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Deutsche
Wirthschaftsgeschichte.
Voü
Karl Theodor tob Inama-SterDegg.
Erster Band.
Leipzig,
Verlag von Duucker & Hnmblot.
1879.
Deutsche
Wirthschaftsgeschichte
bis
zum Schloss der KaroliDgerperiode.
Dr. Karl Theodor von Inama-Sternegg,
Leipzig,
Verlag von Dancker & Humblot.
1879.
Das Cebersetzcrnggrecht iit vorbehalten.
Vorwort.
Die Geschichte der deutschen Volkswirthschaft ist noch
nicht geschrieben. Sie wird aber Jedem als ein unabweis-
bares Bedürfhiss ei-scheinen, der den Schwerpunkt des Völker-
lebens nicht in dessen Kriegsthaten und der politischen Action
seiner Regierung, sondern in seiner inneren Entwickelung
erblickt, und der die entscheidende Rolle nicht verkennt,
welche gerade der Wirthschaft des Volkes für sein ganzes
sociales Leben zufällt.
Es ist mir längst zur Ueberzeugung geworden, dass unser
ganzes öffentliches Leben, unsre wissenschaftliche Arbeit wie
unsre praktischen, politischen und socialen Bestrebungen' an
einem auffallenden Mangel acht historischen Sinnes leiden,
wie er nur durch die Unkenntniss der historischen Entwicke-
lung unserer öffentlichen Zustände selbst zu erklären ist.
Insbesondere habe ich es immer lebhaft empfunden, dass die
Wissenschaft der Nationalökonomie, zu welcher auch ich mich
bekenne, obwohl sie seit lange eine historische Richtung von
sich aussagt, doch noch ganz des festen Fundaments einer
quellenmässig begründeten, erschöpfenden und zusammenhän-
genden Geschichte unserer volkswirthschaftlichen Zustände
und Einrichtungen entbehre.
So gross und schwer auch die Aufgabe, besonders bei dem
Mangel von Vorarbeiten für die älteren Perioden, ei-scheinen
musste, 80 wäre doch diese Uebei-zeugung allein schon mächtig
genug gewesen, mir Muth und Ausdauer zu verleihen, um
VI
einen ersten Versuch in dieser Richtung zu wagen. Nicht
minder aber trieb mich zu solcher Arbeit die Hoffnung, die
Zweifel an dem Werthe und den Resultaten der historischen
Richtung der Nationalökonomie erfolgi-eich bekämpfen, viel-
leicht ganz beseitigen zu können. Schon der vorliegende erste
Band, welcher sich doch mit der ältesten primitivsten Zeit
der deutschen Volkswirthschaft beschäftigt, wird, wie ich hoffe,
zur Genage erweisen, dass die Wirthschaftsgeschichte keine
bloss antiquarische Foi'schung, keine Sammlung von alten
Curiositäten , keine blosse Aneinanderreihung von piimitiven
täppischen Versuchen des wirthschaftlichen Sinnes unserer
Vorältem ist, aus der wir fttr das Vei'ständniss und die theo-
i'etische Ausbildung unserer Disciplin nichts zu lernen ver-
mögen. Wohl gehört auch das liebevolle Eingehen auf anti-
quarisches Detail der Wirthschaft zu den AiiFgfle);»€n, ja ich
möchte sagen, zu den Eigenschaften eines Wirthschafts-
historikers ; aber doch nur um zu erkennen , in wie weit wir
es mit charakteristischen Zttgen einer früheren Zeit oder einer
bestimmten wirthschaftlichen Einrichtung zu thun haben.
Die letzten Resultate sind aber, wie die ganze Forschung
stets der Erkenn tniss der Bedingungen zugewendet, unter
denen sich das deutsche Volk wirthschaftlich entwickelte, und
geben damit auch unmittelbare Aufschlüsse über die allge-
meinen Entwickelungsgesetze der Völker und ihrer wirth-
schaftlichen wie socialen Einrichtungen. Denn der Process
der Entwickelung des menschlichen Gemeinlebens ist so tief
begründet in der menschlichen Natur, dass bei ähnlichen
äusseren Lebensbedingungen auch immer wieder ähnliche
Bestrebungen und Einrichtungen in Erscheinung treten.
Es würde das allerdings viel deutlicher noch und über-
zeugender hervortreten, wenn sich die Wiithschaftsgeschichte
ohne jede nationale oder territoriale Begi*enzung, als Ge-
schichte der Wirthschaft des Menschengeschlechtes darstellen
Hesse. Und sicherlich ist das eine Aufgabe, deren Lösung
versucht werden muss, die aber doch erst dann mit Erfolg
versucht werden kann, wenn einmal wenigstens von den wich-
tigsten Culturvölkem die Thatsachen ihres wirthschaftsge-
VII
schichtlichen Lebensganges durch exacte historische Arbeit
festgestellt sind.
Vorläufig würde auf diesem Wege über eine philosophische
Geschichtsconstruktion nicht hinauszukommen sein, welche, so
verdienstvoll sie auch sein mag, doch die stete Gefahr in sich
trägt, aus ungenügend erkannten, oft auch geradezu irrigen
Anschauungen der einzelnen Entwickelungsmomente die weit-
tragendsten Schlüsse zu ziehen und einen Geist in die Ge-
schichte hinein zu tragen, der am Ende doch nur „der Hen*en
eigner Geist" ist.
Die Beschränkung der wirthschaftsgeschichtlichen For-
schung auf die Untersuchung der Entwickelungsphänomene
eines Volkes ist vorläufig ebenso noth wendig wegen des
Standes der historischen Foi*schung wie wegen der Methode,
die eben vom Besonderen ausgehen, dann die Besonderheiten
der einzelnen Völker aus der Vergleichung gewinnen muss
und endlich erst das Gemeinsame ihrer Entwickelung mit
Sicherheit zu erkennen und darzustellen vermag. Und am
meisten wird das gerechtfertigt sein bei der Geschichte der
deutschen Volkswirthschaft , welche wie die keines andern
Culturvolks so eigenartig und frei von fremden Gulturein-
Aussen entstanden, dann so interessant in der Verwerthung
der Reste einer alten wie der Culturelemente einer neuen
Weltanschauung gewesen, schliesslich so massgebend für die
Culturgeschichte von Europa geworden ist
Die deutsche Wirthschaftsgeschichte ist aber auch nicht
die Geschichte der Wirthschaft des deutschen Volkes, am
wenigsten in der älteren Periode dei*selben, welche in dem
vorliegenden Bande behandelt wird. Denn das deutsche Volk
hat sich ja in einzelnen seiner Stämme bald nach seinem
historischen Auftreten auf Gebieten niedergelassen, welche
wirthschaftliche Einrichtungen und Zustände schon in ungleich
entwickelterer Weise besassen als die Summe deijenigen,
welche diese Deutschen selbst in jene Länder mitgebracht
haben. Auch ist die Einheit ihres öffentlichen Lebens, ja
selbst die Gleichaitigkeit ihrer nationalen Anlagen und Inter-
essen schon so frühzeitig verloren gegangen, dass sie zum guten
vin
Theile nicht einmal mehr gemeinsame Beziehungen und Be-
rührungspunkte besassen. Die Ostgothen und Langobarden
in Italien , die Westgothen in SQdfrankreich und Spanien^
selbst die Burgunder können nicht als Zeugen für den Geist
des deutschen Wirthschaftslebens angerufen werden. Auch
die Salier, obwohl lange Zeit massgebend für die Entwickelung
des politischen Lebens der Deutschen überhaupt, haben doch
ihre Wirthschaft unter wesentlich fremdartigen Bedingungen
eingerichtet und sahen sich Zielpunkte ihres Lebens gesteckt^
welche, weit entfernt, eigenthümlich national zu sein, geradezu
ihren deutschen Charakter selbst aufhoben. Die Sachsen in
England sodann, wie die geimanischen Nordländer haben
wieder nach anderer Richtung hin so vei'schiedenaitige Zu-
stände entwickelt, so wenig volkswirthschaftliche Beziehungen
zu den Deutschen unterhalten, dass auch ihr Leben schon
frühzeitig des Fremdartigen viel mehr als des Gemeinsamen
für eine geschichtliche Betrachtung des deutschen Lebens
zeigt. Nur in einzelnen wenigen Fällen sind daher die diesen
Völkerkreisen angehörigen Quellen angezogen worden, wo
entweder eine volkswirthschaftliche Ei*scheinung der Deutschen
dui'ch ein Verwandtes bei diesen Völkern erläutert oder eine
Lücke der quellenmässigen Beweisfühiiing mit Sicherheit aus
jenen ergänzt werden konnte.
So muss sich denn die deutsche Wirthschaftsgeschichte
eine viel gi'össere Beschränkung auferlegen als die Geschichte
des deutschen Volkes, oder selbst die deutsche Rechts- und
Verfassungsgeschichte. Denn während die eine die Schicksale
erzählt, welche die deutschen V51kei*schaften überall hatten»
wohin sie auf ihren Wandei'zügen geriethen; die andre den
Ideen und Formen des rechtlich geordneten Zusammenlebens
nachgeht, die ein Volk zum guten Theile wenigstens auch
unter fremden Verhältnissen mit sich trägt und congenial
ausgestaltet, ist dagegen die Wirthschaft eines Volkes immer
und durchaus bodenständig und das um so mehr, je primi-
tiver seine Zustände sind, je mehr der Natur des Landes
ein massgebender Einfluss auf die Nahrungs- und Lebens-
verhältnisse des Volkes zukömmt. Daher ist dann aber auch
IX
für die deutsche Wirthschaftsgeschichte das, was die Geschichts-
schreibung bisher von dem Culturleben der Deutschen erzählt,
nur in dieser Beschränkung und Sichtung zu verweilheu.
Ebenso ist die deutsche Rechts- und Verfassungsgeschichte,
welche mindestens die Zustände des öffentlichen Lebens bei
den Franken gleichmässig bei-ücksichtigt, mag es sich um
die östlichen oder westlichen Länder handeln, mit Voi*sicht
und Auswahl zu benutzen. Und aus demselben Grunde kann
auch von der werth vollen historischen Literatur Frankreichs
für die Periode der beiden ersten Dynastien nur ein sehr be-
schränkter unmittelbarer Gebrauch gemacht werden.
In dieser Beschränkung sollen dann aber auch alle Seiten
des Volkslebens untersucht und dargestellt werden, welche
entweder direkt dem wirthschaftlichen Leben angehören, oder
dasselbe sei es in der Produktion, sei es in der Güterver-
theilung beeinflussen oder Folgewirkungen desselben sind;
insbesondere also die Erscheinungen des socialen Lebens, der
gesellschaftlichen Schichtung wie der Verbände und Organi-
sationen, die auf wiilhschaftlicher Grundlage inihen oder durch
wirthschaftliche Zustände ihre Erklärung finden. Denn wie
die Volkswirthschaftslehre erat in der Erweiterung ihres
Arbeitsfeldes auf das Gebiet der socialen Erscheinungen ihre
Aufgabe abschliessen kann und ihren Untersuchungen über
Werth und Unwerth der wirthschaftlichen Lebensäusserungen
das gemeinnützige Ziel setzt, wodurch sie zu einer wahren
LehiTOeisterin für die Völker werden kann, so ist auch die
Geschichte der Wirthschaft eines Volkes nicht anders als
durch die Geschichte seiner gesellschaftlichen Zustände zu
verstehen. Auf diesem Gebiet ist nun allerdings vielfach,
wenngleich mehr einseitig juristisch, vorgearbeitet; und es
wird wohl nicht als unzulässige Bescheidenheit ausgelegt
werden, wenn ich mich hier auf die gediegenen Leistungen
der deutschen Verfassungsgeschichte über ständische Verhält-
nisse stützte und nur soweit auf selbständige Untersuchung
einliess, als eben der Ausgangspunkt von den wirthschaft-
lichen Momenten aus die bisherige Betrachtung entweder
wesentlich zu ergänzen, andei*s zu beleuchten, oder zu corri-
X
giren nöthigte. Denn nur für diese specielle Seite des Volks-
lebens erachte ich mich als Nationalökonom besonders zur
Sache legitimirt und musste um so mehr bestrebt sein, sti*eng
innerhalb dieser Grenzen der Arbeit mich zu halten, als nicht
bloss der Stoff an sich die grössten Schwierigkeiten bot,
sondern auch das Ungewohnte der wissenschaftlichen Arbeit
des Historikei-s für den Nationalökonomen noch beträchtlich
die Schwierigkeiten steigerte.
Und doch ist es, wie ich meine, kein Zweifel, wem zuerst
die Arbeit zufallen musste, eine Geschichte der deutschen
Volkswirthschaft zu schreiben. Sowohl dem reinen Historiker
als auch insbesondere dem Rechtshistoriker fehlen zumeist
und im Allgemeinen die Anschauungen der wirthschaftlichen
Vorgänge und Einrichtungen, das Bewusstsein der national-
ökonomischen Pix)bleme, wie sie demjenigen geläufig sein
müssen, der es versuchen will, aus den trockenen und spar*
liehen Quellen einigermassen genügende Antwoiten auf die
Fragen zu erhalten, welche die Nationalökonomie zur Erwei-
terung ihrer Einsicht an die Geschichte stellen will. Wie die
Rechtsgeschichte von Juristen, die Geschichte der Industrie
von Technikern, so muss die Geschichte der Volkswirthschaft
von Nationalökonomen in Angriff genommen werden. Und es
ist am Ende nicht bloss die Vertrautheit mit dem Objekte,
das hier historisch untersucht werden soll, wodurch der
Nationalökonom eine Legitimation zur Geschichtsschveibung
erhält; auch in Bezug auf die Methode der Forschung hat
der Nationalökonom einiges voraus, indem er an die statistische
Beobachtung der Massenerscheinungen gewöhnt ist und nach der
Gesetzmässigkeit in den regelmässigen Vorgängen des socialen
Lebens zu forschen gelernt hat Nach beiden Seiten habe
ich mich bemüht, die relative Vorzüglichkeit nationalökono-
mischer Denkarbeit durch die That zu beweisen. Die Ver-
suche einer historischen Statistik, so düiüig sie auch noch
sind, zeigen doch, dass nicht alles Bemühen der Ait vergeblich
ist und versprechen noch viel mehr Resultat bei einer syste-
matischen Ausbeutung der Quellen, wie sie freilich erst durch
das Zusammenwirken Vieler möglich wird. Die Gewinnung
XI
allgemeiner Sätze, welche eine dogmatische Formulirung zu-
lassen oder vorbereiten, erheischt allerdings die grösste Vor-
sicht und ich bin damit gewiss ängstlich genug gewesen. Aber
zwischen den Zeilen liegt doch so manche allgemeine Wahrheit,
die dann deutlich hervortreten wird, sobald das Buch dazu
benutzt wird, wozu es in letzter Linie bestimmt ist, zum ver-
gleichenden Studium der social-ökonomischen Entwickelung
der Völker.
Hoffentlich ist diese Gesammtauffassung der Aufgabe ge-
eignet, meiner Arbeit zu einigem Voraug zu gereichen gegen-
über älteren Versuchen, einzelne Zweige des Wirthschafts-
lebens der Deutschen losgelöst aus ihrem Zusammenhange mit
den grossen allgemeinen Erscheinungen des öffentlichen Lebens
geschichtlich darzustellen, vielleicht auch geeignet, die
Schwächen und Un Vollkommenheiten einigermassen zuzudecken,
welche die Arbeit mit dem Auge des Historikers besehen, an
sich trägt Ich war zwar durchaus bemüht ^ die deutsche
Wirthschaftsgeschichte unmittelbar aus den Quellen zu er-
arbeiten und hoffe besondei's meinen Fachgenossen, die mit
historischen Daten operiren wollen, damit einen Dienst er-
wiesen zu haben, dass ich alle für irgend eine wirthschafts-
geschichtliche Thatsache massgebenden Quellenstellen ihrem
Wortlaute nach angeführt habe. Dagegen ist die Literatur,
sowohl die historische wie die nationalökonomische nur soweit
in den Noten berücksichtigt, als ich entweder auf irgend einem
Punkte besonders der allgemeinen Veriassungsgeschichte mich
auf eine Autorität stützen zu können glaubte, oder Ansichten
von Belang für die Wirthschaftsgeschichte zu bekämpfen waren.
Schliesslich ist es mir — und ich komme damit wieder
auf den Ausgangspunkt zurück — eben ein unabweisliches
Bedürfniss gewesen, in einer zusammenhängenden, erschöpfen-
den Untei-suchung über die Geschichte der Wii-thschaft unseres
Volkes einen Weg aufzusuchen, auf dem die Geschichts-
forschung wie die Socialwissenschaft mit grösserer Sicherheit
als bisher ihren grossen Zielen entgegen gehen, und ins-
besondere die historische Richtung der Nationalökonomie zu
jener unbedingten Geltung gelangen könne, welche ihr ge-
xn
buhlt. Von dem Boden selbständiger geschichtlicher Forschung
und wohlbegrQndeter Eenntniss der Entwickelung der social-
ökonomischen Phänomene aus wird vieles, was man dieser
Richtung bisher mit Recht vorgeworfen hat, als unbegiUndeter
Vorwurf wegfallen, die Nothwendigkeit dieser Richtung selbst
unbedenklich zugestanden werden müssen; ihre Anhänger
aber sollen durch die hier veitretene Auffassung energisch
darauf hingewiesen werden, dass das letzte Ziel auch fQr die
historische Nationalökonomie die Gewinnung einer wissen-
schaftlichen Dogmatik ist, ohne welche sie für sich den An-
spruch auf Geltung in der Wissenschaft ebensowenig erheben
könnte, als eine sogenannte dogmatische Nationalökonomie
ohne die exacte Grundlage, welche eben die historische Schule
bieten will.
>Dann wird die Wissenschaft der Nationalökonomie, an
der gerade in jüngster Zeit das Volk und seine Leiter viel-
fach irre geworden sind, fester denn je bestehen und eine
rechte Leuchte der Erkenntniss werden, damit auch im wilden
Sturm und Drang der Meinungen des Tages doch dem Volke
die Fahrt nach dem Hafen der Wohlfahrt nicht vereitelt werde!
Schloss Lichtenwert, 25. August 1879.
Inama.
Inhalt.
I. Buch.
Die deutsche Yolkswlrthschaft In der Sltesten Zeit bis
auf Karl den Crossen.
S. 1—204.
1. Abschnitt.
Die Wandemngren der Deutschen und die Begrfindung fester
Wohnsitze auf deutschem Boden.
S. 3-52.
Die Anfänge der Geschichte deutscher Yolkswirthschaft 3. Die Zu-
stände vor Cäsar 5. Gräberfunde 5. Bemsteinhandel 6. Hochäcker 6.
Feldgemeinschaft 7. Die Nachrichten Gäsars 8. Der römische Einfluss 9.
P&hlgraben 10. Die Schilderung des Tacitus 10 von der Wirthschaft 11,
der socialen Gliederung 12. Die Stürme der Völkerwanderung 12 und ihr
Einfluss auf die wirthschafUichen und socialen Zustände 13. Dauernde
Sesshaftigkeit 14 der Friesen 14, der Sachsen 15 , der Thüringer 16, der
salischen Franken 17, der Ripuarier 18, der Hessen 19, der Alamannen 20,
der Baiem 21. Das Verfahren der Deutschen bei Besetzung neuer Ge-
biete 22, Einfluss desselben auf die Entwickelung der Wirthschaft 25.
Bedeutung der HeeresTerfassung für die erste Ordnung der öffentlichen
Verhältnisse 27. Lose Besitzergreifung des Bodens 28. Die Ortsnamen
28. Die Gaugrenzen 29. Einfluss früherer Ansiedelungen 31. Rasche Zu-
nahme der Intensität der Ansiedelungen 34. Anfänglich wenig dichte Be-
wohnung 34. Uebergewicht des Wald- und Sumpflands 34. Gauweise
Ansiedelung 35. Hundertschaften 37. Austheilung des Landes 38, der
Dorffeldmark 39, im Hofsystem 39. Vorkommen beider Ansiedelungs-
formen 40 bei den Friesen unpl Sachsen 41, bei den salischen Franken 42,
bei den Ripuariern und Ostfranken 44, bei den Alamannen 45, bei den
Baiem 47. Allgemeiner Charakter des ersten Ausbaues im Stammlande
49-52.
XIV
2. Abschnitt
Die Oliederang und die Orgranisation der. Oesellsehaft.
S. 52—92.
Der Einfluss der SeBshaftigkeit auf die wirthBchaftliche Ordnung 52.
Die Veränderungen in der Ordnung der öffentlichen Gewalt durch die
Gründung des Frankenreicfas 58. Königthum und Volk 54. Stammesadel
und Hofadel 54. Einfluss des frftnkiBchen Königthums auf die anderen
deutschen Stämme 55. Fränkische Politik 56. Keine social-politische
Wirksamkeit der Könige 56, der Stammesfürsten 57, der Grafen 57. Die
socialen Zustände 57. Die Freien 58. Die Edlen 58. Die Unfreien 59.
Leibeigene, Liten 60. Verschiedenheiten bei den einzelnen Stämmen 61.
Die sociale Bedeutung des Adels 63, der Gemeinfreien 64. Besitzende
und nichtbesitzende Freie 65. Liten und Freigelassene 66. Eigenleute 67.
Zahl derselben 70. Die Bedeutung der Familie 72, als Wurzel der Mark-
genossenschaft insbesondere 74. Die familienhafte Struktur der alten
Markgenossenschaft 74. Die Lebensäusserungen dieser Markgenossenschaft
75. Die Lockerung des Familienverbands 77. Bildung von Nachbar-
gemeinden mit Markgenossenschaft 78. Keine persönliche Gemeinschaft in
derselben 78. Ungleichheit des Besitzes und der socialen Stellung der
Markgenossen 79. Geringe Bedeutung der Markgenossenschaft als socialer
Organismus 80. . Die Markgenossenschaft als Wirtbschaftsgemeinschaft und
Gemeinwirthschaft 81. Der Ausbau in der Mark 82. Beschränkung der
Markrodung 82. Nutzung der Markgründe 83. Gemeinschaftliche Weide
85. Zaunpflicht 86. Gemeinschaftliche und abgesonderte Herden 86.
Wasser, Wege, Mühlen und Schmieden 88. Die Ortsgemarkung eine wirth-
schaftliche Einheit 88. Die Macht der Genossenschaft 90. Ihre sociale
Bedeutung 91 f.
3. Abschnitt
Der Grundbesitz, seine Vertheilnng und wirthsehaftliche Oliedemnir«
S. 92-132.
Das salische Volksrecht und der Grundbesitz 92. Kein Alleineigen-
thum detf Königs an allem salischen Lande 92. Kein ausschliessliches 6e-
meineigenthum des Gaues oder der Hundertschaft 94, der Markgenossen-
schaft 95. Spuren eines älteren Gesammteigenthums 95. Die lex Salica
setzt schon Sondereigenthum an Grund und Boden Toraus 96. Beschrän-
kung desselben durch das Recht der Gesammtheit 98. Aehnlicher Zustand
bei den übrigen deutschen Stämmen 99. Bedeutung der Familie für die
Eigenthumsordnung 101. Das Gnindeigenthum zu Gunsten der Familie
gebunden 102. Das Erbrecht am Grund und Boden 103. AUmäligess
Zurücktreten des Familieneinflusses 104. Ausbreitung des Sondereigen-
thums in der Markgenossenschaft 105, an Ackerland 106, weniger an Wiesen
und Wald 107. Der Einfluss der königlichen Gewalt auf die Entwickelung
XV
des Grundeigenthams 108. Die Schenkungen von Krongat 108. Die Be-
gOnstigangen der Kirche in Bezog auf Erwerb von Gnmdeigenthum 108.
Familiengewalt und Amtsgewalt 109. Ausbildung des Processes um Gnmd-
eigenthum 109. Geringe Bedeutung des privaten Grundeigenthums für die
Bodencnltur und die Volkswirthschaft jener 2ieit 110. Die Vertheilung des
Culturlandes 111. Ungleichheit schon in ältester Zeit 112. Hufe und
Wergeid 112. Hervorragender Grundbesitz der Könige, Herzoge und
Fürsten 114; einzelner bevorzugter Familien 116; der Grundbesitz der G^
meinfreien 116; in Baiem 117; Alamannien und Ostfranken 117; Friesland^
Sachsen und ThOringen 118. Der geistliche Grundbesitz 118. Die Gliede-
rung des Grundbesitzes nach wirthsdiaftlichen Gesichtspunkten 119. Eigen-
wiräischaft der kleinen Grundbesitzer 119. Herrenland und übertragenes
Gut 119. Eigenwirthschaft der Klöster 120. üebertragung an Unfreie
121. Colonat 122. Ususfructus und Precarium 123. Aehnliche Vorgänge
beim weltlichen Grossgrundbesitz 124. Die ökonomische Gliederung des
Kronguts 125. Beneficien 125. Secularisationen 126. Salland und Zins-
land 127. Mansi vestiti-absi 129. Grösse der dienenden Mansen 130.
Verh<niss der Grösse von Herrenland und Zinsland 130. Die allgemeine
Bedeutung des Grundbesitzes för die Volkswirthschaft jener Zelt 131 £
4. Abschnitt.
Die Gttterprodaction und das nationale Erwerbsleben.
8. 132-173.
Grosse Einfachheit des Lebens 132. Nahrung 132. Bekleidung 133.
Wohnung 134. Die Verschiedenheiten des nationalen Hausbaues 135.
Gefässe und Geräthschaften 138. Die nationale Technik und der Einfluss
der Römer 138. Töpferei 139. Weberei 141. Metallgewerbe 143. Die
Gewerbetreibenden wenig zahlreich 145. Hausindustrie 146. Die Land-
wirthschaft 146. Der Betrieb des kleinen Grundbesitzers 147; in grösse-
ren Gutswirthschaften 148. Die Lasten des freien Grundbesitzes 150.
Tribute und Abgaben an den König 150; stopha, agrarium, pascuarium,
pastip 151. Steuern 152. Heerdienst, Wachdienst, Baudienst 152. Ge-
rchenke, Beherbergung 153. Einquartierungspflicht 153. Friedensgeld,
Wergeid, Strafgeld, Bannbusse 154. Zehenten 154. Die Lasten der Bene-
ficien und Precarien 154; kirchliche Baulast, Zehenten, Zins, Arbeits-
leistungen 155. Die Wirthschaft der unfreien Zinsbauem und Leibeignen
156. Fronarbeit, besonderer Ackerdienst 156; Botendienst und Fuhren
157. Erleichterung derselben durch den herrschaftlichen Verband 158.
Befreiung von der Kriegspflicht und anderen Öffentlichen Lasten 158. Ver-
pflegung, Ausstattung der unfreien Mausen mit Inventar 159. Keine Ueber-
BchüBse der Wirthschaft des kleinen Grundbesitzes 150. Die Wirthschaft
der grossen Grundherren 160. Verwerthung dienender Arbeit 160. Schwache
Ansätze einer Organisation der volkswirthschaftlichen Kräfte durch die-
XVI
selben 161. Yolkswirthschaftliche Ueberlegenheit dereelbeii 168. Die Zu-
stände des landwirthschaftlichen Betriebs 163. Uebergewicht des Waldes
und seiner Nutzung 164. Brennwirthschaft 164. Rohe Wechselwirthschaft
(Feldgraswirthschaft) auf dem Ackerland 165. Geringe Wiesencultur 166.
Viehhaltung 167. Pferdezucht 167. Rindviehzucht 168. Eleinviehzucht
169. Gartencultur , Obst- und Weinbau 171. Grosse ökonomische Abge-
schlossenheit und extensiver Betrieb 172 f.
5. Abschnitt
Der Ottterrerkehr und die nationale Werthbildiing«
S. 173—204.
Verkehr der Deutschen mit den Römern 178. Grenzverkehr, wenig
Activhandel 174. Getreidehandel, Bemsteinhandel 175. Verfall dieses
Verkehrs durch die Völkerwanderung 176. Wirthschaftliche Isolinmg der
Deutschen nach derselben 177. Wenig Ueberschussproduction 177. Einzelne
Handelsartikel — Vieh, Leinwand^ friesische Gewänder, bairisches Getreide
und Salz 177. Hauptmärkte 178. Handelswege 178. Marktverkehr 179.
Die alten Deutschen ohne eigne Münzen und Metallgeldrechnung 180.
Viehgeld 181. Vadmal, Ringgeld 182. Römisches Geld bei den Deutschen
183. Die Metallgeldrechnung der salischen Franken 185. Goldwährung
185. Solidus, Denare 186. Trientes 187. Aenderung des MüLuzfiisses 188.
Werthverhältniss von Gold und Silber 189. Metallgeldrechnung bei den
übrigen deutschen Stämmen 191. Der gleiche Goldsolidus wie bei den
salischen Franken 191. Silberdenare (saigae) 192. Geringer Geldgebrauch;
Rechnungsgeld 193. Münzverwirrung im Frankenreiche 194. Metall nach
dem Gewicht im Verkehr 194. Die nationale Werthbildung 195. Werth-
angaben der Volksrechte 195. Legale Werthconstenz für Bussen, Com-
positionen und Wergelder 196. Verhältniss der Busssätze und Werthe
197. Der nationalökonomische Charakter der volksrechtlichen Werth-
angaben 198. Keine Preissatzungen; freie Preisbildung 198. Keine Rück-
sicht auf den subjectiven Gebrauchswerth 199. Objective Bewerthung nach
den inneren Eigenschafren und dem wirthschaftlichen Nutzeffect der Güter
201. Die Ausbildung einer Scala für objective Gebrauchs-(Qualilät8-)
Werthe 201. Anschluss an das Geldsystem der salischen Franken 202.
Weitverbreitete üebereinstimmung und grosse Stabilität dieser Werth-
ansätze 203.
XVII
n. Buch.
Die Entwlekelung der deutschen Yolkswirthscliaft
während der Karolingerzeit.
S. 205—484.
1. Abschnitt
Die Fortschritte der Besiedelung und Colonisation des Landes.
S. 207—225.
Fortgesetzte Rodung 207. Villengründong 208. Neben der Kodolg
der einzebien freien Grundbesitzer planmftssige Bodung und Colonisation
von den grossen socialen Mächten 208. Karls d. Qr. Vorschriften für die
königlichen Villen 209. Die Colonisation und die Sachsenkriege 209.
Ansiedelung von Sachsen in Franken, Alamannien und Baiem 211; von
Franken in Sachsen 212. Colonisation der Ostmarken 212; der Nordsee-
manschen 213. Die colonisatorischen Leistungen der Klöster 213; der
weltlichen Gmndherren 215. Die Bedungen der kleinen Grundbesitzer 217.
Hufen ausserhalb der alten Dorffeldmark 218.* Aussenfelder, Waldbeundten
219. Eigenmächtige Bodung im herrenlosen und herrschaftlichen Walde
220. Gründung neuer Ortschaften 221. Erweiterung alter Feldflurcn,
VergrÖBserung der Hufen, der Ortschaften 221. Der Ausbau des Landes
am Schluss der Karolingerperiode 224.
2. Abschnitt
Die Zersetzung der altdeutschen Stände und die Anfänge einer
neuen socialen Organisation«
S. 225—278.
Verstärkte Wirksamkeit der Ursachen socialer Veränderung in der
Earolingerzeit 225. Stammesadel und Beichsadel; bessere und geringere
Freie; Liten, Colonen und Zinsleute; leibeigne Bauern und Hausdiener
226. Die Ziele der Merowingischen Politik 227. Der Schwerpunkt in
Neustrien 227. Lose Verbindung der Beichstheile 228. Der Geist der
Karolingischen Begierung 228. Neustrische Cultur nach Austrasien ver-
pflanzt 228. Die neue Aristocratie 229. 231. Die Beichsbeamten 229. Die
kirchliche Politik der Karolinger 230. 232. Socialpolitik 231. Schutz der
Gemeinfreien 232. Wechselwirkung zwischen Politik und Wirthschaft 233.
Veränderte wirthschaftliche Grundlagen des Volkslebens 234. Grundbesitz
die wichtigste Quelle der Gater 235. Einfluss der Bedungen auf die sociale
Stellung 235. Erweiterung persönlicher Herrschaft der grossen Grund-
besitzer 236. Verstärkung derselben 237. Leibeigne Hausdiener 237.
Fortdauer der Ursachen der Leibeigenschaft 238. Kauf der Leibeignen
Ton Inamft^Siern egg, Wirtbachaftsgeschicbie. I. H
XVUI
238; ihre natürliche Fruchtbarkeit 239. i^ere Hand 240. Der Einfluss
der Kriege 240. Verstärkte Attractionskraft der politischen Macht, des
socialen Vorrangs und Reichthums 240. Die Landlosen 241. Die Auf-
tragung des Grrundbesitzes 242. Die Verarmung 243, als Motiv für das
Aufgeben der Freiheit und der Unterordnung unter die Herrschaftsgewalt
der Grossen 244. Die Habsucht der Grossen 245. Vergeblicher Kampf
der Reichsverwaltung gegen dieselbe 245. Drei besondre Ursachen der
Verarmung: Das Compositionensystem der Volksrechte 246; die Einrich-
tungen des Heereswesens 246 und die Heerbanngewalt der Grafen und
Senioren 249; die Verwüstungen der Kriege 251; der Zehente 252. Die
allgemeine Ordnung der Rechtspflege 253. Wirthschaftliche Motive der
Elf ebung 253. Religiöse Motive 254. Besondere Vortheile der Kirche
254. Erleichterter Eintritt in den herrschaftlichen Verband weltlicher
Grundherrn 255. Ausbeutung der Schwachen ; brutale Gewalt 256. Grosse
ökonomische Ueberlegenheit der Grundherrn 258, ihre sociale Bedeutung
259. Zersetzung des Standes der Gemeinfreien 258 f. Die besseren Freien
259. Verschmelzung der armen Freien mit den Liten, Freigelassnen und
Zinsbauem 260. Verkommenheit derselben 261. Verbrüderungen 261.
Sociale Bedeutung derselben 262; ihre ökonomischen Zwecke 263. Die
Stellung der Reichsregierung *zu denselben 264. Die Erfolge der Ver-
brüderungen 266. Geringe ßociale Bedeutung der Markgenossenschaft 267 ;
ökonomische und sociale Ungleichheit der Genossen 267. Uebergewicht
grosser Grundherrn in der Markgenossenschaft 268. Beherrschung der-
selben durch jene 269. Ausscheidung der Grundherrn aus dem Markver-
bande 271. Ersetzung der Markverfassung durch die Hofverfiissung 272.
Veränderungen der politischen Organisation 273. Grossgrundbesitz und
öffentliches Amt 274. Vortheile der Grundherrn aus dieser Verbindung
275. Eigenmächtiger Gebrauch der Amtsgewalt 276. Mehrung des Reich-
thums und Einflusses durch die Verbindung mit dem Könige 277. Immoni-
tat 277. Seniorat 278.
3. Abschnitt
Die Aasbildnng der grossen Omndherrschaften und ihrer
Agrarrerfassnngt
S. 278—346.
Die Herrschaft über Grund und Boden am Schlüsse der Merovinger-
periode 278. Veränderungen der Karolingerzeit 280. Grosse Ausdehnung
der königlichen Grundherrschaft 280. Das Königsrecht auf herrenloses
Land 281. Bannwälder und Königsforste 282. Gonfiskationsrecht 283.
Secularisation 283. Eigenthum des Königs am Reichskirchengute 284.
Verminderung des Kronguts: Schenkungen 284. Beneficien; Verleihung
an Colonisten 285. Erblichkeit der Beneficien 285. Ausstattung der Aemter
mit Grundbesitz 286. Vermehrung des Grundbesitzes der Grossen des
XIX
Reiches 286. Aasdehnüng und Goncentration des geistlichen Grundeigen-
thnms 289. Schm&Iernng desselben durch die Secularisationen 290. Reich-
tham der geistlichen Anstalten 291. 293. Augsburg, Salzburg, Freising,
Trier; St Gallen, Fulda 292. Tegemsee, Benediktbeuem, Hersfeld, Prüm,
Gandersheim 293. Ursachen der Ausdehnung der grossen Grundherr-
Schäften: Bodung, Erwerb von Gütern kleiner Grundbesitzer 294. Gon-
centration des kirchlichen Grundbesitzes 294. Allm&liges Verschwinden
des kleinen Grundbesitzes 295. Yolkswirthschaftliche Beurtheilung dieser
Vorgänge 295. Die Gliederung des grossen Grunde^enthums 296. Anfäng-
licher Mangel einer solchen; die verschiedenen Erwerbungsarten 296.
2ka11cktreten der Schenkungen; Erwerb durch Auftragung, Kauf und Tausch
297. Wirthschaftliche Anordnung der Grundstücke und Güter 298. Ar-
rondirung 299. Förderung derselben durch die Wirthschaftspolitik der
Karolinger 801. Herrenland und dienende Güter 302. Besondre Bedeu-
tung des Herrenlands f&r den weltlichen Grossgrundbesitz 304. Reichs-
domänen in eigner Verwaltung 304. Eigene WirthschaftsfÜhrung beim
Kirchengute 805. Besondre Betonung derselben durch Karl d. Gr. 305.
Wirkung für die Dominikalgüter der Kirche 306. Steigende Bedeutung des
Sallands i. A. 807. Salland in Hufen 308. Mansi absi 309. Späte Zer-
schlagung des Herrenguts in Deutschland 310. Veränderung der alten
Hufenordnung 311. Theilung der Hufen 813. Herrenhufen, Zinshufen 314.
Waldhufen 315. Marsch- und Hagenhufen 318. Ockonomische Gharakteri-
stik derselben 318. Einfluss derselben auf die bestehende Hufen Verfassung
319. Villenverfassung 320. Gapitulare de villis 321. Palatien, fisci, villae,
ministeria 321—323. Gentenae, decaniae 324. Nachahmung der könig-
lichen Villenverfassung durch die grossen Grundherrn 324. Prüm 324.
Werden, Bleidenstadt 326. Reichenau, Essen, Freising 327. Veränderung
der Ortschaften 328. Dorfbildung 328. Hofrerfassung und Hofgenossen-
Bchaft 329. Grundbücher (registra, breviaria, polyptichia) 332. Vorschriften
der Karolinger 333. Thätigkeit der Missi 385. Nachahmung dieser Ein-
richtungen durch die Grundherrn 337. Die volkswirthschaftliche Bedeu-
tung der Goncentration und wirthschafüichen Gliederung des Grundbesitzes
340. Die dominirende Rolle desselben 341. Die Mobilisirung des'Grund-
eigenthums 342. Gegentendenzen 345.
4. Abschnitt
Ble Yolkswirthschaftliche WirlLsamlLeit der grossen Grnndherr-
schaften und das nationale Erwerbsleben.
5. 346-427.
In der altem Zeit keine nationale Arbeit, kein nationaler Verkehr 346.
Anftnge einer Organisation der volkswirthschaftlichen Kräfte durch die
grossen Grundherrn 347. Bildung von grossen Verbänden abhängiger Leute
U*
XX
anter der persönlichen und ökonomischen Herrschaft der Grundherrn 348.
Förderung der Interessen der Unterworfen durch dieselben 348. Be-
friedigung von GemeinbedQrfnissen und gemeinnützige Th&tigkeit 348.
Massgebender Einfluss der karolingischen Politik 349. Verwandtschaft der-
selben mit den Tendenzen der Grundherrn 349. Unmittelbar volkswirth-
schaftliche Leistungen der königlichen Gutsverwaltung 349. Einfluss auf
die Wirthschaft der Kronbeneficien 350, der Kirchengüter 352. Die Gliede-
rung der Arbeit im herrschaftlichen Verbände 354. Verschiedenartige
sociale Lage derselben 354. Grösste Vielseitigkeit der Arbeit in der
königlichen Grundherrschaft 356. Die dienende Arbeit bei den weltlichen
Grundherrn 358, bei den geistlichen Grundherrschaften 359. Leibeigne
Hausdiener 361. Gewerbetreibende am Herrenhof 362. Ministerialen und
höhere Hofdiener 364. Landwirthschaftliche Arbeiter auf dem Hexren-
hofe 365. Taglöhner 367. Die persönlichen Dienstleistungen der unfreien
Zinsgüter 367, der Beneficien 368. Theils Arbeiten am Herrenhofe 369;
theils auf den Hofländereien 370. Verpflegung der am Herrenhofe oder
im Sallande arbeitenden Zinsbauem 37 L Bei diesen liegt jetzt der Schwer-
punkt der nationalen Arbeit 373. Die Grundlagen für die Bemessung der
Frondienste 374. Bedrohung des Bauernstands durch Steigerung der-
selben 374. Schutz dagegen 375. Oberleitung der Arbeit auf den könig-
lichen Villen 376; auf andern Herrscbaftsgütem 377. Die Anordnung des
öffentlichen Dienstes 378. Ueberwälzung desselben auf die dienenden
Güter der Grundherrn 379; ähnlich bei gemeinwirthschaftlichen Leistun-
gen 380. Grosse Erfolge grundherrschaftlicher Production durch die ein-
heitliche Organisation der Arbeit 381. Keine Uebervölkerung 382. Grenzen
des Erfolgs landwirthschaftlichen Grossbetriebs 382. Ergänzung desselben
durch die Zinse und Abgaben der dienenden Güter 383. Specialisimng
derselben 383. Zinsverpflichtungen der Beneficien 385. E^leichtening
durch Gestattung der Wahl der zu zinsenden Producte 387. Gebrauchs-
gliedemng des Vermögens 388, durch die Villenverfassung und die Bildung
der Hofmarken 388. Bonitirung der Grundstücke 388, Sorgsamkeit in Ver-
wendung von Capital 388. Ausstattung der Zinseshufen mit Vieh und In-
ventar 389. Reichung von Saatgetreide ftlr die Bestellung des Sallands
389. Lieferung von Rohstoff und Werkzeugen für die gewerblichen Dienst»
leistungen und Abgaben 390. Benutzung der wirthschaftlichen Anstalten
des Herrenhofs durch die dienenden Hufen 390. Allgemeine Förderang
der dienenden Arbeit im grundherrschaftlichen Verbände 391. Armenpflege
391. Vorschriften Karls d. Gr. 392 besonders für Beneficien und Kirchen-
güter 392. Landwirthschaftliche Buchführung und Rechnungslegung auf
den königlichen Gütern 393; bei weltlichen und geistlichen Grundherrn
395. Bedeutung des kleinen freien Grundbesitzes 395. Fortschritte der
Technik und Oekonomik des Betriebs 396. Flurverfassung und Wirthschafts-
system 396. Veränderung im Dorf- und Hofsystem 397. Anfänge eines
geregelten Feldersystems 399; besonders in der grandherrschaftlichen Feld-
XXI
Aar 400. Winter- und Sommeranbau 401. Brachfeld 402. Dreifelderwirth-
Bchaft zuerst auf Dominikalland 403. Keine Einführung derselben durch
Karl d. 6r. 403. Daneben noch lange extensive Feldgraswirthschaft 404;
selbst Brennwirthschaft 405. Steigerung der Wiesencultur 405. Yermeh-
rang der Gemeinwiesen 406. Ausscheidung von Sonderwiesen vomemlich
auf dem Herrenlande 406. Verändertes Wiesenmass 408. Sorgfältigere
Behandlung der Wiesen 409. Werth der. Wiesen im Vergleich zum Acker-
land 410. Grad der Intensität des Bodenanbaus 410. Pflügen, Eggen,
Jäten, Düngen 411. Getreidearten und sonstige Früchte 412. Weinbau
413. Hopfencnltur 415. Forstwirthschaft 415. Einforstungen 416. Nutzung
des Waldes durch die Hintersassen 417. Viehzucht 418. Pferdehaltung
418. Rindviehzucht 421. Besseres Ebenmass zwischen Arbeitsvieh und
Kleinvieh 421. Gewerbliche Technik 422. Metallgewerbe 422. Weberei
423. Töpferei 425. Baugewerbe 425. Bergbau und Salzgewinnung 426.
5. Abschnitt
Handel und Verkehr.
S. 427—484.
Gegensatz der merovingischen und karolingischen WirthschaftspoUtik
428. Verfall der alten Handelsbeziehungen der Deutschen 428. Wieder-
belebung des Verkehrs durch die Karolinger 429. Die königlichen Pala-
tien als Handelsplätze 430. Die Ausbildung des Grafenamts als Organ der
inneren Verwaltung, besonders auch für Pflege des Verkehrs 431. Märkte
auf den Haupthöfen der Grundherrn 433. Zollpolitik 434. Handels-
beziehungen mit fremden Völkern 434, besonders mit dem Orient 435.
Yerfidl des fränkisch-levantinischen Handels unter den spätem Karolingern
488. Die Handelsbemühungen der Grundherrn 438; ihre Production für
den Markt 439. Die grundherrschaftlich organisirte Arbeit im Dienste des
Verkehrs 441. Angaria 441; parafaredl 442 ; scara 445. Die selbständigen
Kanflente 447. Juden 447. Die Gegenstände des Handels 449; die
Handelsstraasen 449. Die Ordnung des Geldwesens 450. Verminderung
des Goldvorraths 451. Factische Doppelwährung 451. Vermehrter Ge-
brauch salischer Denare, und der austrasischen Rechnungsweise 452.
Silberwähmng durch Pipin 453. Schwererer Münzfiiss desselben 454. Da-
neben noch längere Zeit der Goldsolidus 454. Veränderung des Gewichts
durch Karl d. Gr. 455. Der schwerere Münzfiiss desselben 456. Zeit
dieser Beform 457, Motive derselben 458. Keine fiskalische Massregel
458. Keine Massregel der Münzverwaltung 460. Wirthschafts-politische
Gründe 460. Verhältniss des karolingischen Pfundes zum römischen und
altdeutschen Gewichte 460. Geldgebrauch in Deutschland während der
Earolingensdt 461. Keine Münzstätten rechts des Rhein 462. Fortdauer
der Naturabdnse und Dienste 462. Kau^reise in Naturalwerthen 463.
XXII
ZurQckweisung yollwichtiger Münzen 464. Menge des Edelmetalls 464.
Beträchtliche Verminderang desselhen im 8. und 9. Jahrhundert 465.
Rückgang des Geldgebrauchs und Geldverkehrs unter den spätem Karo-
lingern 466. Das Edictum Pistense 467. Einfluss des Geldwesens auf die
Preise 467. Steigerung derselben durch die Entwerthung der Währung
468. Erleichterung der Bussen und Gompositionen 468. Fortdauer des
Naturalverkehrs 469. Geldbewerthung von Gegenständen häufigen Um-
satzes ; Reluitions- und Qualitätswerthe 469. Fortdauer der objectiven Ge-
brauchsbewerthung 470. Getreidewerthe 470. Viehwerthe 471. Grosse
und bleibende Uebereinstimmung in der Bewerthung solcher Güter 471.
I>ie werthbestimmenden Momente 472. Die Preisbildung 474. Das Werth-
System der Capitularien 474. Die sächsischen Capitularien und das
Wormser Capitular t. J. 829 475. Das Gapitulare Frankofurtense 476.
Capit. 806 Theodon. und Gap. 808 Niumag. 477. Die Preistaxen Karls
d. Gr. 476—480. Das Capit. 806 Niumag. 480. Das Capit. 812 Aquisgr.
481. Resultate für die Geschichte der Preise 482.
Schlnssbetrachtiuigeii.
S. 484-493.
Die römische Culturwelt und der Gegensatz der Deutschen cn der-
selben 484. Politische, sociale und ökonomische Anlagen der Deutschen
485. Freiheitssinn und Gemeinsinn 486. Politischer Verband, Genossen-
schaft, Gesammteigenthum und Gemeinwirthschaft 486. Die Bildung der
Privateigenthumsordnung 487. Charakter des Lebens der Deutschen in der
Markgenossenschaft 488. Die Einflüsse des Romanismus und des Christen-
thums auf die Umgestaltung der socialen und ökonomischen Zustände der
Deutschen 488. Nothwendige Aenderung der socialen Organisation 491.
Die Bedeutung der grossen Grundherrschaften hieiUr 491. Das Bedürfiiiss
eines festeren staatlichen Zusammenschlusses und einer socialen Verwal-
tung 492. Bedeutung Karls d. Gr. 492. Angebahntes Gleichgewicht der
socialen Kräfte 493.
Beilagen.
S. 495—527.
I. Die Vertheilung des Grundbesitzes in Baiem nach dem Indiculns
Amonis und den breves notitiae Salzburgenses 497.
IL Gutsbestände 500.
IIL Die Zinsleistungen kirchlicher Benefiden und Precarien im 8. Jahr-
hunderte 510.
IV. Die Viehwerthe der Volksrechte 512.
V. Beispiele der Kinderfrequenz der abhängigen Bevölkerung 514,
XXIII
YL Gatsbestand und Einkünfte der Herrschaften von Prüm, Werden,
und Bleidenstadt 516.
VIL BeschreibuDg mzelner königlicher Güter 517.
Yin. Yiehstand auf den im Breviariom rerum fiscaliom beschriebenen
königlichen Gütern M8.
IX. Verhältnisse des Grossviehs und Kleinviehs bei einzelnen Guts-
wirthschaften 519.
X. Reluitions- und Qualitätswerthe 520.
XI. Fräse von Landgütern und Grundstücken 524.
Erstes Buch.
Die deutsche Yolkswirthschaft
in der ältesten Zeit
bis auf Karl den Grossen.
Ton Ia»m »-Stern egg, Wirthtehaflsgesclüclite. I.
Erster Abschnitt.
Sie Wandernngen der Deutsehen und die Begrflndung
fester Wohnsitze auf deutschem Boden.
Die Geschichte deutscher Volkswiithschaft kann nicht
froher beginnen als mit der endgültigen Besiedeiung des
deutschen Bodens durch jene Völkerstämme, welche im Laufe
der Zeit das deutsche Volk zu bilden benifen waren.
Denn die Geschichte ist die Darstellung der Entwickelung
von den Ideen des Yölkerlebens , wie sie sich durch That-
sacheU; Handlungen und Einrichtungen desselben manifestiren.
Die Yolkswirthschaft aber ist die Summe von Lebensbethäti-
«
gungen der Völker, durch welche sie die Idee der materiellen
Wohlfahrt verwirklichen wollen. Die Entwickelung dieser
Idee der Wohlfahrt darzustellen, ist die Aufgabe der Ge-
schichte der Volkswirthschaft ; die Summe von Bestrebungen
nach den Mitteln zur Verwirklichung dieser Idee ist ihr
Inhalt
Das Bingen nach diesen Mitteln ist der Kampf der
Menschen um das Dasein ; in seiner niederen Erscheinung der
Kampf um die Erhaltung der physischen Existenz und um
die Erhaltung der Ai-t; in seiner höheren Weise der Kampf
um die Erfüllung der Idee des menschlichen Daseins. So
lange dieser Kampf nur um das niedere, nähere Ziel geführt
wird, hat der Mensch nur einen Feind, die äussere Natur;
äe sucht ihn unablässig und überall zu beheii*schen und jener
blinden Ordnung zu unterwerfen, die ihr eignes Dasein be-
— 4 —
stimmt. Und er bleibt ihr unterworf eD , ist selbst nur ein
Theil von ihr, so lange er nur thut, was sie gebietet, nur das
geniesst, was sie ihm beut; aber er entreisst sich diesem
Zwange und wird selbst ihr Hen-, sobald er festen Wohn-
sitz sich erringt und in langsam reifender Erkenntniss das
Geheimniss ihres Wirkens zu erlauschen lernt.
Nun wird sein Wille mächtig über ihre Kraft Wohl
bleibt er in weitem Kreise immer doch von ihr umschlossen;
des Daseins Grenzen setzt sie ihm; aber festen Boden hat er
unter den Füssen; in ihm schlägt das Leben Wurzel; und
reich entfalten sich die Keime seines Wesens, die er dem
jungen Erdreich anvertraut Nun heischt er die Flüchte des
Bodens, wo sie nicht fi*eiwillig sich bieten; Mass und Art
dei'selben passt er dem Bedürfniss an; das Bedürfniss lehrt
ihn Arbeit und durch Arbeit kann er die Früchte des Bodens
und die Bedüi-fiiisse vermehren. So ist nun nicht nur sein
Dasein gesichert; es wird auch Raum, es werden Mittel be-
reitet, die der Gattung Sicherheit des Daseins und Vermehrung
gewähren.
Und nun beginnt erat die Entwickelung des Volkes, jenes
innere Leben, das aus eigner Kraft besteht und sich erhAlt,
das jede Frucht des Lebens zum Mittel neuen Schaffens
macht, das sic^^ vom Fleisse und Erfolg vorausgegangener
Zeiten nährt und in Bewahrung aller Güter sich selbst die
Quellen seiner Kraft beständig mehrt. Nun knüpft nicht
mehr bloss des Bluts Gemeinsamkeit die wechselnden Ge-
schlechter an einander; sie fühlen sich nun als ein Volk, das,
was es ist, nur ward aus dem, was es gewesen.
Ein Volk, das ohne solche Stetigkeit des Lebens wie
flüchtiges Wild umherschweift, kann eine Zeit lang wohl des
Götterglaubens und der Abstammung dunkle Sage sich be-
wahren, auch wohl an Gliederung der Stände und Rechts-
gebrauch festhalten; doch bald verliert sich bei dem Mangel
fester Ordnung auch hiervon Stück um Stück; und nie wird
es ihm gelingen, an Gütern und Gonuss, an Formen und Ge-
halt des Lebens, an Vorstellungen und Ideen reicher zu
werden. Nur sesshafte Völker haben eine Geschichte; not
— 5 —
im Schweisse ihres Angesichts erwerben sie die Unsterblich-
keit, die sie gewährt.
Und in diesem Sinne gibt es auch für die deutschen
Yölkerstämme keine Geschichte ihrer Entwickelung bevor sie
nicht jene Sitze bleibend gewannen , in denen sie dann end-
gültig ihr Leben zu entfalten bestimmt waren.
Zwar schon drei Jahrhunderte lang bevor Caesar mit
eisernem Schlüssel zuerst der Cultur des Römerreichs und
der geschichtlichen Kunde die deutschen Gegenden erschlossen
hat, sind diese der Schauplatz des Lebens deutscher Völker.
Aber wohl war es mehr ein Ringen mit den it>hen Kräften
der Natur als eine festbegründete Herrschaft über sie, was
dieses Leben kennzeichnet ; und häufig wechselten die Stämme
ihre Sitze, gezwungen oder freiwillig nach neuer Heimath
suchend. VoiHbergehend sind die Deutschen allerdings wieder-
holt im ruhigen Besitz der Lande; vor den ersten grossen
Wanderzügen der Gimbem und Teutonen nach Italien, ja
zum Theil bis zu Caesars gallischem Kriege scheint eine Zeit
verhältnissmässiger Stetigkeit der Zustände, eine Periode der
Golonisation auch ihnen beschieden gewesen zu sein ; nicht min*
der kam dann wieder einige Ruhe des Lebens, als die Römer
den limes gezogen und mit dieser Festigkeit ihrer eignen
Grenzen auch dem Drängen der Deutschen nach neuen Wohn-
sitzen eine Grenze setzten. Und beide Epochen des Friedens
and der Sesshafügkeit sind auch durch eine Fülle von An-
sätzen gekennzeichnet, welche das zu höhei*er Culturentwicke-
long so reich angelegte Leben der Deutschen ausbildete, die
aber durch die folgenden Zeiten grosser Wanderung wieder
verloren gingen.
Wohl ist die Kunde spärlich, die uns von jener ältesten
Zeit der Sesshaftigkeit deutscher Völker auf deutschem
Boden berichtet Aber es ist Lapidarschrift mit der sie ein-
gezeichnet ist in den Boden, von dessen Schicksalen sie er-
zählt.
Aus ihren Gräbei*n zunächst erstehen die Zeugen von
dem deutschen Leben dieser Zeit Waffen und friedliches
Geräth, anfänglich wohl nur aus Stein, aus Holz und Bein
_ 6 —
gefertigt, haben sie bald schon aus Bronze, seit Beginn unserer
Zeitrechnung jedenfalls auch aus Eisen sich geschmiedet ; tohe
Töpferwaare mit der Hand sich gemacht und mit einfachem
Ornament geziert. Auch mancherlei Schmuck ist ihnen nicht
fremd ; neben Ziemadeln und Schliessen, Ringen und Spangen
besonders des Bernsteins goldgelbe Pracht, scheinen sie in
reicher Fülle besessen zu haben. Und das war ja auch der
erste Anlass zu friedlichem Tauschverkehr mit andern
Völkern. Durch dieses vielbegehrte , geheimnissvolle Harz
der Ostsee ward schon Pytheas von Massilien (320 y. Chr.) 0
und vor ihm wohl schon die Phönizier und Etiiisker an-
getrieben, der Guttonen (Gothen) Küste aufzusuchen und sah,
wie diese- den Bernstein an die Teutonen (?) weiter verhandelten,
die ihn auf. den alten Bemsteinstrassen dann nach dem Orient
und nach Italien brachten. Und auf denselben Wegen kam
dann so manches Gut von tadelloser Technik und hoher Kunst
in deutsche Hände, das nach zweitausend Jahren* noch zum
Zeugen dieser alten Handelszüge bestimmt war.
Lauter aber und . anschaulicher noch als die Gräberfunde
sprechen von dem deutschen Leben dieser Zeit die Reste
ihrer Ansiedelungen, wie sie sich in Ringwällen und Befesti-
gungen, in Spuren menschlicher Wohnungen und Massen-
gräbern, am schönsten aber in den Ackerbeeten erhalten
haben, welche als Hochäcker und Terassenbeete bekannt sind.
Weit verbreitet auf deutschem Boden finden sie sich, bei
aller Verschiedenheit im Einzelnen doch von unverkennbarer
Uebereinstimmung des Ginindgedankens '). Sie lassen uns
ein Volk erkennen, das, offenbar in gi*ossen Massen einheitlich
organisirt, in seinen Ansiedelungen sich eng zusammenhielt,
hinter seinen Ringwällen und Verschanzungen Sicherheit suchte,
auch wohl in wenigen besondei*s gi*ossen, festen Plätzen dem
') PliniuB hist nat 87, 2.
*) Vgl. insbesondere die instnictiTe Abhandlung von August Hartoiann
in dem oberbair. Archiv fOr vaterländische Geschichte Bd. 85 S. 115 iE,
wo aus Baiem, Würtemberg, Sachsen-Meiningen, Pommern, Hannover,
Oldenburg, selbst aus Dänemark und England Mittheilungen über die
Hoch&cker und ähnliche verlassene Culturen enthalten sind.
— 7 —
weichenden Volke einen letzten Rttckhalt bot^); ein Volk,
das von Bodenbestellung und Viehzucht lebte, zwar fest an-
gesiedelt war, aber keine Sonderwirthschaft der Einzelnen
kannte; vielmehr die Arbeit des Friedens ebenso geschlossen
wie die Arbeit des Krieges vornahm, in ganzen Abtheilungen
jene schmalen, aber überaus langen Beete erhöhte und sie
durch breite Wassergräben wie durch Säubeiimg von den
Feldsteinen fruchtbar zu madien wusste ; das gemeinsam säte
und gemeinsam erntete und in fester Ordnung dann sich in
die Früchte seines Schweisses theilte. Wir können aus der
grossen Feldflur, die so ein Stamm sich mühevoll bereitete,
ersehen, dass längst mehr keine Spur Nomadenthums bestand ;
doch ist es wohl auch zweifellos, dass, wenn auch zahl-
reiches Volk sich hier zu gemeinsamer Arbeit vereinte, die
Beete eines Gebiets erst allmälich hergestellt, und nui' ein
kleiner Theil alljährlich mit Körnerfrucht bebaut sein konnte,
dass also Wechsel von Fruchtanbau und Weidenutzung auf
demselben Boden, dass eine Feldgraswirthschaft mit strenger
Feldgemeinschaft hier verbunden war').
Von dem Zusammenhalt der Stämme, von der wenigstens
f&r den Krieg und die Vertheidigung des heimathlichen Bodens
grossartigen Organisation zeugen aber auch die Stammes-
sagen'), welche die drei grossen Zweige des Volkes, die
Ingävonen, Istävonen und Herminonen auf gemeinsamen Stamm-
vater zurückführen, zeugen auch ihr gemeinsamer Götterglaube
^) In den Mittheilnngen der anthropologischen Gesellschaft in Wien
Bd. y S. 48 ff. schildert Much eine grosse als Waffenplatz benutzte An-
Biedelung der Qoaden an der March, welche über 2000 Menschen Friedens-
berOlkening, im Kriege aber leicht ein zehnfach grösseres Heer hinter
ihren Wällen bergen konnte.
*) Der deatsche ürspnmg der Hochäcker ist allerdings noch nicht
m Endenz dargethan; aber die neuesten Ergebnisse der Alterthums-
wiseenschaft lassen doch kaum mehr viel Zweifel daran übrig.
*) Tadtos Germania c. 2: Celebrant carminibus antiquis, quod unum
apud ülos memoriae et annalium genus est, Tristonem deum terra editum
et filimn Mannum, originem gentis conditoresque. Manne tris filios adsig-
nant e quorom nominibus proximi Oceano Ingaevones, medii Hermiones
eeteri Istaevones voeentur.
— 8 —
und ihre heiligen Grebräuche. Noch nach Tadtos ^) haben die
Suevenstämme bei den Heiligthümem der Semnonen, dem
Caput Suevorum in feierlicher Weise das Bewusstsein ihrer
Zusammengehörigkeit lebendig erhalten.
So sind die Deutschen dem Caesar entgegengetreten, als
er von Gallien her ziun erstenmal einen tiefem Einblick in
das rechtsrheinische Land werfen konnta Keine privaten
und abgesonderten Ländereien, kein bestimmtes Mass von
Acker oder festen Grenzen sind den Einzelnen zu eigen; die
Obrigkeiten des Volkes und die Fürsten der Stämme weisen
den Geschlechtem und Verwandtschaften, die sich zusammen-
hielten, so viel an Land und dort jeweilig zu, wo es geeignet
scheint und zwingen sie, von Jahr zu Jahr im Anbau der
Gemarkungen zu wechseln*). In grossen Festungen (oppida)
bieten sie bei feindlichem Einfall allem Volk und seinen
Schätzen sichei*e Zuflucht^); und rings um die bewehrten
Ansiedelungen (vici) der Geschlechter liegt das Ackerfeld mit
wogender Saat^). Im Kriege wählt das ganze Volk sich
seine Führer; im Frieden Wahren Fürsten, über kleinere
Volksgebiete und Gaue gesetzt, die öffentliche Ordnung und
das Recht «).
Aber schon, so scheint es, waren sie auf dem Punkte,
ihre alte Volks- und Agrarverfassung zu verlassen, verändert«i
Neigungen und BedürMssen nachzugeben und zu neuen, voll-
kommneren Formen des Lebens und des Gütererwerbs über-
^) Germ. c. 39: Stato tempore in silvam augorÜB patnim et prisca
formidine sacram omnes einsdem sanguinis populi legationibiis co&ant,
caesoque publice homine celebrant barbari ritns horrenda primordia.
*) Caesar berichtet zuerst b. GalL IV, 1 von den Sueven : Sed privati mc
separati agri apud eos nihil est, neque longius anno remanere uno in
loco incolendi causa licet. Dann VI, 22 von den Germanen überhaupt:
Keque quisquam agri modum certum aut fines habet proprios, se^ mag!*
stratus ac prindpes in annos singulos gentibus cognationibusqne hominiim
qui una coierunt, quantum et quo loco Tisum est agri attribuont atqae
anno post alio transire cogunt
«) Caes. b. Q. VI, 10.
*) Caes. b. G. IV, 19. VI, 86.
») B. GaU. VI, 28.
— 9 -
zugehen, wie sie längere Sesshaftigkeit und Bewahrung wii-th-
sehaftlicher Erfolge mit Nothwendigkeit erzeugt. Was früher
tief im Wesen des deutschen Volkes begiUndet war, erscheint
jetzt nur durch äussere Zweckmässigkeit künstlich festgehalten;
des Eri^es eiserne Nöthigung musste wirksam sein, um
ihren Hang zum Ackerbau und friedlichen Ei*werb, ihre
Gewöhnung an reichlicheren und bequemeren Lebensgenuss,
um ihre Begierde nach Schätzen und die beginnende Schei-
dung der VermOgensklassen, das Streben nach ausschliesslichem
Eigenthum zu bekämpfen, in denen die deutschen Heerführer
jener Zeit gi'össere Feinde deutscher Unabhängigkeit erblicken
•mochten, als in den andringenden Römern ^).
So sind die Nachrichten des Caesar ein köstliches Zeugniss
von der ältesten gesellschaftlichen und Agrarveiiassung der
Deutschen und tragen, indem sie mit den vorhandenen Cultur-
tiberresten dieser Zeit so entschieden übereinstimmen, den
Stempel voller Wahrheit nicht minder als die Probe innerer
Wahrscheinlichkeit in sich.
Der Rückschlag, welchen die beginnende Eroberung des
deutschen Bodens durch die Römer den volkswirthschaftlichen
Zuständen zunächst der Westdeutschen versetzte, währte wohl
geraume Zeit in seinen Wirkungen fort. Aber gleichzeitig
fand hier jene mächtige Berührung mit dem hochentwickelten
Gulturleben der Römer statt, die nun mit einem Male eine
Reihe neuer Bedürfhisse und Einrichtungen kennen lehrte,
wie sie der reichlicheren Entfaltung des Lebens zu entsprechen
geeignet waren. Als erobernde Krieger kamen sie gezogen,
als Lehrmeister in den Künsten des Friedens wirkten sie
unter den Deutschen; und mehr noch als die unmittelbare
0 Nach der Schilderang der Agrarrerfassung fährt der Bericht Caesars
VI, 22 fort: Eins rei moltas adfenmt caosas: ne, assidna consnetadine
capti, Stadium belli gerandi agricaltara commatent; ne latos fines parare
Btadeant potentioresqoe homiliores possessionibas expellant; ne accaratias
ad fiigora atqne aestas vitandos aedificent; ne qaa oriatar pecuniae capi-
ditas, qoa ex re fiictiones dissensionesque nascontar; at animi aequitate
plebem contineant, quam suas qaisqae opes com potentissimis aeqaari
Tideat.
— 10 —
Aneignung und Nachahmung römischer Zustände, Einrich-
tungen und Producte wirkte die feste Grenzwacht, welche
die Römer nun an Donau und Rhein und zwischen beiden an
dem limes (Teufelsmauer, Pfahlgraben) gegen die Einfälle der
wanderlustigen Germanen hielten. Das zwang sie neuerdings
zu fester Ansiedelung und um so intensiverer Bewohnung, je
mehr das Gebiet verengt war, auf dem sie sich frei bewegen
konnten^). Und so entwickelte sich bald jener sociale und
wirthschaftliche Zustand wie wir ihn aus des Tacitus meister-
hafter Schilderung des geimanischen Lebens kennen, wie er
aber nur für die Westgermanen allgemeine Gültigkeit hat:
unverkennbar gleichartig im innersten Ginindzug mit jener«
ältesten gesellschaftlichen Verfassung und doch in seinen
Einzelheiten so aufifällig vei-schieden. Noch ist weder das
Stammesbewusstsein , noch die militärische Oiiganisation des
Volkes verloren gegangen; aber doch viel ausgeprägter tritt
das Streben nach Geltendmachung kleiner Interessenkreise,
nach individueller Selbständigkeit und abgesondertem Leben
hervor. Gerade was die strenge Feldgemeinschaft nach Caesars
Aussage veimeiden wollte, sorgfältigeren Hausbau und die
Sucht nach Reichthum, Unterschiede des Besitzes und Ver-
langen nach Einzeleigenthum , das bildet in der gesellschaft-
lichen Verfassung der Deutschen, wie sie Tacitus schildert^
eine Reihe charakteristischer Momente.^) An die Stelle der
befestigten Wohnplätze, die zahlreichem Volke Unterkunft
boten, tritt nun Vereinzelung des Wohnens als die Regel
auf;') die Deutschen ertragen es nicht in eng zusammen-
^) Die Bedentang des limes für die Culturgeschichte der Deutschen
ist neuestens von Arnold, Deutsche Urzeit S. 81—115 sehr anschaulich
geschildert
*) Ueber dieselben ist das Köthige ans Tacitos im Einaelnen bei dm
folgenden Abschnitten angemerkt
') Tac Germ. 16: NuUas Oermanorom popolis nrbes habitari satis
notom est; ne pati qnidem inter se iunctas sedes. Colunt discreti ac
diversi, ut fons, nt campas, at nemns placoit Yicos locant non in
nostrom morem, connexis et cohaerentibns aedifidis: sunm quisqne domom
spatio drcumdat
— 11 —
hangenden Orten zu wohnen; auseinanderliegend und zerstreut
siedeln sie sich an, wo eine Quelle, ein Feld, ein Hain ihnen
gefällt Auch ihre Dörfer bauen sie nicht nach römischer
Weise in verbundenen und zusammenhängenden Gebäuden;
jeder schliesst sein Haus mit fmem Räume ab. Die Feld-
marken^) besetzt die Gesammtheit nach Anzahl derBebauer;
dann aber vertheilen sie diese unter einander nach den
socialen Unterschieden der Genossen. Und diese setzen dann
auf ihren Gütern die Leibeignen gleich römischen Colonen
ein^), jedem Selbständigkeit des Haushalts und der Wirth-
schaftsführung einräumend; nur Abgaben heischen sie von
ihnen, Getreide, Vieh und Gewänder. Doch sind sie über
die rohe Wechselwirthschaft ihrer Vorältei-n nicht hinaus-
gekommen^ denn für ihren einfachen Haushalt haben sie noch
immer des Bodens die Fülle ') ; aber was fiilher organisirendes
Prinzip der Volkswirthschaft war, das ist nunmehr nur Wirth-
Schaftssystem im Landbau der einzelnen Besitzer. Wohl mag
auch diese Austheilung der Feldmark an die Einzelnen nur
zur Nutzung des Bodens gewährt worden sein; jedenfalls ein
Wechsel der Antheile an der Feldmark unter den Mitgliedern
einer agrarischen Gemeinschaft hat nicht weiter stattgefunden
und ebenso wenig lässt sich an gemeinsame Feldarbeit und
Ernte mit Vertheilung des Ertrags noch weiter denken. Und
auch die Feldgemeinschaft selbst scheint nun auf kleinere
Kreise der Bevölkeining beschränkt und damit war nicht
minder eine grössere Mannigfaltigkeit der socialen Gliede-
rung gegeben ; nicht mehr der Gau : die Mark der feldgenossen-
schafüich verbundenen Nachbarn, die Centene scheint nun
die unterste politische Einheit, nach der Familie der kleinste
sociale Körper im Volksganzen geworden zu sein^).
^) Germ. 26: Agri pro namero caltoram ab univenis inyicem occa-
pontor, qaoB mox inter se Becundum dignationem partiuntar.
*) Genn. 25: Ceteris servis non in nostrom morem, descriptis per
fifcmfliam miniBteriis, atantur: soam quisque sedem, suos penates regit.
Fmmenti modom dominas aut pecoris ant vestis, ut colono, iniungit, et
Mnms hactenos paret
*) QeruL 26: Arva per annos mutant et saperest ager.
*) Das zeigen besonders die Parallelstellen Caes. b. G. VI, 22 und
— 12 —
Reicher und vielseitiger gestaltete sich das Leben der
Deutschen in dieser Zeit; die Bodenproducte zwar waren
noch nicht mannigfaltiger geworden; weder Wiesen schieden
sie aus der Feldmark aus noch legten sie Gälten an^); aber
an Handelswaare, welche zumeist die Römer ihnen brachten,
waren sie doch schon gewöhnt und auch des Geldgebrauchs
belebende Wirkung fehlte nicht mehr gänzlich^), so lange
das Römervolk noch wohlhabend und kaufkräftig war, und
geregelte Wechselbeziehungen die Gegenden diesseits und
jenseits des Rhein und des Donaulimes verbanden. Und auch
der socialen Gliedeiiing des Volkes scheint solche reichere
Entfaltung zugeschrieben werden zu müssen, wie sie aus der
mannigfacheren Abstufung der Lebensverhältnisse sich auch
leicht erkläi*t. Dass das Familienleben sich vertiefte, dass
ständische Unterschiede mehr heiToitraten , lasst sich als
Frucht eines ruhigeren Daseins, fester Ansiedelung und ge-
regelter Wirthschaft wohl begreifen ; besonders auch ein Adel
mag sich leichter jetzt an Zahl und an Bedeutung gemehrt
haben, wo nicht mehr die alte Vermögensgleichheit der Heer-
genossen, nicht mehr der strenge Gehorsam ganzer Völker-
schaften unter einem Heerführer das organisirende Prinzip der
Gesellschaft war, sondem das Leben des Volkes sich im
kleinem Kreis selbständig ordnete und jedem freistand, Macht
und Schätze sich zu sammeln. Aber die Stüime der Völker-
wandeiiing vei-nichteten zumeist diese Keime höherer Gultur.
Die sociale Organisation der deutschen Völkei*stämme während
der Zeit ihrer letzten grossen Wandei*ungen ist allerdings
nur aus der Heeresverfassung zu erkennen, die, auf der
Giiindlage der FamUien- und Geschlechterordnung aufgebaut,
geeignet war, sowohl dem Angi-iff und der Vei-theidigung zu
Tac/Qerm. 26 s. o. S. 8 und 11; dann Caes. VI, 23: principes regionnm
atqae pagorom inter suos ins dicont und Tac Germ. 12: principea qui
iura per pagos vicosque reddunt.
^) Oenn. 26: Kec enim cum ubertate et amplitudine soU labore con-
{endunt, ut pomaria conserant et prata separent et bortos rigent: sola
terrae seges imperatur.
<) Vgl 5. Abscbnitt.
— 13 —
dienen, als auch die Ordnung der öffentlichen Angelegenheiten
des Volkes überhaupt zu eimöglichen. Aber es ist kein
Zweifel, dass diese Heeresverfassung auf alter socialer Unter-
lage ruhte; ihre Wurzeln sind weit hinab zu verfolgen in
jene Zeit, welche uns die Berichte der römischen Schriftsteller
etwas aufhellen; ja sie möchten wohl noch Jahrhunderte
weiter zurück aufzufinden sein, wenn es gelänge, den Schleier
zu lüften, der über des deutschen Volkes Urzeit liegt.
Zweierlei jedoch ist naheliegend : die sociale Ordnung des
deutschen Volkes musste durch die besonderen Zwecke der
kriegerischen Wanderschaft mancher Aendeiiing unterliegen,
und die alten Wurzeln der Heeresverfassung starben um so
mehr ab, je länger sie aus dem Erdreich gezogen waren, aus
dem sie ihre Nahrung zu ziehen sich gewöhnt hatten. So
musste das Gaufürstenthum gegenüber dem Hei'zogsamte, der
alte Stammesadel gegenüber dem Gefolgsadel zurücktreten;
am meisten aber werden diejenigen Seiten der socialen Ord-
nung von den Verändeiningen des kriegerischen Wanderlebens
ei^riifen worden sein, welche auf wirthschaftlicher Giimdlage
ruhten. Denn die Wirthschaft des Volkes hörte ja während
seiner grossen Wanderschaft so zu sagen auf. Erobei-ung,
Beute traten an die Stelle des friedlichen Erwerbs; das Ge-
wonnene wurde bald die Beute des zerstörenden Kriegs, bald
ungemessener Begier und Genusssucht, bald musste es bei
weiteren Wanderungen wieder zurückgelassen werden; die
gftteransammelnde Thätigkeit des Volkes war ebenso behindert
wie die gütererwerbende. Vorhandenes Vermögen aber konnte
nur in Geld und Waffen oder als Sklaven und Vieh in
grösserer Menge gebraucht werden: die Weilhformen des
Volksvermögens waren ebenso beschränkt wie die Zweige
seiner Erwerbsbeschäftigung. Und selbst, wo die Wirthschaft
für kürzere Zeit sich wieder einrichten und mit der Hoffnung
auf Dauer festere Zustände begillnden wollte, war doch die
nothwendige militärische Vorsicht ein Hindei-niss; aus dem
Gesichtspunkte der Disciplin, der Abhärtung, aber auch der
Veriheidigungsfähigkeit, und der Leichtigkeit des Angiiffs war
ein rascher Uebergang zu ruhiger Wiilhschaft auch in ruhig
~ 14 -
gewordener Zeit lange ausgeschlossen. So werden die wirth-
schaftlichen Zustände der deutschen Stämme während ihrer
letzten grossen Wanderungen wesentlich unvoUkommner als
zu des Tacitus Zeiten, im Ganzen mehr den von Caesar ge-
schilderten entsprechend gewesen sein.
Ei'St wenn ein Volksstamm bleibende Ruhe fand, bildete
sich auf dem neuen Boden auch eine neue Ordnung der Ge-
sellschaft; bei den grossen Verändei-ungen der ökonomischen
Zustände aber ist auch die sociale Schichtung und Organisation,
soweit sie auf Besitz und Erwerb begründet waren, sicherlich
nicht mehr den alten Zuständen ähnlich. Vielmehr sahen
sich die Deutschen am Schlüsse ihrer Wanderungen vor eine
Fülle neuer socialer Thatsachen gestellt, welche nach Ordnung
und Gestaltung rangen; und damit beginnt dann erst die
stetige Entwickelung der socialen und wirthschafüichen Zu-
stände des deutschen Volkes-, seine sociale und seine Wirth-
schaftsgeschichte.
Aber nicht in derselben Weise und zur selben Zeit haben
die vei-schiedenen deutschen Stämme diese Stetigkeit ihrer
Ansiedelung; diese Ruhe ihrer Entwickelung gefunden; und
es ist wichtig, sich dieser Verschiedenheit vollkommen bewusst
zu sein*).
Am frühesten sind wohl die Friesen zu dauerhafter Sess-
haftigkeit gekommen. Schon zu des Tacitus') Zeiten haben
sie dieselben Sitze inne, in welchen sie zuerst unter Karl
Martell, dann unter Karl d. Gr. unterworfen und dem frän-
kischen Reiche eingegliedert wurden ; und nie hat eine irgend
nennenswerthe fremde Völkerschaft sich mehr mit ihnen ver-
mischt. Am Meere') sassen sie, an den Niedemngen der
Nordsee; zwischen Fly und Laubach die mittleren Friesen,
zwischen Laubach und Weser die Ostfriesen, zwischen Fly
^) Vgl. i. A. ZeoBB, Die Deutschen and die Nachbarst&mme, 1887.
Gaapp, die germanischen Ansiedlangen und Landtheilongen, 1844. Arnold,
Deutsche Urzeit, 1879.
') Germ. c. 84, s. a. Gaupp, Ansiedlungen S. 560.
') S. die aasführliche Erörterung über die altfriesische Geogn^hie
bei Richthofen, lex Frisionum, LL. III, eS2 ff.
— 15 —
und Sincfal die Westfriesen, ohne im Wesentlichen ihre Grenzen
zu erweitem oder geschmälert zu sehen. Nur einmal, als
sich Sachsen dem Heereszuge Alboins nach Italien anschlössen,
scheinen Friesen in grösserer Anzahl das Stammland verlassen
und sich in den ihnen von dem Frankenkönige Sigebert an-
gewiesenen sächsischen Gauen niedergelassen zu haben ^). Und
selbst als sie in jahrhundertlangen Kämpfen den Franken
unterlagen, war damit doch keine Aenderung ihrer Wohn-
sitze oder eine Vermischung ihrer Bevölkerung oder gar eine
durchgreifende Aenderung ihrer Sitten und ihrer Lebensweise
verbunden. Daher die grosse Originalität ihrer Zustände,
wie sie noch aus dem friesischen Volksrecht hervorgeht, das,
obschon erst im 8. Jahrhundert aufgezeichnet, doch vielfach
sogar zur Aufhellung socialer Urzustände der Deutschen über-
haupt dienen kann.
Im Gegensatze zu den Friesen fahrten die Sachsen*),
obwohl lange Zeit hindurch unangefochten, ein viel unstäteres
Leben. Im zweiten Jahrhunderte ziehen sie in grossen Mengen
aus ihren Sitzen in der cimbrischen Halbinsel theils zur See
nach Westen, theils nach Süden, in das Land der Westfalen,
wo damals Franken sassen. Einen Theil ihres Gebietes an
der Fuse verloren sie zur Zeit Domitians an die Chatten^.
Andere -Gebiete gaben sie auf, als sie mit Alboin nach Italien
zogen; Chatten, Friesen und Warnen (Nordschwaben) traten
hier an ihre Stelle^). Anderseits nahmen sie den Chatten
das Gebiet an der Diemel, den Thüringern das Gebiet nörd-
lich vom Thüringerwalde ab, während sie selbst wieder von
den vorriibckenden Dänen in Jütland und Schleswig, von den
Slaven an ihrer Ostgrenze bedrängt wurden. Seit den Hunen-
zügen sind sie stetig bis an die Elbe, von Pommern bis zur
^) Wenigstens wird später auch ein Fdesen- und ein Hessengan im
Gebiet des alten Sachsenlandes genannt Arnold, Ansiedlangen und Wan-
derungen deutscher Stämme 8. 150.
*) Vgl. i. A. Schanmann, Oeschichte des niedersächsischen Volks
18S9. Seibertz, Landes- und Rechtsgeschichte des Herzogthoms West£ftlen
1845—1864.
*) Tac Germ. 36.
*) Gregor Tur. 5, 15. Paul. Diac 2, 6.
— 16 —
Lausitz vorgerückt. Die Wenden besetzten die Altmark links
der Elbe, Strecken von Nordthüringen links der Saale ^).
Aber immerhin blieb ein gut Theil des nördlichen Deutsch-
lands Jahrhunderte lang im Besitz der Sachsen, bevor Karl
d. Gr. mit seinen mörderischen Kriegen sächsisches Volks-
thum von Grund aus umgestaltete. So bewahrten sie sich
zwar keine festen Sitze, von denen aus eine ruhige Gultur-
entwickelung hätte ausgehen können ; aber der Volkscharakter
und die socialen Einrichtungen, in denen sich die Ordnung
ihres Lebens bewegte, erhielten sich doch lange in jener
Eigenthümlichkeit , die sich durch die besondere Betonung
der Wehrhaftigkeit, die Vorrechte des Adels und die rück-
sichtslose Strenge und Energie ihi-er öfifentlichen Gewalt aus-
spricht.
Ebenso sind die unter dem Namen der Thüringer zu-
sammengefassten Völkerschaften in den ersten Jahrhunderten
unserer Zeitrechnung in viel zu starker Bewegung, als dass
sich ihre socialen und wirthschaftlichen Zustände mit einiger
Buhe und Stetigkeit hätten entwickeln können'). Mit An-
fang des 5. Jahrhunderts ist das Land zwischen Werra und
Saale, Harz und Thüringerwald von ihnen besetzt, nachdem
sie ihre früheren Wohnsitze theils gezwungen, theils freiwillig
verlassen hatten. Aber noch in demselben Jahrhundert breiteten
sie sich über Hessenland zwischen Werra und Fulda, und
über die Maingegenden aus'), besetzten das südliche Land
bis an die Donau und den Böhmerwald ^) , verwüsteten zu
Severins Zeit die Donaugegenden bis zur Enns, während sich
von Ost und Norden kommend die Slaven immer mehr thü-
ringischen Gebiets bemächtigten. Im Anfange des 6. Jahr-
hunderts aber verlieren sie ihre nördlichen Gebiete bis zur
^) Vgl. Meitzen in den JahrbQchem IQr Nationalökonomie Bd. 82.
") Vgl. Arnold, Ansiedlungen und Wanderungen S. 220 1
') Waitz, Deutsche YerÜASsungsgeschichte U, 706.
*) Zenss, Die Deutschen und die Nachbarsiftnime S. 855. Tgl. nedeBtens
auch Bachmann, die Einwanderung der Baiem, in den Sitzangsberichten der
kais. Academie der WiBsenschaiten zu Wien Bd. 91, S. 869, der hier
zum Theil nur Verbündete der ThOringer gelten^ lassen will.
- 17 -
Ünstnit an die Sachsen ; in den Maingegenden und im eigent-
lichen ThQringen breiten sich seit ihrer Besiegung durch die
Franken ^) diese bis an die Saale und Regnitz immer mehr
aus, und im Süden verlieren sie Gebiet an die Baiern.
Aber immerhin sind Friesen, Sachsen und Thüringer die-
jenigen ^^5Ikerschaften gewesen, welche frei von den Ein-
wirkungen römischer Cultur geblieben, ihre socialen und
wirthschaftlichen Zustände in Selbständigkeit und grosser
Eigenart entwickelten.
Dagegen unterlag die Cultur der im Westen und Süden
des deutschen Landes angesiedelten Völker den mannigfachsten
Einflüssen römischen Lebens. Ihre Jugend kämpfte Jahr-
hunderte lang in den römischen Legionen; ihre Verkehi-s-
beziehungen unterhielten sie zumeist nur mit den Römern,
in deren Städten und Stationen am Rhein und im südlichen
Lande sie mit dem häuslichen Leben und den Bedürfhissen
eines hochcultivii*ten Volks veiiraut wurden. Von ihnen
lernten sie so manchen Zweig der Bodenkultur kennen, von
ihnen besseren Hausbau und andere technische Kunstfertigkeit ;
der Geldgebrauch, und manche Ideen und Formen des rö-
mischen Rechts bürgerten sich unvermerkt bei ihnen ein.
Dazu kam nun aber, dass gerade diese Völker reichen Wan-
derungen und mannigfachem Wechsel ihrer Sitze unterlagen.
Zwar die salischen Franken haben in ihrem Stammlande
zwischen Maas und Scheide frühzeitig die Cultur eines sess-
haften Volkes entwickelt'). Hier sassen sie seit Ende des
3. Jahrhunderts unangefochten sowohl von den benachbailen
deutschen Stämmen als auch unbei*ührt von den Stürmen der
Völkerwanderung. Aber wie es sich reich entfaltete an Zahl
und an Cultur, wurden dem gi-ossen Volke seine Grenzen zu
klein; nach allen Seiten hin ergoss es sich, gab Anstoss
zu reichlicher Volksbewegung, um schliesslich der Hauptsache
nach in Gallien neue Wohnsitze, neue Einrichtungen, zuletzt
ein neues Reich zu gründen. Es tritt damit aus dem
») Gregor. Tut. III, 7.
') Vgl i. A. Waitz Verfassungsgeschichte II. S. 19 ff.
▼ OB InamA'Sternegg. Wirtbachafttigeschicht«. I.
- 18 -
Kahmen einer deutschen Wirthschaft^eschichte hinaus; denn
der Boden seiner neuen Heimath war von römischem We-
sen getränkt; die Bewohner Oberwiegend an die Bedürf-
nisse und Einrichtungen römischer Cultur gewöhnt. Die wenig
zahlreichen ^), erobemden Franken nahmen nicht nur Elemente
dieser bestehenden Wirthschaftsordnung in sich auf, sondern
wurden von dieser aufgenommen. So verloren sie schnell die
Eigenart ihres Wirths^haftslebens und setzten nur die Ten-
denzen fort, nach welchen sich die Volkswirthschaft des rö-
mischen Galliens bisher bew^t hatte. Das kleine Häuflein
der in Toxandrien und im Xantner Gau zuiückgebliebenen
Salier aber spielt weiter in der Geschichte deutscher Volks-
wirthschaft keine Rolle mehr; wohl sind hier die Zustände
erheblich verschieden geworden von denen ihrer Brüder in
Gallien und haben sich mehr in germanischer Eigenart erhal-
ten ; aber die Bedeutung der auf deutschem Boden verbliebnen
Franken liegt von nun an bei den Bipuariem und den aus
salischen Franken und Hessen gebildeten Ost- oder Ober-
franken *).
Auch am Niederrhein und Mittelrhein, sowie in den be-
nachbarten Gebieten zu beiden Seiten des Stromes sind schon
seit der Mitte des 3. Jahrhundei-ts Franken sesshaft^); die
Amsivarier und Ripuarier, aber auch die den Saliern ver-
wandten Chatten ^) drängen sich auf verhältnissmässig kleinem
Gebiete, bis jenen die Römer, besondei-s unter Aötius im
4. Dezennium des 5. Jahrhunderts in der Germania secunda
friedliche Wohnsitze einräumten und die Unternehmungen
Chlogios und Chlodevechs auch diesen neue Gebiete eröfflieten.
Aber in dieser Zeit zweier Jahrhunderte sind sie durchaas
^) Nach AogaBtin ThieiTy betrag die Anzahl der fränklBchen
welche Gbllien eroberten, nicht über 100,000 Mann.
*) WaitK n, 72. m, 801. 8. a. Schröder in Forschungen z. deutschen
Geschichte XIX, 141.
") Waitz, Verfiusangsgeschichte II, 49 ff. Arnold, Ansiedlungen nnd
Wandernngen. S. 156 ff. ^
*) Dove, in Zeitsch. f&r deutsches Recht XIX, 898, und Schröder in
Forschungen XIX, 141.
— 19 —
nicht im ungestörten Besitz ; von 276—395 wohnen Alamannen
am Mittelrhein in beträchtlicher Ausdehnung; im Anfang des
5. Jahrhunderts, freilich nur einige Jahrzehnte lang, besetzen
die von Osten kommenden Burgunder den Mittelrhein ^) ; nach
ihrem Abzüge rücken wieder die Alamannen vor, bis sie durch
die gewöhnlich von Zülpich benannte Schlacht von 496 end-
gültig aus diesen Gebieten verdrängt werden und die Franken
nun bleibend Raum und ruhige Stätte in demselben finden.
In den Gegenden westlich vom Rhein bis zur Mosel wechseln
häufig die Ripuarier und die Chatten; nicht minder sind die
Alamannen bis Ende des 5. Jahrhunderts dort vorgedi-ungen ^) ;
zwischen ihnen aber hielt sich hier wohl am längsten römische
Bevölkerung; denn erst um die Mitte des 5. Jahrhunderts
hörte in Trier der Gebrauch der lateinischen Sprache auf ^).
In den Gegenden rechts vom Rheine, besonders im alten
Hessenlande^), das die Chatten schon im 2. oder 3. Jahr-
hundert inne hatten, ist das Völkergewoge noch gi'össer.
Sachsen und Thttringer besetzten voi*übergehend und daueiiid
die nördlichen und östlichen Marken desselben ; die Alamannen
drangen auch hier vor, und auch die östlichen Einfälle der
Alanen, Sueven und Vandalen , wie der Hunnen unter Attila,
gingen auf der grossen Völkerstrasse , die durch das Land
führte, und besetzten oder 2;^i*störten doch die alten Wohn-
sitze der Chatten. Diese selbst waren wanderlustig genug,
tun in gi-o^en Mengen das alte Stammland zu verlassen;
nach Sachsens verödeten Gauen, mehr noch aber nach den
Moselgegenden, nach Lothi-ingen, bis tief nach Gallien hinein
und in die oberen Maingegenden richteten sie ihre Wander-
züge, ohne davon wiedec heim zu kehren ^). Ein Theil dieses
^) Zenas, Die Deatschen S. 468.
*) Arnold, Ansiedlungen S. 289.
0 Nach Sidon. Apoll. £p. IV. 17 war nm 472 die lateinische Sprache
in diesen Gegenden schon Terschwonden.
*) Hierflbr ganz besonders sind die Namensforschongen von Arnold in
„Ansiedhingen und Wanderongen*" von grösster fiedeatnng.
*) Nach Schröder in Forschungen XIX, 143 haben sich die chattischen
Franken nach Chlodoyechs Alamannenschlacht über das Gebiet der spätem
2*
— 20 —
Volkes, das sich schon früh mit den Uferfranken vermischte,
blieb allerdings im Lande ; aber der Wechsel und die Mischung
der Bevölkerung war doch zu gi*oss, als dass von einer Stetig-
keit ihrer Gulturentwickelung die Rede sein könnte. Nur
dass sie so lange Heiden blieben, nachdem *schon längst die
anderen Frankenstämme das Christenthum angenommen iiattea»
lässt auf eine gewisse Selbständigkeit und Eigenart ihres
Volksthums schliessen-, dass sie kein geschriebnes Volksi'echt,
wie die salischen und ripuarischen Franken haben, ist dagegen
wohl mehr ein Beweis ihrer Stammesverwandtschaft mit den
salischen Franken, nach deren Gewohnheitsrecht sie noch bis
in das 10. Jahrhundert lebten ^).
In den Gebieten des oberen Bhein und des Neckar
bis an das linke Mainufer sassen die seit Caracalla's Zeit
so genannten Alamannen; aber schon im 4. Jahrhunderte
waren sie nach allen Seiten über die engen Grenzen des
Decumatenlandes hinaus: nach Norden über den Main, nach
Osten in das Gebiet der Vindelicier und Noriker^); im
Süden an den Bodensee und im Westen in das Elsass.
Zwar sind sie vielfach wieder zurückgedrängt worden, theils
von den Burgundeiii, theils von den Römern, die sie unter
Probus wieder auf das rechte Rheinufer verwiesen*); aber
nun breiteten sie sich in um so^rösseren Massen im Chatten*
lande, in den Gegenden der Mosel und des Mittelrheins, sowie
im rhätischen Gebirge aus; und kurz nach dem Zuge der
Alanen und Vandalen drangen sie wieder im Elsass vor, das
sie in der ersten Hälfte des 5. *Jahrhundeits zum zweiten Male
DiOcesen Mainz, Worms, Speier, Würzburg, sowie im Enbisthum Trier
verbreitet.
^) Vgl. Doye, Zeitsch. für Kirchenrecht lY, 174. In dem hier heraus-
gegebenen WOrzburger Sendrecht ans dem 10. Jahrhundert wird ein pactos
der dort lebenden Franken erwähnt, der nur der pactus legis Salicae sein
kann: s. a. Schröder in Forschungen XIX, 141.
*) Eugipii Vita S. Severini rec Sauppe, Mon. Germ. bist. Auct antiq.
tom. I. p. 2; bes. cap. 27, 1; 19, 1. Vgl. insbesondere die Ausführungen
Ton Bachmann, die Einwanderung der Baiem in den Sitsungsberichten der
kais. Akademie der Wissenschaften, Wien 1878, Bd. 91, S. 857 fT.
*) Zeuss, die Deutschen S. 808.
— 21 —
und nun dauernd besetzten^). Vorübergehend verloi'en sie
wqhl grössere Gebiete am Main an die Burgunder, welche
hier auf ihrem Zuge von Osten nach Westen vier Jahrzehnte
lange Rast machten; aber im Stammlande behaupteten sie
sich doch immer ausschliesslich, ja es ist nicht einmal nennens-
werthe fremde Bevölkerung dort unter ihnen geblieben. Und
selbst, als sie am Ende des 5. Jahrhunderts in dem gi-ossen
Kampfe gegen die Franken unterlagen, haben sie nur die
linksrheinischen Gebiete bis zur Lauter imd die ferneren An-
siedlungen am Mittelrhein aufgeben müssen, ohne ihrerseits
beträchtliche fränkische Bevölkerang im alten Alamannen-
lande aufzunehmen.
Die bairischen Lande endlich haben in den ersten Jahr-
hunderten wohl gar keine sesshafte deutsche Bevölkerung ge-
tragen. Rhätoromanen sassen in den Alpen, römische oder
romanisirte Possessoren und Golonisten auch in den Verlanden
und an der Donau bis an die March'); nur Alamannen
breiteten sich auch hier schon fiHhzeitig neben diesen aus^),
während Thüringer, Rugier, Heruler und andere Stämme mehr
streifend als wohnend das Land besetzten und verödeten. Die
Baiem siedelten sich hier an der Donau und im Alpenvorlande
zuletzt in nahezu menschenleerer Gegend an ^) und verbreiteten
sich, besondei*s seit die Römer fast gänzlich aus Norikum ge-
wichen wai-en , auch im Lande bis zur Enns ; auch über die
Alpen dehnten sie sich allmählig aus und begründeten da auf
weitem Gebiete deutsches Leben und deutsche Wirthschaft,
indem sie öde Strecken cultiviilen und die zurückgebliebenen
Reste rhäto-romanischer Bevölkerung germanisirten ^). Und
') Arnold, Anaiedlongen S. 239.
^ Vgl. i. A. J. Jung, Römer und Romanen lin den Donauländem
1877. passim.
') Bachmann, die Einwanderung der Baiem S. 857 £
^) Vgl Rieiler, Geschichte Baiems I, 49.
ft) In drei bis yier Jahrhunderten war dieser Bededelnngs- und Ger«
manisirungsprocess Deutschtirols in der Hauptsache abgeschlossen: Tgl.
Stenb, Herbsttage in Tirol 1867. S. 183 fg. Jung 1. c. S. 226; im Ein.
zflIneD haben sich allerdings romanische Elemente, besonders unter den
Leuten noch lange erhalten. L. Steub hat sich über diesen
— 22 —
ei-st im 8. Jahrhundert wird das Land östlich von der Eons
von Deutschen besiedelt und damit jene Golonisation abge-
schlossen, welche von nun an zunächst dem deutschen Lande
seinen Abschluss gab.
Diese zahlreichen Wanderungen der deutschen Stämme
und der beständige Wechsel der Gebiete, welche sie inne
hatten, lässt nun schon für sich allein den Schluss zu, dass
eine Stetigkeit der Entwickelung des wirthschaftlichen Lebens
nicht möglich war; denn gerade dieses schliesst sich immer
eng an den Boden an, auf dem es sich entfaltet; und je mehr
die Natur bestimmend auf das Leben der Völker einwirkt,
je weniger diese durch Arbeit^ und Kapital sich ihren Ein-
flössen zu entziehen und sie zu beherrschen vermögen, desto
entscheidender wird das Land und die Bodencultur fbr die
ganze Wirthschaft eines Volkes.
Noch viel deutlicher aber zeigt sich dieser störende Einfloss
der Wanderungen auf Bodencultur und Volkswirthschaft, wenn
wir das Verfahi-en berücksichtigen, das die Deutschen ein-
zuhalten pflegten, wo sie sich eines bei*eit8 von Deutschcfli
besetzten Gebietes bemächtigten. Zwar sind uns hierüber
wenige Nachrichten aufbewahrt; aber doch immerhin genug,
um den Vorgang in einzelnen Fällen deutlich zu erkennen
und mit einiger Sicherheit auch auf analoge Vorgänge bei
neuen Ansiedelungen schliessen zu können ^).
Schon aus der Zeit Caesars^) erfahren wir von dem
Suevenkönig Ariovist, dass er den Sequanei-n, die er in Be-
Pankt seinerzeit nnnöthig gegen mich ereifert; denn soviel war idh iJ
zuzugestehen von Anfang an bereit and mehr wird er über das Beharren
des Romanismus in Tirol jetzt auch nicht aussagen können, TgL über die
anderen Punkte dieses Streites S. 48f.
^) Vgl. i. A. Gaupp, Die germanischen Ansiedlungen und Landtheilan.
gen 1844, S. 48f.
*) Caes. b. 6. I, 31: Sed peius victoribus Sequanis, quam Aeduis
yicds, accidisse, propterea quod Ariovistas, rez Germanorum, in eonun
finibus consedisset, tertiamque partem agri Sequani, qui esset optimoa
totius Galliae, occupavisset et nunc de altera parte tertia Sequanos dece-
dere iuberet, propterea quod pauds mensibus ante Hamdum milia homi-
num 24 ad eum venissent, quibus locus ac sedes pararentur.
— 23 -
k&mpfuDg der gallischen Aeduer unterstützte, Landabtretung
abgenötfaigt habe, weil er sich mit mehr als 15,000 seiner
«ignen Leute in ihrem Gebiete niederlassen wollte. Ein
ganzes Drittheil des Landes, ein zusammenhängendes Gebiet,
nicht etwa Antheil an jedem einzelnen Landgute beanspruchte
•er; und ebenso liess er sich später für 24,000 Haruder ein
weiteres Dritttheil räumen. Auch die Usipeter und Tenchterer
wurden von den Sueven au9 ihrem Gebiete vertrieben und
hängten ihrerseits wieder die Menapier über den Rhein ^),
und ebenso wurden zur Zeit des Nero die Ansibarier von den
Chauken aus ihren Sitzen vertrieben und suchten, lange
timher irrend, neue Wohnsitze auf).
Als die Alamannen in der grossen Schlacht bei Zülpich
den Franken unterlegen waren, fiel das ganze Land links
des Rhein bis zum Einfluss der Lauter dem Könige Ghlodovech
2u, der dasselbe theils zur Anlegung grosser Domänen ver-
wendete, auf denen er seine Dienstleute ansiedelte, theils an
sein Gefolge veilheilte ').
Nach der Besiegung der Thüringer durch die Sachsen
vertrieben diese die Grundherrn, soweit sie nicht umgekommen
waren und machten sich selbst zu Herren des Bodens. Nur
einen Theil im Osten des Landes überliessen sie den Resten
der thüringischen Bevölkerung gegen Tribut zur Bebauung^).
^) Caes. b. G. rv, 4: In eadem causa fderunt Usipetes et Tenchtheri,
qni complores annos Saeyomm viiii sustmuenuit: ad extremnm tarnen
agiis expulsi et multis Germaniae locis triennium vagati ad Rhenam per
▼enerant, qoas regiones Menapii incolebant et ad utramqne ripam flunmuB
a^ros, aedifida, ricoBque habebant: sed tantae multitadims aditu per-
territi, ex bis aedificiis quae trans flomen habaemnt, demigravemnt
^; Tac. Ann. XIII, 55: Eosdem agroB Amsivarii occapavere .... qoia
polsi a Chauds et sedis inopes tatom exiliom orabant Aucb die bald
folgende Stelle: Cbamavorom quondum ea arva , mox Tabantom et post
Uflipioniin foisse edgt, wie die Völkerschaften auf dem Gebiete wechselten.
') Arnold, Ansiedlangen und WaDdemngen deutscher StAmme 1875,
8. 210. Derselbe zdgt an den Ortsnamen, dass die Alamannen in diesen
Gebieten schon reichlidi feste Ortschalten gegrfü&det hatten.
*) Translatio S. Alexandri (cc 804) SS. II, 674: der Austrasische
König Theodorich gibt den Sachsen das Land der besiegten Thüringer.
Qui eam sorte dividentes, cum multi ex eis in hello ceddissent et pro
— 24 —
Und auch im Gebiete der Sachsen ist es zu ähnlichen
Vorgängen gekommen^). Als diese in grösseren Haufen mit
den Langobarden nach Italien gezogen waren, da besetzten
Nordschwaben die verlassenen Gaue. Aber die Sachsen
kehrten zurück und nun galt es, eine Auseinandersetzung
zwischen der inzwischen sesshaft gewordenen suevischen und
der altberechtigten sächsischen Bevölkerung zu finden. Die
Sueven boten zuerst ein Drittheil des von ihnen eingenomme-
nen Landes, dann ein weiteres Drittheil, endlich zu diesem
noch das Vieh auf den Gutem, um die Verhältnisse friedlich
zu ordnen; erst als die Sachsen alle diese Vorschläge ver*
warfen, da kämpften die Sueven um ihren häuslichen Herd
und rieben die Sachsen auf. Allerdings ist hier nicht ganz
deutlich, ob eine Theilung des ganzen Gebietes oder der ein-
zelnen Landgüter gemeint war; doch ist ersteres immerhin
das Wahrscheinlichere '). Auch die Art und Weise, in welcher
die Langobarden in Italien, die Vandalen in Afiika bei ihren
erobernden Ansiedelungen vorgegangen sind, zeigt viele Aehn-
lichkeit hiermit*), wenngleich die Verschiedenheit der Ver-
hältnisse, unter denen sie hier stattfanden, eine weitere
Rücksichtnahme für die Beuilheilung der deutschen Ansiede-
lungen ausschliesst Dagegen findet sich aus der Geschichte
der Colonisation der deutschen Gebiete kein Beispiel, welches
mit jenen Landtheilungen Aehnlichkeit hätte, wie sie die
Burgunder und die Westgothen mit den Römern vorgenommen
haben und die sich als Individualtheilung der Landgüter gegen-
über der Territorialtheilung kennzeichnen lässt Die Individual-
theilung brachte zunächst keine Veränderung in die Zustände
der Bodencultur; die neuangekommenen Geimanen (hospites)
raritate eomm tota ab eis oocupari non potait, partem illios et eam quam
mazime, quae respidt orientem, colonis tradebant, aingali pro aorte f^oa
Bub tribato exercendam. Cetera vero loca ipai poBsedenmt Aach
Witichind von Corvey I, c 14, SS. V, 424. Noch im Sachsenspiegel III,
44 ist die Erinnerung an diese Landtheilang lebendig.
») Gregor Tur. V, 15.
*) Ganpp, Anaiedlongen S. 568.
>) Oaupp, Ansiediungen S. 503, 441 ff.
- 25 -
werden bei 80 nahen persönlichen Beziehungen zu den rö-
mischen Possessoren ihi*e Bodenbearbeitung mehr oder weniger
conform der bisher üblichen gestaltet, jedenfalls rasch vieles
von den entwickelteren Zuständen sich angeeignet haben, die
sie vorfanden; eine Yennehrung und Vervollkommnung des
Anbaues ist die wahrscheinlich nächste Folge gewesen. Nur
die Vermögensvertheilung und die aus ihr resultirenden Wir-
kungen auf den gesammten wirthschaftlichen Zustand des
nun gemischten Volkes werden auch dort das Ereigniss der
Landtheilung als einen Markstein in der Entwickelung der
Volkswirthschaft zur Geltung gebracht haben.
Wo aber, wie zumeist bei den deutschen Ansiedelungen,
welche auf Eroberung beruhten, ein Gebiet nach gänzlicher
Vernichtung oder Vertreibung des besiegten Volksstamms
besetzt wurde, oder eine Massenauswanderung stattfand, war
jede Fortsetzung oder doch Stetigkeit in der Entwickelung
der Wirthschaftszustände von vornherein ausgeschlossen ').
Zwar werden wir bei solcher Landnahme nie an eine vor-
gängige gänzliche Landauskehr denken können, so dass der
erobernde Stamm die Gegend gänzlich menschenleer gemacht
und sich nun auf einer tabula rasa eingerichtet hätte. Immer
werden Reste der bisherigen Bevölkerung zurückgeblieben
sein, die sich entweder als Freunde der Eroberer behaupteten,
oder gegen ünterwei-fiing in Leibeigenschaft oder gegen Tribut
in ihrem Besitz zu erhalten veimochten. Auch ward wohl den
Vertriebenen eine Frist gesteckt, um sich neuen Wohnsitz zu
suchen. Oft auch rückte das erobernde Volk nur langsam
in die neuen Gebiete vor, von Gau zu Gau die alte Bevöl-
kerung verdrängend, und hier vollzog sich dann natürlich auch
der Uebergang zu den neuen Zuständen mehr vermittelt, all-
mälig, ohne dass doch auch da einfach auf dem Alten fort-
gebaut werden konnte. Wir sehen das schon bei der Be-
setzung der Sequanerlande durch die Sueven des Ariovist, wo
*) S. die ganz entgegengesetzte DarsteUung des Einflusses der Völker-
waadenuig auf die Volksgebiete bei Landau, Territorien S. 240—259, der
Aber die heterogoisten Vorg&nge in unzulässiger Weise vermengt
— 26 —
zuerst für 15,000, dann bald für immer mehr Sueven Land
verlangt wurde und später für weitei*e 24,000 Haruder ein
ferneres ganzes Drittheil beanspiiicht ward. Auch die Bur-
gunder, welche in Gallien sich definitiven Wohnsitz bereiteten,
kamen nicht das ganze Volk mit einenmiale. Noch im
6. Jahrhundert, als ihr Yolksrecht aufgezeichnet wurde, waren
Bestimmungen nöthig über die Landanweisung an solche,
welche von den Maingegenden oder aus der Germania piima,
den fiüheren Sitzen der Burgunder, nachkamen^). Nicht
minder ist die Besetzung des nördlichen Galliens durch die
Franken in lauter solchen allmäligen Nachschüben Erfolgt'),
nachdem einmal eine feste Ordnung durch die ersten Eroberer
geschaffen war; und auch sonst können wir diese Erscheinung
als regelmässig annehmen').
Ja nicht einmal bei der systematisch eingeleiteten Massen-
auswandeiiing der Römer aus Noiikum^) ist solches anzu-
nehmen; zurückgebliebene Römer, sowohl Possessoren, als
Colonen finden wir noch selbst in Urkunden des 8. und 9.
Jahrhunderts ^).
^) L. Borg. CVII. § 11: De Romanis vero hoc ordinavimas, ut non am-
pliufl a Borgondionibiu , qai in lara venenint, reqnirator, qoam ad
praesens necessitas fderit: medietas terrae. LL. III, 577.
') Ed. Chilperici c 8 LL. II, 10: Det iili vero et convenit singula de
terras istas, qoi si adveniunt, ut leodis qui patri nostro fuenmt, consiiaetudi-
nem qua habaeront de hac re, intra se debeat.
^) Gaupp, Ansiedlungen ?28f.
^) Vit. Severe. 89: Aonolfus vero praecepto fratris admonitns imivenos
jassit ad Italiam migrare Romanos. Tone omnes incolae tanqaam de
domo servitutis Aegyptiae, ita de cottidiana barbarie freqaentiwiimae de*
praedationis educti, S. Severini oracula cognoverunt
^) Im Indiculus Arnonis (ed. Keinz 1869) ist die Anzahl der Romanen
nicht unbedeutend, welche zur Kirche von Salzburg gehören: I, 4: prae-
fatus dux (Theodo cca. 690—717) tradidit .Romanos et eomm tribntales
mansos 80 inter vestitos et apsos commanentes in pago Salsborgoense.
I. 5: in pago Atragaoe Romanos et eorum mansos tribotales 5. Y, 8:
Tassilo (769—788) duz in pago Salzburcgaoe villula nuncupante Campus
Romanos cum mansos tributales 80. YII, 8: Theodbertns dux (nach 717)
in pago Salzb. tributarios Romanos 116. VII, 11: idem dux Romanos et
eorum mansus 80; ib. 12: in pago Atragaoe Romanos et eomm mansos
trib. 8. Im Ganzen sind 814 Romanen mit ihren Mausen geschenkt
— 27 -
Aber doch voinehmlich die Grundherrn, die social höher
stehenden Glassen des Volkes, sind regelmässig der neu an-
ziehenden, siegreichen Bevölkerung zum Opfer gefallen oder,
vor ihr völlig gewichen, sei es aus starker Fi*eiheitsliebe,
ivelehe eine Unterwerfung nicht zuliess, sei es aus Unduld-
samkeit der Eroberer^). Damit ist dann aber auch immer
•die Grundlage der socialen und wirthschaftlichen Organisation,
deren Träger gerade die Grundherrn waren, vollständig ver-
nichtet worden, und die erste Voraussetzung einer stetigen
Entwickelung der Wirthschaftszustände, die Macht der Tradi-
Ijon verloren gegangen.
Vielfach allerdings mochte es in einem Lande, das nun
iron einem erobernden Stamme besetzt wurde, nicht einmal
2ur Auseinandersetzung und zu fester Ordnung des Grund-
besitzes gekommen sein. Wo das nun verdrängte Volk selbst
nur kurze Zeit im Besitze eines Gebietes war, das es nun
lineder andern überlassen musste, da bewegte sich die Ord-
nung des öfifentliehen Lebens noch ganz in den Formen der
HeeresverCiassung, die aber nicht Wurzel schlug und sich aus-
prägte in dem Boden, den sie beheiTschte ^) Denn das Heer
ist das Volk in der Bewegung, nicht in der Sesshaftigkeit ;
und die Heeresordnung war umsomehr dominirend, je häufiger
solche Vorgänge waren. Aber auch die private Wirthschafts-
ordnung unterlag pothwendigerweise in Zeiten gesteigerter
Werhaftigkeit des Volkes stärkeren Einwirkungen der öffent-
lichen Gewalt Wie es undenkbar und sicherlich auch nie
gewesen ist, dass sich die Einzelnen in fremdem Lande an-
gesiedelt haben in einer Zeit, in welcher beständig ganze
Volksmassen in Bew^ung waren, so hat sich auch dieser
^) Das ist noch in der Ueberlieferong von der ünterjochang der
Thüringer dnrch die Sachsen ausgesprochen, wie sie der Sachsenspiegel
m, 44 mittheilt: Do irer so vele nicht newas, dat sie den acker buwen
mochten, do sie die dorinschen herren slugen unde verdreven, do lieten
sie die bure sitten ungeslagen, unde bestadeden in den acker to also ge-
daneme rechte, als in noch die late.hebbet. Aehnliche Fälle hebt Landau
Territorien 254 henror. S. a. Oanpp, Ansiedlongen S. 49.
*} Solche Znst&nde schildert schon Caesar b. 6. VI, 22 s. o. S. 8.
— 28 —
Zusammenhalt der Geschlechter und Stämme in der Ordnung
der Wii*th8chaftszustftnde in entschiedener Weise für lange
Zeit geltend gemacht. Die Gemeinbenutzung des Wald- und
Wildlandes durch die Genossen ganzer Gaue oder Hundert-
schaften, die Gemeinwirthscbaft der Geschlechter und Sippen
auf dem ihnen zur Nutzung zugetheilten Fruchtlande wird
daher in diesen Zeiten der Wanderung als nothwendige Folge
ihres Zusammenhangs im Heere immer die Regel gebildet
haben. Intensive Bodencultur, wie sie besonders durch Boden-
Verbesserung, starke Investirung von Arbeit in dem Gultur-
lande und beträchtliche Wirthschaftsgebäude sich ausprägt^
sind in solcher Zeit wohl gänzlich ausgeschlossen.
Das Land trug wenig Culturarbeit an sieh, und lose war
die Verknüpfung der Menschen mit dem Boden, der um so
leichter verlassen wurde, je weniger der Einzelne ein Interesse
an demselben in dieser Gemeinwirthscbaft geltend machen
konnte. Zog dann ein solcher Yolksstamm von dannen, oder
wurde er vertrieben , so gab in Wohnungen und Ortschaften,
in Flurvei*theilung und Wegen wenig Zeugniss von ihm; der
anziehende Stamm konnte nicht auf diesen Zuständen ein-
fach fortbauen; und aus seiner Heimath brachte er ebenso-
wenig mit, was bestimmend für seine Wirthschaft im neuen
Lande geworden wäre.
Und selbst da, wo durch längeren Aufenthalt consolidirtere
Zustände sich gebildet hatten , wo etwa Beeteanbau stattfand
und das Volk im festen Bingwall sich die Wohnungen er-
baute, ging durch die Verwüstung, die im Gefolge der Er-
oberung einherschritt, das Beste leicht verloren, was die ver-
üiebene Bevölkerung an Wiithschaftselementen und Gütern
zurücklassen musste.
Am Zähesten hielten sich die Namen und die Gaugrenzen^
jene zur ei-sten Orientirung, diese zur Begründung fester
Ordnungen auf dem neu besiedelten Gebiete unerlässlich.
In den Namen erhielt sich wirklich eine feste Tradition.
Sie waren den Anziehenden, besonders wenn sie zuerst be-
nachbart sassen, wohl schon vielfach bekannt; sie wurden
ihnen von den Zurückgebliebenen zuerst genannt und wareQ»
— 29 —
wenn auch fi*emd der Laut klang, doch willkommene Anhalts-
punkte für jede weitere ordnende Thätigkeit. Noch jetzt
erkennt das Ohr des Kundigen aus ihnen den Klang der ver-
schiedenen Idiome, die hier im Laufe der Völkerwanderung
wechselnd heiTSchten; wie Schichten des Gesteins liegen sie
übereinander; die ältesten geben uns den Grundplan des
Culturbaues, den fdlheste Bewohner über dem Lande errichtet
hatten. Aber es sind zumeist nicht Namen, die bestimmten
Heimwesen angehörten , in ' denen sich die Wirthschaft jener
alten Ansiedler bewegt hatte; sie sagen nur aus von den Ge-
genden, die ihr Fuss betrat, ihre Rosse bei Jagd und Fehde
stampften, ihre Herden friedlich weideten. Selbst wo sie
wohnten, war nicht das Gehöft oder das Dorf das bleibende,
das seinen^Namen durch die Zeiten trug, sondern der Oi*t, wo
sie standea; er allein war stetig genug, dass er einen eignen
Namen verdiente^). Nur wo ein Mächtiger einmal sass, da
mochte wohl auch sein Name in dem Orte durch die Zeiten
klingen; aber äussei-st selten ist die patronymische Orts-
bezeichnung jener frühesten Zeit^). Aber schon die gix)sse
Seltenheit der Oi-tsnamen, die über die Zeit der endgültigen
Sesshaftigkeit hinaus reicht ^) , zeugt für ihre geringe Dauer-
haftigkeit; und dämm ist auch aus den Namen noch kein
Schluss auf Wohnungen und Oitschaften gestattet. Von Mor
und Heide, von Wald und lichtem Plan, von Fels und Bach
benannten sie die Gegend; aber ^nicht enthüllen uns die
Namen, welche heute die Oite führen, ob schon zur Zeit, da
sie entstanden, Wohnungen der Menschen an dieser Stätte
waren.
Nächst den Namen sind es dann die Gaugrenzen, welche
in diesem Gewoge der socialen Elemente einige Festigkeit
zeigen und damit den Ansiedelungen auch bei wechselnder Be-
völkerung eine gewisse Stetigkeit gaben. Die Feststellung
M Die ältestes Namen sind neben den FIusb- Wald- und Baomnamen
einfiiche Locative. Arnold, Ansiedelungen 124.
*) Waitz, Verf. GescL I, 79. Förstemann, Ortsnamen 178. Arnold,
Ansiedlungen 238.
^) Arnold a. a. 0. S. 62.
— 30 —
des Gebiets, auf dem sich ein neu anziehender Stamm nieder-
Hess, und das er nun seiner ausschliesslichen Herrschaft unter-
werfen wollte , gehört jedenfalls immer zu den ersten oi^ani*
satorischen Leistungen. Sie konnte um so weniger entbehrt
werden, da es bei den Deutschen zu jeder Zeit ein festgefQgter
Volksverband war, auf dem die Ordnung alles öffentlidien
Lebens beruhte. Ueber die Zugehörigkeit des Einzelnen zum
Volke konnte also nie ein Zweifel bestehen, wie er durch
unsichere 6augi*enzen stets hätte ^entstehen müssen. Gerade
das Gaufüi-stenthum aber ist die älteste Form einer organi-
sirten öffentlichen Gewalt, welche wir bei den deutschen
Stämmen finden ^). Der sociale, in der Heeresverfassung aus-
geprägte Zusammenhalt der Gaubevölkerung brachte es aber
auch mit sich, dass die Wanderungen meist y9n ganzen
Stämmen oder Gauverbänden ausgingen*) und daes ebenso
die besiegte oder vertriebene Bevölkerung immer wenigstens
die eines ganzen Gaues war. Gauweise also, wie das Volks-
heer zog, ging auch der Wechsel der Bevölkeining vor sich,
und die Grenze des Gaues, wie sie die abziehende Bevölkerung
festgestellt oder die überkommene gewahrt hatte, wurde auch
von den Ankömmlingen festgehalten. Jedes Hinausdrängen
über dieselbe hätte sie wieder in Gonflict mit einem ganzen
Gau gebracht, den sie sich unterwerfen oder dem sie sich
hätten unterordnen müssen. Verstärkt wurde diese Noth-
wendigkeit der Innehaltung der Gaugrenzen theils , durch
natürliche Momente, denen diese so gerne folgten (Flüsse,.
Gebirgszüge, Wälder), theils durch die Schwierigkeit neuer
Abmarkung derselben, theils durch die stets dauerhaft her-
gestellten, gut gepflegten Verhaue und NVälle^), welche die
^) Gaes. b. G. VI, 28: Prindpes regionom atqne pagomm Inter saot
108 dicont, controveniasque minuimt, 8. o. 8. 111
') So berichtet Tadtiu 6. 29 von einem Theil der Chatten, welche in
den Niederlanden die Civitatee der Bataver und Cannine&ten gründeten.
Femer auch Tac. Bist. 4, 12. S. a. Gieeebrecht, Qeschichte der deutschen
Eaiaerzeit, 4. Aufl. I, 69, und Bethmann-Hollweg, Qvilprooess IV, 1,
S. 88, der noch mehre Beispiele beibringt
') Schon Tacitns Ann. II, 19, 70 berichtet von dem lato aggere, der
— 31 -
Deatschen an den Gaugrenzen errichteten ; theils endlich auch
durch die überall wahiiiehmbare Neigung späterer deutscher
Ansiedelung, nicht in dichtgedrängten Massen an wenigen
Mittelpunkten des Gaues zu wohnen , sondern sich nach allen
Seiten hin in zei-streuten Gehöften oder wenig bevölkeiten
Dörfern anzusiedeln, was die Einhaltung sicherer Gaugrenzen
zur Stärkung und Sicherung des socialen Verbandes, wie zur
Sicherung eines unanfechtbaren Culturlandes für die Ansiedler
onerlässlich war. Eben dieser Umstand gestattete aber auch
die Innehaltung gegebener Gaugrenzen trotz beträchtlicher
Verschiedenheit der Volkszahl, da die zerstreute Besiedelung
des Landes die grössten Schwierigkeiten der Bodenbenutzung
aus dem Wege räumte; denn das urbare Land war dadurch
in nähere Verbindung mit dem Wiilhschaftshofe gesetzt, auch
jede Nutzung des Gemeinlands wesentlich erleichtert; überall
konnte leicht ein Heimwesen gedeihen, wo eine gedrängte
grosse Dorfanlage unmöglich gewesen wäre und nur wenige
nahe gelegene Fluren eine Bestellung hätten finden können.
Erst nachdem mit eingetretener Buhe die Stämme friedlich
neben einander wohnten und der Ausbau im Stammlande
erfolgte, konnte auch die Gaugrenze verändert werden, theils
durch Vorrücken der Ansiedelungen in die unbesetzten Ge-
biete, die sich oft in weiten Strecken zwischen den Gauen
hinzogen, theils durch freiwillige Verachmelzung der ange-
sessnen Bevölkerung, bis dann neue sociale Thatsachen wieder
gerade zu einer Festigung der Gaugebiete führten 0-
Aber doch auch die Ansiedelungen, wo sie je einmal
grössere Ausdehnung und festeren Bestand gewonnen hatten,
sind sicherlich für die Niederlassung späterer Völkerschaften
die Aogrivarier von den Chemskem schied. S. a. Maurer, Ein!. 215 and
Grimm RA. 541—548.
M Theilweise anderer Ansicht aber die Festigkeit der Gaogrenzen ist
Arnold Ansiedlangen 483 f. In seiner „deatschen Urzeit** S. 322 ff. be-
kämpft er aber vornehmlich doch nur die Anschaaang als ob die nrkond-
lieh bekannten Gaae des 7. und 8. Jahrhunderts noch dieselben seien, wie
sie in der Urzeit gebildet wurden; und damit kann man sich yollstftndig
önverstanden erklären.
- 32 —
nicht ganz bedeutungslos geblieben. Es wirkte hier vielfoch
schon die Natur des Landes bestimmend ein, welche die für
menschliche Wohnung geeigneten Stätten gerade in Zeiten
geringer Gultur mit prägnanter Schärfe anzeigt. Solche natür-
liche Standorte einer Bevölkerung haben sicherlich zu allen
Zeiten ihre Anziehungskraft ausgeübt, auch da, wo die älteren
Wohnungen vielleicht spurlos verschwunden waren und nur
noch der Oi-tsnaroe erhalten blieb, den sie aus der natürlichen
Beschaffenheit des Bodens geschöpft hatten. Aber vielfach
werden auch da, wo neue Völker sich niederliessen, die
Spuren alter Heimstätten nicht so vollkommen von der Erde
vertilgt worden sein, dass sich nicht an ihre Beste anknüpfen
liess. Das umbrochene, wohl auch abgemarkte Feld, die Wege,
Deiche, Dämme und Wehren, die Gruben und Keller, wohl
auch manches fest gefügte Gebälke waren die stummen
Zeugen, dass ein Volk sich's hier wohnlich eingerichtet und
wiesen durch ihr blosses Vorhandensein auf die Eignung des
Platzes zu menschlicher Bewohnung hin.
Wir sehen diess nicht blos daraus, dass sich die An-
wesenheit eines Volksstamms in einem bestimmten Gebiete,
wenn sie geraume Zeit hindurch gedauert hat, nun auch in
gewissen Ortsnamen ausprägt, die dann für alle Zeit erhalten
bleiben ; die Macht natürlicher Eignung für Ansiedelungen wird
auch bezeugt durch die ungeheui-e Zähigkeit, mit der gerade
die ältesten zuverlässigen Orte sich trotz aller wechselnden
Schicksale ihrer Bewohnung erhalten haben. So lassen sich die
charakteristischen Ortsbezeichnungen auf -wilare und -hofen,
die patronymischen auf -ingen, theilweise auch -beuren und
-Stätten von der Mosel und dem Mittelrhein durch Hessen,
Thüringen und Baieiii verfolgen, soweit auf ihren Wanderungen
die Alamannen gedrungen sind. Und umgekehrt geben die
Namen auf -doif, -statt etc. von den Wanderungsgrenzen der
Franken im Alamannenlande noch heute Zeugniss ^). Ja selbst
M Das hat in grandLicher und ttberzeogender Weise Arnold doreh
seine Namensforschungen dargethan in ^Ansiedlungen und Wanderungen
deutscher Stämme.*'
— 33 —
keltische und römische Ansiedelungen haben sich unter frän-
kischer und alamannischer , wie später unter bairischer Be-
völkerung behauptet und die Kraft des Beharrens erwiesen,
wo sich diesö auf natürliche Momente stützte. Und aus dem
Kreise wohlbeglaubigter ältester Ortsnamen sind auffallend
wenige wieder ausgeschieden, während von den später ge-
gitlndeten Orten yerhältnissmässig die meisten wohl wegen
Ungunst der Lage wieder ausgegangen sind ^). Dass aber der
Namen von bewohnten Orten, welche mit einiger Sicherheit
dieser ältesten Zeit zugewiesen werden können ; so auffallend
wenige sind, während wir doch die Volkszahl der deutschen
Stänmie wenigstens am Beginn der eigentlichen Völkerwan-
derung durchaus nicht unterschätzen düifen, das findet seine
Erklärung zum guten Theil nur darin, dass sie entweder für
grössere Gebiete galten, also einen Inbegriff von mehr oder
weniger zerstreuten Wohnungen bedeuteten, oder dass sich
nur solche Ortschaften bleibend zu erhalten vermochten, welche
in grösserer Anzahl der Wohnstätten und zusammenhängender
Weise gebaut, eigentliche Dörfer bildeten, während sich vom
einzelnen Gehöfte leicht jede Spur verlor. Und nur so ist es
auch zu erklären, dass sich die neu anziehenden Stämme
immer wieder auf die Ortsgi'ündung verlegen mussten und
damit immer wieder Spuren ihrer einstmaligen Anwesenheit
neben den bereits vorhandenen Ortschaften ihrer Vorgänger
den kommenden Geschlechtem überliefei*ten.
Auf diesen wenigen festen Stützpunkten also beruhten
jene Ansiedelungen, welche von der Mitte des 5. Jahrhunderts
an bestimmt waren, bleibende und dauerhafte Niederlassungen
der deutschen Völker zu werden und eine stetige Entwickelung
zu immer höherer Gultur zu erleben.
Wo die Ansiedelungen einer früheren Zeit nicht mehr zer-
stört waren und ihre Bevölkerung gewechselt hatten, da
konnten sie nun kraftvollere Wurzel sdilagen und reicher sich
entfalten ; aber auch junge Besiedelungen, sobald nur das Ge-
fühl leidlicher Sicherheit durch die staatenbildenden Schöpfun-
0 Arnold a. a. o. S. 14.
▼ OB Inama-Sternegg, WirthMhaftagwehiehta. I. 8
- 34 -
gen und Ordnungen der Franken erzeugt waren, erwiesen
rasch die Kraft der deutschen Colonisationsbestrebungen. Die
Zeit vom 6.~8. Jahrhundert, in welche so recht eigentlich der
Ausbau der Stammländer durch die Gaugenossen fällt, ist
eine Zeit reichen Schaffens und Wirkens. Aus den primitiven
Zuständen der mit Haus und Gut wandernden Stämme ent-
wickeln sich die Deutschen zu einem Volke, reif genug, um
durch einen schöpferischen Geist wie Karls d. Gr. zu einer
politischen Nation gemacht zu werden.
Und es ist in ernster Reihe die rasche Zunahme der Inten-
sität der Ansiedelungen, durch welche solches erreicht wurde.
Die Bewohnung am Schlüsse der Völkei*wanderung ist im all-
gemeinen noch sehr dünn ; die Volksmenge selbst kaum so gross
als vor dieser Zeit; denn zu all dem, was die unablässigen
Kämpfe der Heiroath veinichteten, und was auf fortwährenden
Wandeiningen besonders to zarten Kinderleben zu Grunde
ging, ist der beständige Abfluss der Bevölkerung nach Osten
zu den Gothen und Hunnen, nach dem Süden (Itiüien, Afrika),
Westen (Gallien, Spanien) und Norden (England, Skandinavien)
in's Auge zu fassen. Die ältere nicht deutsche Bevölkerung
deutscher Gebiete aber verlor sich immer mehr; gerade die
lange Bewahmng des Heidenthums der Deutschen in G^enden
die früher romanische Bevölkeiiing hatten, wie z. B. Toxan-
drien, Brabant, Ardennengebiet u. a. deutet auf ein fast
gänzliches Verschwinden der älteren Bevölkerung und damit
auf wenig dichte Bewohnung hin^).
Nur in Ländern mit grösserer Stetigkeit der Bevölkerung,
im alamannischen Stammlande, Hessengau, Rheingau, Fries-
land mag mit zahlreicherer Einwohnei-schaft ein dichteres
Wohnen schon fiilhzeitig stattgefunden haben.
Im allgemeinen aber ist sicherlich noch ein starkes Ueber-
gewicht des Wald- Oed- und Sumpflandes der herrschende
Charakter deutscher Landschaften *) ; die bewohnten Orte stark
^) S. Roth, Geschichte des Beneficialwesens S. 65 f.
*) Die Schilderungen der Alten könnten auch für diese Zeit noch
gelten: Tac Germ. 5: terra etsi aliquanto specie differt, in umversaai
tarnen aut silvis horrida aut paludibus foeda, humidior qua Gallias, Ten*
- 35 —
Tereinzdt und zei*8treat, Von Wald und Oedland rings um-
whlossen ; die Ansiedelungen selbst aber, von denen die weitere
Golonisation und der Ausbau des Landes ausging, sehr ver-
schieden je nach der Bodenbeschaffenheit und Gegend , sowie
nach den die Ansiedelung begleitenden Umständen.
Das allerdings scheint allen deutschen Völkern gemein-
sam zu sein, dass auch diese letzten Ansiedelungen von
grösseren Haufen gemeinsam ausgingen, deren Zusammenhang
durch den Heeresverband ausser Zweifel ist. Und sicher
waren es gi'&ssere Abtheilungen als die Hundertschaften, aber
auch nicht ganze Völkerschaften, welche so gemeinsam sich
neue Ansitze bereiteten^). Die in wirthschaftlicher Hinsicht
jedenfalls wichtigste Gemeinschaft der Ansiedelungen war der
Gau, in welchem sich sowohl der sociale Zusammenhang des
Stammes, wie der wiiiihschaftliche Verband der Marknutzung
darstellte. Freilich dürfen wir dabei weniger an die grossen
Gaue ganzer Völkerschaften '), als vielmehr an jene kleineren
Gaue denken, welche bei allen deutschen Völkerstämmen
schon vor Beginn der urkundlichen Zeit hervortreten*) und
sowohl durch ihre Namen als durch ihre Einrichtungen sich
als die älteste Form eines eigentlich markgenossenschaftlichen
Verbandes documenüren^). Allei'dings waren auch sie von sehr
tofiior qua Noricum ac Pannonia aspidt; Mela de sit orb. III, 3: terra
ipea, multis impedita fluminibos, moltis montibus aspera et magna es
parte rilvis ac paludibas invia. S. a. Arnold a. a. 0. S. 17: „Die reiche
Synonymik, die wir in den alten Namen für die einfachen Begpriffe Sumpf
und Wald finden, zeigt uns, dass das Land ursprünglich in der That
nichts weiter als sumpfiger Urwald war. S. a. 8. Abschnitt
1) Vgl Ammian. Marc. XV, 4, XYII, 10, XXI, 3 von den pagi der
Alamannen.
*) Vgl. Bardengau, Hessengau, Suevogau u. a. Vgl i. A. Waitz I,
142, weldier mit Weiske, Maurer (Sohn), Roth und anderen Neueren den
Qwa als Unterabtheilung der Völkerschaft auffasst.
*) Caes. b. 6. IV, 1: Hi (die Sueven) centum pagos habere dicuntur.
Tac Germ. 39: (Semnones) centum pagis habitänt
*) Vita S. Bonif. c. 11 (34) SS. U, 849: quae (Fresonum) gens interia-
oentibus aqnis in multos agrorum dividitur pagos ita, ut diversis appellati
nominibus, tamen gentis proprietatem portendunt. Auch die s&chsischen
gö waren klein; nach einer (allerdings un&chten) Urkunde Karls d. Gr.
3*
— 36 -
erheblieh verschiedener Grösse und es ist im Einzelnen viel-
fach sehr schwer, die sociale und wirthschaftliche Bedeutung
der Gaue zu bestimmen. Aber doch soviel kann als sicher
angenommen werden, dass überall grössere Gemeinschaften
der Ansiedler mit gemeiner Marknutzung ihres Gebietes den
Grundbau der socialen und ökonomischen Gebietsgliederung
in der ältesten Periode unserer Geschichte bildeten^). Denn
immer, wo es anging, siedelte sich der Stamm auf weitem
Gebiete an; das Bedürfhiss nach Land war bei sehr exten-
siver Wirthschaft gross; die Neigungen der Deutschen zu
starker Bewegung auch in Friedenszeit einer engen Begren-
zung nicht günstig; das Verlangen bei der raschen Ver-
mehrung der Bevölkeiiing auch kommenden Geschlechtem
Land zu sichern, mindestens ebenso mächtig in dieser Bich-
tung wirksam, als der Wunsch, andere Stämme thunlichst
fem von eignem Culturlande zu halten ').
Daraus ergab sich dann auch zunächst wenigstens eine
weite Gaumark, Land zur Gemeinbenutzung aller Gaugenossen ;
fbr Bremen (Lappenberg hambnrg. Ürk. B., S. 5) wftren mehre solche
pagi vereinigt worden, am 2 Provinzen (Qane) daraus zu machen. S.
V^aitz I, 164. Auch die Kleinheit der Gebiete der späteren sächsischen
Gögrafen erinnert daran. Vftltz m, 820. Ebenso auch Beda hist eccL
y, 10: Non habent regem iidem antiqoi Saxones, sed satrapes plarimos
snae genti praepositos. Hucbald in vita Lebuini SS. n, 861 nennt sie
prindpes, welche singolis pagis praeerant singoli.
^) Daher aoch die ftltesten Urkonden regelmässig der Gane zur Be-
zeichnung der Lage von Ortschaften gedenken. Dass auch in Sachsen
die Ganeintheilung nicht von Karl d. Gr. eingeflUurt, sondern nur die
Graftchaften auf der vorhandenen Grundlage der Gaue geschaffen wurden
s. Unger öffentliches Recht S. 86. Waitz m, 820.
*) Caes. b. G. lY, 8: Publice mazimam pntant esse laudem (Suevi),
quam latissime a suis finibus vacare agros. . . . Itaque una ex parte a
Suevis cirdter milia passuum 600 agri vacare dicontur. ib. VI, 23: (Svi*
tatibus maxima laus est, quam latissimas circum se vastatis finUtus soll»
tndines habere. Hoc proprium virtutis existimant, expulsos agris finitimoe
eedere, neque quemquam prope andere consistere: simul hoc se fore
tntiores arbitrantur, repentinae incursionis timore sublato. Beispiele grosser
BCarken, die freilidi nicht all^ als Dorfinarken gelten können bei Manrer
EinL 471 176 f. Dorfverf. I, 22.
— 87 -
denn immer kömmt solches Gebiet nicht bloss für wirthschaft-
liehe Nutzung, sondern auch als Schutz in Betracht, und
soweit musste es der Verfügung Einzelner oder auch einzelner
Abtheilungen der Gaugenossenschaft jedenfalls entzogen sein.
Fflr das Vorhandensein einer Qemeinmark dieser Gaue Iftsst
sich sowohl auf die urkundlichen Erwähnungen von Gaumarken
und eines allen Gaugenossen zustehenden Nutzung8i*echtes
an grösseren Wald- und Weidegebieten hinweisen als auch
auf die noch später vorhandenen grossen Allmenden, welche
mehreren Dörfern und Gentenen gemeinschaftliche Nutzung
boten *).
War der Stamm gross, der solchen Gau besetzte, so
ergab sich das Bedttrfhiss einer weiteren Gliederung von selbst;
und auch diese schloss sich dann wieder an die gegebenen
Heeresabtheilungen an; die Geschlechter erhielten als Ganzes
ihren Antheil am Gau zugewiesen und mit ihnen eine eigne
Mark *), ohne welche die altdeutsche Auffassung selbständigen
Landbesitz gar nicht denken konnte. Diese Gentenen und
Gentalmenden sind insbesondere in Franken und Alamannien *)
zu beobachten, werden aber in den Quellen nicht selten selbst
Gaue genannt^).
Bei kleinen Stämmen aber, die nur wenige Gentenen um-
schlossen, war das Bedürfoiss nach solcher Gliederung nicht
1) Cod. Laoresh. n, 598—595: Scaflenzer marca — in pago Scaflenz-
gowe. Cod. Fald. 100: in pago Grabfeldonomarca. ib 268: in pago Sala-
gewe et in marca Salagewono. Maorer, Einleitong S. 191 ff. Landau,
Territorien 190, wo mehre Beispiele, in denen Ar pagos aach marca ge-
braacht wird, den Charakter des Oanes als Markgemeinde andeuten.
*) Tr. SangaU. 419 : in pago Torgaugenn quod spedaliter Waldram«
mishnntari vocator. ib. 444: in pago Dorgoagensi et üi sita Waldramnis-
hnndari. Hierher zählen wohl anch die 118 Marken im Stifte Osnabrück
b. Lodtmann Acta Dan. I, ISfL
*) StaUn Wirt Gesch. I, 157.
^) Tr. SangaU. I, 184: infra marcha illa qoi vocatnr Muntariheshontari
ib. S72£. in oentena Roadoltes hnntre. Aber auch ib. 128: in pago qoi
didtor Hattenhontari. Ueber Cent- und Gaumarkgenossenschaft i. A. vgL
Thndichum, Gau- mid Markenverfiiasung S. 181 f. Stave, Yerfiusang der
Landgemeinden in Niedersachsen S. 115£ Gierke, Genossenschaftsrecht
1,89 ff:
— 38 —
vorhandeB. Es genügte, der Bftchsten Sippe Land zuzuweisen^
das sie dann bald vertheilte, bald in Gemeinschaft behielt.
Die Yertheilung des Gaues geschah sicherlich durch die
Stammeshäupter kraft ihrer Autorit&t und ihres militärischen
Befehls, wohl aber zugleich unter Berathung und Zustinmiung^
der Volks- und Wafifen- Genossen, wie das eben deutsche Art
war; die Vertheilung der Ländereien in den einzelnen Gentenen
und Gemeindegemarkungen an die Angehörigen der Sippe eher
durch das Loos ^) ; bei den letzteren ist es wohl auch denkbar^
dass das Gebiet zunächst ganz unvertheilt blieb und gemein-
schaftlich bewirthschaftet wui'de.
Es muss dahin gestellt bleiben , ob gleich anfangs die
Theile vermessen wurden, oder ob nur eine ungefähre Be-
messung der Grösse des zuzuweisenden Gebietes stattüand»
Doch finden sich schon frühzeitig einzelne Ackerstttcke *), die
YOigängige Vermessung nothwendig machten ; und das Geschäft
der Vermessung war den Deutschen wohlbekannt').
Immerhin aber war solches zunächst nur Bedttiiniss, we
die Ansiedler dorfweise sich niederliessen und das fbr die
Bodencultur nothwendige Land den einzelnen Wirthschaften
zu Eigen oder selbständiger individueller Nutzung aus der
gemeinen Mark auswiesen. Denn hier musste von Anfang an
eine Feldvertheilung stattfinden , bei der jeder selbständigen^
^) Waiti n, 224 zeigt, daas der Ansdrack son in den Denkmälern
des fränkischen Reichs nicht die Bedeutung habe, welche ihm bei den-
jenigen deutschen Stämmen zukömmt, die, wie die Borgander und West-
goihen mit den nnterworfiien Römern in eine Individoaltheilnng des Grand«
besitzes sich eingelassen haben. Aber den AntheU, den der Einzefaie in
der Feldmark erhalten hat, drückt das Wort, wie das bairische hlnz, doch.
▼ielfBush ans; aUerdings findet es seine Qberwiegende Anwendung bei der
Erbtheilnng und AosdrAcke wie sortes ingenniles (Beyer mitteb-hein.
Urk. B. I, 184), sortes serriles (Cod. Lanresh. 697 and bei Roth Benef.
W. S. 64 N.) schliessen doch jede Beziehung auf die Landvertheilang
innerhalb der Oenoäenschaft ans, da diese sich ja nur auf Freie erstreckte.
■) Schon Trad. Wizzemburg. 712, no. 174 de terra arabili jornales 10
in campo ono. Besonders merkwürdig aber ist Tr. Wiiz. 718, ao. 285:
▼idedi (vendidi) campo et silya insimul tenentis in Gilbociaga maroa ia
Remnne tilare — de ipsa silya sua portione perticas 91.
>) Aosfthrlich handelt davon Gaapp, Ansiedlangen S. 202£
— 39 —
vollberechtigten Familie wenigstens Land in verschiedenen
Ackerstacken und in verschiedenen Theilen der Feldmark des
Dorfes zufallen konnte, damit die Gleichberechtigten nun auch
annähernd gleichwertige Antheile erhalten und in Bezug auf
Lage der Feldstücke zum Wii-thschaftshofe , Qualität des
BodenSy und äussere Bedingungen seiner natürlichen Fi-ucht-
barkeit annähernd gleichgestellt sein konnten^).
Diese Gemengelage der Felder, welche zu den einzelnen
Wirthschaftshöfen des Dorfes gehörten, brachte dann aber
auch die Rücksicht auf die gemeinübliche Wirthschaftsweise
mit Nothwendigkeit zur Geltung und diese äusserte sich zuerst
wieder in einer Haupteintheilung der Dorffeldmark in so viele
Abschnitte, als die Wirthschaft der Doi-fgenossen regelmässige
Culturen neben einander betrieb ; bei roher Feldgraswirthschaft
also wenigstens eigne Abtheilungen des Acker- und des
Dreeachlandes , die mit einander abwechselten, bei Felder-
system wenigstens Ackerfeld und Brachfeld neben eignen
Wiesen und der ewigen Weide. In jedem solchen Haupt-
abschnitte dann musste jeder Genosse dieser bäuerlichen
Wirthschaft seinen Antheü erhalten, damit er ebenso den
übrigen gleichgehalten sei in der Austheilung, wie eingefügt in
die unerlässliche Ordnung der landwirthschaftlichen Interessen.
Bei hofinässiger Auseinandersetzung der Gemarkung aber,
wo Jeder um seinen Wirthschaftshof heiiim sich seine Felder
selbst bereitete und keine Rücksicht auf die Nachbaran ihn,
noch die Gemeinde band, da war das alles zu vermeiden; und
es ist gewiss nicht zufällig, weist vielmehr gerade auf die
Verschiedenheit bei der ei-sten Vertheilung zurück, dass in
Gegenden ui'alten Hofaystems die Grösse der einzelnen Güter
nicht nach den sonst üblichen Ackermassen, sondern nur nach
den Gutsgrenzen bezeichnet ist^.
^) Sehr anschaulich sind diese Vorgänge neaestens geschildert durch
Meikcen, die Ausbreitung der Deutschen in Deutschland in den Jahr-
hOchem f. Nat Oek^ Bd. 32.
*) 8. Stare, Verfassung der Landgemeinden S. 32, und Landau, Terri-
torien S. 16; auch meine Untersuchungen über das Hofisystem im Mittel-
alter 8. 781
— 40 —
In welchen Formen und Einrichtungen sich nun diese
endgültige Besiedelung des deutschen Bodens vollzog, darüber
lässt sich bei dem gänzlichen Mangel an positiven Nachrichten
und bei den schwachen Spuren alter Ansiedelungen, weiche
eine sichere Zeitbestimmung zulassen, überhaupt nichts be-
stimmtes aussagen, als dass die Deutschen dem städtischen
Wohnen abhold waren *). Sehen wir ab von des Tacitus viel-
deutigen Worten, in welchen Hof- und Dorfsystem ausgediilekt
sein kann *), und die damaligen nicht so prägnanten unter-
schiede der Ansiedelungsform wohl auch gleichzeitig ausgedrückt
sein sollen, so haben wir nur von den Warfen der Noi-dsee-
marschen bei Pliniuä eine bestimmte NachricKt. Diese auf
natürlichen und künstlichen Erdhügeln zum Schutze gegen
die Fluth angelegten Hochdörfer') der Friesen und Sachsen
sind aber zu Ende der Periode sicherlich zumeist schon auf-
gegeben, und an ihre Stelle ist ein Ausbau der Wohnungen
überwiegend nach Hofsystem mit durcbgefQhrterFeldvertheilung
an die einzelnen Höfe getreten^); wenigstens sprechen die
^) Tac. Germ. 16: NuUas Germanonun popolis urbes habitari satb
notnm est. Amm. Marc. rer. gest XVI, 2, 12: Kam ipsa oppida ut dr-
comdata retiis busta declinant.
*) Germ. 16 : Colant discreti ac diveni, at fons, at campns, at nenuis
placoit. YicoB locant non in nostram morem, connezis et eohaereotibuB
aedificiis : soam quisqae domum spatio drcomdat Es ist hier wohl ge-
stattet, noch einmal gegen Hanssens Recension meiner y^üntersuchungen
über das Hofoystem** in den Göttinger gel. Anz. 1873 No. 24, S. 941 ni
betonen, dass ich 1. e. S. 87 nur behauptete: „Die Schilderungen des
Tacitus stehen der Annahme eines ursprünglichen Hofisystems nicht nur
nicht entgegen, sondern lassen sogar in ihrem ganzen üm£uige eine
Besiehung auf die germanischen Ansiedelungen sn, welche hefweise Tor
sich gegangen sind.** Ich verkenne aber keineswegs, dass Tadtus auch
dorfinftssige Ansiedelung gekannt habe, wie ich das 1. c. S. 27 auch mm
unzweideutigen Ausdrucke brachte. Auf die weitläufige Literatur des
ganzen Streites über diese Stelle ist es wohl nicht nöthig, weiter einiu-
gehen; vgl. Waitz I, 108 ff.; mein Ho&ystem S. 22—43. Hanssens Ter>
dienste um Begründung eines richtigen Verständnisses des Tacttos habe
ich besonders anerkannt in Raumer-Riehls bist Taschenbuch 1874, 8. 101 ft
') PliniuB h. n. 4, 15.
^) Es muss dahingestellt bleiben, wie weit diese Verftndenmg mit
— 41 —
Yolksreehte der Friesen nnd Sachsen mit keinem Worte mehr
YOD den Warfen. Nor als Gerichtsst&tten scheinen sie noch
länger beibehalten worden zu sein, wo von fiberall her die
freien Friesen zur Versammlung dntrafenO- Dagegen sind
viele Anhaltspunkte vorhanden, welche für diese Zeit das
Hofisystem oder wenigstens ein System starker Zersplitterung
der Ansiedelungen wahrscheinlich machen. Das friesische
Volksrecht spricht von villa immer nur^m Sinne eines Einzeln-
gutes'); Dörfer werden weder hier noch in der lex Saxonum
erwähnt Die Einzelhöfe sind seit unvordenklicher Zeit auf
dem oldenburgischen Marsch- und Geestboden "), auch an den
Ostseekiisten % in Niedersachsen (Osnabrfick) und Westfalen ;
selbst im Erzgebirge finden sich noch hinlängliche Spuren
eines alten Hofsystems ^). Nur im inneiii Sachsen, bei den
Engem und Ostfalen sind geschlossene Dörfer häufig*) und
es mag einigermassen diesen Gegensatz berühren, dass die
westfälischen Ortschaften in der Regel auf -hof , die inner-
sächsischen auf -hausen (Pluralis von haus) endigen % Doch
sind auch von diesen Dörfern viele als Uebergangsdörfer, d. h.
aus Ein2elansiedelungen hervorgegangen, zu bezeichnen, wie
sie insbesondere zwischen Lüneburg und Lippe vorkommen ^.
der unter Karl d. Gr. erfolgten omfassenden Anlage yon Winterdeichen
znsanuneDhftngt
') S. Ad. Brem. descr. ins. c. 21 SS. YII, S77: Concilio popnlomm
«ommoni qaod ab ispis warb (warph) vocator. Richthofen S. 1126.
*) L. Fris. IV, 9 (LL III, 662) illnm yero (canem) qui nihil facere
solet, sed tantam in carte et in villa iacet, cam 1 tremisse componat ib.
XVn, 4 (LL. in, 671) Qui mann collecta hostititer nllam vel domom altoins
droondederit
*) S. Archiv f&r politische Oekonomie N. F. YD, 165 ff.
^) Oanpp, Ansiedlongen S. 564.
^ Berg, Geschichte der deutschen Wftlder;S. 21.
*) Haussen bei Falk nenes staatsbOrgerliches Magazin VI, 8. Dagegen
Seibertz Rechtsgeschichte von Westphalen I, 50.
'') Seibertz a. a. 0.
*) Schanmann, Gesch. d. niedersftchs. Volkes L 145. Nach ihm ist das
System des Einzelwohnens in der ältesten Zeit dorch ganz Sachsen als
hensdiend anzunehmen. Haxthausen, Agrarverfiassang S. 10 ftdirt das-
selbe anf eine Eigenth&mlichkeit des ingftvonisch* germanischen Stammes
— 42 - •
Von den Franken, sowohl den salischen wie den ripoa-
tischen und den ihnen verwandten Chatten hat man aUgemeiik
die dorfmässige Ansiedelung als Regel angenommen. Aber
das wenigstens, was sich aus der lex Salica ergibt, Iftsst uns.
daran zweifeln. Zwar kann man ein Ho&ystem für die
Salier nicht mehr, wie das früher geschah, aus dem Salgut
(terra salica) folgern, das immer um die Wohnungen herum
gelegen gewesen w&re ^). Denn weder ist das allgemein oder
auch nur regelmässig der Fall, noch auch steht die terra salica.
Überhaupt mit der Form der jBesiedelung oder speciell mit dem
salischen Volksstamme in Zusammenhang. Wohl aber ist ea
bemerkenswerth, dass Hofsystem noch jetzt in der nieder*
rheinischen Ebene herrscht und sich durch Brabant und Flan-
dern, den Sitzen der alten Salier, bis in die französische Nor*
mandie eratreckt *).
Für die Erkenntniss der salischen Ansiedelungsweise dieneik
aber mehrere spedelle quellenmftssige Anhaltspunkte. Schoa
aus dem Umstände, dass die salischen Hundertschaften sich
aDe acht Tage versammelten % lässt sich der Schluss ziehen^
dass sie nicht allzu ausgedehnt gewesen sein werden ; innerhalb
derselben konnten also kaum geschlossene Ortschaften von der
Bedeutung der Dörfer häufig sein.
Femer ist den SaUem die Ortsbezeichnung auf -heim be-
zurück, w&hrend die Hennionen im südlichen Deatschland die von den.
Kelten herrührende DorfVerfiusung angenommen h&tten. Aach Meitzen,
der Boden etc. Preasaens I, 846, betont die Gegensätze der Stammes-
eigenthümlichkeiten.
^) So z. B. Jnsti, Polizeiwissenschaft I, 356, 760.
*) Meitzen, der Boden I, 846. Hazthansen, AgranrerfiasBnng S. 10..
Mein Hoftystem S. 71. Aach Jacobi, Fonchangen über das Agrarwesea
der altenbnrgischen Osterlande. 8ep. Abdr. der Leipziger lUuBtr. Zei->
tang 1845.
') Das geht aas den 7tAgig8n Fristen hervor, L. SaL XL, 8: Et ai
iteram ad alias Septem noetes pladtam fiuaat . . Aach ib. c. 7, 10, tit LIL
8. Waitz, das alte Recht der salischen Fhmken 8. 144. Später sind die
regehnässigen GerichtSTersasmdongen aach bei den Saliern, wie immer bei
den Ripaariem alle 14 Tage abgehalten worden. Chlodoy. cap. add. c. 6|
LL. II, 7. L. Bip. 80, 12; 88. 2; 61, 1; 62, 2.
- 43 -
sonders zu eigen, welche, ursprünglich gleichbedeutend mit
haus, bei patronymischer Zusammensetzimg auf anfängliche
Ansiedelungen einzelner Familien hinweist ^). Auch gebraucht
die lex Salica das Wort villa fast immer zweifellos für Einzel-
gut') nur an der einzigen Stelle über die Niederlassung
(tit 45) ^) von stärker bevölkerten Ortschaften, die fieilich dess-
wegen noch nicht nothwendig geschlossene Dörfer zu sein
brauchen. Besonders auffällig ist dieser Gebrauch des Weites
Villa im Sinne eines Gehöfts an jener Stelle, wo die Busse
fbr den Stier festgestellt vrird^ der die Kühe von drei villae
versorgt^). Hier sind die villae gewiss keine Dörfer, wie das
allgemein angenommen wird; denn ein Stier würde für die
Kühe von drei Dörfern sicher nicht ausgereicht haben. Nach
der lex Salica selbst^) bildeten 12 Kühe eine Heerde (wirth-
schafUiche Einheit) und auch andere Volksrechte halten an
dieser Zahl fest ^ ; für eine jede solche Heerde aber muss nach
den Volksrechten regelmässig ein Stier angenommen werden ^).
Der öffentliche Schutz, welcher in der Composition dieses «tau-
rus trespellius** lag, konnte ebensowohl 8 einzelnen Gehöften»
^) GniF, altdeatscher Sprachschatz IV, 946. WaiU, das alte Becht
S. 58. 8. dagegen Birlinger Alamannia VI, 25, womach die Ortsnamen
auf •heim immer grössere Niederlassungen anzeigen.
>) So insbesondere tit 14, 6: Si quis villa aliena adsalierit, quanti in
eo contabemio probantor, h. e. solid. 68 calp. jadicetor; 42, 5: Si quis
TiUam alienam expagnaverit et res ibi invaserit. Andere Lesarten (Par-
deasQS 8, Text): Si qn. tres yillas aUenas eraserit; (Herold): si qu.
contabemio facto yillas alienas cum tribos effiregerit
') L. Sal 45, 1: de migrantibos: Si quis saper altenun in villa mi-
grare voloerit, si onos vel aliqoi de ipsis qai in villa consistunt, eam
tmscipere volaerit etc.
*) L. Sal. III, 5: Si vero taaros ipse de tres villas commanis vaccas
tennerit
*) L. Sal. III, 6: Si qnis 12 animalia foraverit (daza die Malberg.
fflosse in vielen Texten sanesta — Heerde gibt).
•) L. Bipoar. 18, 1 ; L. Alam. 76f. 81.
^ Vgl aach den Yiehstand auf den königliehen Fiskalgatem LL. I,
176 ff: in Staffelsee 1 Stier f&r 20 KOhe; in Asnapiom 8 Stiere ftr 50
Kfthe, anf einem andern Gate sogar für 80. S. die Tabelle No. YII im
Anhange.
- 44 —
als 8 Döi-fem zukommen. Jeder hatte ein ganzes Interesse
an dem gemeinschaftlichen Stiei*^).
Auch die Erw&hnung von yillae in einem Capitular Chlo-
devechs (509 — 511)^) kann fQr die dörfliche Ansiedelung der
Salier auf ihrem heimischen Gebiete nichts beweisen, so wenig
als für das Dasein einer Feldgemeinschaft der Markgenossen-
schaft. Vielmehl' möchte die Stelle als weiterer Beleg
fbr den Sprachgebrauch dienen, welche villa gleich Gehöft
nimmt; denn der „campus" und »ager" sind in dieser Zeit
wohl allgemein schon als Ackerland in Sondereigenthum za
verstehen, wie diess auch aus den ältesten Traditionsurkunden
deutlich hervor geht'); und aberdiess deutet besonders der Auf-
druck „vestibulum"' auf den hofmässigen Abschluss der villa'^).
Für das Gebiet der ripuarischen Franken und der Chatten
stehen noch weniger Anhaltspunkt zur Beifrtheilung ihr^
ältesten Ansiedelungsformen zu Gebote. Gegenwärtig und seit
unvordenklicher Zeit herrscht da das Dorfisystem ^) und schon
^) Vgl zu dieser Stelle noch besonders Leo, die malbergisclie Glosse
I, 101 und Maurer, Einleitung S. 151, die beide nach Terschiedeaen
Bichtongen viel za weit in ihren Erklärungen gehen.
^ c 9 (LL. II, 4): De hominem inter duas villas occisum. Sicat
adsolet, homo iuzta villa aut inter duas TiUas proximas sibi vicinas iuerit
interfectus, ut homiddia illa non appareat .... Si vero non venerit
qui corpus agnoscat, tnnc vicini iUi in quorum campo vel ezitnm oorpiu
inventum est, debet iacere bargo ... Et debet iudex nuntiare etdieere:
homo iste in yestro agro aut in vestibulo est ocdsus. YgL 8. Abschn.
') Schon die L. Sal. selbst gibt daftir ap verscfaiednen Stellen Zragnias:
tit 27, 8: Si quis de campo alieno lino furayerit ib. Zus. 7: Si quis in
agrum alienum arborem insertum ezdderit; 27, 14: 8i quis campo aUeno
araverit extra consilium domini sui u. ö. Von' den I^raditionsaiinindfln
sind insbesondere die Tr. Wizzemb. wichtig: 712 no. 174: iumalea 10
in campo uno; 713 no. 244: 1 campus in longo . . tisas 2 mensurataa
u. oft.
*) Wenigstens ist es eine ganz verwandte Ausdrucksweise . wenn ea
in dem Weisth. von Patsch (Tirol. Weisth. I, 250 Zeile 12 heisst: der
Pfrauner (Einzelhöfe) veldt und ir haustmhen, s. meine „Ausbildung der
grossen Grundherrschaften*' S. 112 A. 13.
*) Es ist immerhin belangreich, dass das Wort Dorf besonders bei
Franken, Hessen und ThOringem gebrtachliches Element der Ortnamen
ist. Arnold 872.
— 45 —
in der Earolingerzeit sind Dörfer mit oft sehr ausgedehnten
Feldmarken oder aber sehr dichter, das Ho&ystem ausschlies-*
sender Bewohnung erwähnt^). Auch fallen spedell in ripua-
risches Gebiet jene Gehöfei'schaften, welche in tiefeingreifender
Feldgemeinschaft seit lange bestehen und mit ihi'er Dorfanlage
und Gemengelage der Felder vielfach sogar als Prototyp des
altdeutschen Urdorfes angesehen werden^).
Aber doch sind auch hier einige Momente in Rücksicht
zu ziehen, welche auf ein durchgreifendes Dorfsystem nicht
passen wollen. Wir legen keinen Werth auf den alten Spott-
vers, dass in Hessen nur 6 Dörfer waren'); er scheint mehr
die Kleinheit des Hessenlandes zu verhöhnen, nachdem ein
guter Theil des alten Hessengaues erobemden sächsischen
St&mmen zugefallen war. Aber doch nimmt man gerade von
diesem Lande ein Nebeneinanderbestehen von Dorf- und Hof-
system seit ältester Zeit an^). Auch bleibt es bemerkens-
werth, dass die freien Geschlechter des fränkischen Stammes
durchweg noch im 10. Jahrhundert die Burgen und Wohn-
sitze auf ihren AUodialgütem in den unwirthlichsten , ab-
gelegendsten Waldschluchten der Eifel, Ardennen, des Soon-
Hoch- und Westerwaldes haben*).
Auch den Alamannen scheint, wie den Franken, eine
bestimmte Ansiedelungsform keineswegs eigenthomlieh zu sein.
Im Elsass lebten sie bis tief in das 8. Jahrhundert hinein
unter Herzogen in Städten und Dörfern ^) ; die rechtsrheini-
^) So z. B. uin&sBte die villa Tininga 762 nach der Schenkung Pipins
(Schannat Tr. Fnld. S. 10) 50 hob. domin. 28 hob. lidiles, 8 hob. ecdes.
BasQ 400 jngera, 400 pratorom carrad., 9 molend. nebst 28 fiunil. seniles
und 28 famil. lidiles. 786 (Cod. Fuld. 84) betr> die marca des locus
Biberbach 80 Höfen und 880 Mandpien. 817 Cod. Fold. 825 a der Ort
Bingenheim 87 Mausen. Vgl. n. Buch, 1. Abschn.
*) Haussen, die Qehöfenchaften (in den AbhandL der Berliner Aca-
demie) 1868.
*) Arnold, Ansiedinngen S. 64: Dissen, Dente, Haldorf, Ritte, Banne»
Besse, das sind der Hessendörfer alle sesse.
*) Arnold, Ansiedlangen S. 597. 602.
^ Mittelrhein, ürkondenbuch U, 8. LXXI.
*) Birlinger alamann. Sprache I, 8. 1868.
— 46 -
sehen und scbweizerischen Alamannen dagegen in Gehöften
unter Gaugrafen ^). Es lässt sich dafür schon aus einer Stdle
des alaroannischen Volksrechts ein Beweis finden, welche die
Composition fQr den Hirtenhund festsetzt, der auf den Ruf
bis zur dritten villa läuft*), eine Ausdrucksweise, welche
weder auf Dörfer, noch auf die einzelnen Gehöfte in geschlos-
senen Orten, wohl aber auf benachbarte Einzelhöfe eine
passende Anwendung findet. Noch jetzt besteht dieser Gegen-
satz, indem im Odenwalde, längs der Bergstrasse eine Reihe
uralter, doch wohl alamannischer Dörfer sich finden, in den
engen Seitenthälem dagegen Einzelhöfe mit offenbar uralter
genossenschaftlicher Anlage herrschen').
Aber doch scheinen auch die Dörfer des Elsass ui^sprUng-
lich sehr klein gewesen zu sein ; sie heissen im 8. Jahrhunderte
fast immer noch wilare, während dieselben Namen im 9. Jahr-
hunderte dann die Endung mit -dorf erhalten^). Einzelne
haben allerdings schon früh im 8. Jahrhunderte viele Gäter
in sich begriffen^), daher dörfliches Wohnen sehr nahe liegt;
0 St&lin, Wirttembergische Geschichte I, 157.
<) L. Alam. 84 c. 4 (canis pastoralis], qai ad clamorem ad alieaam
et ad tertiam Tillam coirit
s) Haussen bei Falk VI, 4. Maurer, Doif^rerfassung 1, 84. Mein Hof-
system S. 71. Beispiele in Widder, Beschreibang der Eurp£al£ I, 282-85,
495—525. Mone, Zeitsch. f. Gesch. des Oberrhein Y, 129. 150. 152. 267.
Memminger, Beschreibang des Oberamts Biberbach 1837, S. 64 ben^erkt|
der Charakter Oberschwabens habe die Vereinödung von jeher begOnatigt
und die geschlossnen Orte Oberschwabens gehörten meistens einer neueren
Zeit* an.
*) So heisst in den Trad. Wizzembnrg. Broninges in ürk. t. 719
locellus BniningesYilla und dieser Name bleibt bis 772, wo der Ort nun
erstenmale Bnmingesdorf genannt wird ; bis 797 werden beide Aosdrficke
gebraucht; im 9. Jahrh. heisst er nur mehr Br. dorf. Aehnlich Badolfo-
wilare (ürk. y. 774 u. 776) Radolfeshamomarca (780), Badolfesdorf (797,
828); Villa Gerleihes 693—774, von da an Gerleihesdorf; Furdeaföld heisst
745 no. 143 locellus; 774 no. 184 locus; 819 no. 127 yilla. Nach Bir-
linger, Alam. VI, 28 bezeichnet wilare nie ein Dorf, sondern ein Land-
haus, Gehöft; s. a. Tr. Wizz. 718 no. 227: Ghrodoinus schenkt GQter
ezcepto wilari meo, quem ego de novo edificayi.
^) So z. B. Lonebach, von dem allein 80 Besitzungen von 23 Grund-
eigenthümem in den Tr. Wizz. vorkommen.
- 47 -
«ach kommen nicht selten einzelne Feldstücke vor, welche
dann zu einem campns (Gewanne) vereinigt sind, wie das
eine Eigenthfirolichkeit der Dorffeldmark bildet^).
Auch von den Baiem lässt sich nicht sagen, dass sie eine
bestimmte Ansiedelungsform ausschliesslich oder auch nur vor-
zugsweise gewählt hätten*). In dem bairischen Volksrechte
finden sich zwar gewisse Gegenstände des Landwirthschafts-
und Nachbarrechts in einer Weise geregelt, welche den Ge-
danken an zugrundeliegende Vorstellungen eines Hofsystems
nahe legen ^); andere wieder lassen nur eine Deutung, wenn
auch nicht auf Dörfer, so doch auf zereplitterten, nicht arron-
dii-ten Grundbesitz zu, wie er eben dem Dorfsystem zu
eigen ist*).
Aus den ältesten Traditionen sind nur einzelne bestimmte
Beispiele von Ortschaften, die hofweise zusammengesetzt sind,
aus dem Salzburggaue zu finden^). Aber die späteren Ur-
kunden, ürbarien und Weisthttmer Sttdbaiems, Salzburgs und
Tirols entfalten ein sehr klares Bild eines weitverbreiteten
Hofeystems, das im Ganzen entschieden den Vorrang des
Alters vor den Gebirgsdörfem beanspruchen kann und
höchst wahracheinlich als ursprüngliche Ansiedelungsform der
Alamannen im 6., der Baiem im 7. und 8. Jahrhundert —
wie vielleicht auch schon der vor ihnen in Tirol angesiedelten
^) Z. B. Tr. Win. 742 no. 7 20 jnnudes in campum 1 jnntos a. ö. 8.
unten 8. Abschn.
*) Biesler, Geschichte Baiems I, 185.
') Besonders die cnrtes sepe non circomcinctae L. B%j. XII, 10, da
bei Hoftystem ja das ganze Gut amzinnt wurde, ein besonderer Zaun um
den Gntahof (eortis) also nicht nothwendig war. Ebenso XII, 8 hucnsqne
antecessores mei tenueront et in alodem mihi relinqaerunt Aach die
Tbatsache des Privateigenthums am Walde und die cortes nobilium XXI, 6
terdienen ftr die Frage eine Beracksichtigang.
*) So cortes sepe drcomdnctae X, 15; XII, 10 nnd die cnrtis ak
Hofrann selbst X, 15, 16. Femer: si in prozimo non habet (agram) —
donet abi habet XYU, 1—8, womit ein wenigstens nicht yollstaadig arron-
dirter Grandbesitz aasgedrUckt scheint Aach die Gemeindefeldweide
X, 10 deatet aaf Dorfiiystem and Gemengelage.
') In Hegilin 10 Güter and 10 Besitzer, breves notit Sakborg. X, 5.
XIV, 27, 34.
-.M-
- 48 —
Rhäter und Romanen — in Betracht kömmt. Eine haupt-
sächliche Erklärung dieser Erscheinung ist jedenfalls in der
Natur des Landes zu suchen, welches, so lange noch dichte
Urwälder und SQmpfe in Menge die breiten Plateaux der
Mittelgebirge und die ebenen Flächen der Thäler bedeckten,
wenig Raum zur Entfaltung grösserer Ortschaften bot Und
nicht minder ist das natürliche Verlangen erster Ansiedler
nach solchen Stätten, welche die geringste Culturarbeit
erfordern — sonnige Abhänge mit lichtem Waldbestande
und seichter Krume — einer Besiedelung der Höhen gün-
stiger als der Niedeiimgen , also auch der hofmässigen An*
siedelung günstiger als der dörflichen 0. Ueberdiess ist die
Neigung der alten Deutschen zu zerstreutem Wohnen in
vielen kleinen Ortschaften allenthalben unverkennbar, ohne
desshalb gerade eine nationale Eigenthümlichkeit zu sein.
Auch lässt sich der Vorgang späterer Dorfbildung, besonders
durch die Giiindherrschafk oder aus den Folgen der grund-
hen-schaftlichen Entwickelung in so vielen Einzelfällen be-
stimmt nachweisen, dass auch damit die Priorität eines weit-
verbreiteten Hofeystems wahrscheinlich gemacht werden kann*).
^) Aach die ColonisationsKeschiclite der Schweiz scheint dieses m
BtätigeiL Nach Eiern (Geschiditsfreimd XXI, S. 167) waren die sanften
Abdachungen von Alpnach, Schwarzenberg, Ramersberg, Schwftndi, Giswil^
Sachsein, Langern, Melchthal and Kerns (in Obwalden) froher cdtivirt
als die Thalschalt zwischen dem Alpnacher^ and Samersee, Samer- and
Rodenzersee. Aach in Schwyz gibt es hieiür anterstatzende Thatsachen»
insofern als hier menschliche Ansiedelangen noch ün 12. Jahrh. sich auf
den Voralpen befanden za haben scheinen. 8. Miaskowski, die Ver-
fassong der Land-, Alpen- and Forstwirthschaft der deatschen Schweis.
Basel 1878, S. 40 f. Ebenso f&r ein benachbartes Gebiet Klenze, die
Alpwirthschaft im FOrstenthame Lichtenstein 1879, 8. 2 a. 8.
*) S. meine „Untersachangen über das Hofsystem im Mittelalter mit
besonderer Beziehnng aof deatsches Alpenland" 1872, and „die Entwicke-
lang der deatschen Alpendörfer** in Raomer-Riehls lustorisdiem Taschen-
bach 1874. Ludwig Steab nimmt spedell fbr Turol, fast aoaschliesslidi
aaf Grand der Ortsnamen, eine so intensive Golonisation durch Bhlter
and Romanen an, dass ftür die im 6., 7. o. 8. Jahrhunderte eingehenden
Gkrmanen fut nichts mehr za thun übrig blieb, als sidi der Torhandenen
Ortschafken zu bemAchtigen und die bestehende Bodencultur fortzusetzen.
NuI^sind allerdings der rh&to-romanischen Ortsnamen in Tirol sehr tiele»
— 49 —
Uebrigens ist das Hofsystem auch in der bairischen Ebene
viel mehr verbreitet, als es in der Regel angenommen wird
und scheint auch da meist originär, nur ausnahmsweise ei*st
als Folge späteren Ausbaues aus dem Dorfe eingetreten
zu sein.
Im Ganzen aber erfolgt dieser erate Ausbau im Stamm-
lande überwiegend in der Weise der Gründung neuer Wohn-
plätze und Ortschaften, während die Vergrösserung der be-
aber sie sind doch überwiegend nor Orientirungsnamen , aus denen f&r
sich allein noch nicht hervorgeht, ob die Orte, welche sie bezeichnen, be-
wohnt oder benachbarten Bewohnern des Landes bloss bekannt und von
ihnen benannt waren. Und die positiven Nachrichten über die grossen
Rodongen und neuen Ansiedelungen der Deutschen in den Alpen zwingen
eben zu einer sehr bedeutenden Einschränkung jener Ansicht.
Wenn aber Steub mit solchen Gründen allein die Annahme von dem
höheren Alter der Hofansiedelungen in den Alpen bestreitet, ohne die
wirthschaftsgeschichtliche Begründung derselben überhaupt weiter zu be-
rücksichtigen, so verzichtet er eben damit auf ein selbständiges ürtheil
in dieser Frage; es ist ihm nur so viel zuzugeben, dass viele der jetzt
deatschen Bauerschaften, sowie vereinzelt auch grössere Dörfer schon in
voigermanischer Zeit bestanden; an dem Resultate aber, wie es im Text
formulirt ist, muss trotzdem festgehalten werden. S. die ganze Controverse
in der Beilage zur Augsb. AUg. Zeitung 1875 no. 258—60 und no. 828
von Steub, dagegen no. 302--808 und 1876 no. 7 von mir. — Einen An-
hänger fand Steub in diesem Streite an J. Jung „Römer und Romanen
im Donaugebiete** (Innsbruck 1875), der aber selbst Steub noch überbietet,
wenn er (S. 168) behauptet, es sei im Alpenlande in allen drei Perioden
irhätiscbe, romanische und deutsche) die Ansiedelung überall dorfweise
geschehen, ohne diess natürlich anders als mit den Namen heutiger Dörfer
belegen zu können; überdiess aber verkennt Jung den nationalökonomischen
Kern der Frage, wenn ihm Dorf- und Weileransiedelung „auf das Gleiche
hinauskommen^, während doch gerade die Weiler eine ursprüngliche Aus-
einandersetzung der Feldflur nach Hofsystem nicht nur als möglich, son-
dern nach der Anordnung ihrer Feldflur sogar als wahrscheinlich er-
scheinen lassen.
üeber die frühe Bewohnung der Höhen in den Alpen s. u. A. mit
dem Texte übereinstimmend: Andrian in den Mittheilungen der Anthro-
pologischen Gesellschaft in Wien VI, no. 1. 2 1876 und Kemer in den
Sitzungsberichten der kais. Acad. z. Wien Math, naturw. Cl. Jänner 1875
und österr. Zeitschr. f. Meteorologie XI, 1. 1876. Ein gleiches von den
Höben des Mannhartsberges in Oesterreich s. in den Mittheilungen der
Anthrop. Gesellsch. in Wien I, S. 165. H, 109.
▼ Oft In ama -Stern egg, Wirihschaflsgvsehichte. I. 4
- 50 -
stehenden vorzugsweise erst in den folgenden Perioden durch
die Grundhen'schaft und ihre organisatorischen Tendenzen
bewirkt wurde. Nicht als ob das eine ausschliesslich der
älteren, das andere der spätem Periode zu eigen wäre; es
finden sich auch in der Merowingerzeit deutliche Beispiele
einer Vergrösserung bestehender Ansiedelungen^), wie später
noch die Neugründungen von Wohnoiten eine grosse Rolle
spielen; aber charakteristisch ist doch das letztere mehr für
die ältere Zeit.
Es lässt sich das allein schon durch die grosse Anzahl
der in dieser Periode neu auftretenden Ortsnamen erkennen^).
Diess fällt nun allerdings zusammen mit den Anfängen der
Urkunden, in welchen viel mehr Veranlassung zur Nennung
von Oi'tschaften war, als in den spärlichen Quellenzeugnissen
der vorangegangenen Zeit. Aber doch ist die im 7. und
8. Jahrhunderte vorhen*schende individuelle Benennung der
einzelnen Besitzungen ein sicherer Beweis dafür, dass sie
auch geographisch und social selbständige Wohnplätze, nicht
bloss Gehöfte geschlossner Dörfer waren*). Und überdiess
zeigen die Namen selbst vielfach die Entstehung der Ort-
schaften gerade in dieser Zeit an, wenn sie z. B. nur Com-
Positionen eines uralten Oitsnamens^), oder patronymischer Art
') Das liegt wohl in dem ,campo et Silva insimal' (mit — zur Ro-
dung — gemessnem Wald) Tr. Wizz. 713 no. 235. Nach Waitz I, 131
sind in der ältesten Zeit die Dorfinarken noch Idein; in der Merowinger-
zeit nicht selten schon yon beträchtlichem umfang ib. n, 316. Aber
freilich scheidet Waitz nicht streng zwischen den Angaben über das
gallische und das deutsche Frankenreich.
*) Arnold, Ansiedlungen 482, berechnet die Zahl der während des
6.-8. Jahrhunderts neu entstandenen Orte für Hessen mindestens auf das
Doppelte der ursprOnglichen Ansiedelungen. Hieher gehören auch die oft
vorkommenden Ortsnamen nova villa, novus vicus u. s. w., die eigentlich
noch namenlose Ortschaften bezeichnen.
') So Tr. Wizz. 774 no. 129: in villa Ecchentorf iumales 5 infra
fine qui didtur Scalchinbiunda curtile uno cum clausura ad ipso cortile
pertinente. Tr. Sangall. 827 I, 286 : unum novale Wolahvilare nnncupatum
ib. 831 no. 311: unum runcale Marabach nuncupatum.
«) Z. B. Ober-, Nieder-, Stein-, Mittel-, Ost-Zwergen, Hof-, Nieder-t
Langenbiber u. a. Arnold, Ansiedlungen 244 f
- 61 —
sind ')) oder wenn neuerbaute Villen als solche ausdrücklich
genannt werden^).
Auch die Colonisationen durch die Könige^), Herzoge^)
und die Kirche^), sowie die Arten der Rodungen und die
Beschreibung solcher auf Neuland geschaffner Güter ^ lässt
darüber keinen Zweifel, und nicht minder wird die rasche
>) Beispiele bei Arnold a. a. 0. S. 284 ff.
*] So z. B. Tr. Wizz. 718 no. 195, 227 vilari meo qaem ego de novo
edificavi
*) Pardess. Dip. 724 n, 531, wo von Childebert gesagt wird: terram
illam, qoam de deserto ipse ad ezcolendum vel commanendum praeocca-
paverat, (Mauri Monasterio) concessit, ut nullus ibidem campos &oere nee
porcos saginare nee materiamen succidere nee ipsius fines penitus imim-
pere presumeret
*) ürk. B. für Kremsmünster 777 S. 2: Tradimus (Tassilo) atque con-
firmamas .... homines qui in ipso loco habitant et ea cuncta que ibi-
dem calta videbantor, de incoltis vero ex omni parte, quantum voluerint,
cnltom faciant ... In drcuitu cultum faciant, quantum velint sine omni
prohibidone (es ist immer vom Lande diesseits der Enns die Rede).
Mon. Boic. IX, 9 Donatio Tassilonis ad Scarantiam: cum consensu opti-
matum Baiovariorum dono atque transfundo locum nuncupantem India
(Innichen in Tirol) a rivo que vocatur Tesido usque ad terminos Slavo-
rmn . . . totum atque integrum, campestria seu et montana, pascuas,
venationes, umecta seu et frutecta . . . quia et ipsa loca ab antiquo
tempore inanem et inhabilem esse cognovimus.
') Die Mehrzahl der Klöster ist in unbebauter Gegend gegrOndet und
auf Colonisation geradezu angewiesen gewesen. S. bes. Aribo vita S. Cor-
biniani c 20 (Meicbelbeck Ib, S. 13). Der Bischof Josef von Freising
erwarb im J. 750 von den nobiles de Fagana und dem Herzog Tassilo
amplissima tum prata tum pascua plane inculta, baute dort Häuser und
maöhte sie der Wirthschaft des Stifts dienstbar (Meichelbeck la, 49).
*) Ans der FüUe der Belege itthren wir nur beispielsweise an: Cod.
Laur. 774 no. 245: in Basinsheimer marca 1 bifangum vel mastunga
(haftunga?) cum terra ex integre qui circumdngitur ab Oriente fluvio
Soarzaha, a meridie Heppenheimere termino, ab aquilone in 4 rubis, qui
smit contra ipsum monasterium, ab occasu illo lacu, ubi Udo stirpavit,
usque in Wiscoz. Ib. 778 no. 829 : 1 bifangum quem pater mens proprisit
in Silva quae ad Hantscuhesheimer marca aspicere videtur. Ib. 783 no.
252: illum proprisum, qui iacet in illo angulo ubi Suarzaha intrat in
flavium Wiscoz. Ib. 789 no. 244: bifangum iuxta Suarzaha in loco qui
Tocatur Foroenbibiloz. Spätere Beispiele s. u.
* 4*
— 52 —
Zerschlagung der alten Gauallmende in Gent- und Dorfallmeiide
hiefür in Betracht kommen.
Denn mit Vermehrung der bewohnten Ortschaften im
Gau mehrten sich auch die selbständigen wirthschaftlichen
Interessenkreise ; und das Bestreben, einem jeden seine eigne
Mark auszuscheiden, war nicht bloss in der allgemeinen mark-
genossenschaftlichen Tendenz der Zeit, sondein auch im
Interesse ökonomischer Selbständigkeit und friedlicher Aus-
einandersetzung mit den Nachbain geboten 0. Aber eben
diese Vervielfältigung der bewohnten Oite, diese Ausbreitung
der Ansiedelungen über weite bisher unbewohnte Strecken des
deutschen Bodens hat die lebhaftei-en Berührungen und Ver-
kehrsbeziehungen erzeugt, durch welche zu aller Zeit der
Foi*tschritt menschlicher Gultur so wesentlich gefördeit wor-
den ist.
Zweiter Abschnitt.
Die GliederuDg und die Organisation der Gesellselialt*
Mit dem Ende der Völkerwanderung musste der ganze
sociale Zustand der deutschen Völkerschaften nothwendigen
Veränderungen unterliegen, wie sie eben aus der Sesshaftig-
keit und der damit beginnenden Neugestaltung des wirth-
schaftlichen und überhaupt des öffentlichen Lebens hervor-
gingen.
Die in der Heeresveifassung bestehenden Macht- und
Rangyerhältnisse hatten eine eigenartige GüteiTertheilung ge-
schaffen; diese unterlag nun all jenen Veränderungen und
Verschiebungen, welche geordneter Erwerb und Verkehr und
die verschiedenartige Ausbildung des Verbrauchs un^ der
^) Darüber 1. A. Maurer, Einl. 191, der nur ganz unkritisch die Bei-
spiele späterer Markgemeinschaft auf alte Gaumarken zorQckfÜhrt, ohne
des grundherrschaftlichen Ursprungs vieler solcher grossen Markgemein-
Bchaften sich bewusst zu werden.
— 53 —
BedQrfnisse immer erzeugt Der verständige, thatkrältige,
sparsame Wirth gewinnt Vermögen, welches der Unkluge,
Lässige und Verschwender einbttsst; persönliches Ansehen,
m friedlicher Beschäftigung erworben, gewinnt ein Uebergewicht
über die bloss kriegerische Tüchtigkeit; organisatorische, spe-
culative Talente gelangen zu Einfluss und wirthschaftlicher
Kraft, wo das ängstliche Beharren in isolirter und primitiver
Wirthschaft unterliegt.
Dazu kam nun aber gleichfalls mit Schluss der Völker-
wanderung eine gründliche Veränderung in die Ordnung der
öifentlichen Gewdt, welche ja doch immer für die Ausgestal-
tuDg der socialen Zustände eines Volkes von massgebender
Bedeutung ist.
Das junge Frankenreich, durch seine Eroberungen in
Gallien und seine Siege über benachbarte Stämme mächtig
geworden, vindicirte sich eino OberheiTSchaft über alle deut-
schen Stämme, welche es durch glückliche Kriege, durch
BOndnisse und geschickte Einrichtungen bald zu befestigen
wusste.
Zunächst wurde diese Veränderung der Macht natürlich
bedeutsam für die fränkischen Stämme selbst, welche zum
Frankenreiche als unmittelbar Betheiligte gehörten. Die
königliche Gewalt, deren fiilhzeitiger Anerkennung bei den
salischen Franken gewiss zum guten Theile jene Erfolge der
Staatenbildung zuzuschreiben sind, findet hier eine ganz her-
vorragende Stärkung und eine Fülle der Befugnisse, wie sie
weder bei anderen deutschen Stämmen bekannt ist, noch bei
den Franken selbst früher vorkam. An die Stelle vieler
kleiner Könige, welche über die einzelnen kleinen Völker-
schaften gesetzt waren, tritt hier nun der eine, der Franken-
könig, der sich seiner Rivalen frühzeitig mit List und Ge-
walt wie in friedlichem Abkommen zu entledigen gewusst ^).
Dieser König übt nicht mehr eine ihm vom Volke über-
tragne Gewalt aus; sie steht ihm und seinem Geschlechte
erblich zu; und damit verwaltet er auch das Reich durch
') TgL i. A. Waitz, Yer&ssungBgeschichte II, 39—45.
— 54 —
seine Grafen und Beamten kraft eignen Rechts, wie er in
den Sacebaronen die Stellvertreter seiner Executionsgewalt 0
über das Volk einsetzt.
Aber auch sonst durchbricht das im König verkörperte
Pinnzip der Hen'schaft die alte Anschauung von der Volks-
genossenschaft. Der König nimmt das Recht in Anspruch zu
entscheiden, wer zum Volke gehören soll; nur wer dem Könige
den Treueid geschworen, gilt als Volksgenosse, jeder andre
als Fremder; aber damit war dem Unteithan auch verwehrt
ohne Erlaubniss des Landesherin das Land zu verlassen und
in ein andres zu ziehen, denn den Volksfneden gewährt und
vei-weigert er *). Urtheil und Leitung des Gerichts steht zwar
dem Volke zu; die Executive aber hat der König allein in
seiner Hand; und insbesondre wird es nun ausschliessliches
Recht des Königs, über das Leben des freien Mannes zu ver-
fügen '). Selbst die Ansiedelung auf dem Gebiete einer Mark-
genossenschaft ei*zwang des Königs Befehl, wo sonst nur der
autonome Wille der Markgenossenschaft galt^).
Alle, die an dieser Machtfülle des Königthums Theil
nahmen, die Grafen und Beamten, die Glieder des persönlichen
Gefolges (die Trustis) werden dadurch selbst zu höherem An-
sehen und zu grösserer Macht erhoben und in ihrem drei-
fachen Wergeide kömmt das zur rechtlichen Anerkennung;
der alte Stammadel geht unter durch diesen neugeschaffnen
Beamten- und Hofadel oder er erhält sich dadurch, dass er
selbst in die Trustis und den Dienst des Königs sich ergibt
') S. Sohm, ProcesB der L Salica S. 281 ff.
') Schon das blosse Verlassen des Landes ohne Anschlnss an einen
andern Landesherm galt als Yerrath; Greg. Y, 26: Daoco worde gefisngen
genommen, dnm, relicto Chilperico, huc Ulacque vagaretur. Ja sdbst der
Uebertritt aus einem Frankenreiche in das andere wurde gleich behandelt
Gregor V, 8. Vin, 18. Marculf I, 82, s. i. A. Roth, Benefidalweaen
184 ff. •
*) S. Sohm, FtocesB der L Salica S. 218.
*) L. Sal. 14, 4: 8i quls hominem qoi migrare volnerit et de rege
habuerit praeceptom et abbundivit in malum puplico et aliquis contra
ordinationem regis testare praesumpserit, 8 M. dinarios, qui fiuiant solidos
200 colpabilis iudicetor, im Zusammenhalt mit tit 45 de migrantibas.
— 55 —
Ja es sind Anzeichen vorhanden, dass man ihn absichtlich
unterdrückt, um Ansehen und Machtfülle am Hofe zu con-
centriren. Und ebenso kann der König Mitglieder des Volkes,
die den fi*eien Franken nicht gleichstehen, durch Aufnahme
in die Trustis oder durch Einennung zu Beamten über jene
erhöhen.
Waren damit zunächst auch nur die öffentlichen Zustände
in den fränkischen Stammesgebieten auf andre Ginndlagen
gestellt, so griff doch das junge Königthum bald auch in die
Verfassungszustände der übrigen deutschen Stämme, welche
nach einander fränkischer Botmässigkeit untei'worfen wurden,
mit seiner Machtfülle ein; grosse weittragende Verändeinngen
vollziehen sich auch hier.
Die Alamannen verblieben zwar auch nach ihrer Unter-
werfung unter Hei'zogen aus einheimischen Geschlechtern;
aber der Frankenkönig setzt sie ein; ihm waren sie in Huld
und Ti'eue verbunden; nach fränkischer Weise traten auch
hier Grafen an die Spitze der Gaue, wurden die Hundert-
schaften gestaltet und verwaltet. Die Einwirkung des König-
tbums verändert auch hier ohne Mitwirkung des Volkes die
Schichtung der Gesellschaft.^) Auch in Baiem setzten die
fränkischen Könige Hei-zoge ein und verpflichteten sich die-
selben'); und der Beamtenschaft des Königs ist auch hier
bald ein reicher Wirkungskreis eröffnet.
Auf die nördlichen Stämme der Friesen und Sachsen geht
allerdings in dieser Periode noch wenig Einfluss vom Franken-
reiche aus, doch wurde schon 530 ein Theil der Sachsen und
Friesen dem Frankenreiche tributpflichtig, ein Theil völlig
unterworfen und Nordschwaben unter fränkischer Hoheit in
Sachsen angesiedelt^). Die Thüringer sind ähnlich wie die
übrigen Stämme fi*änkischer Gewalt unterworfen*).
^) Vgl i. A. Staun, Wirttembergische Geschichte I. Merkel, de re-
publica Alamannorum § 5 f.
^ Das alte Herzogsgeschlecht der AgilolfiDger ist sogar selbst wahr-
scheinlich fränkischen Stammes, s. Riezler, Geschichte Baierns I, 71 f.
Auch S. 121 f.
>) S. Belege bei Waitz II, 76.
*) Gregor, Tor. UI, 4, 7. VTidukind I, 9.
- 56 —
So folgenschwer aber auch diese Aenderung der Volks-
verfassung für die sociale Ordnung sich schliesslich erwies,
so war diese doch nicht ihr Ziel.
Es darf nicht Wunder nehmen, dass das junge fränkische
Reich zunächst hiefür nichts leistete. Die kühne Schöpfung
Chlodovechs bedurfte vor Allem eine unzweifelhafte Sicherung
ihres Bestandes; ihre Politik äusserte sich in erster Linie in
Organisation der Macht; die kirchliche nnd die Rechtsorgani-
sation folgte; die Einrichtungen fttr die Zwecke des könig-
lichen Fiskus waren nur eine Ergänzung der Macht. Aber
das, was wir Verwaltung nennen, und worunter wir insbesondere
den Einfluss der öffentlichen Gewalt auf die sociale Organisa-
tion und die gemeinwirthschaftliche Leistung des Staates ver-
stehen, das fehlte vollständig. Das Wenige, was der Art
erscheint, ist mehr römischer Nachklang als eigne Schöpfung
der fränkischen Könige; die ausp:esprochnen Rücksichten der
Staatsgewalt auf das öffentliche Wohl aber überhaupt kaum
mehr als eine abgelernte römische Phrase^).
Selbst in der Behandlung des Grundbesitzes, dessen
Wechsel und reiche Vei-fQgung in der Hand der Könige die
wichtigste Rolle spielte, ist kein socialpolitischer Gedanke,
geschweige denn eine bewusste Organisation zu entdecken. Er
war nur Machtmittel für die Herrschaftsgewalt, und kein Be-
wusstsein von den socialen Folgen der Verleihung und Verände-
iung tönt aus den Klagen über das Zusammenschmelzen des
Kronguts.
Das Volk war für die Befriedigung seiner wirthschaftlichen
Bedürfnisse sich selbst überlassen; die Volksi-echte , welche
auch für diese Verhältnisse die rechtliche Grundlage bildeten
und mit ihren einzelnen Bestimmungen immerhin auf Besitz
und Erwerb , auf Gütervertheilung und Erbgang massgebend
einwirkten, unterlagen zwar einer Revision durch die fränki-
schen Könige; aber es ist nicht ei-sichtlich , dass bei dieser
Gelegenheit auch nur e i n socialpolitischer Gedanke zur Durch-
führung gekommen wäre. Die Zulassung der weiblichen Erb-
') Vgl insbes. Waitz, Yerfassungsgeschichte II, S. 444. 449. 654.
— 57 —
folge in den Grundbesitz, die Aberkennung eines älteren
Vicinenerbrechts sowie die Ausbildung des Verfahrens im
Rechtsstreite über Immobilien ist doch sicherlich mehr als
blosse Anerkennung eines lang geübten Gewohnheitsrechts,
denn als ein schöpferischer Act der Gesetzgebung anzusehen.
Die verschiedenen Begünstigungen der Kirche aber im Güter-
erwerb und die Beseitigung eines älteren bevorzugten Stammes-
adels sind hinwiederum nur Erwägungen der politischen
Organisation und Concentration der Machtfülle der öffentlichen
Gewalt entsprungen 1).
Ebensowenig aber zeigt die oberste Gewalt in den ein-
zelnen grossen Abtheilungen des deutschen Volkes eine selbst-
bewusste socialpolitische Wirksamkeit. Was sich derart z. B.
in den Tassilonischen Dekreten findet, gehört schon einer Zeit
an, die unter dem reformatorischen Einflüsse der karolingischen
Ideen wie der grundherrschaftlichen Tendenzen stand. Und
ähnlich verhält es sich nun auch mit den engeren Abtheilungen
des Volksthums, auf welche wir bei diesem Stande der Dinge
verwiesen werden. Die Grafschaften und die Gaue zeigen
keine Selbstverwaltung, und die öffentliche Gewalt, die sie in
Königs Namen übten, gab ihnen zu solchem Eingreifen keine
Veranlassung. Weder in allgemeinen Anordnungen, noch in
der urkundlich hervortretenden Wirksamkeit der Grafen und
Gauvorstände ist ein Anhaltspunkt gegeben, um dieser Gliede-
iimg des Reiches eine selbständige Bedeutung für die sociale
Verwaltung beizumessen. Speciell für alle volkswirthschaft-
lichen Angelegenheiten ist die Grafschaft im Kleinen der ge-
treue Ausdiiick für das Mass des Interesses, welches das
Reich im Grossen an der Entwickelung der Zustände hatte.
Daraus erklärt es sich denn aber auch, dass bei allem Streben
nach einheitlicher Gestaltung der politischen Verfassung und
der königlichen Gewalt doch die socialen Zustände der Völker
^) Aber freUich ist die innere Geschichte der Yolksrechte noch lange
nicht genügend kritisch behandelt, um ans ihnen mit Sicherheit jene
Theile aoszuscheiden, welche auf specielle gesetzgeberische Acte der
frtakischen Könige zur&ckziiführen sind.
— 58 —
so lange Zeit hindurch in grosser Mannigfaltigkeit und Eigen-
art bestanden.
Manches zwar ist, anfänglich wenigstens, allen gemein-
sam, wenn es sich auch nicht überall gleich lang und kräftig
erhalten hat. Den Haupttheil der Nation bilden überall die-
jenigen, welche freier Geburt waren. Sie hatten das Wergeid
des Freien, das Waflfen- und Fehderecht, Zutritt zu den Volks-
und Gerichtsversammlungen , Eid und Zeugniss^), und das
gerade wii-thschaftlich so werthvoUe Recht der Fi'eizügigkeit
innerhalb des Reiches, dessen Unteilhanen sie waren ^. Auch
die besondere Klasse der mit echtem Eigenthum angesessnen
Freien scheint überall untei'schieden worden zu sein. Sie
waren schöffenbar und stimmberechtigt in der Versammlung').
Rachinburgi, boni viri, mediani, arimanni hiessen sie zum
Unterschiede von den minores, minofledis. Unter ihnen standen
die schutzhörigen Fi-eien, die persönlich oder dingUch, durch
Verleihungsverhältniss, an einen Herrn gebunden waren.
Aus der Menge der Freien erhoben sich die Edlen, gleich-
falls von Geburt aus zu solcher Auszeichnung benifen*). Sie
^) Vgl i. A. Grimm, RechtsalterthQmer S. 283—300. Walter, Rechts-
geschichte § 434 f.
^) L. Rip. 36, welche das Wergeid der von andern VolksstämmeD
Zugewanderten festsetzt L. Borg. 107, 5: Qnaecumqoe persona de aliA
regione in nostram venerit et ibi volaerit habitare aat com quo esse
voluerit, habeat licentiam, dehnt dieses Recht sogar noch weiter aa&
Vgl auch 1. Sal. 45, 3; Si vero quis migraverit et in£ra 12 menses nulluB
testatus fuerit, securus sicut et alii vicini maneat. Vgl. L A. Roth, Benei.
Wesen 374. Erst durch die Verallgemeinerung des Seniorats verloren
die Gemeinfreien dieses Recht, s. II. Buch 2. Abschn.
^) Savigny, Geschichte des Römischen Rechts im Mittelalter I, § 61 fl
*) Schon nach Tadtus ist erblicher Adel bestimmt bezeugt: C^erm. 18:
Insignis nobilitas aut magna patrum merita prindpis dignitatem etaam
adolescentulis adsignant. Ib. c 18: inter obsides pueUae quoque nobilei»
imperantur. Tac. Ann. I, 57: Inerant feminae nobiles, inter quas uxor
Arminii eademque filia Segestis. Der Gegensatz des GebortsadelB nun
Verdienst Tac. Germ. 7: Reges ex nobilitate, duces ex virtute sumimt
c. 13. Ann. XI, 17: Quando nobilitate ceteros anteiret, virtatem experi-
rentur. Vgl. auch Hist. IV, 55: Ciassicus nobilitate opibusque ante iJios.
— 59 —
waren im Eherecht Oi durch höheres Wergeid *) ausgezeichnet ;
sicherlich auch an Besitz und HeiTSchaft über Unfreie hervor-
ragend ^). Auf dieser Grundlage und persönlicher Tüchtigkeit
mochte wohl auch manches erst einfach freie Geschlecht in
die Reihen der Edlen sich emporgehoben haben ^). Aus den
Edlen wurden die GaufQrsten, später die Herzoge und Könige
gewählt, bis dann die königliche Gewalt, erblich geworden,
sich am entschiedensten gegen diesen Erbadel wendete und
ihm durch den Gefolgsadel seinen Werth nahm^).
Die unfreien Leute bildeten überall zwei Klassen, solche^
welche im Eigenthum und solche, welche nur in der Gewalt
^) Rudolfi translatio S. Alezandri c. 1 (SS. II, 675) : Quatuor igitor
differentiis gens lila (Saxonum) consistit nobilium scilicet et liberorum
atqae Bervonim. Et quid legibus firmatum, ut nnlla pars in copolandis
coDJngiis propriae sortis terminos transferat, sed nobilis nobilem dacat
Qzorem etc.
') Nach dem Pact Alam. II, 87—41 war das Wergeid der barones
de minofledis, mediani Alamanni and primi oder meliorissimi zn 160.
200 nnd 240 solidi bemessen. Bei den Baiem hatten fünf namentlich
bezeichnete Adelsgeschlechter das doppelte Wergeid der Freien; die
Glieder des Agilolfingischen Hauses das yierÜMhe, L. B%j. m, 1. Die
Th&ringer zeichneten den Adaling durch das dreifache Wergeid des Freien
aas, L. Angl. et Werin. I, 1. 2. 4. (Nach H. Mttller der 1. SaL und i.
Angl. et Werin. Heimath 1840 S. 111 soll aber der Adaling bei den
Thonngem ein fremdes Element sein.) Im ältesten Theile der 1. Fris.
(I) ist das Weigeld des nobilis das P/a fache, später (XV) das doppelte
des Freien (s. Richthofen in LL. UI, 650). Bei den Sachsen endlich
findet sich sogar das sechsfache des Freien-Wergelds f&r den Adaling
L. Sax. c 14; bei Busszahlnngen allerdings auch nur das doppelte. S.
Richthofen z. L. Saxonum S. S76 ff..
') Chlotharii regis decretio c. 12: Si quis ciyuslibet de potentibus
serrus, qni per diversa possedent (nach Boretius in 1. Salica ed. Behrend
S. 101; abweichend c. 4 des Textes in Mon. Germ. LL. I, 12). Chlota-
charii U edict. (614) c 9: Episcopi yero vel potentes, qni in aliis possident
regionibns LL. I, 15.
*) Schon Tadtus Germ. 11 stellt der nobilitas an die Seite decus
beUomm, fiicnndia. Auch cap. 13: Insignis nobilitas aut magna patrum
merita prindpis dignationem etiam adolescentulis assignant
') 8. tu Walter, Rechtsgeschichte U, §486-488. Bethmann-Hollweg,
CiYilprocess IV, 1, S. 90.
— 60 —
eines Herrn standen >). Die ei'steren waren ausserhalb der
rechtlich anerkannten Gesellschaft; ihr rechtliches Dasein
gehörte nur dem Hause an ; nur ihr Herr hatte Rechte an
ihnen; diese ergriffen aber auch ihr ganzes Leben, so dass
es für sie auch keine Obrigkeit gab als ihren Herrn. Sie
bildeten daher auch im Volke keinen Stand, weil sie ja kein
Recht, keine Pei*sönlichkeit hatten. Daher konnte auch der
servus keine berechtigte Familie haben ; alle Glieder derselben
gehörten zu der Familie des Herrn. Aber doch kömmt auch
hier eine Unterscheidung vor, welche fi-ühzeitig schon nicht
ohne rechtlichen Belang, später grösste Bedeutung erlangte:
die servi im strengen Wortsinn sind nur die coloni serviles,
die übrigen Leibeignen heissen mancipia ; die letzteren konnten
wie bewegliche Sachen veräusseii; werden*); die ersteren
stehen bereits vielfach in einer unlöslichen Verbindung mit
dem Zinsgute, das sie bebauten, und wurden nur mit diesem
zugleich veräussert *).
Die zweite Klasse der Unfreien waren die Liten, Lassen,
Aldionen etc. ^). Sie bildeten, wie die Leibeignen eine erbliche
Klasse, theils durch Freilassung theils durch Unterwerfung
(freiwillige oder gezwungene) gebildet Sie waren im Sinne
des Volksrechts Personen, nicht Sachen, also auch des
') S. Walter, Rechtsgeschichte II, § 384.
') L. Sazon. 62: Mancipia liceat iUi dare ac vendere. Nach der
L Thoring. 27 ff. 83 gehen pecunia et mancipia an die weibliche, terra an
die männliche Verwandtschaft.
') Vgl. Waitz, VerfasBungsgeBchichte II, 156 wobei er sich besonders
auf Foldaer Traditionen stützt. Auch Richthofen zur lex Thuring. LL. V, 125 ;
zur 1. Saxon. ib. V, 80. Später wird diese Unterscheidung ganz regel-
mässig; in den Freisinger Urkunden heissen dann die mancipia in TiUis
manentes im G^ensatz zu den mancipia in domo: coloni s. u. S. 69.
*) Von den Lassen Vita S. Lebuini (SS. II, 361) Sunt deniqne ibi
(in Saxonia) qui illorum lingua edlingi, sunt qui frilingi, sunt qui lassi
dicuntur. Auch Nidhart bist. IV, 2 (ib. 668). Von den Aldionen, die
besonders bei Langobarden und Baiem vorkommen (Meichelbeck Ib, 40.
45) und den Mlaz und parscalcis gleich zu achten sind, s. besonden auch
Capit Ticin. 801 c 6. LL. I, 84: Aldiones .... ea lege yivant in Italia
in servitutem dominorum suorum, qua fiscalini Tel lites virunt in Franda.
S. i. A. Walter, Rechtsgeschichte II, 419—422.
— 61 —
Volksrechts und des eigeatlichen Wergeids theilhaftig ^). Sie
bildeten daher auch volksberechtigte Familien; die Ehe der
Liten stand gleichfalls unter Volksrecht. Daher kommen sie
auch als eigentlicher Stand in Betracht und haben sich als
solcher vielfach erwiesen*).
Uebrigens war die rechtliche Bedeutung dieser Unfreien
verschieden je nach der Weithschfttzung ihres Hemi ^) ; dess-
halb werden die Leute des Königs, des Fiskus und der Kirche
höher als gewöhnliche Unfreie gebüsst*).
Daneben bestanden aber doch auch ganz beträchtliche
Verschiedenheiten bei den einzelnen Völkern.
Bei den Franken ist der Stammesadel am frühesten ab-
sorbirt, damit sich das königliche Haus um so schärfer von
dem Volke abhebe*). Im Geiste einer kriegerisch-monarchi-
schen Verfassung galten nur die pei'Sönlichen Auszeichnungen,
die vom Könige ausgingen^).
Auch bei den Alamannen vei*schwinden die primi oder
meliorissimi, welche die älteste Aufzeichnung ihres Volksrechts
kennt ^), in der von Chlotar II vorgenommenen Revision ®), und
es bestehen ausser den Gemeinfreien (liberi) nur noch die
medii. Nur einige aus der Adelsklasse scheinen sich als
^) S. unten S. 62 f.
*) Yita S. Lebuini s. o. Anm. 4 umsteh, sagt ausdrücklich : ex iisdem
ordinibus tripartitis (edlingi, frilingi, lassi) ezercebant generale consilium.
*) S. Walter, Rechtsgesch. über die servi liscalini, ecclesiae § 402 f.
*) L. Alam. Hlothar. YIII, A: Si qnis servurn ecclesiae occiderit, in
triplum componat. Si .quis solvat servurn regis, ita solvatur. Ib. 38:
De feminis qui in ministerio duci sunt Si illis aliquid contra legem
factum fuerit, qui hoc fecerit, omnia tripliciter eas conponat, sicut alias
Alamannorum in conpositum est Doch Childeb. decr. 596 LL. I, 10, c. 13 :
Si servus ecclesiae aut fisci furtum admiserit, simile poena sustineat sicut
et reliquorum servi Francorum.
*) Gregor Tur. 111, 18: Pertractare oportet quid de his (Chlodomeris
filiis) fieri debeat; utrum incisa caesarie ut reliqua plebs habeantur etc.
Vm, 10: A caesarie prolixa cognovi Chlodovechum esse.
'') S. Waitz, Verfassungsgeschichte II, 289 fif.
^) Pactus Alam. 11, 39.
'O L. Alam. Hlotharii 69, 1. 4.
— 62 —
principes populi^), optimates erhalten zu haben, ohne aber
vom Volksrechte weiter ausgezeichnet zu werden. Sie waren
hier nur die ei'sten Freien, nicht wie bei den Friesen, Sachsen
und Thüringern und theil weise bei den Baiem, welche noch
die altdeutsche Standesgliederung bewahrt hatten, ein eigner
Stand. Schon die unbedeutende Höherbewerthung des ala-
mannischen Adels zeigt, dass seine sociale Auszeichnung hier
nicht bedeutend gewesen^).
Bei c|,en Baiern gab es 5 namentlich bezeichnete Adels-
geschlechter, die das doppelte Wergeid des Freien genossen.
Bei den Friesen galt der nobilis nur die Hälfte mehr als der
Freie. Dagegen bei den Thüringern der Adaling das dreifache,
bei den Sachsen das sechsfache, wie denn überhaupt den
Edlen nur bei Thüringern, Sachsen und Friesen besondere
Bedeutung beigemessen worden zu sein scheint *). Hier allein
findet sich auch ein Verhältniss der Abhängigkeit freier
Grundbesitzer von den Edlen ^); diese hatten ein Vorkaufs-
recht an den Grundstücken des [Fmen, und sie sind als
deren Herrn bezeichnet.
Die Liten hatten bei den Salfranken, lipuarischen und
chamavischen Franken, sowie bei den Friesen und Sachsen
die Hälfte des Wergeids eines Freien^); bei den Alamannen
ist es schwankend zwischen einem und zwei Drittheilen des
^) L. Alam. Hloth. 24.
^) S Stalin, Wirttemb. Gesch. I, 200 und oben S. 59 Anm. 2.
') S. oben die Anm. 2 S. 59.
*) L. Saxon. 17: Liber homo qoi sab tutela nobilis cuiuslibet erat,
qoi iam in exilium misBus est si hereditatem suam, necessitate coactos,
vendere voluerit, offerat eam primo prozimo suo; si ille emere nduerit,
offerat tutori suo, vel ei, qui tunc a Rege super ipsas res constitatos est
Die Stelle hat allerdings die in Folge der Sachsenkriege eingetretene
üeberführung der edlen Sachsen durch Karl d. Gr. im Auge, betrifit aber
doch zweifellos altheigebrachte Verhältnisse.
^) L. Sal. 42, 4; 1. Ripuar. 9; 1. Chamar. c. 4 — 6; 1. Saxon. 16;
1. Fris. 15 : Compositio liberi, librae 5^/^ per veteres denarios. Compositio
liti librae 2 et unciae 9 ex qua duae partes ad dominum pertioent, tertia
ad propinquos eins.
— 63 —
Freien^); die Baieiii kennen an ihrer Stelle nur die Frei-
gelassnen mit dem vieiten Theile des Freienwergelds ') ; im
Geltungsgebiete des thüringischen Yolksrechts finden sich die
Liten nicht*).
Dem Leibeignen aber kömmt, mit Ausnahme eines Theils
der Friesen*), kein eigentliches Wergeid, sondern nur eine
Geldwerthschätzung zu, welche im Allgemeinen 12 Solidi be-
trug ^). Die Busse für Tödtung derselben betrug durchgängig
das Dreifache ihres Werthes.
In dieser Verschiedenheit des ständischen Rechtes drückt
sich wohl auch zum guten Theile die sociale Stellung und
Geltung der einzelnen Yolksklassen aus; aber doch genügt
die Kenntniss der Rechtsverhältnisse hiefdr nicht. Sie sind
gleichsam nur die reife Frucht thatsächlicher socialer Gestal-
tungen, die sich im Laufe der Zeit zu solcher Festigkeit und
allgemeinen Anerkennung durchgebildet haben, dass sie nach
einem rechtlichen Atisdrucke der allgemeinen Anerkennung
verlangten. So war sicherlich der alte Stammesadel mindestens
ebensosehr durch den Vorzug seines Blutes wie den seiner
wirthschaftlichen und socialen Macht und seiner pei-sönlichen
Tüchtigkeit anerkannt ; und es wäre auch ohne alle Rücksicht
^) L. Alam. 17; 69, 1. L. AI. Lantfr. 15; 59. Dagegen Fact. Alam.
II, 27-29. 46—56.
>) L. Biy. ly, 28. y, 9. Die WundenbosBe aber betrag die Hälfte,
IV, 1-6. y, 1-5. 7.
') Richthofen z. L Thoring. Einl. folgert daraus, dass hier weder
Römer noch eine firühere Bevölkerang gesessen seien und das kann nur
ftr das eigentUche ThQringen gelten.
*) L. Fris. XV. Compositio send, libri 1 et unciae 4V2 (in Frisia
Orientali).
') Für die 1. Salica lässt sich das nur aus dem Busssatze von 35 sol.
f&r den gemeinen Leibeignen folgern. Ausdrücklich dagegen ist der Werth
von 12 8ol. bestimmt in ed. Chilp. c. 7 (LL. II, 11), sowie in Pact. Alam.
n, 49. 52. L. AI ffloth. yill, A. L. AI. Lantfr. 81. L. AI. Karol. 8.
L. BiguY. XIII, 9. I, 4. Auch in 1. Ripuar. tit 8, 28, 62, L. Sax. c. 17
ist die Busse des getödteten servus mit 36 sol. bemessen, welche als
triplnm des Werths verstanden werden darf; s. u. 5. Abschn. und meine
ausflihrliche Darlegung dieser Werthverhältnisse in Hildebrands Jahr-
büchern f&r Nationalökonomie XXX, S. 202 ff.
— 64 —
«
auf die politischen Tendenzen der Frankenkönige begreiflich,
dass er in dem Masse an Bedeutung abnehmen musste, in
welchem mit Rückkehr befestigter, friedlicher Zustände eben
diese Momente an Werth einbüssten. Denn im Frieden ivar
die Gefolgschaft mindestens ebensosehr eine kostspielige öko-
nomische Last für den Gefolgshenn , als eine Stütze socialen
Einflusses; die persönliche Waffentüchtigkeit kam hier nicht
mehr zur Geltung ; und auch die Quellen hervoiragenden Ein-
kommens, welche der Adaling durch grössere Antheile an der
Kriegsbeute, an Leibeignen und zugetheiltem erobe]*ten Lande
erhielt, versiegten im Frieden; wirthschaftliche Tüchtigkeit
kluge Familenverbindungen , königliche Gunst und Aemter
konnten nun eine Menge Gemeinfreier diesen Adeligen social
gleichwerthig machen; und so erklärt sich der neue Gefolgs-
und Gmndbesitzadel, Antrustionen und Optimaten, der schon
früh bei den Franken und Alamannen an die Stelle d^ alten
Stammesadels tritt. Was also diese nobiles auszeichnet und
ihnen eine besondere sociale Stellung gibt, das ist theils der
pei-sönliche Einfluss, den sie durch den König immer ausüben
konnten, theils die reiche Verfügung über Grund und Boden,
sowie über fremde Arbeit, welche sie besassen; es ist mit
einem Worte HeiTSchaft, unmittelbar über wirthschaftliche
und sociale Kräfte, mittelbar auch auf dem politischen Macht-
gebiete. Der Zahl nach waren diese Edlen bei allen Stämmen
wohl gering ^) ; aber indem sie die Volkskraft in weitem
Gnindbesitz und grossen Mengen dienender Leute vereinigten,
galten sie doch für viele.
Dagegen lag die sociale Bedeutung der Gemeinfreien ge-
rade in ihrer gi-ossen Zahl. Sie bildeten bei weitem die
Hauptmasse der überhaupt berechtigten Bevölkenmg, ja für
^) Vgl. Tacitus Germ. 18: Singulis uxoribus contenti sunt, exceptis
admodum paucis, qui . . . ob nobilitatem plurimis nuptiis ambiuntur. Die
Cherusker haben durch die innern Kriege ihre ganze nobilitas verloren^
Tac. Ann. XI, 16. Die ältere Geschichte der saliscben Franken kennt nur
den -Adel, der auf Verwandtechaft mit dem königlichen Geschlecht be-
ruht; s. K. Maurer, Ueber das Wesen des ältesten Adels S. 100. Waits.
Verf. Gesch. II, 41.
— 65 —
die ältere Zeit sogar der Bevölkerang überhaupt. In ihnen
lebte und bethätigte sich das eigentliche deutsche Volksthum ;
so lange der Stand der Gemeinfreien intact blieb, war auch
keine wesentliche Veränderung in dem Grundcharakter des-
selben denkbar.
Die Stellung des einfach Freien in der socialen Ordnung war
Dun allerdings eine ganz andre als die des Adaling. Der
Besitz des Gemeinfreien war unbedeutend; selbst die als
rachinburgi, mediani etc. benannten freien Grundbesitzer ver-
fügten sicherlich in der Hauptsache weder über beträchtliches
Vermögen noch über nennensweithe fremde Arbeitskräfte*).
Aber dennoch war ihre wirthschaftliche und sociale Position
keine schwache. Sie genossen vor Allem das Recht und die
factische Macht einer gänzlich freien Verfügung über ihr 6e-
sitzthum wie über ihren Erwerb, und konnten also jede Gunst
der Lage und Verhältnisse benutzen; sie fanden sodann im
Familien- und Genossenverbande eine Stütze dieser ihrer
persönlichen Freiheit und unbedingten Rechtsfähigkeit und
waren durch diese beiden Momente ebenso vor dem Hinab-
sinken in die Klasse der Liteü und Eigenleute gesichert, wie
ihnen das sociale und wirthschaftliche Emporkommen möglich
war. Aber eben darin lag der Keim jener starken Differen-
zirang im Schosse dieser Klasse selbst, welche dann minde-
stens ebenso dazu beigetragen hat, die wirthschaftlich
schwächeren und untüchtigeren herabzudiUcken, als die Locke-
nmg und Verflüchtigung der alten Geschlechtsgenossenschaft
zur blossen Markgenossenschaft diesen Vorgang begünstigte.
So entstand schon frühzeitig der Unterschied der besitzen,
den und der nichtbesitzenden Freien, für welche es bald
^) Die 1. Bajuv. nimmt an mehreren stellen aaf sehr gering bemittelte
Freie R&cksicht; tit. 17, 2 muss ein Freier, der in einem bestimmten Falle
ZeagBchaft leisten will, nicht bloss commarcanus sein, sondern auch
t> solid, und einen Acker, gleich dem streitigen Grundstück, besitzen, was
2ko durchaus nicht aUgemein angenommen werden konnte; tit 9 c. 19
vernrtheilt einen Freien, der einen fremden servus ungerecht angeklagt
bat, selbst zur Leibeigenschaft, wenn er nicht einen servus oder dessen
Compositxon besitzt, die er dem Herrn jenes servus geben könnte. Vgl.
i. A. 3. Absch.
▼ on Isama-Sternegg, WirthBcliaftsgeyebiclite. I. 5
- 66 —
keinen gemeinsamen socialen Boden mehr gab, und es ist
nicht zu wundem, wie dann die Letzteren rasch in die Klasse
der Unfreien herabgedi-ückt waren.
Bei dem Verhältnisse der hörigen Leute, der Liten und
Freigelassnen , ist das social Unterscheidende gegenüber den
Freien in der Gebundenheit ihrer Wirthschaft zu sehen. Sie
waren zwar auch persönlich der herrschaftlichen Organisation
eingefügt, aber diese Unterordnung war doch nur ein Ver-
hältniss des Gehorsams ^), nicht des Eigenthums. Sie mussten
der Hen*schaft pei'sönliche Dienste leisten, so lange sie in
deren Wirthschaitsverbande waren; aber sie konnten doch
ausserdem einen selbständigen Willen geltend machen, da sie
Volksrecht hatten. In der Verfügung über das Gut, das sie
vom Hen*n hatten, wai*en sie aber wie Unfreie, und verfügten
also, soweit sich ihr Besitz darauf beschränkte, über kein
Eigenthum, und damit fehlte ihnen auch ein selbständiges
Feld ihrer Wirksamkeit^); auch konnten sie nicht, wie der
Freie, durch ZuiUckstellung des Gutes an den Herrn sich
wirthschaftliche Freiheit wieder erwerben, sondern entbehrten
gänzlich des Rechts der Freizügigkeit ^). Aber daneben konnten
sie eignes Vermögen haben und sich mit diesem eine social
selbständige Stellung eiiingen. Besitzlosen Freien, welche
ein Beneficium von einem Herrn annahmen, standen sie also
social sehr nahe, besonders seit das Seniorat die freien Hinter-
sassen auch persönlich mit dem HeiTn verband und damit
^) Daher die 1. Sazon. 18 sogar den Fall in's Auge fasst, dass etn
litus per iussom vel consilium domini sui bomioem occiderit.
>) S. Roth, Benef. Wesen 374.
*) Darauf bezieht sich offenbar Gapit Chilper. c. 8 (LL. n, 12) : Si
quis ingenuus cum senro alieno nesciente domino ncgotiaverit, aut cum
liberto in villa nesdente domino negotiaverit. In die Volksrechte (L Sal.
27, 26, 1. Rip. 74) ist diese Bestimmung über die liberti nicht übergegangen,
vgl u. S. 68 Anm. 4. Auch 1. Sax. c 50 : Quicquid servus aut litus, iobente
domino peipetraverit, dominus emendet, wozu der Gregensatz c 51: Si
servus scelus quodlibet nesciente domino commiserit . . dominus eios pro
illo mulctam componat zeigt, dass der litus nur im Dienste des Hemi, der
servus allgemein unselbständig war.
- 67 —
ihre Freizügigkeit schmälerte ^). Es erklärt sich daraus, dass
diese beiden Klassen auch, oft gemeinsame Sache gegen die
Edlen machen *).
Auch das Verhältniss der Eigenleute stellt sich vielfach
andere dar, wenn wir neben der Rechtsordnung, die dasselbe
bestimmt, auch die sociale Lage betrachten, in der die Leib-
eignen sich befanden '). Wohl gehörten sie mit Leib und mit
Gut *) ihrem Henn zu, der über sie verfügte wie über seinen
Viehstand ^); wohl hatten sie kein Volksrecht, also keine
Persönlichkeit und straflos konnte der Hen* sie züchtigen^)
und selbst tödten ^). Wohl entbehrten sie auch aller Selbst-
^) Seit dem 8. Jahrhunderte wurde das Seniorat in seinen allgemeinen
Grondzagen auch auf die freien Hintersassen ausgedehnt. Roth, Benef.
Wesen 875. Aber erst in der folgenden Periode fand dieses Institut ^eine
ToUe Ausbildung, s. II. Buch 2. Abschn.
*) S. Nidhardt IV, 2 u. IL Buch 2. Abschn.
') Das betonen schon Walter, Bechtsgeschichte II, § 886. Waitz,
Yerfassungsgeschichte II, 168.
*) Auch mit ihrem pecuUum; vgl 1. Beg. XYI, c. 6: Si quis senrum
saom Tendiderit, forsitan eins nesciens facultates quas habebat, dominus
dos potestatem habeat, qui eum vendiderit, requirendi res eius ubicunque
inTenire potuerit. c 7: Si quis servus de peculio suo fiierit redemptus
et hoc dominus eius forte nesderit, de domini potestate non exeat, quia
non pretium, sed res servi sui, dum ignorat, accepit
^) L. SaL X, 1 : Si quis servo aut caballo yel jumentum furaverit
Ib. XLVn, 1 : Si quis servum aut caballum vel bovem aut qualibet rem
super alterum agnoverit. L. Alam. XG: Si quis res suas post alium
hominem invenerit, . . aut mandpia aut pecus etc. L. B%j. XV, 1 : Si
qois Tendiderit res alienas . . aut senrum aut ancillam aut qualemcumque
rem. L. Fris. II, 11 (add. Wulem.): Si quis serruih aut ancillam, cabal-
lum, bovem, crem etc. Tel qnodcumqne homo ad usum necessarium in
potestale habuerit . . . alii ad auferendum exposuerit L. Fris. Add.
Sapient tit. 7 : Si senrus aut ancilla aut equus aut bos aut quodlibet
uumal, fngiens dominum suum ab alio fiierit receptum.
*) Marcolf torm. app. 16: Ut quicquid de mandpia tua originalia
vestra fitdtis, tam Tendendi, conmiutandi et disdplinam imponendi, ita es
de me . . . potestatem faciendi habeas. L. Alam. 38, 2: Si quis senrut
in hoc Tido inTentos fuerit, vapuletur fustibus.
^ Wenigstens in ältester Zeit; Tacitus Germ. 25: Yerberare serTum,
M Tinculis et opere coercere ramm; occidere solent non disdplina et
sereritate, sed impetu et ira, ut inimicum; nisi quod impune. FrOhzeitig
5*
1
- 68 —
ständigkeit der Familie; der Herr verfQgte über die Ehe-
Schliessung^) und ttber die Kinder, als wenn es sich um An-
gelegenheiten der Züchtung gehandelt hätte. Aber doch rechnete
man die Leibeignen zur Familie des Herrn und anerkannte
damit factisch die wichtigste Seite ihrer Menschlichkeit. Denn
in ihr genossen sie auch allen Schutz nach aussen, den diese
bot; eine gesicherte und geordnete Existenz wai*d ihnen dafbr
zu Theil, dass ihr ganzes Dasein der Familie gehörte. Mit
den Kindeiii des Herrn wuchsen auch die Leibeignenkinder
auf^; Nahrung und Pflege fehlte nie: und auch allen andern
Kreisen des Volks gegenüber vertrat sie des HeiTen Macht
und deckte ihre Handlungen mit eigner Verantwortlichkeit').
Die Beschränkung der pei*sönlichen Freiheit war also voll-
ständig; die Leibeignen ganz fremder Wirthschaft dienstbar,
wenn sie am Hen-enhofe waren, und es fehlte selbst die Mög-
lichkeit durch eigne Thätigkeit eine Besserung dieses Za-
standes herbeizuführen ^) ; aber die Existenz war gesichert
und bessere Behandlung, besondre Gunst des Henn konnte
wendet sich dagegen die christliche Anschaniiog: Gonc. Epaonenae 517
c. 84 (fiiansi YIII, 568) : Si qväs servum proprium sine conscientia jadidi
occiderity excommomcatione biennii effusionem sanguinis expiabit.
^) L. Sal. 25, 9: si senrus andUa aliena invita traxerit L. Sal« eo.
29, 6: Si servns ancillam alienam extra voluntate domini sni sibi adcon-
jagium eopnbiverit 8. a. Grimm, Rechtsalterih. 879 ff. Walter, Redits-
geschichte II, § 894. Weinhold, Frauen 8. 194 f.
*) Schon Tadtus Germ. 20: Dominum ac servum nunis edocationis
deliciis dignoscas, inter eadem pecora, in eadem humo degnnt, donec
aetas separet ingenuos, rirtus agnoscat
') L. Thuring. 58: quod serrus fecerit, dominus emendet 57: Si
serras liberam foeminam rapuerit, dominus eompositionem solvat L. Saxon.
c 50—68.
*) Ohne Zustimmung des Herrn durfte sich der senrus in kein Geschftft
mit einem andern einlassen. L. Sal. 27, 26: Si quis cum senro alieno
aliqnid negutiayerit, hoc est nesciente domino. L. lUp. 74: Hoc aotem
constituimus, ut nnUus cum servo alieno negotium fiMaat Es iat hier
unwesentlich, ob diese Bestimmung ältestes Recht oder erst auf Gq>it
Chilper. c. 8 (LL. II, 12) : De eo qui cum serro alieno negotiaverit, zmrQck*
£u{ühren ist Vgl. Waitz, Altes Recht 8. 22 f. Sohm, Zeitsch. f. Rechts-
gesch. V, 451. Vgl. auch 1. Baj. XVI, 8.
— 69 —
der Leibeigne immerhin gewinnen, wenn er sich zu höherer
Dienstleistung besonders qualificirte; er konnte wenigstens in
grossen Herrschaften sich zum Ministerialen erheben und
damit Grund zu eignem Vermögen legen, das ihm später
bei Freilassung oder Antritt eines Amtes zu Gute kommen
konnte ^).
Die grosse Masse der Leibeignen blieb aber doch mit
dieser Unfreiheit auch in einem Zustande grosser Dürftigkeit
verharren ; über die drängendsten Nahrungssorgen zwar durch
die Vei-pflichtungen , wohl auch durch das Interesse ihres
Hen-en hinweggehoben, aber dadurch auch unfähig zur Er-
hebung über diesen Zustand durch eigne Tüchtigkeit und
Thatkraft, an Foi-tschritt und Verbesserung des landwirth-
schaftlichen Betriebs nicht pei*sönlich interessirt, waren sie
solchem Streben auch nicht zugänglich; und daraus ergab
sich dann auch jenes Beharren in primitiven Zuständen der
nationalen Production, das so lange dauerte, als dieser Klasse
überwiegend die Pflege des Landbaues auf den grösseren
Gütern anvertraut war und noch nicht intelligente thatkräftige
Grossgi-undbesitzer neue Ideen und neuen Schwung in die
Wirthschaft des Volkes brachten. Uebten sie aber diese
WiiUischaft auf dienenden Hufen und Mausen aus, welche
ihnen gegen Zins und Dienstleistung auf dem Herrenhofe
übertragen waren, so standen sie begi-eiflicherweise weit
unabhängiger, als wenn sie als Hausgesinde die Arbeitskräfte
für den Eigenbetrieb der herrschaftlichen Wirthschaft bildeten.
Daher sind jene, die servi i. e. S. vielfach nicht mehr von
den Liten zu unterscheiden, wo nicht Rechtsfragen ihres
Personalstatus auftraten*), während sie sich immer mehr von
dem Lose der eigentlichen mancipia entfernten.
Diese Erhebung eines Theils der Eigenleute gewann immer
grössere Dimensionen, je mehr heiTSchaftliche Wirthschaften
^) S. a. 4. Abschn.
') Zahlreich sind insbesondre die vermögensrechtlichen Bestimmungen
der Volksrechte, welche die servi den liti gleichstellen. Z. B. 1. Fris.
XX, 3; vgl XI, 1: in s^tiom litL L. Saxon. c 50. Capit. Chilper.
c 8 LL. n, 12.
— 70 —
entstanden, welche ihren Schwerpunkt eben in den Zins-
ländereien ihrer Leibeignen hatten ; und das war insbesondere
bei den Elosterwirthschalten der Fall^ während die welUichen
Grundhenn im Grossen und Ganzen auf viele Mancipien
Werth legten und das Golonatsverhältniss nie so weit aus-
bildeten'). Eine frühzeitige Erleichterung der alten Leib-
eigenschaft ist unverkennbar gerade diesem Umstände zu
verdanken.
Der Zahl*) nach sind am Schlüsse der Völkerwanderung
sicherlich weder die Liten noch die Leibeignen bedeutend.
Beide Klassen kommen in der Hauptsache nur bei grossen
Ginindhenn ') , bei den Königen, Fürsten und Optimaten,
sowie bald bei Kirchen und Klöstein in grösserer Anzahl vor.
Nun sind aber solche in dieser Zeit selbst noch selten; und
auch der ungeheure Abstand des Besitzthums, wie er sich
später ausbildet, war in Deutschland noch nicht vorhanden;
die socialen Zustände der Deutschen rechts des Rheins waren
noch im ausgeprägtesten Gegensatz zu denjenigen des frän-
kischen Westreichs. Ja bei der besonders starken Nachfrage,
welche das schon durchaus hen*schaftlich organisirte Gallien
in deutschen Landen nach Leibeignen unterhielt^), während
^) S. meine „Ansbildimg der grossen Grandherrschaften" S. 75 t
>) Stftlin, Wurttemb. Geschichte I, 204 hält die Liten schon in dieser
Zeit fÜLr einen ansehnlichen Bestandtheil der Einwohner; I, 227 nimmt er
an, dass die Zahl der Knechte und Leibeignen beträchtlich grösser als
die Freien gewesen sei. Aehnlich anch Grimm, Rechtsalterth. 881 nnd
Banmstark, ürdcntsche Staatsalterth&mer S. 811. Noch flbertriebner
Wirth, Dentsche Geschichte I, S. 70 ff. 108 ff. gegen den sich schon
Waitz, Verf. Gesch. I, 184 wendet Wesentlich getrabt wurde das Urtheil
über das numerische Verhftltniss der Volksklassen in Deutschland dadurch,
dass zwischen den Zuständen in Neuster und Auster nie genau unter-
schieden wurde, während doch gerade an diesem Punkte der Gegensatz
sehr auffällig ist. Im gallischen Frankenreiche kommen allerdings sdir
grosse Massen von Leibeignen schon frühzeitig vor: vgl. Gu^rard polypt
de TAbb^ Irminon I, 858. FOr die Merowingerzeit Waitz, V. G. 11, 168.
") Chlotach. 11 decr. 595 (LL. I, 12) c. 4: Si quis de potentioribns
pro suo servo admoniatur, ut per diversa possedent loca.
*) Hierher gehört vielleicht auch 1. Burg. 56: de servis in Alamannia
comparatis.
— 71 —
ein Expoit nach Deutsehland so gut wie gar nicht stattfand,
wird die Zahl derselben eher vermindert als vei-mehrt worden
sein. Dagegen blieben nun allerdings die alten Gkründe be-
stehen, aus denen Unfreiheit entstand; die Unterwerfung im
Kriege ^), die Heiratb mit Unfreien ^), die gewaltsame Knech-
tung von Freien »), die Unterwei-fung zur Strafe *) mochten die
durch Verkauf von Unfr'eien ausser Landes gelichteten Reihen
der Leibeignen wieder ausfüllen, und, nachdem mehrfache
Ausfuhrverbote erlassen waren *), sogar vermehren. Aber ei-st
die folgende Periode kennt jeue massenhafte Ergebung von
Fi-eien in servitium, welche die ständischen Verhältnisse so
grQndlich umgestaltet und zur raschen Ausbildung der grossen
Grundherrschaften wesentlich beigetragen hat.
An eine grosse Gesammtsumme der Leibeignen kann also
in dieser Zeit noch nicht gedacht werden. Und damit ist
auch der Gedanke ausgeschlossen, dass von ihrem wirthschaft-
^) L. Baj. XYI, 11: Istud mancipimn ego prehendi extra terminum,
ubi dux exerdtum dnxit Doch ist diese Art der Leibeigenschaft unter
Deutschen bereits selten geworden, und mehr nur gegen Slaven angewendet.
Eichhorn § 196.
^ L. Sal. Xni, 8: Si vero ingenua pueUa . . servum secuta fuerit,
ingenuitatem suam perdat Ib. 9: Ingenuus si anciUa aliena prisserit,
similia padatur. L. Rip. 58, 15: Si Ripuarius ancillam Ripuarii in
matrimonium acceperit, ipse cum ea in servitio perseveret. Ib. 16: Si-
militer et si Ripuaria hoc fecerit, ipsa et generatio eins in servitio perse-
verent. L. Alam. 18, 1: Si ancilla libera dimissa fuerit . . et post haec
Bcrvo Ecdesiae nupserit, andlla ecdesiae permaneat Ib. 3: Si autem
(libera Alamanna) ibi filios vel filias generaverit, ipsi servi et andllae
permaneant, et potestatem exeundi non habeant
') L Thuring. 7, 5 : Qui hominem liberum infra patriam vendiderit . . .
Qni liberum extra solum vendiderit L. Alam. 46: Si quis liber liberum
extra terminos vendiderit. 47: Si quis feminam liberam extra marcham
vendiderit 48: Si quis liber liberum infra provinciam vendiderit L. Biguv.
XYI, 5: AI. 1 Si quis ingenuum vendiderit ... AI. 8 Et si eum vel illam
foris provincia vendiderit et iterum reduccre non potuerit
*) Wegen Sonntagsentheiligung L. Alam. 38, 5. L. Big. App. 1 (LL.
III, 385). Heirath mit zu nahen Verwandten L. Alam. 39, 3. L. B%).
YII, 8. Wegen Zahlungsunfähigkeit L. Baj. I, 10. II, 1.
^) Vgl. oben Anm. 3.
— 72 —
liehen Verhalten die ganze nationale Betriebsamkeit ihr Ge-
präge erhalten habe.
Der Schwerpunkt des socialen Lebens der Deutschen
ruhte also am Schlüsse der Völkerwandemng und wohl noch
lange Zeit darnach auf dem breiten Mittelstande der Gemein-
freien, die mit kleinem aber unabhängigem Grundbesitz weit
verbreitet in den Gauen und Centenen umher wohnten. Eine
gewisse Stütze fand jeder Einzelne wohl in der gi'ossen Gleich-
artigkeit der ökonomischen, gesellschaftlichen und i-echtUchen
Lage; aber eine weitgehende Isolirung der Einzelnen wurde
doch durch diese von jeder Herrschaft freie Selbständigkeit
und Ungebundenheit, wie durch ein weitverbi-eitetes Einzel-
wohnen herbeigeführt.
Da waren denn die Familie und die Genossenschaft des
Geschlechts die einzigen Haltepunkte, in denen sich diese
Einzelexistenzen zu einem gemeinsamen Schulz wie zu ge-
meinsamer Wirksamkeit für grössere wirthschaftliche und sociale
Ziele zusammenfanden, wo eine sociale Ordnung und Organi-
sation bestand, ohne die hochgehaltene persönliche Freiheit
erheblich zu beschränken.
Die natürliche Gliederung des Volkes nach Familien, die
sich bei den Deutschen immer so mächtig erwiesen, die selbst
in der Wanderzeit des Volkes der Heeresordnung ihren Cha-
rakter aufgeprägt hatte ^), verlor natürlich auch nicht so schnell
nach der festen Ansiedelung der Deutschen ihre Bedeutung *).
^) Gaes. b. 6. I, 51: Germani saas copias e castriB edoxeront, gene-
ratimqae conBtitaerunt Tac. Genn. c. 7: non casus nee fortoita eon-
globatio tormam aat coneum hclt^ sed familiae et propinquitates. Pact
Alam. II, 48: Si lituB faerit in ecclesia aat in heris generationes dimissos.
Anch bei Bargundern and Langobarden hat die üeora (Geschlecht) eine
Beziehung auf die Heeresorganisation; I. Borg. GYII, 11: De RomaaiB
yero hoc ordinavirnas, at non amplias a Borgandionibas qni in fara vene-
rant, requiratar, quam ad praesens necessitas fiierit, medietas terrae So
übernahm anch Gisulf, der Neffe des LangobardenkOnigs Alboin, die ihm
angetragne Bewachung der julischen Gebirgsp&sse nur, nisi ei quas ipse
eligere voluisset Langobardorum fEuras, hoc est generationes vel Itneaa,
tribueret Paul Diac. II, 9.
^) Waitz, Verfassungsgeschichte I, 50.
— 73 -
AUe Glieder der Familie sind ja nach alt deutscher Anschau-
ung auf das Festeste zusammengehalten durch das gemeinsame
Mundium, den Familienschutz, dessen Träger das Oberhaupt
der Familie war. Auf diesem beruhten seine Hen*schafts-
rechte über alle Angehörigen, auf ihm auch alle Pflichten der
Familie gegen dieselben, fbr deren Einhaltung das Haupt zu
sorgen hatte.
So konnte sich zunächst schon jeder, der eine Familie
hatte, in Leib und Leben durch dieselbe geschützt wissen;
die Verwandten rächten seinen Mord, oder erhoben wenigstens
nach späterer, mildei'er Auffassung von dem Mörder das Wer-
geid des Erschlagenen^).
Auch sicherte es erheblich die Einzelexistenz, dass die
Mitglieder der Familie verpflichtet waren, unter sich Frieden
zu halten*), und einander vor Gericht zu vertreten^), wie
gegenseitig für sich zu haften; selbst für die Zahlung eines
verfallnen Wergeides kam subsidiär wenigstens die Familie des
Schuldigen auf*).
Dieser weitgehende Schutz, welchen die Familie den Ein-
zelnen gewährte, wurde dadurch noch bedeutend weithvoller,
dass er sich auf viele Verwandtschaftsgrade erstreckte^);
0 Schon Tadt Genn. 21: Snscipere tarn iniinicitias seu patris seu
propinqui quam amidtias necesse est. Nee implacabiles durant: loitur
enim et homiddiam certo armentorum ac pecorum numero, recipitque
s&tisfactionem univena domus. Regino disdpl. ecd. II, 5: Homiddia,
qoi bominem .... pro vindicta parentnm, quod faidam didmas, ocdderit.
L. Tburing. VI, 5: Ad qneincanque hereditas terrae pervenerit, ad illam . . .
et nltio proximi. lieber den Wergeldbezag der Verwandten 1. Rip. 67, 1
Qaicnnqae de parentibos suis, quantum unns solidii^ valet, in hereditatem
acceperit yd cni weregildns eins, si interfectus fuisset, legitime obveniebat.
L. Alam. 46, 2: com weregildo eum parentibus soWat. 69, 1: Si quis
wtem Über liberum ocdderit, componat eum bis 80 soiidis filÜA suis.
*) Sippe selbst bedeutet Friede, Freundschaft. Grimm, Rechtsalterth.
S. 467.
') L. Sal. 60, 1 : De eum qui se de parentilla tollere vult L. Biy.
7, 15: cum 12 sacramentalibus iuret de suo genere nominatis.
*) L. Sal. 58 de chrenecruda. Childeb. 11 decretio 596 c. 5. L. Sax. c 19.
*) L. Sal. 58: Quod si iam pater et fratres solserunt, tunc super suos
filios debet illa terra iactare, id est super tres de generatione matris et
— 74 —
theilweise wenigstens ist ein solch inniger Zusammenhalt bis
zum 5., theilweise sogar bis zum 7. Grade gewahrt.
Eine weitere Bedeutung hatte die Familie für jeden durch
ihre Beziehung zu Grund und Boden, wodurch sie die Wurzel
jener Temtorialyerbände geworden ist, welche uns als Mark-
genossenschaften bekannt sind. Sicherlich auch bei den letzten
definitiven Ansiedelungen hielten die Familien zusammen und
bildeten jede fbr sich eine wirthschaftliche Einheit, aus der sich
dann erst langsam und allmählich eine Genossenschaft an der
gemeinen Mark bildete, als durch Theilung, Tausch und Kauf
und durch Erbgang dieser ältere Verband gelockert war.
Aber lange blieb diese familienhafte Struktur der Mark-
genossenschaft bestehen und tritt ausgeprägt in den ältesten
Zeugnissen ihres Lebens hervor. Im alamannischen Volks-
rechte sind die wenigen Stellen, welche mit der Markgenossen-
schaft in Verbindung gebracht werden können, von Geschlechts-
besitz und Geschlechtsgemarkung zu verstehen; und zwar
handelt es sich um feste tenitoriale Verbände, nicht bloss
um irgend welchen Einzelbesitz der engei*en Familie^). Als
nächst höherer Verband ist hier nicht eine die Genealogien
in sich begi*eifende Markgenossenschaft, sondern ein Gau oder
doch eine Hundertschaft vorhanden. Auch nach dem salischen
Volksrechte *) findet die Lossagung von der Familie nicht vor
Buper tres de gen^ratione patris qni prozimiores sunt Es handelt ekh
um Zahlung einer Wergeldschuld durch die Verwandten. L. SaL 47, 9
parentilla usque ad sextum genudum. L. Rip. 56, 3 usque ad qaintom
genuclum. L. Thur. 6, 8: usque ad quintam generationem. L. Big. 15,
10: usque ad septimum gradum de propinqnis. Vgl. Grimm, R. A. 46&
WaitE, Verf. Gesch. I, 75.
^) L. Alam. tit. 45, 2 die pares (Verwandten), welche einen Erschla-
genen rächen wollen, mittunt in ?icinio et congregant pares. tit. 87: Si
qua contentio orta fuerit inter duas genealogias de termino terrae eonua
et unus dicit: Hie est noster terminus, alius reyadit in alium locum et
didt: hie est noster terminus, ibi praesens sit comes de plebe illa; der
Process wird Yor dem Grafen geführt. Merkel zu dieser SteUe LL. III, 76
erblickt darin geradezu die Markgenossenschaft; dagegen schon Waits;,
I, 76. Vgl. audi Gierke, Genossenschaft I, 61.
^) L. Salica tit 60 De eum qui se de parentilla tollere vult In maUo
ante thunginum ambulare debet
- 75 —
irgend einer markgenossenschaftlichen Obrigkeit, sondern vor
dem thunginus statt , der Voi-steher der Hundertschaft ist.
Das Geschlecht scheint also auch hier die unter der Centene
stehende sociale Ordnung zu sein.
Auch andre quellenmässige iAnhaltspunkte gibt es genug,
welche zeigen, dass innerhalb der Hundeilschaft , als der
untersten politischen Gliederung des Volkes sich der längst
vorhandene Geschlechtsverband zu einem eignen Organismus
von speciell socialer Bedeutung spontan entwickelte^), ^^^
auch lange Zeit an einer Gemeinsamkeit des Grundbesitzes,
speciell der Markgründe festhielt*).
Die Lebensäusserungen dieser Gemeinschaft der ältesten
Markgenossen sind daher auch vornehmlich familienhafte :
Sicherung und Vertheidigung des Familienbesitzes (der Mark),
gemeinschaftliche Nutzung dessen, was der Einzelne nicht für
sich beduifte, Vicinenerbrecht 3) und Zustimmung zu Ver-
äussei-ungen und Status Veränderungen; nie aber politische
') In der L Burg. 54, 2, 3 und 107, 11 (LL. III, 558, 577) sind es
geradezu iaramanni, Geschlechtsgenossen, welche Land begehren. Auch
die häufig statt vicini gebrauchten Ausdrücke contribules (consanguinei,
quasi ex eadem tribu, parentes 61. Paris. IX sec. Merkel, 1. AI. LL. III,
76), consortes (Tr. Sang. 809 I, 199 una silva et pratum cafr. 5, quod
com consortibus meis adhuc in commune visa sum possidere) und pares
(1. Alam. 45, 2 s. o. Anm. 1 S. 74. Tr. Sang. 797 1, 144) zeigen in ihrer Ver-
bindung mit dem Örtlichen Zusammenhalt der Bevölkering die grund-
legende Bedeutung des Geschlechts für die späteren Gemeindeverhältnisse.
') Brev. not Salzb. ed Keinz VII, 3: Madelhelmus quidam yir nobilis
cum caeteris rebus suis portionem venationis suae ad istam dei ecclesiam
inxta ripam, quae Yocatur Albina, hanc esse communem cum coheredibus
suis. Mdchelb. Ib, 848 ä. 816: pratas communes sicut alii coheredes
eios habent, partem silvae simul etiam aquarum cursum. VgL die Stellen
bei Merkel zur 1. Baj. III, 393.
') Vgl. die Yielbesprochne Stelle aus dem ed. Chilper. c. 3 (LL. II, 10):
Simili modo placuit atque convenit, ut quicunque vicinos habens aut filios
aat filias post obitum suum superstitutus fuerit, quamdiu filii adyixerint
terra habeant, sicut et lex Salica habet Et si subito filios defuncti
fiierint, filia simili modo accipiant terras ipsas sicut et filii si vivi fuissent
ant habnissent Et si moritur, frater alter superstitutus fuerit, fratres
terras accipiant, non vicini. Vgl. dazu Gierke in Zeitsch. f. Rechtsgesch.
xn, 8.
N
— 76 —
Functionen, wie das wohl hätte der Fall sein müssen, wenn
die Markgenossenschaft eine, wenn auch die unterste Orga-
nisation der öffentlichen Gewalt gewesen wäre. Gerichts-
pflege und Polizei wird immer von dem Grafen und dem
hunno oder judex — dem Edfindertschaftsvorsteher oder Graf-
schaftsrichter — geübt*). Die Nachbarn leisten zwar Zeug-
schaft, aber nur als Urkunds- und Auskunftspersonen ^)t wozu
sie wegen ihrer nachbarlichen Beziehungen am besten befähigt
waren ; eine socialpolitische Wirksamkeit ist darin keineswegs
gelegen^); auch die Gerichtsversammlung bilden i-egelmässig
die Gaugenossen ^).
Am auffallendsten ist aber, dass die vicini als Mark-
genossen nie bei Schenkungen und Traditionen eine Zustim-
mung aussprechen ^). Eine Anfechtung solcher Gutsüber-
^) L. Alam. 87, s. o. S. 74 Anm. 1. L. Baj. VII, 8 werden Grenzstreitig-
keiten vor dem comes et conventus geschlichtet, b. a. XVII, 6. Aehnlich
1. AI 36, 2 : in mallo ante judicem respondeat vicino suo. Capit Saxon.
797 c 4. Beispiele aus Urkunden in meiner „Ausbildung der grossen
Grundherrschaften während der Karolingerzeit*^ S. 9.
') L. Baj. XIV, 17: et aliquis de vicinis videat hoc. Tr. Sang. 766
I, 49 ante pagenses. Ib. 788 1, 117 ubi vicinos supra dnxi. L. Baj. XII, 3:
yidnis praesentibus restituat terminum spricht vielleicht nur von Nachbarn,
Benachbarten im engsten Wortsinne. Auch Decr. Tassil. Niuh. c. 8 (LL.
III, 464). Hieher wird es wohl auch zu steUen sein, wenn Marculf I. 34
die pagenses für einen der Ihrigen beim König eintreten, dass er ihm
seinen Besitz durch praeceptum bestätige, nachdem er seine Urkunde durch
Krieg verloren habe.
^) Auch die vicini des Ed. Chilp. c. 9 sind Mitglieder der Gerichts-
gemeinde, nicht der Dorfgemeinde; das ante vicinas causam suam notam
fetcere ist die gerichtliche Kundmachung einer zur Execution reifen Sache
vor Einleitung des Executionsverfahrens ; die Stelle hat darnach keinen
Zusammenhang mit den socialen Functionen der Markgenossenschaft wie
Maurer, Einleit. 170 und früher auch Waitz (Verf. Gesch. 11, 1. Aufl.
S. 268 f.) meinte S. Sohm, Process der 1. Sal. S. 206.
*) Tr. Sang. 762 I, 36: illi pagesis cumiatum habeant ib. 828, I, 312:
Vor dem Grafen wird mit den Leuten des Breisgau eine Kundschaft ab-
gehalten. Ib. 772 I, 65 ist der pagus das unterste Gericht Ib. 874 II, 385
placito habito . . populoque drcumquaque congregato.
^) Auch die Stellen bei Meichelbeck, bist. Frising. 778 Ib, 50: ad-
stantibus cunctis finitimis und 780 no. 59: seu vicini eins fideles simul
— 77 —
tragungen wird wohl von den heredes und coheredes, aber
nie von den blossen Gutsnachbam oder von der Markgenossen-
schaft als solcher besorgt. Und doch sollte diese, wenn ihr
Oberhaupt eine sociale Function zufiel, am ehesten berufen
gewesen sein, einer beliebigen Veräusserung , Vertheilung,
Vertauschung oder sonstigen Vei-ändeining des Gutsbestandes
zu steuern: beinihte ja doch nach den gangbaren Vorstellungen
über die sociale Oi^anisation der Markgenossenschaft die be-
hauptete sociale Gleichheit der Markgenossen wesentlich auf
den Statusverhältnissen und dem Ausmass der Güter!
So ist es denn wohl gestattet, den Gedanken auszu-
sprechen, dass die Familie, wie sie die Wurzel des mark-
genossenschaftlichen Verbandes war, so auch noch lange Zeit
massgebend ft\r die Ausgestaltung der markgenossenschaft-
lichen Verhältnisse blieb. In dem Familienverbande, der das
Geschlecht zusammenhielt, liegt die Erklärung für die per-
sönliche Einheit der Genossenschaft wie für ihren Gesammt-
besitz; sie war eine rechtliche wie ökonomische, eine sociale
und religiöse Einheit, wie das immer von der Markgenossen-
schaft späterer Zeit ausgesagt wird.
Aber dieser Zusammenhalt der Geschlechtsgenossenschaft
musste sich doch bald, wesentlich aus drei Ursachen, erheb-
lich lockern. Einmal ging die Wirksamkeit der Familienbande
verloren , sobald das Geschlecht sich namhaft vei*mehrte und
die nur mehr entfernten Verwandten in einer Mark sassen.
com illo firmavenint enthalten keine Zustimmung der Nachbarn. Nur in
Ürk. 763 Mon. Boic. IX, 7: per consensum illustrissimi ducis Tassilonis
et satrapnoi dus atque confinitimorum nostrorum conscientium spricht
dagegen; die Stelle bezieht sich aber überhaupt nicht auf Markgenossen,
da auch die Zustimmung des Herzogs und seiner Satrapen eingeholt
wird, und sich die fragliche Schenkung über mehrer Gaue erstreckt. In
einer Rheinauer Formel (Koziäre 289) verschreibt allerdings Einer seiner
Frau bedeutendes Gut: absque contradictione ullius proximorum (Ver-
wandten) aut vicinorum (Nachbarn) meorum . . . possideat Auch die übri-
gen Ton Zöpfl , Rechtsalterthümer I, 827 iL angeführten Beispiele von Zu-
stimmung der Einwohner bei Veräusserungen betreffen theils die Centene,
ond theils sind sie nur als Beweise für das Vorhandensein von Urkunds-
personen zu gebrauchen; vgl. Zöpfl selbst S. 329.
— 78 —
Dann aber verlor der Familienverband ganz seine Bedeutung
für das genossenschaftliche Leben, wenn Familienglieder sich
ausserhalb der Mark ansiedelten, neue Familien und Ge-
schlechter gi'ündeten; und endlich ^ drang durch Kauf und
Tausch oder auch durch originären Erwerb ^) von Grund und
Boden soviel fi-emdes Element in die Markgenossenschaft des
Geschlechtes ein, dass auch dadurch die alte Gmndlage der
Genossenschaft nicht mehr erhalten bleiben konnte. Es ist
dabei naheliegend, dass diese Umwandelung sich allmälig voll-
zog und dass die sociale Bedeutung der Markgenossenschaft
in der gleichen Zeit eine sehr vei*8chiedene war ; ja wir haben
nicht einmal Anhaltspunkte, welche uns zu der Annahme be-
rechtigten, dass der eine Volksstamm vor dem andern durch
die Ausbildung, welche er der Markgenossenschaft zu Theil
werden Hess, sich besonder hei-vorgethan hätte. So sehen
wir denn auch in der That seit der ältesten Zeit örtliche
Gemeinschaften vorhanden, welche als blosse Familienverbände
oder Geschlechter zu erklären jeder Anhalt fehlt ^. Eine
Gemeinschaft von Nachbarn ist es dann, welche überall, soweit
wir sehen, ihren Zusammenhalt findet in den rein nachbar-
lichen Beziehungen, welche gewisse gemeinsame Interessen
erzeugen, und in dem gemeinsamen Besitz von unbebautem
Land, das sich zwischen den Sonderbesitzungen der Einzelnen
in ziemlich unbestimmter Weise hinzieht und auf dessen
Nutzung derjenige einen Anspruch hat, der in einer bestimmten
Gemarkung über Grundbesitz verfügt.
Von einer peraönlichen Verbindung deijenigen, welche in
einer villa dui*ch blosse Markgenossenschaft vereinigt sind, ist
nii-gends die Rede. Auch die immer hierfür angeführte Stelle
der lex Salica de migi-antibus (tit 45) spricht immer nur
von der Geltendmachung des Einzelinteresses an der unge-
^) Vgl. z. B. Trad. Sang. 830 (1, 331) qaas comparavit ad iUos Yicinos.
*) In Fällen, wo Angehörige verschiedener Volksstämme in einer Villa
beisammen saasen, ist das sogar ganz unmöglich; vgl. Cod. Fuld. 811,
No. 261: venit ad villam V. quam tunc tempore Frand et Saxones inhar
bitare videbantor. Aber eben daraus lässt sich auf einen losen persön-
lichen Zusammenhalt der Bewohner schliessen.
~ 79 —
schmälerten Nutzung des Marklandes ^). Und auch sonst ver-
nehmen wir fortan nichts von pei*sönlicher Gemeinschaft, wie
man sich dieselbe etwa als sociale Gleichwei-thigkeit vorstellt.
Ständische Unterschiede kommen vielmehr immer wieder in
der Markgenossenschaft zum Ausdrucke*) und es spricht
gleichfalls nicht für das Prinzip der socialen Gleichheit, dass
selbst Könige und Herzoge Mitglieder solcher Genossenschaften
sein konnten^).
Ebensowenig aber finden wir eine Gleichheit der Güter
und des Besitzes überhaupt bezeugt, wie diese für die ältere
Markgenossenschaft ohne weiteres angenommen zu werden
pflegen^). Vielmehr lassen die Urkunden daiHber keinen
Zweifel, dass Ungleichheit der Güter und des Vermögens der
Genossen schon sehr früh vorhanden war'^). Die Gleichheit
der Nutzung aber, der wir an manchen Stellen begegnen^),
erklärt sich leicht wenn wir berücksichtigen, dass eben auch
die ständischen Unterschiede für das Mass der Nutzung ent-
^) YgL aosftüurliches darüber weiter unten S. 95 f.
') So Cap. Chlodoyech. ad l. Sal. (LL. II, 4) meliores — minofledis
fitini.
') Mittelrb. ürkb. 770, I, 22 hat König Earlmann einen V^Tald- und
Brannenantheil zu Benezfeld, Meichelb. Ja, 49 (750) Herzog Tassilo einen
Antheil an dem Weidegebiet Yon Erching. Yielleicht können hieber auch
bezogen werden die Urkunde des Mittehrh. Urkb. 715, n, 2, in welcher
Herzog Arnulf in BoUane viUa schenkt, quantumcunque in ipsa yiUa mihi
Iqpbus obyenit, mea portione und ebenso 718, II, 8 Karl Martell, quantum-
conque mihi ibidem obvenit de genitore meo Pipino, quod contra aUo-
diones meos recepL
*) Die SteUe der 1. B%j. XVII, 2: lUe homo qui hoc testificare vo-
liierit» commarcanns eins debet esse, et debet habere 6 solidomm pecunia
et similem agrum, welche oft f&r die Gleichheit angeführt wird, spricht
eher dagegen, da es ausdrücklich hervorgehoben wird, dass der Zeuge
nicht bloss commarcanns sein, sondern auch den Betrag der Composition
and similem agrum besitzen muss.
*) S. unten 8. Abschn.
') Tr. Sang. 890, n, 680: usum qualem unusquisque liber homo de
sua proprietate . . . debet habere. Die in Tr. Sang. 766, I, 49 betonte
Gleichheit der Leistungen: quod paginsi nostri fJEidunt regi vel comiti, ita
et DOS betrifft Verhältnisse, die ausserhalb der Markgenossenschaft liegen.
— 80 —
scheidend waren ^). Wie hätte aber auch eine Gleichheit des
Besitzes fbr die Dauer bestehen sollen, da der Veräussenmg
und der Theilung kein Gesetz hindeind im Wege stand und
auch beides nach den Volksrechten und Urkunden fortwährend
vorkam ? *)
Auch was sonst über die pei*sönliche Genossenschaft aus-
gesagt wird, entbehrt für diese Zeit eines positiven Beweises;
wohl aber liegt in dem gänzlichen Fehlen solcher Lebens-
äusserungen ein nicht unwichtiges Argument gegen eine über-
triebene Vorstellung von der Bedeutung der Markgenossen-
schaft. Besonders ist es charakteristisch, dass wir nie etwas
hören von einem Schutz der Genossen in ihrer socialen
Stellung, eine Aufgabe, welche doch wie keine andere der
Genossenschaft hätte zufallen müssen. Weder von einem
Widerspruch, wenn sich einer in fi-emde Botmässigkeit begab,
seine Freiheit verlor etc. wird etwas laut, noch nehmen wir
Bemühungen war, den Genossen vor der Verarmung zu
schützen, überhaupt nur eine gewisse Gleichheit des Besitzes,
auf der doch die Markgemeinschaft aufgebaut sein soll, zu
erhalten. Die Besitzer der einzelnen in der Gemarkung der
Villa gelegenen Güter kommen und gehen, werden aus Freien
Unfreie oder doch Minderfreie, verkaufen, vertauschen, ver-
schenken ihr ganzes Erbgut oder doch einen Theil desselben,
nebst ihrem Antheil an der Mark ') ; es dringen neue Besitzer,
^) Cod. Lauresh. 868, 1, 38: Der Freie sendet 10, der serrus 5 Schweme
in den gemeinsamen Wald , der freilich schon im grandherrlichen Ver-
bände war.
*) L. SaL 59, 2, 5. L. Alam. 1, 2, 88. L. B^jay. I, 1. L. Thoring.
18. L. Sazon. 15, 8. S. n. 8. Abschn. S. 96 ff. Die einzigen Beachrftnku&geD
gingen von der Familie aus L. Baj. I, 1. L. Saz. c 62. L. Borg. I, 1, 2,
wie auch die sp&tere Marklosung ihre Wurzel in der Erblosnng hatte:
L. Saxon 64: Si hereditatem . . . vendere volnerit, offerat eam primo
proximo suo (seinen Verwandten), si ille emere noluerit, offerat tutori sno.
S. a. Stobbe, deutsches Priv. R. 2. Aufl. U, 120 ff. Die scheinbare Aus-
nahme in L. Burg. 84, 2 wo ein Näherrecht des Romanus hospes statiiirt
ist, darf nicht hieher bezogen werden.
") Z. B. G. Laur. 815 I, 106 siWae communionem (ist aber nicht
auf Gemeinwald mehrer Villen zu beziehen). 796 Lacomblet ürk. B. £ d.
— 81 -
oft sehr mächtige, auf diesen Wegen in die Gemeinschaft ein,
bauen das Gut selbst oder durch hörige Leute, denen sie auch
die Ausübung der Markberechtigung überlassen, oder lassen
das Gut wohl auch öde liegen, und die „Markgenossenschaft'^
sieht gleichgültig all diesen Veränderungen zu, lässt die Gleich-
heit des Status und der Lose schwinden und eine neue, gänz-
lich verschiedene Eigenthumsvertheilung sich anbahnen : wahr-
lich es ist nicht abzusehen, worin denn ihre grosse social-
poliüsche Stellung begründet war, die ihr so gerne, besonders
für diese Zeit, zugewiesen wird.
Wenn sich darnach aber auch die Bedeutung der Mark-
genossenschaft als socialer Organismus ganz wesentlich ver-
mindei-t, so bleibt doch von der geläufigen Voi-stellung der
alten Markgenossenschaft ihr Charakter als Wirthschafts-
gemeinschaft und Gemeinwirthschaft übrig. Aber auch hier
veranlassen uns die urkundlichen Nachrichten zu nicht un-
wesentlichen Einschränkungen. Sehen wir hier auch ganz ab
von dem unbedeutenden Einfluss, den die Genossenschaft auf
die Erhaltung der ökonomischen Gleichheit und auf die Güter-
vertheilung genommen hat, so musste sich ihre Wirksamkeit
doch vornehmlich manifestiren durch den Ausbau des Landes^
durch rationelle Benutzung des Gemeinlands, durch Herstellung
genossenschaftlicher Institutionen für die Ausbildung der wirth-
schaftlichen Kräfte besondei*8 zur Steigerung des Ertrags von
Grund und Boden, überhaupt durch Gesammtleistun§en, welche
ebensowohl den Gesammtbedürfnissen dieser Gemeinwirthschaft,
wie den Literessen der Einzelwirthschaften dienstbar und
förderlieh zu werden geeignet waren.
Der Ausbau des Landes ist in der Zeit vom 6.-8.
Jahrhundeit allerdings recht bedeutend. Von den ältesten
Orten tragen die meisten Orientirungsnamen ; erst später
treten (und noch immer unbedeutend) auch Personennamen
Gesch. d. Niederrheins , I. n. 6 communionernque Id eandem silvam, simili
modo tradidi et piscationem. Aach bestimmte Ausnahmen kommen yor;
85ä Tr. Sang. II, 463 excepto . . . pascuam et liglia cedenda; hoc tantam
non dedemnt.
Ton Inama- sternegg, Wirthsehaftsgeschichte. I. 6
— 82 —
auf. Daraus scheint allerdings hervorzugehen, dass der älteste
Ausbau im Stammlande durch die Genossenschaft (oder die
einzelnen Genossen) erfolgte und dass erst später der grosse
Grundbesitz seine colonisatorische Mission übernahm. Es ist
aber schwer zu entscheiden, wie weit darin eine eigentlich
genossenschaftliche Leistung gesehen werden daif. Belege
fbr die Anlegung neuer Dörfer durch die Genossenschaften
fehlen gänzlich. Erst spät tritt in den Weisthümem dann
und wann eine genossenschaftliche Anordnung der Colonisation
von Markgründen hei-vor^). Dagegen finden sich Beispiele
von grösseren Rodungen und Ansiedelungen durch Einzelne
schon fi'ühzeitig ; *) und jedenfalls legte die Genossenschaft den
einzelnen Genossen keinerlei Hindemisse in den Weg, die
Mark zu cultiviren.')
Doch begegnen uns auch wenigstens schon im 8. Jahr-
hundert Spuren einer Beschränkung der Markrodung auf den
Bedarf des Märkers oder nach Massgabe seines Hufenbesitzes
*) Z. B. Landbuch von üri 335, § 3. 12. 17. Tirol. Weisth. I, 68. II, 16.
^ Cod. Fuld. 801 No. 165 n. 471 wird von 15 Personen eine ^osse
Bodnng gemacht; die zwei Personen aber, qui cocperont illam captoram
inprimitos waren send des Stifts Fulda, occupirten also wohl gar im Auf-
trage des Stifts. Ried. Cod. Ratisb. 819, I, 20: Venenint et iUi qui inioste
eandem commarcam (des Bischofs) ultra quod debuerunt, eztirpaTenmt
contra legem. Es ist in beiden Fällen nicht deutlich, ob freie Markgenossen
die Rodung ^unternahmen. Dass der Ausdruck coUaboratos den Antheil
an einer mit andern gemeinschaftlichen Rodung bezeichne, wie Landau
(Territorien S. 159) meint, ist weder durch die von ihm citirten Stellen
noch sonst zu erweisen. Er ist mit elaboratus gleichbedeutend. Auch
Rodungen, welche einer cum amids suis macht, dflrfen nicht hieher be-
zogen werden; es handelt sich dabei vielmehr um herrschaftUche Ve^
h<nisse; vgl. II. Buch, 1. Abschn.
") Die zahlreichen capturae, comprehensiones etc. der Urkunden sind
hiefHr an sich schon ein vollgültiger Beweis. Ausdrückliche Betonung
eines unbeschränkten Rechtes am Gemeinwald Tr. Sang. 854, n, i26:
Omnem utilitatem, id est in pascuis, in aedificationibus, in lignis caedendis
et in Omnibus rebus, quibus homo in communi saltu uti potest, utendi po-
testatem habeamus. Et si quid in eodem saltu adhuc minime sit com-
prehensum, comprehendendi potestatem habeamus, absque ulllus infesta-
tione. YgL i. A. Besnier, der Neubruch nach dem älteren deutschen
Rechte in Symbolae Bethmanno-Hollwegio oblatae 1868.
- 83 —
in der Mark. ^) Wo solche Beschränkungen eintraten, da
musste allerdings ein wirthschaftspolitischer , zum mindesten
ein organisatorischer Oedanke die Genossenschaft leiten; sei
es nun, um dem Aufkommen allzugrosser Besitzesunterschiede
und einer die Freiheit der Genossenschaft gefährdenden Grund-
herrschaft zu wehren, oder um rechtliche Conflicte auf Mark-
boden zu verhüten und Ordnung in die Benutzung des Gemein-
guts zu bringen , oder endlich doch schon wegen der nahen
Erschöpfbarkeit der Markgrande. Jedenfalls aber sind solche
Erwägungen noch selten aufgetreten, und es bleibt das Wahr-
scheinlichste, dass in dieser Periode im Allgemeinen freie
Bodung auf Markland jedem Hufenbesitzer als ein zu seiner
Hufe gehöriges Recht am Territorium der Gemeinde zustand und
nach dieser sich bemass. Es stimmt diese Auffassung nicht
nur am besten zu der späteren Ordnung dieser Verhältnisse,
sondern findet einen wichtigen Anhaltspunkt auch in den Be-
stimmungen über die Nutzung der Markgründe mit Erhaltung
ihres Hauptcharaktei*s. Diese scheint allerdings nun einer
Beschränkung unterworfen gewesen zu sein, wie sie durch die
Ausdehnung der Sonderwirthschaft der Genossen wie von
selbst sich ergab. Zahlreich sind die Beispiele aus Urkunden,
welche uns die Wechselbeziehungen zwischen Hufe und Mark-
nutzung zeigen. *)
^) Die von Gierke, Rechtsgeschichte der Genossenschaft I, 68 hier
angezogene Urkunde in Tr. Sang. 779, I, 85 ist allerdings nicht beweis-
kräftig, da hier über einen (eignen) Wald yon einem GrundeigenthOmer
Teriügt wird; aber auch abgesehen daTon, heisst es doch deutlich: tantum
sxartent, quantum podent in eorum compendio et ad eorum opus qui ibi
manunt: soTiel sie zu ihrem Vortheile und BedOrfnisse dort zu arbeiten
Termögen; es wird ihnen also eine ziemlich unbeschr&nkte Rodongsfreiheit
gewährt. Eher spricht schon die Urkunde' bei Ried Cod. Ratisb. 817, I,
17 dafilr, wenn es heisst: injuste eandem commarcam ultra, quod debue-
nmt, extirpavernnt contra legem, wenn sich die Stelle nicht auf Capit.
Baioar. 808 (LL. I, 127) c 6 de rebus propresis bezieht, und damit wieder
gnmdherrlichen Besitz berührt Yielleicht kann die Urkunde 850 Cod.
Fold. 560: comprehensionem silvae quam iniuste comprehendit hieher be-
zogen werden, obwohl auch hier von einer restitutio silvae an den Abt
die Rede ist
') Lacomblet Urk. B. f. die Geschichte des Niederrhein 793, IV, 758:
6*
- 84 —
Es ist eine solche öffentliche Begrenzung der Mark-
nutznngen, wenn nicht schon mit der ursprünglichen Feld-
vei-theilung gegeben, so doch jedenfalls in dem Augenblicke
Bedttrfhiss geworden, als die mehr patriarchalische Familien-
gemeinschaft aufgehört hat und ein eigentlicher Nachbar-
verband an ihre Stelle getreten ist. Dabei ist es nahe ge-
legen, dass ein BedQrfoiss dieser Art mit dem BedOrfiüsse-
einer festeren Gemeindeordnung Oberhaupt entstand, dass es
daher auch früher da seinen Ausdruck fand, wo die Besiede-
lungs- und Bewirthschaftungsverhftltnisse weiter voi^geschritten
und daher Reibungen zwischen den Berechtigten häufiger
waren, als in jenen Marken, die bei geringer Bevölke-
rung in Wahrheit noch über ein unerschöpfliches Markland
verfügten.
Diese Ordnung der Markbenutzung war aber doch auch
nicht die einzige organisatorische That der Markgenossenschaft.
Wir können dabei absehen von jenen polizeilichen Bestimman-
gen der Volksrechte, die zur Verhütung von Gefahren beim
Holzfällen oder Niederbrennen, bei der Jagdausübung und
ähnlichem zu besorgen waren. ^) Wohl mag in ihnen ein
Ausdruck des gemeinsamen Gewohnheitsrechts der Genossen-
schaften erblickt werden; aber doch sind sie, wie sie sich
darstellen, nicht unmittelbar als eine organisatorische Leistung
der Genossenschaft aufzufassen. Und das um so weniger, als
•
wir sonst keine Beschränkung der freien Jagdausübang oder
in quo etiam tennino (des geschenkten Erbtheils) dominationem tradidi
eidcm presbitero in Bilvam que per ctrcnitiim iacet, quantnm pertinet id
onam hoYam ad pascaa animalimn Ben ad exatirpandom Tel ad ^compre-
hendendum iuxta quod ntUe videtor eidem serro dei vel suocesaoribm snis.
ib. 796, I, 7: scara in silva iuxta formam bo?e plene. Tr. Sang, 855, Ü,
444: iuxta quantitatem bereditatia in viUa pastum porcorom aliommqae
peeomm seu indsionem ligni babeat Schon L. Burgond. 07 bestimmt:
quicunque agram aut colonicas tenent, secundum terramm modum yel pos-
sessionis suae ratam, sie silvam inter se noTerint dividendam. (LL. HI,
561). Auch L. Rom. Burg. 17, 4: silYarum, montiam et pascaomm nni«
cnique pro rata suppetit esse communionem (LL. in, 607). Vgl meine
„Grundberrscbaft" S. 17.
») Z. B. L. Saxon. c 55—58.
— 85 —
der Waldnutzung ^) kennen , der Grundsats freier Jagd und
Fischerei vielmehr ttberall anerkannt war. ^)
Dagegen finden wir allerdings nicht unweBentliche Leis£un-
gen der Genossenschaft in Bezug auf die gemeinschaftliche
Weide, welche auf eigentlichem Marklande, besondei's im
Walde, wie auf den Sonderäckern der Genossen stattfand, so-
weit und so lange sie nicht gehegt waren.')
Der leitende Gesichtspunkt hierbei war offenbar, dass
alles Land, das keine Früchte ti-ug, di^ durch Arbeit ge-
wonnen werden mussten, dem gemeinen Nutzen offen sein
sollte*).
Um aber hinsichtlich der Weideflächen immer im klaren
zu sein, ist die Umzäunung oder wenigstens Bezeichnung
(wiffa) der geboten Grundstücke (Feld, Wiese, Wald) in den
Volksrechten vielfach vorgeschrieben, wodurch dieses Land
fbr immer oder theilweise als Culturland bezeichnet und damit
von der gemeinschaftlichen Nutzung ausgeschlossen war^).
^) Die L. Ripuar. 76 handelt nur Ton gestohlenem Holze in einem ge-
meinen Walde.
*) Z. B. Cod. Fuld. 951 Ko. 688: iorestum in qua prius erat communio
omniom civiam venatio.
^ L. Sal. IX de damno in messe vel in dausura inlatum. L. Rip. 82
de damno in messe Tel iiS dausura. L. Biy. X, 18: si autem Signum,
quem propter defensionem ponuntur, aut iniustum iter exdudendi vel pas-
cendi campunp defendendi vel applicandi secundum morem antiquum. Tr.
Sang. 855, II, 439: ut pascua commuma in agris habeamus betrifit einen
Besitzstreit zwisdien St Gallen und den coheredes Bihwini, welcher da-
dordi ausgeglichen wird, dass sie den streitigen Ort theilen und nur pascua
communia in agris behalten. Von einer Markgenossenschaft ist dabei
keine Rede, üebereinstimmend damit auch Waitz altdeutsche Hufe S. 86.
*) Am deutlichsten ist das in 1. Sal. IX, 8, Zus. 2: Si .... in messe,
üi prato, in vinia Tel in quaUbet laborem pecora miserit; ähnlich wie auch
4ie L Rip. in Bezug auf Waldnutzung bestimmt: tit 75 (78) Si quis . . in
silra Gommoni seu Regis Tel aUcuius locata materiamen Tel ligna fissa
abstolerit. . . Sic de Tenationibus Tel de piscationibus; quia non res poB-
sessa est sed de ügno agitur.
") Sehr deutlich in Ed. Rothar. 363: Nulli sit licentia itinerantibus
herbam n^^are, ezc^to prato intacto, tempore suo, aut messe. Post
foenmn aatem, aut fruges collectas, tantum fruges Tindicet is, cuius terra
- 86 —
Dass die Zaunerrichtung eine öffentliche (markgenossenschaft-
liche) Angelegenheit war, ist darnach allerdings anzunehmen,
aber nicht im Sinne einer markgenossenschafüichen Leistung
zu verstehen*).
Mit dieser Zaunpflicht, die, ähnlich wie die übrigen feld-,
wald- und jagdpolizeilichen Bestimmungen der leges auf all-
gemein verbreitetem Gewohnheitsrechte beruhen wird, war
aber auch so ziemlich alles gethan, was überhaupt die Mark-
genossenschaft zum^chutze des Betriebs und der Früchte der
Wirthschaft ihren Genossen zu leisten sich verpflichtet hielt.
Denn selbst die unerlaubte Beweidung von fi'emden Grund-
stücken während der Fructifications-Periode hatte nur Schadens-
ersatz zu Folge'); sie war aber keineswegs unter öffentliche
Aufsicht gestellt wie die Zäune selbst; in einigen Gesetzen
stand wenigstens dem Beschädigten ein Selbstpfändungsrecht
zu Gebote'). In andern war auch dieses Mittel nur durch
den judex zur Verfügung*). Dass diese Gemeinweide auch
gemeinschaftlich benutzt wurde, scheint aus manchen Anhalts-
punkten hervorzugehen, welche sich in den Volksrechten
finden. Wiederholt handeln sie von den Viehherden, deren
Hirten sie unter den besonderen Schutz des Volksrechts
stellen *). Auch filr Leit- und Faselvieh zu einer jeden Herde
ist gesorgt^), und es scheint, dass diese Anordnungen und
est, quantnm com claosnra sua potest defendere. Auch L. Wisig. vm,
5, 5 qoia illis (consortibus) usoin herbarom, qoae condusae von faen&t,
constat esse eommonem.
^) Auch ans L. Bai. Xu, S darf nicht die Intervention der Mark-
genossen bei jeder Zannerrichtiing herausgelesen werden; die Nachbarn
(vidni) sind einfach Zeugen, dass ein zerstörter Zann wieder in rechtmftssi-
ger Weise hergesteUt wurde. Anders Maurer, EinL 148.
») L. AL 76, 2. (LL. HI, 72) L. Bai. tii U, c 17. (LU III, 318.)
') L. SaL tit. 9, c. 4.
*) L. AL 76, 101. L. Bai. 18, 1: Pignorare nemini liceat, nisi per
inssionem iudids. (LL. m, 814.)
«) L. SaL 10, Zus. 4. 85, 6. L. Alam. 76, 8; 81, 1—6.
•) L. Sal. 8, 4. L. Rip. 18, 1. VgL 4. Absch. S. 169. Die in L
Alam. 77, 81 genannte legitima yaccaritia, sowie der legitimus pastor otiiub
ist aber gerade als Ausnahme davon anzusehen. Aber L. Alam. 76, 1,
— 87 —
Einrichtungen vorzugsweise auf die kleinen Grundbesitzer in
in der Genossenschaft berechnet waren, deren mehre zu-
sammenstehen mussten, um eine volle Herde im Sinne des
Volksrechts zu bilden. Ob freilich die Hirten und die Wucher-
thiere hiei*ffir von Genossenschaftswegen aufgestellt waren,
oder ob sich die Grundbesitzer zur Haltung derselben privatim
verständigt haben, das lässt sich aus den Quellen nicht er-
mitteln.
Wer aber mehr als 12 Kühe, 80 Schafe etc. in seinem
Besitz hatte, konntp sich von Rechtswegen einen selbständigen
Hirten halten^), denn er besass damit nach der Au£fa8sung der
Volksrechte eine ganze Heerde ') ; er benutzte dann also auch
die Weide selbständig und war nicht mehr an die etwa statt-
findende genossenschaftliche Anordnung des Yiehtriebs ge-
bunden. Und nicht immer scheint die von den Yolksrechten
bestimmte Stückzahl Vieh für Bildung einer selbständigen
Heerde eingehalten worden zu sein, wie denn überhaupt die
Verfbgung grösserer Grundbesitzer über einzelne Weidegebiete
schon frühzeitig einen hohen Grad von Selbständigkeit an-
genommen hat').
Auch von anderen gemeinschaftlichen Nutzungen des
Gemeinlands ist vielfach die Rede. Es gibt gemeinsame
101 c. 1 kann doch von gemeinsamen Herden der Genossen verstanden
werden. Ja die L Salica m, 5 erw&hnt sogar einen drei ViUen gemein-
samen Stier (taiiros ipse de tres villas communis vaccas tenuerit), was auf
eine gemeinschaftliche Herde derselben, aber nicht aoch auf Weidegemein-
schaft Ton drei Dörfern schliessen Iftsst Vgl. ob. 1. Absch. S. 48.
^) Vgl. Ed. Roth. 136: Si quis pecorarium aut caprarium seu armen-
tariom occiderit ... De illis vero pastoribus didmus, qui ad liberos ho-
mines serriunt et de sala propria exeunt
*) L. Alam. 76, 77, 81. Auch die Urkunden f&hren schon früh Her-
den mit ihren Hirten als ZubehOr einxelner Sondergüter auf; z. B. das
Testament des Diacons Grimmo 686 (Mittebrh. ürkb. I, 6) Tervedbus, ver-
Ticarüs, porcos porcarüs. Spftter Tr, V^izzemb. 774 No. 54: dono 12
Yaccas et iUo pastore, 40 berbices cum pastore. 778 (Mittebrh. Urk. B.
I, 82) und 787 ib. 84: greges cum pastoribus.
') Vgl unten 8. Absch. S. 117 u. H. Buch 1. und 3. Absch.
— 88 —
Brannen ^), Quellen und Bäche *) ; Wege und Plätze im Dorfe
sind wohl zu aller Zeit der Yeiibgung Einzelner gänzlich ent-
zogen gewesen'^). Mühlen und Schmieden stehen zwar unter
dem Schutze des Volksrechts und werden, wie die Kirchen,
als öffentliche und allzeit offenstehende Einrichtungen zum
Besten Aller bezeichnet ^) ; sie sind aber desshalb doch ebenso-
wenig als Anstalten aufzufassen, welche die Markgenossenschaft
selbst eiTichtet hat und gemeinwirthschaftlich betreibt^), wie
die Kirchen dieser Zeit, die ja auch keineswegs als Grün*
düngen der Markgenossenschaft angesehen werden können.
So unbedeutend nun aber auch, selbst auf dem rein
wirthschafblichen Gebiete die organisatorische Leistung der
Markgenossenschaft, die gemeinwirthschaftliche Leistung selbst
wie die positive Fördemng der Sondei-wirthschaft sein mag,
so wäre es doch ungerechtfertigt, die Bedeutung der Mark-
genossenschaft in der ältesten Periode des Mittelalters zu
unterschätzen. Schon die Thatsache allein, dass jede Ortschaft
mit ihren einzelnen Ansiedelungen und deren Feldern, mit
ihrer Gemarkung und deren nutzbaren Ländereien eine un-
bestrittene Einheit bildete, musste bindend und verbindend
^) L. BfyuT. X, 28: Si autem plurimorum in vicinia puteos fuerit.
«) L. Biyuv. X, 22. ürk. Kg. Karlmaims 770 (Mittelrh. Urk. B. I, 27).
Die vielfach hier angecogne Stelle 1. Alam. 86: Si qois malinom aat
qoalecamque cUasuram in aquam facere Toluerit, sie faciat, ut neminem
noceat handelt nur von Privatgewässem und hat nur den möglichen Scha-
den der Grundstücksnachbam im Auge wie ib. 86, 3. 4: Si ambas ripas
Buas sunt . . . Si autem una, alterum aul roget aut conparit nur von einer
Gemeinsamkeit der UferbesitsEer handelt. Von einem Gemeinrecht am
Wasser selbst ist hier keine Rede.
') Sowohl die viae publicae et regales, als auch die viae et semitae
convicinales waren unter den Schutz des Volksrechts gestellt L. Baj,
X, 20, 21. Die SteUen 1. Sal. 31, 1. Rip. 80, 1. Ahun. 67 unterscheiden
nicht zwischen den verschiedncn Wegen.
*) L. Bajuw. IX, 2: Si quis in fabrica vel in mulino aliquid form-
verit . . . quia istas domus casas publice sunt et semper patentes.
^) So Gfrörer, zur Geschichte der Yolksrechte II, 140. Im Gegen-
theil ist in 1. Alam. 86 c. 1 offenbar von Privatmahlen die Rede. Anch
in den breves notit Salzburg, ed. Keinz. z. B. VIU, 21, 23 werdra mehr-
fach von Einzelnen Mahlen geschenkt
— 89 -
auf die Bevölkeiiing wirken. Zwai* von einer Feldgemeinschaft,
wie sie etl^a nach Caesar angenommen werden muss, und nach
Tacitas noch vielfach angenommen wird, ist schon in den
Zeiten der Volksrechte nicht mehr die Rede^). Jeder Freie
ist Ginndeigenthttmer und an den Feldern, theilweise wenigstens
auch an den Wiesen und Wäldern, die zu seinem Hofe ge-
hören, hat er ein unbestrittnes Eigenthum; aber eine Reihe
von Institutionen verbanden ihn trotzdem auch ökonomisch
den Uebrigen, so dass eine gewisse Gemeinsamkeit der Inter-
essen und damit des Handelns immerhin erzeugt werden musste.
Wir rechnen hierher vor allem die gemeinschaftliche Feldweide
nach der Hegezeit, die ohne gewisse allgemeine Anordnungen
oder wenigstens eine allgemein anerkannte und von allen
geübte Gewohnheit nicht wohl gedacht worden kann. Mag
nun auch immerhin diese feldgemeinschaftliche Nutzung von
Sondergrundstücken vorzugsweise nur für Genossenschaften
mit dörflicher Ansiedelung Bedeutung gehabt haben, so bleibt
sie bei der grossen Verbreitung des Doifsystems auch schon
in dieser Zeit nichts desto weniger ein sehr wichtiger Factor
für eine ökonomische Interessengemeinschaft.
Freilich darf dabei nicht übersehen werden, dass die
beiden Hauptmomente, welche den ökonomischen Werth dieser
Nutzung zu steigern veimochten, der Ausbau der Mark und
die Abschliessung grösserer Ginindberrn von der Gemeinschaft
in dieser Zeit erst anfingen wirksam zu werden. So lange
noch die Mark der Genossenschaft mit ihren reichen und mannig-
faltigen Nutzungen offen stand, brauchte auf die Brach weide
ein solcher Werth nicht' gelegt zu werden, dass es nicht jedem
hätte verstattet sein können , sich beliebig von dei'selben durch
Umzäunung oder sonst abzuschliessen *). Bei dörflicher An-
siedelung wenigstens hat sodann die mit ihr nothwendig ge-
gebene Gemengelage der Felder eine Vereinbarung und
Gemeinsamkeit in der Feldbestellung und Srnte unentbehrlich
^) Das nähere im 8. Abschnitt S. 97 und 100.
^ Dafür werden die Ausdrücke ager, pratum defensam gebraucht; auch
die Eütofigkeit der „binnda'' scheint di^r zu sprechen.
- 90 —
gemacht; ebenso ist die Ausbildung gewisser Nacbbarrechte
damit unvermeidlich geworden, deren Schutz un^ Aufrecht-
erhaltung dann wieder ohne eine genossenschaftliche Leistung
kaum gedacht werden kann.
Sehen wir aber auch ab von dieser besonderen Gemein*
samkeit ökonomischer Interessen, die mehr veimuthet als
streng bewiesen werden kann, und auch je nach der An-
siedelungsweise in sehr verschiedener Stärke und Intensität
auftritt, so ist allein schon der Zusammenhang, welchen das
nachbarliche Wohnen und Leben erzeugt, in Verbindung viel-
fach mit den Familientraditionen der alten Geschlechts - Ge-
nossenschaft hinlänglich, um uns die Bedeutung der Mark-
Genossenschaft nahe zu legen.
Schon die Allgemeinheit der Institution macht sie zu einem
wichtigen Factor for das sociale Leben des deutschen Volkes.
Ueberall erscheint die Markgenossenschaft als die untente
Gliederung des Volkes, wenn auch nicht, wie vielfach an-
genommen wird, mit jener Intensität ihrer Wirksamkeit, wie
sie uns später begegnet Auch waren die Genossenschaften
der ältesten Zeit vielfach sehr gross, wodurch ihre organisa-
torische Wirksamkeit, wenngleich sie intensiv wenig bedeutete,
doch extensiv sehr wichtig genannt werden muss.
Fttr alle aber, die von einer Markgenossenschaft um-
schlossen wurden, war schon die Macht der Institution von
grosser Wirkung. Jeder, mit allen seinen Interessen, war
doch mehr oder weniger von der Genossenschaft beiUhrt; das
Mai'kland war ihm unentbehrlich, und ebenso die genossen-
schaftliche Ordnung seiner Benutzung wie des feldwirthschaft-
lichen Betriebs, wenigstens bei einem einigermassen ausge-
bildeten Dorfeystem. In dem gesellschaftlichen Zusammen-
halte, den die Nachbarschaft als solche gewährte, war das
Mittel fbr Befriedigung einer Reihe von Bedürfiüssen des per-
sönlichen wie des wirthschaftlichen Lebens der Genossen ge-
legen und es lag zu jeder Zeit nahe genug, durch Vereinigung
Gesammtleistungen hervorzubringen, zu denen der Einzelne
in seiner Isolirung nicht die Fähigkeit besessen hätte.
So waren die Keime zu einem festeren Zusammenschluss,
- 91 —
als er sich uns nach den Quellen für die ersten drei Jahr-
hunderte der urkundlichen Zeit darstellt, allerdings ,, durch
Sippe und Nachbarschaft^ (Grimm) gegeben; doch war manch
kräftiger Anstoss, manche Bedrohung, aber auch manche
Förderung der genossenschaftlichen Existenz von aussen noth-
wendig, um jenen socialen Körper daraus zu bilden, dessen
Lebensäusserungen in späterer Zeit so wohlthuend und be-
friedigend anmuthen. Die in der Genossenschaft selbst ge-
legenen Organisationsmomente waren für sich nicht genügend,
ans einer agi*arischen Gemeinschaft einen politischen Körper
zu machen. Die Familie, der sociale Unterbau der Mark-
genossenschaft ist überhaupt nicht staatenbildend; auf ihr
beruht die geordnete Foi-tpflanzung der 'Bevölkerung und die
Befriedigung derjenigen Bedürfhisse, welche aus dem Gemüths-
leben entspringen. Schon für die Wiilhschaft genügt die
Familie nur in sehr geringem Grade; ihre ökonomische Or-
ganisation ist immer vorwiegend auf gemeinsamen Genuss-
gebrauch gerichtet; solange der Genussgebrauch der Natur
einem geringen menAhlichen Bedürfinisse genügte, mochte
auch die Familie als Wirthschaftsorganisation genügen. Die
Freiheit gleichberechtigter Nachbarn sodann, welche die
weitere Genossenschaft bilden sollten, brachte es höchstens zu
einer Auseinandersetzung über die nebeneinander hergehenden
socialen Eidstenzen. Denn die Freiheit ist wie die Sittlichkeit
nur ein negatives Princip der gesellschaftlichen Ordnung,
kann also nie ihr Ziel sein. Der gemeinsame Besitz und ge-
meinsame Genussgebi-auch dieses Besitzes erschöpfte sich fort-
während und war überdiess immer nur Gegenstand der Be-
gehrlichkeit der Einzelnen, nicht für die Dauer ein bindender
Kitt des gesellschaftlichen Lebens. So lange daher die Fa-
milienwirthschaft der Einzelnen und das genossenschaftliche
Band der „Mark^ den Bedürfhissen noch annähernd entsprach,
war auch von einer socialpolitischen Ordnung der Genossen-
schaft nichts zu erwarten. Zur Erhaltung, zu ruhiger, stetiger,
aber allerdings an enge Grenzen gebundener Entwickelung
des Wirthschaftslebens war sie sehr geeignet Aber sobald
diese Grenze erreicht war und das Bedürfniss einer ange-
- 92 -
wachsenen Bevölkerung und eines erweiterten Lebensgenusses
nach weiteren Fortschritten verlangte, da erlahmte ihre Wirk-
samkeit und konnte erst durch das Erwachen neuer organi-
satorischer Kräfte zu neuem Leben erstehen.
Dritter Abschnitt.
Der Grundbesitz, seine Yertheilung und wirth-
schaftHehe Gliederung.
Dass die Deutschen aller Volksstämme, wie sie nach Ge-
schlechtem im Heere' geordnet waren, auch geschlechterweise
in den Gauen sich ansiedelten, gemeinsam Land in Besitz
nahmen und schliesslich an die einzelnen Familien vertheilten,
das scheint allerdings ausser Zweifel zu sein ^).
In welche Art der rechtlichen Verbindung aber diese
Geschlechtsgenossenschaft mit Grund und Boden gesetzt wurde,
und wie sich die einzelnen Genossen dieser Verbindung über
den Grundbesitz auseinandersetzten, das ist aus den ältesten
Quellen nicht mit Sicherheit zu erkennen. Besonders das-
älteste Denkmal socialer Zustände der Deutschen nach der
Völkei-wanderung , das salische Volksrecht, bietet in seinen
Angaben aber den Grundbesitz ganz beträchtliche Schwierig-
keiten für ein volles Verständniss der Lage.
Von einem alleinigen Eigenthum des Königs oder des
königlichen Fiskus an allem salischen Lande ist jedenfalls
keine Rede. In dem altsalischen Lande sass der freie Franke
^enso auf seinem eignen Giiinde, wie der freie Bipuarier,
der Alamanne innerhalb ihrer Volksgebiete*); und auch das
Gemeinland der Markgenossenschaften unterliegt, soweit wir
sehen, keinen Beschränkungen, welche auf ein königliches
Grundeigenthum oder Obei-eigenthum schliessen Hessen'). Wohl
^) Vgl 1. Abschn. passim und 2. Abschn. S. 72 f.
«) S. Roth. Bene£ W. S. 79. Waitz II, 240, 615. IV, 115.
') Dagegen folgert Schröder Forschungen XIX, 147 aus L 8aL 14, 4
und aus der Yerf&gung des Königs Über unbebautes Land, dass die in
• ■
— 93 —
fiel dem Könige bei der Occupation romanischer Gebiete wie
bei der ZurOckdrängung der Alamannen aus den mittleren
Rheingegenden , und bei anderer Gelegenheit viel verlassnes
Land und beträchtliches Domaninm zu'), über das er frei
verfügen konnte *) ; insbesondere stand dem Könige auch das
Kecht zu, verlassene Landstriche zur Occupation irgend einem
Volkstheile einzuräumen '). Aber weder daraus, noch aus dem
Einflüsse des Königs auf die Ansiedelungen in einer Gemeinde *)
folgt ein Eigentbum desselben an allem Lande, das unter
seiner Führung das Volk der salischen Franken besetzte.
Wohl aber stand die Einwanderung und Niederlassung fi*eier
Volksgenossen unter dem besonderen Schutz des Königs und
aus diesem Giomde hat sich derselbe bei Yertheilung des
Landes das Becht vorbehalten, selbst innerhalb der einer
Dorfgemeinde angewiesenen Mark neue Ansiedelungen zu ge-
statten *).
Anders allerdings mochten die Dinge in Gallien liegen;
Feldgemeinschaft befindlichen GrandstQcke gleich den Yöllig herrenlosen
Wildl&ndereien als Eönigsgat galten, den Gemeinden als solchen also wie
den einzelnen Oemeindegliedem nur ein Nntzongsrecht zustand. Da er
mm Feldgemeinschaft im salischen Lande allgemein annimmt, so wäre
damit allerdings die überwundene Ansicht Eichhorns § 26 von dem allei-
nigen Eönigseigenthume so ziemlich wieder eingef&hrt
^) Gaupp, Ansiedlungen S. 74. 385.
') Darauf legt insbesondere Eichhorn Bechtsgeschichte § 26 Gewicht.
S. a. Roth, Benefidalwesen S. 69, 72.
') Gregor Tur. Y, 15. Chlotar. I. und Sigebert räumen den Land-
strich, welchen die nach Italien gezogenen Sachsen bewohnt haben, herbei-
gezogenen Schwaben ein. Auch Gregor lY, 43. Spätere Beispiele bei
Roth Benef. W. 69 f.
^ L. Salica tit 14, 4. Si quis hominem qui migrare voluerit, et de
rege habuerit praeceptum et abbundivit in mallo publico et aliquis contra
ordinationem regis testare praesumpserit . . . culpabilis judicetur. Ygl. tit
45 de migrantibus. Dass dieser Einfluss aber kein unbedingter war, ist
gerade aus der Urkunde zu ersehen, welche z. B. Schröder 1. c. 147 für
ein Königseigenthum an Markgebieten anführt; Cod. Fuld. 811 n. 261:
Amalungus . . dum in nostro esset obsequo venit ad villam, cuius est to-
cabulum Y., quam tunc temporis Franci et Saxones inhabitare videbantur,
capiens ibi cum eis manere, sed minime potuit
*) Bethmann-HoUweg, Gvilprocess lY, 1 S. 469.
— 94 —
die Franken siedelten sich dort seit Chlodovech an, ohne
Landvertheilnng mit den Provinzialen vorzunehmen, auch ohne
sie auszutreiben, daher wohl überwiegend auf herrenlosem
Lande, auf welches dem Könige ein allgemeines Recht zustand,
daher der Gedanke einer üebertragung alles ausgetheilten
Landes von Seite des Königs wohl nahe liegt ^).
Auch an ein ausschliessliches Gemeineigenthum der Ge-
nossen eines Gaues oder einer Hundertschaft an dem Grund
und Boden ihres Gebietes ist für die Zeit des salischen Volks-
rechts nicht mehr zu denken. Die Bedeutung dieser grösse-
ren Verbände für die Agrai-verfassung hatte schon in
der Zeit zwischen Caesai* und Tacitus bedeutend abge-
nommen. Während sie bei jenem noch unzweifelhaite
wirthschafUiche Einheiten bildeten, ist bei Tacitus ebenso
ersichtlich schon die Familie die unterste wirthschaftliche
Einheit mit einem grossen Mass wirthschaftlicher Selb-
ständigkeit ausgestattet, wie es sich mit einem ausschliess-
lichen Gesammteigenthum der Gaue und Hundertschaften nicht
mehr veilrägt'). Allerdings werden diese nun, wegen ihrer
Bedeutung für die Heeresverfassung, während der grossen
Wanderzeit des deutschen Volkes wieder an Wichtigkeit zu-
genommen und auch bei der definitiven Ansiedelung die Grund-
lage der neuen agrarischen Ordnung gebildet haben; aber
eine dem Sondereigenthum mindestens nahestehende ener-
gische rechtliche Verknüpfung der Familien mit dem Boden
der neuen Heimath ist doch sicherlich auch bei den Saliern
schon für die Zeit anzunehmen, in welcher das salische Volks-
recht wohl zuerst eine Aufzeichnung gefunden hat Denn es
findet sich weder eine Feldgemeinschaft noch ein Flurzwang,
die wenigstens als Anklang eines Gesammteigenthums der
Gau- oder Centgemeinde gelten könnten. Die Gemeinschaft
des Wald- und Weidelandes, die uns hie und da als Gau-
») Roth Benef. W. S. 69, 75.
*) Der Gegensatz insbesondere in Caes. b. G. VI, 22, 28 und Tac
Germ. 12, 25, 26 ausgeprägt s. o. 1. Abschn. S. 11 f.
— 95 —
oder Gentmark begegnet ^), ist am Beginne der urkundlichen
Zeit jedenfalls schon sehr redudrt und keineswegs zu einer
Ausdehnung der Vorstellung' von einem Gesammteigenthum
dieser grösseren Verbände an ihrem ganzen Gebiet geeignet.
Auch berechtiget nichts zu der Annahme, dass die später
innerhalb der Gaue und Hundertschaften gebildeten Mark-
genossenschaften den gesammten Grund und Boden ihrer Ge-
markung als ihr Eigenthum betrachtet hätten '). Zwar kennt
die lex Salica keine Immobilienvindication'); erwähnt keinen
Rechtsstreit über Grund und Boden, kein Immobilienpfand-
recht; die Execution an Grundstücken scheint ausgeschlossen
zu sein, da derjenige, welcher ein Wergeid nicht bezahlen
kann, sein Gut den Verwandten abtritt, damit diese die Wer-
geldschuld für ihn übernehmen^).
Auch sind alte Spuren eines Vicinenerbrechts in einem
späteren Gesetz Ghilperichs (561 — 584) zu finden ^), aus denen
wenigstens auf ein ursprüngliches Gesammteigenthum ge-
schlossen werden könnte. Femer wird nach salischem Rechte
der Einzelne schon durch den Widerspruch eines Nachbarn
gehindert, einem Ankömmling bleibende Niederlassung auf
seinem Grund und Boden einzuräumen, was man als ein aus
dem höheren Recht der Gesammtheit an Grund und Boden
^) Z. B. Tr. Sang. 792 n. 184: infra marcha illa qaae Tocatar Mun-
tharihes huntari. S. die Beispiele bei Maurer Einleitong. S. 96.
*) Aach Waitz I, 117 f. bemerkt, dass die Gemeinschaft des Dorfes
am ganzen Gebiete (Feld und Mark) keineswegs ein YerfÜgongsrecht der
Einzelnen an Gnmd nnd Boden, den Begriff des Eigenthiuns, ansschliesse;
dieses konnte darnach also wohl nur ein durch die Interessen der Ge-
sammtheit beschrikoktes Sondereigenthum sein.
^ Sohm, Process der 1. Sal. S. 197 sieht in dem tit. 46 der 1. Sal.
de adfathamire, der Ton der Herausgabe des Vermögens (fortnna) durch
den Fidnciar an die Tom Testirer bestimmten Erben oder L^atare
bandelt, eine Spur der Immobilianrindication; dem widerspricht aber Beth-
mann-HolIweg Civilprocess IV, 1 S. 489.
*) L. Sal. 58 de chrenecruda.
^ Edictum Ghilperici c. 8 (LL. 11, 10) wo eben dieses Vicineoerbrecht
angehoben wird. S. o. 2. Abschn. S. 75.
— 96 —
abgeleitetes Recht des einzelnen Genossen zu deuten ver-
sucht ist*).
Da aber nicht die Gesammtheit als solche widerspruchs-
berechtigt ist^, und die über Jahr und Tag unangefochtene
Niederlassung zum vollberechtigten Markgenossen machte*),
was doch als Verjährungsfrist für Erwerbung von Grundeigen-
thum viel zu kurz wäre, so ist auch hieraus in keiner Weise
ein Eigenthum der Gesammtheit an den Ländereien des Ein-
zelnen, sondern nur eine Yerfügungsbeschränkung zu erblicken,
welche nur bestimmt war, dem Einzelnen Schutz gegen belie-
bige Verkürzung des Marknutzens durch neue Ansiedler oder
daneben noch etwaiger eventueller Erbrechte an den Gütern
der (jrenossen zu bieten.
Die Gesammtheit macht aber überhaupt keine aus-
schliessenden Befugnisse, welche Eigenthumsrecht zur Voraus-
setzung hätten, auf den Grundstücken der einzelnen Genossen
geltend^); diese erscheinen durch kein Eigenthnms- oder
Obereigenthumsrecht der Gesammtheit in der Disposition über
Grund und Boden gebunden; nicht wie Nutzniesser, vielmehr
ganz nach Art der Eigenthümer verfügen sie über Haus, Hof
^) L. Sal. tit 45 de migrantibus c. 1 : Si quis super alteram in villa
xnigrare Yoluerit, si onus vel aUqui de ipsis qui in villa oonsistont eom
soscipere voluerit, si vel nnos exteterit qni contradicat migranü ibidem,
licentiam non babebit
') Man hat das insbesondere aus dem (späteren) Zusatz zu tit 45, 2
folgern woUen: Si vero aUum in villa aliena migrare rogaverit, antequam
conventum fiierit Aber es handelt sich hier offenbar nur um die Cent-
▼ersammlnng, vor der alle Verträge über Liegenschaften abgeschlossen
werden mussten, um ihnen die nöthige Publicität zu sichern. S. a. Schröder
in Forschungen XIX, S. 147.
') L. Sal. tit 45, 3: Si vero quis migraverit et infra 12 menses nuUus
testatus fuerit, securus sicut et alii vicini maneat
*) Der eventuelle Widerspruch des Einzelnen gegen Abtretung einer
Besitzung durch Vergabung von Todeswegen (1. Sal. 46) hat keineriei
Bezug auf Genossenschaftsrechte an der Sache. Es wfire sonst doch nicht
an den für Geltendmachung von Privatrechten im Allgemeinen bestehenden
Einredefristen festgehalten.
— 97 —
und Garten^, über Feld und Enite*), ja selbst über Wiesen»)
und wader*). Sie machen Einfi-iedungen zu Gartenanlagen ^),
auf dem Felde«) oder an Wiesen') und können auch nach
der Ernte sich des willkürlichen üeberfahrens der Nachbarn
ei-wehren®). Auch sind Flurgrenzen der einzelnen Gehöfte,
0 L. Sal. 27, 11: Si fenom exinde ad domum suam duxerit. 34, 4:
in carte alterius aut in casa; 27, 6: in orto alieno.
') L. Sal. 27, 8: Si quis de campo alieno Uno furaverit Zus. 7: Si
qms in agram alienum arborem insertom exciderit 27, 24: Si quis in
campo alieno araverit — Capit. Chilp. (?) c. 13 (LL. II, 12) de eo (fm
alienum ortom aut nabinam effiregerit. — L. Sal. 9, 1 : Si quis animalia . . .
in messe sua invenerit; auch 9, 4; 9, 7 in messe aliena.
') L. SaL 9, Zus. 2: Si vero . . . sepem alienam aperuerit et in messe,
in prato, in Tinea vel qualibet laborem pecora miserit 27, 10: Si quis
prato alieno secaverit
*) L. Sal. 27, 18: Si quis ligna aliena in silva aliena furayerit Dass
hier nicht an Privatwald, sondern an den einer fremden Gemeinde ge-
hörigen Wald zu denken sei, wie Schröder Forschungen XIX, 145 t^I,
ist nicht zuzugeben; die Bestimmungen des Titels 27 beziehen sich alle
anf den Schutz von Privatrechten an Grund und Boden; auch sonst handelt
das Gesetz nie von Eingriffen in die Rechte anderer Gemarkungen; da-
gegen rechtfertigt sich die Auffassung von silva aliena als Sonderwald theils
damit, dass manche Texte daftir silva alterius haben (s. Zus. 11 zu tit 7),
und dass sich die Bestimmungen über Sonderwald den vorangehenden
aber fremdes Holz im Gemeindewald gerade entsprechend anschliessen. Die
Busss&tze sind leider nicht bestimmt genug; während auf Fällen oder An-
zünden eines fremden Holzes 15 sol.. Schälen (dolare) desselben im Gemein-
wald 3 sol. stehen, wfrd, wer fremdes Holz in silva aliena stiehlt, nach
Pardessns 1. Text mit 3 sol., 4. Text mit 15 sol. und 2. Text mit 46 soL
bestraft; vgl. aber auch Ed. Chlotach. II. 614 c. 21 (LL. I, 15) Porcarii
fiscales in Silvas ecdesiarum aut privatorum . . . ingredi non praesumant.
') L. Sal. 7, Zus. 7 Si quis pomarium sive quamlibet arborem domesti-
cam extra clausuram exciderit
*) L. Sal. 9, 8 : Si quis vero pecora in damno aut in dausura . . . ex-
pellere presumpserit. (Andre Texte: de damno in clausura iuerint; andre:
de damno cigus messe vastaverint et inclusa.)
^ Ib. Zus. 2: Si vero per inimiciciam aut per superbia sepem alienam
aperumt et in messe, in prato, in vinea vel quamlibet laborem pecora
ndserit. Vgl. auch tit. 27, Zus. 8 : Si quis vero clausuram alienam deruperit
") L. Sal. 34, 2: Si quis per aliena messe, postquam levaverit, erpicem
traxerit aut per eam cum carro sine via transversaverit.
von Inamt-Sternegg, WirtlLschaftflgeschicbte. I. 7
— 98 -
wie sie in dem Verfahren bei Auffindung eines zwischen zwei
Villen Erschlagenen erwähnt werden, bei einer allgemeinen
Feldgemeinschaft nicht denkbar^).
Der Mannesstamm % später auch die weibliche Verwandt-
schaft') erbt den Grundbesitz und vei-theilt ihn unter die
Erbberechtigten^); damit allein musste sich, wenn auch der
erste Ausgangspunkt ein Gesammteigenthum der Geschlechter
war, die Idee des Sondereigens immer mehr in den An-
schauungen und Gewohnheiten des Volkes festsetzen^).
So kann denn allerdings bei den salischen Fi-anken
Sondereigenthum an Grund und Boden nicht bezweifelt werden;
aber die Ausübung desselben unterlag jedenfalls weitgehenden
Beschränkungen und einer festen Ordnung der öffentlichen
Interessen durch das Recht, welches der Gesammtheit zustand.
^) Cap. Chlodovech. (?) c. 9 (LL. II, 12): Sicut adsolet, homo iuxU
Villa aut inter duas villas prozimas sibi vicinas fuerit interfectuB . . . tnnc
vidni Uli, in quorum campo vel exitum.corpus inventum est, debet facere
bargo .... Et debet iudex nuntiare et dicere: homo iste in vestro agro
yel in vestibulo est occisus . . . Tunc vicini Uli, quibus nontiatur a iudioe
ante 40 noctes qui meliores sunt cum 65 se exuant quod ne ocddissent nee
Bciant qui occidissent; minoflidis vero 15 iuratores donent Wie h&tten
doch, wenn das Nuntium des Judex den gesammten Dorfbewohnern ge-
golten hAtte, diese so viele Eideshelfer aufbringen können, die ja doch
nicht aus den betheiligten Genossenschaften zu nehmen waren! Vgl. über
diese Stelle 1. Absch. S. 44. Dagegen nehmen Waitz II, 813, Röscher II,
§71, Not 9 und Schröder Forschungen XIX, 145 diese Stelle gerade als
starken Beweis der Feldgemeinschaft.
*) L. Sal. 59, 5: De terra vero nulla in muliere hereditas non perti-
nebit, sed ad virilem sexum qui fratres fiierint, tota terra perteneat
') Ed. Chilperici c. 3. Et si subito fiiios defiincti fuerint, fiUa simili
modo acdpiant terras ipsas sicut et filii si vivi fuissent aut habuissent.
... Et subito frater moriens frater non dereliquerit superstitem, tunc soror
ad terra ipsa accedat possidenda. Wie frühzeitig diese Wandelung der
Anschauungen vor sich ging, ist aus Marknl& Formeln II, 12 zu ersehen,
wo es als impia consuetudo gilt, die Töchter von irgend einem Theüe der
Erbschaft auszuschliessen.
*) Marculf, Appendix 49.
") S. auch die zahlreichen Formeln bei Marknlf, welche Verträge über
Liegenschaften zum Gegenstände haben und keinerlei Beziehung aof Ge-
nossenschaftsrechte enthalten, 11, 19 Venditio de villa. 20 Vend. de
infra civitate. 21 Vend. de campo. 23 Concambio de vUlis.
- 99 —
Und auch aus anderen Volksrechten ist ein ähnlicher
Zustand fbr die älteste Zeit wenigstens aus Andeutungen noch
zu entnehmen. Auch dem ripuarischen Volksrechte in jenem
Theil, welcher als der älteste des Gesetzes (aus dem Anfang
des 6. Jahrhundeils) angenommen wird, sind Yindication und
Execution der Immobilien fremd ^); erst spätere Zusätze und
Einschiebungen führen den Process um Grundeigenthum ein ').
Das alamannische und das baiuwarische Yolksrecht haben
über den Rechtsstreit wegen Grundbesitz zwei merkwürdige
Parallelstellen. Wo in dem letzteren die Nachbarn (com-
marcani) über die Grenzen eines Gmndstücks streiten % sind
es in dem alamannischen Rechte noch die Geschlechter (ge-
nealogiae) die den Streit führen^); es würden auch diese
Stellen, wie jener älteste Theil des ripuarischen Yolksrechts
zu der Annahme führen können , dass es sich immer nur um
Gesammteigenthum der Geschlechter- oder Markgenossenschaft
handle, wenn nicht in all diesen Gesetzen doch die Thatsache
emes Sondereigenthums an Gi*und und Boden sonst hinlänglich
bezeugt wäre. Denn nicht bloss Sonderbesitz an Grundstücken
überhaupt, und insbesondere an Aeckem^), Wiesen^) und
>) Bethmann-HoUweg Civ. Pr. lY, 1, S. 489.
') Es sind die tit 59 und 60 der L. Ripuar., welche auf einen gesetz-
geberischen Act Chüdeberts 11 (575—596) zurückgeführt werden. Sohm,
Zeitsch. £. Rechtsgeschichte V, 427 ff., 440.
*) L. Bi^uY. XII, 8 : Quotiens de commarchanis contentio nasdtur,
... et iste dicit: Hucusque antecessores mei tenuerunt et in alodem mihi
relinquemnt et ostendit secundum proprium arbitrium locum; alter vero
nihilominus in istius partem ingreditur, alium ostendit locum, secundum
prioris Terba suum et suorum antecessorum semper fmsse osque in praesens
asserit.
*) L. Alam. 87: Si qua contentio orta fuerit inter duas genealogias de
temrino terrae eorum et unus dicit: Hie est noster terminus, alius revadit
io alium locum et dicit: Hie est noster terminus.
^ L. Ripuar. 43: in clausuni aliena; 44 per messem aUenam. 82 in
messe aliena Tel in quacunque übet clausura. Pact. Alam. II, 20 f. sepe
aliena; II, 22 terra aliena, 26 in campo suo. III, 38 messem alienam. L.
AI. 84, 5 curtem alicuius; 100, 3 curte aliena; 104, 8 terra aliena. L. Bajuy.
12, 9: territorium meum; 9, 12 in orto alicuius; 10, 18: Signum . . . cam-
pom defendendi.
*) L. Baj. 17, 1: pratum vel agrum vel exartum alterius; 18, 6 messem
Tel pratum alterius. 7*
— 100 —
ÜVäldem^) lassen sie zu, sondei-n sie gestatten, die Befugniss
freier Verfügung auch über die Substanz des Grundbesitzes
aus vielen Stellen deutlich zu erkennen *\ obwohl auch diesen
Gesetzen mannigfache Beschränkungen der Ausübung des
Eigenthumsrechts nicht fremd sind.
Zu jedem Giiindbesitz gehöile nun sicherlich in ältester Zeit
ein Antheil an dem Gemeinlande der Gemarkung^) und dieser war
nur ein Nutzungsrecht, wenn auch immerhin ein sehr weitgehen-
des, das sogar durch Rodung und Einfang^) zu einer Begründung
von weiterem Sondereigenthum ausgedehnt werden konnte.
Weiter aber als diese Schranken der Benutzung von Gemeinde-
land reichten, ging sicherlich der Einfluss der Markgenossen-
schaft auf den Besitzstand der Genossen nicht. Insbesondere
zeigt sich nirgends ein Widerapruchs- oder Vorkaufsrecht der
Markgenossenschaft; ja nicht einmal eine Zustimmung zu
Veräussei*ung von Grund und Boden innerhalb der Gemarkung
ist aus den Volksrechten und Urkunden zu constatiren, wie
das schon im Zusammenhang mit der Darstellung der socialen
Bedeutung der Markgenossenschaft gezeigt worden ist^).
Steht damit aber auch die Thatsache fest, dass ein Sonder-
eigenthum an Grund und Boden allenthalben bei den deutschen
Volksstämmen in der Zeit ihrer Volksrechte bestand, so ist
es doch für die Eigenthumsordnung dei-selben vor allem charak-
teristisch, dass der Inhalt dieses privaten Grundeigenthums
durch die weitere Familie (Sippe) eine nicht unwesentliche
Beschränkung erfuhr.
^) L. B%j. 22, 11: de alterius süva.
*) L. Alam. 57. 1: illa teneat terraiQ patris eorom. L. AL Lantfr.
98, 2: nullns alienam terram sine auctoritate praesumat. L. Rip« 60:
Si qois villam aut vineam . . ab alio comparavit Vgl. auch L. Alam.
Hloth. 2, 2.
") Vgl. Gaapp, Ansiedlangen 949. Grimm, Rechtsalterthümer 501 fil
^) L. Baiuy. 17, 2: Si autem suum voluerit Tindicare illum agram aut
pratum vel exartum etc. Tnnc dicat ille qui quaerit: Ego habeo testes,
qui hoc Bciunt, quod labores de isto agro semper ego tuli nomine contra-
dicente, exaravi, mnndavi usque hodie et pater meus reUquit mihi in
poBsessione sua. Vgl. auch Maurer, Einl. S. 158 und Beseler, Neabruch.
») S. 0. 2. Absch. S. 76ff.
— 101 -
An ein Gesammteigenthum derselben an allem Grund-
besitz ihrer einzelnen Glieder ist allerdings ebensowenig zu
denken^), als an ein solches Recht der Markgenossenschaft.
Aber auch ohne ein solch weitgehendes Becht erkläi-en sich
die Verfügungsbeschränkungen, welchen das Recht des Ein-
zelnen unterlag, aus dem starken Zusammenhalte, den die
Familie in allen Beziehungen, also auch sicherlich in ver-
mögensrechtlicher, lange Zeit hindurch bewährt hat.
An der Erhaltung eines gewissen Grundbesitzes bei der
Familie waren alle Angehörigen dei*selben interessirt. Das
Grundeigenthum bildete die ökonomische Basis der ganzen
Familie; von seinen Erü'ägnissen mussten die Gesammtbe-
dürfnisse derselben bestritten werden, soweit sie zu gemein-
schaftlicher Haushaltung vereinigt war, oder Leistungen von
dem Haupte der Familie fdr alle Glieder der Sippe verlangt
wurden. Nur wenn das Haupt der Familie hinlänglich mit
Grundbesitz ausgestattet war, konnte es die mit dem Mundium
verbundenen Rechte und Pflichten wirksam üben.
Und auch die Erhaltung der socialen und politischen
Position der Familie war davon abhängig *). Das Grundeigen-
thum war das ökonomische Substrat für die social und po-
litisch bevorzugte Stellung der über den gemeinen aber land-
losen Freien emporragenden mediani, boni viri, rachinburgi;
und auch im gesellschaftlichen Verkehr konnte sich nur die-
jenige Familie bei Ansehen erhalten, welcher die Mittel zu
Gebote standen, Gastfreundschaft zu üben und Gastgeschenke
in reichem Masse zu spenden ').
Darum waren die alten Deutschen den Testamenten ab-
geneigt*), weil durch sie Vermögen der Familie entfremdet
werden konnte*); dämm Hessen sie anfänglich keine Weiber-
*) S. a. Waitz, Verf. Gesch. I, 60.
') Vgl. Walter, Rechtsgeschichte ü, § 469.
^) S. a. Waitz II, 221. Wackernagel, kleine Schriften I, 25.
*) Schon Tacitos Germ. 20: nallum testamentiim.
^ Vgl. die bezeichnende Stelle in L. Rothar. 360: Qui gravem inimi-
citiam com ipso, qui pulsatur, commissam habet, id est, si . . res suas
alii . . . thingaverit, ipse non potest esse sacramentalis, qaamvis prozimus
Sit, eo quod inimicus et extraneus esse invenituK
— 102 —
erbfolge im Grundbesitz zu, weil dieser damit an eine andere
Familie übergingt); daraus erklären sich auch jene Beschrän-
kungen der Veräusserung, wie sie noch das bairische und
sächsische Volksrecht kennen; jenes gestattet freie Disposition
über den Grundbesitz nur dann, wenn mit den Söhnen bereits
abgetheilt ist^); dieses bindet die Veräusserung von Gi-und-
besitz, ausser im Falle ächter Noth, an die Zustimmung des
nächsten Erben und gesteht diesem ein Vorkau&recht zu').
Galt aber das Grundeigenthum überall als ein zu Gunsten
der Familie gebundenes Eigenthum, so erkläii; sich auch sehr
einfach jenes Fehlen der Händung und Execution der Inmio-
bilien. Der jeweilige Besitzer sollte nicht durch seine per-
sönlichen Schuldverbindlichkeiten den ökonomischen Bestand
der Familie gefährden dürfen; die sociale und politische
Existenz des Schuldners und seiner Familie sollte wegen Geld-
schuld oder anderer bloss vermögenswerther Verbindlichkeiten
nicht geopfert werden. Und wenn einer wegen Tödtung ein
Wergeid schuldig geworden war, das er mit seinem beweg-
lichen Vermögen nicht bezahlen konnte, so musste er sich
zwar seines Grundeigenthums entschlagen, aber nicht zu
Gunsten des Gläubigers, sondern zu Gunsten seiner weiteren
Familie, welche nun in dieses Schuldverhältniss eintrat^).
^) Aach die lex Thuring. enthält unter ihren ältesten Bestandtheilen
tit 6 den Grundsatz: Hereditatem defuncti filius non filia suscipiat Si
filium non haboit qui defonctos est, ad filiam pecunia et mandpia, terra
yero ad proximum patemae generationis consanguinenm pertineat
*) L. B%juy. I, 1 : üt si qnis über persona voluerit et dederit res soas
ad ecclesiam pro redemptione animae soae, licentiam habeat de portione
soa, postquam cum filiis suis partivit Nach den Urkunden war ausserdem
Zustimmung der Söhne und Blutsfreunde nothwendig Meichelbeck 758, la
59; 765, Ib, 13; 791, Ib, 102, oder es konnte die portio zur&ckYeilaDgt
werden. Uebrigens Terlangt auch die in Bezug auf Sondereigenthum schon
sehr Yorgeschrittne L Burg. 1, 1; 24, 5; 51, 1, 2; 84, 1 Bewahrung der
ursprQngUchen sors und Abtheilung mit den Kindern.
') L. Saxon. 64: Liber homo, qui sub tutela nobilis cuiuslibet erat,
qui iam in exilium missus est, si hereditatem suam, necessitate coactos,
vendere voluerit, offerat eam primo proximo suo, si ille emere noluerit,
offerat tutori suo, vel ei, qui tunc a rege super ipsas res constitutus est
Si nee iUe voluerit, vend^t eam cuicunque voluerit
*) L. SaL 58: de chrenecruda.
— 103 —
Dieses ganze System der Beschränkungen des Grund-
eigenthums zu Gunsten der Familie setzt aber voraus, dass
neben dem bei der Landvertheilung erworbenen und später
durch Erbgang gewonnenen Grundbesitz kein weiteres Immo-
biliarvermögen vorhanden war, oder wenigstens für das Gesetz
in Betracht kam. Und diese Voraussetzung scheint allerdings
zur Zeit der ersten NilBderschrift der lex Salica im salischen
Lande wenigstens der Hauptsache nach vorhanden gewesen
zu sein. Nur so erklärt es sich, dass dieses Gesetzbuch immer
nur von der Mutter als Erbin des Sohnes spricht, nicht aber
auch vom Vater. Bei Lebzeiten des Vaters konnte eben der
Sohn nicht leicht selbständiger Grundeigenthümer seinO; er
verblieb wohl immer bis zu dessen Tode im väterlichen Hause
in wirthschaftlicher Unselbständigkeit, wie dieser Fall in
einigen Volksrechten ausdrücklich erwähnt ist *), oder er stand
auch mit seinem Peculiura in der vermögensrechtlichen Ober-
herrschaft des Vaters als Trägers des Mundiums^).
Nicht minder ist es bemerkenswerth, dass das ripuarische
Recht ^) ganz ähnliche Bestimmungen über den Ausschluss
der weiblichen Verwandtschaft von der Erbschaft an Grund-
besitz, wie ihn die älteste lex Salica allgemein vorschreibt,
auf die teri'a aviatica beschränkt, also eben auf jene Art des
Grundvermögens, das in den primitiven Wirthschaftszuständen
im altsalischen Lande wohl die einzig berücksichtigenswerthe
gewesen ist
Auch die späteren Redactionen ^) des salischen Volks-
^) Waitz, Verf. Gesch. II, 86. Einigermassen widersprechend ib. I,
54 and Wackemagel, kl. Sehr. I, 15 wo eine Abtretung des Guts an den
Sohn durch den alternden Vater angenommen wird. Aehnlich auch
Schröder in Forschungen XIX, 146.
«) L. Burg. 75, 2. L. Wisig. V, 2. 18. S. 4. Abschn., 8. 147.
') Nach der 1. Wisig. IT. 5, c. 5 musste der Sohn selbst von dem,
was er auf dem Eriegszuge verdient hatte, das Drittheil dem Vater ab-
geben, weil das Hauswesen inzwischen seine Arbeit entbehrt hatte. Vgl.
Walter, Rechtsgeschichte II, § 510.
^) L. Rip. 56, 4 : Sed cum virilis sexus extiterit, femina in hereditatem
aviaticam non succedat.
*) Dieselben sind angeführt in Behrends Ausgabe der 1. Salica S. 78.
— 104 —
rechts beschränken diesen Vorzag des Mannesstammes bloss
auf die terra salica, das ererbte Landeigenthum ^). Und noch
in den ältesten Urkunden, welche doch schon der Zeit mannig-
facheren Grunderwerbs und lebhafteren Güterverkehrs an*
gehören, ist Erbgut weit überwiegend Object der Verträge •) ;
erst später wird erkauftes oder neu gerodetes Land häufiger ^).
So lange sich aber die weitere Familie oder Geschlechts-
genossenschaft auch nachbarlich zusammenhielt^), sich gleich-
sam mit der Markgenossenschaft deckte, und diese vorwiegend
nur familienhafte Lebensäusserungen zeigt, ist auch allerdings
eine Beschränkung des Grundeigenthums der Einzelnen durch
die Gesammtheit vorhanden, ohne dass doch jenes desswegen
geläugnet werden könnte.
Mit der Verflüchtigung dieser innigen Geschlechtsgenossen-
schaft zur Markgenossenschaft als blosse Nachbargemeinde,
und mit Vervielfältigung der Erwerbungsarten von Grund-
besitz verlor auch die Familie ihren beschränkenden Einfluss
auf denselben. Nur ein beschränktes*) Widerspruchsrecht
und Vorkaufsrecht der nächsten Verwandten bei Verkauf von
Erbgut, wie es aus jenen späteren Volksrechten und aus den
Vei-wünschungsfonneln der Urkunden zu ersehen ist, scheint
Dass dieser Zusatz aber gleichfalls sehr alt, wohl noch vor dem ed.{Chil-
perichs entstanden ist, «und die so ergänzte Bestimmung mit andern Theilen
der lex Salica in die 1. Ripuar. gleichfalls noch vor diesem Zeitpunkt
überging, ist daraus zu entnehmen, dass in der Folge die Weiber aUe
Art von Grundeigenthum erben.
^) Dieselbe Bedeutung auch bei Marculf II, 12. App. 49. Waitz,
Verf. Gesch. II, 90 hält diesen Zusatz (salica) nur für eine Erläatenuig
der Bestimmung in 1. Sal. 59, 5: De terra Yero nulla in muliere hereditas.
*) So wird in den ältesten Weissenburger Traditionen der Grundbesitz
noch durchgängig als portio bezeichnet, z. B. 699, No. 205, 240; 700,
No. 203; 695—711, No. 228; 712, No. 225, 284; 711—715, No. 237;
715, No. 218, 226; 718, No. 194, 227. Vgl. auch Waitz, das alte Recht
der salischen Franken S. 122, wo eine bedeutende Anzahl von SteUen.
») Doch schon 600—624 Mon. Boic. 28b. p. 39 (Urk. B. o. d. Eons
I, 437) dominationem tarn de alode quam et de emtione de lucro meo.
*) Vgl Walter, Rechtsgesch. D, § 469.
') Dass dieses Widerspruchsrecht kein unbedingtes war, bezeugen die
Urkunden unwiderleglich, s. Waitz II, 222.
— 105 —
sich noch erbalten zu haben. Im üebrigen aber verfügt nun
jeder einzelne Grundbesitzer frei über seinen Antheil am
Erbgut^) sowohl, als auch über allen auf anderem Wege er-
worbenen Grundbesitz. Insbesondere ist die schon im salischen
Recht statuiite Theilung des väterlichen Erbguts unter die
Sdhne in fortwährender Uebung, wie das die späteren Yolks-
rechte') und die Urkunden zur Genüge') erkennen lassen.
Auch von denjenigen Stücken des Gemeindegebiets, welche
zuerst sicher als gemeine Mark nicht zum Sondereigenthum
gehörten, treten immer mehr Theile in den privaten Rechts-
verkehr ein, werden Objecto des Privateigenthums und der
Sonderwirthschaft der Genossen. , Nicht nur wird das Feld
durch Umzäunung von der gemeinschaftlichen Weide nach
der Hegezeit ausgenommen^), sondern auch Wiese ^) und
^) L. Thiiring. 54: liberi homini liceat hereditatem suam cui voluerit
tradere. Richthofen (LL. Y, 138) erklärt ohne Grund in beneficium tra-
dere und hält die Stelle für einen Zusatz, der in karolingischer Zeit zu
dem ältesten Rechte bei dessen Niederschrift gemacht worden sei. Aber
schon in einer Urkunde aus dem Anfang des 7. Jahrh. (Mon. Boic. 28 b.
p. 39 und Urk. B. o. d. Enns I, 487) heisst es : volo potestatem habere
de meo proprio dare ubicunque mihi placuerit. In Tr. Wizz. 712 u. 715,
No. 225 und 218 wird das Erbgut (portio) verkauft.
*) L. ßaj. I, 1.
^) Tr. Wizz. 783, No. 13 : quod ego contra germano meo in porcionem
recepi et ad me pervenit; 734, No. 9: quicquid ego contra germano meo
ad partem recepi. Auch 739, No. 10. Ebenso häufig in Pardessus Diplo-
mata, z. B. 731, II, 550: quam ex alode in porcione contra germano meo
L. duce accepimus. Mittelrh. Urk. B. 718, II, 3: quod contra aUodiones
meos accepi. Tr. Sangall. 754, No. 19: que mihi inter fratres meos aTenit.
Insbesondere bezieht sich der Ausdruck sors in den fränkischen Urkunden
vorzugsweise auf die Erbtheilung des Grundbesitzes; s. Waitz II, 224.
Dagegen Schröder in Forschungen XIX, 146.
*) L. SaL 7 Zus. 7; 9, 8; 27, Zus. 8. L. Ripuar. 82: clausura. L.
Bi^uv. X, 18. Qui Signum, quod propter defensionem ponitur — quod
Signum wiffam yocamus. Ed. Chlotarii 615 c. 21.
^ So finden sich in Tr. Frising. 816, No. 348 neben pratis ad carrad.
50 in alio loco pratae communes. Doch beginnt im Ganzen erst in der
folgenden Periode ein lebendiges ökonomisches Interesse an Sonderwiesen ;
s. IL Buch 4. Abschnitt.
— 106 —
Wald 0 sind immer zahlreicher privater Veiiügung unterworfen
worden. Wohl mag diess vorzugsweise in jenen Gegenden
vorgekommen sein, deren Ansiedelungen nach dem Hofeystem
eingerichtet waren; aber doch auch anderwärts finden sich
unzweifelhafte Belege hierfür. Allerdings blieben dabei gewisse
markpolizeiliche Beschränkungen des Grundeigenthums and
seiner Benutzung in Bezug auf die Sicherung des Wasser-
laufs, der Wege und Stege etc. bestehen; auch wird das
öffentliche Interesse an den Grandbesitzverhältnissen fort-
dauernd gewahrt durch Erhaltung der Publicität aller üeber-
tragungsvorgänge ^) ; und auch die singulare Vorschrift der
lex Salica über die Niederlassung in der Gemeinde fällt unter
diesen Gesichtspunkt'). Aber bei diesen geringen Anfängen
einer Verwaltung öffentlicher Interessen sind die Markgenossen-
schaften dieser Zeit stehen geblieben und sicherlich ist das
Grundeigenthum am Ackerlande seinem Inhalte nach nicht
weiter beschränkt gewesen.
Nicht mit demselben Intensitätsgrade tritt das Sonder-
eigenthum an anderen Nutzungsformen des Bodens auf. Musste
schon das Ackerland sich die oifne Zeit gefallen lassen^), so
war eine Gemeinnutzung noch mehr bei Wiesen und Wald
^) lieber die forestae s. n. S. 127 und II. Buch, 2., 3. und 4. Abscbo.
^) L. Ripuar. 59, 1 : Si quis alten aliquid yendiderit et emtor testa-
mentum yenditionis accipere yoluerit, in mallo hoc facere debet 60, 1:
Si quis yillam aut yineam yel qaamlibet poBsessinnculam ab alio com-
parayit et testamentum accipere non potnerit, si mediocris res est, com
sex testibus et si panra com tribos, quodsi magna cum duodedm ad locom
tradidonis cum totidem numero pueris accedat et sie eis praesentibus
pretium tradat et possessionem accipiat, et unicuique de parynlis al^MS
donet et torqueat auriculas, ut ei in postmodum testimonium praä)eant
S. a. L. Biyuy. 17, 3.
") Besonders der spätere Zusatz zu tit 45 de migrantibuB: Si yero
alium in yilla aliena migrare rogayerit antequam conyeotum fuerit Auch
für R. Schröder in Forschungen, Bd. 19 S. 147 ist es nicht wahrscheinlich,
dass ein förmlicher Aufiiahmebeschluss seitens der Gemeinde yerlaogt
worden wäre; es genügte die Abschliessung des Vertrags im Hondert*
Schaftsgerichte, um jedem Widerspruchsberechtigten Kenntoiss yon der
Sache zu geben.
*) Vgl. 2. Abschn. S. 85.
— 107 —
Torhanden, auch wenn sie im Sondereigenthum standen^).
Bei diesen beiden Culturarten ist Sondereigen überhaupt viel
später häufig geworden; Wiesen, welche abwechselnd von
mehreren genutzt werden, sind noch in später Zeit häufig
genug *); und ausserdem mussten auch die Sonderwiesen ofihe
Zeit halten. Das Eigenthum am Walde ist aber in dieser
Zeit überhaupt noch ein zu Gunsten der Gesammtheit be-
schränktes; wie bei den Bui^undern^) jeder, dem bei der
Landtheilung kein Wald zugefallen war, in eines jeden Wald
Bäume für seinen Bedarf fäUen dui-fte, so war auch bei den
Baiem der Nachbar (calasneo) zum Vogelfang in fremdem
Walde berechtigt ^). So tief lag die Idee in den germanischen
Anschauungen von der Wirthschaft und in ihrem Rechts-
bewusstsein begründet, dass sich der Wald weniger zum
Sondergute als zum gemeinen Gute eigne, und dass selbst
der in Sonderdgenthum übergegangene Wald noch immer
etwas von seinem ursprünglichen Charakter als gemeines Gut
an sich trage.
Neben den Verändei-ungen im wirthschafüichen Zustande
des Volkes und besonders in seinen Vermögensformen und
seinem Güterverkehr, wie sie sich in .den ersten Jahrhunderten
nach erfolgter Sesshaftigkeit ausbildeten und sicherlich auf
^) Insbesondere Mast und Weide. Die Gemeinnutzong des Waldes
ausgesprochen in 1. Sal. 27, 16: Si quis in silvam materiam alterins con-
capolaTerit 17 : Si quis materium alienum ex • una parte dolatnm prae-
sompserit. 19 : Si quis arborem post annam qnod fiiit signatas praesump-
serit L. Rip. 76: Si quis Ripuarius in silva conununi sen regis vel ali-
caiQs locata materiamen vel ligna abscissa abstulerit 15 sol. culp. jud. . . .
qoia non res possessa est, sed de ligno agitur.
*) S. Landau, Territorien S. 34. Meine Entwickelung der deutschen
Alpendörfer in Raumer-Riehls bist. Taschenbuch 1874, S. 120 ; n&heres im
2. Bache.
') L. Burg. 28, 1: Si quis Burgundio aut Romanus silvam non habet,
iDcidendi ligna ad usus suos de iacentivis et sine ^ctu arboribus in
cmoslibet silva habeat liberam potestatem, neque ab illo, cuios sUva est,
repeUatur.
*) L. B^juY. 22, 11: üt nuUus de alterius silva, quamvis prius inveniat,
aves (apes?) tollere praesumat: nisi eins conmarcanus fuerit, quem calasneo
dicimus.
— 108 —
die Ausbreitung und Verallgemeinerung des privaten Gnrnd-
eigenthums mächtig eingewirkt haben , ist hierbei auch der
Einfluss nicht zu übersehen, welchen die königliche Gewalt
auf die Gestaltung des Rechts an Grund und Boden genom-
men hat
Derselbe trat zunächst darin hervor, dass die königliche
Gewalt aus der reichen Fülle des insbesondere durch die
fränkischen Eroberungen gewonnenen Kronguts Schenkungen
machte, durch welche also Grundbesitz, der nicht Familiengut
war, in den Händen von Privaten sich beträchtlich mehrte.
Waren diese Vergabungen in ältester Zeit auch nicht blosse
Verleihungen zu Beneficium, sondern wirkliche Schenkungen '),
so mehrte sich dadurch doch der königliche Einfluss und machte
sich in einem Amtsrecht« geltend; das auch eine Execution
an den Immobilien für sich in Anspiiich nahm ^).
Sodann war es die besondere Gunst, welche die frän-
kischen Könige der Kirche zuwandten, die sie veranlasste, zu
deren Voitheil Ausnahmen von der alten Regel der Gebunden-
heit des Erbguts zu Gunsten der Familie zu statuiren; die
königliche Gewalt hob entweder diese älteren Verfügungs-
beschränkungen ganz auf, wenn es sich um Vergabungen an
den König oder die Kirche handelte^), oder sie beschränkte
wenigstens das früher ausgedehnte Recht der ganzen Familie
am Erbgute auf eine Vei-pflichtung zu voi^ängiger Abschich-
tung *) oder auf ein beschränktes Retractrecht der nächsten
Vei-wandten *).
^) Roth, Benefidalwesen S. 203—208.
*) Auch nach Waitz II, 241 wird durch eme solche Scheidung nicht
für immer und vollständig jede Beziehung des Königs zu dem Oute auf-
gehoben. Vgl. Sohm, fränkische Reichs- und Rechtsverfassung I, 117.
') L. Alam. I, 1 : üt si quis Über res suas vel semet ipsum ad ecclesiam
tradere voluerit, nullus habeat licentiam contradicere ei, non dox non
comes nee uUa persona. Aber auch 1. Wisigoth. Y, 1 c. 1: quaecunqne
res sanctis Dei basilicis aut per principum aut per quorumlibet fidelium
cognationes collatae reperiuntur, in earum iure, inrevocabili modo, legum
aetemitate firmentur.
*) L. Bajuv. I, 1 ; s. o. S. 102 Amn. 2.
^) L. Saxon. 61 ff. (nach Merkel ist diese Bestimmung erst nach 7dS
eingefügt) s. o. S. 102 Anm. 3.
— 109 —
Endlich aber ging die königliche Gewalt über die alte
sociale Ordnung der Familie mit Erstarkung ihrer Amtsgewalt
zur Tagesordnung über und vindicirte sich das Recht, die
factisch bereits allerdings eingebürgerte VerfOgungsfreiheit des
Grundeigenthümers auch rechtlich zu statuiren ^) , dafür aber
nun auch Immobiliarvindication und Execution am Grund-
eigenthum nach Amtsrecht durchzuführen und durch die weite
Anwendung der symbolischen Investitur eine Erleichterung des
Verkehrs mit Immobilien, besondei-s zu Gunsten der Kirche
zu schaffen ^). Es ist charakteristisch, dass von dem ei*sten legis-
lativen Schritte in dieser Richtung unter Childebert IL
(575—596) die Ausbildung eines für das ganze fränkische
Reich gleichförmigen Immobiliai'sachenrechts und Vindications-
processes datirt, wie eine solche Gleichheit des Verfahrens
bei den verschiedenen Volksstämmen nie sich entwickelt hätte,
wenn diese in ihrem eignen Wirkungskreise den Bedürfnissen
der Zeit entsprechende Rechtsgi'undsätze über diese Materie
ausgebildet hätten^).
Aber allerdings geschah dieser Schritt der königlichen
Gewalt nicht etwa, geleitet von dem social-politischen Ge-
danken, dem Grundeigenthum grössere Unabhängigkeit von
den socialen Gewalten und eine grössere Verkehrsfreiheit zu
schaffen; ebensowenig aber um damit den socialen Bestand
und die Bedeutung der Familie zu untergi*aben ; sondern weil
die mannigfachen Erwerbsarten von Grundeigenthum und das
gesteigerte Bedürfniss des Gütei-verkehrs die alte Beschrän-
kung unhaltbar gemacht hatten, und die gestärkte königliche
Gewalt eine bessere Organisation des Rechtsverkehrs und der
Rechtspflege anstrebte, und weil überdiess die zunehmende
^) VgL A. Sohm, fränkische Reichs- und Rechtsverfaasung I, 117.
*) Investitora per praeceptum regis L. Ripuar. 60, 8. Ficker Ür-
kundenlehre I, 110 ff. Investitura per^cartolam: L. Alam I, 1. L. Baj. 1, 1.
lATestitora per testamentum in mallo L. Rip. 59, 1. Vgl. Branner, zur
Gesch. der Inhaberpapiere in Zeitsch. f. Handelsrecht Bd. 22, S. 535.
^) S. über die Zeit dieser Gesetzgebung ausführlich Sohm in der Zeit-
schrift f&r Rechtsgeschichte Y, 440. Bethmann-Hollweg Cit. Pr. IV, 1
S. 491.
— 110 -
Bedeutung der kirchlichen Institutionen eine privilegirte
Stellung beanspruchte^): aus diesen Gründen ist die könig-
liche Gewalt auf einem Gebiete thätig geworden, das dann
allerdings auch für das sociale Leben von allergrösster Tragweite
werden musste.
Nun bildete aber in den ei-sten Jahrhunderten der Sess-
haftigkeit das Wald- und Wildland der Genossenschaften jeden-
falls noch den bei weitem grössten Theil der ganzen Gemarkung*).
Am grössten war dieses Uebergewicht sicher in denjenigen
Gebieten Deutschlands, welche keiner Einwirkung römisdier
Cultur unterlegen waren, in Friesland, Sachsen und Thürin-
gen: je nach der Landesbeschaffenheit überwog natürlich der
Wald oder die Moor- und Haidelandschaft. Aber auch frän-
kische Gegenden sind dui*ch so grossen Waldieichthum noch
In der folgenden Periode charakterisirt ^) , dass für die erste
Periode noch eine sehr ausgedehnte HeiTSchaft des Waldes
angenommen werden muss^). Und in Alamannien, besonders
aber in Baiern ist sicherlich der Waldstand, nachdem die
Römer sich aus diesen Gebieten zurückgezogen hatten, ganz
erheblich gewachsen, wie das aus dem nachweisbaren Cultur-
^) Vgl. insbes. L. Alam. Hloth. 19: üt res ecclesiae de laicis absqne
carta nollus praesamat possidere. Et si carta non ostenderit, ut con-
parasset apud pastorem ecclesiae, possessio semper ad ecclesiam pertineat;
ein ProcesspriTÜegiam der Sarche, dass ihr gegenüber jeder andre Beweis
als der durch Erwerbsurkonde ausgeschlossen sein soll Vgl. Bnuiner L c.
') Vgl. i. A. Berg, Geschichte der deutschen Wälder im Mittelalter und
Bernhardt, Geschichte des Waldeigenthums, der Waldwirthschaft and Foist-
wissenschaft in Deutschland, passim.
") Vgl. Arnold, Ansiedlungen und Wanderungen S. 59, 66, 495. Nach
Bodmann, Rheingauische Alterthümer S. 4 war die Gegend des Niederrhein-
gaues bis auf die 2^itcn der Karolinger an beiden Rheinufem mit Wal-
dungen bedeckt, hatte wenig Bewohner, Lebensmittel und Cultur.
*) Vgl. hiezu auch ed. Ghilp. c. 9 (LL. 11, 10): malus homo qui male
in pago faciat et non habeat nbi consistat nee res unde componat et per
Silvas yadit Sowohl die Gründungsgeschichte der ältesten Klöster, s. B
Fulda's (vita Sturmii) als auch manche spätere Schenkungen (s. B. Pipinh
752 an Echtemach M. Rh. (Jrk. B. I, 11, 762 an Kesslingen ib. I, 15)
zeugen von dem ungeheuren Waldreichthum der fränkischen Lande.
— 111 -
zustande Baiems im 6. und 7. Jahrhundert zur Evidenz sich
ergiebt^). Da nun anfänglich jedenfalls nur das Culturland
in Sonderbesitz überging, Wald und Wildland aber erst im
Laufe der Zeit aus der Mark, dem Gemeinlande, vereinzelt
ausgeschieden wurde, so besteht immerhin eine geringe Be-
deutung des privaten Grundeigenthums für die Bodencultur
uud die Volkswiilhschaft jener ältesten Zeit überhaupt; und
selbst diese wurde durch die ungemein extensive Betriebsweise
dieser Periode noch ganz erheblich gemindeil. Ja es lässt
sich für die älteste Zeit der Sesshaftigkeit — für die Ent-
stehungszeit des salischen Yolksrechts insbesondere — an-
nehmen, dass Grund und Boden in solchen Mengen verfügbar
und auch der zu Sonderbesitz occupirte in einem solchen
Naturzustande war , dass er regelmässig gar nicht Gegenstand
des Güterverkehrs war, also auch keinen Verkehi*swerth hatte.
Und damit wäre allerdings aus einem nationalökonomischen
Gesichtspunkte das Fehlen eines Processes um Grundeigenthum
in der lex Salica mindestens ebenso leicht erklärbar, wie aus
der familienhaften Gebundenheit desselben, ohne dass sich
diese beiden Gründe ausschliessen würden. Für die Familie,
wie für den Einzelnen konnte der Grundbesitz von bestimmter
Ausdehnung, Lage, socialer Verbindung immerhin gi'ossen sub-
jectiven Gebrauchswerth haben und desswegen gebunden sein,
ohne dass er desswegen auch schon von anderen begehrt ge-
wesen wäre, besonders so lange die freien Volksgenossen ihr
Erbgut bewahrt hatten und Unfi^eien der Ei'werb von Grund-
besitz für eignen Vortheil überhaupt versagt war.
Nach welchen Grundsätzen nun die deutschen Völkeratämme
bei der endgültigen Besiedelung der Gebiete, auf welchen sie
fortan ihr Leben entfalten sollten, das Culturland vertheilt haben,
das enthüllen uns weder Urkunden noch sonstige gleichartige
Denkmale ; und auch aus dem, was uns später von der Boden-
veilheilung bekannt wird, lässt sich kein ei*schöpfendes Bild
jener älteren Zustände gewinnen. Nur von solchen deutschen
Völkern, welche sich auf dem von Römern oder Romanen
*) S. u. S. 117.
— 112 —
bewohnten Gebiete niederliessen, (Burgunder, Westgothen etc.)
wissen wir, dass sie mit jenen in eine Individualtheilung sich
eingelassen haben, womach der Deutsche %, der Römer ^
von Gulturland, jeder die Hälfte von Wald- und Wildland an-
zusprechen hatte ^) ; aber diese Verhältnisse berühren uns hier
nicht weiter, wo wir von den wii*thschaftlichen Zuständen
deutschen Landes handeln.
Hier aber ist nur das eine klar, dass die Vertheilung
überall und namhaft ungleich war, soweit das eben der sociale
und politische Unterschied der Stände mit sich brachte. Wie die
Deutschen schon zu des Tacitus Zeiten secundum dignationem
(nach der socialen Werthschätzung) theilten, so haben sie sicher-
lich auch bei den späteren Landtheilungen den Unterschieden
der Macht und des Ansehens, des Geburts- und Amtsadels
und des Reichthums immer Rechnung getragen, welche schon
vor den letzten Wanderungen bestanden, und während der-
selben in verschiedenen Wandelungen immer wieder hervor-
traten. Nur so erklärt es sich, dass die portio und hereditas,
womit die Erinnerung an die ui-sprüngliche Landvertheilung
ausgedrückt zu werden pflegte, von so bedeutender Vei-schie-
denheit ist ^). Nur innerhalb der socialen Klassen können wir
eine gewisse Gleichheit der Landlose bei der Vertheilung
wenigstens annehmen; insbesondere wird wohl jedem einfach
freien Manne im Volk, der zugleich Haupt einer Familie war,
das Mass des Grundbesitzes, wenigstens vom Standpunkte
seiner Bedürfhisse aus, in gleicher Weise aus der Gemarkung
zugemessen worden sein.
Wäre es zulässig, anzunehmen, dass das Wergeid dem
Werthe der Hufe gleich gewesen sei^, so könnte allerdings
^) Bes. Gaapp, Ansiedlungen passim.
') So erscheint beispielsweise in der Villa Gerleihes der Werth eines
Besitzthums 695 mit 7 U. Silber, eines andern 696 mit 1 U, S., eines
dritten 712 mit 12 solid., eines vierten 712 mit 8 U. S. vorgetragen Tr.
Wizz. n. 46, 43, 186, 150.
') So Waitz, Verf. Gesch. I, 411, w&hrend er an anderen Stellen 1, 120.
n, 215 nur einen Zusammenhang zwischen Hufe und Wergeid annimmt
S. a. dessen altdeutsche Hufe S. 41 und Stobbe in Ersch und Graber L
Sekt 65, S. 433.
- 113 -
mit viel gi-össerer Bestimmtheit ein Gleichmass des Grund-
besitzes der einzelnen Stände und Klassen der Freien be-
hauptet werden« Denn in den Wergeidsätzen hen-scht Ein-
heitlichkeit innerhalb der Stufen der socialen Gliederung des
Volkes und festes Verhältniss unter denselben; und überdiess
besteht grosse Uebereinstimmung in den verachiedenen Volks-
rechten; bei den Saliern, Ripuariern, den chamavischen Fran-
ken, Thüringern, Burgundeni und Langobarden hat der Frei-
Rebome (ingenuus) ein Wergeid von 200 soL; ein gleiches bei
den Alamannen der medianus. Der Gemeinfreie bei diesen,
den Baiuwaren und Sachsen, sowie (später) bei den Friesen
160 sol. u. s. w.
Diesen Sätzen entspricht aber keineswegs, was wir aus
ältester Zeit über die Vertheilung und den Werth des Gi-und-
besitzes wissen. Innerhalb derselben socialen Klasse und bei
demselben Volke kommen beträchtliche Verschiedenheiten der
Grösse des Grundbesitzes, auch schon des Erbguts, der terra
aviatica vor. Auch ist der Weith der Hufe, selbst wenn wir sie
auf 40 juinales, als der gi'össten vorkommenden Ausdehnung
annehmen wollten^), nicht annähemd mit einem Wergeide zu
vergleichen. Denn wenn noch in der Karolingerzeit der Werth
eines Morgens artbaren Landes nicht höher als auf 2 sol. im
Durchschnitt angesetzt werden darf*), so wird der Werth der
Hufe in der Zeit der Volksrechte jedenfalls ungleich niedrer
angenommen werden müssen. Auch aus den Gutskäufen jener
Zeit ist ein viel niedrigerer Werth der Hufe zu entnehmen;
eine ganze Hufe hat bis in das 9. Jahrhundert hinein kaum
mehr als einen Durchschnittswei-th von 30 sol. repräsentirt.
Dagegen reichen 200 sol., gerade der Betrag des Freienwergelds,
hm, um 4 Villen mit dem ganzen Inventar^), ein andermal um
Gfiter an 17^), und einmal sogar an 29 Orten^) zurückzukaufen.
Nun finden sich allerdings in einzelnen Fällen der Werth
M S. die Beilage Nr. II.
*) S. n. Bach 5. Abschnitt.
•) Tr. Wizzemb. 739, No. 4.
*) Tr. Wizzemb. 774, No. 63.
*) Tr. Wizzemb. 742, No. 52.
Ton InaiDa-Sternegg^'Wirtbflchaftsgeschiehte. I. 8
— 114 -
des Grundbesitzes uod das Wergeid in Beziehungen genannt,
welche einen solchen Zusammenhang auf den ersten Blick
vermuthen lassen. Aber es handelt sich dabei fast immer
um grösseren Besitz, der mit einem Wergeid zurückgelöst
werden kann, oder für ein Wergeid hingegeben wird^), so
dass die Annahme von einer üebereinstimmung des Werthes
der angestammten Hufe mit dem Wergeid auch durch diese
urkundlichen Angaben in keiner Weise gestützt werden kann.
Es wird also ein Zusammenhang zwischen Hufe und Wer-
geid nur soweit anzunehmen sein, als eben bei der ältesten
Landvertheilung die social höher Stehenden, welche durch
grösseres Wergeid ausgezeichnet waren, auch grössere An-
theile an dem Gau- und Centlande erhielten.
HeiTorragenden Grundbesitz hatten vornehmlich die Kö-
nige, Herzoge und Fürsten der einzelnen Stämme. Sie treten
schon am Beginn der urkundlichen Zeit als grosse Grund-
besitzer auf; ja sie untei-scheiden sich von allen übrigen
Klassen der Bevölkeiiing in so hervorragender Weise, dass
eine blosse Bevoi-zugung bei der allgemeinen LandvertheUang
zur Erklärung dieser Eracheinung keineswegs ausreicht 0-
^) Cod. Fuld. 788, No. 89 werden Güter an 15 Orten geschenkt Weoo
der Schenker eineq Sohn bekömmt, kann' dieser sie mit 2 Wcrgelden
zurackkaofen. Tr. Sangall. 798 n. 135 betrifft G&ter an 26 Orten, welche
einer an St GraUen tradirt und pro beneficio in censum zurückerhalten
hatte. Der Schenker dar! diese Güter mit 80 soL, sein Sohn cum nno
weregeldo (160 soL?) zurückkaufen, ib. 786 No. 108 werden von Graf Gerold
Güter an 14 Orten geschenkt und gegen Zins zurückempfangisn; Rückkaof
mit 3 Wergeldeni vorbehalten (vielleicht das Grafenwergeld 3x160 soL?);
ib. 796, n. 142 ist von Gütern an 2 Orten de patemico vel quod legibus
obvenit die Rede; si me placuit ipsam tradicione redemere, tunc licett
mihi cum 10 sol. redemere. Et si filii mei legitime redemere voluerint, J
similiter fSaciant; et si mihi placuerit ut aliquid de parentibus meb rede-
mere ipsam rem, liceat eis cum una weraceldo. Aehnliche Beispiele ib.
817, No. 228; 838, No. 875; 842, No. 385. Dagegen kann dann mm auch
ib. 846 No. 400: trado in B. quantum ad me pertinet, i. e. hobam com-
positionis meae nicht von Belang sein, wenn dieser Ausdruck auch un-
deutlich bleibt.
*) Nach Waitz II, 616 ist der germanische König oder Fürst überhaupt
nicht mit besonderem Grundbesitz ausgestattet worden; was er besass,
gehörte seinem Hause als Erbgut.
- 115 —
Vielmehr kann nur in einem ausschliesslichen Rechte des
Volksoberhauptes auf ganze Gebietstheile (wüstes — herren-
loses — erobertes Land)^) und vielleicht auch auf die Güter
einer vorgefundnen unterworfhen Bevölkeiiing, die dem Fügten
tribntär wurde '), eine genügende Erklärung dieser Thatsache
gefunden werden. Ueberdiess fiel dem Könige oder Herzoge
aus manchen andern Quellen neues Ginindeigenthum zu; er
trat in das Vermögen erblos verstorbner Personen ein, ja
nach bairischem Rechte zog der Fiskus die Verlassenschaft an
sich, wenn keine Verwandten bis zum 7. Grad vorhanden
waren ^; ihm fiel das Vermögen von Capital Verbrechern an-
heim^) und vieles wui'de durch Gonfiskation dem Vermögen
des königlichen Fiskus einverleibt^). Ein vollständiger sta-
tistischer Nachweis des königlichen Krön- und Hausguts der
Merowinger oder des Hei*zogthums in Alamannien, Baiuwarien
etc. ist allerdings nicht zu liefeiii. Aber immerhin sind der
Thatsachen genug übirliefert, um zu erkennen, dass die
Könige im Frankenreiche ebenso, wie z. B. die Herzoge in
Baiern die gi'össten Grundbesitzer in dem von ihnen beherrsch-
^) Das8 aber auch Private wüstes Land besitzen konnten, ist aus ür-
kanden yielfach ersichtlich; vgl. die Beispiele im IL Buch 1. Abschn. und
bei Beseler, Nenbnich passim.
*) Dieser Art sind insbesondere die Romani tributales, über welche
die bairischen Herzoge im 7. und 8. Jahrh. zu Gunsten der Kirche von
Salzburg verfügten. Vgl. oben 1. Abschn. S. 26 und Riezler, bair. Gesch.
I, 49, 122.
') L. Sal. 60, 2 de eum qui se de parentilla tollere vult: nuUa ad
eum nee hereditas nee compositio perteneat, sed hereditatem ipsius fiscns
adquirat. L. B%j. XV, 10: Quodsi maritus et mulier sine berede mortui
fnerint, et nullus usque ad septimum gradum de propinquis et quibus-
canque parentibus invenitur, tunc illas res fiscus adquirat.
*) L. Rip. 69: Si quis homo regi infidelis extiterit, de vita componat
et omnes res eins fisco censeantur. Vgl. 1. Big. II, 1, 2.
^) L. Sal. 56, 2 : Tunc si ille . . . qui admallatus est, ad nullum placitum
venire voluerit, tunc rex ad quem manitns est, extra sermonem suum ponat
eom. Tunc ipse culpabilis et omnes res suas erunt. L. B^juv. 7, 2: Si
quis contra hoc fecerit (nuptias incestas) a loci iudicibus separentur et
omnes fiicultates admittant quas fiscus adquirat. Auch tit 2, 9 bei Em-
pörung des Herzogssohns und tit. I, 11 bei Nonnenraub.
8»
— 116 —
ten Gebiete waren ^). Von dem ausserordentlichen Boden-
reichthum der letzteren gibt allein die Thatsache hinlänglich
Zeugniss, dass dieselben im 8. Jahrhundert 5 Bisthümer und
35 Klöster und Abteien stifteten und, wie in vielen Fällen
bekannt ist, mit reichem Grundbesitz ausstatteten ').
Neben ihnen erscheinen dann bei jedem Volke einzelne
besonders bevorzugte Familien schon in den ältesten Urkunden
als reich begütert; sie sind vielleicht auf die Reste des alten
Stammesadels zurückzufuhren oder sind die Nachkommen von
Gaufürsten oder Häuptera kleiner Volksstämme, die sich im
Laufe der Zeit zu den grossen deutschen Völkerschaften ver-
schmolzen haben; sicher ist nur, dass es überall wenige solch
reich Begüterter gegeben hat*).
Im Uebrigen aber zeigt die Vertheilung des Grundbesitzes
schon sehr fillhzeitig beträchtliche Verschiedenheiten bei den
einzelnen Völkeni, sowohl was die absolute Grösse der ein-
zelnen Güter, als auch das Verhältnils der Volksklassen zu
einander in Bezug auf die durchschnittliche Grösse ihres Be-
sitzes anbetrifft*).
Im Gebiete der Baieni ist die Bevölkerung sehr ungleich
vertheilt und damit auch die Vertheilung des Grundbesitzes
eine sehr vei-schiedne gewesen *). In den südlichen Theilen %
») Roth, Benef. W. S. 68. Waitz, Verf. Gesch. II, 135~1«7. Em
Yerzeichniss der Pfalzen austrasischer Könige bei Digot histoire du royaome
d'Austrasie IL 8d6ff. Riezler, Geschichte Baiems I, 122.
>) S. Radhart, älteste bairische Geschichte S. 276 ff. and 305 ff.
«) S. 0. 2. Abschn. S. 64.
*) In meiner Abhandlang Über die Aasbildang der grossen Grand-
herrschaften während der Earolingerzeit S. 25 — 41 habe ich versacht, sta-
tistisches Material über die Vertheilang des Grundbesitzes in Deatschland,
besonders im 8. a. 9. Jahrb. aus den Quellen beizubringen. Es ist daher
wohl gestattet, hier nur die Resultate vorzutragen und wegen der Be-
gründung derselben auf jene Schrift zu verweisen.
») Vgl. die Beilage No. I.
^ Hiefür sind besonders berücksichtigt der Indicolus Amopis und
die breves notitiae Salzburgenses ed. Keinz, die ältesten Passauer Tradi-
tionen in Mon. Boic. 28b. S. 1^98 und Urk. B. des Landes o. d. Enns I, 437 ff*
sowie das Breviarium ürolfi abbatis de cenobio qui vocatur Altaba in
Mon. Boic. XI, 14.
- 117 -
besonders am Fusse der Alpen und theilweise auch im Ge*
birge, sowie im heutigen Oberösterreich scheint der Grund-
besitz ziemlich zei-splittert und neben einigen grossem Grund-
herrn eine gi'osse) Menge von kleinen EigenthQmem vorhanden
gewesen zu sein. In den nördlicheren Theilen ') aber war von
Anfang an grosser Besitz in einer Hand häufiger, wenn es
auch zum guten Theile nur Wald und unbebaute Gebiete
waren, über welche sich die Grundherrschaften verbreiteten.
Im Ganzen aber ist doch, soweit es sich um Gulturland
handelt, der Grundbesitz unter den Freien gleichmassig ver-
theilt und durchgängig klein.
In Alamannien ist die Verschiedenheit des Ginindbesitzes
im Ganzen grösser ; viele Familien erheben sich über das Mass
des gewöhnlichen Besitzes: vielfach aber auch kehrt schon
ein unter das Mass der vollen Hufe sinkender Grundbesitz
wieder; dagegen gibt es hier, entsprechend dem früheren
Verschwinden des alten Erbadels, keine so besonders reichen
Familien als in Baiem, wie ja auch der Reichthum der bairi-
schen Herzoge unvergleichlich viel grösser war, als der der
alamannischen, die es nie zu dieser Einheit und Ueberlegen-
heit der Herrschaftsgewalt gebracht haben ^).
Die Verhältnisse von Ostfranken haben mit denen Ala-
manniens viele Aehnlichkeit. Der kleine Grundbesitz ist noclx
zu Anfang des 8. Jahrhunderts recht häufig; der Besitz an
einzelnen Orten sehr zersplittert; daneben aber sind viele
Beispiele eines grösseren Besitzes; gi*osse Grundherrn aber
doch so selten, dass sie gegenüber der überlegnen Grund-
herrschaft der fränkischen Könige fast ganz verschwinden.
Je mehr wir uns aber dem Rheine nähern, ihn überschreiten
und jene Gebiete in's Auge fassen, welche noch Reste der
römischen Gultur an sich ti-ugen, desto häufiger werden die
Beispiele grosser Grundherrschaften, desto mehr verliert sich
^) Hief&r dient Tornehmlich Ried codex diplomaticas Ratisbonensis I.
*) Vgl. z. B. die allerdings fragmentarischen Nachrichten aber den
Besits des Herzog Liatfried von Elsass in Tr. Wizz. 730—739, No. 10—13,
35 u. 162.
— 118 -
die Gleichheit und Häufigkeit eines Kleinginindbesitzes schon
in früher Zeit; das römische Latifundien wesen hatte eben
auch hier Wurael geschlagen^) und im ganzen fränkischen
Westreiche ist die Ordnung des Grundbesitzes eine vorwiegend
hen*8chaftliche schon in der Zeit, in welcher im rechtsrhei-
nischen Lande noch lange die primitiven Verhältnisse der
Markgenossenschaften mit Wahrung der altgermanischen Frei-
heit sich erhalten haben.
Von Friesland, Sachsen und Thüringen sind positive An-
gaben über die Vertheilung des Grundbesitzes in dieser Zeit
absolut nicht vorhanden; wahi*scheinlich aber ist es immerhin,
dass im Grossen und Ganzen beträchtlicher Grundbesitz des
Adels und wesentlich gleicher Kleinbesitz der Gemeinfreien
sich gegenüberstanden.
Endlich ist der Veränderungen im Besitzstande zu ge-
denken, welche durch die Bekehrung der Deutschen zum
Ghristenthume und die Einrichtung der ersten Bisthümer,
Stifte und Klöster angebahnt wurde. So grossartig diese Ver-
änderungen aber auch in der folgenden Periode sind: in der
vorkarolingischen Periode werden wir den Reichthum der
Kirchen in Deutschland nicht allzuhoch anschlagen dürfen.
Wohl wusste sich die Kirche schon bei den späteren Re-
dactionen der Volksrechte besonderere Freiheiten des Güter-
erwerbs zu sichern, wie sie schon frühzeitig darauf bedacht
war, den einmal erworbenen Besitz zu einem festen, unwandel-
baren zu machen^); aber es sind doch sicherlich sehr wenige
geistliche Stifte schon in der Zeit des 6. bis zur Hälfte des
8. Jahrhunderts zu nennenswerthem Vermögen gelangt '). Noch
lächelte ihnen nicht die Gunst der Könige, an der sie sich
^) S. die lehrreichen Beispiele grosser Grundherrn in Neostrien bei
Roth, Benef. W. S. 81 f.
") L. Alam. 20: Nollus presbyter, nee aliquis pastor ecclesiae pote-
statem habeat vendendi ecclesiasticam terram nisi contra aliam tcfram,
nee mancipiom, nisi aliud mancipium receperit
') S. die n&heren Angaben im 2. Buche, 8. Abschnitt, wo die Grand-
besitzrerh&itnisse der Kirchen im Zusammenhang mit der Entwickelaog
der folgenden Periode dargestellt werden.
— 119 —
in der Folge so rasch grosszusaugen verstanden; wie die
Merowinger wenig zur Ausbreitung des neuen Glaubens in
Anstrasien leisteten, so waren sie auch auf Verstärkung der
wirthschaftlichen Macht der jungen Anstalten des Christenthums
wenig bedacht.
Auch hier sind freilich die Verhältnisse des neustrischen
Frankens schon gründlich 7ei*8chieden. Zur Zeit der frän-
kischen Eroberung scheint allerdings der Grundbesitz der
Kirche auch dort noch nicht bedeutend gewesen zu sein ; aber
schon während der Merowingerperiode hat hier jene unmässige
Bereicherung stattgefunden, welche den König Ghilperich
zu dem Ausrufe veranlasste: Ecce pauper remansit fiscus
noster, ecce divitiae nostrae ad ecclesias sunt translatae ^) !
Eine Gliederung des Ginindbesitzes nach wiithschaftlichen
Gesichtspunkten, wie sie in dem Verhältnisse des Grundeigen-
thums zum Landwirthe und in der Zusammenfassung mehrer
Gutswirthschaften zu einem einheitlichen Gutskörper liegen, ist
in dieser Periode nur in sehr geringem Masse zu beobachten.
Die kleinen Grundeigenthüraer , welche noch bei weitem
die Mehrzahl bildeten, bewirthschafteten ihren Ginindbesitz
selbst ; dieser fällt also mit dem Begiiff des Landguts im
Wesentlichen noch zusammen *). Grössere Grundeigenthümer
aber, an und für sich noch selten, haben, soVeit wir sehen,
die Wirthschaft auf eigne Rechnung durch Unfreie ausüben
lassen und den einzelnen Zweigen der Landwiithschaft eigne,
gleichfalls unfreie Verwalter vorgesetzt; von einer Gliederung
ihrer zerstreuten Besitzungen in Haupt- und Nebenhöfe, wie
wir sie in der Villenverfassung der karolingischen Zeit finden,
ist in deutschen Landen während der Merowingerzeit noch
nichts zu entdecken.
Dagegen ist auch damals schon der Unterschied von
Herrenland und übertragenem Gute bekannt gewesen, der
gleichfalls in der folgenden Periode für die ginindheri-schaft *
liehe Organisation der Volkswirthschaft so bedeutsam wurde.
*) Gregor Tur. VI, 46. S. Roth, Benef. W. 249 ff.
^) S. das Nähere im 4. Abschnitt, S. 147 f.
\
— 120 —
Allerdings dürfte eine solche Uebeitragung von Grandbesitz
zur Nutzung am Beginn geordneter Grundbesitzverhältnisse
nur an geringere, insbesondere unfi'eie Leute stattgefunden
haben. Eine Klasse von Leuten, ähnlich den servi des Ta-
citus^) wird noch eigentlich als der Träger von verliehenem
Lande angesehen werden müssen. Denn nach altgermanischer
Anschauung hatte die Uebeinahme eines solchen Besitzes eine
Minderung der Freiheitsrechte im Gefolge; und diess hielt
sicherlich den Gemeinfreien, der eifei-süchtig über dieser seiner
Freiheit wachte, ab, auf solche Weise sein Besitzthum zu ver-
mehren, so lange den einfachen Formen und Bedürfhissen des
Lebens die zugetheilte und ererbte Hufe im Wesentlichen
noch entsprach. Auch ist es nicht zu übei*sehen, dass die
regelmässige Umgebung der Voiiiehmen und Reichen, von
denen allein solche Uebertragungen ausgehen konnten, im
6. und 7. Jahrhundei-te noch aus Unfreien bestand^); diese
konnten also voi'zugsweise der Gunst jener sich erfreuen ; und
es war Ginind genug vorhanden, solcher Gunst besonders die
Foim von Güteinibertragung zu geben, um das Gefolge, die
vassi, pueri, gasindi und wie sie hiessen, die in obsequio eines
Grossen waren, in Treue und Pflicht um so näher und inniger
an sich zu knüpfen.
Eine ei*ste Veränderung scheint in diese Veiiiältnisse
durch das rasche Anwachsen des geistlichen Ginindbesitzes
gekommen zu sein. Zwar haben auch die Klöster, voiiiehmlicb
die nach der Begel des hl. Benedikt eingerichteten, ihren
Grundbesitz in der ersten Zeit durch ihre eignen Angehörigen
bewirthschaftet*); und die Bischöfe, die sich in bürgerlichen
*) Germ. c. 25. Waitz n, 171.
') Besonders die vassi pueri und gasindi. Roth, Benef. W. 154, 162,
868 f. Die ebenfalls häufiger genannten amici h&it Roth für Freie, wdche
in privatrechtlichen Verhältnissen der Clientel standen ib. 162. s. IL Buch
1. Abschnitt.
') Vita S. Boni&cii'C. 12: Monasterium construentes monachos con-
stituimus snb regula S. P. Benedicti viventes, yiros strictae obserraotiae,
absque came et vino et senris, propria manuum suarum labore contentos.
Mabillon Acta Sanct. IV, 70.
- 121 —
Dingen in nichts von den Laien unterschieden, haben ihren
Besitz anfänglich wohl auch in gleicher Weise wie diese durch
Leibeigne auf eigne Rechnung bewirthschaften lassen ^). Aber
mit dem raschen Verfall der Kirchenzucht, die mit dem An-
wachsen der politischen und wirthschaftlichen Macht der Kirche
gleichen Schritt hielt, konnten ' diese Foimen der Bewirth-
schaftung bald nicht mehr genügen. In dem Masse, in welchem
Ueppigkeit und bequemer Lebensgenuss überhand nahmen ^),
minderte sich die Arbeitslust und wirthschaftliche Tüchtigkeit
des Clerus und immer deutlicher tritt das Streben nach
mühelosem Erwerb hervor.
Um so weniger konnte daher der bisherige Zustand einem
angewachsnen Grundbesitz entsprechen; da nun in damaliger
Zeit die sociale und politische Macht wesentlich auf Grund-
besitz beruhte, und auch nach den volkswirthschaftlichen
Zuständen eine Verwandelung des Ginindbesitzes in andere
Vermögensformen ausgeschlossen war, so ergab sich von selbst
die Nothwendigkeit, durch Uebertragung der Nutzung des
Grundbesitzes an andere sich der Sorgen um seine Bewirth-
schaftung zu entschlagen, ohne auf die in demselben liegende
Macht zu verzichten.
Die älteste und für die früheste Zeit gewiss regelmässige
Form hiefür war die Verleihung von Land an die unfreien
Knechte, welche altgermanische Sitte war; dass gerade bei
Kirchengütem diese Form der Uebertragung ganz regelmässig
war, ist aus den Volksrechten zu ersehen, welche sogar die
Verpflichtungen der servi ecclesiastici zu allgemeinen Grund-
sätzen formulirten ^). Ausserdem boten nun die Traditionen
') Das ist aus vielen Diplomen des 7. und 8. Jahrhunderts zu ersehen,
in welchen bischöfliche Gater beschrieben sind, z. B. 642 Pardessns n,
300: 664, n. 350; 670, n. 368; 676, n. 382; 686, n. 406: cum mancipiis
ibidem commanentibus , colonibus ibidem aspidentibus (Rheims). 708, n,
471 (Mets); 726, n. 540: omnem rem vel iriUas seumancipia (Echtemach)
and andere.
') Schon zu Pippins Zeit ist die alte Mönchsregel von Fulda, keinen
Wein sondern nur Dünnbier (tenuis cerevisia) zu trinken, au%ehoben
worden. Mabillon AA. SS. lY, 250.
*) L. Alam. 22, 1. L. B%juY. I, 18. Vgl 4. Abschn. S. 157.
— 122 —
des römischen Rechts, nach welchem ja die Kirche fortwährend
lebte, sowie die Zustände des römischen GalKens brauchbare
Institute in dem ususft-uctus und dem precarium sowie in dem
Golonat.
Der Golonat ist in die deutschen Wirthschaftszustände
nicht nur aus Gallien, sondern auch durch die Reste der ro-
manischen Bevölkei-ung Alamanniens, Ripuariens und Baiu-
waiiens gekommen. Er war diejenige Form der Uebertragung
von Gi-undbesitz zu dauernder Nutzung, welche zunächst nach
römischer Anschauung ohne Aufhebung der persönlichen Frei-
heit^) eine feste Verknüpfung des Beliehenen mit Grund
und Boden') herbeiführte und dem Grundherrn neben festen
Abgaben*) die Veifttgungsfreiheit über das Grundstück be-
liess*). Durch die Uebertragung von Gutem zu dauernder
Nutzung nach römischem Colonatrechte konnte also die Kirche
besitzlose Freie oder auch kleine fi'eie Gnindbesitzer zur Be-
wirthschaftung ihrer Güter heranziehen ^). Sie war dazu aber
auch allein in der Lage, weil für sie allein römisches Recht
in Geltung blieb ; wurden doch auch speciell zu ihren Gunsten
Bestimmungen über den Golonat in die Volksrechte aufge-
nommen ^). Freilich, für die Dauer war nicht daran zu denken,
dass sich dieses Instisut in der fremdartigen Umgebung
deutscher Rechtsanschauungen in seiner Ursprünglichkeit be-
wahren konnte. Hatte schon der römische Golonat wegen der
^) Cod. Inst XI, 51, 1 , de colon. Thracenfi. ib. XI, 47, 24 de agric
Nov. Valentin, tit. dO de col. vag. c. 1, § 2, 8.
') Cod. Theod. V, 10, c. 1 de inqailin. Cod. Inst XI, 47, c. 11, !&,
28 de agric. XI, 51, c. 1 de coL Thrac.
') Cod. Inst XI, 49, c 1, 2 in quibus causis coloni. XI, 47, c 23
de agric.
^) Cod. lust XI, 51, c 1 de colon. Thrac.
') Auch Leymarie histoire des paysans en France S. 120 gibt n, das»
die DiBatschen diese serrage de la gl^be mitig^ par l'ind^ndanoe de la
personne in ihrem eignen Interesse begünstigten.
') L. AUm. 9: quicunque liberum ecclesiae, quem colonom vocant,
occiderit, sicut alü Alamanni ita componatur. 28, 1: Liberi aatem eecle-
siastid quos colonos vocant, omnes sicut et coloni Regis, ita reddent ad
ecclesiam. Vgl. L. Bi^j. I, 18.
— 123 —
glebae adscriptio und den Gewalü-echten des Orundhemi einen
bedenklichen Beigeschmack der Unfreiheit, so musste diese
Seite des Instituts unter der Herrschaft eingewurzelter deutscher
Sitte noch schärfer hervortreten. Der Golonat ging so immer
entschiedener in ein Verhältniss unfreier Orundhörigkeit über
und verschwand bereits am Ende der Merowingerperiode unter
den sonst geübten Foimen der Uebertragung; aber für den
ersten Anfang ist er doch bedeutsam für die Entwickelung
der Grundhen-schaft und hat vielfach zur Verallgemeinerung
der Gutsübertragung zu blosser Nutzung beigetragen ^).
Nicht minder waren der ususfructus und das precarium
geeignete Fonnen der Uebertragung von Grundeigenthum, wo
es sich handelte, die grosse Masse der kleineu Gemeinfreien
mit dem übei'schüssigen Giiindbesitze der Kirche ökonomisch
zu verknüpfen. Ursprünglich treten diese beiden üeber-
tragungsfoimen getrennt nach ihren römisch-rechtlichen Merk-
malen, neben einander auf; es wird Grundbesitz übeilragen
auf bestimmte Zeit ^) oder auf Lebenszeit des Nutzniessers
und der Genuss der Früchte gegen bestimmte Abgaben ein-
geräumt, (ususfructus)^) und es wird der Besitz und Genuss
ohne Entgeld übertragen, die beliebige Zurücknahme*) aber,
oder doch füniO^^^S^ Erneuei-ung ^) vorbehalten (precarium).
Bald aber gehen beide Institute in einander über und ti*agen
den für die deutsche Zeit vorherrschenden Namen precaria
(praestaria vom Standpunkt des Verleihers.) Das prekarische
Verhältniss zeigt sich auch bei dem ususfinictus in der dem
Verleiher zustehenden Befugniss, das Gut bei Verschulden des
£mpfängei*s zurückzuziehen % und der Precarie wird grössei*e
') YgL Gn^rard Polyptiqae de l'Abb^ Irminon I, 225—250.
*) Tr. Sang. 761, No. 29: sab usufructaario tibi prestaTimus . . .
quamdia ipBas res abere volueris.
^ Dieses besonders h&afig an solche, welche ein Eigengut an einen
Grundherrn tradirt haben und sich lebenslänglichen Natzgenuss vorbehal-
ten; 2. B. Tr. Sang. 753 (?) n. 17. Tr. Wi«. 808, n. 19; 787, n. 77, 99.
*) Marcolf form, n, 41: ut quamdia vobis placuerit, ut eam (precariam)
teneamoB. Ebenso Form. Lindenb. 150.
^ S. Form Lindenbrog. 19, 20, 28.
•) Pardess. Dipl. II, 785, n. 557. Gu^rard 729, ü, 341.
— 124 -
Festigkeit gegeben dadurch, dass sie ausdrücklich auf Lebens-
zeit gegeben ^) oder die fttn^ährige Erneuerung als entbehrlich
bezeichnet wird'). Es ist nach den deutschen Quellen schon
wesentlich eine Foim der Uebertragung der Nutzung eines
Landguts oder Grundstücks bis auf Weiteres, im Zweifel auf
Lebenszeit des Empfängers, mit oder ohite Uebemahme einer
Zinsverbindlichkeit ^), diese selbst auch oft so gering, dass sie
nur einen formellen Charakter hat^); es schliesst aber diese
Uebertragung an sich keinerlei Minderung pei-sönlicher Frei-
heitsrechte des Beliehenen in sich, wie sie sich anderseits
auch auf solche anwendbar erwies, die nicht freien Standes
waren.
Wie nun die Kirche auf diese Weise eine erete ökono-
mische Gliedemng ihres Grund eigenthums in Herrenland
(ten*a indominicata), Precarien, Colonat und Zinsgüter der
Leibeigenen schuf, so findet ein ähnlicher Vorgang, wenn auch
nicht so frühzeitig und nicht so häufig, bei weltlichem Gross-
grundbesitze statt. Das Ansehen, welches die grassen Grund-
herrn genossen, die Macht über welche sie verfügten, war von
immer stärker wirkender Anziehungskraft auf landlose oder
äimere Freie, die sich ihrem Schutze anvertrauten und hin-
widerum als Gefolge ihr Ansehen vermehren halfen. Neben
den unfreien pueri, gasindi etc. stellte sich ein Kreis von
pares, amici etc. ein, der gleich jenen durch Landverleihungen
ganz vorzüglich an den Herrn zu knüpfen, mit dessen eignen
Interessen zu verbinden war; in der pi'ecarischen Verleihung,
wie sie die Kirche übte, war die Form gefunden, in welcher
^) Cod. Fuld. 772, n. 37, 38; 775, n. 49; 739, n. 62,67.
«) Pardess. Dipl n, 736, n. 557. Marculf, Form. II, 5, 9. 39. 41;
App. 27, 41. Form. Sinn. 7; Form. Lindenbr. 22, 27, 150; Mitteirb.
ürk. B. 767, I, 21 ; 771, n. 23; 786, n. 33.
«) Abgabenfreier üsusfructus Tr. Wiz«. 737, n. 8; 734, n. 9: Wr
n. 47; Cod. Fuld. 765, n. 25; 777, n. 59.
Abgabenpflichtige Precarie z. B. (Tr. Sang. 758, n. 22; 759, n. 24;
760, n. 25; 762, n. 33, 36; 766, n. 47.
*) S. die yielen Beispiele, wo bloss 2, 4, 6 Denare gegeben werden
bei Waitz, Verf. G. II, 229. Cod. Laur. I, 60, 71 wird der Zins genAeta
nur ob recordationem verlangt
— 125 —
solche Uebei-tragungen der Nutzung von Grund und Boden ohno
andre Statusveränderung als sie in der persönlichen Ergebung
zur Treue schon gelegen war , durchgeführt werden konnten.
Diese Verleihungen heissen dann insbesondere beneficium, ein
Ausdruck, der aber auch für kirchliche Precarien immer häu-
figer wird und ebenso neben diesem gebraucht scheint^).
Häufig ist diese Form der Uebertragung bei weltlichen Ginind-
herm in dieser Zeit offenbar noch nicht; die einfache Glie-
deiTing des weltlichen Grossginndbesitzes in Herrenland, das
von Leibeignen auf Rechnung des Herrn bewirthschaftet wurde
(mancipia non casata^ praebendarii) und in Zinsland , das an
send zur eignen Bewirthschaftung gegen Zins und Dienst-
leistung auf dem Hen-enlande hinausgethan war, zweifellos
noch überwiegend.
Und auch die ökonomische Gliederung des Eronguts
scheint im Ganzen die gleiche gewesen zu sein. Die ältesten
Vergabungen aus demselben, regelmässig an Getreue und ver-
diente Beamte gemacht, stellen sich nach den Quellen durch-
aus als Schenkungen dar; Verleihung von Erongut zu Bene-
ficium, insbesondere in dem Sinne, wie das die Eirche zum
Zwecke des Genusses einer Bodenrente gethan hat, kennt die
Merowingerzeit nicht*). Die Beneficien, welche der Eönig
gab, -• und hierin sind wohl auch die meisten der Beneficien
weltlicher Grosser übereinstimmend — waren ohne Zinsver-
bindlichkeit, „eine Art Verleihung zu Eigen thum, über welches
der Besitzer aber nur mit Zustimmung des Verleihenden ver-
fügen kann" ^); sie waren nicht aus ökonomischen, sondern
aus socialen und politischen Interessen verliehen. Mit ihnen
sollten Dienste vergolten werden, welche der Beliehene vor-
übergehend oder daueiiid dem Hen-n, besondei*s dem Fürsten,
leistete; wohl auch sollte dadurch die Existenz des Beliehenen
in Treue und Ergebenheit an das Interesse des Verleihers
geknüpft werden. Der reichliche Grundbesitz gab also dem
0 z. B. Tr. Fuld. 772, n. 37 : ut dum advivo ipsa hereditate sab vestro
benefido . . . per vestram precariam excolere debeam.
«) S. a. Waitz U, 240.
^ Roth, Benef. W. 243 f. Eichhorn, Rechtsgeschichte § 26 a.
— 126 —
Könige, wie nicht minder den Gössen des Reiches, den Her-
zogen und Fügten des Volkes, Gelegenheit, sich eine sociale
und politische Stärkung durch eine Anzahl solch anhänglicher
und ergebner Getreuer (fideles, amici) zu verschaffen. Dem
Beliehenen aber gab das Beneficium entweder überhaupt die
sociale und ökonomische Stärkung, welche im Grundbesitz
lag, oder half ihm, seinen sonstigen Besitzstand in entsprechen-
der Weise zu erweitem. Vorzugsweise aus letzterer Rücksicht
sehen wir auch hochgestellte Personen ein Beneftcialverhält-
niss eingehen, wo es ihnen nicht möglich war, den gewünsch-
ten Grundbesitz auf andere Weise zu erwerben ^).
Sicherlich ist nun die Verleihung von Krongut zu Bene-
ficium durch die seit Karlmann vorgenommenen Seculari-
sationen von Kirchengut sehr vermehrt worden. Indem auf
diesem Wege Kirchengut in Krongut überging, hat die Krone
auch die vielen, von der Kirche verliehenen Beneficien und
Precarien übernommen, und die so Beliehenen in ihrem ab-
geleiteten Besitze gelassen^). Und da die wirthschaftliche
Seite der Beneficien wohl sicher zuerst von der Kirche aus-
gebildet, zur Gewinnung einer Bodenrente ohne eigne Wirth-
schaftsführung verwendet worden ist, so lässt sich wohl auch
annehmen, dass die Krongutsbeneficien ei*st seit dieser Zeit
ihren nachmals so stark ausgeprägten Charakter eine% Mittels
der grundherrschaftlichen Wirthschaftsorganisation erhalten
haben ^). Doch übt das in dieser Periode keinen besonderen
Einfluss mehr auf die ganze Gestaltung der deutschen Wirth-
schaftszustände aus und wird desshalb füglich erst im Zu-
^) So nimmt Tr. Wizz. 719, n. 267 der Graf AdalcharduB Gttter von
WeisBenburg als Beneficium auf Lebenszeit gegen Zins von 1 Ü, Silber
und 2 angarias.
>) Capit Liftin. 743, c. 2 (LL. I, 18): Statuimus. . . ut sub preesrio
et censu aliquam partem ecclesialis pecuniae in adiutorium ezerdtas
nostri cum indulgentia Dei aliquante tempore retineamus, ea conditione,
ut annis singulis de unaquaque casata solidus i. e. 12 denarii, ad ecclesisin
vel ad monasterium reddatur.
») S. Waitz, II, 257. IV, 18 f. Kaufmann über die Secularisationen
in Hildebr. Jahrbüchern für Nationalökonomie. Bd. 22.
— 127 —
sammenhange mit der Ausbildung der grossen GrundheiT-
schaften in der folgenden Periode näher berücksichtiget.
Jedenfalls aber wurde durch das Institut der Benefiden,
der Precarie und durch die ausgedehnte Anwendung des
Colonats und der Verleihung von Zinsgütem an Unfreie die
Gruppirung des Besitzstandes mit Rücksicht auf seine öko-
nomische Nutzung schon sehr erheblich verändert und damit
der Grund zu jenen grossen Umwälzungen gelegt, welche der
Grundbesitz in der folgenden Periode mit Ausbildung der
grossen Grundherrschaften erfahren hat.
Soweit nun in dieser Periode der Grundbesitz überhaupt
schon wiithschaftlich gegliedert ist, steht immer das Verhält-
niss deg hen-schenden zu den dienenden Gutem im Yorder-
giiuide und ist auch bei weitem das ökonomisch wichtigste
Verhältniss. Diejenigen, welche mehr besassen, als sie selbst
bebauen und für den Bedarf ihrer Hauswirthschaft gebrauchen
konnten, behielten immer häufiger nur einen Theil ihres
Grundbesitzes in eigner Verwaltung. Das ist die cuiijs oder
Villa dominica mit dem dazu gehörigen Acker-, Wiesen-, oft
auch Weide- und Waldland 0, der teira salica *).
Hier concentrii-te der Ginindherr die ihm unbedingt zur
Verfügung stehenden Arbeitski*äfte seiner mancipia, welche
oft ausdrücklich non casata, domestica oder auch praebendarii
biessen, hier investirte er, was ihm an beweglichem Kapital
zur Vervollkommnung der Wirthschaft zur Verfügung stand,
in Gebäuden, Vieh, Geräthschaften, BohstofF und Voiräthen;
hier fand auch seine eigne Untemehmerleistung das Feld
ihrer Wirksamkeit, daher eine beträchtliche Ueberlegenheit
der Wirthschaft des Dominicallandes wohl ausser Zweifel steht.
Eine rechtlich bevorzugte Stellung aber, etwa mit Exemtion
^) HiefÜr ist schon frOhzeitig der Aasdruck foreste in Uebung ge-
kommen, ürk. 643 Bouquet IV, 642; 667 Pardess. Dipl. II, 146: de
ipM foreste dominica; ib. 678 II, 57. Tr. Wizz. 730—739 n. 12: in foreste
dofflinico qae didtur Fasenbnrgo (des dox Liutfiridas). Vgl. Grimm, RA.
Bernhardt I, 53.
') So genannt nach der sala, der Wohnung des Grundherrn (1. Alam.
^ti, 1: domus Tel sala); das ganze Gut heisst darnach auch schon früh-
zeitig Salgut, SaUiufe; vgl. die Stellen bei Waitz, Altdeutsche Hufe S.48 ff.
— 128 —
von dem Markenverbande, mit unbeschränkterem Privateigen-
thum oder besondrer Erbfolge ist diesen Salgütem als solchen
nicht zugekommen^). Wohl mögen sich einzelne frQhzeitig
mit ihren dienenden Hufen zu selbständigen Gutsbezirken
entwickelt oder im Verlauf aus der Markgenossenschaft aus-
geschieden sein ; aber weder war das allgemein noch in die^r
Zeit überhaupt häufig der Fall; erst die folgende Entwicke-
lung hat die Tendenzen reichlicher erzeugt, welche die grös-
seren GrundheiTn zur Bildung eigner Hofverbände und zur
Villenverfassung drängten.
Der übiige Theil des Besitzthums ist dagegen als Zinsland
ausgethan oder als Beneficium verliehen ; wohl kommt auch beides
zugleich vor, so dass der Träger eines Beneficiums Zins zahlen
musste *); und nur von bliesen ist bei der Betrachtung der wirth-
schaftlichen Gliedeining des Grundbesitzes weiter zu handeln.
Diese dienenden Ländereien der Ginndherm waren ent-
weder an Freie*) oder an Liten*), oder auch an Unfreie,
^) So Schröder in Forschungen XIX, 148 ff., der aber für seine Auf-
fassung keinerlei QueUenzeugnisse beizubringen vermag. Wenn er aber
insbesondre eine von der gemeinrechtlichen verschiedne Erbfolge ftir die
terra indominicata oder saUca in der Weise annimmt, dass dieses HeiTen-
land ausschliesslich im Mannsstamme vererbte, während seit Chilpericfas
Edikt für den bäuerlichen Grundbesitz auch eine weibliche Succession
eingeführt worden sei, so geht er damit nicht bloss über 1. SaL 59, 5
und Ed. Chilp. c. 8 hinaus, welche diesen Unterschied keineswegs ent-
halten, sondern er übersieht auch, dass terra indominicata oder salica
häufig genug in weiblichen Händen sich befindet; so z. B. Brev. not
Sabßb. (8. Jahrh.) XXI, 5; Tr. Fuld. 777 n, 59; C. Laur. 795 n. 2590;
Mittelrh. ürk. B. 853 I, 83; ib. 854 n. 110; C. Laur. 891 n. 112; ib. 989
n. 83. Auch die Fälle in Pardess. 627 I, 241 und 632 II, 257 betreffen
zweifellos solche Herrengüter.
*) S. Waitz II, 228 ff. üeber die unentgeltliche Verleihung nnd
spätere Belastung der Beneficien mit Zins und Dienst s. U. Buch 4. Abschn.
') L. Alam. ü, 1 : Si quis liber, qui res suas ad ecclesiam dederit . . .
et post haec ad pastorem ecclesiae ad beneficium susceperit; auch 1. AL
ynib. Testament des reichen Diacon Grimmo 636 Mittelrh. Urk. B. I, 7.
Tr. Wizz. 719 no. 267 hat ein Graf Klostergut gegen Zins und Dienst
(angariae) inne.
^) Das Königsgut Tininga hat 28 liti mit ihren Läaderden, als das-
selbe 760 von Pipin an Fulda geschenkt wurde. S. a. die vassi in Par*
dessus Dipl. 728 n. 357. Tr. Sang. 757 n. 21.
— 129 —
(servi, mandpia casata^) gegeben, wornach sich der Unter-
schied des mansus oder der huba ingenuilis, lidilis und ser-
yilis ausbildete, der aber später nur mehr eine Eigenschaft
des Gutes in Bezug auf seine Leistungen, nicht mehr des
jeweiligen Inhabers desselben bezeichnete'). In wirthschaft-
licher Hinsicht unterliegen sie aber trotz dieser Untei*schiede
der gleichen Qualification.
Mit dem Herrenhofe, zu welchem sie rechtlich gehöi-ten,
waren sie von Anfang an auch in einer organischen wirth-
schaftlichen Verbindung; sie ergänzten durch Frondienste
und sachliche Leistungen die Wirthschaft des Gi-undherm')
und bildeten wohl selbst die beste Art der Bewirthschaftung,
welche der Grundherr denjenigen Theilen seines Besitzthums
angedeihen lassen konnte , die entweder zu weit ab von dem
Sitze seiner Wirthschaft lagen, oder durch ihre eigenthOmliche
Beschaffenheit eine getrennte Bewirthschaftung nothwendig
machten; auch wo der Grundeigenthümer nicht genügend
Ober leibeigne Hausdiener verfügte, war die Vergabung zu
Zinsland die einzig mögliche Weise, sie in gutem Stande und
genügender Bebauung zu halten.
War ein solches Zinsgut mit einem Colonen oder Pro-
caristen ordentlich besetzt, so nannte man es mansus vestitus ;
fehlte ihm ein Colone aus welch' immer für einer Ursache,
so war es ein mansus absus, der dann nothgedrungen vom
Herrenhofe aus bewirthschaftet werden musste, in Gemein-
schaft mit den übrigen Herrenländereien , oder durch einen
eigens dazu delegiilen Leibeignen oder Hörigen des Hen-en-
hofes; es konnte wohl auch einem Zinsbauem die Bewirth-
schaftung eines mansus absus neben seiner Zinseshufe auf-
getragen oder überlassen werden-, und so war es dann mög-
') L. AI. 22. L. Bai. h 13. Auch Pardessos Dipl. 728 n, 544: quod
wma noster Bertoinus per beneficium nostrom visos est habere. Ib. 7d9
n. 559: Opilonicas osque nonc in beneficium habuit . . . volo, ut ipse . . .
libertoB fiat et ipsas colonicas snb nomine libertinitatis habeat Auch
Tr. Wizsj. 58, 102.
^ Gtt^rard Lminon S. 582 f. Waitz n, 189.
*) S. näheres im 4. Abschn. S« 155 £
▼OB Inama-Sternegg, WirthBebaflsfeMhiebte. I. 9
— 130 —
lieh auch vom mansus absus Erträgnisse zu gewinnen, entweder
die Einte selbst im ersten Falle, oder Zins- und Dienst-
leistungen (nur in der Regel nicht volle) in den übrigen Fällen ^).
Dass die als Zinsland oder Beneficium hinausgethaneo
Güter (mansus) von einer auch nur annähernden Gleichheit
des Grundbesitzes gewesen seien ^), ist aus den Urkunden
eben so wenig dai-zuthun, als eine Gleichheit der Landgüter
der gemeinfreien Grundbesitzer. Nur in soweit lässt sich
unter einem mansus eine feste Gutsgrösse annehmen, als er
aus einem alten Landlose eines Freien in einen solchen um-
gewandelt % oder als hova plena auf den Bedarf einer ganzen
Colonenfamilie berechnet war. Da aber weder jene Entstehung
des dienenden mansus allgemein, noch auch die Güter in
ihren einzelnen Bestandtheilen gleich, noch die Bedürfiüsse
der Golonenwirthschaft gleich waren, so ist die grosse Ver*
schiedenheit begreiflich, welche thatsächlich im Ausmasse des
zum mansus gehörigen Landes schon sehr frühzeitig her-
vortritt *).
Auch über das Verhältniss der Grösse von Herrenland
und Zinsland bei den einzelnen grösseren Grundbesitzungen
sind wir aus dieser Zeit noch spärlich unterrichtet Es wird
aber wohl der Hauptsache nach abhängig gewesen sein von
dem Masse der dienenden Arbeitskräfte, welche dem Grand-
hei-m zu Gebote standen; die Dominicalgüter der weltlichen
Grossen dürften dainach verhältnissmässig am bedeutendsten
gewesen sein, weil sie eben durch relativ grossen Besitz von
leibeignen Hausdienern hervon-agen ; wogegen bei bischöflichem
und besonders bei klösterlichem Besitz das Dominicalland
gegenüber dem Zinslande zuiUcktrat ^).
^) An eine eigentliche Pachtang ist aber doch nie zu denken, wie öms
RoBchcr II, § 61 n. 1 anzunehmen scheint
«) S. Waitz n, 171.
") Der Ausdruck mansus cum sorte sua h. e. cum terris, campis,
aedificüs, pascuis etc. C. Lauresh. I, 619 (aus der Zeit Pipins) ist dafiir
allerdings nicht beweisend.
*) Vgl. die Beilage Nr. 2.
^) Vgl. meine „Ausbildung der grossen Orundherrschaftan^ S. 75 t
und näheres im II. Buche.
— 131 —
Die Bedeutung nun, welche der Ginindbesitz in jener
ältesten Zeit für 'die ganze Volkswirthschaft der Deutschen
gehabt hat, lässt sich erat ermessen, wenn wir denselben als
Quelle nationalen Erwerbs kennen gelernt haben und zugleich
überschauen können, wie weit andre Ei*werbsai*ten der Volks-
wirthschaft in jener Zeit entwickelt waren. Und soweit damit
wirihschaftliche Kraft gewonnen und diese für die Geltend-
machung einer socialen Stellung vei'wendet werden konnte,
ist auch die Frage nach der socialen Bedeutung des Grund-
besitzes erst darnach zu entscheiden.
Der Grundbesitz hatte aber schon an sich, ganz abgesehen
von dem grösseren oder geringeren Masse seiner Erträgnisse
eine sociale, ja selbst politische Bedeutung durch das Becht
und die Macht, welche er gewährte und durch die socialen
Verbindungen, welche sich auf denselben als auf ihr festestes
Fundament stützten.
Für die Familie war der Grundbesitz das ökonomische
Substrat ihres Bestandes; in dem Gesammtanspruch, den sie
geltend machen konnte und in der Erbenfolge, welche auf die
Erhaltung des Grundbesitzes bei der Familie berechnet war,
lag sein Werth für dieselbe ausgesprochen. Nur die Familie,
welche sich Grundbesitz erhielt, konnte sich auch jene Hen*-
schaft über die Angehörigen sowohl der Verwandtschaft als
auch der bloss im hausherrlichen Mundium Stehenden be-
wahren, in welcher ihre Macht lag; ohne solchen Ginindbesitz
löste sich alsbald dieser Verband, je mehr die uraprünglich
persönlichen Verbindungen sich überall verdinglichten.
Für die Gemeinde sodann galt der Grundbesitz als die
Voraussetzung einer vollberechtigten Betheiligung an ihren
Angelegenheiten; das Genossenrecht haftete an Grund und
Boden und die Gemeinde selbst sah sich darin gestützt, dass
die Genossen nicht landlose Leute waren, die sich über kurz
oder lang doch einem Grundhenn ergeben mussten.
Für das öffentliche Leben endlich war der Grundbesitz
eine Quelle reicher Befugnisse, zur Bechtsprechung , zu Eid
und Zeugniss vor Gericht, zum Heer- und Waffendienst, in
welchen der Grundbesitzer nicht bloss seine persönliche Frei-
— 132 —
heit und seinen Antheil an der Ordnung der öffentlichen An-
gelegenheiten zur Geltung brachte, sondern auch die Mittel
fand, sich auf eine höhere Stufe im socialen und politischen
Leben zu erheben, Macht und Ansehen, Beichthum und Herr-
schaft zu gewinnen, im schlimmsten Falle aber wenigstens
Gewalt und 'Hen-schaft von sich abzuwehren.
Vierter Abschnitt.
Die Oflterprodnctlon und das nationale Erwerbsleben.
Die Güterproduction und das nationale Erwerbsleben der
Deutschen in der ei*sten Zeit der Sesshaftigkeit bewegt sich
in den denkbar einfachsten Geleisen. Die Gleichartigkeit
eines bescheidenen Lebensgenusses, das geringe Mass und die
Einfachheit der Bedürfoisse sind hiefQr mindestens ebenso
entscheidend als die Monotonie und Beschränktheit der Werth-
formen des nationalen Güterlebens. Nur wie ein leiser Nach-
hall einer früher lebendigen Tradition tauchen aus altdeutschen
Gräbern vereinzelte Producte höher entwickelter Technik, za
»
feinerem Lebensgenuss bestimmt, empor und erzählen von
uralten Verbindungen der Deutschen mit der Cultur des Orient,
von ihrem Antheil an dem etruskischen Tauschhandel nnd
von bestimmenden Einwirkungen der weltbeherrschenden
Roma^).
Sehr einfach und gleichförmig in Nahrung, Kleidung und
Wohnung lebten die Deutschen wie zu Caesai-s und Taeitus
Zeiten, so noch während und nach der Völkerwanderung.
Ihre Heerden boten Milch , Butter und Käse *), Fleisch vom
^) S. i. A. Genthe, üeber den etniskischen Tauschhandel nach dem
Norden. 2. Bearbeitung 1874. L. Lindenschmit, Die AlteithOmer unserer
heidnischen Vorzeit 1858.
') Caes. 6. 6. IV, 1 : maximam partem lacte atque pecore Tivnnt VI,
22: majorqae pars yictus eorum in lacte, caseo, came consistit Tac
Germ. c. 2d: agrestia poma, recens fera aat lac concretum.
— 183 —
Rind und Pferd, die wild auf der Weide aufwuchsen^), vom
Schwein und Schaf, deren Keule sie über den Winter räucher-
ten *) ; der Feldbau Getreide , besonders Hafer *) zu Brei und
Brod; Rüben, Hülsenfrüchte und wildes Obst^) von Feld und
Wald, Fleisch von erlegtem Wild, Vögeln und Fischen ^) gaben
erwünschte Abwechslung und waren wohl auch unentbehrlich
zur Deckung des gesammten Nahrungsbedarfs. Das nationale
Getränke im Norden wie im Süden war ein leichtes Bier^),
aus heimischem Getreide in primitiver Weise zubereitet; da-
neben aber auch Meth ^) und schon frühzeitig Wein , dessen
Anbau und Bereitung sie von den Römern lernten^). All zu
sorgsam waren sie nicht in der Auswahl ; aber häufig unmässig
im Genüsse^), wie das die Consumtion roher Naturvölker
charakterisii-t.
Und eine ähnliche Einfachkeit, die doch manchen Luxus-
yerbrauch nicht ausschloss, zeigte ihre Bekleidung. Vom Fell
der Hausthiere oder des erlegten Wilds, im Norden auch aus
^) Vita S. Bonif. MabiU. A. SS. UI, 2. 39: Inter cetera agrestem
cabaUnm aliqnantas comedere a^jnnxisti, plerosque et domesticmn. S. 71
equi etiam sUvatici multo amplios yitandi. L. Biy. K, 2: bos domitus
Tacca indomita.
*) Uta S. Bonil Mab. A. SS. ib. S. 39: Lardom comedire: non opor-
tent ülad mandi, prius quam desaper fomo siccetor et igne coquator.
') Plin. H. N. Xym, 44: quippe cum Germaniae populi serant eam
(arenam) neque alia pulte yiyant
^*) L. Sal. 27, 7 napina, fabaria, pisaria, lenticulaiia. Auch Cap. pact.
leg. Sal. add. c. la LL. II, 13.
*) Vita S. Boiii£ Mab. ib. 71: de yolatilibus id est graculis et corni-
cdis atque ciconüs (aUi inserunt etiam fibri et lepores et equi); pisces ib.
S. 274.
«) Pytheas bei Strabo 4, 5. Tac. 23. Vita Columb. 27. L. AL 22*
^ Pytheas bei Strabo 4, 5. Ad. Brem. 11, 67.
') Nach Caesar B. G. 2, 15; 4, 2 schlössen sich die Deutschen noch
gegen den römischen Wein ab; aber schon zu Tacitus Zeit (c 23): pro-
2imi ripae et yinum mercantur.
*) Tac Germ. 22: Diem noctemque continuare potando nulliprobrum;
c. 23: Sine appa^tu, sine blandimentis expellunt famem; adyersus sitim
aon eadem temperantia. *
— 184 —
dichtem Pelzwerk ist der Mantel, das hauptsächlichste^) Be-
kleidungsstück der Männer und Frauen. Die enganliegenden')
Unterkleider aber, Wamms und Hose sind von Linnen ge-
fertigt; auch Binden um die Füsse^) und Schuhe aus Leder
trugen sie; die Frauen, als einzige Unterscheidung ihrer
Tracht ein langes Leinenhemd, das Reichere wohl auch mit
bunten Streifen zu verzieren liebten. Winter und Sommer
schufen noch keine Unterschiede in der Tracht*); und im
AUgemeinen ist die grosse Gleichförmigkeit derselben sehr
bezeichnend für den Gulturzustand und die gesellschaftliche
Ordnung der Volkes*).
Dabei fehlte jedoch nicht mancher Schmuck und Zier-
rath «) ; Binge fttr die Finger, Arme, Hals und Ohren, Hals-
ketten und Gehänge, Zierplatten, Spangen und Gürtelsdiliessen
mit künstlicher Verzierung^); vieles war aus Erz gemischt;
bei reicheren auch edles Metall verwendet. Und mit solcher
Zier liebten die Deutschen zu prunken; in ihr prägte sich
zumeist der Untei*schied des Beichthums und der socialen
Geltung aus^).
Ihre Wohnungen waren zu allermeist aus rohen Stämmen
kunstlos gefügt; zum Theil wohl auch nur aus Flechtwerk und
Lehm geschichtet^). Doch haben die Alamannen schon im
4. Jahrhunderte durch Nachahmung römischer Bauernhäuser
>) Nach Caesar b. G. IV, 1 ; VI, 21, und Pomponios Mela lU, 3 %opt
das einzige. Nftheres bei Weinhold, Frauen 404 fg. Wackemagel, kleine
Schriften I, 40 £ Falke, Geschichte der Trachten 1858.
>) Tac. 17. Sidon. Apollinaris ep. IV, 20.
") Paul Diac. de gest Lang. I, 24.
*) Caes. B. G. 1. c.
") S. i. A. Falke, (beschichte der Trachten passim.
^) Hierüber sind i. A. zu vergleichen die Publikationen der anthro-
pologischen Gesellschaften; insbes. auch Lindenschmit, Die Altertbfiner
unserer heidnischen Vorzeit passim.
^) Tab. 15, 17: torques, fibulae.
<") S. i. A. Weinhold S. 454 ff. Wackemagel I, 46. Lindenschnut
in Abbildungen von Mainzer Alterthümem IV, 1852.
^) Tac. Genn. 16: Ne caementorum quidem apud iUos aut tegnlsmai
usus ; materia ad omnia utuntur informi et citra spedem atit delectatiooem.
— 185 —
Fortschritte gemacht^). Und die Franken, welche besseren
Hausbau in ihrer neuen Heimath kennen leinten, scheinen die
B^grQnder eines neuen voUkommnei-en Typus für Wohngebäude
im ganzen Frankenreiche geworden zu sein. So erkläit sich
der ui-alte Gegensatz des fränkischen und des niedersächsischen
Hauses, von denen jenes für die Wohnung eine Art Saalbau ')
hatte, der getrennt von den Wirthschaftsgebäuden stand,
während dieses die kümmerliche Wohnung an die Wirthschafts-
räume unmittelbar anschloss und unter einem Dache alles
beherbergte^). Ein höheres Alter lässt sich wohl weder für
eine noch für die andre Bauweise mit Sicherheit darthun ^),
um so weniger als die Mischfoimen des alamannischen , thü-
ringischen und obersächsischen Hauses einerseits, des baiu-
warischen andei-seits gleichfalls schon seit Beginn der histori-
schen Zeit erkennbar hervortreten^). Nur die Vei-schieden-
S. a. Ammian 18, 2: Saepimenta firagilium penatam. Noch in 1. Baj. X, 14
sind nur hölzerne Bestandtheile des Hauses aafgezählt Doch werden an
einer andern Stelle späteren Ursprungs (I, 13) Kalk- und Steinfuhren für
die Herrschaft erwähnt
^) Ammian XYII, 1: extractisque captivis domicilia cuncta cnratius
rita romano constmcta, flammis subditis ezurebat.
*) Darauf deuten auch die vielen urkundlichen Stellen z. B. Urk. 709
Pard. 474: casatas 11 com sala et curticle meo. Urk. 710 ib. 476 casatas
5 com sala et curtile meo. Urk. 721 ib. 520: 3 casatos una cum sala et
curticle meo. S. a. Gu^ard Irminon I, 488.
*) Nach Pfiihler, Handbuch der deutschen Alterthumer S. 470, ist aus
der Art und Weise wie bei Tadtus c. 20 das Aufwachsen der Kinder
zwischen dem Vieh erwähnt wird, vielleicht zu schüessen, dass der Stall,
wie jetzt noch in den ältesten Bauernhäusern in Süd und Nord, mit der
Wohnung unter demselben Dache war.
*) H. Otte, Geschichte der deutschen Baukunst S. 43 ff. hält die
niederBächaische Bauweise für die älteste, weil hier Menschen und
Thiere noch unter einem Dache beisammen wohnen. M. Heyne dagegen
sucht (Germania v. Pfeifer X, 55 ff.) wahrscheinlich zu machen, dass die
fränkische Bauart die ältere sei und 'dass sich die sog. altsächsische erst
später aus der Vereinigung kleiner Wohnungen mit Stallanlagen ent-
wickelt habe. S. a. Landau in Beilagen zu dem Corresp. Bl. der bist.
Vereine 1858. 1859. 1862.
') Die charakteristischen süddeutschen Typen sind alle vertreten in
Hohenbruck, .Pläne landwirthschaftlicher Bauten des Kleingrundbesitzes in
— 186 —
heiten der wirthschafüichen Gultur, welche die einzelnen
Völkerstämme in dieser Zeit ermngen hatten und der Gegen-
satz einer vorhen-schenden Acker- und Viehwirthschaft lassen
sich einigennassen darin erkennen. Jedenfalls aber gehört
die Abtheilung des zur Wohnung bestimmten Gebäudes oder
Gebäudeantheils in verschiedne Wohniiume erat einer späteren
Entwickelung des nationalen Hausbaues an. Wie das nieder-
sächsische Haus der ältesten Zeit einen einzigen grossen Raum
umschloss, der als Tenne und Banse diente und an dessen
einem Ende der Herd mit dem Frauensitz und den Schlaf-
bänken angebracht war % so ist auch der fränkische Saal ein
solcher offner Raum gewesen, der erat später seine Gliederung
durch Zubau oder Verschlage erhielt ^) ; und auch die ala-
mannische Wohnung muss in dieser Weise gedacht werden'),
wie auch die grosse durchlaufende Tenne des baiuwariscben
Hauses, die noch jetzt den Schwei-punkt desselben bildet,
sicherlich noch in der Zeit des Volksrechts der allgemeine
Wohn- und Wirthschaftsraum gewesen ist. Hölzerne Säulen
trugen das Dach, die Firatsäulen, die in die Diele herein-
standen und später wohl den eraten Anhaltspunkt zur Ab-
theilung des gi'ossen Raumes boten, und die Winkelsäulen.
Oesteireich und Ealtenegger, Typen landwirthschaftlicher Bauten des Klein-
gnmdbesitzes in Tirol und Vorarlberg 1878. Vgl. meine Besprechung
derselben in der Augsb. Allg. Zeitung 1878 No. 308 f. Beilage. Von
kleinen Gebäuden, quae per se constructi sunt, balnearius, pistoria,
coquina vel cetera hujusmodi spricht L. B^j. X, 3.
^) Abbildungen und Beschreibung dieser alten Bauernhäuser u. a. in
Zeitsch. des bist. Vereins fbr Niedersachsen 1850. S. 117 ff. Spamei's
illust Gonvera. Lezicon Bd. II, Sp. 359 f. Einen Lobredner fand diese
Bauweise besonders an Just Moser, SämmÜ. Werke m, 144, VI, 102 £
') S. M. Heyne S. 97. Schöer, Das Bauernhaus im offic Ber. thet
die Wiener Weltausstellung Heft 51.
*) Das geht schon aus 1. Alam. 95 hervor: Si qua mulier . . peperit
puerum . . ut possit aperire oculos et videre culmen domus et quatoor
parietes. Ein interessanter Ueberrest eines alamannischen (oder bmgan-
dischen?) Saalbaus ist der grosse Saal des Schlosses Orders im schireixe-
rischen üechtland mit seinen laubenartigen Beikämmerchen und den
steinernen Sitzbänken längs der Wände. S. Augsb. Allg. Zeitung 1879
No. 49 Beil.
— 137 —
die äusseren Träger des Daches^); ernst schaute der iiissige
First in den weiten Raum herab, von dem der Rauch des
Herdfeuers ohne Schlot und andere Leitung als die natür-
liche Strömung der Luft, nach oben zog^).
Hier spielte sich das ganze Leben der Familie ab; hier
wohnte und hier schlief man; am Herd versammelten sich
die Hausgenossen, der Herr und seine Familie wie die Knechte
und Mägde nach gethaner Arbeit wie vor Beginn derselben;
hier war die allgemeine Plauderstätte und der Oi*t fbr ernsten
Rath ; da wurde auch der Gast empfangen, den die geiilhmte
Gastfreundschaft des deutschen Hauses hergeführt, und die
Gelage abgehalten, die des Hauses Herr bei besondrem Anlass
seinen Nachbarn gab^).
Von innen wie von aussen war wohl wenig Schmuck und
Zier des Hauses verwendet; nur die einander abgekehrten
Thierköpfe *') am Giebel des Hauses und das Glockenthürmchen
scheinen in einzelnen Gegenden uralt zu sein; etwas Farbe
war dann und wann schon früh zum Schmuck der Aussenseite
angebi-acht ^).
Im Keller bargen sie die Flüchte und andei-n Vorrath,
suchten aber im Winter wohl selbst dort Zuflucht gegen die
Kälte und richteten dort ihre Arbeitsstätte zur Verfeitigung
allerlei Hausi'aths ein ^) ; hier tanzte die Spindel und klapperte
der Webstuhl ^) und manch andres Handwerk für den Eigen-
^) S. bes. 1. Bai. ^i ''• colamnam, a qua culmen sustentatur, quam
fintsnl Yocanl 8: interioris aedificii illam columnam, quam winchilsul
▼ocaot. 10: exterioris ordinis columna angularis.
*) Weinhold, Frauen 830. Schröer S. b.
*) Im Beowulf ist öfter von Methsal, Bierhalle, Degensal die Rede.
S. PfiEOiler 591.
*) Grimm, Mythol. 2. Ausg. S. 626.
*) Tac c. 16; Quaedam loca diligentius illinunt terra ita pura ac
splendente, ut picturam ac lineamenta colorum imitetor.
*) Tac c. 16: Solent et supterraneos specus aperire eosque multo
insuper fimo onerant, suffugium hiemi et receptaculum frugibus.
^ Plinius h. n. XIX, 2: In Germania autem defossi atqne sub terra
id opus agnnt (vela texunt). S. ttber diese Kelleranlagen Wackemagel in
Haupts Zeitsch. VU, S. 129 ff. Hostmann S. 55. Ueber die Bedeutung
— 1S8 —
bedarf betrieb da der Deutsche mit Weib und Kindern und
Gesinde. Gefässe und Geräthschaften hatten sie aus Stein ^)
und Bein, aus Holz und aus Metall ; auch einfache Thonwaai*en
sind ihnen schon längst bekannt gewesen; am entwickeltsten
und werthvoUsten aber, was Stoff und Technik der Bearbei-
tung anlangt, sind jedenfalls ihre Waffen und ihre Schmuck-
gegenstände gewesen, in denen sie wieder auf einigen Luxiis
hielten.
Vieles nun davon haben sie sicherlich von den Römern
erhandelt; mehreres wohl auf ihren Eroberungen erbeutet;
in zweifellos deutschen Gräbern der spätesten Zeit des Heiden-
thums (6. u. 7. Jahrh.) finden sich nicht selten Geräthschaften
von augenscheinlich römischer Arbeit*).
Aber auch selbst solches zu fertigen vei*standen die
Deutschen; eine zwai* primitive aber doch charakteristische
Technik bildete sich bei ihnen aus; viele allen deutschen
Völkern gemeinsame Motive und Ornamente kehren bei den
Funden altdeutscher Gräber wieder '). Dabei spielt nun aller-
dings die Nachahmung vorgefundner i*ömischer, vielleicht auch
byzantinischer Muster eine grosse Rolle; aber doch mag
manche Kunstform auch, durch jahrhundertlange Tradition
unter den Deutschen selbst überkommen, Rest einer älteren
Cultui-periode indogermanischer Stämme sein^); jedenfalls
ist durch diese Uebereinstimmung in den Formen die An-
nahme ausgeschlossen, dass das alles nur Product der Haus-
industrie gewesen sein könnte.
Vielmehr weist sie uns auf eigentliche Handwerker hin,
die entweder als Freie sich mit der Anfertigung von Geräth-
dieser Arbeitsr&ame für die Webertechnik s. Hildebr. Jahrb. 13, 214 mä
Schmoller, Tucherbuch S. 355.
^) Steinwaffen sind noch im Hildebrandsliede erwähnt; über Funde
deutscher Gewerbsprodacte überhaupt ygl. die neueste anthropologische
Literatur; bes. auch die Mittheilungen der anthrop. Gesellschaft in Wien
Bd. V, S. 73. Bd. VU, S. 7.
^) S. i. A. Lindenschmit, Alterthümer und bes. seine Abbildungen IV.
») S. Wackemagel, kl. Schriften I, 49. Die vier Hauptformen smd
die einfache, die doppelte Spirale, der Ring und die Wellenlinie.
*) S. Lindenschmit, Abbildungen S. 12.
— 139 —
Schäften und Waffen gewerbsmässig beschäftigten oder als
Unfreie, auf Rechnung des Henn, nicht bloss den Bedarf
desselben deckten, sondern darüber hinaus auch noch zum
Erwerb verwendet wurden.
Nun ist es allerdings kein Zweifel, dass die Deutschen,
mannigfach angeregt und unterwiesen durch die rege Fabriks-
thätigkeit, welche die Bömei* in der spätem Kaiserzeit in
den Rheingegenden und Oberdeutschland entfalteten^), Ele-
mente gewerblicher Technik in sich aufnahmen; aber gleich-
zeitig ist es doch auch unverkennbar, dass diese industrielle
Organisation die Keime nationaler Gewerbsthätigkeit bei den
Deutschen vielfach eher unterdrücken als befördern musste^).
In den Grenzprovinzen wenigstens und überall, wo römisches*
Fabrikat auf leichten Verbindungswegen in grösserer Menge
einzudringen vermochte, war ja nun alle benöthigte Gewerbs-
waare leichter durch Umsatz der Producte als durch eigne,
ungelenke Fabrikation zu gewinnen, und jedenfalls konnte
ein Versuch, mit den Gewerbswaaren dieser römischen Pro-
ductionsstätten in irgend welche Concun*enz zu treten, in
keiner Weise unteiiiommen werden. Die heimische Production
solcher Waaren blieb also auf den eigenen Bedarf und auf
die innem Theile Deutschlands beschränkt, so lange jene
Stätten römischen Gewerbefleisses nicht verödeten. Als aber
mit der römischen Hen*schaft auch diese provinziellen Staats-
anstalten vei-fielen, da zeigten die Deutschen doch alsbald,
dass sie nicht bloss viel von ihren feindlichen Nachbarn und
Beherrschern gelernt hatten, sondern auch dass sie in manchen
Stücken natürliche Begabung und Formensinn genug besassen,
um wenigstens einzelne Zweige gewerblicher Production selb-
ständig zu betreiben und sogar zu verhältnissmässiger Aus-
bildung zu bringen. Es zählen hieher insbesondere die Töpfe-
reien des Südens, die Gewebeindustrie des Nordens und die
Schmiedekunst in edlen und unedlen Metallen allüberall in
deutschen Landen.
^) Notit. dign. in part. occid. 8, 1; 10, 1.
») Wackernagel, Kl. Schriften 1, 35.
— 140 —
Für die Töpferei war in Süd-Deutschland ein guter Boden;
schon die Römer betrieben sie in ausgedehntem Massstabe
auf der baiiischen Hochebene; insbesondere ist die Töpferei
in Westemdorf wegen ihrer grossen Anlage und reichhaltigen
Ueberreste bemerkenswerth ^). Auch Schwaben ist reich an
römischen Töpfereien, so zu Westheim, Waiblingen, Riegel,
Rottenburg, Gannstadt, Oögglingen, Rheinzabem u. a.; und
auch in den Rhein- und Moselgegenden waren sie, wie Trier,
Commeiii u. a. bezeugen , nicht selten *). Diese Anlagen be-
kunden durchgehends einen fabrikmässigen Betrieb, wie das
schon aus der Anzahl der auf den Töpferwaai-en genannten
Handwerker hervorgeht; in Riegel sind 53, in Westeradoif
61 Leute dieses Handwerks genannt, von denen mehrere deut-
schen Urspmngs waren ^). Von solchen deutschen Arbeitern
in i-ömischen Töpfereien mögen dann viele Handwerkskennt-
nisse ^) und besondei*s auch Stilfoimen auf die einheimische
deutsdie Keramik übeitragen worden sein. Selbst eigentliche
Fabrikationsstätten fQr Töpferwaaren fehlen bei den Deutschen
der ältesten Zeit nicht gänzlich^), wenn auch die Töpferei
zumeist als Hausindustrie betrieben war ^) ; Ja wir haben sogar
Kunde von allerdings roher Töpferwaare, welche ein wandern-
des Volk an den Stätten vorübergehender Niederlassung ge-
^) Gründlich untereacht und ausfOhrlich dargesteUt von He&er im
Oberbair. Archiv XXII, 1, wo aach eine reiche Literatur über die römi-
sche und germanische TOpferindustrie geboten ist
>) Wackemagel, El. Sehr. I, 35 f. He&er zählt S. 60 15 deutsche
Orte hu£, an welchen sich Brennöfen feinden.
*) In Riegel lautet ein Name deutsch, in Rheinzabem 8, in WeBtem-
dorf 9.
^) Besonders die Anwendung der Töpferscheibe; sehr schön zeigt
Much in den Mittheilungen der anthrop. GeseUschaft in Wien, V, 74» wie
mit ihrer Einführung in die deutsche Töpferei die individuelle liebevolle
Behandlung des einzelnen Stückes, die Pflege gefälliger und kOnstlerischer
Form vernachlässigt und immer mehr nach stehenden Mustern gesibeitet
wurde.
^) Von einem Töpfergewerbe bei den Qnaden an der March berichtet
Much in den Mittheilungen der anthrop. Gesellsch. in Wien Y, S, 56.
*) Schon Tacitus c 5 spricht von vasa quae humo finguntur.
— 141 —
fertiget bat^). Aber doch lässt die Summe der Fundstücke
von entschieden deutscher Herkunft eine durch Tradition und
Nachahmung besondei's römischer Muster verhältnissmässig
gut entwickelte Industrie erkennen, wie anderseits auch die
Anwendung des Schmelzwerks von Porcellan und Glasmasse
auf Schmuckgegenstanden der Franken und Alamannen als
Ueberlieferung römischer Technik aufzufassen sein dürfte^).
Auch mit einer andern Industrie der alten Deutschen,
mit der Weberei, verhält es sich ähnlich. Auch hiefQr be-
standen in Triers Kheims und Metz eigne Fabrikanlagen in
der Römerzeit '), welche ohne Zweifel durch die Reste ihrer
Traditionen noch nach Jahrhunderten einflussreich blieben.
Aber doch scheinen die Deutschen auch in selbständiger Weise
diesen Zweig gewerblicher. Production gepflegt zu haben ^).
Schon die römischen Schriftsteller wissen davon zu berichten ^).
Und später ist das wenigstens von den Saliern, aber auch
von den Thüringern und Sachsen mit Bestimmtheit anzugeben ^),
die ja mit den Römem in gar keinen wirthschaftlichen Be-
ziehungen standen ; und auch die Geschicklichkeit der Friesen,
so¥rie die allgemeine Verbreitung friesischer Gewänder^) ist
^) Im Funde von Ampass in Tirol, der allerdings der prähistorischen
Zeit zageschrieben wird, aber auf ein wanderndes Volk hinweist , sind
mehrere Stficke mit Thonschlacken enthalten. S. Wieser in Berichten
des natorwissensch. Vereins zn Innsbruck 1876.
*) S. Lindenschmit, Abbildungen S. 12.
*) S. Büchsenschatz, Die* Hanptstätten des Gewerbefleisses im klassi-
schen Alterthum 1869 ;S. 78 und SchmoUer, Strassburger Tucher- und
Weberzunft 1879 S. 356.
*) S. L A. Weinhold, Frauen 404 £ Schmoller, Tucherbuch S. 355 f.
*) PliniuB h. n. 19, 2,1: Jam quidem et transrhenani bestes (yela
texunt) : nee pulchriorem aliam yestem eorum feminae noyere. Tac. c. 17 :
nee alins feminis quam viris habitus, nisi quod feminae saepius lineis
amictibus yelantor, eosque purpura variant c. 25: Frumenti modum do-
minus ant pecoris aut vestis ut colono injungit.
") L. Sal. 27, 8: Si quis de campo alieno lino furayerit. Die Thüringer
geben Tribut in Leinwand (Greg. Tur. a. a. 529). Die Sachsen tauschen
ihre langhaarigen Gewebe gegen Pelze aus Ad. Brem, 4, 18 (SS. YII, 374).
^ Bonif. ep. 42: yestimenta transmittere debuisti de Fresonum pro-
TincÜL L. Fris. lud. Wulem. c. 11. LL. 111,700: foeminae fresum fadenti.
S. Hüllmann, Städtewesen I, 217—246 ff.
— 142 —
sicherlich nicht auf römischen Einfluss zuiilckzuführen. Da-
gegen wird aus diesen Thatsachen ersichtlich, dass die Friesen
weit über den Bedarf producirten, also in der Weberei recht
eigentlich ein Gewerbe ausbildeten.
Aber auch den andern Stämmen der Deutschen war dieee
Kunst nicht fi*emd ; überall im Hause tanzte die Spindel und
schoss das Webei-schiffchen hin und her, von kundiger Fi-auen
Hand geleitet, denen überall diese gewerbliche Arbeit anver-
traut war. Es war eine rechte Hausindustrie der Deutschen!
und ist es auch lange Zeit geblieben. Kein Volksrecht ausser
dem friesischen gedenkt der Weber als Handwerker*); da-
gegen ist die deutsche Sage und Dichtung voll von Erinnerung
an die Spindel, als das regelmässigen Attribut der Frau im
Hause ^). Die frühzeitige Ausbildung der Weberei zu einer
nationalen Industrie, die für den Handel producirte, wie sie
nur den Friesen, und vielleicht den Angelsachsen'), gelungen
ist, erscheint demnach als eine Besonderheit dieses Volks-
stamms, welche sich wohl zur Genüge aus den besonderen
Productions- und Absatzvortheilen erkläi-t, über welche dieser
.deutsche Volksstamm vor allen andern verfügte. Die Nord-
seemarschen gaben vorzüglich Gelegenheit zu ausgedehnter
Schafhaltung^); das Schiffahrtsgewerbe reichlichen Anstoss zu
Verarbeitung der Leinen- und Hanffaser für Segel *), womit
zugleich der Fortschritt in der Webertechnik mächtig angeregt
wurde ; die günstige Handelslage, welche See- und Flussschiff-
fahrt veifügbar hatte, gab dem den Anwohnern des Meeres
ureignen Unternehmungsgeist leicht die besondere Bichtung
auf den Vertrieb des einheimischen Gewerbserzeugnisses in
^) Doch erwähnt Gregor Tur. 4, 26 einmal einen artifex lanarios.
Vgl. 7, 14: lanarium simul molendariumque.
') S. bes. Grimm, R. A. 163. Weinhold, Frauen 113 ff. Wackeroagel
Kl. Sehr. I, 38 f.
') S. Paul Diac. de gest. Lang. 4, 23.
^) S. Hostmann, Altgerm. Landw. 29.
') Erst seit dem 4. Jahrb. scheinen die nordischen Völker den Ge-
brauch leinener Segel gelernt zu haben. S. Wackemagel, üeber die Schiff-
fahrt der Germanen, El. Sehr. I, 79 ff.
— 143 —
weite Ferne, und verschaffte so den Friesen jenen beherrschen-
den Einfluss auf den binnenländischen fränkischen Märkten,
den sie als kluge und gewandte Handelsleute lange Zeit hin-
durch zu behaupten, ja selbst auszubeuten wohl verstanden.
Am entschiedensten aber ist die Bearbeitung der Metalle
bei den Deutschen der ältesten Zeit recht eigentlich schon
zum Gewerbe ausgebildet^). Zwar auch hiefQr ist das Haus
thätig ; der Schmiedearbeit für Haus- und Ackergeräthe, selten
wohl auch der Waffenschmiede, widmet sich gern der Freie
in seinem Hause ^); auch unter seinen Knechten hat jeder
grössere Grundbesitzer wohl solche, die zu diesem Handwerk
besonders geeignet sind^). Für gewöhnlichen Hausrath und
einfache Bewaffnung mochte das ausreichen; werthvollei'e
Stücke und schwierigere Arbeiten zu fertigen waren aber doch
nur wenige befähigt, die eben deshalb und wegen der nöthigen
Werkvorrichtungen, über die nicht jeder verfügte, auch regel-
mässig für grössere Kundschaft arbeiteten ^), mochten sie nun
als Freie das Gewerbe auf eigne Rechnung ausüben, oder
als Leibeigne für Bechnung ihres HeiTU beschäftigt sein.
Ja sie wurden sogar als öffentlich ei-probte Handwerker be-
zeichnet und damit ihre Eigenschaft als Gewerbetreibende
besonders zum Ausdruck gebracht.
Ausserdem ist aber dieser Gewerbebetrieb ersichtlich aus
dem Umstände, dass gerade Waffen als die einzigen Ge-
werbeproducte gekannt werden, die als Gegenstände regeK
^) Am deutlichsten ausgesprochen in I. Biy. IX, 2: si in ecclesia, Tel
infira carte ducis, vel in f&brica Tel in molino aliqnid faraTerit, triunian-
geldo conponat . . . quia istas quatuor domns casas publice sunt et semper
patentes. LL. in, 802. Auch 1. AI. 81, 7: faber, aurifex aut spatarius,
qui publice probati sunt
*) S. Wackemagel, El. Schriften I, 46 f.
^ Dieser gedenkt 1. SaL X, 4; XXXY, 6 neben andern Ministerialen.
Aach der &ber und aurifex des Pact. AL DI, 86 sowie der 1. AI. Hloth.
81, 7 gehören hieher. Aehnlich 1. Fris. Judicia Wulemari 10 (LL. m, 699)
Tom aurifex, 1. Burg. 10 Tom &ber ferrarius, argentazius, aurifex lectus.
*) Vom Schmiedegewerbe und der. Bronceindustrie bei den Quaden
Tgl. Much in den Mittheilungen der anthrop. GeseUschaft in Wien V, 75.
— 144 —
massigen Kaufs einer objectiven Gebrauchsbewerthnng zugäng-
lich sind 0-
Die Kunst der Metallbearbeitung ist bei den Deutschen
schon frühzeitig und sehr bedeutend vertraten. Jedenfalls
schon vor Beginn der christlichen Zeitrechnung sind sie in
das sog. Eisenalter eingetreten; und wenn sie vorübergehend
einmal Noth an eisernen Waffen litten^), so ist das nur dem
zeitweiligen Stocken der Eisengewinnung oder dem Mangel
an Waffenbeute, aber gewiss nicht ihrer Unkenntniss der Be-
arbeitung des Eisens zuzuschreiben. Sie verstanden sich auf
das Schmelzen, auf Guss und Mischung der Metalle eben so
gut wie auf das Schmieden an der Esse, auf PrS^ng, Gisseli-
i*ung und Gravirung^). Wohl ist auch hier der Einfluss
römischer Technik und Kunst unverkennbar; aber doch haben
gerade die Metallarbeiten der Deutschen, vorab der Franken
und Alamannen, welche doch in so vielfacher Berührung mit
den Römern standen, verhältnissmässig wenig antike Formen
verwendet ; dagegen eine so originelle Ornamentik ausgebildet,
dass an einem hohen Grad von Selbständigkeit in diesem
Gewerbszweige nicht gezweifelt werden kann.
Auch ist es nicht im mindesten anzunehmen, dass alle
die kunstvollen Arbeiten in Erz und Edelmetall, welche schon
so frühzeitig bei den Deutschen genannt werden, der Haus-
industrie allein entstammen; die metallnen Götzen der heid-
nischen Franken^), die ehernen, vergoldeten Bildnisse der
^) L. Rip. 86, 12: spatam com scogilo pro 7 solidis tribaat, spatam
absque scogilo pro 3 sol. trib., broniam bonam pro 12 soL trib., hebnam
com directo pro 6 sol. trib., scutom com lancea pro 2 sol. trib.
^ Tac. Genn. 6: Ne femim quidem superest, sicut ez genere telomm
colligitnr. Bari gladiis aut maioribus lanceis utontor . . . Paads loricae,
yix ani alterive cassis aut galea. ^
^) Lindenschmit, Abbildungen S. 12. üeber die in Deatsdüand ge-
fundenen Vorrichtungen zum Schmelzen und Giessen des Metalls s. Klemn,
Handb. d. Alterthumskunde 151. S. a. über die altdeutsche Goldschmiede
Nordhoff in der Augsb. AUg. Ztg. 1878 No. 82 ff.
^) dii . . aut ex lapide aut ex ligno aut ex metallo aliqno sco^ti
Gregor II, 29; vgl. n, 10.
— 145 —
Alamannen ^) und Friesen '), die goldnen und silbernen , aus
freier Hand gearbeiteten Idole der Sachsen ^) gehören ebenso
unzweifelhaft der Werkstatt eigner Gewerbetreibender an,
wie die vielen oft wunderbaren Schwerter und Rüstungen,
deren, die deutsche Heldensage gedenkt^).
Und endlich führen uns die ältesten Urkunden gerade
Producte dieser drei Gewerbe, eherne und thöneiiie Gefässe,
Gewebe und Kleider, Waffen und Schmuck als die einzigen
Gewerbsproducte auf, welche häufiger eingehandelt oder ge-
tauscht worden sind.
Aber zahlreich waren diese Gewerbetraibenden nicht, so
wenig als die Kunst gewerblicher Technik weit verbreitet
anter dem Volke war. Darum tritt in allen Volksrechten
eine besondere Werthschätzung und ein besondei-er Schutz
dieser Leute hervor; die Waffenschmiede, insbesondere aber
die Goldschmiede sind vor allen Ministerialen ausgezeichnet ^) ;
und wenn sie Freie waren, sind sie unter den besondem
Schutz des Volksrechts gestellt; aber es ist verfehlt, sie des-
wegen als öffentliche Diener aufzufassen und dabei an eine
Art von Staatsgewerbebetrieb oder auch nur an gemeinwirth-
schafUiche Leistung der Markgenossenschaften zu denken^.
*) Tres imagines aereas et,deanratos Mon. Oerm. SS. II, 7.
>) WiUibaldi nta S. Bonifadi Mon. G. SS. U, 839.
*) Idola mann focta, anrea, argentea, aerea, lapidea, vd de quaconqne
materia fiftcta (Bonif. epist 121).
*) Es ist dabei nicht zu übersehen, dass die Erzgewinnung den
Deutschen längst bekannt war. Eisenbergwerke der Gothinen Tac 43,
wohl identisch mit denen der Qnaden Ptolem. n, 14. Norisches Eisen I
s. Wackemagel, EI. Schriften I, 60. In Urkunden begegnen Erzbergwerke
aDerdings erst sp&t; Tr. Wizz. 786 no. 206 und 787 no. 207 aeramentnm.
^ Nach I. Sal. X de servis vel mandpiis fhratis, ist der fiftber 25 bis
35 soL werth gegenüber dem auf 12 sol. geschätzten einfachen senrus.
Nach L Alam. 81, 7 waren die Schmiede mit 40 soL den übrigen bevor-
zugten Ministerialen gleichgestellt In der 1. Fris. hatte der aurifez eine
um V« höhere Composition als andre seines Standes. Vgl. auch Eugip-
piuB Vita S. Severini 8, 3: Quosdam enim aurifices barbaros * fabricandis
regaübus omamentis clauserat arte custodia.
*) So Gfrörer, Zur Geschichte der deutschen Volksrechte n, 140.
▼ OB Inama-Sternegg, Wirtluchaftsgeecluchte. I. 10
- 146 —
Weitaus das meiste jedenfalls, was des Volkes Wirthschaft
an Gewerbswaaren bedurfte, wurde im Hause gefertigt, und
es erweist sich auch hier wieder die Familie als eine rechte
wirthschaftliche Einheit. Es erklärt sich aber diese IsoliruDg
zum Theil durch die grosse Gleichmässigkeit der Bedarfhisse
des Haushalts in kleineren Gebieten des volkswirthschafUichen
Lebens, zum Theil aus dem höchst ungenügenden Verkehr
auf weitere Entfernung, der ebensowohl durch die grosse Zer-
streutheit der Wohnplätze und die geringe Anhäufung von
Menschen in örtlichen Mittelpunkten wie durch den ausseist
unvoUkommnen Zustand der Strassen, Verkehrswege und
Verkehrsmittel zu keinerlei Bedeutung gelangen konnte.
Das verhinderte eben so sehr einen beträchtlichen Ueber-
fluss an Producten über den Eigenbedarf, wie es eine belang-
reiche Nachfrage nach fremden Producten nicht aufkommen
liess. Und überdiess war ja auch die Arbeitstheilung bei
dem Uebergewicht der Urproduction und der grossen Ab-
hängigkeit der Wirthschaft von den localen Bedingungen der
«aussein Natur so wenig entwickelt, dass auch von dieser
Seite her keine Anregung zu selbständiger Ausbildung eines
gewerblichen Lebens ausging. Die Technik war im Allgemeinen
viel zu wenig vorgeschritten, als dass nicht jeder in seinem
Kreise das Nöthigste für Haus und Wirthschaftsbedarf selbst
hätte fertigen können.
Der wichtigste Zweig des Erwerbs aber, die Boden-
benutzung in Ackerbau und Viehzucht verträgt überhaupt am
Wenigsten weitgehende Arbeitstheilung, wie sie auch die
grösste Gleichf&imigkeit in Producten erzeugt und die grösste
Gleichartigkeit der Bedüi*fhisse erhält.
Auf diesen beiden Richtungen der Production aber, don
Ackerbau und der Viehzucht, ruhte der Schwerpunkt des
nationalen Erwerbslebens; und darum sind diese Verhältnisse
noch näher zu betrachten.
Wie die Familie ursprünglich wohl im Gemeinbesitz der^
jenigen Ländereien war, welche ihr bei der Ansiedelung ond
allgemeinen Landtheilung zugefallen waren ^), so sehen wir
») S. 0. Abachn. I S. 11 u. 28 ; Abschn. II S 72 ff. und Absch. ffl S. 101 £
— 147 -
noch längere Zeit hindurch auch einen Gesammterwerb der
engeren Familie herrschend^). Selbst die erwachsnen Söhne
verblieben zumeist in der Gemeinschaft dieser Wirthschaft,
80 lange die alten Familientraditionen sich noch ki*äftig er-
wiesen *).
Die Wirthschaft des kleinen gemeinfreien Grundbesitzers
beruhte aber auch in der Regel ausschliesslich auf den Arbeits-
kräften seiner Familie, auf der Productivität seiner Hufe und
dem dazu gehörigen Marknutzen. Er war hier auf das
dringendste veranlasst, selbst Hand an die Wiithschaft zu
legen'); mit Weib und Rindern, zuweilen auch mit Mutter,
Geschwistern oder nahen Verwandten bebaute er das Feld,
besorgte das Vieh im Stalle und auf der Weide, und schuf
sieh selbst den kärglichen Hausrath, sowie die wenigen Ge-
nüsse, die solch einfaches Leben erheischte. Die Arbeit war
hier wenig getheilt; fiel auch den Weibeiii insbesondre das
Backen, Brauen, Mahlen, Kochen, Waschen und Spinnen zu ^),
^) Mutter, Geschwister und sonstige Verwandte finden sich schon
frühzeitig im gemeinsame Hanshalte mit dem Besitzer des Gutes z. B. Tr.
Wizz. 742 no. 1 cum genetrice sua. Tr. Sang. 764 I, 42: 765 I, 47 cum
matre. Meichelb. Ib, 43, a. 775: cum sorore vel earum sobolis.
s) Einigermassen ergibt sich das aus der eigenthttmlichen Gestaltung
des Erbrechts der lex Salica s. o. Absch. III S. 108. In der 1. Burg. 75, 2
heisst es aosdr&cklich: si filius . . omnia cum patre indiyisa possederit
Auch I. Wisig. y, 2, 18: Si vero filius cum patre in commune yiyens.
Nach demselben Yolksrechte musste der Sohn selbst von dem, was er auf
dem Kriegszug erwarb, Vs ^^ den Vater abgeben -, L. Wis. lY, 5, 5.
') Das sehen wir besonders aus den Volksrechten, welche den Freien
die Sonntagsheiligung vorschreiben. S. 1. Alam. 88, c. 1 : üt die dominico
nemo opera servile praesumat facere. c 8: Über autem corripiatur usque
ad tertium. L. Bbjüy. Append. I |(LL. m, 885): Si quis die dominico
operun servilem fecerit: Über homo, si bovem junxerit et cum carro am-
bolaverit, deztrum bovem perdat, si autem secaverit fenum et coUegerit,
aat messem secaverit aut coUegerit, vel aliquod opus servile fecerit etc.
S. a. Maurer, Einleitung S. 245. Die Yorschriften über die Sonntagsfeier
von Guntchramnus (Ed. 585 LL. I, 4) und Ohildeb. II (decr. 596 c 14
LLi. I, 10) dienen zugleich als Beweis für die regelmässige Erwerbsbe-
sdiitfÜgung der Freien.
*) S. Weinhold, Freuen 813 ff. Doch erscheint das Mahlen auf der
Handmühle und die Yidiwartung in grösseren Wirthschaften durchgängig
als Mägdearbeit S. a. u. S. 162.
10*
- ;48 -
SO war ihre Arbeitskraft doch auf dem Felde wie beim Vieh
unentbehrlich; nur das Schwerste der häuslichen Arbeit und
was ausserhalb des Hauses zu verrichten war, was Muth und
Ausdauer besondei*s erheischte, blieb wohl ausschliesslich den
Männein vorbehalten. So war der gemeine Freie der eigent-
liche Bauer jener Zeit ; in ärmlichem ^) und mühevollem Da-
sein verbrachte er sein Leben und fand kaum die Zeit, die
Rechte auszuüben, die ihn als freien Volksgenossen in die
Versammlung der Gemeinde und des Gaues riefen, damit er
dort seinen Platz einnehme und seine Stimme zu Rath und
ürtheil erhebe*).
Leibeigne fehlen in diesen kleinen Wii-thschaften in der
Regel ebenso^) wie dienende Grundstücke oder Zinsgüter.
Die Hufe, wie sie bei der Landvertheilung nach dem Bedarf
der Hauswirthschaft bemessen war, musste noch nach Jahr-
hunderten diesem Bedaife genügen, was dann freilich jede
Entwickelung und Ausdehnung desselben verwehrte.
Wer dagegen mehi*e Hufen besass, hatte regelmässig nur
einige in eigner Bebauung^), die übrigen an Leibeigne ans-
^) L. Bai, Vn, 4: Quamvis pauper sit, tarnen libertatem siiam non
perdat^ nee hereditatem soam. Ib. XVII, 2: Die homo, qni hoc testificarB
Yoluerit, commarchanos eiua debet esse, et debet habere sex solidomm
peconiam et similem agrum. Es ist daraus zu ersehen, dass nicht jeder
Freie über ein bewegliches Vermögen im Werthe von 6 solidi (3 Ochsen!)
verfügte.
*) Es ist vielleicbt zum Theil darauf zurück zu führen, dass an Stelle
der alten wöchentlichen Versammlungen der Hunderte schon frühzeitig
die Htägigen traten, bei den Baiem sogar die monatlichen schon Regel
wurden; s. Waitz II, 461 £ Das ahunannische Gesetz tit XXXVI, 1, 2
bestimmt allerdings noch wöchentliche Versammlungen^ qnando pax parva
est in provinda, Htägige qnando autem melior est
") Wir sehen das besonders aus denjenigen Urkunden, in welchen
der ganze Besitz verschenkt oder aufgetragen wird. Tr. Sang. 744 no. 9,
758 no. 22, 761 no. 30, 764 no. 44, 774 no. 72. Nur bei der Schenkang
762 no. 88 sind mancipia genannt S. aber auch 1. Baj. IX, 19: Si non
habuerit servum aut unde componat, ipse subiaceat Servitute, qui innooen-
tem fedt ocddi
*) So findet sich, um ans der Fülle der Belege nur einige heraoam*
heben in den trad. Wizz. 730-— 89 no. 15 bd einem selbstbewirihschafteten
— 149 —
gethan und erhielt eine Verstärkung seiner Arbeitskräfte vor-
zugsweise durch den regelmässigen Frondienst derselben auf
dem Herrenhofe, sowie eine Vermehrung seiner Gebrauchs-
YoiTäthe durch die Abgaben an landwirthschaftlichen Pro-
ducten, welche diese zu leisten hatten.
Ebenso finden sich bei solchen grösseren Gutswirthschaften
schon regelmässig leibeigne Hausdiener, die gegen volle Ver-
pflegung ausschliesslich für des Hen-en Wirthschaft thätig
sind^); die einen zu den gewöhnlichen häuslichen Venich-
tungen in der Wohnung, in Küche, Keller und in Veiiertigung
von Geräth und Gewand, die anderen namentlich für Feld und
Vieh bestimmt'). .
So konnte sich der Herr mehrerer Hufen schon ungleich
freier bewegen, konnte den Lieblingsbeschäftigungen der Jagd,
Fischerei und dem Vogelfang ^) nachgehen, das Waffenhandwerk
treiben *) und die Vei-sammlungen der Centene oder des Gaues
regelmässig besuchen; freilich immer noch bewegt sich sein
Leben in sehr einfachen Geleisen, und weder zu reichlichem oder
feinerem Lebensgenuss noch zur Ansammlung von Gütern und
ein Zinsgut, ib. 7S9 no. 3 za der terra indominicata 4 Hufen, ib. 742 no. 1
7 Hufen an send ausgethan; in den Tr. Sang. 716—20 no. 3 bei der ver-
nacula terra 2 Colonen, ib. 731—36 no. 6 6 Colonen, ib. 752 no. 16 bei
2 cortes 26 casata. S. übrigens o. S. 180.
^) Das sind die mancipia domestica, welche in trad. Sang. 744 no. 12
neben den senris et andllis peculiaribns genannt werden. Auch die yasaUi
et puellae quas de intus sala mea habeo Tr. Wizz. 739 no. 159, ebenso die
puellae, quas infra domo meo habeam ib. 742 no. 52 gehören hieher. 8.
L Fiis. Xm, 1 ancilla quae nee mulgere nee meiere seiet, quam bortmagad
(ancilla familiaris) vocant
*) Schon die L Sal. 35, 6 nennt den porcarius, yinitor, stratarius,
carpentarius, vassus ad ministerium. L. Alam. 42 ancilla vestiaria, ib. 81 :
paator porcarius, onum; siniscalcus, mariscalcus,. cocus, pistor, faber,
aurifez, spatarins. S. u. S. 162 t
*) L. B%j. 22, 11 (LL. HI, 334): ut nuUns de alterius silva . . aves
(wenn nicht etwa apes?) tollere praesumat
*) Höchstens Ar diese Grundbesitzer, natürlich noch mehr ftkr die
grossen Grundherrn kann also an das Wort des Tacitus gedacht werden,
Genn. c. 15: Quotiens.bella non ineunt, non multnm yenatibus, plus per
otium transigunt etc. S. Baumstark, Urdeutsche Staatsalterthümer 8.734 ff.
— 150 —
BegrOndang grösseren Vermögens konnte solche Wirthschalt
weniger Hufen eine ausreichende Basis sein.
Dazu kam nun, dass auch diese Erträgnisse der Grund-
besitzer noch mancher Schmälerung unterlagen. Auch dem
freien Grundeigenthum sind in der Merowingerperiode schcm
Lasten aufgebürdet, welche theils der König oder Landes-
herzog, theils die Kirche fQr sich in Anspruch nehmen 0-
Eine allgemeine Besteuerung zwar trug das Volk der
Deutschen nicht ; wo immer Lasten vorkommen, welche dieser
ähnlich sind, haben sie besondem Ursprung und ruhen bloss
auf solchen Gütern, welche aus solch besonderem Grunde
denselben unterlagen.
Unter ihnen spielen jedenfalls die wichtigste Bolle die-
jenigen Leistungen, welche von verschiedenen deutschen Volks-
stämmen an den fränkischen König gezahlt werden mussten,
seit der Zeit, als sie seiner Botmässigkeit unterworfen wurden.
So haben die Sachsen an der Thüringischen Grenze eine Zeit
lang eine Abgabe von 500 Kühen zu tragen gehabt ^. Dago-
bert erliess sie ihnen ; Pipin aber legte den Sachsen neuerdings
einen Tribut von 300 Pferden auf, die sie alljährlich auf der
Reichsversammlung darbringen mussten^). Auch Thüringer
und Alamannen haben sich wohl zu solchen Lasten bequemen
müssen; wir hören wenigstens von den ersteren, dass sie seit
Theodorichs Zeiten einen Zins in Schweinen entrichteten*);
und auch die steora oder osterstuopha, welche in den Main-
gegenden später genannt wird, deutet auf die Zeit der Unter-
>) S. L A. V^aite, ü, 553—645. Roth, Bcnef. W. S, 87—90.
*) Fredeg. c. 74: quingentas vaccas inferendales annis singolis a Gdo-
tario seniore censiti reddebant
') Ann. Laur. 755. Ann. Einh. Ann. Met 753.
*) Ann. Qued. SS. III, 32: Thnringos Yero qoi caedi saperfDoraat»
com pords tribatnm regia stipendiia solTere iusait Ann. Saxo 1008: Qn
eensoB a tempore Thendend . . asqae ad hone regem singolis amue ngfift
stipendüs impendebatnr per annos 582. Von einer Hom^^efenrng ist die
Bede in Amolfi reg. dipL 889 in Ekkeharti comm. de reb. Frsac. oriflsL
11,896.
— 151 —
werfuDg der dort angesessnen Thüringer unter die fränkische
Herrschaft, als auf ihren Ursprung zurück >).
Bei den Alamannen aber werden einigemale Abgaben an
den König genannt, welche sich wenigstens auch in diesem
Zusammenhang erkläi-en lassen, obgleich dies nicht durchaus
sicher ist; Ghilderich 11. Verlieh dem Bisthum Speier i. J. 665
die Freiheit von der Stopha für alle Güter der Kirche').
Einige Alamannen kauften sich später (unter Ludwig dem
Deutschen) von der Steuer los, welche ihre Vorfahren früher
den fränkischen Königen zahlten^). Und auch sonst sind
Leistungen von Fi-eien an den König wiederholt erwähnt,
ohne dass doch über ihre Entstehung etwas Bestimmtes aus-
gesagt wäre*).
Daneben sind dann mehre Abgaben an den König ver^
zeichnet, welche auf Grund und Boden der Freien lasteten :
das agrarium, pascuarium, die pastio. Zuei'st in einer Con-
stitution Ghlotachars (c 11) genannt^), kommen diese Abgaben
») Mon. Boic XXVIII a, S. 98.
*) Pardessus Dipl II, S. 424. Dümge, regesta Bad. 2. Dass einmal
auch der Herzog Luitfiried Yon Elsass zur Erhebmig der staofa berechtigt
erscheint (Tr. Wizz. 730—789 no. 12) brancht nicht irre zu machen; er
kann sie anch vom König abgeleitet haben.
*) Tr. Sang. 867 no. 527.
^) Tr. Sang. 766 no. 49; 828 no. 312 worin eine ältere Bestimmung
Pipins bestätigt wird. ib. 829 no. 328.
') LL. I, 8: Agraria, pascoaria, yd dedmas porcorom eeclesiae pro
fidei noBtrae deyotione concedimos ita, ut actor aut dedmator in rebus
eededae noDus accedat Chlotach. II. edict 614 c. 28: Et qaandoqnidem
pastio non faerit, unde pord debeant saginari, cellarinsis in publico non
exigatnr. L. B%j. I, 13 ist agrarium zwar eine Abgabe Unfreier an die
Kirche, aber sie wird secnndum aestimationem Jodids bestimmt, ist also
doch wohl auch hieher zu beziehen. S. a. Pardessus Dipl. EL, 427 ao. 692 :
Concessimus . . . omnes dedmas de suprascriptis viUnlis, tam de annonis,
qiuun agrario, Tinum, fenom omniom pecudium sen fhrmatico. Ib. 658
no. 428: sie et homines fisd fiMiant dedmam porcorom, qoi in forestis
insaginatur ant omne genns pecadom. Sdurdder in Forschungen XIX, 148
bezieht hieher anch die Stelle im Ed. Chilper. c. 8: Ddnde (statt det iUi)
▼ero et eonYenit, singula de terras istas, qui si adveninnt, ut leodis, qni
p«tri nostro fhemnt, consuaetndinem, qua habuerunt de hac re intra se,
debeant, „ausserdem aber wurde auch beschlossen, dass die neuen An-
— 152 —
auch sonst in einem Zusammenhange vor, der sie als eine ur-
sprünglich dem König gebührende Leistung ansehen lassen.
Auch bei diesen Abgaben ist der Ursprung und die Verbrä-
tung nicht deutlich, doch immerhin wahrscheinlich, wenigstens
das pascuarium und die pastio auf Uebertragung von Weide
und Wald aus dem königlichen Gute zurückzufahren. Auch
das agiaiium kö'nnte in ähnlicher Weise als Zins von Län-
dereien, welche ursprünglich ungebautes Land, dann in Acker
umgewandelt wurden, erkläit werden; und damit wära, obwohl
der Titel in gewissem Sinne ein privatrechtlicher, doch eine
sehr beträchtliche Verbreitung dieser Abgabe besonders in
denjenigen Gegenden wahracheinlich, in denen die Könige
über viel herrenloses Gut zu vei-fügen hatten ^).
Diese Lasten, welche wie Grundlasten angesehen werden
können , haben zwar nur auf jenen Gütern gelegen , welche
aus irgend einer besonderen Ui*sache abgabenpflichtig waren;
keineswegs kann dabei an eine allgemeine Steuer, weder
Personal- noch Realsteuer, gedacht werden; aber doch trafen
sie zahh*eiche kleine Grundeigenthümer, in einzelnen Gebieten
gewiss alle*).
Und überdiess hatte ja ein jeder Fme im fränkischen
Reiche mehrfache allgemeine Leistungen für den König und
die Reichsregierung auf Grund des Unterthanenverbandes zu
tragen; er war heerbannpflichtig*), hatte mancherlei Wach-
siedler im einzelnen von jenen Ländereien eine Abgabe entrichten, wie
die Ünterthanen unsres Vaters in dieser Sache gewohnheitsmftssig za leisteD
gehabt haben^.
^) Schröder in Forschungen XIX, 147 h< diese Abgaben fikr Gegen-
leistungen, welche die Gemeinden dem Könige f&r die Nntcong der ihnen
aus dem Eönigsgat als Feld- and Waldmark überlassnen Gründe getahJt
hätten; und da er diess f&r alle Gemeindegründe annimmt, so wären da-
mit auch diese Abgaben allgemeine gewesen. Im folgenden bringt er die-
selben mit den in fränkischen WeistJiümem und Urkunden später oft ge-
nannten Medemabgaben in Zusammenhang.
*) Unter den Einkünften, welche König Sigebert aus dem Speiergau
zog und die er zu Gunsten der Kirche von Speier zehntpflichtig machte,
sind genannt annona, vinum, mel, jumenta, porci. Pardessus 653 II, 423.
") S. Roth, Benefic. W. 142.
— 153 —
dienst zu versehen, sowohl zum Schutz der Grenzen^), als
auch der öffentlichen Sicherheit im Innern^), wozu Jeder
nach Bedarf aufgeboten werden konnte. Ebenso musste er
Folge leisten, wenn es galt einen Uebelthäter in der Gentene
zu verfolgen oder gestörten Frieden wieder hei'zustellen ^).
Den König und seine B^leitung aufzunehmen , wenn er
reisend des Weges kam, war zwar mehr als eine gastliche
Einladung, denn als eine feste Dienstpflicht gedacht^); aber,
wie der regelmässigen Geschenke an den König, konnte sich
der Grundbesitzer doch auch dieser Last bald, nicht mehr
entschlagen; beide Arten von Leistungen wurden bleibende
Lasten, die gewiss nicht gering auf das Budget der kleineren
Grandbesitzer di'ückten*).
Es entwickelte sich aus ihnen besonders die Einquartie-
rungspflicht, welche jeder dem Grafen und den sonstigen Be-
amten des Königs zu erfCÜlen hatte, die mansio, paratae und
pastus, die Stellung dai^ paraveredi ^) ; und nicht minder sind
>) S. V^aitz n, 534; viele Beispiele bei Gregor Tut. VI, 19; IX, 28;
IX, 32; bes. VIII, 30: custodesque per terminos super qoataor yirorum
millia conlocayit.
*) Ghlotach. decr. c. 1 (LL. I, 11): qui ad vigUias, hoc est ad wactas,
constitati. «
') Child. decr. c 9 (LL. I, 9): Si quis centenario aat cuilibet indid
noluerit ad malefactorem adiuvare. Chlotarii II decr. c. 9 (LL. I, 11):
Si qnis ad vestigiom vel ad latrones perseqoendo ire noluerit, si moniti
fnenmt et si eos sunnis non detenuerit. L. Rip. 65: Si quis legibus in
utilitate regis sive in hoste sive in reliqnam utilitatem bannitus fnerit
*) S. Waitz n, 598. Von Au&ahme eines königlichen Gesandten
handelt 1. Rip. 65, 3.
*) Schon Tac. Germ. 15 berichtet : Mos est civitatibus ultro ac viritim
conferre prindpibus vel armentorum vel frugum quod pro honore acceptum,
etiam necessitatibus subvenit Gaudent praecipue finitimarum gentium
donis, quae non modo a singulis sed et publice mittuntur. Noch zum J.
750 berichten die Ann. Lauriss. min. (SS. I, 116): in die Martis campo
secundum antiquam consuetudinem dona Ulis regibus a populo offerebantur.
Ueber dona annualia s. Grimm, Rechtsalterth. 246. Nach Daniels Rechts-
gesdL 1, 581 wären diese Geschenke speciell nur in Austrasien Sitte gewesen
und (8. 536) durch die Ortsobrigkeit eingesammelt, von den Grafen und
anderen Grossen auf den Reichsversammlungen abgeliefert worden.
«) S. Waitz n, 600.
- 154 —
die Opfer zu erwägen, welche die Einzelnen zu tragen hatten,
wenn ein Heereszug über ihr Gut ging. Gras und Holz mit
Recht, so manches andre aber wohl auch ohne jedes Recht
sich aneignete^).
Rechnen wir aber noch hinzu, wie häufig auch der freie
Giiindbesitzer dazu kommen konnte, Friedensgeld (fredum)
Wergeid, Strafgeld und Bannbusse zu zahlen, bei der grossen
Anzahl der Delikte und der gi'ossen Höhe der Busssätze, so
wird es für sich schon leicht begreiflich, dass der Besitz einer
fi-eien Hufe bald nicht mehr ausreichen konnte, um aQ die
Lasten zu tragen und dem Besitzer und seiner Familie noch
entsprechenden Unterhalt zu gewähren.
Um aber das Mass der Lasten voll zu machen, hat sich
gerade in dieser Periode die ursprünglich freiwillige Entrich-
tung des Zehenten aus dem Rohertrage der Wirthschaft an
die Kirche immer mehr zu einer unvermeidlichen Abgabe ge-
staltet. Zwar von einer allgemeinen Xahentpflicht der freien
Giamdbesitzer ist vor Karl d. Gr. noch nicht die Rede; aber
doch ist Sinn und Streben der Kirche gegen Ende der Periode
schon entschieden darauf gerichtet') und damit jene durch-
greifende Zehentpflicht vorbereitet, mit der Karl d« Gr. so
wirksam der Entwickelung der Grundherrschaft in die Hände
gearbeitet hat.
War nun schon die Existenz der kleinen freien Grund-
eigenthümer keineswegs günstig, so kann das um so weniger
von solchen angenonmien werden, welche auf kleinem ab-
geleiteten Besitz ihre Wirthschaft fährten. Besonders die In-
haber kirchlicher Beneficien und Precarien hatten neben den
angeführten allgemeinen Lasten der Freien noch besondere
Verpflichtungen in der auf dem Kirchengut überhaupt ruhen-
^} L. Biyuv. U, 5: Si qois in exercita infra proyinciam sine iossione
dacis Bui per fortia hostile aliquid praedare voluerit, aat foennm tollere,
aat grannm vel casas incendere, hoc omnino testamnr ne fiat
') Seit den Kirchenversammlimgen von Tonrs 567 und Mascon 585.
Im bairischen Gondl von Aschheim 756 (?) (LL. m, 457) c. 5 stdli die
Geistlichkeit den Antrag aof Bewilligung des Zehenten.
- 155 —
den kirchlichen Baulast ^); für sie war auch die allgemeine
decima keine freiwillige Leistung mehr'), und ttberdiess er-
theilte ja die Kirche selten Beneficien oder Precarien ohne
Zins, es sei denn um den Preis eines anderweitigen Guts-
erwerbs ^. Dieser Census aber war in der Regel gar nicht
unbedeutend; er betrug nach dem Gapitulare Liftinense 743
(c. 2) ^) f&r die der Kirche entfremdeten Beneficien den Werth
eines solidus von jeder casata und war auf den der Kirche
yerbliebenen oder von ihr neu verliehenen Beneficien zumeist
viel höher ^). Zwar bestand er regelmässig nicht in Geld,
sondern in Naturalabgaben, wie das in den damaligen Ver-
kehrsverhaltnissen begi-findet war; aber die regelmässigen
Zinsleistungen an Getreide und Brod, Bier oder Wein und
Vieh (besonders Frischlingen) mussten solch kleinen Land-
wirthen auch schwer genug fallen, um so mehr als auch der
Zehent schon ihren Rohertrag schmäleiiie. Dazu gesellten
sich frühzeitig auch für die freien Pi*ecar]sten Arbeitsleistun-
gen, sei es dass sie dieselben selbst voi*zunehmen hatten,
wie insbesondere die Bestellung einzelner Ackei-stücke zum
ausschliesslichen Vortheil der Hen*schaft^) und die lieber-
') Cap. Aqiiit c 1 (LL. II, p. 13) : üt illas ecclesias Dei, qui deserti
snnt restaarentur tarn episcopi quam abbates Yd Uli laid homines qni
ezinde benefitiiiin habent S. Walter, Deutsche Rechtsgeschichte I § 80.
*) Ob auch die nona schon in die Zeit Pipins fUlt, wie nach dem
Cq). Mett. 743 gesdilossen wurde, ist zweifelhaft, da die fragliche Stelle
nach Pertz LL. I, 31 n. interpolirt ist
*) Z. B. Tr. Sang. 787 no. 112 : Der Abt von St Oallen verleiht ein
Gut aof Lebensseit und empftngt dafür ein anderes sofort zu Eigenthnm.
Ib. 796 no. 141 wird bei einem ähnlichen OeschAft sogar noch ein Zins
▼on 2 Denaren f&r das verliehene Gut bedungen.
*) Mon. Germ. LL. I, 18: annis singulis de unaquaque casata solidus,
id est 12 denarii ad ecclesiam vel ad monasteriums reddatur.
*) S. die Beilage No. HL
^ S. als Beispiele Tr. Sang. 754 no. 18, wo ein Freier seine Güter
an 8 Orten nebst 2 servis mit ihren Hufen tradirt, dieselben aber gegen
Zins und Dienst (arare 2 juchos in anno et recoUegere et intus ducere
et angaria ubi opus est) zurückerhält. Ib. 759 no. 24: unius hominis
anm vertente opera. Ib. 761 no. 29: in quisqua sidone saigata una arare,
mcttere, introducere, 1 jumale secare, colere et introdncere. Aehnliche
Verpflichtungen von freien Precaristen ib. 762 no. 33, 763 no. 39.
— 156 —
nähme von Transportleistungen (angariae), oder dass sie die-
selben durch ihre Knechte besorgen lassen mussten, wodurch
ihre Arbeitskräfte geschmälert wurden^).
Die unterste Stufe der selbständigen Landwirthe nahmen
die unfi*eien Zinsbauem und Leibeignen (coloni, servi casati)
ein, deren ökonomische GesammÜage noch um ein gut Theil
schlimmer als die der freien Zinsbauem und Precaristen war*).
Besonders in Bezug auf Arbeitsleistungen unterlagen sie nodi
viel schwererem Drucke. Die i*^elmä8sig von ihnen geforderte
Fronarbeit nahm bei den servis die Hälfte ihrer Arbeitskraft
in Anspruch^); war auch oft nur eines Mannes dreitägige
Arbeit für den Hen*en gefordert und die Frauen ausschliess-
lich mit Lieferung von Geweben. Gewändern und Getränken
belastet^), so trat doch auch bei ihnen mancherlei besondere
Dienstbarkeit hinzu. Auch sie hatten vielfach besonderen
Ackerdienst ^); jeder colonus ecclesiae musste nach dem bai-
rischen Volksrechte Feldstücke von circa 16 Are Ausdehnung
(andecengae legitimae) für die Kirche beackern, besäen, fiber-
eggen, die Früchte einsammeln und einführen, ausserdem im
Sommerfeld Land für 2 Motzen Aussaat bestellen und ab-
ernten, sowie in den Weinbergen der Herrschaft arbeiten.
Auch zu ausserordentlicher Arbeit für längere Zeit mussten
^) Auch der comes Adalchardos hatte f&r ein vom Kloster Websen-
bürg erhaltnes Benefidom neben einem Pfond Silber 2 aogarias za leisten
Tr. Wizz. 719 no. 267.
^ Auf die besondem Unterschiede in den Statosverhiltnissen der
coloni tribntales und send ist bereits im 2. Abschnitte Bücksicht ge-
nommen. In Hinsicht auf ihre wirthschaftliche Lage ist ein solcher Unter-
schied in dieser Periode nicht mehr erkennbar.
*) L. Alam. Hloth. 22, 8: Sern dimidiam partem sibi et dimidiam in
dominico arativum reddant Et si super haec est, sicut servi ecdemastid
ita &dant tres dies sibi et tres in dominico. L. Bij. I, 18: Opera vero
tres dies in hebdomade in dominico operent, 8 Ycro sibi fiMiant Aach
in den Urkunden ist der 8t&gigen Dienstpflicht oft gedacht: Tr. Wiss. 774
no. 68. C. Laur. 776 no. 868. Tr. Fris. Ib, 262 (Ende des 8. Jabrh.).
S. i. A. Gu^rard, Irminon I, § 408.
^) Das ist Yielldcht in 1. Alam. 22, 2 ausgedrückt: AndUas autem
Opera imposita sine neglecto fadant; s. Merkel zu dieser Stelle LL. in, 52.
*) L. B%j. I, 13.
— 157 -
sie sich bequemen, wenn Noth am Herrenhofe war, oder
öffentliche Leistungen von diesem gefordeii; waren 0; sie
mussten Botendienste und Fuhren leisten ^, und oft war die
dreitägige Arbeitspflicht in der Woche eben nicht bloss dem
servus selbst, sondern auch der Frau und den erwachsenen
Angehörigen der Colonenfamilie überhaupt auferlegt^).
Als regelmässige Abgaben des servus, der aber schon
vielfiach mit dem colonus, tributarius auf eine Linie gestellt
ist, erscheinen daneben nach dem alamannischen Volksrechte ^)
15 Sielen Bier, ein Schwein, 4 Denare werth, 2 modü Brot-
getreide, 5 Hühner, 20 Eier; nach dem bairischen Yolksrechte^)
gibt der colonus 1 Bündel Lein, 10 vasa apium, 4 Hühner,
15 Eier, ausserdem den Zehent (agrarium) von den Zins-
ackern und den Weidezins (pascuarium) nach Ortsgebrauch;
der servus nach dem Gute, das er bewirthschaftet ; leider ist
es nicht möglich, nach den wenigen Urkunden jener Zeit,
welche Angaben über die Leistungen der Leibeignen enthalten,
die durchschnittliche Lastenhöhe anzugeben^). Angesichts
^) Hieher gehören die Leistungen der 1. Baj. I, 13, Bauarbeiten für
die herrschaftlichen Wohn- und Wirthschaftsgebäude , sowie die Fuhren
von und zu den Ealköfen. S. a. Tr. Wizz. 774 n. 68: illa mancipia . .
3 dies in ebdomada et si necessitas fherit ad m%jora opera qnatnordedm
noctes yeniant ad ipsa opera.
^) Das sind die paraferedi und angariae usque ad 50 leugas 1. Big. 1, 13.
') S. z. ß. Tr. Sang. 228. üt send vel ancillae coigngati et in mansis
manentes tributa et vehenda et opera vel texturas seu fnnctiones quaslibet
dimidia fiidant, ezcepta aratura. Pnellae vero infra salam manentes tres
opus ad yestrum et tres sibi fitdant dies.
0 L. Alam. Hloth. 22.
») L. Bai, Ii 18.
*) Die Älteste und zugleich ausführlichste urkundliche Angabe über
die Abgaben und Dienste der Hansen (wobei nur nicht ganz sicher ist,
ob lauter mansus serviles darunter zu verstehen) findet sich in Garta
Leodoani, Trevirensis episcopi 706 bei Pardessus Dipl U no. 464 und
Guäwd, Polypt de l'Abb^ Irminon II, S. 341, von welcher wir wegen
ihres mannigfach interessanten Inhalts den auf die Abgaben bezüglichen
Thefl vollständig wiedergeben: Haec sunt jura quae eadem villa (Stain in
pago Wafiranse Diöcese Verdun) dictae ecclesiae (S. Eucharius in Trier)
fratribns annuatim persolvere debet Igitur apud viUam Stain 25 mansi
compatantur, quorum 4 in nostrum usum non cedunt Reliqui in Pascha
— 158 —
der Kleinheit der durchschnittlichen leibeignen Zinsgüter*)
und der geringen Culturfläche insbesondere, welche dieselben
hatten, wäre es kaum begreiflich, wie der servus mit seiner
Familie auf solchem Gute bestehen konnte, wo seine Arbeits-
kraft und die Fi-fichte seines Bodens so vielfach von fremder
Wirthschaft in Ansprach genommen waren.
Nur dadurch, dass er doch auch einige Erleichterung in
seiner Wirthschaft aus dem Verbände mit seinem Herrn zog.
konnte seine Lage überhaupt erträglich bleiben. Vor allem
war er von dem Heerbann und aller persönlichen Kriegspflicht
frei; nur die Einquartierung, der Vorspann und ähnliche
Leistungen, die zunächst seinem Hen'D zufielen, von diesem
aber ihm aufgebürdet wurden, blieben für ihn bestehen. Auch
mit andern öffentlichen Lasten war er nicht beschwert; ihn
rief kein Gebot des Volksi-echts in die Gerichts- und Mark-
vei-sammlung, ihn drückte keine öffentliche Abgabe^) oder
Dobis persolvunt 20 gallinas et 100 ova et 20 carradas lignoram. Itidem
in festo 8. Martini, similiter in nativitate Domini, in festo s. Andree talittf
et 8 solidos census. Item in festo s. Remigii 100 maltra tritici. In
eodem die vehmit nobis, si volumus, nsque Dietenhoven 184 maltra tritici,
Bin autem, 11 unciis et 5 den. hoc redimunt Item in febmario 7 dies
et dimidiom mrasquisque mansos servit; similiter in maio, si serritio in-
digemus. Uno anno purgant cortem a stercore, in secondo anno 180
tegulas dant et tegunt edes; in tertio anno purgant aqoaeductam molen-
dini et reparant Singalis etiam annis in Pascha de areis nostris dabontor
nobis 7 solidi et 16 gallinae. In festo s. Martini molieres cenanm persol-
vunt^ quaedam 4 denarios, quaedam 3, si posaunt; si non, quantum villiau
et nuntius noster eas peraolvere posse ezistimant, ab eis acdpiant Simi-
liter viri in maio capitalem censum persolvunt, quidam 20, qoidam 5 de-
narios, si possunt; si non, quantum videmus posse, dabunt. Adservitiaffl
abbatis villicus 5 solidos, decanus 5, custodes sUvarum 5, in festo s.
Eucharii persolvunt Eine spätere Angabe in C. Lauresh. 787 II, 936:
ezcepto servo uno . . . quem ea ratione ibidem constitait, ut siogolis
annis 2 fructus arare debeat et Seminare et 10 denarios in censum solvere
diebus vitae suae.
^) S. 0. 3. Abschn. S. ISO und Beilage IL
^ An den König zahlte der Colone keine Steuer; das colonaticnm,
litimonium sind Abgaben der Colonen, Liten an den Herrn. S. Roth,
Benef. W. 91.
— 159 -
Dienstleistang f&r den König und das Reich; und wenn der
Gutsherr durch seine leibeignen Zinsbauem vornehmen liess,
was ihm zu leisten oblag, Baudienst und öffentliche Fuhren
oder ähnliches, so geschah das doch innerhalb der Zeit, welche
der Leibeigne ohnehin schon dem Herrn zu widmen verpflichtet
war. Dafbr genoss er denn während der Zeit, welche er
arbeitend am Hen*enhofe zubrachte, die volle, wenn auch
schlechte Verpflegung 0, so dass doch ein verhältnissmässig
kleines Productenquantum seiner eignen Wirthschaft zur
Deckung des Nahrungsbedarfe der Golonenfamilie zureichen
konnte.
Ueberdiess eiiiielt der leibeigne Zinsbauer dann und wann
schon mit der Hufe auch einen eingerichteten Bauenihof mit
dem nöthigen Viehstand und Inventar'), obwohl das wenig-
stens nach dem bairischen Volksrechte noch als Ausnahme
erscheint und dann ungemessene Dienste begründete ^) ; später
aber begegnen gerade bei den Mancipiengütem die Mobilien
r^elmässig als Bestandtheile des Mansus ^) und untei-scheiden
sich von den Procarien, welche die Kirche an Freie ohne
Inventar verlieh, es sei denn, dass diese das Gut der Kirche
mit Inventar geschenkt und als Beneficium zurückempfangen
haben ^).
So ist also weder von den kleinen fi-eien Grundeigen-
thümem noch viel weniger von den unfreien Zinsbauem dieser
Zeit irgend welche Ueberschussproduction für den Verkehr
^) S. Gu^rard, Polyptique de TAbb^ Irminon § 404; die Zengnisse
Bind aUerdings erst aus der Karolingerzeit
<) S. Anton, Gescb. der deutschen Landwirthschaft I, 82, der aber
irrt, wenn er das als den regebnässigen Zustand der filteren Zeit ansieht
S. o. n. Buch, 4. Abschnitt.
^) L. Big. I, 13: Si vero dominus eins dederit eis boves aut alias
res, quod habet, tantum serviant, quantum eis per possibilitatem impositum
fiierit; tarnen iniuste neminem obpremas.
*) So. £. B. Tr. V^iz«. 714 no. 41; 730 no. 16; 733 no. 13; 734 no. 9;
737 no. 10, 14, 15, 17; 742 no. 2.
^ Hieher gehören Tr. Wizz. 693 no. 38; 696 no. 43; 713 no. ^;
724 no. 40; 737 no. 8, 35, 37; 739 no. 3^ 11; 742 no. 1; 743 no. 4, 5.
— 160 —
und die Versorgung andrer Klassen der BeTÖlkemng mit den
Gfitem, welche die Landwirthschaft herrorgebracht, anzunehm^
Die grosse Mehrzahl der gesammten Bevölkening erschöpfte
ihre wiithschafUiche Kraft damit, dass jeder fbr sich selbst
den nnerlässlichen , an sich schon sehr bescheidnen Bedarf aa
OQtem prodncirte ; und keine Theilung der Arbeit nehmen wir
wahr, welche jedem gestattet hätte, sich an der nationalen
Production nach Massgabe seiner besondem Befähigung oder
Neigung zu betheiligen.
Nur die wenigen grossen Grundherren dieser Periode be-
zogen in Zinsen und Diensten Güter, die über ihren eignen
dringenden Bedarf hinaus Mittel der Befriedigung von Be-
dürfnissen gewähi-ten. Theils in der grossem Anzahl ihrer
leibeignen Hausdiener, theils in den Fronden ihrer Colonen
und in den Specialdienstleistungen ihrer Vassallen und Ge-
treuen, Precaristen und Beneficiare geboten sie über grössere
fremde Arbeitskraft, die sie in den Dienst der Volkswirth-
Schaft stellen konnten ; aber es sind doch nur ganz vereinzelte
Beispiele, welche einige Organisation dieser Arbeitskräfte fbr
grössere, weitaussehende Colonisations- oder Productionsunter-
nehmungen zeigen.
Voi'zugsweise nur in grossen Rodungen, welche die grosse
Grundherren schon in dieser Periode vornehmen Hessen, zeigt
sich eine volkswirthschaftliche Verwerthung dieser Arbeits-
kräfte ^) ; der hervorragendste Gebrauch, den die Grundherrn
davon machten, war aber jedenfalls ein ansserwirthschafilicher
— die Geltendmachung roher physischer Gewalt und die Er-
werbung politischer Macht, welche sich auf die vielen Arme
stützte, über deren Kraft die Gi-undhenn in den zu Treue
und Ergebenheit commendirten Freien, in den Liten und an-
freien Knechten verfügten.
Diese Anhäufung von persönlich Ergebenen und Getreuen
in den grossen HeiTenhöfen als Tisch- und Bankgenossen des
Grundherrn und der persönlichen Diener aller Art charakte-
risirt schon in dieser Zeit die socialen Verhältnisse der weit*
^) S. 0. 2. Absdm. S. 82 and IL Buch, 1. Abschn.
— 161 -
liehen Grossen im Gegensatze zu den Kirchen^); bei diesen
tritt an Stelle der fi-eien Genossen des Herrn die numerosa
turba monachum*), und statt der persönlichen Diener, deren
sie nicht so sehr bedurften und begehrten, sind es hier immer
mehr die servi casati, welche, wenigstens in der folgenden
Periode, den Schwei-punkt des social-ökonomischen Zustands
der geistlichen Grundhen-schaft bildeten.
Die Fülle der Boden- und Viehzuchtsproducte aber, welche
die grossen GrundheiTn, weltliche wie geistliche, Ton den
eignen wie den dienenden Gutem bezogen, diente eben darum
zum guten Theile nur dazu, jenen das Heer von abhängigen
Leuten zu erhalten, um immer ihrer Ergebenheit und ihrer
Arme sicher zu sein, diesen um das Mönchthum und den
geistlichen Stand zu immer gi'össerer Blttthe und leiblichem
Behagen zu fördern, und in reichlichen Kirchen- und Kloster-
spenden sich eine Schaar von geistlichen Streitern und durch
diese ihre materielle Abhängigkeit ergebnen Leuten zu schaffen
— also auch wieder Machtelemente für den Kampf um die
HeiTSchaft in der Gesellschaft und im Reiche zu gewinnen.
Weiter reichte die Organisation der Volkswirthschaft
durch die grossen Grundherrn noch nicht; sie ist noch weit
entfernt von jener rationellen Durchbildung der Gütergliede-
rung und einheitlichen Leitung der Production auch des ab-
hängigen Ginindbesitzes für höhere nationalökonomische Ziele
der Herrschaft, wie wir sie in der Villenverfassung der Karo-
linger sehen werden.
In ziemlicher Einförmigkeit verlangen sie gleichen Dienst
und gleiche Abgaben von jedem *) ; sie lassen sich weder die
*) S. schon 1. Alan^. 81, 8: Si quis alicoias siniscalcus, Bi servus est,
et dominns eins 12 yassus infra domam habet. Vgl. auch Tr. Wizz. 739
DO. 159: similiter dono vasalles meos et puellas meas quas ego de intus
sala mea habeo. Ib. 742 no. 52: vasallum, puellas quas infra domo mea
habeam. Tr. Sang. 745 no. 12: mancipia domestica neben den senris et
anciUis peculiaribus.
*) In den Trad. Fuld. zum erstenmale 770 no. 32. C. Laur. 787 no. 13.
') In der 1. AI. 22, 1 (LL. III, 51) sind die tributa legitima der servi
ecclesiastici noch sehr einfach und gleichförmig festgesetzt; s. o. S. 157.
Und auch in den ältesten Urkunden von St. Gallen bilden die gleichen
▼ on Inama-Sterneffg, WirthMchaftageschichte. I. 11
— 162 —
Ausbildung von Specialwii-thschaften je nach der natttrUchen
Eignung der Güter, noch die VeiTollkomninung der einzelnen
Wirthschaftszweige durch sorgsame Auswahl und ZutheQung
des dazu entsprechenden Kapitals angelegen sein; sie sind
auch auf Arbeitstheilung in den Kreisen ihrer dienenden Ar-
beiter nicht sehr bedacht. Zwar kennt die lex Salica schon
den Unterschied der Hausdiener und der landwirthschaftlichen
Arbeiter, von denen sie wieder die Hii*ten, Winzer, Reitknechte
und Kutscher, sowie die Eisen- und Goldschmiede unter-
scheidet^), welch letztere auch im alamannischen und friesi-
schen Volksrechte heiTortreten *). Auch bezüglich der weib-
lichen Arbeiter finden sich schon Unterschiede wenigstens in
einigen Rangstufen dei'selben ; besondei's sind die Aufeeherinnen
und Beschliesserinnen, sowie bei den Friesen die Weberinnen
ausgezeichnet^); aber immerhin sind es schwache Ansätze zu
einer Theilung der hervorbringenden Arbeit, welche diese
älteste Zeit bereits ausgej[)ildet hat^). *
Abgaben noch die fast ausnahmslose Regel; nur die Frischlinge werden
schon häufiger; z. B. Tr. Sang. 758, I 17; 754, I 18; 759, I 24; 761(?)
I 29, 82; 762, I 33; 763, I 89; 769, I 55; 770, I 56, 57. Dennoch be-
ginnt schon der Wein, die Gerste, Spelt, Hafer und Heu daneben aof-
zntreten; Tr. Sang. 716-20, I 8; 760, I 25; 764, I 46; 765, I 47. Auch
Geldabgaben kommen frahzeitig schon daselbst vor; Tr. Sang. 754, I 19;
758, I 22; 762, I 86; 765, I 48, obschon darunter häufig nur der Gdd-
werth gemeint ist; %. Sang. 766, I 50: solidum in quo potaero and
später oft.
') L. Sal. 85, 6; 10, 26 vassi ad ministerium — porcarios, Tinitor,
stratarius, carpentarius; — faber ferrarius, aurifex.
') Schon im alten Pactus Alam. UI ist des faver ferrarius und des
aurifex gedacht In l Fris. lud. Wulem. 11 (LL. UI, 699) neben dem
anrifez und der femina fresum faciens auch der haipator. Nach Wacker-
nagel, KL Sehr. I, 44 fand sich aber auch in den alamannischen Gräben
bei Oberpflacht eine Geige.
B) Cap. Chlodov. (500-511) XI, 10 (LL. H, 5): andUa, qnae oeUa-
rinm domini sui vel geniceum tenuerit Ueber die finesischen Mlgde s. o.
S. 149 A. 1. L. AI. 82 theilt die Mägde ein in andlla vestiaria, pulidt d»
genicio priore, alia de genido. Das „priore*^ bezieht sich aber offenbar
auf ancÜla, und deutet nicht ein vorderes Frauenhaus an, irie Fischer,
Gesch. d. Handels I, 6 meinte.
*) In dem 2. Theile der lex Alam. 81, 82 und in den späteren Texten
— 163 —
Doch erhielten die grossen Gi-undherm, indem sie den
gesammten Gttterüberschuss der nationalen Jahresproduction
bei sich vereinigten, alle Bedingungen der Tolkswirthschaft^
liehen Weiterentwickelung in ihre Hand; keine andre Classe
des Volkes vermochte sich selbständig weiter zu bilden oder
zu verbessern, oder zur Vervollkommnung des Ganzen bei*
zutragen; die kleinen Grundbesitzer, noch mehr die Land-
losen aller gesellschaftlichen Stände waren an die grossen
Grundherrn und an die Kirche gewiesen, mochte es ihnen um
Erwerb von Grandbesitz, um gewerbliche Beschäftigung oder
auch nur um Erhaltung des Lebens zu thun sein; es gab für
die Dauer kein Gewerbe, keinen Handel, keine liberale Be-
schäftigung ausserhalb dieses Kreises ; und so ist es erklärlich,
dass die Hebung der Volkswirthschaft durch die organisirende
That der grossen Giiindherrschaft nur eine Frage der Z^it
sein konnte — der Zeit, in welcher durch äusseren Zwang
und innere Entwickelung den GrundheiTU ein Vei-ständniss
ihrer Aufgaben aufging oder wenigstens die unabweisbare
Nothwendigkeit für sie entstand, der Wiithschaft des Volkes
neue Bahnen zu eröffnen, um sich selbst in herrschender
Stellung zu befestigen und die Obei-step an der Tafel der
nationalen Güter bleiben zu können.
Von den Zuständen des landwirthschaftlichen Betriebes
können wir uns|nach alle dem keine gi*ossen Vorstellungen
machen; und auch, was die Quellen an positiven Nachrichten
bieten, ist nur geeignet, das Bild einer sehr rohen und exten-
siven Bodenbenutzung und Wirthschaftseinrichtung zu ver-
vollständigen.
Noch lange nach der letzten Wanderung, welche den
einzelnen Stämmen endgültige Wohnsitze gab, konnten die
Deutschen mit gutem Grunde Waldleute heissen; in den
der L SaL ist schon eine reichlichere Arbeitstheilnng wahrzunehmen; L
AL 81 nennt den pastor porcarins, oyium, siniscaicus, cocus, pistor, £aber,
ftoiifex, spatarins. L. SaL Herold XI, 6, 7 nennt maiorem, infestorem,
scantionein, mariscalcum, stratorem, fabmm ferrarium, aurificem, carpenta*
riom, ▼inltorem, porcarium. L. Sal. Lindenbr. XI, 5 fügt hinzu: molina-
rium, Tenatorem aut quemcunque artificem.
11*
i
- 164 —
deutschen Wäldern, die in ungemessner Grösse das Land be-
deckten ^) , spielt sich noch immer ein beträchtlicher Thdl
des Lebens ab; nicht bloss der Jagd und dem Schutz der
Gaue diente das dichte Baum- und Strauchwerk; auch die
Wirthschaft hatte da eine bereite Stätte ; Pferde, Rinder usd
Schweine suchten da ihi*e Nahrung und zum Schutze g^en
die Unbilden der Witterung baute man ihnen im Walde Hür-
den und Pferche in primitiver Weise*). Gleich Oasen spär-
lich zerstreut lagen in den Wäldern die Weiden umher, wo
eine Lichtung geschlagen oder der Boden fbr Baumwuchs zu
seicht war, oder wo die Waldbäche und Flüsse üppigeren
Graswuchs gedeihen liessen. Auch die Vogel- und die Bienen-
weide war auf den Wald vei^wiesen ') ; und selbst loser Anbao
des Waldlandes für die vorübergehende Getreidenutzung der
Brennwirthschaft vollzog sich allenthalben im Walde. Manches
Stück Waldboden ist auf diese Weise durch Fällen und Nieder-
brennen des Holzes zugerichtet worden, um nach 2 — Sjähriger
Ackernutzung wieder dem Walde übei-geben zu werden *). So
wanderte der Getreidebau im Walde von Stelle zu Stelle, wo
ein gi-össerer Kömerbedaii auf Ackerland nicht befriedigt
werden konnte, ohne die Weide und den Grasnutzen zu
schmälern. Was dann an Land endgültig und für immer dem
^) S. inBbes. die Schriften von Berg, Bernhardt und nenestens Arnold,
Urgeschichte passim.
') L. Alam. 100, 1: Si quis porias in Silva tarn porcns quam pecon
incenderit, 22 solid, conponat.
^) L. B%j. 22, 8 ff.: Si apes, id est examen alicoias ex i^>üe elapsos
fuerit et in alterios nemoris arborem intraverit c. 11: Pari modo öe
avibus sententia subiacetor, ut nollus de alterios silva, quamvis prios in-
Teniat, aves tollere praesumat.
*) Offenbar solche Brennwirthschaft yerbietet das Diplom Theodorkbi
IV für Maurmünster im Elsass 724 Pardessus ü, 531 : ut nuilos ibidem
campos &cere, nee porcos saginare, nee materiam sncddere nee ipsins
fiues penitus irrumpere presumeret Auch 1. Sax. 55: si arbor acoensa
ceciderit, hominemque oppresserit a mane usque ad mane vel a veipen
usque ad vesperam ex quo ignis accensus est: si infra hoc tempus cadeoi
hominem oppresserit, ab eo, qui incendit arborem, componator beneht
sich wohl eher hierauf als auf Kohlenbrenner, wie Anton I, 145 meinte.
— 165 -
Walde und Oedland entrissen und zu Culturland bereitet war,
das bildete gewiss an sich schon einen sehr kleinen Theil des
gesammten Landes; aber auch dieser Theil war doch wieder
nur in geringem Masse für eigentlichen Ackerbau verwend-
bar *). Die rohe Wechselwirthschaft, welche die Deutschen in
ihren Wäldern übten '), fand hier ein ebenbürtiges Gegenstück ;
Getreide'), Hülsenfrüchte und Wurzelgewächse wechselten
mit Grasnutzen auf demselben Grundstücke ab, doch so, dass
dem letzteren ein entschiedenes Uebergewicht zufiel, die Gras-
jahre gleichsam als die lange Ruhezeit des Grundstücks nach
kurzem Anbaue erschienen. Von einer planmässigen Einthei-
luDg der Feldilur in Schläge oder Culturen hören wir aber eben
so wenig, als von einer sorgsamen Feldbestellung. Düngung ^)
') S. Arnold, Ansiedlongen und Wandeningen S. 526 f.
*) Tac OenxL 26: arva per annos mutant et superest ager. Nee
enim cum ubertate et amplitudine soli labore contendunt, ut pomaria con-
sennt etprata separent et hortos rigent Sola terrae Beges imperatur.
Seit Roscher'B (Ansichten der Volkswirthschaft I) und HanBsen's (Zur Ge-
schichte der Feldersysteme in Zeitschr. f. d. ges. Staatswissensch. 1865 ff.)
gnmdlegenden Untersuchungen ist es wohl nicht mehr möglich diese Stelle
auf Dreifelderwirthschaft zu deuten. Weder die Eigenthums- und Besitz-
rerh<nisse, noch die Entwickelung des Gemeindeverbands, noch der
übrige Zustand der Volkswirthschaft jener Zeit lassen sich damit yer-
einigen. Uebrigens erhält die Frage gerade durch die in diesem Buche
Tenachte zusammenhängende Darstellung der wirthschaftlichen Entwicke-
lung des deutschen Volkes erst ihre volle Beleuchtung. S. auch unten
2. Buch 4. Abschnitt
') Vorzugsweise wohl Gerste und Hafer. Plinius 18, 44 und Tacit.
c 28, an welcher Stelle aber auch Weizen (frumentum) erwähnt erscheint.
S- Hostmann, altg. Landw. S. 60. Aber der Vocabularius S. Galli (7. Jahrh.)
übersetzt tridtus mit Korn! Das Vorkommen des Roggen ist für diese
Zeit mindestens zweifelhaft; das deutsche Wort findet sich seit dem
9. Jahrb., das Wort spelta seit dem 8. Jahrh. S. Hostmann 61. R&ben-,
iirbsen-, Bohnen- und Linsenfelder in l Sal. 27, 7. Cap. pacto legg. Sal.
add. LL. n, 12 c 18: ortum aut nabianam.
*) PliniuB h. n. 17, 4 und Varro de re rust 1, 7 berichten von ge-
mergelten Aeckem in Gallien. In alten Glossen finden sich mehre deutsche
Aasdrüeke daf&r: coenum — dost Gl. Flor. p. 987; fimus, letamen —
ddst 61. Lindenbr. 995; fimum boum — misit rindere vel gor Gl. Pez. 400.
S. a. GL Mons. gor gleich DOnger gebraucht p. 828, 389; und das Wort
tong in Graii; Sprachschatz V, 488 ff. Anton I, 876.
— 166 -
und mehrmaliges Pflügen*) kommt zwar vereinzelt vor; aber
doch, wie die Unterscheidung der Sommersaat*), nur auf
grösseren Gutswirthschaften, vorab der. Kirche.
So lange nun dieser uralte Wechsel roher Feldgraswirth-
Schaft sich behauptete, deckte das Ackerland in den Dreesch-
jahren auch den Futterbedarf, soweit dei'selbe, besondei^
während der Winterszeit, nicht von Weide und Wald gewonnen
werden konnte. Ein Bedüi-fhiss nach abgesonderten Wiesen
bestand demnach in der Hauptsache wohl gar nicht, wie das
am Ende schon Tacitus von den Germanen anmerkte^). Da-
her sind denn auch die Wiesen in den ältesten Urkunden
meist nur als Pertinenzstücke der Hufen, neben Weiden,
Wäldern etc., also als Bestandtheile der Mark aufigezählt^\
denen sie auch wirthschaftlich gleich standen, so lange sie
nicht durch Düngung, Bewässerung und sonstige Cultui-arbeit
^) Die älteste Urkunde hieraber Tr. Sang. 763 no. 39 : et in primoib
vir arata jumalem unum, et in mense jonio brachare altenim et in aatonuo
ipsnm arare et Seminare s. darüber im Zusammenhang mit späteren Ab*
gaben 2. Buch 4. Abschnitt.
^) L. ßsy*. I, 13; A tremisse unusquisque accola ad duo modia satioois
ezcoUegere, Seminare, colligere et recondere debent. Dass tremisis -
tremisium Sommerfrucht sei, ist erwiesen bei du Gange und Go^rard.
Irminon I, 638 £ Die vereinzelte Nachricht des Plinius XVm, 49, 4 diss
einmal auf dem Treverico agro die Wintersaat wegen übermässiger KUxe
missglückte, beweist wohl nichts für das Feldersjstem der Deatschen, dt
es sich ja um römischen Anbau handelt Auch Tacit. bist Y, 23, wornacb
auf der insula Batavorum Winterfeld vorzukommen schien, kommt (Ür den
eigentlich deutschen Bodenanbau wohl nicht in Betracht. S. Roicher,
Nat Oek. d. Ackerbaus II, 24 A. 9.
°) Tac. Germ. 26: prata non separent Nach Arnold, Ansiedlongec
527 ist gerade der Mangel an Localnamen , die sich auf Wiesenbau be-
ziehen, ffüi diese Zeit charakteristisch.
*) An solches Grasland für gemeinschaftliche Nutzung ist man immer
versucht zu denken, wo das Mass der Nutzung (nach carrada, worpa etc
aUein zur Bezeichnung des Einzelrechts an Wiesen gebraucht ist Aber
so unzweifelhaft es auch ist, dass solche Gemeinwiesen noch sehr Isag^
fortbestanden (s. o. S. 107), so werden wir es doch schon in dieser Periode
zumeist mit Wiesen zu thun haben, welche durch Realtheilmig älteren
Gemeinlands Bestandtheile der Hufe geworden sind.
— 167 —
zu Yermögensobjekten der Sonderwirihschaft gemacht worden
waren. Nor in kleinem Umfange, dem Wirthschaftshofe am
nächsten liegend, dem Bedürfnisse der GranfUtterung im Stalle
gewidmet, ti-eten die Wiesen allmählich als Bestandtheile des
Sonderguts hervor*); aber während der ganzen Periode bleibt
das Verhältniss des Ackerlands zu den separiilen Wiesen noch
sehr ungünstig für diese und zeugt von dem geringen Weithe,
welchen die Wirthschaft jener Zeit auf diese Culturart legte.
Solche Wirthschaft konnte schon an sich nur durch starke
Viehhaltung bestehen; wir haben aber auch in den positiven
Zeugnissen der Schriftsteller und in dem ungeheuren Ueber-
gewichte, welches den Interessen der Viehzucht in allen
Volksrechten eingeräumt ist, sichere Anhaltspunkte zu der
Annahme, dass die deutsche Landwirthschaft während der
Merowingerperiode sich vornehmlich auf Viehzucht stützte *) ;
und auch was wir von der Nahi-ung, Bekleidung und Lebens-
weise der Deutschen wissen, weist uns auf eben diese That-
sache hin. Unter allen Thieren das edelste und weilhvollste
ist den Deutschen das Pferd; doch war es oifenbar nur grös-
^) Doch schon 1. Sal 27, 10 Si qois prato alieno secaverit L. Alam.
76, 2 (LL. III, 72) aut in prato aat in mes^e. Aach 1. Baj. Xm, 6 ist
pratam der messis, XIV, 7 der vinea gleichgestellt; XVU, 1 stehen pratom,
ager, exartum neben einander. Dass die Wiesen aber als besondre Zathat
zu dem Gnte angesehen wurden, ist z. B. zn sehen aus Tr. Wizz. 713
DO. 36: et prata iUa in ripa de Soma quam ipsi send ad ipsas hobas
tenent Ib. 728 no. 262: sorte una, campo et silya in simul tenente,
similiter pradello uno ad carrad. 2. Auch Tr. Sang. 750 I 15, casale, ubi
edificins vester nunc stat, et ipsa prata, que ibidem pertinent Auch ist
es nicht selten, dass das Ackerland als wesentlicher Bestandtheil der Hufe
gar nicht erwiüint ist, während die Wiesen, als später hinzugekommen,
besonders vermerkt werden, z. B. Tr. Wizz. 745 no. 142 hobam 1 et ad
3 carrade prata. Ib. 765—92 no. 124 : hoba 1 cum prato ad carradas 10,
et Tinea 1 ad carradas 4, tarn pratis pasculs silvis etc., wo wohl Sonder-
wiesen und Gremeinwiesen zugleich genannt werden.
*) Schon bei Caesar b. G. VI, 35 hdsst es: Magno pecoris numero,
cuius sunt cupidissimi barbari, potiuntur; und Tacitus berichtet c. 5: Ger-
mania pecorum fecunda; . . pecoris numero gaudent eaeque solae et gra-
tissimae opes sunt Ueber die vielseitige Abstufung der Yiehwerthe in
den Yolksrechten s. n. 5. Abschn.
- 168 —
seren Gntswirthschaften geg&nnt, sich mit Pferdezucht zu
befassen. Darum waren wohl Sachsen ^) und Thüringen ') die
hervorragendsten Pferdezuchtgebiete, weil bei ihnen sich der
Adel mit reichem Besitzthum weit mehr Über den kleinen
gemeinfreien Landwiith erhob als anderwärts. Aber auch
die alamannische Pferdezucht wird gelobt'). Von sorglicher
Zuchtwahl hören wir allerdings nichts 0 ; die Pferde liefen in
Wald und Weide wild umher ^), und dienten wohl ebenso zur
Nahrung wie zum Dienst im Krieg, zur Jagd und im Gespann *);
aber doch yerstanden die Deutschen es gut, edle Pferde sorg-
sam abzulichten und sie dadurch zu höheren und feineren
Leistungen zu entwickeln^.
Allgemein und wie es scheint ziemlich gleicbmässig ver-
breitet war die Bindviehzacht, zur Arbeit auf dem Felde und
jeder Art von Zugdienst nicht minder wichtig, wie zur Be-
schaffung der hervoiTagendsten Nahi-ung ^). Der schöne Schlag
des alamannischen Rinds, durch Kreuzung mit dem (romani-
schen?) Vieh der Norischen Alpen noch vei-stärkt ^), scheint
') Pferdetribut der] Sachsen unter Pipin Ann. Laor. a. a. 758.
') Vegetios ars Teter. lY, 6: ad bellum Hnnniscomm longe prima
docetur utilitas patientiae, laboris, frigoris, £Etmi8 Toringos, deinde et Biir>
gundiones iiguriae tolerantes. Tertio loco Frigiscos, non minus veiocitate
quam continuatione cursus invictos. Heerden von Pferden werden erwtimt
in lex Thuring. 35, LL. V, 129. S. a. die Brautwerbung des thüringischen
Königs ^rmenfried, der weisse Pferde als Brautkauf gab, Cassiod. Tariet
IV, 1.
') Ammian. Marc 15, 4. Aurel. Vict. de Caes. 21, 2.
*) Nach Tacitus c. 6 waren die deutschen Pferde non forma nee vdo-
dtate conspicui; aber sehr ausdauernd. Aehnlich von den SuevenpferdeD
Caes. IV, 2.
^) Plin. h. n. 8, 16. Strabo 4, 6, 10. Bonil epist 122, 142 eqoi
silvaticL S. o. S. 138.
^) Schon 1. Sal. 38, 1 : Si quis caballum qui cairucam trahit, ftuaTerit.
Auch als Ackerthiere ib. 27, 8.
^) Tac. 15: electi equi. Sie gaben denselben auch besondre Nases:
8. bes. 1. SaL tit 88 und dam Anton I, 120.
") Schon Caesar b. G. IV, 1 mayimam partem lacte atque pecore
viyunt Ib. VI, 22: major pars victus eorum in lacte, caseo, came coniistit.
") Cassiodor III, 50: Ut Alamannorum boves, qui videntor pretionorea
propter corporis granditatem — commutari vobis liceat
- 169 —
laoge Zeit hindurch der vorzüglichste gewesen zu sein und
wurde wohl auch besonders zur Ausfuhr gezüchtet Im all-
gemeinen aber scheint die Fleischnutzung überwogen, daher
die Au&ucht Ton Jungvieh besondei'S betrieben worden zu
sein^); Mästung war wohl gänzlich ausgeschlossen, da es
ebenso an Stallungen und Futter wie an Absatz für Mast-
fleisch fehlte. Butter ^) wurde nur als Nebenproduct gewonnen
und auch die Käsebereitung, obwohl zur täglichen Nahrung
der Deutschen Käse gehörte, trat jenem Hauptzweig der Vieh-
zucht gegenüber zuiUck*). Es liegt das auch ganz in der
Weise eines sehr extensiven Yiehzuchtsbetriebs , dass gerade
derjenige Zweig der bevorzugte ist, welcher am wenigsten
Mühewaltung und Aufwand der Wirthschaft erheischt, am
meisten aber sich auf die verjüngende Kraft der Natur stützt.
Es mag vielleicht damit zusammenhängen, dass überall so wenige
Mutterthiere auf einen Stier gerechnet wurden; regelmässig
waren es deren 12, aber auch für weniger kömmt öfter schon
ein Faselvieh. Ebenso hat auch in der Regel ein Beschäler
nicht mehr als 12 Stuten zu versorgen^), und unwillkürlich
drängt sich wieder des Tacitus Wahrnehmung auf, der in Be-
zug auf die germanische Viehhaltung sagt : numei-o gaudent.
Aber doch wird während der ganzen Peiiode die Kerde-
und Rindviehhaltung an Zahl und Ausdehnung übeiTagt von
den wichtigsten Zweigen der Klein Viehzucht , der Schaf- und
^) Das dürfte vielleicht schon in des Tacitus nnmero gandent liegen,
ist aber auch aas der Art und Weise zu entnehmen, wie die Volksrechte
des Jungviehs gedenken; z. B. 1. Sal III— Y.
*) Mit geronnener Milch zusammengestellt Plin. h. n. 28, 85: e lacte
fit et bntyrum, barbararnm gentium laudatissimus cibus et qui divites a
plebe discemat
*) Caes. VI, 22; Tac 23. Wenn aber Plinius h. n. XI, 96 berichtet:
miram, barbaras gentes quae lacte yivant, ignorare aut spemere tot secu-
lis casei dotem, densantes id alioqui in acorem jucundum et pingue buty*
mm — so denkt er wohl dabei nur an die feineren italienischen Rahm-
kftae, wie er sie im Folgenden aufzAhlt; s. Hostmann 74.
*) L. Sai. 88, 2. 3 Admissario cum gregem &uam, hoc est 12 equas.
I*. lUp. 18, 1: Sonesti id est 12 equas cum amissario. L. Alam. 77, 1
▼accaritia legitima, ubi sunt 12 vaccas vel amplius.
— 170 —
Schweinezucht. Grosse Schafhaltung war schon wegen der
für die tägliche Bekleidung wichtigen Wolle geboten^); aber
auch das Fleisch und die Milch der Schafe war für tägli<;|ieii
Bedarf benöihigt ^). Auch ist unverkennbar die Schafhaltung
wenigstens im Norden sehr bedeutend gewesen'). Dass die
lateinischen Urkunden pecora so häufig schlechthin im Sinne
von Schafen gebrauchen^), ist vielleicht für die Bedeutung
dieses Viehzuchtszweiges nicht minder wichtig, als dass das
friesische Gesetz einmal neben dem caballus und bos nur ovis
ausdrücklich benennt, und an einer andeiii Stelle das Schaf
allem andei-n Kleinvieh voranstellt^). Schon Probus verlangte
von den Deutschen zuerst Geissein, dann Getreide, zuletzt
Kühe und Schafe «).
Die Schweinezucht endlich war überall in Deutschland
schon durch die reichen Eichenwälder besonders begünstigt ' ),
und wegen der bei geringer Pflege grossen Ergiebigkeit be-
sondere beliebt. Die Volksrechte leisten gerade in ihren Be-
stimmungen über Schweinezucht etwas übriges; mannigfache
Namen, und ausserordentlich genaue Anordnungen zu Schatz
und Pflege derselben zeugen von der nationalen Werthschät-
zung^). Auch hier tritt wieder die grosse Zahl der männ-
^) Strabo 7, 1, 3 wird durch das Wandern der Schafheerden verleitet,
die Sueven selbst zu einem Wandervolk zu machen. S. Wackemagel
Kl. Sehr. I, 40.
') PliDius h. n. 28, 35: e lacte fit et butyrum, plurimum e bubnUs
et inde nomen: pinguissimum ex ovibus.
') In der 1. Sax. c. 66 ist bei der Reduction des solidos neben dem
Rindvieh nur der Schafe gedacht.
*) Eine alte Glosse Casselana F. 4 (Merkel znr 1. Alam. 100, 1, LL.
III, 81) hat pecora «> scaf. S. Anton I, 135. Hosünann 77, welcher aber
S. 30 die Schafhaltung im innem Deutschland für nicht sehr verbreitet h<
«) L. Fris. n, 11; IV, 2.
^) Vopisc. Prob. c. 14 : quibus ille primum obsides imperavit . . dein
irumentum, postremo etiam vaccas et oves.
^) Chlotach. II ed. 614 c. 21 : Forcarii fiscales in Silvas eodesiarnm
aut privatorum absque voluntate possessoris in Silvas eonxm ingredi oon
praesttmant. c. 23: Et quandoqoidem pastio non fuerit mde pord debeaot
saginari, cellarinsis in publico non ezigatur.
«) Anton I, 129.
— 171 -
liehen Schweine zur Nachzucht charakteristisch hervor ^) ; doch
pflegte man auch die Mästung der Verschnittenen^), deren
Schinken überall als Delikatesse betrachtet wurden^).
VeiToUständigen wir dieses Bild der Viehzucht noch durch
den Hinweis auf die nicht unbedeutende Ziegenhaltung ^) so-
wie auf das Hausgeflagel, Hühner und Gänse, aber auch Enten,
Kraniche und Schwäne^), so wird auch deutlicher, wie der
Schwerpunkt der deutschen Landwirthschaft auf jener Pro-
duction lag, die wir nach unseren Begriffen als höchst exten-
sive bezeichnen müssen, die aber sicher der Gesammtlage
vollkommen entsprach, in der sich die capitallose, isolirie
Wirthschaft der kleinen Landwiilhe jener Zeit befand und
die auch in grösserer Wirthschaft nicht erheblich diflFerirte.
Dafür ist aber auch alles, was feineren Betrieb, sorg-
samere Gultur voraussetzt, noch in den ei-sten Anfängen. In
der 1. Salica ältester Fassung ®) ist von den Gärten und Obst-
bäumen, deren Schutz die späteren Texte bestimmen^), noch
keine Rede; auch die lex Alamannorum weiss noch nichts
von Obstgärten und Weinbergen; das erste Beispiel für die-
selben in Schwaben ist eine Urkunde aus den Jahren 716
bis 720 ®). Dagegen war sicherlich der Weinbau in den Rhein-
^) L. Rip. 18 : sex scrofas cum verre. L. Ang. et Wer. 87 : Bcrofas
6 com verre, qaod dicunt son. L. Alam. 81, 1: pastor porcarius, qui
habet in gregem 40 porcns sagt über die Zahl der Faselthiere nichts aus.
') Das ist wohl die Bedeutung mi^ale in 1. Sal. n, 12, 18.
^ S. schon ed. Dioclet. de pretio rerum venal. (801) ed. Mommsen,
Leipzig 1851, welches auch westfälischen und marsischen (belgischen)
Schinken taxirte : pemae optimae petasonis sive Menapicae vel Cerritanae —
italicum pondo unum viginti denarii. Mariscae ital. po. unum viginti.
*) L. Sal. y. L. Alam. 102, 5. Ueber Hammelfleisch s. Langethal,
Gesch. d. Landwirthschaft I, 150.
^) L. Sal. YII gallus, galina, grux, cicenum, ansare, aneda, turtur,
aucellum. L. Alam. 102, 7, 8: Auca, anita, gariola, dcunia, corvo, comida,
colomba, acetcauha.
") S. Waitz, Das alte Recht der salischen Franken 5 ff.
') tit. 7 Zus. 7—10.
*) Tr. Sang. no. 8. Doch ist dort die Erwähnung von Gärten alsbald
häufig; z. B. 735 no. 5; 744 no. 8-10.
— 172 —
gegenden 0, aber auch an der Donau schon länger eingebOrgeit,
die Weinbereitung jedoch auf sehr niedrer Stufe. Und auch
in die Gartencultur kam erst in der folgenden Periode grössere
Mannigfaltigkeit Unter den Gärten der Merowingerzeit wer-
den wir uns im Wesentlichen nur kleine umzäunte Rasenplätze
vorstellen dürfen, die mit einigen Obstbäumen besetzt waren
und etwa noch zur Aufstellung der Bienenstöcke dienten').
Im Ganzen charakterisirt sich das Erwerbsleben dieser
Zeit durch eine grosse ökonomische Abgeschlossenheit, ja fast
völlige Isölirung der Einzelwirthschaften ; anfänglich dem Frei-
heitstriebe und den individuellen Interessen entsprechend, ist
sie doch gar bald ein nicht beneidenswerther Zustand ge-
worden. Die Hufe bot eben doch nur eine schmale Basis der
Existenz, die um so weniger zureichen wollte, je mehr die
Bedüi-fiiissmenge einer angewachsnen Bevölkerung stieg, ohne
dass die Betriebsweise verbessert oder auch nur die Wirth-
schaft entsprechend ausgedehnt werden konnte. Der leicht
cultui-fähige Boden war bald vollständig besetzt-, schwerere
Gulturarbeit veimochte der Einzelne nicht vorzunehmen und die
freie Genossenschaft der Hofbesitzer besass weder Beruf noch
Eignung, um fbr diese Aufgaben wirksam eintreten zu können.
Das Wii-thschaftssy Stern aber, welches die ei*sten Ansiedler
betrieben, eine Art Brennwirthschaft oder wilder Feldgras-
^) Nachdem durch Kaiser IVohus i. J. 280 der Weinbau am Rheine
eingeführt war (Yopisc. c 18: GaUis omnibus . . . hinc permisit nt vites
haberent, vinumque conficerent) wurden die Römer sicherlich auch in
diesem Zweige der Production die Lehrmeister der Deutschen. S. Host-
mann 65. Die 1. Salica kennt den Weinbau schon als etwas lang geHbtefl
tit 27, 18; 35, 6. Aber doch beschäftigen sich mehr die Zusfttie mit
diesem Gegenstande; bes. tit. 7 Zus. 9: hanc quoque legem et de Titibog
fnratis observari jussimus. Auch L Rip. 60, 1 gehört nicht in die ilteste
2ieit. In Baiem schenkte schon Herz. Theodo 680 Weinberge an der
Donau, deren spftter oft gedacht wird. S. Verhandlungen des bist V. d.
OberpfabE Bd. 26, S. 39 ff. und Bd. 4, S. 123.
^) Nach L B^j. 22, 1 bildeten schon 12 Obstbäume einen Girten.
L. B^j. 22, 8 ff. Die Bienenzucht gehörte überhaupt zu den wichtigeren
wirthschaftlichen Angelegenheiten der Deutschen wegen des Wachses ftr
die Kirchen und des Honigs ftkr Meth. Zeidler in Baiern schon zu Odilo's
Zeit; Tr. Lunael. no. 88 f. Mon. Boic. 28a, 171. 182. 184. 186.
— 173 —
wirthschaft mit ebenso extensiver Viehzucht, erwies sich auf
die Dauer weder nachhaltig noch besonders ökonomisch; eine
stetige Schwächung des volkswirthschaftlichen Lebens durch
wachsendes Missverhältniss zwischen Bedarf und Production
machte es dann den grossen Grundherrn nicht nur leichter,
sich die schwachen Einzelexistenzen zu untei-werfen , sondern
Hess diese Ent Wickelung sogar noch als sehr günstig erscheinen').
Ffinfter Abschnitt.
Ber Güterrerkehr und die nationale Werthbildung.
Mit den alten Germanen hatten die Römer während der
Jahrhundeite ihrer WeltheiTSchaft mancherlei Verkehr und
Handelschaft unterhalten ^).
Zwar im Anfange scheinen sich die Deutschen ziemlich
zurückhaltend den friedlichen Ann'ähei'ungsvei'suchen der Römer
gegenüber verhalten zu haben'). Aber bald lockten auch
sie die Genüsse, welche die Römer zu bieten hatten*); Wein*)
und mancher Tand zu Schmuck und Kleidung wurden von
ihnen erhandelt, und sie fanden darin gute Gelegenheit, die
Ueberschüsse ihrer Kriegsbeute^), Sklaven^), Geräth und
Waffen, aber auch Rinder') und Pferde') den römischen
Händlern abzusetzen.
^) YgL zu dem ganzen Abschnitte sowie auch zu Abschn. 1 und 3 die
neueste Abhandlung von Much über den Ackerbau der Germanen in Mitth.
d. anthrop. Gesellschaft, Wien, VIII, 203 ff., welche mir erst bei der letz-
ten Revision dieses Bogens zukam.
*) Wackemagel, El. Sehr. I, 59 ff. J. Jung, Römer und Romanen
8. 108 ff.
*) So die Nervier, die Sueben Caes. b. G. 2, 15; 4, 2.
^) Von den Ubiern berichtet Caesar b. G. 4, 3: Humaniores sunt,
propterea quod Rhenum adtingunt multumque ad eos mercatores ventitant
et ipsi propter propinquiiatem gallicis sunt moribus adsuefacti.
*) Tac. Germ. 23, 5, 17.
«) Caes. 4, 2.
^) Tac. Germ. 24. Paul Diac I, 1.
•) Cassid. var. in, 50.
•) Plinius h. n. 11, 109.
- 174 -
Auch brauchten sie wohl zu Zeiten Erz und Eisen, wenn
gerade längere Ruhe oder ungünstiger Ausgang des Kampfes
Mangel an Waifen und Hausgeräth erzeugt hatten^), während
sie daran zu andrer Zeit und besonders, seit die altbeiUhmten
norischen Eisenlager in die Hände der Langobarden, später
der Baiuwaren gefallen, eher Ueberfluss hatten ^).
Auch konnten sie für die Dauer, wenigstens im Grenz-
Terkehre, der Münzen nicht entrathen und brachten auch zu
diesem Behufe, wie sie überhaupt schon geldgieriger geworden
waren, den Bömei-n ihre eignen Luxusartikel, denen diese
eine Zeitlang sogar besonderen Modewerth beilegten: Zucker-
rüben^), Fische aus Rhein und Donau ^), Gänsefedern^), und
jene Laugenseife, mit welcher auch der ^ermane sein Haar
röthlich zu färben liebte ^).
Aber im Wesentlichen war dieser Handelsverkehr, so
weit ihn die Deutschen selbst betrieben, doch nur Grenzyer-
kehr. Zu weiter Handelsfahit bis auf die römischen Märkte
entschlossen sich die Deutschen der inneren Länder wohl
selten; das Auftreten von Hermunduren in Augsburg erregte
selbst das Erstaunen der Römer ^). Römische Eaufleute und
unter ihnen gewiss schon viele Juden, wagten sich des Handels
wegen auch in das innere Deutschland, als fahrende Händler
sowohl, wie zu bleibender Niederlassung^).
Auch sind keine Anhaltspunkte vorhanden, dass der
Handel in diesen Gegenständen grosse Ausdehnung oder auch
*) So insbes. za Tadtas' Zeiten, (x 6: ne femun quidem saperest
>) Procop. B. Goth. 3, 83. Paul Diac. I, 27 von der YorzQgiichkeit
ihrer Waffen.
>) Plinius h. n. 19, 28. Nach Anton I, 7 Fastinaken.
^) Cassiod. var. ep. 12, 4
0 Plin. 10, 27.
<) Martial 8, 82; 14, 25. Diodor 5, 28; Plinius h. n. 28, 51, Ton
den Batayem Tac. bist. 4, 61; von den Alamannen Anunian 27, 2. S.
Grimm in Haupts Zeitschr. 7, 460.
') Tac. Germ. 41.
«) Schon nach Caesar b. G. 1, 39. Tadt hist 4, 15. Dio Cass.
58, 26. S. a. Eisseibach, Gang des Welthandels S. 25.
- 175 -
nar grosse Stetigkeit und feste Ordnung gehabt hätte ^). Nur
im Getreidehandel finden wir solche Einrichtungen, welche
auf stetigen Handelsverkehr in einem Theil des römischen
Germaniens sprechen. Am Inn (bei dem Kloster Attel in
Baiem) war ein römischer Proviantmeister (fnimentarius) sta-
tionirt; der untere Lauf des Inn überhaupt war zur Römer-
zeit stark bevölkert*).
Am Inn und an der Salzach gab es contubemia nautarum
und zu Altenhohenau ist eine alte Anlande beglaubigt^), wo
die grösste Getreidezufuhr und Anschtttt eingerichtet war»
Und auch die Donau bildete für den römisch- deutschen Getreide-
bandel eine beliebte Wassei'Strasse , wie noch aus der Menge
römischer Händler zu erkennen ist, die bis in die Karolinger-
zeit hinein zu Regenburg und Passau wohnten^).
Eine Handelswaare aber hat doch schon frühzeitig die
Deutschen selbst mächtig zur Handelschaft angetrieben. Das
ist der Bernstein, jenes räthselhafte Harz der Ostsee, das
schon Jahrhunderte vor Christus den unternehmenden Pytheas
von Massilien zu seiner denkwürdigen Reise nach jenen Küsten
veranlasst^), das von West- und Oströmem wie von andern
Völkern gleich begehii; und geschätzt war. Den Beinstein
vertrieben die Deutschen in selbständigem Handel, wenigstens
^) Wenn Tac. Ann. 2, 62 von den Römern in der Markomannenstadt
sagt, dass sie jus commercii hatten, so war damit eben nur ihre rechtliche
Gleichstelinng mit den Einheimischen, bei denen sie sesshaft waren, mit
dem gangbaren römisch-rechtlichen Ausdruck bezeichnet, nicht aber „ein
durch Verträge gesicherter Handelsverkehr** wie Wackemagel, Kl. Sehr.
I, 63 meint.
s) Castrom Lintburc (bei Attel) quod praedara civium numerositate
inhabitabatnr. In?ay. IIb, 850. Mehre urbana loca sind erw&hnt in Mon.
Boic I, 266.
^) Das Altenhohenauer Mass galt noch lange Zeit hindurch weit
umher; s. Yerh. d. bist Yer. der Oberpfalz III, 204. Vita SeTerini passim.
*•) S. Wittmann in den Quellen und Erörterungen zur bairischen Ge-
schichte If 97. Latini in Hegenshurg hatten noch im 9. Jahrh. ihr eignes
Quartier in pago mercatorum. Pez thes. Anecd. I, 3 p. 192. Gemeiner^
Ursprung der Stadt Regensburg S. 78 ff.
») Plin. h. n. 37, 11, 1.
— 176 —
bis an die Grenzposten, welche die Römer im Innern Deutsch-
land hatten, wo ihn dann römische Händler in Empfong
nahmen ; aber auch andere Richtungen schlugen sie mit ihrer
kostbaren Waare ein ; durch das Land der Skythen und Sar-
maten richteten sie ihren Zug nach dem Orient, aus dem sie anf
diesem Wege immer wieder aufs Neue Culturelemente ansogen').
Und sicherlich ist der deutsche Eigenhandel bei diesem
einen Objecte nicht stehen geblieben; schon zur Rückfracht
nahm er Producte des Orient oder des hochcultivirten Römei-
reichs mit in die Heimat; und neben dem Bernstein wurde
wohl auch so manches, was deutscher Boden oder deutsche
Wirthschaft brachte, von ihnen auf weitere HandelsEahrt mit-
genommen ; Perlen zumal aus den Flüssen, mit denen GriecheD-
land und Rom zuerst von Geimanien her bekannt geworden
sind ^), und Pelze, welche die Deutschen selbst von den nörd-
licheren Völkern bezogen^). Aber auch hier begegneten die
Deutschen der unternehmenden ConcuiTenz giiechischer und
römischer Händler, welche die gewohnten Handelswege des
Bernsteins bis an jene Ostseeküsten verfolgten um das -ge-
schätzte Kaufmannsgut und wohl noch so manche andre
Waare an der Quelle zu holen ^).
Dieser älteste Handel der Deutschen mit den Römern
vei-fiel aber mit der Völkerwanderung. Sie vernichtete über-
haupt die regelmässigen Verkehrsbeziehungen, welche die
Deutschen unter sich und mit den Römem besonders während
der Zeit relativer Ruhe und Sesshaftigkeit geknüpft hatten;
sie hob die Production des Volkes zum guten Theile auf,
^) S. die Nachweisungen über die Handelswege des Bernsteiiis bei
Wackeniagel I, 75 und Genthe, Etrurischer Tauschhandel S. 101—110.
') S. Wackemagel I, 71. lieber altgennanische Glas- und Thonperien
Klemm, Alterthumskunde S. 66 f.
') Tac. Germ. 17. Jomandes 3.
*) Daher Spuren der Römer auf jener ganzen nach Italien ffthrendeB
Strasse: römische Münzen, ja römische Begräbnissst&tten und Ucnen in
Schlesien, in Preussen und den Küstenländern der Ostsee, namentlich aas
der Zeit der Antonine und des Septimius Severus, so dass am die Mitte
und nach der Mitte des 2. Jahrh. der Handel besonders lebhaft gewesen
sein muss; Wackemagel, Kl. Sehr. I, 76.
— 177 —
beschränkte jedenfalls den nationalen Gütervorrath auf das
Mass des unmittelbaren Bedarfs und vemichtete endlich auch
den üblichen Markt mit der zahlungsfähigen Nachfrage des
römischen Luxus.
So wurde also auch von dieser Seite her jener Zustand
der wii-thschaftlichen Isolirung befördert, welchen wir fClr die
Merowingerperiode im Grossen und Ganzen als charak-
teristische Eracheinung des nationalen Erwerbslebens kennen
gelernt haben. So lange er aber bestand, so lange ist auch
an einen ausgebildeten Güterverkehr und seine volkswiith-
schafUichen Wirkungen nicht zu denken.
Auf den Gutshöfen der kleinen Grundbesitzer wurde nur
der Eigenbedarf des Hauses — und dieser wohl spärlich
genug — producirt; grössere Gutswii-thschaften mochten wohl
einige Ueberschüsse an Producten erzielen, die aber in erster
Reihe zur Deckung eines dem grösseren Haushalt und grösse-
ren Vermögen entsprechenden grösseren Bedai-fs dienten, erst
in zweiter Linie für den Güteraustausch in Betracht kamen.
Und dieser Güteraustausch in natura bewegte sich selbsfr-
yerstftndlich wieder in kleinen Mengen und auf engem Ge-
biete, wie er auch sicherlich auf wenige Werthformen be-
schränkt war.
Höchstens dass dann und wann ein fahrender Kaufinann
die zeitweiligen Ueberschüsse dieser Bodenproduction ankaufte,
am sie auf der nächsten Messe des verkehrsreicheren Neustriens,
oder wo er sonst gerade Absatzgelegenheit vermuthete, wieder
loszuschlagen; ein geregelter Productenhandel ist dieser Zeit
in Deutschland wenigstens eben so fremd, als etwa eine syste-
matisch für nationalen Bedaif arbeitende Industrie.
Nur in einzelnen Producten, welche schon während der
Römerzeit für den Handel Bedeutung erlangt hatten, scheinen
auch nach der Völkerwanderung Ueberschüsse nicht bloss ein-
zelner Gutswirthschaften , sondern ganzer Volksstämme für
den Handel verfügbar gewesen zu sein. Alamannische Rinder
und Kühe, sächsische und thüringische Pferde und Leinwand,
friesische Gewänder und bairisches Getreide und Salz gehören
zu den ältesten Gegenständen eines Handelsverkehrs im inneren
Ton Iiiftiiift-St«rii6gg, Wlrthschaftsgeschichte. I. ^ 12
— 178 —
Deutschland^); neben den Fremden (Byzantinern, Römern,
Juden) bildeten die Franken die regelmässigen Vermittler
zwischen diesen Producten deutscher Wirthschaft und den
Gütern des ausserdeutschen Productionsgebietes , sowie audi
nach den Gebieten der Wenden und Avaren*). Doch ist der
Sachsen auch ausdrücklich als Händler auf dem Markte von
St. Denys gedacht^). Die Hauptmärkte waren deutscherseits
Dorstadt*) und Stavein*^) in Friesland, Ei-fiirt«) (seit 476) in
Thüringen, Worms, Mainz, Strassburg am Oben*hein, Regens-
burg, Salzburg und Loi-ch in Baiem ; ausserhalb der deutschen
Gebiete Schleswig, der Slaven maritimes Emporium, London^,
Paris, St. Denys®), Rom und Byzanz; wohl audi schon frühzeitig
Nischnei- Nowgorod^), der Kreuzungspunkt der Ostsee- und
der sarmatiscben Handelswege, die wohl nie ganz verödeten.
Die Wege, auf welchen diese wenigen Lebensäusserungen
eines Grosshandels gingen, sind «um guten Theile die natür-
lichen Wasserstrassen des Rheins und der Mosel, der Weser
und Elbe, aber auch besonders der Donau, der wichtigsten
1) Eisselbach, Welthandel S. 87. Einigermassen kömmt auch für den
deutschen Handel die ürk. 716 Pardessuss II, 501 in Betracht, velche
eine Schenkung von Zöllen an das Kloster Corbie enthält und neben Oel
und verschiedenen Gewürzen noch Fruchte und Felle als Handelsartikel
au&ählt
*) Chron. Fredeg. ad a. 623. (Gregor Tur. App. 48): Homo qnidam,
nomine Samo, natione Francus, de pago Sennonago plures secum negotiantes
adscivit ad exercendum negotium in Slavos cognomento Winidos perrezit
") Pardessus Dipl. II, 247, ao. 629. üeber die Friesen als Gross-
h&ndler s. Gfrörer z. Geschichte der deutschen Yolksrechte II, 274.
*) Soetbeer in den Forschungen zur deutschen Geschichte IV, 308.
'^ Nach den niederländischen Geschichtsschreibern ist die Stadt
Stavem die älteste in Friesland und wurde i. J. 21 von den Stmiem, den
alten Einwohnern von Friesland erbaut. Andersen, Gesch. des Hsndds
I, 222.
") Nach Angelikus de Werdenhagen, de rebus publ. Hanseatids. An-
dersen I, 250.
^) Tacitus Ann. 14, 33 Londinium cognomento quidem coloniae non
insigne, sed copia negotiatorum et comeatuum mazime celebre. Ando^en,
Gesch. d. Handels I, 225.
») Dipl. Dagobert! 629. Pardessus II, 247.
») Kisselbach, Welthandel S. 35, 53.
— 179 —
Handelsstrasse nach den Ländern der Avaren und den Ge-
bieten des schwarzen Meeres, die nach dem Oriente weiter
wiesen^). Aber doch auch die hohe See wird von Friesen*)
und Sachsen^) schon frühzeitig befahren und Handelsverbin-
dungen zu Schifif zwischen Deutschen und Wenden auf der
Ostsee einei*seits, dem fränkischen Gallien anderseits sind an-
geknapft und gepflegt worden.
Von Landstrassen dienten den Deutschen sicherlich in
erster Linie die eben so zweckmässig angelegten, wie dauer-
haft gebauten Römei-strassen, besonders im Gebiete des Rheins
sowie zu dessen Verbindung mit dem Süden Deutschlands,
mit Rhätien und Norikum. Ganz spärlich beginnt daneben
die merowingische Zeit den Ausbau eines neuen Strassennetzes
zur Belebung des Verkehi-s zwischen den neuen Wirthschafts-
centren *) ; ihre hauptsächlichsten Leistungen fttr den Verkehr
sind jedenfalls in Gallien zu suchen, wie ja auch die geregel-
ten Transporteinrichtungen der scara, angaria und der para-
feredi in dieser Periode nur im neustrischen Franken regel-
mässig vorkommen. Ei*st die karolingische Verwaltung leistete
auch hiefür Grosses.
Auch der Markt und seine Einrichtung spielt in dieser
Zeit auf deutschem Boden wenigstens noch keine grosse Rolle.
Wohl wird sich an der grossen Hofhaltung königlicher Palatien
sowie an den Bischofssitzen und in den alten Römerstädten
am Rhein und an der Donau bereits einiger Marktverkehr
entwickelt und, ähnlich wie in Neustrien, 'auch eine
') Kurz, OesterreichiBche Handelsgeschichte 4.
^ Fischer, Gesch. d. deutschen Handels I, 132 ff.
^ Sächsische Seeräuber bei Sidon. Apoll, ep. 8, 6. Inseln der Sachsen
Greg. Tut. 2, 19.
*) Einigermassen ist das aus den verschiedenen Wegeabgaben zu er-
sehen, welche ja nach allgemeinen Grundsätzen der ältesten Zeit für den
flsJnis nur soweit erhoben wurden, als die öffentliche Gewalt auch beson-
deres im Dienste des Verkehrs leistete; dahin gehören carrigia (carrigalia),
saomaticam, ped^igium (pedaticum), pulveraticum , rotaticum, vultaticum,
cespitaticum , mestaticum , pontaticum; für den Wasserweg insbesondere
ezclusaticus, plantaticus, barganaticum, ripaticum, tranaticum (trahaticum)
8. i. Ah. darüber Falke, Geschichte des deutschen Zollwesens. Waitz II 605.
12*
— 180 —
öffentliche Ordnung gefanden haben. Die spärlichen positiven
Nachrichten ^) aber, welche darüber auf uns gekommen sind,
verbieten doch, die entwickelteren Marktverhältnisse des galli-
schen Frankens einfach auch auf die rechtsrheinischen Orte
zu übertragen. Insbesondere wird es sehr zu bezweifeln sdn,
ob die Marktabgaben'), welche in Neustrien auf eine gewisse
Ordnung der Yerkehrsverhältnisse durch die öffentliche Gewalt
schliessen lassen, auch auf den deutschen Märkten zur An-
wendung gekommen sind.
Im letzten Grunde aber ist es der Mangel eines nationalen
Geldwesens , welcher die Entwickelung eines regen Güterver-
kehrs mindestens ebenso aufhielt, als das lange Verharren im
Naturalverkehre sich aus den primitiven Zuständen des Erwerbs
und der unentwickelten nationalen Arbeitstheilung erklärt
Dass die Deutschen ^) vor und während der Völkerwan-
demng weder eigne Münzen noch eine Metallgeldrechnong
hatten, ist als gewiss anzusehen; wird ihnen ja doch von
Tacitus sogar die Werthschätzung der Edelmetalle abge-
sprochen^). Es wird eben dadurch wahrscheinlich, dass sie
^) Es ist nicht zu Qbersehen, dass die ältesten Urkunden, welche ftr
deutsche Orte Markt- und Zollprivilegien enthalten, fast durchgehends ge-
fälscht oder wenigstens einer zu firühen Zeit zugeschrieben sind; so ist
ürk. 627 (Pardessus I, 242) ftkr Wonns, worin Zoll und Markt in dvitate
nostra Lobdenburg verliehen wird, zweifelhaft; s. Waitz II, 604; d>enso
Urk. 682 (ib. ü, 258) für Trier.
') Dahin gehört wohl im Allgemeinen die trastura (transitora), das
passaticum, der foraticus (telonea de mercatu), sowie das laudaticum und
salutaticum, die besondem Abgaben f&r die Bewilligung (laudare -» oon-
sentire) des Marktherm und f&r den Schutz, den der Marktfrieden gewihrte.
S. Falke l. c Waitz 11, 605.
') S. dazu i. A« Soetbeer in den Forschungen zur deutschen Qeschidite,
Bd. I, n, IV, VI. MQUer, deutsche MOnzgeschichte.
*) Germ. 5 : Est ridere apud illos argentea yasa, legatis et princq»1>vs
eorum muneri data, non in alia rilitate quam quae humo fingnntor. Doch
kann sich das nur auf solche deutsche Yölkerstftmme beziehen, welche
noch nicht im Yerkehr mit den Römern deren Geld anzunehmen gelernt
haben: Tac ib. Interiores simplidus et antiquius permutatione meftiam
utuntnr. Die Deutschen dagegen, welche mit den Römern im Yeikdir
standen, waren sogar schon geldgierig, wie aus Florus lY, 12; Ttdt,
Bist. lY, 76, Herodian YI, 7; I, 6 zu ersehen ist
- 181 —
unter den Gebrauchsgegenständen solche ausgewählt haben,
welche durch allgemeine, feststehende Anerkennung ihrer
Brauchbarkeit und eine grosse Gleichartigkeit ihi'es Vor-
kommens geeignet waren» sowohl als allgemeines Tauschmittel,
als auch zur Werthmessung und Werthbewahrung gebraucht
zü werden.
Dass sie für diese Zwecke Vieh von bestimmter Art
(Kflhe oder Ochsen) gebraucht haben, ist wenigstens in Bezug
auf Tausch und Werthmessung wahrscheinlich. Es spricht
dafbr nicht nur der sprachliche Zusammenhang von f6 (Vieh)
und Vermögen^) und die Thatsache eines solchen Werth-
messers bei den Skandinaviern und Angelsachsen ') (Kuhgeld,
Stiergeld), sondern es sind auch bei den deutschen Stämmen
selbst Anhaltspunkte hiefür vorhanden.
Wie schon Tacitus') berichtet, dass die Bussen in be-
stimmter Anzahl von Viehhäuptem entrichtet wurden, so finden
wir auch noch in späterem Jahrhunderten voi'wiegende Vieh-
abgaben; die Sachsen haben an Chlotar IL einen Tribut von
Kahen zu leisten^), auch Pferdebussen kommen bei den
Sachsen vor^); und ihr Volksrecht sagt geradezu: der Solidus
^) ülfilas hat in seiner Bibelübersetzung statt dQyvQ^ov das goth.
iaiha (Vieh). Ein althochdeatsches Glossar abersetst peconia durch fihu.
Im Altsächsischen ist fehu, im Angelsächsischen feoh, im Altfriesischen fia,
im Altnordischen ffi der gemeinsame, gewöhnliche Ausdruck f&r Geld;
fi&giald bedeutet im Altnordischen Geldstrafe. S. V^ackemagel kl. Sehr.
I, 55ff. Soetbeer a. a. 0. I, S. 208ff.
*) Das alte isl&ndische Rechtsbuch Grftg&s berechnet (im 85. Kapitel
des Kanpa-Balkr) alle Tauschwerthe auf der Grundlage des Eugildi. Soet-
beer ib. 211. Weinhold altnord. Leben S. 51 £ Ueber das Stiergeld der
Angelaachsen s. a. Wilda, Strafrecht der Germanen I, 831—885.
") Germ. c. 21: Luitnr enim etiam homiddium certo armentorum
ac pecorum numero;. cap. 12: Sed et levioribus delictis pro modo poena:
equorum pecorumque numero convicti mulctantnr.
*) Fredeg. Ghron. 74: Saxones — quingentas yaccas inferendales annis
singolis a Chlotario seniore censiti reddebant *
^ Unter Pipin zahlen die Sachsen einen Tribut von 800 Pferden; Ann.
Met. a. 758. Ann. Einhardi 758. Thietm. 2, 18.
— 182 —
ist ein doppelter; der eine einjähriger, der andre ein IGmonat-
lieber Ochse 0.
Mögen aber Yiebbäupter noch lange als allgemeines Tausch-
mittel in Uebung gewesen sein, so ist doch die Geldrechnosg
schon frQhzeitig auf der Grundlage von Edelmetall eingerichtet
worden; spätestens in der Zeit, in welcher die Yolksrechte
der einzelnen Stämme aufgezeichnet worden sind.
Für kleinere Werthmengen kennt der nordische Verkehr
als allgemeines Tauschmittel und Werthmassstab das Vadmal,
ein grobes, langhaariges Wollenzeug von bestimmter Länge,
das mit dem Kuhgeld in bestimmte Relation gesetzt war.
Später kommen Leinwandzahlungen und Abgaben sowohl bei
Wenden und Ungarn, wie auch in manchen Gegenden Deutsch-
lands vor'). Und noch manch andere Gebrauchsgegenstände
finden sich, wenn auch nicht so regelmässig, an 2iahlung8Statt»
mit vereinzelten Functionen des Geldes gegeben').
Für ein von mehreren behauptetes Ringgeld der Deut-
schen^) haben wir wohl gar keinen andern Anhaltspunkt, als
die Thatsache, dass Edelmetallringe und Spiralen vielfach in
ganzen und in Theilstücken in altdeutschen Gräbern gefunden
wurden^) und dass alte Dichter die Ringe und Baugen als
einen Theil des Reichthums der Germanen bezeichnen^.
') L. Sazon. ed. Bichthofen (LL. Y, c 66).
*) Soetbeer I, 217 £ Die Stelle des Tadtos c 25: fromenti modnm
dominus (senro) aut pecoris aut vestis ut colono ixgungit, in welcher
Baumstark, nrdeutsche StaatsalterthOmer S. 444, das scandinaTische Yadmal
wenigstens in seinen Wnrzehi und seinem Wesen deutlich genug und po-
sitiv ausgesprochen findet, bezieht sich doch in keiner Weise auf Gdd-
gebrauch oder Oeldrechnung.
*) So Gretreide und Honig nach der lex Sazonum. Waffm nach der
L Bip. S. 0. S. 144, Anm. 1.
*) Ausführlich besprochen bei Soetbeer I, 228 £L MoUer, Mfinige-
schichte I, 14.
') AusschliessUch in Norddeutschland und Skandinavien, TgL die Ta-
beUe bei Soetbeer I, 257.
*) Doch sind es ausser angelsftchsischen lauter Gedichte spUerer Zeit,
Nibelungenlied, König Bother, Minnesingergedichte. S. die Beispiele bei
Wackemagel I, 57. Auch die Erz&hlung Widukinds I, 5, wonach cb
Sachse mit goldnen Bingen von den ThOringem Land erworben babe^ ist
— 183 —
Dieselben konnten nun allerdings als Tauschmittel und zur
Werthbewahrung , aber in keiner Weise zur Werthmessung
dienen, da sie weder von bestimmter Grösse, noch von festem
Gewichte, noch in einer gleichförmigen Stückelung vorhanden
waren, und jedem Tausche eine Wägung vorhergehen musste^).
Wir haben aber auch gar keinen Anhaltspunkt dafür, dass
die Deutschen je auf der Grundlage des Ringgelds gerechnet
oder Werthe allgemein damit gemessen hätten; und es hat
demnach die deutsche Wirthschaftsgeschichte jedenfalls ihren
Ausgangspunkt von dem ersten Gebrauch der Edelmetalle zu
Tausch, Werthmessung und Werthbewahrung zu nehmen, wie
er sich eben mit der Begründung des Frankenreichs durch
Chlogio und Chlodevech einstellte.
Wohl lernten die Deutschen die Verwendung des Edel-
metalls zu Geldzwecken schon in der Zeit kennen, in welcher
sie mit den Römern in Beiilhiimg kamen'). Aber schon der
eigenthOmliche Gebrauch, den sie davon machten, zeigt, wie
wenig sie mit dem Wesen des Geldes vertraut waren. Zwar,
doch za sagenhaft, um die Annahme eines wirklichen Geldgebrauchs von
Bingen statzen zu können. Das blosse Wort reipos (Reif) endlich, das
dem tit. 44 L Sal. von der Bosse demjenigen, der eine Wittwe ohne die
gesetzlichen Formalakte heirathet, vorgesetzt ist, kann doch f&r sich nichts
über den Gebrauch von Binggcld aussagen, da ja in der ganzen SteUe kein
Wort weiter darüber enthalten ist.
^) Das ist das Ergebniss der ebenso mühevollen wie umsichtigen und
gewissenhaften Untersuchung Soetbeers.
') Es wird sich hier empfehlen, des Tadtus klassischen Bericht über
den Geldgebrauch der Deutschen im Zusammenhang mitzutheUen: Germ,
c 5: Argentum et anrum propitiine an irati di negaverint dnbito. Nee
tarnen adbOrmaverim nuUam Germaniae venam argentum aurumve gignere:
quis enim scrutatus est? Possessione et usu haud perinde adfiduntnr.
Est videre apud iUos argentea vasa, legatis et prindpibus eorum muneri
data, non in alia vilitate quam quae humo fbiguntur, quamquam prozimi
ob iisnm commerdorum aumm et argentum in pretio habent, formasque
quasdum nostrae pecunlae agnoscunt atque digunt: interiores simplidus
et antiquius permutatione merdum utuntur. Pecuniam probant veterem
et diu notam, senratos bigatosque. Argentum quoque magis quam aumm
aeq^nntor, nulla adfectione animi, sed quia numerus argenteorum fadlior
und est promiscua ac vilia mercantibus.
— 184 —
um römische Waare einzukaufen, soweit das der Grenzrerkehr
mit sich brachte oder vereinzeltes Bedttrfniss sonst es erheischte,
bedienten sie sich der gangbaren römischen Gold- und Silber-
münzen; aber im Wesentlichen begehiten sie nach ihnen um
Schätze zu sammeln, deren Besitz als Mittel für kriegerischen
Bedarf oder für den Zweck, gesellschaftliche Ueberlegenheit
zu behaupten, ihnen frühzeitig erwünscht war ^). Und hiefür
gaben sie sicherlich dem Golde den Vorzug; römische und
byzantinische Goldmünzen') füllten die Schatzkammer der
deutschen Fürsten, ohne wohl irgend zu regelmässigen Zahlun-
gen verwendet zu werden ^). Von Silbeimünzen aber , welche
ebenfalls zur Weithbewahrung ^), daneben aber wohl auch zu
vereinzelten Zahlungen im innem Verkehr gebraucht wurden,
schätzten sie am meisten die guten alten römischen Kaiser-
denare mit dem Bilde der biga oder dem gezahnten Rande,
auch dann noch, als diese im Römerreiche schon ausser Gurs
gesetzt waren ^). In ihnen schätzen sie den reichen Silber-
gehalt und die Vollwichtigkeit, und hatten Grund um so mehr
an ihnen festzuhalten, je mehr die Münzpolitik der späteren
Kaiserzeit gerade die Denare vei*schlechterte ^) ; nach der
Völkerwanderung dann und dem .Untergang des römischen
^) S. Waits, Verf. Gesch. I, S09. Soetbeer I, 596.
*) Doch bleibt es anffkllig, dass GoldmOmsen deutschen Fandorti vor-
nemlich erst aas der Zeit Yon CoDSiantm L an in grösserer Aiuahl T0^
kommen. S. Soetbeer 1, 258 ff. über Fände römischer Münsen in Deatscfaland.
') Müller, MOnzgeschichte I, 51 ff.
*) Das ergibt sich schon aus den vielen Funden römischer Silber-
denare, die gar keine Sporen des Umlaufe an sich tragen ; Soetbeer a. a. 0.
') Die Nachricht des Tadtus erh< eine Bestätigung durch den MQni-
fund zn Niemegk (südl. y. Berlin), der unter 74 Stücken 29 republikanische
Denare, darunter 4 serrati und eine Anzahl bigati aufireist, obschon er
erst nach dem J. 128 vergraben sein kann. Friedlftnder, Mftrldsche For
schungen YII. Soetbeer n, 868 f.
^ Zur Zeit der Bepublik wurden 84 Denare aus dem Pfimd Silber
ausgebracht, der Denar also, da das römische Pfimd 827 Gramm vog,
ungefÄhr zu 8.9 Gramm; nach der ersten Reduction unter Nero gingeo
96 Denare auf das Pfund; der Denar war also etwa 8.4 Gramm sdiwer:
▼on da an mehr oder minder knapp und nicht immer von gleicher Feinheit,
aber doch nach dem gleichen Fusse; seit der Mitte des 8. Jahih. aber
sank der Denar in rascher Progression zu einer immer werthloseren BiUoo-
~ 185 -
Westreichs fehlte überhaupt für die wirthschaftlich isoliiten
deutschen Stämme jeder namhafte Zufluss von aussen , durch
den sie ein Münzwesen auf anderer Grundlage hätten ent-
wickeln können ^). NatürUch schmolz nun der VoiTatb an
solch älteren Silberdenaren immer mehr zusammen und konnte,
wo eine Ergänzung des Abgangs fehlte, nicht zur Ausbildung
eines 6eldverkehi*s beitragen; ebensowenig genügte er aber
an sich zur Ausbildung einer Geldrechnung, die allgemein
an Stelle der ältesten Naturalweithrechnung hätte treten
können; auch daraus wird es wahrscheinlich, dass die inner-
deutschen Völker lange Zeit nach erlangter Sesshaftigkeit
noch keine Geldbewerthung der Verkehrs- und Genussgüter
entwickelten.
Nur bei den salischen Franken, welche durch ihre Er-
oberungen im römischen Gallien schon im 5. Jahrhunderte
mit den Römern in lebhaften Beziehungen standen, erscheint
auch schon früh eine Rechnung nach Metallgeld ausgebildet,
welche auf der Grundlage des römischen Gewichts- und Münz-
systems eingerichtet wurde. Das Währungsmetall biefür bil-
dete das Gold und zwar war der Goldsolidus nach dem Con-
stantinischen Münzfusse, 72 Stücke auf das römische Goldpfiind,
die Hauptmünzsorte'). Da nun das römische Goldpfiind ca.
327 Gramm wog^), so war der Metallgehalt des Solidus etwa
4V, Gramm Gold*).
mfinze and schüessUch m einem winzig kleinen Weisskupferst&ck herab.
Soetbeer ib. 264.
') Im nördlichen Dentschland und in den OstBeelftndem sind übrigens
die römischen und byzantinischen Goldmünzen des 5. und 6. Jahrhunderts
(Anfang) noch verhältnissmäSBig häufig. Soetbeer I, 267.
') Das ist durch die zahlreichen Funde Ton Merowinger Goldmünzen
erwiesen, welche in Schrot und Korn sowie im Typus den gleichzeitigen
kaiserlichen Solidis entsprechen. Soetbeer I, 600 ff.
*) Dieses Gewicht (genau 827.4, Gr.) ist durch Böckh's meteorologische
Stadien festgestellt, denen sich auch Mommsen und Soetbeer anschliessen.
Die kleinen Unterschiede in der Berechnung, welche bei Gu^rard (826 Gr.)
und Qadpo (825 Grr.) vorkommen, können für die Bestimmung des Gold-
gewichts des Solidus wohl ausser Betracht bleiben, lieber ältere, stärker
diffenrende Annahmen s. Gu^ard Irminon I, 109 ff.
*) Genau 4.55 Gramm oder Va Unze.
— 186 —
Auf diesen Goldsolidus rechneten nun die salischen Franken
40 Silberdenare, wobei sie sich wahrscheinlich , wie die Van-
dalen , Ostgothen , Westgothen und Langobarden , an die rö-
mische Siliqua anschlössen^). Diese war zwar ursprOn^ch
nur der 24. Theil eines Goldsolidus'), wurde aber in der
späteren Kaiserzeit nach einem viel leichteren Münzfusse aas-
gebracht, so dass in dem fränkischen Denare nur der that-
sächliche Metallgehalt der Siliqua beiücksichtigt erscheint^).
Das ist das Münzsystem, welches die Salier in ihrem
Rechtsbuche anwendeten, vielleicht erst gleichzeitig mit dessen
schriftlicher Redaction einfühlten. Wenigstens ist es sehr
wahrscheinlich, dass auch die salischen Franken im 5. Jahr-
hundeit noch 12 römische Silberdenare einem Goldsolidus
gleichstellten, wie das von den andern deutschen Stämme
nachweisbar ist ^). Der Solidus und der Denar dienten übrigens
den salischen Franken nicht bloss zur Werthberechnung,
sondern waren effective Münzen ; für den Solidus ist diess durdi
zahlreiche Funde seit Chlodovech I. ^) und durch die Mitthei-
^) Soetbeer I, 278 £ Die ältesten lateinisch-deatschen Glossen abe^
tragen meistens das Wort siliqna; z. B. Beichenaa siliha: nomisma; S.
(JaUen silihha: nummi. Pariser dentsches Glossar numi percussa: sflihha
durohslagen, das ist pfieuitinc.
*) Isid. XVI, 24: vigesima qoarta pars solidi ab arboris (siliqaae)
semine vocabolam tenens.
") Nach dem gesetzlichen Münzfosse soUten 144 süiqnae ans dem
Silberpfonde aasgebracht werden, die siliqna also 2.27 Gramm Silber ent-
halten haben, wenn die Werthrelation von Gold zn Silber in der Zeit
Constantins auf 1:12 angesetzt wird. Es enthielt aber die siliqua tfaat-
sftchlich anter Valentinian L cc. 2 Gramm, anter Honorins oc. 1.70^ mrter
Jastinos ond Jnstinian 1.30' Gramm and es treffen darnach, unter Aofredit-
erhaltung der obigen Werthrelation von Gold za Silber aaf das Silber-
pfnnd statt 144 nun 164 siliquae, dann 192 und 251 St&cke oder anf den
Goldsolidus statt 24 nun 27, dann 32 und endlich 42 siliquae.
«) S. Soetbeer's BeweisfiQirung S. 546 ff. unter Bezugnahme auf den
Münzfund im Grabe König Childerichs zu Toumay.
^) Die Münzen Chlodovechs und seiner Söhne sind aUerdings nicht
sicher zu bestimmen, da das Merkmal, welches sie ?on den unter Qmr
Begierung geschlagnen KaisermOnzen unterscheidet, nur in dem noAr
masslichen Anfangsbuchstaben ihres Namens C^O (Chlodovech — cobiqI?)
und T (Theodorich) besteht S. Müller, S. 77 ff
- 187 —
langen des Procopius^)« ^^ ^^^ Denare insbesondere durch
das salische Volksrecht *) selbst hinlänglich festgestellt, obwohl
für die älteren Zeiten des Frankenreichs eine selbständige
Prägung von Denaren nicht nachweisbar ist.
Neben ihnen und für den Verkehr von besonderer Wich-
tigkeit war der Goldtriens, der dritte Theil des Solidus');
auch gingen wohl kleine Scheidemünzen aus Billon und Kupfer
mit römischem Typus noch in den fränkischen Geldverkehr
über, obwohl positive Quellenzeugnisse hiefür fehlen^); doch
sind merowingische Kupfermünzen von der allergrössten Selten-
heit, was sich aus der bekannten allgemeinen Abneigung der
gennanischen Völkerschaften gegen Kupfergeld erklärt^), die
ihrerseits wieder darauf zurückzuführen sein wird, dass die
Deutschen das römische Geld vielmehr zur Aufbewahrung als
zum Umsatz von Werthen benutzten. Aber nicht lange scheint
diese Ordnung des fränkischen Münzwesens gewählt zu haben.
Nachdem sich die fränkischen Könige von dem Einfluss des
oströnüschen Kaiserthums freigemacht hatten, gingen sie auch
im Münzwesen ihren eignen Weg; sie verliessen, wenn auch
vorsichtig, den alten römischen Typus ^), indem sie an Stelle
^) De beUo Gothico m, 33.; s. o. S. 170.
*) Tit 44 de reipus c. 1 : Et tone ille qai vidaam acdpere debet, tres
solidos aeque pensantes et denario habere debet Et tres erunt, qui solidoB
iUias pensare vel probare debent Auch im 1. Capitulare zur L SaL XI,
10 (LL. n, 3) heisst es: 63 solidos cnlpabilis judicetnr, similiter et dena-
rimn uniim . . . ; 100 soL et dinariom pro ipsa componat
") L. SaL 4, 1: 7 dinarios qai ftdont medio trianti; 35, 3, Zus. 1:
solidum 1 et triante 1; 88, 5, Zus. 4: et pro quisqae jnmento triante
I componat Decretio Chüdeberti c 6 (LL. I, 7): Si serras minus tremisse
iiiTola?erit Von den 1300—1400 bekannten Typen meroinngischer Gold-
mtknaen sind bei weitem die mdsten sog. Trienten.
*) üeber die Scheidemünze der Merowinger s. MOUer S. 238, 207.
') Soetbeer I, 636.
") Soetbeer I, 601 unterscheidet nach der äussern Beschaffenheit der
merowingischen Goldmtknzen:
1. Münxen , aof denen noch die Namen der oströmischen Kaiser sich
finden, die aber sonst dorch ansdrQcldiche Besdchnnng Ihren fränkischen
üztpmng darthun.
2. Mflnzen, welche den Namen eines fränkischen Königs tragen und
— 188 —
des kaiserlichen Namens ihr eignes Monogramm, sp&ter ihren
vollen Namen, ja wohl auch ihr Bildniss^) .auf die Münzen
setzen Hessen; auch haben sie eine Aenderung des Münz-
fiisses vorgenommen, indem sie aus dem Goldpfunde 84 statt
wie hisher nur 7i Goldsolidi prägen Hessen *).
Wann und in welcher Weise diese Veränderung vor sich
ging, ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen, da von der That-
sache selbst nur die erhaltenen Merowingermünzen, aber
keinerlei Gesetze oder urkundliche Nachrichten Kunde geben.
Die Denare sind, wie es scheint, von dieser Veränderung un-
berührt geblieben ; nach wie vor werden 40 Silberdenare gleich
einem Goldsolidus gerechnet'), und auch in den erhaltenen
Stücken lässt sich nicht jener Gewichtsunterschied consta-
aosserdem entweder den gewöhnlichen Revers der damaligen oströmischen
GoldmOnzen oder den Namen eines MOnzers oder eines Ortes ond ver-
schiedene Embleme (Engel, Kreuz etc.).
8. MOnzen, die eine spedelle sachliche Bestimmung in der Aufschrift
kundgeben, wie moneta palatii, racio fisd etc. und daneben den Namen
des MOnzers und Ortes.
4. Münzen, die nuc den Namen eines MQnzers tragen mit Angabe des
Orts der Prftgung.
^) Das scheint bei jenen merowingischen Goldmünzen der Fall so
sein, welche den allgemein üblichen Kopf auf der Aversseite mit den
langen Haarschmuck der fränkischen Könige darstellen. Soetbeer I, 601.
*) Die thats&chlichen Anhaltspunkte für diesen Wechsel des Munt-
ihsses sind:
1. die Gewichtsdifferenzen der ältesten und der späteren Merowinger-
Bolidi: während die ersteren im Mittel ungefähr 4.55 Gr. schwer sind, be-
trägt das Durchschnittsgewicht der letzteren (etwa seit 584) nur d.S8 Gr.
2. Die späteren Solidi und Trientes haben häufig die Zahlen XU
und Vn, womit, wie angenommen wird, ausgedrückt sein soll, dass die
neuen Solidi nur mehr den Werth von 21, die neuen Trientes tos 7
siliquae enthalten, anstatt der nach dem Constantinischen Fusse bis dahin
festgehaltnen 24 und 8 Siliquen. 8. die ausführliche Darlegung bä Soet-
beer I, 617 ff.
*) Dass diese Rechnung bis auf Pipin fortdauerte, ersehen wir noch
ans dem Beschlüsse des Condls zu Rheims v. 813, womach der EiiBsr
ersucht wurde: ut secundnm statutum b. m. d. Pipini misericordiam boMt,
ne solidi qui in lege habentur, per 40 denarios discurrant
— 189 —
tiren, wie er zwischen den Goldsolidi und Trientes älteren
und jüngeren Gepräges hervortritt *).
Diese Erleichterung des Münzfiisses gehört jeden&lls der
zweiten Hälfte des 6. Jahrhundert^s (vor 585) an *), und es ist
nicht unwahrscheinlich, dass sie bald nach Erlangung voller
Selbständigkeit der fränkischen Könige von oströmischem Ein-
flüsse angeordnet oder durch die Münzpraxis autonom ein-
gef&hrt wurde. Die begleitenden Umstände sind aber, ebenso
wie die leitenden Giünde dieser Veränderung unbekannt;
mehr als durch politische Vorgänge') scheint sie durch die
Verschiebung veranlasst worden zu sein, welche im Werth-
verhältnisse von Gold und Silber eintrat; möglich, dass auch
das Angeld , welches für die gallischen Solidi gegenüber den
gleichzeitigen Kaisermänzen , trotz gleichen Münzfusses sich
erhielt, die fi-änkischen Könige veranlasste, die Ausmünzung
mit der usancemässigen Geltung in Einklang zu bringen^).
Zur Zeit des Kaisers Augustus, also auf dem Höhepunkte
römischer Weltherrschaft, als alles Geld der Erde in Rom
seinen Sammelplatz und Mittelpunkt hatte, war dieses Ver-
hältniss wie 1:11%^) ^"id scheint sich auch darnach noch ge-
raume Zeit auf diesem Stande erhalten zu haben. Ja es ergibt
sich aus dem Metallgehalte der ältesten fi-änkischen Goldsolidi
und deren constanter Repräsentanz durch 40 Silberdenare sogar
eine Ermässigung dieses Verhältnisses auf 1:10; und dieses
findet allerdings auch in der allgemeinen Weltlage wie in
dem überwiegenden Geldgebrauche jener Zeit, der sich im
^> Ja es findet sich hier sogar eine Gewichtssteigerang, indem die
ältesten Merowingerdenare im Mittel nur 1.16, die späteren dagegen 1.37 Gr.
schwer sind. Aber freilich ist onsere Eenntniss der Merowinger Denare
überhaupt noch mindestens ebenso ungenügend, wie die Prägung derselben
schwankend und ungenau war. S Soetbeer I, 626 £
^ Soetbeer 1, 624 nimmt die Regierung Justin II (565—578) an.
') Die ältere Annahme (Gu^rard, Müller u. a.), als hänge diese Yer-
ändemng des Münzfusses mit der Erhebung des burgundischen Präten-
denten Gundobad zusammen, ist schon von Soetbeer I, 621 fil widerlegt
*) Das ist Soetbeer's Erklärung dieser Thatsache I, 625.
'^ Mommsen, Geschichte des römischen Münzwesens S. 766.
— 190 —
5. und 6. Jahrhundert ganz yomehmlich auf Gold einrichtete,
einige innere Wahrscheinlichkeit^).
Aber schon nach einiger Zeit mussten sich die Verhält-
nisse in ihr Gegentheil verkehren. Nachdem das Bomerreieb
im Westen vernichtet und die Schätze der alten Weltherrschaft
theils ihren Weg nach dem Orient gefunden ^), theils von den
Barbaren verschleppt waren, hörte auch der beständige Gold-
abfiuss auf, an dem sich die Provinzen gross und reich ge-
sogen hatten ^) ; überhaupt beginnt durch die Völkerwanderung
ein unverkennbarer Rückgang der Volks wirthschaft in ganz
Europa; und damit war auch ein vermindertes Geldbedflrfniss
gegeben, das sich zunächst allerdings in relativem Ueberfluss
des vorhandenen Goldes, alsbald aber, theils als Folge unter-
lassener Neuprägung^), theils durch die positiven Verluste
während so unsichrer Zeit und durch Abfiuss nach Italien, dem
Orient und nach England, endlich wohl auch durch die Ab-
nutzung im zweihundertjährigen Umlauf, in Minderung des
werthvollsten Edelmetalls äusserte ^). Von einheimischer Gold-
production dieser Zeit haben wir keine Kunde ^; jedenfalls
*) Besonders wird hier die ungebeure Goldmenge in's Gewicht Men,
welche König Theodebert I. theils von den Ostgothen (20 Centner Gold —
das Material zu 144,000 Solidi), theils sonst aus Italien anf seinen Kriegs*
Zügen gewann; Procop. de hello Goth. I, c. 13. Gregor. Tor m, S2. S.
Soetheer I, 615.
*) Nach den bekannten Berechnongen von Jacobs soU der Umlauf des
Goldes innerhalb der Grenzen des römischen Reiches in der Zeit tob
Augiistus bis zu den mohammedanischen Eroberungen in Syrien und
Egypten von 9 auf 2 Milliarden Francs sich verringert und beim Auftreten
der Araber nur mehr 825 Mill. betragen haben.
') Die Westgothen unter Alarich hatten im J. 410 3000 iL Gold and
80.000 i6, Silber von Rom nach Südgallien und Spanien weggescUqrpt
Zosimus bist. V, 41.
*) Zwar wurden Goldsolidi unter allen Merowingerkönigen geprägt:
aber doch scheint keiner der spätem mehr die reiche Münzthätigkeit Theo-
deberts L erreicht zu haben.
«) S. a. Soetheer IV, 254.
•) Die Nachricht des Procop: Kai vvv iv ry Idgilartp rw tnnuio*
dydUva ^t<6fA€voit vofiigfia xo /Qvaovv ix rtiv iv rdXXot'g uitdll^f^ ^^'
nolfivTM ist eine durch keine positiven Anhaltspunkte gestützte Annahme-
— 191 -
war sie unbedeutend und ging immer mehr zurQck , je mehr
die Wirthschaft des Volkes verfiel.
Auch das thatsächlich vorgefundene Gewicht der Gold-
und Silbermttnzen späterer Zeit bietet für diese Annahme
einen Anhaltspunkt Denn das mittlere Gewicht des Gold-
solidus leichterer Prägung ist ca. 3.88 Gramm, das des mero-
wingischen Denai-s aus dieser Zeit ca. 1.87 Gramm, so dass
sich das Verhältniss von Gold und Silber darnach wie 1 : 142
berechnet ^). Jedenfalls wäre eine derartige Verschiebung des
Werthverhältnisses hinlänglicher Grund zu einer solchen Aen-
dening des Münzfusses gewesen; die Verändei-ungen , welche
eich auf diesem Punkte ergaben, mussten sich bei dem Ankauf
der MUnzmetalle rasch und entscheidend fühlbar machen;
denn eine Differenz von auch nur 11.7%, ^o si® der Er-
leichterung des Münzfusses von 72 auf 84 Solidi entspricht,
konnte auch bei wenig ausgebildetem kaufinännischen Geiste
Ton den Münzern und der Gesetzgebung nicht unbemerkt
bleiben; auch lag es nahe, die nothwendige Veränderung des
Münzfusses am Solidus und nicht am Denar vorzunehmen;
denn die Hauptmünzsorte muss zunächst immer den wahren
Werthverhältnissen der Edelmetalle entsprechen, um ihren
Werth und Curs zu behaupten, während die voUe Ueber-
einstimmung der Scheidemünze — und das war in der Zeit
der herrschenden Goldwährung der Silberdenar — viel weniger
von Wichtigkeit ist
Aber auch bei den übrigen deutschen Stämmen ist Gold
die Grandlage der Metallgeldrechnung geworden; und zwar
diente derselbe Goldsolidus, wie ihn die Franken hatten, als
Hauptmünzwerth ^) ; es ist sehr wahrscheinlich, dass er gerade
durch das Uebergewicht , welches sich die Franken bald er-
warben, allgemeine Verbreitung wenigstens zur Rechnung
Nach Schöpflin Als. ill. I, 29 soll seit dem 5. Jahrh. das Waschgold des
Bhems yorkommen.
^) Auch Müller, MOnzgeschichte p. 324 nimmt ftir die zweite Periode
des merowingischen M&nzwesens das Verhältniss zu 1:14.44 &Q*
*) Soetbeer n, 813 ff.
- 192 —
fand^). Jedenfalls sind die Busssätze und Werthbestimnnin-
gen der verschiedenen Yolksrechte in solch innerer lieber-
einstimmung, dass die Annahme einer verschiedenartigen Geld-
rechnung ganz ausgeschlossen ist. (S.u. S. 196). Thatsächlichen
Gebrauch von dieser Goldmünze scheinen die rechtsrheinischen
Deutschen allerdings fast gar nicht gemacht zu habend, wie
sie ja auch nicht eine einzige Münzstätte besassen; zu den
wenigen Zahlungen, welche im täglichen Leben vorkamen,
verwendeten sie nach wie vor die alten vollwichtigen römischen
Silberdenare (serrati, saigae), von denen sie 12 auf den Gold-
solidus rechneten^). Hätten dieselben in ihi-em effectiven
Silbergehalte wirklich einem Goldsolidus entspi'echen sollen,
so musste ein solcher Denar nach dem älteren schwereren
.Solidus bei einer Relation von 1:10 einen effectiven Gehalt
von 3.77 Gramm Silber, nach den neueren leichteren Solidi
aber bei einer Relation von 1:11. 7 den gleichen, bei einer
Relation von 1:14.2 aber einen Feingehalt von 4.59 Gramm
haben. Solch genaue Congruenz des Silbergehalts von 12 De-
naren mit dem effectiven Werth eines Goldsolidus ist aber in
keiner Weise anzunehmen. Denn für die rechtsrheinischen
Deutschen war ja der Goldsolidus nur Rechnungsgeld; ihre
M Die älteren Meinungen von einem SilbersoUdus der rechtsriieiiii*
sehen Deutschen und von der Einheit des Denars (Gudrard, M&ller o. i^)
sind jetzt wohl yoUstftndig überwunden.
*\ W^enigstens sind keine entsprechenden MOnzfunde gemacht worden.
Soetbeer II, 820. Auch die Yolksrechte lassen deutlich erkennen, dass
die Beschaffung von Edelmetallgeld nicht leicht möglich war: L Alant
55, 8: Dotis enim legitima 40 solidis constat aut in auro aat in mancqiiia
aut quäle habet ad dandum. L. Bai, I| 9: Si aurum non habet» donet iha
pecunia, mandpia» terra vel quicquid habet, usque dum impleat Ebenso
ist Uk zahlreichen Urkunden die Ersetzung des Metallgelds durch andere
Gebrauchsgegenstftnde zugelassen und damit der vorherrschende Natural-
verkehr bestätigt S. a. S. 162, 194.
^) Diese Rechnungsweise wird in der 1. Ripuar. 86 (allerdings ein
späterer Zusatz) als antiquitus constitutum bezeichnet Auch schon der
Pact Alam. III, 8 hat saiga, ebenso Add. ad leg. Hloth. 102, 5. L. AL
Karol. VI, 2: Saiga autem est quarta pars tremissi, hoc est denarias mms.
L. B%j. y, 1 ; Xin, 4; XIV, 9, 10; IX, 2 una saica, id est 8 densrios
(siehe darüber unten); I, 8.
- 193 -
Silberdenare durch langen Umlauf sehr stark abgenutzt; und
bei dem Mangel eigner Ausmünzung kein Mittel vorhanden,
um diese Congruenz der Silber- und Goldmünzen beständig zu
erhalten; auch war wohl hie Genauigkeit, welche die Deutschen
jener Zeit in ihrer allgemeinen Güterbewerthung anwendeten,
viel zu gering, als dass sie sich hiezu besonders angetrieben
gefbhlt hätten.
Vielmehr wurden die Silberdenare, welche ja von diesen
deutschen Stämmen ebensowenig wie die Goldsolidi geprägt
wm*den, der Hauptsache nach in späterer Zeit selbst nur
Rechnungsgeld; und so musste ihnen bald ein conventioneller
Werth beigelegt werden, der auf die Veränderungen der Re-
lation zwischen Gold und Silber um so weniger Bücksicht
nahm, je weniger das Wii-thschaftsleben dieser deutschen
Stämme Berührung mit dem grossen Handelsverkehre der
übrigen Welt hatte. Die vorgefundenen Kaiserdenare, welche
wahrscheinlich in dieser Zeit die spärlichen Umlaufsdienste
bei den innerdeutschen Stämmen versahen, haben aber ein
mittleres Gewicht von S.gs Gramm, so dass sie, wenn wir
^8 Gramm als durchschnittliche Quote der Abnutzung und
Gewichtserleichterung durch Oxydation annehmen, immerhin
angefähr jener Relation von 1:11.7 entsprechen und wohl auch
bei einer fbr Silber noch ungünstigeren als brauchbares Geld
im Eleinverkehre erscheinen konnten.
Schon aus diesem beträchtlichen Metallgehalte der kleinsten
Münzen ergibt sich, dass dieses Münzwesen dem täglichen
Bedarfe wenig zu entsprechen geeignet war. Aber auch das
Münzsystem der fränkischen Könige erwies sich immer weniger
brauchbar, je mehr seine Münzen in ihren Gewichten vom
gssetzlichen Fusse abwichen') und je mehr Silber ein that-
*) Die merowingischen Goldtrientes der zweiten Epoche, welche einen
Gehalt von 1.29 Gramm haben sollten, schwanken thats&chlich zwischen
0.90 (Chlotar n.) and 1.38 Gramm (Dagobert I), und nehmen im Ganzen
bedeutend im Gehalte ab. Die Merowinger Denare, deren legaler Gehalt
1.16 — 1.38 Gramm, je nach dem Werthverhältniss zwischen Gold und
Silber, sein sollte, gehen bis 0.80 Gramm herab und erreichen in einzelnen
Stücken die Schwere von 1. 54 Gr. S. Soetbeers Tabellen I, 607 u. 629.
TOB Inama-Sternegg, Wirthachnfbigeacliiclit«. T. 18
— 194 —
sächliches Uebergewicht über das Gold erlangte^). Es ist
bekannt, dass die Münzverwiirung im Frankenreiche besondeis
seit der 2. Hälfte des 7. Jahrhunderts immer mehr dazu führte,
dass die Beschaffenheit der stipulirten Münze besondei's henor-
gehoben^) und allmälig sogar an ihrer Stelle die Festsetzung der
Wei-thsumme in Gewichtstheilen (Pfund, Unze) des Goldes und
Silbers üblich wurde^), während gleichzeitig ein unverkennbarer
Rückgang zum Naturaltausche sich einstellte ^). Es liegt die
Bedeutung des ganzen Münzwesens jener Zeit aber auch nicht
in der Verwendung zu Tausch und Zahlungsverkehr, sondern
in seiner Anwendung zur Berechnung der Werthe gangbarer
Gebrauchsgegenstände^). Wenigstens bei den innerdeutschen
^) Das tritt besonders seit Ende des 7. Jahrhunderts deutlich aus den
Werthangaben, Kaufpreisen und Busssätzen der Urkunden herror. Soetr
beer IV, 245 £F.
^) In den Kaufcontracten des Klosters Weissenburg ist vom J. 712
an eine ausdrückliche Angabe der Beschaffenheit der gezahlten und za
zahlenden Solidi die Regel; 712, No. 225: unde accepimus solus probamo«
(solides probates) atque pensanes numero 20; ib. probus adque pensanes
numero 12 solidi; 715, No. 218 unde accepi a te dere sanctiPetri solidos
probatos atque pensatos numero 500.
Auch schon in den Formeln Markulf 's (^ca. 63d-'<'»56) heist es No. 22
dori solidos probos atque praesentes (pensantes) numero tantos.
^) Schon bei Markulf 23, 24: auri libras tantas, argenti pondo Umtt.
Tr. Wizz. 693, No. 38: fisco auri libram 1, argenti pondera 2. Ib. 699,
No. 205: auri libr. 5, argenti pondus 12, coactus exsolvat Ib. 707, No.
229: auri libr. 1, argenti pondus 15. Ib. 713, No. 6: unciis 5, argenti
pondera 6. Tr. Sang. 678, No. 1: auri libram 1, argenti pondus 2. Aach
Hedeni ducis dipl. 704 (Thüringen) : auri libr. 5, argenti pondera 15. Ptf-
dessus II, No. 463.
*) Bemerkenswerth ist in dieser Hinsicht das Marktprinlegiom iur
Gorbie 716, in welchem die Zollabgaben wieder in natura festgesetzt sind.
Pardessus II, 501. Kaufurkunde des Klosters Murbach 730: accepi a
vobis ... in annona vel alio precio valente solides 30. ib. 11, 546. Tr.
Wizz. 739, No. 1 1 : precium adpreciatum in auro et argento et cabiUis
libr. 54. Soetbeer II, 305. IV, 261 ff.
^) Doch dürfen wir desshalb die in den Volksrechten yorkommeoden
Geldbestimmungen nicht bloss als ideale Werihbegriffe denken. Bei den
Alamannen ist schon im ältesten Pactum unter dem Solidus effectives
Metallgeld verstanden ; der Vs solidus (Tremissis) ist daselbst gewiss nur
— 195 —
Stämmen ist das Geld sicherlich lange Zeit ttbei*wiegend bloss
Rechnungsgeld, was sich ja auch daraus erklärt, dass die
Verkehrsvorgänge, zu deren Vermittlung Metallgeld noth-
wendig gewesen wäre, viel zu selten waren, um einen regen
Begehr nach Münzen zu erwecken, und dass sie auch selbst
keinen regelmässigen Zufluss von Geldmetall hatten; denn
Bei*gwerke auf Edelmetall dürfen für diese älteste Periode in
Deutschland nahezu als ausgeschlossen betrachtet werden.
Durch diese fast ausschliessliche Vei*wendung des Geldes
zur Werthberechnung wird nun auch jenes eigenthümliche
System der Wei-thbildung ei-st recht vei-ständlich, welches wir
bei den Deutschen finden^).
Die Volksrechte enthalten eine Beihe von Werthangaben
in den oben beschriebenen Münzsystemen, die man immer
schlechthin als Preise annimmt ohne genauer die Art und
Weise ihrer Bildung und Berechnung in's Auge zu fassen.
Der gewöhnliche Leibeigne ist in dem salischen, ripuarischen,
alamannischen und baiuwarischen Volksrechte 12 Solidi werth*);
desshalb vornehmlich zur Werthbezeichnung verwendet, weü er auch die
in der Merowingerzeit wirklich umlaufende Hauptmünzsorte war. S. Soet-
beer II. 327.
^) S. i. A. meine Abhandlang: Werth und Preis in der ältesten Pe-
riode deutscher Yolkswirthschaft. Jahrbücher für Nationalökonomie und
Statistik, 30. Bd., S. 197—284.
^) Die eigentlichen Werthansätze der 1. Salica tit 10 sind allerdings
in den verschiednen Texten sehr abweichend von 15—35 sol. für die ver-
schiednen Kategorien von Leibeignen; aber bei dem festen Yerhältniss
der Werthe zu den Bussen, welches für qnalificirte Leibeigne (vinitor,
&ber, carpentarius, stratarius, porcarius, venator, molinarius, ancilla mi-
iiisterialis etc.) im Durchschnitte 25:70 beträgt, lässt sich aus der Busse
▼on 35 sol. für den einfachen servus ein correspondirender Werth dessel-
ben mit 12 sol. ableiten. S. a. ed. Ghilperici c. 7 (LL. II, 11): causa
super domino magis non ascendat nisi quantum de servp lex est, aut ipse
serrus decidat aut dominus pro servo componat, hoc est 12 solidos. Auch
I. Ripuar. 8, 28, 62 wird der erschlagene servus mit 36 solid, gebüsst, ist
also, bei ähnlichem Verhältnisse von Werth und Busse, 12 sol. werth.
Pact. Alam. II, 4d: si servo fiierit facto (Tödtung) 12 sol. componat. ib
II, 52: si ancilla fuerit 12 sol. componat. L. AI. Lantfirid. 82: Si quis
servnm alterius susceperlt . . cum 12 sol. solvat eum. L. Alam. Karol. 8:
Si quis servum alienum occiderit, 12 sol. in capitale restituat Aus 1. AI.
13*
\
— 196 —
Ministerialen werden doppelt und dreifach so hoch geschätzt.
Auch die Viehwerthe zeigen eine ähnliche Uebereinstiinmang ;
ein edles Pferd ist gleich einem Leibeignen, ein gewöhnliches
die Hälfte; 3 Rinder gleich einem Pferde, 6 Schweine einem
Rinde gleichgestellt u. s. w.^)
Es hen'scht dabei eine merkwürdige Uebereinstimmung
der Werthangaben in allen Volksrechten und wir können
dieselbe nicht anders erklären, als dass diese Sätze fbr jedes
Volk eine legale Werthconstanz schaffen sollten und auch that-
sächlich mit der objectiven Gebrauchsbewerthung bei allen
deutschen Stämmen sich in ziemlichem Einklang befanden.
Die Nothwendigkeit solcher legaler Werthconstanz war
nun jedenfalls schon mit der ersten Ausbildung der Volksrechte
gegeben. Das System der Bussen, Compositionen und Wer-
gelder bedurfte ebensosehr einer festen unvenUckbaren Grund-
Hloth. Yin, A: Si quis servuin ecclesiae ocdderit, in triplam componat
Si quis Bolvat servuin regis, ita solvator, id est 45 solidis scheint sich ftr
den einfachen servus ein Werth von 15 solidis zu ergeben; aber 3 soI.
sind hier pro molcta delicti in faidnm in Abrechnung zu bringen: s. 1. AI.
Karol. $: Si quis senrum alienum ocdderit, 12 sei. in capitale restitnat,
aut com alio senro ... et 8 sol. in alieno pretio superponat, quod fimt
simul 15 sol. Si quis ecclesiasticum serrum vel regium ocdderit, tripli*
citer componatur, hoc est 45 sol. und Merkel zu 1. AI. VIII. A, dem
auch Soetbeer, Forschungen II, 836 beistimmt — L. Baj. XIII, 9 : Si qnis
servum alienum foras terminum duxerit, cum 12 sol. componat et ipsnm
reducat Die ancilla (ministerialis ?) wird hier mit 24 sol. gebOsat Aadi
1. Bij. I, 4 hat 12 sol. (nach andern Handschriften 15 sol.); nur in tit
VI, § 12 wird die Tödtung eines servus mit 20 sol. gebüsst — Noch in
der 1. Sax. II, 4 wird die Busse für den servus mit 36 sol. bestimmt, was
bei dreifacher Composition der Vermogensbeschädigung wieder 12 soL
Werth ergibt. Nach der 1. Angl. et Werin. 1, 4 dagegen ist die Busse dc9
getödteten servus 80 sol.
Auch dass L Sal. X, 1 der Diebstahl eines servus, cabaUns und
jumentum gleichmässig mit 85 sol. gebüsst wird, dient zum Beweise dieser
Werthsch&tzung des servus. Denn auch sonst in den Volksrechten ist der
servus wie das beste Pferd bewerthet. Pactus AI. II, 49 servus — 12 sol.
III, 31—84 equa meliorissima 12 s. L. AI. Hloth. 70: amissarins, oarb
12 sol. L. Bsij. IX, 3 equus und mancipium gleichmässig auf 12 soL be-
werthet
^) S. die Tabelle No. IV im Anhang.
— 197 —
läge der Berechnung, wie auch heutzutage durch alle Gesetze
mit Bestimmungen über feste Geldbeträge eine legale Werth-
coDstanz des Geldes, ohne Rücksicht auf die thatsächlichen
Veränderungen seiner jeweiligen Kaufkraft, geschaffen und fest-
gehalten wird. Diese feste unverrückbai'e Ginindlage der
Buss- und Gompositionsbestimmungen konnte aber keine andere
sein, als der Werth der Gegenstände, deren Vernichtung;
Diebstahl etc. eben gebüsst werden sollte. Denn Busse und
Composition gehörte wenigstens zum Theil dem ^Beschädigten,
der darin Genugthuung für das erlittne Unrecht erhalten
sollte und diese musste offenbar in einem gewissen Verhält-
nisse zu dem Vermögensschaden stehen, welchen derselbe
darch das Unrecht erlitt.
Nun ist allerdings nicht jeder Bussansatz der Volksrechte
ein bestimmtes Vielfaches einer Weithseinheit , die gebüsst
werden soll; es sind Rücksichten der öffentlichen Sicherheit,
welche neben der Berücksichtigung des Werthes massgebend
waren, wie diess theils aus dem gleichen Busssatze für Dieb-
stahl von 1 — ^3, von 3—15 Stück Vieh, aber auch aus den
Bestimmungen ersichtlich ist, welche in WeiiJiscalen beim
gewaltsamen Diebstahl die Bussen steigern ^). Auch zeigt der
häufige Beisatz excepto capitale der 1. Salica und 1. Thurin-
gorum, dass der blosse Vermögensersatz unabhängig von der
Busse bestehen konnte. Dass aber dennoch der Werth der
beschädigten oder vernichteten Sache die rechnerische Gmnd-
läge der Bussen und Compositionen bildete, ist nicht bloss
aus dem Gesammtcharakter derselben, Genugthuung für das
erlittene Um'echt zu sein, und aus den vielfachen ausdrück-
lichen Relationen der Volksrechte zwischen Werth und Busse
zu erweisen, sondern erhellt auch aus dem im Anhange ') an-
gestellten Versuche eines allgemeinen Werthtarifs, der die
vollste Uebereinstimmung der aus Compositionen berechneten
Weilhe mit den eigentlichen und ausdrücklichen Werthangaben
der Volksrechte darauthun geeignet ist. Diese Werthangaben
') Z. B. 1. Sal. XI nnd XII.
') S. Beilage IV.
— 198 —
bieten uns nun zugleich einen werthvollen Anhaltspunkt zur
Beurtheilung des national- ökonomischen Chai*aktei*s der in den
Volksrechten überhaupt in's Auge gefassten Werthe. Es
werden in ihnen gewisse Gegenstände allgemeinen Gebrauchs
bestimmten Geldsummen gleichgestellt in ihrer Fähigkeit zur
Zahlung von Wergeid verwendet zu werden. Sie beanspinichen
aber in keiner Weise als allgemeine Werth- oder gar als
Preissatzungen zu gelten. Vielmehr erheUt es aus mehren
Stellen der Vplksrechte, dass durch sie der freien Preisbildung
keine Schranke gezogen werden soll. So verfällt nach dem
alamannischen Volksrechte der durch verbotnen Verkauf eines
Leibeignen erzielte Kaufpreis, für welchen also keine Bestim-
mung im Voraus gegeben ist 0. Freilich handelt es sich hier
um einen Verkauf ausserhalb der Provinz, wo auch ein etwa
aufgestellter Legalwerth keine Anerkennung mehr beanspiiichen
konnte. Aber das bairische Volksrecht bestimmt doch ganz
ausdrücklich, dass mit der Einrede eines zu niedrigen Preises
kein Verkauf hinterher angefochten werden könne*). Es ist
also jede Wirksamkeit einer legalen Bewerthung ausgeschlossen.
Die in den Volksrechten für Wergeid- und Bussenzahlung
aufgestellten Werthtarife und Legalwerthe sind nur speciell
für diesen Zweck gültig anzusehen; und sie weisen demnach,
abgesehen von der oben gezeigten Uebereinstimmung auf einen
gleichen Werthbegrifif hin, wie er als Grundlage für die Buss-
ausätze selbst gedient hat.
Der Ausgangspunkt aber, von welchem die Werthschätzung
der Güter in den Volksrechten vorgenommen wurde, die dann
als Grundlage für die Feststellung der Bussen -und Ck)mpo-
sitionen dienten, ist weder die subjective Werthschätzung durch
den Beschädigten noch eine objective Bewerthung nach den
Verkehrs- und Marktverhältnissen der Güter. Die allgemeine
^) L. AI. 87, § 3: Si autem fecerit (mancipiam foris proTinciam venon-
dare) . . . illud pretium quod tulit de proprio suo mancipio perdat et in*
super fredum, quem lex habet, componat
*) L. Bjg. XVI, 9: Venditionis haec forma servetur, ut seu res 8«i
mancipium vel qaodlibet genus animalium venditur, nemo propterea finni-
tatem venditionis inrumpit, quod dicat, se vili pretio vendidisBet.
— 199 —
Beziehung derselben auf den Interessenkreis des Beschädigten
(Vermögensverlust und erlittenes Unrecht) legen zwar den
Gedanken an einen subjectiven Gebrauchswerth der beschä-
digten, gestohlnen oder veiiiichteten Güter nahe; und auch
der Umstand , dass in manchen Volksrechten die Busse ein-
fiach in dem Vielfachen des vom Beschädigten geschätzten
Werthes besteht, scheint f(lr diese Auffassung zu sprechen ^) ;
ebenso könnte der freie Spielraum der Schätzung, welcher
nach der lex Alamannorum dem Beschädigten eingeräiunt ist,
hieher bezogen werden^). Es ist aber doch diese freie
Schätzung schon im Gesetz an bestimmte Grenzen gebunden;
ja es heisst sogar bei der Schätzung des caballus sehr be-
stimmt, wie hoch dieselbe gehen dürfe ^). Und zur weiteren
Deutlichkeit über die Bedeutung dieser Schätzung durch den
Beschädigten dient die Voi'schrift, dass das gestohlne Vieh nach
dem Qualitätswerthe zu ersetzen sei^). Wir werden darnach
wohl annehmen dürfen, dass die fi*eie Schätzung bis zu der
legalen Maximalgrenze des Werthes auf objectiven Momenten
beruhen musste, wie sie in den Qualitätsuntei*schieden der
einzelnen Thiere begründet waren, nicht aber der subjectiven
Werthschätzung des Beschädigten anheim gegeben war. Ja
') So bestimmt die 1. Fris. lY, 1: Si quis servum alterius ocdderit,
componat cum iuxta qaod a domino eius Aierit aestimatus. lY, 2 Simi-
titer equi et boves, oves, caprae, porci et quicquid mobile in animantibuB
ad usnrn hominum pertinet, usque ad canem (für welche in § 4—8 feste
Werthe bestimmt sind) ita solvatur, prout fuerint a possessore earum ad-
predata.
*) Tit 70, 1: Si qois alterius amissariom inYolaverit, ille caias est,
debet probare quod valet § 2. Si enim dicit qaod 12 sol. valuit, cum
dnoB inret quod sie valoisset; postea solvat illijfiir tale quäle ille iura-
verit in caput. tit 71, § 1 : Si quis alterius caballum involaverit, adpreciit
eom dominus eius cum sacramentum usque ad 6 sol. si tantum valet. tit.
U, § 1: Si enim in troppo de iumenta illa doctricem aliquis involaverit,
licet enm dominus eius adpredare 12 sol. Et quicquid ille adpreciaverit,
ille für reddat novigildos.
^ Tit. 71, 1: adpreciit eum dominus usque ad 6 sol. si tantum valet:
ampliüs non quaerat, non valet plus.
*) Tit 77, § 1 : qualemcunque armentum de ipsa vaccaritia involatus
fuerit) secundum qualitatem eam restituat.
— 200 -
um jedes subjective Moment aus dieser Werthschätzung zu
entfeiiien, ist an einer andern Stelle ausdiUcklich gesagt, dass
Schiedsrichter die Bewerthung vomehmen sollen ^). Mag nan
auch diese Bestimmung erst in späterer Zeit^) dem alaman-
nischen Volksrecht hinzugefügt worden sein, so ist doch klar,
dass damit das auch im älteren Rechte hen*schende System
der Legalwerthe nur bestimmter im Ausdrucke und sicherer
für die Durchführung gemacht werden sollte*). Stellen wir
nun damit auch noch die Bestimmungen anderer Volksrechte *)
zusammen, in welchen der Dieb und Hehler die gestohlenen
Güter nach ihrem Nutzen oder Ertrag zu ersetzen verpflichtet
ist, so wird es wohl vollkommen deutlich, dass nur objective
Momente der Güter, nicht irgend welche subjective Beziehung
dei*selben zu dem Beschädigten die Ginindlage der Bewerthung
bildeten. Die Qualität des Gutes, besonders sein allgemeiner
NutzeflFect, den dasselbe in jeder wirthschaftlichen Verwendung
ergeben konnte, sind für die Werthbestimmung entscheidend.
Aber in keiner Weise kommen der Verkehr, der Markt,
kommen Angebot und Nachfrage oder anderweitige An-
schaffungskosten in Betracht; nie wird in Rücksicht gezogen,
um wie viel man das Gut etwa kaufen oder verkaufen konnte,
nie wie hoch man es etwa an Zahlungsstatt (ausser für Wer-
geid) angenommen hätte. Ebensowenig als wir in den Legal-
werthen der Volksrechte den Ausdnick eines subjectiven Ge-
brauchswerthes erblicken können, ist es zulässig, in ihnen
einen Tauschwerth der geschätzten Güter oder gar einen
Preis anzunehmen.
In dieser eigen thümlichen Werthbildung spiegelt sich
der ganze volkswirthschaftliche Zustand der Deutschen jener
^) Tit. 77, § 4: lila alia minuta animalia secundum quod arbitrii ad*
preciaverunt, ita solvantur secundum quod lex habet.
*) Nach Merkel unter der Regierung Dagoberts.
') Aehnlich verfügt überdiess aber auch das Ed. Rothar. 187 : Si qois
infantem parvulum de servo massario casu faciente ocdderit, arbitretor a
iudice secundum qualem habuerit aetatem, aut quäle lucmm facere poterat,
ita componat.
*) Z. B. 1. Wisigoth. VIII, 4, 1. IX. 1, 1, 5 u. a. aUum cabaUum
aequalis meriti, alium serrum paris meriti.
— 201 —
Zeit. Kauf und Verkauf mit individueller Festsetzung
des Werthverhältnisses der Waaren ist offenbar noch eine
seltene Erscheinung; nicht die planmässige Vertheilung
einer Ueberschussproduction auf die verschiedenen wirth-
schaftlichen Gebiete und die geregelte Versorgung jeden Be-
darfs mit diesen Ueberschüssen einzelner Productionsgebiete,
sondern individuelle Nöthigung zum Umtausch der Werth-
formen, zufällige Gelegenheit des Ankaufs oder Absatzes sind
hiefai' massgebend gewesen. Es fehlen daher wesentliche Be-
dingungen einer regelmässigen Preisbildung: der Markt als
eine regehnässige Concurrenz der Käufer und Verkäufer, also
auch die Eenntniss anderweitiger Anschaffungskosten; denn
alle Käufe waren isolirte Vorgänge von keineswegs regel-
mässiger Wiederkehr. Auch die Productionskosten konnten bei
dem gänzlichen Mangel einer detailliiien Werthberechnung in
den isolirten Wirthschaften und bei der grossen Gleichförmig-
keit derselben, sowie dem starken Vorherrschen des Natural-
factors nicht massgebend in Rechnung gestellt werden.
Dagegen hen*schte eine ebenso einfache wie regelmässige
und gleichföi-mige Wirthschafts- und Lebensweise, wodurch
Gegenstände von so allgemeiner Brauchbarkeit, wie Leibeigne,
Arbeits- und Jagdvieh, aber auch Waffen auch fttr alle im
Ganzen den gleichen Wei*th erhielten und denselben Werth
in verschiednen Gegenden und f&r lange Zeiträume haben
konnten
Aus solcher Gleichartigkeit und Gonstanz der subjectiven
Werthschätzung allgemein gebrauchter Güter entwickelte sich
dann im Laufe der Zeit eine objective Bewerthung nach den
inneren Eigenschaften und dem wirthschaftlichen Nutzeffect
dieser Güter, welche zur öffentlichen Meinung über den Werth
der Dinge fühlte und damit die erste Voraussetzung für eine
eifolgreiche Aufstellung eines legalen Werthtariüs geworden ist.
Eine zweite Voraussetzung hiefür war nun aber die Aus-
bildung einer Werthscala der Güter und zwar in der Weise,
dass irgend ein bestimmtes Gut, das einer solchen volksthüm-
lichen Gebrauchswerthschätzung unterlag, als Einheit des
ganzen Systems gewählt, und alle übrigen Güter von gleich
— 202 —
allgemeiner Brauchbarkelt demselben als Theilwerthe und
Vielfache des Einheitswerthes angegliedert wurden. Dieses
System objectiver Gebrauchswerthe konnte sich aber in seiner
Beinheit doch nur so lange erhalten, als die Naturalwirthschaft
rein und ausschliesslich ihre Herrschaft behauptete; wir lernen
es so auch aus den scandinavischen, zum Theil noch aus den
angelsächsischen Rechten kennen, welche die Kuh- und Ochsen-
werthe als Grundlage ihres ganzen nationalen Werthsystems
hatten 0 ; und es ist immerhin wahrscheinlich , dass auch die
verschiednen deutschen Völkerstämme nach einem auf solcher
Grundlage basirten Werthsysteme rechneten. Aber in dem
Augenblick, in welchem sie sich an den Geldgebrauch oder
wenigstens an die Geldrechnung gewöhnten — und es fällt
diess vor die Zeit der Abfassung der ältesten Volksrechte —
trat doch ein 'neues bisher gänzlich unberücksichtigtes Moment
in ihr Werthsystem ein ; denn das Geld, das ja zu allen Zeiten
immer nur das Medium des Güteraustausches war, mass die
Werthe auch immer nach ihrer Fähigkeit, gegen andere ein*
getauscht zu werden, die ihrerseits der Vermittelung des
Geldes bedurften.
Um einen Anschluss des volksthümlichen Werthsystems
an das ihnen von Aussen her, durch die BeiUhrung und theü-
weise gesellschaftliche Veimischung mit den Körnern, auf-
gedrungene Geldsystem zu finden, musste wenigstens für die
Weitheinheit, welche die Grundlage jenes Systems der objec-
tiven Gebrauchswerthe bildet, ein äquivalenter Weithausdruck
in Geld gesucht werden. Und dieser war nur zu finden durch
Beobachtung der Verkehrswirksamkeit — der Kaufkraft —
des Geldes. Je unbedeutender aber in dieser ganzen Periode
der Geld verkehr in deutschen Landen war, desto wahr-
scheinlicher ist es, dass diese Beobachtung eben nur dort zu
machen war, wo Geld schon regelmässige Verkehrs- und
Werthmessungsdienste versah. Und da überdiess der Geld-
gebrauch der rechtsrheinischen Völkerstämme fast nur in ihren
Beziehungen zu Neustrien einige Regelmässigkeit gewann, so
») S. 0. S. 181 f.
— 203 —
war die Werthgleichung zwischen Geld und andern Brauch-
barkeiten auch wohl nur auf Grund neustrischer Verhältnisse
zu finden^). Und so schlössen Ripuarier und Alamannen,
Baiei-n und Sachsen wohl ihr Werthsystem dem heiTSchenden
Preisstande ihrer westlichen Nachbarn an. Aber es blieb die
Uebertragung der Geldrechnung dennoch eine nur äusserliche
Annahme eines Geld werthsystems ; die Werth Verhältnisse der
wichtigsten Gebrauchsgegenstände unter einander blieben da-
durch unbeiUhrt und auch die nachfolgenden Preisverähde-
rungen der Geldländer brauchten auf das hen'schende System
der Legalwerthe keinen Einfluss auszuüben. Denn die Bussen
blieben, auch bei stark entwerthetem Gelde, für den, der sie zu
empfangen, wie für den der sie zu zahlen hatte, in ihrer
wirthschaftlichen Bedeutung ziemlich gleich, wenn der Schul-
dige nach wie vor die verwirkte Busse nicht in Geld, sondern
nur in den nach Geld geschätzten, d. h. nach ihrem innern
Werthverhältniss abgestuften Bussansätzen entrichtete *). Und
das war in der That der Fall. Der bis in die Karolingerzeit
ja sogar über dieselbe hinaus andauernde, durchgi-eifende
Mangel des Geldgebraucbs ist wie die weitgehende Isolii-ung
und Stabilität der wirthschaftlichen Zustände in Deutschland
eine auch sonst hinlänglich zu erweisende Thatsache. Nur so
ist die wiederholt betonte weitverbreitete Uebereinstimmung
in der Geldbewerthung der allgemeinen Brauchbarkeiten und
die jahrhundertlange unverrückte Geltung diei^er Werthansätze
hinlänglich zu erklären, an der alle Vei-schiedenheiten der
Preise und alle Veränderung im Werthe des Geldes spurlos
^) Es ist doch kaum anzunehmen, wie das nach Grote, Münzstudien 1, 148,
und Soetbeer, Forschungen J, 214 den Anschein gewinnt, als hätten die
Deutschen die Einheit ihres Werthsystems (die Kuh) einfach mit der Einheit
der übernommenen Geldrechnung (solidus) gleichgestellt ohne auf den Werth
dieser Münze Rücksicht genommen zu haben. Es würde das mindestens
eine wirthschaftUche Isolirung der deutschen Stämme voraussetzen, wie sie
zu keiner Zeit vorhanden war. Aus der Bedeutung des deutschen Wortes
Schilling (für solidus) als Strafsimplum ist diese Annahme keineswegs ab-
zuleiten.
*) Darauf hat schon Soetbeer, Forschungen II, 823 aufinerksam ge-
macht
- 204 — (
I
vorüberging. Es wäre diess geradezu undenkbar, wenn die i
Verhältnisse des Marktes , welche den Tauschwerth und den
Preis bestimmen, irgend einen anderen Einflüss auf die Werth-
bestimmungen der Volksrechte genommen hätten, als er für
die Gewinnung einer ersten Relation zwischen dem natoral-
wirthschaftlichen System der Gebrauchswerthe imd dem geld-
wirthschaftlichen System der Tauschwerthe unvermeidlich war.
Zweites Buch.
Die Entwickelnng der deutschen Yolks*
wirthschaft
während der Karolingerzeit.
Erster Abschnitt.
Die Fortsehritte der Besiedelung und Colonlsation
des Landes.
Die räumliche Ausdehnung des Volkes, wie sie seit er-
reichter definitiver Sesshaftigkeit in dritthalb Jahrhunderten
mühevoller Colonisationsarbeit langsam, aber stetig sich voll-
zog, setzt sich auch in der Karolingerperiode noch lange in
gleicher Weise fort. Sie ist ebenso sehr charakterisiit durch
fortgesetzte Waldrodung, wie durch Anlegung neuer Ortschaf-
ten auf dem Rodlande, und vollzieht sich anfangs im Wesent-
lichen noch in dem Rahmen, der die wenn auch lose Organi-
sation der Bevölkerung jener Zeit bedeutete, innerhalb der
Grenzen der Markgenossenschaft. Es sind die vielen Villen,
welche während dieser Zeit gegründet wurden, durchgehends
als kleine Wohnplätze von einer ^) oder von ein Paar Familien
^) Dafür sprechen insbesondere die nach den Gründern benannten
Villen; z. B. Trad. Fald. c. 38, n. 152: Eatanes et uxor eins Keginhilt
tradid. s. Bonif. yiUam sni nominis. Otilo clericas trad. s. Bon. villam
sni nominis ütilhusen. ib. n. 265: Widerolt trad. s. Bon. Yillam sui no-
minis Wlderoltesleba cum mancip. 20. Femer Cod. Fuld. 810, n. 249:
tradimus in elimosinam patris nostri Theotriches . . in loco qui suo no-
mine nuncapatnr Theotricheshus et in pago Grapfelde situs est super ripam
flnminis Hnna id est unam arialem et 8 hobas; und dazu ib. 812, n. 269:
Engilrih dono . . . quicquid proprietatis habeo in illa captora, quae est
ioxta fluvium qui vocatur Huna et iuxta Hlutra et ipsam capturam nomi-
namuB Theotricheshus et Engilriches. Auch die oftmalige Bezeichnung
solch kleiner Ansiedelungen als villulae z. B. Meichelb. Ib, 827, n. 582:
propriam hereditatem ad Uipitina in castello et in ipso vico et in aliis
villulis ibidem adiacentibus.
— 208 —
gegiündet anzusehen, welche entweder dauernd im Verbände
der Markgemeinschaft verblieben, auf deren Gebiet sie ent-
standen, oder welche ei*st die Keime bildeten, aus denen sich
dann später im Verlaufe der Zeit eigne Gemeinden als Toch-
teransiedelungen eines Urdoifs oder einer alten Bauerschaft
entwickelten.
Daneben tritt nun aber seit dem 8. Jahrhunderte eine
Colonisation auf, welche, planmässi^ und im gi*ossen Stile be-
trieben, den Charakter des Ausbaues im Lande immer mehr
verändei-te. Die Rodungen der ältesten Periode gehen, soweit
wir sehen, zumeist von einzelnen freien Grundbesitzern in der
Markgenossenschaft aus und halten sich auch in deren Gren-
zen. Einzelansiedelungen in der Waldwildniss, welche, oft in
grosser Ausdehnung, zwischen den Grenzen verschiedener
Markgemeinden lag, sind in dieser Zeit höchstens ganz aus-
nahmsweise vorgekommen; dazu war schon das sociale Gefüge
der alten Deutschen viel zu stark, als dass es solches Fanner-
und Einsiedlerleben hätte aufkommen lassen ^). Von genossen-
schaftlichen Golonisationsunteiiiehmungen aber verlautet nichts
in dieser frühesten Zeit ^) ; und der Grossgiimdbesitz mit seiner
disponiblen Menge dienender Arbeitskräfte war noch viel zu
wenig entwickelt, hatte auch seinen colonisatorischen Beruf
noch keineswegs hinlänglich erfasst, um seinerseits durch
grössere Ortsgi*ündungen und schwierigere Culturuntemeh-
mungen der Colonisation einen rascheren Gang, den einzelnen
Ansiedelungen eine grössere Ausdehnung und zahlreichere,
dichtere Bewohnung der Ortschaften zu geben.
Nunmehr aber wird das Geschäft der Rodung und Colo-
nisation von den grossen socialen Mächten, welche sich all-
mälig aus den veränderten politischen und wii*thschaftlichen
Verhältnissen herausbildeten, in die Hand genommen; und
damit erhalten der Ausbau und die Ansiedelungen in kurier
Zeit auf weiten Gebieten einen ganz veränderten Charakter.
Es ist in erster Linie das grossartige oi*gani8atorische und
administrative Genie Karls d. Gr., welches den Anstoss hieftr
*
■
1) Vgl. 1. Bach, 1. Abschnitt, S. 27, d5.
>) Vgl. 1. Bach, 2. Abschnitt, S. 82.
— 209 —
gibt und den Colonisationsbemühungen der ganzen folgenden
Zeit ihr eigenartiges Gepräge verleiht. In seinen Wirthschafts-
vorschriften für die königlichen Villen finden wir den Ge-
danken einer planmässigen , systematischen Waldrodung und
darauf sich stützenden Colonisation zum erstenmale ausgespro-
chen. „Wo sich in den kaiserlichen Forsten geeignete Plätze
zur Rodung finden, sollen diese gerodet werden und es soll
dem UeberwucheiTi des Feldes durch den benachbarten Wald
stets Einhalt gethan werden" ^). Und schon im folgenden
Jahre veiTollständigte der Kaiser diese Vorschriften durch die
Bestimmungen des Capitulare Aquisgranense *) , 'womach den
Verwaltern der Villen aufgetragen wird, an geeignet schei-
nende Leute Waldland aus den kaiserlichen Foi*sten zur Ro-
dung und Bebauung zu überlassen. War dabei auch die
Rücksicht auf die bessere Nutzung und die Steigerung des
Erti-ags der kaiserlichen Güter massgebend, so konnte eine
solche Massregel doch nicht verfehlen, bei der Menge, Grösse
und weiten Verbreitung kaiserlicher Besitzungen in allen
Theilen des deutschen Landes, einen grossartigen Einfluss auf
die Landescultur und die Verbreitung der Ansiedelungen ins-
besondere auszuüben.
Auch eine planmässige und grossartige Colonisation deut-
schen Bodens ist auf Karl d. Gr. unmittelbar zurückzuführen :
die Vertheilung bedeutender Massen von Sachsen in den frän-
kischen ^) und alamannischen *) Gebieten und dafür eine mas-
0 Cap. de villis c 36 (LL. 1, 188): Ut sUvae vel forestes nostrae bene
Bint castoditae; et ab! locos fderit ad stirpaDdam, stirpare ftunant et cam-
pos de silra increscere non permittant
^ Gapit Aqnisgr. 813, c 19 (LL. 1, 189) : Et plaotent (die villid regia)
vineas, fiiciant pomaria, et nbicunque inveniunt utiles homines, detur Ulis
Silva ad Btirpandam, ut nostrom servitiam immelioretur.
*) üeber die grossen Rodungen Karls d. Gr. an der Eifel und die
Besiedelnng derselben mit Sachsen vgl. Mittebrh. Ürk.-B. n, Einleitung.
*) Von den Sazonibus obsidibus, welche alamannischen Bischöfen und
Grafen zogetheilt wurden, spricht das Mandatum Caroli M. 802, LL. 1, 89,
wo 87 Sachsensöhne namentlich angeführt werden. Nordelbingische Sach-
sen im Bisthum Würzburg erwähnt die Urk. König Otto's v. 996 Mon.
Boic 28 a, p. 268.
Ton Inmma-Sternegg, WirthschafUfcefichichte. I. 14
— 210 —
senhafte Vertheilung von Sachsenland an Franken^), zum
Theil auch an Wenden'). Die wiederholten Auüstände der
in fortgesetzten Kriegen unterworfenen Sachsen mochten Karl
d. Gr. belehren, dass er nur durch eine Entfernung der wich-
tigsten widerspänstigen Elemente des Volks Buhe und end-
liche Einfügung des letzten noch unabhängigen deutschen
Yolksstamms in das Reich erzielen könne. So begnügte sich
der König bald nicht mehr mit einzelnen Geiseln ") , die ihm
die sächsischen Gaue als Unterpfand ihrer so oft gelobten wie
gebi-ochnen Treue stellten, sondern führte ganze Schaaren von
Sachsen aus ihren heimatlichen Gauen foit, um ihnen inner-
halb des Frankenreichs zerstreute Wohnstätten anzuweisen.
Zu verschiednen Jahren berichten die gleichzeitigen An-
nalen von dem dritten Manne*), von 1600*), von 7070 •), von
10,000^) Leuten, und wir müssen annehmen, dass die ver-
schiednen Gegenden Sachsens von dieser Massregel betrofieo
wurden. Ja, bei der letzten Erhebung der Nordsachsen wird
sogar von der Wegfühiiing der ganzen Bevölkerung gespi'ochen'^).
^) Ann. Lauresh. 799, p. 38: et ipsam terram eomm dinsit inter fide-
leS 8U08.
*) Einh. Ann. 804, p. 191: et pagos transalbianos Abodritis dedit
Ann. Fuld. p. 358.
8) Ann. LauriBB. 772, 775, 88. I, 150, 154. Ann. Fuld. ib. 348. Ann.
Petav. 779, ib. 16. Ann. Einh. 795, ib. 191. Ann. Lauresh. 795, S. dö:
rex apad Bardonwich tantam mnltitadinem obsidum inde tolit, qnantaffl
nonquam in diebns patris sui aut in diebos regom Franchonim inde bI>-
quando tolerunt
*) Ann. Xant 795, II, 228: obsides regi offerentes; accepitqae eonun
tertiam partem in obsidionem generis masculini. Auch Ami. Fuld. 794,
p 351 : tertius ex eis homo tranBlatos.
") Ann. S. Amandi 798, p. 14: hospites capitaneos 1600 inde adduiit
et per Franciam diviBit.
^) Ann. S. Galli min. 795, p. 75: exinde dedoxit obndes 7070 (w.770\
^ Einhard. vita Kar. c. 7: 10 milia hominom ex bis qui atnsqoe
ripas Albis fluminis incolebant, cum uxoribuB et parvulis sublatos trans-
tulit et huc atque illuc per Galliam et Oermaniam multimoda divinone
distribuit.
^) Einhard. Ann. 804, p. 191: omnes qui trans Albiam et in Wib-
muodi habitabant Saxones cum mulieribus et inüantibas transalbianos
Abodritis dedit; noch viele andre Stellen aus Sen gleichzeitigen Annüec
bei Richthofen z. lex Saxonum S. 104 ff.
— 211 —
Waren diese Massregeln nun auch Erwägungen ganz an-
derer Art entsprungen, so wurden sie doch auch sofoit in den
Dienst der Colonisation des Landes gestellt; es charakterisirt
den umsichtigen Geist Karls d. Gr., der es verstand, die ver-
schiedensten Zwecke gleichzeitig zu verfolgen und zu errei-
chen. Die Sachsen wurden dabei in Franken und in andern
Theilen des fränkischen Reichs theils an Bischöfe, Aebte und
Grafen (als Vassallen?) vertheilt^), theils wohl auch auf den
königlichen Villen als Zinsbauem angesiedelt, oder man über-
Hess es ihnen, sich in dem ihnen angewiesenen Theil des
Reiches Wohnsitze aufzusuchen '). Das aber konnte doch nur
auf unbebautem Eönigslande geschehen, da die Markgenossen-
schaften in dieser Zeit sich mindestens ebenso sehr abwehrend
gegen die Ansiedelung Fremder auf Markland verhielten, wie
schon zui* Zeit des salischen Volksrechts'). Und so wurde
noth wendigerweise die kleine Völkerwanderung, welche Karl
d. Gr. in dem Decennium von 794 — 804 in's Werk setzte, zu
einer umfassenden Colonisation des weiten Waldlands, das der
König als heiTonloses Land für sich in Anspruch nahm. Ja,
wir sehen aus der Ai-t und Weise, in welcher diese Colonisa-
tion in einzelnen Fällen vorgenommen wurde, wie aus der
Ausdehnung, welche sie annahm, dass bei der Uebeifühiiing
der Sachsen der sociale Verband nicht aufgehoben wurde, der
zwischen den sächsischen Grossen und ihren untergebenen
Leuten in der Heimat bestanden hatte; denn nur so ist es
zu erklären, dass jene in so kurzer Zeit so grosse Rodungen
ausfuhren konnten, wie sie thatsächlich bezeugt sind^).
^) In dem Mandatum 802, LL. I, 89 sind genannt die Bischöfe von
Constanz, Basel, Augsburg und der Abt von Reichenau.
^) Dahin gehören die beiden sächsischen Adeligen, welche freiwillig
ausgewandert in der Buchonia sich niederliessen. C. Fuld. 811, n. 261;
Sickel, acta n, 813, S. 82.
') YgL die obige Urk. C. Fuld. 811, no. 261: Amalungus . . . venit
ad TÜlam V., quam tunc temporis Franci et Saxones inhabitare videbantur,
capiens ibi cum eis mauere sed minime potuit; vgl. Buch I, S. 78 und 98.
*) Vgl. die obige ürk. 813. Sickel 11, 82. Karolus Adalrico . . terram
bivanc dictam 2 leugas longam et 2 latam confinnat, quam pater eins Hiddi,
postquam locum nativitatis et pagenses suos Saxones reliquerat, . . •
de Silva Buchonia propriserat. 14*
— 212 -
Es schloss sich an diese Colonisation im Franken- und
Alamannenlande , wie es scheint, eine nicht minder wichtige
in Sachsen selbst an ; denn Karl confiscirte ^) die Güter der
weggeführten oder auch zum Tode verurtheilten und gefallenen
Sachsen, machte sie zu Eönigsgut *) und verlieh diess nun an
Franken, Bischöfe, Priester, Grafen und Vassallen»), welche,
mit ihren leibeignen Dienern in das eroberte Land einziehend,
ganz den Eindruck einer Einwanderung machen konnten, und
nun in dem wenig bebauten Land die verhältnissmässig reich-
liche Bodencultur, wie sie dieselbe in der Heimath übten, zur
Anwendung brachten.
Und auch noch bei anderen Gelegenheiten Hess sich der
grosse Kaiser das Werk der Ausbreitung von Ansiedelungen
angelegen sein. Aus späterer Zeit erfahren wir, dass er nach
Beendigung der Avarenkriege die Colonisation Pannoniens
begünstigt^) und damit die Ostgrenze des Reichs bedeutend
erweitert hat, wie auch schon fiHher der Baiemherzog TassUo
durch ausgedehnte Bodungs- und Aneignungsbefugnisse, die
er besondei*s den Klöstern ertheilte, Schutz der Ostmarken
und Hebung des Bodenanbaus gleichzeitig beförderte ^). Ebenso
^) Vgl 1. Saxon. 64: liiber homo, qui sab tatela nobilis cniuslibet
erat, qui iam in eziliom missus est, si haereditatem saam . . yendere to*
laerit, offerat . . . tatori sno Tel ei , qui tunc a r^e super istas res oon-
stitatos est
*) Schaten, ann. Paderbr. I. 65: ad partem dominicam rerocatae In-
eront res eorom.
") Ann. Lauresh. 799. p. 88: et ipsam terram divisit inter fideles saoa,
episcopos, presbyteros, comites et alios vassos suos.
*) Mon. Boic. 863, XI, 121: Dominas avas noster Earolos Ucentiain
triboit suis fidelibas in augmentatione reram ecdesiarom Dei in Pannonia
carpere et possidere hereditatem. Daza Einh. Vita Garoli c 18 (SS. n,
449) : testator vacaa omni habitatore Pannonia. Aach Mon. Boic 811,
XXXI, no. 11: E. monasterio s. Maaricii in Altaha locnm qoandam ia
Avaria,circiter40man8os complectentem cedit etconfirmat ürk.-B.o.d.£ans
n, no. 5 und Mon. Boic. XXX, 381, n. 4: Ludowicas . . certas res a I^~
rolo Waldarico episcopo in regno Hunorom sive in provinda ATsroniBi
concessas . . confirmat Sickel, n, 145.
'*) Urk.-B. f. Kremsmünster 777, S. 2: Tradimas atque confinnamos
homines qui in ipso loco habitant et ea concta qae ibidem calta Tidebsn*
— 218 —
ist die ColonisatioQ der dui*ch Erbauung der Seedeiche in
Holland gewonnenen Biiichländereien auf Karl d. Gr. zuiUck-
zufdhren ^) ; und nicht minder gehören die Anfänge der grossen
Waldcolonisationen , welche später als Colonistendörfer und
sog. Königs-, Wald- und Hagenhufen bedeutend werden, schon
der Zeit Karls d. Gr. an *).
Der Löwenantheil an der Colonisation der deutschen Ge-
biete während der Karolingerzeit dürfte aber immerhin der
Kirche, vorab den zahlreich emporkommenden Klöstern dieser
Zeit zufallen.
Schon die Gründung der Klöster war in den meisten
Fällen ein Act der Colonisation^) und es gewinnt den An-
schein, als ob die Wirthschaft der Klöster in der ältesten Zeit
grundsätzlich auf Rodung und Bebauung wüster Strecken ge-
stellt gewesen wäre. Das hängt gewiss ebenso sehr mit den
ältesten Ordensregeln, besonders der Regel des hl. Benedikt,
zusammen^), welche die Mönche anhielt, durch eigne Arbeit
sich ihren Unterhalt zu verdienen, wie mit der Art und Weise
der Gründung durch Könige, Füi*sten und weltliche Grosse,
deren eigenstes Interesse an der Colonisation die Schenkung
grösserer unbebauter Gebiete an die jungen Klöster nahe legte.
Es fehlt aber auch durchaus nicht an besonderen Zeug-
nissen der colonisirenden Thätigkeit der Kirche. Der von
Corbinian für das Stift Freising erworbene Besitz in Tirol
wurde unter den folgenden Bischöfen durch fortgesetzte Ur-
barmachung öder Gründe beträchtlich erweitert. Der Bischof
Josef von Freising erwarb im J. 759 von den Herzogen und
tor, de incultiB vero ex omni parte quantom Toluerint coltum fiaciant. In
drcoita coltum ÜEuaant quantom velint sine omni prohibicione. (AUes dies-
seits der Enns.) Vgl a. Urk. Tassilos 769 Mon. Boic IX, 9.
^) Meitzen, Aosbreitong des Deotschthoms, S. 81.
3) Meitzen, ib. S. 29. S. u. 3. Absch. S. 315—818.
^ So z. B. von Fulda: „in solitudine Boconia iuzta fluvium Fuldaha''
constroto C. Fuld. 753, n. 5. Hersfeld „in vasto proprietatis eins loco H.*'
constrocto Wenk 775, 3b, n. 4, 7. Ansbach, monasteriom, quod Gont-
bertos in pago Bongow in Virconna waldo aedificavit. 786, Sickel, II, 46.
*) Vgl 0. L Bach, 8. Abschnitt, S. 120.
— 214 —
anderen baierischen Grossen bedeutende Weidegebiete, die
gar nicht bebaut waren, baute dort Häuser und machte sie
der Wirthschaft des Stiftes dienstbar^); und auch in der
Folge benutzte das wirthschaftlich gut geleitete Stift Fi-ei-
sing sein Wildland dazu, um Colonisten zu gewinnen *>. Das
Stift St. Gallen Hess sich bei mehifacher Gelegenheit das
Recht weitgehender Rodung im Walde eigens einräumen^,
wie es andrerseits durch die prekarische Verleihung von Rott-
land auch fremde Arbeitskräfte ftlr die UrbTirmachung ge-
wann^). Und solche Beispiele sind fast von allen Klöstern
und Stiftern beizubringen^). Besonders wirksam konnten die
Klöster die Golonisation durch das Institut der Precarie be-
fördern. Die gi-ossen Öden Strecken, über welche sie beson-
dei-s verfügten, boten lange Zeit bereite Gelegenheit zum Er-
werb von Leibeignen, Hörigen oder dienenden Freien, denea
solche Gründe zur Golonisation übertragen wurden; und von
diesem Mittel, das dem Kloster durch Gewinnung von Arbeits-
kräften, Diensten und Culturgründen ebenso vortheilhaft war,
wie der Volkswirthschaft durch Erweiterung des Nahrungs-
Spielraums der Nation, ist denn auch in dieser Zeit der um-
fassendste Gebrauch gemacht worden; man tauschte aber
wohl auch bebautes gegen unbebautes Land ein und gab auf
^) Meichelbeck, bist Frisiog. la, 49: Ego . . Josefüs . . . dam erga eodem
loco connezae anrae ducali pascua non sufficerant, appetivi locam ad pro^
pries haeredes, quo yocator Erchinga et ibidem pro necesaitate donos
constmxi, qoia antea jam temporibus plnrimis Jncalta atque deserti
remansit.
^) Meicbelb. 852, I b, 698 : de Silva, ubi excoleri posaunt jomales 400
et de pratis carradas 56. S. a. Meichelb. 899, Ib, 909: lacnm 1 de nln,
unde agros 5 fieri possunt
•^) Vgl. Trad. Sangall. 799, 1, 85: Tantum ezartent quantum podat
in eorum compendio et ad eorum opus. 854 ib. II, 426: Et ai quid in
eodem saitu adhuc minime sit comprehensum , comprehendendi potestatem
habeamna abaque uUius infestatione:
«) Tr. Sang. 866, II, 518: Hartmanno . . 40 juchoa adhuc ineztirpa-
tos . . sub censu unius maldri de grano conceasimua.
*) Z. B. Ton Salzburg werden 815 80 Joch Waldungen zum Aasrodet
gegeben. Eleimaym, Anh. n. 18.
— 215 —
diese Weise den colonisirenden Bestrebungen der kleinen
Grundbesitzer neue Nahrung^).
Aber auch die weltlichen Grundherren Hessen sich diese
Gelegenheit, ihre Herrschaft und ihr Culturland zu erweitem,
nicht entgehen, wo sie sich darbot^); ja, es ist das rasche
Anwachsen der grossen Grundhen-schaften in dieser Zeit ganz
yoinehmlich auf diese Vorgänge zuiilckzuführen. Dass auch
sie schon frühzeitig über gi'osse uncultivirte Strecken als
Eigenthümer verfügten*), ist nicht bloss aus einzelnen positi-
ven Nachrichten zu ersehen, sondeni geht schon hei-vor aus
der charakteristischen Art der Wohnsitze, welche sie sich mit
Vorliebe wählten. Sowohl tief im Gebirge, wo Baiuwaren und
Alamannen ihre Sitze neben den Resten einer rhäto - romani-
schen Bevölkerung aufschlugen, als auch am Mittelrheine, wo
das Dorfsystem eine uralt klassische Stätte hatte, haben die
Grossen des Volkes ihre HeiTenhöfe und Burgen mit Vorliebe
in den unbewohnten und ei*st durch Rodung zu gewinnenden
Gegenden aufgebaut^). Das ist nicht bloss durch die noch
^) Tr. Sang. 912, n, 766: dedi omnem propietatem meam . . et e contra
accepi 10 jnchos de terra arativa . . et silvam quantum mihi necesse est
extirpanda.
*) Besonders am Niederrhein ist die Rodung in der ersten Zeit der
Karolinger an der Tagesordnung; vgl. Lacomblet, Urk.-B. I, n. 6, 9, 11 —
13, 17, 19, 21, 27, 44, 52, 64 u. o. Wohl die reichste Zahl von Beispielen
aas Urkonden dieser Periode hat gesammelt Arnold, Ansiedlungen und
Wanderungen, S. 255—286.
") Mon. Boic. IX, 7 schenkt Reginbert mit seinen Angehörigen 763
grosse Besitzungen , darunter die solitudo Scarantie und den pagus desert
tus Walhogoi. Ried cod. Ratisb. I, 15: Schenkung des Grafen Eckber-
V. 810, die eine Gegend infra ipsum heremum im Gesammtumfang von 6
milliaria betrifit Meichelb. bist Fris. I a, 49 besitzen die nobiles de Fagen
750 amplissima tum prata tum pascua plene inculta. Meichelb. Chron.
Benedictob. 4 kommt in einer Schenkung an Benedictbeuem ein mit seinen
Grenzen bezeichneter Wald vor, der leicht 20 milliaria germanica umfasst
hat. Darin liegt offenbar eine Beschränkung der Annahme, dass alles
wüste Land dem Könige gehört habe; vgl. Beseler, Neubruch 1868, und
Gierke, Genossenschaft, II, 147 ; auch 1. Buch S. 93 und unten 3. Abschn.
*) Mittehrhein. Urk.-B. II, S. LXXI. Maurer, Einleitung, S. 255; vgl.
auch meine „Entwickelung der deutschen Alpendörfer" in Raumer-RiehPs
histor. Taschenbuch, 1874, S. 132.
— 216 —
in späterer Zeit nachweisbare Lage dieser Hen'ensitze dar-
zuthun ; es ist mindestens ebenso sehr durch die Namen be-
zeugt; im rhäto - i*omanischen Gebii'ge, soweit die deutsche
Einwanderung reichte, führen die Bulben durchweg deutsche
Namen, unabhängig von der Sprache der bäuerlichen Bevöl-
kerung ^) ; im übrigen Deutschland sind die zahlmchen Roden-,
Brand-, Wald-, Wüste-, Moos-, Holz-, Boineburg u. a.
nebst den besonders charakteristischen Burgnamen mit Fels
und theilweise mit Stein ebenso viele Zeugnisse für diese
Thatsache «).
Diesen natürlichen Vorbedingungen entspricht es nun auch,
dass die Rodung im ökonomischen Leben der weltlichen Grand-
herren ein wichtiger Factor zu Befestigung ihrer wiilhschaft-
lichen Ueberlegenheit wie zur Ausbreitung der Gultur über-
haupt geworden ist ^). Ununterbrochen tritt zu dem bisherigen
Culturland neugewonnenes hinzu und gibt Gelegenheit zu
Kauf und Tausch , zu Schenkung und Verleihung als Benefi-
cium und Precarie. Vornehmlich dem grossen Grundbesitz
gehören in dieser Zeit die so vielfach bezeugten Rodungen
zu^); und insbesondere sind die giossen Rodungen^) und
schwierigen Culturarbeiten ihnen zu eigen. Denn diese hatten
zahlreiche dienende Arbeitskräfte zur Voraussetzung, welche,
einem einheitlichen Hen*schaftswillen untei-worfen , für solche
Arbeiten in Masse gebraucht, nöthigenfalls auch verbraucht
werden konnten. Von ihren einsamen Burgen und Herren-
0 Steub, RhätiBche Ethnologie, S. 67.
') Arnold, Ansiedlungen, 478 ff.
') Vgl. meine Ausbildung der grossen Grundherrschaften. S. 46 £
*) So stammen die Schenkungen von Rottland und Neubrüchen im
Cod. Lauresh. 767. n. 252; 770, n. 10; 772, n. 252; 774, n. 245; 778, n, 822;
789, n. 244 von mehr oder weniger reichen Familien her; vgl. Tr. Blid.
sec. IX, p. 9 u. C. Fuld. 870, n. 604 und die Beispiele in meiner Ausbildung
der Grundherrschaften S. 49 und bei Arnold, Ansiedlungen, S. 278 ff.
*) Grosse Rodungen z. B. Orig. Guelf. 818, 4, 411 : terram biTanc die-
tam 2 leugas longam et 2 latam. C. Fuld. 841, n. 582 decem captarB.
Tr. Blid. sec. IX, p. 9: bifangum in loco qui dicitur Wizeholz (der Grifin
Suanahildis) est divisus in 5 mansos. G. Lauresh. c. 800, m, 8704: de
Silva ad alios 100 jumales faciendos.
- 217 —
sitzen aus setzten sie ihre Leate auf Neuland aus ^) und gaben
ihnen wohl auch den Auftrag, für die Herrschaft im eignen
wie im Territorium der Markgenossenschaft, zu der sie ge-
holten, weiter zu occupiren und zu roden. Denn wie der
Leibeigne für den Herrn ersitzen konnte*), so mochten die
Leute desselben auch im Namen des Herrn roden, da wo
ihnen selbst kein Recht zustand^). Auch die abhängigen
Freien waren verpflichtet, ihrem Heim diesen Dienst zu
leisten ^) und übernahmen wohl gerne solche Leistung, die ihnen
selbst zugleich eine Erweiterung ihres Besitzthums in Aus-
sicht stellte.
Daneben höi-te freilich auch in dieser Periode die Rodung
und Ausdehnung des Culturlandes durch die kleinen freien
Grundbesitzer keineswegs auf. So lange insbesondere das
Waldland der Markgenossenschaft als unerschöpfliche Quelle
galt, aus der eine anwachsende Bevölkeiiing Deckung ihrer
vermehrten Bedürfnisse finden konnte, so lange in Folge
dessen die Einbeziehung von Markgründen in das Gulturland
den Hufen nicht verwehrt zu werden brauchte^), so lange
^) Ein Beispiel einer ganzen Colonie auf Neoland G. Fold. 826, n.465:
Poppo comes trado capturam unam in silva Bochonia comprehensam ioxta
flnvinm qni didtor Latraha quod est in pago Grapfeld totom et integrum
quicquid in ambitu iUius capturae proprietatis visus sum habere in campis
et silvis, ariolis, aedificüs, pratis, pascuis aquis aquarumve decursibus,
pecoribus ac mancipiis 13.
') Meichelb. I b, 845, n. 686 : et postea sessionem juzta morem Baio-
wariomm ad fieri decreyerunt, hoc egit Enno servus s. Mariae noctibus
tribuB. Nitsch, Ministerialit&t und BOrgerthum, S. 49.
*) Lacombl. 793, I, 2: ezceptis agris, qui inibi ante extirpati sunt a
patribuB aut ab hominibus nostris.
*) So ist offenbar zu verstehen Lacombl. 801, I, 21 : comprehensionem
Ülam quam ipse Helmbaldus in propria hereditate et in communione prozi-
morom snorum proprio labore et adiutorio amicorum suorum legibus com-
prehendit et stirpaTit Üeber die Bedeutung der amici als abhängige Freie
B. Waitz. n, 198, 385. Roth, Benefic. 157.
*) Vgl. z. B. Niederrh. Urk.-B. 793, IV, 759: In quo etiam termino
domioationem tradidi eidem .presbitero in silvam que per circuitum iacet,
quantum pertinet ad unam hovam ad pascua animalium seu ad extirpan-
dmn Tel ad comprehendendum, iuxta quod utile videtur eidem servo dei
Tel Buccessoribus suis.
— 218 —
vollzog sich auch noch jener innere Ausbau des Markgebietes,
der in der älteren Periode den Hauptcharakter der Rodungen
bildete. Acker um Acker wurde auf diese Weise den bis-
herigen Feldungen zugelegt; das Feld rückt sichtlich immer
mehr in den Wald vor^); zwischen der alten Feldgrenze und
der neuen Waldgrenze sind oft die Neubrttche gelegen oder
sie stehen noch mit einem Fusse in dem Walde, während der
andere bereits dem Artlande gehört.
Nicht minder häufig sind die Neubrttche im Sumpfland
und Buschwerk der Thalniederungen ^) ; es liegt ein nicht zq
verkennender Fingerzeig darin, dass die frachtbaren Thal-
giUnde nicht immer die ersten Stätten des Bodenanbaus ge-
wesen sind. Aber auch die sonnigen Berglehnen*) werfen
von dem Rodungseifer der Bevölkerung aufgesucht; besonders
in Gegenden, welche dem Weinbau günstig waren, zeigt sich
grosse Rührigkeit in Gewinnung von Neuland*).
Im Dorfsystem entstanden auf diese Weise zahlreich neue
Baustellen*) und Hufen, die nicht in der Weise der alten
Dorfanlage und Flureintheilung ihre Felder im Gemenge mit
den Nachbarn hatten, sondern von Anfang an besser aiTondirt %
^) C. Fald. 817, n. 352: in marcu Geltresheim 30 jagera, 15 iam stir
pata et ad arandam in planitiemqae campi parata et alia 15 adhac süns
occupata. G. Lauresh. 815, n. 806: bifangum inter fiGU^m et non ÜACtom}
ib. 823, n. 262: inter terram factam et adhuc in silva fadendam ad 10 joni.
893 Tr. Sang. II, 690 : de terra arativa et silvatica 30 juchos.
^ Z. B. Tr. Fuld. c. 88, n. 168: unam capturam id est blTanc, quae
iuzta flumen Wisaram comprehensa est. Cod. Fuld. 796, 117: captan
quae super fluvium Elmaha iacet C. Laur. 774, n. 245; 772, n. 313;
784, n. 352.
«) C. Fuld. 804 (?), n. 223.
*) G. Lauresh. 786, n. 544 : in Dossenheim qnartam partem de visea
1 et unum proprisum ad ipsam vineam pertinentem. ib. 792, n. 343: bi-
fangum ad Yineam faciendam, ex aliqua parte plantatum. Auch n. 393,
394, 628 u. oft.
") God. Fuld. 813, n. 413: in YÜla Hengisthorpf unam arealem haben-
tem in latitudine virgas 24 et in longitudine 35 cum omni aedifido et
unam bizumam cuius longitudo 30 virgarum est, ladtudo vero 15.
«) Tr. Wizz. 774, n. 133: in villa Ecchentorf ium. 5 infra fine qui
didtur Scalchinbiunda curtile uno cum clausura ad ipso curtile pertinente.
— 219 —
oder wo sie aus mehren Stocken bestanden, doch meist ab-
seits von dem Zwange der alten Feldgemeinschaft, dem Flur-
zwange, gelegen waren ^) ; nicht minder aber auch die zu ur-
alten Dorfhufen gehörigen Aussenfelder *), Waldbeundten und
Sonderfelder, die gleichfalls nicht in den gewöhnlichen Tunius
der Gemengfelder einbezogen wurden; im Ho&ystem sind sie
theils einfach zu dem bisherigen Besitzstande geschlagen wor-
den, und haben anderntheils ebenso zur Bildung neuer Doif-
fluren wie von Vorwerken oder gesonderten Wii-thschaftshöfen
Veranlassung gegeben •). Eine ziemliche Reihe von Ortschaf-
ten, von denen in der Folge einzelne Gtlter geschenkt, ge-
tauscht etc. werden, verrathen durch ihre Bezeichnung als
captura, bifang etc., dass sie junge, erst durch Rodung ent-
standene Ansiedelungen sind^). Wo das Gut des Vatei-s
C. Fold. 814, n. 800: in loco Scontra in iUo septo 2 hobas. Tr. Sang.
866, n. 447: tradidi ad Hasumwanc ipsa marca adherentem nmcalem,
1 hobam etiam et amplins continentem. G. Lauresh. 774, n. 245: 1 bi-
fangom yal haftonga cum terra et omnibus Buperpositis (nach den Gren-
zen angegeben).
^) Tr. Sangall. 889, I, 381 : in Patahinwilare sunt höbe due de arabili
terra et octo in silva.
^) C. Lauresh. 770, I, 561: campum 1 de terra aratnria tenentem
jiim. 10, terram incultam ad ipsum campum pertinentem. ib. 772, n. 491 :
in Walahstat 1 mansum et de terra araturia 80 jnmales et ad stirpandum
similiter.
") Z. B. Tr. Sang. 828, n. 816 werden Güter tradirt excepto 1 run-
cale, h. e. 20 juchos cum aedificiis. Tr. Fuld. 814, n. 800 : in illo septo
2 hobas, 1 in silva, 1 in terra. Besonders sind die vielen Neubrüche,
welche eigne Namen haben, als Ansätze zur Bildung neuer Villen anzu-
sehen; z. B. C. Lauresh. 8786. Tr. Sang. 809, 887. G. Fuld. 675. Und
wenn sie in einer Gemeindemarkung angelegt sind, bildeten sie entweder
Einzelhöie oder wurden im Verlaufe zu Filialdörfem , z. B. G. Fuld. 472,
675. G. Lauresh. 8786. Beyer, I, 93. Besonders noch G. Lauresh. 800,
n. 3708: in Walehesheimer marca 1 mansum cum aedificio in ipsa silva
constracto et 80 jum. inter silvam et campos et de prato et de silva ad
stirpandum et pratum fadendum ad carr. 80 feni. TV. Blid. 9 (sec. IX):
Jnxta Ibigon bifangum 1 in loco qui dicitur Wizeholz, est divisus in 5
maosos et 16 jum., 2 mansos cum dictis iumalibus habet Gunzo in be-
neficio — ceteri 8 mansi non sunt exculti.
') G. Fuld. 868, n. 588, 584; 867, n. 594; s. Arnold, Ansiedlungen 275.
— 220 —
nicht getheilt, sondern an einen Sohn ausschliesslich ver-
erbt wurde, da kam man in den Wald, um Land fQr nach-
gebonie Söhne oder Töchter zu gewinnen; wo man der Vor-
theile theilhafüg werden wollte, welche die Gommendation an
einen grossen Oiimdheim, besonders auch die Schenkang
oder Auftragung an Kirche oder Kloster in Aussicht stellte,
da appropiiirte und rodete sich der Märker ein neues Gut
aus dem Markwalde, um mit seinem bisherigen sich den
Schutz und ökonomischen Rückhalt der Grundherrschaft oder
auch die geistigen Güter zu kaufen, über welche die Kirche
zu verftlgen vorgab^).
Auch haben sich, wenn schon vei'einzelt, mehre Mark-
genossen zusammengethan, und versuchten auf eigne Faust
im unbebauten oder Waldlande eines Grossen oder in herren-
loser Wildniss sich wohnlich einzurichten und ein neues Dorf
zu bilden ^). Aber doch war das nur mehr in sehr beschränk-
ter Weise möglich; denn schon lernten die Gnmdherren
auch ihren Waldbesitz besser schätzen und verwerthen, und
Hessen solche eigenmächtige Bodung höchstens unter der Vor-
aussetzung zu, dass ihnen damit eine pei'sönliche Herrschaft
über die Angesiedelten ei*wuchs'). HeiTonloses Land aber
ward gerade mit der Ausdehnung der gi'ossen Grundherr-
schaften immer seltner. Eine lose Besitzergreifung allen
Gi-und und Bodens ist schon am Schlüsse der ältesten Zeit
erfolgt. Zwar gab es noch sehr viel unvertheiltes , unbebau-
tes, ja fast ungekanntes Land; aber schon berührten sich
^) Sehr zahlreich sind die Beispiele einer ScheDkang oder Aaftngnng
yon Hafen und Culturland, wobei sich der Schenker seine Keubrüche ya^
behält; z. B. C. Fold. 98, 218. Tr. Wizz. 69. C. Laoresb. 251, 322.
Viele Beispiele bei Arnold, Ansiedlungsn, 260 f.
*) C. Fuld. 801, n. 165 und 826, n. 481 : Ego Ualto et sodi md (14)
damus atque tradimus captoram hanc quae de yilla Bergbobe capta tft
Ried cod. Ratisb. 819, I, 20: Venenmt etiam et Uli, qui'ininste eaodaffl
commarcam (des Bischofs) ultra quod debuerant, extirpaverunt contra legem.
") So hatte schon Herzog Tassilo yon Baiem 80 Slaven, welche ohne
seine Erlaubniss Land urbar gemacht, mit diesen an das Stift Eremsrnfin-
ster verliehen.
— 221 —
allenthalben nahe die Grenzen des markgenossenschaftlichen,
grundherrschaftlichen und fürstlichen Eigenthums; was aber
noch unoccupirt dazwischen lag^), das nahm bald der König
oder der Landesherr kraft höheren Bechtes in Besitz und
unterwarf es seiner eignen Ordnung, die immer bestimmter
ausgesprochen, immer entschiedner gehandhabt wurde. Die
giDssen Bannforste entwickelten sich allmälig in dieser Periode
und machten dann der Bodung und beliebigen Ansiedelung
im Walde ein Ende «).
Soweit nun für die Bedungen dieser Periode dieselben
Motive massgebend blieben, die schon ifa der frühem wirksam
waren, soweit ist sicher auch der Ausbau der Wohnungen
überwiegend in neuen Ortschaften, weniger in Vergrösserung
bereits bestehender Oite vor sich gegangen. Aber es macht
sich in der Karolingerzeit doch schon vielfach das Bestreben
nach Erweiterung der Feldfluren der Dörfer und Vermehrung
des zu den einzelnen Hufen gehörigen Ackerlandes geltend,
und das führte dann allerdings eher zur Veimehrung der
Wohnstellen eines Dorfes und zur Vergrösserung der durch-
schnittlichen Morgenzahl der älteren Hufen, sowie es zur Ge-
mengelage der Feldstücke neue Veranlassung geben konnte ;
und jedenfalls ist dadurch eine vollständigere Ausnützung des
Bodens, ein erweiterter Anbau von Körnerfrüchten und eine
Vermehrung der Wiesen möglich geworden *). Auch die gross-
') Das8 solches Land noch immer zu haben war, ist insbesondere ans
solchen Neabrüchen zu erkennen, welche als zwischen den Gebieten zweier
Gemeinden gelegen bezeichnet werden; z. B. C. Fuld. 863, n. 584: captnra
quae dicitor Rotibah quae iacet in confinibos Grapfeldono et Salageuono.
ib. 582 : in finibus Weterongono et Rngiheimono in captora qnae dicitor
Steinaha. ib. 888, n. 628: illisque capturis, quae illis interiacent locis.
^ Doch kommen noch immer vereinzelt NeubrQche in foreste vor; so
z. B. C. Fnld. 816, n. 323: in omnibus villis et bivangis et noyalibus, que
capta et possessa sunt ex his duabns forestis quas Pippinus et Earolus
s. Bonifatio et Stnrmi abbati ad manus tradiderunt.
^) Die überwiegende Mehrzahl aller Rodungen dieser Zeit dient offen-
bar noch zur Vergrösserung des Besitzthums und Vermehrung der Wohn-
stellen in den bestehenden Gemarkungen; so z. B. Tr. Fuld. c. 38, n. 159;
c. 39, 169, 174. C. Fuld. 117, 377, 472, 532, 542, 675. C. Laur. 245, 313,
— 222 —
artige Ueberfühiiing von Sachsen nach verschiedenen Theflen
des fränkischen Reichs scheint ebensowohl die Vermehrung
als die Vergrösserung der Ortschaften herbeigeführt zu haben.
Wenigstens treten beide Ai*ten der Ansiedelung in den, aller-
dings wenigen urkundlichen Erwähnungen derselben hervor,
wähi'end die Annalen daiHber gar nichts berichten. Die
Sachsen, welche sich im königlichen Forste Buchonia nieder-
Hessen, haben Einzelansiedelungen begründet; aber gleich-
zeitig wird einer Ortschaft Erwähnung gethan, die, von Fran-
ken und Sachsen bewohnt, durch die letzteren wohl in ihren
Wohnstellen veimehrt worden ist; und anderwärts werden die
übergeführten Sachsen mit unverkennbarem Anklang an die
deutsche, besonders burgundische Ansiedelungsweise in Gallien
als hospites bezeichnet^). Von den 33 Sachsenorten Baiems
sind gegenwärtig 14 gi'össere und kleinere Dörfer, 19 aber
Einzelhöfe und manche davon sagen schon in ihrem Namen
aus, wie sie mit der Colonisation des Landes zusammenhän-
gen, wie Sachsenöd, Sachsenried, Sachsau, Sachsenvorwerk
und Waldsachsen '). Das oft wiederkehrende Sachsenhausen ')
dagegen zeugt eher für Sachsendörfer, obwohl wir nirgends
hören, dass gi'össeren Massen von Sachsen geschlossne Gemar-
kungen zur dörflichen Niederlassung eingeräumt woi-den wärra,
wenn nicht etwa der pageUus Sassonia im Elsass hieher ge-
zogen werden muss^).
329, 627, 3786. Tr. yfuz. 69. Vgl Hanssen in Falk, Neues staatab. Mar
gaadn, III, 125; VI, 47 f.
>) Ann. S. Amandi 798, p. 14 : hospites capitaneos 1600 inde addoxit
et per Franciam divisit.
') Die H&lfte dieser Orte ungefähr gehört Altbaiem an, nahen die
Hälfte den fränkischen Provinzen; je ein Sachsenort liegt in Pfalz, Ober
pfalz und Schwaben. Ob sie freilich alle mit der SachsenQberf&hioog
durch Karl d. G. zusammenhängen, muss dahingestellt bleiben.
") S. Arnold, Ansiedlungen 473: 4 hessische Sachsenhausen, dann Sach-
senhausen bei Frankfurt; das bairische Ortschaftenverzeichniss bietet defen
zwei, ein sehr kleines Dorf und einen Einzelhof, ausserdem drei SachseD-
dorf, sieben Sachsenham [ham = heim].
*) Tr. Sang. 861, n. 487. Der Cod. Lauresh. unterscheidet im Lobden-
gau ein Sassenheim maior, minor und minima; bei ersterem sind neben
— 223 —
Sind nun auch sicherlich durch diese Vorgänge viele
neue Orte gegründet worden, während die Vermehrung der
Wohnstellen in bestehenden Orten aus diesen Ursachen nicht
so belangreich gewesen sein mag, so wirkten doch andre Um-
stände gerade auf dieses Ergebniss der Besiedelung mächtig
ein : die immer häufiger werdende Hufentheilung, wie sie mehr
noch durch die ei*starkenden Organisationstendenzen der
grossen Grundherren als durch die Bedürfiiisse einer anwach-
senden Bevölkeiomg herbeigeführt wurde ; die Vermehiaing so-
dann der dienenden Leute aller Art bei den gi-ossen Grund-
herren, denen diese nun Land zur Bewirthschaftung geben
mussten, was schliesslich in vielen Fällen nicht anders als
durch Abtheilung der alten vollen Hufen oder Niedersetzung
derselben auf dem Herrenhofe selbst möglich war ; und endlich
das in diesem Zeitraum sich ausbreitende Villicationssystem,
bei dem es wesentlich darauf ankam, durch eine gute geo-
graphische wie ökonomische Anordnung der einzelnen Güter
eine bessere Ordnung, grösseren Ueberblick und gi'össeren
Einfluss auf die Summe der dienenden Wirthschaften zu er-
langen. Das aber war im Zweifel immer leichter möglich in
Dörfern, die jede Organisation und Theilung der Arbeit er-
leichterten, als in weitzerstreuten Einzelhöfen ').
Aus diesen Gründen, deren volle Tragweite für die An-
siedelungen ei-st im Zusammenhang mit der Entwickelung der
sodalen Ordnung und der Flurverfassung dieses Zeitraums
dargestellt werden kann, haben wir ein bedeutendes Wachs-
thum der Dörfer und ein verhältnissmässiges Zurücktreten der
Einzelhöfe schon für diese Zeit anzunehmen^, obwohl diese
einer Herrenhnfe 13 sernles, bei dem zweiten 9 hubae seniles, bei dem
dritten 3 mansuB genannt Im 10. Jahrbondert aber erscheinen diese Orte
bereits als grössere Dörfer; vgl. z. B. G. Lauresb. 877, n. 40 mit 989, n. 83.
') Vgl. das Nähere im 3. Abschn.
') Beispiele grosser Dörfer sind nicht mehr selten ; eine von Pipin ge-
schenkte Villa umfasst 762 50 hob. domin. , 28 hob. lidil. , 3 hob. eccles.
mit 400 jugera agr., 400 prat. carr., 9 molend. nebst 23 üamiL serv. und
28 {am. Üd. Schannat Tr. Fold. p. 10. Die marca des locus Biberbach
nmüust 786 30 Hufen und 330 mandpia. C. Fuld. 84. Der locus Bin-
— 224 -
Entwickelung in der folgenden Periode, mit Vollwirksamkeit
der wirtbschaftlichen Organisation der gi'ossen Grundherr*
Schäften, erst recht entschieden hervortritt Im Einzelnen
lässt sich ein solches Anwachsen bestehender Ortschaften wohl
auch mit bestimmten Zeugnissen stützen ^) ; im Ganzen aber wird
die Entwickelung mehr mit inneren Gründen gestützt werden
müssen. Und diese liegen allerdings am letzten Ende in der ge-
sammten wiithschaftlichen Entwickelung der Periode, welche
Concentration der wirtbschaftlichen Kräfte an die Stelle der
Zerstreuung, Organisation zu grossen Leistungen an die Stelle
der Isolirung mit ihrer wii-thschaftlichen Schwäche, Unter-
werfung der grossen Masse der freien Ginindbesitzer unter den
überlegenen Hen-schaftswillen Weniger mit gleichzeitiger Siche-
iimg der Existßnz Aller an die Stelle einer Ökonomischen Un-
gebundenheit und persönlichen Freiheit bei äusserster Dürftig-
keit der Einzelexistenzen zu setzen sich bemühte.
Ueberhaupt aber dürfen wir von dem Ausbau des Landes
selbst am Schlüsse der Earolingei-periode keine allzugrossen
Vorstellungen haben. Wohl wurde allenthalben und oft sehr
energisch colonisiit; aber die Menschen lagen noch immer mit
der wildmächtigen Natur, ihren Wäldern und Sümpfen in
einem Kampfe , aus dem sie nur nach jahrhundertlangen Be-
mühungen als Sieger hervorgehen konnten. Wir sehen das
aus den noch ungleich grösseren und umfassenderen Rodungen
und Colonisationen, welche im 12. und 13. Jahrhunderte endÜcfa
genheün in pago Wetereiba hat 817 plus minus STmansos. G. Fold. 325 a
(nach n. 325 b gar 187 mansos). Die viUa Herinstein in pago Alaacend
hat 817 mansum indom. und 60 andre mansos, Sickel n, 119. Der locas
Zinzila in marca ErloldisyiUa (also ein Tochtcrdorf) 828 schon 17 mansos
com 34 mancipüs. Scböpflin Als. I, 89. In 6 YiUen des pagos Grabfdd
sind 839 200 mansi. C. Fold. 524. Auch alle Vmen mit eigner Mark
sind hierher zu beziehen; Ygl. die Beispiele bei Maurer, Einl. S. 220. Sehr
dichte Bewohnung zeigt die YiUa Michelstatt im Odenwalde, deren Ge-
bietsumfang 815 1 rasta betrug, also 1,5 OKüometer Inhalt hatte und ron
100 mancipia diversi sezus et aetatis bewohnt war, so dass 66 Menschen
auf den OEilometer treffen; vgl. meine „Grundherrschaften" S. 99 und
Anm. 7.
') Vgl. die Beispiele im 1. Buch, 1. Abschnitt, S. 46.
- 225 —
Feld und Wald, Gulturland und Wildniss in Deutschland so
weit in's Gleichgewicht setzten, als diess nach dem Stande
der Technik und Volkswirthschaft möglich war; wir sehen das
aas dem ganzen Zustande der Landwirthschaft dieser Periode,
die noch immer zwischen wilder Feldgraswirthschaft und ge-
regeltem Feldersystem haltlos hin und her schwankte, das
Pferd noch als wildes Weidevieh behandelte und in dem
Kleinvieh, besonders dem Weidevieh des Waldes, dem Schweine,
den Schwei-punkt der Viehzucht erblickte.
Aber dennoch ist es sehr belangreich, was sich die
Deutschen während der Karolingerzeit an Gulturland in diesem
Kampf mit der Wildniss erstritten; und es ist berechtigt,
damit zugleich eine beträchtliche Vermehiaing der Volkszahl
anzunehmen, wenngleich über die Grösse dei-selben nicht ein-
mal vage Vermuthungen auszusprechen sind.
Zweiter Abschnitt.
Die Zersetzung der altdeutschen StSnde und die AnfSnge
einer neuen socialen Organisation.
Die wiithschaftlichen und politischen Momente, welche
das alte sociale Gefbge der deutschen Völkerschaften in der
ersten Periode ihrer wirthschaftlichen Entwickelung zersetzten
und neue Ordnungen und Gestaltungen anbahnten, haben in
der karolingischen Zeit erst ihre Vollwirksamkeit geäussert.
Ja sie haben sich in dieser Periode zu einer Macht entfaltet,
welche zuletzt nicht bloss mit den Ueben*esten der ältesten
ständischen Gliederung völlig aufräumte, sondein auch der Ge-
sellschaft eine in wesentlichen Theileft ganz neue Gestaltung
gab. Und sie sind schliesslich auch die eigentliche Quelle
jener neuen Ordnung des öffentlichen Lebens und der poli-
tischen Gewalten geworden, welche von da an durch Jahr-
hunderte dem deutschen Staatsleben sein eigenthümliches Ge-
präge gegeben hat.
Hatte der altdeutsche Stammesadel schon unter den ver-
ton Inama-Sternegg, Wirtbscbaftsgeschicbt«. I. 15
— 226 —
änderten Lebensbedingungen der merowingischen Periode seine
Grundlagen verloi-en, und seine sociale Bevonsugung mit dem
neuen Dienst- und Hofadel theilen mOssen, so entwickelte
sich jetzt aus den Resten des ersteren und den Keimen des
letzteren ein neuer Reichsadel, der in der Hierarchie noch
eine besondere Verstärkung fand.
War die Auflösung des breiten Standes der Gemeinfireien
in die Klassen der besseren, besitzenden, und geringeren
Freien schon in den ersten Jahrhunderten einer ruhigen
wirthschaftlichen Entwickelung weit gediehen, so wird sie nun
endgültig vollzogen; und nur als Ausnahme, wenn auch ver-
einzelt in grössei-en Massen, wie in den Alpen^ den friesischen
Marschen und hie und da in Westfalen^) behauptet sich
zwischen den GmndheiTn und den Schutzhörigen der voll-
freie Mann auf seinem bescheidenen Erbe.
Damit verliert aber auch der Stand der Liten die spe-
cifische Bedeutung, welche ihm in der früheren Periode zukam.
Durch gewaltsame Untei-werfung nicht weiter veimehrt, nur
ausnahmsweise durch Erhebung aus der Klasse der Leib-
eignen verstärkt % vermengen sie sich mit den Freigelassenen,
Colonen, Zinsleuten und den &*eien Inhabern fremden Grund-
eigenthums immer mehr zu einer Klasse und sind selbst von
denjenigen oft nicht mehr zu untei'scheiden, welche persönlich
unfrei, aber auf selbständig bewirthschaftetem Zinsgute ein
gewisses Mass factischer Freiheit errungen hatten^).
Und da diese Klasse der Leibeignen mit Ausdehnung der
Bodencultur immer mehr das Uebergewicht über die leibeignen
Hausdiener gewinnt, so ist auch damit zwischen ihnen und
den älteren Liten eine Annäherung erfolgt und im Ganzen
eine Erhebung dieser untersten Volksklasse wenigstens an-
gebahnt ^). Insbesondere sind diejenigen unter den Leibeignen,
') Giesebrecht, Kaiserzeit I, 177.
«) Waitz V, 206.
^) Waitz IV, 290, wo auch zahlreiche Beispiele der versehiedeneo
Aosdracke, mit denen nunmehr diese Klasse bezeichnet wurde. ,
*) lieber die Regelung und Fixirung ihrer Dienste und Abgaben Tgl
u. 4. Abschn.
— 227 —
welche durch bevorzugten Dienst oder bevorzugten Besitz vor
den übrigen sieb auszeichneten, auch früh schon zu einer ge-
wissen politischen Geltung gelangt, indem ihnen wie anderen
Unterthanen des Reichs der allgemeine Fidelitätseid ab-
genommen wurde, womit gewiss auch ihre sociale Annäherung
an die Klassen der abhängigen Freien und der hörigen Leute
zum Ausdrucke kam^).
Die Ziele der merowingischen Politik sind im Wesent-
lichen auch während der Herrschaft der Karolinger aufrecht
erhalten geblieben. Das Reich der Franken sollte eine ein-
heitliche Hen*schaft sein, deren Träger, das fränkische Königs-
geschlecht, mit der Fülle der Macht ausgerüstet war, welche
die Kraft der vereinigten Völker bot; zur Geltendmachung
nationaler Selbständigkeit nach Aussen wie zur einheitlichen
Ordnung und Hebung der öffentlichen Zustände im Innem
sollte dieses Reich gleichmässig befähigt sein. Aber bedeutend
sind doch die Unterschiede, welche sich in der Auffassung der
politischen Mission zwischen der Merowinger und Kaix>linger
Regierung ergeben.
Die Merowingische Politik war noch stark in den An-
schauungen des specifischen Frankenthums befangen und daher
auch in der Verfolgung der politischen Ziele wesentlich be-
schränkter. Der Schwerpunkt der merowingischen Regierung
lag immer in Neustrien; die deutschen Völker des Ostens
worden zwar unterworfen so gut es ging, aber doch vielmehr
eben nur als unterworfene fremde Völkerschaften, denn als
lebendige Glieder des Reiches betrachtet. Darum hat auch
das neue Reich in der Hauptsache nur in Neustrien jene neue
^) Capit Langobardicam 786 c. 7 (LL. I, 51, richtiger Gapit missorum
792 c 2, ein zweites selbständiges Capituiar, das in dem Cap. Lang, ent-
iialten; vgl. Sickel II, 271 ff.): cunctas generalitas populi tarn puerilitate
annonim 12 qnamque de senili, qui ad placita venissent et iassionem
adimplere seniorum et conservare possnnt, sive pagenses sive episcoponun
et abbatissuamm vel comitum bominnm et reliquorum bominum, fiscalini
qnoqae et coloni et ecclesiasticis adque servi, qui honorati beneficia et
ministeria tenent, yeUin bassallatico honorati sunt cum domini sui, et
caballos, arma, et scuto, et lancea, spata et senespasio habere possunt,
omnes jurent
15*
- 228 -
Aristokratie erzeugt, die an der Macht und Herrschaft der
Könige Antheil erhielt, an ihi-em grossen Ei'ongate sich gross-
saugen und schliesslich die wichtigsten Regierungsrechte in
ihre Hand bekommen konnte; bei den östlichen Völkern ver-
liert wohl der alte Stammesadel mit der Unterwerfung des
ganzen Volkes unter die fränkische Herrschaft an Ansehen,
Macht und Bedeutung; aber er wird hier doch weder bereits
ganz unterdrückt, noch war er schon in der Lage, sich ebenso
wie die neustrischen Reichen in eine neue Hof- und Dienstr
aristokratie zu verwandeln ^).
So war während der ganzen Merowingei'zeit die Ver-
bindung der beiden Reichstheile doch immer nur eine sehr
lose; ja sie verlor, als die Könige der späteren Zeit ihre
Herrschergewalt schlecht wahrten, viel von der fi-üher bereits
bestandenen Festigkeit. Und nicht bloss die politischen Be-
ziehungen, auch die socialen und Verkehi-sbeziehungen blieben
noch immer sehr schwach, der Austausch von Gulturelementen
spärlich genug; die Deutschen rechts des Rhein lebten auch
als Angehörige des Frankenreichs ihr sociales Leben in grosser
Selbständigkeit und Eigenart dahin.
Im Geiste der karolingischen Regierung aber lag es,
gleiche Aufmerksamkeit und gleiche Einwirkimg beiden Reichs-
theilen zuzuwenden ; die reiche Gultur Neustriens sollte benatzt,
die noch schlummernden Culturkiüfte Austrasiens sollten ge-
weckt werden, um das neue Königthum mit noch ungleich
grösserer MachtfdUe auszustatten,, als sie je im Frank^ireiche
vorhanden war. Damit sind aber sofort ungleich reichere
Beziehungen, mannigfachere Berührungspunkte zwischen Ost
und West erzeugt worden; Austrasien wird rasch mit den
Foi-tschritten neustrischer Cultur vertraut; ft-eilich aber auch
unaufhaltsam in jene Richtung der socialen Entwickelung ge-
drängt, welche in Neustrien schon längst der KönigsheiTSchaft
so gefährlich geworden war. Die Einheit der Reichsgewalt
vertrug sich auch in Austrasien nicht länger mit gewählten
Stammesfürsten und einem Stammesadel als wesentlichen Stützen
^) Vgl, 1. Buch, 2. Abschnitt S. 54, 58, 611
— 229 —
der Herrschaft eines erblichen Ffirstengeschlechts. Sie durch-
drang nun auch hier die öffentlichen Verhältnisse, wesentlich
nur gestützt auf jene socialen Elemente, welche aus poli-
tischer Ueberzeugung oder getrieben durch materielle Vor-
theile sich dem Reichsgedanken und seinen politischen Zielen
dienstbar gemacht hatten, und in dieser näheren Verbindung
mit der königlichen Gewalt zu einer neuen Aristokratie heran-
wuchsen, welche in der alten socialen Ordnung keine Stelle
hatte.
Aber auch noch andere Unterschiede in der Auffassung
und Verfolgung der Beichspolitik sind für die Verändeinrng
der socialen Gliederung der deutschen Völker massgebend
geworden. Der merowingischen Regierung fehlte noch das
Bewusstsein von den Aufgaben der Verwaltung^). Unabhän-
gigkeit nach Aussen , Macht und Hen-schaft nach Innen zu
behaupten, war die Politik der fränkischen Könige; Frieden
im Reiche zu wahren, so ziemlich die einzige Leistung, die
von dem Gedanken der gemeinen Wohlfahrt eingegeben war.
Die Karolinger dagegen ergi-iffen gerade die Aufgaben der
Verwaltung mit grosser Lebendigkeit; auf allen Gebieten des
socialen und wirthschafUichen Lebens wird die öffentliche
Gewalt zur Verwirklichung gemeiner Wohlfahi*t thätig; mannig-
fache Einrichtungen, zahlreiche Organe dienen diesem grossen
Gedanken; und damit wurden wieder die Interessen der Be-
völkerung mächtig an die Regierung des Reiches geknüpft,
und fanden wesentliche Förderung im engen Anschlüsse an
dieselbe. So sind in den zahlreichen Beamten und öffent-
lichen Functionären wieder i-eiche Elemente einer neuen
social und politisch bevorzugten Klasse erwachsen, die mit
jenen in persönlichem Verbände mit dem Könige stehenden
Hof- und Dienstadel zusammen einen neuen Stand der Reichs-
aristokratie zu bilden befähigt wurden, der sich immer mehr
gleichmässig durch Macht und Einfluss wie durch Besitz und
Herrschaft über Land und Leute auszeichnete.
Und endlich hat auch die kirchliche Politik der Karo-
') YgL 1. Bach, 2. Abschnitt S. 56.
— 280 —
linger in gleicher Weise gewii*kt Zu den Zeiten der Meio-
winger hatte die Kirche sich eine Macht eigentlich doeh nnr
in Neustrien ei-worben. Sie war zum Theile schon geschaffen,
als Chlodovech das- Christenthum annahm und bmtete sich
im Westreiche rasch und grossartig aus. Aber wie die frän-
kischen Könige für die Christianisirung der östlichen Yölker
wenig leisteten, so haben sie auch keineswegs zur ökono-
mischen Stärkung und socialen Auszeichnung vorhandner
kirchlicher Anstalten wesentliches beigetragen. Wohl sind
schon in der Merowingerperiode einige Bisthümer und Klöster
entstanden, die es zu Reichthum und Ansehen brachten; aber
gegenüber der Bedeutung der westfränkischen Kirche ist doch
Macht und Einfluss dei*selben in Austrasien immer noch höchst
unbedeutend geblieben. Erst in der Karolingei'zeit entwickelt
sich die Hierarchie auch hier zu einem der einflussreichsten
politischen Factoren und tritt damit ein in den Kreis der
neuen Reichsaristokratie, welche dann ähnlich wie schon
lange im Westreiche «auf die Umbildung der socialen und po-
litischen Verhältnisse bestimmend eingewirkt hat
Trotzdem aber haben wir doch nur in sehr beschränktem
Sinne das Recht, von einer zielbewussten Socialpolitik der
Karolinger zu reden. Wohl betont es der Biograph Karls
des Gr., Einhard, dass schon Pipins Vater die Tyrannen,
die sich im ganzen Frankenreiche Herrschaft angemasst, unter'
drückt habe^); und er hebt damit allerdings einen charak-
teristischen Zug der karolingischen Politik überhaupt hervor.
Auch in der Folge wendet sie sich gegen die selbständigen
Gewalten im Reiche, hebt in Deutschland die alten Stammes-
herzogthümer auf, führt die schon unter den Merowingem zu
grosser Selbständigkeit gelangten Grafen wieder in die Stellaog
wahrer Beamten zurück *), und lässt ganz offenbar mit Ab-
sicht die Reste des alten Stammesadels unbeiücksichtigt, ja
^) Einh. Vita Car. c. 2: Karolas qui tyrannos per totam FrandAn
dominatum sibi vindicantes oppressit. •
' ^ Waitz, YerfasBongsgeschichte m, 826. Die Beispiele, nach welcbeo
auch niedriggeborne Männer, Freigelassene, zu Grafen erhoben werden, ge-
hören allerdings nur Neustrien an.
— 231 -
setzt sie wohl geradezu gegenüber den neuemporgekommenen
Familien zurück. Nur die Ausnahmszustände in Sachsen und
Friesland machen auch hierin ein anderes Verhalten nöthig;
Karl d. 6r. hat da den Adel bestehen lassen^), ihn sogar
durch Verleihung von Grafenämtem noch besonders in Macht
und Ansehen gemehrt'), wenn gleich der sociale Niedergang
der Freien in Sachsen eher auf die allgemeinen Ursachen
zurQckgefbhi-t werden muss, die auch anderwärts im Franken-
reiche zu einer Steigerung der MachtfQlle der Gi'ossen des
Volks gef&hii haben, besonders seit Ludwig der Fromme
ihnen die Erbgüter wieder restituirte ^), welche sie in den
Zeiten der sächsischen Kriege verloren hatten.
Aber das Aufkommen einer neuen Aristokratie konnten
und wollten die Karolinger nicht verhindern. Schon um König
zu werden suchte Karl d. Gr. die Zustimmung der Grossen
nach *), und auch bei den Reichstheilungen *) wurden sie bei-
gezogen; unter seinen Nachfolgern aber hat ihre wachsende
Macht sich noch weitere Befügniss zu eningen vermocht^).
Ebenso war schon Karl d. Gr. doch meistens genöthigt, die
Grafenstellen mit den Vornehmsten der Länder zu besetzen ^)
und damit dem aristokratischen Begimente wieder bedeutenden
Vorschub zu leisten; unter seinen Nachfolgern ist nicht bloss
diese Besetzung die Regel, sondein auch die Erblichkeit dieser
Aemter bei den vornehmsten Familien üblich geworden®).
') Vgl. die aus karolingiscber Zeit stammenden leges Saxonum und
Frisionom.
') Ann. Laoresh. 782 (LL. I, 31) Habuit Carolas rex conventom
magnom exerdtos sni in Sazonia ad Lippinbnmnen et constitait super
eam ez nobilissimis Sazones genere comites.
') Vita Hludowid c 24 (SS. II, 619) : Quo etiam tempore Saxonibus
atque Frisionibns jus patemae hereditatis , quod sub patre ob perfidiam
legaliter perdiderant, imperatoria restituit dementia.
*) Ann. Laur. maL 771 (SS, I, 148).
*) Ann. Einb. 806 (SS. I, 193): conventom habuit imperator cum
piimoribus et optimatibas Francomm de divisione regni fadenda.
*) Waitz, Verfftssungsgeschidite III, 240.
"*) So haben in Alamannien die Nachkommen des alten Herzogshauses
mehre Ora&chaften inne; St&lin, wirttemb. Geschichte I, 233. 327
») Waitz ni, 329.
— 232 —
Nicht minder hat die wachsende Bedeutung der Hofverhftltnififie
das Emporkommen eines höfischen Adels begünstigt, ohne
dass die Könige irgend gegen diese Entwickelung sich ge-
wendet hätten. Und schliesslich haben das Seniorat und die
Vermehrung der Immunitäten dieser aristokratischen Tendenz
der socialen Entwickelung den Schlussstein eingefügt und das
Schicksal der kommenden Gesellschaftsordnung besiegelt
Ganz ähnlich aber war das Verhalten der Karolinger
gegenüber der geistlichen Aristokratie ; auch sie ist zuerst in
Schranken gehalten; die BisthQmer wurden nicht selten mit
abhängigen Männem von geringer Herkunft besetzt^); auch
war ihr allgemeiner Einfluss anfänglich vielleicht nicht mehr
so bedeutend wie in den ei^sten Zeiten des Frankem*eichs^;
aber ihr wacfisendes Vermögen, die Amtsgewalt, welche ihnen
Karl verlieh und die Freiheiten, die sie sich erwarben, hoben
sie doch bald wieder an die ei*ste Stelle der socialen Geltung
und politischen Macht empor, besonders seit der fromme
Ludwig sie so auffallend begünstigte^).
Vielfach ist besondere Karl d. Gr. als Beschützer der Ge-
meiüfreien und der untern Volksklassen bezeichnet und ge-
priesen worden. Und es lässt sich in der That nicht verken-
nen, dass er vielfach den Unterdrückungsvereuchen gewehrt und
manches zur Erhaltung der Freiheit gethan und verfügt hat *).
Aber wie das zum guten Theil sicher nur geschah, um
dem offenbaren Unrecht zu steuern und ein allzu grosses
Anwachsen der Macht bei Grafen und geistlichen Würden-
trägem zu verhüten, so ist anderseits klar, dass auch die
humanen Ideen, welchen der grosse Kaiser in seinen Capitu-
') Thegan rita Ludow. c. 20, 43, 44, 50. Monach. SangalL I, 3
(8S. II, 732),
«) Waitz ni, 358.
') Nach der Angabe bei Helmold I, 4 : amplisBimas regni diTitias k
decorem et gloriam ecdesiae intorquens in tantom, ut episoopos, qni
propter animaram regimen principes sunt caeli, ipse eosdem nihflominns
principes efficeret regni. 8. u. S. 284.
*) Die verschiedenen Stellen der Capitularien 8. u. in anderem Zu*
sammenhange S. 245 f. u. S. 249 f. 257.
— 233 —
larien Ausdruck gab, auf schlecht bereiteten Boden fielen.
Keine seiner vielen, oft tiefgreifenden Vorschriften ist so
TO'kungslos geblieben als gerade diese, weil eben die Ver-
hältnisse stärker waren als der Wille und auch die Macht
des stärksten Organisators 0- Ja die Karolinger selbst haben
doch nicht selten Freie geistlichen Stiftern übertragen und
wenn sie ihnen dabei auch die Freiheit vorbehielten *), so war
diese Aenderung der socialen Stellung doch zugleich immer
auch der Anfang einer rechtlichen Mindeining. Sie haben
auch anerkennen müssen, wie dies zum Theil noch die
Strenge einzelner Volksrechte ^) verlangte, dass einer wegen
Geldschuld oder von der Noth des Lebens bedrängt
seine Freiheit verlieren könne*); und die Verwalter des
königlichen Fiskus haben sich vielfach eben so wenig wie
andere Grosse besonnen, die armen Freien und ihre Güter
mit mehr oder wenig Recht an sich zu ziehen ^). Schliesslich
war dann auch die Verallgemeineining des Senioratsverbandes,
and die Einräumung der Immunitäten gerade am meisten
geeignet, die Behauptung der alten Vollfreiheit für die Mehr-
zahl der Unterthanen unmöglich zu machen; und so ist die
karolingische Socialpolitik, soweit wir von einer solchen über-
haupt sprechen können, schliesslich jedenfalls weit entfernt,
sich auf die Grundlage der Gemeinfreien besondei*s zu stützen.
Die Wechselwirkung zwischen Politik und Wirthschaft, welche
als ein Grundzug der Entwickelung aller Staaten und aller
Völker zu erkennen ist, lässt sich auch hier wieder auf das
^) Schon Thegan Vita Ladow. c. 18 (SS. n, 593) berirjitet, dasB die
ndssi egresd invenerunt innumeram moltitadinem oppressorum aut abla-
tione patrimonii aut expoliatione libertatis; quod iniqui ministri, comites
et locopositi per mahim ingenium exercebant.
«) Beispiele bei Waitz IV, 282.
«) Vgl. 1. B%juT. I, 10; II, 1 ; VH, 8, 4.
*) Capit Vermer. 755 c. 6; Capit Aquisgr. 813 c. 15; Gap. 817 c 2;
Cap. ad 1. SaL 819 c. 6; Constit. Olonn. 823 c. 10; Const. in Maringo
825 a 1 ; Const Olonn. 825 capit. gener. c. 10; EdicL Pist. 864 c. 34.
») Z. B. Mittelrh. ürk. 770 I, n. 22; ib. 821 n. 53. Mon. Boic 823
Bd. 31 a. n. 19. ürk. Ludw. 840, Sickel II, 204. Andere Beispiele bei
Waitz IV. 118.
- 234 —
Allerbestimmteste verfolgen. Wie immer die politische BoUe,
die einem Volke zu spielen von dem Weltenschicksale bestimmt
ist, für die Entfaltung seiner Kräfte, die Ordnung und Alis-
gestaltung seiner socialen Einrichtungen massgebend wird«
so ist andei*seits in der Fülle der Kraft, die im Volke wohnt,
und in den natürlichen Entwickelungsgesetzen dei-selben auch
Mass und Art seiner politischen Bethätigung vorgezeichnet.
Und so hat auch hier das politische System der Karolinger
gewiss nicht minder EinlSuss geäusseit auf die Umbildung der
socialen Ordnung, auf die Entwickelung der wirthschaftlichen
Zustände, in denen das Volk diese neue Zeit erlebte, als die
elementaren Kräfte des Volks- und Wirthschaftslebens schließ-
lich doch auch diesem politischen System seine Richtung vor-
gezeichnet, sein eigenartiges Gepräge gegeben haben.
Wir haben an dieser Stelle besondei*s die Wirksamkeit
jener elementaren Kräfte des Volkslebens zu beobachten,
welche, an Besitz und an Erwerb sich äussernd, dem Bereiche
des Wii*thschaftslebens der Nation angehören. Die alte gesell-
schaftliche Ordnung der Deutschen war durch die gänzlich
veränderten wirthschaftlichen Grundlagen des Volkslebens
hinfällig geworden. Schon lag im Grundbesitz der Schwer-
punkt der ökonomischen Existenz, die Wurzel socialer Geltung;
weder die Zugehörigkeit zu einem der alten Volksstände, noch
der sociale Zusammenhalt der Sippe und des Geschlechts,
noch die Genossenschaft freier Männer am gemeinen Lande
der Gemarkung schützte den Einzelnen wirksam vor socialem
Niedergang^). Nur eigne wirthschaftliche Macht vennochte
ihn vor der auch socialen Schwächung zu schützen, die ihni
mit der Isolirung drohte. Und das um so mehr, je mehr
mit Zunahme der Bevölkerung, mit Steige/iing der Bedürf-
nisse in Folge näherer wirthschaftlicher Beziehungen zu dem
reicher entwickelten Westreiche und mit allgemeiner Erhöbung
der Gultur im Volke die Ansprüche an das Leben und daher
auch das Minimum des Masses wirthschaftlicher Leistung
wuchs, das der einzelne als Gegenwerth gegen die höheren
') Vgl. I. Buch, 2. Abschnitt S. 80.
— 235 —
und werthvolleren Güter eintauschen konnte, die ihm ein nach
allen Seiten gesteigertes Volksleben bot
Nun war allerdings Gmndbesitz, die wichtigste Quelle der
Güter, in jener Zeit noch immer zu reicher Verfügung. Noch
bot die Mark mit ihren Gemeingründen Gelegenheit zur Aus-
dehnung der Wirthschaft genug; aber nur mit vermehrten
Arbeitskräften konnte sie der Cultur gewonnen und für Stei-
gei-ung der Producte benutzt werden. Zunächst allerdings
war wohl der kleine freie Grundbesitzer auch in der
Lage, mittelst der Angehörigen seiner Familie solche Aus-
dehnung seiner wirthschaftlichen Ginindlagen anzustreben ;
aber es hielt nicht lange vor; die Kinder gründeten einen
eignen Haushalt und es gewann höchstens die Mark an Colo-
nisation, aber nicht die Märker an ökonomischer Kraft.
Zudem musste ja bald der Punkt eintreten, auf welchem
die leichte Culturarbeit, die auf seichter Krume in wenig
mühevoller Ersetzung des Wald- und Weidelands durch
Acker und Wiese sich bewegte, ihr naturgemässes Ende fand.
Schwere, weit aussehende Culturarbeit an Urwald und Sumpf-
land vorzunehmen, war aber der auf sich selbst angewiesene
Freie nicht im Stande. Die Genossenschaft half ihm nicht
mehr wie damals, wo das Volk noch in stramm militärischer
Ordnung gemeinsam sich das Pflugland bereiten mochte, das
dann auch gemeinsam bebaut und genutzt wurde. Dazu war
die IndividuaHsiining der Wirthschaft längst zu weit vor-
geschritten; höchstens dass dann und wann sich Verwandte
zusammenthaten, um gemeinsam, nach alter Väter Weise, ein
Stück Landes zu cultivirenO-
So ist schon frühzeitig die Möglichkeit sich wirthschaft-
lich auszubreiten und in vergrössertem Grundbesitz zu stärken,
im Wesentlichen bei den Wenigen allein gestanden, welche
für ihre eignen ökonomischen Zwecke reichlich über fremde
Arbeitskräfte verfügten. Wie die Rodung selbst, wenigstens
wo sie im grossen Stile und mit weitaussehender Colonisirungs-
') Z. B. Cod. Laar. 794 n. 894. ib. 828 n. 377. C. Fold. 829 n. 479.
Aach C. Fnld 801 n. 165.
— 236 —
arbeit vorgenommen wurde, nur den Herren zahlreicher Knechte
und Untergebner möglich war, so veflangte auch die Ver-
werthung des gewonnenen Neulands gebieterisch eine Aus-
dehnung des persönlichen Heri-schaftsverhältnisses. Und auch
da, wo der kleine freie Grundbesitzer mit besondei's ener-
gischer Bethätigung wirthschafUichen Strebens durch Rodung
seinen Besitz zu vergrössem verstand, war es nicht anders.
Auch ihm war damit das Verlangen sofort rege gemacht,
neben dem sachlichen Herrschaftsrechte auch ein entsprechend
grosses pei-sönliches zu entwickeln. Denn nicht mit Grund
und Boden an sich, sondern nur mit dem Pfluge, der ihn
bearbeitete, und mit den Händen, welche sich im Dienste des
Herrn zur Gewinnung reicher Bodenerträge, zur Steigerung;
der Viehzuchtsproducte und Anfeiügung der nöthigen Gewerbs-
ei-zeugnisse regten, erhielt der Grundeigenthümer eine öko-
nomische Macht und erlangte die Verfügung über grössere
ökonomische Werthe, die ihm dann auch seine sociale Ueber-
legenheit vorbereiteten.
Und diese Arbeitskräfte mussten die Grundherrn in
möglichst feste Verbindung mit ihrer Herrschaft zu zwingen,
ihrem Willen unbedingt und ausschliesslich unterzuordnen
stets bemüht sein. Denn noch war nicht die Zeit gekommen,
welche ein Arbeitsverhältniss durch freien Vertrag begründen
liess und in festem Lohn eine Theilung des Arbeitserfolges
zwischen dem Hen-n des Gutes und seinen Arbeitskräften
ermöglicht hätte ^). Der Mangel an Geld und fungiblen
Weiihen , der Mangel eines Markts und geregelten Absatzes
der Producte, mit einem Worte die Natui'alwirthschaft, welche
noch die ganze Periode hindurch heiTSchte, verwehite ebenso
1) Zum Theil war das in dem wirthschaftlich viel reicher entwickdten
Keustrien anders; der Gonventos Silvacensis 853 c. 9 (LL. I, 425)spridit
TOD Lohnarbeit: Nemo autem eoB inserrire praesumat, eo qnod loco meh
cenarii apud aliquem manserint, nee cenaom aut tribntam ezigere. V|^
aber doch schon Capit Aquisgran. 817 c. 5 (LL. I, 215) wo in eisern
bestimmten Falle statt der Dienste Geld zu geben gestattet ist, com quo
pretio rector ecdesiae ad praedictam restaurationem operarios oondncen
et materiam emere possit; das N&here hierüber im 4. and 5. Abschnitt
- 237 —
einen durch Kapital herbeizuführenden intensiveren Anbau, wie
sie in der daueniden Yerknapfung der dienenden Arbeit mit
dem hen*schaftlichen Grundbesitze und der herrschaftlichen
Wirth8chaftsorganisation die einzige Sicherung eines stets
genügenden Bestands an Arbeitskräften sicherte. So ist das
übemll hervortretende Streben grösserer Grundherra hinläng-
lich erklärt, Leute der verschiedensten rechtlichen und socialen
Lage in ihren Herrschaftsbereich zu ziehen, wozu schon die
vorangegangenen Zeiten gi-ossentheils die Foimen gefunden
hatten, nunmehr aber noch manche neu erzeugt und zu un-
geahnter Tragweite ausgebildet wurden. *
Das erste, wichtigste, unerlässlichste f(lr jede gi*osse
Gutswii-thschaft war ein fester Bestand von Leibeignen, welche
am Hofe des HeiTn die täglichen Arbeiten der Küche, des
Haushalts und der Stallungen versahen, das Salland bebauten
und die Ernte versorgten, auch zu aller Art von Handwerk
und mancher Kunstfertigkeit brauchbar waren. Ihnen reihen
sich diejenigen an, welche auf den dienenden Mausen als
Unfreie, wenn auch in bessei*er und selbständigerer Lage
Sassen, und in der Hauptsache jene Theile des heri'schaflr
lichen Guts bebauten, die nicht der eignen Verwaltung des
Herrn vorbehalten oder, soweit sie das waren, doch von den
leibeignen Hausdienei-n nicht genügend versoi*gt werden konn-
ten ^). Es ist unverkennbar, dass diese Leibeignen, mancipia
und servi casati während der Karolingerzeit in viel grösseren
Massen vorkommen, für den Gesammtcharakter der landwiith-
schaftlich beschäftigten Yolksklasse und für die Volkswirthschaft
überhaupt viel entscheidendere Bedeutung erlangen, als in der
Torausgegangenen Periode^). Und doch scheint diess nicht
^) Das n&here über die wirthschaftlichc Verwendung der Leibeignen
im 4. Abachn.
') So sind beispielsweise in den 95 ältesten Traditionen von Weissen-
burg bis 770 nur 4 mal mebr als 12 Leibeigne mit zusammen 141 Per-
sonen genannt, in den 95 folgenden bis 800 8 mal mit zusammen 899 L.
In den 80 ältesten Fuldaer Traditionen bis 785 sind in 11 Fällen mehr
als 12 Leibeigne mit zusammen 268, in den folgenden 80 Urkunden bis
><00 21 Fälle mit zusammen 1051 Leibeignen enthalten.
— 238 —
80 fast in einer absoluten Verbreitung des Zustands der gänz-
lichen Un&'eiheit als vielmehr in einer Concentration der
Leibeignen bei immer weniger Grundhenm begründet zu sein.
Zwar auch jetzt stehen noch die Wege offen, auf denen firflher
schon Leute der vei-schiedensten socialen Lage unter das Joch
der Leibeigenschaft geführt wui'den. Die Kriegsgefangenschaft,
bei allen rohen Völkern eine beständige Quelle der Unfreiheit,
hat auch in dieser Periode den deutschen Grundherrn noch
viel dienendes Volk zugeführt ; insbesondere hliben die glück-
lichen Kriege Karls des Grossen gegen Sorben, Wenden und
Avaren die Reihen der Leibeignen durch slavische Kriegs-
gefangene vielfach vermehi*t, wie aus dem nicht unbeträcht-
lichen Bestände von slavischen Bauem auf den Gütern der
geistlichen und weltlichen Grundherrn der fränkischen Lande
zu ersehen ist ^). Vereinzelte Beispiele lassen wohl auch entr
nehmen, dass daneben der Deutsche den Deutschen selbst in
Leibeigenschaft hielt, wenn er ihn als Geissei oder Gefangenen
in innerer Fehde nach Kriegsbrauch erworben hatte*).
Auch durch Kauf und Tausch war noch immer der Leib-
eigne zu erwerben; mit Geld, mit Giundstücken oder andern
Werthen sind sie von reichen GrandheiTn eingekauft worden ').
Aber die bedeutende Vermehrung leibeigner Arbeiter, welche
sich durchgehends bei den grossen Grundherrschaften dieser
Zeit, vorab bei den weltlichen, zeigt, ist doch auf diese Ur-
sachen Qicht zurückzuführen. Die Kriegsgefangenschaft hörte
jedenfalls bald als solche Ursache auf; die spätere Karolinger-
zeit ist ja, weit entfemt Kriegsruhm und Erfolg zu verzeichnen^
auf notlidürftige Erhaltung der gewonnenen Reichsgrenzen
angewiesen gewesen. Und auch der Kauf von Leibeignen
>) Z. B. G. Fnld. 816 n. 328 de lidis, triduanis, liberh, colonis scIaTis
et quicquid higasinodi est G. Laur. 877 n. 40 im Lobdengaa ubi Sehn
habitant, hubas serviles 3 .... et illum locum ubi Sclavi habitant com ipsis.
«) Urk. 823 Sickel II, 145; 825 ib. 156. Vgl. Gu^rard Irminon I*
S. 290.
«) Marculf App. (21. Trad. Sang. 761 n. 31; 769 n. 53; 772 n. 64.
Vgl. aucb die yielen Beispiele aus den Trad. Fuld. und Corbeiens. bei
Gu^rard Polyptique de TAbbö Irminon I, 292.
— 239 —
konnte ihre Gesammtzahl doch nur vennehren, wo er sie vom
Auslände bezog. Wir hören aber nichts von einer Einfuhr
von Leibeignen nach den deutschen Landen ; wohl aber hat
Gallien, hat Spanien ^) und später auch das neue Slavenreich
im Osten starke Nachfrage nach deutschen Sklaven unter-
halten ^). Und nberdiess war ja in einzelnen Provinzen schon
längst, für das ganze Reich seit Karl d. 6r. der Verkauf über
die engere Grenze des Stammlandes verboten^). Häufiger
Kauf von Leibeignen im Innern des Landes aber konnte wohl
die Vertheilung aber nicht die Gesammtzahl ändern.
Man hat dann die behauptete grosse Zunahme der ab-
soluten Zahl der Leibeignen durch die bei ihrer Lebensweise
natürliche Fruchtbarkeit zu erklären versucht*). Aber was
uns an Daten über die Bevölkeiimgsbewegung dieser Zeit zu
Gebote steht, bietet doch für eine solche Annahme keinerlei
Anhaltspunkt Vielmehr ist aus vielen Beispielen der ver-
schiedensten Gegenden und wirthschaftlichen Gebiete Deutsch-
lands zu ersehen, dass während der ganzen Zeit die Kinder-
frequenz der Leibeignen sich weit hinter der Ziffer hält, die
wii' etwa gegenwärtig als normale anzusehen gewöhnt sind;
auf die Ehen der Leibeignen entfallen im grossen Durchschnitte
nicht viel über 2 Kinder und auch die uneheliche Progenitur
darf nicht so hoch angeschlagen werden, dass sie die Altei's-
klassen der Kinder überhaupt in ein wesentlich günstigeres
Verhältniss zu den erwachsenen Altersklassen zu setzen ver-
mocht hätte ^).
Die seit Altei*s geübten Gmndsätze, dass die Ehe mit
Unfreien selbst unfrei mache, und dass die Kinder solch ge-
») Liudpr. VI, 6. Vgl. Waitz V, S. 192.
*) VgL insbes. Wattenbachs Zusammenstellung der Nachrichten im
Anzeiger för Kunde der deutschen Vorzeit 1874 No. 2, S. 87£
') Vgl. 1. Alam. Hloth 37, 1 (LL. III, 57): ut mandpia foris pro-
nnda nemo vindatur. Capit Frandc 779 c. 19 (LL. I, 88): et foris
marca nemo mandpia vendat. Decr. Tassil. Niuh. c. l (LL. III, 464) ut
noüus a provinda sua mancipium venundare praesumpserit. Ed. Pist
864 c. 34 (LL. I, 497).
*) So Walter, Rechtsgeschichte II, 385.
'0 VgL die Tabelle in Beilage No. 5.
— 240 —
misch ter Ehen der ärgeren Hand folgen^), waren dagegen
allerdings einer Yermehning der leibeignen Bevölkerung
günstig; aber doch sind sie schon in dieser Zeit vielfach ge-
mildert ^). Ebenso konnte es das Verhältniss der freien zur
unfreien Bevölkerung zu Ungunsten der ersteren verändern,
dass nur diese in den Krieg zog, ihre Reihen also ausschliess-
lich von den vielen und besondei's gegen Ende der Earolinger-
periode unglücklichen Kriegen (Normannen, Ungarn !) decimirt
wurden^); aber dafür sind doch auch wieder eine Reihe von Ur-
sachen, welche in ältester Zeit häufige Unfi*eiheit begründeten,
Kriegsgefiangenschaft, Spielverlust, Verkauf der Kinder in die
Unfreiheit und andere in dieser Zeit in Wegfall gekommen.
Nur eine Ursache, die freiwillige oder durch Noth er-
zwungene Ergebung in Knechtschaft hat sich in dieser Zeit
i*echt eigentlich für Vermehrung der Leibeignen wirksam er-
wiesen. Diese ist aber im Zusammenhang mit einer andern
Reihe von Erscheinungen zu betrachten, welche zur Minderung
des Standes der gemeinen Freiheit ftlhi-ten und damit zumeist
jene Kluft ei*zeugten, welche in die sociale Schichtung der Be-
völkerung während der Karolingerzeit gekommen ist, und
diese in eine herrschende und eine dienende so scharf ge-
schieden hat.
Stärker als in den Zeiten einer wenig festen agrarischen
Ordnung musste die natürliche Attractionskraft der politischen
Macht, des socialen VoiTangs und Reichthums wirken, sobald
einmal der Ausbau im Stammlande eine gewisse Intensität er-
langt hatte, und die festen Grenzen einer durchgeführten Agrar-
und Flurverfassung die Bevölkerung umschlossen. Die Welt
war nun vertheilt, und jeder, der zu spät kam, musste sich
in diese Ordung fügen. Vor dem Abenteurer, der landlos
umhei-zog, schlössen sich ihre Thore; ohne Heimat und ohne
') Schon 1. Ripuar 58, 9, 10, 14—16. L, Alam. Hloth. 18, S» 4.
Auch Gap. 803 c. 8, LL. I, 121.
*) Insbesondere durch die Anwendung des Grundsatiea, dass dtf
Kind der Mutter folge, also frei wurde, wenn diese es war; vgl Gnätfd
Irminon I, 416—419.
') Das macht besonders Stälio, wirtt Qeschichte I, 227 geltend.
— 241 —
den socialen Halt, den entweder die Markgenossenschaft oder
das Mitium eines Herrn, die Commendation oder das Vassallen-
verhältniss bot, liess sich eine geordnete Existenz gar nicht
denken; vor allen andern Freien sind die solivagi, wie man
sie bezeichnend nannte^), der neuen Gestaltung der socialen
und wirthschaftlichen Vei'hältnisse zum Opfer gefallen. Immer
mehr schloss sich die Markgenossenschaft nach aussen ab
gegen den Zuzug solcher Leute, wozu sie stets Neigung ge-
habt hattet; dagegen bot gerade die grosse Grundhen'schaft
mit weitem gerodeten und ungerodeten Lande ihnen ein
rechtes Refugium. Ihr konnte auch solcher Zuwachs an
Arbeitskräften nur erwünscht sein und sie war anderseits in
der Lage, alles dasjenige zu bieten, was der Ankömmling
sachte: ein Grundstück zu selbständiger Bebauung, Schutz im
persönlichen Rechte, ja selbst Antheil an einem genossen-
schaftlichen Regimente, wie es sich ja im herrschaftlichen
Verbände entwickelte'). Das einzige was sich der Ankömm-
ling dabei gefallen lassen musste, das war die allgemeine Er-
gebung zu treuem Dienste an den Herrn und die Uebemahme
gewisser persönlicher Leistungen und Abgaben, die er aber
um so weniger drückend empfand, als er den erlangten Besitz
doch immerhin als eine Art von Geschenk betrachten konnte.
Und das persönliche Band der Abhängigkeit vom Grundhen-n,
das überdiess seinen Stand und seine rechtliche Freiheit nicht
zu beeinti'ächtigen brauchte, wurde um so weniger fühlbar,
je mehr sich die Feudalität mit ihrem politischen Inhalte an
Stelle des alten Unterthanen Verbandes setzte, den doch Jeder
eingehen musste.
Diesen zugezogenen, landlosen Fremden standen jene nach-
gebomen Söhne und Töchter ziemlich gleich, welche durch
eine hier und doit herrschende Sitte, wohl auch schon durch
bestimmte Anordnungen der Grundherrn für ihre Beneficien
von der Wohlthat des eignen Grundbesitzes auf dem väter-
^) Allerdings erst in sp&teren Urkunden, vgl. Maarer, Fronhöfe IV, 20 ff.
^ Vgl. 1. Sal. 45 de migrantibas und 1. Buch, 3. Abschnitt S. 95ff.
») S. u- S. 267 fL
WOB Inamft-Sternegg, WhihBehaftsgesehicbte. I. 16
— 242 —
liehen Erbe oder Lehengate ausgeschlossen waren ^), und nun
eine gesicherte ökonomische Existenz mit einem Opfer an per-
sönlicher Freiheit erkaufen mussten ; wobei es ihnen oft leichter
sein mochte, es einem fremden Grundherrn, als dem beTor-
zugten Bruder auf dem ungetheilten väterlichen Erbgnte zu
bringen. Aber auch in dem Leben der kleinen Grundbesitzer
selbst entwickelten sich im Laufe der Zeit eine Reihe von
Umständen, welche die Eri*eichung des von den grösseren
Grundherrn angestrebten Zieles begünstigten. Die wirthschaftr
liehe Isolirung, in der sie sich, auch im Markenverbande, be-
fanden, musste eine Schwäche und Unfähigkeit zu Widerstand
gegen alle Art von Unglücksfällen, besonders auch von V6^
mögensverlusten herbeiführen, die nicht selten mit Noth and
Elend endete; selbst zur Yeräusseiiing des Erbguts, als dem
letzten Mittel der Abwehr, war im Kreise der Genossen oft
die Gelegenheit nicht geboten ; über ihn hinauszugreifen, dazn
fehlte es am Markte und der Goncurrenz der Käufer; und
auch wo sich die Gelegenheit fand, war sie nicht immer ge-
eignet, ihren Zweck, eine Sicherung der bedrohten Existenz
für den Verkäufer, zu erreichen. Denn der Kaufpi-eis, selbst
in Geld gegeben, war in Zeiten vorwiegender Naturalwirth-
Schaft wenig begehrensweilh ; in anderen Werthobjektai
(Vieh etc.) gegeben, war er aber unter solchen Umständen
oft werthlos und unbrauchbar. Und dazu verlor die persön-
liche Stellung eines Freien, der sein ganzes Besitzthum ver-
äusserte, so zu sagen allen socialen Halt, da der Stand grund-
besitzloser und doch unabhängiger Freier mit der ganzen Ge-
sellschaftsverfassung jener Zeit nicht vereinbar war. In solcher
Nothlage war es immerhin der einfachste und beste Auswei!.
den Grundbesitz aufisutragen. ihn als Beneficium zurück-
zuerhalten und nun wenigstens eine sociale Stütze an dem
Verleiher zu finden, die auch ihre ökonomisch werthvoUe Seite
hatte. War aber die Noth so hoch gestiegen, dass eine Forl-
^) In der Hauptsache gehören diese Beschränkungen aUerdiogs eret
der folgenden Periode an; vgl. Maurer, Fronhöfe lY, 821. S. noteo
3. Abschn. S. 345 f.
— 243 —
f&hning der Wii-thschaft auch mit Minderung der Freiheits-
rechte nicht bestehen konnte, so lag die Ergebung in sei*vitium
um so näher, als sie die Erlangung von Grundbesitz aus der
Grundhen-schaft nicht nur nicht ausschloss, sondern sogar
regelmässig zur Folge hatte ^).
Es ist denkbar, ja -wohl in hohem Grade wahrscheinlich,
dass die massenhafte Verarmung, welche wir in der Karolinger-
zeit in der unteren Klasse freier Ginmdbesitzer finden, ihre
Ursache in dem volkswiilhschaftlichen Au&chwunge hat, den
wir in derselben Zeit beobachten können. Von Pipin vor-
bereitet, von Karl d. Gr. ausgeführt und von seinen unmittel-
baren Nachfolgern festgehalten war die Politik der innigen
Verschmelzung beider Reichshälften, und insbesondere die
Hebung der austrasischen Cultur im Geiste und mit den
Mitteln des reiferen neustrischen Lebens. Das war ein Regen
und Schaffen auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens,
welches alle schlummemden Kräfte mit einem Male zu hohen
Zielen weckte und ein unabsehbar weites Feld der Erfolge
für jede tüchtige Kraft in Aussicht stellte. Besonders auf dem
wirüischaftlichen Gebiete, auf dem das Westreich eine so
grosse Ueberlegenheit über den Osten zeigte, war, gegenüber
der Einfachheit der älteren Zustände, gleichsam alles zu ge-
winnen und es liegt nahe, welche Vortheile hier die „Vorhand^
haben musste, die sich einer durch persönliche Tüchtigkeit
und durch Besitz zu erringen und zu wahren verstand. Wie
immer in Zeiten raschen volkswirthschaftlichen Aufschwungs
die Vermögensunterschiede gi'össer werden, weil dieser Auf-
schwung von verhältnissmässig Wenigen angeregt wird, die
dann auch die Flüchte dieser Anregung einheimsen, bevor noch
die Masse des Volkes an dem einen wie an dem andern An-
theil nehmen kann; und wie der Werth eines solchen Auf-
schwungs für die Menge mehr in Steigerung des durchschnitt-
lichen Lebensgenusses und bleibender Erhöhung ihrer Be-
*) Cod. Lauresh. 787 n. 2867 : donamua 1 mansam et 15 jumales et
nosmetipsoB. ib. 793 n. 889: manBum 1, 15 jum. de terra et vineas in
tribuB locis et de prato ad 2 carr. feni, nee non et nosmetipsos ad servi-
endom tradimuB in domininm b. Nazarii.
16*
— 244 —
dürfiiisse, Erweiterung ihres Horizonts, als in leichterer Be-
dürfhissbefiiedigang besteht: so mochte auch in jener Zeit die
allgemeine Yolkscultur einen bedeutenden Schritt nach Tor-
warts gemacht haben, ohne dass damit eine Besserung des
Loses der grossen Menge im Sinne einer mühe- und sorgen-
loseren Existenz geschaffen worden wäre. Vielmehr wird die
in der primitiven Form der Naturalwirthschaft liegende „Ge-
müthlichkeit^ der Existenz verloren gegangen, der Kampf am
die Bewahrung der bisherigen Lebenshaltung, bald um die
Erhaltung der Existenz selbst immer schwerer, immer aus-
sichtsloser geworden sein. Der Freie, dem nicht reicher
Grundbesitz und namhafte dienende Arbeitskräfte beschieden
waren, oder der nicht in der Sonne königlicher, fQrsUicher
oder bischöflicher und äbtlicher Gunst stand, hatte bald keine
Wahl mehr, ob er sich unabhängig behaupten oder in fremde
Botmässigkeit begeben wollte; und wo ihm etwa noch die
Wahl offen stand, da fiel doch nur allzuleicht die Ent-
scheidung nach jener Seite hin, weldie ihm Sicherheit des
Lebens und seiner Genüsse bot, wenn darunter auch das stolze
aber praktisch bedeutungslose Bewusstsein verloren ging, den
Vornehmsten im Volke i-echtlich gleich zu stehen.
So sehen wir denn thatsächlich in einer Menge von Fällen
Mangel und Noth — aus diesen und jenen Ursachen entstan-
den -— als Motiv fdr das Aufgeben der Freiheit und Unter-
ordnung unter die Herrschaftsgewalt eines Grossen in den
Gesetzen des Volkes ^) anerkannt, in den Gapitularien als un-
abänderliche Thatsache hingenommen'), in den Foimeln als
tägliches Vorkommniss berücksichtigt ^) und in den Urkunden
^) L. Saxon. 62 : NaUi liceat tradicionem hereditatiB suae hcen . .
nisi forte famis necessitate coactas. L. Fris. XI, 1: 81 liher homo tpon-
tanea Toluntate vel forte necessitate coactos nobili sea libero sea etiam
lito in personam et servitiam liti se subdiderit.
>) Vgl. die Stellen S. 245, 249 f. und S. 257.
') Form. Sirm. 44 qualiter ego minime habeo, onde me paaoere vel
vestire debeam. Form. Andeg. 19 pro necessitate tempomm et Titae eonh
pendiom me eciam sterilitas et inopia precinzit, ut in aliter transagere
non possam, nisi nt integrum statum meimi in vestnim debiam implecars
serritiom. Andere Beispiele bei Waitz, YerL-G. II, 191.
— 245 —
über die Ergebung in Dienst und in schwerere Formen der
Unfreiheit bestätigt^). Wie gut und mit wie wenig wähle*
rischen Mitteln es aber auch die Grundherrn verstanden, die
Noth der Leute zu diesem ihrem wichtigsten Zwecke der Er-
weiterung ihrer persönlichen Heirschaft auszubeuten, davon
sind die Kapitularien Karls des Grossen und seiner Nach-
folger voll, die den vergeblichen Kampf mit der Habsucht der
Grossen zu führen nicht unterliessen ^).
Vergeblich aber war deraelbe nicht bloss weil es der
Reichsverwaltung doch fQr die Dauer an Macht, ihren Beamten
an gutem Willen fehlte, diesen Yorschiiften überall die volle
Anerkennung zu sichern; er war vergeblich besonders, weil
die ökonomische Gesammtlage des Volkes mächtig die Bildung
gi-osser Vermögen auf der einen, die Veraiinung auf der
andern Seite begünstigte; vergeblich auch, weil es nicht
möglich war, mit diesen Gesetzen gleichzeitig auch andere
Härten des öffentlichen Rechtszustands und der Reichseinrich-
tungen zu beseitigen, die ebenso gerade den kleinen freien
Grundbesitzer drückten bis er unterdrückt war. Denn wenn
er auch zunächst nur sein Besitzthum tradirte, um es als
Beneficium oder Pi'ecarie zuillckzuerhalten , so war das doch
nur die Vorstufe auf dem Weg des socialen Niedergangs;
^) Vgl. Ga6rard Polyptique I, 285. Aach die vielen Beispiele einer
persönlichen Ergebung in servitiam (Tr. Frising. 819, n. 877; C. Laur.
n. 2867; 839) oder die Uebertragong von Gütern nt victom et vestimenta
haboissem (Tr. Sang. 795, n. 189; 827, n. 811) oder propter meam sab-
stanttam ib. 745, n. 12 n. dgl. können zum Thefl hieher bezogen werden;
8. Beispiele in meiner Ausbildung der Orandherrscbaften S. 56.
*) Capit 805 (LL. I, 184} c 16: De oppressione pauperum liberomm
hominnm ut non fiant a potentioribus pei aliquod malum ingenium contra
fostitiam oppressi, ita nt coacti res eonun vendant vel tradant. Cap. 806 c. 8
(LL. I, 144): Sunt et alii, qui iustitiam legibus redpere debeant et in
tantum fiunt in quibusdam lods fsitigati, usque dum illorum iustitiam per
fideinsBonun manus tradant, ita ut aliquid vel panrum possint habere et
forciorea susdpiant maiorem pordonem. §ap. 809 c 24 (LL. I, 156): de
debitis pauperum anterioribus et negotia fadenda anteqnam fiructus colli-
gator, omnino inantea ca?enda hoc ex ore proprio locuti sumus.
— 246 — '
war erst das Besitzthum unfrei, so wahrte auch der Besitzer
nicht lange mehr seine Freiheit 0*
Vornehmlich drei öffentliche Einrichtungen können neben
den sonstigen Ursachen als Quelle der Verarmung bezeichnet
werden und arbeiteten daher dem in den Kapitularien an-
gestrebten Schutz der kleinen Freien entgegen. Das strenge
Compositionensystem der Volksrechte war eine häufige Ver-
anlassung zu Verschuldung und als Folge davon zu Verarmung.
Denn der Reiche, der dem einer schweren Geldstrafe nach
Volksrecht Verfallenen die nöthige Summe voi-streckte, be-
gnügte sich, auch wenn er ein Geistlicher war '), kaum je mit
der Rückzahlung, sondern nahm entsprechende Zinsen, welche
für ein solches Consumtivdarlehen aufzubringen immer schwe-
rer fallen musste, so dass schliesslich auch dieser Schuldners
zu einer pei'sönlichen Abhängigkeit führen konnte').
Dann aber waren die Einrichtungen des Heereswesens
und der Kriegsdienstpflicht dazu angethan, die Verarmung
der kleinen Freien zu befördem; und das um so mehr, als
^) Das ist mit anderen Worten schon im Gapit Aqnisgr. 811, c. 5
(LL. I, 167) ausgesprochen: Si rebus suis ezpoliant et legitimos heredet
eonun ezheredant, ac per hoc plerosque ad flagitia et scelera propter id-
opiam, ad quam per hos fuerint devoluti, perpetranda compellunt, ut qnaö
uecessario furta et latrocinia exerceant, cui patema rerum hereditas, ne
ad eum perveniret, ab alio praerepta est
*) Tr. Sang, (yor 813) I, 208 : . . füit vir condam Cunxo nomine, qu
casu intenreniente obnozius 2 werigeldorum refngium jubaminis ad coe-
nobium . . . conquesirit Sed quia nostrüm est oppressos soWere, d^jecCoi
Bublevare, fenerayimus ei solidos 100 ad sublevationem obnoxii soi, eo
videlicet condicto, ut nobis annis singulis dum inter predicta peconia sb
iUo demum reportata non fuerit, unam carratam civitalem, id sunt 83
side ciTitalie pro censo persolvat; similiter autem heredes ipsius pladtom
Gondictum absque uUa contradictione consequantur. Vgl. auch Fom.
Sinn. 13, wo f)lr eine Schuld an einem Grundstück Besitz und Frnchtr
genuss einger&umt wird.
') So heisst es in Form. Andeg. 37 : Constat me accepisse et ita se>
cepi de vobis per hanc caudoae ad pristetum benefidum, hoc est in a^
gento undas tautas. In loco pignoris emitto vobis statum menm medi-
etatem, ut in unaquisque septemana ad dies tantis, qualecunque operas
legitema mihi ii\junxeris, &cere debiammus.
— 247 —
Heeresfolge und Leistungen für den Kriegsbedarf bei den
fortwährenden Kämpfen Karls d. Gr. und seiner Nachfolger
auch ununterbrochen in Anspruch genommen wurden. Von
der alten Kriegslust der Germanen aber ist in diesen Zeiten,
bei den wenig bemittelten Grundbesitzern wenigstens, nichts
mehr wahi-zunehmen ; vielmehr ist das Bestreben schon stark
lebendig, sich dem Kriegsdienste zu entziehen ; und dazu war
wieder die Ergebung in den persönlichen Dienst eines Grund-
herren das geeignetste Mittel; denn nur der freie Mann, der
die Ehre der Waffen genoss, zog in den Kri^^); das Volk
der Eigenleute blieb daheim. Wer aber von den kleinen
Freien die Freiheit höher schätzte, als er die Last der Kriegs-
pflicht scheute, der konnte durch sie doch nur allzuleicht in
die Nothwendigkeit versetzt sein, Theile seines Besitzthums
mächtigeren Grundherren aufzutragen, um sich dadurch für
den Kriegsfall die nöthige Ausrüstung sicher zu stellen, oder
Grundeigenthum zu verkaufen um den Preis eines Pferdes
und eines Schwertes *). Und so sind die grossen Grundherren
wieder zu dienendem Gi-undbesitz, aber auch dazu gekommen,
den Kreis ihrer hörigen Leute zu erweiteni.
Es waren aber nicht die gesetzlichen Bestimmungen über
die Kriegsdienstpfiicht allein, welche diese Last für den klei-
nen Freien so drückend machten. Wohl ist die oftmals ge-
forderte Entfernung des Hauptes einer kleinen Wirthschaft
und der Aufwand, den der Pflichtige selbst für seine Aus-
rüstung zu machen hatte*), um so fühlbarer und schwerer
^) S. i. A. Waitz IV, 450 ff. Roth, Beneficialwesen S. 184; beson-
ders aber Boretius, Beiträge zur Capitnlarienkritik, S. 91 fL
*) Trad. Sang. 761, n. 31.
^ Capit 805 (LL. I, 132 ff.), c. 6: De armatura in exercita sicut iam
antea in alio capitulare commendavimus, ita servetur. Et insuper omnis
homo de 12 mansis braniam habeat. Qui vero bruniam habens et eam
secam non tnllerit, omne beneficium cum bronia pariter perdat Dazu
Boretius S. 111. Encyclica 806 (Aufgebotsbrief an Abt Fubrad), LL. I,
145: nnusquisque caballarius habeat scutum et lanceam et spatam et
semispatum , arcum et pharetras cum sagittis. Boretius 113. Capit 813
(LL. 1, 187 ff.), c. 9: Et ipse comis praevideat quomodo sint parati, id
est lanceam, scutum et arcum cum duas cordas, sagittas 12; de bis uter-
que habeant. Boretius 123.
— 248 —
empfunden worden, je grösser die Anforderungen waren,
welche eine gesteigeile Production und eine complicirtere
Wirthschaftsftthrung besonders an den kleinen Betrieb stellte.
Aber doch erleichteite gerade Karl d. Gr. zu wiederholten
Malen diese Pflicht, soweit das die Bedürfnisse eines zahl-
reichen und schlagfertigen Heei-es zuliessen. Bald schonte er
die Wehipflichtigen der von Hungersnoth heimgesuchten Ge-
genden, indem er das Aufgebot nur an diejenigen Gegenden
erliess, welche von solcher Noth frei geblieben waren ^); mehr
mals wird von dem zulässigen allgemeinen Aufgebote kein
Gebrauch gemacht, sondern nur die Besitzer von 3 oder von
4 Mausen zu persönlichem Auszug verpflichtet, den übrigen
aber gestattet, mehre gemeinschaftlich einen Mann zu stellen *).
^) Capitulare missonim 807 (LL. I, 149), c 1: Memoratorium , qua-
liter ordinavimas propter üamis inopiam, ut de ultra Sequane omnes exer-
citare debeant Boredos 102 f., 113.
*) Capit. missomm 807 (LL. I, 149), c. 2: Quiconque über mansos 5
de proprietate habere videtor, simUiter in hostem veniat Et si 4 mansos
habeat, similiter fadat Qai 3 habere videtur, simiiiter agat UbicniD-
que autem inventi fuerint duo, quorum unusqaisque 2 mansos habere vi-
detur, onus alium praeparare faciat: et qui melius ex ipsis potuerit, in
hoBtem veniat. Et ubi inventi fuerint 2, quorum nnus habeat 2 maoMS,
et alter habeat 1 mansum, similiter se sodare fadant et onos altemm
praeparet; et qui melius potuerit in hostem veniat. übicomque anten
tres fuerint inventi, quorum unusquisque mansum 1 habeat, duo terdom
praeparare fadant; et ubi duo, terdum de illis qui parvulas possessiones
de terra habere videntur; ex quibus qui melius potest in hostem yeniaat
Et qui sie pauper inventus fuerit «qui nee mandpia nee propriam poeses-
sionem terrarum habeat, tarnen in praecio valente quinque solides (Bor.
libras) quinque sextum praeparent. Capit. missorum 808 (in LL. I, 119a.
803 s c- 1- yt omnis Über homo, qui 4 mansos vestitos de proprio sno
sive de alicuius benefido habet, ipse se praeparet et per se in hosten
pergat, sive cum seniore suo si senior eins perrexerit, sive com comite
suo. Qui vero 8 mansos de proprio habuerit, huic adiungator onus qoi
1 mansum habeat et det illi aiitjutorium ut ille pro ambobus posstt Qoi
autem 2 habet de proprio tantum, iungatur illi alter qui simiiiter 2 man-
sos habeat, et unus ex eis altero eum adiuvante pergat in hostem. Qui
etiam tantum 1 mansum de proprio habet, adiungantur d tres qui similiter
habeant et dent d aiiUutorium et ille pergat tantum; tres vero qui illi
a^jntoriiim dederunt, domi remaneant Boretius 114, 118.
— 249 —
Nnr den Besitzern von 12 Mansen ist die schwere Ausrüstung
mit Bnisthamisch anbefohlen ^). Auch gestattete er zu mehren
Malen, dass von den persönlichen Hausdienern der Grafen
je zwei fbr die Bedienung der Frauen und je zwei fQr die
Versorgung der einzelnen Ministeria zurückbleiben konnten,
welche der Graf auf seiner Herrschaft eingerichtet hatte.
Bischöfe und Aebte sollten je zwei von ihi*en Hintersassen vom
Auszüge befreien dürfen*).
Viel mehr dagegen als die bloss gesetzliche Wehrpflicht
bewirkte die den Grafen und Senioren eingeräumte Heerbann-
gewalt eine massenhafte Ergebung in ihren Dienst. Denn es
lag in ihrer Hand, den Einzelnen zu Hause zu lassen oder
in den Krieg zu schicken, je nach Gunst und Laune ^); mehr
nach diesen Motiven als nach dem Geiste des Gesetzes wal-
teten sie des Vollzugs der königlichen Institutionen. Mit
solch willkürlicher Vertheilung dieser schwersten Last, welche
auf den freien Grundbesitzer diilckte, konnten sie sich einen
M Cap. Theod. 805, c. 6 (LL. 1, 138): Et insuper omnis homo de 12
maiiBis bmniam habeat.
') Capit 808, c. 4 (LD. I, 119i: De hominibuB comitozn casatis Ist!
sunt ezdpiendi et bannum rewadiare non iubeantur: duo qui dimissi
iaenint cum uxore iUius et alii duo qui propter ministerium eins custo-
diendum et servitiom nostrum faciendum remanere iussi sunt In qua
causa modo praecipimos, ut quanta ministeria unosqaisque comes habuerit,
totiens duos bomines ad ea custodienda domi dimittat, praeter illos duos
quos com nxore sua . . . Episcopus vero vel abbas duo tantum de casatis
et laids hominibus suis domi dimittant Capit. Bonon. 811 (LL. 1, 173), c. 9:
Et quia nos anno praesente unicuique seniorum duos bomines, quos domi
dimitteret, concessimus etc.
') Capit de exped. ezerdt 811, c. 4 (LL. I, 168): Quod episcopi et
abbaftes sire comites dimittunt eorum liberos bomines ad casam in no-
mine minlsterialium. c. 5: Dicunt etiam alii, quod illos pauperiores con-
stringant et in bostem ire faciant et UIos, qoi babent quod dare possint
ad propria dimittant. S. Boretius S. 120. Aucb schon in Capit 808
(LL. ly 119, a. 803) sind solcbe Missbräucbe erw&hnt; c. 5: si aliqui in-
Tenti fderint, qui vel pretio se redemissent vel dominis suis permittentibas
domi remansissent c. 6 : quod quidam bomines . . . iubente comite vel
ministerialibus ^os propter se redimendom predum dederunt, ut eis domi
remanere licaisset c. 7: SimiUter et a comite vel vicario vel centenario
qui ad hoc consenserunt, ut domi remansissent
— 250 —
persönlichen Einfluss erringen, wie er weder durch Reichthum
noch durch Ansehen zu erlangen war; wer klugen Sinn hatte,
der drängte sich an die Gunst dieser Gewaltigen heran, und
sie war am sichersten durch Ergebung in ihren persönlichen
Dienst und durch Uebeitragung des Giiindbesitzes zu er-
langen ^). Wer aber seine schwache Freiheit auch unter dieser
Ungunst der Verhältnisse zu behaupten vei'suchte, der konnte
es leicht empfinden, wie schwer es war, den Vergrösserungs-
geltisten seines Seniors oder des Grafen zu widerstreben,
der über den Gau gebot. So oft und so lange schickten ihn
diese dann wohl in den Eiieg, bis er sein Vermögen auf-
gebraucht, seine Wirthschaft verfallen sah und nun mttrbe
genug war, dem Drucke nachzugeben, der ihn unter das Joch
der Abhängigkeit beugen wollte ^).
So sind tiefgreifende Wirkungen, welche von der Wehr-
pflicht auf die Veitheilung des Grundbesitzes und die persön-
lichen Verhältnisse der kleinen Freien zu den Grundherren
ausgingen, unverkennbar, wenn es auch nicht gerechtfer-
tigt ist, darin allein den Schlüssel zum Verständniss dieser
Vorgänge zu suchen ^). Charakteristisch aber ist es , dass
die verändeite Vertheilung des Grundbesitzes, wie sie zum
1) Capit rolBBor. 808 (LL. I, 119, a. 808), c. 8: Quod si forte Ulis
homo inventus fuerit qai dicat, quod iuBsione comitis vel vicarü sat ceo-
tenarii sui hoc ex quo ipse semetipsum praeparare debeat, ddem comiti
Tel vicario aut centeuario vel quibuslibet hominibos eorum dediaset et
propter hoc illud demisisset iter. Capit 811, c. 8 (LL. I, 169): Alü vero
sunt, qui ideo se commendant ad aliquot seniores, quos sdunt in hosten
non profectnros. Vgl. auch das Heberegister von Werden (saec IX) bd
Lacomblet, Archi? II, 227 f.: Temporibus Caroli iunioris venit quidam
homo liber . . et tradiderunt se ipsos ad S. Liudgerum . . . ut de oetero
liberi permaneant.
^) Capit. de ezped. ezercit 811, c 3 (LL. 1, 168): Dicunt etiim,
quod quicunque proprium suum episcopo, abbati vel comiti aut indid ^d
ceutenario dare noluerit, occasioues quaerunt super illum pauperem, quo-
modo eum condempnare possint et iUum semper in hostem fadont ire,
usque dum pauper f actus, volens nolens suum proprium tradat vel vendat;
alü vero qui traditnm habest, absque uUius inquietudine domi resideant
') Wie z. B. Hüllmann, Ursprung der Stände, S. 211, und Tide Uten
Schriftsteller.
— 251 —
Thei] jedenfalls der drückenden Wehrpflicht zuzuschreiben ist,
sich auch am frühesten in der veränderten Heeresveifassung
dei^ Folgezeit ausprägt. In einem Kapitulare Karls des Kah-
len ^) ei-scheint das Heerwesen für das westliche Frankenreich
wenigstens schon yollkommen feudalisirt Das Seniorat ist da
allgemein und vollständig ausgebildet; die Lehensmiliz trägt
die Heereslast und nur wenn der Feind im Lande ist, ist
auch das übrige Volk zur Landesvertheidigung, zur „lantweri**
veipflichtet.
Was dann aber Gesetzeszwang und Beamtendi;uck nicht
bewirkte, das war in erschreckend sich steigernder Weise die
Folge der Verwüstungen, welchen die deutschen Lande unter
den Nachfolgern Karls d. Gr. fast sämmtlich und wiederholt
preisgegeben wuiden. So lange Karls d. Gr. tapfere und glück-
liche Hand den Feinden des Landes wehrte und das Land
frei hielt von feindlichem Einfall wie von innerem Zwiespalt,
war noch gute Zeit; aber bald begannen jene grossen und
zahlreichen Fehden, welche der Streit der Nachfolger im
im Reiche um Krone und Land ei'zeugte, bald auch jene un-
glückliehen Kriege mit den nördlichen und östlichen Nach-
barn, die das Reich an den Rand des Verderbens brachten;
und besonders die zweite Hälfte des neunten Jahrhundeils
ist durch ununterbrochne Verheerungen deutscher Lande be-
zeichnet ; unter Karl dem Dicken durchzogen die Sorben und
Böhmen verheerend die thüringischen Lande; die Dänen zer-
störten in der Mark die besten der jungen Ansiedelungen;
die Normannen landeten ungehindert an den Küsten der Nord-
see und durchzogen plündemd die Rheingegenden; die Mauern
der Städte wurden von ihnen niedergerissen, die Kirchen und
Paläste eingeäschert, selbst die Pfalz Karls d. Gr. in Aachen
wurde zum Theil ein Raub der Flammen*). Mit Kaiser Ar-
nulf begannen die verheerenden Züge der Magyaren; in Sach-
sen und Thüringen, vornehmlich aber in Baiem und Schwaben,
traten sie verheerend auf und haben hier mehr als alles
^) Capit. 847 (LL. I, 395), c. 2— 5. BoretiuB 128.
') Giesebrecht, Kaisergeschichte I, 159 ff.
— 252 —
andre zum raschen Untei^ang des Freienstandes beigetragen.
Und zu allem UebeiHuss war unter Amulfis Regierung auch
langandauemder Misswachs als schwere Geisse! Ober fast aDe
deutschen Länder gekommen ^) und vernichtete so die letzte
Hofihung des kleinen GrundeigenthOmers , die HoShung auf
die Früchte des eignen Fleisses.
Eine dritte Last, die wieder besonders auf den kleineo
Grundbesitzer diilckte und ihm seine Wiithschaft und die
Erhaltung der Selbständigkeit erschwerte, war der Zebent
Schon gegen Ende der ersten Periode ist er aus einer frei-
willigen Leistung an die Kirche eine mehr oder weniger er-
zwungene Abgabe geworden^). Ganz besonders empfindlich
wurde sie aber fQr die Beneficiai-e, welche secularisirte Ei^
chengüter innehatten; denn diesen wurde neben dem Censos
von 1 Solidus fQr jede Haushaltung^) in der sogenannten
nona et decima ein ganzes Fünftel des Ertrags abgenommen *),
und auch den bisher dem Census nicht unterworfenen ein
solcher vorgeschrieben. Häufige Zahlungsverweigerungen wa-
ren die nächste Folge dieser Last^); ja man liess sogar in
einzelnen Fällen lieber das Land ganz unbebaut, dessen
Früchte doch nur zum Theil der eignen Wirthschaft zu Gute
gekommen wären ^). Strenge Strafen, zuletzt der Verlust des
Beneficiums mussten angedroht werden, um die Säumigen zur
Erfüllung ihrer Veipflichtungen anzuhalten ^.
*) Giesebrecht, L c. I, 175.
>) Vgl. I. Buch S. 154 und besonders Capit. 794, c. 23 (LL. I, 7S):
Et omnis homo ex suaproprietate legitimam decimam ad ecciesiain cooiient
«) Capit Liftin. 748, c. 2 (LL. I, 18).
^) Capit. 779, c 13 (LL. I, 87): De rebus yero ecclesiannn onde nnzie
census exeunt, decima et nona cum ipso censu sit sohita; et onde aiUea
non exienmt, similiter nona et decima detur; atque de casatis 50 solidnm
nnum et de casatis 80 dimidium solidum et de SK) tremisse nno.
*) Capit. 800 (LL. I, 81): Insuper nonas et dedmas yel oensos, in
proba cupiditate de ecclesiis, unde de ipsa beneficia sunt, abstrahere nitfaBmL
«) Capit 829, c. 9 (LL. I, 851): De iUis qni agros dominicatos prop-
terea neglexerit excolere, ut nonas et decimas exinde non persolmt
'') Capit 817, c. 5 (LL. I, 215): Et qui nonas et decimas dare ne-
glexerit, primum quidem iilas cum lege sua restituat et insuper bimmm
— 253 —
Neben diesen besonderen öffentlichen Einrichtungen wirk-
ten aber auch die allgemeine Ordnung der Rechtspflege und
des Rechtsschutzes , die ganze Administration des karolingi-
schen Staatswesens der Erhaltung des Standes kleiner freier
Grandbesitze]; entgegen. Wie es die Reichsgewalt mit Aus-
bildung des Seniorats und mit Verleihung der Immunitäten
im Grunde selbst anerkannte, dass eine andere öffentliche
Ordnung, als diejenige, welche sich auf den grossen Grund-
besitz stützte, nicht mehr möglich war, so musste es auch
den kleinen Freien bald zum Bewusstsein kommen , dass sie
ToUen Rechtsschutz und Pflege ihrer volkswirthschaftlichen
Interessen nur durch die Schutzgewalt dieser Träger der
Öfifentlichen Gewalt finden konnten. Nicht nur die factische
Macht hiezu stand bei ihnen und der gute Wille konnte durch
Ergebung in den Dienst sowie durch Auftragung oder Schen-
kung von Land gewonnen werden; auch die rechtliche Ver-
pflichtung lag dem Senior ob, seinen Vassallen ein Hort und
Schirm ihrer Rechte und Interessen zu sein ^).
Auch speciell wirthschaftliche Zwecke wurden mit der
Ergebung in den Dienst eines Grossen vei-folgt und solche
Motive zeigen am besten, wie wenig Werth vielfach schon auf
die Vollfreiheit gelegt wurde und wie stark schon andere, be-
sonders rein ökonomische Interessen bei der Masse der klei-
nen Grundbesitzer überwogen. Um sich besser aiTondiren zu
können ^) , um Geld und Pferde zu einer Reise zu bekom-
nostmm solvat, ut ita castigatus caveat. oe saepius iterando benefidnm
amittat. Capit. 846, c. 63 (LL. I, 892) : Hl vero qui ex rebus ecdesiasticis
Donas et decimas persoWere et sarta tecta ecclesiae secundum antiquam
aactoritatem et consuetudinem restaurare debent, et hoc non solum negle-
gont, Yeram et per contemptom dimittont . . . tamdiu ab ecclesiastica
communlone separentur, nsqae dum diligentia emendare studeant, quod
socordia neglezenmi Quod si iterum iterayerint, post ezcommunicationis
sat2sfiu:tionem regia potestate compulsi iuxta legale et antiquum dictum,
qui neglegit censum perdat agrum.
^) Capit. 816, c. 2 (LL. I, 196): Si senior yassalli sui defensionem
iacere potest postquam ei ipse manus suas commendayerit et non fecerit,
liceat Tassallum eum dimittere. Vgl Waitz II, 207.
«) Tr. Wizzemb. 808, n. 19 und oft.
— 254 —
men ^) u. dgL wurde der Besitz ganz oder theilweise aufgetra-
gen und damit auch der Kreis der dienenden Wirthschaften
für die grossen GrundheiTon erweitert
Zu Gunsten der kircMichen Grundherrschaft wirkten
überdiess noch eine gi'osse Menge besonderer umstände. Die
Tradition eines Gutes und die persönliche Uebergabe in den
Dienst einer Kirche oder eines Klosters ') galt immer als ein
Gott gefälliges Werk. Hoffnungen für das Seelenheil und Er-
lösung Yon den zu erwartenden Sti*afen eines sündhaften Le-
bens waren eben so häufig Veranlassung zu solcher Uebergabe,
wie die von der Kirche versprochene Einschreibung in das
Buch des Lebens'), die Gewährung einer Begräbnissstätte
oder eines Jahitags und der Abhaltung besonderer Gottes-
dienste *).
Auch die Aufnahme in das Kloster selbst hatte meist die
Uebergabe des Grundbesitzes mit den Leibeignen zur Folge ^j;
und die von der Kirche gewährte Unterstfltzung in Fällen
der Noth oder Pflege der Waisen wurde durch Schenkungen
und Uebertragungen vergolten*).
Die Kirche vei-stand es aber auch besonders, die Anzahl
ihrer dienenden Leute durch eine Menge von Vortheilen za
vermehren, welche sie gerade den Aeimeren im Volke bot;
sie pflegte das Asylrecht, um den Knecht, der ein Vergehen
sich zu Schulden kommen liess, vor der Wuth seines HeriB
zu schützen^); sie beschränkte den Handel mit Leibeignen im
wohlvei-standenen eignen Interesse, und knüpfte dadurch, so-
») Tr. Wizz. 739, n. 11. Tr. SangaU. 744, n. 10; 855, n. 441.
«) Z. B. Tr. Sang. 764, n. 48. Tr. Frising. 774, n. 42. Tr, VTuieinb.
830, n. 51 u. 0.
«) Tr. Wizz. 724, n. 18; 742, n. 7, 15, 52.
*) Tr. Wizz. 714, n. 41.
«) Tr. Wizz. 714, n. 41; Tr. Sangall. 769, n. 52.
«) Tr. Wizz, 693, n. 88.
^) AoBser von den GoncilienBchlOssen (Aurel l, 511, Tolet H, ^^
Tribur. 895) auch von der weltlichen Gesetzgebung, wenn aoch mit Ein-
schränkungen anerkannt; Decr. Chlotar. II, 595, c 13 — 15; L Alam. c- ^^
L. B%juv. I, c. 7. Capit. 789, c. 2; Cap. 803, c. 3 u. ö. Vgl Walter,
Kirchenrecht § 207.
- 255 —
wie durch ihre Gepflogenheit, die Leibeignen durchweg auf
Zinsgfiter zu setzen und dadurch mit dem Boden , den sie
bebauten, enger zu verbinden, auch das Band der Anhäng-
lichkeit derselben an die Herrschaft enger, als es in dieser
Zeit auf den Besitzungen der weltlichen Grossen die Regel
war. Auch wusste sie schon bei den späteren Redactionen
der Volksrechte, wie noch mehr in den Capitularien beson-
ders günstige Bestimmungen in Betreif der Schenkungen an
die Kirche zu erlangen, wenn wir auch nicht mehr in der
Weise älterer Schriftsteller , alle Bestimmungen der Volks-
rechte über Theilbarkeit , Veräusserlichkeit und Vererbung
des väterlichen Besitzes als unter dem eigennützigen Einflüsse
der Geistlichkeit entstanden annehmen^).
Aber auch die weltlichen Ginindheiren verstanden sich
darauf, den Eintritt in den herrschaftlichen Verband so leicht
als möglich zu machen. Die ältesten Verleihungen von Grund
und Boden zu Beneficium sind zumeist ohne bestimmte Zins-
verpflichtung ertheilt, nur der Heimfall nach dem Tode oder
nach Ablauf mehrer Generationen und eine allgemeine Pflicht
der Ergebenheit des Beliehenen war die Gegenleistung; und
bei der Auftragung von Grundbesitz und Rückempfang zu
abhängigem Besitz konnte ein Wiedereinlösungsrecht vorbedun-
gen und dieses sogar unter den Schutz des Volksrechts ge-
stellt werden *). Auch gaben die Neubrüche , die besondei-s
auf Eirchenland häufig waren, und sonst verfügbare Län-
dereien leicht Gelegenheit, dem landlos gewordenen Freien
g^en Ergebung in den Dienst eine Hufe zu selbständiger
Bewirthschaftung zu übergeben*), wie diess aus vielen Ur-
^) S. z. B. HaUmaim, Stände S. 118 u. oft.
^) Gap. 817 (LL. I, 214), c. 4: Si quis terram censalcm habuerit,
qaam antecessores sni vel ad aliquam ecclesiam vel ad villam nostram
dedenmt, nullateous eam secundom legem tenere potest, nisi ille voluerit
ad cuius potestatem vel illa ecciesia vel illa viUa pertinet; nisi forte filius
aat nepoB eins sit qui eam tradidit, et ei eadem terra ad tenendum pla-
citata alt.
^) Vgl. Gap. Aquisgr. 813 c. 19: ubicunque inrenient utiles ullos homines,
detar Ulis silva ad stirpandom. Auch G. Laur. 249. G. Fuld. 826, n. 465.
— 256 —
künden erhellt, wo solches Neuland mit Häusern und Knech-
ten geschenkt wird.
Aber freilich nicht immer verblieb es dabei, dass die
Reichen ihre wirthschaftliche Ueberlegenheit und bessere Or-
ganisation dazu benutzten, um die Anzahl ihrer Untergebenen
dui*ch freien Vertrag mit Schwächeren zu veiinehren. Das
ungemessne Streben nach Ei-weiteiiing ihi-er Herrschaft ging
nicht selten über das erlaubte Mass der Geltendmachung des
organisatorischen Princips der heri'schaftlichen Gewalt hinaas;
die Concurrenz in diesem gleichartigen Bestreben der Grossen
erzeugte in jedem versäumten Augenblick für jeden grösseren
Ginindbesitzer die Gefahr, von seinen Standesgenossen fiber-
flügelt und am Ende gleicher Unterwerfung zugeführt zn
werden, wie er sie selbst den kleineren Grundbesitzern zu-
gedacht hatte. Und so wurde man in der Wahl der Mittel
immer weniger wählerisch und griff schliesslich zu brutaler
Gewalt, wo die Macht der Verhältnisse an sich nicht stark
genug war, den Process der Unterwerfung in hinlänglich kur-
zer Zeit ausführen zu lassen. Schon die Benutzung der Noth
und des Mangels, um die Aermeren zu freiwilliger Unterwer-
fung unter den Herrschaftswillen der Grossen zu bestimmen,
hat nicht immer das in der ökonomischen Lage inmierhin be-
rechtigte Mass eingehalten. Es sind in den Urkunden jener
Zeit gar manche Thatsachen verzeichnet und sogar durch Ca-
pitularien bestätigt, welche eine schonungslose Ausbeutung
der Schwächeren durch die Stärkei*en und ein nicht unbe-
trächtliches Wachsen der grossen Grundherrschaft gerade aus
diesem Vorgehen erkennen lassen 0-
Nicht bloss, dass commeudirte Freie mit Lasten und
Diensten beschwert werden, welche ui*sprünglich in dem Ver-
hältnisse der Gommendation nicht begründet waren, so dass
wohl das Recht der Nachkommen bereits so sehr verdunkelt
war, dass sie Ansprüche auf den väterlichen Grandbesitz nicht
mehr wirksam geltend zu machen vermochten^); wir hören
') S. 0. S. 244 f. und S. 249.
*) Vgl. yfütz IV, 284.
— 257 —
auch von gewaltsamer und betrügerischer Weise, die zur Er-
weiterung des Besitzthums, zur Unterdillckung der Armen
und Schwachen an der Tagesordnung waren und auch dui*ch
die Untersuchungen der Missi, durch die Verbote der Kapi-
tularien nicht aufjgehalten werden konnten. Den Laien mochte
das allerdings zumeist nur dann gelingen , wenn sie zugleich
eine obrigkeitliche Gewalt als Grafen, Vikare, Centenare be-
sassen oder als Immunitäts- oder Lehnsherren mit amtlichen
Befugnissen ausgestattet waren ^); die Kirche hatte ausser
diesen Mitteln des Amtsmissbrauchs, die ja auch ihr oft zur
Verfügung standen und nicht immer verschmäht wurden, noch
die ganze Macht über die Gewissen zu uneingeschränktester
Veifttgung. Von der Schönheit des Himmels, den sie zu ver-
walten, von den Qualen der Hölle, die sie zu verhängen habe,
redete sie den Armen vor, bei deren Beschränktheit solche
Mittel leicht verfingen; und die Kirche konnte schon damals
ungerecht Gut gar leicht vertragen 2). Karl d. Gr. selbst
ordnete mit bitteren Worten eine Untersuchung darüber an,
was denn die Geistlichen, die solcher Herrschafts- und Ver-
mögensgier huldigten, unter der Weltentsagung verständen^).
Auf diesen Wegen , mit diesen Mitteln vollzog sich jene
Verschiebung der Stände, die für die ganze Folgezeit ent-
scheidend für die socialen Zustände Deutschlands geworden
ist. In den grossen Grundhen*en entwickelte sich eine Glasse
^) 8. unten 8. 276.
*) Vgl. die bezeichnende SteUe des Capit Aqaisgr.811, c5 (LL.I, 167):
Inqairendum etiam, si ille seculum dimissum habeat, qui cotidie possessiones
Buas angere, quolibet modo qualibet arte, non cessat, suadendo de coelestis
regni beatitudine, comminando de aeterno supplicio infemi et sub nomine
Dei aut cuiuslibet sancti tam divitem quam pauperem, qui simpliciores
natorae sunt et minus docti atque cauti inveniuntur, si rebus suis expo-
liant et legitimos heredes eorum exheredant, ac per hoc plerosque ad fla-
gitia et scelera propter inopiam , ad quam per hoc fuerint devoluti , per-
petranda compellunt, ut quasi necessario furta et latrocinia exerccant, cui
patema rerum hereditas ne ad eum perveniret, ab alio praerepta est.
*) Capit 811, c. 4 (LL. I, 167): Iterum inquirendum ab eis (ecclesia-
feticis), ut nobis veraciter patefaciant, quid sit quod apud eos didtur „se-
culum relinquere*'.
Ton Inama-ßternegg, Wirthschnftsgejichichte. I. 17
— 258 —
der Bevölkerung, die durch ihre Beherrschung der einzigen
KapitalfoiiQ jener Zeit, des Giund und Bodens und seiner
Wirthschaftsausrüstung eine grossartige wirthschaltliche lieber-
legenheit gewann. Unmittelbar mit ihr erwarb sich diese
Classe aber auch die sociale Bedeutung eines neuen Standes,
theils durch die in dem Mitium und der Vassallität gelegenen
Machtbefugnisse über gi*osse Kreise der Bevölkerung, theils
durch die mit der Grundheii'schaft immer mehr in Verbindung
gesetzte Amtsgewalt und die rechtliche Bevoi'zugung , welche
die Gesetzgebung zu gewähren sich nicht entschlagen konnte
Und um so mehr ragt diese neue Aristokratie über die
Masse des Volkes empor, als sie eben wesentlich auf Kosten
des freien Standes sich erhob, dessen Verfall der sodaleo
Entwickelung dieser Periode ganz vornehmlich ihr Gepräge
verleiht. Durch Gommendation und Schutzhürigkeit , durch
Uebemahme von Beneficien und Zinsgütem, in vielen Fällen
selbst durch Ergebung in schwerere Formen der Abhängig-
keit wurde diese breite Schicht des Volkes zersetzt, auf der
einst die Macht, ja das Leben selbst des Volkes beruhte. In
der versammelten Gemeinde, in den Herzen der freien Volks-
genossen pulsirte einst der Geist des öffentlichen Lebens, das
den alten Deutschen so am Hei*zen lag. Sie waren die Träger
jener erobernden Gewalt der deutschen Heere gewesen, vor
der die Welt gezittert hatte, jeder ein Krieger, weil jeder ein
freier, ein ganzer Mann, ein voUwerthiges Glied der Ge-
meinschaft.
Aber dann, als einmal feste Ordnung dieses Dasein an
die Scholle knüpfte, kein Heei*eszug und keine Wanderschaft
mehr neue Quellen für des Lebens drängenden Bedarf
schaffte, da pochte bald die Noth an jede Thüre; schwerer
und immer schwerer ward den kriegsgewohnten Deutschen
der Kampf ums Dasein mit den Kräften der Natur. Nun
half der Muth nicht weiter und die kühne That ; die Heeres-
ordnung, die so oft zum Sieg geführt, hier war sie Hemmschuh
mehr als Förderung. Die Nothwehr um das eigene Leben
zog jenen Eigennutz gi-oss, der höherer Ordnung feind, sich
selbst nur strebt, die Mittel für die Macht zu sichern.
— 259 —
In diesem innem Wettkampfe unterlag die Freiheit; die
Wenigen, die sich die Wiithschaftskräfte sicherten, sie wui'den
alles: Ernährer des Volkes, weil sie ^eine Wirthschaft zu
grösserem Erfolge leiteten; Bewehrer, weil sie die Last des
Krieges, Rechts- und Friedenswahrung, die ganze Ordnung
des öffentlichen Lebens übelnahmen; und Lehrer des Volkes,
weil sie allein in wirthschaftlicher und socialer Ueberlegenheit
auch jene höheren Güter pflegen konnten, die das Leben
zieren und Quelle alles Bessern sind.
Die sociale Geschichte während der Karolingerzeit ist
eine ununterbrochene Kette von Thatsachen, welche die fort-
schreitende Zei-setzung der alten gesellschaftlichen Gi-undlage
des Volkes, des freien Standes, bezeugen. Es ist zuerst der
Unterschied der Besitzenden und Nichtbesitzenden ^) , bald
schon der Gegensatz der viel und wenig Besitzenden*), wel-
cher die freien Volksgenossen in zwei Stände spaltet; wer
sich im Wettkampf um die Güterquellen behaupten, hinläng-
lich Grundbesitz sich erhalten oder neu erwerben konnte, wer
dadui'ch factisch frei und unabhängig blieb, der allein be-
hauptete auch die alte Stellung und das alte Recht, das
einstens eines jeden freigebomen Mannes unveräusserliches
Besitzthum war. Er war aber damit auch ausgezeichnet vor
der Masse der Freien, denen solches nicht gelang ; und darum
nannte man ihn fortan auch einen Edlen ^) (nobilis), auch
ohne dass er durch Gebui*t oder durch Amt und Hof-
dienst der eigentlichen Aristokratie zugerechnet wurde. Im
Heere und im Geiichte war er nun der eigentliche Vertreter
der alten Volksfreiheit; nur wer wenigstens 3 — 4 Hufen be-
sass , zog foitan in der Regel selbst in den Ki'ieg ^) ; an die
erste Stelle der aus den Freien überhaupt gebildeten Gerichtsge-
*) S. I. Buch, 2. Abschnitt, S. 58, 65.
^ Capit de exerdtu promov. c. 2 (LL. I, 119): de liberis et paupe-
rioribos hominibns (welche nicht 4 mansos vestitos besitzen). Cap. 807,
c. 6 (LL. I, 149) heissen pauperiores alle Friesen, welche weder Yassallen
noch ^enefidare sind, noch Pferde besitzen.
») Vgl. die ausfilhrlichen BelegsteUen bei Waitz, Verf.-Gesch. IV, 279.
*) Capit. 807, c. 2; 808, c 1. S. o. S. 248.
17*
— 260 —
meinden ti*eten sie zuerst als bevorzugte Freie: bald werdea
aus ihrer Mitte allein die Schöifenbänke gebildet 0; nur sie
genossen noch die Freizügigkeit, welche die bereits im Senio-
ratsverbande stehenden Minderfi*eien schon verloren hatten^.
Noch zur Zeit Karls d. Gr. ist die Zahl dieser besseren
Freien eine nicht unbedeutende und überall vorhanden'),
während es mit den Mindei-freien, dem ökonomisch schwächeren
Theil der alten Gemeinfreien, schon sichtlich zur Neige ging.
Aber das neunte Jahrhundert entwickelte doch den aristokra-
tischen Charakter der Gesellschaft bereits so stark, dass am
Ende der Karolingerperiode auch von den besseren Freien
nur mehr ein verhältnissmässig kleiner Theil übrig war^),
während die Mehrzahl auf dieselben Bahnen des socialen Nie-
dergangs gedrängt wurde, auf welchen ihnen die minderen
Freien schon geraume Zeit früher vorangeschritten waren.
Immer mehr concentiirte sicli der freie Grundbesitz in
wenigen Händen und damit wurde die Macht, der politische
Einfluss und die Summe der Genüsse, die das Leben bot,
immer ausschliesslicheres Besitzthum weniger, während die
grosse Masse der Bevölkerung sich immer vollständiger von
allem Antheil an dem politischen Leben, am Erfolge wirth-
schaftlicher Bemühung zur Steigeiung der Production wie zu
Erweiterung des Nahrungsspielraums abgedrängt sah. Die
abhängigen Fmen im wirthschafüichen Dienste der grossen
GrundheiTen vei*schmolzen so mit den Liten, den Freigelasse-
^) Ladow. II constit. 856, c 5 (LL. I, 488): De judicibos inquirttar
si oobiles et sapientes et Deum timentes conatitati sunt . . . qaod si TÜes
personae et minus idoneae ad hoc constitutae sunt, rddantar.
2) S. Roth, Benef..W. 375.
^) Es ist das insbesondere aus den verschiedenen Traditionsbftcheni
zu ersehen. Vgl. auch Gierke I, 80 von den vollfreien Bauern ond Dorf-
genossenschaften.
*) Auch hiefür können die Traditionsbücher als Beweis dienen, Teiche
im Ganzen eine beständige Abnahme der Uebertragungen von freien Gu-
tem und insbesondere von kleineren freien Grundbesitzern aufreisen. So
stammen z. B. die dem Stifte Freising seit dem 10. Jahrhundert gesdienk-
ten Güter fast ausnahmslos aus dem Vermögensbestande grosser Grund-
herrschaften.
— 261 —
nen, ja den leibeigenen Zinsbauern in Bezug auf die sociale
Organisation der Arbeit der untersten Klassen des Volkes^),
die freilich selbst wieder, wie zu allen Zeiten, mancherlei Ab-
stnfiiiigen hatte.
Dem öffentlichen Leben immer mehr entfremdet, in täg-
licher Ei-schöpfung der Arbeitskraft und äusserater Beschrän-
kung des Lebensgenusses, verfielen sie allmälig einer Gleich-
gültigkeit gegen jeden Fortschritt und jede Erhebung, schliess-
lich auch gegen die eigene Freiheit und Selbstbestimmung,
welche das sichei*ste Zeichen einer sehr gediilckten Lage ist.
Die Gewissheit, ihr Loos aus eigener Kraft nicht verbesseni
zu können, machte sie stumpf gegen die Eindiücke, die aus
dem gesteigerten Güterleben ihrer HeiTen doch auch auf sie
selbst ausgehen mussten. Die herrschaftliche Organisation
hatte wohl eine einheitlichere Wirksamkeit der Volkskräfte
zu schaffen veimocht, aber sie hatte damit zugleich die
Leistung der Arbeit erheblich gemindert.
Jene werthvoUste Leistung einer primitiven Cultui-stufe,
die Ausbreitung des Bodenanbaues und die Uebei-windung der
Wildniss , wie sie in der ersten Periode von der freien , un-
gebändigten Volkskraft getragen war, sah sich in der zweiten
Periode wesentlich schon auf die Mittel des Zwanges und der
Herrschaft über wideretrebende oder doch gleichgültige Ele-
mente verwiesen; und erst die Belebung eines Gemeinbewusst-
seins und eines Verständnisses der gleichen Lage und Inter-
essen der Bauern, wie sie in der Markgenossenschaft der
folgenden Periode erfolgte, rief auch der Unfreien Volkskraft
wieder zu neuer Schaffensfreudigkeit auf. Dass aber doch
nicht alles Selbstbewusstsein und nicht jeder Drang nach
Selbsthilfe durch die grundhen-schaftliche Organisation der
unteren Volksklassen zu ersticken war, dies ist aus jener
merkwürdigen Ei-scheinung der Verbrüdeningen und geheimen
') Selbst in Sachsen ist im Jahre 842 die Herabdrück ung der Gemein-
freien (frilingi) schon so weit vorgeschritten, dass sie mit den lazzi ge-
meinsame Sache zur Wiedererwerbung des alten Rechtes machen; Nidhard
rv, 2 nennt sie zusammen die grosse Masse des Volks.
— 262 —
Verbindungen zu ersehen, von welchen schon im 8. und wäh-
rend des ganzen 9. Jahrhunderts sich Spuren finden^).
Allerdings erhalten wir aus den überlieferten Nachrichten
kein Bild, das in seinen einzelnen Zügen bestimmt zu er-
kennen wäre; aber über den Grundcharakter desselben kann
doch wohl ein Zweifel nicht bestehen. Diese Vereinigungen
sowohl unter kleinen Freien, als unter Unfreien, aber auch
unter beiden zusammen^) eingegangen, sind im Wesentlichen
Verbrüderungen gewesen, erzeugt durch die Gemeinsamkeit
der Interessen und Gefahren, begründet auf der Gleichheit
persönlicher Achtung und socialer Stellung, und waren ge-
richtet auf das Ziel wechselseitiger Unterstützung in Förde-
ining jener Interessen , die entweder von der Grundherrschaft
nicht gefördert wurden oder die von dieser Seite eine Pflege
erfuhren, wie sie mit den Bedürfnissen der abhängigen Leute
sich nicht vertrug.
Ihre Bedeutung lag also wesentlich auf socialem Gebiete.
Als unwesentlich, wenn auch für die Stärkung der Verbinde
mngsidee nicht bedeutungslos, muss angesehen werden, dass
sich an ihre Zusammenkünfte Gelage anschlössen, in welchen
Unmässigkeit, Unfriede und Unzucht eine Stätte finden konn-
ten^); als unwesentlich auch, dass sie sich an ältere Ein-
richtungen kirchlicher Art vielfach anschlössen, wie sie ja
auch den altgermanischen Namen der Gilden führten, ohne
desswegen mit den heidnischen Vereinigungen zu Opfermahl-
zeiten ohne weiteres in Zusammenhang gebracht werden zu
können *). Wohl mochte solche Tradition wie jener Gebrauch
der Verbrüdei-ungen für das Seelenheil Anhaltspunkte und For-
^) Vgl. i. A. Wilda, das Gildewesen im Mittelalter, und Hartwig.
Untersachongen über die ersten Anfluge des Gildewesens in Forschnogec
zur deutschen Geschichte I.
2) Vgl. Capit. duplex 805, c. 10; s. unten S. 264.
") Von den kirchlichen collectae quas gildonias rel confratrias Tolgo
vocant, sagt das ausdrücklich Hinkmar Remensis Capitula ad presbjtero«
parochiae 'suae data a. 852, Opp. «d. Sirmond. I, 718, c. 14 — 16. S. a.
Capit 789, c. 10, unten S. 263 Anm. 3.
*) Hartwig in Forschungen I, S. 150 f.
— 263 —
men geboten haben, an welche die neue Idee sich anschloss;
aber die Sache selbst ist gewiss ebenso neu , als die sociale
Lage eine neue war, welche die Veranlassung dazu bot. Denn
so lange noch die Markgenossenschaft als Geschlechts- 'oder
Nachbargemeinde sich selbständig behauptete, war ja eben
jener persönliche Zusammenhalt, jene sociale Gleichheit im
Wesentlichen vorhanden, welche die Verbrüderungen mit der
Zersetzung dieser älteren socialen Organisationsformen durch
die GrundheiTSchaft aufs neue zu pflegen sich zum Ziele
setzten. Und* es musste erst jener Druck der herrschaftlichen
Gewalt in fühlbarer Weise erfolgt sein, bis er den Gegendruck
erzeugte, der von den Verbrüderungen ausgehen sollte.
An sich waren nun allerdings die Zwecke dieser Verbrü-
derungen , soweit wir darüber aus den gleichzeitigen Nach-
richten belehrt werden, nicht so bedeutend, dass sie auf die
sociale Lage der Verbiiideilen einen wesentlichen Einfluss
auszuüben oder gar die öffentliche Ordnung des Reiches zu
gefährden vermocht hätten. Sie verbinden sich zu wechsel-
seitiger Annenunterstützung, versichera sich gegen Feuer-
schaden und Schiffbruch ^), verfolgen gemeinsam die Räuber ^),
welche ihr Hab und Gut bedrohen; daneben halten sie auch
Gelage ') und beten für einander, bei Lebzeiten wie nach dem
Tode. Aber doch scheinen ' sie im Lichte der damaligen Zeit
als gefährlich angesehen worden zu sein; zu wiederholten
Malen wendet sich die Gesetzgebung Karls d. Gr. und seiner
Nachfolger gegen sie und verfolgt sie mit auffallender Strenge^).
^) Capitul. 779, c. 16 (LL. I, 87): De sacramentis per gildonia invi-
cem coignrantibus, ut nemo facere praesumat. Alii yero modo de iUorum
elemosinis, aut de incendio, aut de naofragio, quamvis conventioB fadant,
nemo in hoc jnrare praesumat
*) Capit 884, c. 14 (LL. 1, 553) : Yolumos , ut presbyteri et ministri
comitis villanis praecipiant, ne coUectam fadant, quam vulgo geldam vo-
cant contra illos, qui aliqnid rapuerint
«) Capit 789, c 10 (LL. I, 68) und Capit. 856, c. 7 (LL. I, 442): Pro-
bibendnm est omnibus ebrietatis malum et istas coiyurationes , quas fa-
dant per s. Stephanum aut per nos aut per filios nostros prohibemus.
*) Ausser den oben angeführten Capit. von 779, 789, 856 und 884,
besonders in Capit. Frankof. 794, c. 31 (LL. I, 74): De cox\jurationibus
— 264 -
Und es ist das begreiflich, wenn wir diese selbständige Re-
gung zu socialer Organisation in Zusammenhalt bringen mit
den social -politischen Tendenzen und den Einrichtungen der
öffentlichen Gewalt jener Zeit.
Mit gewohntem Scharfblick hatte der grosse Karl auch
hier sofort herausgefunden , dass ihre Gefährlichkeit nicht in
den einzelnen Zwecken lag; die sie verfolgten, sondern in der
ganzen Art der Verbrüderung. Indem sie sich durch Eid-
schwur für's ganze Leben verbanden, setzten sie selbständig
einen neuen Fidelitätseid neben den allgemeinen, der dem
Könige, und den besonderen, der dem Senior zu leisten war^).
Das erschien an sich schon als unveiträglich mit der eben
et coDBpiratiombas ne fiant; et ubi sunt inventae destmantar. Capit du-
plex 805, c 10 (LL. I, 188): De conspiratioDibas vero qnicunque facere
praesumflerit, et sacramento quamcunqoae conspirationem finnayerint, nt
triplici ratione iudicentur. Primo , ut ubicumque aliqaid malum per hoc
perpetratum fuit, auctores .facti interficientar; adiutores vero eonun sin-
goli alter ab altero flagellentur et nares sibi inTicem praecidant Ubi
vero nihil mali perpetratum est, Bimiliter quidem inter se flageUentar et
capillos sibi vicissim detundant. Si vero per dextras aliqua conspiratio
firmata fuerit, si liberi sunt, aut iurent cum idoneis iuratoribos hoc pro
malum non fedsse , aut si facere non potnerint, suam legem conponant;
si vero servi sunt, flagellentur. Et ut de caetero in regne nostro nulla
huiusmodi conspiratio fiat, nee per sacramentum, nee sine sacramento.
Capit. 881, c 7 (LL. I, 280): De coniurationibns servorum qoae fiont in
Flandris et Menpisco et in caeteris maritimis lods, volumus, ut per missos
nostros indicetur dominis servorum illorum, ut constringant eos, ne ultra
tales conjurationes facere praesumant Et ut sdant ipsi eomndem ser-
vorum domini, quod cuiuscunque servi huiusce modi coninrationem hten
praesumpserint postqnam eis haec nostra iussio fuerit indicata, bannnm
nostrum, id est 60 solidos, ipse dominus persolvere debeat Capit, 85<s
c. 12 (LL. I, 488): Similiter et de conspirationibus novids iuxta capitn-
lare emendent. Auch die Condlien und Synoden eiferten gegen diese
Verschwörungen; Syn. Mognnt 847, c 5; Syn. Lanr. 858, c. 2 bei Han-
heim I, 155 und Mansi XIV, 798.
^) Capit duplex 805, c. 9 (LL. I, 188): De iuramento, ut nulU alten
per sacramentum fidelitas promittatur, nisi nobis et unicuique proprio se-
niore ad nostram ntilitatem et sui senioris, excepto bis sacramentia, qoae
iuste secundum legem alten ab altero debentur. Dieses Ki^itel steht mit
dem folgenden von den conspirationibus (s. die vorstehende Anm.) im in-
nigsten Zusammenhange.
— 265 -
auf diesen Eiden begründeten politischen Organisation der
Bevölkerung ; es konnte aber umsoweniger zugegeben werden,
als es nahe lag , dass je enger und unmittelbarer die persön-
lichen Beziehungen waren, welche zwischen den durch den
Eid Verbundenen bestanden, eine um so grössere Wirksamkeit
denselben beigelegt werden musste.
Der Eid der Verbrüderten war also unvereinbar mit dem
Unterthanenverbande ebensowohl wie mit dem grundherr-
schaftlichen Verbände, auf welchen die politische und sociale
Organisation ruhte, die gerade zu Karls Zeit ausgestaltet
wurde; er war unvereinbar, weil er ohne Zuthun der öflFent-
lichen Gewalt ganz neue sociale Kreise schuf, welche den ge-
setzlichen entgegen waren. Ausserdem aber scheinen die
Verbrüderungen eine Ait Jurisdiction über ihre Mitglieder,
wenigstens schiedsgerichtliche Functionen in Streitigkeiten
derselben, ausgeübt und durch laufende Beiträge und Straf-
gelder eine gemeinsame Kasse für die verschiedenen Zwecke
der VerbiUdeningen gehalten zu haben ^), wodurch sie wieder
von anderer Seite her mit der öffentlichen Gewalt in Conflict
kamen. Es lag aber im Geiste jener Zeit durchaus, socialen
Verbindungen überhaupt eine alle Lebensverhältnisse ergrei-
fende Macht einzuräumen; durch die Verbrüdei-ungen konnte
also eine Macht erwachsen, welche den klaren Entwickelungs-
zielen der Gi-undherren nach Ausschliesslichkeit und All-
gemeinheit ihrer heiTSchaftlichen Gewalt hinderad in den
Weg trat.
Darum verbot Karl zunächst nur die eigentlichen Ver-
schwörungen (conjurationes), während er die auf blossen Hand-
schlag begi'ündeten Vereinigungen zu einzelnen Zwecken, deren
Nützlichkeit ja auch ihm nicht entgehen konnte, gestattete ').
Dagegen wendete sich die öffentliche Gewalt, weltliche
wie geistliche, später, wie es scheint, unterschiedslos gegen
alle Verbrüderungen. Schon bei Karl selbst ist diese Wan-
^) Wenigstens nach der Schilderung Hinkmars von den geistlichen
Brüderschaften, c 14 und 15.
*) Capit 779, c. 16 und Capit. 805, c. 10; s. o. S.263 Anm. 1 und 4.
— 266 —
delung der Anschauungen eingetreten. Während er zuerst
sich nur gegen die Eidgenossenschaften ausspricht, die andern
Verbrüderungen aber bestehen lässt, erkläit er die letzteren
in der Folge zwar nicht als strafbar, sofeiiie sie bereits ge-
gründet waren und nichts Unrechtes verübt haben, verbietet
aber doch gleichzeitig für die Folgezeit alle Arten dei^selben.
Und noch entschiedener ist die Gesetzgebung seiner Nachfolger.
Wir werden kaum fehl gehen, wenn wir annehmen,
dass ebensowohl ihre zunehmende Verbreitung, die stram-
mere Organisation und die grössere Gefährlichkeit derselben
hiezu Veranlassung war, wie der wachsende Einfluss der
gi*ossen Ginindherren auf die Gesetzgebung, deren sie sich als
wirksames Mittel zur Bekämpfung der Tendenzen bedien-
ten, die am letzten Ende doch gegen die Ausschliesslichkeit
ihrer HeiTSchaft sich wendeten.
Obwohl wir nun über die Erfolge dieser socialen Bewe-
gung gar nicht untemchtet sind, so haben wir doch Grund,
solche anzunehmen. Zunächst werden wohl die wiederholt
gemeldeten BauernaufiBtände , welche sich gegen die Gewalt-
thaten einzelner Giimdherren oder ihrer Beamten kehrten,
nicht ohne Zusammenhang mit den Yerbrüdeiningen sein^).
Aber mehr als 'in solch gewaltsamen Ausbrüchen äusserte
sich wohl die wachsende Macht derselben in den verschiednen
Verändemngen, welche langsam und unvermerkt die Lage der
Schutzleute, Hörigen und Leibeignen in der Grundhen-schaft
erfuhren. Wie sie in dem grossen, von Lothar 842 angezet-
telten BaueiTiaufstande der Stellinger in Sachsen gemeinsame
Sache machten, so waren sie auch, trotz verschiedener Be-
rechtigung, von gleichartigen socialen Interessen und in einen
gemeinsamen Gegensatz zur Heri-schaft gesetzt. Ihre Assimi-
liinng zu einer einheitlichen Hofgenossenschaft mit wei-thvollen
persönlichen Elementen, wie sie die folgende Periode zeigt
^) Beispiele solcher ünrahen aas der Zeit Karls d. Gr. in HiDcmar
Vita Bemigü 1. October 107, 158 (im Bisthom Rheims). Cap. 821, c 7
in Flandern , Ann. Fuld. 848 und 866 (SS. I, 865 und 879) im BiBtham
Mainz; der bekannte Aufstand der Stellinga in Sachsen 842 Kidhart IV, 2
(SS. II. 668).
— 267 —
ist wohl im Wesentlichsten eine Frucht desselben Gedankens
der Verbrüderung, der in den Städten die Anfänge des In-
nangswesen schuf.
Dass sich diese Einigungsbestrebungen nicht innerhalb
der Markgenossenschaft äusseiten, sondern mehr, wie es scheint,
aus den Kreisen der abhängigen Grundholden hervorgingen, ist
sehr bezeichnend für die sociale Bedeutung der Markgenossen-
schaft Von der alten socialen Gleichheit der Genossen, von
den engen persönlichen Beziehungen war wenig mehr geblie-
ben; selbst die Gemeinsamkeit der Interessen ging verloren.
Hierhin und dorthin schauten die nur durch das Band der
gemeinen Mark zusammengehaltenen Genossen, wo sie an
eine Grundherrschaft durch Treuverpflichtung oder Hörigkeit,
durch Beneficium oder Zinsgut geknüpft waren oder wo sie
Schutz und Hilfe in bedrängter Lage hoffen konnten. Kein
Zweifel, dass der echt genossenschaftliche Geist gerade in dieser '
Periode am tiefsten damiederlag , dass die Freiheit in der
Markgenossenschaft gerade jetzt am wenigsten mehr eine
sichere Stätte hatte. Aus unbemerkten Anfängen war mit
dem Erwerb von Grundbesitz zu dem urspi-ünglichen Erb-
und Genossengute, und mit der Unterwerfung fi-emder Arbeit
unter den einheitlichen Hen-schaftswillen ein Uebergewicht
Einzelner in der Gemeinde, eine ökonomische Ueberlegenheit
über die Mehrzahl der gleichberechtigten Markgenossen ent-
standen.
Theils durch Kauf und Tausch , theils durch Auftragung
und Schenkung, aber auch durch Rodung von Markland war
die ursprüngliche Gleichheit der Vertheilung des Grundeigen-
thums, soweit sie bestand, aufgehoben und damit die alte
Grundlage der Genossenschaft für immer verloren, w^elche
nicht nur auf der Gleichberechtigung, sondern auch auf der
ökonomischen Gleichwerthigkeit der Genossen beruhte. Grosse
Grundbesitzer wuchsen ausserdem durch Erwerbung von Hufen
und Markantheilen, deren Veräusserung niemand wehrte, in
fiemde Gemeinden hinein; ja es mochte wohl die Bevölke-
rung der Mark, welche die zunehmende Schwäche ihrer eignen
Wirthschaft empfand und von der Genossenschaft selbst kei-
— 268 —
nen Schutz und keine Förderung ihrer Interessen ÜEind, in
solchen reichen und mächtigen Mitmärkem eine erwünschte
Stütze erblicken und diesen Zuwachs zur Genossenschaft nicht
ungeme sehen ^).
Aber es war nicht denkbar, dass diese wiithschaftlich
den übrigen so sehr überlegnen Märker sich einfach in die
bestehende Ordnung der Dinge fügten. Zwar gab ihnen die
heiTSchende Gepflogenheit, den Antheil an den Marknutzungen
nach dem Hufenbesitz Qvata formam hovae plenae) zu be-
stimmen, schon ein natürliches Uebergewicht in Ausbeutung
der ökonomischen Vortheile, welche der Markverband ge-
währte ; und wo ein Grundherr einmal die Mehrzahl der Hu-
fen einer Gemarkung in seine Botmässigkeit gebracht hatte,
war dieses Uebergewicht von einer vollständigen BeheiTSchun?
des ökonomischen Inhalts der Markgenossenschaft nicht mehr
erheblich verschieden. Mochte der Grundherr nun diese Hu-
fen selbst bewirthschaften oder mit Colonen und Zinsleuten
besetzen, immer konnte er doch über die Markgi-ünde der
Hauptsache nach veifügen und damit seine organisatorischen
Wirthschaftspläne verwirklichen, soweit sie sich auf die Dienst-
barmachung des Bodencapitals und seiner Nutzungen, sowie
auf die Gliedemng seiner Güter und die Anordnung des land-
wii-thschaftlichen Betriebes bezogen. Und zur vollständigeren
Erreichung dieses Zieles dienten alle Mittel, die mit dem
Reichthum zur Verfügung waren; durch seine Dienstleutc,
seine Colonen und Ergebenen (amici) liess der Grundherr im
Markwalde roden *) und konnte dadurch den HeiTenhof ver-
grössern, wie er Gelegenheit zur Anlegung neuer Zinseshafen
fand ; in kluger Benützung der Nothlage seiner Nachbarn konnte
er mit seinem Gelde freie Bauemstellen auskaufen, mit seinem
Ueberschuss an Producten um den Preis der persönlichen Er-
^) So z. B. nach den Acta fondationis Mar. bei Hergott I, 824 (frei-
lich einer späteren Zeit angehörig): Aestimantes autem qoidam liberi ho-
mines , qui in ipso vico erant , benignam et dementem illum (praepoteD-
tem) fore, praedia sua sub censu legitimo illi contradiderant, ea conditiooe
at sub mnndibordio ac defensione illius semper tuti valerent esse.
«) S. o. 1. Abschn. S. 216 f.
— 269 —
gebung Unterstützungen gewähren; durch Arrondirung mit
benachbarten Grossgrundbesitzem die Anzahl der mächtigeren
Märker in seiner Gemeinde vemngem und sich selbst auf
solche Weise immer mehr zum allein Mächtigen in der Ge-
markung machen.
Aber immerhin stand er doch noch neben andern Mark-
genossen, die social gleichberechtigt waren, bei allem Unter-
schied des Vermögens und der wiithschaftlichen Kraft; und
leicht war es möglich, dass diese, ihr numerisches Ueberge-
wicht benützend, dem einen Reichen unbequem wurden, ihm
nicht nur seine organisatorischen Pläne durchkreuzten, son-
dern ihn sogar durch ihre Mehrheitsbeschlüsse ausbeuteten,
wo in der Markgenossenschaft irgend ein gemeinsames Vor-
gehen mit Rücksicht auf das allgemeine Wohl vei*sacht wurde.
Wie schwach auch immer diese Aeusserungen eines Ge-
meingeistes in der Markgenossenschaft jener Zeit sind, wir
dürfen sie bei der Einfachheit der Verhältnisse doch nicht
unterschätzen; und es ist begreiflich, dass die Ginindherren
immer mehr mit klarem Bewusstsein des Zieles die Ordnung
des herrschaftlichen Verbandes an die Stelle des markgenos-
senschaftlichen zu setzen bestrebt waren. Allein und aus-
schliesslich wollten sie in der Mark zu befehlen haben, wo
doch, wenn sie nur wollten, alles ihrer faktischen Macht sich
beugen musste.
Vielfach mochte dieser Uebergang der alten Markver-
fassung in die Hofverfassung auf ganz geordnetem Wege sich
vollziehen, wenn, wie das häufig war, durch Verträge das
ganze Markgebiet in die HeiTSchaft eines Grundherrn gekom-
men war; aber nicht immer ist Zwang und Gewalt dabei
vermieden worden, die sich der Natur der Sache nach zu-
nächst gegen Weide und Wald richteten, dann aber auch die
Güter selbst nicht unverschont Hessen ^).
*) Capit 850, c. 5 (LL. I, 496) : Hoc etiam multorum querellis ad nos
delatam est, quod potentes ac honorati viri in lods, quibus conversantur,
minorem popolum depopulentur et opprimant et eorum pascua depascunt;
mansiones etiam contra voluntatem privatorum hominum sive pauperum
in eonim domibns suis hominibus disperciant, eisque per yim quaelibet
— 270 -
Aber auch wo ein GinindheiT nur in fremder Gemarkung
Besitz erwarb , machte er auch sofort seine Macht geltend,
und verschaffte sich neben dem gemeinen Marknutzen, der
ihm nach Massgabe seines Hufenbesitzes in der Mark zu-
stand, noch manche besondere Vortheile ^). Den ökonomischen
Interessen des Haupthofes wurden auf diese Weise alle Mar-
ken dienstbar, in denen der GnmdheiT Märker war, auch
wenn der Haupthof nicht in der Gemarkung lag. Bald er-
schien das unbebaute Land der Markgenossenschaften als
ein ausschliessliches oder doch vornehmliches Object der grossen
Grundherren; den Mitmärkern Hessen sie einen Antheil an
der Nutzung immer mehr nur unter dem Titel eines freiwilli-
gen Zugeständnisses. Diese Umwandelang der Rechtsanschau-
ung oder wenigstens der factischen Uebung des Rechts ist
im neunten Jahrhundeil schon so allgemein geworden, dass
sie vielfach selbst in Formeln Ausdruck fand^).
tollant Unde praecipimus, ut hoc ulterias non fiat, sed unasqnisqae bo-
noratus noster se suosque ex suo pascat Vgl. auch das Verfiilirea der
Grafen von Linzgau gegen die Ausübung der Marknutzung im oberen
Rheinthal durch das Kloster St. Gallen, Tr. Sang. 890, II, 680.
^) Vgl. Tr. Sang. 890, n. 680: Notum sit . . quod fratres de mooa-
Bterio s. Galli (das in pago Arbunensi lag) in pago Ringouye de justis et
publicis traditionibus atque legitimis curtilibus talem usum habuimus, qiu-
lern unusquisque liber homo de sua proprietate juste et Ißgaliter debet
habere in campis, pascuis, silvis etc.; preterea in usus monasterii, proot
opus erat ad aquaeductus et ad tegulas ligna in praedicto pago sucddimos
et inde ad monasterium deferebamus et nihilominus navalia ligna ibisoc-
ddimuB ad necessaria nostra per locnm asportanda; insuper et grex po^
corum de monasterio ad eundem saltum dedncebatur ad pastom. Diese
Rechte hatte das Kloster schon seit den Zeiten Ludwig des Frommen.
^) Form. Salomonis c. 5 (Rockinger 197): Ut eadem possessio lolis
regibus hereditario iure subiecta sit in perpetuum et nuUus de pagensibos
ibi aliquid commune habeat nisi forte precario. Aehnlich in einer ilt-
alaman^iischen Formel des ausgehenden 9. Jahrh. (Wyss in Mitth. der
antiqu. Gesellschaft in Zürich, YII, n. 9, S. 82) : conventus . . pro quadam
Silva Tel potius saltu . . utrum et ceteri dves in eodem lignorom materia-
rumque caesuram pastumque vel saginam animalium habere per soam
auctoritatem an ex eiusdem loci dominis precario deberent Tunc ... 10
primores de comitatu N., 6 que alii de comitatu N., qui vicinos esse ride-
bantur, diviserunt eundem saltum hoc modo, ut de fluvio . . proprie per
- 271 —
Durch ihre Wii-thschaftsbeamten fingen die Grundhen-en
an, die Marknutzung zu regeln, was die freie Genossenschaft
nur zu sehr unterlassen hatte ^). Ihre Heerden untei*stellten
sie nicht mehr den Gemeindehirten, sondern machten von dem
Volksrechte Gebrauch, das für grössere Viehbestände eines
Gutes eigne Hirten zuliess*). Ueberhaupt aber waren ihre
Interessen nicht mehr auf die Erhaltung der alten, auf Gleich-
berechtigung beruhenden Gemeinschaft, sondern auf ihre Be-
hen-schung gerichtet; und nur zu leicht konnte es ihnen bald
gelingen, einen Widerspruch gegen dieses Streben aus den
Kreisen der betheüigten Genossen heraus auch rechtlich zu
überwinden; waren ja doch die Grafen wie die Vögte, die
Vicare und Centenare selbst durchweg schon aus der Klasse
der grossen Grundherren genommen, also an der Spitze der-
jenigen öflFentlichen Einrichtungen, welche für die Bewahining
des Rechtszustandes bestanden; und auch den neugebildeten
Schöfifenbänken gaben die Mächtigsten im Gaue bald ihr eig-
nes Gepräge; denn auch bei ihrer Besetzung war der Einfluss
des Grafen mächtig und die Intervention des Volkes konnte
praktisch leicht einer vorzugsweisen Bücksichtnahme auf die
Mächtigsten im Gaue gleichkommen, von denen doch die mei-
sten bereits abhängig waren').
Unter solchen Verhältnissen war für die GrundheiTen zu-
nächst wohl gar keine Veranlassung, aus dem Markverbande
auszuscheiden, in dem gerade sie die grössten Vortheile für
ihre Wirthschaft, den stärksten Einfluss auf die Bevölkerung
zu gewinnen in der Lage waren. Eine Ausscheidung aus
tinere deberent et noUas in eisdem locis aliquem usom habeant nisi ex
permisso rectomm eiusdem sancti loci, deorsum versus . . . omnes Uli
pagenses similiter sicut familia sancti illias asoin habeant cedendi ligna
et materies, saginamqne porconim vel pastom pecorum. Vgl. auch Gierke,
Genossenschaftsrecht II, 158.
^} Die obige alamannische Formel fügt daher bei : £o tarnen pacto,
ut forestarius sancti ipsius eos (pagenses) admoneat et conveniat, ne im-
ffloderato ruendo arbores glandiferas et sibi nocui et sancto loco invenian-
tor infesd.
*) Vgl. oben I. Buch, 2. Abschnitt, S. 87.
^ Vgl. i. A. Waitz, Verf.-Gesch. IV, 328.
— 272 -
demselben wäre mit einem Vei*zicht auf den Marknutzen ver-
bunden gewesen , der ja doch vornehmlich den grössten Be-
sitzern in der Gemarkung zustand; und die Befreiung vom
Flurzwang und genossenschaftlicher Feldweide, die äurch Aus-
scheidung der herrschaftlichen Güter aus der Genossenschaft
an der Mark zu erreichen war, konnte doch nur unter der
Voraussetzung Werth haben, dass diese Güter für sich einen
hinlänglich grossen, zusammenhängenden Complex bildeten,
eine Voraussetzung, welche in dieser Zeit in den meisten
Fällen durch die organisatorischen Bestrebungen der Grund-
herren ei-st zu schaffen war.
Die Grundhenen blieben also in jenen Markgenossen-
schaften, wo sie nur einzelne Güter besasseu; einfach Mitmär-
ker, wenn sie auch wegen ihrer wirthschaftiichen und socialen
Ueberlegenheit manches Von-echt und manchen factischen
Vortheil genossen ^) ; wo sie einen Haupthof mit einer Anzahl
dienender Güter oder wenigstens von diesen eine grössere Menge
besassen, machte sich wohl schon das Piincip der herrschaft-
lichen Organisation geltend, welche eine Auseinandersetzung
über die gegenseitigen Rechte und Pflichten mit der Mark-
genossenschaft nothwendig machte, ohne doch diese vollständig
aufzulösen; es entstanden Gemeinden mit gemischter Verfas-
sung, die theils nach der autonomen Beliebung ihrer freien
Genossen, theils nach dem Hechte ihres Herrenhofes lebten, unter
sich aber doch eine gewisse Gemeinschaft der Marknutzung
aufrecht erhielten *). Und wo endlich die gi-ossen Grundhenen
entweder das Eigenthum über die sämmtlichen Güter der Ge-
markung sich erwarben oder der territoriale Zusammenhang
und die Ausdehnung des HeiTenlands und der dienenden Güter
es gestattete, da trat die Hofverfassung an die Stelle der
alten freien Markverfassung, oder sie entstand in den Grenzen
^) Die zahlreichen Urkunden des 8. und 9. Jahrhunderts, velche bei
Gütern reicher Grundbesitzer zugleich die Berechtigung im Maridaade als
Pertinenz anf&hren, bezeugen die Fortdauer dieses Zustandes.
2) Vgl. insbesondere die Ausführungen von Maurer, Geschichte d€T
Dorfverfassung I, S. 12 f., 79 f. und von Gierke, GenossenschafUrecht L
S. 202 f.
— 273 —
der bisherigen Markgemeinde. Nur im letzten Falle lässt
dich also von einer Ausscheidung der Grundherrn aus der
Markgenossenschaft sprechen und es ist leicht begreiflich, dass
diese mehr die grossen Markgenossenschaften des Gaues und
der Cent, als der Dorfschaften betraf; denn nur selten hatten
diese ein so grosses Gebiet, dass innerhalb desselben sich ein
neues geschlossenes Territorium grundherrlicher Villen mit dem
nöthigen Umfang bilden konnte 0- Durch Erwerbung der
Jagd, der Fischerei, des Mühlenrechts •— alter markgenossen-
schaftlicher Rechte — besondei*s aber durch die Einforstungen^)
ist hierzu meist der erste Schritt gemacht worden. Die Aus-
bildung des Sallands, die Abinindung der einzelnen Güter
und des gesammten Besitzes der Grundhen-schaften, die Ent-
wickelung des Villicationssystems , die Hufentheilung und die
Äenderung des Feldersystems haben dann diese Ausscheidung
wesentlich begünstigt. Aber erst mit der politischen Immu-
nität der Grundherrschaften, die sich als letzte Consequenz
aus dem Uebergewicht in der Markgenossenschaft, aus dem
Seniorat und der Vassallität ergab, trat auch der herrschaft-
liche Verband in entscheidender Weise an die Stelle des un-
gleich loseren und daher auch weniger leistungsfähigen und
weniger werth.yollen Verbands der freien Markgenossenschaft,
und hat dann zur Bildung jener hofrechtlichen Genossen-
schaften Veranlassung gegeben, für welche die Quellen erst
in der folgenden Periode reichlicher fliessen.
Mit der socialen Ueberl^enheit, welche auf diesen Wegen
die grossen Grundherrn im Laufe des 8. und 9. Jahrhunderts
gewannen, ist dann auch die politische Organisation angegriffen
und einer gi'ündlichen Umgestaltung entgegengeführt worden.
Zwar die socialen Veränderungen in der engsten Mark-
genossenschaft der Doid(igemeinde oder des Hofsystems hatten
keinen unmittelbaren Einfluss auf die Ordnung der öffentlichen
Gewalt, da diese sich ja jener engsten socialen Kreise nicht
als Organ bediente. Aber schon in der Hundei*tschaft , dem
') Vgl Sohm, ReichsyerfasBung I, 207 £ 231.
^) Das Nähere hier&ber im 8. und 4. Abschnitt.
▼ OD Inama-Sternegg, Wirthschaftsgeschiclite. I. IS
— 274 —
untersten Organ der politischen Verwaltung für Rechtspflege,
Polizei und Heereswesen war das anders. Hatte sich erst im
Kreise der Genossen der eine oder andere zu hervorragendem
Grundbesitz und zu Hen*schaft über viel dienendes oder ab-
hängiges Volk emporgeningen , oder war ein gi-osser Grund-
herr durch Erwerb von Gutem und Genossenrechten in die
Gemeinde hineingewachsen, so lenkten sich fast unwillkürlich
auf diese die Stimmen der Markgenossen bei der Wahl des
Centenara ^). Und war er etwa auch noch ÖeiT der Cental-
mende ^worden, die ganze Hundertschaft also mit dem Gebiet
seiner GinindheiTschaft identisch, dann fehlte diesem Oi^an
einer fi*eien Selbstverwaltung des Volks jeder Halt und immer
mehr drängte das ganze Verhältniss nach einer durchgreifen-
den Umgestaltung der Befugnis3e. Am raschesten und ent-
schiedensten vollzog sich dieser Uebergang da, wo einzehe
besonders reiche Grundhen'n eine solche sociale und öko-
nomische Ueberlegenheit in einem ganzen Gau erwarben. Es
war ihnen bald ein Leichtes, das Grafenamt zu erlangen und
dieses mit ihrer Grundheri-schaft in so innige Beziehung zu
setzen, dass sie im Laufe der Zeit wie von selbst in Eins ver-
schmolzen; oder sie erhielten die Immunität von der öffent-
lichen. Gewalt und setzten dann sich selbst und ihre Vögte
an die Stelle der Grafen; in beiden Fällen ist das alte poli-
tische Gaugrafenthum zei-setzt, ist die öffentliche Gewalt eine
gi'undheiTSchafÜiche geworden *).
Und es muss betont werden, dass die Politik der frän-
kischen Könige, die Giiindsätze nach welchen bei Besetzung
der öffentlichen Aemter vorgegangen wurde, im Ganzen diesem
^) Zwar hatte das Capit Aquisgr. 809 (LL. I, 156) c. 11 TOigeschrie*
ben: Ut judices, advocati, praepositi, centenarii, scablnii, qaales meliores
inyeniri possnnt et Deiim timentes , constituantiir ad sua ministeria exff-
cenda cum comite et populo ; eligantor mansueti et boni. Aber doch xeigeo
viele Capitolarien den Centenar ebenso wie die andern Amtleute durchaos
von den herrschaftlichen Neigungen des Grossgrundbesitzers beseelt; tgl.
Capit. 808 c. 8; 811 c. 3 oben S. 250; Capit 811 c. 2; 847 c 22 ufitco
S. 276. Selbst erblich scheint die Stelle schon in einzeben FUlen z. B.
Tr. Frising. Ib, n. 404. Vgl. W^aitz lU, 833.
^ Vgl. Walter, Rechtsgeschichte § 183.
— 275 -
Streben der grossen Grundherni nach Aneignung der öffent-
lichen Gewalt durchaus nicht entgegen waren. Schon unter
den Merowingern galt der Grundsatz, dass der Richter nur
aus der Provinz und dem Gau genommen werden solle, wo
er seinen Besitz hatte ^) ; das beförderte nattlrlich die Wahl
grösserer Grundbesitzer, gegen welche alle Anspiilche besser
als gegen wenig Besitzende geltend gemacht werden konnten.
Aber auch Karl der Grosse und seine Nachfolger haben bei
der Besetzung der Grafenämter doch wenigstens auf ange-
sehene und mächtige Familien Bttcksicht genommen und wenn
auch das Amt regelmässig nur auf Lebenszeit übertragen
war, ja wegen Untreue, Verbrechen oder Nachlässigkeit ent-
zogen werden konnte, so ist doch davon immer seltener Ge-
brauch gemacht worden. Vielmehr ist es immer häufiger
vorgekommen, dass einzelne Familien sich in den erblichen
Besitz der Grafenämter setzten und damit die Verschmelzung
dei'selben mit den sonstigen grundherrschaftlichen Befugnissen
besiegelten *).
Zu dem allgemeinen Einflüsse, den ein GinindheiT durch
gleichzeitige Amtsfühining in Hundertschaft oder Gau erwarb,
traten noch manche andere Vortheile des Amtes bestimmend
fbr dieses Bestreben der Grossen nach den Aemtem auf.
Dem Grafen fiel nach altem Beamtenrechte eine Quote der
Friedensgelder zu*), und die Erhebung der Gerichtsgelder
und anderer königlicher Einkünfte, mit denen er betraut war,
blieb sicherlich auch nicht ohne materiellen Vortheil. Dazu
kam nun aber, dass der Graf regelmässig königliches Gut als
Belohnung für den Dienst erhielt, den er als öffentlicher
Beamte leistete; ja die Grafschaft ward bald selbst mit festem
') Ed. Chlotachar. II, 614 c. 12 (LL. I, 15) üt nallus iudex de aUis
proyinciis aut regionibus in alia loca ordinetur, ut si aliquid mall de
quibuslibet conditionibus perpetraverit, de suis propriis rebus ezinde, quod
Diale abstulerit, inxta legis ordinem debeat restituere.
•) Vgl. Waitz, Verf.-Ge8ch. lü, 828ff. und oben S. 231.
*) Bei den Baiem bezog der judex Vo der Composition L. Big. XIII,
2, 3; nach Cap. 788 c. 5 (LL. I, 46) gehört ihm Vs der Friedensgelder.
18*
— 276 —
Landbesitz ausgestattet^) und damit die persönliche wie
sachliche Herrschaft der Grafen noch beträchtlich erweitert
Indem dann die Grafen auch die Ableistung jener per-
sönlichen Dienste zu befehlen und zu überwachen hatten,
welche jeder Freie dem König und dem Reiche leisten musste,
den Heerdienst, den Wachdienst und Baudienst sowie die
öffentlichen Fuhren, hatten sie auch leicht Gelegenheit, diese
für wirkliche oder veimeintliche Zwecke des Grafenamts und des
Grafenguts in Anspruch zu nehmen; selbst eine Verfügung der
Grafen über die heerbannpflichtige Mannschaft ihres Gaues
für ihre eignen Streitigkeiten ist dieser Zeit nicht immer fern
gelegen *).
Solch eigenmächtiger Gebrauch der Amtsgewalt, wie er
wohl allgemein vorkam, hat bei den kleinen Freien gar bald
das Gefühl erwecken müssen, dass nur der sicher vor Be-
dillckung und Willkür blieb , der sich dem Grafen oder dem
Centenar, dem Imraunitätsherm oder seinem Vogte commendirt
und sein Besitzthum ihnen aufgetragen hatte. Man wählte
eben das kleinere Uebel der Minderung persönlicher Freiheit
um dem grösseren Uebel der Verarmung zu entgehen, das
diejenigen bedrohte, welche den ungleichen Kampf mit der
ökonomischen Ueberlegenheit und der amtlichen Gewalt der
GrundheiTU aufnahmen ^).
^) Vgl. die Beispiele hei Waitz IV, 141.
*) Gegen solche Missbr&uche wenden sich die Könige häufig genug:
Capit 803 c. 17 (LL. I, 121): üt liberi homines nullam obsequium comi-
tibuB faciant nee vicariis, neque in prato, neque in messe, neqae in aratora
aut Tinea et coigectum uHum vel residuum eis resolvant (ne solvant?^
excepto servitio quod ad regem pertinent et ad heribannatores yel bis qui
legationem ducunt Capit. de villis c. 11: Ut nallos index mansionaticos
ad suum opus nee ad suos canes, supei homines nostros atqae in forestes
(forenses?) nullatenus prendat
') Ausser den oben S. 245, 250 angeführten Stellen vgl. noch Capit 811
c. 2 (LL. I, 168): Pauperes se reclamant expoliatos esse de eoram pro-
prietate et hoc aequaliter clamant super episcopos et abbates et eoram
advocatos et super comites et eorum centenarios. Cap. 818 c. 22 (LL.
I, 190) : Ut comites vel vicarii aut centenarii sub malo occasione vel ingenio
res pauperum non emant nee vi tollant, sed quisque hoc comparare voluerit,
in publico placito eoram episcopo fiat Capit 816 (LL. I, 196) c. 3:
- 277 —
Schliesslich brachte das Amt auch mit dem Könige in
nähere Verbindung und manch besonderer Nutzen, manche
Förderung der specifischen Interessen der grossen Gmndherm
konnte daraus erwachsen. Die Verleihung von Königsgut,
abgesehen von den Amtsbeneficien , war für die Grafen und
Reichsbeamten ungleich leichter zu eiTeichen; sie waren in
der Lage, dem Könige manchen besonderen Dienst zu leisten,
seine Einkünfte zu mehren^); ja er war zum guten Theile
TOD ihren Diensten abhängig, besonders in Austrasien, wo es
ei'st galt, einen festen Reichsverband auf Grundlage des
Beamtenthums herzustellen ^). Aber auch . die Zugänglichkeit
des unmittelbaren Königsdienstes, die Aufnahme in die Trustis,
als Ki-onvassall etc. war dadurch sehr erieichtert und gab
dann wieder Gelegenheit, Aemter und Güter zu erhalten*).
Der Abschluss dieser ganzen Bewegung, die Erwerbung
der Immunität war darnach nur eine rechtliche Anerkennung
einer längst vorhandenen Thatsache. Schon war der Zustand
vorbereitet, wornach alle, die in irgend welchem Abhängigkeits-
verhältnisse zu einem GnindheiTu als Schutzhörige oder Leib-
eigne (coloni, servi, mancipia casata und non casata) standen,
vom Standpunkte der Grundheriii aus als eine geschlossene
comites vero non semper pauperes per placita premere debeant. Auch
erzählt eine Urk. von 808—810 (Ghabert, Bruchstück einer Österr. Rechts^
geschichte III, 126) von dem Istrianer dux Joannes: Postquam devenit in
ducatu , ad suum opus istos solides • (Fiskaltribut^ habuit et non dixit
iustitia palatii fuisset . . . dlvisit populum inter filios et filias Tel generem
saam. Vgl. auch Hüllmann, Stände 215; Maurer, Einleitung S. 210;
Waitz IV, 284 ff.
^) Mon. Boic 899 I, 351 schenkt E. Arnulf Güter an einen Vassalien
des Grafen Luitpold ob augmentuin mercedis nostrae.
') Die Grafen waren mit der Erhebung von Abgaben und der Aufsicht
über dieselben betraut; Capit Ticin. 801 c. 13 (LL. I, 85); Aqnisgr. 817
c 11 (I, 212). Aufeicht über die Münze, Zölle, Zinse etc. vgl Waitz IV,
144. Aber auch als Verwalter königlicher Güter kommen sie vor z. B.
Vita Hludov. c. 8 (SS. 11, 610) ein Graf als vinarum suarum proyisor.
*) Beispiele einer Vertheilung von Geld und Land unter die Königs-
diena: Ann. Lauresh. 796 (SS. I, 182) Einhard 796 (ib. 183): Carolus
reliqoam partem thesauri, (quem Ericus dux Foroiuliensis . . . regi de
Pannonia detulerat) inter optimates et aulicos ceterosque in palatio suo
militantes liberali manu distribuit.
— 278 —
Masse erschienen, auf deren pei'sönliche Hingabe sie rechnen
konnten. Mochten sie auch im Uebrigen in den verschie-
densten Verbindungen zur öffentlichen Gewalt und zur Mark-
genossenschaft stehen, so war doch das nächste und engste
Band das der Gi-undherrlichkeit und pei'sönlichen Ergebenheit.
In den verschiedensten öffentlichen Angelegenheiten, beim
Heerbann, bei den öffentlichen Abgaben und dgl, bei Gericht
und ungeboten Ding machte sich das geltend; der Grundherr
verti*at immer die Seinigen gegenüber den Beamten und die
öffentliche Gewalt gegenüber den Seinigen. Und zwar konnte
er diese viel wirksamer zur Geltung bringen als der bloss
auf die Erträgnisse eines Amtsbeneficiums angewiesene Gral
da jenem durch die ökonomische Ueberlegenheit Zwangsmittel
zu Gebote standen, über welche dieser nicht verfügte.
Das tritt zunächst deutlich hervor im Seniorate, das seinen
administrativen Schweipunkt in der Heeres veifassung , seinen
ökonomischen in der Gi'undheri*schaft hatte. Mit der im
Jahre 847 ^ erfolgten Verallgemeinei-ung des Seniorats ist
nur anerkannt, dass eine andere Organisation als die auf
der Grundhen'schaft beruhende nicht mehr möglich war; und
mit der im 9. Jahrhundert schon reichlich verliehenen Immu-
nität an geistliche und weltliche Ginindheri-schaften hat das
Reich die Verwaltung vollends den gi*ossen socialen Mächten
auszuliefern begonnen.
Dritter Abschnitt.
Die Ausbildung der grossen Grandherrseliaften and
Ihrer Agrarverfassung^).
Am Schlüsse der Merowingei'zeit ist der deutsche Boden
doch gewiss schon zum grossen Theil einer Heri*schaft unter-
^) Hlotbarii, Hludowici et Caroli conventas ad Marsnam, Adnundatio
Karoli c 2 (LL. I, 395) Yolumus ut unusquisque über homo in nostro
regDO seniorem qualem voluerit in nobis et in nostris fideUboa aedpiat
Schon die altem karolingischen Eapitalarien hatten das Seniorat sehr be-
günstigt, Tgl. DiviBio imperii 817 c. 9 (LL. I, 199).
^) Vgl. i. A. meine „Ausbildung der grossen Omndherrschaften In
— 279 —
worfen, welche auch volkswirthschaftlich werthvoll war, da
sie irgendwelche Nutzung desselben als ihr Ziel auffasste.
Freilich war das noch lange nicht überall die Herrschaft
des Privateigenthums , die einen sorgfältigeren Bodenanbau
oder auch nur eine durchweg betmchüiche Ausbeutung der
Naturkräfte mit Nothwendigkeit im Gefolge gehabt hätte.
Vielmehr ist es auf weiten Strecken eine Herrschaft gewesen,
die nur dazu diente, andere von der beliebigen Nutzung des
Bodens auszuschliessen oder wenigstens Mass und Art fremder
Nutzung vorzuschreiben und nach eignem Interesse einzu-
räumen^); in sehr beschränktem Umfang bestand daneben
jene energischere Grundherrschaft, die im ausschliessenden
Sondereigenthum den Impuls zu eigentlicher Bodenbestellung
und zu wirthschaftlicher Betriebseinrichtung empfand. Uebei-
grosse Güter und weite Strecken öden und Waldlands ver-
fQ|2ten der König und sein Fiskus als Eigenthümer ; viel ge-
hörte den Herzogen und Fürsten der einzelnen Stämme, vorab
den bairischen Hei*zogen, die zweifellos die grössten Grund-
eigenthümer in ihrem Lande waren. Auch sie verfügten über
wüstes Land in weitem Umfang, bereicherten sich durch erb-
loses und confiscirtes Gut und übten überhaupt in ihrem
Lande so ziemlich die Hoheitsrechte des Königs aus ^). Theile,
aber nicht beträchtliche standen im Eigenthum der Adels-
klasse, bei den nördlichen Völkern und zum Theil bei den
Deatschland während der Earolingerzeit" in Schmoller's Staats- and social-
wissenschafUichen Forschungen I, 1. 1878.
') Die Nohiles de Fagen besassen 750 (Meichelb. I a, 49) bei Erching
amplissima tum prata tum pascua plane inculta. 763 (Mon. Boic. IX, 7}
verfugt Reginbert über den pagus desertus quem Walhogoi appellamus.
769 (ib. 9) schenkt Tassilo den locos Inticha quia et ipsa loca ab antiqno
tempore inanem atque inhabilem esse cognoyimus. So wird auch in Ried
Cod. Ratisb. 810 S. 10 ein Gebiet infra ipsum heremum tradirt, dessen
Grösse bestimmt ist: parte meridiana miliaria 3, aquilone miliaria 2 ; vgl.
oben 3. Abschn. S. 97, 100 und 1. Abschn. S. 215.
*) Die Güterconfiscation von Kapitalverbrechem wurde in Baiern aus-
gedehnt durch die Beschlösse des Dingolfinger (769) und Neuchinger (771)
Condls. LL. III, 459 und 464 vgl. Riezler, Geschichte Baiems S. 120,
15S ff.
- 280 —
Baiern noch dem Stammesadel gehörig, bei Alamannen und
Franken jenem neueren Adel, der sich durch Eönigsgunst und
Dienst, sowie durch Reichthum emporgehoben hatte, den
Grafen und sonst hervorragenden Familien; und auch sie
haben vielfach wüstes Land in ihrer Herrschaft.
Die Kirche und die Klöster hatten es in Deutschland
bis dahin nur vereinzelt zu gi*össerem Eigenthum gebracht;
zum Theile sind sie selbst im Eigenthum der Krone, der Her-
zoge oder einzelner weltlicher Gi'ossen.
Das Privateigenthum der einfachen freien Leute ist zwar
schon allenthalben durchgedrungen, aber doch vielfach zer-
splitteit, in vielen Händen vertheilt und auch im Ganzen nicht
beträchtlich. Grosse Theile des deutschen Bodens stehen als
Markland den Markgenossenschaften zu; verhältnissmässig
wenig mehr als Gau- und Gentalmende; dagegen doch sehr
viel als Almende der Dörfer und Bauerschaften, die mit dem
Ausbau im Stammlande und der Vermehining der Wohnorte
so beträchtlich an Zahl zunahmen. Zwischen ihren Gemar-
kungen breitet sich dann noch in nicht unbeträchtlicher Aus-
dehnung hen*enloses Land aus, das weder von königlichem
noch herzoglichem Eigenthumsrechte noch von privater Grund-
hen-schaft ergriffen ist.
In diese Zustände brachte nun die karolingische Zeit die
grossartigsten Verändeinngen, wie sie zum Theil schon durch
die grossen Vei*schiebungen der socialen Verhältnisse an-
gezeigt sind, zum Theil aber ihre Quelle in politischen, kirch-
lichen und wirthschaftlichen Vorgängen haben ^).
Vorab die königliche Gnmdherrschaft erhält eine Aus-
dehnung in Deutschland, wie sie zur Zeit der Merowiuger
auch nicht annähernd vorhanden war. Schon als Hausmeier
waren die Pipiniden im salischen und ripuarischen Franken,
besonders zwischen Maas, Mosel und Rhein reich begütert').
^) Vgl. i. A. meinen Versuch, die Zahlenangaben der ürkimden für
eine Aufhellung der Grössenverhältnisse und der Vertheilung des Grand*
besitzes in der Earolingerzeit zu verwerthen in „Ausbildung der grossen
Grundherrschaften" S. 25 - 42.
') Vgl. ßonnel, die Anßlnge des karolingischen Hauses in Jahrbüchern
der deutschen Geschichte 1866. Waitz, II, 257 ff. IV, 119.
— 281 , —
Aber doch sicherlich ei-st mit Erwerbung der königlichen
Würde hat sich ihr Besitz in anderen Gegenden Deutschlands
eingestellt und so gemehit, dass bis zum Schlüsse der Karo-
lingerperiode 176 grosse Kammergüter gezählt werden können,
von denen 83 auf Franken, 50 auf Alamannien, 21 auf Baiem
entfallen, während 12 in Thüringen, und je 5 in Sachsen sowie
im südlichen Lande der Fi-iesen gelegen wai-en *). und auch
diese Zahl scheint noch viel zu niedrig gegriiFen, wenn wir
die Resultate der Pi*ovinzialgeschichtsforschung beiUcksichtigen,
die beispielsweise für Würtemberg allein königliche Güter an
81 Ortend und für OesteiTeich sogar an 150 Orten zählt*),
ungerechnet die grossen Bannforste, welche die Karolinger
gleichfalls schon als werthvolle wirthschaftliche Objecte zu
nutzen wussten.
Die Ursachen dieser grossen Ausdehnung des Kronguts
stehen in engstem Zusammenhang mit der verstärkten Geltend-
machung der königlichen Gewalt selbst. Zunächst sehen wir
sie in einer energischen Behauptung des Königsrechts auf
herrenloses Land. Wohl war auch schon in der altem frän-
kischen Zeit dieser Grundsatz nicht bloss bekannt, sondern
zweifellos auch geübt *). Aber nur in Neustrien, wo die Mero-
winger eine bessere Centralverwaltung und eine intensivere
Ausübung königlicher Rechte durchgeführt hatten, fand dieses
Recht auch schon umfassende Anwendung. Bei dem losen
Staatsverbande, in welchem die östlichen Länder zum Franken-
^) HüUmann, Geschichte des ürsprangs der Stände, 2. Aufl. 1880
S. 57 ff. In seiner „Finanzgeschichte des Mittelalters '^ hatte HüUmann 128
orkundlich in der Karolingerzeit vorkommende Reichsdomänon verzeichnet.
Ein Yerzdchniss dieser Besitzungen auch bei Ideler, Leben Einhards L
249 ff.
*) Stftlin, wirtemh. Geschichte I, 844.
*) Chabert, Bruchst&cke einer österreichischen Rechtsgeschichte in den
Denkschriften der k. Akademie der Wissenschaften in Wien III, 148 ff.
AoffaUend gering an Zahl sind die karolingischen Kammergüter in Tirol;
die abgelegenen Gebirgsthäler lagen auch dem königlichen Einflüsse fem;
Chabert a. a. 0.
*) Maurer, Einleitung S. IIB; s. o. I. Buch, 8. Abschn. S. dB und
IL Bucli, 1. Absch. S. 212.
- 282 —
reiche standen, war daran nicht zu denken. Auch zeigt die
Thatsache, dass sowohl die Volksherzoge als die Grossen bei
den Alamannen und Baiem wiederholt über Wildniss ver-
fugen, hinlänglich; dass man von einer durchgreifenden Ver-
wirklichung dieses Grundsatzes noch weit entfernt war.
In der Earolingerzeit aber sehen wir denselben in aus-
gedehnter Anwendung. In Septimanien ^) wie in Pannonien^)
und Karantanien, aber auch im innern Deutschland, im Buchen-
walde % in Thüringen und Sachsen ist er geübt worden und
hat dem königlichen Fiskus grossen Länderzuwachs gebracht
Ja es scheint sich die königliche Gewalt auch schon an der
Gau- oder Gentalmende vergriffen und diese dem Fiskus ein-
verleibt zu haben*).
Besonders sind die Bannwälder und Eönigsfoi'ste zahlreich,
welche in Anwendung des Königsrechts auf herrenloses Land
der Hen-schaft und Nutzung des Königs unterworfen woiiien
sind. Etwa 15 grosse Waldgebiete, darunter das Wasgan-
gebirge, der Spessart, der Steigerwald, Theile des Hardt-
gebirgs in der Rheinpfalz, des Idar- und Hochwaldes und des
Harz standen als Bannforste in königlicher Verfügung. Andere
grosse Waldungen im Dreieicher Wildbann (nördlich des
Main), im Oden walde, im Soon- und Westerwalde, der Nürn-
berger und Weissenburger Reichswald u. a. gehörten zu karo-
lingischen Königsgütera*).
Zu dem Gütererwerb durch Inanspiiichnahme von herren-
losem und wüstem Lande für den königlichen Fiskus trat
^) Urk. Ludwig d. Fr. 814 Sickel II, 94 ; 815 ib. II, 95; 823 ib. II, 1*5
«) Urk. Ludwig d. D. 863 Mon. Boic. XI, 121.
») Urk. Pipins n. 753 C. Fuld. 5; Urk. Karls d. Gr. 778 Wenk Hb,
n. 5; 781 C. Fuld. 72; 811 ib. 261: 813 Wilmanns Kaiserork. I, 3; ^
i. A. Roth, Benef. W. S. 69 f. und oben 1. Abschn. S. 212.
*) VieUeicht ist das Kloster Kempten auf solchem Grande errichtet
oder damit ausgestattet worden, wie das aus der Urk. Ludw. d. Fr. S3^^
Mon. Boic. 28a., n. 15 hervorzugehen scheint, durch welche das Kloster
den übrigen Fiskalgütem gleichgestellt wird: pagenses eiusdem lod re^
eiusdem monasterii non quemadmodum nobis proprias sed sicat anaa, qass
possidebant defensatas atque provisas esse debere, dicebant
^) S. i. A. Bernhardt, Geschichte des Waldeigenthoms 1872 I, 56f
— 283 -
dann ein häufig geübtes in vielen verschiedenen Fällen zur An-
wendung kommendes Confiskationsrecht ^). Schon in der
Merowingerzeit war Königsgut vielfach bei Unterwerfung von
Völkei-schaften auf diese Weise gewonnen; die Karolinger be-
reicherten sich in Alamannien *), Thüringen^) und Sachsen*):
besonders aber in Baiem fielen dem königlichen Fiskus mit
der Entsetzung der hei*zoglichen Familie durch Gonfiskation
ihrer Hausgüter mindestens 18 beträchtliche Besitzungen zu*).
Auch später ist bei Hochverrath und einigen bürgerlichen
Verbrechen ^) allgemeine Vei-mögensconfiskation oft geübt
worden; und ebenso waren die häufigen Streitigkeiten über
die Thronfolge oft Veranlassung, das Vennögen der Partei-
gänger des unterliegenden Prätendenten zu confisciren ^).
Auch die Secularisationen , von Karlmann inaugurirt, be-
sonders aber von Pipin und dann wieder von den späteren
Karolingern geübt, haben der Krone viel Grundbesitz hinzuge-
fügt Doch muss besonders für die Verhältnisse in Deutschland
beiücksichtigt werden, dass die secularisirten Güter fast durch-
weg als Beneficien wieder verliehen wurden, also doch nur
einen mittelbaren Zuwachs zu den Gütern der Karolinger be-
deuteten. Und auch davon abgesehen, ist die Secularisation
doch vornehmlich gegen ^^allischen Kirchenbesitz angewendet
worden, während die deutschen Bisthttmer und Stifter wohl
') Capit. Aquisgr. 809 c. 1; LL. I, 155; Cap. Aquisgr. 817 c 11;
LL. I, 212. Pact Tusiac. 865 c. 8; LL. I, 501; vgl. u. A. Roth, Benef.
W. S. 424 f.
*) Dipl. Car. 790 Bouq. V. 753 Tempore geDitoris nostri Pipini — sea
et avunculi nostri Garlomanni res aliqaae in ducatu Alemanniae fisci di-
tionibus redactae fuerunt. S. a. Fredeg. Coniin. c. 115.
") Ann. Nazar. 786 LL. I, 48 possessiones vel agros eorom omnes
infiscati esse noscuntur.
*) S. 0. 1. Absch. S. 212.
*) Quitzmann, die Rechtsverfas&ung der Baiwaren S. 80 f. Riezler,
Gesch.* Baierns I, 178.
*) Beispiele beim Incest, bei Fleischesyerbrechen der Nonnen, Yer-
wandtenmord, Tödtung eines Grafen bei Roth 1. c. 425; s. a. Urk. Karls
807, Beyer n. 15.
') Beispiele ans den Jahren 834, 860, 869 bei Roth 1. c.
— 284 -
nur den generellen Verfügungen des Capit. Liftinense 743 und
späterer unterlagen, aber keine gänzliche Entziehung ihrer
Güter zu erleiden hatten, wie das beispielsweise mit den Bis-
thümera Rheims, Auxen*e, Vienne, Langres, le Mans u. a.
geschah ^). Viele Fälle jedenfalls, in welchen Kirchengut zum
Fiskus gezogen wurde, stellen sich mehr als Uebei-giifife ein-
zelner Fiskal Verwaltungen, denn als eigentliche Secularisation
durch die Königsgewalt dar, und sind dann wohl auch zumeist
durch diese selbst wieder sanirt, die Güter zurückgegeben
worden *).
Einen sehr bedeutenden Zuwachs ihrer Macht erhielt«!]
die Karolinger aber auch in Deutschland durch die im 9. Jahr-
hundei-te immer bestimmter geltend gemachte, immer häufiger
geübte Gewalt über die Temporalien der Kirche, welche sich
bald zu einem Eigenthumsrecht der Krone am Reichskirchen-
gute entwickelte. Auf dieser Grundlage verfügten sie nicht
bloss mehr über die sog. königlichen Klöster, sondern auch
über die Güter der Bisthümer, Abteien und Stifter, ja über den
Gesammtbestand dieser kirchlichen Anstalten und vermehrten
theils ihren Grundbesitz unmittelbar, theils steigei*ten sie da-
durch die Renten des königlichen Fiskus aus Grund und Boden*).
Und endlich ist den Königen auch durch Uebertragung
und Schenkung, besonders durch letztwillige Verfügung
manches Stück Land zugefallen^).
Dagegen hat das Krongut allerdings auch in dieser Periode
vielfache Veiininderung erfahren. Schenkungen an die Kirche
und an weltliche Grosse sind auch unter den Karolingeni
nicht eben selten; ja unter Ludwig d. Fr. haben die ersteren
sogar eine bedenkliche Höhe angenommen^). Daneben sind
») Roth, Benef. W. 337 ff.
^) So Urk. 816 Mon. Boic. 31a., n. 13: 823 ib. n. 19.
*) S. i. A. Ficker über das Eigenthum des Reichs am Reichskirchen-
gate, Sitzungsber. der Wiener Akad. Bd. 72, S. 101 ff.
*) Mon. Boic. 837, 28, a. p. 32. Bouquet 814 VI, 462; 817 ib, 501.
^) Es beziehen sich zwar von den bei Sickel verzeichneten 251 Ur-
künden Karls d. Gr. 36 auf Schenkungen an die Kirche in Deutschland; toa
892 Urk. Ludwigs d. Fr. nur 32; aber die ersteren verfügen, abges^en
von ^geschenkten Zehenten und einzelnen Nutzungen (Fischerei, ^VaId•
— 285 —
die Beneficien und die prekarische Landleihe gerade in dieser
Zeit in ausgedehntester Uebung. Gar vieles, was die Karo-
linger an Giiindbesitz auf den oben geschildei-ten Wegen in
ihre Gewalt bekommen hatten, ist dadurch sofort wieder ihrer
Verfügung entzogen, für die Wiilhschaft ihres Fiskus verloren
worden. Denn obgleich durch die beneficiarische Verleihung
das Eigenthum nicht verloren ging, ist doch regelmässig der
Genuss der Güter auf die Beliehenen ganz übergegangen;
die Könige erhielten wohl einen Machtzuwachs durch die per-
sönliche Ergebenheit des Beliehenen , aber sie sahen sich doch
immer in ihrem Besitzstande geschmälert.
Ein gleiches gilt von den weiten heiTenlosen Strecken,
über welche die Könige als Eigenthümer verfügten ; indem sie
dieselben in den Dienst der Landescultur stellten, und ihre
colonisatorischen Bestrebungen durch Verleihung derselben in
KöDigshufen an neue anziehende Bebauer verfolgten, hörten
sie regelmässig auch sofoi*t auf, weiter über diese Güter zu
verfügen; ja es ist wohl vielfach sofort hier ein System neuer
Erbgüter der Colonisten daraus entstanden^).
Zudem zeigt sich in der Karolingei*zeit schon eine ent-
schiedene Tendenz nach Erblichkeit der Beneficien*); die
Uebung des früher unbestiittnen Thronfallsrechts stiess um
so mehr auf Schwierigkeiten, je mehr die späteren Karolinger
nntzung etc.)» doch nur über cca. 70 grössere und kleinere Güter, daranter
14 ganze Villen, während die letzteren gegen 600 Güter, daranter 12 ganze
Villen betreffen, ungerechnet jene Güter, in deren Besitz der Kaiser die
Kirche nur bestätigte.
0 Wie es in der Urk. Ludw. d. D. 863 Mon. Boic. XI, 121 heisst:
qualiter avas noster Carolus licentiam tribuit suis fidelibus in augmen-
tatione remm ecclesiarum dei m Pannonia carpere et possidere hereditatem.
^) Beispiele v. 834 Sickel II, 184, 839 Mon. Boic. 28 a., n. 22: 856
C. Laor. I, 23. Der ganze Vorgang sehr gut erklärt bei Roth, Benef. W.
419 ff. Waitz IV, 174. Für Baiem vgl. Conc. Dingolf. c. 8 (LL. III,
460): De eo quod parentes principis quodcumque praestatum fuisset nobi-
libas intra Baiuvarios, hoc constituit ut permaneret et esset sub potestate
nniuscuiusque relinquendum posteris, quamdiu stabiles foedere serrassent
apnd principem ad serviendum sibi et haec firma permaneret: ita con-
stituit
— 286 -
in ihren eignen Streitigkeiten um das Reich auf die Hinge-
bung der Grossen rechnen mussten und je mehr diese sich
schon eine entscheidende Mitwirkung bei allen wichtigen
Regiemngsacten zu erringen vei*8tanden haben. Ja, es ist
bald nicht mehr dabei geblieben , dass die Könige die Be-
neficien und Lehengüter wohl oder übel bei den Familien be-
lassen mussten, welche sich mit Kraft auf denselben zu be-
haupten wussten. Vieles Krongut ist in späterer Karolingerzeit
geradezu durch Usurpation der Grossen verloren gegangen,
ohne dass es gelang, solch offenbarer Rechtswidrigkeit mit ge-
nügendem Nachdrucke entgegenzutreten und das Krongut
auch der Krone zu wahren ^).
Nicht minder hat zur Schmälerung des Königsgutes' der
Umstand beigetragen, dass es immer mehr zur Regel wurde,
die Aemter, besonders das Grafenamt, mit Grundbesitz aus-
zustatten. Zwar sind auch .hiefür nicht selten Kirchengüter
verwendet worden; aber doch hatte das Krongut zumeist diese
neue Last zu tragen, sei es, dass unmittelbar Landbesitz des
Königs dazu gegeben werden musste, oder dass das Eigen-
thum des Reichs am Reichskirchengute dadurch eine Schmä-
lerung an Bestand oder Ertrag eifuhr*).
So darf es nicht Wunder nehmen, wenn am Schlüsse der
Karolingerzeit das Krongut wieder beträchtlich gemindert er-
scheint. Denn immer häufiger im Laufe der anderthalb Jahr-
hunderte sind die Veranlassungen geworden, aus denen Gmnd-
besitz vergeben oder wenigstens die Nutzung desselben anden
überlassen werden musste; immer seltener dagegen bot ach
Gelegenheit zu reichem Neuei-werb. Und selbst wo solcher
erzielt wurde, diente er doch vorwiegend dazu, um sofort als
Beneficium, zur Ausstattung des Grafenamts oder zur Erwer-
bung sonstiger Vortheile für Krone und Regiemng wieder
hingegeben zu werden.
Gleichzeitig mit dem Krön- und Hausgute der Karolinger be-
gann auch das Eigen- und Lehengut der Gi*ossen des Reiches sieh
^) Vgl. oben 2. Abschnitt S. 277. Meine „Gnmdhemchaften^ S. 7a
>) Vgl. oben 2. Abschnitt S. 276.
— 287 -
zu mehren. Rodung von Wildniss und Markland, Auftragung des
kleinen Eigenthums der gemeinen Freien, Erwerb des Eigenthums
an MarkgrUnden und ganzen Gemarkungen, aber auch manche
Gewalttbätigkeit gegen Schwache waren die regelmässigen Ur-
sachen solcher Concentration der Heri-schaft über Grund und
Boden. Dazu kam dann als besondei'S bedeutsame Verstärkung
dieser Tendenz die Ausbildung des Instituts der königlichen
Beneficien und die Ausstattung der Aemter mit Grundbesitz,
welche fast ausschliesslich denen zufielen, die an sich schon durch
grösseren Besitz sich ökonomische und sociale Ueberlegenheit
zu verschaffen gewusst und sich dadurch zur Durchführung
der karolingischen Verwaltungsorganisation unentbehrlich ge-
macht hatten. Auf diesen VV^egen dehnten die Grossen des
Reiches ihre Grundhen-schaft auf Kosten des Ki-ongutes aus,
zogen auch manches in unberechtigter Weise aus den Gutem
des königlichen Fiskus an sich und wussten überdiess durch
königliche Schenkungen diese ihre Position noch mehr zu
festigen. Im 9. Jahrhundert ^) ist denn auch die Erscheinung
>) In den St. Gallner Urkunden des 8. Jahrh. treten nur zwei Fa-
milien der Lantbert und Pertold mit grossem Besitze auf; im 9. Jabrh.
mehren sich rasch die Beispiele. 806 (Tr. Sang. 190) hat Isanbard Grund-
besitz an 6 Orten; 815 (ib. 215) Hadupert an 6 Orten; Graf Cadaloh 817
(ib. 22c) an 15 Orten; Immo 827 und 830 (ib. 807, 833) an 13 Orten;
VolTini 838 (ib. 375) an 7 Orten; Adalbart 843 (ib. 366) an 8 Orten; der
Levite Adalhelm 865 (ib. 511) aif 8 Orten; dazu besitzt er Klosterlehen
an 11 Orten.
In den Weissenburger Traditionen begegnen vir 774, n. 63 einer
Schenkung von Gütern an 18 Orten, die mit 200 sol. zurückgelöst werden
kann; 774, n. 61 an 6 Orten mit 20 mancipia; 774, n. 53 an 22 Orten
mit 96 mandp.; 784, n. 60 an 22 Orten; 787, n. 62 an 8 Orten; von einem
Grundherren werden in den Jahren 774—788, n. 71—73 Güter an 13
Orten mit 75 mancip. geschenkt. 791, n. 128 eine Schenkung an 23
Orten u. s. f.
Die Lorscher Traditionen bieten an solchen Beispielen 770, n. 11
eine Schenkung an 5 Orten mit 7 mancip.; 786, n. 12 an 16 Orten; 787,
n. 13 von 80 Hufen und 55 mancip. 790, n. 14 in 2 Gauen mit 64 man-
dp. 791, n. 2257 werden an 12 Orten nebst einigen anderen Gütern 4
Salhnfen, circa 26 Mausen und Zinshufen, 89 mancip. geschenkt; 793, n. 3522
an 10 Orten, darunter eine ganze Villa mit 120 mancip.; 818, n. 3504 an
7 Orten mit 93 mancip. 819; n. 21 das «rosse Dorf Michelstadt; 846, n. 27
— 288 —
solch grosser weltlicher Grundhen*schaften , wie wir sie noch
am Schlüsse der Merowingerzeit nur vereinzelt in Deutschland
finden, schon recht häufig geworden; in vielen Dor£schaften,
ja in ganzen grösseren Gebieten ') herrschen sie ausschliess-
lich, verleihen der Wirthschaft des Volkes schon immer mehr
ihr Gepräge und haben schliesslich auch jene politische Macht
sich errungen, die allenthalben die königliche Gewalt be-
schränkt, ja in gewissem Sinne schon beherrscht. Es ist das
im Ganzen frühzeitiger in jenen Gegenden zu beobachten,
welche einem stärkeren Einflüsse des wirthschaftlich reicher
entwickelten, aber auch fiiiher grundhen-schaftlich organisir-
ten Neustriens unterlagen, also im Elsass^), in Ostfiranken
und den Bheinlanden, später in Alamannien rechts des
Rhein; in Baiern ist die Entwickelung wohl am spätesten
2 Villen mit 95 mandp.; 863, n. 38 ein Besitz von 3 SaUiofen, 19 Zins-
hufen und Wald für 1000 Schweine; 877, n. 40 an 18 Orten 2 Herreahöfe,
45 Zinshufen, 5 Mühlen, 2 Weinberge.
Die Fulda er Traditionen enthalten Beispiele, wo ein Grundbesitier
778 Güter an 5 Orten um 600 sol. verkauft, einer an 28 Orten, ein an-
derer an 27 Orten Güter schenkte. 779, n. 68; 788, n. 87. Aus dem
9. Jahrh. erwähnen wir eine Schenkung 801, n. 168 an 4 Orten mit 28
mancip.; 801, n. 173 an 8 Orten mit 30 mancip.; 803, n. 188 an 16 Of-
ten mit 63 mancip.; 804, n. 219 an 9 Orten; 813, n. 296 149 maodp.;
819, n. 388 an 8 Orten mit 48 mancip. ; 821, n. 895 an 9 Orten mit mebr
als 40 mancip.; 830, n. 520 an 12 Ort«n mit 51 mancip. u. s. £.
Von den Prümer Traditionen 765 (Mittelrh. Urk.-B. I, 19) eine
Schenkung an 31 Orten, darunter 25 ganze Villen ; 804 ib. 41 eine ganze
Villa mit 185 mancip.; 809 ib. II, 14 an 3 Orten mit 70 mandp.; 816
ib. I, 58 an 5 Orten 9 mausen mit 88 mancip.
^) So die Weifen in Tirol und Schwaben, die Popponen in Ostfran-
ken, die Luitpoldinger in Baiem. Heinrich der Weife soll vom £iiaer
Arnulf 4000 Mansen (seines Eigenguts?) in superioribus partibos Baiawa-
riae als Beneficium genommen haben. Hess, Mon. Guel£. 7.
^) So enthalten die Weissenburger Traditionen schon zum Jahre 699,
n. 205 und 713, n. 247; 739, n.ll; 742, n.52 Schenkungen ganzer YlUen.
715, n. 239 werden aus einem grossen Vermögen portiones an 5 Orteaum
500 sol. verkauft. Zwei Schenkungen aus dem Jahre 739, n. 14 tmd 17
beziehen sich auf 4 und 9 ganze Villen; im Jahre 742 werden Gfttor an
6 Orten n. 1 und an 27 Orten n. 52 übertragen; in beiden Fidlen ist die
Rückkaufasumme auf 200 sol. festgestellt
— 289 -
eingetreten ^); in Sachsen und Thttringen aber bei der grösse-
ren Bedeutung der dortigen Adelsklasse überhaupt nicht in
dieser Weise erfolgt. Mit der Rückgabe der Erbgüter an
die sächsischen Edlen durch Ludwig den Frommen scheint
ihr socialer und ökonomischer Einfluss fester denn je begi-ün-
det und zur Unterdrückung der kleinen Freien von ihnen ge-
braucht worden zu sein').
Noch mehr aber als das weltliche Grundeigenthum er-
fahrt in dieser Periode das geistliche grossartige Ausdehnung
und folgenschwere Concentration in wenigen Händen. Auch
hier spielt die Occupation und Rodung von wüstem Lande
eine besondere Rolle; ja sie wird ifür das Wachsthum der
geistliehen Gioindherrschaften um so belangreicher, als die
Könige und zum Theil auch die weltlichen Grossen besonders
mönchreichen Klöstern weite Strecken von Wald- und Wild-
land schenkten, das diese nun mit eigner und fremder Arbeit
der Cultur dienstbar machten 3). Fortgesetzte, fast ins mass-
lose gehende Schenkungen und Auftragungen verstärkten dann
während dieser Periode ununterbrochen den kirchlichen Be-
sitz und das um so mehr, als nicht bloss die Kirche ihre
Heilsmittel auch beständig als Reizmittel für solche Gutsüber-
tragungen in Anwendung brachte, sondern auch durch die
Gesetzgebung für die Kirche vor Allem die Schwierigkeiten aus
dem Wege geräumt wurden, welche Familie und Markgenos-
senschaft etwa noch der fi*eien Verfügung des Einzelnen über
seinen Giiindbesitz in den Weg stellen wollten.
*) Vgl. die TabeUe I im Anhange. Vereinzelt kommen allerdings auch
hier schon im 8. Jahrh. Grossgnindbesitzer vor; 778 Mon. Boic IX, 7
grosse Besit Zangen an 11 Orten; 793 Meich. Ib, 111; 827 ib. 357; beson-
ders aber die Stifter von Benedictbeuem , welche 6700 Mausen gaben.
Mon. Boic. IX, 19.
') Vgl. Waitz UI, S. 141 f. und oben S. 231.
*) So schenkt Karl d. Gr. 777 (Sickel U, 34) an St Martin in Trier
villam Lifiidnnmn com 4 forestis. 778 (Wenk 2 b, 5) an Hersfeld mansnm
mdomimcatom simolqae in circuita mansi leagas 2 silvae drcomiacmtis.
781 (C. Fald. 72) an Fulda campum ünofelt cum silvis eins. Ludwig d.
Fr. 814 (C. Laur. I, 45, 49) an Lorsch den Odenwald. 823 (Schöpflin I,
85) an St. Gregor im Elsass partem forestis fisd Columbarii.
▼ Ott Inama- Stern egg« WirtlischAftsgeschichte. I. 19
— 290 -
Und auch sonst erfreute sich die Kirche der für Erwer-
bung von Grundbesitz besonders wichtigen Gunst der Könige
in reichem Masse. Nicht bloss, dass sie aus dem Krongnt«
Schenkungen und Verleihungen erhielt, die, wenn auch im
Obereigenthum des Königs bleibend, doch vomemlich nun ihre
wirthschaftliche Macht stärkten ; es fand der kirchliche Besitz
eine besondere Förderung auch in der Ausbildung der all-
gemeinen Zehentpflicht und in den besonderen Vorschriften,
wonach, wie in Sachsen, die Kirche mit Grundbesitz von den
Angehörigen der kirchlichen Sprengel ausgestattet werden
musste ^).
Die Kirche verstand es aber auch am besten, ihre wirth-
schaftliche Organisation zur Verstärkung der im Grundbesitz
gelegenen Kräfte zu verwenden, und sorgte durch vortheilhaf-
ten Tausch und Kauf, durch An'ondii'ung und zweckmässige
Einrichtungen der Bewirthschaftung fdr möglichst grossen
Ertrag.
Daneben hat sich der kirchliche Besitz freilich auch in
dieser Periode manche Schmälerung gefallen lassen mfissen«
welche das allzurasche Anwachsen des Besitzes einigermassen
aufhielt und der Tendenz einer alles verschlingenden Ausdeh-
nung wehrte. Die Pipinischen Säcularisationen dauerten auch
unter Karl d. Gr.*), ja selbst unter dem frommen Ludwig
einigermassen foi*t^), und nahmen unter den späteren Karo-
lingern wieder grössere Dimensionen an^); die weltlichen
0 Capit. Paderbnin. 785 (LL. I, 48 f.), c 15 : De minoribos a;pitabs
coDsensenint omnes, ad unamqoamqae ecdesiam curte et daos mansos
terrae, pagenses ad ecclesiam recurrentes condonant et inter oentBm vi-
ginti homines, nobiles et ingenois similiter et litos, senrom et andUan
eidem ecclesiae tribuant
>) Beispiele von Le Maus , Rheims , Verdun und AngerB bei Both,
Benef.-W. 841 f.
') Cap. 817 (LL. I, 209), c. 29 : Vel certe de bis rebus, qvae vapet
necessitate cogente a nonnuUiB ecclesiis sunt ablatae. Besonders Lodw%s
Söbne Lotbar und Pipin vergriffen sich vielfach an Eirchengiit Both,
ib. 842.
*) Capit. 844 (LL. I, 885), c 9: Remorom ecclesiam . . . niip€r tfo*
liatam rebus . . . absque ingenti dolore fateri non possumos. Cap. TlMod
— 291 —
Grossen und die Vögte der Kii*che selbst legten nicht selten
Hand an das Kirchengut; und die Kirche musste in vielen
Fällen, uro sich nur im Eigenthum behaupten oder um ihre
Macht und ihren Einfluss stärken zu können, ähnlich den
Königen, durch Beneficien und Lehen ihren Besitz schmälern ^).
Aber dennoch bleibt die kirchliche 6rundhen*schaft nicht bloss
sehr belangreich, sondem steht am Schlüsse der Periode ent-
schieden viel grösser und fester da, als am Anfange. Ja, sie
ist zweifellos wirthschaftlich am besten entwickelt und gibt
der Volkswirthschaft dieser Zeit recht eigentlich ihr Gepräge.
Nicht minder aber verleiht sie ihren Trägem die grösste po-
litische Macht und hat dadurch zur Ausbildung der Immuni-
täten und der lehensstaatlichen Ordnung der folgenden Zeit
den hauptsächlichsten Anlass gegeben.
Hatten wir am Schlüsse der vorigen Periode^nur wenige
Mächtige unter den geistlichen Anstalten gefunden, so sind
jetzt nicht bloss die BisthQmer, sondern fast mehr noch die
Abteien, Stifter und Klöster durchweg sehr reich geworden.
Zwar bieten die Quellen nur vereinzelte Zahlenangaben über
die Grösse des kirchlichen Gmndbesitzes ; selbst wo er in
einem Grundbuch oder Urbar zur vollständigen Au&eichnung
gekommen und dieses erhalten ist, sind doch meist die Be-
zeichnungen der einzelnen Güter so unbestimmt» dass sich eine
feste Ziffer der Hufen oder Mausen kaum mit Sicherheit be-
rechnen lässt^).
844. c 4 (LL. I, 882). Cap. 845 (LL. I, 887), c 5: Qnod res ad ecde-
siam mihi commissaiii pertmentes et tempore principatos vestri ablatas
ita praesentialiter. restituatis et restitatiB conserFetis , sicat tempore patris
et aTi Testri iaenmt SyxL 858 (LL. I, 421), c 2: Sabinozerant etiam
id^n monachi, quod vestra commendatione ac iossione, immo etiam actione,
idem monasterium cam rebus sibi subditiB in vestram ditionem redactum
et assnmptum, quin etiam usurpatum habuissetis. Vgl. die vielen Bei-
spiele bei Roth, Benef.-Y^. 848 iL
*) Vgl. Waitz, Verf..Ge8ch. VI, 78 ff.
*) Der Traditionscodex von Freising (Mdchelbeck Ib) enthält bis zum
Jahre 784 96 Nummern; bis 811 190 N.; bis 885 801 N.; bis 858 115 N.
Von den St. Gallner Traditionen gehören 50 der ältesten Zeit bis 708 an ;
bis zum Ende des 8. Jahrh. folgen dann 110; dem 9. Jahrh. gehören 550
19*
— 292 —
Aber schon die Sammlungen der Traditionsurkunden,
welche von vielen Kirchen und Klöstern aus dieser Zeit er-
halten sind, bezeugen das rasche und grossartige Wachsthum
dieser GrundheiTSChaften während des 9. Jahrhunderts; und
von einzelnen sind wir das genauer zu verfolgen im Stande.
Von den Bisthttmem verfügte Augsburg im Jahre 812
ttber 1507 Mausen, darunter 80 mansi absi waren ^). Salzboiig
aber hatte nach den Aufschreibungen Arno's zur Zeit Karls
d. Gr. etwas ttber 1600 Mausen geschenkt bekommen und sonst
erworben; und hievon stammt der gi'össte Theil erst aus der
Zeit des Herzogs TassUo IIl (749— 788)<). Freising hatte
bis zum Jahre 784 Gttter an circa 120 Orten erworben; bis
811 kamen weitere Besitzungen an 199 Orten, bis 835 an
330 und bis 853 an 133 Orten hinzu; sein Gesammtbesitz-
stand belief sich jeden&Us auf mehre Tausend Hufen '). Das
Gebiet, welches Karl.d. Gr. 802 dem Erzbisthum Trier
schenkte, betrug arrondirt circa 10 DMeilen^).
Von den Klöstern * hatte St. Gallen zur Karolicgerzeit
circa 4000 eigne und Zinshufen besessen^); der Besitz von
Lorsch wird in derselben Zeit auf 2000 Hufen veranschlagt*);
Fulda soll schon am Ende des 8. Jahrh. ttber 15,000 Hufen
verfügt haben und wäre damit überhaupt das reichste unter
den deutschen Klöstern jener Zeit gewesen ^).
an. Von den ersten 2000 Traditionsorkunden des Klosters Lorsdi ge-
hören nur 284, also der 7. Theil der Zeit vor Karl d. Gr. an. Von dee
Fnldaer Traditionen stammen 80 aus der Zeit vor Karl d. Gr.; säDer
Zeit gehören 266, der Zeit Ludwig d. Fr. 233 an.
^) Breyiar. rer. fiscal. LL. I, 177.
*) Indicolus Amonis und breves notitiae Salzburgenses ed. Ketns 1S69.
') Im Jahre 1116 spricht der Bischof Conrad von Salzbuig too tot
milia hubarum, Meichelb. la, S. 800.
«) Mittelrhein. Urk..B. 1, 40; II, p. 401; vgl. ib. n, p. XLIY.
^) y. Arx, Geschichte des Kantons St GaUen S. 159.
^ Dahl, Beschreibung von Lorsch S. 110, 126. In den Notitiie hur
barum in pagis yariis aus dem 11. Jahrh. (Cod. Laureeh. n. 8651—3683,
welche aber vorzugsweise nur die Erwerbungen aus Altern Zeit enthalten,
sind gegen 8000 Mausen aufgezählt
') MabiUon annales XXIII, 48.
— 298 -
Der Besitz des Klosters Tegernsee wird zur Earolinger-
zeit mit 11,866 Mansen angegeben ^); Benedictbeuem erhielt
mit 6 untergeordneten Klöstern zusammen bei der Stiftung
6700 Mansen nebst einem Wald, dessen Umfang auf 20 deut-
sche Meilen (?) berechnet wurde ^.
Hersfeld hatte nach dem Gilterverzeichnisse des Bischo&
LuUus und den Nachträgen hiezu bis zum Anfang des 9. Jahrh.
1702 Hufen und Mausen^); Prüm erhielt schon von seinen
Stiftern König Pipin und seiner Gemahlin Herta 33 ganze
Villen, mehr oder weniger grosse Antheile an 12 Villen, drei
Klöster mit ihren Gütern und zwei grosse Wälder; nach sei-
nem ausführlichen Register von 893 besass es circa 2000 Hu-
fen^). Gandersheim soll schon gleich bei seiner Gründung
(9. Jahrh.) nicht weniger als 11,000 Hufen erhalten haben ^).
So sehr diese 2Sffem auch im Einzelnen der Bichtigstel-
long bedürftig sind, so geben sie doch schon mehr als eine
bloss vage Vorstellung von der Ausdehnung der geistlichen
Grundhen*schaft und lassen die Rolle eimessen, welche solche
mächtige Anstalten im Wirthschaftsleben des Volkes zu spie-
len berufen waren.
Die allgemeinen Anschauungen von dem Reichthum der
Kirchen hatten den Massstab gänzlich verrückt, nach dem
sonst wohl Reichthum und Armuth gemessen wurden. Der
Besitz eines kleinen Stifts wurde zu 2 — 300, eines mittleren
zu 1000 — 2000, eines grossen zu 3000—8000 Hufen ange-
schlagen*); da ist es dann nicht zu vei-wundem, wenn wir
St. Gallen einmal als ein äimliches Stift bezeichnen hören ^),
weil es nicht mehr als — 4000 Hufen besessen hat.
^) Mon. Boic. VI, 154. Pez script rer. Anstr. I, 741; Pez thesaur.
m, 491 ff.
*) Meichelbeck, Chronic Benedictoburanom.
') Wenk, Ürk-B. zum 11. Bande der hessischen Geschichte S. 15.
*) Registrom Pmmiense im Mittebrhein. Ürk.-B. I, n. Idu.
*) Annal. Saxo 907 S. 592. Ann. Palid. 8. 61; vgl. Waitz, Verf-G.
VII, 186.
«) Ordo canon. 818, c 122; Mansi XIY, 282.
^) Monach. Sangall. (SS. II, 752) cunctis locis imperii latissimi paa-
perior Yisn est et angustior.
— 294 —
Zum guten Theile erfolgte nun allerdings diese Ausdeh-
nung der grossen Grundherrschaften überhaupt durch Occu-
pation und Rodung von Land, das bisher weder Früchte tmg
noch in den Vermögenskreis irgend einer Wirthschaft einge-
treten war. Und insoweit haben wir in diesem Process einen
absoluten Fortschritt der deutschen Volkswirthschaft zu sehen;
wohl ist auch hiedurch schon eine erhebliche Veränderung in
dem Verhältnisse der einzelnen Wirthschaftski-eise zu einander
eingetreten, und eine beträchtliche Ueberlegenheit derjenigen
Wirthschaften entstanden, welche in besonders hervorragender
Weise sich dieser Mittel zur Ausdehnung und Verstärkung
ihrer Productionsmittel zu bedienen vermochten. Aber schliess-
lich musste doch der Vortheil intensiverer Bewohnung, besserer
Ausnutzung der productiven Kräfte des Bodens, reicherer
und besserer Production und eines leichteren allseitigen Ver-
kehrs allen zu Oute kommen und eine Erhebung des ganzen
nationalen Oüterlebens im Gefolge haben.
Zum anderen Theile aber, und das war in stärkerem
Masse der Fall, vollzog sich die Ausbildung der grossen
GrundheiTSchaften auf Kosten des bereits bestehenden mark-
genossenschaftlichen und Privatgrundeigenthums und bedeutet
insoweit eine veränderte Vertheilung der wichtigsten nationalen
Productionsmittel unter die verschiedenen Volksklassen. Was
die grossen Grundhen*en gewannen, das verloren hier die
kleinen freien Grundbesitzer an Sondergut wie an Markland
zur Nutzung für das Bedüifniss der eignen Wirthschaft. Die
Concentration der Heii'schaft über die productiven Kräfte des
Bodens hatte eine stetige Vermehi-ung der besitzlosen Klasse
zur Folge, welche dadurch in irgend welche Abhängigkeit von
der grossen Wirthschaft der Gmndherren gerieth.
Die grossen geistlichen Anstalten verfolgten auch aof die-
sem Punkte die gleichen Tendenzen wie die weltlichen Grand*
herren; ja sie erstrebten auch eine Concentration des kirch-
lichen Grundbesitzes; die grossen Klöster und Abteien er-
warben das Eigenthum an kleinen Kirchen, Klöstern and
einzelnen Mönchszellen und gliedeilen deren Besitz ihrer
— 295 —
grossen Gutsherrschaft an ^) ; die Bischöfe insbesondere setzten
sich in Besitz der mit eignen Gütern und Renten ausgestat-
teten, in dieser Periode zahlreich gestifteten Bethäuser (ora-
toria), indem sie die Seelsorge durch Abtheilungen ihrer
Presbyterien , später nach Auflösung dieser Presbyterialcon-
vente durch kärglich dotirte Plebanen verwalten Hessen').
Am Schlüsse dieser Periode ist das viel zei*splitterte,
gleichmässig vertheilte, kleine Grundeigenthum schon zumeist
verschwunden^); nur in einzelnen Gegenden unter ganz be-
sonderen Verhältnissen hat es sich noch in grösserer Ausdeh-
nung und compakterem Bestände erhalten. Und auch die
Genossenschaft der kleinen Gitindeigenthttmer hat an dem
gemeinsamen Markland ihr Eigenthumsrecht zumeist schon
an die GrundheiTon verloren und übt ein ähnliches Nutzungs-
recht wie früher nur mehr als abgeleitetes Recht unter Ab-
hängigkeit von jenen aus. Wir haben kein Recht, darin unter
allen Umständen einen Uebelstand, eine dem Volkswohle un-
günstige Entwickelung der wirthschaftlichen Zustände zu er-
blicken. Das endgültige Urtheil über die volkswirthschaftliche
Bedeutung dieser Concentration der Productionsmittel und die
damit zusammenhängende Veränderung der socialen und öko-
nomischen Organisation wird vielmehr davon abhängig sein,
welchen Gebrauch die Grundherren von ihren überlegenen
wirthschaftlichen Mitteln zu machen vei*standen; denn nicht
in der möglichst gleichmässigen Vertheilung der Güter und
Productionsmittel, sondern in ihrer vollkommensten Anwen-
dung für Befiiedigung steigender und höherer Allgemein-
>) So erwarb PrOm 762 (Beyer 16) 3 cellas; Fulda 775 G. F. 51 ein
monasteriolum com sua proprietate; Hersfeld 779 Wenk 8 b, n. 9; 782
ib. 13; 786 ib. 15 einzelne Kirchen; Lorsch 823 C. L. 22 eine Kirche;
Correy 826 Wilmans I, 10 eine capella; 834 ib. 16 eine ceUa; Kempten
331 M. Boic. 28a, n. 12; 839 ib. 31a, n. 38 zwei cellae; aach das Bis-
thnm Metz 788 Juvav. Anh. n. 8 das Stift Kiemsee.
') Vgl Bodmann, Rhein. Alterthümer S. 825, wo auch viele Beispiele.
") In Baiem hören die kleinen freien Grundbesitzer seit dem 10. Jahrh.
fast ganz auf, der Kirche von Freising Schenkungen zu machen. Häberlin,
Systematische Bearbeitung der in Meichelbeck's Historia Frisingensis ent-
haltenen Urkundensammlung 1842, S. 32.
— 296 —
bedarihisse , in der möglichsten Erhebung des ganzen Vcdkes
mit den Cultarmitteln der Volkswirthschaft ist zu allen
Zeiten die Yorzflglichkeit ihrer Zustände und EinricbtiuigeD
zu sehen.
Die Gliederung des Grundeigenthums nun, wie sie sich
im Laufe der Earolingerperiode vollzog, ist ein erstes Momeat
zur Beurtheilung dieser neuen Entwickdung des Yolkswiith-
schafUichen Lebens. Die Art und Weise, in welcher der
Grossgrundbesitz im Laufe der Jahrhunderte sich zu bilden
angefangen hatte, war nicht geeignet, ohne durchgreifende
Veränderung in der Anordnung und Zweckbestimmung der
einzelnen Theile einem rationellen, planmässigen und durch-
dachten Betriebe zu entsprechen. Theils dui'ch Aneignung
und Rodung von unbebautem Lande, theils durch Einbezie-
hung von Gulturland der kleinen Freien in den grondherr-
liehen Wirthschaftsverband , theils endlich durch Sdienkong
und Verleihung von Gütern und Beneficien aus dem Krön-
gute zusammengesetzt, glich er ursprünglich wohl einer chaoti-
schen Masse, in welche erst ein organisatorischer Gedanke
eine sachgemässe Gliederung des Gebrauchs zu bringen ver-
mochte. Denn zuerst war das Streben nach Besitz überhaupt,
als Grundlage der Macht, nicht schon die Sorge für Ausbil-
dung und Pflege bestimmter Richtungen und Zweige des land-
wirthschafUichen Betriebes massgebend; und die Erwerbungs-
arten boten wenig Gelegenheit, eine sorgfältige Auswahl der
besonders geeigneten Grundstücke zu treffen. Man war wenig
wählerisch bei der Occupaüon und liess sich gerne Grund-
besitz auftragen, mochte er nun mehr oder weniger geeignet
sein, LUcken der gutsherrlichen Wirthschaft auszufüllen, gfin-
stiger oder ungünstiger zum Hauptsitz des hen-schaftlichen
Betriebes gelegen, an'ondirt oder zersplittert sein. Insbeson-
dere bei den Schenkungen, durch welche vomemlich die
Kirche anfänglich ihren Besitzstand so auffallend rasch ver-
mehrte, war nicht leicht Gelegenheit für die Grundherren,
auch ihrerseits Bedingungen zu setzen, durch welche die be-
sonderen Interessen einer ökonomisch vortheflhaften Zusam-
mensetzung des Gutsbestandes hätten gewahrt werdm kOnnen,
— 297 —
oder eine Auswahl der Grundstücke zu treffen, die ihnen die
Bereitwilligkeit glaubenseifriger Anhänger anbot
Als aber diese reiche Quelle des Güterzuwachses immer
mdir versiegte, und neues Besitzthum in der Hauptsache doch
nur mehr durch Auftragung gegen prekarische Rückver-
leihung, durch Tausch oder Kauf möglich war^), da konnten
auch die geistlichen Grundherren, wie schon früher die welt-
lichen, den Bedürfhissen einer planmässigen Disposition ihrer
Gutsländereien und ihrer Wirthschaftsführung schon bei der
Erwerbung von Grundstücken und Landgütern gerecht werden.
Gleichzeitig aber kam doch auch schon das Ziel einer
raticmellen Landwirthschaftspflege der Grundherrschaft als
begehrenswerth zum Bewusstsein; die innere Stärkung des
Betriebs durch gesteigerte Arbeitstheilung und vermehi-ten
Rohertrag einer bestimmten Bodenfläche wurde ebenso werth-
voll, als die räumliche Expansion der Herrschaft; und damit
begann dann auch für die wirthschafüiche Anordnung der
^) Ein Ueberblick über die Erwerbungsurkuoden der grossen geiat-
lichen Orundherrschaften gewährt sowohl über die Zeit als über die In-
tensität dieser Veränderung einen Aufschloss. So wurde der Kirche von
Freising seit Beginn des 9. Jahrhunderts fast keine Schenkung mehr un-
bedingt gemacht; ja man begnügte sich nicht mit der Retention des IHess-
braacfas oder dem Rückemp&ng als benefidnm, sondern begehrte an dem
tradirten noch ein Kirchengut als Lehen. Die Tauschverträge beginnen dort
gleichfidls erst mit dem 9. Jahrhundert eine Rolle zu spielen; am ein-
träglichsten waren sie von der Mitte des 9. bis zur Mitte des 11. Jahrb.;
und Ton Anfiemg des 10. Jahrh. an werden auch die bedingten Schenkun-
gen immer seltener, bis sie gegen Anfang des 14. Jahrh. fast gänzlich
verschwinden; vgl. i. A. Häberlin, Systematische Bearbeitung der in Mei-
chelbecks historia Frisingensis enthaltenen Urkundensammlung 1842.
Von den Erwerbungsurkunden des Stifts St Gallen lauten:
auf Schenkung ' •/. i ^^^„ \
, Uebertragung
auf Kauf j q,
und Tausch i
—768
28
58
17
36
3
1 6
768 814 i'
44
'28
102
'66
1
9
6
814— 840 1
37
>22
117
72
10
6
840-876,
84
17
132
65
1
37
18
876— 920 ;i
26
!16
75
148.
57
36
Die Schenkungen der letzten Periode rOhren fast alle von den Königen her.
— 298 —
Grundstücke und Güter, über welche ein Grundherr veifKgte,
eine Zeit durchgreifender Verändelung. Nicht bloss in der
Herrschaft über die Arbeit zeigte sich dieses orgamsatorische
Bestreben!, durch welches eine wesentliche Förderung der na-
tionalen Betriebsamkeit geweckt wurde. Auch die Herrschaft
über das Bodencapital wurde immer mehr von demselben
Geiste erfüllt. Die Grundherren übernahmen auch auf die-
sem Gebiete eine wahrhaft nationalökonomische Wirksamkeit
und führten sie im Laufe des 9. und 10. Jahrhunderts grossen-
theils zu einem guten Ende. Am Schlüsse der Earolinge^
Periode ist wenigstens bei den hervon-agendsten Grundherr-
schaften eine ökonomische Anordnung der Güter hergestellt,
welche auch nach dieser Seite die Regellosigkeit und Isolirong
des Landwii-thschaftsbetriebs beseitigt hatte, welche der älteren
Periode charakteristisch sind.
Es ist schwer, eine Reihenfolge der Ereignisse anzugeben,
welche alle dieses Ziel begünstigten. Ungefthr gleichzeitig
mit der Karolingerperiode beginnen auch die Arrondirungen
des Besitzstandes, beginnt die Unterscheidung des Herrenlan-
des und Zinslandes, der Haupthöfe und Nebenhöfe und die
Zuweisung der einzelnen dienenden Hufen zu denselben die
Regel zu werden. Auch die Hufentheilung und die Neu-
gestaltung der bäuerlichen Güter nach veränderten wirth-
schaftlichen Gesichtspunkten, die Bildung der Wald-, Marseh-
und Hagenhufen und damit die Veränderung der Flurverfossung
und des Besiedelungssystems, endlich die Ersetzung der alten
Markgenossenschaft der freien Grundbesitzer durch die grund-
herrschaftliche Hofverfassung gehören wenigstens in ihren
Anfängen schon dieser Zeit an. Genau zu verfolgen und
sicher zu beurtheilen ist vor Allem das Bestreben, den ur-
sprünglich meist sehr ungünstig gruppirten Besitz durch
Arrondirung geeigneter für eine rationelle Wirthschaftsführung
zu machen. Die zerstreute Lage der einzelnen Besitzstücke
innerhalb derselben Gemarkung und in mehren Gemarkungen
ist für die ältere Zeit jedenfalls die Regel nicht bloss bei den
grossen Grundherren, sondeiii auch bei der Menge derjenigen
Grundeigenthümer , welche über mehre Hufen Landes ver-
— 299 —
fugten. Schon bei der ersten Landvertheilung mochte den
Vornehmen Besitz in verschiedenen Gemarkungen zugefallen
sein; durch Erbgang und in anderer Weise ist sicherlich im
Laufe der Zeit viel Gut noch mehr zei-stückt und der Besitz-
stand auch noch mehr zei*splitteit worden. Besonders aber
tragen die Arten des späteren Gutserwerbs, die königliche
Verleihung, die Schenkung und die Auftragung, sowie die
Occupation und Rodung dazu bei, den grossen Ginindbesitz
ohne jeden Zusammenhang der Theile zu mehren und ihm
damit jede Möglichkeit einer einheitlichen Bewirthschaftung
zu nehmen^).
Aus diesem Zustande ist das in dieser Zeit allgemeine
Streben hinlänglich erklärt, durch Tausch eine bessere An-
ordnung, womöglich AiTondirung des Besitzes herbeizuführen *).
Die Anfänge dieser Vertauschungen fallen in deutschen Lan-
den kaum vor Beginn der Karolingerzeit*); häufig werden
*) Das Stift St GaUen hatte seine Besitzungen in der Schweiz, in
Schwaben , Franken und im £lsa8S , ja sogar in Italien. Freising besass
Güter in Baiem und Schwaben, in Ober- und Niederösterreich, in Steier-
mark, Kärnten, Erain und Tirol. Und das Gleiche gilt von allen grossen
geistlichen und weltlichen Grundherren jener Zeit
') Diese Absicht ist bei den Tauschvertrftgen meist ausdrQcklich aus-
gesprochen; z. B. Tr. Sang. 856, n. 449: propter compendium et conuno-
ditatem. ib. 897, n. 713: 2 loca a^predicto monasterio valde remota, sed
mihi nimium opportuna. 800 Urk.-B. o. d. £nns (I, 4): ubi congruns vel
oportunus evenisset locus de rebus inter ße opportunitatem facere debe-
rent. 802 C.Laur. I, 108; ib. III. 8040: pro opportunitate locorum. Ins-
besondere 864 Ried C. Ratisb. (I, S. 49): Fructuosa ralde et non solum
honesta sed etiam nimium utilis consuetudo iam olim inter homines in-
olererat commutandi scilicet quasdam res pro commoditate utrarumque
partium. 865 ib. S. 50 : Multum utilis et nimium commoda consuetudo . . .
quod res suas inter se pro aptis finibus locorum inter se commutare
coepenmt Auch 879 ib. S. 59: ut res suas pro commoditate ambarum
partium commutarent et utrimque, quod sibi contiguum esset, sumerent
')*Ia dem höher entwickelten westlichen Theile des Frankenreiches
sind Taoschacte allerdings auch schon aus früherer Zeit bekannt; Par-
desBus Dipl. 686, n. 406 von Rheims; 681, n. 421 von Toussonval (Cham-
bly); 702, n. 451 von Verdun. Dagegen ist die erste Tauschurkunde des
Cod. Lanresh. v. J, 771, n. 3780; der Tr. Sangall. v. J. 787, n. 112; des
Cod. Fuld. V. J. 808, n. 190; der Tr. Wizz. v. J. 820, n. 69.
— 300 —
sie hier erst von der Mitte des 9. Jahrhunderts an^); und es
sind ganz vorzugsweise die grossen Grundherren, geistliche
wie weltliche, aber auch die Könige selbst, welche dieses
Mittels der besseren Abrundung ihrer Besitzungen sidi be-
dienen'). Bald sind es nur einzelne AckerstQcke, welche
gegen einander ausgetauscht werden, um den allzufiihlbaren
Nachtheilen der Gemengelage zu entgehen^), oder um ^a
einzelne Gewanne ganz in Besitz zu bekommen und damit die
Wirthschaft von dem Flurzwang zu emandpiren ^). Bald wer-
den Ackerstttcke oder Wiesen gegen Bauplätze eingetauscht ^X
um auf den letzteren neue Mausen zu errichten, oder gegen
bestehende Gebäude, um neue Colonen darauf niedersetzoi
zu können ^) ; bald war es auf Wald, auf Wiesen oder Wein-
berge abgesehen ^) , um neue Culturen einf&hren , bestehende
Specialzweige der Wirthschaft (Viehzucht, Weinbau etc.) er-
weiteiii zu können.
Aber auch gi*össere Pläne der gitindherrschaftlichen Wirth-
schaft wurden mit diesem Mittel verfolgt Wo ganze Hufen
gegen einander ausgetauscht werden ^) , ist sicherlich nicht
') Vgl die kleine TabeUe auf S. 297.
>) Ludwig d. Fr. tauschte 817 C. Fuld. 825 seinen Ort Bingenheiii
mit drea 87 Mausen aus gegen den Besitz des Klosters Fulda an 2 Orten,
eine Salzquelle, einen Gemeinwald und einige Mausen und Weinbeige.
Vgl. Urk. Ludw. d. Fr. 825 Sickel ü, 155. Urk. Ludw. d. D. 845 C. Fnli
554. C. Lanr. 848, n. 29; ib. 858, n. 82; ib. 868, n. 87.
") G. Laur. 840, u. 2608: 5 jum.; ebenso 888, n.8464. Tr. Sang. 854,
n. 427 : quartam partem unius curtis gegen unum jumalem mazimnm; Umhcfa
ib. 856, n. 449 ; 864, u. 500: 8 Jucherte und 1 Ru^he gegen 8 andere Jaeherte<
*) G. Lanr. 829, n. 8618: 125 jum. in einer Gemarkung gegen 110
jum. in einer andern.
') Z. B. G. Laur. 829, n. 2781 : area 1 gegen jum. 3. ib. 819, n. 9609:
1 area gegen 2 jum. et 2 prata. ib. 822, n. 8498: 1 area gegen 5 jnra.
>) God. Fuld. 889, n. 528 nimmt das Kloster Fulda 10 hob. descrtas
gegen 5 besetzte Hufen in Tausch. Tr. Sang. 858, n. 462 eine Wiese
gegen dne casata.
^ 0. Laur. 789, n. 8790: 12 jum. et 10 prat canr. gegen 16 jom. et
▼inea 1. G. Fuld. 837, n. 506: terra araturia des Klosters Fulda gegen
totam silvam ad iUos (2 Laien) pertinentem.
") G. Lauresh. 888, n. 8040: 140 jum., 8 jum. prat. und 4 maus, in
einer Villa gegen 4 maus. 72 jum. 5 prat carr. an 8 Orten einer anderen
— 301 —
selten das Streben massgebend gewesen, ökonomische Ueber-
legeoheit oder Alleinhen*schaft in einem Dorfe oder in einer
Gemarkung zu begründen ; und der Tausch von ganzen Villen
oder grösseren Gebieten ^) diente dem Bestreben nach Oi-ga-
nisation der ganzen Hen-schaft, wie sie in der Villenverfassung
zum Ausdruck kam.
Auch hier griff die umsichtige Wirthschaftspolitik Karls
d. Gr. und seiner Nachfolger anregend und fördernd ein ; den
Trägem königlicher Beneficien, besondere aber den Kirchen,
deren Gutsverwaltung sie so vielfach beeinflussten, gestatteten
mehrfach wiederholte Bestimmungen, durch geeigneten Aus-
tausch ihr Besitzthum besser abzurunden ') ; anderseits unter-
liessen es die Könige aber auch nicht, stets Cognition von
GemarkoDg. G. Fuld. 839, n. 523: 5 hub., 8 homines ibidem manentes
ac mancipia 16 gegen 10 hob. desertas.
') Cod. Fuld. 831, n. 483: 45 mans. et 1 haba in einer YiUa gegen
45 mans. cum totidem mandpüs in einer andern. ib.906(?), n.650: 7 0rt-
scliaften gegen 5 andere, ib. 907, n. 653 : Die Klöster Echtemach und
Fulda tauschen mehre Ortschaften gegen einander aus, welche zu dem
empfemgenden Stifte günstig, von dem bisher besitzenden weit entfernt
gelegen sind. Juvay. Anh. n. 18 tauscht der Bischof Arno von Salzburg
815 1060 jugera an 4 Orten gegen 420 jngera cum aedificiis, mancipiis
aliisque rebus an 2 Orten ein. Sickel U, 102. Tr. SangaU. 897, n. 708
und 712 vertauscht der Abt Salomon von St Gallen 6 Höfe und 378 juchos
Acker- und Wiesenland zu^Jonswil gegen 5 Höfe und 180 juchos zu
Bazenheid, 175 juch. zu Wilen und einen Hof mit 42 juch. zu üxwil.
^ Dipl. Karol. M. 807 M. Boic 28 a, n. 3 wird ein Tausch zwischen
dem Bischof von WOrzburg und dem Grafen Audolf best&tigt; der Bischof
gibt de rebus ecclesiae suae Audulfo ad partem regis villam Fridunbach
in pago Collogaoe cum decimis ex villis Fridunbach, Autgansisova, Walt-
mannisora solvendis et invicem comes permittente imperatore de benefi-
dis suis Agilwardo eiusque ecclesiae dedit ecclesiam in Scifia in pago
Dubragaoe et certas res in Odinga villa et quicquid Hundulfiis quondam
in comitatu Audolfi habuit Dipl Ludov. 815 Juvay. Anh. p. 63 für Salz-
burg. 816 Meichelb. Ib, 478 f&r Freising. 820 Tr. Wizz. 69 für Weissen-
bnrg. 839 G. Fuld. 523 für Fulda und einen Yassallen des Königs. 822
Mon. Boic. 31, n. 20 wird dem Grafen V^Ticbald und dem Bischof Vulcher
von Eichst&dt ein Gütertausch gestattet 828 Schöpflin I, n. 87 für Strass-
borg. 823 Beyer I, n. 55, 56 für Prüm. 826 Sickel H, 158 für Worms.
S28 Schöpflin 1, 89 für den Grafen Erkingarias und das Kloster Schwarzach.
— 302 —
den beabsichtigten Veränderungen dieser Art zu nehmen^);
ja es wurde sogar allgemein vorgeschrieben, dass Vertauschun-
gen wieder aufgehoben werden mussten, wenn sie sich als un-
geeignet und irrationell erwiesen ').
Natürlich waren solche Abrundungen des Besitzstandes
nicht bloss durch Gutstausch möglich; auch Auftragnngt
Schenkung und Kauf^), sowie Uebernahme von Benefiden
konnten zu dem gleichen Ziele führen und sind für die Ein-
richtung der gi'undherrschaftlichen Wiithschaft auf veränder-
ter Gebietsgi'undlage nicht selten geradezu massgebend ge-
worden.
Weniger mit Sicherheit zu erkennen ist die Entwickelung
des Verhältnisses zwischen Herrenland und dienenden Gütern
das schon in der älteren Periode vorhanden ist und die ersten
Anfänge einer wirthschaftlichen Gliedening grösserer Güter
^) Ludwig d. D. gibt 848 G. Laoresh. I, 29 dem Bischof von V^onns
die Erlaubniss, ubiconque invenire posset aliquas res et mandpia, quae
a nobilibus hominibus aptius et congruentius praefatae eccleaiae oommo-
tare valeret . . in mancipiis et territoriis osque ad mansos 3 licentiui
habeant Si vero plus fiierit ad commutandom , ad nostram interrogatio-
nem veniat Ludwig d. E. gibt 900 0. Fuld. 667 die Vorschrift: m
omnes tradidones seu commutationes sub presentibus idoneis tettibos
fiant et qnelibet persona sive tradens seu acdpiens sibi legitimam ftdit
confirmationem regiamqne perducat ad noticiam.
') Capit Worm. 829, c. 5 (LL. I, 351): Ubicunque commutatioDei
tarn tempore nostro quam*genitoris nostri legitimae et rationabiles atqne
utiles ecclesiis Dei üactae sunt, permaneant Ubiöunqne yero iaatiles et
incommodae atque irrationabiles üactae sunt, dissolrantur et redpiat
nnusquisque quod dedit. Dasselbe steht bd Walter II, 271 als c 1 des
Capit II incerti anni unter den Kapitularien Karls d. Gr. Die obigen
Beispiele zdgen aber den Grundsatz schon froher in Uebung.
') Z. B. kauft ein gewisser Otholf im J. 803 von 2 Partden üu«
Antheile an 2 Alpen , wodurch er als bisheriger Antheiler in den toD-
st&ndigen Besitz dersdben kömmt. Tr. Sang. 173 £ Das Kloster Lond
erwirbt 827, n. 2861 6 jumales iuxta basilicam, ubi et Gerich dedit 4 ja-
nales. An Prüm werden 762—804 (Beyer I. 13) an 2 Orten etnzelM
campi geschenkt, die an mehren Seiten berdts an das Besitstham d«
Klosters grenzen.
— 803 —
anzeigt >). Auf dem Herrengute, der curtis dominica und dem
d/usn gehörigen Grundbesitz, der ten'a salica oder indomini-
cata führte der Grundhen* die Wirihschaft auf eigene Rech-
nung % theils mit den eignen Arbeitski-äften des Herrenhofes,
den mandpiis domesticis, non casatis etc., theils mit Hilfe der
Fronarbeit, welche von den dienenden Hufen aus geleistet
werden musste'). Das war nun selbstverständlich nur bei
grossem Grundbesitz möglich; und je seltner dieser, in der
älteren Zeit gewesen ist , um so geringer war die Bedeutung
dieses Gegensatzes fQr die Volkswirthschaft im Ganzen. So
lange in der Hauptsache der Freie seinen Grundbesitz noch
selbst bewirthschaftete und nur das eine oder andere Stück
seines Gutes einem Zinsbauem zur Wirthschaft lüberlassen
hatte, ist eben desshalb auch das Herrenland regelmässig nur
nach seinen rechtlichen Momenten, als portio, hereditas, ten*a
aviatica etc. bezeichnet^); dagegen liegt in der allgemeinen
Untei-scheidung der terra salica , hoba indominicata dieser
zweiten Periode von den Beneficien^), den Zins- und Dienst-
hofen ^) eine bestimmte Charakterisirung des wiithschaftlichen
Verhältnisses, in welchem die Theile des Besitzthums zu ein-
ander standen, keine rechtliche Qualification ^). Auch ab-
>) Vgl. I. Buch, 3. Absch. 8. 127 ff.
*) AasdrQcklich gesagt in Tr. Sangall. 797, n. 148: 5 hobas excepto
«a, qae in usus proprioB colere Tidetor, quod dicltur hoba siliga.
*) Vgl. schon 1. Alam. 22, 8: Sern dimidiam partem sibi et dimidiam
in domnico aratiTum reddant Et si super haec est, sicut send eccle-
siastici ita &ciant, tres dies sibi et tres in domnico. S. L Buch, 8. Absch.
S. 129 und 4. Absch. S. 156.
^) Tr. Sang. 716—20, n. 8 und 781—86, n. 6 kömmt vemacula terra
in ähnlichem Sinne Yor.
*) Tr. Sangall. 880, no. 881; 2 hobas quas^habet Imo in benefidum
et 1 agnun salicum.
*) C. Lanr. 815, n. 8073: terram indominicatam et hubam servilem.
Tr. Sang. 869, n. 548: duorum annorum fructum de terra salica et tributa
Benromm ad omnia supradicta loca pertinentia. Tr. Fnld. c 48, n. 4 : terre
salice agri 122, mansi censuales 27 u. o. Vgl auch Lacombict, Urk. B.
I, n. 66, 67, 81, 87, 88, 91, 94.
0 Vgl auch Gu^rard Polypt. Irm. I, 482. Kur im Capit Worm. 829
(LL. I, 851) c, 9: De Ulis qui agros dominicatos propterea neglexerint
— 304 —
geleiteter Besitz, besondei*8 Beneficium, konnte vom Inhaber
als Herrengut behandelt und in eigner Verwaltung bewirth-
schaftet werden ; es konnte dann zugleich Herrenland f&r den
Besitzer, Zinsland fUr den EigenthUmer sein^).
So allgemein aber auch in dieser Periode die Unter-
scheidung des herrschenden und des dienenden Grundbesitzes
geworden ist, so liegt doch unverkennbar die volkswirth-
schafüiche Bedeutung des in eigner wirthscbaftliclier Ver-
waltung stehenden Theils des Grundbesitzes noch immer bei
den weltlichen Grundherrn. Diese hatten Erbgüter, Familien-
güter, die sie wohl immer selbst bewirthschafteten, soweit sie
selbst zum Wohnsitz der Familie gehörten^. Der grosse
Werth , welchen gerade die weltlichen Grundherrn auf leib-
eigne Hausdiener legten, machte auch die Aufrechterhaltong
grösserer Gutswirthschaften in Eigenbetrieb leichter möglich
und es erklärt sich zum Theile jedenfalls daraus, dass bei
Schenkungen und Uebertragungen an die Kirche so häufig
gerade die Leibeignen ausgenommen wurden^).
Auch von dem königlichen Besitz an Hausgütem und
Beichsdomänen ist immer ein grosser Theil in eigner Ver-
waltung gestanden, auch bevor Karl d. Gr. den Schwerpunkt
seiner Finanzen gerade auf die Domänen verlegt hat^). Da-
excolere, ut nonas et dedmas exinde non persolvat, et alienos tems ad
excolendam propter hoc accipit bedeuten die agri dominicati, das aas
Eirchenvennögen verliehene Erongutsbenefidum; s. a. Gu^rard Lm. I,48S.
^) St G^rmain hatte ein Benefidum an Acoinus gegeben, das 1Inte^
schieden war in dominicam und 1 mansus dominicalis cum 86 bonnuariis efec
und 12 mans. servües. Pol. IruL n, 278; s. a. Polypt S. Amand. ib. 1,
925 £, n, 281.
>) In den Freisinger Traditionen sind diese Herrengüter daher noch
zumeist als Erbgüter bezeichnet.
») Vgl. z. B. Tr. Sang. 770, n. 56; 771, n. 59; 796, n. 142; 799,
n. 155; 806, n. 188; 811, n. 206; 818, n. 281; 820, n. 245; 824, n. 288.
286; 827, n. 805; ausserdem noch bis 874 in 15 ürk. Tr. Wiai. 774,
n. 61; 784, n. 60; 820, n. 69. Cod. Fuld. 791, n. 101; 796, n. lia C
Laur. 804, n. 1148 u. oft S. mdne „Ausbildung der grossen Gnmd-
herrschaften" S. 92 £ und unten 4. Absdm.
*) Urk. Pipins 762 (Beyer I, 16) donamus res proprietatis nostrae in
pago Ch. cum appenditiis vel omni integritate sua praeter tantom man-
dpiis 85. Hec igitur mancipia predicta ad nostmm opus retinulmut.
— 305 —
gegen ist eigne Wirthschaftsfbhrung beim Kirchengut weder
so allgemein noch so bedeutend am Anfange der Periode.
Die bischöflichen Kirchen stützten ihre Wiiihschaft am liebsten
auf schutzhörige Freie, deren Hufen ihnen zinsten und hatten
nur wenig Bedar&iss, zumeist nur auf ihren Residenzen und
Parochien , zu Eigenbetrieb ^) ; die Klöster übten wohl am
Elosterhofe selbst eigne Wirthschaft, soweit die Arbeitskraft
der Mönche reichte; im übrigen stützten sie sich vornehmlich
auf Zinsgüter, mansi sei*viles.
Eine gesteigerte Betonung des Sallands für die Zwecke einer
rationellen Durchbildung der Wirthschaft findet zuerst in den be-
rühmten Wiithschafts Vorschriften Karls d. 6r.') statt und es ist
nicht zu zweifeln, dass von ihnen im Allgemeinen eine mächtige
Anregung zur Ausdehnung des Eigenbetriebs ausgegangen ist.
Wie er seinen Königshöfen durch bauliche Anlage, künst-
lerischen Schmuck und Pi*acht der innem Ausstattung erhöhtes
Ansehen verlieh^), so hat er sie auch durch Verbesserung
ihrer wirthschaftlichen Verwaltung für das Beich wie für sein
Haus zu grösserer Bedeutung emporgehoben. Eine gi-osse
Anzahl von Villen scheint von ihm für die Deckung des
Natui-albedarfs des fürstlichen Haushalts wie der Reichs-
regierung eigens in die Domanialverwaltung einbezogen worden
zu sein^); und emsig ist der grosse Meister der Wirthschaft-
lichkeit darauf bedacht, wie die verfügbaren Productions-
kräfte vollständig auszunutzen, insbesondere aber auch, dass
genügende Arbeitskräfte vorhanden seien, und die Wirthschaft
des Hermguts nicht durch den Ballast von unbesetzten Mausen
beschwert werde*).
0 Charakteristisdi sind in dieser Hinsicht die Besitzstandsverhältnisse
des BisthumB Augsburg; dasselbe hatte um 812 nur 8 curtes in Eigen-
betrieb, bei 1041 mansi ingenuiles und 466 mansi serviles. LL. I, 177.
*) Capitulare de villis imperialibus 812. LL. I, 181 ff.
') Vgl. Maarer, FronhOfe 1, 121 ff.
*) Cap. de yillis c. 1 ; Yolumus ut yillae nostrae, quas ad opus nostrum
B€rnendi institutas habemus, sub integritate partibus nostris deserviant et
non aliis hominibus. Die mehrfach aufgestellten Verzeichnisse königlicher
Vilkn enthalten besonders viele aus der Zeit Karl d. 6r. S. o. S. 281.
^) Capit. de villis c 67: De mansis absis et mancipiis adquisitis, si «
Ton Inama-Sternegg, Wirthschaftsgeschichte. I. 20
— 306 —
Die DomanialverwaltuDg hat denn auch in der Folge
während der KaroIingerhen*schaft immer eine bedeutende
Rolle gespielt ^), und unterscheidet sich immer noch sehr vor-
theilhaft von dem Zustande des Verfalls der Reichsfinauzen,
der in der folgenden Periode schon des Reiches Lebenskraft
so kläglich schmälerte^).
Auch die Domanialgüter der Kirche sind unter diesen
mittelbaren wie unmittelbaren Einfltlssen der königlichen
Domanialverwaltung im Laufe der Zeit sehr gewachsen *). Die
grossen Stifter insbesondere haben gegen Ende der Periode
mit der Villenverfassung auch schon ein System der Domanial-
güter ausgebildet, womach so ziemlich in jedem Verwaltungs-
bezirk mindestens ein auf Rechnung der Grundherrschaft be-
wirthschafter Hof sich befand ^) ; es ist sogar schon noth wendig
erschienen, die Salgüter der einzelnen Parochien der grossen
aliquid super se habuerint, quod non habeant, ubi eos coUocare posnnt,
nobis nontiare fieiciant. Wenn Röscher, System n, § 103, Anm. 1 sagt,
schon Karl d. Gr. habe sich gegen das Legen der Bauernhöfe ausgesprocheD,
so ist das doch in dieser SteUe keineswegs ausgedrückt
^) Specielle Erwähnung von königlichen Dominicalg&tem in spätenr
Zeit: Urk. 840 Mon. Boic. XI, 108: curtis dominicata cum ceteris edificüi
desuper positis, de terra arabili jomales 130, de pratis ubi posaunt coUigi
de feno 400. Mancipia infra curtem inter pueros et feminas gtfiedis
numero 22. Mansi serviles vestiti ad eandem curtem aspicientes 22.
Sindmannorum 12. C. Laur. 868 I, 87 3 hubas indominicatas, 17 mansoi
serviles. Tr. Sang. 877 n. 602 terram salicam et mansos 11 ib. 882,
n. 623: praedictum montem cum pascuis et silvis, quantum ibidem pertinel
ad partem dominicam de curte. Vgl. die Beil N. VII.
^) Vgl. Dönniges Staatsrecht I, 68 f.
') Bei den Gütern, welche Bischof Salomon von Constanz an den Abt
Hartmuot von St. GaUen in Tausch gibt, befindet sich in jedem Orte anch
ein SaUand; Tr. Sang. 822, n. 621.
^) Nach dem Begistrum Prumiense waren 893 nngefthr 15*., des
Prüm'schen Besitzthums Dominicalland. Das Kloster Bleidenstadt besass
gegen Ende des 9. Jahrh. (soweit sie im Summarium et registnim bei Will
aufgeführt sind) bei 85 maus. serv. 8 maus, in dominico. Dagegen hatte
allerdings das Stift Werden noch um dieselbe Zeit nur bei den in FVankes
gelegenen Gütern (die curtis Selbem ausgenommen) Salhöfe and Sal-
ländereien.
— 807 —
Wirthschaft der Hauptkirche einzufügen, indem man ihnen
aufti-ug, den Zehenten und die Fuhren dieser abzuleisten^).
Die grössere Ausdehnung und bessere Einrichtung^) welche
während dieser Periode auch die geistlichen Herrenhöfe er-
hielten, ist nur ein Beweis für das grössere Gewicht, welche»
man diesen Sitzen des wirthschaftlichen Eigenbetriebs beimass,
die zugleich Mittelpunkte gi*össerer wiithschaftlicher Gebiete
waren. Insbesondere ist diese Ausdehnung da ei'sichtlich, wo
Culturen oder Wirthschaftszweige [in die Domanialverwaltung
einbezogen wurden , welche entweder überhaupt erst neuerer
Einfühning waren, wie vieler Oilen die Weinbei-ge *) , oder
die erst bei reicherer Arbeitsgliedei-ung zum Bedürfhisse
dieser Gutswirthschaft wurden, wie vielfach die Frauenhäuser
mit ihrer Gewerbearbeit, die Mühlen und Schmieden^).
So sehr auch alle diese Umstände die steigende Be-
deutung des Sallands in der Kai'olingerzeit erkennen lassen,
so ist es doch nicht mit Sicherheit zu erweisen, in wie weit
sich dasselbe vermehrt und damit auf die Volkswii-thschaft im
Ganzen gi'össeren Einfluss gewonnen hat. Nur dann ist diess
einigermassen möglich, wenn es gestattet ist, das in Hufen
gelegene Dominicalland als späteren Zuwachs zu dem alten
HeiTengute anzusehen^). Der Unterschied zwischen solchem
•
^) Capit Pist. 869 (LL. I, 511) c. 18: de terris censalibas et po-
testate ecdesiae saae et cultoris indominicatis et absitatibus et manu fir-
matis m%jor ecdesia decimam redpiet, similiter de camica indominicata.
^ Gn^rard Irm. I, 579 ff. ImC. Laur. 828, n. 199 wird ausdrücklich
bervoigehoben : 1 mansns indominicatas cum casa optima et aliis aedificüs.
Vgl. auch die EimichtuDg der Herrnhöfe von Staffelsee (LL. L 176 f.), von
Bergkirchen (Meichelb. I, a 126). Der Steinbau statt des älteren Holz-
baues wird besonders bei diesen angewendet; vgl. 4. Abschn. Von dem
damit zusammenhängenden Burgenbau Ed. Pist. 864 c. 1, LL. I, 499.
') Lacombl. Urk. B. 874 I, 82 ff: de salaricia vinea sive arabili
terra; — de salariciis fratnim vineis.
*} Tr. Sang. 788, n. 99: casas, cupinia, spicarium, curti clausa cum
domibns, edificiis et officinis, earum mandpiis 7. Ekkehard cas. S. Galli
SL 890 SS. 11, 84: ausser andern Gebäuden tarra avenis (Haberdörre); Ried
c. Ratbb. 974 I, 106: curtem cum — vineis ac vinitoribus et aureariis,
agris, pascuis silvis, aquis, piscationibus, molendinis.
") Schon Anton, Gesch. der deutschen Landwirthschaft I, 808, ver-
20»
— 308 —
Sallande, das entweder gar nicht besonders vermessen oder
nur nach der Anzahl seiner Morgen bestimmt ist und den
Salhufen , mansi indominicati , ist alleixlings fortwährend zu
beobachten^); und zwar fällt es auf, dass das erstere in
früherer Zeit entschieden häufiger, ja ursprünglich vielleicht
allein vorgekommen ist^). Der zu solchem Herrenhofe ge-
hörige Grundbesitz ist daher auch von grösster Verschiedenheit
des Ausmasses und in vielen Fällen ungleich grösser als dies5
je bei gewöhnlichen Hufen, ja selbst als es bei den grossen
Königshufen vorkömmt'). Das zu den Zins- und Benefidal-
hufen gehörige Land dagegen ist jedenfalls bei ihrer ersten
Vei'gabung fest bestimmt und die Hufe in diesem Aasmasse
auch eine feste Grösse geworden, obschon zwischen den ein-
zelnen Hufen wieder namhafte Vei-schiedenheiten der dazu
gehörigen Morgen bestanden^). Da also nur bei den aus-
gethanen Ländereien ein Bedürfhiss bestand, sie in Hufen von
bestimmter Grösse auszulegen, so drängt sich die Vermuthnng
auf, dass es späteren Zuwachs zum Salgute bedeutet, wenn
mttthet anter der casa dominicata des königlichen Fiskas Treola (LL. l
180) ein eingezognes Bauerngat, eineii herrschaftlich gewordenen Ho£
Ebenso rermuthet er II, 94, dass das Salland nicht mit yennesseD wurde,
als diess mit den übrigen Hafen und Mansen geschah.
^) Beispiele eines nicht in Hufen liegenden Sallands: Tr. Sang, 763^
n. 88; ib. 764, n. 42; ib. 778, n. 88; ib. 804, n. 179; ib. 8d0, n. 3S1;
ib. 869, n. 543; ib. 877, n. 602; ib. 882, n. 621. SchOpfiin Als. iU. 807,
I, 106: Brev. rer. fisc. 812, LL. I, 176; Mon. Boic 840 XI, 106; Brer.
Erchamb. ror 858 Mdchelb. I, a. 126. Bouqu. 846, Ym, 883 A. Tr. FokL
c 43, n. 4. Goldast Form. 28, 74. Gerbert bist nigris. silv. 866, m, a
Dagegen Salland nach Hufen oder Mansen bestimmt Tr. Sang. 797, d. 14S.
0. Laur. 830, n. 2597; ib. 839, n. 2621; ib. 863, n. 34; ib. 868, n. 37.
Mon. Boic. 884, Bd. 28 a p. 74.
') Vgl Antons Yermuthung (Gesch. d. deutschen Landwirthscbift H,
94) in obenstehender Anmerkung.
») Tr. Sang. 778, n. 88 de terra salica juchos 30. Mon. Boic. 840,
XI, 108: curtis dominicata . . de terra arabili jomales 130, de pratif iM
possunt coUigi de feno carrade 400. Tr. Fuld. c. 43, n. 4: In IsinesbeiiD
(erre salice agri 122. In Medebach terre salice 57 agrorum. In Chtl-
tebach terre salice in uno campo 80 agri, in alio 90, in tercio 40.
*) S. unten S. 312 und BeiL No. H.
— 309 —
zu demselben Hufen gehören. Und diese Vermuthung wird
dadurch noch gestützt, dass die Grundheirschaft vielfach ge-
nöthigt war, Hufen, welche nicht regelmässig mit einem Co-
lonen bestiftet werden konnten (mansi absi), einstweilen mit
den Salländereien auf eigne Rechnung bewii-thschaften zu
lassen. Auch ohne also besetzte Zinsgüter einzuziehen, konnte
sich durch Einbeziehung der nicht besetzten Hufen das Do-
fflioicalland leicht ei^weitem, wo man es nicht vorzog, diese
in getrennter Verwaltung zu behalten, bis sich wieder Gelegen-
heit zur BeStiftung ergab, oder neue Foimen der Bewirth-
schaftung durch Pächter sich einbürgerten. Bei solcher Aus-
dehnung des Herrenlandes aber behielt man die einmal be-
stehende wirthschaftliche Einheit der Hufe vielfach bei, wo
sie den ökonomischen Bedüiihissen der Gutsgliederung ent-
sprach, wie man sie anderseits zei*stückeln und der sonstigen
Anordnung des Sallands einfügen konnte^), wo dieses mehr
angezeigt schien.
Für das Dominicalland der Kirche speciell ist das Aus-
mass nach Hufen allerdings zum Theil bestimmt als spätere
Bildung nachzuweisen. Es sind jene Hufen, welche den
Kirchen in Sachsen, in Langobardien und sonst zur Ausstat-
tung gegeben und von den Parochien in eigne Vei*waltung
genommen wurden^).* Hier erweitei*t sich also sichtlich das
Land, welches in Selbstbewirthschaftung durch den Grund-
eigenthümer gehalten wurde, auf Kosten des abhängigen
^) C. Laoresh. 782, n. 707 : 2 mansos, quonim onus in ?ineam redactus,
alter inhabitatur.
*) Capitolare Paderbronnense 785 (LL. I, 49) c. 15: De minoribus
capituÜB coDseiiBerunt omnes, ad unamquamque ecclesiam curte et duos
maosos terrae pagenses ad ecclesiam recurrentes condonant et inter 120
homineSy nobiles et ingenuis similiter et litos, servum et ancillam eidem
ecclesiae tribuant Capit Aquisgr. 817 (LL. I, 207) c. 10: Sanccitum est,
at nnicoiqae ecdesiae onus mansus integer absqne alio servitio adtribuatur
und Hlotharii I. const Papienses 8^ (LL. I, 360) c. 1: Qnod n forte in
aliquo loco aecclesia sit constmcta, quae tarnen necessaria Bit et nihil
dotia habaerit, yolumus, at secondum iussionem domni et genitoris nostri
unus mansas cum 12 bunoariis de terra arabili ibi detur et mancipia 2 a
liberia hominibus, qui ad eandem ecclesiam officium Dei debeant audire.
— 810 —
Grundbesitzes; und ein ähnlicher Vorgang wird bei der
Stiftung der vielverbreiteten Bethäuser (oratoria) anzunehmen
sein^); aber freilich sind solche Dominicalhufen nicht ohne
weiteres als Mehrung des Sallands der grossen geistlichen
GrundheiTu anzusehen, wenn sie auch in eine gewisse wirtb-
schaftliche Abhängigkeit von der bischöflichen oder klöBter-
lichen Obrigkeit gesetzt wurden.
Ist aber auch hieraus die Erweiterung des Sallands in
dieser Zeit nicht mit Sicherheit in ihrem ganzen Umfange zu
bestimmen: soviel kann doch als sicher angenommen werden,
dass die Tendenz der grundheiTSchaftlichen Entwickelung
dieser Zeit eher dahin ging, das Salland zu vergriVssem als zu
verkleinera. Die Zerschlagung des Herrnguts, welche im west-
lichen Frankenreiche schon im 9. Jahrhundert bedeutende
Fortschritte macht ^), ist fQr das eigentliche Deutschland in
dieser Zeit noch nicht zu finden. Wohl sind vielfach aus
alten Eigengüteiii , welche die geistlichen und weltlichen
Grossen erwarben, durch die wachsende Uebermacht des
Grossgrundbesitzes Zinsländereien gebildet und damit das in
eigner Bewirthschaftung des Eigenthttmers stehende Land ge-
mindert worden ^) ; die Concentration des Eigenthums hatte
nicht immer auch eine Concentration des Dominicallands,
sondern zunächst eine Verminderung desselben zur Folge.
Dafür aber dehnten die Ginindherm ihr Salland durch Rodung
und Cultui* öder Gründe, durch Einbeziehung von unbesetzten
Hufen und Arrondirung wieder aus und dachten noch nicht
daran, auf die Vortheile eines steigenden Bodenertrags zu
verzichten, welche ihnen der Eigenbetrieb ihrer Dominical-
länder in Aussicht stellte. Eine immer gi*össei-e Zahl von
») S. 0. S. 295.
*) Gu^rard Polyptique de PAbb^ Inninon I, 494. >
») So gibt C. Laur. n. 3721 Ebur an das Kloster Lorach einen Tbeü
seines mansos indominicatus ad aedificandum domum et aream constroen*
dam et hortnm faciendum. Häufig sind die FäUe in welchen Salland vsi-
getragen und als Beneficium zurückempfangen wird; C. Lauresh. 863 I,^
Tr. Sang. 869, n. 548, wo aber die mancipia salica dem Geber besonders
Torbehalten werden.
— 311 —
Landwirthen ist dadurch allerdings von den Vortheilen der
Selbstbewirthschaftung des Eigenthums ausgeschlossen worden;
aber innerhalb der grossen Grundherrschaft spielte diese eine
um so grössere Rolle, die bei dem dringenden Bedürfhiss einer
besseren volkswiiihschaftlichen Organisation, das nur von diesen
befriedigt werden konnte, auch für die ganze Entwickelung
des wirthschafüichen Lebens von entschiedenem Vortheile ge-
wesen ist.
Ihre volle Bedeutung aber erhielt diese Domanialwirth-
schaft doch erst durch die Veränderungen, welche gleichzeitig
die alte Hufenordnung der Zins- und Dienstgttter zu ergreifen
begannen , und mit der Ausbildung des Yillensystems, wie es
Karl d. Gr. so genial vorgezeichnet und die spätere Zeit all-
mälig zur vollen Entwickelung gebracht hat. Denn ei-st damit
gewinnt der Herrenhof nicht bloss eine ökonomische lieber-
legenheit über die dienenden Güter und den Vorzug, eine
hervorragende Quelle der Bodenrente zu sein; er wird nun
geradezu das Haupt aller der kleinen Wirthschaften , die mit
ihrem Fruchtanbau und ihren Arbeitskräften von der Wirth-
schaft des herrschenden Hofes abhängig, in der Mannigfaltig-
keit ihrer speciellen Einrichtung nur als Theile eines grossen
wohl organisirten Ganzen, nicht mehr als selbständige in sich
abgeschlossne Wirthschaften in Betracht und Geltung kamen.
Die Karolingei-zeit hat in Deutschland das Hufensystem
im Wesentlichen noch intakt überkommen. Seine Wurzeln
hat dasselbe jedenfalls schon in der Zeit der definitiven Land-
vertheilung bei der letzten bleibenden Besiedelung des Landes
durch die Deutschen, wenn auch die erste urkundliche Er-
wähnung des Mansus sich erst 475 im Testament des Bischof
Perpetuus von Tour findet ^). Die Hufe war damach immer
ein Grundbesitz von solcher Ausdehnung, dass eine Familie
auf demselben beschäftigt war, ihre Nahrung und die Mittel
zur Behauptung ihrer socialen und öffentlichen Stellung finden
^) Pardessus Dipl. I, 49. Waitz, altdeutsche Hofe S. 9—12 gibt
weitere Beispiele alten Vorkommens. Sowohl in den Weissenborger als
in den Sangallner Traditionen findet sich die Hufe schon sehr firühzeitig;
Tr. Wizz.695-711, n. 228; Tr. Sang. 720—737 n. 4.
— 312 —
konnte. Die einzelnen Hufen wurden daher anch einander
gleich werthig gehalten, obwohl sie der Verschiedenheit der
Lage und Güte der Grundstücke gemflss, von sehr verschiedner
Grösse sein konnten; ja erst durch diese Verschiedenh^t des
räumlichen Ausmasses kam die volkswirthschaftliche Gleichheit
derselben recht zur Geltung. Doch ist schon frühzeitig das
Bedürfhiss vielfach hervorgetreten, die Hufen nach der Morgen-
zahl zu messen, theils um eine bestimmte Gleichmässigkeit
bei Vertheilungen 0, Veitauschungen oder Bemessung öffent-
licher oder markgenossenschaftlicher Lasten und Rechte durch-
zuführen, theils aber insbesondere um darnach die Zinsen und
Dienste zu bemessen, welche man den an Colonen ausgethanen
Hufen auflegen konnte*).
So hat dann die dem praktischen Bedürfiiisse der öffent-
lichen oder herrschaftlichen Ordnung besser entsprechende
mehr äusserliche Messung der Landgüter das Uebergewicht
über die auf der innein ökonomischen Beschaffenheit derselben
begiUndete Bewerthung der Hufe erlangt; und es verband
sich mit dem Begriff der Hufe die Vorstellung einer bestimm-
^) Hierfür ist eine SteUe des VTestgothigchen Rechts (X, 1, 14) dunk-
teristisch, welche auch die VorsteUung einer solchen wirthschaftlichen Einheit
des aratrom (Pfloglandes ^ Hufe) zeigt Wenn aber die Richtigkeit der
Landtheilung zwischen Gothen and Römern Streit entsteht: tone si 8q>erest
ipse qui praestitit, aut, si certe mortuus fnerit, eins heredes praeheant 8a>
cramenta . . . Si vero consortes eins non dignentor iurare ant forte noln-
erint: Tel aliquam dubietatem habnerint, quantum Tel ipsi dederint Tel
antecessores eorum: ipsi ut animas suas non condempnent, nee sacra-
uentum praestent: sed ad tota aratra, quantum ipsi Tel parentes eofnm
in sua sorte susceperant, per singula aratra 50 aripennes dare debent
£a tarnen conditione, ut quantum occupatum habuerint Tel cultum, mixti
50 aripennes condudant Erst im Streitfiedle also wird der AntheÜ am
Pfluglande ausgemessen, damit aber auch der Hufe eine feste MorgeosrOsse
gegeben. Vgl. Meitzen, die Ausbreitung der Deutschen S. 14. Da der
Gothe Vsf der Römer ^/s des Pfluglands erhielt, so wftre damit das aiatnim
auf 75 oder auf 150 aripennes d. i. S7Vf oder 75 jugera zu berechnen, je
nachdem, was im Gesetz nicht deutlich ist, der Antheil des einen oder
des andern ausgemessen wurde.
') D^er später bei den. Zinseshufen so h&ufig die MoigensaU als
feste Grösse gar nicht genannt ist
— 818 —
ten Morgenanzahl ^), die freilich je nach der Oertlichkeit und
Landesgewohnheit immer sehr verschieden blieb, wie ja auch
die Grösse der Morgen nach Gegend und Ortschaft wechselte.
Im Laufe des 8. Jahrhunderts mehren sich auch in
Deutschland schon die Beispiele einer Theilung der Hufe');
auch der Besitz einzelner kleiner Güter, einer Casate mit
wenigen Morgen wird schon häufiger; ebenso aber wuchs
manches Feld durch originären oder abgeleiteten Erwerb der
Hufe zu. Natürlich war das häufiger bei dem Besitz der
Grossbegüterten, die ihre Güter schon anfingen Toränderten
wirthschaftlichen Anforderungen und Verhältnissen gemäss
einzurichten^); die Hufen der kleinen freien Grundbesitzer da-
gegen verblieben doch zumeist noch auf dem alten Fusse.
Als sie aber einmal von den organisirenden Tendenzen der
grossen Grundherrn ergriffen, und diese für die Ordnung der
Agrarverfassung immer massgebender wurden, da verlor auch
die Hufe immer mehr ihre Bedeutung und die Dauerhaftigkeit
ihres Bestandes.
Im Anfange dieser Entwickelung zwar ist die Hufe auch
im grundherrschaftlichen Verbände erkennbare Grundlage der
Güteranordnung. Als das noimale Mass des zum Unterhalte
einer Familie nothwendigen Ginindbesitzes war sie durch
Schenkung und Auftragung, durch Kauf und Tausch in den
Wirthsehaftsbereich der Grundherrschaft getreten; in diesem
Ansmasse konnte , ja musste ' sie beibehalten werden ^), so
') Sie heissen dann oft geradezu legitimae C. Laur. 854, n. 110:
cortem dominicalem com sua huba legitima et alteram serrilem cum sna
haba et in H. duas cortes serviles cum suis hubis legitimis; oder plenae
Tr. Sang. 875, n. 586: 1 hobam plenam de terra culta.
*) Cod. Laur. 792, n. 215: 2 hubas et 1 mansum dimidium ib. 787,
n. 346: nnam petiolam de manso ib. 768, n. 8300: mansos 2 et dimidium;
ib. 775, n. 2756: dimidiam hubam et 12 jumales; ib. 801, n. 2746: mansum
dimidiom et 12 jum; ib. 819, n. 2754 quartam partem unins mansi.
*) Vgl. 1. AbschniU S. 215.
^) Aul bestimmtes Ausmass der dienenden Hufe deutet auch der
Ausdruck sortes serviles in G. Laur. 757, n. 697; ib. 767, n. 812: servum
1 et mansum 1, in quo ipse manet, cum sorte sua ib. 766, n. 947; 770,
n. 537. Aehnlich heisst es auch in Urk. Arnulfs 888 Sinnacher, Bei-
— 314 —
lange die Grundheii'schaft davon nur Zins und Dienste
heischte ; als sie aber anfing, auf die Wirthschaftsftkhrung der
Hufe bestimmend einzuwirken, durch Ausstattung mit Inventar,
Zutheilung von Wiesen und Waldtheilen sie ertragfähiger zu
machen, da war es möglich, von dieser Grundlage abzugehen
und den dienenden Besitz veränderten wirthschafflichen Be-
dürfhissen entsprechend einzurichten. Hatte die ältere Zeit
in diesem Falle vomemlich an die Steigerung der Lasten ge-
dacht, so wai*d nunmehr die Verkleinerung des Bestandes und
damit die Vermehrung der dienenden Wirthschaften die BegeL
Seit die dienenden Mausen auf diese Weise in mannig-
fache ökonomische Abhängigkeit von der Gutswirthschaft ihres
Herrn auch in Bezug auf ihre Wirthschaftsfllhrung gekommen
waren, lagen auch die Bedingungen der Erhaltung dner
Familie anders. Die Pflichtigen mussten Theile ihrer Arbeits-
kraft wie ihrer Producte der Hen-schaft abtreten; sie erhielten
dafQr schon durch die blosse Organisation, aber auch un-
mittelbar manche Förderung un^ Unterstützung, wodurch das
Ergebniss der Bewirthschaftung gesteigert wurde ^). Eine
verhältnissmässig reich entwickelte Arbeitstheilung liess jede
persönliche Fähigkeit mehr zur Geltung konunen, als diess
bei der Isolirung in der alten Markgenossenschaft mö^ch
war. Je nach der Bolle, welche der Einzelne im henschaft-
lichen Verbände übernommen hatte , war also auch das Mass
des Besitzes verschieden, der ihm für seinen Unterhalt notb-
wendig war; und so konnte die Grundherrschaft nicht bloss
an eine neue Gestaltung der bäuerlichen Güter denken, sondern
sie war dazu sogar gedrängt, wenn sie überhaupt das Prinzip
der Wirthschaftlichkeit vollinhaltlich zur Anwendung bringen
wollte.
So entstanden jene Vei'schiedenheiten der Hufe , die nnr
mit Hinblick auf das Wirthschaftsganze , dem sie eingefügt
waren, eine volle Erklärung finden ; die grösseren Herrenhofen.
träge z. Gesch. der bischöflichen Kirche S&ben und Brisen, L BäL b. 22:
in loco Fellis nuncupato 8 hobas tales qoales in eisdem locis serfi litbo«
soliti sunt.
') Vgl. 4. Abschnitt
— 815 —
welche in die eigne Verwaltung der GrundheiTn einbezogen,
die doppelte Arbeitskraft der leibeignen Hofdiener und der
fronpflichtigen Zinsbauern zur Vei*fttgung hatten ; die kleineren
Zinseshufen, auf denen Ja nicht mehr die volle Arbeitskraft
einer Familie verwendet werden konnte, die zugleich auf dem
HeiTenlande Frondienste zu vei-sehen hatte. Grosse Zinshufen
aber auch, welche ihrerseits wieder leibeigne Arbeiter im
Dienst des darauf gesetzten Zinsbauem verwendeten^); und
anderseits jene kleinen Bauerngüter von Colonen und Leib-
eignen, welche zu bestimmten gewerblichen Vemchtungen
verpflichtet, den landwirthschaftlichen Betrieb auf ihren Grund-
stücken nur als Nebenbeschäftigung versehen konnten').
Auch die Bildung besondei*er Waldhufen war ein weiteres
Moment zur Auflösung der alten Hufenverfassung. In den
grossen Waldgebieten, Qber welche vornemlich die königliche
Gewalt herrschte, sowie in den entvölkerten östlichen Gebieten,
welche durch Karl d. Gr. den Slaven und Avaren abgenommen
waren, wurde eine Colonisation durchgeführt, welche in der
Lage war, die Unregelmässigkeit und die Nachtheile der altem
Flurverfassung zu veimeiden und eine nach streng wiith-
scfaaftlichen Gesichtspunkten durchgeführte Anlage der Oi*t-
schaften und ihrer Flurvertheilung im Auge zu fassen. Bereits
im 8. Jahrhundert finden sich solche Waldhufen im Oden-
wald^); auch die Waldculturen im Spessart*), im Schwarz-
^) Breviar. Erchamberti Meichelb. la. 126: mansos 2 vestitos, inter
illos continentar mancipia 10. Cod. Fuld. 797, n.144: dono seryom menm |
cum mancipiis suis et com omni elaboratu eoram. Vgl. auch Tr. Fuld.
c. 48 : Iste smit ÜEuniliae lidoram . . . Gerolt et uzor cam 6 filiis et uno j
BerTO et sua prole. Ruther cum 2 mancipiis u. o. |
^) Wirt. Urk. B. 848, I, 125 exceptis beneficiis piscatomm S. 4. Ab- ,
schnitt
') Das in der Grenzbeschreibnng der Mark Heppenheim von 773 und
und 795 (Cod. Lauresh. n. 6) genannte Dorf Unterabtsteinach, sowie die
Dörfer Gammelsbach, Ober- und Unteressensbach, Finkenbach und Wald-
michelsbach liegen in Waldhufen ; Meitzen, die Ausbreitung der Deutschen,
S. 29.
*) C. Fiüd, 837, n. 655.
— 316 —
wald ^), den Vogesen *) und Ardennen und in andern Gegen-
den ^) reichen wahrscheinlich vielfach bis in diese Zeit binanl
Von dort verbreiteten sie sich seit dem 9. Jahrhundert über
die östlichen Marken des Reiches, in welchen sie in der fol-
genden Zeit sehr grosse Ausdehnung erhielten^). Ja es
wurden daselbst später auch ältere slavische Ortschaften in
Beneficialhufen mit dem Charakter der Waldhufen umge-
wandelt *).
Die EigenthQmlichkeiten dieser Waldhufen sind theils in
ihrer grossen Morgenzahl, theils in dem Zusammenhange za
sehen, in welchem sie zu einander stehen. Die Waldhufe,
welche auf königlichem Boden, oder mit königlicher Erlaubniss
angelegt wurde, war mit der virga regalis gemessen, welche
um 8 — 5 Fuss grösser als die gewöhnliche Ruthe war^, und
so ergab sich für die Hufe selbst eine gewöhnliche Grösse
von 60 jugera gegen SO einer gewöhnlichen Landhufe ^). Es
') Cless, Versuch einer Landes- xl CuIturgesclL von Wfirtemberg 1, 122.
*) ürk. Lndw. 822 Bouqu. 6, 648, n. 30.
') Die Freimansen in Ahe, Honlar und Yilantia (Registr. Pirasiiense
898) sind solche Waldhufen; ygl. Gaesarius zum Reg.: Mann ingenoalea
sunt qui jacent in Ardenna . . . quilibet istorum mansorum habet 160 ior
nales terrae, quos appellamus vulgariter Eunihkeshuve. S. die ireiteren
Beispiele unten.
*) Schon aus der Karolingerzeit sind die Nachrichten hierüber vkiA
selten: 811 Boczek C. dipl. MoraT. I, 8 Qber 40 mansus in Awaiia. 846
Erben, reg. über 8 mansus in terra Slayorum qui sedent inter Moinam e^
Bedantiam fluvios. 865 lu?. Anh. 99: Concessimus (Ludov. res) qaasdaD
res proprietatis nostre in Pannonia . . de terra exarata, parata scüicet ad
arandum, mansos integres 8, id est ad unamquamque'coloniam jugera 90
et de Silva undique in gyrum scilicet ac per omnes partes, miliarinm nnoB
cum terris pratis, pascuis, aquis etc. 888 ib. 79: In pago Salvelda ii
loco R. dicto hobas regias 9 cum maneipiis. 895 Boczek I, 58 über 8
regales mansos in Richenberg (a. d. Save).
*) Vgl. Meitzen a. a. 0. S. Sdff.
') Das Mass der Tirga regalis bestimmt tdch auf 15 Fuss (4, Met)
gegen 10—12 Fuss der gewöhnlichen Ruthe. Meitzen a. a. 0. 28 f.
^) Diese 80 jugera sind allerdings eine durchaus nicht überall lo«
treffende Grösse der Landhufe, aber doch immerhin für die Karoliogerttit
wenigstens das am häufigsten vorkommende Ausmass der Yollhnfe. Dm
— 317 —
mass dabei dahingestellt bleiben, ob dieses grössere Mass der
Hofe nur mit BQcksicht auf den oifenbar extensiveren Betrieb
der Waldcolonien angewendet wurde, oder ob die yirga regalis
überhaupt zum Ausmass königlicher GQter verwendet war.
Da aber bei diesen gi-össeren Colonisationsuntemehmungen
immer viele Hufen zugleich auf dem Wald- oder Moorboden
angelegt wurden, so ergab sich die Anordnung der Hufen mit
Rücksicht auf das wirthschafUiche Bedürfhiss von selbst Statt
der unregelmässigen Gehöftanlage der alten Dörfer findet sich
daher bei diesen Waldcolonien eine regelmässige Aneinander-
reihung der Höfe dem Bache entlang in weitläufiger Strasse.
An jeden Hof schliesst sich dann das Bauland in ununter-
brochnem Zusammenhang; in langen Streifen reicht es bis an
die Grenze der Gemarkung, wo der zu der Hufe gehörige
Waldtheil den Abschluss des Besitzthums bildet Seine
Richtung ist zumeist nach der Bequemlichkeit des Weges be-
stimmt, der von dem Hofe aus zu allen Theilen der Hufe
möglich ist. Die Vertheilung von Ackerland, Wiese, Weide
und Wald ist wohl zunächst von der Natur des Bodens ab-
hängig gewesen; doch ist die Lage der Wiesen in den Thal-
gründen, weiter hinauf am Abhang der Aecker und an den
Endpunkten der Weiden und Wälder der Natur der Sache
grossen Waldhufen yon 60 jugera sind besonders bezeugt: 807 C. Lauresh.
D. 3420; 1 mansus et 126 jumales de terra arab. et pratom ad 13 car.
861 Tr. Sang. 479 vom Linsgan; 1 basilicam et casam cum curte ceterisque
edifidis et de terra culta 60 jugera in foraste iacentia. Mon. Boic. IX,
360: predium cum curtifero et arabili terra pratisque necnon cum lignorum
copia jag. 60. 892 Eccard bist. gen. Princ Saxon. I, 288: in Nieder-
sacfasen mansos 80 tantae magnitudinis, ut unusquisque mansus jugera 60
habebat in mensura. Sogar 90 jugera kommen vor: 865 luvav. Anb. 99
IL 100: 8. O.Anmerkung n. 4. Vor 924 Mdcbelb. Ib. 987: coloniae 5 ad
unamquamque jugera 90 pertinentes. Von den Eönigshufen in den Ar-
dennen berichtet Caesarius (s. o. Anm. 3), dass sie 160 jumales (2 jum.
gleich 1 jngerum) gross waren; im Begistmm Prumiense selbst ist nur
bei einigen culturae von Yilantia die Grösse durch die Aussaat ?on 400
modii avenae angedeutet; reebnen wir 2.4 modius Hafer als Saatbedarf fttr
1 jumal., so ergibt die Rechnung 166 jumales f&r 1 solche cultura, die
also mit der Königshufe ziemlich übereinstimmt.
— 318 —
nach am häufigsten^). Auch die Mai'sch- und Hagenhufen,
welche in Holland, in den Hamburger und Holsteiner Marschen
und längs der ganzen Ostseeküste seit den Zeiten ihrer Ent-
wässerung und Golonisation vorkommen, tragen einen ähn-
lichen Charakter an sich, und sind in ihren Anfangen wohl
auch schon auf die Zeit zurückzuführen, in welcher (unter
Karl d. Gr.?) die Seedeiche zur Nutzung des trocken ge-
legten Landes ausgeführt wurden^).
Oekonomiseh müssen alle diese Hufenanlagen den Einzel-
höfen zugezählt werden, da sie einen zusammenhängenden
und aiTondirten Grundbesitz bilden und die Gehöfte auf dem-
selben stehen^), wenn diese auch gemäss dem Parallelismus
in der Anlage der Feldflur, benachbart an langer Strasse
oder in unregelmässigen Ginippen, die einen höher, die andern
tiefer beisammenstehen. Und es scheint auch keinem Zweifel
unterworfen, dass die ökonomischen Voitheile, welche das
Hofsystem für den Anbau und die Selbständigkeit der Wirth-
schaftsführung mit sich brachte, schon fiür die Anlage mass-
gebend gewesen sind. Denn der ökonomische Zweck derselbea
die Gewinnung einer steigenden Bodenrente aus bisher un-
cultivirtem Lande ^) war doch nur dann sicher zu erreichen,
wenn den Golonisten von voraherein jene Freiheit der Wirth-
schaftsführung , jene Benutzung der Erfahrungen verbesserter
Technik und Betriebsweise eingeräumt war, wie sie bei der
^) Vgl. y. Jacobi, Agrarwesen des altenbargischen Osterlandee. Hlostr.
Zeitung 1845. Landaa, Territorien S. 21 ff. yon der EönigBhiife. Mätieit
die Aosbreitong der Deutschen, S. 26 ff.
>) Landau a. a. 0. S. 24ff. Meitzen a. a. 0. S. 81. Vielleicht and
auch schon die holländischen Mausen des Klosters Prüm, welche och
durch besonders geringe Abgaben yon den übrigen unterscheiden, sokbt
Marschhufen. Reg. Prüm. 97—103.
*) Landau S. 22 u. 24. Meine},yUntersuchungen über das Hoftysteo im
Mittelalter"" S. 75 und Haussen in Göttinger gel. Anzeigen 1878, S. 924i
*) Dieser ist mit grosser Deutlichkeit ausgesprochen im 0^>. Aqnisgr^
818 (LL. I, 189) c. 19: In forestis mansum rc^e et ibi Tirana com
pisces et homines ibi maneant. Et plantent vineas, &dant pomam et
ubicunque inveniunt utiles homines, detur iUis silra ad stiipaodum, ot
nostmm servitium immelioretur.
- 819 —
Gemengelage der Felder im alten Dorfsystem nie zur Geltung
kommen konnte. Auch war ja gar keine Nöthigung vor-
handen, Verhältnisse wie sie sich im Dorfsystem historisch
gestaltet und mit innerer Nothwendigkeit aus ursprünglicher
Feldgemeinschaft noch den Flurzwang und die gemeine Feld-
weide beibehalten hatten, hier auf neuen Culturanlagen künst-
lich zu schaffen. Und überdiess waren als Golonisten doch
vorwiegend nur landlose Freie ^), deren Anzahl sich immer
mehrte, oder freigewordne Leibeigne zu gewinnen, denen die
Grundherrschaft einen feldgemeinschaftlichen Zwang aufzu-
erlegen füglich Abstand nehmen musste ; nur in der BefL*eiung
aus den lästigen Fesseln desselben und in der Gewährung
gi'össerer Unabhängigkeit nebst anderen besonderen wiilh-
schaftlichen Yortheilen, welche die Neuanlage bot, war genü-
gender Anreiz vorhanden, um die begehrten Arbeitskräfte für
die beabsichtigte Ausdehnung des Culturlands der Grund-
herrschaft zu finden.
So ist also schon durch die Anlegung solcher Wald- oder
Moorkolonien auf bisher gänzlich unbebautem Boden der
Charakter der bisherigen Agi*arverfassung in beträchtlichen
Theilen des Landes verändert worden. Wir werden aber
nicht fehl gehen, wenn wir annehmen, dass auch die bestehende
Hufenverfassung vielfach von diesen neuen Anlagen ang^riffen
wurde. Zwar fehlt es dieser Zeit an ausdrücklichen Zeug-
nissen für die Umwandlung von im Gemenge gelegenen Fluren
in arrondirte Wald- oder Hagenhufen, wie sie beispielsweise
aus der folgenden Periode in den mit Deutschen besiedelten
^^lavischen Dörfern häufig werden. Aber es sind doch ver-
schiedne bestimmte Anzeichen vorhanden, dass die GrundheiTU
die Waldhufen in solchen Gegenden, in denen sie auf altem
Marklande einer Dorfgemeinde solch neue Colonien anlegten,
auf Kosten der alten Dorf hufen vermehrten. Theils war es
durch Austausch von Hufen und einzelnen Morgen oder Acker-
stücken möglich, die Feldflur neuer Ansiedelungen zu erweiteni
^) So waren die Königshafen des Klosters Prüm in den Ardennen
lauter mansi ingenuiles; Mittelrh. Urkb. 1, S. 144. Landaa a. a. 0 S. 27.
— 320 —
oder die Hufengrösse zu verändern ^) ; theils gab die Zerschla-
gung der alten Hufen Gel^nheit zu ihi*er Neubildung nach
den ökonomischen Gesichtspunkten, welche bei der Anlegung
der Waldhufen massgebend gewesen sind.
Alle diese Veränderungen zusammen, die Arrondimog,
die Ausscheidung des Sallandes von dem Zinslande, die Hu-
fentheilung und die Neubildung von Bauerngütern haben ftr
die grossen Grundherrschaften die Nothwendigkeit einer besse-
ren Organisation ihres ganzen Besitzthums, eines festere Ge-
fdges ihrer wirthschafüichen Verwaltung erzeugt. Es wurde
allmälig unmöglich, von dem Sitze der Herrschaft, dem Haapt-
hofe aus alle Verhältnisse der in Eigenbau oder Zinsbau stdien-
den Güter zu überschauen , ihren Betrieb zu regeln und zn
überwachen. Es ward nothwendig, die Leistungen der Pflich-
tigen Hufen nach Massgabe ihrer concreten Leistungsfähigkeit
genauer zu controliren und ihren Producten durch die Art
der Abliefeiiing, ihrer Arbeitskraft durch Zuweisung eines
geeigneten Arbeitsfeldes eine bessere Verwerthung zu sichern.
Denn die schwerfälligen Formen der Naturalwirthschaft, die
Voluminosität ihrer Producte und der Mangel an Verkehrs-
wegen und Transportmitteln, endlich die geringe Ausbildung
geordneter Marktverhältnisse liess es bald als unthunlich und
auch ökonomisch höchst unvoilheilhaft erscheinen, alle Abgaben
der dienenden Güter am Haupthofe anzusammeln und eist
von hier aus eine Verwendung für dieselben aufzusuchen, die
doch oft die nämlichen Wege wieder hätten gehen müssen,
von denen eben die Producte hergekommen waren. Und auch
über die Frondienste und sonstigen Arbeitsleistungen der
^) Hieher gehört sicher der Tausch des Klosters Fulda mit dem Gra-
fen Boppo, welcher 11 mansos in vüla Tharehedingas erhält gegen ei&ai
umgrenzten Waldbezirk im Spessart, der gewiss nicht bloss als Wald ge-
nutzt, sondern auch in Hufen gelegt war-, C. Fuld. n. 655 com J. SSo
gehörig; Tgl. Sickel II, 201. £benso Tr. Sang. 889 n. 381, wo zu je 2
Landhufen 8 Waldhufen eingetauscht werden ; Tr. Sang. 861, n. 479. C.
Laur. 868, n. 2575 werden getauscht 1 mansus et junudes 120 etpratom 1
gegen 1 mansus et junudes 174 et bifangum 1 ad jum. 14 et prata 5.
Cod. Lauresh. 885, n. 2278 u. o.
— 321 —
Pflichtigen war von dem Haupthofe aus bald nicht mehr mit
jener Sicherheit und jenem Ueberblick zu disponiren, die eine
vollständige Ausnutzung der zu Gebote stehenden Arbeits-
kräfte sicher gestellt hätten.
So entstand das BedQrfhiss nach einer ökonomischen
Gliederung des ganzen Herrschaftsgebietes in eine Reihe von
selbständigen Verwaltungen, welche bei aller Aufrechterhal-
tung der principiellen Einheit der Wirthschaft doch als locale
Centren die wichtigsten Aufgaben der Gutswirthschaft jede
für sich besorgte.
Am grossartigsten und vollständigsten hat Karl d. Gr.
selbst diese wichtige organisatorische Aufgabe auf seinen
eignen Herrschaften gelöst ^). Das ganze Gebiet der könig-
lichen 6rundhen*schaft wurde daiiiach in eine Anzahl von
Domänen (fisci) zerlegt, von denen jede eine selbständige
wirthschaftliche Verwaltung erhielt, während die einheitliche
Oberleitung durch ihn selbst, die Königin und die beiden
Minister der königlichen Wiithschaft , den Seneschalk und
Schenk, geftlhrt wurde *). Von diesen Domänen war ein Theil
als Palatien für die Haus- und Hofhaltung des Kaisers ein-
gerichtet*); das zu den Palatien gehörige Gebiet wurde von
diesen aus selbständig als Herrenland bewirthschaftet , theils,
') Neben dem Capitalare de villis imperialibus kommen hief&r insbe-
sondere in Betracht das Capit. de disciplina palatii Aqnensis 809 (LL. I,
157), Capit. Aquisgr. 818 (LL. 1, 174), das sog. Breviarium renim fiscalium
(LL. I, 175 ff.) und für die spätere Zeit Hincmari Remensis epistola de
ordine palatii (Walter, Corp. ior. german. III, 761 ff.). Vgl den ausführ-
lichen Conuneutar Ton Gn^rard, Explication du Capitulare de Yillis, Par.
1853. WaitE IV, 120 ff.
') Cap. de YÜlis c. 16: Yolumus ut quidquid nos aut regina unicuique
jadici ordinaTerimns, aut ministeriales nostri, sinescalcus et butticularius de
rerbo noatro aut reginae ipsis judidbus ordinaTerit . . impletum habeant
c 47 : Üt venatores nostri et falconarii yel reliqui ministeriales, qui nobis
in palatio asidue derserriunt, consilium in villis uostris habeant, secun-
dum quod nos aut regina per litteras nostras iusserimus, quando ad ali-
quam otilitatem nostram eos miserimus, aut siniscalcus et buticularius de
nostro Terbo eis aliquid hcere praeceperint.
*) Hierüber sehr ausführlich Maurer, Fronhöfe I, S. 212—227.
Ton Inama-Sternegg, Wiithschaftsgeseliichte. I. 21
— 822 —
soweit es Beneficien oder Zinsgüter umfasste, gnmdherrsdiaft^
lieh verwaltet ^). Gleichzeitig aber bildeten die Palatien die
Sammelplätze aller ProdactionsttberschQsse der einzelnen kai-
serlichen Gutswirthschaften ^) und wui'den dadurch zugleich zu
Oberhöfen fQr die übrigen Domänen, wie zu wichtigen Märk-
ten aller Boden- und Gewerbsproducte für das ganze Reich').
Die übrigen Domänen aber waren als villae oder curtes regime
nur der landwirthschafUichen und gutsheiTlichen Verwaltong
gewidmet^). Sie bestanden selbst wieder aus einem in Eigen-
betrieb des königlichen Fiskus stehenden Hauptgute ^) und in
einem Gomplex von Gütern oder Höfen, von welchen ein
Theil, zur gutsherrlichen Verwaltung eingezogen *), von unter-
geordneten Wirthschaftsbeamten des Fiskus bebaut wurde.
^) Gapit. de discipl. ipalatii Aqa. 809, c. 2: tarn in Aqois quam in
proximis vülnlis nostris ad Aquis pertinentibiis. C. Lanr. 834, n. 25:
villam iuris nostri Langongon . . . nee non et mancipia iUa, qnae ez etdem
viUa orta sunt et hactenus ad fiscum nostnim Triburim deaervioBt Tgl
Gap. de yillis c. 9, 15, 47, 61, (>8, wo verschiedene Wirthschaftseinricb-
tongen des Palatioms angef&hrt sind.
*) c. 15: üt poledros nostros missa s. Martini hyemale ad palatiam
omnimodis habeant. c. 28 : Yolomas ut per annosj singolos intra qoadia*
gesima dominica in palmis quae osanna dicitor, iuxta ordinationem so*
stram, argentom de nostro laboratu, postquam cognoverimos de praeseoti
anno quantam sit nostra laboratio, deferre studeant c. 35: boves sagiiui-
tos . . aut ibidem ad socdandom aut ad nos deducendom. c 38: üt
ancas pastas et puUos pastos . . ad nos transmittere soffidenter habest
c. 44: De qoadragesimale duae partes ad senitium nostmm veniani c61:
Ut unusqoisqne index, quando serrierit snos brados ad palatinm dacer«
fadat e[t simul veniant magistri qui cerevisiam bonam ibidem hßen de-
beant. c. 66: per singulos annos niosaltos crassos nobis inde addncant
c 69: et ipsas peUes nobis praesentare ÜBMÜant
') Näheres im 4. und 5. Abschnitt.
^) c 1: Yolomas, ut villae nostrae, quaii ad opus nostnun inierri«'
dum institutas habemus, sub integritate partibus nostris desernant
') c. 19: In villis capitaneis.
') Das sind offenbar die mansioniles des c. 19. Auch BreriaRnB
(LL. I, 179): In Asnapio fisco dominico. Item de mansionilibas, qw
ad snprascriptum mansnm aspidunt In Grisione villa invenlmm mansw-
niles dominicatas. In alia villa repperimus mansioniles dominifstn 1&
villa illa mansionilis dominicata.
— 328 —
ein anderer Theil aber an Freibauern oder Zinsleute aus-
gethan war. Die Zinse und Dienste dieser Hufen waren theils
an die Nebenhöfe, theils direct an die Haupthöfe zu leisten.
Je nach der Lage der Villen waren mehr oder weniger solcher
Haupthöfe mit einem Palatium ökonomisch verbunden; was
die Bedürfnisse der Wiithschaftsführung auf den einzelnen
Villen von den Producten der Domänen nicht selbst in An-
spruch nahmen, das miisste an die angewiesenen Palatien
abgeliefert werden, und ebenso erhielten die Amtleute der
einzelnen Villen ihre Instructionen von dem Palatium aus ^).
Die Summe der in irgendwelcher Form als Beneficien,
Frei - oder Zinshufen ausgethanen Güter war dann innerhalb
einer jeden Domäne wieder in Ministeria abgetheilt ^); in jedem
Ministerium waren die dienenden Hufen einem Herreuhofe
angegliedert und bildeten mit ihm die unterste wirthschaft-
liehe Einheit dieses vielgliedrigen Organismus der könig-
lichen Villenverfassung '). Die Leitung der gutsherrlichen
Verwaltung sowie die Vertretung der Interessen der Doma-
nialwii-thschaft an der Wirthschaftsführung der Freibaueni
und Zinsleute, die Ueberwachung der Erfüllung ihrer Ver-
bindlichkeiten und die Sorge für die Ausführung der all-
gemeinen Wirthschaftsanordnungen war auf den Haupthöfen
(fisci) eigenen Amtleuten (judices, villici, actores)^) auf den
Nebenhöfen den majores^) anvertraut.
^) S. oben 8. 322 Anm. 2 und S. S21 Anm. 2.
*) Ihre Ausdehnung angegeben a 26: Maiores Tero amplius in mini-
sterio nön habeant, nisi quantum in una die circumire aut praeyidere
potuerint.
*) c, 52: Volumus, ut de fiscalis Tel seryis nostris sive de ingenuis,
qoi per üscos aut villas nostras commanent divenis hominibus plenam et
integnun qnalem habuerint reddere fadant iustidam. a 62: Ut unusquis-
qae index per singulos annos ex omni conlaboratione nostra, quam enm
buboa qaoB bubulci nostri seiriant, quid de mansis, qni arari debent. . .
quid de liberis hominibus et centenis, qui partibus fisci nostri deserviunt . .
habuerinty notum &ciant
«) c 3, 5 — 9 u. s. f. Gap. Aquisgr. 818, c. 19; Gap. 817, c. 1. S.
Waitz, IV, 121. ^
«) c 10, 26, 36, 60. Gu^rard, Irmin. I, 442 ff.
21*
— 824 —
Centeneu ^) und Dekanien ') , welche ohne bestimmt er-
kennbare Stellung innerhalb der Villenverfassung Karls d. 6r.
vorkommen y werden wohl mehr nur auf den socialen Zusam-
menhang der Ortsbevölkerung, wie er sich noch aus älterer
Zeit erhalten hat, als auf besondere administrative Gruppining
der Güter zu beziehen sein ^). Aber es lag im Geiste einer an
Stelle der alten markgenossenschaftlichen Verbindung getretenen
grundhen'lichen Hofverfassung, die alten Foimen und Zusam-
menhänge nicht zwecklos zu zerreissen, sondern für die neue
Organisation dienstbar zu machen; und so ist wohl auch der
Zusammenhalt der Centene, ist der Einfluss des Decanus für
die Villenverfassung Karls d. Gr. weithvoU geblieben.
Die Villenverfassung Karls d. Gr. ist im Laufe des 9. Jahr-
hunderts unverkennbar immer mehr allgemeines Muster und
Vorbild für die Organisation grosser Grundherrschaften ge-
worden. Am deutlichsten tritt sie aus dem berühmten Be-
gister des Klosters PiHm entgegen, das seine s&mmüicheo Be-
sitzungen von dm Oberhöfen ^), Prüm, St. Goar und Münster-
eifel, aus verwaltete. In 119 Haupthöfen (curiae fisd)*) war
Eigenwirthschaft des Klosters eingerichtet; viele von ihnen
hatten mehrere Nebenhöfe (mansi indominicati) 0 gleichfalls
in eigner Verwaltung; die Summe der dienenden Güter, der
Beneficien, Lehen und Zinshöfe, der Freien wie der Unfreien.
^) c. 62: Ut nnusquisque iudex per singalos aimos ex omni coobbo-
ratione nostra . . . quid de liberis hominibus et centenis qni partilrafl fisci
nostri deserviunt, .... habuerint, notum £ftciant S. nnten & 825.
*) c 10; c. 58. Gn^rard, Inmn. I, 456 ff.
') Nach dem Polypt. Irmin. (Gu^ard I, 465) waren die decui Co-
lonen , welche unter Au&icht des mfyor die mansi dominid der Abtei St
Germain bewirthschafteten, die f&r dieselbe ausgeführten Arbeiten «Her
Art überwachten und leiteten, die Abgaben der 2Sn8baQem einnahmt nsd
exequirten; „c'ätaient les acyoints des mairee**.
*) Gaesarios nennt sie in seinem Gommentar (Beyer I, S. 195) pris-
dpales sedes.
*) R. Pr. c 6, p. 148.
^ So z. B. Bnmersheim 7 , Sahnene 8, autterche et Trittenh^ym H
Bei der curtis Encene c. 89, p. 187 ist terra indominicata in 5 Ortes vJX
38 jugera au%ef&hrt
— 825 —
war den einzelnen Haupthöfen zu Arbeit und Lieferung der
Abgaben zugetheilt; fiberdiess sind einzelne Leistungen direet
den Oberhöfen zugewiesen gewesen ^). Zu bestimmten Ar-
beitsleistungen wurden die Leute ganzer Centenen gemeinsam
aufgeboten ^. Die Verwaltung der Haupt- und Nebenhöfe
war auch hier den majores, villid, ministri anvertraut >). Die
Oberaufsicht aber führte der Abt (senior) selbst, der die ein-
zehen Villen in regelmässigen Visitationsreisen besuchte^).
Sowohl die einzelnen Haupthöfe, wie das dazu gehörige Ge-
biet und die Anzahl der ihnen zugewiesenen Güter waren
aber auffallend verschieden in der Grösse wie in den Ein-
künften, welche sie abwarfen ; daher sind wiederholt die Leute
der dienenden Güter in einzelnen Haupthöfen anderen und
besonders den Oberhöfen direet zu besonderen Dienstleistungen
zugewiesen *).
Von anderen Grundhen-schaften sind solch ausführliche
Nachrichten über die wirthschaftliche Anordnung ihrer Güter
^) R Pr. c 6: Fadt jugera 3, corradas 7, glavem 1 ad monasterium;
dadt ad monasterium de spelta modios 15. c. 47: Dudt ad Pmmia avene
modioB 10. c 58, p. 177: ad novnm monasterimn (Münstereifel) car-
rad. 250. c. 104, p. 192: modios 4 ad 8. Goarem.
^ Reg. Prüm. c. 84, p. 155: ad yineas Ugandas centenam 1, ad fo-
diendam alteram; ad colligendam tertiam simol cum carro suo; ad messem
colligendam quartam. — ib. p. 157 : Ad centenam unoquoque aratro pa-
nes 2Vs et cum pane et 4 vices bibere. Centena ad vineas Ugandas et fo-
diendas . . . Centena ad Yindemiandum ... ad fenum secandum. c 25,
p. 158: Centena de Sueyghe solvit de vino modios 80. Vgl. 4. Absch.
*) Begistr. Prüm, c 24, p. 157: 1 feodum remanet ministro nostro.
c. 112, p. 196: Sunt in Dinheym mansa 12 ex quibus habet Grundaldus
mansum 1 et maior 1. Caesarius zu c. 1, p. 144.
*) R. Pr. c. 82, p. 161 : 8i senior advenerit, ligna dudt ad sufficien-
dum. c 114, p. 197: Debet unum animal senioris acdpere ad missam s.
Martini . . . Debet ad prozimum mansionaticnm senioris aut cum carro vel
com caballo, quidquid d precipitor, portare. c. 116, p. 198: Debet unus-
quiaqae 2 porcos senioris sui nntrire. Caesarius zu c. 82, p. 161: Senior
id est abbas.
^) So z. B. c. 25. p. 158; c. 58, p. 177: Summa angariorum illarum
coriarum, que sunt circa monasterium et Aram et fines fllos. c. 104 —111,
p. 192 £
— 326 —
nicht vorhanden und es kann auch nicht angenommen we^
den, dass fiberair schon im 9. Jahrhundert das Villensystem
so vollständig zur Durchbildung gekommen wäre. In dem
Register der Abtei Werden aus dem Ende dieser Periode er-
scheint nur der in Franken gelegene Theil der Grundherr-
schaft schon in dieser Weise eingerichtet Es sind hier zwei
Oberhöfe genannt; zu dem einen gehören neben 30 dienenden
Gütern, die ihm unmittelbar zugewiesen sind, 4 Haupthöfe
mit ihrem Sallande und ihren Zinsgätem ^) ; der andere aber
scheint nur I6V9 dienende Mausen zugewiesen erhalten zu
haben >). In dem in Sachsen und Friesland gelegenen Theile
dagegen sind die dienenden GQter nur nach Ministerien ab-
getheilt, einigemale auch deren Hauptorte genannt, ohne dass
jedoch eines Domanialgutes bei den Ministerien gedacht wäre^.
Es scheinen demnach die vei^eichneten Gefälle derZinsgflter
nur von Ministerialen, die wohl in ihrem Amtsbezirke zur
Gegenleistung für ihre Dienste Beneficien innehatten^), un-
mittelbar eingehoben worden zu sein ^) , ein Zustand , der im
Ganzen noch der älteren gutshen-lichen Organisation entspricht
Auch das Register von Bleidenstat zeigt noch keine aus-
gebildete Villenverfassung, jedoch immerhin unverkennbare
1) Reg. Werd. (Lacomblet, Archiv II, 217) A. 1: Ad fhndom qni est
ad Frimaresheim pertinent dominicales mansi hi. Ad curtem dominicaleni
Buum seliland. Ad Romolohon similiter. Ad Astarlohon saom selilanL
Ad Ascmeri dominicalis manstts' 1. Ad Suabhem 1 excepto KyridaDde.
Ad cortem dominicalem in Frimareshem 30 mansi; ad Rumolon kO m.;
ad Astarloon 12 m. ; ad Ascborg 10 m. ; in Hattorpe 7 m.; in Mone 5Vs ol ;
in Ostarhem 9 m.; in Ascmeri 8, nonns in Bobbonberga; in Bergbem
9 m.; in TuntileBhem 1 m.; in Fenikinne 2 m.; in Urdingi 1 m.; in Ao*
theri 2 m.; in Gelleron IVt m.; in Palutho IV« m.; in Lendinghem ^Itm.;
in Halon ^jt jxl; in Bladrikeshem 1 m. Hi sunt mansi qui ad f^mares-
hem pertinent.
') ib. A. II, p. 219: Ad ecclesiam Embrikni pertinet mansos IVf c<*
cepto selilande. Ad ciirtem dominicam pertinent hi mansi (10) . . • . £x-
ceptiB bis sunt alii mansi, qui in demosinam donati sont (5V|).
') Nor A. 4 heisst es : Finit de ministerio Hrodwerki de carte Selbem
and A. 12: Selbem cortis: Selibova com 2 aratris.
*) A. 18, p. 241 : mansionem propter ministerium eins concessum est ei.
«) Vgl. Lacomblet, Archiv II, S. 211.
— 327 —
Ansätze hiezu. In vielen der einzelnen Villen, welche dem
Kloster gehören, sind Herrenhöfe (curtes) und Herrenhufen
(mansi indominicati) eingerichtet, denen eine Anzahl von
Zinsgütem zugewiesen ist ^). Gewisse Leistungen werden un-
mittelbar an das Kloster oder an den Vorsteher desselben
(senior)^) abgeliefert; der Klosterhof selbst scheint demnach
als Oberhof auigefasst werden zu müssen, der von einem celle-
rarius^) verwaltet wurde. Die Verwaltung der einzelnen
Herrenhöfe aber war auch hier den villici übertragen, welche
dafür besondere Güter als Lehen hatten^).
Aehnliche Einrichtungen, welche in mehr oder weniger
Yollständiger Weise die Villenverfassung Karls d. Gr. nach-
ahmen, finden sich übrigens auch bei solchen Grundherr-
schaften angedeutet, von denen wir aus dieser Zeit keine
Grundbücher oder ausfuhrlichen Güterbeschi-eibungen besitzen.
So lassen die Verzeichnisse der Einkünfte des Kelleramts
von Reichenau (843), des Brauamts im Oberhofe des Stifts
Essen (saec. IX, X) auf eine gute wirthschaftliche Gliederung
des ganzen Gutscomplexes schliessen^). So schildert das Bre-
viar des Bischöfe Erchambert von Freising ^) wenigstens die
Einrichtung eines Haupthofes des Bisthumsbesitzes und ge-
*) Von ihren Leistongen heisst es n. 2: solvunt ad opus dominicum.
c. 4: ducit in messe 2 carradas feni et totidem lignorom ad dominicum.
c. 5: arat, . . . mettit cum filiis suis, secat, titurat fruges et dudt ad do-
minicum u. 0.
>) Summarium n. 8, p. 9 : mansos 2 in Beringen qui senriunt ad opus
senioris; n. 9: mandpiis 6, quorum quilibet seryit ad annum in vineis ad
opus senioris. c. 14: cum 1 manso in W. de quo servit Milo cum filiis
suis ad opus senioris. c. 17: solyit ad opus senioris. c. 20: servit per
annum ad opus senioris. c 26: navigat ad opus senioris. c. 82: servit
ad opus senioris toties ei praecipitur.
") Mon. Blid. 814, p. 17: veniens Salicho ceUeranus monasterii s.
Ferrudi in Blidinstat
*) Summarium n. 86, p. 11 : In W. habemus 20 jugera terrae arabilis,
de quibus soMt YÜlicus 8 maldra siliginis et denarios 10. n. 42: In eadem
Villa est rubus ad 20 jumales, de quo solvit villicus denarios 8 et servit
semel in anno ad dominicum.
*) 8. unten S. 889.
*] Meichelbeck, Historia Frisingensis la, 126; s. unten 8. 888.
- — 328 —
stattet die VermuihuDg, dass eine ähnliche Organisation auch
bei den übrigen Theilen der Freisingischen Gnindhemchaft
durchgefiUirt war. Und von dem Stift St. Gallen sind ver-
einzelte Nachrichten ^) über eine Gliedemng des Gebietes in
Oberhof und Haupthöfe vorhanden, welche eine den Prüm'scheD
Zuständen nahe verwandte Entwickelung der grundherrsehafl^
liehen Organisation annehmen lassen^).
Mit der Hufentheilung und der wirthschaftlichen Oi^ani-
sation des Güterbestandes in der Yillenveifassung ist dann
vielfach eine Veränderung der Oitschaften selbst eingetreten,
deren ältere meist sehr kleine, auf wenige Höfe beschrimkte
Gruppirung den verändeiten Interessen der Grundherren viel-
fach nicht mehr entsprach. Ueberall haben sie die Dorfbil-
düng begünstigt^) und zwar sowohl in dem Sinne, dass sie,
besonders durch die Waldhufen, zur Gründung neuer Dörfer
Anlass gaben ^), als auch dadurch, dass sie die bestehenden
Ortschaften mit ihren Ck)lonen und Gasaten bevölkerten und
so ein dichteres Zusammenwohnen begünstigten^). Unver-
meidlich ist davon auch die FluiTerfassung und Felderein-
theilung ergriffen worden. .Wie die alte Gemengelage des
Dorfsystems bei den neuangelegten Waldhufen vermieden
wurde, so hat die Arrondirung und die Hufentheilung auch
^) Tr. Sangall. 787, n. 113: Et ipsmn censum intus in monastarioa
ad Bpicharium yestram perducere debemus et ad proximam cortem Testnut
in una qoaque zelga ebdomedarii jonudem arare debeamos. Dagegen ib-
828, n. 272: Et si denarios nobis persolvere placuerit, ad ipsnm monaste-
liom eoB reddamns, si autem granum , ad proximam cortem ipsins moDSr
sterii illud reddamos.
^) Aach beim weltlichen Ghrossgrundbesitz finden sich solche Anklinge
an eine bessere Organisation, z. B. Tr. Sang. 820, n. 257 : hobas veBtitas
com mancipiis ad aolam nostram Tel cortem pertinentibos nebst Gfltov
an 3 Orten.
') Das hat mit richtigem Blick schon Fr. List (gesammelte Werke
n, 188) erkannt, wenn aodi einseitig erklSrt
^ S. oben S. 819 £
") Vgl. die Beispiele der grösseren Ortschaften im 1. Abschnitt Den
Gang der Entwickelong deotscher Alpendörfer habe ich im histonsekeo
Taschenboche von Raomer-Riehl, Jahig. 1874, darzolegen Tennclit
— 329 —
vielfach Gelegenheit geboten, die Gewanne und Fluren anders
abzutheilen und ihAen regelmässigere Gestalt, wie gleich-
massigeres Ausmass zu geben ^). Doch war das begreiflicher-
weise zum guten TheUe von dem Wirthschoflssysteme abhängig
und ist desshalb wohl zumeist nur da von Bedeutung gewor-
den, wo man gleichzeitig mit der gnindheiTSchaftlichen Or-
ganisation zum Feldersysteme übergingt).
Ihren vollen Abschluss aber erhielt das Yillicationssystem
doch ei-st durch die Ausbildung der Hofverfassung. Jenes
war ja zunächst doch nur auf eine bessere Anordnung der
Güter in Bezug auf ihre wirthschaftlichen Leistungen, auf
eine einheitliche Leitung und Beaufsichtigung der ganzen guts-
herrlichen Wiithschaft gerichtet; weder die Aendemng der
in der Markgenossenschaft gelegenen socialen Beziehungen,
noch die Geltendmachung politischer Gewaltbefugnisse war
schon anfänglich mit der Idee jener Wirthschaftsorganisation
gegeben. Aber langsam und sicher bereitete sich mit der
Ausbildung des Villicationssystems der Zustand vor, welcher
schliesslich die Bildung eigner Hofgenossenschaften als noth-
wendiges, gleichsam selbstverständliches Resultat der herr-
schaftlichen Ordnung des ganzen Wirthschaftslebens ergab. Mit
der Ueberlegenheit einzelner Grundherren in ganzen Marken
und grösseren Gebieten trat allmälig die Idee der Genossen-
schaft am Marklande zurück und wurde durch die Idee der
Herrschaft über dasselbe einsetzt'). Der Antheil, der fiHher
dem einzelnen Mitmärker kraft seines Hufenrechtes zustand,
verblieb ihm nun, wie die Hufe selbst, nur als eine durch
Herrenrecht verliehene Nutzung. Die Einbeziehung grösserer
Waldcomplexe in den ausschliesslichen Herrschaftsbereich eines
grundherrschaftlichen Haupthofes aber, die Inforestimng ^),
^) Vgl z. B. Tr. Sang. 858, n. 427: das Kloster gibt bei einem Tau-
sche quartam partem unius curtis gegen unum jumalem maximum. Nach
Anton I, 290 tritt im 9. Jahrhundert immer h&ufiger die Berechnung nach
JQgera an die Stelle der älteren jurnales.
') S. unten 4. Abschnitt.
^ S. oben 2. Abschnitt S. 271.
*) Die Einforstungen , zuerst bei den Königspfalzen nur des Wild-
banns halber geübt, sind bald von den Königen und dann auch von den
— 330 —
gab nicht bloss Gelegenheit, diesen ökonomisch ToUkommeD
selbständig zu stellen , sondern war auctf daza zu verwenden,
um den abhängigen Hufen oder HufentheDen eine gemeine
Mark oder einen Antheil an der Marknutzung zuzuweisen, wo
solche fehlte oder den Bedürfnissen und Interessen der Grund*
hen*en an der Wirthschaft ihrer dienenden Höfe nicht entsprach.
Die einzelnen Gruppen, nach welchen diese diaienden
Güter in dem Villicationssystem zusammengefasst wurden,
mochten sie in Dorfischaften zusammenhängen oder als Einzel-
ansiedelungen oder als zerstreute Höfe in den einer mehr-
fachen Grundherrschaft unterworfenen Ortschaften auseinander-
liegen, konnten auf diese Weise als Markgenossenschaften
erhalten bleiben oder neu zu solchen zusammengefasst wer-
den ^) ; auch eine Markgemeinschaft mehrer grundhöriger Villen
und Ortschaften ist dadurch möglich geblieben '). Das Recht
aber, welches den abhängigen Leuten an solcher Mark zu-
stand, leitet sich doch immer von der Herrschaft ab; das
Haupt dieser Markgenossenschaften war der Haupthof, dem
die einzelnen dienenden Güter angegliedert waren ; nach dessen
Weisung und Verfügung ward Mass und Art des Gebrauchs
für den Einzelnen bestimmt >), wie die oberste Gutsverwaltung,
anderen Grundherren auf die gemeinen Marken ausgedehnt Vgl. 0^>. 802
(LL. I, 96), c. 39. Cap. de villiB (I, 183), c. 36. Cap. 813 (I, 189), c 18.
S. unten 4. Abschnitt
^) Breviar. rer. fisc. (I, 178). Form. Salamonis 8: nsos saltnom oom-
muniom. Form. Alam. (Wyss) n. 11. 8. oben 2. Abschnitt 8. 268 ff. Vgl.
Maurer, Fronhöfe I, 338 £
*) 8o geben 828 (Schöpflin I, n. 89) Graf Erkinger, seine Matter osd
drei firüder dem Kloster Schwarzach 34 mandpia in 9 YiUen itemqne
waltmarcam.
') In dem Walde, der zur Villa Geizefurt des comes palatinos Ans-
frid gehörte, war die Nutzung f&r die Freihfifiier auf je 10 Schweine be-
stimmt, et nuUam aliam utilitatem sive ad ezstiipandum nwe in oesnn
ligni. XJnusquisque autem de servis ipsis de soa huba debet mittere io
sylyam porcos 5. C. Lauresh. 863, n. 33. Im Reg. Prüm, c 25, p. 15S:
qui peculium vacuum habent in nostra waida, debent solvere puUuffl. Om-
sarius ad c 1, p. 145 : Sdendum est quod omnes homines Tillas sc tcr*
minos nostros inhabitantes tenentur nobis coruadas facere, non tofani
autem mansionarii, yerum etiam et scararii id est ministeriales et hatstaldu
— 331 -
der Grundhen* als obei*ster Märker, die Wald- und Weide-
antheile den einzelnen Genossenschaften zugewiesen hat^).
Mit dieser Zutheilung von Wald, Weide und Wasser an die
einzelnen giiindheiTlichen Villen war die Hofmarkgenossen-
schaft, wie sie schon eine innere wirthschaftliche Einheit bil-
dete, auch äusserlich abgeschlossen, und eine neue Gliedei-ung
der Territorien auf Grundlage des Hen*schaft8verbandes her-
gesteOt. Was dann zum innem Ausbau dieser Organisation
Dothwendig war, die Ausbildung eines eignen Hofrechts und
einer systematischen Verwaltung der öffentlichen Angelegen-
heiten und des Gemeininteresses, das gehört wesentlich einer
späteren Zeit an. Wenigstens sind die Hofrechte, In denen
sich die sociale und ökonomische Bedeutung der HeiTschaft
ausdrückt, jünger; aber doch sind Spuren einer solchen Wirk-
samkeit schon in der Kai*olingei^eit vorhanden'). Und die
id est illi qui non tenent a curia hereditatem, qula communioDem habent
in pascuis et aquis nostris. Reg. Priun. c. 72, p. 182: Sika ad porcoB
300; de eadem silva habet presbyter ad porcos 150. Tr. Sang. 905, n. 740
gehört zu einem curtile, 2 jugera continente talis usus silvaticus, ut qui
iUic sedent, sterilia et iacentia ligna colligant. Die Nutzung des Gemein-
]and8 bei einer Tradition eigens vorbehalten in Tr. Sang. 862, n. 587:
Sed et hoc commemorare volumus, ut nos et posteri nostri familiaritatem
ad rectores prefati monasterii et ad familias eorum habeamus, 'et illomm
res, id est pascuas, Silvas aliaque nobis necessaria inter eos fruendi facul-
tatem habeamus. Vgl. oben 2. Abschnitt S. 270.
^) L c: Hoc est quod trado res proprietatis meae in villa quae did-
tar Geizeftirt . . . hoc est mansum indominicatum cum aedificiis atque
Omnibus utensilibus, habentem hobas 8 et hubas serviles 19 et sylvam, in
quam mittere possumus mille porcos perfecte saginari. Reg. Prüm. c. 12,
p. 151 : terra indominicata jugera 100, prata ad cairadas 80, silva ad por-
cos saginandoB 200. ib. c 88, p. 162: terra ind. ad modios 400, prata ad
carr. 50, silva ad porcos 500. ib. c. 55, p. 175: Silva in Bastiberhc fore-
Btam ad porcos 200; in Tegensceit communis ad porcos 200. ib. c. 62,
p. 178: Silva in communi ad porcos 100, forestum (Caes. camerworst) in
Cransceit ad porcos 150. ib. c 66, p. 180: Silva communis ad porcos 600,
qne in contentione est. ib. c. 82, p. 185 ; Silva communis ad porcos 1000.
ib. c. 88, p. 186: Silva communis suffidenter. Reg. Werd. (Lacomblet,
Archi? II, 221) A. 8: nnam selihovam et holtmarka.
*) Vgl. Waitz, Verf.-Ge8ch. IV, 879 ff. Maurer, Fronhöfe 1, 499—505.
Gierke, Genossenschaftsrecht I, 185 — 148.
- 382 —
karolingische Gesetzgebung hat auch hieran einen nicht un-
beträchtlichen Antheil. Was die freie Genossenschaft nicht
zu leisten veimocht hatte, einen festen Zusammenhalt der
Genossen in Pflege ihrer socialen Ordnung und ökonomischen
Selbständigkeit zu erhalten, das sollte durch die Ginindhen-
Schaft bewirkt werden. Die Ho&narkgenossenscbaft sollte eine
sociale Organisation werden, in der sich die Freiheit des Ein-
zelnen einem höheren Ziele mit Nothwendigkeit unterordnete,
und ein fester Köi*per, auf dessen Functionen sich auch die
Reichs Verwaltung in ihi*er Pflege der Culturinteressen ver-
lassen konnte. In diesem Geiste sind die Bestimmungen fiber
den ökonomischen, socialen und rechtlichen Schluss der Grund-
herrschaften durch das Mitium und Seniorat, sowie durch die
Immunität erlassen^), durch welche diese in ihrer socialpoli*
sehen Bedeutung anerkannt und allmälig befähigt wurden, auf
ihrem Gebiete immer mehr eine staatsähnliche Existenz zu
begiUnden. ^
Eine hei*vorragende Förderung dieses Bestrebens der
grossen GinindheiTen , ihren Besitzstand wiithschaftlich vor-
theilhaft zu gliedern und einheitlich zu organisii*en, ist in der
Anlegung von Ginrndbüchem gefunden worden, welche in die-
ser Zeit ihi*en Anfang nahmen'). Das Bedürfniss hiemach
M Besonders Capitala minora 803 (LL. I, 115), c. 10: Ut nee colo-
nus nee fiscalinus foras mitio possint alicabi taraditiones facere. Cap.dlS
(LL. I, 189), c 16: Quod nullus seniorem saom dimittat postquam ab eo
acciperit Talente solido uno. Constit. de liberis et yassaUis 816 (LL. I,
196), c. 2. Diyisio imperii 817 (LL. I, 199), c 9: Praecipiendom etita
nobis videtur, ut post discessum nostnim anioBcniusque vassallus tiatoffl
in potestate domini sui benefidum, propter discordias eritandas, habest et
non in alterios . . : et licentiam habeat unusqoisqne liber homo, qui m*
niorem non habuerit, cuicumque ex hl» tribus fratribus volaerit, se cos-
mendandi. Cap. 847 (LL. I, 895): volumus ut onnsqmsque liber homoiB
nostro regno seniorem qualem volaerit, in nobis et in nostris fideUbos a^
dpiat. Audi Cap. 817 (LL. I, 211), c. 6: Postea ipsae res ad innoni'
tatem ipsios ecdesiae redeant
s) Vgl. Gu^rard, Polyptique de l'Abb^ Irminon 1, 16—88. Meine Ab-
handlungen „über die Quellen der deutsdien Wirthsdiaftsgesdiidite' is
den Sitzungsber. der Wiener Acad. 1877, Bd. 84, und „aber Urbaries voi
ürbarialau&ddmungen" in Löhers Archival. Zdtschrift Bd. n.
— 838 —
war von mehren Seiten her angeregt Der Zeit nach die
erste Veranlassung mag wohl mit den Säcularisationen Karl-
manns und Pipins gegeben gewesen sein ; die Inanspruchnahme
eines Theils des Kirchengutes f&r die Stärkung der Finanz-
kr&fte des Reiches und die Uebertragungen kirchlichen Grund-
besitzes an weltliche Getreue machten eine genaue Aufischrei-
buDg des geistlichen Veimögens nothwendig, sollte nicht jeder
Willkür in der Ausführung Thür und Thor geöffnet und der
Erfolg der ganzen Massregel dennoch gefährdet sein. Darauf
haben wir denn auch wohl die kurzen Nachrichten einiger
der ältesten Annalen zu beziehen, welche von einer solchen
Güterbeschreibung Kunde geben'). Dann aber hat Karl d.
Gr. in seiner umsichtigen und einschneidenden Weise auch hier
entscheidende Schritte gethan. Die Steigerung der könig-
lichen Macht erwartete Karl d. Gr. zum guten Theile von
einer Mehrung der Einkünfte, welche die Reichsdomänen lie-
ferten; seinen umfassenden Anordnungen über die Wirth-
schaftsfQhiiing auf denselben gab er durch Vorschriften über
ihre genaue Beschreibung und Inventarisirung einen ebenso
rationellen wie wirksamen Abschlüsse).
Daneben verlor er aber auch jene Theile des Krongutes
nicht aus den Augen, welche als Kirchengut oder weltliches
Beneficium in fremder Nutzung standen^). Die Reichsi-egie-
*) Ann. Alam. a. a. 751 : Res ecdesianim descriptas atque divisas.
Ganz Ähnlich zum gleichen Jahre die Ann. Guelf. nnd Nazar. SS. I, 26 t
') Ansser Capit de lillis 812, welches an verschiedenen Stellen die
AnfiBchreihnngen nnd Rechnungen der Wirthschaftsbeamten regelt (s. unten
4. Abschnitt), besonders Capit Aquisgr. 812, c. 7 (LL. I, 174): Ut . . .
etiam nostri fisci describantur, ut sdre possimus, quantnm etiam de nostra
in nniuscnisque l^^üone habemns. Auch unter Ludwig d. Fr. Cap. 882,
c. 35 (LL. I, 864) : pro cautela et pro fhturis temporibus per omnes curtes
nostras breves flEuämus de omnes teiritorias de ipsas curtes pertinentes.
') Ein vereinzelter Auftrag Karls d. Gr. zur Inventarisirung der Abtei
Jumi^es ist schon ans dem J. 787 bekannt: Haec vero est summa de
rebus eiusdem coenobii, qnae praecepto invictissimi Caroli regis annume-
rata est a Landrico abbate Gemmetico ac a Richardo comite anno 20 regni
IUI. SS. n, 290 f. Nach der Unterwerfung Baiems (788) sind Erhebun-
gen aber die herzogUchen Güter und Einkünfte gepflogen worden; Keinz,
— 334 —
rang hatte ein hervoiTagendes Interesse daran, dass diese
Güter in ihrem ganzen Bestände und in ihrer Ertragsfähig-
keit bekannt wurden; schon die gi-osse. Ausdehnung, welche
das Institut der Krongutsbeneficien im Laufe der Zeit erlangt
hatte, legte den Gedanken nahe, dass von ihrem gesicherten
Bestände und ihrer Leistungsfähigkeit für die Staatszwecke
zum guten Theile ein befriedigender Zustand der Reichsfinan-
zen abhängig sei. Wie daher Karl d. Gr. im Uebrigen die
Wii-thschaftsfbhrung auf den Ki-onbeneficien und auf dem
Reichskirchengute vielfach beeinflusste ^), so Hess er sich auch
die Aufstellung genauer Inventarien und Gutsbeschreibungen
derselben angelegen sein '). Er wollte sich damit aber nicht
Indic. Arnon. S. 2; und ebenso hat Karl d. Gr. dem Bischof Arno Ton
Salzburg (Alcuin. epist. 72), als er ihm den dritten Theil des Zehenten
von allen Gatem seiner Kirche zusicherte, befohlen, diess indicolis con>
firmari, worauf der Indiculus Amonis oder auch die brevee notitiae Salx-
burgenses zurückzuführen sind; Tgl. Zeissberg in Sitzungsberichten d«r
kaiserl. Akademie Wien, Bd. 43, S. 374.
^) Insbesondre im Capit Nuimag. 806, c 8 (LL. I, 145), aber aoch
schon Capit. Frankofurt 794, c. 4 CLL. I, 72), wovon Näheres im 4. und
5. Abschnitt
^) Capit Aquense 807, c. 7 (LL. I, 149): Yolumua itaque atque pne-
cipimus, ut missi nostri per singulos pagos praevidere studeant omnia
beneficia, quae nostri et aliorum homines habere videntur, qnomodo re-
stauratae sint, post annunciationem nostram, sive destructa. Primom de
aecclesiis , quomodo structae aut destructae ünt in tectis, in maceriis sive
parietibus sive in pavimentis, nee non in pictura, etiam in luminariis, nte
offidis. Similiter et alia benefida, casas cum Omnibus appenditiis eanun.
et laboratu sive adquisita; vel etiam quid unusquisque, postqnam hoc &•
cere prohibnimus, in suum alodem ex ipso benefido duxit, vel quid ibiden
ezinde operatus est. Qualiter autem sit, hoc unusquisque vicarins siogniii
comitatibus in suo ministerio simul cum nostris missis praevideat; et sie
ut npse Jioc coniurare valeat, totum quod invenerit, in brevem mittat et
ipsos breves nobis deferant Et omnes hi, qui in ipsa benefida habsot«
una cum nostris missis veniant, ut sdre possimus qui sint , aut qni soom
beneficium habent condrictum aut distructum. Similiter et eomm alodes
praevideant, utrum melius sint constructa ipsi alodi aut illud benefidna,
quia auditum habemus, quod aliqui homines illorum benefida habent de-
serta et alodes eorum restauratos. Aquisgr. 812 (LL. I, 174), c 5: Tt
missi nostri diligenter inquirant et describere faciant unusquisque in mint-
— 335 —
bloss eine genaue Kenntniss des Gesammtbestandes dieses
Theils des Kronguts vei-schaffen; mindestens ebensosehr be-
herrschte ihn dabei der Gedanke, der Wirthschaft anf diesen
Gütern durch die Inventarisirung eine exacte Grundlage Dllr
genauere Rechnungsführung zu erstellen, auf die Karl d. Gr.
ja auch bei seinen eignen Gütern so grosses Gewicht legte ^).
Und ttberdiess erschien die Anlegung solcher Grundbücher
als sehr geeignetes Mittel, um den vielfach hervortretenden
gewinnsüchtigen und unredlichen Neigungen der Belehnten
einen wirksamen Riegel voi'zuschieben. Indem der ganze
Gutsbestand der einzelnen Benefiden durch die von localer
Beeinflussung freien Missi verzeichnet wurde, war die Möglich-
keit abgeschnitten, Theile desselben wideiTechtlich zum Allo-
dialgute der Belehnten zu schlagen und so das Krongut zu
schmälern. Und indem bei dieser Inventarisirung auch die
Leute der Gmndherren zu Aussagen über den Besitzstand,
ihre Zinse und Dienste verhalten wurden, wurde auch der
beliebigen Steigerung dei-selben und willkürlichen Bedrückung
durch die Grundherren vorgebeugt*).
Auch die Nachfolger Karls d. Gr. haben an dieser be-
wähilen Massregel zum Schutz des Kronguts und besserer
Ueberwachung der Beneficien und Kirchengüter festgehalten;
wiederholt sind ähnliche Vorschriften zur Inventarisirung und
tico, quid unusquisque de beneficio habeat, yd quot homines casatos in
ipBO beneficio. c 6: Quomodo eadem benefida condricta sont, aut qois
de beneficio sno alodem comparavit vel stnuüt
^) S. unten 4. Abschnitt
^ VgL beaonden das Placitum de colonis viUae Antoniad Gnörard
Innin. U, 845: ipsi coloni et ipsa viUa ad praesente adstabat, nnacom
eonim pares, com juramento dictavenint, quid per singnla mansa ex ipsa
curte desolTore debeant, et habebat datnram ipsa discriptio anno 84 reg-
nante Carolo rege. Im Polypt Inn. sind häofig die Namen der bei der
Anfiiahme beigezogenen nnd ddlich vernommenen Colonen angeführt. Vgl.
aaeh die notitia testium Tr. Sang. Anh. n. 15: Haec est inqnisitio de
cortis, qui faenmt traditi ad moDasteriom s. Galli in fine Clusina ab Er-
chanboldo Alamanno, qualiter nuper misso nostro praesenti reqaisienmt.
Aehnliche Zeagenanssagen über EIosterbesitK an die missi regii ib.
n. 16—21,
— 336 —
Gutsbeschreibung von ihnen erlassen worden 0- ^io könig-
lichen Missi hatten demnach in ihrem Bezirk, unterstfitzt von
den Grafen, Yicaren und Centenaren, statistische Aufnahmen
aller königlichen Gfiter und Einkünfte, sowie eine genaue
Untersuchung und Beschreibung der Vassallengüter vorzaneh-
men ; auch die AUodialgüter derjenigen, welche zugleich Krön-
gutsbeneficien innehatten, blieben von solcher Untersuchung
nicht frei , um die Ausbeutung dieser zu Gunsten des Eigen-
besitzes zu verhfiten. Besonderes Augenmerk aber war den
Missi auf die Eirchengfiter aulgetragen, auf welche, wie es
scheint, schon in dieser Zeit ein weitgehender Eigenthnms-
anspruch des Reiches erhoben wurde. Im Beisein und mit
Hilfe des Diöcesanbischo& hatten die Missi sowohl die Bau-
lichkeiten und das Inventar, die Paramente und BQcherschätze,
1) Von Ludwig d. Fr. berichten Ermoldi NigelU cannina d. 521—^
(SS. II, 488) : Sed tarnen aecdesiae vires pensentor et aira | Congroa me
loca fertiliora minos | Inventa proraos rotolis committite cordis | El mihi
Bollicite cuncta referte, placet Caroli caly. conventos in villa Spanaco
846, c. 20 (LL. I, 389) : Yidetor nobis atile et necessarinm, ut fiddes et
Btrenaos missos ex utroque ordine per singolos comitatos regni vestri mit-
tatis, qni omnia diligenter inbre?ient, quae tempore ayi ac patris Testrif
Tel in regio spedaliter serntio, vel in vassallonim dominicorum benefidii
fneront et qoid vel qualiter aut quantom exinde qnisque modo retineat
et secondum veritatem rennntietor vobis. KaroL II Synodos SaesaioneDsii
853 Capit missor. (LL. I, 415), c 1: Ecclesiae quoqae Inminaria et o^
natum debitum ordinent, et thesaurum ac yestimenta sea libros diUgeotcr
inbrerient et breves nobis reportent. Inbrevient etiam, quid nnasqnisqne
ecclesianim praelatos, quando praeUitionem ecdesiae suscepit, ibi invenoit»
et quid modo exinde ibi minus sit, vel quid vd quantom sit superaddi-
tum etc. c. 2: üt missi nostri diligenter investigent per singnlas paro-
chias, simul cum episcopo, de monasteriis quae Deum timentes in suis
proprietatibus aedificaverunt, et ne ab haeredibns eorum dividerentiirf p»-
rentibns et praedecessoribns nostris sub immnnitatis defensione tndide-
mnt, et postea in alodem sunt data; ut describant, quae sint et a <iqo
vd quibus in proprietatem datae sunt, et nobis renuntiare proconot
c 5: Ut missi nostri diligenter investigent cum episcopo et pradatb so*
nasteriorum, et per fideles et strenuos viros in unaquaque parodiia de rebos
ecdesiaaticis in alodem datis; et sicut evidentibus et veria isdictis ascto-
ritatibus compererint, diligenter a quo et quibus datae sint, vd quantos
exinde sit, describant et nobis renuntient Vgl. auch c 8, 4, 6.
— 337 —
als auch die Besitzungen und Einkünfte zu beschreiben, die
Verleihungen und die etwa der Kirche widerrechtlich ent-
zogenen GQter zu consta.tiren und aufzuzeichnen und all diese
Verzeichnisse an die Hof kanzlei einzusenden. So war die Re-
gierung während des ganzen 9. Jahrhunderts fbr die Gewin-
nung fester statistischer Grundlagen für die Ordnung der
Besitzstandsverhältnisse und Einkünfte unablässig thätig.
Durch ähnlich gelagerte Interessen aber wurden bald
auch die Grundherren selbst auf den Werth solcher Gutsbe-
schreibungen aufmerksam. Auch sie begannen, angeregt
durch das vorzügliche Beispiel der karolingischen Domanial-
wii-thschaft, eine sorgsamere Wii-thschaftsführung auf ihren
Salgütem; auch sie hatten Theile ihres Grundbesitzes als
Beneficien; Precarien und Zinsländer ausgethan, und mussten
bestrebt sein, deren Bestand und Ertragsfähigkeit zu wahren;
und überdiess konnten sie in genau geführten Verzeichnissen
der Gutserwerbungen auch am besten und vollständigsten die
Beweismittel sich gewinnen, wenn es galt, das Einzelne gegen
widen*echtlichen Angiiff vor Gericht zu vertheidigen oder
sich fbr das Ganze des Kaisers Schutz, Bestätigung oder Im-
munität zu erwerben.
In vei*schiedenen Formen begegnen uns schon in dieser
Zeit solche Aufzeichnungen grösserer Gutsbestände. Es sind
theils nur Inventarien einer Grundherrschaft oder einer Guts-
wirthschaft, über den Besitzstand, die Renten und vermögens-
werthen Rechte, wohl auch schon über den Stand der Guts-
börigen und Leibeignen, Yiehstand, Gebäude und Vorräthe.
Solche Invßntarien haben die Missi in verschiedenen Theilen
des Reiches gemäss den Voi'schiiften des Kaisers ^), aber auch
*) Das sog. Breyiariam reniin fiscalium enthält solche Aufnahmen
von dem Fiskus Staffelsee des Bisthums Augshui^, von dem königlichen
Fiskus Asnapium, Treola und 8 andern nicht benannten Fiskalhöfen. Es
sind zweifellos Resultate wirklicher Inventarisirung hier mitgetheilt, die
dann als Muster für ähnliche Arbeiten dienen sollten; keineswegs sind es
blos Formeln mit fingirten Zahlen, ja es ist sicher eine gleiche Erhebung
im ganzen Bisthum Augsburg vorgenommen worden, da der gesammte
Hufenbestand desselben, nach denselben Gesichtspunkten wie fiür das eine
TOn Inama-Sternegg, Wirthscliaftsgeschichte. I. 22
— 338 —
einzelne grössere Grundhen*en im eignen Interesse aufgenom-
men; sie sind zum Theil als Grundlage oder Beilageinstru-
mente zu Traditions-, Schenkungs- oder Testamentsurkun-
den ^), aber doch auch als Vorbereitung für eigentliche Grund-
bücher, selbständig behandelt worden^). Zum andem TheSe
sind es Manuale, Concepte und sonst fragmentarische Notizen
über den Gutsbestand und die Einnahmequellen der Wirth*
Schaft, welche sich die Gutsherren selbst oder ihre Verwalter
anl^en, bald nur als Gedächtnisshilfe, bald als Vorbereitung
ftir'^yollständigere Grundbuchsau&ahmen ^). Und ihnen reihen
sich die summarischen Vorschreibungen oder Zusammenlas-
sungen der Traditionen an, durch welche der Bestand der
Grundherrschaft sich gebildet hat^).
Gat Staffelsee gegliedert, mitgetheilt ist. Aach das breve commCTioratotiam
des Bischofs Erchambert von Freising (836 — 854) über den Hof in Pere-
chirichon ist diesen Inventarien beizuz&hlen. Meichelbeck la, 126 be-
zeichnet es als eine Arbeit dieses Bischofis selbst; aber sowohl die bei
den Breviarien der königlichen Missi übliche Eingangsformel: Hie ümo-
tesdt quid ibi invenimus, als auch die genau nach dem Muster des Brer.
rer. fisc. angelegte Aufzeichnung legt die Yermuthung nahe, dass wir
es hier mit einem nach den Vorschriften des Ci4)it. Aquisgr. angdegteo
Breviarium zu thun haben. Dasselbe scheint jedoch von Meichelbeck nicht
vollständig mitgetheilt zu sein, wie seine Bemerkung am Schlüsse „haec
et plura Mb quam similia*' nahelegt; überhaupt führte er das Stück mehr
als Beispiel vor, was zu jener Zeit bei den Visitationen der Archen be-
obachtet wurde; vgl. Biezler, Gesch. Baiems I, 292.
^) Die Gutsbeschreibungen im Testamente des Diacons Grimmo 6$6
(Mittelrh. Ürk.-B. I, 5) und im Testament des Bischofs Tello von Chnr
766 (Mohr, Cod. dipl. Cur. I, S. 10 ff.) sind jedenfalls ohne Inventansi-
rung nicht zu denken.
^ Der Art sind die Lorscher und St. Gallner Notizen, s. unten S. 339
Anm. 3.
^) Hieher zählt das Verzeichniss der Wald- und Weideberechtigongen
der Abtei Werden 848 (Lacomblet, Urk.-Buch £ d. Gesch. des Nieder-
rheins I, 29).
^) Zu diesen gehören einige der wichtigsten UrbarialauftetchBODgen
jener Zeit; insbesondere der Indiculus Amonis nebst den breves notitiae
Salzburgenses (Ende des 8. Jahrb.), ed. Keinz 1869: das Breviarium UroU
abbatis de coenobio qui vocatur Altaha aus dem An&ng des 9. Jahrh.
(Mon. Boic. XI, S. 18), das Breviarium st. Lulli von Hersfeld ans der Zeit
— 339 —
Veroinzelt kommen auch schon in dieser Zeit die später
häufiger werdenden Zins-, Gilt- und Dienstregister, als Hebe-
rollen vor, welche zum Handgebrauche der Vögte und Ver-
walter bei Einziehung der Zinsen und Zehenten, sowie zur
Controle der geleisteten Frondienste gebraucht wurden ^). Sie
gehören theils zu den Vorstufen des eigentlichen Grundbuchs
oder UrbarSy wo die Uebersicht des Besitzstandes und des
grundherrlichen Einkommens nur auf ihnen beruhte, bald sind
sie Auszüge aus dem Urbar selbst, um den handlichen Ge-
bi'auch desselben an den verschiednen Einhebungsstellen der
Abgaben, den Officien oder Ministerien zu erleichteiii.
Von mehr oder weniger vollständigen Grundbüchern
deutscher Grundherrschaften, ^welche die Besitzungen, Dienste
und Einkünfte in systematischer und geographischer Ordnung
darlegen, besitzen wir aus dieser Zdt nur drei, sämmtlich
geistlichen Gebieten angehörend'); es ist aber wohl kein
Zweifel, wofür auch manche Anhaltspunkte vorhanden sind^),
Yor 786 mit etwas späteren Zusätzen (W^enk, Ürk.-B. zum 2. Bande der
hessischen Geschichte, S. 15 ff.). Auch ein kleiner Theil des sog. Bre-
yiarium remm fiscalium (s. oben) „de Ulis clerids et laicis qni illorum pro-
prietates tradiderunt ad monasterium quod vocatur Wizunburch et e contra
recepenmt ad usom fructuarium^ kann hieher gezählt werden.
^) Hierher werden wohl zu rechnen sein das EinkOnfteverzeichniss des
Klosters Wessobrunn sub abbate Ilsungo cc. 760 (Mon. Boic. YII, 397),
wenn es überhaupt dieser Zeit angehört; femer die deutsche Essener
Heberolle aus dem Ende des 9. oder Anfang des 10. Jahrb. (in Mllllenhof
und Scherer» altdeutsche Sprachdenkmale S. 1811) welche nur diejenigen
Einkaufte der 9 grossen Haupihöfe enthält, welche sie zu dem Brauamte
liefern mussten, vgl. Lacomblet, ArchiT f. Gesch. d. Niederrh. I, S. 14;
dann das Verzeichniss der Einkünfte des Eelleramts von Beichenau 843
(Wirt ürk. B. I, n. 108).
*) Das Güterverzeichniss der Abtei Prüm, a. 898, commentirt 1222
von dem Ezabte Cäsarius, Mittekh. Urk. B. I, n. 135; das ältere Hebe-
r^iister (?) der Abtei Werden an der. Ruhr aus dem 9. Jahrb. Lacomblet
Archiv f. d. Gesch. d. Niederrheins II, S. 209 ff.; das Summarium et regi-
strum bonorum Blidenstatensium saec IX, X in Monumenta Blidenstatensia,
Quellen cur Geschichte des Klosters Bleidenstadt hgg. von C« Will 1874,
S. 8ff.
^) So sind die „notitia arearum quas apud Monguntiam habemus^ und
die folgende Aufzeichnung „has hubas circa Moguntiam habemus** Cod.
22»
— 340 —
dass der ordnende Geist, der besonders die geistlichen Grund-
herm dieser Zeit schon zu einer besseren Gliederong nnd Or-
ganisation ihrer Besitzungen führte, vielen von ihnen auch den
Weii;h dieser eminenten Hilfemittel zur Erhaltung der Ord-
nung und Uebersicht ihrer Wirthschaft nahe legte, um so mehr
als sie an den gi'ossen und gut geleiteten Wirthschaften vieler
französischer Klöster vortreffliche Vorbilder gerade auch
hierfür hatten*).
Es ist ein gi'osser, wahrhaft volkswirthschafüicher Process,
welcher sich dergestalt in all den Yerftndei-ungen des Besitz-
standes, in der Concentration und wirthschaftifchen Gliederung
des Grundeigenthums manifestirt. So lange die Hufe im
Wesentlichen nur dem Hausbedarf der Familie zu dieDen
bestimmt war, kamen weder die besondre Eignung derselben
für einzelne bestimmte Productionszweige , noch die vollvs-
wirthschaftlichen Verhältnisse, in denen sie etwa nach Lage.
Verkehi-sgelegenheit und Seltenheit ihrer einzelnen Eigen-
schaften zur ganzen Wirthschaft des Volkes stand, zur Geltang,
ja nicht einmal zum Bewusstsein. Und ebensowenig konnten
die persönlichen Eigenschaften der einzelnen kleinen Land-
wirthe, welche sie zur Betreibung dieses oder jenes Zweigs
der Bodencultur oder wirthschafüichen Technik besonders
befähigt gemacht hatten, konnten die Untemehmeilalente und
Lauresh. 1976 u. 1977 (ans der Zeit Karls d. Gr.), sowie die beiden Frag-
mente in den Tr. Sang. I, n. 18 (aus der Mitte des 8. Jahrh.) nnd Anh.
n. 23 (aas der Mitte des 9. Jahrh.) unzweifelhafte Ansätse zn eisein
grösseren Gnmdbach, aUerdings weder Fragmente noch Excerpte eines
solchen. Der Abtei Lauben (Lobbes im Hochstift Lflttich) hat K Lotbsr
(869) den Auftrag gegeben, ein Polyptichium herzusteUen nach d'Achery
Spidlegium (1728) n, S. 785. Das Ed. Pist 864 c. 29: Ut im coloni tem
fiscales quam et ecclesiastici, qui, sicut in polyptids continetor et ipa noa
denegant etc. setzt die Grundbüdier' aUgemein als vorhanden Tonuu.
^) Z. B. Polyptichion Irminonis (von St Germain), Sithiense, S. Bc-
migii Remensis, monast Fossatensis vgl. i. A. Gu^raid Poljptique J«"
l'Abb^ Irminon ou denombrement des manses, des serfe et des rerence»
de l'abbaye de St. 6ermain-des-Pr^s, sous le regne de ChariemagQ^
publik avec des prol^om^nes 2 T. Paris 1844. Das vollständigste Weii
über diese QueUen.
— 341 —
specifischen Arbeitsfähigkeiten der Einzelnen znr Anwendung
kommen und zur Steigerung des Ertrags erfolgreich ver-
werthet werden. Alle Besonderheit und specifische Eignung
der Productionskräfte wie der Productionsmittel blieb nj^
verwerthet; die grösste Eintönigkeit und 61eichf5nnigkeit,
daher auch jeder Mangel innigerer Verkehrsbeziehungen und
wechselseitiger Ergänzung, eine weitgehende Isolirung der
einzelnen Wirthschaften gab diesem wichtigsten Zweig der
nationalen Production in der ersten Zeit der deutschen Yolks-
wirthschaft sein charakteristisches Gepräge.
All das ist in der karolingischen Epoche schon wesentlich
anders geworden. Sobald einmal das s^nzliche Ungenttgen
dieser isolirten Wirthschaft für Befriedigung der Bedürfiiisse
einer gestiegenen Bevölkerung, eines erweiterten und vervoll-
kommneten Lebensgenusses zum Bewusstsein kam, entdeckte
man in Grund und Boden die Fähigkeit zu steigendem Er-
trage und zui' Begiündung einer bessern socialen Stellung.
Die Steigerung des Erfolgs persönlicher Arbeit sowie die Be-
wahrung d6r Resultate früherer Arbeitsverwendung, die Er-
sparung von Theilen des laufenden Einkommens zur Mehrung
der Herrschaft über Productivmittel , das alles war in jener
Zeit wesentlich immer auf Giimd und Boden angewiesen.
Denn das Geldkapital hatte seine mächtige Rolle kaum zu
spielen begonnen und auch sonstiges Gebrauchskapital war
bei der eng begrenzten Technik, die wieder fast ausschliess-
lich im Dienste der Hauswiithschaft stand , für diese Zwecke
nur in sehr beschränkter Menge zur Verfügung. Alle Con-
currenz um die Güter dieses Lebens, um Reichthum und
Macht, die zu allen Zeiten so mächtig der Menschen Sinn
beherrscht, ihre Handlungen geleitet haben, richtete sich auf
den Grundbesitz. Wer sich stark fühlte, der strebte nach
Erweiterung seiner Herrschaft über Grund und Boden, die
ihm grössere Einkünfte und die Möglichkeit verhiess auch
fremde Arbeitskraft in seinen Dienst zu zwingen. Ja es war
das bald Bedingung für jeden, der sich in der Klasse der
wohlhabenden Leute behaupten wollte; denn schon hatte sich
unter dem allgemeinen Eindrucke der veränderten volks-
J
~ 342 —
wirthschaftlichen Verhältnisse auch das Urtheil über das Mass
des zu selbständiger Wirthschaft nothwendigen Grundbesitzes
erheblich geändert, und diesem Streben nach Concentration
desselben damit eine Billigung ausgesprochen ^). Wessen Kraft
sich aber schwach ei*wies, der gab doch lieber seine Freiheit
auf als seinen Grundbesitz ; um den Preis pei'sönlicher Ei*gebang
in fremden Dienst konnte selbst der landlose Freie sich einen
Antheil an diesem einzigen grossen Nationalkapital sichem.
Nicht in der Festigkeit und Unabänderlichkeit der be-
stehenden Eigenthumsordnung und Gütervei-theilung konnte
dieses Ziel einer vollkommneren Verwerthung der wirthschaft-
lichen Kräfte des Bodens eireicht werden. Alle Klassen des
Volkes waren vielmehr an dem Gegentheile, der Mobilisirunc
des Grundeigenthums interessirt. Die Ausdehnung der Grund-
herrschaft, die Concentration vieler Güter in wenigen Händen
hatte nur Aussicht auf Erfolg, wenn die rechtliche Verfügung
über Grund und Boden möglichst frei geworden war, wenn
Gutserwerb durch Schenkung oder Auftragung, durch Kauf und
Tausch nicht mehr durch Erbrechte und Genosseni-echte, durch
Untheilbarkeit und Unveräusserlichkeit der Güter behindert
war. Und ebenso musste die fi*eieste Verfügung über das
eigne Gut demjenigen erwünscht sein, der in ihm das einzige
Mittel besass , um sich die Gunst , den Schutz und die För-
derung durch einen Mächtigen zu erkaufen, nachdem längst
die Familie und die Genossenschaft der Markgemeinde auf-
gehört hatte ihm solches zu gewähren.
In der That hat die Mobilisirung des Ginindeigenthams
während der Karolingerzeit gi*ossartige Dimensionen angenom-
men und zeigt uns vielleicht mehr als irgend ein anderer
Vorgang die grosse volkswirthschaftliche Bewegung jener Zeit.
Schon die Merowingerperiode hatte dieser Entwickelung belang-
mch vorgearbeitet Von der alten Gebundenheit des Familien-
*) Vgl. Capit. de exerc. promov. 808, c. 2 (LL. I, 119 a. 808) »<>
von den liberis, die mindestens 4 mansos besassen, die geringer Begütcrta
geradezu als pauperiores anterschieden werden. Auch sonst werden die
kleinen freien Grundbesitzer pauperes genannt z. 6. Capit 805 c. 16 ,tL
I, 134) C. 811 c 3 (I, 168) C. 816 c. 3 (I, 196).
— 343 —
besitzes, von den feldgemeinschaftlichen Beschränkungen der
Markgenossenschaft war wenig mehr übrig geblieben. Seitdem
Weibererbfolge auch in dem Grundbesitz zugelassen^), die
Immobiliardos ') aufgekommen war, seitdem beliebige Ver-
äusserung des echten Eigen nach vorhergegangener Ab-
schichtung oder auch ohne solche Beschränkung zugelassen'^)
and der zuerst in's Auge gefasste Fall der Noth besonders zu
Gunsten der Kirche eine sehr ei*weiterte Anwendung gefunden
hatte, und seitdem alle diese Vorgänge durch die Ausbildung
des Immobiliarprocesses auch in rechtlich unanfechtbaren
Foimen ausgeführt und gegen Widerstreitende behauptet
werden konnten^): seitdem war für eine vollkommnei*e volks-
wiithschaftliche Yerwerthung des Grundeigenthums eigentlich
schon freie Bahn geschaffen. Die Karolingerzeit aber häufte
nicht bloss die Fälle solcher auf Grund der späteren Yolks-
rechte schon zugelassner Verfügung über Grundbesitz; sie er-
weiterte auch noch die rechtliche Möglichkeit hierzu. Ei*st
jetzt werden Grundstücke auch an Zahlungsstatt gegeben,
besonders auch zur Tilgung einer Wergeidschuld veräussert'*),
^) Grosse Grandherrn begünstigten ihrerseits schon wieder einiger-
massen den Mannsstamm bei ihren Zinsgütem, wie das in der folgenden
Periode häufiger wird; z. 6. Tr. Sang. 834, n. 348 similiter faciat eijusque
tota agnitio qaamdin Tirilis sexus iUas res heriditaverit; si autem ad femi-
nam contigerit hereditari, tone ad ipsum monasterium redeant (die Zins-
ländereien). Auch Tr. Sang. 869, n. 547: heres quoque illius legitimus,
id est masculus, sub eodem censu possideat; et deinceps ^'us legitimi
heredes de masculino genere procreati sub eodem censu possideant
*) Schröder, Geschichte des ehel. Güterrechts I, 66 von der frän-
kischen, ib. 68 von der alamannischen, 70 von der bairischen dos. Sohm
in Zeitsch. f. Rechtsgeschichte V. 433.
") L. AI I, 1. L. B%juy. I, 1. L. Saxon. c. 62.
*) Vgl. I. Buch, 3. Abschn. S. 109.
') Meichelb. bist Frising. 816 Ib, n. 308: Haec sunt testes qnos
tradidit Hleoperth propter territorium quam tradidit in manus Kemandi
per wergeldum Hroadolfi presbyteri. Niederrh. Urk. B. 802 I. 23. Auch
I Biy. I, 9, 10, welche das Wergeid für Geistliche und Bischöfe mit
Grundstücken zahlbar erklären, stammen erst aus der Zeit Pipins oder
Karl Martells.
— 344 —
wo diese früher von der Familie übemommen wurde ^); erst
jetzt wird die Erblosimg beseitigt, wenn ein Gut mit den
entsprechenden Formalacten gesetzlich tradirt war *) ; erst jetzt
wird die Einwilligung des nächsten Verwandten zur Ver-
äusserung schon angenommen, wenn dieser in öffentlicher
Grerichtsversammlung der Yeräusserung beigewohnt und nicht
auf der Stelle widersprochen hatte ^). Wohl hat die Gesetz-
gebung der gewinnsQchtigen Erschleichung solcher Schenkun-
gen zu steuern gesucht, wie sie besonders die Kirche, aof
diese ihr günstigen Bestimmungen des Immobiliargütenrerkehrs
gestützt, zum Nachtheil der nächsten Verwandten sich zu
Schulden kommen liess ^) ; aber nichtsdestoweniger sind solche
Rücksichten doch selten geübt worden. Wer einmal sein
Erbgut durch Auftragung zum Zinsgute gemacht hatte, dessen
Nachkommen waren dem guten Willen und Belieben der
neuen Eigenthümer anheimg^eben, wenn sie sich nicht durch
Vertrag sicher gestellt hatten ^). Ja es kam wohl vor , dass
ein Kloster Güter unter der Bedingung erhalten hatte, diese
einer dritten Person gegen Zins zu überlassen und nun ein-
feu^h mit einem andern Gut, das den klösterlichen Wirihschafts-
^) L. Salica de chrenecrada s. o. L Bach, 8. Abschnitt S. 102.
>) Capit. 817, c. 6 (LL. I, 211) Ut omnis homo liber potestatem habett
ubicomque yoluerit res suas dare pro salute animae suae Et
postquam haec traditio ita facta fuerit, heres illios nollam de praedictis
rebus valeat facere repetitionem.
') Burchardi episcopi Wormatiensis leges et statata fiuniliae s. Petri
(1024?) c. 6: Si quis praediom Tel haereditatem soam infra fiuniliam yeo*
diderit et aUqais haeredum suonim praesens fuerit et nihil contradizerit
.... postea iure carebit Grimm, Weisth. I, 805.
*) Capit Aqoisgr. 817 c. 7 (LL. I, 207), Statutam est ut nullus qoi-
libet ecdesiasticus ab bis persoms^res deinceps accipere praesumat, quanm
liberi aut propinqui hac inconsulta oblatione possint renun proprianm
exheredari. Capit 826 c. 8 (I, 254) und C. 875 c. 88.
^) Capit 817 c. 4 (LL. I, 214): Si quis terram ceosalem habuerit
quam antecessores sui Tel ad aliquam ecclesiam vel ad viUam nostnoi
dederunt, nnllatenus^eam secundum legem teuere potest, nisi ille voloerit
ad cnius potestatem Tel illa ecclesia Tel illa TÜla pertinet ; nisi forte filias
aut nepos eius sit qui eam tradidit et ei eadem terra ad tenendam pI*-
dta Sit.
— 345 —
Interessen besser convenirte (einem Neubruch!) seiner Ver-
pflichtung entsprach 1).
Auf diese Weise ist die Mobilisirung des Grundeigenthums
erst in der Eai*olingerzeit recht bedeutend geworden; die
Fälle sind nicht selten, in welchen in einzelnen Doifoiarken
während weniger Jahre Dutzende von Besitzveränderungen
stattfanden^); aber doch war solche Beweglichkeit nöthig, um
jene Gliederung und Neuordnung des grossen Grandbesitzes
darchzuf&hren, welche die Voraussetzung für die Fortschritte
der Production bildet, wie sie dieser Zeit zu eigen sind.
Zwar hat eben diese Zeit mannigfache Gegentendenzen erzeugt;
das Benefidalwesen , die Aufti-agung von freiem Eigen mit
KQckempfang als Precarie haben immer eine Beschränkung
der Dispositionsbefugniss zunächst des Beneficiai-s und Pre-
caristen, bald aber auch des Verleihers hervorgebracht. Denn
das Beneficium wurde doch zumeist^ auf Lebenszeit des Em-
pfängers oder Verleihei-s verliehen; und wenn auch auf Un-
treue oder selbst auf mangelhalEter Bewirthschaftung desselben
die Strafe des Verlustes stand, so ist davon in späterer Zeit
wohl ebensowenig häufig Gebrauch gemachj; worden, als es
für die Dauer gelang, dem Thronfallsrecht bei den Kron-
beneficien eine mehr als bloss theoretische Existenz zu sichern.
Auch die Precarien haben sich im Laufe der Zeit von dem
ursprünglichen Charakter des römisch-rechtlichen Instituts
immer weiter entfemt. Die früher übliche 5jährige Er-
neuerungsfrist kömmt ausser Uebung; die Precarien werden
ebenso wie die Beneficien auf Lebenszeit verliehen und zeigen
schon eine Neigung zur Erblichkeit. So hörten die Beneficial-
*) Tr. Sangall. 827, n. 809: Sed nunc nobis conplacoit, ea^dem res
in cambinm mittere, id est ut ipsas res in T. ad nostros sumamus usus
et eidem femine unom novale W. noncapatom daremus.
^ Viele Beispiele in dem wegen seiner chorographischen Anordnung
hierii^ besonders instructiven Cod. Laureshamensis ; in Basinsheim haben
in den 3 letzten Jahren Pipins 9 Besitzveränderungen stattgefunden; in
Hantschuchsheim in derselben Zeit 26; w&hrend der Regierung Karls d. Gr.
dort 24, hier 66; im J. 778 allein 9, 782 6; in Manneheim 782 allein
7 Traditionen.
— 346 —
guter allmälig auf, was sie unter Karl d. Gr. entschieden noch
waren, wichtige Kaufinittel zu sein und darum in starkem
Umlaufe sich zu befinden. Auch das Mitium und das Seniorat
haben der allzu weiten Beweglichkeit des Grundbesitzes schoo
fillhzeitig Schranken gezogen ^) ; aber die Unbeweglichkeit des
Lehenswesens, das aus ihnen entspi-ang, gehört doch noch
nicht zu den charakteristischen Erscheinungen der Karolinger-
zeit; ei*st mit der Gonsolidirung der grundherrschaftlicheo
Organisation sind diese und ähnliche Formen der Gebunden-
heit zu rechter Wirksamkeit gelangt. Die Stammgüter des
Adels, die Geschlossenheit der Bauerngüter, die markgenossen-
schaftlichen Verfügungsbeschränkungen und Retractrechte ge-
hören alle erst der folgenden Periode an^).
Vierter Abschnitt.
Die TOlkswirthschaftliche Wirksamkeit der grossen
Orundherrschaften und das nationale Erwerbsleben.
Die Ausbildung der grossen GrundheiTschaften während
der Karolingerzeit ist das Resultat des ganzen Entwickelungs-
ganges , welchen das politische , sociale und wirthschaftliche
Leben des deutschen Volkes während zweier Jahrhunderte
eingeschlagen hat. Die Gilterproduction und der nationale
Erwerb sind durch dieselben nicht minder nachhaltig und
entscheidend beeinflusst worden, als die GüteiTertheilung und
die Ordnung der persönlichen und Eigenthumsverhältnisse.
In dem embryonalen Zustande der älteren Zeit gab es so ni
sagen keine nationale Wirthschaft, weil sie keine nationale
Arbeit und keinen nationalen Verkehr hatte; in den wesent-
lichsten Stücken des Güterlebens war jeder auf sich seIb>T
gestellt und damit in engste Grenzen der Bedüi'fiiisse nnd
^) Capit 803 c. 10 (LL. I, 115): Ut nee colonus nee fiscaliniis for«s
mitio possint alieubi traditionem facere.
*) Vgl. i. A. Beseler, Erbverträge I, 48—68.
— 847 -
der Lebenshaltung gebannt. Kein Gebot des Staates, keine
Einrichtung grosser socialer Kreise, keine Macht geregelter
gesellschaftlicher Beziehungen zwang zu gemeinwirthschaftlicheu
oder gemeinnützigen wirthschaftlichen Leistungen ; keine gab
auch nur Veranlassung, eine gi'osse Summe von individuellen
Arbeitskräften oder Producten für höhere Ziele nationaler
Wirthschaft einzusetzen oder doch in unbewusster, unwillkür-
licher Bethätigung des Geselligkeitstriebs und Gemeinsinns zu
vereinen. Es fehlte mit einem Worte die Organisation der
volkswirthschaftlichen Kräfte; und erat mit der Veränderung
der Genossenschaftsverhältnisse in Staats- und Volksleben, mit
der Concentration der Gewaltbefugnisse über Menschen und
Güter in wenigen Händen schien das Mittel gegeben, um nun
auch alle Leistung zu steigern und die Wirksamkeit der Ge-
sammtleistung für die Deckung der nationalen Bedürfnisse zu
erhöhen. Es lag in der hervon-agenden Bedeutung, welche
dem Grundbesitz und Bodeneitrag, sowie der Massenarbeit des
gemeinen Volkes in jener Zeit zukam ; tief begründet, dass
die Führerrolle in diesem Entwickelungsprocess des nationalen
Lebens den grossen Grundherren zufallen musste; und es ist
eine Frage von der allergrössten Tragweite, nicht bloss für
das geschichtliche Verständniss der folgenden Periode, sondern
geradezu für das allgemeine Ui*theil über die Bedeutung dieser
Entwickelung , wie die Grundherren der ihnen zugefallenen
Aufgabe gerecht geworden sind und in welcher Weise sie es
verstanden haben, die Nation durch eine festere Ordnung
ihrer wirthschaftlichen Kraft zur Erzielung grösserer ökono-
mischer Ergebnisse und auf dieser Grundlage zu einer höheren
Stufe des Gulturlebens zu befähigen.
Von verechiedenen Seiten her sehen wir diese gi'osse Auf-
gabe in AngriiF genommen. Ein wohlvei*standenes Bedüifniss,
wenn auch einseitigem wirthschaftlichen und gesellschaftlichen
Sonderinteresse entsprungen, hatte die Grundherren auf das
Gebiet der socialen Organisation geführt. Durch hervor-
ragende Macht wollten sie zu hervon-agender Geltung kommen.
In einem möglichst weit umfassenden Verbände abhängiger
Leute, dessen Haupt und Hen*scher sie waren, suchten und
— 348 —
fanden sie die Elemente einer Machtstellung, die sie von dem
massgebenden Einflüsse der Reichsregierung und von der Ein-
mischung der Amtsgewalt immer mehr befreien sollte. In der
Ausdehnung und voUkommneren Ausbildung ihrer Herrschaft
über Grund und Boden sodann kam das Bestreben zum Aus-
druck, diese mannigfach abgestufte Klasse der abhängigen
Leute ^eichmässig und bleibend an die eignen Interessen zu
knüpfen ; denn in der Grundherrschaft lag zugleich die Herr-
schsit über die Productionsmittel , also in letzter Linie auch
über die Existenzmittel. In beiden Richtungen konnte dieses
Bestreben für die Dauer aber doch nur Erfolg haben, wenn
auch die Interessen der Unterworfenen dabei ihre Förderung
fanden, wenn ihre Existenz gesichert war, ihre Bedür&isse
wenigstens nach ihrer materiellen, wirthschafUichen Seite besser
befriedigt werden konnten, als in der isoliiten Stellung, welche
der gemeinfi-eie kleine Grundbesitzer in der Gesellschaft ein-
nahm, dem weder ein schwacher Familienverband, noch m
loser Verband der Markgenossen, noch der allgemeine Unter-
thanenverband genügend Schutz und Pflege seiner Interessen
gewährte.
Darin lag also die Aufforderung an die grossen Grond-
heiTon, die ihnen zu Gebote stehenden Mittel in gewissem
Sinne zu Mitteln der Gesammtheit derer zu machen, die sich
ihi*em Herrschaftswillen unterwarfen; diese Verbindung vieler
Schwachen mit einem Starken musste schliesslich zum Vor-
theile beider ausschlagen, der Herrschaftsverband auch fbr die
Unterworfenen als Quelle ihrer Wohlfahrt erscheinen, wenn
er Bestand und gesichei-te Entwickelung gewinnen soUta Und
dazu war die Befriedigung von Gemeinbedürfnissen, eine ge-
meinnützige Thätigkeit, die den Mangel einer staatlichen Ge
sammtleistung für das öffentliche Wohl nicht empfinden liess.
unbedingt nothwendig. Indem die Ginindhen-en aber immer
mehr öffentliche Angelegenheiten zu ihrer eignen Aufgabe
machten , stellten sie auch die productive Kraft der Yolks-
gesammtheit in den Dienst des öffentlichen Lebens und brach-
ten damit eine neue socialökonomische Ordnung zu einem
wenigstens vorläufigen Abschluss.
— 349 —
Alles aber, was hiefür von weltlichen wie geistlichen
Grandherren in wahrhaft volkswirthschaftlichem Sinne ge-
leistet wurde, erscheint doch mehr oder minder als ein Wie-
derhall des Grandtons, den die karolingische Politik besonders
durch ihren gi*ossen Kaiser Karl für volkswirthschaftliche Or-
ganisation und Hebung des nationalen Erwerbslebens ange-
schlagen hat. Es ist jedenfalls im höchsten Masse charakte-
ristisch für die ganze Zeit, dass das Streben Karls d. 6r. nach
Erweiterung seiner Macht und festei*er Begründung seiner
Herrschaft keine andern Mittel erfand, als jene, deren sich
jeder Gi-undherr in seinem kleinen Gebiete nach Möglichkeit
auch bediente; dass der Kaiser, indem er in die Yolkswirth-
schaftspflege den Schwerpunkt seiner administrativen und
finanziellen Reformen verlegte, zugleich allen Ginindherren
zum Vorbild ward und ihnen die Wege wies, auf denen sie
selbst zu Machtei*weiterung und dauerhafter Herrschaft ge-
langen konnten. Wohl war des Kaisers Macht von anderem
Ursprünge, als die HeiTschaftsgewalt der Grossen im Reiche;
aber sie nährte sich doch aus denselben Quellen und war
schliesslich weniger mehr der Ai-t als dem Grade nach ver-
schieden. Das System einer Centralisation der Reichsgewalt,
die sich aus der privatwiithschaftlichen Behen-schung der Pio-
ductivkräfte des Volkes zu ernähren gewillt war, scheiterte
an der Concurrenz einer Vielheit gleichgearteter Gewalten
auf demselben Gebiete volkswirthschaftlicher Kräfte; so blieb
keine andere Wahl, um die Einheit des Reichs wenigstens
ausserlich zu retten, als diese Vielheit der Gewalten selbst
zum System zu erheben, die Grundherren als berufene Träger
wesentlicher socialer und wirthschaftspolitischer Aufgaben zu
erklären und allen in dem Lehensverbande doch wenigstens
einen gemeinsamen Gedanken und eine einheitliche Organi-
sation mit der persönlichen Spitze des Kaisei-s zu geben.
Waren nun auch die volkswirthschaftlichen Leistungen
der königlichen Gutsverwaltung und der übrigen Grundhen^en
ziemlich gleichaiüg, so tragen doch die karolingischen Anord-
nungen und Einrichtungen einen mehr wirthschafts- und so-
oialpolitischen Charakter an sich, mögen sie nun die Stellung
— 350 —
des Amtmanns^) oder die Leistungen der untei-geordneten
Wirthschaftsbeamten ^), die Ordnung der pei*sönlichen Dienste
und Abgaben der Unfreien auf den Gütern') oder deren
eigne Wirthschaft ^) oder die wii-thschaftliche Einrichtung der
Höfe'^) und ihres Landwiithschaftsbetriebs ^) betreffen. Sie
haben damit eine Bedeutung erlangt, welche weit über das
Oebiet der privatwirthschaftlichen Einrichtungen hinausragt,
auf dem sie zunächst erwachsen waren. Es kömmt den ka-
rolingischen Wirthschaftsvoi'schriften eben darum aber auch
eine Ueberlegenheit und für die ganze Entwickelung der ?olks-
wirthschaftlichen Zustände ein viel massgebenderer Einflass
zu, als vorwandten Bestrebungen der übrigen GrundherreD,
irelche sich immer auf deift rein privatwirthschaftlichen Gebiete
bewegten und in Pflege ihrer Sonderinteressen das letzte Ziel
auch derjenigen Einrichtungen erblickten, die sie zur Förde-
rung der Wirthschaft ihrer Untergebenen trafen.
Die Bedeutung der karolingischen Wirthschaftseiniich-
tungen ei-schöpfte sich überdiess nicht in dem Einflüsse, wel-
chen sie auf die Organisation der Productivkräfte und den
ökonomischen Betrieb unmittelbar im Bereiche der königlichen
Gutswirthschaften übten; auch auf die wirthschaftlichen Ein-
richtungen und die Bewirthschaftung der königlichen Benefi-
cien, welche in gi*ossen Mengen in den Händen der Getreuen
und Diener des Königs sich befanden, erstreckte sich dieser
Einfluss und wirkte damit in wesentlich erweiterten Grenzen
in ähnlicher Weise auf Wahrung und Förderung socialer wie
wirthschaftlicher Interessen ein. Wie der König darauf sah.
4ass die als Beneficien hinausgethanen Güter doch auch den
Zwecken und Interessen des Ver)eihei*s dienstbar blieben, wie
«r durch besondere Regelung ihrer Kriegsdienstverpflichtungen',
M Capit de Vül. c. 3, 7, 9, 30, 36, 56, 67.
*) c. 10, 36, 45, 60.
•) c. 3, 54.
*) c. 2, 23, 52.
*) c 6, 36, 37, 40, 63, 67.
') c 34, 48; vgl. über alle diese Stellen unten im ZusammenliAO^'
') Capit. miss. 807 (LL. 1, 149), c. 1, 6 ; Cap. miss. 808 (LL. 1, 119 £}, c ^
— 351 —
und ihrer Leistungen für die Rechtspflege^), die Eirchen-
pflege') etc. dafbr sorgte, dass auch die Staatszwecke durch
das System der Beneficien eine besondere Förderung erfahren
kouAen, so war seine Sorgfalt auch auf Wahrung und För-
derang wirthschaftlicher und socialer Interessen innerhalb der
Beneficien gerichtet. Er trat nicht nur energisch gegen den
Missbrauch auf, Beneficialgüter in Eigengflter zu verwandeln
oder jene zur Verbesserung des Eigenguts auszusaugen ^), son-
dern trug den Beneficiaren direct die Hebung des Gutes, die
Verbesserung der wirthschaftlichen Einrichtungen und des Be-
triebes auf ^). Zum Schutz der Rechte der mit dem Benefi-
dum verliehenen Unfi*eien oder Hörigen wie zur Wahrung
ihrer ökonomischen Interessen erliess er Bestimmungen ^) und
lichtete auf den Beneficialgütern eine eigne gesetzliche Ord-
0 Waitz, Verfc-G. IV, 857.
') Monach. SangaU. I, 80 (SS. 11, 745) : Quod si novae (ecdesiae)
faissent institaendae, omnes episcopi, duces et comites, abbates etiam et
qojcnmqae regalibus aecclesiis praesidentes, com univerBis qui publica con-
secati sunt benefida, a frindamentis usque in culmen instantiBsimo labere
perdoxenint
") Capit Aquisgr. 802 (LL. I, 91), c. 6: Ut benefidum domini impe-
ratoiis deseitare nemo aadeat propriam suam exinde construere; Cap. 803
iLL. I, 122), c. 3: Qoi benefidum domini imperatoris et aecdesiarum Dei
habet, nihil exinde ducat in suam hereditatem, ut ipaum benefidum de-
fiCmator. Gap. Nium. 806 (LL. I, 144), c. 6: Auditum habemus, qualiter
et comites et alii homines qui nostra beneficia habere videntur, compa-
/ant sibi proprietates de ipso nostro benefido et fiidant servire ad ipsas
proprietatea senrientes nostros de eorum benefida et curtes nostras rema-
nent desertas. c 7: Audivimus quod aliqui reddunt benefidum nostrum
ad alios homines in proprietatem et in ipso pladto dato pretio comparant
ipsas res iterum in alode sibi: quod omnino cavendum est; vgl. auch Ca-
pit missis data 802, c 9 (I, 97) und Excerpta c 49 (I, 101).
*) Cap. Aquit 768 (LL. II, 14), c. 5: Quicunque nostrum benefidum
habet, bene ibi laborare condirgat; Cap. 789 (LL. I, 69), c 19: Ut missi
nostri provideant beneficia nostra quomodo sunt condirecta. Cap. Aquisgr.
818 (LL. I, 188), c. 4: üt hi qui benefidum nostrum habent, bene illud
inmeliorare in omni re studeant; vgl. Cap. excerpta c. 50 (I, 101): Ut
beneficia Saxonnm in Franda considerentur, qualiter condirecta sunt
^ S. oben 2. Absdm. S. 232 und S. 245 ff.
— 352 —
nung der Armenpflege ein ^). Und auch allgemeinere Zwecke
der Yolkswirthschaftlichen Pflege wusste er durch seinen Ein-
fluss auf die Beneficien zu verfolgen , wie er z. B. in Theue-
rungszeiten gerade für sie Preisvorschriften erliess^, damit
das königliche Gut, ob es in eigner Vei-waltung oder im Be-
neficialverbande stand, doch dem Wohle der Gesammtheit zu
dienen vermöge.
In ähnlicher Weise machte dann Karl d. Gr. die Ziele
seiner wirthschaftlichen Politik auch innerhalb der Verwaltosg
der Kirchengüter geltend. Ein Theil derselben war ohnehin,
wie andres Grundvermögen, in der Verwaltung des Königs^);
andere als Kronbeneficien an weltliche Grosse vergeben und
diesen gleich behandelt^). Aber auch das in der Verwaltnog
der Bischöfe, Abteien und Klöster stehende Gut, mochte es
vom Könige oder anderswoher stammen, galt als Eigenthum
des Beichs oder unmittelbar des Königs und diente ebenso-
sehr den Bedüiinissen des Reiches wie der Kirche selbst^).
1) Capit Frankol 794 (LL. I, 72), c. 4: Et qui nostmm habet lND^
fidam, diligentiBsime praeTideat, qaantam potest Deo donante, at williä
ex mancipÜB ad illum pertinentes beneficium ÜEunem moriator. Cap. Fusd*
806 (LL. I, 144), c. 9: De mendicis, qui per patrias discnmmt, toIiudo«
ut unusquisque fidelium noBtronun auum pauperem de benefido ant de
propria familia nutriat (andre Lesart: de benefido nostro nutriat). ib. c^'
praesente anno, quia per plorima loca famis valida esse videtor, ut . . •
cuncti fideles, qoi benefida regalia, tarn de rebus ecdesiae qnamque et de
reliquis habere videtur, unusquisque de suo benefido sna fiunilia notn-
care faciat
') Capit Nium. 806, c. 8; s. unten 5. Absdinitt
') Ann. Bert. 866, p. 473: de abbatia, caput cum electioiibos villi»
sibi retinens, cetera quoque per quoscumque suos dividit; 867, p. 474:
abbatiam ipsius monasterii sibi retinuit, causas monasterii et conlaboniio-
nem per praepositum et decanum atque thesaurarinm, militae quoque ca-
ram per maiorem domus sua commendatione geri disponens; 8. WaJti
IV, 133.
«) S. oben 3. Abschnitt S. 283 £
'^) Ficker Über das Eigenthum des Rdchs am Reiehskircheiigote pw-
sim; besonders Kaiser Karls d. K. Antwort an den Papst, der ihm dieBe-
schatzung des Bischofsguts von Laon w&hrend der Abwesenheit des fiiKbofi
angetragen hatte: Reges Francorum ex regio genere nati, non episoopo-
rum yicedomini, sed terrae domini hactenus fuimus computati; — ooa
— 853 —
Die Geltendmachung eines massgebenden Einflusses auf die
Verwaltung und Wirthsehaftsfllhrung war demnach doch nur
eine Consequenz des Grundsatzes, dass das Reich auch An-
sprach auf die Früchte dieser Güter habe. Um ihre wirth-
schaftliche Leistungsfähigkeit zu erhalten, deren Minderung
auch das Reich geschädigt hätte, musste die königliche Ver-
waltung rationelle Grundsätze des Betriebs auch bei ihnen zur
Geltung bringen, wo das etwa nicht schon durch das eigne
Interesse der Inhaber des Kirchenguts geschah^); und gleich-
zeitig mussten die Könige darauf bedacht sein, dass die so-
cialen und ökonomischen Einrichtungen der Bischöfe und
Aebte auf ihren Besitzungen nicht in Widersprach traten mit
der von Reichswegen verfolgten wirthschaftlichen und socialen
Politik 2).
So sind schliesslich die Grundzüge einer bessern Organi-
sation und sorgsameren Verwerthung der Productivkräfte,
durch welche die karolingische Wirthschaftsreform sich aus-
zeichnet, doch auf einem weit grösseren Gebiete zur Geltung
autem episcopornin villici extiterunt (Bibl. vet patram 9 b, 222). Ficker
S. 50. In C. Fuld. 849, n. 556 ist Ton Colonen die Bede, qoi agros mo-
nasterii colont et ad regiam curiam censom persolvere debent.
') Z. B. Cap. 789 (LL. I, 69), c. 15. Ut episcopi et abbates et abba-
tissae cuppla canum non habeant, nee falcones, nee acdpitres, nee jocu-
latores. Cap. monast 789 (I, 67), c. 6: De cellarüs monasterii, ut non
ayari mittantur. Ygl. auch Statuta Rhispacensia et Frisingensia 799 (I, 77),
c. 11; Statuta Salisburgensia 799 (I, 80), c. 6. Capit Aquisgr. 802 (LL.
1, 93), c 19 und viele spätere Bestimmungen, bes. Ed. Pist c. 30 (I, 496):
Ut quoniam in quibusdam lods coloni tarn fiscales quam et de casis Del
suas hereditates, id est mansa quae tenent . . . vendunt et tantummodo
sellam retinent et hac occasione sie destnictae fiunt villae, ut non solum
censas debitus inde non possit ezigi, sed etiam quae terrae de singulis
^oansig fuerunt iam non possint agnosci , constituimus . . . ut hoc nullo
modo de cetero fiat.
') Die für Kronbenefiden erlassenen Vorschriften über Wirthschafts-
fuhrong und Behandlung der abhängigen Leute sind regelmässig zugleich
für Bischöfe und Aebte gegeben; z. B. Cap. Nium. 806, c, 8: ut omnes
exnscopi, abbates, abbatissae, comites seu domestid et cuncti fideles qui
beneficia regalia . . . habere videntur. Vgl. auch Capit Episcoporum 779
(LL. I, 39j. Ueber die commutationes s. 3. Abschnitt S. 301.
▼ on Inama-Sternegg, Wirthschaftsgeschielite. I. 23
— 354 —
und zum Ausdruck gekommen , als dies in den der könig-
lichen Vei-waltung untei*stellten Krongütem umschrieben ist
Berücksichtigen wir aber zugleich noch den mittelbaren Ein-
fluss, der von ihnen aus auf alle gi*ossen Gutswirthsehaften
ausging und sie veranlasste, dem grossen Vorbilde nachzu-
kommen, das ihnen hier gegeben war, so ist es wohl nicht
zu viel gesagt, dass die karoKngische Wiitbschaftsorganisation
der Yolkswirthschaftlichen Production jener Zeit auf ihrem
wichtigsten Gebiete geradezu ihr charakteristisches Geprilge
gegeben hat Die beiden Grundlagen dieser ökonomischen
Reform, die Ausbildung eines Systems von persönlichen Ab-
hängigkeitsverhältnissen und die Villenverfassung sind bereits
früher eingehend erörtert. Kam dadurch Ordnung und Glie-
derung in die weitläufigen Besitzungen einer grossen Gnmd-
herrschaft wie in das sociale Gefüge der ganzen Bevölkemng,
so ist es damit nun auch möglich geworden, eine Gliederung
der Arbeit und eine Gebrauchstheilung des Vermögens in der
Wirthschaft des Volkes durchzuführen, wodurch sie zu höheren
Ergebnissen befähigt wurde.
Jeder Versuch, ein festeres Gefüge und eine planmässige
Leitung der Arbeitskräfte herbeizuführen, mit denen grössere
wirthschaftliche Ziele in einheitlicher Weise zu erreichen wa-
ren, musste mit den aus der Erwerbung solcher Herrschaft
resultirenden Verhältnissen der dienenden Arbeit rechnen.
Von Anfang an waren in jeder grösseren Gnindherrschaft
Leute der verschiedensten rechtlichen und wirthschaftlichen
Stellung vereinigt; und diese Verschiedenheiten mehrten sich
noch beträchtlich mit weiterer Ausdehnung der herrschaftlichen
Verbände.
Neben den Leibeignen, die ohne jeden Eigenbesitz am
Herrenhofe selbst wohnten und die gewöhnlichen Verrichtun-
gen der Hausdiener neben den knechtischen Arbeiten für die
Bestellung des Sallandes versahen, standen die behausten
Leibeignen, pereönlich zwar eben so unfrei und abhängigst*
jene, aber doch durch den ihnen zu selbständiger Bewirtb-
schaftung zugewiesenen Grundbesitz des Herrn nicht so be-
liebig verwendbar; die Zinsleute sodann in verschiedner recht-
- 355 —
lieber und wohl auch ökonomischer Abstufung, durch preka-
lischen oder doch abgeleiteten Besitz dem Herrn persönlich
und dinglich verpflichtet, aber doch nur in einer beschränk-
ten, gemessnen Weise ftlr die Wirthschaft des HeiTonhofes
belastet und verfügbar. Dann aber vereinigte die Grand-
herrschaft auch freie Leute in der verschiedensten ökonomi-
schen Lage, Freigelassne sowohl als ursprünglich Vollfreie,
die sich durch Auftragung und Rückempfang ihres Besitzes
als BeneficiumO, in Form einer Precarie auf Lebenszeit oder
sogar mit Erbberechtigung in den Schutz und die Gewalt der
Grandherren begeben hatten. Aber auch die landlosen Freien,
welche sich mit Erlaubniss des Herrn auf dessen Gebiet nie-
dergelassen hatten^), sowie die freien Grundbesitzer, die sich
unter den Schutz eines Mächtigen stellten, ohne dadui'ch ein
Eigenthumsrecht desselben an ihrem Gute zu begründen'),
waren doch wenigstens in so feine einem einheitlichen Herr-
schaftswillen untei'woifen , als eben das Schutzverhältniss , in
dem sie sich befanden, auch ohne besonderen Eid der Treue,
zwang, den Befehlen des Hen*n gehorsam, seinen Interessen
ergeben zu sein, um des für sie so nothwendigen Schutzes
nicht verlustig zu gehen. Es liegt auf der Hand, dass diese
verschiedenen Klassen von Untergebenen nicht in derselben
Weise und mit gleicher Intensität für die Zwecke der Herr-
schaft zu verwenden, nicht mit gleicher Leichtigkeit einem
^) Schon frühzeitig fiDden sich Beispiele von Benefiden, welche welt-
liche Grandherren verliehen haben; Parde88.*728, n. 544: Quod Amalo in-
benefidatam habnimos seu quod senrus noster Bertoinus per benefidom
nostrum yisos est habere, ib. 785, i^. 557. Tr. Wizz. 734, n. 9: quidquid
Wilharios ibidem pro beneficio nostro yisos est habere; ib. 739, n. 10;
776, n. 58; 784, n. 60. Tr. Sangall. 775, n. 21: dono quantomcunque
genitor mens mihi moriens dereliquit et vassi mei ... in beneficio nostro
ibidem tenerunt; s. Walter, RG. § 82.
*) Vgl. Gap. Worm. 829 (I, 354), c. 6: De liberis hominibus qui pro-
priam non habent, sed in terra dominica resident Gap. de yill. 52: in-
genni qui per fiscos aut villas nostras commanent
*) Gap. Worm. 1. c. : Uli vero (liberi) qui et proprium habent et tamen
in terra dominica resident; s. auch Reg. Prüm, über die haistaldi und
S- 368 Anm. 2.
23*
— 356 —
einheitlich gedachten Wirthschaftsorganismus einzufügen waren.
Und es ist eben desshalb auch die Entwickelung des herr-
schaftlichen Verbandes im einzelnen Falle zunächst von der
wirthschaftlichen B,ß.ngordnung der Untergebenen abhängig
gewesen ; nur wo von jeder Klasse der Abhängigen eine ge-
nügende Zahl vorhanden war, konnte die Ginindherrschaft
auch nach allen Seiten des socialen und wirthschaftlichen Le-
bens hin Kraft und Wirksamkeit gleichmässig entfalten; jedes
Uebergewicht einer dieser Klassen veränderte auch den so-
cial - ökonomischen Gesammtcharakter der Gnindheirschaft und
machte sie einseitig, sei es nun in dem Streben nach politi-
schem Einfluss oder in der Geltendmachung socialer Ueber-
Tegenheit und brutaler Gewalt oder in ausschliesslicher Ver-
folgung von VeiTOÖgensinteressen durch Beschränkung auf die
Steigei-ung privatwirthschaftlichen Gütererwerbs.
Unstreitig am gleichmässigsten und vielseitigsten, was die
Arbeitskräfte betrifft, war die königliche Ginindherrschaft selbst
entwickelt. In den Königspfalzen und auf den Domänen war
von den niedei'sten leibeignen Hausdienern und Ackerknecb-
ten bis zu den edelsten Geschlechtem und höchsten Hofbeamten
wohl jede Stufe der gesellschaftlichen Gliedening, jeder Grad
der Abhängigkeit und des pei-sönlichen Rechtes vertreten ^X
1) Cap. 783 (LL. I, 47), c. 12: De mancipiis palatii nostri et ecde-
siamm nostraram nolomus mundium recipere sed nostros ipsos mandpios
habere. Servus regius, imperatoris, fisd u. dgL Cap. Tic 801 (L ^^'^
c. 8. C. Aqu. 802 (I, 91), c. 4; Cap. de vill. c. 23, 52. Cap.8l7il,2iu,
c. 1. Vita ffiudow. c. 22 (SS. II, 618). Beyer 816, 1, 51 ; Mon. Boic. S^Ö.
XXVIHa, p. 25. Coloni Cap. 803 (I, 121), c. 15; Ed. Pist 864 (1,495.
c. 29. C. Fuld. 849, n. 556. Fiscales, fiscal! ni Cap. 803, c r>;
Cap. 802 (I, 91), c. 4: fiscales qui se iniuste et cam fraades Übero« dtcost;
Cap. de yilL c. 50: fiscalini qui mansos habuerint. Liti r^s ). Ssx.t)5
Aldiones Cap. Francic. 783 (I. 47), c. 15. Parschalken Bied cod
Hat 887, I, 67. Liberi, franci, ingenai Cap. de tiU. c 4: ta^
qai in fiscis aat yillis nostris commanent ; c. 52 : de ingennis qui per ^cm
aat villas nostras commanent. Wirt Ürk.-B. p. 83: a liberis hominib°^
necnon et a fiscalibus in fisco nostro commanentibos; proceres ptU^^
Vita Adalhardi c. 86 (SS. I, 528); obtimates, comites sea domesdd <H
cuncti fideles Cap. Nium 806 (I, 145), c. 8; principe» palatii soi ^it»
Sturmi (SS. I, 370), c. 12.
— 357 —
Wohl hatte die königliche Hofhaltung persönliche Dienstlei-
stungen in besonders gi*ossem Umfange nothwendig ^) , um so
mehr, als nicht bloss die Pfalzen als regelmässige Aufenthalts-
orte der Könige, sondern auch die grösseren Villen für die
königliche Hofhaltung eingerichtet waren ^). Doch waren bei
der grossen Verschiedenheit der Aufgaben, welche der fOr
den persönlichen Dienst am Hofe gewidmeten Klasse der Ab-
hängigen zufielen, die Abstufungen der persönlichen Stellung
und gesellschaftlichen Geltung wieder so vei-schieden, dass sich
leicht Freie und Unfreie, höchst angesehene und einflussreiche
mit ganz untergeordneten Leibeignen in dieser Klasse zusam-
menfanden ^).
Nicht minder bedeutend aber an Zahl und Abstufung
waren diejenigen , welche dem Dienste des Königs auf seinen
Villen und Landgütern gewidmet waren, theils unmittelbar in
der Domanialwirthschaft verwendet, theils als Inhaber von
Zins - und Dienstgütern, von denen sie Abgaben zur Mehrung
der Domanialeinkünfte zu leisten und Arbeit aller Art für die
Wirthschaft der hen*schaftlichen Höfe zu verrichten hatten *).
Bei der gi'ossen Ausdehnung, welche die Domanialwirthschaft
wenigstens unter Karl d. Gr. hatte, konnten die Wirthschafts-
beamten den eigentlichen Hofbeamten an Zahl und Bedeutung
^) Ein ganz besonderer Grund ist [hiefÜr angegeben bei Hincmar de
ordine palatii (Walter corp. ior. m, 766) c. 18: sed nee illa sollicitudo
deerat, nt si fieri potuisset, sicut hoc regnum Deo aactore ex plurimis re-
gionibos constat, ex diversis etiam eisdem regionibuB aut in primo aat in
secundo aat etiam in quolibet loco iidem ministri eligerentur, qualiter fa-
miliarios qoaeqae regiones palatiom adire possent, dum suae genealogiae
Tel regionis consortes in palatio locum tenere*^cognoscerent
*) Cap. de vill. c 65: quando nos in villas nostras nun venimus; vgl.
auch c.*ßi, 88 f., 59, 61 : quando (iudex) serrierit oder ähnlich« Vgl. auch
d^ Brey. rer. fisc., das auf mehren Villen eine sala regalis auffilhrt.
^ Vgl. hiezu i. A. Maurer, Fronhöfe I, 146—166, 212—247.
*) Z. B. Tr. Sang. 837, n. 357 : in villa Hundnchova (Schweiz) 1 mans.
domin. cum viridiario, 6^/s mansis, mancipüs tam ibi commanentibus quam
ei appendentibus. 836 Beyer I, 64: in yilla Wistrikisheim (Ripuarien)
man», dorn, et alios mans. 7 et 3 viniolas et sedios cum 3 vinitoribus et
mancipia 58; s. die Beilage No. VII.
— 358 —
leicht das Gleichgewicht halten, wie auch die landwirthsehaft-
lichen Arbeiter keineswegs gegenüber den niederen persön-
lichen Dienern an den Yei*8chiedenen Hofhaltungen nachstan-
den. Ueber Zinsbauem, Precaristen und Beneficiare, die mit
ihren Leistungen gleichfalls als Glieder der im Dienste der
königlichen Wirthschaft arbeitenden Bevölkemng angesehen
werden müssen, verfügte die königliche Gnindherrschaft nidit
minder reichlich; war ja doch in der Geltendmachung des
Königsrechts auf wüstes und herrenloses Land, sowie auf Er-
chengut allein schon reichliche Gelegenheit geboten, zahlreiche
dienende Arbeitskräfte an sich zu ziehen; und an Zudrani:
auch zu solchem Königsdienste, wie ihn die Zugehörigkeit m
einer königlichen Villa mit sich brachte, fehlte es nie; war
doch kein Grundherr im Stande, bessere Bedingungen zu ge-
währen, gi'össere Aussichten zu ei-öffnen , und am Ende auch
keiner geneigt, seinen Leuten eine so grossmüthige und sor^r-
same Behandlung angedeihen zu lassen, als der König. W
so ist, so weit wir sehen, wenigstens unter Karl d. Gr., ziem-
liches Gleichgewicht der gemeinen und qnalificirten Arbeit
der pei'sönlichen Dienstleistungen und der dienenden Arbeit
in der Production und damit eine wichtige Voraussetzung für
eine gute und reichliche Gliederung der Arbeit vorhanden
gewesen, durch welche die Productionseifolge der Domanial-
wii-thschaft , ja des ganzen nationalen Erwerbs beträchtlich
gesteigert werden konnten.
Dagegen charakterisiren sich die weltlichen Grandhen*-
Schäften noch immer durch ein auffallendes Uebergewicht per-
sönlicher, unfreier Hausdiener. Von Anfang an haben sie
besonderen Werth auf die Gewinnung von Leibeignen gdegt,
über die sie unbedingt befehlen und für die weitaussehenden,
schwierigen Cultumntemehmungen beliebig verfügen konnten,
die ihnen bei gi*ossem Besitz unbebauter, wilder Länderden,
bei Expansion ihrer Heri*schaft in dem Oedlande der Mark-
genossenschaft besondei*s am Herzen lagen; aber auch der
pereönliche Dienst am Herrenhofe, die Verwendung zu manch
wichtigerem Geschäft, zu Botengang und Reisen, dann auch
zu den wii-thschaftlichen Diensten im Sallande, zu Felddiensf,
— 859 -
Viehwartung und gewerblichen Venichtungen war für einen
genosssüchtigen und arbeitsscheuen Adel ein Gegenstand be-
sonderen Bedai*fQisses ^). Und überdiess stand in einer grossen
Menge Leibeigner eine Summe brutaler Gewalt zur Verfügung,
welche an jeden Punkt geworfen werden konnte , wo es galt,
das Recht des Stärkeren zur Geltung zu bringen, das in einer
an Gewaltthätigkeit reichen Zeit immerhin noch die grösste
Aussicht auf Erfolg hatte. Sie liebten es daiiim, sich mit
unfreien Knechten zu umgeben, welche WaflTen trugen und
als eine Art von Leibgarden dem Machtzwecke ihres Heri-n
ohne Wahl zur Verfügung waren.
Vielfach anders waren die Verhältnisse bei'den geistlichen
Gioindherrschaften vorab bei den lüöstem gelegen. Abgesehen
davon, dass sie die Mittel der Gewalt wenigstens nicht so
offen und schrankenlos zur Anwendung brachten, wie das von
den weltlichen Grossen bekannt ist, waren sie schon nach
ihrem ganzen Charakter und ihrer Entstehung auf andre Wege
zur Vergrösserung ihres Heri-schaftsbereichs angewiesen. Die
weltliche GrundheiTSchaft wuchs organisch aus kleinen An-
fängen zu immer grösserer Macht; und nui* im Verhältniss
zu dieser steigerten sich ihre Bedürfnisse und ihr Einfluss.
Die Klosterherrschaften bildeten sich mechanisch, durch An-
einanderfügung eines von allen Seiten her zusammengebettel-
ten Grundbesitzes. In der weltlichen Grundherrschaft war
ein Herr, dessen Familie allein das Mass des Nothwendigen
bestimmte, selbst aber am Productionsprocesse der Güter nur
wenig betheiligt war. Im Kloster vermehrte sich wohl täg-
lich die Anzahl der zur herrschenden Familie gehörigen
Häupter, und bildete oft in kui*zer Zeit eine recht ansehn-
liche Gesellschaft. Aber schon die Ordensregel und mehr
noch die bisherige Gewöhnung hiess die Mönche selbst Hand
anlegen an Wald und Wildniss, um sie für die Zwecke der
Cultur zurecht zu stellen, und auch an der ausführenden Ar-
beit des Salguts nahm die vielköpfige Pei*son des Hen-n den
») Vgl. V^aitz II, 176 ; s. auch Roth S. 154 ff.
— 360 —
hauptsächlichsten Antheil^). Nur fbr Bisthum und Kirche
war auch in solcher Weise nicht zu sorgen. Sie bedurfteo
vor allem Abgaben und Dienste, die ihnen müheloses Ein-
kommen brachten; aber auch die Klöster konnten Leibeigne
hauptsächlich nur in der Weise verwenden, dass sie ihnen
Land zur Bestellung gegen Zins und Arbeit übertragen; im
Uebrigen waren sie gleich den andern kirchlichen Anstalten
vorzugsweise an Schutzleuten intei*essirt , welche durch Auf-
tragung die Eigenthumsbefugnisse und durch Zinsleistung fftr
den Rückempfang des Grundbesitzes die Einkünfte des Grund-
heiTU mehrten ^. Ja selbst die besonders bei Kirchen häufige
Freilassung findet ihre Erklärung zum guten Theil darin,
dass sie auf den Besitz von Leibeignen verhältnissmässig ge-
ringen Weith legten und in der Foilsetzung des Schutzver-
hältnisses und Aufrechterhaltung eines Dienstesverbandes, dem
auch der mit Land bedachte Freigelassne nicht entging, hin-
länglich ihr Interesse gewahrt sahen ^).
Dieser Untei'schied tritt deutlich aus den zahlreichen Ur-
kunden hervor, aus denen wir ein Bild der Anfänge gi-osser
Grundhen-schaften gewinnen. Die weltlichen Grandherr^
haben grosse HeiTenhöfe in den ihnen gehörenden Villen, und
auf ihnen eine stattliche Zahl von Mancipien, casati und non
casati, aber ihr Bestand an Liten oder gar an blossen Schutz-
leuten, Beneficiaren und Precaristen, die es durch Auftragung
geworden sind, ist verhältnissmässig gering*). Die geistlichen
^) Vita 8. Eigilis abb. Fuld. (Mabülon IV, 1, p. 248) c 16: üt ip«
monasterii ministeria per fratres ordinentur, id est pistrinum, bortus, bra-
ciarium, coquina, agricultura et cetera ministeria sicut apud decessores
nostros fuerunt: quia devotius et dignius per fratres omne exercebitor oi-
fidam , quam per laicom aut semim malevolmn. Regula monach. BIT
(LL. I, 201), c. 4 : üt in coquina, in pistrino et in caeteris artium ofBanls
propriis operentur manibus et vestimenta sua opportuno tempore iavent
c. 17: üt si necessitas fuerit eos occupari in fruges coUigendo aut in alia
opera ... non murmurent.
^) üeber das vorzugsweise Vorkommen der Colonen auf den Gfiters
der Kirche vgl. Waitz II, 188.
•*) Ueber diese Abhängigkeit der Freigelassenen vgl. Waitz II l^J^-
Roth 297. Gfrörer U, 112.
*) Vgl. jedoch die Anmerkung 1 auf S. 855.
— 361 —
Grundherrschaften setzten sich überwiegend gerade aus solchen
Zinsgtttern zusammen; sie haben keineswegs in den ihrer
Grandherrlichkeit ganz oder theilweise unterworfenen Villen
überall eigne Fronhöfe, sondern lassen meistens nur durch
einen Meier (maior, villicus), der selbst eine Zinseshufe baute,
die Dienste fordern , die - Abgaben einheben , zu denen die
Grundholden im Einzelnen verpflichtet sind^). Und auch
hier kann noch der weitere Untei-schied beobachtet werden,
dass bei Klöstern die auf Zinsgütern angesiedelten Leibeignen
viel häufiger sind, als bei Bisthümern oder sonstigen Kirchen,
welche ihrei*seits wieder durch eine besonders grosse Anzahl
von schutzpflichtigen freien Leuten sich auszeichnen ^).
Mit diesem schon bei der Erwerbung in rechtlicher und
wii*thschaftlicher Beziehung so verschiedenartigen Personal be-
gannen nun die Grundherren eine grossartige, einheitlich ein-
gerichtete und geleitete Wirthschaftsverwaltung auf der Giiind-
lage einer ausgebildeten Arbeitstheilung , wie sie ausserhalb
dieses Kreises weder vorkam, noch überhaupt gedacht wer-
den kann.
Für die persönlichen Dienstleistungen niederer Art, welche
der GrundheiT und seine Familie in Anspruch nahm, waren
die Mancipien bestimmt, die am Henenhofe selbst wohnten;
Knechte und Mägde®) gab es da, oft in beträchtlicher An-
zahl, welche die gewöhnliche Hausarbeit vemchteten, Küche
und Keller, Wäsche und Reinigung, Garten imd Stall versorg-
ten. Sie gehörten entweder unmittelbar zum hen*schaftlichen
^) So ist im Reg. Werd. bei fast allen in Westfalen und Friesland
gelegenen Gütern des Stifts kein Herrenhof genannt, die Einhebung der
Oefidle vielmehr von Ministerialen besorgt worden, die selbst Zinsgüter
bauten.
^ So gehörten nach dem Brev. rer. fisc. (LL. I, 177) dem Bisthum
Augsburg 1041 freie und nur 466 unfreie Mausen. In einem Fronhof des
Erzstifts E6ln waren mit Ausnahme von 7 unfreien Mausen aUe übrigen
frei; Lacomblet, Archiv II, 292 ff. Vgl. I. Buch, 4. Abschn., S. 160 f und
IL Buch, 2. Abschn., S. 255 ; 3. Abschn., S. 359 f.
^) S. schon 1. Fris. tit. 13: AnciUa quae nee mulgere nee meiere solet
quam bortmagad (bort =» Haus) vocant. Tr. SangaU. 745, n. 12: man-
cipia domestica.
— 362 -
Haushalte, erhielten ihre Nahining aus der herrschaftlichen
Küche ^), ihre Kleidung aus dem Frauenhause*); oder sie
führten eignen Haushalt in den Wohnungen, die ihnen inner-
halb des Hen*enhofes in eignen Gebäuden bereitet waren % und
bekamen dann meist nur Rohproducte aus dem Ertrag der
heiTSchaftlichen Wirthschaft ^) , die- sie selbst für ihr B^ürf-
niss verarbeiteten. Dabei war ihnen dann wohl auch ein
Gartenantheil oder sonst ein Stück Landes zugewiesen, auf
dem sie sich einigen Bedarf ihres Haushalts ziehen^), etwa
auch noch das eine oder andere Stück Vieh ernähren konn-
ten«). Von einem Geldlohn ist nirgends die Rede; wohl aber
konnten sie durch Geschenke oder sonstige unregelmässige
Zuwendungen wie durch eignen Fleiss sich ein Peculium er-
werben, über das freilich von Rechtswegen immer noch ihr
HeiT wie über sie selbst verfügte.
Aber auch gewerbliche Vemchtungen mannigfacher Art
wurden ihnen hier aufgetragen, soweit sie sich hiezu geschickt
erwiesen; die Grundhen-en liebten es und waren wohl auch
darauf angewiesen, auf ihren HeiTenhöfen wenigstens die wich-
^) I. A. Cap. Nium. 806, c. 8: ünusquisque — de Bua proprietate
propria familia nutriat; 8. auch die Vorschriften über Armeopflege unten
S. 392. Monachus Sangall. I, c 31 (SS. II, 745).
^ Vgl. die etwas späteren Acta fiind. Murensis monasterii (H^ott
geneal. I, 320): Servis etiam . . magna cara appendi debet a praepositis
cellae, ut possint cum bona voluntate et disciplina ac fideliter serrire &•-
tribus : quia sine victus et vestitus commoditate non possunt serrire iUis-
^) Cap. de discipl. palat. Aqnisgr. 809 (I, 158), c. 2: per domos 8«^
verum nostrorum tam in Aquis quam in prozimis yillulis nostris ad Aqnis
pertinentibus.
*) Brev. rer. fisc. (1, 176): De anuona nihil repperimus, excepto qood
dedimus provendariis carradas 80, qui sunt provendati usque ad nissaxa
s. Johannis, et sunt 72. Reg. Prüm. c. 1, p. 146: femine prevendarioniia
unaquaque ebdomada dies 2, unum cum pane, et alium sine pane. Cap.
de Till. c. 50: fiscalinus qui mansum non habuerit, de dominiea aodpüt
provendam.
^) Reg. Prüm. c. 48, p. 165: Sunt in praefato Fagit de terra ioniale>
5, quos tenent provendarii.
^) Breviar. Erchamb. (Meichelb. la, 126): Servus dominicofl habei
caballum 1 et ipso totos servi dominid armenta sex.
— 363 —
tigsten Handwerke jener Zeit beständig vertreten zu haben.
Müller und Bäcker, Schneider und Schuster, Grobschmiede
und Waffenschmiede, Bierbrauer und Winzer finden sich wohl
auf jedem grösseren Herrschaftsgute ^ ; den Frauen im Frauen-
hause war besonders die Spinnerei und Weberei, aber auch
alle damit verbundene Arbeit der Schafschur, das Zubereiten
des Rohstoffs fttr die Gewandung wie deren Fertigstellung und
Reparatur anvertraut *).
Auch solchen Gewerbetreibenden des Herrenhofs ist viel-
fach eigne Wohnung % zuweilen auch ein Stück Ackerland zu
eigner Bebauung zugewiesen; solche Ausstattung war dann
als Aequivalent der Verpflegung oder Bekleidung angesehen *),
die den im herrschaftlichen Haushalte selbst stehenden leib-
eignen HandAverkem geboten wurde. Dafür hatten sie aber
anderseits auch manche landwirthschaftliche neben ihren ge-
werblichen Dienstleistungen zu verrichten, wie denn überhaupt
die Verbindung von Landbau und Handwerk noch ganz all-
gemein ist*^.
So untergeordnet nun auch die rechtliche Stellung dieser
unfreien Hausdiener und Gewerbtreibenden gewesen ist, so
war sie doch oft viel günstiger, als die der unfreien Zins-
baueiTi; ja sie ist unter Umständen selbst begehrenswerth
geworden und hat an der socialen Umgestaltung der folgenden
^) Auf dem Klosterhofe von St. GaUen wohnten im 8. Jahrhunderte
zahlreiche Leibeigne, welche Handwerke betrieben: Schuster, Schneider,
Maller, Bäcker, Walker, Degenschmiede, Schildmacher, Bierbrauer, Glas-
brenner.« Die Werkstätten dieser Handwerker sind aUe in dem Baurisse
angebracht, welcher unter Karl d. Gr. fQr das Kloster verfertigt wurde.
Monach. Sangall. in Vita Carol. Arx, Geschichte von St Gallen, S. 54 f.
^ Cap. Ansegis. I, 75 (LL. I, 281): in diebus dominids . . feminae
opera teztrilia non faciant, nee capulent vestitos nee consuant vel acu-
pictile faciant, nee lanum carpere, nee linnm battere, nee in publice vesti-
menta lavare nee berbices tondere habeant licitum.
') Reg. Prüm. c. 34, p. 163; s. unten Anm. 5.
*) Reg. Prüm, c 2, p. 147: Sunt ibi farinarii 3, unns moledinarius,
tenet de terra iomalem pro sua vestimenta.
^) Reg. Prüm. c. 34, p. 168: jilli farinarii, qui in circuitu sunt, unus-
quisqae facit dies 5 inter messem et pratum et corvadas.
— 864 —
Periode einen nicht unwesentlichen Antheil gehabt Rechtlich
galten sie wohl alle gleich als Leibeigne^); factisch war ihre
Bedeutung je nach der ihres Herrn ') und nach der Qualität
ihrer Arbeitsleistung eine sehr verschiedene. Es zeigt sich
gerade an diesem Punkte sehr deutlich, dass die socialen Zu-
stände nicht unter dem einseitigen Gesichtspunkte der recht-
lichen Ordnung der Statusverhältnisse genügend gewürdigt
werden können; ebenso aber auch, welcher Einfluss von der
wirthschaftlichen Tachtigkeit der Person auf ihre sociale Gel-
tung und damit am Ende auf ihren Antheil an den Gütern
ausgeht, über welche die Gesellschaft verfugt
Es ist begieif lieh , dass die Verhältnisse dieser unfireieB
Hausdiener gerade auf den königlichen Höfen und vomemlicb
auf den Residenzen selbst die grösste Mannigfaltigkeit und
vollkommenste Durchbildung erfuhren. Hier war schon das
Bedür&iss nach solchen Leistungen ein hervorragend grosses
und vielseitiges. Karl d. Gr. legte insbesondere den grössteo
Werth darauf, dass Handwerker aller Art immer und überall
zu seiner Verfügung waren ') ; und ebenso wichtig erschien e^
^) Gleichheit in der Composition betont Capit 817, c 1 (I, 216); io
Bezog auf üebertragung und Freilassung Cap. 819, c. 7 (I, 226).
*) Vgl. Maurer , Fronhöfe I, 93 ff. Doch kam diese bevorzugte so-
ciale Stellung auch schon in rechtlichen Bestimmungen zum Aosdncke;
im Decret TassiL c. 7 (LL. III, 460) : De eo quod, ut servi principis qui
dicuntur adalscalhae, ut habeant suam werageldam iuxta morem quem ha*
buerant sub parentibus. Der dritte Theil der Composition von Unfreien
des Königs fiel an die Verwandten desselben, Gap. 808 (I, 153), c 3:
Cap. 832 (I, 364), c. 83. S. auch Gu^rard, Irminon, I, 357—858.
') Cap. de vill. c. 45: Ut unusquisque iudex in suo ministclio bonos
habeat artifices, id est fabros ferrarios et aurifices vel argentarios, snto-
res, tomatores, carpentarios, scutarios, piscatores, aucipites, id est ancel*
latores, saponarios, siceratores, id est qui cenrisam vel pomaticmn sire
piraticum vel aliud quodcumque liquamen ad bibendum aptnm fherit. ft-
cere sciant; pistores, qui similam ad opus nostrum feiciant, retiatoreB qß
retia facere bene sciant, tarn ad venandum quam ad piscandnm sire «d
aves capiendum, necnon et reliquos ministeriales, quos ad nnmenuidiiiD
longum est. Vgl. Brev. rer. fisc (I, 179): MinisterialeB non inTenlmDs,
aurifices neque argentarios,;ferrario8 neque ad venandum, neque in refa'qois
obsequiis. Monach. Sangall. I, c. 28 (SS. U, 744): de omnibus dsmariois
regionibus magistros et opifices omnium id genus artium advocant
j
— 365 —
hier für die Zwecke der Reichsverwaltung, die in gewissen
Grenzen wenigstens mit der herrschaftlichen Gutsverwaltung
verschmolzen war, an Schreibern und Amtsgehilfen ^), an Bo-
ten und Bütteln keinen Mangel zu leiden. Die nahen Be-
ziehungen zur Person des Kaisers aber und seinen persön-
lichen Bedürfnissen, sowie zu den höheren Amtspersonen und
dem Reichsinteresse, verschaffte dann doch leicht solchen Die-
nern einen grösseren Einfluss und damit höheres Ansehen;
sie erlangten mit jeder Bedienstung, die höher qualificirte
Arbeitsleistung erforderte, auch Gewalt über eine Reihe von
Pereonen, die wohl auch von besserem Stande waren*), und
kamen damit den Ministerialen gleich, welche die höheren
Dienste auf den königlichen Villen versahen und aus allen
Klassen der Untergebenen genommen sein konnten. Aehnlich
sind dann auch die unfreien Hausdiener der weltlichen und
geistlichen Grundherren , je nach ihrer Verwendung und der
socialen Stellung ihres Herrn, leicht zu grösserem Einflüsse
und besserer Stellung gekommen; und insbesondere die! viel-
begehrten Handwerker haben sich auch hier bald zu heben
verstanden und haben dann damit auch das Handwerk selbst
gehoben. Der Zulauf zu solcher Bedienstung ist damit be-
greiflichei-weise ein immer stärkerer geworden*); und die
rasche Entwickelung grosser Fronhöfe zu den eigentlichen
Stätten des Gewerbfieisses in dieser Zeit findet damit eine
ebenso einfache wie genügende Erkläiiing.
Neben diesen beiden Klassen der unfreien Hausdiener,
die den unmittelbaren Bedarf an persönlichen Dienstleistungen
') Das sind insbesondere die bei den verschiedensten Bedienstangen
Torkommenden juniores; ygL i. A. Cap. Aquisgr. 802 (I, 94), c. 25: Ut
comites et centenarii ad omnem justidam conpellent, et juniores tales in
ministeriis suis habeant, in quibus securi confident. Vgl. Waitz III, 839.
Maurer, FronhQfe I, 261. Der ceUerarius der Abtei Reichenau hatte disci-
puli cellerarii und nundi ceUerarii unter sich; Wirt Ürk.-B. 843, I, 125;
Dümgä p. 70. Die serri dominid wurden auch als compulsores ezerdtus
und heribannatores verwendet. Cap. 803, c. 5 (I, 115); c. 17 (I, 121).
2) S. Maurer, Fronhöfe I, 95.
^ Auch Freie übernahmen solche Dienste , z. B. Urk. a. 821 (Bied
cod. Rat. I, 21): quidam ingenuus faber.
— 366 —
für den Haushalt des Herrn, und die den Bedarf an Hand-
Werksleistungen zu decken hatten , fand sich dann auf jedem
Fronhofe noch eine Anzahl landwii-thschafUicher Arbeiter,
welche fdr die Bestellung der Sairändereien, f&r die Viehzucht
und Foi-stwirthschaft des Hofes gehalten wurden. Auch sie
arbeiteten theils unter unmittelbarer Aufsicht und Leitung
des Meier oder seines Stellveitreters (vicarius) nach den von
diesen festgestellten Betriebsplänen und Dispositionen; theils
waren ihnen bestimmte Abschnitte des Sallands, oder be
stimmte Arten des Anbaus (Weinberge) zu selbständiger Be
wirthscbaftung überlassen ^) , von denen sie dann den ganzen
Ertrag'), etwa nach Abzug eines Theils, der ihnen als Ent-
gelt gelassen wurde, an die heiTschaftliche Verwaltung ab-
zuführen hatten. Dann und wann ist ihnen auch eine unbe
setzte Zinseshufe zu voiilbergehender Bestellung übertragen,
ohne dass sie dadurch aufhören, den Leibeignen des Herren-
hofes zugezählt zu werden ') ; da solche Güter immer von der
Gutshen*schaft verwaltet werden, erscheinen sie dann eben
nur als deren Delegirte^). In solch selbständiger Bewirth-
schaftung von Salländereien durch Dienstleute des Herrenhofe
lag übrigens unverkennbar ein Keim zur nachmaligen Ent-
Wickelung des Theilbaus , ohne dass sich dei-selbe oder ähn-
liche Pachtsysteme schon in dieser Periode auf deutschem
Boden nachweisen Hessen^).
^) Vgl. die Beispiele von vineae dominicae, welche in H&nden tod
unfreien sind, im Reg. Prüm. S. 414 A. 6. G. Laur. 766, n. 1390: ler-
Yum et vineas quas ipse fedt et quidquid idem habere yisos est
^) Cod. Laor. 3678: sunt hubae 22 e quibos 2 in dominicom firoctiä-
cant; ib. 3679 : hubae 5 quarum una in dominicum fiructificat.
^) Reg. Prüm. c. 45, p. 170: Absi homines ex nostra familia, qoi vt^^
potestatem nostram sine mansis sunt
*) In einem instrumentum inquisitionis a missis imperatoris ötctu
(post 800) für die curtis Lemunta (pagus Mediolanus) : £st ibi tem «b-
sens , quam ipei servi laborant; Gu^rard Irmin. II. 343. Caes. i. Rt?*
Prüm. c. I, p. 144 : Mansi absi sunt qui non habent cultores, sed dorniBo^
eos habet in sua proprietate, qui vulgariter appellantur wroynde.
») Die ürk. in Trad. Sang. 867, n. 527, welche Maurer, Fronhöfe, L
316 als Beweis eines blossen Pachtvertrags anfuhrt, kann nicht hieber ht-
— 367 —
Freie Taglohnsarbeit aber ist in dieser ganzen Periode
jedenfalls nur ganz vereinzelt vorgekommen^). Sowohl die
Anschauungen des Volkes über die Unvereinbarkeit von Dienst
und Freiheit , als auch die ' allgemeine Unbeweglichkeit der
Verhältnisse, der Mangel der Freizügigkeit über das Gebiet
des Seniorats hinaus, in dessen Verband doch auch die be-
sitzlosen Freien stehen mussten, und die Unsicherheit einer
solchen Existenz , die sich nur auf freie Verwendung der Ar-
beitskraft gestützt hätte, waren dem Aufkommen einer freien
Arbeiterbevölkerung entgegen ; nur im festen gmndherrschaft-
liehen Verbände war die nöthige Sicherung der Existenz zu
finden *).
Eine ungemein wichtige und wesentliche Ergänzung er-
hielt die Deckung des heiTSchaftlichen Arbeitsbedarfe am Hofe
wie in Feld und Wald durch die pei-sönlichen Dienstleistungen
der unfreien Zinsgüter. Sowohl die allgemeine dreitägige
Fronarbeit der leibeignen Bauern, als die ihnen sonst auf-
getragenen Dienstleistungen waren wie die Arbeit der leib-
eignen Dienei*schaft mannigfaltigst zu verwenden und jeweilig
auf den Punkt hinzulenken, wo man ihrer am meisten be-
zogen werden; homines de Argengewe deprecantur celsitudinem nostram,
Qt eis liceret habere plenam legem quae volgo didtur phaath dcut
ceteri Alamanni, et se redimerent de tali censu sicut illorum antecessores
nostris antecessoribus persolveront. Sie woUen sich also von einer den
fränkischen Königen geleisteten Zinspflicht befreien und alamannisches
Volksrecht (phaath » pactos Alam.) erwerben; vgl. schon Waitz II, 562.
Der condactor remm pertinentium ad praefato domo Dei (Meichelb., Anf.
d 9. Jahrb., n. 247), den Häberlin als Pächter aufifasst, ist nach dem
ganzen Zusammenhang eher eine Gerichtsperson; s. Waitz lY, 892. Vgl.
auch Leymarie bist des paysans, p. 134.
') S. oben 2. Abschnitt S. 236.
*) Daher onterliegen auch die solivagi, qui ex parte domini terram
non habent (ürk. 782 — 814 Lacomblet, Archiv II, 294) der Grundherr-
schaft in Bezug auf Eopfzins und Gerichtspflege. In den statuta antiqua
abbatiae s. Petri Corbeiensis (Corbie) bei Gu4rard, Irminon II, 815 kom-
men allerdings, den entwickelteren neustrischen Verhältnissen entsprechend,
Bestimmungen vor ad conducendos homines, qui areas levent in autumno
et plantationes primo tempore facere adiuvent, necnon et sarcolare her-
bolas in aestate.
— 368 —
durfte. Nicht minder hatten die Liten oder sonstigen persön-
lich freien Zinsleute solche Arbeit, wenn auch in geringerem
Ausmasse als die Unfreien 0« fClr den Fronhof zu leisten ; war
das auch etwa in dem ursprünglichen Verhältnisse zum Herrn
des übertragenen Gutes nicht begründet, so etgab sich doch
im Verlaufe der ganzen grundherrschaftlichen Entwickelung
manche Gelegenheit, die zur Uebertragung oder Steigerung
solcher Leistungen zu benutzen war und sicher nicht leicht
unbenutzt . blieb. Insbesondere sind sie oft als Entgelt fQr
die den Zinsbauern eingeräumten Nutzungsrechte am herr-
schaftlichen Walde betrachtet worden*); die Grundherren
scheuten sich wohl auch nicht, ohne besonderen Titel ihren
Hörigen und Holden solches zuzumuthen.
Und ebenso wurden immer regelmässiger die Inhaber
von Beneficien zm* Ergänzung des namhaften Arbeitsbedaife
der herrschaftlichen Villen herangezogen, sei es nun, dass sie
die ihnen auferlegten Arbeitsleistungen selbst verrichteten^),
oder, was vornehmlich bei besser gestellten und vornehmere
Beneficiaren d6r Fall war, dass sie durch ihre eignen Unfreien
solche Arbeitsleistungen auf dem Hofe des verleihenden Gmnd-
heiTU verrichten Hessen *). Ja, die Verleihung von Beneficien
^) In Prüm erscheinen die mansi lediles und liberi nur in der Ge-
sammtsumme leichter belastet; im Einzelnen ist dann aber dieser Unter
schied doch wieder nicht vorhanden, z. B. in lyemesheim (Reg. FkiiBt
c. 55, p. 175) und Merx (ib. c. 23, p. 153).
') Gaesarius (zum Reg. Pmm. c. 1. p. 145) rechtfertigt damit ii
sondre auch die Dienstleistungen der fireien scararii und haistaldi;
dum est quod omnes homines viUas et termin'os nostros inhabitastes
tenentur nobis curvadas facere, non solum mansionarii, Temm etiam k*-
rarii, id est ministeriales et haistaldi, id est üli, qui non tenent a cnrift
hereditatem, quia communionem habent in pascuis et aqnis nostris; t^-
ib. c. 23, p. 153: Haistaldi vocantur manentes in viUa, non tarnen habentes
hereditatem de curia, nisi areas tantum et communionem in aquis et paaems.
^) Reg. Prüm. c. 24, p. 156: De benefidis . . &cit dies 3; c. 58, p. 177:
de beneficiis . . . solvit unusquisque den. 9 et caxrum 1 ; dueunt ad Pro-
miam de vino seu de annona carr. 250, ad NoYum monasterium dnuHts
carr. 250.
*) Tr. Sang. 787, n. 113: in beneficium nobis praestetis . . . et dm . . •
quando opus est foris operare sive in messe vel foenum secandasit mitta^
— 369 —
hatte nicht selten gerade den Zweck, qualificirte Arbeitskräfte
für irgend welche specielle Bedürfoisse der gutsherrlichen
Wirthschaft zu gewinnen und daueiiid an die Grundherr-
schaft zu knüpfen ^); insbesondere die gewerbliche Arbeit ist
gerade auf diesem Wege am meisten in den giomdherrlichen
Villen eingebürgert und damit selbst grundherrlich gemacht
worden *).
Die Arbeitsleistungen, welche von diesen vei-schieden-
artigen Gutem, den Zinseshufen der Leibeignen wie von Co-
lonen- und Beneficialgütem aller Art verlangt wurden, waren
im Wesentlichen zweifacher Art Theils spUten sie den un-
mittelbaren Arbeitsbedaif des Herrenhofes decken helfen, zu
dem sie gehörten; häusliche Vemchtungen auf demselben'),
Feldarbeit auf dem Herrenlande, Holzfällen in den Forsten,
Fuhren aller Art u. dgl. *) waren ihnen auferlegt ; es wird
mus 2 mandpios in opus Testram; et quando opus est pontes aedificare
vel novo8 facere, mittamus unum hominem ad opus cum soa proyenda et
Sit ibi tantOB dies, quantum necesse est. So sagt aach Caesar, ad Reg.
Ptam. c 10, p. 150 von den mansionarii: si volunt, posstmt xpandpiom
com equo destinare qui eundem (paraferedam) debeat procurare; Beg.
Prüm, c 114, p. 197: Operator tres dies in ebdomada in dominico ad
zoessem et ad fenum com 2 mandpiis.
^) S. schon Capit 786 (I, 51), c. 7: send qui honorati benefida et
ministeria tenent, Cap. de Till. 10: qoalisconqae maior babuerit benefi-
dum; forestarü, poledrarii de mansis eorom. Urk. 886, Dümgö 78: prae-
ter 1 mansom, quem yenatori antea concessimus.
*) Mddidb. {vor 836) Ib, n. 583: Engilmar fiiber reddidit cendum
sumn . . pro benefido quod habet ad SIegilespach. Wirt. Ürk.-B. 843^
I, 108 : benefidum piscatoris. S. auch Capit. de vill. c. 50 : Et ipsi pole-
drarii qui liberi sunt et in ipso ministerio beneficia habuerint.
') Vgl. schon die Frondienste der Ldbdgnen in der YiUa Stein (Par-
deas. II, 464): Uno anno purgant curtem a stercore, in secundo anno 180
tegulas dant, et tegunt edes; in tertio anno purgant aquaeductum mo-
lendini et reparant.
^) YgL i. A. Gu^rard, Irmin. I, 687 ff. über riga, curvada und andre
Dienstleistungen auf dem Henyngute. Sehr ausführlich Reg. Werd. A. I
(liacomblet, Archiv U, 218): De servitio (die gewöhnlichen Ackerdienste
s. unten S. 411 Anm. 2) Item de foeno debet quisque de manso secare
usqne ad meridiem, tunc duobus debet dari unus panis et pulmentum et
sestarios de cervisa. Idem foenum in acenros coUigere et exinde unum
Ton Inama-Sternegg, Wirthsduiftsgeschichte. T. 24
— 370 -
kaum eine in der Weise damaliger Wirthschaftsführong vor-
kommende Arbeit aufzufinden sein, die nicht auch von Zins-
bauem verlangt wurde*). Ein anderer Theil von Arbeiten
wurde ihnen dagegen zu selbständigerer Ausführung, als Zu-
that zu ihrer Wirthschaft auf dem Zinsgute übertragen; es
sind ihnen sowohl bestimmte Theile der Hofländereien zur
Bearbeitung, Einbringung der Ernte u. dgl. zugewiesen wor-
den, wenn sie die Arbeit selbständig zu leisten vermochten');
plaustrum in horreom deferre. Rursum ad curtem dominicam debetpalos
30 deferre, quotiens aecesse est ad sepem innöyandam; veteres palos et
Tirgas in usus suos adsumere. In agro oportet lugalem sepem qnod di-
dtor iacfac ita procurare, ut iumentam vel pecos in segetes non irrumpat,
qnod Bi irruperit, ipse debet Ipsa ingalis sepee longitndinis esse ad 5
ingales virgas; cum sepem in?eteraTerit, sibi assnmat et fiuiat numm.
Annis singulis oportet, ut ab uno manso accipiantur 12 modia grani, ipsom
gimeltan (malzen) et de «suis lignis et suo ketile gibreuan (brauen); tose
accipere unam amphoram de cerevisia et medium afterbier. Annis singnüs
2 mod. de sigilo debet a curte accipere, molere et coquere, de 24 panibns
1 panem acdpiat, cum illud detulerit Rursum 2 mod. de finomento mo-
lere tantum debet et crib'rare, de purgamentis dimidium accipere. It de-
bet de ordeo 2 mod. molere ad esum caninum. In pastu porcomm 5 mod.
glandium. De singulis mansis per vices debent custodire porcos simol cmn
subulco, ita ut debet reus esse, si ab ortu solis usque ad oocasnm perditos
fuerit porcus. Ab occasu autem ad ortum non debet. Arealem debet in
orto ad plenum procurare . . . ünam garbam lini debet in agro colfigere,
quam debet ad plenum procurare et semen bene paratum praesentare.
Debetur autem aranfimba quod didtur, id est unus acennis dari sex man-
sis.* Die Stelle ist auch in Bezug auf die gewerblichen Yerrichtungen der
Zinsgüter und auf die theilweise Naturalverpflegung der Bauern während
der Fronarbeit interessant; vgl. ähnliche Bestimmungen in ürk. 782—814
(Lacomblet, Archiv II, 294).
^) Von gewerblicher Arbeit auf dem Herrenhofe insbesondere Urk. 886
(acht?), Dürng^ reg. Bad. 78: ut eorum sutores, pellifices, fuUones in his
diebus, quando in vestibus preparandis fratrum occupantur, de fructa pn^
fatae villae pascantur.
^) Das ist schon in 1. Baj. I, 13 ausgedrückt: Andecenas legitimAS,
hoc est pertica 10 pedes habentem, 4 pertjcas in transverso, 40 in loogo
arare, Seminare, daudere, colligere, trahere et recondere. A tremisse vbbs*
quisque accbla ad 2 modia sationis excoUegere, seminare, colligere et ^^
condere debent; et vineas plantare, fodere, propaginare, praeddere, vinde-
miare; später ganz allgemein.
— 371 —
«benso sind sie mit der Bearbeitung unbesetzter Mausen, die
Yorübei^ehend in herrschaftliche Verwaltung übernommen wer-
den mussten (mansi absi), beti-aut^); und auch fUr die herr-
schaftliche Viehzucht ward ihre Arbeit in ähnlicher Weise in
Anspruch genommen, indem ihnen das Vieh des Herrenhofes
zur Uebei-winterung, zur Mästung u. dgl. übergeben wurde *),
wobei sie wohl gar die Verlustgefahr übernehmen mussten').
Bei diesen Arbeitsleistungen waren sie allerdings ungleich
selbständiger gestellt, als bei jenen Diensten, welche sie auf
dem Herrenhofe unter dem Befehle und der unmittelbaren
Leitung des Amtmanns oder Meiera zu vemchten hatten.
Doch gab es bei den vielseitigen Aufgaben einer grossen Guts-
verwaltung auch manche Arbeit, welcher der einzelne Zins-
bauer nicht gewachsen, war, sei es, dass es ihm am nöthigen
Gespann fehlte oder dass ein dringendes Bedürfniss besonder
rasche Vollendung gewisser Arbeiten verlangte; in solchen
Fällen mussten sich wohl die Zinsbauein auch bequemen, mit
den Leibeignen des Fronhofs zusammen zu arbeiten, wie das
ganz im Geiste einer wirthschaftlichen Organisation gelegen
war, die eine möglichst vollständige Ausnützung der Arbeitskraft
ohne viel pei-sönliche Rücksicht auf die Arbeiter anstrebte*).
Dabei war es Regel, auch dem Zinsbauein, wenn er am
Herrenhofe oder im Sallande arbeitete, eine Verpflegung zu
reichen^); es war das nur eine nothwendige Ergänzung des
0 Polypt Irm. II, 274; Maurer, Fronhöfe I, 847.
*) Reg. Prüm. c. 114, p. 197: Debet unum animal senioris acdpere ad
missam s. Martini et de suo nutrire usque in pascha; ib. c 116, p. 198 : De-
bet unasquisque 2 porcos senioris sui nutrire a missa s. Martini usque
ad dimidium martium. Brev. rer. fisc. (1, 177) : nutrit porcellos dominicos.
^) Reg. Prüm. c. 113, p. 197: Ad missam s. Martini debet unusquis-
qne unum pecus sui senioris accipere et nutrire de suo usque ad pascha;
qnod si perdiderit, componit (reddet) de suo.
*) Caesar, zum Reg. Prüm. c. 1, p. 145: Corvadam facere est ita no-
bis sicnt sibi ipsis arare . . . Qui enim habent animalia sive animal ad
hoc utile, yeniet quando ei praecipitur a nostro ministro cum suo fossorio
et cooperabitur aliis hominibus hoc quod ei iniunctum fuerit.
') Reg. Prüm. c. 1, p. 145: Quando 15 noctes facit et fenum colligit
et ciu^adas fadt, panem et cerevisiam et camem eis datur oportuno tera-
24*
— 872 —
ganzen Systems der Arbeitstheilung, wie es die Grundherren
entwickelten* Denn die einzelnen Mansen, welche an Zin&-
bauern hinausgethan waren, konnten doch nicht den ganzen
Lebensbedarf der Colonenfamilie sicher stellen und zugleich
der Herrschaft einen Ertrag abwerfen, da ja die Arbeitskraft
der Colonen nur zur Hälfte auf das Gut zu verwenden war;
sie waren daher wohl auch von Anfang an solch beschränkter
Arbeitskraft entsprechend ausgemessen; durch die Verleihung
erwarb sich der Giiindhen* mehr nur im AUgemeinen eine
gesicherte Verfügung über fi'emde Arbeitskraft und über die
Bodenrente, der Zinsbauer die Grundlage einer selbständigen
Wirthschaftsführung und die Bedingung für Erfüllung seiner
Zinsverbindlichkeit; die heirschaftliche Verpflegung während
der Arbeit am Herrengute kam dann als eine Art Natural-
lohn hinzu ^) ; der Werth der Golonenarbeit war zwar nicht
pore, alio tempore nichil. c. 24: de beneficiis . . qnaUs prebenda detar
Ulis: In angaria detur uniciiique panes 8, portiones 2, gobemator nans,
si ad Metis navigat panes 5, portiones 3. Operarios in navi onicniqae
panes 4 et portiones 2. Ad Cuhckeme vel ad Bemegbe panes 2 et por-
tio 1. Si ad monasterium pergit, panes 2. Si haistaldus illne pondiö
portat panes 3. Cum palos vel perticas reddunt de sno , detor nnicmqne
panes 3 et portio 1. Ad centenam unoqooque aratro panes 2^/^ et oom-
pane et 4 vices bibere. Centena ad vineas Ugandas et fodiendas panem 1
et qoartarium et compane et 4 vices bibere. Centena ad yindemiaDdoiB
nichil ei detur. Ad fenum secandum prius detur ei quartariom de pane
et aliquid ex came et bibere et postea panis 1 et pordo 1 et qosndo
fenum ducit panem 1. Femine ad fenum panem dimidium. Ad messem
coUigendnm similiter. Extraneis panis integer; vgl. auch c 45, 46, 47 a. <>.
Wirt. Ürk.-B. 848, n. 108: Piscatores . . . prandium a cellerario acdpiani-
ünicuique autem piscatori sagenam fratrum trahenti staupus Tini si ita
habunde crevit, ut possit dari, cum pane tribuatur; atsi non creviti ste-
culus ceroTisiae gratanter ab eis suseipiatur. Urk. 782 — 814 (Lacomblet«
Archiv II, 294): ut habeat panem et cerevisiam ad suffidentiam. Qoodsi
non datur panis et cerevisia, non serviat, priusquam restauretor. TgL a.
die Leistungen und Gegenleistungen nach dem Reg. Werd. oba S. 3^
Anm. 4.
^) Dass mansus und provenda Formen der Naturallöhnuog waren, ist
schon aus Cap. de vill. c. 50 zu ersehen : Poledrarii qoi üben soat et in
ipso ministerio benefida habuerintp de illomm vivant beneficiis. Siodlit^r
et fiscalini qui mansos habuerint, inde vivant. Et qui hoc noo habuerit.
— 873 —
voll vergQtet, weil ein Pfliehtverhältniss auf Grundlage des
Zinsgutes schon bestand; aber er konnte doch nicht vollstän-
dig ohne weitere Entschädigung in Anspruch genommen wer-
den, weil ja die Mittel gefehlt hätten, seine Quelle zu erhalten
und ihn selbst immer wieder neu zu erzeugen.
Bei dieser grossen Klasse von Landwirthen aber, welche
einzelne Hufen der Grundherren innehatten, von ihnen Zinse
gaben und Frondienste leisteten, lag überhaupt in dieser
Zeit der Schwerpunkt der nationalen Arbeit. War in der
älteren Zeit der kleine'freie Grundeigenthfimer noch als der
eigentliche Bauer erschienen^), so bildete nun die Masse die-
ser grundhörigen Leute .den Bauernstand, mochten sie nun
ihrem Status nach Unfreie (servi casati) oder Halbfreie (liti,
fiscalini, coloni) oder selbst Freie (liberi, franci, ingenui) sein.
Es wird das schon aus dem Verhältnisse der dienenden Mau-
sen klar, welche zu einem Herrenhofe gehörten; der Gegen-
satz zur älteren Zeit liegt aber .weniger in dem Unterschiede
der Zahl, als vielmehr darin, dass die dienenden Mausen
nunmehr überhaupt die Regel wurden, während sie früher im
Vergleiche zu den freien Hufen doch die Ausnahme bildeten.
Damit ist die Summe der in fremdem Dienste verwendeten
Arbeitski-äfte in^s Ungemessene gesteigeit worden. Denn nicht
bloss die persönlichen Dienstleistungen der Hufenbesitzer sind
dabei in Rechnung zu ziehen; auch ihre Weiber^) sind zu
Haus- und Ackerdiensten verhalten; und sehr kömmt in Be-
tracht, dass sie von den Früchten ihrer auf der Zinseshufe
verwendeten Arbeit einen beträchtlichen Theil zum Nutzen
der Herrschaft abgeben mussten. Mit jenen vermehi*ten sie
die pi*oductive Kraft der herrschaftlichen Wirthschaft und ge-
statteten ihr, einen ungleich grossartigeren und vielseitigeren
de dominica acdpiat proyendam. YgL auch Reg. Pram. c 2, p. 147 oben
S. 363 Anm. 4
') S. I. Bttch, 4. Abschnitt, S. 148.
') Reg. Werd. A. 1 (Lacomblei, Archiv I, 218): De petitorio iumale
debet nxor ad 5 acenros manipulos aUigare et eosdem acerros colligere
Tel coDBtraere; tone 4 manipulos sibi assomat Bog. Pmm. c. 24: feminae
ad fenum.
— 874 —
Eigenbetrieb durchzuführen, als diess mit den eignen Arbeits-
kräften des herrschaftlichen Gutes je möglich gewesen wäre;
mit diesen gaben sie dem Gmndherrn die Verfügung Ober
fertige Arbeitserfolge, also über Producte, welche unmittelbar
den Reinertrag seines Besitzthums erhöhten.
Die Grundlagen für die Bemessung der Frondienste waren
im Wesentlichen auch in dieser Periode die gleichen, auf
welchen schon früher das Ausmass der Leistungen beruhte;
von den unfreien Hufen (mansi serviles) wurde regelmässig
dreitägige Feldaibeit in der Woche ^), von den Hufen der
Liten und Pflichtigen Freien solche gewöhnlich nur wähi*end
einiger Wochen , bei der Herbst - und Fi-ühjahrsbestelloDg,
für die Brachfurche und die Ernte verlangt^). Aber viele
andre Dienstleistungen am HeiTenhofO; Fuhren und Vorspann,
Botendienst und Handelsgeschäit, wurden daneben noch üblich^);
mit der Mannigfaltigkeit wuchs auch sichtlich die Schwere
dieser Dienstleistungen, welche den einzelnen Hufen aufge-
bürdet wurde ^); die Zinsbaueiii wurden dadurch geradezu
in ihrer Existenz bedroht; Fronen und Scharwerk (scara)
») Vgl. 2. B. Tr. Wizz. 774, n. 63. C. Laur. 776, n. 868 n. o. S.
I. Buch, 4. Abschnitt, S. 156. Doch kommen schon einige Erleichterungen
vor-, Tr. Sang. 817, n. 228: ut servi vel andlle coiyagati et in mansia ma-
nentes tribata et vehenda et opera vel texturas sea functiones qnaslibet
dimidia &ciant; ib. 842, n. 885: ita dumtaxat, ut ipsa mandpia non co-
gantur in ebdomada tres dies operare, sed tantum daos; ib. 865, n. 509:
tributom absqae diebus et femine operibos; Beg. BUd. 12: manctpia 7,
quorom qnilibet . . senrit 2 dies in ebdomate.
*) S. die vielen Beispiele unten S. 402.
') Reg. Blid. 1: dudt 2 carr. ligni; 4: dadt in messe 2 caxr. feni; 6:
dudt 125 palos; 9: senrit ad annum in yinds ad opos senioris; 14: ser-
viunt in vineis, navigant; s. auch die sdt Karl d. Gr. ao^ekommaDefi
Mergeliuhren Ed. Pist c. 29 unten S. 412 Anm. 1.
^) Im Reg. Prüm, kommen die hauptsächlichen Leistongen wohl alle
vor: ducnnt ad monasterium spelta, annona, fenum, vinum, salem; poiros
plantant, moras coUignnt; clausuram, panem, curvadas, jugera, wictas,
noctes, pertigadas, scaram £BMaunt, operant ad fenom, ad messem, ad nn-
demiam, in broil, dies, hebdomadas; paginas claadunt, linum seBiBUt et
parant, fenum secant et colligunt, vinum et sal vendunt, navigant, «qw*
tant etc.; feminae suunt femoralia, faciunt campsUes u. a.
— 875 —
Hessen ihnen kaum mehr Zeit, um der Hufe, die sie selbst
bebauten, neben kärglichstem Unterhalte die Früchte abzu-
gewinnen, die sie neben ihren Diensten als Zinse und Abgaben
aller Art an die HeiTSchaft abliefern mussten. Es kann nicht
Wunder nehmen, wenn die Bauern oft mit Preisgebung ihres
Zinsguts sich in eine andre Hen*schaft als Hausdiener bega-
ben ^), wo sie doch wenigstens um die Sicherung der Lebens-
DOtdurft nicht zu sorgen hatten; ja selbst yon ihrem bereits
erblich gewoi'dnen Besitz veräusserten sie wohl die Ländereien
und behielten sich bloss die Wohnstatt vor *), um den lästigen
Diensten zu entgehen, die ihnen eben wegen des Hufenlandes
oblagen.
Auch hier war es wieder nur die verständige Wirth-
schaftspolitik , welche die Eai'olinger, Karl d. Gr. selbst in
erster Reihe, pflegten, die auf Erhaltung dieses Bauernstandes
hinwirkte, während die weltlichen Grossen nur allzu geneigt
waren, ihre Zinsbauei-n überhaupt wie Leibeigne unbeschränk-
ter persönlicher Verfügung zu unterwerfen, und die geistliche
Grundhen-schaft über dem Streben nach gi*ossen ökonomischen
Ergebnissen ihrer Verwaltung nicht minder die Pflege der
Interessen ihrer Zinsleute vergass. Wie Karl d. Gr. es seinen
Amtleuten wehrte, dass sie die Arbeitskraft der auf könig-
lichen Zinsgütem angesessenen Bauern für ihre eignen Zwecke
verwendeten *) , so untersagte er auch den GrundheiTen,
welche über Fiskalinen und Colonen geboten, diese anders
als für ihr Zinsgut zu reclamiren, wenn sie sich in fremden
^) Cap. 803 (I, 121), c. 15; s. unten S. 376 Anm. 1. Auch Gap. 806,
c. 6 (I, 144) von den fugitivi servi, Cap. 817, c 6 (I, 215): de mandpüa
in villas dominicas confagientibos; Cap. 821, c. 8 (I, 230): Si servi yel
ecdesiastici vel quorumlibet liberorum hominom in fiscum noBtrom con-
fngerint.
') Ed. Pist. 864 (I, 496), c. 30; s. oben S. 353 Anm. 1.
^ Cap. de yiU. c 3: Ut non praesumant iudices nostram familiam in
eonun serntimn ponere, non corvadas, non materia cedere, nee aUnd opus
sibi iacere cogant. c 11: Ut nuUus iudex mansionaticos ad suum opus
uec ad snos canes super homines nostros atque in forestes nuUatenus
prendant
— 876 —
•
HeiTSchaftsbereich begeben hatten^). Und aus dem gleichen
Gesichtspunkte der Bewahrung eines kräftigen Bauernstandes
verbot Karl der Kahle den Colonen und Fiskalinen die Ve^
äusserung der zu ihren ererbten Zinsmansen gehörigen Län-
dereien*). Auch die Regelung und Fixirung der Dienstlei-
stungen, wie sie zuerst aus späteren Zusätzen zu einigen
Volksrechten ersichtlich wird^), von Karl d. Gr. besonders
fbr die Hörigen der Kirchen- und Fiskalgüter des pagus Ce-
nomannicus (le Maus) bezeugt *) und von vei*ständigen Grund-
herren nachgeahmt ist, war wohl schon von demselben Geiste
eingegeben ; und es ist entschieden der Energie karolingischer
Verwaltung zuzuschreiben, wenn das mindestens auf den Kir-
chen- und Beneficialgütem , soweit der königliche Einflnss
reichte, während dieser Periode immer mehr zur Regel wurde*).
Ebenso hat aber nach der anderen Seite hin das Bei-
spiel, welches Karl d. Gr. mit der strammen Arbeiterorgani-
sation der königlichen Villen gegeben hat , fiberall aof den
Gfitem der gi*ossen Grundherren Nachahmung gefunden. In
dem Gapitulare de villis ist das Bestreben allgemein wahr-
nehmbar, die einzelnen Kreise der dienenden Arbeit mit einer
Oberleitung zu versehen, welche die üeberwachung der Pflicht-
^) Cap. 803 (I, 121), c 15 : Ut homines fiscalini sive coloni in alie-
num dominium commanentes, a priore domino requisiti, non aliter eisdem
concedantor, nisi ad priorem locum, ubi prios visus fuit mansiBBe.
«j Ed. Pist 864, c 80 (I, 496); s. oben S. 353 Anm. 1.
') L. ß^'. I, 13, gleichlautend mit Cap. 817, c. 13 (I, 216).
«) Gapit 800 (LL. I, 82). Auch Cap. Langob. 835 (I, 371), c 6:
Praecipimus ut nova condictio aldioni a domino non imponator. Auf
solche Fixirung der Dienstleistungen ist es wohl auch zurückzufthren,
wenn die Colonen des Fiskus und der Kirche sich weigerten, «zu ihren
sonstigen Fuhren und Handdiensten auch noch die neu aufgekommen«D
Mergelfuhren zu übernehmen; Ed. Pist. 864 (I, 495), c29; u. S. 412, Aom. 1
^) Meichelb. Ib, 825, n. 481: Isti sunt liberi homines, qui dieontor
barscalci qui et cum Wagone coram multis conpladtayerunt, ut ecdesia*
sticam acceperunt terram, de ipsa terra condixerunt facere serritram . •
arant dies 3 tribus temporibus in anno et secant tres dies, iUnd coUegont
et ducunt in horrea ... et reddant modios 15, ex bis 8 de ordea, ans
Mscinga val. saicas 2 . . . Istud firmiter condictom est ut eis nulius am*
plius maiorem serritium iigungere valeat Vgl. Roth, Bene£-W. S. 377.
- 377 —
erfullung wie die Anordnung und Leitung der Arbeiten durch-
zuführen hatte, selbst aber wieder nur Glied der einheitlich
gedachten und oi'ganisirten Gutswirthschaft war. Mit der
Verwaltung ganzer Villen betraut waren die Amtleute, in
dei-en Hand die Leitung der Domanialwirthschaft wie die An-
ordnung und üeberwachung der Frondienste und die Beitrei-
boDg, Ansammlung und Verwendung der Zinse und Abgaben
sich vereinigte. Ihnen unmittelbar untergeben waren einer-
seits die Vorstände der einzelnen Abtheilungen der Domanial-
wirthschaft ^), anderseits die Verwalter der zu den Villen ge-
hörigen Dominicalhufen, die zugleich wieder die Vorgesetzten
für kleinere Kreise dienender Hufen bildeten, wie das das
ViUensystem mit sich brachte. Um diese Unterordnung zu
wahren, scheint insbesondere jene Bestimmung erlassen, wor-
nach zu Maiem nicht Mächtige genommen werden sollten*),
sondern Leute in bescheidnen Lebensverhältnissen, von denen
man sieh besonderer Treue vei'sehen konnte. Denn mächtige
Grundherren würden die Verwaltung eines königlichen Gutes
doch nur als ein Annex ihrer eignen Wii-thschaft betrachtet
haben, und wären den Amtleuten an Macht und Ansehen
leicht überlegen gewesen.
Eine ähnliche Organisation der Arbeit tritt dann allmälig
mit Verbreitung der Villenverfassung bei den grossen geist-
lichen wie weltlichen Gi-undhen-schaften in Deutschland her-
vor, obwohl sie unverkennbar noch weit zurücksteht hinter
der Ausbildung, welche dieselbe im westlichen Frankenreiche
bereits erlangt hatte, und weder so vielseitig noch so er-
schöpfend ist, als auf den königlichen Villen. Die Verwaltung
der einzelnen Hauptgüter ist auch hier Amtleuten über-
tragen^); die einzelnen Herrenhöfe in der Regel mit Leuten
^) Dahin gehören die forestarii, poledrarii, cellerarii, telonarii; auch
decaoi c. 10. Auch die magistri seryoram forinsecus c. 29 und 57 und
Cap. 817 (I, 213), c. 18, und die magistri forestariorum Bouquet VI, p. 648.
^ c. 60: Nequaquam de potentioribüs hominibus majores fiaut, sed
de mediocribus, qui fideles sint.
*) Vgl Vita Rabani liauri in Schannat, bist Fuld. cod. prob. p. 118:
erant etiam per diversas provincias praedia monasterio subiacentia, . . .
— 378 —
von dem niedereren! Range der Meier besetzt, denen zugleich
die Ueberwachung der ihrem Bezirke zugewiesenen Zinshöfe
anvertraut war ^). Besonders in geistlichen Grundherrschaften
ist aber oft auch nur einem Zinsbauem ein solches Amt (mi-
nisterium) fibertragen, ohne dass er dadurch zum eigentlichen
Wirthschaftsbeamten der hen-schafüichen Verwaltung wird.
Auch Kellner *) und Förster •), als solche Voreteher besondrer
Dienstzweige, werden wiederholt erwähnt und vereinzelt treten
auch Vorgesetzte der Hausdiener*), Meister der Schenken^)
etc. vor.
Nicht minder wichtig ffir die Organisation der nationalen
Arbeit war Karls d. Gr. Beispiel in Anordnung des öffentlichen
Dienstes. Die Verbindung der wirthschaftlichen Privatinter-
essen mit denen der öffentlichen Verwaltung war in einer
Zeit selbstverständlich, welche so wenig zwischen Staatsgut
und Ffirstengut, wie zwischen Staatsgewalt und grundherr-
licher Gewalt des Ffii-sten überhaupt unterschied. Und daram
hat es auch nichts Befremdendes, dass die Amtleute der kö-
niglichen Villen zugleich mit obrigkeitlichen Functionen, mit
Gerichts- und Polizeigewalt ausgestattet waren und zugleich
im Dienste der Keichsfinanzen standen ^). Aber gerade durch
die Villenvei-fassung Karls d. Gr. sind doch alle seiner grund-
qaorum alia quidem per villicos ordinavit, alia vero et mazime ilia ur
quibas ecdesiae fuerant, presbyteris procuranda atqne disponenda conmi-
Sit; vgl. die praepositi in Gap. 811, c. 4 (LL. I, 168).
^) Caes. z. Heg. Prüm. c. 1, p. 145: et si mansionariis a maiore, i^
est Tillico sive a Duncio abbatis precipitur, tenentur framentum de cnri»
domimca ad molendinum deducere etc. Aach der im Reg. Blid. öfter g^
luumte yillicus wird wohl nur als Meier zu nehmen sein.
>) Wirt Ürk-B. 848, n. 108, wo die disclpoli ceUerarii erwfthnt wecdei.
') Carta Chrodeg. Met 756 (Calmet, bist de Lorraine I pr. 282).
^) Mon. Sang. U, 6 (SS. U, 750) : cubicularii circa magistnun wm:
YgL schon 1. AI. 81, c. 3 — 6: coquus qai iuniorem habet
°) Ann. Laor. m%j. 781 (SS. I, 162): magistri pincemarom; TgLi.A-
Maurer, Fronhöfe I, 260 ff.
®) Vgl. über die Verrechnung der königlichen Einkünfte aas Aiv^'
liehen wie aus privatwirthschaftlichen Titeln durch die Amüeate O^k ^
▼iU. c 62 unten S. 394 Anm. 2.
— 879 —
heiTlichen Gewalt Unterworfenen zugleich auch für den öffent-
lichen Dienst in einer Weise in Anspruch genommen worden,
wie es weder vorher noch nachher in gleichem Umfange und
mit gleich grossartigem Erfolge geschah. Insbesondei^ auf
Kronbeneficien und allen aus königlichem Besitze herstam-
menden Gütern, sowie auf allen geistlichen Grundbesitzungen
machte die Reichsgewalt fortwährend ihre Interessen geltend
UDd verlangte Dienste und Abgaben für die Beherbergung
und Verpflegung des Königs und seiner Sendboten, für den
Bedarf des Heereszugs und der Amtsreisen, für Nachrichten-
beförderung und öfientliche Verkehrswege, für Bauzwecke und
öffentliche Sicherheit in Krieg und Frieden^). Durch Ver-
dinglichung aller dieser Leistungen in dem Systeme der Be-
neficien und der Villenverfassung gab er ihnen eine Stetigkeit
ihrer Vertheilung, und durch fortwährende Aufsicht über die
Leistungsfähigkeit der Güter eine Sicherheit der jederzeitigen
Erfüllung , wie sie in dieser Zeit auf andre Weise wohl nie
auch nur annähernd so vollständig geltend zu machen gewe-
sen wären. Und auch hierin zeigten sich die Grundherren
alsbald als gelehrige Schüler ihres gi-ossen Meisters der Or-
ganisation. Was sie an öffentlichen Leistungen zu tragen
hatten, besondei'S die Beherbergung und Verpflegung des
Königs und seines Gefolges, die Einquailierung und Beförde-
rung der Grafen, die Boten - und Fuhrdienste, die Wachen etc.
vertheilten sie geschickt auf ihre Leute, die auf den dienen-
den Mausen ihrer Herrschaft umhersassen '). Den grösseren
^) Sehr ausführliche Nachweisungeii hierüber bei Waitz, Yerf-Gesch.
IV, 10-35.
^) Diese Natoralyerpflegang war sehr reichlich bemessen und zeigt,
dass die Eönigsboten mit grossem Gefolge reisten; vgl. AnsegiB (I, S20)
IV, 70: De dispensa missorum dominicorum . . . videlicet episcopo panes
40, friskingae 3, de potn modii 3, porcellus 1, pulli 3, ova 15, annona ad
caballos modii 4. Abbati, comiti atque ministeriali nostro unicuique den-
tur cotidie panes 30, friskingae 2, de potu modii 2, porcellus 1, pulli 3,
ova 15, annona ad cabaUos modii 3. Vassallo nostro panes 17, friskinga 1,
porcellus 1, de potu modius 1, puUi 2, ova 10, annona ad caballos modii
2. Gap. 828 (I, 328), c. 1: Volumus ut tale coniectum missi nostri acci-
piant quando per missaticum suum perrexerint: hoc est ut unusquisque
— 380 —
Zinsböfen, freien Sehutzleuten, die in besserem Zustande und
aueb für den ihnen obliegenden Kriegsdienst mit Pferden aus-
gestattet waren, wurden vorzugsweise die Fuhren, Voi^ann
und Pferdewechsel fQr Eilpost und Schnellboten auferlegt'),
ihnen auch der Dienst fdr das Fuhrwesen des Heeres beson-
ders zugedacht; die unfreien Mausen und kleineren GQter
haben dazu Handfronen oder aber Abgaben^) leisten müssen.
Und in gleicher Weise wurden die Dienste der Grundholden
herangezogen, wenn es galt, gemeinwirthschaftliche Leistungen
herzustellen, welche die GrundheiTon entweder von Reichs-
wegen übernehmen mussten, oder welche sie im eignen In-
teresse ihres Hen-schaftsgebietes ausführen wollten, Strassen-
und Bi-ückenbau 3) , Bauten für den König oder die Kirche,
accipiat panes 40, Mskingas 2, porcellam aut agnum 1, piülos 4, oni 20i
▼ino sextarioB 8, cervisa modios 2, annona modios 2.
^) In PriUn and Lorsch waren die paraferedi vorzugsweise den mansis
ingenoiles und lidiles auferlegt; ygl. Cap. 826 (I, 256), c 10: De quer^
Hildebrandi comitis, quod pagenses ejus parayreda dare recosant und dua
Gu^rard, Irm. I, 810. Im Brev. rerum fisc. kommen jedoch die paraferedi
auch als Leistungen von mansis servUibus Tor, was dann wieder die Ver-
wischung dieser Unterschiede anzeigt Auch die scara wird im öffentliches
Dienst verlangt; Waitz IV, 22.
*) Im Reg. Prüm, sind die Zinsbauem vielÜEu^ verpflichtet, in advents
regis, Frischlinge, HOhner, Eier, Mehl zu liefern. Vgl auch Cap. Tnsiac
865 (I, 503), c. 16 : üt ministri comitum in unoquoque comitatu dispensam
misBorum nostrorum a quibuscumque dari debet, recipiant, sicut in tru*
toria nostra continetur et ipsi ministerialibus missorum nostrorom em
reddant.
") Tr. Sang. 787, n. 113: quando opus est pontes aedificare vd noros
facere mittamus unum hominem ad opus. Vgl. Monachus Sang. (SS. TL
745), I, 80: Fuit consuetudo in Ulis tempoiibus, nt, abicunqoe aliqood
opus ex imperiali praecepto fadendum esset, siqoidem pontes vel naves
aut trajecti sive purgatio seu stramentum vel impletio coenosorom itiae-
rum, ea comites per vicarios et officiales suos exeqaerentnr in minoribos
dumtaxat laboribus. Capit Langob. 808 (I, 111), c. 18: De pontibos vero
vel reliquis similibus operibns que ecdesiastiti per iostam et antiquam coa-
stitutionem cum reliquo populo facere debent hoc praecipimus, ut rector
aecdesie interpelletnr et ei secundum quod ejus possivilitas fberit sa
portio depntetur et per alium ezactorem ecclesiastici homines ad opera
non conpeUantur.
— 381 —
Flassregulii'oiig und Seedeich6 und was der Ai*t mehr war.
Es lag darin an sich keine Mehrung der Dienste, welche die
Grandherren von ihi-en Untergebenen verlangten, sondern es
wurden die Arbeitsleistungen dei'selben nur zum Theil in den
Dienst der öffentlichen Interessen gestellt; aber allerdings lag
es nahe genug, dass Grundherren, welche keine Schonung
ihrer Arbeiter, keine Opfei*willigkeit im öffentlichen Interesse
kannten, diese Ai-t der Organisation der Arbeit zu einer wei-
teren Bedrückung dei*selben machten.
In dieser reichen Gliederung und einheitlichen Organisation
der Arbeit liegt zum guten Theile das Geheimniss des unge-
mein raschen und folgenschweren Wachsthums der grossen
6rundhen*schaften. Im rechten Gegensatze zu der Wirthschaft
des kleinen freien Grundbesitzen, der noch jetzt mit Weib
und Kindern und etwa einigen Dienstboten seinen einfachen
Haushalt führte und seine Hufe dürftig bestellte, in seinen
Bedürfnissen utid Lebensansprüchen die alte Monotonie, in
seinem Betriebe die alte Extensität bewahii; hat, gelang es
den grossen Giiindherren nicht bloss, ihrem persönlichen Le-
ben reichen Inhalt zu geben, sondern auch der nationalen
Production neue, breitere Bahnen zu öffnen, indem sie dem
bisher wichtigsten Productionsfactor, dem Grand und Boden,
die nationale Arbeit als nicht minder wichtig befrachtend
an die Seite setzten. Hier fand jede überschüssige Arbeits-
kraft leichte und reichliche Verwendung; hier konnte jede an
den Platz gestellt werden, wo sie sich nach ihrer Eigenart
am besten zu bethätigen veimochte; und die Einheitlichkeit
des Organisationsplans für die Arbeit, sowie die strenge Durch-
fbbrang desselben bürgte dafür, dass auch jede Kraft gehörig
ausgenützt, ihr Arbeitserfolg genügend verwerthet wurde. Für
die Arbeit im grandhenlichen Verbände jener Zeit gab es
keine Concun'enz, welche diesen Arbeitserfolg des Einzelnen
hätte gefährden können; jede von der Herrschaft geforderte
oder für die Hauswirthschaft des Grandholden geleistete Ar-
beit hatte von Anfang an sichere Verwendung und die Ge-
wissheit einer, wenn auch dürftigen, Vergütung in Land oder
Producten der gutsherrlichen Wirthschaft. Selbst in dem
— 382 —
natürlichen Anwachsen der Arbeiterbevölkerung und in der
Zuwanderung fremder Arbeitskräfte ist noch lange keinerlei
Gefahr für die Verwerthung der Arbeitserfolge gesehen ifor-
den. So lange der Gi-undherrsehaft noch Gulturland oder öde
Gründe zu reichlicher Verfügung standen, eine intensivere
Bewirthschaftung mit der Aussicht auf entsprechende Ver-
werthung des gesteigerten Rohertrags der Wirthschaft sich
rechtfei-tigte ; so lange die Intelligenz und wirthschaftliche
Thatkraft der Giiindherren mit neuen Ideen die Arbeit be-
fruchtete und ihr neue Productionszweige eröffnete: so lange
bewahrte sie sich auch die Fähigkeit, neue Arbeitskräfte bei
sich aufzunehmen und ihnen gesicherte Verwendung zu bieten.
Und das war offenbar in dieser Periode noch durchaus der Fall
Denn nirgends vernehmen wir eine Klage wegen Mangels an
Arbeitsgelegenheit; nirgends treten Symptome eine Uebervöl*
keiiing auf, wie sie in der Folgezeit besonders zur Bildung neuer
Lebens - und Erwerbskreise in den Stftdten geführt hat. Wohl
fühlt sich auch jetzt schon der Arbeiter vielfach bedrückt
durch die Dienste und Zinse, die ihm im heii'schaftlicben
Verbände auferlegt waren; aber man darf die Unlust nicht
vergessen, mit der schliesslich immer Arbeit vemchtet ?rird,
die sich im fremden Dienste erschöpft und die Trftgheit, die
sich da einstellt, wo eben keine Concurrenz um die Güter
des Lebens als stetig wirkender Spom zur Arbeit treibt Die
Periode der grossen Organisation der Arbeit dui*ch die Grand-
hen'schaft ist in diesem Sinne immerhin eine Zeit volkswirth-
schaftlichen Aufschwunges; mit dem Abschlüsse dieser Orga*
nisation in dem Rahmen, wie ihn schon die Karolingerzeit
gesteckt hat, ist aber auch sofort die Zeit des Stillstandes,
bald auch des Rückschrittes inauguriit; die Grundherrscbaft
hat nichts mehr zu leisten, sie hat nur zu erhalten, was eine
frühere Zeit für die Volkswiithschaft Grosses geleistet hat;
und auch das ist ihr schlecht genug gelungen.
Mit der vielseitigen, gut gegliederten Arbeit dienender
Leute und Hufen führte also die Grandherrschaft eine gross-
artige Wirthschaft für eigne Rechnung auf ihren Domanical-
gütern durch. In den Zinsen und Abgaben, welche die die-
— 383 —
neoden Güter und bestimmte Klassen dienstpflichtiger Leute
zu leisten hatten, erhielt dann die Grundherrschaft eine we-
sentliche Ergänzung ihrer Eigenproduction. Es ist dabei nahe-
liegend, dass diese Zinse ebensowohl nach der Beschaffenheit
und. dem Ausmass des Gutes, wie nach der besondem wiith-
schaftlichen Qualification des Pflichtigen bestimmt wai-en^-
Und soweit diese Ertragsquellen nicht geändert werden konn-
ten, war auch der GrundheiTschaft Mass und Art der Ein-
künfte vorgezeichnet. Es machte sich aber doch auch hier
bald der organisatorische Einfluss geltend, der von der Grund-
herrschaft auf alle Verhältnisse ausging, welche sie beiilhite.
Schon bei der Ei'werbung dienstbarer Leute und Ginindstücke
wurde so viel als möglich auf die besonderen Bedürfnisse der
Grundhen'en Bücksicht genommen. So richtet sich frühzeitig
das Augenmerk von Elöstein und Stiftern, besonders in käl-
teren Gegenden , auf die üppigen Weingüter des Etsch - und
Rheinlands. So zogen sie mit Vorliebe Handwerker an sich
und statteten sie mit Beneficien und Lehen aus, um ihre
Gewerbsproducte zu geniessen; ja selbst die Freilassung be-
/iHrwortete die Kirche zum Theil mit dem Hintergedanken,
dass sie zu ihren Gunsten erfolgte, indem die Freigelassenen
eine Wachszinspflicht übernahmen.
Um so mehr machte sich das Bestreben nach Anpassung
der Colonenwirthschaft an die mannigfachen Bedürfnisse der
Herrschaft, zuletzt selbst an die Nachfrage des Marktes gel-
tend, als die Grundherren überhaupt mehr zum Bewusstsein
von der Nothwendigkeit einer weiterblickenden ökonomi-
schen Leitung der Wirthschaft gekommen waren, und auch in
reicherem Masse über die Mittel verfügten, durch welche sie
auf die Betriebsweise der Colonen einzuwirken vermochten.
Vor allem finden wir eine immer grösser werdende Man-
nigfaltigkeit und Specialisirang der Zinse und Abgaben, welche
ebensowohl auf das verschiedenartige Bedürfniss der Ginind-
herrschaft als auf das Streben zurückgeführt werden kann,
^) L. Baj. I, 13 (LL. III, 280): Servi autem ecclesiae secundum pos-
sessionem suam reddant tributa.
— 384 —
Ordnung und Rege] in die difFerenten Mengen der eingeben-
den Producte zu bringen und dadurch sicherere YoranscUä^e
und eine bessere Disposition für die Verwendung und Ver-
werthung der Producte zu gewinnen. In den Yolksrechten
und ältesten Urkunden sind die Abgaben der Zinsbauem noch
sehr einfach und gleichförmig festgestellt^); und auch die
grössere Specialisirung der Abgaben, wie sie sich im Laufe
des 8. Jahrhunderts einstellt, ist noch unbedeutend gegenüber
der reichen Mannigfaltigkeit, welche die grossen Urbare jener
Zeit*), besondei-s das berühmte Prümer Register zeigen; über
30 yei*schiedene Producte sind hier den dienenden Mausen
als Leistungen yorgeschrieben ; neben vei'schiedenen Getreide-
sorten, Mehl und Malz, besonders Wein, Flachs, Senf, Eicheln,
Heu und Dünger; Pferde, Rindvieh, Schweine, Schafe und
Hammel, Hühner und Eier, Bauholz, Brennholz, Schindeln
und Geräthe mancher Art. Nur die königlichen Villen konn-
ten sich damit in Bezug auf Mannigfaltigkeit messen ') ; freilich
^) S. oben I. Buch, 4. Abschnitt, S. 161 f.
') Im Brey. rer. fisc. (1, 177) sind genannt: annona, linom, aemoitoiii
Uni, lenticola, friskinga, boves, parafredi, puUi, ova, lignom, camitileB, sar-
ciles. Im Reg. Bild, siligo, avena, triticam, .dceres, glandes, linom, Tinom,
parafreda, oves, vervices, porci, friskinga, pulli, oya, mensales. Im Beg.
Werd. siligo, ordeum, avena, triticum, frumentum, alfitae, braciom. fiuiDa,
pisae, fabae, panes, pord, oves, gallina, puUi, ova, victima porcina Tel ovini.
mel, linum, pallia linea, plaustra lignoram, sal, vindingae (?). Im Btg.
Prüm, avena, hordeum, annona, farina, braceom, viniun, linnm, sinapis.
glandes, fenum, fimum, suales, porci, friskinga, multones, boves, parafredi
pulli, ova, sal, garba', trocta, samsuga, lignum, sdndulae, aziles, facolae,
pali, materiamen, daurastuvae, circuli.
') Cap. de vill. 62: Ut unnsquisque index per singulos annos ex omni
conlaboratione nostra, quam cum bubus, quos bubnki nostri servant« quid
de mansis qui arari debent, quid de sogalibus, quid de censis, quid de
fide facta, vel freda, quid de feraminibus in forestis noatris sine nostro
permisso captis, quid de diversis compositionibus; quid de moliDis, quid
de forestibus, quid de campis, quid de pontibus vel navibus ; quid de Ixb«-
lis hominibus et centenis qui partibus fisci nostri deserviunt; quid de
mercatis; quid de vineis; quid de illis qui vinum solvunt; quid de Cbdo,
quid de lignariis et üaculis; quid de axüis vel aliud materiameo; quid de
proterarüs, quid de leguminibus, quid de milio et panigo; quid de lana.
— 885 —
da ihre Zinse um achtzig Jahre Mher verzeichnet sind, haben
sie auch hierin wie in vielen anderen Punkten einen un-
bedingten Vorrang anzusprechen.
Zu dieser Vervielfältigung der Producte trugen insbeson-
dere die Verändei-ungen wesentlich bei, welche die Grund-
herren mit den Hufengütern vornahmen, indem sie dieselben
theils für Special wirthschaften einrichteten, theils zerschlugen,
um Handwerkerlehen aus ihnen zu bilden.
Vorzugsweise waren es die auf Zinsgütern angesiedelten
Unfreien (servi manentes, mancipia casata), welche auch diese
• Zinslasten trugen, wie die schwersten persönlichen Dienstlei-
stungen, besonders der dreitägige Frondienst in der Woche,
voraemlich von ihnen verlangt wurde; daneben dann die
Hörigen (liti), die auf diesem Punkte wenigstens von jenen
schon gar nicht mehr zu unterscheiden sind.
Aber die Macht der grossen Gnmdhemi über die Masse
des wenig bemittelten Volkes war doch schon so angewachsen,
ihr Bestreben nach ökonomischer Beherrschung der kleinen
Freien, die sie sich politisch schon unterworfen hatten, so
entschieden, dass sie auch die Commendation , das blosse
Schutz- und Treuverhältniss, wie es häufig gleichzeitig mit
Uebemahme eines Beneficiums geschaffen wurde, zur Quelle
weiterer Einkünfte zu machen nicht unterliessen. Was in der
früheren Periode^) erst ausnahmsweise erscheint, eine Zins-
verbindlichkeit der Beneficiare, das tritt nunmehr bereits als
Uno vel canava ; quid de frugibus arborum ; quid de nucibus maioribus vel
minoribus ; quid de iusitis de diversis arboribus ; quid de hortis , quid de
napibus; quid de wiwariis; quid de coriis, quid de pellibus, quid de cor-
nibus, quid de melle et cera; quid de uncto et siu vel sapone; quid de
morato, vino cocto, medo et aceto; quid de cervisa, de vino novo et ve-
tere; de annona nova et vetere; quid de puUis et ovis, vel anseribus, id
est aacas ; quid de piscatoribus, de fabris, de scutariis vel sutoribus, quid
de buticis et confinis, id est scriniis, quid de tornatoribus vel sellariis, de
ferrarüs et scrobis, id est fossis ferrariciis vel aliis fossis, pliunbariciis,
quid de tributariis, quid de poledris et pulfrottis habuerint . . . notum
taciant.
»; S. L Buch, 3. Abschnitt, S. 128.
▼ on Inama-Sternegg, Wirthschaflsgeschiclite. I. 25
— 386 —
breite Regel entgegen^). Und es sind diese Abgaben nur
selten mehr jenen älteren Recognitionszinsen ähnlich, die in
ihrem geringfügigen Geldbetrage doch nicht als eigentliche
Belastung des Gutes angesehen werden können*); vielmehr
unterscheiden sie sich jetzt in nichts mehr von den Leistongen
sonstiger abhängiger Güter ; Getreide und Vieh, Rinderhäute
und sonstige landwirthschaftliche Producte*), aber auch Geld
haben die Beneficiare wie die Inhaber von Precarien (precaria
oblata) und Zinsbauem zu entrichten. Und ähnlich erscheinen
auch schon diejenigen Freien behandelt, welche von der Grund-
herrschaft nur Schutz ihrer Person und ihres Erwerbs, nicht .
aber auch Land verliehen erhielten*). Die während dieser
Periode systematisch vorbereitete HerabdiUckung der bloss
Schutzhörigen im älteren Sinne des Weites zu strengerer Ab-
hängigkeit und ihre Vei-schmelzung mit den übrigen hörigen
Leuten der Hen*schaft kömmt eben auch an diesem Ponkt
zum Ausdruck; doch ei*st im 10. Jahrhunderte hat sie sich
im Wesentlichen vollzogen und besteht im 11. Jahrhundert
als eine abgeschlossene Thatsache^).
Solche Ausdehnung der Zinspflicht war aber um so leichter
möglich, als die Herrschaft nicht nur bei Eingehung des
*) S. die zahlreichen Beispiele aus Urkunden bei Waitz, Terfg. IV,
169 und Maurer, Fronhöfe I, 384 f. Auch die Capitularien gehen Bchon
von dieser Regel aus; Gap. Aquitgr. 817 (I, 207) c 10; Gap. 829 (I, 350
c. 4. Tgl. Meick Ib, 836 n. 593 benefidum suscepit et rewadiavit talem
censum reddere in unoquoque anno sicut suus pater antea reddidit, boc
est 1 solidum auro adpredatum vel in argento vel in grano.
«) Vgl. I. Buch, 3. Absch. S. 124.
s) Z. B. Meichelb. (vor 810) Ib, n. 212: 12 modia de spelta et 12 de
avena et 2 friskingas. Trad. LunaeL 35 (I, p. 71): 40 coria bovina, Ssolidi:
Beyer 778, n. 32: solido 1 in luminaribus.
*) Lacombl. Archiv II, 294 : Solivagi, qui ex parte domini temm ood
habent, solvunt de capite suo vir duos den., femina unum inter natale et
epiphaniam. Die haistaldi des B«g. Prüm. c. 10, p. 150; c 23, p. l^
operantur; c. 24, p. 156 materiamen, quod in silva, ad 15 noctes £Ktimt;
100 palos ducunt qui boves habent et qui non habent Vgl auch über
die Wachszinsigen Waitz IV, 284, Walter R.-G. § 424.
>) Haxthausen, Agrarverfassung S. 126.
- 387 —
Schutzverhältnisses meist in der Lage war, die Art der Zinse
und Dienste für precaria oblata« sowie für die Güter der
Freigelassenen und Schutzleute einseitig zu bestimmen, sondera
auch mit Mehrung ihrer Gewalt ein immer grösseres Ueber-
gewicht und einen immer stärkeren Einfluss auf ihre Wirth-
schaft behauptete. Auch hatte sie Mittel genug, um unter
gleichzeitiger Zuwendung ökonomischer Vortheile (Nutzung
der herrsqhaftlichen Wälder, Verleihung von Vieh, Inventar
und Betriebscapital) weitere Leistungen von ihnen zu ver-
langen 1).
Diese Specialisirung der Dienste und Abgaben musste
aber, bei allem Vortheil den die Grundhen-schaft und wohl
auch die hörigen Leute davon hatten, doch auch oft Härten
erzeugen und den Pflichtigen an der freien Bewegung in seinem
Wirthschaftsbetrieb ganz erheblich hindern. Da ist es denn
nicht zu unterschätzen, wenn die Giiindhen-n einen gewissen
ireien Spielraum für die Wahl der Producte Hessen, in denen
der Zins entrichtet werden konnte ^. Es war diess gerade in
den Anfängen grundhernchaftlicher Wii-thschaftsoi-ganisation
um so nothwendiger, als ja eine planmässige Wii-thschaft erst
eingebürgert werden sollte, und es vielfach darauf ankam,
die schutzbedürftigen Freien nicht von Anfang durch allzu-
grosse Härte der Zinspflicht von der Ergebung in den Dienst
abzuschrecken.
^) S. oben 2. Abschn. S. 270, 3. Abschn. S. 329 und unten S. 389.
*) Häufig ist der Zins in Geld berechnet, die Leistung desselben jedoch
gestattet in quocunque pretio potuerit ; z. B. Tr. Sang. 822 I, 274 ; 824, n.276;
826, n. 298. Oder es heisst ausdr&cklich : censom persolvat aut 20 modios
cnriales inter frumento et segale aut 20 siclas curiales de vino, aut certe
3 undas de argento, unum ex his tribus preciis ib. 790, n. 126; censum
id est 3 maldra sive 6 denar. vel predum 6 den. in ferramentis , quale-
cunqae ex his tribus facilius inveniri possimus ib. 859, n. 460; dimid.
soUd, in argento Tel in succos seu in grano sive in vestimentis ib. 824,
n. 283; solid. 1 in argento probato aut in ferramentis aut vestibus novis
ib. 826, n. 297. Vgl. a. Reg. Prüm. c. 52, p. 174: sualem 1 aut unciam 1;
carr. 1 de vino aut de frumento mod. 15. c. 53 den. 4 aut de siclo mod.
2; de siclo mod, 5 aut de arena mod. 10; c. 55 de fimo carr. 10 aut de
ligno carr. 5 u. o.
25 •
— 388 —
Ungleich bedeutsamer noch für die Leistungsfähigkeit der
in der Ginindherrschaft vereinigten Arbeit wurde die Gebrauchs-
gliederung des Vermögens, welche als eine zweite Seite der
ganzen wirthschafllichen Organisation erscheint, wie sie sich
innerhalb des gi-ossen Gefüges der Grundherrschaften während
dieser Periode vollzog.
Der Anfang hierzu war schon mit der Villenverfassung und
der damit Hand in Hand gehenden Bildung der Hofmarken ')
gemacht, welche ja das wichtigste Capital jener Zeit, die im
Boden ruhenden Productivmittel durch entsprechende An-
ordnung und Ausscheidung nach ihrer specifischen Leistungs-
fähigkeit in den Dienst einer vielgliedrigen aber einheitlich
geordneten Wirthschaft stellte. Dem gegenüber blieb die
Summe des beweglichen Capitals immer noch von sehr unter-
geordnetem Belang. Aber doch vereinigte sich schliesslich
aller Ueberschuss der nationalen Production über den laufen-
den Bedarf, der also zur Ansammlung und Stärkung folgender
Production veiftlgbar war, in der Hand der grossen Wirth-
schaften und legte den Gedanken an eine dem verschieden-
artigsten Bedürfnisse der Wirthschaft wie den Unterschieden
der Arbeitskräfte angepasste Theilung seiner Verwendung
ebenso nahe, als die differenten Arbeitskräfte selbst eine
Gliederung verlangten, sobald sie einmal in grösseren Massen
einer einheitlichen Wii-thschaftsleitung zur Verfügung standen.
Schon in der sorgfältigeren Untei*scheidung der Grundstacke
nach Bonität ^) und specifischer Verwendbarkeit, nicht minder
in grösserer Sorgsamkeit der Verwendung von Capital^) fQr d^
Eigenbetrieb der gutsherrlichen Wirthschaft äusserte sich diese
ökonomische Tendenz; ganz besonders aber tritt sie hervor
in den Bestrebungen, den dienenden Gütern Antheil am
Betriebscapital der Hen'schaft zu gewähren und damit sowohl
^) S. 2. Absch. S. 272 und 3. Abschn. S. 329ff.
*) Tr. Sang. 856, n. 446: de optimo et medio qnod habni territorio.
Lacomblet, Archiv II, 292 (782—814) terra arabilis nobilissima.
^) Capit. de villis c. 32: Ut unusquisque iadex praevideat, qaomoilo
sementum bonum et Optimum semper de comparata vel aliunde
vgl. schon 1. Bcg. I, 13: ad 2 modia sationis excollegere.
— 389 —
ihren Diensten Erleichtei-ung zu gewähren, als die Bedingungen
einer Steigeining der Gesammtleistung ihrer Wirthschaft zu
erstellen.
Zunächst diente diesem Zwecke die Ausstattung der
ff
Zinseshufen mit Vieh und Inventar aus dem Capital der
Hen-schaft; war das auch früher schon, besonders bei Mancipien-
güteiTi vielfach vorgekommen ^), so häufen sich doch erst im
9, Jahrhunderte die Beispiele ^) ; und es ist deutlich, dass be-
sonders der Viehstand nicht als selbstverständlicher Bestand-
theil der übertragenen Hufe angesehen ward, da er eben nicht
selten ausdrücklich neben den sonst allgemein bezeichneten
Zugehömngen des Mansus hervorgehoben ist.
Dann aber wird es zur Gepflogenheit, Saatgetreide für die
Bestellung des Sallands von der Herrschaft beizusteuern;
wenigstens für einige Gegenden Deutschlands lässt sich das
schon mit grosser Bestimmtheit nachweisen und stellt sich
geradezu als eine Neuerung dar*), während früher auch die
>) Vgl. I. Buch, 4. Abschnitt S. 159.
') Doch schon Meich. 763 Ib, n. 12: terminos omnes cum utensilüs
et callipeum vaaorum et lignorum. Tr. Wizz. 798, n. 23 cum mandpiis,
aurum, argentum, caballos, peculiis minutis etc.; ib. n. 48 curtile 1 cum
domibu8 aedificiis vel pomeriis et cum omni peculiare. Meich. 805, n. 274 :
accepimus in beneficium iUam terram et 4 boves. luvav. Anh. 864, n. 96
manentes senros — cum coloniis et uxoribus et filiis et aliis utensilibus;
Kremsmünst. ürk. 879 Rettenp. 35 : hubam cum 2 mandpiis et 10 armentis
cum porcis 20 et ovibus totidem. Tr. Sang. 885, n. 643: In beneficium
suscipiam 1 hobam cum pecoribus et omnibus rebus, que hodicrna die in
eadem hoba inventa sunt, nee non 1 caballum 10 sol. valentem et 1 car*
radam de Tino. Auch im Brev. Erchamberti (Meich. la, p. 126) gehört
Arbeitsvieh zum mansus vestitus. Dagegen wird Tr. Sang. 824, n. 288
ein beneficium erwähnt, auf dem die mancipia und das Inventar Eigen-
tbum des Belehnten waren.
^) In den Trad. Sang, wird noch 791, n. 130 bei Rückempfang eines
tradirten Gutes stipulirt: censum solvamus 10 modios de annona et in
imaquaque aratura jumale unum arare et cum semine nostro Seminare.
Dag^en 884, n. 635: aremus 1 juchum in unaquaque aratura et illud se-
minemus semine dominico. Und 904, n. 739, als wenn der Gegensatz zu
früherer Gepflogenheit ausgedrückt werden wollte: in unaquaqne aratura
1 juchnm arem et seminaverim, sed illud semen de dominico assumam.
— 390 —
leibeignen Colonen mit ihrem eignen Getreide das herrschaft-
liche Land besäen mussten. Eine Analogie hat dieser Vorgang
dann in den Rohstofflieferungen , welche die HeiTSchaft für
die von den dienenden Gütern verlangten gewerblichen Dienst-
leistungen und Abgaben gewähi-te^). Und ebenso werden
Werkzeuge für solche Verrichtungen von der herrschaftlichen
Verwaltung zur Verfügung gestellt*). Und endlich ist der
Werth nicht zu unterschätzen, den die wirthschafüichen Ein-
richtungen des HeiTuhofes auch nach dieser Seite für die zu
demselben gehörenden dienenden Hufen hatten. Die Wasch-
anstalten, Bäckereien, Brauereien, Schmieden und Mühlen,
welche die Grundherrn anlegten , standen in gewissem Um-
fange doch auch ihnen zu Gebote; ihre eignen Bedürfnisse
konnten sie sich aus denselben leichter und besser decken;
im Naturallohn, den sie während ihrer Dienstleistung am
HeiTuhofe verdienten, genossen sie die Vortheile solch ver-
vollkommter Einrichtungen; und die Verarbeitung ihrer Pro-
ducte, welche durch dieselben erst recht möglich wurde, stei-
Aehnlich C. Lauresh. III, S. 205: 3 jagera arat omni anno ad seminandam
cum dominico semine. Schon Anton I, 881 hat aus diesen letzteren l>
künden die Yermuthung geschöpft, dass früher die Leibeignen mit ihrea
eignen Getreide säen mussten und dass in diesen Stellen die Aosnahme
von der Regel angezeigt sei. Es dürfte aber in Hinblick aof die ersterea
Urkunden eher die Annahme berechtigt sein, dass die R^el im Laufe der
Zeit eine andere geworden ist Den Dünger für die herrschaftUcfaea
Felder mussten die Fronpflichtigen theilweise von ihrem eignen Gute be-
schaffen; Heg. Prüm. 45, p. 167: fimant de illorum fimo iumalem dimi*
dium. Dagegen ib. 46, p. 171: ducit cum carro suo ex dominico fimo et
fimat diem 1.
^) Tr. Sang. 809, n. 199: sarcile de eorum (der Grundherrn) lua.
Reg. Prüm, 45, p. 170: Ancille autem que ibi sunt, debet unaqoaqoe ex
dominico lino facere camsilem 1; ähnlich auch ib. c 10, p. 150: ille feniiie
que camsilis fadunt , coUigunt linum et trahunt de aqua et parant VgL
a. C. Laur. lU. S. 178, 180, 197, 204, 219; dagegen ib. S. 219: ptoni ex
proprio lino. Getreide von der Herrschaft zum Brodbacken Reg- Pnoi
113, p. 196.
^ Wirt Urk. B. 843, n. 108 : Cellerarins det sagenam ad cqueBto
pisces; dagegen im Folgenden: Et quotiens a pascha ad Hagene inpaln-
dibus et in harundinetis locis Ulis 4 piscatioribus predpitnr, pinti vat
cum navibus et alüs instrumentis piscalibus.
- 391 —
gerte ihren Werth, zu Gunsten der Grundherrn nicht nur,
sondern doch auch zu ihrem eignen Voi*theil, in letzter Linie
zum Nutzen der nationalen Wirthschaft überhaupt.
So sah sich schliesslich doch jeder im hen-schaftlichen
Verbände geschützt und gefördert. Mit seiner Macht deckte
ihn der GrundheiT, wenn ihn die Vergewaltigung eines Grossen,
die Habsucht eines Nachbarn bedrohte; von der Heerbann-
pflicht befreite ihn sein Dienstverhältniss und die Last der
Theilnahme an öffentlichen Angelegenheiten ging auf seinen
Heim über. So konnte er seine Zinseshufe friedlich bestellen
und ihre Früchte ruhig geniessen; und wenn er diese auch
mit seinem Hen'n theilen und seine Arbeit auch nur halb
sein eigen nennen konnte, so gewählte ihm doch die An-
lehnung an die Wirthschaft des Fronhofs, zu dem er gehörte,
gar manche Fördeiomg seines ökonomischen Betriebs, die ihm
leicht als Ersatz der verlorenen Freiheit ei'scheinen konnte.
Und wenn nun die Noth der Zeit einmal an ihn herantrat,
wenn Misswachs und Krieg, ja selbst, wenn eigne Schuld und
Unverstand ihm die Früchte seiner Wirthschaft raubte, und
er, als freier Mann, nicht mehr gewusst hätte, wovon er leben
sollte, da war der Werth des hen-schaftlichen Verbandes ei*st
recht empfunden. Es lag schon im Wesen der grundheiT-
lichen Organisation, dass sie für die äussersten Bedürfnisse
ihrer Angehörigen im Nothfalle eintreten musste-, auch wo es
nicht, wie in unzähligen Fällen, ausdrücklich bei der Commen-
dation und der persönlichen Ergebung in fremden Dienst
ausgesprochen war, dass dadurch ein Unterstützungsanspruch
erworben sei, verstand es sich von selbst, dass der in die
Familie oder in das Mundium eines Grundheim Aufgenom-
mene hier diese letzte Sichemng seiner Existenz fände. Und
die christliche Kirche hatte von Anfang an die Organisation
und wirksame Durchfühiiing der Annenpflege unter ihre Auf-
gaben gerechnet; sie war ihrer ganzen Institution nach darauf
hingewiesen, allen ihren Angehörigen, daher insbesondere auch
allen ihrer Herrschaft Unterworfenen ihre Hilfsanstalten
(Hospitalität !) jedei-zeit zugänglich zu machen.
Es wäre irrig anzunehmen, dass besonders Karl d. Gr.
— 392 —
durch Beine verschiedeiien Bestimmungen über die Armen-
pflege ^) dieses Moment der öffentlich-rechtlichen Ordnung der
GrundheiTSchaft ei-st hinzugef> hätte. Dagegen spricht
schon der momentane Anlass, welcher die meisten dieser Vor-
schriften hervorgerufen hat Vielmehr ei*scheinen sie als der
unzweifelhafte Ausdruck einer bestehenden Bechtsanschauung
über die Verpflichtung der Gnindherm zur Armenpflege für
ihre Schutzleute. Doch mag immerhin im Einzelnen viel&ch
gegen diese Pflicht gefehlt und eine Erinnei-ung an dieselbe
besonders in Jahren der Missenite nothwendig gewesen sein *).
Und denen gegenüber, auf deren social-ökonomisches Ver-
halten die königliche Gewalt in Folge specieller Herrschafts-
befugnisse einen weitergehenden Einfluss ausüben konnte, machte
Karl d. Gr. dieses Prinzip stets mit allem Nachdrucke geltend.
Den Inhabern von Kronbeneficien gelten die entschiedensten
und weitgehendsten Befehle zur Handhabung der Armenpflege') ;
und für die Kirchengüter sind specielle Verfügungen über die
^) Capit. AqiL 805 (I, 130) c. 1: Ut indigentibus adiavere stadeantde
annona ita ut fiunis periculam non pereaDt Cap. Theod. 805 (I, 182)
c. 4 : de faams inopia, ut saos quisque adiuvet prout potest et saam anno-
nam non nimis care vendat. Cap. Aqais. 809 (I, 156) c 24: Unnsqoisqae
praesenti anno sive liberum sive servum suum de famis inopia adiutorinm
praebeat Cap. Aquisgr. 813, ezcerpta canonum (I, 189) c. 11: ut unos-
quisque inopiam famis suos familiäres et ad se pertinentes guberoAre
studeant.
') Schon bei der grossen Hungersnoth von 779 (Ann. Alam. SS. 1, 40>
schrieb Carl d. Gr. im Capitulare episcoporum (LL. I, 39) yor: ünuB-
quisque episcopus aut abbas vel abbatissa, qui hoc facere possunt librun
de argento in elemosinam donet; mediocres rero mediam Ubram, minores
, sol. 5. Episcopi et abbates atque abbatissae päuperes famelicos 4 pro ista
striccitate nutrire debent usque tempore messium. Et qui tantnm non
possunt, iuxta quod possibilitas est, aut duos aut unum. Comites vero
fortiores libram unam de argento aut valentem, mediocres mediam libram.
YasBus dominicus de casatis 200 mediam libram, de casatis 100 solidos 5,
de casatis 50 aut 30 unciam unam: et faciant biduanas, atque eonun ho-
mines in eorum casatis; vel qui hoc facere possunt et qui rediroere to-
luerit, fortiores comites uncias 3, mediocres unciam et dimidiam, mhioref
Bolidum 1 ; et de päuperes famelicos, sicut supra scriptum est et ipsi fadaot
^) Vgl. die verschiedenen Stellen aus Capitularien oben S. 352, A. 1.
— 893 -
Verwendung des Zehenten im Dienste der öflfentlichen Wohl-
thätigkeit erlassen worden^). So beweisen alle diese Vor-
Bchiiften auf's Neue das eminente Talent Karls d. Gr. fttr
eine sociale und politische Organisation, indem er den gi*und-
herrlichen Verband als den einzigen erkannte, von dem die
Erfüllung dieser specifischen Verwaltungsaufgabe erwartet
und verlangt werden konnte; und die giundherrschaftliche
Organisation erscheint auch auf diesem Punkte als ein Wider-
hall der reformatorischen Ideen, deren Schöpfer und Träger
der gi'osse Kaiser gewesen ist.
Sind nun auch Karls d. Gr. Wirthschaftseinrichtungen
von anderen grossen GrundheiTU vielfach nachgeahmt, im
Einzelnen vielleicht sogar verbessert worden : auf einem Punkte
doch, der für die Ordnung grosser Wirthschaftsführung von
hervorragender Bedeutung war, ist er unerreicht, ja kaum
nachgeahmt worden; die ersten Ginindzüge einer landwirth-
sehaftlichen Buchfühining und Rechnungslegung gehören zu
seinen originellsten Schöpfungen 2). In einer jährlichen Ab-
rechnung 3) hatten die Amtleute die Aufgabe über allen Gutß-
^) Cap. 801 (I, 87) c 7: ad ornamentom aecclesiae primam elegant
partem, secundam autem ad usom pauperom vel peregrinorum per eonim
manns misericorditer cum omni humilitate dispensent; tertiam vero partem
semetipsis solis eacerdotes reservent. Insbesondere musste der Zehent
?om Salgat zum allgemeinen Besten, besonders für die Hospitalit&t ver-
wendet werden; vgl. die Urk. bei Bodmann rheing. Alterth. 872; s. a.
Regtda monacb. 817 (I, 208) c. 49: üt de omnibus in elemos3mam datis
tarn ecdesiae quam fratibus, decimae pauperibus dentnr.
*) Eine Yorschrift über Recbnnngslegung findet sieb schon in Pipin's
Capit. duplex Yemense 755 (LL. I, 27) c. 20: In alio synodo nobis per-
donastis, ut illa monasteria, ubi regulariter monachi aut monachas vixerant,
Qt hoc quod eis de illas res demittebatis , unde vivere potuissent, ut
exinde, si regalis erat, ad domnum regem fecisset rationes abbas vel ab-
batissas ; et si episcopalis, ad illum episcopum. Similiter et de illos vicos.
I>ie Vorschrift ist aber singnlär und bezieht sich nach dem Eingang des
Capit. nur auf die gallischen Bischöfe.
^) Cap. de vill. c. 55: Yolumus ut quicquid ad nostrum opus iudices
dederint vel servierint, aut sequestraverini, in uno breve conscribi faciant
et qnicquid dispensaverint, in alio; et quod reliquum fiierit, nobis per
brevem innotescant.
— 394 -
ertrag zu berichten; was davon an den Hof des Königs ab-
geliefert, was für den Bedaii der einzelnen Gutsrerwal-
tung verwendet worden und was als Vorrath oder zum
Verkaufe übrig geblieben war, das musste in gesondei-ten Auf-
schreibungen dem Kaiser vorgelegt werden. Die Gruudlage
hiefür bildete eine fortlaufende getrennte und wohlgeordnete
Aufschreibung über allen Ertrag, der aus der eigenen Wirth-
Schaft oder aus Diensten und Zinsen der Hintersassen und
Grundholden während der Wirthschaftsperiode einging >).
Specielle Rechnungen waren verlangt über den Aufwand für
die Hausdiener und Frauenhäuser *), über alle Producte, welche
als Fastenspeise dienten, soweit sie nicht zu Hofb geliefert
wurden^), über die Ziegen und Böcke, ihre Homer und
Felle *) ; über die erlegten Wölfe *) musste jährlich ein eigenes
Verzeichniss an den Hof eingesendet werden. Ausserdem
waren die Amtleute verpflichtet, den Gelderlös der verkäuf-
lichen Producte ihrer Gutswirthschaft zu verrechnen und nach
erfolgter Piilfung dieser Rechnung den Geldbetrag an den
Kaiser einzusenden % Eine Bestands- und Rechnungscontrole
') C. 62: üt unosqoisqae iudex per BingoloB annos ex omni coalabo-
ratione nostra (nun folgt die Aufzählung der einzelnen Einkfinfte s. o.
S. 884, A. 3) omnia seposita distincta et ordinata, ad nativitatem Donüiii
nobis notum fiftciant, ut sdre valeamuB., quid vel quantnm de aingolis
rebus habeamus.
') C. 31: Ut hoc quod ad provendarios vel genitias dare dd>en(y
simili modo unoquoque anno separare fjuiant et tempore oportuno pleniter
donent, et nobis dicere sciant, qualiter inde faciunt vel unde ezit
') C. 44: De quadragesimale duae partes ad serritium nostmm Tcmaat
per singulos annos....; et quod reliquum fuerit, nobis per brerem, sioizt
supra diximus, innotescant, et nuUatenus hoc permittant, sicut usque nunc
fecerunt
*) C. 66 : De capris et hirds et eorum comua et pellibus nobis ratloses
deducant
^) C. 69: De lupis omni tempore nobis adnuntient, quantos nom-
quisque compraehenderit.
^) G. 28 : Volumus ut per annos singulos intra quadragesima dominica
in palmis, quae Osanna dicitur, iuxta ordinationem nostram argentam de
nostro laboratu, postquam cognoverimus de praesenti anno quantom stt
nostra laboratio, deferre studeant.
— 395 —
ist zwar nicht besonders vorgeschrieben; es unterliegt aber
keinem Zweifel, dass diese wie die allgemeine Oberaufsicht
über die einzelnen Gutsverwaltungen von den Missi ausgeübt
wurde ^); doch enthalten einzelne der Vorschiiften über die
Rechnungslegung den Gedanken einer solchen Controle in
sich, welche am Hofe Karls des Grossen selbst durch Gegen-
überstellung verschiedener Ausweise über dieselben Gegen-
stände des Wiithschaftsertrags geübt worden ist=^).
Weder bei weltlichen noch bei geistlichen Grundherrn
ist während dieser Periode auch nur ähnlicher Rechnungs-
und Controleinrichtungen gedacht; an den Kanten seines
Kerbholzes machte wohl lange Zeit noch der Maier seine
Rechnungseinträge oder beschränkte sich auf flüchtige Notizen,
die sich so in die verschiedensten Pergamente der Bücherei
verloren. Nur einmal wird im Register von Prüm eine Rech-
nungsablage verlangt; es sind die balcarii (?) welche auf der
Abtei grossem Salzwerke zu Wich monatliche Abrechnung über
die Salzproduction dem abgesendeten Controlor des Stiftes
vorzulegen haben*).
Dem gegenüber nun, was die grundhen'schaftliche Orga-
nisation dieser Zeit an wahrhaft volkswirthschaftlichen Leistun-
gen aufzuweisen hat, verschwindet vollständig die Bedeutung,
welche dem kleinen freien Grundbesitz etwa noch zukam. In
mühsamer Behauptung seines Erbguts unter täglich erschwer-
ten Umständen erschöpfte der den grossen Heri-schaftsver-
bänden nicht eingefügte oder angegliederte Freie seine Kraft
^) Daher hdsst es in den Brev. rer. fisc, welche von den missis an-
gelegt wurden, auch immer : De annona . . repperimus, de brace . . ; de lardo
baccones pariter cum minutiis, unctos, verrem occisum et suspensum, for-
maticos. De meUe, de butiro, de sale, de sapone. Repperimus conla-
boratu: spelta, ordeo ad servitium, ad sementum. Lardum vetus, novo de
natrimento cum minuta et unctis, de censu baccones etc.
') Cap. de Till. c. 44: De quadragesimale duae partes ad servitium
nostrum veniant per singulos annos... et quod reliquum fuerit nobis per
brevem., innotescant..; quia per illas duas partes volumus cognoscere de
illa tertia quae remansit
') Reg. Prüm. c. 41, p. 164: De missatico quod provenit per quatuor
hebdomadas reddunt balcarii rationem.
— 396 —
Mit seiner Familie ^) und etwa einigen wenigen Leibeignen«
die den Dienstboten ähnlich gehalten sein mochten, besorgte
er sein kleines Hauswesen, bestellte er seine Felder und nutzte
als Märker Wald und Weide der noch vom grundherrschaft"
liehen Einflüsse frei gebliebenen Markgenossenschaft. In dem
Gegensatz der Beschränktheit solch isolirten Daseins zu der
reichen Fülle des Lebensgenusses der Grossen und zu der
Mannigfaltigkeit der Arbeits Verwendung und Capitalnutzung,
wie sie selbst den Gi-undholden aus diesem Verbände erwachs,
mochte der kleine freie Grundbesitzer, wo er von solchen
Heri'schaften umgeben war, die tägliche Aufforderung erblicken,
durch freiwilligen Anschluss an diese vielvermögenden Exis-
tenzen sich gleichfalls die Vortheile dieses Verbandes zuzu-
wenden. Wo aber grössere Kreise freier Männer sich erhal-
ten hatten, und der alte markgenossenschaftliche Verband, den
sie sich bewahrt, bescheidenen Bedüiihissen noch zu genügen,
den Wunsch nach Besseining der ökonomischen Lage auf
Kosten der Freiheit noch zu unterdrücken vermochte, da ist
doch auch solches Gemeinwesen volkswirthschaftlich bedeu-
tungslos geworden, jedenfalls keiner der Foitschritte von ihm
ausgegangen, nach welchen die Zeit gebieterisch verlangte.
Auch auf dem Gebiete der Technik und Oekonomik des
Betriebs ist aller Fortschritt auf die Grundherrschaft zurück-
zuführen, wie sich das insbesondere an den Veränderungen
erweisen lässt, die während dieser Periode mit der Flurver-
fassung und dem Wirthschaftssystem des Landbaues vor sich
gegangen sind.« Es wird allerdings kaum je gelingen, über
diese Verhältnisse für die älteste Zeit deutscher Volkswirth-
schaft zu vollständiger Klarheit zu kommen. Schon der
^) Aach jetzt wird noch immer der Fall berücksichtigt, dass mehre
wehrfähige Haussöhne in der Familie leben; . Cap. 866 (I, 504) c. 1: Si
pater quoque unum filiam habuerit et ip»e filius ntilior patre est, instmc*
tus a patre pergat. Nam si pater utilior est ipse pergat Si yero dooa
filios habuerit, quicunque ex eis utilior iüerit, ipse pergat ; alias autem com
patre remaneat. Quodsi plures ülios habuerit, utiliores omnes pergant;
tantani unus remaneat, qui inutilior fuerit. Ebenso von zwei, drei and
mehren fratibus indivisis ; vgl. Reg. Blid. 29 solvit Henricus cam filüs sois.
— 397 -
grosse Gegensatz des Dorfsystems und Hofsystems, von welchem
die ökonomische Anordnung der genossenschaftlichen wie der
hen-schaftlichen Feldflur so massgebend bestimmt werden
musste, ist in dieser Zeit keineswegs mit genügender Schärfe
zu erkennen; ja er war wohl überhaupt nicht sehr ausge-
prägt^). So lange auch die Dörfer in der Hauptsache nur
kleine Ansiedelungen mit einer geringen Anzahl von Bauern-
stellen waren, konnte auch ihre genossenschaftliche Feldflur
noch leicht viele Aehnlichkeit mit der Anordnung einer an
Einzelhöfe vertheilten Feldmark haben. War auch immerhin
bei jenen in Folge genossenschaftlicher Vertheilung der Feld-
mark das Artland der Hufen zersplittert und im Gemenge
gelegen*), bei diesen dagegen zusammenhängend, so ist
doch, bei dem Uebergewichte der Gemeinwiesen und Weiden,
des Wald- und Wildlandes, weder das eine noch das andere
besondei'S auffallig hervorgetreten. Auch in der Feldmark des
Dorfes gab es zusammenhängenden Besitz einzelner Genossen
an einer gi*össeren Anzahl von Morgen^), und im Hofsystem
führte die Hufentheilung schon frühe eine Zei-streutheit der
einzelnen zu einem Mansus gehörigen Feldungen herbei. Der
fortwährende Zuwachs zum Ackerfeld sodann, welcher durch
Occupation und Rodung von Markland entstand, war noch
*) Vgl. 1. Buch, 1. Abschn. S. 40ff. und 2. Buch, 1. Abschn. S. 221 ff.
') Z. B. C. Lauresh. 767, n. 859: de terra arat in 2 locis 1 jumale
et pone 1 jumale. ib. 778, n. 914: 2 jum. de terra et tertium dimidium
in 2 locis. Auch ib. 768, n.247: fateor me vendidisse . . jumales 4 in
Basinsheimer marca... et loca singula, ubi iacebant, assignavi. Auch wo
die Morgen eines Mansus an drei Orten liegen (z. B. C. Laur. 771, n. 662:
mansus.. de araturia 27 jumales in tribus locis sitos), ist nicht immer
schon an Dreifelderwirthschaft zu denken; freilich noch weniger, wo nur
überhaupt Güter an drei Orten erwähnt sind wie z. B. Tr. Wizz. 840,
n. 151, was Landau Territ. S. 55 auch auf ein solches Feldersystem deutet.
») C. Laur. 767, n. 237 : 4 jumales de terra araturia ib. 780, n. 229
G jura. mit Grenzen, also zusammenhängend; ähnlich ib. 771, n. 820
8 jum. , denen an einer Seite noch Besitzthum des Schenkers angrenzt.
Tr. Wizz. 786, n. 206 3 jum, mit Grenzen. Lacomblet Urk. B. I, 817
n. 34: 4 jumales, an einer Seite an das Besitzthum des Käufers stossend.
Aehnlich ib. I, 35, 2 jum.; 818, n. 36 3 jurn.; 817, n. 43, 4 und 7 jur-
naies mit Grenzen.
— 398 -
besondei's geeignet, solche Gegensätze wie sie etwa aus der
ältesten Zeit der Besiedelang her bestanden, zu verwischen ^).
Die Neubiilche der Dorfgenossen ebensogut wie die der Einzel-
hofbauern standen in gar keinem oder in einem durchaus zu-
fälligen Verband zum bisherigen Hufenlande. Eine regellose
Gemengelage der Felder ist dadurch im Dorfsystem ebenso
leicht bewirkt worden, wie eine gänzliche Beseitigung der
etwa ui-sprünglich vorhandenen Gleichheit der Feldstücke
durch den Zuwachs, welchen sie in einzelnen Fällen an Neu-
land erhalten konnten. Die Aussenfelder, die dem Wald und
Sumpf abgerungen wurden, konnten leicht das ökonomische
Uebergewicht ttber die alte Feldmark erlangen, und haben
dann sicherlich auch auf die Umgestaltung der alten Flur-
verfassung bestimmend eingewirkt. Und für ein altes Hof-
system waren diese Neubiilche und Waldcolonisationen gewiss
ebenso häufig wie die Hufenvertheilung an eine zahlreich nach-
gewachsene Generation gleichbedeutend mit einer Aufhebung
des althergebrachten arrondirten Hufenlandes. Denn auch
der Einzelhüfher erhielt nun Aussenfelder und, wo die Hufe
getheilt war, zerstreute Ackei*stücke in der Gemarkung; und
eine Yermehiiing der Bauemstellen besonders durch gleich-
zeitige Theilung des mansus und seiner area konnte leicht
dem Hofsystem seine charakteristischen Merkmale nehmen,
wie ja auch thatsächlich viele Dörfer aus Hufen hervorg^ian-
gen sind.
Doch ist immerhin eine gewisse Regelmässigkeit in der
Anordnung einer Doi-ffeldmark schon fiilhzeitig erkennbar.
Sie zeigt sich theils darin, dass bestimmte AckerstQcke, welche
die Einzelnen in vei-schiedenen Theilen der Dorffeldmark be-
sitzen, immer die gleichen Nachbarn haben ^), wodurch eine
*) S. die Beispiele im I. Abschn. S. 218 f.
^) Mittelrh. Urk. B. I, 762-~804, n. 18: donamns... hoc est campo
iari nostri terra propria habentem plus minus iure nno... et snbiungit de
uno latus terra ipsius monasteril s. Salvatoris, de alio vero latus terra
Scaifario, de tercio latus terra Guntcario, de quarto namqae latere tem
ipsius sepedicti monasterii . . . Similiter in alio loco.. donamus... Ȋo
campo plus minus habentem iure uno et subiungit ab uno latus terra &.
— 399 —
systematische Austheilung derselben nach der Reihenfolge der
Httfiier im Dorfe wenigstens wahrscheinlich gemacht wird;
theüs ist aus der regelmässig wiederkehrenden oblongen Form
einzelner Morgen oder Feldstücke ihre Zugehörigkeit zu einem
grösseren, systematisch abgetheilten Ganzen unschwer zu er-
kennen ^) ; und endlich sind auch diese grösseren Abtheilungen
der Doi'ffeldmark , welche eine Anzahl einzelner Morgen in
sich vereinigen'), als jene Gewanne (Kämpe) zu verstehen,
welche in der Flurverfassung späterer Zeit so besonders be-
zeichnend fdr die Anordnung des Dorüsystems werden.
Wo nun solche Regelmässigkeit in der Austheilung, dem
Ausmass und der Gruppirung der Feldstücke bestand, da war
allerdings auch schon eine erste Vorbedingung fttr ein ge-
regeltes Feldersystem geboten. Wie wenig dieses aber schon
ZOT allgemeinen Ordnung geworden war, ist schon aus der
durchaus willkürlichen Verfügung über einzelne Morgen gerade
der markgenossenschaftlichen Feldflur zu ei*sehen, welche
während der ganzen Periode noch in zahlreichen Urkunden
bezeugt ist ^). Denn in jedem Feldersystem liegt der Zwang,
Salyatoris, de alio latos terra Scaifurio, de tercio namqne latos terram
Gimtcario, de quarto vero latere ipsios jam sepe fati monasterii. Die
Urkunde zeigt ztigldch, wie durch solchen Gutserwerb die Gemengelage f&r
Grossgnindbesitzer thdlweise beseitigt werden konnte.
^) Schon 1. Biy. I, 13 (Zeit Pipins): Andecenas legitimas hoc est per-
tica 10 pedes habentem, 4 pert. in transverso, 40 in longo. Tr. Wio.
741, n. 235: ipse campus habet in longum perticas 60 et reliqua.
^ Tr. Wizzemb. 712, n« 186: de terra arabili iumales 10 in campo
uno. ib. 713, n. 244: campo et silya insimul tenentis terra (mit Grenzen)
et habet in longo perticas legitimas ad brachio mensuratas tisas 2 et 2
pedes ad manus mensuratas. ib. 742, n. 7: terra culturali 20 jum. in
campum unum iuntos. ib. 766, n. 108 de terra aratoria campum unum
qaod habet legitimos jumales 12; C. Lauresh. 770, n. 561 campum 1 de
terra aratoria tenentem jum. 10, terram incultam ad ipsum campum per-
tinentem. ib. 782, n. 2820: 1 campum habentem 4 jumales. LacombL
Ürkb. 827, I, 43: 1 campus tenet plus minus inter terram arabilem et
silram ant 6 ant 7 jumales. Aehnlich Tr. Sang. 831 , n. 337 : 1 agmm
habentem 12 jnchos.
') Beispielsweise vom Niederrhein Lacombl. I 794, n. 4; ib. 796, n. 5;
800, n. 16; 801, n. 20; 802, n. 24; 819, n. 37; 820, n. 39; 826, n. 42;
— 400 -
wenigstens diejenigen Ackei'stücke , die wiilhschaftlieh zu-
sammengehören (im Dreifeldersysteme z. B. je ein Stttck in
Winter-, Sommer- und Brachfeld) als zusammengehörig zu be-
handeln, da ja sonst die Wirthschaft sofort eine Störung ihres
Gleichgewichts im Anbau und den eraielten Früchten erfahren
musste. Mochte nun auch durch Herbeiziehung neuer Aecker
aus dem Wald- und Weideland einigeimassen geholfen werden,
so war das doch schon dainim nur ausnahmsweise mögrlich,
weil diese Neubrüche wegen ihrer Entlegenheit und Unregel-
mässigkeit nicht leicht in den althergebrachten Turnus der
Gemengefelder eingefügt werden konnten. Es muss daher
immerhin neben den Anfängen einer schlagmässigen Ein-
theilung der Dorffeldmark die Fortdauer einer unregelmässigen
Zeretückelung derselben und einer rohen regellosen Wechsel-
wirthschaft angenommen werden.
Dagegen stellen sich nun, ungefähr seit Beginn der Karo-
lingmeit, in der grundheiTSchaftlichen Feldflur allerdings
einige Momente ein, welche eine vollkommnere wirthschafUiche
Anordnung derselben und auch eine grössere Verbreitung
dieser Ordnung einsehen lassen.
Zunächst wird die Zusammenfassung einzelner Morgen
zu grösseren Gewannen, Zeigen etc immer häufiger hervor-
gehoben, welche von specieller Bedeutung für das Wirthschafts-
system sind, das auf denselben eingerichtet ist^). Allei*ding5
827, n. 43. Ib. 838, n. 45 (8jum.); 834, n. 48 (20 forlangas); 836, n. 51
(10 jngera); 838, n. 53 (5 jugera); 841, n. 55 (8 jugera); 843, n. 57 and
844, n. 58 (2 jugera); 846, n. 62 (1 jug.) Tr. Sangall. 802, n. 165; 814.
n. 212 (6 jumales); 820, n. 247 (1 modiale). Es ist bemerkenswerth, dasa
die Verfügungen sich theilweise mit einer dreifeldrigen Eintheilong on-
bedingt nicht vertragen.
^) Tr. Sangall. 776, n. 80: per singolas aratoras singnlas jaches anre
faciat; ebenso ib. 782, n. 95; ib. 791, d. 128: per siDgulas aratoras jochnio
nnum arare. Ib. 791, n. 130: in unaquaque aratara jumale anom arar^;
ib. 838, n. 368 in unaquaque aratara jurnales 3; vielleicht auch ib. 77V,
n. 91: aratura per tempora jom. 3. Dann ib. 780, n. 93 in omne zelga
jomale uno arare; ib. 787 n. 113: ad proximam curtem vestram in una>
quaque zelga ebdomadarii jumalem arare debeanius; ib. 789, n. 120 nnm*
quaque zelga unum juchum arare, sicut mos est in domnico arare; femtv
— 401 —
kann solche Anordnung ebensowohl für irgend ein Felder-
system (insbesondere für die Dreifelderwirthschaft) wie für
eine Feldgraswirthschaft durchgeführt sein; aber immerhin
beweist solches Vorkommen der aus dem Gesichtspunkte de^
Wirthschaftssystems angelegten Flurabtheilungen , dass an
Stelle eines rohen, ungeregelten Wechsels von Kombau und
Gi-aswuchs oder einer wilden Brennfeldwirthschaft eine schlag-
mässige Bewirthschaftungsweise getreten ist; und damit er-
scheint allerdings ein nicht unbeträchtlicher Fortschritt in der
Weise des Landbaues, mag dieser dann zunächst nur in einer
Regelung des bisherigen Feldgrassystems, oder in einem Ueber-
gang zum System eines permanenten Feldbaues bestanden
haben.
Ungefähr um dieselbe Zeit wird dann aber auch die
Unterscheidung des Winter- und Sommeranbaues häufiger.
Theils ist der Winterfrucht und der Sommei-frucht^), theils
der für dieselben nothwendigen landwirthschaftlichen Ar-
beiten') gedacht; es liegt darin immerhin ein Beweis zu-
nehmender Intensität des Anbaues, der den Boden besser
ib. 795, n. 140: daas anzingas, nnom aatunmalem et aliam esäyalem iUos
segare et intus trahere]; und Tr. Wizz. 801, n. 236 hoba nna... et 8 men-
snras supra ad arare. In späteren Urkunden wird neben zelga (luvay.
8. 175 exceptis in unaquaque parte quam zelga vocamns, jugeribus 3) be-
sonders in unaquaque satione gebraucht; z. B. G. Lauresh. III, 3672;
8. die folgenden Anmerkungen.
0 Dieselbe in 1. B%juv. I, 13 (aus der Zeit Pipins) LL. m, 279: A
tremisse unusquisque accola ad duo media sationis excoUegere, Seminare
colligere et recondere debent. Vgl dazu Merkel in Anm. 70. Guörard
Irmin. I, 649 ff. Begistr. Prüm. c. 86, p. 163 mansus indominicatus , ubi
potest Seminare inter auctumnum et ver mod. 300... Ipsi manentes per
dimid. mansos sunt homines 6, facit unusquisque in waim (waimo) perti-
gata integra, in tramiso similiter. c. 45, p. 167 arant et fimant de iUorum
fimum iomalem dimid. ad hibematicam sationem ad sigulum seminandum ;
ad tremensem in marcio et aprile arant iomales 4. c. 46, p. 170 maus,
dorn, ubi potest Seminare autnnmo mod. 80.
*) Beg. Prüm. c. 48, p. 173 arat in marcio (zur Sommersaat) iumalem 1.
c. 55, p. 175 facit unusquisque in autumno jugera IVa» vemo tempore si-
militer. Tr. Sang. 763, n. 39 in primum vir (ver) aratajumalem 1. S.
die vorstehende Anmerkung.
Ton Inama-Sternegg, Wirthsehaflsgeschiclite. I. 26
— 402 —
ausnutzt und durch planmässigere Disposition der Arbeit wie
durch grösseren Saataufwand höhere Roherträge zu gewinnen
strebt Und wo dieser Unterschied in allgemeinen Anordnnn-
gen oder als bleibende Einrichtung des Wirthschaltssystems
zum Ausdrucke kömmt, ist darin wieder ein Beweis von der
Regelmässigkeit, welche in den Betrieb und die Felderbe-
nutzung durch die Abtheilung der Winter-, und Sommer-
schläge gekommen ist^); ja es lässt sich in dem letzteren
Falle in der Regel doch schon geradezu auf Dreifeldersystem
schliessen. Denn wenngleich sich der wechselnde Anbau von
Wintei'frucht und Sommerfrucht auch mit dem System der
Feldgraswii-thschaft ganz wohl verträgt, so erhalten die Sehläge
hier, wegen der Einschiebung der Grasjahre, doch nie jene
feste Bestimmung wie sie bei ausschliessender Eömemutzung
in der besondem Bezeichnung als Wintei-feld und Sommerfeld
zum Ausdmcke kömmt. Lässt sich dann auch noch die Unter-
scheidung eines eignen Brachfeldes erkennen^), so ist wohl
^) Reg. Prüm. c. 55, p. 175: Est ibi terra dominicata ad mod. 122 in
automno, vemo tempore ad mod. 86. S. o.
*) Tr. Sangall. 763, n. 39 in primum vir arata jumalem 1 et in mense
jonio brachare alterom et in automno ipsum arare et Seminare. (Hier
Sommerfeld, and Brachfeld mit zweimaligem Pflügen.). Aehnlich C. LaoresL
8669: arare debet in menso innio atque itenim in nativitate 8. Marie, ot
Bit seminatum in missa s. Bemigii (zur Wintersaat). Auch im R^. Weri
(Lacombl. Archiv II, 218): De servitio. Doas ebdomadas in aatomno;
duas ante vemum; duas in iunio. In automno 1 jugom.. prosdndere id
est gibrakon. (Das Brachfeld wird also zur Wintersaat an^sebrochen.)
Urk. über Brabant'sche Güter 782—814 Lacombl. Arch. n, 294: Arat antem
is qui seryit 9 dies, 3 in autumno , 3 in vere, 3 in estate. VgL aas Cod.
S. Yinc. Met (Pertz Archiv VII, 998): Et pro corveia debent ipsi maisi
18 soL in tribus sasonibus quando colitar terra id est 6 in festo s. JoL et 6
in festo s. Martini et 6 in adnuntiatione s. Marie. (Brache, Winterfeld,
Sommerfeld.) Ueber eine andere Reihenfolge in Skandinavien yfgL Hanssa
tüb. Zeitsch. 1865, S. 90, und Röscher U, § 25 a. Anm. 1, sowie von do-
deutschen Dreifelderwirchschaft Anton in, 190. Wenn der Aosdnick bi»
nalia auf Brachfeld gedeutet werden darf, so wäre in Polypt Fossat c 14
(Ou^rard Irm. II, 2S6) allerdings auch diese veränderte Reihenfolge be-
zeugt: Facit ad ivematicum corbadas 3, ad binalia 3, ad tramisiiim 3^
Auf Brache deutet auch Reg. Prüm. c. 99, p. 191 : Est ibi onom terri-
— 403 —
gar kein Zweifel mehr gestattet, dass es sich dann um eigent-
liche Dreifelderwii-thschaft handelt.
Diese Veränderung und fortschreitende Entwickelung des
Feldbaues ist nun in der Karolingerzeit ebenso unzweifelhaft
erfolgt, wie sie sich ganz vornehmlich nur innerhalb der
gnindherrschaftlichen Wirthschaft und besonders auf dem im
Eigenbetriebe derselben stehenden Dominicallande einge-
bQrgert hat ^). Die gi*ossen Grundherrschaften sind aber auch
in dieser Reform des Wirthschaftsystems ganz besonders
unterstützt worden durch die leichtere und mannigfachere
Verfügung über Gnindbesitz und durch die mit der Villen-
verfassung angezeigte Umgestaltung der Bauerngüter wie der
markgenossenschaftlichen Einrichtungen überhaupt. Sie konn-
ten durch Entwickelung des Wiesenbaues, durch Aenderung
der Viehhaltung, besonders Vermehining des Arbeitsviehs und
dgl. allein die noch fehlenden ökonomischen Vorbedingungen
der Di-eifelderwirthschaft herstellen und durch mchliche Ver-
iUgung über Arbeitskräfte, ihre planmässige Organisation, und
durch grössere Capitalvorschüsse , wie sie der ausgedehntere
Wioteranbau erheischt, eine grössere Intensität in den ganzen
Betrieb bringen*).
Eine directe Einwirkung Karls d. Gr., dem so häufig die
toriam capiente semente modios SO illo (anno) quo seminatum foerit;
solvit den. 12; qnando seminatom non fuerit, nihil solvit Aber es bleibt
Mer ungewiss, nach welchem Turnus die Brache eintrat
^) So beziehen sich alle Stellen des Reg. Prüm., welche Winter- und
Sommerfeld unterscheiden, auf mansus oder terra indomin. Vgl. auch
Hist de Metz 770 III pr., p. 14: aliam terram indom. ad 1 sationem semi-
nandi med. 250, ad aliam vero similiter. 899 ib. p. 51: de terris ara-
bilibus indom. ad seminandnm inter utrasque sationes mod. 200. ib. 910,
p. 52: de terris arabilibus indominicatis ad seminandum inter utrasque
sationes modios 400; ib. 914, p. 55: terras quoque arabiles indom. in
qoibns possnnt seminari de annona inter utrasque sationes modii 150....
terras quoque indom. arabiles ad seminandum inter ambas sationes modios
125; ib. 918, p. 56 f.: Potest ibi Seminare in agris domicis inter ambas
sationes media 300. Tr. Fuldens. c. 43, n. 4: In Chaltebach terre salice
in uno campo 80 agri, in alio 90, in tertio 40. S. a. die Beispiele in
den Anmerkungen zu S. 400 ff.
«) S. unten S. 405 ff.
26*
— 404 —
Einführung der Dreifelderwirthschaft in Deutschland zuge-
schrieben wird, ist dagegen in keiner Weise bezeugt*). Wohl
ist es nicht unwahrscheinlich, dass auch auf den königlichen
Villen, deren musterhafte Wirthschaftseinrichtungen in so
vieler Hinsicht den Anstoss zu landwirthschaftlichen Verbesse-
rungen gegeben haben, auch ein Betriebssytem eingerichtet
war, das in Hinsicht auf gute Anordnung und Intensität auf
der Höhe der Zeit stand *). Aber der Uebergang zu geregel-
ter und intensiverer Feldbenutzung lag doch so tief in den
Bedüifnissen und der ganzen ökonomischen Entwickelung des
Zeitalters begiiindet, dass er sich mit innerer Nothwendigkeit
vollzog und des äusseren Anstosses durch den Reformator des
socialen und politischen Lebens nicht bedurfte.
Demungeachtet aber hat sich dieser Umschwung der
Landwirthschaft in dieser Periode noch lange nicht allgemein
vollzogen'). Noch immer besteht daneben eine Feldgras-
wiithschaft, welche in ungeordneter Aneinanderreihung der
Feldstücke und ohne erkennbare Eintheilung in Schläge dem
Boden nur spärlichen Ertrag abgewinnt *) ; selbst die Brenn-
^) Hanssen, zur Oeschichte der Feldersysteme in Tüb. ZeitscL 1865,
S. 82.
') Man kann hierauf beziehen Capit. de villis c. 87: Ut eampos et
coltoras nostras bene componant.
*) Im neustrischen Franken ist auch dieser Fortschritt entschiedeB
früher allgemein geworden ; vgl. Polypt. Irmin. index generalis s. t. hiber-
naticum et tramisum.
^) G. Lauresh. 768, n. 898: 10 jumales agri et prata, ib. 782. n. 681:
inter terram aratnriam et fenariam 20 jumales. Eine SteUe im Edid
Fist. 864 (LL. I, 496) c 81 scheint nur auf Sommerfeldwirthschaft be-
zogen werden zu können: De adventitüs istius terrae quae a NortmaffliiB
devastata est ... . Et si necesse illi fuerit ad missam s. Martini (IL Not.)
ad suum conductum in illas partes redeat et usque ad Eal. Aprilis ihidam
immorandi licentiam habeat; indeque ad terram suae nativitatis et ad
senioratum suum unusquisque redeat et usque ad medium nudom prqptff
seminationem ibidem maneat; indeque si illi necessitas fherit ad säum
conductum redeat et inde ad messiones suas in terram suam urasqnisqQ«
redeat et de cetero ibidem permaneat. Wie hätte der Gommendute toa
Mitte Mai bis zur Ernte von dem Gute wegbleiben können, weim Drei-
feldersystem bestanden hätte, welches im Juni die (nach damaliger Sitte
erste) Brachfurche verlangte?
— 405 —
wirthschaft ist in waldreichen Gegenden noch lange nicht ver-
drängt 0; i^ur gi'osse 6rundheri*schaften scheinen sich schon
in der Hauptsache zu der bessern Ordnung des Feldersystems
durchgerungen zu haben; aber auch dieser hängt noch
mancher Rest der Vorstufe , aus der sie herausgewachsen , an
und weist auf die enoime Schwierigkeit hin, mit der jede
radicale Reform gerade auf landwirthschaftlichem Gebiete zu
kämpfen hat^).
Es liegt nun der Gedanke nahe, dass mit dem allmäligen
Uebergang aus einer wilden Feldgraswirthschaft zu geregeltem
Feldersystem oder wenigstens zu einer schlagmässigen Ab-
theilung des Finichtfelds auch in die Wiesencultur eine ähn-
lich durchgreifende Verändei-ung gekommen sein müsse').
Das ältere Wirthschaftssystem konnte ja mit den Gemein-
vriesen und der Weidenutzung leicht ausreichen, da das Acker-
land selbst in den Dreeschjahren für den nöthigen Futter-
bedarf des Winters aufkam. Für eine Dreifelderwii*thschaft
aber waren abgesonderte permanente Wiesen unentbehrlich;
denn die ewige Weide reichte höchstens im Sommer für den
Kahrungsbedarf des Viehes hin; die Winterung aber musste
auf eignen Wiesen gewonnen werden, da das Pflugland in den
Jahren des Anbaues nur Ackerhülchte brachte, im Brachjahre
aber gar keine Nutzung bot^).
Ueberhaupt aber wird durch ein geregeltes Feldersystem
der Anbau von Feldfrüchten unabhängiger von den Bedürf-
nissen der Viehzucht gestellt; für diese muss demnach auch
in selbständiger Weise gesorgt werden, und dazu dient in
1) Hierher kann man wohl auch steUen Reg. PronL c. 46, p. 170:
axat jomales 8 in forestaria avena modium 1 a Elalendis marcii per totam
sacionem.
^) So bedeutet es unvoUkommneren Turnus des Feldersystems (ähnlich
wie in Russland s. Boscher II, § 25 a Anm. 1) wenn es im Regist. Prüm.
c. 55, p. 175 heisst: Est ibi terra dominicata ad modios 122 in autumno,
vemo tempore ad modios 36.
«) Vgl. L Buch, 4. Abschn., S. 166 1
*) Die reine (schwarze) Brache geht aus dem bei dem Dreifeldersystem
jener Zeit allgemein üblichen Umbrechen des Feldes im Juni hervor;
s. o. S. 402 Anm. 2.
- 406 —
erster Linie immer die Wiesencultur. Die Steigerung des
Kömeranbaues endlich, wie sie mit dem Uebergang zum Drei-
feldersystem im Vergleich zur extensiven Feldgi'aswirthschaft
der vorhergegangenen Periode gegeben war, verlangte eine
Mehrung des Gross- und Arbeitsviehes, zur Düngung wie zur
Feldarbeit; und damit entstand ein gesteigerter Futterbedar^
welchen eben wieder nur besondei*e Wiesen dauernd zu
decken vennochten.
Zunächst konnte solch gesteigei-tem Bedürfnisse allerdings
schon durch eine Vermehrung der Gemeinwiesen entsprochen
werden ^) ; und diese war leicht dadurch zu erreichen , dass
die besseren Theile der Gemeinweide während der Zeit des
Graswuchses gehegt, dem gemeinen Viehtriebe verschlossen
wurden. Aber es liegt doch nahe , dass solche Gemeinwiesen
für die Dauer weder dem gesteigerten Bedürfniss der Land-
wirthschaft, noch ihrem sonst hervortretenden Bestreben nach
gi'össerer Intensität, noch der unverkennbaren Neigung der
Zeit entsprechen konnten, Grund und Boden überhaupt in
eine festere rechtliche Verbindung mit den Einzelwirthschaften
zu setzen. Vorab in der fi*eien Markgenossenschaft fehlten
sowohl die organisatorischen Einrichtungen wie das Verstand-
niss für gemein wirthschaftliche Aufgaben und Leistungen;
ohne solche aber war doch für eine verbesserte Wiesencultur
und besonders für weiteraussehende Meliorationen, welche
einen steigenden Ertrag dei-selben Bodenfläche hätten erzielen
lassen, nichts zu erwarten. Die giamdheiTSchaftliche Organi-
sation der Landwii-thschaft aber hat doch ganz vornehmlich
die verbesserten Betriebsweisen »nur auf dem Herrenlande
selbst durchgeführt und daher auch die selbständige Wiesen-
cultur besonders auf diesem eingebürgert.
Es ist das auch in der That die erste auffälligste und
*) DasB yielen Gatern noch ausgeschiedene Wiesen fehlen scheint ans
jenen Formehi von Gatszubehör herrorzugehen, in denen der Wiesen gar
nicht gedacht ist. Z. B. C. Laur. 767, n. 812 mans. 1 com Sorte sna hoc
est cum terris, campis, silvis, domibus, aedifidis, pascois, perrüs, coltis ei
incoltis, aquanmiTe decorsibos; ib. 768, n. 301 mansis, campis, nneis»
siMs etc. und öfters. Tr. Sang. 799, n. 156 terris, silvis, campis, pascois etc.
— 407 -
für die Entwickelungsgeschichte der deutschen Wiesencoltur
bemerkenswertheste Thatsache, dass die Wiese immer mehr
aus dem Gemeinlande ausscheidet und zum Object eines Sonder-
eigenthums und selbständiger Bewirthschaftung wird. Sowohl
kleine Grundbesitzer als auch grosse Grundherrn bereiten
sich Sonderwiesen auf gerodetem Waldlande ^) wie in den
sumpfigen Niedei-ungen der Flussthäler. Sie werden dann
unter den Bestandtheilen des Sondergrundeigenthums , niefit
mehr wie früher mit den Weiden und Waldein zusammen
unter den Nutzimgsberechtigungen an der gemeinen Mark
aufgezählt ^). Sie werden endlich mit dem gewöhnlichen Masse
der Aecker gemessen, während früher das Einzelrecht an einer
TViese ausschliesslich nach ihrem Erti'ag und dem Antheil des
Einzelnen ^n demselben bestimmt war. Allerdings wird auch
nach eingetretener Realtheilung älterer Gemeinwiesen dieses
vom Ertragsantheile hergenommene Mass für die Grösse der
TViese noch lange Zeit hindurch angewendet; aber jedenfalls
^) Tr. Fuld. c. 6, n. 104: ambitam unum de silva cum agris etpratis.
Ib. c 38, n. 159: hobas 3 cum prato et ambitu sao. C. Laoresb. c 800
n. 3708: 1 mans. cum aedifido in ipsa sUva constructo et 30 jum. inter
sÜTam et campos et de prato et de silva *ad stirpaDdum et pratum facien-
dam ad carr. 30 feni.
') Wftbrend die ältere Formel regelmässig lautet: mansum 1 et terra
arabili ad ipso manso aspidente jum. 8 ad integro seu edificüs silvis
pratis pascuis, aquis aquarumve decursibus (Tr. Wizz. 713, n. 6), oder
ahnÜcb, wird Sonderwiese durch rem nostram (C. Laur. 768, n. 194, 195;
778, n. 246), pratum menm (ib. 767, n. 240), oder durch Hervorhebung
Direr Zugehörigkeit zum Hufenh&nde (z. B. Tr. Wizz. 851, n. 204 curtUem
1, vineam 1 ad carr. 3, jum. 60, pratas ad carr. 10, silvis pascuis et&
Brer. rer. fisc. (LL. 1, 177) mans. vest. serviles 6 ... de prato ad carr. 20 . . .
et silvam communem), oder durch Messung mit dem Ackermasse (s. fol-
gende Anmerkung) bezeichnet ; am deutlichsten, wo Sonderwiesen und Ge-
meinwiesen neben einander stehen; z. B. Meich. vor 810, n. 198: prata
com silvis cum magna parte . . . sed tamen illa sunt singulariter separata.
ib. 817, n. 348: de pratis carr. 50 et in alio loco pratas communes sicut
alii coheredes eins habent. Bei dner Schenkung von terra aratoria, prata,
pascua (Lacomblet, Ürk.-B. 796, n. 8) wird ausgenommen una particula
in illa prata que didtur Blidgeringmad, quam mihi reservavi pro necessi-
tatibus mds. Bezdchnend für die späte Ausscheidung von Culturwiesen
Tr. Sang. 771, n. 60: pratis segativis.
— 408 —
scheint die Messung nach dem Flächeninhalte die Annahme
einer Fortdauer der Gemeinschaft an solchen Wiesen aus-
zuschliessen ^).
Dass aber die Wiese vielfach dem alten Hufenlande erst
im Laufe der Zeit zugewachsen ist, nicht schon einen herge-
brachten Bestandtheil dei*selben gebildet hat, das lässt sich
aus den zahlreichen Urkunden seit der Mitte des 8. Jahrhun-
derts ersehen, in welchen das zur Hufe gehörige Ackerland,
als ihr wesentlichster und längst bekannter Bestandtheil, gar
nicht besonders erwähnt ist, während die Wiese als später
hinzugekommener und mehr zufälliger, wechselnder Bestandtheil
ausdrücklich vermerkt wird*).
Eine zweite minder auffällige, aber doch nicht weniger
bedeutsame Thatsache ist das besondei'e Gewicht, ^irelches die
gi'ossen Grundherren auf ihren wohleingerichteten Heirenhöfen
der Wiesencultur beilegen. Karls d. Gr. beiUhmte Wirth-
schaftsvorschi-iften sind zwar auf diesem Punkte sehr wort-
karg. Wir erfahren daraus nur, dass die Wiesen auf den
königlichen Gtltern geschlossne Zeit hatten ^) , also jedenfalls
besondei*s cultivirt waren. Aber die Schilderungen anderer
^) Schon Anton I, 291 hat .in dieser Art der Messung einen beden-
tenden Fortschritt der Wiesencoltor erkannt, aber nur ein Beispiel aus
dem Jahre 924 (Neugart C. dipl. AI. 578) daftkr anzuführen yermocht Sie
beginnt aber schon unter Pipin, C. Laur. 197: pratum in longo 69 perl
in lato 7. ib. 767, n. 240: pratum meum, quod tenet in longit pert 90
et in lat. pert. 11 Va; i^- ^ ^^^' .P'^^* j^^ni* 3) ih. 768, n. 241 : 1 jnn.
prati; ib. 791, n. 358: 2 jum. de terra et 1 petiolam de prato unde
colligi potest 1 carr. feni. Tr. Sang. 790, n. 126: 1 juchum de prtto;
C. Laur. 794, n. 3435: 5 jum. de pratis u. o. Im Registr. Prüm, sind die
Wiesen noch durchgängig nach carradae gerechnet
^ Tr. Wizz. 745, n. 142: hobam 1 et ad 8 carrade prata. ib. 765-
792, n. 124: hoba 1 cum prato ad carr. 10 et Tinea 1 ad carr. 4. C
Lauresh. 797, n. 258: 1 mansum et hobam et pratum ad 40 carr. fem.
Mon. Bb'd. 889 S. 8: maus. 2 cum pratis ad 26 jumales. AufiäUig ist es
auch, dass im älteren Texte der 1. B^juv. I, 13 (Zeit Pipins) der Wiesen-
dienst auf dem Herrenhofe noch nicht erwähnt ist, wohl aber in den spä-
teren Texten und in dem correspondirenden Capit Aquisgr. 817 (LL. I.
216), c 13: Prato arpennem l claudere, secare, coUigere et trahere.
^ Cap. de villis c. 37: et prata nostra ad tempus custodiant
- 409 —
grosser Gutswiithschaften lassen doch ersehen, dass nicht
bloss zahlreiche Wiesen zum Herrenlande gehöi'en ^), sondern
auch, dass die Dienstleistungen der Zinsleute im Heuschnitte
etc. regelmässig immer als Leistungen am Fronhofe angesehen
wurden, die "Wiesen also vornehmlich in Eigenwirthschaft der
Gnindherren standen*). Seltener sind Wiesen auch bei den
Zinsgütem erwähnt ^)^ obwohl es zweifellos schon damals im
wohlverstandenen Interesse der Grundhen'en gelegen war,
ihren Zinsbauem auch in der Wiese ein Mittel der Stärkung
und Verbesserung ihres Betriebs an die Hand zu geben, wie
sie ihnen aus grundhen'schaftlichem Besitze Weiden und Ge-
meinwald eingeräumt haben.
In einigen Fällen haben die GrundheiTen auch schon auf
sorgfältigere Behandlung der Wiese gesehen und durch Bo-
denverbessei-ung ihren Ertrag zu steigern versucht*), wie sie
auch durch Austausch und Kauf auf eine Yermehiiing des
') So Bind bei dem fiscos Staffelsee bei 740 jurn. de terra arat Wie-
sen zu 600 carr. (LL. I, 176). Bei dem Freisingischen Gute Bergkirchen
gehörten — 858 zu terra arat colonias 3 prata ad 200 carr. Nach dem Reg.
Prüm, gehörten zn 70Va nians. ind., terra indom. jag. 2560, terra domin. ad
modios 4510 im Ganzen prata indom. ad carr. 1828; es sind hier aber
die Vliesen nicht immer aufgezählt
') Z. B. B^. Prüm, c 6, p. 148 : Ad fenum et ad messem mandpia 2.
Dacit de feno carras 10 et secat c. 22, p. 158: fenum ducit et annonam.
Ad fenum et ad messem yel ad vindemiam mancipia 2 u. o.
') Breriar. rer. fisc (LL. 1, 177): De illis clerids et laids qui iUorum
proprietates donaverunt ad monasterium quod vocatur Wizunburch et e
contra receperunt ad usnm fructuarium. Hartwic presbyter tradidit . . .
com casa dominicata mansos vestitos send] es 4, de vinds picturas 5 et
e contra recepit . . . cum casa dominicata mansos vestitos serviles 6*, de
vineis picturas 5, de prata ad carr. 20. Motwinus et uzor tradide-
nmt . . . cum casa dominicata mansos vestitos serviles 6, de vineis pictu-
ras 5, de prata ad carr. 12 et e contra receperunt cum casa dom. mansos
vest serv. 6, de vinds pict 7, de prata ad carr. 15. Registr. Prüm.
€. 112, p. 196: Tres carradas de feno debet ad Altrippe secare et in scu-
ram ducere ant in Dinheym de suo feno carr. 2 det.
*) Hieher sind insbesondere die Wasserbauten zu rechnen, welche
grosse Grundherren von den hierin besonders gewandten Friesen anlegen
Hessen ; vgl Mon. BUd. 901 S. 81. Mabill. AA. SS. III, 2, p. 826 und
Carf Christ in Heiddb. Jahrb. 1872, S. 254.
— 410 —
Wiesenbestandes bedacht waren ^). Dass aber die Wiesen im
Vergleich zum Ackerland besonders hoch im Werthe gestan-
den wären, ist aus den, allerdings wenigen Angaben dieser
Zeit nicht zu ersehen^.
Eine belangi*eiche Vermehrung von Sonderwiesen, im
Vergleich zum Ackerlande sowohl als auch überhaupt, ist
aber jedenfalls anzunehmen ^), als unverkennbares Zeichen der
Zeit, welche mit dem wilden Feldgrasbau mehr und mehr
aufräumte und eine rationellere Gebrauchstheilung des Boden-
capitals durchzuführen begann. Kam nun aber auch mit der
Verallgemeineining einer schlagmässigen Bewirthschaftung und
des Feldersystems, sowie mit Steigerung und Verbesserung
der Wiesencultur grössere Intensität in den Betrieb der Land-
wirthschaft, so bewegt sich dieselbe doch immer noch in ziem-
lich einfachen Geleisen. Regelmässig wird die Brache für die
Wintei'saat nur durch zweimaliges Pflügen (im Juni und im
Herbste) vorbereitet; zur Sommersaat wird nur einmal (ün
^) In Cod. Laoresh. 886, n. 2878 gibt das Kloster Lorsch 4 habas et
prata ad 5 carr. gegen 3 hubas, prata ad carr. 12 et casam unam. Tr.
Wizz. 838—860, n. 50 erhält das Kloster Weissenburg joni. 5, de .pnutb
ad carr. 2 gegen 15 jum. Vgl. Schenkungen von Wiesen an Lorsch i&
Geminesheim 767 — 770 G. Laur. n. 194 — 197 ; in Basinsheim 767 , ib
n. 235, 286, 240.
^) Wir stellen ein Paar Preisangaben aus möglichst gleicher Zeit und
gleichen Orten zusammen:
Wiese. Acker.
488 DPert 2 sol. 4 jum. (480 DPert.) 20 soL
(C. Laur. 767? n. 197 unter dem (C. Laur. 778, n. 457.)
Werthe verkauft)
345 DPert 5 sol. 6 jum. (720 DPert) 5 soL
(C. Laur. 780, n. 229.) (C. Laur. 780, n. 229.)
prat 2 onora Va sol. ager 3 onora 80 iL feETmit
(Tr. Sang. 820, n. 248 in ferro.) (Tr. Sang. 820, n. 235 « 1—2 soL»
^) Aus einer Reihe von mehr als 50 einzelnen urkundlichen Angabea
hat sich das Yerhältniss des zu einer Hufe oder einem Oute gehCkrigeo
Ackerlands und Wiesenlands ftlr das 8. Jahrhundert im Ganzen wie 3 —
4:1, für das 9. Jahrhundert vne 2 — 8:1 ergeben. Auch kommec
schon mehrfach sehr grosse Wiesen vor ; zu 130 carr. Als. dipl. 768, I, 41 .
zu 100 carr. Meich. 848, n. 651; 853, n. 693, 700; 856, n. 789; lu 200 -
300 carr. Meich. 860, n. 731 ; u. o. S. auch Beilage No. II. •
— 411 —
Frühling) gepflügt *) ; vom Eggen und Jäten ist nur vereinzelt
die Rede^), wenn auch angenommen werden muss, dass
wenigstens das erstere allgemeiner verbreitet war. £s fehlte
also sowohl die zweite Furche im Brachfeld, das sog. Ruhren
der späteren Zeit, wie auch die Stoppeln des Sommerfeldes
noch nicht gestürzt, gefolgt, worden zu sein scheinen.
Düngung ist zwar sicherlich schon lange in Uebung ge-
wesen, da ja schon Plinius ^) einer Art von Mergeldüngung am
Rheine gedenkt, und altdeutsche Glossen mehre Worte für
Dünger haben*). Aber doch wohl vornehmlich nur mit der
Verbreitung des Feldersystems auf dem Henenlande ist sie
allgemeiner geworden*); und auch hier scheint immer nur
ein Feld gedüngt worden zu sein ^). Wiesendüngung ist noch
ganz unbekannt; die Mergeldüngung wird als eine Neuerung
^) Vgl. die Urk. Tr. Sang. 763, n. 39; C. Lanr. 3669; Lacomblet,
Archiv II, 294; Pertz, Archiv YII, 998, oben S. 402 in Anm. 2 und Lan?
dan, Territorien S. 56 f.
^) Registr. Werd. (Lacomblet, Archiv II, 218): De servitio. Duas eb-
domadas in autumno; daas ante vemum; dnas in Jnnio. In singolis eb-
domadibos 5 dies. In autumno 1 jugumquod sunt duo iomales prosdn-
dere, id est gibrakon; dehinc arare, sementum a curte acdpere, compla-
nare, id est giekkian. Si non illud proscindit, id est gibrakod, tunc debet
arare jngum unum et complanare, id est giekkian et aliud dimidium arare
tantum non complanare. Idem servicium de proscindendo et arando et com-
planando in vemo debet üeicere. luga ipsa debet ita procurare, ut a fruc-
tibus et malis oleribus ea expurget et in omnibus ita ezcolere ut fruges
inviolatas in horreum deferat Rursum in vere unum petitorium iorna-
lern arare.
*) Bist, nat. XVII. 4. Auch Yarro de re rustica I, 7.
^) S. oben I. Buch, 4. Abschnitt, S. 165.
*) Breviar. rer. fisc. (LL. I, 177): fimat de terra dominica jumalem 1.
Reg. Prüm. c. 1, 10, 23, 33, 55, 60, 62, 65, 69, 71 f., 79, 89, 96, 104.
") Das scheint wenigstens aus dem Reg. Prüm, hervorzugehen, wo es
an mehreren SteUen heisst : corvadas 2 et terdum ad fimum jugera 3
(c 10); fadt jugera 3, corvadas 3, uno die ducit fimum in agro (c. 23);
corvadas 3, unum diem ad fimum ducendum (c. 104). Nach dem Carmen
de mensibus des Mönchs Yandalbert (d'Achery II, 58 und 60) wurden im
Weetreiche die Felder zweimal, im M&rz und November, also zu Sommer-
lind Wintersaat, ged&ngt, s. Guärard Irminon I, 653.
— 412 —
der Eai'olingei'zeit erwähnt, welche die Colonen nicht ohne
Widerstreben annahmen*).
Ueber die verschiedenen Getreidearten, das Verhältniss
ihres Anbaues und die Einbürgening neuer Arten sind wir
aus dieser Zeit allerdings schlecht untemchtet ^. Doch scheint
Weizen vomemlich ei-st seit dem 8. Jahrhunderte von Gallien
aus grössere Verbreitung in Deutschland gefunden zu haben ;
Spelt wird seit dem 8., Roggen aber ei*st seit dem 9. Jahr-
hundert in deutschen Urkunden und deutschen Sprachdenk-
mälern genannt^). Dass auch der feldmässige Anbau von
Leguminosen , von Flachs und Hanf und anderen Handelsge-
wächsen sich beträchtlicher Ausbreitung erfreute, ist aus den
Zinsbüchern der grossen Grundherrschaften zu ersehen; bei
der noch immer geringen Ausdehnung der Gärten bei den
Bauemgehöften kann ihr Anbau unmöglich der Gailencultnr
allein angehört haben ^). Ganz besonders aber gehört sicher-
^) Ed. Pist. 864 (LL. I, 495), c. 29 : üt im coloni, tarn fiscales quam
et ecclesiastici , qui sicut in polyptids continetor et ipsi non denegut,
carropera et manopera ex antiqua consuetadine debent, et margflam et
alia quaeqae carricare, quae illis non placent, renuunt, qaoniam adhac in
Ulis antiqais temporibus forte margila non trahebatur, quae in mnltis locu
tempore avi ac domni et patris nostri trahi coepit .... sine olla diffe-
rentia carricent
') Auch die ältesten Urbarien geben nur nnvollkommne Anfechlftaae-
Im Breviar. rer. fisc. sind speltae 250 corbi (» 9000 modii), ordei 2550
mod. , sigilis 160 mod. , avenae 200 modii verzeichnet; fhunentom nur in
der Schlossformel genannt. Das Reg. Prom. zählt an Abgaben auf Ober
100 mod. avenae, 169 mod. firomenti, über 1000 modii Mengkom (Grenle
und Roggen?), gegen 1100 mod. spelta und über 2500 annonae (worunter
wohl nur das ortsüblichste Getreide verstanden ist\ ohne dass wir es aD-
gemein näher bestimmen könnten). Im Reg. Blid. sind 828 mod. «KgiuMi,
73 mod. avenae, 89 mod. tritici aufgeführt Das Reg. WenL hat i2S8
mod. siliginis, 5508 mod. ordei, 1110 mod. bracei (Malz), 2642 mod. ave-
nae und nur 10 mod. tritici, 6 mod. frumenti verzeichnet 8. Beilage VI
^) Vgl. Graff, Sprachschatz passim. Hostmann S. 60 fL and L Btaefa,
4. Abschnitt, S. 165.
^) Ifn Brev. rer. fisc. sind zwar nur 6 seigas de Uno, 6 sextar. de 8e>
mente lini, 2 libr. canabis, 6 sext. de lenticulis, 1 mod. ftibanim, 12 mod.
pisarum angeführt, doch unter den herbis hortulanis diese Cultoren nkht
inbegriffen. Das Reg. Prüm, verzeichnet über 600 it. linum, 17 siaapan
— 413 —
lieh dieser Periode eine beträchtliche Ausdehnung des Wein-
baues zu. War der Weinstock schon zur Merowingerzeit aus
dem linksrheinischen Frankenlande nach den Gegenden rechts
des Rhein verpflanzt 0 und gleichzeitig aus Mösien und Pan-
nonien^) die Donau herauf nach Baiuwarien gekommen, so
ist die Earolingerzeit besonders als die Zeit der allgemeinen
Verbreitung der Weincultur zu bezeichnen, wenigstens soweit-
hin schon der Einfluss geistlicher Grundherrschaft reichte,
welche mit wahrer Begierde gerade auf Erwerbung*) und
Cultur von Weinlagen sich verlegte. Besonders sonnige Wald-
abhänge wurden zu diesem Zwecke gerodet^); und auch in
staapos; das Reg. Bild. 33 U linam, IVa mod. de ciceribus; das Bieg.
Werd. über 82 mod. pisarom vel fstbamm als Abgaben. Das EinkOnfte-
TerzeichnisB des Eelleramts Reichenau 843 (Wirt Ürk.-B. d. 108) führt auf
85 haspas de canafo, 30 de lino, 28 de filis, 110 modia ieguminomm.
Vgl. Cap. de Tili. c. 62: quid de leguminibos, quid de milio et panigo; quid
de lana, lino yd canava . . . habuerint ib. c 43 : Ad genida nostra . . .
linum, lanam, waisdo (Waid), vennicula (Scharlach), warentia (Krapp).
^) Bodmann, Rheingauische Alterthümer S. 398 ff.
^) Eutrop. h. Rom. 17: (Probus) vineas GaUos et Pannonios habere
permisit. Aurel. Victor de Caes. 37, 2: Hie Galiiam Pannoniasque et
Moesomm colles vinetis replcvit; vgl. Hehu, Kulturpflanzen S. 76 f. und
über den Weinbau an der Donau L Buch, 4. Abschnitt, S. 172.
') Fulda kaufte 753 (C. Fuld. 6) einen Weinberg bei Maiuz um 15 ^ und
7 onc. inter auro et argtoto I In den ersten 100 ürk. des Cod. Fuld. (— 791)
werden 72 grössere und kleinere Weinberge dem Kloster geschenkt oder
verkauft. Die Urkunden des Cod. Lauresh., welche Weinberge betreffen,
belaufen sich auf viele Hunderte. Freising hatte schon durch Corbinian
724 Weinberge im Etschlande erworben; seit circa 825 finden wir das-
selbe auch im Besitz von Weinbergen bei Bozen (Meick la, 132). Auch
St Gallen hat im Laufe des 9. Jahrhunderts bedeutende Weingater er-
worben; im 8. Jahrhundert dagegen sind Weinberge in den St Gallischen
Urkunden sehr selten; um so hftufiger die Bierabgaben.
*) Besonders die Lorscher Urkunden bieten hief&r viele Belege; C.
Laur. 771, n. 1255: locum ad vineam feiciendam; ib. 777, n. 628: unum
proprisum ad vineam fadendam. ib. 777, n. 1000: vineale 1 et in ipso
vineali vineam £actam; ib. 778, n. 325: portionem meam de una vinea in
illo clauso; ib. 786, n. 544: vinea 1 et 1 proprisum ad ipsam vineam per-
tinentem; ib. 792, n. 393: bifangum ad vineam faciendam ex aliqua parte
plantatum; ib. 794, n. 394: 1 vineam et nostrum proprisum ad eam per-
tinentem.
— 414 —
Gegenden, die wenig natürliche Eignung hiezu besassen, auf
der baiiischen Hochebene ^), in der nördlichen Schweiz *) und
bis tief nach Thüringen hinein^) vei'suchte sich die emsige
Mönchswirthschaft in der Cultur der Rebe, Karl d, Gr. blieb
auch in diesem Stücke nicht zurück; wie er auf Verbesserung
der Weinbereitung bedacht war, so Hess er sich auch die
Hebung und Ausbreitung der Weincultur angelegen sein ; anf
seinen Domänen sollten die Amtleute die Weinberge, welche
zu ihrem Ministerium gehörten, in den Eigenbetrieb einbe-
ziehen, in guten Stand setzen und Setzlinge für die Erwei-
terung dei-selben besorgen *). Doch ward der Weinbau kei-
neswegs der Selbstverwaltung der kaiserlichen Güter^ aus-
schliesslich vorbehalten ^) ; und ebenso finden sich auch bei
andern GinindheiTschaften vielfach Weinberge allein oder mit
andern Grundstücken und Mausen als Beneficien oder Zins-
güter ausgethan^). Die Cultur der Weinberge war eboi
zu allen Zeiten auf kleine Gebiete vertheilt ^ und eig-
nete sich auch wegen der hiefür nöthigen Arbeitsleistungen
ganz besondei*s für den Kleinbetrieb, wie ihn hörige Leute
^) Meichelb. la, 52, a. 753 Weinberge in Toalpach bei Mosbnig.
^) Tr. Sang. 752, n. 15 bei Kaiseraugst.
") Hehn, Kultorpflanzen S. 78.
*) Cap. de TÜlis c. 8: Ut judices nostri vineas redpiant nostras qoaede
eoroxn sunt ministerio et bene eas faciant, et ipsum viaum in bona mit-
tant Tascula, et diligenter praevidere faciant quod nullo modo nanfrtga-
tum Sit ... Cippaticos enim de vineis nostris ad opus nostrom mütere
fjEUuant
'0 Cap. de vilL c 8 : Censa de villis nostris qni vinum debent, in cd-
laria nostra mittat, c. 62 : quid de vineis ; quid de iUis qni Tinom sol*
vunt . . . habuerint.
^) Im Reg. Prüm, sind neben vineae domin. ad mod. 220, ad cur.
268 (-« 2104 mod.), und picturae 17 angeführt vineae feod. pict 283
und gegen 4000 mod. yin. als Abgaben Torgetragen.
'') Die Weinberge werden sehr häufig nach dem Ertrage gemesses,
z. B. C. Lanr. 768, n. 303: viniolae 2 ez qoibus possnnt colligi 2 carrtd.
vini; ib. 793, n. 898: vineas in 3 locis ex qnibus colligi possnnt 15 sitn-
las (=» V« carrad.) yini ; hänfig nach scamellis, z. B. C. Laor. 791, n. 684:
1 scamellnm unde potest colligi 1 carr. vini. Die Grösse der Weinberge
geht aber selten über 2 — 3 scamellos oder 2—8 carr. Ertrag hintns
— 415 —
übten, oder wie er auf dem Gutshofe des kleinen Grundeigen-
tbOmers geführt wurde ^).
Eine wesentliche Erweiterung von weittragenden Folgen
fdr die spätere Zeit erhielt die nationale Bodenproduction in
dieser Periode durch die Einführung der Hopfencultur. Es
bleibt zweifelhaft, ob die Deutschen diese Pflanze von den
Slaven*) erhielten oder ob sie etwa, die brauchbaren Eigen-
schaften im wildwachsenden Hopfen erkennend, denselben
selbständig der Cultur unterwarfen; jedenfalls nicht vor dem
8. Jahrhundeit wird des Hopfens in fränkischen Quellen ge-
dacht ') ; auf deutschem Boden tritt er erst seit dem 9. Jahr-
hundert auf und bleibt noch während der ganzen Periode
ziemlich selten*).
Der Forstwii-thschaft fehlte auch in dieser Periode noch
jede technische Ginindlage. Aber vor allem die immer grössere
Ausdehnung gewinnende Einforstung ^) von Gemeinland durch
die Könige und die gi*ossen Giiindhen*en gab doch einen An-
stoss zu einer planmässigeren und schonenden Bewirthschaf-
') Daher nicht selten die Weinberge unmittelbar auf dem Hofgrund-
stücke sind, ähnlieh den Gftrten; C. Laur. 773, n. 1842: ezcepto 1 mea
quae in ipsa cnrti est; ib. 789, n. 846: 1 vineam super ipsom mansum;
ib. 798, n. 887: 1 vineam in ipso manso.
^) Hehn, Kulturpflanzen S. 410 ff.
') DipL Pipins 768 für St Denys (Doublet bist, de Fabbaye St De-
QJB p. 699). Im Polypt Irmin. kömmt Hopfencultur in Mareuil au Pec,
Boiasy en Drouais und Combs la Tille vor ; ebenso in den statuta abbat
Corbei. 822 (Gu^ard^^Irm. H, S. 313, 883).
*) In Freisinger Urkunden seit Ludwig dem Deutschen ; über Hopfen-
cultur St Gallons im 9. Jahrhundert Archiv des Bemer bist Vereins YII,
275. Argovia H, 25—34.
^'^) Beispiele aus dem 7. und 8. Jahrb. im I. Buch S. 127. Cap. de
villis c 86: Ut silvae et forestes nostrae bene sint custoditae. Cap. 813
(LL. I, 189), c 18: De forestis, ut forestarii bene illas defendant. Cap.
817 (LL. I, 218), c. 22: De iorestibus nostris ut ubicumque fuerint, dili-
gentissime inquirant , quomodo salvae sint et defensae. Mittelrh. Urk.-B.
896, 1. 140: ut quandam sUvam in pago Treverensi in bannum mitteremus,
et ex ea sicut franci dicunt, forestem faceremus (für das Erzstift Trier und
die Abtei St. Mazimin). Solche Forste sind von Gemeinwftldem h&ufig
ausdrücklich unterschieden Reg. Prüm. c. ,55, p. 175 ; c. 62, p. 178. VgL
i. A. Waitz IV, 109 ff. Bernhardt I, S. 48 ff.
— 416 —
tung; und auch das steigende Interesse dei-selben an einer
durch den Wildbann gesicherten Hochwildjagd musste auf
eine Schonung der Wälder hinwirken ^). Dass damit, als un-
mittelbare Folge, ein tiefer und entscheidender Eingriff in den
Bestand der alten markgenossenschaftlichen Verfassung'), ja
zugleich in die politische Organisation der Grafischaften ge-
macht wurde *), war eine unvenneidliche Gonsequenz der gan-
zen grundhen-schaftlichen Entwickelung dieser Zieit, welche
abzuwehren die Könige vergebens sich bemühten^). Am
Schlüsse der Periode haben trotzdem alle gi'ossen Grundherr-
schaften ihre selbständigen, eingeforsteten Waldgebiete, von
denen sie dann einen Theil in eigner Bewirthschaftung be-
hielten ^), den andern aber zur Bildung von Ho&narkgenosseo*
^^) Cap. de villis c. 86: et abi silvae debent esse, non eas permittut
nimls capalare atque damnare et feramina nostra intra forestes bene ca-
stodiant
*) Im Forste hörte die Gremeiimutnmg za Weide, Mast und Hob-
schlag, Jagd und Fischerei auf; M. Boic31a, p. 179 (ürk. Ludwig d.K.:
ut nulla persona audeat . . sine consensu et voluntate £. . • pontifids ia
sUyIs maioribos vel minoribus (welche ein Theil eines Forstes waren) por-
cos saginare ferasque silvaticas Yenare, arbores absdndere vel nüam ib-
juriam facere.
") Urk. Pipins 768 Bouqu. V, 707 : sylva . . sub aemnnitatis nonune
habeat . . ut nulla praesnmptio iudidariae potestatis pro quibusdam o^
casionibus ant aliquid ezercitandum venationibus absqne permissum rectom
ipsius monasterii ullo unquam tempore infira ipsos terminos ibidem iogredi
poenitns non praesumat Vgl. Walte lY, S. 263.
«) Capit. 817 (LL. I, 215), c. 7 : De forestibus nonter institutis. Ut
quicunque iUas habet, dimittat, nisi forte indido verad osteodere posit,
quod per iussionem sive permissionem d. Karoli genitoris nostri eas insth
tuisset; praeter illas, quae ad nostrum opus pertinent, unde nos decenere
volumus quicquid nobis placuerit. ib. (LL. I, 218), c. 22: De forestibus
nostris . . . ut comitibus denuntient, ne uUam forestem noviter institout
et ubi noviter institutas sine nostra iussione invenerint, dimitterepraedpitot
>) Bouqu. 816, VI, 498: cum foreste nostra indominicata silTis
ibi nostris communibus. Tr. Sang. 868, n. 531 : dedimus jugera 105 et
de communi sUva quantum ad portionem nostram pertinet et aooepimo»
inter arativam terram et silvosam jugera 105 et de silva juzta estimatio-
nem nostrae pordonis in communi Silva. Reg. Werd. A. III, p. 221 b
Hasloch et in alia nemora id est Forsti , et in Fliunna prout alii sni co-
heredes inmittunt.
- 417 —
Schäften oder zur Ausstattung hofhörig gewordener Genossen-
schaften mit dem unentbehrlichen gemeinen Waldlande ver-
wendeten 0.
Damit war dann aber auch zugleich ein zweites Moment
für eine rationellere Pflege des Waldes gegeben. Die Grund-
herren hatten es in der Hand, an ihren Waldungen so viel
Nutzungsrechte den Hintei*sassen zu gewähren, als jene ohne
Gefahr für die Nachhaltigkeit des Holzeilrags zuliessen; der
ausgeschiedene, ausschliesslich für die Bedür&iisse der herr-
schaftlichen Eigenwirthschaft bestimmte Wald konnte ebenso
wie der als Gemeinwald den Hintersassen ausgewiesene Wald
dem Masse des Bedürfnisses entsprechend bestimmt werden ^).
Und endlich zwang das feste Ausmass von persönlichen Dienst-
leistungen in den herrschaftlichen und von Abgaben aus den
Wäldern der Beneficiare und Zinsbauem der Grundheri-schaft
eine feste Regel der Nutzung auf; Eichelmast und Bienenweide,
Waldheu- und Streunutzung, aber auch Mass und Art der
Holznutzung selbst fügte sich jener aui Jahrhunderte unven-ttck-
'] S. oben 2. Abschn. S. 270 und 3. Abscbn. S. 829. Die Könige selbst
trogen durch Schenkung von Forst und Wald zur Einforstung an Grrosse
Tiel zu dieser Entwickelang bei; so schenkte z. B. Karl d. Gr. an St Mar-
tin in Trier 777 (Sickel II, 84) viliam Lisidunam cum 4 forestis ; an Hers-
feld 778 cWenk 2 b, n. 5i mansum indom. simulque in circuitu mansi leu-
gas 2 silvae drcumiacentis ; 781 (G. Fuld. 72) an Fulda campum Unofeit
cum silYis eins. 839 C. Fuld. n. 655 gehört silva in fo^'este Spehteshart
zu den rebus comitatus.
') Daher die grosse Verschiedenheit in Gegenständen und Ausmass
der Nutzung des herrschaftlichen Waldes durch die Hintersassen; Tr. Sang.
861^ n. 479: Insuper ex nostra largitione ad praefatum monasterium con-
cedimus (König Ludwig) ut ipsa familia potestatem habeant materia et
ligna cedendi et pasturam animalibus . . . hoc est in jumentis et bubus et
ovibus et pords atque capris. JuvaY. Anh. 891, n 55: silvis, silvarumque
usibua, pastibus sdlicet et editiciorum lignis in forestibus nostris. Tr.
Sang. 905, n. 740: curtile 1, duo jugera continens cum via, ezitu et aditu
talique usu sil^tico, ut qui illic sedent, sterilia et iacentia ligna licenter
coUigant. Besonders aber im Ausmass der Mästung z. B. C. Laur. 863,
n. 88: in sylvam uterquo (über) porcos 10 et nullam aliam utilitatem sive
ad exstirpandum sive in cesura ligni. Unusquisque autem de servis ipsis
de 8ua huba debet mittere in sylvam porcos 5; u. o.
von Inama-flternegg, WirtliBcliaftsgescIiicbte. I. 27
— 418 —
baren Ordnung, wie sie die GrundheiTen mit der ersten Or-
ganisation ihrer sämmtlichen Arbeitskräfte und ProducÜT-
mittel schufen 0-
Die Entwickelung der Viehzucht während der Karolinger-
periode ist durch zwei Momente yoi*zug8weise charakterisirt
Es setzt sich der Viehstand mehr in das Gleichgewicht mit
dem Ackerbau, ist nicht mehr so wie früher der überwie-
gende Zweig der Uiproduction ; und es tritt allmälig m
besseres Ebenmass zwischen dem Arbeitsvieh und dem Klein-
vieh ein, während die ältere Zeit diesem ein auffallendes
Uebergewicht gab.
In erster Hinsicht ist es besondei*s die Pferdezucht und
Pferdehaltung, welche die grösste Verändemng eifuhr. Das
Pferd war des freien Mannes Wirthschaftsluxus in älterer
Zeit, aber zugleich eine wesentliche Voraussetzung für die
Behauptung der Waffenfähigkeit. So lange der kriegerische
Sinn die Deutschen noch belebte, ist auch die Pferdezucht
eine ihrer wichtigsten wiilhschaftlichen Angelegenheiten; auf
freier Weide, die in weiter Ausdehnung zu Gebote stand,
züchteten sie in urwüchsigster Weise einen behenden , wenn
auch nicht schönen Schlag ^). Aber die Weiden engten sich
ein und fielen dem Pflug und dem Spaten zum Opfer oder
wurden zur Wiese gehegt; und der kriegerische Geist des
Volkes wurde gebändigt durch die Noth des täglichen Lebens,
als einmal die Sesshaftigkeit entschieden und eine feste Ord-
nung des Grundbesitzes und Erwerbs geschaffen war. Und
^) Im Reg. Prüm, sind silvae ad porcos 8430 und an Abgaben «u
den Wäldern lignorum carrad. gegen 15.000, sdndalas gegen 25.000, axileä
22.500, faculas 7500, palos 17.600 nebst 103 carros, materiameD caxr. ^
daurastOB 965, circalos 883, daneben noch in jedem anderen Jahre axiles
5600, scindnlas 6970 und Dienstleistungen in broil 297, ad pocos hebdom.
172, ungerechnet die Waldfuhren, voi^etragen; diese Zahlen geben zu-
gleich eine ungefähre Vorstellung von dem Ertrag, welchen die Wäldcf
einer grossen Grundherrschaft abwarfen; vgl. Beilage VI.
') Doch kommen noch jetzt equi indomiti vor, G. Fuld. 929, n. 6(5
equi indomiti furto capti. Kindl. Münst. Beiträge I, 21 vagi eqoL Vgl.
auch Tr. Fuld. c 7, n. 31: quod est apud Fresones rosbannare, td €si
ut equi commune pabulum habeant in prato post absdssionem fem.
— 419 —
damit gingen die Voraussetzungen grosser Pferdehaltung ver-
loren. Der kleine Grundbesitzer, der lieber seine Freiheit
und die Unabhängigkeit seines Erbguts opferte, als noch fer-
ner in hilfloser Isolirung sich kümmerlich auf beschränkter
Hufe izu erhalten, hatte weder Sipn fQr die Lust am Tummeln
der Pferde, noch die Mittel, um sich solchen Luxus zu er-
lauben^), noch ein Bedürfniss danach; für die Bestellung
seines Ackerfeldes, für die nöthigen landwirthschaftlichen Fuh-
ren leistete das Rind, das auch andre Nutzung zuliess, besseren
Dienst; der Consum von Pferdefleisch ward ihm durch die
Eiferer der christlichen Kirche bald giilndlich verwehrt 2);
und in den Krieg brauchte er nicht mehr zu ziehen, sobald
er in fremde Botmässigkeit sich ergeben hatte. Daher fand
die Pferdezucht in dieser zweiten Periode nur mehr in einem
kleinen Kreis von Gütern eine aufmerksame Pflege und grössere
Ausdehnung: auf den königlichen Gütern, welche für die per-
sönlichen Neigungen des Königs, für die Bedüi-fhisse seiner
Hofhaltung und seiner grossen Gutswirthschaften und endlich
fttr den unersättlichen Heeresbedarf züchteten^); auf den Gü-
tern weltlicher Grossen, bei denen gleichfalls Jagdlust und
Luxusreiterei, Kriegs- und Wirthschaftsbedai-f einen gi'ossen
Pferdebestand nothwendig machte*); bei geistlichen Grund-
^) Dass Pferdebesitz schon grösseren Wohlstand bedeutete, ist aus
dem Cap. 807, c. 6 (LL. I, 149) zu ersehen, wo caballarii (Pferdebesitzer)
den pauperioribus gegenübergestellt sind.
') S. oben I. Buch, 4. Abschnitt, S. 133.
*) Vgl. die Tabelle No. VIII über den Viehstand der königlichen Villen.
Karl d. Gr. legte auf die Pferdezucht grossen Werth: vgl. Gap. de vilL
c. 13: Ut equoB emissarios, id est waraniones, bene praevideant et nulla-
tenoB eo8 in uno loco diu stare pennittant, ne forte per hoc pereat. Et
si aliquis talis est, quod bonus non sit, aut veterauus sit, si vero mortuus
fuerit, nobis nuntiare fadant tempore congruo, antequam tempus veniat,
ut inter iumenta mitti debeant. c. 14: Ut iumenta nostra bene custodiant
et poledros ad tempus segregent Et si pultrellae multiplicatae iuerint,
separatae fiant; et gregem per se ezinde adunare fadant. c. 15: Ut po-
ledros nostros missa s. Martini hiemale ad palatium omnimodis habeant
*) Tr. Sang. 806, n. 191: caballis domalibus cum cetero troppo; 855,
n. 441 equaritia. C. Laur. 790, n. 14 bei einem Gut mit 64 mandpia. ib.
808, n. 597 : gregem equarum. In den Trad. Fuld. c 44, p. 125 ff. : De-
21*
— 420 -
herrschaften, welche, da sie nicht persönlichen Kri^dienst
leisteten ^), Rosse für Reiterei und Fuhrwesen des Heeres zu
liefern hatten und bei ihren ausgedehnten und zerstreuten
Besitzungen die Arbeitsenergie und Schnelligkeit des Pferdes
für Ackerbau und Fuhren, für Botendienst und Handelschaft
wohl zu schätzen wussten*).
Bei kleinen Freigütern aber ist der Pferdebestand mei-
stens auf das eine Streitross beschränkt, das der Besitzer Ar
seinen Kriegsdienst nöthig hatte ^); und auf abhängigen Gu-
tem wurden Pferde regelmässig nur gehalten, soweit specielle
Verpflichtungen (paraferedi) gegenüber dem Grundherrn dazu
zwangen; das aber findet sich fast ausnahmslos nur in geist-'
liehen Grundherrschaften, welche damit wohl ihre eigne Ver-
pflichtung zur Stellung von Kriegsrossen auf die Schultern
ihrer Gi-undholden abwälzen wollten^) und ist zumeist eine
Verpflichtung, welche nur sogenannten Freihufen (mansis in-
genuilibus) auferlegt sind, also solchen dienenden Gütern,
scriptiones hubarum, familiaram, iugerom, animalium . . in SaeTia . . sicat
eo tempore exculta fuenint, qaando a Pipino et Carolo s. Bonifacio contn-
dita sont, sind von 72 Gütern Hur drei mit grösseren Pferdebestftndeo
aufgeführt
») Waitz IV, 499 ff.
') Wenn gerade bei geistlichen Gutshöten doch auch nur geringer
Pt'erdebestand vorkömmt, so ist das wohl durch ihre gute Organisatios
des Boten- und Fuhrwesens zu erklären, worüber Näheres im 5. Abedio.
In Staffelsee ist nur 1 caballus domitus; in Bergkirchen (Meich. la, 186')
1 caballus und 1 serv. dominicus, der ein Pferd besitzt; auch Jut. Anh.
815, n. 18 bei 7 mancip., 800 jug. terrae, prat 90 jug., silvae ad stirpan-
dum 300 jug. nur 1 caballus.
') Vgl. die Tab. No. IX über die Viehhaltung. Die vielen Verkftofe
von Grundbesitz, bei welchen ein Pferd als Kau^reis gegeben wird, sind
vielleicht gerade auf die nothwendige Ergänzung dieses Streitrosaes zu
beziehen; z. B. C. Laur. 768, n. 247; 773, n. 2522; n. 778, n. 1845. Wirt
Urk.-B. p. 160: quando ad servicium pii regis perrezerit, unun saamariom
onustum prestent cum homine qui illum ducat. Similiter secunda vioe fs-
ciant, si iter in hostem eodem anno contigerit.
*) Meich. 846, n. 640 : quoad usque vixisset , ipsas res aboisset com
censu hoc sunt denarios 4 et annuatim ad itinera diversa aut in bestem
aut alicubi caballum 1 prestare.
— 421 —
welche früher als Freigüter selbst in der Regel Pferde ge-
halten hatten^).
Auf die Rindviehzucht haben diese Verhältnisse nur theil-
weise einen unmittelbaren Einfluss geäussert. Wohl mag auch
ihr durch Anbau beträchtlicher Strecken von gemeiner Weide
der Boden zum Theil entzogen worden sein; und die grössere
Bedeutung, welche allmälig der Ackerbau erlangte, hat sicher-
Uch mit Verallgemeinerung der vegetabilischen Nahrung auch
das Bedürfniss grosser Viehhaltung vermindert Aber ander-
seits war doch die Vermehrung der Bevölkerung beträchtlich
genug, um an dem vorhandenen Masse des Viehstandes auch
bei so verändertem Nahrungsbedarfe festzuhalten; und über-
diess war ja auch der Uebergang zu einem intensiveren Acker-
bausystem, wie es die Dreifelderwirthschaft im Vergleich zur
wilden Feldgraswirthschaft der älteren Zeit immerhin dar-
stellte, ohne namhaften Yiehstand nicht wohl zu bewir-
ken^). An der Verminderung des Gesammtviehstandes im
Verhältnisse zur Anbaufläche hat also jedenfalls das Rindvieh
den kleinsten Antheil; und da gleichzeitig der Bestand des
Kleinviehs, besonders der Schweine und Ziegen, erheblich ab-
nahm, eine Wirkung, welche ganz vomemlich von dem Ueber-
gewicht der grossen Gutswirthschaften und ihrer sorgfältigeren
Weide - und Waldhutung ausging % so ist das bessere Eben-
mass leicht erklärt, das sich allmälig in dem Verhältniss des
Arbeitsviehs zum Kleinvieh einstellte^).
^) Vgl. Gu^rard, Irmipon I, 820 £f. Nur im Brev. rer. fisc. aaf der
cortis Staffelsee haben auch die mansi serviles parafireda zu leisten (LL.
I, 177). Auch die coloni ecdesiae, welche in L. Baj. I, 13 (Zeit Pipins)
parafreti leisten müssen, sind den servis nicht gleichzustellen.
*) Zur Düngergewinnung wie zu Pflugarbeit; vgl. Cap. de vill. c 23:
Et iosuper habeant vaccas illorum servitium perfidendum conunendatas
per senros nostros; qualiter pro servitio ad dominicum opus vaccaritias
Tel carrucas nuUo modo minorate sint Eine vaccaritia Tr. Sang. 855, n. 441.
") Doch legt selbst Karl d. 6r. noch grosses Gewicht darauf; Cap.
de vill. c 23: In unaquaque villa nostra habeant iudices vaccaritias, por-
caritias« berbicaritias , capraritias, hircaritias, quantum plus potuerint et
nullatenas sine hoc esse debent Vgl. c 35, 66.
*) Während dieses Verhältniss in den ältesten Angaben noch 1%
Rinder za 93% Kleinvieh (Meich. la. 54) und 8% Rinder zu 92 r'o Klein-
— 422 —
Die gewerbliche Technik entwickelte sich in dieser Periode
zweifellos zu ungleich grösserer Mannigfaltigkeit, hatte aber
ihre vorzüglichste Veilretung jedenfalls nur auf den Palaüen
der Könige und den grossen Herrenhöfen der Grundherren.
Die vollständigste Liste der Handwerker gibt jedenfalls Karls
d. Gr. Capitular über die Verwaltung der Domänen'); es
sind da Eisen-, Gold- und Silberschmiede, Schuster, Schnei-
der, Sattler, Schreiner, Drechsler, Zimmerleute, SchQd- und
Hamischmacher, Fischer, Vogelfänger, Seifensieder, Bierbrauer
und Branntweinbrenner (oder Mostsieder), Bäcker und Kets-
macher genannt ; viele von ihnen kehren auch in den grossen
Güterverzeichnissen und vereinzelt in Urkunden wieder, ohne
dass ihre Reihe aus diesen Quellen erheblich vermehrt werden
könnte *).
Von den drei git)ssen nationalen Gewerben, welche schon
in älterer Zeit in einiger Blüthe standen , ist jedenfalls das
Metallgewerbe am meisten entwickelt worden. Es zeigt sich
das nicht bloss in der besondei-s reichlichen Arbeitstbeilung
und Specialisirung, welche dasselbe in dieser Zeit angenommen
hat^), sondern auch in der Mannichfaltigkeit und vielseitigen
vieh (Urk.-B. o. d. Eons I, 444) zeigt und sogar auf den königlichen
Vmen, welche das Brev. rer. fisc beschreibt, 12 ^l^ Pferde, 7 ^1^ Rinder bei
81 ^'/o Kleinvieh yerzdchnet sind, gab es dagegen auf dem bischöflichen
Hofe in Staffelsee (Brev. LL. I, 176) um das Jahr 812 neben einem Pferde
24 7o Rinder, 76% Kleinvieh. In ein Paar Angaben aberwiegt sogar der
Rindviehstand, z. B. Cod. Fuld. 815, n. 809: 2 Pferde, 40 Rinder, 25 Stack
Kleinvieh; auf dem Freisingischen Hofe Beigldrchen 886 — 854 (Mdcfa.
la, 120*) 2 Pferde, 89 Rinder, 82 Stück Kleinvieh. Doch war das noch
lange Ausnahme; s. die Beilage No. IX.
^) G. 45, p. 184 : Ut unusquisqne iudex in suo ministerio bonos ba-
beat artifices, id est fobros ferrarios et aurifices vel argentarios, sntores,
tomatores, carpentarios, scutarios, piscatores, audpites, id est aacellatore&
saponarios, siceratores, id est qui cervisam vel pomatium sive piratiam vel
aliud quodcunque liquamen ad bibendum aptum fuerit, faceresdant; pisto-
res, qui similam ad opus nostmm faciant, retiatores qui retia facere bene
sdant tarn ad venandum quam ad piscandum sive ad aves capiendnm nee
non et reliquos ministeriales quos ad numerandum longum est.
') Nur der Monachus Sangallensis berichtet als Besonderheil andi
von Glasmachern.
') S. oben Anm. 1.
— 423 —
Anwendung , welche die Producte dieses Gewerbes gefunden
haben. Sowohl für die Kriegsausrüstung ^) wird die Metall-
arbeit immer wichtiger, als auch für den täglichen Bedarf
des Hauses und des landwirthschaftlichen Betriebs ') und auch
als Handelswaaren ^) spielen besonders Metallfabrikate schon
jetzt eine grosse Rolle.
Nicht minder ist sicherlich die deutsche Weberei vervoll-
kommt worden. Die Pflege, welche die nationale Production
durch die Arbeitsorganisation der grossen Ginindherrschaften
gefunden hat, ist auch diesem Gewerbszweige in hervon*agen-
dem Masse zu Gute gekommen. In den oft zahlreich bevöl-
kerten, gut ausgestatteten Frauenhäusem entwickelten die
Grundherren eigentliche Fabrikationsstätten fftr Gewebe aller
Art^); und die gi*össere Mannigfaltigkeit und zunehmende
Pracht der Gewänder^), das üeberhandnehmen zahlreicher
^) Vgl Cap. Theod. 805 (LL. I, 132), c. 6: Omnis homo de 12 man-
sis braniam habeat £ncyclica(?) 806 (LL. I, 145): Unusquisque caballa^
rins habeat scutum et laDceam et spatam et semispatain, arcum et pharetras
cum sagittis, et in carris vestris uteDsilia diversi generis id est cuniadas et
dolatnrias taratros, assias, fossorios, palas ferreas. Gap. 818 (I, 187), c. 9 :
lanceam, scutum et arcum . . . loricas vel galeas.
') Cap. de yill. c. 42, p. 184: vasa aerea, plnmbea, ferrea, lignea, an-
dedoSy catenas, cramaculos, dolaturas, secures, id est cuniadas, terebros,
id est taradros, scalpros ; dazu Brey. rer. fisc. I, 177 : luminare ferreum^
tinaa ferro ligatas, falces, falciculas; s. u. über die metallnen Gef&sse S. 425.
Cap. 779 (I, 88), c. 20: De brunias, ut nullus foras nostro regno yendere
praesomat.
') Cap. Theod. 805 (I, 132), c 7 : üt arma et brunias non dncant ad
venundandum. Mit Waffen werden auch fortwährend Grundstücke einge-
handelt; so mit scuto et lancea Meich. Ib, 250; ein territorium gegen unum
toracem ib. 252.
^) Vgl. de yill. c. 43: Ad genitia nostra, sicut institutum est, opera
ad tempus dare faciant, id est linum, lanam, waisdo, yermiculo, warentia,
pectinos laninas, cardones, saponem, unctum, yascula yel reliqua minutia
quae ibidem necessaria sunt Im Genitium yon Staffelsee waren 24 Wei-
ber beschäftigt; Brey. rer. fisc. I, 177.
'^) Vgl. z. B. das Verzeichniss der Ejrchengewänder in Staffelsee (Brey.
rer. fisc. I, 176): Inyenimus ibi planetas castaneas 2, de lana factam et
tinctam 1. Dalmaticam 1, siricam 1, albas 7. Amictus 4. Fanones li-
neos serico paratos ad offerendum ad altare 13. Pallia ad altaria induenda
— 424 —
Bekleidungsstücke in den hen-schenden Trachten jener Zeit ^)
zeigen auch hier, wie Production und Bedarf sich wechsel-
seitig steigerten. Doch lässt sich andrerseits nicht verkeunen,
dass die einheimische Weberei noch weit davon entfernt war,
dem Bedürfniss zu genügen ; ja es ist ersichtlich, dass sie dem
rasch steigenden Kleiderluxus nicht Schritt zu halten ver-
mochte. Die schon in älterer Zeit begi*ündete Ueberlegenheit
der friesischen Gewandindustrie scheint sich in dieser Zeit
nicht nur behauptet, sondern sogar gesteigert zu haben *);
orientalische Gewebe in Seide und Baumwollp beginnen ihre
bedenkliche Concurrenz mit den wollenen und leinenen Ge-
wandstoffen auch auf deutschem Boden ^) ; und immerhin bleibt
es befremdend, dass während der ganzen Periode von eigent-
lichen Handwerkern der Weberei in Deutschland keine Rede
geht^); die ganze Technik dieses Zweiges, so scheint es, ist
noch im Besitze der herrschaftlichen Frauenhäuser ^) , und
8. Pallia de lana facta et tincta ad altare indueDdam 2. Pallia linM
tincta 2. Linteamina serico parata ad altaria vestienda 20. Manicas se-
riceas aaro et margaritie paratas 4 et alias sericeas 4. Corporales 4.
Orarii 2. Plomatiam serico indntam 1. Die Einrichtung der Gutahöfe
war damit allerdings in auffallendem Contraste ; in Staffelsee 5 colcita com
plomatiis and im genitiam 5 sardles cum fasdolis 4 et camisiles 5. In
Asnapinm lectum parandom 1, drappos ad discom 1 parandum, toacUm;
ebenso in zwei andern Gütern; in illo fisco (I, 180) lectum paratum 1,
culdtam 1, plumacium 1, linteos 2, mantile 1, mappam 1, toadam 1; in
Treola fisco : culdtam 1 , plumacium 1 , lectarium 1 , llnteom 1 , cope^
torium 1.
') Falke, Trachten I, 26, 37 ff., 47. Schmoller, Tucherbuch S. 357 f.
') St. Gallen schickt seinen Itinerarius nach Mainz pro pannis laneii
(friesische?) emendis SS. ü, 97. Mon. Sang. (ib. II, 752) paUia Fresonia
alba cana vermiculata ye\ saphirina, quae in illis partibus rara et multum
cara comperit, sandte Karl d. Gr. als Geschenke in den Orient
") Monach. Sangall. II, 17. Wefnhold, Deutsche Frauen 416. Hejd.
Geschichte des Levantehandels im Mittelalter II, 583. Doch kommt we-
nigstens schon in einer Urk. Ottos II. für Mainz das artifidum in linais.
laneis et serids omamentis als Leistung der weiblichen Hörigen vor.
*) SchmoUer, Tucherbuch S. 360 f.
*) Doch wird in den Mannsklöstem wohl das vestiariom ihre Stell«
eingenommen haben; Yito S. Eigilis abb. Fuld. (MabiU. IV, 1, S. 248 :
omnes homines qui in eodem monasterii loco habitant, ab nno Testisrio
vestitum accipiant prout praepositus vel cellerarius dispensaTerint
— 425 -
eben als Weiherarbeit Ober das Stadium der wenn auch ent-
wickelten Hausindustrie noch nicht hinausgekommen.
Am auffallendsten und ganz unerklärt aber bleibt es,
dass die Töpferindustrie gar nicht vertreten ei-scheint. Wir
boren weder aus den Kai*olingischen Wirthschaftsvoi'schriften
noch aus sonstigen Schilderungen gi-osser Gutshöfe oder Ur-
kunden dieser Zeit irgend eine Andeutung über diese In-
dustrie, von welcher man doch annehmen sollte, dass sie zu
allen Zeiten und besondei-s in der verhältnissmässig noch immer
unentwickelten Wirthschaft der Deutschen eine Rolle gespielt,
sich wenigstens die Traditionen früherer Zeit bewahrt habe.
Aber nicht einmal der thönernen Gefässe wird gedacht in jenen
ausführlichen Gutsbeschreibungen ^), welche die alleinigen Quel-
len für die Kenntniss der inneren Einrichtungen des Haushalts
sind. Die Gefässe, deren das Capitulare de villis, sowie die
Breviarien königlicher Fiskalgüter gedenken, sind theils von
Holz, theils von Kupfer, Blei und Eisen*).
Dagegen hat diese Zeit in Deutschland ein Gewerbe erst
entwickelt und auch bald zu hoher Bedeutung gebracht, das
in älterer Zeit als solches gar nicht bekannt war, das Bau-
gewerbe mit allen seinen Zweigen von den untersten Verrich-
tungen für Fabrikation des Rohmaterials und der Werkzeuge
^) Nur das Verzeicbniss der Einkaufte des Eelleramts yon Reichenau
843 (Wirt. Urk.-B. d. 108) enthält wiederholt Lieferungen von Küchen-
geschirr, wobei es freilich ungewiss bleibt, ob dasselbe von Thon, Holz
oder Metall war; Wagingen . . 1 padellam; Tusselingen: in natale D.
100 scudellae et 1 magnam scudellam, Tasa parapsidum et in assnmptione
Mar. 50 scud.. in pasca 100 send, et 50 paraps.; Heringen similiter ut
Wagingen et 12 ollas, in natale D. 50 cacabas et in festo s. Mich. 12 ollas
et 50 cacabas et in pasca similiter.
^) Cap. de vill. c 42: Ut unaquacque yilla. . . yasa aerea, plumbea,
ferrea, lignea . . . habeant Brev. rer. fisc. (I, 177): Invenimus in insula
quae Staphinseie nuncupatur . . . caldaria aerea 3, ferrea vero 6 . . . tinas
ferro ligatas 17; doch auch de vitro 2 tine plene; ib. p. 178: Invenimus
in Asnapio . . . concas aereas 2, pocularep 2, calderas aereas 2, ferrea 1,
sartaginem 1; ib. 179: Repperimus in illo fisco . . . concas aereas 2, po-
cularem 1, bacdnum 1, caldaria aerea 2, ferreum 1, sartaginem 1 ; ähnlich
in einem folgenden fiscus nebst r:«ceUam 1; ib. 180: Repperimus in illo
fisco . . . concas aereas 2, pociilares aereos 2, patellam 1 ; in Treola fisco
. ferreolum 1, patellam plumbeam 1.
— 426 —
bis zu den höchsten künstlerischen Leistungen, welche die
Prachtliebe der Grossen, auch wieder im Geiste Karls d. Gr. ^\
für ihi-e Paläste und Kirchen zu verwenden liebte. Auch
bei den Klöstern war die Lust an grossen und fippigen Ge-
bäuden schon so entwickelt, ja nicht selten in's Masslose ge-
steigert'), dass sie einer Reihe von gut geschulten Bautech-
nikem und künstlerisch durchgebildeten Baumeistern nicht
entrathen konnten'), die von überall her an die Höfe der
Grossen gezogen wurden. Eine Seite des nationalen Erwerbs
endlich, welche gleichfalls in dieser Periode schon zu reichem
Aufschwünge gekommen zu sein scheint, ist der Beigbau und
die Salzgewinnung. Die Völkerwandemng hatte auch auf
diesem Gebiete die älteren Ansätze nationaler Betriebsamkeit
zerstört. Weder von den norischen Eisen - und den quadischen
Kupferbergwerken, noch von dem Bergwerke auf dem ager
Mattiacus , noch von sonstigen Ansätzen der ältesten Zeit ist
während der Merowingerperiode eine Nachricht vorhanden.
Dagegen lässt schon die massenhafte Verwendung des Metalls
in der Kai*olingerzeit auf eine Wiederaufnahme des Berg-
baus schliessen; und Karl d. Gr. nimmt auf den Bergbau
wiederholt selbst Bedacht^); nicht minder stellen sich andre
^) Ermold. Nigellus de rebus Lud. P. (SS. II, 504 f.) von Ingelheisi:
Omatas yariis cultibus et dapibus. | Quo domus ampla patet centom per*
fixa columnis, | quo reditne varii tectaque multimoda, i mille aditos, reditos,
millenaque claustra domorum, | acta magistrorum artificumqne manu. \ Tm-
pla Dei summo constant operata metallo, | aerati postes, aurea bostioU.,
Pictura insigni etc. Poeta Sazo a. a. 814 (SS. I, 274 f.) : Ad quae nli^
moreas praestabat Roma columnas, quasdam praecipoas pulcra BarenBi
dedit Von Aachen Eiuhard vita Kar. c. 17: basilica sanctae Dei geoi*
tricis Aquisgrani opere mirabili constrncta. Monachus Sang. I, SO ;SS.
II, 745): LaquearibuB vel muralibus adomandae pictnris.
«) Vgl. z. B. Vita 8. EigiHs abb. Fuld. (Mabm. IV, 1, p. 248), c 12:
Ut aedificia immensa atque superflua et caetera inutilia opera ommittu-
tur, quibus fratres ultro modum fatigantur et familiae foris dispereant
') Mon. Sang. (SS. II, 744) I, c. 28: de omnibus dsmazinis regiooi*
bus magistros et opifices omnium id genus artinm advocavit Vgl SS. II,
68 N: palatini magistri und pictores (9 sec).
*) Unter den Einkünften der königlichen Vmen (Cap. de Till, c 62 :
de ferrariis et scrobis, id est fossis ferraciis vel aliis fossis plnmbaridis-
— 427 —
Anzeichen ^) einer lebhafteren bergmännischen Thfttigkeit ein,
obschon wenigstens gi'osse Unternehmungen dieser Art wäh-
rend der ganzen Periode noch nicht versucht worden sind.
Die Salzgewinnung dagegen tritt wenigstens an einigen Stätten
schon mit grossartig eingerichtetem Betriebe auf ^) und lässt
sich auch, angesichts der Bedeutung, welche der Salzhandel
schon gewonnen hatte, als wichtiger Zweig des nationalen Er-
werbslebens nicht verkennen.
Fünfter Abschnitt.
Handel nnd Verkehr.
Ist schon die nationale Production und das Erwerbsleben
des Volkes durch die Initiative Karls d. Gr. und seine ebenso
thatkräftige wie vollständige Bethätigung eines entwickelten
Wirthschaftssinnes mächtig gef&rdert worden, so kann der
Sind nicht auch die metalla, welche unter den Einkünftemder Söhne Lud-
wigs neben tribata und census genannt werden (Divis, imp. 817, c. 12, I,
199) Einkünfte aus Bergwerken?
^) Viele Nachrichten hierüber gesammelt, freilich nicht kritisch ge-
sichtet, bei Fischer, Geschichte des deutschen Handels I, 120—127. Vgl
C. Lanr. (9. Jahrh.) n. 3071 : Dedit . . Adelolt tertiam partem de sua mina
ad ÜEtdendom ferrum.
') In Baiem besonders Reichenhall, von dem schon im 8. Jahrh.
84 Oefen (fomaces) mit den Pfannen (pateUae) nebst 2 putatoria (putei)
integra an Salzbarg geschenkt werden, ungerechnet jene, welche etwa unter
den portiones ad Salinas zu verstehen sind, die von mehren Privateigen-
thümem geschenkt werden. Von einem Salzwerk im Elsass sprechen die
Traditiones Wizzemburgenses schon 729, n. 213. Besonders interessant
Bind die Nachrichten des Registrum Prumiense c. 41 über das Salzwerk
zu Wihc im Bisthum Metz, wo das Stiit Prüm 2 Hütten mit je 3 Pfannen
ond tär jede Pfanne einen Werkmeister, für das ganze aber einen magister
liatte. Jede Pfanne lieferte tftglich eine Traglast (burdura) Salz; V« des
Products erhielten die Bediensteten, ^U die Herrschaft. Die Benutzung
der P£umen für diese dauerte von Mitte April bis Anfang December;
w&hrend der Winterszeit konnten dann die Bediensteten, wie es scheint,
auf eigne Rechnung dort Salz sieden und mussten dann von jeder Pfanne
100 modii Salz abgeben.
— 428 —
nationale Güterverkehr und die Vervollkommnung seiner Ein-
lichtungen mit noch besserem Rechte als ein Werk karolin-
gischer Wiilhschaftspolitik bezeichnet werden.
Unter den Merowingem hatte das Frankenreich, wie über-
haupt so insbesondre auch in wirthschaftlicher Hinsicht noch
ein sehr getheiltes Ansehen. Neustrien , das noch immer an
den Resten römischer Cultur zehrte und die ganze Gunst der
Herrscher noch überdiess genoss, hatte entwickelten Verkehr
und wohl eingerichtete Märkte schon zu einer Zeit, in welcher
in deutschen Landen noch die grösste Einfachheit und Be-
schränktheit der nationalen Wirthschaft herrschend war. In
weitgehender Isolirung, ohne lebhaftere Verkehrsbeziehnngen
grösserer Kreise, ohne feste, durch Bedürfniss oder äussere
Macht geschaffne Organisation wirthschaftlicher Kräfte, ohne
höhere Ziele und weitblickende Pläne ei-schöpfte sich hier die
Wii-thschaft der freien Grundbesitzer in Production des Eigen-
bedarfs. Der Mangel einer nationalen Arbeitstheilung ver-
hinderte die regelmässige Gewinnung von Ueberschüssen und
Hess damit auch das Bedürfniss nach geordnetem Gütertausche,
nach geregelfem und gesichertem Verkehre gar nicht auf-
kommen.
Und ebensowenig, wie von innen heraus, kam von aussen
her lange Zeit hindurch eine Anregung zur Steigerung der
Leistungen und Genüsse, zur besseren Verwerthung der wirth-
schaftlichen Kräfte und zu vorheilhaftem Austausch ihrer Leistun-
gen. Die alten Wege, auf denen die Deutschen von der Ost-
see und der Donau Verkehr und Handelschaft mit dem Orient
erhalten hatten, sie waren verschüttet im Sturm und Drang
jener östlichen Völkerwanderung, welche schliesslich so sehr
zum Nachtheil der Deutschen wie der Cultur überhaupt aas-
fiel, welche den Hunnen, Avaren und Ungarn, kriegerisdien,
unwirthschaftlichen Völkern, die Herrschaft über diese Bahnen
des Friedens und des geordneten Erwerbs für lange Zeit in
die Hände legte.
Die fränkische Staatsverwaltung aber, soweit von einer
solchen in älterer Zeit überhaupt zu reden ist, stand den neu-
erworbenen Provinzen noch fremdartig gegenüber ; ausser d&i
— 429 —
nothwendigsten, unentbehrlichsten Einrichtungen für die Ein-
heitUchkeit des Reichsverbandes, für Rechtspflege, Heeresord-
Dung and Einkünfte des Fürsten hat sich die merbwingische
Staatskunst in den deutschen Ländern nicht bethätigt; sie
hatte da auch wenig Einfluss, zum guten Theil wohl gerade
desshalb, weil sie so wenig Verständniss , so wenig Antheil
den besonderen ökonomischen und Culturbedürfhissen und In-
teressen der rechtsrheinischen Bevölkerung entgegenbrachte.
Die karolingische Politik dagegen, die eine enge Ver-
knüpfung beider Reichstheile herbeiführte und sogar den
Schwerpunkt der Reichsverwaltung zeitweise wenigstens nach
der östlichen Hälfte verlegte, eröffnete damit gleichsam ei-st
das neustrische Gebiet dem Bedürfhisse und Interesse der
austrasischen Völker. Die Märkte von St Denys, Quentawich
u. a., welche bisher nur vereinzelt von Friesen und Sachsen befah-
ren wurden, übten nun mit einemmale ihre unwidei-stehliche
Anziehungskraft. Mit der Gelegenheit zum Austausche wuchs
rasch das Bedürfhiss durch gesteigerten Consum wie durch
vermehrte Production. Mit der lebendigen Bethätigung des
Gedankens der Reichseinheit in der Verwaltung erstarkte
rasch auch das Zusammengehörigkeits- und Einheitsbewusst-
sein im Volke ; mit der Pflege der Gemeinsamkeit der öffent-
lichen Angelegenheiten und Institutionen erwuchs unveimerkt
auch das volkswirthschaftliche Leben zu grossartigerer Auf-
fsssnng und gewann einen weiteren Blick für die Bedürfnisse
des Volkes und für die Mittel der Befriedigung; die Volks-
sitte trat aus ihrer Beschränkung heraus und lernte das ganze
Gebiet, das durch die politischen Institutionen verbunden war,
auch als ein einheitliches Wirthschaftsgebiet ansehen, dessen
Arbeit und Kapital, dessen Producte und Genüsse allen An-
gehörigen des Reiches im freien Austausche zur Verfügung
standen.
Aber auch im Inneren Deutschlands schuf die karolingi-
sche Wii-thschaftspolitik nach allen Seiten hin die Voraus-
setzungen eines regeren und geregelten Verkehrs. Dazu war
vor allem die Villenverfassung geeignet, wie sie sich nach dem
Vorgange und Muster Karls d. Gr. im Laufe des 9. Jahrhun-
- 430 —
derts auf den grossen Grundherrschaften einbürgerte. In den
Haupthöfen waren nicht bloss Centralpunkte des persönlichen
Verkehrs geschaffen, die eine Summe von Arbeitskräften aller
Art vereinigten; es fand hier auch der Zusammenfluss aller
Productenübei*schüsse der sämmtlichen von einer Grandherr-
schaft beherrschten Villen statt ; und das Bedttrfhiss geregelter
Markteinrichtungen war hier vom Standpunkte der herrschaft-
lichen Interessen eben so sehr wie vom Standpunkte der die-
nenden Bevölkeiiing sehr nahe gelegen. Insbesondere aber
vereinigten die königlichen Palatien eine grosse Menge von
Leuten, die im pei*sönlichen Dienst des Königs standen oder
nur an seiner Gunst sich sonnten und hier die Gelegenheit
suchten, ihren Genüssen nachzuleben. Und die königliche
Hofhaltung, nebst der mit ihr vereinigten Reichsverwaltung,
hatten selbst Bedüiihisse der verschiedensten Ai-t und von
grossem Umfange, welche sie eben nur durch Pflege ge-
regelter Handelsbeziehungen sicher zu decken hoffen konnten.
Diesen mannigfachen Bedüifnissen hat Karl d. Gr. im wei-
testen Umfange auf seinen Palatien zu entsprechen gesucht:
dieselben sind allenhalben zu Marktplätzen ei-sten Ranges ge-
worden ^) ; und zwar haben sie sich mindestens ebenso sehr
durch das positive energische Eingreifen des Königs, wie durch
ihre natürliche Eignung zumeist rasch zu grosser Bedeutone
emporgeschwungen. Wie Karl die Leitung des königlichen
ZoUwesenS; mit welchem die Verwaltung der HandelsangeI^:eD-
heiten verbunden war, von seinen Palatien aus vornehmen
liess^); wie er das Mttnzwesen auf seinen Pfalzen concen-
trirte') und damit dem Handel, der dem Gelde nachging.
^) Cap. de discipl. palatii (I, 158) c. 2: per mansioneB omniam nego*
tiatorum sive in mercato Bive aliubi negotientur, tarn christianonun quam
et Judaeorum. ib. c. 8 mercatas «r Marktplatz. Auch Cap. de Till, c 54
gedenkt des Marktes auf den Königshöfen: Ut unusquisque indes
videat, quatenos familia nostra ad eorum opus bene laborei et per
cata yacando non eat
^) Hincmar op. II, p. 606 telonarius mercati palatii; &. Maurer, Fhm-
höfe I, 225.
') Cap. Theod. 806 (1, 134), c 18: De falsis monetis: qnia in moltts
lods contra justitiam et contra edictum fiunt, volnmos, nt nnllo «Uo loco
— 431 -
aufs Bestimmteste die Bahn nach diesen Hauptsitzen seiner
Wirthschaft wies : so hat er auch den häufigen und zahlreichen
Besuch der Pfalzmärkte geradezu dadurch befördei-t, dass er
aus idlen Theilen des Reiches Leute in irgendwelcher dienst-
lichen Verwendung am Hofe hielt, damit die Reisenden sich
nie ganz fremd fühlten, sondern in ihren Landsleuten Freunde
und Berather auf dem fremden Markte fänden ^). Gerade die
Concentration einer zahlreichen, kaufkräftigen und bedürfniss-
reichen Menge von Leuten besseren Standes wird hier, wie
an den bischöflichen und sonstigen grundherrlichen Oberhöfen
den ersten Anstoss zum Markte gegeben haben ; ei*st in der
Folge wirkte auch die Anhäufung von Boden- und Gewerbs-
producten aus dep verschiedenen grundherrlichen Villen an-
regend auf den Markt. Das Angebot von Waaren suchte
früher hier die Nachfi*age auf, bevor auswärtige Käufer durch
die Eigenproduction dieser Märkte angezogen wurden 2).
Nächst der Villenverfassung ist es dann die Ausbildung
des Grafenamts zu dem wichtigsten Organ dei* inneren Ver-
waltung, wodurch die karolingische Politik auch die Fördeining
und Belebung des Verkehrs erfolgreich betrieb. Den Grafen
war die Sorge für Herstellung und Erhaltung aller öffentlichen
Strassen, Dämme, Brücken aufgetragen^); nicht minder die
Ueberwachung der Erfüllung solcher Verbindlichkeiten, soweit
sie auf den Kronbeneficien , dem Reichskirchengute oder auf
den Gütern der Senioren und Grundherren lasteten*). Auch
moneta bit nisi in palatio nostro, nisi forte iterum a nobis aliter fuerit
ordinatum. Cap. Nium. 808 (I, 153), c. 7: De monetis, ut in nuUo loco
moneta percutiatur nisi ad cortem; et illi denarii palatini mercantur et
per onmia discurrant. Ueber die moneta palatina Tgl. Malier, Münzge-
Bchichte S. 138; Grote, Münzstudieu I, S. 85; Waitz lY, 78.
^) Vgl. die Stelle bei Hincmar de ord. palat c. 18 oben 4. Abschnitt
S. 357 Anm. 1.
*) Doch finden sich immerhin schon Yereinzelte Beispiele, wo sich
gerade an eine Productionsstätte frühzeitig ein Markt anschloss, z. B.
C. Fold. — 776, n. 69 in Westera, wo Karl d. Gr. Salzwerke hatte.
^ Monach. SangaU. (SS. II, 745) I. 30; s. oben 4. Abschn. S. 380.
*) Zu diesen Leistungen erfolgt die bannitio durch den Grafen; vgl.
L. Alam. 39: Si qois ad pontem publicum bannitus fuerit; c. 37 : Si quis
— 432 —
erscheint es besonders in ihrem Wirkungskreise gelegen^ dass
sie für die Sicherheit der Strassen und Handelswege eintra-
ten^); den besonderen Schutz, welchen der Kaiser den Raaf-
leuten so gerne gewährte *), das Recht der Freizügigkeit und
Handelsfreiheit^), das er ihnen einräumte, war in wirksamer
Weise nur von dem pflichtmässigen Eintreten des Grafen filr
die Sicherheit von Person und Eigenthum der Kaufleute auf
ihren oft gefahrvollen Handelsreisen zu erwarten.
Hat Karl d. Gr. auf diese Weise mit gewohnter That-
kraft die Initiative ergriffen, um dem Verkehre grosse Mittel-
punkte, bessere Einrichtung und grössere Sicherheit zu geben,
so sehen wir ihn anderseits bemüht, auch die grossen Grund-
herren, in denen er immer die berufenen Vertreter allgemeiner
Bclusam dimiserit, quando suus comes ei commendat facere. Cap. 803 (I,
111), c. 18: Si vero opus suum constituto die conpletom non abuerit,
liceat comiti pro pena prepositum operis pignerare iuxta extimationem rd
qaantitatem imperfecti operis, quousque perficiatur. Comis autem si oe-
glexerit, a rege vel misso regia iudicandus est. Bei grossen öffentlicben
Bauten nuHus ducum vel comitum, nullus episcoporum vel abbatum excu-
saretur aliquo modo.
^) Cap. Theod. 805 (1, 133), c. 6, wo die Grafen einzeln benannt sind,
die zur Aufsicht über die grosse Handelsstrasse Ton Sachsen nach dem
Lande der Slaven und Avaren f&hrte; s. unten S. 436 Anm. 1.
») Epistola Karoli ad Offam regem Merciorum (Walter 11, 124) K^
gotiatores quoque Toiumus, ut ex mandato nostro patrocinium habeant io
regno nostro legitime, et si in aliquo loco iiyusta affligantur oppressione,
reclament se ad nos vel nostros iudices; vgl. die Urkunde Ludwigs Bon-
quet VI, p. 649 — 652. WaitzIV, 37.
^) Die besondere Ermächtigung hiezu in Dipl. Ludov. (Bonqo. VI, 650)
concessimus eis de rebus eorum propriis commutationem facere et pro-
prium suum cuicumque voluerint vendere war wohl nur eine Anwendung
eines allgemeinen Grundsatzes zu Gunsten der Juden; sie sollten den
übrigen im Yerkehrsrechte gleichgesteUt sein. Vgl. über die Ausdehnung
dieses Grundsatzes bes. Urk. Karls Bouquet 779, V, 742: nbiconqoe in
regno nostro negotiantes ipsius sancti loci (St Germain) pergere Tellent
sicut ipse Hrobertus abbas mercare videtur, tarn ad luminaria comparanda
vel pro reliqua necessitate discurrentes , tarn ultra Ligere quam citra Li-
gere, vel in Burgundia, etiam in Provinda vel in Francia quam It ia
Austria . . . nuHo tcloneo nee de saumas, nee de carrigine, neqae de JOr
vigio neque de qualibet redibitione exinde ad partem fisci nostri aiissi m
discurrentes dissolvere non debeant
— 488 —
volkswirthschaftlicher Interessen erblickte, zur Ausbildung des
Marktverkehrs in ihrem Gebiete anzuregen. Er folgte darin
zunächst einem schon von seinem Vater g^ebenen Beispiele,
der den Bischöfen dafQr zu sorgen befahl, dass in den Städten
in gesetzlicher Weise Märkte abgehalten würden, wenn ge-
nügende Eitragsüberschüsse vorhanden seien ^). Bald aber
ging er darüber hinaus und zog das eigne Interesse der Grund-
herrn an der Abhaltung von Märkten zur BefÖrdeining des
inneren Verkehi-slebens heran; die Verleihung der mit dem
Marktrechte verbundenen Zollerhebung *), wie später die Ein-
räumung des Münzrechts ^) an solche Marktoite wurden als
Reizmittel hierzu benutzt; bald entstanden an allen grösseren
Orten, besonders an den Hauptsitzen der geistlichen wie welt-
lichen Grundherrn Märkte, nicht bloss für den Eleinverkehr
in den Gegenständen des täglichen Bedarfs, sondern auch
gi-osse Jahi-märkte*), auf denen sich die Händler der ver-
schiedensten Gegenden einfanden und die Umsätze wichtiger
Handelswaaren im Grossen bewerkstelligten. Und diese
Praxis ist dann von den späteren Königen beibehalten^), ja
bis ins Masslose geübt worden ; nur verändert sie immer mehr
ihren ursprünglichen Charakter, indem sie aus einer handels-
politischen Massregel wie sie Karl gehandhabt, zu einem
Mittel vrird , politische Vortheile zu erkaufen und schliesslich
^) Cap. 744 (I, 21), c. 6: Et per omnea cmtates legitimas foras et
mensnras faciat secuodum habundantiam temporis.
') Urk. Ludw. und Lothars 829 (Schannat Worm. n, n. 5) episcopo . .
qaanticimque negotiatores vel artifices seu et Frisiones apud Vangionuin
ciTitatem (Worms) devenissent, omne telonium, undecimque illud fiscus et
in praedicta dvitate et in castellis Lobedunburg et Winpina ezigere po-
terat... concednnt Vgl. viele Stellen ans ürk. Ludwigs und Karls d. Gr.
bei WaitE IV, 45 u. 57.
*) Von Karl d. Gr. sind solche nicht mit Sicherheit nachzuweisen,
würden auch den sonst (s. o. S. 430 A. 3) ausgesprochnen Grundsätzen
über die Ordnung des MOnzwesens widersprechen; Waitz lY, 8L
*) S. u. S. 449, A. 4 u. 5.
*) Urk, Ludw. f&r Gorvey (Erhard reg. S. 8) quia locum mercationis
ipsa regio indigebat, monetam.. ibi semper inesse.. statoimus.
▼ on Inaina-Sternegg, WirtbMhAftai^cliichte. I. 28
— 484 —
in eine wahre Verschleuderung der Hoheitsrechte desRdchs
auf dem Gebiete des Verkehrswesens ausaitet 0*
In ganz ähnlicher Weise hat andei-seits auch die Ver-
leihung von Zollfreiheit ^) wie Oberhaupt die weise Selbst-
beschränkung Karls d. Gr. in Erhebung von Zöllen für den
Fiskus ') im Ganzen das Gepräge einer zu Gunsten der Be-
lebung des Verkehrs geübten Verwaltungspraxis, während in
späterer Zeit die Zollfreiheiten mit der Immunität und den
sonstigen Exemtionen, besonders der geistlichen Grossen, ein
Ausdruck einer schwächlich gewordenen Reicfasgewalt und
einer bankerotten Handelspolitik sind.
Wie es aber überhaupt Karls Art gewesen ist, dass er
über dem Eingehen in das kleinste Detail der Wirthschaits-
führung die grossen Ziele seiner wirthschaftlichen Politik nicht
aus dem Auge verlor , so hat sich auch seine Thätigkeit zu
Gunsten des nationalen Verkehrs nicht in Pflege der Märkte
und Sorge für gute und sichere Strassen erschöpft. Er rich-
tete seinen Blick auch über die Grenzen seines Reiches hinaus,
erspähte die Vortheile, welche aus geregelten Handelsbeziehun-
gen mit fremden Ländern erwachsen konnten und suchte mit
den reichen Mitteln seiner gi*ossartigen Verwaltung den An-
gehöiigen seines Reiches die Wege zu bahnen, auf denen sie
den Ueberfluss nationaler Producte absetzen und die Waaren
anderer entlegener Productionsgebiete regelmässig beziehen
^) Besonders die Yerleihang des Münzrechts, die sich immer eng ss
das Marktrecht anschloss, ist hier lehrreich; nach Conrey (s. o. A. 5
haben in dieser Periode Worms, Strassburg, Prüm, Hamburg, Eichstäd:
dasselbe erworben; s. die Stellen bei Waitz IV, 82.
s) Schon Pipin hat dem Kloster Prüm (Beyer I, 18) Zollfreiheit to-
liehen; benefidum ibidem visi fuimus concedere, ut nbicunque infra nffA
nostra homines ipsius monasterii pro verilitate vel stipendia monachonnB
in quacunque civitate vel porto negotiandi porrexerint, nulle teloneo vel
barganatico neque ex navali remigio neque saumarüs vel de cairali erec*
tione solvere nee reddere debeant.
^) Gap. 779 (I, 38) c. 18: De teloneis qoi jam antea forbacniti fdenm^
nemo tollat nisi ibi ubi antiqao tempore fueront AehnUch Cap. Maut
(I, 41) c. 8. Cap. miss. 803 (I, 122) c 6. Cap. Nium. 806 (I, 144) c l^^
und viele Einzelbestimmungen s. Waitz lY, 47 £
— 435 —
konnten. So emsig er aber einerseits bemüht war,, die
Handelsthätigkeit des eignen Volkes zu beleben, so bereit-
willig liess er sich doch anch finden, Fremden Handelsfreiheit
im eignen Reiche einzuräumen, wo der einheimische Markt
dadurch an Reichhaltigkeit und Güte der Zufuhr gewinnen
konnte^); diese unverkennbare Hinneigung zu einer inter-
nationalen Auffassung der Handelspolitik hielt ihn aber doch
nicht ab, der Ausfuhr in die Fremde oder dem Eingange der
Fremdwaare Schranken anzulegen, wo die Deckung des ein-
heimischen Bedarfs gefährdet war, oder höhere politische und
Machtinteressen in Frage kommen konnten ^).
£s wird immer zu den ruhmreichsten Blättern der 6e-
«
schichte dieses grossen Kaisers gehören, dass er die eminente
Bedeutung der grossen ost-westlichen Welthandelsconjunctur
richtig zu würdigen verstand und bemüht war, dieselbe auch
der Volkswiithschaft des eignen Reiches dienstbar zu machen.
Freilich sind es mehr nur Anzeichen als bündige Beweise,
welche für eine solche Annahme vorliegen. Aber wenn wir
sehen'), wie Karl die Avaren bezwingt um den Donauweg
nach Konstantinopel wieder frei zu machen ; wie er für sein
Volk den Donaumaincanal anlegt^) und eine grosse Verkehrs-
^) So berichtet das Gfaronicon Altinate (Arch. stör. itaL YIII, p. 220):
coofirmayit (Earolus) inter Italiae et Venetiae regiones omnia per ordinem
consaetadinis Marchae dare et negotium habere; auch mehrere Bestä-
tigungsbriefe sp&terer Kaiser und Könige berufen sich auf dieses (nicht
mehr Torhandene) Diplom Karls d. Gr.; Heyd Levantehandel I, 124
Epist. ad Offam (Walter U, 124 £) s. o. S. 482, Anm. 2.
*) Gesta abb. Font 16 (SS. II, 291). Rex potentissimus . . praecepit,
nt nemo de Brittania insula ac gente Anglorum mercimonii causa littus
oceani maris attingeret in Gallia. Sed hoc ne fieret, admonitione ac sup-
plicatione yenerandi patris Gervoldi inhibitum est. Alcuin. ep. Bouqu. Y,
607; TgL Guärard Irm. I, 787.
') Vgl. Giesebrecht, Kaisergeschichte I, 118 f.
^) Ann. Einh. a. 798 : Et cum ei persuasum ess^ a quibusdam qui
id sibi compertum esse dicebant, quod si inter Bedantiam et Alomonam
(Rednitz und Altmühl) fluvios eiusmodi fossa duceretur, quae esset navium
capax, posse percommode a Danubio in Rhenum navigari, quia horum
üurioram alter Danubio alter Moeno miscetur, confestim cum omni comi-
tatu suo ad locum venit ac magna hominum multitudine congregata,
28»
— 486 -
Strasse nach dem Lande der Slaven nnd Avaren- emriehtet^),
die doch ihrerseits als Nachbarn der Griechen schon onmittel-
baren Antheil an den Prodncten des Levantehandels hatten;
wenn wir soine Bereitwilligkeit erfinden, den Bompilgern
seinen besonderen Schutz zu gewähren, auch wenn sie« wie so
häufig, Pilger und Kaufleute in einer Person waren'); wenn
wir seine Schiffe im Mittelmeere mit Griechen und Arabern
im Kampfe finden ^) ; und wenn wir endlich Karls allgemeines
Interesse für den Orient^), seine AnknüpfungsTersache mit
totam autanmi tempus in eodem opere consompsit Auch Ann. Lauresk
Laur. maj. 6uel£ S. Emmer. Wenn Heyd Levantehandel I, 91 dem Pro-
ject nur die Bedeutung beimisst, dass es dem Transport der Wuren
aus dem Donaugebiet ins Rheingebiet Vorschub leisten, keineswefp aber
dem Levantehandel dienen sollte, von dem Karl d. Gr. recht gut gewnsst
habe, dass er sich an der Donaustrasse nicht einrichten lasse, so vergisst
er, dass das Unternehmen eben nach der ersten Niederwerfung der ATirea
unternommen wurde, dass gleichzeitig (s. 1. Abschn. S. 212) deutsche
Colomsation weit nach Osten vorgeschoben wurde und dass fiberhsiipt
die lebhaftesten Beziehungen Karls zum Orient gerade in diese Zeit fsUeSt
so dass der Gedanke nahe genug lag, einen levantinischen Handelnoi
durch das neugewonnene Baiem- und Avarenland einzurichten nnd ihn
mit dem ersten Spatenstich am Donau-Mainkanale feierlich zu inangonren
^) Gap. Theod. 805 (I, 133} c 7: De negotiatoribus qui partibusScbr
vormn et Avarorum pergunt, quousque procedere cum suis negotiis de*
beant, id est partibus Saxoniae usque ad Bardaenowic, ubi praevideit
Hredi, et ad Schezla, ubi Madalgaudus praevideat; et ad Magadobarf
praevideat Aito. Et ad Erpesfurt praevideat Madalgaudus et ad Halusttf
praevideat item Madalgaudus. Ad Foracheim et ad Breemberga et d
Ragenisburg praevideat Audulfus et ad Lauriacum Wamarina.
*) Epist. ad Offam (Walter II, 125): De peregrinis rero qni pro
amore Dei et salute animarum suarum beatorum apostolomm limina desi-
derant adire, cum pace sine omni perturbatione vadant Sed si aliqni Don
religioni servientes sed lucrum sectantes inter eos inreniantur, locis
opportunis statuta solvant telonea. Ygl. a. Einhard vita G. c. 27: Gira
pauperes sustentandos et gratuitam liberalitatem.. devotissimos, nt qm
non in patria solum et in regno suo id ftusere curaverit, Temm tmü
maria in Syriamibt Aegiptum atque Afiicam, HierosoUmis, Alexandme
atque Garthagini, ubi christianos in paupertate vivere conperent, paeDunie
illorum compatiens, pecuniam mittere solebat ; s. a. Heyd, LevantehaDdel 101.
>) Einh. ann. ad a. 806, 809, 810.
*) Vergl. den Ausruf Karls den byzantinischen Gesandten gegenüber
bei Monach. SangalL (SS. 11, 743) I, 26 : 0 ! utinam non esset iDe gnf|i-
— 487 —
Haron Alraschid berQcksichtigen ^), so sind das am Ende doch
der Thatsachen genug, um ihm eine zielbewusste Handels-
politik auch nach dieser Seite hin zuzuschreiben. Mag immer-
hin das was er damit erreicht unbedeutend, der Handel
Deutschlands mit der Levante in diesem Zeitraum ohne un-
mittelbai-en Belang fQr das volkswirthschaftliche Leben ge-
blieben sein; die Tbatsache, dass in dieser Zeit tiefsten Dar-
niederliegens der Handelsbeziehungen des Ocddent mit dem
Orient in selbständiger Weise eine Initiative von Deutschland
ausging, ist an sich ruhmvoll für den, der sie geschaffen, und
ging auch in ihren Wirkungen nicht verloren. Was die fol-
gende Zeit zur Wiederaufnahme dieses Welthandelsverkehrs
leistete, das wird in seinen ersten Anfängen immer wieder
auf die grosse Zeit zui-ückverweisen, in der Karl d. Gr. in Jeru-
salem ein Hospital fllr deutsche Eaufleute gründete^) und
Friesischen Tttcheni zuerst den Weg nach dem fernen Osten
bahnte *).
Freilich war nicht die Summe aller levantinischen Handels-
beziehungen jener Zeit Karls eigenste Schöpfung; er hat aber
auf diesem Gebiete wie überall der Volkswirthschaft reiche
Anregung, stets bereiten Schutz gewährt und im Einzelnen
mit Elfolg seine thatkräftige Mitwirkung an der Vervoll-
kommnung der Zustände eingesetzt.
Und es erscheint das alles um so werthvoUer angesichts
der Thatsache, dass die Zustände des Welthandelsverkehrs,
tolos ioter hob; forsitan divitias orientales aut partiremur, aut pariter
participando communiter haberemuB.
') Einb. Vita c. 16. Monach. SangaU (SS. U, 743, 761.) Ueber seine
Schutzhemchaft in Jernaalem Einh. Vita L c. 16. 8. Waitz III, 169.
*) Heyd I, 101. Unmittelbar vor demselben lag, gewiss nicht ohne
Bedehang, der Markt, anf welchem man g^en eine Abgabe von 2 Gold-
stücken im Jahre Waaren feil halten konnte; s. Bemardi monacM
Frand itinerariom bei Tobler descriptiones terrae sancta^ (Lips. I, 1874)
p. 911
') Solche befanden sich unter den Geschenken an den Ghalifen Harun
Alraschid und der Monach. SangaU. betont ausdrücklich II, 9 (SS. II, 752)
Fresonica alba, cana, yermiculata ?el saphirina, quae in illis partibns rara
et multom cara comperit
— 438 —
besonders des fränkisch-levantinischen Handels unter den
Nachfolgern Karls kläglich in Verfall gerathen sind. Im Nor-
den störten die Normannen alle geregelten Beziehungen und
hoben jede Sicherheit des Verkehrs auf; im Süden des Reiches
setzten sich arabische Piraten fest, machten aus fast allen
Inseln des yordei*en Beckens des Mittelmeers gefdrchtete
Raubnester und liessen den Gedanken einer Seefahrt von
Frankreich nach dem Orient gar nicht mehr aufkommen; ^ar
ja doch selbst der Landverkehr in Italien so unsicher ge-
worden, dass kein Rompilger vor arabischer Gefangenschaft
sicher sein konnte^).
Den Landweg nach dem Osten aber yerlegten den
Deutschen immer mehr die Böhmen und Mähren, sowie an
der untern Donau die Ungarn, bald nicht minder gefähr-
liche Feinde des Reichs und seiner Cultur als die Nor-
mannen und die Saracenen'); und wenn auch auf diesem
Wege nicht aller ^ Verkehr mit dem Orient aufhörte •), so
hatte doch das Reich schon aufgehört, der Träger seiner
Interessen zu sein.
Was wir von selbständigen HandelsbemQhungen des Volkes
in dieser Zeit wahrnehmen, das geht zum Theil von gi-ossen
GrundheiTU aus , welche in der Pflege eines regen Producten-
handels den Schlussstein des Gebäudes- ihi'er wirthschafüicheu
Organisation erblickten, und gehört zum andern Theile einer
allerdings wenig zahlreichen aber rührigen Klasse von selb-
ständigen Eaufleuten an, die sich unter dem Schutz des Königs
1) Heyd, Levantehandel I, S. 108.
*) Gieaebrecht, Eaisergeschichte I, 159, 169 ff. Eiaselbach, Gang de$
Welthandels, S. 41.
') Nach Ihn Eordadbeh, Routenbach (854—874) deutsch von Sprenier
Ib den Abhandlungen der morgenl. Gesellsch. III, 3 konnte man auf dem
Landwege aus dem Westen Europas mitten durch Deutschland nach dtf
Chasarenhauptstadt (Itil), von da über das kaspische Meer nach-Transo-
xanien (Balkh), endlich durch das Land der Tagazgaz in Centnüasien nadi
China kommen; Heyd, I, 87. Die Raffelst&tter Zollordnung Tom J. 90S
(LL. III, 481) Bedenkt der Handelsbeziehungen zwischen Baien, Mihrea
und Russland (nugi) und erw&bnt einen mercatus Marahorum.
— 439 —
und der Grossen des Reiches frei zu behaupten, ja mit ihren
Diensten unentbehrlich zu machen verstanden.
Die Stellung der gi'ossen Gutswirthschaften im nationalen
Wiithschaftsleben ist durch die weittragenden Veränderungen
und Verbesseiiingen in Organisation der Arbeit, der Bodenbe-
nutzung und Betriebsweise von Grund aus umgestaltet worden.
Ihre Wirthschaft war darauf angelegt, den Eigenbedarf zu
übersteigen ') ; die Production für den Markt war eine innere
Consequenz der Beherrschung aller volkswirthschaftlichen
Kräfte auf weitem Gebiete ; ein allgemeines öffentliches Inter-
esse an solcher Production machte sich geltend wie das in
den Wirthschaftseinrichtungen Karls d. Gr. besonders deutlich
und wohlverstanden zum Ausdruck kömmt.
Diese Ueberschösse der eignen Production auf dem Markte
zu verwerthen, Geld oder sonstige Gegenstände des Bedarfs
für den Fronhof einzutauschen, auch die dienenden Wirth-
schaften nach Bedüi-fhiss damit auszustatten, das war schon
früh eine angelegentliche Sorge der Grundherrn*). Wohl
mochte von solchen Ueberschüssen mancher Betrag noch an
fahrende Kaufleute gegeben, also in der Art verwerthet werden,
wie etwa der kleine Gnindbesitzer schon in der älteren Pe-
riode den zufälligen Ueberfluss seiner Ernte oder seiner
Naturaleinkünfte zu verkaufen pflegte. Aber doch tritt bei
0 Der Getreidevorrath auf 4 königUchen Villen belief sich nach Brev.
rer. fisc. (I, 178 ff.) von der vorletzten und der letzten Ernte nach Abzug
aller Verwendungen zu Saatgetreide und Verpflegung der Hofleute auf
5420, 2040, 582 und 880 modios, im Ganzen also 8920 mod., welche zur
freien Verfügung der Gutsyerwaltung standen.
*) Karl d. Gr. gab auch in dieser Hinsicht im Cap. de vill. verschie-
dene Weisungen; c. 8: Vinum peculiare comparando emere faciant, nnde
villas dominicas condirigere possint; c 22: Coronas de ramecis (Schenken)
qui vineas habuerint, non minus 3 aut 4 habeant. c 28: nostrum argen-
tum de nostro laboratu. c 33: Post ista omnia segregata et seminata
atque peracta, quicquid reliquum fuerit ezinde de omni conlaboratu usque
ad verbum nostrum salvetur, quatenus secundum iussionem nostram aut
venundetnr aut reservetur; c. 39 : Volumus ut pullos et ova, quos servien-
tes vel mansuarii reddunt per singulos annos recipere debeant; et quandn
non servierint, ipsos venundare üaciant. '
— 440 —
grossen Giiindherni , besonders den Stiftern und Klöstern mit
wohlgogliederter Selbstverwaltung, eine rege Handelsbemtthanii:
auf eigne Rechnung und Gefahr häufig genug henror^) und
lässt sich deutlich als Theil des von ihnen organisirten
Wirthschaftssystems erkennen. Sie senden ihre Mönche ans,
um Kleider und Gewebe einzukaufen ^) oder sonstigen Bedarf
an Geleuchte für die Kirchen^), .an Gewerbsproducten oder
fremder Leckerspeise zu beschaffen^); sie statten Schiffe aus,
mit denen sie die fernen Märkte befahren ^) ; und die immer
wiederkehrenden Bestrebungen, Zollfreiheit fdi* ihre Handels-
fahi-ten zu erwerben, beweisen schon, wie sehr die Erleich-
teiung des Verkehrs zu ihren dringendsten Anli^en gehört
Sie richten an fi*emden Orten Wage^) und Hallen^) ein, in
^) Insofern ist die Bemerkong, welche Waitz II, 602 g^en Falke
Zollweeen S. 8 macht, nicht zutreffend.
*) SS. II, 97: Tntilo... quam erat homo itinerarios lateqne tenaniiB
et urbium gnarus, missas est... pro communi causa Mogantiam üüqae
pro pannis laneis emendis.
•) S. S. Urk. 779 oben S. 432 A. 3.
^) ürk. f. Prüm 752—768 Beyer I, 18 ubicumque homines ipsins mo-
nasterii pro yerilitate vel stipendia monachorom in quacomque ciTitate
vel porto negotiandi porrexerint. Meichelb. 889, Ib, 901: sex cam liceit
ei (monasterio Campidona) dinigere ad Hallam propter aal acdpiendiini
et ad necessaria fratnim in eodem monasterio degentinm dednoendmiL
Auch Gewürz und Südfrüchte wussten die Klöster zu sch&lzen (Mon.
Sang. I, 18) und Tom französischen Corbie heisst es ausdrücklich: ItUe
sunt pigmentae quas ad Camaracum (Cambray) debemua companie;
Gu^rard Irmin. II, p. 836.
*) Cod. Laur. 858, n. 31 liceat memorato abbati et monachis sibi sub-
jectis, unam navem illorum per Renum fluyium huc illucqne diaconrere et
ad portum Wormaciam dvitatem absque uUo theloneo penrenire. LacombL
Urk. B. 821 I, n. 41 für die Abtei Comelimünster: de nayibns qoae per
diversa flumina imperii nostri pro qualibet re discurrunt, quam et de caim
et sagmarüs necessarüs ipsius monasterii . . . in integrum conoesaimat, ot
nullus quilibet theloneum aut aÜquam exactionem acdpere an! engere
praesumat.
«) Cod. Fuld. 817, n. 366 : Isti sunt testes de illo naute et de Ulo
debito ad Dienenheim et de iUa statera.
^) Das bedeutet wohl der Ausdruck forum publicum oonttniere ia
einer Urk. bei Waitz IV, 45 A. 1; tou den Fruchtspeichern der Klöster
am Inselmarkte in Köln s. Nitsch Ministerialit&t S. 200.
- 441 -
denen sie den Verkauf der eigenen Produete besorgen, und
wissen schon als rechte Kaufleute der Rückfracht den Charakter
einer Handelswaare abzustreiten, damit sie für dieselbe mit
MarktaoU und Wegeabgaben nicht weiter in Anspruch ge-
nommen wurden.
Die Organisation der Arbeit und des grundherrlichen
Dienstes bot ihnen reiche Gelegenheit, alle Einrichtungen,
welche von Alters her für die Förderung des öffentlichen Ver-
kehrs bestanden, ihren Interessen dienstbar zu machen, und
neu aufgekommene Arten von Dienstleistungen, Fuhren^ Pferde
und Botendienst aller Art in ähnlicher Weise ihrem eigenen
Wirthschaftsbedürfnisse anzupassen. Insbesondere sind es
jene zwei grossen Verkehrseicrichtungen der angaria und para-
feredi, welche in Neustrien zum Theil als Nachklänge römi-
scher Staatsvei-waltung ^) schon in der vorigen Periode be-
standen^), in Deutschland aber doch ei*st während der Karo-
lingerzeit ihre volle Ausbildung und Verwei-thung erhalten
haben. Der angaria gedenkt hier zueilst jener Zusatz zum
bairischen Volksrechte, der aus der Zeit Pipins stammt und
die Leistungen der Colonen uud Unfreien der Kirche regelt^).
Wie diese hier schon unverkennbar den Charakter einer im
Interesse des Verkehi-s auferlegten Leistung an sich trägt, so
tritt sie in späteren Documenten deutlich als solche auf^),
') Von den angariae Cod. Theod. VI, 29, 2; Xu, 12, 11; Till, 5.
Von den veredi und paraveredi C. Th. YIU, 5.
^) Ueber angaria Pardessos 720, n. 512. Marcolf 11, 1. Auch bei den
Weatgothen nach Gonc Toled. III, 589, c 21. L. Wisig. XII, 1, 2. Para-
feredi bei Marcolf I, 11; II, 1. Dipl. Chilperici II, 716. Pardesaus, n. 501.
') L. Bai. I9 13* Angariam cum carro £ftciant usque 50 leugas; am-
plins non minentnr. Der Aasdruck kömmt schon in Tr. Wizz. 719,
n. 267 Tor, wo der Graf Adalcbardus Güter von Weissenburg zu bene-
fidom erhält, gegen Zins und 2 angarias; es bleibt hier aber nnentschieden
welcher Art diese Leistnng war.
^) Beg. Pmm. c 25, p. 158: In angaria ^/s carrom; inter totos boves 7 ;
c. 29, p. 160: In angaria inter 4 earram 1. c 55, p. 175: facit angariam
ad Promiam c 90, p. 188: Angariam de Ära ad Novum Monasteriom et
de NoTO Monasterio ad Prumiam u. 0. 8. a. Tr. Wizz. 788, n. 197:
üaciatis nnum angrnm de Aganbach nsque ad monosterium Wizzenburgo.
— 442 —
und spielt für die Ausbreitung und Verbesserung geregelter
Verkehi-sbeziehungen im Dienste der grossen Grundherrn ent-
schieden eine hervorragende Rolle. Insbesondere sind es die
Getreide- und Weinfuhren ^), welche die Gitindhörigen nach
festem Ausmasse ihrer Verpflichtung zu übernehmen hatten,
sei es, dass Ueberschüsse der Production eines herrschaftlichen
Gutes nach einem andern oder zu Markte gebracht» oder dem-
selben Zufuhr an solchen Gütern geliefert werden sollte.
Dieser Fuhrdienst, in der Regel mit einem Ochsenpaare ') ge-
leistet, ersti*eckte sich oft auf sehr lange Strecken und war
für das ganze Gebiet der grossen Gi-undherrschaften, im Ein-
zelnen auch für weit entlegene Märkte oder wichtige Verkehrs-
punkte eingerichtet; von der Gesammtbedeutung desselben
*für die Verhältnisse des Transports und der Güterbew^jung
jener Zeit gibt voiTsugsweise das Prümer Register eine Vor-
stellung, in welchem nicht weniger als cc. 700 mehr oder
weniger weite Fuhren als angariae verzeichnet sind.
Auch die paraferedi erscheinen schon in jenem Zusatz
zum bairischen Volksrechte ^) als Einrichtungen zur Pflege
>) Reg. Prüm. c. 6, p. 148: Ducit ad monasterinm de Bpelta mod. 15
angariam integram; c 10, p. 150: In angera dudt de vino cairadam 1
et pro ligno carradam dimidiam; c. 45, p. 166: Faciunt angarias inmeDse
maio et decembre; bI frumentum duxerit aut sigulum, tone dadt anas-
quisque carra mod. 12, si avena mod. 20; et in maio si firumentum doxerit
mod. 15, si avena 20. c 46, p. 172: In angaria ducont de Tino cair. ^;
dttcunt mense novembri avena mod. 160 aut de aido mod. 80. c 54,
p. 174; c. 62, p. 178: Angarias 2 onam de vino, alteram de aonona;
c. 58, p. 177: Summa angariorum illarom coriamm..: docunt adPramiam
de vino seu de annona carr. 250, ad Novum Monasteriom aimiliter. S. i.
c. 55, p. 175; c. 64, p. 179; c. 104, p. 192. S. a. Urk. 765 bei Galmet,
bist d. Lorr. I pr. 282.
') Reg. Prüm. c. 46, p. 171 : fadt angariam mense octobri com bovis
2 et carrum. In den Urk. 782—814 bei Lacombl. Arcbir. II, 294 sdidot
dagegen die angaria kein Spanndienst gewesen zn sein; in angaria d tri*
ticum est, 4 modios portant, si dligo est, 5; si avena, 6 usqae pontem
Senne in Brösele qui apellator s. Othele. Et de ponte snblerator tmet
unus, ut per pontem grana transfundantur in navirn.
*) L. Biy. I, 13 de colonis vel servis ecdesiae. Parafretos doneot «ot
ipsi vadant ubi eis inionctom fuerit.
— 448 —
der grundherrlichen Yerkehrsinteressen. Es war im wesent-
lichen die Beistellnng von Reitpferden für Boten sowohl als
für die Reisen der Grundherrn selbst, wohl auch für den
Kriegsfall, welche durch diese Verpflichtung der abhängigen
Leute zur Stellung der paraferedi sicher gestellt und geregelt
werden sollte. Doch trägt diese Leistung auch in den
deutschen Gegenden während dieser Periode noch immer
nicht ausschliesslich einen grundherrlichen Charakter, sondern
¥rird auch im Dienste des öffentlichen Verkehrs in Anspruch
genommen. • Die Reichsverwaltung war darauf bedacht , den
Beiseverkehr der öffentlichen Beamten wie des Königs selbst,
mochte er in Friedenszeiten das Land durchziehen oder in's
Feld rücken y dadurch sicher zu stellen, dass die Amtleute
auf den königlichen Villen *), die Grafen in ihrem Bezirke *),
die Senioren in ihrem Herrschaftsgebiete die Stellung der
paraferedi zu besorgen hatten^). Mochten dann auch die
letzteren diese Leistung ihrerseits von ihren Grundhol-
den verlangen, wie sie andere öffentliche Dienste auf sie
llberwälzten ^), so standen die paraferedi dennoch im öffent-
lichen Verkehi-sdienste ; und nur ein Missbrauch der Einrich-
tung war es, wenn solche Pferde von Grafen oder Senioren
dann auch für ihre eignen Sonderinteressen verlangt wurden ^).
») Hincmar Op. n, p. 138.
^ Gap. de yüI. c. 27: ißt comes de suo ministerio vel homines Uli
qai antiquitos consueti fuenint missos aut legationes soniare, ita et modo
inantea et de parveridis et omnia eis necessaria, solito more soniare faciant.
Csp. 826 (I, 256) c. 10: De querela H. comitis, qnod pagenses eias para-
-▼ereda dare recosant
s) Das geht daraus hervor, dass die Ornndherm gerade tod den
Freien ihres Bezirks ganz regelmässig die paraferedi verlangen, die sie
nach den Gesetzen (Praecept. pro Hisp. 815, Walter II, 90; Dipl. Car.
CalT. 844, Balnze II, 25; Ed. Pist. 864, c. 26; Capit. Tusiac. 865 c. 8)
ftir den öffenüichen Dienst zn leisten hatten; vgl. o. S. 380.
«) 8. 0. 4. Abschn. S. 379 f.
^ Epistola ad Pippinum 807 (LL. 1, 107) : Pervenit ad aures dementiae
nostrae qnod aliqui duces et eonim iuniores, gastaldii, vicarii, centenarii
seu reliqui ministeriales , falconarü, venatores et ceteri per singcüa terri-
toria habitantes ant discnrrentes , mansionadcos et parv.^redos accipiant
ndki solom super libercs homines, sed etiam in ecclesias Dei. Vgl. das
äAä,
X M, M
Im Verlaufe der Karolingerherrschaft ist dann aber allerdings
die wachsende Uebeimacht der gi-ossen Grundherrn und die
damit erworbene Immunität auch diesem Zweige der Beichs-
verwaltung immer mehr feindlich geworden; die immunen
Gutsbezirke werden ausdrücklich von der Leistung der para-
feredi ausgenommen >)' und damit diesem öffentlichen Institute
überhaupt der Boden unter den Füssen entzogen. Wie auf
anderen Gebieten die ReichsTerwaltung nichts mehr zu leisten
vermochte und die Pflege öffentlicher Interessen, die Ordnung
gemeinwirthschaftlicher Leistungen mehr und mehr in die
Hände der gi'ossen GrundheiTSchaften aus innerer Nothwendig-
keit überging, so verwandelte sich auch diese ursprünglich
rein öffentliche Einrichtung schliesslich in eine der vielen
Ginindlasten , in welchen die Beschaffung der Mittel für die
Zwecke des öffentlichen Lebens lange Zeit hindurch fast aus-
schliesslich ihr System gefunden hat. Denn die Grund-
herrn liessen es sich nicht beifallen, selbst wo sie durch die
Immunität von der Leistung der paraferedi befreit worden
waren, nun auch ihre Grundholden, welche dieselben früher
schon für sie beschafft hatten, davon zu entlasten *); viel-
mehr bedeutete die Befreiung von dieser öffentlichen Last
im Wesentlichen nichts anderes als den unbeschränkten Ein-
tritt der Grundherrn in die Berechtigung, welche früher das
Beich gehabt, die Ausnutzung einer Einrichtung für ihre
wirthschaftlichen Sonderinteressen, wefche früher dem allge-
meinen Interesse des Reiches gedient hatte.
Zu diesen beiden schon in älterer Zeit bekannten Ver-
Yerbot für die Bischöfe quasi ad receptionem regia Tel legationem a^jo-
toria quasi petendo accipere . . . aut ad iter aliquod paraveredos aal liii
quaelibet accipiat, id est rapiat. Baluze II, 624. Waitx IV, 19 fr.
^) Z. B. Immunität für Pr&m 775 Beyer I, xl 28; ib. 815, n. 48;
ib. 828, n. 57. Vgl. die Beispiele bei Waits IV, 19 und Gnänurd InuDOii
p. 815.
*) Nach dem Reg. Prüm, wurden der Herrschaft jährlich 262 penr
▼eredi gestellt. Die Leistung wird in der Regel gana allgemein beuiehiMl:
paraferedum dat z. B. c 10, 2.3, 30, 96; doch heisst es auch bestimmter
c 38, p. 161 : Dat parafredum ter in anno ad Wirdmrain, ad Promiam, ia
Salnise.
- 445 -
kefarseinrichtungen tritt nun in der Periode der Karolinger
noch besonders die seara hinzu, und ergänzt, den Bedürf-
nissen der Zeit gemäss, das System der öfifentlichen wie der
grundheiTlichen Transportanstalten. Bezog sich die angaria
auf die Fuhren sowohl zur Herbeischaifung wie zum Verkauf
von Waaren auf fremden Märkten, die Stellung der para-
feredi der Hauptsache nach wenigstens auf die nöthigen
Transportpferde, so scheint die scara voi'zugsweise die peraön-
liche Leistung zu bedeuten, welche für alle Art von Transport
bei dem Fuhrwerk und den Pferden nothwendig war Auch
dieser Dienst scheint ursprünglich als Königsdienst entstanden,
vielleicht die längst anerkannte Veipflichtung der Freien zur
Beförderung des Königs, seiner Beamten und Boten und zur
Ableistung von Botendiensten nur mit diesem neuen Namen
bezeichnet worden zu sein^); doch erscheint auch die scara
alsbald allgemein als eine besondere Dienstleistung, welche
einzelne Classen von abhängigen Leuten ihren Grundherrn
zu verrichten hatten *) ; und es sind sehr verschiedenartige
Zwecke, für welche sie in Anspruch genommen wird; bald
wird mehr eine Transportleistung ^), bald ein Botengang ^)
oder Ritt^), bald die Nachrichtenbeförderung®) oder ein
^) Die Bcara erscheint in den älteren Urkunden gerade mit solchen
Leistnngen in Zusammenhang; z. B. Immunität f&r Prüm 775 Beyer n. 28:
nee Bcaras vel mansonaticos seu conjectos tam de c^rrigio quamque de
parafredoB. Cap. Bonon. 811 (I, 173) c 2: nee de wacta nee de scara
nee de warda.
*) Im Reg. Pmm. sind 327 yerschiedenartige scarae vorgetragen; 28
Leute spedell scararii genannt.
*) Brev. rer. fisc (Staffelsee I, 177) scaram fadt ad vinom dacendnm.
Beg. Pmm. c. 69. p. 181; c. Vi, p. 182 scara cum nave bis in anno osqne
ad S. Goarem sive ad Dusbnrhc
*} Beg. Pram. c 67, p. 180: scara pedestris; c. 65, p. 179; c. 69,
p. 181; c 88, p. 185: scara cum pedibus.
^ Reg. Pmm. c. 55, p. 175: scaram facit ad Prumiam, ad Aqnisgrani,
ad Coloniam, ad Bonnam, ad S. Goarem sive cum eco (eqno) sea cum
pedibns; scara equestris.
") Als solche Toraemlich erklärt von Caesarins zum Reg. Pram. c 5,
p. 147: Scaram facere est domino abbati qnando ipse josserit servire et
nundum ^'ns seu litteras ad locnm sibi determinatum deferre. Auch
— 446 -
Handelsgeschäft unter diesem Namen verstanden^); immer
doch ist die scara aber ein Verkehrsdienst, bei dem die Pflich-
tigen mit ihren eignen Mitteln oder mit den Transportgelegen-
heiten der Herrn peraönlich deren Interesse am Verkehr und
Transport zu vertreten und zu fördern hatten. Diese drei
Verkehrsleistungen haben ihre Bedeutung für jene Zeit ebenso
sehr darin, dass sie die wichtigsten Zweige des ganzen Be-
daiis der Nation an Ti-ansportdiensten deckten, wie in der
Allgemeinheit und guten Anordnung, mit der sie von den ab-
hängigen Leuten allenthalben gefordert und unter einander
sich zu ergänzen geeignet waren. Wir haben in ihnen so
ziemlich alles zu sehen, was jene Zeit an Verkehrsein-
richtungen geschaffen und besessen hat. Was sonst noch
derart allgemein oder an einzelnen Leistungen f&r den
Verkehr und Transport erwähnt wird'), ist zum grossen
Theile jedenfalls nur eine specialisirende Bezeichnung der
einen oder andern dieser allgemeinen Kategorien von Transport-
tiiensten *) ; ausserdem aber jedenfalls von zu seltenem Voi>
kommen und zu geringer Ausdehnung, als dass darauf weiter
ein besonderes Gewicht zu legen wäi*e. Es ist aber bemer-
kenswerth, dass alle diese Einrichtungen, soweit wir davon
aus den Quellen unterrichtet sind, als grundherrliche aof-
Gudrard Irmin. GIobs. peculiare erklärt zu einseitig: Scara: sernthim
hemerodromoram ; epistolarum, monitoriorum, aliaromque rerum misoria
ponderis, ultro citroque perlatio.
^) Reg. Pnim. c. 6, p 148: Sunt ibi Bcararii 12. Vinnm et aal, si
eis praedpitnr, omnes vendunt; c. 23, p. 153: Vinnm vendunt et salem
secundum ordinem n. o. Die scararii, qoi itinera vicissim agnnt (MeicL
825 Ib 481 waren die natürlichen Eauflente ihrer Herrschaft; Kitiefa,
Ministerialit&t p. 50.
') Garrariae, carricatorae, carropera, yectnra, vehitare com planstris,
ducere de frumento etc., worüber ausf&hrlich Ga^rard Irmtnon I, 778— 79S.
') So wird Reg. Prüm, c 1, p. 145 unter addudt de annona, c 16
dacant ad monasterinm de yino carr., c 33, p. 161 dadt de fraaMDto
mod. 5 ad Prumiam ant inter 4 carradam de vino etc. wohl eine aogaria
-zvL verstehen sein; so auch Gu^rard Irm. I, 796; Brer. rer. tac (I, 177)
eqnitat, quocnnque Uli praedpitur u. ähnliches als scara; Reg. Pnun. cSo,
p. 163 unusquisque cabaUnm als paraferedi.
— 447 —
treten; auch dieses Gebiet des volkswirthschaftlichen Lebens
ist am Schlosse der Periode schon nahezu ausschliesslich von
dem Einflüsse dieser grossen volkswirthschaftlichen Mächte
beherrscht, und ihrem Dienste vomemlich gewidmet Dem
kleinen Freien, der nicht über einen königlichen Postschein
(evectio) oder eine Einquartirungsordre (litera tractoria) 0
gebot, dem nicht Eigenleute oder Grundhörige auf entlegenen
Besitzungen Wagen und Pferde nebst der nöthigen Bedienung
stellten, mochte es schwer genug fallen, überhaupt nur eine
weitere Keise zu unternehmen ^) ; eine i'egelmässige Briefbeför-
derung oder Waarenversendung gehörte fOr ihn aber wohl zu
den unmöglichen Dingen.
Die selbständigen Eaufleute, welche in dieser Zeit den
GQtei-verkehr und Waarenumsatz im Grossen vei-mittelten,
seheinen überwiegend Juden ^) und Friesen ^), nur zum kleinen
Theile schon Italiener (Lombarden) oder Franken gewesen zu
sein ^). Die Juden, diese Erben der cosmopolitischen Stellung,
welche ehedem die Phönicier eingenommen, waren längst die
^) Cap. Aquisgr. 817 (I, 213) c. 16: Si quis literas nostras dispezerit,
id est tractoriam qnae propter missoB recipiendos dirigitur. Cap. Tusiac.
865 (I, 503) c 16: Ut ministri comitum in unoquoque comitatu dispensam
missorum noBtroniin a quibascunque dar! debet, recipiant, sicnt in trac-
toria nostra continetor. Vgl. den detaillirten Inhalt einiger solcher trac-
toriae bei Waitz lY, 20.
*) Vgl. Alcoin. epist 114 klagt aber die inopia portitorum, qni yix
fideles inTeniuntor. Igitor longinquitas terrarom prohibet ex his partibns
ad nos qnemlibet nisi raro transire; Waitz IV, 23.
^) Cap. Nium. 806 c. 4 (I, 144). Cap. 809 c. 2 (I, 158). Cap. 882,
c 23 (I, 364). Cap. 877 c. 31 (I, 540); besonders aber Leges portoriae
906 (III, 481) c. 9: Mercatores id est Judaei et ceteri mercatores, unde-
cunqne venerint de ista patria vel de aliis patriis.
*) Schannat Worm. 829 II, 5, n. 5: In Vangione ciyitate et in
castellis Lobdenbarg et Winpina negotiatores artifices Frisiones. Friesen
als Kaufleate in St Denys 753 Bouqn. 5, 699; 814 ib. 6, 466. Nach
Bodmaon rhdng. Alterth. S. 11 bewohnten die Friesen in Mainz ein
eignes Qoartier. üeber die Friesen als Wasserbaukünstler s. o. 4. Abschn.
S. 409.
^) Im Cap. de discipl. palatii 809 (I, 158) c. 2 heisst es: per man-
siones omninm negotiatorum, sivo in mercato sive aliubi negotientur, tarn
— 448 —
Grosshändler der ganzen Welt und haben auch dem Franken-
reiche zum Theile wenigstens seine volkswirthschaftliche Blüthe
eiTeichen geholfen; sie waren insbesondere die thätigen Ver-
mittler der begehrten orientalischen Waaren ^) ; jene grosse
Handelsstrasse dui'ch das Herz von Europa bis in das hin-
tei*ste Asien war vomemlich von ihnen begangen*). Einen
Juden schickte Karl der Grosse sogar ziim Chalifen, als er
nähere Handelsbeziehungen mit dem Orient anknüpfen wollte'),
wie er überhaupt den Juden manch besondere Gunst erwies;
und sein Sohn Ludwig stand ihm wenigstens hierin nicht
nach^). Doch haben sie sich zweifellos auch schon mit dem
Hausirhandel beschäftigt^), der ja in jenen noch immerhin
sehr verkehrsarmen Zeiten an Bedeutung dem Grosshandel
kaum nachstand. Insbesondere aber sind sie schon die Geld-
händler, Wechsler und Creditvermittler ®) jener Zeit gewesen
und haben besonders dadurch wie durch ihre Exemtion von
den kanonischen Zinsverboten sich rasch zu Reichthum empor-
gearbeitet.
Obwohl nun so manche Factoren zusammenwirkten, um
das Verkehi-sleben und den Handel der Deutschen zu beleben,
ihm neue Gebiete zu erschliessen , bessere Einrichtung und
reichere Nahi-ung zu geben, so dürfen wir uns dennoch von
christiaDorum quam et ludaeonim. Doch kommen shhon in Dipl Ptgo-
berti 629 (FardessuB n, n. 247) negotiatores de Longobardia aof die Messe
▼on St DenyB.
>) Mon. Sang. II, 14 (SS. ü, 757) sagt von den Schiffen des Mittel-
meers: alii ludaeos, alii Tero Africanos, alii Britannos mercatoies eese
dicerent.
*) Heyd, Levantehandel I, 87.
") Ann. Einh. 801 : Isaac Judaeum, quem imperator ante quadriennim
ad memoratom regem Penanim com Lantfrido et Sigimimdo legalie snii
miserat, rerersum cum magnis muneribos nuntiaTenint
*) Vgl Waitz m, 457 ; IV, 201 £, 291.
^) Cap. 882 (I, 868) c. 19 : Similiter et ludeis» qui si negotiaadi csitfi
Bubstantiam suam de una domo sua ad aliam ant ad pladtom ant in
ezerdtum dueunt
«) Gap. de Judaeis 814 (I, 194) c 1, 2. VgL dazu Zeitachr. ftr
Recbtsgesch. II, 417.
- 449 —
demselben noch immer keine zu grossen Vorstellungen bilden.
Was die Deutschen an marktfähigen Producten besondei's für
weiteren Transport und für den Bedarf fremder Länder lieferten
waren ausser den firiesischen Gewändern, die ihre allgemeine
Beliebtheit mehr als je behaupteten % und etwa Wafifen '),
doch im Wesentlichen nur Natui-producte ; und auch von diesen
dürften für den Grosshandel in weitere Entfernungen nur Salz
und Wein, Häute und Felle in Betracht kommen; Getreide
und Holz, die gleichfalls im Handel ei*scheinen, sind wohl
doch nur in engbegrenzten Gebieten abgesetzt worden^).
Eine grössere Lebhaftigkeit und Intensität des Verkehrs aber
vennögen wir nur an der Rhein-*) und theilweise an der
Donaustrasse ^) zu entdecken; die Alpenwege nach Italien,
^) Monach. Sang. (SS. II, 752) 8. o. 5. Absch. S. 487. lieber die Be-
aehnng des Capit. Nitunag. 808 (I, 152) c. 5 auf die friesischen Qewftn-
der s. XL 8. 478.
') In Divisio imp. 806 (LL. I, 142} c. 11 sind unter dem Kaufmanns-
gat neben auro, argento et gemmis nur arma und vestes specieU genannt.
Verbote der Waffenausfuhr Cap. 779 (I, 88) c, 20. Cap. 803 (I, 115)
c. 7. Cap. 8a5 (I, 183) c. 7.
*) Auf dem Donauwege wurden nach den ieges portoriae (LL. m,
480) besonders Salz und andere Lebensmittel, Wadis, Rosse und Sklaven
yerhandelt; vgl Waitz IV, 59—61. Vom Elsass singt Ermoldus Nigellus
Eleg. I, 115:
Omnia si populus proprios misisset in usus
Quae, Helisacie, tuus gignit amoenus ager
Gens animosa arvis vinoque sepulta iaceret,
Viz in tarn magna urbe maueret homo;
Utile consilium Frisonibus atque Marinis
Yendero vina fiiit et meliora vehi.
Nach Fischer, Gesch. d. d. Handels 2. Aufl. I, 355 war schon zu
Karls d. Gr. Zeiten der Pelz- und Holzhandel auf der Ostsee lebhaft^
Verbot der Getreideausfuhr Gap. Ninm. 805 (L 182) c 4.
*) Hier insbesondere Worms, Frankfurt, Mainz, Eöhi als wichtige
Handelsplätze. Strasse aus Niederland und Tom Niederrhein nach Frank-
furt C. Laur. 790, n. 3716: strata publica quae nominatur Bubenheimer
strata, vgl. Landau in Zeitsch. f. d. Culturgeschichte Iff. über das Strassen-
wesen im Mittelalter.
') Hier Regensburg, Passan, Lorch. Ueber die Latini in Regensburg
(s. 0. S. 176) vgl. Hegel, St&dteverfassung von Italien U, 388 ff. Die
TOD Inama-Starnegg, WirthschAftageechichte. I. 29
— 450 -
besonders vom Rheingebiete über den Bodensee, Chur, den
Septimer und Comersee ^), sowie aus dem Donaugebiete durch
KäiTithen und Tirol *) waren zwar sicherlich schon gut frequen-
tirt, aber doch mehr von den Fremden welche Deutschland
besuchten, als von den Deutschen selbst zur Handelsfahrt
benfitzt Andere grosse Handelsstrassen durch Deutschland
hindurch aber haben, wenn ihrer als solcher auch in den
Quellen gedacht wird ^), doch soweit wir sehen, keine Handels-
conjunctur erzeugt, welche auf die Entwickelung der volks-
wirthschaftlichen Zustände in dieser Periode bestimmend ein-
gewirkt hätte.
Eine ebenso interessante wie lehrreiche Seite des deutschen
Wirthschaftslebens zeigt die Ordnung des Geldwesens in dieser
Periode. Der Uebergang von der Goldwährung zur Silber-
währung, welcher sich während dei*selben vollzog, ist allein
schon ein Ereigniss von eminent nationalökonomischer Be-
deutung; die gleichzeitige Umgestaltung des Münzfusses und
der Geldrechnung, sowie die Vei-suche eines üebergangs aus
vorherrschendem Naturalverkehr zu ausgedehntem Geld-
verkehre verleihen diesen Verhältnissen aber noch eine weit
grössere allgemeine Bedeutung für das Wii*thschaftsleben der
Nation.
Die Ordnung des fränkischen Münzwesens, wie sie in der
2. Hälfte des 6. Jahrh. durch Annahme des leichteren Solidns
(84 aus dem Goldpfunde) begi'ündet wurde *), blieb, soviel wir
Frequenz der Donaastrasse besonders anschaulich ans der ZoUroUe tod
Raffelstätten LL. III, 480 ff.
') Chiavenna als ZoUstätte Mohr c. dipl. Cur. 1, 58f. 155, 2061
^ Heyd, Gesch. d. Levantehandels I, 96.
") Alte Handelsstrasse von Thüringen nach Mainz Tgl. Vita Stmnu
(SS. II , 369) tone quadam die dum pergeret, pervenit ad viam, quae a
Thuringorum regione mercandi causa ad Moguntiam pergentes dudt, ubi
platea illa super flumen Fulda vadit; ibi magnam SclaTonim moltitadincai
reperit eiusdem Üuminls alveo natantes ; Strasse von Sachsen durch Thüris-
gen an die Donau Cap. Theod. (LL. I, 133) c. 7 s. o. S 436 A. 1. Vgl
noch von anderen viae regiae, publicae, stratae public&e, plebdae, heri-
strazza etc. Landau in Zeitsch. f. Culturgeschichte I, IL
*) 8. 0. 1. Buch, 5. Abschn. S. 188ff.
• _ 451 —
sehen, wenigstens gesetzlich bis tief in die erste Hälfte des
8. Jahrhunderts bestehen. Nur wird das Gold langsam aber
stetig immer seltener, Silber immer mehr das vorherrschende
Münzmetall ^) ; und auch der Gebrauch der Münzen überhaupt
ist eher im Abnehmen begriffen; wenigstens ist es auffällig,
wie blosse Gewichtsmengen der edlen Metalle immer mehr
an Stelle. der althergebrachten Münzen bei Bestimmungen von
Kaufpreisen und Geldleistungen in Anwendung kommen').
Mit dem Seltnerwerden des Goldes überhaupt traten aber
natürlich auch die Solidi immer mehr aus dem Verkehr und
die Silberdenare erhielten ein üebergewicht als vorheiTSchend
gebrauchte Münzsorte, das ihnen anfänglich nicht zukam;
denn die Ursachen der Abmindeioing des Goldvorraths , Ab-
nützung durch Umlauf, Umprägungen, Vergrabung und Aus-
fuhr, trafen das Silber so lange in viel geringerem Masse, als
es nur den Charakter eines subsidiären Zahlungsmittels hatte
und nur spärlich ausgemünzt war^). Damit hörte aber auch
die für die Ordnung des älteren Münzwesens wesentliche
Rücksicht auf ein festes Werthverhältniss von Gold und Silber
auf, solch massgebenden Einfluss zu äussern. Es trat zu-
nächst an die Stelle der gesetzlichen Goldwährung eine fac-
tische Doppelwährung in der Weise, dass mit 40 salischen
Silberdenaren oder ihrem Silbergewicht ebenso wie mit einem
Goldsolidus überall gezahlt werden konnte^), um endlich durch
eine einheitliche Silberwähiomg ersetzt zu werden, indem der
Denar in selbständiger Weise zu dem Silbei-pfunde in Re-
lation gesetzt und dieses zur Grundlage eines neuen Münz-
M Soetbeer, Forschungen zur deatschen Geschichte II, 807 f., lY, 254.
Einigermassen ist das auch zu ersehen aus den Pönbestimmungen der Ur-
kunden, welche z. B. in den Trad. Wizz. 698—768 Gold und Silber im
Verhältniss von 42:58, 769—855 von 29.s:70.5 enthalten.
^ S. 0. 1. Buch, 5. Abschnitt, S. 194.
3) S. a. Soetbeer IV. 254.
*) Das ist in den Urkunden seit dem Ende des 7. Jahrh. ungemein
häufig durch die freigestellte Wahl des Edelmetalls bei Zahlungen, durch
Nebeneinanderstellung von Gold und Silber (inter aurum et argentum so*
lidos tantos) n. dgl. ausgedrückt
29*
- 452 - ^
Wesens gewählt wurde. Und dazu dienten die salischen De-
nare in weit vorzüglicherer Weise als die Denare der Ri-
puarier, Alamannen und Bajuwarier; denn jene wurden fort-
während geprägt und waren durch ihre systematische *An-
passung an das Metallgewicht überhaupt viel besser zu Geld-
zwecken geeignet ; wärend diesen letzteren, die ja in Deutsch-
land nie geprägt wurden und schon lange nur einen conven-
tionellen Werth behaupteten^), eben darum auch zu einer
irgend exacten Werthmessung wesentliche Voraussetzungen
fehlten.
Indem man nun den Silbergehalt der salischen Denare
(gesetzlich 1.37 Gramm, thatsächlich wohl etwas niedriger
1.23 — 1.35 Gramm) als Ausgangspunkt f&r den neuen Müdz-
fuss der Silberwähi-ung nahm, entfielen auf das Silberpfund
von cca. 327 Gramm 240 — 264 Denare, welche in die be-
stehende Geldrechnung thunlichst eingereiht werden mussten.
Und hier machte sich nun in entscheidender Weise sowohl
die Zugehörigkeit der Karolinger zu dem ripuarischen Stamme,
wie das Geldbedüifniss und die Geldrechnungsgewohnheit der
rechtsrheinischen Völker geltend, welche immer 12 Denare
einem Solidus gleich gestellt hatten '). Da diese Denare aber
ihrer ganzen Beschaffenheit nach nicht geeignet waren, die
Verallgemeinerung des Geldgebrauchs zu begünstigen, und
eben diese Verbreitung zu den ausgesprochenen Zielen der karo-
lingischen Wirthschaftspolitik gehörte^), so wendete man diese
Rechnung auf den salischen Denar an, indem man dem ausser
Gebrauch gekonmienen Goldsolidus einen ideellen SilbersoUdus
substituirte ^), ohne dass dadurch die Rechnung des Gold-
«) Vgl. 1. Buch, 5. Abschn. S. 193.
>) Vgl. 1. Buch, 5. Abschn. S. 186, 192.
») S. u. S. 459, 462.
*) Die erste Anwendung desselben in öffentlichen Acten in Gap. LlftiB.
745 (LL. 1. 18 z. J. 743) c. 2: ut annis singulis de unaqoaque casats
solidus, id est 12 denarii, ad ecclesiam vel ad monasteriam reddator.
In üebereinstimmung damit schreibt auch im selben Jahre Papst Zacharias
an Boni&cius (Epistolae Bonif. ed. Würdtwein n. 70, p. 184): De ceasQ
yero expetendo eo quod impetrare a Francis ad reddendum ecciesiis vel
— 453 -
solidas zu 40 salischen^) oder 12 rechtsrheinischen Denaren
(saigae)^) sofort aufgehoben wurde oder auch nur factisch
aufgeholt hätte ^). Auch der Tremissis zu 4 salischen De-
naren statt des älteren Drittelsolidus fand in diese Rechnungs-
weise Aufnahme, welche sich ohne sichtbares Zuthun der
öffentlichen Gewalt durch die lebhafteren Yerkehrsbeziehungen
des westlichen Frankenlands mit den rechtsrheinischen deut-
schen Yölkerstämmen herausgebildet zu haben scheint^).
Da nun nach dieser austrasischen Rechnungsweise immer
12 Denare einen Solidus ausmachten, so war eine Anzahl von 20
bis 22 Solidi auf das Silberpfund von selbst gegeben. Diese
letztere Ziffer ist es denn auch, welche Pipin zuerst in seinem
Capitulare v. J. cca. 755 wählte und zur Grundlage eines
monasteriis non potoisti aliud, quam ut verteilte anno ab unoquoque con-
jagio servorum 12 denarii reddantnr; und im J. 751 (ib. n. 87, p. 256):
De censu aatem ecdesiarum, id est Bolidom de cassata.
') Gu^rard u. a. haben das aus dem c. 41 des Condls von Reims
818 (Mansi Condl. XIV, c. 81) geschlossen: Ut dominus imperator secun-
dum statutiyn bonae memoriae domini Pipini misericordiam fadat, ne solidi
qui in lege habentur per 40 denarios discurrant, quoniam propter eos
molta periuria mnltaque fiüsa testimonia reperiuntur. Soetbeer IV, 268 ff.
zeigt aber, dass sich die Bestimmung nicht auf eine förmliche Demoneti-
sation des Goldes, sondern nur auf eine Reduction der in den Gesetzen
vorkommenden Geldbestimmungen auf den neuen, ideellen Silbersolidus
bezieht
') Ihre Beibehaltung ist aus den karolingischen Redactionen der
L Alam. und Bajuv. sowie aus zahlreichen Urkunden der Trad. Sang, und
Frising. zu ersehen.
') Der Goldsolidus zu 40 fränkischen Denaren ist ausdrücklich an-
gewendet im Cap. 801 (1,85) c. 11: Ut omnis solutio adque conpositio que
in lege Saliga continetnr, inter fFrancos per 12 dinariorum solides conpo-
natur, excepto hubi contentio contra Saxones et Frisones exorta fuit, ibi
volumus ut 40 dinariorum quantitatem solidus habeat. Gap. 803 (I, 114)
c. 9: Omnia debita quae ad partem regis solvere debent, solidis 12 dena-
rionun solvant, excepta freda quae in lege Salica scripta sunt. lUa eodem
Bolido quo caeterae compositiones solvere debent, componantür.
*) Ist nicht schon Dagoberts Zollbrief für St. Denys 629 hiefÜr zu
berüdcBichtigen, der den Handelsleuten die ttber's Meer kommen 2 sol.,
den Sachsen und Bewohnern anderer G^enden 12 den. (1 sol?) fbr jede
Tonne Honig auferlegte? Fardessus n, n. 247.
— 454 —
neuen Münzfusses für die einheitliche Silberwährung machte^).
Er ordnete an, dass nicht mehr als 22 Solidi aus dem Silber-
pfund geprägt werden sollten, und erkannte einen Solidus dem
Münzer als Sehlagschatz zu, wodurch zugleich die factisehe
Ausprägung von Solidistücken erwiesen ist. Aber schon kurze
Zeit darauf sehen wir Pipin selbst zu dem schwereren Fusse
von 20 solidi übergehen; wenigstens sind die unter seiner
Regierung später geprägten Denare von einem Schrot, das
nur zu diesem schwereren Fusse passt'). Mochte nun der
König in der urspillnglichen Festsetzung des 22 sol. Fusses
einen Irrthum über den effectiven Feingehalt der cursirenden
Denare einsehen, der bei der kleinen Differenz von kaum
10 Gentigramm sehr erklärlich wäre, oder mochte er absicht-
lich die Denare in späterer Zeit schwerer, d. h. so schwer
ausbringen, als sie nach dem merowingischen System ausge-
bracht werden sollten, nemlich 1.35 Gramm ^) so dass 240
auf ein Silberpfund gingen — Thatsache ist jedenfalls , dass
dieser 20 solidi Fuss die Grundlage des neuen Münzsystems
mit alleiniger Silberwähioing wurde und es bis gegen Ende
des 8. Jahrhunderts verblieb*).
Daneben erhielt sich nun allerdings die alte Rechnung
nach dem Goldsolidus noch in manchen Stücken. Die Ala-
mannen und Baiuwarier gaben ihre Gewohnheit, 12 ihrer alten
>) Gapit Pipmi regia incerti anni (LL. I, 31) c. 5: De moneta con-
fititoimas, ut ampliuB non habeat in libra pensante nisi 22 soUdos et de
ipsis solidis monetarius accipiat solidom 1 et iUos alios domino cnios sunt
reddat
') Nach dem MOnzfusse von 22 sol. sollten die Denare ein gesets-
liches Gewicht von 1.^ Gramm haben; das wirkliche Durchschnittsgewicht
der zu Imphy gefundenen Pipin'schen Denare beträgt aber, eine AbnotKnog
von nur 4% angenommen, l-so Gramm; Soetbeer in Forschungen zur
deutschen Geschichte lY, S. 281.
') Die kleine Differenz von 5 Gentigramm zwischen diesem gesetz-
lichen und dem thatsächlichen Gewichte der Münzen von Imphy ist darch
die Annahme einer stärkeren Abnutzimg oder einer etwas zu leichtes
Ausprägung durch die MOnzer zu erklären; Soetbeer a. a. 0. S. 282.
*) Ueber die Bedeutung dieser Veränderung der Währung und des
Münzfusses fbr die Werth- und Preisbestimmungen s. n. S. 467 ff.
— 455 —
Denare auf den Goldsolidus zu rechnen, nicht so schnell
auf*). Wohl aber accomodirten sie sich mehr und mehr den
factischen Wei-thverhältnissen der alten und der neuen (sa-
lischen) Denare, indem sie ihren Denar (saiga) nur mehr gleich
drei (statt 3*3) salischen Denaren setzten^;; die Baiem
näheii;en sich sogar im 9. Jahr.^) noch mehr, indem sie 30
fränkische Denare auf den Goldsolidus rechneten, wodurch
auch am richtigsten das wahre Werthverhältniss der saigae
und der neuen Denare zum Ausdruck kömmt. Denn diese
repräsentirten ebenso wie die 12 baiuwarischen Denare (saigae)
etwa einen Silberwerth von cca. 40 Gramm und konnten daher
ohne erheblichen Fehler einander substituirt werden.
Dass aber selbst die alte merowingische Rechnung nach
Goldsolidi zu 40 Denaren nicht so leicht auszurotten war,
zeigt sich in denjenigen Gapitularen Karls d. Grossen, in
welchen er^ mit theil weiser Abänderung der Bestimmungen
Pipins, für gewisse Bussfälle dieselbe ausdrücklich als fort-
bestehend anerkannte^).
Mit Karl d. Grossen tritt nun aber ein neuer für die
fernere Entwickelung des Münzwesens sehr wichtiger Umstand
^) Noch in der 1. Alam. Earol. 6, 2 heisBt es: Saiga autem est quarta
pars tremissi (offenbar des Goldtremissis) hoc est denarius unus. L.
Baj. I, 3: De duabus saicas Tel tres et usque ad tremisse ono. Be-
merkenswerth ist auch Tr. Sang. 858, n. 468 preciom in contra ipse cor-
tinom seliquae 20, also noch nach der alten Goldwährung gerechnet
') L. Baj. IX. 2: una E<aica, id est 8 denarios; duas saicas, id est 6 den.
Aach die Urkunden, in welchen Werthe bald in Denaren bald in saigae
angegeben sind, lassen darüber keinen Zweifel, dass der Werth der saiga
3—4 fränkische Denare war s. Beil. X. ^
") Die Notiz, welche Wattenbach aus einer Grazer Handschrift des
12. Jahrb. beigebracht hat (s. LL. III, 132): Secundum l^em Francomm
et Alamannorum et Sazonum et Duringorum et Linbarinorum 5 den. valet
saiga, 4 den. tremissa, 4 saige solidum faciunt Secundum legem Bawa-
riorom secundus semis denarios scoti valet. 3 duobus scotis , 5 den. valet
saiga, 7 den. tremissa, ter 5 semisolidum faciunt, sexies 5 den. solidum
ffttiunt, 8 solidi libram faciunt vermengt offenbar kritiklos Richtiges mit
Falschem. S. aber Meich. 816, n. 349 1 solidum de auro solvere aut 30
denarios; und darüber ausführlich Soetbeer II, 330 ff.
*) Cap. 801, c. 11 und 803, c. 9, s. 0. S. 453. A. 3.
— 456 —
ein — die VeräDderung des bisherigen Gewichts. Während
der Merowingerzeit sowie noch unter Pipin und in der ersten
Zeit der Regieioing Karls d. Gr. war im Frankenreiche,
wenigstens für den amtlichen Gebrauch , in Neustrien aber
jedenfalls auch im Privatverkehr das altrömische Pfand bei-
behalten, dessen Normalgewicht mit 327 Gramm ziemlich
genau angegeben sein wird^). Auf dieser Gewichtsgrundlage
ist auch noch das neue Münzsystem aufgebaut, welches unter
der Regierung Pipins zum erstenmale aus einer gesetzlichen
Vorschrift entgegentritt, der 22 solidi-Fuss, nach welchem 264
Denare aus dem Silbeipfund ausgebracht wurden, so dass der
Silbergehalt des Denai's sich auf 1.231 Gramm berechnet.
Natürlich weist auch der spätere schwerere Denar auf die-
selbe Giomdlage; von den 240 Denaren, welche später Pipin
selbst und nach ihm Karl d. Gr. *) aus dem Silbei-pfünde aus-
prägten, hatte einer also einen Silbergehalt von etwa l.3o
Gramm, womit auch diejenigen Denare Karls d. Gr. im Wesent-
lichen übereinstimmen, welche sicher der ei'sten Zeit seiner
Regierung zugeschrieben werden können^). Dagegen zeigen
diejenigen Denare Karls d. Gr., welche mit Sicherheit der
späteren Periode seiner Regierung beigelegt werden können,
ein ganz anderes Verhältniss. Ihr Durchschnittsgewicht be-
rechnet sich auf 1.58 Gramm, und wenn wir berücksichtigen,
dass ein sehr grosser Theil derselben (im Schutt der alten
Handelsstadt Dorstadt^) gefunden) durch langen Gebrauch
abgenutzt ist und durch Oxydation stark an Silbergehalt ver-
^) S. 0. 1. Buch, 5. AbBchn. S. 185.
') Den ersten Anhaltspunkt f&r den 20 Schillingfoss anter Karl d.
Gr. bildet das Capit episc 779 (I, 89): Et unusquisque episcopus aot
abbas vel abbatissa, qui hoc facere possunt, libram de argento in elemo-
synam donent; mediocres vero mediam libram, minores solidos 5; also
die Abstufung 1 ^., Vi iS^ ^U €6.^5 solidL Dass aber damit nichts
Neues geschaffen war, ist aus obigem (S. 454) zu ersehen.
') Das sind wieder Yomemlich Denare aus dem Funde von Imphj.
welche ein Durchschnittsgewicht von l.^« Gramm haben, also mit den
späteren Pipinsmanzen übereinstimmen; Soetbeer IV, 304 f.
*) Die Earlsdenare aus dem Dorstadter Funde allein haben ein Durch*
Schnittsgewicht von l.^j Gramm. Soetbeer IV, 308.
— 457 —
loren hat, mit Hinzui-echnung von cca. 12 ^/q auf etwa
1.70 Gramm ^). Aehnliche Gewichtsverhältnisse bestehen nun
aber auch bei den Denaren der Nachfolger Karls d. Gr., nur
dass sie bei jedem nachfolgenden Kaiser um etwas schwerer
gefunden werden^), was sich aber leicht daraus erklärt, dass
die älteren Denare immer verhältnissmässig länger im Umlauf
waren, also abgenutzt wurden bevor sie vergraben, verloren etc.
wui'den.
Auf dieser bei deml; Mangel alter ausdrücklicher Angaben
über das Legalgewicht der späteren Karolingerdenare allein
festen Ginindlage der Münzfunde ergibt sich ein Noimal-
gewicht für das spätere Karolingische Pfund von cca. 408
Gramm ^).
Die Zeit in welcher Karl d. Gr. diese Veränderung vor-
nahm, lässt sich mit ziemlicher Sicherheit bestimmen, obschon
auch hieiHber weder Capitularien noch Urkunden eine posi-
tive Mittheilung machen. Jedenfalls fand sie vor Annahme
des Kaisertitels statt, da alle ausdiDcklich als solche bezeich-
neten Kaisermünzen nach der schwereren Gewichtsnorm aus-
geprägt sind. Dass die Reform vor das Jahr 796 fällt, be-
zeugt ein Brief Alkuins*). Aber schon das Capit. Franko-
') Im Resultat übereinstimmend Gu^rard Polyptique de l'Abb^ Ir-
minon I, 119 ff. und Müller, Münzgeschichte I, 308.
') Die Denare Ludwigs d. Fr. aus dem Funde von Belvezet haben
ein Durchschnittsgewicht von l.^ Gramm; ebenso die Denare Lothars
(817 — 855); die Denare Karls d. Kahlen I.70 Gramm. Dagegen scheinen
die späteren Karolinger etwas leichter (durchschnittlich 1.5^ Gr.) aus-
geprägt zu haben; die Denare Ludwig d. Kindes lassen sich mit I.40 Gr.
im Mittel annähernd richtig bestimmen; Soetbeer 71, 39 £f.
') Nemlich aus dem Pfunde Feinsilber 240 Denare ä I.70 Gramm.
Soetbeer IV, 311 nimmt allerdings (nach dem Vorgänge von Leblanc) nur
367 Gramm an , indem er sich ausschliesslich auf die in Dorstadt gefun-
denen Karlsdenare stützt; aber das effective Gewicht der späteren Denare
zwingt uns doch, da eine beträchtliche Uebermünzung ausgeschlossen ist,
für die Karlsdenare eine grössere Abnützungsquote anzunehmen, und
darnach an dem Pfunde zu 408 Gramm festzuhalten, wie es schon Gu^rard
u. a. begründet haben. Uebrigens ist dem karolingischen Pfunde von
Fossati sogar eine Schwere von 433.4g Gramm beigelegt worden, worüber
ausfuhrlich bei Soetbeer lY, 310 ff.
*) Opera ed. Froben. £pist. 25: Nam illa (Liutgardis) sanctitati tuae
— 458 —
fiirtense (794) 0 gedenkl der neuen Denare und zum ersten-
male begegnet in dem Capit. Mantuanum v. J. 781 ') ein
Vemif der bisher circulirenden Denare und zwar hier mit so
bestimmten Terminen, dass wir annehmen müssen, es sei eben
dieses Jahr, in welchem die neue Gewichts- und Geldreform
durchgeführt worden ^).
Ist damit nun auch die Thatsache dieser Veränderung
ausser Zweifel gestellt, so ist es doch schwer, genügende
Motive für eine so tief eingreifende Reform des Verkehre
ausfindig zu machen.
An eine bloss fiskalische Massregel ist dabei in keiner
Weise zu denken ^). Karls d. Gr. ganzer politischer Charakter
spricht dagegen. Er, der bei all seinen Reformen immer von
einer Grossartigkeit der Auffassung, von einem lebhaften Ver-
ständniss der tiefergreifenden Wirkungen geleitet ist, konnte
duas direxit armillas aori obryzi, pensantes 24 denarios minus de non
moneta regis, quam plenam libram.
') LL. I, 72, c. 4: De denariis autem certissime sciatis nostnim edictom,
qaod in omni loco, in omni civitate et in omni empturio similiter Tadact
isti novi denarii et accipiantor ab omnibus.
*) LL. I, 41, c. 9 : De moneta ut nullus post Kai. Augostas istos di-
narios, quos modo habere nsi sumus, dare audeat aut recipere; si quis
hoc fecerit, vannum nostnim componat.
') S. a. Soetbeer lY, 290 ff. Merkwürdiger Weise stimmt zn diasem
Jabre auch die gleichzeitige Urkunde d. d. Parma, in welcher die Kauf'
leute von Comaclo sich beklagen, dass sie zu Mantua und in anderen
Häfen den modius zu 45 ^. leisten müssten; Karl gestattet ihnen, nt
sicut alii negotiatores modium non maiorem quam 30 46 solyant T^
die Stelle des Amalarius Über pondus Earoli (Hanauer I, 11).
*) Soetbeer IV, 283 ff. wiU diese wie die ältere Erhöhung des Mäoz-
fusses unter Pipin durch das Bestreben der einflussreichen Gmndhenn
erklären, gegen Entwerthung der in Geld zu entrichtenden Leistungen ihrer
ünterthanen sicher gestellt zu sein; femer dadurch, dass die Folgen der
Secularisation gerade dadurch am besten reparirt werden konnten ; endlich
aus dem Interesse der Könige selbst, denen daran gelegen war, die Geld*
leistuDgen der geistlichen Stifter und Kirchen, welche sie zur Aufbringoog
von Tributen und dgl. verlangten, möglichst vollwichtig, beziehungsweise
mehrwichtig zu erhalten, da die Tribute selbst nach Pfunden Edelmetall
bestimmt, die Leistungen dafür aber in Solidis ohne weiteres beaeichset
waren.
— 459 —
nicht um des kleinlichen Vortheils erhöhter Domanialeinkünfte
T?illen die ganze Gmndlage eines jungen Geldverkehi-s , den
er selbst zum guten Theile erst geschaffen, verändern und
damit eine Reihe der weittragendsten Wirkungen erzeugen
wollen, die mit einem solchen Plane in gar keinem Zusammen-
hang gestanden wären. Auch war er ja viel zu gerecht, als
dass er eine solche Massregel sur Ausbeutung seiner Unter-
gebenen hätte anwenden wollen. Wie er bei Einführung eines
neuen, grösseren Modius (789?)^) sofort eine Reduction der
Abgaben von je 3 auf je 2 Modii eintreten Hess *), so wird er
sicherlich mit den Geldabgaben in gleicher Weise verfahren
haben. Während seine Verwaltung immer den Missbräuchen
und der Ausbeutungslust der Grossen entgegentrat, konnte er
doch nicht selbst mit dem denkbar schlechtesten Beispiele
vorangehen, üeberall erwies sich Karl d. Gr. als ein
Schützer des Rechts auch der dienenden Leute und als Hüter
nationaler Wohlfahrt; im Capitular von Frankfurt*) bewählt
er sich besondei'S, indem er die allgemeine Vorschrift gab,
das Getreide von den königlichen Domänen billiger abzuge-
ben, als es sonst verkauft wurde. Damit würde eine Erhöhung
des MOnzfusses zum Zwecke einer Steigerung der Lasten
schlecht passen. Und überdiess spielen die Geldeinkünfte der
grossen grundheiTlichen Wirthschaft doch noch immer eine
so verschwindend kleine Rolle, dass diese Massregel hiezu in
keinem Verhältnisse gestanden wäre*). Ebensowenig aber
') Im Capit. eccL 789, c. 73 (LL. 1,^65) ist zum erstenmale auf die
aequales mensuras et rectas hingewiesen. Cap. Frankof. (I, 72) c 4 mo-
diom publicum et noviter statutum. Cap. de Yill. (I, 186), c. 64 ad no-
strum medium. Vielleicht bezeugt auch schon Tr. Sang. 790, I, 126
modios — sidas curiales, sowie Urk. 781 Sickel II, 89 modium 45 libra-
rum — modium non maiorem quam 30 librarum diese Mass- und Ge-
wichtsreform.
^) Capit 802 (I, 100), c. 44: Ut aequales mensuras et rectas et pon-
dera iusta et aequalia omnes habeant Et qui antea dedit tres modios,
modo det duos.
») LL. I, 72, c. 4 8. unten S. 476. A. 1.
*) Die Tributzahlungen, welche Soetbeer IV, 285 als Motiv der Er-
höhung ansieht, fallen doch in eine viel spätere Zeit, und überdiess zeigen
— 460 —
4
lässt sich die Gewichtserhöhung nur als Massregel der Hfinz-
Verwaltung ansehen. Denn abgesehen davon, dass nicht bloss
das Münzgewicht, sondern überhaupt das Gewicht erhöht er-
scheint, war «ein gi'össerer Feingehalt der Denare, um sie etwa
nur dem legalen Münzfusse entsprechend auszuprägen, gar
nicht geboten, da, soviel wir sehen, schon die älteren Denare
Pipins und Karls selbst mit der altem Gewichtsnonn in
Uebei-einstimmung — keineswegs aber durchgehends zu leicht
ausgeprägt waren. 4
Dagegen scheint allerdings ein wirthschaftspolitischer Grund
in erster Linie für die Gewichts- und Münzreform Karls d. Gr.
massgebend geworden zu sein. Der Gebrauch des römischen
Pfundes mochte im Laufe der Jahrhunderte bei dem Mangel
guter Normalgewichte und einer durchgebildeten Verwaltung
ziemlich unsicher und damit die Relation der Münzen zu
dem Münzgewichte nur mehr sehr ungefähr richtig gebliebeD
sein ^).
Bei dem ausgeprägten Streben Karls d. Gr. nun, Ordnung
und Gewissenhaftigkeit in die ganze Verwaltung zu bringen
und natürlich auch das Münzwesen auf sicherere Giiindlagen
zu stellen, um dem Gebrauch gemünzten Geldes eine grössere
Ausdehnung zu geben, war die Bemühung erklärlich, eine feste
Grundlage in einem Gewichtspfunde zu schaffen, welche zu-
gleich rationell und dem allgemeinen Gebrauche im Verkehr
bequem und behebt war.
Und da überdiess ein althergebrachtes Gewichtspfund der
deutschen Stämme bestand, welches, obgleich gewiss nicht min-
der unsicher in seinem Ausmasse '), doch beträchtlich schwerer
war, als das römische, so lag es für eine Regierung, die sich
zumeist auf die Völker rechts des Rhein stützen wollte, nahe.
ja gerade die Münzen der späteren Karolinger, welche am meisten Tribut
zahlen mussten, eine auffallende Gewichtserleichterang.
^) Vgl. Soetbeer IV, 309.
^) Doch finden sich im nordischen Boden alte Wagen und Gewichte;
bist, antiqu. Mittheilungen, Kopenhagen 1835, S. 103 fg. Aber im Oanzen
waren die sinnlichen Massbestimmungen der alten Germanen wenig goMi
— 461 —
aach diesen nationalen Gesichtspunkt bei der Reform des
MOnzwesens zu berücksichtigen 0.
Natürlich kann nicht daran gedacht werden, dass Karl
d. Gr. sich einfach an ein vorgefundenes Gewichtspfund ge-
halten habe, da sicherlich die etwa vorhandenen Etalons selbst
wieder unter einander nicht in üebereinstimmung, noch wahr-
scheinlicher aber bei dem Mangel öffentlicher Verwaltung bei
den einzelnen Stammesherzogthümem solche gar nicht vor-
handen, sondern nur ungefähre Gewichtsfeststellungen nach
traditionellem Brauch in Uebung waren*); ein gewisses Mass
freischaffender Thätigkeit muss bei Bestimmung der neuen
Gewichtsnonnen sicher angenommen werden, und das ist um
so wahrscheinlicher, als ja am Hofe Karls d. Gr. eine Ge-
legenheit dazu wie nie vor- noch nachher gegeben war. Denn
hier vereinigte der geistreiche Herrscher ja alles, was Wissen-
schaft und Gelehrsamkeit jener Zeit schuf, von hier aus wur-
den Verbindungen mit der ganzen Welt unterhalten, so dass
sicher auch die Summe meteorologischen Wissens vereinigt war
und zur Lösung des Problems einer rationellen Gewichtsgrund-
lage verwendet werden konnte^).
Trotz all dieser Bemühungen Pipins und Karl d. Gr. um Aus-
bildung eines rationellen und auch für den Verkehrsdienst besser
geeigneten Münzwesens ist aber doch der Geldgebrauch dieser
Zeit in Deutschland noch sehr beschränkt^), ja er scheint sogar in
der Zeit der späteren Karolinger eher ab- als zugenommen zu
haben. Es ist das schon aus dem Umstände zu ei-sehen, dass
aus der ganzen Karolingerperiode kein einziger Denar aus
') üeber die älteren Gewichtssysteme germanischer Völker vgl. Soet-
beer I, 240 ff., IV, 334 ff.
^ Viel zu sicher von einem herrschenden deutschen Gewicht spricht
Müller L c. 310.
') üeber die vielfach zur Erläuterung der karolingischen Gewichts-
reform herangezognen arabischen Gewichtssysteme s. Soetbeer IV, 315 ff.
*) Vgl. Capit. Aquisgr. 817 (I, 210) addenda c. 8: Quid in conposi-
tione wii^ldi dari non debeat. In conpositione wirgildi volumus ut ea
dentur, quae in lege (Ripuaria) continentur, excepto acdpitre et spata,
quia propter illa duo aliquoties periurium conmittitor, quando maioris
pretii quam illi sint esse jurantur.
— 462 -
einer Münzstätte rechts des Rhein bekannt ist, was ganz un-
denkbar wäre, wenn das MünzbedOrfiiiss in diesem Tfaeile des
Reiches irgend namhafte Dimensionen angenommen hätte M.
In der That behauptet aber auch der naturalwirthschaftllche
Tauschverkehr während der ganzen Periode ein auffallendes
Uebergewicht, das selbst durch die Anordnungen Karls d. Gr.*)
und seiner Nachfolger, welche auf verschiednen Punkten den
Geld verkehr begünstigten, keineswegs beseitigt, ja, wie es
scheint, nicht einmal gemindert werden konnte*).
Es zeigt sich das insbesondere in der ungeschmälerten
Foitdauer der Naturalzinse und Dienste, welche von den Zin^-
gütern entrichtet und geleistet werden, obwohl Karl d. Gr. den
Bischöfen gestattet hatte, solche Leistungen in Geld zu ver-
wandeln *) ; die Gutsverwaltung Karls d. Gr. selbst hat sich
^) Münzrecht wurde mehren bedeutenderen Verkehrsplätzen in Deatsch-
land verliehen, wenn die fraglichen Urkunden acht sind; so an Correr
833, Worms 856, Prüm 861, Osnabrück 8b9, Münster-Eifel 898, Hohoseo
900; vgl. Soetbeer VI, 33.
<) Z. B. Cap.de moneta (I, 159). Münzpriv. f. Ck)rvey 833: qoia locom
mercationis ipsa regio indigebat, monetam nostrae auctoritatis pnblicam . . .
Btatuimus. Auch bei den sonstigen ältesten Verleihungen königücher Mfio-
zen ist immer das Verkehrsinteresse entscheidend; s. Soetbeer VT, 31 i
Die (später zugesetzte?) Stelle L. Alam. Hloth. Vni, A (LL. HI, 48) me-
dietatem in auro valente, medietate cum quäle pecunia habet ; auch L. AI
Lantfr. VI betrifft Busszahlungen.
^) Auch das Gesetz Ludwig d. Fr. 817 (LL. I, 213), c. 18: quidmqoe
über homo denarium bene pensantem recipere noluerit kann als Massr^I
zur Einbürgerung des Geld Verkehrs angesehen werden, obwohl es sich
zunächst nur als Massregel der Münzordnung darstellt; vgl. ähnliche spä-
tere Bestimmungen unten S. 464 Anm. 5.
*) Gap. 801 (I, 88), c. 22: Si quis tamen episcopormn fberit qui ar
gentum pro hoc (nona et decima) accipere velit, in sua maneat potestate.
Die Geldeinkünfte von Prüm beliefen sich noch am Ende des 9. Jahx^
nur auf circa 1500 Solidi, während der Werth seiner Natnraleinkünfte an
Getreide, Wein, Schweinen, Hühnern, Eiern und Lein, ungerechnet alles
Andre, schon gegen 2600 sol. betrug. Die Gelderträge von Bleidenstadt
(Anf: d. 10. Jahrh.) belaufen sich auf 92 solidi. Vom Stifte Werden siod
allerdings in derselben Zeit 12.137 Denare in Geld neben Naturaloinkfinftn
im ungefähren Werth von 13.210 den. vorgetragen; aber viele der OfM*
ausätze wurden in natura geleistet, wie die häufigen Bemerkungen solidos
siclus in grano, in re qualibet, in quo potest etc. beweisen.
— 463 -
dem nicht entschlagen können, wie diess aus dem Breviar
über das bischöfliche Gut Stafielsee sich ergibt, das keinerlei
Geldeinkünfte hat^).
Ebenso wird foilwähreod bei Gutskäufen neben einem
Geldpreis ein solcher in Gebrauchsgegenständen in Ansatz ge-
bracht (Pferde, Kleider, Waffen u. dgl.)*). Ausserdem ist
aach aus manchen öffentlichen Einrichtungen die Fortdauer
der Natural wirthschaft zu ersehen ; als Heeresabgabe erscheint
ein Heeimalter neben dem Heerschilling noch im Anfang des
10. Jahrhunderts*); die Sachsen leisten einen Pferde-*), die
Thüringer einen Schweinetribut*); aus den Gegenden am Main
ist eine osterstuopha oder steora in Honig und Gewändern, an-
derswo in Lämmei-n, Hühnern, Eieni und Holz bekannt®);
unter Ludwig dem Frommen erecheint ein stuofchom ^). Auch
») Die Annahme Gfrörer'B (Gregor VII, 1, 547; 7, 197 und z. Gesch.
d. Volksrechte II, 275), dass nicht bloss in den gallischen, sondern auch
in den deutschen Provinzen des karolingischen Reiches ein Geldverkehr
stattgefunden habe, der sich bis auf die niedersten Klassen der Bevölke-
rung herab erstreckte , ist in der behaupteten Weise jedenfalls unrichtig;
dass seit Pipin die Geldabgabe neben der Naturalleistung schon im 8. Jahrh.
eine steigende Bedeutung gewonnen habe, ist jedenfalls nur, insofeme da-
bei an neue, früher nicht bekannte Abgaben in Geld gedacht wird, richtig,
eiae Reluition aber doch nur ganz vereinzelt vorgekommen.
>) Der Werthtarif der 1. Ripuar. c. 36 (s. oben S. 144) hat auch f&r
die Karolingerzeit Geltung behalten, wie aus Cap. 817 (I, 210), c. 8 (s.
oben S. 461 A. 4) zu ersehen ist; vgl. z. B. Tr. Fris. 826, n. 493, Landgut
gegen Pferde und andres Vieh verkauft ib. 827, n. 516 12 sol. in vesti-
bus et nno caballo et pachone. ib. 831, n. 552 pro hoc acceperunt ca-
ballum 1 et aliam pecuniam wergeldum reddendum; vgl noch ib. n. 252,
327, 546. Geldpreise ib. n. 98, 220, 629. Nicht minder häufig in den
Trad. Sang. 761, n. 31 in precium 1 cavallum et 1 spada; 772, n. 64 ser-
vum adtazatum precium; eod. a. n. 68 in precio adpreciato inter caballo
et alio precio sol. 20.
') Im Registrum Werd. sehr häufig.
*) Ann. Laur. Ann. £inh. a. a. 758.
<") Ann. QuedUnb. SS. lU, p. 32. Ann. Saxo 1002.
^) C. Laur. 3675, 3672; vgl. auch die vaccae inferendales Cap. Worm.
829 (I, 352), c 13.
^) Schannat Worm. II, p. 6: modium regis quod vulgari nomine
stuofchom appellatur.
— 464 —
die Zölle werden nicht immer in Geld, sondern auch in den
Waaren geleistet, welche durchgeführt werden. Wie in dem
Privilegium für Corbie 716^), so findet sich noch in dem
Zolltarif von Baffelstätten mancher Naturalzolt*).
Anderseits geben um 900 der Erzbischof von Salzburg
und seine Suffragane den Ungarn einen Tribut in Leinwand ') ;
und in Rhätien findet sich eine Zeit, in welcher offenbar als
Nothbehelf Eisen i*egelmässig an Zahlungsstatt gegeben wor-
den ist*). Schliesslich zeigen aber auch die vielen Verord-
nungen, welche gegen Zurückweisung vollwichtiger Münzen
immer wieder von den späteren Karolingern ^) erlassen wurden,
wie zähe das Volk an der Naturalwirthschaft festhielt, bei
welcher Uebervortheilungen, wie sie durch Münzen hervor-
gerufen wurden, veimieden werden konnten^.
Entscheidend hiefür musste aber in letzter Linie immer
die Menge des Edelmetalls sein, welche für die Circulation
zur Verfügung stand.
^) Vgl. 1. Bach, 5. AbBchnitt, S. 194.
^) Leges portoriae (LL. III, 480), c. 1 : de 1 navi reddant 3 semi-
modios, id est 8 scafilos de sale. c. 5 : Carte aatem salinarie . . . tantem
1 scafil plenum exsolvaiit. c. 6: de sogma 1 de cera 2 massiolas; de
onere imius hominis massiola 1 u. ö.
») Mansi XVUI, 207. Gfrörer, Gregor VH, 144.
*) Tr. Sang. 818, n. 235: predmn recepit Maio de ipso agro yaliente
in ferro libr. 60; ih. 820, n. 248 de prado 2 tremeses in ferro Talente; ib-
820, n. 254 predom recepit de ipso agro val. in ferro ^90; ib. 255 de
uno quod vindedi recepit Latinas terra bivaliente 90 ü. fern; ib. n. 262
preciam placuit adqae ficitum yaliente in ferro ۧ 70; ib. 825, n. 293 pre-
dum recepit 1 sol. in ferro raliente. Mit R&cksicht auf die Objede
scheint 1 sol. »» 70 ^ ferr. gegolten zu haben. Von 826 an behalf
man sich wieder mit anderem Natoraltansch, z. B. n. 296 predom
recepit 1 bove et 1 espada. Nor verdnzelt kömmt noch im Jahre 864,
n. 501 4 trem. in ferro valiente vor. Natürlich war damit kein Eiseogeld
geschaffen, wie z. B. Wirth, Deutsche Gesch. I, 98 gemeint hat
<^) Nach dem Gap. 794, c. 4. Gap. Aquisgr. 817 (I, 210 ff.), c 18 de
bis qui denarios bonos acdpero nolunt Gap. Worm. 829 (I, 352) ali«
cap. 8 de bonis denariis quos populns non vult redpere. £d. Carisiac
861 (I, 476 ff.) ne aliquis bonum denarium id est merum et bene pensaih
tem, rdcere audeat.
•) Soetbeer VI, 8.
~ 465,-
Bei Beginn der Frankenhen*schaft war sicherlich in Gal-
lien der Vorrath an Edelmetall noch sehr bedeutend, obgleich
mit dem Verfall des Römerreichs auch in den Provinzen be-
reits im Abnehipen begri£fen^). In den rechtsrheinischen Ge-
bieten aber findet sich immer ein solches Uebergewicht der
Natural wirthschaft , dass die dort angesammelten Edelmetall-
vorräthe, die als Schatz der Herzoge und Gaufüi-sten ängst-
lich gewahii; wurden, für die Gestaltung des Geldverkehrs
nicht in Betracht kommen^. Die insbesondere durch den
Abfiuss nach dem Orient und die geringe active Handelsthä-
tigkeit der Deutschen bewirkte Verminderung des Edelmetall-
von'aths nahm aber unter den spätem Merowingei-n und den
ersten Karolingern noch immer zu und wäbi-te im Ganzen so
lange foit, als ein Handelsweg nach der Levante offen war.
Als aber die Folgen der Zerstörung Alexandriens durch die
Araber (638), sowie die SpeiTung des Seewegs durch die
Mahomedaner, des Donauwegs durch Avaren und Ungarn sich
zeigten und den levantinischen Handel brach legten, da erst
gewann die einheimische Edelmetallproduction ^) , welche bis-
her die entstandenen Locken nicht auszufüllen vei*mochte,
Bedeutung für den VoiTath der deutschen Länder, und die
Edelmetallmenge Deutschlands nimmt in Folge dessen in der
folgenden Periode beträchtlich zu.
Abgesehen aber von diesen Einflössen der grossen ost-
westlichen Handelsconjunctur ist aber der Edelmetallvon-ath
des fränkisch - deutschen Reichs während des ganzen 9. Jahr-
hunderts durch sehr erhebliche Tributzahlungen beträchtlich
vermindert worden, ohne dass von namhafter Eigenausbeute
^) S. 1. Bach, 5. Abschnitt, S. 190.
^) Stäliii, Wirt Gesch. I, 238 sieht in den geringen Strafansätzen des
alamannischen Gesetzes im Vergleich mit verwandten Volksrechten ein
Zeichen jcrösserer Geldarmath des Volkes gegenüber den anderen, die in
reichere Provinzen des Südens and Westens eingewandert waren.
') Der Bergbau aaf Silber hatte im 9. Jahrh. jedenfalls in Val de
Li^vre (Elsass), am Fichtelgebirge and in Böhmen, ausserdem insbesondre
zu Melle in Poitou schon bedeutende Ausdehnung erlangt. Soetbeer VI,
54 ff. Hanauer, ^tudes öconomiques sur TAlsace ancienne et moderne
I, 177.
Ton Inama-Sternegg, Wirtliscliaftagesehiclite. I. 30
— . 466 —
einheimischer Bergwerke ein belangreicher Eisatz dieser, aaf
100.000 Pfund Silber sich belaufenden Summen >) angenommen
werden kann^). VoiHbergehend traten wohl auch Umstände
ein, welche den Vorrath an Edelmetall wieder etwas erhöhten,
wie die Beute, welche Karl d. Gr. im Avarenkriege 798—806
machte ^) ; aber wir sehen keinen Einfluss derselben auf den
Geldumlauf und die Geldbewerthung, so dass dieses Ereignis
das Gesammtergebniss der übrigen Factoren jedenfalls in nicht
nennenswerther Weise alterirt hat*).
Im Ganzen genommen ist der Rückgang des Geldgebraucbs
und Geldverkehrs unter den späteren Karolingern unverkenn-
bar, wie sich das auch aus der geringen Zahl der aus diesem
Zeiträume erhaltenen Münzen ergibt^). Wenn nichtsdesto-
weniger die Münzgesetzgebung unter den spätei-en Karolingern
>) Soetbeer VI, 56.
^) Waschgold aus dem Rheine Marena aurea*' Ennold. Nig. (SS. E
518) ; aurom arenarium quod reperitar in littoribus Bheni, Theoph. Presb.
8, 48; doch kaum von grossem Belange angesichts der uobedeutenden
Goldausprägungen unter den Karolingern; s. Soetbeer IV, 340; VI, 45.
^ Einh. Vita Kar. c. 18: Omnis pecunia et congesti ex longo tempore
thesauri direpti sunt, neque uUum bellum contra Francos exortum humna
potest memoria recordari, quo Uli magis ditati et opibus ancü sunt. Qoippe
cum usque in id temporis pene pauperes viderentur, tantum aori et ar
genti in regia repertum, tot spolia praetiosa in proeliis sublata, nt mento
credi possit, hoc Francos Hunis juste eripuisse, quod Hnni prius aläs
gentibus iijuste eripuerunt; vgl. auch Ann. Lauresh. 796; Ann. £inh.7d6;
Monach. Sang. II, 1. Dass die Schätze immerhin sehr bedeutend geweieo
sein können, lässt sich daraus folgern, dass die Avarenkönige im 7. Jahzk
längere Zeit hindurch einen jährlichen Tribut von 100.000 solidi von deo
oströmischen Kaisem ausbezahlt erhalten haben sollen; Kaiser HeracÜiu
musste ihnen sogar 200.000 soL versprechen. Theophanes (ed. Boo.,*
p. 451. Soetbeer II, 886.
*) Vielfach ist diese UeberfÜhrung des Avarengoldes als Quelle einer
förmlichen Preisrevolution in Deutschland und Frankreich daigesleUt
worden (z. B. Gförer, Gregor VII, 197 ff. Kisselbach, Welthandel 80 U
Aber schon Soetbeer VI, 82 bestreitet das theils wegen der Art der Ver>
theilung dieses Schatzes unter die Kirchen, Klöster und Getreues, theiU
weil die urkundlichen Angaben über Preise eine solch plötzliche Verände-
rung keineswegs zeigen.
«) Vgl. MüUer, :^rünzgeschichte I, 311- 321.
— 467 —
nicht raht, ja im Edictum Pistense Karls des Kahlen ^) einen
neuen Anlauf nimmt, um Ordnung und Zweckmässigkeit in das
Münzsystem zu bringen, so werden doch diese Voi^schriften im
grossen Ganzen ähnlich zu beuitheilen sein, wie andere Ema-
nationen der späteren Könige auf anderen Gebieten: theils
als einfache Wiederholungen der in grossem Ansehen stehen-
den Capitularien Karls d. Gr. ') , die aber doch wenig mehr
als todte Buchstaben, Zeugnisse der Zustände verschollener
Zeiten waren'), theils als vergebliche Versuche, noch einmal
die Einheit der Reichsgewalt gegenüber den divergirenden
Bestrebungen der grossen socialen Mächte auch auf diesem
Gebiete der Volkswirthschaft zur Geltung zu bringen.
Die tiefeingi-eifenden Veränderungen, welche die Münze
und die Ordnung des Geldwesens überhaupt während der
Karolingei*zeit erfahren hat, mussten natürlich auch auf die
Preise einen auffälligen Einfiuss ausüben. Die Einsetzung eines
Goldsolidus von circa 3.88 Gramm Gold durch einen ideellen
Silbei'solidus von 12 Denaren im Gesammtgewicht von zuerst
187, dann von 16.2, endlich von 20.4 Gramm Silber bedeu-
tete doch immerhin eine sehr beträchtliche Herabminderung
der Werthseinheit ; bei einer Relation der beiden Edelmetalle
von 1 : 13 noch schliesslich ungefähr in dem Verhältnisse von
5:2. In diesem Verhältnisse mussten denn auch die Preise
der Waareu sich verändern, sofeiiie die Münzverändeining nicht
eine veränderte Vermögenstheilung wenigstens in Bezug auf
diejenigen Gegenstände des Volksvermögens bringen sollte,
^) Cap. 864 (I, 488) legt besonderes Gewicht auf die MOnzpolizei, für
welche besondere Organe bestellt werden. Eine neue, alleingUltige Prä-
gung wird vorgeschrieben; die erlaubten Münzstätten sind ausdrücklich
bezeichnet; Falschmünzerei und Mischung der ungeprägten Edelmetalle
streng verboten. Das Cap. Carisiac. 877 (I, 537) enthält nur einige Wie-
derholungen aus dem Ed. Pistense, das im Wesentlichen Grundgesetz für
das Münzwesen bis in das 13. Jahrh. geblieben ist.
') Das gilt insbesondere von dem Gonventum apud Marsnam 847 (I,
393); Conv. Attiniac 854 (I, 429), c 9, dem Cap. 856? (I, 437), c. 2 und
Ed. Carisiac. 861 (I, 476).
^) Vgl. Boretius, Beiträge zur Eapitularienkritik 129.
30*
— 468 —
welche Gegenstand eines häufigeren Umtausches und daher
einer Tauschbewerthung zugänglich und unterworfen waren *).
Denn obwohl eine Verminderung des Metall vorraths im
ganzen Frankenreiche angenommen werden kann, die gestie-
gene Kaufkraft des Geldes also einigei-massen die Entwer-
thung der Wähning aufwägen konnte^, so war doch diese
Ursache am allerwenigsten in Deutschland wirksam, wo der
Geldgebrauch der älteren Zeit so äusserst gering und die
Geldbewerthung viel weniger auf die Kaufki*aft des Geldes
als auf den Nutzeffect der bewertheten Objecto sich stützte.
Die Ersetzung des Goldsolidus durch einen Silbersolidus.
beziehungsweise der ältei*en Silberdenare im Idealgehalte von
4.2 Gramm (bei Relation von 1 : 13) durch einen fränkischen
Denar von 1.70 Gramm hat daher für das rechtsrheinische
Verkehrsgebiet doch in der Hauptsache eine Steigerung der
Preise und Legalwerthe im Verhältnisse von 2 : 5 zur Folge
haben müssen. Wo aber eine solche nicht eintrat, wie ins-
besondere bei den Busssätzen der Volksrechte, da ist eine
entsprechende Erleichterung der gesetzlichen Bestimmungen,
eine allgemeine Herabmindemng der Compositionen u. dgl.
anzunehmen, wie sie sich auch aus der ausnahmsweisen Bei-
behaltung der ältei'en schwereren Währung ersehen Iftsst und
aus dem Umstände leicht erklärt, dass ja t^berhaupt die so-
ciale und ökonomische Entwickelung der Karolingerzeit die
grosse Masse der Freien gedillckt und ausser Stand gesetzt
hat, jene alten schweren Geldbussen noch femer zu tragen.
^) In dem einzigen Falle, in welchem das urkondlicbe Material eine
Vergleichung der Legalwerthe der Volksrechte mit ap&teren Werthangaben
zalässt, für die schwäbischen Lande, ist der Einf oss auch, obgleich nicht
prftcis, doch unverkennbar:
lex Alam. Trad. SangaU.
caballos 6—12 soL 12—20 sol.
bos */» — Vs 8ol- 2Va — 5 sol.
porcus Vs Bol. 1 sol.
In Trad. 'Wizzemb. 183 (Zeit Karls d. Gr.) wird ein serrns non fiir non
Aigitivus sed sana mente et omni corpore um 2 ^. (40 sol.) yerkaoft^ der
nach den Volksrechten einen Minimalwerth von 12 Solidi hatte.
«) Soetbeer IV, 261 f.
— 469 —
Einigermassen ist nun auch dieser Einfluss durch den
noch immer geringen Geldgebrauch und die daraus resulti-
rende Seltenheit und Unregelmässigkeit der Verkaufsvorgänge
abgeschwächt worden. Die Bewerthung der Güter erfolgte
noch lange nicht überwiegend für das Bedürfniss des Um-
satzes nach den Gesichtspunkten des Marktverkehrs ; noch
immer mindestens ebenso häufig ward sie vorgenommen aus
Anlass eines Bedüiinisses, feste Werthsrelationen zwischen den
Gütern aufzustellen, um ihre Qualitätsuntei-schiede zu bezeich-
nen und ihre allgemeine, objective Nützlichkeit für die Wirth-
Schaft im Erwerb wie im Verbrauch zum Ausdinick zu bringen.
Eine solche den Legalwerthen der Volksrechte vei'wandte
Werthbestimmung konnte zwar die grossen Veränderungen
nicht übei^sehen oder unberücksichtigt lassen, welche sich im
Laufe der Zeit mit dem Gelde vollzogen; aber doch nicht
jeder kleinen Werthdifferenz, jeder veränderten Weithrelation
der Edelmetalle brauchte, ja konnte sie nachgehen. Diese in
Geld ausgedrückte Qualitätsbewerthung wichtiger Gebrauchs-
gegenstände , wie wir sie in Urkunden und Urbarien finden,
bedurfte, ähnlich wie jene Legalwerthe der Volksrechte, der
Rücksicht auf die concrete Kaufkraft des Geldes nur als Aus-
gangspunkt ihres Systems; sobald dieses einmal eine gewisse
Dm'chbildung erhalten hatte, stand es unabhängig von den
Bewegungen des Geldwerths und zwar um so mehr, je weniger
das Geld zu andei'en Zwecken als zur Berechnung und zum
Ausdruck der Werthe allein gebraucht wurde.
Ein Bedürfiiiss nach einer solchen festen Werthbestim-
mung auf der Grundlage der objectiv werthvollen Eigenschaf-
ten der Güter bestand in der Naturalwii-thschaft der Karo-
lingerzeit noch immer in zweifacher Richtung. Es musste
zunächst das Werthverhältniss deijenigen Güter genau fest-
gestellt sein, welche alternativ als Zins für Beneficien, Preca-
lien etc. gegeben und genommen werden sollten; und da es
fiHhzeitig schon nothwendig wurde, die Bezahlung dieser Zinse
in Natura oder in Geld freizustellen, so entstand auch das
Bedüi-fhiss nach einem Geldanschlage solcher Gebrauchsgegen-
stände, welche regelmässig gezinst wurden.
— 470 —
Dann aber musste auch bei solchen Ofitern, welche in
derselben Species von sehr verschiedener Qualität sein konn-
ten, nach einer möglichst kurzen und bestimmten Bezeichnung
der Qualitätsunterschiede gesucht werden, um bei dem ein-
zelnen Zinsvertrage diejenige Qualität in unzweifelhafter Weise
bezeichnen zu können, welche als entsprechende Zinsleistang
gelten sollte; dafür war aber nur ein Zahlenausdruck voll-
kommen geeignet, der den Werth der verschiedenen Qualitäten
anzeigte; und dieser Ausdnick konnte wohl nur in der Geld-
bewerthung gefanden werden. Das gleiche BedQrfhiss konnte
dann auch noch dazu führen, bei Käufen den naturalen Kauf-
preis, beim Tausch das Aequivalent zur näheren Bezeichnung
der Qualität in seinem Geldweithe auszudillcken.
Abgesehen von den Kauijpreisen für Grundstücke und
Landgüter sind* denn nun auch alle in den Urkunden deut-
scher Gebiete vor und während der Karolingeiperiode vor-
kommenden Beweithungen von Sachgütern auf die eine oder
andere dieser Kategorien von Weithbestimmungen zurückzu-
führen 0* 7j\i denjenigen Geldwerthen , welche eventuell an
Stelle bestimmter naturaler Zinsleistungen treten können, ge-
hören in den Urkunden dieser Zeit zunächst die Getreide-
werthe*); sie bewegen sich sämmüich innerhalb der Grenzen
von % den. =*) und 3 den. *) für den modius , wenn die Ge-
treideart unberücksichtigt bleibt, zeigen aber eine deutliche
Abstufung nach dieser, so dass im Mittel der modius Hafer
mit */6— 1 den., der modius Gei'ste, Boggen und Spelt auf
1 — 2V2 den,, der modius Weizen auf 3 — 3V2 den. bewerthet ist
Ein gleiches gilt von den Werthangaben für Wein, welche
^) Vgl. die Details in Beilage No. X.
>) Die Tr. Sang, bieten von 790—909, 46 solche Angaben imd nrar
lautet die Formel regelmässig denarios aut maldras de grapo {%. B. SS2|
n. 272, 278; 825, n. 292 o. 0.); wohl auch maldra pane . . et si anoom
non venit, 4 tremesses solram 775, n. 73 u. 0. Meich. 823, n. 455 bkhL
20, aut si hoc minime haberet tunc quoque 2 solidos denariorum.
") In einer einzigen Angabe Tr. Sang. 826, n. 298: 10 mod. de gruo
aut 1 tremissem.
*) Gleichfalls in einer einzigen Angabe Tr. Sang. 790, n. 126.
- 471 -
sich für die situla zwischen ^'^ ^^^ ^ ^^^ ^^^ ^^^ Bi^i' z^i~
sehen Vs und 1 den. bewegen, im Mittel aber sich auf circa
2 Vi und 0.6 den. stellen^); endlich werden auch Hühner^),
Pflug') und Gewänder*) in dieser Weise beweithet.
Werthangaben sodann, mit welchen nur Qualitätsunter-
schiede der zu leistenden Sachgüter erkennbar und bestimmt
zum Ausdrucke gelangen sollen, sind insbesondere bei Thieren
vorhanden, deren sehr verschiedene Qualität innerhalb der-
selben Species hiezu besonderen Anlass bot So wird der
Werth eines Frischlings (junges Schwein) zwischen 3 und 12
den., im Mittel mit 4-— 5 den., eines Schweines zwischen 4
und 24 den., im Mittel mit 11 den. angegeben; ähnlich sind
Pferde und Ochsen, Schafe und Ziegen, aber auch Gewänder,
Wollbündel und Honig je nach ihrer Qualität in Geld ge-
schätzt ^).
Ein Ueberblick über alle diese Werthangaben der Ur-
kunden ergibt zunächst eine ungemein grosse und bleibende
Uebereinstimmung in der Bewerthung solcher Güter, welche
alternativ in Geld oder in natura als Zins gegeben werden
konnten. Der Werth des Getreides z. B. bleibt während 120
Jahren (alle Angaben auf Mittelsorte reducirt) fast constant
auf 1 den. für den modius; und selbst die kleinen Unter-
schiede, welche vorkommen, lassen sich durch den vei-schie-
denen modius leicht erklären, welcher da und doi*t, früher und
später, in Uebung war. Auch das Huhn behauptet während
mehr als 100 Jahi*en seinen Werth von ^^ den. Grössere
Differenzen, wie sie besonders beim Weine vorkommen, sind
theils aus den hier besondei*s auffälligen Qualitätsunterschie-
^) Aus der Regula monachorum 817 (I, 201), c. 22: Ubi autem vinom
non est, unde emina detur, duplicem eminae mensuram de cerevisia bona
kann nicht gefolgert werden, dass das WerthYerhältniss von Wein und
Bier wie 1 : 2 gewesen sei.
') Tr. Sang. 852 — 960 8mal mit Vt den., Imal mit 1 den.
») Tr. Sang. 813 — 816, n. 217; 827, n. 305; 830, n. 332; 850, II,
S. 398: 4 den. aut 1 vomerem.
*) Tr. Sang. 825, n. 291 : 1 soccum aut 4 den.
^) Der Ausdruck ist hier regelmässig friskingam (caballum, amphoram,
meUis etc.) valentem x denarios.
— 472 -
den, theils aus der VerachiedeDheit der Gegenden zu erklären,
indem die weinreichen Güter (z. B. Pi1lm) dem Weine einen
im Ganzen niedereren Werth beilegen, als etwa das weinanne
St. Gallen.
Auch die ausschliesslich nach der Qualität bemessenen
Werthe zeigen in sehr langer Zeit und an den verschieden-
sten Ölten nur sehr enge Schwankungsgi*enzen, während eine
volle Uebereinstimmung hier der Natur dieses Werthes nifth
ausgeschlossen sein muss. Aber es besteht doch eine grosse
Gleichföimigkeit des Durchschnittswerthes der Zeit wie dem
Oi*te nach; die friskinga wird in Schwaben im Jahre 753^)
schon ebenso zu 4 den. bewerthet, wie noch im Jahre 889 in
Baiem*) und 893 am Mittelrhein ^).
Auch ist die Beweithung keine andere, mag sie nun zur
Feststellung eines Geldäquivalents für Zinse oder zur Bezeich-
nung einer bestimmten Qualität einer Zinsleistung oder eines
Kaufobjects dienen ^). Die werthbestimmenden Momente müssen
also wohl sehr gleichaitig und sehr constant gewesen sein.
Das schliesst zunächst aus , dass die beim Kauf und Verkauf
der in den Urkunden beweitheten Güter vorkommenden Preise
(Marktpreise) zu Gmnde lagen. Denn hier werden immer
und in jenen Zeiten besonders die Mengen und anderweitigen
Anschaffungskosten grosse Differenzen heiTorgebracht haben ^):
auch düi*ften sie noch immer zu selten und zu vereinzelt ge-
wesen sein, als dass sie einer Geldbewerthung von Gebrauchsge-
genständen der Wiilhschaft hätten zur Grundlage dienen können.
^) Tr. Sang. n. 17.
>) Ried cod. Ratisb. I, 69.
^) Reg. Prumiense c. 46.
*) Tr. Sang. 797, n. 145 ist ein Zins von. 4 und 5 den. aal firischingi
sie valente bestimmt, wie sonst einfach die frisk. 4 den. valent; im Jahr
829 (Meichelb. I b, 546) wie im Jahr 885 (Tr. Sang. n. 643) wird ein ca-
baUus 10 sol. val. als Kaufpreis gegeben.
^) Vgl. besonders die charakteristische Stelle von dem schwankendeo
Salzpreise an der Saline zu Wihc in episcopatu Metensi Reg. Prüm, c 41.
p. 164: Ideo precipimus inquirere, quando vel quantom burdura ^eioe
Bürde Salz) ascenderit vel descenderit, que aliquando 2 constat denarüs
tantum, aliquando usque ad 16 denarios, aliquando usque ad undam (20
den.) perrenit
— 473 —
Aber auch die Kaufkraft des Geldes konnte für diese
Art der Werthbestimmung nicht massgebend sein. Denn die
Berücksichtigung derselben schliesst geradezu jedes feste
Werthverbaltniss von Geld und Naturalien aus, da sich die
Wei-the dieser Güter immer in umgekehrter Richtung bewegen.
Durch die alternative Zinsleistung war sogar der thatsäch-
lichen Veränderung in der Kaufkraft des Geldes jede An-
erkennung versagt; sie musste offenbar unberücksichtigt blei-
ben, wenn für eine unbestimmt lange Reihe von Jahren, auf
Lebensdauer, oder selbst über dieselbe hinaus eine gewisse
Zinsleistung in natura einer bestimmten Geldsumme immer
gleich gestellt sein sollte.
Ebenso aber ist der rein subjective Standpunkt der Ver-
tragsschliessenden ausgeschlossen. Denn es würde dann eine
solche Uebereinstimmung nicht angenommen werden können,
wie sie thatsächlich besteht; und das um so weniger, je mehr
die Feststellung der Zinsverpflichtung einseitig von dem Ver-
leiher des Beneficiums, der Precarie etc. ausging.
Den festen Ausgangspunkt für diese Werthmessung musste
daher wieder jener objective Gebrauchswerth bilden, den wir
schon für die Legal weithe der Volksrechte als massgebend
gefunden haben ^). Es ist das schon aus den in den Urkun-
den angewendeten Ausdrücken im Allgemeinen ') zu erkennen ;
welcher Art aber dieser Gebrauchswerth war, das wird be-
sonders deutlich aus jenen Werthbestimmungen, welche offen-
bar nur die Qualitätsunterschiede oder die mittlere Ertrags-
fähigkeit des Werthobjects') zu einem klaren und concreten
Ausdrucke bringen wollen.
^) S. 1. Buch, 5. Abschnitt, S. 195 ff.
-) Stellen wie z B. Tr. Sang. 772, n. 64: quicquid cum meo pretio
acquesivi . . . servum adtazatum pretium ; Tr. Wizz. 782, n. 76 : quicquid
de pretio meo comparavi können nicht von Preisen verstanden werden.
Auch Tr. "Wizz. 791, n. 78: censum 6 den. vel quod Ulis valet pretium;
Tr. Sang. 811, n. 207: in quocunque pretio potuerit; ib. 794, n. 137: fris-
kingam ipso grano valentem lassen schon sprachlich nur eine Beziehung auf
Gebrauchswerthe zu.
') Jfeichelb. 823, Ib, n. 443: prato valentes 30 carradas.
— 474 —
Im rechten Gegensatz dazu stehen die bei Festsetzung
von Kaufpreisen gewöhnlichen Ausdrücke, welche auf eine
concrete und subjective Werthschätzung deuten und den
Gegensatz zu der sonst vorkommenden objectiven Werth-
schätzung sogar bestimmt zum Ausdi-uck bringen zu wollen
scheinen^). Ist nun auch damit ersichtlich, dass eine freie
Preisbildung jener Zeit durchaus nicht fremd war, so er-
scheint doch andei'seits das System der Qualitätswerthe , wie
es besonders für die Ordnung der grundherrlichen Abgaben
und die Taxation des landwirthschaftlichen Betriebscapitals
sich ausgebildet hat, bei der immer grösseren Ausbreitung der
ginindheiTSchaftlichen Wirthschaftsverbände von massgebendem
Einflüsse selbst fUr die freie Preisverabredung geworden xu
sein; wenigstens soweit nicht die energischer wirkenden Mo-
tive einer eigentlichen Marktpreisbildung wirksam waren, übt
die in den Qualitätswerthen zum Ausdruck gelangende öffent-
liche Meinung über die allgemeine Brauchbarkeit der Dinge
ihre Macht auch für den Preis im Einzelkaufe aus. Es zeigt
sich das schon in der Uebereinstimmung, welche zwischen ein-
zelnen zufällig erhaltenen Preisen solcher Gebrauchsgegen-
stände mit den gewöhnlichen Qualitätswerthen derselben be-
steht'); nicht minder aber wird es ei*sichtlich aus jenen
Preisbestimmungen, welche Karl d. Gr. weiten Kreisen der
Bevölkerung als Noi-m für Kauf und Verkauf vorschrieb und
womit er dem Systeme der Legalwei-the eine weitere höchst
lehrreiche Anwendung gegeben hat.
Von den vei*schiedencn Stellen der Kapitularien Karls
d. Gr., welche Werthbestimmungen enthalten, sind mehre, die
') C. Laoresh. 764, n. 549: accepimus iaxta quod nobis placoit, pro
eisdem 3 unciaa; ib. 765. n. 1037: quod nobis plactiit atque aptificaTit;
Lacomblet, Urk.*B. 813, 1, 30: precium sicat inter dos placait atqoe cod-
venit; ebenso 818, n. 34; 848, n. 64 u. o., und h&ufig in dem Cod. Fdd
seit 753.
*) Schon die ältere Zeit bietet ein Paar Belege hiefOr; dem Legal-
werth des gewohnlichen Leibeignen entsprechend wird bei Gregor Tor.
ni, 15 von dem Ankauf eines Sklaven um 12 sol. berichtet; TesUnMot
des Remigius Remensis 580 (Pardessus n. 118): Triaredus quem» ne ocd-
deretur, 14 solidis comparavi.
— 475 —
sich an die bisher besprochene Weise der Werthbildung eng
anschliessen. So insbesondere jene beiden Bestimmungen,
welche zunächst sächsische Verhältnisse berühren, und das
System der Legalwerthe fQr bestimmte Bussfälle unter Be-
rücksichtigung der eigenthümlichen Geldverhältnisse weiter
ausbilden 1). Für Hafer, Roggen (oder Dinkel?) und Honig,
sowie für mancherlei Vieh wurden feste Geld werthe angesetzt;
und dieselben befinden sich sowohl mit den in der karolingi-
schen Redaction des sächsischen Volksrechts, als auch in den
späteren Zusätzen zu demselben (aus dem Anfang des 9. Jahr-
hunderts) enthaltenen und nicht minder mit den sonstigen
Weithangaben der Urkunden und Capitularien in hinlänglicher
Uebereinstimmung , um den weitreichenden Einfluss der
Qualitätsbewerthung auch hier erkennen zu lassen^).
Aehnlich ist dann auch noch ein Wormser Kapitel aus
dem Jahre 829^) zu beurtheilen, welches den Qualitätswerth
einer Zinskuh auf 2 solidi festsetzt und dabei an eine, uns
nicht erhaltene, Bestimmung Karls d.'^Gr. anknüpft; jedenfalls
ist daraus ersichtlich, dass sich die Verwaltung auch hier an
das sonst übliche System der Gebrauchswerthe angeschlossen
^) Cap. Paderbr. 785 (I, 50), c. 27: Si vero super bannam in domum
säum intrare praesampBerit, aut sol. 10 aut unnm bovem pro emendatione
ipsius banni componat Capit Saxon. 797 (I, 10), c 11: lllud notandom
est, quales debent solidi esse Saxonum; id est boyem annoticum utrius-
que sexas, aatomnali tempore, sicut in stabulom mittitnr, pro 1 sol., si-
militer et vemnm tempus, quando de stabnlo exiit; et deinceps, quantum
aetatem anxerit, tantum in pretio crescat De avena yero Bortrini pro
sol. 1 scapilos 40 donant et de sigale 20; Semptemtrionales autem pro so-
lide scapilos 80 de avena et sigale 15. Mel yero pro solide Bortrensi
sigla 1^/s donant; Septemtrionales autem 2 sidos de meUe pro 1 sol. do-
nent, idem ordeum mundum sicut et sigale pro 1 sol. donent In argento
12 den. solidum faciunt Et in aliis spedebus ad istum pretium omnes
aestimationes compositionis sunt
') Vgl meine Ausführung dieses Punktes in den Hildebr. Jahrbüchern
für Nationalökonomie Bd. 80, S. 224 ff.
*) Cap. Worm. (I, 352), c. 13: Quicunque vicarii vel alii ministri co-
mitum tributum, quod inferenda yocatur, maioris pretii a populo ezigere
praesumpsit, quam a missis bonae memoriae genitoris nostri constitutum
fuit, hoc est 2 solid, pro una vacca .... ministerium ammittat
— 476 —
hat. Die ungefähre Uebereinstimmung dieses Werthansatzes
mit den Legalwerthen der Volksrechte legt auch hier den
Gedanken nahe, dass hiebei eine Bei-Qcksichtigang der Ver-
kaufspreise nicht stattfand, sondern ein feststehendes, gewohn-
heitsmässiges Werthverhältniss zu Gi-unde gelegt wurde, oder
dass auch die Verkaufspreise mit diesem in ziemlicher Ueber-
einstimmung sich befanden.
Schwieriger zu beui-theilen und vielfach bestritten ist da-
gegen die Bedeutung, welche denjenigen Bestimmungen karo-
lingischer Capitularien zukömmt, in denen für Getreide und
andere Handelsartikel Maximalpreise fbr den Verkauf aus-
gespi*ochen sind^).
Die Vorschrift des Capitulai-e Frankofurtense hat man
vielfach als Massregel der Theuerungspolizei angesehen, da
im Jahre 793 in einigen Theilen des h'änkischen Reiches
Hungersnoth geheiTscht hatte ^). Diese Ansicht verbietet sich
aber durch die Worte des Gapitulars von selbst, und ist auch
durch die ziemliche Uebereinstimmung der hier angenomme-
nen Fruchtpreise mit den bekannten Zinswerthen von Geträde
ausgeschlossen. Allgemein aber hat man darin einfach eine
Polizeitaxe gesehen, wie sie dem ausgehenden Mittelalter und
den späteren Jahrhunderten ganz vomemlich zu Eigen sind.
Dieser Auffassung stehen aber sehr gewichtige Bedenken ent-
gegen. Zunächst schon der Umstand, dass weder in der Ge-
setzgebung Karls d. Gr., noch in den Capitularien seiner
Nachfolger ein ähnlicher Vei'such einer gesetzlichen Feststel-
lung der Marktpreise fbr Getreide vorkömmt Die Bestim-
*) Zuerst in Capit Frankof. 794 (I, 72), a 4 : Ut nulluB homo . . .
nunquam carius vendat annonam sive tempore abundantiae rire tempore
caritatis, quam modium publicum et noviter statutum. De modio de
avena denario 1, modio ordei den. 2. modio sigalo den. 3, modio finuDeoti
den. 4. Si vero in pane vendere voluerit, 12 panes de frumento, haben-
tes singuli libras 2, pro denario dare debet, sigalatius 15 aequo posdere
pro denario, ordeaceos 20 similiter pensantes. De yero annona publica
domni regia, si venundata fuerit, de avena modios 2 pro den^ ordeo des.
1, sigalo den. 2, frumento modius den. 3.
«) Ann. Lauresh. (SS. I, 35).
— 477 —
mangen des Capit duplex Niumag. 806 (s. unten) stellen nur
Maximalpreise für ein bestimmtes Theuerungsjahr und zwar
ausschliesslich fttr die Inhaber königlicher Beneficien und mit
besonderer Betonung des eingerissnen Kornwuchers fest, neh-
men aber in keiner Weise Bezug auf bestehende Komtaxen,
wie das doch gerade bei einer Ausnahmsbestimmung so nahe
frelegen wäre, wenn eine gesetzliche Regel überhaupt bestan-
den hatte. Ebensowenig lässt das Capit. duplex in Theodonis
Villa promulgatum 805 die Annahme zu, dass eine Korntaxe
bestanden habe; denn es wird hier ganz allgemein vorgeschrie-
ben, dass die Gutsherren bei der herrschenden Hungersnoth
ihre Leute ernähren und das Getreide nicht allzutheuer ver-
kaufen sollen ^). Eine wiederholte Normirung der Getreide-
pmse wäre aber doch unbedingt nothwendig gewesen, wenn
dieselbe wirklich den Zweck verfolgen sollte, die Verkaufs-
preise polizeilich zu regeln. Man könnte aber annehmen, dass
es Karl d. Gr. mit dem einen Versuche einer allgemeinen
Regelung der Korapreise zu Frankfurt habe bewenden lassen,
nachdem er sich von der Unmöglichkeit ihrer strikten Durch-
führung überzeugt habe. Dieser Auffassung ist aber entgegen-
zuhalten, dass Karl d. Gr. bei seiner bekannten Energie es
hier wie in anderen Fällen sicherlich nicht unterlassen hätte,
wenigstens eine Zeit lang den Versuch fortzusetzen, wenn er
überhaupt in solcher Weise auf den Markt Einfluss nehmen
wollte; und überdiess bezeugt das Capitulare Niumagense
808*), in welchem Karl d. Gr. Preise für Gewänder auf-
stellt, dass er durch die mit dem Capitulare Frankofurtense
gemachten Eriahrungen keineswegs abgeschreckt wurde, in
einem ähnlichen Falle ähnlich mit gesetzlichen Vorschriften
vorzugehen.
Eine besondere Erläuterung findet diese Bestimmung durch
^) LL. I, 182, c 4: £t in praesenti anno de famis inopia, ut snos
quisque adiuvet prout potest, et suam annonam non nimis care rendat
*) Capit. Ninmag. 808 (LL. I, 152), c 5: nt nulius praesumat aiiter
vendere et emere sageUum meliorem duplum 20 solidis et simplum 10 sei.
Reliqaos vero minus. Roccum martrinum et latrinam meliorem 80 sol.,
sismosinom meliorem 10 sol.
- 478 —
den späteren Biographen Karls d. Gr. >), der enählt, dass
derselbe befohlen habe, den gewohnten Werth nnr für die
Gewänder der gewohnten alten Masse zu geben, nicht aber
auch fttr die wesentlich kleineren, für welche die Friesen
(Kauf leute) den gleichen Preis verlangten. Es ist daher in
diesem Falle ei-sichtlich nur das Bestreben, bestimmte Qua-
litätsunterschiede durch besondere Betonung ihi*es bisher
üblichen Geldweiths hervorzuheben, wie das in ähnlicher
Weise in den Qualitätswerthen der Urkunden schon hervor-
geti-eten ist. Berücksichtigen wir nun aber, dass das Gapita-
lare Frankofurtense zu einer Zeit erlassen wurde, in wel-
cher eben eine Mass- und Geldreform Karl d. Gr. zur Durch-
führung kam, und dass der Gesetzgeber selbst diesen Umstand
in seinem Capitulare betont (modius noviter statutus — novi de-
nares), so ist die Veimuthung nahe gelegt, dass Karl d. Gr. mit
dieser Werthbestimmung des Getraides eben nur die noth-
wendige Reduction des bisher üblichen Getreideweilhs auf die
neuen Mass- Aind Geldgrössen geben wollte. Eine derartige
legislative Bemühung war um so gerechtfertigter, als nicht
bloss die Verallgemeineioing des Geldgebrauches zu den ans-
gesprochnen Zielen der kai*olingischen Wirthschaftspolitik ge-
holte, sondei-n auch der modius und der denarius Karls
d. Gr. sehr erheblich von den bisherigen Massen und MOnxen
abwich *).
Mit Berücksichtigung dieser Untei-schiede in Gewicht und
Geld trifft nun aber der im Capitulare Frankofiiilense an-
gesetzte Getreidepreis mit den aus den Urkunden bekannten
^) Monach. Sangall. I, 34 (SS, II, 747): Sed cum Fresones . . breris-
slma illa palliola siciit prius maxima vendere comperisset, praeo^it, nt
nuUos ab eis nisi grandia latissimaque illa longissima pallia coiuoetndi-
Dario praecio coemeret
') Der neue (etwa um 789 eingeführte) modius enthalt nach Soetbeers
(Forschungen VI, 71 ff.« gründlichen Forschungen etwa Vs mehr Getreide
als der bis dahin übliche (60 : 40 Liter). Der neue Denar (von dm
781) verhielt sich zum älteren karolingischen etwa wie 1 : 0.8. War da-
her der Werth des alten modius etwa 1 den., so betrag derselbe nach
dem neuen Gewichte und dem neuen Denar gerechnet etwa 1.23 den.
— 479 —
Getreidewerthen ziemlich fiberein ^); und die Frankfiirter Preise
scheinen darnach nur mit Rücksicht auf die stattgefundenen
Veränderungen vorgenommene Abrundungen der üblichen Geld-
werthe zu sein und eine Anerkennung der üblichen Gebrauchs-
werthe zu enthalten; die Verkaufspreise der königlichen Güter
aber dürften die herrschenden Minimalwerthe zum Ausdruck
und zur Anerkennung bringen, wie das ganz im Geiste der
karolingischen Verwaltung gelegen ist, welche es liebte, das
öffentliche Interesse und die besonderen ökonomischen Ver-
hältnisse der Domänen gleichzeitig in den Capitularien zu
berücksichtigen und zu ordnen.
Aber immerhin bestehen die Vorschriften des Capitulare
Frankofurtense für den Verkauf, nicht bloss für eine Geldbe-
werthung, wie sie für die nächsten Zwecke grundhen*schaft-
licher Wirthschaft allein nothwendig war, um den Geldwerth
bestimmter Zinsleistungen auszudrücken. Karl d. Gr. nahm
also offenbar an, dass jene feststehende Weilhschätzung des
Getreides auch bei Kauf und Verkauf Anerkennung geniesse,
und er konnte das um so leichter, als er nach den Worten
des Capitulars ^) nicht an eigentlichen Geti*eidehandel, sondern
mehr an Gelegenheitskäufe, nicht an den Marktverkehr, son-
dern an das Einzelgeschäft vom Gutshofe aus dachte. Ja, es
wäre sogar möglich, dass diese Bestimmungen wie die nach-
folgend zu erörternden des Capitulare Niumagense 806 nur
auf die Inhaber königlicher Beneficien Anwendung haben
sollten, wenn wir berücksichtigen, dass sie in demselben
Capitel mit den Vorschriften über den Getreideverkauf der
königlichen Güter stehen, dass ihnen unmittelbar Vorschriften
^) Es beträgt eben der Satz
Cap. Frankof.
Cap. Frankof.
nach den Urkunden
Marktwerth
Verkaufspreis
aufdenkönigl.
Domänen
f&r frnmentam
4
8
3 -3 Vi
für sigale
3
2
2 — 2S
filr avena
1
Vi
Vi — l.
*) Qüod superest illius familiae necessitatem,
hoc libere vendat jure
praescripto.
— 480 —
über die Verpflegung der Leate auf den königlichen Benefiden
angereiht sind und dass die Komtaxen des Gapitulare Niu-
magense, welche sich nur auf die Inhaber königlicher Bene-
ficien beziehen, von ganz ähnlichen Anordnungen begleitet sind.
Diese Bestimmungen des ersten Gapitulare Niumagense 806
sind wenigstens in einem Punkte wesentlich anders zu beurthei-
len. Hier handelt es sich nicht mehr um Reduction alther-
gebrachter Werthsätze auf neues Mass und neues Geld ; viel-
mehr ist es unzweideutig die Gewinnsucht beim Getreidehandel,
welcher Karl d. Gr. in gewissen Grenzen eine Schranke im
öffentlichen und speciell im Interesse der ärmeren grund-
hörigen Bevölkerung setzen wollte ■). Offenbar mussten in Folge
von Misseraten die Kornpreise stark in die Höhe gegangen
(also fi*eie Preisbildung möglich gewesen) sein und das Ge-
schäft der Aufkäufer stark in Blüthe stehen *), so dass f&r die
Gutswirthschaften die Versuchung bestand, ihre Verpflichton-
gen gegenüber ihrer Familie (Gesinde, Leibeigne etc.) bei
Seite zu setzen, um an einem lucrativen Komgeschäfte sich
zu betheiligen, wie das auch schon das kurz vorher erlassene
^) Nachdem in den ersten Capiteln in der Manier älterer Canonisten
über das Wesen von usora, cupiditas, ayaricla, torpe lacmm und foenns
gesprochen ist, bestimmt.', cap. 8 : Consideravimus itaque, nt praesenti anno,
quia per plurima loca famis valida esse yidetur, ut omnes episcopi, ab-
bates, abbatissae, obtimates, comites seu domestici et cnncti fideles, qui
beneficia regalia, tarn de rebus ecclesiae quamque et de reliqnis, habere
videtur, nnusquisqne de suo beneficio sua familia nutricare fadat, et de
sua proprietate propria familia nutriat; et si Deo donante super se et
super familiam suam, aut in beneficio aut in alode, annonam habuerit, et
venundare voluerit, non carius vendat nisi modium de arena dinarios 2,
modium de ordeo contra din. 8, modium de spelta contra dinarios 3 si
desparata fuerit, modium unum de sigale contra dinarios 4, modium de
frumento parato contra din. 6. Et ipsum modium sit quod omnibus ha-
bere constitutum est, ut unusquisque habeat aequa mensura et aequalis
modia.
') ib. c. 7: Quicumque enim tempus messis Tel tempus Tindemiae,
non necessitate sed propter cupiditatem, comparat annonam an rinoiB,
yerbi gratia de duobus dinariis comparat modium unum, et serrat, nsqoe
dum iterum venundare possit contra dinarios qnatuor aut sex sau anqiUas,
hoc turpe lucrum dicimus.
— 481 —
Capitulai-e in Theodonis villa 805 andeutet. Diesem Miss-
stande wollte Karl d. Gr. dadurch begegnen, dass er allen
Inhabern königlicher Beneficien, auf deren Wirthscbaft er als
Oberherr derselben einen Einfluss sich vindiciren konnte, vor-
übergehend ein Maximum des zulässigen Verkaufspreises vor-
schrieb , um ihnen den Reiz zum Komwucher zu nehmen und
die Verpflegung der arbeitenden Bevölkeiiing auf den Bene-
ficien sicher zu stellen Weder fbr die eigentlichen Kom-
händler und den allgemeinen Marktverkehr, noch fHv Grund-
besitzer überhaupt erscheinen diese Verschilften gegeben ; von
einem ganz correcten Standpunkte aus bekämpft vielmehr
Karl d. Gr. ein Verhalten bei den seiner Botmässigkeit be-
sonders Untergebenen . welches er im Allgemeinen zwar als
tufpe lucrum bezeichnet, gegen welches einzuschreiten er aber
andern Personen gegenüber offenbar weder Bedürfniss noch
wirksame Mittel besass. Dass aber Karl d. Gr. zu diesem
Zwecke nicht einfach bei den gewohnheitsmässigen Getreide-
werthen stehen blieb, ist durch die Thatsache eines weitver-
breiteten Getreidemangels, der die Weithschätzung für den
Verkauf doch jedenfalls vorübergehend alteriren musste, hin-
länglich erklärt So lange die Unterschiede der disponiblen
Getreidemengen sich in bescheidnen Grenzen bewegten, konnte
das herrschende System der objectiven Gebrauchswerthe dieses
Moment der Preisbildung ganz unbeiiicksichtigt lassen^); bei
einem so auffallenden Missverhältnisse des Angebots und der
Nachfi'age aber, wie es das Capitulare Niumagense c. 8 aus-
spricht, war es, ohne ungerecht gegen die Träger der Bene-
ficien zu sein, nicht möglich, dieses Moment bei der Werth-
estsetzung gänzlich zu übei-sehen.
Endlich haben wir auch noch einen Beweis der Anerken-
nung jener Legalwerthe der Volksrechte durch die Gesetzge-
bung im Capitulare Aquisgianense generale von 817 *), Von
^) Cap. Frankof. c.^4: sive tempore abnndantiae, sive tempore ca-
ritatis.
*) LL. I, 211, c 8: Quid in compositione wirgildi dari non debet
In compositione wirgildi volomus, ut ea dentor, quae in lege (seil. Ro-
buaria, gloBS. cod. Vat) continentur, excepto accipitre et spata, quia
Ton Inama-Sternegg, WirthschaftsgeBcliichte. I. 81
— 482 —
den Werthbestimmungen der lex Bipuariorum bleiben darnach
die für Hausthiere ausdrücklich aufi*echt erhalten , während
diess für Habicht und Schwert, als den beiden im Qbrigen häu-
figsten Werthäquivalenten, wegen der besondem Schwierigkeiten
ihrer Qualitätsbestimmung, nicht mehr für möglich gehalten
wird. Denn da die Werthe der Volksrechte überhaupt be-
stimmte, landesübliche Qualität der bewertheten Gebrauchs-
gegenstände zur Voraussetzung hatten, musste eine jede davon
abweichende Qualität besonders erwiesen werden, and das ge-
schah schon nach den Volksrechten durch den Eid^). Je
grösseren Spielraum nun bei derselben Spedes die Qualität
hatte , desto näher lag der Missbrauch des Eides , wie er in
dem Capitular constatirt ist; und darum eigneten sich
wohl auch Waffen und der Habicht, deb: durch gute Dres-
sur den vierfachen Werth des ungezähmten erhielt, am wenig-
sten für eine Legalbewerthung; und das um so weniger, als
diese nur bei den Ripuarieiii bestand, wähi*end für Hausthiere
sicher alle deutschen Stämme ähnliche Legalwerthe hatten.
Aber eben in dieser Beschränkung drückt sich auf das
entschiedenste das Festhalten an dem Systeme objectiver Ge-
brauchsweithe aus; und es findet damit die dargelegte Auf-
fassung der Werthangaben in den Capitularien Karl d. 6r.
nur eine weitere Bestätigung.
Für eine Geschichte der Preise ist damit allerdings zor
nächst nur ein negatives Resultat gewonnen. Weder die Le-
galwerthe der Volksrechte , noch die Werthbestimmungen der
Urkunden, Urbarien und Capitularien, noch jene Taxen fOr
einzelne Waarenkategorien , welche die karolingische Gesetz-
gebung enthält, können im strengen Sinne des Wortes als
Preise, d. h. als das thatsächliche Resultat von Angebot und
Nachfrage auf bestimmtem Markte gelten; denn überall fehlt
die Beziehung auf die Quantität der veifügbaren Grüter und
auf die Stärke des Begeht's nach ihnen; überall auch dieBe-
propter illa duo aliquoties perioriam comittitur, quando maioris precii
quam illa sint esse jurantur.
^) L. Alam. 70, 2; s. oben 1. Bach, 5. Abschnitt, S. 199.
— 483 —
Ziehung auf die Productions - und anderweitigen AnschafFungs-
kosten, also gerade auf die für den Tauschwerth charakteri-
stischen Yolkswirthschaftliehen Verhältnisse. Andere Werth-
angaben oder Preise aus jener Zeit stehen nur ganz vei'einzelt
zu Gebote und bieten daher keineswegs ein irgend genügen-
des Material für eine Preisgeschichte. Nur Kaufpreise von
Landgütern sind häufiger; diese sind aber wegen der Unbe-
stimmtheit der Qualität ihrer Objecto überhaupt mit grosser
Vorsicht zu benutzen^). Die Qualitätswerthe aber, welche
demnach in der Hauptsache das Material für die Erkenntniss
der Werth- und Preisverbältnisse jener Zeit bilden, sind ge-
rade für das wichtigste Problem der Preisgeschichte, für die
£rkenntniss der Kaufkraft des Geldes, nicht gut verwendbar.
Denn diese äusseit sich nur in dem Preisstande sehr vieler
Waaren und nur dann mit einiger Sicherheit, wenn diese
Preise als wahre Marktpreise, als das Resultat vieler Einzel-
erwägungen über das Werthverhältniss von Edelmetall und
anderen Waai*en eracheinen. Wo aber bei notorisch sehr
differenten Geldmengen die Waarenwerthe Jahrhundei*te lang
und in den verschiedensten Gegenden sich auf gleichem Stande
erhalten können , da fehlt eben no£h jener lebendige Einfluss
des Geldes auf die Volks wiithschaft, der die unerlässliche
Voraussetzung dafür bildet, dass sich die Kaufkraft des Gel-
des in der Preisbestimmung der V^aaren abspiegle.
Insofern aber das nationale Werthurtheil , wie es sich in
den objectiven Gebrauchswerthen der Urkunden dieser Zeit
manifestii-t, doch auch auf die eigentliche Preisbildung sicher-
lich seine Macht äusserte, ist es am Ende auch gestattet an-
zunehmen, dass die Marktpreise wenigstens in grossen Durch-
schnitten, in denen alle Besonderheiten von Angebot und
Nachfrage sich compensiren, von diesen Gebrauchsweithen
sich nicht allzuweit entfernt haben werden. Und in soweit
diese Annahme zulässig erscheint, ist allerdings auch mit den
Ablösungs- und Qualitätswerthen der Urkunden imd Urbarien,
mit den Maximalwerthen der Capitularien eine brauchbare
») S. die Beilage No. XI.
81
— 484 —
Grandlage für eine Geschichte der Waai'enpi-eise und der
Kaufkraft des Geldes gewonnen, dei-en Darstellung natariich
erst im Zusammenhalt mit den Resultaten der wirthschafts-
geschichtlichen Erforschung der späteren Perioden mit Erfolg
versucht werden kann.
In Trümmern nur und abgerissenen Stücken liegt der
Aufbau der deutschen Culturwelt, wie ihn eine fast tausend-
jährige Periode geschaffen hat, vor unsem Augen. Wir mOssen
uns bescheiden, den innem Zusammenhang und die Stractor
des Ganzen nur zu ahnen, wo die Dürftigkeit der Quellen
und UebeiTeste sie zu erkennen nicht gestattet ; aber der Geist
des ganzen Werkes und die Lebensgesetze eines grossen reich-
begabten Volkes kommen doch zum Bewusstsein, wenn wir
die Art und Weise wie dieses Volk sich seine Wirthschaft
gestaltete, in Zusammenhang bringen mit der ganzen Welt
in die es gesetzt, in der es zu leben und zu wirken be-
rufen war.
Die Deutschen treteti am Beginn ihi-es beglaubigtffli
Daseins in Mitteleuropa mit einer, soweit sie nur Geschichte
hat und eine Geschichte verdient, hoch entwickelten, reich-
blühenden Culturwelt in BeiUhrung. In ihrem Wesen imd
ihrer ganzen socialen wie politischen Anlage bergen sie aber
entschiedene Gegensätze zu derselben. Doit ein grossartiger,
einheitlicher Staatsgedanke mit den denkbar reichsten Machtr
mittein ausgestattet, der die Verbreitung antiker Civilisation
mit innerer Nothwendigkeit , aber auch mit klarem Bewusst-
sein und energischem Willen als seine Aufgabe erfüllt nnd
über die Kräfte einer Welt souverän verfügt, um sie diesem
Ziele dienstbar zu machen; der über einzelne und ganze
Völker kühn hinwegschreitet, keine Individualität, keine Be-
sonderheit, keine Freiheit gelten lässt, die sich mit diesem
Gedanken in Widerspruch setzt; ein rationalistisches Staa^-
wesen, das weder das historisch Gewordene als Macht Ober
die Gestaltung der socialen Zustände anerkennt, noch die
— 485 —
thats&chlich vorhandenen historischen Gestaltungen der Ge-
sellschaft als Oi*gane der Volkskraft fttr die Aufgaben des
Staates verwerthet, und schliesslich an diesem Mechanismus
seiner innem Ordnung, an der schrankenlosen, ausbeutungs-
süchtigen Centralisation seiner leitenden Kreise zu Grunde
geht Hier aber kein Staatsbewusstsein , keine Ahnung civi-
lisatorischer Aufgaben ; ein Volk, in Unkenntniss feinerer Ge-
nüsse des Lebens, fi*ei von jedem 6edüi*fhisse, das nicht eigne
Kraft und die einfachste Nutzung 'der Naturkräfte zu befrie-
digen yennochte, in naiven Anschauungen des Lebens und
seiner endlichen Bestimmung aufgewachsen; ohne Drang nach
Erkenntniss der tieferliegenden Gi*Qnde des Daseins, nur von
dem Ringen nach der Existenz und von dem dunklen Be-
streben geleitet, durch Kampf sich eine breitere Basis, bessere
Bedingungen des Lebens zu sichern.
Dabei aber glühte in der Bimst des Deutschen ein leben-
diges Freiheitsgefdhl ^ das sich nur dann einem höheren Be-
fehle und gemeinsamem Willen unterordnete, wo dringende
Noth zwang und nur soweit, als diese es augenscheinlich for-
derte. Und doch war der Deutsche im höchsten Masse
historisch-conservativ angelegt; die Familie behauptete ihi'e
verbindende Macht durch die Jahrhundei*te ; im Stammes-
bewusstsein lebte die Familientradition auch für weitere Kreise ;
und ebenso gönnte der Deutsche einem althergebrachten
Stammesadel neidlos sociale Vorzüge und überliess veititiuens-
voU seinen Königen und Fürsten die Führerrolle mit der
Sorge um die Pflege des nothwendigen Völkerverkehrs und
Völkerverbandes.
So ist auch schon bei diesem jungen Volke der selbstische
Sinn stark entwickelt, der auch den Werth der Genossen-
schaft und der Gesammtheit nach dem Mass der Vortheile
bemisst, welche der Existenz des Einzelnen dai-aus erwachsen.
Die Gesammtheit gilt nur, wo sie Sicherheit und Freiheit des
Lebens, das althergebrachte Recht und der Väter Glauben
verbürgt; und wo in kleinerem Kreise solche Bürgschaft
liegt, genügt er auch dem Gemeinbewusstsein. Dai*um schliesst
sich das Volk für den Erwerb in engen Ki*eisen ab ; so lange
— 486 —
Kampf allein Ei'werb beschaffen kann, hält sich das Volk zum
mindesten im Gau zusammen ; bei gesichertem Bestände aber
trennen sich die Genossenschaften der Geschlechter und führen
ein ökonomisches Dasein schon auf eigne Faust. Nur wo
gleiche Gefahr für weite Kreise des Volks besteht, gleiche
Güter zu wahren sind, da zeigt auch die grosse Volksgemeinde
noch ihr Leben.
Im Verbände, der für den Kampf besteht, gilt Jeder
gleich, nur dass auch hier das höhere Ansehen einzelner
Familien auch ihren Gliedern gi'össeren Einfluss gibt; am
Ausgange eines Kampfes haben eben alle gleiches Interesse;
was etwa hier an Unterschieden auftritt, verschwindet in der
Menge des Gleichgearteten. So lange nun das Land im
Kampf erobert, durch Kampf behauptet werden muss, sind
seine Früchte mehr Erfolge dieses Kampfes als der Bebauung;
ja selbst diese ist zuerst nur durch den Massenkampf den
wilden Kräften der Natur abzustreiten; da ist also auch das
Ergebniss der Bodencultur ein Gesammteifolg ; jeder hat daran
Theil mehr nach dem Massstab seines Antheils an dem Kampfe
als an der Wirthschaft. Und so wii*d dann auch dieser Er-
folg der Gesammtheit beigemessen; jeder hat Antheil daran,
aber keinem gehört er; denn keinem kann besonderes Ver-
dienst daran beigemessen werden, was er ohne alle andern
nie zu leisten vermocht hätte. Ist aber dann die äussere
Sicherheit einmal gewonnen und der Boden fbr den Anbau
bezwungen, dann kehrt sich das Verhältniss in sein Gregentheil
um. Es gewinnt das besondere Interesse des Einzelnen Macht
über die Gleichartigkeit des Gesammtinteresses. Soweit die
Gleichheit noch besteht, bleibt auch der Zustand der Gemein-
schaft; als Schutzland wie als Nutzland für gleichartigen Be-
darf dient immer noch das Gemeinland. Aber das Leben des
Einzelnen erschöpft sich nicht mehr in dieser Gemeinschaft
der Interessen; es gilt nun, dass auch jeder für sich selber
sorge, soweit er nicht mehr für das Ganze zu soi^en hat
Und wo nun des Lebens Nothduifb auf begrenzte Mittd stasst
und der Erfolg verschieden ist für jeden Einzelnen, je nachdem
er es versteht für sich zu sorgen, da lässt sich keine Gemein*
— 487 —
Schaft aufrecht erhalten; es theilt daä Volk, es theilt die
Gaugeroeinde, und auch im kleineren Verbände der Geschlechts-
genossenschaft siegt die angestammte Freiheit über die im
Drang der Zeiten stets gepflegte Gemeinschaft. Es beginnt
jener gi*osse Zersetzungsprocess altgermanischer Genossenschaft,
den wir auch die Begründung der Privateigenthumsordnung
nennen dürfen.
Das Sondereigenthum wird dabei nicht durch Volkswille
und Gesetz als Prinzip der Rechtsordnung eingeführt, nicht
anbefohlen oder durch autonome Beliebung der Gemeinde ge-
schaflfen; es wird weder erfunden noch überhaupt nur klar
gedacht; es ist da, sobald die zwingende Noth die Einzelnen
nicht mehr an die Gesammtheit weist, sobald der Kampf
um^s Dasein nicht mehr das ganze Volk, den ganzen Stamm
bedroht, sondern an jeden Einzelnen für sich herantritt Da
muss sich Jeder seine Waifen selbst bereiten; und diese liegen
in dem Land, das er der Wildniss abgerungen, mit seiner
Hände Fleiss bereitet und seinen Bedürfnissen entsprechend
sich gestaltet hat. Unter seinen Händen wird das Land zur
Individualität; und der ihr seinen Stempel aufgedi-ückt , der
nennt sie auch sein Eigen. Nicht weü er es bearbeitet hat:
weil er es bearbeiten musste nach der ganzen Gesellschafts-
verfassung jener Zeit, ward es sein Eigenthum. Und die
Gesellschaft zwang ihn dazu, weil sie selbst nur für Befriedi-
gung gleicher nicht aber dififerenter Bedürfnisse befähigt war;
und der Unterschied der Bedürfnisse trat sofort lebendig auf,
als sich das Leben nicht mehr zum Kampf um die Erhaltung
des Gemeinsamen, der Gattung zu rüsten brauchte.
Nicht weil Eigenthum veitheilt wurde, sind dann auch
die Deutschen so vei*schieden in ihrem Leben und ihren
Gütern geworden; sondera weil verschiedener Bedarf ver-
schiedenes Interesse an beschränkten Gütern erzeugte, erginff
der Mensch die Quellen dieser Güter mit innerer Nothwen-
digkeit und machte sich das Land zu eigen, das doch nicht
jedem gleich dienen konnte, sondern jedem anders, je nachdem
Aef Herrscher war.
Diese Bildung von Privateigenthum an Grand und Boden,
— 488 —
4
diese Verknttpfung der Persönlichkeit mit dem ersten, allei-
nigen KapitiJ st«ht an der Schwelle der Geschichte des
deutschen Wirthschaftslebens. Vielfach in älterer Zeit schon
vorbereitet, durch Krieg und stürmische Wanderung nur
zuiUckgedr&ngt , macht sich mit Eintritt der Sesshaftigkeit
und nach erlangter Ruhe das Bedürfniss einer festen Ordnung
des Gmndeigenthums als das erste, wichtigste energisch fal-
tend und überragt alsbald an Bedeutung alle andern Ein-
richtungen des Volkes; es wird von entscheidender Wirkung
für das öffentliche, «sociale und wirthschaftliche Leben; es
ordnen sich daiiiach die ständischen Verhältnisse neu und da^
Gesammtleben der einzelnen Völkerschaften gewinnt damit
einen andern Charakter. Wie kleine Bauernrepubliken er-
scheinen die einzelnen Markgenossenschaften, deren vornehm-
liebstes Interesse darin besteht, jede für sich in geordneten
Rechtsverhältnissen unter dem Schutze der allgemeinen Volks-
wehr in friedlicher Weise zu leben, und den Genossen volle
Freiheit ihrer Wirthschaft auf dem Sondei-gut, gleiche
Nutzung des Gemeinlands einzuräumen.
Ein solcher Zustand war ganz daiiiach angethan, fbr
lange Zeit den Interessen des Volkes zu genügen, Freiheit
und Kraft des Volkes und jedes Einzelnen zu bewahren, ja
selbst einige Entwickelung zuzulassen sowohl für die Volks-
zahl als für das Mass der Bedüi-foisse und die Production
der wichtigsten Güter für den Bedarf eines bescheidenen
Lebens.
Aber grosse Erfolge waren von demselben in absehbarer
Zeit nicht zu ei-warten-, die Deutschen wären wohl in jener
grossen Einfachheit ihres Lebens und Beschränktheit ihrer
Anschauungen verhant, jedenfalls nicht in so überraschend
kurzer Zeit zu der reichen Entwickelung gekommen; welche
sie schon in der Karolingei*zeit zeigen , wenn nicht mächtige
Einflüsse einer ihnen selbst fremden Culturwelt auf sie ein-
gewirkt hätten.
Die Gultur des Römerreichs und das Christenthum waren
die beiden Kräfte, die sie in dem Augenblicke erfassten, als
sie eben erst ihr neues Leben und ihre Eigenthumsordnung
— 489 —
einzuiiehten begannen; und sofort wird dies Leben mannig-
faltiger; die Wirthschaft und mit ihr das Volk differenziren
sieh. Neue Bedürfnisse werden dadurch angeregt, materielle
and geistige Mittel zur Befriedigung dei-selben in Menge zu-
gänglich; und unvermerkt zieht damit die Sehnsucht nach
besserem Dasein als kräftiger Keim künftigen reicheren
Schaffens ein in die ahnungslose Brust der einfachen Wald-
leute. Und überdiess«wird die Idee des Staates von einem
deutschen Stamm und einem deutschen Füi'Sten aufgenommen,
der nun die in vollster Zei-setzung begriffene Gemeinschaft der
deutschen Stämme auf's Neue mit den Mitteln antiker Staats-
kunst belebt, eine Gemeinschaft ihres öffentlichen Lebens
ei'zwingt und damit auf's Neue den unwiderleglichen Beweis
liefert, dass Staaten nicht oi*ganisch aus der Familie erwachsen,
welcher die Zielpunkte des Staates ganz fremd sind, sondern
dass sie gemacht werden, wo immer die unwiderstehliche
Sehnsucht nach den grössten Erfolgen, die dem Menschen zu
erreichen möglich sind, nach Hen*8chaft über die Massen, sich
mit der Thatkraft eines bevorzugten Menschen und eines
bevoi'zugten Volkes verbindet, das in sich selbst die Fähigkeit
hierzu besitzt.
Vergeblich sucht sich das Volk seine Zufriedenheit in
den althergebrachten Formen und Mitteln des Lebens zu be-
wahren ; immer wieder hofft es, durch Erweiterung des Eigen-
thums, durch Ausbreitung des Anbaues im Marklande, durch
ängstlichere Ueberwachung seiner Ausnutzung gestiegenem
Bedürfhisse zu genügen; das Bedürfniss und die Gegensätze
im Volke wachsen aber viel rascher als die Mittel der Be-
friedigung, und das steigende Mass unbefriedigten Bedürfnisses
zwängt das Volk in neue Formen des Lebens, in denen die
Anerkennung der Unzulänglichkeit der bisherigen zum deut-
lichen Ausdrucke kömmt.
War der Romanismus insbesondere durch Vermittlung
alter Gultur und Technik, sowie durch Veipflanzung eines
Staatsgedankens in das Leben der Deutschen thätig und er-
zeugte wirthschaftlichen Au£schwung wie er die Bedeutung
der alten genossenschaftlichen Verbände der Deutschen vol-
— 490 —
lends veiiiichtete , so wirkte das Christenthum wieder nach
anderer Richtung, aber mit ähnlichem Erfolge. Wie es in
jener Zeit gelehrt und gettbt wurde, erweckte es wohl eme
unbegrenzte Sehnsucht nach einem besseren Jenseits und erhob
damit den Geist überhaupt zur Auffassung eines Daseins, das
nicht in Arbeit und Genuss dieses Lebens sich erschöpfte; es
predigte die Liebe und schuf damit einen weiten Boden fried-
lichen Yerkehi*s statt feindseliger oder doch argwöhnischer
Abschliessung; aber es wirkte gleichzeitig durch seine Zwangs-
mittel und seine grosse Organisation unterdrückend auf die
Freiheit und auf die Individualität ein; ohne die Unfreien im
Volke zu erlösen, gab es die Freiheit der Freien in die Ge-
walt der Kirche, die sich als heri-schende Macht sofort mit
der grössten Macht des fränkischen Eönigthums yerbündete.
Und überdiess erzeugte das Christenthum jener Zeit den Ge-
danken, der dem naiven Götterglauben der Deutschen voll-
kommen fremd war, dass der Himmel durch Opfer an irdischem
Gut erkauft werden könne und erregte damit eine Sucht
nach Besitz, welcher der Kirche geschenkt werden konnte, die
ebenso stark wie jene Sehnsucht nach dem Jenseits war. So
beförderte es einerseits wirthschaftlichen Aufschwung; aber
zugleich vernichtete es den socialen Zusanmienhalt der Ge-
nossenschaften an der Mark, die für solche Zwecke werthlos
erschien. So zerstörten beide sogar die Werthscbätzung der
Freiheit, wo ohne sie grössere Erfolge nach beiden Seiten des
Lebens, der materiellen und geistigen, zu erreichen waren,
und zwängten das Volk in jene neuen Organisationsfonnen,
welche in Aufnahme des Staatsgedankens und des Kirchen-
gedankens entstanden, und die Herrschaft über Menschoi und
Güter sich zum Ziele gesetzt hatten, um sich mit denselben
Mitteln in der Gesellschaft zu behaupten, mit denen die AU-
macht des Staates und der Kirche sie bedrohten.
Es war das alles um so erfolgreicher, als die Genossen-
schaft fr*eier, gleichberechtigter Männer in der Mark wie im
Gau, ja im ganzen Volke selbst nichts geleistet hatte, weder
um die Bedürfnisse erfolgreicher zu decken, noch um die
Unterschiede der socialen und ökonomischen Lage zu v6^
hindern, noch um die Freiheit zu wahren; ein drastischer
- 491 —
Beweis , dass weder die Freiheit an sich werthvoU für die
Förderung des Culturlebens, noch die Gemein wirthschaft , die
Herrschaft aller über die Mittel der Wirthschaft, entwickelungs-
fähig ist
So bereitete sich immer mehr der Zustand vor, der es
schliesslich zur Nothwendigkeit machte, die Kräfte des Volkes
und des Landes in anderer Weise als es bisher geschah, zu-
sammenzufassen und fQr einen socialen Neubau festere, weitere
Fundamente des Wirthschaftslebens zu legen. Was die Arbeit
des Volkes in ihrer Isolirung und ungeordneten Herrschaft
über die Productionsmittel nicht vermochte, das sollte durch
einen festeren Zusammenschluss und eine einheitlich geleitete
Wirksamkeit der Productionskraft en-eicht werden. Aber
weder Staat noch Kirche als solche besassen hierfür eine der-
artige Anlage, dass etwa von ihnen aus mit den Mitteln des
Zwangs und der öffentlichen Gewalt das Ziel zu eiTeichen ge-
wesen wäre. Ghlodowech und seine Nachfolger konnten wohl
die Idee des Staates von Rom übernehmen, aber sie hatten
nicht die Mittel, sie in diesem Geiste auszugestalten; ihre
Kraft erschöpfte sich in Begründung ihrer Herrschaft als
äussere Anerkennung einer Oberhoheit und in Einrichtungen
der unerlässlichen Institutionen der öffentlichen Ordnung. Die
Kirche drängte wohl nach einer Einheit im geistlichen Ge-
horsam, aber sie hatte überhaupt kein positives Programm;
nur die negative Seite der Civilisation zu pflegen verstand
sie; an positiven Schöpfungen hierfür ist sie als solche stets
arm gewesen.
Die Noth des Lebens, das Missverhältniss zwischen Be-
dürfhiss und Deckungsmitteln zu heben, war daher nur auf
socialem Gebiete möglich, und die Gestaltung der socialen
Ordnung ist immer eine Frucht historisch-nationalökonomischer
Ursachen gewesen. Die oben standen auf der Leiter socialer
Unterschiede waren im Vortheile im wirthschaftlichen Inter-
essenkampfe, und die wirthschaftlich Ueberlegenen waren in
der Lage, sich social zu erheben. Das steigerte alsbald die
Besitzunterschiede so sehr , dass daraus die fundamentale
Untei'scheidung der Herrschenden und der Dienenden erwuchs;
und es lag in dem Gesammtcharakter der damaligen Wiith-
— 492 -
Schaft begründet, dass sich dieser Gegensatz in der Ver-
schiedenheit der Vertheilung des Besitzes und der Gewalt an
Grund und Boden besonders manifestirte und den Besitz und
die Hen-schaft an dienenden Arbeitskräften in sich schloss.
Doch wäre auch diese Entwickelung wohl nie zu einem
für die Steigerung der Gesammtcultur erfreulichen Ergebniss
gelangt. Auf diesen Wegen konnte wohl mehr geleistet, mehr
producirt werden, weil insbesondere die grossen nur in der
Gemeinschaft erfolgreichen Arbeiten jetzt möglich waren;
aber in der schonungslosen Ausbeutung der gi'ossen Masse
der Arbeitskräfte zu rein egoistischen Zwecken wäre das
Volk in eine genusssüchtige Plutokratie und in ein ausge-
mergeltes Helotenthum zerfallen und keines weiteren Auf-
schwungs aus sich selbst fähig gewesen.
Wieder traten da neue, grossartige Culturaufgaben an
das Volk heran; die ersten Ansätze einer neuen .Gultur sehen
sich bedroht in der europäischen Invasion der Araber, dem
Vordrängen der Slaven und Avaren, oder aufgehalten in dem
cultuifeindlichen Verhalten der deutschen Nordländer selbst«
dem fränkisch-deutschen Reiche wurde die Erbschaft der Idee
des römischen Eaiserthums und seiner cosmopolitischen Tendenz
gleichsam aufgedrängt und damit auch die Erneuerung der
Beziehungen zum Orient unvermeidlich. Und wieder erstand
dem Volke ein Mann, der seine Zeit nicht nur erfasst, sondern
sie beherracht und weitblickend in die Zukunft schaut. In
Earls d. Gr. Peraönlichkeit ist alles concentriil und verkörpert,
was das Volk, die Zeit an eigentlich civilisatorischen lAeea
gehegt hat. Er ist der wahre Repräsentant einer grund-
herrlichen Aristocratie im besten Sinne; er ist zugleich der
entschiedenste Gegner ihrer Auswüchse; er ist aber auch der
Träger des einheitlichen Staatsgedankens und weiss die
Mittel des Volkes ebensogut im Rahmen der grundherrschaft^
liehen Organisation zu steigern, wie er die Gesammtkraft der
Giiindherrn für die gi'ossen gemeinwiilhschaftlichen Aufgaben
des Staates zu verwerthen weiss. Kein Zweifel, dass Kari
für die Förderung wahrhaft volkswirthschaftlicher Einrieb-
tungen im höchsten Masse von Bedeutung ist Aber doch
— 493 —
ist das, was den wirthschaftlichen Zustand charakterisiit, nicht
sein Werk, vielmehr recht eigentlich aus dem Boden der vor-
handenen volkswirthschaftlichen Kräfte herausgewachsen, ja
im Einzelnen selbst trotz seines Willens und gegen denselben
so geworden. Mehr gezwungen als freiwillig haben die spä-
teren Karolinger schliesslich die sociale Verwaltung in die
Hand der grossen Grundherrn gelegt und ihnen die Einheit
der Reichsgewalt damit ausgeantwortet. Viele neue und hohe
Ziele hatte die karolingische Politik der Volkswirthschaft ge-
steckt; vieles davon blieb uneri-eicht, weil sich das Volk hier-
für nicht reif erwies. Was aber erreicht wurde, ist doch viel
weniger mit den Mitteln dei Staatsgewalt als mit den Mitteln
der grundherrlichen Gewalt eiTOicht worden, auf der auch die
Regierung als auf ihrer festesten Stütze fusßte. Und so sind
dann auch die Erfolge, zu Gunsten der Entwickelung der
öffentlichen Gewalt des Staates erhofft, immer wieder zu.
Gunsten der grundhen-lichen Gewalt ausgefallen. Denn die
eigentliche Quelle volkswirthschaftlicher Erfolge, die Macht
der Arbeitsoi^anisation und des Gapitaleinsatzes war doch ihr
eigentlichstes Werk; und wenn sie dann auch die Flüchte
dieser Leistungen ernteten, so war das am Ende doch nur
schon eine Manifestation des Gesetzes der Rentenbildung , die
nicht zu üben-aschen braucht.
Aber soviel hatte die socialpolitische Oiiganisation Karls
d. Gr. doch vermocht, dass die Uebermacht der Grossen nicht
in vernichtende Bedrückung des Volkes ausartete; auch die
untern Volksklassen erhoben sich sichtlich an den Eifolgen
der besseren Organisation der volkswiithschafUichen ^Kräfte,
und wurden dadurch zu besserem und selbständigem Leben
befähigt Und recht deutlich zeigt sich, dass dem Volke seine
Traditionen nicht erstorben waren; der übermässige Diiick
erzeugte Gegendruck und bald bricht die Zeit an, wo sich
das Volk selbständig gegen die schlimmen Consequenzen zu
wahren vermochte, welche neben den wohlthätigen Kräften in
der grundherrschafUichen Organisation der Volkswirthschaft
gelegen waren.
Beilagen.
— 497 —
nach
Beilage I.
Die Yertheilang des ClnuidbesitEes in Baiern
dem Indiculas Arnonis und den breves notitiae Salzborgenses.
Gau
Qualität der Güter
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Herzogsgut yon Theodo
„ „ Theodebert
„ „ Oatilo .
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Herzogsgut ton Theodo
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„ „ Hiltrud u. Tassilo
Herzogliche Beneficien .
Eigengüter der Freien .
Herzogsgut yon Hugbert
Herzogliche Beneficien .
Eigengüter der Freien .
Herzogsgut von Hugbert
Herzogliche Beneficien .
Herzogsgut von Theodebert
Oatilo .
Tassilo .
Herzogliche Beneficien .
Güter der Ortskirchen .
Eigengüter ....
Herzogsgut yon Tassilo
Herzogsgut yon Theodo
„ „ Hiltrud u. Tassilo
Herzogsgut yon Theodebert
I Herzogliche Beneficien . .
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cnrt. 117 Colon.
3 Till. 1 cnrt. 2 ecd. c.
territ. 276 mans. et eolon.
14 mans. et oolon.
l Till. 1 ecd. 4 cnrt.
177 mans. et eolon.
84 mans. et bona.
67 Güter.
28 mans. et territor.
287 Q&ter.
1 cort. 5 trib. cum eolon.
4 trib. 0. eolon.
2 Oftter, alpes, silrae.
6 Gftter.
7 G&ter.
1 cnrtis, 10 eolon.
trib. 100 enm eolon.
1 maus.
1 Gut.
22 Gftter.
4 trib. c. Colon.
5 Güter.
10 Gftter.
1 eort, 20 maus, c terr.
3 mans.
1 TÜla, 46 mans. e. terr.
2 Till., 20 serT. c terr.
1 mans.
29 Gftter.
60 mans. et. territ.
12 Gftter.
2 mans.
Tineae.
89 mans. Tineae.
l cort. 20 mans. e. territ.
0 mans.
32
— 498 —
Gau
Qualit&t der Güter
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Besitzstand
Augostgau
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Chiemgau
Herzogliche Beneücien .
jEigengat der Freien . .
! Herzogsgut von Theodebert
„ „ Oatilo .
Herzogliche Beneficien .
Güter der Ortskirchen .
Eigengüter der Freien .
InnthalCintervalles) .Güter der Ortskirchen .
Pinzgau . . . .( Herzogliche Bencficieii .
Eigengüter der Freien .
Herzogsgut von Theodebert
Oatilo . .
Pongau
V
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1 Gut.
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1 s^rr. c. Colon.
25 G«ter.
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21 mans. et territ.
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33 man«., serr. c. t«rr.:
Der IndiculuB Amonis und die breves notitiae Salzborgenses verzeichnen di^
Schenkungen, welche in der Zeit yon 696—788 der Kirche von Salzbnx^ und den ihr
untergebenen Klöstern und Ortskirohen gemacht wurden. Natürlich ist ans diese
Angaben nur der Umfang und die örtliche Vertheilung des salzborgischen GruBJ-
besitzes mit einiger Bestimmtheit zu erkennen , ein bündiger Schluss auf die Ver-
theilung des Grundbesitzes in diesen Gregenden überhaupt aber nicht möglich, da d»
Schenkungen weder gleichzeitig sind, noch angenommen werden kann, dass zwischa
dem Grundbesitz der einzelnen Spender und dem Werth ihrer Schenkongen durdivtf
das gleiche Verhftltniss bestanden habe. Aber immerhin bieten diese Register titt^
brauchbare Anhaltspunkte zur Beortheilung der Vertheilung des GmndbedtieB \i
Baiem ; denn eine gewisse Verh<nisemässigkeit zwischen dem Reichthum der Gnnd-
besitzer und den von ihnen gemaditen Schenkungen wird sieh im grossen DarchschinB
doch annehmen lassen; und die Betrachtung der Vertheilung dieser Schenkongen vd
die einzelnen Gaue und Ortschaften gibt wenigstens Minimalzahlen für die ßewohnims^
intensit&t an die Hand ; auch lässt sich aus der Anzahl der an einem Orte gemachtec
Schenkungen ein ungefährer Schluss auf die Grösse seiner Gemarkung ziehen; je mehr
Güter aber an einem Orte geschenkt wurden, desto kleiner wird im Allgemeinen ilire
durchschnittliche Ausdehnung angenommen werden dürfen.
Wesentlich erschwert wird eine auch nur ungefähre Schätzung dea ganzen Be
Standes an Landgütern, welche der Kirche von Salzburg geschenkt wurden, dadudi
dass vielfach nicht einmal die Anzahl der Mausen angegeben ist, welche sie om&»ai
sondern nur eine allgemeine Bezeichnung derselben (res, proprietas, portio, bereditaseic
stattfindet Es ist schwer über die Grösse der so bezeichneten Güter auch nur mt
Vermuthung auszusprechen; soll aber doch eine ungefähre Schätzung des gesaaatff
an Salzburg geschenkten Güterbestandes versucht werden, so wird jedes Gut mindesttf »
als 1 mansus zu rechnen sein; sowohl der im 8. Jahrhundert überhaupt noch tot
herrschende Zustand des Kleinbesitzes der einfach Freien, die verhältnissmässige Sdtes*
heit der grossen Gutsherrschaften, als auch der Umstand, dass in Amo's Begister:
— 499 —
grössere Güter doch regelmässig nach der Anzahl ihrer Mausen angeführt sind, sichern
bei solchem YerfisJiren vor allzugrossen Iirthümem. Leichter ist eine andere Schwierig-
keit zu überwinden, welche darin besteht, dass nicht selten dieselben Schenkungen
im Indicolos und in den breves notitiae vorkommen; eine aofinerlEsame Yergleichung
der beiden Register hat hoffentlich aas der vorstehenden Tabelle jede Doppelzählnng
ferngehalten«
Jedenfalls scheint diese für ihre Zeit und ihr Gebiet einzig dastehende Quelle
werth, so gut es angeht, statistisch ausgebeutet zu werden. Einiges Licht fällt daraus
immerhin auf diese so überaus dunklen und doch so wichtigen Verhältnisse, und die
sociale Geschichtsschrdbung dieser Zeit gewinnt damit doch wieder ein Stück festen
Bodens mehr.
32*
— 500 —
Beilage 11.
OntsbestSnde.
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1 area c- domo . . .
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2 ariol. c cas. . . .
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2 areae c. dom. . .
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bizuma 450 Q virg
2 molend. . • .
aedif.
ciirt dom. aedif. ariol
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2 areae legitimae .
2 ar. 1 pomer. . .
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1 areol. c. domo .
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1 hub. indem, c. manso
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maus. 1 indem. . . .
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maus, indem, c casa,
curia, aedif. . . .
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aedificia
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18 'l»ca.ala.
Urkb. 0. d.
Enns I.
64
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822
824
1
casa, scona . .
eccl. c. cort cas.
—
50
30
—
—
orr.mol.terr.sal.
1
—
—
— 1*
I
Passan ib.
9
790
cas. curt. . .
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—
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Sabsbnrgr.
18i 815
eccl. cas. domin.
1
1
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JatATia ed.
1
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Eleimmyrn.
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cas. aedif. cortif.
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30», 7 'ji*.
Werden.
n. 3 793
mod. cortile . i 1 , 3*; —
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Lacombl.
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1
1 f 1* ' ^ffit fear.
Urkb. I
65
: 855
1
jmans. domin. 3
1
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1
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80 ,
1
!»aa»hr
— 509 —
Grond-
herr-
schaft
Werdeo. 65
Lacombl.
ürkb. L " I
Wirtemb. 147
ürkb. i
873
Beschaffenheit
des
Landguts
Dazu gehörig
^ jUrP. CMT
mans. domin. 2. i 18
3 5i
n
51
! cnrtis domin. . fl^*
I »14^
80«
555
eculesia
7^ -
95
Bemerkungen
9
7
'ad SOporc.
80 ij^serriles. 'dorn.
— I. adextirpandnm.
83 11 ' Daron 1 domin.
*) üeber die Masse ygl. die Bemerkungen zu Tabelle X und XI.
Die angeführten ürkundenbQcher sind für die vorliegende Au^be voUstfindig
aasgebeutet, mit Ausnahme des Cod. Laureshamensis , der noch sehr viele ähnliche
Daten enthält; die Tabelle würde aber durch Aufiiahme aller Angaben desselben eine
ooTerhältnissmässige Ausdehnung erlangt haben, üebrigens wurden nur solche Daten
berücksichtigt, wdche, soweit dies ersichtlich ist, ganze Landgüter betreffen und
wenigstens einige der für den Gutsbestand wesentlichen Bestandtheile in bestimmten
Zahlen ausdrücken. Wo kein Herrenhof angeführt ist, werden daher die Hufen oder
iiansen als ganze, dienende Bauernhöfe aufeufassen sein; wo nur das Mass der ein-
zelnen Cultararten und etwa die Zahl der dazu gehörigen mancipia vorgetragen sind^
▼ird in der Begel der Bauernhof selbst als stillschweigend verstanden anzunehmen sein.
Vergl. abrigens auch die Tabellen IH, IX und XI über Zins Leistungen, Yiehstand,
and Preise, welche sich vielfach auf die in vorstehender Tabelle vorgetragenen Land-
güter (die nach Quelle und Jahr leicht au&ufinden sind) beziehen.
- 510 -
Beilage III.
Die Zinsleistangen kirchlicher Beneflcien und Precarici
im 8. Jahrhundert
QueUe
1
1
Jahr
1
Beneficium u. Precarie
Zhis
Trad. Sangall. n.
3
716-720
vemacula terra 20 jach., l Icarr.deyino^lcdealig
Tinea Ijnch. colon. 1,! 1 c. de feno, 1 friskicgx
serr. 1 c casa, terra
1
etc.
1
1
ib.
25
760
1 corüs, 16 mancipia.
10 mod. apelta, 20 c
avena, friakinga asß
valent
ib.
29
761
1 TilU.
. 80 aid. cerer. 40 ^
firiskiiig» tremisB^
polL 2 nebat Aitei
ib.
89
763
1 Tilla.
20 aid. cerer. 1 nai^
panis, firiakinga vaL \
saiga; Arbdt
ib.
42
764
1 casa, 1 curtile et terr. aal
6 mandp . 2 8erT.2 ingen.
80 aid. cerer. 2 maldr. i^
panem, frialLTd mniss
ib.
47
765
1 sery. c. hoba vestit c.
matre et 8 mancip.
10 aid. de Tino.
ib.
48
I)
2 casati c. hobis.
8 aol.
ib.
68
772
1 huba.
1 carrad. de anoona
Cod. Laoresh.
1477
773
1 mans. c. hoba et m.
2 mancip.
2 den.
Tr. Sang.
79
775
1 huba.
1 carr. de grano.
ib.
82
778
8 mancipia.
1 boa Talent 5 sol
ib.
88
w
80 jach. terr. aaL 2 hob.
serv. 8 mancip.
80 aid. cerer. 2 maldr. pc
ib.
98
780
1 hoba senr. et 8 mancip. 15 sicL oerer. 1 aul^
chemone, 1 fra. «^
tremiase; Arbeit
ib.
99
788
8 hob. (= 100 jum).
47 prat carr. 7 mancip. >
20 mod. aveo. 1 nuddr. fr*-*
ment. lfriak.iaif.^
Tr. Wiz«.
258
786
1 cas. 20 jom. terr. arab . 20 den.
8 carr. prat. i
Tr. Sang.
188
792
1 hob. serv. 4 maoidp. '
4 den.
511 —
Qaelle
Zins
Tr, Lnnad. (U. B.
0. i E.) I 10
C. Lanr. 1102
Fr. Sang. 148
LacombL ü. B. I 14
rr. Patav. (ü. B. o.
iE,) 16
Meichelb. I b, 212
794
795
797
799
— 800
784—814
1 huba.
9 jorn. 8 mandp.
5 hob. serr.
3 hub.
1 Tilla.
2 mans.
12 den.
2 den.
1 maldr. ehem. 15 sicL
cerev. 1 frisc. saig. val.
1 solid.
1 solid.
12 mald. speit. 12 tnod.
aven. 2 Insking.
rergl. hierza die Tabelle No. X, welche die Reluitions- und Qualitätswerthe der
seisten hier vorgetragenen Naturalabgaben enthält.
— 512 -
Beilage IV.
Die yiebwerthe der Yolksreehte.
Gegenstand
aoussanas
marn . . . .
doctrix
melioriBBima equa
eqaus maior
caballus optimus
eqaus videns et sanus . . . .
caballus
iumentum lactans
equa mediana
caballus mediocris
equa videns et sana
iumentum
iumentum adhuc non pregnans .
taurus
bos bonus
bos domitus
bos comutus
bos quadrimuB
Bummus boTUS
medianus boYUS
bos 16 mensium
bos 12 mensium
vacca lactans
vacca mellissima
vacca comuta
vacca sequenteriana
verres
porcus (ductrix) ....*.
porcus (non ductrix) . . . .
Ovis cum agno
Ovis
capra
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6
8
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Werth in Solidi
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12
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r.
1 ^
Die Yiehwerthe der Lex Salica sind in Ermangelang director Angaben su
Compositionen berechnet und dabei das VerhAltniss von Werth nnd Bosse (12 •
- 513 —
wie es das Gesetz für die Leibeigenen aufetellt, zu Grunde gelegt Die vielfach er-
hebliche Differenz, welche zwischen den so berechneten Werthen und den dlrecten,
wie den in ähnlicher Weise berechneten Werthangaben der übrigen Volksrechte be-
steht, dürfte theils in der Verschiedenheit des Culturzustands der Salier (höhere
Werthsch&tzung des vorzüglichsten Nutzviehs), theils in dem grossen Zeitabstand
zwischen der Abfassung der Lex Salica und der Aufnahme der Werthangaben in die
übrigen Volksrechte, theils endlich in der Unsicherheit der Berechnung selbst ihre
Erklärung finden. Vgl. die Rechtfertigung dieses Versuchs zur Aufstellung eines
Werthtari& in meiner Abhandlung „Werth und Preis in der ältesten Periode deutscher
Volkswirthschaft", Hildebrands Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 80.
Band. S. 205—211.
▼ on Inama- Stern egg, Wirthschaftsgeschiclite. I. 83
— 514 —
Beilage V.
Beispiele der Kinderftrequenz der abMn^gen Bevolkenuig.
1
Quelle
Ehe-
Kinder
der-
ausser der Ehe
eipi
,
der-
selbe
paare
1
selben
ICänner
Weibtt
Kinder
Trad. Fulden. c 48—54.
1
1
lidi de loco Frechenleba
64 '
203
' 41
20
44
' 19
lidi de Scegenstete
88
101
20
7 '
43
—
fEunilia s. BoniÜBuüi in Rotenwilere
12
25
5
8
—
lidi de Anere
80
22 ,
78
50
26
11
7
3
27
5
•
sem de Anere
IJ
£Etmilia de Waleheslebe
4
13
5
. 1
4
12
ÜEunilia de Tonnahe
9
18
7
2
4
3
ÜGunilia de Braocheim
17
80
' 7
1
3
9
Trad. Wizzemb. 774 n. 61
2
6
1 3
3
4
-
774 n. 68
24
17
16
14
1
-
„ 774 n. 67
8
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22
18
7
-
774 n. 71
5
7
7
8
11
„ 776 n. 73
4
5
1
1
«.—
.1
•
797 n. 62
5 !
18
18
11
20
-
Cod. Fuld. 757-828 (16 Urkunden) .
21
52
21
28
55
"
Meichelb. 774 und 777 n. 48. 51 . . .
11
21
5
8
6
—
Mittebrh. ü. B. 804 I 41
14
54
' 15
14
72
—
Ried cod. Ratisb. 821 n. 18 ....
17
22
S
2
—
K
Mitteh-h. ü. B. 826 I 58
16
58
11
9
24
4
955 1199
8
19
, 6
7
12
-
Sa.
1
826
801
250
159
345
Tc
Gesammtsumme der Erwachsenen: 1136; der Kinder 1146.
So dürftig auch diese Zusammenstellung ist, mag sie Yielleicht doch nicht gis>
ohne Werth sein als ein erster Beitrag zur Aufhellung der noch vollständig dnnt^di
und unbekannten Bevölkenmgsverhältnisse des frClheren deutschen Mittelalteis. ^
Yergleichung mit gegenwärtigen Bevölkcrungszuständen, um ein ürtheil über die ^
deutung dieser Zahlen zu gewinnen, ist allerdings desshalb unendlich schwer, ^
die Kategorien, in welche nach den Angaben der Quellen die Bevölkerung eingeü^
werden musste, an sich undeutlich und daher von der modernen BevölkerusgsUtis:*
nicht angewendet sind. Unter den Männern und Weibern ausser der Ehe sind d*^
lieh sowohl die Ledigen als die Witwer und Witwen und die Geschiedenes zo ^
stehen. Zu den Kindern werden nicht nur alle Personen unter 12—15 Jahren (Müo<^
keitstermine der Yolksrechte), sondern auch noch jene zu rechnen sein, welche obv>'
in höherem Alter, doch noch im ungetheilten Haushalte mit ihren Aeltera leben. **
— 515 —
den Eindeni, die als ausser der Ehe stehend vorgetragen sind, gehören nicht nur die
anehelichen, sondern auch die ehelich geborenen von Witwern, Witwen und Geschie-
denen, sowie die Waisenkinder aller Art, woraus sich die auffallend grosse Zahl der-
selben erkl&rt und auch hier zählen sie so lange, als sie im gemeinschaftlichen
Haushalte mit ihren Aeltem oder Pflege<em stehen, wie das daraus hervorgeht, dass
aach Kinder dieser Kinder au^eftlhrt werden.
Nehmen wir an, was freilich auch nicht (besonders hinsichtlich der Rubrik Leib-
eigene) ausser Zweifel ist, dass wenigstens die abhängige Bevölkerung der einzelnen Land-
guter, in deren Beschreibung solche Angaben sich finden, vollständig vorgetragen ist, so
läsat sich eine verhältnissmässig schwache Kinderfrequenz der stehenden Ehen nicht
Terkennen; aber auch ein verhältnissmässig kleiner Frocentsatz der stehenden Ehen,
sowie ein üebergewicht der männlichen über die weibliche Bevölkerung sind einiger-
maBsen darin ausgedrückt; Verhältnisse, welche in ähnlicher Weise auch in vielen
anderen vereinzelten Angaben über den Bestand der abhängigen Bevölkerung wieder-
kehren.
Eine systematische Ausbeutung der Urkunden würde übrigens auch für die älteren
Bevölkerungsverhältnisse immerhin viele werthvolle Anfechlüsse erhoffen lassen.
33'
— 516 -
Beilage VI.
Gutsbestand und Einkfinfte der Herrscliaften toh PrBm, Werdeo
und Bleidenstadt.
(Reg. Prüm. Beyer I; Reg. Werd. Lacorabl. Archiy 11; Reg. Blid. Wül.)
Prüm
Werden
BleidensUdt
»ö Orte
J Dominikalgüter
J Beneficien (feoda) ....
-1 Zinsgüter (mansi ingen. lid.
ö ' serv.)
1 285
340
; 80
1
1753
449
9
?
919
36
8
?
85
60
^Getreide
Lein
Schweine (porci, friskingae)
Hühner
Eier
Honig
Wein
Geld
6000 modii
600 ^
1800 Stück
4000 „
20000 „
4 situl. ?
4000;mod.
1500 solid.
13760 mod.
25
179 amph.
1011 sol.
490 mild.
33 n
11
150
1700
6 CUT.'
92 sol.
^ I Arbeitstage
I)
iJ3 l
Fohren
70000
4090
4730
?
4447
34
Die Angaben sind nur als annähernd richtig anzunehmen, da die Raster in vÄß:
Fällen andeutlich sind; doch wurde nur in solchen Fällen eine Schätzung vorgenoflUDec
wo die bestimmten Angaben der Quellen zuverlässige Anhaltspunkte boten und das 6^
sammtresultat schon durch diese in der Hauptsache gegeben war; dagegen blieben jea^
Abgaben und Leistungen unberücksichtigt, welche nur eine vage Schätzung Duv
Quantität zugelassen hätten (z. B. mensales, camsiles, scara, angaria); ebenso jeee.
welche entweder nur in dem einen oder anderen Register vorkommen, daher kei»"
Vergleichung ermöglichten, oder an sich zu unbedeutend sind, um zur Charakteristic
dieser grossen Gutsherrschaften zu dienen (z. B. panes, ciceres, fabae, arietes, sal eic
Natürlich erhöhen sich die Gesammteinkünfte dadurch noch sehr beträchtlich; in^
besondere sind die nicht vergleichbaren Holzlieferungen berücksichtigenswerth iPräs
1166 carr. ligni; Blid. 725 pali etc.); und ähnlich bedeuten die nach Gmndstäckc
oder Fruchtmengen bestimmten Arbeitsleistungen (arat jumales, titurat fruges, colhp^
modios etc.), die gleichfalls ausser Ansatz bleiben mussten, eine beträchtliche Vr^
mehrung der Gesammtzahl der Arbeitstage, über welche die Herrschaften vefftgtrs.
- 517 —
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J
- 518 —
Beilage ym.
Yielisttnd auf den im BreTiarimii remm flseaUnm besduriebcnei
kSnlglielien fifttern. (L.L. 1 176 C)
Viehgattang
in Staffel.
Bee
in Asna-
pinm
in illo
fisco
in ülo
fisco
m illo
ßaco
caballos domitns
jumenta maiora
jtunenta de anno DI ... .
9 de anno praeterito . .
„ de anno praesente . .
poledroB bimos
„ annotinos
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bOYfiS
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vaccas c ntnlis
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1
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vitoIoB annotinoB
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Tervices
0 cnm agniB
agnelloB
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10
CAnras
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Dorcos • . •
150
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verres
100
i
aacas . . • .
' 20
Dullos
4
pavones
▼asa apinm
porcelli nntriti
519 —
Beilage IX.
Verhältnisse des GrossYiehs und Kleinviehs bei einzelnen
Gntswirthschaften.
n e 1 1 e
Jahr
Pferde
Rinder
Klein-
vieh
in Procenten
Pferde
Binder
Klein-
Tieh
Meichelb. la 54
Urkb. o. d. Enns I ... 444
Cod. Fnld n. 110
Cod. Fuld. n. 202
ßrev. rer. fisc I .... 176
179
n n
180
n n
Tr. Puld. . . . . c 44 p. 125
„ (34 Güter zusammen)
Meichelb 295
C. Fnld. 306
309
Meichelb 838
C. Fuld 355
C. Laur. 3733
C. Fuld. 384
« 473
Meichelb 511
Tr. Sang 352
Meichelb 596
C. Fuld 508
520
539
540
Meichelb n. 677
Meichelb. la p. 126
„ n. 696
Urkb. 0. d. Enns II . . p. 23
Tr. Sangall. 701
755
786
795
803
812
n
n
n
n
— 814
n
815
n
817
n
818
819
827
828
834
836
837
838
841
n
852
— 853
— 853
879
895
2
2
1
91
150
90
38
132
62
1
2
6
2
2
2
1
1
3
2
4
6
12
2
113
127
63
35
12
118
1209
3
8
40
b
27
6
6
4
6
21
'39
25
24
6
6
39
6
10
6
50
70
38
40
334
898
521
559
830
290
4892
6
20
25
30
40
30
8
10
10
30
116
92
77
98
72
20
38
6
40
20
5
5
8
20
18
4
24
1
4
3
14
8
5
20
6
6
10
3
7
8
25
5
25
11
9
5
1
22
19
83
18
60
14
39
16
35
27
17
15
30
25
19
8
21
49
50
20
23
93
92
70
90
75
81
71
82
94
54
79
66
83
87
72
58
79
80
59
67
83
85
70
75
81
92
69
48
50
80
77
- 520 -
Beilage X.
Reloitlonfl
- nnd Qualltätswertto.
Quelle
1
Zeit
ahl der
Igaben
1
Einheit
1
1
Geldwerth
1
1
1. Getreide«
Trad. SaogalL
790-909
24 maldram de grano
2 dm.
1
1» »in
1 den.
Y, de annona
2 .
n n ff
U»
maldnim ohne n&here
Bezeichnung
modiuB de grano
nun
modius ohne n&here
Bezeichnung
modius ohne n&here
Bezeichnung
2 .
1 d.
i r
1 n
modius de annona
mod. inter frumentnm
et segale
1 r
3 ,
Mdchelb 426
823
mod. ayenae
1 d.
V
n
mod. ohne n&here Be-
zeichnung
Ui
Reg. Prüm c. 53
893
i 1
mod. de sido
„ ayenae
2 d.
1 r
Reg. Werd.
F«nded.9.Jbds.
1 .
1
mod. ordei
mod. avenae
Ad.
2. Tleh.
fr. Sangall.
780-883
caballus
1 a
643
885
n
IOboL
Meicbelb. 546
829
»
lOsoL
Tr. Sangall.
778-868
bos
5 soL
176
803
«
7 aaig.
Erbardt reg. Westf.
853
aries
6 den.
I 17
Tr. Sang. 58
770
aries bonus
1 soL
Reg. Prüm.
893
multo cum lana
15 den.
— 521 —
1
1
1
^il
QaeQe
Zait
1
1
FinhAit
Geldwerth
-<
1
1
Beg. Pram. |
898
1
Ovis com agno
12 den.
Tr. Sang. 159 1
799
1
verrex
6d.
Reg. Werd.
Finded.9Jhds.
6
Ovis
6 d.
»
ff
1
yictima
8 d.
»
1
ff i
6 d.
»
•
1%
1
victima ovina
6 d.
Tr. SangalL 58
770
1
porcas
1 BOÜd.
894 -
845
1
•>
4 den.
Erhardt L c I 17
858
1
}*
12 den.
MBh. ürkb. I 120
882
1 ;
9t
1 BOl.
Äeg. Pram.
898
9 1
ff (sualifl) !
24 den.
r
»
; 2
: 1
ff
20 d.
n
»
' 1 1
II 1
14 d.
r»
r»
6
1»
12 d.
ij
M
8
»• 1
6 „
r
ft
2
1
5„
ji
n
• 4
II
4„
Reg. Werd.
Finde d. 9 Jhds.
• 1
II
12 d.
»
r
2
II
10 „
n
n
4
1
19
8r
»
»
7
■
1
99
6.,
»
ff
2
II
4.9
Reg. BlidenRt
9. 10. Jhdt
1
»9
15 „
n
n
1
91
12 91
n
n
2
1
10,9
»
n
1
1 "
6,9
Trad. SangalL
753-926
2
friskinga
1 BOl.
r
r»
1
II
8—12 den.
n
n
1
1
91
6 d.
»
n
2
w
5 d.
n
n
29
II
4 d.
»
n
21
91
1 saiga
Meichelb. 481
825
1
9»
2 saig.
Ried c. Rat I 69
889
1
1 >*
4 den.
Reg. Prum-
898
1
4
1
friskinga Tenrecena com
lana
12 d.
1
1
91
6 d.
1
91
4d.
Reg. BUd.
9. 10. Jhdt
' 1
1
II
> 5 d.
Tr. Sang.
852-960
j 1
pollus
Id.
1
8
«f
' ^d.
— 522 —
Quelle
Zeit
T
i
s
Einheit
14
Geldwerth
3« Nalimiigsmittel.
Trad. Sang.
786—865
' 2 1
situla Yini
4 den.
»
!
1 1
1 * ■
n V
3 den.
Reg. Prüm.
893
t 1 i
carrada yini
7 den.
»
1
n
1 '
modiuB 9
1 den.
Tr. Sang.
778—847
; 1 ''■
situla cerevisiae
1 d.
i Id.
Reg. Werd.
£nded.9Jlids.
1
amphora meUis
8 d.
r»
n
^
1
modioB Balis
Id.
Reg. Pmm. 41
898
burdura salis
2—20 den.
Als ann&hemde Mittelwerthe ergeben sich daraus:
für ordinftres Getreide (Hafer, Dinkel, Gerste) 1 modios » 1 den.
für Pferde 16 soL
f&r Ochsen 8| soL
für Widder 9 den.
f&r Schafe 6 den.
ftur Schweine 11 den.
für Frischlinge 4 den.
Eine Ergänzung und theilweise Correctur finden diese Mittelwerthe dordi jev
Angaben, in welchen Werthrelationen zwischen mehren Arten Yon (Gütern angestellt
sind, wobei Getreide wegen seiner geringsten Qualitätsdifferenzen in der Regel aIs
fester Werth angenommen werden kann.
Tr. Sang. 187
Reg. Prüm.
Reg. Werd.
9
Urkb. 0. d.EnnBl67
Tr. Sang. 110
„ 328
84
794
898
Ended.9.Jhds.
814
786
829
778
1 firiskinga
friskinga vervecena
1 mod. ordei
1 mod. silig.
1 amphora mellis
1 carrad. mellis
1 siel, yvoi
1 siel, cereyisiae
10mod.grani»10i
oviac. agno«12i
2mod.aTenae=^2d.
2mod.a?enae-'H
12 med. ordei» 1^
6 mod. silig— 12 d
1 carrad. nm
1 mald. annoB.
7 nudd. grta.
jl mod. ann.
— 523 —
1
1
Quelle 1
Zeit
3'i)
Einheit
Geldwerih
1
1
1^
1
Tr. Sang. 346
884
^
1 ;
10 sicL cerevisiae » 3 mald. grani
828 1
829
t ■*■
1 80 „ „ ==
7 »
Eleg. Werd.
Ended 9.Jlids.
1
12 mod. bradi » ' 14 mod. ordei
10 „ „ =!'ll „ ,
1
In yt ^^ \ mod. silig.
1
1 amphora meUis = , 8 mod. bradi
1 mod. fiftbar. » 1 mod. silig.
1 1
» » "**
, 12 mod. aven.
' 1 Tictima «» ' 1 ampbora mell.
Urkb.o.d.£nn8l466
817-38 '
1 2 aucas =>l
1 10 pollos
Endlidi lassen sidi auch die in der Lex Saxonom und dem Capit. Saxon. 797, den
Capit. Y. 794 nnd 806 (s. o. 5. Absdi. S. 479) yorgeschriebenen Getreidewerthe mit den
Angaben der Urkunden verglddien;
i
Capit Frankoflirt.
Marktwertii
Gap. Frankof. Verkaufs-
preis auf den königlichen
Dom&nen
0
I
framentiun
sigale (sSigo)
avena
Id.
\ d.
4d.
8 d.
1 d.
3 den.
2
4
n
6 den.
4
2
19
»>
i 3'/, d.
l,V.-ld.
Sonstige Werth- und Preisangaben kommen nur vereinzelt yor; yon Gewändern
1 paUinm 3 sol. (Tr. Sang. 838 n. 368); 8 den. (Reg. Werd.); 1 tonica 1 soL (Tr.
Sang. 865 n. 50® ; linea quae didtur smoccbo 2 tremiss. (ib.) ; 1 soccus 4 den. (ib. 825
n. 291); 1 sarole » 30 mod. annon. (ib. 809 n. 199); 1 campsilis 7 den. (ib. 72); 10
den. (ib. 32); 30 den. (ib. 114); hircina pellis 1 sol. (ib. 878 n. 689); 10 trocta (WoU-
bündel Reg. Prüm.) 2 den.; de lino 40 fbsa 8 den. (ib. 46). Von Geräthscbaften
1 Tomis 4 den. (Tr. Sang. 813-816 n. 217; 827 n. 305; 830 n. 332; 850 II S. 398).
Zur Beurtheilung der vorkommenden Masse dienen die folgenden Relationen:
1 maldrum »- 2 modii =» 104.4 Liter.
1 carrada =» 8 modü «» 16 situlae (oder amphorae) »» 418 Liter.
- 524 —
Beilage XL
Preise von Landsfttern und Gnudstaeken*
QaeUe
Jahr
Object
Preis ;
BemericoBg.
1
1
1
1. LandgUter.
Tr. Wizzemb. 150
712
1 mansuB com campis etc.
3^ arg.
11
789
1 Tilla ohne Inventar
54^ arg.
170
760
2 hubae com colon. et camp.
60 sol.
G. Lauresh. 536
766
1 manfl., \ pomer. in orto, 21 jnm.
10 caiT. prat, 1 Tinea
1^ aar. 4
a arg.
1187
7»
i mans. de terr. arab. 10 jum.
1{U
1
1087
n
inter mans. etprat et terra ar. jum. 24
8 soL
1
1
554
767
1 mansus
20 den., 10
modannon.
241
^68
i mansus, 14 jum. terr. ar.
2^ arg.
540
.772
1 mans., 24 jum. t a.
1 U den.
1
2522
773
^ mansus
1 cabaUns
497
»
curt c. aedif. camp, prat
4^,7nnc.
956
775
772
5 jum., prat 600 Dpert, 1 vinea 1 jum.
5 unc.
890
1 owa (huba)
6 unc.
Tr. Wizz. 190
780
1 area c. cas. et casal., 30 jum.
30 sol.
C. Fuld. 106
793
38 jum. c casis etc.
ZU
C. Laur. 507
802
1 mansus
1 £1 arg.
n 508
n
1 mans. c aedif. 17 jum. 4 manc.
14 unc. arg.,
1 tunica de
serico, 1
spata
Lacombl. ürkb. I. dO
812
1 curtilus
20 soL
C. Laur. 176
824
t mans., cum 12 jum., 9 caxr. prat
bU
Tr. Sang. 310
827
1 huba plena
20 soL
BackkanfB-
summe.
ürkb.o.l£imsIS.76
884
1 mansus
1 caballus
Lacombl. ürk.lD. 46
884
2 mansus, 5 mandpia
2. Ackerland.
UU
1
Tr. Wizz. 186
712
10 jum. in campo 1, simul c. marca
in Silva et 2 stipes
12 soL
244
718
1 camp, pertic. 2 tisas et 12 pedes
long., Silva 91 pert
10 soL
— 525 —
Quelle
Jahr 1
1
Object
1
1
Preis
Bemerkung.
Urkb. 0. i Em» I 3i
760
12 jomales
2 boTes
C. Laur. 549
764 {3 jumales
i 3 unc
n 247
76?
1
4 jum. terr. ar.
1 caballus
nicht zusam-
JF
' menhängend.
Tr. Sang. 64
772|'25 jum. c. silv. pascuis etc.
1 serrus
C. Law. 467
;77^
4 jum. t a.
la arg.
zusammen-
hängend.
» 1845
tt
10 jumales
1 caballus
, 229
179
6 jumales
3 unc arg.
zusammen-
•
■
hängend.
» 2820
781
1 camp, habent. 4 jum. i
1 spado
(spata?)
Tr. Sang. 165
802
1 ager 5 mod., 8 pert inter. lat et long 6 soL 3 den.
LacombL ü. b. I 84
817
4 jumales
' 6 sol.
86
»
2 jumales
; 6 sol.
Tr. Sang. 224
n
ager onora 8 sutus.
; 4 sol.
» 286
818
ager onora 3
80 «J ferr.
, 254
820
ager 4 semodiale cum casola
90^ ferr.
» 255
n
ager onora 3
90 ü ferr.
n 262
n
ager mod. 3
' 70 Ä ferr.
n 293
825
ager mod. 3
1 soL
1
. 296
826
ager 8 semodiale
lbo8,lespa-
da
1
fr. Tiiinael. 109
829
8 jumales
12 sol.
LfacombL U. b. I 51
836 10 jumaleB
22^ sol.
Tr. Sang. 501
864
ager 3 mod.
4 tremess. <'
t
n 546
869
28 jugera
3. Wiesen.
40 soL
t
C. Lanp. 197
Pipin
483 Dperticas
ij
2 sol. i unter d. Wer-
>the yerkauft.
1 1
. 240
767
345 Dperticas
3 unc. arg.
1
Tr. Sang. 248
820
prat onora 2
2 trem. in;|
ferro
4. Weinberge.
1
1
C. Fuld. 6
753'
2 Yineae
!l5^7unc
im Stadtbe-
1
inter aur.
zirk^Ton
1
Ii
et argent.
MainZk
C. Laur. 1500
7661 Tinea
1 1
1 isß. arg.
n 241
n
1 Tinea 45 Qpert
5 unc.
n 241
n
1 vinea
iit.
n 241-
n
1* Tinea
i ü.
- 526 —
u
1
Quelle
"3
Object
Preis j Bemerinmg.
1
„ 433
! 1
778:
1 vinea
9 onc unter das
1, Wwthe.
„ 1832
826
1 vinea
i« ■!
1 1
1 1
5. waider.
1
1
Meichdb. 827
816'|1 Silva 4 D pert legales
1 caballas
„ 546
829 1 Silva, 30 jag. long. 16 pert lat
1
lcaball.(10
solid.) etia
vestitu et
aliapeconia
5 BoL
562
831 1 silv. mens. 50 juger.
1 caball. et
II
alianecania
1
!
6. Bangrttnde und Gebände.
] 1
C. Fuld. 8
755
1 area in dv. Mogont
3 & aar. et
r
> axg.
, 18
758 il area c. casa in Mogont
2l«Jinarg.
1
1
et eabalL
Tr. Wuz. 158
780
1 areale c. casa
8 anc. arg.-
Tr. Sang. 458
858;
1 cortinom
20 seliqaae:
» 701
895
1 domus
12 soL
1
. 701
fi
1 scoria
5 8oL
1
[
Zo dieser Tabelle, welche wie die vorigen ans vereinzelten Angaben Terschiedser
Urkondenbücher zosammengestellt ist, wird bemerkt:
1) dass nor wirkliche Kaofpireise aa%enommen sind;
2) dass nor solche Angaben berücksichtigt worden, welche das Kaafobject k:
hinlänglicher Bestimmtheit als ganze, halbe etc. Hafen, als einzelne Morgen oder fe5te^
Mass von Wiesenland etc. ersehen lassen; nor bei Weinbergen ist davon abgegaogc
indem die Grösse der einzelnen Weinberge nicht stark differirt und im M^^iwi^m fasc
über 2 jomales hinaosgeht
3) Zor Bedoction der FlAchenmasse dienen folgende Anhaltsponkte: 1 jugenm =»
2 jomales »» 240 perticas = 68.26 ares. Die carrada bei Wiesen, eine Heolast eisA>
zweispftnnigen Ochsenwagens ist zo 1000 €6 -^ 408 Eilg. anzonehmen (Gn^rard Im I
189). Aof 1 jomalis werden cca. 3 — 4 carrada foeni zo rechnen sein (Gndrard I loT*
Die in mehren Angaben vorkommende Bestimmong des Flächeninhalts von Aeckerr
nach der Aassaat (modii, onora sotos) kann dorch die Annahme eines mittleres:
Saatbedarfe für die verschiednen Kömerarten von 1.5 mod. für 1 jomaUs r^dodr.
werden.
4) Die Geldwerthe sind mit Ausnahme von Tr. Vlizz, 186 ond 244, wekbe r
— 527 —
Gold gelten, durchweg nach der Silberwfthrung und dem 20 sol. Fusse zu rechnen;
1 ^ a 12 unc. «■ 20 sol. ä B tremiss. k 4 den. Nur die einmal yorkommenden
seliquae sind nach der (langobardischen oder ostgothischen) Goldwährung als Silber-
stöcke im ungefähren Gehalte der älteren Karolingerdenare zu cca. 1.85 Gramm
za nehmen.
5) Die in anderen Gebrauchsgegenständen ausgedrückten Preise können mit
Hilfe der yorausgehenden Tabelle redudrt werden, üeber die Eisenwerthe ygl.
5. Abschnitt S. 464 A. 4.
Pienr'fch« HofbuebdrnekereL Stephan Geibel k Co. in AlUnbuig.