Thatsachen  wieder 
gerade  zu  einer  Festigung  der  Gaugebiete  führten  0- 

Aber  doch  auch  die  Ansiedelungen,  wo  sie  je  einmal 
grössere  Ausdehnung  und  festeren  Bestand  gewonnen  hatten, 
sind  sicherlich  für   die  Niederlassung  späterer  Völkerschaften 


die  Aogrivarier  von  den  Chemskem  schied.    S.  a.  Maurer,  Ein!.  215  and 
Grimm  RA.  541—548. 

M  Theilweise  anderer  Ansicht  aber  die  Festigkeit  der  Gaogrenzen  ist 
Arnold  Ansiedlangen  483  f.  In  seiner  „deatschen  Urzeit**  S.  322  ff.  be- 
kämpft er  aber  vornehmlich  doch  nur  die  Anschaaang  als  ob  die  nrkond- 
lieh  bekannten  Gaae  des  7.  und  8.  Jahrhunderts  noch  dieselben  seien,  wie 
sie  in  der  Urzeit  gebildet  wurden;  und  damit  kann  man  sich  yollstftndig 
önverstanden  erklären. 


-     32    — 

nicht  ganz  bedeutungslos  geblieben.  Es  wirkte  hier  vielfoch 
schon  die  Natur  des  Landes  bestimmend  ein,  welche  die  für 
menschliche  Wohnung  geeigneten  Stätten  gerade  in  Zeiten 
geringer  Gultur  mit  prägnanter  Schärfe  anzeigt.  Solche  natür- 
liche Standorte  einer  Bevölkerung  haben  sicherlich  zu  allen 
Zeiten  ihre  Anziehungskraft  ausgeübt,  auch  da,  wo  die  älteren 
Wohnungen  vielleicht  spurlos  verschwunden  waren  und  nur 
noch  der  Oi-tsnaroe  erhalten  blieb,  den  sie  aus  der  natürlichen 
Beschaffenheit  des  Bodens  geschöpft  hatten.  Aber  vielfach 
werden  auch  da,  wo  neue  Völker  sich  niederliessen,  die 
Spuren  alter  Heimstätten  nicht  so  vollkommen  von  der  Erde 
vertilgt  worden  sein,  dass  sich  nicht  an  ihre  Beste  anknüpfen 
liess.  Das  umbrochene,  wohl  auch  abgemarkte  Feld,  die  Wege, 
Deiche,  Dämme  und  Wehren,  die  Gruben  und  Keller,  wohl 
auch  manches  fest  gefügte  Gebälke  waren  die  stummen 
Zeugen,  dass  ein  Volk  sich's  hier  wohnlich  eingerichtet  und 
wiesen  durch  ihr  blosses  Vorhandensein  auf  die  Eignung  des 
Platzes  zu  menschlicher  Bewohnung  hin. 

Wir  sehen  diess  nicht  blos  daraus,  dass  sich  die  An- 
wesenheit eines  Volksstamms  in  einem  bestimmten  Gebiete, 
wenn  sie  geraume  Zeit  hindurch  gedauert  hat,  nun  auch  in 
gewissen  Ortsnamen  ausprägt,  die  dann  für  alle  Zeit  erhalten 
bleiben ;  die  Macht  natürlicher  Eignung  für  Ansiedelungen  wird 
auch  bezeugt  durch  die  ungeheui-e  Zähigkeit,  mit  der  gerade 
die  ältesten  zuverlässigen  Orte  sich  trotz  aller  wechselnden 
Schicksale  ihrer  Bewohnung  erhalten  haben.  So  lassen  sich  die 
charakteristischen  Ortsbezeichnungen  auf  -wilare  und  -hofen, 
die  patronymischen  auf  -ingen,  theilweise  auch  -beuren  und 
-Stätten  von  der  Mosel  und  dem  Mittelrhein  durch  Hessen, 
Thüringen  und  Baieiii  verfolgen,  soweit  auf  ihren  Wanderungen 
die  Alamannen  gedrungen  sind.  Und  umgekehrt  geben  die 
Namen  auf  -doif,  -statt  etc.  von  den  Wanderungsgrenzen  der 
Franken  im  Alamannenlande  noch  heute  Zeugniss  ^).    Ja  selbst 


M  Das  hat  in  grandLicher  und  ttberzeogender  Weise  Arnold  doreh 
seine  Namensforschungen  dargethan  in  ^Ansiedlungen  und  Wanderungen 
deutscher  Stämme.*' 


—    33     — 

keltische  und  römische  Ansiedelungen  haben  sich  unter  frän- 
kischer und  alamannischer ,  wie  später  unter  bairischer  Be- 
völkerung behauptet  und  die  Kraft  des  Beharrens  erwiesen, 
wo  sich  diesö  auf  natürliche  Momente  stützte.  Und  aus  dem 
Kreise  wohlbeglaubigter  ältester  Ortsnamen  sind  auffallend 
wenige  wieder  ausgeschieden,  während  von  den  später  ge- 
gitlndeten  Orten  yerhältnissmässig  die  meisten  wohl  wegen 
Ungunst  der  Lage  wieder  ausgegangen  sind  ^).  Dass  aber  der 
Namen  von  bewohnten  Orten,  welche  mit  einiger  Sicherheit 
dieser  ältesten  Zeit  zugewiesen  werden  können ;  so  auffallend 
wenige  sind,  während  wir  doch  die  Volkszahl  der  deutschen 
Stänmie  wenigstens  am  Beginn  der  eigentlichen  Völkerwan- 
derung durchaus  nicht  unterschätzen  düifen,  das  findet  seine 
Erklärung  zum  guten  Theil  nur  darin,  dass  sie  entweder  für 
grössere  Gebiete  galten,  also  einen  Inbegriff  von  mehr  oder 
weniger  zerstreuten  Wohnungen  bedeuteten,  oder  dass  sich 
nur  solche  Ortschaften  bleibend  zu  erhalten  vermochten,  welche 
in  grösserer  Anzahl  der  Wohnstätten  und  zusammenhängender 
Weise  gebaut,  eigentliche  Dörfer  bildeten,  während  sich  vom 
einzelnen  Gehöfte  leicht  jede  Spur  verlor.  Und  nur  so  ist  es 
auch  zu  erklären,  dass  sich  die  neu  anziehenden  Stämme 
immer  wieder  auf  die  Ortsgi'ündung  verlegen  mussten  und 
damit  immer  wieder  Spuren  ihrer  einstmaligen  Anwesenheit 
neben  den  bereits  vorhandenen  Ortschaften  ihrer  Vorgänger 
den  kommenden  Geschlechtem  überliefei*ten. 

Auf  diesen  wenigen  festen  Stützpunkten  also  beruhten 
jene  Ansiedelungen,  welche  von  der  Mitte  des  5.  Jahrhunderts 
an  bestimmt  waren,  bleibende  und  dauerhafte  Niederlassungen 
der  deutschen  Völker  zu  werden  und  eine  stetige  Entwickelung 
zu  immer  höherer  Gultur  zu  erleben. 

Wo  die  Ansiedelungen  einer  früheren  Zeit  nicht  mehr  zer- 
stört waren  und  ihre  Bevölkerung  gewechselt  hatten,  da 
konnten  sie  nun  kraftvollere  Wurzel  sdilagen  und  reicher  sich 
entfalten ;  aber  auch  junge  Besiedelungen,  sobald  nur  das  Ge- 
fühl leidlicher  Sicherheit  durch  die  staatenbildenden  Schöpfun- 


0  Arnold  a.  a.  o.  S.  14. 

▼  OB  Inama-Sternegg,  WirthMhaftagwehiehta.  I.  8 


-    34    - 

gen  und  Ordnungen  der  Franken  erzeugt  waren,  erwiesen 
rasch  die  Kraft  der  deutschen  Colonisationsbestrebungen.  Die 
Zeit  vom  6.~8.  Jahrhundert,  in  welche  so  recht  eigentlich  der 
Ausbau  der  Stammländer  durch  die  Gaugenossen  fällt,  ist 
eine  Zeit  reichen  Schaffens  und  Wirkens.  Aus  den  primitiven 
Zuständen  der  mit  Haus  und  Gut  wandernden  Stämme  ent- 
wickeln sich  die  Deutschen  zu  einem  Volke,  reif  genug,  um 
durch  einen  schöpferischen  Geist  wie  Karls  d.  Gr.  zu  einer 
politischen  Nation  gemacht  zu  werden. 

Und  es  ist  in  ernster  Reihe  die  rasche  Zunahme  der  Inten- 
sität der  Ansiedelungen,  durch  welche  solches  erreicht  wurde. 
Die  Bewohnung  am  Schlüsse  der  Völkei*wanderung  ist  im  all- 
gemeinen noch  sehr  dünn ;  die  Volksmenge  selbst  kaum  so  gross 
als  vor  dieser  Zeit;  denn  zu  all  dem,  was  die  unablässigen 
Kämpfe  der  Heiroath  veinichteten,  und  was  auf  fortwährenden 
Wandeiningen  besonders  to  zarten  Kinderleben  zu  Grunde 
ging,  ist  der  beständige  Abfluss  der  Bevölkerung  nach  Osten 
zu  den  Gothen  und  Hunnen,  nach  dem  Süden  (Itiüien,  Afrika), 
Westen  (Gallien,  Spanien)  und  Norden  (England,  Skandinavien) 
in's  Auge  zu  fassen.  Die  ältere  nicht  deutsche  Bevölkerung 
deutscher  Gebiete  aber  verlor  sich  immer  mehr;  gerade  die 
lange  Bewahmng  des  Heidenthums  der  Deutschen  in  G^enden 
die  früher  romanische  Bevölkeiiing  hatten,  wie  z.  B.  Toxan- 
drien,  Brabant,  Ardennengebiet  u.  a.  deutet  auf  ein  fast 
gänzliches  Verschwinden  der  älteren  Bevölkerung  und  damit 
auf  wenig  dichte  Bewohnung  hin^). 

Nur  in  Ländern  mit  grösserer  Stetigkeit  der  Bevölkerung, 
im  alamannischen  Stammlande,  Hessengau,  Rheingau,  Fries- 
land mag  mit  zahlreicherer  Einwohnei-schaft  ein  dichteres 
Wohnen  schon  fiilhzeitig  stattgefunden  haben. 

Im  allgemeinen  aber  ist  sicherlich  noch  ein  starkes  Ueber- 
gewicht  des  Wald-  Oed-  und  Sumpflandes  der  herrschende 
Charakter  deutscher  Landschaften  *) ;  die  bewohnten  Orte  stark 

^)  S.  Roth,  Geschichte  des  Beneficialwesens  S.  65  f. 

*)  Die  Schilderungen  der  Alten  könnten  auch  für  diese  Zeit  noch 
gelten:  Tac  Germ.  5:  terra  etsi  aliquanto  specie  differt,  in  umversaai 
tarnen  aut  silvis  horrida  aut  paludibus  foeda,  humidior  qua  Gallias,  Ten* 


-    35    — 

Tereinzdt  und  zei*8treat,  Von  Wald  und  Oedland  rings  um- 
whlossen ;  die  Ansiedelungen  selbst  aber,  von  denen  die  weitere 
Golonisation  und  der  Ausbau  des  Landes  ausging,  sehr  ver- 
schieden je  nach  der  Bodenbeschaffenheit  und  Gegend ,  sowie 
nach  den  die  Ansiedelung  begleitenden  Umständen. 

Das  allerdings  scheint  allen  deutschen  Völkern  gemein- 
sam zu  sein,  dass  auch  diese  letzten  Ansiedelungen  von 
grösseren  Haufen  gemeinsam  ausgingen,  deren  Zusammenhang 
durch  den  Heeresverband  ausser  Zweifel  ist.  Und  sicher 
waren  es  gi'&ssere  Abtheilungen  als  die  Hundertschaften,  aber 
auch  nicht  ganze  Völkerschaften,  welche  so  gemeinsam  sich 
neue  Ansitze  bereiteten^).  Die  in  wirthschaftlicher  Hinsicht 
jedenfalls  wichtigste  Gemeinschaft  der  Ansiedelungen  war  der 
Gau,  in  welchem  sich  sowohl  der  sociale  Zusammenhang  des 
Stammes,  wie  der  wiiiihschaftliche  Verband  der  Marknutzung 
darstellte.  Freilich  dürfen  wir  dabei  weniger  an  die  grossen 
Gaue  ganzer  Völkerschaften '),  als  vielmehr  an  jene  kleineren 
Gaue  denken,  welche  bei  allen  deutschen  Völkerstämmen 
schon  vor  Beginn  der  urkundlichen  Zeit  hervortreten*)  und 
sowohl  durch  ihre  Namen  als  durch  ihre  Einrichtungen  sich 
als  die  älteste  Form  eines  eigentlich  markgenossenschaftlichen 
Verbandes  documenüren^).    Allei'dings  waren  auch  sie  von  sehr 

tofiior  qua  Noricum  ac  Pannonia  aspidt;  Mela  de  sit  orb.  III,  3:  terra 
ipea,  multis  impedita  fluminibos,  moltis  montibus  aspera  et  magna  es 
parte  rilvis  ac  paludibas  invia.  S.  a.  Arnold  a.  a.  0.  S.  17:  „Die  reiche 
Synonymik,  die  wir  in  den  alten  Namen  für  die  einfachen  Begpriffe  Sumpf 
und  Wald  finden,  zeigt  uns,  dass  das  Land  ursprünglich  in  der  That 
nichts  weiter  als  sumpfiger  Urwald  war.    S.  a.  8.  Abschnitt 

1)  Vgl  Ammian.  Marc.  XV,  4,  XYII,  10,  XXI,  3  von  den  pagi  der 
Alamannen. 

*)  Vgl.  Bardengau,  Hessengau,  Suevogau  u.  a.  Vgl  i.  A.  Waitz  I, 
142,  weldier  mit  Weiske,  Maurer  (Sohn),  Roth  und  anderen  Neueren  den 
Qwa  als  Unterabtheilung  der  Völkerschaft  auffasst. 

*)  Caes.  b.  6.  IV,  1:  Hi  (die  Sueven)  centum  pagos  habere  dicuntur. 
Tac  Germ.  39:  (Semnones)  centum  pagis  habitänt 

*)  Vita  S.  Bonif.  c.  11  (34)  SS.  U,  849:  quae  (Fresonum)  gens  interia- 
oentibus  aqnis  in  multos  agrorum  dividitur  pagos  ita,  ut  diversis  appellati 
nominibus,  tamen  gentis  proprietatem  portendunt.  Auch  die  s&chsischen 
gö  waren  klein;  nach  einer  (allerdings  un&chten)   Urkunde  Karls  d.  Gr. 

3* 


—    36     - 

erheblieh  verschiedener  Grösse  und  es  ist  im  Einzelnen  viel- 
fach sehr  schwer,  die  sociale  und  wirthschaftliche  Bedeutung 
der  Gaue  zu  bestimmen.  Aber  doch  soviel  kann  als  sicher 
angenommen  werden,  dass  überall  grössere  Gemeinschaften 
der  Ansiedler  mit  gemeiner  Marknutzung  ihres  Gebietes  den 
Grundbau  der  socialen  und  ökonomischen  Gebietsgliederung 
in  der  ältesten  Periode  unserer  Geschichte  bildeten^).  Denn 
immer,  wo  es  anging,  siedelte  sich  der  Stamm  auf  weitem 
Gebiete  an;  das  Bedürfhiss  nach  Land  war  bei  sehr  exten- 
siver Wirthschaft  gross;  die  Neigungen  der  Deutschen  zu 
starker  Bewegung  auch  in  Friedenszeit  einer  engen  Begren- 
zung nicht  günstig;  das  Verlangen  bei  der  raschen  Ver- 
mehrung der  Bevölkeiiing  auch  kommenden  Geschlechtem 
Land  zu  sichern,  mindestens  ebenso  mächtig  in  dieser  Bich- 
tung  wirksam,  als  der  Wunsch,  andere  Stämme  thunlichst 
fem  von  eignem  Culturlande  zu  halten '). 

Daraus  ergab  sich  dann  auch   zunächst  wenigstens  eine 
weite  Gaumark,  Land  zur  Gemeinbenutzung  aller  Gaugenossen ; 


fbr  Bremen  (Lappenberg  hambnrg.  Ürk.  B.,  S.  5)  wftren  mehre  solche 
pagi  vereinigt  worden,  am  2  Provinzen  (Qane)  daraus  zu  machen.  S. 
V^aitz  I,  164.  Auch  die  Kleinheit  der  Gebiete  der  späteren  sächsischen 
Gögrafen  erinnert  daran.  Vftltz  m,  820.  Ebenso  auch  Beda  hist  eccL 
y,  10:  Non  habent  regem  iidem  antiqoi  Saxones,  sed  satrapes  plarimos 
snae  genti  praepositos.  Hucbald  in  vita  Lebuini  SS.  n,  861  nennt  sie 
prindpes,  welche  singolis  pagis  praeerant  singoli. 

^)  Daher  aoch  die  ftltesten  Urkonden  regelmässig  der  Gane  zur  Be- 
zeichnung der  Lage  von  Ortschaften  gedenken.  Dass  auch  in  Sachsen 
die  Ganeintheilung  nicht  von  Karl  d.  Gr.  eingeflUurt,  sondern  nur  die 
Graftchaften  auf  der  vorhandenen  Grundlage  der  Gaue  geschaffen  wurden 
s.  Unger  öffentliches  Recht  S.  86.    Waitz  m,  820. 

*)  Caes.  b.  G.  lY,  8:  Publice  mazimam  pntant  esse  laudem  (Suevi), 
quam  latissime  a  suis  finibus  vacare  agros. . . .  Itaque  una  ex  parte  a 
Suevis  cirdter  milia  passuum  600  agri  vacare  dicontur.  ib.  VI,  23:  (Svi* 
tatibus  maxima  laus  est,  quam  latissimas  circum  se  vastatis  finUtus  soll» 
tndines  habere.  Hoc  proprium  virtutis  existimant,  expulsos  agris  finitimoe 
eedere,  neque  quemquam  prope  andere  consistere:  simul  hoc  se  fore 
tntiores  arbitrantur,  repentinae  incursionis  timore  sublato.  Beispiele  grosser 
BCarken,  die  freilidi  nicht  all^  als  Dorfinarken  gelten  können  bei  Manrer 
EinL  471  176  f.  Dorfverf.  I,  22. 


—    87    - 

denn  immer  kömmt  solches  Gebiet  nicht  bloss  für  wirthschaft- 
liehe  Nutzung,  sondern  auch  als  Schutz  in  Betracht,  und 
soweit  musste  es  der  Verfügung  Einzelner  oder  auch  einzelner 
Abtheilungen  der  Gaugenossenschaft  jedenfalls  entzogen  sein. 
Fflr  das  Vorhandensein  einer  Qemeinmark  dieser  Gaue  Iftsst 
sich  sowohl  auf  die  urkundlichen  Erwähnungen  von  Gaumarken 
und  eines  allen  Gaugenossen  zustehenden  Nutzung8i*echtes 
an  grösseren  Wald-  und  Weidegebieten  hinweisen  als  auch 
auf  die  noch  später  vorhandenen  grossen  Allmenden,  welche 
mehreren  Dörfern  und  Gentenen  gemeinschaftliche  Nutzung 
boten  *). 

War  der  Stamm  gross,  der  solchen  Gau  besetzte,  so 
ergab  sich  das  Bedttrfhiss  einer  weiteren  Gliederung  von  selbst; 
und  auch  diese  schloss  sich  dann  wieder  an  die  gegebenen 
Heeresabtheilungen  an;  die  Geschlechter  erhielten  als  Ganzes 
ihren  Antheil  am  Gau  zugewiesen  und  mit  ihnen  eine  eigne 
Mark  *),  ohne  welche  die  altdeutsche  Auffassung  selbständigen 
Landbesitz  gar  nicht  denken  konnte.  Diese  Gentenen  und 
Gentalmenden  sind  insbesondere  in  Franken  und  Alamannien  *) 
zu  beobachten,  werden  aber  in  den  Quellen  nicht  selten  selbst 
Gaue  genannt^). 

Bei  kleinen  Stämmen  aber,  die  nur  wenige  Gentenen  um- 
schlossen, war  das  Bedürfoiss  nach  solcher  Gliederung  nicht 


1)  Cod.  Laoresh.  n,  598—595:  Scaflenzer  marca —  in  pago  Scaflenz- 
gowe.  Cod.  Fald.  100:  in  pago  Grabfeldonomarca.  ib  268:  in  pago  Sala- 
gewe  et  in  marca  Salagewono.  Maorer,  Einleitong  S.  191  ff.  Landau, 
Territorien  190,  wo  mehre  Beispiele,  in  denen  Ar  pagos  aach  marca  ge- 
braacht  wird,  den  Charakter  des  Oanes  als  Markgemeinde  andeuten. 

*)  Tr.  SangaU.  419 :  in  pago  Torgaugenn  quod  spedaliter  Waldram« 
mishnntari  vocator.  ib.  444:  in  pago  Dorgoagensi  et  üi  sita  Waldramnis- 
hnndari.  Hierher  zählen  wohl  anch  die  118  Marken  im  Stifte  Osnabrück 
b.  Lodtmann  Acta  Dan.  I,  ISfL 

*)  StaUn  Wirt  Gesch.  I,  157. 

^)  Tr.  SangaU.  I,  184:  infra  marcha  illa  qoi  vocatnr  Muntariheshontari 
ib.  S72£.  in  oentena  Roadoltes  hnntre.  Aber  auch  ib.  128:  in  pago  qoi 
didtor  Hattenhontari.  Ueber  Cent-  und  Gaumarkgenossenschaft  i.  A.  vgL 
Thndichum,  Gau-  mid  Markenverfiiasung  S.  181  f.  Stave,  Yerfiusang  der 
Landgemeinden  in  Niedersachsen  S.  115£  Gierke,  Genossenschaftsrecht 
1,89  ff: 


—    38    — 

vorhandeB.  Es  genügte,  der  Bftchsten  Sippe  Land  zuzuweisen^ 
das  sie  dann  bald  vertheilte,  bald  in  Gemeinschaft  behielt. 

Die  Yertheilung  des  Gaues  geschah  sicherlich  durch  die 
Stammeshäupter  kraft  ihrer  Autorit&t  und  ihres  militärischen 
Befehls,  wohl  aber  zugleich  unter  Berathung  und  Zustinmiung^ 
der  Volks- und  Wafifen- Genossen,  wie  das  eben  deutsche  Art 
war;  die  Vertheilung  der  Ländereien  in  den  einzelnen  Gentenen 
und  Gemeindegemarkungen  an  die  Angehörigen  der  Sippe  eher 
durch  das  Loos  ^) ;  bei  den  letzteren  ist  es  wohl  auch  denkbar^ 
dass  das  Gebiet  zunächst  ganz  unvertheilt  blieb  und  gemein- 
schaftlich bewirthschaftet  wui'de. 

Es  muss  dahin  gestellt  bleiben ,  ob  gleich  anfangs  die 
Theile  vermessen  wurden,  oder  ob  nur  eine  ungefähre  Be- 
messung der  Grösse  des  zuzuweisenden  Gebietes  stattüand» 
Doch  finden  sich  schon  frühzeitig  einzelne  Ackerstttcke  *),  die 
YOigängige  Vermessung  nothwendig  machten ;  und  das  Geschäft 
der  Vermessung  war  den  Deutschen  wohlbekannt'). 

Immerhin  aber  war  solches  zunächst  nur  Bedttiiniss,  we 
die  Ansiedler  dorfweise  sich  niederliessen  und  das  fbr  die 
Bodencultur  nothwendige  Land  den  einzelnen  Wirthschaften 
zu  Eigen  oder  selbständiger  individueller  Nutzung  aus  der 
gemeinen  Mark  auswiesen.  Denn  hier  musste  von  Anfang  an 
eine  Feldvertheilung  stattfinden ,  bei  der  jeder  selbständigen^ 


^)  Waiti  n,  224  zeigt,  daas  der  Ansdrack  son  in  den  Denkmälern 
des  fränkischen  Reichs  nicht  die  Bedeutung  habe,  welche  ihm  bei  den- 
jenigen deutschen  Stämmen  zukömmt,  die,  wie  die  Borgander  und  West- 
goihen  mit  den  nnterworfiien  Römern  in  eine  Individoaltheilnng  des  Grand« 
besitzes  sich  eingelassen  haben.  Aber  den  AntheU,  den  der  Einzefaie  in 
der  Feldmark  erhalten  hat,  drückt  das  Wort,  wie  das  bairische  hlnz,  doch. 
▼ielfBush  ans;  aUerdings  findet  es  seine  Qberwiegende  Anwendung  bei  der 
Erbtheilnng  und  AosdrAcke  wie  sortes  ingenniles  (Beyer  mitteb-hein. 
Urk.  B.  I,  184),  sortes  serriles  (Cod.  Lanresh.  697  and  bei  Roth  Benef. 
W.  S.  64  N.)  schliessen  doch  jede  Beziehung  auf  die  Landvertheilang 
innerhalb  der  Oenoäenschaft  ans,  da  diese  sich  ja  nur  auf  Freie  erstreckte. 

■)  Schon  Trad.  Wizzemburg.  712,  no.  174  de  terra  arabili  jornales  10 
in  campo  ono.  Besonders  merkwürdig  aber  ist  Tr.  Wiiz.  718,  ao.  285: 
▼idedi  (vendidi)  campo  et  silya  insimul  tenentis  in  Gilbociaga  maroa  ia 
Remnne  tilare  —  de  ipsa  silya  sua  portione  perticas  91. 

>)  Aosfthrlich  handelt  davon  Gaapp,  Ansiedlangen  S.  202£ 


—    39    — 

vollberechtigten  Familie  wenigstens  Land  in  verschiedenen 
Ackerstacken  und  in  verschiedenen  Theilen  der  Feldmark  des 
Dorfes  zufallen  konnte,  damit  die  Gleichberechtigten  nun  auch 
annähernd  gleichwertige  Antheile  erhalten  und  in  Bezug  auf 
Lage  der  Feldstücke  zum  Wii-thschaftshofe ,  Qualität  des 
BodenSy  und  äussere  Bedingungen  seiner  natürlichen  Fi-ucht- 
barkeit  annähernd  gleichgestellt  sein  konnten^). 

Diese  Gemengelage  der  Felder,  welche  zu  den  einzelnen 
Wirthschaftshöfen  des  Dorfes  gehörten,  brachte  dann  aber 
auch  die  Rücksicht  auf  die  gemeinübliche  Wirthschaftsweise 
mit  Nothwendigkeit  zur  Geltung  und  diese  äusserte  sich  zuerst 
wieder  in  einer  Haupteintheilung  der  Dorffeldmark  in  so  viele 
Abschnitte,  als  die  Wirthschaft  der  Doi-fgenossen  regelmässige 
Culturen  neben  einander  betrieb ;  bei  roher  Feldgraswirthschaft 
also  wenigstens  eigne  Abtheilungen  des  Acker-  und  des 
Dreeachlandes ,  die  mit  einander  abwechselten,  bei  Felder- 
system wenigstens  Ackerfeld  und  Brachfeld  neben  eignen 
Wiesen  und  der  ewigen  Weide.  In  jedem  solchen  Haupt- 
abschnitte dann  musste  jeder  Genosse  dieser  bäuerlichen 
Wirthschaft  seinen  Antheü  erhalten,  damit  er  ebenso  den 
übrigen  gleichgehalten  sei  in  der  Austheilung,  wie  eingefügt  in 
die  unerlässliche  Ordnung  der  landwirthschaftlichen  Interessen. 

Bei  hofinässiger  Auseinandersetzung  der  Gemarkung  aber, 
wo  Jeder  um  seinen  Wirthschaftshof  heiiim  sich  seine  Felder 
selbst  bereitete  und  keine  Rücksicht  auf  die  Nachbaran  ihn, 
noch  die  Gemeinde  band,  da  war  das  alles  zu  vermeiden;  und 
es  ist  gewiss  nicht  zufällig,  weist  vielmehr  gerade  auf  die 
Verschiedenheit  bei  der  ei-sten  Vertheilung  zurück,  dass  in 
Gegenden  ui'alten  Hofaystems  die  Grösse  der  einzelnen  Güter 
nicht  nach  den  sonst  üblichen  Ackermassen,  sondern  nur  nach 
den  Gutsgrenzen  bezeichnet  ist^. 


^)  Sehr  anschaulich  sind  diese  Vorgänge  neaestens  geschildert  durch 
Meikcen,  die  Ausbreitung  der  Deutschen  in  Deutschland  in  den  Jahr- 
hOchem  f.  Nat  Oek^  Bd.  32. 

*)  8.  Stare,  Verfassung  der  Landgemeinden  S.  32,  und  Landau,  Terri- 
torien S.  16;  auch  meine  Untersuchungen  über  das  Hofisystem  im  Mittel- 
alter 8.  781 


—    40     — 

In  welchen  Formen  und  Einrichtungen  sich  nun  diese 
endgültige  Besiedelung  des  deutschen  Bodens  vollzog,  darüber 
lässt  sich  bei  dem  gänzlichen  Mangel  an  positiven  Nachrichten 
und  bei  den  schwachen  Spuren  alter  Ansiedelungen,  weiche 
eine  sichere  Zeitbestimmung  zulassen,  überhaupt  nichts  be- 
stimmtes aussagen,  als  dass  die  Deutschen  dem  städtischen 
Wohnen  abhold  waren  *).  Sehen  wir  ab  von  des  Tacitus  viel- 
deutigen Worten,  in  welchen  Hof-  und  Dorfsystem  ausgediilekt 
sein  kann  *),  und  die  damaligen  nicht  so  prägnanten  unter- 
schiede der  Ansiedelungsform  wohl  auch  gleichzeitig  ausgedrückt 
sein  sollen,  so  haben  wir  nur  von  den  Warfen  der  Noi-dsee- 
marschen  bei  Pliniuä  eine  bestimmte  NachricKt.  Diese  auf 
natürlichen  und  künstlichen  Erdhügeln  zum  Schutze  gegen 
die  Fluth  angelegten  Hochdörfer')  der  Friesen  und  Sachsen 
sind  aber  zu  Ende  der  Periode  sicherlich  zumeist  schon  auf- 
gegeben, und  an  ihre  Stelle  ist  ein  Ausbau  der  Wohnungen 
überwiegend  nach  Hofsystem  mit  durcbgefQhrterFeldvertheilung 
an  die  einzelnen  Höfe  getreten^);   wenigstens  sprechen    die 


^)  Tac.  Germ.  16:  NuUas  Germanonun  popolis  urbes  habitari  satb 
notnm  est.  Amm.  Marc.  rer.  gest  XVI,  2,  12:  Kam  ipsa  oppida  ut  dr- 
comdata  retiis  busta  declinant. 

*)  Germ.  16 :  Colant  discreti  ac  diveni,  at  fons,  at  campns,  at  nenuis 
placoit.  YicoB  locant  non  in  nostram  morem,  connezis  et  eohaereotibuB 
aedificiis :  soam  quisqae  domum  spatio  drcomdat  Es  ist  hier  wohl  ge- 
stattet, noch  einmal  gegen  Hanssens  Recension  meiner  y^üntersuchungen 
über  das  Hofoystem**  in  den  Göttinger  gel.  Anz.  1873  No.  24,  S.  941  ni 
betonen,  dass  ich  1.  e.  S.  87  nur  behauptete:  „Die  Schilderungen  des 
Tacitus  stehen  der  Annahme  eines  ursprünglichen  Hofisystems  nicht  nur 
nicht  entgegen,  sondern  lassen  sogar  in  ihrem  ganzen  üm£uige  eine 
Besiehung  auf  die  germanischen  Ansiedelungen  sn,  welche  hefweise  Tor 
sich  gegangen  sind.**  Ich  verkenne  aber  keineswegs,  dass  Tadtus  auch 
dorfinftssige  Ansiedelung  gekannt  habe,  wie  ich  das  1.  c.  S.  27  auch  mm 
unzweideutigen  Ausdrucke  brachte.  Auf  die  weitläufige  Literatur  des 
ganzen  Streites  über  diese  Stelle  ist  es  wohl  nicht  nöthig,  weiter  einiu- 
gehen;  vgl.  Waitz  I,  108 ff.;  mein  Ho&ystem  S.  22—43.  Hanssens  Ter> 
dienste  um  Begründung  eines  richtigen  Verständnisses  des  Tacttos  habe 
ich  besonders  anerkannt  in  Raumer-Riehls  bist  Taschenbuch  1874,  8. 101  ft 

')  PliniuB  h.  n.  4,  15. 

^)  Es  muss  dahingestellt  bleiben,  wie  weit   diese  Verftndenmg  mit 


—    41     — 

Yolksreehte  der  Friesen  nnd  Sachsen  mit  keinem  Worte  mehr 
YOD  den  Warfen.  Nor  als  Gerichtsst&tten  scheinen  sie  noch 
länger  beibehalten  worden  zu  sein,  wo  von  fiberall  her  die 
freien  Friesen  zur  Versammlung  dntrafenO-  Dagegen  sind 
viele  Anhaltspunkte  vorhanden,  welche  für  diese  Zeit  das 
Hofisystem  oder  wenigstens  ein  System  starker  Zersplitterung 
der  Ansiedelungen  wahrscheinlich  machen.  Das  friesische 
Volksrecht  spricht  von  villa  immer  nur^m  Sinne  eines  Einzeln- 
gutes'); Dörfer  werden  weder  hier  noch  in  der  lex  Saxonum 
erwähnt  Die  Einzelhöfe  sind  seit  unvordenklicher  Zeit  auf 
dem  oldenburgischen  Marsch-  und  Geestboden "),  auch  an  den 
Ostseekiisten  %  in  Niedersachsen  (Osnabrfick)  und  Westfalen ; 
selbst  im  Erzgebirge  finden  sich  noch  hinlängliche  Spuren 
eines  alten  Hofsystems ^).  Nur  im  inneiii  Sachsen,  bei  den 
Engem  und  Ostfalen  sind  geschlossene  Dörfer  häufig*)  und 
es  mag  einigermassen  diesen  Gegensatz  berühren,  dass  die 
westfälischen  Ortschaften  in  der  Regel  auf  -hof ,  die  inner- 
sächsischen auf  -hausen  (Pluralis  von  haus)  endigen  %  Doch 
sind  auch  von  diesen  Dörfern  viele  als  Uebergangsdörfer,  d.  h. 
aus  Ein2elansiedelungen  hervorgegangen,  zu  bezeichnen,  wie 
sie  insbesondere  zwischen  Lüneburg  und  Lippe  vorkommen  ^. 


der  unter  Karl  d.  Gr.  erfolgten  omfassenden  Anlage  yon  Winterdeichen 
znsanuneDhftngt 

')  S.  Ad.  Brem.  descr.  ins.  c.  21  SS.  YII,  S77:  Concilio  popnlomm 
«ommoni  qaod  ab  ispis  warb  (warph)  vocator.    Richthofen  S.  1126. 

*)  L.  Fris.  IV,  9  (LL  III,  662)  illnm  yero  (canem)  qui  nihil  facere 
solet,  sed  tantam  in  carte  et  in  villa  iacet,  cam  1  tremisse  componat  ib. 
XVn,  4  (LL.  in,  671)  Qui  mann  collecta  hostititer  nllam  vel  domom  altoins 
droondederit 

*)  S.  Archiv  f&r  politische  Oekonomie  N.  F.  YD,  165  ff. 

^)  Oanpp,  Ansiedlongen  S.  564. 

^  Berg,  Geschichte  der  deutschen  Wftlder;S.  21. 

*)  Haussen  bei  Falk  nenes  staatsbOrgerliches  Magazin  VI,  8.  Dagegen 
Seibertz  Rechtsgeschichte  von  Westphalen  I,  50. 

'')  Seibertz  a.  a.  0. 

*)  Schanmann,  Gesch.  d.  niedersftchs.  Volkes  L  145.  Nach  ihm  ist  das 
System  des  Einzelwohnens  in  der  ältesten  Zeit  dorch  ganz  Sachsen  als 
hensdiend  anzunehmen.  Haxthausen,  Agrarverfiassang  S.  10  ftdirt  das- 
selbe anf  eine  Eigenth&mlichkeit  des  ingftvonisch*  germanischen  Stammes 


—    42    -      • 

Von  den  Franken,  sowohl  den  salischen  wie  den  ripoa- 
tischen  und  den  ihnen  verwandten  Chatten  hat  man  aUgemeiik 
die  dorfmässige  Ansiedelung  als  Regel  angenommen.  Aber 
das  wenigstens,  was  sich  aus  der  lex  Salica  ergibt,  Iftsst  uns. 
daran  zweifeln.  Zwar  kann  man  ein  Ho&ystem  für  die 
Salier  nicht  mehr,  wie  das  früher  geschah,  aus  dem  Salgut 
(terra  salica)  folgern,  das  immer  um  die  Wohnungen  herum 
gelegen  gewesen  w&re  ^).  Denn  weder  ist  das  allgemein  oder 
auch  nur  regelmässig  der  Fall,  noch  auch  steht  die  terra  salica. 
Überhaupt  mit  der  Form  der  jBesiedelung  oder  speciell  mit  dem 
salischen  Volksstamme  in  Zusammenhang.  Wohl  aber  ist  ea 
bemerkenswerth,  dass  Hofsystem  noch  jetzt  in  der  nieder* 
rheinischen  Ebene  herrscht  und  sich  durch  Brabant  und  Flan- 
dern, den  Sitzen  der  alten  Salier,  bis  in  die  französische  Nor* 
mandie  eratreckt  *). 

Für  die  Erkenntniss  der  salischen  Ansiedelungsweise  dieneik 
aber  mehrere  spedelle  quellenmftssige  Anhaltspunkte.  Schoa 
aus  dem  Umstände,  dass  die  salischen  Hundertschaften  sich 
aDe  acht  Tage  versammelten  %  lässt  sich  der  Schluss  ziehen^ 
dass  sie  nicht  allzu  ausgedehnt  gewesen  sein  werden ;  innerhalb 
derselben  konnten  also  kaum  geschlossene  Ortschaften  von  der 
Bedeutung  der  Dörfer  häufig  sein. 

Femer  ist  den  SaUem  die  Ortsbezeichnung  auf  -heim  be- 


zurück,  w&hrend  die  Hennionen  im  südlichen  Deatschland  die  von  den. 
Kelten  herrührende  DorfVerfiusung  angenommen  h&tten.  Aach  Meitzen, 
der  Boden  etc.  Preasaens  I,  846,  betont  die  Gegensätze  der  Stammes- 
eigenthümlichkeiten. 

^)  So  z.  B.  Jnsti,  Polizeiwissenschaft  I,  356,  760. 

*)  Meitzen,  der  Boden  I,  846.  Hazthansen,  AgranrerfiasBnng  S.  10.. 
Mein  Hoftystem  S.  71.  Aach  Jacobi,  Fonchangen  über  das  Agrarwesea 
der  altenbnrgischen  Osterlande.  8ep.  Abdr.  der  Leipziger  lUuBtr.  Zei-> 
tang  1845. 

')  Das  geht  aas  den  7tAgig8n  Fristen  hervor,  L.  SaL  XL,  8:  Et  ai 
iteram  ad  alias  Septem  noetes  pladtam  fiuaat . .  Aach  ib.  c.  7,  10,  tit  LIL 
8.  Waitz,  das  alte  Recht  der  salischen  Fhmken  8.  144.  Später  sind  die 
regehnässigen  GerichtSTersasmdongen  aach  bei  den  Saliern,  wie  immer  bei 
den  Ripaariem  alle  14  Tage  abgehalten  worden.  Chlodoy.  cap.  add.  c.  6| 
LL.  II,  7.    L.  Bip.  80,  12;  88.  2;  61,  1;  62,  2. 


-     43     - 

sonders  zu  eigen,  welche,  ursprünglich  gleichbedeutend  mit 
haus,  bei  patronymischer  Zusammensetzimg  auf  anfängliche 
Ansiedelungen  einzelner  Familien  hinweist  ^).  Auch  gebraucht 
die  lex  Salica  das  Wort  villa  fast  immer  zweifellos  für  Einzel- 
gut') nur  an  der  einzigen  Stelle  über  die  Niederlassung 
(tit  45)  ^)  von  stärker  bevölkerten  Ortschaften,  die  fieilich  dess- 
wegen  noch  nicht  nothwendig  geschlossene  Dörfer  zu  sein 
brauchen.  Besonders  auffällig  ist  dieser  Gebrauch  des  Weites 
Villa  im  Sinne  eines  Gehöfts  an  jener  Stelle,  wo  die  Busse 
fbr  den  Stier  festgestellt  vrird^  der  die  Kühe  von  drei  villae 
versorgt^).  Hier  sind  die  villae  gewiss  keine  Dörfer,  wie  das 
allgemein  angenommen  wird;  denn  ein  Stier  würde  für  die 
Kühe  von  drei  Dörfern  sicher  nicht  ausgereicht  haben.  Nach 
der  lex  Salica  selbst^)  bildeten  12  Kühe  eine  Heerde  (wirth- 
schafUiche  Einheit)  und  auch  andere  Volksrechte  halten  an 
dieser  Zahl  fest  ^ ;  für  eine  jede  solche  Heerde  aber  muss  nach 
den  Volksrechten  regelmässig  ein  Stier  angenommen  werden  ^). 
Der  öffentliche  Schutz,  welcher  in  der  Composition  dieses  «tau- 
rus  trespellius**  lag,  konnte  ebensowohl  8  einzelnen  Gehöften» 


^)  GniF,  altdeatscher  Sprachschatz  IV,  946.  WaiU,  das  alte  Becht 
S.  58.  8.  dagegen  Birlinger  Alamannia  VI,  25,  womach  die  Ortsnamen 
auf  •heim  immer  grössere  Niederlassungen  anzeigen. 

>)  So  insbesondere  tit  14,  6:  Si  quis  villa  aliena  adsalierit,  quanti  in 
eo  contabemio  probantor,  h.  e.  solid.  68  calp.  jadicetor;  42,  5:  Si  quis 
TiUam  alienam  expagnaverit  et  res  ibi  invaserit.  Andere  Lesarten  (Par- 
deasQS  8,  Text):  Si  qn.  tres  yillas  aUenas  eraserit;  (Herold):  si  qu. 
contabemio  facto  yillas  alienas  cum  tribos  effiregerit 

')  L.  Sal  45,  1:  de  migrantibos:  Si  quis  saper  altenun  in  villa  mi- 
grare  voloerit,  si  onos  vel  aliqoi  de  ipsis  qai  in  villa  consistunt,  eam 
tmscipere  volaerit  etc. 

*)  L.  Sal.  III,  5:  Si  vero  taaros  ipse  de  tres  villas  commanis  vaccas 
tennerit 

*)  L.  Sal.  III,  6:  Si  qnis  12  animalia  foraverit  (daza  die  Malberg. 
fflosse  in  vielen  Texten  sanesta  —  Heerde  gibt). 

•)  L.  Bipoar.  18,  1 ;  L.  Alam.  76f.  81. 

^  Vgl  aach  den  Yiehstand  auf  den  königliehen  Fiskalgatem  LL.  I, 
176  ff:  in  Staffelsee  1  Stier  f&r  20  KOhe;  in  Asnapiom  8  Stiere  ftr  50 
Kfthe,  anf  einem  andern  Gate  sogar  für  80.  S.  die  Tabelle  No.  YII  im 
Anhange. 


-    44    — 

als  8  Döi-fem  zukommen.  Jeder  hatte  ein  ganzes  Interesse 
an  dem  gemeinschaftlichen  Stiei*^). 

Auch  die  Erw&hnung  von  yillae  in  einem  Capitular  Chlo- 
devechs  (509 — 511)^)  kann  fQr  die  dörfliche  Ansiedelung  der 
Salier  auf  ihrem  heimischen  Gebiete  nichts  beweisen,  so  wenig 
als  für  das  Dasein  einer  Feldgemeinschaft  der  Markgenossen- 
schaft. Vielmehl'  möchte  die  Stelle  als  weiterer  Beleg 
fbr  den  Sprachgebrauch  dienen,  welche  villa  gleich  Gehöft 
nimmt;  denn  der  „campus"  und  »ager"  sind  in  dieser  Zeit 
wohl  allgemein  schon  als  Ackerland  in  Sondereigenthum  za 
verstehen,  wie  diess  auch  aus  den  ältesten  Traditionsurkunden 
deutlich  hervor  geht');  und  aberdiess  deutet  besonders  der  Auf- 
druck „vestibulum"'  auf  den  hofmässigen  Abschluss  der  villa'^). 

Für  das  Gebiet  der  ripuarischen  Franken  und  der  Chatten 
stehen  noch  weniger  Anhaltspunkt  zur  Beifrtheilung  ihr^ 
ältesten  Ansiedelungsformen  zu  Gebote.  Gegenwärtig  und  seit 
unvordenklicher  Zeit  herrscht  da  das  Dorfisystem  ^)  und  schon 


^)  Vgl  zu  dieser  Stelle  noch  besonders  Leo,  die  malbergisclie  Glosse 
I,  101  und  Maurer,  Einleitung  S.  151,  die  beide  nach  Terschiedeaen 
Bichtongen  viel  za  weit  in  ihren  Erklärungen  gehen. 

^  c  9  (LL.  II,  4):  De  hominem  inter  duas  villas  occisum.  Sicat 
adsolet,  homo  iuzta  villa  aut  inter  duas  TiUas  proximas  sibi  vicinas  iuerit 
interfectus,  ut  homiddia  illa  non  appareat  ....  Si  vero  non  venerit 
qui  corpus  agnoscat,  tnnc  vicini  iUi  in  quorum  campo  vel  ezitnm  oorpiu 
inventum  est,  debet  iacere  bargo  ...  Et  debet  iudex  nuntiare  etdieere: 
homo  iste  in  yestro  agro  aut  in  vestibulo  est  ocdsus.   YgL  8.  Abschn. 

')  Schon  die  L.  Sal.  selbst  gibt  daftir  ap  verscfaiednen  Stellen  Zragnias: 
tit  27,  8:  Si  quis  de  campo  alieno  lino  furayerit  ib.  Zus.  7:  Si  quis  in 
agrum  alienum  arborem  insertum  ezdderit;  27,  14:  8i  quis  campo  aUeno 
araverit  extra  consilium  domini  sui  u.  ö.  Von'  den  I^raditionsaiinindfln 
sind  insbesondere  die  Tr.  Wizzemb.  wichtig:  712  no.  174:  iumalea  10 
in  campo  uno;  713  no.  244:  1  campus  in  longo  .  .  tisas  2  mensurataa 
u.  oft. 

*)  Wenigstens  ist  es  eine  ganz  verwandte  Ausdrucksweise .  wenn  ea 
in  dem  Weisth.  von  Patsch  (Tirol.  Weisth.  I,  250  Zeile  12  heisst:  der 
Pfrauner  (Einzelhöfe)  veldt  und  ir  haustmhen,  s.  meine  „Ausbildung  der 
grossen  Grundherrschaften*'  S.  112  A.  13. 

*)  Es  ist  immerhin  belangreich,  dass  das  Wort  Dorf  besonders  bei 
Franken,  Hessen  und  ThOringem  gebrtachliches  Element  der  Ortnamen 
ist.    Arnold  872. 


—    45    — 

in  der  Earolingerzeit  sind  Dörfer  mit  oft  sehr  ausgedehnten 
Feldmarken  oder  aber  sehr  dichter,  das  Ho&ystem  ausschlies-* 
sender  Bewohnung  erwähnt^).  Auch  fallen  spedell  in  ripua- 
risches  Gebiet  jene  Gehöfei'schaften,  welche  in  tiefeingreifender 
Feldgemeinschaft  seit  lange  bestehen  und  mit  ihi'er  Dorfanlage 
und  Gemengelage  der  Felder  vielfach  sogar  als  Prototyp  des 
altdeutschen  Urdorfes  angesehen  werden^). 

Aber  doch  sind  auch  hier  einige  Momente  in  Rücksicht 
zu  ziehen,  welche  auf  ein  durchgreifendes  Dorfsystem  nicht 
passen  wollen.  Wir  legen  keinen  Werth  auf  den  alten  Spott- 
vers,  dass  in  Hessen  nur  6  Dörfer  waren');  er  scheint  mehr 
die  Kleinheit  des  Hessenlandes  zu  verhöhnen,  nachdem  ein 
guter  Theil  des  alten  Hessengaues  erobemden  sächsischen 
St&mmen  zugefallen  war.  Aber  doch  nimmt  man  gerade  von 
diesem  Lande  ein  Nebeneinanderbestehen  von  Dorf-  und  Hof- 
system seit  ältester  Zeit  an^).  Auch  bleibt  es  bemerkens- 
werth,  dass  die  freien  Geschlechter  des  fränkischen  Stammes 
durchweg  noch  im  10.  Jahrhundert  die  Burgen  und  Wohn- 
sitze auf  ihren  AUodialgütem  in  den  unwirthlichsten ,  ab- 
gelegendsten  Waldschluchten  der  Eifel,  Ardennen,  des  Soon- 
Hoch-  und  Westerwaldes  haben*). 

Auch  den  Alamannen  scheint,  wie  den  Franken,  eine 
bestimmte  Ansiedelungsform  keineswegs  eigenthomlieh  zu  sein. 
Im  Elsass  lebten  sie  bis  tief  in  das  8.  Jahrhundert  hinein 
unter  Herzogen  in  Städten  und  Dörfern  ^) ;  die  rechtsrheini- 


^)  So  z.  B.  uin&sBte  die  villa  Tininga  762  nach  der  Schenkung  Pipins 
(Schannat  Tr.  Fnld.  S.  10)  50  hob.  domin.  28  hob.  lidiles,  8  hob.  ecdes. 
BasQ  400  jngera,  400  pratorom  carrad.,  9  molend.  nebst  28  fiunil.  seniles 
und  28  famil.  lidiles.  786  (Cod.  Fuld.  84)  betr&gt  die  marca  des  locus 
Biberbach  80  Höfen  und  880  Mandpien.  817  Cod.  Fold.  825  a  der  Ort 
Bingenheim  87  Mausen.    Vgl.  n.  Buch,  1.  Abschn. 

*)  Haussen,  die  Qehöfenchaften  (in  den  AbhandL  der  Berliner  Aca- 
demie)  1868. 

*)  Arnold,  Ansiedinngen  S.  64:  Dissen,  Dente,  Haldorf,  Ritte,  Banne» 
Besse,  das  sind  der  Hessendörfer  alle  sesse. 

*)  Arnold,  Ansiedlangen  S.  597.  602. 

^  Mittelrhein,  ürkondenbuch  U,  8.  LXXI. 

*)  Birlinger  alamann.  Sprache  I,  8.  1868. 


—    46    - 

sehen  und  scbweizerischen  Alamannen  dagegen  in  Gehöften 
unter  Gaugrafen  ^).  Es  lässt  sich  dafür  schon  aus  einer  Stdle 
des  alaroannischen  Volksrechts  ein  Beweis  finden,  welche  die 
Composition  fQr  den  Hirtenhund  festsetzt,  der  auf  den  Ruf 
bis  zur  dritten  villa  läuft*),  eine  Ausdrucksweise,  welche 
weder  auf  Dörfer,  noch  auf  die  einzelnen  Gehöfte  in  geschlos- 
senen Orten,  wohl  aber  auf  benachbarte  Einzelhöfe  eine 
passende  Anwendung  findet.  Noch  jetzt  besteht  dieser  Gegen- 
satz, indem  im  Odenwalde,  längs  der  Bergstrasse  eine  Reihe 
uralter,  doch  wohl  alamannischer  Dörfer  sich  finden,  in  den 
engen  Seitenthälem  dagegen  Einzelhöfe  mit  offenbar  uralter 
genossenschaftlicher  Anlage  herrschen'). 

Aber  doch  scheinen  auch  die  Dörfer  des  Elsass  ui^sprUng- 
lich  sehr  klein  gewesen  zu  sein ;  sie  heissen  im  8.  Jahrhunderte 
fast  immer  noch  wilare,  während  dieselben  Namen  im  9.  Jahr- 
hunderte dann  die  Endung  mit  -dorf  erhalten^).  Einzelne 
haben  allerdings  schon  früh  im  8.  Jahrhunderte  viele  Gäter 
in  sich  begriffen^),  daher  dörfliches  Wohnen  sehr  nahe  liegt; 

0  St&lin,  Wirttembergische  Geschichte  I,  157. 

<)  L.  Alam.  84  c.  4  (canis  pastoralis],  qai  ad  clamorem  ad  alieaam 
et  ad  tertiam  Tillam  coirit 

s)  Haussen  bei  Falk  VI,  4.  Maurer,  Doif^rerfassung  1, 84.  Mein  Hof- 
system  S.  71.  Beispiele  in  Widder,  Beschreibang  der  Eurp£al£  I,  282-85, 
495—525.  Mone,  Zeitsch.  f.  Gesch.  des  Oberrhein  Y,  129.  150.  152.  267. 
Memminger,  Beschreibang  des  Oberamts  Biberbach  1837,  S.  64  ben^erkt| 
der  Charakter  Oberschwabens  habe  die  Vereinödung  von  jeher  begOnatigt 
und  die  geschlossnen  Orte  Oberschwabens  gehörten  meistens  einer  neueren 
Zeit*  an. 

*)  So  heisst  in  den  Trad.  Wizzembnrg.  Broninges  in  ürk.  t.  719 
locellus  BniningesYilla  und  dieser  Name  bleibt  bis  772,  wo  der  Ort  nun 
erstenmale  Bnmingesdorf  genannt  wird ;  bis  797  werden  beide  Aosdrficke 
gebraucht;  im  9.  Jahrh.  heisst  er  nur  mehr  Br.  dorf.  Aehnlich  Badolfo- 
wilare  (ürk.  y.  774  u.  776)  Radolfeshamomarca  (780),  Badolfesdorf  (797, 
828);  Villa  Gerleihes  693—774,  von  da  an  Gerleihesdorf;  Furdeaföld  heisst 
745  no.  143  locellus;  774  no.  184  locus;  819  no.  127  yilla.  Nach  Bir- 
linger,  Alam.  VI,  28  bezeichnet  wilare  nie  ein  Dorf,  sondern  ein  Land- 
haus, Gehöft;  s.  a.  Tr.  Wizz.  718  no.  227:  Ghrodoinus  schenkt  GQter 
ezcepto  wilari  meo,  quem  ego  de  novo  edificayi. 

^)  So  z.  B.  Lonebach,  von  dem  allein  80  Besitzungen  von  23  Grund- 
eigenthümem  in  den  Tr.  Wizz.  vorkommen. 


-    47     - 

«ach  kommen  nicht  selten  einzelne  Feldstücke  vor,  welche 
dann  zu  einem  campns  (Gewanne)  vereinigt  sind,  wie  das 
eine  Eigenthfirolichkeit  der  Dorffeldmark  bildet^). 

Auch  von  den  Baiem  lässt  sich  nicht  sagen,  dass  sie  eine 
bestimmte  Ansiedelungsform  ausschliesslich  oder  auch  nur  vor- 
zugsweise gewählt  hätten*).  In  dem  bairischen  Volksrechte 
finden  sich  zwar  gewisse  Gegenstände  des  Landwirthschafts- 
und  Nachbarrechts  in  einer  Weise  geregelt,  welche  den  Ge- 
danken an  zugrundeliegende  Vorstellungen  eines  Hofsystems 
nahe  legen ^);  andere  wieder  lassen  nur  eine  Deutung,  wenn 
auch  nicht  auf  Dörfer,  so  doch  auf  zereplitterten,  nicht  arron- 
dii-ten  Grundbesitz  zu,  wie  er  eben  dem  Dorfsystem  zu 
eigen  ist*). 

Aus  den  ältesten  Traditionen  sind  nur  einzelne  bestimmte 
Beispiele  von  Ortschaften,  die  hofweise  zusammengesetzt  sind, 
aus  dem  Salzburggaue  zu  finden^).  Aber  die  späteren  Ur- 
kunden, ürbarien  und  Weisthttmer  Sttdbaiems,  Salzburgs  und 
Tirols  entfalten  ein  sehr  klares  Bild  eines  weitverbreiteten 
Hofeystems,  das  im  Ganzen  entschieden  den  Vorrang  des 
Alters  vor  den  Gebirgsdörfem  beanspruchen  kann  und 
höchst  wahracheinlich  als  ursprüngliche  Ansiedelungsform  der 
Alamannen  im  6.,  der  Baiem  im  7.  und  8.  Jahrhundert  — 
wie  vielleicht  auch  schon  der  vor  ihnen  in  Tirol  angesiedelten 

^)  Z.  B.  Tr.  Win.  742  no.  7  20  jnnudes  in  campum  1  jnntos  a.  ö.  8. 
unten  8.  Abschn. 

*)  Biesler,  Geschichte  Baiems  I,  185. 

')  Besonders  die  cnrtes  sepe  non  circomcinctae  L.  B%j.  XII,  10,  da 
bei  Hoftystem  ja  das  ganze  Gut  amzinnt  wurde,  ein  besonderer  Zaun  um 
den  Gntahof  (eortis)  also  nicht  nothwendig  war.  Ebenso  XII,  8  hucnsqne 
antecessores  mei  tenueront  et  in  alodem  mihi  relinqaerunt  Aach  die 
Tbatsache  des  Privateigenthums  am  Walde  und  die  cortes  nobilium  XXI,  6 
terdienen  ftr  die  Frage  eine  Beracksichtigang. 

*)  So  cortes  sepe  drcomdnctae  X,  15;  XII,  10  nnd  die  cnrtis  ak 
Hofrann  selbst  X,  15,  16.  Femer:  si  in  prozimo  non  habet  (agram)  — 
donet  abi  habet  XYU,  1—8,  womit  ein  wenigstens  nicht  yollstaadig  arron- 
dirter  Grandbesitz  aasgedrUckt  scheint  Aach  die  Gemeindefeldweide 
X,  10  deatet  aaf  Dorfiiystem  and  Gemengelage. 

')  In  Hegilin  10  Güter  and  10  Besitzer,  breves  notit  Sakborg.  X,  5. 
XIV,  27,  34. 


-.M- 


-    48    — 

Rhäter  und  Romanen  —  in  Betracht  kömmt.  Eine  haupt- 
sächliche Erklärung  dieser  Erscheinung  ist  jedenfalls  in  der 
Natur  des  Landes  zu  suchen,  welches,  so  lange  noch  dichte 
Urwälder  und  SQmpfe  in  Menge  die  breiten  Plateaux  der 
Mittelgebirge  und  die  ebenen  Flächen  der  Thäler  bedeckten, 
wenig  Raum  zur  Entfaltung  grösserer  Ortschaften  bot  Und 
nicht  minder  ist  das  natürliche  Verlangen  erster  Ansiedler 
nach  solchen  Stätten,  welche  die  geringste  Culturarbeit 
erfordern  —  sonnige  Abhänge  mit  lichtem  Waldbestande 
und  seichter  Krume  —  einer  Besiedelung  der  Höhen  gün- 
stiger als  der  Niedeiimgen ,  also  auch  der  hofmässigen  An* 
siedelung  günstiger  als  der  dörflichen  0.  Ueberdiess  ist  die 
Neigung  der  alten  Deutschen  zu  zerstreutem  Wohnen  in 
vielen  kleinen  Ortschaften  allenthalben  unverkennbar,  ohne 
desshalb  gerade  eine  nationale  Eigenthümlichkeit  zu  sein. 
Auch  lässt  sich  der  Vorgang  späterer  Dorfbildung,  besonders 
durch  die  Giiindherrschafk  oder  aus  den  Folgen  der  grund- 
hen-schaftlichen  Entwickelung  in  so  vielen  Einzelfällen  be- 
stimmt nachweisen,  dass  auch  damit  die  Priorität  eines  weit- 
verbreiteten Hofeystems  wahrscheinlich  gemacht  werden  kann*). 


^)  Aach  die  ColonisationsKeschiclite  der  Schweiz  scheint  dieses  m 
BtätigeiL  Nach  Eiern  (Geschiditsfreimd  XXI,  S.  167)  waren  die  sanften 
Abdachungen  von  Alpnach,  Schwarzenberg,  Ramersberg,  Schwftndi,  Giswil^ 
Sachsein,  Langern,  Melchthal  and  Kerns  (in  Obwalden)  froher  cdtivirt 
als  die  Thalschalt  zwischen  dem  Alpnacher^  and  Samersee,  Samer-  and 
Rodenzersee.  Aach  in  Schwyz  gibt  es  hieiür  anterstatzende  Thatsachen» 
insofern  als  hier  menschliche  Ansiedelangen  noch  ün  12.  Jahrh.  sich  auf 
den  Voralpen  befanden  za  haben  scheinen.  8.  Miaskowski,  die  Ver- 
fassong  der  Land-,  Alpen-  and  Forstwirthschaft  der  deatschen  Schweis. 
Basel  1878,  S.  40  f.  Ebenso  f&r  ein  benachbartes  Gebiet  Klenze,  die 
Alpwirthschaft  im  FOrstenthame  Lichtenstein  1879,  8.  2  a.  8. 

*)  S.  meine  „Untersachangen  über  das  Hofsystem  im  Mittelalter  mit 
besonderer  Beziehnng  aof  deatsches  Alpenland"  1872,  and  „die  Entwicke- 
lang der  deatschen  Alpendörfer**  in  Raomer-Riehls  lustorisdiem  Taschen- 
bach 1874.  Ludwig  Steab  nimmt  spedell  fbr  Turol,  fast  aoaschliesslidi 
aaf  Grand  der  Ortsnamen,  eine  so  intensive  Golonisation  durch  Bhlter 
and  Romanen  an,  dass  ftür  die  im  6.,  7.  o.  8.  Jahrhunderte  eingehenden 
Gkrmanen  fut  nichts  mehr  za  thun  übrig  blieb,  als  sidi  der  Torhandenen 
Ortschafken  zu  bemAchtigen  und  die  bestehende  Bodencultur  fortzusetzen. 
NuI^sind  allerdings  der  rh&to-romanischen  Ortsnamen  in  Tirol  sehr  tiele» 


—    49    — 

Uebrigens  ist  das  Hofsystem  auch  in  der  bairischen  Ebene 
viel  mehr  verbreitet,  als  es  in  der  Regel  angenommen  wird 
und  scheint  auch  da  meist  originär,  nur  ausnahmsweise  ei*st 
als  Folge  späteren  Ausbaues  aus  dem  Dorfe  eingetreten 
zu  sein. 

Im  Ganzen  aber  erfolgt  dieser  erate  Ausbau  im  Stamm- 
lande überwiegend  in  der  Weise  der  Gründung  neuer  Wohn- 
plätze und  Ortschaften,  während  die  Vergrösserung  der  be- 


aber  sie  sind  doch  überwiegend  nor  Orientirungsnamen ,  aus  denen  f&r 
sich  allein  noch  nicht  hervorgeht,  ob  die  Orte,  welche  sie  bezeichnen,  be- 
wohnt oder  benachbarten  Bewohnern  des  Landes  bloss  bekannt  und  von 
ihnen  benannt  waren.  Und  die  positiven  Nachrichten  über  die  grossen 
Rodongen  und  neuen  Ansiedelungen  der  Deutschen  in  den  Alpen  zwingen 
eben  zu  einer  sehr  bedeutenden  Einschränkung  jener  Ansicht. 

Wenn  aber  Steub  mit  solchen  Gründen  allein  die  Annahme  von  dem 
höheren  Alter  der  Hofansiedelungen  in  den  Alpen  bestreitet,  ohne  die 
wirthschaftsgeschichtliche  Begründung  derselben  überhaupt  weiter  zu  be- 
rücksichtigen, so  verzichtet  er  eben  damit  auf  ein  selbständiges  ürtheil 
in  dieser  Frage;  es  ist  ihm  nur  so  viel  zuzugeben,  dass  viele  der  jetzt 
deatschen  Bauerschaften,  sowie  vereinzelt  auch  grössere  Dörfer  schon  in 
voigermanischer  Zeit  bestanden;  an  dem  Resultate  aber,  wie  es  im  Text 
formulirt  ist,  muss  trotzdem  festgehalten  werden.  S.  die  ganze  Controverse 
in  der  Beilage  zur  Augsb.  AUg.  Zeitung  1875  no.  258—60  und  no.  828 
von  Steub,  dagegen  no.  302--808  und  1876  no.  7  von  mir.  —  Einen  An- 
hänger fand  Steub  in  diesem  Streite  an  J.  Jung  „Römer  und  Romanen 
im  Donaugebiete**  (Innsbruck  1875),  der  aber  selbst  Steub  noch  überbietet, 
wenn  er  (S.  168)  behauptet,  es  sei  im  Alpenlande  in  allen  drei  Perioden 
irhätiscbe,  romanische  und  deutsche)  die  Ansiedelung  überall  dorfweise 
geschehen,  ohne  diess  natürlich  anders  als  mit  den  Namen  heutiger  Dörfer 
belegen  zu  können;  überdiess  aber  verkennt  Jung  den  nationalökonomischen 
Kern  der  Frage,  wenn  ihm  Dorf-  und  Weileransiedelung  „auf  das  Gleiche 
hinauskommen^,  während  doch  gerade  die  Weiler  eine  ursprüngliche  Aus- 
einandersetzung der  Feldflur  nach  Hofsystem  nicht  nur  als  möglich,  son- 
dern nach  der  Anordnung  ihrer  Feldflur  sogar  als  wahrscheinlich  er- 
scheinen lassen. 

üeber  die  frühe  Bewohnung  der  Höhen  in  den  Alpen  s.  u.  A.  mit 
dem  Texte  übereinstimmend:  Andrian  in  den  Mittheilungen  der  Anthro- 
pologischen Gesellschaft  in  Wien  VI,  no.  1.  2  1876  und  Kemer  in  den 
Sitzungsberichten  der  kais.  Acad.  z.  Wien  Math,  naturw.  Cl.  Jänner  1875 
und  österr.  Zeitschr.  f.  Meteorologie  XI,  1.  1876.  Ein  gleiches  von  den 
Höben  des  Mannhartsberges  in  Oesterreich  s.  in  den  Mittheilungen  der 
Anthrop.  Gesellsch.  in  Wien  I,  S.  165.  H,  109. 

▼  Oft  In ama -Stern egg,  Wirihschaflsgvsehichte.    I.  4 


-    50    - 

stehenden  vorzugsweise  erst  in  den  folgenden  Perioden  durch 
die  Grundhen'schaft  und  ihre  organisatorischen  Tendenzen 
bewirkt  wurde.  Nicht  als  ob  das  eine  ausschliesslich  der 
älteren,  das  andere  der  spätem  Periode  zu  eigen  wäre;  es 
finden  sich  auch  in  der  Merowingerzeit  deutliche  Beispiele 
einer  Vergrösserung  bestehender  Ansiedelungen^),  wie  später 
noch  die  Neugründungen  von  Wohnoiten  eine  grosse  Rolle 
spielen;  aber  charakteristisch  ist  doch  das  letztere  mehr  für 
die  ältere  Zeit. 

Es  lässt  sich  das  allein  schon  durch  die  grosse  Anzahl 
der  in  dieser  Periode  neu  auftretenden  Ortsnamen  erkennen^). 
Diess  fällt  nun  allerdings  zusammen  mit  den  Anfängen  der 
Urkunden,  in  welchen  viel  mehr  Veranlassung  zur  Nennung 
von  Oi'tschaften  war,  als  in  den  spärlichen  Quellenzeugnissen 
der  vorangegangenen  Zeit.  Aber  doch  ist  die  im  7.  und 
8.  Jahrhunderte  vorhen*schende  individuelle  Benennung  der 
einzelnen  Besitzungen  ein  sicherer  Beweis  dafür,  dass  sie 
auch  geographisch  und  social  selbständige  Wohnplätze,  nicht 
bloss  Gehöfte  geschlossner  Dörfer  waren*).  Und  überdiess 
zeigen  die  Namen  selbst  vielfach  die  Entstehung  der  Ort- 
schaften gerade  in  dieser  Zeit  an,  wenn  sie  z.  B.  nur  Com- 
Positionen  eines  uralten  Oitsnamens^),  oder  patronymischer  Art 


')  Das  liegt  wohl  in  dem  ,campo  et  Silva  insimal'  (mit  —  zur  Ro- 
dung —  gemessnem  Wald)  Tr.  Wizz.  713  no.  235.  Nach  Waitz  I,  131 
sind  in  der  ältesten  Zeit  die  Dorfinarken  noch  Idein;  in  der  Merowinger- 
zeit nicht  selten  schon  yon  beträchtlichem  umfang  ib.  n,  316.  Aber 
freilich  scheidet  Waitz  nicht  streng  zwischen  den  Angaben  über  das 
gallische  und  das  deutsche  Frankenreich. 

*)  Arnold,  Ansiedlungen  482,  berechnet  die  Zahl  der  während  des 
6.-8.  Jahrhunderts  neu  entstandenen  Orte  für  Hessen  mindestens  auf  das 
Doppelte  der  ursprOnglichen  Ansiedelungen.  Hieher  gehören  auch  die  oft 
vorkommenden  Ortsnamen  nova  villa,  novus  vicus  u.  s.  w.,  die  eigentlich 
noch  namenlose  Ortschaften  bezeichnen. 

')  So  Tr.  Wizz.  774  no.  129:  in  villa  Ecchentorf  iumales  5  infra 
fine  qui  didtur  Scalchinbiunda  curtile  uno  cum  clausura  ad  ipso  cortile 
pertinente.  Tr.  Sangall.  827  I,  286 :  unum  novale  Wolahvilare  nnncupatum 
ib.  831  no.  311:  unum  runcale  Marabach  nuncupatum. 

«)  Z.  B.  Ober-,  Nieder-,  Stein-,  Mittel-,  Ost-Zwergen,  Hof-,  Nieder-t 
Langenbiber  u.  a.    Arnold,  Ansiedlungen  244  f 


-    61     — 

sind '))  oder  wenn  neuerbaute  Villen  als  solche  ausdrücklich 
genannt  werden^). 

Auch  die  Colonisationen  durch  die  Könige^),  Herzoge^) 
und  die  Kirche^),  sowie  die  Arten  der  Rodungen  und  die 
Beschreibung  solcher  auf  Neuland  geschaffner  Güter  ^  lässt 
darüber  keinen  Zweifel,  und  nicht  minder  wird  die  rasche 


>)  Beispiele  bei  Arnold  a.  a.  0.  S.  284  ff. 

*]  So  z.  B.  Tr.  Wizz.  718  no.  195,  227  vilari  meo  qaem  ego  de  novo 
edificavi 

*)  Pardess.  Dip.  724  n,  531,  wo  von  Childebert  gesagt  wird:  terram 
illam,  qoam  de  deserto  ipse  ad  ezcolendum  vel  commanendum  praeocca- 
paverat,  (Mauri  Monasterio)  concessit,  ut  nullus  ibidem  campos  &oere  nee 
porcos  saginare  nee  materiamen  succidere  nee  ipsius  fines  penitus  imim- 
pere  presumeret 

*)  ürk.  B.  für  Kremsmünster  777  S.  2:  Tradimus  (Tassilo)  atque  con- 
firmamas  ....  homines  qui  in  ipso  loco  habitant  et  ea  cuncta  que  ibi- 
dem calta  videbantor,  de  incoltis  vero  ex  omni  parte,  quantum  voluerint, 
cnltom  faciant  ...  In  drcuitu  cultum  faciant,  quantum  velint  sine  omni 
prohibidone  (es  ist  immer  vom  Lande  diesseits  der  Enns  die  Rede). 
Mon.  Boic.  IX,  9  Donatio  Tassilonis  ad  Scarantiam:  cum  consensu  opti- 
matum  Baiovariorum  dono  atque  transfundo  locum  nuncupantem  India 
(Innichen  in  Tirol)  a  rivo  que  vocatur  Tesido  usque  ad  terminos  Slavo- 
rmn  .  .  .  totum  atque  integrum,  campestria  seu  et  montana,  pascuas, 
venationes,  umecta  seu  et  frutecta  .  .  .  quia  et  ipsa  loca  ab  antiquo 
tempore  inanem  et  inhabilem  esse  cognovimus. 

')  Die  Mehrzahl  der  Klöster  ist  in  unbebauter  Gegend  gegrOndet  und 
auf  Colonisation  geradezu  angewiesen  gewesen.  S.  bes.  Aribo  vita  S.  Cor- 
biniani  c  20  (Meicbelbeck  Ib,  S.  13).  Der  Bischof  Josef  von  Freising 
erwarb  im  J.  750  von  den  nobiles  de  Fagana  und  dem  Herzog  Tassilo 
amplissima  tum  prata  tum  pascua  plane  inculta,  baute  dort  Häuser  und 
maöhte  sie  der  Wirthschaft  des  Stifts  dienstbar  (Meichelbeck  la,  49). 

*)  Ans  der  FüUe  der  Belege  itthren  wir  nur  beispielsweise  an:  Cod. 
Laur.  774  no.  245:  in  Basinsheimer  marca  1  bifangum  vel  mastunga 
(haftunga?)  cum  terra  ex  integre  qui  circumdngitur  ab  Oriente  fluvio 
Soarzaha,  a  meridie  Heppenheimere  termino,  ab  aquilone  in  4  rubis,  qui 
smit  contra  ipsum  monasterium,  ab  occasu  illo  lacu,  ubi  Udo  stirpavit, 
usque  in  Wiscoz.  Ib.  778  no.  829 :  1  bifangum  quem  pater  mens  proprisit 
in  Silva  quae  ad  Hantscuhesheimer  marca  aspicere  videtur.  Ib.  783  no. 
252:  illum  proprisum,  qui  iacet  in  illo  angulo  ubi  Suarzaha  intrat  in 
flavium  Wiscoz.  Ib.  789  no.  244:  bifangum  iuxta  Suarzaha  in  loco  qui 
Tocatur  Foroenbibiloz.    Spätere  Beispiele  s.  u. 

*  4* 


—    52    — 

Zerschlagung  der  alten  Gauallmende  in  Gent-  und  Dorfallmeiide 
hiefür  in  Betracht  kommen. 

Denn  mit  Vermehrung  der  bewohnten  Ortschaften  im 
Gau  mehrten  sich  auch  die  selbständigen  wirthschaftlichen 
Interessenkreise ;  und  das  Bestreben,  einem  jeden  seine  eigne 
Mark  auszuscheiden,  war  nicht  bloss  in  der  allgemeinen  mark- 
genossenschaftlichen Tendenz  der  Zeit,  sondein  auch  im 
Interesse  ökonomischer  Selbständigkeit  und  friedlicher  Aus- 
einandersetzung mit  den  Nachbain  geboten  0.  Aber  eben 
diese  Vervielfältigung  der  bewohnten  Oite,  diese  Ausbreitung 
der  Ansiedelungen  über  weite  bisher  unbewohnte  Strecken  des 
deutschen  Bodens  hat  die  lebhaftei-en  Berührungen  und  Ver- 
kehrsbeziehungen erzeugt,  durch  welche  zu  aller  Zeit  der 
Foi*tschritt  menschlicher  Gultur  so  wesentlich  gefördeit  wor- 
den ist. 


Zweiter  Abschnitt. 
Die  GliederuDg  und  die  Organisation  der  Gesellselialt* 

Mit  dem  Ende  der  Völkerwanderung  musste  der  ganze 
sociale  Zustand  der  deutschen  Völkerschaften  nothwendigen 
Veränderungen  unterliegen,  wie  sie  eben  aus  der  Sesshaftig- 
keit  und  der  damit  beginnenden  Neugestaltung  des  wirth- 
schaftlichen und  überhaupt  des  öffentlichen  Lebens  hervor- 
gingen. 

Die  in  der  Heeresveifassung  bestehenden  Macht-  und 
Rangyerhältnisse  hatten  eine  eigenartige  GüteiTertheilung  ge- 
schaffen; diese  unterlag  nun  all  jenen  Veränderungen  und 
Verschiebungen,  welche  geordneter  Erwerb  und  Verkehr  und 
die   verschiedenartige   Ausbildung    des   Verbrauchs  un^    der 


^)  Darüber  1.  A.  Maurer,  Einl.  191,  der  nur  ganz  unkritisch  die  Bei- 
spiele späterer  Markgemeinschaft  auf  alte  Gaumarken  zorQckfÜhrt,  ohne 
des  grundherrschaftlichen  Ursprungs  vieler  solcher  grossen  Markgemein- 
Bchaften  sich  bewusst  zu  werden. 


—    53    — 

BedQrfnisse  immer  erzeugt  Der  verständige,  thatkrältige, 
sparsame  Wirth  gewinnt  Vermögen,  welches  der  Unkluge, 
Lässige  und  Verschwender  einbttsst;  persönliches  Ansehen, 
m  friedlicher  Beschäftigung  erworben,  gewinnt  ein  Uebergewicht 
über  die  bloss  kriegerische  Tüchtigkeit;  organisatorische,  spe- 
culative  Talente  gelangen  zu  Einfluss  und  wirthschaftlicher 
Kraft,  wo  das  ängstliche  Beharren  in  isolirter  und  primitiver 
Wirthschaft  unterliegt. 

Dazu  kam  nun  aber  gleichfalls  mit  Schluss  der  Völker- 
wanderung eine  gründliche  Veränderung  in  die  Ordnung  der 
öifentlichen  Gewdt,  welche  ja  doch  immer  für  die  Ausgestal- 
tuDg  der  socialen  Zustände  eines  Volkes  von  massgebender 
Bedeutung  ist. 

Das  junge  Frankenreich,  durch  seine  Eroberungen  in 
Gallien  und  seine  Siege  über  benachbarte  Stämme  mächtig 
geworden,  vindicirte  sich  eino  OberheiTSchaft  über  alle  deut- 
schen Stämme,  welche  es  durch  glückliche  Kriege,  durch 
BOndnisse  und  geschickte  Einrichtungen  bald  zu  befestigen 
wusste. 

Zunächst  wurde  diese  Veränderung  der  Macht  natürlich 
bedeutsam  für  die  fränkischen  Stämme  selbst,  welche  zum 
Frankenreiche  als  unmittelbar  Betheiligte  gehörten.  Die 
königliche  Gewalt,  deren  fiilhzeitiger  Anerkennung  bei  den 
salischen  Franken  gewiss  zum  guten  Theile  jene  Erfolge  der 
Staatenbildung  zuzuschreiben  sind,  findet  hier  eine  ganz  her- 
vorragende Stärkung  und  eine  Fülle  der  Befugnisse,  wie  sie 
weder  bei  anderen  deutschen  Stämmen  bekannt  ist,  noch  bei 
den  Franken  selbst  früher  vorkam.  An  die  Stelle  vieler 
kleiner  Könige,  welche  über  die  einzelnen  kleinen  Völker- 
schaften gesetzt  waren,  tritt  hier  nun  der  eine,  der  Franken- 
könig,  der  sich  seiner  Rivalen  frühzeitig  mit  List  und  Ge- 
walt wie  in  friedlichem  Abkommen  zu  entledigen  gewusst  ^). 

Dieser  König  übt  nicht  mehr  eine  ihm  vom  Volke  über- 
tragne Gewalt  aus;  sie  steht  ihm  und  seinem  Geschlechte 
erblich  zu;  und  damit  verwaltet  er  auch  das  Reich  durch 


')  TgL  i.  A.  Waitz,  Yer&ssungBgeschichte  II,  39—45. 


—    54    — 

seine  Grafen  und  Beamten  kraft  eignen  Rechts,  wie  er  in 
den  Sacebaronen  die  Stellvertreter  seiner  Executionsgewalt  0 
über  das  Volk  einsetzt. 

Aber  auch  sonst  durchbricht  das  im  König  verkörperte 
Pinnzip  der  Hen'schaft  die  alte  Anschauung  von  der  Volks- 
genossenschaft. Der  König  nimmt  das  Recht  in  Anspruch  zu 
entscheiden,  wer  zum  Volke  gehören  soll;  nur  wer  dem  Könige 
den  Treueid  geschworen,  gilt  als  Volksgenosse,  jeder  andre 
als  Fremder;  aber  damit  war  dem  Unteithan  auch  verwehrt 
ohne  Erlaubniss  des  Landesherin  das  Land  zu  verlassen  und 
in  ein  andres  zu  ziehen,  denn  den  Volksfneden  gewährt  und 
vei-weigert  er  *).  Urtheil  und  Leitung  des  Gerichts  steht  zwar 
dem  Volke  zu;  die  Executive  aber  hat  der  König  allein  in 
seiner  Hand;  und  insbesondre  wird  es  nun  ausschliessliches 
Recht  des  Königs,  über  das  Leben  des  freien  Mannes  zu  ver- 
fügen ').  Selbst  die  Ansiedelung  auf  dem  Gebiete  einer  Mark- 
genossenschaft ei*zwang  des  Königs  Befehl,  wo  sonst  nur  der 
autonome  Wille  der  Markgenossenschaft  galt^). 

Alle,  die  an  dieser  Machtfülle  des  Königthums  Theil 
nahmen,  die  Grafen  und  Beamten,  die  Glieder  des  persönlichen 
Gefolges  (die  Trustis)  werden  dadurch  selbst  zu  höherem  An- 
sehen und  zu  grösserer  Macht  erhoben  und  in  ihrem  drei- 
fachen Wergeide  kömmt  das  zur  rechtlichen  Anerkennung; 
der  alte  Stammadel  geht  unter  durch  diesen  neugeschaffnen 
Beamten-  und  Hofadel  oder  er  erhält  sich  dadurch,  dass  er 
selbst  in  die  Trustis  und  den  Dienst  des  Königs  sich  ergibt 


')  S.  Sohm,  ProcesB  der  L  Salica  S.  281  ff. 

')  Schon  das  blosse  Verlassen  des  Landes  ohne  Anschlnss  an  einen 
andern  Landesherm  galt  als  Yerrath;  Greg.  Y,  26:  Daoco  worde  gefisngen 
genommen,  dnm,  relicto  Chilperico,  huc  Ulacque  vagaretur.  Ja  sdbst  der 
Uebertritt  aus  einem  Frankenreiche  in  das  andere  wurde  gleich  behandelt 
Gregor  V,  8.  Vin,  18.  Marculf  I,  82,  s.  i.  A.  Roth,  Benefidalweaen 
184  ff.  • 

*)  S.  Sohm,  FtocesB  der  L  Salica  S.  218. 

*)  L.  Sal.  14,  4:  8i  quls  hominem  qoi  migrare  volnerit  et  de  rege 
habuerit  praeceptom  et  abbundivit  in  malum  puplico  et  aliquis  contra 
ordinationem  regis  testare  praesumpserit,  8  M.  dinarios,  qui  fiuiant  solidos 
200  colpabilis  iudicetor,  im  Zusammenhalt  mit  tit  45  de  migrantibas. 


—    55    — 

Ja  es  sind  Anzeichen  vorhanden,  dass  man  ihn  absichtlich 
unterdrückt,  um  Ansehen  und  Machtfülle  am  Hofe  zu  con- 
centriren.  Und  ebenso  kann  der  König  Mitglieder  des  Volkes, 
die  den  fi*eien  Franken  nicht  gleichstehen,  durch  Aufnahme 
in  die  Trustis  oder  durch  Einennung  zu  Beamten  über  jene 
erhöhen. 

Waren  damit  zunächst  auch  nur  die  öffentlichen  Zustände 
in  den  fränkischen  Stammesgebieten  auf  andre  Ginndlagen 
gestellt,  so  griff  doch  das  junge  Königthum  bald  auch  in  die 
Verfassungszustände  der  übrigen  deutschen  Stämme,  welche 
nach  einander  fränkischer  Botmässigkeit  untei'worfen  wurden, 
mit  seiner  Machtfülle  ein;  grosse  weittragende  Verändeinngen 
vollziehen  sich  auch  hier. 

Die  Alamannen  verblieben  zwar  auch  nach  ihrer  Unter- 
werfung unter  Hei'zogen  aus  einheimischen  Geschlechtern; 
aber  der  Frankenkönig  setzt  sie  ein;  ihm  waren  sie  in  Huld 
und  Ti'eue  verbunden;  nach  fränkischer  Weise  traten  auch 
hier  Grafen  an  die  Spitze  der  Gaue,  wurden  die  Hundert- 
schaften gestaltet  und  verwaltet.  Die  Einwirkung  des  König- 
tbums  verändert  auch  hier  ohne  Mitwirkung  des  Volkes  die 
Schichtung  der  Gesellschaft.^)  Auch  in  Baiem  setzten  die 
fränkischen  Könige  Hei-zoge  ein  und  verpflichteten  sich  die- 
selben'); und  der  Beamtenschaft  des  Königs  ist  auch  hier 
bald  ein  reicher  Wirkungskreis  eröffnet. 

Auf  die  nördlichen  Stämme  der  Friesen  und  Sachsen  geht 
allerdings  in  dieser  Periode  noch  wenig  Einfluss  vom  Franken- 
reiche aus,  doch  wurde  schon  530  ein  Theil  der  Sachsen  und 
Friesen  dem  Frankenreiche  tributpflichtig,  ein  Theil  völlig 
unterworfen  und  Nordschwaben  unter  fränkischer  Hoheit  in 
Sachsen  angesiedelt^).  Die  Thüringer  sind  ähnlich  wie  die 
übrigen  Stämme  fi*änkischer  Gewalt  unterworfen*). 

^)  Vgl  i.  A.  Staun,  Wirttembergische  Geschichte  I.  Merkel,  de  re- 
publica  Alamannorum  §  5  f. 

^  Das  alte  Herzogsgeschlecht  der  AgilolfiDger  ist  sogar  selbst  wahr- 
scheinlich fränkischen  Stammes,  s.  Riezler,  Geschichte  Baierns  I,  71  f. 
Auch  S.  121  f. 

>)  S.  Belege  bei  Waitz  II,  76. 

*)  Gregor,  Tor.  UI,  4,  7.    VTidukind  I,  9. 


-    56    — 

So  folgenschwer  aber  auch  diese  Aenderung  der  Volks- 
verfassung  für  die  sociale  Ordnung  sich  schliesslich  erwies, 
so  war  diese  doch  nicht  ihr  Ziel. 

Es  darf  nicht  Wunder  nehmen,  dass  das  junge  fränkische 
Reich  zunächst  hiefür  nichts  leistete.  Die  kühne  Schöpfung 
Chlodovechs  bedurfte  vor  Allem  eine  unzweifelhafte  Sicherung 
ihres  Bestandes;  ihre  Politik  äusserte  sich  in  erster  Linie  in 
Organisation  der  Macht;  die  kirchliche  nnd  die  Rechtsorgani- 
sation  folgte;  die  Einrichtungen  fttr  die  Zwecke  des  könig- 
lichen Fiskus  waren  nur  eine  Ergänzung  der  Macht.  Aber 
das,  was  wir  Verwaltung  nennen,  und  worunter  wir  insbesondere 
den  Einfluss  der  öffentlichen  Gewalt  auf  die  sociale  Organisa- 
tion und  die  gemeinwirthschaftliche  Leistung  des  Staates  ver- 
stehen, das  fehlte  vollständig.  Das  Wenige,  was  der  Art 
erscheint,  ist  mehr  römischer  Nachklang  als  eigne  Schöpfung 
der  fränkischen  Könige;  die  ausp:esprochnen  Rücksichten  der 
Staatsgewalt  auf  das  öffentliche  Wohl  aber  überhaupt  kaum 
mehr  als  eine  abgelernte  römische  Phrase^). 

Selbst  in  der  Behandlung  des  Grundbesitzes,  dessen 
Wechsel  und  reiche  Vei-fQgung  in  der  Hand  der  Könige  die 
wichtigste  Rolle  spielte,  ist  kein  socialpolitischer  Gedanke, 
geschweige  denn  eine  bewusste  Organisation  zu  entdecken.  Er 
war  nur  Machtmittel  für  die  Herrschaftsgewalt,  und  kein  Be- 
wusstsein  von  den  socialen  Folgen  der  Verleihung  und  Verände- 
iung  tönt  aus  den  Klagen  über  das  Zusammenschmelzen  des 
Kronguts. 

Das  Volk  war  für  die  Befriedigung  seiner  wirthschaftlichen 
Bedürfnisse  sich  selbst  überlassen;  die  Volksi-echte ,  welche 
auch  für  diese  Verhältnisse  die  rechtliche  Grundlage  bildeten 
und  mit  ihren  einzelnen  Bestimmungen  immerhin  auf  Besitz 
und  Erwerb ,  auf  Gütervertheilung  und  Erbgang  massgebend 
einwirkten,  unterlagen  zwar  einer  Revision  durch  die  fränki- 
schen Könige;  aber  es  ist  nicht  ei-sichtlich ,  dass  bei  dieser 
Gelegenheit  auch  nur  e  i  n  socialpolitischer  Gedanke  zur  Durch- 
führung gekommen  wäre.    Die  Zulassung  der  weiblichen  Erb- 


')  Vgl  insbes.  Waitz,  Yerfassungsgeschichte  II,  S.  444.  449.  654. 


—    57    — 

folge  in  den  Grundbesitz,  die  Aberkennung  eines  älteren 
Vicinenerbrechts  sowie  die  Ausbildung  des  Verfahrens  im 
Rechtsstreite  über  Immobilien  ist  doch  sicherlich  mehr  als 
blosse  Anerkennung  eines  lang  geübten  Gewohnheitsrechts, 
denn  als  ein  schöpferischer  Act  der  Gesetzgebung  anzusehen. 
Die  verschiedenen  Begünstigungen  der  Kirche  aber  im  Güter- 
erwerb und  die  Beseitigung  eines  älteren  bevorzugten  Stammes- 
adels sind  hinwiederum  nur  Erwägungen  der  politischen 
Organisation  und  Concentration  der  Machtfülle  der  öffentlichen 
Gewalt  entsprungen  1). 

Ebensowenig  aber  zeigt  die  oberste  Gewalt  in  den  ein- 
zelnen grossen  Abtheilungen  des  deutschen  Volkes  eine  selbst- 
bewusste  socialpolitische  Wirksamkeit.  Was  sich  derart  z.  B. 
in  den  Tassilonischen  Dekreten  findet,  gehört  schon  einer  Zeit 
an,  die  unter  dem  reformatorischen  Einflüsse  der  karolingischen 
Ideen  wie  der  grundherrschaftlichen  Tendenzen  stand.  Und 
ähnlich  verhält  es  sich  nun  auch  mit  den  engeren  Abtheilungen 
des  Volksthums,  auf  welche  wir  bei  diesem  Stande  der  Dinge 
verwiesen  werden.  Die  Grafschaften  und  die  Gaue  zeigen 
keine  Selbstverwaltung,  und  die  öffentliche  Gewalt,  die  sie  in 
Königs  Namen  übten,  gab  ihnen  zu  solchem  Eingreifen  keine 
Veranlassung.  Weder  in  allgemeinen  Anordnungen,  noch  in 
der  urkundlich  hervortretenden  Wirksamkeit  der  Grafen  und 
Gauvorstände  ist  ein  Anhaltspunkt  gegeben,  um  dieser  Gliede- 
iimg  des  Reiches  eine  selbständige  Bedeutung  für  die  sociale 
Verwaltung  beizumessen.  Speciell  für  alle  volkswirthschaft- 
lichen  Angelegenheiten  ist  die  Grafschaft  im  Kleinen  der  ge- 
treue Ausdiiick  für  das  Mass  des  Interesses,  welches  das 
Reich  im  Grossen  an  der  Entwickelung  der  Zustände  hatte. 
Daraus  erklärt  es  sich  denn  aber  auch,  dass  bei  allem  Streben 
nach  einheitlicher  Gestaltung  der  politischen  Verfassung  und 
der  königlichen  Gewalt  doch  die  socialen  Zustände  der  Völker 


^)  Aber  freUich  ist  die  innere  Geschichte  der  Yolksrechte  noch  lange 
nicht  genügend  kritisch  behandelt,  um  ans  ihnen  mit  Sicherheit  jene 
Theile  aoszuscheiden,  welche  auf  specielle  gesetzgeberische  Acte  der 
frtakischen  Könige  zur&ckziiführen  sind. 


—    58    — 

so  lange  Zeit  hindurch  in  grosser  Mannigfaltigkeit  und  Eigen- 
art bestanden. 

Manches  zwar  ist,  anfänglich  wenigstens,  allen  gemein- 
sam, wenn  es  sich  auch  nicht  überall  gleich  lang  und  kräftig 
erhalten  hat.  Den  Haupttheil  der  Nation  bilden  überall  die- 
jenigen, welche  freier  Geburt  waren.  Sie  hatten  das  Wergeid 
des  Freien,  das  Waflfen-  und  Fehderecht,  Zutritt  zu  den  Volks- 
und  Gerichtsversammlungen ,  Eid  und  Zeugniss^),  und  das 
gerade  wii-thschaftlich  so  werthvoUe  Recht  der  Fi'eizügigkeit 
innerhalb  des  Reiches,  dessen  Unteilhanen  sie  waren  ^.  Auch 
die  besondere  Klasse  der  mit  echtem  Eigenthum  angesessnen 
Freien  scheint  überall  untei'schieden  worden  zu  sein.  Sie 
waren  schöffenbar  und  stimmberechtigt  in  der  Versammlung'). 
Rachinburgi,  boni  viri,  mediani,  arimanni  hiessen  sie  zum 
Unterschiede  von  den  minores,  minofledis.  Unter  ihnen  standen 
die  schutzhörigen  Fi-eien,  die  persönlich  oder  dingUch,  durch 
Verleihungsverhältniss,  an  einen  Herrn  gebunden  waren. 

Aus  der  Menge  der  Freien  erhoben  sich  die  Edlen,  gleich- 
falls von  Geburt  aus  zu  solcher  Auszeichnung  benifen*).   Sie 


^)  Vgl  i.  A.  Grimm,  RechtsalterthQmer  S.  283—300.  Walter,  Rechts- 
geschichte  §  434  f. 

^)  L.  Rip.  36,  welche  das  Wergeid  der  von  andern  VolksstämmeD 
Zugewanderten  festsetzt  L.  Borg.  107,  5:  Qnaecumqoe  persona  de  aliA 
regione  in  nostram  venerit  et  ibi  volaerit  habitare  aat  com  quo  esse 
voluerit,  habeat  licentiam,  dehnt  dieses  Recht  sogar  noch  weiter  aa& 
Vgl  auch  1.  Sal.  45,  3;  Si  vero  quis  migraverit  et  in£ra  12  menses  nulluB 
testatus  fuerit,  securus  sicut  et  alii  vicini  maneat.  Vgl.  L  A.  Roth,  Benei. 
Wesen  374.  Erst  durch  die  Verallgemeinerung  des  Seniorats  verloren 
die  Gemeinfreien  dieses  Recht,  s.  II.  Buch  2.  Abschn. 

^)  Savigny,  Geschichte  des  Römischen  Rechts  im  Mittelalter  I,  §  61  fl 

*)  Schon  nach  Tadtus  ist  erblicher  Adel  bestimmt  bezeugt:  C^erm.  18: 
Insignis  nobilitas  aut  magna  patrum  merita  prindpis  dignitatem  etaam 
adolescentulis  adsignant.  Ib.  c  18:  inter  obsides  pueUae  quoque  nobilei» 
imperantur.  Tac.  Ann.  I,  57:  Inerant  feminae  nobiles,  inter  quas  uxor 
Arminii  eademque  filia  Segestis.  Der  Gegensatz  des  GebortsadelB  nun 
Verdienst  Tac.  Germ.  7:  Reges  ex  nobilitate,  duces  ex  virtute  sumimt 
c.  13.  Ann.  XI,  17:  Quando  nobilitate  ceteros  anteiret,  virtatem  experi- 
rentur.    Vgl.  auch  Hist.  IV,  55:  Ciassicus  nobilitate  opibusque  ante  iJios. 


—    59    — 

waren  im  Eherecht  Oi  durch  höheres  Wergeid  *)  ausgezeichnet ; 
sicherlich  auch  an  Besitz  und  HeiTSchaft  über  Unfreie  hervor- 
ragend ^).  Auf  dieser  Grundlage  und  persönlicher  Tüchtigkeit 
mochte  wohl  auch  manches  erst  einfach  freie  Geschlecht  in 
die  Reihen  der  Edlen  sich  emporgehoben  haben  ^).  Aus  den 
Edlen  wurden  die  GaufQrsten,  später  die  Herzoge  und  Könige 
gewählt,  bis  dann  die  königliche  Gewalt,  erblich  geworden, 
sich  am  entschiedensten  gegen  diesen  Erbadel  wendete  und 
ihm  durch  den  Gefolgsadel  seinen  Werth  nahm^). 

Die  unfreien  Leute  bildeten  überall  zwei  Klassen,  solche^ 
welche  im  Eigenthum  und  solche,  welche  nur  in  der  Gewalt 


^)  Rudolfi  translatio  S.  Alezandri  c.  1  (SS.  II,  675) :  Quatuor  igitor 
differentiis  gens  lila  (Saxonum)  consistit  nobilium  scilicet  et  liberorum 
atqae  Bervonim.  Et  quid  legibus  firmatum,  ut  nnlla  pars  in  copolandis 
coDJngiis  propriae  sortis  terminos  transferat,  sed  nobilis  nobilem  dacat 
Qzorem  etc. 

')  Nach  dem  Pact  Alam.  II,  87—41  war  das  Wergeid  der  barones 
de  minofledis,  mediani  Alamanni  and  primi  oder  meliorissimi  zn  160. 
200  nnd  240  solidi  bemessen.  Bei  den  Baiem  hatten  fünf  namentlich 
bezeichnete  Adelsgeschlechter  das  doppelte  Wergeid  der  Freien;  die 
Glieder  des  Agilolfingischen  Hauses  das  yierÜMhe,  L.  B%j.  m,  1.  Die 
Th&ringer  zeichneten  den  Adaling  durch  das  dreifache  Wergeid  des  Freien 
aas,  L.  Angl.  et  Werin.  I,  1.  2.  4.  (Nach  H.  Mttller  der  1.  SaL  und  i. 
Angl.  et  Werin.  Heimath  1840  S.  111  soll  aber  der  Adaling  bei  den 
Thonngem  ein  fremdes  Element  sein.)  Im  ältesten  Theile  der  1.  Fris. 
(I)  ist  das  Weigeld  des  nobilis  das  P/a  fache,  später  (XV)  das  doppelte 
des  Freien  (s.  Richthofen  in  LL.  UI,  650).  Bei  den  Sachsen  endlich 
findet  sich  sogar  das  sechsfache  des  Freien-Wergelds  f&r  den  Adaling 
L.  Sax.  c  14;  bei  Busszahlnngen  allerdings  auch  nur  das  doppelte.  S. 
Richthofen  z.  L.  Saxonum  S.  S76  ff.. 

')  Chlotharii  regis  decretio  c.  12:  Si  quis  ciyuslibet  de  potentibus 
serrus,  qni  per  diversa  possedent  (nach  Boretius  in  1.  Salica  ed.  Behrend 
S.  101;  abweichend  c.  4  des  Textes  in  Mon.  Germ.  LL.  I,  12).  Chlota- 
charii  U  edict.  (614)  c  9:  Episcopi  yero  vel  potentes,  qni  in  aliis  possident 
regionibns  LL.  I,  15. 

*)  Schon  Tadtus  Germ.  11  stellt  der  nobilitas  an  die  Seite  decus 
beUomm,  fiicnndia.  Auch  cap.  13:  Insignis  nobilitas  aut  magna  patrum 
merita  prindpis  dignationem  etiam  adolescentulis  assignant 

')  8.  tu  Walter,  Rechtsgeschichte  U,  §486-488.  Bethmann-Hollweg, 
CiYilprocess  IV,  1,  S.  90. 


—    60    — 

eines  Herrn  standen  >).  Die  ei'steren  waren  ausserhalb  der 
rechtlich  anerkannten  Gesellschaft;  ihr  rechtliches  Dasein 
gehörte  nur  dem  Hause  an ;  nur  ihr  Herr  hatte  Rechte  an 
ihnen;  diese  ergriffen  aber  auch  ihr  ganzes  Leben,  so  dass 
es  für  sie  auch  keine  Obrigkeit  gab  als  ihren  Herrn.  Sie 
bildeten  daher  auch  im  Volke  keinen  Stand,  weil  sie  ja  kein 
Recht,  keine  Pei*sönlichkeit  hatten.  Daher  konnte  auch  der 
servus  keine  berechtigte  Familie  haben ;  alle  Glieder  derselben 
gehörten  zu  der  Familie  des  Herrn.  Aber  doch  kömmt  auch 
hier  eine  Unterscheidung  vor,  welche  fi-ühzeitig  schon  nicht 
ohne  rechtlichen  Belang,  später  grösste  Bedeutung  erlangte: 
die  servi  im  strengen  Wortsinn  sind  nur  die  coloni  serviles, 
die  übrigen  Leibeignen  heissen  mancipia ;  die  letzteren  konnten 
wie  bewegliche  Sachen  veräusseii;  werden*);  die  ersteren 
stehen  bereits  vielfach  in  einer  unlöslichen  Verbindung  mit 
dem  Zinsgute,  das  sie  bebauten,  und  wurden  nur  mit  diesem 
zugleich  veräussert  *). 

Die  zweite  Klasse  der  Unfreien  waren  die  Liten,  Lassen, 
Aldionen  etc.  ^).  Sie  bildeten,  wie  die  Leibeignen  eine  erbliche 
Klasse,  theils  durch  Freilassung  theils  durch  Unterwerfung 
(freiwillige  oder  gezwungene)  gebildet  Sie  waren  im  Sinne 
des   Volksrechts   Personen,     nicht   Sachen,    also    auch    des 


')  S.  Walter,  Rechtsgeschichte  II,  §  384. 

')  L.  Sazon.  62:  Mancipia  liceat  iUi  dare  ac  vendere.  Nach  der 
L  Thoring.  27  ff.  83  gehen  pecunia  et  mancipia  an  die  weibliche,  terra  an 
die  männliche  Verwandtschaft. 

')  Vgl.  Waitz,  VerfasBungsgeBchichte  II,  156  wobei  er  sich  besonders 
auf  Foldaer  Traditionen  stützt.  Auch  Richthofen  zur  lex  Thuring.  LL.  V,  125 ; 
zur  1.  Saxon.  ib.  V,  80.  Später  wird  diese  Unterscheidung  ganz  regel- 
mässig; in  den  Freisinger  Urkunden  heissen  dann  die  mancipia  in  TiUis 
manentes  im  G^ensatz  zu  den  mancipia  in  domo:  coloni  s.  u.  S.  69. 

*)  Von  den  Lassen  Vita  S.  Lebuini  (SS.  II,  361)  Sunt  deniqne  ibi 
(in  Saxonia)  qui  illorum  lingua  edlingi,  sunt  qui  frilingi,  sunt  qui  lassi 
dicuntur.  Auch  Nidhart  bist.  IV,  2  (ib.  668).  Von  den  Aldionen,  die 
besonders  bei  Langobarden  und  Baiem  vorkommen  (Meichelbeck  Ib,  40. 
45)  und  den  Mlaz  und  parscalcis  gleich  zu  achten  sind,  s.  besonden  auch 
Capit  Ticin.  801  c  6.  LL.  I,  84:  Aldiones  ....  ea  lege  yivant  in  Italia 
in  servitutem  dominorum  suorum,  qua  fiscalini  Tel  lites  virunt  in  Franda. 
S.  i.  A.  Walter,  Rechtsgeschichte  II,  419—422. 


—    61    — 

Volksrechts  und  des  eigeatlichen  Wergeids  theilhaftig  ^).  Sie 
bildeten  daher  auch  volksberechtigte  Familien;  die  Ehe  der 
Liten  stand  gleichfalls  unter  Volksrecht.  Daher  kommen  sie 
auch  als  eigentlicher  Stand  in  Betracht  und  haben  sich  als 
solcher  vielfach  erwiesen*). 

Uebrigens  war  die  rechtliche  Bedeutung  dieser  Unfreien 
verschieden  je  nach  der  Weithschfttzung  ihres  Hemi  ^) ;  dess- 
halb  werden  die  Leute  des  Königs,  des  Fiskus  und  der  Kirche 
höher  als  gewöhnliche  Unfreie  gebüsst*). 

Daneben  bestanden  aber  doch  auch  ganz  beträchtliche 
Verschiedenheiten  bei  den  einzelnen  Völkern. 

Bei  den  Franken  ist  der  Stammesadel  am  frühesten  ab- 
sorbirt,  damit  sich  das  königliche  Haus  um  so  schärfer  von 
dem  Volke  abhebe*).  Im  Geiste  einer  kriegerisch-monarchi- 
schen Verfassung  galten  nur  die  pei'Sönlichen  Auszeichnungen, 
die  vom  Könige  ausgingen^). 

Auch  bei  den  Alamannen  vei*schwinden  die  primi  oder 
meliorissimi,  welche  die  älteste  Aufzeichnung  ihres  Volksrechts 
kennt  ^),  in  der  von  Chlotar  II  vorgenommenen  Revision  ®),  und 
es  bestehen  ausser  den  Gemeinfreien  (liberi)  nur  noch  die 
medii.     Nur   einige  aus   der   Adelsklasse  scheinen   sich   als 


^)  S.  unten  S.  62  f. 

*)  Yita  S.  Lebuini  s.  o.  Anm.  4  umsteh,  sagt  ausdrücklich :  ex  iisdem 
ordinibus  tripartitis  (edlingi,  frilingi,  lassi)  ezercebant  generale  consilium. 

*)  S.  Walter,  Rechtsgesch.  über  die  servi  liscalini,  ecclesiae  §  402  f. 

*)  L.  Alam.  Hlothar.  YIII,  A:  Si  qnis  servurn  ecclesiae  occiderit,  in 
triplum  componat.  Si  .quis  solvat  servurn  regis,  ita  solvatur.  Ib.  38: 
De  feminis  qui  in  ministerio  duci  sunt  Si  illis  aliquid  contra  legem 
factum  fuerit,  qui  hoc  fecerit,  omnia  tripliciter  eas  conponat,  sicut  alias 
Alamannorum  in  conpositum  est  Doch  Childeb.  decr.  596  LL.  I,  10,  c.  13 : 
Si  servus  ecclesiae  aut  fisci  furtum  admiserit,  simile  poena  sustineat  sicut 
et  reliquorum  servi  Francorum. 

*)  Gregor  Tur.  111,  18:  Pertractare  oportet  quid  de  his  (Chlodomeris 
filiis)  fieri  debeat;  utrum  incisa  caesarie  ut  reliqua  plebs  habeantur  etc. 
Vm,  10:  A  caesarie  prolixa  cognovi  Chlodovechum  esse. 

'')  S.  Waitz,  Verfassungsgeschichte  II,  289  fif. 

^)  Pactus  Alam.  11,  39. 

'O  L.  Alam.  Hlotharii  69,  1.  4. 


—    62    — 

principes  populi^),  optimates  erhalten  zu  haben,  ohne  aber 
vom  Volksrechte  weiter  ausgezeichnet  zu  werden.  Sie  waren 
hier  nur  die  ei'sten  Freien,  nicht  wie  bei  den  Friesen,  Sachsen 
und  Thüringern  und  theil  weise  bei  den  Baiem,  welche  noch 
die  altdeutsche  Standesgliederung  bewahrt  hatten,  ein  eigner 
Stand.  Schon  die  unbedeutende  Höherbewerthung  des  ala- 
mannischen  Adels  zeigt,  dass  seine  sociale  Auszeichnung  hier 
nicht  bedeutend  gewesen^). 

Bei  c|,en  Baiern  gab  es  5  namentlich  bezeichnete  Adels- 
geschlechter, die  das  doppelte  Wergeid  des  Freien  genossen. 
Bei  den  Friesen  galt  der  nobilis  nur  die  Hälfte  mehr  als  der 
Freie.  Dagegen  bei  den  Thüringern  der  Adaling  das  dreifache, 
bei  den  Sachsen  das  sechsfache,  wie  denn  überhaupt  den 
Edlen  nur  bei  Thüringern,  Sachsen  und  Friesen  besondere 
Bedeutung  beigemessen  worden  zu  sein  scheint  *).  Hier  allein 
findet  sich  auch  ein  Verhältniss  der  Abhängigkeit  freier 
Grundbesitzer  von  den  Edlen  ^);  diese  hatten  ein  Vorkaufs- 
recht an  den  Grundstücken  des  [Fmen,  und  sie  sind  als 
deren  Herrn  bezeichnet. 

Die  Liten  hatten  bei  den  Salfranken,  lipuarischen  und 
chamavischen  Franken,  sowie  bei  den  Friesen  und  Sachsen 
die  Hälfte  des  Wergeids  eines  Freien^);  bei  den  Alamannen 
ist  es  schwankend  zwischen  einem  und  zwei  Drittheilen  des 


^)  L.  Alam.  Hloth.  24. 

^)  S   Stalin,    Wirttemb.  Gesch.  I,  200  und  oben  S.  59  Anm.  2. 

')  S.  oben  die  Anm.  2  S.  59. 

*)  L.  Saxon.  17:  Liber  homo  qoi  sab  tutela  nobilis  cuiuslibet  erat, 
qoi  iam  in  exilium  misBus  est  si  hereditatem  suam,  necessitate  coactos, 
vendere  voluerit,  offerat  eam  primo  prozimo  suo;  si  ille  emere  nduerit, 
offerat  tutori  suo,  vel  ei,  qui  tunc  a  Rege  super  ipsas  res  constitatos  est 
Die  Stelle  hat  allerdings  die  in  Folge  der  Sachsenkriege  eingetretene 
üeberführung  der  edlen  Sachsen  durch  Karl  d.  Gr.  im  Auge,  betrifit  aber 
doch  zweifellos  altheigebrachte  Verhältnisse. 

^)  L.  Sal.  42,  4;  1.  Ripuar.  9;  1.  Chamar.  c.  4  —  6;  1.  Saxon.  16; 
1.  Fris.  15 :  Compositio  liberi,  librae  5^/^  per  veteres  denarios.  Compositio 
liti  librae  2  et  unciae  9  ex  qua  duae  partes  ad  dominum  pertioent,  tertia 
ad  propinquos  eins. 


—    63    — 

Freien^);  die  Baieiii  kennen  an  ihrer  Stelle  nur  die  Frei- 
gelassnen  mit  dem  vieiten  Theile  des  Freienwergelds ') ;  im 
Geltungsgebiete  des  thüringischen  Yolksrechts  finden  sich  die 
Liten  nicht*). 

Dem  Leibeignen  aber  kömmt,  mit  Ausnahme  eines  Theils 
der  Friesen*),  kein  eigentliches  Wergeid,  sondern  nur  eine 
Geldwerthschätzung  zu,  welche  im  Allgemeinen  12  Solidi  be- 
trug ^).  Die  Busse  für  Tödtung  derselben  betrug  durchgängig 
das  Dreifache  ihres  Werthes. 

In  dieser  Verschiedenheit  des  ständischen  Rechtes  drückt 
sich  wohl  auch  zum  guten  Theile  die  sociale  Stellung  und 
Geltung  der  einzelnen  Yolksklassen  aus;  aber  doch  genügt 
die  Kenntniss  der  Rechtsverhältnisse  hiefdr  nicht.  Sie  sind 
gleichsam  nur  die  reife  Frucht  thatsächlicher  socialer  Gestal- 
tungen, die  sich  im  Laufe  der  Zeit  zu  solcher  Festigkeit  und 
allgemeinen  Anerkennung  durchgebildet  haben,  dass  sie  nach 
einem  rechtlichen  Atisdrucke  der  allgemeinen  Anerkennung 
verlangten.  So  war  sicherlich  der  alte  Stammesadel  mindestens 
ebensosehr  durch  den  Vorzug  seines  Blutes  wie  den  seiner 
wirthschaftlichen  und  socialen  Macht  und  seiner  pei-sönlichen 
Tüchtigkeit  anerkannt ;  und  es  wäre  auch  ohne  alle  Rücksicht 


^)  L.  Alam.  17;  69,  1.  L.  AI.  Lantfr.  15;  59.  Dagegen  Fact.  Alam. 
II,  27-29.  46—56. 

>)  L.  Biy.  ly,  28.  y,  9.  Die  WundenbosBe  aber  betrag  die  Hälfte, 
IV,  1-6.  y,  1-5.  7. 

')  Richthofen  z.  L  Thoring.  Einl.  folgert  daraus,  dass  hier  weder 
Römer  noch  eine  firühere  Bevölkerang  gesessen  seien  und  das  kann  nur 
ftr  das  eigentUche  ThQringen  gelten. 

*)  L.  Fris.  XV.  Compositio  send,  libri  1  et  unciae  4V2  (in  Frisia 
Orientali). 

')  Für  die  1.  Salica  lässt  sich  das  nur  aus  dem  Busssatze  von  35  sol. 
f&r  den  gemeinen  Leibeignen  folgern.  Ausdrücklich  dagegen  ist  der  Werth 
von  12  8ol.  bestimmt  in  ed.  Chilp.  c.  7  (LL.  II,  11),  sowie  in  Pact.  Alam. 
n,  49.  52.  L.  AI  ffloth.  yill,  A.  L.  AI.  Lantfr.  81.  L.  AI.  Karol.  8. 
L.  BiguY.  XIII,  9.  I,  4.  Auch  in  1.  Ripuar.  tit  8,  28,  62,  L.  Sax.  c.  17 
ist  die  Busse  des  getödteten  servus  mit  36  sol.  bemessen,  welche  als 
triplnm  des  Werths  verstanden  werden  darf;  s.  u.  5.  Abschn.  und  meine 
ausflihrliche  Darlegung  dieser  Werthverhältnisse  in  Hildebrands  Jahr- 
büchern f&r  Nationalökonomie  XXX,  S.  202  ff. 


—    64    — 

« 

auf  die  politischen  Tendenzen  der  Frankenkönige  begreiflich, 
dass  er  in  dem  Masse  an  Bedeutung  abnehmen  musste,  in 
welchem  mit  Rückkehr  befestigter,  friedlicher  Zustände  eben 
diese  Momente  an  Werth  einbüssten.  Denn  im  Frieden  ivar 
die  Gefolgschaft  mindestens  ebensosehr  eine  kostspielige  öko- 
nomische Last  für  den  Gefolgshenn ,  als  eine  Stütze  socialen 
Einflusses;  die  persönliche  Waffentüchtigkeit  kam  hier  nicht 
mehr  zur  Geltung ;  und  auch  die  Quellen  hervoiragenden  Ein- 
kommens, welche  der  Adaling  durch  grössere  Antheile  an  der 
Kriegsbeute,  an  Leibeignen  und  zugetheiltem  erobe]*ten  Lande 
erhielt,  versiegten  im  Frieden;  wirthschaftliche  Tüchtigkeit 
kluge  Familenverbindungen ,  königliche  Gunst  und  Aemter 
konnten  nun  eine  Menge  Gemeinfreier  diesen  Adeligen  social 
gleichwerthig  machen;  und  so  erklärt  sich  der  neue  Gefolgs- 
und Gmndbesitzadel,  Antrustionen  und  Optimaten,  der  schon 
früh  bei  den  Franken  und  Alamannen  an  die  Stelle  d^  alten 
Stammesadels  tritt.  Was  also  diese  nobiles  auszeichnet  und 
ihnen  eine  besondere  sociale  Stellung  gibt,  das  ist  theils  der 
pei-sönliche  Einfluss,  den  sie  durch  den  König  immer  ausüben 
konnten,  theils  die  reiche  Verfügung  über  Grund  und  Boden, 
sowie  über  fremde  Arbeit,  welche  sie  besassen;  es  ist  mit 
einem  Worte  HeiTSchaft,  unmittelbar  über  wirthschaftliche 
und  sociale  Kräfte,  mittelbar  auch  auf  dem  politischen  Macht- 
gebiete. Der  Zahl  nach  waren  diese  Edlen  bei  allen  Stämmen 
wohl  gering  ^) ;  aber  indem  sie  die  Volkskraft  in  weitem 
Gnindbesitz  und  grossen  Mengen  dienender  Leute  vereinigten, 
galten  sie  doch  für  viele. 

Dagegen  lag  die  sociale  Bedeutung  der  Gemeinfreien  ge- 
rade in  ihrer  gi-ossen  Zahl.  Sie  bildeten  bei  weitem  die 
Hauptmasse  der  überhaupt  berechtigten  Bevölkenmg,  ja  für 


^)  Vgl.  Tacitus  Germ.  18:  Singulis  uxoribus  contenti  sunt,  exceptis 
admodum  paucis,  qui  .  .  .  ob  nobilitatem  plurimis  nuptiis  ambiuntur.  Die 
Cherusker  haben  durch  die  innern  Kriege  ihre  ganze  nobilitas  verloren^ 
Tac.  Ann.  XI,  16.  Die  ältere  Geschichte  der  saliscben  Franken  kennt  nur 
den -Adel,  der  auf  Verwandtechaft  mit  dem  königlichen  Geschlecht  be- 
ruht; s.  K.  Maurer,  Ueber  das  Wesen  des  ältesten  Adels  S.  100.  Waits. 
Verf.  Gesch.  II,  41. 


—    65    — 

die  ältere  Zeit  sogar  der  Bevölkerang  überhaupt.  In  ihnen 
lebte  und  bethätigte  sich  das  eigentliche  deutsche  Volksthum ; 
so  lange  der  Stand  der  Gemeinfreien  intact  blieb,  war  auch 
keine  wesentliche  Veränderung  in  dem  Grundcharakter  des- 
selben denkbar. 

Die  Stellung  des  einfach  Freien  in  der  socialen  Ordnung  war 
Dun  allerdings  eine  ganz  andre  als  die  des  Adaling.  Der 
Besitz  des  Gemeinfreien  war  unbedeutend;  selbst  die  als 
rachinburgi,  mediani  etc.  benannten  freien  Grundbesitzer  ver- 
fügten sicherlich  in  der  Hauptsache  weder  über  beträchtliches 
Vermögen  noch  über  nennensweithe  fremde  Arbeitskräfte*). 
Aber  dennoch  war  ihre  wirthschaftliche  und  sociale  Position 
keine  schwache.  Sie  genossen  vor  Allem  das  Recht  und  die 
factische  Macht  einer  gänzlich  freien  Verfügung  über  ihr  6e- 
sitzthum  wie  über  ihren  Erwerb,  und  konnten  also  jede  Gunst 
der  Lage  und  Verhältnisse  benutzen;  sie  fanden  sodann  im 
Familien-  und  Genossenverbande  eine  Stütze  dieser  ihrer 
persönlichen  Freiheit  und  unbedingten  Rechtsfähigkeit  und 
waren  durch  diese  beiden  Momente  ebenso  vor  dem  Hinab- 
sinken in  die  Klasse  der  Liteü  und  Eigenleute  gesichert,  wie 
ihnen  das  sociale  und  wirthschaftliche  Emporkommen  möglich 
war.  Aber  eben  darin  lag  der  Keim  jener  starken  Differen- 
zirang  im  Schosse  dieser  Klasse  selbst,  welche  dann  minde- 
stens ebenso  dazu  beigetragen  hat,  die  wirthschaftlich 
schwächeren  und  untüchtigeren  herabzudiUcken,  als  die  Locke- 
nmg  und  Verflüchtigung  der  alten  Geschlechtsgenossenschaft 
zur  blossen  Markgenossenschaft  diesen  Vorgang  begünstigte. 

So  entstand  schon  frühzeitig  der  Unterschied  der  besitzen, 
den  und   der  nichtbesitzenden  Freien,   für   welche   es  bald 


^)  Die  1.  Bajuv.  nimmt  an  mehreren  stellen  aaf  sehr  gering  bemittelte 
Freie  R&cksicht;  tit.  17,  2  muss  ein  Freier,  der  in  einem  bestimmten  Falle 
ZeagBchaft  leisten  will,  nicht  bloss  commarcanus  sein,  sondern  auch 
t>  solid,  und  einen  Acker,  gleich  dem  streitigen  Grundstück,  besitzen,  was 
2ko  durchaus  nicht  aUgemein  angenommen  werden  konnte;  tit  9  c.  19 
vernrtheilt  einen  Freien,  der  einen  fremden  servus  ungerecht  angeklagt 
bat,  selbst  zur  Leibeigenschaft,  wenn  er  nicht  einen  servus  oder  dessen 
Compositxon  besitzt,  die  er  dem  Herrn  jenes  servus  geben  könnte.  Vgl. 
i.  A.  3.  Absch. 

▼  on  Isama-Sternegg,  WirthBcliaftsgeyebiclite.    I.  5 


-    66    — 

keinen  gemeinsamen  socialen  Boden  mehr  gab,  und  es  ist 
nicht  zu  wundem,  wie  dann  die  Letzteren  rasch  in  die  Klasse 
der  Unfreien  herabgedi-ückt  waren. 

Bei  dem  Verhältnisse  der  hörigen  Leute,  der  Liten  und 
Freigelassnen ,  ist  das  social  Unterscheidende  gegenüber  den 
Freien  in  der  Gebundenheit  ihrer  Wirthschaft  zu  sehen.    Sie 
waren  zwar  auch  persönlich  der  herrschaftlichen  Organisation 
eingefügt,  aber  diese  Unterordnung  war  doch  nur  ein  Ver- 
hältniss  des  Gehorsams  ^),  nicht  des  Eigenthums.    Sie  mussten 
der  Hen*schaft  pei'sönliche  Dienste  leisten,  so  lange  sie  in 
deren  Wirthschaitsverbande   waren;   aber  sie  konnten  doch 
ausserdem  einen  selbständigen  Willen  geltend  machen,  da  sie 
Volksrecht  hatten.    In  der  Verfügung  über  das  Gut,  das  sie 
vom  Hen*n  hatten,  wai*en  sie  aber  wie  Unfreie,  und  verfügten 
also,   soweit  sich  ihr  Besitz  darauf  beschränkte,  über  kein 
Eigenthum,  und   damit  fehlte  ihnen  auch  ein  selbständiges 
Feld  ihrer  Wirksamkeit^);  auch  konnten  sie  nicht,  wie  der 
Freie,   durch  ZuiUckstellung  des  Gutes  an  den  Herrn  sich 
wirthschaftliche  Freiheit  wieder  erwerben,  sondern  entbehrten 
gänzlich  des  Rechts  der  Freizügigkeit  ^).  Aber  daneben  konnten 
sie  eignes  Vermögen  haben  und  sich  mit  diesem  eine  social 
selbständige  Stellung  eiiingen.     Besitzlosen  Freien,   welche 
ein  Beneficium  von  einem  Herrn  annahmen,  standen  sie  also 
social  sehr  nahe,  besonders  seit  das  Seniorat  die  freien  Hinter- 
sassen auch  persönlich  mit  dem  HeiTn  verband  und  damit 


^)  Daher  die  1.  Sazon.  18  sogar  den  Fall  in's  Auge  fasst,  dass  etn 
litus  per  iussom  vel  consilium  domini  sui  bomioem  occiderit. 

>)  S.  Roth,  Benef.  Wesen  374. 

*)  Darauf  bezieht  sich  offenbar  Gapit  Chilper.  c.  8  (LL.  n,  12) :  Si 
quis  ingenuus  cum  senro  alieno  nesciente  domino  ncgotiaverit,  aut  cum 
liberto  in  villa  nesdente  domino  negotiaverit.  In  die  Volksrechte  (L  Sal. 
27,  26,  1.  Rip.  74)  ist  diese  Bestimmung  über  die  liberti  nicht  übergegangen, 
vgl  u.  S.  68  Anm.  4.  Auch  1.  Sax.  c  50 :  Quicquid  servus  aut  litus,  iobente 
domino  peipetraverit,  dominus  emendet,  wozu  der  Gregensatz  c  51:  Si 
servus  scelus  quodlibet  nesciente  domino  commiserit  .  .  dominus  eios  pro 
illo  mulctam  componat  zeigt,  dass  der  litus  nur  im  Dienste  des  Hemi,  der 
servus  allgemein  unselbständig  war. 


-    67    — 

ihre  Freizügigkeit  schmälerte  ^).  Es  erklärt  sich  daraus,  dass 
diese  beiden  Klassen  auch,  oft  gemeinsame  Sache  gegen  die 
Edlen  machen  *). 

Auch  das  Verhältniss  der  Eigenleute  stellt  sich  vielfach 
andere  dar,  wenn  wir  neben  der  Rechtsordnung,  die  dasselbe 
bestimmt,  auch  die  sociale  Lage  betrachten,  in  der  die  Leib- 
eignen sich  befanden ').  Wohl  gehörten  sie  mit  Leib  und  mit 
Gut  *)  ihrem  Henn  zu,  der  über  sie  verfügte  wie  über  seinen 
Viehstand  ^);  wohl  hatten  sie  kein  Volksrecht,  also  keine 
Persönlichkeit  und  straflos  konnte  der  Hen*  sie  züchtigen^) 
und  selbst  tödten  ^).    Wohl  entbehrten  sie  auch  aller  Selbst- 


^)  Seit  dem  8.  Jahrhunderte  wurde  das  Seniorat  in  seinen  allgemeinen 
Grondzagen  auch  auf  die  freien  Hintersassen  ausgedehnt.  Roth,  Benef. 
Wesen  875.  Aber  erst  in  der  folgenden  Periode  fand  dieses  Institut  ^eine 
ToUe  Ausbildung,  s.  II.  Buch  2.  Abschn. 

*)  S.  Nidhardt  IV,  2  u.  IL  Buch  2.  Abschn. 

')  Das  betonen  schon  Walter,  Bechtsgeschichte  II,  §  886.  Waitz, 
Yerfassungsgeschichte  II,  168. 

*)  Auch  mit  ihrem  pecuUum;  vgl  1.  Beg.  XYI,  c.  6:  Si  quis  senrum 
saom  Tendiderit,  forsitan  eins  nesciens  facultates  quas  habebat,  dominus 
dos  potestatem  habeat,  qui  eum  vendiderit,  requirendi  res  eius  ubicunque 
inTenire  potuerit.  c  7:  Si  quis  servus  de  peculio  suo  fiierit  redemptus 
et  hoc  dominus  eius  forte  nesderit,  de  domini  potestate  non  exeat,  quia 
non  pretium,  sed  res  servi  sui,  dum  ignorat,  accepit 

^)  L.  SaL  X,  1 :  Si  quis  servo  aut  caballo  yel  jumentum  furaverit 
Ib.  XLVn,  1 :  Si  quis  servum  aut  caballum  vel  bovem  aut  qualibet  rem 
super  alterum  agnoverit.  L.  Alam.  XG:  Si  quis  res  suas  post  alium 
hominem  invenerit,  .  .  aut  mandpia  aut  pecus  etc.  L.  B%j.  XV,  1 :  Si 
qois  Tendiderit  res  alienas  . .  aut  senrum  aut  ancillam  aut  qualemcumque 
rem.  L.  Fris.  II,  11  (add.  Wulem.):  Si  quis  serruih  aut  ancillam,  cabal- 
lum, bovem,  crem  etc.  Tel  qnodcumqne  homo  ad  usum  necessarium  in 
potestale  habuerit  .  .  .  alii  ad  auferendum  exposuerit  L.  Fris.  Add. 
Sapient  tit.  7 :  Si  senrus  aut  ancilla  aut  equus  aut  bos  aut  quodlibet 
uumal,  fngiens  dominum  suum  ab  alio  fiierit  receptum. 

*)  Marcolf  torm.  app.  16:  Ut  quicquid  de  mandpia  tua  originalia 
vestra  fitdtis,  tam  Tendendi,  conmiutandi  et  disdplinam  imponendi,  ita  es 
de  me  .  .  .  potestatem  faciendi  habeas.  L.  Alam.  38,  2:  Si  quis  senrut 
in  hoc  Tido  inTentos  fuerit,  vapuletur  fustibus. 

^  Wenigstens  in  ältester  Zeit;  Tacitus  Germ.  25:  Yerberare  serTum, 
M  Tinculis  et  opere  coercere  ramm;  occidere  solent  non  disdplina  et 
sereritate,  sed  impetu  et  ira,  ut  inimicum;  nisi  quod  impune.    FrOhzeitig 

5* 


1 


-    68    — 

ständigkeit  der  Familie;  der  Herr  verfQgte  über  die  Ehe- 
Schliessung^)  und  ttber  die  Kinder,  als  wenn  es  sich  um  An- 
gelegenheiten der  Züchtung  gehandelt  hätte.  Aber  doch  rechnete 
man  die  Leibeignen  zur  Familie  des  Herrn  und  anerkannte 
damit  factisch  die  wichtigste  Seite  ihrer  Menschlichkeit.  Denn 
in  ihr  genossen  sie  auch  allen  Schutz  nach  aussen,  den  diese 
bot;  eine  gesicherte  und  geordnete  Existenz  wai*d  ihnen  dafbr 
zu  Theil,  dass  ihr  ganzes  Dasein  der  Familie  gehörte.  Mit 
den  Kindeiii  des  Herrn  wuchsen  auch  die  Leibeignenkinder 
auf^;  Nahrung  und  Pflege  fehlte  nie:  und  auch  allen  andern 
Kreisen  des  Volks  gegenüber  vertrat  sie  des  HeiTen  Macht 
und  deckte  ihre  Handlungen  mit  eigner  Verantwortlichkeit'). 
Die  Beschränkung  der  pei*sönlichen  Freiheit  war  also  voll- 
ständig; die  Leibeignen  ganz  fremder  Wirthschaft  dienstbar, 
wenn  sie  am  Hen-enhofe  waren,  und  es  fehlte  selbst  die  Mög- 
lichkeit durch  eigne  Thätigkeit  eine  Besserung  dieses  Za- 
standes  herbeizuführen  ^) ;  aber  die  Existenz  war  gesichert 
und  bessere  Behandlung,  besondre  Gunst  des  Henn  konnte 

wendet  sich  dagegen  die  christliche  Anschaniiog:  Gonc.  Epaonenae  517 
c.  84  (fiiansi  YIII,  568) :  Si  qväs  servum  proprium  sine  conscientia  jadidi 
occiderity  excommomcatione  biennii  effusionem  sanguinis  expiabit. 

^)  L.  Sal.  25,  9:  si  senrus  andUa  aliena  invita  traxerit  L.  Sal«  eo. 
29,  6:  Si  servns  ancillam  alienam  extra  voluntate  domini  sni  sibi  adcon- 
jagium  eopnbiverit  8.  a.  Grimm,  Rechtsalterih.  879  ff.  Walter,  Redits- 
geschichte  II,  §  894.    Weinhold,  Frauen  8.  194  f. 

*)  Schon  Tadtus  Germ.  20:  Dominum  ac  servum  nunis  edocationis 
deliciis  dignoscas,  inter  eadem  pecora,  in  eadem  humo  degnnt,  donec 
aetas  separet  ingenuos,  rirtus  agnoscat 

')  L.  Thuring.  58:  quod  serrus  fecerit,  dominus  emendet  57:  Si 
serras  liberam  foeminam  rapuerit,  dominus  eompositionem  solvat  L.  Saxon. 
c  50—68. 

*)  Ohne  Zustimmung  des  Herrn  durfte  sich  der  senrus  in  kein  Geschftft 
mit  einem  andern  einlassen.  L.  Sal.  27,  26:  Si  quis  cum  senro  alieno 
aliqnid  negutiayerit,  hoc  est  nesciente  domino.  L.  lUp.  74:  Hoc  aotem 
constituimus,  ut  nnUus  cum  servo  alieno  negotium  fiMaat  Es  iat  hier 
unwesentlich,  ob  diese  Bestimmung  ältestes  Recht  oder  erst  auf  Gq>it 
Chilper.  c.  8  (LL.  II,  12) :  De  eo  qui  cum  serro  alieno  negotiaverit,  zmrQck* 
£u{ühren  ist  Vgl.  Waitz,  Altes  Recht  8.  22  f.  Sohm,  Zeitsch.  f.  Rechts- 
gesch.  V,  451.    Vgl.  auch  1.  Baj.  XVI,  8. 


—    69    — 

der  Leibeigne  immerhin  gewinnen,  wenn  er  sich  zu  höherer 
Dienstleistung  besonders  qualificirte;  er  konnte  wenigstens  in 
grossen  Herrschaften  sich  zum  Ministerialen  erheben  und 
damit  Grund  zu  eignem  Vermögen  legen,  das  ihm  später 
bei  Freilassung  oder  Antritt  eines  Amtes  zu  Gute  kommen 
konnte  ^). 

Die  grosse  Masse  der  Leibeignen  blieb  aber  doch  mit 
dieser  Unfreiheit  auch  in  einem  Zustande  grosser  Dürftigkeit 
verharren ;  über  die  drängendsten  Nahrungssorgen  zwar  durch 
die  Vei-pflichtungen ,  wohl  auch  durch  das  Interesse  ihres 
Hen-en  hinweggehoben,  aber  dadurch  auch  unfähig  zur  Er- 
hebung über  diesen  Zustand  durch  eigne  Tüchtigkeit  und 
Thatkraft,  an  Foi-tschritt  und  Verbesserung  des  landwirth- 
schaftlichen  Betriebs  nicht  pei*sönlich  interessirt,  waren  sie 
solchem  Streben  auch  nicht  zugänglich;  und  daraus  ergab 
sich  dann  auch  jenes  Beharren  in  primitiven  Zuständen  der 
nationalen  Production,  das  so  lange  dauerte,  als  dieser  Klasse 
überwiegend  die  Pflege  des  Landbaues  auf  den  grösseren 
Gütern  anvertraut  war  und  noch  nicht  intelligente  thatkräftige 
Grossgi-undbesitzer  neue  Ideen  und  neuen  Schwung  in  die 
Wirthschaft  des  Volkes  brachten.  Uebten  sie  aber  diese 
WiiUischaft  auf  dienenden  Hufen  und  Mausen  aus,  welche 
ihnen  gegen  Zins  und  Dienstleistung  auf  dem  Herrenhofe 
übertragen  waren,  so  standen  sie  begi-eiflicherweise  weit 
unabhängiger,  als  wenn  sie  als  Hausgesinde  die  Arbeitskräfte 
für  den  Eigenbetrieb  der  herrschaftlichen  Wirthschaft  bildeten. 
Daher  sind  jene,  die  servi  i.  e.  S.  vielfach  nicht  mehr  von 
den  Liten  zu  unterscheiden,  wo  nicht  Rechtsfragen  ihres 
Personalstatus  auftraten*),  während  sie  sich  immer  mehr  von 
dem  Lose  der  eigentlichen  mancipia  entfernten. 

Diese  Erhebung  eines  Theils  der  Eigenleute  gewann  immer 
grössere  Dimensionen,  je  mehr  heiTSchaftliche  Wirthschaften 

^)  S.  a.  4.  Abschn. 

')  Zahlreich  sind  insbesondre  die  vermögensrechtlichen  Bestimmungen 
der  Volksrechte,  welche  die  servi  den  liti  gleichstellen.  Z.  B.  1.  Fris. 
XX,  3;  vgl  XI,  1:  in  s^tiom  litL  L.  Saxon.  c  50.  Capit.  Chilper. 
c  8  LL.  n,  12. 


—    70    — 

entstanden,  welche  ihren  Schwerpunkt  eben  in  den  Zins- 
ländereien  ihrer  Leibeignen  hatten ;  und  das  war  insbesondere 
bei  den  Elosterwirthschalten  der  Fall^  während  die  welUichen 
Grundhenn  im  Grossen  und  Ganzen  auf  viele  Mancipien 
Werth  legten  und  das  Golonatsverhältniss  nie  so  weit  aus- 
bildeten'). Eine  frühzeitige  Erleichterung  der  alten  Leib- 
eigenschaft ist  unverkennbar  gerade  diesem  Umstände  zu 
verdanken. 

Der  Zahl*)  nach  sind  am  Schlüsse  der  Völkerwanderung 
sicherlich  weder  die  Liten  noch  die  Leibeignen  bedeutend. 
Beide  Klassen  kommen  in  der  Hauptsache  nur  bei  grossen 
Ginindhenn ') ,  bei  den  Königen,  Fürsten  und  Optimaten, 
sowie  bald  bei  Kirchen  und  Klöstein  in  grösserer  Anzahl  vor. 
Nun  sind  aber  solche  in  dieser  Zeit  selbst  noch  selten;  und 
auch  der  ungeheure  Abstand  des  Besitzthums,  wie  er  sich 
später  ausbildet,  war  in  Deutschland  noch  nicht  vorhanden; 
die  socialen  Zustände  der  Deutschen  rechts  des  Rheins  waren 
noch  im  ausgeprägtesten  Gegensatz  zu  denjenigen  des  frän- 
kischen Westreichs.  Ja  bei  der  besonders  starken  Nachfrage, 
welche  das  schon  durchaus  hen*schaftlich  organisirte  Gallien 
in  deutschen  Landen  nach  Leibeignen  unterhielt^),  während 


^)  S.  meine  „Ansbildimg  der  grossen  Grandherrschaften"  S.  75  t 

>)  Stftlin,  Wurttemb.  Geschichte  I,  204  hält  die  Liten  schon  in  dieser 
Zeit  fÜLr  einen  ansehnlichen  Bestandtheil  der  Einwohner;  I,  227  nimmt  er 
an,  dass  die  Zahl  der  Knechte  und  Leibeignen  beträchtlich  grösser  als 
die  Freien  gewesen  sei.  Aehnlich  anch  Grimm,  Rechtsalterth.  881  nnd 
Banmstark,  ürdcntsche  Staatsalterth&mer  S.  811.  Noch  flbertriebner 
Wirth,  Dentsche  Geschichte  I,  S.  70  ff.  108  ff.  gegen  den  sich  schon 
Waitz,  Verf.  Gesch.  I,  184  wendet  Wesentlich  getrabt  wurde  das  Urtheil 
über  das  numerische  Verhftltniss  der  Volksklassen  in  Deutschland  dadurch, 
dass  zwischen  den  Zuständen  in  Neuster  und  Auster  nie  genau  unter- 
schieden wurde,  während  doch  gerade  an  diesem  Punkte  der  Gegensatz 
sehr  auffällig  ist.  Im  gallischen  Frankenreiche  kommen  allerdings  sdir 
grosse  Massen  von  Leibeignen  schon  frühzeitig  vor:  vgl.  Gu^rard  polypt 
de  TAbb^  Irminon  I,  858.    FOr  die  Merowingerzeit  Waitz,  V.  G.  11,  168. 

")  Chlotach.  11  decr.  595  (LL.  I,  12)  c.  4:  Si  quis  de  potentioribns 
pro  suo  servo  admoniatur,  ut  per  diversa  possedent  loca. 

*)  Hierher  gehört  vielleicht  auch  1.  Burg.  56:  de  servis  in  Alamannia 
comparatis. 


—    71    — 

ein  Expoit  nach  Deutsehland  so  gut  wie  gar  nicht  stattfand, 
wird  die  Zahl  derselben  eher  vermindert  als  vei-mehrt  worden 
sein.  Dagegen  blieben  nun  allerdings  die  alten  Gkründe  be- 
stehen, aus  denen  Unfreiheit  entstand;  die  Unterwerfung  im 
Kriege  ^),  die  Heiratb  mit  Unfreien  ^),  die  gewaltsame  Knech- 
tung von  Freien »),  die  Unterwei-fung  zur  Strafe  *)  mochten  die 
durch  Verkauf  von  Unfr'eien  ausser  Landes  gelichteten  Reihen 
der  Leibeignen  wieder  ausfüllen,  und,  nachdem  mehrfache 
Ausfuhrverbote  erlassen  waren  *),  sogar  vermehren.  Aber  ei-st 
die  folgende  Periode  kennt  jeue  massenhafte  Ergebung  von 
Fi-eien  in  servitium,  welche  die  ständischen  Verhältnisse  so 
grQndlich  umgestaltet  und  zur  raschen  Ausbildung  der  grossen 
Grundherrschaften  wesentlich  beigetragen  hat. 

An  eine  grosse  Gesammtsumme  der  Leibeignen  kann  also 
in  dieser  Zeit  noch  nicht  gedacht  werden.  Und  damit  ist 
auch  der  Gedanke  ausgeschlossen,  dass  von  ihrem  wirthschaft- 


^)  L.  Baj.  XYI,  11:  Istud  mancipimn  ego  prehendi  extra  terminum, 
ubi  dux  exerdtum  dnxit  Doch  ist  diese  Art  der  Leibeigenschaft  unter 
Deutschen  bereits  selten  geworden,  und  mehr  nur  gegen  Slaven  angewendet. 
Eichhorn  §  196. 

^  L.  Sal.  Xni,  8:  Si  vero  ingenua  pueUa  .  .  servum  secuta  fuerit, 
ingenuitatem  suam  perdat  Ib.  9:  Ingenuus  si  anciUa  aliena  prisserit, 
similia  padatur.  L.  Rip.  58,  15:  Si  Ripuarius  ancillam  Ripuarii  in 
matrimonium  acceperit,  ipse  cum  ea  in  servitio  perseveret.  Ib.  16:  Si- 
militer  et  si  Ripuaria  hoc  fecerit,  ipsa  et  generatio  eins  in  servitio  perse- 
verent.  L.  Alam.  18,  1:  Si  ancilla  libera  dimissa  fuerit  .  .  et  post  haec 
Bcrvo  Ecdesiae  nupserit,  andlla  ecdesiae  permaneat  Ib.  3:  Si  autem 
(libera  Alamanna)  ibi  filios  vel  filias  generaverit,  ipsi  servi  et  andllae 
permaneant,  et  potestatem  exeundi  non  habeant 

')  L  Thuring.  7,  5 :  Qui  hominem  liberum  infra  patriam  vendiderit . . . 
Qni  liberum  extra  solum  vendiderit  L.  Alam.  46:  Si  quis  liber  liberum 
extra  terminos  vendiderit.  47:  Si  quis  feminam  liberam  extra  marcham 
vendiderit  48:  Si  quis  liber  liberum  infra  provinciam  vendiderit  L.  Biguv. 
XYI,  5:  AI.  1  Si  quis  ingenuum  vendiderit  ...  AI.  8  Et  si  eum  vel  illam 
foris  provincia  vendiderit  et  iterum  reduccre  non  potuerit 

*)  Wegen  Sonntagsentheiligung  L.  Alam.  38,  5.  L.  Big.  App.  1  (LL. 
III,  385).  Heirath  mit  zu  nahen  Verwandten  L.  Alam.  39,  3.  L.  B%). 
YII,  8.    Wegen  Zahlungsunfähigkeit  L.  Baj.  I,  10.  II,  1. 

^)  Vgl.  oben  Anm.  3. 


—    72    — 

liehen  Verhalten  die  ganze  nationale  Betriebsamkeit  ihr  Ge- 
präge erhalten  habe. 

Der  Schwerpunkt  des  socialen  Lebens  der  Deutschen 
ruhte  also  am  Schlüsse  der  Völkerwandemng  und  wohl  noch 
lange  Zeit  darnach  auf  dem  breiten  Mittelstande  der  Gemein- 
freien, die  mit  kleinem  aber  unabhängigem  Grundbesitz  weit 
verbreitet  in  den  Gauen  und  Centenen  umher  wohnten.  Eine 
gewisse  Stütze  fand  jeder  Einzelne  wohl  in  der  gi'ossen  Gleich- 
artigkeit der  ökonomischen,  gesellschaftlichen  und  i-echtUchen 
Lage;  aber  eine  weitgehende  Isolirung  der  Einzelnen  wurde 
doch  durch  diese  von  jeder  Herrschaft  freie  Selbständigkeit 
und  Ungebundenheit,  wie  durch  ein  weitverbi-eitetes  Einzel- 
wohnen herbeigeführt. 

Da  waren  denn  die  Familie  und  die  Genossenschaft  des 
Geschlechts  die  einzigen  Haltepunkte,  in  denen  sich  diese 
Einzelexistenzen  zu  einem  gemeinsamen  Schulz  wie  zu  ge- 
meinsamer Wirksamkeit  für  grössere  wirthschaftliche  und  sociale 
Ziele  zusammenfanden,  wo  eine  sociale  Ordnung  und  Organi- 
sation bestand,  ohne  die  hochgehaltene  persönliche  Freiheit 
erheblich  zu  beschränken. 

Die  natürliche  Gliederung  des  Volkes  nach  Familien,  die 
sich  bei  den  Deutschen  immer  so  mächtig  erwiesen,  die  selbst 
in  der  Wanderzeit  des  Volkes  der  Heeresordnung  ihren  Cha- 
rakter aufgeprägt  hatte  ^),  verlor  natürlich  auch  nicht  so  schnell 
nach  der  festen  Ansiedelung  der  Deutschen  ihre  Bedeutung  *). 

^)  Gaes.  b.  6.  I,  51:  Germani  saas  copias  e  castriB  edoxeront,  gene- 
ratimqae  conBtitaerunt  Tac.  Genn.  c.  7:  non  casus  nee  fortoita  eon- 
globatio  tormam  aat  coneum  hclt^  sed  familiae  et  propinquitates.  Pact 
Alam.  II,  48:  Si  lituB  faerit  in  ecclesia  aat  in  heris  generationes  dimissos. 
Anch  bei  Bargundern  and  Langobarden  hat  die  üeora  (Geschlecht)  eine 
Beziehung  auf  die  Heeresorganisation;  I.  Borg.  GYII,  11:  De  RomaaiB 
yero  hoc  ordinavirnas,  at  non  amplias  a  Borgandionibas  qni  in  fara  vene- 
rant,  requiratar,  quam  ad  praesens  necessitas  fiierit,  medietas  terrae  So 
übernahm  anch  Gisulf,  der  Neffe  des  LangobardenkOnigs  Alboin,  die  ihm 
angetragne  Bewachung  der  julischen  Gebirgsp&sse  nur,  nisi  ei  quas  ipse 
eligere  voluisset  Langobardorum  fEuras,  hoc  est  generationes  vel  Itneaa, 
tribueret    Paul  Diac.  II,  9. 

^)  Waitz,  Verfassungsgeschichte  I,  50. 


—    73     - 

AUe  Glieder  der  Familie  sind  ja  nach  alt  deutscher  Anschau- 
ung auf  das  Festeste  zusammengehalten  durch  das  gemeinsame 
Mundium,  den  Familienschutz,  dessen  Träger  das  Oberhaupt 
der  Familie  war.  Auf  diesem  beruhten  seine  Hen*schafts- 
rechte  über  alle  Angehörigen,  auf  ihm  auch  alle  Pflichten  der 
Familie  gegen  dieselben,  fbr  deren  Einhaltung  das  Haupt  zu 
sorgen  hatte. 

So  konnte  sich  zunächst  schon  jeder,  der  eine  Familie 
hatte,  in  Leib  und  Leben  durch  dieselbe  geschützt  wissen; 
die  Verwandten  rächten  seinen  Mord,  oder  erhoben  wenigstens 
nach  späterer,  mildei'er  Auffassung  von  dem  Mörder  das  Wer- 
geid des  Erschlagenen^). 

Auch  sicherte  es  erheblich  die  Einzelexistenz,  dass  die 
Mitglieder  der  Familie  verpflichtet  waren,  unter  sich  Frieden 
zu  halten*),  und  einander  vor  Gericht  zu  vertreten^),  wie 
gegenseitig  für  sich  zu  haften;  selbst  für  die  Zahlung  eines 
verfallnen  Wergeides  kam  subsidiär  wenigstens  die  Familie  des 
Schuldigen  auf*). 

Dieser  weitgehende  Schutz,  welchen  die  Familie  den  Ein- 
zelnen gewährte,  wurde  dadurch  noch  bedeutend  weithvoller, 
dass   er    sich    auf   viele  Verwandtschaftsgrade   erstreckte^); 


0  Schon  Tadt  Genn.  21:  Snscipere  tarn  iniinicitias  seu  patris  seu 
propinqui  quam  amidtias  necesse  est.  Nee  implacabiles  durant:  loitur 
enim  et  homiddiam  certo  armentorum  ac  pecorum  numero,  recipitque 
s&tisfactionem  univena  domus.  Regino  disdpl.  ecd.  II,  5:  Homiddia, 
qoi  bominem  ....  pro  vindicta  parentnm,  quod  faidam  didmas,  ocdderit. 
L.  Tburing.  VI,  5:  Ad  qneincanque  hereditas  terrae  pervenerit,  ad  illam . . . 
et  nltio  proximi.  lieber  den  Wergeldbezag  der  Verwandten  1.  Rip.  67,  1 
Qaicnnqae  de  parentibos  suis,  quantum  unns  solidii^  valet,  in  hereditatem 
acceperit  yd  cni  weregildns  eins,  si  interfectus  fuisset,  legitime  obveniebat. 
L.  Alam.  46,  2:  com  weregildo  eum  parentibus  soWat.  69,  1:  Si  quis 
wtem  Über  liberum  ocdderit,  componat  eum  bis  80  soiidis  filÜA  suis. 

*)  Sippe  selbst  bedeutet  Friede,  Freundschaft.  Grimm,  Rechtsalterth. 
S.  467. 

')  L.  Sal.  60,  1 :  De  eum  qui  se  de  parentilla  tollere  vult  L.  Biy. 
7,  15:  cum  12  sacramentalibus  iuret  de  suo  genere  nominatis. 

*)  L.  Sal.  58  de  chrenecruda.  Childeb.  11  decretio  596  c.  5.  L.  Sax.  c  19. 

*)  L.  Sal.  58:  Quod  si  iam  pater  et  fratres  solserunt,  tunc  super  suos 
filios  debet  illa  terra  iactare,  id  est  super  tres  de  generatione  matris  et 


—    74    — 

theilweise  wenigstens  ist  ein  solch  inniger  Zusammenhalt  bis 
zum  5.,  theilweise  sogar  bis  zum  7.  Grade  gewahrt. 

Eine  weitere  Bedeutung  hatte  die  Familie  für  jeden  durch 
ihre  Beziehung  zu  Grund  und  Boden,  wodurch  sie  die  Wurzel 
jener  Temtorialyerbände  geworden  ist,  welche  uns  als  Mark- 
genossenschaften bekannt  sind.  Sicherlich  auch  bei  den  letzten 
definitiven  Ansiedelungen  hielten  die  Familien  zusammen  und 
bildeten  jede  fbr  sich  eine  wirthschaftliche  Einheit,  aus  der  sich 
dann  erst  langsam  und  allmählich  eine  Genossenschaft  an  der 
gemeinen  Mark  bildete,  als  durch  Theilung,  Tausch  und  Kauf 
und  durch  Erbgang  dieser  ältere  Verband  gelockert  war. 

Aber  lange  blieb  diese  familienhafte  Struktur  der  Mark- 
genossenschaft bestehen  und  tritt  ausgeprägt  in  den  ältesten 
Zeugnissen  ihres  Lebens  hervor.  Im  alamannischen  Volks- 
rechte sind  die  wenigen  Stellen,  welche  mit  der  Markgenossen- 
schaft in  Verbindung  gebracht  werden  können,  von  Geschlechts- 
besitz  und  Geschlechtsgemarkung  zu  verstehen;  und  zwar 
handelt  es  sich  um  feste  tenitoriale  Verbände,  nicht  bloss 
um  irgend  welchen  Einzelbesitz  der  engei*en  Familie^).  Als 
nächst  höherer  Verband  ist  hier  nicht  eine  die  Genealogien 
in  sich  begi*eifende  Markgenossenschaft,  sondern  ein  Gau  oder 
doch  eine  Hundertschaft  vorhanden.  Auch  nach  dem  salischen 
Volksrechte  *)  findet  die  Lossagung  von  der  Familie  nicht  vor 

Buper  tres  de  gen^ratione  patris  qni  prozimiores  sunt  Es  handelt  ekh 
um  Zahlung  einer  Wergeldschuld  durch  die  Verwandten.  L.  SaL  47,  9 
parentilla  usque  ad  sextum  genudum.  L.  Rip.  56,  3  usque  ad  qaintom 
genuclum.  L.  Thur.  6,  8:  usque  ad  quintam  generationem.  L.  Big.  15, 
10:  usque  ad  septimum  gradum  de  propinqnis.  Vgl.  Grimm,  R.  A.  46& 
WaitE,  Verf.  Gesch.  I,  75. 

^)  L.  Alam.  tit.  45,  2  die  pares  (Verwandten),  welche  einen  Erschla- 
genen rächen  wollen,  mittunt  in  ?icinio  et  congregant  pares.  tit.  87:  Si 
qua  contentio  orta  fuerit  inter  duas  genealogias  de  termino  terrae  eonua 
et  unus  dicit:  Hie  est  noster  terminus,  alius  reyadit  in  alium  locum  et 
didt:  hie  est  noster  terminus,  ibi  praesens  sit  comes  de  plebe  illa;  der 
Process  wird  Yor  dem  Grafen  geführt.  Merkel  zu  dieser  SteUe  LL.  III,  76 
erblickt  darin  geradezu  die  Markgenossenschaft;  dagegen  schon  Waits;, 
I,  76.    Vgl.  audi  Gierke,  Genossenschaft  I,  61. 

^)  L.  Salica  tit  60  De  eum  qui  se  de  parentilla  tollere  vult  In  maUo 
ante  thunginum  ambulare  debet 


-    75    — 

irgend  einer  markgenossenschaftlichen  Obrigkeit,  sondern  vor 
dem  thunginus  statt ,  der  Voi-steher  der  Hundertschaft  ist. 
Das  Geschlecht  scheint  also  auch  hier  die  unter  der  Centene 
stehende  sociale  Ordnung  zu  sein. 

Auch  andre  quellenmässige  iAnhaltspunkte  gibt  es  genug, 
welche  zeigen,  dass  innerhalb  der  Hundeilschaft ,  als  der 
untersten  politischen  Gliederung  des  Volkes  sich  der  längst 
vorhandene  Geschlechtsverband  zu  einem  eignen  Organismus 
von  speciell  socialer  Bedeutung  spontan  entwickelte^),  ^^^ 
auch  lange  Zeit  an  einer  Gemeinsamkeit  des  Grundbesitzes, 
speciell  der  Markgründe  festhielt*). 

Die  Lebensäusserungen  dieser  Gemeinschaft  der  ältesten 
Markgenossen  sind  daher  auch  vornehmlich  familienhafte  : 
Sicherung  und  Vertheidigung  des  Familienbesitzes  (der  Mark), 
gemeinschaftliche  Nutzung  dessen,  was  der  Einzelne  nicht  für 
sich  beduifte,  Vicinenerbrecht  3)  und  Zustimmung  zu  Ver- 
äussei-ungen  und   Status  Veränderungen;    nie   aber   politische 

')  In  der  L  Burg.  54,  2,  3  und  107,  11  (LL.  III,  558,  577)  sind  es 
geradezu  iaramanni,  Geschlechtsgenossen,  welche  Land  begehren.  Auch 
die  häufig  statt  vicini  gebrauchten  Ausdrücke  contribules  (consanguinei, 
quasi  ex  eadem  tribu,  parentes  61.  Paris.  IX  sec.  Merkel,  1.  AI.  LL.  III, 
76),  consortes  (Tr.  Sang.  809  I,  199  una  silva  et  pratum  cafr.  5,  quod 
com  consortibus  meis  adhuc  in  commune  visa  sum  possidere)  und  pares 
(1.  Alam.  45,  2  s.  o.  Anm.  1 S.  74.  Tr.  Sang.  797 1, 144)  zeigen  in  ihrer  Ver- 
bindung mit  dem  Örtlichen  Zusammenhalt  der  Bevölkering  die  grund- 
legende Bedeutung  des  Geschlechts  für  die  späteren  Gemeindeverhältnisse. 

')  Brev.  not  Salzb.  ed  Keinz  VII,  3:  Madelhelmus  quidam  yir  nobilis 
cum  caeteris  rebus  suis  portionem  venationis  suae  ad  istam  dei  ecclesiam 
inxta  ripam,  quae  Yocatur  Albina,  hanc  esse  communem  cum  coheredibus 
suis.  Mdchelb.  Ib,  848  ä.  816:  pratas  communes  sicut  alii  coheredes 
eios  habent,  partem  silvae  simul  etiam  aquarum  cursum.  VgL  die  Stellen 
bei  Merkel  zur  1.  Baj.  III,  393. 

')  Vgl.  die  Yielbesprochne  Stelle  aus  dem  ed.  Chilper.  c.  3  (LL.  II,  10): 
Simili  modo  placuit  atque  convenit,  ut  quicunque  vicinos  habens  aut  filios 
aat  filias  post  obitum  suum  superstitutus  fuerit,  quamdiu  filii  adyixerint 
terra  habeant,  sicut  et  lex  Salica  habet  Et  si  subito  filios  defuncti 
fiierint,  filia  simili  modo  accipiant  terras  ipsas  sicut  et  filii  si  vivi  fuissent 
ant  habnissent  Et  si  moritur,  frater  alter  superstitutus  fuerit,  fratres 
terras  accipiant,  non  vicini.    Vgl.  dazu  Gierke  in  Zeitsch.  f.  Rechtsgesch. 

xn,  8. 


N 


—    76    — 

Functionen,  wie  das  wohl  hätte  der  Fall  sein  müssen,  wenn 
die  Markgenossenschaft  eine,  wenn  auch  die  unterste  Orga- 
nisation der  öffentlichen  Gewalt  gewesen  wäre.  Gerichts- 
pflege und  Polizei  wird  immer  von  dem  Grafen  und  dem 
hunno  oder  judex  —  dem  Edfindertschaftsvorsteher  oder  Graf- 
schaftsrichter —  geübt*).  Die  Nachbarn  leisten  zwar  Zeug- 
schaft, aber  nur  als  Urkunds-  und  Auskunftspersonen  ^)t  wozu 
sie  wegen  ihrer  nachbarlichen  Beziehungen  am  besten  befähigt 
waren ;  eine  socialpolitische  Wirksamkeit  ist  darin  keineswegs 
gelegen^);  auch  die  Gerichtsversammlung  bilden  i-egelmässig 
die  Gaugenossen  ^). 

Am  auffallendsten  ist  aber,  dass  die  vicini  als  Mark- 
genossen nie  bei  Schenkungen  und  Traditionen  eine  Zustim- 
mung   aussprechen  ^).     Eine  Anfechtung    solcher  Gutsüber- 


^)  L.  Alam.  87,  s.  o.  S.  74  Anm.  1.  L.  Baj.  VII,  8  werden  Grenzstreitig- 
keiten vor  dem  comes  et  conventus  geschlichtet,  b.  a.  XVII,  6.  Aehnlich 
1.  AI  36,  2 :  in  mallo  ante  judicem  respondeat  vicino  suo.  Capit  Saxon. 
797  c  4.  Beispiele  aus  Urkunden  in  meiner  „Ausbildung  der  grossen 
Grundherrschaften  während  der  Karolingerzeit*^  S.  9. 

')  L.  Baj.  XIV,  17:  et  aliquis  de  vicinis  videat  hoc.  Tr.  Sang.  766 
I,  49  ante  pagenses.  Ib.  788  1, 117  ubi  vicinos  supra  dnxi.  L.  Baj.  XII,  3: 
yidnis  praesentibus  restituat  terminum  spricht  vielleicht  nur  von  Nachbarn, 
Benachbarten  im  engsten  Wortsinne.  Auch  Decr.  Tassil.  Niuh.  c.  8  (LL. 
III,  464).  Hieher  wird  es  wohl  auch  zu  steUen  sein,  wenn  Marculf  I.  34 
die  pagenses  für  einen  der  Ihrigen  beim  König  eintreten,  dass  er  ihm 
seinen  Besitz  durch  praeceptum  bestätige,  nachdem  er  seine  Urkunde  durch 
Krieg  verloren  habe. 

^)  Auch  die  vicini  des  Ed.  Chilp.  c.  9  sind  Mitglieder  der  Gerichts- 
gemeinde, nicht  der  Dorfgemeinde;  das  ante  vicinas  causam  suam  notam 
fetcere  ist  die  gerichtliche  Kundmachung  einer  zur  Execution  reifen  Sache 
vor  Einleitung  des  Executionsverfahrens ;  die  Stelle  hat  darnach  keinen 
Zusammenhang  mit  den  socialen  Functionen  der  Markgenossenschaft  wie 
Maurer,  Einleit.  170  und  früher  auch  Waitz  (Verf.  Gesch.  11,  1.  Aufl. 
S.  268  f.)  meinte     S.  Sohm,  Process  der  1.  Sal.  S.  206. 

*)  Tr.  Sang.  762  I,  36:  illi  pagesis  cumiatum  habeant  ib.  828,  I,  312: 
Vor  dem  Grafen  wird  mit  den  Leuten  des  Breisgau  eine  Kundschaft  ab- 
gehalten. Ib.  772  I,  65  ist  der  pagus  das  unterste  Gericht  Ib.  874  II,  385 
placito  habito  .  .  populoque  drcumquaque  congregato. 

^)  Auch  die  Stellen  bei  Meichelbeck,  bist.  Frising.  778  Ib,  50:  ad- 
stantibus  cunctis  finitimis  und  780  no.  59:   seu  vicini  eins  fideles  simul 


—    77    — 

tragungen  wird  wohl  von  den  heredes  und  coheredes,  aber 
nie  von  den  blossen  Gutsnachbam  oder  von  der  Markgenossen- 
schaft als  solcher  besorgt.  Und  doch  sollte  diese,  wenn  ihr 
Oberhaupt  eine  sociale  Function  zufiel,  am  ehesten  berufen 
gewesen  sein,  einer  beliebigen  Veräusserung ,  Vertheilung, 
Vertauschung  oder  sonstigen  Vei-ändeining  des  Gutsbestandes 
zu  steuern:  beinihte  ja  doch  nach  den  gangbaren  Vorstellungen 
über  die  sociale  Oi^anisation  der  Markgenossenschaft  die  be- 
hauptete sociale  Gleichheit  der  Markgenossen  wesentlich  auf 
den  Statusverhältnissen  und  dem  Ausmass  der  Güter! 

So  ist  es  denn  wohl  gestattet,  den  Gedanken  auszu- 
sprechen, dass  die  Familie,  wie  sie  die  Wurzel  des  mark- 
genossenschaftlichen Verbandes  war,  so  auch  noch  lange  Zeit 
massgebend  ft\r  die  Ausgestaltung  der  markgenossenschaft- 
lichen Verhältnisse  blieb.  In  dem  Familienverbande,  der  das 
Geschlecht  zusammenhielt,  liegt  die  Erklärung  für  die  per- 
sönliche Einheit  der  Genossenschaft  wie  für  ihren  Gesammt- 
besitz;  sie  war  eine  rechtliche  wie  ökonomische,  eine  sociale 
und  religiöse  Einheit,  wie  das  immer  von  der  Markgenossen- 
schaft späterer  Zeit  ausgesagt  wird. 

Aber  dieser  Zusammenhalt  der  Geschlechtsgenossenschaft 
musste  sich  doch  bald,  wesentlich  aus  drei  Ursachen,  erheb- 
lich lockern.  Einmal  ging  die  Wirksamkeit  der  Familienbande 
verloren ,  sobald  das  Geschlecht  sich  namhaft  vei*mehrte  und 
die  nur  mehr  entfernten  Verwandten  in  einer  Mark  sassen. 


com  illo  firmavenint  enthalten  keine  Zustimmung  der  Nachbarn.  Nur  in 
Ürk.  763  Mon.  Boic.  IX,  7:  per  consensum  illustrissimi  ducis  Tassilonis 
et  satrapnoi  dus  atque  confinitimorum  nostrorum  conscientium  spricht 
dagegen;  die  Stelle  bezieht  sich  aber  überhaupt  nicht  auf  Markgenossen, 
da  auch  die  Zustimmung  des  Herzogs  und  seiner  Satrapen  eingeholt 
wird,  und  sich  die  fragliche  Schenkung  über  mehrer  Gaue  erstreckt.  In 
einer  Rheinauer  Formel  (Koziäre  289)  verschreibt  allerdings  Einer  seiner 
Frau  bedeutendes  Gut:  absque  contradictione  ullius  proximorum  (Ver- 
wandten) aut  vicinorum  (Nachbarn)  meorum . . .  possideat  Auch  die  übri- 
gen Ton  Zöpfl ,  Rechtsalterthümer  I,  827  iL  angeführten  Beispiele  von  Zu- 
stimmung der  Einwohner  bei  Veräusserungen  betreffen  theils  die  Centene, 
ond  theils  sind  sie  nur  als  Beweise  für  das  Vorhandensein  von  Urkunds- 
personen zu  gebrauchen;  vgl.  Zöpfl  selbst  S.  329. 


—    78    — 

Dann  aber  verlor  der  Familienverband  ganz  seine  Bedeutung 
für  das  genossenschaftliche  Leben,  wenn  Familienglieder  sich 
ausserhalb  der  Mark  ansiedelten,  neue  Familien  und  Ge- 
schlechter gi'ündeten;  und  endlich  ^  drang  durch  Kauf  und 
Tausch  oder  auch  durch  originären  Erwerb  ^)  von  Grund  und 
Boden  soviel  fi-emdes  Element  in  die  Markgenossenschaft  des 
Geschlechtes  ein,  dass  auch  dadurch  die  alte  Gmndlage  der 
Genossenschaft  nicht  mehr  erhalten  bleiben  konnte.  Es  ist 
dabei  naheliegend,  dass  diese  Umwandelung  sich  allmälig  voll- 
zog und  dass  die  sociale  Bedeutung  der  Markgenossenschaft 
in  der  gleichen  Zeit  eine  sehr  vei*8chiedene  war ;  ja  wir  haben 
nicht  einmal  Anhaltspunkte,  welche  uns  zu  der  Annahme  be- 
rechtigten, dass  der  eine  Volksstamm  vor  dem  andern  durch 
die  Ausbildung,  welche  er  der  Markgenossenschaft  zu  Theil 
werden  Hess,  sich  besonder  hei-vorgethan  hätte.  So  sehen 
wir  denn  auch  in  der  That  seit  der  ältesten  Zeit  örtliche 
Gemeinschaften  vorhanden,  welche  als  blosse  Familienverbände 
oder  Geschlechter  zu  erklären  jeder  Anhalt  fehlt  ^.  Eine 
Gemeinschaft  von  Nachbarn  ist  es  dann,  welche  überall,  soweit 
wir  sehen,  ihren  Zusammenhalt  findet  in  den  rein  nachbar- 
lichen Beziehungen,  welche  gewisse  gemeinsame  Interessen 
erzeugen,  und  in  dem  gemeinsamen  Besitz  von  unbebautem 
Land,  das  sich  zwischen  den  Sonderbesitzungen  der  Einzelnen 
in  ziemlich  unbestimmter  Weise  hinzieht  und  auf  dessen 
Nutzung  derjenige  einen  Anspruch  hat,  der  in  einer  bestimmten 
Gemarkung  über  Grundbesitz  verfügt. 

Von  einer  peraönlichen  Verbindung  deijenigen,  welche  in 
einer  villa  dui*ch  blosse  Markgenossenschaft  vereinigt  sind,  ist 
nii-gends  die  Rede.  Auch  die  immer  hierfür  angeführte  Stelle 
der  lex  Salica  de  migi-antibus  (tit  45)  spricht  immer  nur 
von  der  Geltendmachung  des  Einzelinteresses  an  der  unge- 


^)  Vgl.  z.  B.  Trad.  Sang.  830  (1,  331)  qaas  comparavit  ad  iUos  Yicinos. 

*)  In  Fällen,  wo  Angehörige  verschiedener  Volksstämme  in  einer  Villa 
beisammen  saasen,  ist  das  sogar  ganz  unmöglich;  vgl.  Cod.  Fuld.  811, 
No.  261:  venit  ad  villam  V.  quam  tunc  tempore  Frand  et  Saxones  inhar 
bitare  videbantor.  Aber  eben  daraus  lässt  sich  auf  einen  losen  persön- 
lichen Zusammenhalt  der  Bewohner  schliessen. 


~    79    — 

schmälerten  Nutzung  des  Marklandes  ^).  Und  auch  sonst  ver- 
nehmen  wir  fortan  nichts  von  pei*sönlicher  Gemeinschaft,  wie 
man  sich  dieselbe  etwa  als  sociale  Gleichwei-thigkeit  vorstellt. 
Ständische  Unterschiede  kommen  vielmehr  immer  wieder  in 
der  Markgenossenschaft  zum  Ausdrucke*)  und  es  spricht 
gleichfalls  nicht  für  das  Prinzip  der  socialen  Gleichheit,  dass 
selbst  Könige  und  Herzoge  Mitglieder  solcher  Genossenschaften 
sein  konnten^). 

Ebensowenig  aber  finden  wir  eine  Gleichheit  der  Güter 
und  des  Besitzes  überhaupt  bezeugt,  wie  diese  für  die  ältere 
Markgenossenschaft  ohne  weiteres  angenommen  zu  werden 
pflegen^).  Vielmehr  lassen  die  Urkunden  daiHber  keinen 
Zweifel,  dass  Ungleichheit  der  Güter  und  des  Vermögens  der 
Genossen  schon  sehr  früh  vorhanden  war'^).  Die  Gleichheit 
der  Nutzung  aber,  der  wir  an  manchen  Stellen  begegnen^), 
erklärt  sich  leicht  wenn  wir  berücksichtigen,  dass  eben  auch 
die  ständischen  Unterschiede  für  das  Mass  der  Nutzung  ent- 


^)  YgL  aosftüurliches  darüber  weiter  unten  S.  95  f. 

')  So  Cap.  Chlodoyech.  ad  l.  Sal.  (LL.  II,  4)  meliores  —  minofledis 
fitini. 

')  Mittelrb.  ürkb.  770,  I,  22  hat  König  Earlmann  einen  V^Tald-  und 
Brannenantheil  zu  Benezfeld,  Meichelb.  Ja,  49  (750)  Herzog  Tassilo  einen 
Antheil  an  dem  Weidegebiet  Yon  Erching.  Yielleicht  können  hieber  auch 
bezogen  werden  die  Urkunde  des  Mittehrh.  Urkb.  715,  n,  2,  in  welcher 
Herzog  Arnulf  in  BoUane  viUa  schenkt,  quantumcunque  in  ipsa  yiUa  mihi 
Iqpbus  obyenit,  mea  portione  und  ebenso  718,  II,  8  Karl  Martell,  quantum- 
conque  mihi  ibidem  obvenit  de  genitore  meo  Pipino,  quod  contra  aUo- 
diones  meos  recepL 

*)  Die  SteUe  der  1.  B%j.  XVII,  2:  lUe  homo  qui  hoc  testificare  vo- 
liierit»  commarcanns  eins  debet  esse,  et  debet  habere  6  solidomm  pecunia 
et  similem  agrum,  welche  oft  f&r  die  Gleichheit  angeführt  wird,  spricht 
eher  dagegen,  da  es  ausdrücklich  hervorgehoben  wird,  dass  der  Zeuge 
nicht  bloss  commarcanns  sein,  sondern  auch  den  Betrag  der  Composition 
and  similem  agrum  besitzen  muss. 

*)  S.  unten  8.  Abschn. 

')  Tr.  Sang.  890,  n,  680:  usum  qualem  unusquisque  liber  homo  de 
sua  proprietate . . .  debet  habere.  Die  in  Tr.  Sang.  766,  I,  49  betonte 
Gleichheit  der  Leistungen:  quod  paginsi  nostri  fJEidunt  regi  vel  comiti,  ita 
et  DOS  betrifft  Verhältnisse,  die  ausserhalb  der  Markgenossenschaft  liegen. 


—    80    — 

scheidend  waren  ^).  Wie  hätte  aber  auch  eine  Gleichheit  des 
Besitzes  fbr  die  Dauer  bestehen  sollen,  da  der  Veräussenmg 
und  der  Theilung  kein  Gesetz  hindeind  im  Wege  stand  und 
auch  beides  nach  den  Volksrechten  und  Urkunden  fortwährend 
vorkam  ?  *) 

Auch  was  sonst  über  die  pei*sönliche  Genossenschaft  aus- 
gesagt wird,  entbehrt  für  diese  Zeit  eines  positiven  Beweises; 
wohl  aber  liegt  in  dem  gänzlichen  Fehlen  solcher  Lebens- 
äusserungen ein  nicht  unwichtiges  Argument  gegen  eine  über- 
triebene Vorstellung  von  der  Bedeutung  der  Markgenossen- 
schaft. Besonders  ist  es  charakteristisch,  dass  wir  nie  etwas 
hören  von  einem  Schutz  der  Genossen  in  ihrer  socialen 
Stellung,  eine  Aufgabe,  welche  doch  wie  keine  andere  der 
Genossenschaft  hätte  zufallen  müssen.  Weder  von  einem 
Widerspruch,  wenn  sich  einer  in  fi-emde  Botmässigkeit  begab, 
seine  Freiheit  verlor  etc.  wird  etwas  laut,  noch  nehmen  wir 
Bemühungen  war,  den  Genossen  vor  der  Verarmung  zu 
schützen,  überhaupt  nur  eine  gewisse  Gleichheit  des  Besitzes, 
auf  der  doch  die  Markgemeinschaft  aufgebaut  sein  soll,  zu 
erhalten.  Die  Besitzer  der  einzelnen  in  der  Gemarkung  der 
Villa  gelegenen  Güter  kommen  und  gehen,  werden  aus  Freien 
Unfreie  oder  doch  Minderfreie,  verkaufen,  vertauschen,  ver- 
schenken ihr  ganzes  Erbgut  oder  doch  einen  Theil  desselben, 
nebst  ihrem  Antheil  an  der  Mark ') ;  es  dringen  neue  Besitzer, 


^)  Cod.  Lauresh.  868, 1,  38:  Der  Freie  sendet  10,  der  serrus  5  Schweme 
in  den  gemeinsamen  Wald ,  der  freilich  schon  im  grandherrlichen  Ver- 
bände war. 

*)  L.  SaL  59,  2,  5.  L.  Alam.  1,  2,  88.  L.  B^jay.  I,  1.  L.  Thoring. 
18.  L.  Sazon.  15, 8.  S.  n.  8.  Abschn.  S.  96  ff.  Die  einzigen  Beachrftnku&geD 
gingen  von  der  Familie  aus  L.  Baj.  I,  1.  L.  Saz.  c  62.  L.  Borg.  I,  1,  2, 
wie  auch  die  sp&tere  Marklosung  ihre  Wurzel  in  der  Erblosnng  hatte: 
L.  Saxon  64:  Si  hereditatem . .  .  vendere  volnerit,  offerat  eam  primo 
proximo  suo  (seinen  Verwandten),  si  ille  emere  noluerit,  offerat  tutori  sno. 
S.  a.  Stobbe,  deutsches  Priv.  R.  2.  Aufl.  U,  120 ff.  Die  scheinbare  Aus- 
nahme in  L.  Burg.  84,  2  wo  ein  Näherrecht  des  Romanus  hospes  statiiirt 
ist,  darf  nicht  hieher  bezogen  werden. 

")  Z.  B.  G.  Laur.  815  I,  106  siWae  communionem  (ist  aber  nicht 
auf  Gemeinwald  mehrer  Villen  zu  beziehen).    796  Lacomblet  ürk.  B.  £  d. 


—    81     - 

oft  sehr  mächtige,  auf  diesen  Wegen  in  die  Gemeinschaft  ein, 
bauen  das  Gut  selbst  oder  durch  hörige  Leute,  denen  sie  auch 
die  Ausübung  der  Markberechtigung  überlassen,  oder  lassen 
das  Gut  wohl  auch  öde  liegen,  und  die  „Markgenossenschaft'^ 
sieht  gleichgültig  all  diesen  Veränderungen  zu,  lässt  die  Gleich- 
heit des  Status  und  der  Lose  schwinden  und  eine  neue,  gänz- 
lich verschiedene  Eigenthumsvertheilung  sich  anbahnen :  wahr- 
lich es  ist  nicht  abzusehen,  worin  denn  ihre  grosse  social- 
poliüsche  Stellung  begründet  war,  die  ihr  so  gerne,  besonders 
für  diese  Zeit,  zugewiesen  wird. 

Wenn  sich  darnach  aber  auch  die  Bedeutung  der  Mark- 
genossenschaft als  socialer  Organismus  ganz  wesentlich  ver- 
mindei-t,  so  bleibt  doch  von  der  geläufigen  Voi-stellung  der 
alten  Markgenossenschaft  ihr  Charakter  als  Wirthschafts- 
gemeinschaft  und  Gemeinwirthschaft  übrig.  Aber  auch  hier 
veranlassen  uns  die  urkundlichen  Nachrichten  zu  nicht  un- 
wesentlichen Einschränkungen.  Sehen  wir  hier  auch  ganz  ab 
von  dem  unbedeutenden  Einfluss,  den  die  Genossenschaft  auf 
die  Erhaltung  der  ökonomischen  Gleichheit  und  auf  die  Güter- 
vertheilung  genommen  hat,  so  musste  sich  ihre  Wirksamkeit 
doch  vornehmlich  manifestiren  durch  den  Ausbau  des  Landes^ 
durch  rationelle  Benutzung  des  Gemeinlands,  durch  Herstellung 
genossenschaftlicher  Institutionen  für  die  Ausbildung  der  wirth- 
schaftlichen  Kräfte  besondei*8  zur  Steigerung  des  Ertrags  von 
Grund  und  Boden,  überhaupt  durch  Gesammtleistun§en,  welche 
ebensowohl  den  Gesammtbedürfnissen  dieser  Gemeinwirthschaft, 
wie  den  Literessen  der  Einzelwirthschaften  dienstbar  und 
förderlieh  zu  werden  geeignet  waren. 

Der  Ausbau  des  Landes  ist  in  der  Zeit  vom  6.-8. 
Jahrhundeit  allerdings  recht  bedeutend.  Von  den  ältesten 
Orten  tragen  die  meisten  Orientirungsnamen ;  erst  später 
treten  (und  noch   immer  unbedeutend)  auch  Personennamen 


Gesch.  d.  Niederrheins ,  I.  n.  6  communionernque  Id  eandem  silvam,  simili 
modo  tradidi  et  piscationem.  Aach  bestimmte  Ausnahmen  kommen  yor; 
85ä  Tr.  Sang.  II,  463  excepto  . . .  pascuam  et  liglia  cedenda;  hoc  tantam 
non  dedemnt. 

Ton  Inama- sternegg,  Wirthsehaftsgeschichte.     I.  6 


—    82    — 

auf.  Daraus  scheint  allerdings  hervorzugehen,  dass  der  älteste 
Ausbau  im  Stammlande  durch  die  Genossenschaft  (oder  die 
einzelnen  Genossen)  erfolgte  und  dass  erst  später  der  grosse 
Grundbesitz  seine  colonisatorische  Mission  übernahm.  Es  ist 
aber  schwer  zu  entscheiden,  wie  weit  darin  eine  eigentlich 
genossenschaftliche  Leistung  gesehen  werden  daif.  Belege 
fbr  die  Anlegung  neuer  Dörfer  durch  die  Genossenschaften 
fehlen  gänzlich.  Erst  spät  tritt  in  den  Weisthümem  dann 
und  wann  eine  genossenschaftliche  Anordnung  der  Colonisation 
von  Markgründen  hei-vor^).  Dagegen  finden  sich  Beispiele 
von  grösseren  Rodungen  und  Ansiedelungen  durch  Einzelne 
schon  fi'ühzeitig ;  *)  und  jedenfalls  legte  die  Genossenschaft  den 
einzelnen  Genossen  keinerlei  Hindemisse  in  den  Weg,  die 
Mark  zu  cultiviren.') 

Doch  begegnen  uns  auch  wenigstens  schon  im  8.  Jahr- 
hundert Spuren  einer  Beschränkung  der  Markrodung  auf  den 
Bedarf  des  Märkers  oder  nach  Massgabe  seines  Hufenbesitzes 


*)  Z.  B.  Landbuch  von  üri  335,  §  3.  12. 17.  Tirol.  Weisth.  I,  68.  II,  16. 

^  Cod.  Fuld.  801  No.  165  n.  471  wird  von  15  Personen  eine  ^osse 
Bodnng  gemacht;  die  zwei  Personen  aber,  qui  cocperont  illam  captoram 
inprimitos  waren  send  des  Stifts  Fulda,  occupirten  also  wohl  gar  im  Auf- 
trage des  Stifts.  Ried.  Cod.  Ratisb.  819,  I,  20:  Venenint  et  iUi  qui  inioste 
eandem  commarcam  (des  Bischofs)  ultra  quod  debuerunt,  eztirpaTenmt 
contra  legem.  Es  ist  in  beiden  Fällen  nicht  deutlich,  ob  freie  Markgenossen 
die  Rodung  ^unternahmen.  Dass  der  Ausdruck  coUaboratos  den  Antheil 
an  einer  mit  andern  gemeinschaftlichen  Rodung  bezeichne,  wie  Landau 
(Territorien  S.  159)  meint,  ist  weder  durch  die  von  ihm  citirten  Stellen 
noch  sonst  zu  erweisen.  Er  ist  mit  elaboratus  gleichbedeutend.  Auch 
Rodungen,  welche  einer  cum  amids  suis  macht,  dflrfen  nicht  hieher  be- 
zogen werden;  es  handelt  sich  dabei  vielmehr  um  herrschaftUche  Ve^ 
h&ltnisse;  vgl.  II.  Buch,  1.  Abschn. 

")  Die  zahlreichen  capturae,  comprehensiones  etc.  der  Urkunden  sind 
hiefHr  an  sich  schon  ein  vollgültiger  Beweis.  Ausdrückliche  Betonung 
eines  unbeschränkten  Rechtes  am  Gemeinwald  Tr.  Sang.  854,  n,  i26: 
Omnem  utilitatem,  id  est  in  pascuis,  in  aedificationibus,  in  lignis  caedendis 
et  in  Omnibus  rebus,  quibus  homo  in  communi  saltu  uti  potest,  utendi  po- 
testatem  habeamus.  Et  si  quid  in  eodem  saltu  adhuc  minime  sit  com- 
prehensum,  comprehendendi  potestatem  habeamus,  absque  ulllus  infesta- 
tione.  YgL  i.  A.  Besnier,  der  Neubruch  nach  dem  älteren  deutschen 
Rechte  in  Symbolae  Bethmanno-Hollwegio  oblatae  1868. 


-    83    — 

in  der  Mark.  ^)  Wo  solche  Beschränkungen  eintraten,  da 
musste  allerdings  ein  wirthschaftspolitischer ,  zum  mindesten 
ein  organisatorischer  Oedanke  die  Genossenschaft  leiten;  sei 
es  nun,  um  dem  Aufkommen  allzugrosser  Besitzesunterschiede 
und  einer  die  Freiheit  der  Genossenschaft  gefährdenden  Grund- 
herrschaft zu  wehren,  oder  um  rechtliche  Conflicte  auf  Mark- 
boden zu  verhüten  und  Ordnung  in  die  Benutzung  des  Gemein- 
guts zu  bringen ,  oder  endlich  doch  schon  wegen  der  nahen 
Erschöpfbarkeit  der  Markgrande.  Jedenfalls  aber  sind  solche 
Erwägungen  noch  selten  aufgetreten,  und  es  bleibt  das  Wahr- 
scheinlichste,  dass  in  dieser  Periode  im  Allgemeinen  freie 
Bodung  auf  Markland  jedem  Hufenbesitzer  als  ein  zu  seiner 
Hufe  gehöriges  Recht  am  Territorium  der  Gemeinde  zustand  und 
nach  dieser  sich  bemass.  Es  stimmt  diese  Auffassung  nicht 
nur  am  besten  zu  der  späteren  Ordnung  dieser  Verhältnisse, 
sondern  findet  einen  wichtigen  Anhaltspunkt  auch  in  den  Be- 
stimmungen über  die  Nutzung  der  Markgründe  mit  Erhaltung 
ihres  Hauptcharaktei*s.  Diese  scheint  allerdings  nun  einer 
Beschränkung  unterworfen  gewesen  zu  sein,  wie  sie  durch  die 
Ausdehnung  der  Sonderwirthschaft  der  Genossen  wie  von 
selbst  sich  ergab.  Zahlreich  sind  die  Beispiele  aus  Urkunden, 
welche  uns  die  Wechselbeziehungen  zwischen  Hufe  und  Mark- 
nutzung zeigen.  *) 

^)  Die  von  Gierke,  Rechtsgeschichte  der  Genossenschaft  I,  68  hier 
angezogene  Urkunde  in  Tr.  Sang.  779,  I,  85  ist  allerdings  nicht  beweis- 
kräftig, da  hier  über  einen  (eignen)  Wald  yon  einem  GrundeigenthOmer 
Teriügt  wird;  aber  auch  abgesehen  daTon,  heisst  es  doch  deutlich:  tantum 
sxartent,  quantum  podent  in  eorum  compendio  et  ad  eorum  opus  qui  ibi 
manunt:  soTiel  sie  zu  ihrem  Vortheile  und  BedOrfnisse  dort  zu  arbeiten 
Termögen;  es  wird  ihnen  also  eine  ziemlich  unbeschr&nkte  Rodongsfreiheit 
gewährt.  Eher  spricht  schon  die  Urkunde'  bei  Ried  Cod.  Ratisb.  817,  I, 
17  dafilr,  wenn  es  heisst:  injuste  eandem  commarcam  ultra,  quod  debue- 
nmt,  extirpavernnt  contra  legem,  wenn  sich  die  Stelle  nicht  auf  Capit. 
Baioar.  808  (LL.  I,  127)  c  6  de  rebus  propresis  bezieht,  und  damit  wieder 
gnmdherrlichen  Besitz  berührt  Yielleicht  kann  die  Urkunde  850  Cod. 
Fold.  560:  comprehensionem  silvae  quam  iniuste  comprehendit  hieher  be- 
zogen werden,  obwohl  auch  hier  von  einer  restitutio  silvae  an  den  Abt 
die  Rede  ist 

')  Lacomblet  Urk.  B.  f.  die  Geschichte  des  Niederrhein  793,  IV,  758: 

6* 


-    84    — 

Es  ist  eine  solche  öffentliche  Begrenzung  der  Mark- 
nutznngen,  wenn  nicht  schon  mit  der  ursprünglichen  Feld- 
vei-theilung  gegeben,  so  doch  jedenfalls  in  dem  Augenblicke 
Bedttrfhiss  geworden,  als  die  mehr  patriarchalische  Familien- 
gemeinschaft aufgehört  hat  und  ein  eigentlicher  Nachbar- 
verband an  ihre  Stelle  getreten  ist.  Dabei  ist  es  nahe  ge- 
legen, dass  ein  BedQrfoiss  dieser  Art  mit  dem  BedOrfiüsse- 
einer  festeren  Gemeindeordnung  Oberhaupt  entstand,  dass  es 
daher  auch  früher  da  seinen  Ausdruck  fand,  wo  die  Besiede- 
lungs-  und  Bewirthschaftungsverhftltnisse  weiter  voi^geschritten 
und  daher  Reibungen  zwischen  den  Berechtigten  häufiger 
waren,  als  in  jenen  Marken,  die  bei  geringer  Bevölke- 
rung in  Wahrheit  noch  über  ein  unerschöpfliches  Markland 
verfügten. 

Diese  Ordnung  der  Markbenutzung  war  aber  doch  auch 
nicht  die  einzige  organisatorische  That  der  Markgenossenschaft. 
Wir  können  dabei  absehen  von  jenen  polizeilichen  Bestimman- 
gen  der  Volksrechte,  die  zur  Verhütung  von  Gefahren  beim 
Holzfällen  oder  Niederbrennen,  bei  der  Jagdausübung  und 
ähnlichem  zu  besorgen  waren.  ^)  Wohl  mag  in  ihnen  ein 
Ausdruck  des  gemeinsamen  Gewohnheitsrechts  der  Genossen- 
schaften erblickt  werden;  aber  doch  sind  sie,  wie  sie  sich 
darstellen,  nicht  unmittelbar  als  eine  organisatorische  Leistung 
der  Genossenschaft  aufzufassen.    Und  das  um  so  weniger,  als 

• 

wir  sonst  keine  Beschränkung  der  freien  Jagdausübang  oder 

in  quo  etiam  tennino  (des  geschenkten  Erbtheils)  dominationem  tradidi 
eidcm  presbitero  in  Bilvam  que  per  ctrcnitiim  iacet,  quantnm  pertinet  id 
onam  hoYam  ad  pascaa  animalimn  Ben  ad  exatirpandom  Tel  ad  ^compre- 
hendendum  iuxta  quod  ntUe  videtor  eidem  serro  dei  vel  suocesaoribm  snis. 
ib.  796,  I,  7:  scara  in  silva  iuxta  formam  bo?e  plene.  Tr.  Sang,  855,  Ü, 
444:  iuxta  quantitatem  bereditatia  in  viUa  pastum  porcorom  aliommqae 
peeomm  seu  indsionem  ligni  babeat  Schon  L.  Burgond.  07  bestimmt: 
quicunque  agram  aut  colonicas  tenent,  secundum  terramm  modum  yel  pos- 
sessionis suae  ratam,  sie  silvam  inter  se  noTerint  dividendam.  (LL.  HI, 
561).  Auch  L.  Rom.  Burg.  17,  4:  silYarum,  montiam  et  pascaomm  nni« 
cnique  pro  rata  suppetit  esse  communionem  (LL.  in,  607).  Vgl  meine 
„Grundberrscbaft"  S.  17. 

»)  Z.  B.  L.  Saxon.  c  55—58. 


—    85     — 

der  Waldnutzung  ^)  kennen ,  der  Grundsats  freier  Jagd  und 
Fischerei  vielmehr  ttberall  anerkannt  war.  ^) 

Dagegen  finden  wir  allerdings  nicht  unweBentliche  Leis£un- 
gen  der  Genossenschaft  in  Bezug  auf  die  gemeinschaftliche 
Weide,  welche  auf  eigentlichem  Marklande,  besondei's  im 
Walde,  wie  auf  den  Sonderäckern  der  Genossen  stattfand,  so- 
weit und  so  lange  sie  nicht  gehegt  waren.') 

Der  leitende  Gesichtspunkt  hierbei  war  offenbar,  dass 
alles  Land,  das  keine  Früchte  ti-ug,  di^  durch  Arbeit  ge- 
wonnen werden  mussten,  dem  gemeinen  Nutzen  offen  sein 
sollte*). 

Um  aber  hinsichtlich  der  Weideflächen  immer  im  klaren 
zu  sein,  ist  die  Umzäunung  oder  wenigstens  Bezeichnung 
(wiffa)  der  geboten  Grundstücke  (Feld,  Wiese,  Wald)  in  den 
Volksrechten  vielfach  vorgeschrieben,  wodurch  dieses  Land 
fbr  immer  oder  theilweise  als  Culturland  bezeichnet  und  damit 
von   der   gemeinschaftlichen  Nutzung   ausgeschlossen    war^). 


^)  Die  L.  Ripuar.  76  handelt  nur  Ton  gestohlenem  Holze  in  einem  ge- 
meinen Walde. 

*)  Z.  B.  Cod.  Fuld.  951  Ko.  688:  iorestum  in  qua  prius  erat  communio 
omniom  civiam  venatio. 

^  L.  Sal.  IX  de  damno  in  messe  vel  in  dausura  inlatum.  L.  Rip.  82 
de  damno  in  messe  Tel  iiS  dausura.  L.  Biy.  X,  18:  si  autem  Signum, 
quem  propter  defensionem  ponuntur,  aut  iniustum  iter  exdudendi  vel  pas- 
cendi  campunp  defendendi  vel  applicandi  secundum  morem  antiquum.  Tr. 
Sang.  855,  II,  439:  ut  pascua  commuma  in  agris  habeamus  betrifit  einen 
Besitzstreit  zwisdien  St  Gallen  und  den  coheredes  Bihwini,  welcher  da- 
dordi  ausgeglichen  wird,  dass  sie  den  streitigen  Ort  theilen  und  nur  pascua 
communia  in  agris  behalten.  Von  einer  Markgenossenschaft  ist  dabei 
keine  Rede,    üebereinstimmend  damit  auch  Waitz  altdeutsche  Hufe  S.  86. 

*)  Am  deutlichsten  ist  das  in  1.  Sal.  IX,  8,  Zus.  2:  Si ....  in  messe, 
üi  prato,  in  vinia  Tel  in  quaUbet  laborem  pecora  miserit;  ähnlich  wie  auch 
4ie  L  Rip.  in  Bezug  auf  Waldnutzung  bestimmt:  tit  75  (78)  Si  quis . .  in 
silra  Gommoni  seu  Regis  Tel  aUcuius  locata  materiamen  Tel  ligna  fissa 
abstolerit. . .  Sic  de  Tenationibus  Tel  de  piscationibus;  quia  non  res  poB- 
sessa  est  sed  de  ügno  agitur. 

")  Sehr  deutlich  in  Ed.  Rothar.  363:  Nulli  sit  licentia  itinerantibus 
herbam  n^^are,  ezc^to  prato  intacto,  tempore  suo,  aut  messe.  Post 
foenmn  aatem,  aut  fruges  collectas,  tantum  fruges  Tindicet  is,   cuius  terra 


-     86    — 

Dass  die  Zaunerrichtung  eine  öffentliche  (markgenossenschaft- 
liche) Angelegenheit  war,  ist  darnach  allerdings  anzunehmen, 
aber  nicht  im  Sinne  einer  markgenossenschafüichen  Leistung 
zu  verstehen*). 

Mit  dieser  Zaunpflicht,  die,  ähnlich  wie  die  übrigen  feld-, 
wald-  und  jagdpolizeilichen  Bestimmungen  der  leges  auf  all- 
gemein verbreitetem  Gewohnheitsrechte  beruhen  wird,  war 
aber  auch  so  ziemlich  alles  gethan,  was  überhaupt  die  Mark- 
genossenschaft zum^chutze  des  Betriebs  und  der  Früchte  der 
Wirthschaft  ihren  Genossen  zu  leisten  sich  verpflichtet  hielt. 
Denn  selbst  die  unerlaubte  Beweidung  von  fi'emden  Grund- 
stücken während  der  Fructifications-Periode  hatte  nur  Schadens- 
ersatz zu  Folge');  sie  war  aber  keineswegs  unter  öffentliche 
Aufsicht  gestellt  wie  die  Zäune  selbst;  in  einigen  Gesetzen 
stand  wenigstens  dem  Beschädigten  ein  Selbstpfändungsrecht 
zu  Gebote').  In  andern  war  auch  dieses  Mittel  nur  durch 
den  judex  zur  Verfügung*).  Dass  diese  Gemeinweide  auch 
gemeinschaftlich  benutzt  wurde,  scheint  aus  manchen  Anhalts- 
punkten hervorzugehen,  welche  sich  in  den  Volksrechten 
finden.  Wiederholt  handeln  sie  von  den  Viehherden,  deren 
Hirten  sie  unter  den  besonderen  Schutz  des  Volksrechts 
stellen  *).  Auch  filr  Leit-  und  Faselvieh  zu  einer  jeden  Herde 
ist  gesorgt^),  und  es  scheint,  dass  diese  Anordnungen  und 


est,  quantnm  com  claosnra  sua  potest  defendere.  Auch  L.  Wisig.  vm, 
5,  5  qoia  illis  (consortibus)  usoin  herbarom,  qoae  condusae  von  faen&t, 
constat  esse  eommonem. 

^)  Auch  ans  L.  Bai.  Xu,  S  darf  nicht  die  Intervention  der  Mark- 
genossen  bei  jeder  Zannerrichtiing  herausgelesen  werden;  die  Nachbarn 
(vidni)  sind  einfach  Zeugen,  dass  ein  zerstörter  Zann  wieder  in  rechtmftssi- 
ger  Weise  hergesteUt  wurde.    Anders  Maurer,  EinL  148. 

»)  L.  AL  76,  2.  (LL.  HI,  72)    L.  Bai.  tii  U,  c  17.  (LU  III,  318.) 

')  L.  SaL  tit.  9,  c.  4. 

*)  L.  AL  76,  101.  L.  Bai.  18,  1:  Pignorare  nemini  liceat,  nisi  per 
inssionem  iudids.  (LL.  m,  814.) 

«)  L.  SaL  10,  Zus.  4.  85,  6.    L.  Alam.  76,  8;  81,  1—6. 

•)  L.  Sal.  8,  4.  L.  Rip.  18,  1.  VgL  4.  Absch.  S.  169.  Die  in  L 
Alam.  77,  81  genannte  legitima  yaccaritia,  sowie  der  legitimus  pastor  otiiub 
ist  aber  gerade  als  Ausnahme  davon  anzusehen.    Aber  L.  Alam.  76,  1, 


—    87    — 

Einrichtungen  vorzugsweise  auf  die  kleinen  Grundbesitzer  in 
in  der  Genossenschaft  berechnet  waren,  deren  mehre  zu- 
sammenstehen mussten,  um  eine  volle  Herde  im  Sinne  des 
Volksrechts  zu  bilden.  Ob  freilich  die  Hirten  und  die  Wucher- 
thiere  hiei*ffir  von  Genossenschaftswegen  aufgestellt  waren, 
oder  ob  sich  die  Grundbesitzer  zur  Haltung  derselben  privatim 
verständigt  haben,  das  lässt  sich  aus  den  Quellen  nicht  er- 
mitteln. 

Wer  aber  mehr  als  12  Kühe,  80  Schafe  etc.  in  seinem 
Besitz  hatte,  konntp  sich  von  Rechtswegen  einen  selbständigen 
Hirten  halten^),  denn  er  besass  damit  nach  der  Au£fa8sung  der 
Volksrechte  eine  ganze  Heerde ') ;  er  benutzte  dann  also  auch 
die  Weide  selbständig  und  war  nicht  mehr  an  die  etwa  statt- 
findende genossenschaftliche  Anordnung  des  Yiehtriebs  ge- 
bunden. Und  nicht  immer  scheint  die  von  den  Yolksrechten 
bestimmte  Stückzahl  Vieh  für  Bildung  einer  selbständigen 
Heerde  eingehalten  worden  zu  sein,  wie  denn  überhaupt  die 
Verfbgung  grösserer  Grundbesitzer  über  einzelne  Weidegebiete 
schon  frühzeitig  einen  hohen  Grad  von  Selbständigkeit  an- 
genommen hat'). 

Auch  von  anderen  gemeinschaftlichen  Nutzungen  des 
Gemeinlands   ist  vielfach   die   Rede.     Es   gibt   gemeinsame 


101  c.  1  kann  doch  von  gemeinsamen  Herden  der  Genossen  verstanden 
werden.  Ja  die  L  Salica  m,  5  erw&hnt  sogar  einen  drei  ViUen  gemein- 
samen Stier  (taiiros  ipse  de  tres  villas  communis  vaccas  tenuerit),  was  auf 
eine  gemeinschaftliche  Herde  derselben,  aber  nicht  aoch  auf  Weidegemein- 
schaft Ton  drei  Dörfern  schliessen  Iftsst    Vgl.  ob.  1.  Absch.  S.  48. 

^)  Vgl.  Ed.  Roth.  136:  Si  quis  pecorarium  aut  caprarium  seu  armen- 
tariom  occiderit ...  De  illis  vero  pastoribus  didmus,  qui  ad  liberos  ho- 
mines  serriunt  et  de  sala  propria  exeunt 

*)  L.  Alam.  76,  77,  81.  Auch  die  Urkunden  f&hren  schon  früh  Her- 
den mit  ihren  Hirten  als  ZubehOr  einxelner  Sondergüter  auf;  z.  B.  das 
Testament  des  Diacons  Grimmo  686  (Mittebrh.  ürkb.  I,  6)  Tervedbus,  ver- 
Ticarüs,  porcos  porcarüs.  Spftter  Tr,  V^izzemb.  774  No.  54:  dono  12 
Yaccas  et  iUo  pastore,  40  berbices  cum  pastore.  778  (Mittebrh.  Urk.  B. 
I,  82)  und  787  ib.  84:  greges  cum  pastoribus. 

')  Vgl  unten  8.  Absch.  S.  117  u.  H.  Buch  1.  und  3.  Absch. 


—    88    — 

Brannen  ^),  Quellen  und  Bäche  *) ;  Wege  und  Plätze  im  Dorfe 
sind  wohl  zu  aller  Zeit  der  Yeiibgung  Einzelner  gänzlich  ent- 
zogen gewesen'^).  Mühlen  und  Schmieden  stehen  zwar  unter 
dem  Schutze  des  Volksrechts  und  werden,  wie  die  Kirchen, 
als  öffentliche  und  allzeit  offenstehende  Einrichtungen  zum 
Besten  Aller  bezeichnet  ^) ;  sie  sind  aber  desshalb  doch  ebenso- 
wenig als  Anstalten  aufzufassen,  welche  die  Markgenossenschaft 
selbst  eiTichtet  hat  und  gemeinwirthschaftlich  betreibt^),  wie 
die  Kirchen  dieser  Zeit,  die  ja  auch  keineswegs  als  Grün* 
düngen  der  Markgenossenschaft  angesehen  werden  können. 

So  unbedeutend  nun  aber  auch,  selbst  auf  dem  rein 
wirthschafblichen  Gebiete  die  organisatorische  Leistung  der 
Markgenossenschaft,  die  gemeinwirthschaftliche  Leistung  selbst 
wie  die  positive  Fördemng  der  Sondei-wirthschaft  sein  mag, 
so  wäre  es  doch  ungerechtfertigt,  die  Bedeutung  der  Mark- 
genossenschaft in  der  ältesten  Periode  des  Mittelalters  zu 
unterschätzen.  Schon  die  Thatsache  allein,  dass  jede  Ortschaft 
mit  ihren  einzelnen  Ansiedelungen  und  deren  Feldern,  mit 
ihrer  Gemarkung  und  deren  nutzbaren  Ländereien  eine  un- 
bestrittene Einheit  bildete,  musste  bindend  und  verbindend 


^)  L.  BfyuT.  X,  28:  Si  autem  plurimorum  in  vicinia  puteos  fuerit. 

«)  L.  Biyuv.  X,  22.  ürk.  Kg.  Karlmaims  770  (Mittelrh.  Urk.  B.  I,  27). 
Die  vielfach  hier  angecogne  Stelle  1.  Alam.  86:  Si  qois  malinom  aat 
qoalecamque  cUasuram  in  aquam  facere  Toluerit,  sie  faciat,  ut  neminem 
noceat  handelt  nur  von  Privatgewässem  und  hat  nur  den  möglichen  Scha- 
den der  Grundstücksnachbam  im  Auge  wie  ib.  86,  3.  4:  Si  ambas  ripas 
Buas  sunt . . .  Si  autem  una,  alterum  aul  roget  aut  conparit  nur  von  einer 
Gemeinsamkeit  der  UferbesitsEer  handelt.  Von  einem  Gemeinrecht  am 
Wasser  selbst  ist  hier  keine  Rede. 

')  Sowohl  die  viae  publicae  et  regales,  als  auch  die  viae  et  semitae 
convicinales  waren  unter  den  Schutz  des  Volksrechts  gestellt  L.  Baj, 
X,  20,  21.  Die  SteUen  1.  Sal.  31,  1.  Rip.  80,  1.  Ahun.  67  unterscheiden 
nicht  zwischen  den  verschiedncn  Wegen. 

*)  L.  Bajuw.  IX,  2:  Si  quis  in  fabrica  vel  in  mulino  aliquid  form- 
verit . . .  quia  istas  domus  casas  publice  sunt  et  semper  patentes. 

^)  So  Gfrörer,  zur  Geschichte  der  Yolksrechte  II,  140.  Im  Gegen- 
theil  ist  in  1.  Alam.  86  c.  1  offenbar  von  Privatmahlen  die  Rede.  Anch 
in  den  breves  notit  Salzburg,  ed.  Keinz.  z.  B.  VIU,  21,  23  werdra  mehr- 
fach von  Einzelnen  Mahlen  geschenkt 


—    89     - 

auf  die  Bevölkeiiing  wirken.  Zwai*  von  einer  Feldgemeinschaft, 
wie  sie  etl^a  nach  Caesar  angenommen  werden  muss,  und  nach 
Tacitas  noch  vielfach  angenommen  wird,  ist  schon  in  den 
Zeiten  der  Volksrechte  nicht  mehr  die  Rede^).  Jeder  Freie 
ist  Ginndeigenthttmer  und  an  den  Feldern,  theilweise  wenigstens 
auch  an  den  Wiesen  und  Wäldern,  die  zu  seinem  Hofe  ge- 
hören, hat  er  ein  unbestrittnes  Eigenthum;  aber  eine  Reihe 
von  Institutionen  verbanden  ihn  trotzdem  auch  ökonomisch 
den  Uebrigen,  so  dass  eine  gewisse  Gemeinsamkeit  der  Inter- 
essen und  damit  des  Handelns  immerhin  erzeugt  werden  musste. 
Wir  rechnen  hierher  vor  allem  die  gemeinschaftliche  Feldweide 
nach  der  Hegezeit,  die  ohne  gewisse  allgemeine  Anordnungen 
oder  wenigstens  eine  allgemein  anerkannte  und  von  allen 
geübte  Gewohnheit  nicht  wohl  gedacht  worden  kann.  Mag 
nun  auch  immerhin  diese  feldgemeinschaftliche  Nutzung  von 
Sondergrundstücken  vorzugsweise  nur  für  Genossenschaften 
mit  dörflicher  Ansiedelung  Bedeutung  gehabt  haben,  so  bleibt 
sie  bei  der  grossen  Verbreitung  des  Doifsystems  auch  schon 
in  dieser  Zeit  nichts  desto  weniger  ein  sehr  wichtiger  Factor 
für  eine  ökonomische  Interessengemeinschaft. 

Freilich  darf  dabei  nicht  übersehen  werden,  dass  die 
beiden  Hauptmomente,  welche  den  ökonomischen  Werth  dieser 
Nutzung  zu  steigern  veimochten,  der  Ausbau  der  Mark  und 
die  Abschliessung  grösserer  Ginindberrn  von  der  Gemeinschaft 
in  dieser  Zeit  erst  anfingen  wirksam  zu  werden.  So  lange 
noch  die  Mark  der  Genossenschaft  mit  ihren  reichen  und  mannig- 
faltigen Nutzungen  offen  stand,  brauchte  auf  die  Brach  weide 
ein  solcher  Werth  nicht' gelegt  zu  werden,  dass  es  nicht  jedem 
hätte  verstattet  sein  können ,  sich  beliebig  von  dei'selben  durch 
Umzäunung  oder  sonst  abzuschliessen  *).  Bei  dörflicher  An- 
siedelung wenigstens  hat  sodann  die  mit  ihr  nothwendig  ge- 
gebene Gemengelage  der  Felder  eine  Vereinbarung  und 
Gemeinsamkeit  in  der  Feldbestellung  und  Srnte  unentbehrlich 


^)  Das  nähere  im  8.  Abschnitt  S.  97  und  100. 

^  Dafür  werden  die  Ausdrücke  ager,  pratum  defensam  gebraucht;  auch 
die  Eütofigkeit  der  „binnda''  scheint  di^r  zu  sprechen. 


-    90    — 

gemacht;  ebenso  ist  die  Ausbildung  gewisser  Nacbbarrechte 
damit  unvermeidlich  geworden,  deren  Schutz  un^ Aufrecht- 
erhaltung  dann  wieder  ohne  eine  genossenschaftliche  Leistung 
kaum  gedacht  werden  kann. 

Sehen  wir  aber  auch  ab  von  dieser  besonderen  Gemein* 
samkeit  ökonomischer  Interessen,  die  mehr  veimuthet  als 
streng  bewiesen  werden  kann,  und  auch  je  nach  der  An- 
siedelungsweise in  sehr  verschiedener  Stärke  und  Intensität 
auftritt,  so  ist  allein  schon  der  Zusammenhang,  welchen  das 
nachbarliche  Wohnen  und  Leben  erzeugt,  in  Verbindung  viel- 
fach mit  den  Familientraditionen  der  alten  Geschlechts  -  Ge- 
nossenschaft hinlänglich,  um  uns  die  Bedeutung  der  Mark- 
Genossenschaft  nahe  zu  legen. 

Schon  die  Allgemeinheit  der  Institution  macht  sie  zu  einem 
wichtigen  Factor  for  das  sociale  Leben  des  deutschen  Volkes. 
Ueberall  erscheint  die  Markgenossenschaft  als  die  untente 
Gliederung  des  Volkes,  wenn  auch  nicht,  wie  vielfach  an- 
genommen wird,  mit  jener  Intensität  ihrer  Wirksamkeit,  wie 
sie  uns  später  begegnet  Auch  waren  die  Genossenschaften 
der  ältesten  Zeit  vielfach  sehr  gross,  wodurch  ihre  organisa- 
torische Wirksamkeit,  wenngleich  sie  intensiv  wenig  bedeutete, 
doch  extensiv  sehr  wichtig  genannt  werden  muss. 

Fttr  alle  aber,  die  von  einer  Markgenossenschaft  um- 
schlossen wurden,  war  schon  die  Macht  der  Institution  von 
grosser  Wirkung.  Jeder,  mit  allen  seinen  Interessen,  war 
doch  mehr  oder  weniger  von  der  Genossenschaft  beiUhrt;  das 
Mai'kland  war  ihm  unentbehrlich,  und  ebenso  die  genossen- 
schaftliche Ordnung  seiner  Benutzung  wie  des  feldwirthschaft- 
lichen  Betriebs,  wenigstens  bei  einem  einigermassen  ausge- 
bildeten Dorfeystem.  In  dem  gesellschaftlichen  Zusammen- 
halte, den  die  Nachbarschaft  als  solche  gewährte,  war  das 
Mittel  fbr  Befriedigung  einer  Reihe  von  Bedürfiüssen  des  per- 
sönlichen wie  des  wirthschaftlichen  Lebens  der  Genossen  ge- 
legen und  es  lag  zu  jeder  Zeit  nahe  genug,  durch  Vereinigung 
Gesammtleistungen  hervorzubringen,  zu  denen  der  Einzelne 
in  seiner  Isolirung  nicht  die  Fähigkeit  besessen  hätte. 

So  waren  die  Keime  zu  einem  festeren  Zusammenschluss, 


-     91    — 

als  er  sich  uns  nach  den  Quellen  für  die  ersten  drei  Jahr- 
hunderte der  urkundlichen  Zeit  darstellt,  allerdings  ,, durch 
Sippe  und  Nachbarschaft^  (Grimm)  gegeben;  doch  war  manch 
kräftiger  Anstoss,  manche  Bedrohung,  aber  auch  manche 
Förderung  der  genossenschaftlichen  Existenz  von  aussen  noth- 
wendig,  um  jenen  socialen  Körper  daraus  zu  bilden,  dessen 
Lebensäusserungen  in  späterer  Zeit  so  wohlthuend  und  be- 
friedigend anmuthen.  Die  in  der  Genossenschaft  selbst  ge- 
legenen Organisationsmomente  waren  für  sich  nicht  genügend, 
ans  einer  agi*arischen  Gemeinschaft  einen  politischen  Körper 
zu  machen.  Die  Familie,  der  sociale  Unterbau  der  Mark- 
genossenschaft ist  überhaupt  nicht  staatenbildend;  auf  ihr 
beruht  die  geordnete  Foi-tpflanzung  der 'Bevölkerung  und  die 
Befriedigung  derjenigen  Bedürfhisse,  welche  aus  dem  Gemüths- 
leben  entspringen.  Schon  für  die  Wiilhschaft  genügt  die 
Familie  nur  in  sehr  geringem  Grade;  ihre  ökonomische  Or- 
ganisation ist  immer  vorwiegend  auf  gemeinsamen  Genuss- 
gebrauch gerichtet;  solange  der  Genussgebrauch  der  Natur 
einem  geringen  menAhlichen  Bedürfinisse  genügte,  mochte 
auch  die  Familie  als  Wirthschaftsorganisation  genügen.  Die 
Freiheit  gleichberechtigter  Nachbarn  sodann,  welche  die 
weitere  Genossenschaft  bilden  sollten,  brachte  es  höchstens  zu 
einer  Auseinandersetzung  über  die  nebeneinander  hergehenden 
socialen  Eidstenzen.  Denn  die  Freiheit  ist  wie  die  Sittlichkeit 
nur  ein  negatives  Princip  der  gesellschaftlichen  Ordnung, 
kann  also  nie  ihr  Ziel  sein.  Der  gemeinsame  Besitz  und  ge- 
meinsame Genussgebi-auch  dieses  Besitzes  erschöpfte  sich  fort- 
während und  war  überdiess  immer  nur  Gegenstand  der  Be- 
gehrlichkeit der  Einzelnen,  nicht  für  die  Dauer  ein  bindender 
Kitt  des  gesellschaftlichen  Lebens.  So  lange  daher  die  Fa- 
milienwirthschaft  der  Einzelnen  und  das  genossenschaftliche 
Band  der  „Mark^  den  Bedürfhissen  noch  annähernd  entsprach, 
war  auch  von  einer  socialpolitischen  Ordnung  der  Genossen- 
schaft nichts  zu  erwarten.  Zur  Erhaltung,  zu  ruhiger,  stetiger, 
aber  allerdings  an  enge  Grenzen  gebundener  Entwickelung 
des  Wirthschaftslebens  war  sie  sehr  geeignet  Aber  sobald 
diese  Grenze  erreicht  war   und  das  Bedürfniss  einer  ange- 


-    92     - 

wachsenen  Bevölkerung  und  eines  erweiterten  Lebensgenusses 
nach  weiteren  Fortschritten  verlangte,  da  erlahmte  ihre  Wirk- 
samkeit und  konnte  erst  durch  das  Erwachen  neuer  organi- 
satorischer Kräfte  zu  neuem  Leben  erstehen. 


Dritter  Abschnitt. 

Der  Grundbesitz,  seine  Yertheilung  und  wirth- 

schaftHehe  Gliederung. 

Dass  die  Deutschen  aller  Volksstämme,  wie  sie  nach  Ge- 
schlechtem im  Heere'  geordnet  waren,  auch  geschlechterweise 
in  den  Gauen  sich  ansiedelten,  gemeinsam  Land  in  Besitz 
nahmen  und  schliesslich  an  die  einzelnen  Familien  vertheilten, 
das  scheint  allerdings  ausser  Zweifel  zu  sein  ^). 

In  welche  Art  der  rechtlichen  Verbindung  aber  diese 
Geschlechtsgenossenschaft  mit  Grund  und  Boden  gesetzt  wurde, 
und  wie  sich  die  einzelnen  Genossen  dieser  Verbindung  über 
den  Grundbesitz  auseinandersetzten,  das  ist  aus  den  ältesten 
Quellen  nicht  mit  Sicherheit  zu  erkennen.  Besonders  das- 
älteste  Denkmal  socialer  Zustände  der  Deutschen  nach  der 
Völkei-wanderung ,  das  salische  Volksrecht,  bietet  in  seinen 
Angaben  aber  den  Grundbesitz  ganz  beträchtliche  Schwierig- 
keiten für  ein  volles  Verständniss  der  Lage. 

Von  einem  alleinigen  Eigenthum  des  Königs  oder  des 
königlichen  Fiskus  an  allem  salischen  Lande  ist  jedenfalls 
keine  Rede.  In  dem  altsalischen  Lande  sass  der  freie  Franke 
^enso  auf  seinem  eignen  Giiinde,  wie  der  freie  Bipuarier, 
der  Alamanne  innerhalb  ihrer  Volksgebiete*);  und  auch  das 
Gemeinland  der  Markgenossenschaften  unterliegt,  soweit  wir 
sehen,  keinen  Beschränkungen,  welche  auf  ein  königliches 
Grundeigenthum  oder  Obei-eigenthum  schliessen  Hessen').  Wohl 

^)  Vgl  1.  Abschn.  passim  und  2.  Abschn.  S.  72  f. 
«)  S.  Roth.  Bene£  W.  S.  79.    Waitz  II,  240,  615.    IV,  115. 
')  Dagegen  folgert  Schröder  Forschungen  XIX,   147  aus  L  8aL  14,  4 
und  aus  der  Yerf&gung  des  Königs  Über  unbebautes  Land,    dass  die  in 


•      ■ 


—    93    — 

fiel  dem  Könige  bei  der  Occupation  romanischer  Gebiete  wie 
bei  der  ZurOckdrängung  der  Alamannen  aus  den  mittleren 
Rheingegenden ,  und  bei  anderer  Gelegenheit  viel  verlassnes 
Land  und  beträchtliches  Domaninm  zu'),  über  das  er  frei 
verfügen  konnte  *) ;  insbesondere  stand  dem  Könige  auch  das 
Kecht  zu,  verlassene  Landstriche  zur  Occupation  irgend  einem 
Volkstheile  einzuräumen ').  Aber  weder  daraus,  noch  aus  dem 
Einflüsse  des  Königs  auf  die  Ansiedelungen  in  einer  Gemeinde  *) 
folgt  ein  Eigentbum  desselben  an  allem  Lande,  das  unter 
seiner  Führung  das  Volk  der  salischen  Franken  besetzte. 
Wohl  aber  stand  die  Einwanderung  und  Niederlassung  fi*eier 
Volksgenossen  unter  dem  besonderen  Schutz  des  Königs  und 
aus  diesem  Giomde  hat  sich  derselbe  bei  Yertheilung  des 
Landes  das  Becht  vorbehalten,  selbst  innerhalb  der  einer 
Dorfgemeinde  angewiesenen  Mark  neue  Ansiedelungen  zu  ge- 
statten *). 

Anders  allerdings  mochten  die  Dinge  in  Gallien  liegen; 

Feldgemeinschaft  befindlichen  GrandstQcke  gleich  den  Yöllig  herrenlosen 
Wildl&ndereien  als  Eönigsgat  galten,  den  Gemeinden  als  solchen  also  wie 
den  einzelnen  Oemeindegliedem  nur  ein  Nntzongsrecht  zustand.  Da  er 
mm  Feldgemeinschaft  im  salischen  Lande  allgemein  annimmt,  so  wäre 
damit  allerdings  die  überwundene  Ansicht  Eichhorns  §  26  von  dem  allei- 
nigen Eönigseigenthume  so  ziemlich  wieder  eingef&hrt 

^)  Gaupp,  Ansiedlungen  S.  74.  385. 

')  Darauf  legt  insbesondere  Eichhorn  Bechtsgeschichte  §  26  Gewicht. 
S.  a.  Roth,  Benefidalwesen  S.  69,  72. 

')  Gregor  Tur.  Y,  15.  Chlotar.  I.  und  Sigebert  räumen  den  Land- 
strich, welchen  die  nach  Italien  gezogenen  Sachsen  bewohnt  haben,  herbei- 
gezogenen Schwaben  ein.  Auch  Gregor  lY,  43.  Spätere  Beispiele  bei 
Roth  Benef.  W.  69  f. 

^  L.  Salica  tit  14,  4.  Si  quis  hominem  qui  migrare  voluerit,  et  de 
rege  habuerit  praeceptum  et  abbundivit  in  mallo  publico  et  aliquis  contra 
ordinationem  regis  testare  praesumpserit . . .  culpabilis  judicetur.  Ygl.  tit 
45  de  migrantibus.  Dass  dieser  Einfluss  aber  kein  unbedingter  war,  ist 
gerade  aus  der  Urkunde  zu  ersehen,  welche  z.  B.  Schröder  1.  c.  147  für 
ein  Königseigenthum  an  Markgebieten  anführt;  Cod.  Fuld.  811  n.  261: 
Amalungus .  .  dum  in  nostro  esset  obsequo  venit  ad  villam,  cuius  est  to- 
cabulum  Y.,  quam  tunc  temporis  Franci  et  Saxones  inhabitare  videbantur, 
capiens  ibi  cum  eis  manere,  sed  minime  potuit 

*)  Bethmann-HoUweg,  Gvilprocess  lY,  1  S.  469. 


—    94    — 

die  Franken  siedelten  sich  dort  seit  Chlodovech  an,  ohne 
Landvertheilnng  mit  den  Provinzialen  vorzunehmen,  auch  ohne 
sie  auszutreiben,  daher  wohl  überwiegend  auf  herrenlosem 
Lande,  auf  welches  dem  Könige  ein  allgemeines  Recht  zustand, 
daher  der  Gedanke  einer  üebertragung  alles  ausgetheilten 
Landes  von  Seite  des  Königs  wohl  nahe  liegt  ^). 

Auch  an  ein  ausschliessliches  Gemeineigenthum  der  Ge- 
nossen eines  Gaues  oder  einer  Hundertschaft  an  dem  Grund 
und  Boden  ihres  Gebietes  ist  für  die  Zeit  des  salischen  Volks- 
rechts  nicht  mehr  zu  denken.  Die  Bedeutung  dieser  grösse- 
ren Verbände  für  die  Agrai-verfassung  hatte  schon  in 
der  Zeit  zwischen  Caesai*  und  Tacitus  bedeutend  abge- 
nommen. Während  sie  bei  jenem  noch  unzweifelhaite 
wirthschafUiche  Einheiten  bildeten,  ist  bei  Tacitus  ebenso 
ersichtlich  schon  die  Familie  die  unterste  wirthschaftliche 
Einheit  mit  einem  grossen  Mass  wirthschaftlicher  Selb- 
ständigkeit ausgestattet,  wie  es  sich  mit  einem  ausschliess- 
lichen Gesammteigenthum  der  Gaue  und  Hundertschaften  nicht 
mehr  veilrägt').  Allerdings  werden  diese  nun,  wegen  ihrer 
Bedeutung  für  die  Heeresverfassung,  während  der  grossen 
Wanderzeit  des  deutschen  Volkes  wieder  an  Wichtigkeit  zu- 
genommen und  auch  bei  der  definitiven  Ansiedelung  die  Grund- 
lage der  neuen  agrarischen  Ordnung  gebildet  haben;  aber 
eine  dem  Sondereigenthum  mindestens  nahestehende  ener- 
gische rechtliche  Verknüpfung  der  Familien  mit  dem  Boden 
der  neuen  Heimath  ist  doch  sicherlich  auch  bei  den  Saliern 
schon  für  die  Zeit  anzunehmen,  in  welcher  das  salische  Volks- 
recht wohl  zuerst  eine  Aufzeichnung  gefunden  hat  Denn  es 
findet  sich  weder  eine  Feldgemeinschaft  noch  ein  Flurzwang, 
die  wenigstens  als  Anklang  eines  Gesammteigenthums  der 
Gau-  oder  Centgemeinde  gelten  könnten.  Die  Gemeinschaft 
des  Wald-  und  Weidelandes,   die  uns  hie  und  da  als  Gau- 


»)  Roth  Benef.  W.  S.  69,  75. 

*)  Der  Gegensatz  insbesondere  in  Caes.  b.  G.  VI,  22,  28  und  Tac 
Germ.  12,  25,  26  ausgeprägt  s.  o.  1.  Abschn.  S.  11  f. 


—    95    — 

oder  Gentmark  begegnet  ^),  ist  am  Beginne  der  urkundlichen 
Zeit  jedenfalls  schon  sehr  redudrt  und  keineswegs  zu  einer 
Ausdehnung  der  Vorstellung'  von  einem  Gesammteigenthum 
dieser  grösseren  Verbände  an  ihrem  ganzen  Gebiet  geeignet. 

Auch  berechtiget  nichts  zu  der  Annahme,  dass  die  später 
innerhalb  der  Gaue  und  Hundertschaften  gebildeten  Mark- 
genossenschaften den  gesammten  Grund  und  Boden  ihrer  Ge- 
markung als  ihr  Eigenthum  betrachtet  hätten ').  Zwar  kennt 
die  lex  Salica  keine  Immobilienvindication');  erwähnt  keinen 
Rechtsstreit  über  Grund  und  Boden,  kein  Immobilienpfand- 
recht; die  Execution  an  Grundstücken  scheint  ausgeschlossen 
zu  sein,  da  derjenige,  welcher  ein  Wergeid  nicht  bezahlen 
kann,  sein  Gut  den  Verwandten  abtritt,  damit  diese  die  Wer- 
geldschuld  für  ihn  übernehmen^). 

Auch  sind  alte  Spuren  eines  Vicinenerbrechts  in  einem 
späteren  Gesetz  Ghilperichs  (561 — 584)  zu  finden  ^),  aus  denen 
wenigstens  auf  ein  ursprüngliches  Gesammteigenthum  ge- 
schlossen werden  könnte.  Femer  wird  nach  salischem  Rechte 
der  Einzelne  schon  durch  den  Widerspruch  eines  Nachbarn 
gehindert,  einem  Ankömmling  bleibende  Niederlassung  auf 
seinem  Grund  und  Boden  einzuräumen,  was  man  als  ein  aus 
dem  höheren  Recht  der  Gesammtheit  an  Grund  und  Boden 


^)  Z.  B.  Tr.  Sang.  792  n.  184:  infra  marcha  illa  qaae  Tocatar  Mun- 
tharihes  huntari.    S.  die  Beispiele  bei  Maurer  Einleitong.  S.  96. 

*)  Aach  Waitz  I,  117  f.  bemerkt,  dass  die  Gemeinschaft  des  Dorfes 
am  ganzen  Gebiete  (Feld  und  Mark)  keineswegs  ein  YerfÜgongsrecht  der 
Einzelnen  an  Gnmd  nnd  Boden,  den  Begriff  des  Eigenthiuns,  ansschliesse; 
dieses  konnte  darnach  also  wohl  nur  ein  durch  die  Interessen  der  Ge- 
sammtheit beschrikoktes  Sondereigenthum  sein. 

^  Sohm,  Process  der  1.  Sal.  S.  197  sieht  in  dem  tit.  46  der  1.  Sal. 
de  adfathamire,  der  Ton  der  Herausgabe  des  Vermögens  (fortnna)  durch 
den  Fidnciar  an  die  Tom  Testirer  bestimmten  Erben  oder  L^atare 
bandelt,  eine  Spur  der  Immobilianrindication;  dem  widerspricht  aber  Beth- 
mann-HolIweg  Civilprocess  IV,  1  S.  489. 

*)  L.  Sal.  58  de  chrenecruda. 

^  Edictum  Ghilperici  c.  8  (LL.  11,  10)  wo  eben  dieses  Vicineoerbrecht 
angehoben  wird.    S.  o.  2.  Abschn.  S.  75. 


—    96    — 

abgeleitetes  Recht  des   einzelnen  Genossen   zu    deuten  ver- 
sucht ist*). 

Da  aber  nicht  die  Gesammtheit  als  solche  widerspruchs- 
berechtigt ist^,  und  die  über  Jahr  und  Tag  unangefochtene 
Niederlassung  zum  vollberechtigten  Markgenossen  machte*), 
was  doch  als  Verjährungsfrist  für  Erwerbung  von  Grundeigen- 
thum  viel  zu  kurz  wäre,  so  ist  auch  hieraus  in  keiner  Weise 
ein  Eigenthum  der  Gesammtheit  an  den  Ländereien  des  Ein- 
zelnen, sondern  nur  eine  Yerfügungsbeschränkung  zu  erblicken, 
welche  nur  bestimmt  war,  dem  Einzelnen  Schutz  gegen  belie- 
bige Verkürzung  des  Marknutzens  durch  neue  Ansiedler  oder 
daneben  noch  etwaiger  eventueller  Erbrechte  an  den  Gütern 
der  (jrenossen  zu  bieten. 

Die  Gesammtheit  macht  aber  überhaupt  keine  aus- 
schliessenden  Befugnisse,  welche  Eigenthumsrecht  zur  Voraus- 
setzung hätten,  auf  den  Grundstücken  der  einzelnen  Genossen 
geltend^);  diese  erscheinen  durch  kein  Eigenthnms-  oder 
Obereigenthumsrecht  der  Gesammtheit  in  der  Disposition  über 
Grund  und  Boden  gebunden;  nicht  wie  Nutzniesser,  vielmehr 
ganz  nach  Art  der  Eigenthümer  verfügen  sie  über  Haus,  Hof 


^)  L.  Sal.  tit  45  de  migrantibus  c.  1 :  Si  quis  super  alteram  in  villa 
xnigrare  Yoluerit,  si  onus  vel  aUqui  de  ipsis  qui  in  villa  oonsistont  eom 
soscipere  voluerit,  si  vel  nnos  exteterit  qni  contradicat  migranü  ibidem, 
licentiam  non  babebit 

')  Man  hat  das  insbesondere  aus  dem  (späteren)  Zusatz  zu  tit  45,  2 
folgern  woUen:  Si  vero  aUum  in  villa  aliena  migrare  rogaverit,  antequam 
conventum  fiierit  Aber  es  handelt  sich  hier  offenbar  nur  um  die  Cent- 
▼ersammlnng,  vor  der  alle  Verträge  über  Liegenschaften  abgeschlossen 
werden  mussten,  um  ihnen  die  nöthige  Publicität  zu  sichern.  S.  a.  Schröder 
in  Forschungen  XIX,  S.  147. 

')  L.  Sal.  tit  45,  3:  Si  vero  quis  migraverit  et  infra  12  menses  nuUus 
testatus  fuerit,  securus  sicut  et  alii  vicini  maneat 

*)  Der  eventuelle  Widerspruch  des  Einzelnen  gegen  Abtretung  einer 
Besitzung  durch  Vergabung  von  Todeswegen  (1.  Sal.  46)  hat  keineriei 
Bezug  auf  Genossenschaftsrechte  an  der  Sache.  Es  wfire  sonst  doch  nicht 
an  den  für  Geltendmachung  von  Privatrechten  im  Allgemeinen  bestehenden 
Einredefristen  festgehalten. 


—    97    — 

und  Garten^,  über  Feld  und  Enite*),  ja  selbst  über  Wiesen») 
und  wader*).  Sie  machen  Einfi-iedungen  zu  Gartenanlagen  ^), 
auf  dem  Felde«)  oder  an  Wiesen')  und  können  auch  nach 
der  Ernte  sich  des  willkürlichen  üeberfahrens  der  Nachbarn 
ei-wehren®).    Auch  sind  Flurgrenzen   der  einzelnen  Gehöfte, 


0  L.  Sal.  27,  11:  Si  fenom  exinde  ad  domum  suam  duxerit.  34,  4: 
in  carte  alterius  aut  in  casa;  27,  6:  in  orto  alieno. 

')  L.  Sal.  27,  8:  Si  quis  de  campo  alieno  Uno  furaverit  Zus.  7:  Si 
qms  in  agram  alienum  arborem  insertom  exciderit  27,  24:  Si  quis  in 
campo  alieno  araverit  —  Capit.  Chilp.  (?)  c.  13  (LL.  II,  12)  de  eo  (fm 
alienum  ortom  aut  nabinam  effiregerit.  —  L.  Sal.  9,  1 :  Si  quis  animalia  . . . 
in  messe  sua  invenerit;  auch  9,  4;  9,  7  in  messe  aliena. 

')  L.  SaL  9,  Zus.  2:  Si  vero  . . .  sepem  alienam  aperuerit  et  in  messe, 
in  prato,  in  Tinea  vel  qualibet  laborem  pecora  miserit  27,  10:  Si  quis 
prato  alieno  secaverit 

*)  L.  Sal.  27,  18:  Si  quis  ligna  aliena  in  silva  aliena  furayerit  Dass 
hier  nicht  an  Privatwald,  sondern  an  den  einer  fremden  Gemeinde  ge- 
hörigen Wald  zu  denken  sei,  wie  Schröder  Forschungen  XIX,  145  t^I, 
ist  nicht  zuzugeben;  die  Bestimmungen  des  Titels  27  beziehen  sich  alle 
anf  den  Schutz  von  Privatrechten  an  Grund  und  Boden;  auch  sonst  handelt 
das  Gesetz  nie  von  Eingriffen  in  die  Rechte  anderer  Gemarkungen;  da- 
gegen rechtfertigt  sich  die  Auffassung  von  silva  aliena  als  Sonderwald  theils 
damit,  dass  manche  Texte  daftir  silva  alterius  haben  (s.  Zus.  11  zu  tit  7), 
und  dass  sich  die  Bestimmungen  über  Sonderwald  den  vorangehenden 
aber  fremdes  Holz  im  Gemeindewald  gerade  entsprechend  anschliessen.  Die 
Busss&tze  sind  leider  nicht  bestimmt  genug;  während  auf  Fällen  oder  An- 
zünden eines  fremden  Holzes  15  sol..  Schälen  (dolare)  desselben  im  Gemein- 
wald 3  sol.  stehen,  wfrd,  wer  fremdes  Holz  in  silva  aliena  stiehlt,  nach 
Pardessns  1.  Text  mit  3  sol.,  4.  Text  mit  15  sol.  und  2.  Text  mit  46  soL 
bestraft;  vgl.  aber  auch  Ed.  Chlotach.  II.  614  c.  21  (LL.  I,  15)  Porcarii 
fiscales  in  Silvas  ecdesiarum  aut  privatorum . . .  ingredi  non  praesumant. 

')  L.  Sal.  7,  Zus.  7  Si  quis  pomarium  sive  quamlibet  arborem  domesti- 
cam  extra  clausuram  exciderit 

*)  L.  Sal.  9,  8 :  Si  quis  vero  pecora  in  damno  aut  in  dausura . . .  ex- 
pellere  presumpserit.  (Andre  Texte:  de  damno  in  clausura  iuerint;  andre: 
de  damno  cigus  messe  vastaverint  et  inclusa.) 

^  Ib.  Zus.  2:  Si  vero  per  inimiciciam  aut  per  superbia  sepem  alienam 
aperumt  et  in  messe,  in  prato,  in  vinea  vel  quamlibet  laborem  pecora 
ndserit.    Vgl.  auch  tit.  27,  Zus.  8 :  Si  quis  vero  clausuram  alienam  deruperit 

")  L.  Sal.  34,  2:  Si  quis  per  aliena  messe,  postquam  levaverit,  erpicem 
traxerit  aut  per  eam  cum  carro  sine  via  transversaverit. 

von  Inamt-Sternegg,  WirtlLschaftflgeschicbte.     I.  7 


—    98    - 

wie  sie  in  dem  Verfahren  bei  Auffindung  eines  zwischen  zwei 
Villen  Erschlagenen  erwähnt  werden,  bei  einer  allgemeinen 
Feldgemeinschaft  nicht  denkbar^). 

Der  Mannesstamm  %  später  auch  die  weibliche  Verwandt- 
schaft') erbt  den  Grundbesitz  und  vei-theilt  ihn  unter  die 
Erbberechtigten^);  damit  allein  musste  sich,  wenn  auch  der 
erste  Ausgangspunkt  ein  Gesammteigenthum  der  Geschlechter 
war,  die  Idee  des  Sondereigens  immer  mehr  in  den  An- 
schauungen und  Gewohnheiten  des  Volkes  festsetzen^). 

So  kann  denn  allerdings  bei  den  salischen  Fi-anken 
Sondereigenthum  an  Grund  und  Boden  nicht  bezweifelt  werden; 
aber  die  Ausübung  desselben  unterlag  jedenfalls  weitgehenden 
Beschränkungen  und  einer  festen  Ordnung  der  öffentlichen 
Interessen  durch  das  Recht,  welches  der  Gesammtheit  zustand. 

^)  Cap.  Chlodovech.  (?)  c.  9  (LL.  II,  12):  Sicut  adsolet,  homo  iuxU 
Villa  aut  inter  duas  villas  prozimas  sibi  vicinas  fuerit  interfectuB .  . .  tnnc 
vidni  Uli,  in  quorum  campo  vel  exitum.corpus  inventum  est,  debet  facere 
bargo ....  Et  debet  iudex  nuntiare  et  dicere:  homo  iste  in  vestro  agro 
yel  in  vestibulo  est  occisus  .  .  .  Tunc  vicini  Uli,  quibus  nontiatur  a  iudioe 
ante  40  noctes  qui  meliores  sunt  cum  65  se  exuant  quod  ne  ocddissent  nee 
Bciant  qui  occidissent;  minoflidis  vero  15  iuratores  donent  Wie  h&tten 
doch,  wenn  das  Nuntium  des  Judex  den  gesammten  Dorfbewohnern  ge- 
golten hAtte,  diese  so  viele  Eideshelfer  aufbringen  können,  die  ja  doch 
nicht  aus  den  betheiligten  Genossenschaften  zu  nehmen  waren!  Vgl.  über 
diese  Stelle  1.  Absch.  S.  44.  Dagegen  nehmen  Waitz  II,  813,  Röscher  II, 
§71,  Not  9  und  Schröder  Forschungen  XIX,  145  diese  Stelle  gerade  als 
starken  Beweis  der  Feldgemeinschaft. 

*)  L.  Sal.  59,  5:  De  terra  vero  nulla  in  muliere  hereditas  non  perti- 
nebit,  sed  ad  virilem  sexum  qui  fratres  fiierint,  tota  terra  perteneat 

')  Ed.  Chilperici  c.  3.  Et  si  subito  fiiios  defiincti  fuerint,  fiUa  simili 
modo  acdpiant  terras  ipsas  sicut  et  filii  si  vivi  fuissent  aut  habuissent. 
...  Et  subito  frater  moriens  frater  non  dereliquerit  superstitem,  tunc  soror 
ad  terra  ipsa  accedat  possidenda.  Wie  frühzeitig  diese  Wandelung  der 
Anschauungen  vor  sich  ging,  ist  aus  Marknl&  Formeln  II,  12  zu  ersehen, 
wo  es  als  impia  consuetudo  gilt,  die  Töchter  von  irgend  einem  Theüe  der 
Erbschaft  auszuschliessen. 

*)  Marculf,  Appendix  49. 

")  S.  auch  die  zahlreichen  Formeln  bei  Marknlf,  welche  Verträge  über 
Liegenschaften  zum  Gegenstände  haben  und  keinerlei  Beziehung  aof  Ge- 
nossenschaftsrechte enthalten,  11,  19  Venditio  de  villa.  20  Vend.  de 
infra  civitate.    21  Vend.  de  campo.    23  Concambio  de  vUlis. 


-    99    — 

Und  auch  aus  anderen  Volksrechten  ist  ein  ähnlicher 
Zustand  fbr  die  älteste  Zeit  wenigstens  aus  Andeutungen  noch 
zu  entnehmen.  Auch  dem  ripuarischen  Volksrechte  in  jenem 
Theil,  welcher  als  der  älteste  des  Gesetzes  (aus  dem  Anfang 
des  6.  Jahrhundeils)  angenommen  wird,  sind  Yindication  und 
Execution  der  Immobilien  fremd  ^);  erst  spätere  Zusätze  und 
Einschiebungen  führen  den  Process  um  Grundeigenthum  ein '). 

Das  alamannische  und  das  baiuwarische  Yolksrecht  haben 
über  den  Rechtsstreit  wegen  Grundbesitz  zwei  merkwürdige 
Parallelstellen.  Wo  in  dem  letzteren  die  Nachbarn  (com- 
marcani)  über  die  Grenzen  eines  Gmndstücks  streiten  %  sind 
es  in  dem  alamannischen  Rechte  noch  die  Geschlechter  (ge- 
nealogiae)  die  den  Streit  führen^);  es  würden  auch  diese 
Stellen,  wie  jener  älteste  Theil  des  ripuarischen  Yolksrechts 
zu  der  Annahme  führen  können ,  dass  es  sich  immer  nur  um 
Gesammteigenthum  der  Geschlechter-  oder  Markgenossenschaft 
handle,  wenn  nicht  in  all  diesen  Gesetzen  doch  die  Thatsache 
emes  Sondereigenthums  an  Gi*und  und  Boden  sonst  hinlänglich 
bezeugt  wäre.  Denn  nicht  bloss  Sonderbesitz  an  Grundstücken 
überhaupt,    und  insbesondere  an  Aeckem^),    Wiesen^)  und 

>)  Bethmann-HoUweg  Civ.  Pr.  lY,  1,  S.  489. 

')  Es  sind  die  tit  59  und  60  der  L.  Ripuar.,  welche  auf  einen  gesetz- 
geberischen Act  Chüdeberts  11  (575—596)  zurückgeführt  werden.  Sohm, 
Zeitsch.  £.  Rechtsgeschichte  V,  427  ff.,  440. 

*)  L.  Bi^uY.  XII,  8 :  Quotiens  de  commarchanis  contentio  nasdtur, 
...  et  iste  dicit:  Hucusque  antecessores  mei  tenuerunt  et  in  alodem  mihi 
relinquemnt  et  ostendit  secundum  proprium  arbitrium  locum;  alter  vero 
nihilominus  in  istius  partem  ingreditur,  alium  ostendit  locum,  secundum 
prioris  Terba  suum  et  suorum  antecessorum  semper  fmsse  osque  in  praesens 
asserit. 

*)  L.  Alam.  87:  Si  qua  contentio  orta  fuerit  inter  duas  genealogias  de 
temrino  terrae  eorum  et  unus  dicit:  Hie  est  noster  terminus,  alius  revadit 
io  alium  locum  et  dicit:  Hie  est  noster  terminus. 

^  L.  Ripuar.  43:  in  clausuni  aliena;  44  per  messem  aUenam.  82  in 
messe  aliena  Tel  in  quacunque  übet  clausura.  Pact.  Alam.  II,  20  f.  sepe 
aliena;  II,  22  terra  aliena,  26  in  campo  suo.  III,  38  messem  alienam.  L. 
AI.  84,  5  curtem  alicuius;  100,  3  curte  aliena;  104,  8  terra  aliena.  L.  Bajuy. 
12,  9:  territorium  meum;  9,  12  in  orto  alicuius;  10,  18:  Signum  . .  .  cam- 
pom  defendendi. 

*)  L.  Baj.  17,  1:  pratum  vel  agrum  vel  exartum  alterius;  18,  6  messem 
Tel  pratum  alterius.  7* 


—    100    — 

ÜVäldem^)  lassen  sie  zu,  sondei-n  sie  gestatten,  die  Befugniss 
freier  Verfügung  auch  über  die  Substanz  des  Grundbesitzes 
aus  vielen  Stellen  deutlich  zu  erkennen  *\  obwohl  auch  diesen 
Gesetzen  mannigfache  Beschränkungen  der  Ausübung  des 
Eigenthumsrechts  nicht  fremd  sind. 

Zu  jedem  Giiindbesitz  gehöile  nun  sicherlich  in  ältester  Zeit 
ein  Antheil  an  dem  Gemeinlande  der  Gemarkung^)  und  dieser  war 
nur  ein  Nutzungsrecht,  wenn  auch  immerhin  ein  sehr  weitgehen- 
des, das  sogar  durch  Rodung  und  Einfang^)  zu  einer  Begründung 
von  weiterem  Sondereigenthum  ausgedehnt  werden  konnte. 
Weiter  aber  als  diese  Schranken  der  Benutzung  von  Gemeinde- 
land reichten,  ging  sicherlich  der  Einfluss  der  Markgenossen- 
schaft auf  den  Besitzstand  der  Genossen  nicht.  Insbesondere 
zeigt  sich  nirgends  ein  Widerapruchs-  oder  Vorkaufsrecht  der 
Markgenossenschaft;  ja  nicht  einmal  eine  Zustimmung  zu 
Veräussei*ung  von  Grund  und  Boden  innerhalb  der  Gemarkung 
ist  aus  den  Volksrechten  und  Urkunden  zu  constatiren,  wie 
das  schon  im  Zusammenhang  mit  der  Darstellung  der  socialen 
Bedeutung  der  Markgenossenschaft  gezeigt  worden  ist^). 

Steht  damit  aber  auch  die  Thatsache  fest,  dass  ein  Sonder- 
eigenthum an  Grund  und  Boden  allenthalben  bei  den  deutschen 
Volksstämmen  in  der  Zeit  ihrer  Volksrechte  bestand,  so  ist 
es  doch  für  die  Eigenthumsordnung  dei-selben  vor  allem  charak- 
teristisch, dass  der  Inhalt  dieses  privaten  Grundeigenthums 
durch  die  weitere  Familie  (Sippe)  eine  nicht  unwesentliche 
Beschränkung  erfuhr. 


^)  L.  B%j.  22,  11:  de  alterius  süva. 

*)  L.  Alam.  57.  1:  illa  teneat  terraiQ  patris  eorom.  L.  AL  Lantfr. 
98,  2:  nullns  alienam  terram  sine  auctoritate  praesumat.  L.  Rip«  60: 
Si  qois  villam  aut  vineam  .  .  ab  alio  comparavit  Vgl.  auch  L.  Alam. 
Hloth.  2,  2. 

")  Vgl.  Gaapp,  Ansiedlangen  949.    Grimm,    Rechtsalterthümer  501  fil 

^)  L.  Baiuy.  17,  2:  Si  autem  suum  voluerit  Tindicare  illum  agram  aut 
pratum  vel  exartum  etc.  Tnnc  dicat  ille  qui  quaerit:  Ego  habeo  testes, 
qui  hoc  Bciunt,  quod  labores  de  isto  agro  semper  ego  tuli  nomine  contra- 
dicente,  exaravi,  mnndavi  usque  hodie  et  pater  meus  reUquit  mihi  in 
poBsessione  sua.    Vgl.  auch  Maurer,  Einl.  S.  158  und  Beseler,  Neabruch. 

»)  S.  0.  2.  Absch.  S.  76ff. 


—    101    - 

An  ein  Gesammteigenthum  derselben  an  allem  Grund- 
besitz ihrer  einzelnen  Glieder  ist  allerdings  ebensowenig  zu 
denken^),  als  an  ein  solches  Recht  der  Markgenossenschaft. 
Aber  auch  ohne  ein  solch  weitgehendes  Becht  erkläi-en  sich 
die  Verfügungsbeschränkungen,  welchen  das  Recht  des  Ein- 
zelnen unterlag,  aus  dem  starken  Zusammenhalte,  den  die 
Familie  in  allen  Beziehungen,  also  auch  sicherlich  in  ver- 
mögensrechtlicher, lange  Zeit  hindurch  bewährt  hat. 

An  der  Erhaltung  eines  gewissen  Grundbesitzes  bei  der 
Familie  waren  alle  Angehörigen  dei*selben  interessirt.  Das 
Grundeigenthum  bildete  die  ökonomische  Basis  der  ganzen 
Familie;  von  seinen  Erü'ägnissen  mussten  die  Gesammtbe- 
dürfnisse  derselben  bestritten  werden,  soweit  sie  zu  gemein- 
schaftlicher Haushaltung  vereinigt  war,  oder  Leistungen  von 
dem  Haupte  der  Familie  fdr  alle  Glieder  der  Sippe  verlangt 
wurden.  Nur  wenn  das  Haupt  der  Familie  hinlänglich  mit 
Grundbesitz  ausgestattet  war,  konnte  es  die  mit  dem  Mundium 
verbundenen  Rechte  und  Pflichten  wirksam  üben. 

Und  auch  die  Erhaltung  der  socialen  und  politischen 
Position  der  Familie  war  davon  abhängig  *).  Das  Grundeigen- 
thum war  das  ökonomische  Substrat  für  die  social  und  po- 
litisch bevorzugte  Stellung  der  über  den  gemeinen  aber  land- 
losen Freien  emporragenden  mediani,  boni  viri,  rachinburgi; 
und  auch  im  gesellschaftlichen  Verkehr  konnte  sich  nur  die- 
jenige Familie  bei  Ansehen  erhalten,  welcher  die  Mittel  zu 
Gebote  standen,  Gastfreundschaft  zu  üben  und  Gastgeschenke 
in  reichem  Masse  zu  spenden '). 

Darum  waren  die  alten  Deutschen  den  Testamenten  ab- 
geneigt*), weil  durch  sie  Vermögen  der  Familie  entfremdet 
werden  konnte*);  dämm  Hessen  sie  anfänglich  keine  Weiber- 

*)  S.  a.  Waitz,  Verf.  Gesch.  I,  60. 

')  Vgl.  Walter,  Rechtsgeschichte  ü,  §  469. 

^)  S.  a.  Waitz  II,  221.    Wackernagel,  kleine  Schriften  I,  25. 

*)  Schon  Tacitos  Germ.  20:  nallum  testamentiim. 

^  Vgl.  die  bezeichnende  Stelle  in  L.  Rothar.  360:  Qui  gravem  inimi- 
citiam  com  ipso,  qui  pulsatur,  commissam  habet,  id  est,  si . .  res  suas 
alii . . .  thingaverit,  ipse  non  potest  esse  sacramentalis,  qaamvis  prozimus 
Sit,  eo  quod  inimicus  et  extraneus  esse  invenituK 


—    102    — 

erbfolge  im  Grundbesitz  zu,  weil  dieser  damit  an  eine  andere 
Familie  übergingt);  daraus  erklären  sich  auch  jene  Beschrän- 
kungen der  Veräusserung,  wie  sie  noch  das  bairische  und 
sächsische  Volksrecht  kennen;  jenes  gestattet  freie  Disposition 
über  den  Grundbesitz  nur  dann,  wenn  mit  den  Söhnen  bereits 
abgetheilt  ist^);  dieses  bindet  die  Veräusserung  von  Gi-und- 
besitz,  ausser  im  Falle  ächter  Noth,  an  die  Zustimmung  des 
nächsten  Erben  und  gesteht  diesem  ein  Vorkau&recht  zu'). 
Galt  aber  das  Grundeigenthum  überall  als  ein  zu  Gunsten 
der  Familie  gebundenes  Eigenthum,  so  erkläii;  sich  auch  sehr 
einfach  jenes  Fehlen  der  Händung  und  Execution  der  Inmio- 
bilien.  Der  jeweilige  Besitzer  sollte  nicht  durch  seine  per- 
sönlichen Schuldverbindlichkeiten  den  ökonomischen  Bestand 
der  Familie  gefährden  dürfen;  die  sociale  und  politische 
Existenz  des  Schuldners  und  seiner  Familie  sollte  wegen  Geld- 
schuld oder  anderer  bloss  vermögenswerther  Verbindlichkeiten 
nicht  geopfert  werden.  Und  wenn  einer  wegen  Tödtung  ein 
Wergeid  schuldig  geworden  war,  das  er  mit  seinem  beweg- 
lichen Vermögen  nicht  bezahlen  konnte,  so  musste  er  sich 
zwar  seines  Grundeigenthums  entschlagen,  aber  nicht  zu 
Gunsten  des  Gläubigers,  sondern  zu  Gunsten  seiner  weiteren 
Familie,  welche  nun  in  dieses  Schuldverhältniss  eintrat^). 


^)  Aach  die  lex  Thuring.  enthält  unter  ihren  ältesten  Bestandtheilen 
tit  6  den  Grundsatz:  Hereditatem  defuncti  filius  non  filia  suscipiat  Si 
filium  non  haboit  qui  defonctos  est,  ad  filiam  pecunia  et  mandpia,  terra 
yero  ad  proximum  patemae  generationis  consanguinenm  pertineat 

*)  L.  B%juy.  I,  1 :  üt  si  qnis  über  persona  voluerit  et  dederit  res  soas 
ad  ecclesiam  pro  redemptione  animae  soae,  licentiam  habeat  de  portione 
soa,  postquam  cum  filiis  suis  partivit  Nach  den  Urkunden  war  ausserdem 
Zustimmung  der  Söhne  und  Blutsfreunde  nothwendig  Meichelbeck  758,  la 
59;  765,  Ib,  13;  791,  Ib,  102,  oder  es  konnte  die  portio  zur&ckYeilaDgt 
werden.  Uebrigens  Terlangt  auch  die  in  Bezug  auf  Sondereigenthum  schon 
sehr  Yorgeschrittne  L  Burg.  1,  1;  24,  5;  51,  1,  2;  84,  1  Bewahrung  der 
ursprQngUchen  sors  und  Abtheilung  mit  den  Kindern. 

')  L.  Saxon.  64:  Liber  homo,  qui  sub  tutela  nobilis  cuiuslibet  erat, 
qui  iam  in  exilium  missus  est,  si  hereditatem  suam,  necessitate  coactos, 
vendere  voluerit,  offerat  eam  primo  proximo  suo,  si  ille  emere  noluerit, 
offerat  tutori  suo,  vel  ei,  qui  tunc  a  rege  super  ipsas  res  constitutus  est 
Si  nee  iUe  voluerit,  vend^t  eam  cuicunque  voluerit 

*)  L.  SaL  58:  de  chrenecruda. 


—    103    — 

Dieses  ganze  System  der  Beschränkungen  des  Grund- 
eigenthums  zu  Gunsten  der  Familie  setzt  aber  voraus,  dass 
neben  dem  bei  der  Landvertheilung  erworbenen  und  später 
durch  Erbgang  gewonnenen  Grundbesitz  kein  weiteres  Immo- 
biliarvermögen vorhanden  war,  oder  wenigstens  für  das  Gesetz 
in  Betracht  kam.  Und  diese  Voraussetzung  scheint  allerdings 
zur  Zeit  der  ersten  NilBderschrift  der  lex  Salica  im  salischen 
Lande  wenigstens  der  Hauptsache  nach  vorhanden  gewesen 
zu  sein.  Nur  so  erklärt  es  sich,  dass  dieses  Gesetzbuch  immer 
nur  von  der  Mutter  als  Erbin  des  Sohnes  spricht,  nicht  aber 
auch  vom  Vater.  Bei  Lebzeiten  des  Vaters  konnte  eben  der 
Sohn  nicht  leicht  selbständiger  Grundeigenthümer  seinO;  er 
verblieb  wohl  immer  bis  zu  dessen  Tode  im  väterlichen  Hause 
in  wirthschaftlicher  Unselbständigkeit,  wie  dieser  Fall  in 
einigen  Volksrechten  ausdrücklich  erwähnt  ist  *),  oder  er  stand 
auch  mit  seinem  Peculiura  in  der  vermögensrechtlichen  Ober- 
herrschaft des  Vaters  als  Trägers  des  Mundiums^). 

Nicht  minder  ist  es  bemerkenswerth,  dass  das  ripuarische 
Recht  ^)  ganz  ähnliche  Bestimmungen  über  den  Ausschluss 
der  weiblichen  Verwandtschaft  von  der  Erbschaft  an  Grund- 
besitz, wie  ihn  die  älteste  lex  Salica  allgemein  vorschreibt, 
auf  die  teri'a  aviatica  beschränkt,  also  eben  auf  jene  Art  des 
Grundvermögens,  das  in  den  primitiven  Wirthschaftszuständen 
im  altsalischen  Lande  wohl  die  einzig  berücksichtigenswerthe 
gewesen  ist 

Auch   die   späteren  Redactionen  ^)  des  salischen  Volks- 


^)  Waitz,  Verf.  Gesch.  II,  86.  Einigermassen  widersprechend  ib.  I, 
54  and  Wackemagel,  kl.  Sehr.  I,  15  wo  eine  Abtretung  des  Guts  an  den 
Sohn  durch  den  alternden  Vater  angenommen  wird.  Aehnlich  auch 
Schröder  in  Forschungen  XIX,  146. 

«)  L.  Burg.  75,  2.    L.  Wisig.  V,  2.  18.    S.  4.  Abschn.,  8.  147. 

')  Nach  der  1.  Wisig.  IT.  5,  c.  5  musste  der  Sohn  selbst  von  dem, 
was  er  auf  dem  Eriegszuge  verdient  hatte,  das  Drittheil  dem  Vater  ab- 
geben, weil  das  Hauswesen  inzwischen  seine  Arbeit  entbehrt  hatte.  Vgl. 
Walter,  Rechtsgeschichte  II,  §  510. 

^)  L.  Rip.  56,  4 :  Sed  cum  virilis  sexus  extiterit,  femina  in  hereditatem 
aviaticam  non  succedat. 

*)  Dieselben  sind  angeführt  in  Behrends  Ausgabe   der  1.  Salica  S.  78. 


—    104    — 

rechts  beschränken  diesen  Vorzag  des  Mannesstammes  bloss 
auf  die  terra  salica,  das  ererbte  Landeigenthum  ^).  Und  noch 
in  den  ältesten  Urkunden,  welche  doch  schon  der  Zeit  mannig- 
facheren Grunderwerbs  und  lebhafteren  Güterverkehrs  an* 
gehören,  ist  Erbgut  weit  überwiegend  Object  der  Verträge  •) ; 
erst  später  wird  erkauftes  oder  neu  gerodetes  Land  häufiger  ^). 

So  lange  sich  aber  die  weitere  Familie  oder  Geschlechts- 
genossenschaft  auch  nachbarlich  zusammenhielt^),  sich  gleich- 
sam mit  der  Markgenossenschaft  deckte,  und  diese  vorwiegend 
nur  familienhafte  Lebensäusserungen  zeigt,  ist  auch  allerdings 
eine  Beschränkung  des  Grundeigenthums  der  Einzelnen  durch 
die  Gesammtheit  vorhanden,  ohne  dass  doch  jenes  desswegen 
geläugnet  werden  könnte. 

Mit  der  Verflüchtigung  dieser  innigen  Geschlechtsgenossen- 
schaft zur  Markgenossenschaft  als  blosse  Nachbargemeinde, 
und  mit  Vervielfältigung  der  Erwerbungsarten  von  Grund- 
besitz verlor  auch  die  Familie  ihren  beschränkenden  Einfluss 
auf  denselben.  Nur  ein  beschränktes*)  Widerspruchsrecht 
und  Vorkaufsrecht  der  nächsten  Verwandten  bei  Verkauf  von 
Erbgut,  wie  es  aus  jenen  späteren  Volksrechten  und  aus  den 
Vei-wünschungsfonneln  der  Urkunden  zu  ersehen  ist,  scheint 


Dass  dieser  Zusatz  aber  gleichfalls  sehr  alt,  wohl  noch  vor  dem  ed.{Chil- 
perichs  entstanden  ist,  «und  die  so  ergänzte  Bestimmung  mit  andern  Theilen 
der  lex  Salica  in  die  1.  Ripuar.  gleichfalls  noch  vor  diesem  Zeitpunkt 
überging,  ist  daraus  zu  entnehmen,  dass  in  der  Folge  die  Weiber  aUe 
Art  von  Grundeigenthum  erben. 

^)  Dieselbe  Bedeutung  auch  bei  Marculf  II,  12.  App.  49.  Waitz, 
Verf.  Gesch.  II,  90  hält  diesen  Zusatz  (salica)  nur  für  eine  Erläatenuig 
der  Bestimmung  in  1.  Sal.  59,  5:  De  terra  Yero  nulla  in  muliere  hereditas. 

*)  So  wird  in  den  ältesten  Weissenburger  Traditionen  der  Grundbesitz 
noch  durchgängig  als  portio  bezeichnet,  z.  B.  699,  No.  205,  240;  700, 
No.  203;  695—711,  No.  228;  712,  No.  225,  284;  711—715,  No.  237; 
715,  No.  218,  226;  718,  No.  194,  227.  Vgl.  auch  Waitz,  das  alte  Recht 
der  salischen  Franken  S.  122,  wo  eine  bedeutende  Anzahl  von  SteUen. 

»)  Doch  schon  600—624  Mon.  Boic.  28b.  p.  39  (Urk.  B.  o.  d.  Eons 
I,  437)  dominationem  tarn  de  alode  quam  et  de  emtione  de  lucro  meo. 

*)  Vgl  Walter,  Rechtsgesch.  D,  §  469. 

')  Dass  dieses  Widerspruchsrecht  kein  unbedingtes  war,  bezeugen  die 
Urkunden  unwiderleglich,  s.  Waitz  II,  222. 


—    105    — 

sich  noch  erbalten  zu  haben.  Im  üebrigen  aber  verfügt  nun 
jeder  einzelne  Grundbesitzer  frei  über  seinen  Antheil  am 
Erbgut^)  sowohl,  als  auch  über  allen  auf  anderem  Wege  er- 
worbenen Grundbesitz.  Insbesondere  ist  die  schon  im  salischen 
Recht  statuiite  Theilung  des  väterlichen  Erbguts  unter  die 
Sdhne  in  fortwährender  Uebung,  wie  das  die  späteren  Yolks- 
rechte')  und  die  Urkunden  zur  Genüge')  erkennen  lassen. 

Auch  von  denjenigen  Stücken  des  Gemeindegebiets,  welche 
zuerst  sicher  als  gemeine  Mark  nicht  zum  Sondereigenthum 
gehörten,  treten  immer  mehr  Theile  in  den  privaten  Rechts- 
verkehr ein,  werden  Objecto  des  Privateigenthums  und  der 
Sonderwirthschaft  der  Genossen.  ,  Nicht  nur  wird  das  Feld 
durch  Umzäunung  von  der  gemeinschaftlichen  Weide  nach 
der   Hegezeit   ausgenommen^),    sondern    auch   Wiese ^)    und 


^)  L.  Thiiring.  54:  liberi  homini  liceat  hereditatem  suam  cui  voluerit 
tradere.  Richthofen  (LL.  Y,  138)  erklärt  ohne  Grund  in  beneficium  tra- 
dere  und  hält  die  Stelle  für  einen  Zusatz,  der  in  karolingischer  Zeit  zu 
dem  ältesten  Rechte  bei  dessen  Niederschrift  gemacht  worden  sei.  Aber 
schon  in  einer  Urkunde  aus  dem  Anfang  des  7.  Jahrh.  (Mon.  Boic.  28  b. 
p.  39  und  Urk.  B.  o.  d.  Enns  I,  487)  heisst  es :  volo  potestatem  habere 
de  meo  proprio  dare  ubicunque  mihi  placuerit.  In  Tr.  Wizz.  712  u.  715, 
No.  225  und  218  wird  das  Erbgut  (portio)  verkauft. 

*)  L.  ßaj.  I,  1. 

^)  Tr.  Wizz.  783,  No.  13 :  quod  ego  contra  germano  meo  in  porcionem 
recepi  et  ad  me  pervenit;  734,  No.  9:  quicquid  ego  contra  germano  meo 
ad  partem  recepi.  Auch  739,  No.  10.  Ebenso  häufig  in  Pardessus  Diplo- 
mata,  z.  B.  731,  II,  550:  quam  ex  alode  in  porcione  contra  germano  meo 
L.  duce  accepimus.  Mittelrh.  Urk.  B.  718,  II,  3:  quod  contra  aUodiones 
meos  accepi.  Tr.  Sangall.  754,  No.  19:  que  mihi  inter  fratres  meos  aTenit. 
Insbesondere  bezieht  sich  der  Ausdruck  sors  in  den  fränkischen  Urkunden 
vorzugsweise  auf  die  Erbtheilung  des  Grundbesitzes;  s.  Waitz  II,  224. 
Dagegen  Schröder  in  Forschungen  XIX,  146. 

*)  L.  SaL  7  Zus.  7;  9,  8;  27,  Zus.  8.  L.  Ripuar.  82:  clausura.  L. 
Bi^uv.  X,  18.  Qui  Signum,  quod  propter  defensionem  ponitur  —  quod 
Signum  wiffam  yocamus.    Ed.  Chlotarii  615  c.  21. 

^  So  finden  sich  in  Tr.  Frising.  816,  No.  348  neben  pratis  ad  carrad. 
50  in  alio  loco  pratae  communes.  Doch  beginnt  im  Ganzen  erst  in  der 
folgenden  Periode  ein  lebendiges  ökonomisches  Interesse  an  Sonderwiesen  ; 
s.  IL  Buch  4.  Abschnitt. 


—    106    — 

Wald  0  sind  immer  zahlreicher  privater  Veiiügung  unterworfen 
worden.  Wohl  mag  diess  vorzugsweise  in  jenen  Gegenden 
vorgekommen  sein,  deren  Ansiedelungen  nach  dem  Hofeystem 
eingerichtet  waren;  aber  doch  auch  anderwärts  finden  sich 
unzweifelhafte  Belege  hierfür.  Allerdings  blieben  dabei  gewisse 
markpolizeiliche  Beschränkungen  des  Grundeigenthums  and 
seiner  Benutzung  in  Bezug  auf  die  Sicherung  des  Wasser- 
laufs, der  Wege  und  Stege  etc.  bestehen;  auch  wird  das 
öffentliche  Interesse  an  den  Grandbesitzverhältnissen  fort- 
dauernd gewahrt  durch  Erhaltung  der  Publicität  aller  üeber- 
tragungsvorgänge  ^) ;  und  auch  die  singulare  Vorschrift  der 
lex  Salica  über  die  Niederlassung  in  der  Gemeinde  fällt  unter 
diesen  Gesichtspunkt').  Aber  bei  diesen  geringen  Anfängen 
einer  Verwaltung  öffentlicher  Interessen  sind  die  Markgenossen- 
schaften dieser  Zeit  stehen  geblieben  und  sicherlich  ist  das 
Grundeigenthum  am  Ackerlande  seinem  Inhalte  nach  nicht 
weiter  beschränkt  gewesen. 

Nicht  mit  demselben  Intensitätsgrade  tritt  das  Sonder- 
eigenthum  an  anderen  Nutzungsformen  des  Bodens  auf.  Musste 
schon  das  Ackerland  sich  die  oifne  Zeit  gefallen  lassen^),  so 
war  eine  Gemeinnutzung  noch  mehr  bei  Wiesen  und  Wald 


^)  lieber  die  forestae  s.  n.  S.  127  und  II.  Buch,  2.,  3.  und  4.  Abscbo. 

^)  L.  Ripuar.  59,  1 :  Si  quis  alten  aliquid  yendiderit  et  emtor  testa- 
mentum  yenditionis  accipere  yoluerit,  in  mallo  hoc  facere  debet  60,  1: 
Si  quis  yillam  aut  yineam  yel  qaamlibet  poBsessinnculam  ab  alio  com- 
parayit  et  testamentum  accipere  non  potnerit,  si  mediocris  res  est,  com 
sex  testibus  et  si  panra  com  tribos,  quodsi  magna  cum  duodedm  ad  locom 
tradidonis  cum  totidem  numero  pueris  accedat  et  sie  eis  praesentibus 
pretium  tradat  et  possessionem  accipiat,  et  unicuique  de  parynlis  al^MS 
donet  et  torqueat  auriculas,  ut  ei  in  postmodum  testimonium  praä)eant 
S.  a.  L.  Biyuy.  17,  3. 

")  Besonders  der  spätere  Zusatz  zu  tit  45  de  migrantibuB:  Si  yero 
alium  in  yilla  aliena  migrare  rogayerit  antequam  conyeotum  fuerit  Auch 
für  R.  Schröder  in  Forschungen,  Bd.  19  S.  147  ist  es  nicht  wahrscheinlich, 
dass  ein  förmlicher  Aufiiahmebeschluss  seitens  der  Gemeinde  yerlaogt 
worden  wäre;  es  genügte  die  Abschliessung  des  Vertrags  im  Hondert* 
Schaftsgerichte,  um  jedem  Widerspruchsberechtigten  Kenntoiss  yon  der 
Sache  zu  geben. 

*)  Vgl.  2.  Abschn.  S.  85. 


—    107    — 

Torhanden,  auch  wenn  sie  im  Sondereigenthum  standen^). 
Bei  diesen  beiden  Culturarten  ist  Sondereigen  überhaupt  viel 
später  häufig  geworden;  Wiesen,  welche  abwechselnd  von 
mehreren  genutzt  werden,  sind  noch  in  später  Zeit  häufig 
genug  *);  und  ausserdem  mussten  auch  die  Sonderwiesen  ofihe 
Zeit  halten.  Das  Eigenthum  am  Walde  ist  aber  in  dieser 
Zeit  überhaupt  noch  ein  zu  Gunsten  der  Gesammtheit  be- 
schränktes; wie  bei  den  Bui^undern^)  jeder,  dem  bei  der 
Landtheilung  kein  Wald  zugefallen  war,  in  eines  jeden  Wald 
Bäume  für  seinen  Bedarf  fäUen  dui-fte,  so  war  auch  bei  den 
Baiem  der  Nachbar  (calasneo)  zum  Vogelfang  in  fremdem 
Walde  berechtigt  ^).  So  tief  lag  die  Idee  in  den  germanischen 
Anschauungen  von  der  Wirthschaft  und  in  ihrem  Rechts- 
bewusstsein  begründet,  dass  sich  der  Wald  weniger  zum 
Sondergute  als  zum  gemeinen  Gute  eigne,  und  dass  selbst 
der  in  Sonderdgenthum  übergegangene  Wald  noch  immer 
etwas  von  seinem  ursprünglichen  Charakter  als  gemeines  Gut 
an  sich  trage. 

Neben  den  Verändei-ungen  im  wirthschafüichen  Zustande 
des  Volkes  und  besonders  in  seinen  Vermögensformen  und 
seinem  Güterverkehr,  wie  sie  sich  in  .den  ersten  Jahrhunderten 

nach  erfolgter  Sesshaftigkeit   ausbildeten   und  sicherlich  auf 

^)  Insbesondere  Mast  und  Weide.  Die  Gemeinnutzong  des  Waldes 
ausgesprochen  in  1.  Sal.  27,  16:  Si  quis  in  silvam  materiam  alterins  con- 
capolaTerit  17 :  Si  quis  materium  alienum  ex  •  una  parte  dolatnm  prae- 
sompserit.  19 :  Si  quis  arborem  post  annam  qnod  fiiit  signatas  praesump- 
serit  L.  Rip.  76:  Si  quis  Ripuarius  in  silva  conununi  sen  regis  vel  ali- 
caiQs  locata  materiamen  vel  ligna  abscissa  abstulerit  15  sol.  culp.  jud. . . . 
qoia  non  res  possessa  est,  sed  de  ligno  agitur. 

*)  S.  Landau,  Territorien  S.  34.  Meine  Entwickelung  der  deutschen 
Alpendörfer  in  Raumer-Riehls  bist.  Taschenbuch  1874,  S.  120 ;  n&heres  im 
2.  Bache. 

')  L.  Burg.  28,  1:  Si  quis  Burgundio  aut  Romanus  silvam  non  habet, 
iDcidendi  ligna  ad  usus  suos  de  iacentivis  et  sine  ^ctu  arboribus  in 
cmoslibet  silva  habeat  liberam  potestatem,  neque  ab  illo,  cuios  sUva  est, 
repeUatur. 

*)  L.  B^juY.  22,  11:  üt  nuUus  de  alterius  silva,  quamvis  prius  inveniat, 
aves  (apes?)  tollere  praesumat:  nisi  eins  conmarcanus  fuerit,  quem  calasneo 
dicimus. 


—    108     — 

die  Ausbreitung  und  Verallgemeinerung  des  privaten  Gnrnd- 
eigenthums  mächtig  eingewirkt  haben ,  ist  hierbei  auch  der 
Einfluss  nicht  zu  übersehen,  welchen  die  königliche  Gewalt 
auf  die  Gestaltung  des  Rechts  an  Grund  und  Boden  genom- 
men hat 

Derselbe  trat  zunächst  darin  hervor,  dass  die  königliche 
Gewalt  aus  der  reichen  Fülle  des  insbesondere  durch  die 
fränkischen  Eroberungen  gewonnenen  Kronguts  Schenkungen 
machte,  durch  welche  also  Grundbesitz,  der  nicht  Familiengut 
war,  in  den  Händen  von  Privaten  sich  beträchtlich  mehrte. 
Waren  diese  Vergabungen  in  ältester  Zeit  auch  nicht  blosse 
Verleihungen  zu  Beneficium,  sondern  wirkliche  Schenkungen '), 
so  mehrte  sich  dadurch  doch  der  königliche  Einfluss  und  machte 
sich  in  einem  Amtsrecht«  geltend;  das  auch  eine  Execution 
an  den  Immobilien  für  sich  in  Anspiiich  nahm  ^). 

Sodann  war  es  die  besondere  Gunst,  welche  die  frän- 
kischen Könige  der  Kirche  zuwandten,  die  sie  veranlasste,  zu 
deren  Voitheil  Ausnahmen  von  der  alten  Regel  der  Gebunden- 
heit des  Erbguts  zu  Gunsten  der  Familie  zu  statuiren;  die 
königliche  Gewalt  hob  entweder  diese  älteren  Verfügungs- 
beschränkungen ganz  auf,  wenn  es  sich  um  Vergabungen  an 
den  König  oder  die  Kirche  handelte^),  oder  sie  beschränkte 
wenigstens  das  früher  ausgedehnte  Recht  der  ganzen  Familie 
am  Erbgute  auf  eine  Vei-pflichtung  zu  voi^ängiger  Abschich- 
tung  *)  oder  auf  ein  beschränktes  Retractrecht  der  nächsten 
Vei-wandten  *). 

^)  Roth,  Benefidalwesen  S.  203—208. 

*)  Auch  nach  Waitz  II,  241  wird  durch  eme  solche  Scheidung  nicht 
für  immer  und  vollständig  jede  Beziehung  des  Königs  zu  dem  Oute  auf- 
gehoben.   Vgl.  Sohm,  fränkische  Reichs-  und  Rechtsverfassung  I,  117. 

')  L.  Alam.  I,  1 :  üt  si  quis  Über  res  suas  vel  semet  ipsum  ad  ecclesiam 
tradere  voluerit,  nullus  habeat  licentiam  contradicere  ei,  non  dox  non 
comes  nee  uUa  persona.  Aber  auch  1.  Wisigoth.  Y,  1  c.  1:  quaecunqne 
res  sanctis  Dei  basilicis  aut  per  principum  aut  per  quorumlibet  fidelium 
cognationes  collatae  reperiuntur,  in  earum  iure,  inrevocabili  modo,  legum 
aetemitate  firmentur. 

*)  L.  Bajuv.  I,  1 ;  s.  o.  S.  102  Amn.  2. 

^)  L.  Saxon.  61  ff.  (nach  Merkel  ist  diese  Bestimmung  erst  nach  7dS 
eingefügt)  s.  o.  S.  102  Anm.  3. 


—    109    — 

Endlich  aber  ging  die  königliche  Gewalt  über  die  alte 
sociale  Ordnung  der  Familie  mit  Erstarkung  ihrer  Amtsgewalt 
zur  Tagesordnung  über  und  vindicirte  sich  das  Recht,  die 
factisch  bereits  allerdings  eingebürgerte  VerfOgungsfreiheit  des 
Grundeigenthümers  auch  rechtlich  zu  statuiren  ^) ,  dafür  aber 
nun  auch  Immobiliarvindication  und  Execution  am  Grund- 
eigenthum  nach  Amtsrecht  durchzuführen  und  durch  die  weite 
Anwendung  der  symbolischen  Investitur  eine  Erleichterung  des 
Verkehrs  mit  Immobilien,  besondei-s  zu  Gunsten  der  Kirche 
zu  schaffen  ^).  Es  ist  charakteristisch,  dass  von  dem  ei*sten  legis- 
lativen Schritte  in  dieser  Richtung  unter  Childebert  IL 
(575—596)  die  Ausbildung  eines  für  das  ganze  fränkische 
Reich  gleichförmigen  Immobiliai'sachenrechts  und  Vindications- 
processes  datirt,  wie  eine  solche  Gleichheit  des  Verfahrens 
bei  den  verschiedenen  Volksstämmen  nie  sich  entwickelt  hätte, 
wenn  diese  in  ihrem  eignen  Wirkungskreise  den  Bedürfnissen 
der  Zeit  entsprechende  Rechtsgi'undsätze  über  diese  Materie 
ausgebildet  hätten^). 

Aber  allerdings  geschah  dieser  Schritt  der  königlichen 
Gewalt  nicht  etwa,  geleitet  von  dem  social-politischen  Ge- 
danken, dem  Grundeigenthum  grössere  Unabhängigkeit  von 
den  socialen  Gewalten  und  eine  grössere  Verkehrsfreiheit  zu 
schaffen;  ebensowenig  aber  um  damit  den  socialen  Bestand 
und  die  Bedeutung  der  Familie  zu  untergi*aben ;  sondern  weil 
die  mannigfachen  Erwerbsarten  von  Grundeigenthum  und  das 
gesteigerte  Bedürfniss  des  Gütei-verkehrs  die  alte  Beschrän- 
kung unhaltbar  gemacht  hatten,  und  die  gestärkte  königliche 
Gewalt  eine  bessere  Organisation  des  Rechtsverkehrs  und  der 
Rechtspflege  anstrebte,   und  weil  überdiess  die  zunehmende 


^)  VgL  A.  Sohm,  fränkische  Reichs-  und  Rechtsverfaasung  I,  117. 

*)  Investitora  per  praeceptum  regis  L.  Ripuar.  60,  8.  Ficker  Ür- 
kundenlehre  I,  110  ff.  Investitura  per^cartolam:  L.  Alam  I,  1.  L.  Baj.  1, 1. 
lATestitora  per  testamentum  in  mallo  L.  Rip.  59,  1.  Vgl.  Branner,  zur 
Gesch.  der  Inhaberpapiere  in  Zeitsch.  f.  Handelsrecht  Bd.  22,  S.  535. 

^)  S.  über  die  Zeit  dieser  Gesetzgebung  ausführlich  Sohm  in  der  Zeit- 
schrift f&r  Rechtsgeschichte  Y,  440.  Bethmann-Hollweg  Cit.  Pr.  IV,  1 
S.  491. 


—     110     - 

Bedeutung  der  kirchlichen  Institutionen  eine  privilegirte 
Stellung  beanspruchte^):  aus  diesen  Gründen  ist  die  könig- 
liche Gewalt  auf  einem  Gebiete  thätig  geworden,  das  dann 
allerdings  auch  für  das  sociale  Leben  von  allergrösster  Tragweite 
werden  musste. 

Nun  bildete  aber  in  den  ei-sten  Jahrhunderten  der  Sess- 
haftigkeit  das  Wald-  und  Wildland  der  Genossenschaften  jeden- 
falls noch  den  bei  weitem  grössten  Theil  der  ganzen  Gemarkung*). 
Am  grössten  war  dieses  Uebergewicht  sicher  in  denjenigen 
Gebieten  Deutschlands,  welche  keiner  Einwirkung  römisdier 
Cultur  unterlegen  waren,  in  Friesland,  Sachsen  und  Thürin- 
gen: je  nach  der  Landesbeschaffenheit  überwog  natürlich  der 
Wald  oder  die  Moor-  und  Haidelandschaft.  Aber  auch  frän- 
kische Gegenden  sind  dui*ch  so  grossen  Waldieichthum  noch 
In  der  folgenden  Periode  charakterisirt  ^) ,  dass  für  die  erste 
Periode  noch  eine  sehr  ausgedehnte  HeiTSchaft  des  Waldes 
angenommen  werden  muss^).  Und  in  Alamannien,  besonders 
aber  in  Baiern  ist  sicherlich  der  Waldstand,  nachdem  die 
Römer  sich  aus  diesen  Gebieten  zurückgezogen  hatten,  ganz 
erheblich  gewachsen,  wie  das  aus  dem  nachweisbaren  Cultur- 


^)  Vgl.  insbes.  L.  Alam.  Hloth.  19:  üt  res  ecclesiae  de  laicis  absqne 
carta  nollus  praesamat  possidere.  Et  si  carta  non  ostenderit,  ut  con- 
parasset  apud  pastorem  ecclesiae,  possessio  semper  ad  ecclesiam  pertineat; 
ein  ProcesspriTÜegiam  der  Sarche,  dass  ihr  gegenüber  jeder  andre  Beweis 
als  der  durch  Erwerbsurkonde  ausgeschlossen  sein  soll    Vgl.  Bnuiner  L  c. 

')  Vgl.  i.  A.  Berg,  Geschichte  der  deutschen  Wälder  im  Mittelalter  und 
Bernhardt,  Geschichte  des  Waldeigenthums,  der  Waldwirthschaft  and  Foist- 
wissenschaft  in  Deutschland,  passim. 

")  Vgl.  Arnold,  Ansiedlungen  und  Wanderungen  S.  59,  66,  495.  Nach 
Bodmann,  Rheingauische  Alterthümer  S.  4  war  die  Gegend  des  Niederrhein- 
gaues bis  auf  die  2^itcn  der  Karolinger  an  beiden  Rheinufem  mit  Wal- 
dungen bedeckt,  hatte  wenig  Bewohner,  Lebensmittel  und  Cultur. 

*)  Vgl.  hiezu  auch  ed.  Ghilp.  c.  9  (LL.  11,  10):  malus  homo  qui  male 
in  pago  faciat  et  non  habeat  nbi  consistat  nee  res  unde  componat  et  per 
Silvas  yadit  Sowohl  die  Gründungsgeschichte  der  ältesten  Klöster,  s.  B 
Fulda's  (vita  Sturmii)  als  auch  manche  spätere  Schenkungen  (s.  B.  Pipinh 
752  an  Echtemach  M.  Rh.  (Jrk.  B.  I,  11,  762  an  Kesslingen  ib.  I,  15) 
zeugen  von  dem  ungeheuren  Waldreichthum  der  fränkischen  Lande. 


—  111   - 

zustande  Baiems  im  6.  und  7.  Jahrhundert  zur  Evidenz  sich 
ergiebt^).  Da  nun  anfänglich  jedenfalls  nur  das  Culturland 
in  Sonderbesitz  überging,  Wald  und  Wildland  aber  erst  im 
Laufe  der  Zeit  aus  der  Mark,  dem  Gemeinlande,  vereinzelt 
ausgeschieden  wurde,  so  besteht  immerhin  eine  geringe  Be- 
deutung des  privaten  Grundeigenthums  für  die  Bodencultur 
uud  die  Volkswiilhschaft  jener  ältesten  Zeit  überhaupt;  und 
selbst  diese  wurde  durch  die  ungemein  extensive  Betriebsweise 
dieser  Periode  noch  ganz  erheblich  gemindeil.  Ja  es  lässt 
sich  für  die  älteste  Zeit  der  Sesshaftigkeit  —  für  die  Ent- 
stehungszeit des  salischen  Yolksrechts  insbesondere  —  an- 
nehmen, dass  Grund  und  Boden  in  solchen  Mengen  verfügbar 
und  auch  der  zu  Sonderbesitz  occupirte  in  einem  solchen 
Naturzustande  war ,  dass  er  regelmässig  gar  nicht  Gegenstand 
des  Güterverkehrs  war,  also  auch  keinen  Verkehi*swerth  hatte. 
Und  damit  wäre  allerdings  aus  einem  nationalökonomischen 
Gesichtspunkte  das  Fehlen  eines  Processes  um  Grundeigenthum 
in  der  lex  Salica  mindestens  ebenso  leicht  erklärbar,  wie  aus 
der  familienhaften  Gebundenheit  desselben,  ohne  dass  sich 
diese  beiden  Gründe  ausschliessen  würden.  Für  die  Familie, 
wie  für  den  Einzelnen  konnte  der  Grundbesitz  von  bestimmter 
Ausdehnung,  Lage,  socialer  Verbindung  immerhin  gi'ossen  sub- 
jectiven  Gebrauchswerth  haben  und  desswegen  gebunden  sein, 
ohne  dass  er  desswegen  auch  schon  von  anderen  begehrt  ge- 
wesen wäre,  besonders  so  lange  die  freien  Volksgenossen  ihr 
Erbgut  bewahrt  hatten  und  Unfi^eien  der  Ei'werb  von  Grund- 
besitz für  eignen  Vortheil  überhaupt  versagt  war. 

Nach  welchen  Grundsätzen  nun  die  deutschen  Völkeratämme 
bei  der  endgültigen  Besiedelung  der  Gebiete,  auf  welchen  sie 
fortan  ihr  Leben  entfalten  sollten,  das  Culturland  vertheilt  haben, 
das  enthüllen  uns  weder  Urkunden  noch  sonstige  gleichartige 
Denkmale ;  und  auch  aus  dem,  was  uns  später  von  der  Boden- 
veilheilung  bekannt  wird,  lässt  sich  kein  ei*schöpfendes  Bild 
jener  älteren  Zustände  gewinnen.  Nur  von  solchen  deutschen 
Völkern,    welche  sich  auf  dem  von  Römern  oder  Romanen 


*)  S.  u.  S.  117. 


—    112    — 

bewohnten  Gebiete  niederliessen,  (Burgunder,  Westgothen  etc.) 
wissen  wir,  dass  sie  mit  jenen  in  eine  Individualtheilung  sich 
eingelassen  haben,  womach  der  Deutsche  %,  der  Römer  ^ 
von  Gulturland,  jeder  die  Hälfte  von  Wald-  und  Wildland  an- 
zusprechen hatte  ^) ;  aber  diese  Verhältnisse  berühren  uns  hier 
nicht  weiter,  wo  wir  von  den  wii*thschaftlichen  Zuständen 
deutschen  Landes  handeln. 

Hier  aber  ist  nur  das  eine  klar,  dass  die  Vertheilung 
überall  und  namhaft  ungleich  war,  soweit  das  eben  der  sociale 
und  politische  Unterschied  der  Stände  mit  sich  brachte.  Wie  die 
Deutschen  schon  zu  des  Tacitus  Zeiten  secundum  dignationem 
(nach  der  socialen  Werthschätzung)  theilten,  so  haben  sie  sicher- 
lich auch  bei  den  späteren  Landtheilungen  den  Unterschieden 
der  Macht  und  des  Ansehens,  des  Geburts-  und  Amtsadels 
und  des  Reichthums  immer  Rechnung  getragen,  welche  schon 
vor  den  letzten  Wanderungen  bestanden,  und  während  der- 
selben in  verschiedenen  Wandelungen  immer  wieder  hervor- 
traten. Nur  so  erklärt  es  sich,  dass  die  portio  und  hereditas, 
womit  die  Erinnerung  an  die  ui-sprüngliche  Landvertheilung 
ausgedrückt  zu  werden  pflegte,  von  so  bedeutender  Vei-schie- 
denheit  ist  ^).  Nur  innerhalb  der  socialen  Klassen  können  wir 
eine  gewisse  Gleichheit  der  Landlose  bei  der  Vertheilung 
wenigstens  annehmen;  insbesondere  wird  wohl  jedem  einfach 
freien  Manne  im  Volk,  der  zugleich  Haupt  einer  Familie  war, 
das  Mass  des  Grundbesitzes,  wenigstens  vom  Standpunkte 
seiner  Bedürfhisse  aus,  in  gleicher  Weise  aus  der  Gemarkung 
zugemessen  worden  sein. 

Wäre  es  zulässig,  anzunehmen,  dass  das  Wergeid  dem 
Werthe  der  Hufe  gleich  gewesen  sei^,   so  könnte  allerdings 

^)  Bes.  Gaapp,  Ansiedlungen  passim. 

')  So  erscheint  beispielsweise  in  der  Villa  Gerleihes  der  Werth  eines 
Besitzthums  695  mit  7  U.  Silber,  eines  andern  696  mit  1  U,  S.,  eines 
dritten  712  mit  12  solid.,  eines  vierten  712  mit  8  U.  S.  vorgetragen  Tr. 
Wizz.  n.  46,  43,  186,  150. 

')  So  Waitz,  Verf.  Gesch.  I,  411,  w&hrend  er  an  anderen  Stellen  1, 120. 
n,  215  nur  einen  Zusammenhang  zwischen  Hufe  und  Wergeid  annimmt 
S.  a.  dessen  altdeutsche  Hufe  S.  41  und  Stobbe  in  Ersch  und  Graber  L 
Sekt  65,  S.  433. 


-    113    - 

mit  viel  gi-össerer  Bestimmtheit  ein  Gleichmass  des  Grund- 
besitzes der  einzelnen  Stände  und  Klassen  der  Freien  be- 
hauptet werden«  Denn  in  den  Wergeidsätzen  hen-scht  Ein- 
heitlichkeit innerhalb  der  Stufen  der  socialen  Gliederung  des 
Volkes  und  festes  Verhältniss  unter  denselben;  und  überdiess 
besteht  grosse  Uebereinstimmung  in  den  verachiedenen  Volks- 
rechten; bei  den  Saliern,  Ripuariern,  den  chamavischen  Fran- 
ken, Thüringern,  Burgundeni  und  Langobarden  hat  der  Frei- 
Rebome  (ingenuus)  ein  Wergeid  von  200  soL;  ein  gleiches  bei 
den  Alamannen  der  medianus.  Der  Gemeinfreie  bei  diesen, 
den  Baiuwaren  und  Sachsen,  sowie  (später)  bei  den  Friesen 
160  sol.  u.  s.  w. 

Diesen  Sätzen  entspricht  aber  keineswegs,  was  wir  aus 
ältester  Zeit  über  die  Vertheilung  und  den  Werth  des  Gi-und- 
besitzes  wissen.  Innerhalb  derselben  socialen  Klasse  und  bei 
demselben  Volke  kommen  beträchtliche  Verschiedenheiten  der 
Grösse  des  Grundbesitzes,  auch  schon  des  Erbguts,  der  terra 
aviatica  vor.  Auch  ist  der  Weith  der  Hufe,  selbst  wenn  wir  sie 
auf  40  juinales,  als  der  gi'össten  vorkommenden  Ausdehnung 
annehmen  wollten^),  nicht  annähemd  mit  einem  Wergeide  zu 
vergleichen.  Denn  wenn  noch  in  der  Karolingerzeit  der  Werth 
eines  Morgens  artbaren  Landes  nicht  höher  als  auf  2  sol.  im 
Durchschnitt  angesetzt  werden  darf*),  so  wird  der  Werth  der 
Hufe  in  der  Zeit  der  Volksrechte  jedenfalls  ungleich  niedrer 
angenommen  werden  müssen.  Auch  aus  den  Gutskäufen  jener 
Zeit  ist  ein  viel  niedrigerer  Werth  der  Hufe  zu  entnehmen; 
eine  ganze  Hufe  hat  bis  in  das  9.  Jahrhundert  hinein  kaum 
mehr  als  einen  Durchschnittswei-th  von  30  sol.  repräsentirt. 
Dagegen  reichen  200  sol.,  gerade  der  Betrag  des  Freienwergelds, 
hm,  um  4  Villen  mit  dem  ganzen  Inventar^),  ein  andermal  um 
Gfiter  an  17^),  und  einmal  sogar  an  29  Orten^)  zurückzukaufen. 

Nun  finden  sich  allerdings  in  einzelnen  Fällen  der  Werth 

M  S.  die  Beilage  Nr.  II. 
*)  S.  n.  Bach  5.  Abschnitt. 
•)  Tr.  Wizzemb.  739,  No.  4. 
*)  Tr.  Wizzemb.  774,  No.  63. 
*)  Tr.  Wizzemb.  742,  No.  52. 

Ton  InaiDa-Sternegg^'Wirtbflchaftsgeschiehte.     I.  8 


—     114    - 

des  Grundbesitzes  uod  das  Wergeid  in  Beziehungen  genannt, 
welche  einen  solchen  Zusammenhang  auf  den  ersten  Blick 
vermuthen  lassen.  Aber  es  handelt  sich  dabei  fast  immer 
um  grösseren  Besitz,  der  mit  einem  Wergeid  zurückgelöst 
werden  kann,  oder  für  ein  Wergeid  hingegeben  wird^),  so 
dass  die  Annahme  von  einer  üebereinstimmung  des  Werthes 
der  angestammten  Hufe  mit  dem  Wergeid  auch  durch  diese 
urkundlichen  Angaben  in  keiner  Weise  gestützt  werden  kann. 

Es  wird  also  ein  Zusammenhang  zwischen  Hufe  und  Wer- 
geid nur  soweit  anzunehmen  sein,  als  eben  bei  der  ältesten 
Landvertheilung  die  social  höher  Stehenden,  welche  durch 
grösseres  Wergeid  ausgezeichnet  waren,  auch  grössere  An- 
theile  an  dem  Gau-  und  Centlande  erhielten. 

HeiTorragenden  Grundbesitz  hatten  vornehmlich  die  Kö- 
nige, Herzoge  und  Fürsten  der  einzelnen  Stämme.  Sie  treten 
schon  am  Beginn  der  urkundlichen  Zeit  als  grosse  Grund- 
besitzer auf;  ja  sie  untei-scheiden  sich  von  allen  übrigen 
Klassen  der  Bevölkeiiing  in  so  hervorragender  Weise,  dass 
eine  blosse  Bevoi-zugung  bei  der  allgemeinen  LandvertheUang 
zur    Erklärung    dieser   Eracheinung    keineswegs    ausreicht  0- 

^)  Cod.  Fuld.  788,  No.  89  werden  Güter  an  15  Orten  geschenkt  Weoo 
der  Schenker  eineq  Sohn  bekömmt,  kann'  dieser  sie  mit  2  Wcrgelden 
zurackkaofen.  Tr.  Sangall.  798  n.  135  betrifft  G&ter  an  26  Orten,  welche 
einer  an  St  GraUen  tradirt  und  pro  beneficio  in  censum  zurückerhalten 
hatte.  Der  Schenker  dar!  diese  Güter  mit  80  soL,  sein  Sohn  cum  nno 
weregeldo  (160  soL?)  zurückkaufen,  ib.  786  No.  108  werden  von  Graf  Gerold 
Güter  an  14  Orten  geschenkt  und  gegen  Zins  zurückempfangisn;  Rückkaof 
mit  3  Wergeldeni  vorbehalten  (vielleicht  das  Grafenwergeld  3x160  soL?); 
ib.  796,  n.  142  ist  von  Gütern  an  2  Orten  de  patemico  vel  quod  legibus 
obvenit  die  Rede;  si  me  placuit  ipsam  tradicione  redemere,  tunc  licett 
mihi  cum  10  sol.  redemere.  Et  si  filii  mei  legitime  redemere  voluerint,  J 
similiter  fSaciant;  et  si  mihi  placuerit  ut  aliquid  de  parentibus  meb  rede- 
mere ipsam  rem,  liceat  eis  cum  una  weraceldo.  Aehnliche  Beispiele  ib. 
817,  No.  228;  838,  No.  875;  842,  No.  385.  Dagegen  kann  dann  mm  auch 
ib.  846  No.  400:  trado  in  B.  quantum  ad  me  pertinet,  i.  e.  hobam  com- 
positionis  meae  nicht  von  Belang  sein,  wenn  dieser  Ausdruck  auch  un- 
deutlich bleibt. 

*)  Nach  Waitz  II,  616  ist  der  germanische  König  oder  Fürst  überhaupt 
nicht  mit  besonderem  Grundbesitz  ausgestattet  worden;  was  er  besass, 
gehörte  seinem  Hause  als  Erbgut. 


-     115    — 

Vielmehr  kann   nur   in  einem   ausschliesslichen  Rechte   des 
Volksoberhauptes  auf  ganze  Gebietstheile  (wüstes  —  herren- 
loses —  erobertes  Land)^)  und  vielleicht  auch  auf  die  Güter 
einer  vorgefundnen  unterworfhen  Bevölkeiiing,  die  dem  Fügten 
tribntär  wurde '),  eine  genügende  Erklärung  dieser  Thatsache 
gefunden  werden.    Ueberdiess  fiel  dem  Könige  oder  Herzoge 
aus  manchen  andern  Quellen  neues  Ginindeigenthum  zu;    er 
trat  in  das  Vermögen   erblos    verstorbner  Personen  ein,  ja 
nach  bairischem  Rechte  zog  der  Fiskus  die  Verlassenschaft  an 
sich,  wenn    keine  Verwandten   bis  zum  7.  Grad  vorhanden 
waren  ^;   ihm  fiel  das  Vermögen  von  Capital  Verbrechern  an- 
heim^)  und  vieles  wui'de  durch  Gonfiskation   dem  Vermögen 
des  königlichen  Fiskus  einverleibt^).    Ein  vollständiger  sta- 
tistischer Nachweis  des  königlichen  Krön-  und  Hausguts  der 
Merowinger  oder  des  Hei*zogthums  in  Alamannien,  Baiuwarien 
etc.  ist  allerdings   nicht  zu  liefeiii.    Aber  immerhin  sind  der 
Thatsachen   genug   übirliefert,    um   zu   erkennen,    dass    die 
Könige  im  Frankenreiche  ebenso,  wie  z.  B.   die  Herzoge  in 
Baiern  die  gi'össten  Grundbesitzer  in  dem  von  ihnen  beherrsch- 


^)  Das8  aber  auch  Private  wüstes  Land  besitzen  konnten,  ist  aus  ür- 
kanden  yielfach  ersichtlich;  vgl.  die  Beispiele  im  IL  Buch  1.  Abschn.  und 
bei  Beseler,  Nenbnich  passim. 

*)  Dieser  Art  sind  insbesondere  die  Romani  tributales,  über  welche 
die  bairischen  Herzoge  im  7.  und  8.  Jahrh.  zu  Gunsten  der  Kirche  von 
Salzburg  verfügten.  Vgl.  oben  1.  Abschn.  S.  26  und  Riezler,  bair.  Gesch. 
I,  49,  122. 

')  L.  Sal.  60,  2  de  eum  qui  se  de  parentilla  tollere  vult:  nuUa  ad 
eum  nee  hereditas  nee  compositio  perteneat,  sed  hereditatem  ipsius  fiscns 
adquirat.  L.  B%j.  XV,  10:  Quodsi  maritus  et  mulier  sine  berede  mortui 
fnerint,  et  nullus  usque  ad  septimum  gradum  de  propinquis  et  quibus- 
canque  parentibus  invenitur,  tunc  illas  res  fiscus  adquirat. 

*)  L.  Rip.  69:  Si  quis  homo  regi  infidelis  extiterit,  de  vita  componat 
et  omnes  res  eins  fisco  censeantur.    Vgl.  1.  Big.  II,  1,  2. 

^)  L.  Sal.  56,  2 :  Tunc  si  ille  . . .  qui  admallatus  est,  ad  nullum  placitum 
venire  voluerit,  tunc  rex  ad  quem  manitns  est,  extra  sermonem  suum  ponat 
eom.  Tunc  ipse  culpabilis  et  omnes  res  suas  erunt.  L.  B^juv.  7,  2:  Si 
quis  contra  hoc  fecerit  (nuptias  incestas)  a  loci  iudicibus  separentur  et 
omnes  fiicultates  admittant  quas  fiscus  adquirat.  Auch  tit  2,  9  bei  Em- 
pörung des  Herzogssohns  und  tit.  I,  11  bei  Nonnenraub. 

8» 


—    116    — 

ten  Gebiete  waren  ^).  Von  dem  ausserordentlichen  Boden- 
reichthum  der  letzteren  gibt  allein  die  Thatsache  hinlänglich 
Zeugniss,  dass  dieselben  im  8.  Jahrhundert  5  Bisthümer  und 
35  Klöster  und  Abteien  stifteten  und,  wie  in  vielen  Fällen 
bekannt  ist,  mit  reichem  Grundbesitz  ausstatteten '). 

Neben  ihnen  erscheinen  dann  bei  jedem  Volke  einzelne 
besonders  bevorzugte  Familien  schon  in  den  ältesten  Urkunden 
als  reich  begütert;  sie  sind  vielleicht  auf  die  Reste  des  alten 
Stammesadels  zurückzufuhren  oder  sind  die  Nachkommen  von 
Gaufürsten  oder  Häuptera  kleiner  Volksstämme,  die  sich  im 
Laufe  der  Zeit  zu  den  grossen  deutschen  Völkerschaften  ver- 
schmolzen haben;  sicher  ist  nur,  dass  es  überall  wenige  solch 
reich  Begüterter  gegeben  hat*). 

Im  Uebrigen  aber  zeigt  die  Vertheilung  des  Grundbesitzes 
schon  sehr  fillhzeitig  beträchtliche  Verschiedenheiten  bei  den 
einzelnen  Völkeni,  sowohl  was  die  absolute  Grösse  der  ein- 
zelnen Güter,  als  auch  das  Verhältnils  der  Volksklassen  zu 
einander  in  Bezug  auf  die  durchschnittliche  Grösse  ihres  Be- 
sitzes anbetrifft*). 

Im  Gebiete  der  Baieni  ist  die  Bevölkerung  sehr  ungleich 
vertheilt  und  damit  auch  die  Vertheilung  des  Grundbesitzes 
eine  sehr  vei-schiedne  gewesen  *).    In  den  südlichen  Theilen  % 


»)  Roth,  Benef.  W.  S.  68.  Waitz,  Verf.  Gesch.  II,  135~1«7.  Em 
Yerzeichniss  der  Pfalzen  austrasischer  Könige  bei  Digot  histoire  du  royaome 
d'Austrasie  IL  8d6ff.    Riezler,  Geschichte  Baiems  I,  122. 

>)  S.  Radhart,  älteste  bairische  Geschichte  S.  276  ff.  and  305  ff. 

«)  S.  0.  2.  Abschn.  S.  64. 

*)  In  meiner  Abhandlang  Über  die  Aasbildang  der  grossen  Grand- 
herrschaften  während  der  Earolingerzeit  S.  25 — 41  habe  ich  versacht,  sta- 
tistisches Material  über  die  Vertheilang  des  Grundbesitzes  in  Deatschland, 
besonders  im  8.  a.  9.  Jahrb.  aus  den  Quellen  beizubringen.  Es  ist  daher 
wohl  gestattet,  hier  nur  die  Resultate  vorzutragen  und  wegen  der  Be- 
gründung derselben  auf  jene  Schrift  zu  verweisen. 

»)  Vgl.  die  Beilage  No.  I. 

^  Hiefür  sind  besonders  berücksichtigt  der  Indicolus  Amopis  und 
die  breves  notitiae  Salzburgenses  ed.  Keinz,  die  ältesten  Passauer  Tradi- 
tionen in  Mon.  Boic.  28b.  S.  1^98  und  Urk.  B.  des  Landes  o.  d.  Enns  I,  437  ff* 
sowie  das  Breviarium  ürolfi  abbatis  de  cenobio  qui  vocatur  Altaba  in 
Mon.  Boic.  XI,  14. 


-     117     - 

besonders  am  Fusse  der  Alpen  und  theilweise  auch  im  Ge* 
birge,  sowie  im  heutigen  Oberösterreich  scheint  der  Grund- 
besitz ziemlich  zei-splittert  und  neben  einigen  grossem  Grund- 
herrn eine  gi'osse)  Menge  von  kleinen  EigenthQmem  vorhanden 
gewesen  zu  sein.  In  den  nördlicheren  Theilen  ')  aber  war  von 
Anfang  an  grosser  Besitz  in  einer  Hand  häufiger,  wenn  es 
auch  zum  guten  Theile  nur  Wald  und  unbebaute  Gebiete 
waren,  über  welche  sich  die  Grundherrschaften  verbreiteten. 
Im  Ganzen  aber  ist  doch,  soweit  es  sich  um  Gulturland 
handelt,  der  Grundbesitz  unter  den  Freien  gleichmassig  ver- 
theilt  und  durchgängig  klein. 

In  Alamannien  ist  die  Verschiedenheit  des  Ginindbesitzes 
im  Ganzen  grösser ;  viele  Familien  erheben  sich  über  das  Mass 
des  gewöhnlichen  Besitzes:  vielfach  aber  auch  kehrt  schon 
ein  unter  das  Mass  der  vollen  Hufe  sinkender  Grundbesitz 
wieder;  dagegen  gibt  es  hier,  entsprechend  dem  früheren 
Verschwinden  des  alten  Erbadels,  keine  so  besonders  reichen 
Familien  als  in  Baiem,  wie  ja  auch  der  Reichthum  der  bairi- 
schen  Herzoge  unvergleichlich  viel  grösser  war,  als  der  der 
alamannischen,  die  es  nie  zu  dieser  Einheit  und  Ueberlegen- 
heit  der  Herrschaftsgewalt  gebracht  haben  ^). 

Die  Verhältnisse  von  Ostfranken  haben  mit  denen  Ala- 
manniens  viele  Aehnlichkeit.  Der  kleine  Grundbesitz  ist  noclx 
zu  Anfang  des  8.  Jahrhunderts  recht  häufig;  der  Besitz  an 
einzelnen  Orten  sehr  zersplittert;  daneben  aber  sind  viele 
Beispiele  eines  grösseren  Besitzes;  gi*osse  Grundherrn  aber 
doch  so  selten,  dass  sie  gegenüber  der  überlegnen  Grund- 
herrschaft der  fränkischen  Könige  fast  ganz  verschwinden. 
Je  mehr  wir  uns  aber  dem  Rheine  nähern,  ihn  überschreiten 
und  jene  Gebiete  in's  Auge  fassen,  welche  noch  Reste  der 
römischen  Gultur  an  sich  ti-ugen,  desto  häufiger  werden  die 
Beispiele  grosser  Grundherrschaften,   desto  mehr  verliert  sich 


^)  Hief&r  dient  Tornehmlich  Ried  codex  diplomaticas  Ratisbonensis  I. 

*)  Vgl.  z.  B.  die  allerdings  fragmentarischen  Nachrichten  aber  den 
Besits  des  Herzog  Liatfried  von  Elsass  in  Tr.  Wizz.  730—739,  No.  10—13, 
35  u.  162. 


—    118    - 

die  Gleichheit  und  Häufigkeit  eines  Kleinginindbesitzes  schon 
in  früher  Zeit;  das  römische  Latifundien wesen  hatte  eben 
auch  hier  Wurael  geschlagen^)  und  im  ganzen  fränkischen 
Westreiche  ist  die  Ordnung  des  Grundbesitzes  eine  vorwiegend 
hen*8chaftliche  schon  in  der  Zeit,  in  welcher  im  rechtsrhei- 
nischen Lande  noch  lange  die  primitiven  Verhältnisse  der 
Markgenossenschaften  mit  Wahrung  der  altgermanischen  Frei- 
heit sich  erhalten  haben. 

Von  Friesland,  Sachsen  und  Thüringen  sind  positive  An- 
gaben über  die  Vertheilung  des  Grundbesitzes  in  dieser  Zeit 
absolut  nicht  vorhanden;  wahi*scheinlich  aber  ist  es  immerhin, 
dass  im  Grossen  und  Ganzen  beträchtlicher  Grundbesitz  des 
Adels  und  wesentlich  gleicher  Kleinbesitz  der  Gemeinfreien 
sich  gegenüberstanden. 

Endlich  ist  der  Veränderungen  im  Besitzstande  zu  ge- 
denken, welche  durch  die  Bekehrung  der  Deutschen  zum 
Ghristenthume  und  die  Einrichtung  der  ersten  Bisthümer, 
Stifte  und  Klöster  angebahnt  wurde.  So  grossartig  diese  Ver- 
änderungen aber  auch  in  der  folgenden  Periode  sind:  in  der 
vorkarolingischen  Periode  werden  wir  den  Reichthum  der 
Kirchen  in  Deutschland  nicht  allzuhoch  anschlagen  dürfen. 
Wohl  wusste  sich  die  Kirche  schon  bei  den  späteren  Re- 
dactionen  der  Volksrechte  besonderere  Freiheiten  des  Güter- 
erwerbs zu  sichern,  wie  sie  schon  frühzeitig  darauf  bedacht 
war,  den  einmal  erworbenen  Besitz  zu  einem  festen,  unwandel- 
baren zu  machen^);  aber  es  sind  doch  sicherlich  sehr  wenige 
geistliche  Stifte  schon  in  der  Zeit  des  6.  bis  zur  Hälfte  des 
8.  Jahrhunderts  zu  nennenswerthem  Vermögen  gelangt ').  Noch 
lächelte  ihnen  nicht  die  Gunst  der  Könige,   an  der  sie  sich 


^)  S.  die  lehrreichen  Beispiele  grosser  Grundherrn  in  Neostrien  bei 
Roth,  Benef.  W.  S.  81  f. 

")  L.  Alam.  20:  Nollus  presbyter,  nee  aliquis  pastor  ecclesiae  pote- 
statem  habeat  vendendi  ecclesiasticam  terram  nisi  contra  aliam  tcfram, 
nee  mancipiom,  nisi  aliud  mancipium  receperit 

')  S.  die  n&heren  Angaben  im  2.  Buche,  8.  Abschnitt,  wo  die  Grand- 
besitzrerh&itnisse  der  Kirchen  im  Zusammenhang  mit  der  Entwickelaog 
der  folgenden  Periode  dargestellt  werden. 


—     119    — 

in  der  Folge  so  rasch  grosszusaugen  verstanden;  wie  die 
Merowinger  wenig  zur  Ausbreitung  des  neuen  Glaubens  in 
Anstrasien  leisteten,  so  waren  sie  auch  auf  Verstärkung  der 
wirthschaftlichen  Macht  der  jungen  Anstalten  des  Christenthums 
wenig  bedacht. 

Auch  hier  sind  freilich  die  Verhältnisse  des  neustrischen 
Frankens  schon  gründlich  7ei*8chieden.  Zur  Zeit  der  frän- 
kischen Eroberung  scheint  allerdings  der  Grundbesitz  der 
Kirche  auch  dort  noch  nicht  bedeutend  gewesen  zu  sein ;  aber 
schon  während  der  Merowingerperiode  hat  hier  jene  unmässige 
Bereicherung  stattgefunden,  welche  den  König  Ghilperich 
zu  dem  Ausrufe  veranlasste:  Ecce  pauper  remansit  fiscus 
noster,  ecce  divitiae  nostrae  ad  ecclesias  sunt  translatae  ^) ! 

Eine  Gliederung  des  Ginindbesitzes  nach  wiithschaftlichen 
Gesichtspunkten,  wie  sie  in  dem  Verhältnisse  des  Grundeigen- 
thums  zum  Landwirthe  und  in  der  Zusammenfassung  mehrer 
Gutswirthschaften  zu  einem  einheitlichen  Gutskörper  liegen,  ist 
in  dieser  Periode  nur  in  sehr  geringem  Masse  zu  beobachten. 

Die  kleinen  Grundeigenthüraer ,  welche  noch  bei  weitem 
die  Mehrzahl  bildeten,  bewirthschafteten  ihren  Ginindbesitz 
selbst ;  dieser  fällt  also  mit  dem  Begiiff  des  Landguts  im 
Wesentlichen  noch  zusammen  *).  Grössere  Grundeigenthümer 
aber,  an  und  für  sich  noch  selten,  haben,  soVeit  wir  sehen, 
die  Wirthschaft  auf  eigne  Rechnung  durch  Unfreie  ausüben 
lassen  und  den  einzelnen  Zweigen  der  Landwiithschaft  eigne, 
gleichfalls  unfreie  Verwalter  vorgesetzt;  von  einer  Gliederung 
ihrer  zerstreuten  Besitzungen  in  Haupt-  und  Nebenhöfe,  wie 
wir  sie  in  der  Villenverfassung  der  karolingischen  Zeit  finden, 
ist  in  deutschen  Landen  während  der  Merowingerzeit  noch 
nichts  zu  entdecken. 

Dagegen  ist  auch  damals  schon  der  Unterschied  von 
Herrenland  und  übertragenem  Gute  bekannt  gewesen,  der 
gleichfalls  in  der  folgenden  Periode  für  die  ginindheri-schaft  * 
liehe  Organisation  der  Volkswirthschaft  so  bedeutsam  wurde. 


*)  Gregor  Tur.  VI,  46.    S.  Roth,  Benef.  W.  249  ff. 
^)  S.  das  Nähere  im  4.  Abschnitt,    S.  147  f. 


\ 


—    120    — 

Allerdings  dürfte  eine  solche  Uebeitragung  von  Grandbesitz 
zur  Nutzung  am  Beginn  geordneter  Grundbesitzverhältnisse 
nur  an  geringere,  insbesondere  unfi'eie  Leute  stattgefunden 
haben.  Eine  Klasse  von  Leuten,  ähnlich  den  servi  des  Ta- 
citus^)  wird  noch  eigentlich  als  der  Träger  von  verliehenem 
Lande  angesehen  werden  müssen.  Denn  nach  altgermanischer 
Anschauung  hatte  die  Uebeinahme  eines  solchen  Besitzes  eine 
Minderung  der  Freiheitsrechte  im  Gefolge;  und  diess  hielt 
sicherlich  den  Gemeinfreien,  der  eifei-süchtig  über  dieser  seiner 
Freiheit  wachte,  ab,  auf  solche  Weise  sein  Besitzthum  zu  ver- 
mehren, so  lange  den  einfachen  Formen  und  Bedürfhissen  des 
Lebens  die  zugetheilte  und  ererbte  Hufe  im  Wesentlichen 
noch  entsprach.  Auch  ist  es  nicht  zu  übei*sehen,  dass  die 
regelmässige  Umgebung  der  Voiiiehmen  und  Reichen,  von 
denen  allein  solche  Uebertragungen  ausgehen  konnten,  im 
6.  und  7.  Jahrhundei-te  noch  aus  Unfreien  bestand^);  diese 
konnten  also  voi'zugsweise  der  Gunst  jener  sich  erfreuen ;  und 
es  war  Ginind  genug  vorhanden,  solcher  Gunst  besonders  die 
Foim  von  Güteinibertragung  zu  geben,  um  das  Gefolge,  die 
vassi,  pueri,  gasindi  und  wie  sie  hiessen,  die  in  obsequio  eines 
Grossen  waren,  in  Treue  und  Pflicht  um  so  näher  und  inniger 
an  sich  zu  knüpfen. 

Eine  ei*ste  Veränderung  scheint  in  diese  Veiiiältnisse 
durch  das  rasche  Anwachsen  des  geistlichen  Ginindbesitzes 
gekommen  zu  sein.  Zwar  haben  auch  die  Klöster,  voiiiehmlicb 
die  nach  der  Begel  des  hl.  Benedikt  eingerichteten,  ihren 
Grundbesitz  in  der  ersten  Zeit  durch  ihre  eignen  Angehörigen 
bewirthschaftet*);   und  die  Bischöfe,  die  sich  in  bürgerlichen 


*)  Germ.  c.  25.    Waitz  n,  171. 

')  Besonders  die  vassi  pueri  und  gasindi.  Roth,  Benef.  W.  154,  162, 
868  f.  Die  ebenfalls  häufiger  genannten  amici  h&it  Roth  für  Freie,  wdche 
in  privatrechtlichen  Verhältnissen  der  Clientel  standen  ib.  162.  s.  IL  Buch 
1.  Abschnitt. 

')  Vita  S.  Boni&cii'C.  12:  Monasterium  construentes  monachos  con- 
stituimus  snb  regula  S.  P.  Benedicti  viventes,  yiros  strictae  obserraotiae, 
absque  came  et  vino  et  senris,  propria  manuum  suarum  labore  contentos. 
Mabillon  Acta  Sanct.  IV,  70. 


-     121     — 

Dingen  in  nichts  von  den  Laien  unterschieden,  haben  ihren 
Besitz  anfänglich  wohl  auch  in  gleicher  Weise  wie  diese  durch 
Leibeigne  auf  eigne  Rechnung  bewirthschaften  lassen  ^).  Aber 
mit  dem  raschen  Verfall  der  Kirchenzucht,  die  mit  dem  An- 
wachsen der  politischen  und  wirthschaftlichen  Macht  der  Kirche 
gleichen  Schritt  hielt,  konnten '  diese  Foimen  der  Bewirth- 
schaftung  bald  nicht  mehr  genügen.  In  dem  Masse,  in  welchem 
Ueppigkeit  und  bequemer  Lebensgenuss  überhand  nahmen  ^), 
minderte  sich  die  Arbeitslust  und  wirthschaftliche  Tüchtigkeit 
des  Clerus  und  immer  deutlicher  tritt  das  Streben  nach 
mühelosem  Erwerb  hervor. 

Um  so  weniger  konnte  daher  der  bisherige  Zustand  einem 
angewachsnen  Grundbesitz  entsprechen;  da  nun  in  damaliger 
Zeit  die  sociale  und  politische  Macht  wesentlich  auf  Grund- 
besitz beruhte,  und  auch  nach  den  volkswirthschaftlichen 
Zuständen  eine  Verwandelung  des  Ginindbesitzes  in  andere 
Vermögensformen  ausgeschlossen  war,  so  ergab  sich  von  selbst 
die  Nothwendigkeit,  durch  Uebertragung  der  Nutzung  des 
Grundbesitzes  an  andere  sich  der  Sorgen  um  seine  Bewirth- 
schaftung  zu  entschlagen,  ohne  auf  die  in  demselben  liegende 
Macht  zu  verzichten. 

Die  älteste  und  für  die  früheste  Zeit  gewiss  regelmässige 
Form  hiefür  war  die  Verleihung  von  Land  an  die  unfreien 
Knechte,  welche  altgermanische  Sitte  war;  dass  gerade  bei 
Kirchengütem  diese  Form  der  Uebertragung  ganz  regelmässig 
war,  ist  aus  den  Volksrechten  zu  ersehen,  welche  sogar  die 
Verpflichtungen  der  servi  ecclesiastici  zu  allgemeinen  Grund- 
sätzen formulirten  ^).    Ausserdem  boten  nun   die  Traditionen 

')  Das  ist  aus  vielen  Diplomen  des  7.  und  8.  Jahrhunderts  zu  ersehen, 
in  welchen  bischöfliche  Gater  beschrieben  sind,  z.  B.  642  Pardessns  n, 
300:  664,  n.  350;  670,  n.  368;  676,  n.  382;  686,  n.  406:  cum  mancipiis 
ibidem  commanentibus ,  colonibus  ibidem  aspidentibus  (Rheims).  708,  n, 
471  (Mets);  726,  n.  540:  omnem  rem  vel  iriUas  seumancipia  (Echtemach) 
and  andere. 

')  Schon  zu  Pippins  Zeit  ist  die  alte  Mönchsregel  von  Fulda,  keinen 
Wein  sondern  nur  Dünnbier  (tenuis  cerevisia)  zu  trinken,  au%ehoben 
worden.    Mabillon  AA.  SS.  lY,  250. 

*)  L.  Alam.  22,  1.    L.  B%juY.  I,  18.    Vgl  4.  Abschn.  S.  157. 


—    122    — 

des  römischen  Rechts,  nach  welchem  ja  die  Kirche  fortwährend 
lebte,  sowie  die  Zustände  des  römischen  GalKens  brauchbare 
Institute  in  dem  ususft-uctus  und  dem  precarium  sowie  in  dem 
Golonat. 

Der  Golonat  ist  in  die  deutschen  Wirthschaftszustände 
nicht  nur  aus  Gallien,  sondern  auch  durch  die  Reste  der  ro- 
manischen Bevölkei-ung  Alamanniens,  Ripuariens  und  Baiu- 
waiiens  gekommen.  Er  war  diejenige  Form  der  Uebertragung 
von  Gi-undbesitz  zu  dauernder  Nutzung,  welche  zunächst  nach 
römischer  Anschauung  ohne  Aufhebung  der  persönlichen  Frei- 
heit^) eine  feste  Verknüpfung  des  Beliehenen  mit  Grund 
und  Boden')  herbeiführte  und  dem  Grundherrn  neben  festen 
Abgaben*)  die  Veifttgungsfreiheit  über  das  Grundstück  be- 
liess*).  Durch  die  Uebertragung  von  Gutem  zu  dauernder 
Nutzung  nach  römischem  Colonatrechte  konnte  also  die  Kirche 
besitzlose  Freie  oder  auch  kleine  fi'eie  Gnindbesitzer  zur  Be- 
wirthschaftung  ihrer  Güter  heranziehen  ^).  Sie  war  dazu  aber 
auch  allein  in  der  Lage,  weil  für  sie  allein  römisches  Recht 
in  Geltung  blieb ;  wurden  doch  auch  speciell  zu  ihren  Gunsten 
Bestimmungen  über  den  Golonat  in  die  Volksrechte  aufge- 
nommen ^).  Freilich,  für  die  Dauer  war  nicht  daran  zu  denken, 
dass  sich  dieses  Instisut  in  der  fremdartigen  Umgebung 
deutscher  Rechtsanschauungen  in  seiner  Ursprünglichkeit  be- 
wahren konnte.    Hatte  schon  der  römische  Golonat  wegen  der 


^)  Cod.  Inst  XI,  51,  1 ,  de  colon.  Thracenfi.  ib.  XI,  47,  24  de  agric 
Nov.  Valentin,  tit.  dO  de  col.  vag.  c.  1,  §  2,  8. 

')  Cod.  Theod.  V,  10,  c.  1  de  inqailin.  Cod.  Inst  XI,  47,  c.  11,  !&, 
28  de  agric.  XI,  51,  c.  1  de  coL  Thrac. 

')  Cod.  Inst  XI,  49,  c  1,  2  in  quibus  causis  coloni.  XI,  47,  c  23 
de  agric. 

^)  Cod.  lust  XI,  51,  c  1  de  colon.  Thrac. 

')  Auch  Leymarie  histoire  des  paysans  en  France  S.  120  gibt  n,  das» 
die  DiBatschen  diese  serrage  de  la  gl^be  mitig^  par  l'ind^ndanoe  de  la 
personne  in  ihrem  eignen  Interesse  begünstigten. 

')  L.  AUm.  9:  quicunque  liberum  ecclesiae,  quem  colonom  vocant, 
occiderit,  sicut  alü  Alamanni  ita  componatur.  28,  1:  Liberi  aatem  eecle- 
siastid  quos  colonos  vocant,  omnes  sicut  et  coloni  Regis,  ita  reddent  ad 
ecclesiam.    Vgl.  L.  Bi^j.  I,  18. 


—    123    — 

glebae  adscriptio  und  den  Gewalü-echten  des  Orundhemi  einen 
bedenklichen  Beigeschmack  der  Unfreiheit,  so  musste  diese 
Seite  des  Instituts  unter  der  Herrschaft  eingewurzelter  deutscher 
Sitte  noch  schärfer  hervortreten.  Der  Golonat  ging  so  immer 
entschiedener  in  ein  Verhältniss  unfreier  Orundhörigkeit  über 
und  verschwand  bereits  am  Ende  der  Merowingerperiode  unter 
den  sonst  geübten  Foimen  der  Uebertragung;  aber  für  den 
ersten  Anfang  ist  er  doch  bedeutsam  für  die  Entwickelung 
der  Grundhen-schaft  und  hat  vielfach  zur  Verallgemeinerung 
der  Gutsübertragung  zu  blosser  Nutzung  beigetragen  ^). 

Nicht  minder  waren  der  ususfructus  und  das  precarium 
geeignete  Fonnen  der  Uebertragung  von  Grundeigenthum,  wo 
es  sich  handelte,  die  grosse  Masse  der  kleineu  Gemeinfreien 
mit  dem  übei'schüssigen  Giiindbesitze  der  Kirche  ökonomisch 
zu  verknüpfen.  Ursprünglich  treten  diese  beiden  üeber- 
tragungsfoimen  getrennt  nach  ihren  römisch-rechtlichen  Merk- 
malen, neben  einander  auf;  es  wird  Grundbesitz  übeilragen 
auf  bestimmte  Zeit  ^)  oder  auf  Lebenszeit  des  Nutzniessers 
und  der  Genuss  der  Früchte  gegen  bestimmte  Abgaben  ein- 
geräumt, (ususfructus)^)  und  es  wird  der  Besitz  und  Genuss 
ohne  Entgeld  übertragen,  die  beliebige  Zurücknahme*)  aber, 
oder  doch  füniO^^^S^  Erneuei-ung  ^)  vorbehalten  (precarium). 
Bald  aber  gehen  beide  Institute  in  einander  über  und  ti*agen 
den  für  die  deutsche  Zeit  vorherrschenden  Namen  precaria 
(praestaria  vom  Standpunkt  des  Verleihers.)  Das  prekarische 
Verhältniss  zeigt  sich  auch  bei  dem  ususfinictus  in  der  dem 
Verleiher  zustehenden  Befugniss,  das  Gut  bei  Verschulden  des 
£mpfängei*s  zurückzuziehen  %  und  der  Precarie  wird  grössei*e 

')  YgL  Gn^rard  Polyptiqae  de  l'Abb^  Irminon  I,  225—250. 

*)  Tr.  Sang.  761,  No.  29:  sab  usufructaario  tibi  prestaTimus  . . . 
quamdia  ipBas  res  abere  volueris. 

^  Dieses  besonders  h&afig  an  solche,  welche  ein  Eigengut  an  einen 
Grundherrn  tradirt  haben  und  sich  lebenslänglichen  Natzgenuss  vorbehal- 
ten; 2.  B.  Tr.  Sang.  753  (?)  n.  17.    Tr.  Wi«.  808,  n.  19;  787,  n.  77,  99. 

*)  Marcolf  form,  n,  41:  ut  quamdia  vobis  placuerit,  ut  eam  (precariam) 
teneamoB.    Ebenso  Form.  Lindenb.  150. 

^  S.  Form  Lindenbrog.  19,  20,  28. 

•)  Pardess.  Dipl.  II,  785,  n.  557.    Gu^rard  729,  ü,  341. 


—    124     - 

Festigkeit  gegeben  dadurch,  dass  sie  ausdrücklich  auf  Lebens- 
zeit gegeben  ^)  oder  die  fttn^ährige  Erneuerung  als  entbehrlich 
bezeichnet  wird').  Es  ist  nach  den  deutschen  Quellen  schon 
wesentlich  eine  Foim  der  Uebertragung  der  Nutzung  eines 
Landguts  oder  Grundstücks  bis  auf  Weiteres,  im  Zweifel  auf 
Lebenszeit  des  Empfängers,  mit  oder  ohite  Uebemahme  einer 
Zinsverbindlichkeit  ^),  diese  selbst  auch  oft  so  gering,  dass  sie 
nur  einen  formellen  Charakter  hat^);  es  schliesst  aber  diese 
Uebertragung  an  sich  keinerlei  Minderung  pei-sönlicher  Frei- 
heitsrechte des  Beliehenen  in  sich,  wie  sie  sich  anderseits 
auch  auf  solche  anwendbar  erwies,  die  nicht  freien  Standes 
waren. 

Wie  nun  die  Kirche  auf  diese  Weise  eine  erete  ökono- 
mische Gliedemng  ihres  Grund eigenthums  in  Herrenland 
(ten*a  indominicata),  Precarien,  Colonat  und  Zinsgüter  der 
Leibeigenen  schuf,  so  findet  ein  ähnlicher  Vorgang,  wenn  auch 
nicht  so  frühzeitig  und  nicht  so  häufig,  bei  weltlichem  Gross- 
grundbesitze  statt.  Das  Ansehen,  welches  die  grassen  Grund- 
herrn genossen,  die  Macht  über  welche  sie  verfügten,  war  von 
immer  stärker  wirkender  Anziehungskraft  auf  landlose  oder 
äimere  Freie,  die  sich  ihrem  Schutze  anvertrauten  und  hin- 
widerum  als  Gefolge  ihr  Ansehen  vermehren  halfen.  Neben 
den  unfreien  pueri,  gasindi  etc.  stellte  sich  ein  Kreis  von 
pares,  amici  etc.  ein,  der  gleich  jenen  durch  Landverleihungen 
ganz  vorzüglich  an  den  Herrn  zu  knüpfen,  mit  dessen  eignen 
Interessen  zu  verbinden  war;  in  der  pi'ecarischen  Verleihung, 
wie  sie  die  Kirche  übte,   war  die  Form  gefunden,  in  welcher 

^)  Cod.  Fuld.  772,  n.  37,  38;  775,  n.  49;  739,  n.  62,67. 

«)  Pardess.  Dipl  n,  736,  n.  557.  Marculf,  Form.  II,  5,  9.  39.  41; 
App.  27,  41.  Form.  Sinn.  7;  Form.  Lindenbr.  22,  27,  150;  Mitteirb. 
ürk.  B.  767,  I,  21 ;  771,  n.  23;  786,  n.  33. 

«)  Abgabenfreier  üsusfructus  Tr.  Wiz«.  737,  n.  8;  734,  n.  9:  Wr 
n.  47;  Cod.  Fuld.  765,  n.  25;  777,  n.  59. 

Abgabenpflichtige  Precarie  z.  B.  (Tr.  Sang.  758,  n.  22;  759,  n.  24; 
760,  n.  25;  762,  n.  33,  36;  766,  n.  47. 

*)  S.  die  yielen  Beispiele,  wo  bloss  2,  4,  6  Denare  gegeben  werden 
bei  Waitz,  Verf.  G.  II,  229.  Cod.  Laur.  I,  60,  71  wird  der  Zins  genAeta 
nur  ob  recordationem  verlangt 


—    125    — 

solche  Uebei-tragungen  der  Nutzung  von  Grund  und  Boden  ohno 
andre  Statusveränderung  als  sie  in  der  persönlichen  Ergebung 
zur  Treue  schon  gelegen  war ,  durchgeführt  werden  konnten. 
Diese  Verleihungen  heissen  dann  insbesondere  beneficium,  ein 
Ausdruck,  der  aber  auch  für  kirchliche  Precarien  immer  häu- 
figer wird  und  ebenso  neben  diesem  gebraucht  scheint^). 
Häufig  ist  diese  Form  der  Uebertragung  bei  weltlichen  Ginind- 
herm  in  dieser  Zeit  offenbar  noch  nicht;  die  einfache  Glie- 
deiTing  des  weltlichen  Grossginndbesitzes  in  Herrenland,  das 
von  Leibeignen  auf  Rechnung  des  Herrn  bewirthschaftet  wurde 
(mancipia  non  casata^  praebendarii)  und  in  Zinsland ,  das  an 
send  zur  eignen  Bewirthschaftung  gegen  Zins  und  Dienst- 
leistung auf  dem  Hen-enlande  hinausgethan  war,  zweifellos 
noch  überwiegend. 

Und  auch  die  ökonomische  Gliederung  des  Eronguts 
scheint  im  Ganzen  die  gleiche  gewesen  zu  sein.  Die  ältesten 
Vergabungen  aus  demselben,  regelmässig  an  Getreue  und  ver- 
diente Beamte  gemacht,  stellen  sich  nach  den  Quellen  durch- 
aus als  Schenkungen  dar;  Verleihung  von  Erongut  zu  Bene- 
ficium, insbesondere  in  dem  Sinne,  wie  das  die  Eirche  zum 
Zwecke  des  Genusses  einer  Bodenrente  gethan  hat,  kennt  die 
Merowingerzeit  nicht*).  Die  Beneficien,  welche  der  Eönig 
gab,  -•  und  hierin  sind  wohl  auch  die  meisten  der  Beneficien 
weltlicher  Grosser  übereinstimmend  —  waren  ohne  Zinsver- 
bindlichkeit, „eine  Art  Verleihung  zu  Eigen thum,  über  welches 
der  Besitzer  aber  nur  mit  Zustimmung  des  Verleihenden  ver- 
fügen kann"  ^);  sie  waren  nicht  aus  ökonomischen,  sondern 
aus  socialen  und  politischen  Interessen  verliehen.  Mit  ihnen 
sollten  Dienste  vergolten  werden,  welche  der  Beliehene  vor- 
übergehend oder  daueiiid  dem  Hen-n,  besondei*s  dem  Fürsten, 
leistete;  wohl  auch  sollte  dadurch  die  Existenz  des  Beliehenen 
in  Treue  und  Ergebenheit  an  das  Interesse  des  Verleihers 
geknüpft  werden.    Der  reichliche  Grundbesitz  gab  also  dem 

0  z.  B.  Tr.  Fuld.  772,  n.  37 :  ut  dum  advivo  ipsa  hereditate  sab  vestro 
benefido  . . .  per  vestram  precariam  excolere  debeam. 
«)  S.  a.  Waitz  U,  240. 
^  Roth,  Benef.  W.  243  f.    Eichhorn,  Rechtsgeschichte  §  26  a. 


—     126    — 

Könige,  wie  nicht  minder  den  Gössen  des  Reiches,  den  Her- 
zogen und  Fügten  des  Volkes,  Gelegenheit,  sich  eine  sociale 
und  politische  Stärkung  durch  eine  Anzahl  solch  anhänglicher 
und  ergebner  Getreuer  (fideles,  amici)  zu  verschaffen.  Dem 
Beliehenen  aber  gab  das  Beneficium  entweder  überhaupt  die 
sociale  und  ökonomische  Stärkung,  welche  im  Grundbesitz 
lag,  oder  half  ihm,  seinen  sonstigen  Besitzstand  in  entsprechen- 
der Weise  zu  erweitem.  Vorzugsweise  aus  letzterer  Rücksicht 
sehen  wir  auch  hochgestellte  Personen  ein  Beneftcialverhält- 
niss  eingehen,  wo  es  ihnen  nicht  möglich  war,  den  gewünsch- 
ten Grundbesitz  auf  andere  Weise  zu  erwerben  ^). 

Sicherlich  ist  nun  die  Verleihung  von  Krongut  zu  Bene- 
ficium durch  die  seit  Karlmann  vorgenommenen  Seculari- 
sationen  von  Kirchengut  sehr  vermehrt  worden.  Indem  auf 
diesem  Wege  Kirchengut  in  Krongut  überging,  hat  die  Krone 
auch  die  vielen,  von  der  Kirche  verliehenen  Beneficien  und 
Precarien  übernommen,  und  die  so  Beliehenen  in  ihrem  ab- 
geleiteten Besitze  gelassen^).  Und  da  die  wirthschaftliche 
Seite  der  Beneficien  wohl  sicher  zuerst  von  der  Kirche  aus- 
gebildet, zur  Gewinnung  einer  Bodenrente  ohne  eigne  Wirth- 
schaftsführung  verwendet  worden  ist,  so  lässt  sich  wohl  auch 
annehmen,  dass  die  Krongutsbeneficien  ei*st  seit  dieser  Zeit 
ihren  nachmals  so  stark  ausgeprägten  Charakter  eine%  Mittels 
der  grundherrschaftlichen  Wirthschaftsorganisation  erhalten 
haben  ^).  Doch  übt  das  in  dieser  Periode  keinen  besonderen 
Einfluss  mehr  auf  die  ganze  Gestaltung  der  deutschen  Wirth- 
schaftszustände  aus  und  wird   desshalb  füglich  erst  im  Zu- 


^)  So  nimmt  Tr.  Wizz.  719,  n.  267  der  Graf  AdalcharduB  Gttter  von 
WeisBenburg  als  Beneficium  auf  Lebenszeit  gegen  Zins  von  1  Ü,  Silber 
und  2  angarias. 

>)  Capit  Liftin.  743,  c.  2  (LL.  I,  18):  Statuimus. .  .  ut  sub  preesrio 
et  censu  aliquam  partem  ecclesialis  pecuniae  in  adiutorium  ezerdtas 
nostri  cum  indulgentia  Dei  aliquante  tempore  retineamus,  ea  conditione, 
ut  annis  singulis  de  unaquaque  casata  solidus  i.  e.  12  denarii,  ad  ecclesisin 
vel  ad  monasterium  reddatur. 

»)  S.  Waitz,  II,  257.  IV,  18  f.  Kaufmann  über  die  Secularisationen 
in  Hildebr.  Jahrbüchern  für  Nationalökonomie.  Bd.  22. 


—    127    — 

sammenhange  mit  der  Ausbildung  der  grossen  GrundheiT- 
schaften  in  der  folgenden  Periode  näher  berücksichtiget. 

Jedenfalls  aber  wurde  durch  das  Institut  der  Benefiden, 
der  Precarie  und  durch  die  ausgedehnte  Anwendung  des 
Colonats  und  der  Verleihung  von  Zinsgütem  an  Unfreie  die 
Gruppirung  des  Besitzstandes  mit  Rücksicht  auf  seine  öko- 
nomische Nutzung  schon  sehr  erheblich  verändert  und  damit 
der  Grund  zu  jenen  grossen  Umwälzungen  gelegt,  welche  der 
Grundbesitz  in  der  folgenden  Periode  mit  Ausbildung  der 
grossen  Grundherrschaften  erfahren  hat. 

Soweit  nun  in  dieser  Periode  der  Grundbesitz  überhaupt 
schon  wiithschaftlich  gegliedert  ist,  steht  immer  das  Verhält- 
niss  deg  hen-schenden  zu  den  dienenden  Gutem  im  Yorder- 
giiuide  und  ist  auch  bei  weitem  das  ökonomisch  wichtigste 
Verhältniss.  Diejenigen,  welche  mehr  besassen,  als  sie  selbst 
bebauen  und  für  den  Bedarf  ihrer  Hauswirthschaft  gebrauchen 
konnten,  behielten  immer  häufiger  nur  einen  Theil  ihres 
Grundbesitzes  in  eigner  Verwaltung.  Das  ist  die  cuiijs  oder 
Villa  dominica  mit  dem  dazu  gehörigen  Acker-,  Wiesen-,  oft 
auch  Weide-  und  Waldland  0,  der  teira  salica  *). 

Hier  concentrii-te  der  Ginindherr  die  ihm  unbedingt  zur 
Verfügung  stehenden  Arbeitski*äfte  seiner  mancipia,  welche 
oft  ausdrücklich  non  casata,  domestica  oder  auch  praebendarii 
biessen,  hier  investirte  er,  was  ihm  an  beweglichem  Kapital 
zur  Vervollkommnung  der  Wirthschaft  zur  Verfügung  stand, 
in  Gebäuden,  Vieh,  Geräthschaften,  BohstofF  und  Voiräthen; 
hier  fand  auch  seine  eigne  Untemehmerleistung  das  Feld 
ihrer  Wirksamkeit,  daher  eine  beträchtliche  Ueberlegenheit 
der  Wirthschaft  des  Dominicallandes  wohl  ausser  Zweifel  steht. 

Eine  rechtlich  bevorzugte  Stellung  aber,  etwa  mit  Exemtion 


^)  HiefÜr  ist  schon  frOhzeitig  der  Aasdruck  foreste  in  Uebung  ge- 
kommen, ürk.  643  Bouquet  IV,  642;  667  Pardess.  Dipl.  II,  146:  de 
ipM  foreste  dominica;  ib.  678  II,  57.  Tr.  Wizz.  730—739  n.  12:  in  foreste 
dofflinico  qae  didtur  Fasenbnrgo  (des  dox  Liutfiridas).  Vgl.  Grimm,  RA. 
Bernhardt  I,  53. 

')  So  genannt  nach  der  sala,  der  Wohnung  des  Grundherrn  (1.  Alam. 
^ti,  1:  domus  Tel  sala);  das  ganze  Gut  heisst  darnach  auch  schon  früh- 
zeitig Salgut,  SaUiufe;  vgl.  die  Stellen  bei  Waitz,  Altdeutsche  Hufe  S.48  ff. 


—    128    — 

von  dem  Markenverbande,  mit  unbeschränkterem  Privateigen- 
thum  oder  besondrer  Erbfolge  ist  diesen  Salgütem  als  solchen 
nicht  zugekommen^).  Wohl  mögen  sich  einzelne  frQhzeitig 
mit  ihren  dienenden  Hufen  zu  selbständigen  Gutsbezirken 
entwickelt  oder  im  Verlauf  aus  der  Markgenossenschaft  aus- 
geschieden sein ;  aber  weder  war  das  allgemein  noch  in  die^r 
Zeit  überhaupt  häufig  der  Fall;  erst  die  folgende  Entwicke- 
lung  hat  die  Tendenzen  reichlicher  erzeugt,  welche  die  grös- 
seren GrundheiTn  zur  Bildung  eigner  Hofverbände  und  zur 
Villenverfassung  drängten. 

Der  übiige  Theil  des  Besitzthums  ist  dagegen  als  Zinsland 
ausgethan  oder  als  Beneficium  verliehen ;  wohl  kommt  auch  beides 
zugleich  vor,  so  dass  der  Träger  eines  Beneficiums  Zins  zahlen 
musste  *);  und  nur  von  bliesen  ist  bei  der  Betrachtung  der  wirth- 
schaftlichen  Gliedeining  des  Grundbesitzes  weiter  zu  handeln. 

Diese  dienenden  Ländereien  der  Ginndherm  waren  ent- 
weder  an  Freie*)   oder  an  Liten*),   oder  auch  an  Unfreie, 

^)  So  Schröder  in  Forschungen  XIX,  148  ff.,  der  aber  für  seine  Auf- 
fassung keinerlei  QueUenzeugnisse  beizubringen  vermag.  Wenn  er  aber 
insbesondre  eine  von  der  gemeinrechtlichen  verschiedne  Erbfolge  ftir  die 
terra  indominicata  oder  saUca  in  der  Weise  annimmt,  dass  dieses  HeiTen- 
land  ausschliesslich  im  Mannsstamme  vererbte,  während  seit  Chilpericfas 
Edikt  für  den  bäuerlichen  Grundbesitz  auch  eine  weibliche  Succession 
eingeführt  worden  sei,  so  geht  er  damit  nicht  bloss  über  1.  SaL  59,  5 
und  Ed.  Chilp.  c.  8  hinaus,  welche  diesen  Unterschied  keineswegs  ent- 
halten, sondern  er  übersieht  auch,  dass  terra  indominicata  oder  salica 
häufig  genug  in  weiblichen  Händen  sich  befindet;  so  z.  B.  Brev.  not 
Sabßb.  (8.  Jahrh.)  XXI,  5;  Tr.  Fuld.  777  n,  59;  C.  Laur.  795  n.  2590; 
Mittelrh.  ürk.  B.  853  I,  83;  ib.  854  n.  110;  C.  Laur.  891  n.  112;  ib.  989 
n.  83.  Auch  die  Fälle  in  Pardess.  627  I,  241  und  632  II,  257  betreffen 
zweifellos  solche  Herrengüter. 

*)  S.  Waitz  II,  228  ff.  üeber  die  unentgeltliche  Verleihung  nnd 
spätere  Belastung  der  Beneficien  mit  Zins  und  Dienst  s.  U.  Buch  4.  Abschn. 

')  L.  Alam.  ü,  1 :  Si  quis  liber,  qui  res  suas  ad  ecclesiam  dederit . . . 
et  post  haec  ad  pastorem  ecclesiae  ad  beneficium  susceperit;  auch  1.  AL 
ynib.  Testament  des  reichen  Diacon  Grimmo  636  Mittelrh.  Urk.  B.  I,  7. 
Tr.  Wizz.  719  no.  267  hat  ein  Graf  Klostergut  gegen  Zins  und  Dienst 
(angariae)  inne. 

^)  Das  Königsgut  Tininga  hat  28  liti  mit  ihren  Läaderden,  als  das- 
selbe 760  von  Pipin  an  Fulda  geschenkt  wurde.  S.  a.  die  vassi  in  Par* 
dessus  Dipl.  728  n.  357.    Tr.  Sang.  757  n.  21. 


—    129    — 

(servi,  mandpia  casata^)  gegeben,  wornach  sich  der  Unter- 
schied des  mansus  oder  der  huba  ingenuilis,  lidilis  und  ser- 
yilis  ausbildete,  der  aber  später  nur  mehr  eine  Eigenschaft 
des  Gutes  in  Bezug  auf  seine  Leistungen,  nicht  mehr  des 
jeweiligen  Inhabers  desselben  bezeichnete').  In  wirthschaft- 
licher  Hinsicht  unterliegen  sie  aber  trotz  dieser  Untei*schiede 
der  gleichen  Qualification. 

Mit  dem  Herrenhofe,  zu  welchem  sie  rechtlich  gehöi-ten, 
waren  sie  von  Anfang  an  auch  in  einer  organischen  wirth- 
schaftlichen  Verbindung;  sie  ergänzten  durch  Frondienste 
und  sachliche  Leistungen  die  Wirthschaft  des  Gi-undherm') 
und  bildeten  wohl  selbst  die  beste  Art  der  Bewirthschaftung, 
welche  der  Grundherr  denjenigen  Theilen  seines  Besitzthums 
angedeihen  lassen  konnte ,  die  entweder  zu  weit  ab  von  dem 
Sitze  seiner  Wirthschaft  lagen,  oder  durch  ihre  eigenthOmliche 
Beschaffenheit  eine  getrennte  Bewirthschaftung  nothwendig 
machten;  auch  wo  der  Grundeigenthümer  nicht  genügend 
Ober  leibeigne  Hausdiener  verfügte,  war  die  Vergabung  zu 
Zinsland  die  einzig  mögliche  Weise,  sie  in  gutem  Stande  und 
genügender  Bebauung  zu  halten. 

War  ein  solches  Zinsgut  mit  einem  Colonen  oder  Pro- 
caristen  ordentlich  besetzt,  so  nannte  man  es  mansus  vestitus ; 
fehlte  ihm  ein  Colone  aus  welch'  immer  für  einer  Ursache, 
so  war  es  ein  mansus  absus,  der  dann  nothgedrungen  vom 
Herrenhofe  aus  bewirthschaftet  werden  musste,  in  Gemein- 
schaft mit  den  übrigen  Herrenländereien ,  oder  durch  einen 
eigens  dazu  delegiilen  Leibeignen  oder  Hörigen  des  Hen-en- 
hofes;  es  konnte  wohl  auch  einem  Zinsbauem  die  Bewirth- 
schaftung eines  mansus  absus  neben  seiner  Zinseshufe  auf- 
getragen oder  überlassen  werden-,  und  so  war  es  dann  mög- 


')  L.  AI.  22.  L.  Bai.  h  13.  Auch  Pardessos  Dipl.  728  n,  544:  quod 
wma  noster  Bertoinus  per  beneficium  nostrom  visos  est  habere.  Ib.  7d9 
n.  559:  Opilonicas  osque  nonc  in  beneficium  habuit  .  . .  volo,  ut  ipse  .  . . 
libertoB  fiat  et  ipsas  colonicas  snb  nomine  libertinitatis  habeat  Auch 
Tr.  Wizsj.  58,  102. 

^  Gtt^rard  Lminon  S.  582  f.    Waitz  n,  189. 

*)  S.  näheres  im  4.  Abschn.  S«  155  £ 

▼OB  Inama-Sternegg,  WirthBebaflsfeMhiebte.    I.  9 


—    130    — 

lieh  auch  vom  mansus  absus  Erträgnisse  zu  gewinnen,  entweder 
die  Einte  selbst  im  ersten  Falle,  oder  Zins-  und  Dienst- 
leistungen (nur  in  der  Regel  nicht  volle)  in  den  übrigen  Fällen  ^). 

Dass  die  als  Zinsland  oder  Beneficium  hinausgethaneo 
Güter  (mansus)  von  einer  auch  nur  annähernden  Gleichheit 
des  Grundbesitzes  gewesen  seien  ^),  ist  aus  den  Urkunden 
eben  so  wenig  dai-zuthun,  als  eine  Gleichheit  der  Landgüter 
der  gemeinfreien  Grundbesitzer.  Nur  in  soweit  lässt  sich 
unter  einem  mansus  eine  feste  Gutsgrösse  annehmen,  als  er 
aus  einem  alten  Landlose  eines  Freien  in  einen  solchen  um- 
gewandelt %  oder  als  hova  plena  auf  den  Bedarf  einer  ganzen 
Colonenfamilie  berechnet  war.  Da  aber  weder  jene  Entstehung 
des  dienenden  mansus  allgemein,  noch  auch  die  Güter  in 
ihren  einzelnen  Bestandtheilen  gleich,  noch  die  Bedürfiüsse 
der  Golonenwirthschaft  gleich  waren,  so  ist  die  grosse  Ver* 
schiedenheit  begreiflich,  welche  thatsächlich  im  Ausmasse  des 
zum  mansus  gehörigen  Landes  schon  sehr  frühzeitig  her- 
vortritt *). 

Auch  über  das  Verhältniss  der  Grösse  von  Herrenland 
und  Zinsland  bei  den  einzelnen  grösseren  Grundbesitzungen 
sind  wir  aus  dieser  Zeit  noch  spärlich  unterrichtet  Es  wird 
aber  wohl  der  Hauptsache  nach  abhängig  gewesen  sein  von 
dem  Masse  der  dienenden  Arbeitskräfte,  welche  dem  Grand- 
hei-m  zu  Gebote  standen;  die  Dominicalgüter  der  weltlichen 
Grossen  dürften  dainach  verhältnissmässig  am  bedeutendsten 
gewesen  sein,  weil  sie  eben  durch  relativ  grossen  Besitz  von 
leibeignen  Hausdienern  hervon-agen ;  wogegen  bei  bischöflichem 
und  besonders  bei  klösterlichem  Besitz  das  Dominicalland 
gegenüber  dem  Zinslande  zuiUcktrat  ^). 

^)  An  eine  eigentliche  Pachtang  ist  aber  doch  nie  zu  denken,  wie  öms 
RoBchcr  II,  §  61  n.  1  anzunehmen  scheint 

«)  S.  Waitz  n,  171. 

")  Der  Ausdruck  mansus  cum  sorte  sua  h.  e.  cum  terris,  campis, 
aedificüs,  pascuis  etc.  C.  Lauresh.  I,  619  (aus  der  Zeit  Pipins)  ist  dafiir 
allerdings  nicht  beweisend. 

*)  Vgl.  die  Beilage  Nr.  2. 

^)  Vgl.  meine  „Ausbildung  der  grossen  Orundherrschaftan^  S.  75  t 
und  näheres  im  II.  Buche. 


—    131    — 

Die  Bedeutung  nun,  welche  der  Ginindbesitz  in  jener 
ältesten  Zeit  für 'die  ganze  Volkswirthschaft  der  Deutschen 
gehabt  hat,  lässt  sich  erat  ermessen,  wenn  wir  denselben  als 
Quelle  nationalen  Erwerbs  kennen  gelernt  haben  und  zugleich 
überschauen  können,  wie  weit  andre  Ei*werbsai*ten  der  Volks- 
wirthschaft in  jener  Zeit  entwickelt  waren.  Und  soweit  damit 
wirihschaftliche  Kraft  gewonnen  und  diese  für  die  Geltend- 
machung einer  socialen  Stellung  vei'wendet  werden  konnte, 
ist  auch  die  Frage  nach  der  socialen  Bedeutung  des  Grund- 
besitzes erst  darnach  zu  entscheiden. 

Der  Grundbesitz  hatte  aber  schon  an  sich,  ganz  abgesehen 
von  dem  grösseren  oder  geringeren  Masse  seiner  Erträgnisse 
eine  sociale,  ja  selbst  politische  Bedeutung  durch  das  Becht 
und  die  Macht,  welche  er  gewährte  und  durch  die  socialen 
Verbindungen,  welche  sich  auf  denselben  als  auf  ihr  festestes 
Fundament  stützten. 

Für  die  Familie  war  der  Grundbesitz  das  ökonomische 
Substrat  ihres  Bestandes;  in  dem  Gesammtanspruch,  den  sie 
geltend  machen  konnte  und  in  der  Erbenfolge,  welche  auf  die 
Erhaltung  des  Grundbesitzes  bei  der  Familie  berechnet  war, 
lag  sein  Werth  für  dieselbe  ausgesprochen.  Nur  die  Familie, 
welche  sich  Grundbesitz  erhielt,  konnte  sich  auch  jene  Hen*- 
schaft  über  die  Angehörigen  sowohl  der  Verwandtschaft  als 
auch  der  bloss  im  hausherrlichen  Mundium  Stehenden  be- 
wahren, in  welcher  ihre  Macht  lag;  ohne  solchen  Ginindbesitz 
löste  sich  alsbald  dieser  Verband,  je  mehr  die  uraprünglich 
persönlichen  Verbindungen  sich  überall  verdinglichten. 

Für  die  Gemeinde  sodann  galt  der  Grundbesitz  als  die 
Voraussetzung  einer  vollberechtigten  Betheiligung  an  ihren 
Angelegenheiten;  das  Genossenrecht  haftete  an  Grund  und 
Boden  und  die  Gemeinde  selbst  sah  sich  darin  gestützt,  dass 
die  Genossen  nicht  landlose  Leute  waren,  die  sich  über  kurz 
oder  lang  doch  einem  Grundhenn  ergeben  mussten. 

Für  das  öffentliche  Leben  endlich  war  der  Grundbesitz 
eine  Quelle  reicher  Befugnisse,  zur  Bechtsprechung ,  zu  Eid 
und  Zeugniss  vor  Gericht,  zum  Heer-  und  Waffendienst,  in 
welchen  der  Grundbesitzer  nicht  bloss  seine  persönliche  Frei- 


—    132    — 

heit  und  seinen  Antheil  an  der  Ordnung  der  öffentlichen  An- 
gelegenheiten zur  Geltung  brachte,  sondern  auch  die  Mittel 
fand,  sich  auf  eine  höhere  Stufe  im  socialen  und  politischen 
Leben  zu  erheben,  Macht  und  Ansehen,  Beichthum  und  Herr- 
schaft zu  gewinnen,  im  schlimmsten  Falle  aber  wenigstens 
Gewalt  und 'Hen-schaft  von  sich  abzuwehren. 


Vierter  Abschnitt. 
Die  Oflterprodnctlon  und  das  nationale  Erwerbsleben. 

Die  Güterproduction  und  das  nationale  Erwerbsleben  der 
Deutschen  in  der  ei*sten  Zeit  der  Sesshaftigkeit  bewegt  sich 
in  den  denkbar  einfachsten  Geleisen.  Die  Gleichartigkeit 
eines  bescheidenen  Lebensgenusses,  das  geringe  Mass  und  die 
Einfachheit  der  Bedürfoisse  sind  hiefQr  mindestens  ebenso 
entscheidend  als  die  Monotonie  und  Beschränktheit  der  Werth- 
formen  des  nationalen  Güterlebens.  Nur  wie  ein  leiser  Nach- 
hall einer  früher  lebendigen  Tradition  tauchen  aus  altdeutschen 
Gräbern  vereinzelte  Producte  höher  entwickelter  Technik,  za 

» 

feinerem  Lebensgenuss  bestimmt,  empor  und  erzählen  von 
uralten  Verbindungen  der  Deutschen  mit  der  Cultur  des  Orient, 
von  ihrem  Antheil  an  dem  etruskischen  Tauschhandel  nnd 
von  bestimmenden  Einwirkungen  der  weltbeherrschenden 
Roma^). 

Sehr  einfach  und  gleichförmig  in  Nahrung,  Kleidung  und 
Wohnung  lebten  die  Deutschen  wie  zu  Caesai-s  und  Taeitus 
Zeiten,  so  noch  während  und  nach  der  Völkerwanderung. 
Ihre  Heerden  boten  Milch ,  Butter  und  Käse  *),  Fleisch  vom 


^)  S.  i.  A.  Genthe,  üeber  den  etniskischen  Tauschhandel  nach  dem 
Norden.  2.  Bearbeitung  1874.  L.  Lindenschmit,  Die  AlteithOmer  unserer 
heidnischen  Vorzeit  1858. 

')  Caes.  6.  6.  IV,  1 :  maximam  partem  lacte  atque  pecore  Tivnnt  VI, 
22:  majorqae  pars  yictus  eorum  in  lacte,  caseo,  came  consistit  Tac 
Germ.  c.  2d:  agrestia  poma,  recens  fera  aat  lac  concretum. 


—    183    — 

Rind  und  Pferd,  die  wild  auf  der  Weide  aufwuchsen^),  vom 
Schwein  und  Schaf,  deren  Keule  sie  über  den  Winter  räucher- 
ten *) ;  der  Feldbau  Getreide ,  besonders  Hafer  *)  zu  Brei  und 
Brod;  Rüben,  Hülsenfrüchte  und  wildes  Obst^)  von  Feld  und 
Wald,  Fleisch  von  erlegtem  Wild,  Vögeln  und  Fischen  ^)  gaben 
erwünschte  Abwechslung  und  waren  wohl  auch  unentbehrlich 
zur  Deckung  des  gesammten  Nahrungsbedarfs.  Das  nationale 
Getränke  im  Norden  wie  im  Süden  war  ein  leichtes  Bier^), 
aus  heimischem  Getreide  in  primitiver  Weise  zubereitet;  da- 
neben aber  auch  Meth  ^)  und  schon  frühzeitig  Wein ,  dessen 
Anbau  und  Bereitung  sie  von  den  Römern  lernten^).  All  zu 
sorgsam  waren  sie  nicht  in  der  Auswahl ;  aber  häufig  unmässig 
im  Genüsse^),  wie  das  die  Consumtion  roher  Naturvölker 
charakterisii-t. 

Und  eine  ähnliche  Einfachkeit,  die  doch  manchen  Luxus- 
yerbrauch  nicht  ausschloss,  zeigte  ihre  Bekleidung.  Vom  Fell 
der  Hausthiere  oder  des  erlegten  Wilds,  im  Norden  auch  aus 


^)  Vita  S.  Bonif.  MabiU.  A.  SS.  UI,  2.  39:   Inter  cetera  agrestem 
cabaUnm  aliqnantas  comedere  a^jnnxisti,  plerosque  et  domesticmn.    S.  71 
equi  etiam  sUvatici  multo  amplios  yitandi.    L.  Biy.  K,  2:  bos  domitus 
Tacca  indomita. 

*)  Uta  S.  Bonil  Mab.  A.  SS.  ib.  S.  39:  Lardom  comedire:  non  opor- 
tent  ülad  mandi,  prius  quam  desaper  fomo  siccetor  et  igne  coquator. 

')  Plin.  H.  N.  Xym,  44:  quippe  cum  Germaniae  populi  serant  eam 
(arenam)  neque  alia  pulte  yiyant 

^*)  L.  Sal.  27,  7  napina,  fabaria,  pisaria,  lenticulaiia.   Auch  Cap.  pact. 
leg.  Sal.  add.  c.  la  LL.  II,  13. 

*)  Vita  S.  Boiii£  Mab.  ib.  71:  de  yolatilibus  id  est  graculis  et  corni- 
cdis  atque  ciconüs  (aUi  inserunt  etiam  fibri  et  lepores  et  equi);  pisces  ib. 
S.  274. 

«)  Pytheas  bei  Strabo  4,  5.    Tac.  23.    Vita  Columb.  27.    L.  AL  22* 

^  Pytheas  bei  Strabo  4,  5.    Ad.  Brem.  11,  67. 

')  Nach  Caesar  B.  G.  2,  15;  4,  2  schlössen  sich  die  Deutschen  noch 
gegen  den  römischen  Wein  ab;  aber  schon  zu  Tacitus  Zeit  (c  23):  pro- 
2imi  ripae  et  yinum  mercantur. 

*)  Tac  Germ.  22:  Diem  noctemque  continuare  potando  nulliprobrum; 
c.  23:  Sine  appa^tu,  sine  blandimentis  expellunt  famem;  adyersus  sitim 
aon  eadem  temperantia.  * 


—    184    — 

dichtem  Pelzwerk  ist  der  Mantel,  das  hauptsächlichste^)  Be- 
kleidungsstück der  Männer  und  Frauen.  Die  enganliegenden') 
Unterkleider  aber,  Wamms  und  Hose  sind  von  Linnen  ge- 
fertigt; auch  Binden  um  die  Füsse^)  und  Schuhe  aus  Leder 
trugen  sie;  die  Frauen,  als  einzige  Unterscheidung  ihrer 
Tracht  ein  langes  Leinenhemd,  das  Reichere  wohl  auch  mit 
bunten  Streifen  zu  verzieren  liebten.  Winter  und  Sommer 
schufen  noch  keine  Unterschiede  in  der  Tracht*);  und  im 
AUgemeinen  ist  die  grosse  Gleichförmigkeit  derselben  sehr 
bezeichnend  für  den  Gulturzustand  und  die  gesellschaftliche 
Ordnung  der  Volkes*). 

Dabei  fehlte  jedoch  nicht  mancher  Schmuck  und  Zier- 
rath «) ;  Binge  fttr  die  Finger,  Arme,  Hals  und  Ohren,  Hals- 
ketten und  Gehänge,  Zierplatten,  Spangen  und  Gürtelsdiliessen 
mit  künstlicher  Verzierung^);  vieles  war  aus  Erz  gemischt; 
bei  reicheren  auch  edles  Metall  verwendet.  Und  mit  solcher 
Zier  liebten  die  Deutschen  zu  prunken;  in  ihr  prägte  sich 
zumeist  der  Untei*schied  des  Beichthums  und  der  socialen 
Geltung  aus^). 

Ihre  Wohnungen  waren  zu  allermeist  aus  rohen  Stämmen 
kunstlos  gefügt;  zum  Theil  wohl  auch  nur  aus  Flechtwerk  und 
Lehm  geschichtet^).  Doch  haben  die  Alamannen  schon  im 
4.  Jahrhunderte  durch  Nachahmung  römischer  Bauernhäuser 


>)  Nach  Caesar  b.  G.  IV,  1 ;  VI,  21,  und  Pomponios  Mela  lU,  3  %opt 
das  einzige.  Nftheres  bei  Weinhold,  Frauen  404  fg.  Wackemagel,  kleine 
Schriften  I,  40  £    Falke,  Geschichte  der  Trachten  1858. 

>)  Tac.  17.    Sidon.  Apollinaris  ep.  IV,  20. 

")  Paul  Diac.  de  gest  Lang.  I,  24. 

*)  Caes.  B.  G.  1.  c. 

")  S.  i.  A.  Falke,  (beschichte  der  Trachten  passim. 

^)  Hierüber  sind  i.  A.  zu  vergleichen  die  Publikationen  der  anthro- 
pologischen  Gesellschaften;  insbes.  auch  Lindenschmit,  Die  Altertbfiner 
unserer  heidnischen  Vorzeit  passim. 

^)  Tab.  15,  17:  torques,  fibulae. 

<")  S.  i.  A.  Weinhold  S.  454  ff.  Wackemagel  I,  46.  Lindenschnut 
in  Abbildungen  von  Mainzer  Alterthümem  IV,  1852. 

^)  Tac.  Genn.  16:  Ne  caementorum  quidem  apud  iUos  aut  tegnlsmai 
usus ;  materia  ad  omnia  utuntur  informi  et  citra  spedem  atit  delectatiooem. 


—    185    — 

Fortschritte  gemacht^).  Und  die  Franken,  welche  besseren 
Hausbau  in  ihrer  neuen  Heimath  kennen  leinten,  scheinen  die 
B^grQnder  eines  neuen  voUkommnei-en  Typus  für  Wohngebäude 
im  ganzen  Frankenreiche  geworden  zu  sein.  So  erkläit  sich 
der  ui-alte  Gegensatz  des  fränkischen  und  des  niedersächsischen 
Hauses,  von  denen  jenes  für  die  Wohnung  eine  Art  Saalbau ') 
hatte,  der  getrennt  von  den  Wirthschaftsgebäuden  stand, 
während  dieses  die  kümmerliche  Wohnung  an  die  Wirthschafts- 
räume  unmittelbar  anschloss  und  unter  einem  Dache  alles 
beherbergte^).  Ein  höheres  Alter  lässt  sich  wohl  weder  für 
eine  noch  für  die  andre  Bauweise  mit  Sicherheit  darthun  ^), 
um  so  weniger  als  die  Mischfoimen  des  alamannischen ,  thü- 
ringischen und  obersächsischen  Hauses  einerseits,  des  baiu- 
warischen  andei-seits  gleichfalls  schon  seit  Beginn  der  histori- 
schen Zeit  erkennbar  hervortreten^).    Nur  die  Vei-schieden- 


S.  a.  Ammian  18,  2:  Saepimenta  firagilium  penatam.  Noch  in  1.  Baj.  X,  14 
sind  nur  hölzerne  Bestandtheile  des  Hauses  aafgezählt  Doch  werden  an 
einer  andern  Stelle  späteren  Ursprungs  (I,  13)  Kalk-  und  Steinfuhren  für 
die  Herrschaft  erwähnt 

^)  Ammian  XYII,  1:  extractisque  captivis  domicilia  cuncta  cnratius 
rita  romano  constmcta,  flammis  subditis  ezurebat. 

*)  Darauf  deuten  auch  die  vielen  urkundlichen  Stellen  z.  B.  Urk.  709 
Pard.  474:  casatas  11  com  sala  et  curticle  meo.  Urk.  710  ib.  476  casatas 
5  com  sala  et  curtile  meo.  Urk.  721  ib.  520:  3  casatos  una  cum  sala  et 
curticle  meo.    S.  a.  Gu^ard  Irminon  I,  488. 

*)  Nach  Pfiihler,  Handbuch  der  deutschen  Alterthumer  S.  470,  ist  aus 
der  Art  und  Weise  wie  bei  Tadtus  c.  20  das  Aufwachsen  der  Kinder 
zwischen  dem  Vieh  erwähnt  wird,  vielleicht  zu  schüessen,  dass  der  Stall, 
wie  jetzt  noch  in  den  ältesten  Bauernhäusern  in  Süd  und  Nord,  mit  der 
Wohnung  unter  demselben  Dache  war. 

*)  H.  Otte,  Geschichte  der  deutschen  Baukunst  S.  43  ff.  hält  die 
niederBächaische  Bauweise  für  die  älteste,  weil  hier  Menschen  und 
Thiere  noch  unter  einem  Dache  beisammen  wohnen.  M.  Heyne  dagegen 
sucht  (Germania  v.  Pfeifer  X,  55  ff.)  wahrscheinlich  zu  machen,  dass  die 
fränkische  Bauart  die  ältere  sei  und 'dass  sich  die  sog.  altsächsische  erst 
später  aus  der  Vereinigung  kleiner  Wohnungen  mit  Stallanlagen  ent- 
wickelt habe.  S.  a.  Landau  in  Beilagen  zu  dem  Corresp.  Bl.  der  bist. 
Vereine  1858.  1859.  1862. 

')  Die  charakteristischen  süddeutschen  Typen  sind  alle  vertreten  in 
Hohenbruck,  .Pläne  landwirthschaftlicher  Bauten  des  Kleingrundbesitzes  in 


—    186    — 

heiten  der  wirthschafüichen  Gultur,  welche  die  einzelnen 
Völkerstämme  in  dieser  Zeit  ermngen  hatten  und  der  Gegen- 
satz einer  vorhen-schenden  Acker-  und  Viehwirthschaft  lassen 
sich  einigennassen  darin  erkennen.  Jedenfalls  aber  gehört 
die  Abtheilung  des  zur  Wohnung  bestimmten  Gebäudes  oder 
Gebäudeantheils  in  verschiedne  Wohniiume  erat  einer  späteren 
Entwickelung  des  nationalen  Hausbaues  an.  Wie  das  nieder- 
sächsische Haus  der  ältesten  Zeit  einen  einzigen  grossen  Raum 
umschloss,  der  als  Tenne  und  Banse  diente  und  an  dessen 
einem  Ende  der  Herd  mit  dem  Frauensitz  und  den  Schlaf- 
bänken angebracht  war  %  so  ist  auch  der  fränkische  Saal  ein 
solcher  offner  Raum  gewesen,  der  erat  später  seine  Gliederung 
durch  Zubau  oder  Verschlage  erhielt  ^) ;  und  auch  die  ala- 
mannische  Wohnung  muss  in  dieser  Weise  gedacht  werden'), 
wie  auch  die  grosse  durchlaufende  Tenne  des  baiuwariscben 
Hauses,  die  noch  jetzt  den  Schwei-punkt  desselben  bildet, 
sicherlich  noch  in  der  Zeit  des  Volksrechts  der  allgemeine 
Wohn-  und  Wirthschaftsraum  gewesen  ist.  Hölzerne  Säulen 
trugen  das  Dach,  die  Firatsäulen,  die  in  die  Diele  herein- 
standen und  später  wohl  den  eraten  Anhaltspunkt  zur  Ab- 
theilung des  gi'ossen  Raumes  boten,   und  die  Winkelsäulen. 


Oesteireich  und  Ealtenegger,  Typen  landwirthschaftlicher  Bauten  des  Klein- 
gnmdbesitzes  in  Tirol  und  Vorarlberg  1878.  Vgl.  meine  Besprechung 
derselben  in  der  Augsb.  Allg.  Zeitung  1878  No.  308  f.  Beilage.  Von 
kleinen  Gebäuden,  quae  per  se  constructi  sunt,  balnearius,  pistoria, 
coquina  vel  cetera  hujusmodi  spricht  L.  B^j.  X,  3. 

^)  Abbildungen  und  Beschreibung  dieser  alten  Bauernhäuser  u.  a.  in 
Zeitsch.  des  bist.  Vereins  fbr  Niedersachsen  1850.  S.  117  ff.  Spamei's 
illust  Gonvera.  Lezicon  Bd.  II,  Sp.  359  f.  Einen  Lobredner  fand  diese 
Bauweise  besonders  an  Just  Moser,  SämmÜ.  Werke  m,  144,  VI,  102  £ 

')  S.  M.  Heyne  S.  97.  Schöer,  Das  Bauernhaus  im  offic  Ber.  thet 
die  Wiener  Weltausstellung  Heft  51. 

*)  Das  geht  schon  aus  1.  Alam.  95  hervor:  Si  qua  mulier  .  .  peperit 
puerum  .  .  ut  possit  aperire  oculos  et  videre  culmen  domus  et  quatoor 
parietes.  Ein  interessanter  Ueberrest  eines  alamannischen  (oder  bmgan- 
dischen?)  Saalbaus  ist  der  grosse  Saal  des  Schlosses  Orders  im  schireixe- 
rischen  üechtland  mit  seinen  laubenartigen  Beikämmerchen  und  den 
steinernen  Sitzbänken  längs  der  Wände.  S.  Augsb.  Allg.  Zeitung  1879 
No.  49  Beil. 


—    137    — 

die  äusseren  Träger  des  Daches^);  ernst  schaute  der  iiissige 
First  in  den  weiten  Raum  herab,  von  dem  der  Rauch  des 
Herdfeuers  ohne  Schlot  und  andere  Leitung  als  die  natür- 
liche Strömung  der  Luft,  nach  oben  zog^). 

Hier  spielte  sich  das  ganze  Leben  der  Familie  ab;  hier 
wohnte  und  hier  schlief  man;  am  Herd  versammelten  sich 
die  Hausgenossen,  der  Herr  und  seine  Familie  wie  die  Knechte 
und  Mägde  nach  gethaner  Arbeit  wie  vor  Beginn  derselben; 
hier  war  die  allgemeine  Plauderstätte  und  der  Oi*t  fbr  ernsten 
Rath ;  da  wurde  auch  der  Gast  empfangen,  den  die  geiilhmte 
Gastfreundschaft  des  deutschen  Hauses  hergeführt,  und  die 
Gelage  abgehalten,  die  des  Hauses  Herr  bei  besondrem  Anlass 
seinen  Nachbarn  gab^). 

Von  innen  wie  von  aussen  war  wohl  wenig  Schmuck  und 
Zier  des  Hauses  verwendet;  nur  die  einander  abgekehrten 
Thierköpfe  *')  am  Giebel  des  Hauses  und  das  Glockenthürmchen 
scheinen  in  einzelnen  Gegenden  uralt  zu  sein;  etwas  Farbe 
war  dann  und  wann  schon  früh  zum  Schmuck  der  Aussenseite 
angebi-acht  ^). 

Im  Keller  bargen  sie  die  Flüchte  und  andei-n  Vorrath, 
suchten  aber  im  Winter  wohl  selbst  dort  Zuflucht  gegen  die 
Kälte  und  richteten  dort  ihre  Arbeitsstätte  zur  Verfeitigung 
allerlei  Hausi'aths  ein  ^) ;  hier  tanzte  die  Spindel  und  klapperte 
der  Webstuhl  ^)  und  manch  andres  Handwerk  für  den  Eigen- 


^)  S.  bes.  1.  Bai.  ^i  ''•  colamnam,  a  qua  culmen  sustentatur,  quam 
fintsnl  Yocanl  8:  interioris  aedificii  illam  columnam,  quam  winchilsul 
▼ocaot.    10:  exterioris  ordinis  columna  angularis. 

*)  Weinhold,  Frauen  830.    Schröer  S.  b. 

*)  Im  Beowulf  ist  öfter  von  Methsal,  Bierhalle,  Degensal  die  Rede. 
S.  PfiEOiler  591. 

*)  Grimm,  Mythol.  2.  Ausg.  S.  626. 

*)  Tac  c.  16;  Quaedam  loca  diligentius  illinunt  terra  ita  pura  ac 
splendente,  ut  picturam  ac  lineamenta  colorum  imitetor. 

*)  Tac  c.  16:  Solent  et  supterraneos  specus  aperire  eosque  multo 
insuper  fimo  onerant,  suffugium  hiemi  et  receptaculum  frugibus. 

^  Plinius  h.  n.  XIX,  2:  In  Germania  autem  defossi  atqne  sub  terra 
id  opus  agnnt  (vela  texunt).  S.  ttber  diese  Kelleranlagen  Wackemagel  in 
Haupts  Zeitsch.  VU,  S.  129  ff.    Hostmann  S.  55.    Ueber  die  Bedeutung 


—    1S8    — 

bedarf  betrieb  da  der  Deutsche  mit  Weib  und  Kindern  und 
Gesinde.  Gefässe  und  Geräthschaften  hatten  sie  aus  Stein  ^) 
und  Bein,  aus  Holz  und  aus  Metall ;  auch  einfache  Thonwaai*en 
sind  ihnen  schon  längst  bekannt  gewesen;  am  entwickeltsten 
und  werthvoUsten  aber,  was  Stoff  und  Technik  der  Bearbei- 
tung anlangt,  sind  jedenfalls  ihre  Waffen  und  ihre  Schmuck- 
gegenstände gewesen,  in  denen  sie  wieder  auf  einigen  Luxiis 
hielten. 

Vieles  nun  davon  haben  sie  sicherlich  von  den  Römern 
erhandelt;  mehreres  wohl  auf  ihren  Eroberungen  erbeutet; 
in  zweifellos  deutschen  Gräbern  der  spätesten  Zeit  des  Heiden- 
thums  (6.  u.  7.  Jahrh.)  finden  sich  nicht  selten  Geräthschaften 
von  augenscheinlich  römischer  Arbeit*). 

Aber  auch  selbst  solches  zu  fertigen  vei*standen  die 
Deutschen;  eine  zwai*  primitive  aber  doch  charakteristische 
Technik  bildete  sich  bei  ihnen  aus;  viele  allen  deutschen 
Völkern  gemeinsame  Motive  und  Ornamente  kehren  bei  den 
Funden  altdeutscher  Gräber  wieder ').  Dabei  spielt  nun  aller- 
dings die  Nachahmung  vorgefundner  i*ömischer,  vielleicht  auch 
byzantinischer  Muster  eine  grosse  Rolle;  aber  doch  mag 
manche  Kunstform  auch,  durch  jahrhundertlange  Tradition 
unter  den  Deutschen  selbst  überkommen,  Rest  einer  älteren 
Cultui-periode  indogermanischer  Stämme  sein^);  jedenfalls 
ist  durch  diese  Uebereinstimmung  in  den  Formen  die  An- 
nahme ausgeschlossen,  dass  das  alles  nur  Product  der  Haus- 
industrie gewesen  sein  könnte. 

Vielmehr  weist  sie  uns  auf  eigentliche  Handwerker  hin, 
die  entweder  als  Freie  sich  mit  der  Anfertigung  von  Geräth- 


dieser  Arbeitsr&ame  für  die  Webertechnik  s.  Hildebr.  Jahrb.  13,  214  mä 
Schmoller,  Tucherbuch  S.  355. 

^)  Steinwaffen  sind  noch  im  Hildebrandsliede  erwähnt;  über  Funde 
deutscher  Gewerbsprodacte  überhaupt  ygl.  die  neueste  anthropologische 
Literatur;  bes.  auch  die  Mittheilungen  der  anthrop.  Gesellschaft  in  Wien 
Bd.  V,  S.  73.    Bd.  VU,  S.  7. 

^)  S.  i.  A.  Lindenschmit,  Alterthümer  und  bes.  seine  Abbildungen  IV. 

»)  S.  Wackemagel,  kl.  Schriften  I,  49.  Die  vier  Hauptformen  smd 
die  einfache,  die  doppelte  Spirale,  der  Ring  und  die  Wellenlinie. 

*)  S.  Lindenschmit,  Abbildungen  S.  12. 


—    139    — 

Schäften  und  Waffen  gewerbsmässig  beschäftigten  oder  als 
Unfreie,  auf  Rechnung  des  Henn,  nicht  bloss  den  Bedarf 
desselben  deckten,  sondern  darüber  hinaus  auch  noch  zum 
Erwerb  verwendet  wurden. 

Nun  ist  es  allerdings  kein  Zweifel,  dass  die  Deutschen, 
mannigfach  angeregt  und  unterwiesen  durch  die  rege  Fabriks- 
thätigkeit,  welche  die  Bömei*  in  der  spätem  Kaiserzeit  in 
den  Rheingegenden  und  Oberdeutschland  entfalteten^),  Ele- 
mente gewerblicher  Technik  in  sich  aufnahmen;  aber  gleich- 
zeitig ist  es  doch  auch  unverkennbar,  dass  diese  industrielle 
Organisation  die  Keime  nationaler  Gewerbsthätigkeit  bei  den 
Deutschen  vielfach  eher  unterdrücken  als  befördern  musste^). 
In  den  Grenzprovinzen  wenigstens  und  überall,  wo  römisches* 
Fabrikat  auf  leichten  Verbindungswegen  in  grösserer  Menge 
einzudringen  vermochte,  war  ja  nun  alle  benöthigte  Gewerbs- 
waare  leichter  durch  Umsatz  der  Producte  als  durch  eigne, 
ungelenke  Fabrikation  zu  gewinnen,  und  jedenfalls  konnte 
ein  Versuch,  mit  den  Gewerbswaaren  dieser  römischen  Pro- 
ductionsstätten  in  irgend  welche  Concun*enz  zu  treten,  in 
keiner  Weise  unteiiiommen  werden.  Die  heimische  Production 
solcher  Waaren  blieb  also  auf  den  eigenen  Bedarf  und  auf 
die  innem  Theile  Deutschlands  beschränkt,  so  lange  jene 
Stätten  römischen  Gewerbefleisses  nicht  verödeten.  Als  aber 
mit  der  römischen  Hen*schaft  auch  diese  provinziellen  Staats- 
anstalten vei-fielen,  da  zeigten  die  Deutschen  doch  alsbald, 
dass  sie  nicht  bloss  viel  von  ihren  feindlichen  Nachbarn  und 
Beherrschern  gelernt  hatten,  sondern  auch  dass  sie  in  manchen 
Stücken  natürliche  Begabung  und  Formensinn  genug  besassen, 
um  wenigstens  einzelne  Zweige  gewerblicher  Production  selb- 
ständig zu  betreiben  und  sogar  zu  verhältnissmässiger  Aus- 
bildung zu  bringen.  Es  zählen  hieher  insbesondere  die  Töpfe- 
reien des  Südens,  die  Gewebeindustrie  des  Nordens  und  die 
Schmiedekunst  in  edlen  und  unedlen  Metallen  allüberall  in 
deutschen  Landen. 


^)  Notit.  dign.  in  part.  occid.  8,  1;  10,  1. 
»)  Wackernagel,  Kl.  Schriften  1,  35. 


—    140    — 

Für  die  Töpferei  war  in  Süd-Deutschland  ein  guter  Boden; 
schon  die  Römer  betrieben  sie  in  ausgedehntem  Massstabe 
auf  der  baiiischen  Hochebene;  insbesondere  ist  die  Töpferei 
in  Westemdorf  wegen  ihrer  grossen  Anlage  und  reichhaltigen 
Ueberreste  bemerkenswerth  ^).  Auch  Schwaben  ist  reich  an 
römischen  Töpfereien,  so  zu  Westheim,  Waiblingen,  Riegel, 
Rottenburg,  Gannstadt,  Oögglingen,  Rheinzabem  u.  a.;  und 
auch  in  den  Rhein-  und  Moselgegenden  waren  sie,  wie  Trier, 
Commeiii  u.  a.  bezeugen ,  nicht  selten  *).  Diese  Anlagen  be- 
kunden durchgehends  einen  fabrikmässigen  Betrieb,  wie  das 
schon  aus  der  Anzahl  der  auf  den  Töpferwaai-en  genannten 
Handwerker  hervorgeht;  in  Riegel  sind  53,  in  Westeradoif 
61  Leute  dieses  Handwerks  genannt,  von  denen  mehrere  deut- 
schen Urspmngs  waren  ^).  Von  solchen  deutschen  Arbeitern 
in  i-ömischen  Töpfereien  mögen  dann  viele  Handwerkskennt- 
nisse ^)  und  besondei*s  auch  Stilfoimen  auf  die  einheimische 
deutsdie  Keramik  übeitragen  worden  sein.  Selbst  eigentliche 
Fabrikationsstätten  fQr  Töpferwaaren  fehlen  bei  den  Deutschen 
der  ältesten  Zeit  nicht  gänzlich^),  wenn  auch  die  Töpferei 
zumeist  als  Hausindustrie  betrieben  war  ^) ;  Ja  wir  haben  sogar 
Kunde  von  allerdings  roher  Töpferwaare,  welche  ein  wandern- 
des Volk  an  den  Stätten  vorübergehender  Niederlassung  ge- 


^)  Gründlich  untereacht  und  ausfOhrlich  dargesteUt  von  He&er  im 
Oberbair.  Archiv  XXII,  1,  wo  aach  eine  reiche  Literatur  über  die  römi- 
sche und  germanische  TOpferindustrie  geboten  ist 

>)  Wackemagel,  El.  Sehr.  I,  35  f.  He&er  zählt  S.  60  15  deutsche 
Orte  hu£,  an  welchen  sich  Brennöfen  feinden. 

*)  In  Riegel  lautet  ein  Name  deutsch,  in  Rheinzabem  8,  in  WeBtem- 
dorf  9. 

^)  Besonders  die  Anwendung  der  Töpferscheibe;  sehr  schön  zeigt 
Much  in  den  Mittheilungen  der  anthrop.  GeseUschaft  in  Wien,  V,  74»  wie 
mit  ihrer  Einführung  in  die  deutsche  Töpferei  die  individuelle  liebevolle 
Behandlung  des  einzelnen  Stückes,  die  Pflege  gefälliger  und  kOnstlerischer 
Form  vernachlässigt  und  immer  mehr  nach  stehenden  Mustern  gesibeitet 
wurde. 

^)  Von  einem  Töpfergewerbe  bei  den  Qnaden  an  der  March  berichtet 
Much  in  den  Mittheilungen  der  anthrop.  Gesellsch.  in  Wien  Y,  S,  56. 

*)  Schon  Tacitus  c  5  spricht  von  vasa  quae  humo  finguntur. 


—     141    — 

fertiget  bat^).  Aber  doch  lässt  die  Summe  der  Fundstücke 
von  entschieden  deutscher  Herkunft  eine  durch  Tradition  und 
Nachahmung  besondei's  römischer  Muster  verhältnissmässig 
gut  entwickelte  Industrie  erkennen,  wie  anderseits  auch  die 
Anwendung  des  Schmelzwerks  von  Porcellan  und  Glasmasse 
auf  Schmuckgegenstanden  der  Franken  und  Alamannen  als 
Ueberlieferung  römischer  Technik  aufzufassen  sein  dürfte^). 

Auch  mit  einer  andern  Industrie  der  alten  Deutschen, 
mit  der  Weberei,  verhält  es  sich  ähnlich.  Auch  hiefQr  be- 
standen in  Triers  Kheims  und  Metz  eigne  Fabrikanlagen  in 
der  Römerzeit '),  welche  ohne  Zweifel  durch  die  Reste  ihrer 
Traditionen  noch  nach  Jahrhunderten  einflussreich  blieben. 
Aber  doch  scheinen  die  Deutschen  auch  in  selbständiger  Weise 
diesen  Zweig  gewerblicher.  Production  gepflegt  zu  haben  ^). 
Schon  die  römischen  Schriftsteller  wissen  davon  zu  berichten  ^). 
Und  später  ist  das  wenigstens  von  den  Saliern,  aber  auch 
von  den  Thüringern  und  Sachsen  mit  Bestimmtheit  anzugeben  ^), 
die  ja  mit  den  Römem  in  gar  keinen  wirthschaftlichen  Be- 
ziehungen standen ;  und  auch  die  Geschicklichkeit  der  Friesen, 
so¥rie  die  allgemeine  Verbreitung  friesischer  Gewänder^)  ist 

^)  Im  Funde  von  Ampass  in  Tirol,  der  allerdings  der  prähistorischen 
Zeit  zageschrieben  wird,  aber  auf  ein  wanderndes  Volk  hinweist ,  sind 
mehrere  Stficke  mit  Thonschlacken  enthalten.  S.  Wieser  in  Berichten 
des  natorwissensch.  Vereins  zn  Innsbruck  1876. 

*)  S.  Lindenschmit,  Abbildungen  S.  12. 

*)  S.  Büchsenschatz,  Die*  Hanptstätten  des  Gewerbefleisses  im  klassi- 
schen Alterthum  1869  ;S.  78  und  SchmoUer,  Strassburger  Tucher-  und 
Weberzunft  1879  S.  356. 

*)  S.  L  A.  Weinhold,  Frauen  404  £    Schmoller,  Tucherbuch  S.  355  f. 

*)  PliniuB  h.  n.  19,  2,1:  Jam  quidem  et  transrhenani  bestes  (yela 
texunt) :  nee  pulchriorem  aliam  yestem  eorum  feminae  noyere.  Tac.  c.  17 : 
nee  alins  feminis  quam  viris  habitus,  nisi  quod  feminae  saepius  lineis 
amictibus  yelantor,  eosque  purpura  variant  c.  25:  Frumenti  modum  do- 
minus ant  pecoris  aut  vestis  ut  colono  injungit. 

")  L.  Sal.  27,  8:  Si  quis  de  campo  alieno  lino  furayerit.  Die  Thüringer 
geben  Tribut  in  Leinwand  (Greg.  Tur.  a.  a.  529).  Die  Sachsen  tauschen 
ihre  langhaarigen  Gewebe  gegen  Pelze  aus  Ad.  Brem,  4,  18  (SS.  YII,  374). 

^  Bonif.  ep.  42:  yestimenta  transmittere  debuisti  de  Fresonum  pro- 
TincÜL  L.  Fris.  lud.  Wulem.  c.  11.  LL.  111,700:  foeminae  fresum  fadenti. 
S.  Hüllmann,  Städtewesen  I,  217—246  ff. 


—    142    — 

sicherlich  nicht  auf  römischen  Einfluss  zuiilckzuführen.  Da- 
gegen wird  aus  diesen  Thatsachen  ersichtlich,  dass  die  Friesen 
weit  über  den  Bedarf  producirten,  also  in  der  Weberei  recht 
eigentlich  ein  Gewerbe  ausbildeten. 

Aber  auch  den  andern  Stämmen  der  Deutschen  war  dieee 
Kunst  nicht  fi*emd ;  überall  im  Hause  tanzte  die  Spindel  und 
schoss  das  Webei-schiffchen  hin  und  her,  von  kundiger  Fi-auen 
Hand  geleitet,  denen  überall  diese  gewerbliche  Arbeit  anver- 
traut war.  Es  war  eine  rechte  Hausindustrie  der  Deutschen! 
und  ist  es  auch  lange  Zeit  geblieben.  Kein  Volksrecht  ausser 
dem  friesischen  gedenkt  der  Weber  als  Handwerker*);  da- 
gegen ist  die  deutsche  Sage  und  Dichtung  voll  von  Erinnerung 
an  die  Spindel,  als  das  regelmässigen  Attribut  der  Frau  im 
Hause  ^).  Die  frühzeitige  Ausbildung  der  Weberei  zu  einer 
nationalen  Industrie,  die  für  den  Handel  producirte,  wie  sie 
nur  den  Friesen,  und  vielleicht  den  Angelsachsen'),  gelungen 
ist,  erscheint  demnach  als  eine  Besonderheit  dieses  Volks- 
stamms, welche  sich  wohl  zur  Genüge  aus  den  besonderen 
Productions-  und  Absatzvortheilen  erkläi-t,  über  welche  dieser 
.deutsche  Volksstamm  vor  allen  andern  verfügte.  Die  Nord- 
seemarschen gaben  vorzüglich  Gelegenheit  zu  ausgedehnter 
Schafhaltung^);  das  Schiffahrtsgewerbe  reichlichen  Anstoss  zu 
Verarbeitung  der  Leinen-  und  Hanffaser  für  Segel  *),  womit 
zugleich  der  Fortschritt  in  der  Webertechnik  mächtig  angeregt 
wurde ;  die  günstige  Handelslage,  welche  See-  und  Flussschiff- 
fahrt veifügbar  hatte,  gab  dem  den  Anwohnern  des  Meeres 
ureignen  Unternehmungsgeist  leicht  die  besondere  Bichtung 
auf  den  Vertrieb  des  einheimischen  Gewerbserzeugnisses  in 


^)  Doch  erwähnt  Gregor  Tur.  4,  26  einmal  einen  artifex  lanarios. 
Vgl.  7,  14:  lanarium  simul  molendariumque. 

')  S.  bes.  Grimm,  R.  A.  163.  Weinhold,  Frauen  113  ff.  Wackeroagel 
Kl.  Sehr.  I,  38  f. 

')  S.  Paul  Diac.  de  gest.  Lang.  4,  23. 

^)  S.  Hostmann,  Altgerm.  Landw.  29. 

')  Erst  seit  dem  4.  Jahrb.  scheinen  die  nordischen  Völker  den  Ge- 
brauch leinener  Segel  gelernt  zu  haben.  S.  Wackemagel,  üeber  die  Schiff- 
fahrt  der  Germanen,  El.  Sehr.  I,  79  ff. 


—    143    — 

weite  Ferne,  und  verschaffte  so  den  Friesen  jenen  beherrschen- 
den Einfluss  auf  den  binnenländischen  fränkischen  Märkten, 
den  sie  als  kluge  und  gewandte  Handelsleute  lange  Zeit  hin- 
durch zu  behaupten,  ja  selbst  auszubeuten  wohl  verstanden. 

Am  entschiedensten  aber  ist  die  Bearbeitung  der  Metalle 
bei  den  Deutschen  der  ältesten  Zeit  recht  eigentlich  schon 
zum  Gewerbe  ausgebildet^).  Zwar  auch  hiefQr  ist  das  Haus 
thätig ;  der  Schmiedearbeit  für  Haus-  und  Ackergeräthe,  selten 
wohl  auch  der  Waffenschmiede,  widmet  sich  gern  der  Freie 
in  seinem  Hause  ^);  auch  unter  seinen  Knechten  hat  jeder 
grössere  Grundbesitzer  wohl  solche,  die  zu  diesem  Handwerk 
besonders  geeignet  sind^).  Für  gewöhnlichen  Hausrath  und 
einfache  Bewaffnung  mochte  das  ausreichen;  werthvollei'e 
Stücke  und  schwierigere  Arbeiten  zu  fertigen  waren  aber  doch 
nur  wenige  befähigt,  die  eben  deshalb  und  wegen  der  nöthigen 
Werkvorrichtungen,  über  die  nicht  jeder  verfügte,  auch  regel- 
mässig für  grössere  Kundschaft  arbeiteten  ^),  mochten  sie  nun 
als  Freie  das  Gewerbe  auf  eigne  Rechnung  ausüben,  oder 
als  Leibeigne  für  Bechnung  ihres  HeiTU  beschäftigt  sein. 
Ja  sie  wurden  sogar  als  öffentlich  ei-probte  Handwerker  be- 
zeichnet und  damit  ihre  Eigenschaft  als  Gewerbetreibende 
besonders  zum  Ausdruck  gebracht. 

Ausserdem  ist  aber  dieser  Gewerbebetrieb  ersichtlich  aus 
dem  Umstände,  dass  gerade  Waffen  als  die  einzigen  Ge- 
werbeproducte  gekannt  werden,   die  als  Gegenstände  regeK 


^)  Am  deutlichsten  ausgesprochen  in  I.  Biy.  IX,  2:  si  in  ecclesia,  Tel 
infira  carte  ducis,  vel  in  f&brica  Tel  in  molino  aliqnid  faraTerit,  triunian- 
geldo  conponat . . .  quia  istas  quatuor  domns  casas  publice  sunt  et  semper 
patentes.  LL.  in,  802.  Auch  1.  AI.  81,  7:  faber,  aurifex  aut  spatarius, 
qui  publice  probati  sunt 

*)  S.  Wackemagel,  El.  Schriften  I,  46  f. 

^  Dieser  gedenkt  1.  SaL  X,  4;  XXXY,  6  neben  andern  Ministerialen. 
Aach  der  &ber  und  aurifex  des  Pact.  AL  DI,  86  sowie  der  1.  AI.  Hloth. 
81,  7  gehören  hieher.  Aehnlich  1.  Fris.  Judicia  Wulemari  10  (LL.  m,  699) 
Tom  aurifex,  1.  Burg.  10  Tom  &ber  ferrarius,  argentazius,  aurifex  lectus. 

*)  Vom  Schmiedegewerbe  und  der.  Bronceindustrie  bei  den  Quaden 
Tgl.  Much  in  den  Mittheilungen  der  anthrop.  GeseUschaft  in  Wien  V,  75. 


—    144    — 

massigen  Kaufs  einer  objectiven  Gebrauchsbewerthnng  zugäng- 
lich sind  0- 

Die  Kunst  der  Metallbearbeitung  ist  bei  den  Deutschen 
schon  frühzeitig  und  sehr  bedeutend  vertraten.  Jedenfalls 
schon  vor  Beginn  der  christlichen  Zeitrechnung  sind  sie  in 
das  sog.  Eisenalter  eingetreten;  und  wenn  sie  vorübergehend 
einmal  Noth  an  eisernen  Waffen  litten^),  so  ist  das  nur  dem 
zeitweiligen  Stocken  der  Eisengewinnung  oder  dem  Mangel 
an  Waffenbeute,  aber  gewiss  nicht  ihrer  Unkenntniss  der  Be- 
arbeitung des  Eisens  zuzuschreiben.  Sie  verstanden  sich  auf 
das  Schmelzen,  auf  Guss  und  Mischung  der  Metalle  eben  so 
gut  wie  auf  das  Schmieden  an  der  Esse,  auf  PrS^ng,  Gisseli- 
i*ung  und  Gravirung^).  Wohl  ist  auch  hier  der  Einfluss 
römischer  Technik  und  Kunst  unverkennbar;  aber  doch  haben 
gerade  die  Metallarbeiten  der  Deutschen,  vorab  der  Franken 
und  Alamannen,  welche  doch  in  so  vielfacher  Berührung  mit 
den  Römern  standen,  verhältnissmässig  wenig  antike  Formen 
verwendet ;  dagegen  eine  so  originelle  Ornamentik  ausgebildet, 
dass  an  einem  hohen  Grad  von  Selbständigkeit  in  diesem 
Gewerbszweige  nicht  gezweifelt  werden  kann. 

Auch  ist  es  nicht  im  mindesten  anzunehmen,  dass  alle 
die  kunstvollen  Arbeiten  in  Erz  und  Edelmetall,  welche  schon 
so  frühzeitig  bei  den  Deutschen  genannt  werden,  der  Haus- 
industrie allein  entstammen;  die  metallnen  Götzen  der  heid- 
nischen Franken^),    die  ehernen,   vergoldeten  Bildnisse  der 


^)  L.  Rip.  86,  12:  spatam  com  scogilo  pro  7  solidis  tribaat,  spatam 
absque  scogilo  pro  3  sol.  trib.,  broniam  bonam  pro  12  soL  trib.,  hebnam 
com  directo  pro  6  sol.  trib.,  scutom  com  lancea  pro  2  sol.  trib. 

^  Tac.  Genn.  6:  Ne  femim  quidem  superest,  sicut  ez  genere  telomm 
colligitnr.  Bari  gladiis  aut  maioribus  lanceis  utontor  .  .  .  Paads  loricae, 
yix  ani  alterive  cassis  aut  galea.  ^ 

^)  Lindenschmit,  Abbildungen  S.  12.  üeber  die  in  Deatsdüand  ge- 
fundenen Vorrichtungen  zum  Schmelzen  und  Giessen  des  Metalls  s.  Klemn, 
Handb.  d.  Alterthumskunde  151.  S.  a.  über  die  altdeutsche  Goldschmiede 
Nordhoff  in  der  Augsb.  AUg.  Ztg.  1878  No.  82  ff. 

^)  dii  .  .  aut  ex  lapide  aut  ex  ligno  aut  ex  metallo  aliqno  sco^ti 
Gregor  II,  29;  vgl.  n,  10. 


—    145    — 

Alamannen  ^)  und  Friesen '),  die  goldnen  und  silbernen ,  aus 
freier  Hand  gearbeiteten  Idole  der  Sachsen  ^)  gehören  ebenso 
unzweifelhaft  der  Werkstatt  eigner  Gewerbetreibender  an, 
wie  die  vielen  oft  wunderbaren  Schwerter  und  Rüstungen, 
deren,  die  deutsche  Heldensage  gedenkt^). 

Und  endlich  führen  uns  die  ältesten  Urkunden  gerade 
Producte  dieser  drei  Gewerbe,  eherne  und  thöneiiie  Gefässe, 
Gewebe  und  Kleider,  Waffen  und  Schmuck  als  die  einzigen 
Gewerbsproducte  auf,  welche  häufiger  eingehandelt  oder  ge- 
tauscht worden  sind. 

Aber  zahlreich  waren  diese  Gewerbetraibenden  nicht,  so 
wenig  als  die  Kunst  gewerblicher  Technik  weit  verbreitet 
anter  dem  Volke  war.  Darum  tritt  in  allen  Volksrechten 
eine  besondere  Werthschätzung  und  ein  besondei-er  Schutz 
dieser  Leute  hervor;  die  Waffenschmiede,  insbesondere  aber 
die  Goldschmiede  sind  vor  allen  Ministerialen  ausgezeichnet  ^) ; 
und  wenn  sie  Freie  waren,  sind  sie  unter  den  besondem 
Schutz  des  Volksrechts  gestellt;  aber  es  ist  verfehlt,  sie  des- 
wegen als  öffentliche  Diener  aufzufassen  und  dabei  an  eine 
Art  von  Staatsgewerbebetrieb  oder  auch  nur  an  gemeinwirth- 
schafUiche  Leistung  der  Markgenossenschaften  zu  denken^. 


*)  Tres  imagines  aereas  et,deanratos  Mon.  Oerm.  SS.  II,  7. 

>)  WiUibaldi  nta  S.  Bonifadi  Mon.  G.  SS.  U,  839. 

*)  Idola  mann  focta,  anrea,  argentea,  aerea,  lapidea,  vd  de  quaconqne 
materia  fiftcta  (Bonif.  epist  121). 

*)  Es  ist  dabei  nicht  zu  übersehen,  dass  die  Erzgewinnung  den 
Deutschen  längst  bekannt  war.  Eisenbergwerke  der  Gothinen  Tac  43, 
wohl  identisch  mit  denen  der  Qnaden  Ptolem.  n,  14.  Norisches  Eisen  I 
s.  Wackemagel,  EI.  Schriften  I,  60.  In  Urkunden  begegnen  Erzbergwerke 
aDerdings  erst  sp&t;  Tr.  Wizz.  786  no.  206  und  787  no.  207  aeramentnm. 

^  Nach  I.  Sal.  X  de  servis  vel  mandpiis  fhratis,  ist  der  fiftber  25  bis 
35  soL  werth  gegenüber  dem  auf  12  sol.  geschätzten  einfachen  senrus. 
Nach  L  Alam.  81,  7  waren  die  Schmiede  mit  40  soL  den  übrigen  bevor- 
zugten Ministerialen  gleichgestellt  In  der  1.  Fris.  hatte  der  aurifez  eine 
um  V«  höhere  Composition  als  andre  seines  Standes.  Vgl.  auch  Eugip- 
piuB  Vita  S.  Severini  8,  3:  Quosdam  enim  aurifices  barbaros  *  fabricandis 
regaübus  omamentis  clauserat  arte  custodia. 

*)  So  Gfrörer,  Zur  Geschichte  der  deutschen  Volksrechte  n,  140. 

▼  OB  Inama-Sternegg,  Wirtluchaftsgeecluchte.    I.  10 


-    146    — 

Weitaus  das  meiste  jedenfalls,  was  des  Volkes  Wirthschaft 
an  Gewerbswaaren  bedurfte,  wurde  im  Hause  gefertigt,  und 
es  erweist  sich  auch  hier  wieder  die  Familie  als  eine  rechte 
wirthschaftliche  Einheit.  Es  erklärt  sich  aber  diese  IsoliruDg 
zum  Theil  durch  die  grosse  Gleichmässigkeit  der  Bedarfhisse 
des  Haushalts  in  kleineren  Gebieten  des  volkswirthschafUichen 
Lebens,  zum  Theil  aus  dem  höchst  ungenügenden  Verkehr 
auf  weitere  Entfernung,  der  ebensowohl  durch  die  grosse  Zer- 
streutheit der  Wohnplätze  und  die  geringe  Anhäufung  von 
Menschen  in  örtlichen  Mittelpunkten  wie  durch  den  ausseist 
unvoUkommnen  Zustand  der  Strassen,  Verkehrswege  und 
Verkehrsmittel  zu  keinerlei  Bedeutung  gelangen  konnte. 

Das  verhinderte  eben  so  sehr  einen  beträchtlichen  Ueber- 
fluss  an  Producten  über  den  Eigenbedarf,  wie  es  eine  belang- 
reiche Nachfrage  nach  fremden  Producten  nicht  aufkommen 
liess.  Und  überdiess  war  ja  auch  die  Arbeitstheilung  bei 
dem  Uebergewicht  der  Urproduction  und  der  grossen  Ab- 
hängigkeit der  Wirthschaft  von  den  localen  Bedingungen  der 
«aussein  Natur  so  wenig  entwickelt,  dass  auch  von  dieser 
Seite  her  keine  Anregung  zu  selbständiger  Ausbildung  eines 
gewerblichen  Lebens  ausging.  Die  Technik  war  im  Allgemeinen 
viel  zu  wenig  vorgeschritten,  als  dass  nicht  jeder  in  seinem 
Kreise  das  Nöthigste  für  Haus  und  Wirthschaftsbedarf  selbst 
hätte  fertigen  können. 

Der  wichtigste  Zweig  des  Erwerbs  aber,  die  Boden- 
benutzung in  Ackerbau  und  Viehzucht  verträgt  überhaupt  am 
Wenigsten  weitgehende  Arbeitstheilung,  wie  sie  auch  die 
grösste  Gleichf&imigkeit  in  Producten  erzeugt  und  die  grösste 
Gleichartigkeit  der  Bedüi*fhisse  erhält. 

Auf  diesen  beiden  Richtungen  der  Production  aber,  don 
Ackerbau  und  der  Viehzucht,  ruhte  der  Schwerpunkt  des 
nationalen  Erwerbslebens;  und  darum  sind  diese  Verhältnisse 
noch  näher  zu  betrachten. 

Wie  die  Familie  ursprünglich  wohl  im  Gemeinbesitz  der^ 
jenigen  Ländereien  war,  welche  ihr  bei  der  Ansiedelung  ond 
allgemeinen  Landtheilung  zugefallen   waren  ^),  so  sehen  wir 

»)  S.  0.  Abachn.  I  S.  11  u.  28 ;  Abschn.  II  S  72  ff.  und  Absch.  ffl  S.  101  £ 


—    147    - 

noch  längere  Zeit  hindurch  auch  einen  Gesammterwerb  der 
engeren  Familie  herrschend^).  Selbst  die  erwachsnen  Söhne 
verblieben  zumeist  in  der  Gemeinschaft  dieser  Wirthschaft, 
80  lange  die  alten  Familientraditionen  sich  noch  ki*äftig  er- 
wiesen *). 

Die  Wirthschaft  des  kleinen  gemeinfreien  Grundbesitzers 
beruhte  aber  auch  in  der  Regel  ausschliesslich  auf  den  Arbeits- 
kräften seiner  Familie,  auf  der  Productivität  seiner  Hufe  und 
dem  dazu  gehörigen  Marknutzen.  Er  war  hier  auf  das 
dringendste  veranlasst,  selbst  Hand  an  die  Wiithschaft  zu 
legen');  mit  Weib  und  Rindern,  zuweilen  auch  mit  Mutter, 
Geschwistern  oder  nahen  Verwandten  bebaute  er  das  Feld, 
besorgte  das  Vieh  im  Stalle  und  auf  der  Weide,  und  schuf 
sieh  selbst  den  kärglichen  Hausrath,  sowie  die  wenigen  Ge- 
nüsse, die  solch  einfaches  Leben  erheischte.  Die  Arbeit  war 
hier  wenig  getheilt;  fiel  auch  den  Weibeiii  insbesondre  das 
Backen,  Brauen,  Mahlen,  Kochen,  Waschen  und  Spinnen  zu  ^), 

^)  Mutter,  Geschwister  und  sonstige  Verwandte  finden  sich  schon 
frühzeitig  im  gemeinsame  Hanshalte  mit  dem  Besitzer  des  Gutes  z.  B.  Tr. 
Wizz.  742  no.  1  cum  genetrice  sua.  Tr.  Sang.  764  I,  42:  765  I,  47  cum 
matre.    Meichelb.  Ib,  43,  a.  775:  cum  sorore  vel  earum  sobolis. 

s)  Einigermassen  ergibt  sich  das  aus  der  eigenthttmlichen  Gestaltung 
des  Erbrechts  der  lex  Salica  s.  o.  Absch.  III  S.  108.  In  der  1.  Burg.  75,  2 
heisst  es  aosdr&cklich:  si  filius  .  .  omnia  cum  patre  indiyisa  possederit 
Auch  I.  Wisig.  y,  2,  18:  Si  vero  filius  cum  patre  in  commune  yiyens. 
Nach  demselben  Yolksrechte  musste  der  Sohn  selbst  von  dem,  was  er  auf 
dem  Kriegszug  erwarb,  Vs  ^^  den  Vater  abgeben  -,  L.  Wis.  lY,  5,  5. 

')  Das  sehen  wir  besonders  aus  den  Volksrechten,  welche  den  Freien 
die  Sonntagsheiligung  vorschreiben.  S.  1.  Alam.  88,  c.  1 :  üt  die  dominico 
nemo  opera  servile  praesumat  facere.  c  8:  Über  autem  corripiatur  usque 
ad  tertium.  L.  Bbjüy.  Append.  I  |(LL.  m,  885):  Si  quis  die  dominico 
operun  servilem  fecerit:  Über  homo,  si  bovem  junxerit  et  cum  carro  am- 
bolaverit,  deztrum  bovem  perdat,  si  autem  secaverit  fenum  et  coUegerit, 
aat  messem  secaverit  aut  coUegerit,  vel  aliquod  opus  servile  fecerit  etc. 
S.  a.  Maurer,  Einleitung  S.  245.  Die  Yorschriften  über  die  Sonntagsfeier 
von  Guntchramnus  (Ed.  585  LL.  I,  4)  und  Ohildeb.  II  (decr.  596  c  14 
LLi.  I,  10)  dienen  zugleich  als  Beweis  für  die  regelmässige  Erwerbsbe- 
sdiitfÜgung  der  Freien. 

*)  S.  Weinhold,  Freuen  813  ff.  Doch  erscheint  das  Mahlen  auf  der 
Handmühle  und  die  Yidiwartung  in  grösseren  Wirthschaften  durchgängig 
als  Mägdearbeit    S.  a.  u.  S.  162. 

10* 


-    ;48     - 

SO  war  ihre  Arbeitskraft  doch  auf  dem  Felde  wie  beim  Vieh 
unentbehrlich;  nur  das  Schwerste  der  häuslichen  Arbeit  und 
was  ausserhalb  des  Hauses  zu  verrichten  war,  was  Muth  und 
Ausdauer  besondei*s  erheischte,  blieb  wohl  ausschliesslich  den 
Männein  vorbehalten.  So  war  der  gemeine  Freie  der  eigent- 
liche Bauer  jener  Zeit ;  in  ärmlichem  ^)  und  mühevollem  Da- 
sein verbrachte  er  sein  Leben  und  fand  kaum  die  Zeit,  die 
Rechte  auszuüben,  die  ihn  als  freien  Volksgenossen  in  die 
Versammlung  der  Gemeinde  und  des  Gaues  riefen,  damit  er 
dort  seinen  Platz  einnehme  und  seine  Stimme  zu  Rath  und 
ürtheil  erhebe*). 

Leibeigne  fehlen  in  diesen  kleinen  Wii-thschaften  in  der 
Regel  ebenso^)  wie  dienende  Grundstücke  oder  Zinsgüter. 
Die  Hufe,  wie  sie  bei  der  Landvertheilung  nach  dem  Bedarf 
der  Hauswirthschaft  bemessen  war,  musste  noch  nach  Jahr- 
hunderten diesem  Bedaife  genügen,  was  dann  freilich  jede 
Entwickelung  und  Ausdehnung  desselben  verwehrte. 

Wer  dagegen  mehi*e  Hufen  besass,  hatte  regelmässig  nur 
einige  in  eigner  Bebauung^),  die  übrigen  an  Leibeigne  ans- 


^)  L.  Bai,  Vn,  4:  Quamvis  pauper  sit,  tarnen  libertatem  siiam  non 
perdat^  nee  hereditatem  soam.  Ib.  XVII,  2:  Die  homo,  qni  hoc  testificarB 
Yoluerit,  commarchanos  eiua  debet  esse,  et  debet  habere  sex  solidomm 
peconiam  et  similem  agrum.  Es  ist  daraus  zu  ersehen,  dass  nicht  jeder 
Freie  über  ein  bewegliches  Vermögen  im  Werthe  von  6  solidi  (3  Ochsen!) 
verfügte. 

*)  Es  ist  vielleicbt  zum  Theil  darauf  zurück  zu  führen,  dass  an  Stelle 
der  alten  wöchentlichen  Versammlungen  der  Hunderte  schon  frühzeitig 
die  Htägigen  traten,  bei  den  Baiem  sogar  die  monatlichen  schon  Regel 
wurden;  s.  Waitz  II,  461  £  Das  ahunannische  Gesetz  tit  XXXVI,  1,  2 
bestimmt  allerdings  noch  wöchentliche  Versammlungen^  qnando  pax  parva 
est  in  provinda,  Htägige  qnando  autem  melior  est 

")  Wir  sehen  das  besonders  aus  denjenigen  Urkunden,  in  welchen 
der  ganze  Besitz  verschenkt  oder  aufgetragen  wird.  Tr.  Sang.  744  no.  9, 
758  no.  22,  761  no.  30,  764  no.  44,  774  no.  72.  Nur  bei  der  Schenkang 
762  no.  88  sind  mancipia  genannt  S.  aber  auch  1.  Baj.  IX,  19:  Si  non 
habuerit  servum  aut  unde  componat,  ipse  subiaceat  Servitute,  qui  innooen- 
tem  fedt  ocddi 

*)  So  findet  sich,  um  ans  der  Fülle  der  Belege  nur  einige  heraoam* 
heben  in  den  trad.  Wizz.  730-— 89  no.  15  bd  einem  selbstbewirihschafteten 


—    149    — 

gethan  und  erhielt  eine  Verstärkung  seiner  Arbeitskräfte  vor- 
zugsweise durch  den  regelmässigen  Frondienst  derselben  auf 
dem  Herrenhofe,  sowie  eine  Vermehrung  seiner  Gebrauchs- 
YoiTäthe  durch  die  Abgaben  an  landwirthschaftlichen  Pro- 
ducten,  welche  diese  zu  leisten  hatten. 

Ebenso  finden  sich  bei  solchen  grösseren  Gutswirthschaften 
schon  regelmässig  leibeigne  Hausdiener,  die  gegen  volle  Ver- 
pflegung ausschliesslich  für  des  Hen-en  Wirthschaft  thätig 
sind^);  die  einen  zu  den  gewöhnlichen  häuslichen  Venich- 
tungen  in  der  Wohnung,  in  Küche,  Keller  und  in  Veiiertigung 
von  Geräth  und  Gewand,  die  anderen  namentlich  für  Feld  und 
Vieh  bestimmt').     . 

So  konnte  sich  der  Herr  mehrerer  Hufen  schon  ungleich 
freier  bewegen,  konnte  den  Lieblingsbeschäftigungen  der  Jagd, 
Fischerei  und  dem  Vogelfang  ^)  nachgehen,  das  Waffenhandwerk 
treiben  *)  und  die  Vei-sammlungen  der  Centene  oder  des  Gaues 
regelmässig  besuchen;  freilich  immer  noch  bewegt  sich  sein 
Leben  in  sehr  einfachen  Geleisen,  und  weder  zu  reichlichem  oder 
feinerem  Lebensgenuss  noch  zur  Ansammlung  von  Gütern  und 


ein  Zinsgut,  ib.  7S9  no.  3  za  der  terra  indominicata  4  Hufen,  ib.  742  no.  1 
7  Hufen  an  send  ausgethan;  in  den  Tr.  Sang.  716—20  no.  3  bei  der  ver- 
nacula  terra  2  Colonen,  ib.  731—36  no.  6  6  Colonen,  ib.  752  no.  16  bei 
2  cortes  26  casata.    S.  übrigens  o.  S.  180. 

^)  Das  sind  die  mancipia  domestica,  welche  in  trad.  Sang.  744  no.  12 
neben  den  senris  et  andllis  peculiaribns  genannt  werden.  Auch  die  yasaUi 
et  puellae  quas  de  intus  sala  mea  habeo  Tr.  Wizz.  739  no.  159,  ebenso  die 
puellae,  quas  infra  domo  meo  habeam  ib.  742  no.  52  gehören  hieher.  8. 
L  Fiis.  Xm,  1  ancilla  quae  nee  mulgere  nee  meiere  seiet,  quam  bortmagad 
(ancilla  familiaris)  vocant 

*)  Schon  die  L  Sal.  35,  6  nennt  den  porcarius,  yinitor,  stratarius, 
carpentarius,  vassus  ad  ministerium.  L.  Alam.  42  ancilla  vestiaria,  ib.  81 : 
paator  porcarius,  onum;  siniscalcus,  mariscalcus,.  cocus,  pistor,  faber, 
aurifez,  spatarins.    S.  u.  S.  162  t 

*)  L.  B%j.  22,  11  (LL.  HI,  334):  ut  nuUns  de  alterius  silva  .  .  aves 
(wenn  nicht  etwa  apes?)  tollere  praesumat 

*)  Höchstens  Ar  diese  Grundbesitzer,  natürlich  noch  mehr  ftkr  die 
grossen  Grundherrn  kann  also  an  das  Wort  des  Tacitus  gedacht  werden, 
Genn.  c.  15:  Quotiens.bella  non  ineunt,  non  multnm  yenatibus,  plus  per 
otium  transigunt  etc.   S.  Baumstark,  Urdeutsche  Staatsalterthümer  8.734  ff. 


—    150    — 

BegrOndang  grösseren  Vermögens  konnte  solche  Wirthschalt 
weniger  Hufen  eine  ausreichende  Basis  sein. 

Dazu  kam  nun,  dass  auch  diese  Erträgnisse  der  Grund- 
besitzer noch  mancher  Schmälerung  unterlagen.  Auch  dem 
freien  Grundeigenthum  sind  in  der  Merowingerperiode  schcm 
Lasten  aufgebürdet,  welche  theils  der  König  oder  Landes- 
herzog,  theils  die  Kirche  fQr  sich  in  Anspruch  nehmen  0- 

Eine  allgemeine  Besteuerung  zwar  trug  das  Volk  der 
Deutschen  nicht ;  wo  immer  Lasten  vorkommen,  welche  dieser 
ähnlich  sind,  haben  sie  besondem  Ursprung  und  ruhen  bloss 
auf  solchen  Gütern,  welche  aus  solch  besonderem  Grunde 
denselben  unterlagen. 

Unter  ihnen  spielen  jedenfalls  die  wichtigste  Bolle  die- 
jenigen Leistungen,  welche  von  verschiedenen  deutschen  Volks- 
stämmen an  den  fränkischen  König  gezahlt  werden  mussten, 
seit  der  Zeit,  als  sie  seiner  Botmässigkeit  unterworfen  wurden. 
So  haben  die  Sachsen  an  der  Thüringischen  Grenze  eine  Zeit 
lang  eine  Abgabe  von  500  Kühen  zu  tragen  gehabt  ^.  Dago- 
bert erliess  sie  ihnen ;  Pipin  aber  legte  den  Sachsen  neuerdings 
einen  Tribut  von  300  Pferden  auf,  die  sie  alljährlich  auf  der 
Reichsversammlung  darbringen  mussten^).  Auch  Thüringer 
und  Alamannen  haben  sich  wohl  zu  solchen  Lasten  bequemen 
müssen;  wir  hören  wenigstens  von  den  ersteren,  dass  sie  seit 
Theodorichs  Zeiten  einen  Zins  in  Schweinen  entrichteten*); 
und  auch  die  steora  oder  osterstuopha,  welche  in  den  Main- 
gegenden später  genannt  wird,  deutet  auf  die  Zeit  der  Unter- 


>)  S.  L  A.  V^aite,  ü,  553—645.    Roth,  Bcnef.  W.  S,  87—90. 

*)  Fredeg.  c.  74:  quingentas  vaccas  inferendales  annis  singolis  a  Gdo- 
tario  seniore  censiti  reddebant 

')  Ann.  Laur.  755.    Ann.  Einh.  Ann.  Met  753. 

*)  Ann.  Qued.  SS.  III,  32:  Thnringos  Yero  qoi  caedi  saperfDoraat» 
com  pords  tribatnm  regia  stipendiia  solTere  iusait  Ann.  Saxo  1008:  Qn 
eensoB  a  tempore  Thendend  . .  asqae  ad  hone  regem  singolis  amue  ngfift 
stipendüs  impendebatnr  per  annos  582.  Von  einer  Hom^^efenrng  ist  die 
Bede  in  Amolfi  reg.  dipL  889  in  Ekkeharti  comm.  de  reb.  Frsac.  oriflsL 
11,896. 


—    151     — 

werfuDg  der  dort  angesessnen  Thüringer  unter  die  fränkische 
Herrschaft,  als  auf  ihren  Ursprung  zurück  >). 

Bei  den  Alamannen  aber  werden  einigemale  Abgaben  an 
den  König  genannt,  welche  sich  wenigstens  auch  in  diesem 
Zusammenhang  erkläi-en  lassen,  obgleich  dies  nicht  durchaus 
sicher  ist;  Ghilderich  11.  Verlieh  dem  Bisthum  Speier  i.  J.  665 
die  Freiheit  von  der  Stopha  für  alle  Güter  der  Kirche'). 
Einige  Alamannen  kauften  sich  später  (unter  Ludwig  dem 
Deutschen)  von  der  Steuer  los,  welche  ihre  Vorfahren  früher 
den  fränkischen  Königen  zahlten^).  Und  auch  sonst  sind 
Leistungen  von  Fi-eien  an  den  König  wiederholt  erwähnt, 
ohne  dass  doch  über  ihre  Entstehung  etwas  Bestimmtes  aus- 
gesagt wäre*). 

Daneben  sind  dann  mehre  Abgaben  an  den  König  ver^ 
zeichnet,  welche  auf  Grund  und  Boden  der  Freien  lasteten : 
das  agrarium,  pascuarium,  die  pastio.  Zuei'st  in  einer  Con- 
stitution Ghlotachars  (c  11)  genannt^),  kommen  diese  Abgaben 


»)  Mon.  Boic  XXVIII  a,  S.  98. 

*)  Pardessus  Dipl  II,  S.  424.  Dümge,  regesta  Bad.  2.  Dass  einmal 
auch  der  Herzog  Luitfiried  Yon  Elsass  zur  Erhebmig  der  staofa  berechtigt 
erscheint  (Tr.  Wizz.  730—789  no.  12)  brancht  nicht  irre  zu  machen;  er 
kann  sie  anch  vom  König  abgeleitet  haben. 

*)  Tr.  Sang.  867  no.  527. 

^)  Tr.  Sang.  766  no.  49;  828  no.  312  worin  eine  ältere  Bestimmung 
Pipins  bestätigt  wird.    ib.  829  no.  328. 

')  LL.  I,  8:  Agraria,  pascoaria,  yd  dedmas  porcorom  eeclesiae  pro 
fidei  noBtrae  deyotione  concedimos  ita,  ut  actor  aut  dedmator  in  rebus 
eededae  noDus  accedat  Chlotach.  II.  edict  614  c.  28:  Et  qaandoqnidem 
pastio  non  faerit,  unde  pord  debeant  saginari,  cellarinsis  in  publico  non 
exigatnr.  L.  B%j.  I,  13  ist  agrarium  zwar  eine  Abgabe  Unfreier  an  die 
Kirche,  aber  sie  wird  secnndum  aestimationem  Jodids  bestimmt,  ist  also 
doch  wohl  auch  hieher  zu  beziehen.  S.  a.  Pardessus  Dipl.  EL,  427  ao.  692 : 
Concessimus  . .  .  omnes  dedmas  de  suprascriptis  viUnlis,  tam  de  annonis, 
qiuun  agrario,  Tinum,  fenom  omniom  pecudium  sen  fhrmatico.  Ib.  658 
no.  428:  sie  et  homines  fisd  fiMiant  dedmam  porcorom,  qoi  in  forestis 
insaginatur  ant  omne  genns  pecadom.  Sdurdder  in  Forschungen  XIX,  148 
bezieht  hieher  anch  die  Stelle  im  Ed.  Chilper.  c.  8:  Ddnde  (statt  det  iUi) 
▼ero  et  eonYenit,  singula  de  terras  istas,  qui  si  adveninnt,  ut  leodis,  qni 
p«tri  nostro  fhemnt,  consuaetndinem,  qua  habuerunt  de  hac  re  intra  se, 
debeant,  „ausserdem  aber  wurde  auch  beschlossen,  dass  die  neuen  An- 


—    152    — 

auch  sonst  in  einem  Zusammenhange  vor,  der  sie  als  eine  ur- 
sprünglich dem  König  gebührende  Leistung  ansehen  lassen. 
Auch  bei  diesen  Abgaben  ist  der  Ursprung  und  die  Verbrä- 
tung nicht  deutlich,  doch  immerhin  wahrscheinlich,  wenigstens 
das  pascuarium  und  die  pastio  auf  Uebertragung  von  Weide 
und  Wald  aus  dem  königlichen  Gute  zurückzufahren.  Auch 
das  agiaiium  kö'nnte  in  ähnlicher  Weise  als  Zins  von  Län- 
dereien,  welche  ursprünglich  ungebautes  Land,  dann  in  Acker 
umgewandelt  wurden,  erkläit  werden;  und  damit  wära,  obwohl 
der  Titel  in  gewissem  Sinne  ein  privatrechtlicher,  doch  eine 
sehr  beträchtliche  Verbreitung  dieser  Abgabe  besonders  in 
denjenigen  Gegenden  wahracheinlich,  in  denen  die  Könige 
über  viel  herrenloses  Gut  zu  vei-fügen  hatten  ^). 

Diese  Lasten,  welche  wie  Grundlasten  angesehen  werden 
können ,  haben  zwar  nur  auf  jenen  Gütern  gelegen ,  welche 
aus  irgend  einer  besonderen  Ui*sache  abgabenpflichtig  waren; 
keineswegs  kann  dabei  an  eine  allgemeine  Steuer,  weder 
Personal-  noch  Realsteuer,  gedacht  werden;  aber  doch  trafen 
sie  zahh*eiche  kleine  Grundeigenthümer,  in  einzelnen  Gebieten 
gewiss  alle*). 

Und  überdiess  hatte  ja  ein  jeder  Fme  im  fränkischen 
Reiche  mehrfache  allgemeine  Leistungen  für  den  König  und 
die  Reichsregierung  auf  Grund  des  Unterthanenverbandes  zu 
tragen;  er  war  heerbannpflichtig*),  hatte  mancherlei  Wach- 


siedler  im  einzelnen  von  jenen  Ländereien  eine  Abgabe  entrichten,  wie 
die  Ünterthanen  unsres  Vaters  in  dieser  Sache  gewohnheitsmftssig  za  leisteD 
gehabt  haben^. 

^)  Schröder  in  Forschungen  XIX,  147  h&lt  diese  Abgaben  fikr  Gegen- 
leistungen, welche  die  Gemeinden  dem  Könige  f&r  die  Nntcong  der  ihnen 
aus  dem  Eönigsgat  als  Feld-  and  Waldmark  überlassnen  Gründe  getahJt 
hätten;  und  da  er  diess  f&r  alle  Gemeindegründe  annimmt,  so  wären  da- 
mit auch  diese  Abgaben  allgemeine  gewesen.  Im  folgenden  bringt  er  die- 
selben mit  den  in  fränkischen  WeistJiümem  und  Urkunden  später  oft  ge- 
nannten Medemabgaben  in  Zusammenhang. 

*)  Unter  den  Einkünften,  welche  König  Sigebert  aus  dem  Speiergau 
zog  und  die  er  zu  Gunsten  der  Kirche  von  Speier  zehntpflichtig  machte, 
sind  genannt  annona,  vinum,  mel,  jumenta,  porci.    Pardessus  653  II,  423. 

")  S.  Roth,  Benefic.  W.  142. 


—    153    — 

dienst  zu  versehen,  sowohl  zum  Schutz  der  Grenzen^),  als 
auch  der  öffentlichen  Sicherheit  im  Innern^),  wozu  Jeder 
nach  Bedarf  aufgeboten  werden  konnte.  Ebenso  musste  er 
Folge  leisten,  wenn  es  galt  einen  Uebelthäter  in  der  Gentene 
zu  verfolgen  oder  gestörten  Frieden  wieder  hei'zustellen  ^). 

Den  König  und  seine  B^leitung  aufzunehmen ,  wenn  er 
reisend  des  Weges  kam,  war  zwar  mehr  als  eine  gastliche 
Einladung,  denn  als  eine  feste  Dienstpflicht  gedacht^);  aber, 
wie  der  regelmässigen  Geschenke  an  den  König,  konnte  sich 
der  Grundbesitzer  doch  auch  dieser  Last  bald,  nicht  mehr 
entschlagen;  beide  Arten  von  Leistungen  wurden  bleibende 
Lasten,  die  gewiss  nicht  gering  auf  das  Budget  der  kleineren 
Grandbesitzer  di'ückten*). 

Es  entwickelte  sich  aus  ihnen  besonders  die  Einquartie- 
rungspflicht, welche  jeder  dem  Grafen  und  den  sonstigen  Be- 
amten des  Königs  zu  erfCÜlen  hatte,  die  mansio,  paratae  und 
pastus,  die  Stellung  dai^  paraveredi  ^) ;  und  nicht  minder  sind 


>)  S.  V^aitz  n,  534;  viele  Beispiele  bei  Gregor  Tut.  VI,  19;  IX,  28; 
IX,  32;  bes.  VIII,  30:  custodesque  per  terminos  super  qoataor  yirorum 
millia  conlocayit. 

*)  Ghlotach.  decr.  c.  1  (LL.  I,  11):  qui  ad  vigUias,  hoc  est  ad  wactas, 
constitati.  « 

')  Child.  decr.  c  9  (LL.  I,  9):  Si  quis  centenario  aat  cuilibet  indid 
noluerit  ad  malefactorem  adiuvare.  Chlotarii  II  decr.  c.  9  (LL.  I,  11): 
Si  qnis  ad  vestigiom  vel  ad  latrones  perseqoendo  ire  noluerit,  si  moniti 
fnenmt  et  si  eos  sunnis  non  detenuerit.  L.  Rip.  65:  Si  quis  legibus  in 
utilitate  regis  sive  in  hoste  sive  in  reliqnam  utilitatem  bannitus  fnerit 

*)  S.  Waitz  n,  598.  Von  Au&ahme  eines  königlichen  Gesandten 
handelt  1.  Rip.  65,  3. 

*)  Schon  Tac.  Germ.  15  berichtet :  Mos  est  civitatibus  ultro  ac  viritim 
conferre  prindpibus  vel  armentorum  vel  frugum  quod  pro  honore  acceptum, 
etiam  necessitatibus  subvenit  Gaudent  praecipue  finitimarum  gentium 
donis,  quae  non  modo  a  singulis  sed  et  publice  mittuntur.  Noch  zum  J. 
750  berichten  die  Ann.  Lauriss.  min.  (SS.  I,  116):  in  die  Martis  campo 
secundum  antiquam  consuetudinem  dona  Ulis  regibus  a  populo  offerebantur. 
Ueber  dona  annualia  s.  Grimm,  Rechtsalterth.  246.  Nach  Daniels  Rechts- 
gesdL  1, 581  wären  diese  Geschenke  speciell  nur  in  Austrasien  Sitte  gewesen 
und  (8.  536)  durch  die  Ortsobrigkeit  eingesammelt,  von  den  Grafen  und 
anderen  Grossen  auf  den  Reichsversammlungen  abgeliefert  worden. 

«)  S.  Waitz  n,  600. 


-    154    — 

die  Opfer  zu  erwägen,  welche  die  Einzelnen  zu  tragen  hatten, 
wenn  ein  Heereszug  über  ihr  Gut  ging.  Gras  und  Holz  mit 
Recht,  so  manches  andre  aber  wohl  auch  ohne  jedes  Recht 
sich  aneignete^). 

Rechnen  wir  aber  noch  hinzu,  wie  häufig  auch  der  freie 
Giiindbesitzer  dazu  kommen  konnte,  Friedensgeld  (fredum) 
Wergeid,  Strafgeld  und  Bannbusse  zu  zahlen,  bei  der  grossen 
Anzahl  der  Delikte  und  der  gi'ossen  Höhe  der  Busssätze,  so 
wird  es  für  sich  schon  leicht  begreiflich,  dass  der  Besitz  einer 
fi-eien  Hufe  bald  nicht  mehr  ausreichen  konnte,  um  aQ  die 
Lasten  zu  tragen  und  dem  Besitzer  und  seiner  Familie  noch 
entsprechenden  Unterhalt  zu  gewähren. 

Um  aber  das  Mass  der  Lasten  voll  zu  machen,  hat  sich 
gerade  in  dieser  Periode  die  ursprünglich  freiwillige  Entrich- 
tung des  Zehenten  aus  dem  Rohertrage  der  Wirthschaft  an 
die  Kirche  immer  mehr  zu  einer  unvermeidlichen  Abgabe  ge- 
staltet. Zwar  von  einer  allgemeinen  Xahentpflicht  der  freien 
Giamdbesitzer  ist  vor  Karl  d.  Gr.  noch  nicht  die  Rede;  aber 
doch  ist  Sinn  und  Streben  der  Kirche  gegen  Ende  der  Periode 
schon  entschieden  darauf  gerichtet')  und  damit  jene  durch- 
greifende Zehentpflicht  vorbereitet,  mit  der  Karl  d«  Gr.  so 
wirksam  der  Entwickelung  der  Grundherrschaft  in  die  Hände 
gearbeitet  hat. 

War  nun  schon  die  Existenz  der  kleinen  freien  Grund- 
eigenthümer  keineswegs  günstig,  so  kann  das  um  so  weniger 
von  solchen  angenonmien  werden,  welche  auf  kleinem  ab- 
geleiteten Besitz  ihre  Wirthschaft  fährten.  Besonders  die  In- 
haber kirchlicher  Beneficien  und  Precarien  hatten  neben  den 
angeführten  allgemeinen  Lasten  der  Freien  noch  besondere 
Verpflichtungen  in  der  auf  dem  Kirchengut  überhaupt  ruhen- 


^}  L.  Biyuv.  U,  5:  Si  qois  in  exercita  infra  proyinciam  sine  iossione 
dacis  Bui  per  fortia  hostile  aliquid  praedare  voluerit,  aat  foennm  tollere, 
aat  grannm  vel  casas  incendere,  hoc  omnino  testamnr  ne  fiat 

')  Seit  den  Kirchenversammlimgen  von  Tonrs  567  und  Mascon  585. 
Im  bairischen  Gondl  von  Aschheim  756  (?)  (LL.  m,  457)  c.  5  stdli  die 
Geistlichkeit  den  Antrag  aof  Bewilligung  des  Zehenten. 


-    155    — 

den  kirchlichen  Baulast  ^);  für  sie  war  auch  die  allgemeine 
decima  keine  freiwillige  Leistung  mehr'),  und  ttberdiess  er- 
theilte  ja  die  Kirche  selten  Beneficien  oder  Precarien  ohne 
Zins,  es  sei  denn  um  den  Preis  eines  anderweitigen  Guts- 
erwerbs ^.  Dieser  Census  aber  war  in  der  Regel  gar  nicht 
unbedeutend;  er  betrug  nach  dem  Gapitulare  Liftinense  743 
(c.  2)  ^)  f&r  die  der  Kirche  entfremdeten  Beneficien  den  Werth 
eines  solidus  von  jeder  casata  und  war  auf  den  der  Kirche 
yerbliebenen  oder  von  ihr  neu  verliehenen  Beneficien  zumeist 
viel  höher  ^).  Zwar  bestand  er  regelmässig  nicht  in  Geld, 
sondern  in  Naturalabgaben,  wie  das  in  den  damaligen  Ver- 
kehrsverhaltnissen  begi-findet  war;  aber  die  regelmässigen 
Zinsleistungen  an  Getreide  und  Brod,  Bier  oder  Wein  und 
Vieh  (besonders  Frischlingen)  mussten  solch  kleinen  Land- 
wirthen  auch  schwer  genug  fallen,  um  so  mehr  als  auch  der 
Zehent  schon  ihren  Rohertrag  schmäleiiie.  Dazu  gesellten 
sich  frühzeitig  auch  für  die  freien  Pi*ecar]sten  Arbeitsleistun- 
gen, sei  es  dass  sie  dieselben  selbst  voi*zunehmen  hatten, 
wie  insbesondere  die  Bestellung  einzelner  Ackei-stücke  zum 
ausschliesslichen  Vortheil   der  Hen*schaft^)   und  die  lieber- 

')  Cap.  Aqiiit  c  1  (LL.  II,  p.  13) :  üt  illas  ecclesias  Dei,  qui  deserti 
snnt  restaarentur  tarn  episcopi  quam  abbates  Yd  Uli  laid  homines  qni 
ezinde  benefitiiiin  habent    S.  Walter,  Deutsche  Rechtsgeschichte  I  §  80. 

*)  Ob  auch  die  nona  schon  in  die  Zeit  Pipins  fUlt,  wie  nach  dem 
Cq).  Mett.  743  gesdilossen  wurde,  ist  zweifelhaft,  da  die  fragliche  Stelle 
nach  Pertz  LL.  I,  31  n.  interpolirt  ist 

*)  Z.  B.  Tr.  Sang.  787  no.  112 :  Der  Abt  von  St  Oallen  verleiht  ein 
Gut  aof  Lebensseit  und  empftngt  dafür  ein  anderes  sofort  zu  Eigenthnm. 
Ib.  796  no.  141  wird  bei  einem  ähnlichen  OeschAft  sogar  noch  ein  Zins 
▼on  2  Denaren  f&r  das  verliehene  Gut  bedungen. 

*)  Mon.  Germ.  LL.  I,  18:  annis  singulis  de  unaquaque  casata  solidus, 
id  est  12  denarii  ad  ecclesiam  vel  ad  monasteriums  reddatur. 

*)  S.  die  Beilage  No.  HL 

^  S.  als  Beispiele  Tr.  Sang.  754  no.  18,  wo  ein  Freier  seine  Güter 
an  8  Orten  nebst  2  servis  mit  ihren  Hufen  tradirt,  dieselben  aber  gegen 
Zins  und  Dienst  (arare  2  juchos  in  anno  et  recoUegere  et  intus  ducere 
et  angaria  ubi  opus  est)  zurückerhält.  Ib.  759  no.  24:  unius  hominis 
anm  vertente  opera.  Ib.  761  no.  29:  in  quisqua  sidone  saigata  una  arare, 
mcttere,  introducere,  1  jumale  secare,  colere  et  introdncere.  Aehnliche 
Verpflichtungen  von  freien  Precaristen  ib.  762  no.  33,  763  no.  39. 


—     156    — 

nähme  von  Transportleistungen  (angariae),  oder  dass  sie  die- 
selben durch  ihre  Knechte  besorgen  lassen  mussten,  wodurch 
ihre  Arbeitskräfte  geschmälert  wurden^). 

Die  unterste  Stufe  der  selbständigen  Landwirthe  nahmen 
die  unfi*eien  Zinsbauem  und  Leibeignen  (coloni,  servi  casati) 
ein,  deren  ökonomische  GesammÜage  noch  um  ein  gut  Theil 
schlimmer  als  die  der  freien  Zinsbauem  und  Precaristen  war*). 
Besonders  in  Bezug  auf  Arbeitsleistungen  unterlagen  sie  nodi 
viel  schwererem  Drucke.  Die  i*^elmä8sig  von  ihnen  geforderte 
Fronarbeit  nahm  bei  den  servis  die  Hälfte  ihrer  Arbeitskraft 
in  Anspruch^);  war  auch  oft  nur  eines  Mannes  dreitägige 
Arbeit  für  den  Hen*en  gefordert  und  die  Frauen  ausschliess- 
lich mit  Lieferung  von  Geweben.  Gewändern  und  Getränken 
belastet^),  so  trat  doch  auch  bei  ihnen  mancherlei  besondere 
Dienstbarkeit  hinzu.  Auch  sie  hatten  vielfach  besonderen 
Ackerdienst  ^);  jeder  colonus  ecclesiae  musste  nach  dem  bai- 
rischen  Volksrechte  Feldstücke  von  circa  16  Are  Ausdehnung 
(andecengae  legitimae)  für  die  Kirche  beackern,  besäen,  fiber- 
eggen, die  Früchte  einsammeln  und  einführen,  ausserdem  im 
Sommerfeld  Land  für  2  Motzen  Aussaat  bestellen  und  ab- 
ernten, sowie  in  den  Weinbergen  der  Herrschaft  arbeiten. 
Auch  zu  ausserordentlicher  Arbeit  für  längere  Zeit  mussten 

^)  Auch  der  comes  Adalchardos  hatte  f&r  ein  vom  Kloster  Websen- 
bürg  erhaltnes  Benefidom  neben  einem  Pfond  Silber  2  aogarias  za  leisten 
Tr.  Wizz.  719  no.  267. 

^  Auf  die  besondem  Unterschiede  in  den  Statosverhiltnissen  der 
coloni  tribntales  und  send  ist  bereits  im  2.  Abschnitte  Bücksicht  ge- 
nommen. In  Hinsicht  auf  ihre  wirthschaftliche  Lage  ist  ein  solcher  Unter- 
schied in  dieser  Periode  nicht  mehr  erkennbar. 

*)  L.  Alam.  Hloth.  22,  8:  Sern  dimidiam  partem  sibi  et  dimidiam  in 
dominico  arativum  reddant  Et  si  super  haec  est,  sicut  servi  ecdemastid 
ita  &dant  tres  dies  sibi  et  tres  in  dominico.  L.  Bij.  I,  18:  Opera  vero 
tres  dies  in  hebdomade  in  dominico  operent,  8  Ycro  sibi  fiMiant  Aach 
in  den  Urkunden  ist  der  8t&gigen  Dienstpflicht  oft  gedacht:  Tr.  Wiss.  774 
no.  68.  C.  Laur.  776  no.  868.  Tr.  Fris.  Ib,  262  (Ende  des  8.  Jabrh.). 
S.  i.  A.  Gu^rard,  Irminon  I,  §  408. 

^)  Das  ist  Yielldcht  in  1.  Alam.  22,  2  ausgedrückt:  AndUas  autem 
Opera  imposita  sine  neglecto  fadant;  s.  Merkel  zu  dieser  Stelle  LL.  in,  52. 

*)  L.  B%j.  I,  13. 


—    157    - 

sie  sich  bequemen,  wenn  Noth  am  Herrenhofe  war,  oder 
öffentliche  Leistungen  von  diesem  gefordeii;  waren  0;  sie 
mussten  Botendienste  und  Fuhren  leisten  ^,  und  oft  war  die 
dreitägige  Arbeitspflicht  in  der  Woche  eben  nicht  bloss  dem 
servus  selbst,  sondern  auch  der  Frau  und  den  erwachsenen 
Angehörigen  der  Colonenfamilie  überhaupt  auferlegt^). 

Als  regelmässige  Abgaben  des  servus,  der  aber  schon 
vielfiach  mit  dem  colonus,  tributarius  auf  eine  Linie  gestellt 
ist,  erscheinen  daneben  nach  dem  alamannischen  Volksrechte  ^) 
15  Sielen  Bier,  ein  Schwein,  4  Denare  werth,  2  modü  Brot- 
getreide, 5  Hühner,  20  Eier;  nach  dem  bairischen  Yolksrechte^) 
gibt  der  colonus  1  Bündel  Lein,  10  vasa  apium,  4  Hühner, 
15  Eier,  ausserdem  den  Zehent  (agrarium)  von  den  Zins- 
ackern  und  den  Weidezins  (pascuarium)  nach  Ortsgebrauch; 
der  servus  nach  dem  Gute,  das  er  bewirthschaftet ;  leider  ist 
es  nicht  möglich,  nach  den  wenigen  Urkunden  jener  Zeit, 
welche  Angaben  über  die  Leistungen  der  Leibeignen  enthalten, 
die    durchschnittliche    Lastenhöhe   anzugeben^).     Angesichts 

^)  Hieher  gehören  die  Leistungen  der  1.  Baj.  I,  13,  Bauarbeiten  für 
die  herrschaftlichen  Wohn-  und  Wirthschaftsgebäude ,  sowie  die  Fuhren 
von  und  zu  den  Ealköfen.  S.  a.  Tr.  Wizz.  774  n.  68:  illa  mancipia  .  . 
3  dies  in  ebdomada  et  si  necessitas  fherit  ad  m%jora  opera  qnatnordedm 
noctes  yeniant  ad  ipsa  opera. 

^)  Das  sind  die  paraferedi  und  angariae  usque  ad  50  leugas  1.  Big.  1, 13. 

')  S.  z.  ß.  Tr.  Sang.  228.  üt  send  vel  ancillae  coigngati  et  in  mansis 
manentes  tributa  et  vehenda  et  opera  vel  texturas  seu  fnnctiones  quaslibet 
dimidia  fiidant,  ezcepta  aratura.  Pnellae  vero  infra  salam  manentes  tres 
opus  ad  yestrum  et  tres  sibi  fitdant  dies. 

0  L.  Alam.  Hloth.  22. 

»)  L.  Bai,  Ii  18. 

*)  Die  Älteste  und  zugleich  ausführlichste  urkundliche  Angabe  über 
die  Abgaben  und  Dienste  der  Hansen  (wobei  nur  nicht  ganz  sicher  ist, 
ob  lauter  mansus  serviles  darunter  zu  verstehen)  findet  sich  in  Garta 
Leodoani,  Trevirensis  episcopi  706  bei  Pardessus  Dipl  U  no.  464  und 
Guäwd,  Polypt  de  l'Abb^  Irminon  II,  S.  341,  von  welcher  wir  wegen 
ihres  mannigfach  interessanten  Inhalts  den  auf  die  Abgaben  bezüglichen 
Thefl  vollständig  wiedergeben:  Haec  sunt  jura  quae  eadem  villa  (Stain  in 
pago  Wafiranse  Diöcese  Verdun)  dictae  ecclesiae  (S.  Eucharius  in  Trier) 
fratribns  annuatim  persolvere  debet  Igitur  apud  viUam  Stain  25  mansi 
compatantur,  quorum  4  in  nostrum  usum  non  cedunt     Reliqui  in  Pascha 


—    158    — 

der  Kleinheit  der  durchschnittlichen  leibeignen  Zinsgüter*) 
und  der  geringen  Culturfläche  insbesondere,  welche  dieselben 
hatten,  wäre  es  kaum  begreiflich,  wie  der  servus  mit  seiner 
Familie  auf  solchem  Gute  bestehen  konnte,  wo  seine  Arbeits- 
kraft und  die  Fi-fichte  seines  Bodens  so  vielfach  von  fremder 
Wirthschaft  in  Ansprach  genommen  waren. 

Nur  dadurch,  dass  er  doch  auch  einige  Erleichterung  in 
seiner  Wirthschaft  aus  dem  Verbände  mit  seinem  Herrn  zog. 
konnte  seine  Lage  überhaupt  erträglich  bleiben.  Vor  allem 
war  er  von  dem  Heerbann  und  aller  persönlichen  Kriegspflicht 
frei;  nur  die  Einquartierung,  der  Vorspann  und  ähnliche 
Leistungen,  die  zunächst  seinem  Hen'D  zufielen,  von  diesem 
aber  ihm  aufgebürdet  wurden,  blieben  für  ihn  bestehen.  Auch 
mit  andern  öffentlichen  Lasten  war  er  nicht  beschwert;  ihn 
rief  kein  Gebot  des  Volksi-echts  in  die  Gerichts-  und  Mark- 
vei-sammlung,  ihn  drückte  keine  öffentliche  Abgabe^)  oder 


Dobis  persolvunt  20  gallinas  et  100  ova  et  20  carradas  lignoram.  Itidem 
in  festo  8.  Martini,  similiter  in  nativitate  Domini,  in  festo  s.  Andree  talittf 
et  8  solidos  census.  Item  in  festo  s.  Remigii  100  maltra  tritici.  In 
eodem  die  vehmit  nobis,  si  volumus,  nsque  Dietenhoven  184  maltra  tritici, 
Bin  autem,  11  unciis  et  5  den.  hoc  redimunt  Item  in  febmario  7  dies 
et  dimidiom  mrasquisque  mansos  servit;  similiter  in  maio,  si  serritio  in- 
digemus.  Uno  anno  purgant  cortem  a  stercore,  in  secondo  anno  180 
tegulas  dant  et  tegunt  edes;  in  tertio  anno  purgant  aqoaeductam  molen- 
dini  et  reparant  Singalis  etiam  annis  in  Pascha  de  areis  nostris  dabontor 
nobis  7  solidi  et  16  gallinae.  In  festo  s.  Martini  molieres  cenanm  persol- 
vunt^ quaedam  4  denarios,  quaedam  3,  si  posaunt;  si  non,  quantum  villiau 
et  nuntius  noster  eas  peraolvere  posse  ezistimant,  ab  eis  acdpiant  Simi- 
liter viri  in  maio  capitalem  censum  persolvunt,  quidam  20,  qoidam  5  de- 
narios, si  possunt;  si  non,  quantum  videmus  posse,  dabunt.  Adservitiaffl 
abbatis  villicus  5  solidos,  decanus  5,  custodes  sUvarum  5,  in  festo  s. 
Eucharii  persolvunt  Eine  spätere  Angabe  in  C.  Lauresh.  787  II,  936: 
ezcepto  servo  uno  .  .  .  quem  ea  ratione  ibidem  constitait,  ut  siogolis 
annis  2  fructus  arare  debeat  et  Seminare  et  10  denarios  in  censum  solvere 
diebus  vitae  suae. 

^)  S.  0.  3.  Abschn.  S.  ISO  und  Beilage  IL 

^  An  den  König  zahlte  der  Colone  keine  Steuer;  das  colonaticnm, 
litimonium  sind  Abgaben  der  Colonen,  Liten  an  den  Herrn.  S.  Roth, 
Benef.  W.  91. 


—    159    - 

Dienstleistang  f&r  den  König  und  das  Reich;  und  wenn  der 
Gutsherr  durch  seine  leibeignen  Zinsbauem  vornehmen  liess, 
was  ihm  zu  leisten  oblag,  Baudienst  und  öffentliche  Fuhren 
oder  ähnliches,  so  geschah  das  doch  innerhalb  der  Zeit,  welche 
der  Leibeigne  ohnehin  schon  dem  Herrn  zu  widmen  verpflichtet 
war.  Dafbr  genoss  er  denn  während  der  Zeit,  welche  er 
arbeitend  am  Hen*enhofe  zubrachte,  die  volle,  wenn  auch 
schlechte  Verpflegung  0,  so  dass  doch  ein  verhältnissmässig 
kleines  Productenquantum  seiner  eignen  Wirthschaft  zur 
Deckung  des  Nahrungsbedarfe  der  Golonenfamilie  zureichen 
konnte. 

Ueberdiess  eiiiielt  der  leibeigne  Zinsbauer  dann  und  wann 
schon  mit  der  Hufe  auch  einen  eingerichteten  Bauenihof  mit 
dem  nöthigen  Viehstand  und  Inventar'),  obwohl  das  wenig- 
stens nach  dem  bairischen  Volksrechte  noch  als  Ausnahme 
erscheint  und  dann  ungemessene  Dienste  begründete  ^) ;  später 
aber  begegnen  gerade  bei  den  Mancipiengütem  die  Mobilien 
r^elmässig  als  Bestandtheile  des  Mansus  ^)  und  untei-scheiden 
sich  von  den  Procarien,  welche  die  Kirche  an  Freie  ohne 
Inventar  verlieh,  es  sei  denn,  dass  diese  das  Gut  der  Kirche 
mit  Inventar  geschenkt  und  als  Beneficium  zurückempfangen 
haben  ^). 

So  ist  also  weder  von  den  kleinen  fi-eien  Grundeigen- 
thümem  noch  viel  weniger  von  den  unfreien  Zinsbauem  dieser 
Zeit  irgend  welche  Ueberschussproduction  für  den  Verkehr 


^)  S.  Gu^rard,  Polyptique  de  TAbb^  Irminon  §  404;  die  Zengnisse 
Bind  aUerdings  erst  aus  der  Karolingerzeit 

<)  S.  Anton,  Gescb.  der  deutschen  Landwirthschaft  I,  82,  der  aber 
irrt,  wenn  er  das  als  den  regebnässigen  Zustand  der  filteren  Zeit  ansieht 
S.  o.  n.  Buch,  4.  Abschnitt. 

^)  L.  Big.  I,  13:  Si  vero  dominus  eins  dederit  eis  boves  aut  alias 
res,  quod  habet,  tantum  serviant,  quantum  eis  per  possibilitatem  impositum 
fiierit;  tarnen  iniuste  neminem  obpremas. 

*)  So.  £.  B.  Tr.  V^iz«.  714  no.  41;  730  no.  16;  733  no.  13;  734  no.  9; 
737  no.  10,  14,  15,  17;  742  no.  2. 

^  Hieher  gehören  Tr.  Wizz.  693  no.  38;  696  no.  43;  713  no.  ^; 
724  no.  40;  737  no.  8,  35,  37;  739  no.  3^  11;  742  no.  1;  743  no.  4,  5. 


—    160    — 

und  die  Versorgung  andrer  Klassen  der  BeTÖlkemng  mit  den 
Gfitem,  welche  die  Landwirthschaft  herrorgebracht,  anzunehm^ 
Die  grosse  Mehrzahl  der  gesammten  Bevölkening  erschöpfte 
ihre  wiithschafUiche  Kraft  damit,  dass  jeder  fbr  sich  selbst 
den  nnerlässlichen ,  an  sich  schon  sehr  bescheidnen  Bedarf  aa 
OQtem  prodncirte ;  und  keine  Theilung  der  Arbeit  nehmen  wir 
wahr,  welche  jedem  gestattet  hätte,  sich  an  der  nationalen 
Production  nach  Massgabe  seiner  besondem  Befähigung  oder 
Neigung  zu  betheiligen. 

Nur  die  wenigen  grossen  Grundherren  dieser  Periode  be- 
zogen in  Zinsen  und  Diensten  Güter,  die  über  ihren  eignen 
dringenden  Bedarf  hinaus  Mittel  der  Befriedigung  von  Be- 
dürfnissen gewähi-ten.  Theils  in  der  grossem  Anzahl  ihrer 
leibeignen  Hausdiener,  theils  in  den  Fronden  ihrer  Colonen 
und  in  den  Specialdienstleistungen  ihrer  Vassallen  und  Ge- 
treuen, Precaristen  und  Beneficiare  geboten  sie  über  grössere 
fremde  Arbeitskraft,  die  sie  in  den  Dienst  der  Volkswirth- 
Schaft  stellen  konnten ;  aber  es  sind  doch  nur  ganz  vereinzelte 
Beispiele,  welche  einige  Organisation  dieser  Arbeitskräfte  fbr 
grössere,  weitaussehende  Colonisations-  oder  Productionsunter- 
nehmungen  zeigen. 

Voi'zugsweise  nur  in  grossen  Rodungen,  welche  die  grosse 
Grundherren  schon  in  dieser  Periode  vornehmen  Hessen,  zeigt 
sich  eine  volkswirthschaftliche  Verwerthung  dieser  Arbeits- 
kräfte ^) ;  der  hervorragendste  Gebrauch,  den  die  Grundherrn 
davon  machten,  war  aber  jedenfalls  ein  ansserwirthschafilicher 
—  die  Geltendmachung  roher  physischer  Gewalt  und  die  Er- 
werbung politischer  Macht,  welche  sich  auf  die  vielen  Arme 
stützte,  über  deren  Kraft  die  Gi-undhenn  in  den  zu  Treue 
und  Ergebenheit  commendirten  Freien,  in  den  Liten  und  an- 
freien Knechten  verfügten. 

Diese  Anhäufung  von  persönlich  Ergebenen  und  Getreuen 
in  den  grossen  HeiTenhöfen  als  Tisch-  und  Bankgenossen  des 
Grundherrn  und  der  persönlichen  Diener  aller  Art  charakte- 
risirt  schon  in  dieser  Zeit  die  socialen  Verhältnisse  der  weit* 


^)  S.  0.  2.  Absdm.  S.  82  and  IL  Buch,  1.  Abschn. 


—    161     - 

liehen  Grossen  im  Gegensatze  zu  den  Kirchen^);  bei  diesen 
tritt  an  Stelle  der  fi-eien  Genossen  des  Herrn  die  numerosa 
turba  monachum*),  und  statt  der  persönlichen  Diener,  deren 
sie  nicht  so  sehr  bedurften  und  begehrten,  sind  es  hier  immer 
mehr  die  servi  casati,  welche,  wenigstens  in  der  folgenden 
Periode,  den  Schwei-punkt  des  social-ökonomischen  Zustands 
der  geistlichen  Grundhen-schaft  bildeten. 

Die  Fülle  der  Boden-  und  Viehzuchtsproducte  aber,  welche 
die  grossen  GrundheiTn,  weltliche  wie  geistliche,  Ton  den 
eignen  wie  den  dienenden  Gutem  bezogen,  diente  eben  darum 
zum  guten  Theile  nur  dazu,  jenen  das  Heer  von  abhängigen 
Leuten  zu  erhalten,  um  immer  ihrer  Ergebenheit  und  ihrer 
Arme  sicher  zu  sein,  diesen  um  das  Mönchthum  und  den 
geistlichen  Stand  zu  immer  gi'össerer  Blttthe  und  leiblichem 
Behagen  zu  fördern,  und  in  reichlichen  Kirchen-  und  Kloster- 
spenden sich  eine  Schaar  von  geistlichen  Streitern  und  durch 
diese  ihre  materielle  Abhängigkeit  ergebnen  Leuten  zu  schaffen 
—  also  auch  wieder  Machtelemente  für  den  Kampf  um  die 
HeiTSchaft  in  der  Gesellschaft  und  im  Reiche  zu  gewinnen. 

Weiter  reichte  die  Organisation  der  Volkswirthschaft 
durch  die  grossen  Grundherrn  noch  nicht;  sie  ist  noch  weit 
entfernt  von  jener  rationellen  Durchbildung  der  Gütergliede- 
rung und  einheitlichen  Leitung  der  Production  auch  des  ab- 
hängigen Ginindbesitzes  für  höhere  nationalökonomische  Ziele 
der  Herrschaft,  wie  wir  sie  in  der  Villenverfassung  der  Karo- 
linger sehen  werden. 

In  ziemlicher  Einförmigkeit  verlangen  sie  gleichen  Dienst 
und  gleiche  Abgaben  von  jedem  *) ;  sie  lassen  sich  weder  die 

*)  S.  schon  1.  Alan^.  81,  8:  Si  quis  alicoias  siniscalcus,  Bi  servus  est, 
et  dominns  eins  12  yassus  infra  domam  habet.  Vgl.  auch  Tr.  Wizz.  739 
DO.  159:  similiter  dono  vasalles  meos  et  puellas  meas  quas  ego  de  intus 
sala  mea  habeo.  Ib.  742  no.  52:  vasallum,  puellas  quas  infra  domo  mea 
habeam.  Tr.  Sang.  745  no.  12:  mancipia  domestica  neben  den  senris  et 
anciUis  peculiaribus. 

*)  In  den  Trad.  Fuld.  zum  erstenmale  770  no.  32.    C.  Laur.  787  no.  13. 

')  In  der  1.  AI.  22,  1  (LL.  III,  51)  sind  die  tributa  legitima  der  servi 
ecclesiastici  noch  sehr  einfach  und  gleichförmig  festgesetzt;  s.  o.  S.  157. 
Und  auch  in  den  ältesten  Urkunden  von  St.  Gallen  bilden  die  gleichen 

▼  on  Inama-Sterneffg,  WirthMchaftageschichte.    I.  11 


—    162    — 

Ausbildung  von  Specialwii-thschaften  je  nach  der  natttrUchen 
Eignung  der  Güter,  noch  die  VeiTollkomninung  der  einzelnen 
Wirthschaftszweige  durch  sorgsame  Auswahl  und  ZutheQung 
des  dazu  entsprechenden  Kapitals  angelegen  sein;  sie  sind 
auch  auf  Arbeitstheilung  in  den  Kreisen  ihrer  dienenden  Ar- 
beiter nicht  sehr  bedacht.  Zwar  kennt  die  lex  Salica  schon 
den  Unterschied  der  Hausdiener  und  der  landwirthschaftlichen 
Arbeiter,  von  denen  sie  wieder  die  Hii*ten,  Winzer,  Reitknechte 
und  Kutscher,  sowie  die  Eisen-  und  Goldschmiede  unter- 
scheidet^), welch  letztere  auch  im  alamannischen  und  friesi- 
schen Volksrechte  heiTortreten  *).  Auch  bezüglich  der  weib- 
lichen Arbeiter  finden  sich  schon  Unterschiede  wenigstens  in 
einigen  Rangstufen  dei'selben ;  besondei's  sind  die  Aufeeherinnen 
und  Beschliesserinnen,  sowie  bei  den  Friesen  die  Weberinnen 
ausgezeichnet^);  aber  immerhin  sind  es  schwache  Ansätze  zu 
einer  Theilung  der  hervorbringenden  Arbeit,  welche  diese 
älteste  Zeit  bereits  ausgej[)ildet  hat^).  * 


Abgaben  noch  die  fast  ausnahmslose  Regel;  nur  die  Frischlinge  werden 
schon  häufiger;  z.  B.  Tr.  Sang.  758,  I  17;  754,  I  18;  759,  I  24;  761(?) 
I  29,  82;  762,  I  33;  763,  I  89;  769,  I  55;  770,  I  56,  57.  Dennoch  be- 
ginnt schon  der  Wein,  die  Gerste,  Spelt,  Hafer  und  Heu  daneben  aof- 
zntreten;  Tr.  Sang.  716-20,  I  8;  760,  I  25;  764,  I  46;  765,  I  47.  Auch 
Geldabgaben  kommen  frahzeitig  schon  daselbst  vor;  Tr.  Sang.  754,  I  19; 
758,  I  22;  762,  I  86;  765,  I  48,  obschon  darunter  häufig  nur  der  Gdd- 
werth  gemeint  ist;  %.  Sang.  766,  I  50:  solidum  in  quo  potaero  and 
später  oft. 

')  L.  Sal.  85,  6;  10,  26  vassi  ad  ministerium  —  porcarios,  Tinitor, 
stratarius,  carpentarius;  —  faber  ferrarius,  aurifex. 

')  Schon  im  alten  Pactus  Alam.  UI  ist  des  faver  ferrarius  und  des 
aurifex  gedacht  In  l  Fris.  lud.  Wulem.  11  (LL.  UI,  699)  neben  dem 
anrifez  und  der  femina  fresum  faciens  auch  der  haipator.  Nach  Wacker- 
nagel, KL  Sehr.  I,  44  fand  sich  aber  auch  in  den  alamannischen  Gräben 
bei  Oberpflacht  eine  Geige. 

B)  Cap.  Chlodov.  (500-511)  XI,  10  (LL.  H,  5):  andUa,  qnae  oeUa- 
rinm  domini  sui  vel  geniceum  tenuerit  Ueber  die  finesischen  Mlgde  s.  o. 
S.  149  A.  1.  L.  AI.  82  theilt  die  Mägde  ein  in  andlla  vestiaria,  pulidt  d» 
genicio  priore,  alia  de  genido.  Das  „priore*^  bezieht  sich  aber  offenbar 
auf  ancÜla,  und  deutet  nicht  ein  vorderes  Frauenhaus  an,  irie  Fischer, 
Gesch.  d.  Handels  I,  6  meinte. 

*)  In  dem  2.  Theile  der  lex  Alam.  81, 82  und  in  den  späteren  Texten 


—     163    — 

Doch  erhielten  die  grossen  Gi-undherm,  indem  sie  den 
gesammten  Gttterüberschuss  der  nationalen  Jahresproduction 
bei  sich  vereinigten,  alle  Bedingungen  der  Tolkswirthschaft^ 
liehen  Weiterentwickelung  in  ihre  Hand;  keine  andre  Classe 
des  Volkes  vermochte  sich  selbständig  weiter  zu  bilden  oder 
zu  verbessern,  oder  zur  Vervollkommnung  des  Ganzen  bei* 
zutragen;   die  kleinen  Grundbesitzer,  noch  mehr  die  Land- 
losen aller  gesellschaftlichen  Stände  waren   an   die  grossen 
Grundherrn  und  an  die  Kirche  gewiesen,  mochte  es  ihnen  um 
Erwerb  von  Grandbesitz,  um  gewerbliche  Beschäftigung  oder 
auch  nur  um  Erhaltung  des  Lebens  zu  thun  sein;  es  gab  für 
die  Dauer  kein  Gewerbe,  keinen  Handel,  keine  liberale  Be- 
schäftigung ausserhalb  dieses  Kreises ;  und  so  ist  es  erklärlich, 
dass  die  Hebung  der  Volkswirthschaft  durch  die  organisirende 
That  der  grossen  Giiindherrschaft  nur  eine  Frage  der  Z^it 
sein  konnte  —  der  Zeit,  in  welcher  durch  äusseren  Zwang 
und  innere  Entwickelung  den  GrundheiTU   ein  Vei-ständniss 
ihrer  Aufgaben   aufging   oder   wenigstens   die  unabweisbare 
Nothwendigkeit  für  sie  entstand,  der  Wiithschaft  des  Volkes 
neue  Bahnen  zu  eröffnen,  um  sich  selbst  in  herrschender 
Stellung  zu  befestigen  und  die  Obei-step  an  der  Tafel  der 
nationalen  Güter  bleiben  zu  können. 

Von  den  Zuständen  des  landwirthschaftlichen  Betriebes 
können  wir  uns|nach  alle  dem  keine  gi*ossen  Vorstellungen 
machen;  und  auch,  was  die  Quellen  an  positiven  Nachrichten 
bieten,  ist  nur  geeignet,  das  Bild  einer  sehr  rohen  und  exten- 
siven Bodenbenutzung  und  Wirthschaftseinrichtung  zu  ver- 
vollständigen. 

Noch  lange  nach  der  letzten  Wanderung,  welche  den 
einzelnen  Stämmen  endgültige  Wohnsitze  gab,  konnten  die 
Deutschen   mit  gutem   Grunde  Waldleute  heissen;    in    den 


der  L  SaL  ist  schon  eine  reichlichere  Arbeitstheilnng  wahrzunehmen;  L 
AL  81  nennt  den  pastor  porcarins,  oyium,  siniscaicus,  cocus,  pistor,  £aber, 
ftoiifex,  spatarins.  L.  SaL  Herold  XI,  6,  7  nennt  maiorem,  infestorem, 
scantionein,  mariscalcum,  stratorem,  fabmm  ferrarium,  aurificem,  carpenta* 
riom,  ▼inltorem,  porcarium.  L.  Sal.  Lindenbr.  XI,  5  fügt  hinzu:  molina- 
rium,  Tenatorem  aut  quemcunque  artificem. 

11* 


i 


-     164    — 

deutschen  Wäldern,  die  in  ungemessner  Grösse  das  Land  be- 
deckten ^) ,  spielt  sich  noch  immer  ein  beträchtlicher  Thdl 
des  Lebens  ab;   nicht  bloss  der  Jagd  und  dem  Schutz  der 
Gaue  diente  das  dichte  Baum-  und  Strauchwerk;   auch  die 
Wirthschaft  hatte  da  eine  bereite  Stätte ;  Pferde,  Rinder  usd 
Schweine  suchten  da  ihi*e  Nahrung  und  zum  Schutze  g^en 
die  Unbilden  der  Witterung  baute  man  ihnen  im  Walde  Hür- 
den und  Pferche  in  primitiver  Weise*).    Gleich  Oasen  spär- 
lich zerstreut  lagen  in  den  Wäldern  die  Weiden  umher,  wo 
eine  Lichtung  geschlagen  oder  der  Boden  fbr  Baumwuchs  zu 
seicht  war,   oder  wo  die  Waldbäche  und  Flüsse    üppigeren 
Graswuchs  gedeihen  liessen.    Auch  die  Vogel-  und  die  Bienen- 
weide war  auf  den  Wald  vei^wiesen ') ;  und  selbst  loser  Anbao 
des  Waldlandes  für  die  vorübergehende  Getreidenutzung  der 
Brennwirthschaft  vollzog  sich  allenthalben  im  Walde.    Manches 
Stück  Waldboden  ist  auf  diese  Weise  durch  Fällen  und  Nieder- 
brennen des  Holzes  zugerichtet  worden,  um  nach  2 — Sjähriger 
Ackernutzung  wieder  dem  Walde  übei-geben  zu  werden  *).  So 
wanderte  der  Getreidebau  im  Walde  von  Stelle  zu  Stelle,  wo 
ein   gi-össerer   Kömerbedaii   auf  Ackerland   nicht   befriedigt 
werden    konnte,    ohne  die   Weide  und   den    Grasnutzen  zu 
schmälern.    Was  dann  an  Land  endgültig  und  für  immer  dem 


^)  S.  inBbes.  die  Schriften  von  Berg,  Bernhardt  und  nenestens  Arnold, 
Urgeschichte  passim. 

')  L.  Alam.  100,  1:  Si  quis  porias  in  Silva  tarn  porcns  quam  pecon 
incenderit,  22  solid,  conponat. 

^)  L.  B%j.  22,  8  ff.:  Si  apes,  id  est  examen  alicoias  ex  i^>üe  elapsos 
fuerit  et  in  alterios  nemoris  arborem  intraverit  c.  11:  Pari  modo  öe 
avibus  sententia  subiacetor,  ut  nollus  de  alterios  silva,  quamvis  prios  in- 
Teniat,  aves  tollere  praesumat. 

*)  Offenbar  solche  Brennwirthschaft  yerbietet  das  Diplom  Theodorkbi 
IV  für  Maurmünster  im  Elsass  724  Pardessus  ü,  531 :  ut  nuilos  ibidem 
campos  &cere,  nee  porcos  saginare,  nee  materiam  sncddere  nee  ipsins 
fiues  penitus  irrumpere  presumeret  Auch  1.  Sax.  55:  si  arbor  acoensa 
ceciderit,  hominemque  oppresserit  a  mane  usque  ad  mane  vel  a  veipen 
usque  ad  vesperam  ex  quo  ignis  accensus  est:  si  infra  hoc  tempus  cadeoi 
hominem  oppresserit,  ab  eo,  qui  incendit  arborem,  componator  beneht 
sich  wohl  eher  hierauf  als  auf  Kohlenbrenner,  wie  Anton  I,  145  meinte. 


—    165     - 

Walde  und  Oedland  entrissen  und  zu  Culturland  bereitet  war, 
das  bildete  gewiss  an  sich  schon  einen  sehr  kleinen  Theil  des 
gesammten  Landes;  aber  auch  dieser  Theil  war  doch  wieder 
nur  in  geringem  Masse  für  eigentlichen  Ackerbau  verwend- 
bar *).  Die  rohe  Wechselwirthschaft,  welche  die  Deutschen  in 
ihren  Wäldern  übten '),  fand  hier  ein  ebenbürtiges  Gegenstück ; 
Getreide'),  Hülsenfrüchte  und  Wurzelgewächse  wechselten 
mit  Grasnutzen  auf  demselben  Grundstücke  ab,  doch  so,  dass 
dem  letzteren  ein  entschiedenes  Uebergewicht  zufiel,  die  Gras- 
jahre gleichsam  als  die  lange  Ruhezeit  des  Grundstücks  nach 
kurzem  Anbaue  erschienen.  Von  einer  planmässigen  Einthei- 
luDg  der  Feldilur  in  Schläge  oder  Culturen  hören  wir  aber  eben 
so  wenig,  als  von  einer  sorgsamen  Feldbestellung.  Düngung  ^) 

')  S.  Arnold,  Ansiedlongen  und  Wandeningen  S.  526  f. 

*)  Tac  OenxL  26:  arva  per  annos  mutant  et  superest  ager.  Nee 
enim  cum  ubertate  et  amplitudine  soli  labore  contendunt,  ut  pomaria  con- 
sennt  etprata  separent  et  hortos  rigent  Sola  terrae  Beges  imperatur. 
Seit  Roscher'B  (Ansichten  der  Volkswirthschaft  I)  und  HanBsen's  (Zur  Ge- 
schichte der  Feldersysteme  in  Zeitschr.  f.  d.  ges.  Staatswissensch.  1865  ff.) 
gnmdlegenden  Untersuchungen  ist  es  wohl  nicht  mehr  möglich  diese  Stelle 
auf  Dreifelderwirthschaft  zu  deuten.  Weder  die  Eigenthums-  und  Besitz- 
rerh&ltnisse,  noch  die  Entwickelung  des  Gemeindeverbands,  noch  der 
übrige  Zustand  der  Volkswirthschaft  jener  Zeit  lassen  sich  damit  yer- 
einigen.  Uebrigens  erhält  die  Frage  gerade  durch  die  in  diesem  Buche 
Tenachte  zusammenhängende  Darstellung  der  wirthschaftlichen  Entwicke- 
lung  des  deutschen  Volkes  erst  ihre  volle  Beleuchtung.  S.  auch  unten 
2.  Buch  4.  Abschnitt 

')  Vorzugsweise  wohl  Gerste  und  Hafer.  Plinius  18,  44  und  Tacit. 
c  28,  an  welcher  Stelle  aber  auch  Weizen  (frumentum)  erwähnt  erscheint. 
S-  Hostmann,  altg.  Landw.  S.  60.  Aber  der  Vocabularius  S.  Galli  (7.  Jahrh.) 
übersetzt  tridtus  mit  Korn!  Das  Vorkommen  des  Roggen  ist  für  diese 
Zeit  mindestens  zweifelhaft;  das  deutsche  Wort  findet  sich  seit  dem 
9.  Jahrb.,  das  Wort  spelta  seit  dem  8.  Jahrh.  S.  Hostmann  61.  R&ben-, 
iirbsen-,  Bohnen-  und  Linsenfelder  in  l  Sal.  27,  7.  Cap.  pacto  legg.  Sal. 
add.  LL.  n,  12  c  18:  ortum  aut  nabianam. 

*)  PliniuB  h.  n.  17,  4  und  Varro  de  re  rust  1,  7  berichten  von  ge- 
mergelten Aeckem  in  Gallien.  In  alten  Glossen  finden  sich  mehre  deutsche 
Aasdrüeke  daf&r:  coenum  —  dost  Gl.  Flor.  p.  987;  fimus,  letamen  — 
ddst  61.  Lindenbr.  995;  fimum  boum  —  misit  rindere  vel  gor  Gl.  Pez.  400. 
S.  a.  GL  Mons.  gor  gleich  DOnger  gebraucht  p.  828,  389;  und  das  Wort 
tong  in  Graii;  Sprachschatz  V,  488  ff.    Anton  I,  876. 


—    166     - 

und  mehrmaliges  Pflügen*)  kommt  zwar  vereinzelt  vor;  aber 
doch,  wie  die  Unterscheidung  der  Sommersaat*),  nur  auf 
grösseren  Gutswirthschaften,  vorab  der.  Kirche. 

So  lange  nun  dieser  uralte  Wechsel  roher  Feldgraswirth- 
Schaft  sich  behauptete,  deckte  das  Ackerland  in  den  Dreesch- 
jahren auch  den  Futterbedarf,  soweit  dei'selbe,  besondei^ 
während  der  Winterszeit,  nicht  von  Weide  und  Wald  gewonnen 
werden  konnte.  Ein  Bedüi-fhiss  nach  abgesonderten  Wiesen 
bestand  demnach  in  der  Hauptsache  wohl  gar  nicht,  wie  das 
am  Ende  schon  Tacitus  von  den  Germanen  anmerkte^).  Da- 
her sind  denn  auch  die  Wiesen  in  den  ältesten  Urkunden 
meist  nur  als  Pertinenzstücke  der  Hufen,  neben  Weiden, 
Wäldern  etc.,  also  als  Bestandtheile  der  Mark  aufigezählt^\ 
denen  sie  auch  wirthschaftlich  gleich  standen,  so  lange  sie 
nicht  durch  Düngung,  Bewässerung  und  sonstige  Cultui-arbeit 


^)  Die  älteste  Urkunde  hieraber  Tr.  Sang.  763  no.  39 :  et  in  primoib 
vir  arata  jumalem  unum,  et  in  mense  jonio  brachare  altenim  et  in  aatonuo 
ipsnm  arare  et  Seminare  s.  darüber  im  Zusammenhang  mit  späteren  Ab* 
gaben  2.  Buch  4.  Abschnitt. 

^)  L.  ßsy*.  I,  13;  A  tremisse  unusquisque  accola  ad  duo  modia  satioois 
ezcoUegere,  Seminare,  colligere  et  recondere  debent.  Dass  tremisis  - 
tremisium  Sommerfrucht  sei,  ist  erwiesen  bei  du  Gange  und  Go^rard. 
Irminon  I,  638  £  Die  vereinzelte  Nachricht  des  Plinius  XVm,  49, 4  diss 
einmal  auf  dem  Treverico  agro  die  Wintersaat  wegen  übermässiger  KUxe 
missglückte,  beweist  wohl  nichts  für  das  Feldersjstem  der  Deatschen,  dt 
es  sich  ja  um  römischen  Anbau  handelt  Auch  Tacit.  bist  Y,  23,  wornacb 
auf  der  insula  Batavorum  Winterfeld  vorzukommen  schien,  kommt  (Ür  den 
eigentlich  deutschen  Bodenanbau  wohl  nicht  in  Betracht.  S.  Roicher, 
Nat  Oek.  d.  Ackerbaus  II,  24  A.  9. 

°)  Tac.  Germ.  26:  prata  non  separent  Nach  Arnold,  Ansiedlongec 
527  ist  gerade  der  Mangel  an  Localnamen ,  die  sich  auf  Wiesenbau  be- 
ziehen, ffüi  diese  Zeit  charakteristisch. 

*)  An  solches  Grasland  für  gemeinschaftliche  Nutzung  ist  man  immer 
versucht  zu  denken,  wo  das  Mass  der  Nutzung  (nach  carrada,  worpa  etc 
aUein  zur  Bezeichnung  des  Einzelrechts  an  Wiesen  gebraucht  ist  Aber 
so  unzweifelhaft  es  auch  ist,  dass  solche  Gemeinwiesen  noch  sehr  Isag^ 
fortbestanden  (s.  o.  S.  107),  so  werden  wir  es  doch  schon  in  dieser  Periode 
zumeist  mit  Wiesen  zu  thun  haben,  welche  durch  Realtheilmig  älteren 
Gemeinlands  Bestandtheile  der  Hufe  geworden  sind. 


—    167    — 

zu  Yermögensobjekten  der  Sonderwirihschaft  gemacht  worden 
waren.  Nor  in  kleinem  Umfange,  dem  Wirthschaftshofe  am 
nächsten  liegend,  dem  Bedürfnisse  der  GranfUtterung  im  Stalle 
gewidmet,  ti-eten  die  Wiesen  allmählich  als  Bestandtheile  des 
Sonderguts  hervor*);  aber  während  der  ganzen  Periode  bleibt 
das  Verhältniss  des  Ackerlands  zu  den  separiilen  Wiesen  noch 
sehr  ungünstig  für  diese  und  zeugt  von  dem  geringen  Weithe, 
welchen  die  Wirthschaft  jener  Zeit  auf  diese  Culturart  legte. 
Solche  Wirthschaft  konnte  schon  an  sich  nur  durch  starke 
Viehhaltung  bestehen;  wir  haben  aber  auch  in  den  positiven 
Zeugnissen  der  Schriftsteller  und  in  dem  ungeheuren  Ueber- 
gewichte,  welches  den  Interessen  der  Viehzucht  in  allen 
Volksrechten  eingeräumt  ist,  sichere  Anhaltspunkte  zu  der 
Annahme,  dass  die  deutsche  Landwirthschaft  während  der 
Merowingerperiode  sich  vornehmlich  auf  Viehzucht  stützte  *) ; 
und  auch  was  wir  von  der  Nahi-ung,  Bekleidung  und  Lebens- 
weise der  Deutschen  wissen,  weist  uns  auf  eben  diese  That- 
sache  hin.  Unter  allen  Thieren  das  edelste  und  weilhvollste 
ist  den  Deutschen  das  Pferd;  doch  war  es  oifenbar  nur  grös- 


^)  Doch  schon  1.  Sal  27,  10  Si  qois  prato  alieno  secaverit  L.  Alam. 
76,  2  (LL.  III,  72)  aut  in  prato  aat  in  mes^e.  Aach  1.  Baj.  Xm,  6  ist 
pratam  der  messis,  XIV,  7  der  vinea  gleichgestellt;  XVU,  1  stehen  pratom, 
ager,  exartum  neben  einander.  Dass  die  Wiesen  aber  als  besondre  Zathat 
zu  dem  Gnte  angesehen  wurden,  ist  z.  B.  zn  sehen  aus  Tr.  Wizz.  713 
DO.  36:  et  prata  iUa  in  ripa  de  Soma  quam  ipsi  send  ad  ipsas  hobas 
tenent  Ib.  728  no.  262:  sorte  una,  campo  et  silya  in  simul  tenente, 
similiter  pradello  uno  ad  carrad.  2.  Auch  Tr.  Sang.  750  I  15,  casale,  ubi 
edificins  vester  nunc  stat,  et  ipsa  prata,  que  ibidem  pertinent  Auch  ist 
es  nicht  selten,  dass  das  Ackerland  als  wesentlicher  Bestandtheil  der  Hufe 
gar  nicht  erwiüint  ist,  während  die  Wiesen,  als  später  hinzugekommen, 
besonders  vermerkt  werden,  z.  B.  Tr.  Wizz.  745  no.  142  hobam  1  et  ad 
3  carrade  prata.  Ib.  765—92  no.  124 :  hoba  1  cum  prato  ad  carradas  10, 
et  Tinea  1  ad  carradas  4,  tarn  pratis  pasculs  silvis  etc.,  wo  wohl  Sonder- 
wiesen und  Gremeinwiesen  zugleich  genannt  werden. 

*)  Schon  bei  Caesar  b.  G.  VI,  35  hdsst  es:  Magno  pecoris  numero, 
cuius  sunt  cupidissimi  barbari,  potiuntur;  und  Tacitus  berichtet  c.  5:  Ger- 
mania pecorum  fecunda;  .  .  pecoris  numero  gaudent  eaeque  solae  et  gra- 
tissimae  opes  sunt  Ueber  die  vielseitige  Abstufung  der  Yiehwerthe  in 
den  Yolksrechten  s.  n.  5.  Abschn. 


-    168    — 

seren  Gntswirthschaften  geg&nnt,  sich  mit  Pferdezucht  zu 
befassen.  Darum  waren  wohl  Sachsen  ^)  und  Thüringen ')  die 
hervorragendsten  Pferdezuchtgebiete,  weil  bei  ihnen  sich  der 
Adel  mit  reichem  Besitzthum  weit  mehr  Über  den  kleinen 
gemeinfreien  Landwiith  erhob  als  anderwärts.  Aber  auch 
die  alamannische  Pferdezucht  wird  gelobt').  Von  sorglicher 
Zuchtwahl  hören  wir  allerdings  nichts  0 ;  die  Pferde  liefen  in 
Wald  und  Weide  wild  umher  ^),  und  dienten  wohl  ebenso  zur 
Nahrung  wie  zum  Dienst  im  Krieg,  zur  Jagd  und  im  Gespann  *); 
aber  doch  yerstanden  die  Deutschen  es  gut,  edle  Pferde  sorg- 
sam abzulichten  und  sie  dadurch  zu  höheren  und  feineren 
Leistungen  zu  entwickeln^. 

Allgemein  und  wie  es  scheint  ziemlich  gleicbmässig  ver- 
breitet war  die  Bindviehzacht,  zur  Arbeit  auf  dem  Felde  und 
jeder  Art  von  Zugdienst  nicht  minder  wichtig,  wie  zur  Be- 
schaffung der  hervoiTagendsten  Nahi-ung  ^).  Der  schöne  Schlag 
des  alamannischen  Rinds,  durch  Kreuzung  mit  dem  (romani- 
schen?) Vieh  der  Norischen  Alpen  noch  vei-stärkt  ^),  scheint 

')  Pferdetribut  der]  Sachsen  unter  Pipin  Ann.  Laor.  a.  a.  758. 

')  Vegetios  ars  Teter.  lY,  6:  ad  bellum  Hnnniscomm  longe  prima 
docetur  utilitas  patientiae,  laboris,  frigoris,  £Etmi8  Toringos,  deinde  et  Biir> 
gundiones  iiguriae  tolerantes.  Tertio  loco  Frigiscos,  non  minus  veiocitate 
quam  continuatione  cursus  invictos.  Heerden  von  Pferden  werden  erwtimt 
in  lex  Thuring.  35,  LL.  V,  129.  S.  a.  die  Brautwerbung  des  thüringischen 
Königs  ^rmenfried,  der  weisse  Pferde  als  Brautkauf  gab,  Cassiod.  Tariet 
IV,  1. 

')  Ammian.  Marc  15,  4.    Aurel.  Vict.  de  Caes.  21,  2. 

*)  Nach  Tacitus  c.  6  waren  die  deutschen  Pferde  non  forma  nee  vdo- 
dtate  conspicui;  aber  sehr  ausdauernd.  Aehnlich  von  den  SuevenpferdeD 
Caes.  IV,  2. 

^)  Plin.  h.  n.  8,  16.  Strabo  4,  6,  10.  Bonil  epist  122,  142  eqoi 
silvaticL    S.  o.  S.  138. 

^)  Schon  1.  Sal.  38,  1 :  Si  quis  caballum  qui  cairucam  trahit,  ftuaTerit. 
Auch  als  Ackerthiere  ib.  27,  8. 

^)  Tac.  15:  electi  equi.  Sie  gaben  denselben  auch  besondre  Nases: 
8.  bes.  1.  SaL  tit  88  und  dam  Anton  I,  120. 

")  Schon  Caesar  b.  G.  IV,  1  mayimam  partem  lacte  atque  pecore 
viyunt  Ib.  VI,  22:  major  pars  victus  eorum  in  lacte,  caseo,  came  coniistit. 

")  Cassiodor  III,  50:  Ut  Alamannorum  boves,  qui  videntor  pretionorea 
propter  corporis  granditatem  —  commutari  vobis  liceat 


-    169    — 

laoge  Zeit  hindurch  der  vorzüglichste  gewesen  zu  sein  und 
wurde  wohl  auch  besonders  zur  Ausfuhr  gezüchtet  Im  all- 
gemeinen aber  scheint  die  Fleischnutzung  überwogen,  daher 
die  Au&ucht  Ton  Jungvieh  besondei'S  betrieben  worden  zu 
sein^);  Mästung  war  wohl  gänzlich  ausgeschlossen,  da  es 
ebenso  an  Stallungen  und  Futter  wie  an  Absatz  für  Mast- 
fleisch fehlte.  Butter  ^)  wurde  nur  als  Nebenproduct  gewonnen 
und  auch  die  Käsebereitung,  obwohl  zur  täglichen  Nahrung 
der  Deutschen  Käse  gehörte,  trat  jenem  Hauptzweig  der  Vieh- 
zucht gegenüber  zuiUck*).  Es  liegt  das  auch  ganz  in  der 
Weise  eines  sehr  extensiven  Yiehzuchtsbetriebs ,  dass  gerade 
derjenige  Zweig  der  bevorzugte  ist,  welcher  am  wenigsten 
Mühewaltung  und  Aufwand  der  Wirthschaft  erheischt,  am 
meisten  aber  sich  auf  die  verjüngende  Kraft  der  Natur  stützt. 
Es  mag  vielleicht  damit  zusammenhängen,  dass  überall  so  wenige 
Mutterthiere  auf  einen  Stier  gerechnet  wurden;  regelmässig 
waren  es  deren  12,  aber  auch  für  weniger  kömmt  öfter  schon 
ein  Faselvieh.  Ebenso  hat  auch  in  der  Regel  ein  Beschäler 
nicht  mehr  als  12  Stuten  zu  versorgen^),  und  unwillkürlich 
drängt  sich  wieder  des  Tacitus  Wahrnehmung  auf,  der  in  Be- 
zug auf  die  germanische  Viehhaltung  sagt :  numei-o  gaudent. 

Aber  doch  wird  während  der  ganzen  Peiiode  die  Kerde- 
und  Rindviehhaltung  an  Zahl  und  Ausdehnung  übeiTagt  von 
den  wichtigsten  Zweigen  der  Klein  Viehzucht ,  der  Schaf-  und 


^)  Das  dürfte  vielleicht  schon  in  des  Tacitus  nnmero  gandent  liegen, 
ist  aber  auch  aas  der  Art  und  Weise  zu  entnehmen,  wie  die  Volksrechte 
des  Jungviehs  gedenken;  z.  B.  1.  Sal  III— Y. 

*)  Mit  geronnener  Milch  zusammengestellt  Plin.  h.  n.  28,  85:  e  lacte 
fit  et  bntyrum,  barbararnm  gentium  laudatissimus  cibus  et  qui  divites  a 
plebe  discemat 

*)  Caes.  VI,  22;  Tac  23.  Wenn  aber  Plinius  h.  n.  XI,  96  berichtet: 
miram,  barbaras  gentes  quae  lacte  yivant,  ignorare  aut  spemere  tot  secu- 
lis  casei  dotem,  densantes  id  alioqui  in  acorem  jucundum  et  pingue  buty* 
mm  —  so  denkt  er  wohl  dabei  nur  an  die  feineren  italienischen  Rahm- 
kftae,  wie  er  sie  im  Folgenden  aufzAhlt;  s.  Hostmann  74. 

*)  L.  Sai.  88,  2.  3  Admissario  cum  gregem  &uam,  hoc  est  12  equas. 
I*.  lUp.  18,  1:  Sonesti  id  est  12  equas  cum  amissario.  L.  Alam.  77,  1 
▼accaritia  legitima,  ubi  sunt  12  vaccas  vel  amplius. 


—    170    — 

Schweinezucht.  Grosse  Schafhaltung  war  schon  wegen  der 
für  die  tägliche  Bekleidung  wichtigen  Wolle  geboten^);  aber 
auch  das  Fleisch  und  die  Milch  der  Schafe  war  für  tägli<;|ieii 
Bedarf  benöihigt  ^).  Auch  ist  unverkennbar  die  Schafhaltung 
wenigstens  im  Norden  sehr  bedeutend  gewesen').  Dass  die 
lateinischen  Urkunden  pecora  so  häufig  schlechthin  im  Sinne 
von  Schafen  gebrauchen^),  ist  vielleicht  für  die  Bedeutung 
dieses  Viehzuchtszweiges  nicht  minder  wichtig,  als  dass  das 
friesische  Gesetz  einmal  neben  dem  caballus  und  bos  nur  ovis 
ausdrücklich  benennt,  und  an  einer  andeiii  Stelle  das  Schaf 
allem  andei-n  Kleinvieh  voranstellt^).  Schon  Probus  verlangte 
von  den  Deutschen  zuerst  Geissein,  dann  Getreide,  zuletzt 
Kühe  und  Schafe «). 

Die  Schweinezucht  endlich  war  überall  in  Deutschland 
schon  durch  die  reichen  Eichenwälder  besonders  begünstigt ' ), 
und  wegen  der  bei  geringer  Pflege  grossen  Ergiebigkeit  be- 
sondere beliebt.  Die  Volksrechte  leisten  gerade  in  ihren  Be- 
stimmungen über  Schweinezucht  etwas  übriges;  mannigfache 
Namen,  und  ausserordentlich  genaue  Anordnungen  zu  Schatz 
und  Pflege  derselben  zeugen  von  der  nationalen  Werthschät- 
zung^).    Auch   hier  tritt  wieder  die  grosse  Zahl  der  männ- 


^)  Strabo  7,  1,  3  wird  durch  das  Wandern  der  Schafheerden  verleitet, 
die  Sueven  selbst  zu  einem  Wandervolk  zu  machen.  S.  Wackemagel 
Kl.  Sehr.  I,  40. 

')  PliDius  h.  n.  28,  35:  e  lacte  fit  et  butyrum,  plurimum  e  bubnUs 
et  inde  nomen:  pinguissimum  ex  ovibus. 

')  In  der  1.  Sax.  c.  66  ist  bei  der  Reduction  des  solidos  neben  dem 
Rindvieh  nur  der  Schafe  gedacht. 

*)  Eine  alte  Glosse  Casselana  F.  4  (Merkel  znr  1.  Alam.  100,  1,  LL. 
III,  81)  hat  pecora  «>  scaf.  S.  Anton  I,  135.  Hosünann  77,  welcher  aber 
S.  30  die  Schafhaltung  im  innem  Deutschland  für  nicht  sehr  verbreitet  h&lt 

«)  L.  Fris.  n,  11;  IV,  2. 

^)  Vopisc.  Prob.  c.  14 :  quibus  ille  primum  obsides  imperavit  . .  dein 
irumentum,  postremo  etiam  vaccas  et  oves. 

^)  Chlotach.  II  ed.  614  c.  21 :  Forcarii  fiscales  in  Silvas  eodesiarnm 
aut  privatorum  absque  voluntate  possessoris  in  Silvas  eonxm  ingredi  oon 
praesttmant.  c.  23:  Et  quandoqoidem  pastio  non  fuerit  mde  pord  debeaot 
saginari,  cellarinsis  in  publico  non  ezigatur. 

«)  Anton  I,  129. 


—    171     - 

liehen  Schweine  zur  Nachzucht  charakteristisch  hervor  ^) ;  doch 
pflegte  man  auch  die  Mästung  der  Verschnittenen^),  deren 
Schinken  überall  als  Delikatesse  betrachtet  wurden^). 

VeiToUständigen  wir  dieses  Bild  der  Viehzucht  noch  durch 
den  Hinweis  auf  die  nicht  unbedeutende  Ziegenhaltung  ^)  so- 
wie auf  das  Hausgeflagel,  Hühner  und  Gänse,  aber  auch  Enten, 
Kraniche  und  Schwäne^),  so  wird  auch  deutlicher,  wie  der 
Schwerpunkt  der  deutschen  Landwirthschaft  auf  jener  Pro- 
duction  lag,  die  wir  nach  unseren  Begriffen  als  höchst  exten- 
sive bezeichnen  müssen,  die  aber  sicher  der  Gesammtlage 
vollkommen  entsprach,  in  der  sich  die  capitallose,  isolirie 
Wirthschaft  der  kleinen  Landwiilhe  jener  Zeit  befand  und 
die  auch  in  grösserer  Wirthschaft  nicht  erheblich  diflFerirte. 

Dafür  ist  aber  auch  alles,  was  feineren  Betrieb,  sorg- 
samere Gultur  voraussetzt,  noch  in  den  ei-sten  Anfängen.  In 
der  1.  Salica  ältester  Fassung  ®)  ist  von  den  Gärten  und  Obst- 
bäumen, deren  Schutz  die  späteren  Texte  bestimmen^),  noch 
keine  Rede;  auch  die  lex  Alamannorum  weiss  noch  nichts 
von  Obstgärten  und  Weinbergen;  das  erste  Beispiel  für  die- 
selben in  Schwaben  ist  eine  Urkunde  aus  den  Jahren  716 
bis  720  ®).  Dagegen  war  sicherlich  der  Weinbau  in  den  Rhein- 


^)  L.  Rip.  18 :  sex  scrofas  cum  verre.  L.  Ang.  et  Wer.  87 :  Bcrofas 
6  com  verre,  qaod  dicunt  son.  L.  Alam.  81,  1:  pastor  porcarius,  qui 
habet  in  gregem  40  porcns  sagt  über  die  Zahl  der  Faselthiere  nichts  aus. 

')  Das  ist  wohl  die  Bedeutung  mi^ale  in  1.  Sal.  n,  12,  18. 

^  S.  schon  ed.  Dioclet.  de  pretio  rerum  venal.  (801)  ed.  Mommsen, 
Leipzig  1851,  welches  auch  westfälischen  und  marsischen  (belgischen) 
Schinken  taxirte :  pemae  optimae  petasonis  sive  Menapicae  vel  Cerritanae  — 
italicum  pondo  unum  viginti  denarii.    Mariscae  ital.  po.  unum  viginti. 

*)  L.  Sal.  y.  L.  Alam.  102,  5.  Ueber  Hammelfleisch  s.  Langethal, 
Gesch.  d.  Landwirthschaft  I,  150. 

^)  L.  Sal.  YII  gallus,  galina,  grux,  cicenum,  ansare,  aneda,  turtur, 
aucellum.  L.  Alam.  102,  7,  8:  Auca,  anita,  gariola,  dcunia,  corvo,  comida, 
colomba,  acetcauha. 

")  S.  Waitz,  Das  alte  Recht  der  salischen  Franken  5  ff. 

')  tit.  7  Zus.  7—10. 

*)  Tr.  Sang.  no.  8.  Doch  ist  dort  die  Erwähnung  von  Gärten  alsbald 
häufig;  z.  B.  735  no.  5;  744  no.  8-10. 


—    172    — 

gegenden  0,  aber  auch  an  der  Donau  schon  länger  eingebOrgeit, 
die  Weinbereitung  jedoch  auf  sehr  niedrer  Stufe.  Und  auch 
in  die  Gartencultur  kam  erst  in  der  folgenden  Periode  grössere 
Mannigfaltigkeit  Unter  den  Gärten  der  Merowingerzeit  wer- 
den wir  uns  im  Wesentlichen  nur  kleine  umzäunte  Rasenplätze 
vorstellen  dürfen,  die  mit  einigen  Obstbäumen  besetzt  waren 
und  etwa  noch  zur  Aufstellung  der  Bienenstöcke  dienten'). 

Im  Ganzen  charakterisirt  sich  das  Erwerbsleben  dieser 
Zeit  durch  eine  grosse  ökonomische  Abgeschlossenheit,  ja  fast 
völlige  Isölirung  der  Einzelwirthschaften ;  anfänglich  dem  Frei- 
heitstriebe und  den  individuellen  Interessen  entsprechend,  ist 
sie  doch  gar  bald  ein  nicht  beneidenswerther  Zustand  ge- 
worden. Die  Hufe  bot  eben  doch  nur  eine  schmale  Basis  der 
Existenz,  die  um  so  weniger  zureichen  wollte,  je  mehr  die 
Bedüi-fiiissmenge  einer  angewachsnen  Bevölkerung  stieg,  ohne 
dass  die  Betriebsweise  verbessert  oder  auch  nur  die  Wirth- 
schaft  entsprechend  ausgedehnt  werden  konnte.  Der  leicht 
cultui-fähige  Boden  war  bald  vollständig  besetzt-,  schwerere 
Gulturarbeit  veimochte  der  Einzelne  nicht  vorzunehmen  und  die 
freie  Genossenschaft  der  Hofbesitzer  besass  weder  Beruf  noch 
Eignung,  um  fbr  diese  Aufgaben  wirksam  eintreten  zu  können. 
Das  Wii-thschaftssy Stern  aber,  welches  die  ei*sten  Ansiedler 
betrieben,  eine  Art  Brennwirthschaft  oder  wilder  Feldgras- 

^)  Nachdem  durch  Kaiser  IVohus  i.  J.  280  der  Weinbau  am  Rheine 
eingeführt  war  (Yopisc.  c  18:  GaUis  omnibus  .  .  .  hinc  permisit  nt  vites 
haberent,  vinumque  conficerent)  wurden  die  Römer  sicherlich  auch  in 
diesem  Zweige  der  Production  die  Lehrmeister  der  Deutschen.  S.  Host- 
mann 65.  Die  1.  Salica  kennt  den  Weinbau  schon  als  etwas  lang  geHbtefl 
tit  27,  18;  35,  6.  Aber  doch  beschäftigen  sich  mehr  die  Zusfttie  mit 
diesem  Gegenstande;  bes.  tit.  7  Zus.  9:  hanc  quoque  legem  et  de  Titibog 
fnratis  observari  jussimus.  Auch  L  Rip.  60,  1  gehört  nicht  in  die  ilteste 
2ieit.  In  Baiem  schenkte  schon  Herz.  Theodo  680  Weinberge  an  der 
Donau,  deren  spftter  oft  gedacht  wird.  S.  Verhandlungen  des  bist  V.  d. 
OberpfabE  Bd.  26,  S.  39  ff.  und  Bd.  4,  S.  123. 

^)  Nach  L  B^j.  22,  1  bildeten  schon  12  Obstbäume  einen  Girten. 
L.  B^j.  22,  8  ff.  Die  Bienenzucht  gehörte  überhaupt  zu  den  wichtigeren 
wirthschaftlichen  Angelegenheiten  der  Deutschen  wegen  des  Wachses  ftr 
die  Kirchen  und  des  Honigs  ftkr  Meth.  Zeidler  in  Baiern  schon  zu  Odilo's 
Zeit;  Tr.  Lunael.  no.  88  f.    Mon.  Boic.  28a,  171.  182.  184.  186. 


—    173    — 

wirthschaft  mit  ebenso  extensiver  Viehzucht,  erwies  sich  auf 
die  Dauer  weder  nachhaltig  noch  besonders  ökonomisch;  eine 
stetige  Schwächung  des  volkswirthschaftlichen  Lebens  durch 
wachsendes  Missverhältniss  zwischen  Bedarf  und  Production 
machte  es  dann  den  grossen  Grundherrn  nicht  nur  leichter, 
sich  die  schwachen  Einzelexistenzen  zu  untei-werfen ,  sondern 
Hess  diese  Ent Wickelung  sogar  noch  als  sehr  günstig  erscheinen'). 


Ffinfter  Abschnitt. 
Ber  Güterrerkehr  und  die  nationale  Werthbildung. 

Mit  den  alten  Germanen  hatten  die  Römer  während  der 
Jahrhundeite  ihrer  WeltheiTSchaft  mancherlei  Verkehr  und 
Handelschaft  unterhalten  ^). 

Zwar  im  Anfange  scheinen  sich  die  Deutschen  ziemlich 
zurückhaltend  den  friedlichen  Ann'ähei'ungsvei'suchen  der  Römer 
gegenüber  verhalten  zu  haben').  Aber  bald  lockten  auch 
sie  die  Genüsse,  welche  die  Römer  zu  bieten  hatten*);  Wein*) 
und  mancher  Tand  zu  Schmuck  und  Kleidung  wurden  von 
ihnen  erhandelt,  und  sie  fanden  darin  gute  Gelegenheit,  die 
Ueberschüsse  ihrer  Kriegsbeute^),  Sklaven^),  Geräth  und 
Waffen,  aber  auch  Rinder')  und  Pferde')  den  römischen 
Händlern  abzusetzen. 


^)  YgL  zu  dem  ganzen  Abschnitte  sowie  auch  zu  Abschn.  1  und  3  die 
neueste  Abhandlung  von  Much  über  den  Ackerbau  der  Germanen  in  Mitth. 
d.  anthrop.  Gesellschaft,  Wien,  VIII,  203  ff.,  welche  mir  erst  bei  der  letz- 
ten Revision  dieses  Bogens  zukam. 

*)  Wackemagel,  El.  Sehr.  I,  59  ff.  J.  Jung,  Römer  und  Romanen 
8.  108  ff. 

*)  So  die  Nervier,  die  Sueben  Caes.  b.  G.  2,  15;  4,  2. 

^)  Von  den  Ubiern  berichtet  Caesar  b.  G.  4,  3:  Humaniores  sunt, 
propterea  quod  Rhenum  adtingunt  multumque  ad  eos  mercatores  ventitant 
et  ipsi  propter  propinquiiatem  gallicis  sunt  moribus  adsuefacti. 

*)  Tac.  Germ.  23,  5,  17. 

«)  Caes.  4,  2. 

^)  Tac.  Germ.  24.    Paul  Diac  I,  1. 

•)  Cassid.  var.  in,  50. 

•)  Plinius  h.  n.  11,  109. 


-    174    - 

Auch  brauchten  sie  wohl  zu  Zeiten  Erz  und  Eisen,  wenn 
gerade  längere  Ruhe  oder  ungünstiger  Ausgang  des  Kampfes 
Mangel  an  Waifen  und  Hausgeräth  erzeugt  hatten^),  während 
sie  daran  zu  andrer  Zeit  und  besonders,  seit  die  altbeiUhmten 
norischen  Eisenlager  in  die  Hände  der  Langobarden,  später 
der  Baiuwaren  gefallen,  eher  Ueberfluss  hatten  ^). 

Auch  konnten  sie  für  die  Dauer,  wenigstens  im  Grenz- 
Terkehre,  der  Münzen  nicht  entrathen  und  brachten  auch  zu 
diesem  Behufe,  wie  sie  überhaupt  schon  geldgieriger  geworden 
waren,  den  Bömei-n  ihre  eignen  Luxusartikel,  denen  diese 
eine  Zeitlang  sogar  besonderen  Modewerth  beilegten:  Zucker- 
rüben^), Fische  aus  Rhein  und  Donau ^),  Gänsefedern^),  und 
jene  Laugenseife,  mit  welcher  auch  der  ^ermane  sein  Haar 
röthlich  zu  färben  liebte  ^). 

Aber  im  Wesentlichen  war  dieser  Handelsverkehr,  so 
weit  ihn  die  Deutschen  selbst  betrieben,  doch  nur  Grenzyer- 
kehr.  Zu  weiter  Handelsfahit  bis  auf  die  römischen  Märkte 
entschlossen  sich  die  Deutschen  der  inneren  Länder  wohl 
selten;  das  Auftreten  von  Hermunduren  in  Augsburg  erregte 
selbst  das  Erstaunen  der  Römer  ^).  Römische  Eaufleute  und 
unter  ihnen  gewiss  schon  viele  Juden,  wagten  sich  des  Handels 
wegen  auch  in  das  innere  Deutschland,  als  fahrende  Händler 
sowohl,  wie  zu  bleibender  Niederlassung^). 

Auch  sind  keine  Anhaltspunkte  vorhanden,  dass  der 
Handel  in  diesen  Gegenständen  grosse  Ausdehnung  oder  auch 


*)  So  insbes.  za  Tadtas'  Zeiten,  (x  6:  ne  femun  quidem  saperest 

>)  Procop.  B.  Goth.  3,  83.    Paul  Diac.  I,  27  von  der  YorzQgiichkeit 
ihrer  Waffen. 

>)  Plinius  h.  n.  19,  28.    Nach  Anton  I,  7  Fastinaken. 

^)  Cassiod.  var.  ep.  12,  4 

0  Plin.  10,  27. 

<)  Martial  8,  82;  14,  25.  Diodor  5,  28;  Plinius  h.  n.  28,  51,  Ton 
den  Batayem  Tac.  bist.  4,  61;  von  den  Alamannen  Anunian  27,  2.  S. 
Grimm  in  Haupts  Zeitschr.  7,  460. 

')  Tac.  Germ.  41. 

«)  Schon  nach  Caesar  b.  G.  1,  39.  Tadt  hist  4,  15.  Dio  Cass. 
58,  26.    S.  a.  Eisseibach,  Gang  des  Welthandels  S.  25. 


-    175    - 

nar  grosse  Stetigkeit  und  feste  Ordnung  gehabt  hätte  ^).  Nur 
im  Getreidehandel  finden  wir  solche  Einrichtungen,  welche 
auf  stetigen  Handelsverkehr  in  einem  Theil  des  römischen 
Germaniens  sprechen.  Am  Inn  (bei  dem  Kloster  Attel  in 
Baiem)  war  ein  römischer  Proviantmeister  (fnimentarius)  sta- 
tionirt;  der  untere  Lauf  des  Inn  überhaupt  war  zur  Römer- 
zeit stark  bevölkert*). 

Am  Inn  und  an  der  Salzach  gab  es  contubemia  nautarum 
und  zu  Altenhohenau  ist  eine  alte  Anlande  beglaubigt^),  wo 
die  grösste  Getreidezufuhr  und  Anschtttt  eingerichtet  war» 
Und  auch  die  Donau  bildete  für  den  römisch- deutschen  Getreide- 
bandel  eine  beliebte  Wassei'Strasse ,  wie  noch  aus  der  Menge 
römischer  Händler  zu  erkennen  ist,  die  bis  in  die  Karolinger- 
zeit hinein  zu  Regenburg  und  Passau  wohnten^). 

Eine  Handelswaare  aber  hat  doch  schon  frühzeitig  die 
Deutschen  selbst  mächtig  zur  Handelschaft  angetrieben.  Das 
ist  der  Bernstein,  jenes  räthselhafte  Harz  der  Ostsee,  das 
schon  Jahrhunderte  vor  Christus  den  unternehmenden  Pytheas 
von  Massilien  zu  seiner  denkwürdigen  Reise  nach  jenen  Küsten 
veranlasst^),  das  von  West-  und  Oströmem  wie  von  andern 
Völkern  gleich  begehii;  und  geschätzt  war.  Den  Beinstein 
vertrieben  die  Deutschen  in  selbständigem  Handel,  wenigstens 


^)  Wenn  Tac.  Ann.  2,  62  von  den  Römern  in  der  Markomannenstadt 
sagt,  dass  sie  jus  commercii  hatten,  so  war  damit  eben  nur  ihre  rechtliche 
Gleichstelinng  mit  den  Einheimischen,  bei  denen  sie  sesshaft  waren,  mit 
dem  gangbaren  römisch-rechtlichen  Ausdruck  bezeichnet,  nicht  aber  „ein 
durch  Verträge  gesicherter  Handelsverkehr**  wie  Wackemagel,  Kl.  Sehr. 
I,  63  meint. 

s)  Castrom  Lintburc  (bei  Attel)  quod  praedara  civium  numerositate 
inhabitabatnr.  In?ay.  IIb,  850.  Mehre  urbana  loca  sind  erw&hnt  in  Mon. 
Boic  I,  266. 

^)  Das  Altenhohenauer  Mass  galt  noch  lange  Zeit  hindurch  weit 
umher;  s.  Yerh.  d.  bist  Yer.  der  Oberpfalz  III,  204.    Vita  SeTerini  passim. 

*•)  S.  Wittmann  in  den  Quellen  und  Erörterungen  zur  bairischen  Ge- 
schichte If  97.  Latini  in  Hegenshurg  hatten  noch  im  9.  Jahrh.  ihr  eignes 
Quartier  in  pago  mercatorum.  Pez  thes.  Anecd.  I,  3  p.  192.  Gemeiner^ 
Ursprung  der  Stadt  Regensburg  S.  78  ff. 

»)  Plin.  h.  n.  37,  11,  1. 


—    176     — 

bis  an  die  Grenzposten,  welche  die  Römer  im  Innern  Deutsch- 
land hatten,  wo  ihn  dann  römische  Händler  in  Empfong 
nahmen ;  aber  auch  andere  Richtungen  schlugen  sie  mit  ihrer 
kostbaren  Waare  ein ;  durch  das  Land  der  Skythen  und  Sar- 
maten  richteten  sie  ihren  Zug  nach  dem  Orient,  aus  dem  sie  anf 
diesem  Wege  immer  wieder  aufs  Neue  Culturelemente  ansogen'). 

Und  sicherlich  ist  der  deutsche  Eigenhandel  bei  diesem 
einen  Objecte  nicht  stehen  geblieben;  schon  zur  Rückfracht 
nahm  er  Producte  des  Orient  oder  des  hochcultivirten  Römei- 
reichs  mit  in  die  Heimat;  und  neben  dem  Bernstein  wurde 
wohl  auch  so  manches,  was  deutscher  Boden  oder  deutsche 
Wirthschaft  brachte,  von  ihnen  auf  weitere  HandelsEahrt  mit- 
genommen ;  Perlen  zumal  aus  den  Flüssen,  mit  denen  GriecheD- 
land  und  Rom  zuerst  von  Geimanien  her  bekannt  geworden 
sind  ^),  und  Pelze,  welche  die  Deutschen  selbst  von  den  nörd- 
licheren Völkern  bezogen^).  Aber  auch  hier  begegneten  die 
Deutschen  der  unternehmenden  ConcuiTenz  giiechischer  und 
römischer  Händler,  welche  die  gewohnten  Handelswege  des 
Bernsteins  bis  an  jene  Ostseeküsten  verfolgten  um  das  -ge- 
schätzte Kaufmannsgut  und  wohl  noch  so  manche  andre 
Waare  an  der  Quelle  zu  holen  ^). 

Dieser  älteste  Handel  der  Deutschen  mit  den  Römern 
vei-fiel  aber  mit  der  Völkerwanderung.  Sie  vernichtete  über- 
haupt die  regelmässigen  Verkehrsbeziehungen,  welche  die 
Deutschen  unter  sich  und  mit  den  Römem  besonders  während 
der  Zeit  relativer  Ruhe  und  Sesshaftigkeit  geknüpft  hatten; 
sie  hob   die  Production   des  Volkes   zum   guten  Theile  auf, 


^)  S.  die  Nachweisungen  über  die  Handelswege  des  Bernsteiiis  bei 
Wackeniagel  I,  75  und  Genthe,  Etrurischer  Tauschhandel  S.  101—110. 

')  S.  Wackemagel  I,  71.  lieber  altgennanische  Glas-  und  Thonperien 
Klemm,  Alterthumskunde  S.  66  f. 

')  Tac.  Germ.  17.    Jomandes  3. 

*)  Daher  Spuren  der  Römer  auf  jener  ganzen  nach  Italien  ffthrendeB 
Strasse:  römische  Münzen,  ja  römische  Begräbnissst&tten  und  Ucnen  in 
Schlesien,  in  Preussen  und  den  Küstenländern  der  Ostsee,  namentlich  aas 
der  Zeit  der  Antonine  und  des  Septimius  Severus,  so  dass  am  die  Mitte 
und  nach  der  Mitte  des  2.  Jahrh.  der  Handel  besonders  lebhaft  gewesen 
sein  muss;  Wackemagel,  Kl.  Sehr.  I,  76. 


—    177    — 

beschränkte  jedenfalls  den  nationalen  Gütervorrath  auf  das 
Mass  des  unmittelbaren  Bedarfs  und  vemichtete  endlich  auch 
den  üblichen  Markt  mit  der  zahlungsfähigen  Nachfrage  des 
römischen  Luxus. 

So  wurde  also  auch  von  dieser  Seite  her  jener  Zustand 
der  wii-thschaftlichen  Isolirung  befördert,  welchen  wir  fClr  die 
Merowingerperiode  im  Grossen  und  Ganzen  als  charak- 
teristische  Eracheinung  des  nationalen  Erwerbslebens  kennen 
gelernt  haben.  So  lange  er  aber  bestand,  so  lange  ist  auch 
an  einen  ausgebildeten  Güterverkehr  und  seine  volkswiith- 
schafUichen  Wirkungen  nicht  zu  denken. 

Auf  den  Gutshöfen  der  kleinen  Grundbesitzer  wurde  nur 
der  Eigenbedarf  des  Hauses  —  und  dieser  wohl  spärlich 
genug  —  producirt;  grössere  Gutswii-thschaften  mochten  wohl 
einige  Ueberschüsse  an  Producten  erzielen,  die  aber  in  erster 
Reihe  zur  Deckung  eines  dem  grösseren  Haushalt  und  grösse- 
ren Vermögen  entsprechenden  grösseren  Bedai-fs  dienten,  erst 
in  zweiter  Linie  für  den  Güteraustausch  in  Betracht  kamen. 
Und  dieser  Güteraustausch  in  natura  bewegte  sich  selbsfr- 
yerstftndlich  wieder  in  kleinen  Mengen  und  auf  engem  Ge- 
biete, wie  er  auch  sicherlich  auf  wenige  Werthformen  be- 
schränkt war. 

Höchstens  dass  dann  und  wann  ein  fahrender  Kaufinann 
die  zeitweiligen  Ueberschüsse  dieser  Bodenproduction  ankaufte, 
am  sie  auf  der  nächsten  Messe  des  verkehrsreicheren  Neustriens, 
oder  wo  er  sonst  gerade  Absatzgelegenheit  vermuthete,  wieder 
loszuschlagen;  ein  geregelter  Productenhandel  ist  dieser  Zeit 
in  Deutschland  wenigstens  eben  so  fremd,  als  etwa  eine  syste- 
matisch für  nationalen  Bedaif  arbeitende  Industrie. 

Nur  in  einzelnen  Producten,  welche  schon  während  der 
Römerzeit  für  den  Handel  Bedeutung  erlangt  hatten,  scheinen 
auch  nach  der  Völkerwanderung  Ueberschüsse  nicht  bloss  ein- 
zelner Gutswirthschaften ,  sondern  ganzer  Volksstämme  für 
den  Handel  verfügbar  gewesen  zu  sein.  Alamannische  Rinder 
und  Kühe,  sächsische  und  thüringische  Pferde  und  Leinwand, 
friesische  Gewänder  und  bairisches  Getreide  und  Salz  gehören 
zu  den  ältesten  Gegenständen  eines  Handelsverkehrs  im  inneren 

Ton  Iiiftiiift-St«rii6gg,  Wlrthschaftsgeschichte.    I.  ^  12 


—    178    — 

Deutschland^);  neben  den  Fremden  (Byzantinern,  Römern, 
Juden)  bildeten  die  Franken  die  regelmässigen  Vermittler 
zwischen  diesen  Producten  deutscher  Wirthschaft  und  den 
Gütern  des  ausserdeutschen  Productionsgebietes ,  sowie  audi 
nach  den  Gebieten  der  Wenden  und  Avaren*).  Doch  ist  der 
Sachsen  auch  ausdrücklich  als  Händler  auf  dem  Markte  von 
St.  Denys  gedacht^).  Die  Hauptmärkte  waren  deutscherseits 
Dorstadt*)  und  Stavein*^)  in  Friesland,  Ei-fiirt«)  (seit  476)  in 
Thüringen,  Worms,  Mainz,  Strassburg  am  Oben*hein,  Regens- 
burg, Salzburg  und  Loi-ch  in  Baiem ;  ausserhalb  der  deutschen 
Gebiete  Schleswig,  der  Slaven  maritimes  Emporium,  London^, 
Paris,  St.  Denys®),  Rom  und  Byzanz;  wohl  audi  schon  frühzeitig 
Nischnei- Nowgorod^),  der  Kreuzungspunkt  der  Ostsee-  und 
der  sarmatiscben  Handelswege,  die  wohl  nie  ganz  verödeten. 
Die  Wege,  auf  welchen  diese  wenigen  Lebensäusserungen 
eines  Grosshandels  gingen,  sind  «um  guten  Theile  die  natür- 
lichen Wasserstrassen  des  Rheins  und  der  Mosel,  der  Weser 
und  Elbe,  aber  auch  besonders  der  Donau,  der  wichtigsten 


1)  Eisselbach,  Welthandel  S.  87.  Einigermassen  kömmt  auch  für  den 
deutschen  Handel  die  ürk.  716  Pardessuss  II,  501  in  Betracht,  velche 
eine  Schenkung  von  Zöllen  an  das  Kloster  Corbie  enthält  und  neben  Oel 
und  verschiedenen  Gewürzen  noch  Fruchte  und  Felle  als  Handelsartikel 
au&ählt 

*)  Chron.  Fredeg.  ad  a.  623.  (Gregor  Tur.  App.  48):  Homo  qnidam, 
nomine  Samo,  natione  Francus,  de  pago  Sennonago  plures  secum  negotiantes 
adscivit  ad  exercendum  negotium  in  Slavos  cognomento  Winidos  perrezit 

")  Pardessus  Dipl.  II,  247,  ao.  629.  üeber  die  Friesen  als  Gross- 
h&ndler  s.  Gfrörer  z.  Geschichte  der  deutschen  Yolksrechte  II,  274. 

*)  Soetbeer  in  den  Forschungen  zur  deutschen  Geschichte  IV,  308. 

'^  Nach  den  niederländischen  Geschichtsschreibern  ist  die  Stadt 
Stavem  die  älteste  in  Friesland  und  wurde  i.  J.  21  von  den  Stmiem,  den 
alten  Einwohnern  von  Friesland  erbaut.  Andersen,  Gesch.  des  Hsndds 
I,  222. 

")  Nach  Angelikus  de  Werdenhagen,  de  rebus  publ.  Hanseatids.  An- 
dersen I,  250. 

^)  Tacitus  Ann.  14,  33  Londinium  cognomento  quidem  coloniae  non 
insigne,  sed  copia  negotiatorum  et  comeatuum  mazime  celebre.  Ando^en, 
Gesch.  d.  Handels  I,  225. 

»)  Dipl.  Dagobert!  629.    Pardessus  II,  247. 

»)  Kisselbach,  Welthandel  S.  35,  53. 


—    179    — 

Handelsstrasse  nach  den  Ländern  der  Avaren  und  den  Ge- 
bieten des  schwarzen  Meeres,  die  nach  dem  Oriente  weiter 
wiesen^).  Aber  doch  auch  die  hohe  See  wird  von  Friesen*) 
und  Sachsen^)  schon  frühzeitig  befahren  und  Handelsverbin- 
dungen zu  Schifif  zwischen  Deutschen  und  Wenden  auf  der 
Ostsee  einei*seits,  dem  fränkischen  Gallien  anderseits  sind  an- 
geknapft  und  gepflegt  worden. 

Von  Landstrassen  dienten  den  Deutschen  sicherlich  in 
erster  Linie  die  eben  so  zweckmässig  angelegten,  wie  dauer- 
haft gebauten  Römei-strassen,  besonders  im  Gebiete  des  Rheins 
sowie  zu  dessen  Verbindung  mit  dem  Süden  Deutschlands, 
mit  Rhätien  und  Norikum.  Ganz  spärlich  beginnt  daneben 
die  merowingische  Zeit  den  Ausbau  eines  neuen  Strassennetzes 
zur  Belebung  des  Verkehi-s  zwischen  den  neuen  Wirthschafts- 
centren  *) ;  ihre  hauptsächlichsten  Leistungen  fttr  den  Verkehr 
sind  jedenfalls  in  Gallien  zu  suchen,  wie  ja  auch  die  geregel- 
ten Transporteinrichtungen  der  scara,  angaria  und  der  para- 
feredi  in  dieser  Periode  nur  im  neustrischen  Franken  regel- 
mässig vorkommen.  Ei*st  die  karolingische  Verwaltung  leistete 
auch  hiefür  Grosses. 

Auch  der  Markt  und  seine  Einrichtung  spielt  in  dieser 
Zeit  auf  deutschem  Boden  wenigstens  noch  keine  grosse  Rolle. 
Wohl  wird  sich  an  der  grossen  Hofhaltung  königlicher  Palatien 
sowie  an  den  Bischofssitzen  und  in  den  alten  Römerstädten 
am  Rhein  und  an  der  Donau  bereits  einiger  Marktverkehr 
entwickelt    und,    ähnlich    wie    in    Neustrien,    'auch    eine 


')  Kurz,  OesterreichiBche  Handelsgeschichte  4. 

^  Fischer,  Gesch.  d.  deutschen  Handels  I,  132  ff. 

^  Sächsische  Seeräuber  bei  Sidon.  Apoll,  ep.  8,  6.  Inseln  der  Sachsen 
Greg.  Tut.  2,  19. 

*)  Einigermassen  ist  das  aus  den  verschiedenen  Wegeabgaben  zu  er- 
sehen, welche  ja  nach  allgemeinen  Grundsätzen  der  ältesten  Zeit  für  den 
flsJnis  nur  soweit  erhoben  wurden,  als  die  öffentliche  Gewalt  auch  beson- 
deres im  Dienste  des  Verkehrs  leistete;  dahin  gehören  carrigia  (carrigalia), 
saomaticam,  ped^igium  (pedaticum),  pulveraticum ,  rotaticum,  vultaticum, 
cespitaticum ,  mestaticum ,  pontaticum;  für  den  Wasserweg  insbesondere 
ezclusaticus,  plantaticus,  barganaticum,  ripaticum,  tranaticum  (trahaticum) 
8.  i.  Ah.  darüber  Falke,  Geschichte  des  deutschen  Zollwesens.    Waitz  II  605. 

12* 


—    180    — 

öffentliche  Ordnung  gefanden  haben.  Die  spärlichen  positiven 
Nachrichten  ^)  aber,  welche  darüber  auf  uns  gekommen  sind, 
verbieten  doch,  die  entwickelteren  Marktverhältnisse  des  galli- 
schen Frankens  einfach  auch  auf  die  rechtsrheinischen  Orte 
zu  übertragen.  Insbesondere  wird  es  sehr  zu  bezweifeln  sdn, 
ob  die  Marktabgaben'),  welche  in  Neustrien  auf  eine  gewisse 
Ordnung  der  Yerkehrsverhältnisse  durch  die  öffentliche  Gewalt 
schliessen  lassen,  auch  auf  den  deutschen  Märkten  zur  An- 
wendung gekommen  sind. 

Im  letzten  Grunde  aber  ist  es  der  Mangel  eines  nationalen 
Geldwesens ,  welcher  die  Entwickelung  eines  regen  Güterver- 
kehrs mindestens  ebenso  aufhielt,  als  das  lange  Verharren  im 
Naturalverkehre  sich  aus  den  primitiven  Zuständen  des  Erwerbs 
und    der  unentwickelten   nationalen  Arbeitstheilung  erklärt 

Dass  die  Deutschen  ^)  vor  und  während  der  Völkerwan- 
demng  weder  eigne  Münzen  noch  eine  Metallgeldrechnong 
hatten,  ist  als  gewiss  anzusehen;  wird  ihnen  ja  doch  von 
Tacitus  sogar  die  Werthschätzung  der  Edelmetalle  abge- 
sprochen^).   Es  wird  eben  dadurch  wahrscheinlich,  dass  sie 

^)  Es  ist  nicht  zu  Qbersehen,  dass  die  ältesten  Urkunden,  welche  ftr 
deutsche  Orte  Markt-  und  Zollprivilegien  enthalten,  fast  durchgehends  ge- 
fälscht oder  wenigstens  einer  zu  firühen  Zeit  zugeschrieben  sind;  so  ist 
ürk.  627  (Pardessus  I,  242)  ftkr  Wonns,  worin  Zoll  und  Markt  in  dvitate 
nostra  Lobdenburg  verliehen  wird,  zweifelhaft;  s.  Waitz  II,  604;  d>enso 
Urk.  682  (ib.  ü,  258)  für  Trier. 

')  Dahin  gehört  wohl  im  Allgemeinen  die  trastura  (transitora),  das 
passaticum,  der  foraticus  (telonea  de  mercatu),  sowie  das  laudaticum  und 
salutaticum,  die  besondem  Abgaben  f&r  die  Bewilligung  (laudare  -»  oon- 
sentire)  des  Marktherm  und  f&r  den  Schutz,  den  der  Marktfrieden  gewihrte. 
S.  Falke  l.  c  Waitz  11,  605. 

')  S.  dazu  i.  A«  Soetbeer  in  den  Forschungen  zur  deutschen  Qeschidite, 
Bd.  I,  n,  IV,  VI.    MQUer,  deutsche  MOnzgeschichte. 

*)  Germ.  5 :  Est  ridere  apud  illos  argentea  yasa,  legatis  et  princq»1>vs 
eorum  muneri  data,  non  in  alia  rilitate  quam  quae  humo  fingnntor.  Doch 
kann  sich  das  nur  auf  solche  deutsche  Yölkerstftmme  beziehen,  welche 
noch  nicht  im  Yerkehr  mit  den  Römern  deren  Geld  anzunehmen  gelernt 
haben:  Tac  ib.  Interiores  simplidus  et  antiquius  permutatione  meftiam 
utuntnr.  Die  Deutschen  dagegen,  welche  mit  den  Römern  im  Yeikdir 
standen,  waren  sogar  schon  geldgierig,  wie  aus  Florus  lY,  12;  Ttdt, 
Bist.  lY,  76,  Herodian  YI,  7;  I,  6  zu  ersehen  ist 


-    181    — 

unter  den  Gebrauchsgegenständen  solche  ausgewählt  haben, 
welche  durch  allgemeine,  feststehende  Anerkennung  ihrer 
Brauchbarkeit  und  eine  grosse  Gleichartigkeit  ihi'es  Vor- 
kommens geeignet  waren»  sowohl  als  allgemeines  Tauschmittel, 
als  auch  zur  Werthmessung  und  Werthbewahrung  gebraucht 
zü  werden. 

Dass  sie  für  diese  Zwecke  Vieh  von  bestimmter  Art 
(Kflhe  oder  Ochsen)  gebraucht  haben,  ist  wenigstens  in  Bezug 
auf  Tausch  und  Werthmessung  wahrscheinlich.  Es  spricht 
dafbr  nicht  nur  der  sprachliche  Zusammenhang  von  f6  (Vieh) 
und  Vermögen^)  und  die  Thatsache  eines  solchen  Werth- 
messers  bei  den  Skandinaviern  und  Angelsachsen ')  (Kuhgeld, 
Stiergeld),  sondern  es  sind  auch  bei  den  deutschen  Stämmen 
selbst  Anhaltspunkte  hiefür  vorhanden. 

Wie  schon  Tacitus')  berichtet,  dass  die  Bussen  in  be- 
stimmter Anzahl  von  Viehhäuptem  entrichtet  wurden,  so  finden 
wir  auch  noch  in  späterem  Jahrhunderten  voi'wiegende  Vieh- 
abgaben; die  Sachsen  haben  an  Chlotar  IL  einen  Tribut  von 
Kahen  zu  leisten^),  auch  Pferdebussen  kommen  bei  den 
Sachsen  vor^);  und  ihr  Volksrecht  sagt  geradezu:  der  Solidus 


^)  ülfilas  hat  in  seiner  Bibelübersetzung  statt  dQyvQ^ov  das  goth. 
iaiha  (Vieh).  Ein  althochdeatsches  Glossar  abersetst  peconia  durch  fihu. 
Im  Altsächsischen  ist  fehu,  im  Angelsächsischen  feoh,  im  Altfriesischen  fia, 
im  Altnordischen  ffi  der  gemeinsame,  gewöhnliche  Ausdruck  f&r  Geld; 
fi&giald  bedeutet  im  Altnordischen  Geldstrafe.  S.  V^ackemagel  kl.  Sehr. 
I,  55ff.    Soetbeer  a.  a.  0.  I,  S.  208ff. 

*)  Das  alte  isl&ndische  Rechtsbuch  Grftg&s  berechnet  (im  85.  Kapitel 
des  Kanpa-Balkr)  alle  Tauschwerthe  auf  der  Grundlage  des  Eugildi.  Soet- 
beer ib.  211.  Weinhold  altnord.  Leben  S.  51  £  Ueber  das  Stiergeld  der 
Angelaachsen  s.  a.  Wilda,  Strafrecht  der  Germanen  I,  831—885. 

")  Germ.  c.  21:  Luitnr  enim  etiam  homiddium  certo  armentorum 
ac  pecorum  numero;.  cap.  12:  Sed  et  levioribus  delictis  pro  modo  poena: 
equorum  pecorumque  numero  convicti  mulctantnr. 

*)  Fredeg.  Ghron.  74:  Saxones  —  quingentas  yaccas  inferendales  annis 
singolis  a  Chlotario  seniore  censiti  reddebant  * 

^  Unter  Pipin  zahlen  die  Sachsen  einen  Tribut  von  800  Pferden;  Ann. 
Met.  a.  758.    Ann.  Einhardi  758.    Thietm.  2,  18. 


—    182    — 

ist  ein  doppelter;  der  eine  einjähriger,  der  andre  ein  IGmonat- 
lieber  Ochse  0. 

Mögen  aber  Yiebbäupter  noch  lange  als  allgemeines  Tausch- 
mittel  in  Uebung  gewesen  sein,  so  ist  doch  die  Geldrechnosg 
schon  frQhzeitig  auf  der  Grundlage  von  Edelmetall  eingerichtet 
worden;  spätestens  in  der  Zeit,  in  welcher  die  Yolksrechte 
der  einzelnen  Stämme  aufgezeichnet  worden  sind. 

Für  kleinere  Werthmengen  kennt  der  nordische  Verkehr 
als  allgemeines  Tauschmittel  und  Werthmassstab  das  Vadmal, 
ein  grobes,  langhaariges  Wollenzeug  von  bestimmter  Länge, 
das  mit  dem  Kuhgeld  in  bestimmte  Relation  gesetzt  war. 
Später  kommen  Leinwandzahlungen  und  Abgaben  sowohl  bei 
Wenden  und  Ungarn,  wie  auch  in  manchen  Gegenden  Deutsch- 
lands vor').  Und  noch  manch  andere  Gebrauchsgegenstände 
finden  sich,  wenn  auch  nicht  so  regelmässig,  an  2iahlung8Statt» 
mit  vereinzelten  Functionen  des  Geldes  gegeben'). 

Für  ein  von  mehreren  behauptetes  Ringgeld  der  Deut- 
schen^) haben  wir  wohl  gar  keinen  andern  Anhaltspunkt,  als 
die  Thatsache,  dass  Edelmetallringe  und  Spiralen  vielfach  in 
ganzen  und  in  Theilstücken  in  altdeutschen  Gräbern  gefunden 
wurden^)  und  dass  alte  Dichter  die  Ringe  und  Baugen  als 
einen  Theil    des    Reichthums   der   Germanen  bezeichnen^. 

')  L.  Sazon.  ed.  Bichthofen  (LL.  Y,  c  66). 

*)  Soetbeer  I,  217  £  Die  Stelle  des  Tadtos  c  25:  fromenti  modnm 
dominus  (senro)  aut  pecoris  aut  vestis  ut  colono  ixgungit,  in  welcher 
Baumstark,  nrdeutsche  StaatsalterthOmer  S.  444,  das  scandinaTische  Yadmal 
wenigstens  in  seinen  Wnrzehi  und  seinem  Wesen  deutlich  genug  und  po- 
sitiv ausgesprochen  findet,  bezieht  sich  doch  in  keiner  Weise  auf  Gdd- 
gebrauch  oder  Oeldrechnung. 

*)  So  Gretreide  und  Honig  nach  der  lex  Sazonum.  Waffm  nach  der 
L  Bip.    S.  0.  S.  144,  Anm.  1. 

*)  Ausführlich  besprochen  bei  Soetbeer  I,  228  £L  MoUer,  Mfinige- 
schichte  I,  14. 

')  AusschliessUch  in  Norddeutschland  und  Skandinavien,  TgL  die  Ta- 
beUe  bei  Soetbeer  I,  257. 

*)  Doch  sind  es  ausser  angelsftchsischen  lauter  Gedichte  spUerer  Zeit, 
Nibelungenlied,  König  Bother,  Minnesingergedichte.  S.  die  Beispiele  bei 
Wackemagel  I,  57.  Auch  die  Erz&hlung  Widukinds  I,  5,  wonach  cb 
Sachse  mit  goldnen  Bingen  von  den  ThOringem  Land  erworben  babe^  ist 


—    183    — 

Dieselben  konnten  nun  allerdings  als  Tauschmittel  und  zur 
Werthbewahrung ,  aber  in  keiner  Weise  zur  Werthmessung 
dienen,  da  sie  weder  von  bestimmter  Grösse,  noch  von  festem 
Gewichte,  noch  in  einer  gleichförmigen  Stückelung  vorhanden 
waren,  und  jedem  Tausche  eine  Wägung  vorhergehen  musste^). 
Wir  haben  aber  auch  gar  keinen  Anhaltspunkt  dafür,  dass 
die  Deutschen  je  auf  der  Grundlage  des  Ringgelds  gerechnet 
oder  Werthe  allgemein  damit  gemessen  hätten;  und  es  hat 
demnach  die  deutsche  Wirthschaftsgeschichte  jedenfalls  ihren 
Ausgangspunkt  von  dem  ersten  Gebrauch  der  Edelmetalle  zu 
Tausch,  Werthmessung  und  Werthbewahrung  zu  nehmen,  wie 
er  sich  eben  mit  der  Begründung  des  Frankenreichs  durch 
Chlogio  und  Chlodevech  einstellte. 

Wohl  lernten  die  Deutschen  die  Verwendung  des  Edel- 
metalls zu  Geldzwecken  schon  in  der  Zeit  kennen,  in  welcher 
sie  mit  den  Römern  in  Beiilhiimg  kamen').  Aber  schon  der 
eigenthOmliche  Gebrauch,  den  sie  davon  machten,  zeigt,  wie 
wenig  sie  mit  dem  Wesen  des  Geldes  vertraut  waren.    Zwar, 


doch  za  sagenhaft,  um  die  Annahme  eines  wirklichen  Geldgebrauchs  von 
Bingen  statzen  zu  können.  Das  blosse  Wort  reipos  (Reif)  endlich,  das 
dem  tit.  44  L  Sal.  von  der  Bosse  demjenigen,  der  eine  Wittwe  ohne  die 
gesetzlichen  Formalakte  heirathet,  vorgesetzt  ist,  kann  doch  f&r  sich  nichts 
über  den  Gebrauch  von  Binggcld  aussagen,  da  ja  in  der  ganzen  SteUe  kein 
Wort  weiter  darüber  enthalten  ist. 

^)  Das  ist  das  Ergebniss  der  ebenso  mühevollen  wie  umsichtigen  und 
gewissenhaften  Untersuchung  Soetbeers. 

')  Es  wird  sich  hier  empfehlen,  des  Tadtus  klassischen  Bericht  über 
den  Geldgebrauch  der  Deutschen  im  Zusammenhang  mitzutheUen:  Germ, 
c  5:  Argentum  et  anrum  propitiine  an  irati  di  negaverint  dnbito.  Nee 
tarnen  adbOrmaverim  nuUam  Germaniae  venam  argentum  aurumve  gignere: 
quis  enim  scrutatus  est?  Possessione  et  usu  haud  perinde  adfiduntnr. 
Est  videre  apud  iUos  argentea  vasa,  legatis  et  prindpibus  eorum  muneri 
data,  non  in  alia  vilitate  quam  quae  humo  fbiguntur,  quamquam  prozimi 
ob  iisnm  commerdorum  aumm  et  argentum  in  pretio  habent,  formasque 
quasdum  nostrae  pecunlae  agnoscunt  atque  digunt:  interiores  simplidus 
et  antiquius  permutatione  merdum  utuntur.  Pecuniam  probant  veterem 
et  diu  notam,  senratos  bigatosque.  Argentum  quoque  magis  quam  aumm 
aeq^nntor,  nulla  adfectione  animi,  sed  quia  numerus  argenteorum  fadlior 
und  est  promiscua  ac  vilia  mercantibus. 


—    184    — 

um  römische  Waare  einzukaufen,  soweit  das  der  Grenzrerkehr 
mit  sich  brachte  oder  vereinzeltes  Bedttrfniss  sonst  es  erheischte, 
bedienten  sie  sich  der  gangbaren  römischen  Gold-  und  Silber- 
münzen; aber  im  Wesentlichen  begehiten  sie  nach  ihnen  um 
Schätze  zu  sammeln,  deren  Besitz  als  Mittel  für  kriegerischen 
Bedarf  oder  für  den  Zweck,  gesellschaftliche  Ueberlegenheit 
zu  behaupten,  ihnen  frühzeitig  erwünscht  war  ^).  Und  hiefür 
gaben  sie  sicherlich  dem  Golde  den  Vorzug;  römische  und 
byzantinische  Goldmünzen')  füllten  die  Schatzkammer  der 
deutschen  Fürsten,  ohne  wohl  irgend  zu  regelmässigen  Zahlun- 
gen verwendet  zu  werden  ^).  Von  Silbeimünzen  aber ,  welche 
ebenfalls  zur  Weithbewahrung  ^),  daneben  aber  wohl  auch  zu 
vereinzelten  Zahlungen  im  innem  Verkehr  gebraucht  wurden, 
schätzten  sie  am  meisten  die  guten  alten  römischen  Kaiser- 
denare mit  dem  Bilde  der  biga  oder  dem  gezahnten  Rande, 
auch  dann  noch,  als  diese  im  Römerreiche  schon  ausser  Gurs 
gesetzt  waren  ^).  In  ihnen  schätzen  sie  den  reichen  Silber- 
gehalt und  die  Vollwichtigkeit,  und  hatten  Grund  um  so  mehr 
an  ihnen  festzuhalten,  je  mehr  die  Münzpolitik  der  späteren 
Kaiserzeit  gerade  die  Denare  vei*schlechterte  ^) ;  nach  der 
Völkerwanderung  dann  und    dem  .Untergang   des  römischen 

^)  S.  Waits,  Verf.  Gesch.  I,  S09.    Soetbeer  I,  596. 

*)  Doch  bleibt  es  anffkllig,  dass  GoldmOmsen  deutschen  Fandorti  vor- 
nemlich  erst  aas  der  Zeit  Yon  CoDSiantm  L  an  in  grösserer  Aiuahl  T0^ 
kommen.  S.  Soetbeer  1, 258  ff.  über  Fände  römischer  Münsen  in  Deatscfaland. 

')  Müller,  MOnzgeschichte  I,  51  ff. 

*)  Das  ergibt  sich  schon  aus  den  vielen  Funden  römischer  Silber- 
denare, die  gar  keine  Sporen  des  Umlaufe  an  sich  tragen ;  Soetbeer  a.  a.  0. 

')  Die  Nachricht  des  Tadtus  erh&lt  eine  Bestätigung  durch  den  MQni- 
fund  zn  Niemegk  (südl.  y.  Berlin),  der  unter  74  Stücken  29  republikanische 
Denare,  darunter  4  serrati  und  eine  Anzahl  bigati  aufireist,  obschon  er 
erst  nach  dem  J.  128  vergraben  sein  kann.  Friedlftnder,  Mftrldsche  For 
schungen  YII.    Soetbeer  n,  868  f. 

^  Zur  Zeit  der  Bepublik  wurden  84  Denare  aus  dem  Pfimd  Silber 
ausgebracht,  der  Denar  also,  da  das  römische  Pfimd  827  Gramm  vog, 
ungefÄhr  zu  8.9  Gramm;  nach  der  ersten  Reduction  unter  Nero  gingeo 
96  Denare  auf  das  Pfund;  der  Denar  war  also  etwa  8.4  Gramm  sdiwer: 
▼on  da  an  mehr  oder  minder  knapp  und  nicht  immer  von  gleicher  Feinheit, 
aber  doch  nach  dem  gleichen  Fusse;  seit  der  Mitte  des  8.  Jahih.  aber 
sank  der  Denar  in  rascher  Progression  zu  einer  immer  werthloseren  BiUoo- 


~    185    - 

Westreichs  fehlte  überhaupt  für  die  wirthschaftlich  isoliiten 
deutschen  Stämme  jeder  namhafte  Zufluss  von  aussen ,  durch 
den  sie  ein  Münzwesen  auf  anderer  Grundlage  hätten  ent- 
wickeln können  ^).  NatürUch  schmolz  nun  der  VoiTatb  an 
solch  älteren  Silberdenaren  immer  mehr  zusammen  und  konnte, 
wo  eine  Ergänzung  des  Abgangs  fehlte,  nicht  zur  Ausbildung 
eines  6eldverkehi*s  beitragen;  ebensowenig  genügte  er  aber 
an  sich  zur  Ausbildung  einer  Geldrechnung,  die  allgemein 
an  Stelle  der  ältesten  Naturalweithrechnung  hätte  treten 
können;  auch  daraus  wird  es  wahrscheinlich,  dass  die  inner- 
deutschen Völker  lange  Zeit  nach  erlangter  Sesshaftigkeit 
noch  keine  Geldbewerthung  der  Verkehrs-  und  Genussgüter 
entwickelten. 

Nur  bei  den  salischen  Franken,  welche  durch  ihre  Er- 
oberungen im  römischen  Gallien  schon  im  5.  Jahrhunderte 
mit  den  Römern  in  lebhaften  Beziehungen  standen,  erscheint 
auch  schon  früh  eine  Rechnung  nach  Metallgeld  ausgebildet, 
welche  auf  der  Grundlage  des  römischen  Gewichts-  und  Münz- 
systems eingerichtet  wurde.  Das  Währungsmetall  biefür  bil- 
dete das  Gold  und  zwar  war  der  Goldsolidus  nach  dem  Con- 
stantinischen  Münzfusse,  72  Stücke  auf  das  römische  Goldpfiind, 
die  Hauptmünzsorte').  Da  nun  das  römische  Goldpfiind  ca. 
327  Gramm  wog^),  so  war  der  Metallgehalt  des  Solidus  etwa 
4V,  Gramm  Gold*). 

mfinze  and  schüessUch  m  einem  winzig  kleinen  Weisskupferst&ck  herab. 
Soetbeer  ib.  264. 

')  Im  nördlichen  Dentschland  und  in  den  OstBeelftndem  sind  übrigens 
die  römischen  und  byzantinischen  Goldmünzen  des  5.  und  6.  Jahrhunderts 
(Anfang)  noch  verhältnissmäSBig  häufig.    Soetbeer  I,  267. 

')  Das  ist  durch  die  zahlreichen  Funde  Ton  Merowinger  Goldmünzen 
erwiesen,  welche  in  Schrot  und  Korn  sowie  im  Typus  den  gleichzeitigen 
kaiserlichen  Solidis  entsprechen.    Soetbeer  I,  600  ff. 

*)  Dieses  Gewicht  (genau  827.4,  Gr.)  ist  durch  Böckh's  meteorologische 
Stadien  festgestellt,  denen  sich  auch  Mommsen  und  Soetbeer  anschliessen. 
Die  kleinen  Unterschiede  in  der  Berechnung,  welche  bei  Gu^rard  (826  Gr.) 
und  Qadpo  (825  Grr.)  vorkommen,  können  für  die  Bestimmung  des  Gold- 
gewichts des  Solidus  wohl  ausser  Betracht  bleiben,  lieber  ältere,  stärker 
diffenrende  Annahmen  s.  Gu^ard  Irminon  I,  109  ff. 

*)  Genau  4.55  Gramm  oder  Va  Unze. 


—    186    — 

Auf  diesen  Goldsolidus  rechneten  nun  die  salischen  Franken 
40  Silberdenare,  wobei  sie  sich  wahrscheinlich ,  wie  die  Van- 
dalen ,  Ostgothen ,  Westgothen  und  Langobarden ,  an  die  rö- 
mische Siliqua  anschlössen^).  Diese  war  zwar  ursprOn^ch 
nur  der  24.  Theil  eines  Goldsolidus'),  wurde  aber  in  der 
späteren  Kaiserzeit  nach  einem  viel  leichteren  Münzfusse  aas- 
gebracht, so  dass  in  dem  fränkischen  Denare  nur  der  that- 
sächliche  Metallgehalt  der  Siliqua  beiücksichtigt  erscheint^). 

Das  ist  das  Münzsystem,  welches  die  Salier  in  ihrem 
Rechtsbuche  anwendeten,  vielleicht  erst  gleichzeitig  mit  dessen 
schriftlicher  Redaction  einfühlten.  Wenigstens  ist  es  sehr 
wahrscheinlich,  dass  auch  die  salischen  Franken  im  5.  Jahr- 
hundeit  noch  12  römische  Silberdenare  einem  Goldsolidus 
gleichstellten,  wie  das  von  den  andern  deutschen  Stämme 
nachweisbar  ist  ^).  Der  Solidus  und  der  Denar  dienten  übrigens 
den  salischen  Franken  nicht  bloss  zur  Werthberechnung, 
sondern  waren  effective  Münzen ;  für  den  Solidus  ist  diess  durdi 
zahlreiche  Funde  seit  Chlodovech  I.  ^)  und  durch  die  Mitthei- 

^)  Soetbeer  I,  278  £  Die  ältesten  lateinisch-deatschen  Glossen  abe^ 
tragen  meistens  das  Wort  siliqna;  z.  B.  Beichenaa  siliha:  nomisma;  S. 
(JaUen  silihha:  nummi.  Pariser  dentsches  Glossar  numi  percussa:  sflihha 
durohslagen,  das  ist  pfieuitinc. 

*)  Isid.  XVI,  24:  vigesima  qoarta  pars  solidi  ab  arboris  (siliqaae) 
semine  vocabolam  tenens. 

")  Nach  dem  gesetzlichen  Münzfosse  soUten  144  süiqnae  ans  dem 
Silberpfonde  aasgebracht  werden,  die  siliqna  also  2.27  Gramm  Silber  ent- 
halten haben,  wenn  die  Werthrelation  von  Gold  zn  Silber  in  der  Zeit 
Constantins  auf  1:12  angesetzt  wird.  Es  enthielt  aber  die  siliqua  tfaat- 
sftchlich  anter  Valentinian  L  cc.  2  Gramm,  anter  Honorins  oc.  1.70^  mrter 
Jastinos  ond  Jnstinian  1.30' Gramm  and  es  treffen  darnach,  unter  Aofredit- 
erhaltung  der  obigen  Werthrelation  von  Gold  za  Silber  aaf  das  Silber- 
pfnnd  statt  144  nun  164  siliquae,  dann  192  und  251  St&cke  oder  anf  den 
Goldsolidus  statt  24  nun  27,  dann  32  und  endlich  42  siliquae. 

«)  S.  Soetbeer's  BeweisfiQirung  S.  546  ff.  unter  Bezugnahme  auf  den 
Münzfund  im  Grabe  König  Childerichs  zu  Toumay. 

^)  Die  Münzen  Chlodovechs  und  seiner  Söhne  sind  aUerdings  nicht 
sicher  zu  bestimmen,  da  das  Merkmal,  welches  sie  ?on  den  unter  Qmr 
Begierung  geschlagnen  KaisermOnzen  unterscheidet,  nur  in  dem  noAr 
masslichen  Anfangsbuchstaben  ihres  Namens  C^O  (Chlodovech  —  cobiqI?) 
und  T  (Theodorich)  besteht    S.  Müller,  S.  77  ff 


-    187    — 

langen  des  Procopius^)«  ^^  ^^^  Denare  insbesondere  durch 
das  salische  Volksrecht  *)  selbst  hinlänglich  festgestellt,  obwohl 
für  die  älteren  Zeiten  des  Frankenreichs  eine  selbständige 
Prägung  von  Denaren  nicht  nachweisbar  ist. 

Neben  ihnen  und  für  den  Verkehr  von  besonderer  Wich- 
tigkeit war  der  Goldtriens,  der  dritte  Theil  des  Solidus'); 
auch  gingen  wohl  kleine  Scheidemünzen  aus  Billon  und  Kupfer 
mit  römischem  Typus  noch  in  den  fränkischen  Geldverkehr 
über,  obwohl  positive  Quellenzeugnisse  hiefür  fehlen^);  doch 
sind  merowingische  Kupfermünzen  von  der  allergrössten  Selten- 
heit, was  sich  aus  der  bekannten  allgemeinen  Abneigung  der 
gennanischen  Völkerschaften  gegen  Kupfergeld  erklärt^),  die 
ihrerseits  wieder  darauf  zurückzuführen  sein  wird,  dass  die 
Deutschen  das  römische  Geld  vielmehr  zur  Aufbewahrung  als 
zum  Umsatz  von  Werthen  benutzten.  Aber  nicht  lange  scheint 
diese  Ordnung  des  fränkischen  Münzwesens  gewählt  zu  haben. 
Nachdem  sich  die  fränkischen  Könige  von  dem  Einfluss  des 
oströnüschen  Kaiserthums  freigemacht  hatten,  gingen  sie  auch 
im  Münzwesen  ihren  eignen  Weg;  sie  verliessen,  wenn  auch 
vorsichtig,  den  alten  römischen  Typus  ^),  indem  sie  an  Stelle 


^)  De  beUo  Gothico  m,  33.;  s.  o.  S.  170. 

*)  Tit  44  de  reipus  c.  1 :  Et  tone  ille  qai  vidaam  acdpere  debet,  tres 
solidos  aeque  pensantes  et  denario  habere  debet  Et  tres  erunt,  qui  solidoB 
iUias  pensare  vel  probare  debent  Auch  im  1.  Capitulare  zur  L  SaL  XI, 
10  (LL.  n,  3)  heisst  es:  63  solidos  cnlpabilis  judicetnr,  similiter  et  dena- 
rimn  uniim . . . ;  100  soL  et  dinariom  pro  ipsa  componat 

")  L.  SaL  4,  1:  7  dinarios  qai  ftdont  medio  trianti;  35,  3,  Zus.  1: 
solidum  1  et  triante  1;  88,  5,  Zus.  4:  et  pro  quisqae  jnmento  triante 
I  componat  Decretio  Chüdeberti  c  6  (LL.  I,  7):  Si  serras  minus  tremisse 
iiiTola?erit  Von  den  1300—1400  bekannten  Typen  meroinngischer  Gold- 
mtknaen  sind  bei  weitem  die  mdsten  sog.  Trienten. 

*)  üeber  die  Scheidemünze  der  Merowinger  s.  MOUer  S.  238,  207. 

')  Soetbeer  I,  636. 

")  Soetbeer  I,  601  unterscheidet  nach  der  äussern  Beschaffenheit  der 
merowingischen  Goldmtknzen: 

1.  Münxen ,  aof  denen  noch  die  Namen  der  oströmischen  Kaiser  sich 
finden,  die  aber  sonst  dorch  ansdrQcldiche  Besdchnnng  Ihren  fränkischen 
üztpmng  darthun. 

2.  Mflnzen,  welche  den  Namen  eines  fränkischen  Königs  tragen  und 


—    188    — 

des  kaiserlichen  Namens  ihr  eignes  Monogramm,  sp&ter  ihren 
vollen  Namen,  ja  wohl  auch  ihr  Bildniss^)  .auf  die  Münzen 
setzen  Hessen;  auch  haben  sie  eine  Aenderung  des  Münz- 
fiisses  vorgenommen,  indem  sie  aus  dem  Goldpfunde  84  statt 
wie  hisher  nur  7i  Goldsolidi  prägen  Hessen  *). 

Wann  und  in  welcher  Weise  diese  Veränderung  vor  sich 
ging,  ist  nicht  mit  Sicherheit  zu  bestimmen,  da  von  der  That- 
sache  selbst  nur  die  erhaltenen  Merowingermünzen,  aber 
keinerlei  Gesetze  oder  urkundliche  Nachrichten  Kunde  geben. 
Die  Denare  sind,  wie  es  scheint,  von  dieser  Veränderung  un- 
berührt geblieben ;  nach  wie  vor  werden  40  Silberdenare  gleich 
einem  Goldsolidus  gerechnet'),  und  auch  in  den  erhaltenen 
Stücken  lässt  sich  nicht  jener  Gewichtsunterschied  consta- 


aosserdem  entweder  den  gewöhnlichen  Revers  der  damaligen  oströmischen 
GoldmOnzen  oder  den  Namen  eines  MOnzers  oder  eines  Ortes  ond  ver- 
schiedene Embleme  (Engel,  Kreuz  etc.). 

8.  MOnzen,  die  eine  spedelle  sachliche  Bestimmung  in  der  Aufschrift 
kundgeben,  wie  moneta  palatii,  racio  fisd  etc.  und  daneben  den  Namen 
des  MOnzers  und  Ortes. 

4.  Münzen,  die  nuc  den  Namen  eines  MQnzers  tragen  mit  Angabe  des 
Orts  der  Prftgung. 

^)  Das  scheint  bei  jenen  merowingischen  Goldmünzen  der  Fall  so 
sein,  welche  den  allgemein  üblichen  Kopf  auf  der  Aversseite  mit  den 
langen  Haarschmuck  der  fränkischen  Könige  darstellen.    Soetbeer  I,  601. 

*)  Die  thats&chlichen  Anhaltspunkte  für  diesen  Wechsel  des  Munt- 
ihsses  sind: 

1.  die  Gewichtsdifferenzen  der  ältesten  und  der  späteren  Merowinger- 
Bolidi:  während  die  ersteren  im  Mittel  ungefähr  4.55  Gr.  schwer  sind,  be- 
trägt das  Durchschnittsgewicht  der  letzteren  (etwa  seit  584)  nur  d.S8  Gr. 

2.  Die  späteren  Solidi  und  Trientes  haben  häufig  die  Zahlen  XU 
und  Vn,  womit,  wie  angenommen  wird,  ausgedrückt  sein  soll,  dass  die 
neuen  Solidi  nur  mehr  den  Werth  von  21,  die  neuen  Trientes  tos  7 
siliquae  enthalten,  anstatt  der  nach  dem  Constantinischen  Fusse  bis  dahin 
festgehaltnen  24  und  8  Siliquen.  8.  die  ausführliche  Darlegung  bä  Soet- 
beer I,  617  ff. 

*)  Dass  diese  Rechnung  bis  auf  Pipin  fortdauerte,  ersehen  wir  noch 
ans  dem  Beschlüsse  des  Condls  zu  Rheims  v.  813,  womach  der  EiiBsr 
ersucht  wurde:  ut  secundnm  statutum  b.  m.  d.  Pipini  misericordiam  boMt, 
ne  solidi  qui  in  lege  habentur,  per  40  denarios  discurrant 


—    189    — 

tiren,  wie  er  zwischen  den  Goldsolidi  und  Trientes  älteren 
und  jüngeren  Gepräges  hervortritt  *). 

Diese  Erleichterung  des  Münzfiisses  gehört  jeden&lls  der 
zweiten  Hälfte  des  6.  Jahrhundert^s  (vor  585)  an  *),  und  es  ist 
nicht  unwahrscheinlich,  dass  sie  bald  nach  Erlangung  voller 
Selbständigkeit  der  fränkischen  Könige  von  oströmischem  Ein- 
flüsse angeordnet  oder  durch  die  Münzpraxis  autonom  ein- 
gef&hrt  wurde.    Die  begleitenden  Umstände  sind  aber,  ebenso 
wie   die   leitenden  Giünde   dieser  Veränderung   unbekannt; 
mehr  als  durch  politische  Vorgänge')    scheint  sie  durch  die 
Verschiebung  veranlasst  worden  zu  sein,   welche  im  Werth- 
verhältnisse  von  Gold  und  Silber  eintrat;  möglich,  dass  auch 
das  Angeld ,  welches  für  die  gallischen  Solidi  gegenüber  den 
gleichzeitigen  Kaisermänzen ,  trotz  gleichen  Münzfusses  sich 
erhielt,  die  fi-änkischen  Könige  veranlasste,  die  Ausmünzung 
mit  der  usancemässigen  Geltung  in  Einklang  zu  bringen^). 

Zur  Zeit  des  Kaisers  Augustus,  also  auf  dem  Höhepunkte 
römischer  Weltherrschaft,  als  alles  Geld  der  Erde  in  Rom 
seinen  Sammelplatz  und  Mittelpunkt  hatte,  war  dieses  Ver- 
hältniss  wie  1:11%^)  ^"id  scheint  sich  auch  darnach  noch  ge- 
raume Zeit  auf  diesem  Stande  erhalten  zu  haben.  Ja  es  ergibt 
sich  aus  dem  Metallgehalte  der  ältesten  fi-änkischen  Goldsolidi 
und  deren  constanter  Repräsentanz  durch  40  Silberdenare  sogar 
eine  Ermässigung  dieses  Verhältnisses  auf  1:10;  und  dieses 
findet  allerdings  auch  in  der  allgemeinen  Weltlage  wie  in 
dem  überwiegenden  Geldgebrauche  jener  Zeit,    der  sich  im 


^>  Ja  es  findet  sich  hier  sogar  eine  Gewichtssteigerang,  indem  die 
ältesten  Merowingerdenare  im  Mittel  nur  1.16,  die  späteren  dagegen  1.37  Gr. 
schwer  sind.  Aber  freilich  ist  onsere  Eenntniss  der  Merowinger  Denare 
überhaupt  noch  mindestens  ebenso  ungenügend,  wie  die  Prägung  derselben 
schwankend  und  ungenau  war.    S  Soetbeer  I,  626  £ 

^  Soetbeer  1,  624  nimmt  die  Regierung  Justin  II  (565—578)  an. 

')  Die  ältere  Annahme  (Gu^rard,  Müller  u.  a.),  als  hänge  diese  Yer- 
ändemng  des  Münzfusses  mit  der  Erhebung  des  burgundischen  Präten- 
denten Gundobad  zusammen,  ist  schon  von  Soetbeer  I,  621  fil  widerlegt 

*)  Das  ist  Soetbeer's  Erklärung  dieser  Thatsache  I,  625. 

'^  Mommsen,  Geschichte  des  römischen  Münzwesens  S.  766. 


—    190    — 

5.  und  6.  Jahrhundert  ganz  yomehmlich  auf  Gold  einrichtete, 
einige  innere  Wahrscheinlichkeit^). 

Aber  schon  nach  einiger  Zeit  mussten  sich  die  Verhält- 
nisse in  ihr  Gegentheil  verkehren.  Nachdem  das  Bomerreieb 
im  Westen  vernichtet  und  die  Schätze  der  alten  Weltherrschaft 
theils  ihren  Weg  nach  dem  Orient  gefunden  ^),  theils  von  den 
Barbaren  verschleppt  waren,  hörte  auch  der  beständige  Gold- 
abfiuss  auf,  an  dem  sich  die  Provinzen  gross  und  reich  ge- 
sogen hatten  ^) ;  überhaupt  beginnt  durch  die  Völkerwanderung 
ein  unverkennbarer  Rückgang  der  Volks wirthschaft  in  ganz 
Europa;  und  damit  war  auch  ein  vermindertes  Geldbedflrfniss 
gegeben,  das  sich  zunächst  allerdings  in  relativem  Ueberfluss 
des  vorhandenen  Goldes,  alsbald  aber,  theils  als  Folge  unter- 
lassener Neuprägung^),  theils  durch  die  positiven  Verluste 
während  so  unsichrer  Zeit  und  durch  Abfiuss  nach  Italien,  dem 
Orient  und  nach  England,  endlich  wohl  auch  durch  die  Ab- 
nutzung im  zweihundertjährigen  Umlauf,  in  Minderung  des 
werthvollsten  Edelmetalls  äusserte  ^).  Von  einheimischer  Gold- 
production  dieser  Zeit  haben  wir  keine  Kunde  ^;   jedenfalls 


*)  Besonders  wird  hier  die  ungebeure  Goldmenge  in's  Gewicht  Men, 
welche  König  Theodebert  I.  theils  von  den  Ostgothen  (20  Centner  Gold  — 
das  Material  zu  144,000  Solidi),  theils  sonst  aus  Italien  anf  seinen  Kriegs* 
Zügen  gewann;  Procop.  de  hello  Goth.  I,  c.  13.  Gregor.  Tor  m,  S2.  S. 
Soetheer  I,  615. 

*)  Nach  den  bekannten  Berechnongen  von  Jacobs  soU  der  Umlauf  des 
Goldes  innerhalb  der  Grenzen  des  römischen  Reiches  in  der  Zeit  tob 
Augiistus  bis  zu  den  mohammedanischen  Eroberungen  in  Syrien  und 
Egypten  von  9  auf  2  Milliarden  Francs  sich  verringert  und  beim  Auftreten 
der  Araber  nur  mehr  825  Mill.  betragen  haben. 

')  Die  Westgothen  unter  Alarich  hatten  im  J.  410  3000  iL  Gold  and 
80.000  i6,  Silber  von  Rom  nach  Südgallien  und  Spanien  weggescUqrpt 
Zosimus  bist.  V,  41. 

*)  Zwar  wurden  Goldsolidi  unter  allen  Merowingerkönigen  geprägt: 
aber  doch  scheint  keiner  der  spätem  mehr  die  reiche  Münzthätigkeit  Theo- 
deberts  L  erreicht  zu  haben. 

«)  S.  a.  Soetheer  IV,  254. 

•)  Die  Nachricht  des  Procop:  Kai  vvv  iv  ry  Idgilartp  rw  tnnuio* 
dydUva  ^t<6fA€voit  vofiigfia  xo  /Qvaovv  ix  rtiv  iv  rdXXot'g  uitdll^f^  ^^' 
nolfivTM  ist  eine  durch  keine  positiven  Anhaltspunkte  gestützte  Annahme- 


—    191    - 

war  sie  unbedeutend  und  ging  immer  mehr  zurQck ,  je  mehr 
die  Wirthschaft  des  Volkes  verfiel. 

Auch  das  thatsächlich  vorgefundene  Gewicht  der  Gold- 
und  Silbermttnzen  späterer  Zeit   bietet  für   diese  Annahme 
einen  Anhaltspunkt     Denn  das  mittlere  Gewicht  des  Gold- 
solidus  leichterer  Prägung  ist  ca.  3.88  Gramm,  das  des  mero- 
wingischen  Denai-s  aus  dieser  Zeit  ca.  1.87  Gramm,  so  dass 
sich  das  Verhältniss  von  Gold  und  Silber  darnach  wie  1 :  142 
berechnet  ^).    Jedenfalls  wäre  eine  derartige  Verschiebung  des 
Werthverhältnisses  hinlänglicher  Grund  zu  einer  solchen  Aen- 
dening  des  Münzfusses  gewesen;   die  Verändei-ungen ,  welche 
eich  auf  diesem  Punkte  ergaben,  mussten  sich  bei  dem  Ankauf 
der  MUnzmetalle   rasch  und   entscheidend  fühlbar    machen; 
denn  eine  Differenz  von  auch  nur  11.7%,    ^o  si®  der  Er- 
leichterung des  Münzfusses  von  72  auf  84  Solidi  entspricht, 
konnte  auch  bei  wenig  ausgebildetem   kaufinännischen  Geiste 
Ton   den  Münzern  und  der  Gesetzgebung  nicht   unbemerkt 
bleiben;  auch  lag  es  nahe,  die  nothwendige  Veränderung  des 
Münzfusses  am  Solidus   und  nicht  am  Denar  vorzunehmen; 
denn  die  Hauptmünzsorte  muss  zunächst  immer  den  wahren 
Werthverhältnissen  der  Edelmetalle  entsprechen,    um    ihren 
Werth  und  Curs  zu  behaupten,    während  die  voUe  Ueber- 
einstimmung  der  Scheidemünze  —  und  das   war  in  der  Zeit 
der  herrschenden  Goldwährung  der  Silberdenar  —  viel  weniger 
von  Wichtigkeit  ist 

Aber  auch  bei  den  übrigen  deutschen  Stämmen  ist  Gold 
die  Grandlage  der  Metallgeldrechnung  geworden;  und  zwar 
diente  derselbe  Goldsolidus,  wie  ihn  die  Franken  hatten,  als 
Hauptmünzwerth  ^) ;  es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  er  gerade 
durch  das  Uebergewicht ,  welches  sich  die  Franken  bald  er- 
warben,   allgemeine    Verbreitung    wenigstens   zur   Rechnung 


Nach  Schöpflin  Als.  ill.  I,  29  soll  seit  dem  5.  Jahrh.  das  Waschgold  des 
Bhems  yorkommen. 

^)  Auch  Müller,  MOnzgeschichte  p.  324  nimmt  ftir  die  zweite  Periode 
des  merowingischen  M&nzwesens  das  Verhältniss  zu  1:14.44  &Q* 

*)  Soetbeer  n,  813  ff. 


-    192    — 

fand^).    Jedenfalls  sind  die  Busssätze  und  Werthbestimnnin- 
gen  der  verschiedenen  Yolksrechte  in  solch  innerer  lieber- 
einstimmung,  dass  die  Annahme  einer  verschiedenartigen  Geld- 
rechnung ganz  ausgeschlossen  ist.  (S.u. S.  196).  Thatsächlichen 
Gebrauch  von  dieser  Goldmünze  scheinen  die  rechtsrheinischen 
Deutschen  allerdings  fast  gar  nicht  gemacht  zu  habend,  wie 
sie  ja  auch  nicht  eine  einzige  Münzstätte  besassen;   zu  den 
wenigen  Zahlungen,    welche  im   täglichen  Leben  vorkamen, 
verwendeten  sie  nach  wie  vor  die  alten  vollwichtigen  römischen 
Silberdenare  (serrati,  saigae),  von  denen  sie  12  auf  den  Gold- 
solidus  rechneten^).      Hätten    dieselben  in  ihi-em   effectiven 
Silbergehalte  wirklich  einem  Goldsolidus  entspi'echen  sollen, 
so  musste  ein  solcher  Denar  nach  dem  älteren  schwereren 
.Solidus  bei  einer  Relation  von  1:10  einen  effectiven  Gehalt 
von  3.77  Gramm  Silber,  nach  den  neueren  leichteren  Solidi 
aber  bei  einer  Relation  von  1:11. 7  den  gleichen,   bei  einer 
Relation  von  1:14.2  aber  einen  Feingehalt  von  4.59  Gramm 
haben.    Solch  genaue  Congruenz  des  Silbergehalts  von  12  De- 
naren mit  dem  effectiven  Werth  eines  Goldsolidus  ist  aber  in 
keiner  Weise  anzunehmen.     Denn  für  die  rechtsrheinischen 
Deutschen  war  ja  der  Goldsolidus  nur  Rechnungsgeld;   ihre 


M  Die  älteren  Meinungen  von  einem  SilbersoUdus  der  rechtsriieiiii* 
sehen  Deutschen  und  von  der  Einheit  des  Denars  (Gudrard,  M&ller  o.  i^) 
sind  jetzt  wohl  yoUstftndig  überwunden. 

*\  W^enigstens  sind  keine  entsprechenden  MOnzfunde  gemacht  worden. 
Soetbeer  II,  820.  Auch  die  Yolksrechte  lassen  deutlich  erkennen,  dass 
die  Beschaffung  von  Edelmetallgeld  nicht  leicht  möglich  war:  L  Alant 
55,  8:  Dotis  enim  legitima  40  solidis  constat  aut  in  auro  aat  in  mancqiiia 
aut  quäle  habet  ad  dandum.  L.  Bai,  I|  9:  Si  aurum  non  habet»  donet  iha 
pecunia,  mandpia»  terra  vel  quicquid  habet,  usque  dum  impleat  Ebenso 
ist  Uk  zahlreichen  Urkunden  die  Ersetzung  des  Metallgelds  durch  andere 
Gebrauchsgegenstftnde  zugelassen  und  damit  der  vorherrschende  Natural- 
verkehr  bestätigt    S.  a.  S.  162,  194. 

^)  Diese  Rechnungsweise  wird  in  der  1.  Ripuar.  86  (allerdings  ein 
späterer  Zusatz)  als  antiquitus  constitutum  bezeichnet  Auch  schon  der 
Pact  Alam.  III,  8  hat  saiga,  ebenso  Add.  ad  leg.  Hloth.  102,  5.  L.  AL 
Karol.  VI,  2:  Saiga  autem  est  quarta  pars  tremissi,  hoc  est  denarias  mms. 
L.  B%j.  y,  1 ;  Xin,  4;  XIV,  9,  10;  IX,  2  una  saica,  id  est  8  densrios 
(siehe  darüber  unten);  I,  8. 


-     193    - 

Silberdenare  durch  langen  Umlauf  sehr  stark  abgenutzt;  und 
bei  dem  Mangel  eigner  Ausmünzung  kein  Mittel  vorhanden, 
um  diese  Congruenz  der  Silber-  und  Goldmünzen  beständig  zu 
erhalten;  auch  war  wohl  hie  Genauigkeit,  welche  die  Deutschen 
jener  Zeit  in  ihrer  allgemeinen  Güterbewerthung  anwendeten, 
viel  zu  gering,  als  dass  sie  sich  hiezu  besonders  angetrieben 
gefbhlt  hätten. 

Vielmehr  wurden  die  Silberdenare,  welche  ja  von  diesen 
deutschen  Stämmen  ebensowenig  wie  die  Goldsolidi  geprägt 
wm*den,    der  Hauptsache   nach  in  späterer  Zeit  selbst  nur 
Rechnungsgeld;  und  so  musste  ihnen  bald  ein  conventioneller 
Werth  beigelegt  werden,  der  auf  die  Veränderungen  der  Re- 
lation zwischen  Gold  und  Silber  um  so  weniger  Bücksicht 
nahm,   je  weniger   das   Wii-thschaftsleben    dieser   deutschen 
Stämme  Berührung    mit  dem    grossen  Handelsverkehre  der 
übrigen  Welt  hatte.    Die  vorgefundenen  Kaiserdenare,  welche 
wahrscheinlich  in  dieser  Zeit  die   spärlichen  Umlaufsdienste 
bei  den  innerdeutschen  Stämmen  versahen,    haben   aber  ein 
mittleres  Gewicht  von  S.gs   Gramm,  so  dass  sie,    wenn  wir 
^8   Gramm  als  durchschnittliche  Quote   der  Abnutzung  und 
Gewichtserleichterung  durch  Oxydation  annehmen,  immerhin 
angefähr  jener  Relation  von  1:11.7  entsprechen  und  wohl  auch 
bei  einer  fbr  Silber  noch  ungünstigeren  als  brauchbares  Geld 
im  Eleinverkehre  erscheinen  konnten. 

Schon  aus  diesem  beträchtlichen  Metallgehalte  der  kleinsten 
Münzen  ergibt  sich,  dass  dieses  Münzwesen  dem  täglichen 
Bedarfe  wenig  zu  entsprechen  geeignet  war.  Aber  auch  das 
Münzsystem  der  fränkischen  Könige  erwies  sich  immer  weniger 
brauchbar,  je  mehr  seine  Münzen  in  ihren  Gewichten  vom 
gssetzlichen  Fusse  abwichen')  und  je  mehr  Silber  ein  that- 


*)  Die  merowingischen  Goldtrientes  der  zweiten  Epoche,  welche  einen 
Gehalt  von  1.29  Gramm  haben  sollten,  schwanken  thats&chlich  zwischen 
0.90  (Chlotar  n.)  and  1.38  Gramm  (Dagobert  I),  und  nehmen  im  Ganzen 
bedeutend  im  Gehalte  ab.  Die  Merowinger  Denare,  deren  legaler  Gehalt 
1.16 — 1.38  Gramm,  je  nach  dem  Werthverhältniss  zwischen  Gold  und 
Silber,  sein  sollte,  gehen  bis  0.80  Gramm  herab  und  erreichen  in  einzelnen 
Stücken  die  Schwere  von  1.  54  Gr.    S.  Soetbeers  Tabellen  I,  607  u.  629. 

TOB  Inama-Sternegg,  Wirthachnfbigeacliiclit«.    T.  18 


—     194    — 

sächliches  Uebergewicht  über  das  Gold  erlangte^).  Es  ist 
bekannt,  dass  die  Münzverwiirung  im  Frankenreiche  besondeis 
seit  der  2.  Hälfte  des  7.  Jahrhunderts  immer  mehr  dazu  führte, 
dass  die  Beschaffenheit  der  stipulirten  Münze  besondei's  henor- 
gehoben^)  und  allmälig  sogar  an  ihrer  Stelle  die  Festsetzung  der 
Wei-thsumme  in  Gewichtstheilen  (Pfund,  Unze)  des  Goldes  und 
Silbers  üblich  wurde^),  während  gleichzeitig  ein  unverkennbarer 
Rückgang  zum  Naturaltausche  sich  einstellte  ^).  Es  liegt  die 
Bedeutung  des  ganzen  Münzwesens  jener  Zeit  aber  auch  nicht 
in  der  Verwendung  zu  Tausch  und  Zahlungsverkehr,  sondern 
in  seiner  Anwendung  zur  Berechnung  der  Werthe  gangbarer 
Gebrauchsgegenstände^).    Wenigstens  bei  den  innerdeutschen 


^)  Das  tritt  besonders  seit  Ende  des  7.  Jahrhunderts  deutlich  aus  den 
Werthangaben,  Kaufpreisen  und  Busssätzen  der  Urkunden  herror.  Soetr 
beer  IV,  245  £F. 

^)  In  den  Kaufcontracten  des  Klosters  Weissenburg  ist  vom  J.  712 
an  eine  ausdrückliche  Angabe  der  Beschaffenheit  der  gezahlten  und  za 
zahlenden  Solidi  die  Regel;  712,  No.  225:  unde  accepimus  solus  probamo« 
(solides  probates)  atque  pensanes  numero  20;  ib.  probus  adque  pensanes 
numero  12  solidi;  715,  No.  218  unde  accepi  a  te  dere  sanctiPetri  solidos 
probatos  atque  pensatos  numero  500. 

Auch  schon  in  den  Formeln  Markulf 's  (^ca.  63d-'<'»56)  heist  es  No.  22 
dori  solidos  probos  atque  praesentes  (pensantes)  numero  tantos. 

^)  Schon  bei  Markulf  23,  24:  auri  libras  tantas,  argenti  pondo  Umtt. 
Tr.  Wizz.  693,  No.  38:  fisco  auri  libram  1,  argenti  pondera  2.  Ib.  699, 
No.  205:  auri  libr.  5,  argenti  pondus  12,  coactus  exsolvat  Ib.  707,  No. 
229:  auri  libr.  1,  argenti  pondus  15.  Ib.  713,  No.  6:  unciis  5,  argenti 
pondera  6.  Tr.  Sang.  678,  No.  1:  auri  libram  1,  argenti  pondus  2.  Aach 
Hedeni  ducis  dipl.  704  (Thüringen) :  auri  libr.  5,  argenti  pondera  15.  Ptf- 
dessus  II,  No.  463. 

*)  Bemerkenswerth  ist  in  dieser  Hinsicht  das  Marktprinlegiom  iur 
Gorbie  716,  in  welchem  die  Zollabgaben  wieder  in  natura  festgesetzt  sind. 
Pardessus  II,  501.  Kaufurkunde  des  Klosters  Murbach  730:  accepi  a 
vobis ...  in  annona  vel  alio  precio  valente  solides  30.  ib.  11,  546.  Tr. 
Wizz.  739,  No.  1 1 :  precium  adpreciatum  in  auro  et  argento  et  cabiUis 
libr.  54.    Soetbeer  II,  305.    IV,  261  ff. 

^)  Doch  dürfen  wir  desshalb  die  in  den  Volksrechten  yorkommeoden 
Geldbestimmungen  nicht  bloss  als  ideale  Werihbegriffe  denken.  Bei  den 
Alamannen  ist  schon  im  ältesten  Pactum  unter  dem  Solidus  effectives 
Metallgeld  verstanden ;  der  Vs  solidus  (Tremissis)  ist  daselbst  gewiss  nur 


—    195    — 

Stämmen  ist  das  Geld  sicherlich  lange  Zeit  ttbei*wiegend  bloss 
Rechnungsgeld,  was  sich  ja  auch  daraus  erklärt,  dass  die 
Verkehrsvorgänge,  zu  deren  Vermittlung  Metallgeld  noth- 
wendig  gewesen  wäre,  viel  zu  selten  waren,  um  einen  regen 
Begehr  nach  Münzen  zu  erwecken,  und  dass  sie  auch  selbst 
keinen  regelmässigen  Zufluss  von  Geldmetall  hatten;  denn 
Bei*gwerke  auf  Edelmetall  dürfen  für  diese  älteste  Periode  in 
Deutschland  nahezu  als  ausgeschlossen  betrachtet  werden. 

Durch  diese  fast  ausschliessliche  Vei*wendung  des  Geldes 
zur  Werthberechnung  wird  nun  auch  jenes  eigenthümliche 
System  der  Wei-thbildung  ei-st  recht  vei-ständlich,  welches  wir 
bei  den  Deutschen  finden^). 

Die  Volksrechte  enthalten  eine  Beihe  von  Werthangaben 
in  den  oben  beschriebenen  Münzsystemen,  die  man  immer 
schlechthin  als  Preise  annimmt  ohne  genauer  die  Art  und 
Weise  ihrer  Bildung  und  Berechnung  in's  Auge  zu  fassen. 
Der  gewöhnliche  Leibeigne  ist  in  dem  salischen,  ripuarischen, 
alamannischen  und  baiuwarischen  Volksrechte  12  Solidi  werth*); 

desshalb  vornehmlich  zur  Werthbezeichnung  verwendet,  weü  er  auch  die 
in  der  Merowingerzeit  wirklich  umlaufende  Hauptmünzsorte  war.  S.  Soet- 
beer  II.  327. 

^)  S.  i.  A.  meine  Abhandlang:  Werth  und  Preis  in  der  ältesten  Pe- 
riode deutscher  Yolkswirthschaft.  Jahrbücher  für  Nationalökonomie  und 
Statistik,  30.  Bd.,  S.  197—284. 

^)  Die  eigentlichen  Werthansätze  der  1.  Salica  tit  10  sind  allerdings 
in  den  verschiednen  Texten  sehr  abweichend  von  15—35  sol.  für  die  ver- 
schiednen  Kategorien  von  Leibeignen;  aber  bei  dem  festen  Yerhältniss 
der  Werthe  zu  den  Bussen,  welches  für  qnalificirte  Leibeigne  (vinitor, 
&ber,  carpentarius,  stratarius,  porcarius,  venator,  molinarius,  ancilla  mi- 
iiisterialis  etc.)  im  Durchschnitte  25:70  beträgt,  lässt  sich  aus  der  Busse 
▼on  35  sol.  für  den  einfachen  servus  ein  correspondirender  Werth  dessel- 
ben mit  12  sol.  ableiten.  S.  a.  ed.  Ghilperici  c.  7  (LL.  II,  11):  causa 
super  domino  magis  non  ascendat  nisi  quantum  de  servp  lex  est,  aut  ipse 
serrus  decidat  aut  dominus  pro  servo  componat,  hoc  est  12  solidos.    Auch 

I.  Ripuar.  8,  28,  62  wird  der  erschlagene  servus  mit  36  solid,  gebüsst,  ist 
also,  bei  ähnlichem  Verhältnisse  von  Werth  und  Busse,  12  sol.  werth. 
Pact.  Alam.  II,  4d:  si  servo  fiierit  facto  (Tödtung)  12  sol.  componat.  ib 

II,  52:  si  ancilla  fuerit  12  sol.  componat.  L.  AI.  Lantfirid.  82:  Si  quis 
servnm  alterius  susceperlt . .  cum  12  sol.  solvat  eum.  L.  Alam.  Karol.  8: 
Si  quis  servum  alienum  occiderit,  12  sol.  in  capitale  restituat    Aus  1.  AI. 

13* 


\ 


—    196    — 

Ministerialen  werden  doppelt  und  dreifach  so  hoch  geschätzt. 
Auch  die  Viehwerthe  zeigen  eine  ähnliche  Uebereinstiinmang ; 
ein  edles  Pferd  ist  gleich  einem  Leibeignen,  ein  gewöhnliches 
die  Hälfte;  3  Rinder  gleich  einem  Pferde,  6  Schweine  einem 
Rinde  gleichgestellt  u.  s.  w.^) 

Es  hen'scht  dabei  eine  merkwürdige  Uebereinstimmung 
der  Werthangaben  in  allen  Volksrechten  und  wir  können 
dieselbe  nicht  anders  erklären,  als  dass  diese  Sätze  fbr  jedes 
Volk  eine  legale  Werthconstanz  schaffen  sollten  und  auch  that- 
sächlich  mit  der  objectiven  Gebrauchsbewerthung  bei  allen 
deutschen  Stämmen  sich  in  ziemlichem  Einklang  befanden. 

Die  Nothwendigkeit  solcher  legaler  Werthconstanz  war 
nun  jedenfalls  schon  mit  der  ersten  Ausbildung  der  Volksrechte 
gegeben.  Das  System  der  Bussen,  Compositionen  und  Wer- 
gelder  bedurfte  ebensosehr  einer  festen  unvenUckbaren  Grund- 


Hloth.  Yin,  A:  Si  quis  servuin  ecclesiae  ocdderit,   in  triplam  componat 
Si  quis  Bolvat  servuin  regis,  ita  solvator,  id  est  45  solidis  scheint  sich  ftr 
den  einfachen  servus  ein  Werth  von   15  solidis  zu  ergeben;   aber  3  soI. 
sind  hier  pro  molcta  delicti  in  faidnm  in  Abrechnung  zu  bringen:  s.  1.  AI. 
Karol.  $:  Si  quis  senrum  alienum  ocdderit,   12  sei.  in  capitale  restitnat, 
aut  com  alio  senro ...  et  8  sol.  in  alieno    pretio  superponat,  quod  fimt 
simul  15  sol.    Si  quis  ecclesiasticum  serrum  vel  regium  ocdderit,  tripli* 
citer  componatur,  hoc  est  45  sol.  und  Merkel  zu  1.  AI.  VIII.  A,   dem 
auch  Soetbeer,  Forschungen  II,  836  beistimmt  —  L.  Baj.  XIII,  9 :  Si  qnis 
servum  alienum  foras   terminum  duxerit,   cum  12  sol.  componat  et  ipsnm 
reducat    Die  ancilla  (ministerialis  ?)  wird  hier  mit  24  sol.  gebOsat    Aadi 
1.  Bij.  I,  4  hat  12  sol.   (nach  andern  Handschriften  15  sol.);    nur  in  tit 
VI,  §  12  wird  die  Tödtung  eines  servus  mit  20  sol.  gebüsst  —  Noch  in 
der  1.  Sax.  II,  4  wird  die  Busse  für  den  servus  mit  36  sol.  bestimmt,  was 
bei    dreifacher  Composition   der  Vermogensbeschädigung  wieder  12  soL 
Werth  ergibt.    Nach  der  1.  Angl.  et  Werin.  1,  4  dagegen  ist  die  Busse  dc9 
getödteten  servus  80  sol. 

Auch  dass  L  Sal.  X,  1  der  Diebstahl  eines  servus,  cabaUns  und 
jumentum  gleichmässig  mit  85  sol.  gebüsst  wird,  dient  zum  Beweise  dieser 
Werthsch&tzung  des  servus.  Denn  auch  sonst  in  den  Volksrechten  ist  der 
servus  wie  das  beste  Pferd  bewerthet.  Pactus  AI.  II,  49  servus  — 12  sol. 
III,  31—84  equa  meliorissima  12  s.  L.  AI.  Hloth.  70:  amissarins,  oarb 
12  sol.  L.  Bsij.  IX,  3  equus  und  mancipium  gleichmässig  auf  12  soL  be- 
werthet 

^)  S.  die  Tabelle  No.  IV  im  Anhang. 


—    197    — 

läge  der  Berechnung,  wie  auch  heutzutage  durch  alle  Gesetze 
mit  Bestimmungen  über  feste  Geldbeträge  eine  legale  Werth- 
coDstanz  des  Geldes,  ohne  Rücksicht  auf  die  thatsächlichen 
Veränderungen  seiner  jeweiligen  Kaufkraft,  geschaffen  und  fest- 
gehalten wird.  Diese  feste  unverrückbai'e  Ginindlage  der 
Buss-  und  Gompositionsbestimmungen  konnte  aber  keine  andere 
sein,  als  der  Werth  der  Gegenstände,  deren  Vernichtung; 
Diebstahl  etc.  eben  gebüsst  werden  sollte.  Denn  Busse  und 
Composition  gehörte  wenigstens  zum  Theil  dem  ^Beschädigten, 
der  darin  Genugthuung  für  das  erlittne  Unrecht  erhalten 
sollte  und  diese  musste  offenbar  in  einem  gewissen  Verhält- 
nisse zu  dem  Vermögensschaden  stehen,  welchen  derselbe 
darch  das  Unrecht  erlitt. 

Nun  ist  allerdings  nicht  jeder  Bussansatz  der  Volksrechte 
ein  bestimmtes  Vielfaches  einer  Weithseinheit ,  die  gebüsst 
werden  soll;  es  sind  Rücksichten  der  öffentlichen  Sicherheit, 
welche  neben  der  Berücksichtigung  des  Werthes  massgebend 
waren,  wie  diess  theils  aus  dem  gleichen  Busssatze  für  Dieb- 
stahl von  1 — ^3,  von  3—15  Stück  Vieh,  aber  auch  aus  den 
Bestimmungen  ersichtlich  ist,  welche  in  WeiiJiscalen  beim 
gewaltsamen  Diebstahl  die  Bussen  steigern  ^).  Auch  zeigt  der 
häufige  Beisatz  excepto  capitale  der  1.  Salica  und  1.  Thurin- 
gorum,  dass  der  blosse  Vermögensersatz  unabhängig  von  der 
Busse  bestehen  konnte.  Dass  aber  dennoch  der  Werth  der 
beschädigten  oder  vernichteten  Sache  die  rechnerische  Gmnd- 
läge  der  Bussen  und  Compositionen  bildete,  ist  nicht  bloss 
aus  dem  Gesammtcharakter  derselben,  Genugthuung  für  das 
erlittene  Um'echt  zu  sein,  und  aus  den  vielfachen  ausdrück- 
lichen Relationen  der  Volksrechte  zwischen  Werth  und  Busse 
zu  erweisen,  sondern  erhellt  auch  aus  dem  im  Anhange ')  an- 
gestellten Versuche  eines  allgemeinen  Werthtarifs,  der  die 
vollste  Uebereinstimmung  der  aus  Compositionen  berechneten 
Weilhe  mit  den  eigentlichen  und  ausdrücklichen  Werthangaben 
der  Volksrechte  darauthun  geeignet  ist.    Diese  Werthangaben 


')  Z.  B.  1.  Sal.  XI  nnd  XII. 
')  S.  Beilage  IV. 


—    198    — 

bieten  uns  nun  zugleich  einen  werthvollen  Anhaltspunkt  zur 
Beurtheilung  des  national- ökonomischen  Chai*aktei*s  der  in  den 
Volksrechten  überhaupt  in's  Auge  gefassten  Werthe.  Es 
werden  in  ihnen  gewisse  Gegenstände  allgemeinen  Gebrauchs 
bestimmten  Geldsummen  gleichgestellt  in  ihrer  Fähigkeit  zur 
Zahlung  von  Wergeid  verwendet  zu  werden.  Sie  beanspinichen 
aber  in  keiner  Weise  als  allgemeine  Werth-  oder  gar  als 
Preissatzungen  zu  gelten.  Vielmehr  erheUt  es  aus  mehren 
Stellen  der  Vplksrechte,  dass  durch  sie  der  freien  Preisbildung 
keine  Schranke  gezogen  werden  soll.  So  verfällt  nach  dem 
alamannischen  Volksrechte  der  durch  verbotnen  Verkauf  eines 
Leibeignen  erzielte  Kaufpreis,  für  welchen  also  keine  Bestim- 
mung im  Voraus  gegeben  ist  0.  Freilich  handelt  es  sich  hier 
um  einen  Verkauf  ausserhalb  der  Provinz,  wo  auch  ein  etwa 
aufgestellter  Legalwerth  keine  Anerkennung  mehr  beanspiiichen 
konnte.  Aber  das  bairische  Volksrecht  bestimmt  doch  ganz 
ausdrücklich,  dass  mit  der  Einrede  eines  zu  niedrigen  Preises 
kein  Verkauf  hinterher  angefochten  werden  könne*).  Es  ist 
also  jede  Wirksamkeit  einer  legalen  Bewerthung  ausgeschlossen. 
Die  in  den  Volksrechten  für  Wergeid-  und  Bussenzahlung 
aufgestellten  Werthtarife  und  Legalwerthe  sind  nur  speciell 
für  diesen  Zweck  gültig  anzusehen;  und  sie  weisen  demnach, 
abgesehen  von  der  oben  gezeigten  Uebereinstimmung  auf  einen 
gleichen  Werthbegrifif  hin,  wie  er  als  Grundlage  für  die  Buss- 
ausätze  selbst  gedient  hat. 

Der  Ausgangspunkt  aber,  von  welchem  die  Werthschätzung 
der  Güter  in  den  Volksrechten  vorgenommen  wurde,  die  dann 
als  Grundlage  für  die  Feststellung  der  Bussen  -und  Ck)mpo- 
sitionen  dienten,  ist  weder  die  subjective  Werthschätzung  durch 
den  Beschädigten  noch  eine  objective  Bewerthung  nach  den 
Verkehrs-  und  Marktverhältnissen  der  Güter.    Die  allgemeine 


^)  L.  AI.  87,  §  3:  Si  autem  fecerit  (mancipiam  foris  proTinciam  venon- 
dare) . . .  illud  pretium  quod  tulit  de  proprio  suo  mancipio  perdat  et  in* 
super  fredum,  quem  lex  habet,  componat 

*)  L.  Bjg.  XVI,  9:  Venditionis  haec  forma  servetur,  ut  seu  res  8«i 
mancipium  vel  qaodlibet  genus  animalium  venditur,  nemo  propterea  finni- 
tatem  venditionis  inrumpit,  quod  dicat,  se  vili  pretio  vendidisBet. 


—    199    — 

Beziehung  derselben  auf  den  Interessenkreis  des  Beschädigten 
(Vermögensverlust  und  erlittenes  Unrecht)  legen  zwar  den 
Gedanken  an  einen  subjectiven  Gebrauchswerth  der  beschä- 
digten, gestohlnen  oder  veiiiichteten  Güter  nahe;  und  auch 
der  Umstand ,  dass  in  manchen  Volksrechten  die  Busse  ein- 
fiach  in  dem  Vielfachen  des  vom  Beschädigten  geschätzten 
Werthes  besteht,  scheint  f(lr  diese  Auffassung  zu  sprechen  ^) ; 
ebenso  könnte  der  freie  Spielraum  der  Schätzung,  welcher 
nach  der  lex  Alamannorum  dem  Beschädigten  eingeräiunt  ist, 
hieher  bezogen  werden^).  Es  ist  aber  doch  diese  freie 
Schätzung  schon  im  Gesetz  an  bestimmte  Grenzen  gebunden; 
ja  es  heisst  sogar  bei  der  Schätzung  des  caballus  sehr  be- 
stimmt, wie  hoch  dieselbe  gehen  dürfe  ^).  Und  zur  weiteren 
Deutlichkeit  über  die  Bedeutung  dieser  Schätzung  durch  den 
Beschädigten  dient  die  Voi'schrift,  dass  das  gestohlne  Vieh  nach 
dem  Qualitätswerthe  zu  ersetzen  sei^).  Wir  werden  darnach 
wohl  annehmen  dürfen,  dass  die  fi*eie  Schätzung  bis  zu  der 
legalen  Maximalgrenze  des  Werthes  auf  objectiven  Momenten 
beruhen  musste,  wie  sie  in  den  Qualitätsuntei*schieden  der 
einzelnen  Thiere  begründet  waren,  nicht  aber  der  subjectiven 
Werthschätzung  des  Beschädigten   anheim  gegeben  war.    Ja 


')  So  bestimmt  die  1.  Fris.  lY,  1:  Si  quis  servum  alterius  ocdderit, 
componat  cum  iuxta  qaod  a  domino  eius  Aierit  aestimatus.  lY,  2  Simi- 
titer  equi  et  boves,  oves,  caprae,  porci  et  quicquid  mobile  in  animantibuB 
ad  usnrn  hominum  pertinet,  usque  ad  canem  (für  welche  in  §  4—8  feste 
Werthe  bestimmt  sind)  ita  solvatur,  prout  fuerint  a  possessore  earum  ad- 
predata. 

*)  Tit  70,  1:  Si  qois  alterius  amissariom  inYolaverit,  ille  caias  est, 
debet  probare  quod  valet  §  2.  Si  enim  dicit  qaod  12  sol.  valuit,  cum 
dnoB  inret  quod  sie  valoisset;  postea  solvat  illijfiir  tale  quäle  ille  iura- 
verit  in  caput.  tit  71,  §  1 :  Si  quis  alterius  caballum  involaverit,  adpreciit 
eom  dominus  eius  cum  sacramentum  usque  ad  6  sol.  si  tantum  valet.  tit. 
U,  §  1:  Si  enim  in  troppo  de  iumenta  illa  doctricem  aliquis  involaverit, 
licet  enm  dominus  eius  adpredare  12  sol.  Et  quicquid  ille  adpreciaverit, 
ille  für  reddat  novigildos. 

^  Tit.  71,  1:  adpreciit  eum  dominus  usque  ad  6  sol.  si  tantum  valet: 
ampliüs  non  quaerat,  non  valet  plus. 

*)  Tit  77,  §  1 :  qualemcunque  armentum  de  ipsa  vaccaritia  involatus 
fuerit)  secundum  qualitatem  eam  restituat. 


—    200     - 

um  jedes  subjective  Moment  aus  dieser  Werthschätzung  zu 
entfeiiien,  ist  an  einer  andern  Stelle  ausdiUcklich  gesagt,  dass 
Schiedsrichter  die  Bewerthung  vomehmen  sollen  ^).  Mag  nan 
auch  diese  Bestimmung  erst  in  späterer  Zeit^)  dem  alaman- 
nischen  Volksrecht  hinzugefügt  worden  sein,  so  ist  doch  klar, 
dass  damit  das  auch  im  älteren  Rechte  hen*schende  System 
der  Legalwerthe  nur  bestimmter  im  Ausdrucke  und  sicherer 
für  die  Durchführung  gemacht  werden  sollte*).  Stellen  wir 
nun  damit  auch  noch  die  Bestimmungen  anderer  Volksrechte  *) 
zusammen,  in  welchen  der  Dieb  und  Hehler  die  gestohlenen 
Güter  nach  ihrem  Nutzen  oder  Ertrag  zu  ersetzen  verpflichtet 
ist,  so  wird  es  wohl  vollkommen  deutlich,  dass  nur  objective 
Momente  der  Güter,  nicht  irgend  welche  subjective  Beziehung 
dei*selben  zu  dem  Beschädigten  die  Ginindlage  der  Bewerthung 
bildeten.  Die  Qualität  des  Gutes,  besonders  sein  allgemeiner 
NutzeflFect,  den  dasselbe  in  jeder  wirthschaftlichen  Verwendung 
ergeben  konnte,  sind  für  die  Werthbestimmung  entscheidend. 
Aber  in  keiner  Weise  kommen  der  Verkehr,  der  Markt, 
kommen  Angebot  und  Nachfrage  oder  anderweitige  An- 
schaffungskosten  in  Betracht;  nie  wird  in  Rücksicht  gezogen, 
um  wie  viel  man  das  Gut  etwa  kaufen  oder  verkaufen  konnte, 
nie  wie  hoch  man  es  etwa  an  Zahlungsstatt  (ausser  für  Wer- 
geid) angenommen  hätte.  Ebensowenig  als  wir  in  den  Legal- 
werthen  der  Volksrechte  den  Ausdnick  eines  subjectiven  Ge- 
brauchswerthes  erblicken  können,  ist  es  zulässig,  in  ihnen 
einen  Tauschwerth  der  geschätzten  Güter  oder  gar  einen 
Preis  anzunehmen. 

In    dieser    eigen thümlichen    Werthbildung    spiegelt  sich 
der  ganze  volkswirthschaftliche  Zustand  der  Deutschen  jener 

^)  Tit.  77,  §  4:  lila  alia  minuta  animalia  secundum  quod  arbitrii  ad* 
preciaverunt,  ita  solvantur  secundum  quod  lex  habet. 

*)  Nach  Merkel  unter  der  Regierung  Dagoberts. 

')  Aehnlich  verfügt  überdiess  aber  auch  das  Ed.  Rothar.  187 :  Si  qois 
infantem  parvulum  de  servo  massario  casu  faciente  ocdderit,  arbitretor  a 
iudice  secundum  qualem  habuerit  aetatem,  aut  quäle  lucmm  facere  poterat, 
ita  componat. 

*)  Z.  B.  1.  Wisigoth.  VIII,  4,  1.  IX.  1,  1,  5  u.  a.  aUum  cabaUum 
aequalis  meriti,  alium  serrum  paris  meriti. 


—    201     — 

Zeit.  Kauf  und  Verkauf  mit  individueller  Festsetzung 
des  Werthverhältnisses  der  Waaren  ist  offenbar  noch  eine 
seltene  Erscheinung;  nicht  die  planmässige  Vertheilung 
einer  Ueberschussproduction  auf  die  verschiedenen  wirth- 
schaftlichen  Gebiete  und  die  geregelte  Versorgung  jeden  Be- 
darfs mit  diesen  Ueberschüssen  einzelner  Productionsgebiete, 
sondern  individuelle  Nöthigung  zum  Umtausch  der  Werth- 
formen,  zufällige  Gelegenheit  des  Ankaufs  oder  Absatzes  sind 
hiefai'  massgebend  gewesen.  Es  fehlen  daher  wesentliche  Be- 
dingungen einer  regelmässigen  Preisbildung:  der  Markt  als 
eine  regehnässige  Concurrenz  der  Käufer  und  Verkäufer,  also 
auch  die  Eenntniss  anderweitiger  Anschaffungskosten;  denn 
alle  Käufe  waren  isolirte  Vorgänge  von  keineswegs  regel- 
mässiger Wiederkehr.  Auch  die  Productionskosten  konnten  bei 
dem  gänzlichen  Mangel  einer  detailliiien  Werthberechnung  in 
den  isolirten  Wirthschaften  und  bei  der  grossen  Gleichförmig- 
keit derselben,  sowie  dem  starken  Vorherrschen  des  Natural- 
factors nicht  massgebend  in  Rechnung  gestellt  werden. 

Dagegen  hen*schte  eine  ebenso  einfache  wie  regelmässige 
und  gleichföi-mige  Wirthschafts-  und  Lebensweise,  wodurch 
Gegenstände  von  so  allgemeiner  Brauchbarkeit,  wie  Leibeigne, 
Arbeits-  und  Jagdvieh,  aber  auch  Waffen  auch  fttr  alle  im 
Ganzen  den  gleichen  Wei*th  erhielten  und  denselben  Werth 
in  verschiednen  Gegenden  und  f&r  lange  Zeiträume  haben 
konnten 

Aus  solcher  Gleichartigkeit  und  Gonstanz  der  subjectiven 
Werthschätzung  allgemein  gebrauchter  Güter  entwickelte  sich 
dann  im  Laufe  der  Zeit  eine  objective  Bewerthung  nach  den 
inneren  Eigenschaften  und  dem  wirthschaftlichen  Nutzeffect 
dieser  Güter,  welche  zur  öffentlichen  Meinung  über  den  Werth 
der  Dinge  fühlte  und  damit  die  erste  Voraussetzung  für  eine 
eifolgreiche  Aufstellung  eines  legalen  Werthtariüs  geworden  ist. 

Eine  zweite  Voraussetzung  hiefür  war  nun  aber  die  Aus- 
bildung einer  Werthscala  der  Güter  und  zwar  in  der  Weise, 
dass  irgend  ein  bestimmtes  Gut,  das  einer  solchen  volksthüm- 
lichen  Gebrauchswerthschätzung  unterlag,  als  Einheit  des 
ganzen  Systems  gewählt,  und  alle  übrigen  Güter  von  gleich 


—    202    — 

allgemeiner  Brauchbarkelt  demselben  als  Theilwerthe  und 
Vielfache  des  Einheitswerthes  angegliedert  wurden.  Dieses 
System  objectiver  Gebrauchswerthe  konnte  sich  aber  in  seiner 
Beinheit  doch  nur  so  lange  erhalten,  als  die  Naturalwirthschaft 
rein  und  ausschliesslich  ihre  Herrschaft  behauptete;  wir  lernen 
es  so  auch  aus  den  scandinavischen,  zum  Theil  noch  aus  den 
angelsächsischen  Rechten  kennen,  welche  die  Kuh-  und  Ochsen- 
werthe  als  Grundlage  ihres  ganzen  nationalen  Werthsystems 
hatten  0 ;  und  es  ist  immerhin  wahrscheinlich ,  dass  auch  die 
verschiednen  deutschen  Völkerstämme  nach  einem  auf  solcher 
Grundlage  basirten  Werthsysteme  rechneten.  Aber  in  dem 
Augenblick,  in  welchem  sie  sich  an  den  Geldgebrauch  oder 
wenigstens  an  die  Geldrechnung  gewöhnten  —  und  es  fällt 
diess  vor  die  Zeit  der  Abfassung  der  ältesten  Volksrechte  — 
trat  doch  ein  'neues  bisher  gänzlich  unberücksichtigtes  Moment 
in  ihr  Werthsystem  ein ;  denn  das  Geld,  das  ja  zu  allen  Zeiten 
immer  nur  das  Medium  des  Güteraustausches  war,  mass  die 
Werthe  auch  immer  nach  ihrer  Fähigkeit,  gegen  andere  ein* 
getauscht  zu  werden,  die  ihrerseits  der  Vermittelung  des 
Geldes  bedurften. 

Um  einen  Anschluss  des  volksthümlichen  Werthsystems 
an  das  ihnen  von  Aussen  her,  durch  die  BeiUhrung  und  theü- 
weise  gesellschaftliche  Veimischung  mit  den  Körnern,  auf- 
gedrungene Geldsystem  zu  finden,  musste  wenigstens  für  die 
Weitheinheit,  welche  die  Grundlage  jenes  Systems  der  objec- 
tiven  Gebrauchswerthe  bildet,  ein  äquivalenter  Weithausdruck 
in  Geld  gesucht  werden.  Und  dieser  war  nur  zu  finden  durch 
Beobachtung  der  Verkehrswirksamkeit  —  der  Kaufkraft  — 
des  Geldes.  Je  unbedeutender  aber  in  dieser  ganzen  Periode 
der  Geld  verkehr  in  deutschen  Landen  war,  desto  wahr- 
scheinlicher ist  es,  dass  diese  Beobachtung  eben  nur  dort  zu 
machen  war,  wo  Geld  schon  regelmässige  Verkehrs-  und 
Werthmessungsdienste  versah.  Und  da  überdiess  der  Geld- 
gebrauch der  rechtsrheinischen  Völkerstämme  fast  nur  in  ihren 
Beziehungen  zu  Neustrien  einige  Regelmässigkeit  gewann,  so 


»)  S.  0.  S.  181  f. 


—    203    — 

war  die  Werthgleichung  zwischen  Geld  und  andern  Brauch- 
barkeiten auch  wohl  nur  auf  Grund  neustrischer  Verhältnisse 
zu  finden^).  Und  so  schlössen  Ripuarier  und  Alamannen, 
Baiei-n  und  Sachsen  wohl  ihr  Werthsystem  dem  heiTSchenden 
Preisstande  ihrer  westlichen  Nachbarn  an.  Aber  es  blieb  die 
Uebertragung  der  Geldrechnung  dennoch  eine  nur  äusserliche 
Annahme  eines  Geld werthsystems ;  die  Werth Verhältnisse  der 
wichtigsten  Gebrauchsgegenstände  unter  einander  blieben  da- 
durch unbeiUhrt  und  auch  die  nachfolgenden  Preisverähde- 
rungen  der  Geldländer  brauchten  auf  das  hen'schende  System 
der  Legalwerthe  keinen  Einfluss  auszuüben.  Denn  die  Bussen 
blieben,  auch  bei  stark  entwerthetem  Gelde,  für  den,  der  sie  zu 
empfangen,  wie  für  den  der  sie  zu  zahlen  hatte,  in  ihrer 
wirthschaftlichen  Bedeutung  ziemlich  gleich,  wenn  der  Schul- 
dige nach  wie  vor  die  verwirkte  Busse  nicht  in  Geld,  sondern 
nur  in  den  nach  Geld  geschätzten,  d.  h.  nach  ihrem  innern 
Werthverhältniss  abgestuften  Bussansätzen  entrichtete  *).  Und 
das  war  in  der  That  der  Fall.  Der  bis  in  die  Karolingerzeit 
ja  sogar  über  dieselbe  hinaus  andauernde,  durchgi-eifende 
Mangel  des  Geldgebraucbs  ist  wie  die  weitgehende  Isolii-ung 
und  Stabilität  der  wirthschaftlichen  Zustände  in  Deutschland 
eine  auch  sonst  hinlänglich  zu  erweisende  Thatsache.  Nur  so 
ist  die  wiederholt  betonte  weitverbreitete  Uebereinstimmung 
in  der  Geldbewerthung  der  allgemeinen  Brauchbarkeiten  und 
die  jahrhundertlange  unverrückte  Geltung  diei^er  Werthansätze 
hinlänglich  zu  erklären,  an  der  alle  Vei-schiedenheiten  der 
Preise  und   alle  Veränderung  im  Werthe  des  Geldes  spurlos 

^)  Es  ist  doch  kaum  anzunehmen,  wie  das  nach  Grote,  Münzstudien  1, 148, 
und  Soetbeer,  Forschungen  J,  214  den  Anschein  gewinnt,  als  hätten  die 
Deutschen  die  Einheit  ihres  Werthsystems  (die  Kuh)  einfach  mit  der  Einheit 
der  übernommenen  Geldrechnung  (solidus)  gleichgestellt  ohne  auf  den  Werth 
dieser  Münze  Rücksicht  genommen  zu  haben.  Es  würde  das  mindestens 
eine  wirthschaftUche  Isolirung  der  deutschen  Stämme  voraussetzen,  wie  sie 
zu  keiner  Zeit  vorhanden  war.  Aus  der  Bedeutung  des  deutschen  Wortes 
Schilling  (für  solidus)  als  Strafsimplum  ist  diese  Annahme  keineswegs  ab- 
zuleiten. 

*)  Darauf  hat  schon  Soetbeer,  Forschungen  II,  823  aufinerksam  ge- 
macht 


-    204    —  ( 

I 

vorüberging.  Es  wäre  diess  geradezu  undenkbar,  wenn  die  i 
Verhältnisse  des  Marktes ,  welche  den  Tauschwerth  und  den 
Preis  bestimmen,  irgend  einen  anderen  Einflüss  auf  die  Werth- 
bestimmungen  der  Volksrechte  genommen  hätten,  als  er  für 
die  Gewinnung  einer  ersten  Relation  zwischen  dem  natoral- 
wirthschaftlichen  System  der  Gebrauchswerthe  imd  dem  geld- 
wirthschaftlichen  System  der  Tauschwerthe  unvermeidlich  war. 


Zweites  Buch. 

Die  Entwickelnng  der  deutschen  Yolks* 

wirthschaft 

während  der  Karolingerzeit. 


Erster  Abschnitt. 

Die  Fortsehritte  der  Besiedelung  und  Colonlsation 

des  Landes. 

Die  räumliche  Ausdehnung  des  Volkes,  wie  sie  seit  er- 
reichter definitiver  Sesshaftigkeit  in  dritthalb  Jahrhunderten 
mühevoller  Colonisationsarbeit  langsam,  aber  stetig  sich  voll- 
zog, setzt  sich  auch  in  der  Karolingerperiode  noch  lange  in 
gleicher  Weise  fort.  Sie  ist  ebenso  sehr  charakterisiit  durch 
fortgesetzte  Waldrodung,  wie  durch  Anlegung  neuer  Ortschaf- 
ten auf  dem  Rodlande,  und  vollzieht  sich  anfangs  im  Wesent- 
lichen noch  in  dem  Rahmen,  der  die  wenn  auch  lose  Organi- 
sation der  Bevölkerung  jener  Zeit  bedeutete,  innerhalb  der 
Grenzen  der  Markgenossenschaft.  Es  sind  die  vielen  Villen, 
welche  während  dieser  Zeit  gegründet  wurden,  durchgehends 
als  kleine  Wohnplätze  von  einer  ^)  oder  von  ein  Paar  Familien 


^)  Dafür  sprechen  insbesondere  die  nach  den  Gründern  benannten 
Villen;  z.  B.  Trad.  Fald.  c.  38,  n.  152:  Eatanes  et  uxor  eins  Keginhilt 
tradid.  s.  Bonif.  yiUam  sni  nominis.  Otilo  clericas  trad.  s.  Bon.  villam 
sni  nominis  ütilhusen.  ib.  n.  265:  Widerolt  trad.  s.  Bon.  Yillam  sui  no- 
minis Wlderoltesleba  cum  mancip.  20.  Femer  Cod.  Fuld.  810,  n.  249: 
tradimus  in  elimosinam  patris  nostri  Theotriches  .  .  in  loco  qui  suo  no- 
mine nuncapatnr  Theotricheshus  et  in  pago  Grapfelde  situs  est  super  ripam 
flnminis  Hnna  id  est  unam  arialem  et  8  hobas;  und  dazu  ib.  812,  n.  269: 
Engilrih  dono  .  .  .  quicquid  proprietatis  habeo  in  illa  captora,  quae  est 
ioxta  fluvium  qui  vocatur  Huna  et  iuxta  Hlutra  et  ipsam  capturam  nomi- 
namuB  Theotricheshus  et  Engilriches.  Auch  die  oftmalige  Bezeichnung 
solch  kleiner  Ansiedelungen  als  villulae  z.  B.  Meichelb.  Ib,  827,  n.  582: 
propriam  hereditatem  ad  Uipitina  in  castello  et  in  ipso  vico  et  in  aliis 
villulis  ibidem  adiacentibus. 


—    208    — 

gegiündet  anzusehen,  welche  entweder  dauernd  im  Verbände 
der  Markgemeinschaft  verblieben,  auf  deren  Gebiet  sie  ent- 
standen, oder  welche  ei*st  die  Keime  bildeten,  aus  denen  sich 
dann  später  im  Verlaufe  der  Zeit  eigne  Gemeinden  als  Toch- 
teransiedelungen eines  Urdoifs  oder  einer  alten  Bauerschaft 
entwickelten. 

Daneben  tritt  nun  aber  seit  dem  8.  Jahrhunderte  eine 
Colonisation  auf,  welche,  planmässi^  und  im  gi*ossen  Stile  be- 
trieben, den  Charakter  des  Ausbaues  im  Lande  immer  mehr 
verändei-te.  Die  Rodungen  der  ältesten  Periode  gehen,  soweit 
wir  sehen,  zumeist  von  einzelnen  freien  Grundbesitzern  in  der 
Markgenossenschaft  aus  und  halten  sich  auch  in  deren  Gren- 
zen. Einzelansiedelungen  in  der  Waldwildniss,  welche,  oft  in 
grosser  Ausdehnung,  zwischen  den  Grenzen  verschiedener 
Markgemeinden  lag,  sind  in  dieser  Zeit  höchstens  ganz  aus- 
nahmsweise vorgekommen;  dazu  war  schon  das  sociale  Gefüge 
der  alten  Deutschen  viel  zu  stark,  als  dass  es  solches  Fanner- 
und  Einsiedlerleben  hätte  aufkommen  lassen  ^).  Von  genossen- 
schaftlichen Golonisationsunteiiiehmungen  aber  verlautet  nichts 
in  dieser  frühesten  Zeit  ^) ;  und  der  Grossgiimdbesitz  mit  seiner 
disponiblen  Menge  dienender  Arbeitskräfte  war  noch  viel  zu 
wenig  entwickelt,  hatte  auch  seinen  colonisatorischen  Beruf 
noch  keineswegs  hinlänglich  erfasst,  um  seinerseits  durch 
grössere  Ortsgi*ündungen  und  schwierigere  Culturuntemeh- 
mungen  der  Colonisation  einen  rascheren  Gang,  den  einzelnen 
Ansiedelungen  eine  grössere  Ausdehnung  und  zahlreichere, 
dichtere  Bewohnung  der  Ortschaften  zu  geben. 

Nunmehr  aber  wird  das  Geschäft  der  Rodung  und  Colo- 
nisation von  den  grossen  socialen  Mächten,  welche  sich  all- 
mälig  aus  den  veränderten  politischen  und  wii*thschaftlichen 
Verhältnissen  herausbildeten,  in  die  Hand  genommen;  und 
damit  erhalten  der  Ausbau  und  die  Ansiedelungen  in  kurier 
Zeit  auf  weiten  Gebieten  einen  ganz  veränderten  Charakter. 

Es  ist  in  erster  Linie  das  grossartige  oi*gani8atorische  und 
administrative  Genie  Karls  d.  Gr.,  welches  den  Anstoss  hieftr 


* 
■ 


1)  Vgl.  1.  Bach,  1.  Abschnitt,  S.  27,  d5. 
>)  Vgl.  1.  Bach,  2.  Abschnitt,  S.  82. 


—    209    — 

gibt  und  den  Colonisationsbemühungen  der  ganzen  folgenden 
Zeit  ihr  eigenartiges  Gepräge  verleiht.   In  seinen  Wirthschafts- 
vorschriften  für  die  königlichen  Villen  finden  wir  den  Ge- 
danken einer  planmässigen ,  systematischen  Waldrodung  und 
darauf  sich  stützenden  Colonisation  zum  erstenmale  ausgespro- 
chen.   „Wo  sich  in  den  kaiserlichen  Forsten  geeignete  Plätze 
zur  Rodung  finden,  sollen  diese  gerodet  werden  und  es  soll 
dem  UeberwucheiTi  des  Feldes  durch  den  benachbarten  Wald 
stets  Einhalt  gethan  werden"  ^).     Und  schon   im    folgenden 
Jahre  veiTollständigte  der  Kaiser  diese  Vorschriften  durch  die 
Bestimmungen  des  Capitulare  Aquisgranense  *) ,  'womach  den 
Verwaltern   der  Villen  aufgetragen  wird,   an  geeignet  schei- 
nende Leute  Waldland  aus  den  kaiserlichen  Foi*sten  zur  Ro- 
dung und  Bebauung  zu  überlassen.     War   dabei   auch   die 
Rücksicht  auf  die  bessere  Nutzung  und  die  Steigerung  des 
Erti-ags  der  kaiserlichen  Güter  massgebend,  so  konnte  eine 
solche  Massregel  doch  nicht  verfehlen,  bei  der  Menge,  Grösse 
und   weiten  Verbreitung   kaiserlicher  Besitzungen   in    allen 
Theilen  des  deutschen  Landes,  einen  grossartigen  Einfluss  auf 
die  Landescultur  und  die  Verbreitung  der  Ansiedelungen  ins- 
besondere auszuüben. 

Auch  eine  planmässige  und  grossartige  Colonisation  deut- 
schen Bodens  ist  auf  Karl  d.  Gr.  unmittelbar  zurückzuführen : 
die  Vertheilung  bedeutender  Massen  von  Sachsen  in  den  frän- 
kischen ^)  und  alamannischen  *)  Gebieten  und  dafür  eine  mas- 


0  Cap.  de  villis  c  36  (LL.  1, 188):  Ut  sUvae  vel  forestes  nostrae  bene 
Bint  castoditae;  et  ab!  locos  fderit  ad  stirpaDdam,  stirpare  ftunant  et  cam- 
pos  de  silra  increscere  non  permittant 

^  Gapit  Aqnisgr.  813,  c  19  (LL.  1, 189) :  Et  plaotent  (die  villid  regia) 
vineas,  fiiciant  pomaria,  et  nbicunque  inveniunt  utiles  homines,  detur  Ulis 
Silva  ad  Btirpandam,  ut  nostrom  servitiam  immelioretur. 

*)  üeber  die  grossen  Rodungen  Karls  d.  Gr.  an  der  Eifel  und  die 
Besiedelnng  derselben  mit  Sachsen  vgl.  Mittebrh.  Ürk.-B.  n,  Einleitung. 

*)  Von  den  Sazonibus  obsidibus,  welche  alamannischen  Bischöfen  und 
Grafen  zogetheilt  wurden,  spricht  das  Mandatum  Caroli  M.  802,  LL.  1, 89, 
wo  87  Sachsensöhne  namentlich  angeführt  werden.  Nordelbingische  Sach- 
sen im  Bisthum  Würzburg  erwähnt  die  Urk.  König  Otto's  v.  996  Mon. 
Boic  28  a,  p.  268. 

Ton  Inmma-Sternegg,  WirthschafUfcefichichte.    I.  14 


—    210    — 

senhafte  Vertheilung  von  Sachsenland  an  Franken^),  zum 
Theil  auch  an  Wenden').  Die  wiederholten  Auüstände  der 
in  fortgesetzten  Kriegen  unterworfenen  Sachsen  mochten  Karl 
d.  Gr.  belehren,  dass  er  nur  durch  eine  Entfernung  der  wich- 
tigsten widerspänstigen  Elemente  des  Volks  Buhe  und  end- 
liche Einfügung  des  letzten  noch  unabhängigen  deutschen 
Yolksstamms  in  das  Reich  erzielen  könne.  So  begnügte  sich 
der  König  bald  nicht  mehr  mit  einzelnen  Geiseln ") ,  die  ihm 
die  sächsischen  Gaue  als  Unterpfand  ihrer  so  oft  gelobten  wie 
gebi-ochnen  Treue  stellten,  sondern  führte  ganze  Schaaren  von 
Sachsen  aus  ihren  heimatlichen  Gauen  foit,  um  ihnen  inner- 
halb des  Frankenreichs  zerstreute  Wohnstätten  anzuweisen. 
Zu  verschiednen  Jahren  berichten  die  gleichzeitigen  An- 
nalen  von  dem  dritten  Manne*),  von  1600*),  von  7070 •),  von 
10,000^)  Leuten,  und  wir  müssen  annehmen,  dass  die  ver- 
schiednen Gegenden  Sachsens  von  dieser  Massregel  betrofieo 
wurden.  Ja,  bei  der  letzten  Erhebung  der  Nordsachsen  wird 
sogar  von  der  Wegfühiiing  der  ganzen  Bevölkerung  gespi'ochen'^). 

^)  Ann.  Lauresh.  799,  p.  38:  et  ipsam  terram  eomm  dinsit  inter  fide- 

leS  8U08. 

*)  Einh.  Ann.  804,  p.  191:  et  pagos  transalbianos  Abodritis  dedit 
Ann.  Fuld.  p.  358. 

8)  Ann.  LauriBB.  772,  775,  88.  I,  150,  154.  Ann.  Fuld.  ib.  348.  Ann. 
Petav.  779,  ib.  16.  Ann.  Einh.  795,  ib.  191.  Ann.  Lauresh.  795,  S.  dö: 
rex  apad  Bardonwich  tantam  mnltitadinem  obsidum  inde  tolit,  qnantaffl 
nonquam  in  diebns  patris  sui  aut  in  diebos  regom  Franchonim  inde  bI>- 
quando  tolerunt 

*)  Ann.  Xant  795,  II,  228:  obsides  regi  offerentes;  accepitqae  eonun 
tertiam  partem  in  obsidionem  generis  masculini.  Auch  Ami.  Fuld.  794, 
p  351 :  tertius  ex  eis  homo  tranBlatos. 

")  Ann.  S.  Amandi  798,  p.  14:  hospites  capitaneos  1600  inde  adduiit 
et  per  Franciam  diviBit. 

^)  Ann.  S.  Galli  min.  795,  p.  75:  exinde  dedoxit  obndes  7070  (w.770\ 

^  Einhard.  vita  Kar.  c.  7:  10  milia  hominom  ex  bis  qui  atnsqoe 
ripas  Albis  fluminis  incolebant,  cum  uxoribuB  et  parvulis  sublatos  trans- 
tulit  et  huc  atque  illuc  per  Galliam  et  Oermaniam  multimoda  divinone 
distribuit. 

^)  Einhard.  Ann.  804,  p.  191:  omnes  qui  trans  Albiam  et  in  Wib- 
muodi  habitabant  Saxones  cum  mulieribus  et  inüantibas  transalbianos 
Abodritis  dedit;  noch  viele  andre  Stellen  aus  Sen  gleichzeitigen  Annüec 
bei  Richthofen  z.  lex  Saxonum  S.  104  ff. 


—    211    — 

Waren  diese  Massregeln  nun  auch  Erwägungen  ganz  an- 
derer Art  entsprungen,  so  wurden  sie  doch  auch  sofoit  in  den 
Dienst  der  Colonisation  des  Landes  gestellt;  es  charakterisirt 
den  umsichtigen  Geist  Karls  d.  Gr.,  der  es  verstand,  die  ver- 
schiedensten Zwecke  gleichzeitig  zu  verfolgen  und  zu  errei- 
chen. Die  Sachsen  wurden  dabei  in  Franken  und  in  andern 
Theilen  des  fränkischen  Reichs  theils  an  Bischöfe,  Aebte  und 
Grafen  (als  Vassallen?)  vertheilt^),  theils  wohl  auch  auf  den 
königlichen  Villen  als  Zinsbauem  angesiedelt,  oder  man  über- 
Hess  es  ihnen,  sich  in  dem  ihnen  angewiesenen  Theil  des 
Reiches  Wohnsitze  aufzusuchen ').  Das  aber  konnte  doch  nur 
auf  unbebautem  Eönigslande  geschehen,  da  die  Markgenossen- 
schaften in  dieser  Zeit  sich  mindestens  ebenso  sehr  abwehrend 
gegen  die  Ansiedelung  Fremder  auf  Markland  verhielten,  wie 
schon  zui*  Zeit  des  salischen  Volksrechts').  Und  so  wurde 
noth wendigerweise  die  kleine  Völkerwanderung,  welche  Karl 
d.  Gr.  in  dem  Decennium  von  794 — 804  in's  Werk  setzte,  zu 
einer  umfassenden  Colonisation  des  weiten  Waldlands,  das  der 
König  als  heiTonloses  Land  für  sich  in  Anspruch  nahm.  Ja, 
wir  sehen  aus  der  Ai-t  und  Weise,  in  welcher  diese  Colonisa- 
tion in  einzelnen  Fällen  vorgenommen  wurde,  wie  aus  der 
Ausdehnung,  welche  sie  annahm,  dass  bei  der  Uebeifühiiing 
der  Sachsen  der  sociale  Verband  nicht  aufgehoben  wurde,  der 
zwischen  den  sächsischen  Grossen  und  ihren  untergebenen 
Leuten  in  der  Heimat  bestanden  hatte;  denn  nur  so  ist  es 
zu  erklären,  dass  jene  in  so  kurzer  Zeit  so  grosse  Rodungen 
ausfuhren  konnten,  wie  sie  thatsächlich  bezeugt  sind^). 

^)  In  dem  Mandatum  802,  LL.  I,  89  sind  genannt  die  Bischöfe  von 
Constanz,  Basel,  Augsburg  und  der  Abt  von  Reichenau. 

^)  Dahin  gehören  die  beiden  sächsischen  Adeligen,  welche  freiwillig 
ausgewandert  in  der  Buchonia  sich  niederliessen.  C.  Fuld.  811,  n.  261; 
Sickel,  acta  n,  813,  S.  82. 

')  YgL  die  obige  Urk.  C.  Fuld.  811,  no.  261:  Amalungus  .  .  .  venit 
ad  TÜlam  V.,  quam  tunc  temporis  Franci  et  Saxones  inhabitare  videbantur, 
capiens  ibi  cum  eis  mauere  sed  minime  potuit;  vgl.  Buch  I,  S.  78  und  98. 

*)  Vgl.  die  obige  ürk.  813.  Sickel  11,  82.  Karolus  Adalrico  . .  terram 
bivanc  dictam  2  leugas  longam  et  2  latam  confinnat,  quam  pater  eins  Hiddi, 

postquam  locum  nativitatis  et  pagenses  suos  Saxones reliquerat,  . .  • 

de  Silva  Buchonia  propriserat.  14* 


—    212    - 

Es  schloss  sich  an  diese  Colonisation  im  Franken-  und 
Alamannenlande ,  wie  es  scheint,  eine  nicht  minder  wichtige 
in  Sachsen  selbst  an ;  denn  Karl  confiscirte  ^)  die  Güter  der 
weggeführten  oder  auch  zum  Tode  verurtheilten  und  gefallenen 
Sachsen,  machte  sie  zu  Eönigsgut  *)  und  verlieh  diess  nun  an 
Franken,  Bischöfe,  Priester,  Grafen  und  Vassallen»),  welche, 
mit  ihren  leibeignen  Dienern  in  das  eroberte  Land  einziehend, 
ganz  den  Eindruck  einer  Einwanderung  machen  konnten,  und 
nun  in  dem  wenig  bebauten  Land  die  verhältnissmässig  reich- 
liche Bodencultur,  wie  sie  dieselbe  in  der  Heimath  übten,  zur 
Anwendung  brachten. 

Und  auch  noch  bei  anderen  Gelegenheiten  Hess  sich  der 
grosse  Kaiser  das  Werk  der  Ausbreitung  von  Ansiedelungen 
angelegen  sein.  Aus  späterer  Zeit  erfahren  wir,  dass  er  nach 
Beendigung  der  Avarenkriege  die  Colonisation  Pannoniens 
begünstigt^)  und  damit  die  Ostgrenze  des  Reichs  bedeutend 
erweitert  hat,  wie  auch  schon  fiHher  der  Baiemherzog  TassUo 
durch  ausgedehnte  Bodungs-  und  Aneignungsbefugnisse,  die 
er  besondei*s  den  Klöstern  ertheilte,  Schutz  der  Ostmarken 
und  Hebung  des  Bodenanbaus  gleichzeitig  beförderte  ^).  Ebenso 


^)  Vgl  1.  Saxon.  64:  liiber  homo,  qui  sab  tatela  nobilis  cniuslibet 
erat,  qui  iam  in  eziliom  missus  est,  si  haereditatem  saam  . .  yendere  to* 
laerit,  offerat . . .  tatori  sno  Tel  ei ,  qui  tunc  a  r^e  super  istas  res  oon- 
stitatos  est 

*)  Schaten,  ann.  Paderbr.  I.  65:  ad  partem  dominicam  rerocatae  In- 
eront  res  eorom. 

")  Ann.  Lauresh.  799.  p.  88:  et  ipsam  terram  divisit  inter  fideles  saoa, 
episcopos,  presbyteros,  comites  et  alios  vassos  suos. 

*)  Mon.  Boic.  863,  XI,  121:  Dominas  avas  noster  Earolos  Ucentiain 
triboit  suis  fidelibas  in  augmentatione  reram  ecdesiarom  Dei  in  Pannonia 
carpere  et  possidere  hereditatem.  Daza  Einh.  Vita  Garoli  c  18  (SS.  n, 
449) :  testator  vacaa  omni  habitatore  Pannonia.  Aach  Mon.  Boic  811, 
XXXI,  no.  11:  E.  monasterio  s.  Maaricii  in  Altaha  locnm  qoandam  ia 
Avaria,circiter40man8os  complectentem  cedit  etconfirmat  ürk.-B.o.d.£ans 
n,  no.  5  und  Mon.  Boic.  XXX,  381,  n.  4:  Ludowicas  . .  certas  res  a  I^~ 
rolo  Waldarico  episcopo  in  regno  Hunorom  sive  in  provinda  ATsroniBi 
concessas  . .  confirmat    Sickel,  n,  145. 

'*)  Urk.-B.  f.  Kremsmünster  777,  S.  2:  Tradimas  atque  confinnamos 
homines  qui  in  ipso  loco  habitant  et  ea  concta  qae  ibidem  calta  Tidebsn* 


—    218    — 

ist  die  ColonisatioQ  der  dui*ch  Erbauung  der  Seedeiche  in 
Holland  gewonnenen  Biiichländereien  auf  Karl  d.  Gr.  zuiUck- 
zufdhren  ^) ;  und  nicht  minder  gehören  die  Anfänge  der  grossen 
Waldcolonisationen ,  welche  später  als  Colonistendörfer  und 
sog.  Königs-,  Wald-  und  Hagenhufen  bedeutend  werden,  schon 
der  Zeit  Karls  d.  Gr.  an  *). 

Der  Löwenantheil  an  der  Colonisation  der  deutschen  Ge- 
biete während  der  Karolingerzeit  dürfte  aber  immerhin  der 
Kirche,  vorab  den  zahlreich  emporkommenden  Klöstern  dieser 
Zeit  zufallen. 

Schon  die  Gründung  der  Klöster  war  in  den  meisten 
Fällen  ein  Act  der  Colonisation^)  und  es  gewinnt  den  An- 
schein, als  ob  die  Wirthschaft  der  Klöster  in  der  ältesten  Zeit 
grundsätzlich  auf  Rodung  und  Bebauung  wüster  Strecken  ge- 
stellt gewesen  wäre.  Das  hängt  gewiss  ebenso  sehr  mit  den 
ältesten  Ordensregeln,  besonders  der  Regel  des  hl.  Benedikt, 
zusammen^),  welche  die  Mönche  anhielt,  durch  eigne  Arbeit 
sich  ihren  Unterhalt  zu  verdienen,  wie  mit  der  Art  und  Weise 
der  Gründung  durch  Könige,  Füi*sten  und  weltliche  Grosse, 
deren  eigenstes  Interesse  an  der  Colonisation  die  Schenkung 
grösserer  unbebauter  Gebiete  an  die  jungen  Klöster  nahe  legte. 
Es  fehlt  aber  auch  durchaus  nicht  an  besonderen  Zeug- 
nissen der  colonisirenden  Thätigkeit  der  Kirche.  Der  von 
Corbinian  für  das  Stift  Freising  erworbene  Besitz  in  Tirol 
wurde  unter  den  folgenden  Bischöfen  durch  fortgesetzte  Ur- 
barmachung öder  Gründe  beträchtlich  erweitert.  Der  Bischof 
Josef  von  Freising  erwarb  im  J.  759  von  den  Herzogen  und 


tor,  de  incultiB  vero  ex  omni  parte  quantom  Toluerint  coltum  fiaciant.  In 
drcoita  coltum  ÜEuaant  quantom  velint  sine  omni  prohibicione.  (AUes  dies- 
seits der  Enns.)    Vgl  a.  Urk.  Tassilos  769  Mon.  Boic  IX,  9. 

^)  Meitzen,  Aosbreitong  des  Deotschthoms,  S.  81. 

3)  Meitzen,  ib.  S.  29.    S.  u.  3.  Absch.  S.  315—818. 

^  So  z.  B.  von  Fulda:  „in  solitudine  Boconia  iuzta  fluvium  Fuldaha'' 
constroto  C.  Fuld.  753,  n.  5.  Hersfeld  „in  vasto  proprietatis  eins  loco  H.*' 
constrocto  Wenk  775,  3b,  n.  4,  7.  Ansbach,  monasteriom,  quod  Gont- 
bertos  in  pago  Bongow  in  Virconna  waldo  aedificavit.   786,  Sickel,  II,  46. 

*)  Vgl  0.  L  Bach,  8.  Abschnitt,  S.  120. 


—    214    — 

anderen  baierischen  Grossen  bedeutende  Weidegebiete,  die 
gar  nicht  bebaut  waren,  baute  dort  Häuser  und  machte  sie 
der  Wirthschaft  des  Stiftes  dienstbar^);  und  auch  in  der 
Folge  benutzte  das  wirthschaftlich  gut  geleitete  Stift  Fi-ei- 
sing  sein  Wildland  dazu,  um  Colonisten  zu  gewinnen  *>.  Das 
Stift  St.  Gallen  Hess  sich  bei  mehifacher  Gelegenheit  das 
Recht  weitgehender  Rodung  im  Walde  eigens  einräumen^, 
wie  es  andrerseits  durch  die  prekarische  Verleihung  von  Rott- 
land  auch  fremde  Arbeitskräfte  ftlr  die  UrbTirmachung  ge- 
wann^).  Und  solche  Beispiele  sind  fast  von  allen  Klöstern 
und  Stiftern  beizubringen^).  Besonders  wirksam  konnten  die 
Klöster  die  Golonisation  durch  das  Institut  der  Precarie  be- 
fördern. Die  gi-ossen  Öden  Strecken,  über  welche  sie  beson- 
dei-s  verfügten,  boten  lange  Zeit  bereite  Gelegenheit  zum  Er- 
werb von  Leibeignen,  Hörigen  oder  dienenden  Freien,  denea 
solche  Gründe  zur  Golonisation  übertragen  wurden;  und  von 
diesem  Mittel,  das  dem  Kloster  durch  Gewinnung  von  Arbeits- 
kräften, Diensten  und  Culturgründen  ebenso  vortheilhaft  war, 
wie  der  Volkswirthschaft  durch  Erweiterung  des  Nahrungs- 
Spielraums  der  Nation,  ist  denn  auch  in  dieser  Zeit  der  um- 
fassendste Gebrauch  gemacht  worden;  man  tauschte  aber 
wohl  auch  bebautes  gegen  unbebautes  Land  ein  und  gab  auf 


^)  Meichelbeck,  bist  Frisiog.  la,  49:  Ego . .  Josefüs  . . .  dam  erga  eodem 
loco  connezae  anrae  ducali  pascua  non  sufficerant,  appetivi  locam  ad  pro^ 
pries  haeredes,  quo  yocator  Erchinga  et  ibidem  pro  necesaitate  donos 
constmxi,  qoia  antea  jam  temporibus  plnrimis  Jncalta  atque  deserti 
remansit. 

^)  Meicbelb.  852,  I  b,  698 :  de  Silva,  ubi  excoleri  posaunt  jomales  400 
et  de  pratis  carradas  56.  S.  a.  Meichelb.  899,  Ib,  909:  lacnm  1  de  nln, 
unde  agros  5  fieri  possunt 

•^)  Vgl.  Trad.  Sangall.  799,  1,  85:  Tantum  ezartent  quantum  podat 
in  eorum  compendio  et  ad  eorum  opus.  854  ib.  II,  426:  Et  ai  quid  in 
eodem  saitu  adhuc  minime  sit  comprehensum ,  comprehendendi  potestatem 
habeamna  abaque  uUius  infestatione: 

«)  Tr.  Sang.  866,  II,  518:  Hartmanno . .  40  juchoa  adhuc  ineztirpa- 
tos  . .  sub  censu  unius  maldri  de  grano  conceasimua. 

*)  Z.  B.  Ton  Salzburg  werden  815  80  Joch  Waldungen  zum  Aasrodet 
gegeben.    Eleimaym,  Anh.  n.  18. 


—    215    — 

diese  Weise   den   colonisirenden  Bestrebungen   der   kleinen 
Grundbesitzer  neue  Nahrung^). 

Aber  auch  die  weltlichen  Grundherren  Hessen  sich  diese 
Gelegenheit,  ihre  Herrschaft  und  ihr  Culturland  zu  erweitem, 
nicht  entgehen,  wo  sie  sich  darbot^);  ja,  es  ist  das  rasche 
Anwachsen  der  grossen  Grundhen-schaften  in  dieser  Zeit  ganz 
yoinehmlich  auf  diese  Vorgänge  zuiilckzuführen.  Dass  auch 
sie  schon  frühzeitig  über  gi'osse  uncultivirte  Strecken  als 
Eigenthümer  verfügten*),  ist  nicht  bloss  aus  einzelnen  positi- 
ven Nachrichten  zu  ersehen,  sondeni  geht  schon  hei-vor  aus 
der  charakteristischen  Art  der  Wohnsitze,  welche  sie  sich  mit 
Vorliebe  wählten.  Sowohl  tief  im  Gebirge,  wo  Baiuwaren  und 
Alamannen  ihre  Sitze  neben  den  Resten  einer  rhäto  -  romani- 
schen Bevölkerung  aufschlugen,  als  auch  am  Mittelrheine,  wo 
das  Dorfsystem  eine  uralt  klassische  Stätte  hatte,  haben  die 
Grossen  des  Volkes  ihre  HeiTenhöfe  und  Burgen  mit  Vorliebe 
in  den  unbewohnten  und  ei*st  durch  Rodung  zu  gewinnenden 
Gegenden  aufgebaut^).     Das  ist  nicht  bloss  durch  die  noch 


^)  Tr.  Sang.  912,  n,  766:  dedi  omnem  propietatem  meam . .  et  e  contra 
accepi  10  jnchos  de  terra  arativa  . .  et  silvam  quantum  mihi  necesse  est 
extirpanda. 

*)  Besonders  am  Niederrhein  ist  die  Rodung  in  der  ersten  Zeit  der 
Karolinger  an  der  Tagesordnung;  vgl.  Lacomblet,  Urk.-B.  I,  n.  6,  9,  11  — 
13,  17,  19,  21,  27,  44,  52,  64  u.  o.  Wohl  die  reichste  Zahl  von  Beispielen 
aas  Urkonden  dieser  Periode  hat  gesammelt  Arnold,  Ansiedlungen  und 
Wanderungen,  S.  255—286. 

")  Mon.  Boic.  IX,  7  schenkt  Reginbert  mit  seinen  Angehörigen  763 
grosse  Besitzungen ,  darunter  die  solitudo  Scarantie  und  den  pagus  desert 
tus  Walhogoi.  Ried  cod.  Ratisb.  I,  15:  Schenkung  des  Grafen  Eckber- 
V.  810,  die  eine  Gegend  infra  ipsum  heremum  im  Gesammtumfang  von  6 
milliaria  betrifit  Meichelb.  bist  Fris.  I  a,  49  besitzen  die  nobiles  de  Fagen 
750  amplissima  tum  prata  tum  pascua  plene  inculta.  Meichelb.  Chron. 
Benedictob.  4  kommt  in  einer  Schenkung  an  Benedictbeuem  ein  mit  seinen 
Grenzen  bezeichneter  Wald  vor,  der  leicht  20  milliaria  germanica  umfasst 
hat.  Darin  liegt  offenbar  eine  Beschränkung  der  Annahme,  dass  alles 
wüste  Land  dem  Könige  gehört  habe;  vgl.  Beseler,  Neubruch  1868,  und 
Gierke,  Genossenschaft,  II,  147 ;  auch  1.  Buch  S.  93  und  unten  3.  Abschn. 

*)  Mittehrhein.  Urk.-B.  II,  S.  LXXI.  Maurer,  Einleitung,  S.  255;  vgl. 
auch  meine  „Entwickelung  der  deutschen  Alpendörfer"  in  Raumer-RiehPs 
histor.  Taschenbuch,  1874,  S.  132. 


—    216    — 

in  späterer  Zeit  nachweisbare  Lage  dieser  Hen'ensitze  dar- 
zuthun ;  es  ist  mindestens  ebenso  sehr  durch  die  Namen  be- 
zeugt; im  rhäto  -  i*omanischen  Gebii'ge,  soweit  die  deutsche 
Einwanderung  reichte,  führen  die  Bulben  durchweg  deutsche 
Namen,  unabhängig  von  der  Sprache  der  bäuerlichen  Bevöl- 
kerung ^) ;  im  übrigen  Deutschland  sind  die  zahlmchen  Roden-, 
Brand-,  Wald-,  Wüste-,  Moos-,  Holz-,  Boineburg  u.  a. 
nebst  den  besonders  charakteristischen  Burgnamen  mit  Fels 
und  theilweise  mit  Stein  ebenso  viele  Zeugnisse  für  diese 
Thatsache «). 

Diesen  natürlichen  Vorbedingungen  entspricht  es  nun  auch, 
dass  die  Rodung  im  ökonomischen  Leben  der  weltlichen  Grand- 
herren ein  wichtiger  Factor  zu  Befestigung  ihrer  wiilhschaft- 
lichen  Ueberlegenheit  wie  zur  Ausbreitung  der  Gultur  über- 
haupt geworden  ist  ^).  Ununterbrochen  tritt  zu  dem  bisherigen 
Culturland  neugewonnenes  hinzu  und  gibt  Gelegenheit  zu 
Kauf  und  Tausch ,  zu  Schenkung  und  Verleihung  als  Benefi- 
cium  und  Precarie.  Vornehmlich  dem  grossen  Grundbesitz 
gehören  in  dieser  Zeit  die  so  vielfach  bezeugten  Rodungen 
zu^);  und  insbesondere  sind  die  giossen  Rodungen^)  und 
schwierigen  Culturarbeiten  ihnen  zu  eigen.  Denn  diese  hatten 
zahlreiche  dienende  Arbeitskräfte  zur  Voraussetzung,  welche, 
einem  einheitlichen  Hen*schaftswillen  untei-worfen ,  für  solche 
Arbeiten  in  Masse  gebraucht,  nöthigenfalls  auch  verbraucht 
werden  konnten.    Von  ihren  einsamen  Burgen  und  Herren- 


0  Steub,  RhätiBche  Ethnologie,  S.  67. 

')  Arnold,  Ansiedlungen,  478  ff. 

')  Vgl.  meine  Ausbildung  der  grossen  Grundherrschaften.  S.  46  £ 

*)  So  stammen  die  Schenkungen  von  Rottland  und  Neubrüchen  im 
Cod.  Lauresh.  767.  n.  252;  770,  n.  10;  772,  n.  252;  774,  n.  245;  778,  n,  822; 
789,  n.  244  von  mehr  oder  weniger  reichen  Familien  her;  vgl.  Tr.  Blid. 
sec.  IX,  p.  9  u.  C.  Fuld.  870,  n.  604  und  die  Beispiele  in  meiner  Ausbildung 
der  Grundherrschaften  S.  49  und  bei  Arnold,  Ansiedlungen,  S.  278  ff. 

*)  Grosse  Rodungen  z.  B.  Orig.  Guelf.  818,  4,  411 :  terram  biTanc  die- 
tam  2  leugas  longam  et  2  latam.  C.  Fuld.  841,  n.  582  decem  captarB. 
Tr.  Blid.  sec.  IX,  p.  9:  bifangum  in  loco  qui  dicitur  Wizeholz  (der  Grifin 
Suanahildis)  est  divisus  in  5  mansos.  G.  Lauresh.  c.  800,  m,  8704:  de 
Silva  ad  alios  100  jumales  faciendos. 


-    217    — 

sitzen  aus  setzten  sie  ihre  Leate  auf  Neuland  aus  ^)  und  gaben 
ihnen  wohl  auch  den  Auftrag,  für  die  Herrschaft  im  eignen 
wie  im  Territorium  der  Markgenossenschaft,  zu  der  sie  ge- 
holten, weiter  zu  occupiren  und  zu  roden.  Denn  wie  der 
Leibeigne  für  den  Herrn  ersitzen  konnte*),  so  mochten  die 
Leute  desselben  auch  im  Namen  des  Herrn  roden,  da  wo 
ihnen  selbst  kein  Recht  zustand^).  Auch  die  abhängigen 
Freien  waren  verpflichtet,  ihrem  Heim  diesen  Dienst  zu 
leisten  ^)  und  übernahmen  wohl  gerne  solche  Leistung,  die  ihnen 
selbst  zugleich  eine  Erweiterung  ihres  Besitzthums  in  Aus- 
sicht stellte. 

Daneben  höi-te  freilich  auch  in  dieser  Periode  die  Rodung 
und  Ausdehnung  des  Culturlandes  durch  die  kleinen  freien 
Grundbesitzer  keineswegs  auf.  So  lange  insbesondere  das 
Waldland  der  Markgenossenschaft  als  unerschöpfliche  Quelle 
galt,  aus  der  eine  anwachsende  Bevölkeiiing  Deckung  ihrer 
vermehrten  Bedürfnisse  finden  konnte,  so  lange  in  Folge 
dessen  die  Einbeziehung  von  Markgründen  in  das  Gulturland 
den  Hufen  nicht  verwehrt  zu  werden  brauchte^),  so  lange 

^)  Ein  Beispiel  einer  ganzen  Colonie  auf  Neoland  G.  Fold.  826,  n.465: 
Poppo  comes  trado  capturam  unam  in  silva  Bochonia  comprehensam  ioxta 
flnvinm  qni  didtor  Latraha  quod  est  in  pago  Grapfeld  totom  et  integrum 
quicquid  in  ambitu  iUius  capturae  proprietatis  visus  sum  habere  in  campis 
et  silvis,  ariolis,  aedificüs,  pratis,  pascuis  aquis  aquarumve  decursibus, 
pecoribus  ac  mancipiis  13. 

')  Meichelb.  I  b,  845,  n.  686 :  et  postea  sessionem  juzta  morem  Baio- 
wariomm  ad  fieri  decreyerunt,  hoc  egit  Enno  servus  s.  Mariae  noctibus 
tribuB.    Nitsch,  Ministerialit&t  und  BOrgerthum,  S.  49. 

*)  Lacombl.  793,  I,  2:  ezceptis  agris,  qui  inibi  ante  extirpati  sunt  a 
patribuB  aut  ab  hominibus  nostris. 

*)  So  ist  offenbar  zu  verstehen  Lacombl.  801,  I,  21 :  comprehensionem 
Ülam  quam  ipse  Helmbaldus  in  propria  hereditate  et  in  communione  prozi- 
morom  snorum  proprio  labore  et  adiutorio  amicorum  suorum  legibus  com- 
prehendit  et  stirpaTit  Üeber  die  Bedeutung  der  amici  als  abhängige  Freie 
B.  Waitz.  n,  198,  385.    Roth,  Benefic.  157. 

*)  Vgl.  z.  B.  Niederrh.  Urk.-B.  793,  IV,  759:  In  quo  etiam  termino 
domioationem  tradidi  eidem  .presbitero  in  silvam  que  per  circuitum  iacet, 
quantum  pertinet  ad  unam  hovam  ad  pascua  animalium  seu  ad  extirpan- 
dmn  Tel  ad  comprehendendum,  iuxta  quod  utile  videtur  eidem  servo  dei 
Tel  Buccessoribus  suis. 


—    218    — 

vollzog  sich  auch  noch  jener  innere  Ausbau  des  Markgebietes, 
der  in  der  älteren  Periode  den  Hauptcharakter  der  Rodungen 
bildete.  Acker  um  Acker  wurde  auf  diese  Weise  den  bis- 
herigen Feldungen  zugelegt;  das  Feld  rückt  sichtlich  immer 
mehr  in  den  Wald  vor^);  zwischen  der  alten  Feldgrenze  und 
der  neuen  Waldgrenze  sind  oft  die  Neubrttche  gelegen  oder 
sie  stehen  noch  mit  einem  Fusse  in  dem  Walde,  während  der 
andere  bereits  dem  Artlande  gehört. 

Nicht  minder  häufig  sind  die  Neubrttche  im  Sumpfland 
und  Buschwerk  der  Thalniederungen  ^) ;  es  liegt  ein  nicht  zq 
verkennender  Fingerzeig  darin,  dass  die  frachtbaren  Thal- 
giUnde  nicht  immer  die  ersten  Stätten  des  Bodenanbaus  ge- 
wesen sind.  Aber  auch  die  sonnigen  Berglehnen*)  werfen 
von  dem  Rodungseifer  der  Bevölkerung  aufgesucht;  besonders 
in  Gegenden,  welche  dem  Weinbau  günstig  waren,  zeigt  sich 
grosse  Rührigkeit  in  Gewinnung  von  Neuland*). 

Im  Dorfsystem  entstanden  auf  diese  Weise  zahlreich  neue 
Baustellen*)  und  Hufen,  die  nicht  in  der  Weise  der  alten 
Dorfanlage  und  Flureintheilung  ihre  Felder  im  Gemenge  mit 
den  Nachbarn  hatten,  sondern  von  Anfang  an  besser  aiTondirt  % 


^)  C.  Fald.  817,  n.  352:  in  marcu  Geltresheim  30  jagera,  15  iam  stir 
pata  et  ad  arandam  in  planitiemqae  campi  parata  et  alia  15  adhac  süns 
occupata.  G.  Lauresh.  815,  n.  806:  bifangum  inter  fiGU^m  et  non  ÜACtom} 
ib.  823,  n.  262:  inter  terram  factam  et  adhuc  in  silva  fadendam  ad  10  joni. 
893  Tr.  Sang.  II,  690 :  de  terra  arativa  et  silvatica  30  juchos. 

^  Z.  B.  Tr.  Fuld.  c.  88,  n.  168:  unam  capturam  id  est  blTanc,  quae 
iuzta  flumen  Wisaram  comprehensa  est.  Cod.  Fuld.  796,  117:  captan 
quae  super  fluvium  Elmaha  iacet  C.  Laur.  774,  n.  245;  772,  n.  313; 
784,  n.  352. 

«)  C.  Fuld.  804  (?),  n.  223. 

*)  G.  Lauresh.  786,  n.  544 :  in  Dossenheim  qnartam  partem  de  visea 
1  et  unum  proprisum  ad  ipsam  vineam  pertinentem.  ib.  792,  n.  343:  bi- 
fangum ad  Yineam  faciendam,  ex  aliqua  parte  plantatum.  Auch  n.  393, 
394,  628  u.  oft. 

")  God.  Fuld.  813,  n.  413:  in  YÜla  Hengisthorpf  unam  arealem  haben- 
tem  in  latitudine  virgas  24  et  in  longitudine  35  cum  omni  aedifido  et 
unam  bizumam  cuius  longitudo  30  virgarum  est,  ladtudo  vero  15. 

«)  Tr.  Wizz.  774,  n.  133:  in  villa  Ecchentorf  ium.  5  infra  fine  qui 
didtur  Scalchinbiunda  curtile  uno  cum  clausura  ad  ipso  curtile  pertinente. 


—    219    — 

oder  wo  sie  aus  mehren  Stocken  bestanden,  doch  meist  ab- 
seits von  dem  Zwange  der  alten  Feldgemeinschaft,  dem  Flur- 
zwange, gelegen  waren  ^) ;  nicht  minder  aber  auch  die  zu  ur- 
alten Dorfhufen  gehörigen  Aussenfelder  *),  Waldbeundten  und 
Sonderfelder,  die  gleichfalls  nicht  in  den  gewöhnlichen  Tunius 
der  Gemengfelder  einbezogen  wurden;  im  Ho&ystem  sind  sie 
theils  einfach  zu  dem  bisherigen  Besitzstande  geschlagen  wor- 
den, und  haben  anderntheils  ebenso  zur  Bildung  neuer  Doif- 
fluren  wie  von  Vorwerken  oder  gesonderten  Wii-thschaftshöfen 
Veranlassung  gegeben  •).  Eine  ziemliche  Reihe  von  Ortschaf- 
ten, von  denen  in  der  Folge  einzelne  Gtlter  geschenkt,  ge- 
tauscht etc.  werden,  verrathen  durch  ihre  Bezeichnung  als 
captura,  bifang  etc.,  dass  sie  junge,  erst  durch  Rodung  ent- 
standene Ansiedelungen   sind^).     Wo   das   Gut   des  Vatei-s 


C.  Fold.  814,  n.  800:  in  loco  Scontra  in  iUo  septo  2  hobas.  Tr.  Sang. 
866,  n.  447:   tradidi  ad   Hasumwanc    ipsa  marca  adherentem  nmcalem, 

1  hobam  etiam  et  amplins  continentem.  G.  Lauresh.  774,  n.  245:  1  bi- 
fangom  yal  haftonga  cum  terra  et  omnibus  Buperpositis  (nach  den  Gren- 
zen angegeben). 

^)  Tr.  Sangall.  889,  I,  381 :  in  Patahinwilare  sunt  höbe  due  de  arabili 
terra  et  octo  in  silva. 

^)  C.  Lauresh.  770,  I,  561:  campum  1  de  terra  aratnria  tenentem 
jiim.  10,  terram  incultam  ad  ipsum  campum  pertinentem.  ib.  772,  n.  491 : 
in  Walahstat  1  mansum  et  de  terra  araturia  80  jnmales  et  ad  stirpandum 
similiter. 

")  Z.  B.  Tr.  Sang.  828,  n.  816  werden  Güter  tradirt  excepto  1  run- 
cale,  h.  e.  20  juchos  cum  aedificiis.    Tr.  Fuld.  814,  n.  800 :   in  illo  septo 

2  hobas,  1  in  silva,  1  in  terra.  Besonders  sind  die  vielen  Neubrüche, 
welche  eigne  Namen  haben,  als  Ansätze  zur  Bildung  neuer  Villen  anzu- 
sehen; z.  B.  C.  Lauresh.  8786.  Tr.  Sang.  809,  887.  G.  Fuld.  675.  Und 
wenn  sie  in  einer  Gemeindemarkung  angelegt  sind,  bildeten  sie  entweder 
Einzelhöie  oder  wurden  im  Verlaufe  zu  Filialdörfem ,  z.  B.  G.  Fuld.  472, 
675.  G.  Lauresh.  8786.  Beyer,  I,  93.  Besonders  noch  G.  Lauresh.  800, 
n.  3708:  in  Walehesheimer  marca  1  mansum  cum  aedificio  in  ipsa  silva 
constracto  et  80  jum.  inter  silvam  et  campos  et  de  prato  et  de  silva  ad 
stirpandum  et  pratum  fadendum  ad  carr.  80  feni.  TV.  Blid.  9  (sec.  IX): 
Jnxta  Ibigon  bifangum  1  in  loco  qui  dicitur  Wizeholz,  est  divisus  in  5 
maosos  et  16  jum.,  2  mansos  cum  dictis  iumalibus  habet  Gunzo  in  be- 
neficio  —  ceteri  8  mansi  non  sunt  exculti. 

')  G.  Fuld.  868,  n.  588,  584;  867,  n.  594;  s.  Arnold,  Ansiedlungen  275. 


—    220    — 

nicht  getheilt,  sondern  an  einen  Sohn  ausschliesslich  ver- 
erbt wurde,  da  kam  man  in  den  Wald,  um  Land  fQr  nach- 
gebonie  Söhne  oder  Töchter  zu  gewinnen;  wo  man  der  Vor- 
theile  theilhafüg  werden  wollte,  welche  die  Gommendation  an 
einen  grossen  Oiimdheim,  besonders  auch  die  Schenkang 
oder  Auftragung  an  Kirche  oder  Kloster  in  Aussicht  stellte, 
da  appropiiirte  und  rodete  sich  der  Märker  ein  neues  Gut 
aus  dem  Markwalde,  um  mit  seinem  bisherigen  sich  den 
Schutz  und  ökonomischen  Rückhalt  der  Grundherrschaft  oder 
auch  die  geistigen  Güter  zu  kaufen,  über  welche  die  Kirche 
zu  verftlgen  vorgab^). 

Auch  haben  sich,  wenn  schon  vei'einzelt,  mehre  Mark- 
genossen zusammengethan,  und  versuchten  auf  eigne  Faust 
im  unbebauten  oder  Waldlande  eines  Grossen  oder  in  herren- 
loser Wildniss  sich  wohnlich  einzurichten  und  ein  neues  Dorf 
zu  bilden  ^).  Aber  doch  war  das  nur  mehr  in  sehr  beschränk- 
ter Weise  möglich;  denn  schon  lernten  die  Gnmdherren 
auch  ihren  Waldbesitz  besser  schätzen  und  verwerthen,  und 
Hessen  solche  eigenmächtige  Bodung  höchstens  unter  der  Vor- 
aussetzung zu,  dass  ihnen  damit  eine  pei'sönliche  Herrschaft 
über  die  Angesiedelten  ei*wuchs').  HeiTonloses  Land  aber 
ward  gerade  mit  der  Ausdehnung  der  gi'ossen  Grundherr- 
schaften immer  seltner.  Eine  lose  Besitzergreifung  allen 
Gi-und  und  Bodens  ist  schon  am  Schlüsse  der  ältesten  Zeit 
erfolgt.  Zwar  gab  es  noch  sehr  viel  unvertheiltes ,  unbebau- 
tes, ja  fast  ungekanntes  Land;  aber  schon  berührten  sich 


^)  Sehr  zahlreich  sind  die  Beispiele  einer  ScheDkang  oder  Aaftngnng 
yon  Hafen  und  Culturland,  wobei  sich  der  Schenker  seine  Keubrüche  ya^ 
behält;  z.  B.  C.  Fold.  98,  218.  Tr.  Wizz.  69.  C.  Laoresb.  251,  322. 
Viele  Beispiele  bei  Arnold,  Ansiedlungsn,  260  f. 

*)  C.  Fuld.  801,  n.  165  und  826,  n.  481 :  Ego  Ualto  et  sodi  md  (14) 
damus  atque  tradimus  captoram  hanc  quae  de  yilla  Bergbobe  capta  tft 
Ried  cod.  Ratisb.  819,  I,  20:  Venenmt  etiam  et  Uli,  qui'ininste  eaodaffl 
commarcam  (des  Bischofs)  ultra  quod  debuerant,  extirpaverunt  contra  legem. 

")  So  hatte  schon  Herzog  Tassilo  yon  Baiem  80  Slaven,  welche  ohne 
seine  Erlaubniss  Land  urbar  gemacht,  mit  diesen  an  das  Stift  Eremsrnfin- 
ster  verliehen. 


—    221     — 

allenthalben  nahe  die  Grenzen  des  markgenossenschaftlichen, 
grundherrschaftlichen  und  fürstlichen  Eigenthums;  was  aber 
noch  unoccupirt  dazwischen  lag^),  das  nahm  bald  der  König 
oder  der  Landesherr  kraft  höheren  Bechtes  in  Besitz  und 
unterwarf  es  seiner  eignen  Ordnung,  die  immer  bestimmter 
ausgesprochen,  immer  entschiedner  gehandhabt  wurde.  Die 
giDssen  Bannforste  entwickelten  sich  allmälig  in  dieser  Periode 
und  machten  dann  der  Bodung  und  beliebigen  Ansiedelung 
im  Walde  ein  Ende «). 

Soweit  nun  für  die  Bedungen  dieser  Periode  dieselben 
Motive  massgebend  blieben,  die  schon  ifa  der  frühem  wirksam 
waren,  soweit  ist  sicher  auch  der  Ausbau  der  Wohnungen 
überwiegend  in  neuen  Ortschaften,  weniger  in  Vergrösserung 
bereits  bestehender  Oite  vor  sich  gegangen.  Aber  es  macht 
sich  in  der  Karolingerzeit  doch  schon  vielfach  das  Bestreben 
nach  Erweiterung  der  Feldfluren  der  Dörfer  und  Vermehrung 
des  zu  den  einzelnen  Hufen  gehörigen  Ackerlandes  geltend, 
und  das  führte  dann  allerdings  eher  zur  Veimehrung  der 
Wohnstellen  eines  Dorfes  und  zur  Vergrösserung  der  durch- 
schnittlichen Morgenzahl  der  älteren  Hufen,  sowie  es  zur  Ge- 
mengelage der  Feldstücke  neue  Veranlassung  geben  konnte ; 
und  jedenfalls  ist  dadurch  eine  vollständigere  Ausnützung  des 
Bodens,  ein  erweiterter  Anbau  von  Körnerfrüchten  und  eine 
Vermehrung  der  Wiesen  möglich  geworden  *).   Auch  die  gross- 


')  Das8  solches  Land  noch  immer  zu  haben  war,  ist  insbesondere  ans 
solchen  Neabrüchen  zu  erkennen,  welche  als  zwischen  den  Gebieten  zweier 
Gemeinden  gelegen  bezeichnet  werden;  z.  B.  C.  Fuld.  863,  n.  584:  captnra 
quae  dicitor  Rotibah  quae  iacet  in  confinibos  Grapfeldono  et  Salageuono. 
ib.  582 :  in  finibus  Weterongono  et  Rngiheimono  in  captora  qnae  dicitor 
Steinaha.    ib.  888,  n.  628:  illisque  capturis,  quae  illis  interiacent  locis. 

^  Doch  kommen  noch  immer  vereinzelt  NeubrQche  in  foreste  vor;  so 
z.  B.  C.  Fnld.  816,  n.  323:  in  omnibus  villis  et  bivangis  et  noyalibus,  que 
capta  et  possessa  sunt  ex  his  duabns  forestis  quas  Pippinus  et  Earolus 
s.  Bonifatio  et  Stnrmi  abbati  ad  manus  tradiderunt. 

^)  Die  überwiegende  Mehrzahl  aller  Rodungen  dieser  Zeit  dient  offen- 
bar noch  zur  Vergrösserung  des  Besitzthums  und  Vermehrung  der  Wohn- 
stellen in  den  bestehenden  Gemarkungen;  so  z.  B.  Tr.  Fuld.  c.  38,  n.  159; 
c.  39,  169,  174.    C.  Fuld.  117,  377,  472,  532,  542,  675.    C.  Laur.  245,  313, 


—    222    — 

artige  Ueberfühiiing  von  Sachsen  nach  verschiedenen  Theflen 
des  fränkischen  Reichs  scheint  ebensowohl  die  Vermehrung 
als  die  Vergrösserung  der  Ortschaften  herbeigeführt  zu  haben. 
Wenigstens  treten  beide  Ai*ten  der  Ansiedelung  in  den,  aller- 
dings wenigen  urkundlichen  Erwähnungen  derselben  hervor, 
wähi'end  die  Annalen  daiHber  gar  nichts  berichten.  Die 
Sachsen,  welche  sich  im  königlichen  Forste  Buchonia  nieder- 
Hessen,  haben  Einzelansiedelungen  begründet;  aber  gleich- 
zeitig wird  einer  Ortschaft  Erwähnung  gethan,  die,  von  Fran- 
ken und  Sachsen  bewohnt,  durch  die  letzteren  wohl  in  ihren 
Wohnstellen  veimehrt  worden  ist;  und  anderwärts  werden  die 
übergeführten  Sachsen  mit  unverkennbarem  Anklang  an  die 
deutsche,  besonders  burgundische  Ansiedelungsweise  in  Gallien 
als  hospites  bezeichnet^).  Von  den  33  Sachsenorten  Baiems 
sind  gegenwärtig  14  gi'össere  und  kleinere  Dörfer,  19  aber 
Einzelhöfe  und  manche  davon  sagen  schon  in  ihrem  Namen 
aus,  wie  sie  mit  der  Colonisation  des  Landes  zusammenhän- 
gen, wie  Sachsenöd,  Sachsenried,  Sachsau,  Sachsenvorwerk 
und  Waldsachsen ').  Das  oft  wiederkehrende  Sachsenhausen ') 
dagegen  zeugt  eher  für  Sachsendörfer,  obwohl  wir  nirgends 
hören,  dass  gi'össeren  Massen  von  Sachsen  geschlossne  Gemar- 
kungen zur  dörflichen  Niederlassung  eingeräumt  woi-den  wärra, 
wenn  nicht  etwa  der  pageUus  Sassonia  im  Elsass  hieher  ge- 
zogen werden  muss^). 


329,  627,  3786.  Tr.  yfuz.  69.  Vgl  Hanssen  in  Falk,  Neues  staatab.  Mar 
gaadn,  III,  125;  VI,  47  f. 

>)  Ann.  S.  Amandi  798,  p.  14 :  hospites  capitaneos  1600  inde  addoxit 
et  per  Franciam  divisit. 

')  Die  H&lfte  dieser  Orte  ungefähr  gehört  Altbaiem  an,  nahen  die 
Hälfte  den  fränkischen  Provinzen;  je  ein  Sachsenort  liegt  in  Pfalz,  Ober 
pfalz  und  Schwaben.  Ob  sie  freilich  alle  mit  der  SachsenQberf&hioog 
durch  Karl  d.  G.  zusammenhängen,  muss  dahingestellt  bleiben. 

")  S.  Arnold,  Ansiedlungen  473:  4  hessische  Sachsenhausen,  dann  Sach- 
senhausen bei  Frankfurt;  das  bairische  Ortschaftenverzeichniss  bietet  defen 
zwei,  ein  sehr  kleines  Dorf  und  einen  Einzelhof,  ausserdem  drei  SachseD- 
dorf,  sieben  Sachsenham  [ham  =  heim]. 

*)  Tr.  Sang.  861,  n.  487.  Der  Cod.  Lauresh.  unterscheidet  im  Lobden- 
gau  ein  Sassenheim  maior,  minor  und  minima;  bei  ersterem  sind  neben 


—    223    — 

Sind  nun  auch  sicherlich  durch  diese  Vorgänge  viele 
neue  Orte  gegründet  worden,  während  die  Vermehrung  der 
Wohnstellen  in  bestehenden  Orten  aus  diesen  Ursachen  nicht 
so  belangreich  gewesen  sein  mag,  so  wirkten  doch  andre  Um- 
stände gerade  auf  dieses  Ergebniss  der  Besiedelung  mächtig 
ein :  die  immer  häufiger  werdende  Hufentheilung,  wie  sie  mehr 
noch  durch  die  ei*starkenden  Organisationstendenzen  der 
grossen  Grundherren  als  durch  die  Bedürfiiisse  einer  anwach- 
senden Bevölkeiomg  herbeigeführt  wurde ;  die  Vermehiaing  so- 
dann der  dienenden  Leute  aller  Art  bei  den  gi-ossen  Grund- 
herren, denen  diese  nun  Land  zur  Bewirthschaftung  geben 
mussten,  was  schliesslich  in  vielen  Fällen  nicht  anders  als 
durch  Abtheilung  der  alten  vollen  Hufen  oder  Niedersetzung 
derselben  auf  dem  Herrenhofe  selbst  möglich  war ;  und  endlich 
das  in  diesem  Zeitraum  sich  ausbreitende  Villicationssystem, 
bei  dem  es  wesentlich  darauf  ankam,  durch  eine  gute  geo- 
graphische wie  ökonomische  Anordnung  der  einzelnen  Güter 
eine  bessere  Ordnung,  grösseren  Ueberblick  und  gi'össeren 
Einfluss  auf  die  Summe  der  dienenden  Wirthschaften  zu  er- 
langen. Das  aber  war  im  Zweifel  immer  leichter  möglich  in 
Dörfern,  die  jede  Organisation  und  Theilung  der  Arbeit  er- 
leichterten, als  in  weitzerstreuten  Einzelhöfen '). 

Aus  diesen  Gründen,  deren  volle  Tragweite  für  die  An- 
siedelungen ei-st  im  Zusammenhang  mit  der  Entwickelung  der 
sodalen  Ordnung  und  der  Flurverfassung  dieses  Zeitraums 
dargestellt  werden  kann,  haben  wir  ein  bedeutendes  Wachs- 
thum  der  Dörfer  und  ein  verhältnissmässiges  Zurücktreten  der 
Einzelhöfe  schon  für  diese  Zeit  anzunehmen^,  obwohl  diese 


einer  Herrenhnfe  13  sernles,  bei  dem  zweiten  9  hubae  seniles,  bei  dem 
dritten  3  mansuB  genannt  Im  10.  Jahrbondert  aber  erscheinen  diese  Orte 
bereits  als  grössere  Dörfer;  vgl.  z.  B.  G.  Lauresb.  877,  n.  40  mit  989,  n.  83. 

')  Vgl.  das  Nähere  im  3.  Abschn. 

')  Beispiele  grosser  Dörfer  sind  nicht  mehr  selten ;  eine  von  Pipin  ge- 
schenkte Villa  umfasst  762  50  hob.  domin. ,  28  hob.  lidil. ,  3  hob.  eccles. 
mit  400  jugera  agr.,  400  prat.  carr.,  9  molend.  nebst  23  üamiL  serv.  und 
28  {am.  Üd.  Schannat  Tr.  Fold.  p.  10.  Die  marca  des  locus  Biberbach 
nmüust  786  30  Hufen  und  330  mandpia.    C.  Fuld.  84.    Der  locus  Bin- 


—    224    - 

Entwickelung  in  der  folgenden  Periode,  mit  Vollwirksamkeit 
der  wirtbschaftlichen  Organisation  der  gi'ossen  Grundherr* 
Schäften,  erst  recht  entschieden  hervortritt  Im  Einzelnen 
lässt  sich  ein  solches  Anwachsen  bestehender  Ortschaften  wohl 
auch  mit  bestimmten  Zeugnissen  stützen  ^) ;  im  Ganzen  aber  wird 
die  Entwickelung  mehr  mit  inneren  Gründen  gestützt  werden 
müssen.  Und  diese  liegen  allerdings  am  letzten  Ende  in  der  ge- 
sammten  wiithschaftlichen  Entwickelung  der  Periode,  welche 
Concentration  der  wirtbschaftlichen  Kräfte  an  die  Stelle  der 
Zerstreuung,  Organisation  zu  grossen  Leistungen  an  die  Stelle 
der  Isolirung  mit  ihrer  wii-thschaftlichen  Schwäche,  Unter- 
werfung der  grossen  Masse  der  freien  Ginindbesitzer  unter  den 
überlegenen  Hen-schaftswillen  Weniger  mit  gleichzeitiger  Siche- 
iimg  der  Existßnz  Aller  an  die  Stelle  einer  Ökonomischen  Un- 
gebundenheit  und  persönlichen  Freiheit  bei  äusserster  Dürftig- 
keit der  Einzelexistenzen  zu  setzen  sich  bemühte. 

Ueberhaupt  aber  dürfen  wir  von  dem  Ausbau  des  Landes 
selbst  am  Schlüsse  der  Earolingei-periode  keine  allzugrossen 
Vorstellungen  haben.  Wohl  wurde  allenthalben  und  oft  sehr 
energisch  colonisiit;  aber  die  Menschen  lagen  noch  immer  mit 
der  wildmächtigen  Natur,  ihren  Wäldern  und  Sümpfen  in 
einem  Kampfe ,  aus  dem  sie  nur  nach  jahrhundertlangen  Be- 
mühungen als  Sieger  hervorgehen  konnten.  Wir  sehen  das 
aus  den  noch  ungleich  grösseren  und  umfassenderen  Rodungen 
und  Colonisationen,  welche  im  12.  und  13.  Jahrhunderte  endÜcfa 


genheün  in  pago  Wetereiba  hat  817  plus  minus  STmansos.  G.  Fold.  325  a 
(nach  n.  325 b  gar  187  mansos).  Die  viUa  Herinstein  in  pago  Alaacend 
hat  817  mansum  indom.  und  60  andre  mansos,  Sickel  n,  119.  Der  locas 
Zinzila  in  marca  ErloldisyiUa  (also  ein  Tochtcrdorf)  828  schon  17  mansos 
com  34  mancipüs.  Scböpflin  Als.  I,  89.  In  6  YiUen  des  pagos  Grabfdd 
sind  839  200  mansi.  C.  Fold.  524.  Auch  alle  Vmen  mit  eigner  Mark 
sind  hierher  zu  beziehen;  Ygl.  die  Beispiele  bei  Maurer,  Einl.  S.  220.  Sehr 
dichte  Bewohnung  zeigt  die  YiUa  Michelstatt  im  Odenwalde,  deren  Ge- 
bietsumfang  815  1  rasta  betrug,  also  1,5  OKüometer  Inhalt  hatte  und  ron 
100  mancipia  diversi  sezus  et  aetatis  bewohnt  war,  so  dass  66  Menschen 
auf  den  OEilometer  treffen;  vgl.  meine  „Grundherrschaften"  S.  99  und 
Anm.  7. 

')  Vgl.  die  Beispiele  im  1.  Buch,  1.  Abschnitt,  S.  46. 


-    225    — 

Feld  und  Wald,  Gulturland  und  Wildniss  in  Deutschland  so 
weit  in's  Gleichgewicht  setzten,  als  diess  nach  dem  Stande 
der  Technik  und  Volkswirthschaft  möglich  war;  wir  sehen  das 
aas  dem  ganzen  Zustande  der  Landwirthschaft  dieser  Periode, 
die  noch  immer  zwischen  wilder  Feldgraswirthschaft  und  ge- 
regeltem Feldersystem  haltlos  hin  und  her  schwankte,  das 
Pferd  noch  als  wildes  Weidevieh  behandelte  und  in  dem 
Kleinvieh,  besonders  dem  Weidevieh  des  Waldes,  dem  Schweine, 
den  Schwei-punkt  der  Viehzucht  erblickte. 

Aber  dennoch  ist  es  sehr  belangreich,  was  sich  die 
Deutschen  während  der  Karolingerzeit  an  Gulturland  in  diesem 
Kampf  mit  der  Wildniss  erstritten;  und  es  ist  berechtigt, 
damit  zugleich  eine  beträchtliche  Vermehiaing  der  Volkszahl 
anzunehmen,  wenngleich  über  die  Grösse  dei-selben  nicht  ein- 
mal vage  Vermuthungen  auszusprechen  sind. 


Zweiter  Abschnitt. 

Die  Zersetzung  der  altdeutschen  StSnde  und  die  AnfSnge 
einer  neuen  socialen  Organisation. 

Die  wiithschaftlichen  und  politischen  Momente,  welche 
das  alte  sociale  Gefbge  der  deutschen  Völkerschaften  in  der 
ersten  Periode  ihrer  wirthschaftlichen  Entwickelung  zersetzten 
und  neue  Ordnungen  und  Gestaltungen  anbahnten,  haben  in 
der  karolingischen  Zeit  erst  ihre  Vollwirksamkeit  geäussert. 
Ja  sie  haben  sich  in  dieser  Periode  zu  einer  Macht  entfaltet, 
welche  zuletzt  nicht  bloss  mit  den  Ueben*esten  der  ältesten 
ständischen  Gliederung  völlig  aufräumte,  sondein  auch  der  Ge- 
sellschaft eine  in  wesentlichen  Theileft  ganz  neue  Gestaltung 
gab.  Und  sie  sind  schliesslich  auch  die  eigentliche  Quelle 
jener  neuen  Ordnung  des  öffentlichen  Lebens  und  der  poli- 
tischen Gewalten  geworden,  welche  von  da  an  durch  Jahr- 
hunderte dem  deutschen  Staatsleben  sein  eigenthümliches  Ge- 
präge gegeben  hat. 

Hatte  der  altdeutsche  Stammesadel  schon  unter  den  ver- 
ton Inama-Sternegg,  Wirtbscbaftsgeschicbt«.    I.  15 


—    226    — 

änderten  Lebensbedingungen  der  merowingischen  Periode  seine 
Grundlagen  verloi-en,  und  seine  sociale  Bevonsugung  mit  dem 
neuen  Dienst-  und  Hofadel  theilen  mOssen,  so  entwickelte 
sich  jetzt  aus  den  Resten  des  ersteren  und  den  Keimen  des 
letzteren  ein  neuer  Reichsadel,  der  in  der  Hierarchie  noch 
eine  besondere  Verstärkung  fand. 

War  die  Auflösung  des  breiten  Standes  der  Gemeinfireien 
in  die  Klassen  der  besseren,  besitzenden,  und  geringeren 
Freien  schon  in  den  ersten  Jahrhunderten  einer  ruhigen 
wirthschaftlichen  Entwickelung  weit  gediehen,  so  wird  sie  nun 
endgültig  vollzogen;  und  nur  als  Ausnahme,  wenn  auch  ver- 
einzelt in  grössei-en  Massen,  wie  in  den  Alpen^  den  friesischen 
Marschen  und  hie  und  da  in  Westfalen^)  behauptet  sich 
zwischen  den  GmndheiTn  und  den  Schutzhörigen  der  voll- 
freie  Mann  auf  seinem  bescheidenen  Erbe. 

Damit  verliert  aber  auch  der  Stand  der  Liten  die  spe- 
cifische  Bedeutung,  welche  ihm  in  der  früheren  Periode  zukam. 
Durch  gewaltsame  Untei-werfung  nicht  weiter  veimehrt,  nur 
ausnahmsweise  durch  Erhebung  aus  der  Klasse  der  Leib- 
eignen verstärkt  %  vermengen  sie  sich  mit  den  Freigelassenen, 
Colonen,  Zinsleuten  und  den  &*eien  Inhabern  fremden  Grund- 
eigenthums  immer  mehr  zu  einer  Klasse  und  sind  selbst  von 
denjenigen  oft  nicht  mehr  zu  untei'scheiden,  welche  persönlich 
unfrei,  aber  auf  selbständig  bewirthschaftetem  Zinsgute  ein 
gewisses  Mass  factischer  Freiheit  errungen  hatten^). 

Und  da  diese  Klasse  der  Leibeignen  mit  Ausdehnung  der 
Bodencultur  immer  mehr  das  Uebergewicht  über  die  leibeignen 
Hausdiener  gewinnt,  so  ist  auch  damit  zwischen  ihnen  und 
den  älteren  Liten  eine  Annäherung  erfolgt  und  im  Ganzen 
eine  Erhebung  dieser  untersten  Volksklasse  wenigstens  an- 
gebahnt ^).    Insbesondere  sind  diejenigen  unter  den  Leibeignen, 


')  Giesebrecht,  Kaiserzeit  I,  177. 

«)  Waitz  V,  206. 

^)  Waitz  IV,  290,  wo  auch  zahlreiche  Beispiele  der  versehiedeneo 
Aosdracke,  mit  denen  nunmehr  diese  Klasse  bezeichnet  wurde.    , 

*)  lieber  die  Regelung  und  Fixirung  ihrer  Dienste  und  Abgaben  Tgl 
u.  4.  Abschn. 


—    227    — 

welche  durch  bevorzugten  Dienst  oder  bevorzugten  Besitz  vor 
den  übrigen  sieb  auszeichneten,  auch  früh  schon  zu  einer  ge- 
wissen politischen  Geltung  gelangt,  indem  ihnen  wie  anderen 
Unterthanen  des  Reichs  der  allgemeine  Fidelitätseid  ab- 
genommen wurde,  womit  gewiss  auch  ihre  sociale  Annäherung 
an  die  Klassen  der  abhängigen  Freien  und  der  hörigen  Leute 
zum  Ausdrucke  kam^). 

Die  Ziele  der  merowingischen  Politik  sind  im  Wesent- 
lichen auch  während  der  Herrschaft  der  Karolinger  aufrecht 
erhalten  geblieben.  Das  Reich  der  Franken  sollte  eine  ein- 
heitliche Hen*schaft  sein,  deren  Träger,  das  fränkische  Königs- 
geschlecht, mit  der  Fülle  der  Macht  ausgerüstet  war,  welche 
die  Kraft  der  vereinigten  Völker  bot;  zur  Geltendmachung 
nationaler  Selbständigkeit  nach  Aussen  wie  zur  einheitlichen 
Ordnung  und  Hebung  der  öffentlichen  Zustände  im  Innem 
sollte  dieses  Reich  gleichmässig  befähigt  sein.  Aber  bedeutend 
sind  doch  die  Unterschiede,  welche  sich  in  der  Auffassung  der 
politischen  Mission  zwischen  der  Merowinger  und  Kaix>linger 
Regierung  ergeben. 

Die  Merowingische  Politik  war  noch  stark  in  den  An- 
schauungen des  specifischen  Frankenthums  befangen  und  daher 
auch  in  der  Verfolgung  der  politischen  Ziele  wesentlich  be- 
schränkter. Der  Schwerpunkt  der  merowingischen  Regierung 
lag  immer  in  Neustrien;  die  deutschen  Völker  des  Ostens 
worden  zwar  unterworfen  so  gut  es  ging,  aber  doch  vielmehr 
eben  nur  als  unterworfene  fremde  Völkerschaften,  denn  als 
lebendige  Glieder  des  Reiches  betrachtet.  Darum  hat  auch 
das  neue  Reich  in  der  Hauptsache  nur  in  Neustrien  jene  neue 

^)  Capit  Langobardicam  786  c.  7  (LL.  I,  51,  richtiger  Gapit  missorum 
792  c  2,  ein  zweites  selbständiges  Capituiar,  das  in  dem  Cap.  Lang,  ent- 
iialten;  vgl.  Sickel  II,  271  ff.):  cunctas  generalitas  populi  tarn  puerilitate 
annonim  12  qnamque  de  senili,  qui  ad  placita  venissent  et  iassionem 
adimplere  seniorum  et  conservare  possnnt,  sive  pagenses  sive  episcoponun 
et  abbatissuamm  vel  comitum  bominnm  et  reliquorum  bominum,  fiscalini 
qnoqae  et  coloni  et  ecclesiasticis  adque  servi,  qui  honorati  beneficia  et 
ministeria  tenent,  yeUin  bassallatico  honorati  sunt  cum  domini  sui,  et 
caballos,  arma,  et  scuto,  et  lancea,  spata  et  senespasio  habere  possunt, 
omnes  jurent 

15* 


-    228    - 

Aristokratie  erzeugt,  die  an  der  Macht  und  Herrschaft  der 
Könige  Antheil  erhielt,  an  ihi-em  grossen  Ei'ongate  sich  gross- 
saugen  und  schliesslich  die  wichtigsten  Regierungsrechte  in 
ihre  Hand  bekommen  konnte;  bei  den  östlichen  Völkern  ver- 
liert wohl  der  alte  Stammesadel  mit  der  Unterwerfung  des 
ganzen  Volkes  unter  die  fränkische  Herrschaft  an  Ansehen, 
Macht  und  Bedeutung;  aber  er  wird  hier  doch  weder  bereits 
ganz  unterdrückt,  noch  war  er  schon  in  der  Lage,  sich  ebenso 
wie  die  neustrischen  Reichen  in  eine  neue  Hof-  und  Dienstr 
aristokratie  zu  verwandeln  ^). 

So  war  während  der  ganzen  Merowingei'zeit  die  Ver- 
bindung der  beiden  Reichstheile  doch  immer  nur  eine  sehr 
lose;  ja  sie  verlor,  als  die  Könige  der  späteren  Zeit  ihre 
Herrschergewalt  schlecht  wahrten,  viel  von  der  fi-üher  bereits 
bestandenen  Festigkeit.  Und  nicht  bloss  die  politischen  Be- 
ziehungen, auch  die  socialen  und  Verkehi-sbeziehungen  blieben 
noch  immer  sehr  schwach,  der  Austausch  von  Gulturelementen 
spärlich  genug;  die  Deutschen  rechts  des  Rhein  lebten  auch 
als  Angehörige  des  Frankenreichs  ihr  sociales  Leben  in  grosser 
Selbständigkeit  und  Eigenart  dahin. 

Im  Geiste  der  karolingischen  Regierung  aber  lag  es, 
gleiche  Aufmerksamkeit  und  gleiche  Einwirkimg  beiden  Reichs- 
theilen  zuzuwenden ;  die  reiche  Gultur  Neustriens  sollte  benatzt, 
die  noch  schlummernden  Culturkiüfte  Austrasiens  sollten  ge- 
weckt werden,  um  das  neue  Königthum  mit  noch  ungleich 
grösserer  MachtfdUe  auszustatten,,  als  sie  je  im  Frank^ireiche 
vorhanden  war.  Damit  sind  aber  sofort  ungleich  reichere 
Beziehungen,  mannigfachere  Berührungspunkte  zwischen  Ost 
und  West  erzeugt  worden;  Austrasien  wird  rasch  mit  den 
Foi-tschritten  neustrischer  Cultur  vertraut;  ft-eilich  aber  auch 
unaufhaltsam  in  jene  Richtung  der  socialen  Entwickelung  ge- 
drängt, welche  in  Neustrien  schon  längst  der  KönigsheiTSchaft 
so  gefährlich  geworden  war.  Die  Einheit  der  Reichsgewalt 
vertrug  sich  auch  in  Austrasien  nicht  länger  mit  gewählten 
Stammesfürsten  und  einem  Stammesadel  als  wesentlichen  Stützen 


^)  Vgl,  1.  Buch,  2.  Abschnitt  S.  54,  58,  611 


—    229    — 

der  Herrschaft  eines  erblichen  Ffirstengeschlechts.  Sie  durch- 
drang nun  auch  hier  die  öffentlichen  Verhältnisse,  wesentlich 
nur  gestützt  auf  jene  socialen  Elemente,  welche  aus  poli- 
tischer Ueberzeugung  oder  getrieben  durch  materielle  Vor- 
theile  sich  dem  Reichsgedanken  und  seinen  politischen  Zielen 
dienstbar  gemacht  hatten,  und  in  dieser  näheren  Verbindung 
mit  der  königlichen  Gewalt  zu  einer  neuen  Aristokratie  heran- 
wuchsen, welche  in  der  alten  socialen  Ordnung  keine  Stelle 
hatte. 

Aber  auch  noch  andere  Unterschiede  in  der  Auffassung 
und  Verfolgung  der  Beichspolitik  sind  für  die  Verändeinrng 
der  socialen  Gliederung  der  deutschen  Völker  massgebend 
geworden.  Der  merowingischen  Regierung  fehlte  noch  das 
Bewusstsein  von  den  Aufgaben  der  Verwaltung^).  Unabhän- 
gigkeit nach  Aussen ,  Macht  und  Hen-schaft  nach  Innen  zu 
behaupten,  war  die  Politik  der  fränkischen  Könige;  Frieden 
im  Reiche  zu  wahren,  so  ziemlich  die  einzige  Leistung,  die 
von  dem  Gedanken  der  gemeinen  Wohlfahrt  eingegeben  war. 
Die  Karolinger  dagegen  ergi-iffen  gerade  die  Aufgaben  der 
Verwaltung  mit  grosser  Lebendigkeit;  auf  allen  Gebieten  des 
socialen  und  wirthschafUichen  Lebens  wird  die  öffentliche 
Gewalt  zur  Verwirklichung  gemeiner  Wohlfahi*t  thätig;  mannig- 
fache Einrichtungen,  zahlreiche  Organe  dienen  diesem  grossen 
Gedanken;  und  damit  wurden  wieder  die  Interessen  der  Be- 
völkerung mächtig  an  die  Regierung  des  Reiches  geknüpft, 
und  fanden  wesentliche  Förderung  im  engen  Anschlüsse  an 
dieselbe.  So  sind  in  den  zahlreichen  Beamten  und  öffent- 
lichen Functionären  wieder  i-eiche  Elemente  einer  neuen 
social  und  politisch  bevorzugten  Klasse  erwachsen,  die  mit 
jenen  in  persönlichem  Verbände  mit  dem  Könige  stehenden 
Hof-  und  Dienstadel  zusammen  einen  neuen  Stand  der  Reichs- 
aristokratie zu  bilden  befähigt  wurden,  der  sich  immer  mehr 
gleichmässig  durch  Macht  und  Einfluss  wie  durch  Besitz  und 
Herrschaft  über  Land  und  Leute  auszeichnete. 

Und  endlich  hat  auch  die  kirchliche  Politik  der  Karo- 


')  YgL  1.  Bach,  2.  Abschnitt  S.  56. 


—    280    — 

linger  in  gleicher  Weise  gewii*kt  Zu  den  Zeiten  der  Meio- 
winger  hatte  die  Kirche  sich  eine  Macht  eigentlich  doeh  nnr 
in  Neustrien  ei-worben.  Sie  war  zum  Theile  schon  geschaffen, 
als  Chlodovech  das-  Christenthum  annahm  und  bmtete  sich 
im  Westreiche  rasch  und  grossartig  aus.  Aber  wie  die  frän- 
kischen Könige  für  die  Christianisirung  der  östlichen  Yölker 
wenig  leisteten,  so  haben  sie  auch  keineswegs  zur  ökono- 
mischen Stärkung  und  socialen  Auszeichnung  vorhandner 
kirchlicher  Anstalten  wesentliches  beigetragen.  Wohl  sind 
schon  in  der  Merowingerperiode  einige  Bisthümer  und  Klöster 
entstanden,  die  es  zu  Reichthum  und  Ansehen  brachten;  aber 
gegenüber  der  Bedeutung  der  westfränkischen  Kirche  ist  doch 
Macht  und  Einfluss  dei*selben  in  Austrasien  immer  noch  höchst 
unbedeutend  geblieben.  Erst  in  der  Karolingei'zeit  entwickelt 
sich  die  Hierarchie  auch  hier  zu  einem  der  einflussreichsten 
politischen  Factoren  und  tritt  damit  ein  in  den  Kreis  der 
neuen  Reichsaristokratie,  welche  dann  ähnlich  wie  schon 
lange  im  Westreiche  «auf  die  Umbildung  der  socialen  und  po- 
litischen Verhältnisse  bestimmend  eingewirkt  hat 

Trotzdem  aber  haben  wir  doch  nur  in  sehr  beschränktem 
Sinne  das  Recht,  von  einer  zielbewussten  Socialpolitik  der 
Karolinger  zu  reden.  Wohl  betont  es  der  Biograph  Karls 
des  Gr.,  Einhard,  dass  schon  Pipins  Vater  die  Tyrannen, 
die  sich  im  ganzen  Frankenreiche  Herrschaft  angemasst,  unter' 
drückt  habe^);  und  er  hebt  damit  allerdings  einen  charak- 
teristischen Zug  der  karolingischen  Politik  überhaupt  hervor. 
Auch  in  der  Folge  wendet  sie  sich  gegen  die  selbständigen 
Gewalten  im  Reiche,  hebt  in  Deutschland  die  alten  Stammes- 
herzogthümer  auf,  führt  die  schon  unter  den  Merowingem  zu 
grosser  Selbständigkeit  gelangten  Grafen  wieder  in  die  Stellaog 
wahrer  Beamten  zurück  *),  und  lässt  ganz  offenbar  mit  Ab- 
sicht die  Reste  des  alten  Stammesadels  unbeiücksichtigt,  ja 


^)  Einh.  Vita  Car.  c.  2:   Karolas  qui  tyrannos  per  totam  FrandAn 
dominatum  sibi  vindicantes  oppressit.        • 
'     ^  Waitz,  YerfasBongsgeschichte  m,  826.    Die  Beispiele,  nach  welcbeo 
auch  niedriggeborne  Männer,  Freigelassene,  zu  Grafen  erhoben  werden,  ge- 
hören allerdings  nur  Neustrien  an. 


—    231     - 

setzt  sie  wohl  geradezu  gegenüber  den  neuemporgekommenen 
Familien  zurück.  Nur  die  Ausnahmszustände  in  Sachsen  und 
Friesland  machen  auch  hierin  ein  anderes  Verhalten  nöthig; 
Karl  d.  6r.  hat  da  den  Adel  bestehen  lassen^),  ihn  sogar 
durch  Verleihung  von  Grafenämtem  noch  besonders  in  Macht 
und  Ansehen  gemehrt'),  wenn  gleich  der  sociale  Niedergang 
der  Freien  in  Sachsen  eher  auf  die  allgemeinen  Ursachen 
zurQckgefbhi-t  werden  muss,  die  auch  anderwärts  im  Franken- 
reiche zu  einer  Steigerung  der  MachtfQlle  der  Gi'ossen  des 
Volks  gef&hii  haben,  besonders  seit  Ludwig  der  Fromme 
ihnen  die  Erbgüter  wieder  restituirte  ^),  welche  sie  in  den 
Zeiten  der  sächsischen  Kriege  verloren  hatten. 

Aber  das  Aufkommen  einer  neuen  Aristokratie  konnten 
und  wollten  die  Karolinger  nicht  verhindern.  Schon  um  König 
zu  werden  suchte  Karl  d.  Gr.  die  Zustimmung  der  Grossen 
nach  *),  und  auch  bei  den  Reichstheilungen  *)  wurden  sie  bei- 
gezogen; unter  seinen  Nachfolgern  aber  hat  ihre  wachsende 
Macht  sich  noch  weitere  Befügniss  zu  eningen  vermocht^). 
Ebenso  war  schon  Karl  d.  Gr.  doch  meistens  genöthigt,  die 
Grafenstellen  mit  den  Vornehmsten  der  Länder  zu  besetzen  ^) 
und  damit  dem  aristokratischen  Begimente  wieder  bedeutenden 
Vorschub  zu  leisten;  unter  seinen  Nachfolgern  ist  nicht  bloss 
diese  Besetzung  die  Regel,  sondein  auch  die  Erblichkeit  dieser 
Aemter    bei   den  vornehmsten   Familien  üblich  geworden®). 

')  Vgl.  die  aus  karolingiscber  Zeit  stammenden  leges  Saxonum  und 
Frisionom. 

')  Ann.  Laoresh.  782  (LL.  I,  31)  Habuit  Carolas  rex  conventom 
magnom  exerdtos  sni  in  Sazonia  ad  Lippinbnmnen  et  constitait  super 
eam  ez  nobilissimis  Sazones  genere  comites. 

')  Vita  Hludowid  c  24  (SS.  II,  619) :  Quo  etiam  tempore  Saxonibus 
atque  Frisionibns  jus  patemae  hereditatis ,  quod  sub  patre  ob  perfidiam 
legaliter  perdiderant,  imperatoria  restituit  dementia. 

*)  Ann.  Laur.  maL  771  (SS,  I,  148). 

*)  Ann.  Einb.  806  (SS.  I,  193):  conventom  habuit  imperator  cum 
piimoribus  et  optimatibas  Francomm  de  divisione  regni  fadenda. 

*)  Waitz,  Verfftssungsgeschidite  III,  240. 

"*)  So  haben  in  Alamannien  die  Nachkommen  des  alten  Herzogshauses 
mehre  Ora&chaften  inne;  St&lin,  wirttemb.  Geschichte  I,  233.  327 

»)  Waitz  ni,  329. 


—    232    — 

Nicht  minder  hat  die  wachsende  Bedeutung  der  Hofverhftltnififie 
das  Emporkommen  eines  höfischen  Adels  begünstigt,  ohne 
dass  die  Könige  irgend  gegen  diese  Entwickelung  sich  ge- 
wendet hätten.  Und  schliesslich  haben  das  Seniorat  und  die 
Vermehrung  der  Immunitäten  dieser  aristokratischen  Tendenz 
der  socialen  Entwickelung  den  Schlussstein  eingefügt  und  das 
Schicksal  der  kommenden  Gesellschaftsordnung  besiegelt 

Ganz  ähnlich  aber  war  das  Verhalten  der  Karolinger 
gegenüber  der  geistlichen  Aristokratie ;  auch  sie  ist  zuerst  in 
Schranken  gehalten;  die  BisthQmer  wurden  nicht  selten  mit 
abhängigen  Männem  von  geringer  Herkunft  besetzt^);  auch 
war  ihr  allgemeiner  Einfluss  anfänglich  vielleicht  nicht  mehr 
so  bedeutend  wie  in  den  ei^sten  Zeiten  des  Frankem*eichs^; 
aber  ihr  wacfisendes  Vermögen,  die  Amtsgewalt,  welche  ihnen 
Karl  verlieh  und  die  Freiheiten,  die  sie  sich  erwarben,  hoben 
sie  doch  bald  wieder  an  die  ei*ste  Stelle  der  socialen  Geltung 
und  politischen  Macht  empor,  besonders  seit  der  fromme 
Ludwig  sie  so  auffallend  begünstigte^). 

Vielfach  ist  besondere  Karl  d.  Gr.  als  Beschützer  der  Ge- 
meiüfreien  und  der  untern  Volksklassen  bezeichnet  und  ge- 
priesen worden.  Und  es  lässt  sich  in  der  That  nicht  verken- 
nen,  dass  er  vielfach  den  Unterdrückungsvereuchen  gewehrt  und 
manches  zur  Erhaltung  der  Freiheit  gethan  und  verfügt  hat  *). 

Aber  wie  das  zum  guten  Theil  sicher  nur  geschah,  um 
dem  offenbaren  Unrecht  zu  steuern  und  ein  allzu  grosses 
Anwachsen  der  Macht  bei  Grafen  und  geistlichen  Würden- 
trägem zu  verhüten,  so  ist  anderseits  klar,  dass  auch  die 
humanen  Ideen,  welchen  der  grosse  Kaiser  in  seinen  Capitu- 


')  Thegan  rita  Ludow.  c.  20,  43,  44,  50.  Monach.  SangalL  I,  3 
(8S.  II,  732), 

«)  Waitz  ni,  358. 

')  Nach  der  Angabe  bei  Helmold  I,  4 :  amplisBimas  regni  diTitias  k 
decorem  et  gloriam  ecdesiae  intorquens  in  tantom,  ut  episoopos,  qni 
propter  animaram  regimen  principes  sunt  caeli,  ipse  eosdem  nihflominns 
principes  efficeret  regni.    8.  u.  S.  284. 

*)  Die  verschiedenen  Stellen  der  Capitularien  8.  u.  in  anderem  Zu* 
sammenhange  S.  245 f.  u.  S.  249  f.    257. 


—    233    — 

larien  Ausdruck  gab,    auf  schlecht  bereiteten  Boden  fielen. 
Keine  seiner  vielen,   oft   tiefgreifenden  Vorschriften   ist  so 
TO'kungslos  geblieben  als  gerade  diese,   weil  eben  die  Ver- 
hältnisse stärker  waren  als  der  Wille  und  auch  die  Macht 
des  stärksten  Organisators  0-    Ja  die  Karolinger  selbst  haben 
doch  nicht  selten  Freie  geistlichen  Stiftern  übertragen  und 
wenn  sie  ihnen  dabei  auch  die  Freiheit  vorbehielten  *),  so  war 
diese  Aenderung  der  socialen  Stellung  doch  zugleich  immer 
auch  der  Anfang  einer  rechtlichen  Mindeining.     Sie  haben 
auch   anerkennen   müssen,    wie  dies   zum  Theil    noch    die 
Strenge  einzelner  Volksrechte ^)  verlangte,    dass  einer  wegen 
Geldschuld    oder    von    der    Noth     des    Lebens    bedrängt 
seine  Freiheit  verlieren    könne*);    und    die  Verwalter  des 
königlichen  Fiskus  haben   sich  vielfach   eben   so  wenig  wie 
andere  Grosse  besonnen,  die  armen  Freien  und  ihre  Güter 
mit  mehr  oder  wenig  Recht  an  sich  zu  ziehen  ^).    Schliesslich 
war  dann  auch  die  Verallgemeineining  des  Senioratsverbandes, 
and  die  Einräumung   der  Immunitäten    gerade  am   meisten 
geeignet,  die  Behauptung  der  alten  Vollfreiheit  für  die  Mehr- 
zahl der  Unterthanen  unmöglich  zu  machen;  und  so  ist  die 
karolingische  Socialpolitik,  soweit  wir  von  einer  solchen  über- 
haupt sprechen  können,   schliesslich  jedenfalls  weit  entfernt, 
sich  auf  die  Grundlage  der  Gemeinfreien  besondei*s  zu  stützen. 
Die  Wechselwirkung  zwischen  Politik  und  Wirthschaft,  welche 
als  ein  Grundzug  der  Entwickelung  aller  Staaten  und  aller 
Völker  zu  erkennen  ist,  lässt  sich  auch  hier  wieder  auf  das 


^)  Schon  Thegan  Vita  Ladow.  c.  18  (SS.  n,  593)  berirjitet,  dasB  die 
ndssi  egresd  invenerunt  innumeram  moltitadinem  oppressorum  aut  abla- 
tione  patrimonii  aut  expoliatione  libertatis;  quod  iniqui  ministri,  comites 
et  locopositi  per  mahim  ingenium  exercebant. 

«)  Beispiele  bei  Waitz  IV,  282. 

«)  Vgl.  1.  B%juT.  I,  10;  II,  1 ;  VH,  8,  4. 

*)  Capit  Vermer.  755  c.  6;  Capit  Aquisgr.  813  c.  15;  Gap.  817  c  2; 
Cap.  ad  1.  SaL  819  c.  6;  Constit.  Olonn.  823  c.  10;  Const.  in  Maringo 
825  a  1 ;    Const  Olonn.  825  capit.  gener.   c.  10;   EdicL  Pist.  864  c.  34. 

»)  Z.  B.  Mittelrh.  ürk.  770  I,  n.  22;  ib.  821  n.  53.  Mon.  Boic  823 
Bd.  31  a.  n.  19.  ürk.  Ludw.  840,  Sickel  II,  204.  Andere  Beispiele  bei 
Waitz  IV.  118. 


-     234    — 

Allerbestimmteste  verfolgen.  Wie  immer  die  politische  BoUe, 
die  einem  Volke  zu  spielen  von  dem  Weltenschicksale  bestimmt 
ist,  für  die  Entfaltung  seiner  Kräfte,  die  Ordnung  und  Alis- 
gestaltung  seiner  socialen  Einrichtungen  massgebend  wird« 
so  ist  andei*seits  in  der  Fülle  der  Kraft,  die  im  Volke  wohnt, 
und  in  den  natürlichen  Entwickelungsgesetzen  dei-selben  auch 
Mass  und  Art  seiner  politischen  Bethätigung  vorgezeichnet. 
Und  so  hat  auch  hier  das  politische  System  der  Karolinger 
gewiss  nicht  minder  EinlSuss  geäusseit  auf  die  Umbildung  der 
socialen  Ordnung,  auf  die  Entwickelung  der  wirthschaftlichen 
Zustände,  in  denen  das  Volk  diese  neue  Zeit  erlebte,  als  die 
elementaren  Kräfte  des  Volks-  und  Wirthschaftslebens  schließ- 
lich doch  auch  diesem  politischen  System  seine  Richtung  vor- 
gezeichnet,  sein  eigenartiges  Gepräge  gegeben  haben. 

Wir  haben  an  dieser  Stelle  besondei*s  die  Wirksamkeit 
jener  elementaren  Kräfte  des  Volkslebens  zu  beobachten, 
welche,  an  Besitz  und  an  Erwerb  sich  äussernd,  dem  Bereiche 
des  Wii*thschaftslebens  der  Nation  angehören.  Die  alte  gesell- 
schaftliche Ordnung  der  Deutschen  war  durch  die  gänzlich 
veränderten  wirthschaftlichen  Grundlagen  des  Volkslebens 
hinfällig  geworden.  Schon  lag  im  Grundbesitz  der  Schwer- 
punkt der  ökonomischen  Existenz,  die  Wurzel  socialer  Geltung; 
weder  die  Zugehörigkeit  zu  einem  der  alten  Volksstände,  noch 
der  sociale  Zusammenhalt  der  Sippe  und  des  Geschlechts, 
noch  die  Genossenschaft  freier  Männer  am  gemeinen  Lande 
der  Gemarkung  schützte  den  Einzelnen  wirksam  vor  socialem 
Niedergang^).  Nur  eigne  wirthschaftliche  Macht  vennochte 
ihn  vor  der  auch  socialen  Schwächung  zu  schützen,  die  ihni 
mit  der  Isolirung  drohte.  Und  das  um  so  mehr,  je  mehr 
mit  Zunahme  der  Bevölkerung,  mit  Steige/iing  der  Bedürf- 
nisse in  Folge  näherer  wirthschaftlicher  Beziehungen  zu  dem 
reicher  entwickelten  Westreiche  und  mit  allgemeiner  Erhöbung 
der  Gultur  im  Volke  die  Ansprüche  an  das  Leben  und  daher 
auch  das  Minimum  des  Masses  wirthschaftlicher  Leistung 
wuchs,  das  der  einzelne  als  Gegenwerth  gegen  die  höheren 


')  Vgl.  I.  Buch,  2.  Abschnitt  S.  80. 


—    235    — 

und  werthvolleren  Güter  eintauschen  konnte,  die  ihm  ein  nach 
allen  Seiten  gesteigertes  Volksleben  bot 

Nun  war  allerdings  Gmndbesitz,  die  wichtigste  Quelle  der 
Güter,  in  jener  Zeit  noch  immer  zu  reicher  Verfügung.  Noch 
bot  die  Mark  mit  ihren  Gemeingründen  Gelegenheit  zur  Aus- 
dehnung der  Wirthschaft  genug;  aber  nur  mit  vermehrten 
Arbeitskräften  konnte  sie  der  Cultur  gewonnen  und  für  Stei- 
gei-ung  der  Producte  benutzt  werden.  Zunächst  allerdings 
war  wohl  der  kleine  freie  Grundbesitzer  auch  in  der 
Lage,  mittelst  der  Angehörigen  seiner  Familie  solche  Aus- 
dehnung seiner  wirthschaftlichen  Ginindlagen  anzustreben ; 
aber  es  hielt  nicht  lange  vor;  die  Kinder  gründeten  einen 
eignen  Haushalt  und  es  gewann  höchstens  die  Mark  an  Colo- 
nisation,  aber  nicht  die  Märker  an  ökonomischer  Kraft. 

Zudem  musste  ja  bald  der  Punkt  eintreten,  auf  welchem 
die  leichte  Culturarbeit,  die  auf  seichter  Krume  in  wenig 
mühevoller  Ersetzung  des  Wald-  und  Weidelands  durch 
Acker  und  Wiese  sich  bewegte,  ihr  naturgemässes  Ende  fand. 
Schwere,  weit  aussehende  Culturarbeit  an  Urwald  und  Sumpf- 
land vorzunehmen,  war  aber  der  auf  sich  selbst  angewiesene 
Freie  nicht  im  Stande.  Die  Genossenschaft  half  ihm  nicht 
mehr  wie  damals,  wo  das  Volk  noch  in  stramm  militärischer 
Ordnung  gemeinsam  sich  das  Pflugland  bereiten  mochte,  das 
dann  auch  gemeinsam  bebaut  und  genutzt  wurde.  Dazu  war 
die  IndividuaHsiining  der  Wirthschaft  längst  zu  weit  vor- 
geschritten; höchstens  dass  dann  und  wann  sich  Verwandte 
zusammenthaten,  um  gemeinsam,  nach  alter  Väter  Weise,  ein 
Stück  Landes  zu  cultivirenO- 

So  ist  schon  frühzeitig  die  Möglichkeit  sich  wirthschaft- 
lich  auszubreiten  und  in  vergrössertem  Grundbesitz  zu  stärken, 
im  Wesentlichen  bei  den  Wenigen  allein  gestanden,  welche 
für  ihre  eignen  ökonomischen  Zwecke  reichlich  über  fremde 
Arbeitskräfte  verfügten.  Wie  die  Rodung  selbst,  wenigstens 
wo  sie  im  grossen  Stile  und  mit  weitaussehender  Colonisirungs- 


')  Z.  B.  Cod.  Laar.  794  n.  894.  ib.  828  n.  377.    C.  Fold.  829  n.  479. 
Aach  C.  Fnld  801  n.  165. 


—    236    — 

arbeit  vorgenommen  wurde,  nur  den  Herren  zahlreicher  Knechte 
und  Untergebner  möglich  war,  so  veflangte  auch  die  Ver- 
werthung  des  gewonnenen  Neulands  gebieterisch  eine  Aus- 
dehnung des  persönlichen  Heri-schaftsverhältnisses.  Und  auch 
da,  wo  der  kleine  freie  Grundbesitzer  mit  besondei's  ener- 
gischer Bethätigung  wirthschafUichen  Strebens  durch  Rodung 
seinen  Besitz  zu  vergrössem  verstand,  war  es  nicht  anders. 
Auch  ihm  war  damit  das  Verlangen  sofort  rege  gemacht, 
neben  dem  sachlichen  Herrschaftsrechte  auch  ein  entsprechend 
grosses  pei-sönliches  zu  entwickeln.  Denn  nicht  mit  Grund 
und  Boden  an  sich,  sondern  nur  mit  dem  Pfluge,  der  ihn 
bearbeitete,  und  mit  den  Händen,  welche  sich  im  Dienste  des 
Herrn  zur  Gewinnung  reicher  Bodenerträge,  zur  Steigerung; 
der  Viehzuchtsproducte  und  Anfeiügung  der  nöthigen  Gewerbs- 
ei-zeugnisse  regten,  erhielt  der  Grundeigenthümer  eine  öko- 
nomische Macht  und  erlangte  die  Verfügung  über  grössere 
ökonomische  Werthe,  die  ihm  dann  auch  seine  sociale  Ueber- 
legenheit  vorbereiteten. 

Und  diese  Arbeitskräfte  mussten  die  Grundherrn  in 
möglichst  feste  Verbindung  mit  ihrer  Herrschaft  zu  zwingen, 
ihrem  Willen  unbedingt  und  ausschliesslich  unterzuordnen 
stets  bemüht  sein.  Denn  noch  war  nicht  die  Zeit  gekommen, 
welche  ein  Arbeitsverhältniss  durch  freien  Vertrag  begründen 
liess  und  in  festem  Lohn  eine  Theilung  des  Arbeitserfolges 
zwischen  dem  Hen-n  des  Gutes  und  seinen  Arbeitskräften 
ermöglicht  hätte  ^).  Der  Mangel  an  Geld  und  fungiblen 
Weiihen ,  der  Mangel  eines  Markts  und  geregelten  Absatzes 
der  Producte,  mit  einem  Worte  die  Natui'alwirthschaft,  welche 
noch  die  ganze  Periode  hindurch  heiTSchte,  verwehite  ebenso 


1)  Zum  Theil  war  das  in  dem  wirthschaftlich  viel  reicher  entwickdten 
Keustrien  anders;  der  Gonventos  Silvacensis  853  c.  9  (LL.  I,  425)spridit 
TOD  Lohnarbeit:  Nemo  autem  eoB  inserrire  praesumat,  eo  qnod  loco  meh 
cenarii  apud  aliquem  manserint,  nee  cenaom  aut  tribntam  ezigere.  V|^ 
aber  doch  schon  Capit  Aquisgran.  817  c.  5  (LL.  I,  215)  wo  in  eisern 
bestimmten  Falle  statt  der  Dienste  Geld  zu  geben  gestattet  ist,  com  quo 
pretio  rector  ecdesiae  ad  praedictam  restaurationem  operarios  oondncen 
et  materiam  emere  possit;   das  N&here  hierüber  im  4.  and  5.  Abschnitt 


-    237    — 

einen  durch  Kapital  herbeizuführenden  intensiveren  Anbau,  wie 
sie  in  der  daueniden  Yerknapfung  der  dienenden  Arbeit  mit 
dem  hen*schaftlichen  Grundbesitze  und  der  herrschaftlichen 
Wirth8chaftsorganisation  die  einzige  Sicherung  eines  stets 
genügenden  Bestands  an  Arbeitskräften  sicherte.  So  ist  das 
übemll  hervortretende  Streben  grösserer  Grundherra  hinläng- 
lich erklärt,  Leute  der  verschiedensten  rechtlichen  und  socialen 
Lage  in  ihren  Herrschaftsbereich  zu  ziehen,  wozu  schon  die 
vorangegangenen  Zeiten  gi-ossentheils  die  Foimen  gefunden 
hatten,  nunmehr  aber  noch  manche  neu  erzeugt  und  zu  un- 
geahnter Tragweite  ausgebildet  wurden.  * 

Das  erste,  wichtigste,  unerlässlichste  f(lr  jede  gi*osse 
Gutswii-thschaft  war  ein  fester  Bestand  von  Leibeignen,  welche 
am  Hofe  des  HeiTn  die  täglichen  Arbeiten  der  Küche,  des 
Haushalts  und  der  Stallungen  versahen,  das  Salland  bebauten 
und  die  Ernte  versorgten,  auch  zu  aller  Art  von  Handwerk 
und  mancher  Kunstfertigkeit  brauchbar  waren.  Ihnen  reihen 
sich  diejenigen  an,  welche  auf  den  dienenden  Mausen  als 
Unfreie,  wenn  auch  in  bessei*er  und  selbständigerer  Lage 
Sassen,  und  in  der  Hauptsache  jene  Theile  des  heri'schaflr 
lichen  Guts  bebauten,  die  nicht  der  eignen  Verwaltung  des 
Herrn  vorbehalten  oder,  soweit  sie  das  waren,  doch  von  den 
leibeignen  Hausdienei-n  nicht  genügend  versoi*gt  werden  konn- 
ten ^).  Es  ist  unverkennbar,  dass  diese  Leibeignen,  mancipia 
und  servi  casati  während  der  Karolingerzeit  in  viel  grösseren 
Massen  vorkommen,  für  den  Gesammtcharakter  der  landwiith- 
schaftlich  beschäftigten  Yolksklasse  und  für  die  Volkswirthschaft 
überhaupt  viel  entscheidendere  Bedeutung  erlangen,  als  in  der 
Torausgegangenen  Periode^).     Und  doch  scheint  diess  nicht 


^)  Das  n&here  über  die  wirthschaftlichc  Verwendung  der  Leibeignen 
im  4.  Abachn. 

')  So  sind  beispielsweise  in  den  95  ältesten  Traditionen  von  Weissen- 
burg  bis  770  nur  4  mal  mebr  als  12  Leibeigne  mit  zusammen  141  Per- 
sonen genannt,  in  den  95  folgenden  bis  800  8  mal  mit  zusammen  899  L. 
In  den  80  ältesten  Fuldaer  Traditionen  bis  785  sind  in  11  Fällen  mehr 
als  12  Leibeigne  mit  zusammen  268,  in  den  folgenden  80  Urkunden  bis 
><00  21  Fälle  mit  zusammen  1051  Leibeignen  enthalten. 


—    238    — 

80  fast  in  einer  absoluten  Verbreitung  des  Zustands  der  gänz- 
lichen Un&'eiheit  als  vielmehr  in  einer  Concentration  der 
Leibeignen  bei  immer  weniger  Grundhenm  begründet  zu  sein. 
Zwar  auch  jetzt  stehen  noch  die  Wege  offen,  auf  denen  firflher 
schon  Leute  der  vei-schiedensten  socialen  Lage  unter  das  Joch 
der  Leibeigenschaft  geführt  wui'den.  Die  Kriegsgefangenschaft, 
bei  allen  rohen  Völkern  eine  beständige  Quelle  der  Unfreiheit, 
hat  auch  in  dieser  Periode  den  deutschen  Grundherrn  noch 
viel  dienendes  Volk  zugeführt ;  insbesondere  hliben  die  glück- 
lichen Kriege  Karls  des  Grossen  gegen  Sorben,  Wenden  und 
Avaren  die  Reihen  der  Leibeignen  durch  slavische  Kriegs- 
gefangene vielfach  vermehi*t,  wie  aus  dem  nicht  unbeträcht- 
lichen Bestände  von  slavischen  Bauem  auf  den  Gütern  der 
geistlichen  und  weltlichen  Grundherrn  der  fränkischen  Lande 
zu  ersehen  ist  ^).  Vereinzelte  Beispiele  lassen  wohl  auch  entr 
nehmen,  dass  daneben  der  Deutsche  den  Deutschen  selbst  in 
Leibeigenschaft  hielt,  wenn  er  ihn  als  Geissei  oder  Gefangenen 
in  innerer  Fehde  nach  Kriegsbrauch  erworben  hatte*). 

Auch  durch  Kauf  und  Tausch  war  noch  immer  der  Leib- 
eigne zu  erwerben;  mit  Geld,  mit  Giundstücken  oder  andern 
Werthen  sind  sie  von  reichen  GrandheiTn  eingekauft  worden '). 
Aber  die  bedeutende  Vermehrung  leibeigner  Arbeiter,  welche 
sich  durchgehends  bei  den  grossen  Grundherrschaften  dieser 
Zeit,  vorab  bei  den  weltlichen,  zeigt,  ist  doch  auf  diese  Ur- 
sachen Qicht  zurückzuführen.  Die  Kriegsgefangenschaft  hörte 
jedenfalls  bald  als  solche  Ursache  auf;  die  spätere  Karolinger- 
zeit ist  ja,  weit  entfemt  Kriegsruhm  und  Erfolg  zu  verzeichnen^ 
auf  notlidürftige  Erhaltung  der  gewonnenen  Reichsgrenzen 
angewiesen  gewesen.     Und   auch  der  Kauf  von  Leibeignen 


>)  Z.  B.  G.  Fnld.  816  n.  328  de  lidis,  triduanis,  liberh,  colonis  scIaTis 
et  quicquid  higasinodi  est  G.  Laur.  877  n.  40  im  Lobdengaa  ubi  Sehn 
habitant,  hubas  serviles  3 ....  et  illum  locum  ubi  Sclavi  habitant  com  ipsis. 

«)  Urk.  823  Sickel  II,  145;  825  ib.  156.  Vgl.  Gu^rard  Irminon  I* 
S.  290. 

«)  Marculf  App.  (21.  Trad.  Sang.  761  n.  31;  769  n.  53;  772  n.  64. 
Vgl.  aucb  die  yielen  Beispiele  aus  den  Trad.  Fuld.  und  Corbeiens.  bei 
Gu^rard  Polyptique  de  TAbbö  Irminon  I,  292. 


—    239    — 

konnte  ihre  Gesammtzahl  doch  nur  vennehren,  wo  er  sie  vom 
Auslände  bezog.  Wir  hören  aber  nichts  von  einer  Einfuhr 
von  Leibeignen  nach  den  deutschen  Landen ;  wohl  aber  hat 
Gallien,  hat  Spanien  ^)  und  später  auch  das  neue  Slavenreich 
im  Osten  starke  Nachfrage  nach  deutschen  Sklaven  unter- 
halten ^).  Und  nberdiess  war  ja  in  einzelnen  Provinzen  schon 
längst,  für  das  ganze  Reich  seit  Karl  d.  6r.  der  Verkauf  über 
die  engere  Grenze  des  Stammlandes  verboten^).  Häufiger 
Kauf  von  Leibeignen  im  Innern  des  Landes  aber  konnte  wohl 
die  Vertheilung  aber  nicht  die  Gesammtzahl  ändern. 

Man  hat  dann  die  behauptete  grosse  Zunahme  der  ab- 
soluten Zahl  der  Leibeignen  durch  die  bei  ihrer  Lebensweise 
natürliche  Fruchtbarkeit  zu  erklären  versucht*).  Aber  was 
uns  an  Daten  über  die  Bevölkeiimgsbewegung  dieser  Zeit  zu 
Gebote  steht,  bietet  doch  für  eine  solche  Annahme  keinerlei 
Anhaltspunkt  Vielmehr  ist  aus  vielen  Beispielen  der  ver- 
schiedensten Gegenden  und  wirthschaftlichen  Gebiete  Deutsch- 
lands zu  ersehen,  dass  während  der  ganzen  Zeit  die  Kinder- 
frequenz der  Leibeignen  sich  weit  hinter  der  Ziffer  hält,  die 
wii'  etwa  gegenwärtig  als  normale  anzusehen  gewöhnt  sind; 
auf  die  Ehen  der  Leibeignen  entfallen  im  grossen  Durchschnitte 
nicht  viel  über  2  Kinder  und  auch  die  uneheliche  Progenitur 
darf  nicht  so  hoch  angeschlagen  werden,  dass  sie  die  Altei's- 
klassen  der  Kinder  überhaupt  in  ein  wesentlich  günstigeres 
Verhältniss  zu  den  erwachsenen  Altersklassen  zu  setzen  ver- 
mocht hätte  ^). 

Die  seit  Altei*s  geübten  Gmndsätze,  dass  die  Ehe  mit 
Unfreien  selbst  unfrei  mache,  und  dass  die  Kinder  solch  ge- 

»)  Liudpr.  VI,  6.    Vgl.  Waitz  V,  S.  192. 

*)  VgL  insbes.  Wattenbachs  Zusammenstellung  der  Nachrichten  im 
Anzeiger  för  Kunde  der  deutschen  Vorzeit  1874  No.  2,  S.  87£ 

')  Vgl.  1.  Alam.  Hloth  37,  1  (LL.  III,  57):  ut  mandpia  foris  pro- 
nnda  nemo  vindatur.  Capit  Frandc  779  c.  19  (LL.  I,  88):  et  foris 
marca  nemo  mandpia  vendat.  Decr.  Tassil.  Niuh.  c.  l  (LL.  III,  464)  ut 
noüus  a  provinda  sua  mancipium  venundare  praesumpserit.  Ed.  Pist 
864  c.  34  (LL.  I,  497). 

*)  So  Walter,  Rechtsgeschichte  II,  385. 

'0  VgL  die  Tabelle  in  Beilage  No.  5. 


—    240    — 

misch ter  Ehen  der  ärgeren  Hand  folgen^),  waren  dagegen 
allerdings  einer  Yermehning  der  leibeignen  Bevölkerung 
günstig;  aber  doch  sind  sie  schon  in  dieser  Zeit  vielfach  ge- 
mildert ^).  Ebenso  konnte  es  das  Verhältniss  der  freien  zur 
unfreien  Bevölkerung  zu  Ungunsten  der  ersteren  verändern, 
dass  nur  diese  in  den  Krieg  zog,  ihre  Reihen  also  ausschliess- 
lich von  den  vielen  und  besondei's  gegen  Ende  der  Earolinger- 
periode  unglücklichen  Kriegen  (Normannen,  Ungarn !)  decimirt 
wurden^);  aber  dafür  sind  doch  auch  wieder  eine  Reihe  von  Ur- 
sachen, welche  in  ältester  Zeit  häufige  Unfi*eiheit  begründeten, 
Kriegsgefiangenschaft,  Spielverlust,  Verkauf  der  Kinder  in  die 
Unfreiheit  und  andere  in  dieser  Zeit  in  Wegfall  gekommen. 

Nur  eine  Ursache,  die  freiwillige  oder  durch  Noth  er- 
zwungene Ergebung  in  Knechtschaft  hat  sich  in  dieser  Zeit 
i*echt  eigentlich  für  Vermehrung  der  Leibeignen  wirksam  er- 
wiesen. Diese  ist  aber  im  Zusammenhang  mit  einer  andern 
Reihe  von  Erscheinungen  zu  betrachten,  welche  zur  Minderung 
des  Standes  der  gemeinen  Freiheit  ftlhi-ten  und  damit  zumeist 
jene  Kluft  ei*zeugten,  welche  in  die  sociale  Schichtung  der  Be- 
völkerung während  der  Karolingerzeit  gekommen  ist,  und 
diese  in  eine  herrschende  und  eine  dienende  so  scharf  ge- 
schieden hat. 

Stärker  als  in  den  Zeiten  einer  wenig  festen  agrarischen 
Ordnung  musste  die  natürliche  Attractionskraft  der  politischen 
Macht,  des  socialen  VoiTangs  und  Reichthums  wirken,  sobald 
einmal  der  Ausbau  im  Stammlande  eine  gewisse  Intensität  er- 
langt hatte,  und  die  festen  Grenzen  einer  durchgeführten  Agrar- 
und  Flurverfassung  die  Bevölkerung  umschlossen.  Die  Welt 
war  nun  vertheilt,  und  jeder,  der  zu  spät  kam,  musste  sich 
in  diese  Ordung  fügen.  Vor  dem  Abenteurer,  der  landlos 
umhei-zog,  schlössen  sich  ihre  Thore;  ohne  Heimat  und  ohne 


')  Schon  1.  Ripuar  58,  9,  10,  14—16.  L,  Alam.  Hloth.  18,  S»  4. 
Auch  Gap.  803  c.  8,  LL.  I,  121. 

*)  Insbesondere  durch  die  Anwendung  des  Grundsatiea,  dass  dtf 
Kind  der  Mutter  folge,  also  frei  wurde,  wenn  diese  es  war;  vgl  Gnätfd 
Irminon  I,  416—419. 

')  Das  macht  besonders  Stälio,  wirtt  Qeschichte  I,  227  geltend. 


—    241     — 

den  socialen  Halt,  den  entweder  die  Markgenossenschaft  oder 
das  Mitium  eines  Herrn,  die  Commendation  oder  das  Vassallen- 
verhältniss  bot,  liess   sich  eine  geordnete  Existenz  gar  nicht 
denken;    vor  allen  andern  Freien  sind  die  solivagi,  wie  man 
sie  bezeichnend  nannte^),  der  neuen  Gestaltung  der  socialen 
und  wirthschaftlichen  Vei'hältnisse  zum  Opfer  gefallen.    Immer 
mehr  schloss   sich  die  Markgenossenschaft   nach   aussen   ab 
gegen  den  Zuzug  solcher  Leute,   wozu  sie  stets  Neigung  ge- 
habt hattet;  dagegen  bot  gerade  die  grosse  Grundhen'schaft 
mit   weitem    gerodeten    und    ungerodeten   Lande   ihnen    ein 
rechtes    Refugium.     Ihr   konnte   auch    solcher   Zuwachs   an 
Arbeitskräften  nur  erwünscht  sein  und  sie  war  anderseits  in 
der  Lage,   alles  dasjenige  zu  bieten,  was  der  Ankömmling 
sachte:  ein  Grundstück  zu  selbständiger  Bebauung,  Schutz  im 
persönlichen  Rechte,   ja  selbst  Antheil  an    einem  genossen- 
schaftlichen Regimente,    wie  es  sich  ja  im  herrschaftlichen 
Verbände  entwickelte').    Das  einzige  was  sich  der  Ankömm- 
ling dabei  gefallen  lassen  musste,  das  war  die  allgemeine  Er- 
gebung zu  treuem  Dienste  an  den  Herrn  und  die  Uebemahme 
gewisser  persönlicher  Leistungen  und  Abgaben,  die  er  aber 
um  so  weniger  drückend  empfand,  als  er  den  erlangten  Besitz 
doch  immerhin  als  eine  Art  von  Geschenk  betrachten  konnte. 
Und  das  persönliche  Band  der  Abhängigkeit  vom  Grundhen-n, 
das  überdiess  seinen  Stand  und  seine  rechtliche  Freiheit  nicht 
zu  beeinti'ächtigen  brauchte,   wurde  um  so  weniger  fühlbar, 
je  mehr  sich  die  Feudalität  mit  ihrem  politischen  Inhalte  an 
Stelle  des  alten  Unterthanen Verbandes  setzte,  den  doch  Jeder 
eingehen  musste. 

Diesen  zugezogenen,  landlosen  Fremden  standen  jene  nach- 
gebomen  Söhne  und  Töchter  ziemlich  gleich,  welche  durch 
eine  hier  und  doit  herrschende  Sitte,  wohl  auch  schon  durch 
bestimmte  Anordnungen  der  Grundherrn  für  ihre  Beneficien 
von  der  Wohlthat  des  eignen  Grundbesitzes  auf  dem  väter- 


^)  Allerdings  erst  in  sp&teren  Urkunden,  vgl.  Maarer,  Fronhöfe  IV,  20  ff. 
^  Vgl.  1.  Sal.  45  de  migrantibas  und  1.  Buch,  3.  Abschnitt  S.  95ff. 
»)  S.  u-  S.  267  fL 

WOB  Inamft-Sternegg,  WhihBehaftsgesehicbte.     I.  16 


—    242    — 

liehen  Erbe  oder  Lehengate  ausgeschlossen  waren  ^),  und  nun 
eine  gesicherte  ökonomische  Existenz  mit  einem  Opfer  an  per- 
sönlicher Freiheit  erkaufen  mussten ;  wobei  es  ihnen  oft  leichter 
sein  mochte,  es  einem  fremden  Grundherrn,  als  dem  beTor- 
zugten  Bruder  auf  dem  ungetheilten  väterlichen  Erbgnte  zu 
bringen.  Aber  auch  in  dem  Leben  der  kleinen  Grundbesitzer 
selbst  entwickelten  sich  im  Laufe  der  Zeit  eine  Reihe  von 
Umständen,  welche  die  Eri*eichung  des  von  den  grösseren 
Grundherrn  angestrebten  Zieles  begünstigten.  Die  wirthschaftr 
liehe  Isolirung,  in  der  sie  sich,  auch  im  Markenverbande,  be- 
fanden, musste  eine  Schwäche  und  Unfähigkeit  zu  Widerstand 
gegen  alle  Art  von  Unglücksfällen,  besonders  auch  von  V6^ 
mögensverlusten  herbeiführen,  die  nicht  selten  mit  Noth  and 
Elend  endete;  selbst  zur  Yeräusseiiing  des  Erbguts,  als  dem 
letzten  Mittel  der  Abwehr,  war  im  Kreise  der  Genossen  oft 
die  Gelegenheit  nicht  geboten ;  über  ihn  hinauszugreifen,  dazn 
fehlte  es  am  Markte  und  der  Goncurrenz  der  Käufer;  und 
auch  wo  sich  die  Gelegenheit  fand,  war  sie  nicht  immer  ge- 
eignet, ihren  Zweck,  eine  Sicherung  der  bedrohten  Existenz 
für  den  Verkäufer,  zu  erreichen.  Denn  der  Kaufpi-eis,  selbst 
in  Geld  gegeben,  war  in  Zeiten  vorwiegender  Naturalwirth- 
Schaft  wenig  begehrensweilh ;  in  anderen  Werthobjektai 
(Vieh  etc.)  gegeben,  war  er  aber  unter  solchen  Umständen 
oft  werthlos  und  unbrauchbar.  Und  dazu  verlor  die  persön- 
liche Stellung  eines  Freien,  der  sein  ganzes  Besitzthum  ver- 
äusserte, so  zu  sagen  allen  socialen  Halt,  da  der  Stand  grund- 
besitzloser und  doch  unabhängiger  Freier  mit  der  ganzen  Ge- 
sellschaftsverfassung  jener  Zeit  nicht  vereinbar  war.  In  solcher 
Nothlage  war  es  immerhin  der  einfachste  und  beste  Auswei!. 
den  Grundbesitz  aufisutragen.  ihn  als  Beneficium  zurück- 
zuerhalten und  nun  wenigstens  eine  sociale  Stütze  an  dem 
Verleiher  zu  finden,  die  auch  ihre  ökonomisch  werthvoUe  Seite 
hatte.    War  aber  die  Noth  so  hoch  gestiegen,  dass  eine  Forl- 


^)  In  der  Hauptsache  gehören  diese  Beschränkungen  aUerdiogs  eret 
der  folgenden  Periode  an;  vgl.  Maurer,  Fronhöfe  lY,  821.  S.  noteo 
3.  Abschn.  S.  345  f. 


—    243    — 

f&hning  der  Wii-thschaft  auch  mit  Minderung  der  Freiheits- 
rechte nicht  bestehen  konnte,  so  lag  die  Ergebung  in  sei*vitium 
um  so  näher,  als  sie  die  Erlangung  von  Grundbesitz  aus  der 
Grundhen-schaft  nicht  nur  nicht  ausschloss,  sondern  sogar 
regelmässig  zur  Folge  hatte  ^). 

Es  ist  denkbar,  ja  -wohl  in  hohem  Grade  wahrscheinlich, 
dass  die  massenhafte  Verarmung,  welche  wir  in  der  Karolinger- 
zeit in  der  unteren  Klasse  freier  Ginmdbesitzer  finden,  ihre 
Ursache  in  dem  volkswiilhschaftlichen  Au&chwunge  hat,  den 
wir  in  derselben  Zeit  beobachten  können.  Von  Pipin  vor- 
bereitet, von  Karl  d.  Gr.  ausgeführt  und  von  seinen  unmittel- 
baren Nachfolgern  festgehalten  war  die  Politik  der  innigen 
Verschmelzung  beider  Reichshälften,  und  insbesondere  die 
Hebung  der  austrasischen  Cultur  im  Geiste  und  mit  den 
Mitteln  des  reiferen  neustrischen  Lebens.  Das  war  ein  Regen 
und  Schaffen  auf  allen  Gebieten  des  öffentlichen  Lebens, 
welches  alle  schlummemden  Kräfte  mit  einem  Male  zu  hohen 
Zielen  weckte  und  ein  unabsehbar  weites  Feld  der  Erfolge 
für  jede  tüchtige  Kraft  in  Aussicht  stellte.  Besonders  auf  dem 
wirüischaftlichen  Gebiete,  auf  dem  das  Westreich  eine  so 
grosse  Ueberlegenheit  über  den  Osten  zeigte,  war,  gegenüber 
der  Einfachheit  der  älteren  Zustände,  gleichsam  alles  zu  ge- 
winnen und  es  liegt  nahe,  welche  Vortheile  hier  die  „Vorhand^ 
haben  musste,  die  sich  einer  durch  persönliche  Tüchtigkeit 
und  durch  Besitz  zu  erringen  und  zu  wahren  verstand.  Wie 
immer  in  Zeiten  raschen  volkswirthschaftlichen  Aufschwungs 
die  Vermögensunterschiede  gi'össer  werden,  weil  dieser  Auf- 
schwung von  verhältnissmässig  Wenigen  angeregt  wird,  die 
dann  auch  die  Flüchte  dieser  Anregung  einheimsen,  bevor  noch 
die  Masse  des  Volkes  an  dem  einen  wie  an  dem  andern  An- 
theil  nehmen  kann;  und  wie  der  Werth  eines  solchen  Auf- 
schwungs für  die  Menge  mehr  in  Steigerung  des  durchschnitt- 
lichen Lebensgenusses    und   bleibender  Erhöhung  ihrer  Be- 

*)  Cod.  Lauresh.  787  n.  2867 :  donamua  1  mansam  et  15  jumales  et 
nosmetipsoB.  ib.  793  n.  889:  manBum  1,  15  jum.  de  terra  et  vineas  in 
tribuB  locis  et  de  prato  ad  2  carr.  feni,  nee  non  et  nosmetipsos  ad  servi- 
endom  tradimuB  in  domininm  b.  Nazarii. 

16* 


—    244    — 

dürfiiisse,  Erweiterung  ihres  Horizonts,  als  in  leichterer  Be- 
dürfhissbefiiedigang  besteht:  so  mochte  auch  in  jener  Zeit  die 
allgemeine  Yolkscultur  einen  bedeutenden  Schritt  nach  Tor- 
warts gemacht  haben,  ohne  dass  damit  eine  Besserung  des 
Loses  der  grossen  Menge  im  Sinne  einer  mühe-  und  sorgen- 
loseren Existenz  geschaffen  worden  wäre.  Vielmehr  wird  die 
in  der  primitiven  Form  der  Naturalwirthschaft  liegende  „Ge- 
müthlichkeit^  der  Existenz  verloren  gegangen,  der  Kampf  am 
die  Bewahrung  der  bisherigen  Lebenshaltung,  bald  um  die 
Erhaltung  der  Existenz  selbst  immer  schwerer,  immer  aus- 
sichtsloser geworden  sein.  Der  Freie,  dem  nicht  reicher 
Grundbesitz  und  namhafte  dienende  Arbeitskräfte  beschieden 
waren,  oder  der  nicht  in  der  Sonne  königlicher,  fQrsUicher 
oder  bischöflicher  und  äbtlicher  Gunst  stand,  hatte  bald  keine 
Wahl  mehr,  ob  er  sich  unabhängig  behaupten  oder  in  fremde 
Botmässigkeit  begeben  wollte;  und  wo  ihm  etwa  noch  die 
Wahl  offen  stand,  da  fiel  doch  nur  allzuleicht  die  Ent- 
scheidung nach  jener  Seite  hin,  weldie  ihm  Sicherheit  des 
Lebens  und  seiner  Genüsse  bot,  wenn  darunter  auch  das  stolze 
aber  praktisch  bedeutungslose  Bewusstsein  verloren  ging,  den 
Vornehmsten  im  Volke  i-echtlich  gleich  zu  stehen. 

So  sehen  wir  denn  thatsächlich  in  einer  Menge  von  Fällen 
Mangel  und  Noth  —  aus  diesen  und  jenen  Ursachen  entstan- 
den -—  als  Motiv  fdr  das  Aufgeben  der  Freiheit  und  Unter- 
ordnung unter  die  Herrschaftsgewalt  eines  Grossen  in  den 
Gesetzen  des  Volkes  ^)  anerkannt,  in  den  Gapitularien  als  un- 
abänderliche Thatsache  hingenommen'),  in  den  Foimeln  als 
tägliches  Vorkommniss  berücksichtigt  ^)  und  in  den  Urkunden 


^)  L.  Saxon.  62 :  NaUi  liceat  tradicionem  hereditatiB  suae  hcen . . 
nisi  forte  famis  necessitate  coactas.  L.  Fris.  XI,  1:  81  liher  homo  tpon- 
tanea  Toluntate  vel  forte  necessitate  coactos  nobili  sea  libero  sea  etiam 
lito  in  personam  et  servitiam  liti  se  subdiderit. 

>)  Vgl.  die  Stellen  S.  245,  249  f.  und  S.  257. 

')  Form.  Sirm.  44  qualiter  ego  minime  habeo,  onde  me  paaoere  vel 
vestire  debeam.  Form.  Andeg.  19  pro  necessitate  tempomm  et  Titae  eonh 
pendiom  me  eciam  sterilitas  et  inopia  precinzit,  ut  in  aliter  transagere 
non  possam,  nisi  nt  integrum  statum  meimi  in  vestnim  debiam  implecars 
serritiom.    Andere  Beispiele  bei  Waitz,  YerL-G.  II,  191. 


—    245    — 

über  die  Ergebung  in  Dienst  und  in  schwerere  Formen  der 
Unfreiheit  bestätigt^).  Wie  gut  und  mit  wie  wenig  wähle* 
rischen  Mitteln  es  aber  auch  die  Grundherrn  verstanden,  die 
Noth  der  Leute  zu  diesem  ihrem  wichtigsten  Zwecke  der  Er- 
weiterung ihrer  persönlichen  Heirschaft  auszubeuten,  davon 
sind  die  Kapitularien  Karls  des  Grossen  und  seiner  Nach- 
folger voll,  die  den  vergeblichen  Kampf  mit  der  Habsucht  der 
Grossen  zu  führen  nicht  unterliessen  ^). 

Vergeblich  aber  war   deraelbe  nicht  bloss  weil   es  der 
Reichsverwaltung  doch  fQr  die  Dauer  an  Macht,  ihren  Beamten 
an  gutem  Willen  fehlte,  diesen  Yorschiiften  überall  die  volle 
Anerkennung  zu  sichern;   er  war  vergeblich  besonders,  weil 
die  ökonomische  Gesammtlage  des  Volkes  mächtig  die  Bildung 
gi-osser  Vermögen   auf  der  einen,    die  Veraiinung   auf  der 
andern    Seite  begünstigte;   vergeblich    auch,    weil   es  nicht 
möglich  war,  mit  diesen  Gesetzen   gleichzeitig  auch  andere 
Härten  des  öffentlichen  Rechtszustands  und  der  Reichseinrich- 
tungen zu  beseitigen,   die  ebenso  gerade  den  kleinen  freien 
Grundbesitzer  drückten  bis  er  unterdrückt  war.    Denn  wenn 
er  auch  zunächst  nur  sein  Besitzthum  tradirte,  um  es  als 
Beneficium  oder  Pi'ecarie  zuillckzuerhalten ,  so  war  das  doch 
nur  die  Vorstufe   auf  dem  Weg  des  socialen  Niedergangs; 


^)  Vgl.  Ga6rard  Polyptique  I,  285.  Aach  die  vielen  Beispiele  einer 
persönlichen  Ergebung  in  servitiam  (Tr.  Frising.  819,  n.  877;  C.  Laur. 
n.  2867;  839)  oder  die  Uebertragong  von  Gütern  nt  victom  et  vestimenta 
haboissem  (Tr.  Sang.  795,  n.  189;  827,  n.  811)  oder  propter  meam  sab- 
stanttam  ib.  745,  n.  12  n.  dgl.  können  zum  Thefl  hieher  bezogen  werden; 
8.  Beispiele  in  meiner  Ausbildung  der  Orandherrscbaften  S.  56. 

*)  Capit  805  (LL.  I,  184}  c  16:  De  oppressione  pauperum  liberomm 
hominnm  ut  non  fiant  a  potentioribus  pei  aliquod  malum  ingenium  contra 
fostitiam  oppressi,  ita  nt  coacti  res  eonun  vendant  vel  tradant.  Cap.  806  c.  8 
(LL.  I,  144):  Sunt  et  alii,  qui  iustitiam  legibus  redpere  debeant  et  in 
tantum  fiunt  in  quibusdam  lods  fsitigati,  usque  dum  illorum  iustitiam  per 
fideinsBonun  manus  tradant,  ita  ut  aliquid  vel  panrum  possint  habere  et 
forciorea  susdpiant  maiorem  pordonem.  §ap.  809  c  24  (LL.  I,  156):  de 
debitis  pauperum  anterioribus  et  negotia  fadenda  anteqnam  fiructus  colli- 
gator,  omnino  inantea  ca?enda  hoc  ex  ore  proprio  locuti  sumus. 


—    246    — ' 

war  erst  das  Besitzthum  unfrei,  so  wahrte  auch  der  Besitzer 
nicht  lange  mehr  seine  Freiheit  0* 

Vornehmlich  drei  öffentliche  Einrichtungen  können  neben 
den  sonstigen  Ursachen  als  Quelle  der  Verarmung  bezeichnet 
werden  und  arbeiteten  daher  dem  in  den  Kapitularien  an- 
gestrebten Schutz  der  kleinen  Freien  entgegen.  Das  strenge 
Compositionensystem  der  Volksrechte  war  eine  häufige  Ver- 
anlassung zu  Verschuldung  und  als  Folge  davon  zu  Verarmung. 
Denn  der  Reiche,  der  dem  einer  schweren  Geldstrafe  nach 
Volksrecht  Verfallenen  die  nöthige  Summe  voi-streckte,  be- 
gnügte sich,  auch  wenn  er  ein  Geistlicher  war '),  kaum  je  mit 
der  Rückzahlung,  sondern  nahm  entsprechende  Zinsen,  welche 
für  ein  solches  Consumtivdarlehen  aufzubringen  immer  schwe- 
rer fallen  musste,  so  dass  schliesslich  auch  dieser  Schuldners 
zu  einer  pei'sönlichen  Abhängigkeit  führen  konnte'). 

Dann  aber  waren  die  Einrichtungen  des  Heereswesens 
und  der  Kriegsdienstpflicht  dazu  angethan,  die  Verarmung 
der  kleinen  Freien  zu  befördem;  und  das  um  so  mehr,  als 


^)  Das  ist  mit  anderen  Worten  schon  im  Gapit  Aqnisgr.  811,  c.  5 
(LL.  I,  167)  ausgesprochen:  Si  rebus  suis  ezpoliant  et  legitimos  heredet 
eonun  ezheredant,  ac  per  hoc  plerosque  ad  flagitia  et  scelera  propter  id- 
opiam,  ad  quam  per  hos  fuerint  devoluti,  perpetranda  compellunt,  ut  qnaö 
uecessario  furta  et  latrocinia  exerceant,  cui  patema  rerum  hereditas,  ne 
ad  eum  perveniret,  ab  alio  praerepta  est 

*)  Tr.  Sang,  (yor  813)  I,  208 :  . .  füit  vir  condam  Cunxo  nomine,  qu 
casu  intenreniente  obnozius  2  werigeldorum  refngium  jubaminis  ad  coe- 
nobium  . . .  conquesirit  Sed  quia  nostrüm  est  oppressos  soWere,  d^jecCoi 
Bublevare,  fenerayimus  ei  solidos  100  ad  sublevationem  obnoxii  soi,  eo 
videlicet  condicto,  ut  nobis  annis  singulis  dum  inter  predicta  peconia  sb 
iUo  demum  reportata  non  fuerit,  unam  carratam  civitalem,  id  sunt  83 
side  ciTitalie  pro  censo  persolvat;  similiter  autem  heredes  ipsius  pladtom 
Gondictum  absque  uUa  contradictione  consequantur.  Vgl.  auch  Fom. 
Sinn.  13,  wo  f)lr  eine  Schuld  an  einem  Grundstück  Besitz  und  Frnchtr 
genuss  einger&umt  wird. 

')  So  heisst  es  in  Form.  Andeg.  37 :  Constat  me  accepisse  et  ita  se> 
cepi  de  vobis  per  hanc  caudoae  ad  pristetum  benefidum,  hoc  est  in  a^ 
gento  undas  tautas.  In  loco  pignoris  emitto  vobis  statum  menm  medi- 
etatem,  ut  in  unaquisque  septemana  ad  dies  tantis,  qualecunque  operas 
legitema  mihi  ii\junxeris,  &cere  debiammus. 


—    247    — 

Heeresfolge  und  Leistungen  für  den  Kriegsbedarf  bei  den 
fortwährenden  Kämpfen  Karls  d.  Gr.  und  seiner  Nachfolger 
auch  ununterbrochen  in  Anspruch  genommen  wurden.  Von 
der  alten  Kriegslust  der  Germanen  aber  ist  in  diesen  Zeiten, 
bei  den  wenig  bemittelten  Grundbesitzern  wenigstens,  nichts 
mehr  wahi-zunehmen ;  vielmehr  ist  das  Bestreben  schon  stark 
lebendig,  sich  dem  Kriegsdienste  zu  entziehen ;  und  dazu  war 
wieder  die  Ergebung  in  den  persönlichen  Dienst  eines  Grund- 
herren das  geeignetste  Mittel;  denn  nur  der  freie  Mann,  der 
die  Ehre  der  Waffen  genoss,  zog  in  den  Kri^^);  das  Volk 
der  Eigenleute  blieb  daheim.  Wer  aber  von  den  kleinen 
Freien  die  Freiheit  höher  schätzte,  als  er  die  Last  der  Kriegs- 
pflicht scheute,  der  konnte  durch  sie  doch  nur  allzuleicht  in 
die  Nothwendigkeit  versetzt  sein,  Theile  seines  Besitzthums 
mächtigeren  Grundherren  aufzutragen,  um  sich  dadurch  für 
den  Kriegsfall  die  nöthige  Ausrüstung  sicher  zu  stellen,  oder 
Grundeigenthum  zu  verkaufen  um  den  Preis  eines  Pferdes 
und  eines  Schwertes  *).  Und  so  sind  die  grossen  Grundherren 
wieder  zu  dienendem  Gi-undbesitz,  aber  auch  dazu  gekommen, 
den  Kreis  ihrer  hörigen  Leute  zu  erweiteni. 

Es  waren  aber  nicht  die  gesetzlichen  Bestimmungen  über 
die  Kriegsdienstpfiicht  allein,  welche  diese  Last  für  den  klei- 
nen Freien  so  drückend  machten.  Wohl  ist  die  oftmals  ge- 
forderte Entfernung  des  Hauptes  einer  kleinen  Wirthschaft 
und  der  Aufwand,  den  der  Pflichtige  selbst  für  seine  Aus- 
rüstung zu  machen  hatte*),  um  so  fühlbarer  und  schwerer 

^)  S.  i.  A.  Waitz  IV,  450  ff.  Roth,  Beneficialwesen  S.  184;  beson- 
ders aber  Boretius,  Beiträge  zur  Capitnlarienkritik,  S.  91  fL 

*)  Trad.  Sang.  761,  n.  31. 

^  Capit  805  (LL.  I,  132  ff.),  c.  6:  De  armatura  in  exercita  sicut  iam 
antea  in  alio  capitulare  commendavimus,  ita  servetur.  Et  insuper  omnis 
homo  de  12  mansis  braniam  habeat.  Qui  vero  bruniam  habens  et  eam 
secam  non  tnllerit,  omne  beneficium  cum  bronia  pariter  perdat  Dazu 
Boretius  S.  111.  Encyclica  806  (Aufgebotsbrief  an  Abt  Fubrad),  LL.  I, 
145:  nnusquisque  caballarius  habeat  scutum  et  lanceam  et  spatam  et 
semispatum ,  arcum  et  pharetras  cum  sagittis.  Boretius  113.  Capit  813 
(LL.  1,  187  ff.),  c.  9:  Et  ipse  comis  praevideat  quomodo  sint  parati,  id 
est  lanceam,  scutum  et  arcum  cum  duas  cordas,  sagittas  12;  de  bis  uter- 
que  habeant.    Boretius  123. 


—    248    — 

empfunden  worden,  je  grösser  die  Anforderungen  waren, 
welche  eine  gesteigeile  Production  und  eine  complicirtere 
Wirthschaftsftthrung  besonders  an  den  kleinen  Betrieb  stellte. 
Aber  doch  erleichteite  gerade  Karl  d.  Gr.  zu  wiederholten 
Malen  diese  Pflicht,  soweit  das  die  Bedürfnisse  eines  zahl- 
reichen und  schlagfertigen  Heei-es  zuliessen.  Bald  schonte  er 
die  Wehipflichtigen  der  von  Hungersnoth  heimgesuchten  Ge- 
genden, indem  er  das  Aufgebot  nur  an  diejenigen  Gegenden 
erliess,  welche  von  solcher  Noth  frei  geblieben  waren  ^);  mehr 
mals  wird  von  dem  zulässigen  allgemeinen  Aufgebote  kein 
Gebrauch  gemacht,  sondern  nur  die  Besitzer  von  3  oder  von 
4  Mausen  zu  persönlichem  Auszug  verpflichtet,  den  übrigen 
aber  gestattet,  mehre  gemeinschaftlich  einen  Mann  zu  stellen  *). 


^)  Capitulare  missonim  807  (LL.  I,  149),  c  1:  Memoratorium ,  qua- 
liter  ordinavimas  propter  üamis  inopiam,  ut  de  ultra  Sequane  omnes  exer- 
citare  debeant    Boredos  102  f.,  113. 

*)  Capit.  missomm  807  (LL.  I,  149),  c.  2:  Quiconque  über  mansos  5 
de  proprietate  habere  videtor,  simUiter  in  hostem  veniat  Et  si  4  mansos 
habeat,  similiter  fadat  Qai  3  habere  videtur,  simiiiter  agat  UbicniD- 
que  autem  inventi  fuerint  duo,  quorum  unusqaisque  2  mansos  habere  vi- 
detur, onus  alium  praeparare  faciat:  et  qui  melius  ex  ipsis  potuerit,  in 
hoBtem  veniat.  Et  ubi  inventi  fuerint  2,  quorum  nnus  habeat  2  maoMS, 
et  alter  habeat  1  mansum,  similiter  se  sodare  fadant  et  onos  altemm 
praeparet;  et  qui  melius  potuerit  in  hostem  veniat.  übicomque  anten 
tres  fuerint  inventi,  quorum  unusquisque  mansum  1  habeat,  duo  terdom 
praeparare  fadant;  et  ubi  duo,  terdum  de  illis  qui  parvulas  possessiones 
de  terra  habere  videntur;  ex  quibus  qui  melius  potest  in  hostem  yeniaat 
Et  qui  sie  pauper  inventus  fuerit  «qui  nee  mandpia  nee  propriam  poeses- 
sionem  terrarum  habeat,  tarnen  in  praecio  valente  quinque  solides  (Bor. 
libras)  quinque  sextum  praeparent.  Capit.  missorum  808  (in  LL.  I,  119a. 
803  s  c-  1-  yt  omnis  Über  homo,  qui  4  mansos  vestitos  de  proprio  sno 
sive  de  alicuius  benefido  habet,  ipse  se  praeparet  et  per  se  in  hosten 
pergat,  sive  cum  seniore  suo  si  senior  eins  perrexerit,  sive  com  comite 
suo.  Qui  vero  8  mansos  de  proprio  habuerit,  huic  adiungator  onus  qoi 
1  mansum  habeat  et  det  illi  aiitjutorium  ut  ille  pro  ambobus  posstt  Qoi 
autem  2  habet  de  proprio  tantum,  iungatur  illi  alter  qui  simiiiter  2  man- 
sos habeat,  et  unus  ex  eis  altero  eum  adiuvante  pergat  in  hostem.  Qui 
etiam  tantum  1  mansum  de  proprio  habet,  adiungantur  d  tres  qui  similiter 
habeant  et  dent  d  aiiUutorium  et  ille  pergat  tantum;  tres  vero  qui  illi 
a^jntoriiim  dederunt,  domi  remaneant    Boretius  114,  118. 


—    249    — 

Nnr  den  Besitzern  von  12  Mansen  ist  die  schwere  Ausrüstung 
mit  Bnisthamisch  anbefohlen  ^).  Auch  gestattete  er  zu  mehren 
Malen,  dass  von  den  persönlichen  Hausdienern  der  Grafen 
je  zwei  fbr  die  Bedienung  der  Frauen  und  je  zwei  fQr  die 
Versorgung  der  einzelnen  Ministeria  zurückbleiben  konnten, 
welche  der  Graf  auf  seiner  Herrschaft  eingerichtet  hatte. 
Bischöfe  und  Aebte  sollten  je  zwei  von  ihi*en  Hintersassen  vom 
Auszüge  befreien  dürfen*). 

Viel  mehr  dagegen  als  die  bloss  gesetzliche  Wehrpflicht 
bewirkte  die  den  Grafen  und  Senioren  eingeräumte  Heerbann- 
gewalt eine  massenhafte  Ergebung  in  ihren  Dienst.  Denn  es 
lag  in  ihrer  Hand,  den  Einzelnen  zu  Hause  zu  lassen  oder 
in  den  Krieg  zu  schicken,  je  nach  Gunst  und  Laune  ^);  mehr 
nach  diesen  Motiven  als  nach  dem  Geiste  des  Gesetzes  wal- 
teten sie  des  Vollzugs  der  königlichen  Institutionen.  Mit 
solch  willkürlicher  Vertheilung  dieser  schwersten  Last,  welche 
auf  den  freien  Grundbesitzer  diilckte,  konnten  sie  sich  einen 

M  Cap.  Theod.  805,  c.  6  (LL.  1, 138):  Et  insuper  omnis  homo  de  12 
maiiBis  bmniam  habeat. 

')  Capit  808,  c.  4  (LD.  I,  119i:  De  hominibuB  comitozn  casatis  Ist! 
sunt  ezdpiendi  et  bannum  rewadiare  non  iubeantur:  duo  qui  dimissi 
iaenint  cum  uxore  iUius  et  alii  duo  qui  propter  ministerium  eins  custo- 
diendum  et  servitiom  nostrum  faciendum  remanere  iussi  sunt  In  qua 
causa  modo  praecipimos,  ut  quanta  ministeria  unosqaisque  comes  habuerit, 
totiens  duos  bomines  ad  ea  custodienda  domi  dimittat,  praeter  illos  duos 
quos  com  nxore  sua  . . .  Episcopus  vero  vel  abbas  duo  tantum  de  casatis 
et  laids  hominibus  suis  domi  dimittant  Capit.  Bonon.  811  (LL.  1, 173),  c.  9: 
Et  quia  nos  anno  praesente  unicuique  seniorum  duos  bomines,  quos  domi 
dimitteret,  concessimus  etc. 

')  Capit  de  exped.  ezerdt  811,  c.  4  (LL.  I,  168):  Quod  episcopi  et 
abbaftes  sire  comites  dimittunt  eorum  liberos  bomines  ad  casam  in  no- 
mine minlsterialium.  c.  5:  Dicunt  etiam  alii,  quod  illos  pauperiores  con- 
stringant  et  in  bostem  ire  faciant  et  UIos,  qoi  babent  quod  dare  possint 
ad  propria  dimittant.  S.  Boretius  S.  120.  Aucb  schon  in  Capit  808 
(LL.  ly  119,  a.  803)  sind  solcbe  Missbräucbe  erw&hnt;  c.  5:  si  aliqui  in- 
Tenti  fderint,  qui  vel  pretio  se  redemissent  vel  dominis  suis  permittentibas 
domi  remansissent  c.  6 :  quod  quidam  bomines  . .  .  iubente  comite  vel 
ministerialibus  ^os  propter  se  redimendom  predum  dederunt,  ut  eis  domi 
remanere  licaisset  c.  7:  SimiUter  et  a  comite  vel  vicario  vel  centenario 
qui  ad  hoc  consenserunt,  ut  domi  remansissent 


—    250    — 

persönlichen  Einfluss  erringen,  wie  er  weder  durch  Reichthum 
noch  durch  Ansehen  zu  erlangen  war;  wer  klugen  Sinn  hatte, 
der  drängte  sich  an  die  Gunst  dieser  Gewaltigen  heran,  und 
sie  war  am  sichersten  durch  Ergebung  in  ihren  persönlichen 
Dienst  und  durch  Uebeitragung  des  Giiindbesitzes  zu  er- 
langen ^).  Wer  aber  seine  schwache  Freiheit  auch  unter  dieser 
Ungunst  der  Verhältnisse  zu  behaupten  vei'suchte,  der  konnte 
es  leicht  empfinden,  wie  schwer  es  war,  den  Vergrösserungs- 
geltisten  seines  Seniors  oder  des  Grafen  zu  widerstreben, 
der  über  den  Gau  gebot.  So  oft  und  so  lange  schickten  ihn 
diese  dann  wohl  in  den  Eiieg,  bis  er  sein  Vermögen  auf- 
gebraucht, seine  Wirthschaft  verfallen  sah  und  nun  mttrbe 
genug  war,  dem  Drucke  nachzugeben,  der  ihn  unter  das  Joch 
der  Abhängigkeit  beugen  wollte  ^). 

So  sind  tiefgreifende  Wirkungen,  welche  von  der  Wehr- 
pflicht auf  die  Veitheilung  des  Grundbesitzes  und  die  persön- 
lichen Verhältnisse  der  kleinen  Freien  zu  den  Grundherren 
ausgingen,  unverkennbar,  wenn  es  auch  nicht  gerechtfer- 
tigt ist,  darin  allein  den  Schlüssel  zum  Verständniss  dieser 
Vorgänge  zu  suchen  ^).  Charakteristisch  aber  ist  es ,  dass 
die  verändeite  Vertheilung  des  Grundbesitzes,  wie  sie  zum 


1)  Capit  rolBBor.  808  (LL.  I,  119,  a.  808),  c.  8:  Quod  si  forte  Ulis 
homo  inventus  fuerit  qai  dicat,  quod  iuBsione  comitis  vel  vicarü  sat  ceo- 
tenarii  sui  hoc  ex  quo  ipse  semetipsum  praeparare  debeat,  ddem  comiti 
Tel  vicario  aut  centeuario  vel  quibuslibet  hominibos  eorum  dediaset  et 
propter  hoc  illud  demisisset  iter.  Capit  811,  c.  8  (LL.  I,  169):  Alü  vero 
sunt,  qui  ideo  se  commendant  ad  aliquot  seniores,  quos  sdunt  in  hosten 
non  profectnros.  Vgl.  auch  das  Heberegister  von  Werden  (saec  IX)  bd 
Lacomblet,  Archi?  II,  227  f.:  Temporibus  Caroli  iunioris  venit  quidam 
homo  liber  .  .  et  tradiderunt  se  ipsos  ad  S.  Liudgerum .  .  .  ut  de  oetero 
liberi  permaneant. 

^)  Capit.  de  ezped.  ezercit  811,  c  3  (LL.  1,  168):  Dicunt  etiim, 
quod  quicunque  proprium  suum  episcopo,  abbati  vel  comiti  aut  indid  ^d 
ceutenario  dare  noluerit,  occasioues  quaerunt  super  illum  pauperem,  quo- 
modo  eum  condempnare  possint  et  iUum  semper  in  hostem  fadont  ire, 
usque  dum  pauper  f actus,  volens  nolens  suum  proprium  tradat  vel  vendat; 
alü  vero  qui  traditnm  habest,  absque  uUius  inquietudine  domi  resideant 

')  Wie  z.  B.  Hüllmann,  Ursprung  der  Stände,  S.  211,  und  Tide  Uten 
Schriftsteller. 


—    251    — 

Thei]  jedenfalls  der  drückenden  Wehrpflicht  zuzuschreiben  ist, 
sich  auch  am  frühesten  in  der  veränderten  Heeresveifassung 
dei^  Folgezeit  ausprägt.  In  einem  Kapitulare  Karls  des  Kah- 
len ^)  ei-scheint  das  Heerwesen  für  das  westliche  Frankenreich 
wenigstens  schon  yollkommen  feudalisirt  Das  Seniorat  ist  da 
allgemein  und  vollständig  ausgebildet;  die  Lehensmiliz  trägt 
die  Heereslast  und  nur  wenn  der  Feind  im  Lande  ist,  ist 
auch  das  übrige  Volk  zur  Landesvertheidigung,  zur  „lantweri** 
veipflichtet. 

Was  dann  aber  Gesetzeszwang  und  Beamtendi;uck  nicht 
bewirkte,  das  war  in  erschreckend  sich  steigernder  Weise  die 
Folge  der  Verwüstungen,  welchen  die  deutschen  Lande  unter 
den  Nachfolgern  Karls  d.  Gr.  fast  sämmtlich  und  wiederholt 
preisgegeben  wuiden.  So  lange  Karls  d.  Gr.  tapfere  und  glück- 
liche Hand  den  Feinden  des  Landes  wehrte  und  das  Land 
frei  hielt  von  feindlichem  Einfall  wie  von  innerem  Zwiespalt, 
war  noch  gute  Zeit;  aber  bald  begannen  jene  grossen  und 
zahlreichen  Fehden,  welche  der  Streit  der  Nachfolger  im 
im  Reiche  um  Krone  und  Land  ei'zeugte,  bald  auch  jene  un- 
glückliehen Kriege  mit  den  nördlichen  und  östlichen  Nach- 
barn, die  das  Reich  an  den  Rand  des  Verderbens  brachten; 
und  besonders  die  zweite  Hälfte  des  neunten  Jahrhundeils 
ist  durch  ununterbrochne  Verheerungen  deutscher  Lande  be- 
zeichnet ;  unter  Karl  dem  Dicken  durchzogen  die  Sorben  und 
Böhmen  verheerend  die  thüringischen  Lande;  die  Dänen  zer- 
störten in  der  Mark  die  besten  der  jungen  Ansiedelungen; 
die  Normannen  landeten  ungehindert  an  den  Küsten  der  Nord- 
see und  durchzogen  plündemd  die  Rheingegenden;  die  Mauern 
der  Städte  wurden  von  ihnen  niedergerissen,  die  Kirchen  und 
Paläste  eingeäschert,  selbst  die  Pfalz  Karls  d.  Gr.  in  Aachen 
wurde  zum  Theil  ein  Raub  der  Flammen*).  Mit  Kaiser  Ar- 
nulf begannen  die  verheerenden  Züge  der  Magyaren;  in  Sach- 
sen und  Thüringen,  vornehmlich  aber  in  Baiem  und  Schwaben, 
traten    sie   verheerend  auf  und    haben  hier  mehr  als  alles 


^)  Capit.  847  (LL.  I,  395),  c.  2— 5.    BoretiuB  128. 
')  Giesebrecht,  Kaisergeschichte  I,  159  ff. 


—    252    — 

andre  zum  raschen  Untei^ang  des  Freienstandes  beigetragen. 
Und  zu  allem  UebeiHuss  war  unter  Amulfis  Regierung  auch 
langandauemder  Misswachs  als  schwere  Geisse!  Ober  fast  aDe 
deutschen  Länder  gekommen  ^)  und  vernichtete  so  die  letzte 
Hofihung  des  kleinen  GrundeigenthOmers ,  die  HoShung  auf 
die  Früchte  des  eignen  Fleisses. 

Eine  dritte  Last,  die  wieder  besonders  auf  den  kleineo 
Grundbesitzer  diilckte  und  ihm  seine  Wiithschaft  und  die 
Erhaltung  der  Selbständigkeit  erschwerte,  war  der  Zebent 
Schon  gegen  Ende  der  ersten  Periode  ist  er  aus  einer  frei- 
willigen Leistung  an  die  Kirche  eine  mehr  oder  weniger  er- 
zwungene Abgabe  geworden^).  Ganz  besonders  empfindlich 
wurde  sie  aber  fQr  die  Beneficiai-e,  welche  secularisirte  Ei^ 
chengüter  innehatten;  denn  diesen  wurde  neben  dem  Censos 
von  1  Solidus  fQr  jede  Haushaltung^)  in  der  sogenannten 
nona  et  decima  ein  ganzes  Fünftel  des  Ertrags  abgenommen  *), 
und  auch  den  bisher  dem  Census  nicht  unterworfenen  ein 
solcher  vorgeschrieben.  Häufige  Zahlungsverweigerungen  wa- 
ren die  nächste  Folge  dieser  Last^);  ja  man  liess  sogar  in 
einzelnen  Fällen  lieber  das  Land  ganz  unbebaut,  dessen 
Früchte  doch  nur  zum  Theil  der  eignen  Wirthschaft  zu  Gute 
gekommen  wären  ^).  Strenge  Strafen,  zuletzt  der  Verlust  des 
Beneficiums  mussten  angedroht  werden,  um  die  Säumigen  zur 
Erfüllung  ihrer  Veipflichtungen  anzuhalten  ^. 


*)  Giesebrecht,  L  c.  I,  175. 

>)  Vgl.  I.  Buch  S.  154  und  besonders  Capit.  794,  c.  23  (LL.  I,  7S): 
Et  omnis  homo  ex  suaproprietate  legitimam  decimam  ad  ecciesiain  cooiient 

«)  Capit  Liftin.  748,  c.  2  (LL.  I,  18). 

^)  Capit.  779,  c  13  (LL.  I,  87):  De  rebus  yero  ecclesiannn  onde  nnzie 
census  exeunt,  decima  et  nona  cum  ipso  censu  sit  sohita;  et  onde  aiUea 
non  exienmt,  similiter  nona  et  decima  detur;  atque  de  casatis  50  solidnm 
nnum  et  de  casatis  80  dimidium  solidum  et  de  SK)  tremisse  nno. 

*)  Capit.  800  (LL.  I,  81):  Insuper  nonas  et  dedmas  yel  oensos,  in 
proba  cupiditate  de  ecclesiis,  unde  de  ipsa  beneficia  sunt,  abstrahere  nitfaBmL 

«)  Capit  829,  c.  9  (LL.  I,  851):  De  iUis  qni  agros  dominicatos  prop- 
terea  neglexerit  excolere,  ut  nonas  et  decimas  exinde  non  persolmt 

'')  Capit  817,  c.  5  (LL.  I,  215):  Et  qui  nonas  et  decimas  dare  ne- 
glexerit, primum  quidem  iilas  cum  lege  sua  restituat  et  insuper  bimmm 


—    253    — 

Neben  diesen  besonderen  öffentlichen  Einrichtungen  wirk- 
ten aber  auch  die  allgemeine  Ordnung  der  Rechtspflege  und 
des  Rechtsschutzes ,  die  ganze  Administration  des  karolingi- 
schen  Staatswesens  der  Erhaltung  des  Standes  kleiner  freier 
Grandbesitze];  entgegen.    Wie  es  die  Reichsgewalt  mit  Aus- 
bildung des  Seniorats  und  mit  Verleihung  der  Immunitäten 
im  Grunde  selbst  anerkannte,   dass  eine  andere  öffentliche 
Ordnung,  als  diejenige,  welche  sich  auf  den  grossen  Grund- 
besitz stützte,  nicht  mehr  möglich  war,  so  musste  es  auch 
den  kleinen  Freien  bald  zum  Bewusstsein  kommen ,  dass  sie 
ToUen  Rechtsschutz   und  Pflege  ihrer  volkswirthschaftlichen 
Interessen   nur   durch    die  Schutzgewalt  dieser  Träger  der 
Öfifentlichen  Gewalt  finden  konnten.    Nicht  nur  die  factische 
Macht  hiezu  stand  bei  ihnen  und  der  gute  Wille  konnte  durch 
Ergebung  in  den  Dienst  sowie  durch  Auftragung  oder  Schen- 
kung von  Land  gewonnen  werden;  auch  die  rechtliche  Ver- 
pflichtung lag  dem  Senior  ob,  seinen  Vassallen  ein  Hort  und 
Schirm  ihrer  Rechte  und  Interessen  zu  sein  ^). 

Auch  speciell  wirthschaftliche  Zwecke  wurden  mit  der 
Ergebung  in  den  Dienst  eines  Grossen  vei-folgt  und  solche 
Motive  zeigen  am  besten,  wie  wenig  Werth  vielfach  schon  auf 
die  Vollfreiheit  gelegt  wurde  und  wie  stark  schon  andere,  be- 
sonders rein  ökonomische  Interessen  bei  der  Masse  der  klei- 
nen Grundbesitzer  überwogen.  Um  sich  besser  aiTondiren  zu 
können  ^) ,  um  Geld  und  Pferde  zu  einer  Reise  zu  bekom- 


nostmm  solvat,  ut  ita  castigatus  caveat.  oe  saepius  iterando  benefidnm 
amittat.  Capit.  846,  c.  63  (LL.  I,  892) :  Hl  vero  qui  ex  rebus  ecdesiasticis 
Donas  et  decimas  persoWere  et  sarta  tecta  ecclesiae  secundum  antiquam 
aactoritatem  et  consuetudinem  restaurare  debent,  et  hoc  non  solum  negle- 
gont,  Yeram  et  per  contemptom  dimittont  .  .  .  tamdiu  ab  ecclesiastica 
communlone  separentur,  nsqae  dum  diligentia  emendare  studeant,  quod 
socordia  neglezenmi  Quod  si  iterum  iterayerint,  post  ezcommunicationis 
sat2sfiu:tionem  regia  potestate  compulsi  iuxta  legale  et  antiquum  dictum, 
qui  neglegit  censum  perdat  agrum. 

^)  Capit.  816,  c.  2  (LL.  I,  196):  Si  senior  yassalli  sui  defensionem 
iacere  potest  postquam  ei  ipse  manus  suas  commendayerit  et  non  fecerit, 
liceat  Tassallum  eum  dimittere.    Vgl  Waitz  II,  207. 

«)  Tr.  Wizzemb.  808,  n.  19  und  oft. 


—    254    — 

men  ^)  u.  dgL  wurde  der  Besitz  ganz  oder  theilweise  aufgetra- 
gen und  damit  auch  der  Kreis  der  dienenden  Wirthschaften 
für  die  grossen  GrundheiTon  erweitert 

Zu  Gunsten  der  kircMichen  Grundherrschaft  wirkten 
überdiess  noch  eine  gi'osse  Menge  besonderer  umstände.  Die 
Tradition  eines  Gutes  und  die  persönliche  Uebergabe  in  den 
Dienst  einer  Kirche  oder  eines  Klosters ')  galt  immer  als  ein 
Gott  gefälliges  Werk.  Hoffnungen  für  das  Seelenheil  und  Er- 
lösung Yon  den  zu  erwartenden  Sti*afen  eines  sündhaften  Le- 
bens waren  eben  so  häufig  Veranlassung  zu  solcher  Uebergabe, 
wie  die  von  der  Kirche  versprochene  Einschreibung  in  das 
Buch  des  Lebens'),  die  Gewährung  einer  Begräbnissstätte 
oder  eines  Jahitags  und  der  Abhaltung  besonderer  Gottes- 
dienste *). 

Auch  die  Aufnahme  in  das  Kloster  selbst  hatte  meist  die 
Uebergabe  des  Grundbesitzes  mit  den  Leibeignen  zur  Folge  ^j; 
und  die  von  der  Kirche  gewährte  Unterstfltzung  in  Fällen 
der  Noth  oder  Pflege  der  Waisen  wurde  durch  Schenkungen 
und  Uebertragungen  vergolten*). 

Die  Kirche  vei-stand  es  aber  auch  besonders,  die  Anzahl 
ihrer  dienenden  Leute  durch  eine  Menge  von  Vortheilen  za 
vermehren,  welche  sie  gerade  den  Aeimeren  im  Volke  bot; 
sie  pflegte  das  Asylrecht,  um  den  Knecht,  der  ein  Vergehen 
sich  zu  Schulden  kommen  liess,  vor  der  Wuth  seines  HeriB 
zu  schützen^);  sie  beschränkte  den  Handel  mit  Leibeignen  im 
wohlvei-standenen  eignen  Interesse,  und  knüpfte  dadurch,  so- 


»)  Tr.  Wizz.  739,  n.  11.    Tr.  SangaU.  744,  n.  10;    855,  n.  441. 

«)  Z.  B.  Tr.  Sang.  764,  n.  48.  Tr.  Frising.  774,  n.  42.  Tr,  VTuieinb. 
830,  n.  51  u.  0. 

«)  Tr.  Wizz.  724,  n.  18;  742,  n.  7,  15,  52. 

*)  Tr.  Wizz.  714,  n.  41. 

«)  Tr.  Wizz.  714,  n.  41;  Tr.  Sangall.  769,  n.  52. 

«)  Tr.  Wizz,  693,  n.  88. 

^)  AoBser  von  den  GoncilienBchlOssen  (Aurel  l,  511,  Tolet  H,  ^^ 
Tribur.  895)  auch  von  der  weltlichen  Gesetzgebung,  wenn  aoch  mit  Ein- 
schränkungen  anerkannt;  Decr.  Chlotar.  II,  595,  c  13  —  15;  L  Alam.  c-  ^^ 
L.  B%juv.  I,  c.  7.  Capit.  789,  c.  2;  Cap.  803,  c.  3  u.  ö.  Vgl  Walter, 
Kirchenrecht  §  207. 


-    255    — 

wie  durch  ihre  Gepflogenheit,  die  Leibeignen  durchweg  auf 
Zinsgfiter  zu  setzen  und  dadurch  mit  dem  Boden ,  den  sie 
bebauten,  enger  zu  verbinden,  auch  das  Band  der  Anhäng- 
lichkeit derselben  an  die  Herrschaft  enger,  als  es  in  dieser 
Zeit  auf  den  Besitzungen  der  weltlichen  Grossen  die  Regel 
war.  Auch  wusste  sie  schon  bei  den  späteren  Redactionen 
der  Volksrechte,  wie  noch  mehr  in  den  Capitularien  beson- 
ders günstige  Bestimmungen  in  Betreif  der  Schenkungen  an 
die  Kirche  zu  erlangen,  wenn  wir  auch  nicht  mehr  in  der 
Weise  älterer  Schriftsteller ,  alle  Bestimmungen  der  Volks- 
rechte über  Theilbarkeit ,  Veräusserlichkeit  und  Vererbung 
des  väterlichen  Besitzes  als  unter  dem  eigennützigen  Einflüsse 
der  Geistlichkeit  entstanden  annehmen^). 

Aber  auch  die  weltlichen  Ginindheiren  verstanden  sich 
darauf,  den  Eintritt  in  den  herrschaftlichen  Verband  so  leicht 
als  möglich  zu  machen.  Die  ältesten  Verleihungen  von  Grund 
und  Boden  zu  Beneficium  sind  zumeist  ohne  bestimmte  Zins- 
verpflichtung ertheilt,  nur  der  Heimfall  nach  dem  Tode  oder 
nach  Ablauf  mehrer  Generationen  und  eine  allgemeine  Pflicht 
der  Ergebenheit  des  Beliehenen  war  die  Gegenleistung;  und 
bei  der  Auftragung  von  Grundbesitz  und  Rückempfang  zu 
abhängigem  Besitz  konnte  ein  Wiedereinlösungsrecht  vorbedun- 
gen und  dieses  sogar  unter  den  Schutz  des  Volksrechts  ge- 
stellt werden  *).  Auch  gaben  die  Neubrüche ,  die  besondei-s 
auf  Eirchenland  häufig  waren,  und  sonst  verfügbare  Län- 
dereien leicht  Gelegenheit,  dem  landlos  gewordenen  Freien 
g^en  Ergebung  in  den  Dienst  eine  Hufe  zu  selbständiger 
Bewirthschaftung  zu   übergeben*),  wie  diess  aus  vielen  Ur- 


^)  S.  z.  B.  HaUmaim,  Stände  S.  118  u.  oft. 

^)  Gap.  817  (LL.  I,  214),  c.  4:  Si  quis  terram  censalcm  habuerit, 
qaam  antecessores  sni  vel  ad  aliquam  ecclesiam  vel  ad  villam  nostram 
dedenmt,  nullateous  eam  secundom  legem  tenere  potest,  nisi  ille  voluerit 
ad  cuius  potestatem  vel  illa  ecciesia  vel  illa  viUa  pertinet;  nisi  forte  filius 
aat  nepoB  eins  sit  qui  eam  tradidit,  et  ei  eadem  terra  ad  tenendum  pla- 
citata  alt. 

^)  Vgl.  Gap.  Aquisgr.  813  c.  19:  ubicunque  inrenient  utiles  ullos  homines, 
detar  Ulis  silva  ad  stirpandom.    Auch  G.  Laur.  249.     G.  Fuld.  826,  n.  465. 


—    256    — 

künden  erhellt,  wo  solches  Neuland  mit  Häusern  und  Knech- 
ten geschenkt  wird. 

Aber  freilich  nicht  immer  verblieb  es  dabei,  dass  die 
Reichen  ihre  wirthschaftliche  Ueberlegenheit  und  bessere  Or- 
ganisation dazu  benutzten,  um  die  Anzahl  ihrer  Untergebenen 
dui*ch  freien  Vertrag  mit  Schwächeren  zu  veiinehren.    Das 
ungemessne  Streben  nach  Ei-weiteiiing  ihi-er  Herrschaft  ging 
nicht  selten  über  das  erlaubte  Mass  der  Geltendmachung  des 
organisatorischen  Princips  der  heri'schaftlichen  Gewalt  hinaas; 
die  Concurrenz  in  diesem  gleichartigen  Bestreben  der  Grossen 
erzeugte  in  jedem  versäumten  Augenblick  für  jeden  grösseren 
Ginindbesitzer  die  Gefahr,  von  seinen  Standesgenossen  fiber- 
flügelt  und  am  Ende   gleicher   Unterwerfung   zugeführt  zn 
werden,  wie  er  sie  selbst  den  kleineren  Grundbesitzern  zu- 
gedacht hatte.    Und  so  wurde  man  in  der  Wahl  der  Mittel 
immer  weniger  wählerisch  und  griff  schliesslich  zu  brutaler 
Gewalt,  wo   die  Macht  der  Verhältnisse  an  sich  nicht  stark 
genug  war,  den  Process  der  Unterwerfung  in  hinlänglich  kur- 
zer Zeit  ausführen  zu  lassen.    Schon  die  Benutzung  der  Noth 
und  des  Mangels,  um  die  Aermeren  zu  freiwilliger  Unterwer- 
fung unter  den  Herrschaftswillen  der  Grossen  zu  bestimmen, 
hat  nicht  immer  das  in  der  ökonomischen  Lage  inmierhin  be- 
rechtigte Mass  eingehalten.    Es  sind  in  den  Urkunden  jener 
Zeit  gar  manche  Thatsachen  verzeichnet  und  sogar  durch  Ca- 
pitularien   bestätigt,   welche  eine  schonungslose  Ausbeutung 
der  Schwächeren  durch   die  Stärkei*en  und  ein  nicht  unbe- 
trächtliches Wachsen  der  grossen  Grundherrschaft  gerade  aus 
diesem  Vorgehen  erkennen  lassen  0- 

Nicht  bloss,  dass  commeudirte  Freie  mit  Lasten  und 
Diensten  beschwert  werden,  welche  ui*sprünglich  in  dem  Ver- 
hältnisse der  Gommendation  nicht  begründet  waren,  so  dass 
wohl  das  Recht  der  Nachkommen  bereits  so  sehr  verdunkelt 
war,  dass  sie  Ansprüche  auf  den  väterlichen  Grandbesitz  nicht 
mehr  wirksam  geltend  zu  machen  vermochten^);  wir  hören 


')  S.  0.  S.  244  f.  und  S.  249. 
*)  Vgl.  yfütz  IV,  284. 


—    257    — 

auch  von  gewaltsamer  und  betrügerischer  Weise,  die  zur  Er- 
weiterung des  Besitzthums,   zur  Unterdillckung  der  Armen 
und  Schwachen  an  der  Tagesordnung  waren  und  auch  dui*ch 
die  Untersuchungen  der  Missi,  durch  die  Verbote  der  Kapi- 
tularien nicht  aufjgehalten  werden  konnten.   Den  Laien  mochte 
das  allerdings  zumeist  nur  dann  gelingen ,  wenn  sie  zugleich 
eine  obrigkeitliche  Gewalt  als  Grafen,  Vikare,  Centenare  be- 
sassen  oder  als  Immunitäts-  oder  Lehnsherren  mit  amtlichen 
Befugnissen  ausgestattet  waren  ^);    die  Kirche   hatte  ausser 
diesen  Mitteln  des  Amtsmissbrauchs,  die  ja  auch  ihr  oft  zur 
Verfügung  standen  und  nicht  immer  verschmäht  wurden,  noch 
die  ganze  Macht  über  die  Gewissen  zu  uneingeschränktester 
Veifttgung.    Von  der  Schönheit  des  Himmels,  den  sie  zu  ver- 
walten, von  den  Qualen  der  Hölle,  die  sie  zu  verhängen  habe, 
redete  sie  den  Armen  vor,  bei  deren  Beschränktheit  solche 
Mittel  leicht  verfingen;  und  die  Kirche  konnte  schon  damals 
ungerecht  Gut   gar  leicht  vertragen  2).     Karl   d.  Gr.  selbst 
ordnete  mit  bitteren  Worten  eine  Untersuchung  darüber  an, 
was  denn  die  Geistlichen,  die  solcher  Herrschafts-  und  Ver- 
mögensgier huldigten,  unter  der  Weltentsagung  verständen^). 
Auf  diesen  Wegen ,  mit  diesen  Mitteln  vollzog  sich  jene 
Verschiebung  der  Stände,  die  für  die  ganze  Folgezeit  ent- 
scheidend für  die  socialen  Zustände  Deutschlands  geworden 
ist.    In  den  grossen  Grundhen*en  entwickelte  sich  eine  Glasse 


^)  8.  unten  8.  276. 

*)  Vgl.  die  bezeichnende  SteUe  des  Capit  Aqaisgr.811,  c5  (LL.I,  167): 
Inqairendum  etiam,  si  ille  seculum  dimissum  habeat,  qui  cotidie  possessiones 
Buas  angere,  quolibet  modo  qualibet  arte,  non  cessat,  suadendo  de  coelestis 
regni  beatitudine,  comminando  de  aeterno  supplicio  infemi  et  sub  nomine 
Dei  aut  cuiuslibet  sancti  tam  divitem  quam  pauperem,  qui  simpliciores 
natorae  sunt  et  minus  docti  atque  cauti  inveniuntur,  si  rebus  suis  expo- 
liant  et  legitimos  heredes  eorum  exheredant,  ac  per  hoc  plerosque  ad  fla- 
gitia  et  scelera  propter  inopiam ,  ad  quam  per  hoc  fuerint  devoluti ,  per- 
petranda  compellunt,  ut  quasi  necessario  furta  et  latrocinia  exerccant,  cui 
patema  rerum  hereditas  ne  ad  eum  perveniret,  ab  alio  praerepta  est. 

*)  Capit  811,  c.  4  (LL.  I,  167):  Iterum  inquirendum  ab  eis  (ecclesia- 
feticis),  ut  nobis  veraciter  patefaciant,  quid  sit  quod  apud  eos  didtur  „se- 
culum relinquere*'. 

Ton    Inama-ßternegg,  Wirthschnftsgejichichte.  I.  17 


—    258    — 

der  Bevölkerung,  die  durch  ihre  Beherrschung  der  einzigen 
KapitalfoiiQ  jener  Zeit,  des  Giund  und  Bodens  und  seiner 
Wirthschaftsausrüstung  eine  grossartige  wirthschaltliche  lieber- 
legenheit  gewann.  Unmittelbar  mit  ihr  erwarb  sich  diese 
Classe  aber  auch  die  sociale  Bedeutung  eines  neuen  Standes, 
theils  durch  die  in  dem  Mitium  und  der  Vassallität  gelegenen 
Machtbefugnisse  über  gi*osse  Kreise  der  Bevölkerung,  theils 
durch  die  mit  der  Grundheii'schaft  immer  mehr  in  Verbindung 
gesetzte  Amtsgewalt  und  die  rechtliche  Bevoi'zugung ,  welche 
die  Gesetzgebung  zu  gewähren  sich  nicht  entschlagen  konnte 

Und  um  so  mehr  ragt  diese  neue  Aristokratie  über  die 
Masse  des  Volkes  empor,  als  sie  eben  wesentlich  auf  Kosten 
des  freien  Standes  sich  erhob,  dessen  Verfall  der  sodaleo 
Entwickelung  dieser  Periode  ganz  vornehmlich  ihr  Gepräge 
verleiht.  Durch  Gommendation  und  Schutzhürigkeit ,  durch 
Uebemahme  von  Beneficien  und  Zinsgütem,  in  vielen  Fällen 
selbst  durch  Ergebung  in  schwerere  Formen  der  Abhängig- 
keit wurde  diese  breite  Schicht  des  Volkes  zersetzt,  auf  der 
einst  die  Macht,  ja  das  Leben  selbst  des  Volkes  beruhte.  In 
der  versammelten  Gemeinde,  in  den  Herzen  der  freien  Volks- 
genossen pulsirte  einst  der  Geist  des  öffentlichen  Lebens,  das 
den  alten  Deutschen  so  am  Hei*zen  lag.  Sie  waren  die  Träger 
jener  erobernden  Gewalt  der  deutschen  Heere  gewesen,  vor 
der  die  Welt  gezittert  hatte,  jeder  ein  Krieger,  weil  jeder  ein 
freier,  ein  ganzer  Mann,  ein  voUwerthiges  Glied  der  Ge- 
meinschaft. 

Aber  dann,  als  einmal  feste  Ordnung  dieses  Dasein  an 
die  Scholle  knüpfte,  kein  Heei*eszug  und  keine  Wanderschaft 
mehr  neue  Quellen  für  des  Lebens  drängenden  Bedarf 
schaffte,  da  pochte  bald  die  Noth  an  jede  Thüre;  schwerer 
und  immer  schwerer  ward  den  kriegsgewohnten  Deutschen 
der  Kampf  ums  Dasein  mit  den  Kräften  der  Natur.  Nun 
half  der  Muth  nicht  weiter  und  die  kühne  That ;  die  Heeres- 
ordnung, die  so  oft  zum  Sieg  geführt,  hier  war  sie  Hemmschuh 
mehr  als  Förderung.  Die  Nothwehr  um  das  eigene  Leben 
zog  jenen  Eigennutz  gi-oss,  der  höherer  Ordnung  feind,  sich 
selbst  nur  strebt,  die  Mittel  für  die  Macht  zu  sichern. 


—    259    — 

In  diesem  innem  Wettkampfe  unterlag  die  Freiheit;  die 
Wenigen,  die  sich  die  Wiithschaftskräfte  sicherten,  sie  wui'den 
alles:  Ernährer  des  Volkes,  weil  sie  ^eine  Wirthschaft  zu 
grösserem  Erfolge  leiteten;  Bewehrer,  weil  sie  die  Last  des 
Krieges,  Rechts-  und  Friedenswahrung,  die  ganze  Ordnung 
des  öffentlichen  Lebens  übelnahmen;  und  Lehrer  des  Volkes, 
weil  sie  allein  in  wirthschaftlicher  und  socialer  Ueberlegenheit 
auch  jene  höheren  Güter  pflegen  konnten,  die  das  Leben 
zieren  und  Quelle  alles  Bessern  sind. 

Die  sociale  Geschichte  während  der  Karolingerzeit  ist 
eine  ununterbrochene  Kette  von  Thatsachen,  welche  die  fort- 
schreitende Zei-setzung  der  alten  gesellschaftlichen  Gi-undlage 
des  Volkes,  des  freien  Standes,  bezeugen.  Es  ist  zuerst  der 
Unterschied  der  Besitzenden  und  Nichtbesitzenden  ^) ,  bald 
schon  der  Gegensatz  der  viel  und  wenig  Besitzenden*),  wel- 
cher die  freien  Volksgenossen  in  zwei  Stände  spaltet;  wer 
sich  im  Wettkampf  um  die  Güterquellen  behaupten,  hinläng- 
lich Grundbesitz  sich  erhalten  oder  neu  erwerben  konnte,  wer 
dadui'ch  factisch  frei  und  unabhängig  blieb,  der  allein  be- 
hauptete auch  die  alte  Stellung  und  das  alte  Recht,  das 
einstens  eines  jeden  freigebomen  Mannes  unveräusserliches 
Besitzthum  war.  Er  war  aber  damit  auch  ausgezeichnet  vor 
der  Masse  der  Freien,  denen  solches  nicht  gelang ;  und  darum 
nannte  man  ihn  fortan  auch  einen  Edlen  ^)  (nobilis),  auch 
ohne  dass  er  durch  Gebui*t  oder  durch  Amt  und  Hof- 
dienst der  eigentlichen  Aristokratie  zugerechnet  wurde.  Im 
Heere  und  im  Geiichte  war  er  nun  der  eigentliche  Vertreter 
der  alten  Volksfreiheit;  nur  wer  wenigstens  3  —  4  Hufen  be- 
sass ,  zog  foitan  in  der  Regel  selbst  in  den  Ki'ieg  ^) ;  an  die 
erste  Stelle  der  aus  den  Freien  überhaupt  gebildeten  Gerichtsge- 


*)  S.  I.  Buch,  2.  Abschnitt,  S.  58,  65. 

^  Capit  de  exerdtu  promov.  c.  2  (LL.  I,  119):  de  liberis  et  paupe- 
rioribos  hominibns  (welche  nicht  4  mansos  vestitos  besitzen).  Cap.  807, 
c.  6  (LL.  I,  149)  heissen  pauperiores  alle  Friesen,  welche  weder  Yassallen 
noch  ^enefidare  sind,  noch  Pferde  besitzen. 

»)  Vgl.  die  ausfilhrlichen  BelegsteUen  bei  Waitz,  Verf.-Gesch.  IV,  279. 

*)  Capit.  807,  c.  2;  808,  c  1.    S.  o.  S.  248. 

17* 


—    260    — 

meinden  ti*eten  sie  zuerst  als  bevorzugte  Freie:  bald  werdea 
aus  ihrer  Mitte  allein  die  Schöifenbänke  gebildet  0;  nur  sie 
genossen  noch  die  Freizügigkeit,  welche  die  bereits  im  Senio- 
ratsverbande  stehenden  Minderfi*eien  schon  verloren  hatten^. 

Noch  zur  Zeit  Karls  d.  Gr.  ist  die  Zahl  dieser  besseren 
Freien  eine  nicht  unbedeutende  und  überall  vorhanden'), 
während  es  mit  den  Mindei-freien,  dem  ökonomisch  schwächeren 
Theil  der  alten  Gemeinfreien,  schon  sichtlich  zur  Neige  ging. 
Aber  das  neunte  Jahrhundert  entwickelte  doch  den  aristokra- 
tischen Charakter  der  Gesellschaft  bereits  so  stark,  dass  am 
Ende  der  Karolingerperiode  auch  von  den  besseren  Freien 
nur  mehr  ein  verhältnissmässig  kleiner  Theil  übrig  war^), 
während  die  Mehrzahl  auf  dieselben  Bahnen  des  socialen  Nie- 
dergangs gedrängt  wurde,  auf  welchen  ihnen  die  minderen 
Freien  schon  geraume  Zeit  früher  vorangeschritten  waren. 

Immer  mehr  concentiirte  sicli  der  freie  Grundbesitz  in 
wenigen  Händen  und  damit  wurde  die  Macht,  der  politische 
Einfluss  und  die  Summe  der  Genüsse,  die  das  Leben  bot, 
immer  ausschliesslicheres  Besitzthum  weniger,  während  die 
grosse  Masse  der  Bevölkerung  sich  immer  vollständiger  von 
allem  Antheil  an  dem  politischen  Leben,  am  Erfolge  wirth- 
schaftlicher  Bemühung  zur  Steigeiung  der  Production  wie  zu 
Erweiterung  des  Nahrungsspielraums  abgedrängt  sah.  Die 
abhängigen  Fmen  im  wirthschafüichen  Dienste  der  grossen 
GrundheiTen  vei*schmolzen  so  mit  den  Liten,  den  Freigelasse- 


^)  Ladow.  II  constit.  856,  c  5  (LL.  I,  488):  De  judicibos  inquirttar 
si  oobiles  et  sapientes  et  Deum  timentes  conatitati  sunt . . .  qaod  si  TÜes 
personae  et  minus  idoneae  ad  hoc  constitutae  sunt,  rddantar. 

2)  S.  Roth,  Benef..W.  375. 

^)  Es  ist  das  insbesondere  aus  den  verschiedenen  Traditionsbftcheni 
zu  ersehen.  Vgl.  auch  Gierke  I,  80  von  den  vollfreien  Bauern  ond  Dorf- 
genossenschaften. 

*)  Auch  hiefür  können  die  Traditionsbücher  als  Beweis  dienen,  Teiche 
im  Ganzen  eine  beständige  Abnahme  der  Uebertragungen  von  freien  Gu- 
tem und  insbesondere  von  kleineren  freien  Grundbesitzern  aufreisen.  So 
stammen  z.  B.  die  dem  Stifte  Freising  seit  dem  10.  Jahrhundert  gesdienk- 
ten  Güter  fast  ausnahmslos  aus  dem  Vermögensbestande  grosser  Grund- 
herrschaften. 


—    261    — 

nen,  ja  den  leibeigenen  Zinsbauern  in  Bezug  auf  die  sociale 
Organisation  der  Arbeit  der  untersten  Klassen  des  Volkes^), 
die  freilich  selbst  wieder,  wie  zu  allen  Zeiten,  mancherlei  Ab- 
stnfiiiigen  hatte. 

Dem  öffentlichen  Leben  immer  mehr  entfremdet,  in  täg- 
licher Ei-schöpfung  der  Arbeitskraft  und  äusserater  Beschrän- 
kung des  Lebensgenusses,  verfielen  sie  allmälig  einer  Gleich- 
gültigkeit gegen  jeden  Fortschritt  und  jede  Erhebung,  schliess- 
lich auch  gegen  die  eigene  Freiheit  und  Selbstbestimmung, 
welche  das  sichei*ste  Zeichen  einer  sehr  gediilckten  Lage  ist. 
Die  Gewissheit,  ihr  Loos  aus  eigener  Kraft  nicht  verbesseni 
zu  können,  machte  sie  stumpf  gegen  die  Eindiücke,  die  aus 
dem  gesteigerten  Güterleben  ihrer  HeiTen  doch  auch  auf  sie 
selbst  ausgehen  mussten.  Die  herrschaftliche  Organisation 
hatte  wohl  eine  einheitlichere  Wirksamkeit  der  Volkskräfte 
zu  schaffen  veimocht,  aber  sie  hatte  damit  zugleich  die 
Leistung  der  Arbeit  erheblich  gemindert. 

Jene  werthvoUste  Leistung  einer  primitiven  Cultui-stufe, 
die  Ausbreitung  des  Bodenanbaues  und  die  Uebei-windung  der 
Wildniss ,  wie  sie  in  der  ersten  Periode  von  der  freien ,  un- 
gebändigten  Volkskraft  getragen  war,  sah  sich  in  der  zweiten 
Periode  wesentlich  schon  auf  die  Mittel  des  Zwanges  und  der 
Herrschaft  über  wideretrebende  oder  doch  gleichgültige  Ele- 
mente verwiesen;  und  erst  die  Belebung  eines  Gemeinbewusst- 
seins  und  eines  Verständnisses  der  gleichen  Lage  und  Inter- 
essen der  Bauern,  wie  sie  in  der  Markgenossenschaft  der 
folgenden  Periode  erfolgte,  rief  auch  der  Unfreien  Volkskraft 
wieder  zu  neuer  Schaffensfreudigkeit  auf.  Dass  aber  doch 
nicht  alles  Selbstbewusstsein  und  nicht  jeder  Drang  nach 
Selbsthilfe  durch  die  grundhen-schaftliche  Organisation  der 
unteren  Volksklassen  zu  ersticken  war,  dies  ist  aus  jener 
merkwürdigen  Ei-scheinung  der  Verbrüdeningen  und  geheimen 


')  Selbst  in  Sachsen  ist  im  Jahre  842  die  Herabdrück ung  der  Gemein- 
freien (frilingi)  schon  so  weit  vorgeschritten,  dass  sie  mit  den  lazzi  ge- 
meinsame Sache  zur  Wiedererwerbung  des  alten  Rechtes  machen;  Nidhard 
rv,  2  nennt  sie  zusammen  die  grosse  Masse  des  Volks. 


—    262    — 

Verbindungen  zu  ersehen,  von  welchen  schon  im  8.  und  wäh- 
rend des  ganzen  9.  Jahrhunderts  sich  Spuren  finden^). 

Allerdings  erhalten  wir  aus  den  überlieferten  Nachrichten 
kein  Bild,  das  in  seinen  einzelnen  Zügen  bestimmt  zu  er- 
kennen wäre;  aber  über  den  Grundcharakter  desselben  kann 
doch  wohl  ein  Zweifel  nicht  bestehen.  Diese  Vereinigungen 
sowohl  unter  kleinen  Freien,  als  unter  Unfreien,  aber  auch 
unter  beiden  zusammen^)  eingegangen,  sind  im  Wesentlichen 
Verbrüderungen  gewesen,  erzeugt  durch  die  Gemeinsamkeit 
der  Interessen  und  Gefahren,  begründet  auf  der  Gleichheit 
persönlicher  Achtung  und  socialer  Stellung,  und  waren  ge- 
richtet auf  das  Ziel  wechselseitiger  Unterstützung  in  Förde- 
ining  jener  Interessen ,  die  entweder  von  der  Grundherrschaft 
nicht  gefördert  wurden  oder  die  von  dieser  Seite  eine  Pflege 
erfuhren,  wie  sie  mit  den  Bedürfnissen  der  abhängigen  Leute 
sich  nicht  vertrug. 

Ihre  Bedeutung  lag  also  wesentlich  auf  socialem  Gebiete. 
Als  unwesentlich,  wenn  auch  für  die  Stärkung  der  Verbinde 
mngsidee  nicht  bedeutungslos,  muss  angesehen  werden,  dass 
sich  an  ihre  Zusammenkünfte  Gelage  anschlössen,  in  welchen 
Unmässigkeit,  Unfriede  und  Unzucht  eine  Stätte  finden  konn- 
ten^); als  unwesentlich  auch,  dass  sie  sich  an  ältere  Ein- 
richtungen kirchlicher  Art  vielfach  anschlössen,  wie  sie  ja 
auch  den  altgermanischen  Namen  der  Gilden  führten,  ohne 
desswegen  mit  den  heidnischen  Vereinigungen  zu  Opfermahl- 
zeiten  ohne  weiteres  in  Zusammenhang  gebracht  werden  zu 
können  *).  Wohl  mochte  solche  Tradition  wie  jener  Gebrauch 
der  Verbrüdei-ungen  für  das  Seelenheil  Anhaltspunkte  und  For- 


^)  Vgl.  i.  A.  Wilda,  das  Gildewesen  im  Mittelalter,  und  Hartwig. 
Untersachongen  über  die  ersten  Anfluge  des  Gildewesens  in  Forschnogec 
zur  deutschen  Geschichte  I. 

2)  Vgl.  Capit.  duplex  805,  c.  10;  s.  unten  S.  264. 

")  Von  den  kirchlichen  collectae  quas  gildonias  rel  confratrias  Tolgo 
vocant,  sagt  das  ausdrücklich  Hinkmar  Remensis  Capitula  ad  presbjtero« 
parochiae  'suae  data  a.  852,  Opp.  «d.  Sirmond.  I,  718,  c.  14  —  16.  S.  a. 
Capit  789,  c.  10,  unten  S.  263  Anm.  3. 

*)  Hartwig  in  Forschungen  I,  S.  150  f. 


—    263    — 

men  geboten  haben,  an  welche  die  neue  Idee  sich  anschloss; 
aber  die  Sache  selbst  ist  gewiss  ebenso  neu ,  als  die  sociale 
Lage  eine  neue  war,  welche  die  Veranlassung  dazu  bot.  Denn 
so  lange  noch  die  Markgenossenschaft  als  Geschlechts-  'oder 
Nachbargemeinde  sich  selbständig  behauptete,  war  ja  eben 
jener  persönliche  Zusammenhalt,  jene  sociale  Gleichheit  im 
Wesentlichen  vorhanden,  welche  die  Verbrüderungen  mit  der 
Zersetzung  dieser  älteren  socialen  Organisationsformen  durch 
die  GrundheiTSchaft  aufs  neue  zu  pflegen  sich  zum  Ziele 
setzten.  Und*  es  musste  erst  jener  Druck  der  herrschaftlichen 
Gewalt  in  fühlbarer  Weise  erfolgt  sein,  bis  er  den  Gegendruck 
erzeugte,  der  von  den  Verbrüderungen  ausgehen  sollte. 

An  sich  waren  nun  allerdings  die  Zwecke  dieser  Verbrü- 
derungen ,  soweit  wir  darüber  aus  den  gleichzeitigen  Nach- 
richten belehrt  werden,  nicht  so  bedeutend,  dass  sie  auf  die 
sociale  Lage  der  Verbiiideilen  einen  wesentlichen  Einfluss 
auszuüben  oder  gar  die  öffentliche  Ordnung  des  Reiches  zu 
gefährden  vermocht  hätten.  Sie  verbinden  sich  zu  wechsel- 
seitiger Annenunterstützung,  versichera  sich  gegen  Feuer- 
schaden und  Schiffbruch  ^),  verfolgen  gemeinsam  die  Räuber  ^), 
welche  ihr  Hab  und  Gut  bedrohen;  daneben  halten  sie  auch 
Gelage ')  und  beten  für  einander,  bei  Lebzeiten  wie  nach  dem 
Tode.  Aber  doch  scheinen '  sie  im  Lichte  der  damaligen  Zeit 
als  gefährlich  angesehen  worden  zu  sein;  zu  wiederholten 
Malen  wendet  sich  die  Gesetzgebung  Karls  d.  Gr.  und  seiner 
Nachfolger  gegen  sie  und  verfolgt  sie  mit  auffallender  Strenge^). 


^)  Capitul.  779,  c.  16  (LL.  I,  87):  De  sacramentis  per  gildonia  invi- 
cem  coignrantibus,  ut  nemo  facere  praesumat.  Alii  yero  modo  de  iUorum 
elemosinis,  aut  de  incendio,  aut  de  naofragio,  quamvis  conventioB  fadant, 
nemo  in  hoc  jnrare  praesumat 

*)  Capit  884,  c.  14  (LL.  1,  553) :  Yolumos ,  ut  presbyteri  et  ministri 
comitis  villanis  praecipiant,  ne  coUectam  fadant,  quam  vulgo  geldam  vo- 
cant  contra  illos,  qui  aliqnid  rapuerint 

«)  Capit  789,  c  10  (LL.  I,  68)  und  Capit.  856,  c.  7  (LL.  I,  442):  Pro- 
bibendnm  est  omnibus  ebrietatis  malum  et  istas  coiyurationes ,  quas  fa- 
dant per  s.  Stephanum  aut  per  nos  aut  per  filios  nostros  prohibemus. 

*)  Ausser  den  oben  angeführten  Capit.  von  779,  789,  856  und  884, 
besonders  in  Capit.  Frankof.  794,  c.  31  (LL.  I,  74):   De  cox\jurationibus 


—    264    - 

Und  es  ist  das  begreiflich,  wenn  wir  diese  selbständige  Re- 
gung zu  socialer  Organisation  in  Zusammenhalt  bringen  mit 
den  social -politischen  Tendenzen  und  den  Einrichtungen  der 
öffentlichen  Gewalt  jener  Zeit. 

Mit  gewohntem  Scharfblick  hatte  der  grosse  Karl  auch 
hier  sofort  herausgefunden ,  dass  ihre  Gefährlichkeit  nicht  in 
den  einzelnen  Zwecken  lag;  die  sie  verfolgten,  sondern  in  der 
ganzen  Art  der  Verbrüderung.  Indem  sie  sich  durch  Eid- 
schwur für's  ganze  Leben  verbanden,  setzten  sie  selbständig 
einen  neuen  Fidelitätseid  neben  den  allgemeinen,  der  dem 
Könige,  und  den  besonderen,  der  dem  Senior  zu  leisten  war^). 
Das  erschien  an  sich  schon  als  unveiträglich  mit  der  eben 


et  coDBpiratiombas  ne  fiant;  et  ubi  sunt  inventae  destmantar.  Capit  du- 
plex 805,  c  10  (LL.  I,  188):  De  conspiratioDibas  vero  qnicunque  facere 
praesumflerit,  et  sacramento  quamcunqoae  conspirationem  finnayerint,  nt 
triplici  ratione  iudicentur.  Primo ,  ut  ubicumque  aliqaid  malum  per  hoc 
perpetratum  fuit,  auctores  .facti  interficientar;  adiutores  vero  eonun  sin- 
goli  alter  ab  altero  flagellentur  et  nares  sibi  inTicem  praecidant  Ubi 
vero  nihil  mali  perpetratum  est,  Bimiliter  quidem  inter  se  flageUentar  et 
capillos  sibi  vicissim  detundant.  Si  vero  per  dextras  aliqua  conspiratio 
firmata  fuerit,  si  liberi  sunt,  aut  iurent  cum  idoneis  iuratoribos  hoc  pro 
malum  non  fedsse ,  aut  si  facere  non  potnerint,  suam  legem  conponant; 
si  vero  servi  sunt,  flagellentur.  Et  ut  de  caetero  in  regne  nostro  nulla 
huiusmodi  conspiratio  fiat,  nee  per  sacramentum,  nee  sine  sacramento. 
Capit.  881,  c  7  (LL.  I,  280):  De  coniurationibns  servorum  qoae  fiont  in 
Flandris  et  Menpisco  et  in  caeteris  maritimis  lods,  volumus,  ut  per  missos 
nostros  indicetur  dominis  servorum  illorum,  ut  constringant  eos,  ne  ultra 
tales  conjurationes  facere  praesumant  Et  ut  sdant  ipsi  eomndem  ser- 
vorum domini,  quod  cuiuscunque  servi  huiusce  modi  coninrationem  hten 
praesumpserint  postqnam  eis  haec  nostra  iussio  fuerit  indicata,  bannnm 
nostrum,  id  est  60  solidos,  ipse  dominus  persolvere  debeat  Capit,  85<s 
c.  12  (LL.  I,  488):  Similiter  et  de  conspirationibus  novids  iuxta  capitn- 
lare  emendent.  Auch  die  Condlien  und  Synoden  eiferten  gegen  diese 
Verschwörungen;  Syn.  Mognnt  847,  c  5;  Syn.  Lanr.  858,  c.  2  bei  Han- 
heim I,  155  und  Mansi  XIV,  798. 

^)  Capit  duplex  805,  c.  9  (LL.  I,  188):  De  iuramento,  ut  nulU  alten 
per  sacramentum  fidelitas  promittatur,  nisi  nobis  et  unicuique  proprio  se- 
niore  ad  nostram  ntilitatem  et  sui  senioris,  excepto  bis  sacramentia,  qoae 
iuste  secundum  legem  alten  ab  altero  debentur.  Dieses  Ki^itel  steht  mit 
dem  folgenden  von  den  conspirationibus  (s.  die  vorstehende  Anm.)  im  in- 
nigsten Zusammenhange. 


—    265    - 

auf  diesen  Eiden  begründeten  politischen  Organisation  der 
Bevölkerung ;  es  konnte  aber  umsoweniger  zugegeben  werden, 
als  es  nahe  lag ,  dass  je  enger  und  unmittelbarer  die  persön- 
lichen Beziehungen  waren,  welche  zwischen  den  durch  den 
Eid  Verbundenen  bestanden,  eine  um  so  grössere  Wirksamkeit 
denselben  beigelegt  werden  musste. 

Der  Eid  der  Verbrüderten  war  also  unvereinbar  mit  dem 
Unterthanenverbande  ebensowohl  wie  mit  dem  grundherr- 
schaftlichen Verbände,  auf  welchen  die  politische  und  sociale 
Organisation  ruhte,  die  gerade  zu  Karls  Zeit  ausgestaltet 
wurde;  er  war  unvereinbar,  weil  er  ohne  Zuthun  der  öflFent- 
lichen  Gewalt  ganz  neue  sociale  Kreise  schuf,  welche  den  ge- 
setzlichen entgegen  waren.  Ausserdem  aber  scheinen  die 
Verbrüderungen  eine  Ait  Jurisdiction  über  ihre  Mitglieder, 
wenigstens  schiedsgerichtliche  Functionen  in  Streitigkeiten 
derselben,  ausgeübt  und  durch  laufende  Beiträge  und  Straf- 
gelder eine  gemeinsame  Kasse  für  die  verschiedenen  Zwecke 
der  VerbiUdeningen  gehalten  zu  haben  ^),  wodurch  sie  wieder 
von  anderer  Seite  her  mit  der  öffentlichen  Gewalt  in  Conflict 
kamen.  Es  lag  aber  im  Geiste  jener  Zeit  durchaus,  socialen 
Verbindungen  überhaupt  eine  alle  Lebensverhältnisse  ergrei- 
fende Macht  einzuräumen;  durch  die  Verbrüdei-ungen  konnte 
also  eine  Macht  erwachsen,  welche  den  klaren  Entwickelungs- 
zielen  der  Gi-undherren  nach  Ausschliesslichkeit  und  All- 
gemeinheit ihrer  heiTSchaftlichen  Gewalt  hinderad  in  den 
Weg  trat. 

Darum  verbot  Karl  zunächst  nur  die  eigentlichen  Ver- 
schwörungen (conjurationes),  während  er  die  auf  blossen  Hand- 
schlag begi'ündeten  Vereinigungen  zu  einzelnen  Zwecken,  deren 
Nützlichkeit  ja  auch  ihm  nicht  entgehen  konnte,  gestattete '). 

Dagegen  wendete  sich  die  öffentliche  Gewalt,  weltliche 
wie  geistliche,  später,  wie  es  scheint,  unterschiedslos  gegen 
alle  Verbrüderungen.    Schon  bei  Karl  selbst  ist  diese  Wan- 


^)  Wenigstens  nach  der  Schilderung  Hinkmars  von  den  geistlichen 
Brüderschaften,  c  14  und  15. 

*)  Capit  779,  c.  16  und  Capit.  805,  c.  10;  s.  o.  S.263  Anm.  1  und  4. 


—    266    — 

delung  der  Anschauungen  eingetreten.  Während  er  zuerst 
sich  nur  gegen  die  Eidgenossenschaften  ausspricht,  die  andern 
Verbrüderungen  aber  bestehen  lässt,  erkläit  er  die  letzteren 
in  der  Folge  zwar  nicht  als  strafbar,  sofeiiie  sie  bereits  ge- 
gründet waren  und  nichts  Unrechtes  verübt  haben,  verbietet 
aber  doch  gleichzeitig  für  die  Folgezeit  alle  Arten  dei^selben. 
Und  noch  entschiedener  ist  die  Gesetzgebung  seiner  Nachfolger. 

Wir  werden  kaum  fehl  gehen,  wenn  wir  annehmen, 
dass  ebensowohl  ihre  zunehmende  Verbreitung,  die  stram- 
mere Organisation  und  die  grössere  Gefährlichkeit  derselben 
hiezu  Veranlassung  war,  wie  der  wachsende  Einfluss  der 
gi*ossen  Ginindherren  auf  die  Gesetzgebung,  deren  sie  sich  als 
wirksames  Mittel  zur  Bekämpfung  der  Tendenzen  bedien- 
ten, die  am  letzten  Ende  doch  gegen  die  Ausschliesslichkeit 
ihrer  HeiTSchaft  sich  wendeten. 

Obwohl  wir  nun  über  die  Erfolge  dieser  socialen  Bewe- 
gung gar  nicht  untemchtet  sind,  so  haben  wir  doch  Grund, 
solche  anzunehmen.  Zunächst  werden  wohl  die  wiederholt 
gemeldeten  BauernaufiBtände ,  welche  sich  gegen  die  Gewalt- 
thaten  einzelner  Giimdherren  oder  ihrer  Beamten  kehrten, 
nicht  ohne  Zusammenhang  mit  den  Yerbrüdeiningen  sein^). 
Aber  mehr  als  'in  solch  gewaltsamen  Ausbrüchen  äusserte 
sich  wohl  die  wachsende  Macht  derselben  in  den  verschiednen 
Verändemngen,  welche  langsam  und  unvermerkt  die  Lage  der 
Schutzleute,  Hörigen  und  Leibeignen  in  der  Grundhen-schaft 
erfuhren.  Wie  sie  in  dem  grossen,  von  Lothar  842  angezet- 
telten BaueiTiaufstande  der  Stellinger  in  Sachsen  gemeinsame 
Sache  machten,  so  waren  sie  auch,  trotz  verschiedener  Be- 
rechtigung, von  gleichartigen  socialen  Interessen  und  in  einen 
gemeinsamen  Gegensatz  zur  Heri-schaft  gesetzt.  Ihre  Assimi- 
liinng  zu  einer  einheitlichen  Hofgenossenschaft  mit  wei-thvollen 
persönlichen  Elementen,   wie  sie  die  folgende  Periode  zeigt 


^)  Beispiele  solcher  ünrahen  aas  der  Zeit  Karls  d.  Gr.  in  HiDcmar 
Vita  Bemigü  1.  October  107,  158  (im  Bisthom  Rheims).  Cap.  821,  c  7 
in  Flandern ,  Ann.  Fuld.  848  und  866  (SS.  I,  865  und  879)  im  BiBtham 
Mainz;  der  bekannte  Aufstand  der  Stellinga  in  Sachsen  842  Kidhart  IV,  2 

(SS.  II.  668). 


—    267    — 

ist  wohl  im  Wesentlichsten  eine  Frucht  desselben  Gedankens 
der  Verbrüderung,  der  in  den  Städten  die  Anfänge  des  In- 
nangswesen  schuf. 

Dass  sich  diese  Einigungsbestrebungen  nicht  innerhalb 
der  Markgenossenschaft  äusseiten,  sondern  mehr,  wie  es  scheint, 
aus  den  Kreisen  der  abhängigen  Grundholden  hervorgingen,  ist 
sehr  bezeichnend  für  die  sociale  Bedeutung  der  Markgenossen- 
schaft Von  der  alten  socialen  Gleichheit  der  Genossen,  von 
den  engen  persönlichen  Beziehungen  war  wenig  mehr  geblie- 
ben; selbst  die  Gemeinsamkeit  der  Interessen  ging  verloren. 
Hierhin  und  dorthin  schauten  die  nur  durch  das  Band  der 
gemeinen  Mark  zusammengehaltenen  Genossen,  wo  sie  an 
eine  Grundherrschaft  durch  Treuverpflichtung  oder  Hörigkeit, 
durch  Beneficium  oder  Zinsgut  geknüpft  waren  oder  wo  sie 
Schutz  und  Hilfe  in  bedrängter  Lage  hoffen  konnten.  Kein 
Zweifel,  dass  der  echt  genossenschaftliche  Geist  gerade  in  dieser ' 
Periode  am  tiefsten  damiederlag ,  dass  die  Freiheit  in  der 
Markgenossenschaft  gerade  jetzt  am  wenigsten  mehr  eine 
sichere  Stätte  hatte.  Aus  unbemerkten  Anfängen  war  mit 
dem  Erwerb  von  Grundbesitz  zu  dem  urspi-ünglichen  Erb- 
und  Genossengute,  und  mit  der  Unterwerfung  fi-emder  Arbeit 
unter  den  einheitlichen  Hen-schaftswillen  ein  Uebergewicht 
Einzelner  in  der  Gemeinde,  eine  ökonomische  Ueberlegenheit 
über  die  Mehrzahl  der  gleichberechtigten  Markgenossen  ent- 
standen. 

Theils  durch  Kauf  und  Tausch ,  theils  durch  Auftragung 
und  Schenkung,  aber  auch  durch  Rodung  von  Markland  war 
die  ursprüngliche  Gleichheit  der  Vertheilung  des  Grundeigen- 
thums,  soweit  sie  bestand,  aufgehoben  und  damit  die  alte 
Grundlage  der  Genossenschaft  für  immer  verloren,  w^elche 
nicht  nur  auf  der  Gleichberechtigung,  sondern  auch  auf  der 
ökonomischen  Gleichwerthigkeit  der  Genossen  beruhte.  Grosse 
Grundbesitzer  wuchsen  ausserdem  durch  Erwerbung  von  Hufen 
und  Markantheilen,  deren  Veräusserung  niemand  wehrte,  in 
fiemde  Gemeinden  hinein;  ja  es  mochte  wohl  die  Bevölke- 
rung der  Mark,  welche  die  zunehmende  Schwäche  ihrer  eignen 
Wirthschaft  empfand  und  von  der  Genossenschaft  selbst  kei- 


—    268    — 

nen  Schutz  und  keine  Förderung  ihrer  Interessen  ÜEind,  in 
solchen  reichen  und  mächtigen  Mitmärkem  eine  erwünschte 
Stütze  erblicken  und  diesen  Zuwachs  zur  Genossenschaft  nicht 
ungeme  sehen  ^). 

Aber  es  war  nicht  denkbar,  dass  diese  wiithschaftlich 
den  übrigen  so  sehr  überlegnen  Märker  sich  einfach  in  die 
bestehende  Ordnung  der  Dinge  fügten.  Zwar  gab  ihnen  die 
heiTSchende  Gepflogenheit,  den  Antheil  an  den  Marknutzungen 
nach  dem  Hufenbesitz  Qvata  formam  hovae  plenae)  zu  be- 
stimmen, schon  ein  natürliches  Uebergewicht  in  Ausbeutung 
der  ökonomischen  Vortheile,  welche  der  Markverband  ge- 
währte ;  und  wo  ein  Grundherr  einmal  die  Mehrzahl  der  Hu- 
fen einer  Gemarkung  in  seine  Botmässigkeit  gebracht  hatte, 
war  dieses  Uebergewicht  von  einer  vollständigen  BeheiTSchun? 
des  ökonomischen  Inhalts  der  Markgenossenschaft  nicht  mehr 
erheblich  verschieden.  Mochte  der  Grundherr  nun  diese  Hu- 
fen selbst  bewirthschaften  oder  mit  Colonen  und  Zinsleuten 
besetzen,  immer  konnte  er  doch  über  die  Markgi-ünde  der 
Hauptsache  nach  veifügen  und  damit  seine  organisatorischen 
Wirthschaftspläne  verwirklichen,  soweit  sie  sich  auf  die  Dienst- 
barmachung  des  Bodencapitals  und  seiner  Nutzungen,  sowie 
auf  die  Gliedemng  seiner  Güter  und  die  Anordnung  des  land- 
wii-thschaftlichen  Betriebes  bezogen.  Und  zur  vollständigeren 
Erreichung  dieses  Zieles  dienten  alle  Mittel,  die  mit  dem 
Reichthum  zur  Verfügung  waren;  durch  seine  Dienstleutc, 
seine  Colonen  und  Ergebenen  (amici)  liess  der  Grundherr  im 
Markwalde  roden  *)  und  konnte  dadurch  den  HeiTenhof  ver- 
grössern,  wie  er  Gelegenheit  zur  Anlegung  neuer  Zinseshafen 
fand ;  in  kluger  Benützung  der  Nothlage  seiner  Nachbarn  konnte 
er  mit  seinem  Gelde  freie  Bauemstellen  auskaufen,  mit  seinem 
Ueberschuss  an  Producten  um  den  Preis  der  persönlichen  Er- 


^)  So  z.  B.  nach  den  Acta  fondationis  Mar.  bei  Hergott  I,  824  (frei- 
lich einer  späteren  Zeit  angehörig):  Aestimantes  autem  qoidam  liberi  ho- 
mines ,  qui  in  ipso  vico  erant ,  benignam  et  dementem  illum  (praepoteD- 
tem)  fore,  praedia  sua  sub  censu  legitimo  illi  contradiderant,  ea  conditiooe 
at  sub  mnndibordio  ac  defensione  illius  semper  tuti  valerent  esse. 

«)  S.  o.  1.  Abschn.  S.  216  f. 


—    269    — 

gebung  Unterstützungen  gewähren;  durch  Arrondirung  mit 
benachbarten  Grossgrundbesitzem  die  Anzahl  der  mächtigeren 
Märker  in  seiner  Gemeinde  vemngem  und  sich  selbst  auf 
solche  Weise  immer  mehr  zum  allein  Mächtigen  in  der  Ge- 
markung machen. 

Aber  immerhin  stand  er  doch  noch  neben  andern  Mark- 
genossen, die  social  gleichberechtigt  waren,  bei  allem  Unter- 
schied des  Vermögens  und  der  wiithschaftlichen  Kraft;  und 
leicht  war  es  möglich,  dass  diese,  ihr  numerisches  Ueberge- 
wicht  benützend,  dem  einen  Reichen  unbequem  wurden,  ihm 
nicht  nur  seine  organisatorischen  Pläne  durchkreuzten,   son- 
dern ihn  sogar  durch  ihre  Mehrheitsbeschlüsse  ausbeuteten, 
wo  in  der  Markgenossenschaft  irgend  ein  gemeinsames  Vor- 
gehen mit  Rücksicht  auf  das  allgemeine  Wohl  vei*sacht  wurde. 
Wie  schwach  auch  immer  diese  Aeusserungen  eines  Ge- 
meingeistes in  der  Markgenossenschaft  jener  Zeit  sind,  wir 
dürfen  sie  bei  der  Einfachheit  der  Verhältnisse  doch  nicht 
unterschätzen;  und  es  ist  begreiflich,  dass  die  Ginindherren 
immer  mehr  mit  klarem  Bewusstsein  des  Zieles  die  Ordnung 
des  herrschaftlichen  Verbandes  an  die  Stelle  des  markgenos- 
senschaftlichen zu  setzen  bestrebt  waren.     Allein  und  aus- 
schliesslich wollten  sie  in  der  Mark  zu  befehlen  haben,  wo 
doch,  wenn  sie  nur  wollten,  alles  ihrer  faktischen  Macht  sich 
beugen  musste. 

Vielfach  mochte  dieser  Uebergang  der  alten  Markver- 
fassung  in  die  Hofverfassung  auf  ganz  geordnetem  Wege  sich 
vollziehen,  wenn,  wie  das  häufig  war,  durch  Verträge  das 
ganze  Markgebiet  in  die  HeiTSchaft  eines  Grundherrn  gekom- 
men war;  aber  nicht  immer  ist  Zwang  und  Gewalt  dabei 
vermieden  worden,  die  sich  der  Natur  der  Sache  nach  zu- 
nächst gegen  Weide  und  Wald  richteten,  dann  aber  auch  die 
Güter  selbst  nicht  unverschont  Hessen  ^). 


*)  Capit  850,  c.  5  (LL.  I,  496) :  Hoc  etiam  multorum  querellis  ad  nos 
delatam  est,  quod  potentes  ac  honorati  viri  in  lods,  quibus  conversantur, 
minorem  popolum  depopulentur  et  opprimant  et  eorum  pascua  depascunt; 
mansiones  etiam  contra  voluntatem  privatorum  hominum  sive  pauperum 
in  eonim   domibns  suis  hominibus  disperciant,  eisque  per  yim  quaelibet 


—    270    - 

Aber  auch  wo  ein  GinindheiT  nur  in  fremder  Gemarkung 
Besitz  erwarb ,  machte  er  auch  sofort  seine  Macht  geltend, 
und  verschaffte  sich  neben  dem  gemeinen  Marknutzen,  der 
ihm  nach  Massgabe  seines  Hufenbesitzes  in  der  Mark  zu- 
stand, noch  manche  besondere  Vortheile  ^).  Den  ökonomischen 
Interessen  des  Haupthofes  wurden  auf  diese  Weise  alle  Mar- 
ken dienstbar,  in  denen  der  GnmdheiT  Märker  war,  auch 
wenn  der  Haupthof  nicht  in  der  Gemarkung  lag.  Bald  er- 
schien das  unbebaute  Land  der  Markgenossenschaften  als 
ein  ausschliessliches  oder  doch  vornehmliches  Object  der  grossen 
Grundherren;  den  Mitmärkern  Hessen  sie  einen  Antheil  an 
der  Nutzung  immer  mehr  nur  unter  dem  Titel  eines  freiwilli- 
gen Zugeständnisses.  Diese  Umwandelang  der  Rechtsanschau- 
ung oder  wenigstens  der  factischen  Uebung  des  Rechts  ist 
im  neunten  Jahrhundeil  schon  so  allgemein  geworden,  dass 
sie  vielfach  selbst  in  Formeln  Ausdruck  fand^). 


tollant  Unde  praecipimus,  ut  hoc  ulterias  non  fiat,  sed  unasqnisqae  bo- 
noratus  noster  se  suosque  ex  suo  pascat  Vgl.  auch  das  Verfiilirea  der 
Grafen  von  Linzgau  gegen  die  Ausübung  der  Marknutzung  im  oberen 
Rheinthal  durch  das  Kloster  St.  Gallen,  Tr.  Sang.  890,  II,  680. 

^)  Vgl.  Tr.  Sang.  890,  n.  680:  Notum  sit  .  .  quod  fratres  de  mooa- 
Bterio  s.  Galli  (das  in  pago  Arbunensi  lag)  in  pago  Ringouye  de  justis  et 
publicis  traditionibus  atque  legitimis  curtilibus  talem  usum  habuimus,  qiu- 
lern  unusquisque  liber  homo  de  sua  proprietate  juste  et  Ißgaliter  debet 
habere  in  campis,  pascuis,  silvis  etc.;  preterea  in  usus  monasterii,  proot 
opus  erat  ad  aquaeductus  et  ad  tegulas  ligna  in  praedicto  pago  sucddimos 
et  inde  ad  monasterium  deferebamus  et  nihilominus  navalia  ligna  ibisoc- 
ddimuB  ad  necessaria  nostra  per  locnm  asportanda;  insuper  et  grex  po^ 
corum  de  monasterio  ad  eundem  saltum  dedncebatur  ad  pastom.  Diese 
Rechte  hatte  das  Kloster  schon  seit  den  Zeiten  Ludwig  des  Frommen. 

^)  Form.  Salomonis  c.  5  (Rockinger  197):  Ut  eadem  possessio  lolis 
regibus  hereditario  iure  subiecta  sit  in  perpetuum  et  nuUus  de  pagensibos 
ibi  aliquid  commune  habeat  nisi  forte  precario.  Aehnlich  in  einer  ilt- 
alaman^iischen  Formel  des  ausgehenden  9.  Jahrh.  (Wyss  in  Mitth.  der 
antiqu.  Gesellschaft  in  Zürich,  YII,  n.  9,  S.  82) :  conventus . .  pro  quadam 
Silva  Tel  potius  saltu  . .  utrum  et  ceteri  dves  in  eodem  lignorom  materia- 
rumque  caesuram  pastumque  vel  saginam  animalium  habere  per  soam 
auctoritatem  an  ex  eiusdem  loci  dominis  precario  deberent  Tunc  ...  10 
primores  de  comitatu  N.,  6  que  alii  de  comitatu  N.,  qui  vicinos  esse  ride- 
bantur,  diviserunt  eundem  saltum  hoc  modo,  ut  de  fluvio  .  .  proprie  per 


-    271    — 

Durch  ihre  Wii-thschaftsbeamten  fingen  die  Grundhen-en 
an,  die  Marknutzung  zu  regeln,  was  die  freie  Genossenschaft 
nur  zu  sehr  unterlassen  hatte  ^).    Ihre  Heerden  untei*stellten 
sie  nicht  mehr  den  Gemeindehirten,  sondern  machten  von  dem 
Volksrechte  Gebrauch,  das  für  grössere  Viehbestände   eines 
Gutes  eigne  Hirten  zuliess*).    Ueberhaupt  aber  waren  ihre 
Interessen  nicht  mehr  auf  die  Erhaltung  der  alten,  auf  Gleich- 
berechtigung beruhenden  Gemeinschaft,  sondern  auf  ihre  Be- 
hen-schung  gerichtet;  und  nur  zu  leicht  konnte  es  ihnen  bald 
gelingen,  einen  Widerspruch   gegen  dieses  Streben  aus  den 
Kreisen  der  betheüigten  Genossen  heraus   auch  rechtlich  zu 
überwinden;  waren  ja  doch  die  Grafen  wie  die  Vögte,  die 
Vicare  und  Centenare  selbst  durchweg  schon  aus  der  Klasse 
der  grossen  Grundherren  genommen,  also  an  der  Spitze  der- 
jenigen öflFentlichen  Einrichtungen,  welche  für  die  Bewahining 
des  Rechtszustandes  bestanden;  und  auch  den  neugebildeten 
Schöfifenbänken  gaben  die  Mächtigsten  im  Gaue  bald  ihr  eig- 
nes Gepräge;  denn  auch  bei  ihrer  Besetzung  war  der  Einfluss 
des  Grafen  mächtig  und  die  Intervention  des  Volkes  konnte 
praktisch  leicht  einer  vorzugsweisen  Bücksichtnahme  auf  die 
Mächtigsten  im  Gaue  gleichkommen,  von  denen  doch  die  mei- 
sten bereits  abhängig  waren'). 

Unter  solchen  Verhältnissen  war  für  die  GrundheiTen  zu- 
nächst wohl  gar  keine  Veranlassung,  aus  dem  Markverbande 
auszuscheiden,  in  dem  gerade  sie  die  grössten  Vortheile  für 
ihre  Wirthschaft,  den  stärksten  Einfluss  auf  die  Bevölkerung 
zu  gewinnen  in  der  Lage  waren.    Eine  Ausscheidung  aus 


tinere  deberent  et  noUas  in  eisdem  locis  aliquem  usom  habeant  nisi  ex 
permisso  rectomm  eiusdem  sancti  loci,  deorsum  versus  .  .  .  omnes  Uli 
pagenses  similiter  sicut  familia  sancti  illias  asoin  habeant  cedendi  ligna 
et  materies,  saginamqne  porconim  vel  pastom  pecorum.  Vgl.  auch  Gierke, 
Genossenschaftsrecht  II,  158. 

^}  Die  obige  alamannische  Formel  fügt  daher  bei :  £o  tarnen  pacto, 
ut  forestarius  sancti  ipsius  eos  (pagenses)  admoneat  et  conveniat,  ne  im- 
ffloderato  ruendo  arbores  glandiferas  et  sibi  nocui  et  sancto  loco  invenian- 
tor  infesd. 

*)  Vgl.  oben  I.  Buch,  2.  Abschnitt,  S.  87. 

^  Vgl.  i.  A.  Waitz,  Verf.-Gesch.  IV,  328. 


—    272    - 

demselben  wäre  mit  einem  Vei*zicht  auf  den  Marknutzen  ver- 
bunden gewesen ,  der  ja  doch  vornehmlich  den  grössten  Be- 
sitzern in  der  Gemarkung  zustand;  und  die  Befreiung  vom 
Flurzwang  und  genossenschaftlicher  Feldweide,  die  äurch  Aus- 
scheidung der  herrschaftlichen  Güter  aus  der  Genossenschaft 
an  der  Mark  zu  erreichen  war,  konnte  doch  nur  unter  der 
Voraussetzung  Werth  haben,  dass  diese  Güter  für  sich  einen 
hinlänglich  grossen,  zusammenhängenden  Complex  bildeten, 
eine  Voraussetzung,  welche  in  dieser  Zeit  in  den  meisten 
Fällen  durch  die  organisatorischen  Bestrebungen  der  Grund- 
herren ei-st  zu  schaffen  war. 

Die  Grundhenen  blieben  also  in  jenen  Markgenossen- 
schaften, wo  sie  nur  einzelne  Güter  besasseu;  einfach  Mitmär- 
ker,  wenn  sie  auch  wegen  ihrer  wirthschaftiichen  und  socialen 
Ueberlegenheit  manches  Von-echt  und  manchen  factischen 
Vortheil  genossen  ^) ;  wo  sie  einen  Haupthof  mit  einer  Anzahl 
dienender  Güter  oder  wenigstens  von  diesen  eine  grössere  Menge 
besassen,  machte  sich  wohl  schon  das  Piincip  der  herrschaft- 
lichen Organisation  geltend,  welche  eine  Auseinandersetzung 
über  die  gegenseitigen  Rechte  und  Pflichten  mit  der  Mark- 
genossenschaft nothwendig  machte,  ohne  doch  diese  vollständig 
aufzulösen;  es  entstanden  Gemeinden  mit  gemischter  Verfas- 
sung, die  theils  nach  der  autonomen  Beliebung  ihrer  freien 
Genossen,  theils  nach  dem  Hechte  ihres  Herrenhofes  lebten,  unter 
sich  aber  doch  eine  gewisse  Gemeinschaft  der  Marknutzung 
aufrecht  erhielten  *).  Und  wo  endlich  die  gi-ossen  Grundhenen 
entweder  das  Eigenthum  über  die  sämmtlichen  Güter  der  Ge- 
markung sich  erwarben  oder  der  territoriale  Zusammenhang 
und  die  Ausdehnung  des  HeiTenlands  und  der  dienenden  Güter 
es  gestattete,  da  trat  die  Hofverfassung  an  die  Stelle  der 
alten  freien  Markverfassung,  oder  sie  entstand  in  den  Grenzen 


^)  Die  zahlreichen  Urkunden  des  8.  und  9.  Jahrhunderts,  velche  bei 
Gütern  reicher  Grundbesitzer  zugleich  die  Berechtigung  im  Maridaade  als 
Pertinenz  anf&hren,  bezeugen  die  Fortdauer  dieses  Zustandes. 

2)  Vgl.  insbesondere  die  Ausführungen  von  Maurer,  Geschichte  d€T 
Dorfverfassung  I,  S.  12  f.,  79  f.  und  von  Gierke,  GenossenschafUrecht  L 
S.  202  f. 


—     273    — 

der  bisherigen  Markgemeinde.  Nur  im  letzten  Falle  lässt 
dich  also  von  einer  Ausscheidung  der  Grundherrn  aus  der 
Markgenossenschaft  sprechen  und  es  ist  leicht  begreiflich,  dass 
diese  mehr  die  grossen  Markgenossenschaften  des  Gaues  und 
der  Cent,  als  der  Dorfschaften  betraf;  denn  nur  selten  hatten 
diese  ein  so  grosses  Gebiet,  dass  innerhalb  desselben  sich  ein 
neues  geschlossenes  Territorium  grundherrlicher  Villen  mit  dem 
nöthigen  Umfang  bilden  konnte  0-  Durch  Erwerbung  der 
Jagd,  der  Fischerei,  des  Mühlenrechts  •—  alter  markgenossen- 
schaftlicher Rechte  —  besondei*s  aber  durch  die  Einforstungen^) 
ist  hierzu  meist  der  erste  Schritt  gemacht  worden.  Die  Aus- 
bildung des  Sallands,  die  Abinindung  der  einzelnen  Güter 
und  des  gesammten  Besitzes  der  Grundhen-schaften,  die  Ent- 
wickelung  des  Villicationssystems ,  die  Hufentheilung  und  die 
Äenderung  des  Feldersystems  haben  dann  diese  Ausscheidung 
wesentlich  begünstigt.  Aber  erst  mit  der  politischen  Immu- 
nität der  Grundherrschaften,  die  sich  als  letzte  Consequenz 
aus  dem  Uebergewicht  in  der  Markgenossenschaft,  aus  dem 
Seniorat  und  der  Vassallität  ergab,  trat  auch  der  herrschaft- 
liche Verband  in  entscheidender  Weise  an  die  Stelle  des  un- 
gleich loseren  und  daher  auch  weniger  leistungsfähigen  und 
weniger  werth.yollen  Verbands  der  freien  Markgenossenschaft, 
und  hat  dann  zur  Bildung  jener  hofrechtlichen  Genossen- 
schaften Veranlassung  gegeben,  für  welche  die  Quellen  erst 
in  der  folgenden  Periode  reichlicher  fliessen. 

Mit  der  socialen  Ueberl^enheit,  welche  auf  diesen  Wegen 
die  grossen  Grundherrn  im  Laufe  des  8.  und  9.  Jahrhunderts 
gewannen,  ist  dann  auch  die  politische  Organisation  angegriffen 
und  einer  gi'ündlichen  Umgestaltung  entgegengeführt  worden. 
Zwar  die  socialen  Veränderungen  in  der  engsten  Mark- 
genossenschaft der  Doid(igemeinde  oder  des  Hofsystems  hatten 
keinen  unmittelbaren  Einfluss  auf  die  Ordnung  der  öffentlichen 
Gewalt,  da  diese  sich  ja  jener  engsten  socialen  Kreise  nicht 
als  Organ  bediente.    Aber  schon  in  der  Hundei*tschaft ,  dem 


')  Vgl  Sohm,  ReichsyerfasBung  I,  207  £  231. 
^)  Das  Nähere  hier&ber  im  8.  und  4.  Abschnitt. 

▼  OD  Inama-Sternegg,   Wirthschaftsgeschiclite.     I.  IS 


—    274    — 

untersten  Organ  der  politischen  Verwaltung  für  Rechtspflege, 
Polizei  und  Heereswesen  war  das  anders.    Hatte  sich  erst  im 
Kreise  der  Genossen  der  eine  oder  andere  zu  hervorragendem 
Grundbesitz  und  zu  Hen*schaft  über  viel  dienendes  oder  ab- 
hängiges Volk  emporgeningen ,   oder  war  ein  gi-osser  Grund- 
herr durch  Erwerb  von  Gutem   und  Genossenrechten  in  die 
Gemeinde  hineingewachsen,  so  lenkten  sich  fast  unwillkürlich 
auf  diese  die   Stimmen  der  Markgenossen  bei  der  Wahl  des 
Centenara  ^).    Und  war  er  etwa  auch  noch  ÖeiT  der  Cental- 
mende ^worden,  die  ganze  Hundertschaft  also  mit  dem  Gebiet 
seiner  GinindheiTschaft  identisch,  dann  fehlte  diesem  Oi^an 
einer  fi*eien  Selbstverwaltung  des  Volks  jeder  Halt  und  immer 
mehr  drängte  das  ganze  Verhältniss  nach  einer  durchgreifen- 
den Umgestaltung  der  Befugnis3e.    Am  raschesten  und  ent- 
schiedensten vollzog  sich   dieser  Uebergang  da,    wo  einzehe 
besonders  reiche  Grundhen'n  eine  solche   sociale   und  öko- 
nomische Ueberlegenheit  in  einem  ganzen  Gau  erwarben.    Es 
war  ihnen  bald  ein  Leichtes,  das  Grafenamt  zu  erlangen  und 
dieses  mit  ihrer  Grundheri-schaft  in  so  innige  Beziehung  zu 
setzen,  dass  sie  im  Laufe  der  Zeit  wie  von  selbst  in  Eins  ver- 
schmolzen;  oder  sie  erhielten  die  Immunität  von  der  öffent- 
lichen. Gewalt  und  setzten   dann  sich  selbst  und  ihre  Vögte 
an  die  Stelle  der  Grafen;  in   beiden  Fällen  ist  das  alte  poli- 
tische Gaugrafenthum  zei-setzt,  ist  die  öffentliche  Gewalt  eine 
gi'undheiTSchafÜiche  geworden  *). 

Und  es  muss  betont  werden,  dass  die  Politik  der  frän- 
kischen Könige,  die  Giiindsätze  nach  welchen  bei  Besetzung 
der  öffentlichen  Aemter  vorgegangen  wurde,  im  Ganzen  diesem 


^)  Zwar  hatte  das  Capit  Aquisgr.  809  (LL.  I,  156)  c.  11  TOigeschrie* 
ben:  Ut  judices,  advocati,  praepositi,  centenarii,  scablnii,  qaales  meliores 
inyeniri  possnnt  et  Deiim  timentes ,  constituantiir  ad  sua  ministeria  exff- 
cenda  cum  comite  et  populo ;  eligantor  mansueti  et  boni.  Aber  doch  xeigeo 
viele  Capitolarien  den  Centenar  ebenso  wie  die  andern  Amtleute  durchaos 
von  den  herrschaftlichen  Neigungen  des  Grossgrundbesitzers  beseelt;  tgl. 
Capit.  808  c.  8;  811  c.  3  oben  S.  250;  Capit  811  c.  2;  847  c  22  ufitco 
S.  276.  Selbst  erblich  scheint  die  Stelle  schon  in  einzeben  FUlen  z.  B. 
Tr.  Frising.  Ib,  n.  404.    Vgl.  W^aitz  lU,  833. 

^  Vgl.  Walter,  Rechtsgeschichte  §  183. 


—    275     - 

Streben  der  grossen  Grundherni  nach  Aneignung  der  öffent- 
lichen Gewalt  durchaus  nicht  entgegen  waren.  Schon  unter 
den  Merowingern  galt  der  Grundsatz,  dass  der  Richter  nur 
aus  der  Provinz  und  dem  Gau  genommen  werden  solle,  wo 
er  seinen  Besitz  hatte  ^) ;  das  beförderte  nattlrlich  die  Wahl 
grösserer  Grundbesitzer,  gegen  welche  alle  Anspiilche  besser 
als  gegen  wenig  Besitzende  geltend  gemacht  werden  konnten. 
Aber  auch  Karl  der  Grosse  und  seine  Nachfolger  haben  bei 
der  Besetzung  der  Grafenämter  doch  wenigstens  auf  ange- 
sehene und  mächtige  Familien  Bttcksicht  genommen  und  wenn 
auch  das  Amt  regelmässig  nur  auf  Lebenszeit  übertragen 
war,  ja  wegen  Untreue,  Verbrechen  oder  Nachlässigkeit  ent- 
zogen werden  konnte,  so  ist  doch  davon  immer  seltener  Ge- 
brauch gemacht  worden.  Vielmehr  ist  es  immer  häufiger 
vorgekommen,  dass  einzelne  Familien  sich  in  den  erblichen 
Besitz  der  Grafenämter  setzten  und  damit  die  Verschmelzung 
dei'selben  mit  den  sonstigen  grundherrschaftlichen  Befugnissen 
besiegelten  *). 

Zu  dem  allgemeinen  Einflüsse,  den  ein  GinindheiT  durch 
gleichzeitige  Amtsfühining  in  Hundertschaft  oder  Gau  erwarb, 
traten  noch  manche  andere  Vortheile  des  Amtes  bestimmend 
fbr  dieses  Bestreben  der  Grossen  nach  den  Aemtem  auf. 
Dem  Grafen  fiel  nach  altem  Beamtenrechte  eine  Quote  der 
Friedensgelder  zu*),  und  die  Erhebung  der  Gerichtsgelder 
und  anderer  königlicher  Einkünfte,  mit  denen  er  betraut  war, 
blieb  sicherlich  auch  nicht  ohne  materiellen  Vortheil.  Dazu 
kam  nun  aber,  dass  der  Graf  regelmässig  königliches  Gut  als 
Belohnung  für  den  Dienst  erhielt,  den  er  als  öffentlicher 
Beamte  leistete;  ja  die  Grafschaft  ward  bald  selbst  mit  festem 


')  Ed.  Chlotachar.  II,  614  c.  12  (LL.  I,  15)  üt  nallus  iudex  de  aUis 
proyinciis  aut  regionibus  in  alia  loca  ordinetur,  ut  si  aliquid  mall  de 
quibuslibet  conditionibus  perpetraverit,  de  suis  propriis  rebus  ezinde,  quod 
Diale  abstulerit,  inxta  legis  ordinem  debeat  restituere. 

•)  Vgl.  Waitz,  Verf.-Ge8ch.  lü,  828ff.  und  oben  S.  231. 

*)  Bei  den  Baiem  bezog  der  judex  Vo  der  Composition  L.  Big.  XIII, 
2,  3;  nach  Cap.  788  c.  5  (LL.  I,  46)  gehört  ihm  Vs  der  Friedensgelder. 

18* 


—    276    — 

Landbesitz    ausgestattet^)    und    damit    die   persönliche   wie 
sachliche  Herrschaft   der  Grafen  noch  beträchtlich  erweitert 

Indem  dann  die  Grafen  auch  die  Ableistung  jener  per- 
sönlichen Dienste  zu  befehlen  und  zu  überwachen  hatten, 
welche  jeder  Freie  dem  König  und  dem  Reiche  leisten  musste, 
den  Heerdienst,  den  Wachdienst  und  Baudienst  sowie  die 
öffentlichen  Fuhren,  hatten  sie  auch  leicht  Gelegenheit,  diese 
für  wirkliche  oder  veimeintliche  Zwecke  des  Grafenamts  und  des 
Grafenguts  in  Anspruch  zu  nehmen;  selbst  eine  Verfügung  der 
Grafen  über  die  heerbannpflichtige  Mannschaft  ihres  Gaues 
für  ihre  eignen  Streitigkeiten  ist  dieser  Zeit  nicht  immer  fern 
gelegen  *). 

Solch  eigenmächtiger  Gebrauch  der  Amtsgewalt,  wie  er 
wohl  allgemein  vorkam,  hat  bei  den  kleinen  Freien  gar  bald 
das  Gefühl  erwecken  müssen,  dass  nur  der  sicher  vor  Be- 
dillckung  und  Willkür  blieb ,  der  sich  dem  Grafen  oder  dem 
Centenar,  dem  Imraunitätsherm  oder  seinem  Vogte  commendirt 
und  sein  Besitzthum  ihnen  aufgetragen  hatte.  Man  wählte 
eben  das  kleinere  Uebel  der  Minderung  persönlicher  Freiheit 
um  dem  grösseren  Uebel  der  Verarmung  zu  entgehen,  das 
diejenigen  bedrohte,  welche  den  ungleichen  Kampf  mit  der 
ökonomischen  Ueberlegenheit  und  der  amtlichen  Gewalt  der 
GrundheiTU  aufnahmen  ^). 


^)  Vgl.  die  Beispiele  hei  Waitz  IV,  141. 

*)  Gegen  solche  Missbr&uche  wenden  sich  die  Könige  häufig  genug: 
Capit  803  c.  17  (LL.  I,  121):  üt  liberi  homines  nullam  obsequium  comi- 
tibuB  faciant  nee  vicariis,  neque  in  prato,  neque  in  messe,  neqae  in  aratora 
aut  Tinea  et  coigectum  uHum  vel  residuum  eis  resolvant  (ne  solvant?^ 
excepto  servitio  quod  ad  regem  pertinent  et  ad  heribannatores  yel  bis  qui 
legationem  ducunt  Capit.  de  villis  c.  11:  Ut  nallos  index  mansionaticos 
ad  suum  opus  nee  ad  suos  canes,  supei  homines  nostros  atqae  in  forestes 
(forenses?)  nullatenus  prendat 

')  Ausser  den  oben  S.  245, 250  angeführten  Stellen  vgl.  noch  Capit  811 
c.  2  (LL.  I,  168):  Pauperes  se  reclamant  expoliatos  esse  de  eoram  pro- 
prietate  et  hoc  aequaliter  clamant  super  episcopos  et  abbates  et  eoram 
advocatos  et  super  comites  et  eorum  centenarios.  Cap.  818  c.  22  (LL. 
I,  190) :  Ut  comites  vel  vicarii  aut  centenarii  sub  malo  occasione  vel  ingenio 
res  pauperum  non  emant  nee  vi  tollant,  sed  quisque  hoc  comparare  voluerit, 
in  publico  placito  eoram  episcopo  fiat    Capit  816  (LL.   I,    196)  c.  3: 


-     277    — 

Schliesslich  brachte  das  Amt  auch  mit  dem  Könige  in 
nähere  Verbindung  und  manch  besonderer  Nutzen,  manche 
Förderung  der  specifischen  Interessen  der  grossen  Gmndherm 
konnte  daraus  erwachsen.  Die  Verleihung  von  Königsgut, 
abgesehen  von  den  Amtsbeneficien ,  war  für  die  Grafen  und 
Reichsbeamten  ungleich  leichter  zu  eiTeichen;  sie  waren  in 
der  Lage,  dem  Könige  manchen  besonderen  Dienst  zu  leisten, 
seine  Einkünfte  zu  mehren^);  ja  er  war  zum  guten  Theile 
TOD  ihren  Diensten  abhängig,  besonders  in  Austrasien,  wo  es 
ei'st  galt,  einen  festen  Reichsverband  auf  Grundlage  des 
Beamtenthums  herzustellen  ^).  Aber  auch .  die  Zugänglichkeit 
des  unmittelbaren  Königsdienstes,  die  Aufnahme  in  die  Trustis, 
als  Ki-onvassall  etc.  war  dadurch  sehr  erieichtert  und  gab 
dann  wieder  Gelegenheit,  Aemter  und  Güter  zu  erhalten*). 
Der  Abschluss  dieser  ganzen  Bewegung,  die  Erwerbung 
der  Immunität  war  darnach  nur  eine  rechtliche  Anerkennung 
einer  längst  vorhandenen  Thatsache.  Schon  war  der  Zustand 
vorbereitet,  wornach  alle,  die  in  irgend  welchem  Abhängigkeits- 
verhältnisse zu  einem  GnindheiTu  als  Schutzhörige  oder  Leib- 
eigne (coloni,  servi,  mancipia  casata  und  non  casata)  standen, 
vom  Standpunkte  der  Grundheriii  aus  als  eine  geschlossene 

comites  vero  non  semper  pauperes  per  placita  premere  debeant.  Auch 
erzählt  eine  Urk.  von  808—810  (Ghabert,  Bruchstück  einer  Österr.  Rechts^ 
geschichte  III,  126)  von  dem  Istrianer  dux  Joannes:  Postquam  devenit  in 
ducatu ,  ad  suum  opus  istos  solides  •  (Fiskaltribut^  habuit  et  non  dixit 
iustitia  palatii  fuisset .  . .  dlvisit  populum  inter  filios  et  filias  Tel  generem 
saam.  Vgl.  auch  Hüllmann,  Stände  215;  Maurer,  Einleitung  S.  210; 
Waitz  IV,  284  ff. 

^)  Mon.  Boic  899  I,  351  schenkt  E.  Arnulf  Güter  an  einen  Vassalien 
des  Grafen  Luitpold  ob  augmentuin  mercedis  nostrae. 

')  Die  Grafen  waren  mit  der  Erhebung  von  Abgaben  und  der  Aufsicht 
über  dieselben  betraut;  Capit  Ticin.  801  c.  13  (LL.  I,  85);  Aqnisgr.  817 
c  11  (I,  212).  Aufeicht  über  die  Münze,  Zölle,  Zinse  etc.  vgl  Waitz  IV, 
144.  Aber  auch  als  Verwalter  königlicher  Güter  kommen  sie  vor  z.  B. 
Vita  Hludov.  c.  8  (SS.  11,  610)  ein  Graf  als  vinarum  suarum  proyisor. 

*)  Beispiele  einer  Vertheilung  von  Geld  und  Land  unter  die  Königs- 
diena:  Ann.  Lauresh.  796  (SS.  I,  182)  Einhard  796  (ib.  183):  Carolus 
reliqoam  partem  thesauri,  (quem  Ericus  dux  Foroiuliensis . . .  regi  de 
Pannonia  detulerat)  inter  optimates  et  aulicos  ceterosque  in  palatio  suo 
militantes  liberali  manu  distribuit. 


—    278    — 

Masse  erschienen,  auf  deren  pei'sönliche  Hingabe  sie  rechnen 
konnten.  Mochten  sie  auch  im  Uebrigen  in  den  verschie- 
densten Verbindungen  zur  öffentlichen  Gewalt  und  zur  Mark- 
genossenschaft stehen,  so  war  doch  das  nächste  und  engste 
Band  das  der  Gi-undherrlichkeit  und  pei'sönlichen  Ergebenheit. 
In  den  verschiedensten  öffentlichen  Angelegenheiten,  beim 
Heerbann,  bei  den  öffentlichen  Abgaben  und  dgl,  bei  Gericht 
und  ungeboten  Ding  machte  sich  das  geltend;  der  Grundherr 
verti*at  immer  die  Seinigen  gegenüber  den  Beamten  und  die 
öffentliche  Gewalt  gegenüber  den  Seinigen.  Und  zwar  konnte 
er  diese  viel  wirksamer  zur  Geltung  bringen  als  der  bloss 
auf  die  Erträgnisse  eines  Amtsbeneficiums  angewiesene  Gral 
da  jenem  durch  die  ökonomische  Ueberlegenheit  Zwangsmittel 
zu  Gebote  standen,  über  welche  dieser  nicht  verfügte. 

Das  tritt  zunächst  deutlich  hervor  im  Seniorate,  das  seinen 
administrativen  Schweipunkt  in  der  Heeres veifassung ,  seinen 
ökonomischen  in  der  Gi'undheri*schaft  hatte.  Mit  der  im 
Jahre  847  ^  erfolgten  Verallgemeinei-ung  des  Seniorats  ist 
nur  anerkannt,  dass  eine  andere  Organisation  als  die  auf 
der  Grundhen'schaft  beruhende  nicht  mehr  möglich  war;  und 
mit  der  im  9.  Jahrhundert  schon  reichlich  verliehenen  Immu- 
nität an  geistliche  und  weltliche  Ginindheri-schaften  hat  das 
Reich  die  Verwaltung  vollends  den  gi*ossen  socialen  Mächten 
auszuliefern  begonnen. 


Dritter  Abschnitt. 

Die  Ausbildung   der  grossen   Grandherrseliaften   and 

Ihrer  Agrarverfassung^). 

Am  Schlüsse  der  Merowingei'zeit  ist  der  deutsche  Boden 
doch  gewiss  schon  zum  grossen  Theil  einer  Heri*schaft  unter- 

^)  Hlotbarii,  Hludowici  et  Caroli  conventas  ad  Marsnam,  Adnundatio 
Karoli  c  2  (LL.  I,  395)  Yolumus  ut  unusquisque  über  homo  in  nostro 
regDO  seniorem  qualem  voluerit  in  nobis  et  in  nostris  fideUboa  aedpiat 
Schon  die  altem  karolingischen  Eapitalarien  hatten  das  Seniorat  sehr  be- 
günstigt, Tgl.  DiviBio  imperii  817  c.  9  (LL.  I,  199). 

^)  Vgl.  i.  A.  meine    „Ausbildung  der  grossen  Omndherrschaften  In 


—    279    — 

worfen,  welche  auch  volkswirthschaftlich  werthvoll  war,  da 
sie  irgendwelche  Nutzung  desselben  als  ihr  Ziel  auffasste. 

Freilich  war  das  noch  lange  nicht  überall  die  Herrschaft 
des  Privateigenthums ,  die  einen  sorgfältigeren  Bodenanbau 
oder  auch  nur  eine  durchweg  betmchüiche  Ausbeutung  der 
Naturkräfte  mit  Nothwendigkeit  im  Gefolge  gehabt  hätte. 
Vielmehr  ist  es  auf  weiten  Strecken  eine  Herrschaft  gewesen, 
die  nur  dazu  diente,  andere  von  der  beliebigen  Nutzung  des 
Bodens  auszuschliessen  oder  wenigstens  Mass  und  Art  fremder 
Nutzung  vorzuschreiben  und  nach  eignem  Interesse  einzu- 
räumen^); in  sehr  beschränktem  Umfang  bestand  daneben 
jene  energischere  Grundherrschaft,  die  im  ausschliessenden 
Sondereigenthum  den  Impuls  zu  eigentlicher  Bodenbestellung 
und  zu  wirthschaftlicher  Betriebseinrichtung  empfand.  Uebei- 
grosse  Güter  und  weite  Strecken  öden  und  Waldlands  ver- 
fQ|2ten  der  König  und  sein  Fiskus  als  Eigenthümer ;  viel  ge- 
hörte den  Herzogen  und  Fürsten  der  einzelnen  Stämme,  vorab 
den  bairischen  Hei*zogen,  die  zweifellos  die  grössten  Grund- 
eigenthümer  in  ihrem  Lande  waren.  Auch  sie  verfügten  über 
wüstes  Land  in  weitem  Umfang,  bereicherten  sich  durch  erb- 
loses und  confiscirtes  Gut  und  übten  überhaupt  in  ihrem 
Lande  so  ziemlich  die  Hoheitsrechte  des  Königs  aus  ^).  Theile, 
aber  nicht  beträchtliche  standen  im  Eigenthum  der  Adels- 
klasse,  bei  den  nördlichen  Völkern  und  zum  Theil  bei  den 


Deatschland  während  der  Earolingerzeit"  in  Schmoller's  Staats-  and  social- 
wissenschafUichen  Forschungen  I,  1.    1878. 

')  Die  Nohiles  de  Fagen  besassen  750  (Meichelb.  I  a,  49)  bei  Erching 
amplissima  tum  prata  tum  pascua  plane  inculta.  763  (Mon.  Boic.  IX,  7} 
verfugt  Reginbert  über  den  pagus  desertus  quem  Walhogoi  appellamus. 
769  (ib.  9)  schenkt  Tassilo  den  locos  Inticha  quia  et  ipsa  loca  ab  antiqno 
tempore  inanem  atque  inhabilem  esse  cognoyimus.  So  wird  auch  in  Ried 
Cod.  Ratisb.  810  S.  10  ein  Gebiet  infra  ipsum  heremum  tradirt,  dessen 
Grösse  bestimmt  ist:  parte  meridiana  miliaria  3,  aquilone  miliaria  2 ;  vgl. 
oben  3.  Abschn.  S.  97,  100  und  1.  Abschn.  S.  215. 

*)  Die  Güterconfiscation  von  Kapitalverbrechem  wurde  in  Baiern  aus- 
gedehnt durch  die  Beschlösse  des  Dingolfinger  (769)  und  Neuchinger  (771) 
Condls.  LL.  III,  459  und  464  vgl.  Riezler,  Geschichte  Baiems  S.  120, 
15S  ff. 


-    280    — 

Baiern  noch  dem  Stammesadel  gehörig,  bei  Alamannen  und 
Franken  jenem  neueren  Adel,  der  sich  durch  Eönigsgunst  und 
Dienst,  sowie  durch  Reichthum  emporgehoben  hatte,  den 
Grafen  und  sonst  hervorragenden  Familien;  und  auch  sie 
haben  vielfach  wüstes  Land  in  ihrer  Herrschaft. 

Die  Kirche  und  die  Klöster  hatten  es  in  Deutschland 
bis  dahin  nur  vereinzelt  zu  gi*össerem  Eigenthum  gebracht; 
zum  Theile  sind  sie  selbst  im  Eigenthum  der  Krone,  der  Her- 
zoge oder  einzelner  weltlicher  Gi'ossen. 

Das  Privateigenthum  der  einfachen  freien  Leute  ist  zwar 
schon  allenthalben  durchgedrungen,  aber  doch  vielfach  zer- 
splitteit,  in  vielen  Händen  vertheilt  und  auch  im  Ganzen  nicht 
beträchtlich.  Grosse  Theile  des  deutschen  Bodens  stehen  als 
Markland  den  Markgenossenschaften  zu;  verhältnissmässig 
wenig  mehr  als  Gau-  und  Gentalmende;  dagegen  doch  sehr 
viel  als  Almende  der  Dörfer  und  Bauerschaften,  die  mit  dem 
Ausbau  im  Stammlande  und  der  Vermehining  der  Wohnorte 
so  beträchtlich  an  Zahl  zunahmen.  Zwischen  ihren  Gemar- 
kungen breitet  sich  dann  noch  in  nicht  unbeträchtlicher  Aus- 
dehnung hen*enloses  Land  aus,  das  weder  von  königlichem 
noch  herzoglichem  Eigenthumsrechte  noch  von  privater  Grund- 
hen-schaft  ergriffen  ist. 

In  diese  Zustände  brachte  nun  die  karolingische  Zeit  die 
grossartigsten  Verändeinngen,  wie  sie  zum  Theil  schon  durch 
die  grossen  Vei*schiebungen  der  socialen  Verhältnisse  an- 
gezeigt sind,  zum  Theil  aber  ihre  Quelle  in  politischen,  kirch- 
lichen und  wirthschaftlichen  Vorgängen  haben  ^). 

Vorab  die  königliche  Gnmdherrschaft  erhält  eine  Aus- 
dehnung in  Deutschland,  wie  sie  zur  Zeit  der  Merowiuger 
auch  nicht  annähernd  vorhanden  war.  Schon  als  Hausmeier 
waren  die  Pipiniden  im  salischen  und  ripuarischen  Franken, 
besonders  zwischen  Maas,  Mosel  und  Rhein  reich  begütert'). 

^)  Vgl.  i.  A.  meinen  Versuch,  die  Zahlenangaben  der  ürkimden  für 
eine  Aufhellung  der  Grössenverhältnisse  und  der  Vertheilung  des  Grand* 
besitzes  in  der  Earolingerzeit  zu  verwerthen  in  „Ausbildung  der  grossen 
Grundherrschaften"  S.  25  -  42. 

')  Vgl.  ßonnel,  die  Anßlnge  des  karolingischen  Hauses  in  Jahrbüchern 
der  deutschen  Geschichte  1866.    Waitz,  II,  257  ff.  IV,  119. 


—    281  ,  — 

Aber  doch  sicherlich  ei-st  mit  Erwerbung  der  königlichen 
Würde  hat  sich  ihr  Besitz  in  anderen  Gegenden  Deutschlands 
eingestellt  und  so  gemehit,  dass  bis  zum  Schlüsse  der  Karo- 
lingerperiode  176  grosse  Kammergüter  gezählt  werden  können, 
von  denen  83  auf  Franken,  50  auf  Alamannien,  21  auf  Baiem 
entfallen,  während  12  in  Thüringen,  und  je  5  in  Sachsen  sowie 
im  südlichen  Lande  der  Fi-iesen  gelegen  wai-en  *).  und  auch 
diese  Zahl  scheint  noch  viel  zu  niedrig  gegriiFen,  wenn  wir 
die  Resultate  der  Pi*ovinzialgeschichtsforschung  beiUcksichtigen, 
die  beispielsweise  für  Würtemberg  allein  königliche  Güter  an 
81  Ortend  und  für  OesteiTeich  sogar  an  150  Orten  zählt*), 
ungerechnet  die  grossen  Bannforste,  welche  die  Karolinger 
gleichfalls  schon  als  werthvolle  wirthschaftliche  Objecte  zu 
nutzen  wussten. 

Die  Ursachen  dieser  grossen  Ausdehnung  des  Kronguts 
stehen  in  engstem  Zusammenhang  mit  der  verstärkten  Geltend- 
machung der  königlichen  Gewalt  selbst.  Zunächst  sehen  wir 
sie  in  einer  energischen  Behauptung  des  Königsrechts  auf 
herrenloses  Land.  Wohl  war  auch  schon  in  der  altem  frän- 
kischen Zeit  dieser  Grundsatz  nicht  bloss  bekannt,  sondern 
zweifellos  auch  geübt  *).  Aber  nur  in  Neustrien,  wo  die  Mero- 
winger  eine  bessere  Centralverwaltung  und  eine  intensivere 
Ausübung  königlicher  Rechte  durchgeführt  hatten,  fand  dieses 
Recht  auch  schon  umfassende  Anwendung.  Bei  dem  losen 
Staatsverbande,  in  welchem  die  östlichen  Länder  zum  Franken- 


^)  HüUmann,  Geschichte  des  ürsprangs  der  Stände,  2.  Aufl.  1880 
S.  57  ff.  In  seiner  „Finanzgeschichte  des  Mittelalters '^  hatte  HüUmann  128 
orkundlich  in  der  Karolingerzeit  vorkommende  Reichsdomänon  verzeichnet. 
Ein  Yerzdchniss  dieser  Besitzungen  auch  bei  Ideler,  Leben  Einhards  L 
249  ff. 

*)  Stftlin,  wirtemh.  Geschichte  I,  844. 

*)  Chabert,  Bruchst&cke  einer  österreichischen  Rechtsgeschichte  in  den 
Denkschriften  der  k.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien  III,  148  ff. 
AoffaUend  gering  an  Zahl  sind  die  karolingischen  Kammergüter  in  Tirol; 
die  abgelegenen  Gebirgsthäler  lagen  auch  dem  königlichen  Einflüsse  fem; 
Chabert  a.  a.  0. 

*)  Maurer,  Einleitung  S.  IIB;  s.  o.  I.  Buch,  8.  Abschn.  S.  dB  und 
IL  Bucli,  1.  Absch.  S.  212. 


-     282     — 

reiche  standen,  war  daran  nicht  zu  denken.  Auch  zeigt  die 
Thatsache,  dass  sowohl  die  Volksherzoge  als  die  Grossen  bei 
den  Alamannen  und  Baiem  wiederholt  über  Wildniss  ver- 
fugen, hinlänglich;  dass  man  von  einer  durchgreifenden  Ver- 
wirklichung dieses  Grundsatzes  noch  weit  entfernt  war. 

In  der  Earolingerzeit  aber  sehen  wir  denselben  in  aus- 
gedehnter Anwendung.  In  Septimanien  ^)  wie  in  Pannonien^) 
und  Karantanien,  aber  auch  im  innern  Deutschland,  im  Buchen- 
walde  %  in  Thüringen  und  Sachsen  ist  er  geübt  worden  und 
hat  dem  königlichen  Fiskus  grossen  Länderzuwachs  gebracht 
Ja  es  scheint  sich  die  königliche  Gewalt  auch  schon  an  der 
Gau-  oder  Gentalmende  vergriffen  und  diese  dem  Fiskus  ein- 
verleibt zu  haben*). 

Besonders  sind  die  Bannwälder  und  Eönigsfoi'ste  zahlreich, 
welche  in  Anwendung  des  Königsrechts  auf  herrenloses  Land 
der  Hen-schaft  und  Nutzung  des  Königs  unterworfen  woiiien 
sind.  Etwa  15  grosse  Waldgebiete,  darunter  das  Wasgan- 
gebirge,  der  Spessart,  der  Steigerwald,  Theile  des  Hardt- 
gebirgs  in  der  Rheinpfalz,  des  Idar-  und  Hochwaldes  und  des 
Harz  standen  als  Bannforste  in  königlicher  Verfügung.  Andere 
grosse  Waldungen  im  Dreieicher  Wildbann  (nördlich  des 
Main),  im  Oden  walde,  im  Soon-  und  Westerwalde,  der  Nürn- 
berger und  Weissenburger  Reichswald  u.  a.  gehörten  zu  karo- 
lingischen  Königsgütera*). 

Zu  dem  Gütererwerb  durch  Inanspiiichnahme  von  herren- 
losem und  wüstem  Lande   für  den    königlichen  Fiskus  trat 


^)  Urk.  Ludwig  d.  Fr.  814  Sickel  II,  94 ;  815  ib.  II,  95;  823  ib.  II,  1*5 

«)  Urk.  Ludwig  d.  D.  863  Mon.  Boic.  XI,  121. 

»)  Urk.  Pipins  n.  753  C.  Fuld.  5;  Urk.  Karls  d.  Gr.  778  Wenk  Hb, 
n.  5;  781  C.  Fuld.  72;  811  ib.  261:  813  Wilmanns  Kaiserork.  I,  3;  ^ 
i.  A.  Roth,  Benef.  W.  S.  69  f.  und  oben  1.  Abschn.  S.  212. 

*)  VieUeicht  ist  das  Kloster  Kempten  auf  solchem  Grande  errichtet 
oder  damit  ausgestattet  worden,  wie  das  aus  der  Urk.  Ludw.  d.  Fr.  S3^^ 
Mon.  Boic.  28a.,  n.  15  hervorzugehen  scheint,  durch  welche  das  Kloster 
den  übrigen  Fiskalgütem  gleichgestellt  wird:  pagenses  eiusdem  lod  re^ 
eiusdem  monasterii  non  quemadmodum  nobis  proprias  sed  sicat  anaa,  qass 
possidebant  defensatas  atque  provisas  esse  debere,  dicebant 

^)  S.  i.  A.  Bernhardt,   Geschichte  des  Waldeigenthoms  1872  I,  56f 


—    283     - 

dann  ein  häufig  geübtes  in  vielen  verschiedenen  Fällen  zur  An- 
wendung kommendes  Confiskationsrecht  ^).  Schon  in  der 
Merowingerzeit  war  Königsgut  vielfach  bei  Unterwerfung  von 
Völkei-schaften  auf  diese  Weise  gewonnen;  die  Karolinger  be- 
reicherten sich  in  Alamannien *),  Thüringen^)  und  Sachsen*): 
besonders  aber  in  Baiem  fielen  dem  königlichen  Fiskus  mit 
der  Entsetzung  der  hei*zoglichen  Familie  durch  Gonfiskation 
ihrer  Hausgüter  mindestens  18  beträchtliche  Besitzungen  zu*). 
Auch  später  ist  bei  Hochverrath  und  einigen  bürgerlichen 
Verbrechen  ^)  allgemeine  Vei-mögensconfiskation  oft  geübt 
worden;  und  ebenso  waren  die  häufigen  Streitigkeiten  über 
die  Thronfolge  oft  Veranlassung,  das  Vennögen  der  Partei- 
gänger des  unterliegenden  Prätendenten  zu  confisciren  ^). 

Auch  die  Secularisationen ,  von  Karlmann  inaugurirt,  be- 
sonders aber  von  Pipin  und  dann  wieder  von  den  späteren 
Karolingern  geübt,  haben  der  Krone  viel  Grundbesitz  hinzuge- 
fügt Doch  muss  besonders  für  die  Verhältnisse  in  Deutschland 
beiücksichtigt  werden,  dass  die  secularisirten  Güter  fast  durch- 
weg als  Beneficien  wieder  verliehen  wurden,  also  doch  nur 
einen  mittelbaren  Zuwachs  zu  den  Gütern  der  Karolinger  be- 
deuteten. Und  auch  davon  abgesehen,  ist  die  Secularisation 
doch  vornehmlich  gegen  ^^allischen  Kirchenbesitz  angewendet 
worden,    während  die  deutschen  Bisthttmer  und  Stifter  wohl 


')  Capit.  Aquisgr.  809  c.  1;  LL.  I,  155;  Cap.  Aquisgr.  817  c  11; 
LL.  I,  212.  Pact  Tusiac.  865  c.  8;  LL.  I,  501;  vgl.  u.  A.  Roth,  Benef. 
W.  S.  424  f. 

*)  Dipl.  Car.  790  Bouq.  V.  753  Tempore  geDitoris  nostri  Pipini  —  sea 
et  avunculi  nostri  Garlomanni  res  aliqaae  in  ducatu  Alemanniae  fisci  di- 
tionibus  redactae  fuerunt.    S.  a.  Fredeg.  Coniin.  c.  115. 

")  Ann.  Nazar.  786  LL.  I,  48  possessiones  vel  agros  eorom  omnes 
infiscati  esse  noscuntur. 

*)  S.  0.  1.  Absch.  S.  212. 

*)  Quitzmann,  die  Rechtsverfas&ung  der  Baiwaren  S.  80  f.  Riezler, 
Gesch.*  Baierns  I,  178. 

*)  Beispiele  beim  Incest,  bei  Fleischesyerbrechen  der  Nonnen,  Yer- 
wandtenmord,  Tödtung  eines  Grafen  bei  Roth  1.  c.  425;  s.  a.  Urk.  Karls 
807,  Beyer  n.  15. 

')  Beispiele  ans  den  Jahren  834,  860,  869  bei  Roth  1.  c. 


—    284     - 

nur  den  generellen  Verfügungen  des  Capit.  Liftinense  743  und 
späterer  unterlagen,  aber  keine  gänzliche  Entziehung  ihrer 
Güter  zu  erleiden  hatten,  wie  das  beispielsweise  mit  den  Bis- 
thümera  Rheims,  Auxen*e,  Vienne,  Langres,  le  Mans  u.  a. 
geschah  ^).  Viele  Fälle  jedenfalls,  in  welchen  Kirchengut  zum 
Fiskus  gezogen  wurde,  stellen  sich  mehr  als  Uebei-giifife  ein- 
zelner Fiskal  Verwaltungen,  denn  als  eigentliche  Secularisation 
durch  die  Königsgewalt  dar,  und  sind  dann  wohl  auch  zumeist 
durch  diese  selbst  wieder  sanirt,  die  Güter  zurückgegeben 
worden  *). 

Einen  sehr  bedeutenden  Zuwachs  ihrer  Macht  erhielt«!] 
die  Karolinger  aber  auch  in  Deutschland  durch  die  im  9.  Jahr- 
hundei-te  immer  bestimmter  geltend  gemachte,  immer  häufiger 
geübte  Gewalt  über  die  Temporalien  der  Kirche,  welche  sich 
bald  zu  einem  Eigenthumsrecht  der  Krone  am  Reichskirchen- 
gute entwickelte.  Auf  dieser  Grundlage  verfügten  sie  nicht 
bloss  mehr  über  die  sog.  königlichen  Klöster,  sondern  auch 
über  die  Güter  der  Bisthümer,  Abteien  und  Stifter,  ja  über  den 
Gesammtbestand  dieser  kirchlichen  Anstalten  und  vermehrten 
theils  ihren  Grundbesitz  unmittelbar,  theils  steigei*ten  sie  da- 
durch die  Renten  des  königlichen  Fiskus  aus  Grund  und  Boden*). 

Und  endlich  ist  den  Königen  auch  durch  Uebertragung 
und  Schenkung,  besonders  durch  letztwillige  Verfügung 
manches  Stück  Land  zugefallen^). 

Dagegen  hat  das  Krongut  allerdings  auch  in  dieser  Periode 
vielfache  Veiininderung  erfahren.  Schenkungen  an  die  Kirche 
und  an  weltliche  Grosse  sind  auch  unter  den  Karolingeni 
nicht  eben  selten;  ja  unter  Ludwig  d.  Fr.  haben  die  ersteren 
sogar  eine  bedenkliche  Höhe  angenommen^).    Daneben  sind 


»)  Roth,  Benef.  W.  337  ff. 

^)  So  Urk.  816  Mon.  Boic.  31a.,  n.  13:  823  ib.  n.  19. 

*)  S.  i.  A.  Ficker  über  das  Eigenthum  des  Reichs  am  Reichskirchen- 
gate, Sitzungsber.  der  Wiener  Akad.  Bd.  72,  S.  101  ff. 

*)  Mon.  Boic.  837,  28,  a.  p.  32.    Bouquet  814  VI,   462;  817  ib,  501. 

^)  Es  beziehen  sich  zwar  von  den  bei  Sickel  verzeichneten  251  Ur- 
künden  Karls  d.  Gr.  36  auf  Schenkungen  an  die  Kirche  in  Deutschland;  toa 
892  Urk.  Ludwigs  d.  Fr.  nur  32;  aber  die  ersteren  verfügen,  abges^en 
von  ^geschenkten  Zehenten  und  einzelnen  Nutzungen   (Fischerei,    ^VaId• 


—    285    — 

die  Beneficien  und  die  prekarische  Landleihe  gerade  in  dieser 
Zeit  in  ausgedehntester  Uebung.  Gar  vieles,  was  die  Karo- 
linger an  Giiindbesitz  auf  den  oben  geschildei-ten  Wegen  in 
ihre  Gewalt  bekommen  hatten,  ist  dadurch  sofort  wieder  ihrer 
Verfügung  entzogen,  für  die  Wiilhschaft  ihres  Fiskus  verloren 
worden.  Denn  obgleich  durch  die  beneficiarische  Verleihung 
das  Eigenthum  nicht  verloren  ging,  ist  doch  regelmässig  der 
Genuss  der  Güter  auf  die  Beliehenen  ganz  übergegangen; 
die  Könige  erhielten  wohl  einen  Machtzuwachs  durch  die  per- 
sönliche Ergebenheit  des  Beliehenen ,  aber  sie  sahen  sich  doch 
immer  in  ihrem  Besitzstande  geschmälert. 

Ein  gleiches  gilt  von  den  weiten  heiTenlosen  Strecken, 
über  welche  die  Könige  als  Eigenthümer  verfügten ;  indem  sie 
dieselben  in  den  Dienst  der  Landescultur  stellten,  und  ihre 
colonisatorischen  Bestrebungen  durch  Verleihung  derselben  in 
KöDigshufen  an  neue  anziehende  Bebauer  verfolgten,  hörten 
sie  regelmässig  auch  sofoi*t  auf,  weiter  über  diese  Güter  zu 
verfügen;  ja  es  ist  wohl  vielfach  sofort  hier  ein  System  neuer 
Erbgüter  der  Colonisten  daraus  entstanden^). 

Zudem  zeigt  sich  in  der  Karolingei*zeit  schon  eine  ent- 
schiedene Tendenz  nach  Erblichkeit  der  Beneficien*);  die 
Uebung  des  früher  unbestiittnen  Thronfallsrechts  stiess  um 
so  mehr  auf  Schwierigkeiten,  je  mehr  die  späteren  Karolinger 


nntzung  etc.)»  doch  nur  über  cca.  70  grössere  und  kleinere  Güter,  daranter 
14  ganze  Villen,  während  die  letzteren  gegen  600  Güter,  daranter  12  ganze 
Villen  betreffen,  ungerechnet  jene  Güter,  in  deren  Besitz  der  Kaiser  die 
Kirche  nur  bestätigte. 

0  Wie  es  in  der  Urk.  Ludw.  d.  D.  863  Mon.  Boic.  XI,  121  heisst: 
qualiter  avas  noster  Carolus  licentiam  tribuit  suis  fidelibus  in  augmen- 
tatione  remm  ecclesiarum  dei  m  Pannonia  carpere  et  possidere  hereditatem. 

^)  Beispiele  v.  834  Sickel  II,  184,  839  Mon.  Boic.  28  a.,  n.  22:  856 
C.  Laor.  I,  23.  Der  ganze  Vorgang  sehr  gut  erklärt  bei  Roth,  Benef.  W. 
419  ff.  Waitz  IV,  174.  Für  Baiem  vgl.  Conc.  Dingolf.  c.  8  (LL.  III, 
460):  De  eo  quod  parentes  principis  quodcumque  praestatum  fuisset  nobi- 
libas  intra  Baiuvarios,  hoc  constituit  ut  permaneret  et  esset  sub  potestate 
nniuscuiusque  relinquendum  posteris,  quamdiu  stabiles  foedere  serrassent 
apnd  principem  ad  serviendum  sibi  et  haec  firma  permaneret:  ita  con- 
stituit 


—    286     - 

in  ihren  eignen  Streitigkeiten  um  das  Reich  auf  die  Hinge- 
bung der  Grossen  rechnen  mussten  und  je  mehr  diese  sich 
schon  eine  entscheidende  Mitwirkung  bei  allen  wichtigen 
Regiemngsacten  zu  erringen  vei*8tanden  haben.  Ja,  es  ist 
bald  nicht  mehr  dabei  geblieben ,  dass  die  Könige  die  Be- 
neficien  und  Lehengüter  wohl  oder  übel  bei  den  Familien  be- 
lassen mussten,  welche  sich  mit  Kraft  auf  denselben  zu  be- 
haupten wussten.  Vieles  Krongut  ist  in  späterer  Karolingerzeit 
geradezu  durch  Usurpation  der  Grossen  verloren  gegangen, 
ohne  dass  es  gelang,  solch  offenbarer  Rechtswidrigkeit  mit  ge- 
nügendem Nachdrucke  entgegenzutreten  und  das  Krongut 
auch  der  Krone  zu  wahren  ^). 

Nicht  minder  hat  zur  Schmälerung  des  Königsgutes' der 
Umstand  beigetragen,  dass  es  immer  mehr  zur  Regel  wurde, 
die  Aemter,  besonders  das  Grafenamt,  mit  Grundbesitz  aus- 
zustatten. Zwar  sind  auch  .hiefür  nicht  selten  Kirchengüter 
verwendet  worden;  aber  doch  hatte  das  Krongut  zumeist  diese 
neue  Last  zu  tragen,  sei  es,  dass  unmittelbar  Landbesitz  des 
Königs  dazu  gegeben  werden  musste,  oder  dass  das  Eigen- 
thum  des  Reichs  am  Reichskirchengute  dadurch  eine  Schmä- 
lerung an  Bestand  oder  Ertrag  eifuhr*). 

So  darf  es  nicht  Wunder  nehmen,  wenn  am  Schlüsse  der 
Karolingerzeit  das  Krongut  wieder  beträchtlich  gemindert  er- 
scheint. Denn  immer  häufiger  im  Laufe  der  anderthalb  Jahr- 
hunderte sind  die  Veranlassungen  geworden,  aus  denen  Gmnd- 
besitz  vergeben  oder  wenigstens  die  Nutzung  desselben  anden 
überlassen  werden  musste;  immer  seltener  dagegen  bot  ach 
Gelegenheit  zu  reichem  Neuei-werb.  Und  selbst  wo  solcher 
erzielt  wurde,  diente  er  doch  vorwiegend  dazu,  um  sofort  als 
Beneficium,  zur  Ausstattung  des  Grafenamts  oder  zur  Erwer- 
bung sonstiger  Vortheile  für  Krone  und  Regiemng  wieder 
hingegeben  zu  werden. 

Gleichzeitig  mit  dem  Krön-  und  Hausgute  der  Karolinger  be- 
gann auch  das  Eigen-  und  Lehengut  der  Gi*ossen  des  Reiches  sieh 


^)  Vgl.  oben  2.  Abschnitt  S.  277.   Meine  „Gnmdhemchaften^  S.  7a 
>)  Vgl.  oben  2.  Abschnitt  S.  276. 


—    287     - 

zu  mehren.  Rodung  von  Wildniss  und  Markland,  Auftragung  des 
kleinen  Eigenthums  der  gemeinen  Freien,  Erwerb  des  Eigenthums 
an  MarkgrUnden  und  ganzen  Gemarkungen,  aber  auch  manche 
Gewalttbätigkeit  gegen  Schwache  waren  die  regelmässigen  Ur- 
sachen solcher  Concentration  der  Heri-schaft  über  Grund  und 
Boden.  Dazu  kam  dann  als  besondei'S  bedeutsame  Verstärkung 
dieser  Tendenz  die  Ausbildung  des  Instituts  der  königlichen 
Beneficien  und  die  Ausstattung  der  Aemter  mit  Grundbesitz, 
welche  fast  ausschliesslich  denen  zufielen,  die  an  sich  schon  durch 
grösseren  Besitz  sich  ökonomische  und  sociale  Ueberlegenheit 
zu  verschaffen  gewusst  und  sich  dadurch  zur  Durchführung 
der  karolingischen  Verwaltungsorganisation  unentbehrlich  ge- 
macht hatten.  Auf  diesen  VV^egen  dehnten  die  Grossen  des 
Reiches  ihre  Grundhen-schaft  auf  Kosten  des  Ki-ongutes  aus, 
zogen  auch  manches  in  unberechtigter  Weise  aus  den  Gutem 
des  königlichen  Fiskus  an  sich  und  wussten  überdiess  durch 
königliche  Schenkungen  diese  ihre  Position  noch  mehr  zu 
festigen.    Im  9.  Jahrhundert  ^)  ist  denn  auch  die  Erscheinung 

>)  In  den  St.  Gallner  Urkunden  des  8.  Jahrh.  treten  nur  zwei  Fa- 
milien der  Lantbert  und  Pertold  mit  grossem  Besitze  auf;  im  9.  Jabrh. 
mehren  sich  rasch  die  Beispiele.  806  (Tr.  Sang.  190)  hat  Isanbard  Grund- 
besitz an  6  Orten;  815  (ib.  215)  Hadupert  an  6  Orten;  Graf  Cadaloh  817 
(ib.  22c)  an  15  Orten;  Immo  827  und  830  (ib.  807,  833)  an  13  Orten; 
VolTini  838  (ib.  375)  an  7  Orten;  Adalbart  843  (ib.  366)  an  8  Orten;  der 
Levite  Adalhelm  865  (ib.  511)  aif  8  Orten;  dazu  besitzt  er  Klosterlehen 
an  11  Orten. 

In  den  Weissenburger  Traditionen  begegnen  vir  774,  n.  63  einer 
Schenkung  von  Gütern  an  18  Orten,  die  mit  200  sol.  zurückgelöst  werden 
kann;  774,  n.  61  an  6  Orten  mit  20  mancipia;  774,  n.  53  an  22  Orten 
mit  96  mandp.;  784,  n.  60  an  22  Orten;  787,  n.  62  an  8 Orten;  von  einem 
Grundherren  werden  in  den  Jahren  774—788,  n.  71—73  Güter  an  13 
Orten  mit  75  mancip.  geschenkt.  791,  n.  128  eine  Schenkung  an  23 
Orten  u.  s.  f. 

Die  Lorscher  Traditionen  bieten  an  solchen  Beispielen  770,  n.  11 
eine  Schenkung  an  5  Orten  mit  7  mancip.;  786,  n.  12  an  16  Orten;  787, 
n.  13  von  80  Hufen  und  55  mancip.  790,  n.  14  in  2  Gauen  mit  64  man- 
dp. 791,  n.  2257  werden  an  12  Orten  nebst  einigen  anderen  Gütern  4 
Salhnfen,  circa  26  Mausen  und  Zinshufen,  89  mancip. geschenkt;  793,  n.  3522 
an  10  Orten,  darunter  eine  ganze  Villa  mit  120  mancip.;  818,  n.  3504  an 
7  Orten  mit  93  mancip.   819;  n.  21  das  «rosse  Dorf  Michelstadt;  846,  n.  27 


—    288    — 

solch  grosser  weltlicher  Grundhen*schaften ,  wie  wir  sie  noch 
am  Schlüsse  der  Merowingerzeit  nur  vereinzelt  in  Deutschland 
finden,  schon  recht  häufig  geworden;  in  vielen  Dor£schaften, 
ja  in  ganzen  grösseren  Gebieten ')  herrschen  sie  ausschliess- 
lich, verleihen  der  Wirthschaft  des  Volkes  schon  immer  mehr 
ihr  Gepräge  und  haben  schliesslich  auch  jene  politische  Macht 
sich  errungen,  die  allenthalben  die  königliche  Gewalt  be- 
schränkt, ja  in  gewissem  Sinne  schon  beherrscht.  Es  ist  das 
im  Ganzen  frühzeitiger  in  jenen  Gegenden  zu  beobachten, 
welche  einem  stärkeren  Einflüsse  des  wirthschaftlich  reicher 
entwickelten,  aber  auch  fiiiher  grundhen-schaftlich  organisir- 
ten  Neustriens  unterlagen,  also  im  Elsass^),  in  Ostfiranken 
und  den  Bheinlanden,  später  in  Alamannien  rechts  des 
Rhein;  in  Baiern  ist  die  Entwickelung  wohl   am  spätesten 


2  Villen  mit  95  mandp.;  863,  n.  38  ein  Besitz  von  3  SaUiofen,  19  Zins- 
hufen  und  Wald  für  1000  Schweine;  877,  n.  40  an  18  Orten  2  Herreahöfe, 
45  Zinshufen,  5  Mühlen,  2  Weinberge. 

Die  Fulda  er  Traditionen  enthalten  Beispiele,  wo  ein  Grundbesitier 
778  Güter  an  5  Orten  um  600  sol.  verkauft,  einer  an  28  Orten,  ein  an- 
derer an  27  Orten  Güter  schenkte.  779,  n.  68;  788,  n.  87.  Aus  dem 
9.  Jahrh.  erwähnen  wir  eine  Schenkung  801,  n.  168  an  4  Orten  mit  28 
mancip.;  801,  n.  173  an  8  Orten  mit  30  mancip.;  803,  n.  188  an  16  Of- 
ten  mit  63  mancip.;  804,  n.  219  an  9  Orten;  813,  n.  296  149  maodp.; 
819,  n.  388  an  8  Orten  mit  48  mancip. ;  821,  n.  895  an  9  Orten  mit  mebr 
als  40  mancip.;  830,  n.  520  an  12  Ort«n  mit  51  mancip.  u.  s.  £. 

Von  den  Prümer  Traditionen  765  (Mittelrh.  Urk.-B.  I,  19)  eine 
Schenkung  an  31  Orten,  darunter  25  ganze  Villen ;  804  ib.  41  eine  ganze 
Villa  mit  185  mancip.;  809  ib.  II,  14  an  3  Orten  mit  70  mandp.;  816 
ib.  I,  58  an  5  Orten  9  mausen  mit  88  mancip. 

^)  So  die  Weifen  in  Tirol  und  Schwaben,  die  Popponen  in  Ostfran- 
ken, die  Luitpoldinger  in  Baiem.  Heinrich  der  Weife  soll  vom  £iiaer 
Arnulf  4000  Mansen  (seines  Eigenguts?)  in  superioribus  partibos  Baiawa- 
riae  als  Beneficium  genommen  haben.     Hess,  Mon.  Guel£.  7. 

^)  So  enthalten  die  Weissenburger  Traditionen  schon  zum  Jahre  699, 
n.  205  und  713,  n.  247;  739,  n.ll;  742,  n.52  Schenkungen  ganzer  YlUen. 
715,  n.  239  werden  aus  einem  grossen  Vermögen  portiones  an  5  Orteaum 
500  sol.  verkauft.  Zwei  Schenkungen  aus  dem  Jahre  739,  n.  14  tmd  17 
beziehen  sich  auf  4  und  9  ganze  Villen;  im  Jahre  742  werden  Gfttor  an 
6  Orten  n.  1  und  an  27  Orten  n.  52  übertragen;  in  beiden  Fidlen  ist  die 
Rückkaufasumme  auf  200  sol.  festgestellt 


—    289    - 

eingetreten  ^);  in  Sachsen  und  Thttringen  aber  bei  der  grösse- 
ren Bedeutung  der  dortigen  Adelsklasse  überhaupt  nicht  in 
dieser  Weise  erfolgt.  Mit  der  Rückgabe  der  Erbgüter  an 
die  sächsischen  Edlen  durch  Ludwig  den  Frommen  scheint 
ihr  socialer  und  ökonomischer  Einfluss  fester  denn  je  begi-ün- 
det  und  zur  Unterdrückung  der  kleinen  Freien  von  ihnen  ge- 
braucht worden  zu  sein'). 

Noch  mehr  aber  als  das  weltliche  Grundeigenthum  er- 
fahrt in  dieser  Periode  das  geistliche  grossartige  Ausdehnung 
und  folgenschwere  Concentration  in  wenigen  Händen.  Auch 
hier  spielt  die  Occupation  und  Rodung  von  wüstem  Lande 
eine  besondere  Rolle;  ja  sie  wird  ifür  das  Wachsthum  der 
geistliehen  Gioindherrschaften  um  so  belangreicher,  als  die 
Könige  und  zum  Theil  auch  die  weltlichen  Grossen  besonders 
mönchreichen  Klöstern  weite  Strecken  von  Wald-  und  Wild- 
land schenkten,  das  diese  nun  mit  eigner  und  fremder  Arbeit 
der  Cultur  dienstbar  machten  3).  Fortgesetzte,  fast  ins  mass- 
lose gehende  Schenkungen  und  Auftragungen  verstärkten  dann 
während  dieser  Periode  ununterbrochen  den  kirchlichen  Be- 
sitz und  das  um  so  mehr,  als  nicht  bloss  die  Kirche  ihre 
Heilsmittel  auch  beständig  als  Reizmittel  für  solche  Gutsüber- 
tragungen in  Anwendung  brachte,  sondern  auch  durch  die 
Gesetzgebung  für  die  Kirche  vor  Allem  die  Schwierigkeiten  aus 
dem  Wege  geräumt  wurden,  welche  Familie  und  Markgenos- 
senschaft etwa  noch  der  fi*eien  Verfügung  des  Einzelnen  über 
seinen  Giiindbesitz  in  den  Weg  stellen  wollten. 


*)  Vgl.  die  TabeUe  I  im  Anhange.  Vereinzelt  kommen  allerdings  auch 
hier  schon  im  8.  Jahrh.  Grossgnindbesitzer  vor;  778  Mon.  Boic  IX,  7 
grosse  Besit Zangen  an  11  Orten;  793  Meich.  Ib,  111;  827  ib.  357;  beson- 
ders aber  die  Stifter  von  Benedictbeuem ,  welche  6700  Mausen  gaben. 
Mon.  Boic.  IX,  19. 

')  Vgl.  Waitz  UI,  S.  141  f.  und  oben  S.  231. 

*)  So  schenkt  Karl  d.  Gr.  777  (Sickel  U,  34)  an  St  Martin  in  Trier 
villam  Lifiidnnmn  com  4  forestis.  778  (Wenk  2  b,  5)  an  Hersfeld  mansnm 
mdomimcatom  simolqae  in  circuita  mansi  leagas  2  silvae  drcomiacmtis. 
781  (C.  Fald.  72)  an  Fulda  campum  ünofelt  cum  silvis  eins.  Ludwig  d. 
Fr.  814  (C.  Laur.  I,  45,  49)  an  Lorsch  den  Odenwald.  823  (Schöpflin  I, 
85)  an  St.  Gregor  im  Elsass  partem  forestis  fisd  Columbarii. 

▼  Ott  Inama- Stern  egg«  WirtlischAftsgeschichte.     I.  19 


—    290    - 

Und  auch  sonst  erfreute  sich  die  Kirche  der  für  Erwer- 
bung von  Grundbesitz  besonders  wichtigen  Gunst  der  Könige 
in  reichem  Masse.  Nicht  bloss,  dass  sie  aus  dem  Krongnt« 
Schenkungen  und  Verleihungen  erhielt,  die,  wenn  auch  im 
Obereigenthum  des  Königs  bleibend,  doch  vomemlich  nun  ihre 
wirthschaftliche  Macht  stärkten ;  es  fand  der  kirchliche  Besitz 
eine  besondere  Förderung  auch  in  der  Ausbildung  der  all- 
gemeinen Zehentpflicht  und  in  den  besonderen  Vorschriften, 
wonach,  wie  in  Sachsen,  die  Kirche  mit  Grundbesitz  von  den 
Angehörigen  der  kirchlichen  Sprengel  ausgestattet  werden 
musste  ^). 

Die  Kirche  verstand  es  aber  auch  am  besten,  ihre  wirth- 
schaftliche Organisation  zur  Verstärkung  der  im  Grundbesitz 
gelegenen  Kräfte  zu  verwenden,  und  sorgte  durch  vortheilhaf- 
ten  Tausch  und  Kauf,  durch  An'ondii'ung  und  zweckmässige 
Einrichtungen  der  Bewirthschaftung  fdr  möglichst  grossen 
Ertrag. 

Daneben  hat  sich  der  kirchliche  Besitz  freilich  auch  in 
dieser  Periode  manche  Schmälerung  gefallen  lassen  mfissen« 
welche  das  allzurasche  Anwachsen  des  Besitzes  einigermassen 
aufhielt  und  der  Tendenz  einer  alles  verschlingenden  Ausdeh- 
nung wehrte.  Die  Pipinischen  Säcularisationen  dauerten  auch 
unter  Karl  d.  Gr.*),  ja  selbst  unter  dem  frommen  Ludwig 
einigermassen  foi*t^),  und  nahmen  unter  den  späteren  Karo- 
lingern  wieder   grössere  Dimensionen   an^);    die   weltlichen 


0  Capit.  Paderbnin.  785  (LL.  I,  48  f.),  c  15 :  De  minoribos  a;pitabs 
coDsensenint  omnes,  ad  unamqoamqae  ecdesiam  curte  et  daos  mansos 
terrae,  pagenses  ad  ecclesiam  recurrentes  condonant  et  inter  oentBm  vi- 
ginti  homines,  nobiles  et  ingenois  similiter  et  litos,  senrom  et  andUan 
eidem  ecclesiae  tribuant 

>)  Beispiele  von  Le  Maus ,  Rheims ,  Verdun  und  AngerB  bei  Both, 
Benef.-W.  841  f. 

')  Cap.  817  (LL.  I,  209),  c.  29 :  Vel  certe  de  bis  rebus,  qvae  vapet 
necessitate  cogente  a  nonnuUiB  ecclesiis  sunt  ablatae.  Besonders  Lodw%s 
Söbne  Lotbar  und  Pipin  vergriffen  sich  vielfach  an  Eirchengiit  Both, 
ib.  842. 

*)  Capit.  844  (LL.  I,  885),  c  9:  Remorom  ecclesiam  .  .  .  niip€r  tfo* 
liatam  rebus  . . .  absque  ingenti  dolore  fateri  non  possumos.   Cap.  TlMod 


—    291    — 

Grossen  und  die  Vögte  der  Kii*che  selbst  legten  nicht  selten 
Hand  an  das  Kirchengut;  und  die  Kirche  musste  in  vielen 
Fällen,  uro  sich  nur  im  Eigenthum  behaupten  oder  um  ihre 
Macht  und  ihren  Einfluss  stärken  zu  können,  ähnlich  den 
Königen,  durch  Beneficien  und  Lehen  ihren  Besitz  schmälern  ^). 
Aber  dennoch  bleibt  die  kirchliche  6rundhen*schaft  nicht  bloss 
sehr  belangreich,  sondem  steht  am  Schlüsse  der  Periode  ent- 
schieden viel  grösser  und  fester  da,  als  am  Anfange.  Ja,  sie 
ist  zweifellos  wirthschaftlich  am  besten  entwickelt  und  gibt 
der  Volkswirthschaft  dieser  Zeit  recht  eigentlich  ihr  Gepräge. 
Nicht  minder  aber  verleiht  sie  ihren  Trägem  die  grösste  po- 
litische Macht  und  hat  dadurch  zur  Ausbildung  der  Immuni- 
täten und  der  lehensstaatlichen  Ordnung  der  folgenden  Zeit 
den  hauptsächlichsten  Anlass  gegeben. 

Hatten  wir  am  Schlüsse  der  vorigen  Periode^nur  wenige 
Mächtige  unter  den  geistlichen  Anstalten  gefunden,  so  sind 
jetzt  nicht  bloss  die  BisthQmer,  sondern  fast  mehr  noch  die 
Abteien,  Stifter  und  Klöster  durchweg  sehr  reich  geworden. 
Zwar  bieten  die  Quellen  nur  vereinzelte  Zahlenangaben  über 
die  Grösse  des  kirchlichen  Gmndbesitzes ;  selbst  wo  er  in 
einem  Grundbuch  oder  Urbar  zur  vollständigen  Au&eichnung 
gekommen  und  dieses  erhalten  ist,  sind  doch  meist  die  Be- 
zeichnungen der  einzelnen  Güter  so  unbestimmt»  dass  sich  eine 
feste  Ziffer  der  Hufen  oder  Mausen  kaum  mit  Sicherheit  be- 
rechnen lässt^). 


844.  c  4  (LL.  I,  882).  Cap.  845  (LL.  I,  887),  c  5:  Qnod  res  ad  ecde- 
siam  mihi  commissaiii  pertmentes  et  tempore  principatos  vestri  ablatas 
ita  praesentialiter.  restituatis  et  restitatiB  conserFetis ,  sicat  tempore  patris 
et  aTi  Testri  iaenmt  SyxL  858  (LL.  I,  421),  c  2:  Sabinozerant  etiam 
id^n  monachi,  quod  vestra  commendatione  ac  iossione,  immo  etiam  actione, 
idem  monasterium  cam  rebus  sibi  subditiB  in  vestram  ditionem  redactum 
et  assnmptum,  quin  etiam  usurpatum  habuissetis.  Vgl.  die  vielen  Bei- 
spiele bei  Roth,  Benef.-Y^.  848  iL 

*)  Vgl.  Waitz,  Verf..Ge8ch.  VI,  78  ff. 

*)  Der  Traditionscodex  von  Freising  (Mdchelbeck  Ib)  enthält  bis  zum 
Jahre  784  96  Nummern;  bis  811  190  N.;  bis  885  801  N.;  bis  858  115 N. 
Von  den  St.  Gallner  Traditionen  gehören  50  der  ältesten  Zeit  bis  708  an ; 
bis  zum  Ende  des  8.  Jahrh.  folgen  dann  110;  dem  9.  Jahrh.  gehören  550 

19* 


—    292    — 

Aber  schon  die  Sammlungen  der  Traditionsurkunden, 
welche  von  vielen  Kirchen  und  Klöstern  aus  dieser  Zeit  er- 
halten sind,  bezeugen  das  rasche  und  grossartige  Wachsthum 
dieser  GrundheiTSChaften  während  des  9.  Jahrhunderts;  und 
von  einzelnen  sind  wir  das  genauer  zu  verfolgen  im  Stande. 

Von  den  Bisthttmem  verfügte  Augsburg  im  Jahre  812 
ttber  1507  Mausen,  darunter  80  mansi  absi  waren  ^).  Salzboiig 
aber  hatte  nach  den  Aufschreibungen  Arno's  zur  Zeit  Karls 
d.  Gr.  etwas  ttber  1600  Mausen  geschenkt  bekommen  und  sonst 
erworben;  und  hievon  stammt  der  gi'össte  Theil  erst  aus  der 
Zeit  des  Herzogs  TassUo  IIl  (749— 788)<).  Freising  hatte 
bis  zum  Jahre  784  Gttter  an  circa  120  Orten  erworben;  bis 
811  kamen  weitere  Besitzungen  an  199  Orten,  bis  835  an 
330  und  bis  853  an  133  Orten  hinzu;  sein  Gesammtbesitz- 
stand  belief  sich  jeden&Us  auf  mehre  Tausend  Hufen ').  Das 
Gebiet,  welches  Karl.d.  Gr.  802  dem  Erzbisthum  Trier 
schenkte,  betrug  arrondirt  circa  10  DMeilen^). 

Von  den  Klöstern  *  hatte  St.  Gallen  zur  Karolicgerzeit 
circa  4000  eigne  und  Zinshufen  besessen^);  der  Besitz  von 
Lorsch  wird  in  derselben  Zeit  auf  2000  Hufen  veranschlagt*); 
Fulda  soll  schon  am  Ende  des  8.  Jahrh.  ttber  15,000  Hufen 
verfügt  haben  und  wäre  damit  überhaupt  das  reichste  unter 
den  deutschen  Klöstern  jener  Zeit  gewesen  ^). 


an.  Von  den  ersten  2000  Traditionsorkunden  des  Klosters  Lorsdi  ge- 
hören nur  284,  also  der  7.  Theil  der  Zeit  vor  Karl  d.  Gr.  an.  Von  dee 
Fnldaer  Traditionen  stammen  80  aus  der  Zeit  vor  Karl  d.  Gr.;  säDer 
Zeit  gehören  266,  der  Zeit  Ludwig  d.  Fr.  233  an. 

^)  Breyiar.  rer.  fiscal.  LL.  I,  177. 

*)  Indicolus  Amonis  und  breves  notitiae  Salzburgenses  ed.  Ketns  1S69. 

')  Im  Jahre  1116  spricht  der  Bischof  Conrad  von  Salzbuig  too  tot 
milia  hubarum,  Meichelb.  la,  S.  800. 

«)  Mittelrhein.  Urk..B.  1,  40;  II,  p.  401;  vgl.  ib.  n,  p.  XLIY. 

^)  y.  Arx,  Geschichte  des  Kantons  St  GaUen  S.  159. 

^  Dahl,  Beschreibung  von  Lorsch  S.  110,  126.  In  den  Notitiie  hur 
barum  in  pagis  yariis  aus  dem  11.  Jahrh.  (Cod.  Laureeh.  n.  8651—3683, 
welche  aber  vorzugsweise  nur  die  Erwerbungen  aus  Altern  Zeit  enthalten, 
sind  gegen  8000  Mausen  aufgezählt 

')  MabiUon  annales  XXIII,  48. 


—    298    - 

Der  Besitz  des  Klosters  Tegernsee  wird  zur  Earolinger- 
zeit  mit  11,866  Mansen  angegeben  ^);  Benedictbeuem  erhielt 
mit  6  untergeordneten  Klöstern  zusammen  bei  der  Stiftung 
6700  Mansen  nebst  einem  Wald,  dessen  Umfang  auf  20  deut- 
sche Meilen  (?)  berechnet  wurde  ^. 

Hersfeld  hatte  nach  dem  Gilterverzeichnisse  des  Bischo& 
LuUus  und  den  Nachträgen  hiezu  bis  zum  Anfang  des  9.  Jahrh. 
1702  Hufen  und  Mausen^);  Prüm  erhielt  schon  von  seinen 
Stiftern  König  Pipin  und  seiner  Gemahlin  Herta  33  ganze 
Villen,  mehr  oder  weniger  grosse  Antheile  an  12  Villen,  drei 
Klöster  mit  ihren  Gütern  und  zwei  grosse  Wälder;  nach  sei- 
nem ausführlichen  Register  von  893  besass  es  circa  2000  Hu- 
fen^).   Gandersheim  soll  schon  gleich  bei  seiner  Gründung 
(9.  Jahrh.)  nicht  weniger  als  11,000  Hufen  erhalten  haben  ^). 
So  sehr  diese  2Sffem  auch  im  Einzelnen  der  Bichtigstel- 
long  bedürftig  sind,  so  geben  sie  doch  schon  mehr  als  eine 
bloss  vage  Vorstellung  von  der  Ausdehnung  der  geistlichen 
Grundhen*schaft  und  lassen  die  Rolle  eimessen,  welche  solche 
mächtige  Anstalten  im  Wirthschaftsleben  des  Volkes  zu  spie- 
len berufen  waren. 

Die  allgemeinen  Anschauungen  von  dem  Reichthum  der 
Kirchen  hatten  den  Massstab  gänzlich  verrückt,  nach  dem 
sonst  wohl  Reichthum  und  Armuth  gemessen  wurden.  Der 
Besitz  eines  kleinen  Stifts  wurde  zu  2  —  300,  eines  mittleren 
zu  1000  —  2000,  eines  grossen  zu  3000—8000  Hufen  ange- 
schlagen*); da  ist  es  dann  nicht  zu  vei-wundem,  wenn  wir 
St.  Gallen  einmal  als  ein  äimliches  Stift  bezeichnen  hören  ^), 
weil  es  nicht  mehr  als  —  4000  Hufen  besessen  hat. 


^)  Mon.  Boic.  VI,  154.  Pez  script  rer.  Anstr.  I,  741;  Pez  thesaur. 
m,  491  ff. 

*)  Meichelbeck,  Chronic  Benedictoburanom. 

')  Wenk,  Ürk-B.  zum  11.  Bande  der  hessischen  Geschichte  S.  15. 

*)  Registrom  Pmmiense  im  Mittebrhein.  Ürk.-B.  I,  n.  Idu. 

*)  Annal.  Saxo  907  S.  592.  Ann.  Palid.  8.  61;  vgl.  Waitz,  Verf-G. 
VII,  186. 

«)  Ordo  canon.  818,  c  122;  Mansi  XIY,  282. 

^)  Monach.  Sangall.  (SS.  II,  752)  cunctis  locis  imperii  latissimi  paa- 
perior  Yisn  est  et  angustior. 


—    294    — 

Zum  guten  Theile  erfolgte  nun  allerdings  diese  Ausdeh- 
nung der  grossen  Grundherrschaften  überhaupt  durch  Occu- 
pation  und  Rodung  von  Land,  das  bisher  weder  Früchte  tmg 
noch  in  den  Vermögenskreis  irgend  einer  Wirthschaft  einge- 
treten war.  Und  insoweit  haben  wir  in  diesem  Process  einen 
absoluten  Fortschritt  der  deutschen  Volkswirthschaft  zu  sehen; 
wohl  ist  auch  hiedurch  schon  eine  erhebliche  Veränderung  in 
dem  Verhältnisse  der  einzelnen  Wirthschaftski-eise  zu  einander 
eingetreten,  und  eine  beträchtliche  Ueberlegenheit  derjenigen 
Wirthschaften  entstanden,  welche  in  besonders  hervorragender 
Weise  sich  dieser  Mittel  zur  Ausdehnung  und  Verstärkung 
ihrer  Productionsmittel  zu  bedienen  vermochten.  Aber  schliess- 
lich musste  doch  der  Vortheil  intensiverer  Bewohnung,  besserer 
Ausnutzung  der  productiven  Kräfte  des  Bodens,  reicherer 
und  besserer  Production  und  eines  leichteren  allseitigen  Ver- 
kehrs allen  zu  Oute  kommen  und  eine  Erhebung  des  ganzen 
nationalen  Oüterlebens  im  Gefolge  haben. 

Zum  anderen  Theile  aber,  und  das  war  in  stärkerem 
Masse  der  Fall,  vollzog  sich  die  Ausbildung  der  grossen 
GrundheiTSchaften  auf  Kosten  des  bereits  bestehenden  mark- 
genossenschaftlichen und  Privatgrundeigenthums  und  bedeutet 
insoweit  eine  veränderte  Vertheilung  der  wichtigsten  nationalen 
Productionsmittel  unter  die  verschiedenen  Volksklassen.  Was 
die  grossen  Grundhen*en  gewannen,  das  verloren  hier  die 
kleinen  freien  Grundbesitzer  an  Sondergut  wie  an  Markland 
zur  Nutzung  für  das  Bedüifniss  der  eignen  Wirthschaft.  Die 
Concentration  der  Heii'schaft  über  die  productiven  Kräfte  des 
Bodens  hatte  eine  stetige  Vermehi-ung  der  besitzlosen  Klasse 
zur  Folge,  welche  dadurch  in  irgend  welche  Abhängigkeit  von 
der  grossen  Wirthschaft  der  Gmndherren  gerieth. 

Die  grossen  geistlichen  Anstalten  verfolgten  auch  aof  die- 
sem Punkte  die  gleichen  Tendenzen  wie  die  weltlichen  Grand* 
herren;  ja  sie  erstrebten  auch  eine  Concentration  des  kirch- 
lichen Grundbesitzes;  die  grossen  Klöster  und  Abteien  er- 
warben das  Eigenthum  an  kleinen  Kirchen,  Klöstern  and 
einzelnen   Mönchszellen   und   gliedeilen   deren   Besitz  ihrer 


—    295    — 

grossen  Gutsherrschaft  an  ^) ;  die  Bischöfe  insbesondere  setzten 
sich  in  Besitz  der  mit  eignen  Gütern  und  Renten  ausgestat- 
teten, in  dieser  Periode  zahlreich  gestifteten  Bethäuser  (ora- 
toria),  indem  sie  die  Seelsorge  durch  Abtheilungen  ihrer 
Presbyterien ,  später  nach  Auflösung  dieser  Presbyterialcon- 
vente  durch  kärglich  dotirte  Plebanen  verwalten  Hessen'). 

Am  Schlüsse  dieser  Periode  ist  das  viel  zei*splitterte, 
gleichmässig  vertheilte,  kleine  Grundeigenthum  schon  zumeist 
verschwunden^);  nur  in  einzelnen  Gegenden  unter  ganz  be- 
sonderen Verhältnissen  hat  es  sich  noch  in  grösserer  Ausdeh- 
nung und  compakterem  Bestände  erhalten.  Und  auch  die 
Genossenschaft  der  kleinen  Gitindeigenthttmer  hat  an  dem 
gemeinsamen  Markland  ihr  Eigenthumsrecht  zumeist  schon 
an  die  GrundheiTon  verloren  und  übt  ein  ähnliches  Nutzungs- 
recht wie  früher  nur  mehr  als  abgeleitetes  Recht  unter  Ab- 
hängigkeit von  jenen  aus.  Wir  haben  kein  Recht,  darin  unter 
allen  Umständen  einen  Uebelstand,  eine  dem  Volkswohle  un- 
günstige Entwickelung  der  wirthschaftlichen  Zustände  zu  er- 
blicken. Das  endgültige  Urtheil  über  die  volkswirthschaftliche 
Bedeutung  dieser  Concentration  der  Productionsmittel  und  die 
damit  zusammenhängende  Veränderung  der  socialen  und  öko- 
nomischen Organisation  wird  vielmehr  davon  abhängig  sein, 
welchen  Gebrauch  die  Grundherren  von  ihren  überlegenen 
wirthschaftlichen  Mitteln  zu  machen  vei*standen;  denn  nicht 
in  der  möglichst  gleichmässigen  Vertheilung  der  Güter  und 
Productionsmittel,  sondern  in  ihrer  vollkommensten  Anwen- 
dung für  Befiiedigung    steigender   und   höherer  Allgemein- 

>)  So  erwarb  PrOm  762  (Beyer  16)  3  cellas;  Fulda  775  G.  F.  51  ein 
monasteriolum  com  sua  proprietate;  Hersfeld  779  Wenk  8  b,  n.  9;  782 
ib.  13;  786  ib.  15  einzelne  Kirchen;  Lorsch  823  C.  L.  22  eine  Kirche; 
Correy  826  Wilmans  I,  10  eine  capella;  834  ib.  16  eine  ceUa;  Kempten 
331  M.  Boic.  28a,  n.  12;  839  ib.  31a,  n.  38  zwei  cellae;  aach  das  Bis- 
thnm  Metz  788  Juvav.  Anh.  n.  8  das  Stift  Kiemsee. 

')  Vgl  Bodmann,  Rhein.  Alterthümer  S.  825,  wo  auch  viele  Beispiele. 

")  In  Baiem  hören  die  kleinen  freien  Grundbesitzer  seit  dem  10.  Jahrh. 
fast  ganz  auf,  der  Kirche  von  Freising  Schenkungen  zu  machen.  Häberlin, 
Systematische  Bearbeitung  der  in  Meichelbeck's  Historia  Frisingensis  ent- 
haltenen Urkundensammlung  1842,  S.  32. 


—    296    — 

bedarihisse ,  in  der  möglichsten  Erhebung  des  ganzen  Vcdkes 
mit  den  Cultarmitteln  der  Volkswirthschaft  ist  zu  allen 
Zeiten  die  Yorzflglichkeit  ihrer  Zustände  und  EinricbtiuigeD 
zu  sehen. 

Die  Gliederung  des  Grundeigenthums  nun,  wie  sie  sich 
im  Laufe  der  Earolingerperiode  vollzog,  ist  ein  erstes  Momeat 
zur  Beurtheilung  dieser  neuen  Entwickdung  des  Yolkswiith- 
schafUichen  Lebens.  Die  Art  und  Weise,  in  welcher  der 
Grossgrundbesitz  im  Laufe  der  Jahrhunderte  sich  zu  bilden 
angefangen  hatte,  war  nicht  geeignet,  ohne  durchgreifende 
Veränderung  in  der  Anordnung  und  Zweckbestimmung  der 
einzelnen  Theile  einem  rationellen,  planmässigen  und  durch- 
dachten Betriebe  zu  entsprechen.  Theils  dui'ch  Aneignung 
und  Rodung  von  unbebautem  Lande,  theils  durch  Einbezie- 
hung von  Gulturland  der  kleinen  Freien  in  den  grondherr- 
liehen  Wirthschaftsverband ,  theils  endlich  durch  Sdienkong 
und  Verleihung  von  Gütern  und  Beneficien  aus  dem  Krön- 
gute  zusammengesetzt,  glich  er  ursprünglich  wohl  einer  chaoti- 
schen Masse,  in  welche  erst  ein  organisatorischer  Gedanke 
eine  sachgemässe  Gliederung  des  Gebrauchs  zu  bringen  ver- 
mochte. Denn  zuerst  war  das  Streben  nach  Besitz  überhaupt, 
als  Grundlage  der  Macht,  nicht  schon  die  Sorge  für  Ausbil- 
dung und  Pflege  bestimmter  Richtungen  und  Zweige  des  land- 
wirthschafUichen  Betriebes  massgebend;  und  die  Erwerbungs- 
arten boten  wenig  Gelegenheit,  eine  sorgfältige  Auswahl  der 
besonders  geeigneten  Grundstücke  zu  treffen.  Man  war  wenig 
wählerisch  bei  der  Occupaüon  und  liess  sich  gerne  Grund- 
besitz auftragen,  mochte  er  nun  mehr  oder  weniger  geeignet 
sein,  LUcken  der  gutsherrlichen  Wirthschaft  auszufüllen,  gfin- 
stiger  oder  ungünstiger  zum  Hauptsitz  des  hen-schaftlichen 
Betriebes  gelegen,  an'ondirt  oder  zersplittert  sein.  Insbeson- 
dere bei  den  Schenkungen,  durch  welche  vomemlich  die 
Kirche  anfänglich  ihren  Besitzstand  so  auffallend  rasch  ver- 
mehrte, war  nicht  leicht  Gelegenheit  für  die  Grundherren, 
auch  ihrerseits  Bedingungen  zu  setzen,  durch  welche  die  be- 
sonderen Interessen  einer  ökonomisch  vortheflhaften  Zusam- 
mensetzung des  Gutsbestandes  hätten  gewahrt  werdm  kOnnen, 


—    297    — 

oder  eine  Auswahl  der  Grundstücke  zu  treffen,  die  ihnen  die 
Bereitwilligkeit  glaubenseifriger  Anhänger  anbot 

Als  aber  diese  reiche  Quelle  des  Güterzuwachses  immer 
mdir  versiegte,  und  neues  Besitzthum  in  der  Hauptsache  doch 
nur  mehr  durch  Auftragung  gegen  prekarische  Rückver- 
leihung,  durch  Tausch  oder  Kauf  möglich  war^),  da  konnten 
auch  die  geistlichen  Grundherren,  wie  schon  früher  die  welt- 
lichen, den  Bedürfhissen  einer  planmässigen  Disposition  ihrer 
Gutsländereien  und  ihrer  Wirthschaftsführung  schon  bei  der 
Erwerbung  von  Grundstücken  und  Landgütern  gerecht  werden. 

Gleichzeitig  aber  kam  doch  auch  schon  das  Ziel  einer 
raticmellen  Landwirthschaftspflege  der  Grundherrschaft  als 
begehrenswerth  zum  Bewusstsein;  die  innere  Stärkung  des 
Betriebs  durch  gesteigerte  Arbeitstheilung  und  vermehi-ten 
Rohertrag  einer  bestimmten  Bodenfläche  wurde  ebenso  werth- 
voll,  als  die  räumliche  Expansion  der  Herrschaft;  und  damit 
begann   dann  auch  für  die  wirthschafüiche  Anordnung  der 

^)  Ein  Ueberblick  über  die  Erwerbungsurkuoden  der  grossen  geiat- 
lichen  Orundherrschaften  gewährt  sowohl  über  die  Zeit  als  über  die  In- 
tensität dieser  Veränderung  einen  Aufschloss.  So  wurde  der  Kirche  von 
Freising  seit  Beginn  des  9.  Jahrhunderts  fast  keine  Schenkung  mehr  un- 
bedingt gemacht;  ja  man  begnügte  sich  nicht  mit  der  Retention  des  IHess- 
braacfas  oder  dem  Rückemp&ng  als  benefidnm,  sondern  begehrte  an  dem 
tradirten  noch  ein  Kirchengut  als  Lehen.  Die  Tauschverträge  beginnen  dort 
gleichfidls  erst  mit  dem  9.  Jahrhundert  eine  Rolle  zu  spielen;  am  ein- 
träglichsten waren  sie  von  der  Mitte  des  9.  bis  zur  Mitte  des  11.  Jahrb.; 
und  Ton  Anfiemg  des  10.  Jahrh.  an  werden  auch  die  bedingten  Schenkun- 
gen immer  seltener,  bis  sie  gegen  Anfang  des  14.  Jahrh.  fast  gänzlich 
verschwinden;  vgl.  i.  A.  Häberlin,  Systematische  Bearbeitung  der  in  Mei- 
chelbecks  historia  Frisingensis  enthaltenen  Urkundensammlung  1842. 

Von  den  Erwerbungsurkunden  des  Stifts  St  Gallen  lauten: 


auf  Schenkung '  •/.  i  ^^^„  \ 

,        Uebertragung 


auf  Kauf    j  q, 
und  Tausch  i 


—768 

28 

58 

17 

36 

3 

1  6 

768  814  i' 

44 

'28 

102 

'66 

1 

9 

6 

814— 840 1 

37 

>22 

117 

72 

10 

6 

840-876, 

84 

17 

132 

65 

1 

37 

18 

876— 920  ;i 

26 

!16 

75 

148. 

57 

36 

Die  Schenkungen  der  letzten  Periode  rOhren  fast  alle  von  den  Königen  her. 


—    298    — 

Grundstücke  und  Güter,  über  welche  ein  Grundherr  veifKgte, 
eine  Zeit  durchgreifender  Verändelung.  Nicht  bloss  in  der 
Herrschaft  über  die  Arbeit  zeigte  sich  dieses  orgamsatorische 
Bestreben!,  durch  welches  eine  wesentliche  Förderung  der  na- 
tionalen Betriebsamkeit  geweckt  wurde.  Auch  die  Herrschaft 
über  das  Bodencapital  wurde  immer  mehr  von  demselben 
Geiste  erfüllt.  Die  Grundherren  übernahmen  auch  auf  die- 
sem Gebiete  eine  wahrhaft  nationalökonomische  Wirksamkeit 
und  führten  sie  im  Laufe  des  9.  und  10.  Jahrhunderts  grossen- 
theils  zu  einem  guten  Ende.  Am  Schlüsse  der  Earolinge^ 
Periode  ist  wenigstens  bei  den  hervon-agendsten  Grundherr- 
schaften eine  ökonomische  Anordnung  der  Güter  hergestellt, 
welche  auch  nach  dieser  Seite  die  Regellosigkeit  und  Isolirong 
des  Landwii-thschaftsbetriebs  beseitigt  hatte,  welche  der  älteren 
Periode  charakteristisch  sind. 

Es  ist  schwer,  eine  Reihenfolge  der  Ereignisse  anzugeben, 
welche  alle  dieses  Ziel  begünstigten.  Ungefthr  gleichzeitig 
mit  der  Karolingerperiode  beginnen  auch  die  Arrondirungen 
des  Besitzstandes,  beginnt  die  Unterscheidung  des  Herrenlan- 
des und  Zinslandes,  der  Haupthöfe  und  Nebenhöfe  und  die 
Zuweisung  der  einzelnen  dienenden  Hufen  zu  denselben  die 
Regel  zu  werden.  Auch  die  Hufentheilung  und  die  Neu- 
gestaltung der  bäuerlichen  Güter  nach  veränderten  wirth- 
schaftlichen  Gesichtspunkten,  die  Bildung  der  Wald-,  Marseh- 
und  Hagenhufen  und  damit  die  Veränderung  der  Flurverfossung 
und  des  Besiedelungssystems,  endlich  die  Ersetzung  der  alten 
Markgenossenschaft  der  freien  Grundbesitzer  durch  die  grund- 
herrschaftliche Hofverfassung  gehören  wenigstens  in  ihren 
Anfängen  schon  dieser  Zeit  an.  Genau  zu  verfolgen  und 
sicher  zu  beurtheilen  ist  vor  Allem  das  Bestreben,  den  ur- 
sprünglich meist  sehr  ungünstig  gruppirten  Besitz  durch 
Arrondirung  geeigneter  für  eine  rationelle  Wirthschaftsführung 
zu  machen.  Die  zerstreute  Lage  der  einzelnen  Besitzstücke 
innerhalb  derselben  Gemarkung  und  in  mehren  Gemarkungen 
ist  für  die  ältere  Zeit  jedenfalls  die  Regel  nicht  bloss  bei  den 
grossen  Grundherren,  sondeiii  auch  bei  der  Menge  derjenigen 
Grundeigenthümer ,   welche   über  mehre  Hufen  Landes  ver- 


—    299    — 

fugten.  Schon  bei  der  ersten  Landvertheilung  mochte  den 
Vornehmen  Besitz  in  verschiedenen  Gemarkungen  zugefallen 
sein;  durch  Erbgang  und  in  anderer  Weise  ist  sicherlich  im 
Laufe  der  Zeit  viel  Gut  noch  mehr  zei-stückt  und  der  Besitz- 
stand auch  noch  mehr  zei*splitteit  worden.  Besonders  aber 
tragen  die  Arten  des  späteren  Gutserwerbs,  die  königliche 
Verleihung,  die  Schenkung  und  die  Auftragung,  sowie  die 
Occupation  und  Rodung  dazu  bei,  den  grossen  Ginindbesitz 
ohne  jeden  Zusammenhang  der  Theile  zu  mehren  und  ihm 
damit  jede  Möglichkeit  einer  einheitlichen  Bewirthschaftung 
zu  nehmen^). 

Aus  diesem  Zustande  ist  das  in  dieser  Zeit  allgemeine 
Streben  hinlänglich  erklärt,  durch  Tausch  eine  bessere  An- 
ordnung, womöglich  AiTondirung  des  Besitzes  herbeizuführen  *). 
Die  Anfänge  dieser  Vertauschungen  fallen  in  deutschen  Lan- 
den kaum  vor  Beginn  der  Karolingerzeit*);   häufig  werden 


*)  Das  Stift  St  GaUen  hatte  seine  Besitzungen  in  der  Schweiz,  in 
Schwaben ,  Franken  und  im  £lsa8S ,  ja  sogar  in  Italien.  Freising  besass 
Güter  in  Baiem  und  Schwaben,  in  Ober-  und  Niederösterreich,  in  Steier- 
mark, Kärnten,  Erain  und  Tirol.  Und  das  Gleiche  gilt  von  allen  grossen 
geistlichen  und  weltlichen  Grundherren  jener  Zeit 

')  Diese  Absicht  ist  bei  den  Tauschvertrftgen  meist  ausdrQcklich  aus- 
gesprochen; z.  B.  Tr.  Sang.  856,  n.  449:  propter  compendium  et  conuno- 
ditatem.  ib.  897,  n.  713:  2  loca  a^predicto  monasterio  valde  remota,  sed 
mihi  nimium  opportuna.  800  Urk.-B.  o.  d.  £nns  (I,  4):  ubi  congruns  vel 
oportunus  evenisset  locus  de  rebus  inter  ße  opportunitatem  facere  debe- 
rent.  802  C.Laur.  I,  108;  ib.  III.  8040:  pro  opportunitate  locorum.  Ins- 
besondere 864  Ried  C.  Ratisb.  (I,  S.  49):  Fructuosa  ralde  et  non  solum 
honesta  sed  etiam  nimium  utilis  consuetudo  iam  olim  inter  homines  in- 
olererat  commutandi  scilicet  quasdam  res  pro  commoditate  utrarumque 
partium.  865  ib.  S.  50 :  Multum  utilis  et  nimium  commoda  consuetudo  . . . 
quod  res  suas  inter  se  pro  aptis  finibus  locorum  inter  se  commutare 
coepenmt  Auch  879  ib.  S.  59:  ut  res  suas  pro  commoditate  ambarum 
partium  commutarent  et  utrimque,  quod  sibi  contiguum  esset,  sumerent 

')*Ia  dem  höher  entwickelten  westlichen  Theile  des  Frankenreiches 
sind  Taoschacte  allerdings  auch  schon  aus  früherer  Zeit  bekannt;  Par- 
desBus  Dipl.  686,  n.  406  von  Rheims;  681,  n.  421  von  Toussonval  (Cham- 
bly);  702,  n.  451  von  Verdun.  Dagegen  ist  die  erste  Tauschurkunde  des 
Cod.  Lanresh.  v.  J,  771,  n.  3780;  der  Tr.  Sangall.  v.  J.  787,  n.  112;  des 
Cod.  Fuld.  V.  J.  808,  n.  190;  der  Tr.  Wizz.  v.  J.  820,  n.  69. 


—    300    — 

sie  hier  erst  von  der  Mitte  des  9.  Jahrhunderts  an^);  und  es 
sind  ganz  vorzugsweise  die  grossen  Grundherren,  geistliche 
wie  weltliche,  aber  auch  die  Könige  selbst,  welche  dieses 
Mittels  der  besseren  Abrundung  ihrer  Besitzungen  sidi  be- 
dienen'). Bald  sind  es  nur  einzelne  AckerstQcke,  welche 
gegen  einander  ausgetauscht  werden,  um  den  allzufiihlbaren 
Nachtheilen  der  Gemengelage  zu  entgehen^),  oder  um  ^a 
einzelne  Gewanne  ganz  in  Besitz  zu  bekommen  und  damit  die 
Wirthschaft  von  dem  Flurzwang  zu  emandpiren  ^).  Bald  wer- 
den Ackerstttcke  oder  Wiesen  gegen  Bauplätze  eingetauscht  ^X 
um  auf  den  letzteren  neue  Mausen  zu  errichten,  oder  gegen 
bestehende  Gebäude,  um  neue  Colonen  darauf  niedersetzoi 
zu  können  ^) ;  bald  war  es  auf  Wald,  auf  Wiesen  oder  Wein- 
berge abgesehen  ^) ,  um  neue  Culturen  einf&hren ,  bestehende 
Specialzweige  der  Wirthschaft  (Viehzucht,  Weinbau  etc.)  er- 
weiteiii  zu  können. 

Aber  auch  gi*össere  Pläne  der  gitindherrschaftlichen  Wirth- 
schaft wurden  mit  diesem  Mittel  verfolgt  Wo  ganze  Hufen 
gegen  einander  ausgetauscht  werden  ^) ,  ist  sicherlich  nicht 

')  Vgl  die  kleine  TabeUe  auf  S.  297. 

>)  Ludwig  d.  Fr.  tauschte  817  C.  Fuld.  825  seinen  Ort  Bingenheiii 
mit  drea  87  Mausen  aus  gegen  den  Besitz  des  Klosters  Fulda  an  2  Orten, 
eine  Salzquelle,  einen  Gemeinwald  und  einige  Mausen  und  Weinbeige. 
Vgl.  Urk.  Ludw.  d.  Fr.  825  Sickel  ü,  155.  Urk.  Ludw.  d.  D.  845  C.  Fnli 
554.    C.  Lanr.  848,  n.  29;  ib.  858,  n.  82;  ib.  868,  n.  87. 

")  G.  Laur.  840,  u.  2608:  5  jum.;  ebenso  888,  n.8464.  Tr.  Sang.  854, 
n.  427 :  quartam  partem  unius  curtis  gegen  unum  jumalem  mazimnm;  Umhcfa 
ib.  856,  n.  449 ;  864,  u.  500:  8  Jucherte  und  1  Ru^he  gegen  8  andere  Jaeherte< 

*)  G.  Lanr.  829,  n.  8618:  125  jum.  in  einer  Gemarkung  gegen  110 
jum.  in  einer  andern. 

')  Z.  B.  G.  Laur.  829,  n.  2781 :  area  1  gegen  jum.  3.  ib.  819,  n.  9609: 
1  area  gegen  2  jum.  et  2  prata.    ib.  822,  n.  8498:  1  area  gegen  5  jnra. 

>)  God.  Fuld.  889,  n.  528  nimmt  das  Kloster  Fulda  10  hob.  descrtas 
gegen  5  besetzte  Hufen  in  Tausch.  Tr.  Sang.  858,  n.  462  eine  Wiese 
gegen  dne  casata. 

^  0.  Laur.  789,  n.  8790:  12  jum.  et  10  prat  canr.  gegen  16  jom.  et 
▼inea  1.  G.  Fuld.  837,  n.  506:  terra  araturia  des  Klosters  Fulda  gegen 
totam  silvam  ad  iUos  (2  Laien)  pertinentem. 

")  G.  Lauresh.  888,  n.  8040:  140  jum.,  8  jum.  prat.  und  4  maus,  in 
einer  Villa  gegen  4  maus.  72  jum.  5  prat  carr.  an  8  Orten  einer  anderen 


—    301    — 

selten  das  Streben  massgebend  gewesen,  ökonomische  Ueber- 
legeoheit  oder  Alleinhen*schaft  in  einem  Dorfe  oder  in  einer 
Gemarkung  zu  begründen ;  und  der  Tausch  von  ganzen  Villen 
oder  grösseren  Gebieten  ^)  diente  dem  Bestreben  nach  Oi-ga- 
nisation  der  ganzen  Hen-schaft,  wie  sie  in  der  Villenverfassung 
zum  Ausdruck  kam. 

Auch  hier  griff  die  umsichtige  Wirthschaftspolitik  Karls 
d.  Gr.  und  seiner  Nachfolger  anregend  und  fördernd  ein ;  den 
Trägem  königlicher  Beneficien,  besondere  aber  den  Kirchen, 
deren  Gutsverwaltung  sie  so  vielfach  beeinflussten,  gestatteten 
mehrfach  wiederholte  Bestimmungen,  durch  geeigneten  Aus- 
tausch ihr  Besitzthum  besser  abzurunden ') ;  anderseits  unter- 
liessen  es  die  Könige  aber  auch  nicht,  stets  Cognition  von 


GemarkoDg.  G.  Fuld.  839,  n.  523:  5  hub.,  8  homines  ibidem  manentes 
ac  mancipia  16  gegen  10  hob.  desertas. 

')  Cod.  Fuld.  831,  n.  483:  45  mans.  et  1  haba  in  einer  YiUa  gegen 
45  mans.  cum  totidem  mandpüs  in  einer  andern.  ib.906(?),  n.650:  7  0rt- 
scliaften  gegen  5  andere,  ib.  907,  n.  653 :  Die  Klöster  Echtemach  und 
Fulda  tauschen  mehre  Ortschaften  gegen  einander  aus,  welche  zu  dem 
empfemgenden  Stifte  günstig,  von  dem  bisher  besitzenden  weit  entfernt 
gelegen  sind.  Juvay.  Anh.  n.  18  tauscht  der  Bischof  Arno  von  Salzburg 
815  1060  jugera  an  4  Orten  gegen  420  jngera  cum  aedificiis,  mancipiis 
aliisque  rebus  an  2  Orten  ein.  Sickel  U,  102.  Tr.  SangaU.  897,  n.  708 
und  712  vertauscht  der  Abt  Salomon  von  St  Gallen  6  Höfe  und  378  juchos 
Acker-  und  Wiesenland  zu^Jonswil  gegen  5  Höfe  und  180  juchos  zu 
Bazenheid,  175  juch.  zu  Wilen  und  einen  Hof  mit  42  juch.  zu  üxwil. 

^  Dipl.  Karol.  M.  807  M.  Boic  28  a,  n.  3  wird  ein  Tausch  zwischen 
dem  Bischof  von  WOrzburg  und  dem  Grafen  Audolf  best&tigt;  der  Bischof 
gibt  de  rebus  ecclesiae  suae  Audulfo  ad  partem  regis  villam  Fridunbach 
in  pago  Collogaoe  cum  decimis  ex  villis  Fridunbach,  Autgansisova,  Walt- 
mannisora  solvendis  et  invicem  comes  permittente  imperatore  de  benefi- 
dis  suis  Agilwardo  eiusque  ecclesiae  dedit  ecclesiam  in  Scifia  in  pago 
Dubragaoe  et  certas  res  in  Odinga  villa  et  quicquid  Hundulfiis  quondam 
in  comitatu  Audolfi  habuit  Dipl  Ludov.  815  Juvay.  Anh.  p.  63  für  Salz- 
burg. 816  Meichelb.  Ib,  478  f&r  Freising.  820  Tr.  Wizz.  69  für  Weissen- 
bnrg.  839  G.  Fuld.  523  für  Fulda  und  einen  Yassallen  des  Königs.  822 
Mon.  Boic.  31,  n.  20  wird  dem  Grafen  V^Ticbald  und  dem  Bischof  Vulcher 
von  Eichst&dt  ein  Gütertausch  gestattet  828  Schöpflin  I,  n.  87  für  Strass- 
borg.  823  Beyer  I,  n.  55,  56  für  Prüm.  826  Sickel  H,  158  für  Worms. 
S28  Schöpflin  1, 89  für  den  Grafen  Erkingarias  und  das  Kloster  Schwarzach. 


—    302    — 

den  beabsichtigten  Veränderungen  dieser  Art  zu  nehmen^); 
ja  es  wurde  sogar  allgemein  vorgeschrieben,  dass  Vertauschun- 
gen wieder  aufgehoben  werden  mussten,  wenn  sie  sich  als  un- 
geeignet und  irrationell  erwiesen '). 

Natürlich  waren  solche  Abrundungen  des  Besitzstandes 
nicht  bloss  durch  Gutstausch  möglich;  auch  Auftragnngt 
Schenkung  und  Kauf^),  sowie  Uebernahme  von  Benefiden 
konnten  zu  dem  gleichen  Ziele  führen  und  sind  für  die  Ein- 
richtung der  gi'undherrschaftlichen  Wiithschaft  auf  veränder- 
ter Gebietsgi'undlage  nicht  selten  geradezu  massgebend  ge- 
worden. 

Weniger  mit  Sicherheit  zu  erkennen  ist  die  Entwickelung 
des  Verhältnisses  zwischen  Herrenland  und  dienenden  Gütern 
das  schon  in  der  älteren  Periode  vorhanden  ist  und  die  ersten 
Anfänge  einer  wirthschaftlichen  Gliedening  grösserer  Güter 


^)  Ludwig  d.  D.  gibt  848  G.  Laoresh.  I,  29  dem  Bischof  von  V^onns 
die  Erlaubniss,  ubiconque  invenire  posset  aliquas  res  et  mandpia,  quae 
a  nobilibus  hominibus  aptius  et  congruentius  praefatae  eccleaiae  oommo- 
tare  valeret  .  .  in  mancipiis  et  territoriis  osque  ad  mansos  3  licentiui 
habeant  Si  vero  plus  fiierit  ad  commutandom ,  ad  nostram  interrogatio- 
nem  veniat  Ludwig  d.  E.  gibt  900  0.  Fuld.  667  die  Vorschrift:  m 
omnes  tradidones  seu  commutationes  sub  presentibus  idoneis  tettibos 
fiant  et  qnelibet  persona  sive  tradens  seu  acdpiens  sibi  legitimam  ftdit 
confirmationem  regiamqne  perducat  ad  noticiam. 

')  Capit  Worm.  829,  c.  5  (LL.  I,  351):  Ubicunque  commutatioDei 
tarn  tempore  nostro  quam*genitoris  nostri  legitimae  et  rationabiles  atqne 
utiles  ecclesiis  Dei  üactae  sunt,  permaneant  Ubiöunqne  yero  iaatiles  et 
incommodae  atque  irrationabiles  üactae  sunt,  dissolrantur  et  redpiat 
nnusquisque  quod  dedit.  Dasselbe  steht  bd  Walter  II,  271  als  c  1  des 
Capit  II  incerti  anni  unter  den  Kapitularien  Karls  d.  Gr.  Die  obigen 
Beispiele  zdgen  aber  den  Grundsatz  schon  froher  in  Uebung. 

')  Z.  B.  kauft  ein  gewisser  Otholf  im  J.  803  von  2  Partden  üu« 
Antheile  an  2  Alpen ,  wodurch  er  als  bisheriger  Antheiler  in  den  toD- 
st&ndigen  Besitz  dersdben  kömmt.  Tr.  Sang.  173  £  Das  Kloster  Lond 
erwirbt  827,  n.  2861  6  jumales  iuxta  basilicam,  ubi  et  Gerich  dedit  4  ja- 
nales.  An  Prüm  werden  762—804  (Beyer  I.  13)  an  2  Orten  etnzelM 
campi  geschenkt,  die  an  mehren  Seiten  berdts  an  das  Besitstham  d« 
Klosters  grenzen. 


—    803    — 

anzeigt  >).  Auf  dem  Herrengute,  der  curtis  dominica  und  dem 
d/usn  gehörigen  Grundbesitz,  der  ten'a  salica  oder  indomini- 
cata  führte  der  Grundhen*  die  Wirihschaft  auf  eigene  Rech- 
nung %  theils  mit  den  eignen  Arbeitski-äften  des  Herrenhofes, 
den  mandpiis  domesticis,  non  casatis  etc.,  theils  mit  Hilfe  der 
Fronarbeit,  welche  von  den  dienenden  Hufen  aus  geleistet 
werden  musste').  Das  war  nun  selbstverständlich  nur  bei 
grossem  Grundbesitz  möglich;  und  je  seltner  dieser,  in  der 
älteren  Zeit  gewesen  ist ,  um  so  geringer  war  die  Bedeutung 
dieses  Gegensatzes  fQr  die  Volkswirthschaft  im  Ganzen.  So 
lange  in  der  Hauptsache  der  Freie  seinen  Grundbesitz  noch 
selbst  bewirthschaftete  und  nur  das  eine  oder  andere  Stück 
seines  Gutes  einem  Zinsbauem  zur  Wirthschaft  lüberlassen 
hatte,  ist  eben  desshalb  auch  das  Herrenland  regelmässig  nur 
nach  seinen  rechtlichen  Momenten,  als  portio,  hereditas,  ten*a 
aviatica  etc.  bezeichnet^);  dagegen  liegt  in  der  allgemeinen 
Untei-scheidung  der  terra  salica ,  hoba  indominicata  dieser 
zweiten  Periode  von  den  Beneficien^),  den  Zins-  und  Dienst- 
hofen  ^)  eine  bestimmte  Charakterisirung  des  wiithschaftlichen 
Verhältnisses,  in  welchem  die  Theile  des  Besitzthums  zu  ein- 
ander standen,    keine  rechtliche  Qualification ^).     Auch  ab- 


>)  Vgl.  I.  Buch,  3.  Absch.  8.  127  ff. 

*)  AasdrQcklich  gesagt  in  Tr.  Sangall.  797,  n.  148:  5  hobas  excepto 
«a,  qae  in  usus  proprioB  colere  Tidetor,  quod  dicltur  hoba  siliga. 

*)  Vgl.  schon  1.  Alam.  22,  8:  Sern  dimidiam  partem  sibi  et  dimidiam 
in  domnico  aratiTum  reddant  Et  si  super  haec  est,  sicut  send  eccle- 
siastici  ita  &ciant,  tres  dies  sibi  et  tres  in  domnico.  S.  L  Buch,  8.  Absch. 
S.  129  und  4.  Absch.  S.  156. 

^)  Tr.  Sang.  716—20,  n.  8  und  781—86,  n.  6  kömmt  vemacula  terra 
in  ähnlichem  Sinne  Yor. 

*)  Tr.  Sangall.  880,  no.  881;  2  hobas  quas^habet  Imo  in  benefidum 
et  1  agnun  salicum. 

*)  C.  Lanr.  815,  n.  8073:  terram  indominicatam  et  hubam  servilem. 
Tr.  Sang.  869,  n.  548:  duorum  annorum  fructum  de  terra  salica  et  tributa 
Benromm  ad  omnia  supradicta  loca  pertinentia.  Tr.  Fnld.  c  48,  n.  4 :  terre 
salice  agri  122,  mansi  censuales  27  u.  o.  Vgl  auch  Lacombict,  Urk.  B. 
I,  n.  66,  67,  81,  87,  88,  91,  94. 

0  Vgl  auch  Gu^rard  Polypt.  Irm.  I,  482.  Kur  im  Capit  Worm.  829 
(LL.  I,  851)  c,  9:  De  Ulis  qui  agros    dominicatos  propterea  neglexerint 


—    304    — 

geleiteter  Besitz,  besondei*8  Beneficium,  konnte  vom  Inhaber 
als  Herrengut  behandelt  und  in  eigner  Verwaltung  bewirth- 
schaftet  werden ;  es  konnte  dann  zugleich  Herrenland  f&r  den 
Besitzer,  Zinsland  fUr  den  EigenthUmer  sein^). 

So  allgemein  aber  auch  in  dieser  Periode  die  Unter- 
scheidung des  herrschenden  und  des  dienenden  Grundbesitzes 
geworden  ist,  so  liegt  doch  unverkennbar  die  volkswirth- 
schafüiche  Bedeutung  des  in  eigner  wirthscbaftliclier  Ver- 
waltung stehenden  Theils  des  Grundbesitzes  noch  immer  bei 
den  weltlichen  Grundherrn.  Diese  hatten  Erbgüter,  Familien- 
güter, die  sie  wohl  immer  selbst  bewirthschafteten,  soweit  sie 
selbst  zum  Wohnsitz  der  Familie  gehörten^.  Der  grosse 
Werth ,  welchen  gerade  die  weltlichen  Grundherrn  auf  leib- 
eigne Hausdiener  legten,  machte  auch  die  Aufrechterhaltong 
grösserer  Gutswirthschaften  in  Eigenbetrieb  leichter  möglich 
und  es  erklärt  sich  zum  Theile  jedenfalls  daraus,  dass  bei 
Schenkungen  und  Uebertragungen  an  die  Kirche  so  häufig 
gerade  die  Leibeignen  ausgenommen  wurden^). 

Auch  von  dem  königlichen  Besitz  an  Hausgütem  und 
Beichsdomänen  ist  immer  ein  grosser  Theil  in  eigner  Ver- 
waltung gestanden,  auch  bevor  Karl  d.  Gr.  den  Schwerpunkt 
seiner  Finanzen  gerade  auf  die  Domänen  verlegt  hat^).    Da- 

excolere,  ut  nonas  et  dedmas  exinde  non  persolvat,  et  alienos  tems  ad 
excolendam  propter  hoc  accipit  bedeuten  die  agri  dominicati,  das  aas 
Eirchenvennögen  verliehene  Erongutsbenefidum;  s.  a.  Gu^rard  Lm.  I,48S. 

^)  St  G^rmain  hatte  ein  Benefidum  an  Acoinus  gegeben,  das  1Inte^ 
schieden  war  in  dominicam  und  1  mansus  dominicalis  cum  86  bonnuariis  efec 
und  12  mans.  servües.  Pol.  IruL  n,  278;  s.  a.  Polypt  S.  Amand.  ib.  1, 
925  £,  n,  281. 

>)  In  den  Freisinger  Traditionen  sind  diese  Herrengüter  daher  noch 
zumeist  als  Erbgüter  bezeichnet. 

»)  Vgl.  z.  B.  Tr.  Sang.  770,  n.  56;  771,  n.  59;  796,  n.  142;  799, 
n.  155;  806,  n.  188;  811,  n.  206;  818,  n.  281;  820,  n.  245;  824,  n.  288. 
286;  827,  n.  805;  ausserdem  noch  bis  874  in  15  ürk.  Tr.  Wiai.  774, 
n.  61;  784,  n.  60;  820,  n.  69.  Cod.  Fuld.  791,  n.  101;  796,  n.  lia  C 
Laur.  804,  n.  1148  u.  oft  S.  mdne  „Ausbildung  der  grossen  Gnmd- 
herrschaften"  S.  92  £  und  unten  4.  Absdm. 

*)  Urk.  Pipins  762  (Beyer  I,  16)  donamus  res  proprietatis  nostrae  in 
pago  Ch.  cum  appenditiis  vel  omni  integritate  sua  praeter  tantom  man- 
dpiis  85.    Hec  igitur  mancipia  predicta  ad  nostmm  opus  retinulmut. 


—    305    — 

gegen  ist  eigne  Wirthschaftsfbhrung  beim  Kirchengut  weder 
so  allgemein  noch  so  bedeutend  am  Anfange  der  Periode. 
Die  bischöflichen  Kirchen  stützten  ihre  Wiiihschaft  am  liebsten 
auf  schutzhörige  Freie,  deren  Hufen  ihnen  zinsten  und  hatten 
nur  wenig  Bedar&iss,  zumeist  nur  auf  ihren  Residenzen  und 
Parochien ,  zu  Eigenbetrieb  ^) ;  die  Klöster  übten  wohl  am 
Elosterhofe  selbst  eigne  Wirthschaft,  soweit  die  Arbeitskraft 
der  Mönche  reichte;  im  übrigen  stützten  sie  sich  vornehmlich 
auf  Zinsgüter,  mansi  sei*viles. 

Eine  gesteigerte  Betonung  des  Sallands  für  die  Zwecke  einer 
rationellen  Durchbildung  der  Wirthschaft  findet  zuerst  in  den  be- 
rühmten Wiithschafts Vorschriften  Karls  d.  6r.')  statt  und  es  ist 
nicht  zu  zweifeln,  dass  von  ihnen  im  Allgemeinen  eine  mächtige 
Anregung  zur  Ausdehnung  des  Eigenbetriebs  ausgegangen  ist. 
Wie  er  seinen  Königshöfen  durch  bauliche  Anlage,  künst- 
lerischen Schmuck  und  Pi*acht  der  innem  Ausstattung  erhöhtes 
Ansehen  verlieh^),  so  hat  er  sie  auch  durch  Verbesserung 
ihrer  wirthschaftlichen  Verwaltung  für  das  Beich  wie  für  sein 
Haus  zu  grösserer  Bedeutung  emporgehoben.  Eine  gi-osse 
Anzahl  von  Villen  scheint  von  ihm  für  die  Deckung  des 
Natui-albedarfs  des  fürstlichen  Haushalts  wie  der  Reichs- 
regierung eigens  in  die  Domanialverwaltung  einbezogen  worden 
zu  sein^);  und  emsig  ist  der  grosse  Meister  der  Wirthschaft- 
lichkeit  darauf  bedacht,  wie  die  verfügbaren  Productions- 
kräfte  vollständig  auszunutzen,  insbesondere  aber  auch,  dass 
genügende  Arbeitskräfte  vorhanden  seien,  und  die  Wirthschaft 
des  Hermguts  nicht  durch  den  Ballast  von  unbesetzten  Mausen 
beschwert  werde*). 

0  Charakteristisdi  sind  in  dieser  Hinsicht  die  Besitzstandsverhältnisse 
des  BisthumB  Augsburg;  dasselbe  hatte  um  812  nur  8  curtes  in  Eigen- 
betrieb, bei  1041   mansi  ingenuiles  und  466  mansi  serviles.    LL.  I,  177. 

*)  Capitulare  de  villis  imperialibus  812.    LL.  I,  181  ff. 

')  Vgl.  Maarer,  FronhOfe  1,  121  ff. 

*)  Cap.  de  yillis  c.  1 ;  Yolumus  ut  yillae  nostrae,  quas  ad  opus  nostrum 
B€rnendi  institutas  habemus,  sub  integritate  partibus  nostris  deserviant  et 
non  aliis  hominibus.  Die  mehrfach  aufgestellten  Verzeichnisse  königlicher 
Vilkn  enthalten  besonders  viele  aus  der  Zeit  Karl  d.  6r.    S.  o.  S.  281. 

^)  Capit.  de  villis  c  67:   De  mansis  absis  et  mancipiis  adquisitis,  si      « 

Ton  Inama-Sternegg,  Wirthschaftsgeschichte.    I.  20 


—    306    — 

Die  DomanialverwaltuDg  hat  denn  auch  in  der  Folge 
während  der  KaroIingerhen*schaft  immer  eine  bedeutende 
Rolle  gespielt  ^),  und  unterscheidet  sich  immer  noch  sehr  vor- 
theilhaft  von  dem  Zustande  des  Verfalls  der  Reichsfinauzen, 
der  in  der  folgenden  Periode  schon  des  Reiches  Lebenskraft 
so  kläglich  schmälerte^). 

Auch  die  Domanialgüter  der  Kirche  sind  unter  diesen 
mittelbaren  wie  unmittelbaren  Einfltlssen  der  königlichen 
Domanialverwaltung  im  Laufe  der  Zeit  sehr  gewachsen  *).  Die 
grossen  Stifter  insbesondere  haben  gegen  Ende  der  Periode 
mit  der  Villenverfassung  auch  schon  ein  System  der  Domanial- 
güter ausgebildet,  womach  so  ziemlich  in  jedem  Verwaltungs- 
bezirk mindestens  ein  auf  Rechnung  der  Grundherrschaft  be- 
wirthschafter  Hof  sich  befand  ^) ;  es  ist  sogar  schon  noth wendig 
erschienen,  die  Salgüter  der  einzelnen  Parochien  der  grossen 


aliquid  super  se  habuerint,  quod  non  habeant,  ubi  eos  coUocare  posnnt, 
nobis  nontiare  fieiciant.  Wenn  Röscher,  System  n,  §  103,  Anm.  1  sagt, 
schon  Karl  d.  Gr.  habe  sich  gegen  das  Legen  der  Bauernhöfe  ausgesprocheD, 
so  ist  das  doch  in  dieser  SteUe  keineswegs  ausgedrückt 

^)  Specielle  Erwähnung  von  königlichen  Dominicalg&tem  in  spätenr 
Zeit:  Urk.  840  Mon.  Boic.  XI,  108:  curtis  dominicata  cum  ceteris  edificüi 
desuper  positis,  de  terra  arabili  jomales  130,  de  pratis  ubi  posaunt  coUigi 
de  feno  400.  Mancipia  infra  curtem  inter  pueros  et  feminas  gtfiedis 
numero  22.  Mansi  serviles  vestiti  ad  eandem  curtem  aspicientes  22. 
Sindmannorum  12.  C.  Laur.  868  I,  87  3  hubas  indominicatas,  17  mansoi 
serviles.  Tr.  Sang.  877  n.  602  terram  salicam  et  mansos  11  ib.  882, 
n.  623:  praedictum  montem  cum  pascuis  et  silvis,  quantum  ibidem  pertinel 
ad  partem  dominicam  de  curte.    Vgl.  die  Beil  N.  VII. 

^)  Vgl.  Dönniges  Staatsrecht  I,  68  f. 

')  Bei  den  Gütern,  welche  Bischof  Salomon  von  Constanz  an  den  Abt 
Hartmuot  von  St.  GaUen  in  Tausch  gibt,  befindet  sich  in  jedem  Orte  anch 
ein  SaUand;  Tr.  Sang.  822,  n.  621. 

^)  Nach  dem  Begistrum  Prumiense  waren  893  nngefthr  15*.,  des 
Prüm'schen  Besitzthums  Dominicalland.  Das  Kloster  Bleidenstadt  besass 
gegen  Ende  des  9.  Jahrh.  (soweit  sie  im  Summarium  et  registnim  bei  Will 
aufgeführt  sind)  bei  85  maus.  serv.  8  maus,  in  dominico.  Dagegen  hatte 
allerdings  das  Stift  Werden  noch  um  dieselbe  Zeit  nur  bei  den  in  FVankes 
gelegenen  Gütern  (die  curtis  Selbem  ausgenommen)  Salhöfe  and  Sal- 
ländereien. 


—    807    — 

Wirthschaft  der  Hauptkirche  einzufügen,  indem  man  ihnen 
aufti-ug,  den  Zehenten  und  die  Fuhren  dieser  abzuleisten^). 

Die  grössere  Ausdehnung  und  bessere  Einrichtung^)  welche 
während  dieser  Periode  auch  die  geistlichen  Herrenhöfe  er- 
hielten, ist  nur  ein  Beweis  für  das  grössere  Gewicht,  welche» 
man  diesen  Sitzen  des  wirthschaftlichen  Eigenbetriebs  beimass, 
die  zugleich  Mittelpunkte  gi*össerer  wiithschaftlicher  Gebiete 
waren.  Insbesondere  ist  diese  Ausdehnung  da  ei'sichtlich,  wo 
Culturen  oder  Wirthschaftszweige  [in  die  Domanialverwaltung 
einbezogen  wurden ,  welche  entweder  überhaupt  erst  neuerer 
Einfühning  waren,  wie  vieler  Oilen  die  Weinbei-ge *) ,  oder 
die  erst  bei  reicherer  Arbeitsgliedei-ung  zum  Bedürfhisse 
dieser  Gutswirthschaft  wurden,  wie  vielfach  die  Frauenhäuser 
mit  ihrer  Gewerbearbeit,  die  Mühlen  und  Schmieden^). 

So  sehr  auch  alle  diese  Umstände  die  steigende  Be- 
deutung des  Sallands  in  der  Kai'olingerzeit  erkennen  lassen, 
so  ist  es  doch  nicht  mit  Sicherheit  zu  erweisen,  in  wie  weit 
sich  dasselbe  vermehrt  und  damit  auf  die  Volkswii-thschaft  im 
Ganzen  gi'össeren  Einfluss  gewonnen  hat.  Nur  dann  ist  diess 
einigermassen  möglich,  wenn  es  gestattet  ist,  das  in  Hufen 
gelegene  Dominicalland  als  späteren  Zuwachs  zu  dem  alten 
HeiTengute  anzusehen^).    Der  Unterschied  zwischen  solchem 

• 

^)  Capit  Pist.  869  (LL.  I,  511)  c.  18:  de  terris  censalibas  et  po- 
testate  ecdesiae  saae  et  cultoris  indominicatis  et  absitatibus  et  manu  fir- 
matis  m%jor  ecdesia  decimam  redpiet,  similiter  de  camica  indominicata. 

^  Gn^rard  Irm.  I,  579  ff.  ImC.  Laur.  828,  n.  199  wird  ausdrücklich 
bervoigehoben :  1  mansns  indominicatas  cum  casa  optima  et  aliis  aedificüs. 
Vgl.  auch  die  EimichtuDg  der  Herrnhöfe  von  Staffelsee  (LL.  L  176  f.),  von 
Bergkirchen  (Meichelb.  I,  a  126).  Der  Steinbau  statt  des  älteren  Holz- 
baues wird  besonders  bei  diesen  angewendet;  vgl.  4.  Abschn.  Von  dem 
damit  zusammenhängenden  Burgenbau  Ed.  Pist.  864  c.  1,  LL.  I,  499. 

')  Lacombl.  Urk.  B.  874  I,  82  ff:  de  salaricia  vinea  sive  arabili 
terra;  —  de  salariciis  fratnim  vineis. 

*}  Tr.  Sang.  788,  n.  99:  casas,  cupinia,  spicarium,  curti  clausa  cum 
domibns,  edificiis  et  officinis,  earum  mandpiis  7.  Ekkehard  cas.  S.  Galli 
SL  890  SS.  11,  84:  ausser  andern  Gebäuden  tarra  avenis  (Haberdörre);  Ried 
c.  Ratbb.  974  I,  106:  curtem  cum  —  vineis  ac  vinitoribus  et  aureariis, 
agris,  pascuis  silvis,  aquis,  piscationibus,  molendinis. 

")  Schon  Anton,   Gesch.   der  deutschen  Landwirthschaft  I,  808,  ver- 

20» 


—    308    — 

Sallande,  das  entweder  gar  nicht  besonders  vermessen  oder 
nur  nach  der  Anzahl  seiner  Morgen  bestimmt  ist  und  den 
Salhufen ,  mansi  indominicati ,  ist  alleixlings  fortwährend  zu 
beobachten^);  und  zwar  fällt  es  auf,  dass  das  erstere  in 
früherer  Zeit  entschieden  häufiger,  ja  ursprünglich  vielleicht 
allein  vorgekommen  ist^).  Der  zu  solchem  Herrenhofe  ge- 
hörige Grundbesitz  ist  daher  auch  von  grösster  Verschiedenheit 
des  Ausmasses  und  in  vielen  Fällen  ungleich  grösser  als  dies5 
je  bei  gewöhnlichen  Hufen,  ja  selbst  als  es  bei  den  grossen 
Königshufen  vorkömmt').  Das  zu  den  Zins-  und  Benefidal- 
hufen  gehörige  Land  dagegen  ist  jedenfalls  bei  ihrer  ersten 
Vei'gabung  fest  bestimmt  und  die  Hufe  in  diesem  Aasmasse 
auch  eine  feste  Grösse  geworden,  obschon  zwischen  den  ein- 
zelnen Hufen  wieder  namhafte  Vei-schiedenheiten  der  dazu 
gehörigen  Morgen  bestanden^).  Da  also  nur  bei  den  aus- 
gethanen  Ländereien  ein  Bedürfhiss  bestand,  sie  in  Hufen  von 
bestimmter  Grösse  auszulegen,  so  drängt  sich  die  Vermuthnng 
auf,  dass  es  späteren  Zuwachs  zum  Salgute  bedeutet,   wenn 


mttthet  anter  der  casa  dominicata  des  königlichen  Fiskas  Treola  (LL.  l 
180)  ein  eingezognes  Bauerngat,  eineii  herrschaftlich  gewordenen  Ho£ 
Ebenso  rermuthet  er  II,  94,  dass  das  Salland  nicht  mit  yennesseD  wurde, 
als  diess  mit  den  übrigen  Hafen  und  Mansen  geschah. 

^)  Beispiele  eines  nicht  in  Hufen  liegenden  Sallands:  Tr.  Sang,  763^ 
n.  88;  ib.  764,  n.  42;  ib.  778,  n.  88;  ib.  804,  n.  179;  ib.  8d0,  n.  3S1; 
ib.  869,  n.  543;  ib.  877,  n.  602;  ib.  882,  n.  621.  SchOpfiin  Als.  iU.  807, 
I,  106:  Brev.  rer.  fisc.  812,  LL.  I,  176;  Mon.  Boic  840  XI,  106;  Brer. 
Erchamb.  ror  858  Mdchelb.  I,  a.  126.  Bouqu.  846,  Ym,  883  A.  Tr.  FokL 
c  43,  n.  4.  Goldast  Form.  28,  74.  Gerbert  bist  nigris.  silv.  866,  m,  a 
Dagegen  Salland  nach  Hufen  oder  Mansen  bestimmt  Tr.  Sang.  797,  d.  14S. 
0.  Laur.  830,  n.  2597;  ib.  839,  n.  2621;  ib.  863,  n.  34;  ib.  868,  n.  37. 
Mon.  Boic.  884,  Bd.  28  a  p.  74. 

')  Vgl  Antons  Yermuthung  (Gesch.  d.  deutschen  Landwirthscbift  H, 
94)  in  obenstehender  Anmerkung. 

»)  Tr.  Sang.  778,  n.  88  de  terra  salica  juchos  30.  Mon.  Boic.  840, 
XI,  108:  curtis  dominicata  . .  de  terra  arabili  jomales  130,  de  pratif  iM 
possunt  coUigi  de  feno  carrade  400.  Tr.  Fuld.  c.  43,  n.  4:  In  IsinesbeiiD 
(erre  salice  agri  122.  In  Medebach  terre  salice  57  agrorum.  In  Chtl- 
tebach  terre  salice  in  uno  campo  80  agri,  in  alio  90,  in  tercio  40. 

*)  S.  unten  S.  312  und  BeiL  No.  H. 


—    309    — 

zu  demselben  Hufen  gehören.    Und   diese  Vermuthung  wird 
dadurch  noch  gestützt,  dass  die  Grundheirschaft  vielfach  ge- 
nöthigt  war,  Hufen,  welche  nicht  regelmässig  mit  einem  Co- 
lonen bestiftet  werden  konnten  (mansi  absi),   einstweilen  mit 
den  Salländereien  auf  eigne   Rechnung  bewii-thschaften   zu 
lassen.    Auch  ohne  also  besetzte  Zinsgüter  einzuziehen,  konnte 
sich  durch  Einbeziehung  der  nicht  besetzten  Hufen  das  Do- 
fflioicalland  leicht  ei^weitem,  wo  man  es  nicht  vorzog,  diese 
in  getrennter  Verwaltung  zu  behalten,  bis  sich  wieder  Gelegen- 
heit zur  BeStiftung  ergab,   oder  neue  Foimen  der  Bewirth- 
schaftung  durch  Pächter  sich  einbürgerten.    Bei  solcher  Aus- 
dehnung des  Herrenlandes  aber  behielt  man  die  einmal  be- 
stehende wirthschaftliche  Einheit  der  Hufe  vielfach   bei,  wo 
sie  den  ökonomischen  Bedüiihissen  der  Gutsgliederung  ent- 
sprach, wie  man  sie  anderseits  zei*stückeln  und  der  sonstigen 
Anordnung  des  Sallands  einfügen  konnte^),    wo   dieses  mehr 
angezeigt  schien. 

Für  das  Dominicalland  der  Kirche  speciell  ist  das  Aus- 
mass  nach  Hufen  allerdings  zum  Theil  bestimmt  als  spätere 
Bildung  nachzuweisen.  Es  sind  jene  Hufen,  welche  den 
Kirchen  in  Sachsen,  in  Langobardien  und  sonst  zur  Ausstat- 
tung gegeben  und  von  den  Parochien  in  eigne  Vei*waltung 
genommen  wurden^).*  Hier  erweitei*t  sich  also  sichtlich  das 
Land,  welches  in  Selbstbewirthschaftung  durch  den  Grund- 
eigenthümer   gehalten    wurde,    auf  Kosten   des   abhängigen 


^)  C.  Laoresh.  782,  n.  707 :  2  mansos,  quonim  onus  in  ?ineam  redactus, 
alter  inhabitatur. 

*)  Capitolare  Paderbronnense  785  (LL.  I,  49)  c.  15:  De  minoribus 
capituÜB  coDseiiBerunt  omnes,  ad  unamquamque  ecclesiam  curte  et  duos 
maosos  terrae  pagenses  ad  ecclesiam  recurrentes  condonant  et  inter  120 
homineSy  nobiles  et  ingenuis  similiter  et  litos,  servum  et  ancillam  eidem 
ecclesiae  tribuant  Capit  Aquisgr.  817  (LL.  I,  207)  c.  10:  Sanccitum  est, 
at  nnicoiqae  ecdesiae  onus  mansus  integer  absqne  alio  servitio  adtribuatur 
und  Hlotharii  I.  const  Papienses  8^  (LL.  I,  360)  c.  1:  Qnod  n  forte  in 
aliquo  loco  aecclesia  sit  constmcta,  quae  tarnen  necessaria  Bit  et  nihil 
dotia  habaerit,  yolumus,  at  secondum  iussionem  domni  et  genitoris  nostri 
unus  mansas  cum  12  bunoariis  de  terra  arabili  ibi  detur  et  mancipia  2  a 
liberia  hominibus,  qui  ad  eandem  ecclesiam  officium  Dei  debeant  audire. 


—    810    — 

Grundbesitzes;  und  ein  ähnlicher  Vorgang  wird  bei  der 
Stiftung  der  vielverbreiteten  Bethäuser  (oratoria)  anzunehmen 
sein^);  aber  freilich  sind  solche  Dominicalhufen  nicht  ohne 
weiteres  als  Mehrung  des  Sallands  der  grossen  geistlichen 
GrundheiTu  anzusehen,  wenn  sie  auch  in  eine  gewisse  wirtb- 
schaftliche  Abhängigkeit  von  der  bischöflichen  oder  klöBter- 
lichen  Obrigkeit  gesetzt  wurden. 

Ist  aber  auch  hieraus  die  Erweiterung  des  Sallands  in 
dieser  Zeit  nicht  mit  Sicherheit  in  ihrem  ganzen  Umfange  zu 
bestimmen:  soviel  kann  doch  als  sicher  angenommen  werden, 
dass  die  Tendenz  der  grundheiTSchaftlichen  Entwickelung 
dieser  Zeit  eher  dahin  ging,  das  Salland  zu  vergriVssem  als  zu 
verkleinera.  Die  Zerschlagung  des  Herrnguts,  welche  im  west- 
lichen Frankenreiche  schon  im  9.  Jahrhundert  bedeutende 
Fortschritte  macht  ^),  ist  fQr  das  eigentliche  Deutschland  in 
dieser  Zeit  noch  nicht  zu  finden.  Wohl  sind  vielfach  aus 
alten  Eigengüteiii ,  welche  die  geistlichen  und  weltlichen 
Grossen  erwarben,  durch  die  wachsende  Uebermacht  des 
Grossgrundbesitzes  Zinsländereien  gebildet  und  damit  das  in 
eigner  Bewirthschaftung  des  Eigenthttmers  stehende  Land  ge- 
mindert worden  ^) ;  die  Concentration  des  Eigenthums  hatte 
nicht  immer  auch  eine  Concentration  des  Dominicallands, 
sondern  zunächst  eine  Verminderung  desselben  zur  Folge. 
Dafür  aber  dehnten  die  Ginindherm  ihr  Salland  durch  Rodung 
und  Cultui*  öder  Gründe,  durch  Einbeziehung  von  unbesetzten 
Hufen  und  Arrondirung  wieder  aus  und  dachten  noch  nicht 
daran,  auf  die  Vortheile  eines  steigenden  Bodenertrags  zu 
verzichten,  welche  ihnen  der  Eigenbetrieb  ihrer  Dominical- 
länder  in  Aussicht  stellte.     Eine  immer  gi*össei-e  Zahl  von 


»)  S.  0.  S.  295. 

*)  Gu^rard  Polyptique  de  PAbb^  Inninon  I,  494.  > 
»)  So  gibt  C.  Laur.  n.  3721  Ebur  an  das  Kloster  Lorach  einen  Tbeü 
seines  mansos  indominicatus  ad  aedificandum  domum  et  aream  constroen* 
dam  et  hortnm  faciendum.  Häufig  sind  die  FäUe  in  welchen  Salland  vsi- 
getragen  und  als  Beneficium  zurückempfangen  wird;  C.  Lauresh.  863  I,^ 
Tr.  Sang.  869,  n.  548,  wo  aber  die  mancipia  salica  dem  Geber  besonders 
Torbehalten  werden. 


—    311    — 

Landwirthen  ist  dadurch  allerdings  von  den  Vortheilen  der 
Selbstbewirthschaftung  des  Eigenthums  ausgeschlossen  worden; 
aber  innerhalb  der  grossen  Grundherrschaft  spielte  diese  eine 
um  so  grössere  Rolle,  die  bei  dem  dringenden  Bedürfhiss  einer 
besseren  volkswiiihschaftlichen  Organisation,  das  nur  von  diesen 
befriedigt  werden  konnte,  auch  für  die  ganze  Entwickelung 
des  wirthschafüichen  Lebens  von  entschiedenem  Vortheile  ge- 
wesen ist. 

Ihre  volle  Bedeutung  aber  erhielt  diese  Domanialwirth- 
schaft  doch  erst  durch  die  Veränderungen,  welche  gleichzeitig 
die  alte  Hufenordnung  der  Zins-  und  Dienstgttter  zu  ergreifen 
begannen ,  und  mit  der  Ausbildung  des  Yillensystems,  wie  es 
Karl  d.  Gr.  so  genial  vorgezeichnet  und  die  spätere  Zeit  all- 
mälig  zur  vollen  Entwickelung  gebracht  hat.  Denn  ei-st  damit 
gewinnt  der  Herrenhof  nicht  bloss  eine  ökonomische  lieber- 
legenheit  über  die  dienenden  Güter  und  den  Vorzug,  eine 
hervorragende  Quelle  der  Bodenrente  zu  sein;  er  wird  nun 
geradezu  das  Haupt  aller  der  kleinen  Wirthschaften ,  die  mit 
ihrem  Fruchtanbau  und  ihren  Arbeitskräften  von  der  Wirth- 
schaft  des  herrschenden  Hofes  abhängig,  in  der  Mannigfaltig- 
keit ihrer  speciellen  Einrichtung  nur  als  Theile  eines  grossen 
wohl  organisirten  Ganzen,  nicht  mehr  als  selbständige  in  sich 
abgeschlossne  Wirthschaften  in  Betracht  und  Geltung  kamen. 

Die  Karolingei-zeit  hat  in  Deutschland  das  Hufensystem 
im  Wesentlichen  noch  intakt  überkommen.  Seine  Wurzeln 
hat  dasselbe  jedenfalls  schon  in  der  Zeit  der  definitiven  Land- 
vertheilung  bei  der  letzten  bleibenden  Besiedelung  des  Landes 
durch  die  Deutschen,  wenn  auch  die  erste  urkundliche  Er- 
wähnung des  Mansus  sich  erst  475  im  Testament  des  Bischof 
Perpetuus  von  Tour  findet  ^).  Die  Hufe  war  damach  immer 
ein  Grundbesitz  von  solcher  Ausdehnung,  dass  eine  Familie 
auf  demselben  beschäftigt  war,  ihre  Nahrung  und  die  Mittel 
zur  Behauptung  ihrer  socialen  und  öffentlichen  Stellung  finden 


^)  Pardessus  Dipl.  I,  49.  Waitz,  altdeutsche  Hofe  S.  9—12  gibt 
weitere  Beispiele  alten  Vorkommens.  Sowohl  in  den  Weissenborger  als 
in  den  Sangallner  Traditionen  findet  sich  die  Hufe  schon  sehr  firühzeitig; 
Tr.  Wizz.695-711,  n.  228;  Tr.  Sang.  720—737  n.  4. 


—    312    — 

konnte.  Die  einzelnen  Hufen  wurden  daher  anch  einander 
gleich werthig  gehalten,  obwohl  sie  der  Verschiedenheit  der 
Lage  und  Güte  der  Grundstücke  gemflss,  von  sehr  verschiedner 
Grösse  sein  konnten;  ja  erst  durch  diese  Verschiedenh^t  des 
räumlichen  Ausmasses  kam  die  volkswirthschaftliche  Gleichheit 
derselben  recht  zur  Geltung.  Doch  ist  schon  frühzeitig  das 
Bedürfhiss  vielfach  hervorgetreten,  die  Hufen  nach  der  Morgen- 
zahl  zu  messen,  theils  um  eine  bestimmte  Gleichmässigkeit 
bei  Vertheilungen  0,  Veitauschungen  oder  Bemessung  öffent- 
licher oder  markgenossenschaftlicher  Lasten  und  Rechte  durch- 
zuführen, theils  aber  insbesondere  um  darnach  die  Zinsen  und 
Dienste  zu  bemessen,  welche  man  den  an  Colonen  ausgethanen 
Hufen  auflegen  konnte*). 

So  hat  dann  die  dem  praktischen  Bedürfiiisse  der  öffent- 
lichen oder  herrschaftlichen  Ordnung  besser  entsprechende 
mehr  äusserliche  Messung  der  Landgüter  das  Uebergewicht 
über  die  auf  der  innein  ökonomischen  Beschaffenheit  derselben 
begiUndete  Bewerthung  der  Hufe  erlangt;  und  es  verband 
sich  mit  dem  Begriff  der  Hufe  die  Vorstellung  einer  bestimm- 


^)  Hierfür  ist  eine  SteUe  des  VTestgothigchen  Rechts  (X,  1, 14)  dunk- 
teristisch,  welche  auch  die  VorsteUung  einer  solchen  wirthschaftlichen  Einheit 
des  aratrom  (Pfloglandes  ^  Hufe)  zeigt  Wenn  aber  die  Richtigkeit  der 
Landtheilung  zwischen  Gothen  and  Römern  Streit  entsteht:  tone  si  8q>erest 
ipse  qui  praestitit,  aut,  si  certe  mortuus  fnerit,  eins  heredes  praeheant  8a> 
cramenta  . . .  Si  vero  consortes  eins  non  dignentor  iurare  ant  forte  noln- 
erint:  Tel  aliquam  dubietatem  habnerint,  quantum  Tel  ipsi  dederint  Tel 
antecessores  eorum:  ipsi  ut  animas  suas  non  condempnent,  nee  sacra- 
uentum  praestent:  sed  ad  tota  aratra,  quantum  ipsi  Tel  parentes  eofnm 
in  sua  sorte  susceperant,  per  singula  aratra  50  aripennes  dare  debent 
£a  tarnen  conditione,  ut  quantum  occupatum  habuerint  Tel  cultum,  mixti 
50  aripennes  condudant  Erst  im  Streitfiedle  also  wird  der  AntheÜ  am 
Pfluglande  ausgemessen,  damit  aber  auch  der  Hufe  eine  feste  MorgeosrOsse 
gegeben.  Vgl.  Meitzen,  die  Ausbreitung  der  Deutschen  S.  14.  Da  der 
Gothe  Vsf  der  Römer  ^/s  des  Pfluglands  erhielt,  so  wftre  damit  das  aiatnim 
auf  75  oder  auf  150  aripennes  d.  i.  S7Vf  oder  75  jugera  zu  berechnen,  je 
nachdem,  was  im  Gesetz  nicht  deutlich  ist,  der  Antheil  des  einen  oder 
des  andern  ausgemessen  wurde. 

')  D^er  später  bei  den. Zinseshufen  so  h&ufig  die  MoigensaU  als 
feste  Grösse  gar  nicht  genannt  ist 


—    818    — 

ten  Morgenanzahl  ^),  die  freilich  je  nach  der  Oertlichkeit  und 
Landesgewohnheit  immer  sehr  verschieden  blieb,  wie  ja  auch 
die  Grösse  der  Morgen  nach  Gegend  und  Ortschaft  wechselte. 

Im  Laufe  des  8.  Jahrhunderts  mehren  sich  auch  in 
Deutschland  schon  die  Beispiele  einer  Theilung  der  Hufe'); 
auch  der  Besitz  einzelner  kleiner  Güter,  einer  Casate  mit 
wenigen  Morgen  wird  schon  häufiger;  ebenso  aber  wuchs 
manches  Feld  durch  originären  oder  abgeleiteten  Erwerb  der 
Hufe  zu.  Natürlich  war  das  häufiger  bei  dem  Besitz  der 
Grossbegüterten,  die  ihre  Güter  schon  anfingen  Toränderten 
wirthschaftlichen  Anforderungen  und  Verhältnissen  gemäss 
einzurichten^);  die  Hufen  der  kleinen  freien  Grundbesitzer  da- 
gegen verblieben  doch  zumeist  noch  auf  dem  alten  Fusse. 
Als  sie  aber  einmal  von  den  organisirenden  Tendenzen  der 
grossen  Grundherrn  ergriffen,  und  diese  für  die  Ordnung  der 
Agrarverfassung  immer  massgebender  wurden,  da  verlor  auch 
die  Hufe  immer  mehr  ihre  Bedeutung  und  die  Dauerhaftigkeit 
ihres  Bestandes. 

Im  Anfange  dieser  Entwickelung  zwar  ist  die  Hufe  auch 
im  grundherrschaftlichen  Verbände  erkennbare  Grundlage  der 
Güteranordnung.  Als  das  noimale  Mass  des  zum  Unterhalte 
einer  Familie  nothwendigen  Ginindbesitzes  war  sie  durch 
Schenkung  und  Auftragung,  durch  Kauf  und  Tausch  in  den 
Wirthsehaftsbereich  der  Grundherrschaft  getreten;  in  diesem 
Ansmasse  konnte ,  ja  musste  '  sie  beibehalten  werden  ^),    so 


')  Sie  heissen  dann  oft  geradezu  legitimae  C.  Laur.  854,  n.  110: 
cortem  dominicalem  com  sua  huba  legitima  et  alteram  serrilem  cum  sna 
haba  et  in  H.  duas  cortes  serviles  cum  suis  hubis  legitimis;  oder  plenae 
Tr.  Sang.  875,  n.  586:  1  hobam  plenam  de  terra  culta. 

*)  Cod.  Laur.  792,  n.  215:  2  hubas  et  1  mansum  dimidium  ib.  787, 
n.  346:  nnam  petiolam  de  manso  ib.  768,  n.  8300:  mansos  2  et  dimidium; 
ib.  775,  n.  2756:  dimidiam  hubam  et  12  jumales;  ib.  801,  n.  2746:  mansum 
dimidiom  et  12  jum;  ib.  819,  n.  2754  quartam  partem  unins  mansi. 

*)  Vgl.  1.  AbschniU  S.  215. 

^)  Aul  bestimmtes  Ausmass  der  dienenden  Hufe  deutet  auch  der 
Ausdruck  sortes  serviles  in  G.  Laur.  757,  n.  697;  ib.  767,  n.  812:  servum 
1  et  mansum  1,  in  quo  ipse  manet,  cum  sorte  sua  ib.  766,  n.  947;  770, 
n.  537.    Aehnlich  heisst  es  auch  in  Urk.  Arnulfs  888    Sinnacher,    Bei- 


—    314    — 

lange  die  Grundheii'schaft  davon  nur  Zins  und  Dienste 
heischte ;  als  sie  aber  anfing,  auf  die  Wirthschaftsftkhrung  der 
Hufe  bestimmend  einzuwirken,  durch  Ausstattung  mit  Inventar, 
Zutheilung  von  Wiesen  und  Waldtheilen  sie  ertragfähiger  zu 
machen,  da  war  es  möglich,  von  dieser  Grundlage  abzugehen 
und  den  dienenden  Besitz  veränderten  wirthschafflichen  Be- 
dürfhissen entsprechend  einzurichten.  Hatte  die  ältere  Zeit 
in  diesem  Falle  vomemlich  an  die  Steigerung  der  Lasten  ge- 
dacht, so  wai*d  nunmehr  die  Verkleinerung  des  Bestandes  und 
damit  die  Vermehrung  der  dienenden  Wirthschaften  die  BegeL 

Seit  die  dienenden  Mausen  auf  diese  Weise  in  mannig- 
fache ökonomische  Abhängigkeit  von  der  Gutswirthschaft  ihres 
Herrn  auch  in  Bezug  auf  ihre  Wirthschaftsfllhrung  gekommen 
waren,   lagen   auch   die   Bedingungen   der  Erhaltung   dner 
Familie  anders.    Die  Pflichtigen  mussten  Theile  ihrer  Arbeits- 
kraft wie  ihrer  Producte  der  Hen-schaft  abtreten;  sie  erhielten 
dafQr  schon  durch  die  blosse  Organisation,   aber  auch  un- 
mittelbar manche  Förderung  un^  Unterstützung,  wodurch  das 
Ergebniss   der   Bewirthschaftung   gesteigert   wurde  ^).     Eine 
verhältnissmässig  reich  entwickelte  Arbeitstheilung  liess  jede 
persönliche  Fähigkeit  mehr  zur  Geltung  konunen,  als  diess 
bei  der  Isolirung  in   der  alten  Markgenossenschaft  mö^ch 
war.    Je  nach  der  Bolle,  welche  der  Einzelne  im  henschaft- 
lichen  Verbände  übernommen  hatte ,  war  also  auch  das  Mass 
des  Besitzes  verschieden,  der  ihm  für  seinen  Unterhalt  notb- 
wendig  war;  und  so  konnte  die  Grundherrschaft  nicht  bloss 
an  eine  neue  Gestaltung  der  bäuerlichen  Güter  denken,  sondern 
sie  war  dazu  sogar  gedrängt,  wenn  sie  überhaupt  das  Prinzip 
der  Wirthschaftlichkeit  vollinhaltlich  zur  Anwendung  bringen 
wollte. 

So  entstanden  jene  Vei'schiedenheiten  der  Hufe ,  die  nnr 
mit  Hinblick  auf  das  Wirthschaftsganze ,  dem  sie  eingefügt 
waren,  eine  volle  Erklärung  finden ;  die  grösseren  Herrenhofen. 


träge  z.  Gesch.  der  bischöflichen  Kirche  S&ben  und  Brisen,  L  BäL  b.  22: 
in  loco  Fellis  nuncupato  8  hobas  tales  qoales  in  eisdem  locis  serfi  litbo« 
soliti  sunt. 

')  Vgl.  4.  Abschnitt 


—    815    — 

welche  in  die  eigne  Verwaltung  der  GrundheiTn  einbezogen, 
die  doppelte  Arbeitskraft  der  leibeignen  Hofdiener  und  der 
fronpflichtigen  Zinsbauern  zur  Vei*fttgung  hatten ;  die  kleineren 
Zinseshufen,  auf  denen  Ja  nicht  mehr  die  volle  Arbeitskraft 
einer  Familie  verwendet  werden  konnte,  die  zugleich  auf  dem 
HeiTenlande  Frondienste  zu  vei-sehen  hatte.  Grosse  Zinshufen 
aber  auch,  welche  ihrerseits  wieder  leibeigne  Arbeiter  im 
Dienst  des  darauf  gesetzten  Zinsbauem  verwendeten^);  und 
anderseits  jene  kleinen  Bauerngüter  von  Colonen  und  Leib- 
eignen, welche  zu  bestimmten  gewerblichen  Vemchtungen 
verpflichtet,  den  landwirthschaftlichen  Betrieb  auf  ihren  Grund- 
stücken nur  als  Nebenbeschäftigung  versehen  konnten'). 

Auch  die  Bildung  besondei*er  Waldhufen  war  ein  weiteres 
Moment  zur  Auflösung  der  alten  Hufenverfassung.  In  den 
grossen  Waldgebieten,  Qber  welche  vornemlich  die  königliche 
Gewalt  herrschte,  sowie  in  den  entvölkerten  östlichen  Gebieten, 
welche  durch  Karl  d.  Gr.  den  Slaven  und  Avaren  abgenommen 
waren,  wurde  eine  Colonisation  durchgeführt,  welche  in  der 
Lage  war,  die  Unregelmässigkeit  und  die  Nachtheile  der  altem 
Flurverfassung  zu  veimeiden  und  eine  nach  streng  wiith- 
scfaaftlichen  Gesichtspunkten  durchgeführte  Anlage  der  Oi*t- 
schaften  und  ihrer  Flurvertheilung  im  Auge  zu  fassen.  Bereits 
im  8.  Jahrhundert  finden  sich  solche  Waldhufen  im  Oden- 
wald^);   auch  die  Waldculturen  im  Spessart*),    im  Schwarz- 


^)  Breviar.  Erchamberti  Meichelb.  la.  126:  mansos  2  vestitos,  inter 
illos  continentar  mancipia  10.    Cod.  Fuld.  797,  n.144:  dono  seryom  menm  | 

cum  mancipiis  suis   et  com  omni  elaboratu  eoram.    Vgl.  auch  Tr.  Fuld. 
c.  48 :  Iste  smit  ÜEuniliae  lidoram  . . .  Gerolt  et   uzor  cam  6  filiis  et  uno  j 

BerTO  et  sua  prole.    Ruther  cum  2  mancipiis  u.  o.  | 

^)  Wirt.  Urk.  B.  848,  I,  125  exceptis  beneficiis  piscatomm    S.  4.  Ab-  , 

schnitt 

')  Das  in  der  Grenzbeschreibnng  der  Mark  Heppenheim  von  773  und 
und  795  (Cod.  Lauresh.  n.  6)  genannte  Dorf  Unterabtsteinach,  sowie  die 
Dörfer  Gammelsbach,  Ober-  und  Unteressensbach,  Finkenbach  und  Wald- 
michelsbach liegen  in  Waldhufen ;  Meitzen,  die  Ausbreitung  der  Deutschen, 

S.  29. 

*)  C.  Fiüd,  837,  n.  655. 


—    316    — 

wald  ^),  den  Vogesen  *)  und  Ardennen  und  in  andern  Gegen- 
den ^)  reichen  wahrscheinlich  vielfach  bis  in  diese  Zeit  binanl 
Von  dort  verbreiteten  sie  sich  seit  dem  9.  Jahrhundert  über 
die  östlichen  Marken  des  Reiches,  in  welchen  sie  in  der  fol- 
genden Zeit  sehr  grosse  Ausdehnung  erhielten^).  Ja  es 
wurden  daselbst  später  auch  ältere  slavische  Ortschaften  in 
Beneficialhufen  mit  dem  Charakter  der  Waldhufen  umge- 
wandelt *). 

Die  EigenthQmlichkeiten  dieser  Waldhufen  sind  theils  in 
ihrer  grossen  Morgenzahl,  theils  in  dem  Zusammenhange  za 
sehen,  in  welchem  sie  zu  einander  stehen.  Die  Waldhufe, 
welche  auf  königlichem  Boden,  oder  mit  königlicher  Erlaubniss 
angelegt  wurde,  war  mit  der  virga  regalis  gemessen,  welche 
um  8 — 5  Fuss  grösser  als  die  gewöhnliche  Ruthe  war^,  und 
so  ergab  sich  für  die  Hufe  selbst  eine  gewöhnliche  Grösse 
von  60  jugera  gegen  SO  einer  gewöhnlichen  Landhufe  ^).    Es 


')  Cless,  Versuch  einer  Landes-  xl  CuIturgesclL  von  Wfirtemberg  1, 122. 

*)  ürk.  Lndw.  822  Bouqu.  6,  648,  n.  30. 

')  Die  Freimansen  in  Ahe,  Honlar  und  Yilantia  (Registr.  Pirasiiense 
898)  sind  solche  Waldhufen;  ygl.  Gaesarius  zum  Reg.:  Mann  ingenoalea 
sunt  qui  jacent  in  Ardenna . . .  quilibet  istorum  mansorum  habet  160  ior 
nales  terrae,  quos  appellamus  vulgariter  Eunihkeshuve.  S.  die  ireiteren 
Beispiele  unten. 

*)  Schon  aus  der  Karolingerzeit  sind  die  Nachrichten  hierüber  vkiA 
selten:  811  Boczek  C.  dipl.  MoraT.  I,  8  Qber  40  mansus  in  Awaiia.  846 
Erben,  reg.  über  8  mansus  in  terra  Slayorum  qui  sedent  inter  Moinam  e^ 
Bedantiam  fluvios.  865  lu?.  Anh.  99:  Concessimus  (Ludov.  res)  qaasdaD 
res  proprietatis  nostre  in  Pannonia  . .  de  terra  exarata,  parata  scüicet  ad 
arandum,  mansos  integres  8,  id  est  ad  unamquamque'coloniam  jugera  90 
et  de  Silva  undique  in  gyrum  scilicet  ac  per  omnes  partes,  miliarinm  nnoB 
cum  terris  pratis,  pascuis,  aquis  etc.  888  ib.  79:  In  pago  Salvelda  ii 
loco  R.  dicto  hobas  regias  9  cum  maneipiis.  895  Boczek  I,  58  über  8 
regales  mansos  in  Richenberg  (a.  d.  Save). 

*)  Vgl.  Meitzen  a.  a.  0.  S.  Sdff. 

')  Das  Mass  der  Tirga  regalis  bestimmt  tdch  auf  15  Fuss  (4,  Met) 
gegen  10—12  Fuss  der  gewöhnlichen  Ruthe.    Meitzen  a.  a.  0.  28  f. 

^)  Diese  80  jugera  sind  allerdings  eine  durchaus  nicht  überall  lo« 
treffende  Grösse  der  Landhufe,  aber  doch  immerhin  für  die  Karoliogerttit 
wenigstens  das  am  häufigsten  vorkommende  Ausmass  der  Yollhnfe.   Dm 


—    317    — 

mass  dabei  dahingestellt  bleiben,  ob  dieses  grössere  Mass  der 
Hofe  nur  mit  BQcksicht  auf  den  oifenbar  extensiveren  Betrieb 
der  Waldcolonien  angewendet  wurde,  oder  ob  die  yirga  regalis 
überhaupt  zum  Ausmass  königlicher  GQter  verwendet  war. 
Da  aber   bei  diesen  gi-össeren  Colonisationsuntemehmungen 
immer  viele  Hufen  zugleich  auf  dem  Wald-  oder  Moorboden 
angelegt  wurden,  so  ergab  sich  die  Anordnung  der  Hufen  mit 
Rücksicht  auf  das  wirthschafUiche  Bedürfhiss  von  selbst    Statt 
der  unregelmässigen  Gehöftanlage  der  alten  Dörfer  findet  sich 
daher  bei  diesen  Waldcolonien  eine  regelmässige  Aneinander- 
reihung der  Höfe  dem  Bache  entlang  in  weitläufiger  Strasse. 
An  jeden  Hof  schliesst  sich  dann   das  Bauland  in  ununter- 
brochnem  Zusammenhang;  in  langen  Streifen  reicht  es  bis  an 
die  Grenze  der  Gemarkung,   wo  der  zu  der  Hufe  gehörige 
Waldtheil    den   Abschluss    des   Besitzthums   bildet      Seine 
Richtung  ist  zumeist  nach  der  Bequemlichkeit  des  Weges  be- 
stimmt,   der  von  dem  Hofe  aus  zu  allen  Theilen  der  Hufe 
möglich  ist.    Die  Vertheilung  von  Ackerland,   Wiese,   Weide 
und  Wald  ist  wohl  zunächst  von  der  Natur  des  Bodens  ab- 
hängig gewesen;  doch  ist  die  Lage  der  Wiesen  in  den  Thal- 
gründen,  weiter  hinauf  am  Abhang  der  Aecker  und  an  den 
Endpunkten  der  Weiden  und  Wälder  der  Natur  der  Sache 


grossen  Waldhufen  yon  60  jugera  sind  besonders  bezeugt:  807  C.  Lauresh. 
D.  3420;  1  mansus  et  126  jumales  de  terra  arab.  et  pratom  ad  13  car. 
861  Tr.  Sang.  479  vom  Linsgan;  1  basilicam  et  casam  cum  curte  ceterisque 
edifidis  et  de  terra  culta  60  jugera  in  foraste  iacentia.  Mon.  Boic.  IX, 
360:  predium  cum  curtifero  et  arabili  terra  pratisque  necnon  cum  lignorum 
copia  jag.  60.  892  Eccard  bist.  gen.  Princ  Saxon.  I,  288:  in  Nieder- 
sacfasen  mansos  80  tantae  magnitudinis,  ut  unusquisque  mansus  jugera  60 
habebat  in  mensura.  Sogar  90  jugera  kommen  vor:  865  luvav.  Anb.  99 
IL  100:  8.  O.Anmerkung  n.  4.  Vor  924  Mdcbelb.  Ib.  987:  coloniae  5  ad 
unamquamque  jugera  90  pertinentes.  Von  den  Eönigshufen  in  den  Ar- 
dennen  berichtet  Caesarius  (s.  o.  Anm.  3),  dass  sie  160  jumales  (2  jum. 
gleich  1  jngerum)  gross  waren;  im  Begistmm  Prumiense  selbst  ist  nur 
bei  einigen  culturae  von  Yilantia  die  Grösse  durch  die  Aussaat  ?on  400 
modii  avenae  angedeutet;  reebnen  wir  2.4  modius  Hafer  als  Saatbedarf  fttr 
1  jumal.,  so  ergibt  die  Rechnung  166  jumales  f&r  1  solche  cultura,  die 
also  mit  der  Königshufe  ziemlich  übereinstimmt. 


—    318    — 

nach  am  häufigsten^).  Auch  die  Mai'sch-  und  Hagenhufen, 
welche  in  Holland,  in  den  Hamburger  und  Holsteiner  Marschen 
und  längs  der  ganzen  Ostseeküste  seit  den  Zeiten  ihrer  Ent- 
wässerung und  Golonisation  vorkommen,  tragen  einen  ähn- 
lichen Charakter  an  sich,  und  sind  in  ihren  Anfangen  wohl 
auch  schon  auf  die  Zeit  zurückzuführen,  in  welcher  (unter 
Karl  d.  Gr.?)  die  Seedeiche  zur  Nutzung  des  trocken  ge- 
legten Landes  ausgeführt  wurden^). 

Oekonomiseh  müssen  alle  diese  Hufenanlagen  den  Einzel- 
höfen zugezählt  werden,  da  sie  einen  zusammenhängenden 
und  aiTondirten  Grundbesitz  bilden  und  die  Gehöfte  auf  dem- 
selben stehen^),  wenn  diese  auch  gemäss  dem  Parallelismus 
in  der  Anlage  der  Feldflur,  benachbart  an  langer  Strasse 
oder  in  unregelmässigen  Ginippen,  die  einen  höher,  die  andern 
tiefer  beisammenstehen.  Und  es  scheint  auch  keinem  Zweifel 
unterworfen,  dass  die  ökonomischen  Voitheile,  welche  das 
Hofsystem  für  den  Anbau  und  die  Selbständigkeit  der  Wirth- 
schaftsführung  mit  sich  brachte,  schon  fiür  die  Anlage  mass- 
gebend gewesen  sind.  Denn  der  ökonomische  Zweck  derselbea 
die  Gewinnung  einer  steigenden  Bodenrente  aus  bisher  un- 
cultivirtem  Lande  ^)  war  doch  nur  dann  sicher  zu  erreichen, 
wenn  den  Golonisten  von  voraherein  jene  Freiheit  der  Wirth- 
schaftsführung ,  jene  Benutzung  der  Erfahrungen  verbesserter 
Technik  und  Betriebsweise  eingeräumt  war,  wie  sie  bei  der 


^)  Vgl.  y.  Jacobi,  Agrarwesen  des  altenbargischen  Osterlandee.  Hlostr. 
Zeitung  1845.  Landaa,  Territorien  S.  21  ff.  yon  der  EönigBhiife.  Mätieit 
die  Aosbreitong  der  Deutschen,  S.  26  ff. 

>)  Landau  a.  a.  0.  S.  24ff.  Meitzen  a.  a.  0.  S.  81.  Vielleicht  and 
auch  schon  die  holländischen  Mausen  des  Klosters  Prüm,  welche  och 
durch  besonders  geringe  Abgaben  yon  den  übrigen  unterscheiden,  sokbt 
Marschhufen.    Reg.  Prüm.  97—103. 

*)  Landau  S.  22  u.  24.  Meine},yUntersuchungen  über  das  Hoftysteo  im 
Mittelalter""  S.  75  und  Haussen  in  Göttinger  gel.  Anzeigen  1878,  S.  924i 

*)  Dieser  ist  mit  grosser  Deutlichkeit  ausgesprochen  im  0^>.  Aqnisgr^ 
818  (LL.  I,  189)  c.  19:  In  forestis  mansum  rc^e  et  ibi  Tirana  com 
pisces  et  homines  ibi  maneant.  Et  plantent  vineas,  &dant  pomam  et 
ubicunque  inveniunt  utiles  homines,  detur  iUis  silra  ad  stiipaodum,  ot 
nostmm  servitium  immelioretur. 


-    819    — 

Gemengelage  der  Felder  im  alten  Dorfsystem  nie  zur  Geltung 
kommen  konnte.  Auch  war  ja  gar  keine  Nöthigung  vor- 
handen, Verhältnisse  wie  sie  sich  im  Dorfsystem  historisch 
gestaltet  und  mit  innerer  Nothwendigkeit  aus  ursprünglicher 
Feldgemeinschaft  noch  den  Flurzwang  und  die  gemeine  Feld- 
weide beibehalten  hatten,  hier  auf  neuen  Culturanlagen  künst- 
lich zu  schaffen.  Und  überdiess  waren  als  Golonisten  doch 
vorwiegend  nur  landlose  Freie  ^),  deren  Anzahl  sich  immer 
mehrte,  oder  freigewordne  Leibeigne  zu  gewinnen,  denen  die 
Grundherrschaft  einen  feldgemeinschaftlichen  Zwang  aufzu- 
erlegen füglich  Abstand  nehmen  musste ;  nur  in  der  BefL*eiung 
aus  den  lästigen  Fesseln  desselben  und  in  der  Gewährung 
gi'össerer  Unabhängigkeit  nebst  anderen  besonderen  wiilh- 
schaftlichen  Yortheilen,  welche  die  Neuanlage  bot,  war  genü- 
gender Anreiz  vorhanden,  um  die  begehrten  Arbeitskräfte  für 
die  beabsichtigte  Ausdehnung  des  Culturlands  der  Grund- 
herrschaft zu  finden. 

So  ist  also  schon  durch  die  Anlegung  solcher  Wald-  oder 
Moorkolonien  auf  bisher  gänzlich  unbebautem  Boden  der 
Charakter  der  bisherigen  Agi*arverfassung  in  beträchtlichen 
Theilen  des  Landes  verändert  worden.  Wir  werden  aber 
nicht  fehl  gehen,  wenn  wir  annehmen,  dass  auch  die  bestehende 
Hufenverfassung  vielfach  von  diesen  neuen  Anlagen  ang^riffen 
wurde.  Zwar  fehlt  es  dieser  Zeit  an  ausdrücklichen  Zeug- 
nissen für  die  Umwandlung  von  im  Gemenge  gelegenen  Fluren 
in  arrondirte  Wald-  oder  Hagenhufen,  wie  sie  beispielsweise 
aus  der  folgenden  Periode  in  den  mit  Deutschen  besiedelten 
^^lavischen  Dörfern  häufig  werden.  Aber  es  sind  doch  ver- 
schiedne  bestimmte  Anzeichen  vorhanden,  dass  die  GrundheiTU 
die  Waldhufen  in  solchen  Gegenden,  in  denen  sie  auf  altem 
Marklande  einer  Dorfgemeinde  solch  neue  Colonien  anlegten, 
auf  Kosten  der  alten  Dorf hufen  vermehrten.  Theils  war  es 
durch  Austausch  von  Hufen  und  einzelnen  Morgen  oder  Acker- 
stücken möglich,  die  Feldflur  neuer  Ansiedelungen  zu  erweiteni 


^)  So  waren  die  Königshafen  des  Klosters  Prüm  in  den  Ardennen 
lauter  mansi  ingenuiles;  Mittelrh.  Urkb.  1,  S.  144.    Landaa  a.  a.  0  S.  27. 


—    320    — 

oder  die  Hufengrösse  zu  verändern  ^) ;  theils  gab  die  Zerschla- 
gung der  alten  Hufen  Gel^nheit  zu  ihi*er  Neubildung  nach 
den  ökonomischen  Gesichtspunkten,  welche  bei  der  Anlegung 
der  Waldhufen  massgebend  gewesen  sind. 

Alle  diese  Veränderungen  zusammen,  die  Arrondimog, 
die  Ausscheidung  des  Sallandes  von  dem  Zinslande,  die  Hu- 
fentheilung  und  die  Neubildung  von  Bauerngütern  haben  ftr 
die  grossen  Grundherrschaften  die  Nothwendigkeit  einer  besse- 
ren Organisation  ihres  ganzen  Besitzthums,  eines  festere  Ge- 
fdges  ihrer  wirthschafüichen  Verwaltung  erzeugt.  Es  wurde 
allmälig  unmöglich,  von  dem  Sitze  der  Herrschaft,  dem  Haapt- 
hofe  aus  alle  Verhältnisse  der  in  Eigenbau  oder  Zinsbau  stdien- 
den  Güter  zu  überschauen ,  ihren  Betrieb  zu  regeln  und  zn 
überwachen.  Es  ward  nothwendig,  die  Leistungen  der  Pflich- 
tigen Hufen  nach  Massgabe  ihrer  concreten  Leistungsfähigkeit 
genauer  zu  controliren  und  ihren  Producten  durch  die  Art 
der  Abliefeiiing,  ihrer  Arbeitskraft  durch  Zuweisung  eines 
geeigneten  Arbeitsfeldes  eine  bessere  Verwerthung  zu  sichern. 
Denn  die  schwerfälligen  Formen  der  Naturalwirthschaft,  die 
Voluminosität  ihrer  Producte  und  der  Mangel  an  Verkehrs- 
wegen und  Transportmitteln,  endlich  die  geringe  Ausbildung 
geordneter  Marktverhältnisse  liess  es  bald  als  unthunlich  und 
auch  ökonomisch  höchst  unvoilheilhaft  erscheinen,  alle  Abgaben 
der  dienenden  Güter  am  Haupthofe  anzusammeln  und  eist 
von  hier  aus  eine  Verwendung  für  dieselben  aufzusuchen,  die 
doch  oft  die  nämlichen  Wege  wieder  hätten  gehen  müssen, 
von  denen  eben  die  Producte  hergekommen  waren.  Und  auch 
über   die  Frondienste   und    sonstigen  Arbeitsleistungen  der 


^)  Hieher  gehört  sicher  der  Tausch  des  Klosters  Fulda  mit  dem  Gra- 
fen Boppo,  welcher  11  mansos  in  vüla  Tharehedingas  erhält  gegen  ei&ai 
umgrenzten  Waldbezirk  im  Spessart,  der  gewiss  nicht  bloss  als  Wald  ge- 
nutzt, sondern  auch  in  Hufen  gelegt  war-,  C.  Fuld.  n.  655  com  J.  SSo 
gehörig;  Tgl.  Sickel  II,  201.  £benso  Tr.  Sang.  889  n.  381,  wo  zu  je  2 
Landhufen  8  Waldhufen  eingetauscht  werden ;  Tr.  Sang.  861,  n.  479.  C. 
Laur.  868,  n.  2575  werden  getauscht  1  mansus  et  junudes  120  etpratom  1 
gegen  1  mansus  et  junudes  174  et  bifangum  1  ad  jum.  14  et  prata  5. 
Cod.  Lauresh.  885,  n.  2278  u.  o. 


—    321     — 

Pflichtigen  war  von  dem  Haupthofe  aus  bald  nicht  mehr  mit 
jener  Sicherheit  und  jenem  Ueberblick  zu  disponiren,  die  eine 
vollständige  Ausnutzung  der  zu  Gebote  stehenden  Arbeits- 
kräfte sicher  gestellt  hätten. 

So  entstand  das  BedQrfhiss  nach  einer  ökonomischen 
Gliederung  des  ganzen  Herrschaftsgebietes  in  eine  Reihe  von 
selbständigen  Verwaltungen,  welche  bei  aller  Aufrechterhal- 
tung der  principiellen  Einheit  der  Wirthschaft  doch  als  locale 
Centren  die  wichtigsten  Aufgaben  der  Gutswirthschaft  jede 
für  sich  besorgte. 

Am  grossartigsten  und  vollständigsten  hat  Karl  d.  Gr. 
selbst  diese  wichtige  organisatorische  Aufgabe  auf  seinen 
eignen  Herrschaften  gelöst  ^).  Das  ganze  Gebiet  der  könig- 
lichen 6rundhen*schaft  wurde  daiiiach  in  eine  Anzahl  von 
Domänen  (fisci)  zerlegt,  von  denen  jede  eine  selbständige 
wirthschaftliche  Verwaltung  erhielt,  während  die  einheitliche 
Oberleitung  durch  ihn  selbst,  die  Königin  und  die  beiden 
Minister  der  königlichen  Wiithschaft ,  den  Seneschalk  und 
Schenk,  geftlhrt  wurde  *).  Von  diesen  Domänen  war  ein  Theil 
als  Palatien  für  die  Haus-  und  Hofhaltung  des  Kaisers  ein- 
gerichtet*); das  zu  den  Palatien  gehörige  Gebiet  wurde  von 
diesen  aus  selbständig  als  Herrenland  bewirthschaftet ,  theils, 


')  Neben  dem  Capitalare  de  villis  imperialibus  kommen  hief&r  insbe- 
sondere in  Betracht  das  Capit.  de  disciplina  palatii  Aqnensis  809  (LL.  I, 
157),  Capit.  Aquisgr.  818  (LL.  1, 174),  das  sog.  Breviarium  renim  fiscalium 
(LL.  I,  175  ff.)  und  für  die  spätere  Zeit  Hincmari  Remensis  epistola  de 
ordine  palatii  (Walter,  Corp.  ior.  german.  III,  761  ff.).  Vgl  den  ausführ- 
lichen Conuneutar  Ton  Gn^rard,  Explication  du  Capitulare  de  Yillis,  Par. 
1853.    WaitE  IV,  120  ff. 

')  Cap.  de  YÜlis  c.  16:  Yolumus  ut  quidquid  nos  aut  regina  unicuique 
jadici  ordinaTerimns,  aut  ministeriales  nostri,  sinescalcus  et  butticularius  de 
rerbo  noatro  aut  reginae  ipsis  judidbus  ordinaTerit  .  .  impletum  habeant 
c  47 :  Üt  venatores  nostri  et  falconarii  yel  reliqui  ministeriales,  qui  nobis 
in  palatio  asidue  derserriunt,  consilium  in  villis  uostris  habeant,  secun- 
dum  quod  nos  aut  regina  per  litteras  nostras  iusserimus,  quando  ad  ali- 
quam  otilitatem  nostram  eos  miserimus,  aut  siniscalcus  et  buticularius  de 
nostro  Terbo  eis  aliquid  hcere  praeceperint. 

*)  Hierüber  sehr  ausführlich  Maurer,  Fronhöfe  I,  S.  212—227. 

Ton  Inama-Sternegg,  Wiithschaftsgeseliichte.    I.  21 


—    822    — 

soweit  es  Beneficien  oder  Zinsgüter  umfasste,  gnmdherrsdiaft^ 
lieh  verwaltet  ^).  Gleichzeitig  aber  bildeten  die  Palatien  die 
Sammelplätze  aller  ProdactionsttberschQsse  der  einzelnen  kai- 
serlichen Gutswirthschaften  ^)  und  wui'den  dadurch  zugleich  zu 
Oberhöfen  fQr  die  übrigen  Domänen,  wie  zu  wichtigen  Märk- 
ten aller  Boden-  und  Gewerbsproducte  für  das  ganze  Reich'). 
Die  übrigen  Domänen  aber  waren  als  villae  oder  curtes  regime 
nur  der  landwirthschafUichen  und  gutsheiTlichen  Verwaltong 
gewidmet^).  Sie  bestanden  selbst  wieder  aus  einem  in  Eigen- 
betrieb des  königlichen  Fiskus  stehenden  Hauptgute  ^)  und  in 
einem  Gomplex  von  Gütern  oder  Höfen,  von  welchen  ein 
Theil,  zur  gutsherrlichen  Verwaltung  eingezogen  *),  von  unter- 
geordneten  Wirthschaftsbeamten    des  Fiskus  bebaut  wurde. 


^)  Gapit.  de  discipl.  ipalatii  Aqa.  809,  c.  2:  tarn  in  Aqois  quam  in 
proximis  vülnlis  nostris  ad  Aquis  pertinentibiis.  C.  Lanr.  834,  n.  25: 
villam  iuris  nostri  Langongon  . . .  nee  non  et  mancipia  iUa,  qnae  ez  etdem 
viUa  orta  sunt  et  hactenus  ad  fiscum  nostnim  Triburim  deaervioBt  Tgl 
Gap.  de  yillis  c.  9,  15,  47,  61,  (>8,  wo  verschiedene  Wirthschaftseinricb- 
tongen  des  Palatioms  angef&hrt  sind. 

*)  c.  15:  üt  poledros  nostros  missa  s.  Martini  hyemale  ad  palatiam 
omnimodis  habeant.  c.  28 :  Yolomas  ut  per  annosj  singolos  intra  qoadia* 
gesima  dominica  in  palmis  quae  osanna  dicitor,  iuxta  ordinationem  so* 
stram,  argentom  de  nostro  laboratu,  postquam  cognoverimos  de  praeseoti 
anno  quantam  sit  nostra  laboratio,  deferre  studeant  c.  35:  boves  sagiiui- 
tos  .  .  aut  ibidem  ad  socdandom  aut  ad  nos  deducendom.  c  38:  üt 
ancas  pastas  et  puUos  pastos  .  .  ad  nos  transmittere  soffidenter  habest 
c.  44:  De  qoadragesimale  duae  partes  ad  senitium  nostmm  veniani  c61: 
Ut  unusqoisqne  index,  quando  serrierit  snos  brados  ad  palatinm  dacer« 
fadat  e[t  simul  veniant  magistri  qui  cerevisiam  bonam  ibidem  hßen  de- 
beant.  c.  66:  per  singulos  annos  niosaltos  crassos  nobis  inde  addncant 
c  69:  et  ipsas  peUes  nobis  praesentare  ÜBMÜant 

')  Näheres  im  4.  und  5.  Abschnitt. 

^)  c  1:  Yolomas,  ut  villae  nostrae,  quaii  ad  opus  nostnun  inierri«' 
dum  institutas  habemus,  sub  integritate  partibus  nostris  desernant 

')  c.  19:  In  villis  capitaneis. 

')  Das  sind  offenbar  die  mansioniles  des  c.  19.  Auch  BreriaRnB 
(LL.  I,  179):  In  Asnapio  fisco  dominico.  Item  de  mansionilibas,  qw 
ad  snprascriptum  mansnm  aspidunt  In  Grisione  villa  invenlmm  mansw- 
niles  dominicatas.  In  alia  villa  repperimus  mansioniles  dominifstn  1& 
villa  illa  mansionilis  dominicata. 


—    328    — 

ein  anderer  Theil  aber  an  Freibauern  oder  Zinsleute  aus- 
gethan  war.   Die  Zinse  und  Dienste  dieser  Hufen  waren  theils 
an  die  Nebenhöfe,  theils  direct  an  die  Haupthöfe  zu  leisten. 
Je  nach  der  Lage  der  Villen  waren  mehr  oder  weniger  solcher 
Haupthöfe  mit  einem  Palatium  ökonomisch  verbunden;   was 
die  Bedürfnisse  der  Wiithschaftsführung  auf  den  einzelnen 
Villen  von  den  Producten  der  Domänen  nicht  selbst  in  An- 
spruch nahmen,   das  miisste   an  die  angewiesenen  Palatien 
abgeliefert  werden,  und  ebenso  erhielten  die  Amtleute  der 
einzelnen  Villen  ihre  Instructionen  von  dem  Palatium  aus  ^). 
Die  Summe  der  in  irgendwelcher  Form  als  Beneficien, 
Frei  -  oder  Zinshufen  ausgethanen  Güter  war  dann  innerhalb 
einer  jeden  Domäne  wieder  in  Ministeria  abgetheilt  ^);  in  jedem 
Ministerium  waren  die  dienenden  Hufen   einem  Herreuhofe 
angegliedert  und  bildeten  mit  ihm  die  unterste  wirthschaft- 
liehe  Einheit    dieses    vielgliedrigen    Organismus   der   könig- 
lichen   Villenverfassung ').     Die   Leitung    der  gutsherrlichen 
Verwaltung  sowie  die  Vertretung  der  Interessen  der  Doma- 
nialwii-thschaft   an    der  Wirthschaftsführung    der  Freibaueni 
und  Zinsleute,  die  Ueberwachung  der  Erfüllung  ihrer  Ver- 
bindlichkeiten  und   die  Sorge   für  die  Ausführung  der  all- 
gemeinen Wirthschaftsanordnungen   war  auf  den  Haupthöfen 
(fisci)  eigenen  Amtleuten  (judices,  villici,  actores)^)  auf  den 
Nebenhöfen  den  majores^)  anvertraut. 


^)  S.  oben  8.  322  Anm.  2  und  S.  S21  Anm.  2. 

*)  Ihre  Ausdehnung  angegeben  a  26:  Maiores  Tero  amplius  in  mini- 
sterio  nön  habeant,  nisi  quantum  in  una  die  circumire  aut  praeyidere 
potuerint. 

*)  c,  52:  Volumus,  ut  de  fiscalis  Tel  seryis  nostris  sive  de  ingenuis, 
qoi  per  üscos  aut  villas  nostras  commanent  divenis  hominibus  plenam  et 
integnun  qnalem  habuerint  reddere  fadant  iustidam.  a  62:  Ut  unusquis- 
qae  index  per  singulos  annos  ex  omni  conlaboratione  nostra,  quam  enm 
buboa  qaoB  bubulci  nostri  seiriant,  quid  de  mansis,  qni  arari  debent. .  . 
quid  de  liberis  hominibus  et  centenis,  qui  partibus  fisci  nostri  deserviunt . . 
habuerinty  notum  &ciant 

«)  c  3,  5  — 9  u.  s.  f.  Gap.  Aquisgr.  818,  c.  19;  Gap.  817,  c.  1.  S. 
Waitz,  IV,  121.  ^ 

«)  c  10,  26,  36,  60.    Gu^rard,  Irmin.  I,  442  ff. 

21* 


—    824    — 

Centeneu  ^)  und  Dekanien ') ,  welche  ohne  bestimmt  er- 
kennbare Stellung  innerhalb  der  Villenverfassung  Karls  d.  6r. 
vorkommen  y  werden  wohl  mehr  nur  auf  den  socialen  Zusam- 
menhang der  Ortsbevölkerung,  wie  er  sich  noch  aus  älterer 
Zeit  erhalten  hat,  als  auf  besondere  administrative  Gruppining 
der  Güter  zu  beziehen  sein  ^).  Aber  es  lag  im  Geiste  einer  an 
Stelle  der  alten  markgenossenschaftlichen  Verbindung  getretenen 
grundhen'lichen  Hofverfassung,  die  alten  Foimen  und  Zusam- 
menhänge nicht  zwecklos  zu  zerreissen,  sondern  für  die  neue 
Organisation  dienstbar  zu  machen;  und  so  ist  wohl  auch  der 
Zusammenhalt  der  Centene,  ist  der  Einfluss  des  Decanus  für 
die  Villenverfassung  Karls  d.  Gr.  weithvoU  geblieben. 

Die  Villenverfassung  Karls  d.  Gr.  ist  im  Laufe  des  9.  Jahr- 
hunderts unverkennbar  immer  mehr  allgemeines  Muster  und 
Vorbild  für  die  Organisation  grosser  Grundherrschaften  ge- 
worden. Am  deutlichsten  tritt  sie  aus  dem  berühmten  Be- 
gister  des  Klosters  PiHm  entgegen,  das  seine  s&mmüicheo  Be- 
sitzungen von  dm  Oberhöfen  ^),  Prüm,  St.  Goar  und  Münster- 
eifel,  aus  verwaltete.  In  119  Haupthöfen  (curiae  fisd)*)  war 
Eigenwirthschaft  des  Klosters  eingerichtet;  viele  von  ihnen 
hatten  mehrere  Nebenhöfe  (mansi  indominicati)  0  gleichfalls 
in  eigner  Verwaltung;  die  Summe  der  dienenden  Güter,  der 
Beneficien,  Lehen  und  Zinshöfe,  der  Freien  wie  der  Unfreien. 


^)  c.  62:  Ut  nnusquisque  iudex  per  singalos  aimos  ex  omni  coobbo- 
ratione  nostra . . .  quid  de  liberis  hominibus  et  centenis  qni  partilrafl  fisci 
nostri  deserviunt,  ....  habuerint,  notum  £ftciant    S.  nnten  &  825. 

*)  c  10;  c.  58.    Gn^rard,  Inmn.  I,  456  ff. 

')  Nach  dem  Polypt.  Irmin.  (Gu^ard  I,  465)  waren  die  decui  Co- 
lonen ,  welche  unter  Au&icht  des  mfyor  die  mansi  dominid  der  Abtei  St 
Germain  bewirthschafteten,  die  f&r  dieselbe  ausgeführten  Arbeiten  «Her 
Art  überwachten  und  leiteten,  die  Abgaben  der  2Sn8baQem  einnahmt  nsd 
exequirten;  „c'ätaient  les  acyoints  des  mairee**. 

*)  Gaesarios  nennt  sie  in  seinem  Gommentar  (Beyer  I,  S.  195)  pris- 
dpales  sedes. 

*)  R.  Pr.  c  6,  p.  148. 

^  So  z.  B.  Bnmersheim  7 ,  Sahnene  8,  autterche  et  Trittenh^ym  H 
Bei  der  curtis  Encene  c.  89,  p.  187  ist  terra  indominicata  in  5  Ortes  vJX 
38  jugera  au%ef&hrt 


—    825    — 

war  den  einzelnen  Haupthöfen  zu  Arbeit  und  Lieferung  der 
Abgaben  zugetheilt;  fiberdiess  sind  einzelne  Leistungen  direet 
den  Oberhöfen  zugewiesen  gewesen  ^).  Zu  bestimmten  Ar- 
beitsleistungen wurden  die  Leute  ganzer  Centenen  gemeinsam 
aufgeboten  ^.  Die  Verwaltung  der  Haupt-  und  Nebenhöfe 
war  auch  hier  den  majores,  villid,  ministri  anvertraut  >).  Die 
Oberaufsicht  aber  führte  der  Abt  (senior)  selbst,  der  die  ein- 
zehen  Villen  in  regelmässigen  Visitationsreisen  besuchte^). 
Sowohl  die  einzelnen  Haupthöfe,  wie  das  dazu  gehörige  Ge- 
biet und  die  Anzahl  der  ihnen  zugewiesenen  Güter  waren 
aber  auffallend  verschieden  in  der  Grösse  wie  in  den  Ein- 
künften, welche  sie  abwarfen ;  daher  sind  wiederholt  die  Leute 
der  dienenden  Güter  in  einzelnen  Haupthöfen  anderen  und 
besonders  den  Oberhöfen  direet  zu  besonderen  Dienstleistungen 
zugewiesen  *). 

Von  anderen  Grundhen-schaften  sind  solch  ausführliche 
Nachrichten  über  die  wirthschaftliche  Anordnung  ihrer  Güter 


^)  R  Pr.  c  6:  Fadt  jugera  3,  corradas  7,  glavem  1  ad  monasterium; 
dadt  ad  monasterium  de  spelta  modios  15.  c.  47:  Dudt  ad  Pmmia  avene 
modioB  10.  c  58,  p.  177:  ad  novnm  monasterimn  (Münstereifel)  car- 
rad.  250.    c.  104,  p.  192:  modios  4  ad  8.  Goarem. 

^  Reg.  Prüm.  c.  84,  p.  155:  ad  yineas  Ugandas  centenam  1,  ad  fo- 
diendam  alteram;  ad  colligendam  tertiam  simol  cum  carro  suo;  ad  messem 
colligendam  quartam.  —  ib.  p.  157 :  Ad  centenam  unoquoque  aratro  pa- 
nes  2Vs  et  cum  pane  et  4  vices  bibere.  Centena  ad  vineas  Ugandas  et  fo- 
diendas  .  .  .  Centena  ad  Yindemiandum  ...  ad  fenum  secandum.  c  25, 
p.  158:  Centena  de  Sueyghe  solvit  de  vino  modios  80.    Vgl.  4.  Absch. 

*)  Begistr.  Prüm,  c  24,  p.  157:  1  feodum  remanet  ministro  nostro. 
c.  112,  p.  196:  Sunt  in  Dinheym  mansa  12  ex  quibus  habet  Grundaldus 
mansum  1  et  maior  1.    Caesarius  zu  c.  1,  p.  144. 

*)  R.  Pr.  c.  82,  p.  161 :  8i  senior  advenerit,  ligna  dudt  ad  sufficien- 
dum.  c  114,  p.  197:  Debet  unum  animal  senioris  acdpere  ad  missam  s. 
Martini . . .  Debet  ad  prozimum  mansionaticnm  senioris  aut  cum  carro  vel 
com  caballo,  quidquid  d  precipitor,  portare.  c.  116,  p.  198:  Debet  unus- 
quiaqae  2  porcos  senioris  sui  nntrire.  Caesarius  zu  c.  82,  p.  161:  Senior 
id  est  abbas. 

^)  So  z.  B.  c.  25.  p.  158;  c.  58,  p.  177:  Summa  angariorum  illarum 
coriarum,  que  sunt  circa  monasterium  et  Aram  et  fines  fllos.  c.  104  —111, 
p.  192  £ 


—    326    — 

nicht  vorhanden  und  es  kann  auch  nicht  angenommen  we^ 
den,  dass  fiberair schon  im  9.  Jahrhundert  das  Villensystem 
so  vollständig  zur  Durchbildung  gekommen  wäre.  In  dem 
Register  der  Abtei  Werden  aus  dem  Ende  dieser  Periode  er- 
scheint nur  der  in  Franken  gelegene  Theil  der  Grundherr- 
schaft schon  in  dieser  Weise  eingerichtet  Es  sind  hier  zwei 
Oberhöfe  genannt;  zu  dem  einen  gehören  neben  30  dienenden 
Gütern,  die  ihm  unmittelbar  zugewiesen  sind,  4  Haupthöfe 
mit  ihrem  Sallande  und  ihren  Zinsgätem  ^) ;  der  andere  aber 
scheint  nur  I6V9  dienende  Mausen  zugewiesen  erhalten  zu 
haben  >).  In  dem  in  Sachsen  und  Friesland  gelegenen  Theile 
dagegen  sind  die  dienenden  GQter  nur  nach  Ministerien  ab- 
getheilt,  einigemale  auch  deren  Hauptorte  genannt,  ohne  dass 
jedoch  eines  Domanialgutes  bei  den  Ministerien  gedacht  wäre^. 
Es  scheinen  demnach  die  vei^eichneten  Gefälle  derZinsgflter 
nur  von  Ministerialen,  die  wohl  in  ihrem  Amtsbezirke  zur 
Gegenleistung  für  ihre  Dienste  Beneficien  innehatten^),  un- 
mittelbar eingehoben  worden  zu  sein  ^) ,  ein  Zustand ,  der  im 
Ganzen  noch  der  älteren  gutshen-lichen  Organisation  entspricht 
Auch  das  Register  von  Bleidenstat  zeigt  noch  keine  aus- 
gebildete Villenverfassung,   jedoch  immerhin  unverkennbare 

1)  Reg.  Werd.  (Lacomblet,  Archiv  II,  217)  A.  1:  Ad  fhndom  qni  est 
ad  Frimaresheim  pertinent  dominicales  mansi  hi.  Ad  curtem  dominicaleni 
Buum  seliland.  Ad  Romolohon  similiter.  Ad  Astarlohon  saom  selilanL 
Ad  Ascmeri  dominicalis  manstts'  1.  Ad  Suabhem  1  excepto  KyridaDde. 
Ad  cortem  dominicalem  in  Frimareshem  30  mansi;  ad  Rumolon  kO  m.; 
ad  Astarloon  12  m. ;  ad  Ascborg  10  m. ;  in  Hattorpe  7  m.;  in  Mone  5Vs  ol  ; 
in  Ostarhem  9  m.;  in  Ascmeri  8,  nonns  in  Bobbonberga;  in  Bergbem 
9  m.;  in  TuntileBhem  1  m.;  in  Fenikinne  2  m.;  in  Urdingi  1  m.;  in  Ao* 
theri  2  m.;  in  Gelleron  IVt  m.;  in  Palutho  IV«  m.;  in  Lendinghem  ^Itm.; 
in  Halon  ^jt  jxl;  in  Bladrikeshem  1  m.  Hi  sunt  mansi  qui  ad  f^mares- 
hem  pertinent. 

')  ib.  A.  II,  p.  219:  Ad  ecclesiam  Embrikni  pertinet  mansos  IVf  c<* 
cepto  selilande.  Ad  ciirtem  dominicam  pertinent  hi  mansi  (10) . .  • .  £x- 
ceptiB  bis  sunt  alii  mansi,  qui  in  demosinam  donati  sont  (5V|). 

')  Nor  A.  4  heisst  es :  Finit  de  ministerio  Hrodwerki  de  carte  Selbem 
and  A.  12:  Selbem  cortis:  Selibova  com  2  aratris. 

*)  A.  18,  p.  241 :  mansionem  propter  ministerium  eins  concessum  est  ei. 

«)  Vgl.  Lacomblet,  Archiv  II,  S.  211. 


—    327    — 

Ansätze  hiezu.  In  vielen  der  einzelnen  Villen,  welche  dem 
Kloster  gehören,  sind  Herrenhöfe  (curtes)  und  Herrenhufen 
(mansi  indominicati)  eingerichtet,  denen  eine  Anzahl  von 
Zinsgütem  zugewiesen  ist  ^).  Gewisse  Leistungen  werden  un- 
mittelbar an  das  Kloster  oder  an  den  Vorsteher  desselben 
(senior)^)  abgeliefert;  der  Klosterhof  selbst  scheint  demnach 
als  Oberhof  auigefasst  werden  zu  müssen,  der  von  einem  celle- 
rarius^)  verwaltet  wurde.  Die  Verwaltung  der  einzelnen 
Herrenhöfe  aber  war  auch  hier  den  villici  übertragen,  welche 
dafür  besondere  Güter  als  Lehen  hatten^). 

Aehnliche  Einrichtungen,  welche  in  mehr  oder  weniger 
Yollständiger  Weise  die  Villenverfassung  Karls  d.  Gr.  nach- 
ahmen, finden  sich  übrigens  auch  bei  solchen  Grundherr- 
schaften angedeutet,  von  denen  wir  aus  dieser  Zeit  keine 
Grundbücher  oder  ausfuhrlichen  Güterbeschi-eibungen  besitzen. 

So  lassen  die  Verzeichnisse  der  Einkünfte  des  Kelleramts 
von  Reichenau  (843),  des  Brauamts  im  Oberhofe  des  Stifts 
Essen  (saec.  IX,  X)  auf  eine  gute  wirthschaftliche  Gliederung 
des  ganzen  Gutscomplexes  schliessen^).  So  schildert  das  Bre- 
viar  des  Bischöfe  Erchambert  von  Freising  ^)  wenigstens  die 
Einrichtung  eines  Haupthofes  des  Bisthumsbesitzes  und  ge- 

*)  Von  ihren  Leistongen  heisst  es  n.  2:  solvunt  ad  opus  dominicum. 
c.  4:  ducit  in  messe  2  carradas  feni  et  totidem  lignorom  ad  dominicum. 
c.  5:  arat,  . . .  mettit  cum  filiis  suis,  secat,  titurat  fruges  et  dudt  ad  do- 
minicum u.  0. 

>)  Summarium  n.  8,  p.  9 :  mansos  2  in  Beringen  qui  senriunt  ad  opus 
senioris;  n.  9:  mandpiis  6,  quorum  quilibet  seryit  ad  annum  in  vineis  ad 
opus  senioris.  c.  14:  cum  1  manso  in  W.  de  quo  servit  Milo  cum  filiis 
suis  ad  opus  senioris.  c.  17:  solyit  ad  opus  senioris.  c.  20:  servit  per 
annum  ad  opus  senioris.  c  26:  navigat  ad  opus  senioris.  c.  82:  servit 
ad  opus  senioris  toties  ei  praecipitur. 

")  Mon.  Blid.  814,  p.  17:  veniens  Salicho  ceUeranus  monasterii  s. 
Ferrudi  in  Blidinstat 

*)  Summarium  n.  86,  p.  11 :  In  W.  habemus  20  jugera  terrae  arabilis, 
de  quibus  soMt  YÜlicus  8  maldra  siliginis  et  denarios  10.  n.  42:  In  eadem 
Villa  est  rubus  ad  20  jumales,  de  quo  solvit  villicus  denarios  8  et  servit 
semel  in  anno  ad  dominicum. 

*)  8.  unten  S.  889. 

*]  Meichelbeck,  Historia  Frisingensis  la,  126;  s.  unten  8.  888. 


-     —    328    — 

stattet  die  VermuihuDg,  dass  eine  ähnliche  Organisation  auch 
bei  den  übrigen  Theilen  der  Freisingischen  Gnindhemchaft 
durchgefiUirt  war.  Und  von  dem  Stift  St.  Gallen  sind  ver- 
einzelte Nachrichten  ^)  über  eine  Gliedemng  des  Gebietes  in 
Oberhof  und  Haupthöfe  vorhanden,  welche  eine  den  Prüm'scheD 
Zuständen  nahe  verwandte  Entwickelung  der  grundherrsehafl^ 
liehen  Organisation  annehmen  lassen^). 

Mit  der  Hufentheilung  und  der  wirthschaftlichen  Oi^ani- 
sation  des  Güterbestandes  in  der  Yillenveifassung  ist  dann 
vielfach  eine  Veränderung  der  Oitschaften  selbst  eingetreten, 
deren  ältere  meist  sehr  kleine,  auf  wenige  Höfe  beschrimkte 
Gruppirung  den  verändeiten  Interessen  der  Grundherren  viel- 
fach nicht  mehr  entsprach.  Ueberall  haben  sie  die  Dorfbil- 
düng  begünstigt^)  und  zwar  sowohl  in  dem  Sinne,  dass  sie, 
besonders  durch  die  Waldhufen,  zur  Gründung  neuer  Dörfer 
Anlass  gaben ^),  als  auch  dadurch,  dass  sie  die  bestehenden 
Ortschaften  mit  ihren  Ck)lonen  und  Gasaten  bevölkerten  und 
so  ein  dichteres  Zusammenwohnen  begünstigten^).  Unver- 
meidlich ist  davon  auch  die  FluiTerfassung  und  Felderein- 
theilung  ergriffen  worden.  .Wie  die  alte  Gemengelage  des 
Dorfsystems  bei  den  neuangelegten  Waldhufen  vermieden 
wurde,  so  hat  die  Arrondirung  und  die  Hufentheilung  auch 


^)  Tr.  Sangall.  787,  n.  113:  Et  ipsmn  censum  intus  in  monastarioa 
ad  Bpicharium  yestram  perducere  debemus  et  ad  proximam  cortem  Testnut 
in  una  qoaque  zelga  ebdomedarii  jonudem  arare  debeamos.  Dagegen  ib- 
828,  n.  272:  Et  si  denarios  nobis  persolvere  placuerit,  ad  ipsnm  monaste- 
liom  eoB  reddamns,  si  autem  granum ,  ad  proximam  cortem  ipsins  moDSr 
sterii  illud  reddamos. 

^)  Aach  beim  weltlichen  Ghrossgrundbesitz  finden  sich  solche  Anklinge 
an  eine  bessere  Organisation,  z.  B.  Tr.  Sang.  820,  n.  257 :  hobas  veBtitas 
com  mancipiis  ad  aolam  nostram  Tel  cortem  pertinentibos  nebst  Gfltov 
an  3  Orten. 

')  Das  hat  mit  richtigem  Blick  schon  Fr.  List  (gesammelte  Werke 
n,  188)  erkannt,  wenn  aodi  einseitig  erklSrt 

^  S.  oben  S.  819  £ 

")  Vgl.  die  Beispiele  der  grösseren  Ortschaften  im  1.  Abschnitt  Den 
Gang  der  Entwickelong  deotscher  Alpendörfer  habe  ich  im  histonsekeo 
Taschenboche  von  Raomer-Riehl,  Jahig.  1874,  darzolegen  Tennclit 


—    329    — 

vielfach  Gelegenheit  geboten,  die  Gewanne  und  Fluren  anders 
abzutheilen  und  ihAen  regelmässigere  Gestalt,  wie  gleich- 
massigeres  Ausmass  zu  geben  ^).  Doch  war  das  begreiflicher- 
weise zum  guten  TheUe  von  dem  Wirthschoflssysteme  abhängig 
und  ist  desshalb  wohl  zumeist  nur  da  von  Bedeutung  gewor- 
den, wo  man  gleichzeitig  mit  der  gnindheiTSchaftlichen  Or- 
ganisation zum  Feldersysteme  übergingt). 

Ihren  vollen  Abschluss  aber  erhielt  das  Yillicationssystem 
doch  ei-st  durch  die  Ausbildung  der  Hofverfassung.  Jenes 
war  ja  zunächst  doch  nur  auf  eine  bessere  Anordnung  der 
Güter  in  Bezug  auf  ihre  wirthschaftlichen  Leistungen,  auf 
eine  einheitliche  Leitung  und  Beaufsichtigung  der  ganzen  guts- 
herrlichen Wiithschaft  gerichtet;  weder  die  Aendemng  der 
in  der  Markgenossenschaft  gelegenen  socialen  Beziehungen, 
noch  die  Geltendmachung  politischer  Gewaltbefugnisse  war 
schon  anfänglich  mit  der  Idee  jener  Wirthschaftsorganisation 
gegeben.  Aber  langsam  und  sicher  bereitete  sich  mit  der 
Ausbildung  des  Villicationssystems  der  Zustand  vor,  welcher 
schliesslich  die  Bildung  eigner  Hofgenossenschaften  als  noth- 
wendiges,  gleichsam  selbstverständliches  Resultat  der  herr- 
schaftlichen Ordnung  des  ganzen  Wirthschaftslebens  ergab.  Mit 
der  Ueberlegenheit  einzelner  Grundherren  in  ganzen  Marken 
und  grösseren  Gebieten  trat  allmälig  die  Idee  der  Genossen- 
schaft am  Marklande  zurück  und  wurde  durch  die  Idee  der 
Herrschaft  über  dasselbe  einsetzt').  Der  Antheil,  der  fiHher 
dem  einzelnen  Mitmärker  kraft  seines  Hufenrechtes  zustand, 
verblieb  ihm  nun,  wie  die  Hufe  selbst,  nur  als  eine  durch 
Herrenrecht  verliehene  Nutzung.  Die  Einbeziehung  grösserer 
Waldcomplexe  in  den  ausschliesslichen  Herrschaftsbereich  eines 
grundherrschaftlichen    Haupthofes   aber,   die  Inforestimng ^), 

^)  Vgl  z.  B.  Tr.  Sang.  858,  n.  427:  das  Kloster  gibt  bei  einem  Tau- 
sche quartam  partem  unius  curtis  gegen  unum  jumalem  maximum.  Nach 
Anton  I,  290  tritt  im  9.  Jahrhundert  immer  h&ufiger  die  Berechnung  nach 
JQgera  an  die  Stelle  der  älteren  jurnales. 

')  S.  unten  4.  Abschnitt. 

^  S.  oben  2.  Abschnitt  S.  271. 

*)  Die  Einforstungen ,  zuerst  bei  den  Königspfalzen  nur  des  Wild- 
banns  halber  geübt,  sind  bald  von  den  Königen  und  dann  auch  von  den 


—    330    — 

gab  nicht  bloss  Gelegenheit,  diesen  ökonomisch  ToUkommeD 
selbständig  zu  stellen ,  sondern  war  auctf  daza  zu  verwenden, 
um  den  abhängigen  Hufen  oder  HufentheDen  eine  gemeine 
Mark  oder  einen  Antheil  an  der  Marknutzung  zuzuweisen,  wo 
solche  fehlte  oder  den  Bedürfnissen  und  Interessen  der  Grund* 
hen*en  an  der  Wirthschaft  ihrer  dienenden  Höfe  nicht  entsprach. 
Die  einzelnen  Gruppen,  nach  welchen  diese  diaienden 
Güter  in  dem  Villicationssystem  zusammengefasst  wurden, 
mochten  sie  in  Dorfischaften  zusammenhängen  oder  als  Einzel- 
ansiedelungen  oder  als  zerstreute  Höfe  in  den  einer  mehr- 
fachen Grundherrschaft  unterworfenen  Ortschaften  auseinander- 
liegen,  konnten  auf  diese  Weise  als  Markgenossenschaften 
erhalten  bleiben  oder  neu  zu  solchen  zusammengefasst  wer- 
den ^) ;  auch  eine  Markgemeinschaft  mehrer  grundhöriger  Villen 
und  Ortschaften  ist  dadurch  möglich  geblieben ').  Das  Recht 
aber,  welches  den  abhängigen  Leuten  an  solcher  Mark  zu- 
stand, leitet  sich  doch  immer  von  der  Herrschaft  ab;  das 
Haupt  dieser  Markgenossenschaften  war  der  Haupthof,  dem 
die  einzelnen  dienenden  Güter  angegliedert  waren ;  nach  dessen 
Weisung  und  Verfügung  ward  Mass  und  Art  des  Gebrauchs 
für  den  Einzelnen  bestimmt  >),  wie  die  oberste  Gutsverwaltung, 


anderen  Grundherren  auf  die  gemeinen  Marken  ausgedehnt  Vgl.  0^>.  802 
(LL.  I,  96),  c.  39.  Cap.  de  villiB  (I,  183),  c.  36.  Cap.  813  (I,  189),  c  18. 
S.  unten  4.  Abschnitt 

^)  Breviar.  rer.  fisc.  (I,  178).  Form.  Salamonis  8:  nsos  saltnom  oom- 
muniom.  Form.  Alam.  (Wyss)  n.  11.  8.  oben  2.  Abschnitt  8.  268  ff.  Vgl. 
Maurer,  Fronhöfe  I,  338  £ 

*)  8o  geben  828  (Schöpflin  I,  n.  89)  Graf  Erkinger,  seine  Matter  osd 
drei  firüder  dem  Kloster  Schwarzach  34  mandpia  in  9  YiUen  itemqne 
waltmarcam. 

')  In  dem  Walde,  der  zur  Villa  Geizefurt  des  comes  palatinos  Ans- 
frid  gehörte,  war  die  Nutzung  f&r  die  Freihfifiier  auf  je  10  Schweine  be- 
stimmt, et  nuUam  aliam  utilitatem  sive  ad  ezstiipandum  nwe  in  oesnn 
ligni.  XJnusquisque  autem  de  servis  ipsis  de  soa  huba  debet  mittere  io 
sylyam  porcos  5.  C.  Lauresh.  863,  n.  33.  Im  Reg.  Prüm,  c  25,  p.  15S: 
qui  peculium  vacuum  habent  in  nostra  waida,  debent  solvere  puUuffl.  Om- 
sarius  ad  c  1,  p.  145 :  Sdendum  est  quod  omnes  homines  Tillas  sc  tcr* 
minos  nostros  inhabitantes  tenentur  nobis  coruadas  facere,  non  tofani 
autem  mansionarii,  yerum  etiam  et  scararii  id  est  ministeriales  et  hatstaldu 


—    331     - 

der  Grundhen*  als  obei*ster  Märker,  die  Wald-  und  Weide- 
antheile  den  einzelnen  Genossenschaften  zugewiesen  hat^). 
Mit  dieser  Zutheilung  von  Wald,  Weide  und  Wasser  an  die 
einzelnen  giiindheiTlichen  Villen  war  die  Hofmarkgenossen- 
schaft, wie  sie  schon  eine  innere  wirthschaftliche  Einheit  bil- 
dete, auch  äusserlich  abgeschlossen,  und  eine  neue  Gliedei-ung 
der  Territorien  auf  Grundlage  des  Hen*schaft8verbandes  her- 
gesteOt.  Was  dann  zum  innem  Ausbau  dieser  Organisation 
Dothwendig  war,  die  Ausbildung  eines  eignen  Hofrechts  und 
einer  systematischen  Verwaltung  der  öffentlichen  Angelegen- 
heiten und  des  Gemeininteresses,  das  gehört  wesentlich  einer 
späteren  Zeit  an.  Wenigstens  sind  die  Hofrechte,  In  denen 
sich  die  sociale  und  ökonomische  Bedeutung  der  HeiTschaft 
ausdrückt,  jünger;  aber  doch  sind  Spuren  einer  solchen  Wirk- 
samkeit schon  in  der  Kai*olingei^eit  vorhanden').    Und  die 


id  est  illi  qui  non  tenent  a  curia  hereditatem,  qula  communioDem  habent 
in  pascuis  et  aquis  nostris.  Reg.  Priun.  c.  72,  p.  182:  Sika  ad  porcoB 
300;  de  eadem  silva  habet  presbyter  ad  porcos  150.  Tr.  Sang.  905,  n.  740 
gehört  zu  einem  curtile,  2  jugera  continente  talis  usus  silvaticus,  ut  qui 
iUic  sedent,  sterilia  et  iacentia  ligna  colligant.  Die  Nutzung  des  Gemein- 
]and8  bei  einer  Tradition  eigens  vorbehalten  in  Tr.  Sang.  862,  n.  587: 
Sed  et  hoc  commemorare  volumus,  ut  nos  et  posteri  nostri  familiaritatem 
ad  rectores  prefati  monasterii  et  ad  familias  eorum  habeamus,  'et  illomm 
res,  id  est  pascuas,  Silvas  aliaque  nobis  necessaria  inter  eos  fruendi  facul- 
tatem  habeamus.    Vgl.  oben  2.  Abschnitt  S.  270. 

^)  L  c:  Hoc  est  quod  trado  res  proprietatis  meae  in  villa  quae  did- 
tar  Geizeftirt  . . .  hoc  est  mansum  indominicatum  cum  aedificiis  atque 
Omnibus  utensilibus,  habentem  hobas  8  et  hubas  serviles  19  et  sylvam,  in 
quam  mittere  possumus  mille  porcos  perfecte  saginari.  Reg.  Prüm.  c.  12, 
p.  151 :  terra  indominicata  jugera  100,  prata  ad  cairadas  80,  silva  ad  por- 
cos saginandoB  200.  ib.  c  88,  p.  162:  terra  ind.  ad  modios  400,  prata  ad 
carr.  50,  silva  ad  porcos  500.  ib.  c.  55,  p.  175:  Silva  in  Bastiberhc  fore- 
Btam  ad  porcos  200;  in  Tegensceit  communis  ad  porcos  200.  ib.  c.  62, 
p.  178:  Silva  in  communi  ad  porcos  100,  forestum  (Caes.  camerworst)  in 
Cransceit  ad  porcos  150.  ib.  c  66,  p.  180:  Silva  communis  ad  porcos  600, 
qne  in  contentione  est.  ib.  c.  82,  p.  185 ;  Silva  communis  ad  porcos  1000. 
ib.  c.  88,  p.  186:  Silva  communis  suffidenter.  Reg.  Werd.  (Lacomblet, 
Archi?  II,  221)  A.  8:  nnam  selihovam  et  holtmarka. 

*)  Vgl.  Waitz,  Verf.-Ge8ch.  IV,  879  ff.  Maurer,  Fronhöfe  1, 499—505. 
Gierke,  Genossenschaftsrecht  I,  185  —  148. 


-     382    — 

karolingische  Gesetzgebung  hat  auch  hieran  einen  nicht  un- 
beträchtlichen Antheil.  Was  die  freie  Genossenschaft  nicht 
zu  leisten  veimocht  hatte,  einen  festen  Zusammenhalt  der 
Genossen  in  Pflege  ihrer  socialen  Ordnung  und  ökonomischen 
Selbständigkeit  zu  erhalten,  das  sollte  durch  die  Ginindhen- 
Schaft  bewirkt  werden.  Die  Ho&narkgenossenscbaft  sollte  eine 
sociale  Organisation  werden,  in  der  sich  die  Freiheit  des  Ein- 
zelnen einem  höheren  Ziele  mit  Nothwendigkeit  unterordnete, 
und  ein  fester  Köi*per,  auf  dessen  Functionen  sich  auch  die 
Reichs  Verwaltung  in  ihi*er  Pflege  der  Culturinteressen  ver- 
lassen konnte.  In  diesem  Geiste  sind  die  Bestimmungen  fiber 
den  ökonomischen,  socialen  und  rechtlichen  Schluss  der  Grund- 
herrschaften durch  das  Mitium  und  Seniorat,  sowie  durch  die 
Immunität  erlassen^),  durch  welche  diese  in  ihrer  socialpoli* 
sehen  Bedeutung  anerkannt  und  allmälig  befähigt  wurden,  auf 
ihrem  Gebiete  immer  mehr  eine  staatsähnliche  Existenz  zu 
begiUnden.  ^ 

Eine  hei*vorragende  Förderung  dieses  Bestrebens  der 
grossen  GinindheiTen ,  ihren  Besitzstand  wiithschaftlich  vor- 
theilhaft  zu  gliedern  und  einheitlich  zu  organisii*en,  ist  in  der 
Anlegung  von  Ginrndbüchem  gefunden  worden,  welche  in  die- 
ser Zeit  ihi*en  Anfang  nahmen').    Das  Bedürfniss  hiemach 


M  Besonders  Capitala  minora  803  (LL.  I,  115),  c.  10:  Ut  nee  colo- 
nus  nee  fiscalinus  foras  mitio  possint  alicabi  taraditiones  facere.  Cap.dlS 
(LL.  I,  189),  c  16:  Quod  nullus  seniorem  saom  dimittat  postquam  ab  eo 
acciperit  Talente  solido  uno.  Constit.  de  liberis  et  yassaUis  816  (LL.  I, 
196),  c.  2.  Diyisio  imperii  817  (LL.  I,  199),  c  9:  Praecipiendom  etita 
nobis  videtur,  ut  post  discessum  nostnim  anioBcniusque  vassallus  tiatoffl 
in  potestate  domini  sui  benefidum,  propter  discordias  eritandas,  habest  et 
non  in  alterios  .  . :  et  licentiam  habeat  unusqoisqne  liber  homo,  qui  m* 
niorem  non  habuerit,  cuicumque  ex  hl»  tribus  fratribus  volaerit,  se  cos- 
mendandi.  Cap.  847  (LL.  I,  895):  volumus  ut  onnsqmsque  liber  homoiB 
nostro  regno  seniorem  qualem  volaerit,  in  nobis  et  in  nostris  fideUbos  a^ 
dpiat.  Audi  Cap.  817  (LL.  I,  211),  c.  6:  Postea  ipsae  res  ad  innoni' 
tatem  ipsios  ecdesiae  redeant 

s)  Vgl.  Gu^rard,  Polyptique  de  l'Abb^  Irminon  1,  16—88.  Meine  Ab- 
handlungen „über  die  Quellen  der  deutsdien  Wirthsdiaftsgesdiidite'  is 
den  Sitzungsber.  der  Wiener  Acad.  1877,  Bd.  84,  und  „aber  Urbaries  voi 
ürbarialau&ddmungen"  in  Löhers  Archival.  Zdtschrift  Bd.  n. 


—    838    — 

war  von  mehren  Seiten  her  angeregt  Der  Zeit  nach  die 
erste  Veranlassung  mag  wohl  mit  den  Säcularisationen  Karl- 
manns  und  Pipins  gegeben  gewesen  sein ;  die  Inanspruchnahme 
eines  Theils  des  Kirchengutes  f&r  die  Stärkung  der  Finanz- 
kr&fte  des  Reiches  und  die  Uebertragungen  kirchlichen  Grund- 
besitzes an  weltliche  Getreue  machten  eine  genaue  Aufischrei- 
buDg  des  geistlichen  Veimögens  nothwendig,  sollte  nicht  jeder 
Willkür  in  der  Ausführung  Thür  und  Thor  geöffnet  und  der 
Erfolg  der  ganzen  Massregel  dennoch  gefährdet  sein.  Darauf 
haben  wir  denn  auch  wohl  die  kurzen  Nachrichten  einiger 
der  ältesten  Annalen  zu  beziehen,  welche  von  einer  solchen 
Güterbeschreibung  Kunde  geben').  Dann  aber  hat  Karl  d. 
Gr.  in  seiner  umsichtigen  und  einschneidenden  Weise  auch  hier 
entscheidende  Schritte  gethan.  Die  Steigerung  der  könig- 
lichen Macht  erwartete  Karl  d.  Gr.  zum  guten  Theile  von 
einer  Mehrung  der  Einkünfte,  welche  die  Reichsdomänen  lie- 
ferten; seinen  umfassenden  Anordnungen  über  die  Wirth- 
schaftsfQhiiing  auf  denselben  gab  er  durch  Vorschriften  über 
ihre  genaue  Beschreibung  und  Inventarisirung  einen  ebenso 
rationellen  wie  wirksamen  Abschlüsse). 

Daneben  verlor  er  aber  auch  jene  Theile  des  Krongutes 
nicht  aus  den  Augen,  welche  als  Kirchengut  oder  weltliches 
Beneficium  in  fremder  Nutzung  standen^).    Die  Reichsi-egie- 


*)  Ann.  Alam.  a.  a.  751 :  Res  ecdesianim  descriptas  atque  divisas. 
Ganz  Ähnlich  zum  gleichen  Jahre  die  Ann.  Guelf.  nnd  Nazar.  SS.  I,  26  t 

')  Ansser  Capit  de  lillis  812,  welches  an  verschiedenen  Stellen  die 
AnfiBchreihnngen  nnd  Rechnungen  der  Wirthschaftsbeamten  regelt  (s.  unten 
4.  Abschnitt),  besonders  Capit  Aquisgr.  812,  c.  7  (LL.  I,  174):  Ut  .  .  . 
etiam  nostri  fisci  describantur,  ut  sdre  possimus,  quantnm  etiam  de  nostra 
in  nniuscnisque  l^^üone  habemns.  Auch  unter  Ludwig  d.  Fr.  Cap.  882, 
c.  35  (LL.  I,  864) :  pro  cautela  et  pro  fhturis  temporibus  per  omnes  curtes 
nostras  breves  flEuämus  de  omnes  teiritorias  de  ipsas  curtes  pertinentes. 

')  Ein  vereinzelter  Auftrag  Karls  d.  Gr.  zur  Inventarisirung  der  Abtei 
Jumi^es  ist  schon  ans  dem  J.  787  bekannt:  Haec  vero  est  summa  de 
rebus  eiusdem  coenobii,  qnae  praecepto  invictissimi  Caroli  regis  annume- 
rata  est  a  Landrico  abbate  Gemmetico  ac  a  Richardo  comite  anno  20  regni 
IUI.  SS.  n,  290  f.  Nach  der  Unterwerfung  Baiems  (788)  sind  Erhebun- 
gen aber  die  herzogUchen  Güter  und  Einkünfte  gepflogen  worden;  Keinz, 


—    334    — 

rang  hatte  ein  hervoiTagendes  Interesse  daran,  dass  diese 
Güter  in  ihrem  ganzen  Bestände  und  in  ihrer  Ertragsfähig- 
keit bekannt  wurden;  schon  die  gi-osse.  Ausdehnung,  welche 
das  Institut  der  Krongutsbeneficien  im  Laufe  der  Zeit  erlangt 
hatte,  legte  den  Gedanken  nahe,  dass  von  ihrem  gesicherten 
Bestände  und  ihrer  Leistungsfähigkeit  für  die  Staatszwecke 
zum  guten  Theile  ein  befriedigender  Zustand  der  Reichsfinan- 
zen abhängig  sei.  Wie  daher  Karl  d.  Gr.  im  Uebrigen  die 
Wii-thschaftsfbhrung  auf  den  Ki-onbeneficien  und  auf  dem 
Reichskirchengute  vielfach  beeinflusste  ^),  so  Hess  er  sich  auch 
die  Aufstellung  genauer  Inventarien  und  Gutsbeschreibungen 
derselben  angelegen  sein ').    Er  wollte  sich  damit  aber  nicht 


Indic.  Arnon.  S.  2;  und  ebenso  hat  Karl  d.  Gr.  dem  Bischof  Arno  Ton 
Salzburg  (Alcuin.  epist.  72),  als  er  ihm  den  dritten  Theil  des  Zehenten 
von  allen  Gatem  seiner  Kirche  zusicherte,  befohlen,  diess  indicolis  con> 
firmari,  worauf  der  Indiculus  Amonis  oder  auch  die  brevee  notitiae  Salx- 
burgenses  zurückzuführen  sind;  Tgl.  Zeissberg  in  Sitzungsberichten  d«r 
kaiserl.  Akademie  Wien,  Bd.  43,  S.  374. 

^)  Insbesondre  im  Capit  Nuimag.  806,  c  8  (LL.  I,  145),  aber  aoch 
schon  Capit.  Frankofurt  794,  c.  4  CLL.  I,  72),  wovon  Näheres  im  4.  und 
5.  Abschnitt 

^)  Capit  Aquense  807,  c.  7  (LL.  I,  149):  Yolumua  itaque  atque  pne- 
cipimus,  ut  missi  nostri  per  singulos  pagos  praevidere  studeant  omnia 
beneficia,  quae  nostri  et  aliorum  homines  habere  videntur,  qnomodo  re- 
stauratae  sint,  post  annunciationem  nostram,  sive  destructa.  Primom  de 
aecclesiis ,  quomodo  structae  aut  destructae  ünt  in  tectis,  in  maceriis  sive 
parietibus  sive  in  pavimentis,  nee  non  in  pictura,  etiam  in  luminariis,  nte 
offidis.  Similiter  et  alia  benefida,  casas  cum  Omnibus  appenditiis  eanun. 
et  laboratu  sive  adquisita;  vel  etiam  quid  unusquisque,  postqnam  hoc  &• 
cere  prohibnimus,  in  suum  alodem  ex  ipso  benefido  duxit,  vel  quid  ibiden 
ezinde  operatus  est.  Qualiter  autem  sit,  hoc  unusquisque  vicarins  siogniii 
comitatibus  in  suo  ministerio  simul  cum  nostris  missis  praevideat;  et  sie 
ut  npse  Jioc  coniurare  valeat,  totum  quod  invenerit,  in  brevem  mittat  et 
ipsos  breves  nobis  deferant  Et  omnes  hi,  qui  in  ipsa  benefida  habsot« 
una  cum  nostris  missis  veniant,  ut  sdre  possimus  qui  sint ,  aut  qni  soom 
beneficium  habent  condrictum  aut  distructum.  Similiter  et  eomm  alodes 
praevideant,  utrum  melius  sint  constructa  ipsi  alodi  aut  illud  benefidna, 
quia  auditum  habemus,  quod  aliqui  homines  illorum  benefida  habent  de- 
serta  et  alodes  eorum  restauratos.  Aquisgr.  812  (LL.  I,  174),  c  5:  Tt 
missi  nostri  diligenter  inquirant  et  describere  faciant  unusquisque  in  mint- 


—    335     — 

bloss  eine  genaue  Kenntniss  des  Gesammtbestandes  dieses 
Theils  des  Kronguts  vei-schaffen;  mindestens  ebensosehr  be- 
herrschte ihn  dabei  der  Gedanke,  der  Wirthschaft  anf  diesen 
Gütern  durch  die  Inventarisirung  eine  exacte  Grundlage  Dllr 
genauere  Rechnungsführung  zu  erstellen,  auf  die  Karl  d.  Gr. 
ja  auch  bei  seinen  eignen  Gütern  so  grosses  Gewicht  legte  ^). 
Und  ttberdiess  erschien  die  Anlegung  solcher  Grundbücher 
als  sehr  geeignetes  Mittel,  um  den  vielfach  hervortretenden 
gewinnsüchtigen  und  unredlichen  Neigungen  der  Belehnten 
einen  wirksamen  Riegel  voi'zuschieben.  Indem  der  ganze 
Gutsbestand  der  einzelnen  Benefiden  durch  die  von  localer 
Beeinflussung  freien  Missi  verzeichnet  wurde,  war  die  Möglich- 
keit abgeschnitten,  Theile  desselben  wideiTechtlich  zum  Allo- 
dialgute  der  Belehnten  zu  schlagen  und  so  das  Krongut  zu 
schmälern.  Und  indem  bei  dieser  Inventarisirung  auch  die 
Leute  der  Gmndherren  zu  Aussagen  über  den  Besitzstand, 
ihre  Zinse  und  Dienste  verhalten  wurden,  wurde  auch  der 
beliebigen  Steigerung  dei-selben  und  willkürlichen  Bedrückung 
durch  die  Grundherren  vorgebeugt*). 

Auch  die  Nachfolger  Karls  d.  Gr.  haben  an  dieser  be- 
wähilen  Massregel  zum  Schutz  des  Kronguts  und  besserer 
Ueberwachung  der  Beneficien  und  Kirchengüter  festgehalten; 
wiederholt  sind  ähnliche  Vorschriften  zur  Inventarisirung  und 


tico,  quid  unusquisque  de  beneficio  habeat,  yd  quot  homines  casatos  in 
ipBO  beneficio.  c  6:  Quomodo  eadem  benefida  condricta  sont,  aut  qois 
de  beneficio  sno  alodem  comparavit  vel  stnuüt 

^)  S.  unten  4.  Abschnitt 

^  VgL  beaonden  das  Placitum  de  colonis  viUae  Antoniad  Gnörard 
Innin.  U,  845:  ipsi  coloni  et  ipsa  viUa  ad  praesente  adstabat,  nnacom 
eonim  pares,  com  juramento  dictavenint,  quid  per  singnla  mansa  ex  ipsa 
curte  desolTore  debeant,  et  habebat  datnram  ipsa  discriptio  anno  84  reg- 
nante  Carolo  rege.  Im  Polypt  Inn.  sind  häofig  die  Namen  der  bei  der 
Anfiiahme  beigezogenen  nnd  ddlich  vernommenen  Colonen  angeführt.  Vgl. 
aaeh  die  notitia  testium  Tr.  Sang.  Anh.  n.  15:  Haec  est  inqnisitio  de 
cortis,  qui  faenmt  traditi  ad  moDasteriom  s.  Galli  in  fine  Clusina  ab  Er- 
chanboldo  Alamanno,  qualiter  nuper  misso  nostro  praesenti  reqaisienmt. 
Aehnliche  Zeagenanssagen  über  EIosterbesitK  an  die  missi  regii  ib. 
n.   16—21, 


—    336    — 

Gutsbeschreibung  von  ihnen  erlassen  worden  0-  ^io  könig- 
lichen Missi  hatten  demnach  in  ihrem  Bezirk,  unterstfitzt  von 
den  Grafen,  Yicaren  und  Centenaren,  statistische  Aufnahmen 
aller  königlichen  Gfiter  und  Einkünfte,  sowie  eine  genaue 
Untersuchung  und  Beschreibung  der  Vassallengüter  vorzaneh- 
men ;  auch  die  AUodialgüter  derjenigen,  welche  zugleich  Krön- 
gutsbeneficien  innehatten,  blieben  von  solcher  Untersuchung 
nicht  frei ,  um  die  Ausbeutung  dieser  zu  Gunsten  des  Eigen- 
besitzes zu  verhfiten.  Besonderes  Augenmerk  aber  war  den 
Missi  auf  die  Eirchengfiter  aulgetragen,  auf  welche,  wie  es 
scheint,  schon  in  dieser  Zeit  ein  weitgehender  Eigenthnms- 
anspruch  des  Reiches  erhoben  wurde.  Im  Beisein  und  mit 
Hilfe  des  Diöcesanbischo&  hatten  die  Missi  sowohl  die  Bau- 
lichkeiten und  das  Inventar,  die  Paramente  und  BQcherschätze, 


1)  Von  Ludwig  d.  Fr.  berichten  Ermoldi  NigelU  cannina  d.  521—^ 
(SS.  II,  488) :  Sed  tarnen  aecdesiae  vires  pensentor  et  aira  |  Congroa  me 
loca  fertiliora  minos  |  Inventa   proraos  rotolis  committite  cordis  |  El  mihi 
Bollicite  cuncta  referte,  placet    Caroli  caly.  conventos  in  villa  Spanaco 
846,  c.  20  (LL.  I,  389) :  Yidetor  nobis  atile  et  necessarinm,  ut  fiddes  et 
Btrenaos  missos  ex  utroque  ordine  per  singolos  comitatos  regni  vestri  mit- 
tatis,  qni  omnia  diligenter  inbre?ient,  quae  tempore  ayi  ac  patris  Testrif 
Tel  in  regio  spedaliter  serntio,  vel  in  vassallonim  dominicorum  benefidii 
fneront  et  qoid  vel  qualiter  aut  quantom  exinde  qnisque  modo  retineat 
et  secondum  veritatem  rennntietor  vobis.  KaroL  II  Synodos  SaesaioneDsii 
853  Capit  missor.  (LL.  I,  415),  c  1:    Ecclesiae  quoqae  Inminaria  et  o^ 
natum  debitum  ordinent,  et  thesaurum  ac  yestimenta  sea  libros  diUgeotcr 
inbrerient  et  breves  nobis  reportent.    Inbrevient  etiam,  quid  nnasqnisqne 
ecclesianim  praelatos,  quando  praeUitionem  ecdesiae  suscepit,  ibi  invenoit» 
et  quid  modo  exinde  ibi  minus  sit,  vel  quid  vd  quantom  sit  superaddi- 
tum  etc.    c.  2:  üt  missi  nostri  diligenter  investigent  per  singnlas  paro- 
chias,  simul  cum  episcopo,    de  monasteriis  quae  Deum  timentes  in  suis 
proprietatibus  aedificaverunt,  et  ne  ab  haeredibns  eorum  dividerentiirf  p»- 
rentibns  et  praedecessoribns  nostris  sub  immnnitatis  defensione  tndide- 
mnt,  et  postea  in  alodem  sunt  data;  ut  describant,  quae  sint  et  a  <iqo 
vd   quibus  in  proprietatem  datae  sunt,   et   nobis  renuntiare  proconot 
c  5:  Ut  missi  nostri  diligenter  investigent  cum  episcopo  et  pradatb  so* 
nasteriorum,  et  per  fideles  et  strenuos  viros  in  unaquaque  parodiia  de  rebos 
ecdesiaaticis  in  alodem  datis;  et  sicut  evidentibus  et  veria  isdictis  ascto- 
ritatibus  compererint,  diligenter  a  quo  et  quibus  datae  sint,  vd  quantos 
exinde  sit,  describant  et  nobis  renuntient    Vgl.  auch  c  8,  4,  6. 


—    337    — 

als  auch  die  Besitzungen  und  Einkünfte  zu  beschreiben,  die 
Verleihungen  und  die  etwa  der  Kirche  widerrechtlich  ent- 
zogenen GQter  zu  consta.tiren  und  aufzuzeichnen  und  all  diese 
Verzeichnisse  an  die  Hof  kanzlei  einzusenden.  So  war  die  Re- 
gierung während  des  ganzen  9.  Jahrhunderts  fbr  die  Gewin- 
nung fester  statistischer  Grundlagen  für  die  Ordnung  der 
Besitzstandsverhältnisse  und  Einkünfte  unablässig  thätig. 

Durch  ähnlich  gelagerte  Interessen  aber  wurden  bald 
auch  die  Grundherren  selbst  auf  den  Werth  solcher  Gutsbe- 
schreibungen aufmerksam.  Auch  sie  begannen,  angeregt 
durch  das  vorzügliche  Beispiel  der  karolingischen  Domanial- 
wii-thschaft,  eine  sorgsamere  Wii-thschaftsführung  auf  ihren 
Salgütem;  auch  sie  hatten  Theile  ihres  Grundbesitzes  als 
Beneficien;  Precarien  und  Zinsländer  ausgethan,  und  mussten 
bestrebt  sein,  deren  Bestand  und  Ertragsfähigkeit  zu  wahren; 
und  überdiess  konnten  sie  in  genau  geführten  Verzeichnissen 
der  Gutserwerbungen  auch  am  besten  und  vollständigsten  die 
Beweismittel  sich  gewinnen,  wenn  es  galt,  das  Einzelne  gegen 
widen*echtlichen  Angiiff  vor  Gericht  zu  vertheidigen  oder 
sich  fbr  das  Ganze  des  Kaisers  Schutz,  Bestätigung  oder  Im- 
munität zu  erwerben. 

In  vei*schiedenen  Formen  begegnen  uns  schon  in  dieser 
Zeit  solche  Aufzeichnungen  grösserer  Gutsbestände.  Es  sind 
theils  nur  Inventarien  einer  Grundherrschaft  oder  einer  Guts- 
wirthschaft,  über  den  Besitzstand,  die  Renten  und  vermögens- 
werthen  Rechte,  wohl  auch  schon  über  den  Stand  der  Guts- 
börigen  und  Leibeignen,  Yiehstand,  Gebäude  und  Vorräthe. 
Solche  Invßntarien  haben  die  Missi  in  verschiedenen  Theilen 
des  Reiches  gemäss  den  Voi'schiiften  des  Kaisers  ^),  aber  auch 


*)  Das  sog.  Breyiariam  reniin  fiscalium  enthält  solche  Aufnahmen 
von  dem  Fiskus  Staffelsee  des  Bisthums  Augshui^,  von  dem  königlichen 
Fiskus  Asnapium,  Treola  und  8  andern  nicht  benannten  Fiskalhöfen.  Es 
sind  zweifellos  Resultate  wirklicher  Inventarisirung  hier  mitgetheilt,  die 
dann  als  Muster  für  ähnliche  Arbeiten  dienen  sollten;  keineswegs  sind  es 
blos  Formeln  mit  fingirten  Zahlen,  ja  es  ist  sicher  eine  gleiche  Erhebung 
im  ganzen  Bisthum  Augsburg  vorgenommen  worden,  da  der  gesammte 
Hufenbestand  desselben,  nach  denselben  Gesichtspunkten  wie  fiür  das  eine 

TOn  Inama-Sternegg,  Wirthscliaftsgeschichte.    I.  22 


—    338    — 

einzelne  grössere  Grundhen*en  im  eignen  Interesse  aufgenom- 
men; sie  sind  zum  Theil  als  Grundlage  oder  Beilageinstru- 
mente zu  Traditions-,  Schenkungs-  oder  Testamentsurkun- 
den ^),  aber  doch  auch  als  Vorbereitung  für  eigentliche  Grund- 
bücher, selbständig  behandelt  worden^).  Zum  andem  TheSe 
sind  es  Manuale,  Concepte  und  sonst  fragmentarische  Notizen 
über  den  Gutsbestand  und  die  Einnahmequellen  der  Wirth* 
Schaft,  welche  sich  die  Gutsherren  selbst  oder  ihre  Verwalter 
anl^en,  bald  nur  als  Gedächtnisshilfe,  bald  als  Vorbereitung 
ftir'^yollständigere  Grundbuchsau&ahmen  ^).  Und  ihnen  reihen 
sich  die  summarischen  Vorschreibungen  oder  Zusammenlas- 
sungen der  Traditionen  an,  durch  welche  der  Bestand  der 
Grundherrschaft  sich  gebildet  hat^). 


Gat  Staffelsee  gegliedert,  mitgetheilt  ist.  Aach  das  breve  commCTioratotiam 
des  Bischofs  Erchambert  von  Freising  (836 — 854)  über  den  Hof  in  Pere- 
chirichon  ist  diesen  Inventarien  beizuz&hlen.  Meichelbeck  la,  126  be- 
zeichnet es  als  eine  Arbeit  dieses  Bischofis  selbst;  aber  sowohl  die  bei 
den  Breviarien  der  königlichen  Missi  übliche  Eingangsformel:  Hie  ümo- 
tesdt  quid  ibi  invenimus,  als  auch  die  genau  nach  dem  Muster  des  Brer. 
rer.  fisc.  angelegte  Aufzeichnung  legt  die  Yermuthung  nahe,  dass  wir 
es  hier  mit  einem  nach  den  Vorschriften  des  Ci4)it.  Aquisgr.  angdegteo 
Breviarium  zu  thun  haben.  Dasselbe  scheint  jedoch  von  Meichelbeck  nicht 
vollständig  mitgetheilt  zu  sein,  wie  seine  Bemerkung  am  Schlüsse  „haec 
et  plura  Mb  quam  similia*'  nahelegt;  überhaupt  führte  er  das  Stück  mehr 
als  Beispiel  vor,  was  zu  jener  Zeit  bei  den  Visitationen  der  Archen  be- 
obachtet wurde;  vgl.  Biezler,  Gesch.  Baiems  I,  292. 

^)  Die  Gutsbeschreibungen  im  Testamente  des  Diacons  Grimmo  6$6 
(Mittelrh.  Ürk.-B.  I,  5)  und  im  Testament  des  Bischofs  Tello  von  Chnr 
766  (Mohr,  Cod.  dipl.  Cur.  I,  S.  10  ff.)  sind  jedenfalls  ohne  Inventansi- 
rung  nicht  zu  denken. 

^  Der  Art  sind  die  Lorscher  und  St.  Gallner  Notizen,  s.  unten  S.  339 
Anm.  3. 

^)  Hieher  zählt  das  Verzeichniss  der  Wald-  und  Weideberechtigongen 
der  Abtei  Werden  848  (Lacomblet,  Urk.-Buch  £  d.  Gesch.  des  Nieder- 
rheins  I,  29). 

^)  Zu  diesen  gehören  einige  der  wichtigsten  UrbarialauftetchBODgen 
jener  Zeit;  insbesondere  der  Indiculus  Amonis  nebst  den  breves  notitiae 
Salzburgenses  (Ende  des  8.  Jahrb.),  ed.  Keinz  1869:  das  Breviarium  UroU 
abbatis  de  coenobio  qui  vocatur  Altaha  aus  dem  An&ng  des  9.  Jahrh. 
(Mon.  Boic.  XI,  S.  18),  das  Breviarium  st.  Lulli  von  Hersfeld  ans  der  Zeit 


—    339    — 

Veroinzelt  kommen  auch  schon  in  dieser  Zeit  die  später 
häufiger  werdenden  Zins-,  Gilt-  und  Dienstregister,  als  Hebe- 
rollen vor,  welche  zum  Handgebrauche  der  Vögte  und  Ver- 
walter bei  Einziehung  der  Zinsen  und  Zehenten,  sowie  zur 
Controle  der  geleisteten  Frondienste  gebraucht  wurden  ^).  Sie 
gehören  theils  zu  den  Vorstufen  des  eigentlichen  Grundbuchs 
oder  UrbarSy  wo  die  Uebersicht  des  Besitzstandes  und  des 
grundherrlichen  Einkommens  nur  auf  ihnen  beruhte,  bald  sind 
sie  Auszüge  aus  dem  Urbar  selbst,  um  den  handlichen  Ge- 
bi'auch  desselben  an  den  verschiednen  Einhebungsstellen  der 
Abgaben,  den  Officien  oder  Ministerien  zu  erleichteiii. 

Von  mehr  oder  weniger  vollständigen  Grundbüchern 
deutscher  Grundherrschaften,  ^welche  die  Besitzungen,  Dienste 
und  Einkünfte  in  systematischer  und  geographischer  Ordnung 
darlegen,  besitzen  wir  aus  dieser  Zdt  nur  drei,  sämmtlich 
geistlichen  Gebieten  angehörend');  es  ist  aber  wohl  kein 
Zweifel,  wofür  auch  manche  Anhaltspunkte  vorhanden  sind^), 

Yor  786  mit  etwas  späteren  Zusätzen  (W^enk,  Ürk.-B.  zum  2.  Bande  der 
hessischen  Geschichte,  S.  15  ff.).  Auch  ein  kleiner  Theil  des  sog.  Bre- 
yiarium  remm  fiscalium  (s.  oben)  „de  Ulis  clerids  et  laicis  qni  illorum  pro- 
prietates  tradiderunt  ad  monasterium  quod  vocatur  Wizunburch  et  e  contra 
recepenmt  ad  usom  fructuarium^  kann  hieher  gezählt  werden. 

^)  Hierher  werden  wohl  zu  rechnen  sein  das  EinkOnfteverzeichniss  des 
Klosters  Wessobrunn  sub  abbate  Ilsungo  cc.  760  (Mon.  Boic.  YII,  397), 
wenn  es  überhaupt  dieser  Zeit  angehört;  femer  die  deutsche  Essener 
Heberolle  aus  dem  Ende  des  9.  oder  Anfang  des  10.  Jahrb.  (in  Mllllenhof 
und  Scherer»  altdeutsche  Sprachdenkmale  S.  1811)  welche  nur  diejenigen 
Einkaufte  der  9  grossen  Haupihöfe  enthält,  welche  sie  zu  dem  Brauamte 
liefern  mussten,  vgl.  Lacomblet,  ArchiT  f.  Gesch.  d.  Niederrh.  I,  S.  14; 
dann  das  Verzeichniss  der  Einkünfte  des  Eelleramts  von  Beichenau  843 
(Wirt  ürk.  B.  I,  n.  108). 

*)  Das  Güterverzeichniss  der  Abtei  Prüm,  a.  898,  commentirt  1222 
von  dem  Ezabte  Cäsarius,  Mittekh.  Urk.  B.  I,  n.  135;  das  ältere  Hebe- 
r^iister  (?)  der  Abtei  Werden  an  der.  Ruhr  aus  dem  9.  Jahrb.  Lacomblet 
Archiv  f.  d.  Gesch.  d.  Niederrheins  II,  S.  209 ff.;  das  Summarium  et  regi- 
strum  bonorum  Blidenstatensium  saec  IX,  X  in  Monumenta  Blidenstatensia, 
Quellen  cur  Geschichte  des  Klosters  Bleidenstadt  hgg.  von  C«  Will  1874, 
S.  8ff. 

^)  So  sind  die  „notitia  arearum  quas  apud  Monguntiam  habemus^  und 
die  folgende  Aufzeichnung  „has  hubas  circa  Moguntiam  habemus**  Cod. 

22» 


—    340    — 

dass  der  ordnende  Geist,  der  besonders  die  geistlichen  Grund- 
herm  dieser  Zeit  schon  zu  einer  besseren  Gliederong  nnd  Or- 
ganisation ihrer  Besitzungen  führte,  vielen  von  ihnen  auch  den 
Weii;h  dieser  eminenten  Hilfemittel  zur  Erhaltung  der  Ord- 
nung und  Uebersicht  ihrer  Wirthschaft  nahe  legte,  um  so  mehr 
als  sie  an  den  gi'ossen  und  gut  geleiteten  Wirthschaften  vieler 
französischer  Klöster  vortreffliche  Vorbilder  gerade  auch 
hierfür  hatten*). 

Es  ist  ein  gi'osser,  wahrhaft  volkswirthschafüicher  Process, 
welcher  sich  dergestalt  in  all  den  Yerftndei-ungen  des  Besitz- 
standes, in  der  Concentration  und  wirthschaftifchen  Gliederung 
des  Grundeigenthums  manifestirt.  So  lange  die  Hufe  im 
Wesentlichen  nur  dem  Hausbedarf  der  Familie  zu  dieDen 
bestimmt  war,  kamen  weder  die  besondre  Eignung  derselben 
für  einzelne  bestimmte  Productionszweige ,  noch  die  vollvs- 
wirthschaftlichen  Verhältnisse,  in  denen  sie  etwa  nach  Lage. 
Verkehi-sgelegenheit  und  Seltenheit  ihrer  einzelnen  Eigen- 
schaften zur  ganzen  Wirthschaft  des  Volkes  stand,  zur  Geltang, 
ja  nicht  einmal  zum  Bewusstsein.  Und  ebensowenig  konnten 
die  persönlichen  Eigenschaften  der  einzelnen  kleinen  Land- 
wirthe,  welche  sie  zur  Betreibung  dieses  oder  jenes  Zweigs 
der  Bodencultur  oder  wirthschafüichen  Technik  besonders 
befähigt  gemacht  hatten,  konnten  die  Untemehmeilalente  und 


Lauresh.  1976  u.  1977  (ans  der  Zeit  Karls  d.  Gr.),  sowie  die  beiden  Frag- 
mente in  den  Tr.  Sang.  I,  n.  18  (aus  der  Mitte  des  8.  Jahrh.)  nnd  Anh. 
n.  23  (aas  der  Mitte  des  9.  Jahrh.)  unzweifelhafte  Ansätse  zn  eisein 
grösseren  Gnmdbach,  aUerdings  weder  Fragmente  noch  Excerpte  eines 
solchen.  Der  Abtei  Lauben  (Lobbes  im  Hochstift  Lflttich)  hat  K  Lotbsr 
(869)  den  Auftrag  gegeben,  ein  Polyptichium  herzusteUen  nach  d'Achery 
Spidlegium  (1728)  n,  S.  785.  Das  Ed.  Pist  864  c.  29:  Ut  im  coloni  tem 
fiscales  quam  et  ecclesiastici,  qui,  sicut  in  polyptids  continetor  et  ipa  noa 
denegant  etc.  setzt  die  Grundbüdier'  aUgemein  als  vorhanden  Tonuu. 

^)  Z.  B.  Polyptichion  Irminonis  (von  St  Germain),  Sithiense,  S.  Bc- 
migii  Remensis,  monast  Fossatensis  vgl.  i.  A.  Gu^raid  Poljptique  J«" 
l'Abb^  Irminon  ou  denombrement  des  manses,  des  serfe  et  des  rerence» 
de  l'abbaye  de  St.  6ermain-des-Pr^s,  sous  le  regne  de  ChariemagQ^ 
publik  avec  des  prol^om^nes  2  T.  Paris  1844.  Das  vollständigste  Weii 
über  diese  QueUen. 


—    341    — 

specifischen  Arbeitsfähigkeiten  der  Einzelnen  znr  Anwendung 
kommen  und  zur  Steigerung  des  Ertrags  erfolgreich  ver- 
werthet  werden.  Alle  Besonderheit  und  specifische  Eignung 
der  Productionskräfte  wie  der  Productionsmittel  blieb  nj^ 
verwerthet;  die  grösste  Eintönigkeit  und  61eichf5nnigkeit, 
daher  auch  jeder  Mangel  innigerer  Verkehrsbeziehungen  und 
wechselseitiger  Ergänzung,  eine  weitgehende  Isolirung  der 
einzelnen  Wirthschaften  gab  diesem  wichtigsten  Zweig  der 
nationalen  Production  in  der  ersten  Zeit  der  deutschen  Yolks- 
wirthschaft  sein  charakteristisches  Gepräge. 

All  das  ist  in  der  karolingischen  Epoche  schon  wesentlich 
anders  geworden.    Sobald  einmal   das  s^nzliche  Ungenttgen 
dieser  isolirten  Wirthschaft  für  Befriedigung  der  Bedürfiiisse 
einer  gestiegenen  Bevölkerung,  eines  erweiterten  und  vervoll- 
kommneten Lebensgenusses  zum  Bewusstsein  kam,  entdeckte 
man  in  Grund  und  Boden  die  Fähigkeit  zu  steigendem  Er- 
trage und  zui'  Begiündung  einer  bessern  socialen  Stellung. 
Die  Steigerung  des  Erfolgs  persönlicher  Arbeit  sowie  die  Be- 
wahrung d6r  Resultate  früherer  Arbeitsverwendung,   die  Er- 
sparung von  Theilen  des  laufenden  Einkommens  zur  Mehrung 
der  Herrschaft  über  Productivmittel ,  das  alles  war  in  jener 
Zeit  wesentlich  immer  auf  Giimd  und  Boden   angewiesen. 
Denn   das  Geldkapital  hatte  seine  mächtige  Rolle  kaum  zu 
spielen  begonnen  und  auch  sonstiges  Gebrauchskapital  war 
bei  der  eng  begrenzten  Technik,  die  wieder  fast  ausschliess- 
lich im  Dienste  der  Hauswiithschaft  stand ,  für  diese  Zwecke 
nur  in   sehr  beschränkter  Menge  zur  Verfügung.    Alle  Con- 
currenz  um  die  Güter   dieses  Lebens,   um  Reichthum  und 
Macht,    die  zu  allen  Zeiten  so  mächtig  der  Menschen  Sinn 
beherrscht,  ihre  Handlungen  geleitet  haben,  richtete  sich  auf 
den  Grundbesitz.    Wer  sich  stark  fühlte,    der  strebte  nach 
Erweiterung  seiner  Herrschaft  über  Grund  und  Boden,   die 
ihm  grössere  Einkünfte  und  die  Möglichkeit  verhiess  auch 
fremde  Arbeitskraft  in  seinen  Dienst  zu  zwingen.    Ja  es  war 
das  bald  Bedingung  für  jeden,   der  sich  in  der  Klasse  der 
wohlhabenden  Leute  behaupten  wollte;  denn  schon  hatte  sich 
unter    dem    allgemeinen   Eindrucke   der   veränderten  volks- 


J 


~    342    — 

wirthschaftlichen  Verhältnisse  auch  das  Urtheil  über  das  Mass 
des  zu  selbständiger  Wirthschaft  nothwendigen  Grundbesitzes 
erheblich  geändert,  und  diesem  Streben  nach  Concentration 
desselben  damit  eine  Billigung  ausgesprochen  ^).  Wessen  Kraft 
sich  aber  schwach  ei*wies,  der  gab  doch  lieber  seine  Freiheit 
auf  als  seinen  Grundbesitz ;  um  den  Preis  pei'sönlicher  Ei*gebang 
in  fremden  Dienst  konnte  selbst  der  landlose  Freie  sich  einen 
Antheil  an  diesem  einzigen  grossen  Nationalkapital  sichem. 

Nicht  in  der  Festigkeit  und  Unabänderlichkeit  der  be- 
stehenden Eigenthumsordnung  und  Gütervei-theilung  konnte 
dieses  Ziel  einer  vollkommneren  Verwerthung  der  wirthschaft- 
lichen  Kräfte  des  Bodens  eireicht  werden.  Alle  Klassen  des 
Volkes  waren  vielmehr  an  dem  Gegentheile,  der  Mobilisirunc 
des  Grundeigenthums  interessirt.  Die  Ausdehnung  der  Grund- 
herrschaft,  die  Concentration  vieler  Güter  in  wenigen  Händen 
hatte  nur  Aussicht  auf  Erfolg,  wenn  die  rechtliche  Verfügung 
über  Grund  und  Boden  möglichst  frei  geworden  war,  wenn 
Gutserwerb  durch  Schenkung  oder  Auftragung,  durch  Kauf  und 
Tausch  nicht  mehr  durch  Erbrechte  und  Genosseni-echte,  durch 
Untheilbarkeit  und  Unveräusserlichkeit  der  Güter  behindert 
war.  Und  ebenso  musste  die  fi*eieste  Verfügung  über  das 
eigne  Gut  demjenigen  erwünscht  sein,  der  in  ihm  das  einzige 
Mittel  besass ,  um  sich  die  Gunst ,  den  Schutz  und  die  För- 
derung durch  einen  Mächtigen  zu  erkaufen,  nachdem  längst 
die  Familie  und  die  Genossenschaft  der  Markgemeinde  auf- 
gehört hatte  ihm  solches  zu  gewähren. 

In  der  That  hat  die  Mobilisirung  des  Ginindeigenthams 
während  der  Karolingerzeit  gi*ossartige  Dimensionen  angenom- 
men und  zeigt  uns  vielleicht  mehr  als  irgend  ein  anderer 
Vorgang  die  grosse  volkswirthschaftliche  Bewegung  jener  Zeit. 
Schon  die  Merowingerperiode  hatte  dieser  Entwickelung  belang- 
mch  vorgearbeitet    Von  der  alten  Gebundenheit  des  Familien- 


*)  Vgl.  Capit.  de  exerc.  promov.  808,  c.  2  (LL.  I,  119  a.  808)  »<> 
von  den  liberis,  die  mindestens  4  mansos  besassen,  die  geringer  Begütcrta 
geradezu  als  pauperiores  anterschieden  werden.  Auch  sonst  werden  die 
kleinen  freien  Grundbesitzer  pauperes  genannt  z.  6.  Capit  805  c.  16  ,tL 
I,  134)  C.  811  c  3  (I,  168)  C.  816  c.  3  (I,  196). 


—    343    — 

besitzes,  von  den  feldgemeinschaftlichen  Beschränkungen  der 
Markgenossenschaft  war  wenig  mehr  übrig  geblieben.  Seitdem 
Weibererbfolge  auch  in  dem  Grundbesitz  zugelassen^),  die 
Immobiliardos ')  aufgekommen  war,  seitdem  beliebige  Ver- 
äusserung  des  echten  Eigen  nach  vorhergegangener  Ab- 
schichtung  oder  auch  ohne  solche  Beschränkung  zugelassen'^) 
and  der  zuerst  in's  Auge  gefasste  Fall  der  Noth  besonders  zu 
Gunsten  der  Kirche  eine  sehr  ei*weiterte  Anwendung  gefunden 
hatte,  und  seitdem  alle  diese  Vorgänge  durch  die  Ausbildung 
des  Immobiliarprocesses  auch  in  rechtlich  unanfechtbaren 
Foimen  ausgeführt  und  gegen  Widerstreitende  behauptet 
werden  konnten^):  seitdem  war  für  eine  vollkommnei*e  volks- 
wiithschaftliche  Yerwerthung  des  Grundeigenthums  eigentlich 
schon  freie  Bahn  geschaffen.  Die  Karolingerzeit  aber  häufte 
nicht  bloss  die  Fälle  solcher  auf  Grund  der  späteren  Yolks- 
rechte  schon  zugelassner  Verfügung  über  Grundbesitz;  sie  er- 
weiterte auch  noch  die  rechtliche  Möglichkeit  hierzu.  Ei*st 
jetzt  werden  Grundstücke  auch  an  Zahlungsstatt  gegeben, 
besonders  auch  zur  Tilgung  einer  Wergeidschuld  veräussert'*), 


^)  Grosse  Grandherrn  begünstigten  ihrerseits  schon  wieder  einiger- 
massen  den  Mannsstamm  bei  ihren  Zinsgütem,  wie  das  in  der  folgenden 
Periode  häufiger  wird;  z.  6.  Tr.  Sang.  834,  n.  348  similiter  faciat  eijusque 
tota  agnitio  qaamdin  Tirilis  sexus  iUas  res  heriditaverit;  si  autem  ad  femi- 
nam  contigerit  hereditari,  tone  ad  ipsum  monasterium  redeant  (die  Zins- 
ländereien).  Auch  Tr.  Sang.  869,  n.  547:  heres  quoque  illius  legitimus, 
id  est  masculus,  sub  eodem  censu  possideat;  et  deinceps  ^'us  legitimi 
heredes  de  masculino  genere  procreati  sub  eodem  censu  possideant 

*)  Schröder,  Geschichte  des  ehel.  Güterrechts  I,  66  von  der  frän- 
kischen, ib.  68  von  der  alamannischen,  70  von  der  bairischen  dos.  Sohm 
in  Zeitsch.  f.  Rechtsgeschichte  V.  433. 

")  L.  AI  I,  1.    L.  B%juy.  I,  1.    L.  Saxon.  c.  62. 

*)  Vgl.  I.  Buch,  3.  Abschn.  S.  109. 

')  Meichelb.  bist  Frising.  816  Ib,  n.  308:  Haec  sunt  testes  qnos 
tradidit  Hleoperth  propter  territorium  quam  tradidit  in  manus  Kemandi 
per  wergeldum  Hroadolfi  presbyteri.  Niederrh.  Urk.  B.  802  I.  23.  Auch 
I  Biy.  I,  9,  10,  welche  das  Wergeid  für  Geistliche  und  Bischöfe  mit 
Grundstücken  zahlbar  erklären,  stammen  erst  aus  der  Zeit  Pipins  oder 
Karl  Martells. 


—    344    — 

wo  diese  früher  von  der  Familie  übemommen  wurde  ^);  erst 
jetzt  wird  die  Erblosimg  beseitigt,  wenn  ein  Gut  mit  den 
entsprechenden  Formalacten  gesetzlich  tradirt  war  *) ;  erst  jetzt 
wird  die  Einwilligung  des  nächsten  Verwandten  zur  Ver- 
äusserung  schon  angenommen,  wenn  dieser  in  öffentlicher 
Grerichtsversammlung  der  Yeräusserung  beigewohnt  und  nicht 
auf  der  Stelle  widersprochen  hatte  ^).  Wohl  hat  die  Gesetz- 
gebung der  gewinnsQchtigen  Erschleichung  solcher  Schenkun- 
gen zu  steuern  gesucht,  wie  sie  besonders  die  Kirche,  aof 
diese  ihr  günstigen  Bestimmungen  des  Immobiliargütenrerkehrs 
gestützt,  zum  Nachtheil  der  nächsten  Verwandten  sich  zu 
Schulden  kommen  liess  ^) ;  aber  nichtsdestoweniger  sind  solche 
Rücksichten  doch  selten  geübt  worden.  Wer  einmal  sein 
Erbgut  durch  Auftragung  zum  Zinsgute  gemacht  hatte,  dessen 
Nachkommen  waren  dem  guten  Willen  und  Belieben  der 
neuen  Eigenthümer  anheimg^eben,  wenn  sie  sich  nicht  durch 
Vertrag  sicher  gestellt  hatten  ^).  Ja  es  kam  wohl  vor ,  dass 
ein  Kloster  Güter  unter  der  Bedingung  erhalten  hatte,  diese 
einer  dritten  Person  gegen  Zins  zu  überlassen  und  nun  ein- 
feu^h  mit  einem  andern  Gut,  das  den  klösterlichen  Wirihschafts- 


^)  L.  Salica  de  chrenecrada  s.  o.  L  Bach,  8.  Abschnitt  S.  102. 

>)  Capit.  817,  c.  6  (LL.  I,  211)  Ut  omnis  homo  liber  potestatem  habett 

ubicomque  yoluerit  res  suas  dare  pro  salute  animae  suae Et 

postquam  haec  traditio  ita  facta  fuerit,  heres  illios  nollam  de  praedictis 
rebus  valeat  facere  repetitionem. 

')  Burchardi  episcopi  Wormatiensis  leges  et  statata  fiuniliae  s.  Petri 
(1024?)  c.  6:  Si  quis  praediom  Tel  haereditatem  soam  infra  fiuniliam  yeo* 
diderit  et  aUqais  haeredum  suonim  praesens  fuerit  et  nihil  contradizerit 
....  postea  iure  carebit    Grimm,  Weisth.  I,  805. 

*)  Capit  Aqoisgr.  817  c.  7  (LL.  I,  207),  Statutam  est  ut  nullus  qoi- 
libet  ecdesiasticus  ab  bis  persoms^res  deinceps  accipere  praesumat,  quanm 
liberi  aut  propinqui  hac  inconsulta  oblatione  possint  renun  proprianm 
exheredari.    Capit  826  c.  8  (I,  254)  und  C.  875  c.  88. 

^)  Capit  817  c.  4  (LL.  I,  214):  Si  quis  terram  ceosalem  habuerit 
quam  antecessores  sui  Tel  ad  aliquam  ecclesiam  vel  ad  viUam  nostnoi 
dederunt,  nnllatenus^eam  secundum  legem  teuere  potest,  nisi  ille  voloerit 
ad  cnius  potestatem  Tel  illa  ecclesia  Tel  illa  TÜla  pertinet ;  nisi  forte  filias 
aut  nepos  eius  sit  qui  eam  tradidit  et  ei  eadem  terra  ad  tenendam  pI*- 
dta  Sit. 


—    345    — 

Interessen  besser  convenirte  (einem  Neubruch!)  seiner  Ver- 
pflichtung entsprach  1). 

Auf  diese  Weise  ist  die  Mobilisirung  des  Grundeigenthums 
erst  in  der  Eai*olingerzeit  recht  bedeutend  geworden;  die 
Fälle  sind  nicht  selten,  in  welchen  in  einzelnen  Doifoiarken 
während  weniger  Jahre  Dutzende  von  Besitzveränderungen 
stattfanden^);  aber  doch  war  solche  Beweglichkeit  nöthig,  um 
jene  Gliederung  und  Neuordnung  des  grossen  Grandbesitzes 
darchzuf&hren,  welche  die  Voraussetzung  für  die  Fortschritte 
der  Production  bildet,  wie  sie  dieser  Zeit  zu  eigen  sind. 
Zwar  hat  eben  diese  Zeit  mannigfache  Gegentendenzen  erzeugt; 
das  Benefidalwesen ,  die  Aufti-agung  von  freiem  Eigen  mit 
KQckempfang  als  Precarie  haben  immer  eine  Beschränkung 
der  Dispositionsbefugniss  zunächst  des  Beneficiai-s  und  Pre- 
caristen,  bald  aber  auch  des  Verleihers  hervorgebracht.  Denn 
das  Beneficium  wurde  doch  zumeist^  auf  Lebenszeit  des  Em- 
pfängers oder  Verleihei-s  verliehen;  und  wenn  auch  auf  Un- 
treue oder  selbst  auf  mangelhalEter  Bewirthschaftung  desselben 
die  Strafe  des  Verlustes  stand,  so  ist  davon  in  späterer  Zeit 
wohl  ebensowenig  häufig  Gebrauch  gemachj;  worden,  als  es 
für  die  Dauer  gelang,  dem  Thronfallsrecht  bei  den  Kron- 
beneficien  eine  mehr  als  bloss  theoretische  Existenz  zu  sichern. 
Auch  die  Precarien  haben  sich  im  Laufe  der  Zeit  von  dem 
ursprünglichen  Charakter  des  römisch-rechtlichen  Instituts 
immer  weiter  entfemt.  Die  früher  übliche  5jährige  Er- 
neuerungsfrist kömmt  ausser  Uebung;  die  Precarien  werden 
ebenso  wie  die  Beneficien  auf  Lebenszeit  verliehen  und  zeigen 
schon  eine  Neigung  zur  Erblichkeit.    So  hörten  die  Beneficial- 


*)  Tr.  Sangall.  827,  n.  809:  Sed  nunc  nobis  conplacoit,  ea^dem  res 
in  cambinm  mittere,  id  est  ut  ipsas  res  in  T.  ad  nostros  sumamus  usus 
et  eidem  femine  unom  novale  W.  noncapatom  daremus. 

^  Viele  Beispiele  in  dem  wegen  seiner  chorographischen  Anordnung 
hierii^  besonders  instructiven  Cod.  Laureshamensis ;  in  Basinsheim  haben 
in  den  3  letzten  Jahren  Pipins  9  Besitzveränderungen  stattgefunden;  in 
Hantschuchsheim  in  derselben  Zeit  26;  w&hrend  der  Regierung  Karls  d.  Gr. 
dort  24,  hier  66;  im  J.  778  allein  9,  782  6;  in  Manneheim  782  allein 
7  Traditionen. 


—    346    — 

guter  allmälig  auf,  was  sie  unter  Karl  d.  Gr.  entschieden  noch 
waren,  wichtige  Kaufinittel  zu  sein  und  darum  in  starkem 
Umlaufe  sich  zu  befinden.  Auch  das  Mitium  und  das  Seniorat 
haben  der  allzu  weiten  Beweglichkeit  des  Grundbesitzes  schoo 
fillhzeitig  Schranken  gezogen  ^) ;  aber  die  Unbeweglichkeit  des 
Lehenswesens,  das  aus  ihnen  entspi-ang,  gehört  doch  noch 
nicht  zu  den  charakteristischen  Erscheinungen  der  Karolinger- 
zeit;  ei*st  mit  der  Gonsolidirung  der  grundherrschaftlicheo 
Organisation  sind  diese  und  ähnliche  Formen  der  Gebunden- 
heit zu  rechter  Wirksamkeit  gelangt.  Die  Stammgüter  des 
Adels,  die  Geschlossenheit  der  Bauerngüter,  die  markgenossen- 
schaftlichen  Verfügungsbeschränkungen  und  Retractrechte  ge- 
hören alle  erst  der  folgenden  Periode  an^). 


Vierter  Abschnitt. 

Die   TOlkswirthschaftliche   Wirksamkeit    der    grossen 
Orundherrschaften  und  das  nationale  Erwerbsleben. 

Die  Ausbildung  der  grossen  GrundheiTschaften  während 
der  Karolingerzeit  ist  das  Resultat  des  ganzen  Entwickelungs- 
ganges ,  welchen  das  politische ,  sociale  und  wirthschaftliche 
Leben  des  deutschen  Volkes  während  zweier  Jahrhunderte 
eingeschlagen  hat.  Die  Gilterproduction  und  der  nationale 
Erwerb  sind  durch  dieselben  nicht  minder  nachhaltig  und 
entscheidend  beeinflusst  worden,  als  die  GüteiTertheilung  und 
die  Ordnung  der  persönlichen  und  Eigenthumsverhältnisse. 
In  dem  embryonalen  Zustande  der  älteren  Zeit  gab  es  so  ni 
sagen  keine  nationale  Wirthschaft,  weil  sie  keine  nationale 
Arbeit  und  keinen  nationalen  Verkehr  hatte;  in  den  wesent- 
lichsten Stücken  des  Güterlebens  war  jeder  auf  sich  seIb>T 
gestellt  und  damit  in  engste  Grenzen  der  Bedüi'fiiisse  nnd 


^)  Capit  803  c.  10  (LL.  I,  115):  Ut  nee  colonus  nee  fiscaliniis  for«s 
mitio  possint  alieubi  traditionem  facere. 

*)  Vgl.  i.  A.  Beseler,  Erbverträge  I,  48—68. 


—    847    - 

der  Lebenshaltung  gebannt.  Kein  Gebot  des  Staates,  keine 
Einrichtung  grosser  socialer  Kreise,  keine  Macht  geregelter 
gesellschaftlicher  Beziehungen  zwang  zu  gemeinwirthschaftlicheu 
oder  gemeinnützigen  wirthschaftlichen  Leistungen ;  keine  gab 
auch  nur  Veranlassung,  eine  gi'osse  Summe  von  individuellen 
Arbeitskräften  oder  Producten  für  höhere  Ziele  nationaler 
Wirthschaft  einzusetzen  oder  doch  in  unbewusster,  unwillkür- 
licher Bethätigung  des  Geselligkeitstriebs  und  Gemeinsinns  zu 
vereinen.  Es  fehlte  mit  einem  Worte  die  Organisation  der 
volkswirthschaftlichen  Kräfte;  und  erat  mit  der  Veränderung 
der  Genossenschaftsverhältnisse  in  Staats-  und  Volksleben,  mit 
der  Concentration  der  Gewaltbefugnisse  über  Menschen  und 
Güter  in  wenigen  Händen  schien  das  Mittel  gegeben,  um  nun 
auch  alle  Leistung  zu  steigern  und  die  Wirksamkeit  der  Ge- 
sammtleistung  für  die  Deckung  der  nationalen  Bedürfnisse  zu 
erhöhen.  Es  lag  in  der  hervon-agenden  Bedeutung,  welche 
dem  Grundbesitz  und  Bodeneitrag,  sowie  der  Massenarbeit  des 
gemeinen  Volkes  in  jener  Zeit  zukam ;  tief  begründet,  dass 
die  Führerrolle  in  diesem  Entwickelungsprocess  des  nationalen 
Lebens  den  grossen  Grundherren  zufallen  musste;  und  es  ist 
eine  Frage  von  der  allergrössten  Tragweite,  nicht  bloss  für 
das  geschichtliche  Verständniss  der  folgenden  Periode,  sondern 
geradezu  für  das  allgemeine  Ui*theil  über  die  Bedeutung  dieser 
Entwickelung ,  wie  die  Grundherren  der  ihnen  zugefallenen 
Aufgabe  gerecht  geworden  sind  und  in  welcher  Weise  sie  es 
verstanden  haben,  die  Nation  durch  eine  festere  Ordnung 
ihrer  wirthschaftlichen  Kraft  zur  Erzielung  grösserer  ökono- 
mischer Ergebnisse  und  auf  dieser  Grundlage  zu  einer  höheren 
Stufe  des  Gulturlebens  zu  befähigen. 

Von  verechiedenen  Seiten  her  sehen  wir  diese  gi'osse  Auf- 
gabe in  AngriiF  genommen.  Ein  wohlvei*standenes  Bedüifniss, 
wenn  auch  einseitigem  wirthschaftlichen  und  gesellschaftlichen 
Sonderinteresse  entsprungen,  hatte  die  Grundherren  auf  das 
Gebiet  der  socialen  Organisation  geführt.  Durch  hervor- 
ragende Macht  wollten  sie  zu  hervon-agender  Geltung  kommen. 
In  einem  möglichst  weit  umfassenden  Verbände  abhängiger 
Leute,  dessen  Haupt  und  Hen*scher  sie  waren,  suchten  und 


—    348    — 

fanden  sie  die  Elemente  einer  Machtstellung,  die  sie  von  dem 
massgebenden  Einflüsse  der  Reichsregierung  und  von  der  Ein- 
mischung der  Amtsgewalt  immer  mehr  befreien  sollte.  In  der 
Ausdehnung  und  voUkommneren  Ausbildung  ihrer  Herrschaft 
über  Grund  und  Boden  sodann  kam  das  Bestreben  zum  Aus- 
druck, diese  mannigfach  abgestufte  Klasse  der  abhängigen 
Leute  ^eichmässig  und  bleibend  an  die  eignen  Interessen  zu 
knüpfen ;  denn  in  der  Grundherrschaft  lag  zugleich  die  Herr- 
schsit  über  die  Productionsmittel ,  also  in  letzter  Linie  auch 
über  die  Existenzmittel.  In  beiden  Richtungen  konnte  dieses 
Bestreben  für  die  Dauer  aber  doch  nur  Erfolg  haben,  wenn 
auch  die  Interessen  der  Unterworfenen  dabei  ihre  Förderung 
fanden,  wenn  ihre  Existenz  gesichert  war,  ihre  Bedür&isse 
wenigstens  nach  ihrer  materiellen,  wirthschafUichen  Seite  besser 
befriedigt  werden  konnten,  als  in  der  isoliiten  Stellung,  welche 
der  gemeinfi-eie  kleine  Grundbesitzer  in  der  Gesellschaft  ein- 
nahm, dem  weder  ein  schwacher  Familienverband,  noch  m 
loser  Verband  der  Markgenossen,  noch  der  allgemeine  Unter- 
thanenverband  genügend  Schutz  und  Pflege  seiner  Interessen 
gewährte. 

Darin  lag  also  die  Aufforderung  an  die  grossen  Grond- 
heiTon,  die  ihnen  zu  Gebote  stehenden  Mittel  in  gewissem 
Sinne  zu  Mitteln  der  Gesammtheit  derer  zu  machen,  die  sich 
ihi*em  Herrschaftswillen  unterwarfen;  diese  Verbindung  vieler 
Schwachen  mit  einem  Starken  musste  schliesslich  zum  Vor- 
theile  beider  ausschlagen,  der  Herrschaftsverband  auch  fbr  die 
Unterworfenen  als  Quelle  ihrer  Wohlfahrt  erscheinen,  wenn 
er  Bestand  und  gesichei-te  Entwickelung  gewinnen  soUta  Und 
dazu  war  die  Befriedigung  von  Gemeinbedürfnissen,  eine  ge- 
meinnützige Thätigkeit,  die  den  Mangel  einer  staatlichen  Ge 
sammtleistung  für  das  öffentliche  Wohl  nicht  empfinden  liess. 
unbedingt  nothwendig.    Indem  die  Ginindhen-en  aber  immer 
mehr  öffentliche  Angelegenheiten  zu  ihrer  eignen  Aufgabe 
machten ,  stellten  sie  auch  die  productive  Kraft  der  Yolks- 
gesammtheit  in  den  Dienst  des  öffentlichen  Lebens  und  brach- 
ten  damit   eine  neue  socialökonomische  Ordnung  zu  einem 
wenigstens  vorläufigen  Abschluss. 


—    349    — 

Alles  aber,  was  hiefür  von  weltlichen  wie  geistlichen 
Grandherren  in  wahrhaft  volkswirthschaftlichem  Sinne  ge- 
leistet wurde,  erscheint  doch  mehr  oder  minder  als  ein  Wie- 
derhall des  Grandtons,  den  die  karolingische  Politik  besonders 
durch  ihren  gi*ossen  Kaiser  Karl  für  volkswirthschaftliche  Or- 
ganisation und  Hebung  des  nationalen  Erwerbslebens  ange- 
schlagen hat.  Es  ist  jedenfalls  im  höchsten  Masse  charakte- 
ristisch für  die  ganze  Zeit,  dass  das  Streben  Karls  d.  6r.  nach 
Erweiterung  seiner  Macht  und  festei*er  Begründung  seiner 
Herrschaft  keine  andern  Mittel  erfand,  als  jene,  deren  sich 
jeder  Gi-undherr  in  seinem  kleinen  Gebiete  nach  Möglichkeit 
auch  bediente;  dass  der  Kaiser,  indem  er  in  die  Yolkswirth- 
schaftspflege  den  Schwerpunkt  seiner  administrativen  und 
finanziellen  Reformen  verlegte,  zugleich  allen  Ginindherren 
zum  Vorbild  ward  und  ihnen  die  Wege  wies,  auf  denen  sie 
selbst  zu  Machtei*weiterung  und  dauerhafter  Herrschaft  ge- 
langen konnten.  Wohl  war  des  Kaisers  Macht  von  anderem 
Ursprünge,  als  die  HeiTschaftsgewalt  der  Grossen  im  Reiche; 
aber  sie  nährte  sich  doch  aus  denselben  Quellen  und  war 
schliesslich  weniger  mehr  der  Ai-t  als  dem  Grade  nach  ver- 
schieden. Das  System  einer  Centralisation  der  Reichsgewalt, 
die  sich  aus  der  privatwiithschaftlichen  Behen-schung  der  Pio- 
ductivkräfte  des  Volkes  zu  ernähren  gewillt  war,  scheiterte 
an  der  Concurrenz  einer  Vielheit  gleichgearteter  Gewalten 
auf  demselben  Gebiete  volkswirthschaftlicher  Kräfte;  so  blieb 
keine  andere  Wahl,  um  die  Einheit  des  Reichs  wenigstens 
ausserlich  zu  retten,  als  diese  Vielheit  der  Gewalten  selbst 
zum  System  zu  erheben,  die  Grundherren  als  berufene  Träger 
wesentlicher  socialer  und  wirthschaftspolitischer  Aufgaben  zu 
erklären  und  allen  in  dem  Lehensverbande  doch  wenigstens 
einen  gemeinsamen  Gedanken  und  eine  einheitliche  Organi- 
sation mit  der  persönlichen  Spitze  des  Kaisei-s  zu  geben. 

Waren  nun  auch  die  volkswirthschaftlichen  Leistungen 
der  königlichen  Gutsverwaltung  und  der  übrigen  Grundhen^en 
ziemlich  gleichaiüg,  so  tragen  doch  die  karolingischen  Anord- 
nungen und  Einrichtungen  einen  mehr  wirthschafts-  und  so- 
oialpolitischen  Charakter  an  sich,  mögen  sie  nun  die  Stellung 


—    350    — 

des  Amtmanns^)  oder  die  Leistungen  der  untei-geordneten 
Wirthschaftsbeamten  ^),  die  Ordnung  der  pei*sönlichen  Dienste 
und  Abgaben  der  Unfreien  auf  den  Gütern')  oder  deren 
eigne  Wirthschaft  ^)  oder  die  wii-thschaftliche  Einrichtung  der 
Höfe'^)  und  ihres  Landwiithschaftsbetriebs  ^)  betreffen.  Sie 
haben  damit  eine  Bedeutung  erlangt,  welche  weit  über  das 
Oebiet  der  privatwirthschaftlichen  Einrichtungen  hinausragt, 
auf  dem  sie  zunächst  erwachsen  waren.  Es  kömmt  den  ka- 
rolingischen  Wirthschaftsvoi'schriften  eben  darum  aber  auch 
eine  Ueberlegenheit  und  für  die  ganze  Entwickelung  der  ?olks- 
wirthschaftlichen  Zustände  ein  viel  massgebenderer  Einflass 
zu,  als  vorwandten  Bestrebungen  der  übrigen  GrundherreD, 
irelche  sich  immer  auf  deift  rein  privatwirthschaftlichen  Gebiete 
bewegten  und  in  Pflege  ihrer  Sonderinteressen  das  letzte  Ziel 
auch  derjenigen  Einrichtungen  erblickten,  die  sie  zur  Förde- 
rung der  Wirthschaft  ihrer  Untergebenen  trafen. 

Die  Bedeutung  der  karolingischen  Wirthschaftseiniich- 
tungen  ei-schöpfte  sich  überdiess  nicht  in  dem  Einflüsse,  wel- 
chen sie  auf  die  Organisation  der  Productivkräfte  und  den 
ökonomischen  Betrieb  unmittelbar  im  Bereiche  der  königlichen 
Gutswirthschaften  übten;  auch  auf  die  wirthschaftlichen  Ein- 
richtungen und  die  Bewirthschaftung  der  königlichen  Benefi- 
cien,  welche  in  gi*ossen  Mengen  in  den  Händen  der  Getreuen 
und  Diener  des  Königs  sich  befanden,  erstreckte  sich  dieser 
Einfluss  und  wirkte  damit  in  wesentlich  erweiterten  Grenzen 
in  ähnlicher  Weise  auf  Wahrung  und  Förderung  socialer  wie 
wirthschaftlicher  Interessen  ein.  Wie  der  König  darauf  sah. 
4ass  die  als  Beneficien  hinausgethanen  Güter  doch  auch  den 
Zwecken  und  Interessen  des  Ver)eihei*s  dienstbar  blieben,  wie 
«r  durch  besondere  Regelung  ihrer  Kriegsdienstverpflichtungen', 


M  Capit  de  Vül.  c.  3,  7,  9,  30,  36,  56,  67. 

*)  c.  10,  36,  45,  60. 

•)  c.  3,  54. 

*)  c.  2,  23,  52. 

*)  c  6,  36,  37,  40,  63,  67. 

')  c  34,  48;  vgl.  über  alle  diese  Stellen  unten  im  ZusammenliAO^' 

')  Capit.  miss.  807  (LL.  1, 149),  c.  1,  6 ;  Cap.  miss.  808  (LL.  1, 119  £},  c  ^ 


—    351    — 

und  ihrer  Leistungen  für  die  Rechtspflege^),  die  Eirchen- 
pflege')  etc.  dafbr  sorgte,  dass  auch  die  Staatszwecke  durch 
das  System  der  Beneficien  eine  besondere  Förderung  erfahren 
kouAen,  so  war  seine  Sorgfalt  auch  auf  Wahrung  und  För- 
derang wirthschaftlicher  und  socialer  Interessen  innerhalb  der 
Beneficien  gerichtet.  Er  trat  nicht  nur  energisch  gegen  den 
Missbrauch  auf,  Beneficialgüter  in  Eigengflter  zu  verwandeln 
oder  jene  zur  Verbesserung  des  Eigenguts  auszusaugen  ^),  son- 
dern trug  den  Beneficiaren  direct  die  Hebung  des  Gutes,  die 
Verbesserung  der  wirthschaftlichen  Einrichtungen  und  des  Be- 
triebes auf  ^).  Zum  Schutz  der  Rechte  der  mit  dem  Benefi- 
dum  verliehenen  Unfi*eien  oder  Hörigen  wie  zur  Wahrung 
ihrer  ökonomischen  Interessen  erliess  er  Bestimmungen  ^)  und 
lichtete  auf  den  Beneficialgütern  eine  eigne  gesetzliche  Ord- 


0  Waitz,  Verfc-G.  IV,  857. 

')  Monach.  SangaU.  I,  80  (SS.  11,  745) :  Quod  si  novae  (ecdesiae) 
faissent  institaendae,  omnes  episcopi,  duces  et  comites,  abbates  etiam  et 
qojcnmqae  regalibus  aecclesiis  praesidentes,  com  univerBis  qui  publica  con- 
secati  sunt  benefida,  a  frindamentis  usque  in  culmen  instantiBsimo  labere 
perdoxenint 

")  Capit  Aquisgr.  802  (LL.  I,  91),  c.  6:  Ut  benefidum  domini  impe- 
ratoiis  deseitare  nemo  aadeat  propriam  suam  exinde  construere;  Cap.  803 
iLL.  I,  122),  c.  3:  Qoi  benefidum  domini  imperatoris  et  aecdesiarum  Dei 
habet,  nihil  exinde  ducat  in  suam  hereditatem,  ut  ipaum  benefidum  de- 
fiCmator.  Gap.  Nium.  806  (LL.  I,  144),  c.  6:  Auditum  habemus,  qualiter 
et  comites  et  alii  homines  qui  nostra  beneficia  habere  videntur,  compa- 
/ant  sibi  proprietates  de  ipso  nostro  benefido  et  fiidant  servire  ad  ipsas 
proprietatea  senrientes  nostros  de  eorum  benefida  et  curtes  nostras  rema- 
nent  desertas.  c  7:  Audivimus  quod  aliqui  reddunt  benefidum  nostrum 
ad  alios  homines  in  proprietatem  et  in  ipso  pladto  dato  pretio  comparant 
ipsas  res  iterum  in  alode  sibi:  quod  omnino  cavendum  est;  vgl.  auch  Ca- 
pit missis  data  802,  c  9  (I,  97)  und  Excerpta  c  49  (I,  101). 

*)  Cap.  Aquit  768  (LL.  II,  14),  c.  5:  Quicunque  nostrum  benefidum 
habet,  bene  ibi  laborare  condirgat;  Cap.  789  (LL.  I,  69),  c  19:  Ut  missi 
nostri  provideant  beneficia  nostra  quomodo  sunt  condirecta.  Cap.  Aquisgr. 
818  (LL.  I,  188),  c.  4:  üt  hi  qui  benefidum  nostrum  habent,  bene  illud 
inmeliorare  in  omni  re  studeant;  vgl.  Cap.  excerpta  c.  50  (I,  101):  Ut 
beneficia  Saxonnm  in  Franda  considerentur,  qualiter  condirecta  sunt 

^  S.  oben  2.  Absdm.  S.  232  und  S.  245  ff. 


—    352    — 

nung  der  Armenpflege  ein  ^).  Und  auch  allgemeinere  Zwecke 
der  Yolkswirthschaftlichen  Pflege  wusste  er  durch  seinen  Ein- 
fluss  auf  die  Beneficien  zu  verfolgen ,  wie  er  z.  B.  in  Theue- 
rungszeiten  gerade  für  sie  Preisvorschriften  erliess^,  damit 
das  königliche  Gut,  ob  es  in  eigner  Vei-waltung  oder  im  Be- 
neficialverbande  stand,  doch  dem  Wohle  der  Gesammtheit  zu 
dienen  vermöge. 

In  ähnlicher  Weise  machte  dann  Karl  d.  Gr.  die  Ziele 
seiner  wirthschaftlichen  Politik  auch  innerhalb  der  Verwaltosg 
der  Kirchengüter  geltend.  Ein  Theil  derselben  war  ohnehin, 
wie  andres  Grundvermögen,  in  der  Verwaltung  des  Königs^); 
andere  als  Kronbeneficien  an  weltliche  Grosse  vergeben  und 
diesen  gleich  behandelt^).  Aber  auch  das  in  der  Verwaltnog 
der  Bischöfe,  Abteien  und  Klöster  stehende  Gut,  mochte  es 
vom  Könige  oder  anderswoher  stammen,  galt  als  Eigenthum 
des  Beichs  oder  unmittelbar  des  Königs  und  diente  ebenso- 
sehr den  Bedüiinissen  des  Reiches  wie  der  Kirche  selbst^). 


1)  Capit  Frankol  794  (LL.  I,  72),  c.  4:  Et  qui  nostmm  habet  lND^ 
fidam,  diligentiBsime  praeTideat,  qaantam  potest  Deo  donante,  at  williä 
ex  mancipÜB  ad  illum  pertinentes  beneficium  ÜEunem  moriator.  Cap.  Fusd* 
806  (LL.  I,  144),  c.  9:  De  mendicis,  qui  per  patrias  discnmmt,  toIiudo« 
ut  unusquisque  fidelium  noBtronun  auum  pauperem  de  benefido  ant  de 
propria  familia  nutriat  (andre  Lesart:  de  benefido  nostro  nutriat).  ib.  c^' 
praesente  anno,  quia  per  plorima  loca  famis  valida  esse  videtor,  ut . .  • 
cuncti  fideles,  qoi  benefida  regalia,  tarn  de  rebus  ecdesiae  qnamque  et  de 
reliquis  habere  videtur,  unusquisque  de  suo  benefido  sna  fiunilia  notn- 
care  faciat 

')  Capit  Nium.  806,  c.  8;  s.  unten  5.  Absdinitt 

')  Ann.  Bert.  866,  p.  473:  de  abbatia,  caput  cum  electioiibos  villi» 
sibi  retinens,  cetera  quoque  per  quoscumque  suos  dividit;  867,  p.  474: 
abbatiam  ipsius  monasterii  sibi  retinuit,  causas  monasterii  et  conlaboniio- 
nem  per  praepositum  et  decanum  atque  thesaurarinm,  militae  quoque  ca- 
ram  per  maiorem  domus  sua  commendatione  geri  disponens;  8.  WaJti 
IV,  133. 

«)  S.  oben  3.  Abschnitt  S.  283  £ 

'^)  Ficker  Über  das  Eigenthum  des  Rdchs  am  Reiehskircheiigote  pw- 
sim;  besonders  Kaiser  Karls  d.  K.  Antwort  an  den  Papst,  der  ihm  dieBe- 
schatzung  des  Bischofsguts  von  Laon  w&hrend  der  Abwesenheit  des  fiiKbofi 
angetragen  hatte:  Reges  Francorum  ex  regio  genere  nati,  non  episoopo- 
rum  yicedomini,  sed  terrae  domini  hactenus  fuimus  computati;  —  ooa 


—    853    — 

Die  Geltendmachung  eines  massgebenden  Einflusses  auf  die 
Verwaltung  und  Wirthsehaftsfllhrung  war  demnach  doch  nur 
eine  Consequenz  des  Grundsatzes,  dass  das  Reich  auch  An- 
sprach auf  die  Früchte  dieser  Güter  habe.  Um  ihre  wirth- 
schaftliche  Leistungsfähigkeit  zu  erhalten,  deren  Minderung 
auch  das  Reich  geschädigt  hätte,  musste  die  königliche  Ver- 
waltung rationelle  Grundsätze  des  Betriebs  auch  bei  ihnen  zur 
Geltung  bringen,  wo  das  etwa  nicht  schon  durch  das  eigne 
Interesse  der  Inhaber  des  Kirchenguts  geschah^);  und  gleich- 
zeitig mussten  die  Könige  darauf  bedacht  sein,  dass  die  so- 
cialen und  ökonomischen  Einrichtungen  der  Bischöfe  und 
Aebte  auf  ihren  Besitzungen  nicht  in  Widersprach  traten  mit 
der  von  Reichswegen  verfolgten  wirthschaftlichen  und  socialen 
Politik  2). 

So  sind  schliesslich  die  Grundzüge  einer  bessern  Organi- 
sation und  sorgsameren  Verwerthung  der  Productivkräfte, 
durch  welche  die  karolingische  Wirthschaftsreform  sich  aus- 
zeichnet, doch  auf  einem  weit  grösseren  Gebiete  zur  Geltung 


autem  episcopornin  villici  extiterunt  (Bibl.  vet  patram  9  b,  222).  Ficker 
S.  50.  In  C.  Fuld.  849,  n.  556  ist  Ton  Colonen  die  Bede,  qoi  agros  mo- 
nasterii  colont  et  ad  regiam  curiam  censom  persolvere  debent. 

')  Z.  B.  Cap.  789  (LL.  I,  69),  c.  15.  Ut  episcopi  et  abbates  et  abba- 
tissae  cuppla  canum  non  habeant,  nee  falcones,  nee  acdpitres,  nee  jocu- 
latores.  Cap.  monast  789  (I,  67),  c.  6:  De  cellarüs  monasterii,  ut  non 
ayari  mittantur.  Ygl.  auch  Statuta  Rhispacensia  et  Frisingensia  799  (I,  77), 
c.  11;  Statuta  Salisburgensia  799  (I,  80),  c.  6.  Capit  Aquisgr.  802  (LL. 
1,  93),  c  19  und  viele  spätere  Bestimmungen,  bes.  Ed.  Pist  c.  30  (I,  496): 
Ut  quoniam  in  quibusdam  lods  coloni  tarn  fiscales  quam  et  de  casis  Del 
suas  hereditates,  id  est  mansa  quae  tenent  .  .  .  vendunt  et  tantummodo 
sellam  retinent  et  hac  occasione  sie  destnictae  fiunt  villae,  ut  non  solum 
censas  debitus  inde  non  possit  ezigi,  sed  etiam  quae  terrae  de  singulis 
^oansig  fuerunt  iam  non  possint  agnosci ,  constituimus  . .  .  ut  hoc  nullo 
modo  de  cetero  fiat. 

')  Die  für  Kronbenefiden  erlassenen  Vorschriften  über  Wirthschafts- 
fuhrong  und  Behandlung  der  abhängigen  Leute  sind  regelmässig  zugleich 
für  Bischöfe  und  Aebte  gegeben;  z.  B.  Cap.  Nium.  806,  c,  8:  ut  omnes 
exnscopi,  abbates,  abbatissae,  comites  seu  domestid  et  cuncti  fideles  qui 
beneficia  regalia  .  . .  habere  videntur.  Vgl.  auch  Capit  Episcoporum  779 
(LL.  I,  39j.    Ueber  die  commutationes  s.  3.  Abschnitt  S.  301. 

▼  on  Inama-Sternegg,  Wirthschaftsgeschielite.    I.  23 


—    354    — 

und  zum  Ausdruck  gekommen ,  als  dies  in  den  der  könig- 
lichen Vei-waltung  untei*stellten  Krongütem  umschrieben  ist 
Berücksichtigen  wir  aber  zugleich  noch  den  mittelbaren  Ein- 
fluss,  der  von  ihnen  aus  auf  alle  gi*ossen  Gutswirthsehaften 
ausging  und  sie  veranlasste,  dem  grossen  Vorbilde  nachzu- 
kommen, das  ihnen  hier  gegeben  war,  so  ist  es  wohl  nicht 
zu  viel  gesagt,  dass  die  karoKngische  Wiitbschaftsorganisation 
der  Yolkswirthschaftlichen  Production  jener  Zeit  auf  ihrem 
wichtigsten  Gebiete  geradezu  ihr  charakteristisches  Geprilge 
gegeben  hat  Die  beiden  Grundlagen  dieser  ökonomischen 
Reform,  die  Ausbildung  eines  Systems  von  persönlichen  Ab- 
hängigkeitsverhältnissen und  die  Villenverfassung  sind  bereits 
früher  eingehend  erörtert.  Kam  dadurch  Ordnung  und  Glie- 
derung in  die  weitläufigen  Besitzungen  einer  grossen  Gnmd- 
herrschaft  wie  in  das  sociale  Gefüge  der  ganzen  Bevölkemng, 
so  ist  es  damit  nun  auch  möglich  geworden,  eine  Gliederung 
der  Arbeit  und  eine  Gebrauchstheilung  des  Vermögens  in  der 
Wirthschaft  des  Volkes  durchzuführen,  wodurch  sie  zu  höheren 
Ergebnissen  befähigt  wurde. 

Jeder  Versuch,  ein  festeres  Gefüge  und  eine  planmässige 
Leitung  der  Arbeitskräfte  herbeizuführen,  mit  denen  grössere 
wirthschaftliche  Ziele  in  einheitlicher  Weise  zu  erreichen  wa- 
ren, musste  mit  den  aus  der  Erwerbung  solcher  Herrschaft 
resultirenden  Verhältnissen  der  dienenden  Arbeit  rechnen. 
Von  Anfang  an  waren  in  jeder  grösseren  Gnindherrschaft 
Leute  der  verschiedensten  rechtlichen  und  wirthschaftlichen 
Stellung  vereinigt;  und  diese  Verschiedenheiten  mehrten  sich 
noch  beträchtlich  mit  weiterer  Ausdehnung  der  herrschaftlichen 
Verbände. 

Neben  den  Leibeignen,  die  ohne  jeden  Eigenbesitz  am 
Herrenhofe  selbst  wohnten  und  die  gewöhnlichen  Verrichtun- 
gen der  Hausdiener  neben  den  knechtischen  Arbeiten  für  die 
Bestellung  des  Sallandes  versahen,  standen  die  behausten 
Leibeignen,  pereönlich  zwar  eben  so  unfrei  und  abhängigst* 
jene,  aber  doch  durch  den  ihnen  zu  selbständiger  Bewirtb- 
schaftung zugewiesenen  Grundbesitz  des  Herrn  nicht  so  be- 
liebig verwendbar;  die  Zinsleute  sodann  in  verschiedner  recht- 


-    355    — 

lieber  und  wohl  auch  ökonomischer  Abstufung,  durch  preka- 
lischen  oder  doch  abgeleiteten  Besitz  dem  Herrn  persönlich 
und  dinglich  verpflichtet,  aber  doch  nur  in  einer  beschränk- 
ten, gemessnen  Weise  ftlr  die  Wirthschaft  des  HeiTonhofes 
belastet  und  verfügbar.     Dann  aber  vereinigte  die   Grand- 
herrschaft  auch  freie  Leute  in  der  verschiedensten  ökonomi- 
schen Lage,   Freigelassne  sowohl  als  ursprünglich  Vollfreie, 
die  sich  durch  Auftragung  und  Rückempfang  ihres  Besitzes 
als  BeneficiumO,  in  Form  einer  Precarie  auf  Lebenszeit  oder 
sogar  mit  Erbberechtigung  in  den  Schutz  und  die  Gewalt  der 
Grandherren  begeben  hatten.    Aber  auch  die  landlosen  Freien, 
welche  sich  mit  Erlaubniss  des  Herrn  auf  dessen  Gebiet  nie- 
dergelassen hatten^),  sowie  die  freien  Grundbesitzer,  die  sich 
unter  den  Schutz  eines  Mächtigen  stellten,  ohne  dadui'ch  ein 
Eigenthumsrecht  desselben  an  ihrem  Gute  zu  begründen'), 
waren  doch  wenigstens  in  so  feine  einem  einheitlichen  Herr- 
schaftswillen untei'woifen ,  als  eben  das  Schutzverhältniss ,  in 
dem  sie  sich  befanden,  auch  ohne  besonderen  Eid  der  Treue, 
zwang,  den  Befehlen  des  Hen*n  gehorsam,  seinen  Interessen 
ergeben  zu  sein,  um  des  für  sie  so  nothwendigen  Schutzes 
nicht  verlustig  zu  gehen.    Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  diese 
verschiedenen  Klassen  von  Untergebenen  nicht  in  derselben 
Weise  und  mit  gleicher  Intensität  für  die  Zwecke  der  Herr- 
schaft zu  verwenden,   nicht  mit  gleicher  Leichtigkeit  einem 


^)  Schon  frühzeitig  fiDden  sich  Beispiele  von  Benefiden,  welche  welt- 
liche Grandherren  verliehen  haben;  Parde88.*728,  n.  544:  Quod  Amalo  in- 
benefidatam  habnimos  seu  quod  senrus  noster  Bertoinus  per  benefidom 
nostrum  yisos  est  habere,  ib.  785,  i^.  557.  Tr.  Wizz.  734,  n.  9:  quidquid 
Wilharios  ibidem  pro  beneficio  nostro  yisos  est  habere;  ib.  739,  n.  10; 
776,  n.  58;  784,  n.  60.  Tr.  Sangall.  775,  n.  21:  dono  quantomcunque 
genitor  mens  mihi  moriens  dereliquit  et  vassi  mei  ...  in  beneficio  nostro 
ibidem  tenerunt;  s.  Walter,  RG.  §  82. 

*)  Vgl.  Gap.  Worm.  829  (I,  354),  c.  6:  De  liberis  hominibus  qui  pro- 
priam  non  habent,  sed  in  terra  dominica  resident  Gap.  de  yill.  52:  in- 
genni  qui  per  fiscos  aut  villas  nostras  commanent 

*)  Gap.  Worm.  1.  c. :  Uli  vero  (liberi)  qui  et  proprium  habent  et  tamen 
in  terra  dominica  resident;  s.  auch  Reg.  Prüm,  über  die  haistaldi  und 
S-  368  Anm.  2. 

23* 


—    356    — 

einheitlich  gedachten  Wirthschaftsorganismus  einzufügen  waren. 
Und  es  ist  eben  desshalb  auch  die  Entwickelung  des  herr- 
schaftlichen Verbandes  im  einzelnen  Falle  zunächst  von  der 
wirthschaftlichen  B,ß.ngordnung  der  Untergebenen  abhängig 
gewesen ;  nur  wo  von  jeder  Klasse  der  Abhängigen  eine  ge- 
nügende Zahl  vorhanden  war,  konnte  die  Ginindherrschaft 
auch  nach  allen  Seiten  des  socialen  und  wirthschaftlichen  Le- 
bens hin  Kraft  und  Wirksamkeit  gleichmässig  entfalten;  jedes 
Uebergewicht  einer  dieser  Klassen  veränderte  auch  den  so- 
cial -  ökonomischen  Gesammtcharakter  der  Gnindheirschaft  und 
machte  sie  einseitig,  sei  es  nun  in  dem  Streben  nach  politi- 
schem Einfluss  oder  in  der  Geltendmachung  socialer  Ueber- 
Tegenheit  und  brutaler  Gewalt  oder  in  ausschliesslicher  Ver- 
folgung von  VeiTOÖgensinteressen  durch  Beschränkung  auf  die 
Steigei-ung  privatwirthschaftlichen  Gütererwerbs. 

Unstreitig  am  gleichmässigsten  und  vielseitigsten,  was  die 
Arbeitskräfte  betrifft,  war  die  königliche  Ginindherrschaft  selbst 
entwickelt.  In  den  Königspfalzen  und  auf  den  Domänen  war 
von  den  niedei'sten  leibeignen  Hausdienern  und  Ackerknecb- 
ten  bis  zu  den  edelsten  Geschlechtem  und  höchsten  Hofbeamten 
wohl  jede  Stufe  der  gesellschaftlichen  Gliedening,  jeder  Grad 
der  Abhängigkeit  und  des  pei-sönlichen  Rechtes  vertreten  ^X 


1)  Cap.  783  (LL.  I,  47),  c.  12:  De  mancipiis  palatii nostri  et  ecde- 
siamm  nostraram  nolomus  mundium  recipere  sed  nostros  ipsos  mandpios 
habere.  Servus  regius,  imperatoris,  fisd  u.  dgL  Cap.  Tic  801  (L  ^^'^ 
c.  8.  C.  Aqu.  802  (I,  91),  c.  4;  Cap.  de  vill.  c.  23,  52.  Cap.8l7il,2iu, 
c.  1.  Vita  ffiudow.  c.  22  (SS.  II,  618).  Beyer  816,  1,  51 ;  Mon.  Boic.  S^Ö. 
XXVIHa,  p.  25.  Coloni  Cap.  803  (I,  121),  c.  15;  Ed.  Pist  864  (1,495. 
c.  29.  C.  Fuld.  849,  n.  556.  Fiscales,  fiscal! ni  Cap.  803,  c  r>; 
Cap.  802  (I,  91),  c.  4:  fiscales  qui  se  iniuste  et  cam  fraades  Übero«  dtcost; 
Cap.  de  yilL  c.  50:  fiscalini  qui  mansos  habuerint.  Liti  r^s  ).  Ssx.t)5 
Aldiones  Cap.  Francic.  783  (I.  47),  c.  15.  Parschalken  Bied  cod 
Hat  887,  I,  67.  Liberi,  franci,  ingenai  Cap.  de  tiU.  c  4:  ta^ 
qai  in  fiscis  aat  yillis  nostris  commanent ;  c.  52 :  de  ingennis  qui  per  ^cm 
aat  villas  nostras  commanent.  Wirt  Ürk.-B.  p.  83:  a  liberis  hominib°^ 
necnon  et  a  fiscalibus  in  fisco  nostro  commanentibos;  proceres  ptU^^ 
Vita  Adalhardi  c.  86  (SS.  I,  528);  obtimates,  comites  sea  domesdd  <H 
cuncti  fideles  Cap.  Nium  806  (I,  145),  c.  8;  principe»  palatii  soi  ^it» 
Sturmi  (SS.  I,  370),  c.  12. 


—    357    — 

Wohl  hatte  die  königliche  Hofhaltung  persönliche  Dienstlei- 
stungen in  besonders  gi*ossem  Umfange  nothwendig  ^) ,  um  so 
mehr,  als  nicht  bloss  die  Pfalzen  als  regelmässige  Aufenthalts- 
orte der  Könige,  sondern  auch  die  grösseren  Villen  für  die 
königliche  Hofhaltung  eingerichtet  waren  ^).  Doch  waren  bei 
der  grossen  Verschiedenheit  der  Aufgaben,  welche  der  fOr 
den  persönlichen  Dienst  am  Hofe  gewidmeten  Klasse  der  Ab- 
hängigen zufielen,  die  Abstufungen  der  persönlichen  Stellung 
und  gesellschaftlichen  Geltung  wieder  so  vei-schieden,  dass  sich 
leicht  Freie  und  Unfreie,  höchst  angesehene  und  einflussreiche 
mit  ganz  untergeordneten  Leibeignen  in  dieser  Klasse  zusam- 
menfanden ^). 

Nicht  minder  bedeutend  aber  an  Zahl  und  Abstufung 
waren  diejenigen ,  welche  dem  Dienste  des  Königs  auf  seinen 
Villen  und  Landgütern  gewidmet  waren,  theils  unmittelbar  in 
der  Domanialwirthschaft  verwendet,  theils  als  Inhaber  von 
Zins  -  und  Dienstgütern,  von  denen  sie  Abgaben  zur  Mehrung 
der  Domanialeinkünfte  zu  leisten  und  Arbeit  aller  Art  für  die 
Wirthschaft  der  hen*schaftlichen  Höfe  zu  verrichten  hatten  *). 
Bei  der  gi'ossen  Ausdehnung,  welche  die  Domanialwirthschaft 
wenigstens  unter  Karl  d.  Gr.  hatte,  konnten  die  Wirthschafts- 
beamten  den  eigentlichen  Hofbeamten  an  Zahl  und  Bedeutung 


^)  Ein  ganz  besonderer  Grund  ist  [hiefÜr  angegeben  bei  Hincmar  de 
ordine  palatii  (Walter  corp.  ior.  m,  766)  c.  18:  sed  nee  illa  sollicitudo 
deerat,  nt  si  fieri  potuisset,  sicut  hoc  regnum  Deo  aactore  ex  plurimis  re- 
gionibos  constat,  ex  diversis  etiam  eisdem  regionibuB  aut  in  primo  aat  in 
secundo  aat  etiam  in  quolibet  loco  iidem  ministri  eligerentur,  qualiter  fa- 
miliarios  qoaeqae  regiones  palatiom  adire  possent,  dum  suae  genealogiae 
Tel  regionis  consortes  in  palatio  locum  tenere*^cognoscerent 

*)  Cap.  de  vill.  c  65:  quando  nos  in  villas  nostras  nun  venimus;  vgl. 
auch  c.*ßi,  88  f.,  59,  61 :  quando  (iudex)  serrierit  oder  ähnlich«  Vgl.  auch 
d^  Brey.  rer.  fisc.,  das  auf  mehren  Villen  eine  sala  regalis  auffilhrt. 

^  Vgl.  hiezu  i.  A.  Maurer,  Fronhöfe  I,  146—166,  212—247. 

*)  Z.  B.  Tr.  Sang.  837,  n.  357 :  in  villa  Hundnchova  (Schweiz)  1  mans. 
domin.  cum  viridiario,  6^/s  mansis,  mancipüs  tam  ibi  commanentibus  quam 
ei  appendentibus.  836  Beyer  I,  64:  in  yilla  Wistrikisheim  (Ripuarien) 
man»,  dorn,  et  alios  mans.  7  et  3  viniolas  et  sedios  cum  3  vinitoribus  et 
mancipia  58;  s.  die  Beilage  No.  VII. 


—    358    — 

leicht  das  Gleichgewicht  halten,  wie  auch  die  landwirthsehaft- 
lichen  Arbeiter  keineswegs  gegenüber  den  niederen  persön- 
lichen Dienern  an  den  Yei*8chiedenen  Hofhaltungen  nachstan- 
den. Ueber  Zinsbauem,  Precaristen  und  Beneficiare,  die  mit 
ihren  Leistungen  gleichfalls  als  Glieder  der  im  Dienste  der 
königlichen  Wirthschaft  arbeitenden  Bevölkemng  angesehen 
werden  müssen,  verfügte  die  königliche  Gnindherrschaft  nidit 
minder  reichlich;  war  ja  doch  in  der  Geltendmachung  des 
Königsrechts  auf  wüstes  und  herrenloses  Land,  sowie  auf  Er- 
chengut  allein  schon  reichliche  Gelegenheit  geboten,  zahlreiche 
dienende  Arbeitskräfte  an  sich  zu  ziehen;  und  an  Zudrani: 
auch  zu  solchem  Königsdienste,  wie  ihn  die  Zugehörigkeit  m 
einer  königlichen  Villa  mit  sich  brachte,  fehlte  es  nie;  war 
doch  kein  Grundherr  im  Stande,  bessere  Bedingungen  zu  ge- 
währen, gi'össere  Aussichten  zu  ei-öffnen ,  und  am  Ende  auch 
keiner  geneigt,  seinen  Leuten  eine  so  grossmüthige  und  sor^r- 
same  Behandlung  angedeihen  zu  lassen,  als  der  König.  W 
so  ist,  so  weit  wir  sehen,  wenigstens  unter  Karl  d.  Gr.,  ziem- 
liches Gleichgewicht  der  gemeinen  und  qnalificirten  Arbeit 
der  pei'sönlichen  Dienstleistungen  und  der  dienenden  Arbeit 
in  der  Production  und  damit  eine  wichtige  Voraussetzung  für 
eine  gute  und  reichliche  Gliederung  der  Arbeit  vorhanden 
gewesen,  durch  welche  die  Productionseifolge  der  Domanial- 
wii-thschaft ,  ja  des  ganzen  nationalen  Erwerbs  beträchtlich 
gesteigert  werden  konnten. 

Dagegen  charakterisiren  sich  die  weltlichen  Grandhen*- 
Schäften  noch  immer  durch  ein  auffallendes  Uebergewicht  per- 
sönlicher, unfreier  Hausdiener.  Von  Anfang  an  haben  sie 
besonderen  Werth  auf  die  Gewinnung  von  Leibeignen  gdegt, 
über  die  sie  unbedingt  befehlen  und  für  die  weitaussehenden, 
schwierigen  Cultumntemehmungen  beliebig  verfügen  konnten, 
die  ihnen  bei  gi*ossem  Besitz  unbebauter,  wilder  Länderden, 
bei  Expansion  ihrer  Heri*schaft  in  dem  Oedlande  der  Mark- 
genossenschaft besondei*s  am  Herzen  lagen;  aber  auch  der 
pereönliche  Dienst  am  Herrenhofe,  die  Verwendung  zu  manch 
wichtigerem  Geschäft,  zu  Botengang  und  Reisen,  dann  auch 
zu  den  wii-thschaftlichen  Diensten  im  Sallande,  zu  Felddiensf, 


—    859    - 

Viehwartung  und  gewerblichen  Venichtungen  war  für  einen 
genosssüchtigen  und  arbeitsscheuen  Adel  ein  Gegenstand  be- 
sonderen Bedai*fQisses  ^).  Und  überdiess  stand  in  einer  grossen 
Menge  Leibeigner  eine  Summe  brutaler  Gewalt  zur  Verfügung, 
welche  an  jeden  Punkt  geworfen  werden  konnte ,  wo  es  galt, 
das  Recht  des  Stärkeren  zur  Geltung  zu  bringen,  das  in  einer 
an  Gewaltthätigkeit  reichen  Zeit  immerhin  noch  die  grösste 
Aussicht  auf  Erfolg  hatte.  Sie  liebten  es  daiiim,  sich  mit 
unfreien  Knechten  zu  umgeben,  welche  WaflTen  trugen  und 
als  eine  Art  von  Leibgarden  dem  Machtzwecke  ihres  Heri-n 
ohne  Wahl  zur  Verfügung  waren. 

Vielfach  anders  waren  die  Verhältnisse  bei'den  geistlichen 
Gioindherrschaften  vorab  bei  den  lüöstem  gelegen.  Abgesehen 
davon,  dass  sie  die  Mittel  der  Gewalt  wenigstens  nicht  so 
offen  und  schrankenlos  zur  Anwendung  brachten,  wie  das  von 
den  weltlichen  Grossen  bekannt  ist,  waren  sie  schon  nach 
ihrem  ganzen  Charakter  und  ihrer  Entstehung  auf  andre  Wege 
zur  Vergrösserung  ihres  Heri-schaftsbereichs  angewiesen.  Die 
weltliche  GrundheiTSchaft  wuchs  organisch  aus  kleinen  An- 
fängen zu  immer  grösserer  Macht;  und  nui*  im  Verhältniss 
zu  dieser  steigerten  sich  ihre  Bedürfnisse  und  ihr  Einfluss. 
Die  Klosterherrschaften  bildeten  sich  mechanisch,  durch  An- 
einanderfügung eines  von  allen  Seiten  her  zusammengebettel- 
ten Grundbesitzes.  In  der  weltlichen  Grundherrschaft  war 
ein  Herr,  dessen  Familie  allein  das  Mass  des  Nothwendigen 
bestimmte,  selbst  aber  am  Productionsprocesse  der  Güter  nur 
wenig  betheiligt  war.  Im  Kloster  vermehrte  sich  wohl  täg- 
lich die  Anzahl  der  zur  herrschenden  Familie  gehörigen 
Häupter,  und  bildete  oft  in  kui*zer  Zeit  eine  recht  ansehn- 
liche Gesellschaft.  Aber  schon  die  Ordensregel  und  mehr 
noch  die  bisherige  Gewöhnung  hiess  die  Mönche  selbst  Hand 
anlegen  an  Wald  und  Wildniss,  um  sie  für  die  Zwecke  der 
Cultur  zurecht  zu  stellen,  und  auch  an  der  ausführenden  Ar- 
beit des  Salguts  nahm  die  vielköpfige  Pei*son  des  Hen-n  den 


»)  Vgl.  V^aitz  II,  176 ;  s.  auch  Roth  S.  154  ff. 


—    360    — 

hauptsächlichsten  Antheil^).  Nur  fbr  Bisthum  und  Kirche 
war  auch  in  solcher  Weise  nicht  zu  sorgen.  Sie  bedurfteo 
vor  allem  Abgaben  und  Dienste,  die  ihnen  müheloses  Ein- 
kommen brachten;  aber  auch  die  Klöster  konnten  Leibeigne 
hauptsächlich  nur  in  der  Weise  verwenden,  dass  sie  ihnen 
Land  zur  Bestellung  gegen  Zins  und  Arbeit  übertragen;  im 
Uebrigen  waren  sie  gleich  den  andern  kirchlichen  Anstalten 
vorzugsweise  an  Schutzleuten  intei*essirt ,  welche  durch  Auf- 
tragung  die  Eigenthumsbefugnisse  und  durch  Zinsleistung  fftr 
den  Rückempfang  des  Grundbesitzes  die  Einkünfte  des  Grund- 
heiTU  mehrten  ^.  Ja  selbst  die  besonders  bei  Kirchen  häufige 
Freilassung  findet  ihre  Erklärung  zum  guten  Theil  darin, 
dass  sie  auf  den  Besitz  von  Leibeignen  verhältnissmässig  ge- 
ringen Weith  legten  und  in  der  Foilsetzung  des  Schutzver- 
hältnisses und  Aufrechterhaltung  eines  Dienstesverbandes,  dem 
auch  der  mit  Land  bedachte  Freigelassne  nicht  entging,  hin- 
länglich ihr  Interesse  gewahrt  sahen  ^). 

Dieser  Untei'schied  tritt  deutlich  aus  den  zahlreichen  Ur- 
kunden hervor,  aus  denen  wir  ein  Bild  der  Anfänge  gi-osser 
Grundhen-schaften  gewinnen.  Die  weltlichen  Grandherr^ 
haben  grosse  HeiTenhöfe  in  den  ihnen  gehörenden  Villen,  und 
auf  ihnen  eine  stattliche  Zahl  von  Mancipien,  casati  und  non 
casati,  aber  ihr  Bestand  an  Liten  oder  gar  an  blossen  Schutz- 
leuten, Beneficiaren  und  Precaristen,  die  es  durch  Auftragung 
geworden  sind,  ist  verhältnissmässig  gering*).    Die  geistlichen 

^)  Vita  8.  Eigilis  abb.  Fuld.  (Mabülon  IV,  1,  p.  248)  c  16:  üt  ip« 
monasterii  ministeria  per  fratres  ordinentur,  id  est  pistrinum,  bortus,  bra- 
ciarium,  coquina,  agricultura  et  cetera  ministeria  sicut  apud  decessores 
nostros  fuerunt:  quia  devotius  et  dignius  per  fratres  omne  exercebitor  oi- 
fidam ,  quam  per  laicom  aut  semim  malevolmn.  Regula  monach.  BIT 
(LL.  I,  201),  c.  4 :  üt  in  coquina,  in  pistrino  et  in  caeteris  artium  ofBanls 
propriis  operentur  manibus  et  vestimenta  sua  opportuno  tempore  iavent 
c.  17:  üt  si  necessitas  fuerit  eos  occupari  in  fruges  coUigendo  aut  in  alia 
opera  ...  non  murmurent. 

^)  üeber  das  vorzugsweise  Vorkommen  der  Colonen  auf  den  Gfiters 
der  Kirche  vgl.  Waitz  II,  188. 

•*)  Ueber  diese  Abhängigkeit  der   Freigelassenen   vgl.  Waitz  II  l^J^- 
Roth  297.    Gfrörer  U,  112. 

*)  Vgl.  jedoch  die  Anmerkung  1  auf  S.  855. 


—    361    — 

Grundherrschaften  setzten  sich  überwiegend  gerade  aus  solchen 
Zinsgtttern  zusammen;  sie  haben  keineswegs  in  den  ihrer 
Grandherrlichkeit  ganz  oder  theilweise  unterworfenen  Villen 
überall  eigne  Fronhöfe,  sondern  lassen  meistens  nur  durch 
einen  Meier  (maior,  villicus),  der  selbst  eine  Zinseshufe  baute, 
die  Dienste  fordern ,  die  -  Abgaben  einheben ,  zu  denen  die 
Grundholden  im  Einzelnen  verpflichtet  sind^).  Und  auch 
hier  kann  noch  der  weitere  Untei-schied  beobachtet  werden, 
dass  bei  Klöstern  die  auf  Zinsgütern  angesiedelten  Leibeignen 
viel  häufiger  sind,  als  bei  Bisthümern  oder  sonstigen  Kirchen, 
welche  ihrei*seits  wieder  durch  eine  besonders  grosse  Anzahl 
von  schutzpflichtigen  freien  Leuten  sich  auszeichnen  ^). 

Mit  diesem  schon  bei  der  Erwerbung  in  rechtlicher  und 
wii*thschaftlicher  Beziehung  so  verschiedenartigen  Personal  be- 
gannen nun  die  Grundherren  eine  grossartige,  einheitlich  ein- 
gerichtete und  geleitete  Wirthschaftsverwaltung  auf  der  Giiind- 
lage  einer  ausgebildeten  Arbeitstheilung ,  wie  sie  ausserhalb 
dieses  Kreises  weder  vorkam,  noch  überhaupt  gedacht  wer- 
den kann. 

Für  die  persönlichen  Dienstleistungen  niederer  Art,  welche 
der  GrundheiT  und  seine  Familie  in  Anspruch  nahm,  waren 
die  Mancipien  bestimmt,  die  am  Henenhofe  selbst  wohnten; 
Knechte  und  Mägde®)  gab  es  da,  oft  in  beträchtlicher  An- 
zahl, welche  die  gewöhnliche  Hausarbeit  vemchteten,  Küche 
und  Keller,  Wäsche  und  Reinigung,  Garten  imd  Stall  versorg- 
ten.  Sie  gehörten  entweder  unmittelbar  zum  hen*schaftlichen 

^)  So  ist  im  Reg.  Werd.  bei  fast  allen  in  Westfalen  und  Friesland 
gelegenen  Gütern  des  Stifts  kein  Herrenhof  genannt,  die  Einhebung  der 
Oefidle  vielmehr  von  Ministerialen  besorgt  worden,  die  selbst  Zinsgüter 
bauten. 

^  So  gehörten  nach  dem  Brev.  rer.  fisc.  (LL.  I,  177)  dem  Bisthum 
Augsburg  1041  freie  und  nur  466  unfreie  Mausen.  In  einem  Fronhof  des 
Erzstifts  E6ln  waren  mit  Ausnahme  von  7  unfreien  Mausen  aUe  übrigen 
frei;  Lacomblet,  Archiv  II,  292  ff.  Vgl.  I.  Buch,  4.  Abschn.,  S.  160 f  und 
IL  Buch,  2.  Abschn.,  S.  255 ;  3.  Abschn.,  S.  359  f. 

^)  S.  schon  1.  Fris.  tit.  13:  AnciUa  quae  nee  mulgere  nee  meiere  solet 
quam  bortmagad  (bort  =»  Haus)  vocant.  Tr.  SangaU.  745,  n.  12:  man- 
cipia  domestica. 


—    362    - 

Haushalte,  erhielten  ihre  Nahining  aus  der  herrschaftlichen 
Küche ^),  ihre  Kleidung  aus  dem  Frauenhause*);  oder  sie 
führten  eignen  Haushalt  in  den  Wohnungen,  die  ihnen  inner- 
halb des  Hen*enhofes  in  eignen  Gebäuden  bereitet  waren  %  und 
bekamen  dann  meist  nur  Rohproducte  aus  dem  Ertrag  der 
heiTSchaftlichen  Wirthschaft  ^) ,  die-  sie  selbst  für  ihr  B^ürf- 
niss  verarbeiteten.  Dabei  war  ihnen  dann  wohl  auch  ein 
Gartenantheil  oder  sonst  ein  Stück  Landes  zugewiesen,  auf 
dem  sie  sich  einigen  Bedarf  ihres  Haushalts  ziehen^),  etwa 
auch  noch  das  eine  oder  andere  Stück  Vieh  ernähren  konn- 
ten«). Von  einem  Geldlohn  ist  nirgends  die  Rede;  wohl  aber 
konnten  sie  durch  Geschenke  oder  sonstige  unregelmässige 
Zuwendungen  wie  durch  eignen  Fleiss  sich  ein  Peculium  er- 
werben, über  das  freilich  von  Rechtswegen  immer  noch  ihr 
HeiT  wie  über  sie  selbst  verfügte. 

Aber  auch  gewerbliche  Vemchtungen  mannigfacher  Art 
wurden  ihnen  hier  aufgetragen,  soweit  sie  sich  hiezu  geschickt 
erwiesen;  die  Grundhen-en  liebten  es  und  waren  wohl  auch 
darauf  angewiesen,  auf  ihren  HeiTenhöfen  wenigstens  die  wich- 


^)  I.  A.  Cap.  Nium.  806,  c.  8:  ünusquisque  —  de  Bua  proprietate 
propria  familia  nutriat;  8.  auch  die  Vorschriften  über  Armeopflege  unten 
S.  392.    Monachus  Sangall.  I,  c  31  (SS.  II,  745). 

^  Vgl.  die  etwas  späteren  Acta  fiind.  Murensis  monasterii  (H^ott 
geneal.  I,  320):  Servis  etiam  .  .  magna  cara  appendi  debet  a  praepositis 
cellae,  ut  possint  cum  bona  voluntate  et  disciplina  ac  fideliter  serrire  &•- 
tribus :    quia  sine  victus  et  vestitus  commoditate  non  possunt  serrire  iUis- 

^)  Cap.  de  discipl.  palat.  Aqnisgr.  809  (I,  158),  c.  2:  per  domos  8«^ 
verum  nostrorum  tam  in  Aquis  quam  in  prozimis  yillulis  nostris  ad  Aqnis 
pertinentibus. 

*)  Brev.  rer.  fisc.  (1, 176):  De  anuona  nihil  repperimus,  excepto  qood 
dedimus  provendariis  carradas  80,  qui  sunt  provendati  usque  ad  nissaxa 
s.  Johannis,  et  sunt  72.  Reg.  Prüm.  c.  1,  p.  146:  femine  prevendarioniia 
unaquaque  ebdomada  dies  2,  unum  cum  pane,  et  alium  sine  pane.  Cap. 
de  Till.  c.  50:  fiscalinus  qui  mansum  non  habuerit,  de  dominiea  aodpüt 
provendam. 

^)  Reg.  Prüm.  c.  48,  p.  165:  Sunt  in  praefato  Fagit  de  terra  ioniale> 
5,  quos  tenent  provendarii. 

^)  Breviar.  Erchamb.  (Meichelb.  la,  126):  Servus  dominicofl  habei 
caballum  1  et  ipso  totos  servi  dominid  armenta  sex. 


—    363    — 

tigsten  Handwerke  jener  Zeit  beständig  vertreten  zu  haben. 
Müller  und  Bäcker,  Schneider  und  Schuster,  Grobschmiede 
und  Waffenschmiede,  Bierbrauer  und  Winzer  finden  sich  wohl 
auf  jedem  grösseren  Herrschaftsgute  ^ ;  den  Frauen  im  Frauen- 
hause war  besonders  die  Spinnerei  und  Weberei,  aber  auch 
alle  damit  verbundene  Arbeit  der  Schafschur,  das  Zubereiten 
des  Rohstoffs  fttr  die  Gewandung  wie  deren  Fertigstellung  und 
Reparatur  anvertraut  *). 

Auch  solchen  Gewerbetreibenden  des  Herrenhofs  ist  viel- 
fach eigne  Wohnung  %  zuweilen  auch  ein  Stück  Ackerland  zu 
eigner  Bebauung  zugewiesen;  solche  Ausstattung  war  dann 
als  Aequivalent  der  Verpflegung  oder  Bekleidung  angesehen  *), 
die  den  im  herrschaftlichen  Haushalte  selbst  stehenden  leib- 
eignen HandAverkem  geboten  wurde.  Dafür  hatten  sie  aber 
anderseits  auch  manche  landwirthschaftliche  neben  ihren  ge- 
werblichen Dienstleistungen  zu  verrichten,  wie  denn  überhaupt 
die  Verbindung  von  Landbau  und  Handwerk  noch  ganz  all- 
gemein ist*^. 

So  untergeordnet  nun  auch  die  rechtliche  Stellung  dieser 
unfreien  Hausdiener  und  Gewerbtreibenden  gewesen  ist,  so 
war  sie  doch  oft  viel  günstiger,  als  die  der  unfreien  Zins- 
baueiTi;  ja  sie  ist  unter  Umständen  selbst  begehrenswerth 
geworden  und  hat  an  der  socialen  Umgestaltung  der  folgenden 


^)  Auf  dem  Klosterhofe  von  St.  GaUen  wohnten  im  8.  Jahrhunderte 
zahlreiche  Leibeigne,  welche  Handwerke  betrieben:  Schuster,  Schneider, 
Maller,  Bäcker,  Walker,  Degenschmiede,  Schildmacher,  Bierbrauer,  Glas- 
brenner.«  Die  Werkstätten  dieser  Handwerker  sind  aUe  in  dem  Baurisse 
angebracht,  welcher  unter  Karl  d.  Gr.  fQr  das  Kloster  verfertigt  wurde. 
Monach.  Sangall.  in  Vita  Carol.    Arx,  Geschichte  von  St  Gallen,  S.  54  f. 

^  Cap.  Ansegis.  I,  75  (LL.  I,  281):  in  diebus  dominids  .  .  feminae 
opera  teztrilia  non  faciant,  nee  capulent  vestitos  nee  consuant  vel  acu- 
pictile  faciant,  nee  lanum  carpere,  nee  linnm  battere,  nee  in  publice  vesti- 
menta  lavare  nee  berbices  tondere  habeant  licitum. 

')  Reg.  Prüm.  c.  34,  p.  163;  s.  unten  Anm.  5. 

*)  Reg.  Prüm,  c  2,  p.  147:  Sunt  ibi  farinarii  3,  unns  moledinarius, 
tenet  de  terra  iomalem  pro  sua  vestimenta. 

^)  Reg.  Prüm.  c.  34,  p.  168:  jilli  farinarii,  qui  in  circuitu  sunt,  unus- 
quisqae  facit  dies  5  inter  messem  et  pratum  et  corvadas. 


—    864    — 

Periode  einen  nicht  unwesentlichen  Antheil  gehabt  Rechtlich 
galten  sie  wohl  alle  gleich  als  Leibeigne^);  factisch  war  ihre 
Bedeutung  je  nach  der  ihres  Herrn ')  und  nach  der  Qualität 
ihrer  Arbeitsleistung  eine  sehr  verschiedene.  Es  zeigt  sich 
gerade  an  diesem  Punkte  sehr  deutlich,  dass  die  socialen  Zu- 
stände nicht  unter  dem  einseitigen  Gesichtspunkte  der  recht- 
lichen Ordnung  der  Statusverhältnisse  genügend  gewürdigt 
werden  können;  ebenso  aber  auch,  welcher  Einfluss  von  der 
wirthschaftlichen  Tachtigkeit  der  Person  auf  ihre  sociale  Gel- 
tung und  damit  am  Ende  auf  ihren  Antheil  an  den  Gütern 
ausgeht,  über  welche  die  Gesellschaft  verfugt 

Es  ist  begieif lieh ,  dass  die  Verhältnisse  dieser  unfireieB 
Hausdiener  gerade  auf  den  königlichen  Höfen  und  vomemlicb 
auf  den  Residenzen  selbst  die  grösste  Mannigfaltigkeit  und 
vollkommenste  Durchbildung  erfuhren.  Hier  war  schon  das 
Bedür&iss  nach  solchen  Leistungen  ein  hervorragend  grosses 
und  vielseitiges.  Karl  d.  Gr.  legte  insbesondere  den  grössteo 
Werth  darauf,  dass  Handwerker  aller  Art  immer  und  überall 
zu  seiner  Verfügung  waren ') ;  und  ebenso  wichtig  erschien  e^ 

^)  Gleichheit  in  der  Composition  betont  Capit  817,  c  1  (I,  216);  io 
Bezog  auf  üebertragung  und  Freilassung  Cap.  819,  c.  7  (I,  226). 

*)  Vgl.  Maurer ,  Fronhöfe  I,  93  ff.  Doch  kam  diese  bevorzugte  so- 
ciale Stellung  auch  schon  in  rechtlichen  Bestimmungen  zum  Aosdncke; 
im  Decret  TassiL  c.  7  (LL.  III,  460) :  De  eo  quod,  ut  servi  principis  qui 
dicuntur  adalscalhae,  ut  habeant  suam  werageldam  iuxta  morem  quem  ha* 
buerant  sub  parentibus.  Der  dritte  Theil  der  Composition  von  Unfreien 
des  Königs  fiel  an  die  Verwandten  desselben,  Gap.  808  (I,  153),  c  3: 
Cap.  832  (I,  364),  c.  83.    S.  auch  Gu^rard,  Irminon,  I,  357—858. 

')  Cap.  de  vill.  c.  45:  Ut  unusquisque  iudex  in  suo  ministclio  bonos 
habeat  artifices,  id  est  fabros  ferrarios  et  aurifices  vel  argentarios,  snto- 
res,  tomatores,  carpentarios,  scutarios,  piscatores,  aucipites,  id  est  ancel* 
latores,  saponarios,  siceratores,  id  est  qui  cenrisam  vel  pomaticmn  sire 
piraticum  vel  aliud  quodcumque  liquamen  ad  bibendum  aptnm  fherit.  ft- 
cere  sciant;  pistores,  qui  similam  ad  opus  nostrum  feiciant,  retiatoreB  qß 
retia  facere  bene  sciant,  tarn  ad  venandum  quam  ad  piscandnm  sire  «d 
aves   capiendum,  necnon  et  reliquos  ministeriales,  quos  ad  nnmenuidiiiD 
longum  est.    Vgl.  Brev.  rer.  fisc  (I,  179):    MinisterialeB  non  inTenlmDs, 
aurifices  neque  argentarios,;ferrario8  neque  ad  venandum,  neque  in  refa'qois 
obsequiis.    Monach.  Sangall.  I,  c.  28  (SS.  U,  744):  de  omnibus  dsmariois 
regionibus  magistros  et  opifices  omnium  id  genus  artium  advocant 


j 


—    365    — 

hier  für  die  Zwecke  der  Reichsverwaltung,   die  in  gewissen 
Grenzen  wenigstens  mit  der  herrschaftlichen  Gutsverwaltung 
verschmolzen  war,  an  Schreibern  und  Amtsgehilfen  ^),  an  Bo- 
ten und  Bütteln  keinen  Mangel  zu  leiden.    Die  nahen  Be- 
ziehungen zur  Person  des  Kaisers  aber  und  seinen  persön- 
lichen Bedürfnissen,  sowie  zu  den  höheren  Amtspersonen  und 
dem  Reichsinteresse,  verschaffte  dann  doch  leicht  solchen  Die- 
nern einen  grösseren  Einfluss  und  damit  höheres  Ansehen; 
sie  erlangten   mit  jeder  Bedienstung,   die  höher  qualificirte 
Arbeitsleistung  erforderte,  auch  Gewalt  über  eine  Reihe  von 
Pereonen,  die  wohl  auch  von  besserem  Stande  waren*),  und 
kamen  damit   den  Ministerialen  gleich,   welche  die  höheren 
Dienste  auf  den  königlichen   Villen   versahen  und  aus  allen 
Klassen  der  Untergebenen  genommen  sein  konnten.    Aehnlich 
sind  dann  auch  die  unfreien  Hausdiener  der  weltlichen  und 
geistlichen  Grundherren ,  je  nach  ihrer  Verwendung  und  der 
socialen  Stellung  ihres  Herrn,  leicht  zu  grösserem  Einflüsse 
und  besserer  Stellung  gekommen;  und  insbesondere  die!  viel- 
begehrten Handwerker  haben  sich  auch  hier  bald  zu  heben 
verstanden  und  haben  dann  damit  auch  das  Handwerk  selbst 
gehoben.    Der  Zulauf  zu  solcher  Bedienstung  ist  damit  be- 
greiflichei-weise   ein  immer  stärkerer  geworden*);   und    die 
rasche  Entwickelung  grosser  Fronhöfe   zu   den   eigentlichen 
Stätten   des  Gewerbfieisses  in  dieser  Zeit  findet  damit  eine 
ebenso  einfache  wie  genügende  Erkläiiing. 

Neben  diesen  beiden  Klassen  der  unfreien  Hausdiener, 
die  den  unmittelbaren  Bedarf  an  persönlichen  Dienstleistungen 

')  Das  sind  insbesondere  die  bei  den  verschiedensten  Bedienstangen 
Torkommenden  juniores;  ygL  i.  A.  Cap.  Aquisgr.  802  (I,  94),  c.  25:  Ut 
comites  et  centenarii  ad  omnem  justidam  conpellent,  et  juniores  tales  in 
ministeriis  suis  habeant,  in  quibus  securi  confident.  Vgl.  Waitz  III,  839. 
Maurer,  FronhQfe  I,  261.  Der  ceUerarius  der  Abtei  Reichenau  hatte  disci- 
puli  cellerarii  und  nundi  ceUerarii  unter  sich;  Wirt  Ürk.-B.  843,  I,  125; 
Dümgä  p.  70.  Die  serri  dominid  wurden  auch  als  compulsores  ezerdtus 
und  heribannatores  verwendet.    Cap.  803,  c.  5  (I,  115);  c.  17  (I,  121). 

2)  S.  Maurer,  Fronhöfe  I,  95. 

^  Auch  Freie  übernahmen  solche  Dienste ,  z.  B.  Urk.  a.  821  (Bied 
cod.  Rat.  I,  21):  quidam  ingenuus  faber. 


—    366    — 

für  den  Haushalt  des  Herrn,  und  die  den  Bedarf  an  Hand- 
Werksleistungen  zu  decken  hatten ,  fand  sich  dann  auf  jedem 
Fronhofe  noch  eine  Anzahl  landwii-thschafUicher  Arbeiter, 
welche  fdr  die  Bestellung  der  Sairändereien,  f&r  die  Viehzucht 
und  Foi-stwirthschaft  des  Hofes  gehalten  wurden.  Auch  sie 
arbeiteten  theils  unter  unmittelbarer  Aufsicht  und  Leitung 
des  Meier  oder  seines  Stellveitreters  (vicarius)  nach  den  von 
diesen  festgestellten  Betriebsplänen  und  Dispositionen;  theils 
waren  ihnen  bestimmte  Abschnitte  des  Sallands,  oder  be 
stimmte  Arten  des  Anbaus  (Weinberge)  zu  selbständiger  Be 
wirthscbaftung  überlassen  ^) ,  von  denen  sie  dann  den  ganzen 
Ertrag'),  etwa  nach  Abzug  eines  Theils,  der  ihnen  als  Ent- 
gelt gelassen  wurde,  an  die  heiTschaftliche  Verwaltung  ab- 
zuführen hatten.  Dann  und  wann  ist  ihnen  auch  eine  unbe 
setzte  Zinseshufe  zu  voiilbergehender  Bestellung  übertragen, 
ohne  dass  sie  dadurch  aufhören,  den  Leibeignen  des  Herren- 
hofes zugezählt  zu  werden ') ;  da  solche  Güter  immer  von  der 
Gutshen*schaft  verwaltet  werden,  erscheinen  sie  dann  eben 
nur  als  deren  Delegirte^).  In  solch  selbständiger  Bewirth- 
schaftung  von  Salländereien  durch  Dienstleute  des  Herrenhofe 
lag  übrigens  unverkennbar  ein  Keim  zur  nachmaligen  Ent- 
Wickelung  des  Theilbaus ,  ohne  dass  sich  dei-selbe  oder  ähn- 
liche Pachtsysteme  schon  in  dieser  Periode  auf  deutschem 
Boden  nachweisen  Hessen^). 


^)  Vgl.  die  Beispiele  von  vineae  dominicae,  welche  in  H&nden  tod 
unfreien  sind,  im  Reg.  Prüm.  S.  414  A.  6.  G.  Laur.  766,  n.  1390:  ler- 
Yum  et  vineas  quas  ipse  fedt  et  quidquid  idem  habere  yisos  est 

^)  Cod.  Laor.  3678:  sunt  hubae  22  e  quibos  2  in  dominicom  firoctiä- 
cant;  ib.  3679 :  hubae  5  quarum  una  in  dominicum  fiructificat. 

^)  Reg.  Prüm.  c.  45,  p.  170:  Absi  homines  ex  nostra  familia,  qoi  vt^^ 
potestatem  nostram  sine  mansis  sunt 

*)  In  einem  instrumentum  inquisitionis  a  missis  imperatoris  ötctu 
(post  800)  für  die  curtis  Lemunta  (pagus  Mediolanus) :  £st  ibi  tem  «b- 
sens ,  quam  ipei  servi  laborant;  Gu^rard  Irmin.  II.  343.  Caes.  i.  Rt?* 
Prüm.  c.  I,  p.  144 :  Mansi  absi  sunt  qui  non  habent  cultores,  sed  dorniBo^ 
eos  habet  in  sua  proprietate,  qui  vulgariter  appellantur  wroynde. 

»)  Die  ürk.  in  Trad.  Sang.  867,  n.  527,  welche  Maurer,  Fronhöfe,  L 
316  als  Beweis  eines  blossen  Pachtvertrags  anfuhrt,  kann  nicht  hieber  ht- 


—    367    — 

Freie  Taglohnsarbeit  aber  ist  in  dieser  ganzen  Periode 
jedenfalls  nur  ganz  vereinzelt  vorgekommen^).  Sowohl  die 
Anschauungen  des  Volkes  über  die  Unvereinbarkeit  von  Dienst 
und  Freiheit ,  als  auch  die '  allgemeine  Unbeweglichkeit  der 
Verhältnisse,  der  Mangel  der  Freizügigkeit  über  das  Gebiet 
des  Seniorats  hinaus,  in  dessen  Verband  doch  auch  die  be- 
sitzlosen Freien  stehen  mussten,  und  die  Unsicherheit  einer 
solchen  Existenz ,  die  sich  nur  auf  freie  Verwendung  der  Ar- 
beitskraft gestützt  hätte,  waren  dem  Aufkommen  einer  freien 
Arbeiterbevölkerung  entgegen ;  nur  im  festen  gmndherrschaft- 
liehen  Verbände  war  die  nöthige  Sicherung  der  Existenz  zu 
finden  *). 

Eine  ungemein  wichtige  und  wesentliche  Ergänzung  er- 
hielt die  Deckung  des  heiTSchaftlichen  Arbeitsbedarfe  am  Hofe 
wie  in  Feld  und  Wald  durch  die  pei-sönlichen  Dienstleistungen 
der  unfreien  Zinsgüter.  Sowohl  die  allgemeine  dreitägige 
Fronarbeit  der  leibeignen  Bauern,  als  die  ihnen  sonst  auf- 
getragenen Dienstleistungen  waren  wie  die  Arbeit  der  leib- 
eignen Dienei*schaft  mannigfaltigst  zu  verwenden  und  jeweilig 
auf  den  Punkt  hinzulenken,  wo  man  ihrer  am  meisten  be- 
zogen werden;  homines  de  Argengewe  deprecantur  celsitudinem  nostram, 
Qt  eis  liceret  habere  plenam  legem  quae  volgo  didtur  phaath  dcut 
ceteri  Alamanni,  et  se  redimerent  de  tali  censu  sicut  illorum  antecessores 
nostris  antecessoribus  persolveront.  Sie  woUen  sich  also  von  einer  den 
fränkischen  Königen  geleisteten  Zinspflicht  befreien  und  alamannisches 
Volksrecht  (phaath  »  pactos  Alam.)  erwerben;  vgl.  schon  Waitz  II,  562. 
Der  condactor  remm  pertinentium  ad  praefato  domo  Dei  (Meichelb.,  Anf. 
d  9.  Jahrb.,  n.  247),  den  Häberlin  als  Pächter  aufifasst,  ist  nach  dem 
ganzen  Zusammenhang  eher  eine  Gerichtsperson;  s.  Waitz  lY,  892.  Vgl. 
auch  Leymarie  bist  des  paysans,  p.  134. 
')  S.  oben  2.  Abschnitt  S.  236. 

*)  Daher  onterliegen  auch  die  solivagi,  qui  ex  parte  domini  terram 
non  habent  (ürk.  782  —  814  Lacomblet,  Archiv  II,  294)  der  Grundherr- 
schaft in  Bezug  auf  Eopfzins  und  Gerichtspflege.  In  den  statuta  antiqua 
abbatiae  s.  Petri  Corbeiensis  (Corbie)  bei  Gu4rard,  Irminon  II,  815  kom- 
men allerdings,  den  entwickelteren  neustrischen  Verhältnissen  entsprechend, 
Bestimmungen  vor  ad  conducendos  homines,  qui  areas  levent  in  autumno 
et  plantationes  primo  tempore  facere  adiuvent,  necnon  et  sarcolare  her- 
bolas  in  aestate. 


—    368    — 

durfte.  Nicht  minder  hatten  die  Liten  oder  sonstigen  persön- 
lich freien  Zinsleute  solche  Arbeit,  wenn  auch  in  geringerem 
Ausmasse  als  die  Unfreien  0«  fClr  den  Fronhof  zu  leisten ;  war 
das  auch  etwa  in  dem  ursprünglichen  Verhältnisse  zum  Herrn 
des  übertragenen  Gutes  nicht  begründet,  so  etgab  sich  doch 
im  Verlaufe  der  ganzen  grundherrschaftlichen  Entwickelung 
manche  Gelegenheit,  die  zur  Uebertragung  oder  Steigerung 
solcher  Leistungen  zu  benutzen  war  und  sicher  nicht  leicht 
unbenutzt .  blieb.  Insbesondere  sind  sie  oft  als  Entgelt  fQr 
die  den  Zinsbauern  eingeräumten  Nutzungsrechte  am  herr- 
schaftlichen Walde  betrachtet  worden*);  die  Grundherren 
scheuten  sich  wohl  auch  nicht,  ohne  besonderen  Titel  ihren 
Hörigen  und  Holden  solches  zuzumuthen. 

Und  ebenso  wurden  immer  regelmässiger  die  Inhaber 
von  Beneficien  zm*  Ergänzung  des  namhaften  Arbeitsbedaife 
der  herrschaftlichen  Villen  herangezogen,  sei  es  nun,  dass  sie 
die  ihnen  auferlegten  Arbeitsleistungen  selbst  verrichteten^), 
oder,  was  vornehmlich  bei  besser  gestellten  und  vornehmere 
Beneficiaren  d6r  Fall  war,  dass  sie  durch  ihre  eignen  Unfreien 
solche  Arbeitsleistungen  auf  dem  Hofe  des  verleihenden  Gmnd- 
heiTU  verrichten  Hessen  *).    Ja,  die  Verleihung  von  Beneficien 


^)  In  Prüm  erscheinen  die  mansi  lediles  und  liberi  nur  in  der  Ge- 
sammtsumme  leichter  belastet;  im  Einzelnen  ist  dann  aber  dieser  Unter 
schied  doch  wieder  nicht  vorhanden,  z.  B.  in  lyemesheim  (Reg.  FkiiBt 
c.  55,  p.  175)  und  Merx  (ib.  c.  23,  p.  153). 

')  Gaesarius  (zum  Reg.  Pmm.  c.  1.  p.  145)  rechtfertigt  damit  ii 
sondre  auch  die  Dienstleistungen  der  fireien  scararii  und  haistaldi; 
dum  est  quod  omnes  homines  viUas  et  termin'os  nostros  inhabitastes 
tenentur  nobis  curvadas  facere,  non  solum  mansionarii,  Temm  etiam  k*- 
rarii,  id  est  ministeriales  et  haistaldi,  id  est  üli,  qui  non  tenent  a  cnrift 
hereditatem,  quia  communionem  habent  in  pascuis  et  aqnis  nostris;  t^- 
ib.  c.  23,  p.  153:  Haistaldi  vocantur  manentes  in  viUa,  non  tarnen  habentes 
hereditatem  de  curia,  nisi  areas  tantum  et  communionem  in  aquis  et  paaems. 

^)  Reg.  Prüm.  c.  24,  p.  156:  De  benefidis  . .  &cit  dies  3;  c.  58,  p.  177: 
de  beneficiis  .  .  .  solvit  unusquisque  den.  9  et  caxrum  1 ;  dueunt  ad  Pro- 
miam  de  vino  seu  de  annona  carr.  250,  ad  NoYum  monasterium  dnuHts 
carr.  250. 

*)  Tr.  Sang.  787,  n.  113:  in  beneficium  nobis  praestetis  . . .  et  dm  . .  • 
quando  opus  est  foris  operare  sive  in  messe  vel  foenum  secandasit  mitta^ 


—    369    — 

hatte  nicht  selten  gerade  den  Zweck,  qualificirte  Arbeitskräfte 
für  irgend  welche  specielle  Bedürfoisse  der  gutsherrlichen 
Wirthschaft  zu  gewinnen  und  daueiiid  an  die  Grundherr- 
schaft zu  knüpfen  ^);  insbesondere  die  gewerbliche  Arbeit  ist 
gerade  auf  diesem  Wege  am  meisten  in  den  giomdherrlichen 
Villen  eingebürgert  und  damit  selbst  grundherrlich  gemacht 
worden  *). 

Die  Arbeitsleistungen,  welche  von  diesen  vei-schieden- 
artigen  Gutem,  den  Zinseshufen  der  Leibeignen  wie  von  Co- 
lonen- und  Beneficialgütem  aller  Art  verlangt  wurden,  waren 
im  Wesentlichen  zweifacher  Art  Theils  spUten  sie  den  un- 
mittelbaren Arbeitsbedaif  des  Herrenhofes  decken  helfen,  zu 
dem  sie  gehörten;  häusliche  Vemchtungen  auf  demselben'), 
Feldarbeit  auf  dem  Herrenlande,  Holzfällen  in  den  Forsten, 
Fuhren  aller  Art  u.   dgl.  *)  waren  ihnen  auferlegt ;   es  wird 


mus  2  mandpios  in  opus  Testram;  et  quando  opus  est  pontes  aedificare 
vel  novo8  facere,  mittamus  unum  hominem  ad  opus  cum  soa  proyenda  et 
Sit  ibi  tantOB  dies,  quantum  necesse  est.  So  sagt  aach  Caesar,  ad  Reg. 
Ptam.  c  10,  p.  150  von  den  mansionarii:  si  volunt,  posstmt  xpandpiom 
com  equo  destinare  qui  eundem  (paraferedam)  debeat  procurare;  Beg. 
Prüm,  c  114,  p.  197:  Operator  tres  dies  in  ebdomada  in  dominico  ad 
zoessem  et  ad  fenum  com  2  mandpiis. 

^)  S.  schon  Capit  786  (I,  51),  c.  7:  send  qui  honorati  benefida  et 
ministeria  tenent,  Cap.  de  Till.  10:  qoalisconqae  maior  babuerit  benefi- 
dum;  forestarü,  poledrarii  de  mansis  eorom.  Urk.  886,  Dümgö  78:  prae- 
ter 1  mansom,  quem  yenatori  antea  concessimus. 

*)  Mddidb.  {vor  836)  Ib,  n.  583:  Engilmar  fiiber  reddidit  cendum 
sumn  .  .  pro  benefido  quod  habet  ad  SIegilespach.  Wirt.  Ürk.-B.  843^ 
I,  108 :  benefidum  piscatoris.  S.  auch  Capit.  de  vill.  c.  50 :  Et  ipsi  pole- 
drarii qui  liberi  sunt  et  in  ipso  ministerio  beneficia  habuerint. 

')  Vgl.  schon  die  Frondienste  der  Ldbdgnen  in  der  YiUa  Stein  (Par- 
deas.  II,  464):  Uno  anno  purgant  curtem  a  stercore,  in  secundo  anno  180 
tegulas  dant,  et  tegunt  edes;  in  tertio  anno  purgant  aquaeductum  mo- 
lendini  et  reparant. 

^)  YgL  i.  A.  Gu^rard,  Irmin.  I,  687  ff.  über  riga,  curvada  und  andre 
Dienstleistungen  auf  dem  Henyngute.  Sehr  ausführlich  Reg.  Werd.  A.  I 
(liacomblet,  Archiv  U,  218):  De  servitio  (die  gewöhnlichen  Ackerdienste 
s.  unten  S.  411  Anm.  2)  Item  de  foeno  debet  quisque  de  manso  secare 
usqne  ad  meridiem,  tunc  duobus  debet  dari  unus  panis  et  pulmentum  et 
sestarios  de  cervisa.    Idem  foenum  in  acenros  coUigere  et  exinde  unum 

Ton    Inama-Sternegg,  Wirthsduiftsgeschichte.     T.  24 


—    370    - 

kaum  eine  in  der  Weise  damaliger  Wirthschaftsführong  vor- 
kommende Arbeit  aufzufinden  sein,  die  nicht  auch  von  Zins- 
bauem  verlangt  wurde*).  Ein  anderer  Theil  von  Arbeiten 
wurde  ihnen  dagegen  zu  selbständigerer  Ausführung,  als  Zu- 
that  zu  ihrer  Wirthschaft  auf  dem  Zinsgute  übertragen;  es 
sind  ihnen  sowohl  bestimmte  Theile  der  Hofländereien  zur 
Bearbeitung,  Einbringung  der  Ernte  u.  dgl.  zugewiesen  wor- 
den, wenn  sie  die  Arbeit  selbständig  zu  leisten  vermochten'); 


plaustrum  in  horreom  deferre.  Rursum  ad  curtem  dominicam  debetpalos 
30  deferre,  quotiens  aecesse  est  ad  sepem  innöyandam;  veteres  palos  et 
Tirgas  in  usus  suos  adsumere.  In  agro  oportet  lugalem  sepem  qnod  di- 
dtor  iacfac  ita  procurare,  ut  iumentam  vel  pecos  in  segetes  non  irrumpat, 
qnod  Bi  irruperit,  ipse  debet  Ipsa  ingalis  sepee  longitndinis  esse  ad  5 
ingales  virgas;  cum  sepem  in?eteraTerit,  sibi  assnmat  et  fiuiat  numm. 
Annis  singulis  oportet,  ut  ab  uno  manso  accipiantur  12  modia  grani,  ipsom 
gimeltan  (malzen)  et  de  «suis  lignis  et  suo  ketile  gibreuan  (brauen);  tose 
accipere  unam  amphoram  de  cerevisia  et  medium  afterbier.  Annis  singnüs 
2  mod.  de  sigilo  debet  a  curte  accipere,  molere  et  coquere,  de  24  panibns 
1  panem  acdpiat,  cum  illud  detulerit  Rursum  2  mod.  de  finomento  mo- 
lere tantum  debet  et  crib'rare,  de  purgamentis  dimidium  accipere.  It  de- 
bet de  ordeo  2  mod.  molere  ad  esum  caninum.  In  pastu  porcomm  5  mod. 
glandium.  De  singulis  mansis  per  vices  debent  custodire  porcos  simol  cmn 
subulco,  ita  ut  debet  reus  esse,  si  ab  ortu  solis  usque  ad  oocasnm  perditos 
fuerit  porcus.  Ab  occasu  autem  ad  ortum  non  debet.  Arealem  debet  in 
orto  ad  plenum  procurare  . . .  ünam  garbam  lini  debet  in  agro  colfigere, 
quam  debet  ad  plenum  procurare  et  semen  bene  paratum  praesentare. 
Debetur  autem  aranfimba  quod  didtur,  id  est  unus  acennis  dari  sex  man- 
sis.* Die  Stelle  ist  auch  in  Bezug  auf  die  gewerblichen  Yerrichtungen  der 
Zinsgüter  und  auf  die  theilweise  Naturalverpflegung  der  Bauern  während 
der  Fronarbeit  interessant;  vgl.  ähnliche  Bestimmungen  in  ürk.  782—814 
(Lacomblet,  Archiv  II,  294). 

^)  Von  gewerblicher  Arbeit  auf  dem  Herrenhofe  insbesondere  Urk.  886 
(acht?),  Dürng^  reg.  Bad.  78:  ut  eorum  sutores,  pellifices,  fuUones  in  his 
diebus,  quando  in  vestibus  preparandis  fratrum  occupantur,  de  fructa  pn^ 
fatae  villae  pascantur. 

^)  Das  ist  schon  in  1.  Baj.  I,  13  ausgedrückt:  Andecenas  legitimAS, 
hoc  est  pertica  10  pedes  habentem,  4  pertjcas  in  transverso,  40  in  loogo 
arare,  Seminare,  daudere,  colligere,  trahere  et  recondere.  A  tremisse  vbbs* 
quisque  accbla  ad  2  modia  sationis  excoUegere,  seminare,  colligere  et  ^^ 
condere  debent;  et  vineas  plantare,  fodere,  propaginare,  praeddere,  vinde- 
miare;  später  ganz  allgemein. 


—    371     — 

«benso  sind  sie  mit  der  Bearbeitung  unbesetzter  Mausen,  die 
Yorübei^ehend  in  herrschaftliche  Verwaltung  übernommen  wer- 
den mussten  (mansi  absi),  beti-aut^);  und  auch  fUr  die  herr- 
schaftliche Viehzucht  ward  ihre  Arbeit  in  ähnlicher  Weise  in 
Anspruch  genommen,  indem  ihnen  das  Vieh  des  Herrenhofes 
zur  Uebei-winterung,  zur  Mästung  u.  dgl.  übergeben  wurde  *), 
wobei  sie  wohl  gar  die  Verlustgefahr  übernehmen  mussten'). 
Bei  diesen  Arbeitsleistungen  waren   sie   allerdings  ungleich 
selbständiger  gestellt,  als  bei  jenen  Diensten,  welche  sie  auf 
dem  Herrenhofe  unter  dem  Befehle  und  der  unmittelbaren 
Leitung  des  Amtmanns  oder  Meiera  zu   vemchten    hatten. 
Doch  gab  es  bei  den  vielseitigen  Aufgaben  einer  grossen  Guts- 
verwaltung auch  manche  Arbeit,   welcher  der  einzelne  Zins- 
bauer nicht  gewachsen,  war,  sei  es,  dass  es  ihm  am  nöthigen 
Gespann  fehlte  oder  dass  ein  dringendes  Bedürfniss  besonder 
rasche  Vollendung  gewisser  Arbeiten  verlangte;  in  solchen 
Fällen  mussten  sich  wohl  die  Zinsbauein  auch  bequemen,  mit 
den  Leibeignen  des  Fronhofs  zusammen  zu  arbeiten,  wie  das 
ganz  im  Geiste   einer  wirthschaftlichen  Organisation  gelegen 
war,  die  eine  möglichst  vollständige  Ausnützung  der  Arbeitskraft 
ohne  viel  pei-sönliche  Rücksicht  auf  die  Arbeiter  anstrebte*). 
Dabei  war  es  Regel,  auch  dem  Zinsbauein,  wenn  er  am 
Herrenhofe  oder  im  Sallande  arbeitete,  eine  Verpflegung  zu 
reichen^);  es  war  das  nur  eine  nothwendige  Ergänzung  des 


0  Polypt  Irm.  II,  274;  Maurer,  Fronhöfe  I,  847. 

*)  Reg.  Prüm.  c.  114,  p.  197:  Debet  unum  animal  senioris  acdpere  ad 
missam  s.  Martini  et  de  suo  nutrire  usque  in  pascha;  ib.  c  116,  p.  198 :  De- 
bet unasquisque  2  porcos  senioris  sui  nutrire  a  missa  s.  Martini  usque 
ad  dimidium  martium.    Brev.  rer.  fisc.  (1, 177) :  nutrit  porcellos  dominicos. 

^)  Reg.  Prüm.  c.  113,  p.  197:  Ad  missam  s.  Martini  debet  unusquis- 
qne  unum  pecus  sui  senioris  accipere  et  nutrire  de  suo  usque  ad  pascha; 
qnod  si  perdiderit,  componit  (reddet)  de  suo. 

*)  Caesar,  zum  Reg.  Prüm.  c.  1,  p.  145:  Corvadam  facere  est  ita  no- 
bis  sicnt  sibi  ipsis  arare  .  .  .  Qui  enim  habent  animalia  sive  animal  ad 
hoc  utile,  yeniet  quando  ei  praecipitur  a  nostro  ministro  cum  suo  fossorio 
et  cooperabitur  aliis  hominibus  hoc  quod  ei  iniunctum  fuerit. 

')  Reg.  Prüm.  c.  1,  p.  145:  Quando  15  noctes  facit  et  fenum  colligit 
et  ciu^adas  fadt,  panem  et  cerevisiam  et  camem  eis  datur  oportuno  tera- 

24* 


—    872    — 

ganzen  Systems  der  Arbeitstheilung,  wie  es  die  Grundherren 
entwickelten*  Denn  die  einzelnen  Mansen,  welche  an  Zin&- 
bauern  hinausgethan  waren,  konnten  doch  nicht  den  ganzen 
Lebensbedarf  der  Colonenfamilie  sicher  stellen  und  zugleich 
der  Herrschaft  einen  Ertrag  abwerfen,  da  ja  die  Arbeitskraft 
der  Colonen  nur  zur  Hälfte  auf  das  Gut  zu  verwenden  war; 
sie  waren  daher  wohl  auch  von  Anfang  an  solch  beschränkter 
Arbeitskraft  entsprechend  ausgemessen;  durch  die  Verleihung 
erwarb  sich  der  Giiindhen*  mehr  nur  im  AUgemeinen  eine 
gesicherte  Verfügung  über  fi'emde  Arbeitskraft  und  über  die 
Bodenrente,  der  Zinsbauer  die  Grundlage  einer  selbständigen 
Wirthschaftsführung  und  die  Bedingung  für  Erfüllung  seiner 
Zinsverbindlichkeit;  die  heirschaftliche  Verpflegung  während 
der  Arbeit  am  Herrengute  kam  dann  als  eine  Art  Natural- 
lohn hinzu  ^) ;  der  Werth  der  Golonenarbeit  war  zwar  nicht 


pore,  alio  tempore  nichil.  c.  24:  de  beneficiis  .  .  qnaUs  prebenda  detar 
Ulis:  In  angaria  detur  uniciiique  panes  8,  portiones  2,  gobemator  nans, 
si  ad  Metis  navigat  panes  5,  portiones  3.  Operarios  in  navi  onicniqae 
panes  4  et  portiones  2.  Ad  Cuhckeme  vel  ad  Bemegbe  panes  2  et  por- 
tio  1.  Si  ad  monasterium  pergit,  panes  2.  Si  haistaldus  illne  pondiö 
portat  panes  3.  Cum  palos  vel  perticas  reddunt  de  sno ,  detor  nnicmqne 
panes  3  et  portio  1.  Ad  centenam  unoqooque  aratro  panes  2^/^  et  oom- 
pane  et  4  vices  bibere.  Centena  ad  vineas  Ugandas  et  fodiendas  panem  1 
et  qoartarium  et  compane  et  4  vices  bibere.  Centena  ad  yindemiaDdoiB 
nichil  ei  detur.  Ad  fenum  secandum  prius  detur  ei  quartariom  de  pane 
et  aliquid  ex  came  et  bibere  et  postea  panis  1  et  pordo  1  et  qosndo 
fenum  ducit  panem  1.  Femine  ad  fenum  panem  dimidium.  Ad  messem 
coUigendnm  similiter.  Extraneis  panis  integer;  vgl.  auch  c  45,  46, 47  a.  <>. 
Wirt.  Ürk.-B.  848,  n.  108:  Piscatores  . . .  prandium  a  cellerario  acdpiani- 
ünicuique  autem  piscatori  sagenam  fratrum  trahenti  staupus  Tini  si  ita 
habunde  crevit,  ut  possit  dari,  cum  pane  tribuatur;  atsi  non  creviti  ste- 
culus  ceroTisiae  gratanter  ab  eis  suseipiatur.  Urk.  782  —  814  (Lacomblet« 
Archiv  II,  294):  ut  habeat  panem  et  cerevisiam  ad  suffidentiam.  Qoodsi 
non  datur  panis  et  cerevisia,  non  serviat,  priusquam  restauretor.  TgL  a. 
die  Leistungen  und  Gegenleistungen  nach  dem  Reg.  Werd.  oba  S.  3^ 
Anm.  4. 

^)  Dass  mansus  und  provenda  Formen  der  Naturallöhnuog  waren,  ist 
schon  aus  Cap.  de  vill.  c.  50  zu  ersehen :  Poledrarii  qoi  üben  soat  et  in 
ipso  ministerio  benefida  habuerintp  de  illomm  vivant  beneficiis.  Siodlit^r 
et  fiscalini  qui  mansos  habuerint,  inde  vivant.   Et  qui  hoc  noo  habuerit. 


—    873    — 

voll  vergQtet,  weil  ein  Pfliehtverhältniss  auf  Grundlage  des 
Zinsgutes  schon  bestand;  aber  er  konnte  doch  nicht  vollstän- 
dig ohne  weitere  Entschädigung  in  Anspruch  genommen  wer- 
den, weil  ja  die  Mittel  gefehlt  hätten,  seine  Quelle  zu  erhalten 
und  ihn  selbst  immer  wieder  neu  zu  erzeugen. 

Bei  dieser  grossen  Klasse  von  Landwirthen  aber,  welche 
einzelne  Hufen  der  Grundherren  innehatten,  von  ihnen  Zinse 
gaben  und  Frondienste  leisteten,  lag  überhaupt  in  dieser 
Zeit  der  Schwerpunkt  der  nationalen  Arbeit.  War  in  der 
älteren  Zeit  der  kleine'freie  Grundeigenthfimer  noch  als  der 
eigentliche  Bauer  erschienen^),  so  bildete  nun  die  Masse  die- 
ser grundhörigen  Leute  .den  Bauernstand,  mochten  sie  nun 
ihrem  Status  nach  Unfreie  (servi  casati)  oder  Halbfreie  (liti, 
fiscalini,  coloni)  oder  selbst  Freie  (liberi,  franci,  ingenui)  sein. 
Es  wird  das  schon  aus  dem  Verhältnisse  der  dienenden  Mau- 
sen klar,  welche  zu  einem  Herrenhofe  gehörten;  der  Gegen- 
satz zur  älteren  Zeit  liegt  aber  .weniger  in  dem  Unterschiede 
der  Zahl,  als  vielmehr  darin,  dass  die  dienenden  Mausen 
nunmehr  überhaupt  die  Regel  wurden,  während  sie  früher  im 
Vergleiche  zu  den  freien  Hufen  doch  die  Ausnahme  bildeten. 
Damit  ist  die  Summe  der  in  fremdem  Dienste  verwendeten 
Arbeitski-äfte  in^s  Ungemessene  gesteigeit  worden.  Denn  nicht 
bloss  die  persönlichen  Dienstleistungen  der  Hufenbesitzer  sind 
dabei  in  Rechnung  zu  ziehen;  auch  ihre  Weiber^)  sind  zu 
Haus-  und  Ackerdiensten  verhalten;  und  sehr  kömmt  in  Be- 
tracht, dass  sie  von  den  Früchten  ihrer  auf  der  Zinseshufe 
verwendeten  Arbeit  einen  beträchtlichen  Theil  zum  Nutzen 
der  Herrschaft  abgeben  mussten.  Mit  jenen  vermehi*ten  sie 
die  pi*oductive  Kraft  der  herrschaftlichen  Wirthschaft  und  ge- 
statteten ihr,  einen  ungleich  grossartigeren  und  vielseitigeren 


de  dominica  acdpiat  proyendam.  YgL  auch  Reg.  Pram.  c  2,  p.  147  oben 
S.  363  Anm.  4 

')  S.  I.  Bttch,  4.  Abschnitt,  S.  148. 

')  Reg.  Werd.  A.  1  (Lacomblei,  Archiv  I,  218):  De  petitorio  iumale 
debet  nxor  ad  5  acenros  manipulos  aUigare  et  eosdem  acerros  colligere 
Tel  coDBtraere;  tone  4  manipulos  sibi  assomat  Bog.  Pmm.  c.  24:  feminae 
ad  fenum. 


—    874    — 

Eigenbetrieb  durchzuführen,  als  diess  mit  den  eignen  Arbeits- 
kräften des  herrschaftlichen  Gutes  je  möglich  gewesen  wäre; 
mit  diesen  gaben  sie  dem  Gmndherrn  die  Verfügung  Ober 
fertige  Arbeitserfolge,  also  über  Producte,  welche  unmittelbar 
den  Reinertrag  seines  Besitzthums  erhöhten. 

Die  Grundlagen  für  die  Bemessung  der  Frondienste  waren 
im  Wesentlichen  auch  in  dieser  Periode  die  gleichen,  auf 
welchen  schon  früher  das  Ausmass  der  Leistungen  beruhte; 
von  den  unfreien  Hufen  (mansi  serviles)  wurde  regelmässig 
dreitägige  Feldaibeit  in  der  Woche  ^),  von  den  Hufen  der 
Liten  und  Pflichtigen  Freien  solche  gewöhnlich  nur  wähi*end 
einiger  Wochen ,  bei  der  Herbst  -  und  Fi-ühjahrsbestelloDg, 
für  die  Brachfurche  und  die  Ernte  verlangt^).  Aber  viele 
andre  Dienstleistungen  am  HeiTenhofO;  Fuhren  und  Vorspann, 
Botendienst  und  Handelsgeschäit,  wurden  daneben  noch  üblich^); 
mit  der  Mannigfaltigkeit  wuchs  auch  sichtlich  die  Schwere 
dieser  Dienstleistungen,  welche  den  einzelnen  Hufen  aufge- 
bürdet wurde  ^);  die  Zinsbaueiii  wurden  dadurch  geradezu 
in   ihrer   Existenz   bedroht;  Fronen   und  Scharwerk  (scara) 


»)  Vgl.  2.  B.  Tr.  Wizz.  774,  n.  63.  C.  Laur.  776,  n.  868  n.  o.  S. 
I.  Buch,  4.  Abschnitt,  S.  156.  Doch  kommen  schon  einige  Erleichterungen 
vor-,  Tr.  Sang.  817,  n.  228:  ut  servi  vel  andlle  coiyagati  et  in  mansia  ma- 
nentes  tribata  et  vehenda  et  opera  vel  texturas  sea  functiones  qnaslibet 
dimidia  &ciant;  ib.  842,  n.  885:  ita  dumtaxat,  ut  ipsa  mandpia  non  co- 
gantur  in  ebdomada  tres  dies  operare,  sed  tantum  daos;  ib.  865,  n.  509: 
tributom  absqae  diebus  et  femine  operibos;  Beg.  BUd.  12:  manctpia  7, 
quorom  qnilibet  .  .  senrit  2  dies  in  ebdomate. 

*)  S.  die  vielen  Beispiele  unten  S.  402. 

')  Reg.  Blid.  1:  dudt  2  carr.  ligni;  4:  dadt  in  messe  2  caxr.  feni;  6: 
dudt  125  palos;  9:  senrit  ad  annum  in  yinds  ad  opos  senioris;  14:  ser- 
viunt  in  vineis,  navigant;  s.  auch  die  sdt  Karl  d.  Gr.  ao^ekommaDefi 
Mergeliuhren  Ed.  Pist  c.  29  unten  S.  412  Anm.  1. 

^)  Im  Reg.  Prüm,  kommen  die  hauptsächlichen  Leistongen  wohl  alle 
vor:  ducnnt  ad  monasterium  spelta,  annona,  fenum,  vinum,  salem;  poiros 
plantant,  moras  coUignnt;  clausuram,  panem,  curvadas,  jugera,  wictas, 
noctes,  pertigadas,  scaram  £BMaunt,  operant  ad  fenom,  ad  messem,  ad  nn- 
demiam,  in  broil,  dies,  hebdomadas;  paginas  claadunt,  linum  seBiBUt  et 
parant,  fenum  secant  et  colligunt,  vinum  et  sal  vendunt,  navigant,  «qw* 
tant  etc.;  feminae  suunt  femoralia,  faciunt  campsUes  u.  a. 


—    875    — 

Hessen  ihnen  kaum  mehr  Zeit,  um  der  Hufe,  die  sie  selbst 
bebauten,  neben  kärglichstem  Unterhalte  die  Früchte  abzu- 
gewinnen,  die  sie  neben  ihren  Diensten  als  Zinse  und  Abgaben 
aller  Art  an  die  HeiTSchaft  abliefern  mussten.  Es  kann  nicht 
Wunder  nehmen,  wenn  die  Bauern  oft  mit  Preisgebung  ihres 
Zinsguts  sich  in  eine  andre  Hen*schaft  als  Hausdiener  bega- 
ben ^),  wo  sie  doch  wenigstens  um  die  Sicherung  der  Lebens- 
DOtdurft  nicht  zu  sorgen  hatten;  ja  selbst  yon  ihrem  bereits 
erblich  gewoi'dnen  Besitz  veräusserten  sie  wohl  die  Ländereien 
und  behielten  sich  bloss  die  Wohnstatt  vor  *),  um  den  lästigen 
Diensten  zu  entgehen,  die  ihnen  eben  wegen  des  Hufenlandes 
oblagen. 

Auch  hier  war  es  wieder  nur  die  verständige  Wirth- 
schaftspolitik ,  welche  die  Eai'olinger,  Karl  d.  Gr.  selbst  in 
erster  Reihe,  pflegten,  die  auf  Erhaltung  dieses  Bauernstandes 
hinwirkte,  während  die  weltlichen  Grossen  nur  allzu  geneigt 
waren,  ihre  Zinsbauei-n  überhaupt  wie  Leibeigne  unbeschränk- 
ter persönlicher  Verfügung  zu  unterwerfen,  und  die  geistliche 
Grundhen-schaft  über  dem  Streben  nach  gi*ossen  ökonomischen 
Ergebnissen  ihrer  Verwaltung  nicht  minder  die  Pflege  der 
Interessen  ihrer  Zinsleute  vergass.  Wie  Karl  d.  Gr.  es  seinen 
Amtleuten  wehrte,  dass  sie  die  Arbeitskraft  der  auf  könig- 
lichen Zinsgütem  angesessenen  Bauern  für  ihre  eignen  Zwecke 
verwendeten  *) ,  so  untersagte  er  auch  den  GrundheiTen, 
welche  über  Fiskalinen  und  Colonen  geboten,  diese  anders 
als  für  ihr  Zinsgut  zu  reclamiren,  wenn  sie  sich  in  fremden 


^)  Cap.  803  (I,  121),  c.  15;  s.  unten  S.  376  Anm.  1.  Auch  Gap.  806, 
c.  6  (I,  144)  von  den  fugitivi  servi,  Cap.  817,  c  6  (I,  215):  de  mandpüa 
in  villas  dominicas  confagientibos;  Cap.  821,  c.  8  (I,  230):  Si  servi  yel 
ecdesiastici  vel  quorumlibet  liberorum  hominom  in  fiscum  noBtrom  con- 
fngerint. 

')  Ed.  Pist.  864  (I,  496),  c.  30;  s.  oben  S.  353  Anm.  1. 

^  Cap.  de  yiU.  c  3:  Ut  non  praesumant  iudices  nostram  familiam  in 
eonun  serntimn  ponere,  non  corvadas,  non  materia  cedere,  nee  aUnd  opus 
sibi  iacere  cogant.  c  11:  Ut  nuUus  iudex  mansionaticos  ad  suum  opus 
uec  ad  snos  canes  super  homines  nostros  atque  in  forestes  nuUatenus 
prendant 


—    876    — 


• 


HeiTSchaftsbereich  begeben  hatten^).  Und  aus  dem  gleichen 
Gesichtspunkte  der  Bewahrung  eines  kräftigen  Bauernstandes 
verbot  Karl  der  Kahle  den  Colonen  und  Fiskalinen  die  Ve^ 
äusserung  der  zu  ihren  ererbten  Zinsmansen  gehörigen  Län- 
dereien*). Auch  die  Regelung  und  Fixirung  der  Dienstlei- 
stungen, wie  sie  zuerst  aus  späteren  Zusätzen  zu  einigen 
Volksrechten  ersichtlich  wird^),  von  Karl  d.  Gr.  besonders 
fbr  die  Hörigen  der  Kirchen-  und  Fiskalgüter  des  pagus  Ce- 
nomannicus  (le  Maus)  bezeugt  *)  und  von  vei*ständigen  Grund- 
herren  nachgeahmt  ist,  war  wohl  schon  von  demselben  Geiste 
eingegeben ;  und  es  ist  entschieden  der  Energie  karolingischer 
Verwaltung  zuzuschreiben,  wenn  das  mindestens  auf  den  Kir- 
chen- und  Beneficialgütem ,  soweit  der  königliche  Einflnss 
reichte,  während  dieser  Periode  immer  mehr  zur  Regel  wurde*). 
Ebenso  hat  aber  nach  der  anderen  Seite  hin  das  Bei- 
spiel, welches  Karl  d.  Gr.  mit  der  strammen  Arbeiterorgani- 
sation der  königlichen  Villen  gegeben  hat ,  fiberall  aof  den 
Gfitem  der  gi*ossen  Grundherren  Nachahmung  gefunden.  In 
dem  Gapitulare  de  villis  ist  das  Bestreben  allgemein  wahr- 
nehmbar, die  einzelnen  Kreise  der  dienenden  Arbeit  mit  einer 
Oberleitung  zu  versehen,  welche  die  üeberwachung  der  Pflicht- 


^)  Cap.  803  (I,  121),  c  15 :  Ut  homines  fiscalini  sive  coloni  in  alie- 
num  dominium  commanentes,  a  priore  domino  requisiti,  non  aliter  eisdem 
concedantor,  nisi  ad  priorem  locum,  ubi  prios  visus  fuit  mansiBBe. 

«j  Ed.  Pist  864,  c  80  (I,  496);  s.  oben  S.  353  Anm.  1. 

')  L.  ß^'.  I,  13,  gleichlautend  mit  Cap.  817,  c.  13  (I,  216). 

«)  Gapit  800  (LL.  I,  82).  Auch  Cap.  Langob.  835  (I,  371),  c  6: 
Praecipimus  ut  nova  condictio  aldioni  a  domino  non  imponator.  Auf 
solche  Fixirung  der  Dienstleistungen  ist  es  wohl  auch  zurückzufthren, 
wenn  die  Colonen  des  Fiskus  und  der  Kirche  sich  weigerten, «zu  ihren 
sonstigen  Fuhren  und  Handdiensten  auch  noch  die  neu  aufgekommen«D 
Mergelfuhren  zu  übernehmen;  Ed.  Pist.  864  (I,  495),  c29;  u.  S.  412,  Aom.  1 

^)  Meichelb.  Ib,  825,  n.  481:  Isti  sunt  liberi  homines,  qui  dieontor 
barscalci  qui  et  cum  Wagone  coram  multis  conpladtayerunt,  ut  ecdesia* 
sticam  acceperunt  terram,  de  ipsa  terra  condixerunt  facere  serritram  .  • 
arant  dies  3  tribus  temporibus  in  anno  et  secant  tres  dies,  iUnd  coUegont 
et  ducunt  in  horrea  ...  et  reddant  modios  15,  ex  bis  8  de  ordea,  ans 
Mscinga  val.  saicas  2  .  .  .  Istud  firmiter  condictom  est  ut  eis  nulius  am* 
plius  maiorem  serritium  iigungere  valeat    Vgl.  Roth,  Bene£-W.  S.  377. 


-    377    — 

erfullung  wie  die  Anordnung  und  Leitung  der  Arbeiten  durch- 
zuführen hatte,   selbst  aber  wieder  nur  Glied  der  einheitlich 
gedachten   und   oi'ganisirten  Gutswirthschaft  war.     Mit  der 
Verwaltung  ganzer  Villen  betraut  waren  die  Amtleute,    in 
dei-en  Hand  die  Leitung  der  Domanialwirthschaft  wie  die  An- 
ordnung und  üeberwachung  der  Frondienste  und  die  Beitrei- 
boDg,  Ansammlung  und  Verwendung  der  Zinse  und  Abgaben 
sich  vereinigte.    Ihnen  unmittelbar  untergeben  waren  einer- 
seits die  Vorstände  der  einzelnen  Abtheilungen  der  Domanial- 
wirthschaft ^),  anderseits  die  Verwalter  der  zu  den  Villen  ge- 
hörigen Dominicalhufen,  die  zugleich  wieder  die  Vorgesetzten 
für  kleinere  Kreise  dienender  Hufen  bildeten,  wie  das  das 
ViUensystem  mit  sich  brachte.    Um  diese  Unterordnung  zu 
wahren,  scheint  insbesondere  jene  Bestimmung  erlassen,  wor- 
nach  zu  Maiem  nicht  Mächtige  genommen  werden  sollten*), 
sondern  Leute  in  bescheidnen  Lebensverhältnissen,  von  denen 
man  sieh  besonderer  Treue  vei'sehen  konnte.    Denn  mächtige 
Grundherren  würden  die  Verwaltung  eines  königlichen  Gutes 
doch  nur   als  ein  Annex  ihrer  eignen  Wii-thschaft  betrachtet 
haben,    und  wären  den  Amtleuten  an  Macht  und  Ansehen 
leicht  überlegen  gewesen. 

Eine  ähnliche  Organisation  der  Arbeit  tritt  dann  allmälig 
mit  Verbreitung  der  Villenverfassung  bei  den  grossen  geist- 
lichen wie  weltlichen  Gi-undhen-schaften  in  Deutschland  her- 
vor, obwohl  sie  unverkennbar  noch  weit  zurücksteht  hinter 
der  Ausbildung,  welche  dieselbe  im  westlichen  Frankenreiche 
bereits  erlangt  hatte,  und  weder  so  vielseitig  noch  so  er- 
schöpfend ist,  als  auf  den  königlichen  Villen.  Die  Verwaltung 
der  einzelnen  Hauptgüter  ist  auch  hier  Amtleuten  über- 
tragen^); die  einzelnen  Herrenhöfe  in  der  Regel  mit  Leuten 


^)  Dahin  gehören  die  forestarii,  poledrarii,  cellerarii,  telonarii;  auch 
decaoi  c.  10.  Auch  die  magistri  seryoram  forinsecus  c.  29  und  57  und 
Cap.  817  (I,  213),  c.  18,  und  die  magistri  forestariorum  Bouquet  VI,  p.  648. 

^  c.  60:  Nequaquam  de  potentioribüs  hominibus  majores  fiaut,  sed 
de  mediocribus,  qui  fideles  sint. 

*)  Vgl  Vita  Rabani  liauri  in  Schannat,  bist  Fuld.  cod.  prob.  p.  118: 
erant  etiam  per  diversas  provincias  praedia  monasterio  subiacentia,  .  .  . 


—    378    — 

von  dem  niedereren!  Range  der  Meier  besetzt,  denen  zugleich 
die  Ueberwachung  der  ihrem  Bezirke  zugewiesenen  Zinshöfe 
anvertraut  war  ^).  Besonders  in  geistlichen  Grundherrschaften 
ist  aber  oft  auch  nur  einem  Zinsbauem  ein  solches  Amt  (mi- 
nisterium)  fibertragen,  ohne  dass  er  dadurch  zum  eigentlichen 
Wirthschaftsbeamten  der  hen-schafüichen  Verwaltung  wird. 
Auch  Kellner  *)  und  Förster  •),  als  solche  Voreteher  besondrer 
Dienstzweige,  werden  wiederholt  erwähnt  und  vereinzelt  treten 
auch  Vorgesetzte  der  Hausdiener*),  Meister  der  Schenken^) 
etc.  vor. 

Nicht  minder  wichtig  ffir  die  Organisation  der  nationalen 
Arbeit  war  Karls  d.  Gr.  Beispiel  in  Anordnung  des  öffentlichen 
Dienstes.  Die  Verbindung  der  wirthschaftlichen  Privatinter- 
essen mit  denen  der  öffentlichen  Verwaltung  war  in  einer 
Zeit  selbstverständlich,  welche  so  wenig  zwischen  Staatsgut 
und  Ffirstengut,  wie  zwischen  Staatsgewalt  und  grundherr- 
licher Gewalt  des  Ffii-sten  überhaupt  unterschied.  Und  daram 
hat  es  auch  nichts  Befremdendes,  dass  die  Amtleute  der  kö- 
niglichen Villen  zugleich  mit  obrigkeitlichen  Functionen,  mit 
Gerichts-  und  Polizeigewalt  ausgestattet  waren  und  zugleich 
im  Dienste  der  Keichsfinanzen  standen  ^).  Aber  gerade  durch 
die  Villenvei-fassung  Karls  d.  Gr.  sind  doch  alle  seiner  grund- 


qaorum  alia  quidem  per  villicos  ordinavit,  alia  vero  et  mazime  ilia  ur 
quibas  ecdesiae  fuerant,  presbyteris  procuranda  atqne  disponenda  conmi- 
Sit;  vgl.  die  praepositi  in  Gap.  811,  c.  4  (LL.  I,  168). 

^)  Caes.  z.  Heg.  Prüm.  c.  1,  p.  145:  et  si  mansionariis  a  maiore,  i^ 
est  Tillico  sive  a  Duncio  abbatis  precipitur,  tenentur  framentum  de  cnri» 
domimca  ad  molendinum  deducere  etc.  Aach  der  im  Reg.  Blid.  öfter  g^ 
luumte  yillicus  wird  wohl  nur  als  Meier  zu  nehmen  sein. 

>)  Wirt  Ürk-B.  848,  n.  108,  wo  die  disclpoli  ceUerarii  erwfthnt  wecdei. 

')  Carta  Chrodeg.  Met  756  (Calmet,  bist  de  Lorraine  I  pr.  282). 

^)  Mon.  Sang.  U,  6  (SS.  U,  750) :  cubicularii  circa  magistnun  wm: 
YgL  schon  1.  AI.  81,  c.  3 — 6:  coquus  qai  iuniorem  habet 

°)  Ann.  Laor.  m%j.  781  (SS.  I,  162):  magistri  pincemarom;  TgLi.A- 
Maurer,  Fronhöfe  I,  260  ff. 

®)  Vgl.  über  die  Verrechnung  der  königlichen  Einkünfte  aas  Aiv^' 
liehen  wie  aus  privatwirthschaftlichen  Titeln  durch  die  Amüeate  O^k  ^ 
▼iU.  c  62  unten  S.  394  Anm.  2. 


—    879    — 

heiTlichen  Gewalt  Unterworfenen  zugleich  auch  für  den  öffent- 
lichen Dienst  in  einer  Weise  in  Anspruch  genommen  worden, 
wie  es  weder  vorher  noch  nachher  in  gleichem  Umfange  und 
mit  gleich  grossartigem  Erfolge  geschah.  Insbesondei^  auf 
Kronbeneficien  und  allen  aus  königlichem  Besitze  herstam- 
menden Gütern,  sowie  auf  allen  geistlichen  Grundbesitzungen 
machte  die  Reichsgewalt  fortwährend  ihre  Interessen  geltend 
UDd  verlangte  Dienste  und  Abgaben  für  die  Beherbergung 
und  Verpflegung  des  Königs  und  seiner  Sendboten,  für  den 
Bedarf  des  Heereszugs  und  der  Amtsreisen,  für  Nachrichten- 
beförderung und  öfientliche  Verkehrswege,  für  Bauzwecke  und 
öffentliche  Sicherheit  in  Krieg  und  Frieden^).  Durch  Ver- 
dinglichung  aller  dieser  Leistungen  in  dem  Systeme  der  Be- 
neficien  und  der  Villenverfassung  gab  er  ihnen  eine  Stetigkeit 
ihrer  Vertheilung,  und  durch  fortwährende  Aufsicht  über  die 
Leistungsfähigkeit  der  Güter  eine  Sicherheit  der  jederzeitigen 
Erfüllung ,  wie  sie  in  dieser  Zeit  auf  andre  Weise  wohl  nie 
auch  nur  annähernd  so  vollständig  geltend  zu  machen  gewe- 
sen wären.  Und  auch  hierin  zeigten  sich  die  Grundherren 
alsbald  als  gelehrige  Schüler  ihres  gi-ossen  Meisters  der  Or- 
ganisation. Was  sie  an  öffentlichen  Leistungen  zu  tragen 
hatten,  besondei'S  die  Beherbergung  und  Verpflegung  des 
Königs  und  seines  Gefolges,  die  Einquailierung  und  Beförde- 
rung der  Grafen,  die  Boten  -  und  Fuhrdienste,  die  Wachen  etc. 
vertheilten  sie  geschickt  auf  ihre  Leute,  die  auf  den  dienen- 
den Mausen  ihrer  Herrschaft  umhersassen ').    Den  grösseren 

^)  Sehr  ausführliche  Nachweisungeii  hierüber  bei  Waitz,  Yerf-Gesch. 
IV,  10-35. 

^)  Diese  Natoralyerpflegang  war  sehr  reichlich  bemessen  und  zeigt, 
dass  die  Eönigsboten  mit  grossem  Gefolge  reisten;  vgl.  AnsegiB  (I,  S20) 
IV,  70:  De  dispensa  missorum  dominicorum  . . .  videlicet  episcopo  panes 
40,  friskingae  3,  de  potn  modii  3,  porcellus  1,  pulli  3,  ova  15,  annona  ad 
caballos  modii  4.  Abbati,  comiti  atque  ministeriali  nostro  unicuique  den- 
tur  cotidie  panes  30,  friskingae  2,  de  potu  modii  2,  porcellus  1,  pulli  3, 
ova  15,  annona  ad  cabaUos  modii  3.  Vassallo  nostro  panes  17,  friskinga  1, 
porcellus  1,  de  potu  modius  1,  puUi  2,  ova  10,  annona  ad  caballos  modii 
2.  Gap.  828  (I,  328),  c.  1:  Volumus  ut  tale  coniectum  missi  nostri  acci- 
piant  quando  per  missaticum  suum  perrexerint:  hoc  est  ut  unusquisque 


—    380    — 

Zinsböfen,  freien  Sehutzleuten,  die  in  besserem  Zustande  und 
aueb  für  den  ihnen  obliegenden  Kriegsdienst  mit  Pferden  aus- 
gestattet waren,  wurden  vorzugsweise  die  Fuhren,  Voi^ann 
und  Pferdewechsel  fQr  Eilpost  und  Schnellboten  auferlegt'), 
ihnen  auch  der  Dienst  fdr  das  Fuhrwesen  des  Heeres  beson- 
ders zugedacht;  die  unfreien  Mausen  und  kleineren  GQter 
haben  dazu  Handfronen  oder  aber  Abgaben^)  leisten  müssen. 
Und  in  gleicher  Weise  wurden  die  Dienste  der  Grundholden 
herangezogen,  wenn  es  galt,  gemeinwirthschaftliche  Leistungen 
herzustellen,  welche  die  GrundheiTon  entweder  von  Reichs- 
wegen übernehmen  mussten,  oder  welche  sie  im  eignen  In- 
teresse ihres  Hen-schaftsgebietes  ausführen  wollten,  Strassen- 
und  Bi-ückenbau  3) ,  Bauten  für  den  König  oder  die  Kirche, 


accipiat  panes  40,  Mskingas  2,  porcellam  aut  agnum  1,  piülos  4,  oni  20i 
▼ino  sextarioB  8,  cervisa  modios  2,  annona  modios  2. 

^)  In  PriUn  and  Lorsch  waren  die  paraferedi  vorzugsweise  den  mansis 
ingenoiles  und  lidiles  auferlegt;  ygl.  Cap.  826  (I,  256),  c  10:  De  quer^ 
Hildebrandi  comitis,  quod  pagenses  ejus  parayreda  dare  recosant  und  dua 
Gu^rard,  Irm.  I,  810.  Im  Brev.  rerum  fisc.  kommen  jedoch  die  paraferedi 
auch  als  Leistungen  von  mansis  servUibus  Tor,  was  dann  wieder  die  Ver- 
wischung dieser  Unterschiede  anzeigt  Auch  die  scara  wird  im  öffentliches 
Dienst  verlangt;  Waitz  IV,  22. 

*)  Im  Reg.  Prüm,  sind  die  Zinsbauem  vielÜEu^  verpflichtet,  in  advents 
regis,  Frischlinge,  HOhner,  Eier,  Mehl  zu  liefern.  Vgl  auch  Cap.  Tnsiac 
865  (I,  503),  c.  16 :  üt  ministri  comitum  in  unoquoque  comitatu  dispensam 
misBorum  nostrorum  a  quibuscumque  dari  debet,  recipiant,  sicut  in  tru* 
toria  nostra  continetur  et  ipsi  ministerialibus  missorum  nostrorom  em 
reddant. 

")  Tr.  Sang.  787,  n.  113:  quando  opus  est  pontes  aedificare  vd  noros 
facere  mittamus  unum  hominem  ad  opus.  Vgl.  Monachus  Sang.  (SS.  TL 
745),  I,  80:  Fuit  consuetudo  in  Ulis  tempoiibus,  nt,  abicunqoe  aliqood 
opus  ex  imperiali  praecepto  fadendum  esset,  siqoidem  pontes  vel  naves 
aut  trajecti  sive  purgatio  seu  stramentum  vel  impletio  coenosorom  itiae- 
rum,  ea  comites  per  vicarios  et  officiales  suos  exeqaerentnr  in  minoribos 
dumtaxat  laboribus.  Capit  Langob.  808  (I,  111),  c.  18:  De  pontibos  vero 
vel  reliquis  similibus  operibns  que  ecdesiastiti  per  iostam  et  antiquam  coa- 
stitutionem  cum  reliquo  populo  facere  debent  hoc  praecipimus,  ut  rector 
aecdesie  interpelletnr  et  ei  secundum  quod  ejus  possivilitas  fberit  sa 
portio  depntetur  et  per  alium  ezactorem  ecclesiastici  homines  ad  opera 
non  conpeUantur. 


—    381    — 

Flassregulii'oiig  und  Seedeich6  und  was  der  Ai*t  mehr  war. 
Es  lag  darin  an  sich  keine  Mehrung  der  Dienste,  welche  die 
Grandherren  von  ihi-en  Untergebenen  verlangten,  sondern  es 
wurden  die  Arbeitsleistungen  dei'selben  nur  zum  Theil  in  den 
Dienst  der  öffentlichen  Interessen  gestellt;  aber  allerdings  lag 
es  nahe  genug,  dass  Grundherren,  welche  keine  Schonung 
ihrer  Arbeiter,  keine  Opfei*willigkeit  im  öffentlichen  Interesse 
kannten,  diese  Ai-t  der  Organisation  der  Arbeit  zu  einer  wei- 
teren Bedrückung  dei*selben  machten. 

In  dieser  reichen  Gliederung  und  einheitlichen  Organisation 
der  Arbeit  liegt  zum  guten  Theile  das  Geheimniss  des  unge- 
mein raschen  und  folgenschweren  Wachsthums  der  grossen 
6rundhen*schaften.  Im  rechten  Gegensatze  zu  der  Wirthschaft 
des  kleinen  freien  Grundbesitzen,  der  noch  jetzt  mit  Weib 
und  Kindern  und  etwa  einigen  Dienstboten  seinen  einfachen 
Haushalt  führte  und  seine  Hufe  dürftig  bestellte,  in  seinen 
Bedürfnissen  utid  Lebensansprüchen  die  alte  Monotonie,  in 
seinem  Betriebe  die  alte  Extensität  bewahii;  hat,  gelang  es 
den  grossen  Giiindherren  nicht  bloss,  ihrem  persönlichen  Le- 
ben reichen  Inhalt  zu  geben,  sondern  auch  der  nationalen 
Production  neue,  breitere  Bahnen  zu  öffnen,  indem  sie  dem 
bisher  wichtigsten  Productionsfactor,  dem  Grand  und  Boden, 
die  nationale  Arbeit  als  nicht  minder  wichtig  befrachtend 
an  die  Seite  setzten.  Hier  fand  jede  überschüssige  Arbeits- 
kraft leichte  und  reichliche  Verwendung;  hier  konnte  jede  an 
den  Platz  gestellt  werden,  wo  sie  sich  nach  ihrer  Eigenart 
am  besten  zu  bethätigen  veimochte;  und  die  Einheitlichkeit 
des  Organisationsplans  für  die  Arbeit,  sowie  die  strenge  Durch- 
fbbrang  desselben  bürgte  dafür,  dass  auch  jede  Kraft  gehörig 
ausgenützt,  ihr  Arbeitserfolg  genügend  verwerthet  wurde.  Für 
die  Arbeit  im  grandhenlichen  Verbände  jener  Zeit  gab  es 
keine  Concun'enz,  welche  diesen  Arbeitserfolg  des  Einzelnen 
hätte  gefährden  können;  jede  von  der  Herrschaft  geforderte 
oder  für  die  Hauswirthschaft  des  Grandholden  geleistete  Ar- 
beit hatte  von  Anfang  an  sichere  Verwendung  und  die  Ge- 
wissheit einer,  wenn  auch  dürftigen,  Vergütung  in  Land  oder 
Producten   der   gutsherrlichen   Wirthschaft.     Selbst  in   dem 


—    382    — 

natürlichen  Anwachsen  der  Arbeiterbevölkerung  und  in   der 
Zuwanderung  fremder  Arbeitskräfte  ist  noch  lange  keinerlei 
Gefahr  für  die  Verwerthung  der  Arbeitserfolge  gesehen  ifor- 
den.   So  lange  der  Gi-undherrsehaft  noch  Gulturland  oder  öde 
Gründe  zu   reichlicher  Verfügung  standen,  eine  intensivere 
Bewirthschaftung  mit    der  Aussicht  auf  entsprechende  Ver- 
werthung des   gesteigerten  Rohertrags  der  Wirthschaft  sich 
rechtfei-tigte ;   so   lange   die  Intelligenz  und  wirthschaftliche 
Thatkraft  der  Giiindherren  mit  neuen  Ideen  die  Arbeit   be- 
fruchtete und  ihr  neue  Productionszweige  eröffnete:  so  lange 
bewahrte  sie  sich  auch  die  Fähigkeit,  neue  Arbeitskräfte  bei 
sich  aufzunehmen  und  ihnen  gesicherte  Verwendung  zu  bieten. 
Und  das  war  offenbar  in  dieser  Periode  noch  durchaus  der  Fall 
Denn  nirgends  vernehmen  wir  eine  Klage  wegen  Mangels  an 
Arbeitsgelegenheit;  nirgends  treten  Symptome  eine  Uebervöl* 
keiiing  auf,  wie  sie  in  der  Folgezeit  besonders  zur  Bildung  neuer 
Lebens  -  und  Erwerbskreise  in  den  Stftdten  geführt  hat.  Wohl 
fühlt   sich   auch  jetzt  schon  der  Arbeiter  vielfach  bedrückt 
durch   die  Dienste  und  Zinse,  die  ihm  im  heii'schaftlicben 
Verbände  auferlegt  waren;  aber  man  darf  die  Unlust  nicht 
vergessen,  mit  der  schliesslich  immer  Arbeit  vemchtet  ?rird, 
die  sich  im  fremden  Dienste  erschöpft  und  die  Trftgheit,  die 
sich  da  einstellt,  wo  eben  keine  Concurrenz  um  die  Güter 
des  Lebens  als  stetig  wirkender  Spom  zur  Arbeit  treibt    Die 
Periode  der  grossen  Organisation  der  Arbeit  dui*ch  die  Grand- 
hen'schaft  ist  in  diesem  Sinne  immerhin  eine  Zeit  volkswirth- 
schaftlichen  Aufschwunges;  mit  dem  Abschlüsse  dieser  Orga* 
nisation  in  dem  Rahmen,   wie  ihn  schon  die  Karolingerzeit 
gesteckt  hat,  ist  aber  auch  sofort  die  Zeit  des  Stillstandes, 
bald  auch  des  Rückschrittes  inauguriit;  die  Grundherrscbaft 
hat  nichts  mehr  zu  leisten,  sie  hat  nur  zu  erhalten,  was  eine 
frühere  Zeit  für  die  Volkswiithschaft  Grosses  geleistet  hat; 
und  auch  das  ist  ihr  schlecht  genug  gelungen. 

Mit  der  vielseitigen,  gut  gegliederten  Arbeit  dienender 
Leute  und  Hufen  führte  also  die  Grandherrschaft  eine  gross- 
artige Wirthschaft  für  eigne  Rechnung  auf  ihren  Domanical- 
gütern  durch.    In  den  Zinsen  und  Abgaben,   welche  die  die- 


—    383    — 

neoden  Güter  und  bestimmte  Klassen  dienstpflichtiger  Leute 
zu  leisten  hatten,  erhielt  dann  die  Grundherrschaft  eine  we- 
sentliche Ergänzung  ihrer  Eigenproduction.  Es  ist  dabei  nahe- 
liegend, dass  diese  Zinse  ebensowohl  nach  der  Beschaffenheit 
und. dem  Ausmass  des  Gutes,  wie  nach  der  besondem  wiith- 
schaftlichen  Qualification  des  Pflichtigen  bestimmt  wai-en^- 
Und  soweit  diese  Ertragsquellen  nicht  geändert  werden  konn- 
ten, war  auch  der  GrundheiTschaft  Mass  und  Art  der  Ein- 
künfte vorgezeichnet.  Es  machte  sich  aber  doch  auch  hier 
bald  der  organisatorische  Einfluss  geltend,  der  von  der  Grund- 
herrschaft auf  alle  Verhältnisse  ausging,  welche  sie  beiilhite. 
Schon  bei  der  Ei'werbung  dienstbarer  Leute  und  Ginindstücke 
wurde  so  viel  als  möglich  auf  die  besonderen  Bedürfnisse  der 
Grundhen'en  Bücksicht  genommen.  So  richtet  sich  frühzeitig 
das  Augenmerk  von  Elöstein  und  Stiftern,  besonders  in  käl- 
teren Gegenden ,  auf  die  üppigen  Weingüter  des  Etsch  -  und 
Rheinlands.  So  zogen  sie  mit  Vorliebe  Handwerker  an  sich 
und  statteten  sie  mit  Beneficien  und  Lehen  aus,  um  ihre 
Gewerbsproducte  zu  geniessen;  ja  selbst  die  Freilassung  be- 
/iHrwortete  die  Kirche  zum  Theil  mit  dem  Hintergedanken, 
dass  sie  zu  ihren  Gunsten  erfolgte,  indem  die  Freigelassenen 
eine  Wachszinspflicht  übernahmen. 

Um  so  mehr  machte  sich  das  Bestreben  nach  Anpassung 
der  Colonenwirthschaft  an  die  mannigfachen  Bedürfnisse  der 
Herrschaft,  zuletzt  selbst  an  die  Nachfrage  des  Marktes  gel- 
tend, als  die  Grundherren  überhaupt  mehr  zum  Bewusstsein 
von  der  Nothwendigkeit  einer  weiterblickenden  ökonomi- 
schen Leitung  der  Wirthschaft  gekommen  waren,  und  auch  in 
reicherem  Masse  über  die  Mittel  verfügten,  durch  welche  sie 
auf  die  Betriebsweise  der  Colonen  einzuwirken  vermochten. 
Vor  allem  finden  wir  eine  immer  grösser  werdende  Man- 
nigfaltigkeit und  Specialisirang  der  Zinse  und  Abgaben,  welche 
ebensowohl  auf  das  verschiedenartige  Bedürfniss  der  Ginind- 
herrschaft  als  auf  das  Streben  zurückgeführt  werden  kann, 


^)  L.  Baj.  I,  13  (LL.  III,  280):  Servi  autem  ecclesiae  secundum  pos- 
sessionem  suam  reddant  tributa. 


—    384    — 

Ordnung  und  Rege]  in  die  difFerenten  Mengen  der  eingeben- 
den Producte  zu  bringen  und  dadurch  sicherere  YoranscUä^e 
und  eine  bessere  Disposition  für  die  Verwendung  und  Ver- 
werthung  der  Producte  zu  gewinnen.  In  den  Yolksrechten 
und  ältesten  Urkunden  sind  die  Abgaben  der  Zinsbauem  noch 
sehr  einfach  und  gleichförmig  festgestellt^);  und  auch  die 
grössere  Specialisirung  der  Abgaben,  wie  sie  sich  im  Laufe 
des  8.  Jahrhunderts  einstellt,  ist  noch  unbedeutend  gegenüber 
der  reichen  Mannigfaltigkeit,  welche  die  grossen  Urbare  jener 
Zeit*),  besondei-s  das  berühmte  Prümer  Register  zeigen;  über 
30  yei*schiedene  Producte  sind  hier  den  dienenden  Mausen 
als  Leistungen  yorgeschrieben ;  neben  vei'schiedenen  Getreide- 
sorten, Mehl  und  Malz,  besonders  Wein,  Flachs,  Senf,  Eicheln, 
Heu  und  Dünger;  Pferde,  Rindvieh,  Schweine,  Schafe  und 
Hammel,  Hühner  und  Eier,  Bauholz,  Brennholz,  Schindeln 
und  Geräthe  mancher  Art.  Nur  die  königlichen  Villen  konn- 
ten sich  damit  in  Bezug  auf  Mannigfaltigkeit  messen ') ;  freilich 


^)  S.  oben  I.  Buch,  4.  Abschnitt,  S.  161  f. 

')  Im  Brey.  rer.  fisc.  (1,  177)  sind  genannt:  annona,  linom,  aemoitoiii 
Uni,  lenticola,  friskinga,  boves,  parafredi,  puUi,  ova,  lignom,  camitileB,  sar- 
ciles.  Im  Reg.  Bild,  siligo,  avena,  triticam,  .dceres,  glandes,  linom,  Tinom, 
parafreda,  oves,  vervices,  porci,  friskinga,  pulli,  oya,  mensales.  Im  Beg. 
Werd.  siligo,  ordeum,  avena,  triticum,  frumentum,  alfitae,  braciom.  fiuiDa, 
pisae,  fabae,  panes,  pord,  oves,  gallina,  puUi,  ova,  victima  porcina  Tel  ovini. 
mel,  linum,  pallia  linea,  plaustra  lignoram,  sal,  vindingae  (?).  Im  Btg. 
Prüm,  avena,  hordeum,  annona,  farina,  braceom,  viniun,  linnm,  sinapis. 
glandes,  fenum,  fimum,  suales,  porci,  friskinga,  multones,  boves,  parafredi 
pulli,  ova,  sal,  garba',  trocta,  samsuga,  lignum,  sdndulae,  aziles,  facolae, 
pali,  materiamen,  daurastuvae,  circuli. 

')  Cap.  de  vill.  62:  Ut  unnsquisque  index  per  singulos  annos  ex  omni 
conlaboratione  nostra,  quam  cum  bubus,  quos  bubnki  nostri  servant«  quid 
de  mansis  qui  arari  debent,  quid  de  sogalibus,  quid  de  censis,  quid  de 
fide  facta,  vel  freda,  quid  de  feraminibus  in  forestis  noatris  sine  nostro 
permisso  captis,  quid  de  diversis  compositionibus;  quid  de  moliDis,  quid 
de  forestibus,  quid  de  campis,  quid  de  pontibus  vel  navibus ;  quid  de  Ixb«- 
lis  hominibus  et  centenis  qui  partibus  fisci  nostri  deserviunt;  quid  de 
mercatis;  quid  de  vineis;  quid  de  illis  qui  vinum  solvunt;  quid  de  Cbdo, 
quid  de  lignariis  et  üaculis;  quid  de  axüis  vel  aliud  materiameo;  quid  de 
proterarüs,  quid  de  leguminibus,  quid  de  milio  et  panigo;  quid  de  lana. 


—    885    — 

da  ihre  Zinse  um  achtzig  Jahre  Mher  verzeichnet  sind,  haben 
sie  auch  hierin  wie  in  vielen  anderen  Punkten  einen  un- 
bedingten Vorrang  anzusprechen. 

Zu  dieser  Vervielfältigung  der  Producte  trugen  insbeson- 
dere die  Verändei-ungen  wesentlich  bei,  welche  die  Grund- 
herren  mit  den  Hufengütern  vornahmen,  indem  sie  dieselben 
theils  für  Special  wirthschaften  einrichteten,  theils  zerschlugen, 
um  Handwerkerlehen  aus  ihnen  zu  bilden. 

Vorzugsweise  waren  es  die  auf  Zinsgütern  angesiedelten 
Unfreien  (servi  manentes,  mancipia  casata),  welche  auch  diese 
•  Zinslasten  trugen,  wie  die  schwersten  persönlichen  Dienstlei- 
stungen, besonders  der  dreitägige  Frondienst  in  der  Woche, 
voraemlich  von  ihnen  verlangt  wurde;  daneben  dann  die 
Hörigen  (liti),  die  auf  diesem  Punkte  wenigstens  von  jenen 
schon  gar  nicht  mehr  zu  unterscheiden  sind. 

Aber  die  Macht  der  grossen  Gnmdhemi  über  die  Masse 
des  wenig  bemittelten  Volkes  war  doch  schon  so  angewachsen, 
ihr  Bestreben  nach  ökonomischer  Beherrschung  der  kleinen 
Freien,  die  sie  sich  politisch  schon  unterworfen  hatten,  so 
entschieden,  dass  sie  auch  die  Commendation ,  das  blosse 
Schutz-  und  Treuverhältniss,  wie  es  häufig  gleichzeitig  mit 
Uebemahme  eines  Beneficiums  geschaffen  wurde,  zur  Quelle 
weiterer  Einkünfte  zu  machen  nicht  unterliessen.  Was  in  der 
früheren  Periode^)  erst  ausnahmsweise  erscheint,  eine  Zins- 
verbindlichkeit der  Beneficiare,  das  tritt  nunmehr  bereits  als 


Uno  vel  canava ;  quid  de  frugibus  arborum ;  quid  de  nucibus  maioribus  vel 
minoribus ;  quid  de  iusitis  de  diversis  arboribus ;  quid  de  hortis ,  quid  de 
napibus;  quid  de  wiwariis;  quid  de  coriis,  quid  de  pellibus,  quid  de  cor- 
nibus,  quid  de  melle  et  cera;  quid  de  uncto  et  siu  vel  sapone;  quid  de 
morato,  vino  cocto,  medo  et  aceto;  quid  de  cervisa,  de  vino  novo  et  ve- 
tere;  de  annona  nova  et  vetere;  quid  de  puUis  et  ovis,  vel  anseribus,  id 
est  aacas ;  quid  de  piscatoribus,  de  fabris,  de  scutariis  vel  sutoribus,  quid 
de  buticis  et  confinis,  id  est  scriniis,  quid  de  tornatoribus  vel  sellariis,  de 
ferrarüs  et  scrobis,  id  est  fossis  ferrariciis  vel  aliis  fossis,  pliunbariciis, 
quid  de   tributariis,   quid   de  poledris  et  pulfrottis  habuerint  .  .  .  notum 

taciant. 

»;  S.  L  Buch,  3.  Abschnitt,  S.  128. 

▼  on  Inama-Sternegg,  Wirthschaflsgeschiclite.    I.  25 


—    386    — 

breite  Regel  entgegen^).  Und  es  sind  diese  Abgaben  nur 
selten  mehr  jenen  älteren  Recognitionszinsen  ähnlich,  die  in 
ihrem  geringfügigen  Geldbetrage  doch  nicht  als  eigentliche 
Belastung  des  Gutes  angesehen  werden  können*);  vielmehr 
unterscheiden  sie  sich  jetzt  in  nichts  mehr  von  den  Leistongen 
sonstiger  abhängiger  Güter ;  Getreide  und  Vieh,  Rinderhäute 
und  sonstige  landwirthschaftliche  Producte*),  aber  auch  Geld 
haben  die  Beneficiare  wie  die  Inhaber  von  Precarien  (precaria 
oblata)  und  Zinsbauem  zu  entrichten.  Und  ähnlich  erscheinen 
auch  schon  diejenigen  Freien  behandelt,  welche  von  der  Grund- 
herrschaft nur  Schutz  ihrer  Person  und  ihres  Erwerbs,  nicht  . 
aber  auch  Land  verliehen  erhielten*).  Die  während  dieser 
Periode  systematisch  vorbereitete  HerabdiUckung  der  bloss 
Schutzhörigen  im  älteren  Sinne  des  Weites  zu  strengerer  Ab- 
hängigkeit und  ihre  Vei-schmelzung  mit  den  übrigen  hörigen 
Leuten  der  Hen*schaft  kömmt  eben  auch  an  diesem  Ponkt 
zum  Ausdruck;  doch  ei*st  im  10.  Jahrhunderte  hat  sie  sich 
im  Wesentlichen  vollzogen  und  besteht  im  11.  Jahrhundert 
als  eine  abgeschlossene  Thatsache^). 

Solche  Ausdehnung  der  Zinspflicht  war  aber  um  so  leichter 
möglich,    als   die  Herrschaft  nicht    nur  bei  Eingehung  des 


*)  S.  die  zahlreichen  Beispiele  aus  Urkunden  bei  Waitz,  Terfg.  IV, 
169  und  Maurer,  Fronhöfe  I,  384 f.  Auch  die  Capitularien  gehen  Bchon 
von  dieser  Regel  aus;  Gap.  Aquitgr.  817  (I,  207)  c  10;  Gap.  829  (I,  350 
c.  4.  Tgl.  Meick  Ib,  836  n.  593  benefidum  suscepit  et  rewadiavit  talem 
censum  reddere  in  unoquoque  anno  sicut  suus  pater  antea  reddidit,  boc 
est  1  solidum  auro  adpredatum  vel  in  argento  vel  in  grano. 

«)  Vgl.  I.  Buch,  3.  Absch.  S.  124. 

s)  Z.  B.  Meichelb.  (vor  810)  Ib,  n.  212:  12  modia  de  spelta  et  12  de 
avena  et  2  friskingas.  Trad.  LunaeL  35  (I,  p.  71):  40  coria  bovina,  Ssolidi: 
Beyer  778,  n.  32:  solido  1  in  luminaribus. 

*)  Lacombl.  Archiv  II,  294 :  Solivagi,  qui  ex  parte  domini  temm  ood 
habent,  solvunt  de  capite  suo  vir  duos  den.,  femina  unum  inter  natale  et 
epiphaniam.  Die  haistaldi  des  B«g.  Prüm.  c.  10,  p.  150;  c  23,  p.  l^ 
operantur;  c.  24,  p.  156  materiamen,  quod  in  silva,  ad  15  noctes  £Ktimt; 
100  palos  ducunt  qui  boves  habent  et  qui  non  habent  Vgl  auch  über 
die  Wachszinsigen  Waitz  IV,  284,  Walter  R.-G.  §  424. 

>)  Haxthausen,  Agrarverfassung  S.  126. 


-    387    — 

Schutzverhältnisses  meist  in  der  Lage  war,  die  Art  der  Zinse 
und  Dienste  für  precaria  oblata«  sowie  für  die  Güter  der 
Freigelassenen  und  Schutzleute  einseitig  zu  bestimmen,  sondera 
auch  mit  Mehrung  ihrer  Gewalt  ein  immer  grösseres  Ueber- 
gewicht  und  einen  immer  stärkeren  Einfluss  auf  ihre  Wirth- 
schaft  behauptete.  Auch  hatte  sie  Mittel  genug,  um  unter 
gleichzeitiger  Zuwendung  ökonomischer  Vortheile  (Nutzung 
der  herrsqhaftlichen  Wälder,  Verleihung  von  Vieh,  Inventar 
und  Betriebscapital)  weitere  Leistungen  von  ihnen  zu  ver- 
langen 1). 

Diese  Specialisirung   der  Dienste   und  Abgaben  musste 

aber,  bei  allem  Vortheil  den  die  Grundhen-schaft  und  wohl 

auch  die  hörigen  Leute  davon  hatten,   doch  auch  oft  Härten 

erzeugen  und  den  Pflichtigen  an  der  freien  Bewegung  in  seinem 

Wirthschaftsbetrieb  ganz  erheblich  hindern.    Da  ist  es  denn 

nicht  zu  unterschätzen,  wenn  die  Giiindhen-n  einen  gewissen 

ireien  Spielraum  für  die  Wahl  der  Producte  Hessen,  in  denen 

der  Zins  entrichtet  werden  konnte  ^.    Es  war  diess  gerade  in 

den  Anfängen    grundhernchaftlicher  Wii-thschaftsoi-ganisation 

um  so  nothwendiger,  als  ja  eine  planmässige  Wii-thschaft  erst 

eingebürgert  werden   sollte,    und  es  vielfach  darauf  ankam, 

die  schutzbedürftigen  Freien  nicht  von  Anfang  durch  allzu- 

grosse  Härte  der  Zinspflicht  von  der  Ergebung  in  den  Dienst 

abzuschrecken. 


^)  S.  oben  2.  Abschn.   S.  270,  3.  Abschn.  S.  329  und  unten  S.  389. 

*)  Häufig  ist  der  Zins  in  Geld  berechnet,  die  Leistung  desselben  jedoch 
gestattet  in  quocunque  pretio  potuerit ;  z.  B.  Tr.  Sang.  822  I,  274 ;  824,  n.276; 
826,  n.  298.  Oder  es  heisst  ausdr&cklich :  censom  persolvat  aut  20  modios 
cnriales  inter  frumento  et  segale  aut  20  siclas  curiales  de  vino,  aut  certe 
3  undas  de  argento,  unum  ex  his  tribus  preciis  ib.  790,  n.  126;  censum 
id  est  3  maldra  sive  6  denar.  vel  predum  6  den.  in  ferramentis ,  quale- 
cunqae  ex  his  tribus  facilius  inveniri  possimus  ib.  859,  n.  460;  dimid. 
soUd,  in  argento  Tel  in  succos  seu  in  grano  sive  in  vestimentis  ib.  824, 
n.  283;  solid.  1  in  argento  probato  aut  in  ferramentis  aut  vestibus  novis 
ib.  826,  n.  297.  Vgl.  a.  Reg.  Prüm.  c.  52,  p.  174:  sualem  1  aut  unciam  1; 
carr.  1  de  vino  aut  de  frumento  mod.  15.  c.  53  den.  4  aut  de  siclo  mod. 
2;  de  siclo  mod,  5  aut  de  arena  mod.  10;  c.  55  de  fimo  carr.  10  aut  de 
ligno  carr.  5  u.  o. 

25  • 


—    388    — 

Ungleich  bedeutsamer  noch  für  die  Leistungsfähigkeit  der 
in  der  Ginindherrschaft  vereinigten  Arbeit  wurde  die  Gebrauchs- 
gliederung des  Vermögens,  welche  als  eine  zweite  Seite  der 
ganzen  wirthschafllichen  Organisation  erscheint,  wie  sie  sich 
innerhalb  des  gi-ossen  Gefüges  der  Grundherrschaften  während 
dieser  Periode  vollzog. 

Der  Anfang  hierzu  war  schon  mit  der  Villenverfassung  und 
der  damit  Hand  in  Hand  gehenden  Bildung  der  Hofmarken  ') 
gemacht,  welche  ja  das  wichtigste  Capital  jener  Zeit,  die  im 
Boden  ruhenden  Productivmittel  durch  entsprechende  An- 
ordnung und  Ausscheidung  nach  ihrer  specifischen  Leistungs- 
fähigkeit in  den  Dienst  einer  vielgliedrigen  aber  einheitlich 
geordneten  Wirthschaft  stellte.  Dem  gegenüber  blieb  die 
Summe  des  beweglichen  Capitals  immer  noch  von  sehr  unter- 
geordnetem Belang.  Aber  doch  vereinigte  sich  schliesslich 
aller  Ueberschuss  der  nationalen  Production  über  den  laufen- 
den Bedarf,  der  also  zur  Ansammlung  und  Stärkung  folgender 
Production  veiftlgbar  war,  in  der  Hand  der  grossen  Wirth- 
schaften  und  legte  den  Gedanken  an  eine  dem  verschieden- 
artigsten Bedürfnisse  der  Wirthschaft  wie  den  Unterschieden 
der  Arbeitskräfte  angepasste  Theilung  seiner  Verwendung 
ebenso  nahe,  als  die  differenten  Arbeitskräfte  selbst  eine 
Gliederung  verlangten,  sobald  sie  einmal  in  grösseren  Massen 
einer  einheitlichen  Wii-thschaftsleitung  zur  Verfügung  standen. 

Schon  in  der  sorgfältigeren  Untei*scheidung  der  Grundstacke 
nach  Bonität  ^)  und  specifischer  Verwendbarkeit,  nicht  minder 
in  grösserer  Sorgsamkeit  der  Verwendung  von  Capital^)  fQr  d^ 
Eigenbetrieb  der  gutsherrlichen  Wirthschaft  äusserte  sich  diese 
ökonomische  Tendenz;  ganz  besonders  aber  tritt  sie  hervor 
in  den  Bestrebungen,  den  dienenden  Gütern  Antheil  am 
Betriebscapital  der  Hen'schaft  zu  gewähren  und  damit  sowohl 


^)  S.  2.  Absch.  S.  272  und  3.  Abschn.  S.  329ff. 

*)  Tr.  Sang.  856,  n.  446:    de  optimo  et  medio  qnod  habni  territorio. 
Lacomblet,  Archiv  II,  292  (782—814)  terra  arabilis  nobilissima. 

^)  Capit.  de  villis  c.  32:  Ut  unusquisque  iadex  praevideat,  qaomoilo 
sementum  bonum  et  Optimum  semper  de  comparata  vel  aliunde 
vgl.  schon  1.  Bcg.  I,  13:  ad  2  modia  sationis  excollegere. 


—    389    — 

ihren  Diensten  Erleichtei-ung  zu  gewähren,  als  die  Bedingungen 
einer  Steigeining  der  Gesammtleistung  ihrer  Wirthschaft  zu 
erstellen. 

Zunächst   diente   diesem   Zwecke   die   Ausstattung    der 

ff 

Zinseshufen  mit  Vieh  und  Inventar  aus  dem  Capital  der 
Hen-schaft;  war  das  auch  früher  schon,  besonders  bei  Mancipien- 
güteiTi  vielfach  vorgekommen  ^),  so  häufen  sich  doch  erst  im 
9,  Jahrhunderte  die  Beispiele  ^) ;  und  es  ist  deutlich,  dass  be- 
sonders der  Viehstand  nicht  als  selbstverständlicher  Bestand- 
theil  der  übertragenen  Hufe  angesehen  ward,  da  er  eben  nicht 
selten  ausdrücklich  neben  den  sonst  allgemein  bezeichneten 
Zugehömngen  des  Mansus  hervorgehoben  ist. 

Dann  aber  wird  es  zur  Gepflogenheit,  Saatgetreide  für  die 
Bestellung  des  Sallands  von  der  Herrschaft  beizusteuern; 
wenigstens  für  einige  Gegenden  Deutschlands  lässt  sich  das 
schon  mit  grosser  Bestimmtheit  nachweisen  und  stellt  sich 
geradezu   als  eine  Neuerung  dar*),   während  früher  auch  die 


>)  Vgl.  I.  Buch,  4.  Abschnitt  S.  159. 

')  Doch  schon  Meich.  763  Ib,  n.  12:   terminos  omnes  cum  utensilüs 

et  callipeum  vaaorum  et  lignorum.    Tr.  Wizz.  798,  n.  23  cum  mandpiis, 

aurum,  argentum,  caballos,  peculiis  minutis  etc.;  ib.  n.  48  curtile  1  cum 

domibu8  aedificiis  vel  pomeriis  et  cum  omni  peculiare.    Meich.  805,  n.  274 : 

accepimus  in  beneficium  iUam  terram  et  4  boves.    luvav.  Anh.  864,  n.  96 

manentes  senros  —  cum  coloniis   et  uxoribus  et  filiis  et  aliis  utensilibus; 

Kremsmünst.  ürk.  879  Rettenp.  35 :  hubam  cum  2  mandpiis  et  10  armentis 

cum  porcis  20  et  ovibus  totidem.     Tr.  Sang.  885,  n.  643:   In  beneficium 

suscipiam  1  hobam  cum  pecoribus  et  omnibus  rebus,  que  hodicrna  die  in 

eadem  hoba  inventa  sunt,  nee  non  1  caballum  10  sol.  valentem  et  1  car* 

radam   de   Tino.    Auch  im  Brev.  Erchamberti  (Meich.  la,  p.  126)  gehört 

Arbeitsvieh  zum   mansus  vestitus.     Dagegen  wird  Tr.  Sang.   824,   n.  288 

ein  beneficium  erwähnt,   auf  dem  die  mancipia  und  das  Inventar  Eigen- 

tbum  des  Belehnten  waren. 

^)  In  den  Trad.  Sang,  wird  noch  791,  n.  130  bei  Rückempfang  eines 
tradirten  Gutes  stipulirt:  censum  solvamus  10  modios  de  annona  et  in 
imaquaque  aratura  jumale  unum  arare  et  cum  semine  nostro  Seminare. 
Dag^en  884,  n.  635:  aremus  1  juchum  in  unaquaque  aratura  et  illud  se- 
minemus  semine  dominico.  Und  904,  n.  739,  als  wenn  der  Gegensatz  zu 
früherer  Gepflogenheit  ausgedrückt  werden  wollte:  in  unaquaqne  aratura 
1  juchnm  arem  et  seminaverim,   sed  illud  semen  de  dominico  assumam. 


—    390    — 

leibeignen  Colonen  mit  ihrem  eignen  Getreide  das  herrschaft- 
liche Land  besäen  mussten.  Eine  Analogie  hat  dieser  Vorgang 
dann  in  den  Rohstofflieferungen ,  welche  die  HeiTSchaft  für 
die  von  den  dienenden  Gütern  verlangten  gewerblichen  Dienst- 
leistungen und  Abgaben  gewähi-te^).  Und  ebenso  werden 
Werkzeuge  für  solche  Verrichtungen  von  der  herrschaftlichen 
Verwaltung  zur  Verfügung  gestellt*).  Und  endlich  ist  der 
Werth  nicht  zu  unterschätzen,  den  die  wirthschafüichen  Ein- 
richtungen des  HeiTuhofes  auch  nach  dieser  Seite  für  die  zu 
demselben  gehörenden  dienenden  Hufen  hatten.  Die  Wasch- 
anstalten, Bäckereien,  Brauereien,  Schmieden  und  Mühlen, 
welche  die  Grundherrn  anlegten ,  standen  in  gewissem  Um- 
fange doch  auch  ihnen  zu  Gebote;  ihre  eignen  Bedürfnisse 
konnten  sie  sich  aus  denselben  leichter  und  besser  decken; 
im  Naturallohn,  den  sie  während  ihrer  Dienstleistung  am 
HeiTuhofe  verdienten,  genossen  sie  die  Vortheile  solch  ver- 
vollkommter  Einrichtungen;  und  die  Verarbeitung  ihrer  Pro- 
ducte,  welche  durch  dieselben  erst  recht  möglich  wurde,  stei- 

Aehnlich  C.  Lauresh.  III,  S.  205:  3  jagera  arat  omni  anno  ad  seminandam 
cum  dominico  semine.  Schon  Anton  I,  881  hat  aus  diesen  letzteren  l> 
künden  die  Yermuthung  geschöpft,  dass  früher  die  Leibeignen  mit  ihrea 
eignen  Getreide  säen  mussten  und  dass  in  diesen  Stellen  die  Aosnahme 
von  der  Regel  angezeigt  sei.  Es  dürfte  aber  in  Hinblick  aof  die  ersterea 
Urkunden  eher  die  Annahme  berechtigt  sein,  dass  die  R^el  im  Laufe  der 
Zeit  eine  andere  geworden  ist  Den  Dünger  für  die  herrschaftUcfaea 
Felder  mussten  die  Fronpflichtigen  theilweise  von  ihrem  eignen  Gute  be- 
schaffen; Heg.  Prüm.  45,  p.  167:  fimant  de  illorum  fimo  iumalem  dimi* 
dium.  Dagegen  ib.  46,  p.  171:  ducit  cum  carro  suo  ex  dominico  fimo  et 
fimat  diem  1. 

^)  Tr.  Sang.  809,  n.  199:  sarcile  de  eorum  (der  Grundherrn)  lua. 
Reg.  Prüm,  45,  p.  170:  Ancille  autem  que  ibi  sunt,  debet  unaqoaqoe  ex 
dominico  lino  facere  camsilem  1;  ähnlich  auch  ib.  c  10,  p.  150:  ille  feniiie 
que  camsilis  fadunt ,  coUigunt  linum  et  trahunt  de  aqua  et  parant  VgL 
a.  C.  Laur.  lU.  S.  178,  180,  197,  204,  219;  dagegen  ib.  S.  219:  ptoni  ex 
proprio  lino.  Getreide  von  der  Herrschaft  zum  Brodbacken  Reg-  Pnoi 
113,  p.  196. 

^  Wirt  Urk.  B.  843,  n.  108 :  Cellerarins  det  sagenam  ad  cqueBto 
pisces;  dagegen  im  Folgenden:  Et  quotiens  a  pascha  ad  Hagene  inpaln- 
dibus  et  in  harundinetis  locis  Ulis  4  piscatioribus  predpitnr,  pinti  vat 
cum  navibus  et  alüs  instrumentis  piscalibus. 


-    391    — 

gerte  ihren  Werth,  zu  Gunsten  der  Grundherrn  nicht  nur, 
sondern  doch  auch  zu  ihrem  eignen  Voi*theil,  in  letzter  Linie 
zum  Nutzen  der  nationalen  Wirthschaft  überhaupt. 

So  sah  sich  schliesslich  doch  jeder  im  hen-schaftlichen 
Verbände  geschützt  und  gefördert.    Mit  seiner  Macht  deckte 
ihn  der  GrundheiT,  wenn  ihn  die  Vergewaltigung  eines  Grossen, 
die  Habsucht  eines  Nachbarn  bedrohte;    von  der  Heerbann- 
pflicht befreite  ihn  sein  Dienstverhältniss  und  die  Last   der 
Theilnahme  an  öffentlichen  Angelegenheiten   ging  auf  seinen 
Heim  über.    So  konnte  er  seine  Zinseshufe  friedlich  bestellen 
und  ihre  Früchte  ruhig  geniessen;   und  wenn  er  diese  auch 
mit  seinem  Hen'n  theilen  und  seine  Arbeit  auch  nur  halb 
sein  eigen  nennen  konnte,   so  gewählte  ihm   doch  die  An- 
lehnung an  die  Wirthschaft  des  Fronhofs,  zu  dem  er  gehörte, 
gar  manche  Fördeiomg  seines  ökonomischen  Betriebs,  die  ihm 
leicht  als  Ersatz  der  verlorenen  Freiheit  ei'scheinen  konnte. 
Und  wenn  nun  die  Noth  der  Zeit  einmal  an  ihn  herantrat, 
wenn  Misswachs  und  Krieg,  ja  selbst,  wenn  eigne  Schuld  und 
Unverstand  ihm  die  Früchte  seiner  Wirthschaft  raubte,  und 
er,  als  freier  Mann,  nicht  mehr  gewusst  hätte,  wovon  er  leben 
sollte,  da  war  der  Werth  des  hen-schaftlichen  Verbandes  ei*st 
recht  empfunden.    Es  lag  schon  im  Wesen  der  grundheiT- 
lichen  Organisation,   dass   sie  für  die  äussersten  Bedürfnisse 
ihrer  Angehörigen  im  Nothfalle  eintreten  musste-,  auch  wo  es 
nicht,  wie  in  unzähligen  Fällen,  ausdrücklich  bei  der  Commen- 
dation    und  der   persönlichen   Ergebung  in    fremden   Dienst 
ausgesprochen  war,  dass  dadurch  ein  Unterstützungsanspruch 
erworben  sei,  verstand  es  sich  von  selbst,   dass  der  in  die 
Familie  oder  in   das  Mundium  eines  Grundheim  Aufgenom- 
mene hier  diese  letzte  Sichemng  seiner  Existenz  fände.    Und 
die  christliche  Kirche  hatte  von  Anfang  an  die  Organisation 
und  wirksame  Durchfühiiing  der  Annenpflege  unter  ihre  Auf- 
gaben gerechnet;  sie  war  ihrer  ganzen  Institution  nach  darauf 
hingewiesen,  allen  ihren  Angehörigen,  daher  insbesondere  auch 
allen     ihrer    Herrschaft    Unterworfenen    ihre    Hilfsanstalten 
(Hospitalität !)  jedei-zeit  zugänglich  zu  machen. 

Es   wäre  irrig  anzunehmen,   dass  besonders  Karl  d.  Gr. 


—    392    — 

durch  Beine  verschiedeiien  Bestimmungen  über  die  Armen- 
pflege ^)  dieses  Moment  der  öffentlich-rechtlichen  Ordnung  der 
GrundheiTSchaft  ei-st  hinzugef&gt  hätte.  Dagegen  spricht 
schon  der  momentane  Anlass,  welcher  die  meisten  dieser  Vor- 
schriften hervorgerufen  hat  Vielmehr  ei*scheinen  sie  als  der 
unzweifelhafte  Ausdruck  einer  bestehenden  Bechtsanschauung 
über  die  Verpflichtung  der  Gnindherm  zur  Armenpflege  für 
ihre  Schutzleute.  Doch  mag  immerhin  im  Einzelnen  viel&ch 
gegen  diese  Pflicht  gefehlt  und  eine  Erinnei-ung  an  dieselbe 
besonders  in  Jahren  der  Missenite  nothwendig  gewesen  sein  *). 
Und  denen  gegenüber,  auf  deren  social-ökonomisches  Ver- 
halten die  königliche  Gewalt  in  Folge  specieller  Herrschafts- 
befugnisse einen  weitergehenden  Einfluss  ausüben  konnte,  machte 
Karl  d.  Gr.  dieses  Prinzip  stets  mit  allem  Nachdrucke  geltend. 
Den  Inhabern  von  Kronbeneficien  gelten  die  entschiedensten 
und  weitgehendsten  Befehle  zur  Handhabung  der  Armenpflege') ; 
und  für  die  Kirchengüter  sind  specielle  Verfügungen  über  die 


^)  Capit.  AqiL  805  (I,  130)  c.  1:  Ut  indigentibus  adiavere  stadeantde 
annona  ita  ut  fiunis  periculam  non  pereaDt  Cap.  Theod.  805  (I,  182) 
c.  4 :  de  faams  inopia,  ut  saos  quisque  adiuvet  prout  potest  et  saam  anno- 
nam  non  nimis  care  vendat.  Cap.  Aqais.  809  (I,  156)  c  24:  Unnsqoisqae 
praesenti  anno  sive  liberum  sive  servum  suum  de  famis  inopia  adiutorinm 
praebeat  Cap.  Aquisgr.  813,  ezcerpta  canonum  (I,  189)  c.  11:  ut  unos- 
quisque  inopiam  famis  suos  familiäres  et  ad  se  pertinentes  guberoAre 
studeant. 

')  Schon  bei  der  grossen  Hungersnoth  von  779  (Ann.  Alam.  SS.  1, 40> 
schrieb  Carl  d.  Gr.  im  Capitulare  episcoporum  (LL.  I,  39)  yor:  ünuB- 
quisque  episcopus  aut  abbas  vel  abbatissa,  qui  hoc  facere  possunt  librun 
de  argento  in  elemosinam  donet;  mediocres  rero  mediam  Ubram,  minores 
,  sol.  5.  Episcopi  et  abbates  atque  abbatissae  päuperes  famelicos  4  pro  ista 
striccitate  nutrire  debent  usque  tempore  messium.  Et  qui  tantnm  non 
possunt,  iuxta  quod  possibilitas  est,  aut  duos  aut  unum.  Comites  vero 
fortiores  libram  unam  de  argento  aut  valentem,  mediocres  mediam  libram. 
YasBus  dominicus  de  casatis  200  mediam  libram,  de  casatis  100  solidos  5, 
de  casatis  50  aut  30  unciam  unam:  et  faciant  biduanas,  atque  eonun  ho- 
mines  in  eorum  casatis;  vel  qui  hoc  facere  possunt  et  qui  rediroere  to- 
luerit,  fortiores  comites  uncias  3,  mediocres  unciam  et  dimidiam,  mhioref 
Bolidum  1 ;  et  de  päuperes  famelicos,  sicut  supra  scriptum  est  et  ipsi  fadaot 

^)  Vgl.  die  verschiedenen  Stellen  aus  Capitularien  oben  S.  352,  A.  1. 


—    893    - 

Verwendung  des  Zehenten  im  Dienste  der  öflfentlichen  Wohl- 
thätigkeit  erlassen  worden^).  So  beweisen  alle  diese  Vor- 
Bchiiften  auf's  Neue  das  eminente  Talent  Karls  d.  Gr.  fttr 
eine  sociale  und  politische  Organisation,  indem  er  den  gi*und- 
herrlichen  Verband  als  den  einzigen  erkannte,  von  dem  die 
Erfüllung  dieser  specifischen  Verwaltungsaufgabe  erwartet 
und  verlangt  werden  konnte;  und  die  giundherrschaftliche 
Organisation  erscheint  auch  auf  diesem  Punkte  als  ein  Wider- 
hall der  reformatorischen  Ideen,  deren  Schöpfer  und  Träger 
der  gi'osse  Kaiser  gewesen  ist. 

Sind  nun  auch  Karls  d.  Gr.  Wirthschaftseinrichtungen 
von  anderen  grossen  GrundheiTU  vielfach  nachgeahmt,  im 
Einzelnen  vielleicht  sogar  verbessert  worden :  auf  einem  Punkte 
doch,  der  für  die  Ordnung  grosser  Wirthschaftsführung  von 
hervorragender  Bedeutung  war,  ist  er  unerreicht,  ja  kaum 
nachgeahmt  worden;  die  ersten  Ginindzüge  einer  landwirth- 
sehaftlichen  Buchfühining  und  Rechnungslegung  gehören  zu 
seinen  originellsten  Schöpfungen  2).  In  einer  jährlichen  Ab- 
rechnung 3)  hatten  die  Amtleute  die  Aufgabe  über  allen  Gutß- 


^)  Cap.  801  (I,  87)  c  7:  ad  ornamentom  aecclesiae  primam  elegant 
partem,  secundam  autem  ad  usom  pauperom  vel  peregrinorum  per  eonim 
manns  misericorditer  cum  omni  humilitate  dispensent;  tertiam  vero  partem 
semetipsis  solis  eacerdotes  reservent.  Insbesondere  musste  der  Zehent 
?om  Salgat  zum  allgemeinen  Besten,  besonders  für  die  Hospitalit&t  ver- 
wendet werden;  vgl.  die  Urk.  bei  Bodmann  rheing.  Alterth.  872;  s.  a. 
Regtda  monacb.  817  (I,  208)  c.  49:  üt  de  omnibus  in  elemos3mam  datis 
tarn  ecdesiae  quam  fratibus,  decimae  pauperibus  dentnr. 

*)  Eine  Yorschrift  über  Recbnnngslegung  findet  sieb  schon  in  Pipin's 
Capit.  duplex  Yemense  755  (LL.  I,  27)  c.  20:  In  alio  synodo  nobis  per- 
donastis,  ut  illa  monasteria,  ubi  regulariter  monachi  aut  monachas  vixerant, 
Qt  hoc  quod  eis  de  illas  res  demittebatis ,  unde  vivere  potuissent,  ut 
exinde,  si  regalis  erat,  ad  domnum  regem  fecisset  rationes  abbas  vel  ab- 
batissas ;  et  si  episcopalis,  ad  illum  episcopum.  Similiter  et  de  illos  vicos. 
I>ie  Vorschrift  ist  aber  singnlär  und  bezieht  sich  nach  dem  Eingang  des 
Capit.  nur  auf  die  gallischen  Bischöfe. 

^)  Cap.  de  vill.  c.  55:  Yolumus  ut  quicquid  ad  nostrum  opus  iudices 
dederint  vel  servierint,  aut  sequestraverini,  in  uno  breve  conscribi  faciant 
et  qnicquid  dispensaverint,  in  alio;  et  quod  reliquum  fiierit,  nobis  per 
brevem  innotescant. 


—    394    - 

ertrag  zu  berichten;  was  davon  an  den  Hof  des  Königs  ab- 
geliefert, was  für  den  Bedaii  der  einzelnen  Gutsrerwal- 
tung  verwendet  worden  und  was  als  Vorrath  oder  zum 
Verkaufe  übrig  geblieben  war,  das  musste  in  gesondei-ten  Auf- 
schreibungen dem  Kaiser  vorgelegt  werden.  Die  Gruudlage 
hiefür  bildete  eine  fortlaufende  getrennte  und  wohlgeordnete 
Aufschreibung  über  allen  Ertrag,  der  aus  der  eigenen  Wirth- 
Schaft  oder  aus  Diensten  und  Zinsen  der  Hintersassen  und 
Grundholden  während  der  Wirthschaftsperiode  einging  >). 
Specielle  Rechnungen  waren  verlangt  über  den  Aufwand  für 
die  Hausdiener  und  Frauenhäuser  *),  über  alle  Producte,  welche 
als  Fastenspeise  dienten,  soweit  sie  nicht  zu  Hofb  geliefert 
wurden^),  über  die  Ziegen  und  Böcke,  ihre  Homer  und 
Felle  *) ;  über  die  erlegten  Wölfe  *)  musste  jährlich  ein  eigenes 
Verzeichniss  an  den  Hof  eingesendet  werden.  Ausserdem 
waren  die  Amtleute  verpflichtet,  den  Gelderlös  der  verkäuf- 
lichen Producte  ihrer  Gutswirthschaft  zu  verrechnen  und  nach 
erfolgter  Piilfung  dieser  Rechnung  den  Geldbetrag  an  den 
Kaiser  einzusenden  %    Eine  Bestands-  und  Rechnungscontrole 


')  C.  62:  üt  unosqoisqae  iudex  per  BingoloB  annos  ex  omni  coalabo- 
ratione  nostra  (nun  folgt  die  Aufzählung  der  einzelnen  Einkfinfte  s.  o. 
S.  884,  A.  3)  omnia  seposita  distincta  et  ordinata,  ad  nativitatem  Donüiii 
nobis  notum  fiftciant,  ut  sdre  valeamuB.,  quid  vel  quantnm  de  aingolis 
rebus  habeamus. 

')  C.  31:  Ut  hoc  quod  ad  provendarios  vel  genitias  dare  dd>en(y 
simili  modo  unoquoque  anno  separare  fjuiant  et  tempore  oportuno  pleniter 
donent,  et  nobis  dicere  sciant,  qualiter  inde  faciunt  vel  unde  ezit 

')  C.  44:  De  quadragesimale  duae  partes  ad  serritium  nostmm  Tcmaat 
per  singulos  annos....;  et  quod  reliquum  fuerit,  nobis  per  brerem,  sioizt 
supra  diximus,  innotescant,  et  nuUatenus  hoc  permittant,  sicut  usque  nunc 
fecerunt 

*)  C.  66 :  De  capris  et  hirds  et  eorum  comua  et  pellibus  nobis  ratloses 
deducant 

^)  C.  69:  De  lupis  omni  tempore  nobis  adnuntient,  quantos  nom- 
quisque  compraehenderit. 

^)  G.  28 :  Volumus  ut  per  annos  singulos  intra  quadragesima  dominica 
in  palmis,  quae  Osanna  dicitur,  iuxta  ordinationem  nostram  argentam  de 
nostro  laboratu,  postquam  cognoverimus  de  praesenti  anno  quantom  stt 
nostra  laboratio,  deferre  studeant. 


—    395    — 

ist  zwar  nicht  besonders  vorgeschrieben;  es  unterliegt  aber 
keinem  Zweifel,  dass  diese  wie  die  allgemeine  Oberaufsicht 
über  die  einzelnen  Gutsverwaltungen  von  den  Missi  ausgeübt 
wurde  ^);  doch  enthalten  einzelne  der  Vorschiiften  über  die 
Rechnungslegung  den  Gedanken  einer  solchen  Controle  in 
sich,  welche  am  Hofe  Karls  des  Grossen  selbst  durch  Gegen- 
überstellung verschiedener  Ausweise  über  dieselben  Gegen- 
stände des  Wiithschaftsertrags  geübt  worden  ist=^). 

Weder  bei  weltlichen  noch  bei  geistlichen  Grundherrn 
ist  während  dieser  Periode  auch  nur  ähnlicher  Rechnungs- 
und Controleinrichtungen  gedacht;  an  den  Kanten  seines 
Kerbholzes  machte  wohl  lange  Zeit  noch  der  Maier  seine 
Rechnungseinträge  oder  beschränkte  sich  auf  flüchtige  Notizen, 
die  sich  so  in  die  verschiedensten  Pergamente  der  Bücherei 
verloren.  Nur  einmal  wird  im  Register  von  Prüm  eine  Rech- 
nungsablage verlangt;  es  sind  die  balcarii  (?)  welche  auf  der 
Abtei  grossem  Salzwerke  zu  Wich  monatliche  Abrechnung  über 
die  Salzproduction  dem  abgesendeten  Controlor  des  Stiftes 
vorzulegen  haben*). 

Dem  gegenüber  nun,  was  die  grundhen'schaftliche  Orga- 
nisation dieser  Zeit  an  wahrhaft  volkswirthschaftlichen  Leistun- 
gen aufzuweisen  hat,  verschwindet  vollständig  die  Bedeutung, 
welche  dem  kleinen  freien  Grundbesitz  etwa  noch  zukam.  In 
mühsamer  Behauptung  seines  Erbguts  unter  täglich  erschwer- 
ten Umständen  erschöpfte  der  den  grossen  Heri-schaftsver- 
bänden  nicht  eingefügte  oder  angegliederte  Freie  seine  Kraft 

^)  Daher  hdsst  es  in  den  Brev.  rer.  fisc,  welche  von  den  missis  an- 
gelegt wurden,  auch  immer :  De  annona . .  repperimus,  de  brace . . ;  de  lardo 
baccones  pariter  cum  minutiis,  unctos,  verrem  occisum  et  suspensum,  for- 
maticos.  De  meUe,  de  butiro,  de  sale,  de  sapone.  Repperimus  conla- 
boratu:  spelta,  ordeo  ad  servitium,  ad  sementum.  Lardum  vetus,  novo  de 
natrimento  cum  minuta  et  unctis,  de  censu  baccones  etc. 

')  Cap.  de  Till.  c.  44:  De  quadragesimale  duae  partes  ad  servitium 
nostrum  veniant  per  singulos  annos...  et  quod  reliquum  fuerit  nobis  per 
brevem.,  innotescant..;  quia  per  illas  duas  partes  volumus  cognoscere  de 
illa  tertia  quae  remansit 

')  Reg.  Prüm.  c.  41,  p.  164:  De  missatico  quod  provenit  per  quatuor 
hebdomadas  reddunt  balcarii  rationem. 


—    396    — 

Mit  seiner  Familie  ^)  und  etwa  einigen  wenigen  Leibeignen« 
die  den  Dienstboten  ähnlich  gehalten  sein  mochten,  besorgte 
er  sein  kleines  Hauswesen,  bestellte  er  seine  Felder  und  nutzte 
als  Märker  Wald  und  Weide  der  noch  vom  grundherrschaft" 
liehen  Einflüsse  frei  gebliebenen  Markgenossenschaft.  In  dem 
Gegensatz  der  Beschränktheit  solch  isolirten  Daseins  zu  der 
reichen  Fülle  des  Lebensgenusses  der  Grossen  und  zu  der 
Mannigfaltigkeit  der  Arbeits  Verwendung  und  Capitalnutzung, 
wie  sie  selbst  den  Gi-undholden  aus  diesem  Verbände  erwachs, 
mochte  der  kleine  freie  Grundbesitzer,  wo  er  von  solchen 
Heri'schaften  umgeben  war,  die  tägliche  Aufforderung  erblicken, 
durch  freiwilligen  Anschluss  an  diese  vielvermögenden  Exis- 
tenzen sich  gleichfalls  die  Vortheile  dieses  Verbandes  zuzu- 
wenden. Wo  aber  grössere  Kreise  freier  Männer  sich  erhal- 
ten hatten,  und  der  alte  markgenossenschaftliche  Verband,  den 
sie  sich  bewahrt,  bescheidenen  Bedüiihissen  noch  zu  genügen, 
den  Wunsch  nach  Besseining  der  ökonomischen  Lage  auf 
Kosten  der  Freiheit  noch  zu  unterdrücken  vermochte,  da  ist 
doch  auch  solches  Gemeinwesen  volkswirthschaftlich  bedeu- 
tungslos geworden,  jedenfalls  keiner  der  Foitschritte  von  ihm 
ausgegangen,  nach  welchen  die  Zeit  gebieterisch  verlangte. 

Auch  auf  dem  Gebiete  der  Technik  und  Oekonomik  des 
Betriebs  ist  aller  Fortschritt  auf  die  Grundherrschaft  zurück- 
zuführen, wie  sich  das  insbesondere  an  den  Veränderungen 
erweisen  lässt,  die  während  dieser  Periode  mit  der  Flurver- 
fassung und  dem  Wirthschaftssystem  des  Landbaues  vor  sich 
gegangen  sind.«  Es  wird  allerdings  kaum  je  gelingen,  über 
diese  Verhältnisse  für  die  älteste  Zeit  deutscher  Volkswirth- 
schaft   zu    vollständiger    Klarheit   zu   kommen.     Schon   der 


^)  Aach  jetzt  wird  noch  immer  der  Fall  berücksichtigt,  dass  mehre 
wehrfähige  Haussöhne  in  der  Familie  leben;  .  Cap.  866  (I,  504)  c.  1:  Si 
pater  quoque  unum  filiam  habuerit  et  ip»e  filius  ntilior  patre  est,  instmc* 
tus  a  patre  pergat.  Nam  si  pater  utilior  est  ipse  pergat  Si  yero  dooa 
filios  habuerit,  quicunque  ex  eis  utilior  iüerit,  ipse  pergat ;  alias  autem  com 
patre  remaneat.  Quodsi  plures  ülios  habuerit,  utiliores  omnes  pergant; 
tantani  unus  remaneat,  qui  inutilior  fuerit.  Ebenso  von  zwei,  drei  and 
mehren  fratibus  indivisis ;  vgl.  Reg.  Blid.  29  solvit  Henricus  cam  filüs  sois. 


—    397     - 

grosse  Gegensatz  des  Dorfsystems  und  Hofsystems,  von  welchem 
die  ökonomische  Anordnung  der  genossenschaftlichen  wie  der 
hen-schaftlichen   Feldflur    so    massgebend    bestimmt   werden 
musste,  ist  in  dieser  Zeit  keineswegs  mit  genügender  Schärfe 
zu  erkennen;   ja  er  war  wohl  überhaupt  nicht  sehr  ausge- 
prägt^).   So  lange  auch   die  Dörfer  in  der  Hauptsache  nur 
kleine  Ansiedelungen  mit  einer  geringen  Anzahl  von  Bauern- 
stellen waren,   konnte  auch  ihre  genossenschaftliche  Feldflur 
noch  leicht  viele  Aehnlichkeit  mit  der  Anordnung  einer  an 
Einzelhöfe  vertheilten  Feldmark  haben.    War  auch  immerhin 
bei  jenen  in  Folge  genossenschaftlicher  Vertheilung  der  Feld- 
mark das  Artland  der  Hufen  zersplittert  und  im  Gemenge 
gelegen*),    bei    diesen    dagegen    zusammenhängend,    so    ist 
doch,  bei  dem  Uebergewichte  der  Gemeinwiesen  und  Weiden, 
des  Wald-  und  Wildlandes,  weder  das  eine  noch  das  andere 
besondei'S  auffallig  hervorgetreten.    Auch  in  der  Feldmark  des 
Dorfes  gab  es  zusammenhängenden  Besitz  einzelner  Genossen 
an  einer  gi*össeren  Anzahl  von  Morgen^),  und  im  Hofsystem 
führte  die  Hufentheilung  schon   frühe  eine  Zei-streutheit  der 
einzelnen  zu  einem  Mansus  gehörigen  Feldungen  herbei.    Der 
fortwährende  Zuwachs  zum  Ackerfeld  sodann,  welcher  durch 
Occupation  und  Rodung  von  Markland  entstand,   war  noch 


*)  Vgl.  1.  Buch,  1.  Abschn.  S.  40ff.  und  2.  Buch,  1.  Abschn.  S.  221  ff. 

')  Z.  B.  C.  Lauresh.  767,  n.  859:  de  terra  arat  in  2  locis  1  jumale 
et  pone  1  jumale.  ib.  778,  n.  914:  2  jum.  de  terra  et  tertium  dimidium 
in  2  locis.  Auch  ib.  768,  n.247:  fateor  me  vendidisse . .  jumales  4  in 
Basinsheimer  marca...  et  loca  singula,  ubi  iacebant,  assignavi.  Auch  wo 
die  Morgen  eines  Mansus  an  drei  Orten  liegen  (z.  B.  C.  Laur.  771,  n.  662: 
mansus..  de  araturia  27  jumales  in  tribus  locis  sitos),  ist  nicht  immer 
schon  an  Dreifelderwirthschaft  zu  denken;  freilich  noch  weniger,  wo  nur 
überhaupt  Güter  an  drei  Orten  erwähnt  sind  wie  z.  B.  Tr.  Wizz.  840, 
n.  151,  was  Landau  Territ.  S.  55  auch  auf  ein  solches  Feldersystem  deutet. 

»)  C.  Laur.  767,  n.  237 :  4  jumales  de  terra  araturia  ib.  780,  n.  229 
G  jura.  mit  Grenzen,  also  zusammenhängend;  ähnlich  ib.  771,  n.  820 
8  jum. ,  denen  an  einer  Seite  noch  Besitzthum  des  Schenkers  angrenzt. 
Tr.  Wizz.  786,  n.  206  3  jum,  mit  Grenzen.  Lacomblet  Urk.  B.  I,  817 
n.  34:  4  jumales,  an  einer  Seite  an  das  Besitzthum  des  Käufers  stossend. 
Aehnlich  ib.  I,  35,  2  jum.;  818,  n.  36  3  jurn.;  817,  n.  43,  4  und  7  jur- 
naies  mit  Grenzen. 


—    398    - 

besondei's  geeignet,  solche  Gegensätze  wie  sie  etwa  aus  der 
ältesten  Zeit  der  Besiedelang  her  bestanden,  zu  verwischen  ^). 
Die  Neubiilche  der  Dorfgenossen  ebensogut  wie  die  der  Einzel- 
hofbauern standen  in  gar  keinem  oder  in  einem  durchaus  zu- 
fälligen Verband  zum  bisherigen  Hufenlande.  Eine  regellose 
Gemengelage  der  Felder  ist  dadurch  im  Dorfsystem  ebenso 
leicht  bewirkt  worden,  wie  eine  gänzliche  Beseitigung  der 
etwa  ui-sprünglich  vorhandenen  Gleichheit  der  Feldstücke 
durch  den  Zuwachs,  welchen  sie  in  einzelnen  Fällen  an  Neu- 
land erhalten  konnten.  Die  Aussenfelder,  die  dem  Wald  und 
Sumpf  abgerungen  wurden,  konnten  leicht  das  ökonomische 
Uebergewicht  ttber  die  alte  Feldmark  erlangen,  und  haben 
dann  sicherlich  auch  auf  die  Umgestaltung  der  alten  Flur- 
verfassung bestimmend  eingewirkt.  Und  für  ein  altes  Hof- 
system waren  diese  Neubiilche  und  Waldcolonisationen  gewiss 
ebenso  häufig  wie  die  Hufenvertheilung  an  eine  zahlreich  nach- 
gewachsene Generation  gleichbedeutend  mit  einer  Aufhebung 
des  althergebrachten  arrondirten  Hufenlandes.  Denn  auch 
der  Einzelhüfher  erhielt  nun  Aussenfelder  und,  wo  die  Hufe 
getheilt  war,  zerstreute  Ackei*stücke  in  der  Gemarkung;  und 
eine  Yermehiiing  der  Bauemstellen  besonders  durch  gleich- 
zeitige Theilung  des  mansus  und  seiner  area  konnte  leicht 
dem  Hofsystem  seine  charakteristischen  Merkmale  nehmen, 
wie  ja  auch  thatsächlich  viele  Dörfer  aus  Hufen  hervorg^ian- 
gen  sind. 

Doch  ist  immerhin  eine  gewisse  Regelmässigkeit  in  der 
Anordnung  einer  Doi-ffeldmark  schon  fiilhzeitig  erkennbar. 
Sie  zeigt  sich  theils  darin,  dass  bestimmte  AckerstQcke,  welche 
die  Einzelnen  in  vei-schiedenen  Theilen  der  Dorffeldmark  be- 
sitzen, immer  die  gleichen  Nachbarn  haben  ^),  wodurch  eine 


*)  S.  die  Beispiele  im  I.  Abschn.  S.  218  f. 

^)  Mittelrh.  Urk.  B.  I,  762-~804,  n.  18:  donamns...  hoc  est  campo 
iari  nostri  terra  propria  habentem  plus  minus  iure  nno...  et  snbiungit  de 
uno  latus  terra  ipsius  monasteril  s.  Salvatoris,  de  alio  vero  latus  terra 
Scaifario,  de  tercio  latus  terra  Guntcario,  de  quarto  namqae  latere  tem 
ipsius  sepedicti  monasterii . . .  Similiter  in  alio  loco..  donamus...  Ȋo 
campo  plus  minus  habentem  iure  uno  et  subiungit  ab  uno  latus  terra  &. 


—    399    — 

systematische  Austheilung  derselben  nach  der  Reihenfolge  der 
Httfiier  im  Dorfe  wenigstens  wahrscheinlich  gemacht  wird; 
theüs  ist  aus  der  regelmässig  wiederkehrenden  oblongen  Form 
einzelner  Morgen  oder  Feldstücke  ihre  Zugehörigkeit  zu  einem 
grösseren,  systematisch  abgetheilten  Ganzen  unschwer  zu  er- 
kennen ^) ;  und  endlich  sind  auch  diese  grösseren  Abtheilungen 
der  Doi'ffeldmark ,  welche  eine  Anzahl  einzelner  Morgen  in 
sich  vereinigen'),  als  jene  Gewanne  (Kämpe)  zu  verstehen, 
welche  in  der  Flurverfassung  späterer  Zeit  so  besonders  be- 
zeichnend fdr  die  Anordnung  des  Dorüsystems  werden. 

Wo  nun  solche  Regelmässigkeit  in  der  Austheilung,  dem 
Ausmass  und  der  Gruppirung  der  Feldstücke  bestand,  da  war 
allerdings  auch  schon  eine  erste  Vorbedingung  fttr  ein  ge- 
regeltes Feldersystem  geboten.  Wie  wenig  dieses  aber  schon 
ZOT  allgemeinen  Ordnung  geworden  war,  ist  schon  aus  der 
durchaus  willkürlichen  Verfügung  über  einzelne  Morgen  gerade 
der  markgenossenschaftlichen  Feldflur  zu  ei*sehen,  welche 
während  der  ganzen  Periode  noch  in  zahlreichen  Urkunden 
bezeugt  ist  ^).    Denn  in  jedem  Feldersystem  liegt  der  Zwang, 


Salyatoris,  de  alio  latos  terra  Scaifurio,  de  tercio  namqne  latos  terram 
Gimtcario,  de  quarto  vero  latere  ipsios  jam  sepe  fati  monasterii.  Die 
Urkunde  zeigt  ztigldch,  wie  durch  solchen  Gutserwerb  die  Gemengelage  f&r 
Grossgnindbesitzer  thdlweise  beseitigt  werden  konnte. 

^)  Schon  1.  Biy.  I,  13  (Zeit  Pipins):  Andecenas  legitimas  hoc  est  per- 
tica  10  pedes  habentem,  4  pert.  in  transverso,  40  in  longo.  Tr.  Wio. 
741,  n.  235:  ipse  campus  habet  in  longum  perticas  60  et  reliqua. 

^  Tr.  Wizzemb.  712,  n«  186:  de  terra  arabili  iumales  10  in  campo 
uno.  ib.  713,  n.  244:  campo  et  silya  insimul  tenentis  terra  (mit  Grenzen) 
et  habet  in  longo  perticas  legitimas  ad  brachio  mensuratas  tisas  2  et  2 
pedes  ad  manus  mensuratas.  ib.  742,  n.  7:  terra  culturali  20  jum.  in 
campum  unum  iuntos.  ib.  766,  n.  108  de  terra  aratoria  campum  unum 
qaod  habet  legitimos  jumales  12;  C.  Lauresh.  770,  n.  561  campum  1  de 
terra  aratoria  tenentem  jum.  10,  terram  incultam  ad  ipsum  campum  per- 
tinentem.  ib.  782,  n.  2820:  1  campum  habentem  4  jumales.  LacombL 
Ürkb.  827,  I,  43:  1  campus  tenet  plus  minus  inter  terram  arabilem  et 
silram  ant  6  ant  7  jumales.  Aehnlich  Tr.  Sang.  831 ,  n.  337 :  1  agmm 
habentem  12  jnchos. 

')  Beispielsweise  vom  Niederrhein  Lacombl.  I  794,  n.  4;  ib.  796,  n.  5; 
800,  n.  16;  801,  n.  20;  802,  n.  24;   819,  n.  37;   820,  n.  39;    826,  n.  42; 


—    400    - 

wenigstens  diejenigen  Ackei'stücke ,  die  wiilhschaftlieh  zu- 
sammengehören (im  Dreifeldersysteme  z.  B.  je  ein  Stttck  in 
Winter-,  Sommer-  und  Brachfeld)  als  zusammengehörig  zu  be- 
handeln, da  ja  sonst  die  Wirthschaft  sofort  eine  Störung  ihres 
Gleichgewichts  im  Anbau  und  den  eraielten  Früchten  erfahren 
musste.  Mochte  nun  auch  durch  Herbeiziehung  neuer  Aecker 
aus  dem  Wald-  und  Weideland  einigeimassen  geholfen  werden, 
so  war  das  doch  schon  dainim  nur  ausnahmsweise  mögrlich, 
weil  diese  Neubrüche  wegen  ihrer  Entlegenheit  und  Unregel- 
mässigkeit nicht  leicht  in  den  althergebrachten  Turnus  der 
Gemengefelder  eingefügt  werden  konnten.  Es  muss  daher 
immerhin  neben  den  Anfängen  einer  schlagmässigen  Ein- 
theilung  der  Dorffeldmark  die  Fortdauer  einer  unregelmässigen 
Zeretückelung  derselben  und  einer  rohen  regellosen  Wechsel- 
wirthschaft  angenommen  werden. 

Dagegen  stellen  sich  nun,  ungefähr  seit  Beginn  der  Karo- 
lingmeit,  in  der  grundheiTSchaftlichen  Feldflur  allerdings 
einige  Momente  ein,  welche  eine  vollkommnere  wirthschafUiche 
Anordnung  derselben  und  auch  eine  grössere  Verbreitung 
dieser  Ordnung  einsehen  lassen. 

Zunächst  wird  die  Zusammenfassung  einzelner  Morgen 
zu  grösseren  Gewannen,  Zeigen  etc  immer  häufiger  hervor- 
gehoben, welche  von  specieller  Bedeutung  für  das  Wirthschafts- 
system  sind,  das  auf  denselben  eingerichtet  ist^).    Allei*ding5 


827,  n.  43.  Ib.  838,  n.  45  (8jum.);  834,  n.  48  (20  forlangas);  836,  n.  51 
(10  jngera);  838,  n.  53  (5  jugera);  841,  n.  55  (8  jugera);  843,  n.  57  and 
844,  n.  58  (2  jugera);  846,  n.  62  (1  jug.)  Tr.  Sangall.  802,  n.  165;  814. 
n.  212  (6  jumales);  820,  n.  247  (1  modiale).  Es  ist  bemerkenswerth,  dasa 
die  Verfügungen  sich  theilweise  mit  einer  dreifeldrigen  Eintheilong  on- 
bedingt  nicht  vertragen. 

^)  Tr.  Sangall.  776,  n.  80:  per  singolas  aratoras  singnlas  jaches  anre 
faciat;  ebenso  ib.  782,  n.  95;  ib.  791,  d.  128:  per  siDgulas  aratoras  jochnio 
nnum  arare.  Ib.  791,  n.  130:  in  unaquaque  aratara  jumale  anom  arar^; 
ib.  838,  n.  368  in  unaquaque  aratara  jurnales  3;  vielleicht  auch  ib.  77V, 
n.  91:  aratura  per  tempora  jom.  3.  Dann  ib.  780,  n.  93  in  omne  zelga 
jomale  uno  arare;  ib.  787  n.  113:  ad  proximam  curtem  vestram  in  una> 
quaque  zelga  ebdomadarii  jumalem  arare  debeanius;  ib.  789,  n.  120  nnm* 
quaque  zelga  unum  juchum  arare,  sicut  mos  est  in  domnico  arare;  femtv 


—    401     — 

kann  solche  Anordnung  ebensowohl  für  irgend  ein  Felder- 
system (insbesondere  für  die  Dreifelderwirthschaft)  wie  für 
eine  Feldgraswirthschaft  durchgeführt  sein;  aber  immerhin 
beweist  solches  Vorkommen  der  aus  dem  Gesichtspunkte  de^ 
Wirthschaftssystems  angelegten  Flurabtheilungen ,  dass  an 
Stelle  eines  rohen,  ungeregelten  Wechsels  von  Kombau  und 
Gi-aswuchs  oder  einer  wilden  Brennfeldwirthschaft  eine  schlag- 
mässige  Bewirthschaftungsweise  getreten  ist;  und  damit  er- 
scheint allerdings  ein  nicht  unbeträchtlicher  Fortschritt  in  der 
Weise  des  Landbaues,  mag  dieser  dann  zunächst  nur  in  einer 
Regelung  des  bisherigen  Feldgrassystems,  oder  in  einem  Ueber- 
gang  zum  System  eines  permanenten  Feldbaues  bestanden 
haben. 

Ungefähr  um  dieselbe  Zeit  wird  dann  aber  auch  die 
Unterscheidung  des  Winter-  und  Sommeranbaues  häufiger. 
Theils  ist  der  Winterfrucht  und  der  Sommei-frucht^),  theils 
der  für  dieselben  nothwendigen  landwirthschaftlichen  Ar- 
beiten') gedacht;  es  liegt  darin  immerhin  ein  Beweis  zu- 
nehmender Intensität   des  Anbaues,    der  den  Boden  besser 


ib.  795,  n.  140:  daas  anzingas,  nnom  aatunmalem  et  aliam  esäyalem  iUos 
segare  et  intus  trahere];  und  Tr.  Wizz.  801,  n.  236  hoba  nna...  et  8  men- 
snras  supra  ad  arare.  In  späteren  Urkunden  wird  neben  zelga  (luvay. 
8.  175  exceptis  in  unaquaque  parte  quam  zelga  vocamns,  jugeribus  3)  be- 
sonders in  unaquaque  satione  gebraucht;  z.  B.  G.  Lauresh.  III,  3672; 
8.  die  folgenden  Anmerkungen. 

0  Dieselbe  in  1.  B%juv.  I,  13  (aus  der  Zeit  Pipins)  LL.  m,  279:  A 
tremisse  unusquisque  accola  ad  duo  media  sationis  excoUegere,  Seminare 
colligere  et  recondere  debent.  Vgl  dazu  Merkel  in  Anm.  70.  Guörard 
Irmin.  I,  649  ff.  Begistr.  Prüm.  c.  86,  p.  163  mansus  indominicatus ,  ubi 
potest  Seminare  inter  auctumnum  et  ver  mod.  300...  Ipsi  manentes  per 
dimid.  mansos  sunt  homines  6,  facit  unusquisque  in  waim  (waimo)  perti- 
gata  integra,  in  tramiso  similiter.  c.  45,  p.  167  arant  et  fimant  de  iUorum 
fimum  iomalem  dimid.  ad  hibematicam  sationem  ad  sigulum  seminandum ; 
ad  tremensem  in  marcio  et  aprile  arant  iomales  4.  c.  46,  p.  170  maus, 
dorn,  ubi  potest  Seminare  autnnmo   mod.  80. 

*)  Beg.  Prüm.  c.  48,  p.  173  arat  in  marcio  (zur  Sommersaat)  iumalem  1. 
c.  55,  p.  175  facit  unusquisque  in  autumno  jugera  IVa»  vemo  tempore  si- 
militer. Tr.  Sang.  763,  n.  39  in  primum  vir  (ver)  aratajumalem  1.  S. 
die  vorstehende  Anmerkung. 

Ton  Inama-Sternegg,  Wirthsehaflsgeschiclite.    I.  26 


—    402    — 

ausnutzt  und  durch  planmässigere  Disposition  der  Arbeit  wie 
durch  grösseren  Saataufwand  höhere  Roherträge  zu  gewinnen 
strebt  Und  wo  dieser  Unterschied  in  allgemeinen  Anordnnn- 
gen  oder  als  bleibende  Einrichtung  des  Wirthschaltssystems 
zum  Ausdrucke  kömmt,  ist  darin  wieder  ein  Beweis  von  der 
Regelmässigkeit,  welche  in  den  Betrieb  und  die  Felderbe- 
nutzung durch  die  Abtheilung  der  Winter-,  und  Sommer- 
schläge gekommen  ist^);  ja  es  lässt  sich  in  dem  letzteren 
Falle  in  der  Regel  doch  schon  geradezu  auf  Dreifeldersystem 
schliessen.  Denn  wenngleich  sich  der  wechselnde  Anbau  von 
Wintei'frucht  und  Sommerfrucht  auch  mit  dem  System  der 
Feldgraswii-thschaft  ganz  wohl  verträgt,  so  erhalten  die  Sehläge 
hier,  wegen  der  Einschiebung  der  Grasjahre,  doch  nie  jene 
feste  Bestimmung  wie  sie  bei  ausschliessender  Eömemutzung 
in  der  besondem  Bezeichnung  als  Wintei-feld  und  Sommerfeld 
zum  Ausdmcke  kömmt.  Lässt  sich  dann  auch  noch  die  Unter- 
scheidung eines  eignen  Brachfeldes  erkennen^),  so  ist  wohl 


^)  Reg.  Prüm.  c.  55,  p.  175:   Est  ibi  terra  dominicata  ad  mod.  122  in 
automno,  vemo  tempore  ad  mod.  86.    S.  o. 

*)  Tr.  Sangall.  763,  n.  39  in  primum  vir  arata  jumalem  1  et  in  mense 
jonio  brachare  alterom  et  in  automno  ipsum  arare  et  Seminare.  (Hier 
Sommerfeld,  and  Brachfeld  mit  zweimaligem  Pflügen.).  Aehnlich  C.  LaoresL 
8669:  arare  debet  in  menso  innio  atque  itenim  in  nativitate  8.  Marie,  ot 
Bit  seminatum  in  missa  s.  Bemigii  (zur  Wintersaat).  Auch  im  R^.  Weri 
(Lacombl.  Archiv  II,  218):  De  servitio.  Doas  ebdomadas  in  aatomno; 
duas  ante  vemum;  duas  in  iunio.  In  automno  1  jugom..  prosdndere  id 
est  gibrakon.  (Das  Brachfeld  wird  also  zur  Wintersaat  an^sebrochen.) 
Urk.  über  Brabant'sche  Güter  782—814  Lacombl.  Arch.  n,  294:  Arat  antem 
is  qui  seryit  9  dies,  3  in  autumno ,  3  in  vere,  3  in  estate.  VgL  aas  Cod. 
S.  Yinc.  Met  (Pertz  Archiv  VII,  998):  Et  pro  corveia  debent  ipsi  maisi 
18  soL  in  tribus  sasonibus  quando  colitar  terra  id  est  6  in  festo  s.  JoL  et  6 
in  festo  s.  Martini  et  6  in  adnuntiatione  s.  Marie.  (Brache,  Winterfeld, 
Sommerfeld.)  Ueber  eine  andere  Reihenfolge  in  Skandinavien  yfgL  Hanssa 
tüb.  Zeitsch.  1865,  S.  90,  und  Röscher  U,  §  25  a.  Anm.  1,  sowie  von  do- 
deutschen  Dreifelderwirchschaft  Anton  in,  190.  Wenn  der  Aosdnick  bi» 
nalia  auf  Brachfeld  gedeutet  werden  darf,  so  wäre  in  Polypt  Fossat  c  14 
(Ou^rard  Irm.  II,  2S6)  allerdings  auch  diese  veränderte  Reihenfolge  be- 
zeugt: Facit  ad  ivematicum  corbadas  3,  ad  binalia  3,  ad  tramisiiim  3^ 
Auf  Brache   deutet  auch  Reg.  Prüm.  c.  99,  p.  191 :   Est  ibi  onom  terri- 


—    403    — 

gar  kein  Zweifel  mehr  gestattet,  dass  es  sich  dann  um  eigent- 
liche Dreifelderwii-thschaft  handelt. 

Diese  Veränderung  und  fortschreitende  Entwickelung  des 
Feldbaues  ist  nun  in  der  Karolingerzeit  ebenso  unzweifelhaft 
erfolgt,  wie  sie  sich  ganz  vornehmlich  nur  innerhalb  der 
gnindherrschaftlichen  Wirthschaft  und  besonders  auf  dem  im 
Eigenbetriebe  derselben  stehenden  Dominicallande  einge- 
bQrgert  hat  ^).  Die  gi*ossen  Grundherrschaften  sind  aber  auch 
in  dieser  Reform  des  Wirthschaftsystems  ganz  besonders 
unterstützt  worden  durch  die  leichtere  und  mannigfachere 
Verfügung  über  Gnindbesitz  und  durch  die  mit  der  Villen- 
verfassung angezeigte  Umgestaltung  der  Bauerngüter  wie  der 
markgenossenschaftlichen  Einrichtungen  überhaupt.  Sie  konn- 
ten durch  Entwickelung  des  Wiesenbaues,  durch  Aenderung 
der  Viehhaltung,  besonders  Vermehining  des  Arbeitsviehs  und 
dgl.  allein  die  noch  fehlenden  ökonomischen  Vorbedingungen 
der  Di-eifelderwirthschaft  herstellen  und  durch  mchliche  Ver- 
iUgung  über  Arbeitskräfte,  ihre  planmässige  Organisation,  und 
durch  grössere  Capitalvorschüsse ,  wie  sie  der  ausgedehntere 
Wioteranbau  erheischt,  eine  grössere  Intensität  in  den  ganzen 
Betrieb  bringen*). 

Eine  directe  Einwirkung  Karls  d.  Gr.,  dem  so  häufig  die 

toriam  capiente  semente  modios  SO  illo  (anno)  quo  seminatum  foerit; 
solvit  den.  12;  qnando  seminatom  non  fuerit,  nihil  solvit  Aber  es  bleibt 
Mer  ungewiss,  nach  welchem  Turnus  die  Brache  eintrat 

^)  So  beziehen  sich  alle  Stellen  des  Reg.  Prüm.,  welche  Winter-  und 
Sommerfeld  unterscheiden,  auf  mansus  oder  terra  indomin.  Vgl.  auch 
Hist  de  Metz  770  III  pr.,  p.  14:  aliam  terram  indom.  ad  1  sationem  semi- 
nandi  med.  250,  ad  aliam  vero  similiter.  899  ib.  p.  51:  de  terris  ara- 
bilibus  indom.  ad  seminandnm  inter  utrasque  sationes  mod.  200.  ib.  910, 
p.  52:  de  terris  arabilibus  indominicatis  ad  seminandum  inter  utrasque 
sationes  modios  400;  ib.  914,  p.  55:  terras  quoque  arabiles  indom.  in 
qoibns  possnnt  seminari  de  annona  inter  utrasque  sationes  modii  150.... 
terras  quoque  indom.  arabiles  ad  seminandum  inter  ambas  sationes  modios 
125;  ib.  918,  p.  56 f.:  Potest  ibi  Seminare  in  agris  domicis  inter  ambas 
sationes  media  300.  Tr.  Fuldens.  c.  43,  n.  4:  In  Chaltebach  terre  salice 
in  uno  campo  80  agri,  in  alio  90,  in  tertio  40.  S.  a.  die  Beispiele  in 
den  Anmerkungen  zu  S.  400  ff. 

«)  S.  unten  S.  405  ff. 

26* 


—    404    — 

Einführung  der  Dreifelderwirthschaft  in  Deutschland  zuge- 
schrieben wird,  ist  dagegen  in  keiner  Weise  bezeugt*).  Wohl 
ist  es  nicht  unwahrscheinlich,  dass  auch  auf  den  königlichen 
Villen,  deren  musterhafte  Wirthschaftseinrichtungen  in  so 
vieler  Hinsicht  den  Anstoss  zu  landwirthschaftlichen  Verbesse- 
rungen gegeben  haben,  auch  ein  Betriebssytem  eingerichtet 
war,  das  in  Hinsicht  auf  gute  Anordnung  und  Intensität  auf 
der  Höhe  der  Zeit  stand  *).  Aber  der  Uebergang  zu  geregel- 
ter und  intensiverer  Feldbenutzung  lag  doch  so  tief  in  den 
Bedüifnissen  und  der  ganzen  ökonomischen  Entwickelung  des 
Zeitalters  begiiindet,  dass  er  sich  mit  innerer  Nothwendigkeit 
vollzog  und  des  äusseren  Anstosses  durch  den  Reformator  des 
socialen  und  politischen  Lebens  nicht  bedurfte. 

Demungeachtet  aber  hat  sich  dieser  Umschwung  der 
Landwirthschaft  in  dieser  Periode  noch  lange  nicht  allgemein 
vollzogen').  Noch  immer  besteht  daneben  eine  Feldgras- 
wiithschaft,  welche  in  ungeordneter  Aneinanderreihung  der 
Feldstücke  und  ohne  erkennbare  Eintheilung  in  Schläge  dem 
Boden  nur  spärlichen  Ertrag  abgewinnt  *) ;   selbst  die  Brenn- 

^)  Hanssen,  zur  Oeschichte  der  Feldersysteme  in  Tüb.  ZeitscL  1865, 
S.  82. 

')  Man  kann  hierauf  beziehen  Capit.  de  villis  c.  87:  Ut  eampos  et 
coltoras  nostras  bene  componant. 

*)  Im  neustrischen  Franken  ist  auch  dieser  Fortschritt  entschiedeB 
früher  allgemein  geworden ;  vgl.  Polypt.  Irmin.  index  generalis  s.  t.  hiber- 
naticum  et  tramisum. 

^)  G.  Lauresh.  768,  n.  898:  10  jumales  agri  et  prata,  ib.  782.  n.  681: 
inter  terram  aratnriam    et  fenariam  20  jumales.    Eine  SteUe  im  Edid 
Fist.  864  (LL.  I,  496)   c  81  scheint  nur  auf  Sommerfeldwirthschaft  be- 
zogen werden  zu  können:   De  adventitüs  istius  terrae  quae  a  NortmaffliiB 
devastata  est ... .  Et  si  necesse  illi  fuerit  ad  missam  s.  Martini  (IL  Not.) 
ad  suum  conductum  in  illas  partes  redeat  et  usque  ad  Eal.  Aprilis  ihidam 
immorandi  licentiam  habeat;   indeque  ad  terram  suae  nativitatis  et  ad 
senioratum  suum  unusquisque  redeat  et  usque  ad  medium  nudom  prqptff 
seminationem  ibidem  maneat;   indeque  si  illi  necessitas  fherit  ad  säum 
conductum  redeat  et  inde  ad  messiones  suas  in  terram  suam  urasqnisqQ« 
redeat  et  de  cetero  ibidem  permaneat.    Wie  hätte  der  Gommendute  toa 
Mitte  Mai  bis  zur  Ernte  von  dem  Gute  wegbleiben  können,  weim  Drei- 
feldersystem bestanden  hätte,  welches  im  Juni  die  (nach  damaliger  Sitte 
erste)  Brachfurche  verlangte? 


—    405    — 

wirthschaft  ist  in  waldreichen  Gegenden  noch  lange  nicht  ver- 
drängt 0;  i^ur  gi'osse  6rundheri*schaften  scheinen  sich  schon 
in  der  Hauptsache  zu  der  bessern  Ordnung  des  Feldersystems 
durchgerungen  zu  haben;  aber  auch  dieser  hängt  noch 
mancher  Rest  der  Vorstufe ,  aus  der  sie  herausgewachsen ,  an 
und  weist  auf  die  enoime  Schwierigkeit  hin,  mit  der  jede 
radicale  Reform  gerade  auf  landwirthschaftlichem  Gebiete  zu 
kämpfen  hat^). 

Es  liegt  nun  der  Gedanke  nahe,  dass  mit  dem  allmäligen 
Uebergang  aus  einer  wilden  Feldgraswirthschaft  zu  geregeltem 
Feldersystem  oder  wenigstens  zu  einer  schlagmässigen  Ab- 
theilung des  Finichtfelds  auch  in  die  Wiesencultur  eine  ähn- 
lich durchgreifende  Verändei-ung  gekommen  sein  müsse'). 
Das  ältere  Wirthschaftssystem  konnte  ja  mit  den  Gemein- 
vriesen  und  der  Weidenutzung  leicht  ausreichen,  da  das  Acker- 
land selbst  in  den  Dreeschjahren  für  den  nöthigen  Futter- 
bedarf des  Winters  aufkam.  Für  eine  Dreifelderwii*thschaft 
aber  waren  abgesonderte  permanente  Wiesen  unentbehrlich; 
denn  die  ewige  Weide  reichte  höchstens  im  Sommer  für  den 
Kahrungsbedarf  des  Viehes  hin;  die  Winterung  aber  musste 
auf  eignen  Wiesen  gewonnen  werden,  da  das  Pflugland  in  den 
Jahren  des  Anbaues  nur  Ackerhülchte  brachte,  im  Brachjahre 
aber  gar  keine  Nutzung  bot^). 

Ueberhaupt  aber  wird  durch  ein  geregeltes  Feldersystem 
der  Anbau  von  Feldfrüchten  unabhängiger  von  den  Bedürf- 
nissen der  Viehzucht  gestellt;  für  diese  muss  demnach  auch 
in  selbständiger  Weise  gesorgt  werden,   und  dazu  dient  in 

1)  Hierher  kann  man  wohl  auch  steUen  Reg.  PronL  c.  46,  p.  170: 
axat  jomales  8  in  forestaria  avena  modium  1  a  Elalendis  marcii  per  totam 
sacionem. 

^)  So  bedeutet  es  unvoUkommneren  Turnus  des  Feldersystems  (ähnlich 
wie  in  Russland  s.  Boscher  II,  §  25  a  Anm.  1)  wenn  es  im  Regist.  Prüm. 
c.  55,  p.  175  heisst:  Est  ibi  terra  dominicata  ad  modios  122  in  autumno, 
vemo  tempore  ad  modios  36. 

«)  Vgl.  L  Buch,  4.  Abschn.,  S.  166 1 

*)  Die  reine  (schwarze)  Brache  geht  aus  dem  bei  dem  Dreifeldersystem 
jener  Zeit  allgemein  üblichen  Umbrechen  des  Feldes  im  Juni  hervor; 
s.  o.  S.  402  Anm.  2. 


-    406    — 

erster  Linie  immer  die  Wiesencultur.  Die  Steigerung  des 
Kömeranbaues  endlich,  wie  sie  mit  dem  Uebergang  zum  Drei- 
feldersystem im  Vergleich  zur  extensiven  Feldgi'aswirthschaft 
der  vorhergegangenen  Periode  gegeben  war,  verlangte  eine 
Mehrung  des  Gross-  und  Arbeitsviehes,  zur  Düngung  wie  zur 
Feldarbeit;  und  damit  entstand  ein  gesteigerter  Futterbedar^ 
welchen  eben  wieder  nur  besondei*e  Wiesen  dauernd  zu 
decken  vennochten. 

Zunächst  konnte  solch  gesteigei-tem  Bedürfnisse  allerdings 
schon  durch  eine  Vermehrung  der  Gemeinwiesen  entsprochen 
werden  ^) ;  und  diese  war  leicht  dadurch  zu  erreichen ,  dass 
die  besseren  Theile  der  Gemeinweide  während  der  Zeit  des 
Graswuchses  gehegt,  dem  gemeinen  Viehtriebe  verschlossen 
wurden.  Aber  es  liegt  doch  nahe ,  dass  solche  Gemeinwiesen 
für  die  Dauer  weder  dem  gesteigerten  Bedürfniss  der  Land- 
wirthschaft,  noch  ihrem  sonst  hervortretenden  Bestreben  nach 
gi'össerer  Intensität,  noch  der  unverkennbaren  Neigung  der 
Zeit  entsprechen  konnten,  Grund  und  Boden  überhaupt  in 
eine  festere  rechtliche  Verbindung  mit  den  Einzelwirthschaften 
zu  setzen.  Vorab  in  der  fi*eien  Markgenossenschaft  fehlten 
sowohl  die  organisatorischen  Einrichtungen  wie  das  Verstand- 
niss  für  gemein wirthschaftliche  Aufgaben  und  Leistungen; 
ohne  solche  aber  war  doch  für  eine  verbesserte  Wiesencultur 
und  besonders  für  weiteraussehende  Meliorationen,  welche 
einen  steigenden  Ertrag  dei-selben  Bodenfläche  hätten  erzielen 
lassen,  nichts  zu  erwarten.  Die  giamdheiTSchaftliche  Organi- 
sation der  Landwii-thschaft  aber  hat  doch  ganz  vornehmlich 
die  verbesserten  Betriebsweisen  »nur  auf  dem  Herrenlande 
selbst  durchgeführt  und  daher  auch  die  selbständige  Wiesen- 
cultur besonders  auf  diesem  eingebürgert. 

Es  ist  das  auch  in  der  That  die  erste  auffälligste  und 


*)  DasB  yielen  Gatern  noch  ausgeschiedene  Wiesen  fehlen  scheint  ans 
jenen  Formehi  von  Gatszubehör  herrorzugehen,  in  denen  der  Wiesen  gar 
nicht  gedacht  ist.  Z.  B.  C.  Laur.  767,  n.  812  mans.  1  com  Sorte  sna  hoc 
est  cum  terris,  campis,  silvis,  domibus,  aedifidis,  pascois,  perrüs,  coltis  ei 
incoltis,  aquanmiTe  decorsibos;  ib.  768,  n.  301  mansis,  campis,  nneis» 
siMs  etc.  und  öfters.  Tr.  Sang.  799,  n.  156  terris,  silvis,  campis,  pascois  etc. 


—    407     - 

für  die  Entwickelungsgeschichte  der  deutschen  Wiesencoltur 
bemerkenswertheste  Thatsache,  dass  die  Wiese  immer  mehr 
aus  dem  Gemeinlande  ausscheidet  und  zum  Object  eines  Sonder- 
eigenthums  und  selbständiger  Bewirthschaftung  wird.  Sowohl 
kleine  Grundbesitzer  als  auch  grosse  Grundherrn  bereiten 
sich  Sonderwiesen  auf  gerodetem  Waldlande  ^)  wie  in  den 
sumpfigen  Niedei-ungen  der  Flussthäler.  Sie  werden  dann 
unter  den  Bestandtheilen  des  Sondergrundeigenthums ,  niefit 
mehr  wie  früher  mit  den  Weiden  und  Waldein  zusammen 
unter  den  Nutzimgsberechtigungen  an  der  gemeinen  Mark 
aufgezählt  ^).  Sie  werden  endlich  mit  dem  gewöhnlichen  Masse 
der  Aecker  gemessen,  während  früher  das  Einzelrecht  an  einer 
TViese  ausschliesslich  nach  ihrem  Erti'ag  und  dem  Antheil  des 
Einzelnen  ^n  demselben  bestimmt  war.  Allerdings  wird  auch 
nach  eingetretener  Realtheilung  älterer  Gemeinwiesen  dieses 
vom  Ertragsantheile  hergenommene  Mass  für  die  Grösse  der 
TViese  noch  lange  Zeit  hindurch  angewendet;  aber  jedenfalls 


^)  Tr.  Fuld.  c.  6,  n.  104:  ambitam  unum  de  silva  cum  agris  etpratis. 
Ib.  c  38,  n.  159:  hobas  3  cum  prato  et  ambitu  sao.  C.  Laoresb.  c  800 
n.  3708:  1  mans.  cum  aedifido  in  ipsa  sUva  constructo  et  30  jum.  inter 
sÜTam  et  campos  et  de  prato  et  de  silva  *ad  stirpaDdum  et  pratum  facien- 
dam  ad  carr.  30  feni. 

')  Wftbrend  die  ältere  Formel  regelmässig  lautet:  mansum  1  et  terra 
arabili  ad  ipso  manso  aspidente  jum.  8  ad  integro  seu  edificüs  silvis 
pratis  pascuis,  aquis  aquarumve  decursibus  (Tr.  Wizz.  713,  n.  6),  oder 
ahnÜcb,  wird  Sonderwiese  durch  rem  nostram  (C.  Laur.  768,  n.  194,  195; 
778,  n.  246),  pratum  menm  (ib.  767,  n.  240),  oder  durch  Hervorhebung 
Direr  Zugehörigkeit  zum  Hufenh&nde  (z.  B.  Tr.  Wizz.  851,  n.  204  curtUem 
1,  vineam  1  ad  carr.  3,  jum.  60,  pratas  ad  carr.  10,  silvis  pascuis  et& 
Brer.  rer.  fisc.  (LL.  1, 177)  mans.  vest.  serviles  6 ...  de  prato  ad  carr.  20 . . . 
et  silvam  communem),  oder  durch  Messung  mit  dem  Ackermasse  (s.  fol- 
gende Anmerkung)  bezeichnet ;  am  deutlichsten,  wo  Sonderwiesen  und  Ge- 
meinwiesen  neben  einander  stehen;  z.  B.  Meich.  vor  810,  n.  198:  prata 
com  silvis  cum  magna  parte . . .  sed  tamen  illa  sunt  singulariter  separata. 
ib.  817,  n.  348:  de  pratis  carr.  50  et  in  alio  loco  pratas  communes  sicut 
alii  coheredes  eins  habent.  Bei  dner  Schenkung  von  terra  aratoria,  prata, 
pascua  (Lacomblet,  Ürk.-B.  796,  n.  8)  wird  ausgenommen  una  particula 
in  illa  prata  que  didtur  Blidgeringmad,  quam  mihi  reservavi  pro  necessi- 
tatibus  mds.  Bezdchnend  für  die  späte  Ausscheidung  von  Culturwiesen 
Tr.  Sang.  771,  n.  60:  pratis  segativis. 


—    408    — 

scheint  die  Messung  nach  dem  Flächeninhalte  die  Annahme 
einer  Fortdauer  der  Gemeinschaft  an  solchen  Wiesen  aus- 
zuschliessen  ^). 

Dass  aber  die  Wiese  vielfach  dem  alten  Hufenlande  erst 
im  Laufe  der  Zeit  zugewachsen  ist,  nicht  schon  einen  herge- 
brachten Bestandtheil  dei*selben  gebildet  hat,  das  lässt  sich 
aus  den  zahlreichen  Urkunden  seit  der  Mitte  des  8.  Jahrhun- 
derts ersehen,  in  welchen  das  zur  Hufe  gehörige  Ackerland, 
als  ihr  wesentlichster  und  längst  bekannter  Bestandtheil,  gar 
nicht  besonders  erwähnt  ist,  während  die  Wiese  als  später 
hinzugekommener  und  mehr  zufälliger,  wechselnder  Bestandtheil 
ausdrücklich  vermerkt  wird*). 

Eine  zweite  minder  auffällige,  aber  doch  nicht  weniger 
bedeutsame  Thatsache  ist  das  besondei'e  Gewicht,  ^irelches  die 
gi'ossen  Grundherren  auf  ihren  wohleingerichteten  Heirenhöfen 
der  Wiesencultur  beilegen.  Karls  d.  Gr.  beiUhmte  Wirth- 
schaftsvorschi-iften  sind  zwar  auf  diesem  Punkte  sehr  wort- 
karg. Wir  erfahren  daraus  nur,  dass  die  Wiesen  auf  den 
königlichen  Gtltern  geschlossne  Zeit  hatten  ^) ,  also  jedenfalls 
besondei*s   cultivirt  waren.    Aber  die  Schilderungen  anderer 


^)  Schon  Anton  I,  291  hat  .in  dieser  Art  der  Messung  einen  beden- 
tenden  Fortschritt  der  Wiesencoltor  erkannt,  aber  nur  ein  Beispiel  aus 
dem  Jahre  924  (Neugart  C.  dipl.  AI.  578)  daftkr  anzuführen  yermocht  Sie 
beginnt  aber  schon  unter  Pipin,  C.  Laur.  197:  pratum  in  longo  69  perl 
in  lato  7.  ib.  767,  n.  240:  pratum  meum,  quod  tenet  in  longit  pert  90 
et  in  lat.  pert.  11  Va;  i^-  ^  ^^^'  .P'^^*  j^^ni*  3)  ih.  768,  n.  241 :  1  jnn. 
prati;  ib.  791,  n.  358:  2  jum.  de  terra  et  1  petiolam  de  prato  unde 
colligi  potest  1  carr.  feni.  Tr.  Sang.  790,  n.  126:  1  juchum  de  prtto; 
C.  Laur.  794,  n.  3435:  5  jum.  de  pratis  u.  o.  Im  Registr.  Prüm,  sind  die 
Wiesen  noch  durchgängig  nach  carradae  gerechnet 

^  Tr.  Wizz.  745,  n.  142:  hobam  1  et  ad  8  carrade  prata.  ib.  765- 
792,  n.  124:  hoba  1  cum  prato  ad  carr.  10  et  Tinea  1  ad  carr.  4.  C 
Lauresh.  797,  n.  258:  1  mansum  et  hobam  et  pratum  ad  40  carr.  fem. 
Mon.  Bb'd.  889  S.  8:  maus.  2  cum  pratis  ad  26  jumales.  AufiäUig  ist  es 
auch,  dass  im  älteren  Texte  der  1.  B^juv.  I,  13  (Zeit  Pipins)  der  Wiesen- 
dienst  auf  dem  Herrenhofe  noch  nicht  erwähnt  ist,  wohl  aber  in  den  spä- 
teren Texten  und  in  dem  correspondirenden  Capit  Aquisgr.  817  (LL.  I. 
216),  c  13:  Prato  arpennem  l  claudere,  secare,  coUigere  et  trahere. 

^  Cap.  de  villis  c.  37:  et  prata  nostra  ad  tempus  custodiant 


-    409    — 

grosser  Gutswiithschaften  lassen  doch  ersehen,  dass  nicht 
bloss  zahlreiche  Wiesen  zum  Herrenlande  gehöi'en  ^),  sondern 
auch,  dass  die  Dienstleistungen  der  Zinsleute  im  Heuschnitte 
etc.  regelmässig  immer  als  Leistungen  am  Fronhofe  angesehen 
wurden,  die  "Wiesen  also  vornehmlich  in  Eigenwirthschaft  der 
Gnindherren  standen*).  Seltener  sind  Wiesen  auch  bei  den 
Zinsgütem  erwähnt  ^)^  obwohl  es  zweifellos  schon  damals  im 
wohlverstandenen  Interesse  der  Grundhen'en  gelegen  war, 
ihren  Zinsbauem  auch  in  der  Wiese  ein  Mittel  der  Stärkung 
und  Verbesserung  ihres  Betriebs  an  die  Hand  zu  geben,  wie 
sie  ihnen  aus  grundhen'schaftlichem  Besitze  Weiden  und  Ge- 
meinwald eingeräumt  haben. 

In  einigen  Fällen  haben  die  GrundheiTen  auch  schon  auf 
sorgfältigere  Behandlung  der  Wiese  gesehen  und  durch  Bo- 
denverbessei-ung  ihren  Ertrag  zu  steigern  versucht*),  wie  sie 
auch  durch  Austausch   und  Kauf  auf  eine  Yermehiiing  des 

')  So  Bind  bei  dem  fiscos  Staffelsee  bei  740  jurn.  de  terra  arat  Wie- 
sen zu  600  carr.  (LL.  I,  176).  Bei  dem  Freisingischen  Gute  Bergkirchen 
gehörten  —  858  zu  terra  arat  colonias  3  prata  ad  200  carr.  Nach  dem  Reg. 
Prüm,  gehörten  zn  70Va  nians.  ind.,  terra  indom.  jag.  2560,  terra  domin.  ad 
modios  4510  im  Ganzen  prata  indom.  ad  carr.  1828;  es  sind  hier  aber 
die  Vliesen  nicht  immer  aufgezählt 

')  Z.  B.  B^.  Prüm,  c  6,  p.  148 :  Ad  fenum  et  ad  messem  mandpia  2. 
Dacit  de  feno  carras  10  et  secat  c.  22,  p.  158:  fenum  ducit  et  annonam. 
Ad  fenum  et  ad  messem  yel  ad  vindemiam  mancipia  2  u.  o. 

')  Breriar.  rer.  fisc  (LL.  1, 177):  De  illis  clerids  et  laids  qui  iUorum 
proprietates  donaverunt  ad  monasterium  quod  vocatur  Wizunburch  et  e 
contra  receperunt  ad  usnm  fructuarium.  Hartwic  presbyter  tradidit  . . . 
com  casa  dominicata  mansos  vestitos  send]  es  4,  de  vinds  picturas  5  et 
e  contra  recepit  .  . .  cum  casa  dominicata  mansos  vestitos  serviles  6*,  de 
vineis  picturas  5,  de  prata  ad  carr.  20.  Motwinus  et  uzor  tradide- 
nmt  . . .  cum  casa  dominicata  mansos  vestitos  serviles  6,  de  vineis  pictu- 
ras 5,  de  prata  ad  carr.  12  et  e  contra  receperunt  cum  casa  dom.  mansos 
vest  serv.  6,  de  vinds  pict  7,  de  prata  ad  carr.  15.  Registr.  Prüm. 
€.  112,  p.  196:  Tres  carradas  de  feno  debet  ad  Altrippe  secare  et  in  scu- 
ram  ducere  ant  in  Dinheym  de  suo  feno  carr.  2  det. 

*)  Hieher  sind  insbesondere  die  Wasserbauten  zu  rechnen,  welche 
grosse  Grundherren  von  den  hierin  besonders  gewandten  Friesen  anlegen 
Hessen ;  vgl  Mon.  BUd.  901  S.  81.  Mabill.  AA.  SS.  III,  2,  p.  826  und 
Carf  Christ  in  Heiddb.  Jahrb.  1872,  S.  254. 


—    410    — 

Wiesenbestandes  bedacht  waren  ^).  Dass  aber  die  Wiesen  im 
Vergleich  zum  Ackerland  besonders  hoch  im  Werthe  gestan- 
den wären,  ist  aus  den,  allerdings  wenigen  Angaben  dieser 
Zeit  nicht  zu  ersehen^. 

Eine  belangi*eiche  Vermehrung  von  Sonderwiesen,  im 
Vergleich  zum  Ackerlande  sowohl  als  auch  überhaupt,  ist 
aber  jedenfalls  anzunehmen  ^),  als  unverkennbares  Zeichen  der 
Zeit,  welche  mit  dem  wilden  Feldgrasbau  mehr  und  mehr 
aufräumte  und  eine  rationellere  Gebrauchstheilung  des  Boden- 
capitals  durchzuführen  begann.  Kam  nun  aber  auch  mit  der 
Verallgemeineining  einer  schlagmässigen  Bewirthschaftung  und 
des  Feldersystems,  sowie  mit  Steigerung  und  Verbesserung 
der  Wiesencultur  grössere  Intensität  in  den  Betrieb  der  Land- 
wirthschaft,  so  bewegt  sich  dieselbe  doch  immer  noch  in  ziem- 
lich einfachen  Geleisen.  Regelmässig  wird  die  Brache  für  die 
Wintei'saat  nur  durch  zweimaliges  Pflügen  (im  Juni  und  im 
Herbste)  vorbereitet;  zur  Sommersaat  wird  nur  einmal  (ün 

^)  In  Cod.  Laoresh.  886,  n.  2878  gibt  das  Kloster  Lorsch  4  habas  et 
prata  ad  5  carr.  gegen  3  hubas,  prata  ad  carr.  12  et  casam  unam.  Tr. 
Wizz.  838—860,  n.  50  erhält  das  Kloster  Weissenburg  joni.  5,  de  .pnutb 
ad  carr.  2  gegen  15  jum.  Vgl.  Schenkungen  von  Wiesen  an  Lorsch  i& 
Geminesheim  767  —  770  G.  Laur.  n.  194  — 197 ;  in  Basinsheim  767 ,  ib 
n.  235,  286,  240. 

^)  Wir  stellen  ein  Paar  Preisangaben  aus  möglichst  gleicher  Zeit  und 
gleichen  Orten  zusammen: 

Wiese.  Acker. 

488  DPert 2  sol.  4  jum.  (480  DPert.) 20  soL 

(C.  Laur.  767?  n.  197  unter  dem         (C.  Laur.  778,  n.  457.) 
Werthe  verkauft) 

345  DPert 5  sol.  6  jum.  (720  DPert) 5  soL 

(C.  Laur.  780,  n.  229.)  (C.  Laur.  780,  n.  229.) 

prat  2  onora  Va  sol.  ager  3  onora  80  iL  feETmit 

(Tr.  Sang.  820,  n.  248  in  ferro.)  (Tr.  Sang.  820,  n.  235  «  1—2  soL» 
^)  Aus  einer  Reihe  von  mehr  als  50  einzelnen  urkundlichen  Angabea 
hat  sich  das  Yerhältniss  des  zu  einer  Hufe  oder  einem  Oute  gehCkrigeo 
Ackerlands  und  Wiesenlands  ftlr  das  8.  Jahrhundert  im  Ganzen  wie  3  — 
4:1,  für  das  9.  Jahrhundert  vne  2  —  8:1  ergeben.  Auch  kommec 
schon  mehrfach  sehr  grosse  Wiesen  vor ;  zu  130  carr.  Als.  dipl.  768,  I,  41 . 
zu  100  carr.  Meich.  848,  n.  651;  853,  n.  693,  700;  856,  n.  789;  lu  200  - 
300  carr.  Meich.  860,  n.  731 ;  u.  o.    S.  auch  Beilage  No.  II.  • 


—    411    — 

Frühling)  gepflügt  *) ;  vom  Eggen  und  Jäten  ist  nur  vereinzelt 
die  Rede^),  wenn  auch  angenommen  werden  muss,  dass 
wenigstens  das  erstere  allgemeiner  verbreitet  war.  £s  fehlte 
also  sowohl  die  zweite  Furche  im  Brachfeld,  das  sog.  Ruhren 
der  späteren  Zeit,  wie  auch  die  Stoppeln  des  Sommerfeldes 
noch  nicht  gestürzt,  gefolgt,  worden  zu  sein  scheinen. 

Düngung  ist  zwar  sicherlich  schon  lange  in  Uebung  ge- 
wesen, da  ja  schon  Plinius  ^)  einer  Art  von  Mergeldüngung  am 
Rheine  gedenkt,  und  altdeutsche  Glossen  mehre  Worte  für 
Dünger  haben*).  Aber  doch  wohl  vornehmlich  nur  mit  der 
Verbreitung  des  Feldersystems  auf  dem  Henenlande  ist  sie 
allgemeiner  geworden*);  und  auch  hier  scheint  immer  nur 
ein  Feld  gedüngt  worden  zu  sein  ^).  Wiesendüngung  ist  noch 
ganz  unbekannt;  die  Mergeldüngung  wird  als  eine  Neuerung 


^)  Vgl.  die  Urk.  Tr.  Sang.  763,  n.  39;  C.  Lanr.  3669;  Lacomblet, 
Archiv  II,  294;  Pertz,  Archiv  YII,  998,  oben  S.  402  in  Anm.  2  und  Lan? 
dan,  Territorien  S.  56  f. 

^)  Registr.  Werd.  (Lacomblet,  Archiv  II,  218):  De  servitio.  Duas  eb- 
domadas  in  autumno;  daas  ante  vemum;  dnas  in  Jnnio.  In  singolis  eb- 
domadibos  5  dies.  In  autumno  1  jugumquod  sunt  duo  iomales  prosdn- 
dere,  id  est  gibrakon;  dehinc  arare,  sementum  a  curte  acdpere,  compla- 
nare,  id  est  giekkian.  Si  non  illud  proscindit,  id  est  gibrakod,  tunc  debet 
arare  jngum  unum  et  complanare,  id  est  giekkian  et  aliud  dimidium  arare 
tantum  non  complanare.  Idem  servicium  de  proscindendo  et  arando  et  com- 
planando  in  vemo  debet  üeicere.  luga  ipsa  debet  ita  procurare,  ut  a  fruc- 
tibus et  malis  oleribus  ea  expurget  et  in  omnibus  ita  ezcolere  ut  fruges 
inviolatas  in  horreum  deferat  Rursum  in  vere  unum  petitorium  iorna- 
lern  arare. 

*)  Bist,  nat.  XVII.  4.     Auch  Yarro  de  re  rustica  I,  7. 

^)  S.  oben  I.  Buch,  4.  Abschnitt,  S.  165. 

*)  Breviar.  rer.  fisc.  (LL.  I,  177):  fimat  de  terra  dominica  jumalem  1. 
Reg.  Prüm.  c.  1,  10,  23,  33,  55,  60,  62,  65,  69,  71  f.,  79,  89,  96,  104. 

")  Das  scheint  wenigstens  aus  dem  Reg.  Prüm,  hervorzugehen,  wo  es 
an  mehreren  SteUen  heisst :  corvadas  2  et  terdum  ad  fimum  jugera  3 
(c  10);  fadt  jugera  3,  corvadas  3,  uno  die  ducit  fimum  in  agro  (c.  23); 
corvadas  3,  unum  diem  ad  fimum  ducendum  (c.  104).  Nach  dem  Carmen 
de  mensibus  des  Mönchs  Yandalbert  (d'Achery  II,  58  und  60)  wurden  im 
Weetreiche  die  Felder  zweimal,  im  M&rz  und  November,  also  zu  Sommer- 
lind  Wintersaat,  ged&ngt,  s.  Guärard  Irminon  I,  653. 


—    412    — 

der  Eai'olingei'zeit  erwähnt,  welche  die  Colonen  nicht  ohne 
Widerstreben  annahmen*). 

Ueber  die  verschiedenen  Getreidearten,  das  Verhältniss 
ihres  Anbaues  und  die  Einbürgening  neuer  Arten  sind  wir 
aus  dieser  Zeit  allerdings  schlecht  untemchtet  ^.  Doch  scheint 
Weizen  vomemlich  ei-st  seit  dem  8.  Jahrhunderte  von  Gallien 
aus  grössere  Verbreitung  in  Deutschland  gefunden  zu  haben ; 
Spelt  wird  seit  dem  8.,  Roggen  aber  ei*st  seit  dem  9.  Jahr- 
hundert in  deutschen  Urkunden  und  deutschen  Sprachdenk- 
mälern genannt^).  Dass  auch  der  feldmässige  Anbau  von 
Leguminosen ,  von  Flachs  und  Hanf  und  anderen  Handelsge- 
wächsen sich  beträchtlicher  Ausbreitung  erfreute,  ist  aus  den 
Zinsbüchern  der  grossen  Grundherrschaften  zu  ersehen;  bei 
der  noch  immer  geringen  Ausdehnung  der  Gärten  bei  den 
Bauemgehöften  kann  ihr  Anbau  unmöglich  der  Gailencultnr 
allein  angehört  haben  ^).    Ganz  besonders  aber  gehört  sicher- 

^)  Ed.  Pist.  864  (LL.  I,  495),  c.  29 :  üt  im  coloni,  tarn  fiscales  quam 
et  ecclesiastici ,  qui  sicut  in  polyptids  continetor  et  ipsi  non  denegut, 
carropera  et  manopera  ex  antiqua  consuetadine  debent,  et  margflam  et 
alia  quaeqae  carricare,  quae  illis  non  placent,  renuunt,  qaoniam  adhac  in 
Ulis  antiqais  temporibus  forte  margila  non  trahebatur,  quae  in  mnltis  locu 
tempore  avi  ac  domni  et  patris  nostri  trahi  coepit ....  sine  olla  diffe- 
rentia  carricent 

')  Auch  die  ältesten  Urbarien  geben  nur  nnvollkommne  Anfechlftaae- 
Im  Breviar.  rer.  fisc.  sind  speltae  250  corbi  (»  9000  modii),  ordei  2550 
mod. ,  sigilis  160  mod. ,  avenae  200  modii  verzeichnet;  fhunentom  nur  in 
der  Schlossformel  genannt.  Das  Reg.  Prom.  zählt  an  Abgaben  auf  Ober 
100  mod.  avenae,  169  mod.  firomenti,  über  1000  modii  Mengkom  (Grenle 
und  Roggen?),  gegen  1100  mod.  spelta  und  über  2500  annonae  (worunter 
wohl  nur  das  ortsüblichste  Getreide  verstanden  ist\  ohne  dass  wir  es  aD- 
gemein  näher  bestimmen  könnten).  Im  Reg.  Blid.  sind  828  mod.  «KgiuMi, 
73  mod.  avenae,  89  mod.  tritici  aufgeführt  Das  Reg.  WenL  hat  i2S8 
mod.  siliginis,  5508  mod.  ordei,  1110  mod.  bracei  (Malz),  2642  mod.  ave- 
nae und  nur  10  mod.  tritici,  6  mod.  frumenti  verzeichnet    8.  Beilage  VI 

^)  Vgl.  Graff,  Sprachschatz  passim.  Hostmann  S.  60  fL  and  L  Btaefa, 
4.  Abschnitt,  S.  165. 

^)  Ifn  Brev.  rer.  fisc.  sind  zwar  nur  6  seigas  de  Uno,  6  sextar.  de  8e> 
mente  lini,  2  libr.  canabis,  6  sext.  de  lenticulis,  1  mod.  ftibanim,  12  mod. 
pisarum  angeführt,  doch  unter  den  herbis  hortulanis  diese  Cultoren  nkht 
inbegriffen.    Das  Reg.  Prüm,  verzeichnet  über  600  it.  linum,  17  siaapan 


—    413    — 

lieh  dieser  Periode  eine  beträchtliche  Ausdehnung  des  Wein- 
baues zu.  War  der  Weinstock  schon  zur  Merowingerzeit  aus 
dem  linksrheinischen  Frankenlande  nach  den  Gegenden  rechts 
des  Rhein  verpflanzt  0  und  gleichzeitig  aus  Mösien  und  Pan- 
nonien^)  die  Donau  herauf  nach  Baiuwarien  gekommen,  so 
ist  die  Earolingerzeit  besonders  als  die  Zeit  der  allgemeinen 
Verbreitung  der  Weincultur  zu  bezeichnen,  wenigstens  soweit- 
hin  schon  der  Einfluss  geistlicher  Grundherrschaft  reichte, 
welche  mit  wahrer  Begierde  gerade  auf  Erwerbung*)  und 
Cultur  von  Weinlagen  sich  verlegte.  Besonders  sonnige  Wald- 
abhänge wurden  zu  diesem  Zwecke  gerodet^);  und  auch  in 


staapos;  das  Reg.  Bild.  33  U  linam,  IVa  mod.  de  ciceribus;  das  Bieg. 
Werd.  über  82  mod.  pisarom  vel  fstbamm  als  Abgaben.  Das  EinkOnfte- 
TerzeichnisB  des  Eelleramts  Reichenau  843  (Wirt  Ürk.-B.  d.  108)  führt  auf 
85  haspas  de  canafo,  30  de  lino,  28  de  filis,  110  modia  ieguminomm. 
Vgl.  Cap.  de  Tili.  c.  62:  quid  de  leguminibos,  quid  de  milio  et  panigo;  quid 
de  lana,  lino  yd  canava  . . .  habuerint  ib.  c  43 :  Ad  genida  nostra  . . . 
linum,  lanam,  waisdo  (Waid),  vennicula  (Scharlach),  warentia  (Krapp). 

^)  Bodmann,  Rheingauische  Alterthümer  S.  398  ff. 

^)  Eutrop.  h.  Rom.  17:  (Probus)  vineas  GaUos  et  Pannonios  habere 
permisit.  Aurel.  Victor  de  Caes.  37,  2:  Hie  Galiiam  Pannoniasque  et 
Moesomm  colles  vinetis  replcvit;  vgl.  Hehu,  Kulturpflanzen  S.  76  f.  und 
über  den  Weinbau  an  der  Donau  L  Buch,  4.  Abschnitt,  S.  172. 

')  Fulda  kaufte  753  (C.  Fuld.  6)  einen  Weinberg  bei  Maiuz  um  15  ^  und 
7  onc.  inter  auro  et  argtoto  I  In  den  ersten  100  ürk.  des  Cod.  Fuld.  (—  791) 
werden  72  grössere  und  kleinere  Weinberge  dem  Kloster  geschenkt  oder 
verkauft.  Die  Urkunden  des  Cod.  Lauresh.,  welche  Weinberge  betreffen, 
belaufen  sich  auf  viele  Hunderte.  Freising  hatte  schon  durch  Corbinian 
724  Weinberge  im  Etschlande  erworben;  seit  circa  825  finden  wir  das- 
selbe auch  im  Besitz  von  Weinbergen  bei  Bozen  (Meick  la,  132).  Auch 
St  Gallen  hat  im  Laufe  des  9.  Jahrhunderts  bedeutende  Weingater  er- 
worben; im  8.  Jahrhundert  dagegen  sind  Weinberge  in  den  St  Gallischen 
Urkunden  sehr  selten;  um  so  hftufiger  die  Bierabgaben. 

*)  Besonders  die  Lorscher  Urkunden  bieten  hief&r  viele  Belege;  C. 
Laur.  771,  n.  1255:  locum  ad  vineam  feiciendam;  ib.  777,  n.  628:  unum 
proprisum  ad  vineam  fadendam.  ib.  777,  n.  1000:  vineale  1  et  in  ipso 
vineali  vineam  £actam;  ib.  778,  n.  325:  portionem  meam  de  una  vinea  in 
illo  clauso;  ib.  786,  n.  544:  vinea  1  et  1  proprisum  ad  ipsam  vineam  per- 
tinentem;  ib.  792,  n.  393:  bifangum  ad  vineam  faciendam  ex  aliqua  parte 
plantatum;  ib.  794,  n.  394:  1  vineam  et  nostrum  proprisum  ad  eam  per- 
tinentem. 


—    414    — 

Gegenden,  die  wenig  natürliche  Eignung  hiezu  besassen,  auf 
der  baiiischen  Hochebene  ^),  in  der  nördlichen  Schweiz  *)  und 
bis  tief  nach  Thüringen  hinein^)  vei'suchte  sich  die  emsige 
Mönchswirthschaft  in  der  Cultur  der  Rebe,  Karl  d,  Gr.  blieb 
auch  in  diesem  Stücke  nicht  zurück;  wie  er  auf  Verbesserung 
der  Weinbereitung  bedacht  war,  so  Hess  er  sich  auch  die 
Hebung  und  Ausbreitung  der  Weincultur  angelegen  sein ;  anf 
seinen  Domänen  sollten  die  Amtleute  die  Weinberge,  welche 
zu  ihrem  Ministerium  gehörten,  in  den  Eigenbetrieb  einbe- 
ziehen, in  guten  Stand  setzen  und  Setzlinge  für  die  Erwei- 
terung dei-selben  besorgen  *).  Doch  ward  der  Weinbau  kei- 
neswegs der  Selbstverwaltung  der  kaiserlichen  Güter^  aus- 
schliesslich vorbehalten  ^) ;  und  ebenso  finden  sich  auch  bei 
andern  GinindheiTschaften  vielfach  Weinberge  allein  oder  mit 
andern  Grundstücken  und  Mausen  als  Beneficien  oder  Zins- 
güter  ausgethan^).  Die  Cultur  der  Weinberge  war  eboi 
zu  allen  Zeiten  auf  kleine  Gebiete  vertheilt  ^  und  eig- 
nete sich  auch  wegen  der  hiefür  nöthigen  Arbeitsleistungen 
ganz  besondei*s  für  den  Kleinbetrieb,  wie  ihn  hörige  Leute 


^)  Meichelb.  la,  52,  a.  753  Weinberge  in  Toalpach  bei  Mosbnig. 

^)  Tr.  Sang.  752,  n.  15  bei  Kaiseraugst. 

")  Hehn,  Kultorpflanzen  S.  78. 

*)  Cap.  de  TÜlis  c.  8:  Ut  judices  nostri  vineas  redpiant  nostras  qoaede 
eoroxn  sunt  ministerio  et  bene  eas  faciant,  et  ipsum  viaum  in  bona  mit- 
tant  Tascula,  et  diligenter  praevidere  faciant  quod  nullo  modo  nanfrtga- 
tum  Sit  ...  Cippaticos  enim  de  vineis  nostris  ad  opus  nostrom  mütere 
fjEUuant 

'0  Cap.  de  vilL  c  8 :  Censa  de  villis  nostris  qni  vinum  debent,  in  cd- 
laria  nostra  mittat,  c.  62 :  quid  de  vineis ;  quid  de  iUis  qni  Tinom  sol* 
vunt  .  .  .  habuerint. 

^)  Im  Reg.  Prüm,  sind  neben  vineae  domin.  ad  mod.  220,  ad  cur. 
268  (-«  2104  mod.),  und  picturae  17  angeführt  vineae  feod.  pict  283 
und  gegen  4000  mod.  yin.  als  Abgaben  Torgetragen. 

'')  Die  Weinberge  werden  sehr  häufig  nach  dem  Ertrage  gemesses, 
z.  B.  C.  Lanr.  768,  n.  303:  viniolae  2  ez  qoibus  possnnt  colligi  2  carrtd. 
vini;  ib.  793,  n.  898:  vineas  in  3  locis  ex  qnibus  colligi  possnnt  15  sitn- 
las  (=»  V«  carrad.)  yini ;  hänfig  nach  scamellis,  z.  B.  C.  Laor.  791,  n.  684: 
1  scamellnm  unde  potest  colligi  1  carr.  vini.  Die  Grösse  der  Weinberge 
geht  aber  selten  über  2  —  3  scamellos  oder  2—8  carr.  Ertrag  hintns 


—    415    — 

übten,  oder  wie  er  auf  dem  Gutshofe  des  kleinen  Grundeigen- 
tbOmers  geführt  wurde  ^). 

Eine  wesentliche  Erweiterung  von  weittragenden  Folgen 
fdr  die  spätere  Zeit  erhielt  die  nationale  Bodenproduction  in 
dieser  Periode  durch  die  Einführung  der  Hopfencultur.  Es 
bleibt  zweifelhaft,  ob  die  Deutschen  diese  Pflanze  von  den 
Slaven*)  erhielten  oder  ob  sie  etwa,  die  brauchbaren  Eigen- 
schaften im  wildwachsenden  Hopfen  erkennend,  denselben 
selbständig  der  Cultur  unterwarfen;  jedenfalls  nicht  vor  dem 
8.  Jahrhundeit  wird  des  Hopfens  in  fränkischen  Quellen  ge- 
dacht ') ;  auf  deutschem  Boden  tritt  er  erst  seit  dem  9.  Jahr- 
hundert auf  und  bleibt  noch  während  der  ganzen  Periode 
ziemlich  selten*). 

Der  Forstwii-thschaft  fehlte  auch  in  dieser  Periode  noch 
jede  technische  Ginindlage.  Aber  vor  allem  die  immer  grössere 
Ausdehnung  gewinnende  Einforstung  ^)  von  Gemeinland  durch 
die  Könige  und  die  gi*ossen  Giiindhen*en  gab  doch  einen  An- 
stoss  zu  einer  planmässigeren  und  schonenden  Bewirthschaf- 

')  Daher  nicht  selten  die  Weinberge  unmittelbar  auf  dem  Hofgrund- 
stücke  sind,  ähnlieh  den  Gftrten;  C.  Laur.  773,  n.  1842:  ezcepto  1  mea 
quae  in  ipsa  cnrti  est;  ib.  789,  n.  846:  1  vineam  super  ipsom  mansum; 
ib.  798,  n.  887:  1  vineam  in  ipso  manso. 

^)  Hehn,  Kulturpflanzen  S.  410  ff. 

')  DipL  Pipins  768  für  St  Denys  (Doublet  bist,  de  Fabbaye  St  De- 
QJB  p.  699).  Im  Polypt  Irmin.  kömmt  Hopfencultur  in  Mareuil  au  Pec, 
Boiasy  en  Drouais  und  Combs  la  Tille  vor ;  ebenso  in  den  statuta  abbat 
Corbei.  822  (Gu^ard^^Irm.  H,  S.  313,  883). 

*)  In  Freisinger  Urkunden  seit  Ludwig  dem  Deutschen ;  über  Hopfen- 
cultur St  Gallons  im  9.  Jahrhundert  Archiv  des  Bemer  bist  Vereins  YII, 
275.    Argovia  H,  25—34. 

^'^)  Beispiele  aus  dem  7.  und  8.  Jahrb.  im  I.  Buch  S.  127.  Cap.  de 
villis  c  86:  Ut  silvae  et  forestes  nostrae  bene  sint  custoditae.  Cap.  813 
(LL.  I,  189),  c  18:  De  forestis,  ut  forestarii  bene  illas  defendant.  Cap. 
817  (LL.  I,  218),  c.  22:  De  iorestibus  nostris  ut  ubicumque  fuerint,  dili- 
gentissime  inquirant ,  quomodo  salvae  sint  et  defensae.  Mittelrh.  Urk.-B. 
896, 1.  140:  ut  quandam  sUvam  in  pago  Treverensi  in  bannum  mitteremus, 
et  ex  ea  sicut  franci  dicunt,  forestem  faceremus  (für  das  Erzstift  Trier  und 
die  Abtei  St.  Mazimin).  Solche  Forste  sind  von  Gemeinwftldem  h&ufig 
ausdrücklich  unterschieden  Reg.  Prüm.  c.  ,55,  p.  175 ;  c.  62,  p.  178.  VgL 
i.  A.  Waitz  IV,  109  ff.    Bernhardt  I,  S.  48  ff. 


—    416    — 

tung;  und  auch  das  steigende  Interesse  dei-selben  an  einer 
durch  den  Wildbann  gesicherten  Hochwildjagd  musste  auf 
eine  Schonung  der  Wälder  hinwirken  ^).  Dass  damit,  als  un- 
mittelbare Folge,  ein  tiefer  und  entscheidender  Eingriff  in  den 
Bestand  der  alten  markgenossenschaftlichen  Verfassung'),  ja 
zugleich  in  die  politische  Organisation  der  Grafischaften  ge- 
macht wurde  *),  war  eine  unvenneidliche  Gonsequenz  der  gan- 
zen grundhen-schaftlichen  Entwickelung  dieser  Zieit,  welche 
abzuwehren  die  Könige  vergebens  sich  bemühten^).  Am 
Schlüsse  der  Periode  haben  trotzdem  alle  gi'ossen  Grundherr- 
schaften ihre  selbständigen,  eingeforsteten  Waldgebiete,  von 
denen  sie  dann  einen  Theil  in  eigner  Bewirthschaftung  be- 
hielten ^),  den  andern  aber  zur  Bildung  von  Ho&narkgenosseo* 

^^)  Cap.  de  villis  c.  86:  et  abi  silvae  debent  esse,  non  eas  permittut 
nimls  capalare  atque  damnare  et  feramina  nostra  intra  forestes  bene  ca- 
stodiant 

*)  Im  Forste  hörte  die  Gremeiimutnmg  za  Weide,  Mast  und  Hob- 
schlag,  Jagd  und  Fischerei  auf;  M.  Boic31a,  p.  179  (ürk.  Ludwig  d.K.: 
ut  nulla  persona  audeat  .  .  sine  consensu  et  voluntate  £.  .  •  pontifids  ia 
sUyIs  maioribos  vel  minoribus  (welche  ein  Theil  eines  Forstes  waren)  por- 
cos  saginare  ferasque  silvaticas  Yenare,  arbores  absdndere  vel  nüam  ib- 
juriam  facere. 

")  Urk.  Pipins  768  Bouqu.  V,  707 :  sylva  .  .  sub  aemnnitatis  nonune 
habeat  .  .  ut  nulla  praesnmptio  iudidariae  potestatis  pro  quibusdam  o^ 
casionibus  ant  aliquid  ezercitandum  venationibus  absqne  permissum  rectom 
ipsius  monasterii  ullo  unquam  tempore  infira  ipsos  terminos  ibidem  iogredi 
poenitns  non  praesumat    Vgl.  Walte  lY,  S.  263. 

«)  Capit.  817  (LL.  I,  215),  c.  7 :  De  forestibus  nonter  institutis.  Ut 
quicunque  iUas  habet,  dimittat,  nisi  forte  indido  verad  osteodere  posit, 
quod  per  iussionem  sive  permissionem  d.  Karoli  genitoris  nostri  eas  insth 
tuisset;  praeter  illas,  quae  ad  nostrum  opus  pertinent,  unde  nos  decenere 
volumus  quicquid  nobis  placuerit.  ib.  (LL.  I,  218),  c.  22:  De  forestibus 
nostris  .  .  .  ut  comitibus  denuntient,  ne  uUam  forestem  noviter  institout 
et  ubi  noviter  institutas  sine  nostra  iussione  invenerint,  dimitterepraedpitot 

>)  Bouqu.  816,  VI,  498:    cum  foreste  nostra  indominicata silTis 

ibi  nostris  communibus.  Tr.  Sang.  868,  n.  531 :  dedimus  jugera  105  et 
de  communi  sUva  quantum  ad  portionem  nostram  pertinet  et  aooepimo» 
inter  arativam  terram  et  silvosam  jugera  105  et  de  silva  juzta  estimatio- 
nem  nostrae  pordonis  in  communi  Silva.  Reg.  Werd.  A.  III,  p.  221  b 
Hasloch  et  in  alia  nemora  id  est  Forsti ,  et  in  Fliunna  prout  alii  sni  co- 
heredes  inmittunt. 


-    417    — 

Schäften  oder  zur  Ausstattung  hofhörig  gewordener  Genossen- 
schaften mit  dem  unentbehrlichen  gemeinen  Waldlande  ver- 
wendeten 0. 

Damit  war  dann  aber  auch  zugleich  ein  zweites  Moment 
für  eine  rationellere  Pflege  des  Waldes  gegeben.    Die  Grund- 
herren hatten  es  in  der  Hand,  an  ihren  Waldungen  so  viel 
Nutzungsrechte  den  Hintei*sassen  zu  gewähren,  als  jene  ohne 
Gefahr  für  die  Nachhaltigkeit  des  Holzeilrags  zuliessen;  der 
ausgeschiedene,  ausschliesslich  für  die  Bedür&iisse  der  herr- 
schaftlichen Eigenwirthschaft  bestimmte  Wald  konnte  ebenso 
wie  der  als  Gemeinwald  den  Hintersassen  ausgewiesene  Wald 
dem  Masse  des  Bedürfnisses  entsprechend  bestimmt  werden  ^). 
Und  endlich  zwang  das  feste  Ausmass  von  persönlichen  Dienst- 
leistungen in  den  herrschaftlichen  und  von  Abgaben  aus  den 
Wäldern  der  Beneficiare  und  Zinsbauem  der  Grundheri-schaft 
eine  feste  Regel  der  Nutzung  auf;  Eichelmast  und  Bienenweide, 
Waldheu-  und  Streunutzung,  aber  auch  Mass  und  Art  der 
Holznutzung  selbst  fügte  sich  jener  aui  Jahrhunderte  unven-ttck- 


']  S.  oben  2.  Abschn.  S.  270  und  3.  Abscbn.  S.  829.  Die  Könige  selbst 
trogen  durch  Schenkung  von  Forst  und  Wald  zur  Einforstung  an  Grrosse 
Tiel  zu  dieser  Entwickelang  bei;  so  schenkte  z.  B.  Karl  d.  Gr.  an  St  Mar- 
tin in  Trier  777  (Sickel  II,  84)  viliam  Lisidunam  cum  4  forestis ;  an  Hers- 
feld 778  cWenk  2  b,  n.  5i  mansum  indom.  simulque  in  circuitu  mansi  leu- 
gas 2  silvae  drcumiacentis ;  781  (G.  Fuld.  72)  an  Fulda  campum  Unofeit 
cum  silYis  eins.  839  C.  Fuld.  n.  655  gehört  silva  in  fo^'este  Spehteshart 
zu  den  rebus  comitatus. 

')  Daher  die  grosse  Verschiedenheit  in  Gegenständen  und  Ausmass 
der  Nutzung  des  herrschaftlichen  Waldes  durch  die  Hintersassen;  Tr.  Sang. 
861^  n.  479:  Insuper  ex  nostra  largitione  ad  praefatum  monasterium  con- 
cedimus  (König  Ludwig)  ut  ipsa  familia  potestatem  habeant  materia  et 
ligna  cedendi  et  pasturam  animalibus  . . .  hoc  est  in  jumentis  et  bubus  et 
ovibus  et  pords  atque  capris.  JuvaY.  Anh.  891,  n  55:  silvis,  silvarumque 
usibua,  pastibus  sdlicet  et  editiciorum  lignis  in  forestibus  nostris.  Tr. 
Sang.  905,  n.  740:  curtile  1,  duo  jugera  continens  cum  via,  ezitu  et  aditu 
talique  usu  sil^tico,  ut  qui  illic  sedent,  sterilia  et  iacentia  ligna  licenter 
coUigant.  Besonders  aber  im  Ausmass  der  Mästung  z.  B.  C.  Laur.  863, 
n.  88:  in  sylvam  uterquo  (über)  porcos  10  et  nullam  aliam  utilitatem  sive 
ad  exstirpandum  sive  in  cesura  ligni.  Unusquisque  autem  de  servis  ipsis 
de  8ua  huba  debet  mittere  in  sylvam  porcos  5;  u.  o. 

von    Inama-flternegg,  WirtliBcliaftsgescIiicbte.  I.  27 


—    418    — 

baren  Ordnung,  wie  sie  die  GrundheiTen  mit  der  ersten  Or- 
ganisation  ihrer   sämmtlichen   Arbeitskräfte  und   ProducÜT- 

mittel  schufen  0- 

Die  Entwickelung  der  Viehzucht  während  der  Karolinger- 
periode ist  durch  zwei  Momente  yoi*zug8weise  charakterisirt 
Es  setzt  sich  der  Viehstand  mehr  in  das  Gleichgewicht  mit 
dem  Ackerbau,  ist  nicht  mehr  so  wie  früher  der  überwie- 
gende Zweig  der  Uiproduction ;  und  es  tritt  allmälig  m 
besseres  Ebenmass  zwischen  dem  Arbeitsvieh  und  dem  Klein- 
vieh ein,  während  die  ältere  Zeit  diesem  ein  auffallendes 
Uebergewicht  gab. 

In  erster  Hinsicht  ist  es  besondei*s  die  Pferdezucht  und 
Pferdehaltung,  welche  die  grösste  Verändemng  eifuhr.  Das 
Pferd  war  des  freien  Mannes  Wirthschaftsluxus  in  älterer 
Zeit,  aber  zugleich  eine  wesentliche  Voraussetzung  für  die 
Behauptung  der  Waffenfähigkeit.  So  lange  der  kriegerische 
Sinn  die  Deutschen  noch  belebte,  ist  auch  die  Pferdezucht 
eine  ihrer  wichtigsten  wiilhschaftlichen  Angelegenheiten;  auf 
freier  Weide,  die  in  weiter  Ausdehnung  zu  Gebote  stand, 
züchteten  sie  in  urwüchsigster  Weise  einen  behenden ,  wenn 
auch  nicht  schönen  Schlag  ^).  Aber  die  Weiden  engten  sich 
ein  und  fielen  dem  Pflug  und  dem  Spaten  zum  Opfer  oder 
wurden  zur  Wiese  gehegt;  und  der  kriegerische  Geist  des 
Volkes  wurde  gebändigt  durch  die  Noth  des  täglichen  Lebens, 
als  einmal  die  Sesshaftigkeit  entschieden  und  eine  feste  Ord- 
nung des  Grundbesitzes  und  Erwerbs  geschaffen  war.    Und 


^)  Im  Reg.  Prüm,  sind  silvae  ad  porcos  8430  und  an  Abgaben  «u 
den  Wäldern  lignorum  carrad.  gegen  15.000,  sdndalas  gegen  25.000,  axileä 
22.500,  faculas  7500,  palos  17.600  nebst  103  carros,  materiameD  caxr.  ^ 
daurastOB  965,  circalos  883,  daneben  noch  in  jedem  anderen  Jahre  axiles 
5600,  scindnlas  6970  und  Dienstleistungen  in  broil  297,  ad  pocos  hebdom. 
172,  ungerechnet  die  Waldfuhren,  voi^etragen;  diese  Zahlen  geben  zu- 
gleich eine  ungefähre  Vorstellung  von  dem  Ertrag,  welchen  die  Wäldcf 
einer  grossen  Grundherrschaft  abwarfen;  vgl.  Beilage  VI. 

')  Doch  kommen  noch  jetzt  equi  indomiti  vor,  G.  Fuld.  929,  n.  6(5 
equi  indomiti  furto  capti.  Kindl.  Münst.  Beiträge  I,  21  vagi  eqoL  Vgl. 
auch  Tr.  Fuld.  c  7,  n.  31:  quod  est  apud  Fresones  rosbannare,  td  €si 
ut  equi  commune  pabulum  habeant  in  prato  post  absdssionem  fem. 


—    419    — 

damit  gingen  die  Voraussetzungen  grosser  Pferdehaltung  ver- 
loren.   Der  kleine  Grundbesitzer,   der  lieber  seine  Freiheit 
und  die  Unabhängigkeit  seines  Erbguts  opferte,  als  noch  fer- 
ner in  hilfloser  Isolirung  sich  kümmerlich  auf  beschränkter 
Hufe  izu  erhalten,  hatte  weder  Sipn  fQr  die  Lust  am  Tummeln 
der  Pferde,  noch  die  Mittel,  um  sich  solchen  Luxus  zu  er- 
lauben^),  noch   ein  Bedürfniss   danach;  für   die  Bestellung 
seines  Ackerfeldes,  für  die  nöthigen  landwirthschaftlichen  Fuh- 
ren leistete  das  Rind,  das  auch  andre  Nutzung  zuliess,  besseren 
Dienst;    der  Consum   von  Pferdefleisch  ward  ihm  durch  die 
Eiferer   der   christlichen  Kirche   bald  giilndlich   verwehrt  2); 
und  in  den  Krieg  brauchte  er  nicht  mehr  zu  ziehen,  sobald 
er  in  fremde  Botmässigkeit  sich  ergeben  hatte.    Daher  fand 
die  Pferdezucht  in  dieser  zweiten  Periode  nur  mehr  in  einem 
kleinen  Kreis  von  Gütern  eine  aufmerksame  Pflege  und  grössere 
Ausdehnung:  auf  den  königlichen  Gütern,  welche  für  die  per- 
sönlichen  Neigungen  des  Königs,  für  die  Bedüi-fhisse  seiner 
Hofhaltung  und  seiner  grossen  Gutswirthschaften  und  endlich 
fttr  den  unersättlichen  Heeresbedarf  züchteten^);  auf  den  Gü- 
tern  weltlicher  Grossen,  bei  denen  gleichfalls  Jagdlust  und 
Luxusreiterei,  Kriegs-  und  Wirthschaftsbedai-f  einen  gi'ossen 
Pferdebestand  nothwendig  machte*);  bei  geistlichen  Grund- 

^)  Dass  Pferdebesitz  schon  grösseren  Wohlstand  bedeutete,  ist  aus 
dem  Cap.  807,  c.  6  (LL.  I,  149)  zu  ersehen,  wo  caballarii  (Pferdebesitzer) 
den  pauperioribus  gegenübergestellt  sind. 

')  S.  oben  I.  Buch,  4.  Abschnitt,  S.  133. 

*)  Vgl.  die  Tabelle  No.  VIII  über  den  Viehstand  der  königlichen  Villen. 
Karl  d.  Gr.  legte  auf  die  Pferdezucht  grossen  Werth:  vgl.  Gap.  de  vilL 
c.  13:  Ut  equoB  emissarios,  id  est  waraniones,  bene  praevideant  et  nulla- 
tenoB  eo8  in  uno  loco  diu  stare  pennittant,  ne  forte  per  hoc  pereat.  Et 
si  aliquis  talis  est,  quod  bonus  non  sit,  aut  veterauus  sit,  si  vero  mortuus 
fuerit,  nobis  nuntiare  fadant  tempore  congruo,  antequam  tempus  veniat, 
ut  inter  iumenta  mitti  debeant.  c.  14:  Ut  iumenta  nostra  bene  custodiant 
et  poledros  ad  tempus  segregent  Et  si  pultrellae  multiplicatae  iuerint, 
separatae  fiant;  et  gregem  per  se  ezinde  adunare  fadant.  c.  15:  Ut  po- 
ledros   nostros  missa  s.  Martini  hiemale  ad  palatium  omnimodis  habeant 

*)  Tr.  Sang.  806,  n.  191:  caballis  domalibus  cum  cetero  troppo;  855, 
n.  441  equaritia.  C.  Laur.  790,  n.  14  bei  einem  Gut  mit  64  mandpia.  ib. 
808,  n.  597 :  gregem  equarum.    In  den  Trad.  Fuld.  c  44,  p.  125  ff. :  De- 

21* 


—    420     - 

herrschaften,  welche,  da  sie  nicht  persönlichen  Kri^dienst 
leisteten  ^),  Rosse  für  Reiterei  und  Fuhrwesen  des  Heeres  zu 
liefern  hatten  und  bei  ihren  ausgedehnten  und  zerstreuten 
Besitzungen  die  Arbeitsenergie  und  Schnelligkeit  des  Pferdes 
für  Ackerbau  und  Fuhren,  für  Botendienst  und  Handelschaft 
wohl  zu  schätzen  wussten*). 

Bei  kleinen  Freigütern  aber  ist  der  Pferdebestand  mei- 
stens auf  das  eine  Streitross  beschränkt,  das  der  Besitzer  Ar 
seinen  Kriegsdienst  nöthig  hatte  ^);  und  auf  abhängigen  Gu- 
tem wurden  Pferde  regelmässig  nur  gehalten,  soweit  specielle 
Verpflichtungen  (paraferedi)  gegenüber  dem  Grundherrn  dazu 
zwangen;  das  aber  findet  sich  fast  ausnahmslos  nur  in  geist-' 
liehen  Grundherrschaften,  welche  damit  wohl  ihre  eigne  Ver- 
pflichtung zur  Stellung  von  Kriegsrossen  auf  die  Schultern 
ihrer  Gi-undholden  abwälzen  wollten^)  und  ist  zumeist  eine 
Verpflichtung,  welche  nur  sogenannten  Freihufen  (mansis  in- 
genuilibus)  auferlegt  sind,   also   solchen   dienenden   Gütern, 


scriptiones  hubarum,  familiaram,  iugerom,  animalium  .  .  in  SaeTia . .  sicat 
eo  tempore  exculta  fuenint,  qaando  a  Pipino  et  Carolo  s.  Bonifacio  contn- 
dita  sont,  sind  von  72  Gütern  Hur  drei  mit  grösseren  Pferdebestftndeo 
aufgeführt 

»)  Waitz  IV,  499  ff. 

')  Wenn  gerade  bei  geistlichen  Gutshöten  doch  auch  nur  geringer 
Pt'erdebestand  vorkömmt,  so  ist  das  wohl  durch  ihre  gute  Organisatios 
des  Boten-  und  Fuhrwesens  zu  erklären,  worüber  Näheres  im  5.  Abedio. 
In  Staffelsee  ist  nur  1  caballus  domitus;  in  Bergkirchen  (Meich.  la,  186') 
1  caballus  und  1  serv.  dominicus,  der  ein  Pferd  besitzt;  auch  Jut.  Anh. 
815,  n.  18  bei  7  mancip.,  800  jug.  terrae,  prat  90  jug.,  silvae  ad  stirpan- 
dum  300  jug.  nur  1  caballus. 

')  Vgl.  die  Tab.  No.  IX  über  die  Viehhaltung.  Die  vielen  Verkftofe 
von  Grundbesitz,  bei  welchen  ein  Pferd  als  Kau^reis  gegeben  wird,  sind 
vielleicht  gerade  auf  die  nothwendige  Ergänzung  dieses  Streitrosaes  zu 
beziehen;  z.  B.  C.  Laur.  768,  n.  247;  773,  n.  2522;  n.  778,  n.  1845.  Wirt 
Urk.-B.  p.  160:  quando  ad  servicium  pii  regis  perrezerit,  unun  saamariom 
onustum  prestent  cum  homine  qui  illum  ducat.  Similiter  secunda  vioe  fs- 
ciant,  si  iter  in  hostem  eodem  anno  contigerit. 

*)  Meich.  846,  n.  640 :  quoad  usque  vixisset ,  ipsas  res  aboisset  com 
censu  hoc  sunt  denarios  4  et  annuatim  ad  itinera  diversa  aut  in  bestem 
aut  alicubi  caballum  1  prestare. 


—    421     — 

welche  früher  als  Freigüter  selbst  in  der  Regel  Pferde  ge- 
halten hatten^). 

Auf  die  Rindviehzucht  haben  diese  Verhältnisse  nur  theil- 
weise  einen  unmittelbaren  Einfluss  geäussert.   Wohl  mag  auch 
ihr  durch  Anbau  beträchtlicher  Strecken  von  gemeiner  Weide 
der  Boden  zum  Theil  entzogen  worden  sein;  und  die  grössere 
Bedeutung,  welche  allmälig  der  Ackerbau  erlangte,  hat  sicher- 
Uch  mit  Verallgemeinerung  der  vegetabilischen  Nahrung  auch 
das  Bedürfniss  grosser  Viehhaltung  vermindert    Aber  ander- 
seits war  doch  die  Vermehrung  der  Bevölkerung  beträchtlich 
genug,  um  an  dem  vorhandenen  Masse  des  Viehstandes  auch 
bei  so  verändertem  Nahrungsbedarfe  festzuhalten;  und  über- 
diess  war  ja  auch  der  Uebergang  zu  einem  intensiveren  Acker- 
bausystem, wie  es  die  Dreifelderwirthschaft  im  Vergleich  zur 
wilden   Feldgraswirthschaft   der   älteren  Zeit  immerhin   dar- 
stellte,   ohne   namhaften   Yiehstand    nicht    wohl    zu   bewir- 
ken^).    An  der  Verminderung   des  Gesammtviehstandes  im 
Verhältnisse  zur  Anbaufläche  hat  also  jedenfalls  das  Rindvieh 
den   kleinsten  Antheil;  und  da  gleichzeitig   der  Bestand  des 
Kleinviehs,  besonders  der  Schweine  und  Ziegen,  erheblich  ab- 
nahm, eine  Wirkung,  welche  ganz  vomemlich  von  dem  Ueber- 
gewicht  der  grossen  Gutswirthschaften  und  ihrer  sorgfältigeren 
Weide  -  und  Waldhutung  ausging  %  so  ist  das  bessere  Eben- 
mass  leicht  erklärt,  das  sich  allmälig  in  dem  Verhältniss  des 
Arbeitsviehs  zum  Kleinvieh  einstellte^). 

^)  Vgl.  Gu^rard,  Irmipon  I,  820  £f.  Nur  im  Brev.  rer.  fisc.  aaf  der 
cortis  Staffelsee  haben  auch  die  mansi  serviles  parafireda  zu  leisten  (LL. 
I,  177).  Auch  die  coloni  ecdesiae,  welche  in  L.  Baj.  I,  13  (Zeit  Pipins) 
parafreti  leisten  müssen,  sind  den  servis  nicht  gleichzustellen. 

*)  Zur  Düngergewinnung  wie  zu  Pflugarbeit;  vgl.  Cap.  de  vill.  c  23: 
Et  iosuper  habeant  vaccas  illorum  servitium  perfidendum  conunendatas 
per  senros  nostros;  qualiter  pro  servitio  ad  dominicum  opus  vaccaritias 
Tel  carrucas  nuUo  modo  minorate  sint  Eine  vaccaritia  Tr.  Sang.  855,  n.  441. 
")  Doch  legt  selbst  Karl  d.  6r.  noch  grosses  Gewicht  darauf;  Cap. 
de  vill.  c  23:  In  unaquaque  villa  nostra  habeant  iudices  vaccaritias,  por- 
caritias«  berbicaritias ,  capraritias,  hircaritias,  quantum  plus  potuerint  et 
nullatenas  sine  hoc  esse  debent    Vgl.  c  35,  66. 

*)  Während  dieses  Verhältniss  in  den   ältesten  Angaben   noch  1% 
Rinder  za  93%  Kleinvieh  (Meich.  la.  54)  und  8%  Rinder  zu  92  r'o  Klein- 


—    422    — 

Die  gewerbliche  Technik  entwickelte  sich  in  dieser  Periode 
zweifellos  zu  ungleich  grösserer  Mannigfaltigkeit,  hatte  aber 
ihre  vorzüglichste  Veilretung  jedenfalls  nur  auf  den  Palaüen 
der  Könige  und  den  grossen  Herrenhöfen  der  Grundherren. 
Die  vollständigste  Liste  der  Handwerker  gibt  jedenfalls  Karls 
d.  Gr.  Capitular  über  die  Verwaltung  der  Domänen');  es 
sind  da  Eisen-,  Gold-  und  Silberschmiede,  Schuster,  Schnei- 
der, Sattler,  Schreiner,  Drechsler,  Zimmerleute,  SchQd- und 
Hamischmacher,  Fischer,  Vogelfänger,  Seifensieder,  Bierbrauer 
und  Branntweinbrenner  (oder  Mostsieder),  Bäcker  und  Kets- 
macher  genannt ;  viele  von  ihnen  kehren  auch  in  den  grossen 
Güterverzeichnissen  und  vereinzelt  in  Urkunden  wieder,  ohne 
dass  ihre  Reihe  aus  diesen  Quellen  erheblich  vermehrt  werden 
könnte  *). 

Von  den  drei  git)ssen  nationalen  Gewerben,  welche  schon 
in  älterer  Zeit  in  einiger  Blüthe  standen ,  ist  jedenfalls  das 
Metallgewerbe  am  meisten  entwickelt  worden.  Es  zeigt  sich 
das  nicht  bloss  in  der  besondei-s  reichlichen  Arbeitstbeilung 
und  Specialisirung,  welche  dasselbe  in  dieser  Zeit  angenommen 
hat^),  sondern  auch  in  der  Mannichfaltigkeit  und  vielseitigen 


vieh  (Urk.-B.  o.  d.  Eons  I,  444)  zeigt  und  sogar  auf  den  königlichen 
Vmen,  welche  das  Brev.  rer.  fisc  beschreibt,  12  ^l^  Pferde,  7  ^1^  Rinder  bei 
81  ^'/o  Kleinvieh  yerzdchnet  sind,  gab  es  dagegen  auf  dem  bischöflichen 
Hofe  in  Staffelsee  (Brev.  LL.  I,  176)  um  das  Jahr  812  neben  einem  Pferde 
24  7o  Rinder,  76%  Kleinvieh.  In  ein  Paar  Angaben  aberwiegt  sogar  der 
Rindviehstand,  z.  B.  Cod.  Fuld.  815,  n.  809:  2  Pferde,  40  Rinder,  25  Stack 
Kleinvieh;  auf  dem  Freisingischen  Hofe  Beigldrchen  886 — 854  (Mdcfa. 
la,  120*)  2  Pferde,  89  Rinder,  82  Stück  Kleinvieh.  Doch  war  das  noch 
lange  Ausnahme;  s.  die  Beilage  No.  IX. 

^)  G.  45,  p.  184 :  Ut  unusquisqne  iudex  in  suo  ministerio  bonos  ba- 
beat  artifices,  id  est  fobros  ferrarios  et  aurifices  vel  argentarios,  sntores, 
tomatores,  carpentarios,  scutarios,  piscatores,  audpites,  id  est  aacellatore& 
saponarios,  siceratores,  id  est  qui  cervisam  vel  pomatium  sive  piratiam  vel 
aliud  quodcunque  liquamen  ad  bibendum  aptum  fuerit,  faceresdant;  pisto- 
res,  qui  similam  ad  opus  nostmm  faciant,  retiatores  qui  retia  facere  bene 
sdant  tarn  ad  venandum  quam  ad  piscandum  sive  ad  aves  capiendnm  nee 
non  et  reliquos  ministeriales  quos  ad  numerandum  longum  est. 

')  Nur  der  Monachus  Sangallensis  berichtet  als  Besonderheil  andi 
von  Glasmachern. 

')  S.  oben  Anm.  1. 


—    423    — 

Anwendung ,  welche  die  Producte  dieses  Gewerbes  gefunden 
haben.  Sowohl  für  die  Kriegsausrüstung  ^)  wird  die  Metall- 
arbeit immer  wichtiger,  als  auch  für  den  täglichen  Bedarf 
des  Hauses  und  des  landwirthschaftlichen  Betriebs ')  und  auch 
als  Handelswaaren  ^)  spielen  besonders  Metallfabrikate  schon 
jetzt  eine  grosse  Rolle. 

Nicht  minder  ist  sicherlich  die  deutsche  Weberei  vervoll- 
kommt  worden.  Die  Pflege,  welche  die  nationale  Production 
durch  die  Arbeitsorganisation  der  grossen  Ginindherrschaften 
gefunden  hat,  ist  auch  diesem  Gewerbszweige  in  hervon*agen- 
dem  Masse  zu  Gute  gekommen.  In  den  oft  zahlreich  bevöl- 
kerten, gut  ausgestatteten  Frauenhäusem  entwickelten  die 
Grundherren  eigentliche  Fabrikationsstätten  fftr  Gewebe  aller 
Art^);  und  die  gi*össere  Mannigfaltigkeit  und  zunehmende 
Pracht    der  Gewänder^),   das  üeberhandnehmen  zahlreicher 


^)  Vgl  Cap.  Theod.  805  (LL.  I,  132),  c.  6:  Omnis  homo  de  12  man- 
sis  braniam  habeat  £ncyclica(?)  806  (LL.  I,  145):  Unusquisque  caballa^ 
rins  habeat  scutum  et  laDceam  et  spatam  et  semispatain,  arcum  et  pharetras 
cum  sagittis,  et  in  carris  vestris  uteDsilia  diversi  generis  id  est  cuniadas  et 
dolatnrias  taratros,  assias,  fossorios,  palas  ferreas.  Gap.  818  (I,  187),  c.  9 : 
lanceam,  scutum  et  arcum  .  .  .  loricas  vel  galeas. 

')  Cap.  de  yill.  c.  42,  p.  184:  vasa  aerea,  plnmbea,  ferrea,  lignea,  an- 
dedoSy  catenas,  cramaculos,  dolaturas,  secures,  id  est  cuniadas,  terebros, 
id  est  taradros,  scalpros ;  dazu  Brey.  rer.  fisc.  I,  177 :  luminare  ferreum^ 
tinaa  ferro  ligatas,  falces,  falciculas;  s.  u.  über  die  metallnen  Gef&sse  S.  425. 
Cap.  779  (I,  88),  c.  20:  De  brunias,  ut  nullus  foras  nostro  regno  yendere 
praesomat. 

')  Cap.  Theod.  805  (I,  132),  c  7 :  üt  arma  et  brunias  non  dncant  ad 
venundandum.  Mit  Waffen  werden  auch  fortwährend  Grundstücke  einge- 
handelt; so  mit  scuto  et  lancea  Meich.  Ib,  250;  ein  territorium  gegen  unum 
toracem  ib.  252. 

^)  Vgl.  de  yill.  c.  43:  Ad  genitia  nostra,  sicut  institutum  est,  opera 
ad  tempus  dare  faciant,  id  est  linum,  lanam,  waisdo,  yermiculo,  warentia, 
pectinos  laninas,  cardones,  saponem,  unctum,  yascula  yel  reliqua  minutia 
quae  ibidem  necessaria  sunt  Im  Genitium  yon  Staffelsee  waren  24  Wei- 
ber beschäftigt;  Brey.  rer.  fisc.  I,  177. 

'^)  Vgl.  z.  B.  das  Verzeichniss  der  Ejrchengewänder  in  Staffelsee  (Brey. 
rer.  fisc.  I,  176):  Inyenimus  ibi  planetas  castaneas  2,  de  lana  factam  et 
tinctam  1.  Dalmaticam  1,  siricam  1,  albas  7.  Amictus  4.  Fanones  li- 
neos  serico  paratos  ad  offerendum  ad  altare  13.    Pallia  ad  altaria  induenda 


—    424    — 

Bekleidungsstücke  in  den  hen-schenden  Trachten  jener  Zeit  ^) 
zeigen  auch  hier,  wie  Production  und  Bedarf  sich  wechsel- 
seitig steigerten.  Doch  lässt  sich  andrerseits  nicht  verkeunen, 
dass  die  einheimische  Weberei  noch  weit  davon  entfernt  war, 
dem  Bedürfniss  zu  genügen ;  ja  es  ist  ersichtlich,  dass  sie  dem 
rasch  steigenden  Kleiderluxus  nicht  Schritt  zu  halten  ver- 
mochte. Die  schon  in  älterer  Zeit  begi*ündete  Ueberlegenheit 
der  friesischen  Gewandindustrie  scheint  sich  in  dieser  Zeit 
nicht  nur  behauptet,  sondern  sogar  gesteigert  zu  haben *); 
orientalische  Gewebe  in  Seide  und  Baumwollp  beginnen  ihre 
bedenkliche  Concurrenz  mit  den  wollenen  und  leinenen  Ge- 
wandstoffen auch  auf  deutschem  Boden  ^) ;  und  immerhin  bleibt 
es  befremdend,  dass  während  der  ganzen  Periode  von  eigent- 
lichen Handwerkern  der  Weberei  in  Deutschland  keine  Rede 
geht^);  die  ganze  Technik  dieses  Zweiges,  so  scheint  es,  ist 
noch   im  Besitze    der  herrschaftlichen  Frauenhäuser  ^) ,  und 


8.  Pallia  de  lana  facta  et  tincta  ad  altare  indueDdam  2.  Pallia  linM 
tincta  2.  Linteamina  serico  parata  ad  altaria  vestienda  20.  Manicas  se- 
riceas  aaro  et  margaritie  paratas  4  et  alias  sericeas  4.  Corporales  4. 
Orarii  2.  Plomatiam  serico  indntam  1.  Die  Einrichtung  der  Gutahöfe 
war  damit  allerdings  in  auffallendem  Contraste ;  in  Staffelsee  5  colcita  com 
plomatiis  and  im  genitiam  5  sardles  cum  fasdolis  4  et  camisiles  5.  In 
Asnapinm  lectum  parandom  1,  drappos  ad  discom  1  parandum,  toacUm; 
ebenso  in  zwei  andern  Gütern;  in  illo  fisco  (I,  180)  lectum  paratum  1, 
culdtam  1,  plumacium  1,  linteos  2,  mantile  1,  mappam  1,  toadam  1;  in 
Treola  fisco :  culdtam  1 ,  plumacium  1 ,  lectarium  1 ,  llnteom  1 ,  cope^ 
torium  1. 

')  Falke,  Trachten  I,  26,  37  ff.,  47.    Schmoller,  Tucherbuch  S.  357  f. 

')  St.  Gallen  schickt  seinen  Itinerarius  nach  Mainz  pro  pannis  laneii 
(friesische?)  emendis  SS.  ü,  97.  Mon.  Sang.  (ib.  II,  752)  paUia  Fresonia 
alba  cana  vermiculata  ye\  saphirina,  quae  in  illis  partibus  rara  et  multum 
cara  comperit,  sandte  Karl  d.  Gr.  als  Geschenke  in  den  Orient 

")  Monach.  Sangall.  II,  17.  Wefnhold,  Deutsche  Frauen  416.  Hejd. 
Geschichte  des  Levantehandels  im  Mittelalter  II,  583.  Doch  kommt  we- 
nigstens schon  in  einer  Urk.  Ottos  II.  für  Mainz  das  artifidum  in  linais. 
laneis  et  serids  omamentis  als  Leistung  der  weiblichen  Hörigen  vor. 

*)  SchmoUer,  Tucherbuch  S.  360  f. 

*)  Doch  wird  in  den  Mannsklöstem  wohl  das  vestiariom  ihre  Stell« 
eingenommen  haben;  Yito  S.  Eigilis  abb.  Fuld.  (MabiU.  IV,  1,  S.  248  : 
omnes  homines  qui  in  eodem  monasterii  loco  habitant,  ab  nno  Testisrio 
vestitum  accipiant  prout  praepositus  vel  cellerarius  dispensaTerint 


—    425    - 

eben  als  Weiherarbeit  Ober  das  Stadium  der  wenn  auch  ent- 
wickelten Hausindustrie  noch  nicht  hinausgekommen. 

Am  auffallendsten  und  ganz  unerklärt  aber  bleibt  es, 
dass  die  Töpferindustrie  gar  nicht  vertreten  ei-scheint.  Wir 
boren  weder  aus  den  Kai*olingischen  Wirthschaftsvoi'schriften 
noch  aus  sonstigen  Schilderungen  gi-osser  Gutshöfe  oder  Ur- 
kunden dieser  Zeit  irgend  eine  Andeutung  über  diese  In- 
dustrie, von  welcher  man  doch  annehmen  sollte,  dass  sie  zu 
allen  Zeiten  und  besondei-s  in  der  verhältnissmässig  noch  immer 
unentwickelten  Wirthschaft  der  Deutschen  eine  Rolle  gespielt, 
sich  wenigstens  die  Traditionen  früherer  Zeit  bewahrt  habe. 
Aber  nicht  einmal  der  thönernen  Gefässe  wird  gedacht  in  jenen 
ausführlichen  Gutsbeschreibungen  ^),  welche  die  alleinigen  Quel- 
len für  die  Kenntniss  der  inneren  Einrichtungen  des  Haushalts 
sind.  Die  Gefässe,  deren  das  Capitulare  de  villis,  sowie  die 
Breviarien  königlicher  Fiskalgüter  gedenken,  sind  theils  von 
Holz,  theils  von  Kupfer,  Blei  und  Eisen*). 

Dagegen  hat  diese  Zeit  in  Deutschland  ein  Gewerbe  erst 
entwickelt  und  auch  bald  zu  hoher  Bedeutung  gebracht,  das 
in  älterer  Zeit  als  solches  gar  nicht  bekannt  war,  das  Bau- 
gewerbe mit  allen  seinen  Zweigen  von  den  untersten  Verrich- 
tungen für  Fabrikation  des  Rohmaterials  und  der  Werkzeuge 

^)  Nur  das  Verzeicbniss  der  Einkaufte  des  Eelleramts  yon  Reichenau 
843  (Wirt.  Urk.-B.  d.  108)  enthält  wiederholt  Lieferungen  von  Küchen- 
geschirr,  wobei  es  freilich  ungewiss  bleibt,  ob  dasselbe  von  Thon,  Holz 
oder  Metall  war;  Wagingen  .  .  1  padellam;  Tusselingen:  in  natale  D. 
100  scudellae  et  1  magnam  scudellam,  Tasa  parapsidum  et  in  assnmptione 
Mar.  50  scud..  in  pasca  100  send,  et  50  paraps.;  Heringen  similiter  ut 
Wagingen  et  12  ollas,  in  natale  D.  50  cacabas  et  in  festo  s.  Mich.  12  ollas 
et  50  cacabas  et  in  pasca  similiter. 

^)  Cap.  de  vill.  c  42:  Ut  unaquacque  yilla.  .  .  yasa  aerea,  plumbea, 
ferrea,  lignea  .  .  .  habeant  Brev.  rer.  fisc.  (I,  177):  Invenimus  in  insula 
quae  Staphinseie  nuncupatur  . . .  caldaria  aerea  3,  ferrea  vero  6  . .  .  tinas 
ferro  ligatas  17;  doch  auch  de  vitro  2  tine  plene;  ib.  p.  178:  Invenimus 
in  Asnapio  .  .  .  concas  aereas  2,  pocularep  2,  calderas  aereas  2,  ferrea  1, 
sartaginem  1;  ib.  179:  Repperimus  in  illo  fisco  . .  .  concas  aereas  2,  po- 
cularem  1,  bacdnum  1,  caldaria  aerea  2,  ferreum  1,  sartaginem  1 ;  ähnlich 
in  einem  folgenden  fiscus  nebst  r:«ceUam  1;  ib.  180:  Repperimus  in  illo 
fisco  .  .  .  concas  aereas  2,  pociilares  aereos  2,  patellam  1 ;  in  Treola  fisco 
.  ferreolum  1,  patellam  plumbeam  1. 


—    426    — 

bis  zu  den  höchsten  künstlerischen  Leistungen,  welche  die 
Prachtliebe  der  Grossen,  auch  wieder  im  Geiste  Karls  d.  Gr.  ^\ 
für  ihi-e  Paläste  und  Kirchen  zu  verwenden  liebte.  Auch 
bei  den  Klöstern  war  die  Lust  an  grossen  und  fippigen  Ge- 
bäuden schon  so  entwickelt,  ja  nicht  selten  in's  Masslose  ge- 
steigert'), dass  sie  einer  Reihe  von  gut  geschulten  Bautech- 
nikem  und  künstlerisch  durchgebildeten  Baumeistern  nicht 
entrathen  konnten'),  die  von  überall  her  an  die  Höfe  der 
Grossen  gezogen  wurden.  Eine  Seite  des  nationalen  Erwerbs 
endlich,  welche  gleichfalls  in  dieser  Periode  schon  zu  reichem 
Aufschwünge  gekommen  zu  sein  scheint,  ist  der  Beigbau  und 
die  Salzgewinnung.  Die  Völkerwandemng  hatte  auch  auf 
diesem  Gebiete  die  älteren  Ansätze  nationaler  Betriebsamkeit 
zerstört.  Weder  von  den  norischen  Eisen  -  und  den  quadischen 
Kupferbergwerken,  noch  von  dem  Bergwerke  auf  dem  ager 
Mattiacus ,  noch  von  sonstigen  Ansätzen  der  ältesten  Zeit  ist 
während  der  Merowingerperiode  eine  Nachricht  vorhanden. 
Dagegen  lässt  schon  die  massenhafte  Verwendung  des  Metalls 
in  der  Kai*olingerzeit  auf  eine  Wiederaufnahme  des  Berg- 
baus schliessen;  und  Karl  d.  Gr.  nimmt  auf  den  Bergbau 
wiederholt  selbst  Bedacht^);  nicht  minder  stellen  sich  andre 


^)  Ermold.  Nigellus  de  rebus  Lud.  P.  (SS.  II,  504  f.)  von  Ingelheisi: 
Omatas  yariis  cultibus  et  dapibus.  |  Quo  domus  ampla  patet  centom  per* 
fixa  columnis,  |  quo  reditne  varii  tectaque  multimoda,  i  mille  aditos,  reditos, 
millenaque  claustra  domorum,  |  acta  magistrorum  artificumqne  manu.  \  Tm- 
pla  Dei  summo  constant  operata  metallo,  |  aerati  postes,  aurea  bostioU., 
Pictura  insigni  etc.  Poeta  Sazo  a.  a.  814  (SS.  I,  274  f.) :  Ad  quae  nli^ 
moreas  praestabat  Roma  columnas,  quasdam  praecipoas  pulcra  BarenBi 
dedit  Von  Aachen  Eiuhard  vita  Kar.  c.  17:  basilica  sanctae  Dei  geoi* 
tricis  Aquisgrani  opere  mirabili  constrncta.  Monachus  Sang.  I,  SO  ;SS. 
II,  745):   LaquearibuB  vel  muralibus  adomandae  pictnris. 

«)  Vgl.  z.  B.  Vita  8.  EigiHs  abb.  Fuld.  (Mabm.  IV,  1,  p.  248),  c  12: 
Ut  aedificia  immensa  atque  superflua  et  caetera  inutilia  opera  ommittu- 
tur,  quibus  fratres  ultro  modum  fatigantur  et  familiae  foris  dispereant 

')  Mon.  Sang.  (SS.  II,  744)  I,  c.  28:  de  omnibus  dsmazinis  regiooi* 
bus  magistros  et  opifices  omnium  id  genus  artinm  advocavit  Vgl  SS.  II, 
68  N:  palatini  magistri  und  pictores  (9  sec). 

*)  Unter  den  Einkünften  der  königlichen  Vmen  (Cap.  de  Till,  c  62 : 
de  ferrariis  et  scrobis,  id  est  fossis  ferraciis  vel  aliis  fossis  plnmbaridis- 


—    427    — 

Anzeichen  ^)  einer  lebhafteren  bergmännischen  Thfttigkeit  ein, 
obschon  wenigstens  gi'osse  Unternehmungen  dieser  Art  wäh- 
rend der  ganzen  Periode  noch  nicht  versucht  worden  sind. 
Die  Salzgewinnung  dagegen  tritt  wenigstens  an  einigen  Stätten 
schon  mit  grossartig  eingerichtetem  Betriebe  auf  ^)  und  lässt 
sich  auch,  angesichts  der  Bedeutung,  welche  der  Salzhandel 
schon  gewonnen  hatte,  als  wichtiger  Zweig  des  nationalen  Er- 
werbslebens nicht  verkennen. 


Fünfter  Abschnitt. 
Handel  nnd  Verkehr. 

Ist  schon  die  nationale  Production  und  das  Erwerbsleben 
des  Volkes  durch  die  Initiative  Karls  d.  Gr.  und  seine  ebenso 
thatkräftige  wie  vollständige  Bethätigung  eines  entwickelten 
Wirthschaftssinnes  mächtig  gef&rdert  worden,   so  kann  der 


Sind  nicht  auch  die  metalla,  welche  unter  den  Einkünftemder  Söhne  Lud- 
wigs neben  tribata  und  census  genannt  werden  (Divis,  imp.  817,  c.  12,  I, 
199)  Einkünfte  aus  Bergwerken? 

^)  Viele  Nachrichten  hierüber  gesammelt,  freilich  nicht  kritisch  ge- 
sichtet, bei  Fischer,  Geschichte  des  deutschen  Handels  I,  120—127.  Vgl 
C.  Lanr.  (9.  Jahrh.)  n.  3071 :  Dedit . .  Adelolt  tertiam  partem  de  sua  mina 
ad  ÜEtdendom  ferrum. 

')  In  Baiem  besonders  Reichenhall,  von  dem  schon  im  8.  Jahrh. 
84  Oefen  (fomaces)  mit  den  Pfannen  (pateUae)  nebst  2  putatoria  (putei) 
integra  an  Salzbarg  geschenkt  werden,  ungerechnet  jene,  welche  etwa  unter 
den  portiones  ad  Salinas  zu  verstehen  sind,  die  von  mehren  Privateigen- 
thümem  geschenkt  werden.  Von  einem  Salzwerk  im  Elsass  sprechen  die 
Traditiones  Wizzemburgenses  schon  729,  n.  213.  Besonders  interessant 
Bind  die  Nachrichten  des  Registrum  Prumiense  c.  41  über  das  Salzwerk 
zu  Wihc  im  Bisthum  Metz,  wo  das  Stiit  Prüm  2  Hütten  mit  je  3  Pfannen 
ond  tär  jede  Pfanne  einen  Werkmeister,  für  das  ganze  aber  einen  magister 
liatte.  Jede  Pfanne  lieferte  tftglich  eine  Traglast  (burdura)  Salz;  V«  des 
Products  erhielten  die  Bediensteten,  ^U  die  Herrschaft.  Die  Benutzung 
der  P£umen  für  diese  dauerte  von  Mitte  April  bis  Anfang  December; 
w&hrend  der  Winterszeit  konnten  dann  die  Bediensteten,  wie  es  scheint, 
auf  eigne  Rechnung  dort  Salz  sieden  und  mussten  dann  von  jeder  Pfanne 
100  modii  Salz  abgeben. 


—    428    — 

nationale  Güterverkehr  und  die  Vervollkommnung  seiner  Ein- 
lichtungen  mit  noch  besserem  Rechte  als  ein  Werk  karolin- 
gischer  Wiilhschaftspolitik  bezeichnet  werden. 

Unter  den  Merowingem  hatte  das  Frankenreich,  wie  über- 
haupt so  insbesondre  auch  in  wirthschaftlicher  Hinsicht  noch 
ein  sehr  getheiltes  Ansehen.  Neustrien ,  das  noch  immer  an 
den  Resten  römischer  Cultur  zehrte  und  die  ganze  Gunst  der 
Herrscher  noch  überdiess  genoss,  hatte  entwickelten  Verkehr 
und  wohl  eingerichtete  Märkte  schon  zu  einer  Zeit,  in  welcher 
in  deutschen  Landen  noch  die  grösste  Einfachheit  und  Be- 
schränktheit der  nationalen  Wirthschaft  herrschend  war.  In 
weitgehender  Isolirung,  ohne  lebhaftere  Verkehrsbeziehnngen 
grösserer  Kreise,  ohne  feste,  durch  Bedürfniss  oder  äussere 
Macht  geschaffne  Organisation  wirthschaftlicher  Kräfte,  ohne 
höhere  Ziele  und  weitblickende  Pläne  ei-schöpfte  sich  hier  die 
Wii-thschaft  der  freien  Grundbesitzer  in  Production  des  Eigen- 
bedarfs. Der  Mangel  einer  nationalen  Arbeitstheilung  ver- 
hinderte die  regelmässige  Gewinnung  von  Ueberschüssen  und 
Hess  damit  auch  das  Bedürfniss  nach  geordnetem  Gütertausche, 
nach  geregelfem  und  gesichertem  Verkehre  gar  nicht  auf- 
kommen. 

Und  ebensowenig,  wie  von  innen  heraus,  kam  von  aussen 
her  lange  Zeit  hindurch  eine  Anregung  zur  Steigerung  der 
Leistungen  und  Genüsse,  zur  besseren  Verwerthung  der  wirth- 
schaftlichen  Kräfte  und  zu  vorheilhaftem  Austausch  ihrer  Leistun- 
gen. Die  alten  Wege,  auf  denen  die  Deutschen  von  der  Ost- 
see und  der  Donau  Verkehr  und  Handelschaft  mit  dem  Orient 
erhalten  hatten,  sie  waren  verschüttet  im  Sturm  und  Drang 
jener  östlichen  Völkerwanderung,  welche  schliesslich  so  sehr 
zum  Nachtheil  der  Deutschen  wie  der  Cultur  überhaupt  aas- 
fiel, welche  den  Hunnen,  Avaren  und  Ungarn,  kriegerisdien, 
unwirthschaftlichen  Völkern,  die  Herrschaft  über  diese  Bahnen 
des  Friedens  und  des  geordneten  Erwerbs  für  lange  Zeit  in 
die  Hände  legte. 

Die  fränkische  Staatsverwaltung  aber,  soweit  von  einer 
solchen  in  älterer  Zeit  überhaupt  zu  reden  ist,  stand  den  neu- 
erworbenen  Provinzen  noch  fremdartig  gegenüber ;  ausser  d&i 


—    429    — 

nothwendigsten,  unentbehrlichsten  Einrichtungen  für  die  Ein- 
heitUchkeit  des  Reichsverbandes,  für  Rechtspflege,  Heeresord- 
Dung  and  Einkünfte  des  Fürsten  hat  sich  die  merbwingische 
Staatskunst  in   den  deutschen  Ländern  nicht  bethätigt;    sie 
hatte  da  auch  wenig  Einfluss,  zum  guten  Theil  wohl  gerade 
desshalb,  weil  sie  so  wenig  Verständniss ,  so  wenig  Antheil 
den  besonderen  ökonomischen  und  Culturbedürfhissen  und  In- 
teressen der  rechtsrheinischen  Bevölkerung  entgegenbrachte. 
Die   karolingische  Politik  dagegen,    die  eine  enge  Ver- 
knüpfung  beider  Reichstheile  herbeiführte   und    sogar    den 
Schwerpunkt  der  Reichsverwaltung  zeitweise  wenigstens  nach 
der  östlichen  Hälfte  verlegte,   eröffnete  damit  gleichsam  ei-st 
das  neustrische  Gebiet  dem   Bedürfhisse  und  Interesse   der 
austrasischen  Völker.    Die  Märkte  von  St  Denys,  Quentawich 
u.  a.,  welche  bisher  nur  vereinzelt  von  Friesen  und  Sachsen  befah- 
ren wurden,  übten  nun  mit  einemmale  ihre  unwidei-stehliche 
Anziehungskraft.    Mit  der  Gelegenheit  zum  Austausche  wuchs 
rasch   das  Bedürfhiss  durch  gesteigerten  Consum  wie  durch 
vermehrte  Production.     Mit  der  lebendigen  Bethätigung  des 
Gedankens   der  Reichseinheit   in   der  Verwaltung   erstarkte 
rasch  auch  das  Zusammengehörigkeits-  und  Einheitsbewusst- 
sein  im  Volke ;  mit  der  Pflege  der  Gemeinsamkeit  der  öffent- 
lichen Angelegenheiten  und  Institutionen  erwuchs  unveimerkt 
auch  das  volkswirthschaftliche  Leben   zu  grossartigerer  Auf- 
fsssnng  und  gewann  einen  weiteren  Blick  für  die  Bedürfnisse 
des  Volkes  und  für  die  Mittel  der  Befriedigung;   die  Volks- 
sitte trat  aus  ihrer  Beschränkung  heraus  und  lernte  das  ganze 
Gebiet,  das  durch  die  politischen  Institutionen  verbunden  war, 
auch    als  ein  einheitliches  Wirthschaftsgebiet  ansehen,  dessen 
Arbeit  und  Kapital,   dessen  Producte  und  Genüsse  allen  An- 
gehörigen des  Reiches   im  freien  Austausche  zur  Verfügung 
standen. 

Aber  auch  im  Inneren  Deutschlands  schuf  die  karolingi- 
sche Wii-thschaftspolitik  nach  allen  Seiten  hin  die  Voraus- 
setzungen eines  regeren  und  geregelten  Verkehrs.  Dazu  war 
vor  allem  die  Villenverfassung  geeignet,  wie  sie  sich  nach  dem 
Vorgange  und  Muster  Karls  d.  Gr.  im  Laufe  des  9.  Jahrhun- 


-    430    — 

derts  auf  den  grossen  Grundherrschaften  einbürgerte.  In  den 
Haupthöfen  waren  nicht  bloss  Centralpunkte  des  persönlichen 
Verkehrs  geschaffen,  die  eine  Summe  von  Arbeitskräften  aller 
Art  vereinigten;  es  fand  hier  auch  der  Zusammenfluss  aller 
Productenübei*schüsse  der  sämmtlichen  von  einer  Grandherr- 
schaft beherrschten  Villen  statt ;  und  das  Bedttrfhiss  geregelter 
Markteinrichtungen  war  hier  vom  Standpunkte  der  herrschaft- 
lichen Interessen  eben  so  sehr  wie  vom  Standpunkte  der  die- 
nenden Bevölkeiiing  sehr  nahe  gelegen.  Insbesondere  aber 
vereinigten  die  königlichen  Palatien  eine  grosse  Menge  von 
Leuten,  die  im  pei*sönlichen  Dienst  des  Königs  standen  oder 
nur  an  seiner  Gunst  sich  sonnten  und  hier  die  Gelegenheit 
suchten,  ihren  Genüssen  nachzuleben.  Und  die  königliche 
Hofhaltung,  nebst  der  mit  ihr  vereinigten  Reichsverwaltung, 
hatten  selbst  Bedüiihisse  der  verschiedensten  Ai-t  und  von 
grossem  Umfange,  welche  sie  eben  nur  durch  Pflege  ge- 
regelter Handelsbeziehungen  sicher  zu  decken  hoffen  konnten. 
Diesen  mannigfachen  Bedüifnissen  hat  Karl  d.  Gr.  im  wei- 
testen Umfange  auf  seinen  Palatien  zu  entsprechen  gesucht: 
dieselben  sind  allenhalben  zu  Marktplätzen  ei-sten  Ranges  ge- 
worden ^) ;  und  zwar  haben  sie  sich  mindestens  ebenso  sehr 
durch  das  positive  energische  Eingreifen  des  Königs,  wie  durch 
ihre  natürliche  Eignung  zumeist  rasch  zu  grosser  Bedeutone 
emporgeschwungen.  Wie  Karl  die  Leitung  des  königlichen 
ZoUwesenS;  mit  welchem  die  Verwaltung  der  HandelsangeI^:eD- 
heiten  verbunden  war,  von  seinen  Palatien  aus  vornehmen 
liess^);  wie  er  das  Mttnzwesen  auf  seinen  Pfalzen  concen- 
trirte')  und  damit  dem  Handel,   der  dem  Gelde  nachging. 


^)  Cap.  de  discipl.  palatii  (I,  158)  c.  2:  per  mansioneB  omniam  nego* 
tiatorum  sive  in  mercato  Bive  aliubi  negotientur,  tarn  christianonun  quam 
et  Judaeorum.  ib.  c.  8  mercatas  «r  Marktplatz.  Auch  Cap.  de  Till,  c  54 
gedenkt  des  Marktes  auf  den  Königshöfen:  Ut  unusquisque  indes 
videat,  quatenos  familia  nostra  ad  eorum  opus  bene  laborei  et  per 
cata  yacando  non  eat 

^)  Hincmar  op.  II,  p.  606  telonarius  mercati  palatii;  &. Maurer,  Fhm- 
höfe  I,  225. 

')  Cap.  Theod.  806  (1,  134),  c  18:  De  falsis  monetis:  qnia  in  moltts 
lods  contra  justitiam  et  contra  edictum  fiunt,  volnmos,  nt  nnllo  «Uo  loco 


—    431     - 

aufs  Bestimmteste  die  Bahn  nach  diesen  Hauptsitzen  seiner 
Wirthschaft  wies :  so  hat  er  auch  den  häufigen  und  zahlreichen 
Besuch  der  Pfalzmärkte  geradezu  dadurch  befördei-t,  dass  er 
aus  idlen  Theilen  des  Reiches  Leute  in  irgendwelcher  dienst- 
lichen Verwendung  am  Hofe  hielt,  damit  die  Reisenden  sich 
nie  ganz  fremd  fühlten,  sondern  in  ihren  Landsleuten  Freunde 
und  Berather  auf  dem  fremden  Markte  fänden  ^).  Gerade  die 
Concentration  einer  zahlreichen,  kaufkräftigen  und  bedürfniss- 
reichen Menge  von  Leuten  besseren  Standes  wird  hier,  wie 
an  den  bischöflichen  und  sonstigen  grundherrlichen  Oberhöfen 
den  ersten  Anstoss  zum  Markte  gegeben  haben ;  ei*st  in  der 
Folge  wirkte  auch  die  Anhäufung  von  Boden-  und  Gewerbs- 
producten  aus  dep  verschiedenen  grundherrlichen  Villen  an- 
regend auf  den  Markt.  Das  Angebot  von  Waaren  suchte 
früher  hier  die  Nachfi*age  auf,  bevor  auswärtige  Käufer  durch 
die  Eigenproduction  dieser  Märkte  angezogen  wurden  2). 

Nächst  der  Villenverfassung  ist  es  dann  die  Ausbildung 
des  Grafenamts  zu  dem  wichtigsten  Organ  dei*  inneren  Ver- 
waltung, wodurch  die  karolingische  Politik  auch  die  Fördeining 
und  Belebung  des  Verkehrs  erfolgreich  betrieb.  Den  Grafen 
war  die  Sorge  für  Herstellung  und  Erhaltung  aller  öffentlichen 
Strassen,  Dämme,  Brücken  aufgetragen^);  nicht  minder  die 
Ueberwachung  der  Erfüllung  solcher  Verbindlichkeiten,  soweit 
sie  auf  den  Kronbeneficien ,  dem  Reichskirchengute  oder  auf 
den  Gütern  der  Senioren  und  Grundherren  lasteten*).    Auch 


moneta  bit  nisi  in  palatio  nostro,  nisi  forte  iterum  a  nobis  aliter  fuerit 
ordinatum.  Cap.  Nium.  808  (I,  153),  c.  7:  De  monetis,  ut  in  nuUo  loco 
moneta  percutiatur  nisi  ad  cortem;  et  illi  denarii  palatini  mercantur  et 
per  onmia  discurrant.  Ueber  die  moneta  palatina  Tgl.  Malier,  Münzge- 
Bchichte  S.  138;  Grote,  Münzstudieu  I,  S.  85;  Waitz  lY,  78. 

^)  Vgl.  die  Stelle  bei  Hincmar  de  ord.  palat  c.  18  oben  4.  Abschnitt 
S.  357  Anm.  1. 

*)  Doch  finden  sich  immerhin  schon  Yereinzelte  Beispiele,  wo  sich 
gerade  an  eine  Productionsstätte  frühzeitig  ein  Markt  anschloss,  z.  B. 
C.  Fold.  —  776,  n.  69  in  Westera,  wo  Karl  d.  Gr.  Salzwerke  hatte. 

^  Monach.  SangaU.  (SS.  II,  745)  I.  30;  s.  oben  4.  Abschn.  S.  380. 

*)  Zu  diesen  Leistungen  erfolgt  die  bannitio  durch  den  Grafen;  vgl. 
L.  Alam.  39:  Si  qois  ad  pontem  publicum  bannitus  fuerit;  c.  37  :  Si  quis 


—    432    — 

erscheint  es  besonders  in  ihrem  Wirkungskreise  gelegen^  dass 
sie  für  die  Sicherheit  der  Strassen  und  Handelswege  eintra- 
ten^); den  besonderen  Schutz,  welchen  der  Kaiser  den  Raaf- 
leuten  so  gerne  gewährte  *),  das  Recht  der  Freizügigkeit  und 
Handelsfreiheit^),  das  er  ihnen  einräumte,  war  in  wirksamer 
Weise  nur  von  dem  pflichtmässigen  Eintreten  des  Grafen  filr 
die  Sicherheit  von  Person  und  Eigenthum  der  Kaufleute  auf 
ihren  oft  gefahrvollen  Handelsreisen  zu  erwarten. 

Hat  Karl  d.  Gr.  auf  diese  Weise  mit  gewohnter  That- 
kraft  die  Initiative  ergriffen,  um  dem  Verkehre  grosse  Mittel- 
punkte, bessere  Einrichtung  und  grössere  Sicherheit  zu  geben, 
so  sehen  wir  ihn  anderseits  bemüht,  auch  die  grossen  Grund- 
herren, in  denen  er  immer  die  berufenen  Vertreter  allgemeiner 

Bclusam  dimiserit,  quando  suus  comes  ei  commendat  facere.  Cap.  803  (I, 
111),  c.  18:  Si  vero  opus  suum  constituto  die  conpletom  non  abuerit, 
liceat  comiti  pro  pena  prepositum  operis  pignerare  iuxta  extimationem  rd 
qaantitatem  imperfecti  operis,  quousque  perficiatur.  Comis  autem  si  oe- 
glexerit,  a  rege  vel  misso  regia  iudicandus  est.  Bei  grossen  öffentlicben 
Bauten  nuHus  ducum  vel  comitum,  nullus  episcoporum  vel  abbatum  excu- 
saretur  aliquo  modo. 

^)  Cap.  Theod.  805  (1, 133),  c.  6,  wo  die  Grafen  einzeln  benannt  sind, 
die  zur  Aufsicht  über  die  grosse  Handelsstrasse  Ton  Sachsen  nach  dem 
Lande  der  Slaven  und  Avaren  f&hrte;  s.  unten  S.  436  Anm.  1. 

»)  Epistola  Karoli  ad  Offam  regem  Merciorum  (Walter  11,  124)  K^ 
gotiatores  quoque  Toiumus,  ut  ex  mandato  nostro  patrocinium  habeant  io 
regno  nostro  legitime,  et  si  in  aliquo  loco  iiyusta  affligantur  oppressione, 
reclament  se  ad  nos  vel  nostros  iudices;  vgl.  die  Urkunde  Ludwigs  Bon- 
quet  VI,  p.  649  —  652.   WaitzIV,  37. 

^)  Die  besondere  Ermächtigung  hiezu  in  Dipl.  Ludov.  (Bonqo.  VI,  650) 
concessimus  eis  de  rebus  eorum  propriis  commutationem  facere  et  pro- 
prium suum  cuicumque  voluerint  vendere  war  wohl  nur  eine  Anwendung 
eines  allgemeinen  Grundsatzes  zu  Gunsten  der  Juden;  sie  sollten  den 
übrigen  im  Yerkehrsrechte  gleichgesteUt  sein.  Vgl.  über  die  Ausdehnung 
dieses  Grundsatzes  bes.  Urk.  Karls  Bouquet  779,  V,  742:  nbiconqoe  in 
regno  nostro  negotiantes  ipsius  sancti  loci  (St  Germain)  pergere  Tellent 
sicut  ipse  Hrobertus  abbas  mercare  videtur,  tarn  ad  luminaria  comparanda 
vel  pro  reliqua  necessitate  discurrentes ,  tarn  ultra  Ligere  quam  citra  Li- 
gere,  vel  in  Burgundia,  etiam  in  Provinda  vel  in  Francia  quam  It  ia 
Austria .  .  .  nuHo  tcloneo  nee  de  saumas,  nee  de  carrigine,  neqae  de  JOr 
vigio  neque  de  qualibet  redibitione  exinde  ad  partem  fisci  nostri  aiissi  m 
discurrentes  dissolvere  non  debeant 


—    488    — 

volkswirthschaftlicher  Interessen  erblickte,  zur  Ausbildung  des 
Marktverkehrs  in  ihrem  Gebiete  anzuregen.    Er  folgte  darin 
zunächst  einem  schon  von  seinem  Vater  g^ebenen  Beispiele, 
der  den  Bischöfen  dafQr  zu  sorgen  befahl,  dass  in  den  Städten 
in  gesetzlicher  Weise  Märkte  abgehalten  würden,   wenn  ge- 
nügende Eitragsüberschüsse  vorhanden  seien  ^).     Bald  aber 
ging  er  darüber  hinaus  und  zog  das  eigne  Interesse  der  Grund- 
herrn an  der  Abhaltung  von  Märkten  zur  BefÖrdeining  des 
inneren  Verkehi-slebens  heran;   die  Verleihung  der  mit  dem 
Marktrechte  verbundenen  Zollerhebung  *),  wie  später  die  Ein- 
räumung des  Münzrechts  ^)  an  solche  Marktoite  wurden  als 
Reizmittel  hierzu  benutzt;  bald  entstanden  an  allen  grösseren 
Orten,  besonders  an  den  Hauptsitzen  der  geistlichen  wie  welt- 
lichen Grundherrn  Märkte,   nicht  bloss  für  den  Eleinverkehr 
in  den  Gegenständen   des  täglichen  Bedarfs,    sondern  auch 
gi-osse  Jahi-märkte*),    auf  denen  sich  die   Händler  der  ver- 
schiedensten Gegenden  einfanden  und  die  Umsätze  wichtiger 
Handelswaaren    im   Grossen    bewerkstelligten.      Und    diese 
Praxis  ist  dann  von  den  späteren  Königen  beibehalten^),  ja 
bis  ins  Masslose  geübt  worden ;  nur  verändert  sie  immer  mehr 
ihren  ursprünglichen  Charakter,  indem  sie  aus  einer  handels- 
politischen Massregel   wie   sie  Karl  gehandhabt,   zu   einem 
Mittel  vrird ,  politische  Vortheile  zu  erkaufen  und  schliesslich 


^)  Cap.  744  (I,  21),  c.  6:  Et  per  omnea  cmtates  legitimas  foras  et 
mensnras  faciat  secuodum  habundantiam  temporis. 

')  Urk.  Ludw.  und  Lothars  829  (Schannat  Worm.  n,  n.  5)  episcopo . . 
qaanticimque  negotiatores  vel  artifices  seu  et  Frisiones  apud  Vangionuin 
ciTitatem  (Worms)  devenissent,  omne  telonium,  undecimque  illud  fiscus  et 
in  praedicta  dvitate  et  in  castellis  Lobedunburg  et  Winpina  ezigere  po- 
terat...  concednnt  Vgl.  viele  Stellen  ans  ürk.  Ludwigs  und  Karls  d.  Gr. 
bei  WaitE  IV,  45  u.  57. 

*)  Von  Karl  d.  Gr.  sind  solche  nicht  mit  Sicherheit  nachzuweisen, 
würden  auch  den  sonst  (s.  o.  S.  430  A.  3)  ausgesprochnen  Grundsätzen 
über  die  Ordnung  des  MOnzwesens  widersprechen;  Waitz  lY,  8L 

*)  S.  u.  S.  449,  A.  4  u.  5. 

*)  Urk,  Ludw.  f&r  Gorvey  (Erhard  reg.  S.  8)  quia  locum  mercationis 
ipsa  regio  indigebat,  monetam..  ibi  semper  inesse..  statoimus. 

▼  on  Inaina-Sternegg,  WirtbMhAftai^cliichte.    I.  28 


—    484    — 

in  eine  wahre  Verschleuderung  der  Hoheitsrechte  desRdchs 
auf  dem  Gebiete  des  Verkehrswesens  ausaitet  0* 

In  ganz  ähnlicher  Weise  hat  andei-seits  auch  die  Ver- 
leihung von  Zollfreiheit  ^)  wie  Oberhaupt  die  weise  Selbst- 
beschränkung Karls  d.  Gr.  in  Erhebung  von  Zöllen  für  den 
Fiskus ')  im  Ganzen  das  Gepräge  einer  zu  Gunsten  der  Be- 
lebung des  Verkehrs  geübten  Verwaltungspraxis,  während  in 
späterer  Zeit  die  Zollfreiheiten  mit  der  Immunität  und  den 
sonstigen  Exemtionen,  besonders  der  geistlichen  Grossen,  ein 
Ausdruck  einer  schwächlich  gewordenen  Reicfasgewalt  und 
einer  bankerotten  Handelspolitik  sind. 

Wie  es  aber  überhaupt  Karls  Art  gewesen  ist,  dass  er 
über  dem  Eingehen  in  das  kleinste  Detail  der  Wirthschaits- 
führung  die  grossen  Ziele  seiner  wirthschaftlichen  Politik  nicht 
aus  dem  Auge  verlor ,  so  hat  sich  auch  seine  Thätigkeit  zu 
Gunsten  des  nationalen  Verkehrs  nicht  in  Pflege  der  Märkte 
und  Sorge  für  gute  und  sichere  Strassen  erschöpft.  Er  rich- 
tete seinen  Blick  auch  über  die  Grenzen  seines  Reiches  hinaus, 
erspähte  die  Vortheile,  welche  aus  geregelten  Handelsbeziehun- 
gen mit  fremden  Ländern  erwachsen  konnten  und  suchte  mit 
den  reichen  Mitteln  seiner  gi*ossartigen  Verwaltung  den  An- 
gehöiigen  seines  Reiches  die  Wege  zu  bahnen,  auf  denen  sie 
den  Ueberfluss  nationaler  Producte  absetzen  und  die  Waaren 
anderer  entlegener  Productionsgebiete   regelmässig   beziehen 


^)  Besonders  die  Yerleihang  des  Münzrechts,  die  sich  immer  eng  ss 
das  Marktrecht  anschloss,  ist  hier  lehrreich;  nach  Conrey  (s.  o.  A.  5 
haben  in  dieser  Periode  Worms,  Strassburg,  Prüm,  Hamburg,  Eichstäd: 
dasselbe  erworben;  s.  die  Stellen  bei  Waitz  IV,  82. 

s)  Schon  Pipin  hat  dem  Kloster  Prüm  (Beyer  I,  18)  Zollfreiheit  to- 
liehen;  benefidum  ibidem  visi  fuimus  concedere,  ut  nbicunque  infra  nffA 
nostra  homines  ipsius  monasterii  pro  verilitate  vel  stipendia  monachonnB 
in  quacunque  civitate  vel  porto  negotiandi  porrexerint,  nulle  teloneo  vel 
barganatico  neque  ex  navali  remigio  neque  saumarüs  vel  de  cairali  erec* 
tione  solvere  nee  reddere  debeant. 

^)  Gap.  779  (I,  38)  c.  18:  De  teloneis  qoi  jam  antea  forbacniti  fdenm^ 
nemo  tollat  nisi  ibi  ubi  antiqao  tempore  fueront  AehnUch  Cap.  Maut 
(I,  41)  c.  8.  Cap.  miss.  803  (I,  122)  c  6.  Cap.  Nium.  806  (I,  144)  c  l^^ 
und  viele  Einzelbestimmungen  s.  Waitz  lY,  47  £ 


—    435    — 

konnten.  So  emsig  er  aber  einerseits  bemüht  war,,  die 
Handelsthätigkeit  des  eignen  Volkes  zu  beleben,  so  bereit- 
willig liess  er  sich  doch  anch  finden,  Fremden  Handelsfreiheit 
im  eignen  Reiche  einzuräumen,  wo  der  einheimische  Markt 
dadurch  an  Reichhaltigkeit  und  Güte  der  Zufuhr  gewinnen 
konnte^);  diese  unverkennbare  Hinneigung  zu  einer  inter- 
nationalen Auffassung  der  Handelspolitik  hielt  ihn  aber  doch 
nicht  ab,  der  Ausfuhr  in  die  Fremde  oder  dem  Eingange  der 
Fremdwaare  Schranken  anzulegen,  wo  die  Deckung  des  ein- 
heimischen Bedarfs  gefährdet  war,  oder  höhere  politische  und 
Machtinteressen  in  Frage  kommen  konnten  ^). 

£s  wird  immer  zu  den  ruhmreichsten  Blättern  der  6e- 

« 

schichte  dieses  grossen  Kaisers  gehören,  dass  er  die  eminente 
Bedeutung  der  grossen  ost-westlichen  Welthandelsconjunctur 
richtig  zu  würdigen  verstand  und  bemüht  war,  dieselbe  auch 
der  Volkswiithschaft  des  eignen  Reiches  dienstbar  zu  machen. 
Freilich  sind  es  mehr  nur  Anzeichen  als  bündige  Beweise, 
welche  für  eine  solche  Annahme  vorliegen.  Aber  wenn  wir 
sehen'),  wie  Karl  die  Avaren  bezwingt  um  den  Donauweg 
nach  Konstantinopel  wieder  frei  zu  machen ;  wie  er  für  sein 
Volk  den  Donaumaincanal  anlegt^)  und  eine  grosse  Verkehrs- 


^)  So  berichtet  das  Gfaronicon  Altinate  (Arch.  stör.  itaL  YIII,  p.  220): 
coofirmayit  (Earolus)  inter  Italiae  et  Venetiae  regiones  omnia  per  ordinem 
consaetadinis  Marchae  dare  et  negotium  habere;  auch  mehrere  Bestä- 
tigungsbriefe  sp&terer  Kaiser  und  Könige  berufen  sich  auf  dieses  (nicht 
mehr  Torhandene)  Diplom  Karls  d.  Gr.;  Heyd  Levantehandel  I,  124 
Epist.  ad  Offam  (Walter  U,  124  £)  s.  o.  S.  482,  Anm.  2. 

*)  Gesta  abb.  Font  16  (SS.  II,  291).  Rex  potentissimus . .  praecepit, 
nt  nemo  de  Brittania  insula  ac  gente  Anglorum  mercimonii  causa  littus 
oceani  maris  attingeret  in  Gallia.  Sed  hoc  ne  fieret,  admonitione  ac  sup- 
plicatione  yenerandi  patris  Gervoldi  inhibitum  est.  Alcuin.  ep.  Bouqu.  Y, 
607;  TgL  Guärard  Irm.  I,  787. 

')  Vgl.  Giesebrecht,  Kaisergeschichte  I,  118  f. 

^)  Ann.  Einh.  a.  798 :  Et  cum  ei  persuasum  ess^  a  quibusdam  qui 
id  sibi  compertum  esse  dicebant,  quod  si  inter  Bedantiam  et  Alomonam 
(Rednitz  und  Altmühl)  fluvios  eiusmodi  fossa  duceretur,  quae  esset  navium 
capax,  posse  percommode  a  Danubio  in  Rhenum  navigari,  quia  horum 
üurioram  alter  Danubio  alter  Moeno  miscetur,  confestim  cum  omni  comi- 
tatu    suo    ad   locum  venit  ac  magna   hominum  multitudine    congregata, 

28» 


—    486    - 

Strasse  nach  dem  Lande  der  Slaven  nnd  Avaren-  emriehtet^), 
die  doch  ihrerseits  als  Nachbarn  der  Griechen  schon  onmittel- 
baren  Antheil  an  den  Prodncten  des  Levantehandels  hatten; 
wenn  wir  soine  Bereitwilligkeit  erfinden,  den  Bompilgern 
seinen  besonderen  Schutz  zu  gewähren,  auch  wenn  sie«  wie  so 
häufig,  Pilger  und  Kaufleute  in  einer  Person  waren');  wenn 
wir  seine  Schiffe  im  Mittelmeere  mit  Griechen  und  Arabern 
im  Kampfe  finden  ^) ;  und  wenn  wir  endlich  Karls  allgemeines 
Interesse  für  den  Orient^),   seine  AnknüpfungsTersache  mit 

totam  autanmi  tempus  in  eodem  opere  consompsit  Auch  Ann.  Lauresk 
Laur.  maj.  6uel£  S.  Emmer.  Wenn  Heyd  Levantehandel  I,  91  dem  Pro- 
ject  nur  die  Bedeutung  beimisst,  dass  es  dem  Transport  der  Wuren 
aus  dem  Donaugebiet  ins  Rheingebiet  Vorschub  leisten,  keineswefp  aber 
dem  Levantehandel  dienen  sollte,  von  dem  Karl  d.  Gr.  recht  gut  gewnsst 
habe,  dass  er  sich  an  der  Donaustrasse  nicht  einrichten  lasse,  so  vergisst 
er,  dass  das  Unternehmen  eben  nach  der  ersten  Niederwerfung  der  ATirea 
unternommen  wurde,  dass  gleichzeitig  (s.  1.  Abschn.  S.  212)  deutsche 
Colomsation  weit  nach  Osten  vorgeschoben  wurde  und  dass  fiberhsiipt 
die  lebhaftesten  Beziehungen  Karls  zum  Orient  gerade  in  diese  Zeit  fsUeSt 
so  dass  der  Gedanke  nahe  genug  lag,  einen  levantinischen  Handelnoi 
durch  das  neugewonnene  Baiem-  und  Avarenland  einzurichten  nnd  ihn 
mit  dem  ersten  Spatenstich  am  Donau-Mainkanale  feierlich  zu  inangonren 

^)  Gap.  Theod.  805  (I,  133}  c  7:  De  negotiatoribus  qui  partibusScbr 
vormn  et  Avarorum  pergunt,  quousque  procedere  cum  suis  negotiis  de* 
beant,  id  est  partibus  Saxoniae  usque  ad  Bardaenowic,  ubi  praevideit 
Hredi,  et  ad  Schezla,  ubi  Madalgaudus  praevideat;  et  ad  Magadobarf 
praevideat  Aito.  Et  ad  Erpesfurt  praevideat  Madalgaudus  et  ad  Halusttf 
praevideat  item  Madalgaudus.  Ad  Foracheim  et  ad  Breemberga  et  d 
Ragenisburg  praevideat  Audulfus  et  ad  Lauriacum  Wamarina. 

*)  Epist.  ad  Offam  (Walter  II,  125):  De  peregrinis  rero  qni  pro 
amore  Dei  et  salute  animarum  suarum  beatorum  apostolomm  limina  desi- 
derant  adire,  cum  pace  sine  omni  perturbatione  vadant  Sed  si  aliqni  Don 
religioni  servientes  sed  lucrum  sectantes  inter  eos  inreniantur,  locis 
opportunis  statuta  solvant  telonea.  Ygl.  a.  Einhard  vita  G.  c.  27:  Gira 
pauperes  sustentandos  et  gratuitam  liberalitatem..  devotissimos,  nt  qm 
non  in  patria  solum  et  in  regno  suo  id  ftusere  curaverit,  Temm  tmü 
maria  in  Syriamibt  Aegiptum  atque  Afiicam,  HierosoUmis,  Alexandme 
atque  Garthagini,  ubi  christianos  in  paupertate  vivere  conperent,  paeDunie 
illorum  compatiens,  pecuniam  mittere  solebat ;  s.  a.  Heyd,  LevantehaDdel  101. 

>)  Einh.  ann.  ad  a.  806,  809,  810. 

*)  Vergl.  den  Ausruf  Karls  den  byzantinischen  Gesandten  gegenüber 
bei  Monach.  SangalL  (SS.  11,  743)  I,  26 :  0 !  utinam  non  esset  iDe  gnf|i- 


—    487    — 

Haron  Alraschid  berQcksichtigen  ^),  so  sind  das  am  Ende  doch 
der  Thatsachen  genug,  um  ihm  eine  zielbewusste  Handels- 
politik auch  nach  dieser  Seite  hin  zuzuschreiben.  Mag  immer- 
hin das  was  er  damit  erreicht  unbedeutend,  der  Handel 
Deutschlands  mit  der  Levante  in  diesem  Zeitraum  ohne  un- 
mittelbai-en  Belang  fQr  das  volkswirthschaftliche  Leben  ge- 
blieben sein;  die  Tbatsache,  dass  in  dieser  Zeit  tiefsten  Dar- 
niederliegens  der  Handelsbeziehungen  des  Ocddent  mit  dem 
Orient  in  selbständiger  Weise  eine  Initiative  von  Deutschland 
ausging,  ist  an  sich  ruhmvoll  für  den,  der  sie  geschaffen,  und 
ging  auch  in  ihren  Wirkungen  nicht  verloren.  Was  die  fol- 
gende Zeit  zur  Wiederaufnahme  dieses  Welthandelsverkehrs 
leistete,  das  wird  in  seinen  ersten  Anfängen  immer  wieder 
auf  die  grosse  Zeit  zui-ückverweisen,  in  der  Karl  d.  Gr.  in  Jeru- 
salem ein  Hospital  fllr  deutsche  Eaufleute  gründete^)  und 
Friesischen  Tttcheni  zuerst  den  Weg  nach  dem  fernen  Osten 
bahnte  *). 

Freilich  war  nicht  die  Summe  aller  levantinischen  Handels- 
beziehungen jener  Zeit  Karls  eigenste  Schöpfung;  er  hat  aber 
auf  diesem  Gebiete  wie  überall  der  Volkswirthschaft  reiche 
Anregung,  stets  bereiten  Schutz  gewährt  und  im  Einzelnen 
mit  Elfolg  seine  thatkräftige  Mitwirkung  an  der  Vervoll- 
kommnung der  Zustände  eingesetzt. 

Und  es  erscheint  das  alles  um  so  werthvoUer  angesichts 
der  Thatsache,   dass  die  Zustände  des  Welthandelsverkehrs, 


tolos  ioter  hob;  forsitan  divitias  orientales  aut  partiremur,  aut  pariter 
participando  communiter  haberemuB. 

')  Einb.  Vita  c.  16.  Monach.  SangaU  (SS.  U,  743,  761.)  Ueber  seine 
Schutzhemchaft  in  Jernaalem  Einh.  Vita  L  c.  16.    8.  Waitz  III,  169. 

*)  Heyd  I,  101.  Unmittelbar  vor  demselben  lag,  gewiss  nicht  ohne 
Bedehang,  der  Markt,  anf  welchem  man  g^en  eine  Abgabe  von  2  Gold- 
stücken im  Jahre  Waaren  feil  halten  konnte;  s.  Bemardi  monacM 
Frand  itinerariom  bei  Tobler  descriptiones  terrae  sancta^  (Lips.  I,  1874) 
p.  911 

')  Solche  befanden  sich  unter  den  Geschenken  an  den  Ghalifen  Harun 
Alraschid  und  der  Monach.  SangaU.  betont  ausdrücklich  II,  9  (SS.  II,  752) 
Fresonica  alba,  cana,  yermiculata  ?el  saphirina,  quae  in  illis  partibns  rara 
et  multom  cara  comperit 


—    438    — 

besonders  des  fränkisch-levantinischen  Handels  unter  den 
Nachfolgern  Karls  kläglich  in  Verfall  gerathen  sind.  Im  Nor- 
den störten  die  Normannen  alle  geregelten  Beziehungen  und 
hoben  jede  Sicherheit  des  Verkehrs  auf;  im  Süden  des  Reiches 
setzten  sich  arabische  Piraten  fest,  machten  aus  fast  allen 
Inseln  des  yordei*en  Beckens  des  Mittelmeers  gefdrchtete 
Raubnester  und  liessen  den  Gedanken  einer  Seefahrt  von 
Frankreich  nach  dem  Orient  gar  nicht  mehr  aufkommen;  ^ar 
ja  doch  selbst  der  Landverkehr  in  Italien  so  unsicher  ge- 
worden, dass  kein  Rompilger  vor  arabischer  Gefangenschaft 
sicher  sein  konnte^). 

Den  Landweg  nach  dem  Osten  aber  yerlegten  den 
Deutschen  immer  mehr  die  Böhmen  und  Mähren,  sowie  an 
der  untern  Donau  die  Ungarn,  bald  nicht  minder  gefähr- 
liche Feinde  des  Reichs  und  seiner  Cultur  als  die  Nor- 
mannen und  die  Saracenen');  und  wenn  auch  auf  diesem 
Wege  nicht  aller  ^  Verkehr  mit  dem  Orient  aufhörte  •),  so 
hatte  doch  das  Reich  schon  aufgehört,  der  Träger  seiner 
Interessen  zu  sein. 

Was  wir  von  selbständigen  HandelsbemQhungen  des  Volkes 
in  dieser  Zeit  wahrnehmen,  das  geht  zum  Theil  von  gi-ossen 
GrundheiTU  aus ,  welche  in  der  Pflege  eines  regen  Producten- 
handels  den  Schlussstein  des  Gebäudes-  ihi'er  wirthschafüicheu 
Organisation  erblickten,  und  gehört  zum  andern  Theile  einer 
allerdings  wenig  zahlreichen  aber  rührigen  Klasse  von  selb- 
ständigen Eaufleuten  an,  die  sich  unter  dem  Schutz  des  Königs 


1)  Heyd,  Levantehandel  I,  S.  108. 

*)  Gieaebrecht,  Eaisergeschichte  I,  159,  169  ff.  Eiaselbach,  Gang  de$ 
Welthandels,  S.  41. 

')  Nach  Ihn  Eordadbeh,  Routenbach  (854—874)  deutsch  von  Sprenier 
Ib  den  Abhandlungen  der  morgenl.  Gesellsch.  III,  3  konnte  man  auf  dem 
Landwege  aus  dem  Westen  Europas  mitten  durch  Deutschland  nach  dtf 
Chasarenhauptstadt  (Itil),  von  da  über  das  kaspische  Meer  nach-Transo- 
xanien  (Balkh),  endlich  durch  das  Land  der  Tagazgaz  in  Centnüasien  nadi 
China  kommen;  Heyd,  I,  87.  Die  Raffelst&tter  Zollordnung  Tom  J.  90S 
(LL.  III,  481)  Bedenkt  der  Handelsbeziehungen  zwischen  Baien,  Mihrea 
und  Russland  (nugi)  und  erw&bnt  einen  mercatus  Marahorum. 


—   439    — 

und  der  Grossen  des  Reiches  frei  zu  behaupten,  ja  mit  ihren 
Diensten  unentbehrlich  zu  machen  verstanden. 

Die  Stellung  der  gi'ossen  Gutswirthschaften  im  nationalen 
Wiithschaftsleben  ist  durch  die  weittragenden  Veränderungen 
und  Verbesseiiingen  in  Organisation  der  Arbeit,  der  Bodenbe- 
nutzung und  Betriebsweise  von  Grund  aus  umgestaltet  worden. 
Ihre  Wirthschaft  war  darauf  angelegt,  den  Eigenbedarf  zu 
übersteigen ') ;  die  Production  für  den  Markt  war  eine  innere 
Consequenz  der  Beherrschung  aller  volkswirthschaftlichen 
Kräfte  auf  weitem  Gebiete ;  ein  allgemeines  öffentliches  Inter- 
esse an  solcher  Production  machte  sich  geltend  wie  das  in 
den  Wirthschaftseinrichtungen  Karls  d.  Gr.  besonders  deutlich 
und  wohlverstanden  zum  Ausdruck  kömmt. 

Diese  Ueberschösse  der  eignen  Production  auf  dem  Markte 
zu  verwerthen,  Geld  oder  sonstige  Gegenstände  des  Bedarfs 
für  den  Fronhof  einzutauschen,  auch  die  dienenden  Wirth- 
schaften  nach  Bedüi-fhiss  damit  auszustatten,  das  war  schon 
früh  eine  angelegentliche  Sorge  der  Grundherrn*).  Wohl 
mochte  von  solchen  Ueberschüssen  mancher  Betrag  noch  an 
fahrende  Kaufleute  gegeben,  also  in  der  Art  verwerthet  werden, 
wie  etwa  der  kleine  Gnindbesitzer  schon  in  der  älteren  Pe- 
riode den  zufälligen  Ueberfluss  seiner  Ernte  oder  seiner 
Naturaleinkünfte  zu  verkaufen  pflegte.    Aber  doch  tritt  bei 


0  Der  Getreidevorrath  auf  4  königUchen  Villen  belief  sich  nach  Brev. 
rer.  fisc.  (I,  178  ff.)  von  der  vorletzten  und  der  letzten  Ernte  nach  Abzug 
aller  Verwendungen  zu  Saatgetreide  und  Verpflegung  der  Hofleute  auf 
5420,  2040,  582  und  880  modios,  im  Ganzen  also  8920  mod.,  welche  zur 
freien  Verfügung  der  Gutsyerwaltung  standen. 

*)  Karl  d.  Gr.  gab  auch  in  dieser  Hinsicht  im  Cap.  de  vill.  verschie- 
dene Weisungen;  c.  8:  Vinum  peculiare  comparando  emere  faciant,  nnde 
villas  dominicas  condirigere  possint;  c  22:  Coronas  de  ramecis  (Schenken) 
qui  vineas  habuerint,  non  minus  3  aut  4  habeant.  c  28:  nostrum  argen- 
tum  de  nostro  laboratu.  c  33:  Post  ista  omnia  segregata  et  seminata 
atque  peracta,  quicquid  reliquum  fuerit  ezinde  de  omni  conlaboratu  usque 
ad  verbum  nostrum  salvetur,  quatenus  secundum  iussionem  nostram  aut 
venundetnr  aut  reservetur;  c.  39 :  Volumus  ut  pullos  et  ova,  quos  servien- 
tes  vel  mansuarii  reddunt  per  singulos  annos  recipere  debeant;  et  quandn 
non  servierint,  ipsos  venundare  üaciant.  ' 


—    440    — 

grossen  Giiindherni ,  besonders  den  Stiftern  und  Klöstern  mit 
wohlgogliederter  Selbstverwaltung,  eine  rege  Handelsbemtthanii: 
auf  eigne  Rechnung  und  Gefahr  häufig  genug  henror^)  und 
lässt  sich  deutlich  als  Theil  des  von  ihnen  organisirten 
Wirthschaftssystems  erkennen.  Sie  senden  ihre  Mönche  ans, 
um  Kleider  und  Gewebe  einzukaufen  ^)  oder  sonstigen  Bedarf 
an  Geleuchte  für  die  Kirchen^),  .an  Gewerbsproducten  oder 
fremder  Leckerspeise  zu  beschaffen^);  sie  statten  Schiffe  aus, 
mit  denen  sie  die  fernen  Märkte  befahren  ^) ;  und  die  immer 
wiederkehrenden  Bestrebungen,  Zollfreiheit  fdi*  ihre  Handels- 
fahi-ten  zu  erwerben,  beweisen  schon,  wie  sehr  die  Erleich- 
teiung  des  Verkehrs  zu  ihren  dringendsten  Anli^en  gehört 
Sie  richten  an  fi*emden  Orten  Wage^)  und  Hallen^)  ein,  in 


^)  Insofern  ist  die  Bemerkong,  welche  Waitz  II,  602  g^en  Falke 
Zollweeen  S.  8  macht,  nicht  zutreffend. 

*)  SS.  II,  97:  Tntilo...  quam  erat  homo  itinerarios  lateqne  tenaniiB 
et  urbium  gnarus,  missas  est...  pro  communi  causa  Mogantiam  üüqae 
pro  pannis  laneis  emendis. 

•)  S.  S.  Urk.  779  oben  S.  432  A.  3. 

^)  ürk.  f.  Prüm  752—768  Beyer  I,  18  ubicumque  homines  ipsins  mo- 
nasterii  pro  yerilitate  vel  stipendia  monachorom  in  quacomque  ciTitate 
vel  porto  negotiandi  porrexerint.  Meichelb.  889,  Ib,  901:  sex  cam  liceit 
ei  (monasterio  Campidona)  dinigere  ad  Hallam  propter  aal  acdpiendiini 
et  ad  necessaria  fratnim  in  eodem  monasterio  degentinm  dednoendmiL 
Auch  Gewürz  und  Südfrüchte  wussten  die  Klöster  zu  sch&lzen  (Mon. 
Sang.  I,  18)  und  Tom  französischen  Corbie  heisst  es  ausdrücklich:  ItUe 
sunt  pigmentae  quas  ad  Camaracum  (Cambray)  debemua  companie; 
Gu^rard  Irmin.  II,  p.  836. 

*)  Cod.  Laur.  858,  n.  31  liceat  memorato  abbati  et  monachis  sibi  sub- 
jectis,  unam  navem  illorum  per  Renum  fluyium  huc  illucqne  diaconrere  et 
ad  portum  Wormaciam  dvitatem  absque  uUo  theloneo  penrenire.  LacombL 
Urk.  B.  821  I,  n.  41  für  die  Abtei  Comelimünster:  de  nayibns  qoae  per 
diversa  flumina  imperii  nostri  pro  qualibet  re  discurrunt,  quam  et  de  caim 
et  sagmarüs  necessarüs  ipsius  monasterii . . .  in  integrum  conoesaimat,  ot 
nullus  quilibet  theloneum  aut  aÜquam  exactionem  acdpere  an!  engere 
praesumat. 

«)  Cod.  Fuld.  817,  n.  366 :  Isti  sunt  testes  de  illo  naute  et  de  Ulo 
debito  ad  Dienenheim  et  de  iUa  statera. 

^)  Das  bedeutet  wohl  der  Ausdruck  forum  publicum  oonttniere  ia 
einer  Urk.  bei  Waitz  IV,  45  A.  1;  tou  den  Fruchtspeichern  der  Klöster 
am  Inselmarkte  in  Köln  s.  Nitsch  Ministerialit&t  S.  200. 


-    441     - 

denen  sie  den  Verkauf  der  eigenen  Produete  besorgen,  und 
wissen  schon  als  rechte  Kaufleute  der  Rückfracht  den  Charakter 
einer  Handelswaare  abzustreiten,  damit  sie  für  dieselbe  mit 
MarktaoU  und  Wegeabgaben  nicht  weiter  in  Anspruch  ge- 
nommen wurden. 

Die  Organisation  der  Arbeit  und  des  grundherrlichen 
Dienstes  bot  ihnen  reiche  Gelegenheit,  alle  Einrichtungen, 
welche  von  Alters  her  für  die  Förderung  des  öffentlichen  Ver- 
kehrs bestanden,  ihren  Interessen  dienstbar  zu  machen,  und 
neu  aufgekommene  Arten  von  Dienstleistungen,  Fuhren^  Pferde 
und  Botendienst  aller  Art  in  ähnlicher  Weise  ihrem  eigenen 
Wirthschaftsbedürfnisse  anzupassen.  Insbesondere  sind  es 
jene  zwei  grossen  Verkehrseicrichtungen  der  angaria  und  para- 
feredi,  welche  in  Neustrien  zum  Theil  als  Nachklänge  römi- 
scher Staatsvei-waltung  ^)  schon  in  der  vorigen  Periode  be- 
standen^), in  Deutschland  aber  doch  ei*st  während  der  Karo- 
lingerzeit ihre  volle  Ausbildung  und  Verwei-thung  erhalten 
haben.  Der  angaria  gedenkt  hier  zueilst  jener  Zusatz  zum 
bairischen  Volksrechte,  der  aus  der  Zeit  Pipins  stammt  und 
die  Leistungen  der  Colonen  uud  Unfreien  der  Kirche  regelt^). 
Wie  diese  hier  schon  unverkennbar  den  Charakter  einer  im 
Interesse  des  Verkehi-s  auferlegten  Leistung  an  sich  trägt,  so 
tritt  sie  in  späteren  Documenten  deutlich  als  solche  auf^), 


')  Von  den  angariae  Cod.  Theod.  VI,  29,  2;  Xu,  12,  11;  Till,  5. 
Von  den  veredi  und  paraveredi  C.  Th.  YIU,  5. 

^)  Ueber  angaria  Pardessos  720,  n.  512.  Marcolf  11, 1.  Auch  bei  den 
Weatgothen  nach  Gonc  Toled.  III,  589,  c  21.  L.  Wisig.  XII,  1,  2.  Para- 
feredi  bei  Marcolf  I,  11;  II,  1.  Dipl.   Chilperici  II,  716.  Pardesaus,  n.  501. 

')  L.  Bai.  I9  13*  Angariam  cum  carro  £ftciant  usque  50  leugas;  am- 
plins  non  minentnr.  Der  Aasdruck  kömmt  schon  in  Tr.  Wizz.  719, 
n.  267  Tor,  wo  der  Graf  Adalcbardus  Güter  von  Weissenburg  zu  bene- 
fidom  erhält,  gegen  Zins  und  2  angarias;  es  bleibt  hier  aber  nnentschieden 
welcher  Art  diese  Leistnng  war. 

^)  Beg.  Pmm.  c  25,  p.  158:  In  angaria  ^/s  carrom;  inter  totos  boves  7  ; 
c.  29,  p.  160:  In  angaria  inter  4  earram  1.  c  55,  p.  175:  facit  angariam 
ad  Promiam  c  90,  p.  188:  Angariam  de  Ära  ad  Novum  Monasteriom  et 
de  NoTO  Monasterio  ad  Prumiam  u.  0.  8.  a.  Tr.  Wizz.  788,  n.  197: 
üaciatis  nnum  angrnm  de  Aganbach  nsque  ad  monosterium  Wizzenburgo. 


—    442    — 

und  spielt  für  die  Ausbreitung  und  Verbesserung  geregelter 
Verkehi-sbeziehungen  im  Dienste  der  grossen  Grundherrn  ent- 
schieden eine  hervorragende  Rolle.  Insbesondere  sind  es  die 
Getreide-  und  Weinfuhren  ^),  welche  die  Gitindhörigen  nach 
festem  Ausmasse  ihrer  Verpflichtung  zu  übernehmen  hatten, 
sei  es,  dass  Ueberschüsse  der  Production  eines  herrschaftlichen 
Gutes  nach  einem  andern  oder  zu  Markte  gebracht»  oder  dem- 
selben Zufuhr  an  solchen  Gütern  geliefert  werden  sollte. 
Dieser  Fuhrdienst,  in  der  Regel  mit  einem  Ochsenpaare ')  ge- 
leistet, ersti*eckte  sich  oft  auf  sehr  lange  Strecken  und  war 
für  das  ganze  Gebiet  der  grossen  Gi-undherrschaften,  im  Ein- 
zelnen auch  für  weit  entlegene  Märkte  oder  wichtige  Verkehrs- 
punkte eingerichtet;  von  der  Gesammtbedeutung  desselben 
*für  die  Verhältnisse  des  Transports  und  der  Güterbew^jung 
jener  Zeit  gibt  voiTsugsweise  das  Prümer  Register  eine  Vor- 
stellung, in  welchem  nicht  weniger  als  cc.  700  mehr  oder 
weniger  weite  Fuhren  als  angariae  verzeichnet  sind. 

Auch  die  paraferedi  erscheinen   schon  in  jenem  Zusatz 
zum  bairischen  Volksrechte  ^)   als  Einrichtungen   zur  Pflege 


>)  Reg.  Prüm.  c.  6,  p.  148:  Ducit  ad  monasterinm  de  Bpelta  mod.  15 
angariam  integram;  c  10,  p.  150:  In  angera  dudt  de  vino  cairadam  1 
et  pro  ligno  carradam  dimidiam;  c.  45,  p.  166:  Faciunt  angarias  inmeDse 
maio  et  decembre;  bI  frumentum  duxerit  aut  sigulum,  tone  dadt  anas- 
quisque  carra  mod.  12,  si  avena  mod.  20;  et  in  maio  si  firumentum  doxerit 
mod.  15,  si  avena  20.  c  46,  p.  172:  In  angaria  ducont  de  Tino  cair.  ^; 
dttcunt  mense  novembri  avena  mod.  160  aut  de  aido  mod.  80.  c  54, 
p.  174;  c.  62,  p.  178:  Angarias  2  onam  de  vino,  alteram  de  aonona; 
c.  58,  p.  177:  Summa  angariorum  illarom  coriamm..:  docunt  adPramiam 
de  vino  seu  de  annona  carr.  250,  ad  Novum  Monasteriom  aimiliter.  S.  i. 
c.  55,  p.  175;  c.  64,  p.  179;  c.  104,  p.  192.  S.  a.  Urk.  765  bei  Galmet, 
bist  d.  Lorr.  I  pr.  282. 

')  Reg.  Prüm.  c.  46,  p.  171 :  fadt  angariam  mense  octobri  com  bovis 
2  et  carrum.  In  den  Urk.  782—814  bei  Lacombl.  Arcbir.  II,  294  sdidot 
dagegen  die  angaria  kein  Spanndienst  gewesen  zn  sein;  in  angaria  d  tri* 
ticum  est,  4  modios  portant,  si  dligo  est,  5;  si  avena,  6  usqae  pontem 
Senne  in  Brösele  qui  apellator  s.  Othele.  Et  de  ponte  snblerator  tmet 
unus,  ut  per  pontem  grana  transfundantur  in  navirn. 

*)  L.  Biy.  I,  13  de  colonis  vel  servis  ecdesiae.  Parafretos  doneot  «ot 
ipsi  vadant  ubi  eis  inionctom  fuerit. 


—    448    — 

der  grundherrlichen  Yerkehrsinteressen.  Es  war  im  wesent- 
lichen die  Beistellnng  von  Reitpferden  für  Boten  sowohl  als 
für  die  Reisen  der  Grundherrn  selbst,  wohl  auch  für  den 
Kriegsfall,  welche  durch  diese  Verpflichtung  der  abhängigen 
Leute  zur  Stellung  der  paraferedi  sicher  gestellt  und  geregelt 
werden  sollte.  Doch  trägt  diese  Leistung  auch  in  den 
deutschen  Gegenden  während  dieser  Periode  noch  immer 
nicht  ausschliesslich  einen  grundherrlichen  Charakter,  sondern 
¥rird  auch  im  Dienste  des  öffentlichen  Verkehrs  in  Anspruch 
genommen.  •  Die  Reichsverwaltung  war  darauf  bedacht ,  den 
Beiseverkehr  der  öffentlichen  Beamten  wie  des  Königs  selbst, 
mochte  er  in  Friedenszeiten  das  Land  durchziehen  oder  in's 
Feld  rücken y  dadurch  sicher  zu  stellen,  dass  die  Amtleute 
auf  den  königlichen  Villen  *),  die  Grafen  in  ihrem  Bezirke  *), 
die  Senioren  in  ihrem  Herrschaftsgebiete  die  Stellung  der 
paraferedi  zu  besorgen  hatten^).  Mochten  dann  auch  die 
letzteren  diese  Leistung  ihrerseits  von  ihren  Grundhol- 
den verlangen,  wie  sie  andere  öffentliche  Dienste  auf  sie 
llberwälzten  ^),  so  standen  die  paraferedi  dennoch  im  öffent- 
lichen Verkehi-sdienste ;  und  nur  ein  Missbrauch  der  Einrich- 
tung war  es,  wenn  solche  Pferde  von  Grafen  oder  Senioren 
dann  auch  für  ihre  eignen  Sonderinteressen  verlangt  wurden  ^). 


»)  Hincmar  Op.  n,  p.  138. 

^  Gap.  de  yüI.  c.  27:  ißt  comes  de  suo  ministerio  vel  homines  Uli 
qai  antiquitos  consueti  fuenint  missos  aut  legationes  soniare,  ita  et  modo 
inantea  et  de  parveridis  et  omnia  eis  necessaria,  solito  more  soniare  faciant. 
Csp.  826  (I,  256)  c.  10:  De  querela  H.  comitis,  qnod  pagenses  eias  para- 
-▼ereda  dare  recosant 

s)  Das  geht  daraus  hervor,  dass  die  Ornndherm  gerade  tod  den 
Freien  ihres  Bezirks  ganz  regelmässig  die  paraferedi  verlangen,  die  sie 
nach  den  Gesetzen  (Praecept.  pro  Hisp.  815,  Walter  II,  90;  Dipl.  Car. 
CalT.  844,  Balnze  II,  25;  Ed.  Pist.  864,  c.  26;  Capit.  Tusiac.  865  c.  8) 
ftir  den  öffenüichen  Dienst  zn  leisten  hatten;  vgl.  o.  S.  380. 

«)  8.  0.  4.  Abschn.  S.  379  f. 

^  Epistola  ad  Pippinum  807  (LL.  1, 107) :  Pervenit  ad  aures  dementiae 
nostrae  qnod  aliqui  duces  et  eonim  iuniores,  gastaldii,  vicarii,  centenarii 
seu  reliqui  ministeriales ,  falconarü,  venatores  et  ceteri  per  singcüa  terri- 
toria  habitantes  ant  discnrrentes ,  mansionadcos  et  parv.^redos  accipiant 
ndki  solom  super  libercs  homines,   sed  etiam  in  ecclesias  Dei.    Vgl.  das 


äAä,     

X  M,  M 

Im  Verlaufe  der  Karolingerherrschaft  ist  dann  aber  allerdings 
die  wachsende  Uebeimacht  der  gi-ossen  Grundherrn  und  die 
damit  erworbene  Immunität  auch  diesem  Zweige  der  Beichs- 
verwaltung  immer  mehr  feindlich  geworden;  die  immunen 
Gutsbezirke  werden  ausdrücklich  von  der  Leistung  der  para- 
feredi  ausgenommen  >)'  und  damit  diesem  öffentlichen  Institute 
überhaupt  der  Boden  unter  den  Füssen  entzogen.  Wie  auf 
anderen  Gebieten  die  ReichsTerwaltung  nichts  mehr  zu  leisten 
vermochte  und  die  Pflege  öffentlicher  Interessen,  die  Ordnung 
gemeinwirthschaftlicher  Leistungen  mehr  und  mehr  in  die 
Hände  der  gi'ossen  GrundheiTSchaften  aus  innerer  Nothwendig- 
keit  überging,  so  verwandelte  sich  auch  diese  ursprünglich 
rein  öffentliche  Einrichtung  schliesslich  in  eine  der  vielen 
Ginindlasten ,  in  welchen  die  Beschaffung  der  Mittel  für  die 
Zwecke  des  öffentlichen  Lebens  lange  Zeit  hindurch  fast  aus- 
schliesslich ihr  System  gefunden  hat.  Denn  die  Grund- 
herrn liessen  es  sich  nicht  beifallen,  selbst  wo  sie  durch  die 
Immunität  von  der  Leistung  der  paraferedi  befreit  worden 
waren,  nun  auch  ihre  Grundholden,  welche  dieselben  früher 
schon  für  sie  beschafft  hatten,  davon  zu  entlasten *);  viel- 
mehr bedeutete  die  Befreiung  von  dieser  öffentlichen  Last 
im  Wesentlichen  nichts  anderes  als  den  unbeschränkten  Ein- 
tritt der  Grundherrn  in  die  Berechtigung,  welche  früher  das 
Beich  gehabt,  die  Ausnutzung  einer  Einrichtung  für  ihre 
wirthschaftlichen  Sonderinteressen,  wefche  früher  dem  allge- 
meinen Interesse  des  Reiches  gedient  hatte. 

Zu  diesen  beiden  schon  in  älterer  Zeit  bekannten  Ver- 


Yerbot  für  die  Bischöfe  quasi  ad  receptionem  regia  Tel  legationem  a^jo- 
toria  quasi  petendo  accipere . . .  aut  ad  iter  aliquod  paraveredos  aal  liii 
quaelibet  accipiat,  id  est  rapiat.    Baluze  II,  624.    Waitx  IV,  19  fr. 

^)  Z.  B.  Immunität  für  Pr&m  775  Beyer  I,  xl  28;  ib.  815,  n.  48; 
ib.  828,  n.  57.  Vgl.  die  Beispiele  bei  Waits  IV,  19  und  Gnänurd  InuDOii 
p.  815. 

*)  Nach  dem  Reg.  Prüm,  wurden  der  Herrschaft  jährlich  262  penr 
▼eredi  gestellt.  Die  Leistung  wird  in  der  Regel  gana  allgemein  beuiehiMl: 
paraferedum  dat  z.  B.  c  10,  2.3,  30,  96;  doch  heisst  es  auch  bestimmter 
c  38,  p.  161 :  Dat  parafredum  ter  in  anno  ad  Wirdmrain,  ad  Promiam,  ia 
Salnise. 


-    445     - 

kefarseinrichtungen  tritt  nun  in  der  Periode  der  Karolinger 
noch  besonders  die  seara  hinzu,  und  ergänzt,  den  Bedürf- 
nissen der  Zeit  gemäss,  das  System  der  öfifentlichen  wie  der 
grundheiTlichen  Transportanstalten.  Bezog  sich  die  angaria 
auf  die  Fuhren  sowohl  zur  Herbeischaifung  wie  zum  Verkauf 
von  Waaren  auf  fremden  Märkten,  die  Stellung  der  para- 
feredi  der  Hauptsache  nach  wenigstens  auf  die  nöthigen 
Transportpferde,  so  scheint  die  scara  voi'zugsweise  die  peraön- 
liche  Leistung  zu  bedeuten,  welche  für  alle  Art  von  Transport 
bei  dem  Fuhrwerk  und  den  Pferden  nothwendig  war  Auch 
dieser  Dienst  scheint  ursprünglich  als  Königsdienst  entstanden, 
vielleicht  die  längst  anerkannte  Veipflichtung  der  Freien  zur 
Beförderung  des  Königs,  seiner  Beamten  und  Boten  und  zur 
Ableistung  von  Botendiensten  nur  mit  diesem  neuen  Namen 
bezeichnet  worden  zu  sein^);  doch  erscheint  auch  die  scara 
alsbald  allgemein  als  eine  besondere  Dienstleistung,  welche 
einzelne  Classen  von  abhängigen  Leuten  ihren  Grundherrn 
zu  verrichten  hatten  *) ;  und  es  sind  sehr  verschiedenartige 
Zwecke,  für  welche  sie  in  Anspruch  genommen  wird;  bald 
wird  mehr  eine  Transportleistung  ^),  bald  ein  Botengang  ^) 
oder    Ritt^),    bald    die   Nachrichtenbeförderung®)    oder   ein 


^)  Die  Bcara  erscheint  in  den  älteren  Urkunden  gerade  mit  solchen 
Leistnngen  in  Zusammenhang;  z.  B.  Immunität  f&r  Prüm  775  Beyer  n.  28: 
nee  Bcaras  vel  mansonaticos  seu  conjectos  tam  de  c^rrigio  quamque  de 
parafredoB.  Cap.  Bonon.  811  (I,  173)  c  2:  nee  de  wacta  nee  de  scara 
nee  de  warda. 

*)  Im  Reg.  Pmm.  sind  327  yerschiedenartige  scarae  vorgetragen;  28 
Leute  spedell  scararii  genannt. 

*)  Brev.  rer.  fisc  (Staffelsee  I,  177)  scaram  fadt  ad  vinom  dacendnm. 
Beg.  Pmm.  c.  69.  p.  181;  c.  Vi,  p.  182  scara  cum  nave  bis  in  anno  osqne 
ad  S.  Goarem  sive  ad  Dusbnrhc 

*}  Beg.  Pram.  c  67,  p.  180:  scara  pedestris;  c.  65,  p.  179;  c.  69, 
p.  181;  c  88,  p.  185:  scara  cum  pedibus. 

^  Reg.  Pmm.  c.  55,  p.  175:  scaram  facit  ad  Prumiam,  ad  Aqnisgrani, 
ad  Coloniam,  ad  Bonnam,  ad  S.  Goarem  sive  cum  eco  (eqno)  sea  cum 
pedibns;  scara  equestris. 

")  Als  solche  Toraemlich  erklärt  von  Caesarins  zum  Reg.  Pram.  c  5, 
p.  147:  Scaram  facere  est  domino  abbati  qnando  ipse  josserit  servire  et 
nundum   ^'ns   seu  litteras   ad  locnm   sibi  determinatum  deferre.    Auch 


—    446    - 

Handelsgeschäft  unter  diesem  Namen  verstanden^);  immer 
doch  ist  die  scara  aber  ein  Verkehrsdienst,  bei  dem  die  Pflich- 
tigen mit  ihren  eignen  Mitteln  oder  mit  den  Transportgelegen- 
heiten der  Herrn  peraönlich  deren  Interesse  am  Verkehr  und 
Transport  zu  vertreten  und  zu  fördern  hatten.  Diese  drei 
Verkehrsleistungen  haben  ihre  Bedeutung  für  jene  Zeit  ebenso 
sehr  darin,  dass  sie  die  wichtigsten  Zweige  des  ganzen  Be- 
daiis  der  Nation  an  Ti-ansportdiensten  deckten,  wie  in  der 
Allgemeinheit  und  guten  Anordnung,  mit  der  sie  von  den  ab- 
hängigen Leuten  allenthalben  gefordert  und  unter  einander 
sich  zu  ergänzen  geeignet  waren.  Wir  haben  in  ihnen  so 
ziemlich  alles  zu  sehen,  was  jene  Zeit  an  Verkehrsein- 
richtungen geschaffen  und  besessen  hat.  Was  sonst  noch 
derart  allgemein  oder  an  einzelnen  Leistungen  f&r  den 
Verkehr  und  Transport  erwähnt  wird'),  ist  zum  grossen 
Theile  jedenfalls  nur  eine  specialisirende  Bezeichnung  der 
einen  oder  andern  dieser  allgemeinen  Kategorien  von  Transport- 
tiiensten  *) ;  ausserdem  aber  jedenfalls  von  zu  seltenem  Voi> 
kommen  und  zu  geringer  Ausdehnung,  als  dass  darauf  weiter 
ein  besonderes  Gewicht  zu  legen  wäi*e.  Es  ist  aber  bemer- 
kenswerth,  dass  alle  diese  Einrichtungen,  soweit  wir  davon 
aus  den  Quellen  unterrichtet  sind,    als  grundherrliche  aof- 


Gudrard  Irmin.  GIobs.  peculiare  erklärt  zu  einseitig:  Scara:  sernthim 
hemerodromoram ;  epistolarum,  monitoriorum,  aliaromque  rerum  misoria 
ponderis,  ultro  citroque  perlatio. 

^)  Reg.  Pnim.  c.  6,  p  148:  Sunt  ibi  Bcararii  12.  Vinnm  et  aal,  si 
eis  praedpitnr,  omnes  vendunt;  c.  23,  p.  153:  Vinnm  vendunt  et  salem 
secundum  ordinem  n.  o.  Die  scararii,  qoi  itinera  vicissim  agnnt  (MeicL 
825  Ib  481  waren  die  natürlichen  Eauflente  ihrer  Herrschaft;  Kitiefa, 
Ministerialit&t  p.  50. 

')  Garrariae,  carricatorae,  carropera,  yectnra,  vehitare  com  planstris, 
ducere  de  frumento  etc.,  worüber  ausf&hrlich  Ga^rard  Irmtnon  I,  778— 79S. 

')  So  wird  Reg.  Prüm,  c  1,  p.  145  unter  addudt  de  annona,  c  16 
dacant  ad  monasterinm  de  yino  carr.,  c  33,  p.  161  dadt  de  fraaMDto 
mod.  5  ad  Prumiam  ant  inter  4  carradam  de  vino  etc.  wohl  eine  aogaria 
-zvL  verstehen  sein;  so  auch  Gu^rard  Irm.  I,  796;  Brer.  rer.  tac  (I,  177) 
eqnitat,  quocnnque  Uli  praedpitur  u.  ähnliches  als  scara;  Reg.  Pnun.  cSo, 
p.  163  unusquisque  cabaUnm  als  paraferedi. 


—    447    — 

treten;  auch  dieses  Gebiet  des  volkswirthschaftlichen  Lebens 
ist  am  Schlosse  der  Periode  schon  nahezu  ausschliesslich  von 
dem  Einflüsse  dieser  grossen  volkswirthschaftlichen  Mächte 
beherrscht,  und  ihrem  Dienste  vomemlich  gewidmet  Dem 
kleinen  Freien,  der  nicht  über  einen  königlichen  Postschein 
(evectio)  oder  eine  Einquartirungsordre  (litera  tractoria)  0 
gebot,  dem  nicht  Eigenleute  oder  Grundhörige  auf  entlegenen 
Besitzungen  Wagen  und  Pferde  nebst  der  nöthigen  Bedienung 
stellten,  mochte  es  schwer  genug  fallen,  überhaupt  nur  eine 
weitere  Keise  zu  unternehmen  ^) ;  eine  i'egelmässige  Briefbeför- 
derung oder  Waarenversendung  gehörte  fOr  ihn  aber  wohl  zu 
den  unmöglichen  Dingen. 

Die  selbständigen  Eaufleute,  welche  in  dieser  Zeit  den 
GQtei-verkehr  und  Waarenumsatz  im  Grossen  vei-mittelten, 
seheinen  überwiegend  Juden  ^)  und  Friesen  ^),  nur  zum  kleinen 
Theile  schon  Italiener  (Lombarden)  oder  Franken  gewesen  zu 
sein  ^).  Die  Juden,  diese  Erben  der  cosmopolitischen  Stellung, 
welche  ehedem  die  Phönicier  eingenommen,   waren  längst  die 


^)  Cap.  Aquisgr.  817  (I,  213)  c.  16:  Si  quis  literas  nostras  dispezerit, 
id  est  tractoriam  qnae  propter  missoB  recipiendos  dirigitur.  Cap.  Tusiac. 
865  (I,  503)  c  16:  Ut  ministri  comitum  in  unoquoque  comitatu  dispensam 
missorum  noBtroniin  a  quibascunque  dar!  debet,  recipiant,  sicnt  in  trac- 
toria nostra  continetor.  Vgl.  den  detaillirten  Inhalt  einiger  solcher  trac- 
toriae  bei  Waitz  lY,  20. 

*)  Vgl.  Alcoin.  epist  114  klagt  aber  die  inopia  portitorum,  qni  yix 
fideles  inTeniuntor.  Igitor  longinquitas  terrarom  prohibet  ex  his  partibns 
ad  nos  qnemlibet  nisi  raro  transire;  Waitz  IV,  23. 

^)  Cap.  Nium.  806  c.  4  (I,  144).  Cap.  809  c.  2  (I,  158).  Cap.  882, 
c  23  (I,  364).  Cap.  877  c.  31  (I,  540);  besonders  aber  Leges  portoriae 
906  (III,  481)  c.  9:  Mercatores  id  est  Judaei  et  ceteri  mercatores,  unde- 
cunqne  venerint  de  ista  patria  vel  de  aliis  patriis. 

*)  Schannat  Worm.  829  II,  5,  n.  5:  In  Vangione  ciyitate  et  in 
castellis  Lobdenbarg  et  Winpina  negotiatores  artifices  Frisiones.  Friesen 
als  Kaufleate  in  St  Denys  753  Bouqn.  5,  699;  814  ib.  6,  466.  Nach 
Bodmaon  rhdng.  Alterth.  S.  11  bewohnten  die  Friesen  in  Mainz  ein 
eignes  Qoartier.  üeber  die  Friesen  als  Wasserbaukünstler  s.  o.  4.  Abschn. 
S.  409. 

^)  Im  Cap.  de  discipl.  palatii  809  (I,  158)  c.  2  heisst  es:  per  man- 
siones  omninm  negotiatorum,  sivo  in  mercato  sive  aliubi  negotientur,  tarn 


—    448    — 

Grosshändler  der  ganzen  Welt  und  haben  auch  dem  Franken- 
reiche zum  Theile  wenigstens  seine  volkswirthschaftliche  Blüthe 
eiTeichen  geholfen;  sie  waren  insbesondere  die  thätigen  Ver- 
mittler der  begehrten  orientalischen  Waaren  ^) ;  jene  grosse 
Handelsstrasse  dui'ch  das  Herz  von  Europa  bis  in  das  hin- 
tei*ste  Asien  war  vomemlich  von  ihnen  begangen*).  Einen 
Juden  schickte  Karl  der  Grosse  sogar  ziim  Chalifen,  als  er 
nähere  Handelsbeziehungen  mit  dem  Orient  anknüpfen  wollte'), 
wie  er  überhaupt  den  Juden  manch  besondere  Gunst  erwies; 
und  sein  Sohn  Ludwig  stand  ihm  wenigstens  hierin  nicht 
nach^).  Doch  haben  sie  sich  zweifellos  auch  schon  mit  dem 
Hausirhandel  beschäftigt^),  der  ja  in  jenen  noch  immerhin 
sehr  verkehrsarmen  Zeiten  an  Bedeutung  dem  Grosshandel 
kaum  nachstand.  Insbesondere  aber  sind  sie  schon  die  Geld- 
händler, Wechsler  und  Creditvermittler  ®)  jener  Zeit  gewesen 
und  haben  besonders  dadurch  wie  durch  ihre  Exemtion  von 
den  kanonischen  Zinsverboten  sich  rasch  zu  Reichthum  empor- 
gearbeitet. 

Obwohl  nun  so  manche  Factoren  zusammenwirkten,  um 
das  Verkehi-sleben  und  den  Handel  der  Deutschen  zu  beleben, 
ihm  neue  Gebiete  zu  erschliessen ,  bessere  Einrichtung  und 
reichere  Nahi-ung  zu  geben,  so  dürfen  wir  uns  dennoch  von 


christiaDorum  quam  et  ludaeonim.  Doch  kommen  shhon  in  Dipl  Ptgo- 
berti  629  (FardessuB  n,  n.  247)  negotiatores  de  Longobardia  aof  die  Messe 
▼on  St  DenyB. 

>)  Mon.  Sang.  II,  14  (SS.  ü,  757)  sagt  von  den  Schiffen  des  Mittel- 
meers:  alii  ludaeos,  alii  Tero  Africanos,  alii  Britannos  mercatoies  eese 
dicerent. 

*)  Heyd,  Levantehandel  I,  87. 

")  Ann.  Einh.  801 :  Isaac  Judaeum,  quem  imperator  ante  quadriennim 
ad  memoratom  regem  Penanim  com  Lantfrido  et  Sigimimdo  legalie  snii 
miserat,  rerersum  cum  magnis  muneribos  nuntiaTenint 

*)  Vgl  Waitz  m,  457 ;    IV,  201  £,  291. 

^)  Cap.  882  (I,  868)  c.  19 :  Similiter  et  ludeis»  qui  si  negotiaadi  csitfi 
Bubstantiam  suam  de  una  domo  sua  ad  aliam  ant  ad  pladtom  ant  in 
ezerdtum  dueunt 

«)  Gap.  de  Judaeis  814  (I,  194)  c  1,  2.  VgL  dazu  Zeitachr.  ftr 
Recbtsgesch.  II,  417. 


-     449    — 

demselben  noch  immer  keine  zu  grossen  Vorstellungen  bilden. 
Was  die  Deutschen  an  marktfähigen  Producten  besondei's  für 
weiteren  Transport  und  für  den  Bedarf  fremder  Länder  lieferten 
waren  ausser  den  firiesischen  Gewändern,  die  ihre  allgemeine 
Beliebtheit  mehr  als  je  behaupteten  %  und  etwa  Wafifen '), 
doch  im  Wesentlichen  nur  Natui-producte ;  und  auch  von  diesen 
dürften  für  den  Grosshandel  in  weitere  Entfernungen  nur  Salz 
und  Wein,  Häute  und  Felle  in  Betracht  kommen;  Getreide 
und  Holz,  die  gleichfalls  im  Handel  ei*scheinen,  sind  wohl 
doch  nur  in  engbegrenzten  Gebieten  abgesetzt  worden^). 
Eine  grössere  Lebhaftigkeit  und  Intensität  des  Verkehrs  aber 
vennögen  wir  nur  an  der  Rhein-*)  und  theilweise  an  der 
Donaustrasse  ^)  zu    entdecken;   die  Alpenwege  nach  Italien, 


^)  Monach.  Sang.  (SS.  II,  752)  8.  o.  5.  Absch.  S.  487.  lieber  die  Be- 
aehnng  des  Capit.  Nitunag.  808  (I,  152)  c.  5  auf  die  friesischen  Qewftn- 
der  s.  XL  8.  478. 

')  In  Divisio  imp.  806  (LL.  I,  142}  c.  11  sind  unter  dem  Kaufmanns- 
gat  neben  auro,  argento  et  gemmis  nur  arma  und  vestes  specieU  genannt. 
Verbote  der  Waffenausfuhr  Cap.  779  (I,  88)  c,  20.  Cap.  803  (I,  115) 
c.  7.    Cap.  8a5  (I,  183)  c.  7. 

*)  Auf  dem  Donauwege  wurden  nach  den  ieges  portoriae  (LL.  m, 
480)  besonders  Salz  und  andere  Lebensmittel,  Wadis,  Rosse  und  Sklaven 
yerhandelt;  vgl  Waitz  IV,  59—61.  Vom  Elsass  singt  Ermoldus  Nigellus 
Eleg.  I,  115: 

Omnia  si  populus  proprios  misisset  in  usus 

Quae,  Helisacie,  tuus  gignit  amoenus  ager 
Gens  animosa  arvis  vinoque  sepulta  iaceret, 
Viz  in  tarn  magna  urbe  maueret  homo; 
Utile  consilium  Frisonibus  atque  Marinis 
Yendero  vina  fiiit  et  meliora  vehi. 
Nach  Fischer,   Gesch.  d.  d.  Handels  2.  Aufl.  I,  355  war  schon  zu 
Karls  d.  Gr.  Zeiten  der  Pelz-  und  Holzhandel  auf  der  Ostsee  lebhaft^ 
Verbot  der  Getreideausfuhr  Gap.  Ninm.  805  (L  182)  c  4. 

*)  Hier  insbesondere  Worms,  Frankfurt,  Mainz,  Eöhi  als  wichtige 
Handelsplätze.  Strasse  aus  Niederland  und  Tom  Niederrhein  nach  Frank- 
furt C.  Laur.  790,  n.  3716:  strata  publica  quae  nominatur  Bubenheimer 
strata,  vgl.  Landau  in  Zeitsch.  f.  d.  Culturgeschichte  Iff.  über  das  Strassen- 
wesen  im  Mittelalter. 

')  Hier  Regensburg,  Passan,  Lorch.  Ueber  die  Latini  in  Regensburg 
(s.  0.  S.  176)  vgl.   Hegel,  St&dteverfassung  von  Italien  U,   388 ff.    Die 

TOD  Inama-Starnegg,  WirthschAftageechichte.     I.  29 


—    450     - 

besonders  vom  Rheingebiete  über  den  Bodensee,  Chur,  den 
Septimer  und  Comersee  ^),  sowie  aus  dem  Donaugebiete  durch 
KäiTithen  und  Tirol  *)  waren  zwar  sicherlich  schon  gut  frequen- 
tirt,  aber  doch  mehr  von  den  Fremden  welche  Deutschland 
besuchten,  als  von  den  Deutschen  selbst  zur  Handelsfahrt 
benfitzt  Andere  grosse  Handelsstrassen  durch  Deutschland 
hindurch  aber  haben,  wenn  ihrer  als  solcher  auch  in  den 
Quellen  gedacht  wird  ^),  doch  soweit  wir  sehen,  keine  Handels- 
conjunctur  erzeugt,  welche  auf  die  Entwickelung  der  volks- 
wirthschaftlichen  Zustände  in  dieser  Periode  bestimmend  ein- 
gewirkt hätte. 

Eine  ebenso  interessante  wie  lehrreiche  Seite  des  deutschen 
Wirthschaftslebens  zeigt  die  Ordnung  des  Geldwesens  in  dieser 
Periode.  Der  Uebergang  von  der  Goldwährung  zur  Silber- 
währung, welcher  sich  während  dei*selben  vollzog,  ist  allein 
schon  ein  Ereigniss  von  eminent  nationalökonomischer  Be- 
deutung; die  gleichzeitige  Umgestaltung  des  Münzfusses  und 
der  Geldrechnung,  sowie  die  Vei-suche  eines  üebergangs  aus 
vorherrschendem  Naturalverkehr  zu  ausgedehntem  Geld- 
verkehre verleihen  diesen  Verhältnissen  aber  noch  eine  weit 
grössere  allgemeine  Bedeutung  für  das  Wii*thschaftsleben  der 
Nation. 

Die  Ordnung  des  fränkischen  Münzwesens,  wie  sie  in  der 
2.  Hälfte  des  6.  Jahrh.  durch  Annahme  des  leichteren  Solidns 
(84  aus  dem  Goldpfunde)  begi'ündet  wurde  *),  blieb,  soviel  wir 


Frequenz  der  Donaastrasse  besonders  anschaulich  ans  der  ZoUroUe  tod 
Raffelstätten  LL.  III,  480  ff. 

')  Chiavenna  als  ZoUstätte  Mohr  c.  dipl.  Cur.  1,  58f.  155,  2061 

^  Heyd,  Gesch.  d.  Levantehandels  I,  96. 

")  Alte  Handelsstrasse  von  Thüringen  nach  Mainz  Tgl.  Vita  Stmnu 
(SS.  II ,  369)  tone  quadam  die  dum  pergeret,  pervenit  ad  viam,  quae  a 
Thuringorum  regione  mercandi  causa  ad  Moguntiam  pergentes  dudt,  ubi 
platea  illa  super  flumen  Fulda  vadit;  ibi  magnam  SclaTonim  moltitadincai 
reperit  eiusdem  Üuminls  alveo  natantes ;  Strasse  von  Sachsen  durch  Thüris- 
gen  an  die  Donau  Cap.  Theod.  (LL.  I,  133)  c.  7  s.  o.  S  436  A.  1.  Vgl 
noch  von  anderen  viae  regiae,  publicae,  stratae  public&e,  plebdae,  heri- 
strazza  etc.  Landau  in  Zeitsch.  f.  Culturgeschichte  I,  IL 

*)  8.  0.  1.  Buch,  5.  Abschn.  S.  188ff. 


•  _    451    — 

sehen,  wenigstens  gesetzlich  bis  tief  in  die  erste  Hälfte  des 
8.  Jahrhunderts  bestehen.  Nur  wird  das  Gold  langsam  aber 
stetig  immer  seltener,  Silber  immer  mehr  das  vorherrschende 
Münzmetall  ^) ;  und  auch  der  Gebrauch  der  Münzen  überhaupt 
ist  eher  im  Abnehmen  begriffen;  wenigstens  ist  es  auffällig, 
wie  blosse  Gewichtsmengen  der  edlen  Metalle  immer  mehr 
an  Stelle. der  althergebrachten  Münzen  bei  Bestimmungen  von 
Kaufpreisen  und  Geldleistungen  in  Anwendung  kommen'). 

Mit  dem  Seltnerwerden  des  Goldes  überhaupt  traten  aber 
natürlich  auch  die  Solidi  immer  mehr  aus  dem  Verkehr  und 
die  Silberdenare  erhielten  ein  üebergewicht  als  vorheiTSchend 
gebrauchte  Münzsorte,  das  ihnen  anfänglich  nicht  zukam; 
denn  die  Ursachen  der  Abmindeioing  des  Goldvorraths ,  Ab- 
nützung durch  Umlauf,  Umprägungen,  Vergrabung  und  Aus- 
fuhr, trafen  das  Silber  so  lange  in  viel  geringerem  Masse,  als 
es  nur  den  Charakter  eines  subsidiären  Zahlungsmittels  hatte 
und  nur  spärlich  ausgemünzt  war^).  Damit  hörte  aber  auch 
die  für  die  Ordnung  des  älteren  Münzwesens  wesentliche 
Rücksicht  auf  ein  festes  Werthverhältniss  von  Gold  und  Silber 
auf,  solch  massgebenden  Einfluss  zu  äussern.  Es  trat  zu- 
nächst an  die  Stelle  der  gesetzlichen  Goldwährung  eine  fac- 
tische  Doppelwährung  in  der  Weise,  dass  mit  40  salischen 
Silberdenaren  oder  ihrem  Silbergewicht  ebenso  wie  mit  einem 
Goldsolidus  überall  gezahlt  werden  konnte^),  um  endlich  durch 
eine  einheitliche  Silberwähiomg  ersetzt  zu  werden,  indem  der 
Denar  in  selbständiger  Weise  zu  dem  Silbei-pfunde  in  Re- 
lation gesetzt  und  dieses   zur  Grundlage  eines  neuen  Münz- 


M  Soetbeer,  Forschungen  zur  deatschen  Geschichte  II,  807  f.,  lY,  254. 
Einigermassen  ist  das  auch  zu  ersehen  aus  den  Pönbestimmungen  der  Ur- 
kunden, welche  z.  B.  in  den  Trad.  Wizz.  698—768  Gold  und  Silber  im 
Verhältniss  von  42:58,  769—855  von  29.s:70.5  enthalten. 

^  S.  0.  1.  Buch,  5.  Abschnitt,  S.  194. 

3)  S.  a.  Soetbeer  IV.  254. 

*)  Das  ist  in  den  Urkunden  seit  dem  Ende  des  7.  Jahrh.  ungemein 
häufig  durch  die  freigestellte  Wahl  des  Edelmetalls  bei  Zahlungen,  durch 
Nebeneinanderstellung  von  Gold  und  Silber  (inter  aurum  et  argentum  so* 
lidos  tantos)  n.  dgl.  ausgedrückt 

29* 


-    452     -  ^ 

Wesens  gewählt  wurde.  Und  dazu  dienten  die  salischen  De- 
nare in  weit  vorzüglicherer  Weise  als  die  Denare  der  Ri- 
puarier, Alamannen  und  Bajuwarier;  denn  jene  wurden  fort- 
während geprägt  und  waren  durch  ihre  systematische  *An- 
passung  an  das  Metallgewicht  überhaupt  viel  besser  zu  Geld- 
zwecken geeignet ;  wärend  diesen  letzteren,  die  ja  in  Deutsch- 
land nie  geprägt  wurden  und  schon  lange  nur  einen  conven- 
tionellen  Werth  behaupteten^),  eben  darum  auch  zu  einer 
irgend  exacten  Werthmessung  wesentliche  Voraussetzungen 
fehlten. 

Indem  man  nun  den  Silbergehalt  der  salischen  Denare 
(gesetzlich  1.37  Gramm,  thatsächlich  wohl  etwas  niedriger 
1.23 — 1.35  Gramm)  als  Ausgangspunkt  f&r  den  neuen  Müdz- 
fuss  der  Silberwähi-ung  nahm,  entfielen  auf  das  Silberpfund 
von  cca.  327  Gramm  240 — 264  Denare,  welche  in  die  be- 
stehende Geldrechnung  thunlichst  eingereiht  werden  mussten. 

Und  hier  machte  sich  nun  in  entscheidender  Weise  sowohl 
die  Zugehörigkeit  der  Karolinger  zu  dem  ripuarischen  Stamme, 
wie  das  Geldbedüifniss  und  die  Geldrechnungsgewohnheit  der 
rechtsrheinischen  Völker  geltend,  welche  immer  12  Denare 
einem  Solidus  gleich  gestellt  hatten ').  Da  diese  Denare  aber 
ihrer  ganzen  Beschaffenheit  nach  nicht  geeignet  waren,  die 
Verallgemeinerung  des  Geldgebrauchs  zu  begünstigen,  und 
eben  diese  Verbreitung  zu  den  ausgesprochenen  Zielen  der  karo- 
lingischen  Wirthschaftspolitik  gehörte^),  so  wendete  man  diese 
Rechnung  auf  den  salischen  Denar  an,  indem  man  dem  ausser 
Gebrauch  gekonmienen  Goldsolidus  einen  ideellen  SilbersoUdus 
substituirte  ^),    ohne  dass  dadurch  die  Rechnung  des  Gold- 


«)  Vgl.  1.  Buch,  5.  Abschn.  S.  193. 

>)  Vgl.  1.  Buch,  5.  Abschn.  S.  186,  192. 

»)  S.  u.  S.  459,  462. 

*)  Die  erste  Anwendung  desselben  in  öffentlichen  Acten  in  Gap.  LlftiB. 
745  (LL.  1.  18  z.  J.  743)  c.  2:  ut  annis  singulis  de  unaqoaque  casats 
solidus,  id  est  12  denarii,  ad  ecclesiam  vel  ad  monasteriam  reddator. 
In  üebereinstimmung  damit  schreibt  auch  im  selben  Jahre  Papst  Zacharias 
an  Boni&cius  (Epistolae  Bonif.  ed.  Würdtwein  n.  70,  p.  184):  De  ceasQ 
yero  expetendo  eo  quod  impetrare  a  Francis  ad  reddendum  ecciesiis  vel 


—    453    - 

solidas  zu  40  salischen^)  oder  12  rechtsrheinischen  Denaren 
(saigae)^)  sofort  aufgehoben  wurde  oder  auch  nur  factisch 
aufgeholt  hätte  ^).  Auch  der  Tremissis  zu  4  salischen  De- 
naren statt  des  älteren  Drittelsolidus  fand  in  diese  Rechnungs- 
weise Aufnahme,  welche  sich  ohne  sichtbares  Zuthun  der 
öffentlichen  Gewalt  durch  die  lebhafteren  Yerkehrsbeziehungen 
des  westlichen  Frankenlands  mit  den  rechtsrheinischen  deut- 
schen Yölkerstämmen  herausgebildet  zu  haben  scheint^). 

Da  nun  nach  dieser  austrasischen  Rechnungsweise  immer 
12  Denare  einen  Solidus  ausmachten,  so  war  eine  Anzahl  von  20 
bis  22  Solidi  auf  das  Silberpfund  von  selbst  gegeben.  Diese 
letztere  Ziffer  ist  es  denn  auch,  welche  Pipin  zuerst  in  seinem 
Capitulare  v.  J.  cca.  755   wählte  und  zur  Grundlage  eines 


monasteriis  non  potoisti  aliud,  quam  ut  verteilte  anno  ab  unoquoque  con- 
jagio  servorum  12  denarii  reddantnr;  und  im  J.  751  (ib.  n.  87,  p.  256): 
De  censu  aatem  ecdesiarum,  id  est  Bolidom  de  cassata. 

')  Gu^rard  u.  a.  haben  das  aus  dem  c.  41  des  Condls  von  Reims 
818  (Mansi  Condl.  XIV,  c.  81)  geschlossen:  Ut  dominus  imperator  secun- 
dum  statutiyn  bonae  memoriae  domini  Pipini  misericordiam  fadat,  ne  solidi 
qui  in  lege  habentur  per  40  denarios  discurrant,  quoniam  propter  eos 
molta  periuria  mnltaque  fiüsa  testimonia  reperiuntur.  Soetbeer  IV,  268  ff. 
zeigt  aber,  dass  sich  die  Bestimmung  nicht  auf  eine  förmliche  Demoneti- 
sation  des  Goldes,  sondern  nur  auf  eine  Reduction  der  in  den  Gesetzen 
vorkommenden  Geldbestimmungen  auf  den  neuen,  ideellen  Silbersolidus 
bezieht 

')  Ihre  Beibehaltung  ist  aus  den  karolingischen  Redactionen  der 
L  Alam.  und  Bajuv.  sowie  aus  zahlreichen  Urkunden  der  Trad.  Sang,  und 
Frising.  zu  ersehen. 

')  Der  Goldsolidus  zu  40  fränkischen  Denaren  ist  ausdrücklich  an- 
gewendet im  Cap.  801  (1,85)  c.  11:  Ut  omnis  solutio  adque  conpositio  que 
in  lege  Saliga  continetnr,  inter  fFrancos  per  12  dinariorum  solides  conpo- 
natur,  excepto  hubi  contentio  contra  Saxones  et  Frisones  exorta  fuit,  ibi 
volumus  ut  40  dinariorum  quantitatem  solidus  habeat.  Gap.  803  (I,  114) 
c.  9:  Omnia  debita  quae  ad  partem  regis  solvere  debent,  solidis  12  dena- 
rionun  solvant,  excepta  freda  quae  in  lege  Salica  scripta  sunt.  lUa  eodem 
Bolido  quo  caeterae  compositiones  solvere  debent,  componantür. 

*)  Ist  nicht  schon  Dagoberts  Zollbrief  für  St.  Denys  629  hiefÜr  zu 
berüdcBichtigen,  der  den  Handelsleuten  die  ttber's  Meer  kommen  2  sol., 
den  Sachsen  und  Bewohnern  anderer  G^enden  12  den.  (1  sol?)  fbr  jede 
Tonne  Honig  auferlegte?  Fardessus  n,  n.  247. 


—    454    — 

neuen  Münzfusses  für  die  einheitliche  Silberwährung  machte^). 
Er  ordnete  an,  dass  nicht  mehr  als  22  Solidi  aus  dem  Silber- 
pfund geprägt  werden  sollten,  und  erkannte  einen  Solidus  dem 
Münzer  als  Sehlagschatz  zu,  wodurch  zugleich  die  factisehe 
Ausprägung  von  Solidistücken  erwiesen  ist.  Aber  schon  kurze 
Zeit  darauf  sehen  wir  Pipin  selbst  zu  dem  schwereren  Fusse 
von  20  solidi  übergehen;  wenigstens  sind  die  unter  seiner 
Regierung  später  geprägten  Denare  von  einem  Schrot,  das 
nur  zu  diesem  schwereren  Fusse  passt').  Mochte  nun  der 
König  in  der  urspillnglichen  Festsetzung  des  22  sol.  Fusses 
einen  Irrthum  über  den  effectiven  Feingehalt  der  cursirenden 
Denare  einsehen,  der  bei  der  kleinen  Differenz  von  kaum 
10  Gentigramm  sehr  erklärlich  wäre,  oder  mochte  er  absicht- 
lich die  Denare  in  späterer  Zeit  schwerer,  d.  h.  so  schwer 
ausbringen,  als  sie  nach  dem  merowingischen  System  ausge- 
bracht werden  sollten,  nemlich  1.35  Gramm ^)  so  dass  240 
auf  ein  Silberpfund  gingen  —  Thatsache  ist  jedenfalls ,  dass 
dieser  20  solidi  Fuss  die  Grundlage  des  neuen  Münzsystems 
mit  alleiniger  Silberwähioing  wurde  und  es  bis  gegen  Ende 
des  8.  Jahrhunderts  verblieb*). 

Daneben  erhielt  sich  nun  allerdings  die  alte  Rechnung 
nach  dem  Goldsolidus  noch  in  manchen  Stücken.  Die  Ala- 
mannen  und  Baiuwarier  gaben  ihre  Gewohnheit,  12  ihrer  alten 


>)  Gapit  Pipmi  regia  incerti  anni  (LL.  I,  31)  c.  5:  De  moneta  con- 
fititoimas,  ut  ampliuB  non  habeat  in  libra  pensante  nisi  22  soUdos  et  de 
ipsis  solidis  monetarius  accipiat  solidom  1  et  iUos  alios  domino  cnios  sunt 
reddat 

')  Nach  dem  MOnzfusse  von  22  sol.  sollten  die  Denare  ein  gesets- 
liches  Gewicht  von  1.^  Gramm  haben;  das  wirkliche  Durchschnittsgewicht 
der  zu  Imphy  gefundenen  Pipin'schen  Denare  beträgt  aber,  eine  AbnotKnog 
von  nur  4%  angenommen,  l-so  Gramm;  Soetbeer  in  Forschungen  zur 
deutschen  Geschichte  lY,  S.  281. 

')  Die  kleine  Differenz  von  5  Gentigramm  zwischen  diesem  gesetz- 
lichen und  dem  thatsächlichen  Gewichte  der  Münzen  von  Imphy  ist  darch 
die  Annahme  einer  stärkeren  Abnutzimg  oder  einer  etwas  zu  leichtes 
Ausprägung  durch  die  MOnzer  zu  erklären;  Soetbeer  a.  a.  0.  S.  282. 

*)  Ueber  die  Bedeutung  dieser  Veränderung  der  Währung  und  des 
Münzfusses  fbr  die  Werth-  und  Preisbestimmungen  s.  n.  S.  467  ff. 


—    455    — 

Denare  auf  den  Goldsolidus  zu  rechnen,  nicht  so  schnell 
auf*).  Wohl  aber  accomodirten  sie  sich  mehr  und  mehr  den 
factischen  Wei-thverhältnissen  der  alten  und  der  neuen  (sa- 
lischen)  Denare,  indem  sie  ihren  Denar  (saiga)  nur  mehr  gleich 
drei  (statt  3*3)  salischen  Denaren  setzten^;;  die  Baiem 
näheii;en  sich  sogar  im  9.  Jahr.^)  noch  mehr,  indem  sie  30 
fränkische  Denare  auf  den  Goldsolidus  rechneten,  wodurch 
auch  am  richtigsten  das  wahre  Werthverhältniss  der  saigae 
und  der  neuen  Denare  zum  Ausdruck  kömmt.  Denn  diese 
repräsentirten  ebenso  wie  die  12  baiuwarischen  Denare  (saigae) 
etwa  einen  Silberwerth  von  cca.  40  Gramm  und  konnten  daher 
ohne  erheblichen  Fehler  einander  substituirt  werden. 

Dass  aber  selbst  die  alte  merowingische  Rechnung  nach 
Goldsolidi  zu  40  Denaren  nicht  so  leicht  auszurotten  war, 
zeigt  sich  in  denjenigen  Gapitularen  Karls  d.  Grossen,  in 
welchen  er^  mit  theil weiser  Abänderung  der  Bestimmungen 
Pipins,  für  gewisse  Bussfälle  dieselbe  ausdrücklich  als  fort- 
bestehend anerkannte^). 

Mit  Karl  d.  Grossen  tritt  nun  aber  ein  neuer  für  die 
fernere  Entwickelung  des  Münzwesens  sehr  wichtiger  Umstand 


^)  Noch  in  der  1.  Alam.  Earol.  6,  2  heisBt  es:  Saiga  autem  est  quarta 
pars  tremissi  (offenbar  des  Goldtremissis)  hoc  est  denarius  unus.  L. 
Baj.  I,  3:  De  duabus  saicas  Tel  tres  et  usque  ad  tremisse  ono.  Be- 
merkenswerth  ist  auch  Tr.  Sang.  858,  n.  468  preciom  in  contra  ipse  cor- 
tinom  seliquae  20,  also  noch  nach  der  alten  Goldwährung  gerechnet 

')  L.  Baj.  IX.  2:  una  E<aica,  id  est  8  denarios;  duas  saicas,  id  est  6  den. 
Aach  die  Urkunden,  in  welchen  Werthe  bald  in  Denaren  bald  in  saigae 
angegeben  sind,  lassen  darüber  keinen  Zweifel,  dass  der  Werth  der  saiga 
3—4  fränkische  Denare  war  s.  Beil.  X.  ^ 

")  Die  Notiz,  welche  Wattenbach  aus  einer  Grazer  Handschrift  des 
12.  Jahrb.  beigebracht  hat  (s.  LL.  III,  132):  Secundum  l^em  Francomm 
et  Alamannorum  et  Sazonum  et  Duringorum  et  Linbarinorum  5  den.  valet 
saiga,  4  den.  tremissa,  4  saige  solidum  faciunt  Secundum  legem  Bawa- 
riorom  secundus  semis  denarios  scoti  valet.  3  duobus  scotis ,  5  den.  valet 
saiga,  7  den.  tremissa,  ter  5  semisolidum  faciunt,  sexies  5  den.  solidum 
ffttiunt,  8  solidi  libram  faciunt  vermengt  offenbar  kritiklos  Richtiges  mit 
Falschem.  S.  aber  Meich.  816,  n.  349  1  solidum  de  auro  solvere  aut  30 
denarios;  und  darüber  ausführlich  Soetbeer  II,  330 ff. 

*)  Cap.  801,  c.  11  und  803,  c.  9,  s.  0.  S.  453.  A.  3. 


—    456    — 

ein  —  die  VeräDderung  des  bisherigen  Gewichts.  Während 
der  Merowingerzeit  sowie  noch  unter  Pipin  und  in  der  ersten 
Zeit  der  Regieioing  Karls  d.  Gr.  war  im  Frankenreiche, 
wenigstens  für  den  amtlichen  Gebrauch ,  in  Neustrien  aber 
jedenfalls  auch  im  Privatverkehr  das  altrömische  Pfand  bei- 
behalten, dessen  Normalgewicht  mit  327  Gramm  ziemlich 
genau  angegeben  sein  wird^).  Auf  dieser  Gewichtsgrundlage 
ist  auch  noch  das  neue  Münzsystem  aufgebaut,  welches  unter 
der  Regierung  Pipins  zum  erstenmale  aus  einer  gesetzlichen 
Vorschrift  entgegentritt,  der  22  solidi-Fuss,  nach  welchem  264 
Denare  aus  dem  Silbeipfund  ausgebracht  wurden,  so  dass  der 
Silbergehalt  des  Denai's  sich  auf  1.231  Gramm  berechnet. 
Natürlich  weist  auch  der  spätere  schwerere  Denar  auf  die- 
selbe Giomdlage;  von  den  240  Denaren,  welche  später  Pipin 
selbst  und  nach  ihm  Karl  d.  Gr.  *)  aus  dem  Silbei-pfünde  aus- 
prägten, hatte  einer  also  einen  Silbergehalt  von  etwa  l.3o 
Gramm,  womit  auch  diejenigen  Denare  Karls  d.  Gr.  im  Wesent- 
lichen übereinstimmen,  welche  sicher  der  ei'sten  Zeit  seiner 
Regierung  zugeschrieben  werden  können^).  Dagegen  zeigen 
diejenigen  Denare  Karls  d.  Gr.,  welche  mit  Sicherheit  der 
späteren  Periode  seiner  Regierung  beigelegt  werden  können, 
ein  ganz  anderes  Verhältniss.  Ihr  Durchschnittsgewicht  be- 
rechnet sich  auf  1.58  Gramm,  und  wenn  wir  berücksichtigen, 
dass  ein  sehr  grosser  Theil  derselben  (im  Schutt  der  alten 
Handelsstadt  Dorstadt^)  gefunden)  durch  langen  Gebrauch 
abgenutzt  ist  und  durch  Oxydation  stark  an  Silbergehalt  ver- 

^)  S.  0.  1.  Buch,  5.  AbBchn.  S.  185. 

')  Den  ersten  Anhaltspunkt  f&r  den  20  Schillingfoss  anter  Karl  d. 
Gr.  bildet  das  Capit  episc  779  (I,  89):  Et  unusquisque  episcopus  aot 
abbas  vel  abbatissa,  qui  hoc  facere  possunt,  libram  de  argento  in  elemo- 
synam  donent;  mediocres  vero  mediam  libram,  minores  solidos  5;  also 
die  Abstufung  1  ^.,  Vi  iS^  ^U  €6.^5  solidL  Dass  aber  damit  nichts 
Neues  geschaffen  war,  ist  aus  obigem  (S.  454)  zu  ersehen. 

')  Das  sind  wieder  Yomemlich  Denare  aus  dem  Funde  von  Imphj. 
welche  ein  Durchschnittsgewicht  von  l.^«  Gramm  haben,  also  mit  den 
späteren  Pipinsmanzen  übereinstimmen;  Soetbeer  IV,  304 f. 

*)  Die  Earlsdenare  aus  dem  Dorstadter  Funde  allein  haben  ein  Durch* 
Schnittsgewicht  von  l.^j  Gramm.    Soetbeer  IV,  308. 


—    457    — 

loren  hat,  mit  Hinzui-echnung  von  cca.  12  ^/q  auf  etwa 
1.70  Gramm  ^).  Aehnliche  Gewichtsverhältnisse  bestehen  nun 
aber  auch  bei  den  Denaren  der  Nachfolger  Karls  d.  Gr.,  nur 
dass  sie  bei  jedem  nachfolgenden  Kaiser  um  etwas  schwerer 
gefunden  werden^),  was  sich  aber  leicht  daraus  erklärt,  dass 
die  älteren  Denare  immer  verhältnissmässig  länger  im  Umlauf 
waren,  also  abgenutzt  wurden  bevor  sie  vergraben,  verloren  etc. 
wui'den. 

Auf  dieser  bei  deml; Mangel  alter  ausdrücklicher  Angaben 
über  das  Legalgewicht  der  späteren  Karolingerdenare  allein 
festen  Ginindlage  der  Münzfunde  ergibt  sich  ein  Noimal- 
gewicht  für  das  spätere  Karolingische  Pfund  von  cca.  408 
Gramm  ^). 

Die  Zeit  in  welcher  Karl  d.  Gr.  diese  Veränderung  vor- 
nahm, lässt  sich  mit  ziemlicher  Sicherheit  bestimmen,  obschon 
auch  hieiHber  weder  Capitularien  noch  Urkunden  eine  posi- 
tive Mittheilung  machen.  Jedenfalls  fand  sie  vor  Annahme 
des  Kaisertitels  statt,  da  alle  ausdiDcklich  als  solche  bezeich- 
neten Kaisermünzen  nach  der  schwereren  Gewichtsnorm  aus- 
geprägt sind.  Dass  die  Reform  vor  das  Jahr  796  fällt,  be- 
zeugt ein  Brief  Alkuins*).    Aber   schon  das  Capit.    Franko- 

')  Im  Resultat  übereinstimmend  Gu^rard  Polyptique  de  l'Abb^  Ir- 
minon  I,  119  ff.  und  Müller,  Münzgeschichte  I,  308. 

')  Die  Denare  Ludwigs  d.  Fr.  aus  dem  Funde  von  Belvezet  haben 
ein  Durchschnittsgewicht  von  l.^  Gramm;  ebenso  die  Denare  Lothars 
(817 — 855);  die  Denare  Karls  d.  Kahlen  I.70  Gramm.  Dagegen  scheinen 
die  späteren  Karolinger  etwas  leichter  (durchschnittlich  1.5^  Gr.)  aus- 
geprägt zu  haben;  die  Denare  Ludwig  d.  Kindes  lassen  sich  mit  I.40  Gr. 
im  Mittel  annähernd  richtig  bestimmen;  Soetbeer  71,  39 £f. 

')  Nemlich  aus  dem  Pfunde  Feinsilber  240  Denare  ä  I.70  Gramm. 
Soetbeer  IV,  311  nimmt  allerdings  (nach  dem  Vorgänge  von  Leblanc)  nur 
367  Gramm  an ,  indem  er  sich  ausschliesslich  auf  die  in  Dorstadt  gefun- 
denen Karlsdenare  stützt;  aber  das  effective  Gewicht  der  späteren  Denare 
zwingt  uns  doch,  da  eine  beträchtliche  Uebermünzung  ausgeschlossen  ist, 
für  die  Karlsdenare  eine  grössere  Abnützungsquote  anzunehmen,  und 
darnach  an  dem  Pfunde  zu  408  Gramm  festzuhalten,  wie  es  schon  Gu^rard 
u.  a.  begründet  haben.  Uebrigens  ist  dem  karolingischen  Pfunde  von 
Fossati  sogar  eine  Schwere  von  433.4g  Gramm  beigelegt  worden,  worüber 
ausfuhrlich  bei  Soetbeer  lY,  310  ff. 

*)  Opera  ed.  Froben.  £pist.  25:  Nam  illa  (Liutgardis)  sanctitati  tuae 


—    458    — 

fiirtense  (794)  0  gedenkl  der  neuen  Denare  und  zum  ersten- 
male  begegnet  in  dem  Capit.  Mantuanum  v.  J.  781 ')  ein 
Vemif  der  bisher  circulirenden  Denare  und  zwar  hier  mit  so 
bestimmten  Terminen,  dass  wir  annehmen  müssen,  es  sei  eben 
dieses  Jahr,  in  welchem  die  neue  Gewichts-  und  Geldreform 
durchgeführt  worden  ^). 

Ist  damit  nun  auch  die  Thatsache  dieser  Veränderung 
ausser  Zweifel  gestellt,  so  ist  es  doch  schwer,  genügende 
Motive  für  eine  so  tief  eingreifende  Reform  des  Verkehre 
ausfindig  zu  machen. 

An  eine  bloss  fiskalische  Massregel  ist  dabei  in  keiner 
Weise  zu  denken  ^).  Karls  d.  Gr.  ganzer  politischer  Charakter 
spricht  dagegen.  Er,  der  bei  all  seinen  Reformen  immer  von 
einer  Grossartigkeit  der  Auffassung,  von  einem  lebhaften  Ver- 
ständniss  der  tiefergreifenden  Wirkungen  geleitet  ist,  konnte 


duas  direxit  armillas  aori  obryzi,  pensantes  24  denarios  minus  de  non 
moneta  regis,  quam  plenam  libram. 

')  LL.  I,  72,  c.  4:  De  denariis  autem  certissime  sciatis  nostnim  edictom, 
qaod  in  omni  loco,  in  omni  civitate  et  in  omni  empturio  similiter  Tadact 
isti  novi  denarii  et  accipiantor  ab  omnibus. 

*)  LL.  I,  41,  c.  9 :  De  moneta  ut  nullus  post  Kai.  Augostas  istos  di- 
narios,  quos  modo  habere  nsi  sumus,  dare  audeat  aut  recipere;  si  quis 
hoc  fecerit,  vannum  nostnim  componat. 

')  S.  a.  Soetbeer  lY,  290  ff.  Merkwürdiger  Weise  stimmt  zn  diasem 
Jabre  auch  die  gleichzeitige  Urkunde  d.  d.  Parma,  in  welcher  die  Kauf' 
leute  von  Comaclo  sich  beklagen,  dass  sie  zu  Mantua  und  in  anderen 
Häfen  den  modius  zu  45  ^.  leisten  müssten;  Karl  gestattet  ihnen,  nt 
sicut  alii  negotiatores  modium  non  maiorem  quam  30  46  solyant  T^ 
die  Stelle  des  Amalarius  Über  pondus  Earoli  (Hanauer  I,  11). 

*)  Soetbeer  IV,  283  ff.  wiU  diese  wie  die  ältere  Erhöhung  des  Mäoz- 
fusses  unter  Pipin  durch  das  Bestreben  der  einflussreichen  Gmndhenn 
erklären,  gegen  Entwerthung  der  in  Geld  zu  entrichtenden  Leistungen  ihrer 
ünterthanen  sicher  gestellt  zu  sein;  femer  dadurch,  dass  die  Folgen  der 
Secularisation  gerade  dadurch  am  besten  reparirt  werden  konnten ;  endlich 
aus  dem  Interesse  der  Könige  selbst,  denen  daran  gelegen  war,  die  Geld* 
leistuDgen  der  geistlichen  Stifter  und  Kirchen,  welche  sie  zur  Aufbringoog 
von  Tributen  und  dgl.  verlangten,  möglichst  vollwichtig,  beziehungsweise 
mehrwichtig  zu  erhalten,  da  die  Tribute  selbst  nach  Pfunden  Edelmetall 
bestimmt,  die  Leistungen  dafür  aber  in  Solidis  ohne  weiteres  beaeichset 
waren. 


—    459    — 

nicht  um  des  kleinlichen  Vortheils  erhöhter  Domanialeinkünfte 
T?illen  die  ganze  Gmndlage  eines  jungen  Geldverkehi-s ,  den 
er  selbst  zum  guten  Theile  erst  geschaffen,  verändern  und 
damit  eine  Reihe  der  weittragendsten  Wirkungen  erzeugen 
wollen,  die  mit  einem  solchen  Plane  in  gar  keinem  Zusammen- 
hang gestanden  wären.  Auch  war  er  ja  viel  zu  gerecht,  als 
dass  er  eine  solche  Massregel  sur  Ausbeutung  seiner  Unter- 
gebenen hätte  anwenden  wollen.  Wie  er  bei  Einführung  eines 
neuen,  grösseren  Modius  (789?)^)  sofort  eine  Reduction  der 
Abgaben  von  je  3  auf  je  2  Modii  eintreten  Hess  *),  so  wird  er 
sicherlich  mit  den  Geldabgaben  in  gleicher  Weise  verfahren 
haben.  Während  seine  Verwaltung  immer  den  Missbräuchen 
und  der  Ausbeutungslust  der  Grossen  entgegentrat,  konnte  er 
doch  nicht  selbst  mit  dem  denkbar  schlechtesten  Beispiele 
vorangehen,  üeberall  erwies  sich  Karl  d.  Gr.  als  ein 
Schützer  des  Rechts  auch  der  dienenden  Leute  und  als  Hüter 
nationaler  Wohlfahrt;  im  Capitular  von  Frankfurt*)  bewählt 
er  sich  besondei'S,  indem  er  die  allgemeine  Vorschrift  gab, 
das  Getreide  von  den  königlichen  Domänen  billiger  abzuge- 
ben, als  es  sonst  verkauft  wurde.  Damit  würde  eine  Erhöhung 
des  MOnzfusses  zum  Zwecke  einer  Steigerung  der  Lasten 
schlecht  passen.  Und  überdiess  spielen  die  Geldeinkünfte  der 
grossen  grundheiTlichen  Wirthschaft  doch  noch  immer  eine 
so  verschwindend  kleine  Rolle,  dass  diese  Massregel  hiezu  in 
keinem   Verhältnisse  gestanden  wäre*).     Ebensowenig   aber 


')  Im  Capit.  eccL  789,  c.  73  (LL.  1,^65)  ist  zum  erstenmale  auf  die 
aequales  mensuras  et  rectas  hingewiesen.  Cap.  Frankof.  (I,  72)  c  4  mo- 
diom  publicum  et  noviter  statutum.  Cap.  de  Yill.  (I,  186),  c.  64  ad  no- 
strum  medium.  Vielleicht  bezeugt  auch  schon  Tr.  Sang.  790,  I,  126 
modios  —  sidas  curiales,  sowie  Urk.  781  Sickel  II,  89  modium  45  libra- 
rum  —  modium  non  maiorem  quam  30  librarum  diese  Mass-  und  Ge- 
wichtsreform. 

^)  Capit  802  (I,  100),  c.  44:  Ut  aequales  mensuras  et  rectas  et  pon- 
dera  iusta  et  aequalia  omnes  habeant  Et  qui  antea  dedit  tres  modios, 
modo  det  duos. 

»)  LL.  I,  72,  c.  4  8.  unten  S.  476.  A.  1. 

*)  Die  Tributzahlungen,  welche  Soetbeer  IV,  285  als  Motiv  der  Er- 
höhung ansieht,  fallen  doch  in  eine  viel  spätere  Zeit,  und  überdiess  zeigen 


—    460    — 

4 

lässt  sich  die  Gewichtserhöhung  nur  als  Massregel  der  Hfinz- 
Verwaltung  ansehen.  Denn  abgesehen  davon,  dass  nicht  bloss 
das  Münzgewicht,  sondern  überhaupt  das  Gewicht  erhöht  er- 
scheint, war  «ein  gi'össerer  Feingehalt  der  Denare,  um  sie  etwa 
nur  dem  legalen  Münzfusse  entsprechend  auszuprägen,  gar 
nicht  geboten,  da,  soviel  wir  sehen,  schon  die  älteren  Denare 
Pipins  und  Karls  selbst  mit  der  altem  Gewichtsnonn  in 
Uebei-einstimmung  —  keineswegs  aber  durchgehends  zu  leicht 
ausgeprägt  waren.  4 

Dagegen  scheint  allerdings  ein  wirthschaftspolitischer  Grund 
in  erster  Linie  für  die  Gewichts-  und  Münzreform  Karls  d.  Gr. 
massgebend  geworden  zu  sein.  Der  Gebrauch  des  römischen 
Pfundes  mochte  im  Laufe  der  Jahrhunderte  bei  dem  Mangel 
guter  Normalgewichte  und  einer  durchgebildeten  Verwaltung 
ziemlich  unsicher  und  damit  die  Relation  der  Münzen  zu 
dem  Münzgewichte  nur  mehr  sehr  ungefähr  richtig  gebliebeD 
sein  ^). 

Bei  dem  ausgeprägten  Streben  Karls  d.  Gr.  nun,  Ordnung 
und  Gewissenhaftigkeit  in  die  ganze  Verwaltung  zu  bringen 
und  natürlich  auch  das  Münzwesen  auf  sicherere  Giiindlagen 
zu  stellen,  um  dem  Gebrauch  gemünzten  Geldes  eine  grössere 
Ausdehnung  zu  geben,  war  die  Bemühung  erklärlich,  eine  feste 
Grundlage  in  einem  Gewichtspfunde  zu  schaffen,  welche  zu- 
gleich rationell  und  dem  allgemeinen  Gebrauche  im  Verkehr 
bequem  und  behebt  war. 

Und  da  überdiess  ein  althergebrachtes  Gewichtspfund  der 
deutschen  Stämme  bestand,  welches,  obgleich  gewiss  nicht  min- 
der unsicher  in  seinem  Ausmasse '),  doch  beträchtlich  schwerer 
war,  als  das  römische,  so  lag  es  für  eine  Regierung,  die  sich 
zumeist  auf  die  Völker  rechts  des  Rhein  stützen  wollte,  nahe. 


ja  gerade  die  Münzen  der  späteren  Karolinger,  welche  am  meisten  Tribut 
zahlen  mussten,  eine  auffallende  Gewichtserleichterang. 

^)  Vgl.  Soetbeer  IV,  309. 

^)  Doch  finden  sich  im  nordischen  Boden  alte  Wagen  und  Gewichte; 
bist,  antiqu.  Mittheilungen,  Kopenhagen  1835,  S.  103  fg.  Aber  im  Oanzen 
waren  die  sinnlichen  Massbestimmungen  der  alten  Germanen  wenig  goMi 


—    461    — 

aach  diesen  nationalen   Gesichtspunkt  bei  der  Reform   des 
MOnzwesens  zu  berücksichtigen  0. 

Natürlich  kann  nicht  daran  gedacht  werden,  dass  Karl 
d.  Gr.  sich  einfach  an  ein  vorgefundenes  Gewichtspfund  ge- 
halten habe,  da  sicherlich  die  etwa  vorhandenen  Etalons  selbst 
wieder  unter  einander  nicht  in  üebereinstimmung,  noch  wahr- 
scheinlicher aber  bei  dem  Mangel  öffentlicher  Verwaltung  bei 
den  einzelnen  Stammesherzogthümem  solche  gar  nicht  vor- 
handen, sondern  nur  ungefähre  Gewichtsfeststellungen  nach 
traditionellem  Brauch  in  Uebung  waren*);  ein  gewisses  Mass 
freischaffender  Thätigkeit  muss   bei  Bestimmung  der  neuen 
Gewichtsnonnen  sicher  angenommen  werden,  und  das  ist  um 
so  wahrscheinlicher,  als  ja  am   Hofe  Karls  d.  Gr.  eine  Ge- 
legenheit dazu  wie  nie  vor-  noch  nachher  gegeben  war.    Denn 
hier  vereinigte  der  geistreiche  Herrscher  ja  alles,  was  Wissen- 
schaft und  Gelehrsamkeit  jener  Zeit  schuf,  von  hier  aus  wur- 
den Verbindungen  mit  der  ganzen  Welt  unterhalten,  so  dass 
sicher  auch  die  Summe  meteorologischen  Wissens  vereinigt  war 
und  zur  Lösung  des  Problems  einer  rationellen  Gewichtsgrund- 
lage verwendet  werden  konnte^). 

Trotz  all  dieser  Bemühungen  Pipins  und  Karl  d.  Gr.  um  Aus- 
bildung eines  rationellen  und  auch  für  den  Verkehrsdienst  besser 
geeigneten  Münzwesens  ist  aber  doch  der  Geldgebrauch  dieser 
Zeit  in  Deutschland  noch  sehr  beschränkt^),  ja  er  scheint  sogar  in 
der  Zeit  der  späteren  Karolinger  eher  ab-  als  zugenommen  zu 
haben.  Es  ist  das  schon  aus  dem  Umstände  zu  ei-sehen,  dass 
aus  der  ganzen  Karolingerperiode   kein  einziger  Denar  aus 

')  üeber  die  älteren  Gewichtssysteme  germanischer  Völker  vgl.  Soet- 
beer  I,  240  ff.,  IV,  334  ff. 

^  Viel  zu  sicher  von  einem  herrschenden  deutschen  Gewicht  spricht 
Müller  L  c.  310. 

')  üeber  die  vielfach  zur  Erläuterung  der  karolingischen  Gewichts- 
reform herangezognen  arabischen  Gewichtssysteme  s.  Soetbeer  IV,  315  ff. 

*)  Vgl.  Capit.  Aquisgr.  817  (I,  210)  addenda  c.  8:  Quid  in  conposi- 
tione  wii^ldi  dari  non  debeat.  In  conpositione  wirgildi  volumus  ut  ea 
dentur,  quae  in  lege  (Ripuaria)  continentur,  excepto  acdpitre  et  spata, 
quia  propter  illa  duo  aliquoties  periurium  conmittitor,  quando  maioris 
pretii  quam  illi  sint  esse  jurantur. 


—    462     - 

einer  Münzstätte  rechts  des  Rhein  bekannt  ist,  was  ganz  un- 
denkbar wäre,  wenn  das  MünzbedOrfiiiss  in  diesem  Tfaeile  des 
Reiches  irgend  namhafte  Dimensionen  angenommen  hätte  M. 
In  der  That  behauptet  aber  auch  der  naturalwirthschaftllche 
Tauschverkehr  während  der  ganzen  Periode  ein  auffallendes 
Uebergewicht,  das  selbst  durch  die  Anordnungen  Karls  d.  Gr.*) 
und  seiner  Nachfolger,  welche  auf  verschiednen  Punkten  den 
Geld  verkehr  begünstigten,  keineswegs  beseitigt,  ja,  wie  es 
scheint,  nicht  einmal  gemindert  werden  konnte*). 

Es  zeigt  sich  das  insbesondere  in  der  ungeschmälerten 
Foitdauer  der  Naturalzinse  und  Dienste,  welche  von  den  Zin^- 
gütern  entrichtet  und  geleistet  werden,  obwohl  Karl  d.  Gr.  den 
Bischöfen  gestattet  hatte,  solche  Leistungen  in  Geld  zu  ver- 
wandeln *) ;  die  Gutsverwaltung  Karls  d.  Gr.  selbst  hat  sich 

^)  Münzrecht  wurde  mehren  bedeutenderen  Verkehrsplätzen  in  Deatsch- 
land  verliehen,  wenn  die  fraglichen  Urkunden  acht  sind;  so  an  Correr 
833,  Worms  856,  Prüm  861,  Osnabrück  8b9,  Münster-Eifel  898,  Hohoseo 
900;  vgl.  Soetbeer  VI,  33. 

<)  Z.  B.  Cap.de  moneta  (I,  159).  Münzpriv.  f.  Ck)rvey  833:  qoia  locom 
mercationis  ipsa  regio  indigebat,  monetam  nostrae  auctoritatis  pnblicam . . . 
Btatuimus.  Auch  bei  den  sonstigen  ältesten  Verleihungen  königücher  Mfio- 
zen  ist  immer  das  Verkehrsinteresse  entscheidend;  s.  Soetbeer  VT,  31  i 
Die  (später  zugesetzte?)  Stelle  L.  Alam.  Hloth.  Vni,  A  (LL.  HI,  48)  me- 
dietatem  in  auro  valente,  medietate  cum  quäle  pecunia  habet ;  auch  L.  AI 
Lantfr.  VI  betrifft  Busszahlungen. 

^)  Auch  das  Gesetz  Ludwig  d.  Fr.  817  (LL.  I,  213),  c.  18:  quidmqoe 
über  homo  denarium  bene  pensantem  recipere  noluerit  kann  als  Massr^I 
zur  Einbürgerung  des  Geld  Verkehrs  angesehen  werden,  obwohl  es  sich 
zunächst  nur  als  Massregel  der  Münzordnung  darstellt;  vgl.  ähnliche  spä- 
tere Bestimmungen  unten  S.  464  Anm.  5. 

*)  Gap.  801  (I,  88),  c.  22:  Si  quis  tamen  episcopormn  fberit  qui  ar 
gentum  pro  hoc  (nona  et  decima)  accipere  velit,  in  sua  maneat  potestate. 
Die  Geldeinkünfte  von  Prüm  beliefen  sich  noch  am  Ende  des  9.  Jahx^ 
nur  auf  circa  1500  Solidi,  während  der  Werth  seiner  Natnraleinkünfte  an 
Getreide,  Wein,  Schweinen,  Hühnern,  Eiern  und  Lein,  ungerechnet  alles 
Andre,  schon  gegen  2600  sol.  betrug.  Die  Gelderträge  von  Bleidenstadt 
(Anf:  d.  10.  Jahrh.)  belaufen  sich  auf  92  solidi.  Vom  Stifte  Werden  siod 
allerdings  in  derselben  Zeit  12.137  Denare  in  Geld  neben  Naturaloinkfinftn 
im  ungefähren  Werth  von  13.210  den.  vorgetragen;  aber  viele  der  OfM* 
ausätze  wurden  in  natura  geleistet,  wie  die  häufigen  Bemerkungen  solidos 
siclus  in  grano,  in  re  qualibet,  in  quo  potest  etc.  beweisen. 


—    463     - 

dem  nicht  entschlagen  können,  wie  diess  aus  dem  Breviar 
über  das  bischöfliche  Gut  Stafielsee  sich  ergibt,  das  keinerlei 
Geldeinkünfte  hat^). 

Ebenso  wird  foilwähreod  bei  Gutskäufen  neben  einem 
Geldpreis  ein  solcher  in  Gebrauchsgegenständen  in  Ansatz  ge- 
bracht (Pferde,  Kleider,  Waffen  u.  dgl.)*).  Ausserdem  ist 
aach  aus  manchen  öffentlichen  Einrichtungen  die  Fortdauer 
der  Natural wirthschaft  zu  ersehen ;  als  Heeresabgabe  erscheint 
ein  Heeimalter  neben  dem  Heerschilling  noch  im  Anfang  des 
10.  Jahrhunderts*);  die  Sachsen  leisten  einen  Pferde-*),  die 
Thüringer  einen  Schweinetribut*);  aus  den  Gegenden  am  Main 
ist  eine  osterstuopha  oder  steora  in  Honig  und  Gewändern,  an- 
derswo in  Lämmei-n,  Hühnern,  Eieni  und  Holz  bekannt®); 
unter  Ludwig  dem  Frommen  erecheint  ein  stuofchom  ^).    Auch 


»)  Die  Annahme  Gfrörer'B  (Gregor  VII,  1,  547;  7,  197  und  z.  Gesch. 
d.  Volksrechte  II,  275),  dass  nicht  bloss  in  den  gallischen,  sondern  auch 
in  den  deutschen  Provinzen  des  karolingischen  Reiches  ein  Geldverkehr 
stattgefunden  habe,  der  sich  bis  auf  die  niedersten  Klassen  der  Bevölke- 
rung herab  erstreckte ,  ist  in  der  behaupteten  Weise  jedenfalls  unrichtig; 
dass  seit  Pipin  die  Geldabgabe  neben  der  Naturalleistung  schon  im  8.  Jahrh. 
eine  steigende  Bedeutung  gewonnen  habe,  ist  jedenfalls  nur,  insofeme  da- 
bei an  neue,  früher  nicht  bekannte  Abgaben  in  Geld  gedacht  wird,  richtig, 
eiae  Reluition  aber  doch  nur  ganz  vereinzelt  vorgekommen. 

>)  Der  Werthtarif  der  1.  Ripuar.  c.  36  (s.  oben  S.  144)  hat  auch  f&r 
die  Karolingerzeit  Geltung  behalten,  wie  aus  Cap.  817  (I,  210),  c.  8  (s. 
oben  S.  461  A.  4)  zu  ersehen  ist;  vgl.  z.  B.  Tr.  Fris.  826,  n.  493,  Landgut 
gegen  Pferde  und  andres  Vieh  verkauft  ib.  827,  n.  516  12  sol.  in  vesti- 
bus  et  nno  caballo  et  pachone.  ib.  831,  n.  552  pro  hoc  acceperunt  ca- 
ballum  1  et  aliam  pecuniam  wergeldum  reddendum;  vgl  noch  ib.  n.  252, 
327,  546.  Geldpreise  ib.  n.  98,  220,  629.  Nicht  minder  häufig  in  den 
Trad.  Sang.  761,  n.  31  in  precium  1  cavallum  et  1  spada;  772,  n.  64  ser- 
vum  adtazatum  precium;  eod.  a.  n.  68  in  precio  adpreciato  inter  caballo 
et  alio  precio  sol.  20. 

')  Im  Registrum  Werd.  sehr  häufig. 

*)  Ann.  Laur.    Ann.  £inh.  a.  a.  758. 

<")  Ann.  QuedUnb.  SS.  lU,  p.  32.    Ann.  Saxo  1002. 

^)  C.  Laur.  3675,  3672;  vgl.  auch  die  vaccae  inferendales  Cap.  Worm. 
829  (I,  352),  c  13. 

^)  Schannat  Worm.  II,  p.  6:  modium  regis  quod  vulgari  nomine 
stuofchom  appellatur. 


—    464    — 

die  Zölle  werden  nicht  immer  in  Geld,  sondern  auch  in  den 
Waaren  geleistet,  welche  durchgeführt  werden.  Wie  in  dem 
Privilegium  für  Corbie  716^),  so  findet  sich  noch  in  dem 
Zolltarif  von  Baffelstätten  mancher  Naturalzolt*). 

Anderseits  geben  um  900  der  Erzbischof  von  Salzburg 
und  seine  Suffragane  den  Ungarn  einen  Tribut  in  Leinwand ') ; 
und  in  Rhätien  findet  sich  eine  Zeit,  in  welcher  offenbar  als 
Nothbehelf  Eisen  i*egelmässig  an  Zahlungsstatt  gegeben  wor- 
den ist*).  Schliesslich  zeigen  aber  auch  die  vielen  Verord- 
nungen,  welche  gegen  Zurückweisung  vollwichtiger  Münzen 
immer  wieder  von  den  späteren  Karolingern  ^)  erlassen  wurden, 
wie  zähe  das  Volk  an  der  Naturalwirthschaft  festhielt,  bei 
welcher  Uebervortheilungen,  wie  sie  durch  Münzen  hervor- 
gerufen wurden,  veimieden  werden  konnten^. 

Entscheidend  hiefür  musste  aber  in  letzter  Linie  immer 
die  Menge  des  Edelmetalls  sein,  welche  für  die  Circulation 
zur  Verfügung  stand. 


^)  Vgl.  1.  Bach,  5.  AbBchnitt,  S.  194. 

^)  Leges  portoriae  (LL.  III,  480),  c.  1 :  de  1  navi  reddant  3  semi- 
modios,  id  est  8  scafilos  de  sale.  c.  5 :  Carte  aatem  salinarie  .  .  .  tantem 
1  scafil  plenum  exsolvaiit.  c.  6:  de  sogma  1  de  cera  2  massiolas;  de 
onere  imius  hominis  massiola  1  u.  ö. 

»)  Mansi  XVUI,  207.    Gfrörer,  Gregor  VH,  144. 

*)  Tr.  Sang.  818,  n.  235:  predmn  recepit  Maio  de  ipso  agro  yaliente 
in  ferro  libr.  60;  ih.  820,  n.  248  de  prado  2  tremeses  in  ferro  Talente;  ib- 
820,  n.  254  predom  recepit  de  ipso  agro  val.  in  ferro  ^90;  ib.  255  de 
uno  quod  vindedi  recepit  Latinas  terra  bivaliente  90  ü.  fern;  ib.  n.  262 
preciam  placuit  adqae  ficitum  yaliente  in  ferro  ۧ  70;  ib.  825,  n.  293  pre- 
dum  recepit  1  sol.  in  ferro  raliente.  Mit  R&cksicht  auf  die  Objede 
scheint  1  sol.  »»  70  ^  ferr.  gegolten  zu  haben.  Von  826  an  behalf 
man  sich  wieder  mit  anderem  Natoraltansch,  z.  B.  n.  296  predom 
recepit  1  bove  et  1  espada.  Nor  verdnzelt  kömmt  noch  im  Jahre  864, 
n.  501  4  trem.  in  ferro  valiente  vor.  Natürlich  war  damit  kein  Eiseogeld 
geschaffen,  wie  z.  B.  Wirth,  Deutsche  Gesch.  I,  98  gemeint  hat 

<^)  Nach  dem  Gap.  794,  c.  4.  Gap.  Aquisgr.  817  (I,  210  ff.),  c  18  de 
bis  qui  denarios  bonos  acdpero  nolunt  Gap.  Worm.  829  (I,  352)  ali« 
cap.  8  de  bonis  denariis  quos  populns  non  vult  redpere.  £d.  Carisiac 
861  (I,  476  ff.)  ne  aliquis  bonum  denarium  id  est  merum  et  bene  pensaih 
tem,  rdcere  audeat. 

•)  Soetbeer  VI,  8. 


~    465,- 

Bei  Beginn  der  Frankenhen*schaft  war  sicherlich  in  Gal- 
lien der  Vorrath  an  Edelmetall  noch  sehr  bedeutend,  obgleich 
mit  dem  Verfall  des  Römerreichs  auch  in  den  Provinzen  be- 
reits im  Abnehipen  begri£fen^).   In  den  rechtsrheinischen  Ge- 
bieten aber  findet  sich  immer  ein  solches  Uebergewicht  der 
Natural wirthschaft ,  dass  die  dort  angesammelten  Edelmetall- 
vorräthe,  die  als  Schatz   der  Herzoge  und  Gaufüi-sten  ängst- 
lich gewahii;  wurden,   für  die  Gestaltung  des  Geldverkehrs 
nicht  in  Betracht  kommen^.     Die  insbesondere  durch  den 
Abfiuss  nach  dem  Orient  und  die  geringe  active  Handelsthä- 
tigkeit  der  Deutschen  bewirkte  Verminderung  des  Edelmetall- 
von'aths  nahm  aber  unter  den  spätem  Merowingei-n  und  den 
ersten  Karolingern  noch  immer  zu  und  wäbi-te  im  Ganzen  so 
lange  foit,  als  ein  Handelsweg  nach  der  Levante  offen  war. 
Als  aber  die  Folgen  der  Zerstörung  Alexandriens  durch  die 
Araber  (638),   sowie    die  SpeiTung   des  Seewegs   durch   die 
Mahomedaner,  des  Donauwegs  durch  Avaren  und  Ungarn  sich 
zeigten  und  den  levantinischen  Handel  brach  legten,  da  erst 
gewann  die  einheimische  Edelmetallproduction  ^) ,  welche  bis- 
her die   entstandenen  Locken   nicht  auszufüllen  vei*mochte, 
Bedeutung  für  den  VoiTath  der  deutschen  Länder,  und  die 
Edelmetallmenge  Deutschlands  nimmt  in  Folge  dessen  in  der 
folgenden  Periode  beträchtlich  zu. 

Abgesehen  aber  von  diesen  Einflössen  der  grossen  ost- 
westlichen Handelsconjunctur  ist  aber  der  Edelmetallvon-ath 
des  fränkisch  -  deutschen  Reichs  während  des  ganzen  9.  Jahr- 
hunderts durch  sehr  erhebliche  Tributzahlungen  beträchtlich 
vermindert  worden,   ohne  dass  von  namhafter  Eigenausbeute 


^)  S.  1.  Bach,  5.  Abschnitt,  S.  190. 

^)  Stäliii,  Wirt  Gesch.  I,  238  sieht  in  den  geringen  Strafansätzen  des 
alamannischen  Gesetzes  im  Vergleich  mit  verwandten  Volksrechten  ein 
Zeichen  jcrösserer  Geldarmath  des  Volkes  gegenüber  den  anderen,  die  in 
reichere  Provinzen  des  Südens  and  Westens  eingewandert  waren. 

')  Der  Bergbau  aaf  Silber  hatte  im  9.  Jahrh.  jedenfalls  in  Val  de 
Li^vre  (Elsass),  am  Fichtelgebirge  and  in  Böhmen,  ausserdem  insbesondre 
zu  Melle  in  Poitou  schon  bedeutende  Ausdehnung  erlangt.  Soetbeer  VI, 
54  ff.  Hanauer,  ^tudes  öconomiques  sur  TAlsace  ancienne  et  moderne 
I,  177. 

Ton  Inama-Sternegg,  Wirtliscliaftagesehiclite.    I.  30 


— .  466    — 

einheimischer  Bergwerke  ein  belangreicher  Eisatz  dieser,  aaf 
100.000  Pfund  Silber  sich  belaufenden  Summen  >)  angenommen 
werden  kann^).  VoiHbergehend  traten  wohl  auch  Umstände 
ein,  welche  den  Vorrath  an  Edelmetall  wieder  etwas  erhöhten, 
wie  die  Beute,  welche  Karl  d.  Gr.  im  Avarenkriege  798—806 
machte  ^) ;  aber  wir  sehen  keinen  Einfluss  derselben  auf  den 
Geldumlauf  und  die  Geldbewerthung,  so  dass  dieses  Ereignis 
das  Gesammtergebniss  der  übrigen  Factoren  jedenfalls  in  nicht 
nennenswerther  Weise  alterirt  hat*). 

Im  Ganzen  genommen  ist  der  Rückgang  des  Geldgebraucbs 
und  Geldverkehrs  unter  den  späteren  Karolingern  unverkenn- 
bar, wie  sich  das  auch  aus  der  geringen  Zahl  der  aus  diesem 
Zeiträume  erhaltenen  Münzen  ergibt^).  Wenn  nichtsdesto- 
weniger die  Münzgesetzgebung  unter  den  spätei-en  Karolingern 


>)  Soetbeer  VI,  56. 

^)  Waschgold  aus  dem  Rheine  Marena  aurea*'  Ennold.  Nig.  (SS.  E 
518) ;  aurom  arenarium  quod  reperitar  in  littoribus  Bheni,  Theoph.  Presb. 
8,  48;  doch  kaum  von  grossem  Belange  angesichts  der  uobedeutenden 
Goldausprägungen  unter  den  Karolingern;  s.  Soetbeer  IV,  340;  VI,  45. 

^  Einh.  Vita  Kar.  c.  18:  Omnis  pecunia  et  congesti  ex  longo  tempore 
thesauri  direpti  sunt,  neque  uUum  bellum  contra  Francos  exortum  humna 
potest  memoria  recordari,  quo  Uli  magis  ditati  et  opibus  ancü  sunt.  Qoippe 
cum  usque  in  id  temporis  pene  pauperes  viderentur,  tantum  aori  et  ar 
genti  in  regia  repertum,  tot  spolia  praetiosa  in  proeliis  sublata,  nt  mento 
credi  possit,  hoc  Francos  Hunis  juste  eripuisse,  quod  Hnni  prius  aläs 
gentibus  iijuste  eripuerunt;  vgl.  auch  Ann.  Lauresh.  796;  Ann.  £inh.7d6; 
Monach.  Sang.  II,  1.  Dass  die  Schätze  immerhin  sehr  bedeutend  geweieo 
sein  können,  lässt  sich  daraus  folgern,  dass  die  Avarenkönige  im  7.  Jahzk 
längere  Zeit  hindurch  einen  jährlichen  Tribut  von  100.000  solidi  von  deo 
oströmischen  Kaisem  ausbezahlt  erhalten  haben  sollen;  Kaiser  HeracÜiu 
musste  ihnen  sogar  200.000  soL  versprechen.  Theophanes  (ed.  Boo.,* 
p.  451.    Soetbeer  II,  886. 

*)  Vielfach  ist  diese  UeberfÜhrung  des  Avarengoldes  als  Quelle  einer 
förmlichen  Preisrevolution  in  Deutschland  und  Frankreich  daigesleUt 
worden  (z.  B.  Gförer,  Gregor  VII,  197  ff.  Kisselbach,  Welthandel  80  U 
Aber  schon  Soetbeer  VI,  82  bestreitet  das  theils  wegen  der  Art  der  Ver> 
theilung  dieses  Schatzes  unter  die  Kirchen,  Klöster  und  Getreues,  theiU 
weil  die  urkundlichen  Angaben  über  Preise  eine  solch  plötzliche  Verände- 
rung keineswegs  zeigen. 

«)  Vgl.  MüUer,  :^rünzgeschichte  I,  311-  321. 


—    467    — 

nicht  raht,  ja  im  Edictum  Pistense  Karls  des  Kahlen  ^)  einen 
neuen  Anlauf  nimmt,  um  Ordnung  und  Zweckmässigkeit  in  das 
Münzsystem  zu  bringen,  so  werden  doch  diese  Voi^schriften  im 
grossen  Ganzen  ähnlich  zu  beuitheilen  sein,  wie  andere  Ema- 
nationen der  späteren  Könige  auf  anderen  Gebieten:  theils 
als  einfache  Wiederholungen  der  in  grossem  Ansehen  stehen- 
den Capitularien  Karls  d.  Gr. ') ,  die  aber  doch  wenig  mehr 
als  todte  Buchstaben,  Zeugnisse  der  Zustände  verschollener 
Zeiten  waren'),  theils  als  vergebliche  Versuche,  noch  einmal 
die  Einheit  der  Reichsgewalt  gegenüber  den  divergirenden 
Bestrebungen  der  grossen  socialen  Mächte  auch  auf  diesem 
Gebiete  der  Volkswirthschaft  zur  Geltung  zu  bringen. 

Die  tiefeingi-eifenden  Veränderungen,  welche  die  Münze 
und  die  Ordnung  des  Geldwesens  überhaupt  während  der 
Karolingei*zeit  erfahren  hat,  mussten  natürlich  auch  auf  die 
Preise  einen  auffälligen  Einfiuss  ausüben.  Die  Einsetzung  eines 
Goldsolidus  von  circa  3.88  Gramm  Gold  durch  einen  ideellen 
Silbei'solidus  von  12  Denaren  im  Gesammtgewicht  von  zuerst 
187,  dann  von  16.2,  endlich  von  20.4  Gramm  Silber  bedeu- 
tete doch  immerhin  eine  sehr  beträchtliche  Herabminderung 
der  Werthseinheit ;  bei  einer  Relation  der  beiden  Edelmetalle 
von  1 :  13  noch  schliesslich  ungefähr  in  dem  Verhältnisse  von 
5:2.  In  diesem  Verhältnisse  mussten  denn  auch  die  Preise 
der  Waareu  sich  verändern,  sofeiiie  die  Münzverändeining  nicht 
eine  veränderte  Vermögenstheilung  wenigstens  in  Bezug  auf 
diejenigen  Gegenstände  des  Volksvermögens  bringen   sollte, 


^)  Cap.  864  (I,  488)  legt  besonderes  Gewicht  auf  die  MOnzpolizei,  für 
welche  besondere  Organe  bestellt  werden.  Eine  neue,  alleingUltige  Prä- 
gung wird  vorgeschrieben;  die  erlaubten  Münzstätten  sind  ausdrücklich 
bezeichnet;  Falschmünzerei  und  Mischung  der  ungeprägten  Edelmetalle 
streng  verboten.  Das  Cap.  Carisiac.  877  (I,  537)  enthält  nur  einige  Wie- 
derholungen aus  dem  Ed.  Pistense,  das  im  Wesentlichen  Grundgesetz  für 
das  Münzwesen  bis  in  das  13.  Jahrh.  geblieben  ist. 

')  Das  gilt  insbesondere  von  dem  Gonventum  apud  Marsnam  847  (I, 
393);  Conv.  Attiniac  854  (I,  429),  c  9,  dem  Cap.  856?  (I,  437),  c.  2  und 
Ed.  Carisiac.  861  (I,  476). 

^)  Vgl.  Boretius,  Beiträge  zur  Eapitularienkritik  129. 

30* 


—    468    — 

welche  Gegenstand  eines  häufigeren  Umtausches  und  daher 
einer  Tauschbewerthung  zugänglich  und  unterworfen  waren  *). 

Denn  obwohl  eine  Verminderung  des  Metall  vorraths  im 
ganzen  Frankenreiche  angenommen  werden  kann,  die  gestie- 
gene Kaufkraft  des  Geldes  also  einigei-massen  die  Entwer- 
thung  der  Wähning  aufwägen  konnte^,  so  war  doch  diese 
Ursache  am  allerwenigsten  in  Deutschland  wirksam,  wo  der 
Geldgebrauch  der  älteren  Zeit  so  äusserst  gering  und  die 
Geldbewerthung  viel  weniger  auf  die  Kaufki*aft  des  Geldes 
als  auf  den  Nutzeffect  der  bewertheten  Objecto  sich  stützte. 

Die  Ersetzung  des  Goldsolidus  durch  einen  Silbersolidus. 
beziehungsweise  der  ältei*en  Silberdenare  im  Idealgehalte  von 
4.2  Gramm  (bei  Relation  von  1  :  13)  durch  einen  fränkischen 
Denar  von  1.70  Gramm  hat  daher  für  das  rechtsrheinische 
Verkehrsgebiet  doch  in  der  Hauptsache  eine  Steigerung  der 
Preise  und  Legalwerthe  im  Verhältnisse  von  2  :  5  zur  Folge 
haben  müssen.  Wo  aber  eine  solche  nicht  eintrat,  wie  ins- 
besondere bei  den  Busssätzen  der  Volksrechte,  da  ist  eine 
entsprechende  Erleichterung  der  gesetzlichen  Bestimmungen, 
eine  allgemeine  Herabmindemng  der  Compositionen  u.  dgl. 
anzunehmen,  wie  sie  sich  auch  aus  der  ausnahmsweisen  Bei- 
behaltung der  ältei'en  schwereren  Währung  ersehen  Iftsst  und 
aus  dem  Umstände  leicht  erklärt,  dass  ja  t^berhaupt  die  so- 
ciale und  ökonomische  Entwickelung  der  Karolingerzeit  die 
grosse  Masse  der  Freien  gedillckt  und  ausser  Stand  gesetzt 
hat,  jene  alten  schweren  Geldbussen  noch  femer  zu  tragen. 


^)  In  dem  einzigen  Falle,  in  welchem  das  urkondlicbe  Material  eine 
Vergleichung  der  Legalwerthe  der  Volksrechte  mit  ap&teren  Werthangaben 
zalässt,  für  die  schwäbischen  Lande,  ist  der  Einf  oss  auch,  obgleich  nicht 
prftcis,  doch  unverkennbar: 

lex  Alam.  Trad.  SangaU. 

caballos    6—12  soL  12—20  sol. 

bos  */»  — Vs  8ol-  2Va  — 5  sol. 

porcus      Vs  Bol.  1  sol. 

In  Trad.  'Wizzemb.  183  (Zeit  Karls  d.  Gr.)  wird  ein  serrns  non  fiir  non 
Aigitivus  sed  sana  mente  et  omni  corpore  um  2  ^.  (40  sol.)  yerkaoft^  der 
nach  den  Volksrechten  einen  Minimalwerth  von  12  Solidi  hatte. 
«)  Soetbeer  IV,  261  f. 


—    469    — 

Einigermassen  ist  nun  auch  dieser  Einfluss  durch  den 
noch  immer  geringen  Geldgebrauch  und  die  daraus  resulti- 
rende  Seltenheit  und  Unregelmässigkeit  der  Verkaufsvorgänge 
abgeschwächt  worden.    Die  Bewerthung  der   Güter  erfolgte 
noch  lange  nicht  überwiegend  für  das  Bedürfniss   des  Um- 
satzes nach  den  Gesichtspunkten  des  Marktverkehrs ;   noch 
immer   mindestens   ebenso  häufig  ward  sie  vorgenommen  aus 
Anlass  eines  Bedüiinisses,  feste  Werthsrelationen  zwischen  den 
Gütern  aufzustellen,  um  ihre  Qualitätsuntei-schiede  zu  bezeich- 
nen und  ihre  allgemeine,  objective  Nützlichkeit  für  die  Wirth- 
Schaft  im  Erwerb  wie  im  Verbrauch  zum  Ausdinick  zu  bringen. 
Eine  solche   den  Legalwerthen    der  Volksrechte  vei'wandte 
Werthbestimmung  konnte   zwar   die  grossen  Veränderungen 
nicht  übei^sehen  oder  unberücksichtigt  lassen,  welche  sich  im 
Laufe  der  Zeit  mit  dem  Gelde  vollzogen;  aber  doch  nicht 
jeder  kleinen  Werthdifferenz,  jeder  veränderten  Weithrelation 
der  Edelmetalle  brauchte,  ja  konnte  sie  nachgehen.   Diese  in 
Geld  ausgedrückte  Qualitätsbewerthung  wichtiger  Gebrauchs- 
gegenstände ,   wie  wir  sie  in  Urkunden  und  Urbarien  finden, 
bedurfte,  ähnlich  wie  jene  Legalwerthe  der  Volksrechte,  der 
Rücksicht  auf  die  concrete  Kaufkraft  des  Geldes  nur  als  Aus- 
gangspunkt ihres  Systems;  sobald  dieses  einmal  eine  gewisse 
Dm'chbildung   erhalten  hatte,  stand  es  unabhängig  von  den 
Bewegungen  des  Geldwerths  und  zwar  um  so  mehr,  je  weniger 
das  Geld  zu  andei'en  Zwecken  als  zur  Berechnung  und  zum 
Ausdruck  der  Werthe  allein  gebraucht  wurde. 

Ein  Bedürfiiiss  nach  einer  solchen  festen  Werthbestim- 
mung auf  der  Grundlage  der  objectiv  werthvollen  Eigenschaf- 
ten der  Güter  bestand  in  der  Naturalwii-thschaft  der  Karo- 
lingerzeit noch  immer  in  zweifacher  Richtung.  Es  musste 
zunächst  das  Werthverhältniss  deijenigen  Güter  genau  fest- 
gestellt sein,  welche  alternativ  als  Zins  für  Beneficien,  Preca- 
lien  etc.  gegeben  und  genommen  werden  sollten;  und  da  es 
fiHhzeitig  schon  nothwendig  wurde,  die  Bezahlung  dieser  Zinse 
in  Natura  oder  in  Geld  freizustellen,  so  entstand  auch  das 
Bedüi-fhiss  nach  einem  Geldanschlage  solcher  Gebrauchsgegen- 
stände, welche  regelmässig  gezinst  wurden. 


—    470    — 

Dann  aber  musste  auch  bei  solchen  Ofitern,  welche  in 
derselben  Species  von  sehr  verschiedener  Qualität  sein  konn- 
ten, nach  einer  möglichst  kurzen  und  bestimmten  Bezeichnung 
der  Qualitätsunterschiede  gesucht  werden,  um  bei  dem  ein- 
zelnen Zinsvertrage  diejenige  Qualität  in  unzweifelhafter  Weise 
bezeichnen  zu  können,  welche  als  entsprechende  Zinsleistang 
gelten  sollte;  dafür  war  aber  nur  ein  Zahlenausdruck  voll- 
kommen  geeignet,  der  den  Werth  der  verschiedenen  Qualitäten 
anzeigte;  und  dieser  Ausdnick  konnte  wohl  nur  in  der  Geld- 
bewerthung  gefanden  werden.  Das  gleiche  BedQrfhiss  konnte 
dann  auch  noch  dazu  führen,  bei  Käufen  den  naturalen  Kauf- 
preis, beim  Tausch  das  Aequivalent  zur  näheren  Bezeichnung 
der  Qualität  in  seinem  Geldweithe  auszudillcken. 

Abgesehen  von  den  Kauijpreisen  für  Grundstücke  und 
Landgüter  sind*  denn  nun  auch  alle  in  den  Urkunden  deut- 
scher Gebiete  vor  und  während  der  Karolingeiperiode  vor- 
kommenden Beweithungen  von  Sachgütern  auf  die  eine  oder 
andere  dieser  Kategorien  von  Weithbestimmungen  zurückzu- 
führen 0*  7j\i  denjenigen  Geldwerthen ,  welche  eventuell  an 
Stelle  bestimmter  naturaler  Zinsleistungen  treten  können,  ge- 
hören in  den  Urkunden  dieser  Zeit  zunächst  die  Getreide- 
werthe*);  sie  bewegen  sich  sämmüich  innerhalb  der  Grenzen 
von  %  den.  =*)  und  3  den.  *)  für  den  modius ,  wenn  die  Ge- 
treideart unberücksichtigt  bleibt,  zeigen  aber  eine  deutliche 
Abstufung  nach  dieser,  so  dass  im  Mittel  der  modius  Hafer 
mit  */6— 1  den.,  der  modius  Gei'ste,  Boggen  und  Spelt  auf 
1  —  2V2  den,,  der  modius  Weizen  auf  3  —  3V2  den.  bewerthet  ist 
Ein   gleiches  gilt  von  den  Werthangaben  für  Wein,  welche 


^)  Vgl.  die  Details  in  Beilage  No.  X. 

>)  Die  Tr.  Sang,  bieten  von  790—909,  46  solche  Angaben  imd  nrar 
lautet  die  Formel  regelmässig  denarios  aut  maldras  de  grapo  {%.  B.  SS2| 
n.  272,  278;  825,  n.  292  o.  0.);  wohl  auch  maldra  pane  .  .  et  si  anoom 
non  venit,  4  tremesses  solram  775,  n.  73  u.  0.  Meich.  823,  n.  455  bkhL 
20,  aut  si  hoc  minime  haberet  tunc  quoque  2  solidos  denariorum. 

")  In  einer  einzigen  Angabe  Tr.  Sang.  826,  n.  298:  10  mod.  de  gruo 
aut  1  tremissem. 

*)  Gleichfalls  in  einer  einzigen  Angabe  Tr.  Sang.  790,  n.  126. 


-    471     - 

sich  für  die  situla  zwischen  ^'^  ^^^  ^  ^^^  ^^^  ^^^  Bi^i'  z^i~ 
sehen  Vs  und  1  den.  bewegen,  im  Mittel  aber  sich  auf  circa 
2 Vi  und  0.6  den.  stellen^);  endlich  werden  auch  Hühner^), 
Pflug')  und  Gewänder*)  in  dieser  Weise  beweithet. 

Werthangaben  sodann,  mit  welchen  nur  Qualitätsunter- 
schiede der  zu  leistenden  Sachgüter  erkennbar  und  bestimmt 
zum  Ausdrucke  gelangen  sollen,  sind  insbesondere  bei  Thieren 
vorhanden,  deren  sehr  verschiedene  Qualität  innerhalb  der- 
selben Species  hiezu  besonderen  Anlass  bot  So  wird  der 
Werth  eines  Frischlings  (junges  Schwein)  zwischen  3  und  12 
den.,  im  Mittel  mit  4-— 5  den.,  eines  Schweines  zwischen  4 
und  24  den.,  im  Mittel  mit  11  den.  angegeben;  ähnlich  sind 
Pferde  und  Ochsen,  Schafe  und  Ziegen,  aber  auch  Gewänder, 
Wollbündel  und  Honig  je  nach  ihrer  Qualität  in  Geld  ge- 
schätzt ^). 

Ein  Ueberblick  über  alle  diese  Werthangaben  der  Ur- 
kunden ergibt  zunächst  eine  ungemein  grosse  und  bleibende 
Uebereinstimmung  in  der  Bewerthung  solcher  Güter,  welche 
alternativ  in  Geld  oder  in  natura  als  Zins  gegeben  werden 
konnten.  Der  Werth  des  Getreides  z.  B.  bleibt  während  120 
Jahren  (alle  Angaben  auf  Mittelsorte  reducirt)  fast  constant 
auf  1  den.  für  den  modius;  und  selbst  die  kleinen  Unter- 
schiede, welche  vorkommen,  lassen  sich  durch  den  vei-schie- 
denen  modius  leicht  erklären,  welcher  da  und  doi*t,  früher  und 
später,  in  Uebung  war.  Auch  das  Huhn  behauptet  während 
mehr  als  100  Jahi*en  seinen  Werth  von  ^^  den.  Grössere 
Differenzen,  wie  sie  besonders  beim  Weine  vorkommen,  sind 
theils  aus  den  hier  besondei*s  auffälligen  Qualitätsunterschie- 

^)  Aus  der  Regula  monachorum  817  (I,  201),  c.  22:  Ubi  autem  vinom 
non  est,  unde  emina  detur,  duplicem  eminae  mensuram  de  cerevisia  bona 
kann  nicht  gefolgert  werden,  dass  das  WerthYerhältniss  von  Wein  und 
Bier  wie  1  :  2  gewesen  sei. 

')  Tr.  Sang.  852  —  960  8mal  mit  Vt  den.,  Imal  mit  1  den. 

»)  Tr.  Sang.  813  —  816,  n.  217;  827,  n.  305;  830,  n.  332;  850,  II, 
S.  398:  4  den.  aut  1  vomerem. 

*)  Tr.  Sang.  825,  n.  291 :  1  soccum  aut  4  den. 

^)  Der  Ausdruck  ist  hier  regelmässig  friskingam  (caballum,  amphoram, 
meUis  etc.)  valentem  x  denarios. 


—    472     - 

den,  theils  aus  der  VerachiedeDheit  der  Gegenden  zu  erklären, 
indem  die  weinreichen  Güter  (z.  B.  Pi1lm)  dem  Weine  einen 
im  Ganzen  niedereren  Werth  beilegen,  als  etwa  das  weinanne 
St.  Gallen. 

Auch  die  ausschliesslich  nach  der  Qualität  bemessenen 
Werthe  zeigen  in  sehr  langer  Zeit  und  an  den  verschieden- 
sten Ölten  nur  sehr  enge  Schwankungsgi*enzen,  während  eine 
volle  Uebereinstimmung  hier  der  Natur  dieses  Werthes  nifth 
ausgeschlossen  sein  muss.  Aber  es  besteht  doch  eine  grosse 
Gleichföimigkeit  des  Durchschnittswerthes  der  Zeit  wie  dem 
Oi*te  nach;  die  friskinga  wird  in  Schwaben  im  Jahre  753^) 
schon  ebenso  zu  4  den.  bewerthet,  wie  noch  im  Jahre  889  in 
Baiem*)  und  893  am  Mittelrhein  ^). 

Auch  ist  die  Beweithung  keine  andere,  mag  sie  nun  zur 
Feststellung  eines  Geldäquivalents  für  Zinse  oder  zur  Bezeich- 
nung einer  bestimmten  Qualität  einer  Zinsleistung  oder  eines 
Kaufobjects  dienen  ^).  Die  werthbestimmenden  Momente  müssen 
also  wohl  sehr  gleichaitig  und  sehr  constant  gewesen  sein. 
Das  schliesst  zunächst  aus ,  dass  die  beim  Kauf  und  Verkauf 
der  in  den  Urkunden  beweitheten  Güter  vorkommenden  Preise 
(Marktpreise)  zu  Gmnde  lagen.  Denn  hier  werden  immer 
und  in  jenen  Zeiten  besonders  die  Mengen  und  anderweitigen 
Anschaffungskosten  grosse  Differenzen  heiTorgebracht  haben  ^): 
auch  düi*ften  sie  noch  immer  zu  selten  und  zu  vereinzelt  ge- 
wesen sein,  als  dass  sie  einer  Geldbewerthung  von  Gebrauchsge- 
genständen der  Wiilhschaft  hätten  zur  Grundlage  dienen  können. 


^)  Tr.  Sang.  n.  17. 

>)  Ried  cod.  Ratisb.  I,  69. 

^)  Reg.  Prumiense  c.  46. 

*)  Tr.  Sang.  797,  n.  145  ist  ein  Zins  von.  4  und  5  den.  aal  firischingi 
sie  valente  bestimmt,  wie  sonst  einfach  die  frisk.  4  den.  valent;  im  Jahr 
829  (Meichelb.  I  b,  546)  wie  im  Jahr  885  (Tr.  Sang.  n.  643)  wird  ein  ca- 
baUus  10  sol.  val.  als  Kaufpreis  gegeben. 

^)  Vgl.  besonders  die  charakteristische  Stelle  von  dem  schwankendeo 
Salzpreise  an  der  Saline  zu  Wihc  in  episcopatu  Metensi  Reg.  Prüm,  c  41. 
p.  164:  Ideo  precipimus  inquirere,  quando  vel  quantom  burdura  ^eioe 
Bürde  Salz)  ascenderit  vel  descenderit,  que  aliquando  2  constat  denarüs 
tantum,  aliquando  usque  ad  16  denarios,  aliquando  usque  ad  undam  (20 
den.)  perrenit 


—    473    — 

Aber  auch  die  Kaufkraft  des  Geldes  konnte  für  diese 
Art  der  Werthbestimmung  nicht  massgebend  sein.  Denn  die 
Berücksichtigung  derselben  schliesst  geradezu  jedes  feste 
Werthverbaltniss  von  Geld  und  Naturalien  aus,  da  sich  die 
Wei-the  dieser  Güter  immer  in  umgekehrter  Richtung  bewegen. 
Durch  die  alternative  Zinsleistung  war  sogar  der  thatsäch- 
lichen  Veränderung  in  der  Kaufkraft  des  Geldes  jede  An- 
erkennung versagt;  sie  musste  offenbar  unberücksichtigt  blei- 
ben, wenn  für  eine  unbestimmt  lange  Reihe  von  Jahren,  auf 
Lebensdauer,  oder  selbst  über  dieselbe  hinaus  eine  gewisse 
Zinsleistung  in  natura  einer  bestimmten  Geldsumme  immer 
gleich  gestellt  sein  sollte. 

Ebenso  aber  ist  der  rein  subjective  Standpunkt  der  Ver- 
tragsschliessenden ausgeschlossen.  Denn  es  würde  dann  eine 
solche  Uebereinstimmung  nicht  angenommen  werden  können, 
wie  sie  thatsächlich  besteht;  und  das  um  so  weniger,  je  mehr 
die  Feststellung  der  Zinsverpflichtung  einseitig  von  dem  Ver- 
leiher des  Beneficiums,  der  Precarie  etc.  ausging. 

Den  festen  Ausgangspunkt  für  diese  Werthmessung  musste 
daher  wieder  jener  objective  Gebrauchswerth  bilden,  den  wir 
schon  für  die  Legal weithe  der  Volksrechte  als  massgebend 
gefunden  haben  ^).  Es  ist  das  schon  aus  den  in  den  Urkun- 
den angewendeten  Ausdrücken  im  Allgemeinen ')  zu  erkennen ; 
welcher  Art  aber  dieser  Gebrauchswerth  war,  das  wird  be- 
sonders deutlich  aus  jenen  Werthbestimmungen,  welche  offen- 
bar nur  die  Qualitätsunterschiede  oder  die  mittlere  Ertrags- 
fähigkeit des  Werthobjects')  zu  einem  klaren  und  concreten 
Ausdrucke  bringen  wollen. 


^)  S.  1.  Buch,  5.  Abschnitt,  S.  195  ff. 

-)  Stellen  wie  z  B.  Tr.  Sang.  772,  n.  64:  quicquid  cum  meo  pretio 
acquesivi  .  .  .  servum  adtazatum  pretium ;  Tr.  Wizz.  782,  n.  76 :  quicquid 
de  pretio  meo  comparavi  können  nicht  von  Preisen  verstanden  werden. 
Auch  Tr.  "Wizz.  791,  n.  78:  censum  6  den.  vel  quod  Ulis  valet  pretium; 
Tr.  Sang.  811,  n.  207:  in  quocunque  pretio  potuerit;  ib.  794,  n.  137:  fris- 
kingam  ipso  grano  valentem  lassen  schon  sprachlich  nur  eine  Beziehung  auf 
Gebrauchswerthe  zu. 

')  Jfeichelb.  823,  Ib,  n.  443:  prato  valentes  30  carradas. 


—    474    — 

Im  rechten  Gegensatz  dazu  stehen  die  bei  Festsetzung 
von  Kaufpreisen  gewöhnlichen  Ausdrücke,  welche  auf  eine 
concrete  und  subjective  Werthschätzung  deuten  und  den 
Gegensatz  zu  der  sonst  vorkommenden  objectiven  Werth- 
schätzung sogar  bestimmt  zum  Ausdi-uck  bringen  zu  wollen 
scheinen^).  Ist  nun  auch  damit  ersichtlich,  dass  eine  freie 
Preisbildung  jener  Zeit  durchaus  nicht  fremd  war,  so  er- 
scheint doch  andei'seits  das  System  der  Qualitätswerthe ,  wie 
es  besonders  für  die  Ordnung  der  grundherrlichen  Abgaben 
und  die  Taxation  des  landwirthschaftlichen  Betriebscapitals 
sich  ausgebildet  hat,  bei  der  immer  grösseren  Ausbreitung  der 
ginindheiTSchaftlichen  Wirthschaftsverbände  von  massgebendem 
Einflüsse  selbst  fUr  die  freie  Preisverabredung  geworden  xu 
sein;  wenigstens  soweit  nicht  die  energischer  wirkenden  Mo- 
tive einer  eigentlichen  Marktpreisbildung  wirksam  waren,  übt 
die  in  den  Qualitätswerthen  zum  Ausdruck  gelangende  öffent- 
liche Meinung  über  die  allgemeine  Brauchbarkeit  der  Dinge 
ihre  Macht  auch  für  den  Preis  im  Einzelkaufe  aus.  Es  zeigt 
sich  das  schon  in  der  Uebereinstimmung,  welche  zwischen  ein- 
zelnen zufällig  erhaltenen  Preisen  solcher  Gebrauchsgegen- 
stände mit  den  gewöhnlichen  Qualitätswerthen  derselben  be- 
steht'); nicht  minder  aber  wird  es  ei*sichtlich  aus  jenen 
Preisbestimmungen,  welche  Karl  d.  Gr.  weiten  Kreisen  der 
Bevölkerung  als  Noi-m  für  Kauf  und  Verkauf  vorschrieb  und 
womit  er  dem  Systeme  der  Legalwei-the  eine  weitere  höchst 
lehrreiche  Anwendung  gegeben  hat. 

Von  den  vei*schiedencn  Stellen  der  Kapitularien  Karls 
d.  Gr.,  welche  Werthbestimmungen  enthalten,  sind  mehre,  die 


')  C.  Laoresh.  764,  n.  549:  accepimus  iaxta  quod  nobis  placoit,  pro 
eisdem  3  unciaa;  ib.  765.  n.  1037:  quod  nobis  plactiit  atque  aptificaTit; 
Lacomblet,  Urk.*B.  813,  1,  30:  precium  sicat  inter  dos  placait  atqoe  cod- 
venit;  ebenso  818,  n.  34;  848,  n.  64  u.  o.,  und  h&ufig  in  dem  Cod.  Fdd 
seit  753. 

*)  Schon  die  ältere  Zeit  bietet  ein  Paar  Belege  hiefOr;  dem  Legal- 
werth  des  gewohnlichen  Leibeignen  entsprechend  wird  bei  Gregor  Tor. 
ni,  15  von  dem  Ankauf  eines  Sklaven  um  12  sol.  berichtet;  TesUnMot 
des  Remigius  Remensis  580  (Pardessus  n.  118):  Triaredus  quem»  ne  ocd- 
deretur,  14  solidis  comparavi. 


—    475    — 

sich  an  die  bisher  besprochene  Weise  der  Werthbildung  eng 
anschliessen.  So  insbesondere  jene  beiden  Bestimmungen, 
welche  zunächst  sächsische  Verhältnisse  berühren,  und  das 
System  der  Legalwerthe  fQr  bestimmte  Bussfälle  unter  Be- 
rücksichtigung der  eigenthümlichen  Geldverhältnisse  weiter 
ausbilden  1).  Für  Hafer,  Roggen  (oder  Dinkel?)  und  Honig, 
sowie  für  mancherlei  Vieh  wurden  feste  Geld werthe  angesetzt; 
und  dieselben  befinden  sich  sowohl  mit  den  in  der  karolingi- 
schen  Redaction  des  sächsischen  Volksrechts,  als  auch  in  den 
späteren  Zusätzen  zu  demselben  (aus  dem  Anfang  des  9.  Jahr- 
hunderts) enthaltenen  und  nicht  minder  mit  den  sonstigen 
Weithangaben  der  Urkunden  und  Capitularien  in  hinlänglicher 
Uebereinstimmung ,  um  den  weitreichenden  Einfluss  der 
Qualitätsbewerthung  auch  hier  erkennen  zu  lassen^). 

Aehnlich  ist  dann  auch  noch  ein  Wormser  Kapitel  aus 
dem  Jahre  829^)  zu  beurtheilen,  welches  den  Qualitätswerth 
einer  Zinskuh  auf  2  solidi  festsetzt  und  dabei  an  eine,  uns 
nicht  erhaltene,  Bestimmung  Karls  d.'^Gr.  anknüpft;  jedenfalls 
ist  daraus  ersichtlich,  dass  sich  die  Verwaltung  auch  hier  an 
das  sonst  übliche  System  der  Gebrauchswerthe  angeschlossen 


^)  Cap.  Paderbr.  785  (I,  50),  c.  27:  Si  vero  super  bannam  in  domum 
säum  intrare  praesampBerit,  aut  sol.  10  aut  unnm  bovem  pro  emendatione 
ipsius  banni  componat  Capit  Saxon.  797  (I,  10),  c  11:  lllud  notandom 
est,  quales  debent  solidi  esse  Saxonum;  id  est  boyem  annoticum  utrius- 
que  sexas,  aatomnali  tempore,  sicut  in  stabulom  mittitnr,  pro  1  sol.,  si- 
militer  et  vemnm  tempus,  quando  de  stabnlo  exiit;  et  deinceps,  quantum 
aetatem  anxerit,  tantum  in  pretio  crescat  De  avena  yero  Bortrini  pro 
sol.  1  scapilos  40  donant  et  de  sigale  20;  Semptemtrionales  autem  pro  so- 
lide scapilos  80  de  avena  et  sigale  15.  Mel  yero  pro  solide  Bortrensi 
sigla  1^/s  donant;  Septemtrionales  autem  2  sidos  de  meUe  pro  1  sol.  do- 
nent,  idem  ordeum  mundum  sicut  et  sigale  pro  1  sol.  donent  In  argento 
12  den.  solidum  faciunt  Et  in  aliis  spedebus  ad  istum  pretium  omnes 
aestimationes  compositionis  sunt 

')  Vgl  meine  Ausführung  dieses  Punktes  in  den  Hildebr.  Jahrbüchern 
für  Nationalökonomie  Bd.  80,  S.  224  ff. 

*)  Cap.  Worm.  (I,  352),  c.  13:  Quicunque  vicarii  vel  alii  ministri  co- 
mitum  tributum,  quod  inferenda  yocatur,  maioris  pretii  a  populo  ezigere 
praesumpsit,  quam  a  missis  bonae  memoriae  genitoris  nostri  constitutum 
fuit,  hoc  est  2  solid,  pro  una  vacca  ....  ministerium  ammittat 


—    476    — 

hat.  Die  ungefähre  Uebereinstimmung  dieses  Werthansatzes 
mit  den  Legalwerthen  der  Volksrechte  legt  auch  hier  den 
Gedanken  nahe,  dass  hiebei  eine  Bei-Qcksichtigang  der  Ver- 
kaufspreise nicht  stattfand,  sondern  ein  feststehendes,  gewohn- 
heitsmässiges  Werthverhältniss  zu  Gi-unde  gelegt  wurde,  oder 
dass  auch  die  Verkaufspreise  mit  diesem  in  ziemlicher  Ueber- 
einstimmung sich  befanden. 

Schwieriger  zu  beui-theilen  und  vielfach  bestritten  ist  da- 
gegen die  Bedeutung,  welche  denjenigen  Bestimmungen  karo- 
lingischer  Capitularien  zukömmt,  in  denen  für  Getreide  und 
andere  Handelsartikel  Maximalpreise  fbr  den  Verkauf  aus- 
gespi*ochen  sind^). 

Die  Vorschrift  des  Capitulai-e  Frankofurtense  hat  man 
vielfach  als  Massregel  der  Theuerungspolizei  angesehen,  da 
im  Jahre  793  in  einigen  Theilen  des  h'änkischen  Reiches 
Hungersnoth  geheiTscht  hatte  ^).  Diese  Ansicht  verbietet  sich 
aber  durch  die  Worte  des  Gapitulars  von  selbst,  und  ist  auch 
durch  die  ziemliche  Uebereinstimmung  der  hier  angenomme- 
nen Fruchtpreise  mit  den  bekannten  Zinswerthen  von  Geträde 
ausgeschlossen.  Allgemein  aber  hat  man  darin  einfach  eine 
Polizeitaxe  gesehen,  wie  sie  dem  ausgehenden  Mittelalter  und 
den  späteren  Jahrhunderten  ganz  vomemlich  zu  Eigen  sind. 
Dieser  Auffassung  stehen  aber  sehr  gewichtige  Bedenken  ent- 
gegen. Zunächst  schon  der  Umstand,  dass  weder  in  der  Ge- 
setzgebung Karls  d.  Gr.,  noch  in  den  Capitularien  seiner 
Nachfolger  ein  ähnlicher  Vei'such  einer  gesetzlichen  Feststel- 
lung der  Marktpreise  fbr  Getreide  vorkömmt    Die  Bestim- 


*)  Zuerst  in  Capit  Frankof.  794  (I,  72),  a  4 :  Ut  nulluB  homo  .  .  . 
nunquam  carius  vendat  annonam  sive  tempore  abundantiae  rire  tempore 
caritatis,  quam  modium  publicum  et  noviter  statutum.  De  modio  de 
avena  denario  1,  modio  ordei  den.  2.  modio  sigalo  den.  3,  modio  finuDeoti 
den.  4.  Si  vero  in  pane  vendere  voluerit,  12  panes  de  frumento,  haben- 
tes  singuli  libras  2,  pro  denario  dare  debet,  sigalatius  15  aequo  posdere 
pro  denario,  ordeaceos  20  similiter  pensantes.  De  yero  annona  publica 
domni  regia,  si  venundata  fuerit,  de  avena  modios  2  pro  den^  ordeo  des. 
1,  sigalo  den.  2,  frumento  modius  den.  3. 

«)  Ann.  Lauresh.  (SS.  I,  35). 


—    477    — 

mangen  des  Capit  duplex  Niumag.  806  (s.  unten)  stellen  nur 
Maximalpreise  für  ein  bestimmtes  Theuerungsjahr  und  zwar 
ausschliesslich  fttr  die  Inhaber  königlicher  Beneficien  und  mit 
besonderer  Betonung  des  eingerissnen  Kornwuchers  fest,  neh- 
men aber  in  keiner  Weise  Bezug  auf  bestehende  Komtaxen, 
wie  das  doch  gerade  bei  einer  Ausnahmsbestimmung  so  nahe 
frelegen  wäre,  wenn  eine  gesetzliche  Regel  überhaupt  bestan- 
den hatte.    Ebensowenig  lässt  das  Capit.  duplex  in  Theodonis 
Villa  promulgatum  805  die  Annahme  zu,  dass  eine  Korntaxe 
bestanden  habe;  denn  es  wird  hier  ganz  allgemein  vorgeschrie- 
ben, dass  die  Gutsherren  bei  der  herrschenden  Hungersnoth 
ihre  Leute  ernähren  und  das  Getreide  nicht  allzutheuer  ver- 
kaufen sollen  ^).    Eine  wiederholte  Normirung  der  Getreide- 
pmse  wäre  aber  doch  unbedingt  nothwendig  gewesen,  wenn 
dieselbe  wirklich  den  Zweck  verfolgen  sollte,   die  Verkaufs- 
preise polizeilich  zu  regeln.   Man  könnte  aber  annehmen,  dass 
es  Karl  d.  Gr.   mit  dem  einen  Versuche  einer  allgemeinen 
Regelung  der  Korapreise  zu  Frankfurt  habe  bewenden  lassen, 
nachdem  er  sich  von  der  Unmöglichkeit  ihrer  strikten  Durch- 
führung überzeugt  habe.    Dieser  Auffassung  ist  aber  entgegen- 
zuhalten,  dass  Karl  d.  Gr.  bei  seiner  bekannten  Energie  es 
hier  wie  in  anderen  Fällen  sicherlich  nicht  unterlassen  hätte, 
wenigstens  eine  Zeit  lang  den  Versuch  fortzusetzen,  wenn  er 
überhaupt  in  solcher  Weise  auf  den  Markt  Einfluss  nehmen 
wollte;    und   überdiess   bezeugt  das   Capitulare  Niumagense 
808*),   in  welchem  Karl  d.  Gr.  Preise  für  Gewänder  auf- 
stellt,   dass  er  durch  die  mit  dem  Capitulare  Frankofurtense 
gemachten  Eriahrungen  keineswegs  abgeschreckt  wurde,  in 
einem  ähnlichen  Falle  ähnlich  mit  gesetzlichen  Vorschriften 
vorzugehen. 

Eine  besondere  Erläuterung  findet  diese  Bestimmung  durch 


^)  LL.  I,  182,  c  4:  £t  in  praesenti  anno  de  famis  inopia,  ut  snos 
quisque  adiuvet  prout  potest,  et  suam  annonam  non  nimis  care  rendat 

*)  Capit.  Ninmag.  808  (LL.  I,  152),  c  5:  nt  nulius  praesumat  aiiter 
vendere  et  emere  sageUum  meliorem  duplum  20  solidis  et  simplum  10  sei. 
Reliqaos  vero  minus.  Roccum  martrinum  et  latrinam  meliorem  80  sol., 
sismosinom  meliorem  10  sol. 


-    478    — 

den  späteren  Biographen  Karls  d.  Gr.  >),  der  enählt,  dass 
derselbe  befohlen  habe,  den  gewohnten  Werth  nnr  für  die 
Gewänder  der  gewohnten  alten  Masse  zu  geben,  nicht  aber 
auch  fttr  die  wesentlich  kleineren,  für  welche  die  Friesen 
(Kauf  leute)  den  gleichen  Preis  verlangten.  Es  ist  daher  in 
diesem  Falle  ei-sichtlich  nur  das  Bestreben,  bestimmte  Qua- 
litätsunterschiede durch  besondere  Betonung  ihi*es  bisher 
üblichen  Geldweiths  hervorzuheben,  wie  das  in  ähnlicher 
Weise  in  den  Qualitätswerthen  der  Urkunden  schon  hervor- 
geti-eten  ist.  Berücksichtigen  wir  nun  aber,  dass  das  Gapita- 
lare  Frankofurtense  zu  einer  Zeit  erlassen  wurde,  in  wel- 
cher eben  eine  Mass-  und  Geldreform  Karl  d.  Gr.  zur  Durch- 
führung kam,  und  dass  der  Gesetzgeber  selbst  diesen  Umstand 
in  seinem  Capitulare  betont  (modius  noviter  statutus  —  novi  de- 
nares),  so  ist  die  Veimuthung  nahe  gelegt,  dass  Karl  d.  Gr.  mit 
dieser  Werthbestimmung  des  Getraides  eben  nur  die  noth- 
wendige  Reduction  des  bisher  üblichen  Getreideweilhs  auf  die 
neuen  Mass-  Aind  Geldgrössen  geben  wollte.  Eine  derartige 
legislative  Bemühung  war  um  so  gerechtfertigter,  als  nicht 
bloss  die  Verallgemeineioing  des  Geldgebrauches  zu  den  ans- 
gesprochnen  Zielen  der  kai*olingischen  Wirthschaftspolitik  ge- 
holte, sondei-n  auch  der  modius  und  der  denarius  Karls 
d.  Gr.  sehr  erheblich  von  den  bisherigen  Massen  und  MOnxen 
abwich  *). 

Mit  Berücksichtigung  dieser  Untei-schiede  in  Gewicht  und 
Geld  trifft  nun  aber  der  im  Capitulare  Frankofiiilense  an- 
gesetzte  Getreidepreis  mit  den  aus  den  Urkunden  bekannten 


^)  Monach.  Sangall.  I,  34  (SS,  II,  747):  Sed  cum  Fresones  .  .  breris- 
slma  illa  palliola  siciit  prius  maxima  vendere  comperisset,  praeo^it,  nt 
nuUos  ab  eis  nisi  grandia  latissimaque  illa  longissima  pallia  coiuoetndi- 
Dario  praecio  coemeret 

')  Der  neue  (etwa  um  789  eingeführte)  modius  enthalt  nach  Soetbeers 
(Forschungen  VI,  71  ff.«  gründlichen  Forschungen  etwa  Vs  mehr  Getreide 
als  der  bis  dahin  übliche  (60  :  40  Liter).  Der  neue  Denar  (von  dm 
781)  verhielt  sich  zum  älteren  karolingischen  etwa  wie  1  :  0.8.  War  da- 
her der  Werth  des  alten  modius  etwa  1  den.,  so  betrag  derselbe  nach 
dem  neuen  Gewichte  und  dem  neuen  Denar  gerechnet  etwa  1.23  den. 


—    479    — 

Getreidewerthen  ziemlich  fiberein  ^);  und  die  Frankfiirter  Preise 
scheinen  darnach  nur  mit  Rücksicht  auf  die  stattgefundenen 
Veränderungen  vorgenommene  Abrundungen  der  üblichen  Geld- 
werthe  zu  sein  und  eine  Anerkennung  der  üblichen  Gebrauchs- 
werthe  zu  enthalten;  die  Verkaufspreise  der  königlichen  Güter 
aber  dürften  die  herrschenden  Minimalwerthe  zum  Ausdruck 
und  zur  Anerkennung  bringen,  wie  das  ganz  im  Geiste  der 
karolingischen  Verwaltung  gelegen  ist,  welche  es  liebte,  das 
öffentliche  Interesse  und  die  besonderen  ökonomischen  Ver- 
hältnisse der  Domänen  gleichzeitig  in  den  Capitularien  zu 
berücksichtigen  und  zu  ordnen. 

Aber  immerhin  bestehen  die  Vorschriften  des  Capitulare 
Frankofurtense  für  den  Verkauf,  nicht  bloss  für  eine  Geldbe- 
werthung,  wie  sie  für  die  nächsten  Zwecke  grundhen*schaft- 
licher  Wirthschaft  allein  nothwendig  war,  um  den  Geldwerth 
bestimmter  Zinsleistungen  auszudrücken.  Karl  d.  Gr.  nahm 
also  offenbar  an,  dass  jene  feststehende  Weilhschätzung  des 
Getreides  auch  bei  Kauf  und  Verkauf  Anerkennung  geniesse, 
und  er  konnte  das  um  so  leichter,  als  er  nach  den  Worten 
des  Capitulars  ^)  nicht  an  eigentlichen  Geti*eidehandel,  sondern 
mehr  an  Gelegenheitskäufe,  nicht  an  den  Marktverkehr,  son- 
dern an  das  Einzelgeschäft  vom  Gutshofe  aus  dachte.  Ja,  es 
wäre  sogar  möglich,  dass  diese  Bestimmungen  wie  die  nach- 
folgend zu  erörternden  des  Capitulare  Niumagense  806  nur 
auf  die  Inhaber  königlicher  Beneficien  Anwendung  haben 
sollten,  wenn  wir  berücksichtigen,  dass  sie  in  demselben 
Capitel  mit  den  Vorschriften  über  den  Getreideverkauf  der 
königlichen  Güter  stehen,  dass  ihnen  unmittelbar  Vorschriften 


^)  Es  beträgt  eben  der  Satz 

Cap.  Frankof. 

Cap.  Frankof. 

nach  den  Urkunden 

Marktwerth 

Verkaufspreis 

aufdenkönigl. 

Domänen 

f&r  frnmentam 

4 

8 

3 -3  Vi 

für  sigale 

3 

2 

2  — 2S 

filr  avena 

1 

Vi 

Vi  — l. 

*)  Qüod  superest  illius  familiae  necessitatem, 

hoc  libere  vendat  jure 

praescripto. 

—    480    — 

über  die  Verpflegung  der  Leate  auf  den  königlichen  Benefiden 
angereiht  sind  und  dass  die  Komtaxen  des  Gapitulare  Niu- 
magense,  welche  sich  nur  auf  die  Inhaber  königlicher  Bene- 
ficien  beziehen,  von  ganz  ähnlichen  Anordnungen  begleitet  sind. 
Diese  Bestimmungen  des  ersten  Gapitulare  Niumagense  806 
sind  wenigstens  in  einem  Punkte  wesentlich  anders  zu  beurthei- 
len.  Hier  handelt  es  sich  nicht  mehr  um  Reduction  alther- 
gebrachter Werthsätze  auf  neues  Mass  und  neues  Geld ;  viel- 
mehr ist  es  unzweideutig  die  Gewinnsucht  beim  Getreidehandel, 
welcher  Karl  d.  Gr.  in  gewissen  Grenzen  eine  Schranke  im 
öffentlichen  und  speciell  im  Interesse  der  ärmeren  grund- 
hörigen Bevölkerung  setzen  wollte  ■).  Offenbar  mussten  in  Folge 
von  Misseraten  die  Kornpreise  stark  in  die  Höhe  gegangen 
(also  fi*eie  Preisbildung  möglich  gewesen)  sein  und  das  Ge- 
schäft der  Aufkäufer  stark  in  Blüthe  stehen  *),  so  dass  f&r  die 
Gutswirthschaften  die  Versuchung  bestand,  ihre  Verpflichton- 
gen  gegenüber  ihrer  Familie  (Gesinde,  Leibeigne  etc.)  bei 
Seite  zu  setzen,  um  an  einem  lucrativen  Komgeschäfte  sich 
zu  betheiligen,  wie  das  auch  schon  das  kurz  vorher  erlassene 


^)  Nachdem  in  den  ersten  Capiteln  in  der  Manier  älterer  Canonisten 
über  das  Wesen  von  usora,  cupiditas,  ayaricla,  torpe  lacmm  und  foenns 
gesprochen  ist,  bestimmt.',  cap.  8 :  Consideravimus  itaque,  nt  praesenti  anno, 
quia  per  plurima  loca  famis  valida  esse  yidetur,  ut  omnes  episcopi,  ab- 
bates,  abbatissae,  obtimates,  comites  seu  domestici  et  cnncti  fideles,  qui 
beneficia  regalia,  tarn  de  rebus  ecclesiae  quamque  et  de  reliqnis,  habere 
videtur,  nnusquisqne  de  suo  beneficio  sua  familia  nutricare  fadat,  et  de 
sua  proprietate  propria  familia  nutriat;  et  si  Deo  donante  super  se  et 
super  familiam  suam,  aut  in  beneficio  aut  in  alode,  annonam  habuerit,  et 
venundare  voluerit,  non  carius  vendat  nisi  modium  de  arena  dinarios  2, 
modium  de  ordeo  contra  din.  8,  modium  de  spelta  contra  dinarios  3  si 
desparata  fuerit,  modium  unum  de  sigale  contra  dinarios  4,  modium  de 
frumento  parato  contra  din.  6.  Et  ipsum  modium  sit  quod  omnibus  ha- 
bere constitutum  est,  ut  unusquisque  habeat  aequa  mensura  et  aequalis 
modia. 

')  ib.  c.  7:  Quicumque  enim  tempus  messis  Tel  tempus  Tindemiae, 
non  necessitate  sed  propter  cupiditatem,  comparat  annonam  an  rinoiB, 
yerbi  gratia  de  duobus  dinariis  comparat  modium  unum,  et  serrat,  nsqoe 
dum  iterum  venundare  possit  contra  dinarios  qnatuor  aut  sex  sau  anqiUas, 
hoc  turpe  lucrum  dicimus. 


—    481    — 

Capitulai-e  in  Theodonis  villa  805   andeutet.    Diesem  Miss- 
stande wollte  Karl  d.  Gr.  dadurch  begegnen,   dass  er  allen 
Inhabern  königlicher  Beneficien,  auf  deren  Wirthscbaft  er  als 
Oberherr  derselben  einen  Einfluss  sich  vindiciren  konnte,  vor- 
übergehend ein  Maximum  des  zulässigen  Verkaufspreises  vor- 
schrieb ,  um  ihnen  den  Reiz  zum  Komwucher  zu  nehmen  und 
die  Verpflegung  der  arbeitenden  Bevölkeiiing  auf  den  Bene- 
ficien sicher  zu  stellen     Weder  fbr  die  eigentlichen  Kom- 
händler  und  den  allgemeinen  Marktverkehr,  noch  fHv  Grund- 
besitzer überhaupt  erscheinen  diese  Verschilften  gegeben ;  von 
einem  ganz  correcten  Standpunkte  aus   bekämpft  vielmehr 
Karl  d.  Gr.  ein  Verhalten  bei  den  seiner  Botmässigkeit  be- 
sonders Untergebenen .  welches  er  im  Allgemeinen  zwar  als 
tufpe  lucrum  bezeichnet,  gegen  welches  einzuschreiten  er  aber 
andern  Personen  gegenüber  offenbar  weder  Bedürfniss  noch 
wirksame  Mittel  besass.    Dass  aber  Karl  d.  Gr.  zu  diesem 
Zwecke   nicht  einfach  bei  den  gewohnheitsmässigen  Getreide- 
werthen  stehen  blieb,  ist  durch  die  Thatsache  eines  weitver- 
breiteten Getreidemangels,  der  die  Weithschätzung  für  den 
Verkauf  doch  jedenfalls  vorübergehend  alteriren  musste,  hin- 
länglich erklärt    So  lange  die  Unterschiede  der  disponiblen 
Getreidemengen  sich  in  bescheidnen  Grenzen  bewegten,  konnte 
das  herrschende  System  der  objectiven  Gebrauchswerthe  dieses 
Moment  der  Preisbildung  ganz  unbeiiicksichtigt  lassen^);  bei 
einem  so  auffallenden  Missverhältnisse  des  Angebots  und  der 
Nachfi'age  aber,  wie  es  das  Capitulare  Niumagense  c.  8  aus- 
spricht, war  es,  ohne  ungerecht  gegen  die  Träger  der  Bene- 
ficien zu  sein,  nicht  möglich,  dieses  Moment  bei  der  Werth- 
estsetzung  gänzlich  zu  übei-sehen. 

Endlich  haben  wir  auch  noch  einen  Beweis  der  Anerken- 
nung jener  Legalwerthe  der  Volksrechte  durch  die  Gesetzge- 
bung im  Capitulare  Aquisgianense  generale  von  817  *),    Von 

^)  Cap.  Frankof.  c.^4:  sive  tempore  abnndantiae,  sive  tempore  ca- 
ritatis. 

*)  LL.  I,  211,  c  8:  Quid  in  compositione  wirgildi  dari  non  debet 
In  compositione  wirgildi  volomus,  ut  ea  dentor,  quae  in  lege  (seil.  Ro- 
buaria,   gloBS.  cod.  Vat)  continentur,  excepto  accipitre  et  spata,    quia 

Ton  Inama-Sternegg,  WirthschaftsgeBcliichte.    I.  81 


—    482    — 

den  Werthbestimmungen  der  lex  Bipuariorum  bleiben  darnach 
die  für  Hausthiere  ausdrücklich  aufi*echt  erhalten ,  während 
diess  für  Habicht  und  Schwert,  als  den  beiden  im  Qbrigen  häu- 
figsten Werthäquivalenten,  wegen  der  besondem  Schwierigkeiten 
ihrer  Qualitätsbestimmung,  nicht  mehr  für  möglich  gehalten 
wird.  Denn  da  die  Werthe  der  Volksrechte  überhaupt  be- 
stimmte, landesübliche  Qualität  der  bewertheten  Gebrauchs- 
gegenstände zur  Voraussetzung  hatten,  musste  eine  jede  davon 
abweichende  Qualität  besonders  erwiesen  werden,  and  das  ge- 
schah schon  nach  den  Volksrechten  durch  den  Eid^).  Je 
grösseren  Spielraum  nun  bei  derselben  Spedes  die  Qualität 
hatte ,  desto  näher  lag  der  Missbrauch  des  Eides ,  wie  er  in 
dem  Capitular  constatirt  ist;  und  darum  eigneten  sich 
wohl  auch  Waffen  und  der  Habicht,  deb:  durch  gute  Dres- 
sur den  vierfachen  Werth  des  ungezähmten  erhielt,  am  wenig- 
sten für  eine  Legalbewerthung;  und  das  um  so  weniger,  als 
diese  nur  bei  den  Ripuarieiii  bestand,  wähi*end  für  Hausthiere 
sicher  alle  deutschen  Stämme  ähnliche  Legalwerthe  hatten. 

Aber  eben  in  dieser  Beschränkung  drückt  sich  auf  das 
entschiedenste  das  Festhalten  an  dem  Systeme  objectiver  Ge- 
brauchsweithe  aus;  und  es  findet  damit  die  dargelegte  Auf- 
fassung der  Werthangaben  in  den  Capitularien  Karl  d.  6r. 
nur  eine  weitere  Bestätigung. 

Für  eine  Geschichte  der  Preise  ist  damit  allerdings  zor 
nächst  nur  ein  negatives  Resultat  gewonnen.  Weder  die  Le- 
galwerthe der  Volksrechte ,  noch  die  Werthbestimmungen  der 
Urkunden,  Urbarien  und  Capitularien,  noch  jene  Taxen  fOr 
einzelne  Waarenkategorien ,  welche  die  karolingische  Gesetz- 
gebung enthält,  können  im  strengen  Sinne  des  Wortes  als 
Preise,  d.  h.  als  das  thatsächliche  Resultat  von  Angebot  und 
Nachfrage  auf  bestimmtem  Markte  gelten;  denn  überall  fehlt 
die  Beziehung  auf  die  Quantität  der  veifügbaren  Grüter  und 
auf  die  Stärke  des  Begeht's  nach  ihnen;  überall  auch  dieBe- 


propter  illa  duo   aliquoties  perioriam  comittitur,   quando  maioris  precii 
quam  illa  sint  esse  jurantur. 

^)  L.  Alam.  70,  2;  s.  oben  1.  Bach,  5.  Abschnitt,  S.  199. 


—    483    — 

Ziehung  auf  die  Productions  -  und  anderweitigen  AnschafFungs- 
kosten,  also  gerade  auf  die  für  den  Tauschwerth  charakteri- 
stischen Yolkswirthschaftliehen  Verhältnisse.  Andere  Werth- 
angaben oder  Preise  aus  jener  Zeit  stehen  nur  ganz  vei'einzelt 
zu  Gebote  und  bieten  daher  keineswegs  ein  irgend  genügen- 
des Material  für  eine  Preisgeschichte.  Nur  Kaufpreise  von 
Landgütern  sind  häufiger;  diese  sind  aber  wegen  der  Unbe- 
stimmtheit der  Qualität  ihrer  Objecto  überhaupt  mit  grosser 
Vorsicht  zu  benutzen^).  Die  Qualitätswerthe  aber,  welche 
demnach  in  der  Hauptsache  das  Material  für  die  Erkenntniss 
der  Werth-  und  Preisverbältnisse  jener  Zeit  bilden,  sind  ge- 
rade für  das  wichtigste  Problem  der  Preisgeschichte,  für  die 
£rkenntniss  der  Kaufkraft  des  Geldes,  nicht  gut  verwendbar. 
Denn  diese  äusseit  sich  nur  in  dem  Preisstande  sehr  vieler 
Waaren  und  nur  dann  mit  einiger  Sicherheit,  wenn  diese 
Preise  als  wahre  Marktpreise,  als  das  Resultat  vieler  Einzel- 
erwägungen über  das  Werthverhältniss  von  Edelmetall  und 
anderen  Waai*en  eracheinen.  Wo  aber  bei  notorisch  sehr 
differenten  Geldmengen  die  Waarenwerthe  Jahrhundei*te  lang 
und  in  den  verschiedensten  Gegenden  sich  auf  gleichem  Stande 
erhalten  können ,  da  fehlt  eben  no£h  jener  lebendige  Einfluss 
des  Geldes  auf  die  Volks wiithschaft,  der  die  unerlässliche 
Voraussetzung  dafür  bildet,  dass  sich  die  Kaufkraft  des  Gel- 
des in  der  Preisbestimmung  der  V^aaren  abspiegle. 

Insofern  aber  das  nationale  Werthurtheil ,  wie  es  sich  in 
den  objectiven  Gebrauchswerthen  der  Urkunden  dieser  Zeit 
manifestii-t,  doch  auch  auf  die  eigentliche  Preisbildung  sicher- 
lich seine  Macht  äusserte,  ist  es  am  Ende  auch  gestattet  an- 
zunehmen, dass  die  Marktpreise  wenigstens  in  grossen  Durch- 
schnitten, in  denen  alle  Besonderheiten  von  Angebot  und 
Nachfrage  sich  compensiren,  von  diesen  Gebrauchsweithen 
sich  nicht  allzuweit  entfernt  haben  werden.  Und  in  soweit 
diese  Annahme  zulässig  erscheint,  ist  allerdings  auch  mit  den 
Ablösungs-  und  Qualitätswerthen  der  Urkunden  imd  Urbarien, 
mit  den  Maximalwerthen    der  Capitularien   eine  brauchbare 


»)  S.  die  Beilage  No.  XI. 

81 


—    484    — 

Grandlage  für  eine  Geschichte  der  Waai'enpi-eise  und  der 
Kaufkraft  des  Geldes  gewonnen,  dei-en  Darstellung  natariich 
erst  im  Zusammenhalt  mit  den  Resultaten  der  wirthschafts- 
geschichtlichen  Erforschung  der  späteren  Perioden  mit  Erfolg 
versucht  werden  kann. 


In  Trümmern  nur  und  abgerissenen  Stücken  liegt  der 
Aufbau  der  deutschen  Culturwelt,  wie  ihn  eine  fast  tausend- 
jährige Periode  geschaffen  hat,  vor  unsem  Augen.  Wir  mOssen 
uns  bescheiden,  den  innem  Zusammenhang  und  die  Stractor 
des  Ganzen  nur  zu  ahnen,  wo  die  Dürftigkeit  der  Quellen 
und  UebeiTeste  sie  zu  erkennen  nicht  gestattet ;  aber  der  Geist 
des  ganzen  Werkes  und  die  Lebensgesetze  eines  grossen  reich- 
begabten Volkes  kommen  doch  zum  Bewusstsein,  wenn  wir 
die  Art  und  Weise  wie  dieses  Volk  sich  seine  Wirthschaft 
gestaltete,  in  Zusammenhang  bringen  mit  der  ganzen  Welt 
in  die  es  gesetzt,  in  der  es  zu  leben  und  zu  wirken  be- 
rufen war. 

Die  Deutschen  treteti  am  Beginn  ihi-es  beglaubigtffli 
Daseins  in  Mitteleuropa  mit  einer,  soweit  sie  nur  Geschichte 
hat  und  eine  Geschichte  verdient,  hoch  entwickelten,  reich- 
blühenden Culturwelt  in  BeiUhrung.  In  ihrem  Wesen  imd 
ihrer  ganzen  socialen  wie  politischen  Anlage  bergen  sie  aber 
entschiedene  Gegensätze  zu  derselben.  Doit  ein  grossartiger, 
einheitlicher  Staatsgedanke  mit  den  denkbar  reichsten  Machtr 
mittein  ausgestattet,  der  die  Verbreitung  antiker  Civilisation 
mit  innerer  Nothwendigkeit ,  aber  auch  mit  klarem  Bewusst- 
sein  und  energischem  Willen  als  seine  Aufgabe  erfüllt  nnd 
über  die  Kräfte  einer  Welt  souverän  verfügt,  um  sie  diesem 
Ziele  dienstbar  zu  machen;  der  über  einzelne  und  ganze 
Völker  kühn  hinwegschreitet,  keine  Individualität,  keine  Be- 
sonderheit, keine  Freiheit  gelten  lässt,  die  sich  mit  diesem 
Gedanken  in  Widerspruch  setzt;  ein  rationalistisches  Staa^- 
wesen,  das  weder  das  historisch  Gewordene  als  Macht  Ober 
die  Gestaltung  der  socialen  Zustände   anerkennt,  noch  die 


—    485    — 

thats&chlich  vorhandenen  historischen  Gestaltungen  der  Ge- 
sellschaft als  Oi*gane  der  Volkskraft  fttr  die  Aufgaben  des 
Staates  verwerthet,  und  schliesslich  an  diesem  Mechanismus 
seiner  innem  Ordnung,  an  der  schrankenlosen,  ausbeutungs- 
süchtigen  Centralisation  seiner  leitenden  Kreise  zu  Grunde 
geht  Hier  aber  kein  Staatsbewusstsein ,  keine  Ahnung  civi- 
lisatorischer  Aufgaben ;  ein  Volk,  in  Unkenntniss  feinerer  Ge- 
nüsse des  Lebens,  fi*ei  von  jedem  6edüi*fhisse,  das  nicht  eigne 
Kraft  und  die  einfachste  Nutzung  'der  Naturkräfte  zu  befrie- 
digen yennochte,  in  naiven  Anschauungen  des  Lebens  und 
seiner  endlichen  Bestimmung  aufgewachsen;  ohne  Drang  nach 
Erkenntniss  der  tieferliegenden  Gi*Qnde  des  Daseins,  nur  von 
dem  Ringen  nach  der  Existenz  und  von  dem  dunklen  Be- 
streben geleitet,  durch  Kampf  sich  eine  breitere  Basis,  bessere 
Bedingungen  des  Lebens  zu  sichern. 

Dabei  aber  glühte  in  der  Bimst  des  Deutschen  ein  leben- 
diges Freiheitsgefdhl  ^  das  sich  nur  dann  einem  höheren  Be- 
fehle und  gemeinsamem  Willen  unterordnete,  wo  dringende 
Noth  zwang  und  nur  soweit,  als  diese  es  augenscheinlich  for- 
derte. Und  doch  war  der  Deutsche  im  höchsten  Masse 
historisch-conservativ  angelegt;  die  Familie  behauptete  ihi'e 
verbindende  Macht  durch  die  Jahrhundei*te ;  im  Stammes- 
bewusstsein  lebte  die  Familientradition  auch  für  weitere  Kreise ; 
und  ebenso  gönnte  der  Deutsche  einem  althergebrachten 
Stammesadel  neidlos  sociale  Vorzüge  und  überliess  veititiuens- 
voU  seinen  Königen  und  Fürsten  die  Führerrolle  mit  der 
Sorge  um  die  Pflege  des  nothwendigen  Völkerverkehrs  und 
Völkerverbandes. 

So  ist  auch  schon  bei  diesem  jungen  Volke  der  selbstische 
Sinn  stark  entwickelt,  der  auch  den  Werth  der  Genossen- 
schaft und  der  Gesammtheit  nach  dem  Mass  der  Vortheile 
bemisst,  welche  der  Existenz  des  Einzelnen  dai-aus  erwachsen. 
Die  Gesammtheit  gilt  nur,  wo  sie  Sicherheit  und  Freiheit  des 
Lebens,  das  althergebrachte  Recht  und  der  Väter  Glauben 
verbürgt;  und  wo  in  kleinerem  Kreise  solche  Bürgschaft 
liegt,  genügt  er  auch  dem  Gemeinbewusstsein.  Dai*um  schliesst 
sich  das  Volk  für  den  Erwerb  in  engen  Ki*eisen  ab ;  so  lange 


—    486    — 

Kampf  allein  Ei'werb  beschaffen  kann,  hält  sich  das  Volk  zum 
mindesten  im  Gau  zusammen ;  bei  gesichertem  Bestände  aber 
trennen  sich  die  Genossenschaften  der  Geschlechter  und  führen 
ein  ökonomisches  Dasein  schon  auf  eigne  Faust.  Nur  wo 
gleiche  Gefahr  für  weite  Kreise  des  Volks  besteht,  gleiche 
Güter  zu  wahren  sind,  da  zeigt  auch  die  grosse  Volksgemeinde 
noch  ihr  Leben. 

Im  Verbände,  der  für  den  Kampf  besteht,  gilt  Jeder 
gleich,  nur  dass  auch  hier  das  höhere  Ansehen  einzelner 
Familien  auch  ihren  Gliedern  gi'össeren  Einfluss  gibt;  am 
Ausgange  eines  Kampfes  haben  eben  alle  gleiches  Interesse; 
was  etwa  hier  an  Unterschieden  auftritt,  verschwindet  in  der 
Menge  des  Gleichgearteten.  So  lange  nun  das  Land  im 
Kampf  erobert,  durch  Kampf  behauptet  werden  muss,  sind 
seine  Früchte  mehr  Erfolge  dieses  Kampfes  als  der  Bebauung; 
ja  selbst  diese  ist  zuerst  nur  durch  den  Massenkampf  den 
wilden  Kräften  der  Natur  abzustreiten;  da  ist  also  auch  das 
Ergebniss  der  Bodencultur  ein  Gesammteifolg ;  jeder  hat  daran 
Theil  mehr  nach  dem  Massstab  seines  Antheils  an  dem  Kampfe 
als  an  der  Wirthschaft.  Und  so  wii*d  dann  auch  dieser  Er- 
folg der  Gesammtheit  beigemessen;  jeder  hat  Antheil  daran, 
aber  keinem  gehört  er;  denn  keinem  kann  besonderes  Ver- 
dienst daran  beigemessen  werden,  was  er  ohne  alle  andern 
nie  zu  leisten  vermocht  hätte.  Ist  aber  dann  die  äussere 
Sicherheit  einmal  gewonnen  und  der  Boden  fbr  den  Anbau 
bezwungen,  dann  kehrt  sich  das  Verhältniss  in  sein  Gregentheil 
um.  Es  gewinnt  das  besondere  Interesse  des  Einzelnen  Macht 
über  die  Gleichartigkeit  des  Gesammtinteresses.  Soweit  die 
Gleichheit  noch  besteht,  bleibt  auch  der  Zustand  der  Gemein- 
schaft; als  Schutzland  wie  als  Nutzland  für  gleichartigen  Be- 
darf dient  immer  noch  das  Gemeinland.  Aber  das  Leben  des 
Einzelnen  erschöpft  sich  nicht  mehr  in  dieser  Gemeinschaft 
der  Interessen;  es  gilt  nun,  dass  auch  jeder  für  sich  selber 
sorge,  soweit  er  nicht  mehr  für  das  Ganze  zu  soi^en  hat 
Und  wo  nun  des  Lebens  Nothduifb  auf  begrenzte  Mittd  stasst 
und  der  Erfolg  verschieden  ist  für  jeden  Einzelnen,  je  nachdem 
er  es  versteht  für  sich  zu  sorgen,  da  lässt  sich  keine  Gemein* 


—    487    — 

Schaft  aufrecht  erhalten;  es  theilt  daä  Volk,  es  theilt  die 
Gaugeroeinde,  und  auch  im  kleineren  Verbände  der  Geschlechts- 
genossenschaft siegt  die  angestammte  Freiheit  über  die  im 
Drang  der  Zeiten  stets  gepflegte  Gemeinschaft.  Es  beginnt 
jener  gi*osse  Zersetzungsprocess  altgermanischer  Genossenschaft, 
den  wir  auch  die  Begründung  der  Privateigenthumsordnung 
nennen  dürfen. 

Das  Sondereigenthum  wird  dabei  nicht  durch  Volkswille 
und  Gesetz  als  Prinzip  der  Rechtsordnung  eingeführt,  nicht 
anbefohlen  oder  durch  autonome  Beliebung  der  Gemeinde  ge- 
schaflfen;  es  wird  weder  erfunden  noch  überhaupt  nur  klar 
gedacht;  es  ist  da,  sobald  die  zwingende  Noth  die  Einzelnen 
nicht  mehr  an  die  Gesammtheit  weist,  sobald  der  Kampf 
um^s  Dasein  nicht  mehr  das  ganze  Volk,  den  ganzen  Stamm 
bedroht,  sondern  an  jeden  Einzelnen  für  sich  herantritt  Da 
muss  sich  Jeder  seine  Waifen  selbst  bereiten;  und  diese  liegen 
in  dem  Land,  das  er  der  Wildniss  abgerungen,  mit  seiner 
Hände  Fleiss  bereitet  und  seinen  Bedürfnissen  entsprechend 
sich  gestaltet  hat.  Unter  seinen  Händen  wird  das  Land  zur 
Individualität;  und  der  ihr  seinen  Stempel  aufgedi-ückt ,  der 
nennt  sie  auch  sein  Eigen.  Nicht  weü  er  es  bearbeitet  hat: 
weil  er  es  bearbeiten  musste  nach  der  ganzen  Gesellschafts- 
verfassung jener  Zeit,  ward  es  sein  Eigenthum.  Und  die 
Gesellschaft  zwang  ihn  dazu,  weil  sie  selbst  nur  für  Befriedi- 
gung gleicher  nicht  aber  dififerenter  Bedürfnisse  befähigt  war; 
und  der  Unterschied  der  Bedürfnisse  trat  sofort  lebendig  auf, 
als  sich  das  Leben  nicht  mehr  zum  Kampf  um  die  Erhaltung 
des  Gemeinsamen,  der  Gattung  zu  rüsten  brauchte. 

Nicht  weil  Eigenthum  veitheilt  wurde,  sind  dann  auch 
die  Deutschen  so  vei*schieden  in  ihrem  Leben  und  ihren 
Gütern  geworden;  sondera  weil  verschiedener  Bedarf  ver- 
schiedenes Interesse  an  beschränkten  Gütern  erzeugte,  erginff 
der  Mensch  die  Quellen  dieser  Güter  mit  innerer  Nothwen- 
digkeit  und  machte  sich  das  Land  zu  eigen,  das  doch  nicht 
jedem  gleich  dienen  konnte,  sondern  jedem  anders,  je  nachdem 
Aef  Herrscher  war. 

Diese  Bildung  von  Privateigenthum  an  Grand  und  Boden, 


—    488    — 

4 

diese  Verknttpfung  der  Persönlichkeit  mit  dem  ersten,  allei- 
nigen KapitiJ  st«ht  an  der  Schwelle  der  Geschichte  des 
deutschen  Wirthschaftslebens.  Vielfach  in  älterer  Zeit  schon 
vorbereitet,  durch  Krieg  und  stürmische  Wanderung  nur 
zuiUckgedr&ngt ,  macht  sich  mit  Eintritt  der  Sesshaftigkeit 
und  nach  erlangter  Ruhe  das  Bedürfniss  einer  festen  Ordnung 
des  Gmndeigenthums  als  das  erste,  wichtigste  energisch  fal- 
tend und  überragt  alsbald  an  Bedeutung  alle  andern  Ein- 
richtungen des  Volkes;  es  wird  von  entscheidender  Wirkung 
für  das  öffentliche,  «sociale  und  wirthschaftliche  Leben;  es 
ordnen  sich  daiiiach  die  ständischen  Verhältnisse  neu  und  da^ 
Gesammtleben  der  einzelnen  Völkerschaften  gewinnt  damit 
einen  andern  Charakter.  Wie  kleine  Bauernrepubliken  er- 
scheinen die  einzelnen  Markgenossenschaften,  deren  vornehm- 
liebstes  Interesse  darin  besteht,  jede  für  sich  in  geordneten 
Rechtsverhältnissen  unter  dem  Schutze  der  allgemeinen  Volks- 
wehr in  friedlicher  Weise  zu  leben,  und  den  Genossen  volle 
Freiheit  ihrer  Wirthschaft  auf  dem  Sondei-gut,  gleiche 
Nutzung  des  Gemeinlands  einzuräumen. 

Ein  solcher  Zustand  war  ganz  daiiiach  angethan,  fbr 
lange  Zeit  den  Interessen  des  Volkes  zu  genügen,  Freiheit 
und  Kraft  des  Volkes  und  jedes  Einzelnen  zu  bewahren,  ja 
selbst  einige  Entwickelung  zuzulassen  sowohl  für  die  Volks- 
zahl als  für  das  Mass  der  Bedüi-foisse  und  die  Production 
der  wichtigsten  Güter  für  den  Bedarf  eines  bescheidenen 
Lebens. 

Aber  grosse  Erfolge  waren  von  demselben  in  absehbarer 
Zeit  nicht  zu  ei-warten-,  die  Deutschen  wären  wohl  in  jener 
grossen  Einfachheit  ihres  Lebens  und  Beschränktheit  ihrer 
Anschauungen  verhant,  jedenfalls  nicht  in  so  überraschend 
kurzer  Zeit  zu  der  reichen  Entwickelung  gekommen;  welche 
sie  schon  in  der  Karolingei*zeit  zeigen ,  wenn  nicht  mächtige 
Einflüsse  einer  ihnen  selbst  fremden  Culturwelt  auf  sie  ein- 
gewirkt hätten. 

Die  Gultur  des  Römerreichs  und  das  Christenthum  waren 
die  beiden  Kräfte,  die  sie  in  dem  Augenblicke  erfassten,  als 
sie  eben  erst  ihr  neues  Leben  und  ihre  Eigenthumsordnung 


—    489    — 

einzuiiehten  begannen;  und  sofort  wird  dies  Leben  mannig- 
faltiger; die  Wirthschaft  und  mit  ihr  das  Volk  differenziren 
sieh.  Neue  Bedürfnisse  werden  dadurch  angeregt,  materielle 
and  geistige  Mittel  zur  Befriedigung  dei-selben  in  Menge  zu- 
gänglich; und  unvermerkt  zieht  damit  die  Sehnsucht  nach 
besserem  Dasein  als  kräftiger  Keim  künftigen  reicheren 
Schaffens  ein  in  die  ahnungslose  Brust  der  einfachen  Wald- 
leute. Und  überdiess«wird  die  Idee  des  Staates  von  einem 
deutschen  Stamm  und  einem  deutschen  Füi'Sten  aufgenommen, 
der  nun  die  in  vollster  Zei-setzung  begriffene  Gemeinschaft  der 
deutschen  Stämme  auf's  Neue  mit  den  Mitteln  antiker  Staats- 
kunst belebt,  eine  Gemeinschaft  ihres  öffentlichen  Lebens 
ei'zwingt  und  damit  auf's  Neue  den  unwiderleglichen  Beweis 
liefert,  dass  Staaten  nicht  oi*ganisch  aus  der  Familie  erwachsen, 
welcher  die  Zielpunkte  des  Staates  ganz  fremd  sind,  sondern 
dass  sie  gemacht  werden,  wo  immer  die  unwiderstehliche 
Sehnsucht  nach  den  grössten  Erfolgen,  die  dem  Menschen  zu 
erreichen  möglich  sind,  nach  Hen*8chaft  über  die  Massen,  sich 
mit  der  Thatkraft  eines  bevorzugten  Menschen  und  eines 
bevoi'zugten  Volkes  verbindet,  das  in  sich  selbst  die  Fähigkeit 
hierzu  besitzt. 

Vergeblich  sucht  sich  das  Volk  seine  Zufriedenheit  in 
den  althergebrachten  Formen  und  Mitteln  des  Lebens  zu  be- 
wahren ;  immer  wieder  hofft  es,  durch  Erweiterung  des  Eigen- 
thums,  durch  Ausbreitung  des  Anbaues  im  Marklande,  durch 
ängstlichere  Ueberwachung  seiner  Ausnutzung  gestiegenem 
Bedürfhisse  zu  genügen;  das  Bedürfniss  und  die  Gegensätze 
im  Volke  wachsen  aber  viel  rascher  als  die  Mittel  der  Be- 
friedigung, und  das  steigende  Mass  unbefriedigten  Bedürfnisses 
zwängt  das  Volk  in  neue  Formen  des  Lebens,  in  denen  die 
Anerkennung  der  Unzulänglichkeit  der  bisherigen  zum  deut- 
lichen Ausdrucke  kömmt. 

War  der  Romanismus  insbesondere  durch  Vermittlung 
alter  Gultur  und  Technik,  sowie  durch  Veipflanzung  eines 
Staatsgedankens  in  das  Leben  der  Deutschen  thätig  und  er- 
zeugte wirthschaftlichen  Au£schwung  wie  er  die  Bedeutung 
der  alten  genossenschaftlichen   Verbände  der  Deutschen  vol- 


—    490    — 

lends  veiiiichtete ,  so  wirkte  das  Christenthum  wieder  nach 
anderer  Richtung,  aber  mit  ähnlichem  Erfolge.  Wie  es  in 
jener  Zeit  gelehrt  und  gettbt  wurde,  erweckte  es  wohl  eme 
unbegrenzte  Sehnsucht  nach  einem  besseren  Jenseits  und  erhob 
damit  den  Geist  überhaupt  zur  Auffassung  eines  Daseins,  das 
nicht  in  Arbeit  und  Genuss  dieses  Lebens  sich  erschöpfte;  es 
predigte  die  Liebe  und  schuf  damit  einen  weiten  Boden  fried- 
lichen Yerkehi*s  statt  feindseliger  oder  doch  argwöhnischer 
Abschliessung;  aber  es  wirkte  gleichzeitig  durch  seine  Zwangs- 
mittel und  seine  grosse  Organisation  unterdrückend  auf  die 
Freiheit  und  auf  die  Individualität  ein;  ohne  die  Unfreien  im 
Volke  zu  erlösen,  gab  es  die  Freiheit  der  Freien  in  die  Ge- 
walt der  Kirche,  die  sich  als  heri-schende  Macht  sofort  mit 
der  grössten  Macht  des  fränkischen  Eönigthums  yerbündete. 
Und  überdiess  erzeugte  das  Christenthum  jener  Zeit  den  Ge- 
danken, der  dem  naiven  Götterglauben  der  Deutschen  voll- 
kommen fremd  war,  dass  der  Himmel  durch  Opfer  an  irdischem 
Gut  erkauft  werden  könne  und  erregte  damit  eine  Sucht 
nach  Besitz,  welcher  der  Kirche  geschenkt  werden  konnte,  die 
ebenso  stark  wie  jene  Sehnsucht  nach  dem  Jenseits  war.  So 
beförderte  es  einerseits  wirthschaftlichen  Aufschwung;  aber 
zugleich  vernichtete  es  den  socialen  Zusanmienhalt  der  Ge- 
nossenschaften an  der  Mark,  die  für  solche  Zwecke  werthlos 
erschien.  So  zerstörten  beide  sogar  die  Werthscbätzung  der 
Freiheit,  wo  ohne  sie  grössere  Erfolge  nach  beiden  Seiten  des 
Lebens,  der  materiellen  und  geistigen,  zu  erreichen  waren, 
und  zwängten  das  Volk  in  jene  neuen  Organisationsfonnen, 
welche  in  Aufnahme  des  Staatsgedankens  und  des  Kirchen- 
gedankens  entstanden,  und  die  Herrschaft  über  Menschoi  und 
Güter  sich  zum  Ziele  gesetzt  hatten,  um  sich  mit  denselben 
Mitteln  in  der  Gesellschaft  zu  behaupten,  mit  denen  die  AU- 
macht  des  Staates  und  der  Kirche  sie  bedrohten. 

Es  war  das  alles  um  so  erfolgreicher,  als  die  Genossen- 
schaft fr*eier,  gleichberechtigter  Männer  in  der  Mark  wie  im 
Gau,  ja  im  ganzen  Volke  selbst  nichts  geleistet  hatte,  weder 
um  die  Bedürfnisse  erfolgreicher  zu  decken,  noch  um  die 
Unterschiede  der  socialen  und  ökonomischen  Lage  zu  v6^ 
hindern,  noch  um  die  Freiheit  zu  wahren;   ein  drastischer 


-     491    — 

Beweis ,  dass  weder  die  Freiheit  an  sich  werthvoU  für  die 
Förderung  des  Culturlebens,  noch  die  Gemein wirthschaft ,  die 
Herrschaft  aller  über  die  Mittel  der  Wirthschaft,  entwickelungs- 
fähig  ist 

So  bereitete  sich  immer  mehr  der  Zustand  vor,  der  es 
schliesslich  zur  Nothwendigkeit  machte,  die  Kräfte  des  Volkes 
und  des  Landes  in  anderer  Weise  als  es  bisher  geschah,  zu- 
sammenzufassen und  fQr  einen  socialen  Neubau  festere,  weitere 
Fundamente  des  Wirthschaftslebens  zu  legen.  Was  die  Arbeit 
des  Volkes  in  ihrer  Isolirung  und  ungeordneten  Herrschaft 
über  die  Productionsmittel  nicht  vermochte,  das  sollte  durch 
einen  festeren  Zusammenschluss  und  eine  einheitlich  geleitete 
Wirksamkeit  der  Productionskraft  en-eicht  werden.  Aber 
weder  Staat  noch  Kirche  als  solche  besassen  hierfür  eine  der- 
artige Anlage,  dass  etwa  von  ihnen  aus  mit  den  Mitteln  des 
Zwangs  und  der  öffentlichen  Gewalt  das  Ziel  zu  eiTeichen  ge- 
wesen wäre.  Ghlodowech  und  seine  Nachfolger  konnten  wohl 
die  Idee  des  Staates  von  Rom  übernehmen,  aber  sie  hatten 
nicht  die  Mittel,  sie  in  diesem  Geiste  auszugestalten;  ihre 
Kraft  erschöpfte  sich  in  Begründung  ihrer  Herrschaft  als 
äussere  Anerkennung  einer  Oberhoheit  und  in  Einrichtungen 
der  unerlässlichen  Institutionen  der  öffentlichen  Ordnung.  Die 
Kirche  drängte  wohl  nach  einer  Einheit  im  geistlichen  Ge- 
horsam, aber  sie  hatte  überhaupt  kein  positives  Programm; 
nur  die  negative  Seite  der  Civilisation  zu  pflegen  verstand 
sie;  an  positiven  Schöpfungen  hierfür  ist  sie  als  solche  stets 
arm  gewesen. 

Die  Noth  des  Lebens,  das  Missverhältniss  zwischen  Be- 
dürfhiss  und  Deckungsmitteln  zu  heben,  war  daher  nur  auf 
socialem  Gebiete  möglich,  und  die  Gestaltung  der  socialen 
Ordnung  ist  immer  eine  Frucht  historisch-nationalökonomischer 
Ursachen  gewesen.  Die  oben  standen  auf  der  Leiter  socialer 
Unterschiede  waren  im  Vortheile  im  wirthschaftlichen  Inter- 
essenkampfe, und  die  wirthschaftlich  Ueberlegenen  waren  in 
der  Lage,  sich  social  zu  erheben.  Das  steigerte  alsbald  die 
Besitzunterschiede  so  sehr ,  dass  daraus  die  fundamentale 
Untei'scheidung  der  Herrschenden  und  der  Dienenden  erwuchs; 
und  es  lag  in   dem  Gesammtcharakter  der  damaligen  Wiith- 


—    492    - 

Schaft  begründet,  dass  sich  dieser  Gegensatz  in  der  Ver- 
schiedenheit der  Vertheilung  des  Besitzes  und  der  Gewalt  an 
Grund  und  Boden  besonders  manifestirte  und  den  Besitz  und 
die  Hen-schaft  an  dienenden  Arbeitskräften  in  sich  schloss. 

Doch  wäre  auch  diese  Entwickelung  wohl  nie  zu  einem 
für  die  Steigerung  der  Gesammtcultur  erfreulichen  Ergebniss 
gelangt.  Auf  diesen  Wegen  konnte  wohl  mehr  geleistet,  mehr 
producirt  werden,  weil  insbesondere  die  grossen  nur  in  der 
Gemeinschaft  erfolgreichen  Arbeiten  jetzt  möglich  waren; 
aber  in  der  schonungslosen  Ausbeutung  der  gi'ossen  Masse 
der  Arbeitskräfte  zu  rein  egoistischen  Zwecken  wäre  das 
Volk  in  eine  genusssüchtige  Plutokratie  und  in  ein  ausge- 
mergeltes Helotenthum  zerfallen  und  keines  weiteren  Auf- 
schwungs aus  sich  selbst  fähig  gewesen. 

Wieder  traten  da  neue,  grossartige  Culturaufgaben  an 
das  Volk  heran;  die  ersten  Ansätze  einer  neuen  .Gultur  sehen 
sich  bedroht  in  der  europäischen  Invasion  der  Araber,  dem 
Vordrängen  der  Slaven  und  Avaren,  oder  aufgehalten  in  dem 
cultuifeindlichen  Verhalten  der  deutschen  Nordländer  selbst« 
dem  fränkisch-deutschen  Reiche  wurde  die  Erbschaft  der  Idee 
des  römischen  Eaiserthums  und  seiner  cosmopolitischen  Tendenz 
gleichsam  aufgedrängt  und  damit  auch  die  Erneuerung  der 
Beziehungen  zum  Orient  unvermeidlich.  Und  wieder  erstand 
dem  Volke  ein  Mann,  der  seine  Zeit  nicht  nur  erfasst,  sondern 
sie  beherracht  und  weitblickend  in  die  Zukunft  schaut.  In 
Earls  d.  Gr.  Peraönlichkeit  ist  alles  concentriil  und  verkörpert, 
was  das  Volk,  die  Zeit  an  eigentlich  civilisatorischen  lAeea 
gehegt  hat.  Er  ist  der  wahre  Repräsentant  einer  grund- 
herrlichen Aristocratie  im  besten  Sinne;  er  ist  zugleich  der 
entschiedenste  Gegner  ihrer  Auswüchse;  er  ist  aber  auch  der 
Träger  des  einheitlichen  Staatsgedankens  und  weiss  die 
Mittel  des  Volkes  ebensogut  im  Rahmen  der  grundherrschaft^ 
liehen  Organisation  zu  steigern,  wie  er  die  Gesammtkraft  der 
Giiindherrn  für  die  gi'ossen  gemeinwiilhschaftlichen  Aufgaben 
des  Staates  zu  verwerthen  weiss.  Kein  Zweifel,  dass  Kari 
für  die  Förderung  wahrhaft  volkswirthschaftlicher  Einrieb- 
tungen  im   höchsten  Masse  von  Bedeutung  ist    Aber  doch 


—    493    — 

ist  das,  was  den  wirthschaftlichen  Zustand  charakterisiit,  nicht 
sein  Werk,  vielmehr  recht  eigentlich  aus  dem  Boden  der  vor- 
handenen volkswirthschaftlichen  Kräfte  herausgewachsen,  ja 
im  Einzelnen  selbst  trotz  seines  Willens  und  gegen  denselben 
so  geworden.  Mehr  gezwungen  als  freiwillig  haben  die  spä- 
teren Karolinger  schliesslich  die  sociale  Verwaltung  in  die 
Hand  der  grossen  Grundherrn  gelegt  und  ihnen  die  Einheit 
der  Reichsgewalt  damit  ausgeantwortet.  Viele  neue  und  hohe 
Ziele  hatte  die  karolingische  Politik  der  Volkswirthschaft  ge- 
steckt; vieles  davon  blieb  uneri-eicht,  weil  sich  das  Volk  hier- 
für nicht  reif  erwies.  Was  aber  erreicht  wurde,  ist  doch  viel 
weniger  mit  den  Mitteln  dei  Staatsgewalt  als  mit  den  Mitteln 
der  grundherrlichen  Gewalt  eiTOicht  worden,  auf  der  auch  die 
Regierung  als  auf  ihrer  festesten  Stütze  fusßte.  Und  so  sind 
dann  auch  die  Erfolge,  zu  Gunsten  der  Entwickelung  der 
öffentlichen  Gewalt  des  Staates  erhofft,  immer  wieder  zu. 
Gunsten  der  grundhen-lichen  Gewalt  ausgefallen.  Denn  die 
eigentliche  Quelle  volkswirthschaftlicher  Erfolge,  die  Macht 
der  Arbeitsoi^anisation  und  des  Gapitaleinsatzes  war  doch  ihr 
eigentlichstes  Werk;  und  wenn  sie  dann  auch  die  Flüchte 
dieser  Leistungen  ernteten,  so  war  das  am  Ende  doch  nur 
schon  eine  Manifestation  des  Gesetzes  der  Rentenbildung ,  die 
nicht  zu  üben-aschen  braucht. 

Aber  soviel  hatte  die  socialpolitische  Oiiganisation  Karls 
d.  Gr.  doch  vermocht,  dass  die  Uebermacht  der  Grossen  nicht 
in  vernichtende  Bedrückung  des  Volkes  ausartete;  auch  die 
untern  Volksklassen  erhoben  sich  sichtlich  an  den  Eifolgen 
der  besseren  Organisation  der  volkswiithschafUichen  ^Kräfte, 
und  wurden  dadurch  zu  besserem  und  selbständigem  Leben 
befähigt  Und  recht  deutlich  zeigt  sich,  dass  dem  Volke  seine 
Traditionen  nicht  erstorben  waren;  der  übermässige  Diiick 
erzeugte  Gegendruck  und  bald  bricht  die  Zeit  an,  wo  sich 
das  Volk  selbständig  gegen  die  schlimmen  Consequenzen  zu 
wahren  vermochte,  welche  neben  den  wohlthätigen  Kräften  in 
der  grundherrschafUichen  Organisation  der  Volkswirthschaft 
gelegen  waren. 


Beilagen. 


—    497    — 


nach 


Beilage  I. 
Die  Yertheilang  des  ClnuidbesitEes  in  Baiern 

dem  Indiculas  Arnonis  und  den  breves  notitiae  Salzborgenses. 


Gau 


Qualität  der  Güter 


Ö 


Besitzstand 


Salzburggau 


Herzogsgut  v.  Theodo  690—717    . 


f 

« \ 


n 


„  Theodebert    .    .    . 

„  Hugbert  — 737  .    . 
,  Oatüo  —  748 


2 

12 


n 


Attergaa  .    . 


Tranngaa     . 


I 


Mattichgaa  . 
Rottachgau  . 


.  .1 


kengan    .  . 

Vilsgaa    .  • 

Donaugaa  . 

Sandergaa  . 


■{ 
■{ 


▼  OD  Inama*St9r 


„  Hiltrud  u.Tas8iloin 

Herzogliche  Beneficien   . 

GQter  der  Ortskirchen    . 

Eigengüter  der  Freien    . 

Herzogsgut  yon  Theodo 

„  „    Theodebert 

„  „    Oatilo    . 

•1,  Herzogliche  Beneficien  . 

;,£igengüter  der  Freien    . 

Herzogsgut  ton  Theodo 

,,  „    Theodebert 

„  „    Hiltrud  u.  Tassilo 

Herzogliche  Beneficien   . 

Eigengüter  der  Freien    . 

Herzogsgut  yon  Hugbert 

Herzogliche  Beneficien    . 

Eigengüter  der  Freien    . 

Herzogsgut  von  Hugbert 

Herzogliche  Beneficien   . 

Herzogsgut  von  Theodebert 

Oatilo  . 
Tassilo  . 
Herzogliche  Beneficien  . 
Güter  der  Ortskirchen  . 
Eigengüter  .... 
Herzogsgut  yon  Tassilo 
Herzogsgut  yon  Theodo 

„  „    Hiltrud  u.  Tassilo 

Herzogsgut  yon  Theodebert 
I  Herzogliche  Beneficien    .    . 

negg,  Wirtlucluift^eflcbicht«.     I. 


'I 


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»» 


»» 


'  3 

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!  21 
95 
1 
1 
1 
1 
2 
1 
2 
1 
1 

13 
1 
1 
4 
1 
1 
4 
2 
1 
9 

20 
5 
1 
1 
2 
1 
1 


6  ,  — 


14  — 


17, 

21 1 

222j 


2 

6 


1 
23 

1 
11 


7 

26 
12 


oppid.  et  castr.  Salzb.,  1 
cnrt.   117  Colon. 

3  Till.  1  cnrt.    2  ecd.  c. 
territ.  276  mans.  et  eolon. 

14  mans.  et  oolon. 

l  Till.     1  ecd.     4  cnrt. 
177  mans.  et  eolon. 

84  mans.  et  bona. 

67  Güter. 

28  mans.  et  territor. 
287  Q&ter. 

1  cort.  5  trib.  cum  eolon. 

4  trib.  0.  eolon. 

2  Oftter,  alpes,  silrae. 

6  Gftter. 

7  G&ter. 

1  cnrtis,  10  eolon. 
trib.  100  enm  eolon. 
1  maus. 
1  Gut. 
22  Gftter. 

4  trib.  c.  Colon. 

5  Güter. 
10  Gftter. 

1  eort,  20  maus,  c  terr. 

3  mans. 

1  TÜla,  46  mans.  e.  terr. 

2  Till.,  20  serT.  c  terr. 

1  mans. 

29  Gftter. 

60  mans.  et.  territ. 
12  Gftter. 

2  mans. 
Tineae. 

89  mans.  Tineae. 

l  cort.  20  mans.  e.  territ. 

0  mans. 

32 


—    498    — 


Gau 


Qualit&t  der  Güter 


a 
< 


0) 

O 


-ö  feil 


Besitzstand 


Augostgau 


•{ 


Chiemgau 


Herzogliche  Beneücien  . 

jEigengat  der  Freien  .  . 
!  Herzogsgut  von  Theodebert 

„  „    Oatilo  . 

Herzogliche  Beneficien  . 

Güter  der  Ortskirchen  . 

Eigengüter  der  Freien  . 

InnthalCintervalles)  .Güter  der  Ortskirchen  . 

Pinzgau  .    .    .    .(  Herzogliche  Bencficieii   . 

Eigengüter  der  Freien    . 
Herzogsgut  von  Theodebert 

Oatilo    .    . 


Pongau 


V 


ft 


1 
1 

2 

1 
3 
3 
21 
16 
2 
3 


I 


1 
1 


5  man.«. 
1  Gut. 


—  I  1  TÜU,  54  mans.  c.  c  .«or 


2 
3 
53 
16 
2 
5 


1  s^rr.  c.  Colon. 
25  G«ter. 
13  nuna.  et  Urrit. 
53  Gätor. 
21  mans.  et  territ. 
10  GftUr. 
'  4  GftUr. 

■ 

'  forest«  3  railliaria. 
33  man«.,  serr.  c.  t«rr.: 


Der  IndiculuB  Amonis  und  die  breves  notitiae  Salzborgenses  verzeichnen  di^ 
Schenkungen,  welche  in  der  Zeit  yon  696—788  der  Kirche  von  Salzbnx^  und  den  ihr 
untergebenen  Klöstern  und  Ortskirohen  gemacht  wurden.  Natürlich  ist  ans  diese 
Angaben  nur  der  Umfang  und  die  örtliche  Vertheilung  des  salzborgischen  GruBJ- 
besitzes  mit  einiger  Bestimmtheit  zu  erkennen ,  ein  bündiger  Schluss  auf  die  Ver- 
theilung des  Grundbesitzes  in  diesen  Gregenden  überhaupt  aber  nicht  möglich,  da  d» 
Schenkungen  weder  gleichzeitig  sind,  noch  angenommen  werden  kann,  dass  zwischa 
dem  Grundbesitz  der  einzelnen  Spender  und  dem  Werth  ihrer  Schenkongen  durdivtf 
das  gleiche  Verhftltniss  bestanden  habe.  Aber  immerhin  bieten  diese  Register  titt^ 
brauchbare  Anhaltspunkte  zur  Beortheilung  der  Vertheilung  des  GmndbedtieB  \i 
Baiem ;  denn  eine  gewisse  Verh&ltnisemässigkeit  zwischen  dem  Reichthum  der  Gnnd- 
besitzer  und  den  von  ihnen  gemaditen  Schenkungen  wird  sieh  im  grossen  DarchschinB 
doch  annehmen  lassen;  und  die  Betrachtung  der  Vertheilung  dieser  Schenkongen  vd 
die  einzelnen  Gaue  und  Ortschaften  gibt  wenigstens  Minimalzahlen  für  die  ßewohnims^ 
intensit&t  an  die  Hand ;  auch  lässt  sich  aus  der  Anzahl  der  an  einem  Orte  gemachtec 
Schenkungen  ein  ungefährer  Schluss  auf  die  Grösse  seiner  Gemarkung  ziehen;  je  mehr 
Güter  aber  an  einem  Orte  geschenkt  wurden,  desto  kleiner  wird  im  Allgemeinen  ilire 
durchschnittliche  Ausdehnung  angenommen  werden  dürfen. 

Wesentlich  erschwert  wird  eine  auch  nur  ungefähre  Schätzung  dea  ganzen  Be 
Standes  an  Landgütern,  welche  der  Kirche  von  Salzburg  geschenkt  wurden,  dadudi 
dass  vielfach  nicht  einmal  die  Anzahl  der  Mausen  angegeben  ist,  welche  sie  om&»ai 
sondern  nur  eine  allgemeine  Bezeichnung  derselben  (res,  proprietas,  portio,  bereditaseic 
stattfindet  Es  ist  schwer  über  die  Grösse  der  so  bezeichneten  Güter  auch  nur  mt 
Vermuthung  auszusprechen;  soll  aber  doch  eine  ungefähre  Schätzung  des  gesaaatff 
an  Salzburg  geschenkten  Güterbestandes  versucht  werden,  so  wird  jedes  Gut  mindesttf » 
als  1  mansus  zu  rechnen  sein;  sowohl  der  im  8.  Jahrhundert  überhaupt  noch  tot 
herrschende  Zustand  des  Kleinbesitzes  der  einfach  Freien,  die  verhältnissmässige  Sdtes* 
heit  der  grossen  Gutsherrschaften,  als  auch  der  Umstand,  dass  in  Amo's  Begister: 


—    499    — 

grössere  Güter  doch  regelmässig  nach  der  Anzahl  ihrer  Mausen  angeführt  sind,  sichern 
bei  solchem  YerfisJiren  vor  allzugrossen  Iirthümem.  Leichter  ist  eine  andere  Schwierig- 
keit zu  überwinden,  welche  darin  besteht,  dass  nicht  selten  dieselben  Schenkungen 
im  Indicolos  und  in  den  breves  notitiae  vorkommen;  eine  aofinerlEsame  Yergleichung 
der  beiden  Register  hat  hoffentlich  aas  der  vorstehenden  Tabelle  jede  Doppelzählnng 
ferngehalten« 

Jedenfalls  scheint  diese  für  ihre  Zeit  und  ihr  Gebiet  einzig  dastehende  Quelle 
werth,  so  gut  es  angeht,  statistisch  ausgebeutet  zu  werden.  Einiges  Licht  fällt  daraus 
immerhin  auf  diese  so  überaus  dunklen  und  doch  so  wichtigen  Verhältnisse,  und  die 
sociale  Geschichtsschrdbung  dieser  Zeit  gewinnt  damit  doch  wieder  ein  Stück  festen 
Bodens  mehr. 


32* 


—    500    — 


Beilage  11. 
OntsbestSnde. 


Gnind- 
herr- 
Bchaft 

Jahr 

Beschaffenheit 
des 

Landguts 

1 
1 

Di 

izu  gehörig 

1 

0 

1  » 

'S 

i 

'S- 

carr. 

ja 

9 

1 

L«ate 

Oidi,  ' 
■enri, 
man- 
eipia)  i 

BemerkmigeD 

g     n.4 

715—39 

1  ecelesia 

V 

30« 

— . 

_^ 

—      »c«ata.    *}*r. 

Ig 
^?    20 

832 

mans.  indem,  cortil.  casa 

3 

10 

l  bmmantJi  - 
8»/«  jara. 

ga  21 

835 

cas.  indem,  curt    .    . 

6 

30» 

30 

— 

2 

4     .»terraaüia. 

6 ;! 

ZI    22 

f» 

casa  domin 

4 

— 

1 

.^_ 

^^    23 

—838 

2  casae  domin.  .    .    . 

10* 

— 

1 

— 

—     |»4l6dÄlef.««r»- 

ö        27 

864 

casa  indomin.     .    .    . 

6 

— 

— 

1. 

n.   66 

777 

1 
1 

— 

40 

10 



— 

• 

77 

vor  784' 

• 

1 

— 

30 

12 



1   — 

8 

136 

804 

1 

— 

30» 

20» 



1 

2    /juni.  'pert.Ä 

1 

in]ata& 

5    172 

809 

tenitoriomcum  aedific. 

-     36» 

40 

— 

'     2 

.»jarn. 

i-    175 

—  810 

1 

40 

20 





1 

g-    196 

n 

60 

30 



— 

— _ 

1 

*?     206 

1» 

1  cortis 

9  1  - 

— 

i.^ 



52 

^    210 

n 

1  curds 

2 

— 

— 



— 

— 

)' 

g.    295 

814 

cort  cam  domo      .    . 

— > 

19» 

12« 



— 

-^ 

9 

i*jarB.  *w«f^ 

g*    314 

815 

cort  c.  cas.  et  aedific. 

-     30 

12 

^^^ 

5 

1*    344 
w-    348 

817 

curt  c  domo     .    .    . 

6» 

4    — 

— . 

10 

java. 

» 

^^^^ 

30» 

50  '  — 

— ■» 

— . 

jvn. 

g    374 
Z    377 

819 

Oratorium  ..... 

30» 
12» 

10 

^^ 

8 

1 

jara. 
»  jaza. 

0 

domus  c  al.  aedifia  . 

.^_ 

30 

"~~ 

_ 

S'    403 

820 

— 

30» 

30 



— 

4 

»jaia. 

?    427 
§:    462 

823 

— 

30» 

7 



— 

8 

J»jaia. 

824 

— 

43 

40 

>-> 

1 

5 

i 

! 

1     450 

n 

1 

— 

12 



— 

6 

i 

S     460 

825 

— 

40 

30    — 

— 

5 

-'    489 

826 

. 

40» 

5    — 

1 

8    i»j<nu 

5    504 

828 

2  curtifer. 

1 

— 

90» 

30    - 

1 

1* 

9    '«ja«.*»»«« 
boaaa. 

509 

828    , 

2  cas.  4  curtif.  .    .    . 

—     60» 

60    - 

1 

.»ja». 

511 

n 

curt  c.  domo  et  aedif. 

-     85 

10    - 

■"" 

2 

522 

1 
ff 

curt  c«  dom.  et  aedif. 



30» 

8 

— 

»jara. 

—    501    — 


Gnmd- 
henv 
Schaft 


Jahr 


Dazu  gehörig 


Leute 


^ 


cftrr. 


Bemerkimgeii 


0.530 
545 
579 
562 

576 
596 
606 
618 
618! 
637 


E     644. 

s 

7 

651 

?  654! 
&  664! 
5     665 

o 


828 

829 

Tor886 

888 

885 
886 
889 
841 
842 
845 


cor!  c  casa,  1  molin. 
curt.  c.  aedif.     .    .    . 


666 
ß.  667 
£11.^.126 

a. 


1 

d 


«B 


692 


698 


n 


700 
705 
718 
719 
720 
721 
781 


846    I 

ii 

848  ; 

849    ; 

9 

-868  ; 


cort.  c  domo,  2  molend. 


cnrt.  c.  domo     .    .    . 

curtil  1.  com  pomerio. 
i  cort.  c.  dorn,  pomer.  . 
l'Cart.  c.  dom.  curtif.  1, 

>'    fiurin. 

|j  2  cnrtif.  c  dorn.  aedi£ 
pomer.  fönt     .    . 

curt  c  domo     .    .    . 

curt.  c.  domo,  aedi£   . 

curt  c  domo,  aedi£  . 

curt  c.  domo     .    .    . 

cnrtifer.  1 


•  I 


n 
n 
n 


curt  c.  domo,  hoirea  8 


curtiL  1 

cnrtQe  1     

ecdes.  c  dom.  aedi£  fa- 

rin.  pomer.  .... 

curt  c.  dom.  aedif.  pom. 


855 
856 

n 
n 

860^70 


curt.  c.  domo 
curt  c.  domo 


curt  dom.  pomer.  hu- 
mular.  horreum   .    . 


4 

90^ 

40 

— i^ 

— 

52 

56 

.^ 

10^ 

6 

___ 

6 

120» 

180* 

— 

2 

.^ 

80 

_ 

1 

— 

20 

_ 

( 

12» 

5 

— 

— 

86 

40 

_ 

— 

20» 

6 

^m. 

— 

124» 

16 



— 

104»100 

— 

108»!  — 

— 

55»   12 



2 

—  1  ___ 

— . 

— 

20»   10 

„^_ 

— 

50  '  24 

•.»m 

— 

10»   12 

__ 

17     12 

«»« 

5» 

~"~ 

200« 

— 

70; 

vni. 

— 

72jurn. 



^^^^ 

160»  100 

^^ 

^ 

610» 

86» 

— 

6 

^^^ 

100 

10 

— 

— 



— 

40 

50 



11 



180 



— 

93 

41 



—   156 

1 

78 



1 

240 

800 



—     1 


2 
2 

8» 

-  100« 


80» 
40» 


6  ' 

8. 
8' 

81 


11 
5 


jum. 

»jurn. 

»Belilant'Dayon 
lOOcarr.Nlilant, 


8 
1 
6 
2 

19' 


18 


jurn. 

»jurn.    "jurn. 

»jurn.  'jurn. 

*jnni. 
»jnra. 

»jnrn. 

»jnrn. 

»Danmtor  8  ooL 
dominic  terrae, 
'dominic  'Da- 
mntar  9  manc. 
infira  dom. 


»jnm. 

»DamntlOOjnm. 
terr„  56  prat 
eazT.  de  eflya 
eztirpanda. 


jnfl^ra. 


jngera. 


. 

"~"      ( 

502 

*^^ 

1 

Daza  gehöriff 

Grand- 

Beschaffenheit 

^^ 

m 

herr- 

Jahr 

des 

a 

i 

1 

9 

1 

i  Leat« 
2     1  (Udi.  ' 

1 

BemerkoBgeD 

schaft 

' 

Landguts 

0  w 

9 

'S 

< 

S- 

•3       1    *        !    t 

^        rata-  ; 

o 

m- 

carr. 

^ 

dpia) 

n.731 

860—70 

cnrt.  c.  domo     .    .    . 

— 

225 

200    — 

•"—    1    ^_ 

n 

n 

eccles.  cnrt  dorn.   .    . 

!154 

35  i  — 

—         ._ 

734 

1 

n 

curt  c  dorn 

— 

SOjug.     — 

—         — 

7391 

1 

!       n 

1 

1 

eccl.  cnrt.  dorn.  .    .    . 

5* 

— 

80    — 

80»      3 

n 

1 

1       n 

dorn.  c.  carte  horrea  2, 

• 

»hubao  ten.  ^'. 

hamni.  1,  moL  1 

8» 

^^^ 

100 

— . 

100«      3 

«juget». 

740 

n 

1                                                                    • 

— 

93 

41    — 

.—      — 

741 

1 
n 

cart  dorn.  horr.  cartif.  2, 

1 

1 

j 

pomer.  c.  hamol. 

' 

76  (  41    _ 

20»     — 

»JB««». 

1 

>Ti  "  i 

3        ! 

n 

cart  dorn.  horr.  curtif.  2, 

/ 

' 

• 

pomer.  c.  hamal. 

""■ 

82     37  |_ 

20»     — 

»jugwa. 

5"    748 

n 

cart.  pomer.  homal.    . 

^ 

52     13  1  — 

1»     — 

'1  • 

5     765, 

-875 

cartifer.  1 

— 

24 

8  i- 

_      — 

•      756l 

9 

domas,  cartil.  horr.    . 

— . 

20  i  12    — 

**^^             ^^^ 

S    757 1 

» 

— 

36 

8  1- 

8»!    — 

»JQfwa. 

1    " 

» 

dom.  horr.  pomer. .    . 

— 

9 

— 



( 

, 

ffi.    761 

n 

cartil  1 

— 

47 

23 

— 

..« 

^^ 

1 

^    767 
1      » 

n 

cartif.  1 

— _ 

69 

22 

— . 

.»       — 

1 
1 

» 

cartif.  2,  pomer.  chnm. 

— . 

76     41    — 

20».  — 

»jugw». 

1 

cart  c.  dom.  cortii  2, 

__ 

1 

^     773 

1 

horream,  pom.  ham. 

— 

82 

37 



20»;   — 

»jiiftm. 

ff 
n 

!carti£  1 

60 

30    - 

! 

?  » 

cartif.   1,    molend.   1, 

»^ 

^ 

ÜEibram 

56 

5W>     — 

1     "^^ 
ES'       » 

w 

cort  c  dom 

36     15    — 

1»      — 

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40     10 

15» 

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cart.  c.  dom.  pomer.  . 

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45 

20 

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1 

li- 

n 

1 

n 

cart  c.  pomer.  2    .    . 

— 

72 

40    - 

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787 

1 

n 

cartif.  1  c  dom.  horr. 

— . 

80^ 

10  V  — 

l»nrmnaL 

788 

n 

cartif. 

8« 

1 

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1 

»  hoK  tarr.  v. 

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cart.  c.  dorn.  mol.  1   . 

5' 

— . 

•^  '_ 

»  hob.  terr.  tr. 

789 

n 

1 

13^ 

7V  — 

»BwainaL 

790; 

1 
n 

cart  pomer 

128 

14 



88«     - 

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n   ' 

n 

cart  dom.  horr.      .    . 

1 

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— 

12» 

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798 

1» 

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7  1  12 

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— . 

8    , 

799 

1 

"       1 

,  cartif    .    .    .  •  .    .    . 

— 

55 

9 

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cartif. 



60 

12    - 

—              1 

1 

503    — 


Gnmd- 

herr- 

schaft 


Jfthr 


Beschaffenheit 

des 

Landguts 


Dazu  gehörig 


I  e  C 


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In 

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^ 

(lijj  IjBemerkongen 

senri,  |i 
man-  l 


cipia) 


I 


n,  25 
26, 
42* 
45 

» 

48.. 
52» 
63, 

65: 

66! 

86.J 

96'j 

143' 

146 

151 

156' 


o    188. 

H 


a 


■ 


a. 


o 

9 
K 
9 


209 

218 

222, 

303 

306 

318, 

358 

372 

373, 

384 

387! 

389; 


422; 
445 

461 
464 
467 
473 
520 


765  II 
„       area,  casa 

773  area,  casa 

774  area  .    . 


n 

775 

779 


788 
789 
797 

798 
800 
803 

n 

804 

814 
815 
816 
817 

n 

819 


4131     823 


824 


825 

826 
827 
888 


1  I  30 

—  !  25 

—  I  15 


8     1-'- 


n 

areola  c.  aedif.  .    .    . 

areas  3 

area  1 

arealis  1 

•  areal.  2 

;  area  c.  domo      .    .    . 

2  areas  c.  aedif.     .    . 

1  area 

j  1  casa  c.  scuria .  .  . 
'  area  c.  casa  et  aedif. . 
■  2  eccl.  1  curtil.  indom. 

1  ariol 

I  1  area 

I I  area  c.  casa  et  horrea 
1  area  68  Q  virg.  .  . 
1  area  c-  domo  .    .    . 

1  arealis 

2  ariol.  c  cas.   .    .    . 


—  I  45     —  ,  1 

—  —  .    1     1 
25     — 

—  26     —     1 

—  200  ,  —     3 

—  -i-'l 

—  30»   —  '— 

—  40     —     3 


—  10 

—  40 

—  2 

—  15 


3  1 

-  3 

-  1 

-  5 


-43-1 
20»   —     —   20^ 

—  12  '  10     4 

—  16»   —     1  . 


h 


area  c.  dorn.  .  .  . 
2  areae  c.  dom. .  . 
cort.    c.   pomer.   dom 

aedif. 

.  1  ar.  840D  virg.  aedif. 

bizuma    450  Q   virg 

2  molend.    .    •    . 

aedif. 

ciirt  dom.  aedif.  ariol 

pomer 

2  areae  legitimae  . 
2  ar.  1  pomer.   .    . 

'  1  area 

1  areol.  c.  domo  . 
lilO  areae    .... 


2   -;  7  -i  - 
1  :  7»  —  ■-  I  - 

-  '  26  I 1    - 

—  ;  50  I — 


13 


—  5 

—  40 — 

I 

—  60  I I   — 

—  15 — 

_     20     -     1»    — 
-11 

—  134 
10 


82  > 

M«Iid., 

66manc 

13 

30 

4 

9 

»  =  lhol)a. 

8 

1 

11 

—  40' 

—  30 



7 

2    ■ 

-  10    -   - 

-  14 

-'    4 

7 

2» 

- 

-      1  ; 

—        63     i»hab«e.  *carr. 


jurn. 
jnrn. 


Jög- 


jarn. 


4 
9 


carr. 


51 


— 

504 

— 

Gnmd- 
liBrr- 

Jahr 

Beschaffenheit 
des 

Dazu  gehörig 

1 

1 

0 

S    0 

1 

1 

2 

2 

Leute 
(lidi. 

BGhaft 

Landguts 

Mani 
oder  H 

jnm. 

earr. 

1 

■erri, ' 
man- 
cipia)  1 

1 
1 

1 

IL529 

840 

1 

6^ 

— 

— 

6« 

^^^m 

66 

*]iob.r«g.  *can. 

573 

858  : 

1  areae 

10* 

— 

— 

^^^ 

5 

»HT. 

5*    585 

{    863    ' 

2  ar.  c.  aedif.     .    .    . 

^ 

30* 

— 

— 



6 

jvger. 

S    604 

870 

7  ar.  c  3  captnr.   .    . 

8  ^  15^ 

1 

— 

1 

56 

'W«r. 

•      617 

;    876 

2  areas  

2  • 

— 

— 

'      

— 

632 

889 

5  areas  

4     — 

— 

— 

1 

12 

IL429 

755 

* 

40 

7!- 

— 

• 

548 

765 

3 

2 

— 

—^ 

— 

1 

880 

n 

1  ;  30 

6 

— 



— 

l 

482 

766 

1    * 

30 

-'    1 



586 

n 

ort  pomeriom.  ...      1 

21 

10      1 



1 

824 

'    768 

'1 

5 

V.  ■- 

^ 

3030 

1 
ff 

2 

35 



— 

— 

2929 

769 

1  molendinum    .    .    . 

2 

53 

12 

— 

— 

' 

^8066 

o  2782 

n 

terr.  indom.  c.  1  manso 

15 

— 

36 

t 

771 

1 

2  :  60* 

5    — 



4 

*6tadstirpuda 

3 

! 

1 

nmiljter. 

r  491 

772    1 

1 

30 



— 



2 

1 

2789 
%  32721 

n 

1  cortis 

— 

30 

1 

— 

1 

1 
» 

mans.  indom.  c.  casa  . 

12 

— 

— 

— 

2» 

20 

i*petiaA. 

8     540 

778 

1 

24 

— 

-^ 

r«  2796 

774 

1 

30 

— 

— 



8 

§     454 

776 

!    2 

ü; 

inm.        1 

^ 

— 

i-8167 

777 

mans.  1  indom.  .    .    .i     6 

1 

— 

10 

1 

1 

g     459 

778 

;  1 

3 

1 



— 

1 
1 

i  2778 

n 

1  1 

60 

—     -^ 

— 

5 

1 

1 

5-    461 

781 

1 

3 

—     — 

— 

— 

1 

^    467' 

782 

■   1 

6 

1 

1 



— 

1 

1 

o     613 

n 

■;  V, 

12 

1     — 

— 

— 

1 
1 

l     793 

783 

1 

1 

20j 
30 

nni.    1    1 
—       1 

^^ 

1 

1 

^  2966 

n 

lUOO 

—     — 

^ 

5  1 

^'naoLomkcV. 

80641 

785 

2 

100 

30    — 

— 

2 

1 

682 

786 

V. 

20 

1      1 

^ 



852 

n 

i  1 

6 

2    — 

1 



1 

680: 

787 

«    3 

7 

1 

^~-. 

— 

n 

mans.  indom.  c.  aedif.      1 

30 

4  ,    1 



1 

3384 

788 

1  eccl.  et  curt.  indom.     2 

1 

1 



2917 

798 

,     8 

350 

27 

— 

1 

15 

592 

790 

1 

1 

6 

1 

— 



— 

—    505    — 


Grnnd- 

herr- 

Schaft 


Jfthr 


Beschaffenheit 

des 

Landguts 


Daza  gehörig 


a 
S    ^ 

an 


A 


9 

o 


■s 

•s 

o 


^ 


carr. 


9 

e 


^ 


I 


Leute 

(lidi, 
aerri, 
man- 
cipU) 


Bemerkungen 


n.  470,1    791 


839: 
3435 

448 
2863 

593 

508 
2829j 
3015 
3014 

690 
2751 

?        I 
3  3020 

§■   797 

597 


3110 


2.2783 

OB 

a   616 
1:1077 

O 

S 

»    269 


OB 


§'  2318 
2790 
2597 

271 
1033 

2784 
2872 
3474 
2948 
658 


793 
794 
798 


808 
804 

805 
807 


808 


I  692;|  811 

S  2862,  812 

r  2883'  814 

g        11 

i  316711  815 


817 

ff 
818 

820 

826 
827 
829 
830 

835 


886 

ff 
837 

839 


curia  c.  manso  .    . 
aedificia     .... 


aedifida     .... 
1  maus.  c.  aedif.    . 


1  hub.  indem,  c.  manso 


aedificia 

basilica,  1  curt  indem. 

1  mansus  indomin.  c. 

cas.  et  aedil   .    .    . 

maus.  1  indem. .    .    . 


area  1 


maus,  indem,  c  aedif 


maus,  indem,  c  casa, 
curia,  aedif.     .    .    . 

aedificium 

maus.  c.  hob.,  aedif  et 
castitio 

curt  c.  aedif  pomar.  1 

aedificia 

hub.  1  indem.    .    .    . 

mansus    indominicatus 

aedificia 


1 
2 
1 
1 
1 
1 
1 
1 
3- 


.1 
2 

1 
1 

18* 


40 

15 

8 

14 

2 
17 

20 
25 
30 


20 
41 
40 
20 


—     15 


0 

1 

5* 

— 

^ 

120 

1 

17 

2 

80* 

1 

8 

1 

30 

1 

10 

1 

150 

1 

22 

. 

29 

— 

83 

4 

45 

3 

— 

6 

— 

1 

25 

1 

2 
3 


I  

I 


3' 
1 
1 


3 
1 


1 
1* 


8 


6« 


10    — 


2* 


4    — 


4 
1 

4^ 
6 


^adlSsitolasvini 

I 

*jurn. 


et  filii. 


1 

20 


*  hnbas  seir.  cum 
totid.  mftDsis. 


10      *ad  15  siclM. 


^  4  mans.  14  hab. 


1 

5 


^  Darunter  3  hub. 
terr.  ar. 

et  2  bifangoe. 

*  Hieron  36  dorn. 
'Hievon  5  dorn. 

*ad  1  carrad. 

*  ad  stirp  20  Jörn. 


—    (    —      *jum. 


—    i       7    i^jurn 


1  -  -  ;  - 


-     2  ; 

—  23 

—  I    13 

1  ^        —      *  terra  incnlta  5 

'  jnrn. 


—    506    — 


/law. 

-     ■ 
J 

Beschaffenheit 

Dl 

izu  gehd 

rig 

iirtuia- 

e 

•ö 
0 

f4 

e 

Leate' 

heir- 

Jahr 

des 

a  «S 
S  M 

1 

C3 

1 

£? 

0 

^ 

(lidi. 

scbaft 

Landguts 

• 

M 
0 

ja 
'S 

1 

8«nn. 
maii- 

•^ 

jurn. 

carr. 

cipi»)  i 

0 

1.659, 

841 

2» 

44 

— 

— 

—    7 ' 

*lmaH..U  . 

1 

1 

1 

1 

terr. 

808 

n 

1  hob.  indom.    ...     3*|  — 

— 

1» 

-    7 

'^wrrik«.  *«- 

3006 

846 

area  indom.  c.  aedifido 

12^  — 

50  ,  — 

— ,  22, 

*ierTÜMir-*-' 

M 

1 

1 

1 

i                 ! 
1 

1 

O 

3 

2- 

34; 

863 

,1  hob.  indom.    .    .    . 

9  ,  — 

1 

1*       89 

*ad  lOtiyrn- 

36, 

864 

1 
1 

1     30 

45'|- 

—       —  . 

*DÄTOii«»iy 

• 

1 

1 

1 

1 

' 

'   buhnioramr- 

1 

1 

1 

1 

( 

?»• 

37 

868 

3  hub.  in  domin.    .    . 

17 

— 

1    

—     152 

» 

n 

'3  hub.  in  domin.    .    . 

17 

— 

1 
1 

—     156 

383 

880 

3 

27 

2 

4» 

— 

6 

*janu 

11.58 

826 

curtile  1 

9 

1 

— 

9 

—  1 

— 

88 

n 

n 

eccles.  c  curtile     .    . 

51 

— 

5 

—  — 

— 

53 

69. 

831 

eccl.  curt  cas.    .    .    . 

9 

95 

6 

— 

— 

*JI1I1U 

n 

curtile 

1 

— 

78 

7 

~~  1 

— 

— 

61 

835 

basil.  maus,  indom.     . 

13 

— 

: 

— 

— 

62; 

n 

curtile  1 

1 

74 

5' 

— 

^earr. 

1 
TD 

n 

curtiL  2 — 

45 

^_^ 

1 

— 

— 

3 

n 

n 

curtile  1 

1 

30 

5>' 

— 

— 

*eMT. 

63 

n 

curtile  1 

— 

18 

3 



8*     — 

*jnra. 

• 

n 

rt 

curtil.  2 

1 

28 

— 

6i'. 

1 

*CWT. 

g 

64 

836 

1  mans.  indom.  .    .    ..!    7 

— 

—      3 

—  '  64* 

1 

*D»r«Ur5.. 

p*« 

71. 

845 

eccl.  1  mans.  indom.  . 

8 

— 

1 

1 

5^ 

831 

853 

;  cas.  curt.  terr.  dom.mol. 

12 

— 

— 



8 

96 

s. 

3 

89; 

855 

2 

8* 

— 



22 

^W 

93 

856 

2  capelL  4  curt  terr.  dom. 

17 

511* 

-      6« 



—    . 

Hn«.  *». 

er 
S 

99; 

863 

eccl.  terr.  vin.  indom. ;  14 

— 

8 

14* 

*tllT. 

105 

866 

1  eccl.  1  curt  4 mans.! 

§ 

1 

indom.  far 117  > 

— 

—  1  — 

— 

i 

1 

108 

! 

867 

2  curt.  arboret  4mol.| 

1 

54 

f26» 
321.  {30* 

— 

1 

g 

f» 

n 

1  curt 

—       7» 

•_-•     ^^^ 
1 

IM    .                                   - 

*j«f. 

s- 

77 

n 

1  curt 

100     — 

1»!  — 

«■dlOrtOF     * 

>-4 

• 

n 

n 

beneficinm 

—     54» 

1 

HlUL.CllB'^ 

n   \ 

n 

12  curtil 

1 

—   178' 

1 
' 

1  •'    

*bnii.Vl?<7' 

118 

880 

ecd.  mans.  ind.  c  domo 

80     — 

-;  7* 

1 

'pid. 

120 

882 

curt.  salic.  cas.  hör.    . 

8     — 

4  — 

1 

»  1 

1 

n 

ecclesia 

5     60* 

—  9« 

1«'  47 

1 

300  pow 

»  ■ 

n 

curt.  sal.  cas.  orr.  spie. 

, 

'        1 

1 

3  &r 

7     24* 

1 

20  5« 

1'  35 

i 

—    507    — 


Gnmd- 
herr- 

,1            t 

1 
1 

Jahr 

Beschaffenheit 
des 

Dazu  gehörig 

e 

9     C3 

B 
91 

'S 

1 

Leute 
(lidi. 

Bemerkungen 

Schaft 

1 

1 

Landguts 

0  K 

1       1. 

•i 

jurn. 

carr^ 

0 

^ 

Mrri 
man- 
dpia) 

^n.  40 

848 

casa 1 

~39* 

30  ,— 

24' 

-    l'W 

n 

casa 

2 

—     20    — 



—     1 

^      48 

865    ' 

area —  '9^ 

—    — 

1. 

Isso 

866 

1  '  — 

^""^ 

1     ' 

17 

si  » 

1 

n        . 

17^     9    — 

,               1 

^^     ( 

19 

^jttg. 

a|   59 

879 

area 1  — 

48  *i  15 

— 

100* 

— 

*jttg. 

0  s     » 

fi 

eccl.  cort.  c.  pomer.    .    — 

48*   15 

— 

3*' 

—    /jag. 

1?  68 

888    i 

cas.  curt  horr.  pomer.,,    3     20*'  —  ;  — 

-   'W 

1      94 

905 

1  eccl.  cas.  curt  aedif.    13*     7»  77    — 

136«, 

*terT.  arab.  *jiig. 

5         »  , 

» 

1  eccl.  cas.  curt.  aedif. 

2  curtü 13* 

7> 

55 

— 

136* 

— 

*  davon   11  hnb. 

!l 

i[  terr.  arab.  ^ug. 

n.  13 

-751    ' 

eccl.  c.  terra  sal    .    . 

i   7 

1 

1 

■  ■■■ 

31 

n      ^6' 

752    j 

2  curtes 

26     — 

—    — 

— 

1      ^^i 

768    ! 

1  casa 

9     — 

—    — 

— 

13*    *  Nebst  den  Ein- 
'   dern. 

3            p./>' 

773 

1  basilica 11     — 

— i^"" 

— 

43  . 

1      83, 

778 

2     30*   — 

— 

— 

5 

*jnch.  terr.  sal. 

1      99 

783 

casa,   cupinia,    spicar.                        1 

1 

C 

1 

curt  &  dorn,  aedif.  et 

1 

i 

^ 

officin 3»           37 

— 

— 

7 

*  contenentee  100 

^2 

1 

t 

jnm. 

?«102 

785 

i  —     31 

w   _ 

1 

1 

;;;cio6 

786    1 

— 

— 

— 

7 

I 

^S.123 

789    ! 

cas.  c.  curt    .    .    .          4     —  ;  — 

— 

1 

10 

?§126 

790 

1 

1 

1    1       4*     1* 

1 

— 

—    ',*jucb. 

f"  179 

804 

cas.  c.  casale  c.  dorn.                | 

1 1 

3 

9                  ' 

aiH^if. 2     30*1    2 

— 

— 

6     ; *  juch. 

="     453 

857 

1—39* 

10 

— 

— 

1 

2*,:*jug.  'cum  Mo- 

^ 

• 

1                ' 

! 

ribiu  et  llberis. 

i     479 

861 

baslL  cas.  c.  curt  aedif.  —     60* 

— 

— 

— 

1 

*jug.  in  foraste 

l 

\      602 

877 

terra  salica    .... 

1 

11  ■  — 

„^^ 

•^«^ 

•■^w 

16 

jacentia. 

620 

882 

1  !    8* 

2 

— 

— 

— 

'W. 

701 

895 

curt.  c.  dorn.  scur.  .    ,    —     25jiich. 

— 

5* 

2 

*jnch. 

^  n.6 

714 

aedificia 

i     1       8  1         - 

1   — 

— 

1      8 

737 

i    4.-!-     3« 

[   — 

8 

*cnm  rineatarifl. 

1       5 

743 

r  

1  10  1    5  ' - 

— 

— 

1 

5.  142 

745 

1  1        '31 

— 

— 

5    146 

•     148 

746 

.-,10 

2 

— 

1     1* 

(   — 

:*ad  20  porcos. 

747 

2  curtilia 

,j    

i  15 

7 

— 

,   — 

— 

—    508 


Gnind- 

Beschaffenheit 

Dazo  gehörig          '' 

«9           1 

e 

t 

c     •    '^   i 

Laato 

herr- 
schaft 

Jahr 

des 
Landguts 

1! 

94  .2 

3 

1 

mm 

i 

i 

(lidi. 

■«Ti 

Bemeriongtt 

t 

jnrn. 

carr. 

> 

dpia) 

D 

.140 

757 

1 

25 

3  ' 

— 

92 

780 

— 

20 

6    -     - 

_    1 

^ 

258 

786 

1  casa,  £pranaria 

—     20 

8 

1   

—     ■ 

9 

88 

787 

1     21 

4 

1» 

— 

—      »earr. 

9 

125 

788 

arena  .... 

1  '  20 

— 

— 



2   >i 

& 

42 

» 

i 

1  ,  30 

12 

— 

— 

—    ■: 

0 

124765—92 

1              t 

1  .- 

10 

*' 

— 

—      »caiT. 

104          ,         ; 

1 

-  ■    4i 

1 

— 

— 

^ 

120,      , 

i 

-:io 

2 

1» 



—    1  »earr. 

? 

21'    798 

1 
j 

-116 

15 

— 



"~    |i 

25,    805 

ciirtil.indom.ca8. 

1 

1 

1 

1 

'                                                  1 

1 

aedif.  scur.  pom. 

—  ,  70 

10-     - 

2 

20     808 

1  cortile  .    .    . 

—     20 

5  1  — 

' 

— ~ 

1 

1 1 

19        n 

1  curt.  indem.  . 

5     — 

—     — 



10  ;' 

Hl 

n'       n 

7     — 

—  20» 

— 

11       »aid. 

3 

174     809 

—     15 

3 

— 

— 

6 

1 

691    820 

cortile  .... 

-23 

5 

— 

— 

— 

1 

152     828 

1  pomar.  .    .    . 

3*  40 

— 

2 

— 

— 

s 

158     888 

cortil 

—     65 

20 

— 

— 

1 

SL 

1 

3  cnrtil.   .    • 

-     65 

7 

— 

1     ; 

i" 

B 

• 

32;,  850(?)  . 

—  :  12 

61- 

— 

156;     855    i 

2  ;  60 

6 

— 

—    |l 

»1         n         1 

2  curtil.    .    .    . 

—  j  60 

6 

— 

— 

8    ' 

1 

50(888-60 

—       5 

2 



( 

167i      „ 

2arealeB  c.  aedif. 

-     42 

3 

1 
1 

18l|860-70i 

1    7 

1 

1 

Monsee.  n 

.100"    793 

casa  c.  curt 

3* 

_  1  ... 

^_ 

.i_ 

18    'l»ca.ala. 

Urkb.  0.  d. 
Enns  I. 

64 
130 

822 
824 

1 

casa,  scona  .    . 

eccl.  c.  cort  cas. 

— 

50 

30 

— 



— 

orr.mol.terr.sal. 

1 

— 

— 

—          1* 

I 

Passan  ib. 

9 

790 

cas.  curt.      .    . 

— 

30»;  12» 

— 

— 

*  ii'iM- 

Sabsbnrgr. 

18i    815 

eccl.  cas.  domin. 

1 
1 

1          ' 

*                   1 

JatATia    ed. 

1 

aed.  carti£ 

^_ 

850  jDg.» 

—      —           4      »iattr  teiT.  i 

Eleimmyrn. 

« 

f — 

pnt  ah. 

ff 

ff 

aedif.    .... 

^^^^ 

120  ji«.» 

—  1    —         11      »iater  tm  ^• 

1 

1 

•   pnfc.  ■!»• 

r  1        n 

cas.  aedif.  cortif. 

12  300«  90^ 

% 

30»,     7    'ji*. 

Werden. 

n.  3     793 

mod.  cortile      .  i    1  ,    3*;  — 

_ 

-    W. 

Lacombl. 

( 

1 

1  f     1*  '              ^ffit  fear. 

Urkb.  I 

65 

:    855 

1 

jmans.   domin.  3 

1 

21?. 

* 

1 

-^ 

;!>■ 

80  , 

1 

!»aa»hr 

—    509    — 


Grond- 
herr- 
schaft 


Werdeo.  65 

Lacombl. 

ürkb.  L  "  I 

Wirtemb.  147 

ürkb.  i 


873 


Beschaffenheit 

des 

Landguts 


Dazu  gehörig 


^    jUrP.     CMT 


mans.  domin.  2.  i  18 

3     5i 


n 


51 


!  cnrtis  domin.    .  fl^* 
I  »14^ 


80« 
555 


eculesia 


7^  - 


95 


Bemerkungen 


9 
7 


'ad  SOporc. 


80  ij^serriles.  'dorn. 
—  I.  adextirpandnm. 
83    11 '  Daron  1  domin. 


*)  üeber  die  Masse  ygl.  die  Bemerkungen  zu  Tabelle  X  und  XI. 

Die  angeführten  ürkundenbQcher  sind  für  die  vorliegende  Au^be  voUstfindig 
aasgebeutet,  mit  Ausnahme  des  Cod.  Laureshamensis ,  der  noch  sehr  viele  ähnliche 
Daten  enthält;  die  Tabelle  würde  aber  durch  Aufiiahme  aller  Angaben  desselben  eine 
ooTerhältnissmässige  Ausdehnung  erlangt  haben,  üebrigens  wurden  nur  solche  Daten 
berücksichtigt,  wdche,  soweit  dies  ersichtlich  ist,  ganze  Landgüter  betreffen  und 
wenigstens  einige  der  für  den  Gutsbestand  wesentlichen  Bestandtheile  in  bestimmten 
Zahlen  ausdrücken.  Wo  kein  Herrenhof  angeführt  ist,  werden  daher  die  Hufen  oder 
iiansen  als  ganze,  dienende  Bauernhöfe  aufeufassen  sein;  wo  nur  das  Mass  der  ein- 
zelnen Cultararten  und  etwa  die  Zahl  der  dazu  gehörigen  mancipia  vorgetragen  sind^ 
▼ird  in  der  Begel  der  Bauernhof  selbst  als  stillschweigend  verstanden  anzunehmen  sein. 

Vergl.  abrigens  auch  die  Tabellen  IH,  IX  und  XI  über  Zins  Leistungen,  Yiehstand, 
and  Preise,  welche  sich  vielfach  auf  die  in  vorstehender  Tabelle  vorgetragenen  Land- 
güter (die  nach  Quelle  und  Jahr  leicht  au&ufinden  sind)  beziehen. 


-    510    - 


Beilage  III. 

Die  Zinsleistangen  kirchlicher  Beneflcien  und  Precarici 

im  8.  Jahrhundert 


QueUe 

1 

1 
Jahr 

1 

Beneficium  u.  Precarie 

Zhis 

Trad.  Sangall.  n. 

3 

716-720 

vemacula  terra  20  jach.,  l  Icarr.deyino^lcdealig 
Tinea  Ijnch.  colon.  1,!      1  c.  de  feno,  1  friskicgx 

serr.  1  c   casa,  terra 

1 

etc. 

1 
1 

ib. 

25 

760 

1  corüs,  16  mancipia. 

10  mod.  apelta,  20  c 
avena,  friakinga  asß 
valent 

ib. 

29 

761 

1  TilU. 

.  80  aid.  cerer.  40  ^ 
firiskiiig»      tremisB^ 
polL  2  nebat  Aitei 

ib. 

89 

763 

1  Tilla. 

20  aid.  cerer.  1  nai^ 
panis,  firiakinga  vaL  \ 
saiga;  Arbdt 

ib. 

42 

764 

1  casa,  1  curtile  et  terr.  aal 
6  mandp .  2  8erT.2  ingen. 

80  aid.  cerer.  2  maldr.  i^ 
panem,  frialLTd  mniss 

ib. 

47 

765 

1  sery.  c.  hoba  vestit  c. 
matre  et  8  mancip. 

10  aid.  de  Tino. 

ib. 

48 

I) 

2  casati  c.  hobis. 

8  aol. 

ib. 

68 

772 

1  huba. 

1  carrad.  de  anoona 

Cod.  Laoresh. 

1477 

773 

1  mans.  c.  hoba  et  m. 
2  mancip. 

2  den. 

Tr.  Sang. 

79 

775 

1  huba. 

1  carr.  de  grano. 

ib. 

82 

778 

8  mancipia. 

1  boa  Talent  5  sol 

ib. 

88 

w 

80  jach.  terr.  aaL  2  hob. 
serv.  8  mancip. 

80  aid.  cerer.  2  maldr.  pc 

ib. 

98 

780 

1  hoba  senr.  et  8  mancip.  15  sicL  oerer.  1  aul^ 

chemone,  1  fra.  «^ 
tremiase;  Arbeit 

ib. 

99 

788 

8   hob.   (=   100  jum). 
47  prat  carr.  7  mancip.  > 

20  mod.  aveo.  1  nuddr.  fr*-* 
ment.  lfriak.iaif.^ 

Tr.  Wiz«. 

258 

786 

1  cas.  20  jom.  terr.  arab  .  20  den. 
8  carr.  prat.               i 

Tr.  Sang. 

188 

792 

1  hob.  serv.  4  maoidp.  ' 

4  den. 

511    — 


Qaelle 


Zins 


Tr,  Lnnad.  (U.  B. 

0.  i  E.)  I  10 

C.  Lanr.  1102 

Fr.  Sang.  148 

LacombL  ü.  B.  I  14 
rr.  Patav.  (ü.  B.  o. 

iE,)  16 

Meichelb.  I  b,  212 


794 
795 
797 

799 

—  800 
784—814 


1  huba. 

9  jorn.  8  mandp. 

5  hob.  serr. 

3  hub. 

1  Tilla. 

2  mans. 


12  den. 
2  den. 

1  maldr.  ehem.  15  sicL 
cerev.  1  frisc.  saig.  val. 
1  solid. 

1  solid. 

12  mald.  speit.  12  tnod. 
aven.  2  Insking. 


rergl.  hierza  die  Tabelle  No.  X,  welche  die  Reluitions-  und  Qualitätswerthe  der 
seisten  hier  vorgetragenen  Naturalabgaben  enthält. 


—    512     - 


Beilage  IV. 
Die  yiebwerthe  der  Yolksreehte. 


Gegenstand 


aoussanas 

marn .    .    .    . 

doctrix 

melioriBBima  equa 

eqaus  maior 

caballus  optimus 

eqaus  videns  et  sanus   .    .    .    . 

caballus 

iumentum  lactans 

equa  mediana 

caballus  mediocris 

equa  videns  et  sana 

iumentum 

iumentum  adhuc  non  pregnans  . 

taurus 

bos  bonus 

bos  domitus 

bos  comutus 

bos  quadrimuB 

Bummus  boTUS 

medianus  boYUS 

bos  16  mensium 

bos  12  mensium 

vacca  lactans 

vacca  mellissima 

vacca  comuta 

vacca  sequenteriana 

verres  

porcus  (ductrix)    ....*. 
porcus  (non  ductrix)     .    .    .    . 

Ovis  cum  agno 

Ovis 

capra   


12 


6 

8 
6 


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Werth  in  Solidi 


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12 
12 


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6 


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8 
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12 
10 


6 

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1     ^ 


Die  Yiehwerthe  der  Lex  Salica  sind  in  Ermangelang  director  Angaben  su 
Compositionen  berechnet  und  dabei  das  VerhAltniss  von  Werth  nnd  Bosse  (12  • 


-     513    — 

wie  es  das  Gesetz  für  die  Leibeigenen  aufetellt,  zu  Grunde  gelegt  Die  vielfach  er- 
hebliche Differenz,  welche  zwischen  den  so  berechneten  Werthen  und  den  dlrecten, 
wie  den  in  ähnlicher  Weise  berechneten  Werthangaben  der  übrigen  Volksrechte  be- 
steht, dürfte  theils  in  der  Verschiedenheit  des  Culturzustands  der  Salier  (höhere 
Werthsch&tzung  des  vorzüglichsten  Nutzviehs),  theils  in  dem  grossen  Zeitabstand 
zwischen  der  Abfassung  der  Lex  Salica  und  der  Aufnahme  der  Werthangaben  in  die 
übrigen  Volksrechte,  theils  endlich  in  der  Unsicherheit  der  Berechnung  selbst  ihre 
Erklärung  finden.  Vgl.  die  Rechtfertigung  dieses  Versuchs  zur  Aufstellung  eines 
Werthtari&  in  meiner  Abhandlung  „Werth  und  Preis  in  der  ältesten  Periode  deutscher 
Volkswirthschaft",  Hildebrands  Jahrbücher  für  Nationalökonomie  und  Statistik,  80. 
Band.    S.  205—211. 


▼  on  Inama- Stern  egg,  Wirthschaftsgeschiclite.    I.  83 


—    514    — 


Beilage  V. 
Beispiele  der  Kinderftrequenz  der  abMn^gen  Bevolkenuig. 


1 

Quelle 

Ehe- 

Kinder 
der- 

ausser der  Ehe 

eipi 

, 

der- 
selbe 

paare 

1 

selben 

ICänner 

Weibtt 

Kinder 

Trad.  Fulden.  c  48—54. 

1 

1 

lidi  de  loco  Frechenleba 

64    ' 

203 

'     41 

20 

44 

'    19 

lidi  de  Scegenstete 

88 

101 

20 

7    ' 

43 

— 

fEunilia  s.  BoniÜBuüi  in  Rotenwilere 

12 

25 

5 



8 

— 

lidi  de  Anere 

80 
22    , 

78 
50 

26 
11 

7 
3 

27 

5 

• 

sem  de  Anere 

IJ 

£Etmilia  de  Waleheslebe 

4 

13 

5 

.     1 

4 

12 

ÜEunilia  de  Tonnahe 

9 

18 

7 

2 

4 

3 

ÜGunilia  de  Braocheim 

17 

80 

'      7 

1 

3 

9 

Trad.  Wizzemb.  774  n.  61 

2 

6 

1      3 

3 

4 

- 

774  n.  68 

24 

17 

16 

14 

1 

- 

„             774  n.  67 

8 

9 

22 

18 

7 

- 

774  n.  71 

5 

7 

7 

8 

11 

„              776  n.  73 

4 

5 

1 

1 

«.— 

.1 

• 

797  n.  62 

5    ! 

18 

18 

11 

20 

- 

Cod.  Fuld.  757-828  (16  Urkunden)     . 

21 

52 

21 

28 

55 

" 

Meichelb.  774  und  777  n.  48.  51 .    .    . 

11 

21 

5 

8 

6 

— 

Mittebrh.  ü.  B.  804  I  41 

14 

54 

'     15 

14 

72 

— 

Ried  cod.  Ratisb.  821  n.  18    .... 

17 

22 

S 

2 

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K 

Mitteh-h.  ü.  B.  826  I  58 

16 

58 

11 

9 

24 

4 

955  1199 

8 

19 

,            6 

7 

12 

- 

Sa. 

1 

826 

801 

250 

159 

345 

Tc 

Gesammtsumme  der  Erwachsenen:  1136;  der  Kinder  1146. 

So  dürftig  auch  diese  Zusammenstellung  ist,  mag  sie  Yielleicht  doch  nicht  gis> 
ohne  Werth  sein  als  ein  erster  Beitrag  zur  Aufhellung  der  noch  vollständig  dnnt^di 
und  unbekannten  Bevölkenmgsverhältnisse  des  frClheren  deutschen  Mittelalteis.  ^ 
Yergleichung  mit  gegenwärtigen  Bevölkcrungszuständen,  um  ein  ürtheil  über  die  ^ 
deutung  dieser  Zahlen  zu  gewinnen,  ist  allerdings  desshalb  unendlich  schwer,  ^ 
die  Kategorien,  in  welche  nach  den  Angaben  der  Quellen  die  Bevölkerung  eingeü^ 
werden  musste,  an  sich  undeutlich  und  daher  von  der  modernen  BevölkerusgsUtis:* 
nicht  angewendet  sind.  Unter  den  Männern  und  Weibern  ausser  der  Ehe  sind  d*^ 
lieh  sowohl  die  Ledigen  als  die  Witwer  und  Witwen  und  die  Geschiedenes  zo  ^ 
stehen.  Zu  den  Kindern  werden  nicht  nur  alle  Personen  unter  12—15  Jahren  (Müo<^ 
keitstermine  der  Yolksrechte),  sondern  auch  noch  jene  zu  rechnen  sein,  welche  obv>' 
in  höherem  Alter,  doch  noch  im  ungetheilten  Haushalte  mit  ihren  Aeltera  leben.  ** 


—    515    — 

den  Eindeni,  die  als  ausser  der  Ehe  stehend  vorgetragen  sind,  gehören  nicht  nur  die 
anehelichen,  sondern  auch  die  ehelich  geborenen  von  Witwern,  Witwen  und  Geschie- 
denen, sowie  die  Waisenkinder  aller  Art,  woraus  sich  die  auffallend  grosse  Zahl  der- 
selben erkl&rt  und  auch  hier  zählen  sie  so  lange,  als  sie  im  gemeinschaftlichen 
Haushalte  mit  ihren  Aeltem  oder  Pflege&ltem  stehen,  wie  das  daraus  hervorgeht,  dass 
aach  Kinder  dieser  Kinder  au^eftlhrt  werden. 

Nehmen  wir  an,  was  freilich  auch  nicht  (besonders  hinsichtlich  der  Rubrik  Leib- 
eigene) ausser  Zweifel  ist,  dass  wenigstens  die  abhängige  Bevölkerung  der  einzelnen  Land- 
guter, in  deren  Beschreibung  solche  Angaben  sich  finden,  vollständig  vorgetragen  ist,  so 
läsat  sich  eine  verhältnissmässig  schwache  Kinderfrequenz  der  stehenden  Ehen  nicht 
Terkennen;  aber  auch  ein  verhältnissmässig  kleiner  Frocentsatz  der  stehenden  Ehen, 
sowie  ein  üebergewicht  der  männlichen  über  die  weibliche  Bevölkerung  sind  einiger- 
maBsen  darin  ausgedrückt;  Verhältnisse,  welche  in  ähnlicher  Weise  auch  in  vielen 
anderen  vereinzelten  Angaben  über  den  Bestand  der  abhängigen  Bevölkerung  wieder- 
kehren. 

Eine  systematische  Ausbeutung  der  Urkunden  würde  übrigens  auch  für  die  älteren 
Bevölkerungsverhältnisse  immerhin  viele  werthvolle  Anfechlüsse  erhoffen  lassen. 


33' 


—    516    - 


Beilage  VI. 

Gutsbestand  und  Einkfinfte  der  Herrscliaften  toh  PrBm,  Werdeo 

und  Bleidenstadt. 

(Reg.  Prüm.  Beyer  I;  Reg.  Werd.  Lacorabl.  Archiy  11;  Reg.  Blid.  Wül.) 


Prüm 

Werden 

BleidensUdt 

»ö     Orte 

J     Dominikalgüter 

J     Beneficien  (feoda)  .... 
-1     Zinsgüter  (mansi  ingen.  lid. 
ö  '     serv.) 

1       285 
340 

;         80 

1 

1753 

449 
9 

? 

919 

36 

8 

? 

85 

60 


^Getreide 

Lein 

Schweine  (porci,  friskingae) 

Hühner 

Eier 

Honig 

Wein 

Geld 


6000  modii 
600  ^ 
1800  Stück 
4000      „ 
20000      „ 

4  situl.  ? 
4000;mod. 
1500  solid. 


13760  mod. 
25 

179  amph. 
1011  sol. 


490  mild. 

33  n 
11 

150 
1700 

6  CUT.' 

92  sol. 


^  I  Arbeitstage 


I) 

iJ3  l 


Fohren 


70000 
4090 


4730 
? 


4447 
34 


Die  Angaben  sind  nur  als  annähernd  richtig  anzunehmen,  da  die  Raster  in  vÄß: 
Fällen  andeutlich  sind;  doch  wurde  nur  in  solchen  Fällen  eine  Schätzung  vorgenoflUDec 
wo  die  bestimmten  Angaben  der  Quellen  zuverlässige  Anhaltspunkte  boten  und  das  6^ 
sammtresultat  schon  durch  diese  in  der  Hauptsache  gegeben  war;  dagegen  blieben  jea^ 
Abgaben  und  Leistungen  unberücksichtigt,  welche  nur  eine  vage  Schätzung  Duv 
Quantität  zugelassen  hätten  (z.  B.  mensales,  camsiles,  scara,  angaria);  ebenso  jeee. 
welche  entweder  nur  in  dem  einen  oder  anderen  Register  vorkommen,  daher  kei»" 
Vergleichung  ermöglichten,  oder  an  sich  zu  unbedeutend  sind,  um  zur  Charakteristic 
dieser  grossen  Gutsherrschaften  zu  dienen  (z.  B.  panes,  ciceres,  fabae,  arietes,  sal  eic 
Natürlich  erhöhen  sich  die  Gesammteinkünfte  dadurch  noch  sehr  beträchtlich;  in^ 
besondere  sind  die  nicht  vergleichbaren  Holzlieferungen  berücksichtigenswerth  iPräs 
1166  carr.  ligni;  Blid.  725  pali  etc.);  und  ähnlich  bedeuten  die  nach  Gmndstäckc 
oder  Fruchtmengen  bestimmten  Arbeitsleistungen  (arat  jumales,  titurat  fruges,  colhp^ 
modios  etc.),  die  gleichfalls  ausser  Ansatz  bleiben  mussten,  eine  beträchtliche  Vr^ 
mehrung  der  Gesammtzahl  der   Arbeitstage,  über  welche  die  Herrschaften  vefftgtrs. 


-    517    — 


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-    518    — 


Beilage  ym. 

Yielisttnd  auf  den  im  BreTiarimii  remm  flseaUnm  besduriebcnei 

kSnlglielien  fifttern.   (L.L.  1 176  C) 


Viehgattang 

in  Staffel. 
Bee 

in  Asna- 
pinm 

in  illo 
fisco 

in  ülo 
fisco 

m  illo 
ßaco 

caballos  domitns 

jumenta  maiora 

jtunenta  de  anno  DI     ...    . 

9       de  anno  praeterito   .    . 

„        de  anno  praesente  .    . 
poledroB  bimos 

„       annotinos 

emiasarios 

bOYfiS 

1 

26 
20 

1 

61 

5 

87 

14 
17 

58 

12 

40 
50 

68 
50 

17 
56 

51 
5 
7 
7 

10 
8 
8 

16 

50 

8 

20 

88 
2 

150 

200 

8 

80 

80 

120 

260 

100 

5 

80 
80 

22 

79 
24 
12 
18 

6 
12 

4 
20 

80 
8 

10 

2 

80 

80 

6 

15 
6 

82 
150 
100 

40 

100 

6 

8 

50 

Ü 
10 
12 
15 
7 

2 
24 

6 
5 

150 

200 

5 

20 
16 
8 
90 
70 

10 

10 

11 

10 

5 

2 

vaccas 

vaccas  c  ntnlis 

tauros      

iavencos  

1 

s 

vitoIoB  annotinoB 

asinoB 

8 

Tervices 

0       cnm  agniB 

agnelloB 

hircoB  .    .    ,    T    .    T    .    -    -    - 

150 

200 

10 

CAnras      

„      com  hedis 

hedicoloB 

aiietes      

SO 

90 

100 

Dorcos      •    .    • 

150 

porcelloB 

verres     

100 

i 

aacas  .    .    •    .    

'        20 

Dullos 

4 

pavones    

▼asa  apinm 

porcelli  nntriti 

519    — 


Beilage  IX. 

Verhältnisse  des  GrossYiehs  und  Kleinviehs  bei  einzelnen 

Gntswirthschaften. 


n  e  1 1  e 


Jahr 


Pferde 


Rinder 


Klein- 
vieh 


in  Procenten 


Pferde 


Binder 


Klein- 
Tieh 


Meichelb.  la 54 

Urkb.  o.  d.  Enns  I      ...    444 

Cod.  Fnld n.  110 

Cod.  Fuld. n.  202 

ßrev.  rer.  fisc  I      ....    176 

179 

n  n 

180 

n  n 

Tr.  Puld.    .    .    .    .  c  44  p.  125 
„        (34  Güter  zusammen) 

Meichelb 295 

C.  Fnld. 306 

309 

Meichelb 838 

C.  Fuld 355 

C.  Laur. 3733 

C.  Fuld.      384 

«        473 

Meichelb 511 

Tr.  Sang 352 

Meichelb 596 

C.  Fuld 508 

520 

539 

540 

Meichelb n.  677 

Meichelb.  la p.  126 

„  n.  696 

Urkb.  0.  d.  Enns  II  .  .   p.  23 
Tr.  Sangall. 701 


755 

786 
795 
803 

812 

n 
n 

n 
n 

—  814 


n 

815 

n 

817 

n 
818 

819 

827 

828 

834 

836 

837 

838 

841 

n 
852 

—  853 

—  853 
879 
895 


2 
2 
1 

91 
150 

90 

38 
132 

62 

1 
2 
6 
2 
2 
2 
1 
1 


3 
2 


4 

6 

12 

2 

113 

127 

63 

35 

12 

118 

1209 

3 

8 

40 

b 

27 

6 

6 
4 
6 

21 
'39 

25 

24 
6 
6 

39 
6 

10 
6 


50 

70 

38 

40 

334 

898 

521 

559 

830 

290 

4892 

6 

20 

25 

30 

40 

30 

8 

10 

10 

30 

116 

92 

77 

98 

72 

20 

38 

6 

40 
20 


5 

5 

8 

20 
18 

4 
24 

1 

4 
3 

14 
8 
5 

20 
6 
6 


10 
3 


7 

8 

25 

5 

25 

11 

9 

5 

1 

22 

19 

83 

18 

60 

14 

39 

16 

35 
27 
17 
15 
30 
25 
19 
8 
21 
49 
50 
20 
23 


93 
92 
70 
90 
75 
81 
71 
82 
94 
54 
79 
66 
83 
87 
72 
58 
79 
80 
59 
67 
83 
85 
70 
75 
81 
92 
69 
48 
50 
80 
77 


-     520    - 


Beilage  X. 

Reloitlonfl 

-  nnd  Qualltätswertto. 

Quelle 

1 

Zeit 

ahl  der 
Igaben 

1 

Einheit 

1 
1 

Geldwerth 

1 
1 

1.  Getreide« 

Trad.  SaogalL 

790-909 

24        maldram  de  grano 

2  dm. 

1 

1»            »in 

1  den. 

Y,         de  annona 

2    . 

n             n          ff 

U» 

maldnim  ohne  n&here 

Bezeichnung 

modiuB  de  grano 

nun 

modius  ohne  n&here 
Bezeichnung 

modius  ohne  n&here 
Bezeichnung 

2    . 
1  d. 

i  r 
1    n 

modius  de  annona 

mod.  inter  frumentnm 

et  segale 

1    r 
3  , 

Mdchelb  426 

823 

mod.  ayenae 

1  d. 

V 

n 

mod.  ohne  n&here  Be- 
zeichnung 

Ui 

Reg.  Prüm  c.  53 

893 

i      1 

mod.  de  sido 
„        ayenae 

2  d. 

1   r 

Reg.  Werd. 

F«nded.9.Jbds. 

1      . 

1 

mod.  ordei 
mod.  avenae 

Ad. 

2.  Tleh. 

fr.  Sangall. 

780-883 

caballus 

1  a 

643 

885 

n 

IOboL 

Meicbelb.  546 

829 

» 

lOsoL 

Tr.  Sangall. 

778-868 

bos 

5  soL 

176 

803 

« 

7  aaig. 

Erbardt  reg.  Westf. 

853 

aries 

6  den. 

I  17 

Tr.  Sang.  58 

770 

aries  bonus 

1  soL 

Reg.  Prüm. 

893 

multo  cum  lana 

15  den. 

—    521    — 


1 

1 
1 

^il 

QaeQe 

Zait 

1 

1 

FinhAit 

Geldwerth 

-< 

1 
1 

Beg.  Pram.              | 

898 

1 

Ovis  com  agno 

12  den. 

Tr.  Sang.  159          1 

799 

1 

verrex 

6d. 

Reg.  Werd. 

Finded.9Jhds. 

6 

Ovis 

6  d. 

» 

ff 

1 

yictima 

8  d. 

» 

1 

ff          i 

6  d. 

» 

• 

1% 

1 

victima  ovina 

6  d. 

Tr.  SangalL  58 

770 

1 

porcas 

1   BOÜd. 

894  - 

845 

1 

•> 

4  den. 

Erhardt  L  c  I  17 

858 

1 

}* 

12  den. 

MBh.  ürkb.  I  120 

882 

1  ; 

9t 

1  BOl. 

Äeg.  Pram. 

898 

9    1 

ff  (sualifl)     ! 

24  den. 

r 

» 

;    2 

:                                               1 
ff 

20  d. 

n 

» 

'    1  1 

II                       1 

14  d. 

r» 

r» 

6 

1» 

12  d. 

ij 

M 

8 

»•                      1 

6  „ 

r 

ft 

2 

1 

5„ 

ji 

n 

•      4 

II 

4„ 

Reg.  Werd. 

Finde  d.  9  Jhds. 

•  1 

II 

12  d. 

» 

r 

2 

II 

10  „ 

n 

n 

4 

1 

19 

8r 

» 

» 

7 

■ 

1 

99 

6., 

» 

ff 

2 

II 

4.9 

Reg.  BlidenRt 

9.  10.  Jhdt 

1 

»9 

15  „ 

n 

n 

1 

91 

12    91 

n 

n 

2 

1 

10,9 

» 

n 

1 

1                               " 

6,9 

Trad.  SangalL 

753-926 

2 

friskinga 

1  BOl. 

r 

r» 

1 

II 

8—12  den. 

n 

n 

1 

1 

91 

6  d. 

» 

n 

2 

w 

5  d. 

n 

n 

29 

II 

4  d. 

» 

n 

21 

91 

1  saiga 

Meichelb.  481 

825 

1 

9» 

2  saig. 

Ried  c.  Rat  I  69 

889 

1 

1                               >* 

4  den. 

Reg.  Prum- 

898 

1 

4 

1 

friskinga  Tenrecena  com 
lana 

12  d. 

1 

1 

91 

6  d. 

1 

91 

4d. 

Reg.  BUd. 

9.  10.  Jhdt 

'  1 

1 

II 

>             5  d. 

Tr.  Sang. 

852-960 

j  1 

pollus 

Id. 

1 

8 

«f 

'             ^d. 

—    522    — 


Quelle 


Zeit 


T 


i 


s 


Einheit 


14 


Geldwerth 


3«  Nalimiigsmittel. 

Trad.  Sang. 

786—865 

'      2    1 

situla  Yini 

4  den. 

» 

! 

1      1 

1      *    ■ 

n           V 

3  den. 

Reg.  Prüm. 

893 

t        1      i 

carrada  yini 

7  den. 

» 

1 

n 

1              ' 

modiuB     9 

1  den. 

Tr.  Sang. 

778—847 

;    1  ''■ 

situla  cerevisiae 

1  d. 
i             Id. 

Reg.  Werd. 

£nded.9Jlids. 

1 

amphora  meUis 

8  d. 

r» 

n 

^ 

1 

modioB  Balis 

Id. 

Reg.  Pmm.  41 

898 

burdura  salis 

2—20  den. 

Als  ann&hemde  Mittelwerthe  ergeben  sich  daraus: 

für  ordinftres  Getreide  (Hafer,  Dinkel,  Gerste)  1  modios  »  1  den. 

für  Pferde 16  soL 

f&r  Ochsen 8|  soL 

für  Widder 9  den. 

f&r  Schafe 6  den. 

ftur  Schweine 11  den. 

für  Frischlinge 4  den. 

Eine  Ergänzung  und  theilweise  Correctur  finden  diese  Mittelwerthe  dordi  jev 
Angaben,  in  welchen  Werthrelationen  zwischen  mehren  Arten  Yon  (Gütern  angestellt 
sind,  wobei  Getreide  wegen  seiner  geringsten  Qualitätsdifferenzen  in  der  Regel  aIs 
fester  Werth  angenommen  werden  kann. 


Tr.  Sang.  187 
Reg.  Prüm. 
Reg.  Werd. 


9 


Urkb.  0.  d.EnnBl67 
Tr.  Sang.  110 
„        328 

84 


794 

898 

Ended.9.Jhds. 

814 
786 
829 
778 


1  firiskinga 

friskinga  vervecena 

1  mod.  ordei 

1  mod.  silig. 

1  amphora  mellis 

1  carrad.  mellis 
1  siel,  yvoi 

1  siel,  cereyisiae 


10mod.grani»10i 
oviac.  agno«12i 
2mod.aTenae=^2d. 
2mod.a?enae-'H 
12  med.  ordei»  1^ 

6  mod.  silig— 12  d 
1  carrad.  nm 

1  mald.  annoB. 

7  nudd.  grta. 
jl  mod.  ann. 


—    523    — 


1 

1 

Quelle          1 

Zeit 

3'i) 

Einheit 

Geldwerih 

1 

1 

1^ 

1 

Tr.  Sang.  346 

884 

^ 

1                                      ; 
10  sicL  cerevisiae  »  3  mald.  grani 

828          1 

829 

t    ■*■ 

1      80    „         „       == 

7     » 

Eleg.  Werd. 

Ended  9.Jlids. 

1 

12  mod.  bradi  » '  14  mod.  ordei 

10    „        „     =!'ll     „        , 

1 

In         yt     ^^   \  mod.  silig. 

1 

1  amphora  meUis  = ,  8  mod.  bradi 

1  mod.  fiftbar.  »   1  mod.  silig. 

1    1 

»        »      "** 

,  12  mod.  aven. 

'                 1  Tictima  «»  '  1  ampbora  mell. 

Urkb.o.d.£nn8l466 

817-38      ' 

1                  2  aucas  =>l 

1 10  pollos 

Endlidi  lassen  sidi  auch  die  in  der  Lex  Saxonom  und  dem  Capit.  Saxon.  797,  den 
Capit.  Y.  794  nnd  806  (s.  o.  5.  Absdi.  S.  479)  yorgeschriebenen  Getreidewerthe  mit  den 
Angaben  der  Urkunden  verglddien; 


i 


Capit  Frankoflirt. 
Marktwertii 


Gap.  Frankof.  Verkaufs- 
preis auf  den  königlichen 
Dom&nen 


0 


I 


framentiun 
sigale  (sSigo) 
avena 


Id. 
\  d. 


4d. 
8  d. 
1  d. 


3  den. 
2 

4 


n 


6  den. 

4 

2 


19 


»> 


i  3'/,  d. 

l,V.-ld. 


Sonstige  Werth-  und  Preisangaben  kommen  nur  vereinzelt  yor;  yon  Gewändern 
1  paUinm  3  sol.  (Tr.  Sang.  838  n.  368);  8  den.  (Reg.  Werd.);  1  tonica  1  soL  (Tr. 
Sang.  865  n.  50® ;  linea  quae  didtur  smoccbo  2  tremiss.  (ib.) ;  1  soccus  4  den.  (ib.  825 
n.  291);  1  sarole  »  30  mod.  annon.  (ib.  809  n.  199);  1  campsilis  7  den.  (ib.  72);  10 
den.  (ib.  32);  30  den.  (ib.  114);  hircina  pellis  1  sol.  (ib.  878  n.  689);  10  trocta  (WoU- 
bündel  Reg. Prüm.)  2  den.;  de  lino  40  fbsa  8  den.  (ib.  46).  Von  Geräthscbaften 
1  Tomis  4  den.  (Tr.  Sang.  813-816  n.  217;  827  n.  305;  830  n.  332;  850  II  S.  398). 

Zur  Beurtheilung  der  vorkommenden  Masse  dienen  die  folgenden  Relationen: 
1  maldrum  »-  2  modii  =»  104.4  Liter. 
1  carrada  =»  8  modü  «»  16  situlae  (oder  amphorae)  »»  418  Liter. 


-    524    — 


Beilage  XL 
Preise  von  Landsfttern  und  Gnudstaeken* 


QaeUe 

Jahr 

Object 

Preis     ; 

BemericoBg. 

1 

1 
1 

1.  LandgUter. 

Tr.  Wizzemb.  150 

712 

1  mansuB  com  campis  etc. 

3^  arg. 

11 

789 

1  Tilla  ohne  Inventar 

54^  arg. 

170 

760 

2  hubae  com  colon.  et  camp. 

60  sol. 

G.  Lauresh.  536 

766 

1  manfl.,  \  pomer.  in  orto,  21  jnm. 
10  caiT.  prat,  1  Tinea 

1^  aar.  4 
a  arg. 

1187 

7» 

i  mans.  de  terr.  arab.  10  jum. 

1{U 

1 

1087 

n 

inter  mans.  etprat  et  terra  ar.  jum.  24 

8  soL 

1 
1 

554 

767 

1  mansus 

20  den.,  10 
modannon. 

241 

^68 

i  mansus,  14  jum.  terr.  ar. 

2^  arg. 

540 

.772 

1  mans.,  24  jum.  t  a. 

1  U  den. 

1 

2522 

773 

^  mansus 

1  cabaUns 

497 

» 

curt  c.  aedif.  camp,  prat 

4^,7nnc. 

956 

775 
772 

5  jum.,  prat  600  Dpert,  1  vinea  1  jum. 

5  unc. 

890 

1  owa  (huba) 

6  unc. 

Tr.  Wizz.  190 

780 

1  area  c.  cas.  et  casal.,  30  jum. 

30  sol. 

C.  Fuld.  106 

793 

38  jum.  c  casis  etc. 

ZU 

C.  Laur.  507 

802 

1  mansus 

1  £1  arg. 

n        508 

n 

1  mans.  c  aedif.  17  jum.  4  manc. 

14  unc.  arg., 

1  tunica  de 

serico,  1 

spata 

Lacombl.  ürkb.  I.  dO 

812 

1  curtilus 

20  soL 

C.  Laur.  176 

824 

t  mans.,  cum  12  jum.,  9  caxr.  prat 

bU 

Tr.  Sang.  310 

827 

1  huba  plena 

20  soL 

BackkanfB- 
summe. 

ürkb.o.l£imsIS.76 

884 

1  mansus 

1  caballus 

Lacombl.  ürk.lD.  46 

884 

2  mansus,  5  mandpia 

2.  Ackerland. 

UU 

1 

Tr.  Wizz.  186 

712 

10  jum.  in  campo  1,  simul  c.  marca 
in  Silva  et  2  stipes 

12  soL 

244 

718 

1  camp,  pertic.  2  tisas  et  12  pedes 
long.,  Silva  91  pert 

10  soL 

—    525    — 


Quelle 

Jahr  1 

1 

Object 

1 

1 
Preis 

Bemerkung. 

Urkb.  0.  i  Em»  I  3i 

760 

12  jomales 

2  boTes 

C.  Laur.  549 

764  {3  jumales 

i    3  unc 

n        247 

76? 

1 

4  jum.  terr.  ar. 

1  caballus 

nicht  zusam- 

JF 

'  menhängend. 

Tr.  Sang.  64 

772|'25  jum.  c.  silv.  pascuis  etc. 

1  serrus 

C.  Law.  467 

;77^ 

4  jum.  t  a. 

la  arg. 

zusammen- 
hängend. 

»        1845 

tt 

10  jumales 

1  caballus 

,        229 

179 

6  jumales 

3  unc  arg. 

zusammen- 

• 

■ 

hängend. 

»        2820 

781 

1  camp,  habent.  4  jum.                    i 

1  spado 

(spata?) 

Tr.  Sang.  165 

802 

1  ager  5  mod.,  8  pert  inter.  lat  et  long  6  soL  3  den. 

LacombL  ü.  b.  I  84 

817 

4  jumales 

'     6  sol. 

86 

» 

2  jumales 

;     6  sol. 

Tr.  Sang.  224 

n 

ager  onora  8  sutus. 

;     4  sol. 

»        286 

818 

ager  onora  3 

80  «J  ferr. 

,        254 

820 

ager  4  semodiale  cum  casola 

90^  ferr. 

»        255 

n 

ager  onora  3 

90  ü  ferr. 

n         262 

n 

ager  mod.  3 

'  70  Ä  ferr. 

n        293 

825 

ager  mod.  3 

1  soL 

1 

.        296 

826 

ager  8  semodiale 

lbo8,lespa- 
da 

1 

fr.  Tiiinael.  109 

829 

8  jumales 

12  sol. 

LfacombL  U.  b.  I  51 

836 10  jumaleB 

22^  sol. 

Tr.  Sang.  501 

864 

ager  3  mod. 

4  tremess.  <' 

t 

n         546 

869 

28  jugera 

3.  Wiesen. 

40  soL 

t 

C.  Lanp.  197 

Pipin 

483  Dperticas 

ij 
2  sol.     i  unter  d.  Wer- 

>the  yerkauft. 

1                                    1 

.       240 

767 

345  Dperticas 

3  unc.  arg. 

1 

Tr.  Sang.  248 

820 

prat  onora  2 

2  trem.  in;| 
ferro 

4.  Weinberge. 

1 

1 

C.  Fuld.  6 

753' 

2  Yineae 

!l5^7unc 

im     Stadtbe- 

1 

inter  aur. 

zirk^Ton 

1 

Ii 

et  argent. 

MainZk 

C.  Laur.  1500 

7661  Tinea 

1 1 

1  isß.  arg. 

n          241 

n 

1  Tinea  45  Qpert 

5  unc. 

n          241 

n 

1  vinea 

iit. 

n          241- 

n 

1*  Tinea 

i  ü. 

-    526    — 

u 

1 

Quelle 

"3 

Object 

Preis      j  Bemerinmg. 

1 

„       433 

!      1 
778: 

1  vinea 

9  onc        unter  das 
1,     Wwthe. 

„        1832 

826 

1  vinea 

i«    ■! 

1      1 

1            1 

5.  waider. 

1 

1 

Meichdb.  827 

816'|1  Silva  4  D  pert  legales 

1  caballas 

„         546 

829  1  Silva,  30  jag.  long.  16  pert  lat 

1 

lcaball.(10 
solid.)  etia 
vestitu     et 
aliapeconia 
5  BoL 

562 

831 1  silv.  mens.  50  juger. 

1  caball.  et 

II 

alianecania 

1 

! 

6.  Bangrttnde  und  Gebände. 

]                  1 

C.  Fuld.  8 

755 

1  area  in  dv.  Mogont 

3  &  aar.  et 

r 

>      axg. 

,        18 

758  il  area  c.  casa  in  Mogont 

2l«Jinarg. 

1 

1 

et  eabalL 

Tr.  Wuz.  158 

780 

1  areale  c.  casa 

8  anc.  arg.- 

Tr.  Sang.  458 

858; 

1  cortinom 

20  seliqaae: 

»        701 

895 

1  domus 

12  soL 

1 

.        701 

fi 

1  scoria 

5  8oL 

1 
[ 

Zo  dieser  Tabelle,  welche  wie  die  vorigen  ans  vereinzelten  Angaben  Terschiedser 
Urkondenbücher  zosammengestellt  ist,  wird  bemerkt: 

1)  dass  nor  wirkliche  Kaofpireise  aa%enommen  sind; 

2)  dass  nor  solche  Angaben  berücksichtigt  worden,  welche  das  Kaafobject  k: 
hinlänglicher  Bestimmtheit  als  ganze,  halbe  etc.  Hafen,  als  einzelne  Morgen  oder  fe5te^ 
Mass  von  Wiesenland  etc.  ersehen  lassen;  nor  bei  Weinbergen  ist  davon  abgegaogc 
indem  die  Grösse  der  einzelnen  Weinberge  nicht  stark  differirt  und  im  M^^iwi^m  fasc 
über  2  jomales  hinaosgeht 

3)  Zor  Bedoction  der  FlAchenmasse  dienen  folgende  Anhaltsponkte:  1  jugenm  =» 
2  jomales  »»  240  perticas  =  68.26  ares.  Die  carrada  bei  Wiesen,  eine  Heolast  eisA> 
zweispftnnigen  Ochsenwagens  ist  zo  1000  €6  -^  408  Eilg.  anzonehmen  (Gn^rard  Im  I 
189).  Aof  1  jomalis  werden  cca.  3 — 4  carrada  foeni  zo  rechnen  sein  (Gndrard  I  loT* 
Die  in  mehren  Angaben  vorkommende  Bestimmong  des  Flächeninhalts  von  Aeckerr 
nach  der  Aassaat  (modii,  onora  sotos)  kann  dorch  die  Annahme  eines  mittleres: 
Saatbedarfe  für  die  verschiednen  Kömerarten  von  1.5  mod.  für  1  jomaUs  r^dodr. 
werden. 

4)  Die  Geldwerthe  sind  mit  Ausnahme  von  Tr.  Vlizz,  186  ond  244,  wekbe  r 


—    527    — 

Gold  gelten,  durchweg  nach  der  Silberwfthrung  und  dem  20  sol.  Fusse  zu  rechnen; 
1  ^  a  12  unc.  «■  20  sol.  ä  B  tremiss.  k  4  den.  Nur  die  einmal  yorkommenden 
seliquae  sind  nach  der  (langobardischen  oder  ostgothischen)  Goldwährung  als  Silber- 
stöcke im  ungefähren  Gehalte  der  älteren  Karolingerdenare  zu  cca.  1.85  Gramm 
za  nehmen. 

5)  Die  in  anderen  Gebrauchsgegenständen  ausgedrückten  Preise  können  mit 
Hilfe  der  yorausgehenden  Tabelle  redudrt  werden,  üeber  die  Eisenwerthe  ygl. 
5.  Abschnitt  S.  464  A.  4. 


Pienr'fch«  HofbuebdrnekereL    Stephan  Geibel  k  Co.  in  AlUnbuig.