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LIBRARY
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
DAVIS
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DEUTSCHE ZEITSCHRIFT
FÜR
THIERMEDICIN
UND
VERGLEICHENDE PATHOLOGIE
HERAUSGEGEBEN VON
Kreisthierarzt ADAM in Augsburg, Obermarstallsthierarzt ALBRECHT in Berlin,
Prof. DAMMANN in Hannover, Prof. ESSER in Göttingen, Prof. FESER in
München, Prof. FRIEDBERGER in München, Prof. GRAFF in Aschaffenburg,
Medicinalrath GÜNTHER in Hannover, Prof. HAHN in München, Prof. HARMS
in Friedrichstadt, Prof. HARZ in München, Prof. KEHRER in Heidelberg,
Prof. KLEBS in Zürich, Prof. KÖSTER in Bonn, Prof. KRABBE in Kopenhagen,
Medicinalrath LYDTIN in Karlsruhe, Prof. LUSTIG in Hannover, Dr. PAULICKI
in Strassburg, Prof. PFLUG in Giessen, Prof. RABE in Hannover, Dir. SCHMIDT
in Frankfurt, Medicinalassessor SCHUSTER in Jena, Prof. SEMMER in Dorpat,
Obermedicinalrath STRAUB in Stuttgart, Prof. VOGEL in Stuttgart, Prof.
WEHENKEL in Brüssel, Dir. WIRTZ in Utrecht, Landesthierarzt ZÜNDEL
in Strass^urg, Prof. ZÜRN in Leipzig, Prof. ZUNTZ in Berlin
RED1GIRT VON
Dr. 0. BOLLINGER, Dr. L. FRANCK,
PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT •* DIRECTOR DER THIER ARZNEISCHULE
IN MÜNCHEN.
Dr. ALBERT JOHNE, Dr. M. SUSSDORF,
PROF. AN DER K. THIERARZNEISCHULE PROF. AN DER K. THIERARZNEISCHULE
IN DRESDEN. in STUTTGART.
Neunter Band.
MIT 12 HOLZSCHNITTEN UND 2 TAFELN.
__
LEIPZIG,
VERLAG VON F. C. W. VOGEL.
1883.
LIBRARY
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
DAVIS
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Inhalt des neunten Bandes.
Erstes und zweites (Doppel-) Heft
(ausgegeben am 8. Februar 1883).
Seite
I. Die Geschichte der Tuberculose mit besonderer Berücksichtigung
der Tuberculose des Rindes und die sich hieran knüpfenden
medicinal- und veterinärpolizeilichen Gonsequenzen. Von Prof.
Dr. A. Johne in Dresden. 1
II. Kleinere Mittheilungen.
1. Melanosarcomatose und Melanämie bei Schimmeln. Von Prof.
Dr. E. Semmer in Dorpat.89
2. Septisch typhöse Form des Rothlaufes der Schweine und deren
Bacterien. Von demselben.90
3. Septicopyämie in Folge putrider Nabelentzündung bei jungen
Hunden. Von demselben.92
4. Ueber den Schwanz bei Säugethierembryonen. Von Dr. M.
Braun (Dorpat).93
III. Auszüge und Besprechungen.
1. Schutzimpfung gegen Milzbrand. (B.).95
2. Zur Kenntniss der Trichinose. (B.).96
3. Leuckart, Zur Entwickelungsgeschichte des Leberegels. (B.) 98
4. Thierseuchen in Dänemark im Jahre 1881. (Krabbe.) . . 100
IV. Bücheranzeigen.
1. v. Thanhofer, Ueber die Zuchtlähme. (F.).102
2. Mittheilungen aus der Universitäts - Augenklinik zu München.
Herausgegeben von v. Rothmund undEversbusch. (F.) 102
3. Goyau, Traitd pratique de maröchalerie. (F.).103
4. Baber, Researches on theminute structure of the thyreoid
gland. (F.). 103
5. Plaut, Das organische Contagium der Schafpocken und die
Mitigation derselben nach Toussaints Manier. (F.) . . 104
6. Johne, Was hat der Landwirth gegenüber unserem Wissen
über die Tuberculose des Rindes zu beachten? (F.) . . 104
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IV
Inhalt des neunten Bandes.
7. Grünwald, Experimenteller Beitrag zur Lehre über einige
Contagien. (F.).104
8. Kunsien, Ueber die Entwicklung des Hornhufes bei eini¬
gen Ungulaten. (F.).105
9. Wirth’s erfahrener Rindvieharzt, oder leichtfassliche An¬
leitung, wie der Landmann die Krankheit seines Rind¬
viehes richtig erkennen, leicht verhüten und heilen kann. f
(F.) .105
10. Jahresbericht der königlichen Thierarzneischule zu Hanno¬
ver. 14. Bericht. 1880—82. (F.).105
11. Koch’s Veterinärkalender pro 1883. (F.).105
12. Adam’s veterinärärztliches Taschenbuch pro 1883. (F.) . 106
13. The journal of comparative medicine and surgery. (F.) . 106
14. Franck, Handbuch der Anatomie der Hausthiere. (F.) . 106
15. Ercolani, Deila polydactylia e della polimelia nell’ nomo
e nei vertebrati. (F.).106
16. Bericht über das Veterinär wesen im Königreich Sachsen
für das Jahr 1881. (F.).106
17. Pütz, Die Seuchen- und Heerdekrankheiten unserer Haus¬
thiere, mit Rücksicht auf die Zoonosen des Menschen. (F.) 107
18. Arnold, Kurze Anleitung zur qualitativen chemischen Ana¬
lyse. (Kleber.) .108
19. Lew in., Die Nebenwirkung der Arzneimittel. (W.) . . 108
V. Verschiedenes.109
VI. Personalien.112
Drittes Heft
(ausgegeben am 31. Mai 1883).
VII. Ueber Katalepsie. Von Prof. E. Fröhner in Stuttgart . . . 119
V1H. Ein Beitrag zur Kenntniss der Pachymeningitis spinalis beim
Hunde. Von Prosector Th. Kitt und A. Stoss, I. klin.
Assistent, in München.137
IX. Ueber die Fortschritte auf dem Gebiete der Milchwirthschaft. Vor¬
trag, gehalten im landwirtschaftlichen Kreisverein Iserlohn.
Von Dr. Schmidt-Mülheim. 146
X. Zwei veterinär-chirurgische Mitteilungen. Von Prof. Dr. Pütz
in Halle a/S. 160
1. Zur Therapie des Hufkrebses. — 2. Operative Heilung
einer partiellen Nekrose des unteren Endes der Huf beinbeuge¬
sehnen mit oder ohne Affection des Hufgelenkes etc.
XI. Angioma cavernosum bei einem Pferde. Von Mag. W. Gutmann
in Dorpat.165
XH. Der „doppelrotirende Huftrepan“, seine Anwendung und praktische
Bedeutung. Von k. k. Oberthierarzt Martinak in Prag.
(Tafel I). 169
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Inhalt des neunten Bandes.
V
XIII. Amyloide Infiltration bei der Tuberculose des Geflügels. Von
Prosector Th. Kitt in München . ..174
XIV. Tracheitis verrucosa verminosa d. Hundk Von Prof. Dr. C. Rabe
in Hannover. (Tafel II). N .180
XV. Bericht über die im Jahre 1882 veröffentlichten Arbeiten über:
Die Krankheiten der Vögel. Von Prof. Dr. Zürn in Leipzig 185
XVL Kleinere Mittheilungen.
1. Odontologische Notizen. Von Prosector Th. Kitt in
München.208
2. Miliartuberculose bei einer perlsüchtigen Kuh. Von Dr.
Schmidt-Mülheim in Iserlohn.210
3. Ein neuer Zuchterfolg in dem Hausthiergarten des land¬
wirtschaftlichen Instituts der Universität Halle. Von
Prof. Dr. J. Kühn. 213
4. Ueber Milben. Von Prof. Dr. Zürn in Leipzig . . . 215
XVH. Auszüge und Besprechungen.
1. Koch, Ueber die Milzbrandimpfung. Eine Entgegnung
auf den von Pasteur in Genf gehaltenen Vortrag.
(Johne.).216
2. Grün wald, Experimenteller Beitrag zur Lehre über einige
Contagien.. 232
Viertes Heft
(ausgegeben am 8. August 1883).
XVIH. Das Vogelei. Von Prof. Dr. Bonn et.239
XIX. Thoracopagus beim Kalb. Von Dr. Paulicki in Strassburgi/E. 253
XX. Ein fünfbeiniger Frosch. Von Dr. Pauli cki in Strassburg i/E. 258
XXI. Zur vergleichenden pathologischen Anatomie und Aetiologie der
Mastitis. Von Dr. Carl Schlösser aus München . . . 260
XXU. Kleinere Mittheilungen.
1. Beitrag zur Casuistik der Tubo - Ovarialcysten beim Pferde.
Von Georg Schneidemühl in Hannover.279
2. Weitere Resultate über die Natur und Wirkung des in den
schädlichen Lupinen enthaltenen Stoffes. Von Carl
Arnold und Georg Schneidemühl in Hannover . 286
3. Rudimente des vorderen Endes der MüUer’schen Gänge
beim frischgeborenen Hengstfohlen. Von L. Franc k . 289
XXHI. Auszüge und Besprechungen.
1. Demme, Uebertragung der Maul- und Klauenseuche auf
den Säugling durch den Genuss der Milch eines erkrank¬
ten Thieres. (B.).290
2. Fleischvergiftung in Oberlangenhard - Zell und in Rykon-
Zell (Canton Zürich). (B.). 292
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VI
Inhalt des neunten Bandes.
Seite
3. Warrikow, Ueber die Wirkung einiger Antiseptica auf
das Milzbrandcontagium. (Franck.).292
4. Roloff, Der Milzbrand, seine Entstehung und Bekäm¬
pfung. (Franck.).293
5. Der Hufschmied, Zeitschrift für das ganze Hufbeschlag¬
wesen. (Franck.).294
6. The quarterly journal of veterinary Science in India and
army animal management. (Franck.) ..294
7. II offmann, Die Entwickelung des Militär-Veterinär¬
wesens in Württemberg. (Franck.).295
8. Bauwerker, Kranken- und Geschäftstagebuch für Thier¬
ärzte. (Friedberger.).295
9. Philipp, Ueber Ursprung und Lebenserscheinungen der
thierischen Organismen. (Kitt.).296
10. Ercolani, Deila polydactylia e polymelia nelF nomo e
nei vertebrati. (Kitt.).296
11. Peters, Die Formveränderungen des Pferdehufes bei Ein¬
wirkung der Last mit besonderem Bezug auf die Aus¬
dehnungstheorie. (Gr.).298
XXIV. Verschiedenes.300
XXV. Personalien.302
XXVI. Briefkasten.304
Berichtigungen (VHI. Bd.).304
t
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I.
#
Die Geschichte der Tuberkulose
mit besonderer Berücksichtigung der Tnbercnlose des
Rindes nnd die sich hieran knüpfenden medicinal-
nnd veterinärpolizeilichen Gonsequenzen.
Von
Dr. All). Johne,
Professor an der königl. Thierarzneischule zu Dresden.
Literatur.
1) Eulenberg, Hdb. d. öifentl. Gesundheitswesens. II. 568. — 2) Vir-
chow, Die krankhaften Geschwülste. Berlin. — 3) Waldenburg, Die Tu¬
berkulose. Berlin 1869. — 4) Zeitschrift f. rat. Med. 1857. N. Flg. VIII. S. 50.
— 5) Bullet de l’academie de mdd. — 6) Gaz. hebdom de mdd. de Paris. —
7) Compt. rend. — 8) Willburg, Aul. z. Heil, der Krankh. d. Kindes. 1776.
— 9) Seeger, Hdb. d. popul. Thlk. f. aufgekl. Oeconom. I. 1797. — 10) Erx-
leben, Prakt. Unterr. i. d. Vieharzneikd. 1780. — 11) Pilger, Hdb. d. Vet.-
Wissensch. II. 1801. — 12) Kitt, Hdb. d. Vet.-Med. II. 1818. — 13) Huzard,
Peripneumonie chronique ou Phthisie pulmonaire. Paris. An. VIII. — 14) Hof-
acker, Anl. z. Beurth. d. Hauptmängel d. Hausth. 1822. — 15) Tscheulin,
Gerichtl. Thrhlk. 1822. — 16) Kibbe, Unterr. üb. d. Krankh. d. Rindes. 1822.
— 17) Dupuy, De l’affection tub. Paris. 1817. — 18) Spinola, Ueber d.
Vorkomm. v. Eiterknoten (vomicis) in d. Lungen d. Pferdes. 1839. — 19) Veith,
Hdb. d. Vet.-Med. 1818. — 20) Dietrichs, Hdb. d. spec. Path. u. Ther. 1828.
— 21) Gurlt, Lehrb. d. path. Anat. 1831. I. — 22) Rychner, Bujatrik.
1840. 1. Aufl. — 23) Funke, Hdb. d. spec. Path. u. Ther. 1841. — 24) He¬
ring, Hdb. d. spec. Path.u. Ther. 1849. — 25) Spinola, Hdb. d. spec. Path.
u. Ther. 1858. — 26) Fuchs, Path. Anat. d. Hausth. 1859. — 27) Gluge,
Atl. d. path. Anat. Lief. 15 u. 16. 1850. — 28) Förster, Hdb. d. spec. path.
Anat. 1863. S. 237. — 29)Bruckmüller, Lehrb.d. path.Zootomie. 1869. S. 601.
— 30) Arch. f. wissensch. u. prakt. Thlk. Berlin. — 31) Berl. klin. Wchschr.
— 32) Virchow, Hdb. d. spec. Path. u. Ther., — Würzburg. Verh. VII. 1857.
S. 143. — 33) Gerlach, Die Fleischkost d. Menschen 1875. — 34) Grau¬
mann, Abhdl. üb. d. Franzosenkr. d. Kindes. 1784. — 35) Deutsche Zeitschr.
f. Thiermed. u. vergl. Path. — 36) Flor in i, Der kluge u. rechts verst. Haus¬
vater. 1702. — 37) Fürstenau, Kurze Einl. z. Haushalt- u. Vieharzneikunst.
1747. — 38) Zink, Oecon.Lexikon. 4.Edit. Leipzig 1764. S. 816. — 39) Krü-
nitz, Oec. Encyclop. 1778. Bd. 14. S. 768. — 40) Göttinger gemeinnütz. Ab-
Deutsche Zeitschrift f. Thiermed. u. vergl. Pathologie. IX. Bd. 1
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2
I. JOHNE
handl. 1774. 15. u. 16. Stück. — 41) Gelehrte Beitr. z. d. braunschw. Anzeig.
1769. 62. Stück. — 42) Hayne, Seuchen d. nutzb. Hausth. 1836. S. 237. —
43) Viborg, Yeter. Selskab. Skrifter HI. 127.128. — 44) D’Arboval-Ren-
ner’s, Wörterb. d. Thrhlk. 1832. S. 57. — 45) Archives de m4d. comp. Tom. I.
1843. — 46) Mittheil. a. d. thierärztl. Praxis im preuss. Staate. Neue Folge.
— 47) Gielen, Rep. d. preuss. Yet.-Polizeigesetze. 1836. — 48) Frenzei,
Die Franzosenkr. d. Rindes. 1799. — 49) Gurlt, Nachträge z. path. Anat. 1849.
S. 66. — 50) Rychner & Im Thurm, Encyclop. 1837. — 51) Fuchs,
Thierärztl. .^Zeitschr. 1850. S. 135. — 52) Mittheil. a. d. thierärztl. Praxis im
preuss. Staate. (Aeltere Reihe). — 53) Gurlt & HertWigs Magaz. d. ges.
Thrhlk. — 54) Kreutzer, Grundr. d. Vet.-Med. 1853. S.624. — 55) Kreutzer,
Centralztg. 1854. Nr. 4u. 5. — 56) Haubner, Innere u. äussere Krankh. d.
Hausth. 1858.1863. — 57) Gerl ach, Gerichtl. Thierhlk. — 58) Röll, Lehrb.
d. Path. u. Ther. 2. Aufl. 1859. — 59) Bericht üb. d. Yet.-Wesen im Königr.
Sachsen. — 60)Roustan, Recherches sur Pinculabilit6 de la Phthisie. Paria
1867. — 61) Jahresber. d. Thierarzneischule zu Hannover. — 62) Oesterr.
Vierteljahrschr. f. wissensch. Thierheilk. — 63) Rep. d. Thierhlk. v. Hering.
— 64) Zürn, Zoopatholog. u. zoophys. Unters. 1872. — 65) Archiv f. expe-
riment. Pathol. — 66) Gaz. med. Italien.-Lomb. — 67) Yirchow, Archiv.
— 68) Arch. de physiol. norm, et path. — 69) Ber. d. Münchner Thierarz-
neisch. 1879/1880. — 70) The med. Tim. and Gaz. — 71) Thebrit. med. Journ.
— 72) On the artificial product. of tub. London 1868. — 73) Edinb. med.
Journ. — 74) Etüde clinique de la phthisie galop. Paris 1874. — 75) Volk-
mann, Vorträge. — 76) La Spermentale. — 77) Medic. Centralbl. — 78)
Cohnheim, Allgem. Pathol. 2. Aufl. — 79) Arch. vdtSrin. — 80) Rec. de
möd. v6t. — 81) Rüge, Beitr. zur Lehre von der Tub. Diss. Berlin 1869. - 1 *
82) Allgem. med. Centralztg. 1877. Nr. 65. — 83) Ber. üb. d. 12. Vers. d.
ophth. Gesellsch. z. Heidelberg. 1879. — 84) Archiv f. Ophthalm. — 85) Archiv
f. kl. Med. — 86) Veterinarian. 1875. S. 49. — 87) Journ. de m6d. vöt. —
88) Gaz. möd. de Lyon. — 89) Zeitschr. f. prakt. Vet.-Wissensch. (Bern.) —
90) Adam, Wochenschr. f. Thierhlk. u. Viehz. — 91) Tidskrift for Vet. —
92) Schreiber, Zur Lehre v. d. artif. Tub. Inauguraldiss. Königsberg 1875.
— 93) Der Thierarzt. — 94) Revue d. Thierheilk. — 95) Presse m6a. belg.
— 96) Archiv d. Heilkde. — 97) Schüppel, Unters, üb. Lymphdrüs.-Tub.
Tübingen 1871. —■ 98) Buhl, Lungenentzünd. München 1872. — 99) Rind¬
fleisch, Hdb. d. path. Gewebslehre. — v. Ziemssen, Hdb. d. spec. Path. V.
— 100) E. Wagner, Das tuberkelähnl. Lymphadenom. Leipzig 1871. — 101)
Hering, Studien über Tuberkulose. Berlin 1873. — 102) Birch-Hirsch-
feld, Hdb. d. path. Anat. 1. Aufl. — 103) Billroth, Unters, üb. Entwick¬
lung d. Blutgef. Berlin 1856. S. 32. — 104) Ziegler, Ueber path. Bindege-
websneub. 1876. — 105) Heidenhain, Ueber die Verfettung fremd. Körper
i. d. Bauchh. leb. Th. I.-D. Breslau 1872. — 106) Ziegler, Ueber d. Bfer-
kunft d. Tuberkelelemente. Würzburg 1875. — Lehrb. d. allgem. u. spec.
pathol. Anat. Jena 1881. — 107) Talma, Studien üb. d. Lungenschwinds.
Utrecht 1878. — 108) Wien. med. Jahrb. — 109) Aerztl. Intelligenzblatt. —
110) Petersburger Archiv f. Vet.-Wissensch. — 111) Wagner, Allgem. Path.
1876. — 112) Kudneff, Ueber Tub. u. tuberk. Neub. a. d. serös. Häuten.
Diss. 1875. — 113) Fürstenberg, DieMilchdr. d.Kuh. 1868. — 114) Oesterr.
Monatsschr. f. Thierärzte. — 115) Lehmann, Die landwirthsch. Versuchs¬
stationen 1866. — 116) Cohnheim, Die Tuberk. vom Standpunkt d.Infec-
tionslehre. Leipzig. 2. Aufl. — 117) S chüller, Exp. u. hist. Unters, üb. Entst.
u. Urs. d. scrof. u. tub. Gelenkleid. Stuttgart 1880. — 118) Gaz. möd. de Paris.
— 119) Deutsche med. Wochenschr. — 120) Wien. med. Presse. — 121) Re¬
vue v6t6rin. — 122) Rust’s Magaz. 35. Band. 2. Heft. — 123) v. Buhl, Mit¬
theil. a. d. path. Instit. zu München. 1878. S. 200. — 124) Aufrecht, Path.
Mittheil. Magdeburg 1881. — 125) 17. Ber. üb. d. Thätigk. d. Jenner’schen
Kinderhosp. m Bern. 1879. S. 27. — 126) Archiv f. Kinderheilk. 1880. I. 414.
— 127) Eulenburg, RealencykL f. d. ges. Heilkunde. X. 503. — 128) Prager
Vierteljahrschr. 1878. S. 115. — 129) Hergard, Lehrb. d. Kinderkrankh.
1875. S. 303. — 130) Amtl. Bericht üb. d. 2. Vers. d. deutsch. Vet.-Rathes.
Augsburg 1875. — 131) Lustig, Die Frage der Zulässigk. d. Fleisches u. d.
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Geschichte der Tuberculose.
3
Milch perls. Rinder f. d. menschl. Genuss. Augsburg 1876. — 132) Philadel¬
phia med. Tim. Dec. 1881. — 133) Deutsche Zeitschr. f. Chirurgie. — 134)
Vogel, Physik.Diagnostik. Stuttgart 1874. S.325. — 135) Annacker, Hdb.
d. Path. u. Ther. Hannover 1879. S. 328. — 136) Seer, Hdb. d. Thierheilk.
1856. — 137) Union mdd. 1868. No. 12. — 138) Lancet. 1867. No.2. —139)
Weber, Transactoftheclin.Soc.ofLondon. Vol. Vn. 1874. — 140)Deutsche
Klinik 1874. Nr. 21. 22. 1875. Nr.8u.9. — 141) Klein, Quelques considdra-
tions sur la tuberc. 1870. — 142) Schmidt’s Jahrb. d ges. Med. Bd. 144.
S. 227. — 143) Deutsch. Med.-Ztg. VHI. Nr. 36. — 144) Ptttz, Seuchen etc.
1882.
EINLEITUNG.
Ueberblickt man die Arbeiten, welche in den verflossenen
100 Jahren auf dem Gebiete der allgemeinen Pathologie geleistet
worden sind, so dürften wenige Krankheiten einen gleichen Wett¬
kampf der bedeutendsten Geister hervorgerufen haben, als die
Tuberculose. Freilich das Ziel, dem alle diese Arbeiten zu¬
strebten, war auch ein hohes! Galt es doch, nicht nur eine
furchtbare Geisel des Menschengeschlechtes zu brechen, sondern
auch deren ätiologische Beziehungen zur Tuberculose unserer
Hausthiere, besonders der des Rindes, zu ermitteln, und damit
eine Krankheit näher zu erforschen, deren eminente Bedeutung
für die öffentliche Gesundheitspflege einerseits, und für unsere
Landwirthschaft und Viehzucht andererseits nicht mehr länger
verkannt werden kann.
Noch ist dieses Ziel nicht vollständig erreicht, noch harren
so manche hochwichtige Fragen ihrer Lösung; aber mehr und
mehr hat sich seit Villemin’s (1865) epochemachenden Arbeiten
die Ueberzeugung Bahn gebrochen, dass die Tuberculose bei
Thieren und Menschen nicht nur eine der verbreitetsten und
wegen ihrer Unheilbarkeit gefürchtetsten Krankheiten — oder
wie sich Gohnheim und Koch ausdrücken, nicht nur das ein¬
mal gegebene Product unserer socialen und wirthschaftlichen
Verhältnisse — nicht nur der Ausdruck des socialen Elendes —
ist, sondern dass sie als eine übertragbare Infectionskrankheit
betrachtet werden müsse.
Ja noch mehr! Dem genialen Forscher auf dem Gebiete
der Bacteriologie, Koch in Berlin, ist es in der allerneuesten
Zeit nicht nur gelungen*), die parasitäre Natur des Tuberkel-
*) 3 ‘) 1882, No. 15.
1 *
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4
I. JOHNE
virus im Allgemeinen, sondern auch den von ihm entdeckten
Tuberkelbacillus mit zweifelloser Sicherheit in den Tuberkeln
bei Menschen und Thieren naohzuweisen, und damit die Identität
beider Processe positiv festzustellen.
Ohne sich einer optimistischen Schwärmerei hinzugeben, darf
man daher wohl behaupten, dass durch die neuesten Koch’schen
Arbeiten die pathogenetische Seite der Tuberkelfrage in ihren
Hauptzügen als erledigt zu betrachten ist, und dass man nun
ernstlicher als bisher daran denken muss, die Gonsequenzen zu
erwägen, welche sich unvermeidlich aus der infectiösen Natur
der Tuberculose ergeben. Wenn man sich bisher offenbar scheute,
das Fadt aus dem grossen Exempel zu ziehen, an dem die be¬
deutendsten Forscher seit nunmehr fast 30 Jahre mit rastlosem
Eifer gerechnet haben, so wird man jetzt offenbar gezwungen
sein, die Gefahren'rücksichtslos ins Auge zu fassen, welche die
Tuberculose der Schlachtthiere, speciell die des Bindes und
Schweines für das Menschengeschlecht bietet. Die vielfach an
sträflichen Leichtsinn grenzende Sorglosigkeit, mit welcher die
Landwirtschaft dem Umsichgreifen der Tuberculose bei den
genannten Thiergattungen zusah, wird aufhören müssen, und die
Medicinal- und Veterinär-Polizei dürfte genötigt sein, entschie¬
dener gegen die Tuberculose Stellung zu nehmen, als bisher.
Die Geschichte der Tuberculose ist damit an einem Wende¬
punkt angelangt, dessen Tragweite zur Zeit noch nicht abzusehen
ist — ein Wendepunkt, der aber nicht unerwartet, sondern seit
Jahren vorbereitet, und für diejenigen, welche den Arbeiten auf
diesem Gebiete aufmerksam gefolgt sind, wie etwas längst Er¬
wartetes eintritt.
Es dürfte eine dankbare Aufgabe sein, von diesem Wende¬
punkt aus einen Rückblick auf den Entwicklungsgang unseres
heutigen Wissens über Tuberculose, mit besonderer Berücksich¬
tigung der Tuberculose des Rindes, zu werfen. Begeht letztere
doch in diesem Jahre ein Jubiläum ganz eigener Art. Da» im
Jahre 1782 von dem damaligen Kreisphysikus Heim über die
vollständige Geniessharkeit des Fleisches perlsüchtiger Rinder
an das Ober-Sanitäts-Collegium zu Berlin abgegebene Gutachten
bezeichnet nämlich den Zeitpunkt, von welchem ab die Tuber¬
culose des Rindes jede Bedeutung für die Medicinal- und Vete¬
rinär-Polizei verlor. Die im Jahre 1882 von Koch gemachte
Entdeckung hingegen bildet quasi den Schlussstein für eine Reihe
höchst interessanter, die Infectiosität und Unität der bei Men-
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Geschichte der Tuberculose.
5
sehen nnd Thieren vorkommenden tuberculösen Processe betref¬
fenden Untersuchungen, durch welche die Tuberculose des Rindes
wiederum zu einem Gegenstand von der höchsten hygienischen
Bedeutung geworden ist.
ERSTE ABTHEILUNG.
Die Geschichte der Tuberculose.
ERSTER ABSCHNITT.
Periode vor Villemin.
Die Lehre von der Tuberculose in unserem heutigen, modernen
Sinne ist bekanntlich eine verhältnissmässig junge; sie datirt
erst aus den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts. Vor
dieser Zeit wurde der Ausdruck Tuberkel lediglich im descriptiven
Sinne zur Bezeichnung knötchenförmiger Neubildungen der aller-
verschiedensten Abstammung gebraucht. Jene als Miliartuberkeln
bezeichneten kleinen, gefässlosen, zeitigen Knötchen, welche über
eine gewisse Grösse nicht hinauswachsen, sondern, auf diesem
Entwicklungspunkt angelangt, verkäsen, sind im Alterthum und
Mittelalter vollständig unbekannt gewesen. Auch die grösseren,
aus der Confluenz dieser kleinen Miliartuberkeln entstehenden
Knoten sind bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts nur als ein¬
fache Eiterherde ohne irgend welche specifische Eigenschaft be¬
trachtet worden. Alle Versuche, die man seit der Entdeckung
des eigentlichen oder sogenannten Miliartuberkels gemacht bat,
den Nachweis zu liefern, dass der Tuberkel in unserem heutigen,
specifischen Sinne schon den älteren Autoren Uber Lungenschwind¬
sucht (Phthise) bekannt gewesen sei, sind daher als verfehlte zu
betrachten (vergl. 2 ) und 3 )).
Für die ältesten medicinischen Autoren, Hippokrates
(460 — 377 v. Chr.), Celsus (30 v. — 50 n. Chr.), Aretäus
(c. 100 Jahre n. Chr.), Galenus (131—200 n. Chr.) etc., hat das
Wort Phthisis keine andere Bedeutung als den der Vereiterung
und Verschwärung der Lunge gehabt, trotzdem von ersterem
bereits eine mustergültige Beschreibung der Lungenschwindsucht
vorliegt. Das Wort »Tuberkel“ im Sinne eines derben, festen
Knotens findet sich' überhaupt erst in den Arbeiten derjenigen
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6
I. JOHNE
Forscher, denen es mit der Anerkennung der Anatomie als einer
berechtigten Wissenschaft möglich wurde, häufiger Sectionen
menschlicher Leichen vorzunehmen. Hierbei stiess man in den
Lungen auf verschiedene, knötchenartige Gebilde, welche man
bald als Tuberkeln (von Tuberculum, das KnOtchen), bald als
Scirrhus, Struma oder Steatoma bezeichnete, ohne dieselben aber
vorerst in irgend welche ätiologische Beziehung zur Lungen¬
schwindsucht zu bringen. Der Erste, welcher einen genetischen
Zusammenhang zwischen Lungenknoten und Phthise annahm, war
Sylvius 2 ) (Bd. II, S. 622), welcher 1695 die Ueberzeugung aus¬
sprach, dass ein Theil der Phthisen aus kleineren oder grosseren
Lungenknoten, ein anderer aus Pneumonien und Katarrhen her¬
vorginge, dass beide Processe aber schliesslich zur Eiterung
und Cavernenbildung führten. Sylvius war auch der Erste,
welcher die LungenknOtchen aus kleinen, dem Auge für ge¬
wöhnlich entgehenden Lymphdrttschen entstehen liess, die bei
einer gewissen, sog. scrophulOsen Constitution wachsen, sichtbar
werden und nach Erlangung einer gewissen GrOsse eitrig zer¬
fallen sollten.
Ganz zweifellos sind die Miliartuberkeln schon von Manget
beobachtet worden. Inseiner 1700 erschienenen Neubearbeitung
des grossen Bon net’sehen Werkes — einem der ersten auf dem
Gebiete der pathologischen Anatomie — fährt derselbe den
Sectionsbefund eines Phthisikers an, dessen Lunge, Leber, Milz,
Darm, Nieren und Mesenterialdrtlsen mit „ hagelkornartigen “
Knötchen von Form und GrOsse „eines Hirsekornes“ — Semen
milii — durchsetzt gewesen sein sollen. Er beschrieb bereits
deren Verkäsung, liess sie aber ebenfalls aus kleinen Dräschen
hervorgehen.
In ganz demselben Ideenkreis, welcher die Tuberculose und
Scrophulose in die engsten Beziehungen zu einander stellte, be¬
wegten sich die Anschauungen der auf dieser Basis weiter bau¬
enden, gleichzeitig oder bald nachher lebenden Forscher, unter
denen besonders Morton, Sydenham, Leigh, Mead, van
Swieten und Morgagni Erwähnung verdienen.
Erst Stark aber, dessen Werk 1785, d. h. 15 Jahre nach
dem Tode seines Verfassers erschien, legte grösseres Gewicht auf
die von ihm sehr eingehend beschriebenen Miliartuberkeln. —
Seid, der gleich Cullen, Stark’s Beobachtung vollständig
adoptirte, ging noch einen Schritt weiter. Er war der Erste,
welcher 1785 die kleinen miliaren Knötchen als etwas vollständig
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Geschichte der Tuberculose.
7
Selbständiges, Nengebildetes, mit vergrösserten Lymphdrüsen,
resp. Scrophulose nicht Zusammengehöriges hinstellte and Über¬
haupt das Vorkommen kleiner Lymphdrüsen im Lungenparen¬
chym vollständig leugnete. Er blieb mit seinen Anschauungen
indess vorerst vereinzelt, und seine Zeitgenossen und Nachfolger,
z. B. Güllen, Kortum, Baume, Hufeland etc., huldigten
fortgesetzt der Ansicht, dass die Lungenknoten Drüsen- resp.
Scrophelknoten seien, welche unter der Einwirkung einer sog.
Scrophelschärfe aus präexistirenden Lymphdrüsen der Lunge ent¬
ständen.
Nur Baillie verfolgte die Stark’sche Entdeckung weiter.
Nicht nur dass er sich in seiner 1794 in deutscher Uebersetzung
erschienenen pathologischen Anatomie ganz entschieden gegen
eine Gleichstellung der Tuberkel- und Scrophelknoten erklärte,
machte er auch insofern einen bedeutenden Fortschritt, als er
die Entstehung der grossen Lungenknoten aus den kleinen miliaren
Knoten nachwiess. Er schied diese Knoten streng von anderen,
diffusen, käsigen Einlagerungen in der Lunge, welche er als„scro-
phulöse Materie“ oder „scrophulöse Infiltration“ bezeichnete. —
Auch der zu gleicher Zeit lebende Portal stimmte mit diesen
Ansichten im Allgemeinen überein, nur dass er die von Baillie
als „scrophulös“ bezeichnete Materie eine „tuberculöse“ nannte,
ein Missgriff, der später von Laönnec gewissermaassen die wis¬
senschaftliche Sanction erhielt.
Der eigentliche Begründer der Tuberkellehre war aber Bayle.
Er führte zu Anfang des 19. Jahrhunderts (1810) für die kleinen,
ja schon vor ihm bekannten und mit Hirsekörnern verglichenen
Knötchen den Namen „Miliartuberkeln“ in die Wissenschaft ein
und beschrieb genau ihre Entwicklungsphasen und ihre Be¬
theiligung an der Bildung der grösseren Tuberkelknoten. Er
war es auch, welcher zuerst den genetischen und klinischen Zu¬
sammenhang der in den verschiedensten Organen desselben Or¬
ganismus vorkommenden tuberculösen Processe richtig erkannte,
hierdurch die Tuberculose zuerst zu einer Allgemeinerkrankung
stempelte und ihren Ursprung auf eine tuberculöse Diathese zu¬
rückführte.
Im vollen Umfange wurde diese Lehre von Laönnec in
seinem 1819 veröffentlichten Werke über die Krankheiten der
Lunge und des Herzens adoptirt. In geradezu classischer Weise
beschrieb dieser hochverdiente Forscher die Entwicklungsge¬
schichte des Tuberkels, ging aber leider noch einen Schritt weiter
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8
I. JOHNE
als Bayle, indem er auch jede nicht scharf begrenzte käsige
Infiltration, gleichviel wo er sie fand und welchen Ursprung
dieselbe hatte, als eine „ tuberculöse “ bezeichnete. Hierdurch
machte er das Käsige zum Hauptkriterium der Tuberculöse, so
dass man mit Magendie, Rokitansky, Reinhardt u. A.
allmählich dahin gelangte, jede Verkäsung als, Tubercularisation“
zu bezeichnen, selbst wenn es sich dabei um einfache regressive
Metamorphosen gewöhnlicher Entzlindungsproducte handelte.
Es ist das Verdienst Virchow’s, in diese Verwirrung einige
Klarheit gebracht zu haben. Dieser wies in der Mitte der 60er
Jahre nach, dass die Verkäsung nicht allein an bestimmte
pathologische Processe und Gewebsarten gebunden sei, sondern
dass alle möglichen entzündlichen und hyperplastischen Neubil¬
dungen unter gewissen, abgeänderten Ernährungsverhältnissen
verkäsen könnten. Nur diejenigen Processe durften als tuber¬
culöse bezeichnet werden, welche aus kleinen submiliaren, ge-
fässlosen, lymphfollikelartigen Knötchen hervorgingen, aus rund¬
lichen, lymphkörperähnlichen Zellen zusammengesetzt seien und
nur bis zur Grösse eines Hirsekornes weiter wüchsen, um, auf
diesem Höhepunkt ihrer Entwicklung angelangt, zu verkäsen.
Von diesen echten tuberculösen Processen trennte Virchow aber
streng alle diejenigen Verkäsungen, wie sie bei gewissen hyper¬
plastischen und entzündlichen Zuständen, z. B. bei scrophulösen
Lymphdrüsentumoren, bei käsiger Pneumonie, selbst in gewöhn¬
lichen entzündlichen Exsudaten und.verschiedenen Tumoren Vor¬
kommen. Nicht die Verkäsung als solche, sondern ihre Genese
aus submiliaren Knötchen ist nach ihm für die Tuberculöse
charakteristisch. Er stellte sich somit auf einen streng anato¬
mischen Standpunkt und betrachtete den Tuberkel alseine
aus dem Bindegewebe und seinen Verwandten hervorgehende,
heteroplastische, lymphoide Bildung, als eine in Form einer Gra¬
nulation aus den präexistirenden Gewebszellen hervorgehende,
irritative, nicht selten entzündliche Neoplasie 2 ) (Bd.II, S. 714,715).
Virchow leugnete übrigens zugleich das Vorkommen echter Tuber¬
kel bei Thieren (ibid. S. 716) und führte ihre Entstehung auf $ine
allgemeine oder örtliche Diathese zurück, welche eine locale oder
allgemeine „Vulnerabilität der Gewebe“ bedinge. Diese erzeuge
eine specifische Prädisposition der Gewebe, in Folge deren nicht
allein nur „ specifische, scharfe und reizende Substanzen “, sondern
auch örtliche Reize gewöhnlicher Art (Erkältungen, Traumen —
ibid. S. 725) den „Krankheitsreiz (die Materia irritans)“ bilden,
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Geschichte der Tuberculose.
9
und das Gewebe zur tuberculösen Wucherung anregen könnten.
Diese durch eine schlechte Ernährung erworbene, angeborene
oder ererbte Prädisposition involvire zugleich eine Verschlech¬
terung des Blutes, in Folge deren den neuentstandenen Theilen
so ungeeignetes Bildungsmaterial zugeführt werde, dass dieselben
absterben und zerfallen müssten (ibid. S. 720). Auf ditäbe Weise
Hesse sich nicht blos das Auftreten „eines Tuberkels, sondern
auch die primär multiple, nach Art eines Exanthems erfol¬
gende Eruption“ erklären. Nebenher erkennt Virchow aber
auch die Infectiosität der Tuberculose nicht blos in ihrem
käsigen und erweichten, sondern auch in ihrem Wucherungsstadium
an. In Folge derselben soll sich dieselbe nach Art der bösartigen
Geschwulstbildungen — nach seiner Anschauung also durch Säfte
oder Zellen (Bd. I, S. 52) — auf dem Wege der Blut- und Lymph-
bahnen von einem auf die erstere Weise entstandenen
primären Tuberkel (Mutterknoten) aus nicht nur regionär
verbreiten (also Tochterknoten in der Umgebung bilden), sondern
durch Metastasenbildung auch generalisiren können (ibid. S. 725).
Die Scrophulose trennte hierbei Virchow vollständig von
der Tuberculose. Er bezeichnete sie als einen entzündlichen oder
hyperplastischen Process in bereits vorhandenen Lymph-
drüsen, dessen Producte, schon sehr frühzeitig einer regressiven
Metamorphose verfallend, meist verkästen und erweichten. Sei
aber auch das Endproduct beider, die käsige Materie, das Gleiche,
so seien doch die ätiologischen Grundprocesse der Scrophulose und
Tuberculose durchaus verschieden.
Fast zu derselben Zeit— 1857 —war von Buhl 4 ) eine neue,
schon theilweise von Virchow 2 ) (Bd. II, S. 722) zurückgewiesene
Theorie über-das Wesen der Tuberculose aufgestellt worden,
welche noch bis in die Gegenwart eine Reihe der competentesten
Forscher zu ihren Anhängern zählte. Er ging noch einen Schritt
weiter als Virchow. Nach ihm ist die Tuberculose eine spe-
cifische Resorptions- und Infectionskrankheit, hervorgerufen durch
ein besonderes Gift, das tuberculöse Virus, welches sich in
käsigen Herden jeder Art und jeden Umfanges — also nicht,
wie Virchow meint, nur in localen, primären Tuberkeln — bilden
könne. Gelange dieses Virus zur Resorption und in den Blut¬
strom, so könne es, überall wo es mit den Geweben in Berüh¬
rung komme, Miliartuberkeln erzeugen, die nun ihrerseits durch
neue Verkäsung eine Quelle fortgesetzter Selbstinfection mit Tu¬
berkelvirus würden. Diese sogenannte Käseinfectionstheorie
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I. JOHNE
näherte sich somit einer schon früher von Dittrich 2 ) (Bd. I,
S. 112 nnd Bd. II, S. 631) ausgesprochenen Ansicht, nach welcher
die Tuberculose überhaupt durch Aufnahme von zerfallenen Ge-
webstheilen aller Art, sog. Gewebsdetritns in das Blut, quasi
durch eine Verunreinigung des letzteren herrorgernfen werden
sollte.
Diese Buhl’sche Theorie wurde die Vorläuferin einer neuen
Lehre, welche aus dem nunmehr fast zwei Jahrzehnte andauernden
Kampfe um das eigentliche Wesen der Tuberculose als Siegerin
hervorgegangen ist.
Schon vor Buhl waren hinsichtlich der InfectioBität der
menschlichen Tuberculose verschiedene Uebertragungsversuche
angestellt worden. So von Kortum (1789), H6br6ard (1802),
Saltnade (1805), Lepelletier (1830), Goodlad und Dey-
galliöres (1829), LaSnnec, Erdt (1834) u. A. Nachdem auch
Klenke 3 ) (S. 98 u. folg.) 1843 berichtet hatte, dass es ihm
gelungen sei, durch Einbringen „von Tuberkelzellen“ aus „mili¬
aren und grauen, infiltrirten Tuberkeln“ in die Halsvene eines
Kaninchens „eine weitverbreitete Tuberculose in Leber und
Lungen“ hervorzurufen, war es Villemin, welcher 1864 die
Tuberculose zuerst mit aller Bestimmtheit für eine specifische
Infectionskrankheit erklärte 5 ) (XXXI, S. 211, ®) 1865 No. 50 und
7 ) LXI, 1866). Sie sei eine Krankheit, welche unabhängig von
sonstigen inneren und äusseren Verhältnissen nur durch Einver¬
leibung tuberculöser Substanzen erzeugt und durch Impfung von
Thier zu Thier und von Mensch auf Thier übertragen werden
könne.
Wohl kaum hat jemals eine so positiv hingestellte Behaup¬
tung einen solchen Impuls zu wissenschaftlichen Arbeiten auf dem
Gebiete der experimentellen Pathologie gegeben, als diese neue
Lehre von Villemin. Die bedeutendsten Gelehrten haben ihre
ganze Kraft und ihren Scharfsinn daran gesetzt, die Begründung
derselben oder ihre Nichtigkeit zu beweisen.
Dass alle diese Untersuchungen von grossem. Einfluss auf die
Kenntniss der Tuberculose unserer Hausthierei besonders der des
Rindes wurden , und diese hierdurch erst die Beachtung fand,
welche ihr in der öffentlichen Hygiene zukommt, ist selbstver¬
ständlich. Es erscheint daher sachlich gerechtfertigt, an dieser
Stelle einen historischen Rückblick auf ihre Geschichte bis zu
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Geschichte der Tuberculose.
11
dem Zeitpunkt zn werfen, wo Villemin die Aufmerksamkeit
der Forscher auf dieselbe lenkte und damit die Geschichte der
menschlichen und thierischen Tuberculose eng verknüpfte.
Die beiden Hauptformen der Tuberculose des
Rindes, von denen hier hauptsächlich die Rede sein wird —
die der Lunge und die der serösen Häute — wurden früher nicht
als zusammengehörige Krankheitszustände betrachtet. Jede be¬
sitzt ihre besondere Geschichte.
Die historisch ältere Form ist die, wie beim Menschen der
Lungenschwindsucht (Phthisis pulmonum) zugerechnete Lungen-
tuberculose, die in der älteren Veterinärmedicin wohl auch
als Lungensucht, Lungenfäule, Phthisis pulmonum ulcerosa, be¬
zeichnet worden ist. Wie bei der Lungenschwindsucht des Men¬
schen, so handelt es sich indess auch hier um ein Zusammen¬
treffen der verschiedensten Processe, zwischen denen erst in der
neuesten Zeit allmählig eine Sonderung erfolgt ist.
Hinsichtlich ihrer ältesten Geschichte genügt es zu consta-
tiren, dass letztere im Wesentlichen mit der älteren Geschichte
der menschlichen Lungenschwindsucht zusammenfällt. Wie alle
Autoren des Alterthums bis in die neuere Zeit mit dem Begriff
Lungenschwindsucht des Menschen nur den der Verschwärung
und Vereiterung der Lungen verbanden und die verschiedenar¬
tigsten unter diesem makroskopischen Bilde verlaufenden Krank-
heitsprocesse unter dem noch heute das medicinische Bürgerrecht ,
behauptenden Namen Phthisis pulmonum zusammenfassten, so
auch in der Thierheilkunde. Es ist dies leicht erklärlich, wenn
man bedenkt, dass sich die Uranfänge einer selbständigen Thier¬
heilkunde nicht bis über die Mitte des 18 . Jahrhunderts zurück
datiren lassen, die Thierarzneiwissenschaft in ihrer jetzigen Ge¬
stalt sogar als Kind der neuen Zeit zu betrachten ist. Was vor¬
her in der wissenschaftlichen Erforschung der Thierkrankheiten
geleistet worden war, ist fast ausnahmslos das Werk derjenigen
Männer, welche sich vorzugsweise mit der Erforschung und Be¬
handlung menschlicher Krankheiten beschäftigten. Ja man darf
wohl sogar annehmen, dass das, was die alten griechischen und
römischen Schriftsteller über Lungenschwindsucht des Menschen
berichten, sich zum Theil auf die bei den Sectionen von Thiercada-
vem gemachten Beobachtungen aufbaut, da die Section mensch¬
licher Leichname erheblichen Beschränkungen unterlag. Einer der
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I. JOHNE
ältesten Schriftsteller, welcher der Lungenschwindsucht des Rindes
gedenkt, ist Columella (40n. Chr). Auch er spricht von einer
Verschwärung der Lange (exulceratio pulmonum), und wie schon
die bis vor wenigen Jahrzehnten noch üblichen synonymen Be¬
zeichnungen, Lnngensncht, Lungenfäule etc., lehren, drehen sich
um diese Vorstellungen einzig die Kenntnisse aller späteren
wissenschaftlich gebildeten 'und Laien-Antoren, welche über
Lungenschwindsucht des Rindes geschrieben haben. Dass auch
speciell die jüdischen Gesetzgeber die Lungentuberculose resp.
Lungenschwindsucht des Rindes gekannt haben, geht aus den
von Waldenburg 3 ) (S. 24) berichteten Thatsachen hervor. Die
in der Misch na (redigirt gegen Ende des II. Jahrhunderts n.
Chr.) erwähnten Löcher (perforirende Geschwüre) und Defecte
eines Organs (Lunge, Luftröhre, Magen, Herz etc.) müssen eben¬
so sicher auf die erwähnten Lungenkrankheiten bezogen werden,
wie die .in der Gemara (redigirt um das Jahr 500 n. Chr.) an¬
geführten Verstopfungen der Lunge mit Eiter und, die mit Eiter
ahgefüllten Gewächse in der Lunge. Ebenso lassen sich, wie
schon Waldenburg (1. c.) hervorhebt, die von 1 dem französichen
Gelehrten Raschi (gestorben 1105) in den Lungen der Schlacht-
thiere aufgefundenen harten und schweren Geschwülste von der
Farbe des Eiters ohne Zweifel zum Theil auf die Lungentuber¬
culose — von ihm Perlsucht genannt — beziehen.
Alle späteren Schriftsteller über Thierkrankheiten, bis weit
in das 19. Jahrhundert hinein, sind über diese alten Begriffe
von Lungenschwindsucht nicht hinausgekommen. Alle sprechen
nur von Knoten und Verhärtungen in den Lungen, welche in
Eiterung übergehen und zur Zerstörung des Lungengewebes
führen, so Willburg 3 ), Seeger 9 ), Erxleben l0 ), Pilger 11 ),
Kitt 12 ) u. A. Die Untersuchungen, welche Ende des 18. Jahr¬
hunderts Chabert (1794) und Huzard 13 ) über die seit circa 20
Jahren unter den Milchkühen von Paris und Umgegend herr¬
schende Lungenkrankheit anstellten, lassen es unzweifelhaft, dass
beide nur'von einer Lungenphthise im älteren Sinne sprechen,
von einer Tuberculose des Rindes im heutigen wissenschaftlichen
Sinne aber nichts gewusst haben. Selbst als Stark (1785),
Reid (1785) und Baillie (1794) den Miliartuberkel entdeckt
und genau beschrieben hatten, letzterer auch dessen wesentlichen
Antheil an der Bildung der grösseren Lungentuberkel dargelegt
und endlich Bayle (1819) die Lehre von der Tuberculose fest
begründet hatte, blieben in der Thierheilkunde die alten An-
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Geschichte der Tuherculose.
13
schauungen über Lungenschwindsucht zunächst noch bestehen, wie
dies die Arbeiten von Hofacker 14 ), Tscheulin 15 ), Ribbe 18 ) etc.
beweisen. Keinesfalls hat einer der bisher genannten thierärzt¬
lichen Schriftsteller das Wort Tuberkel anders als im descripti-
ven Sinne angewendet.
Dupuy 17 ) scheint 1817 dasselbe in der Thiermedicin zuerst
im Sinne seines grossen Landsmannes Baillie, im doctrinären
Sinn, gebraucht zu haben. Er ging bei der Schilderung der
Tuberculose zunächst von den kleineren, bei der Rotz- und
Wurmkrankheit der Pferde in den Lungen vorkommenden Knöt¬
chen aus, welche nach späteren Untersuchungen mit Tuberculose
nicht identisch sein sollen. Im Anschluss hieran behandelte er
dann die Phthise der Affen, die Lungentuberculose und Perl¬
sucht des Rindes etc., beging aber hierbei den Irrthum (1. c. p. 262),
sie mit allen möglichen Hydatidenbildungen in Verbindung zu
bringen, ein Irrtham, der sich bereits seit Hippokrates-)
(Bd. II, S. 561) in die Menschenmedicin eingeschlichen hatte
und nach Dupuy bezüglich der menschlichen Tuberkel noch
von Baron und Ruhn 18 ) (S. 115 und 2 ) Bd. II, S. 633) festge-
halten worden ist. Das bald nach Dupuy i. J. 1818 erschienene
Handbuch von Veith 19 ) steht hinsichtlich der Lungentuberculose
noch vollständig auf dem alten Standpunkte. Von Tuberkeln
wird nur bei der Rotzkrankheit gesprochen; die tuberculose
Natur der Perlsucht ist weder ihm, noch Dietrichs 20 ) bekannt
gewesen.
In der deutschen thierärztlichen Literatur hat Gurlt 21 )
(S. 283) i. J. 1831 die tuberculöse Natur der Lungenschwind¬
sucht ausgesprochen. Er entwirft ein ziemlich treffendes Bild
der grösseren makroskopisch sichtbaren Tuberkeln und deren
Metamorphosen, und bezeichnete die Lungenschwindsucht, welche
besonders bei Kühen Vorkommen sollte, als eine Knotenschwind,
sucht (Phthisis tuberculosa). Die Knoten sollten theils im ge¬
sunden Gewebe sitzen und dann die schon von Baillie und
Bayle als für den Tuberkel charakteristisch beschriebenen Ver¬
änderungen durchmachen, oder, wenn sie ihren Sitz in entzündeten
Partien hätten, eine faulige Auflösung erleiden. Alle erweichten,
verkästen Knoten in der Lunge seien ausnahmslos Tuberkeln, da
Eiterbildungen in der Lunge sehr selten vorkämen. Gurlt
stellte sich somit vollständig auf den Laönnec’schen Standpunkt,
einer Auffassung, der Spinola schon 1839 18 ) (S. 115), sowie
später (s. unten) ganz entschieden entgegengetreten ist. Voll-
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14
I. JOHNE
ständig auf dem G ur lt’schen Standpunkt stehen noch Ry chn er 22 )
und Funke 23 ), während Hering 24 ) sich bereits bemüht bat, eine
Sonderung der zur Lungenschwindsucht führenden pathologischen
Processe anzubahnen. Er erklärte die am häufigsten beim Melk¬
vieh vorkommende Krankheit für eine langwierige, fieberlose
Verhärtung und Vereiterung der Lungensubstanz und zum Theil
für eine unmittelbare Folge acuter Lungenkrankbeiten, chronischer
Katarrhe etc., zum Theil als Folge von Tuberkelbildung.
Die durch Ausschwitzung kleiner Bluttröpfchen entstehenden
Tuberkeln sollten anfangs einen deutlichen rothen Hof zeigen und
später ein graugelbliches Ansehen bekommen (knötchenförmige,
lobuläre Pneumonien ?). Sehr richtig betonte Hering aber schon,
dass grössere Eitersäcke meist Folge einer Lungenentzündung,
zuweilen aber auch durch Zusammenfliessen mehrerer kleiner,
erweichter Tuberkeln entstanden seien. Auch hob er auf Grund
eigener und der Erfahrungen Bouley’s, Günther’s und Spi-
nola’s 18 ) hervor, dass Eiterresorption in wenigen Tagen Eiterung
im Lungengewebe bedingen könnte, und erwähnt ferner endlich
der secundär in der Leber und andern Organen der Bauchhöhle
neben der Lungentuberculose vorhandenen Tuberkeln.
Eine ziemlich specielle Schilderung der Lungensucht ent- '
wirft Spinola in seinem 1858 erschienenen Lehrbuche. 25 ) Auch
er schied, wie schon früher, die eigentliche Lungentuberculose
scharf von den entzündlichen und metastatischen Processen,
während von Fuchs 26 ) zwar des Vorkommens der Tuberculose
bei allen Hausthieren und in verschiedenen Organen derselben,
nicht aber in den Lungen des Rindes Erwähnung geschieht.
Von menschenärztlichen pathologischen Anatomen hatte sich
bis dahin nur Ginge 27 ) näher mit der Tuberculose der Thiere
beschäftigt. Sie soll nach ihm in allen Organen, beim Rind
namentlich als Tuberculose des Bauchfelles und der Lungen
Vorkommen. Aehnlich Förster. 28 ) Er hielt zwar die beim
Rinde auftretende Tuberculose nicht für identisch mit der des
Menschen, hob aber hervor, dass solche theils an den serösen
Häuten, theils in den Lungen, in letzteren aber in zwei Formen
vorkomme: 1. in der grauer, theils miliarer, theils grösserer,
später verkäsender und durch Confluenz zur Bildung verschieden
grosser, mit breiigem Detritus gefüllter Höhlen führender Tu¬
berkeln im interstitiellen Bindegewebe der Lunge; 2. in Form
lobulärer, tuberculöser (verkäsender) Pneumonien. Auch fanden
die sich an beide Formen häufig anschliessenden bronchiekta-
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Geschichte der Tuberculose.
f5
tischen Processe, wie sie später von Bruckmttller 29 ) (S. 600),
Siedamgrotzky 30 ) (Bd. IV. S. 401) und besonders von Vir-
chow 31 ) (1880, No. 14) specieller beschrieben worden sind, von
ihm bereits Erwähnung.
Die ersten Arbeiten 35 ) des letztgenannten Forschers über
denselben Gegenstand waren schon vor der Förster'sehen er¬
schienen. Specieller ist Virchow später in der Sitzung der
physikalisch- medicinischen Gesellschaft zu Würzburg, am 12. Mai
1855, auf die Tuberculose des Rindes eingegangen. Voll¬
ständig unberechtigt übertrug er aber zugleich den bisher
nur für die knotenförmigen Neubildungen auf den serösen Häuten
üblich gewesenen Namen Franzosenkrankheit oder Perlsucht auch
auf die im Inneren der Organe (Lungen, Bronchialdrüsen, Leber,
Uterus, Tuben etc.) vorkommenden, bisher als Tuberkel be-
zeichneten Neoplasmen, ein Missgriff, den auch Förster und
nach ihm die meisten medicinischen Autoren begangen haben.
Virchow erkannte zwar die grosse Aehnlichkeit der bezeich-
neten Neubildungen hinsichtlich ihrer Entwicklung und des
Ganges der localen und constitutionellen Erkrankung mit der
Tuberculose an, stellte sie aber nichtsdestoweniger in Parallele
zu den Lymphosarcomen des Menschen. Bekanntlich ist er dieser
Auffassung bis in die neueste Zeit treu geblieben und hat sie
in allen seinen späteren Arbeiten über denselben Gegenstand
nicht nur verfochten, sondern auch das Vorkommen echter, den
menschlichen gleichen Tuberkeln in den Thier- resp. Rindslungen
als ausserordentlich zweifelhaft hingestellt 2 ) (Bd. H, S. 716 und
3 ‘) 1880, No. 14).
Was die Geschichte der bei Thieren, besonders beim Rind
auf den serösen Häuten vorkommenden Form der Tuberculose,
der eigentlichen Perlsucht anbelangt, so ist dieselbe zwar kurz,
der Wechsel der Anschauungen über ihre eigentliche Natur aber
um so interessanter. Schon die Menge von Namen, die man ihr
nach und nach bei dem Mangel einer klaren Erkenntniss über
ihr Wesen beilegte, weisen hierauf hin. Man nannte sie Fran¬
zosenkrankheit, Venerie, Lustseuche, Geilsucht, geile Seuche,
Unreinigkeit, Monatsreiterei, Hirsesucht, Traubenkrankheit, Meer-
linsigkeit, Rindshamnen, Erannen, Grannigt-, Finnig-, oder
Krättig-Sein, Zäpfigkeit, Zäckigkeit, DrUsenkrankheit, Sarkom-
dyskrasie, Perlsucht oder Perlschwindsucht, fibröse Tuberculose,
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I. JOHNE
primäre Tnberculose der serösen Häute, Rindstuberculose, —
Morbus gallicus boum, Nymphomanie, Satyriasis, Parresyge,
Gachexia boum sarcomatosa, Sarcomatosis infectios«, Sarco-tuber-
culosis boum infectiosa, Tuberculosis serosa boum, Tuberculosis
glandularis boum, Cachexia tuberculosa boum, Gachexia vaccarum
tuberculosa, Tuberculosis pleuralis, Tuberculosis boum fibroma-
tosa, Margarosis, La pommeliere, Phthisie cretosee, Phtbisie cal-
cairöe.
Ausserordentlich auffallend ist der Umstand, dass weder die
alten thierärztlichep Schriftsteller, noch die alten jüdischen, so
rigorösen Schlachtbestimmungen 3 ) (S. 25) der der Perlsucht in
so charakteristischer Weise eigentümlichen, massenhaften, kno¬
tigen, meist rasch verkalkenden Neubildungen auf der serösen
Auskleidung der Bauch- und Brusthöhle erwähnen. Ebensowenig
geschieht dies in den schon seit Mitte des 8. Jahrhunderts von
geistlichen und weltlichen Behörden wegen des Genusses von
Fleisch kranker und crepirter Thiere erlassenen Verboten. 33 )
Nach Graumann 34 ) und 35 ) (Bd. I. S. 329), dem wir die ersten
ausführlichen Mittheilungen über die Perlsucht, damals noch
allgemein „Franzosenkrankheit“ genannt, verdanken, bilden einige
nach 1680 erschienene Verordnungen, in welchen von „unreinem
Vieh“ die Rede ist, die ersten Spuren derselben. 1702 gebrauchte
Florini 36 ), welcher die letztgenannten Verordnungen übrigens
nicht gekannt zu haben scheint, zum ersten Mal den Ausdruck
„Franzosen, Franzosenkrankheit.“ Fürstenau 37 ) brachte schon
1747 ausführlichere Mittheilungen Uber diese Krankheit und hielt
sie für einen venerischen Process, während Zink 3S ) (1764) dieser
Behauptung widersprach. Nach Krünitz 39 ) soll noch um das
Jahr 1778 von derselben nicht viel mehr, als der Name bekannt
gewesen sein, wogegen Dr. Rühling zu Northeim 40 ) bereits 1774
das endemische Herrschen der Franzosenkrankheit unter dem
Hornvieh beobachtete, und schon 1769 nicht nur ihrer Vererbung,
sondern auch des Umstandes Erwähnung geschieht, dass in einer
Heerde von 100 Stück jährlich 3—4 der Krankheit zum Opfer
gefallen seien. 41 )
Die Gründe für die seiner Zeit gegen den Genuss des Flei¬
sches „französischer“ Rinder erlassenen Verbote, sowie der Ur¬
sprung des Wortes „Franzosenkrankheit“ sollen sich nach Grau-
mann (1. c.) nur in Folgendem finden lassen. Man habe damals
noch unter dem Eindruck des Schreckens gestanden, welchen
die sich seuchenartig über Europa ausbreitende Venerie des Men-
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Geschichte der Tuberculose.
17
sehen (nach Bäumler, Ziemssen’s Handbach 111. schon seit
Ende des 15. Jahrhunderts als Morbas gallicas oder „Franzosen“
bekannt) verursacht hatte. Weder Ursprung noch Verbreitungs¬
art derselben habe man gekannt und sei bei dem Suchen nach
der Erklärung für beide endlich auf die Sodomiterei verfallen.
Der Erfinder dieser Idee sei Helmont gewesen. „Wenn nun,“
sagt Graumann, „ einst strafbarer Beischlaf die venerische Seuche
beim Menschen erzeugen konnte, so war es ebenso wahrschein¬
lich, anzunehmen, dass auch das missbrauchte Thier sie dadurch
erhalten könne. Untersuchte man nun eine solche Kuh, die des¬
halb ihr Leben verlieren musste, und fand unglücklicher Weise
solche widernatürliche, damals noch nicht bekannte und be¬
merkte Geschwülste, so mochte man leicht diese für Zeichen der
Infection und des Daseins der venerischen Krankheit halten.
Traf man eine andere Kuh, bei der sich diese Geschwülste
zeigten, so dachte man, dass sie heimlich gemissbraucht wäre,
und die Zeichen der unreinen schädlichen Begattung an ihrem
Leibe trage. Solche Thiere durften nicht gegessen, sondern muss¬
ten der Gewohnheit gemäss verbrannt werden.“
Diese von Helmont ausgesprochene Vermuthung war von
tief einschneidenden Folgen. Nach und nach hatte der Glaube,
dass der Genuss des mit dem venerischen Gifte erfüllten Flei¬
sches schädlich sei, immer tiefere Wurzeln geschlagen*, and die
Regierungen, aufmerksam hierauf geworden, verboten denselben
schliesslich ein für allemal. Dummheit und Aberglaube thaten
das Uebrige und so* entwickelten sich Zustände, von denen man
sich heute kaum noch eine rechte Vorstellung machen kann.
Graumann sagt hierüber 34 ) (S. 13):
„Wenn ein Hauptvieh in dem Innern seines Leibes gewisse trau¬
benförmige Auswüchse hat, welche an der innern Haut des Körpers
hangen, so glaubt man, dass ein solches Thier die Franzosen habe
und inficirt sei. Weiter bedarf es nichts, wie dieser sonderbaren
Geschwülste, und weiter wird auch keine Untersuchung mit dem ge¬
schlachteten Vieh angestellt, denn sobald der Schlächter diese un¬
natürlichen Bammelotten bemerkt, so wirft er das Messer hin, hört
auf das Vieh anzufassen, und solches wird dem Frohnknecht über¬
liefert, von dem der Schlächter noch wohl überdem, da, wo die Ge¬
walt der Vorurtheile und Thorheiten grösser ist, seine dabei gebrauch¬
ten Werkzeuge mit einem Rthr. lösen muss, ehe sie wieder ehrlich
werden, und von einem wackeren Amtsmeister angefasst werden
können. “
Ob die Thiere dabei fett oder mager waren, sei gleichgültig
gewesen, sie mussten auf den Schindanger, während alle anderen
Deutsche Zeitschrift £. Thiermed. n. vergl. Pathologie. IX. Bd. 2
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I. JOHNE
18
Krankheiten (Anfüllung der Lunge mit Eiter oder Wasser, Leberver¬
härtung, Geschwüre der Leber etc.) dem Verkauf des Fleisches nicht
hinderlich gewesen wären.
Nachdem schon Zink (1. c.) anf die Unschädlichkeit des
Fleisches perlsüchtiger Kinder aufmerksam gemacht hatte, war
es wieder besonders Graumann, der im Aufträge der Regie¬
rung von Mecklenburg-Schwerin gegen die von ihm beschrie¬
benen Missstände zu Felde zog. Er bezeichnet die Franzosen¬
geschwülste, deren Sitz und Aeusseres er ziemlich richtig be¬
schreibt, als eine Art Hydatiden (Echinococcen), die vielleicht
nur etwas Besonderes hätten; eine Ansicht, welche ja später noch
wiederholt aufgetaucht ist (vergl. Dubuy 17 ), Hofacker 14 ),
Hayne 42 ), Viborg 42 ), D’Arboval 44 ) u. A. Vergl. auch
Bayer 45 ) und Leonhardt 46 ) [1880. S. 13) wegen des zufälli¬
gen Vorkommens von Echinococcen neben Tuberculose des Kin¬
des). Die Ursache der Franzosenkrankheit sei ein Ueberfluss
an Feuchtigkeit, die nicht mehr in den Gefässen aufbewahrt
werden könne, sondern solche zersprenge, ausfliesse und dann
die Geschwülste bilde. Er leugnet mit Kersting, der um die¬
selbe Zeit im Aufträge der Regierung von Mecklenburg-Strelitz
ein Gutachten über die Franzosenkrankheit abgab, entschieden
die Vererbung derselben, führt ihre Entstehung auf zu fette oder
zu feuchte Weide zurück und versteigt sich schliesslich sogar zu
der Behauptung, dass sie eigentlich gar keine wahre und reelle
Krankheit sei.
Ebenso hatte sich in einem Bericht vom 26. Nov. 1782 an
das Ober-Sanitäts-Collegium der damalige Kreisphysikus Heim
gegen die syphilitische Natur und für die Geniessbarkeit des
Fleisches perlsttchtiger Rinder ausgesprochen. Nichtsdestoweni¬
ger erschien noch im darauffolgenden Jahre von derselben Be¬
hörde ein „Regulativ zur Entscheidung, ob ein geschlachtetes
Vieh mit der Franzosenkrankheit behaftet sei“, welches noch voll¬
ständig unter dem Eindrücke der von Graumann und Heim
widerlegten Anschauungen entstanden war und den Genuss sol¬
chen Fleisches verbot. Das in demselben entworfene Bild der
Franzosenkrankheit pasBt auf keine der genannten Krankheiten
des Rindes und lässt sich höchstens auf die menschliche Venerie
übertragen. Allerdings sollen nach demselben Regulativ auch
bei ganz gesunden und gut genährten Rindern an einzelnen Ein-
geweiden beim Schlachten schwammige, verhärtete, traubenartige,
aber nicht als „Franzosen“ bezeichnete Gewächse gefunden wer-
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Geschichte der Tuberculose.
19
den, nach deren Beseitigung das Fleisch ohne Nachtheil genossen
werden könne und durchaus nicht dem Abdecker zu tiberweisen
sei. Erst durch Verordnung des Generaldirectoriums vom 27. Juli
1785 4 7 ) wurden in Preussen sämmtliche wegen Genuss des Flei¬
sches perlsüchtiger Rinder erlassenen Verbote aufgehoben, ein
Vorgang, dem Oesterreich durch Verfügung vom 11. Juli 1788,
und nachher alle deutschen Staaten folgten. Die alten Vorur-
theile waren indess nicht so rasch auszurotten und noch 1810
soll nach Viborg 43 ) der Widerwille gegen solches Fleisch wenig
abgenommen, dieses sogar bis 1818 in Norwegen verworfen wor¬
den sein.
Mit Aufhebung der genannten Verbote war nun zwar die
Perlsucht ihres syphilitischen Charakters entkleidet, ihr eigent¬
liches Weseh und ihre tuberculöse Natur, viel weniger ihre Iden¬
tität mit der Tuberculose des Menschen aber noch lange nicht
anerkannt. Der Kampf der Meinungen hierüber reicht vielmehr
bis in die Gegenwart hinein. Im Verein mit der Lungentuber-
culose des Rindes ist sie ein Gegenstand der vielfachsten Unter¬
suchungen und wissenschaftlichen Differenzen gewesen, welche
sich wesentlich um die Frage drehten: Sind Perlsucht und Lun¬
genschwindsucht des Rindes identische, der Tuberculose zuzu¬
zählende Processe? Complicirt wurde die Lösung derselben noch
durch den Umstand, dass, während die französischen Pathologen
und deren Anhang gleich von Haus aus mehr die Beziehungen
der PerlsucHf zur Tuberculose und Phthise hervorhoben, die
Deutschen hingegen deren abdominale Form häufig mit der ihr
vielfach combinirten Nymphomanie zusammen warfen.
Frenzei 48 ), welcher 1799 über die Franzosenkrankheit des
Rindes schrieb, konnte sich von den alten Anschauungen noch
nicht vollständig losmachen. Er unterschied deshalb zuerst
„fette und magere Franzosen“. Letztere sollten mit hoch¬
gradiger Kachexie verbunden und der Fleischgenuss mit schwe¬
ren Nachtheilen für die menschliche Gesundheit verbunden sein.
Die Krankheit sei dabei ansteckend, vererblich und entspreche
in ihrem ausgebildeten Grade der Venerie des Menschen. Ge¬
steigerter Begattungstrieb veranlasse örtliche Fehler der Ge-
schlechtstheile, von wo die Krankheitsmaterie nach anderen Tliei-
len hingeleitet werde. Veith 19 ) (S. 427) erklärte die knoten¬
artigen Auswüchse für Folge einer luxuriösen Bildungsthätigkeit
der serösen Häute, bedingt durch das Vorwalten coagulirbarer
Lymphe. Ihm schliesst sich vollständig Dietrichs 20 ) (S. 468)
2 *
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I. JOHNE
an, während Gurlt die Knoten 1831 in seiner pathologischen
Anatomie 21 ) (S. 52) für Tuberkeln, später aber für Gebilde hielt,
welche-mehr den Sarkomengleichen sollen. 49 ) Auch D’Arboval 44 )
stellte die Perlsucht zur Lungenschwindsucht und beschrieb beide
als Phthisis pulmonaris, während Hayne 42 ) die Neubildungen
(ausser wie auch D’Arboval aus Hydatiden) wesentlich aus
einem formlosen, lymphatischen Gerinnsel als Folge einer rheu¬
matischen Entzündung der-serösen Häute entstehen liess. Aehn-
lich Rychner und Im Thurm 50 ); beide hoben zugleich die Ver¬
schiedenheit der Nymphomanie und Tuberculose hervor. Hering 24 )
(S. 138) und Fuchs 26 ) (S. 222 und 51 ) sprachen sich ganz be¬
stimmt für die tuberculöse Natur der Perlsucht aus, wobei letz¬
terer noch ganz besonders die Zusammengehörigkeit der Perlsucht
und Lungentuberculose urgirte. Neben Perlsucht kämen innere
Lungentuberkeln und Scropheln (d. h. Tuberculose der Mesenterial-
und Bronchialdrüsen) vor. Er führt zur Unterstützung seiner
Ansicht besonders die von Schellhase gemachte Beobachtung
an, dass neben exquisiter Perlsucht der serösen Häute sich zahl¬
reiche tuberculöse Geschwüre im Larynx und in der Trachea vor¬
gefunden hätten 52 ) (Bd. VI, S. 173), ein Fall, auf den auch Ger-
lach später Bezug nimmt. Die gleiche Ansicht vertraten später
noch König 53 ) (Bd.XIX, S. 334), Anacker 53 ) (Bd. XXI, S.61)
und Kreutzer 54 ), während Dittrich 55 ) die Knoten, die.mög¬
licherweise tuberculöser Natur seien, wiederum aus Exsudaten
entstehen lässt, die einem fortwuchernden Entzündungsprocess
ihren Ursprung verdanken sollen. Wolf 53 ) (Bd. XXII) endlich
hält dieselben für Cysten, welche Aehnlichkeit mit Atherom- und
Colloidbälgen hätten.
In diese Zeit der sich widerstreitenden Ansichten fallen auch
die oben schon citirten Arbeiten Virchow’s. Er vertrat in den¬
selben zwar gleichfalls die Zusammengehörigkeit der auf den
serösen Häuten und im Innern der Organe vorkommenden knoten¬
förmigen, tuberkelähnlichen Neoplasmen, erklärte sie aber, wie
schon oben bemerkt, für Lymphosarkome und stellte deren Iden¬
tität mit der menschlichen Tuberculose entschieden in Abrede.
Von den späteren thierärztlichen Autoren haben nur wenige
die Virchow’sche Ansicht adoptirt. Entgegen ihm und Gurlt
hielten Spinola 25 ) und Haubner 56 )an der Tuberkelnatur beider
zusammengehöriger Processe fest. Der eifrigste Verfechter -der
letzteren Ansicht war aber Ger lach. Indem er, wie ja auch in
der neuesten Zeit mehrfach ausgesprochen, die mikroskopische
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Geschichte der Tuberculose.
21
Untersuchung und den hierauf basirenden streng anatomischen
Standpunkt zur Entscheidung dieser Streitfrage fürnichtallein
massgebend hielt, legte er das Hauptgewicht auf gewisse klini¬
sche und schon makroskopisch wahrnehmbare pathologische Ver¬
änderungen.
Er sagte: „Es ist Thatsache, 1. dass neben den Knoten an den
serösen Häuten stets tuberculöse Degeneration der Lymphdrüsen, in
der Regel auch Tuberkeln und Verkäsungen in den Lungen, zuweilen
in und an noch anderen Organen zugleich gefunden werden; 2. dass
man bei einer Lungentuberculose an solchen Stellen der Pleura nicht
selten eine Gruppe von Knötchen und Trauben, ganz wie bei der
Perlsucht, findet, wo der Krankheitsprocess bis an die Lungenpleura
gedrungen ist; 3. dass die Perlsucht sich vererbt wie Lungentuber¬
culose, dass von lungensüchtigen Kühen die Nachkommen perlsüchtig,
und auch umgekehrt die Nachkommen von perlsüchtigen Kühen
lungensüchtig werden können“ 52 ) (S. 173) und 57 ).
Einen vermittelnden Standpunkt zwischen Gurlt, Virchow
undRöll 58 ) welche die Sarkomnatur, undGerlach, Spinola,
Fuchs und Förster, welche die Tuberkelnatur der Perlsucht
vertraten, suchte Leisering 59 ) (1862, S. 87) anzubahnen.
Er liess sämmtliche als P^lsucht, Lungen-, Leber-, Gebärmutter-
und Hauttuberculose bezeichneten Processe aus einem weichen, jungen,
neugebildeten und sehr gefässreichen Bindegewebe hervorgehen. In
diesem soll es durch Proliferation der vorhandenen Elemente erst
secundär zur Bildung kleinster Knötchen kommen, deren Zusammen¬
setzung aus einem feinen, bindegewebigen Netzwerk mit eingebetteten
zahlreichen runden und spindelförmigen, zum Theil lebhaft prolife-
rirenden Zellen ein Fibrom oder Fibrosarkom Vortäuschen könne.
Diese fortwährend neugebildeten Knötchen würden durch das da¬
zwischen liegende Bindegewebe theils zu kleinen, theils zu grösseren,
bis faustgrossen Knoten verbunden, welche entweder isolirt blieben,
oder, wie meist auf den serösen Häuten, zu grossen Packeten con-
glomerirten. Charakteristisch sei allen diesen Neubildungen der rasch
eintretende Zerfall, welcher bereits in den kleinsten Knötchen mit
Verfettung beginne und schon bei erst hanfsamengrossen Knötchen
zur centralen Verkalkung führe. Eine eigentliche Erweichung finde
nur bei denen in der Submucosa der Respirations- und Verdauungs¬
organe, sowie dös Uterus statt und führe zur Geschwürsbildung. Auch
in der Luuge hebe der Process lediglich mit Bildung eines Mutter¬
gewebes im Bindegewebe der Interlobularzüge an, worauf sich der
Process in der obigen Weise weiter entwickle. Die grossen con-
glomerirten Knoten zeigten eine ausgesprochene Neigung zur Ver¬
käsung, die kleineren zur Verkalkung. Genau dieselben Processe liefen
ferner im intramusculären und subcutanen Bindegewebe ab; sie seien
früher von Lafosse als Druse, von Haubner als Hauttuberkel
beschrieben worden.
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I. JOHNE
Stelle man sich bei Untersuchung dieser Neubildung auf
den genetischen Standpunkt, so mttsse man sie als Sarkome be¬
zeichnen; ziehe man vor Allem ihre weiteren Schicksale in Be¬
tracht, so mttsse man sie der Tubercttlose zuzählen. Wenn sie
aber nicht das eine noch das andere in vollem Umfange sei, so
mttsse man sie als eine dem Binde (vielleicht auch dem Schweine)
eigenthttmliche Neubildung sui generis ansprechen und könne ihr
> fttglich den Namen Bindstuberculose beilegen.
ZWEITER ABSCHNITT.
Die von Villemin beginnende Periode der experimentellen
Forschung.
Mit dem von Leisering 1862 vorgescblagenen Compromiss
war die Identitätsfrage indess noch lange nicht zum Abschluss
gebracht. Sie trat vielmehr, wie oben schon angedeutet, in ein
ganz neues Stadium, als Villemin im Jahre 1865 die Tuber-
culose für eine specifische, von Meppch auf Thier und von Thier
zu Thier Übertragbare Infectionskrankheit erklärt hatte. Niemals
ist wobl die wissenschaftliche Kritik mit einem grösseren Scepti-
cismus an die Prüfung einer neuen Theorie herangetreten, als an
Villemin’s Lehre. Durch Hunderte, ja Tausende von Ueber-
tragungsversuchen und eingehende histologische Studien der Tu-
berkelstructur hat man sich bemüht, die Wahrheit derselben zu
ergründen, mit Befriedigung kann man aber constatiren, dass diese
Arbeit nicht umsonst gewesen ist. Allmählig sind der Wider¬
sprechenden immer weniger geworden, so dass heute wohl kaum
noch ein gegründeter Zweifel an der Infectiosität und Identität
sämmtlicher bei Menschen und Thieren vorkommenden tubercu-
lösen Processe erhoben werden kann.
In diesem Abschnitt nun soll versucht werden, einen Ueber-
blick über die zur Begründung dieses Lehrsatzes ausgeführten
experimentellen Arbeiten und histologischen Untersuchungen zu
geben. Sind diese doch nicht nur für die Kenntniss der Tuber-
culose im Allgemeinen, sondern besonders auch für die Fixirung
der pathologischen Stellung der thierischen Tuberculose von höch¬
ster Bedeutung geworden.
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Geschichte der Tuberculose.
23
I. Experimentelle Arbeiten.
Alle bisher mit Tuberculose angestellten Uebertragungsver¬
suche zerfallen in Impf-, Inhalations- und Fütterungsversuche.
1. Impfversuche.
Diese sind ausserordentlich zahlreich und in verschiedener
Weise vorgenommen worden. Man verwendete theils tuberculose
Massen vom Menschen, oder von Thieren, welche man beiden
verschiedensten Thiergattungen unter die Haut oder in die Bauch¬
höhle, theils in die Gefässe oder in die vordere Augenkammer,
eventuell durch Einstich von Aussen direct in die Lunge brachte.
a) Die sübcutanen Impfungen repräsentiren jedenfalls
die grösste Anzahl der bisher überhaupt vorgenommenen Ueber-
tragungsversuche. Sie alle hier anzuftihren ist unmöglich. Es
sei daher vor Allem auf deren Zusammenstellung von Walden¬
burg 3 ) (S. 179 u. folg.) verwiesen, der sich in neuerer Zeit noch
eine grosse Menge anderer Versuche anreihen.
Darunter befindet sich einvonDemet, Paraskeva und tal¬
ionis 86 ), welche einem an fortschreitendem Brande der grossen Zehe
leidenden, anscheinend nicht tuberculösem Manne, dessen Tod, weil
er sich nicht amputiren lassen wollte, zweifellos bevorstand, Sputa
eines Tuberculösen inoculirten, und als derselbe nach 38 Tagen starb,
frische Tuberkelknötchen in beiden Lungenspitzen fanden.
Mit tuberculösem Material von Rindern) ist speciell von
Soujou und Court Paul 60 ), Gerl ach 61 ) (Bd. II. 1869), Gttn-
therund Harms 61 )und 53 ) (Bd. 37), RivoltaundPerroncito 62 )
(Bd. 31), Bagge 63 ) (Bd. 32), Zürn 64 ), Bollinger 65 ) (Bd. I),
Biffi und Verga 66 ) (1873, No. 52), Bouley 7 ) (1880, No. 26),
Aufrecht 124 ) etc. experimentirt worden. Zahlreiche subcutane
Impfungen wurden innerhalb der letzten zwei Jahre auch von
Toussaint angestellt. Auf Grund derselben 80 ) (1880, p. 31 und
7 ) Tom. 93, No. 5, p. 281; No. 6, p. 322) ist er der Meinung, dass
keine Krankheit ansteckungsfähiger sei, als die Tuberculose, und
dass alle Flüssigkeiten des Körpers, das Blut, der Nasenausfluss,
der Speichel, der flüssige Inhalt der Gewebe und der Harn tuber-
culöser Thiere, ja selbst der Pustelinhalt von Impfpocken, der
Träger des Giftes wären. Letzteres erhalte sich selbst in Tem¬
peraturen wirksam, welche Milzbrandbacillen tödten.
Alle diese Versuche sind an den verschiedensten Thieren
(Kühen, Kälbern, Ziegen, Schweinen, Kaninchen und Hunden)
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I. JOHNE
angestellt worden und führten fast regelrecht zur Entwicklung
einer miliaren Tuberculose. Nach den Angaben der Experimen¬
tatoren stimmte dieselbe vollständig mit dem menschlichen Miliar¬
tuberkel überein, wie ihn Schttppel und fast alle pathologischen
Anatomen der Neuzeit (mit Ausnahme Virchow’s) definiren.
Diesen positiven Impfresultaten stehen verhältnissmässig nur
wenige mit demselben Impfmaterial ausgeführte negative/ Ergeb¬
nisse gegenüber. So die von Bagge 63 ) (Bd. 31) und Pütz 144 )
(S. 700 — bei je zwei Kalbinnen mit tuberculösen Massen vom
Menschen), Köh ne 53 ) (Bd. 36 — bei drei Pferden mit Tuberculose
vom Pferd und Rind und frischem und alten Pferdeeiter), Verga
undBiffi 66 ) (zwei Maulthiere, eine Kuh, zwei Schafe und zwei
Hunde), Semmer 62 ) (Bd. 36 — mit tuberculösen Massen vom
Rind bei Pferden und Hunden), Bölling er 65 ) (Bd. I — tuber-
culöse Massen vom Mensch und Rind bei drei Katzen und zwei
Hunden) etc. Bölling er sprach zugleich die seitdem fast allge¬
mein adoptirte Ansicht aus, dass Einhufer und Fleischfresser
nahezu immun, mindestens schwerer empfänglich seien, als Pflan¬
zenfresser, von denen Meerschweinchen und Kaninchen ausser¬
ordentlich leicht inficirt würden.
b) Peritoneal ausgeführte Impfungen liegen in bei
Weitem geringerer Anzahl vor. Für die^Tuberculose des Rindes
sind besonders die von Klebs, Bollinger und Kitt wichtig.
Ersterem 67 ) (Bd. 49, 1870, S. 292) gelang es, durch Injection
menschlicher Tuberkelmassen in die Bauchhöhle eines Kalbes eine
Tuberculose des Peritoneums, vollständig dem Bilde der Perlsucht
entsprechend, hervorzurufen. Bollinger 65 ) (Bd. I. 1873, 8. 257)
erzielte durch Injection von 60 Gramm einer durch Verreiben von
tubercuiös-scrophulösen Lvmphdrüsenpartikelchen vom Menschen mit
V 2 proc. Kochsalzlösung gewonnenen Flüssigkeit in den Peritoneal-*
sack eines jungen Ziegenbockes denselben Erfolg. Kitt 69 ) (1879/80,
S. 28) constatirte bei einem Kalbe 46 Tage nach der peritoneal ausge¬
führten Impfung mit dem aus den tubercuiös-scrophulösen Submaxillar-
drüsen eines Menschen gewonnenen Safte eine tuberculöse Entzündung
des Peritoneum, tuberculös-scrophulöse Entzündung der Bronchialdrü¬
sen, tuberGulöse Entzündung des Pericardium und der Pleurasäcke*
Die Beweiskraft aller dieser subcutanen und peritonealen Im¬
pfungen blieb indess nicht unangefochten . Von den ersten Ville -
min'sehen Versuchen an hat sich bis in die Gegenwart hinein eine
lebhafte, allerdings mehr und mehr verstummende Opposition hier -
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Geschichte der Tubereulose.
25
gegen erhoben. Eine grosse Reihe von Forschern (Chauffard 5 )
1867 — Lebert und Wyss 67 ) 1867 — Clark 70 ) 1867 —
Colin 5 ) 1868 — Sanderson 70 ) 1868 — Simon und Sander-
son 7t ) 1868 — W. Fox 72 ) 1868 — Cohnheim undFränkel 61 )
1868 — Waldenburg®) 1869 — Papil Ion, Nicol, Laverna 6 )
1871 — Gotthardt 7 ®) 1871—Metzquer 74 ) 1874 — Fried¬
länder 75 ) 1874 — Carpani 70 ) 1874 — Talma 77 ) 1881 —
Brun et 7 ) 1881, Tom. 93 — Robinson 132 ) u. A.) versuchten nach¬
zuweisen, dass auch nach der Einimpfung von nicht tuberculösea
thierischen Substanzen, ja selbst nach dem Einbringen von allen
möglichen Fremdkörpern, namentlich bei Kaninchen und Meer¬
schweinchen, unter Bildung käsiger Herde an der Impfstelle eben¬
falls eine miliare Tuberculose entstehe. Waldenburg®) (S.403
u. folg.) erklärte die dnrch Impfung entstehende Tuberculose auf
Grund seiner zahlreichen Versuche geradezu ftlr eine nicht spe-
cifische Resorptionskrankheit, welche durch die Inoculation der
verschiedensten Substanzen in der Weise hervorgerufen werde, dass
die feinen geformten Partikelchen der letzteren resorbirt, durch das
Blut den verschiedenen Organen des Körpers zugeführt würden,
und in diesen abgelagert, durch ihre Anwesenheit jene miliaren
Neubildungen erzeugten. Aber nicht nur von aussen inoculirte
Fremdkörper, sondern auch im Körper selbst vorhandene oder in
ihm selbst abnorm erzeugte, sehr feine corpusculäre Elemente
(Eiter, käsige Massen etc.) könnten durch Resorption die Tuber¬
culose, die also durchaus nichts Specifisches habe, hervorrufen,
eine Theorie, welche mit der Buhl’schen Käseinfectionstheorie
theilweise übereinstimmte und die Tuberculose quasi durch eine
Selbstinfection entstehen liess. Friedländer ging sogar
so weit, die Impftuberculose für eine Illusion, und die künstliche
Erzeugung von Tuberkeln für unmöglich zu erklären.
Diesen Zweiflern an der specifischen Virulenz der Tubercu¬
lose wurde indess schon an der Hand der bei den subcutanen
und peritonealen Impfungen gewonnenen Erfahrungen eine Reihe
von positiven Thatsachen entgegengestellt, deren Beweiskraft nicht
anzufechten war. — Zunächst konnte
a) die von Waldenburg vertretene Anschauung gegenüber
der Thatsache keinen Boden gewinnen, dass die vonPonfick,
Hoffmann und Langerhans massenhaft in die Bauchhöhle
von Meerschweinchen gebrachten Zinnoberaufechwemmungen keine
Tuberkeleruptionen hervorzurufen vermochten (Cohnheim 78 )
(Bd. I, S. 609).
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I. JOHNE
ß) Selbst wo aber durch Einimpfung von Producten nicht
tuberculösen Gewebszerfalles, sowie durch andere feinkörnige Sub¬
stanzen unter Umständen tuberkelähnliche Knötcheneruptionen
entstanden, unterschieden sich dieselben trotz ihrer nahezu Über¬
einstimmenden oder vollständig histologischen Gleichartigkeit doch
durch ihr weiteres Verhalten wesentlich von dem menschlichen
Tuberkel. Sie verkästen nicht und waren nicht wie
letztere weiter verimpfbar (Klebs 67 ) Bd.44, S. 296
und Baumgarten 67 ) 1880, S. 697). Toussaint 7 ) (Tome 93,
No. 19 und 78 ) 1881, No. 10, p. 529) erklärt nicht nur die Ueber-
tragungsfähigkeit der Tuberculose für eine unbegrenzte, sondern
nimmt sogar eine steigende Virulenz der Impfproducte mit der
Zahl der Impfgenerationen an. Zu gleichen Resultaten gelangte
auch Martin 68 ) (1881, No. 1 und 2). Nach ihm ist der wahre,
durch Impfung specifischer Tuberkelmassen entstandene echte
Tuberkel von den durch Impfung indifferenter, feinmoleculärer
Massen entstandenen tuberkelähnlichen, localen Entzttndungspro-
ducten — von ihm Pseudotuberkeln genannt— histologisch
allerdings nicht zu unterscheiden. Nur die Verimpfbarkeit, die
Infectiosität unterscheide den ersteren vom letzteren.
y) Andere Experimentatoren waren ferner im Stande nach¬
zuweisen, dass die Einimpfung nicht tuberculöser Sub¬
stanzen (Fleisch, Neubildungen anderer Art, Fremdkörper)
nicht bei allen Thiergattungen, Und nicht bei allen Individuen
einer und derselben Art Tuberculose mit oder ohne vorherige Ver¬
käsung an der Impfstelle bilden könne. Selbst Kaninchen, welche
thatsächlich Überaus leicht zur Bildung käsiger Herde an letz¬
terer hinneigen und leicht der Tuberculose verfallen, seien hier¬
her zu rechnen. Dagegen könnten durch Einimpfung tuberculöser
Massen Tuberkeln selbst bei Thieren erzeugt werden, wo dies
in anderer Weise nicht gelinge (Gerlach 61 ) 1869, S. 132, ne¬
gative Versuche mit Pferden, Rindern, Schafen, Ziegen, Schweinen
und Hunden — Günther und Harms 61 ) 1872, S. 83, aus¬
nahmslos negative Resultate bei 23 Kaninchen — Verga und
Biffi 66 ) 1870, No. 11). Jedenfalls werde auch durch Einim¬
pfung der Tuberkelmaterie sicherer und in viel höherem Grade
Tuberculose erzeugt, als auf traumatischem Wege, d. h. durch
allerhand Fremdkörper (Gerlach).
ö) Von besonderem Gewichte war aber der Beweis, dass ein¬
mal nicht jede käsige Masse bei einfacher Impfung eine arti-
ficielle Tuberculose erzeuge — Chauveau 86 ) (1872, S. 337) —,
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Geschichte der Tuberculose.
27
sondern dass Überhaupt die Einimpfung nicht tuberculöser Massen
nur dann erst Tuberculose hervorrufe, wenn die eingeführten Stoffe
oder die Impfwunden mit tuberculösem Virus verunreinigt worden
seien. Letzteres Argument war von um so grösserer Bedeutung,
als es namentlich von Cohnheim 78 ) (Bd. I, S. 609), der früher
in der ersten Reihe der Specifitätsgegner stand, aufgestellt wurde.
(Vergl. auch Klebs 65 ) Bd. I. — Baumgarten 67 ) 1880, S. 698,
vorherige Desinfection der Impfsubstanz schwächt deren Infec-
tionsfähigkeit erheblich ab.)
e) Endlich wurde mehrfach nachgewiesen, dass die Erzeu¬
gung eines Käseherdes an der Impfstelle durchaus kein noth-
wendiges Postulat zur Erzeugung der Tuberculose sei (Rüge 81 ).
Es sprach hierfür besonders der Umstand, dass peritonealen Im¬
pfungen durchaus nicht immer die Bildung eines Käseherdes
voranging, welcher als Quelle der Infection anzusehen gewesen
wäre.
Wurden schon durch alle diese Thatsachen die Einwände
der Zweifler mindestens erheblich erschüttert, so waren ander-
weit modificirte, namentlich mit Vermeidung jeder Ver¬
käsung an der Impfstelle ausgeführte Impfversuche vollends
imstande, die Lehre Villemin’s von der Infectiosität und Uni-
tät der bei Menschen und Thieren vorkommenden tuberculösen
Processe mehr und mehr zu befestigen. Es sind in dieser Rich¬
tung noch besonders die intravasculären, intrapulmonären und
intraoculären Impfungen als bedeutungsvoll zu erwähnen.
c) Intravasculäre Impfungen sind von Semmer in
Gemeinschaft mit Thal und Nesterow 35 ) (Bd. II, S. 209 und
67 ) Bd. 82, S. 546) nach Spinola’s und Colin’s Vorgänge im
Jahre 1875 ausgeführt worden. Mit Ausschluss von Kaninchen
und Meerschweinchen wurden nur Schweine und Schafe der ge¬
meinen Landratje aus der Umgebung von Dorpat hierzu gewählt,
bei denen nach Semmer’s Erfahrung weder Scrophulose noch
Tuberculose Vorkommen soll.
Milch und Blut einer hochgradig an Lungen- und Pleuratnber-
culose leidenden Kuh wurde 30 Versuchsthieren theils unter die Haut,
theils in die Jugularis gebracht, und zwar in einer Menge von 1 ,i 2 bis
V 40 der Gesammtblutmenge des Versuchstbieres. Bei keinem war an
der Impfstelle Eiterung oder Verkäsung eingetreten. 13 Versuchs-
thiere gingen bald nach der Impfung an verschiedenen anderen Leiden
zu Grunde, während 16 der übrig gebliebenen bei der 5—6 Monate
nach derselben erfolgten Tödtung die gelungensten Resultate zeigten.
Bei den Schweinen sollen dieselben vollständig der Tuberculose der
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28
I. JOHNE
Lungen und der Pleura des Rindes entsprochen haben, während sich
der Befund bei Schafen mehr der Tuberculose des Menschen genähert
hätte.
Semmer glaubt aus diesen Untersuchungen scbliessen zu
mttssen, dass die Perlsucht der Rinder als solche auf Schweine
Übertragbar sei, und dass mit dem im Blute, Fleische und der Milch
enthaltenen Contagium auch Schafe und andere Thiere inficirt
werden könnten. Entgegen Gerlach, Klebs, Orth, Scbüp-
pel u. A. hielt er aber die .Perlsucht des Rindes fttr eine
selbständige, mit der Tuberculose nicht vollständig identische
Krankheit.
Auf die von Virchow 67 ) (Bd. 82) ausgesprochenen Zweifel
hinsichtlich der Beweiskraft der Semmmer’schen Versuche, die
sich auf die lange Dauer derselben (6 Monate) und den Mangel
an Controlthieren, namentlich aber darauf bezogen, dass die In-
jectionen unter die Haut und in die Venen noch nicht berech¬
tigten, die Uebertragbarkeit der Perlsucht durch die Verdauungs¬
organe anzunehmen, folgte sehr bald eine ziemlich scharfe Ent¬
gegnung SemmerV 1 ) (Bd. 83, S. 555). Bezüglich ersterer
berief er sich auf die lange Incubationsdauer der Tuberculose,
hinsichtlich der letzteren auf die Thatsache, dass in Dorpat
die Tuberculose bei Schafen und Schweinen der gewöhnlichen
Landrage, wie schon erwähnt, so gut wie gar nicht vorkäme,
Controlthiere daher Überflüssig seien. Wenn 10 Schweine und
6 Schafe, die alle von verschiedenen Müttern stammten, nach
der Infection frische, echte Tuberkel gezeigt hätten, so müsste
dies als vollgültiger Beweis der Virulenz des Fleisches, des Blutes
und der Milch tuberculöser Thiere aufgefasst werden. Erst in
zweiter Linie werde es sich darum handeln, festzustellen, ob das
Tuberkelcontagium durch die Verdauungssäfte zerstört werde.
d) Intrapulmonal wurden durch Pütz 144 ) (S. 700), zwei
Pferde mit tuberculösen Producten von Menschen geimpft, und
hierdurch in einem Falle ein zweifelhafter Erfolg, in dem ande¬
ren eine typische Miliartuberculose erzielt.
Von höchster Bedeutung fttr die Lehre von* der Tuberculose
wurden aber
e) die intraoeulären Impfungen. Diese zuerst von
Cohnheim und Salomonsen 82 ) (1877, No. 65 und 83 ) S. 171),
darauf von Hänsell und Deutschmann 84 ) (Bd. XXV, 1,25)
in Bezug auf die Virulenz der menschlichen Tuberculose ange-
stellten, geradezu classischen Versuche sind später besonders von
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Geschichte der Tubercolose.
29
Baumgarten 31 ) (1880, No. 49) mit Rücksicht auf die des Rin¬
des wiederholt worden. Mit denkbarst absoluter Sicherheit ge¬
lang es den Experimentatoren, durch Implantation von tuber-
culösem Material in die vordere Augenkammer ohne die früher
von den Gegnern der Specifitätslehre urgirte Zwischenstufe der
Verkäsung nach einer Incubationsdauer von 20—30 Tagen (beim
Kaninchen im Mittel 25 Tage) eine typische Iristuberculose mit
einer fast regelmässig sich hieran anschliessenden typischen, se-
cundären, allgemeinen Miliartuberculose zu erzeugen. Die von
Baumgarten durch Inoculation tuberculöser Massen, selbst
durch Injection von Blut tuberculöser Rinder 71 ) (1881, S. 274)
erzeugten Iristuberkeln entsprachen dabei nicht nur vollständig
den durch menschliches Impfmaterial erzielten, sondern waren
auch durch mehrere Generationen weiter impfbar. Mit zweifel¬
loser Sicherheit wurde dabei zugleich von den genannten For¬
schern constatirt, dass nur echtes tuberculösesMaterial
vom Mensch oder Thier diesen Erfolg hatte.
Eine andere Gruppe von Infectionsversuchen,
2. die Inhalationsversuche,
wurden in der Weise ausgeführt, dass man tuberculöse Massen
mit Wasser verrieb und die mittelst geeigneter Apparate zer¬
stäubte Flüssigkeit von Versuchsthieren tlieils durch eine Tra-
chealwunde, theils durch die unverletzten Luftwege in geschlos¬
senen Räumen einathmen liess. Die ersten derartigen Experi¬
mente sind von Tappeiner 61 ) (Bd. 74, S. 393 u. Bd. 82, S. 353)
angestellt und später von Lippl, Reinstadler und Ber-
theau 85 ) (Bd. 26, S. 523), Weichselbaum 11 ) (1882, No. 20),
mit Hunden und Ziegen in mannigfacher Weise modificirt, wie¬
derholt worden. Sie führten fast ausnahmslos zur Entwicklung
einer Lungentuberculose und bewiesen somit gegen Schotte-
lins 67 )' (Bd. 73, S. 230) nicht nur die specifische Virulenz der
Tuberculöse, sondern auch die Möglichkeit der Aufnahme des
tuberculösen Virus durch die Lungen und die der Ansteckung
durch Cohabitation (s. später).
Die vom allgemein hygienischen Standpunkt aus wichtigste
Gruppe der Uebertragungsversuche bilden endlich
3. Die Fütterungsversuche.
Durch die Impf- und Inhaitationsversuche war zwar die
Virulenz und Identität der Tuberculöse im Allgemeinen, speciell
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30
I. JOHNE
namentlich auch die des Menschen und des Rindes zweifellos
bewiesen worden. Die Einwände der Gegner dieser Lehre hatten
indess schon von Haus aus noch solche Versuche wünschens¬
wert erscheinen lassen, welche nicht nur eine Einverleibung
des Tuberkelvirus ohne Verwundung, Eiterung und Käsebildung
auf dem Wege des Verdauungsschlauches gestatteten, sondern
auch zugleich die nahe liegende, hochwichtige Frage lösen
konnten, ob die Tuberculose durch den Genuss von Fleisch und
Milch damit behafteter Thiere, namentlich Rinder, auf andere
Thiere, resp. auf den Menschen übertragbar sei
Die ersten Versuche dieser Art sind von Gerlach 30 ) (Bd. L
S. 6 und 6l ) 1869, Bd. II) und zwar mit tuberculösen Knoten von
serösen Häuten und mit der Milch perlsüchtiger Kühe in den
Jahren 1866—1869 in Hannover vorgenommen worden, während
die ersten Mitteilungen solcher von Chaveau 87 ) (Bd. XXV,
S. b) 1869 veröffentlicht wurden.
Auf Qrund seiner an drei, 6—12 Monate alten Kälbern ange-
stellten Fütterungsversuche mit positivem Erfolg (jedes hatte circa
30 Gramm tuberculöser Massen aus Lungen, Lymphdrüsen und vom
Bauchfell erhalten), erklärte Letzterer die Tuberculose des Rindes für
eine virulente, wahrscheinlich durch die Verdauungswege sogar häu¬
figer, als durch die Respirationsschleimhaut übertragbare Krankheit.
Weitere Versuche veröffentlichte er noch in den darauf folgenden
Jahren 88 ) (No. 5. 1870 und 80 ) 1872 S. 327 ; 1873 S. 929; «) 1874 und
5 ) 1875 S. 891). Mit principiellem Ausschluss von Kaninchen und
Meerschweinchen wurden dieselben nur an Pferden, Eseln, Rindern
und Kälbern angestellt. Darunter befindet sich ein Experiment mit
11 Kälbern, wovon das jüngste 14 Monate alt war, die sämmtlich
nach Fütterung mit tuberculösen Rindslungen positive Resultate er¬
gaben , während zwei Controlthiere derselben Reihe gesund blieben.
Unter 160 Saugkälbern, berichtet Chauveau unter anderem weiter,
sei nicht eins gewesen, das sich nach l*/ 2 —2 Monate lang fortge¬
setzter Fütterung von tuberculösen Massen, zum Theil vom Rind,
nicht als inficirt erwiesen hätte. Die Infection durch den Verdauungs¬
kanal sei eine um so sicherere, je jünger das Kalb wäre (eine Be¬
obachtung, die auch später von Bollinger, Klebsu. A. bestätigt
worden ist). Es genüge schon, die Finger oder die Striche der Kuh,
an welcher die Kälber saugten, mit Tuberkelmassen zu bestreichen,
um bei sämmtlichen Saugkälbern bereits nach 6 Wochen ausgebreitete
tubercülöse Neubildungen zu erzeugen. Dabei soll, wie Chauveau
ausdrücklich hervorhebt, in der Umgebung von Lyon die Tuberculose
bei Kälbern nur im Verhältniss 1:70 Vorkommen.
Diese ersten Versuche Gerlach’s und Chauveau’s, welche
auf Grund ihrer Erfahrungen die Tuberculose als eminent in-
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Geschichte der Tuberculose.
31
fectiös bezeichneten, blieben nicht vereinzelt. Eine grosse Reihe
der hervorragendsten Forscher widmeten- ihre Thätigkeit der
Lösung der hochwichtigen Frage. Nur eine verhältnissmässig
kleine Zahl hat hierbei lediglich negative Resultate zu registriren,
Einzelne fast nur positive, die Meisten gemischte Resultate.
Es sei hier nur hingewiesen auf die wesentlich mit tuberculösem
Material, Fleisch und Milch tuberculöser Thiere, besonders an Rin¬
dern angestellten Versuche der Dresdener Schule 69 ) (1870, 1872
und 30 ) Bd. VIII, J878/79), Günther und Harms 6t ) (1870, 1872,
1873 und 53 ) 1871 Bd. 37), Klebs 07 ) (Bd. 49, 1870 und ° 5 ) Bd. I,
1873, S. 163), Zürn 64 ) (1871), Brusasco 03 ) (1871, S. 217),
Bollinger 65 ) (1873, Bd. I, S. 357 und 35 ) 1880, Bd. VI, S. 103),
Semmer 62 ) (1873, Bd. XL, S. 16 und 07 ) Bd. 82, S. 546), Ro-
loff 89 ) (1874, Bd. II, S. 33), Viseur 5 ) (1874, S. 443), Dammann 9(> )
(1874, Bd. 18, S. 443), Holten 9 *) (1874, Heft 4), Colin 30 ) (1875,
S. 122), Döpke 89 ) (1875, Bd. III, S. 327), Schreib er 92 ) (1875),
Breil 35 ) (1877*, Bd. IV, S.290), Metzquer 03 ) (1878, S. 57), Lan¬
ger on 93 ) (1878, Bd. 17, S. 149), Blumenberg 35 ) (1879, Bd. V, S. 319),
Orth 67 ) (1879, Bd. 76, S. 217), Peuch 7 ) (1879, Nr. 26 und 1880,
Vol. 90, No. 26), Lange 35 ) (1880, Bd. VI, S. 309), Toussaint 80 )
(1880, Bd. VII, S. 317 und 7 ) 1880, Vol. 90, Nr. 13), Flemming 71 )
1880, Sept.), Virchow 31 ) (1880, S. 189), Peuch ü. Toussaint 79 )
(1881, Nr. 15), Aufrecht 77 ) (1882, S. 289 etc.). — Günther und
Harms 53 ) (Bd. 37, S. 150), sowie Virchow (1. c. S. 210) stellten
ausserdem noch Control versuche in der Weise an, dass ersterer Ka¬
ninchen mit Milch und Fleisch gesunder Kühe, letzterer Schweine
mit „ verdorbenem “, aber nicht von tuberculösen Thieren abstammen¬
den Fleische fütterte. Beide Versuche führten zu keinem Resultate,
am allerwenigsten zur Bildung von Producten, weiche als käsig oder
tuberculös bezeichnet und mit den durch Fütterung mit perlsüchtigem
Material erhaltenen in Parallele gestellt werden konnten.
Werden aus diesen Versuchsreihen diejenigen hervorgehoben,
bei denen möglichst genaue Zahlenangaben vorliegen, so ergibt
eine Zusammenstellung derselben, mit Hinweglassung derjenigen
Fälle, wo die Thiere vorzeitig an intercurrirenden Krankheiten
zu Grunde gingen, oder die Controlthiere ebenfalls tuberculös
waren, dass von Chauveau 87 ) (Bd. XXV, S. 5), Gerlach, der
Dresdner und Hannöver’schen Thierarzneischule,
Klebs, Zürn, Bollinger, Möller, Roloff, Breil, Metz¬
quer, Langeron, Blumenberg, Orth, Lange, Peuch,
Peuch und Toussaint und Aufrecht 322 Thiere lediglich
zu Ftttterungsversuchen verwendet worden sind. Die hierbei er¬
reichten Resultate vertheilen sich, wie folgt:
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32
I. JOHNE
1 Pferd mit 0 Proc. positivem, 100 Proc. negativem, 0 Proc. zweifelh.
Erfolg.
5 Kälber
0
100
«
=
0
0
0
0,0
0
0
35 Schafe
SS
51,4
cs
0
42,9
0
0
5,7
*
0
13 Ziegen
0
84,6
0
0
15,4
0
* 0
0,0
*
0
60 Schweine
SS
65,0
0
SS
18,3
0
0
16,6
#
m
171 Kaninchen
SS
31,2
0
, 0
66,5
0
0
2,3
0
0
20 Hunde
=
25,0
0
0
75,0
0
SS
0,0
0
0
9 Katzen
SS
55,5
0
0
44,4
0
0
0,0
0
0
6 Meerschw.
SS
83,3
0
0
16,6
0
0
0,0
0
0
2 Tauben
SS
0,0
0
0
100,0
*
0
0,0
0
*
In Summa:
: 43,5
0
0
51,1
0
0
5,0
0
0
Von den 322 Ftitterungsversuchen wurden 259 mit rohem
Material vorgenommen, wobei 47,7 Proc. positive, 48,9 Proc.
Negative und 3,3 Proc. zweifelhafte Resultate ergaben. — In
62 Versuchen hingegen wurde 10—15 Min. lang gekochtes
Material verwendet und hiermit noch 35,5 Proc. positive, 64,5
Proc. negative und 1,Q Proc. zweifelhafte Erfolge erzielt.
Nach dem verwendeten Material vertheilen sich die Ver¬
suche auf '
117 mit tuberculösem Material vom
Rind.
46 mit Fleisch von tuberculösen
Rindern (gekocht durchaus ne¬
gatives Resultat).
91 mit Milch von tuberculösen Rin¬
dern .
1 mit Milch von tuberculösen Ka¬
ninchen .
25 mit tuberculösem Material von
Menschen.
33 mit tuberculösem Material von
Schweinen.
2 mit tuberculösem Material von
Schafen.
2 mit tuberculösem Material von
Kaninchen.
3 mit tuberculösem Material von
Affen.
5 mit tuberculösem Material von
Vögeln
61,5 Proc.+, 34,2Proc. —, 4,3 Proc. ?♦)
13,1
0
+, 86,9
! »
0
V
30,7
0
+> 59,3
-, 9,9
0
?
100
0
+, o,o
0,0
0
?
36
0
+, 64
0,0
0
?
52,2
0
+, 47
0,0
0
?
100
0
+, 0,0
0,0
0
?
50
0
+, 50
0,0
0
?
100
*
+, 0,0
• - 0,0
0
P
100
0
+, 0,0
-, 0,0
0
?
Den positiven Fütterungsresultaten gleichzustellen wäre end¬
lich noch eine Reihe von klinischen (in obige Zusammenstellung
nicht aufgenommene) Beobachtungen von Jakobs 95 ) (1868,1870)
und Devilliers und Lengler 88 ) (1869, S. 430), welche sich
auf Uebertragung der Tuberculose auf Hunde und Hühner durch
freiwilligen Genuss von Sputa phthisischer Menschen, sowie die
*) + positive, — negative, ? zweifelhafte Resultate.
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Geschichte der Tuberculose.
33
vonKlebs 65 ) (Bd. I, S. 174), Göring 35 ) (Bd. IV, S. 290), Zip-
pelius 90 ) (Bd. IXX, S. 3), Lehnert* 9 ) (1876), Kloss 46 ) (Bd.V,
S. 15), Böttcher 46 ) (Bd. II, S. 103) etc., welche sich auf Ueber-
traguog von Rindstuberculose durch Milch- und Fleischgenuss auf
Kälber und Schweine beziehen.
Aus den gesammten Ftitterungsversuchen und den angeführten
klinischen Beobachtungen lassen sich bei einer vorurtheilsfreien
Kritik folgende Schlüsse ziehen:
1. Die Uebertragung der Tuberculose durch den Genuss
tuberculöser Massen von Thier auf Thier und von Mensch auf
Thier ist möglich, wenn auch mit weniger Sicherheit zu er¬
zielen, als durch Impfungen.
2. Die Uebertragung gelingt am leichtesten durch Füt¬
terung tuberculöser Massen (Lungen- und Pleuratuberkeln,
tuberculöser Lymphdrüsen), demnächst auch durch Milch tuber¬
culöser Thiere. Die Infection durch tuberculöses Material vom
Menschen gelingt verhältnissmässig schwerer.
3. Weniger leicht, aber doch in circa tye aller in der Ta¬
belle zusammengestellten Versuche erfolgt dieselbe durch Fleisch.
4. Kälber, Schafe, Ziegen und Schweine besitzen, wie dies
schon früher, namentlich von Bollinger (vergl. S. 24) betont
wurde, die grösste Empfänglichkeit, doch ist die angebliche
Immunität der Carnivoren nicht so bedeutend, als von einzelnen
Autoren angenommen worden ist.
Semmer 94 ) (1878, S. 71) will bei circa 100 Carnivoren durch¬
aus negative Resultate erhalten haben. — Sauer 93 ) (Bd. XVII, S. 17)
berichtet, dass von ihm jährlich circa 30 Stück hochgradig tuber-
culöse, zum Theil kachektische Rinder dem Besitzer eines zoologischen
Gartens zügewiesen worden seien. Bei keinem der in dem angegebe¬
nen Zeitraum zur Section gelangten Thiere wäre Tuberculose nach¬
zuweisen gewesen.
5. Es scheint, als ob auch gleichartiges, tuberculöses Material
ein und derselben Thiergattung nicht immer eine gleichartige
lnfectiosität besitze (vergl. hier Siedamgrotzky 30 ) (Bd. VIII,
S. 193). Diese Verschiedenheit ist zurtickzuführen
a) nicht nur auf erwähnte generelle, sondern zweifellos
auch auf eine verschiedene individuelle Empfänglichkeit der Ver-
suchsthiere. Ferner aiif die verschiedene Leichtigkeit, mit wel¬
cher das, einer bestimmten Species angepasste Virus (Bacillus)
auf die gleiche oder eine andere übergehen kann. Besonders
kommt hierbei auch das Alter in Betracht. Der Darm junger
Individuen scheint infectionsfähiger zu sein, als der alter Thiere
Deutsche Zeitschrift f. Thiormed. u. vergl. Pathologie. IX. Bd. 3
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34
I. JOHNE
(analog der Thatsache, dass z. B. die Infection von Schweinen
und Schafen mit Proglotiden von Taenia solium, eoenurns etc.
wesentlich auch nur bei jungen Thieren gelingt).
b) auf die bei Tuberculose mehrfach beobachtete tuberculöse
Erkrankung des Euters (vergl. S. 43). Es ist durchaus wahrschein¬
lich, dass die Milch von Ktthen mit einer solchen gefährlicher ist.
c) auf die Dauer des Versuches. Bollinger 65 ) (Bd. I,
S. 370), Orth«) (Bd. 76, S. 234) und Semmer (ibid. Bd. 82,
S. 549) haben darauf aufmerksam gemacht, dass viele der nega¬
tiven Versuche deshalb nicht ins Gewicht fallen dürften, weil
bei ihnen, gegenüber der langsamen Entwicklung -der Tuber¬
culose, die Dauer des Experimentes eine zu kurze gewesen
sei. Letztere beiden Forscher nahmen auf Grund ihrer Erfah¬
rungen fUr die Ftttterungstuberculose ein Incubationsstadium von
mindestens 2—3 Monaten an. Thiere, welche vorher getödtet '
würden, müssten negative Besultate geben (vergl. n. d. Rieht,
die Versuche von Günther-Harms 61 ) Bd. IV, sowie einen
Theil der von Zürn 64 ) angestellten).
d) Eicht wenig dürfte weiter bei der Beurtheilung der mit
Milch angestellten Fütterungsversuche die von allen thierärzt¬
lichen Autoren (vergl. auch Virchow 31 ) 1880, S. 209) urgirte
Schwierigkeit ins Gewicht fallen, die Tuberculose des Rindes intra *
vitam zu diagnosticiren. Alle Versuche, deren Endresultat nicht
durch Section der betreffenden Kuh controlirt wurden, sind daher
als zweifelhaft auszuscheiden (vergl. Sehreiber’s Versuche 92 ).
6. Endlich dürfte noch darauf hinzuweisen sein, dass Bol¬
linger 65 ) (Bd. I, S. 370) mit vollem Rechte betonte, dass nach
Analogie mit anderen Erfahrungen auf dem Gebiete der allge¬
meinen, experimentellen Pathologie (z. B. bei den Uebertragungs¬
versuchen mit Parasiten) schon wenige positive Ergebnisse im
Stande seien, gegenüber zahlreichen negativen eine Thatsache
fest zu begründen.
II. Histologische Arbeiten.
Es konnte nicht fehlen, dass die eb«n geschilderten kritisch¬
experimentellen Arbeiten auch zu einer gewissenhaften Prüfung
der histologischen Zusammensetzung und zu einem eingehenden
vergleichenden Studium des menschlichen und thierischen Tuber¬
kels anregten.
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Geschichte der Tuberculose.
35
Im Allgemeinen ist zwar der anatomische Begriff „ Tuberkel “
der von Virchow aufgestellte, d. h. der eines zelligen, gefäss-
losen, später verkäsenden Knötchens, geblieben. Indess haben
neuere Untersuchungen , doch gelehrt, dass zwischen den lymph-
körperartigen Zellen, welche gewissermassen den Grundstock des
Knötchens ausmachen, noch andere Zellenformen Vorkommen,
welche dem Tuberkel eine ganz charakteristische Structor geben
sollen. Von besonderem Gewicht ist nach dieser Richtung die
Arbeit von Langhanns 61 ) (Bd. 42, S. 382), welcher zuerst den
schon von Rokitansky (Path. Anat. 1855, Bd. I, S. 295) ge¬
sehenen und von Virchow 2 ) (Bd. II, S. 637) specieller erwähn¬
ten, häufig im Centrum der Tuberkeln vorkommenden Riesen¬
zellen ein grösseres Gewicht beilegte und auf die randständige
Stellung ihrer Kerne (ein heute noch von vielen Forschern her¬
vorgehobenes Kriterium der echten Tuberkelriesenzellen) auf¬
merksam machte. Schüppel 91 ) (S. 84, 91 und 61 ) Bd. 56, S. 38),
dessen Arbeiten auf dem Gebiete der Tuberculose ganz beson¬
dere Bedeutung erlangten, hebt nicht nur das constante Vorkommen
der Riesenzellen in den Tuberkeln hervor, sondern betrachtet
dieselben sogar als Ausgangspunkt der Knötchenbildung. Um
diese Riesenzellen lagern sich nach ihm grössere epithelioide
Zellen und erst in der Peripherie lymphoide Zellen. Diese zelligen
Elemente aber sollen in den Maschen eines auch vonE. Wagner 100 )
beschriebenen Reticulum eingelagert sein. Auch Köster 67 ) (Bd. 48,
S. 111) und Charcot 68 ) (1878, No. 4, S. 398 und 399) hielten die
Riesenzellen für constante Bestandtheile des Tuberkels. Ebenso
betonten Friedländer 15 ), Buhl 98 ), Rind fleisch 99 ) ihre Wich¬
tigkeit für die Diagnose desselben, während Orth 67 ) (Bd. 76,
S. 235), Baumgarten 61 ) (Bd. 76, S. 485), Kiener 68 ) (1880,
2. S6r. Bd. VII, S. 790 und 894), Malassez 118 )-(1880, No. 15,
S. 194) und Andere sie als keinen constanten Bestandteil auf¬
fassen möchten. Hering 101 ) bestritt sogar direct jede specifische
Bedeutung der Riesen- und epithelioiden Zellen und wies auf
deren öfteres Fehlen in den Tuberkeln hin (vergl. auch Bro-
dowsky 67 ) (Bd. 63).
In der That haben weitere Untersuchungen gelehrt, dass
man einerseits neben den charakteristischen Tuberkelknötchen
Schuppers häufig noch solche findet, welche weder Riesen¬
zellen, noch ein Reticulum erkennen lassen, und vollständig den
Virchow'sehen Tuberkeln entsprechend, als solche aufgefasst
werden müssen. Anderseits sind die Riesenzellen in den mannig-
3 *
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36
I. JOHNE
fachsten pathologischen Neubildungen gefunden worden, welche
in durchaus keiner Beziehung zur Tuberculose stehen.
So fand sie B i 11 r o t h 103 ), Förster (Handb. d. path. Anat. 3. Aufl.
Bd.I. S. 382), Brodowsky (1. c.), Ziegler 104 ) in jungem Granu¬
lationsgewebe, Tillmanns 67 ) (Bd. 78, S. 461) in dem jungen Gra¬
nulationsgewebe, weiches sich innerhalb todter, in die Bauchhöhle
lebender Kaninchen eingeheilter Gewebsstttcken gebildet hatte, Lang-
hanns 67 ) (Bd. 49, S. 101) in ßlutgerinnungen, Friedlärider 102 )
(S. 178) in den Lungenalveolen bei chronischer Pneumonie, Baum¬
garten 67 ) (Bd. 76, S. 485) in syphilitischen Neubildungen, Licht¬
heim 65 ) (Bd. X, S. 54) bei seinen geistvollen Untersuchungen über
Atelektase nach Unterbindung eines Bronchus in zerstreuten käsigen
Herden in der Lunge, Senftleben 67 ) (Bd. 77, S. 431) bei seinen
Experimenten über Verschluss der Blutgefässe nach Unterbindungen
etc. Noch andere beobachteten ihre Bildung um Fremdkörper oder
Parasiten. So Heidenhain 105 ) nach Einführung fremder Körper
in die Bauchhöhle, Baumgarten 77 ) (1878, Nr. 13) und Giovani
Weiss 67 ) (Bd. 68, S. 59) nach Einführung von Fremdkörpern in
das subcutane Bindegewebe, Rustitzky 67 ) (Bd. 59, S. 218) nach
Einbringung allerhand Fremdkörper in den Lymphsack des Frosches,
Johne 35 ) (Bd. VII, S. 163) bei seinen Impfversuchen um Actinomyces-
Rasen, Pflug 62 ) (LVIII, Bd. 1, S. 28) bei seinen Untersuchungen über
Lungenactinomykose, Laulamiö 80 ) (1881, No. 1) in der Lunge von
Hunden um die Eier von Strongilus vasorum.
Ziegler 106 ) hält daher weder die epithelioiden, noch die
Riesenzellen für etwas dem Tuberkel Eigentümliches. „Wenn
auch die genannten Zellenformen bei tuberculösen Processen sehr
häufig Vorkommen, so sind sie doch nicht dem Tuberkel aus¬
schliesslich angehörend. a Nach ihm sind die den Tuberkel con-
stituirenden Zellen den Zellen der Granulation durchaus gleich¬
wertig. Der Tuberkel sei — und alle neueren Forschungen
bestätigen diese Annahme — entzündlichen Ursprungs und ent¬
stehe, in derselben Weise wie die Granulation, zur Hauptsache
aus emigrirten farblosen Blutkörperchen, während die Endothelien
der Lymphgefässe, überhaupt die fixen Bindegewebszellen an
seinem Aufbau nur in untergeordneter Weise beteiligt wären.
Nur bestehe zwischen der Granulation und dem Tuberkel der
Unterschied, dass für gewöhnlich die mehrkernigen Zellenformen
in gesunden Granulationen spärlich vertreten wären, während sie
im Tuberkel in grosser Zahl und starker Ausbildung vorhanden
seien. Während in der gesunden Granulation aus den durch
Stoffaufnahme und Grössenzunahme in epithelioide, sog. Bildungs¬
zellen oder Fibroblasten umgewandelten lymphoiden Zellen
schliesslich Bindegewebe entstehe, blieben im Tuberkel die Zellen
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Geschichte der Tuberculose.
37
auf der Entwicklungsstufe der Fibroblasten stehen, verfielen rasch
einer rückgängigen Metamorphose und verkästen. Hierdurch werde
auch die histologische Verschiedenheit der Tuberkeln und daa
Ungerechtfertigte, die Diagnose derselben lediglich von der ana¬
tomischen Structur abhängig machen zu wollen, genügend erklärt.
In dem einen Falle seien die extravasirten Bundzellen auf dieser
niederen Entwicklungsstufe stehen geblieben, oder hätten eventuell
noch nicht die nöthige Zeit zu ihrer Weiterentwicklung gefunden,
im anderen Falle könnten sie unter Umständen sogar das Stadium
der Fibroblasten- und Riesenzellenbildung überschreiten und sich,
wie in gewöhnlicher Granulation, in Bindegewebe umwandeln.
Hierdurch erklärt Ziegler zugleich in befriedigenderWeise
die schon von Virchow*) (Bd. II, S. 639) und Schüppel (1. c.)
urgirte Unterscheidung in zellige und fibröse Tuberkeln. Während
letzterer die namentlich beim Schwein und Rind vorkommenden
fibrösen Tuberkeln für eine höhere, weiter fortgeschrittene Form
des zelligen Knötchens hielt, war Virchow der entgegenge¬
setzten Meinung. Er musste es sein, da er die kleinen Rund¬
zellen des Tuberkels ja durch Theilung der fixen Bindegewebs¬
zellen entstehen liess. \
In gleiche Parallele zur Entzündung stellen den Tuberkel
Waldenburg 3 ) (S. 423), Rindfleisch 67 ) (Bd. 85, S. 71 und
Würzburger Bericht 1881, No. 7), Talma 107 ), Cohnheim 78 )
(Bd. I, S. 207), Councilmann 108 ) (1881, S. 207) etc. Birch-
Hirschfeld i02 ) (2. Aufl., Bd. I, S. 168) erklärt den Tuberkel
direct für das Product einer Reaction der Gewebe gegen einen
eingedrungenen Fremdkörper etc.
Pflug (1. c. S. 13 und 77 ) 1882, No. 14 — vergl. auch
Johne 35 ) Bd. VII, S. 162) geht noch weiter. In der Lunge eines
Rindes, welche makroskopisch in jeder Beziehung das vollstän¬
dige Bild einer typischen disseminirten Miliartuberculose bot, fand
er bei mikroskopischer Untersuchung der kleinen, im Centrum
regelmässig einen kleinen Actinomyceshaufen enthaltenden, tuber¬
kelähnlichen Knötchen, dass dieselben auch histologisch dem
Tuberkel ausserordentlich nahe standen, resp. mit der reticulären
Form desselben übereinstimmten. Er nannte diese Knötchen
daher geradezu Actinomycestuberkeln. Er spricht sich weiter
ganz entschieden dahin aus, dass man endlich auf hören solle,
den Tuberkel als eine Neubildung von bestimmtem histologi¬
schen Bau zu bezeichnen. Man müsse jedes Knötchen, möge es
in Folge einer Infection oder in Folge einer anderen Ursache
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38
I. JOHNE
entstehen, möge es dem Laennec’schen, Virchow’schen', dem
Kiesenzellen- oder reticulirten Tuberkel entsprechen, als Tuberkel
bezeichnen, solle aber jedem durch ein passendes Adjectiv seine
Art beifügen, wie er es z. B. schon früher beim Botztuberkel
und jetzt beim Actinomycestuberkel gethan habe (Leisering
es übrigens auch schon bezüglich der Tuberculose des Rindes
gethan hat — vergl. S. 21). Man werde dann sehen, dass damit
die grossen Schwierigkeiten der Tuberculosenlehre überwunden
seien, dass man in natürliche Bahnen einlenke und der patho¬
logische Anatom mit dem Kliniker wieder Hand in Hand gehen
könne — dass „man den Wald vor lauter Bäumen wieder sehe“!
(1. c. S. 6). Pflug glaubt geradezu aussprechen zu können, „dass
der Tuberkel kein einheitlicher histologischer und kein einheit¬
licher ätiologischer Begriff sei, sondern eine Collectivbezeichnung
für allerlei histologisch und ätiologisch verschiedene, in den
thierischen Geweben auftretende, meist (nicht immer) auf ent¬
zündlicher Basis beruhende Knötchen.“
Den vorstehenden histologischen Studien des
menschlichen Tuberkels, deren Zusammenstellung bei
der Masse der einschläglichen Literatur nicht entfernt eine voll¬
ständige, sondern nur orientirende sein konnte, ging parallel
die gründliche Erforschung des thierischen. Die
mannigfachen Uebertragungsversuche von Mensch auf Thier und
von Thier zu Thier, welche man zur Prüfung der Villemin-
schen Entdeckung anstellte, machten zu ihrer sorgfältigen Con-
trole auch eine genaue Kenntniss des thierischen Tuberkels noth-
wendig.
Nachdem Gurlt, Virchow und Bö 11 die Tuberculose des
Bindes früher für eine sarcomatöse, Gerlach, Spinola, Fuchs
und Förster für eine tuberculöse Neubildung angesehen, Leise-
ring derselben aber eine Mittelstellung als sog. Bindstuberculose
angewiesen hatte (vergl. S. 21 dieser Monogr.), haben fast alle
neueren Arbeiten die zweifellose Identität des menschlichen und
bei den verschiedensten Thieren erzeugten Impftuberkels er¬
geben. Besonders ist die vollkommene Uebereinstimmung der so¬
wohl bei der Lungentuberculose, als wie auch bei der Perlsucht
des Bindes vorkommenden Tuberkeln mit denen des Menschen
positiv bewiesen worden. Es genügt bezüglich dessen auf die
Arbeiten von Wagner (1. c.), Schüppel 67 ) (Bd. 56, S. 38),
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Geschichte der Tuberculose.
39
Klebs 61 ) (Bd. 44, 49 etc.), Orth«') (Bd. 76, S. 217), Baum-
garten 31 ) (1880, No. 49), K ikiloff 3b ) (VII, 375), Lwow (ibid.
S. 374) etc. hinzuweisen.
Trotz alledem hat es an Einwänden hiergegen von Seiten
deijenigen nicht gefehlt, welche den wankend gewordenen, jetzt
als überwunden zu betrachtenden, streng anatomisch-histologi¬
schen Standpunkt hinsichtlich der Diagnose des Tuberkels nicht
preiszugeben vermochten, und letzteren immer nur als das distincte
zeitige Knötchen Virchow’s oder Schttppel’s auffassten.
So sind von Virchow stets, und noch in seiner neuesten
Arbeit 3 ') (1880, No. 14), die erheblichen äusseren Verschieden¬
heiten im äusseren Auftreten des menschlichen Tuberkels und
dem des Rindes betont worden. Die in letzteren angeblich im¬
mer mangelnde Verkäsung, ihre rasch eintretende, allgemeine
Verkalkung, ihre durchaus verschiedene Form und Gruppirung
an den serösen Häuten seien so erhebliche Differenzen, dass, ab¬
gesehen von ihrer inneren Verschiedenheit, beide Neubildungen
nicht identificirt werden könnten.
Diese Einwände sind indess vollständig widerlegt worden. ,
So wurde durch Günther und Harms 61 ) (Bd. IV) — welche in
den tuberculösen, plattenartigen Auflagerungen des Peritoneum
sogar tuberculose Geschwüre beobachteten —Bollinger 109 )
(1875, No. 47), Kirillow 110 ) (1880), Baumgarten 3 ') (1880,
S. 174) ausdrücklich constatirt, dass auch bei der Rindstuberculose •
Verkäsung eintritt, welche nur durch die in Folge individueller,
in der Verschiedenheit der Ernährung und des Stoffwechsels be¬
gründeten Ursachen sehr bald eintretende Verkalkung verdeckt
werde. Letzteres sei aber nicht die unbedingte ausschliessliche
Regel. Bei jungen Thieren zeigten die tuberculösen Neubildun¬
gen häufig sogar keine Spur derselben, sondern verkästen, oder
bildeten nach eingetretener Erweichung im Parenchym der Organe
Cavemen — alles wie beim Tuberkel des Menschen.
Baumgarten (1. e.) urgirt ausdrücklich, dass nach seinen
Untersuchungen eine echte käsige Nekrose kaum weniger ausge¬
dehnt, und in ganz identischer Art wie beim Menschen, vorkäme,
welche sich durch vorsichtige Entkalkung der Knoten leicht nacb-
weisen lasse. Aehnlich Lwow (1. c. 397). Derselbe hebt gegen
Virchow noch hervor, dass man die beim Tuberkel des Rindes
allerdings häufig eintretende Kalkmetamorphose deshalb nicht als
einen principiellen Unterschied aufi'assen könne, weil dieselbe das
Resultat der verschiedensten pathologischen Processe sei und auch,
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I. JOHNE
wie Samuel und Schakki lehrten, bei der Tuberculose des
Menschen vorkomme (vergl. auch ,u ) S. 609). Umgekehrt sei
aber auch die caseose Metamorphose keine typische Eigentüm¬
lichkeit der menschlichen Tuberculose. Am ähnlichsten sei der
Perlknoten dem chronischen Tuberkel des Menschen, da dieser
nach Rudneff" 2 ) aus einer Gonfluenz mehrerer Tuberkeln be¬
stehe und nach Virchow durch eine bedeutende Ausbildung
von Bindegewebe, wie auch der Perlknoten, ausgezeichnet sei. —
Dass auch die von Virchow als Unterschied betonte äussere
Form der Tuberculose der serösen Häute beim Rind kein ent¬
scheidender Differenzpunkt ist, beweist eine Mittheilung von
Creighton 71 ) (1880, S. 1018). Dieser beschrieb 8 Fälle von
Tuberculose des Menschen, bei welchen breite, flache und perl¬
schnurartig verbundene Tuberkeln der Serosa gestielt aufsassen.
Die angebliche innere Verschiedenheit des menschlichen
und tierischen Tuberkels, in Folge deren Virchow den des
Rindes als Lymphosarkom bezeichnete, ist auch fttrSemmer 35 )
(Bd. II, S. 219) ein Grund gewesen, die vollständige Identität der
bei Menschen und Thieren vorkommenden tuberculösen Processe
zu bezweifeln. Nach ihm soll sich der Tuberkel des Rindes in
Folge seiner stark fibrösen Grundsubstanz mehr den Sarkomen
nähern, während der des Schafes fast ganz dem des Menschen
entspräche — eine Ansicht, die von Schüppel, Baumgarten
u. A. durch den Nachweis widerlegt worden ist, dass neben der
fibrösen Form auch typische zellige Tuberkeln in 4er Rindslunge
gefunden werden. Die Arbeiten Ziegler’s (1. c.) lassen diese
Verschiedenheit übrigens als ganz nebensächlich erscheinen; nach
Birch-Birschfeld 102 ) (2. Aufl., Bd.I, S. 167) sind sie einfach
auf die verschiedene Höhe der Entwicklung des Tuberkels und
auf Gattungs- und individuelle Verhältnisse zurückzuführen. Die
oben angeführten Arbeiten beweisen also genügend die vollstän¬
dige anatomische Uebereinstimmung des menschlichen und tie¬
rischen Tuberkels, wenn man nur nicht eigensinnig den Stand¬
punkt Virchow’s festhält.
Orth (1. c. 8. 235) sagt bezüglich der bei seinen Fütterungs-
Versuchen mit perlsüchtigen Massen bei Kaninchen erhaltenen Impf-
tnberkeln: „ Gefässlose, multiple Knötchen, die im Wesentlichen ans
grossen' epithelialen Zellen aufgebant sind, häufig einen reticulären Bau
haben und grosse vielkernige Riesenzellen enthalten, die endlich die
Neigung besitzen, vom Centrum aus zu verkäsen, bilden eine Affec-
tion, die beim Menschen unbedingt als eine tuberculöse bezeichnet
werden müsste“. Hierdurch würde auch Friedländer’s Einwand 75 ),
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Geschichte der Tuberculose.
41
die Impftuberculose sei, weil in ihnen die das Kriterium der mensch¬
lichen Tuberculose bildenden Langhann suchen Riesenzellen fehlten,
genügend widerlegt. Orth (1. c. S. 237) betont ausserdem noch ganz
besonders, dass sich der durch Fütterung mit tuberculösen Massen
vom Rind beim Kaninchen hervorgerufene Tuberkel im äusseren An¬
sehen zwar nicht unerheblich von den Perlknoten der serösen Häute
unterscheide und schon wegen der fehlenden, beim Rind so sehr in
den Vordergrund tretenden Verkalkung mehr dem Tuberkel des Men¬
schen ähnlich sehe. Wenn nun aber schon die Perlsucht ein so
verschiedenes Ansehen zeige, so könnten die zwischen der Perlsucht
des Rindes und der menschlichen Tuberculose vorhandenen äusseren
Unterschiede um so weniger gegen die Identität beider sprechen, als
eben die Kaninchen perlsucht vielmehr der letzteren näher steht, als
der ersteren, aus welcher sie entstanden sei. —
Nach allem lässt jeder Perlknoten der serösen Häute, beziehungs¬
weise auch jeder Organtuberkel des Rindes, in einem gewissen Ent¬
wicklungsstadium zwei Bestandtheile ganz präcis unterscheiden:
1. Ein bindegewebiges, sehr zellenreiches und daher dem Sar¬
kom, beziehungsweise Lymphosarkom ähnliches Stroma, in dem auch
die in jungen Knoten sehr zahlreichen, in älteren spärlichen Gefässe
der Neubildung verlaufen. Die äusseren, jüngeren Schichten desselben
bestehen aus Granulationsgewebe, durch dessen fortgesetzte Wuche¬
rung das periphere Wachsthum und die gelegentliche Verschmelzung,
resp. Adhärirung der einzelnen Perlknoten der serösen Haut unter
einander vermittelt wird. Mehr nach innen, in den älteren Theilen
des Knotens, geht dasselbe in ein mehr feinfaseriges Bindegewebe
über, in welchem viele runde und spindelförmige Zellen eingelagert
sind, welche letztere mit ihren Ausläufern mannigfach anastomosiren,
ein Bild, das allerdings lebhaft an ein Lympho- oder Fibrosarkom,
oder beim Ueberwiegen der fibrillären Elemente sogar an ein Fibrom
erinnern kann. In diesem Stroma sind
2. submiliare Knötchen, Tuberkeln, von circa 0,25 Mm. Durch¬
messer mehr oder weniger dicht und gleichmässig eingebettet, welche
anfangs isolirt stehen, später vielfach zu miliaren, mit blossen Augen
wahrnehmbaren Knötchen confluiren. Jedes der kleinsten Knötchen
besteht aus einer oder mehreren, meist auffallend grossen, circa 0,12
bis 0,15 Mm. im Durchmesser haltenden Riesenzelle mit sehr vielen
— nach Virchow bis 60 — fast regelmässig randständig liegenden
Kernen. Nach Schüppel sind diese Zellen anfangs als rundliche
oder schwach ovale Protoplasmahaufen vereinzelt im Granulationsge¬
webe, ohne Zusammenhang mit demselben, eingebettet, während sie
sich später — und so findet man sie in der Regel — durch Bildung
eckiger und zackiger Ausläufer in unregelmässige Sternzellen ver¬
wandele Diese Ausläufer hängen unmittelbar mit einem aus mehr
homogen erscheinenden Bälkchen gebildeten Reticulum zusammen, das
die Grundlage des ganzen Knötchens bildet und nach aussen in das
Stromagewebe übergeht. Nach Lwow sollen die Ausläufer der Riesen¬
zellen des Rindstuberkels stumpf endigen und das Reticulum nur schein-
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I. JOHNE
bar mit demselben in Verbindung stehen. In den Maschenräumen
des letzteren liegen unmittelbar um die Riesenzelle grössere, 0,01 bis
0,03 Mm. durchmessende rundliche oder polyedrische, epithelähnliche
Zellen mit 1—3 runden oder ovalen, verhältnissmässig grossen Ker¬
nen und einer verhältnissmässig schmalen Zone blassen, feinkörnigen
Protoplasmas. Auf die leichte Zerbrechlichkeit dieser Zellen ist von
Schüppel mit Recht aufmerksam gemacht worden.
Ob dieselben übrigens nach diesem Autor als abgeschnürte Pro-
ducte der Riesenzellen zu betrachten sind, bleibt fraglich. Jedenfalls
ist aber dessen Beobachtung richtig, dass in den grösseren und älteren
Knötchen die Riesenzeilen im Allgemeinen kleiner sind, ja seltener
gefunden werden, als in den jüngeren. Es hat aber den Anschein,
als ob die Riesenzellen weniger in der Bildung der epithelioiden Zellen
als vielmehr in dem complicirten Reticulum bei dessen fernerem
Wachsthum aufgingen. Nach der’ Peripherie des Knötchens werden
diese Zellen kleiner und gehen meist unmerklich in die angrenzenden
lymphoiden Zeilen des umschliessenden Granulationsgewebes über.
Ganz dieselbe histologische Structur besitzen die in den Schleim¬
häuten und die im Parenchym der Lunge und verschiedener anderer
Organe vorkommenden Tuberkeln. Sie entwickeln sich dort aus dem
submucösen, beziehungsweise interstitiellen Gewebe, das zunächst
durch eine kleinzellige Infiltration den Charakter eines jungen, zellen-
und gefässreichen Binde-, resp. Granulationsgewebes annimmt. In
diesem entwickeln sich submiliare Tuberkelknötchen nach dem be¬
schriebenen Modus. Bezüglich derjenigen Tuberkeln, welche bei pri¬
märer oder vollständig solitärer, nicht mit Tuberculose der Pleura
verbundener Lungentuberculose vorgekommen, würde höchstens der
übrigens unwesentliche Unterschied bemerkbar sein, dass bei diesen
das Reticulum weniger stark entwickelt, die Menge der Riesenzellen
geringer und der Nachweis derselben daher etwas schwieriger ist.
Allmählich verfallen die Tuberkelknötchen gewissen regressiven
Metamorphosen, welche im Centrum derselben anheben'und zunächst
mit Coagulationsnekrose, Eintrocknung, körnigem Zerfall »und fettiger
Degeneration des Protoplasmas der grossen epithelioiden Zeilen, resp.
der Riesenzellen oder deren noch vorhandenen Reste beginnen. Die
Kerne der ersteren leisten verhältnissmässig längeren Widerstand,
verfallen aber schliesslich derselben Metamorphose. Das Reticulum
soll nach Schüppel in Form eines mehr homogenen oder fibrillären
Gewebes persistiren, indess ist dies nur in jüngeren Knötchen der
Fall; in älteren verfällt auch dies der Coagulationsnekrose, resp.
Verkäsung und Verfettung. Besonders bei älteren Thieren macht
sich gleich vom Anfang her eine bemerkenswerthe Neigung zur Ver¬
kalkung der verkästen und fettig degenerirten Partien der Knötchen
geltend. Vom Centrum her lagern sich überall Kalksalze, Kalkkrü-
melchen in die verkästen Knötchen ab, ja schliesslich kann auch das
allmählich immer derber und fibrillärer gewordene Stroma der Ver¬
käsung und Verkalkung verfallen. Der ganze Knoten, mag derselbe
im Parenchym der Organe oder an den serösen Häuten sitzen, bildet
dann einen, von nur wenig intacten Bindegewebsmassen durchzogenen
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Geschichte der Tuberculose.
43
resp. theilweise umhüllten Kalkklumpen. Die Perlknoten der serösen
Häute erhalten hierdurch zuweilen eine rauhe, bimssteinartige Ober¬
fläche.
Die mit der Milch tuberculöser Kühe angestellten Ftttte-
rungsversucbe sind auch Ursache gewesen, dass man das Euter,
sowie die Milch derselben einer näheren Untersuchung unter¬
warf.
Was die anatomischen Untersuchungen des Enters
tuberculöser Kühe betrifft, so erwähnte schon Ginge 1850
in seiner pathologischen Anatomie im Euter des Kindes vor¬
kommende Tuberkeln, ebenso Bruckmttller (path. Anatomie)
und Fttrstenberg m ). In der neueren Literatur finden sich eine
ganze Keihe solcher Beobachtungen von Fttnfstttck, Dinter,
Ackermann, Hartenstein, König, Pröger 59 ) (1870, 1872,
1874, 1875, 1876, 1879), Annacker 93 ) (Bd. XVII, S. 104),
Foglar 11 «) (1879, S. 103), Eggeling« 9 ) (1879/80. S. 14) und
Anderen, durch welche das Vorkommen von Tuberkeln im Euter
perlsttchtiger Kühe erwiesen und zum Theil deren Zusammen¬
hang mit der Tuberculose der daraus ernährten Kälber höchst
wahrscheinlich gemacht worden ist. (Vergl. auch Ohnacker,
Die Tuberculose der weiblichen Brustdrüse. Inaugural-Disser-
tation 1882.)
Kolessniko w 61 ) (Bd. 70, S. 531) erklärt die im Euter vor¬
kommenden Neubildungen auf Grund seiner unter-Virchow’s Lei¬
tung vorgenommenen Untersuchung der Auffassung seines Meisters
entsprechend allerdings für die der Perlsueht des Kindes eigen¬
tümlichen Lymphosarkome. NachSchttppel’s gründlichen Unter¬
suchungen sind dieselben indess ja vollständig identisch mit dem
Tuberkel des Menschen. Virchow selbst hält auch bei einer
eventuellen Controle der Milchthiere die perlsttchtigen Erkran¬
kungen des Euters für sehr beachtenswert 31 ) (1880, S. 210).
Die chemische und physikalische Untersuchung
der Milch tuberculöser Kühe hat bis jetzt zu keinem Re¬
sultat geführt. Billardi&re 13 ) hat in der Milch der tuber-
culösen Milchkühe von Paris siebenmal mehr phosphorsauren
Kalk als in der Milch gesunder Kühe gefunden. Dieselbe An¬
gabe findet sich bei Dupuy 17 ) (p. 257). Lehmann 115 ) con-
statirte eine Verminderung ihres CaseYngehaltes, Dutrone 93 )
(1873. p. 257) hielt es für ein Symptom der Tuberculose, wenn
die Milch blau werde, während nach Tappeiner’s und För¬
sters Untersuchungen 35 ) (Bd.VI, S. 105) die Milch tuberculöser
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I. JOHNE
Kühe weder mikroskopische noch chemische Differenzen von der
gesunder zeigt. _
Die mit verbesserten Hülfsmitteln und Methoden vorgenom¬
menen histologischen Untersuchungen gaben aber auch noch
weitere interessante Aufschlüsse und beförderten die Kenntniss
der Tuberculose um ein erhebliches Stück weiter. Man fand,
dass der Tuberkel in der von Schtippel fixirten histologischen
Zusammensetzung viel häufiger und selbst bei solchen mit Ver¬
käsung einhergehenden Processen vorgefunden werden konnte,
welche man bisher zu den entzündlichen, hyperplastischen, resp.
scrophulösen Neubildungen, — nach Virchow also nicht zur Tu¬
berculose gerechnet hatte. So fand man beim Menschen typische
Tuberkeln bei der scrophulösen Lymphadenitis (Schtippel 97 ))
bei der käsigen Pneumonie, bei gewissen Formen fungöser Ge¬
lenkentzündungen (Küster 67 ) Bd. 48, S. 95 — Schüller ln ) etc.
Und alle diese scheinbar verschiedenen Processe hatten mit
der Tuberculose ein gemeinsames Kriterium: sie erzeugten bei
Ueberimpfung auf Thiere locale und allgemeine Tuberculose und
bewiesen hierdurch mit unzweifelhafter Consequenz, dass sie
trotz der Verschiedenheit ihrer makroskopischen Erscheinungs¬
form genetisch zusammen gehörten. Sie verhielten sich also ganz
entgegengesetzt den durch Impfung nicht infectiöser Massen er¬
zeugten, von Martin sogenannten pseudotuberculösen Knötchen¬
bildungen, welche trotz ihrer anatomischen Gleichartigkeit mit
Tuberculose nichts zu schaffen haben. Diese sind niemals ver-
impfbar und vermögen im geimpften Organismus keine von der
Impfstelle ausgehende allgemeine Tuberculose hervorzurufen.
Aehnlich dürfte es sich mit den knötchenartigen Bildungen ver¬
halten, welche Balogh (Wien. med. Bl. 1882. No. 49) bei Kaninchen
in Lungen und Nieren nach Inhalation verschieden geformter Schizo-
myceten erhalten haben will, die in den Sümpfen der Umgebung von
Budapest Vorkommen sollen.
Ein Gleiches gilt, wie weitere Untersuchungen lehrten, von
einigen anderen Knötchen bildenden Entzündungen des Menschen,
welche trotz aller anatomischen Aehnlichkeit aus obigen Grün¬
den doch nicht zur Tuberculose gerechnet werden können. Ein
eclatantes Beispiel hierfür bildet der Lupus der Haut mit seinen,
dem SchüppeTschen Tuberkel oft vollständig analogen Granu¬
lationsknötchen, ebenso manche Formen der Syphilis.
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Geschichte der Tuberculose.
45
DRITTER ABSCHNITT.
Die gegenwärtige Anschauung über die Tuberculose der Menschen
und Thiere im Allgemeinen vom Standpunkte der Infectionslehre.
In der etwas speciell geschilderten Weise hat sich denn
allmählich die Lehre Villemin’s Bahn gebrochen nnd ist zur
herrschenden geworden. Unsere heutige Kenntmss über das
Wesen der Tuberculose lässt sich dem entsprechend etwa in
folgenden Worten zusammenfassen:
Die Tuberculose ist anatomisch ein destruirender Entzün-
dungsprocess, der zur Bildung kleiner, später käsig zerfallender,
zeitiger, gefässloser Granulationsknötchen von meist bestimmtem
Baue führt. Dieser Entzttndungsprocess kennzeichnet sich aber
klinisch durch eine scharf ausgesprochene Progressivität. Es
kommt bei ihm nicht nur in dem primär befallenen Organ zur
destruirenden Knötchenbildung, sondern dieselbe verbreitet sich
auch successive oder plötzlich über den Gesammtorganismus,
oder kann, wie dies die geschilderten, seit Villemin’s Ent¬
deckung ansgeführten experimentellen und histologischen Ar¬
beiten beweisen, durch Impfung vom Mensch auf Thier und vom
Thier auf Thier übertragen werden. Mit einem Worte: Es
steht zweifellos fest, dass die Tuberculose eine In-
fectionskrankheit, und zwar eine bei Menschen und
Thieren vollständig identische Infectionskrank-
heit ist.
Niemand hat wohl die Tuberculose von diesem neugewon¬
nenen Standpunkte der Infectionslehre in jüngster Zeit in kla¬
rerer Weise geschildert, alsOohnheim 1,6 )und 7S ) (Bd.I, S. 711).
Er betont zunächst, dass der rein anatomische Standpunkt
bei der Diagnose des Tuberkels nicht mehr stichhaltig, sondern
nur der ätiologische der berechtigte sein könne. Das zel-
lige Knötchen allein könne eben so wenig, wie die früher von
Laönnec urgirte Verkäsung, das entscheidende Kriterium der
Tuberculose sein, weil beides derselben nicht ausschliesslich
eigenthümlich wäre. Das zellige Knötchen einerseits, die käsige
Ooagulationsnekrose andererseits seien vielmehr nur dann der
Tuberculose zuzurechnen, wenn ihre Uebertragung wiederum
Tuberkelbildung, d. h. Knötchenbildung und Verkäsung hervor¬
zurufen vermöge. „Zur Tuberculose gehört alles, durch dessen
Uebertragung auf geeignete Versuchsthiere Tuberculose hervor¬
gerufen wird, und nichts, dessen Uebertragung unwirksam ist.“
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I. JOHNE
Da aber — so folgerte Cohnheim und mit ihm Klebs
Gerlach, Bollinger, Orth, Baumgarten etc. weiter —
nicht alle tuberkelähnlichen Knötchen und nicht alle kä¬
sigen Massen eine solche infectiöse Wirkung besitzen, so müsste
diese letztere durch eine specifische Beimengung, ein specifisches
Virus, bedingt sein. Erst wo solches mit dem Impfmaterial hin¬
gelange und längere Zeit verweile, entstehe ein tuberculöses
(oder scrophulöses) Product. Durch altbekannte klinische und
patholisch-anatomische Erfahrungen werde dies zur Genüge be¬
wiesen. So z. B. durch das wiederholt beobachtete, schon von
Vircho w 2 ) (Bd. II, S. 725) erwähnte epidemische Auftreten und
durch die vielfach beobachteten Fälle von Ansteckung unter
Eheleuten ' 8 ) (Bd. I, S. 721, sub 39), vor Allem aber durch die
anatomische Verbreitung der Tuberculose im Organismus. Letz¬
tere richte sich in erster Linie nach der Eingangspforte des Virus,
von dort aus erfolge sie entsprechend den natürlichen Strassen
des Organismus, werde aber indess wesentlich von jener Wider¬
standsfähigkeit desselben beeinflusst, welclmman vielfach als den
Ausfluss einer besonderen Disposition oder Prädisposition ansehe
(vergl. Ziegler, path. Anatomie, Bd. I, S. 174).
In der Mehrzahl der Fälle gelange das Gift mit der Athmungs-
laft in den Organismus. So erkrankten meist zunächst die Lungen
und von dort aus würden die Bronchialdrüsen und die Pleura inficirt.
Durch Expectoration des infectiösen Auswurfes würden dann Trachea
und Kehlkopf, durch Verschlucken des infectiösen Sputums der Ver¬
dauungskanal inficirt. Andernfalls könne auch der Eintritt des Virus
durch letzteren mittelst der Nahrung etc. erfolgen und der Verdauungs¬
apparat zuerst erkranken. Hier beginne die Infection vielfach in den
lymphoiden Organen der Mund- und Rachenhöhle und führe zur Tuber¬
culose der oberen Halslymphdrüsen. Schlund und Magen blieben,
weil das Virus ersteren rasch passire, die chemische Wirkung der
Verdauubgssäfte letzteren aber schütze, meist frei, dagegen etablire
sich die Tuberculose um so ausgedehnter im Darm, ergreife dann
allmählich die Mesenterialdrüsen (Phthisis meseraica), Leber und Milz,
pflanze sich aber auch durch die Lymphgefässe des Darmes von tief¬
gehenden tuberculösen Geschwüren aus auf das Peritoneum, und von
dort durch die Tuben auf den Üterus fort. Da das tuberculöse Gift
durch die Nieren ausgeschieden werde, so schliesse sich den vorigen
Processen häufig eine Tuberculose der Nieren an, welche dann durch
die Ureteren herab bis zur Blase, der Prostata und dem Urogenital¬
kanal, von dort aber bis zu den Samenblasen, den Samenleitern und
den Hoden herabzusteigen vermöge. In Folge von Infection durch den
Coitus könne aber auch umgekehrt bei männlichen Thieren vom Uro¬
genitalkanal aus das tuberculöse Gift nach Nieren und Hoden, bei
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Geschichte der Tuberculose.
47
weiblichen Thieren von Scheide und Uterus aus nach dem Peritoneal¬
sack gelangen.
Genau so wie beim Menschen liegen, wie die oben genannten
Forscher dargethan, die Verhältnisse bei der Tuberculose der
Thiere, gleichviel ob die Infection mit menschlichen oder thie-
rischen Tuberkeln, gleichviel ob sie zufällig oder absichtlich
durch Impfung, Inhalation oder Fütterung erfolgte. Gerade die
vollständige Uebereinstimmung des Infectionsganges bei Menschen
und Thieren kann als ein weiteres starkes Glied in der Kette
der Beweise für die Identität der menschlichen und thierischen
Tuberculose aufgefasst werden.
Die Verbreitung des Tuberkelvirus im Organis¬
mus erfolgt auf mehrfache Weise. Dass die local-regionäre
Ausbreitung des Processes innerhalb desselben durch die Lymph¬
spalten des interstitiellen Bindegewebes und die Lymphgefässe,
eventuell durch den Weitertransport infectiöser Massen in Schleim¬
hautkanälen und serösen Säcken ohne Mithülfe dieser, lediglich
an der inneren Oberfläche genannter Hohlräume erfolgt, ist
längst festgestellt. Die Art und Weise der allgemeinen Gene-
ralisirung wurde dagegen erst in neuerer Zeit durch Ponfick
und Weigert näher ermittelt. Nach beiden tritt eine solche
dann ein, wenn das Tuberkelvirus in den allgemeinen Blutstrom
gelangt und mit diesem nach allen Organen des Körpers hinge¬
führt wird.
Ponfick 31 ) (Bd. XIV, S. 77) hat als Eintrittsstellen desselben
in 3 Fällen tuberculose Geschwüre und Infiltrationen im Ductus tho-
racicus, Weigert 67 ) (Bd. 77, S. 269 und ibid. Bd. 88, S. 307) Tu¬
berkelentwicklung in der Wand der Lungenvenen nachgewiesen. In
jüngster Zeit hat letztgenannter Forscher 67 ) (Bd. 88) den Begriff der
„generalisirten miliaren Tuberculose“ noch genauer präcisirt und ver¬
steht darunter ausschliesslich Tuberkeleruptionen an solchen
Stellen, wohin das Tuberkelgift nur auf dem Wege des allgemeinen
Blutstromes gelangt sein konnte, scheidet hiervon aber jene Tuberkeln
aus, welche durch Weiterschreiten per contiguitatem, Fortkriechen in
den Lymphwegen, durch Ueberimpfung oder durch Eintritt in das
Pfortadergebiet entstehen.
Orth 31 ) (1881, Nr. 42, S. 613), welcher auf Grund seiner
Versuche zwischen chronisch verlaufenden tüberculösen oder käsig
pneumonischen Lungenphthisen einerseits, und acuter Miliartuber-
culose andererseits, genetisch keinen Unterschied bestehen lässt,
erklärt übrigens die äussere Verschiedenheit dieser Processe da¬
durch, dass er annixpmt: Je nachdem das giftige Agens in grösse¬
ren Mengen in den allgemeinen Blutstrom gelangt, oder nach und
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I. JOHNE
nach in kleinen Portionen, oder je nachdem es mehr local zur
Wirkung komme, und endlich je nachdem es auf ein widerstands¬
fähiges oder schwächliches Individuum einwirkt, würden sich die
anatomischen Befunde der Tuberkelinfection bald mehr acut unter
dem Bilde der Miliartuberculose, bald mehr als käsige Phthise
mit oder ohne Knotenbildung darstellen.
Welcher Natur das die Tuberculose hervorrufende
Gift sei, ist bis in die allerneueste Zeit zweifelhaft geblieben.
Die von Buhl, Rindfleisch und zahlreichen Klinikern
ausgesprochene Ansicht, dass der Organismus selbst das Gift der
Tuberculose produciren könne, hat sich nie allgemeine Geltung
verschafft. Besonders sollten scrophulöse, d. h. solche Individuen,
welche auf relativ geringe Reize hin sehr zellenreiche, rasch
verkäsende Entztindungsproducte liefern, nach Resorption der
letzteren zu solcher Selbstinfection disponiren. Nicht spe-
cifische Reize sollten also specifisch infectiöse Entzündungspro-
ducte bilden.
Experimentelle und klinische Untersuchungen und Beobach¬
tungen haben diese Theorie, wie schon oben genügend ausge-
flihrt, hinlänglich widerlegt. Namentlich spricht die klinische
Thatsache, dass eine Menge käsig-nekrotischer Gewebsmassen
resorbirt wird, ohne dass eine Tuberkeleruption erfolgt, zu
klar dafür, dass nicht alle dergleichen eine specifisch inficirende
Wirkung besitzen, dass vielmehr bei den giftigen Käsesubstanzen
noch ein „gewisses Etwas“ hinzukommt, resp. schon bei der
Bildung des Käses vorhanden ist, was sie erst infectiös macht.
„Wir wissen heute,“ sagt Cohnheim 116 ), „dass nur diejenigen
hyperplastischen oder Entztindungsproducte die specifische, d. h.
infectiöse, tuberculose Verkäsung erleiden, welche selbst schon
ein Product des tuberculösen Virus sind. “ Eine Pleuritis, welche
nicht zur Resorption gelange, sich hinschleppe oder gar recidi-
vire und hinterher zur Lungentuberculose führe, sei eben von
Anfang her eine tuberculose gewesen. Dasselbe gelte von der
Bronchitis, der Pneumonie und Lymphdrüsenanschwellungen; sie
verkästen, weil sie vom Anfänge an durch das tuberculöse, oder
wie es hier genannt werde, scrophulöse Gift, hervorgerufen seien 78 )
(S. 709). Oder wie sich Ziegler (path. Anatomie S. 177) mit
Bezug auf das Verhältniss der Tuberculose zur Scrophulöse aus¬
drückt: „Das verkäsende Entzündungsproduct eines Scrophulösen
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Geschichte der Tuberculose.
49
ist nicht deshalb infectiös, weil er scrophulös, sondern weil er be¬
reits tuberculös ist, oder das Entzündungsproduct secundär durch
Tuberkelgift inficirt wurde.
Schon die bis jetzt vorliegenden klinischen und experimen¬
tellen Tbatsachen und die Analogie mit anderen Infectionskrank-
heiten, machten es seit langem im hohen Grade wahrscheinlich,
dass es sich auch bei der Tuberculose nur um corpusculäre, or-
ganisirte Elemente, um einen reproductionsfähigen, organisirten
Virus, nicht um ein gelöstes chemisches Gift handeln könne.
Bereits Zürn 64 )(S. 9, 12, 16) hat bei seinen im September
1871 angestellten Untersuchungen nicht nur im Blute einer tuber-
culösen Kuh, sondern auch in den Tuberkelmassen derselben
„kleine punktförmige Zellenmoleküle“ (S. 12 ib. als Mikrococcen
bezeichnet) gefunden, „welche, in Wasser gebracht, eine lebhafte
Bewegung zeigten, die, wie unter guten Immersionsystemen ge¬
sehen werden konnte, eine selbständige war. Zusatz von einem
Minimum Phenylsäure hob die Bewegung dieser kleinen beweg¬
lichen Punkte auf.“ Dieselben Mikrococcen fand Zürn in einer
Impfgeschwulst, welche durch Impfung mit durch Abschwemmung
von den gröberen käsigen Partikeln getrennten Tuberkelmassen
(„Tuberkelzellen“ ibid. S. 12) bei einem Kaninchen entstanden
war, ebenso in miliaren Impftuberkeln der Lunge. — Auch
Chauveau 80 ) (1872, S. 337) sprach sich für die corpusculär-
parasitäre Natur des Tuberkelvirus aus, während Klebs 65 ) (Bd. I,
1873, S. 172 und 67 ) Bd. 49, S. 291) dieselbe anfangs bezweifelte,
später aber ebenfalls für sie eintrat. Die mannigfachsten weite¬
ren indirecten (klinischen) und directen (experimentellen) Beweise,
vor Allem die nachgewiesene unbegrenzte Vermehrungsfähigkeit
des Virus wurde Veranlassung, dass die Ansicht der genannten
Forscher immer mehr Boden gewann.
Reinstadler 77 ) (1880, No. 42), Müller 119 ) (1880, No. 19),
Krozcok und Rokitansky 12 °) (1880) u. A. glaubten dieselbe durch
die günstige Wirkung antibacterieller Mittel bei Lungentuberculose
bestätigt. Baumgarten 31 ) (1880, S. 714) vermuthete ein corpus-
culäres Contagium vivum aus zwei Gründen. Einmal würde durch
intacte Impftuberkeln bei Weiterimpfungen ein Erfolg nicht ausge¬
löst, dieselben müssten erst zerquetscht werden; das Virus müsse so¬
mit im Innern sitzen und corpusculärer Natur sein, da gelöstes das
ganze Knötchen diffundiren würde. Ferner würde aber auch durch
kurz andauernde Behandlung des Impfstoffes mit 2—3 proc. Carboi-
säurelösung die Contagiosität des Tuberkels aufgehoben. Zi eg l e r 103b )
(8. 178) begründet die gleiche Annahme durch die örtlich beschränkte
Deutsche Zeitschrift f. Thiermed. u. vergl.Pathologie. IX. Bd. 4
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I. JOHNE
Wirkung des Giftes. Schüller 117 ) und Baumgarten glaubten im
Blute der Versuchstiere mit selbständiger Eigenbewegung versehene
kleine Körnchen wahrgenommen zu haben, die schon längst vor-
her von Zürn 64 ) (1872, S. 9) beschrieben und abgebildet worden
waren. Auch Cohnheim und Fränkel 67 ) (Bd. 45) sind kleine,
stark lichtbrechende, mit lebhafter Molecularbewegung begabte Körn¬
chen in den spontan entstandenen und Impftuberkeln nicht entgangen.
Aufrecht 124 ) endlich hat im Centrum der Impftuberkeln bei mehreren
Kaninchen neben zwei verschiedenen Mikrococcusarten kurze Stäbchen-
bacterien gefunden, deren Längsdurchmesser den Querdurchmesser um
die Hälfte übertraf. Toussaint 7 ) (Tome VI, 1880; Tome 93, No. 7,
p. 350 und 121 ) p. 484) beschäftigte sich vielfach mit der Cultur des
supponirten Tuberkelpilzes, als welchen er kleine, meist paarweise zu¬
sammenliegende Mikrococcen ansah, deren Virulenz mit der Zahl der -
Culturen steigen sollte. Nach Deutschmann 77 ) (1882, S. 322)
haben hingegen die von ihm im tuberculösen Eiter gefundenen Mikro¬
coccen nicht gleiche specifische Wirkung, je nachdem man das Eiter¬
serum oder die tieferen zähflüssigen Schichten desselben verwendet,
trotzdem die in beiden Vorgefundenen Coccenformen den Charakter
des sog. Monas tuberculosum zeigten.
Das Verdienst, diese Vermuthungen zur unbestreitbaren
Thatsache erhoben, d. h. den wahren Tuberkelpilz und damit das
Virus der Tuberculose entdeckt zu haben, gebührt aber Koch 31 )
(1881. Nr. 15), dem vielgenannten Bacteriologen des deutschen
Reichsgesundheitsamtes. Es ist ihm Anfang dieses Jahres mit
Hülfe bestimmter, mittlerweile von Ehrlich 119 ) (1882. No. 19)
und Baumgarten 77 ) (1882. S. 434) noch verbesserter Färbungs¬
verfahren gelungen, in allen von ihm untersuchten tuberculösen
Producten bei Menschen und Thieren bis dahin nicht bekannte
Bacillen aufzufinden. Wenige Tage darauf veröffentlichte Baum¬
garten 77 ) (1882. Nr. 15) die gleiche Entdeckung, welche Koch’s
Priorität und Verdienst in dieser Frage indess ebenso wenig
schmälert, wie die spätere Reclamation derselben durch Auf¬
recht 77 ) (1881. S. 289). Ihm allein war es ausser der Auffin¬
dung des Pilzes zugleich gelungen, mittelst einer neuen, von
ihm erfundenen Methode die Bacillen absolut rein zu züchten,
sie isolirt mit Erfolg zu verimpfen und so mit einer vollständig
abgeschlossenen Entdeckung vor die Oeffentlichkeit zu treten.
Die von Koch entdeckten Bacillen sind sehr dünne Stäbchen,
deren Länge dem halben bis ganzen Breitendurchmesser eines rothen
Blutkörperchens entspricht. Man findet sie vielfach in den Riesen¬
zellen eingebettet, welche die Bacillen nach Analogie der von Weiss,
Friedländer und Laulamiö 31 ) (1882, S. 222 und 80 ) 1881, No. 1;
vergl. auch S. 36 d. Monogr.) beobachteten Bildung von Riesenzellen
um Fremdkörper, wie Pflanzenfasern, Strongyluseier, Actinomyces-
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Geschichte der Tuberculose.
51
pilze, ebenfalls als irritirende Fremdkörper eingeschlossen haben. Die
Koch'sehen Tuberkelbacillen unterscheiden sich aber von den bisher
mit der Tuberculose in ätiologische Beziehung gebrachten Spaltpilzen
ausser ihrem scheinbar specifischen Tinctionsvermögen dadurch, dass
Bis unbeweglich sind und sich ausserordentlich langsam vermehren.
Durch Verimpfung dieser Bacillen, die zum Theil bis 178 Tage
ausserhalb des Organismus in mehrfacher, sogar bis achtfacher
Umzttchtung auf geronnenem Blutserum cultivirt worden waren,
gelang es Koch, bei Meerschweinchen, Kaninchen, Batten, Mäu¬
sen, Katzen und Hunden in jedem Falle eine locale und typische
allgemeine Miliartuberculose hervorzurufen. Gleichviel von wel¬
chem Thiere oder Menschen das ursprüngliche Material abstammte,
der Erfolg war der gleiche und entsprach vollständig den von
anderen Forschern, namentlich Cohnheim, Salomonsen und
Baumgarten gewonnenen Resultaten.
Koch erklärte die Bacillen für einen so charakteristischen
Bestandteil des Tuberkels, dass er geradezu aussprach: Mit dem
Nachweis der Tuberkelbacillen wäre die Möglichkeit gegeben,
die Grenze der unter Tuberculose zu verstehenden Krankheiten
bestimmter als bisher zu ziehen. Es werde in Zukunft nicht
schwer sein zu entscheiden, was tuberculös und was nicht tuber-
culös sei. Nicht der anatomische Bau des Tuberkels — Koch
stimmt hierin also vollständig mit Cohn heim überein — son¬
dern der ätiologische Nachweis von Tuberkelbacillen in dem¬
selben werde künftighin das entscheidende Kriterium sein.
Dieses Kriterium als maassgebend angenommen, müssten
nach seinen Untersuchungen Miliartuberculose, käsige Pneumonie,
käsige Bronchitis, Darm- und Drüsentuberculose, Perlsucht des
Rindes, spontane und Impftuberculose bei Thieren für voll¬
ständig identische Processe angenommen werden. Jeden¬
falls sei auch ein grosser Theil, wenn nicht alle, scrophulösen
Drüsen und Gelenkleiden der echten Tuberculose zuzuzählen.
Bezüglich des „Woher und Wie“ diese Parasiten in den Kör¬
per gelangen, haben die von Koch weiter angestellten Unter¬
suchungen ergeben, dass der Tuberkelpilz zu seiner Entwicke¬
lung einer constanten Temperatur von +30—41 # C. bedarf und
dass sein Wachsthum ein ausserordentlich langsames ist. Da
nun in unserem gemässigten Klima ausserhalb des thierischen
Körpers für eine mindestens 2 Wochen (soviel braucht der Pilz
zu seiner Vermehrung) anhaltende, gleichmässige Temperatur von
über +30® C. keine Gelegenheit vorhanden sei, so gehe daraus
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I. JOHNE
herror, dass der Tuberkelpilz sich auch nur innerhalb des
Thierkörpers entwickeln könne. Er sei daher ein echter Parasit,
der alle seine Entwicklungsphasen im Thierkörper durchmache,
nicht wie der Milzbrandpilz sich auch ausserhalb desselben im
Boden durch Dauersporen fortzupflanzen vermöge.
Da nun die bei Weitem meisten Fälle von Tuberculose ihren
Anfang in den Respirationsorganen nehmen, so liege die Wahr¬
scheinlichkeit vor, dass die Tuberkelbacillen wohl auch meist
mit der Athmungsluft, an Staubpartikelchen haftend, eingeathmet
würden. Ihr Ursprung liege sehr nahe. Bei den Unmassen von
Tuberkelbacillen, welche im Caverneninhalt von Phthisikern vor¬
handen wären, könne kein Zweifel darüber obwalten, dass solche
— wie er durch seine Untersuchungen in der That auch nachge¬
wiesen — mit dem Sputum ausgeworfen würden und mit diesem
eintrockneten. Wie lange solches eingetrocknetes Sputum aber
infectiös bleibe, gehe daraus hervor, dass durch Einimpfung von
acht Wochen lang trocken aufbewahrtem, phthisischem Sputum
Meerschweinchen ebenso sicher tuberculös gemacht worden seien,
als durch Infection mit frischem Material. Demnach lasse sich
wohl annehmen, dass auch das am Boden, Kleidern u. s. w. ein¬
getrocknete phthisische Sputum längere Zeit seine Wirksamkeit
bewahre, und wenn es zerstäubt z. B. in die Lunge gelange,
daselbst Tuberculose erzeugen könne.
Die Infection des Organismus mit Tuberkelbacillen sei aller¬
dings nicht, wie beispielsweise bei dem schnell wachsenden Milz¬
brandbacillus, von jeder kleinen Verletzung aus möglich. Die
sehr langsame Entwicklung des Bacillus der Tuberculose erfor¬
dere, dass derselbe, um festen Fuss zu fassen, längere Zeit in
geschützter Lage verbleibe. Andererseits werde er wieder eli-
minirt, ehe er sich einnisten könne. Leichte, oberflächliche Haut¬
wunden genügten — analog Bollinger 35 ) (Bd. VI, S. 13), entge¬
gen zwei älteren von Hof mann m ) und Frenzei 48 ) (S. 94) mit-
getheilten Fällen, entgegen ferner Zürn 64 ) und Toussaint’s
Resultaten bei Pockenimpfung (vergl. S. 23 d.Bd.) — nach Koch’s
Versuchen nicht zur Infection, der Infectionsstoff müsse in das
subcutane Gewebe, in die Bauchhöhle, in die vordere Augen¬
kammer u. s. w. gebracht werden. Aehnlich werde es sich glück¬
licherweise auch in den Lungen verhalten. Auch hier würde
stagnirendes Secret, Verlust der schützenden Epitheldecke u. s. w.
vorausgehen müssen, ehe die Infection möglich sei. Nur hier¬
durch werde es verständlich, dass die Tuberculose, mit weleher
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Geschichte der Tubercolose.
53
in dicht bevölkerten Orten doch jeder Mensch mehr oder weniger
in Bertthrnng gelange, nicht noch häufiger vorkomme, als dies
wirklich der Fall wäre.
Die erfolgreiche Bekämpfung der Tuberculose
sei nur durch Verstopfung der Quelle des Infectionsstoffes mög¬
lich. Da der Pilz'sich aber nur innerhalb des kranken Or¬
ganismus vermehre, so sei dieser als Quelle des Ansteckungs¬
stoffes zu betrachten. Von diesem Standpunkte aus wären zwei
Dinge als Ursache der menschlichen Tuberculose ins Auge zu
fassen. Einmal das Sputum kranker Menschen und die damit
beschmutzten Gegenstände, Kleider etc. Eine zweite Quelle sei
ganz unzweifelhaft die Tuberculose der Hausthiere, in erster
Linie die Perlsucht. Diese wäre aber eine mit der menschlichen
Tuberculose identische Krankheit, folglich auf diesen übertragbar.
Der Genuss von Fleisch und Milch perlsüchtiger Thiere sei eine
Infectionsgefahr für den Menschen, die, sei sie so gross oder so
klein, wie sie wolle, vermieden werden müsse. Wäre es auch hin¬
länglich bekannt, dass milzbrandiges Fleisch von vielen Personen
und oft lange Zeit hindurch ohne Nachtheil genossen werde, so
würde doch deswegen Niemand den Verkehr mit solchem Fleische
gestatten.
Pflug, der, wie schon S. 37 vorl. Schrift erwähnt, den Tuberkel
weder für eine histologisch noch ätiologisch einheitliche Neubildung
hält, glaubt auf Grund dieser Anschauung die von Koch entdeckten
Tuberkelbacillen nicht für die einzige und specifische Ursache der
Tuberculose ansehen zu können. Er sagt: „Denn selbst der jüngst¬
hin von Koch und dann noch von anderen (Baumgarten) gemachte
Befund von Bacillen in den menschlichen Tuberkeln und in der Perl¬
sucht des Rindes beweist wohl nur, dass für gewöhnlich die Koch-
sehen Bacillen die menschlichen Tuberkeln und die Perlsucht des
Rindviehes veranlassen. Dass diese Bacillen die alleinige Ursache
der Tuberculosis seien, hat selbst Koch nicht gesagt; dass sie die¬
selbe aber wirklich nicht sind, dass ersehen wir zunächst schon aus
dem vorliegenden (Lungenactinomykose betreffenden) Fall.“
Im Grossen und Ganzen würde übrigens durch diese Pflug’sche
Auffassung die Tuberculose von ihrer Bedeutung als Infectionskrank-
heit nichts verlieren.
VIERTER ABSCHNITT.
Die ätiologischen Beziehungen der menschlichen und thierischen
Tuberculose zu einander.
Mit dem von Koch gelieferten, unzweifelhaft sicheren Nach¬
weis der Identität und Virulenz sämmtlicher bei Thieren und
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I. JOHNE
Menschen Yorkommenden tabercnlösen Processe, welcher gewisser-
maassen als die Probe auf die Richtigkeit der zahlreichen Ueber-
tragnngsversuche und histologischen Stadien bezeichnet werden
kann, wurde selbstverständlich aber auch die seit Villemin’s
Entdeckung unausgesetzt ventilirte Frage wieder mächtiger denn
je in den Vordergrund gedrängt:
Ist die Tuberculose durch den Genuss von Fleisch und Milch
tuberculöser Thiere von Thier zu Thier, vor Allem aber auf den
Menschen übertragbar ?
Der Erste, welcher mit voller Entschiedenheit diese Frage
bejahte, war Ger lach. Schon auf Grund seiner ersten, in Han¬
nover angestellten Fütterungsversuche wollte er das Fleisch tuber¬
culöser Rinder vom menschlichen Genuss ausgeschlossen haben,
„ wie dies ehedem geschehen sei. “ Ebenso hielt er schon damals
die Verwendung der Milch solcher Thiere für bedenklich.
Im Jahre 1875 forderte Gerlach 30 ) (Bd. I, S. 541), nach¬
dem von ihm die Identität der menschlichen und thierischen
Tuberculose begründet worden war, geradezu: „Wir haben dem¬
nach ein Recht und zugleich auch die Pflicht, die Resultate der
Fütterungsversuche mit Thieren auf den Menschen anzuwen¬
den; dieselben führen uns auf das Gebiet der Aetiologie der
Tuberculose des Menschen und eröffnen uns eine neue Quelle
dieser mit Recht so gefürchteten Krankheit in den thierischen
Nahrungsmitteln. “
Gerlach, und dieser Annahme sind auch Zürn 64 ), Sem-
mer (1. c.) und Toussaint 7 ) (1881, Tom. 93, No. 5 und 19 )
1881, No. 8) beigetreten, hält das Fleisch tuberculöser Thiere
für unbedingt infectiös, wenn auch im geringeren Grade, als die
eigentlichen Tuberkelmassen. Dass Tuberkeln aber im intersti¬
tiellen Bindegewebe des Fleiches Vorkommen, sei durch die Unter¬
suchungen von Schütz 33 ) unzweifelhaft nachgewiesen und wurde
überdies auch von Leisering 59 ) (1862/63, S. 103) constatirt
(vergl. auch Zusammenstellung über das Vorkommen der Tu¬
berkeln in den einzelnen Organen und Geweben der Rinder 99 )
Bd. XXI, S. 351*)). Die Menge des Virus im Fleische werde
von dem Grade der Localisation abhängen. Das Kochen des
Fleisches zerstöre übrigens zwar das Virus, indess dringe die
Siedehitze so langsam in die Tiefe grösserer Fleischstttcke und
*) Auch Verf. wird anderen Ortes über einen exquisiten Fall von Müiar-
tuberculose der Musculatur bei einem Rind berichten.
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Geschichte der Tuberculose.
55
Knoten ein, dass nach V4—‘/sstUndigem Kochen die Möglichkeit
einer Infection noch vorhanden sei.
Dieser Ueberzeugung entsprechend schliesst er 30 ) (Bd. I,
S. 41) das Fleisch von tuberculösen Thieren überhaupt und be¬
sonders von perlsüchtigem Rindvieh unter gewissen, später noch
specieller zu besprechenden Voraussetzungen von der Verwen¬
dung zur menschlichen Nahrung aus.
Ganz ähnlich stellen sich zu dieser Frage alle anderen For¬
scher, welche sich mit der Ftitterungstuberculose eingehender
beschäftigt haben.
Klebs (1. c.) stimmt bezüglich der Infectionsfähigkeit der Tu¬
berculose durch Fleischgenuss Gerlach vollständig bei. Ganz
besonders betont er aber die Infectiosität der Milch tuberculöser
Kühe, deren verschiedene Intensität wahrscheinlich von dem
Grade der Erkrankung der betreffenden Stücke abhänge. Das
Virus solle nach ihm im Milchserum, wie er Anfangs meinte
(s. S. 79), in gelöster Form, vorhanden und durch die gewöhn¬
liche Art des Kochens nicht zerstörbar sein.
Ganz den Gerlach’schen Lehren schlossen sich weiter
Flemming 71 ) (September 1880), Rivolta und Perroncito 63 )
Bd. 31. Analect. S. 43) an, während Bollinger 65 ) (Bd. I, S. 356,
m ), 85 ) und 9# ) 1880, No. 1 und 35 ) Bd. I, S. 111, 243 und
ibid. Bd. VI, S. 13 etc.) zwar die Infectiosität der Tuberculose
anerkannte, die des Menschen und des Rindes aber (ähnlich
Semmer) nicht für identische, sondern nur homologe Processe
hielt. Die Möglichkeit einer tuberculösen Infection durch Fütte¬
rung (wobei der Darm der Pflanzenfresser eine weit bessere
Resorptionsfläche darzustellen scheine, als Haut und Unterhänt-
bindegewebe derselben) dürfe aber kaum mehr bezweifelt werden.
Indess hielt Bollinger ,#9 ) (1880, S. 409) die Gefahr der Ueber-
tragung durch Milch für grösser, als die durch Fleisch, da erstere
meist roh oder wenig gekocht längere Zeit vom Säugling aus¬
schliesslich genossen werde. Die Receptivität des Säuglings für
Schädlichkeiten in der Nahrung übertreffe jedenfalls die des
erwachsenen Menschen. Ja er ging so weit, die „sehr gegründete“
Vermuthung auszusprechen, dass der Begriff „Heredität“ viel¬
leicht theilweise auf Milchinfection bei Säuglingen zurückzu¬
führen sei. Bollinger legte zugleich ein besonderes Gewicht
auf die generelle Disposition des Menschen. Er glaubte die Om¬
nivoren Menschen in Betreff der Infectionsfähigkeit den Camivoren
gleichstellen zu müssen; eine Annahme, zu welcher nach Klebs 65 )
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L JOHNE
(Bd. III, S. 443) eine Berechtigung deshalb nicht vorliege, weil
das Menschengeschlecht ja gerade mit dieser Krankheit gesegnet
sei. Auch muss hiergegen der Umstand geltend gemacht werden,
dass ja gerade das Schwein, welches wie der Mensch omnivor
ist, ausserordentlich leicht mit Tuberkelvirus inficirt werden kann.
Uebrigens weist Bollinger auch selbst auf den Umstand hin,
dass einerseits die Tuberculose eine ausserordentlich häufige
Todesursache des Menschen bilde (in München im Jahre 1866 bis
30,25 Proc., nach Koch [1. c.] sterben l h aller Menschen an Tu¬
berculose), dass andererseits aber auch nur wenige Menschen vor¬
handen sein mochten, welche bei der Verbreitung der Tuberculose
unter den Rindern nicht schon Fleisch oder Milch perlsüchtiger
Rinder genossen hätten, also einer Infection ausgesetzt gewesen
wären.
In seiner letzten Publication scheint er indess auf Grund der
von Adam und Göring über die Häufigkeit der Tuberculose
unter den Rindern in Bayern angestellten Ermittlungen die In-
fectionsgefahr für den Menschen weniger hoch anzuschlagen.
Einstweilen müsse allerdings die Möglichkeit einer Infec¬
tion durch Milch im Auge behalten werden, namentlich werde
es Aufgabe der experimentellen Forschung sein, zu ermitteln,
welche Form der Rindstuberculose eine infectiöse Milch liefere.
Da nach Adam’s und Göring’s Zusammenstellung die Wahr¬
scheinlichkeit, dass ein Rind tuberculös sei, mit dem höheren
Alter zunehme, so erscheine es vor allem gerathen, die
Milch älterer Kühe (über 6 Jahr) vom Genüsse auszuschliessen.
Nach Göring 35 ) (Bd. IV, 8. 281 und Bd. VI, 8. 136) waren
im Königreich Bayern tnberculös:
1877 von 4976 geschlachteten Rindern 1,31 Proc. unter einem,
10,81 Proc. von 1—3, 37,80 Proc. von 3—6, 50,07 Proc.
Uber 6 Jahre alt. ,
1878 von 5042 geschlachteten Rindern 1,28 Proc. unter einem,
11,12 Proc. yon 1—3, 34,31 Proc. von 3—6, 46,80 Proc.
über 6 Jahre alt.
Zu gleichen Resultaten gelangte Adam, so dass man Bollinger
wohl beipflichten kann, wenn er sagt: „Je älter das Rind, desto
grösser die Wahrscheinlichkeit, dass es tuberculös ist.
Klinische Fälle von Infection durch Milch sollen nach Bol¬
linger noch wenig bekannt sein. Er gedenkt nur der im Jahre
1846 von Klenke, ferner eines von Zippelius 90 ) (Bd. XX,
S. 205) berichteten, wonach Dr. Stang in Amorbach die Tu¬
berculose bei einem 5 jährigen, nicht hereditär belasteten Knaben
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Geschichte der Tuberculose.
57
entstehen sah, welcher längere Zeit die Milch einer hochgradig
perlsüchtigen Kuh erhalten und kuhwarm genossen hatte.
So selten wie Bollinger derartige Beobachtungen hinstellt,
sind sie in der That aber doch nicht. So werden noch gleiche
und ähnliche mitgetheilt von Demme 125 ), Uffelmann 126 ),
Ebstein 128 ), Hergard 129 ), Felizet 80 ) (V. Ser. Tom. V. Vol.
XLV. S. 48). *) Nicht unbeachtet darf ferner der bisher in der
ärztlichen Literatur so wenig beachtete Versuch eines statistischen
Vergleiches zwischen dem Vorkommen der Tuberculose bei Kin¬
dern und Rindern von Zippelius bleiben, welchen derselbe
187 6 90 ) (Bd. XX, S. 225) auf Grund eines 5jährigen Durch¬
schnittes der amtlichen Ausweise seines Amtsbezirkes veröffent¬
lichte. Ans demselben scheint hervorzugehen, dass die Sterb¬
lichkeit der Kinder unter 2 Jahren in solchen Orten am grössten
war, wo nach Ausweis der Fleischschauregister die meisten tuber-
culösen Rinder vorkamen.
Auch Orth 67 ) (Bd. 76, S. 242) hält die Uebertragbarkeit
der Rindertuberculose auf den Menschen durch Fleisch und Milch
für nicht unwahrscheinlich. Cohnheim 116 ) und Aufrecht 77 )
(1882, S. 291) erklären die Milch tuberculöser Thiere für eine
Ursache der Phthisis meseraica, der primären Darm- und acuten
Miliartuberculose der Kinder. Semmer 67 ) (Bd. 83, S. 555) steht
auf dem Standpunkt Böllinger 7 s. Wenn auch der Mensch wenig
Neigung zur Erkrankung an Tuberculose durch den Genuss der
Milch und des Fleisches perlsüchtiger Rinder zu besitzen scheine,
weil bei der Häufigkeit des Genusses beider die Tuberculose
*) Auch Verf. kann einen solchen Fall berichten. 1880 wurden ihm
durch den Rittergutsbesitzer v. S. die Brust- und Baucheingeweide einer
hochgradig tuberculösen Kuh zugesendet und zugleich bemerkt, dass die¬
selbe bis vor wenigen Wochen das schönste und wohlgenährteste Stück
im Stalle gewesen wäre, dann aber rapid abgemagert sei. Ihres früheren
vorzüglichen Gesundheitszustandes halber hätte der Inspector des Gutes ge¬
rade die Milch dieser Kuh zur Ernährung eines ihm geborenen Knaben ver¬
wendet.
Ich hielt mich verpflichtet, dem Hausarzt genannten Vaters von dem
Sectionsbefund der bew. Kuh durch einen Collegen Mittheilung machen und
mich zugleich nach dem Gesundheitszustände des Kindes erkundigen zu
lassen. Der Bericht lautete wenig günstig. Angeblich in Folge der Masern
und eines Lungenkatarrhs sollte das Kind im Ernährungszustand sehr zu¬
rückgekommen sein. Vor Kurzem erhielt ich die Nachricht, dass solches,
2*/2 Jahre alt, an Miliartuberculose des Gehirns gestorben wäre. Die ande¬
ren Kinder der nach keiner Richtung erblich belasteten Eltern sollen ganz
gesund sein.
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58
I. JOHNE
weit häufiger bei ihm Vorkommen müsse, so sei doch die Mög¬
lichkeit einer solchen Infection nicht einfach za negiren. Die
gelungenen Uebertragungen auf Hunde, die ebenso wenig
empfänglich schienen, bewiesen genügend die Möglichkeit einer
solchen.
Selbst Virchow musste auf Grund der unter seiner Mit-
Wirkung seit dem Jahre 1876 an der Thierarzneischule zu Berlin
vorgenommenen Versuche wenigstens so viel zugeben, dass man
nach den Fütterungen mit Fleisch perlsüchtiger Binder eine
grössere Anzahl kranker Thiere gehabt habe, als wenn man die
gewöhnlichen Erfahrungen und Befunde bei den Controlthieren
berücksichtigt hätte. Ebenso seien die durch Fütterung mit
Milch gewonnenen Erfahrungen nicht im Stande, die Milch perl¬
süchtiger Kühe zu „ exculpiren “. Wenn er auch nicht in der
Lage wäre, auf Grund der gewonnenen Erfahrungen ein allge¬
meines Verbot des Fleisches perlsttchtiger Thiere gerechtfertigt
zu finden, weil das eigentliche Fleisch, die eigentliche Muskel-
substanz durchaus frei von Perlknoten zu sein pflege (vergl. S. 54),
so scheine es ihm doch motivirt, den Genuss des Fleisches von
solchen Theilen zu verbieten, an denen sich perlsttchtige Neu¬
bildungen vorfänden.
Toussaint 7 ) (1881. Tom. 93. No. 5, p. 281 und 79 ) 1881.
No. 8) glaubt, dass die Ansteckung mit Tuberculose vom Darm
aus leichter, wie von der Haut erfolge. Auf Grund seiner Ex¬
perimente hält er es für gefährlich, heruntergekommenen Kran¬
ken und Kindern rohes Fleisch und den Saft wenig erhitzter
Muskeln zu verordnen.
Wenn es mit Zugrundelegung aller dieser Aussprüche und
im Zusammenhang mit den oben (S. 29 u. folgd.) geschilderten
Fütterungsversuchen auch zweifellos erscheinen dürfte, dass die
Tuberculose durch die Verdauungswege übertragbar ist, und bei
der Identität der thierischen und menschlichen Tuberculose ge¬
folgert werden muss, dass die erstere durch den Genuss von
Fleisch und Milch tuberculöser Thiere auf den Menschen über¬
tragen werden kann, so hat sich andererseits gegen die Ger-
1 ach'sehen Forderungen (S. 64) doch eine lebhafte Opposition-
geltend gemacht.
Das meiste Aufsehen erregte seiner Zeit der bekannte und
vielbesprochene Beschluss des deutschen Veterinärrathes 13 °). Der¬
selbe erklärte in seiner zweiten Versammlung im Jahre 1875 mit
22 gegen 6 Stimmen: „Insbesondere sind dieselben (d. h. die vor-
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Geschichte der Tuberculose.
59
liegenden Erfahrungen) nicht aasreichend, die Annahme einer An¬
steckungsgefahr für Menschen, und aus diesem Grunde den Erlass
eines Verbotes des Verkaufes von Fleisch und Milch der betref¬
fenden Thiere zu rechtfertigen.“
Die Motive dieses Beschlusses sind in einem von Lustig ver¬
fassten Gutachten 13 ^ niedergelegt, das allerdings den von Gerlach
und anderen Experimentatoren bis dahin angestellten Fütterungsver¬
suchen mit positiven Erfolgen nahezu jede Bedeutung abspricht, andere
wenige, negativ ausgefallene Versuche aber zu ganz entschieden wider¬
sprechenden Erfolgen aufbauscht. Während z. B. die von Colin 30 )
(1875, p. 22) bei nur 2 Kälbern, 2 Lämmern, 4 Schweinen, mehreren
Hunden und Kaninchen, einigen Meerschweinchen, 1 Ente und 2 Tau¬
ben mit allerlei tuberculösem Material unternommenen Versuche in
den Vordergrund gestellt wurden, fanden die oben citirten, so über¬
aus glänzenden, viel älteren Fütterungsversuche seines Landsmannes
Chauveau mit keinem Worte Erwähnung.
Weiter ist der Gerlach'sehen Forderung entgegen gehalten
worden, dass alle vorliegenden Versuche doch zunächst nur die
Uebertragungsfähigkeit der Tuberculose von Thier auf Thier und
von Mensch auf Thier bewiesen hätten. Besonders fuhrt Göring
in seinen amtlichen Zusammenstellungen Uber das Vorkommen
der Tuberculose in Bayern 35 ) (Bd. IV, S. 289 und Bd. VI, S. 142)
zahlreiche Mittheilungen an, nach welchen ganz im Gegentheil
zu den Gerlach’schen Annahmen Milch und Fleisch tubercu-
löser Kühe jahrelang fast ausschliesslich von Menschen ohne
Nachtheil genossen worden sein soll.
Bollinger (1. c.) hat daher allen Ernstes zur endlichen
Lösung dieser Frage den Vorschlag gemacht, dieselbe experi¬
mentell durch Versuche an zum Tode verurtheilten Verbrechern
zur endgültigen Entscheidung zu bringen. Semmer 94 ) (1878)
dagegen empfahl dieselben an Affen anzustellen, aber nicht an
solchen, die hier gehalten wurden, da dieselben mehr oder we¬
niger mit der Tuberculose behaftet seien, sondern in ihrer tropi¬
schen Heimath.
Diesem letzteren Vorschlag entsprechen zum Theil die von Kris¬
haber und Dieulafoy 5 ) (1881, Nr. 34), welche 16 Affen zu Impf¬
versuchen mit tuberculösen Substanzen, 34 dergleichen dagegen als
Controlthiere benutzten. Von ersteren starben circa 90 Proc. unter
analogen Veränderungen wie beim Menschen. Auch von den nicht
geimpften Controlaffen gingen einzelne an Tuberculose ein, jedoch
viermal so wenig, wie von den geimpften.
Wägt man alle diese fUr und wider angeführten Thatsachen
sorgfältig gegen einander ab, berücksichtigt man hierbei noch
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60
I. JOHNE
die nach Koch’s Arbeiten ganz unzweifelhaft bewiesene Unität
und Virulenz sämmtlicher tuberculösen Processe, so wird man
zu folgender Ueberzeugung gedrängt:
Die Möglichkeit einer Uebertragung der Tuberculose durch
den Genuss von Fleisch und Milch damit behafteter Thiere auf
den Menschen darf nicht länger bezweifelt werden . Der stricte
Beweis hierfür kann nur auf einem der oben angedeuteten Wege y
am sichersten durch directe Infectionsversuche erbracht werden .
So lange das nicht geschehen, oder so lange umgekehrt nicht die
volle Unschädlichkeit des Fleisches von tuberculösen Rindern, resp.
Thieren im Allgemeinen, für die menschliche Gesundheit positiv
erwiesen ist , sind wir bei der unberechenbaren Tragweite, welche
die ganze Frage für die öffentliche Gesundheitspflege besitzt ,
nicht nur berechtigt , sondern sogar verpflichtet, auf Grund der
bei den Thierversuchen gewonnenen Resultate und des vorliegen¬
den klinischen Materials die vor Allem von Gerl ach, Chau -
veau, Klebs und Toussaint behauptete Uebertragbarkeit der
Tuberculose durch Fleisch und Milchgenuss auf den Menschen als
thatsächlich vorhanden anzunehmen .
Wie gross diese Gefahr und unter welchen Um¬
ständen sie besonders vorhanden ist, das sind noch
offene, durch fortgesetzte Untersuchungen zu lösende Fragen.
Ebenso offen bleibt noch die Frage, durch welche Mittel
das Virus zerstört und unschädlich gemacht werden
kann.
Was man in dieser Beziehung über die Wirkung der übli¬
chen Zubereitungsmethoden der animalischen Nahrungs¬
mittel weiss, ist im Grunde noch wenig und zum Theil Wider¬
sprechendes. Durch die Versuche von Gerl ach, der Dresdner
und Hannover’schen Thierarzneischule (vergl. Fütterungsversuche
S. 29 d. Bd.) wissen wir, dass die Siedehitze das Tuberkel¬
gift zwar zerstören kann, aber selbst ein V 2 ständiges Kochen
noch nicht immer genügt, dicke Knoten und Fleischstücke un¬
schädlich zu machen. Nach Au frech, t ,24 ) zerstört das Kochen
das Virus und damit sicher die Infectiosität der Milch, während
nach Toussaint 71 ) (Tom. 93, No. 5, p. 281 und 79 ) 1881, No. 8)
der Saft wenig erhitzter Muskeln (10 Minuten langes Erhitzen
des ausgepressten Saftes einer tuberculösen Bindslunge — Saft
aus wie Beefsteaks gebratenen Muskelstücken) die Tuberculose
noch zu erzeugen vermag. Langeron 93 ) (Tome XVII, p. 149)
erwähnt ferner, dass vorherige^ mehrstündige Einwirkung von
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Geschichte der Tuberculose.
64
salpetersaurem Wasser auf die tuberculösen Massen die Virulenz
derselben nicht aufzuheben vermocht habe; nach Baumgarten 31 )
(1880, S. 714) kann hingegen schon eine kurz andauernde Be¬
handlung des Impfstoffes mit 2 — 3 proc. Carboisäurelösung die
Contagiosität desselben zerstören.
Hinsichtlich der Einwirkung der Verdauungssäfte
auf das Virus fehlen alle experimentellen Untersuchungen. Die
Secrete des Magens und der vorderen Darmabtheilnngen scheinen
demselben im Allgemeinen feindlich gegenüber zu stehen, da bei
secundärer Tuberculose des Verdauungsapparates nach primärer
der Respirationsorgane, immer nur die hintere Darmabtheilung,
der Magen dagegen fast nie tuberculös erkrankt ist. Auch das
Fleisch milzbrand- und tollwuthkranker Thiere wirkt vom Magen
aus — um auf analoge Verhältnisse zurtickzugreifen — ersteres
höchst selten, leltzteres niemals nachtheilig auf die menschliche
Gesundheit.
Es würde durch weitere experimentelle Untersuchungen noch
zu ermitteln sein, ob sich die Widerstandsfähigkeit der Tuberkel¬
bacillen und die der Dauersporen derselben gegen die Secrete des
Magens und Darmes gleich verhält, oder ob hier ähnliche Verhält¬
nisse wie beim Milzbrand Platz greifen (vergl. Koch, Ueber die
Milzbrandimpfung. 1882. S. 25).
Da zur Zeit indess noch sichere experimentelle Unterlagen
über alle diese Verhältnisse fehlen, so thut man wohl, die Frage
der Tenacität des tuberculösen Virus noch nicht als abgeschlossen
zu betrachten. Ihre endgültige Lösung im Reichsgesundheitsamt
dürfte baldigst zu erwarten sein.
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62
I. JOHNE
ZWEITE ABTHEILUNG.
Welche Consequenzen ergehen sich für Hedicinal*
und Veterinärpolizei aus der bewiesenen Infectiosität und
Identität sämmtlicher, hei Menschen und Thieren
verkommender tubereulöser Processe?
ERSTER ABSCHNITT.
Welche Aufgaben fallen bei der bewiesenen Möglichkeit der Heber-
tragung der Tuberculose durch Genuss von Fleisch und Milch
tubereulöser Thiere, besonders des Kindes und Schweines,
der Medicinalpolizei zuP
Im Hinblick auf die bewiesene Möglichkeit der Uebertragung
der Tuberculose durch den Genuss von Fleisch und Milch tnber-
culöser Thiere auf den Menschen, hat Gerl ach die Aufgabe
der Medicinalpolizei klar ausgesprochen: Sie hat den Genuss von
Fleisch tubereulöser Thiere, insbesondere perlstichtiger Rinder
(unter den S. 64 noch näher bezeichneten Bedingungen) ebenso
zu verbieten, wie den Genuss der Milch solcher Thiere.
Die Berechtigung dieser Forderung wird erst in der aller-
neuesten Zeit mehr und mehr zugestanden. Die Scheu vor den
einschneidenden Folgen derselben scheint die Ursache zu sein,
dass man, und wohl mit Recht, gang ausserordentlich vorsichtig
und bedächtig bei ihrer Prüfung zu Wege geht.*) Praktisch ist an
*) Dieselben sind auch in dem bekannten Obergutachten der königl.
Thierarzneischuldirection zu Berlin, welches dieselbe i. J. 1878 in einer an¬
hängigen Processsach§ abzugeben hatte 30 ) (Bd. IV, S. 466) sehr richtig betont
worden:
„Es ist noch nicht erwiesen, dass das Fleisch einer mit der allgemeinen
Tuberculose (Franzosenkrankheit, Perlsucht) behafteten, sonst aber sehr
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Geschichte der Tuberculose.
63
die Entscheidung der Frage im vollen Gerl ach'sehen Sinne bis
heute noch Niemand herangetreten, im vollen Umfange sind
seine kategorischen Forderungen noch nirgends zur Ausführung
gelangt.
Ja man kann der Medicinalpolizei vielleicht sogar den Vor¬
wurf nicht ersparen, trotz der Wichtigkeit des Gegenstandes bis
jetzt bei den Regierungen ausser einer in viel zu geringem Um¬
fange unternommenen Reihe von Fütterungsversuchen nichts der
Tragweite der Frage Entsprechendes beantragt zu haben. Be¬
sonders liegt die Statistik sehr im Argen. Eine Ausnahme hier¬
von macht Bayern. Hier hat die königl. bayer. Regierung
von Schwaben und Neuburg 90 ) (Bd. XXI, No. 2 u. Bd.XXIV,
No. 13) — auf die Initiative des thierärztlichen Vereines zu
München hin — alle Bezirks- und städtischen Thierärzte des
Regierungsbezirkes durch Verordnungen vom Jahre 1877 und 1880
veranlasst, unter Mitwirkung der Distrikts- und praktischen Thier¬
ärzte alle vorkommenden Fälle der Tuberculose beim Rind zu
sammeln und ihnen die Mittheilung der weiteren Beobachtungen
Uber die Schädlichkeit oder Unschädlichkeit des Genusses von
Fleisch und Milch tuberculöser Thiere zur Pflicht gemacht. Um
namentlich Uber letzteren Punkt Gewissheit zu erlangen, wurden
die Bezirksthierärzte ferner angewiesen, halbjährig den Bezirks¬
ärzten ihres Bezirks ein Verzeichniss derjenigen Bewohner des
Amtsbezirkes einzureichen, aus deren Stallungen nachweislich
diejenigen Kühe stammen, welche bei der Fleischbeschau oder
in den Wasenmeistereien tuberculös befunden würden.
Es steht zu hoffen, dass diese Anordnung brauchbare Unter¬
lagen für weitere Entschliessungen liefern, und dass seitens der
übrigen deutschen Regierungen in gleicher Weise vorgegangen
werden wird.
Die Stellung, welche die Medicinalpolizei vorläufig dem Ge¬
nuss von Fleisch tuberculöser Rinder, resp. des unserer schlacht¬
baren Hausthiere im Allgemeinen gegenüber einzunehmen hat,
ist folgende:
fetten und wohlgenährten Kuh nicht geeignet ist, Menschen als Nah¬
rung zu dienen.“
„Andererseits ist jedoch auch die Behauptung mehrerer Experimenta¬
toren, dass bei der Franzosenkrankheit, namentlich in Fällen grösserer Ver¬
breitung der Krankheit im Körper, das Fleisch eine speciiische Schädlichkeit
enthalte und deshalb von der Verwerthung zur menschlichen Nahrung aus-
zuschliessen sei, durch die bisherigen wissenschaftlichen Forschungen noch
nicht widerlegt.“
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64
I. JOHNE
Das Fleisch tnberculöser Thiere muss vor der Hand in die
Klasse der gesundheitsschädlichen Nahrungsmittel verwiesen wer¬
den. Die stricte Durchführung dieser Forderung würde aber
zu schwer schädigenden Gonsequenzen führen. Die Erfahrung
lehrt, dass ein Rind z. B. an Tuberculose verschiedener Organe
leiden und trotzdem im Uebrigen gesund, sehr gut genährt, ja
Schlachtwaare I. Qualität sein kann, ein Fall, der besonders
häufig bei der Tuberculose der serösen Häute (sog. fette Fran¬
zosen) vorkommt. Wird die Costalpleura mit den oft massen¬
haft darauf sitzenden Knoten abgeschält und die Lunge mit den
auf ihrem serösen Ueberznge sitzenden tuberculösen Neubildungen
und den tuberculösen Bronchialdrüsen entfernt, so kann das aus¬
geschlachtete Rind im Uebrigen von ganz tadelloser Beschaffen¬
heit erscheinen.
Soll auch solches Fleisch rücksichtslos verworfen werdenf
Ist anzunehmen, dass auch in dieses bereits der Infectionsstoff
eingedrungen ist? Wo liegt nach solchen Erfahrungen die Grenze
zwischen dem noch geniessbaren und dem als ungeniessbar zu ver¬
werfenden Fleische?
Die Beantwortung dieser Frage ist ausserordentlich schwierig
und in verschiedenerWeise versucht worden. Für Semmer °')
(Bd. 83, S. 556) gibt es nur ein „entweder — oder.“ „Ent¬
weder die Perlsucht und Tuberculose ist für den Menschen un¬
schädlich und dann gestatte man Alles, oder sie ist schädlich,
und dann verbiete man alles Perlsüchtige und Tuberculöse. “
Nicht ganz soweit geht Oer lach, aber doch weit genug,
um eine Entscheidung in seinem Sinne als eine für die Land¬
wirtschaft und Viehzucht tief einschneidende erscheinen zu
lassen.
Nach ihm muss schon der Anfang der Abzehrung, d. h. der
Rückgang der Ernährung ohne diätetische Ursache als Symptom
davon betrachtet werden, dass die Tuberculose allgemein —
constitutioneil, oder wie wir jetzt sagen, generell — geworden
ist. Da man die Abzehrung aber erst zu erkennen vermöge, wenn
solche einen gewissen Grad erreicht habe, so könne das Fleisch
schon schädlich sein, wenn sich die Thiere noch nicht in einem
abgemagerten Ernährungszustand befänden. Für Gerlach ist
das Fleisch tnberculöser Rinder und anderer Thiere als schädlich
zu betrachten:
1. „Wenn die Lymphdrüsen im Bereich der tuberculös er¬
krankten Organe ebenfalls tuberculös und so der Ausgang einer
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Geschichte der Tuberculose.
65
immer weiteren Infection geworden sind. Die erste Verbreitung
erfolgt in den Lymphbahnen; so lange also die nächsten Lymph-
drüsen noch nicht inficirt nnd tubercnlös degenerirt sind, so
lange hat auch noch keine Verbreitung stattgefunden. Bei Mit¬
erkrankung verschiedener Lymphdrtisen ist das ganze Lymph-
gefässsystem verdächtig;
2. wenn schon käsiger- Zerfall stattgefnnden hat, wenn
namentlich schon käsige Herde in den Lnngen liegen. Je mehr
käsige Tnberkelherde, desto schädlicher scheint das Fleisch
zu sein;
3. wenn schon eine weitere Verbreitung der Tuberkeln im
Körper stattgefunden hat nnd
4. wenn bereits Abzehrung eingetreten ist.
Eines von diesen Merkmalen im ausgebildeten Grade ge¬
nügt, das Fleisch von tuberculösen Thieren für nngeniessbar zu
erklären. “
Nicht mit Unrecht ist Ger lach der Vorwurf gemacht wor¬
den, dass auch seine Forderung Aber das Maass des unbedingt
Nothwendigen hinausgehe. Würden durch dieselbe ja oft die
bestgenährten Rinder dem Fleischmarkt entzogen. In Wahrheit
liegt glücklicher Weise aber die Sache etwas günstiger, als sie
von Ger lach nnd verschiedenen anderen Forschern aufgefasst
und hingestellt worden ist.
Es steht fest, dass die Tuberculose eine Infectionskrank-
heit ist, hervorgernfen dnrch ein Virus, das überall, wo es mit
den Geweben in Berührung kommt, Tuberkelbildung erzeugt.
Cohnheim hat gezeigt (vergl. S. 46) in welcher Weise sich
das Tuberkelvirus von den Eingangspforten des Organismus aus
auf den natürlichen Strassen des letzteren theils per contigui-
tatem, theils anf der inneren Oberfläche von Schleimhantkanälen
mit dem Girculationsstrom deren Inhaltes, theils durch Lymph¬
spalten nnd Lymphgefässe oder vom Darme aus dnrch die Pfort¬
aderwurzeln weiter verbreitet. Seine nnd Anderer Untersuchun¬
gen haben weiter gelehrt, dass das Tnberkelgift von einem
primär oder secundär erkrankten Organe ans in den Blutstrom
gelangen, und mit diesem überall hin verschleppt, in mehr oder
weniger acuter oder chronisch verlaufender Form eine genera-
lisirte (metastatische) Tuberculose erzeugen kann. Wenn solches
verhältnissmässig selten geschieht, so soll dies nach Cohn-
heim U6 ) seinen Grund darin haben, dass die Menge des je¬
weilig circulirenden Virus nicht immer gross genug hierzu ist.
Deutsche Zeitschrift f. Thiermed. u. vergl. Pathologie. IX. Bd. 5
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66
1. JOHNE
Auf Grund der Koch’schen Untersuchungen würde jetzt noeh
hinzuzufügen sein: Kleine Mengen werden eben (wie dies auch
Versuche mit anderen Bacterienformen gezeigt haben) viel eher
durch die Nieren etc. wieder aus dem Blute und dem Organis¬
mus überhaupt ausgegchieden, ehe sie sich bei ihrer ausser¬
ordentlich langsamen Entwicklung vermehren und einnisten kön¬
nen. Hingegen kann und wird .eine Generalisirung der Tuber-
culose, eventuell eine sog. allgemeine Miliartuberculose eintreten,
wenn eine rasche Ueberschwemmung des Blutstromes mit grösse¬
ren Mengen von Virus erfolgt. Dass der Duct. thoracicus und
die Lungenvenen die hauptsächlichsten Einbruchstellen für letz¬
teres sein sollen, wurde schon oben erwähnt.
Von mehreren Seiten, so noch neuerdings wieder von Fehl¬
eisen 133 ) (Bd. XIV, S. 585 und Bd. XV, S. 184), ist noch darauf
aufmerksam gemacht worden, dass eine solche Allgemeininfection
um so leichter erfolge, je mehr die tuberculösen Massen verkäst
und erweicht seien. Dagegen würde sie um so schwerer ein¬
treten können, je mehr der Tuberkel den fibrösen Charakter an¬
genommen, je rascher er verkalkt, je fester, dichter und fibril¬
lärer das Stroma sei, in welchem er z. B. an den serösen Häuten
des Bindes eingebettet zu sein pflege. Es sind dies selbstver¬
ständliche, durch klinische Beobachtungen hinlänglich bestätigte,
für die concrete Frage aber höchst wichtige Punkte.
Aus alledem geht also hervor, dass man von einer infection
des Blutes mit tuberculösem Virus nur dann erst sprechen
kann, wenn sich die Tuberculose generalisirt hat,
d. h. wenn ausser den primär oder secundär erkrankten Or¬
ganen noch andere, mit diesen nicht in directem Zusammen¬
hänge stehende ebenfalls erkranken, solche Organe sich tuber-
culös zeigen, welche von ersteren aus nur auf dem Wege des all¬
gemeinen Blutstromes zu erreichen sind (Weigert 67 ) Bd.88, S.311).
Wie liegen nun alle diese Verhältnisse beim Muskel, dem
Fleisch des Consums ? Auf welche Weise kann dieses ii\ficirt wer¬
dent Die Anatomie ertheilt die Antwort: Nur durch das Blut.
Weder di^ Lymphbahnen der Brust-, Bauch- oder Beckenein¬
geweide, noch die der serösen Häute der Bauch- und Brusthöhle
verlaufen in den grösseren Muskelmassen und können somit den¬
selben keinen Infectionsstoff zuführen. Sind ihre Wurzelgebiete
aber tuberculös, und daher zu präsumiren, dass sie infectiöse
Lymphe führen, so würden sie sammt den eingeschaltenen, dann
stets tuberculös degenerirten Lymphdrüsen leicht zu entfernen
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Geschichte der Tuberculose.
67
sein. Höchstens könnten hiervon die kleinen, von den Lymph-
wurzeln in der Pleura gespeisten Lymphdrttsen eine Ausnahme
machen, welche zwischen den beiden Lagen der Intercostal-
muskeln eingebettet sind. Diese könnte man in praxi nicht ent¬
fernen und wttrde somit die Intercostalmuskeln ihrer infectiösen
Einlagerungen halber ebenfalls als infectiös betrachten und dem
Consum entziehen mUssen. Die dicken, fettreichen Fleischmassen,
welche von aussen die Brustwand bedecken, werden von dem
in der Richtung des Lymphstromes fortgefiihrten Virus indess
nicht inficirt.
Der Kernpunkt der Frage: Von welchem Zeit¬
punkt ab ist das Fleisch tuberculöser Thiere als
inficirt und daher infectiös zu betrachten, liegt also
nicht, wie Ger lach will, schon in der Erkrankung der Lymph-
drüsen der benachbarten Organe, sondern lediglich in dem
Nachweis der generaliäirten Tuberculose. Dieser erst
bildet den positiven Beweis dafür, dass Virus in den grossen
Kreislauf gelangt ist und das Fleisch inficirt bat. Erst von diesem
Zeitpunkt ab sind wir daher berechtigt und verpflichtet, das
betreffende Schlachtstück unbedingt vom Consum auszuschliessen.
Falsch ist hingegen, die vielfach betonte Abmage¬
rung .als nothwendiges Kriterium der erfolgten Infection
des Fleisches zu betonen. Diese ist lediglich als Folge der
durch die tuberculöse, destruirende Erkrankung innerer, lebens¬
wichtiger Organe bedingte Functionsstörung der letzteren anzu¬
sehen. So wissen wir, dass Thiere mit Lungen-, Leber- und
Darmtuberculose rasch abmagem, ohne dass es zu einer allge¬
meinen, generalisirten Tuberculose zu kommen braucht, wenn
auch diese häufig genug den Schlussact des ganzen Processes
bildet. Im Gegentheil aber können Rinder mit hochgradiger
Tuberculose der Pleura und des Peritoneum jahrelang wohl¬
genährt, selbst mastfäbig bleiben, so lange nicht Lunge, Leber
oder Nieren direct oder auf metastatischem Wege erkranken.
Dass solches Fleisch in Folge eintretender Ernährungsstörungen
an Nährwerth und gutem, normalen Ansehen verlieren, bei ein¬
tretender Kachexie sogar ekelhaft und vollständig ungeeignet
für den menschlichen Genuss werden kann, liegt auf der Hand.
Als Träger des tuberculösen Virus, als infectiös darf es sicher
aber so lange nicht betrachtet werden, als nicht aus den an
gegebenen Gründen eine Allgemeininfection des Körpers anzu¬
nehmen ist.
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68
I. JOHNE
Es erscheint nach diesen durch die Erfahrung allseitig bestätigten
Thatsachen, dass tuberculöse Rinder sich in einem ausgezeichneten Er¬
nährungszustand befinden können, schwer verständlich, weshalb Lothar
Meyer 127 ) fette Schweine, bei denen die Verhältnisse genau so liegen,
wie beim Rind, von vornherein als tuberkelfrei ansehen will.
Diese Fandamentalsätze mttssen die Basis einer
event. wegen Tuberculöse einzurichtenden Fleisch¬
beschau bilden, wie sie auch bei der Beurtheilung der Fttt-
terungsversuche die allergrösste Beachtung verdienen. Die mit
Fleisch ausgeftthrten mussten weniger positive Resultate geben,
als die mit tuberculösen Knoten und Lymphdrttsen angestellten.
Eine Generalisirung der Tuberculöse tritt eben nicht immer, ver-
hältnissmässig sogar seltener ein, selbst in hochgradigen Fällen
localer Tuberculöse und weit vorgeschrittener Abmagerung kann
sie fehlen und die Musculatur vom Virus frei bleiben. Fehlt
die Generalisation, d. h. tritt" kein Virus in den Blut¬
strom ein, so kann auch das Fleisch keinen solchen
enthalten.
Selbst aber gesetzt den Fall, es sei trotz fehlender gene-
ralisirter oder metastatischer Tuberculöse doch Virus in den
Blutstrom gelangt, so muss man logischer Weise auch annehmen,
dass seine Menge zu gering war, um in specifischer Weise schäd¬
lich zu wirken. War diese Menge aber im eigenen Körper zu
gering, um schädlich zu wirken, so ist zu präsumiren, dass sie
auch beim Genuss des Fleisches solcher Thiere, also im frem¬
den Organismus, ohne Nachtheil bleiben wird. Die noch weiter
abschwächende oder vernichtende Wirkung, welche zweifelsohne
die Üblichen Zubereitungsmethoden und besonders die Verdauungs¬
säfte auf das Virus ausiiben, werden hierbei noch weiter zu be¬
rücksichtigen sein.
Jedenfalls bleibt ferner zu bedenken, dass aueh der Zu¬
stand des Darmes bei der Infectionsfrage in Betracht kommt.
Koch hat gezeigt, dass sich der Tuberkelpilz schwer einnistet,
dass z. B. die gesunde Bronchialschleimhaut keinen geeigneten
Boden für sein Eindringen und für seine Weiterentwicklung bieten
wird. Das Gleiche muss man auch für den Darm annehmen.
Das normale Epithel desselben bietet gewiss einen eben solchen
Schutz gegen die Infection, Erkrankungen und Verlust desselben
(z. B. schon durch einfache Darmkatarrhe) begünstigt letztere.
Von diesem Gesichtspunkt verdient die schon erwähnte, von
Toussaint aufgestellte Behauptung, es sei gefährlich, rohes
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Geschichte der Tuherculose.
69
Fleisch und den Saft wenig erhitzter Muskeln herabgekommenen
Kranken und Kindern zu verordnen, die allergrösste Beachtung.
Diese bisher nicht gehörig gewürdigten Verhältnisse erklären
auch, weshalb Gerlach schon das Fleisch von nicht abgezehrten
Rindern infectiös gefunden haben will. Sie erklären ferner die
von den Gegnern der Infectiosität mit Vorliebe angeführten Fälle,
dass ganze Familien jahrelang fast ausschliesslich von dem
Fleische tuberculöser Rinder ohne Nachtheil gemessen sollen.
Auch auf einen anderen Punkt muss bei dieser Gelegenheit
liingewiesen werden. Es ist oft entgegengehalten worden, das
Fleisch tuberculöser Thiere sei überhaupt unschädlich, nur
die Lymphdrüsen und die tuberculösen Producte ent¬
hielten das Virus. Diese Theile geniesse aber der Mensch nicht,
und deshalb sei der ganze Streit um die Infectiosität des Fleisches
gegenstandslos. Theoretisch mag dies richtig sein, praktisch lie¬
gen aber die Verhältnisse, namentlich bei den Wurstfleischern,
doch anders. Diese verwenden Alles, nichts wird weggeworfen;
was nicht als Fleisch verkauft und genossen werden kann, wird
zur Wurstbereitung verwendet. Hierher gehören auch die Lymph¬
drüsen. Die kranke Lunge, das kranke Brust- oder Bauchfell
wird zwar entfernt, die bereits erkrankten Lymphdrüsen wan¬
dern aber sicher in die Wurst und werden zwar nicht als Fleisch,
aber als Wurst vom Menschen genossen. Wie wenig Garantie
die übliche Wurstfabrication, resp. das ungenügende Kochen der
Wurst bieten wird, das lehren genugsam die trotz desselben mög¬
lichen Infectionen mit thierischen Parasiten. S. auch Zündel:
Nature Parasitaire de la Tuherculose. Veröffentl. d. Gesellsch. f.
Wiss. u. Ackerb. im N.-Elsass. 3. Mai. 1882.
Für die Praxis der Fleischbeschau werden sich also die sei¬
tens der Medicinalpolizei au f zustellenden Directiven bezüglich des
mit tuberculösen Schlachtstücken inne zu haltenden Verfahrens kurz
in folgenden Sätzen zusammenfassen lassen: So lange hei tuber¬
culösen Schlachtstttcken, gleichviel welcher Thiergattung, meta¬
statische resp. generalisirte Tuherculose nicht vorhanden, eine
Infection des Fleisches somit nicht anzunehmen ist, sind nur die
tuberculösen Organe, sowie die von diesen nach dem Ductus
thoracieus hinführenden Lymphgefässe incl. der eingeschaltenen
Lymphdrüsen zu beseitigen. Der Einfachheit und Sicherheit wegen
wird dies in Verbindung mit den anliegenden Gefässen und den
einhttllenden Bindegewehsmassen zu erfolgen haben. Das Fleisch
hingegen ist, gleichviel in welchem Ernährungszustände, als un-
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I. JOHNE
schädlich oder höchstens als minderwerthig zu bezeichnen, falls
nicht andere’ Gründe seine Vertilgung erfordern.
Sprechen aber die oben angeführten Erscheinungen für eine
bereits erfolgte Infection des Blutes, so ist das betreffende Schlacht¬
stück, gleichviel in welchem Ernährungszustand sich dasselbe
sonst befindet, vom menschlichen Genuss auszuschliessen. — Dass
eine derartige Handhabung der Fleischbeschau öffentliche Schlacht¬
häuser und eingeschultes Personal von wissenschaftlich gebilde¬
ten Thierärzten erfordert, bedarf keiner weiteren Auseinander¬
setzung.
Lothar Meyer 127 )(1. c.) will tuberculöse Thiere niemals cou-
fiscirt wissen. Da er die Siedehitze für genügend hält, das tubercu¬
löse Virus zu zerstören, so hat nach seiner Ansicht die Sanitätspolizei
nur dafür Sorge zu tragen, dass Fleisch und Milch perlsüchtiger
Thiere *vor a dem Genuss sorgfältig gekocht werden. Zu diesem Zwecke
ist Fleisch und Milch perlsüchtiger Thiere Armenanstalten, sowie Volks¬
küchen zu übergeben!!
Auch die Milch tuberculöser Thiere ist nach unzweifelhaften
klinischen und experimentellen Beobachtungen als infectiös zu be¬
trachten . Vor Allem hat die Medicinalpolizei die schrankenlose
Verwendung derselben zur Ernährung von Säuglingen zu verbie¬
ten . Die Milch solcher Thiere, welche gleichzeitig an Tuberculöse
des Euters leiden, ist von jeder Verwendung auszuschliessen .
Dieser berechtigten Forderung stellen sich allerdings einige
Bedenken entgegen. Schon die Diagnose der Tuberculöse im All¬
gemeinen hat intra vitam bei Thieren ihre grossen Schwierigkeiten.
Beim Rind, das hier zunächst in Betracht kommt, sind sie, nament¬
lich in dem Anfangsstadium der Krankheit sehr bedeutende.
Auscultation und Percussion bieten selbst bei hochgra¬
digen Erkrankungen keine sicheren Anhaltepunkte. Ziemlich erheb¬
liche Tuberkelmassen auf der Pleura können bei der grossen Reso¬
nanzfähigkeit des Brustkastens und der Lunge des Rindes dem physi¬
kalischen Nachweis entgehen. Für die Pleuratuberculose kann nur
das sog. Perlenreiben oder Perlenschaben als charakteristisch
angenommen werden. Es tritt aber bekanntlich erst dann ein, wenn
die Tuberkeln auf Costal- oder Pulmonalpleura verkalkt und dadurch
auf ihrer Oberfläche mehr oder weniger rauh geworden sind (Vogel 90 )
Bd. XVII, S. 73 u. 134)). Von Roioff* 2 ) (Bd. XV, S. 113) wurden
die unter den Namen Stiersucht u. s. w. bekannten Anomalien des
Geschlechtstriebes, die seltene Conception, der häufige Abortus
und die diesem ohne äussere Veranlassung folgende auffallend rasche
Abmagerung, als eines der ersten und sichersten Symptome der Perl¬
sucht bezeichnet. Diese Anomalien machen sich indess nur bemerk¬
bar, wenn die Tuberkelablagerungen vorzugsweise im Peritonealsack
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Geschichte der Tuberculose.
71
besonders in der Umgebung oder im Parenchym der Ovarien, oder
aber in der Uterusschleimhaut selbst, erfolgt sind. Im letzteren Falle
stellt sich zugleich ein schleimiger, eitriger Ausfluss aus
der Vagina ein. Vom Spinola 25 ) (S. 1707) ist noch als ein wei¬
teres erstes verdachterregendes Symptom die Anschwellung der
Leistendrüsen genannt worden. Andere, z. B. Anacker 135 ), be¬
trachten überhaupt alle fühlbaren, knotigen Lymphdrüsen-
anschwellungen, besonders die der oberen und unteren Hals-
lymphdrüsen, als sehr verdächtige Erscheinungen. Zuweilen ge¬
lingt es wohl auch grössere tuberculöse Knoten in der Brust- und
Bauchhöhle zwischen den ersten Rippen, resp. durch die Bauchdecken
hindurch zu fühlen. Da letzteres nicht immer möglich ist, wurde von
Rauch 53 ) (Bd. 39, S. 356) die Vaginotomie vorgeschlagen und aus¬
geführt. Einige Schriftsteller endlich, z. B. Rychner 22 ) (S. 560),
Hering 24 ) (S. 139), Seer 136 ) (S. 623) u. A. haben auf die bei tuber-
culösen Rindern ungewöhnlich häufig vorkommenden Warzenbil¬
dungen an der Haut aufmerksam gemacht, während Foglar 114 )
(1879. S. 138) sich häufig wiederholende, ohne äussere
veranlassende Ursache eintretende Durchfälle als ein nicht
zu unterschätzendes Symptom hervorhebt; Aehnlich Zippelius 90 )
(Bd. IXX, S. 3). Auch knotige, harte Anschwellungen des
Euter8, sowie eine bei jungen Stieren sich plötzlich ohne äussere
Ursache einsteilende Orchitis machen die betreffenden Rinder der
Tuberculose verdächtig.
Bezüglich der Tuberculose des Euters würde ausser auf
diese harten, knotigen, schmerzlosen Verdichtungen noch neben¬
bei auf die schon erwähnten Anomalien in der Geschlechtssphäre,
die Lymphdrüsenanschwellungen, den Husten und die rasch ein¬
tretende Abmagerung bei sonst guter Pflege der diagnostische
Schwerpunkt zu legen sein.
Zippelius 90 ) (Bd. XX, S. 204) lenkt die Aufmerksamkeit be¬
sonders auf jene subacut verlaufende, auf einen oder zwei Striche
beschränkt bleibende Form der Mastitis, die wenig schmerzhaft sei,
eine geringe Geschwulst bilde und die Milchsecretion kaum beschränke.
Neben der von Lehmann 115 ) gefundenen Verminderung des Caseins
würde nach demselben Forscher der mikroskopische Nachweis von
Eiterkörperchen in der Milch ein diagnostisches Hülfsmittel bieten.
In wie weit in der Milch sowie im Nasen- und Schei¬
den a u s fl u s s tuberculöser Kühe mittelst der von Koch u. A.
beschriebenen Färbungsmethoden etwa Tuberkelbacillen
naehzuweisen sein werden, und diese Methode für die Praxis zu
verwerthen sein wird, muss durch weitere Untersuchungen noch
festgestellt werden. Das Gleiche gilt von intraoculären Im¬
pfungen mit Milch verdächtiger Kühe.
Die medicinalpolizeiliche Controle der in neuester
Zeit in grosser Zahl errichteten sog. Milchcuranstalten und
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72
I. JOHNE
sonstigen Verkaufsstellen für Kindermilch ist vom
Standpunkte der Infectionslehre aus als ein dringendes Be¬
dürfnis» zu bezeichnen.
ZWEITER ABSCHNITT.
Welche Aufgaben fallen bei der bewiesenen Infectiosität
der Tuberculose der Veterinärpolizei zu?
Die Aufgaben der Veterinärpolizei sind nach dieser Richtung
doppelte:
1. Sie hat die Medicinalpolizei in der Durchführung der im
vorigen Abschnitt bezeichneten, allerdings schwer zur allseitigen
Zufriedenheit zu regelnden Maassnahmen zu unterstützen . Ohne
Mithülfe eines geschulten, wissenschaftlich gebildeten Personales
dürfte dieselbe aber unmöglich sein.
2 . Es fällt ihr die Pflicht zu, der Landwirthschaft in der
Bekämpfung und Ausrottung der Tuber culose mit Rath und That
beizustehen. Indem die Veterinärpolizei zur Tuberculose der
Hausthiere entschiedener Stellung nimmt, als bisher, wird nicht
nur eine Quelle der menschlichen Tuberculose verstopft, sondern
auch einer nicht zu verkennenden Schädigung unserer Viehzucht,
resp. unseres Nationalvermögens wirksam entgegengetreten.
Wie die Tuberculose beim Menschen, so gehört auch die bei
unseren schlachtbaren Hausthieren — Schaf und Ziege und ein¬
zelne Gegenden ausgenommen — zu den am häufigsten vorkom¬
menden Krankheiten. Die Schuld hieran trägt, wie Gerlach
schon lange betonte, die Landwirthschaft selbst. Seit die Tuber¬
culose vor nunmehr 100 Jahren von dem ihr anhaftenden Odium
der Syphilis befreit und die gegen den Fleischgenuss damit be¬
hafteter Rinder bestehenden polizeilichen Maassregeln aufgehoben
wurden, verlor sie nicht nur jede medicinal-polizeiliche, son¬
dern auch ihre Bedeutung für den Landwirth un<f Viehzüchter.
Derselbe verkannte die Gefahren, welche in ihrem Ueberhand-
nehmen für Nationalwohlstand und Volksgesundheit lagen. Seine
Sorgfalt in der Fernhaltung derselben vom eigenen Viehstand
wurde geringer, er achtete weniger ängstlich wie früher auf
die Auswahl der Zuchtthiere, und die Verbreitung der Tuber¬
culose in seinem Stalle machte ihm wenig Sorge, da der eigene
Beutel dabei zunächst wenig alterirt wurde. Es wehrte ihm ja
bis heute Niemand, die Milch seiner tuberculösen Kühe (selbst
ipit Preisaufschlag als Kinder milch !!) zu verkaufen.
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Geschichte der Tuberculose.
73
Das Fleisch derselben wurde ja anstandslos gekauft und genos¬
sen, und Niemand hinderte ihn, selbst hochgradig tuberculöse
Thiere an eine gewisse Kategorie von Fleischern zu verwerthen,
deren Schlachtwaare unter dem Schutze der vielgepriesenen Ge¬
werbefreiheit, bei dem beklagenswerthen Mangel eines Schlacht¬
zwanges in öffentlichen Schlachthäusern und dem einer obliga¬
torischen Fleischbeschau sich jeder Controle entzieht.
Sehr treffend sagt Gerlach 33 ) (S. 52): „Das häufige Vor¬
kommen und fortwährende Umsichgreifen der Tuberculose in
einzelnen Ställen und in ganzen Bezirken hat keinen anderen
Grund, als die Vererbung und Inficirung. Ursachen einer ander¬
weitigen Entstehung kennen wir nicht, unter allen Umständen ist
eine andere Entstehung eine grosse Seltenheit, die bedeutungslos
bleibt, wenn bei der Züchtung solchen exceptionellen Fällen die
gebührende Rechnung getragen wird. Ebenso gut wie einzelne
Ställe und ganze Bezirke frei bleiben, ebenso gut kann auch das
Vieh in anderen Ställen, Orten und Bezirken, die zwischen jenen
liegen, von der Perlsucht befreit werden, wenn man gesunde
Stämme einführt und unter sich fortzüchtet. Die Schuld der so
häufigen Perlsucht tragen die Viehzüchter selbst.“
In sehr drastischer Weise drückt sich von Lengercke 93 )
(Bd. XII. S. 115) bei Besprechung desselben Gegenstandes aus:
„Die Tuberculose entsteht beim Rindvieh in erster Reihe durch
die angeerbte Disposition, in zweiter durch die Habsucht der
Viehzüchter. “ Nach Besprechung obiger Missstände fährt er dann
fort: „Die Strafe dafür heisst — Tuberculose. Die Habsucht der
Menschen gräbt hier das Grab, denn die Natur lässt sich nicht
spotten. “
Die Angaben über dieHäufigeit der Tuberculose sind
allerdings etwas verschieden. Nach Göring 35 ) (Bd. IV, VI) belief
sich die Zahl der tuberculösen Thiere in Bayern im Jahre 1877 auf
1,62, im Jahre 1878 auf l,61°/oo, welche sich der Mehrheit nach auf
Oberbayern, die Pfalz und Schwaben vertheilen. — Nach Adam 90 )
befanden sich von den im Schlachthause zu Augsburg geschlachteten
Rindern tuberculös: In den Jahren 1871—1874 (4jähr. Durchschnitt):
1,5 Proc., 1876: 1,84 Proc., 1877: 2,16 Proc., 1878: 2,31 Proc.,
1879: 2,92 Proc., 1880: 2,24 Proc., 1881: 2,01 Proc.— Günther
und Harms 61 ) (Bd. IV, S. 81) schlagen die Zahl der tuberculösen
Kühe in Hannover und dessen Umgegend sogar nur auf 4 /3 Proc. an,
Fischbach 46 ) (1880, S. 13) beziffert sie im Untertaunuskreise nur
auf 2,5—3 Proc., Jarmer 46 ) (Bd. II, S. 98) für die im Schlacht¬
hause zu Liegnitz geschlachteten Rinder auf 2 Proc., Trapp (vergl.
Zündel 1. c. S. 69) fand i. J. 1880 im Schlachthause zu Strassburg
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74
I. JOHNE
2,20 Proc., Mandel in dem, zu Mülhausen i./E. 3,41 Proc., Zippe-
lius 90 ) (Bd. XX, S. 190) für die Bezirke Hassfurt, Gerolshofen, Obern-
burg auf 6,36 Proc. aller Erkrankungsfälle der erwachsenen Rinder.
Diesen gegenüber stehen die Angaben von Zürn 64 ) (S. 7), der
für die Umgegend von Jena und für den angrenzenden altenburgischen
Amtsbezirk Eisenberg 17—20 Proc., von Wolf 53 ) (Bd. XXII, S. 252),
welcher für die Gegend von Grünberg 15—20 Proc. annimmt, von
Schanz 52 ) (Bd. VIII, S. 182), welcher die Hälfte des ganzen Vieh¬
standes von Hohenzollern-Sigmaringen, und von Al brecht 13 °) (S. 53),
der die Tuberculose des Rindes für eine in Pommern, vor allem aber
in dem Regierungsbezirk Bromberg, sehr verbreitete Krankheit und 50
bis 60 Proc. des ganzen Viehstandes des Netzbezirkes für tuberculös
hält. Auch Ulrich 52 ) (Bd. VII) spricht von der Franzosenkrankheit
als einer im Regierungsbezirk Liegnitz sehr häufig beim Rind vorkom¬
menden Krankheit, welche nach Jarmer 46 ) (Bd. II, S. 99) im schle¬
sischen Kreise Löwenberg unter den holländer Kühen zur stationären
geworden sein soll. Besonders gravirende Schilderung entwirft Haar¬
stick für die Landdrostei Hildesheim und Völlers für Norderdith¬
marschen; letzterer erklärt geradezu, im genannten Kreise habe die
Tuberculose eine so bedeutende Verbreitung gewonnen, dass an der¬
selben mehr Thiere zu Grunde gingen, als an allen anderen Krank¬
heiten zusammen (ibidem). Aehnlich sollen nach S emmer 62 ) (Bd. XL,
S. 16) die Verhältnisse in Livland liegen.
Durch diese Angaben scheint allerdings die schon vielseitig aus¬
gesprochene Annahme, dass die Tuberculose des Rindes (man kann
auch hinzufugen des Schweines) im Norden ungleich häufiger vor -
kommt, als in den südlichen Theilen Deutschlands, gerechtfertigt.
Auf die angeführten niederen, aus Schlachthäusern stammenden Zahlen
darf hierbei indess nicht zu viel Gewicht gelegt werden, da — wie
schon von verschiedenen Seiten vollkommen richtig betont worden ist
— die abgemagerten, schon .kachektischen Stücke von dem Besitzer
selbst oder von gewissen „dunkeln Existenzen tt geschlachtet werden,
also gar nicht in die städtischen Schlachthäuser kommen. Und gerade
die Zahl solcher Thiere ist eine ziemlich erhebliche (vergl. auch Zürn).
Bezüglich der Geschlechts Verhältnisse der tuberculösen
Rinder scheint es, wenn man nur die geschlachteten Thiere in An¬
schlag bringt, als ob die weiblichen häufiger befallen würden, als die
männlichen. Nach Göring (l. c.) waren
1877 von 4976 tubercul. Rindern 869 männl. u. 4107 weibl. Geschl.
1878 = 4760 = = 997 3763 =
Adam (l. c.) rechnet für sämmtliche im Schlachthof zu Augsburg
getödteten Rinder
1875
0,4 Proc.
männliche und
0,9 Proc. weibliche
1876
0,5 =
•=
=
1,2 =
1877
0,70 =
=
4,75 =
1878
1,19 =
=
=
5,84 =
1879
1,28 =
=
=
8,22 =
1880
1,24 =
=
=
4,32 =
1881
1,09 --
-
=
3,36 =
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Geschichte der Tuberculose.
75
tuberculöse Schlachtthiere heraus. Wie er schon selbst betont, ist aber
hierbei auf den Umstand Rücksicht zu nehmen, dass die meisten Tuber-
culose-Erkrankungen über das 6. Jahr hinaus Vorkommen, ein Alter,
das meist nur Kühe erreichen, während männliche Rinder schon vor
diesem Alter der Schlachtbank verfallen. Ein richtigeres Urtheil über
die Betheiligung der Geschlechter wird gewonnen, wenn man die Ge-
sammtviehzahl der Rechnung zu Grunde legt. Darnach kommen in
Bayern nach Göring (1. c.) im Jahre 1877 auf 1000 Rinder des Ge-
sammtviehbestandes überhaupt 5,84 Stiere, 1,39 Ochsen, 2,50 Kühe,
0,35 Jungrinder und 0,09 Kälber. Zippelius 90 ) (Bd. XX, S. 191)
fand 2,20 Proc. der in seinem Bezirk vorhandenen Farren, und nur
0,9 Proc. der lebenden Kühe tuberculös.
Ueber die Häufigkeit des Auftretens der Tuberculose
bei den einzelnen Rindviehragen fehlen vorläufig noch ge¬
naue Unterlagen. Im Allgemeinen ist man geneigt den Niederungs¬
schlägen eine grössere Disposition zur Erkrankung an Tuberculose zu¬
zuschreiben, besonders steht die holländer Rage in diesem Verdacht.
Nach Göring 35 ) (Bd. IV) scheint dem allgäuer Vieh eine grössere
Disposition inne zu wohnen, als den übrigen bayerischen Landschlägen.
Was die Ausbreitung des tuberculösen Processes im
Organismus selbst anbelangt, so stellt sich das Verhältniss nach
Göring (l. c.) in Bayern, wie folgt:
Es litten von den geschlachteten Rindern
a) an Lungentuberculose und Tuber¬
culose der serösen Häute (Perl¬
sucht)
b) Lungentuberculose allein . .
. = 33 =
= 33,9
c) Perlsucht allein.
. = 17 =
= 15,2
d) Tuberculose anderer Organe .
. = 8 *
= 3,5
1877 41 Proc., 1878 47,2 Proc.
Nach Adam’s Zusammenstellungen
culose ihrem Sitze nach so, dass
vertheilte sich die Tuber-
1874
1876
1877
1878
1879
1880
1881
von
11331
von
13241
von
12799
von
10965
von
10988
von
11688
von
12269
84
135
149
109 J
129
112
68
31
81
92
117
149
105
144
16
22
33
28
43
46
i
37
Rindviehstücken, welche im Schlachthaus zu Augsburg geschlachtet
wurden, an Tuberculose der Lungen und serösen Häute, nur an
Lungentuberculose, und nur an Tuberculose der serösen Häute ge¬
litten hatten. In einzelnen Fällen fand sich nur eine Tuberculose
der Leber, in anderen Fällen war neben Perlsucht und Lungentuber ¬
culose noch eine Tuberculose des Uterus, der Ovarien, der Nieren etc.
zugegen.
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76
I. JOHNE
Ueber den Einfluss der Tuberculose auf die Qualität
des Fleisches im Allgemeinen liegen folgende ziffernmässige
Nachweise vor:
Jahr
Nach Göring in ganz
Bayern geschlachtet
Nach Adam im Schlachthause
zu Augsburg geschlachtet
Zahl der
tuberculösen
Rinder
1 Qualität d. Flei¬
sches in Proc.
Zahl der
tuberculösen
Rinder
Qualität des Fleisches
in Proc.
I
11
III
0
I
1 II
III
0
1876
_
_
243
11,7
17,6
61,7
8,6
1877
4278
10
45
45
—
277
6,1
23,8
61,7
8,3
1878
4538
8
44
47
81
256
10,5
23,4
59,7
5,8
1879
—
—
—
—
—
321
8,0
16,5
70,7
4,6
1880
—
—
—
—
—
262
11,1
15,6
67,1
6,1
1881
—
—
—
—
—
246
8,9
11.8
72,3
7.3
1
6jähr. Durch¬
schnitt bei
1605 Stück
9,38
18,11
65,53
5,9E
Diese Verhältnisse müssen und werden sich sofort ändern,
wenn seitens der Medicinalpolizei der Tuberculose des Rinde»
und der übrigen Schlachttbiere als einer Quelle der menschlichen
Tuberculose wiederum eine grössere Beachtung gewidmet, wenn
der schrankenlosen Verwerthung der Milch tuberculöser Kühe zur
Kinderernährung und der rücksichtslosen Verwerthung des Flei¬
sches solcher Thiere zum Genuss ein Damm entgegengesetzt wird»
Es wird dann, wie schon bemerkt, eine der Aufgaben der
Veterinärpolizei sein, die Tuberculose unserer Hausthiere theils
durch Verordnungen, theils durch Belehrung der Viehzüchter zu
bekämpfen. Besonderes Gewicht wird hierbei auf die verschiede¬
nen möglichen Infectionswege und die zu deren Verlegung nöthi-
gen Maassnahmen zu legen sein.
I. Mögliche Infectionswege«
a) Die intrauterine Infection.
Die Tuberculose kann ererbt oder angeboren sein, d. h. sie
kann durch den Zeugungsact auf das Ei übertragen, oder der
gesund angelegte Embryo kann von der kranken Mutter inficirt
werden.
Wenn auch für die menschliche Tuberculose die intrauterine
Infection noch vielfach geleugnet oder mindestens sehr in Zweifel
gestellt wird, so kann dieselbe doch für die Tuberculose c|es Rin-
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Geschichte der Tuberculose.
77
des, und ganz bestimmt auch die des Schweines, als sichere und
ziemlich häufige Ursache angenommen werden. Wiederholt ist
schon beobachtet worden, dass neugeborene oder im Alter von
3—6 Wochen geschlachtete, vor Allem aber, dass noch unge-
geborene oder abortirte Föten bereits mit Tuberculose behaftet
waren.
Beispiele hierfür berichten Chauveau 80 ) (1873, p. 929),
König und Eberhardt 53 ) (Bd. 19 und 39), Adam und Ott 90 )
(Bd. I, S. 53, Bd. XX, S. 38, Bd. XXI, S. 61, Bd. XXII, S. 41 und
265 und Bd. XXV, S. 107), Müller 3 *) (1880, 8. 64), Kreutzer 5 *)
(8. 624), Köhler und Hetjemeier 63 ) (1846, S. 197 und 1857,
8. 151), Esser, Kühnert, Hagen, Ulrich, Schanz 52 )
(Bd. VIII, S. 182 und Bd. XV, 8. 81), Rychner und Im Thurm 50 ),
Scholz, Röttiger, Kolb, Fischbach 46 ) (Bd. II, S. 101, 103
undBd. VI, 13), Sommer 62 ) (Bd. XL, S. 10) und Andere. Göring 35 )
(Bd. IV, S. 289) bemerkt hierzu noch, dass in nahezu sämmtlichen
Berichten der bayerischen Bezirksthierärzte vom Jahre 1877 die
Heredität der Rindstuberculose als ganz bestimmte Thatsache ange¬
führt worden sei. In 123 Fällen habe man dieselbe speciell auf die
Mutter, in 43 Fällen anf den Vater zurückgeführt. Jedenfalls seien
die 12 Proc. sämmtlicher Tuberculosenfälle bei Thieren bis zum 3.
Lebensjahre sämmtlich hier einzureihen. Im Jahre 1878 hätten die¬
selben Berichterstatter 23 Fälle der Vererbung von mütterlicher Seite
mitgetheilt. Aehnliche Mittheilungen (vergl. besonders die eclatanten
Fälle von Zippel ins 85 ) (Bd. XX, S. 198), welche namentlich auch
die Vererbung durch tuberculöse Zuchtbullen wahrscheinlich machen,
finden sich wiederholt in der thierärztlichen Literatur. Gerade ihr
wird von vielen Autoren die rasch zunehmende Verbreitung der Tu¬
berculose unter der Nachzucht zugeschrie'ben. Ger lach 33 ) (S. 52)
hält die Vererbungsfähigkeit der ersteren für so eminent, dass ein¬
zelne tuberculöse Individuen in einem Hornviehbestand genügten, die
Krankheit durch fortgesetzte Inzucht nach mehreren Generationen
unter der ganzen Heerde zu verbreiten, eine Annahme, welcher sich
Verfasser auf Grund seiner zahlreichen Beobachtungen im vollen
Umfange anschliessen muss.
Für Schweine gelten ganz dieselben Gesichts¬
punkte.
b) Die extrauterine Infection.
Es ist die Möglichkeit vorhanden, dass das geborene Thier,
z. B. Kalb, inficirt wird. Hierbei ist Bedacht zu nehmen
a) auf die Thatsache , dass die Tuberculose durch die Ver¬
dauungswege , namentlich durch Genuss von Milch und Fleisch tu¬
berkulöser Thiere übertragen werden kann .
Es steht fest, dass Kälber durch die Milch tuberculöser
Mütter inficirt werden können. Das in der Milch tuberculöser,
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78
I. JOHNE
namentlich mit Eutertuberculose behafteter Kühe enthaltene Virus
wird mit dieser aufgenommen. Der anatomische Befund, der
Infectionsgang im Organismus, die angestellten Ftttterungsversuche
(vergl. S. 29) und eine Menge gut beobachteter klinischer Fälle
sprechen zweifellos hierfür.
Gerlach 33 ) (S. 52) erklärte die Infection der Kälber durch
solche Milch nächst der Vererbung geradezu für das zweit wichtigste
ätiologische Moment. Von den schon citirten Fällen ist besonders
instructiv der von Zippelius mitgetheilte, dem sich noch eine eben
solche experimentelle Beobachtung von Aufrecht anreiht. Ersterer
fand bei einem an Diarrhoe eingegangenen Kalbe, das von einer
wegen hochgradiger Tuberculose geschlachteten Kuh abstammte,
gürtelförmige, tuberculose Darmgeschwüre und Tuberculose der Darm¬
serosa. Letzterer 77 ) (1882, S. 291) fand eine ausgebreitete Miliar-
tuberculose der Leber bei einem 37 Tage alt gewordenen Kaninchen,
dessen Mutter einen Tag nach seiner Geburt durch subcutane Im¬
pfung mit einer Spritze voll perlsüchtigen Massen tuberculös gemacht
worden war. Ebenso führt noch Völlers 46 ) (Bd. II, S. 101) an,
dass Kälber, welche nachweislich von nicht tuberculösen Eltern
stammen, vielfach mit Tuberculose inficirt würden, wenn sie die Milch
tuberculöser Kühe erhielten.
Uebrigen8 kann durch dergleichen Milch die Tuberculose
auch auf Schweine übertragen werden, die gerade in Nord¬
deutschland, wo solche, wie schon bemerkt, am häufigsten unter
den Kühen vorkommt, in ziemlicher Ausbreitung auftritt. Es lie¬
gen Beobachtungen vor, dass ganze Schweinefamilien und Zuch¬
ten durch den Genuss von Molkerei- und Käsereiabfällen, welche
von tuberculösen Bindern abstammen, nach und nach an der
gleichen Krankheit zu Grunde gingen. Vielfach fällt das Auf¬
treten der Tuberculose unter den Schweinen mit dem unter den
Kühen derselben Wirthschaft zusammen.
Aber auch das Fleisch tuberculöser Thiere kann, wie aus¬
führlich erörtert, die^Ursache zur Ausbreitung der Tuberculose
werden. Hier kommen fast nur die Schweine in Betracht. An
Perlsucht verendete, oder beim Schlachten als gänzlich unbrauch¬
bar für den menschlichen Genuss erklärte Binder werden von
dem sparsamen Landwirth hier und da noch als billiges Mast¬
futter für, Schweine verwendet. Wie leicht hierdurch die Tuber¬
culose der Kühe auf diese übertragen werden kann, lehren die
gelungenen Ftitterungsversuchen mit perlstichtigen Massen.
In wie weit expectorirte, schleimig-eitrige Massen
(Sputum), welche Tröge und Wände und das Futter besudeln und
beim Husten oft weit fortgeschleudert werden, die Infection auf dem
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Geschichte der Tuberculose.
79
Wege der Verdauung dadurch vermitteln können, dass nebenstehende
Kühe sie ablecken oder das im Troge der kranken Kühe liegen ge¬
bliebene Futter fressen (vergl. S. 80), bleibt weiter zu untersuchen.
Die zahlreichen vorliegenden, scheinbar dafür sprechenden Beobach¬
tungen lassen sich ebenso gut auf eine Infection von den Athmungs-
wegen aus zurückführen.
ß) Auf die extrauterine Infection gesund geborener Thiere
durch die Athmungsluft , durch Cohabitation, d. h. durch das Zu¬
sammenleben kranker und gesunder Thiere in einem Stalle.
Schon die von Tapp ein er etc. angestellten Inhalationsver¬
suche (vergl. S. 29) hatten die Möglichkeit der Uebertragung der
Tuberculose durch die Athmungsluft bewiesen. Durch Cohn-
heim’s Nachweis des Infectionsganges (vergl. S. 46) war diese
Art der Infection anatomisch klar gelegt, durch Koch’s Versuche
mit menschlichem Sputum (vergl. S. 52) aber so zweifellos ge¬
worden, dass die beim Menschen vorliegenden, zahlreichen klini¬
schen Erfahrungen hierdurch ihre volle wissenschaftliche Bestäti¬
gung erhielten.
Vergl. die Mittheilungen von Villemin, Berthet, Paider,
Galliga 137 ), Catton 138 ), Windrif 95 ) (1867, No. 4), Weber 139 ),
Boas und Rhoden 140 ), Klein 141 ), Reich 31 ) (1878, S. 24 und
37), Drysdale 71 ) (1868, Februar) etc. Die Mittheilung von Reich
verdient speciellere Erwähnung, ln Neuenburg, einem Ort von
1300 Einwohnern starben vom 11. Juli 1875 bis 29. September 1876
zehn von einer phthisischen Hebamme entbundene Kinder an Menin¬
gitis tuberculosa, welche in der Zeit vom 4. April 1875 bis 10. Mai
1876, d. h. ein Jahr vor dem Tode der Hebamme geboren worden
waren. Keine derselben war mit erblicher Anlage belastet. Von den
von der anderen Hebamme des Ortes entbundenen Kindern litt keines
an tuberculösen Krankheiten. Die erstgenannte hatte die Gewohn¬
heit gehabt, neugeborenen Kindern den Schleim zu aspiriren, resp.
bei leichten Graden von Asphyxie Luft einzublasen. Ref. fügt noch
hinzu, dass in Neuenburg die tuberculöse Meningitis niemals ende¬
misch vorgekommen sei. In neun Jahren seien von circa 92 im Jahre
geborenen Kindern* nur 2 daran erkrankt. — Ebenfalls auf An¬
steckung durch die Athmungsluft, d. h. auf Einathmen zerstäubter
Sputa zurückzuführen ist der neuerdings von Krüche 143 ) beobach¬
tete Fall, in dem der Sohn einer durchaus gesunden Familie und
selbst gesund und von robustem Körperbau einige Wochen nach einem
Erholungsaufenthalte in einem Luftcurorte an Miliartuberculose er¬
krankte. Als einzige Ursache der letzteren konnte nur der Umstand
ermittelt werden, dass in dem Zimmer, welches er dort benutzt hatte,
kurz vorher ein Patient mit Tuberculose im Stadium der eitrigen
Schmelzung logirt und dasselbe Bett benutzt hatte. — Vergl. auch
Baumgarten und Hirsch, Sitzg. d. V. f. wissensch. Heilk. in Kö¬
nigsberg. 31 ) (1882. S. 689.
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80
I. JOHNE
Ungeachtet der von Haubner 56 )(1880, S.204) u. Anacker 136 )
(S. 325) noch in den letzten Jahren erhobenen Zweifel bricht sich
für die Tubercnlose des Rindes mehr und mehr die Ueberzeu-
gung Bahn, dass auch diese dnrch Cohabitation weiter verbreitet
werden könne, dass sie also nicht nur eine erbliche, sondern auch
eine direct ansteckende Krankheit sei. Experimentelle Untersu¬
chungen hierüber sind allerdings so gut wie nicht vorhanden.
Günther und Harms 61 ) (1871, S. 97) hingen fünf Kaninchen
in einem Käfig dergestalt vor dem Kopfe einer tuberculösen Kuh
auf, dass diese die Exspirationsluft derselben einathmen mussten. Der
Erfolg war negativ.
Andererseits berichtet Gibaux 7 ) (1882, p. 1391) folgenden
Versuch mit positivem Erfolge. In hölzernen Kästen von 4 1 /« OM.
brachte er je zwei gesunde Kaninchen unter, welche von einem Wurfe
und von einer Mutter stammten, die bei der Section ganz gesund be¬
funden wurde, ln den einen dieser Kästen liess man durch 127 Tage
täglich 20 bis 30 Liter Exspirationsluft einströmen, welche mittelst
Spirometer von Phthisikern 2. und 3. Grades entnommen worden war.
Dem anderen Kasten wurde in gleicher Weise Exspirationsluft von
gesunden Menschen zugeftthrt. Nach 4 monatlicher Dauer des Ver¬
suches waren die beiden Kaninchen in lezterem Kasten noch vollstän¬
dig nfunter und gesund, während die im ersteren mager und kraftlos
geworden waren, Diarrhoe, und bei der Section Lungentuberculose*
und Geschwüre im Ileum zeigten.
Dagegen liegen eine Anzahl gut beobachteter klinischer Fälle
vor, welche ganz unzweifelhaft für diese Thatsache sprechen.
Von Göring (1. c.) werden in Bayern für die Jahre 1877
und 1878 27 Fälle von Cohabitation erwähnt. Weitere Mitthei¬
lungen liegen vor von Lossner und Lehnert 59 ) (Bd. XVII),
Feldbauer 36 ) (Bd.VI, S. 141), Renner 90 ) (Bd. XX, S. 297),
ßouley 142 ), Haarstick und Haas 46 ) (Bd. II, S. 99), Tous¬
saint und Chauveau 7 ) (Tom. 93, No. 6, p. 322 und 121 ) (1881,
p. 481), Ja mm (Bad. thierärztl. Mitth. 1882. S. 105) u. A. Mehr¬
fach wird geradezu behauptet, dass die Tuberculose durch eine
damit behaftete Kuh in ganz gesunde Ställe eingeschleppt und
in diesen durch Ansteckung weiter verbreitet werden könne.
Immer seien die Stücke zunächst befallen worden, welche neben
dem kranken Thiere gestanden oder mit ihm aus einem Kübel
oder Trog gefressen hätten. Eine vollständige Ausrottung der
Krankheit sei nur durch Abschlachtung des ganzen Viehstandes,
Desinfection, beziehungsweise Umbau des Stalles und Ankauf
eines neuen gesunden Stammes möglich gewesen.
Als durch Ansteckung entstanden dürften namentlich die bei
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Geschichte der Tuberculose.
8L
älteren, in überfüllten, schlecht ventilirten Ställen gehaltenen
Kühen entstehenden käsigen Pneumonien und Tuberculosen an¬
zusehen sein.
Es sind dies speciell jene phthisischen Processe, welche, im All¬
gemeinen den gleichen Veränderungen beim Menschen entsprechend,
früher von Siedamgrotzky 30 ) (Bd. IV, S. 401) specieller unter¬
sucht worden sind. Dieser Autor lässt sie aus chronischen, bron-
chitischen und peribronchitischen Processen hervorgehen, welche zum
Emphysem, Atelektase, Oedem, zur verkäsenden Desquamativpneu¬
monie und endlich zur Verkäsung, Bronchiektasien und Cavernen-
bildung führen. Die Verkäsung soll, ganz der Buhl’schen Käse-
infectionstheorie entsprechend, erst in zweiter Linie zur Tuberculose
der Lunge, der Pleura etc. führen,* sich also secundär der käsigen
Pneumonie anschliessen.
Nachdem die Specifitätslehre für die sämmtlichen tuberculosen
Processe zum Dogma erhoben, die Buhl’sche Theorie vollständig
widerlegt und die käsige Pneumonie des Menschen namentlich durch
Cohnheim’s Arbeiten als eine Form der Tuberculose anerkannt
worden ist — nachdem ferner von Koch die specifischen Tuberkel¬
bacillen auch in den breiig - käsigen Knoten der Rindslunge, die
seiner Beschreibung nach der käsigen Pneumonie zugerechnet werden
müssen 31 ) (1882, S. 225), nachgewiesen wurden, dürfte auch die
käsige Pneumonie des Rindes als ein tuberculöser Process, als eine
eigentliche Tuberculose aufzufassen sein. Auch hier ist sicher die
Verkäsung das Product des specifischen Tuberkelvirus, dessen Wir¬
kung sich, wie Orth (vergl. S. 47) wohl sehr richtig ausdrückt, je
nach der eingedrungenen Menge und der Reactionsfähigkeit des Orga¬
nismus verschieden gestalten kann.
Da tuberculöse Producte nur dort entstehen, wo das Tuberkel¬
virus längere Zeit eingewirkt hat, gerade in der Umgebung der von
Siedamgrotzky beschriebenen käsig degenerirten Lungenpartien ;
sowohl im Lungenparenchym, als auch auf der Lungenpleura typische
Tuberkeln in grösserer oder kleinerer Anzahl entstehen, so muss
nothwendiger Weise der Käseherd das Virus enthalten, der sich in
ihm als primäres Product desselben Virus fortgesetzt reproducirt.
Durch diese veränderte Deutung des Processes verliert die von
Siedamgrotzky sehr treffend besprochene Aetiologie der denselben
einleitenden chronisch katarrhalischen Erkrankungen der mittleren
und feineren Bronchien und diese selbst nicht an Bedeutung. Beide
bilden gewissermassen die Prädisposition. Koch hat gezeigt, dass
das Einnisten der Tuberkelbacillen gewisse begünstigende Momente,
wie stagnirendes Secret, Entblössung der Schleimhaut vom schützen¬
den, Epithel etc. voraussetze. Nun gut! Die oberflächliche unkräf¬
tige Exspiration unserer Stallrinder, die mangelhafte Expectoration
und die hierdurch bedingte Verhaltung und Zersetzung des zähflüs¬
sigen Bronchialsecretes sammt den hierdurch bedingten bronchitischen
Erkrankungen erzeugen eben jene begünstigenden Umstände.
In welcher Weise die Ansteckung durch Cohabitation er-
Deatsche Zeitschrift f. Thiermed. u. vergl. Pathologie. IX.Bd. 6
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82
I. JOHNfi
folgt — ob durch mit der Exspirationsluft fortgerissene Bacillen,
oder durch Hustenstösse fortgeschleuderte und zerstäubte infectiöse
Schleim- und Eiterpartikelchen oder endlich durch die freiwillig
aus der Nase ausfliessenden, infectiösen, eitrig-schleimigen Sputa,
welche Tröge, Eaufen und Wände besudeln, dann eintrocknen
und später wieder zerstäuben, ist zur Zeit noch nicht ermittelt.
Es ist aber zu präsumiren, dass gerade die durch Hustenstösse
herausgeschleuderten weichen, käsigen Producte und der schleimig¬
eitrige Inhalt der Bronchiektasien bei der käsigen Pneumonie am
leichtesten zum Vermittler der Infection werden können.
Bei Beurtheilung dieser Verhältnisse verdienen die von Wer-
nich 67 ) (Bd. 79, S. 451), und von C. v. Nägeli und H. Büchner 77 )
(1882, Nr. 29), sowie die von Balmer und Fraentzel 31 ) (1882,
S. 679) angestellten Untersuchungen die höchste Beachtung.
Ersterer fasst das Ergebniss derselben in folgenden Sätzen zu¬
sammen :
I. a) Ganz compact zusammengetrocknete, ob durch Contact auch
noch so ansteckungsfähige Mikroorganismencomplexe geben selbst an
die stärksten Luftströmungen keine tibertragungsfähigen Keime ab-
b) Auf festgefügte Substanzen angetrocknete, in Flüssigkeiten
leicht zur Entwicklung zu bringende Krusten von Spaltpilzen etc.
werden von Luftströmen weder in toto noch theilweise abgerissen.
c) Gröberer und feiner Staub geht leicht in Luftströme von ent¬
sprechender Schnelligkeit über.
d) Poröse Körper verschiedener Art, welche mit keimhaltigen
Flüssigkeiten verunreinigt und dann vorsichtig, aber gründlich ge¬
trocknet wurden, erleiden durch starken Luftstrom genügende Er¬
schütterungen, um Keime enthaltende Staubtheile an die Luft abzu¬
geben.
. II. a) Dagegen genügt eine geringe Benetzung der porösen,
verunreinigten Körper, um diese Folgen zu verhindern. — Gleich-
mässig schleimige, nicht sehr klebrige, mit Spaltpilzen bedeckte Flä¬
chen kann ein genügend lange unterhaltender Luftstrom partiell aus¬
trocknen und auch von den ausgetrockneten Stellen Partikelchen, die
zur Infection genügen, mit sich führen.
b) Gleichmässige Flüssigkeiten geben darin enthaltene Keime nur
an sie durchsetzende Luftströme ab, so dass jene eigentlich mit¬
telst mechanischen Wassertransportes (Verspritzen) weiter gelangen.
U e b e r die keimhaltigen Flüssigkeiten hinziehende Luftströme bleiben
frei, ausser wenn Schaumbildung auf der Oberfläche solcher Flüs¬
sigkeiten stattgefunden hat. In diesem Falle werden die in den
Schaumblasen enthaltenen Keime mit den Flüssigkeitstheilchen auch
durch schwache Luftbewegungen fortgeführt.
Zu gleichen Resultaten gelangten in der Hauptsache Nägeli
und Büchner. Auch sie konnten constatiren, dass auf festen Unter¬
lagen eingetrocknete Spaltpilze nur dann von darüber hinstreichenden
Luftströmen fortgerissen werden, wenn die Unterlage merkliche Er-
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Geschichte der Tuberculose.
83
schütterungen oder sonstige mechanische Veränderungen (Wärmeaus¬
dehnung) erleidet, welche zur Absplitterung der angetrockneten Ueber-
zügp führt. Zugleich wiesen sie aber nach, dass auch beim Einsickern
bacterienhaltiger Flüssigkeiten in Sandboden und bei ungleichmässiger
Austrocknung desselben ein Zerspringen von zwischen einzelnen Sand¬
körnchen stehenbleibender Wasserhäutchen und ein mechanisches Ab¬
schleudern kleinster, bacterienhaltiger Flüssigkeitstheilchen bewirkt
wird, welche alsdann durch Luftströmung weiter geführt werden können.
Balmer und Fraentzel fanden in jedem Falle bei 120 Tu-
berculösen Bacillen im Sputum, deren Menge mit Zunahme des Zer-
störungsprocesses in der Lunge grösser wurde und sub finem vitae
ihr Maximum erreichte. Am grössten und deutlichsten war die Sporen¬
bildung in allen schnell verlaufenden Fällen von Lungentuberculose
mit Fieber, Nachtschweissen etc.
y. Auf die extrauterine Infection durch den Coitus .
Ob die Möglichkeit einer solchen, welche beim Menschen
nicht bezweifelt wird (Cohnheim), auch bei Thieren anzuneh¬
men ist, lässt sich aus den vorhandenen Beobachtungen nicht
ohne Weiteres folgern. Jedenfalls ist sie aber bei bestehender
Urogenitaltuberculose, die namentlich bei Kühen gar nicht so
selten ist, wohl im Auge zu behalten.
In der thierärztlichen Literatur finden sich nur einzelne hierfür
sprechende Beobachtungen aufgeführt. So ein Fall von Zippe lius 90 )
(Bd. XX, No. 23), welcher die Uebertragung vom Bullen auf 10 Kühe,
und von Haarstick 46 ) (Bd. II, S. 99), welcher die Ansteckung von
ca. 60 Kühen ganz gesunder Abstammung durch einen hochgradig
tuberculösen Sprungbullen beobachtet haben will.
<J. Auf die sog . constitutioneile Anlage , die Prädisposition .
Dieselbe hat von jeher eine wichtige Rolle in der Aetiologie der
Tuberculose gespielt und darf ihr Werth als solche trotz der
bewiesenen Infectiosität derselben auch heute noch nicht zu ge¬
ring angeschlagen werden. Wie bei der Tuberculose des Men¬
schen hat man sich dieselbe auch speciell heim Rind etc. als
eine locale Schwäche, eine abnorme Beschaffenheit einzelner
Gewebe zu denken, welche das Eindringen des Tuberkelvirus
und seine Weiterentwicklung in besonderer Weise begünstigt.
Die Constitutionsanomalie kann ererbt oder erworben, indi¬
viduell oder Rageeigenthttmlichkeit sein. Alles, was den Orga¬
nismus schwächt, vermag eine solche Prädisposition bervorzu-
rufen. Beschuldigt wird namentlich:
a) Die extensive Ernährung mit wasserreichem
Brüh- und Gesöttfutter, Wurzelwerk und Fabricationsrückständen
(Schlämpe etc.).
6 *
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84
I. JOHNE
b) Dauernder Aufenthalt in schlecht ventilirten,
heissen, dunstigen, überfüllten Stallungen, Mangel
an Bewegung in frischer, reiner, sauerstoffreicher
Luft — alles Momente, welche nicht nur die Anhäufung des
von einzelnen tuberculösen Individuen exspirirten Virus in der
Stallluft bedingen, sondern auch, wie schon S. 81 bemerkt, in
Folge Abminderung der Athmungsenergie die zur Aufnahme des¬
selben nöthige kranke Beschaffenheit der Respirationsschleim¬
häute erzeugen. Feuchtigkeit und Wärme in Stallungen von der
gerügten Beschaffenheit sind ja die besten Lebensbedingungen
für in der Luft suspendirte Mikroorganismen und deren Keime;
die Abschwächung der Lungenathmung schafft den zu ihrer
Weiterentwicklung geeigneten Boden. Rechnet man hierzu noch
die Einwirkung des in der Luft solcher schlecht ventilirten und
in der Regel noch schlechter canalisirten Stallungen meist ausser¬
ordentlich reichlich angehäuften Ammoniaks, des Productes der
Zersetzung fester und flüssiger Excrete der Stallthiere, auf die
Respirationsschleimhaut und das Blut derselben, so drängt sich
unabweisbar die Ueberzeugung auf, dass gerade diesem prädis-
ponirenden Moment bei der Weiterverbreitung der Tuberculose
ein ganz erheblicher Antbeil zufällt. Es darf unter solchen Ver¬
hältnissen nicht befremden, wenn unter allen Hausthiergattungen
gerade das Rind es ist, welches bei der heutigen, sogen, rationel¬
len, reinen Stallfütterung am häufigsten an Tuberculose leidet.
Z i p p e 1 i u s 9# ) (Bd. XX, S. 191) macht sehr treffend auf die That-
sache aufmerksam, dass die Tuberculose beim Rind am häufigsten in
engen, tiefen Thäiern und eng zusammen gebauten Orten, besonders
aber in Stallungen vorkomme, die schlecht ventilirt seien. In neun
Orten des Bezirks Odernburg, die hoch gelegen seien und nur
ärmliche, aber luftige Stallungen aus Lehmfachwerk besässen, wäre
unter 1637 Rindern seit 6 Jahren kein einziger Tuberculosefall vor¬
gekommen.
c) Hochgesteigerte Stoffproduction an Milch und
Kälbern. Der intensive landwirthschaftliche Betrieb arbeitet
vor Allem auf die Zucht milchreicher Ragen hin. Er betrachtet
die Kühe vielfach nur als Milchmaschinen, ohne dabei zugleich
für eine naturgemässe Aufzucht und Haltung, und für öine sorg¬
fältige Auswahl möglichst gesunder Zuchtthiere in der wün¬
schenswerten Weise besorgt zu sein. Man züchtet einfach nach
Leistung!
Alle diese Dinge können, vom Standpunkt der Infections-
lehre betrachtet, ferner nur noch als solche gewürdigt werden,
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Geschichte der Tuberculose.
85
welche für sich allein die Tuberculose niemals zu erzeugen
vermögen. Ohne gleichzeitige Mitwirkung des specifischen Tu¬
berkelbacillus kann nichts von alledem die Tuberculose hervor-
rufen. Sie erzeugen aber eine Prädisposition, eine krankhafte
Geneigtheit des Organismus, welche, wie schon gesagt, der In-
fection und dem Fortschreiten der Krankheit Vorschub leisten.
II. Die mit Berücksichtigung' dieser Infeetionswege
zur Bekämpfung der Tuberculose unserer Hausthiere, speeiell
des Bindes, nüthig erseheinenden Maassnahmen.
a. Alle tuberculösen Thiere sind streng von der Zucht aus-
suschliessen. Da die Diagnose intra vitam aber, wie schon er¬
wähnt, nicht immer möglich ist, so wtirde bei Durchführung
dieser Maassregel der bei einer rationell durchgefUhrten Fleisch¬
beschau sich ergebende Sectionsbefund bei den einzelnen Rin¬
dern mit zu Grunde gelegt werden müssen. Stellt sich beim
Schlachten einer Kuh, eventuell eines Schweines, heraus, dass
solche tuberculös sind, so würde deren gesammte Nachkommen¬
schaft von der Zucht auszuschliessen sein. Eine vorhan¬
dene Urogenitaltuberculose beim männlichen Thier macht die¬
selbe Maassregel nothwendig. Wird ein geschlachtetes Kalb
tuberculös gefunden, so muss mindestens die Mutter, streng
genommen beide Eltern, dasselbe Schicksal treffen.
(t. Alle nachweislich tuberculösen Thiere sind von den ge¬
sunden zu separiren und möglichst bald zu schlachten , da sie
eine fortgesetzte Productionsstätte des Tuberkelgiftes bilden.
y. Die Stellen im Stalle, an welchen sich die tuberculösen
Thiere befunden haben, sind zu desinficiren. In welcher Weise
diese Desinfection durchzuführen sein wird, darüber werden die
noch anzustellenden Untersuchungen sichere Anhaltepunkte geben.
Vorläufig dürfte sich mehrmalige gründliche Reinigung der Krip¬
pen und Raufen, sowie des Fussbodens und der Stallwand, so
weit alle diese Dinge von Nasenschleim etc. besudelt werden
konnten, mit 10 proc. Carboisäurelösung oder Sublimatlösung
1: 5000 als rathsam erweisen. In wie weit auch durch Desin¬
fection der Stallluft eine Zerstörung der in derselben suspen-
dirten Tuberkelbacillen und deren Sporen möglich sein dürfte,
bleibt noch festzustellen. Jedenfalls kann diese Frage vor ex-
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86
I. JOHNE
perimenteller Prüfung der Widerstandsfähigkeit des Virus gegen
die verschiedenen Desinfectionsmittel nicht entschieden werden.
6. Alte eine krankhafte Prädisposition erzeugende Momente
sind möglichst zu beseitigen und ist für eine naturgemässe Hal¬
tung und Fütterung mit Vermeidung aller schwächenden Einflüsse
zu sorgen.
Neben entsprechenden Fiitterungs- und Zuchtverhältnissen,
auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, würde vor
Allem auch für eine gehörige Ventilation des Stalles zu
sorgen sein. Diese verhütet nicht nur die Anhäufung des In-
fectionsstoffes in der Stallluft, sondern erregt und begünstigt
auch eine normale kräftige Athmung und eine normale Expecto-
ration. Hierdurch bleiht die Schleimhaut der Luftwege gesund,
der beste Schutz gegen die Infection durch die Athmungsluft.
Viel Aufenthalt im Freien dürfte als wesentliches Präser¬
vativ nicht zu vergessen sein.
Mit vorstehender Arbeit dürfte die in der Ueberschrift ge¬
stellte Aufgabe im Allgemeinen erfüllt sein. Vollständig zu lösen
war Verfasser sie nicht im Stande, da die Tragweite der Koch’-
schen Entdeckung zur Zeit noch nicht zu ermessen ist. An der
Hand der Geschichte dürften sich aber diejenigen Directiven
ergeben haben, denen entsprechend Medicinal- und Veterinär¬
polizei künftig zu handeln haben würden.
Wenn auch bei der Besprechung dieser Gesichtspunkte fast
ausschliesslich nur vom Rind und Schwein die Rede war, so be¬
darf es bei dem wiederholten Hinweis auf die Unität und Viru¬
lenz sämmtlicher bei Menschen und Thieren vorkommender tuber-
culöser Processe doch wohl kaum noch eines besonderen Hin¬
weises darauf, dass alles, was Uber diesen Gegenstand gesagt
worden ist, sich auch auf die übrigen, der Tuberculose unter¬
liegenden Hausthiere, namentlich auch auf Geflügel bezieht.
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Geschichte der Tuberculose.
87
NACHTRAG.
Nach beendetem Druck vorstehender Abhandlung erschien noch
von Schottelius in Virchow’s Archiv ein Artikel: „Zur Kritik
der Tuberculosen - Frage “. Derselbe beweist schlagend die Notwen¬
digkeit einer möglichst objectiven Zusammenstellung alles dessen, was
bis jetzt auf dem Gebiete der Tuberculose geleistet worden ist, ein
Zweck, den ja unter Anderem vorliegende Arbeit verfolgte.
Wenn auch dieser Tendenz entsprechend von einer eingehenden
Kritik der von Schottelius gelieferten abgesehen werden muss,
so halte ich es doch für geboten, in diesem Nachtrag über deren
Inhalt noch Folgendes zu bemerken:
Die von Schottelius in klinischer, anatomischer und teilweise
auch experimenteller Beziehung hinsichtlich der Natur der Perlsucht
resp. Tuberculose des Rindes und der übrigen Thiere gezogenen
Schlüsse, nach welchen diese keine echte, mit der des Menschen
identische Tuberculose sein soll, beruhen grösstenteils auf unrich¬
tigen Voraussetzungen. Dies hier weiter auszuführen gestattet der
Raum nicht. Jeder aufmerksame Leser wird das bei einem verglei¬
chenden Studium beider Arbeiten und der von mir angezogenen Lite¬
ratur ohne Schwierigkeit herausfinden. Was Schottelius über das
primäre Auftreten der Rindstuberculose (von ihm ebenfalls ganz all¬
gemein als Perlsucht bezeichnet) an den serösen Häuten, über ihre
Fieberlosigkeit und ihren ausnahmslos chronischen Verlauf, über die
anatomischen Verhältnisse der Perlknoten und deren Wachstum, und
endlich über die Gerlach’schen Fütterungsversuche schreibt, wider¬
spricht nahezu vollständig den wirklichen Thatsachen.
Wenn Schottelius auf Grund einer solchen Beweisführung die
Unität und Virulenz der menschlichen und tierischen Tuberculose
negirt, wenn er die Uebertragbarkeit der Tuberculose vom Rind auf
Menschen bezweifelt, weil nach von Reubold und Häcker (1. c.
S. 136) angestellten Beobachtungen Menschen Jahre lang Fleisch tuber-
culöser, resp. perlsüchtiger Rinder genossen hätten, ohne an Tuber¬
culose zu erkranken, wenn er ferner die Schädlichkeit der Milch
tuberculöser Menschen und Thiere leugnet: so ist doch keiner seiner
Einwände im Stande, die von mir auf Grund meiner Zusammenstellung
ausgesprochene Ueberzeugung zu erschüttern, dass die Tuberculose
der Menschen und der Thiere genetische und, mit geringen unwesent¬
lichen generellen Differenzen auch anatomisch gleiche Processe sind,
dass somit die Möglichkeit einer Uebertragung der Tuberculose von
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88 I. JOHNE, Geschichte der Tuberculose.
Thier auf «Mensch durch Fleisch und Milchgenuss nicht länger be¬
zweifelt werden kann. Die von Reubold und Häcker an gestellten
Versuche sind ftlr mich so lange bedeutungslos, als nicht der Nach¬
weis geliefert wird, dass 1. die consumirten Rinder auch wirklich an
generalisirter, resp. an Tuberculose der Muskeln gelitten haben;
2. dass die betreffenden Menschen auch die eigentlichen Tuberkel¬
massen, d. h. die Tuberkelknoten und käsig tuberculös degenerirten
Lymphdrüsen — was doch sehr zu bezweifeln — mit verzehrt haben.
Das, was Schottelius weiter über die ätiologische Bedeutung
der Tuberkelbacillen und die geringe ätiologische Bedeutung derselben
sagt, bedarf auf Grund der Koch’schen Veröffentlichungen hierüber
gar keiner Widerlegung. Auch hinsichtlich des Verhältnisses der
Bacillen zur angeborenen und erworbenen Disposition eröffnet seine
Arbeit im Grunde genommen keine neuen Gesichtspunkte.
Neu und höchst interessant erscheint dagegen der anatomische
Nachweis, weshalb Carnivoren gegenüber der Inhalationstuberculose
empfindlicher seien, als Herbivoren. Schottelius führt diese ver¬
schiedene Leichtigkeit, mit welcher in der Athmungsluft suspendirte
Krankheitskeime das vulnerable Lungenparenchym bei den verschie¬
denen Thieren und beim Menschen treffen können, darauf zurück,
dass z. B. beim Hund das eng verschmächtigte, zugespitzte periphere
Ende des Bronchus an seiner Uebergangsstelle in das Infundibulum
den Eintritt derselben in die Alveolen hindere; dass ausserdem beim
Mensch und Hund die Musculatur der Bronchien stärker entwickelt
sei, diese bei ersterem am peripheren Ende der Infundibularbronchien
sogar zu einem Muskelringe anschwelle. Bei Kaninchen sei von alle¬
dem das Gegentheil der Fall.
Wenn endlich Schottelius zum Schlüsse noch die Behauptung
aufstellt, dass es eine infectiöse und eine nicht infectiöse Tuberculose
gäbe, so geht aus meiner Arbeit zur Genüge hervor, dass ich unter
Tuberculose eben nur die erstere Form verstanden haben will. Dass
die dringende Nothwendigkeit vorhanden ist, durch eine präcisere
Bezeichnung diese beiden Formen zu trennen, darin stimmt wohl
jeder mit. Schottelius überein.
J.
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II.
Kleinere Hittheilnngen.
1.
Melanosarcomatose und Melanämie bei Schimmeln.
Von
Dr. E. Semmer,
Professor in Dorpat.
I. Ein Schimmelwallach wurde im Jahre 1871 in der Klinik
des Dorpater Veterinärinstituts wegen Lähmung des Hintertheiles
getödtet. Bei der Section fand sich ein grosses Gonglomerat von
Melanosarkomen an der unteren Fläche des Kreuzbeins, unter
dem Stamm der hinteren Aorta, an der Theilung derselben und
zwischen den Aesten auf der unteren Fläche des Beckens, bis
zum Schweif, an den Aussenseiten des Beckens, besonders auf
der rechten Seite um den N. ischiadicus herum. Ferner fanden
sich melanotische Knoten im Bindegewebe und zwischen der
Musculatur des Becken und der Oberschenkel, in der Leber, den
Nieren, den Lunge, im Pericardium und Endocardium. Im Blute
massenhafte Körnchen schwarzen Pigmentes (Melanämie).
II. Im Jahre 1881 kam ein Schimmel mit einer kopfgrossen
Geschwulst am After in die Klinik des Dorpater Veterinärinsti¬
tutes. Es wurde ein Einschnitt in dieselbe gemacht und ein
kleines Stückchen zum Zwecke einer mikroskopischen Unter¬
suchung exstirpirt. Von der Einschnittsstelle an entwickelte sich
bald eine phlegmonöse Entzündung, welche sich Uber Becken
und Hinterschenkel erstreckte und dem Leben des Thieres ein
Ende machte.
Section. Am After eine kopfgrosse Geschwulst mit einer
Ge8chwttrsfläche, die mit jauchigem Eiter bedeckt ist. Von der
Geschwürsfläche an erstreckt sich eine sulzig-fibrinöse Infiltration
des Bindegewebes zum Mittelfleisch, Hodens^ck, Präpution, der
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90
II. Kleinere Mittheilungen.
unteren Bauchwand bis zur Brust hin. Die Leistendrüsen ver-
grössert, melanotisch. Im Becken fibrinöse Ausscheidungen und
eine Menge knotenförmiger Neubildungen von Erbsen- bis Faust¬
grösse, theils grauweiss von Farbe, theils marmorirt, mit schwarz¬
grauen Flecken und Streifen durchsetzt. Ebensolche Knötchen
befinden sich ausserhalb des Beckens, besonders um die grossen
Gefäss- und Nervenstämme herum. Am Gekröse vier wallnuss¬
grosse knotenförmige Neubildungen, von welchen eine mit der
Darmwand verwachsen. In den Nieren weissgelbe Streifen durch
Infiltration mit sarcomatösen Elementen bedingt; in den Lungen
einige kleine erbsengrosse Knötchen; im Herzmuskel ein wallnuss¬
grosser Knoten. Im Blute schwarzes Pigment. Alle Neubildun¬
gen bestehen aus bindegewebigem Stroma mit zahlreichen kleinen
rundlichen, granulirten, lymphoiden Zellen und sind theilweise
mit schwarzem Pigment infiltrirt. Die frischen kleinen Knötchen
sind noch pigmentfrei, die grösseren grau marmorirt, die älteren
mehr schwarz pigmentirt. Es handelt sich hier um eine primäre
Sarkombildung mit späterem Uebergang der Sarkome in Mela¬
nosen durch Ablagerung schwarzen Pigments aus dem Blute.
2 .
Septisch typhöse Form des Rothlaufs der Schweine
und deren Bacterien.
Vqii demselben.
Bei zwei auf dem Gute Rathshof bei Dorpat verendeten
grossen Schweinen fand sich bei der gleich nach dem Tode vor¬
genommenen Section ein septischer Zustand vor. Der Dickdarm
Fig. 1.
o
0
/
C
o
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o
o
o
o
0
o
I
s
/
entzündet. Leber und Niere in fau¬
liger Zersetzung. Imbibitionen und
Ekchymosen an verschiedenen Kör¬
perstellen. Die rothen Blutkörper¬
chen im Zerfall begriffen; im Blute
Stab bacterien von verschiedener
Länge; einige derselben sporenhal¬
tig (Fig. 1).
Mit dem Blute dieser Schweine
wurden zwei schwarze Kaninchen mit einer Impthadel an den
Glutäen geimpft; ein weisses Kaninchen wurde mit dem Blute,
nachdem dasselbe 10 Minuten lang auf 55° erwärmt worden, an
o
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II. Kleinere Mittheilungen.
91
den Glutäen und am Ohr geimpft und einem Lamm 4 Ccm. da¬
von subcutan an den Glutäen beigebracht.
Das eine schwarze Kaninchen starb 10 Tage nach der Im¬
pfung in Folge eines an der Impfstelle anfgetretenen taubenei¬
grossen Abscesses. Der Eiter dieses Abscesses erzeugte bei Wei¬
terimpfungen über eine ganze Reihe von Kaninchen eine con-
tagiöse, unfehlbar tödtende Pyämie.
Das geimpfte Schaf verendete drei Tage nach der Impfung
bei starker Temperaturabnahme unter Dispnoe und Convulsionen.
Section. Von der Impfstelle aus erstreckt sich eine blutig,
sulzig-seröse Infiltration des subcutanen Bindegewebes an der
Musculatur bis zum Euter und Knie und der Innenfläche des
anderen Oberschenkels. Das Infiltrat enthält Stäbchenbacterien
von ähnlicher Form wie beim Schwein. Dieselben sind ver¬
schieden lang, theils sporenhaltig, aber Fi g . 2.
etwas kleiner als die bei den Schweinen ,
(Fig. 2). Darm braunroth entzündet. Le- / ^ 0 ^
ber und Nieren hyperämisch; Blutgefässe 00 / 0 /
der Nieren erweitert; Epithel der Harn- x 0 / 0 /
kanälchen feinkörnig getrübt. Auf dem 0 / g 0 0 i
Herzen Fibringerinnsel; im Herzbeutel eine / 0 / 0 / o
grosse Menge gelhlichen Transudates; im
rechten Herzen schaumiges Blut; das Blut in der Farbe nicht
verändert, nicht zersetzt, enthält keine Bacterien. Der Tod war
hier in Folge der phlegmonösen Entzündung eingetreten, welche
durch das bacterienhaltige, auf 55° erwärmte Schweineblut ver¬
ursacht wurde. Die Bacterien des Schweinetyphus waren somit
durch Erwärmen auf 55° nicht getödtet, wohl aber modificirt
worden.
Mit dem hacterienhaltigen entzündlichen Exsudat vom Schen¬
kel des Schafes wurden zwei Kaninchen geimpft, eins am Ohr,
das andere am Rücken; letzteres verendete nach drei Tagen.
Section. Das subcutane Bindegewebe von der Impfstelle
auf den Glutäen aus Uber den ganzen Rücken nnd die hinteren
Extremitäten serös- blutig-sulzig infiltrirt. In dem Infiltrat rothe
und farblose Blutkörperchen, bewegliche Mikrococcen und sehr
zahlreiche Stabbacterien von verschiedener Länge, meist aber
nicht länger als der Durchmesser eines rothen Blutkörperchens,
viele noch kürzer und einzelne gegliedert, keine aber sporen-
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II. Kleinere Mitteilungen.
haltig (Fig. 3). Die Grösse der Bacterien hatte progressiv vom
Fig. 3 Schwein zum Schaf und vom Schaf zum
/ 0 , Kaninchen abgenommen. Im Herzbeutel
, / gelbliches, seröses Transsudat; an den
s inneren Organen keine Veränderungen, im
Blute keine Bacterien und kein Zerfall
0 7 O j, der rothen Blutkörperchen.
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3.
Septicopyämie in Folge putrider Nabelentzttndung
bei jungen Hunden.
Von demselben.
Bei zwei am 21. September 1S81 eingegangenen dänischen
Doggenwelpen fand sich am Nabel eine eitrige Geschwttrsfläche.
Bei einem war das Netz und die Leber eitrig infiltrirt, die Leber
verfettet, das Epithel der Harnkanälchen feinkörnig getrttbt. Im
Blute viele, grosse, farblose Blutkörperchen mit einem sehr
grossen Kern, Mikrococcen und zahlreiche kleine Bacterien
(Fig. 1), die rothen Blutkörperchen stechapfelförmig.
Fig. 1. Fig. 2.
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Beim zweiten Hunde war der Dünndarm entzündet; Leber
und Nieren blass, gelbbraun, Leber verfettet, das Epithel der
Harnkanälchen feinkörnig getrübt, die rothen Blutkörperchen
stechapfelförmig, die farblosen vermehrt; im Serum Mikrococcen
(Fig. 2).
Der eine junge Hund hatte sich offenbar am Nabel mit fau¬
ligem Fleisch, welches der Mutter als Nahrung diente, inficirt
und nachher den anderen angesteckt. Der Ausgang der putriden
Nabelentzttndung war im ersten Falle Septicopyämie, im zweiten
Pyämie.
Dorpat, Juli 1882.
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II. Kleinere Mittheilungen.
93
4.
Ueber den Schwanz bei Säugethierembryonen.
Von
Dr. M. Braun
(Dorpat).
Vor Kurzem veröffentlichte ich im Archiv ihr Anatomie und
Physiologie, Anatom. Abth. 1882, eine kleine Arbeit über Ent¬
wicklungsvorgänge am Schwanzende bei Säugethierembryonen,
von der ich hier Einiges mittheilen möchte, um die Herren Thier¬
ärzte zu Beobachtungen an ausgewachsenen Hausthieren auf-
zufordem, die sie leichter als ein Zoologe anzustellen in der
Lage sind.
Die Untersuchung, die ich Uber eine grössere Reihe von
Säugethieremhryonen (Schaf, Rind, Schwein, Kaninchen, Maus
Ratte, Katze, Hund und Elennthier) ausdehnen konnte, ergab,
dass auf einem gewissen Stadium der Entwicklung bei jeder der
genannten Arten der Schwanz aus zwei Abschnitten besteht,
einem vorderen, wirbelhaltigen Theil und einem diesem hinten
ansitzenden wirbellosen Theil. Letzterer ist immer kleiner als
der erstere, doch gewöhnlich mit blossem Auge vollkommen zu
erkennen und setzt sich meist deutlich ab, da er dünn ist. Wegen
seiner übrigens variabelen Gestalt habe ich den hinteren Ab¬
schnitt des embryonalen Schwanzes »Schwanzfaden“ genannt,
weil er meist wie ein kleiner Faden dem dickeren Schwanz an¬
hängt Nebenbei sei bemerkt, dass auch Vogelembryonen, be¬
sonders deutlich die Embryonen des Wellensittichs ein homologes
Gebilde an der Schwanzspitze erkennen lassen, das ich jedoch
früher seiner Gestalt wegen als„Schwanzknöpfchen“ (vergl.
Entwicklungsgeschichte des Wellenpapageies etc. Wttrzb. 1881)
bezeichnet habe. Auch der Mensch besitzt als Embryo an seinem
Schwanz einen Schwanzfaden. Alle diese Bildungen sind vorüber¬
gehend, d. h. es geht allmählich der Schwanzfaden wie das
Schwanzknötchen durch Resorptipn zu Grunde; das geschieht
aber so unregelmässig, dass sich unter einer grösseren Zahl von
älteren Embryonen immer einige finden, die ihren Schwanz noch
besitzen, während die meisten ihn bereits verloren haben; mit¬
unter ist dieser abnorm lange erhalten gebliebene Schwanzfaden
sogar gewachsen und so darf man die Vermuthung aussprechen,
dass man in seltenen Fällen ihn sogar an ausgewachsenen Thie-
ren finden wird, falls man nur eine genügend grosse Anzahl unter-
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II. Kleinere Mittheilungen.
sucht. Ich besitze solche hypertrophirte Schwanzfäden von Schaf-
Hund- und Kaninchenembryonen, von erwachsenen Thieren kenne
ich sie nicht, auch sind mir aus der Literatur Fälle nicht be¬
kannt. Anders liegt die Sache beim Menschen, hier führt man
neuestens die am Erwachsenen sehr selten vorkommenden, so¬
genannten „weichen Schwänze“ auf Persistenz des Schwanzfadens
zurück. Bei Thieren würden wir ein verschieden langes, in der
verlängerten Axe des wirbelhaltigen Schwanzes liegendes Ge-
websstück, das keinen Knochen enthält und wahrscheinlich ohne
Haarwuchs ist, als persistirenden Schwanzfaden ansprechen müs¬
sen ; ich sage, der betreffende Theil würde wahrscheinlich ohne
Haare sein, weil bei den von mir mikroskopisch untersuchten
Fällen von hypertrophirten Schwanzfäden in der Epidermis der¬
selben keine Spur von Haaranlagen sich fanden, während solche
ganz deutlich in der Epidermis des Schwanzes vorkamen, ja mit
blossem Auge zu erkennen waren.
Es wäre sehr interessant, auch bei Thieren Beispiele von
weichen Schwänzen aufzufinden; vielleicht geben diese wenigen
Worte Anlass zu eingehenderen Untersuchungen über die Schwanz¬
spitze bei erwachsenen Säugethieren.
Dorpat, im September 1882.
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III.
Auszüge und Besprechungen.
1.
Schutzimpfung gegen Milzbrand.
Die auf der Domaine Packisch im Kreise Liebenwerda fort¬
gesetzten Versuche mit der Schutzimpfung gegen den Milzbrand
nach der Methode Pasteur’s haben bisher folgende Resultate
ergeben:.
Die zu den Impfversuchen verwendete Schafheerde, welche
aus 256 Mutterschafen im Alter von 3—7 Jahren und 226 Läm¬
mern im Alter von 7—11 Wochen bestand, wurde in zwei fast
gleiche Haufen getheilt, deren einer — aus 128 Mutterschafen
und 123 Lämmern bestehend — von dem Assistenten Pasteur’s
am 10. und 20. Mai v. J. mit der aus Paris bezogenen Impf¬
flüssigkeit geimpft worden ist. Der zur zweiten Impfung ver¬
wendete Impfstoff war nach der Mittheilung des erwähnten As¬
sistenten etwas schwächer in seiner Virulenz, als der bei den
ersten Impfversuchen zur zweiten Schutzimpfung gebrauchte Stoff.
Demgemäss ertrugen denn auch die obigen 128 Mutterschafe und
123 Lämmer bis auf ein Mutterschaf, welches am 27. Mai am
Impfmilzbrand einging, die beiden Schutzimpfungen ohne erheb¬
liche Störung ihres Wohlbefindens, während bei den am 9. Mai
abgeschlossenen ersten Versuchen von 25 mit zweimaliger Schutz¬
impfung versehenen Schafen 3 Stück in Folge der zweiten Schutz¬
impfung eingegangen waren. Zur Prüfung der Schutzkraft der
am 10. und 20. Mai ausgeführten Schutzimpfungen wurde am
30. Mai 12 Mutterschafen und 12 Lämmern, welche die Schutz¬
impfungen erhalten, und 6 Mutterschafen und 6 Lämmern, welche
nicht vorgeimpft waren, ungeschwächtes Milzbrandgift unter die
Haut injicirt. In Folge dessen starben sämmtliche, nicht vorge¬
impften Thiere, aber auch von den zuvor mit der Schutzimpfung
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III. Auszüge und Besprechungen.
versehenen Thieren gingen am 1. Juni ein Lamm und am 12. Juni
ein zweites Lamm am Milzbrand ein. Bei den ersten Versuchen
in Packi8ch hatten, wie früher berichtet worden, die mit zwei¬
maliger Schutzimpfung versehenen Schafe die spätere Injection
des ungeschwächten Milzbrandgiftes ohne Verluste ertragen. Nach
der Ernte sollten beide obenerwähnte Haufen von Schafen, so¬
wohl der mit der Schutzimpfung versehene, als auch der nicht
vorgeimpfte, auf die mit Milzbrand inficirten Aecker der Domaine
Packisch zur Waide aufgetrieben werden. Es wird sich dann
herausstellen, ob und für welche Zeitdauer die Schutzimpfung
auch gegen die Erkrankung an Milzbrand in Folge des Bewai-
dens inficirter Aecker schützt. Die an Rindvieh vollzogenen
Schutzimpfungen haben bisher ein vollkommen günstiges Resultat
ergeben. Schliesslich ist noch besonders hervorzuheben, dass
bei den Schutzimpfungen mit grosser Sorgfalt und Sachkenntnis
verfahren werden muss, wenn erhebliche Verluste vermieden
werden sollen, da bei unaufmerksamer Behandlung des Impf¬
stoffes die geimpften Thiere leicht an Septicämie oder anderen
Krankheiten zu Grunde gehen. Ein ausführlicher Bericht wird
veröffentlicht werden. B.
2 .
Zur Kenntniss der Trichinose.
Nach der Mittheilung Gottlieb Merkel’s (Die mikrosko¬
pische Fleischbeschau in Nürnberg im Jahre 1880, Mittheilungen
aus dem Verein für öffentl. Gesundheitspflege der Stadt Nürn¬
berg. IV. Heft. 1880. Nürnberg 1881. S. 35) fungirten daselbst
als Mikroskopiker 32 Personen — darunter 6 Aerzte, 3 Apotheker,
4 Chemiker, 13 Bader. Unter 46173 untersuchten Schweinen
waren 33 Stück, also 1 auf 1100 trichinös. Die Schweine ge¬
hörten verschiedenen preussischen, bayerischen und mecklenbur¬
gischen Ra$en an und ergab sich, dass die bayerischen Schweine
ebenso trichinös sind wie die norddeutschen. In 6 Fällen fand
sich doppelte Invasion — abgestorbene und frische Einwande¬
rung — vor. — Sämmtliche trichinöse Schweine wurden unter
polizeilicher Aufsicht mit Lauge übergossen und sofort ausge¬
schmolzen resp. verseift. — Dreimal wurden jedes Mal in den
Augenmuskeln Rundwürmer von der Länge und Dicke weiblicher
Darmtrichinen mit spitzen Kopfenden und Haftorganen am Hin-
terleibsende aufgefunden, die gestreckt zwischen den Muskel-
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III. Auszüge und Besprechungen. 97
bündeln lagen und deren Species nicht näher bestimmt werden
konnte.
Von 111 im Jahre 1S80 dnrch die Mitglieder des Mikrosko-
pikervereins untersuchten Ratten waren 16 = 14,4 Proc. tri¬
chinös. Davon stammten aus Schlächtereien 40, von welchen
8 oder 20 Proc. trichinös waren, und aus Privathäusern 71, von
welchen 8 = 11,2 Proc. trichinös waren. Von 6 Ratten aus einer
Seifensiederei waren 2 trichinös. — Von 117 getödteten Katzen
waren 4 oder 3,4 Proc. trichinös.
Aus den Schlussfolgerungen des Verfassers ist Folgendes
hervorzuheben: Die Trichinose der Schweine ist in Nürnberg viel
häufiger, als man bisher annahm. Der Thatsache der zahlreichen
Trichinenfunde gegenüber erschien es als dringendes Gebot der
Sanitätspolizei, durch Einführung der obligatorischen mikrosko¬
pischen Fleischbeschau diejenigen Mitbürger vor Infection zu
schützen, welche vermöge mangelnder Häuslichkeit auf kalte
Fleischspeisen oder auf das, was ihnen im Wirthshause meist
um theures Geld gereicht wird, angewiesen sind. — Die Erfah¬
rung hat gezeigt, dass die obligatorische Trichinenschau in Nürn¬
berg auch ohne Schlachthaus durcbzuführen war und dass we¬
sentliche Belästigungen des gewerbetreibenden oder fleischconsu-
mirenden Publicums durch die Untersuchung nicht entstehen.
Eine Ausdehnung der obligatorischen Trichinenschau zunächst
auf das nördliche Bayern scheint dringend geboten. — Mit Rück¬
sicht auf die starke Trichinose der Ratten und Katzen muss der
möglichsten Fernhaltung der kleinen Nager von Scblachtstellen
und deren Abfällen besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.
In Bezug auf das Verhalten der Trichinen in den amerika¬
nischen Schinken ergab sich aus zahlreichen Untersuchungen der
letzten Jahre, dass die Trichinen der amerikanischen Schinken
regelmässig nicht mehr lebensfähig sind; ebenso fielen Ftttte-
rungsversuche, die mit derartigem amerikanischen Fleische an
verschiedenen Orten angestellt wurden, alle negativ aus. Paris
allein importirte im Jahre 1880 circa 39 Millionen Kilogramm
amerikanischen Schinken — ohne eine einzige Infection.
Nach Belfield und Atwood betrug die Zahl der trichi¬
nösen Schweine in Chicago
1866 = 2 : 100,
1878 = 8 : 100.
Jolvet fand in Boston in einem Schweinehofe von 51 Ratten
Deutsche Zeitschrift f. Thiermed. u. vergl. Pathologie. IX. Bd. 7
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III. Auszüge und Besprechungen.
39 trichinös, in einem zweiten Hofe waren alle 40 untersuchten
Ratten trichinös; dagegen waren in Pferdestallungen von 60 Rat¬
ten nur 6 trichinös.
Lochner (Bayer, ärztl. Intelligenzblatt) berichtet einen Fall,
wo 2 Menschen an Trichinose erkrankten, die von einer soge¬
nannten Extrawurst genossen hatten, die einen Tag geräuchert
und dann im Kessel gesotten worden war — eine Thatsache,
die gegen die Schutzkraft des Kochens, so weit dasselbe unge¬
nügend geschieht, spricht. Ferner berichtet Lochner über einen
Fall, wo ein Mann an Trichinose erkrankte, der nur geräuchertes
Schweinefleisch genossen hatte.
Ueberblickt man die Erfahrungen der letzten Jahre, so er¬
gibt sich, dass die Trichinenepidemien in Deutschland sowohl
an Zahl als auch an Heftigkeit abgenommen haben, und dieses
günstige Resultat dürfte in erster Linie der obligatorischen Fleisch¬
beschau angerechnet werden. B.
3.
Rud. Leuckart, Zur Entwickelungsgeschichte des Leberegels.
(Zoolog. Anzeiger 1881. Nr. 99.)
Die Frage nach der Lebens- und Entwicklungsgeschichte
des Di8tomum hepaticum hat bekanntlich den um die Kenntniss
der menschlichen und thierischen Parasiten hochverdienten For¬
scher bereits seit vielen Jahren beschäftigt. Nach vielen frucht¬
losen Bemühungen gelang es demselben im Sommer 1879 eine
Anzahl kleiner Lymnäen 1 ), die aus den Wasserbehältern des
1) Die Familie der Limnaeidae (kleiner Wasserschnecken) ist folgender-
maassen charakterisirt: Die Thiere leben im Wasser — die kleineren Arten
freilich auch in den kleinsten Lachen sumpfiger oder auch nur feuchter
Wiesen. Sie besitzen zwei dreieckig-lappige, oder auch pfriemenförmige,
nicht einziehbare Fühler und unterscheiden sich dadurch von den Heliciden
mit ihren vier einstülpbaren Fühlern. Die Gattung Limnaeus unterscheidet
sich von den übrigen zur Familie gehörigen Gattungen (Planorbis, Physa,
Aneglus etc.) durch ihr Gehäuse; dies ist dünnschalig rechts gewunden,
d. h. wenn man zur Oeffnung in die Schale hineinsieht und sich in der¬
selben aufsteigend denkt, so hat man die Aussenwand stets zur Rechten.
Die Schale ist bauchig bis spitz eiförmig, ja sogar thurmförmig.
Limnaeus pereger und minutus sind beides kleine Formen mit
thurmförmigem Gehäuse, dessen letzter — an der Oeffnung liegender — Um¬
gang meist stark aufgeblasen ist, so dass das Gehäuse von der Spitze zur
Basis ziemlich gleichmässig anschwillt. — Als Träger der Distomenbrut sind
vorläufig nicht nur die beiden genannten Formen, sondern alle kleinen Lim-
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III. Aaszttge und Besprechungen.
99
Dresdener botanischen Gartens stammten, mit kleinen Schma¬
rotzern bedeckt zu finden, die mit Sicherheit auf die sie um¬
schwärmenden Embryonen des Distomum hepaticum zurückzu-
ftthren waren. Sie fanden sich meist in der Tiefe der Athem-
höhle, bald einzeln, bald in grösserer Menge nebeneinander und
erschienen als kleine und scharf begrenzte flimmerlose Schläuche
mit zwei mehr oder minder weit von einander abstehenden Augen¬
flecken und einem Kopfzäpfchen, mit Charakteren also, welche das
Herkommen derselben ausser Zweifel setzten. In der Folge ge¬
lang es, viele Hunderte junger Lymnäen mit den Embryonen
des Leberegels zu inficiren und deren weitere Entwicklung zu
verfolgen. Je jünger die Schnecken waren, desto sicherer und
massenhafter gelang die Infection; in Exemplaren von der Grösse
eines Nadelkopfes fanden sich nicht selten mehrere Dutzende
eingewanderter Embryonen, während halbwüchsige und ältere
Thiere stets verschont blieben und auch die grösseren Jugend¬
formen sich der Mehrzahl nach immun erwiesen. — Im Weiteren
beschreibt Leuckart die Veränderungen, die die flimmerhaar¬
tragenden Embryonen nach der Einwanderung durchmachen. Die
Bedien liefern zuletzt vermuthlich eine Brut schwanzloser Disto-
meen, die nicht ausschwärmen, .sondern an ihrer Muttqrstätte ver¬
harren und mit den Schnecken, welche sie beherbergen, an die
definitiven Wirthe der Leberegel abgeliefert werden.
Mit grösster Wahrscheinlichkeit sind also die bei uns ein¬
heimischen zwei kleinen Lymnäen (L. pereger und L. minutus),
die als die Zwischenträger des Leberegels anzusehen sind, zwei
Arten, die hinsichtlich ihres Vorkommens und ihrer Lebensweise
mit einander grosse Aebnlichkeit haben. — Am Schlüsse ersucht
L. um Uebersendung lebender und namentlich auch jugendlicher
Exemplare von Lymnäus minutus und möglichst grosser Menge
(vielleicht auch des Laiches), und endlich um Mittheilungen Uber
frisch ausgebrochene Leberegelseuchen. B.
naeusarten, wie auch Arten der anderen, der Familie der Limnaeidae ange¬
hörenden Gattungen anzusehen. Zum Inficiren tauchen nach Leuckart’s
Versuchen nur ganz junge Exemplare. Dr. Spangenberg.
7*
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100
III. Auszüge und Besprechungen.
4.
Thierseuchen in Dänemark im Jahre 1881. Aus dem Jahres¬
bericht des veterinären Gesundheitsrathes in Dänemark 1880. (Aars-
beretning fra det veterinäre Sundheedsrat for 1880. Kjöbenhavn
1882.)
Rauchbrand kam in einer Rinderbesatzung auf Seeland,
in einer auf Ftthnen und in einer in Jtttland vor.
Milzbrand zeigte sich in drei Rinderbesatzungen auf See¬
land, in zwei auf Fühnen, und in vier in Jütland; in einer Be¬
satzung auf Seeland und in einer in Jtttland wurden zugleich
andere Hausthiere angegriffen. Ferner kam Milzbrand in einer
Schweinebesatzung auf Seeland und in einer auf Ftthnen vor.
Rothlauf der Schweine kam weniger häufig vor, als in
den fünf vorhergehenden Jahren. Im Ganzen sind von 34 Fällen
Berichte gegeben, meist im südwestlichen Jtttland, mit einer
Mortalität von 91 Proc.
Räude beim Schafe kam nur in einigen Besatzungen in
Jtttland vor.
Rotz- und Wurmkrankheit kam weniger häufig vor,
als in dem vorhergehenden Jahre. Von 36 erkrankten Pferden
(25 auf Seeland, 1 auf Lodland, 7 auf Fühnen und 3 in Jtttland)
wurden 33 erschlagen, 3 starben an der Krankheit.
Rttckenmarkstyphus kam bei 24 Pferden vor (2 auf
Seeland, 5 auf Lodland, 17 in Jtttland). 15 Pferde starben, 3
wurden getödtet, 6 genasen.
Hundswuth. Einige Fälle kamen auf Ftthnen vor.
Bösartige Klauenseuche beim Schafe zeigte sich in
einer Besatzung auf Seeland.
Lungenseuche des Rindes zeigte sich in zwei Be¬
satzungen in der unmittelbaren Nähe von Kopenhagen. Durch
Erschlagung sämmtlicher Thiere dieser Besatzung wurde die
Seuche vollständig unterdrückt. Wie im vorhergehenden Jahre
war die Seuche durch Rinder eingeschleppt, welche aus Schwe¬
den eingefllhrt waren. Obgleich man daselbst die Seuche nicht
hat nachweisen können, wurde die Einfuhr von Rindern von
Schweden nach Dänemark seit März 1881 verboten; im Sep¬
tember 1882 wurde die Einfuhr unter der Bedingung wieder er¬
laubt, dass die eingeftthrten Rinder an einem bestimmten Platze
ausserhalb Kopenhagen ans Land gebracht werden und daselbst
binnen 48 Stunden in einem zu errichtenden Schlachthause unter
veterinärpolizeilicher Aufsicht geschlachtet werden.
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III. Auszüge und Besprechungen.
101
Maalseache beim Pferde kam weniger häufig vor, als in
den sechs vorhergehenden Jahren. Es wurden von 95 Fällen
Berichte gegeben; eins der angegriffenen Pferde starb.
Kuhpocken: 399 Erkrankungen in 57 Besatzungen (da¬
runter 49 im nordöstlichen Seeland); von diesen wurden ange¬
griffen im
Januar
2 )
April
2 !
Juli 131
October
Februar
2 6
Mai
4 17
August 14 U 0
November
März
2 j
Juni
11J
Septemb. 3]
Decemher
2 f
Druse: 3032 Erkrankungen wurden angemeldet mit einer
Mortalität von 2,6 Proc. Auf Bornholm, wo die Krankheit in
den vorhergehenden zwei Jahren nicht vorgekommen war, zeigte
sie sich im Frühjahre, verbreitete sich im Laufe des Sommers
und nahm im Herbst wieder ab. Es wurde vermuthet, dass die
Krankheit durch eingeftthrte schwedische Pferde eingeschleppt
war, welche zuerst davon angegriffen wurden.
Influenza kam häufiger vor, als in den zwei vorhergehen¬
den Jahren: 482 Erkrankungen (davon 323 in der Umgegend
von Kopenhagen); Mortalität 11,6 Proc. Krabbe.
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IV.
Bücheranzeigen.
1.
Dr. Ludwig v. Thanhofer, Prof, der Universität und Vetermärlehranstalt
in Budapest, Ueber dieZuchtlähme. Nach eigenen pathologisch-histo¬
logischen Untersuchungen. Mit 12 grösstentheils colorirten Steindruck¬
tafeln. Herausgegeben vom königl. nngar. Ministerium für Ackerbau, In¬
dustrie u. Handel. Budapest 1882.
Vorstehende vortreffliche Arbeit des rühmlichst bekannten Herrn
Verfassers ist ein weiterer Beitrag über jene räthselhafte, bei uns
fast gar nicht zur Beobachtung kommende Krankheit, die unter dem
Namen Zuchtlähme der Pferde bekannt ist und die im Aufträge der
ungarischen Regierung von einer Commission von Sachverständigen
seit einer Reihe von Jahren nach ihrem Wesen eingehend studirt
wird. Durch chemisch-physiologische, durch pathologisch-anatomische,
durch Ansteckungsversuche etc. sucht diese Commission die Natur
jener Krankheit zu ergründen. Vorliegende Arbeit bezieht sich auf
die pathologische Anatomie und pathologische Histologie erwähnter
Krankheit. Nach Thanhofer ist das vorwürfige Leiden in erster
Linie ein Rückenmarksieiden (Myelitis haemorrhagica centralis, Syringo-
myelitis oder Veränderungen der weissen Rückenmarkssubstanz), se-
cundär stellen sich die Thalerflecke der Haut ein. Er hält das Leiden
für ein specifisches, das nichts mit der sogenannten bösartigen Be¬
schälseuche zu thun hat. Bei dem Umstande, dass über die letzt¬
genannte Krankheit und die Zuchtlähme noch so viel dunkel, machen
wir alle Collegen auf die vorliegende vortreffliche und reich-ausge¬
stattete Arbeit aufmerksam. F.
2 .
Mittheilungen aus der Universitäts-Augenklinik zu München. Heraus¬
gegeben von Prof. A. v. Rothmund und Docent Dr. 0. Eversbusch.
1. Bd. München u. Leipzig, Druck u. Verlag von R. Oldenburg. 1882.
Ein starker Band von 22 Druckbogen, mit 6 lithographirten
Tafeln, der sehr interessante, theilweise ganz neue Aufschlüsse ge¬
währende Originalarbeiten enthält, nämlich von Eversbusch: Bei¬
träge zur Genese der Iriscysten; Klinisch-anatomische Beiträge zur
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IV. Bücheranzeigen.
103
Teratologie und Embryologie des Glaskörpers; Bemerkungen über
die Anwendung der Antiseptica in der Augenheilkunde; Die Hygiene
der Augen (aus dem Nachlasse des verstorbenen Dr. phil. Schön-
mann aus Dresden); von Dr. Herzog Carl Theodor in Bayern:
Ueber einige anatomische Befunde bei der Myopie; von M. Harder:
Zur Lehre vom Pterygium; von Prof. Dr. A. v. Rothmund: Ueber
den Unterricht in der Ophthalmologie; vom vorigen und Evers-
busch: Einrichtung der Klinik, hygienische Verhältnisse, klinische
Statistik etc.
Wir können allen jenen, die sich mit Augenheilkunde beschäf¬
tigen, vorliegendes Buch bestens empfehlen. Die Ausstattung ist eine
sehr gute. F.
Lehrbuch der Veterinär-Augenheilkunde von Fr. Blazekovic. Wien,
Seidel u. Sohn. 1882.
Wird seine Besprechung im nächsten Hefte der Zeitschrift für
vergleichende Augenheilkunde finden. F.
3.
Traitd pratique de mardchalerie par L. Goyau, medecin vdtdrinaire
a Paris. Mit 364 Holzschnitten. Paris, Bailliöre et fils, 19 rue Hautefeuille.
1882.
Ein 29 Druckbogen starker Band über Hufbeschlag. Verfasser
behandelt in sehr anregender Weise die Anatomie, Physiologie und
die Krankheiten des Hufes, gibt dann eine ausführliche Geschichte
des alten und modernen Hufbeschlages, führt die Beschläge der ver¬
schiedenen Länder an, die Erfindungen verschiedener Meister, die
Nachtheile des Beschlages, die Hygiene des Fusses etc. Am aus¬
führlichsten ist die Geschichte des Hufbeschlages, der französische
und englische Beschlag behandelt, weniger ausführlich der deutsche.
— Der Inhalt ist ein überaus reichhaltiger und gewinnt bedeutend
an Werth durch die zahlreichen Holzschnitte. Alle jene, die sich
über Hufbeschlag im Allgemeinen und besonders über den unserer
westlichen Nachbarn interessiren, werden mit grosser Befriedigung
das Buch lesen. F.
4.
Researches on the minute structure of the thvreoid gland: By E. Cresswell
Baber, M. B. Lond. From the philosophical transactions of the royal
society. Part IH. 181.
Eine recht fleissige Arbeit über die Schilddrüse der Säuger,
Vögel, Reptilien, Amphibien und Fische. Von unseren Hausthieren
wurde Katze, Hund, Pferd, Rind und Schaf zur Untersuchung herbei¬
gezogen. F.
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104
IV. Bücheranzeigen.
5.
Das organische Contagium der Schafpocken und die Mitigation der¬
selben nach Toussaint’s Manier. Inauguraldissertation von Hugo Carl Plaut.
Leipzig, Druck von Metzger u. Wittig. 1*82. Aus dem Zürn’schen Labo¬
ratorium. Mit 9 photographischen Beilagen, Pockenbacterien unter ver¬
schiedenen Verhältnissen darstellend.
Verfasser kommt in der interessanten Arbeit und auf Grund von
Impfversuchen zu dem Schlüsse, dass durch das Toussaint’sche
Mitigationsverfahren ein Weg gezeigt wird, wie „Schutzlämmerimpfun¬
gen“ gefahrlos vorgenommen werden können. Es handelt sich da¬
rum, die Pockenlymphe in nicht völlig sterilisirter Fleisch¬
brühe zu züchten, so zwar, dass neben dem Micrococc. variolae auch
noch andere Spaltpilze in der Flüssigkeit Vorkommen. F.
6 .
Was hat der Landwirth gegenüber unserem Wissen über die Tuberculose
desRindes (Perlsucht oder Franzosenkrankheit) zu beachten ? Von Prof.
Johne, Dresden. Leipzig, Breitkopf u. Härtel. 1882. Preis 30 Pf.
Das vorstehend zeitgemässe Thema bildete den Gegenstand eines
Vortrages, den Verfasser am 7. Juni in der Generalversammlung des
laridwirthschaftlichen Kreisvereins Leipzig hielt. In populärer, leicht
verständlicher und kurzer Weise legt der Verfasser den gegenwär¬
tigen Standpunkt der Tuberculosefrage dar und gibt in bestimmter
Weise die Maassregeln an, die der Landwirth zu treffen hat, um sich
von dieser Krankheit frei zu machen. F.
7.
Experimenteller Beitrag zurLehre übereinigeContagien. Inaugural¬
dissertation von Gustav Grünwald. Dorpat, Schnakenburg 1882.
Verfasser hat sich zunächst die Aufgabe gestellt, die Wirkung
einer Reihe von Desinfectionsmitteln auf das Schafpockencontagium
und auf das Pyämiecontagium zu erproben, und stellte zu diesem Zwecke
zahlreiche Versuche an. Er fand z. B., dass unter anderen Chrom-
Säure , Resorcin und Schwefelsäure in 2 ! /a procent., Carbolsäure in
11 / 2 procent. Lösung auf das Schafpockencontagium wirkt; Chrom¬
säure in 1V 4 procent., Schwefelsäure und Carbolsäure in 5 /s procent.
Lösung auf das Pyämiecontagium der Kaninchen desinficirend wirkt.
In zweiter Linie unternahm er Mitigationsversuche äla Toussaint,
aus welchen er den Schluss zieht, dass durch Culturen eine bedeu¬
tende Abschwächung des Pockencontagiums sich erzielen lässt. —
Reichliche Literaturangaben sind den eigenen Versuchen vorangestellt.
F.
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IV. Bücheranzeigen.
105
8 .
Ueber die Entwicklung des Hornhufes bei einigen Ungulaten.
Inaugural-Dissertation vou Ludwig Kunsien. Dorpat, Schnakenburg.
1882. Mit zwei Doppeltafeln von Zeichnungen.
Eine sehr schätzenswerthe, fleissige Arbeit, welche die Entwick¬
lung der Schaf- und Rinderklauen und des Pferdehufes behandelt
und auf welche wir alle Collegen besonders aufmerksam machen.
F.
9.
Jacob Wirth’s erfahrener Rindvieharzt, oder leichtfassliche An¬
leitung, wie der Landmann die Krankheit seines Rindviehes richtig erkennen,
leicht verhüten und heilen kann. 3. Auflage. Von Martin Strobel. Bern,
Heuberger. 1883. Preis 3 M. ü0 Pf.
Vorstehendes Buch behandelt auf 25 Druckbogen die anatomisch¬
physiologischen, die diätetischen Verhältnisse, die inneren und äusse¬
ren Krankheiten, sowie die Geburtshülfe des Rindes. Als Anhang
bringt es seuchenpolizeiliche Gesetze oder Verordnungen der Schweiz
und Frankreichs. Die Behandlung des Materiales ist eine übersicht¬
liche, die Sprache leicht fasslich und klar. In Bezug auf die The¬
rapie hat es Verfasser möglichst vermieden, eingreifendere arzneiliche
Behandlungen anzuführen, vielmehr sich auf den Gebrauch von ein¬
fachen, in der Hand von Ungeübten ungefährlichen Mitteln beschränkt.
Auf diese Weise dürfte das Buch, den Zweck, dem Landmann ein
wirklicher Rathgeber zu sein, wirklich erfüllen. F.
10 .
Jahresbericht der königlichen Thierarzneischule zu Hanno¬
ver. Redigirt von Director Dammann. 14. Bericht. 1880—1882. Han¬
nover, Schmorl u. v. Seefeld. 1882.
* Der vorliegende Bericht, welcher ausnahmsweise einen Zeitraum
von IV 2 Jahren umfasst, ist besonders reichhaltig. Abgesehen von
den geschäftlichen Berichten enthält er eine grosse Reihe guter und
interessanter wissenschaftlicher Arbeiten, die zum grossen Theil äusser-
liche und innerliche Krankheiten, physiologische oder diätetische Fra¬
gen (über natürliche und künstliche Ventilation in Stallgebäuden,
Arnold) betrifft. Ein seltener Fall von multipler, verrucöser Ele¬
phantiasis beim Pferde (Lustig und Rabe) ist durch drei Licht¬
drucktafeln illustrirt. F.
11 .
Koch’s Veterinärkalender pro 1883. (Ausgabe für Deutschland). Ta¬
schenbuch für Thierärzte. Leipzig und Wien, Verlag von Moritz Perle’s
Buchhandlung. Mit dem Portrait Pasteur’s. Preis 3 Mk. 60 Pf.
Dieses handliche Büchlein bringt für diesmal eine Vermehrung
der Arzneimittel, einen Artikel über „die Massage in der Thierheil-
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IV. Bücheranzeigen.
künde “, drei Tabellen Über die Bestimmung des Zahnalters der Rinder
und Pferde und eine Reihe anderer wichtiger Dinge, die man in einem
Taschenbuche nachzuschlagen gewohnt ist. So unterliegt es keinem
Zweifel, dass sich auch dieser 6. Jahrgang derselben Beliebtheit er¬
freuen wird, als die früheren. F.
12 .
Adam’s veterinärärztliches Taschenbuch für 1883. 22. Jahrgang.
Würzburg, Rahel’sche Kunst- und Buchhandlung.
Dieses beliebte Taschenbuch, das nunmehr schon seinen 22. Jahr¬
gang erlebt, erscheint auch diesmal mit reichem Inhalte. Bei seiner
grossen Beliebtheit bedarf es keiner besonderen Empfehlung. F.
i3.
The journal of comparative medecine and surgery. A quarterly journal of
the anatomy, pathology and therapeutics of the lower animals. New-York,
L. Hyde & Co. No. 22 Union Square. 2 Dollars jährlich.
Diese in vierteljährigen Heften erscheinende Zeitschrift ist den
Interessen der Thierärzte und der vergleichenden Heilkunde gewidmet.
Sie hat seit den zwei Jahren ihres Bestehens eine grosse Verbreitung
gewonnen und ist besonders geeignet über amerikanische Verhältnisse,
soweit sie den Thierarzt interessiren, Aufschluss zu geben. F.
14.
Handbuch der Anatomie der Hausthiere von Dr. Ludwig Franck,
Director u. Prof, an der Central - Thierarzneischule in München. Zweite
gänzlich umgearbeitete Auflage. I. Abtheilung. Stuttgart, Schickhardt u.
Ebner. 1882.
Die erste Abtheilung ist soeben erschienen. Die zweite wird
im Verlaufe des nächsten Monates erscheinen. F.
15.
G. B. Ercolani, Deila polydactylia e della polimelia nell* nomo e nei ver-
tebrati. Bologna, Gamberini e Parmeggiani 1882.
Wir werden später diese interessante Arbeit, welche auch die
überzähligen Zehen unserer Hausthiere in ausführlicher Weise be¬
handelt, im Auszüge bringen. F.
16.
Bericht über das Veterinärwesen im Königreich Sachsen für
das Jahr 18S1. Herausgegeben von der königl- Commission für das Vete¬
rinärwesen. Dresden, Schönfeld’s Verlagsbuchhandlung. 1882.
Der vorliegende Bericht ist ausserordentlich reichhaltig und in¬
teressant. Aus der amtlichen Abtheilung erwähnen wir, dass an Stelle
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IV. Bücheranzeigen.
107
des verstorbenen langjährigen Vorsitzenden der Commission für Vete¬
rinärwesen, Geh.-Rath Just, der Geh.-Rath Eppendorf ernannt
wurde. Als ausserordentliches Mitglied für dieselbe Commission wurde
an Stelle des Hauptmanns v. Schimpff, der Major Kirchner er¬
nannt. — Von Prof. Dr. Siedamgrotzky und Dr. Johne folgen
eine Reihe werthvoller Krankengeschichten. Director Leisering
stellt aus den Berichten der Bezirks- und Privatthierärzte eine Reihe
wichtiger und interessanter Auszüge zusammen. Im Anhänge werden
höchst wichtige und schöne Untersuchungen aus der physiologischen
Versuchsstation angeführt, die von El len b erg er und Hofmeister
ausgeführt und in RolofFs Archiv zum Theil schon publicirt wurden.
Sie beziehen sich zum grossen Theil auf die Speichelabsonderung
beim Pferde. Den Schluss bildet der Nekrolog Haubner’s. Die
Ausstattung ist eine gute und der ganze Jahresbericht äusserst em-
pfehlenswerth. F.
17.
Die Seuchen und Heerdekrankheiten unserer Hausthiere, mit
Rücksicht auf die Zoonosen des Menschen. Von Dr. H. Pütz, Professor
der Veterinärwissenschaft an der Universität Halle a/S. II. Abtheilung,
mit 16 in den Text gedruckten Holzschnitten. Stuttgart, Verlag von Fern.
Enke. 1882.
Die zweite Abtheilung und damit der Schluss dieses trefflichen
Buches ist rasch der ersten gefolgt. Es umfasst im Ganzen 44 Druck¬
bogen. Während in der ersten Abtheilung namentlich die Invasions¬
krankheiten abgehandelt wurden, finden in der zweiten die Infections-
krankheiten, sowie einige Nachträge ihre Besprechung. Es sind 30
Seuchen und seuchenartige Krankheiten, die da ihre Erledigung fin¬
den. Es sind in dieser Abtheilung die wichtigsten unserer Thier¬
seuchen, wie Milzbrand, Rinderpest, Lungenseuche, Rotz etc. Es
fanden die neuesten Untersuchungen, zum Theil im Nacfitrage, ihre
gebührende Berücksichtigung, namentlich schenkte Verfasser den Impf¬
versuchen (Lungenseuche, Milzbrand, Hühnercholera etc.), die ja, wie
es scheint, eine förmliche Umwälzung bei den Infectionskrankheiten
unserer Hausthiere (und des Menschen!) hervorbringen werden, die
ungetheilteste Aufmerksamkeit. Verf. hat aber nicht nur zusammen¬
getragen und kritisch gesichtet, sondern an den verschiedenen Stellen
die Resultate eigener Versuche und Beobachtungen verwerthet. —
Bei dem Umstande, dass es seit mehreren Decennien an einer speciell
für thierärztliche Kreise bestimmten Seuchenlehre fehlte (nur die Röll-
sche Seuchenlehre füllte diese Lücke seit vorigem Jahre), darf es
wohl nicht als Redensart gelten, wenn hier ausgesprochen wird, dass
sie bei allen Thierärzten eine hochwillkommene Aufnahme finden
wird, die sie in so hohem Grade verdient. — Die Ausstattung i3t
eine sehr gute. F.
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108
IV. Bücheranzeigen.
18.
Kurze Anleitung zur qualitativen chemischen Analyse. Von
Dr. Carl Arnold, Dirigent des chemischen Laboratoriums una Repetitor
an der königl. Thierarzneischule zu Hannover. Verlag von Ludwig Ey.
1882. Preis 2 Mk. 40 Pf.
Angegebene Anleitung enthält in möglichster Kürze die wich¬
tigsten Reactionen der häufiger vorkommenden „Säuren und Basen“
und in sehr übersichtlicher Weise den systematischen Gang der „qua¬
litativen chemischen Analyse“; ferner ist aufgeführt der Nachweis
anorganischer Stoffe in organischen Verbindungen, der Nachweis der
Blausäure und die Ermittlung giftiger organischer Basen.
Obiges Werkchen dürfte daher jedem Studirenden der Medicin
und Thierheilkunde willkommen sein. Kl et er.
19.
Lewin, L. Dr., Docent an der Universität zu Berlin, Die Nebenwirkung der
Arzneimittel. Pharmakologisch-klinisches Handbuch. Verlag von August
Hirschwald, Berlin.
Verfasser stellte sich bei Abfassung vorliegenden Handbuches
die Aufgabe, eine Uebersicht über die zum Theil zerstreut an den
verschiedensten Orten der medicinischen Literatur niedergelegten, zum
Theil in den Lehrbüchern der Arzneikunde gar nicht oder nur ober¬
flächlich berücksichtigten Nebenwirkungen der Arzneimittel zu liefern,
welche geeignet wäre, dem Arzte im concreten Falle Aufklärung
über die Ursache der Abweichung von der typischen, normalen Wir¬
kung, sowie Fingerzeige für sein praktisches Eingreifen zu geben.
Die Aufgabe, die sich Verfasser gestellt, eine vom didaktischen
Standpunkte aus bearbeitete Zusammenstellung des bisher auf dem
in Frage stehenden Gebiete bekannt Gewordenen zu liefern, kritisch
zu beleuchten und durch eigene Erfahrungen zu vermehren, hat der¬
selbe unseres Erachtens glücklich gelöst.
Wir wünschen dem Werke, welches zunächst *für den Menschen¬
arzt geschrieben ist, aber auch dem Thierarzte ein zweckmässiger
und werthvoller Führer sein wird, die verdiente Verbreitung.
W.
Digiti . y t^.ooQLe
V.
Verschiedenes.
1.
An die Vorstände der zoologischen Gärten.
In dem pathologischen Institut der Universität Strassburg i./Els.,
welches unter Leitung des Professors v. Recklinghausen steht,
ist jetzt eine Abtheilung für vergleichende pathologische Anatomie
eingerichtet worden, weiche sich die Aufgabe gestellt hat, die Todes¬
ursache der in den zoologischen Gärten gestorbenen Thiere zu er¬
forschen.
Ich habe mich früher am zoologischen Garfen zu Hamburg längere
Zeit mit derartigen Untersuchungen beschäftigt und beabsichtige die¬
selben jetzt nach meiner erfolgten Versetzung nach Strassburg unter
der bereitwilligst mir zugesagten Beihülfe des Herrn Prof. v. Reck¬
linghausen fortzusetzen.
Da aber Strassburg keinen zoologischen Garten besitzt, so wende
ich mich hiermit an die Vorstände der zoologischen Gärten mit der
Bitte, mir die gestorbenen Thiere bald möglichst nach erfolgtem Tod
zur Untersuchung zu übersenden. Ueber den Befund würde ich in
dieser Zeitschrift und im „Zoologischen Garten“ Bericht erstatten
und verweise ich an dieser Stelle auf meine „Beiträge zur verglei¬
chenden pathologischen Anatomie“, die 1872 bei Hirschwald in Berlin
erschienen sind. Ich hebe noch besonders hervor, dass ausser Säuge-
thieren auch noch Vögel, Reptilien und Fische willkommen sein wer¬
den. In erster Linie reflectire ich auf die Zusendung von Affen.
Die Sendungen bitte ich franco unter meiner Adresse an das
hiesige pathologische Institut richten zu wollen.
Strassburg i./Els., den 5. November 1882.
Dr. Paulicki,
Oberstabs- und Regimentsarzt.
2 .
Aktinomycose.
Von Prof. Dr. Johne in Dresden.
Zur Entscheidung der Frage bezüglich der Identität des Acti-
nomyces hominis und bovis und der Uebertragbarkeit der Aktinomy-
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110
V. Verschiedenes.
cose vom Menschen auf Thiere wurden von mir, mit gütiger Unter¬
stützung der Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Dresden, in
jüngster Zeit Uebertragungsversuche vom Menschen auf Thiere an-
gestellt.
Die mit intra vitam entnommenem und ganz frisch verimpftem
Material bei einem Kalb und zwei Schweinen peritoneal und subcutan
angesteliten Infectionsversuche sind (bei einer circa 180 tägigen Ver¬
suchsdauer) vollständig resultatlos verlaufen. Dieser Erfolg lässt die
vollständige Identität von Actinomyces hominis und bovis etwas we¬
niger zweifellos als bisher und weitere Versuche in dieser Richtung
wünschenswerth erscheinen.
Näheres hierüber folgt in den Mittheilungen der obigen Ge¬
sellschaft.
3.
IV. internationaler thierärztlicher Congress
in Brüssel (1883). ^
In seiner vierten Sitzung hat der dritte internationale thierärzt¬
liche Congress beschlossen, „dass im Jahre 1870 in Brüssel ein vierter
internationaler Congress stattzufinden habe“.
Umstände, die durch ein Circular vom 15. März 1870 zur Kennt-
niss der Mitglieder dieser 3. internationalen Versammlung und durch
die thierärztlichen Zeitschriften zur Kenntniss des Publicums gebracht
wurden, haben das vom Züricher Congress gewählte Comitd verhin¬
dert, diesen Beschluss zur Ausführung zu bringen.
Die nationale Versammlung der belgischen Thierärzte, welche
im Jahre 1880 stattfand, hat beschlossen, diesen so lange aufgescho¬
benen vierten internationalen Congress bei Gelegenheit der Feier des
fünfzigjährigen Bestehens der Brüsseler Thierarzneischule abzuhalten.
Ein Ausschuss, bestehend aus zwei der Delegirten des Züricher
Congresses (der dritte ist leider gestorben) und zwölf Civil- oder
Militärthierärzten wurde mit den einleitenden Arbeiten des zu organi-
sirenden Congresses betraut.
Die Unterzeichneten, Präsident und Schriftführer dieses Aus¬
schusses, haben die Ehre, den Herren Collegen die Abhaltung dieses
Congresses im Jahre 1883 hierdurch anzuzeigen und zugleich ihre
Hoffnung auszusprechen, dass durch zahlreiche Theilnahme der Thier¬
ärzte aller Länder diese internationale Versammlung recht frucht¬
bringend sein möge.
Zahlreiche belgische Thierärzte haben schon ihre Zustimmung
zu diesem Congress gegeben und sich als Mitglieder desselben ein-
schreiben lassen; sie haben sich ebenfalls verpflichtet, ausser dem
Beitrag von 10 Franken (8 Mark), welcher von jedem Mitglied be¬
zahlt wird, die zur Deckung eines eventuellen Deficits nöthigen Sum¬
men zu entrichten.
Der Beitrag von 8 Mark ist zahlbar vom Tage des Beitrittes
als Mitglied des Congresses ab und von diesem Tage an erhält
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V. Verschiedenes*
111
jedes Mitglied alle Drucksachen und sonstige Mitthei¬
lungen des Congresses.
Alle Schriften, Drucksachen etc. sind franco an den Präsidenten
des einleitenden Comitds zu senden unter der Adresse: Monsieur
Thiernesse , directeur de VEcole de med. veterinaire et President du
comite d’Organisation du Congres international de med. veterinaire
a Cureghem (Bruxelles-Midi).
Die Herren Collegen, welche eine oder die andere allgemeine
oder international thierärztliche Frage in das Programm des Con¬
gresses aufgenommen zu sehen wünschen, sind gebeten, diese Frage
binnen Kurzem an dieselbe Adresse zu senden. Alle eingesandten
Fragen werden dem Comitö unterbreitet und dieses bestimmt bald
möglichst die durch den Congress zu behandelnden Punkte.
Durch die vorigen internationalen Congresse belehrt, hat das
jetzige Comitö die Ernennung einer Specialcommission für jede der
zu behandelnden Fragen beschlossen. Diese Commissionen, aus Thier¬
ärzten verschiedener Länder zusammengesetzt, werden beauftragt, die
nöthigen Vorberichte über die verschiedenen, den Verhandlungen zu
unterwerfenden Punkte auszuarbeiten und diese zeitig genug an die
Adresse des Herrn Thiernesse zu senden, um den Druck und die
zeitgemässe Vertheilung dieser Vorberichte zu erlauben.
Für das einleitende Comitd:
Dr. Wehenkel, A. Thiernesse,
Secretair. Präsident.
4.
III. Sammlung
eines Stammcapitals zur Begründnng einer Unterstützongskasse
für die Hinterbliebenen deutscher Thierärzte.
An Beiträgen gingen ferner ein: Vom Verein thüringischer Thier¬
ärzte durch Herrn Thierarzt Henkert in Erfurt 100 Mark, vom
veterinärmedicinischen Verein im Grossherzogthum Hessen durch Herrn
Stabsveterinär a. D. Zimmer in Darmstadt 100 Mark, von den Herren
Einicke in Wreschen 6 M. (als 2. Beitrag), Niem ela in Ratibor
6 M., Prof. Dr. Seifmann in Lemberg 8,70 M., Ulrich in Lauen¬
burg 10 M. — Zusammen 230 M. 70 Pf.
Die Summe aller bis jetzt eingegangenen Beiträge beträgt
1585 Mark 29 Pf.
Indem den hochherzigen Gebern der wärmste Dank ausgespro¬
chen wird, kann nicht unterlassen werden, nochmals auf die hohe
Bedeutung des zeitgemässen Unternehmens hinzuweisen mit der Bitte,
sich durch recht zahlreiche Beiträge an diesem Werke uneigennütziger
und wahrhafter Collegialität zu betheiligen.
Hannover, dnn 22. September 1862.
Dr. Dam mann. Geiss.
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VI.
Personalien.
1.
Ernst Friedrich (xurlt.
Am 13. August v. J. starb zu Berlin in fast vollendetem 88. Le¬
bensjahre der Nestor der deutschen thierärztlichen Professoren, der
Geheime Medicinalrath, Professor und Director der königl. Thier¬
arzneischule zu Berlin. Wir entnehmen dem Nekrologe desselben,
welchen ihm zwei seiner Schüler und spätere Collegen, Leisering
und Müller, widmeten, in Kürze Folgendes:
Ernst Friedrich Gurlt wurde am 13. October 1794 zu Drenkau
in Schlesien als Sohn eines Amtmannes des Grafen von Schweinitz,
als der Jüngste von 5 Geschwistern geboren. Er erhielt in dem ge¬
nannte Orten und nach der Versetzung seines Vaters in Dreban bei
Steinau a./O. den gewöhnlichen Schulunterricht und eine weitere Aus¬
bildung bei den einschlägigen Pastoren. Im Jahre 1809 widmete er
sich der Apothekerzunft und machte wegen der damaligen Kriegs¬
jahre, die auch den Ort Lüben, wo er in der Lehre war, nicht ver¬
schonten, eine sehr bewegte Zeit durch. Der Tod seines Vaters (1811),
sowie die gemeine Gesinnung seines Principals trugen wesentlich dazu
bei, dass seine Lehrzeit eine harte und wenig erfreuliche war. Im
Herbst 1813 trat er freiwillig ins Militär ein, um seiner Militärpflicht
zu genügen. Er wurde dem Feldlazareth auf dem Bürgerwerder zu
Breslau als Apotheker überwiesen. Hier wurde er mit den meisten
seiner Collegen vom Kriegstyphus ergriffen. Hier war es auch, wo
ihm sein behandelnder Arzt zuredete, Medicin zu studiren. Obgleich
Gurlt nur unbedeutende Mittel zu Gebote standen, ging er auf die¬
sen Rath ein und wurde im Herbst 1814, auch ohne Maturitätszeug-
niss, weil damals für alle, welche im Militär gedient hatten, die Be¬
günstigung bestand, auch ohne solches Zeugniss die Universität mit
allen Rechten der Studirenden besuchen zu dürfen, zur Universität
zugelassen. Lateinisch und Griechisch studirte er nachträglich. —
Er studirte bis 1815. Da kehrte Napoleon von Elba zurück und
Gurlt trat wieder ins Militär ein. Er wurde einem fliegenden Feld¬
lazareth in Düsseldorf zugetheilt. Mit diesem Lazareth gelangte
Gurlt nach Paris und le Mans. Im Jahre 1816 kehrte er an den
Niederrhein zurück und verliess seine militärische Laufbahn, um im
Sommersemester desselben' Jahres seine Studien an der Universität
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VI. Personalien.
113
)
Breslau fortzusetzen. Hier wirkte damals der Anatom Dr. Otto,
der an dem jungen, strebsamen Gurlt Gefallen fand und ihn zu
seinem Assistenten machte, in welcher Stellung er bis zu seiner am
5. August 1819 erfolgten Promotion zur grössten Zufriedenheit Otto’s
verblieb. Der Letztere war es auch, der Gurlt aufmunterte, noch
Thierheilkunde zu studiren, um in Breslau Departementsthierarzt zu
werden, sich als‘Privatdocent an der Universität zu habilitiren und
bei ihm Prosector zu werden. Auf Verwenden Dr. Morgalla’s
sollte Gurlt eine Summe von 400 Thaler jährlich erhalten, um nach
erfolgter Approbation als praktischer Arzt in Berlin sich dem thier-
ärztlichen Studium zu widmen. An der Berliner Thierarzneischule
war damals gerade durch den Abgang Lorinser’s die Repetitor¬
stelle für Anatomie frei geworden, die Gurlt mit 400 Thlr. Diäten,
freier Wohnung und freiem Brennholze zu Theil wurde. Im Mai 1820
erhielt er die Approbation als praktischer Arzt. — An der Thierarznei¬
schule lehrte und lernte er, neben Prof. Reckleben, Anatomie der
Hausthiere. Bei dem Mangel eines guten Handbuches der Anatomie der
Haussäugethiere machte er sich daran, ein solches zu verfassen und
schon im Winter 1820/21 veröffentlichte er den ersten Theil seiner
vergleichenden Anatomie, dessen zweiten Theil er im Winter 1822
vollendete. Es war dies die erste wissenschaftliche, deutsche Anato¬
mie, die, ohne sich an französische Vorbilder anzulehnen, unsere
sämmtlichen Haussäugethiere berücksichtigte und die Nomenclatur der
menschlichen Anatomie in consequenter Weise auch für unsere Haus¬
thiere zur Anwendung brachte.
Vom Mai bis October 1821 machte er mit einer Unterstützung
aus Staatsmitteln eine wissenschaftliche Reise durch Oesterreich, Un¬
garn, Bayern, Württemberg und Sachsen. — Neben der Anatomie
hatte er auch Botanik übernommen und schrieb auch — anonym —
über diesen Gegenstand auf Veranlassung des Ministeriums ein kleineres
und ein grösseres Werk. 1825 wurde Gurlt zum Oberlehrer er¬
nannt mit einem Gehalte von 900 Thlr., freier Wohnung und freiem
Brennholze; 1827 erhielt er den Titel Professor. Im Verlaufe der
Zeit (von 1824 —1869) docirte Gurlt normale und pathologische
Anatomie, Physiologie, Zoologie, Botanik, leitete die Präparirüburigen
und Sectionen und botanischen Excursionen. Dabei fertigte er seine
Vorlesungspräparate selbst an, sammelte nach jeder Richtung — wir
erinnern nur an die reichhaltige Sammlung von Missbildungen, Epi¬
zoen und Entozoen, die Sammlung zur vergleichenden Anatomie der
Wirbelthiere — und war noch vielfach literarisch thätig. So er¬
schienen 1835 „die anatomischen Abbildungen der Hausthiere u (150
grosse Tafeln, die bei der zweiten Auflage 1848 durch 26 Tafeln
ergänzt wurden). 1831/32 erschien sein Lehrbuch der pathologischen
Veterinär-Anatomie, hierzu Nachträge 1849; 1837 sein Lehrbuch der
Physiologie der Haussäugethiere; 1847 gemeinschaftlich mit Hert-
wig die „chirurgische Anatomie und Operationslehre“. 1835 begrün¬
dete er ebenfalls gemeinschaftlich mit Hertwig das „Magazin für
die gesammte Thierheilkunde“, die beste Zeitschrift ihrer Zeit in
Deutschland. Damit ist jedoch Gurlt’s vielseitige Thätigkeit noch
Deutsche Zeitschrift f. ThiermÄd.u.verg].Pathologie. IX. Bd. 8
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114
YI. Personalien.
lange nicht erschöpft. Er wurde vielfach in Commissionen berufen.
Lange Zeit war er Examinator in der Botanik für die Candidaten
des Baufaches und Mitglied der medicinischen Oberexaminationscom-
mission etc. Nach dem Abgänge des Geheimen Medicinalrathes AIbers
wurde Gurlt 1849 zum technischen Director und neben ihm der
spätere Geheime Regierungsrath Esse, unglückseligen Angedenkens,
zum Verwaltungsdirector der Thierarzneischule ernannt.
Am 20. Mai 1868 feierte Gurlt unter grossartiger Betheiligung
sein 50 jähriges Dienstjubiläum. Damals lebten im preussischen Staate
überhaupt nur noch 4 Thierärzte, die ihre Studien vor dem Eintritte
Gurlt’s in die Berliner Thierarzneischule begonnen hatten. Am
11. April 1870 wurde Gurlt, seiner Bitte entsprechend, der wohl¬
verdiente Ruhestand gewährt.
Gurlt erfreute sich während seiner langen Thätigkeit einer fast
ununterbrochenen Gesundheit und blieb bis in das hohe Alter ausser¬
ordentlich rüstig und erstaunlich arbeitsfähig. Die Pflichttreue, mit
welcher er sein Amt verwaltete, war so gross, dass zufällige körper¬
liche Indispositionen, Katarrhe, Rheumatismen etc. für ihn ebenso¬
wenig einen Grund abgaben, seine Vorlesungen auszusetzen, als ein
Regen oder Unwetter ihn zu bestimmen vermocht hätte, seine bota¬
nischen Excnrsionen zu unterbrechen. Seine geselligen Bedürfnisse
waren dagegen gering; er lebte nur seiner Arbeit und seiner Familie.
Wir glauben behaupten zu dürfen, dass er, abgesehen von dem Be¬
suche gelehrter Gesellschaften, wohl nur höchst ausnahmsweise Abends
den Kreis seiner Familie verlassen hat; er liebte es, in demselben
Clavier zu spielen und suchte körperliche Bewegung und Spazieren¬
gehen durch Billardspielen in seinem Hause zu ersetzen. Seine haupt¬
sächlichste Erholung fand er auf den Reisen, die er alljährlich mit
den Seinigen während der grossen Ferien machte. Keinem seiner
Collegen ist er gesellschaftlich näher getreten; er machte und empfing
keine Besuche. War er durch die Verhältnisse gezwungen, grösseren
Gesellschaften beizuwohnen, so zeigte er sich in diesen fast befangen,
und derselbe Mann, der in seinen Vorlesungen, besonders wenn es
sich um seine Lieblingsgegenstände handelte, mit Eifer und gut zu
sprechen verstand, wäre kaum im Stande gewesen, auch nur die
kürzeste Tischrede zu halten. — Da Gurlt in seinen Anordnungen
kurz, bestimmt und sehr ernst war und in dem anatomischen Institute
auf Ordnung hielt, so hielten ihn die Studirenden nicht selten für
rücksichtslos und übermässig streng. Dies war er indess keineswegs;
als Examinator war er sogar äusserst human und wohlwollend und
nur gegen absolute Unwissenheit unerbittlich.
Der Ernst, der Gurlt’s Leben umgab und nur in selteneren
Fällen und solchen Personen gegenüber, denen er sein besonderes
Wohlwollen zugewendet hatte, einer liebenswürdigen Freundlichkeit
wich, ist wohl hauptsächlich auf seine unter Sorgen und Mühen durch¬
lebte Jugendzeit zurückzuführen. Betrachtet mah diese genauer, so
ist Gurlt ein „seif-made man“ in des Wortes eigentlichster und voll¬
ständigster Bedeutung; einsam und alleift in der Welt dastehend, hat
er mit Noth und Sorgen zu kämpfen gehabt und sich seine Steilung
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Y. Personalien.
115
durch eisernen Fleiss errungen. Dies Ringen und Kämpfen liess an
dem von Natur schon ernst angelegten Mann auch für die übrige
Lebenszeit Spuren zurück; er wurde in hohem Grade zurückhaltend.
Trotz einer gewissen gesellschaftlichen Unzugänglichkeit und mancher
Eigentümlichkeiten im täglichen Verkehr hat er aber gewusst, sich
die Liebe und Achtung seiner Collegen und Schüler zu erwerben
und zu erhalten; sie kannten alle seine Pünktlichkeit und Zuverläs¬
sigkeit so genau, sie waren auf seine Thätigkeit und seinen wissen¬
schaftlichen Ruf so stolz und namentlich von seinem Billigkeits- und
Gerechtigkeitsgefühl so fest überzeugt, dass sein ungeselliges Wesen
niemals Anstoss erregte. Es war dies eben eine Gurlt’sche Eigen¬
tümlichkeit, die ihm Jedermann gern nachsah.
Ganz besonders aber muss hier noch hervorgehoben werden seine
grosse Wahrheitsliebe, sowohl im äusseren Verkehr als in seinen
wissenschaftlichen Arbeiten. Gurlt mag nach den heutigen An¬
schauungen Manches unvollkommen beschrieben, nach den heutigen
Anschauungen Manches falsch gedeutet haben, aber das, was er in
seinen Beschreibungen über die von ihm untersuchten Gegenstände
gesagt hat, ist wahr! Er würde sich nie gestattet haben, einer vor¬
gefassten Meinung zu Liebe Thatsächen zu entstellen oder zu ver¬
schweigen. Daher sind die Gurlt’schen Arbeiten auch so zuver¬
lässig und werden, so lange wir eine tbierärztliche Wissenschaft haben,
ihren vollen Werth behalten, wie die echten Goldmünzen ihren Werth
behalten, wenn auch ihr Gepräge und ihr äusseres Ansehen durch
die Zeit gelitten hat. Alle seine Schüler werden dem „alten Gurlt“
— so hiess er schon vor 30 Jahren — ein ehrendes Andenken be¬
wahren. “
Gurlt lebte nach seiner Pensionirung noch eine Reihe von Jah¬
ren in ungetrübter Gesundheit und in gewohnter Weise fort. Bis
zum Jahre 1874 führte er das von ihm und Hertwig begründete
Magazin für Thierheilkunde fort. Erst im letzten halben Jahre seines
Lebens konnte man eine sichtliche Abnahme seiner Körper- und
Geisteskräfte constatiren. In den letzten Monaten war er an das
Zimmer gefesselt, es stellten sich Circulationsstörungen und Dyspnoe
ein und am 13. August 1882 starb er eines sanften Todes. Eine
grosse Reihe von Auszeichnungen wurde ihm zu Theil; 24 gelehrte
Gesellschaften hatten ihn zu ihrem Mitgliede ernannt.
Mit Gurlt starb ein Anatom der alten Schule im besten Sinne
des Wortes. Zuverlässig in seinen Aussprüchen, gewissenhaft, sauber
und unermüdlich in seinen Arbeiten, sicherte er den letzteren einen
Bestand, der lange nach seinem Tode noch fortdauern wird. Die
Methoden der anatomischen Untersuchung, wie sie zu seiner Zeit geübt
und gepflegt wurden und die in der Neuzeit, wie mir scheint, zu
sehr auf Kosten der alles beherrschenden mikroskopischen Technik
vernachlässigt werden, waren ihm alle zu eigen. Sie waren es auch,
die ihm jeder Zeit einen weiten und vollen Ueberblick über das
ganze Gebiet der Veterinäranatomie gestatteten. In seine Zeit fiel
die Einführung der Mikroskopie in die Anatomie. Auch mit diesem
Instrumente leistete er für seine Zeit Gutes, wie die Untersuchungen
8 *
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116
VI. Personalien.
über die Hautdrüsen unserer Hausthiero erwiesen, wenn er auch den
raffinirten neueren Methoden, schon wegen Ueberladung mit Arbeiten,
nicht folgen konnte. Möge ihm die Erde leicht sein! F.
2 .
f Franz Hartmann,
Professor an der Thierarzneischule Bern.
Kaum 5 Monate, nachdem der hochverdiente Director der Berner
Thierarzneischule, Herr von Niederhäusern, zu Grabe gestiegen, ist
der Tod schon wieder an einen Professor der gleichen Anstalt, an
Herrn Franz Hart mann hinangetreten.
Franz Hartmann ist geboren am 10. August 1838 in Warnitz
in Pommern als Sohn des dortigen Pfarrers. Nach Absolvirung des
städtischen Gymnasiums des benachbarten Stargard ging er nach
Berlin, um sich da dem Studium der Thierheilkunde zu widmen. Nach
vorzüglich bestandenem Staatsexamen liess er sich zur Ausübung der
thierärztlichen Praxis in seiner Heimath nieder. In den Jahren 1870/71
diente er in dem auf immer memörablen deutsch-französischen Kriege
seinem Vater lande als praktischer Thierarzt.
Bald nach seiner Heimkunft aus Frankreich wurde Hartmann
auf Veranlassung seines alten Studienfreundes Metzdorf, nunmeh¬
rigen Professors der Anatomie der Berner Thierarzneischule, als Pro-
sector an diese Anstalt berufen. Nach dem Wegzuge Metzdorf’s
würde Hartmann, der sich in seinem neuen Wirkungskreise sehr
vorteilhaft auszeichnete, die vacant gewordene Professur der Ana¬
tomie, sowie auch diejenige der Hufbeschlagslehre und des Exterieurs
übertragen. Gleichzeitig leitete er die Präparirübungen.
In dieser Stellung diente er der Schule als sehr gewissenhafter,
treuer Lehrer bis zum Spätherbst des Jahres 1881, wo er in Folge
Erkrankung anfangs den Unterricht nur zeitweise, von Neujahr an
aber ganz aussetzen musste.
Hartmann wurde von einem verhängnissvollen Magengeschwür
befallen und litt in Folge dessen an öfterem Blutbrechen, gestörter
Verdauung und Ernährung und an deshalb sich einstellender Anämie.
Donnerstag den 13. Juli 1882 gegen Mittag starb dann Hartmann,
der sich auf dem Wege der Besserung wähnte, nach langen Leiden
plötzlich in Folge einer Magenperforation.
Die Berner Thierarzneischule verliert in dem jung Verstorbenen
— er war erst 44 Jahre alt — einen tüchtigen, wissenschaftlich und
praktisch gebildeten, treuen Lehrer, seine Mitprofessoren, sowie auch
die ihm näher, gestandenen Thierärzte einen biederen, offenen, treu¬
herzigen Collegen. Der Verstorbene, ohne nähere Familie, lebte so
ganz seinem Berufe und der Wissenschaft. Sein so reich und tief
angelegtes Gemüth, sein humanes edles Herz, sein treuer Sinn, seine
lautere Seele, sein gerader Charakter, sein makelloses Leben, sein
bescheidenes, liebevolles Benehmen im gesellschaftlichen Umgänge
verschafften ihm die Freundschaft Aller, die ihm näher kamen.
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VI. Personalien.
117
Wie er einerseits am frohen Feste ein stets gerne gesehener
Genosse war, so hatte andererseits er für die Leiden der Nebenmen¬
schen ein warmfühlendes Herz; doch nie wusste seine Linke, was die
Rechte gab. Hartmann hat manche Thräne des Unglückes getrock¬
net und mancher arme Mann wird über seinen zu frühen Tod trauern.
Hartmann war auch mehrjähriger Actuar und eine Zeit lang
Präsident der Gesellschaft der Bernschen Thierärzte gewesen.
Das stattliche Leichengeleite, das seine Collegen der Thierarznei¬
schule und der Hochschule, die Comilitonen der Studentenschaft, zahl¬
reiche Thierärzte, der deutsche Hülfsverein, sowie sonstige Freunde
zu seiner trauerigen Fahrt zur ewigen Ruhe nach dem Friedhofe von
Bremgarten ihm gaben, zeigte so deutlich, welchen herben Verlust
so Viele in dem Hinscheiden Hartmann’s erlitten. Nun ruht der
Gute zur Seite des ihm nur eine kurze Spanne Zeit vorher heim-
gegangenen, unvergesslichen v. Niederhäusern. Doch Hart-
mann’s offenes, gerades, anspruchsloses, treuherziges, biederes We¬
sen wird seinen Mitprofessoren, seinen zahlreichen Schülern, Freunden
und Bekannten in lieber Erinnerung bleiben.
Die Erde sei ihm leicht! M. Strebel.
3.
Der seither bei dem bayer. Landgestüte aushülfsweise verwen¬
dete Veterinär Jacob Ferdinand- Thomann ist als Verweser des
Landgestütsthierarztes berufen worden.
Der 1. klinische Assistent der königl. Thierarzneischuie München,
Eugen Fröhner, ist als Professor an die Thierarzneischuie Stuttgart
berufen worden.
Prof. Berdez in Bern ist zum Director der dortigen Thierarznei¬
schuie gewählt worden.
Der Director und Professor des Dorpater Veterinärinstituts, wirkl.
Staatsrath und Ritter Friedrich Unterberg er, ist krankheitshalber
und seiner Bitte entsprechend pensionirt worden. An seine Stelle
wurde Prof., Staatsrath und Ritter Casimir Raup ach zum Director
des Dorpater Veterinärinstituts ernannt.
Bezirksthierarzt Otto Koch wurde zum Gestütsdirector in Achsel¬
schwang (Bayern) ernannt.
4.
Auszeichnungen.
Dem Prof. Dr. L. Förster an dem k. k. Thierarzneiinstitute
in Wien wurde in Anerkennung seiner langjährigen ausgezeichneten
Thätigkeit im Lehramte und auf wissenschaftlichem Gebiete der Titel
und Rang eines Regierungsrathes verliehen.
Dem Corpsrossarzte Gross beim V. Armeecorps und dem Ober¬
rossarzte Uhde beim westpreussischen Kürassierregiment Nr. 5 wurde
der königl. Kronenorden 4. Klasse verliehen.
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VI. Personalien.
Prof. Dr. Pflug und der grossherzogl. Kreisveterinärarzt Kolb
zu Alsfeld erhielten für ihre Verdienste um die Landwirthschaft die
landwirthsschaftliche Vereinsmedaille.
B£la Tormay, Director der königl. Thierarzneischule zu Buda¬
pest, erhielt den eisernen Kronenorden 3. Klasse.
5.
Gestorben .
Franz Hartmann, Prof, der Anatomie an der Thierarznei¬
schule zu Bern ist in seinem 43. Lebensjahre an einem perforiren-
den Magengeschwüre gestorben.
Prof. Camille Joseph Davaine, Mitglied der Academie der
Medicin in Paris, der unabhängig von Brau eil die Milzbrandbacte-
rien entdeckte, ist im 71. Lebensjahre gestorben.
Dr. Postl, früherer Professor für Anatomie an der Münchener
Thierarzneiscbule.
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VII.
Ueber Katalepsie.
Von
E. FrÖhner,
Professor an der Thierarzneischule in Stuttgart.
Die Angaben in der veterinärmedicinischen Literatur ttber
Katalepsie bei unseren Hausthieren sind sehr spärliche; in den
letzten Jahrzehnten fehlt, wie es scheint, eine Casuistik der
Krankheit ganz, selbst die neueren Handbttcher der speciellen
Pathologie und Therapie beschränken sich lediglich auf eine
Wiedergabe älterer, bekannter Fälle und- Anschauungen. Es
dürfte daher vielleicht der im Folgenden beschriebene, zur ge¬
nauen Beobachtung gelangte Fall von Katalepsie bei einem Hunde
sowohl wegen seines vielgestaltigen, wechselreichen Symptomen-
complexes, als auch besonders wegen der dabei ermöglichten
Section des Cadavers einen kleinen Beitrag zur Kenntniss der
Katalepsie bei unseren Hausthieren abgeben.
Die Katalepsie oder Starrsucht (auch Steifsucht, wächserne
Steifheit, Exstase, Katochus, Eclipsis genannt) stellt bekanntlich
eine zu der Gruppe jener ausgebreiteten Neurosen mit bis jetzt
unbekannter anatomischer Grundlage, wie Epilepsie, Eklampsie,
Tetanus etc. gehörende Krampfform der nervösen Centralorgane
dar, welche ihren Namen von der am meisten in die Augen
springenden Steifheit, Starre der Muskel und Extremitäten er¬
halten hat. Die beim Menschen am häufigsten in Verbindung
mit der Hysterie auftretende Neurose kann, wie es scheint, bei
unseren Hausthieren sowohl als primäres, selbständiges, von an¬
deren Krankheiten unabhängiges Leiden — und es sind das die
selteneren und wichtigeren Fälle — wie auch als secundäres im
Gefolge anderer, besonders nervöser Krankheiten auftreten. In
der Literatur finden sich von den erstgenannten, zu denen auch
der im Folgenden näher zu beschreibende Fall gehört, nur ganz
vereinzelte Angaben.
Deutsche Zeitschrift f. Thiermed. u. vergl. Pathologie. IX.B4. 9
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VII. FRÖHNER
Ueber den ersten derartigen Fall berichtet Hering in seiner
speciellen Pathologie und Therapie 1842 S. 496 bei einem Pferde,
und ist derselbe fUr das Pferd bis jetzt auch der einzig beschrie¬
bene geblieben, denn der an derselben Stelle von Hofacker
angeführte Fäll scheint mehr als Epilepsie denn als Katalepsie
aufgefasst werden zu müssen. Der Fall Hering’s betraf ein
Wagenpferd, das zu periodisch wiederkehrenden Zeiten 5—10 Mi¬
nuten, selten länger dauernde Anfälle in der Weise zeigte, dass
es ganz bewusstlos, unbeweglich und starr wurde und daher weder
von der Stelle zu bringen, noch umzuwenden war.
Neben diesem führt Hering dann noch einen Fall von Kata¬
lepsie beim Hund von Lochner aus dem Jahre 1686 an (vergl.
2. Auflage seiner speciellen Pathologie 1858 S. 597).
Einen weiteren Fall von Katalepsie beschreibt Leisering
bei einem Prairiewolfe im Magazin für Thierheilkunde von Gurlt
und Hertwig 1848. XIV. Bd. S. 223 ff. Die Symptome hierbei
bestanden nach undeutlichen prodromalen Erscheinungen zunächst
in verminderter Fresslust, Unempfindlichkeit gegen äussere Beize,
hochgradiger Abspannung, Schläfrigkeit, Bewegungslosigkeit und
leichter Schwellung des Kopfes; das Schlingvermögen war noch
vorhanden. Dabei verharrte das Thier in den ihm gegebenen,
noch so widernatürlichen Stellungen und Lagen, wie bei der Toden-
starre, stundenlang; der beschriebene Zustand selbst dauerte meh¬
rere Stunden, während welcher nur der noch fühlbare Puls und
Herzschlag und die noch sichtbaren und vorhandenen Athemzüge
auf ein lebendes Thier schliessen liessen, und ging sodann in
den entgegengesetzten der Erschlaffung sämmtlicher Körpertheile
über, auf welche nach 14 Stunden der Tod erfolgte.
Die Section ergab ein negatives Besultat.
Unter dem Namen Katalepsie beschreibt weiterhin Hertwig
in seinem Buche: »Die Krankheiten der Hunde“, 2. Auflage 1880.
S. 43 f. (1. Auflage 1853) »ein nervöses Leiden, welches sich da¬
durch charakterisirt, dass die Hunde dabei grösstentheils willen¬
los sind und nicht oder doch nicht vollständig und zu allen
Zeiten das Vermögen besitzen, sich nach eigenem Gefallen in
beliebige Stellung zu versetzen, oder sich von einem Orte zum
andern zu bewegen. “ Indess ist diese Definition nicht prägnant
genug, indem die angegebenen Erscheinungen, z. B. bei der Ohn¬
macht, in derselben Weise zu finden sind. An einer anderen
Stelle nennt er dann als die wichtigste Krankheitserscheinung
die, „dass die Patienten eine einmal eingenommene Stellung oder
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Ueber Katalepsie.
121
Lage sehr lange, zuweilen durch mehrere Stunden behalten, sich
auch künstliche Stellungen geben lassen und dieselben bisweilen
durch eine halbe bis ganze Stunde unverändert behalten“. Als
nebensächliche Symptome fährt er nur noch einen trüben, matten
Blick, schwach verminderten Appetit und langsameres, unregel¬
mässiges Kauen auf und bemerkt dabei ausdrücklich, dass die
Sinnesempfindlickkeit ungestört, der Appetit zu Nahrung und Ge¬
tränk vorhanden und auch hinsichtlich der Ausleerungen nichts
Abnormes zu bemerken ist; von ausgeprägteren Störungen des
Bewusstseins, sowie von einer eigentlichen Starre der Muskeln und
Extremitäten, von welcher die Krankheit ihren Namen erhalten
hat, berichtet Her Iw ig nichts. Ich hebe dies hervor, weil sich
sowohl der gewöhnliche Begriff von Katalepsie, als auch beson¬
ders der später zu beschreibende Fall mit dem von Hertwig
entworfenen Bilde der Katalepsie nicht ganz deckt. Circulations-
und Respirationsapparat sind nach Hertwig ganz normal. Be¬
züglich der Dauer und Prognose der Krankheit gibt Hertwig
an, dass sie meist plötzlich entstehe, aber durch zwei oder selbst
durch mehrere Wochen fortdauere, für gewöhnlich nicht tödtlich
sei, sondern höchstens in Folge eintretender Schwächezustände.
Als Ursachen beschuldigt er Erkältungen, heftige psychische Er¬
regungen, schwer verdauliche Nahrung, Metastasen in Folge plötz¬
lich unterdrückter Flechten (!), therapeutisch empfiehlt er für den
Anfang Drastica (Gummigutti, Crotonöl), späterhin erregende
Mittel, so Kaffee, Kampher, selbst die Brechnuss.
Die meisten, und wie es scheint, auf vielseitiger persönlicher
Beobachtung beruhenden Erfahrungen über Katalepsie finden sich
indess bei Spinola [vergl. sein Handbuch der speciellen Patho¬
logie und Therapie 2. Aufl. 1863, H. Bd. S. 606 ff. (1. Aufl. 1858)].
Seine Schilderung der Katalepsie unterscheidet sich von der Hert¬
wig’s in einigen sehr wesentlichen Punkten und es stimmt mit
seiner Beschreibung auch der von mir beobachtete Fall viel besser
überein. Die auffallendste Erscheinung bei der Katalepsie be¬
steht nach Spinola darin, dass die Hunde plötzlich „gleichsam
wie bezaubert“ unbeweglich in derselben Stellung oder Lage ver¬
harren und weder durch Locken noch durch Drohungen zu be¬
wegen sind eine andere anzunehmen, dass man ihnen sogar ab¬
sichtlich jede beliebige Stellung und Lage geben könne. Die
Pupille ist dabei unbeweglich, der Blick stier, Bewusstsein und
Empfindung sind bald wenig, bald stark getrübt, bald ganz ge¬
schwunden. Circulations - und Respirationsapparat sollen wenig
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VII. FRÖHNER
verändert sein. Dagegen bezeichnet Spinola als eine beson¬
dere Eigentümlichkeit, dass mitunter die Muskeln mehr gespannt
und hart, starrkrampfähnlich sich anjuhlen, mitunter dann wieder
ganz erschlafft sind. Die Dauer der Anfälle beträgt nach ihm
mehrere Minuten bis eine Stunde und länger; die Prognose soll
im Ganzen nicht ungünstig sein.
Nachdem ich so die in der Literatur enthaltenen wesent¬
lichsten Angaben aufgeführt habe, wende ich um zu dem in Rede
stehenden Fall.
Am 30. Januar d. J. überbrachte Herr Hofschauspieler Wall¬
bach einen schon länger in seinem Besitze befindlichen, dressirten,
2jährigen, männlichen, schwarzen Dachshund mit rostfarbenen
Abzeichen der Klinik der Stuttgarter Thierarzneischule mit dem
Vorberichte, dass derselbe seit einigen Tagen eine Alteration des
Appetits in der Weise zeige, dass die Fresslust bald darnieder¬
liege, bald sich in Form eines Heisshungers geltend mache, so
dass der sonst wohlgezogene Hund unerlaubter Weise nach Speisen
schnappe, die auf dem Tische stehen; ausserdem solle derselbe
das eine Mal unruhig und aufgeregt umherlaufen, das andere Mal
sich mit Vorliebe in dunkle Ecken verkriechen. Der Besitzer kam
daher auf den Gedanken, ob der Hund nicht mit Bandwürmern
behaftet sei und bat um die Einleitung einer Bandwurmkur.
Die daraufhin unternommene Untersuchung ergab ein massig
gut genährtes Thier der kleineren Ra<je von gracilem Körper¬
bau, dessen Haarkleid gut gepflegt, glatt anliegend und glänzend
war. Die Schleimhäute des Auges waren von normaler, hellrosa-
rother Farbe; die Temperatur über die Körperoberfläche war
gleichmässig vertheilt. Die Pulsfrequenz des Thieres betrug
90 Pulsschläge pro Minute, der Puls war kräftig, ziemlich gleich¬
mässig, dagegen unregelmässig und zwar nach dem 3. oder
4. Schlage aussetzend, die Arterienwandungen waren mässig ge¬
spannt. Der Herzschlag war auf beiden Seiten deutlich fühlbar,
links mehr als rechts, die Herztöne waren normal, die Körper¬
temperatur betrug 38,3° C.
Die Futteraufhahme des Thieres war eine gute und es wur¬
den dabei keinerlei abnorme Erscheinungen wahrgenommen; da
das Thier für die Bandwurmkur vorbereitet werden sollte, erhielt
es diesen Tag nur V« Liter Milch. In der Maulhöhle war ausser
einem leichten üblen Geruch nichts Krankhaftes wahrzunehmen,
ebensowenig ergab die Untersuchung des Hinterleibes etwas Der¬
artiges; der durch Exploration gewonnene Koth war von grau-
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Ueber Katalepsie.
123
weisslicher Farbe, ziemlich hart und Hess auf Brod- und Knochen-
fUtterung schliessen. Proglottiden von Bandwürmern fanden sich
nicht darin vor. Urin konnte an diesem ersten Tage keiner er¬
halten werden.
Die Zahl der Athemzüge bei dem Thier belief sich auf 20
pro Minute. Die Athmung geschah sehr ruhig und oberflächlich,
die ausgeathmete Luft war weder höher temperirt, noch übel¬
riechend, die Nase feucht und kalt; Auscultation und Percussion
der Brusthöhle ergaben nichts Abnormes.
Desgleichen zeigten sich der Bewegungsapparat und die
Psyche des Thieres frei von jeder auffälligen Erscheinung. Die
Augen waren klar, ausdrucksvoll, der Blick lebhaft, die Pupille
war von normaler Weite.
Es liess sich also ansser einem unregelmässigen Puls, leicht
üblem Geruch aus der Maulhöhle und einem harten Kothe nichts
Abnormes bei dem Thier nachweisen, und auch die genannten
Erscheinungen boten gar nichts Charakteristisches dar, da sie
alle drei nur zu oft bei sonst ganz gesunden Hunden zu beob¬
achten sind.
Ein ganz anderes Bild dagegen bot der folgende Tag. Als
nämlich der Hundewärter in der Früh in den Stall trat, fand er
das Thier in einer Ecke des Käfigs stehend, mit dem Schweif
wedelnd, sonst regungslos; dasselbe veränderte auch auf Zurufe
seine Stellung nicht, schien überhaupt jede Beziehung zur Aussen-
welt verloren zu haben. Bei genauerer Untersuchung fielen zu¬
nächst einzelne Körpermuskeln, so besonders die der Kruppe, der
Schulter- und Halsgegend, sowie des Kopfes durch ihre deutlich
hervortretenden Contouren in die Augen; sie waren wie heraus-
gemeisselt, dem Wachsmodell eines Muskelpräparates sehr ähnlich.
Die so von einander abgegrenzten Muskelpartien fühlten sich prall
und derb an, so dass man unwillkürlich an Muskelcontractionen
vom Charakter des Starrkrampfs denken musste; daneben war
eine ganz intensive Kaumuskelstarre ganz nach Art eines Trismus
vorhanden, welche das Oeffnen der Maulspalte unmöglich machte
und den Ausfluss einer reichlichen Menge von Speichel zur Folge
hatte. Gab man nun aber dem Thiere eine andere Stellung, so
behielt es dieselbe continuirlich bei, selbst dann, wenn sie noch so
bizarr und unphysiologisch war, höchstens dass sich eine ganz
unnatürliche Stellung nach dem Gesetze der Schwerkraft aus¬
glich; von Seiten des Thieres dagegen erfolgte dabei weder eine
Aeusserung eines Willens, noch einer Vorstellung , überhaupt eines
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VII. FRÖHNER
Bewusstseins. Die einzige Bewegung des Thieres bestand in einem
unausgesetzten Wedeln mit dem Schweife.
Die Psyche des Thieres war in hohem Grade gestört. Ich
kann den Totaleindruck, den das Thier auf den Zuschauer nach
dieser Seite hin machte, nicht anders bezeichnen, als den eines
verzückten, von der Aussenwelt entrückten Thieres; es war ein<
Traumwachen, ein hypnotischer Zustand, der lebhajt an die Be¬
schreibungen des Somnambulismus beim Menschen erinnerte, ja den
ich sogar für damit identisch erklären möchte. Dabei war der
Blick des Thieres immer starr auf einen und denselben Punkt
gerichtet, das Auge erschien schleierartig getrübt, die beiden
Pupillen waren weit geöffnet.
Die Sensibilität des Thieres war allenthalben sehr stark ver¬
mindert; wie die Muskelstarre selbst für das Thier nicht mit
Schmerzgefühl verbunden war, so liess auch ein auf die contra-
hirten Muskelpartien ausgeübter Druck keinerlei Reflexempfind¬
lichkeit wahmehmen. Die Haut war auf der ganzen Oberfläche
des Körpers für Nadelstiche vollständig empfindungslos, desglei¬
chen die Schleimhäute der Maul- und Nasenhöhle; nur die Lid¬
bindehaut und die Conjunctiva corneae waren noch theilweise
empfindlich, indess schien auch hier eine Verminderung der
Reflexerregbarkeit vorhanden. Geruchs- und Gehörsempfindung
schienen vollständig gelähmt, indem weder vorgehaltenes Fleisch,
noch die verschiedensten Zurufe bemerkt wurden; ebenso war
die Sehempfindung aufgehoben.
Circulations- nnd Respirationsapparat Hessen nichts Abnormes
erkennen, der Zustand war vielmehr derselbe, wie am Tage vor¬
her, 90 Pulsschläge, 38,5 Temperatur, 20 Athemzüge.
Auch im Digestionsapparat fand sich mit Ausnahme der be¬
reits angeführten Salivation und des gehinderten Kauvermögens,
sowie eines spärlich abgesetzten, übelriechenden, viele unver¬
daute Fetzen enthaltenden Kothes nichts Auffallendes.
Die an diesem Tage eingeleitete Behandlung bestand in Ver¬
abreichung von Milch und Fleisch, Sorge für ruhigen Aufent¬
haltsort, Abhaltung aller äusseren Reize, sowie in der innerlichen
Anwendung des Bromkaliums (3,0 auf dreimal in einstündigen
Pausen). Der beschriebene Zustand dauerte bis zum Abend, volle
12 Stunden. Erst dann war ein Nachlass sowohl der Muskel¬
starre als auch der psychischen Störungen wahrzunehmen, das
Thier konnte wieder frei umherlaufen, folgte auf Zurufe und
reagirte an allen Körpertheilen auf Nadelstiche. Bei noch theil-
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Ueber Katalepsie.
125
weise bestehendem Trismus nahm das Thier. Futter in gehöriger
Menge zu sich; die Abendtemperatur betrug 38,9°, die Puls¬
zahl 90, die der Athemztlge 25.
Am dritten Tage hatte es den Anschein, als ob die Besse¬
rung andauern wollte. Die Steifheit in den Muskeln war bis
auf geringgradig noch vorhandenen Trismus verschwunden, das
Thier bewegte sich frei und lebhaft, auch war die Sensibilität
der Haut vollständig erhalten und die Psyche ganz frei. Die
Futteraufnahme war auch an diesem Tage trotz der geringen
Spannung der Kaumuskeln eine gute, dagegen war der Kothab¬
satz sehr verzögert und der Koth sehr übelriechend. Die übrigen
Organe waren durchwegs normal; die Temperatur betrug 38,1°,
die Pulszahl 92, die der Athemzüge 24.
Die Behandlung des Thieres war an diesem Tage dieselbe,
nur wurde mit der Verabreichung des Bromkaliums ausgesetzt,
weil die diesbezüglichen Erscheinungen nahezu ganz verschwun¬
den waren. Dagegen erhielt das Thier 0,2 Galomel mit Zucker,
um damit die Coprostase zu beseitigen. Am Abend war der Zu¬
stand derselbe, wie am Morgen. Die Temperatur betrug 38,3°,
die Pulszahl 90, Zahl der Athemzüge 20.
Das Befinden des Thieres am vierten Tage war im Wesent¬
lichen dasselbe günstige, wie am vorhergehenden Tage. Mit Aus¬
nahme eines noch vorhandenen ganz leichten Trismus und dadurch
veranlasster Salivation waren der Bewegungsapparat und auch
die Psyche ganz frei. Die Temperatur betrug 38,3°, die Puls¬
zahl andauernd 90, die Zahl der Athemzüge 18. Die Futterauf¬
nahme dagegen war schlechter geworden und die Kothausschei¬
dung trotz des Calomels ganz sistirt. Der am Thermometer klebende
Koth war sehr übelriechend, von weicher Consistenz. Die Blase
des Thieres schien stark gefüllt, willkürlicher Absatz von Urin
war bis jetzt noch nicht beobachtet worden, bei Druck auf die
Blase von aussen erhielt man eine mässige Menge eines dunkel
bierbraunen, diffus-getrübten fadenziehenden Urins von saurer Re-
action. Das specifische Gewicht konnte leider nicht abgenommen
werden, da die Menge des Harns dazu nicht reichte, indess schien
es ziemlich hoch. Die chemische Untersuchung des Harns ergab
einen sehr hohen Eiweissgehalt, das Eiweiss schied sich sowohl
beim Kochen als bei der Hoppe-Seyler’schen Methode in
dichten Flocken aus. Daneben enthielt der Harn viel Gallenfarb¬
stoffe und Indican. Die mikroskopische Untersuchung wies das
Vorhandensein vieler Fetttröpfchen nach.
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126
VII. FRÖHNER
Behandlung dieselbe wie am 3. Tage, nur wurde das Calomel
weggelassen; dagegen wurden, als gegen Abend wieder Erschei¬
nungen der Starrsucht auftraten, 2,0 Bromkalium verabreicht.
Am 5 . Tage war wiederum eine ganz bedeutende Verschlim¬
merung im Befinden des Thieres eingetreten. Es zeigten sich
nämlich wieder genau dieselben Erscheinungen der Starrsucht und
dieselben Störungen der Psyche und Sensibilität , wie am 2 . Tage .
Dazu kam noch eine diffuse, höhere Röthung der Lidbindehaut,
Sinken der Temperatur auf 37,0, Steigen der Pulszahl auf 100.
Der Puls selbst war sehr ungleichmässig und unregelmässig,
schwächer als Tags zuvor und die Arterie nur sehr wenig ge¬
spannt. Der Herzschlag war auf beiden Seiten pochend fühlbar,
die Herztöne sehr laut, aber normal. Die linke Pupille war sehr
stark erweitert, das Auge getrübt und der Blick stier, dagegen
war höchst auffallender Weise die rechte Pupille bis auf Steck -
nadelkopfgrösse verengert . Die Futteraufnahme war ganz unter¬
drückt, das Schlingvermögen geschwunden, der Speichel floss in
Strängen aus dem fest geschlossenen Maule. Kothabsatz bestand
immer noch nicht , auch war kein Urin zu erhalten. Der Respi¬
rationsapparat Hess wie bisher nichts Abnormes erkennen, die
Zahl der Athemzüge betrug 22.
In Folge dieser Verschlimmerung wurde die Verabreichung
von 4,0 Bromkalium (auf 4 mal) und wegen des noch immer
unterdrückten Kothabsatzes die von weiteren 0,2 Calomel ange¬
ordnet, ausserdem wurde die Schleimhaut der Maulhöhle mit einer
5proc. Kali chloricum-Lösung ausgespült.
Am Abend hatte sich der Zustand noch mehr verschlimmert.
Die Pupille rechts hatte sich zwar wieder erweitert (Dauer der
Verengerung circa 12 Stunden), dagegen war die Körpertempe¬
ratur auf 36,6 0 gesunken , die Pulszahl betrug 100, die Zahl der
Athemzüge 25. Futter aufzunehmen war das Thier nicht mehr
im Stande.
Am 6. Tag war die Starrsucht wieder verschwunden und
hatte einer Erschlaffung sämmtlicher Muskeln Platz gemacht, da¬
gegen hatten die Störungen des Sensoriums zugenommen, das
Thier lag in einem comatösen Zustand , war vollständig theil-
nahmslos gegen seine Umgebung und unfähig, auf den Füssen zu
stehen. Die Erweiterung der rechten Pupille dauerte auch an
diesem Tage noch an, die Temperatur war wieder um etwas ge¬
stiegen (37,1°). Die Pulszahl betrug 126 pro Minute. Der Puls
war sehr schwach und elend, fast unfühlbar. Die Futteraufnahme
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Ueber Katalepsie.
127
war unmöglich, die Coprostase dauerte fort, dagegen war im
Athmungsapparat immer noch nichts Krankhaftes mit Sicherheit
nachzuweisen.
ln Folge dieses Zustandes wurde bei der Behandlung zu er¬
regenden Mitteln gegriffen und dem Thiere zunächst 100,0 Kaffee-
infhs (1:10) theelöffelweise eingegeben, indess war das Schling-
vermögen dabei fast ganz aufgehoben. Daneben wurden behufs
Erzielung von Kothabsatz öfters lauwarme Klystiere gesetzt und
die Ausspülung der Maulhöhle mit der Lösung von Kali chloricum
wiederholt.
Am 7. Tage war das Befinden des Thieres derart, dass jede
Hoffnung auf Besserung anfgegeben werden musste, das Thier
lag in einem tiefen Sopor. Die Augen waren mit einem eitrigen
Schleim verklebt. Die Myosis der rechten Pupille war wieder
eingetreten. Die Temperatur betrug 35,2 °, die Pulszahl 125, der
Puls war sehr schwach, fadenförmig. Koth wurde auch an diesem
Tage keiner abgesetzt, es schien vielmehr eine vollständige Lähmung
des Darmkanals und der Blase vorhanden zu sein. Die Zahl der
Athemzüge betrug 25, die Auscultation und Percussion der Brust¬
höhle ergaben keine bestimmbaren Veränderungen in den Lungen.
Mit der Behandlung des Thieres wurde nunmehr ausgesetzt;
der Tod trat in der darauffolgenden Nacht ein.
Wenn ich nun im Folgenden die im beschriebenen Verlauf
der Krankheit auftretenden pathologischen Erscheinungen nach
ihrer Dignität der Beibe nach aufzähle, so sind es meines Er¬
achtens in erster Linie die Motilitätsstörungen, welche die Auf¬
merksamkeit auf sich ziehen und die Grundlage des ganzen
Krankheitsbildes darstellen. Und zwar sind es neben einigen
wenigen Lähmungserseheinungen besonders Erregungszustände des
Muskelsystems. Es gehört hierher das Starrwerden der willkür¬
lichen Muskeln nach Art einer tetanischen Contraction mit Auf¬
hebung sowohl der Einwirkung des Willens als der ßeflexerreg-
barkeit, ein Krampfzustand, der fast über den ganzen Körper
verbreitet war (vergl. sogar Trismus war vorhanden) und Bemis-
sionen wie Becidive zeigte. Da die besprochenen Erscheinungen
als Herdsymptome wohl kaum anfzufassen sein dürften, so bleibt
nur die Möglichkeit, sie für eine verbreitete Neurose zu halten,
welche mit dem Starrkrampf viel Aehnlichkeit zeigt. Indess hätte
für letztere Krampfform die Krankheit nur dann gehalten werden
können, wenn die genannten Erscheinungen die einzigen geblieben
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VII. FRÖHNER
wären; so aber musste der Gedanke an Starrkrampf, je mehr
andere Symptome im Verlauf der Krankheit auftraten, immer
unwahrscheinlicher werden. Auch wäre es abgesehen davon doch
undenkbar, dass, wie schon Spinola hervorhebt, bei reinem Te¬
tanus in dieser Ausbreitung einem Thiere die allerverschiedensten
Stellungen und Lagen beigebracht werden könnten, dass man
z. B. den Hals und Kopf oder die Extremitäten nach einer be¬
liebigen Seite hin biegen könnte und dieselben dann in der neuen
Lage verharren würden. Weiterhin bewies die gänzlich aufge¬
hobene Sensibilität der Haut und Schleimhäute und der höheren
Sinnesorgane, dass im gegebenen Fall keine vermehrte Reflex¬
erregbarkeit, wie beim Tetanus, sondern im Gegentheil ein voll¬
ständiges Fehlen derselben anzunehmen war. Endlich ist es be¬
kannt, dass beim Starrkrampf die Psyche für gewöhnlich ganz
frei ist; auch dürfte ein so rasches Verschwinden und Wieder¬
auftreten des Krampfes bei demselben wohl nie Vorkommen. —
An Epilepsie oder Eklampsie zu denken, lag noch viel ferner.
Dagegen stimmten die Erscheinungen sehr wohl mit der als
Katalepsie bezeichneten, auf einer bis jetzt noch unerkannten
Erkrankung des Gehirns und Rückenmarks beruhenden Krampf¬
form, in deren Symptomencomplex sich auch die anderen beob¬
achteten Erscheinungen wohl unterbringen lassen.
Hierher gehören bezüglich der in erster Linie genannten
Motilitätsstörungen noch gewisse Lähmungszustände des Muskel-
systems, so die im Verlauf der Krankheit auftretende allgemeine
Erschlaffung und Lähmung, die Lähmung des Darmkanals und
der Blase und vielleicht die als Sympathicuslähmung aufzufas¬
sende Verengerung der rechten Pupille.
An die Störungen der Motilität reihen sich in zweiter Linie
die Störungen der Psyche. Dass bei Katalepsie das Bewusstsein
gestört, die Augen trüb, der Blick stier sind, hebt schon Spinola
hervor, er spricht bereits davon, dass die Hunde „wie verzaubert*
sind. Bei der beschriebenen Krankheit kann man sogar die Ent¬
wicklung der sensoriellen Störungen verfolgen, wenn man als
prodromale Erscheinungen die anamnestischen Angaben über un¬
lustiges Wesen, launenhafte, oft wechselnde Stimmung des Thieres
in Betracht zieht. Das Wesen der beschriebenen psychischen Phä¬
nomene stehe ich nicht an als eine dem Hypnotismus des Men¬
schen identische Erscheinung aufzufassen, welche beim Menschen
ein, wenn auch nicht gewöhnliches Theilsymptom der vielgestal¬
tigen Hysterie neben den ebenfalls selteneren kataleptischen und
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Ueber Katalepsie.
129
anderen häufigeren, zum Theil auch im gegebenen Fall beobacht
teten Symptomen ausmaebt. — Wie die Störungen der Motilität,
bo traten auch die der Psyche in Anfällen von kürzerer oder
längerer Dauer auf.
Als nicht minder wichtige Krankheitsäusserungen reihen sich
an die beiden vorher genannten die Störungen der Sensibilität.
Mit Ausnahme der vielleicht im Prodromalstadium vorhandenen
abnormen Liehtempfindlichkeit, welche sich darin ausspricht, dass
das Thier mit Vorliebe dunkle Plätze aufsuchte, waren es wäh¬
rend des eigentlichen Verlaufs der Krankheit ausschliesslich Er¬
scheinungen der Anästhesie der verschiedenen sensiblen und sen¬
sitiven Organe. Dahin gehört vor Allem die GefUhlslähmung der
Haut und Schleimhäute, sogar der Muskeln, in Folge deren bei
dem Thier die Fähigkeit, Schmerz zu empfinden, nahezu ganz
aufgehoben war, ferner die Lähmung der wichtigsten höheren
Sinnesfunctionen, so der Verlust des Sehvermögens, des Geruchs,
Gehörs, jedenfalls auch des Geschmacks und vielleicht eine An¬
ästhesie der Schleimhaut des Darms und der Harnblase mit con-
secutiver Koth- und Harnretention.
Die genannten drei Hauptgruppen von Symptomen sind für
die Beurtbeilung der Krankheit wohl die wichtigsten. Die in
anderen Organen auftretenden und durch die ersteren häufig be¬
dingten pathologischen Veränderungen dienen mehr oder weniger
zur Vervollständigung des ungemein symptomenreiehen Krank¬
heitsbildes. So finden die Erscheinungen des Trismus, der Sali-
vation, der verminderten resp. aufgehobenen Futteraufnahme, des
verzögerten resp. aufgehobenen Koth- und Urinabsatzes ihre Er¬
klärung theils in Krampf- theils in Lähmungszuständen der be¬
treffenden Organe. Dass aber auch unabhängig davon Störungen
der Futteraufnahme und Verdauung daneben herliefen, beweist der
Umstand, dass nach Aussage des Eigentümers der Hund schon
einige Tage vor der eigentlichen Erkankung eine Alteration des
Appetits in der Weise zeigte, dass er bald einen Heisshunger,
bald vollständige Appetitlosigkeit an den Tag legte. Auch deutet
der Zustand des am 2. Tage der Krankheit abgesetzten Kothes
auf eine sehr schlechte Verdauung von Seiten des Magens und
Darmes, vielleicht selbst auf eine katarrhalische Affection des¬
selben hin. Jedenfalls verlief die Krankheit mit Erscheinungen
sowohl der Dysphagie als auch der Dyspepsie.
Von den pathologischen Bestandteilen des Urins kann das
Eiweiss im vorliegenden Falle nur entweder auf eine Nieren-
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VII. FRÖHNER
erkrankung oder auf Störungen der Circnlation in der Art zurück-
geführt werden, dass im Verlauf der Krankheit eine venöse
Stauung im ganzen Körper (und die Section hat diese Annahme
bestätigt), sowie damit einhergehend ein Sinken des arteriellen
Blutdrucks mit Verminderung der Blutgescbwindigkeit in Folge
der tetannsartigen Contractionen der Körpermuscnlatur eintrat.
So findet man bekanntlich Eiweisshamen auch bei Tetanus, über¬
haupt nach allen Krampfzuständen (vergl. Senator: „Die Albu¬
minurie im gesunden und kranken Zustande“, 1882. S. 149 ff. und
speciell Run eberg: „ Ueber die pathogenetischen Bedingungen der
Albuminurie“, Deutsch. Archiv für klin. Med. XXIII. 1879. S. 41 ff.,
sowie meine Abhandlung über die Albuminurie bei den Hausthieren
in He ring’s Repertorium 1881). Für eine Nierenerkrankung als
Ursache der Albuminurie sprach während des Lebens kein klini¬
sches Symptom.
Die schon während des Lebens beobachtete Lipurie besitzt
wohl keinerlei wichtigere Bedeutung, danach Siedamgrotzky
und Hofmeister (vergl. deren mikroskopische und chemische
Diagnostik, S. 124) Fett beim Fleischfresser auch oft im normalen
Zustand beobachtet wird. (Vergl. auch die ausführlichen Angaben
über das Vorkommen von Fett im Harn bei Salkowski und
Leube: Die Lehre vom Ham, Kapitel Lipurie. 1882. S. 408 ff.)
Bezüglich des reichlichen Auftretens von Gallefarbstoffen im
Ham möchte ich auf die an einer anderen Stelle dieser Zeit¬
schrift (VIH. Bd. 1. Heft. S. 69 f.) von mir entwickelte Ansicht hin-
weisen, wonach dasselbe auf eine Verminderung des Blutdrucks
im Körper zurückzuführen ist, und möchte besonders die Gleich¬
artigkeit der durch die Stärrsucht im beschriebenen Krankheits¬
fälle bedingten Circulationsverhältnisse mit dem an jener Stelle
beschriebenen Falle von Auftreten von Gallefarbstoffen im Verein
mit Eiweiss bei einem gefesselten Thiere hervorheben, eine Er¬
scheinung, die bezüglich des Eiweisses schon früher auch Litten
bei seinen Versuchen wahrgenommen zu haben scheint (vgl. Ver¬
handlungen der Berl. med. Gesellschaft 1878 und Centralblatt für
die med. Wissensch. 1880. S. 161 ff.).
Der vermehrte lndicangehalt des Harns dürfte wohl auf die
auch schon während des Lebens beobachtete Verstopfung im
Verein mit gewissen Zersetzungsprocessen im Darmkanal nach
dem Vorgang J a f f 6 ’s zurückzuführen sein (vgl. Centralblatt für
die med. Wissenschaften. 1872. S. 2 u. S. 481 ff., sowie Virchow’s
Arch. 70. Bd. 1877. S. 72 ff.).
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Ueber Katalepsie.
131
Gar nicht erkrankt war im Anfang der Krankheit der Cir-
culationsapparat, und es fehlte auch während des ganzen Verlaufs
der Krankheit eine fieberhafte Erhöhung der Körpertemperatur.
Dagegen traten in der zweiten Hälfte der Krankheit die Symptome
einer venösen Hyperämie, sowie eines Sinkens des Blutdruckes im
Körper deutlich hervor; darauf wiesen einerseits die diffuse höhere
Böthung der sichtbaren Schleimhäute, andererseits der immer
schwächer werdende Puls und die stark verminderte Arterien¬
spannung hin.
Im Respirationsapparat war während des Lebens mit Sicher¬
heit nichts nachzuweisen.
Während so fttr die klinischen Symptome der beschriebenen
Krankheit ohne viel Zwang ein einheitliches Princip, nämlich das
der Katalepsie, zu Grunde gelegt werden kann, liegen die Ver¬
hältnisse bei der Erklärung und Deutung der Sectionsergebnisse
auf den ersten Anblick nicht so klar zu Tage. Um vorher, ehe ich
auf dieselben näher eingehe, den Eindruck zu bezeichnen, wel¬
chen das Krankheitsbild während des Lebens bezüglich der Be-
urtheilung der eventuellen Sectionsresultate machte, so möchte
ich hervorheben, dass sich voraussichtlich in den nervösen Cen¬
tralorganen höchstens mikroskopische Veränderungen, und auch
diese nur von der allerfeinsten Natur, vermuthen liessen, da bei
dem periodischen, raschen Verschwinden, selbst der schwersten
Krankheitssymptome, gröbere Veränderungen des Nervensystems
undenkbar sind. Die Section hat diese Annahme auch bestätigt:
Positive Veränderungen am Gehirn und Bückenmark waren nir¬
gends nachzuweisen. Dagegen ergab die Section neben immer¬
hin erklärbaren einzelne ganz auffällige, in ihrer Beziehung zur
Katalepsie unerklärliche und daher als nebensächliche Compli-
cationen zu bezeichnende Erscheinungen. Ich lasse bei der Wich¬
tigkeit des Falles und bei der Seltenheit genauer Sectionsdata
bei der Katalepsie (ausser dem Fall Leise ring’s ist in der thier¬
ärztlichen Literatur meines Wissens kein zweiter verzeichnet) die
Ergebnisse der unter Leitung des Herrn Professor Böckl vor¬
genommenen Section nach dem Sectionsprotokoll folgen.
Sectionsprotokoll.
Vornahme der Section am 6. Febr. 1883, Nachmittags 2 Uhr,
12 Stunden nach dem natürlich erfolgten Tode.
I. Aeussere Inspection des Cadavers: Die Schleimhäute er¬
scheinen blass, mit einem Stich ins gelbliche. Beide Augenlid-
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VII. FRÖHNER
spalten sind durch eingetrockneten eitrigen Schleim verschlossen.
Aus der Präputialöffnung treten einige Tropfen gelblichen Eiters.
II. Sectign des Cadavers.
1. Nach Abnahme der Haut: Panniculus adiposns nicht ent¬
wickelt. Die Musculatur ist dunkel gefärbt. In den Hauptvenen¬
stämmen der Extremitäten und des Halses ist dnnkelrothes un¬
vollkommen geronnenes Blut enthalten. Die Musculatur an der
oberen Fläche des Halses ist in einer Ausdehnung von 10 Cm.,
etwa zwischen dem ersten und siebenten Halswirbel blutig inßltrirt.
Eine Gefässverletzung an dieser Stelle kann nicht nachgewiesen
werden. Die mehr seitlich und nach unten gelegene Musculatur
ist gelbgrau gefärbt, blutarm.
2. Nach Oeffnung der Brusthöhle: Der Herzbeutel ist frei
von Flüssigkeit. Das rechte Herz befindet sich im Erschlaffungs-,
das linke im Contractionszustande. Im Herzen befinden sich bei¬
derseits speckhäutige Gerinnsel. Ein Zipfel der Tricuspidalis ist
schwartig verdickt, unter dem Endocardium befinden sich hirse-
bis hanfkorngrosse, graugelbe Knötchen in die Musculatur ein¬
gelagert. Derselbe Erfund ist auch unter dem Epicardium nach¬
weisbar. Die linke Herzwandung scheint etwas verdickt. Auf
dem Durchschnitt zeigt das Myocardium zahlreiche, kleinere hä¬
morrhagische Herde.
Am rechten hinteren Lungenlappen ist die untere und vordere
Hälfte schwarzroth gefärbt, ebenso an dem rechten vorderen Lap¬
pen eine etwa thalergrosse Portion. Ebendaselbst ist das Lungen¬
gewebe hart und derb anzuftthlen und verdickt; an den übrigen
Partien ist die Lunge normal roth gefärbt. Die Schnittflächen
der erwähnten Herde zeigen eine tief schwarzrothe Färbung; das
Gewebe fühlt sich derb an, ist ohne Luftgehalt (hämorrhagische
Herde), der hintere Herd ist etwa hühnereigross, der vordere
kastaniengross und scharf umschrieben. In den zutührenden Ar¬
terien der beschriebenen Lungeninfarcte sass je, ein grosser Em¬
bolus. Auf dem vorderen linken Lappen ist die Schnittfläche
dunkelbraun, entsprechend dieser Stelle ist die Pleura mit einem
zarten, ablösbaren, fibrinösen Häutchen überzogen. An den übri¬
gen Lappen ist mit Ausnahme von Emphysem nichts Besonderes
wahrnehmbar, ln den Bronchien befindet sich eine dünnschlei¬
mige Masse von blutiger Färbung. Im Kehlkopf, sowie in der
Luftröhre, desgleichen auch im Schlundkopfe und im Schlunde
befindet sich ein zäher, bräunlicher, blutiger Schleim.
3. Nach Oeffnung der Bauch- und Beckenhöhle: Bei Oeffnung
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Ueber Katalepsie.
138
der Bauchhöhle fällt zunächst auf, dass eine ziemlich starke venöse
Hyperämie der Baucheingeweide vorhanden ist. Der Magen ist
ziemlich ausgedehnt und gefüllt mit hell-lehmfarbenem, dünn¬
breiigem, mit fetthaltigem Zellgewebe gemischtem, nach Koth
riechendem Inhalte . Die Schleimhaut des Magens zeigt am Py-
lorustheil ßeckige Hämorrhagien . Die Schleimhaut des Zwölf¬
fingerdarms zeigt in einer Ausdehnung von circa 10 Cm. circum -
scripte Hämorrhagien . Der Dünndarm enthält in mässiger Menge
eine rothbraune, zähschleimige Flüssigkeit; die Schleimhaut des
Zwölffingerdarms ist sammetartig geschwellt, auch jene des Dick¬
darms zeigt eine ähnliche Rothe , wie die des Dünndarms.
Die Leber ist hyperämisch , bietet aber sonst nichts Abnormes.
Die Galle ist von schmutzig grüner Farbe und gallertartig ein¬
gedickt. Die Milz ist anämisch, im Uebrigen normal.
Die Nieren sind hyperämisch , sonst makroskopisch normal.
Die Harnblase ist stark gefüllt mit hell-orangefarbigem, trübem
Ham von leicht fauligem Geruch ; die Schleimhaut derselben zeigt
stärkere Röthung .
4. Section des Kopfes: Die Nasenscheidewand ist nach rechts
ziemlich stark eingedrückt (Asymmetrie), wodurch die rechten Con-
chien bedeutend gedrückt, die rechte Nasenhöhle verengert, die
linke dagegen erweitert worden ist. Die Schleimhaut beider Na¬
senhöhlen ist stark injicirt und mit einer blutig schleimigen Flüs¬
sigkeit bedeckt.
5. Section der Himhöhle: An der Dura mater ist nichts Be¬
sonderes. Die Venen der Gehitmoberfläche sind stark injicirt , die
Schnittflächen des Grosshirns erweisen sich wässrig glänzend, und
sind die Querschnitte der Venen deutlich sichtbar. Das Grosshirn
ist etwas weich, ebenso das Kleinhirn und das Bückenmark. In
der Halsportion des Rückenmarks erscheint die graue Substanz
allenthalben etwas gelblich.
6. Mikroskopischer Befund: An den erwähnten Herden des
Myocardiums ist neben leichter Hämorrhagie und Kemvermehrung
im Interstitium eine trübe Schwellung und eine hochgradige Fett¬
degeneration, sowie wachsige Entartung eines Theils der Muskel¬
fasern vorhanden . Neben den makroskopisch erkennbaren Herden
treten bei dieser Gelegenheit noch zahlreiche kleinste, nur mit be¬
waffnetem Auge erkennbare Herde auf, so dass hierdurch die ganze
Wandung des linken Herzens und der Scheidewand erkrankt erscheint
(parenchymatöse Myocarditis mit Ausgang in Fettdegeneration).
Die Musculatur des Halses, sowohl die hämorrhagisch infiltrirte
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vn. FRÖHNER
als auch die anämische , ist fast durchweg mehr oder weniger ver¬
fettet oder trübe geschwellt. Auch andere Stellen der Skeletmuscu-
latur lassen in leichten Graden dieses Phänomen erkennen.
Die Untersuchung des Rückenmarks führte zu keinem posi¬
tiven Ergebniss.
In den Nieren zeigte die Mehrzahl der Harnkanälchen fettige
Degeneration der Epithelien im vorgeschrittenen Stadium. Der
Harn enthielt als körperliche Gebilde Fetttropfen in grosser Zahl,
einige Eiterkörperchen (Präpntialblennorrhoe), Plattenepithelien
und Spermatozoen.
Wie zunächst ans dem Sectionsprotokoll hervorgeht, war
eine anatomische Grundlage ftir die in Bede stehenden nervösen
Symptome der Krankheit nicht zu finden, selbst die mikrosko¬
pische Untersuchung ergab ein lediglich negatives Besnltat. Be¬
züglich der anderen Symptome tritt nnn aber die Frage heran:
Können dieselben mit den klinischen Erscheinungen der Katalepsie
in Verbindung gebracht werden, oder sind sie als secnndäre, von
der Katalepsie unabhängige Erscheinungen aufzufassen?
Die wichtigsten pathologischen Veränderungen, welche die
Section aufweist, sind zweifelsohne die makroskopischen und
mikroskopischen Veränderungen an den einzelnen Muskeln. Dass
dieselben mit den Erscheinungen im Leben, dass sie speciell mit
den kataleptischen Symptomen in Zusammenhang gebracht wer¬
den müssen, dürfte wohl kaum in Abrede zn stellen sein. Sie
besitzen viel Aehnlicbkeit mit den Muskelveränderungen, welche
man bei an Starrkrampf verendeten Thieren antrifft und werden
wohl auch dieselbe Pathogenese, wie dort, beanspruchen dürfen.
Was so fürs Erste den mikroskopischen Befund der trüben Schwel¬
lung und fettigen Entartung der Musculatur des Skelets und des
Herzens betrifft, so ist dieselbe ohne viel Schwierigkeit auf eine
nutritive Beizung, verbanden mit Ernährungsstörungen der be¬
treffenden Theile in Folge excessiver Thätigkeit der musculösen
Organe in directem Anschluss an die kataleptischen Erscheinungen
zurückznfUhren. Auch die im Herzen und in der Skeletmusculatur
auftretenden hämorrhagischen Herde finden ihre ungezwungene
Erklärung in einer durch die Muskelstarre bedingten Verlang¬
samung und Stauung des venösen Blutstroms, die bei andauern¬
der Starre zur Hämorrhagie führen musste.
Die diffuse parenchymatöse Myocarditis, verbunden mit wachsi¬
ger Entartung der Herzmuskeifasem, ist allerdings ein ausser-
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Ueber Katalepsie.
135
ordentlich seltenes Phänomen, indess dürfte doch nicht geleugnet
werden können, dass dieselbe sich von der trüben Schwellung
and fettigen Entartung doch nnr quantitativ unterscheidet. Auf¬
fallend freilich bleiben diese Veränderungen in den verschiedenen
musculösen Organen ihrer Intensität halber immer, da nach den
Erscheinungen im Leben so hochgradige Veränderungen im Mus¬
kelsystem, besonders im Herzen, nicht wohl vermuthet werden
konnten.
Dass eine venöse Stauungshyperämie der Hinlerleibsorgane
vorhanden sein musste, bewies schon während des Lebens das
klinische Symptom der Albuminurie; die Beschaffenheit des Herz¬
muskels erklärt diese Stauungserscheinungen zur Genüge. Die
Hämorrhagien im Magen und Darmkanal lassen sich auf diese
Weise ebenfalls erklären. Der fettigen Degeneration der Nieren-
epithelien ist eine wesentliche Bedeutung wohl kaum zuzusprechen.
Die beiden, jedenfalls erst in den letzten Tagen aufgetretenen,
klinisch nicht nachweisbaren hämorrhagischen Lungeninfarcte fin¬
den ihre Erklärung in der nachgewiesenen Embolie und der patho¬
logischen Veränderung der Tricuspidalis.
Im Allgemeinen und grossen Ganzen stimmen also die Sections-
erscheinungen mit den klinischen Erscheinungen während des Le¬
bens überein. Eine andere Frage ist die, ob sie sämmtliche einen
für die Katalepsie wesentlichen Befand bilden, der Art, dass ohne
sie die Katalepsie nicht gedacht werden könnte. Ich glaube, dass
diese Frage zu verneinen ist, da, wie schon oben bemerkt, die
eigentlichen Störungen bei dieser Krankbeit in bis jetzt noch nicht
erkannten feinsten Veränderungen der centralen Nervenorgane zu
suchen sein dürften, und die besonders im Muskelsystem aufge¬
tretenen Veränderungen jedenfalls nur Symptome einer tödtlich
endenden Katalepsie sein können, während wir über die Grade
der Muskelveränderung bei leichteren Fällen der Krankheit bis
jetzt durch Sectionen nicht aufgeklärt sind.
Um diesen Betrachtungen zum Schluss noch einige Bemer¬
kungen zunächst über die Dauer der kataleptischen Anfälle bei¬
zufügen, welche Hertwig auf zwei, selbst mehrere Wochen be¬
rechnet, während sie Spinola auf circa 1 Stunde und darüber
angibt, so hält der beschriebene Fall zwischen beiden Angaben,
nähert sich indess mehr den von Spinola und auch von Leise-
ring aufgestellten Angaben, indem die Dauer der beiden im
beschriebenen Krankheitsverlauf beobachteten Anfälle zwischen
12 und 30 Stunden betrug.
Deutsche Zeitschrift f. Thiermed. u. vergl. Pathologie. IX. Bd. 10
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VII. FRÖHNER, Deber Katalepsie.
Bezüglich der Prognose der Katalepsie kann aus diesen ver¬
einzelten Beobachtungen mit Sicherheit noch nichts geschlossen
werden. Nimmt man indess den Fall Leisering’s hinzu, so
dürfte dieselbe doch entgegen den Angaben von Hertwig und
Spinola mindestens vorsichtig zu stellen sein.
Ueber etwaige Ursachen war im vorliegenden Krankheitsfall
nichts Sicheres zu eruiren; die Aetiologie der Krankheit wird
wohl, wie die der Epilepsie oder des Starrkrampfes, noch lange
eine dunkle bleiben.
Ob endlich die von Hertwig anempfohlene Therapie die
richtige ist, kann bis jetzt auch noch nicht entschieden werden;
ob indess Kampher und Nux vomica bei der dem Starrkrampf
sehr nahe verwandten Krampfform angezeigt sind, mag dahin¬
gestellt bleiben. Die im gegebenen Fall lediglich nach theoreti¬
schen Grundsätzen eingeleitete Behandlung mit Bromkalium schien
vielleicht das erste Mal eine Wirkung ausgeübt zu haben, indess
möchte ich es mit Sicherheit nicht behaupten. Indess glaube
ich jedenfalls damit nichts geschadet zu haben und würde sie
versuchsweise auch ein zweites Mal wieder in Anwendung bringen.
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VIII.
Ein Beitrag znr Kenntniss der Pachymeningitis spinalis
beim Hnnde.
Von
Th. Kitt und A. Stoss,
Prosector I. klin. Assistent
an der kgl. Centr.-Thierarzneischule in München.
In Folgendem haben wir es versucht, durch die Bekannt¬
gabe der klinischen Beobachtungen, sowie der Ergebnisse einer
genauen pathologisch anatomischen und histologischen Unter¬
suchung, welche wir an einem mit Bewegungs- und Gefühls-
lähmung der Nachhand behafteten Hunde anstellten, einen Beitrag
zur Kenntniss der Erkrankungen des Nervenapparates, worüber
Arbeiten in der veterinärmedicinischen Literatur nicht zu reich¬
lich vertreten sind, zu liefern. Herr Professor Friedberger hat
in seiner bekannten Liberalität uns den betreffenden Hund aus
der Klinik der Münchener Centr.-Thierarzneischule bereitwilligst
zur Verfügung gestellt, wofür wir demselben an dieser Stelle
unseren besten Dank aussprechen.
Am 1. December vorigen Jahres wurde ein männlicher kurz¬
haariger schwarzer Pinscher, im Alter von 3 Jahren, zur Behand¬
lung übergeben. Anamnestisch konnte erhoben werden, dass der
Zustand des Thieres bereits 3 Tage dauere, über Nacht ent¬
standen sei und sich eher verschlimmert, als gebessert habe.
Vor circa einem Jahre soll das Thier ähnlich erkrankt ge¬
wesen sein, der Zustand sei aber vom Beginn der plötzlich ein¬
getretenen Erkrankung an allmählich in Heilung ttbergegangen.
Das Thier zeigte einen mittelmässig guten Ernährungszustand,
das Haarkleid ist glatt und glänzend, Uber die allgemeine Decke
finden sich nirgends Spuren einer traumatischen Einwirkung; die
sichtlichen Schleimhäute zeigen nichts Abnormes, Nase kühl und
feucht. Die Mastdarmtemperatur beträgt 39,0° C., die Pulsfre¬
quenz 120 pro Minute. Der Puls ist klein, unregelmässig und un-
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VIII. KITT u. STOSS
gleichmässig. Die Herztöne zeigen, abgesehen von den dem Pulse
entsprechenden Intervallen, in welchen sie hörbar werden, nichts
Abnormes. Athemzttge vollführt das Thier etwa 20 pro Minute.
Der Respirationsapparat, auseultatorisch und respiratorisch ge¬
prüft, erweist sich vollkommen normal. Die Futteraufnahme ist
gut. Der Hinterleib aufgezogen, die Bauchdecken etwas gespannt,
Druck auf dieselben ist für das Thier nicht schmerzhaft, hierbei
entleert sich jedoch eine grössere Menge normalen Harnes. Will¬
kürlich erfolgend wurde der Koth und Urinabsatz nicht beob¬
achtet. Urin von weingelber Farbe, stark sauer, ohne Eiweiss.
Die Gelenkswinkel der hinteren Extremitäten sind ad maximum
geöffnet, die hinteren Gliedmassen in Bezug auf Motilität voll¬
ständig gelähmt. Das Thier schleift dieselben, indem es zur
Vorwärtsbewegung nur die vorderen Fttsse benützt, auf dem
Boden nach, wobei der Hinterleib in der Längsaxe bald mehr
nach rechts, bald nach links auf die Seite gedreht wird. Die
ganze Nachhand, insbesondere die distalen Partien fühlen sich
kühl an, die Pulsation der Gruralis ist beiderseits deutlich fühl¬
bar, die Empfindlichkeit auf Nadelstiche fehlt bis zum letzten
Lendenwirbel hinauf vollständig.
Bei Anwendung eines schwachen Inductionsstromes zeigte die
Musculatur der hinteren Extremitäten keine Reaction, dagegen
stellten sich geringe Zuckungen ein bei Anwendung eines für
den Menschen nicht mehr wohl erträglichen Stromes. Es ist
auffallend, dass jedoch bei Anlegung der beiden Elektroden auf
die Innenfläche der Schenkel eine Reaction, kenntlich an den
Zuckungen der Adductoren, eintrat. Die psychischen Functionen
des Thieres erwiesen sich vollkommen frei.
Bedauerlich ist es, dass gerade bei den Rüekenmarkskrank-
heiten unserer Hausthiere die Diagnostik mit einer erheblichen
Schwierigkeit zu kämpfen bat, mit dem Mangel jeder Mittheilung
des subjectiven Gefühls eines Thieres. Alle Hauptsymptome,
welche beim Menschen dadurch diagnostisch verwerthbar sind,
dass wir Auskunft erhalten über Sitz und Art der Schmerzen,
über locale Hyperästhesie der Haut, über Empfindungsqualität
(Formication, Tastsinn, Muskelgefühl, Temperaturempfindung etc.),
muss der Thierarzt zur Feststellung der Localisation eines solchen
Leidens entbehren.
Dessenungeachtet sind uns noch Symptome geblieben, welche
eine Verlegung der Ursachen dieser Lähmungserscheinungen in
das Lendenmark rechtfertigen.
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Ein Beitrag zur Kenntniss der Facfaymeningitis spinalis beim Hunde. 139
Die hochgradige Paraplegie and Anästhesie, mit ihrem Be¬
schränktbleiben anf die Nachhand, wenn auch die Abgrenzung
nach vorne weniger scharf ansgeprägt blieb, die Lähmung der
Blase und des Afters mit den Erscheinungen der Retention an¬
fänglich, später der Incontinenz, ferner das Sinken der elektri¬
schen Erregbarkeit, dies Alles deutete unzweifelhaft auf eine
Compression des Rückenmarks, resp. seiner austretenden Nerven¬
wurzeln im Bereiche der Lendenwirbel, sei es nun, dass diese
Compression auf entzündliche Vorgänge im Marke selbst oder
seinen Häuten zurückgeführt werden muss, sei es, dass Neubil¬
dungen irgend welcher Art, die vielleicht schon früher bestan¬
den haben mögen, nun durch Wachsen und Umfangsvermehrung
drückend auf das Centralorgan einwirkten oder den Nervenwur¬
zeln den Platz streitig machten. Nachdem der Anamnese zufolge
die Möglichkeit einer traumatischen Einwirkung ausgeschlossen
schien und auch das Untersuchungsresultat keine Anhaltspunkte
für dieselbe bot, für die Causalindication deshalb auch keine
Directiven gegeben werden konnten, so beschränkte sich die
Therapie anfangs (bis zum 6. December) auf die Anwendung des
Inductionsstromes, um die Nerven und Muskeln bis zu einer even¬
tuellen Besserung des Rückenmarkleidens reactionsfähig zu er¬
halten, resp. heranzubilden. Der Urin wurde künstlich entleert
(durch mittelbaren Druck auf die Blase), die Fäces durch Seifen¬
wasserinfusionen und Digitalextraction zu entfernen gesucht. Der
gleichen Absicht entsprechend, d. h. da es wünschenswerth er¬
schien, die Erhöhung der Reflexthätigkeit im Lendenmarke herbei-
zuführen, kam vom 7. December ab das Strychninum nitricum sub-
cutan zur Anwendung und zwar, entsprechend den Resultaten der
Feser’schen Untersuchungen 1 ), wurde auf 1 Kgrm. Hund 0,1 Mgrm.
verabreicht. Dies geschah und ist wohl am einfachsten zu be¬
werkstelligen, indem man in 100 Grm. destillirten Wassers 0,0 K.
(K = die Einer des in Kilogramm ausgedrUckten Gewichts des
Thieres) löst und hiervon 1 Ccm. injicirt. Im gegebenen Falle
wurde, da der Hund 4 K. 300 Grm. wog, eine Lösung von
0,043 : 100,0 verwendet. Das Thier blieb in seinem Befinden
hiernach gleich. Am 7. December wurden 1V* Ccm. der Lösung,
am 8. Decbr. 2 Ccm. und am 9. Decbr. 2'/j Ccm., also zuletzt
0,25 Mgrm. pro K. Hund injicirt, und zwar ohne sichtbare Wirkung.
1) Feser, Zar Dosirung des Strychninnitrats bei subcutaner und in¬
terner Anwendung. Archiv f(lr Thierheilkunde von Roloff. Berlin 1881.
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VIII. KITT u. STOSS
Die mittlere Temperatur betrug nun 38,7 ® C., die Zahl der
Pulse pro Minute 100, die der AthemzUge 18 — 20 pro Minute.
Der Ernährungszustand ist trotz der noch immer guten Futter¬
aufnahme zurückgegangen, besonders erscheint die hintere Kör¬
perhälfte, deren Haarkleid auch glanzlos und gesträubt ist, mehr
abzumagern. Die Lähmungserscheinungen sind gleichgeblieben,
im Ganzen hatte sich daher die Prognose zu einer höchst un¬
günstigen gestaltet. Am 11. December erhielt Patient 3 Ccm. der
Lösung, also 0,3 Mgrm. auf 1 K., d. i. 1,29 Mgrm. Strychn. nitric.,
worauf er deutliche Vergiftungserscheinungen zeigte. Die Athem-
frequenz steigerte sich nämlich auf 30 Athemzüge pro Minute,
desgleichen nahm die Pulsfrequenz bedeutend zu. Auf hervor¬
gerufene Geräusche traten tetanische Krämpfe über den ganzen
Körper, selbst Uber die gelähmten Partien hin auf, während die
Psyche noch vollständig frei blieb. Der gewonnene Harn reagirte
sauer und enthielt zum ersten Male geringe Spuren von Eiweiss.
Circa */« Stunden nach der Injection konnten keinerlei Vergif¬
tungserscheinungen mehr beobachtet werden.
Es ist mithin interessant, dass unser Object eine subcutane
Dosis von 0,25 Mgrm. Strychnin pro Kilo ohne allen Nachtheil
und ohne Reaction vertragen hat, während, wie Prof. Feser
angibt, gesunde Hunde bei einer solchen Dosis regelmässig von
heftigen Krampfanfällen heimgesucht werden.
Im weiteren Verlaufe der Behandlung wurde nur mehr der
elektrische Strom angewandt. Am 17. December wurde das Thier
auf Wunsch des Eigenthttmers getödtet. Die vor der Tödtung
vorgenommene Untersuchung ergab Folgendes:
Hochgradige Abmagerung der Nachhand, Schleimhäute blass,
Nase kühl, aber trocken. Umgebung des Afters mit Koth be¬
sudelt, HinterfÜsse und Bauch mit Harn beschmutzt, welch letz¬
terer an den benannten Theilen bis zu zehnpfennigstttckgrosse
Erosionen und am Penis tiefgreifenden geschwürigen Zerfall der
Glans und des Präputiums verursacht hatte. Bewegungslähmung
wie bei Beginn der Erkrankung. Die Empfindungslähmung hatte
derart zugenommen, dass nahezu bis an die Mitte des Rückens
vollständige Anästhesie bestand, eine gürtelförmige Abgrenzung,
ebenso eine hyperästbetische Zone dagegen nicht constatirbar
war, sondern die Reactionsfähigkeit nahm nach vorne allmählich
zu und konnte erst von der Nackengegend an normales Empfin¬
dungsvermögen festgestellt werden (Rttckenmarksödem). Eine
Steifigkeit der Wirbelsäule war in solchem hohen Grade gegeben,
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Ein Beitrag zur Kenntniss der Pachymeningitis spinalis beim Hunde. 141
dass bei Druck auf den Kopf des sich auf die gegrätschten Vor-
derfüsse stützenden Thieres der Bumpf wie ein starrer Hebel
um eine durch die Schulterblätter gedachte Axe gedreht wer¬
den konnte, beispielsweise wie wenn Jemand auf das eine Ende
einer vierbeinigen hölzernen Bank oder eines Sägebockes drückt,
damit das entgegengesetzte Ende sich von der Erde hebt.
Die Section wurde unmittelbar nach dem in der Chloroform¬
narkose erfolgten Tode vorgenommen. Von den Erscheinungen,
welche die Organe des Cadavers darboten, ist vor Allem eine
colossale Atrophie der gemeinschaftlichen und besonderen Muskeln
der hinteren Gliedmassen hervorzuheben. Fast alle am Becken¬
gürtel angebrachten Muskeln waren nicht nur auffallend dünn,
theilweise normal braunroth, theilweise jedoch von einem schmutzig
graurothem Tone, wie bereift, sondern die mikroskopische Be¬
trachtung der Muskelfragmente aus jenen livid grauen Partien
zeigte uns die Muskelfasern in verschiedenen Involutionszuständen.
Während in manchen eine Querstreifung sich noch erkennen liess
und nur in unmittelbarer Nähe der Sarkolemmakerne feine stark
lichtbrechende Körnchen eingelagert waren, boten andere das
Bild feinstaubiger Trübung, so dass von der Längsstreifung noch
schwache Andeutung, von der Querstreifung keine Spur mehr
vorhanden war.
Wie aus der Bekanntgabe des histologischen Befundes der
Nachhandmuskeln ersichtlich, befanden sich die Muskelfasern erst
im Initialstadium der degenerativen Atrophie und nur die ein¬
fache Atrophie war eine über alle Muskelgruppen des Hinter¬
körpers vollständig verbreitete. Und deshalb auch war weder
die elektrische Untersuchung im Stande, eine bedeutendere Ent¬
artung nachzuweisen, noch konnte eine grössere anatomische Ver¬
änderung der centralen trophischen und motorischen Apparate,
welche in den grauen Vordersäulen des Rückenmarks zu suchen
sind, ins Auge fallen.
Die Nerven, welche die Musculatur der hinteren Extremi¬
täten zu versorgen haben, antworteten auf grobe Beize (Zwicken
mit Pincette und Scheere) mit Contractionen der Fussmuskeln,
allerdings im Verhältniss zu einer Beaction, wie sie die gleichen
Versuche an den Nerven der Vordergliedmassen des noch warmen
Cadavers ergaben, erschienen die Muskelbewegungen schwächer
als an diesen. Makroskopische Veränderungen und solche im
histologischen Aufbau konnten an den Nerven nicht nachgewiesen
werden. Ebensowenig boten Athmungs- und Circulationsorgane
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VIII. KITT u. STOSS
und das Verdauungsrohr nebst seinen Anhangsdrttsen irgend nen¬
nenswerte pathologische Kennzeichen. Von den Hamorganen er¬
gab nur die Untersuchung der Blase und der Harnröhre etwas
Positives, indem die schon im klinischen Theile erwähnte Com-
plication des Leidens mit Blasenlähmung eine Stagnation des
Harnes und damit eine katarrhalische Entzündung der Blasen¬
schleimhaut hervorrief, ausserdem Anätzungen, Entzündung und
Geschwürsbildung auf der Schleimhaut der Harnröhre und auf
der Eichel zur Entwicklung kamen.
Die knöcherne Schädelkapsel, die Hüllen des Gehirns und
letzteres selbst in allen seinen Theilen erwiesen sich, obwohl
aufs Genaueste untersucht, normal. Während nun auch an den
vorderen Partien des Bückgratskanales keine besondere Abwei¬
chung vom Normalen zu constatiren war, musste im hinteren
Theile des Brustmarks eine Stauung der Cerebrospinalflüssigkeit
angenommen werden, indem die harte Bückenmarkshaut prall
gespannt hervortrat und eine erhebliche Menge jenes Liquors die
unter ihr liegenden Bäume erfüllte. Jener, innerhalb der Len¬
denwirbel eingeschlossene Abschnitt liess sich nur sehr schwierig
von der Knochenhöhle abnehmen, weil in einer Ausdehnung von
3 j /2 Cm. auf der dorsalen Fläche der äussersten Membran eine
röthlich-gelbe Wucherung eine ziemlich feste Verbindung mit dem
Perioste der inneren Knochenwandung herstellte. Auch auf der
ventralen Fläche der Dura, welche an diesen Stellen einen Stich
ins Gelbrothe angenommen, hafteten rötbliche und weissgelbe,
krümelige Auflagerungen, die sich mehr auf die rechte Seite
herüberzogen, sich rauh befühlten und beim Ueberstreifen mit
der Messerklinge einen unverkennbaren knirschenden Ton er¬
zeugten. Wie an Querschnitten erkennbar, betrug die Mächtig¬
keit dieser förmlichen Neomembran an der dicksten Stelle 2 Mm.,
und wir finden dieselbe aus mehreren Schichten zusammengesetzt.
Nach aussen, mit der verdickten fibrösen Dura mater ver¬
schmolzen, ist überall sehr zellen- nnd gefässreiches, viel durch-
fiochtenes Bindegewebe, in das sich inselförmig, aber durch die
ganze Efflorescenz zerstreut eigenthttmlich homogene, nahezu
knollige Massen in verschiedener Grösse eingelagert haben. Es
scheinen dieselben, um so mehr als sie bei Hämatoxylintinction
eine diffuse, manchmal feinkörnige Färbung annehmen, Herde
darzustellen, in welchen auf dem Wege schleimiger Metamor¬
phose eine Auflösung des Bindegewebes oder überhaupt einer
Intercellularsubstanz vor sich geht Weiter enthält die mittlere
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Ein Beitrag zur Kenntniss der Pachymeningitis spinalis beim Hunde. 143
Zone der gewucherten Membran in unverkennbarer Weise Knor¬
pelplättchen eingelagert, welche durch fibröse Züge vonein¬
ander geschieden eine fortschreitende Zellenbildung dadurch mani-
festiren, dass neben den einzelnen sehr deutlichen Knorpelzellen
ganze Zellennester vorgefunden werden, in einer Weise, dass
entweder 2— 4 Knorpelzellen in eine gemeinsame Kapsel einge¬
schlossen sind, oder dass Gruppen von 5—20 Knorpelzellen dicht
gedrängt bei einander stehen und erst um diese Aggregate herum
die Ablagerung einer mächtigen, homogenen Grundsubstanz er¬
folgt ist. (Solche in die Rtlckenmarksbäute eingelagerte Knorpel¬
plättchen sind beim Menschen ein sehr häufiger Befund gerade
am Lendentheil, in der Regel aber ohne alle klinische Bedeutung 1 ),
bei Thieren scheinen sie unserem Wissen nach noch nicht be¬
kannt 2 ). Peripher gestattete die Anordnung der Faserzüge wie¬
derum eine Unterscheidung des Periostes von der Neubildung,
und hier ist der Ort, wo die Oapillargefässe, welche Übrigens
auch auf der inneren der Dura zunächst liegenden Schichte an¬
getroffen werden, eine ganz Übermässige Ausdehnung erfahren
haben, wo dieselben als weite, sehr dünnwandige Maschenräume
sich an der Peripherie, aber noch innerhalb des neugebildeten
Gewebes fortziehen und von förmlichen Streifen ausgetretenen
Blutes begleitet sind. Dieses extravasirte Blut ist theils als sol¬
ches noch zn erkennen, theils findet sich dessen Hämatin in
Form kleiner rostrother und schwarzer grösserer Schollen und
Klttmpchen in dem umliegenden Gewebe der dilatirten Capillar-
uetze. Die abtretenden Nervenwurzeln, und zwar vorzugsweise
die hinteren, soweit sie natürlich im Bereiche des Entzündungs¬
herdes liegen, sind in die Neubildung mit eingeschlossen. Ihr
Querschnitt taucht daher zwischen Periost und Neubildung, um¬
geben nnd eingeengt von Knorpelplättchen und der telangiekta-
tischen Schichte, auf, ohne dass ein völliges Fehlen, eine Atrophie
der die Nervenwurzeln begleitenden Lymphscheiden constatirbar
wäre. Dieselben sind wohl eingeschnürt, der Querschnitt der
Nervenwurzel ist verschoben und lehnt sich dicht an die Neu¬
bildung, dagegen sind dennoch kleinere Spalträume vorhanden
nnd ist ausser kleinen Pigmentablagerungen in der Nenroglia, von
1) Näheres hierüber siehe Erb, Handbuch der Krankheiten des Nerven¬
systems. I. 2. Hälfte. S. 277 in Ziemssen’s Handb. d. spec. Path. u. Ther. 1876.
2) Hingegen hat Prof. Dr. Bonnet (Jahresbericht der Münchener Thier¬
arzneischule 1880/81) das Vorkommen von Knochenplättchen bei Pachymenin¬
gitis als eine seltene Erscheinung beschrieben.
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144
vm. KITT u. STOSS
extravasirtem Blute herrührend, keine wesentliche Aenderung im
Aufbau der Nerven ersichtlich. Eine Ablagerung von Krankheits-
producten zwischen die weichen Häute und die Dura mater, welche
von Bedeutung wäre, konnte nicht bemerkt werden; die harte
Bückenmarkshaut war selbst von der Lendenanschwellung an bis
ans Ende abzulösen, und auch histologisch waren Arachnoidea
und Pia mater noch differencirbar.
Bei den grossartigen Störungen des Bewegungs- und Em¬
pfindungslebens, wie sie das Thier uns zeigte, vermutheten wir
eine ausgebreitete Betheiligung des Centralorgans selbst an patho¬
logischen Processen und unterstellten daher alle Abschnitte des
Bückenmarks der mikroskopischen Analyse durch Anfertigung
zahlreicher Querschnitte des in chromsaurem Ammoniak gehär¬
teten Organs mit nachfolgender Tinction durch Carmin, Indulin
zur Erkennung der nervösen Elemente, durch Hämatoxylin, Dahlia
und Bismarkbraun zur Eruirung der Kernvertheilung und Binde¬
substanzen. Bei all dem fanden wir weder am Hals- und Brust¬
mark, noch am Bücken- und Lendenmark bis zur äussersten Grenze
im Kreuzbein unsere Speculationen auf Sklerosirungen oder über¬
haupt besondere Degeneration, welche sich anatomisch charakte-
risiren Hesse, befriedigt. Sogar die Fortsätze der Pia mater,
welche zwischen den Nervenbündeln in das Bückenmark herein¬
treten, boten keine erwähnenswerthe Verdickung. Eine besondere
Vermehrung der schon normal im Centrainervenorgane vorhan¬
denen Wanderzellen oder gar eine an bestimmten Orten sich dar¬
bietende Häufung derartiger Elemente war nicht zugegen. Aller¬
dings sind z. B. eine Schwellung am Axencylinder oder einer
Ganglienzelle oder Gerinnungsvorgänge an dem Inhalte der Mark¬
scheide, die während des Lebens bestanden haben und für das
Zustandekommen von Neurosen allein schon hinreichen können,
am anatomischen Präparate, wenn man skeptischen Gemüths ist,
schwer nachzuweisen. Aufgefallen ist uns die Sparsamkeit, mit
welcher Ganglienzellen in beiden Säulen vertheilt sind, während
sie doch in den Vorderhömern zumal sonst sehr reichUch ange¬
troffen werden, ferner die Verschmächtigung oder ausgesprochene
Kleinheit des Querschnittes der Nervenfasern sowohl in den Hin¬
tersträngen, wie in den comprimirten Nervenwurzeln.
Die anatomische Diagnose würde demnach lauten: Circum-
scripte Pachymeningitis externa chronica mit Bildung von Knor-
peleinlagerungen im Lendentheile.
Wir haben der klinischen Darstellung und der pathologischen
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Ein Beitrag zur Kenntniss der Pachymeningitis spinalia beim Hunde. 145
Ana tomie bei unseren Mittheilungen einen fast zu grossen Raum
gewährt, allein die grosse Schwierigkeit, welche die Symptomato¬
logie der Rttckenmarkskrankheiten bietet und welche nur un¬
sichere und lückenhafte Ergebnisse trotz der zuverlässigen Arbei¬
ten mancher Autoren geliefert hat, weist darauf hin, dass neue
Bereicherung unserer Kenntnisse nur dann zu erwarten ist, wenn
viele und auch die minder interessanten Beispiele auf dem Wege
der verbesserten klinischen und histologischen Untersuchung ihre
Bearbeiter finden. Erst dann wird es vielleicht möglich sein,
unseren Anschauungen über die Pathologie des Rückenmarks bei
Hausthieren eine festere Grundlage zu geben, und geübtere For¬
scher mögen es dann versuchen, sichtend und klärend hier ein¬
zugreifen und eine Darstellung zu geben, welche von dem Prak¬
tiker als Anhaltspunkt benutzt werden kann.
Schliesslich dürfte es noch von Wichtigkeit sein, auf die
Verwendbarkeit der sogenannten Sehnenreflexe für die Dia¬
gnostik einer Spinalaffection aufmerksam zu machen. In der
Menschenheilkunde hat die Verminderung, Aufhebung und die
Steigerung der von den Sehnen her auszulösenden Reflexe bereits
ihre Würdigung erfahren. Diese von Erb 1 ) und Westphal 2 )
erst am Menschen, dann von Schnitze und Fürbinger 3 ) am
Kaninchen und Hunde demonstrirten Reflexe konnten wir bei
letztgenanntem Thiere, sowie beim Pferde, wenn auch bei diesem
die starke Reaction des Hautmuskels mit ins Gewicht fällt, resp.
auseinandergehalten werden muss, mit Evidenz an den geraden
Patellarsehnen zur Auslösung bringen und werden uns die Mühe
geben, unter pathologischen Verhältnissen auf ihr Zustandekom¬
men und ihre Rolle zu den spinalen Erkrankungen in weiterer
Folge Rücksicht zu nehmen.
München im März 1883.
1) E r b, Ueber Sehnenreflexe bei Gesunden und bei Rückenmarkskranken.
Archiv f. Psych. u. Nervenkrankheiten. V. S. 792; ebenso Ziemssen’s Handbuch.
11. Bd. 2. Hälfte. S.47. 1876.
2) Westphal, Ueber einige Bewegungserscheinungen an gelähmten Glie¬
dern. Ibid. Archiv. V. S. 803. 1875.
3) Centralbl. f. d. med. Wiss. 1875. Nr. 45.
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IX.
Ueber die Fortschritte auf dem Gebiete der Milch-
wirthschaft
(Vortrag, gehalten im landwirthsehaftlichen Kreisverein Iserlohn.)
Von
Dr. Schmidt -Mülheim.
Wie lange ist es her, meine Herren, dass man die Viehhaltung
ziemlich allgemein nur Dungzwecke halber betrieb, dass man
die Thiere im Sommer auf knapper Weide grasen liess und ihnen
im Winter ein hauptsächlich ans Stroh bestehendes Futter gab,
das gerade genügte, sie vor dem Verhungern zu schützen? Wie
lange ist es her, dass man den Bau von Futterkräutern und Hack¬
früchten im Grossen betreibt und dass eine enorme Vermehrung
von landwirtschaftlich- gewerblichen Anlagen eine gewaltige
Menge von Stoffen liefert, welche, früher als bedeutungslose Ab¬
fälle bekannt, in Folge der Fortschritte auf dem Gebiete der
Ernährungslehre als höchst werthvolle Futterstoffe sich erwiesen,
die nunmehr mit grosser Vorliebe als wahre Kraftfuttermittel ver¬
abreicht werden?
Nun, meine Herren, Sie alle wissen es; unter Ihren Augen
hat sich dieser Wandel vollzogen, und nicht zum Mindesten ist er
hervorgerufen durch den gewaltigen, immer noch zu wenig ge¬
würdigten Aufschwung der Milchwirthschaft.
Wenn wir die Fortschritte auf dem Gebiete der Milchwirt¬
schaft in kurzer Uebersicht betrachten wollen, so verdienen in
allererster Linie die verbesserten Rahmgewinnungsmethoden ge¬
nannt zu werden. 'Gerade durch sie ist es möglich geworden,
die entrahmte Milch, die früher ganz allgemein nur als Viehfutter
oder zur Bereitung von schlechtem Wirthschaftskäse benutzt wurde,
in einem vollständig süssen Zustande zu erhalten und sie so zu
einem höchst werthvollen Artikel für die menschliche Ernährung
zu stempeln.
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Ueber die Fortschritte auf dem Gebiete der Milchwirtschaft. 147
Das einfachste von diesen Aufrahnrangsverfahren ist das
holsteinsche. Hier wird die Milch, ohne dass eine vorherige
Abktthlung nöthig wäre, in grossen flachen Satten zur Aufrah¬
mung hingestellt. Die Satten sind entweder rund oder länglich
viereckig, circa 10 Cm. tief, aus verzinntem Eisenblech oder auch
aus Holz, und werden im Sommer mit circa 8, im Winter hin¬
gegen mit circa 15 Liter Milch beschickt. Im Sommer soll die
Milch etwa 5—6, im Winter 8—9 Cm. hoch stehen. Diese Ge-
fässe nun werden auf ein etwa 60 Cm. hohes Gestell zum Auf¬
rahmen hingesetzt. Der Aufrahmungsraum muss gut ventilirt sein
und seine Temperatur soll circa 9—12° R. betragen. Die Milch
bleibt höchstens 24 Stunden stehen, bis der Rahm mittelst eines
flachen Löffels abgehoben wird. Diese Zeit, ja eine noch kür¬
zere, genügt vollständig zu einer guten Ausrahmung. Die alte
Meinung, die bei uns auch noch fast überall zu finden ist, dass
mit der längeren Dauer des Stehens der Milch die Rahmmenge
wachse, ist völlig falsch. Der häufigste Fehler bei der Butter-
production ist der, die Milch zu lange stehen zu lassen, bevor
sie abgerahmt wird. Die hohe Entwicklung des Molkereiwesens
in Schweden, Dänemark und anderen Ländern ist auf eine Ver¬
feinerung der Butter zurückzuführen, die gerade durch eine kür¬
zere Dauer des Aufrahmens erzielt wurde.
Beim holsteinschen Verfahren gewinnt man neben einer vor¬
züglichen Butter eine noch mehr oder weniger süsse Magermilch,
die aber ihrer geringen weiteren Haltbarkeit wegen — namentlich
trifft das für den Sommer zu — weniger zum directen Verkauf
als vielmehr zur Käsefabrication geeignet ist. Auch sehr vor¬
teilhaft ist unter Umständen die Verwertung der abgerahmten
Milch zur Fütterung und Mästung der Kälber. Man gibt den
Thieren in den ersten Lebenstagen nur volle Milch, weiterhin
ein Gemenge von dieser und Magermilch, bis man dann zur aus¬
schliesslichen Verabreichung von Magermilch übergeht und die
Kälber, circa 2 Monate alt, zu Schlachtzwecken verkauft. Die
abgerahmte Milch soll sich bei diesem Verfahren mit 5 — 6 Pfg.
pro Liter bezahlt machen. Das Verfahren ist zuerst in Schweden
aufgekommen; bei uns hat sich eine Frau Beckhusen eingehen¬
der damit beschäftigt. Es dürfte sich besonders da empfehlen,
wo wegen zu kleiner Quantitäten von Magermilch die Darstellung
guten Käses mit nennenswerthen Schwierigkeiten zu kämpfen hat.
Das Swartz’scke Verfahren, von dem schwedischen Guts¬
besitzer Swartz erfunden, ist von dem eben beschriebenen total
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148
IX. SCHMIDT
verschieden. Nicht flache Satten finden bei dieser Aufrahmungs-
methode Anwendung, sondern ganz hohe ovale Wannen ans ver¬
zinntem Eisenblech, Gefässe, welche 30—50 Liter fassen und in
denen die Milchsänle fast eine Höhe von l h Meter besitzt. Diese
Milchwannen werden mit der kuhwarmen Milch in ein kaltes
Bad, welches in einem eigens zu diesem Zwecke construirten
Bassin bereitet ist, zur Aufrahmung gestellt. Es ist nun zweck¬
mässig, die Abkühlung der Milch möglichst schnell und möglichst
stark zu bewirken, und deshalb unternimmt man die Kühlung
mit Hülfe von Eis, und zwar rechnet man auf 1 Kgrm. Milch
1 Kgrm. Eis.. Das Kühlwasser behält hierbei eine Temperatur
von circa 4° R. und die Aufrahmung ist in 18—24 Stunden be¬
endigt. Sie sehen ein, dass bei diesem Verfahren die Tempe¬
ratur der Aussenluft nur von geringem Einflüsse auf die Ab¬
kühlung sein kann, alles ist vielmehr von dem Eisverbrauch
abhängig und deshalb bedarf es beim Swartz’schen Verfahren
durchaus nicht kühler Kellerräume, sondern leichte oberirdische
Bauten sind völlig ausreichend.
Nun, meine Herren, ist Eis nicht überall ein billig zu be¬
schaffender Artikel, wohl aber wird vielfach kühles Quellwasser
angetroffen. Versuche mit diesem haben dargethan, dass messen¬
des Wasser sehr wohl an Stelle des Eises genommen werden kann
und dass selbst eine Temperatur des Wassers von 8 —10° B.
nicht störend wirkt.
Es lässt sich nicht leugnen, dass das Swartz’sche Verfahren
vor dem holsteinschen gewisse Vorzüge besitzt: 1. Es wird ein
gleichmässigeres Fabrikat erhalten, weil das Aufrahmen unab¬
hängig von der Temperatur der Aussenluft erfolgt. 2. Die Mager¬
milch ist einer weniger schnellen Säuerung unterworfen als beim
holsteinschen Verfahren. 3. Das Beschicken und Reinigen der
Gefässe, sowie das Abrahmen ist beim Swartz’schen Verfahren
wesentlich einfacher als beim holsteinschen. 4. Das Swartz’sche
System erfordert einen weit kleineren Aufrahmungsraum als das
holsteinsche. Denn picht in flachen Satten mit grosser Ober¬
fläche, sondern in tiefen, dicht nebeneinander stehenden Wannen
wird es ausgeführt. 5. Das Swartz’sche Verfahren ist in leichten
und billigen oberirdischen Fachwerkbauten ausführbar, wohin¬
gegen das holsteinsche Verfahren von der Temperatur der Aussen-
luft abhängig ist und kühle und gleichmässig temperirte Räume
erfordert.
Das holsteinsche sowohl als das Swartz’sche Verfahren ver-
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Ueber die Fortschritte auf dem Gebiete der Milchwirthschaft. 149
dienen nun beide die weitgehendste Verbreitung in unserem Kreise.
Wollen Sie mich fragen, unter welchen Umständen die Anwendung
des holsteinschen, unter welchen die des Swartz’schen Systems
angezeigt ist, so würde ich mich ganz allgemein so ausdrttcken:
Das holsteinsche Verfahren eignet sich hauptsächlich für kleinere
Betriebe, während die Swartz’scbe Methode sich für grössere
Wirtschaften empfiehlt, vorausgesetzt natürlich, dass es diesen
nicht an fliessendem Wasser oder an Eis fehlt.
Geradezu revolutionär auf dem Gebiete der Milchwirthschaft
aber ist das Centrifugalaufrahmungsverfahren geworden, ein Ver¬
fahren, welches allerdings einstweilen nur für grösste Betriebe
geeignet scheint.
Als Centrifugal- oder Schwungkraft bezeichnet man das Be¬
streben eines bewegten Körpers, seine Bewegung beizubehalten,
also in gerader Linie fortzugehen. Diese Kraft ist es, welche
die Gefahr des Umwerfens bewirkt, sobald ein Wagen im raschen
Laufe um eine Ecke biegt, welche den Eisenbahntechniker ver¬
anlasst, den Schienen an der äusseren Seite von Curven eine
höhere Lage zu geben, welche den Stein einer losgelassenen
Schleuder vorwärts treibt.
Bringen wir Milch in einen Behälter und bewegen, diesen
mit grosser Schnelligkeit im Kreise, so werden die specifisch
schwereren Milchtheilchen, also die wässerige Lösung von Ei-
weiss, Milchzucker und Salzen in Folge der Schwungkraft das
Bestreben zeigen, sich von der Axe, um welche die Bewegung
erfolgt, zu entfernen, während die specifisch leichteren Theilchen,
also hier das Fett, sich in entgegengesetzter Richtung ansammeln.
Auf diesem Princip beruht die Construction der Milchcentrifugen.
Dem Ingenieur Lefeldt zu Schöningen bei Braunschweig ge¬
bührt das Verdienst, die erste brauchbare Centrifuge construirt
zu haben, und zwar geschah dieses im Jabre 1878. Heute bereits
gibt es eine ganze Anzahl verschiedener Systeme; es sind näm¬
lich ausser der Lefeldt’schen Maschine im Gebrauche: die Centri-
fuge von Fesca in Berlin, die Milchschälmaschine von Petersen
in Oldenburg, der Separator von de Laval aus dem Bergedorfer
Eisenwerk bei Hamburg.
Lassen Sie uns kurz eine Skizze der Lefeldt’schen Maschine
betrachten. Die Centrifuge Lefeldt’s repräsentirt eine Trommel,
deren nach innen konisch vorgewölbter Boden nach unten in eine
Axe ansläuft, welche durch einen Treibriemen in Rotation ver¬
setzt werden kann. Ueber der Centrifuge befindet sich ein Be-
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150
IX. SCHMIDT
hälter, ans welchem die vorgewärmte Vollmilch — die Erfahrung
hat nämlich gezeigt, dass das Centrifugiren der Milch am besten
bei circa 30° R. geschieht — fortwährend in die Trommel ein¬
strömt. Hierbei passirt sie einen Metallcylinder, der als Milch-
vertheiler wirkt, indem er bis ganz dicht an den Boden der
Trommel reicht und ein gleichmässiges Ergiessen der Milch ans
dem Inneren des Cylinders über den Boden der Trommel bewirkt.
In dem Maasse, wie die Vollmilch in die Trommel einströmt,
werden daher die specifisch schwereren Theilchen der Milch nach
anssen gegen die Wand der Trommel geschleudert, während sich
central der Rahm ansammelt. Nun ist oben am Deckel der Centn-
fuge, und zwar in der Nähe des Mantels ein Röhrchen angebracht,
nnd eine zweite nach anssen führende Oeffnung findet sich nach
dem Centrum hin. Die äussere Oeffnnng lässt die Magermilch,
die innere den Rahm abfliessen, nnd zwar in dem Maasse, in wel¬
chem das Nachfliessen der Vollmilch erfolgt. Dieses lässt sich
dnrch einen Hahn regnliren. Die Maschine zeigt also einen con-
tinuirlichen Betrieb nnd kann tagelang gebraucht werden, ohne
angehalten zu werden. Die Trommel macht circa 4000 Um¬
drehungen in der Minute.
Lefeldt liefert die Centrifuge in 3 Grössen;
die kleinste entrahmt 150 Liter pro Stunde,
* mittlere * 500 * * *
* grosse * 1000 * * •
Die kleine Maschine erfordert zum Betriebe eine, die mittlere
zwei, die grosse drei Pferdekräfte. Zum Betriebe eignet sich am
besten Dampfkraft.
Der ausserordentliche Werth des Centrifugalverfahrens ist
der, dass man bei seiner Anwendung eine sehr haltbare und da¬
bei äusserst wohlschmeckende Magermilch erhält. Ich möchte
geradezu sagen: Wenn man den eigenen Wohlgeschmack der Kuh¬
milch kennen lernen will , so koste man abgerahmte Centrifugen-
milch. Dieser reine Geschmack wird dadurch bedingt, dass alle
die kleinen Schmutzpartikelchen, die beim Melken mit in die
Milch hineingelangen und welche der Milch den sogenannten
kuhigen Geschmack verleihen, beim Centrifugiren gegen die Wand
der Trommel geschleudert werden und sich hier in Gestalt eines
festen Belages ansammeln.
Die abgerahmte Centrifugenmilch besitzt nun einen ausser¬
ordentlich hohen Nährwerth. Derselbe wird vielfach unterschätzt
und selbst in Kreisen sonst aufgeklärter Aerzte stösst man oft-
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Ueber die Fortschritte auf dem Gebiete der Michwirthschaft. 151
mals auf vollständig irrige Ansichten. Haben wir es unlängst
doch erst in Leipzig erlebt, dass auf Grund des Gutachtens eines
dortigen Gelehrten eine Polizeibestimmung nur solche Magermilch
zum Verkaufe zuliess, welche mindestens noch 1 Proc. Fett ent¬
hielt. Es widerspricht das so allen physiologischen Grundsätzen,
dass man mit genau demselben Rechte verlangen könnte, andere
eiweissreiche und fettarme Nahrungsmittel, Fische, Rauchfleisch,
mageres Fleisch überhaupt, Magerkäse etc., von dem Verkaufe
auszuschliessen. Derartige Bestimmungen legen den Centrifugen-
betrieb lahm und schwächen damit, wie König treffend bemerkt,
indirect die Widerstandsfähigkeit des menschlichen Organismus
gegen Krankheit und Siechthum. Denn nach dem übereinstim¬
menden Urtheile aller Physiologen und Aerzte ist diese Wider¬
standsfähigkeit im hohen Grade abhängig von einem guten Er¬
nährungszustände des Organismus, speciell von einem gewissen
Eiweissvorrathe in den Organen. Nun ist, wie wir gleich sehen
werden, abgerahmte Milch von sämmllicken eiweisshaltigen Nah¬
rungsmitteln das billigste. Dabei ist sie leicht verdaulich und
wohlschmeckend; sie ist im wahren Sinne des Wortes ein kräf¬
tiges Volksnahrungsmittel. Kaufte der Arbeiter sich, sagt König
sehr gut, an Stelle der unverhältnissmässig theueren Wurst
oder an Stelle des gehaltlosen Gemüses, für welche Artikel das
Geld fast geradezu fortgeworfen wird, gute Magermilch oder
schmackhaften Magerkäse, wahrlich es würde seinem körperlichen
wie geistigen Wohlbefinden zum grössten Vortheile gereichen.
Vom chemisch-physiologischen Standpunkte aus unterschei¬
det sich die Magermilch von der Vollmilch nur durch einen ge¬
ringeren Fettgehalt, die ganzen übrigen werthvollen Nährstoffe,
also Eiweisskörper, Milchzucker und Salze, sind vollzählig vor¬
handen. Nun gibt es in der Haushaltung kein theuereres Fett als
das Butterfett; es wird weit über seinen Nährwerth hinaus be¬
zahlt und leistet dabei für die Ernährung nicht mehr als jedes
andere Fett. Das Butterfett lässt sich daher durch billigere Fette,
als da sind Speck, Schmalz, Oel etc., ersetzen. 1 Liter Mager¬
milch und 25 Grm. Schmalz leisten physiologisch dasselbe wie
1 Liter Vollmilch. Nun kostet letzteres etwa 18 Pfg., während
1 Liter wohlschmeckender Magermilch und 25 Grm. gutes billiges
Fett sehr wohl für 10—12 Pfg. geliefert werden können.
Es kann gar nicht genug betont werden, dass abgerahmte
Milch nicht allein ihrer chemischen Zusammensetzung , sondern auch
ihrer leichten Verdaulichkeit wegen eines der schätzbarsten und
Deutsche Zeitschrift f. Thiermed. u. vergl. Pathologie. II. Bd. 11
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152
IX. SCHMIDT-MÜLHEIM
billigsten Nahrungsmittel ist. König berechnet, dass nach den
gegenwärtigen Markpreisen der gangbarsten Nahrungsmittel die
Nährstoffe — also Eiweiss, Fett und Kohlehydrate — etwa in
dem Verhältnisse von 5:3:1 bezahlt werden; d. h. also, 1 Kgrm.
Eiweiss kostet 5 mal, 1 Kgrm. Fett 3 mal soviel als 1 Kgrm. von
Kohlehydraten. Indem König nun dieses Verhältnis bei der
Berechnung des Nährwerthes der wichtigsten Nahrungsmittel zu
Grunde legt, kommt er zu folgenden Schlüssen:
Zahlt man für so erhält man für
1 Kgrm. 1 Mark Nährwertheinheiten
Magermilch. 9 Pf. 2400
Magerkäse . 82,7 * 2314
Vollmilch. 15# 2133
Speck ........ 172 # 1608
Fettkäse.162 # 1432
Schweinefleisch . 131 « 1401
Kalbfleisch.112 = 1033
Rindfleisch .128 * 911
Eier. 200 * 497
Es dürfte nunmehr am Platze sein, einiger Factoren zu ge¬
denken, welche fördernd auf die Hebung der Bulterfabrication
eingewirkt haben.
Während früher die Butter stets aus demselben Materiale,
nämlich aus saurem Rahm, gewonnen wurde, verbuttert man in
der Neuzeit auch süssen Rahm, ja es wird sogar die ganze Milch
verarbeitet, ohne dass sie einer vorhergehenden Aufrahmung unter¬
worfen würde.
Fleischmann bemerkt: So lange man der Fabrication von
Dauerbutter keine besondere Aufmerksamkeit schenkte und der
Butterhandel noch keine internationale Bedeutung angenommen
hatte, pflegte man den Aufrahmungsprocess sehr lange auszu¬
dehnen und die Folge davon war die ausschliessliche Verarbei¬
tung von saurem Babm. Es hat sich so die Meinung ausge¬
bildet, saurer Kahm liefere die beste und meiste Butter. In
Holstein indessen merkte man bald, dass die Säuerung nicht
ohne Nachtheil einen gewissen mässigen Grad überschreiten darf
und dass die Butter bei zu starker Säuerung einen sauren und
alten Geschmack erhält. Es wurden deshalb besondere Rahm-
ionnen construirt, in denen man den Rahm hinsichtlich seines
Säuerungsgrades überwachte.
Der Rahm sollte womöglich niemals länger als 24 Stunden
stehen gelassen werden, man sollte also täglich buttem. Auch in
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Ueber die Fortschritte auf dem Gebiete der Milchwirtschaft. 153
kleineren Wirtschaften ist das in den meisten Fällen ausführbar,
und hat man hier nicht die zum genügenden Füllen des Butter¬
fasses erforderliche Rahmmenge, so lässt sich das Fehlende durch
zweckmässig vorbereitete Milch ersetzen. Die aus schwach an¬
gesäuertem Kahm gewonnene Butter besitzt ein eigenthümliches
Aroma, welches sowohl der aus stark gesäuertem als auch der
aus süssem Rahm gewonnenen Butter abgeht.
Die Verarbeitung des süssen Rahmes ist von Schweden und
Dänemark ausgegangen und besonders hat sich ein Herr Busk,
der Inhaber eines grossen Butterexportgeschäftes in Kopenhagen,
welches sogenannte präservirte, zum Export nach den Tropen be¬
stimmte Butter fabricirt, um die Verbreitung dieses Verfahrens
bemüht. Es war nicht leicht, dieser Methode Eingang in die
Praxis zu verschaffen, da der süsse Rahm, wird er ebenso be¬
arbeitet wie der saure, eine 5 — 7 Proc. geringere Ausbeute an
Butter liefert. Es stellte sich heraus, dass der süsse Rahm, soll
er eine gute Ausbeute ergeben, einer ganz anderen Behandlung
bedarf als der saure. Die Temperatur des süssen Rahms darf
9—12° R. nicht übersteigen und ausserdem muss er beim Buttern
intensiver erschüttert werden als der saure Rahm.
Was endlich das Verbuttern der ganzen Milch betrifft, so
unterscheidet man zwei Arten des Milchbutterns:
1. das Verbuttern angesäuerter Milch,
2. * * süsser *
Das letztere Verfahren steckt noch so ziemlich in den Kinder¬
schuhen, wohingegen das Verbuttern angesäuerter Milch bereits
grössere Verbreitung gefunden hat, als es verdient. Das Ver¬
fahren hat den grossen Vortheil, dass der ganze Aufrahmungs-
process umgangen wird, hingegen den Nachtheil, dass als Rück¬
stand angesäuerte Milch gewonnen wird, die sich nur gering
verwerthen lässt; auch ist es als ein Nachtheil zu betrachten,
dass das Buttern wegen der grossen Menge der zu erschüttern¬
den Flüssigkeit mit einem ungewöhnlichen Kraftaufwand ver¬
knüpft ist und gar nicht selten mehrere Stunden in Anspruch
nimmt. Die Milch bringt man zunächst in grosse Gefässe und
lässt sie darin bis zur schwachen Säuerung stehen. Alsdann ver¬
arbeitet man sie in dem sogenannten Regenwalder Butterfass ,
dessen Construction wir nicht eingehender betrachten können.
Die Butterausbeute ist grösser als bei den anderen Methoden
des Butterns, indessen ist diese Vermehrung nur scheinbar, denn
sie beruht nicht auf einer grösseren Fettausbeute, sondern sie ist
li*
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154
IX. SCHMIDT-MÜLHEIM
auf eine erhebliche Beimengung von Käsestoff zurückzuführen.
Die Butter ist dementsprechend nur von geringer Qualität und
Haltbarkeit, denn eine grössere Beimengung von Käsestoff be¬
einträchtigt die Güte der Butter ganz ausserordentlich. Dieser
Körper zersetzt sich nämlich und verleiht der Butter einen un¬
angenehmen und bitteren Geschmack.
Nun, meine Herren, einige Worte über die Butterfässer.
Die Zahl derselben ist Legion und bis in die Neuzeit hinein
hat man nicht autgehört, seinen Scharfsinn an der Construction
immer neuer Apparate zu erproben. Es würde mir leicht sein,
Sie mit der Einrichtung von mehr als 100 verschiedenen Fässern
bekannt zu machen, indessen will ich Ihre Geduld nicht auf die
Probe stellen und mich damit begnügen, einige Worte über But¬
terfässer im Allgemeinen zu bringen, sowie einige bewährte
Constructionen speciell namhaft zu machen, indem ich hierbei
besonders die trefflichen Ausführungen Fleischmann’s be¬
rücksichtige. Es wird sehr häufig die Frage aufgeworfen: Welches
Butterfass ist denn eigentlich das beste1 Nun, meine Herren,
diese Frage in ihrer Allgemeinheit ist nicht zu beantworten, denn
die Praxis stellt ganz verschiedene Anforderungen an die Butter¬
fässer, je nachdem sie für die Verarbeitung von saurem oder
süssem Kahm oder für Milchbuttern bestimmt sind, je nachdem
das Fass kleinen, mittleren oder grossen Betrieben dienen, je
nachdem es durch Hand oder Maschinenbetrieb in Thätigkeit
versetzt werden soll. Also die Anforderungen der Praxis sind
vielseitig. Es ist nun Thatsache, dass kein Butterfass mit com-
plicirter Einrichtung sich eine praktische Bedeutung zu ver¬
schaffen gewusst hat, es ist Thatsache, dass alle Butterfässer,
welche wirklich gute Resultate liefern, nach einfachen alten Prin-
cipien construirt sind. Man kann geradezu sagen: Das aller ein¬
fachste Butterfass ist das beste. Um die Bezeichnung einfach
aber würdigen zu können, müssen wir wissen, welche Anforde¬
rungen die Praxis überhaupt an ein Butterfass stellt.
Das sind nun folgende:
1. Das Butterfass muss solid construirt und vollständig dicht
sein;
2. die Oeffnung zum Eingiessen des Kahms und zum Heraus¬
nehmen der Butter muss möglichst gross sein, sodass das Fass
bequem gereinigt und gelüftet werden kann und kein Theil des¬
selben sich der reinigenden Hand entzieht;
.3. das Fass muss mit einem einfachen guten Verschluss ver-
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Ueber die Fortschritte auf dem Gebiete der Milchwirtschaft. 155
sehen sein, der das Heransspritzen von Flüssigkeit vollständig
verhindert;
4. es muss bequem zn handhaben sein und sein Betrieb darf
nicht unverhältnissmässiger Kraftanstrengung bedürfen;
5. es ist im höchsten Grade wünschenswerte, dass sich an dem
Fass ein ins Innere desselben führendes Thermometer zur Con-
trole der Rahmwärme anbringen lässt. Denn die Temperatur des
Rahms bleibt nie auf dem anfänglich vorhandenen Grade stehen,
sondern wächst in Folge der heftigen Erschütterungen beim Buttern
nicht unerheblich. Geht aber die Rahmwärme Uber eine gewisse
Höhe hinaus, so wird der Butterungsprocess ausserordentlich ver¬
zögert, wenn nicht eine Abkühlung des Rahms vorgenommen wird.
Bekanntlich unterscheidet man verschiedene Systeme von
Butterfässern:
Steht das Fass fest und, wird der Rahm mittelst eines ant-
und abgehenden Stössers erschüttert, so spricht man von einem
„ Stossbutterfass “, wird hingegen die Bewegung durch eine mit
Schlägern versehene Welle ausgeführt, von einem „ Schlagbutter-
fass u . Steht diese Welle senkrecht, so nennt man das Fass ein
B Schlagbutterfass mit stehender Welle liegt sie wagerecht, ein
„Schlagbutterfass mit liegender Welle u . Endlich hat man Butter¬
fässer, bei denen das Fass selbst in Bewegung versetzt wird, und
zwar unterscheidet man nach der Art dieser Bewegung „ Roll¬
butterfässer u und „ Wiegenbutterfässer “.
Die Stossbutterfässer zeichnen sich durch ausserordentliche
Einfachheit, leichte Reinigung und Lüftung aus, ausserdem be¬
dürfen sie bei ihrer Handhabung keineswegs einer bestimmten
Füllung, sondern die Menge des Butterungsmaterials kann inner¬
halb sehr weiter Grenzen schwanken. Aber des verhältnissmässig
sehr grossen Kraftaufwandes bei ihrem Betriebe halber eignen
sie sich nur für den Kleinbetrieb. Für diesen, aber auch für
mittlere Betriebe ist das Lefeldtsehe Rollbutterfass sehr zweck¬
mässig und es erfreut sich in neuerer Zeit einer grossen Ver¬
breitung. Ein höchst zweckmässiges Instrument für mittlere und
grosse Betriebe ist das kollsteinsche Butterfass ; es zählt zu den
Schlagbutterfässern mit stehender Welle. Besonders empfehlens*
werth ist die neuere Construction; hier findet sich an Stelle des
etwas complicirten und schwer zu reinigenden Schlägerwerkes
der älteren Fässer ein einfacher Flügelrahmen.
Besprechen wir, meine Herrn, nunmehr einige Punkte, welche
bei der Verarbeitung der rohen Butter zu beachten sind.
«
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156
IX. SCHMIDT-MÜLHEIM
Butter ist niemals reines Butterfett, sondern sie enthält noch
Wasser mit gelöstem Milchzucker, Käsestoff, Albumin etc. So¬
bald die mikroskopisch kleinen Milchkügelchen beim Buttern zu
grösseren Klümpchen zusammenschiessen, so wird dabei stets
eine gewisse Menge von Buttermilch mit eingeschlossen. Von
der Menge und Beschaffenheit dieser eingeschlossenen Flüssig¬
keit nun ist die Güte der Butter im hohen Grade abhängig und
es hat sich als durchaus nothwendig erwiesen, die Buttermilch
möglichst vollständig aus der rohen Butter zu entfernen. Dieses
bezwecken die drei Manupilationen des Wäschern, des Knetens
und des Salzens.
Was das Waschen betrifft, so wird viel gestritten über die
Frage, ob dasselbe nothwendig sei oder nicht, und immer mehr
vergrössert sich die Zahl derer, welche das Waschen nicht allein
für völlig überflüssig, sondern sogar für schädlich erklären. Die¬
jenigen Substanzen nämlich, welche den feinen Wohlgeschmack
der Butter bedingen, werden durch das Waschen zum Theil ent¬
fernt und es herrscht darüber völlige Einstimmigkeit, dass gut
verarbeitete ungewaschene Butter unter sonst gleichen Verhält¬
nissen von feinerer Qualität ist als gewaschene.
Das Waschen kann durch das Kneten mehr als vollständig
ersetzt werden und von solcher Wichtigkeit ist diese Manipula¬
tion in der Neuzeit geworden, dass Fleischmann geradezu
betont, durch das Kneten werde nicht allein die Haltbarkeit und
das Aussehen, sondern sogar auch der Wohlgeschmack der Butter
endgültig bestimmt. Es empfiehlt sich nun sehr, das Kneten
nicht mit der Hand, sondern mittelst des amerikanischen Butter¬
knetbrettes zu bewirken. Auf einem Brett von circa 80 Cm.
Länge und 40 Cm. Breite ist beiderseits, und zwar dicht am
Bande, eine Leiste befestigt; zwischen diesen beiden Leisten wird
die Butter ausgebreitet und nun mittelst einer mit Einbuchtungen
versehenen Knetwalze tüchtig verarbeitet. Für grössere Betriebe
leistet die gleichfalls aus Amerika stammende Butterknetmaschine
mit rotirendem Tisch vorzügliche Dienste. Auf ihr kann man an
einem Tage circa 2500 Kgrm. Butter fertig auskneten.
Von Wichtigkeit ist auch das Salzen der Butter und mehr
als einmal ist sonst tadellose Butter durch schlechtes Salzen
noch verdorben worden. Das Salzen geschieht nicht allein mit
Rücksicht auf unseren Geschmack, sondern es bezweckt vor allen
Dingen eine vollständigere Entziehung der Buttermilch, als das
durch Kneten allein möglich ist. Das Salz ist ein sehr hygro-
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Ueber die Fortschritte auf dem Gebiete der Milchwirtschaft. 157
skopischer Körper, d. h., das Salz äussert das Bestreben, mit
grosser Begier Wasser anznziehen. Beim Salzen der Butter ziehen
dementsprechend die einzelnen eingekneten Salzkörnchen aus
ihrer ganzen Umgebung Flüssigkeit an, lösen sich in dieser auf
nnd bilden so eine Unzahl grösserer Tröpfchen, welche ausser
Salz noch alle Bestandteile der Buttermilch enthalten. .Diese
Tropfen nun entfernt man durch abermaliges Kneten, welches
am besten etwa 12 bis 24 Stunden nach dem gehörigen Ver¬
mengen des Salzes erfolgt. Man berechnet pr. Kgrm. Butter etwa
20 bis 40 Grm. Salz.
Von keineswegs untergeordneter Bedeutung ist übrigens die
Beschaffenheit des Buttersalzes; sein Korn darf weder zu grob,
noch zu fein sein. Sehr grosse Krystalle bilden zwar in der
Bntter grosse Flttssigkeitstropfen, aber sie lösen sich nicht voll¬
ständig auf und ihre Reste machen sich dann beim Gennsse der
Butter in unangenehmer Weise fühlbar. Sehr kleine Krystalle
aber vertheilen sich in der Butter gar zu sehr und bilden kleine
Flttssigkeitströpfchen, die sich schwer anskneten lassen nnd der
Butter eine schmierige Consistenz verleihen. Ein vortreffliches
Buttersalz ist das Lüneburger Salz.
Meine Herren, der bereits etwas vorgerückten Stunde wegen
kann ich der Verbesserungen auf den anderen Gebieten des Mol¬
kereiwesens -nur im Fluge gedenken.
Was die Käserei betrifft, so sind hier ausserordentliche Er¬
folge zu verzeichnen, nnd man hat namentlich enorme Quantitäten
von süsser Magermilch, die man mit Hülfe der verbesserten Auf¬
rahmungsmethoden erhielt, zur Fabrication vortrefflicher Mager¬
käse benutzt. Die Magerkäsefabrication hat niemals eine solche
Ausdehnung wie heute gehabt und dennoch kann man behaupten,
dass der Absatz guter Waare nicht mit Schwierigkeiten verknüpft
ist. Fördernd hat hier hauptsächlich der Grossbetrieb gewirkt,
da die Bereitung von gutem Magerkäse in kleineren Wirthschaf-
ten mit kaum besiegbaren Schwierigkeiten zu kämpfen hat.
Die Technik der Käserei wurde wesentlich verbessert durch
die allgemeine Einführung von Labextraclen mit genau festge¬
stellter Wirksamkeit, denn erst hierdurch wurde es möglich, das
Dicklegen der Milch mit einer früher nie gekannten Sicherheit
zu beherrschen. Weitere erwähnenswerthe Fortschritte auf diesem
Gebiete sind die allgemeine Einführung von Kesseln mit Dampf¬
heizung, von Quargmühlen, von Käsepressen etc.
Auch hinsichtlich des Milchtransportes zu Verkaufsswecken
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158
IX. SCHMIDT-MÜLHEIM
sind Verbesserungen eingeführt. Oer bedeutendste Fortschritt auf
diesem Gebiete ist in der Gonstruction von Instrumenten zu er¬
blicken, welche der Milch ohne Beimengung von Chemikalien eine
grössere Haltbarkeit zu geben bezwecken. Meine Herren, das
freiwillige Gerinnen der Milch, das Sauerwerden, beruht auf einer
Milcl)8äurebildung, welche unter dem Einflüsse eines in der Milch
enthaltenen Fermentes erfolgt. Dieser Gährstoff wirkt auf den
Milchzucker ein und verwandelt ihn in Milchsäure. Sind auch
kleine Quantitäten von Milchsäure von keinem nennenswerthen
Schaden, so wirkt doch diese Säure, ist sie erst in genügender
Menge gebildet, wie jede andere Säure auf die Milch ein und
bringt sie zum Gerinnen. Von sehr erheblichem Einflüsse auf
die Wirksamkeit des Fermentes ist nun die Temperatur und wir
können uns sehr leicht davon überzeugen, dass mit der Zunahme
der Temperatur — innerhalb gewisser Grenzen wenigstens —
das Milchsäureferment seine Thätigkeit bedeutend vermehrt. Da
nun die kuhwarme Milch die beste Temperatur für die Einwir¬
kung des Fermentes besitzt und da diese Milch sich beim Stehen
nur sehr langsam abkühlt, so hat man mit ausserordentlichem
Erfolge eine künstliche Abkühlung der frischen kuhwarmen Milch
vorgenommen. Durch sofortige Abkühlung der frischen Milch
wird die Haltbarkeit derselben ganz ausserordentlich vermehrt.
Von den vielen Milchkühlern ist besonders empfehlenswert!! der
Patentkühler von Lawrence; er bringt die Milch in sehr kurzer
Zeit nahezu auf die Temperatur des Ktthlwassers.
Sodann führe ich an die Verbesserung der Transportgejasse.
Die Gefässe sollen ausnahmslos so construirt sein, dass das hef¬
tige Schleudern der Milch gegen die Gefässwandungen, wodurch
das sogenannte „Warmbuttern“ hervorgerufen wird, nach Mög¬
lichkeit vermieden wird. Weiter soll die Oeffnung der Transport-
gefässe möglichst weit sein, damit sie sich leicht reinigen und
lüften lassen. Auch höchst zweckmässige federnde Transport¬
wagen hat die Neuzeit geliefert.
Am Schlüsse, meine Herren, noch einige Worte über die
Entwicklung und den gegenwärtigen Stand des Molkereiwesens in
Deutschland. Die Hebung des Molkereiwesens erhielt bei uns ihre
wesentlichste Anregung von Benno Martiny. Sein 1871 her-
ausgegebenes Werk: „Die Milch und ihre Verwerthung“, ist es auch
jetzt längst überholt von dem trefflichen grossen Werke Fleisch¬
mann’s: „Das Molkereiwesen“ (Braunschweig 1876—79), hat
wahrhaft befruchtend gewirkt und die von ihm im Jahre 1871
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Ueber die Fortschritte auf dem Gebiete der Milchwirtbschaft. 159
gegründete „Milchzeitung“ entfaltet eine änsserst segensreiche
Thätigkeit. Im Jahre 1874 constituirte sich anf Martiny’s An¬
regung der „Internationale milchwirthschajlliche Verein“, ein Ver¬
ein, der die Bildung zahlreicher Localvereine znr Hebung der
Milchwirthschaft veranlasste. Aensserst frachtbar wirkten auch
die verschiedenen Molkereiausstellungen, von denen die bedeu¬
tendste im Jahre 1877 zu Hamburg stattfand.
Im Jahre 1876 begann man damit, besondere milchwirth-
schaftliche Versuchsstationen, besondere milchwirthschaßliche In¬
stitute, ins Leben zu rufen. Das erste dieser Institute wurde zu
Raden in Mecklenburg-Schwerin gegründet und seine Leitung
dem verdienstvollen Fleischmann anvertraut. Es folgten die
in Verbindung mit landwirthschaftlichen Akademien errichteten
milchwirthschaftlichen Institute zti Proskau in Oberschlesien und
Kiel. Diese Institute beschäftigen sich mit Forschungen auf milch-
wirthschaftlichem Gebiete, weiter aber findet man in ihnen Ge¬
legenheit, sich mit allen Einrichtungen der Praxis und allen Me¬
thoden der Verarbeitung der Milch vertraut zu machen. Es werden
in ihnen Molkereicurse abgehalten, welche den älteren Land-
wirthen Gelegenheit geben, sich mit den Fortschritten der Neu¬
zeit bekannt zu machen; es finden abdr auch Gurse zur Aus¬
bildung von Molkereipersonal statt. Neben diesen Instituten
besitzen wir eine grössere Anzahl von Molkereischulen mit einer
weniger umfassenden Thätigkeit.
Meine Herren, seit Einführung der Gentrifugen sehen wir auf
milchwirthschaftlichem Gebiete dasselbe, was früher im Betriebe
der Brauereien und anderer Gewerbe zu bemerken war: Der Goss-
betrieb nimmt mehr und mehr zu und versieht den Markt mit
ebenso trefflichen als gleichmässigen Producten. Bereits in weni¬
gen Jahren sind in Norddeutschland allein an 200 Anlagen für
milchwirthschaftlichen Grossbetrieb entstanden, Anlagen, von
denen einzelne, z. B. die städtische Molkerei Magdeburg, täglich
mehr als 10,000 Liter Milch verarbeiten. Für denjenigen, der
die Entwicklung des Molkereiwesens mit offenem Auge verfolgt
hat, kann es gar nicht zweifelhaft sein, dass dem milchwirth¬
schaftlichen Grossbetriebe die Zukunft gehört.
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X.
Zwei veterinärchinirgische Mittheilnngen.
Von
Professor Dr. Pütz
in Halle a. d. S.
1. Zur Therapie des Hufkrebses der Pferde.
Bereits im Jahre 1880 habe ich S. 471 meines damals im
Verlag von P. Parey in Berlin erschienenen Lehrbuches: „Die
äusseren Krankheiten der landwirtschaftlichen Haussäugethiere, “
das Plumbum nitricum gegen Hufkrebs in die thierärztliche Praxis
eingeführt. Am angegebenen Orte habe ich mein Urtheil Uber
die Wirksamkeit in Rede stehenden Mittels aus nahe liegenden
Gründen noch mit Vorsicht ausgesprochen, indem ich sagte: „Dies
Mittel scheint, meinen seitherigen Erfahrungen gemäss, auch 1 )
gegen Hufkrebs recht wirksam zu sein. “ In einem Artikel „ Ueber
Wesen und Behandlung des sogenannten Hufkrebses “ im Doppel¬
hefte 1 und 2 des VII. Jahrganges des Archivs für wissenschaft¬
liche und praktische Thierheilkunde habe ich S. 90 die Heilung
zwei schwerer Fälle von Hufkrebs durch Plumbum nitricum mit-
getheilt. Beide Heilungen können als radicale angesehen werden,
da Recidive bis heute (15. Februar 1883) nicht eingetreten sind.
Seither ist das Mittel von mir noch bei mehreren (zum Theil sehr
schweren) Fällen von ausgebreitetem Hufkrebs mit vorzüglichem
Erfolge angewandt worden, so dass ich jetzt keinen Anstand
nehme, das Plumbum nitricum für das wirksamste aller von mir
bis jetzt gegen Hufkrebs versuchten Mittel zu empfehlen. Ich
beanstande diese Empfehlung gegenwärtig um so weniger, als
1) Dasselbe ist in König’s Lehrbuch der speciellen Chirurgie des Men¬
schen, Berlin 1879. S.775, sowie in Husemann’s Materia medica, Berlin 1875.
Band II. S. 510, gegen eine im Ganzen selten vorkommende Ulceration des
Kapselbettes beim Menschen empfohlen.
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Zwei veterinärchirurgische Mitteilungen.
161
auch von verschiedenen Collegen mir schriftliche und mündlich
Mittheilnngen zngegangen sind, welche mit grösster Befriedigung
über die Erfolge berichten, welche sie seither nach meiner Be¬
handlungsmethode gegen Hufkrebs erzielt haben.
Die Heilung pflegt in überraschend kurzer Zeit zu erfolgen.
So habe ich z. B. in neuester Zeit innerhalb circa 9 Wochen
einen Hufkrebs geheilt, bei welchem fast die ganze Sohle, die
beiden Seiten- und Trachtenwände bis zur Krone und der ganze
Strahl erkrankt waren; letzterer hatte eine unförmliche Länge
und Breite, der Huf an den Trachten ebenfalls eine dem entspre¬
chende Breite erlangt, ln Bede stehendes Pferde wurde am
6. December 1882 operirt und am 11. Februar vollkommen be¬
schlagen entlassen. An dem wegen Hufkrebs behandelten Hufe
war noch ein bedeutender Defect der Hornröhrchenschicht beider
Seiten- und Trachtenwände vorhanden. Da indess die Homblätt-
chenschicht schon seit mehreren Wochen wieder ersetzt und ganz
trocken war, so wurde die Hornröhrchenschicht durch Defay’schen
Hufkitt ergänzt.
Ausser einer relativ hohen Sicherheit des Erfolges hat die
Behandlung des Hufkrebses mit Plumbum nitricum auch noch
die grossen Vorzüge der Billigkeit, der Einfachheit und leichteren
Durchführbarkeit. Bei günstigen Verhältnissen des Bodens und
der Localisation des Uebels etc. können die Patienten sogar wäh¬
rend der Cur zur Arbeit verwendet werden, wenn man den be¬
treffenden Huf mit einem passenden Deckeleisen versieht. Selbst¬
verständlich müssen die kranken Hufstellen nach Abnahme des
Eisendeckels hinreichend zugänglich und nach Application der
Verbandmittel und Wiederauflegen des Deckels gegen Schmutz
etc. ein genügender Schutz gewährt sein.
Die Behandlung wird durch gründliche Blosslegung aller un-
terminirten Stellen und durch nachfolgende Reinigung der ent-
blössten resp. der ulcerirenden Partien der Huflederhaut einge¬
leitet, wobei Verletzungen dieser möglichst zu vermeiden sind.
Alsdann werden die kranken Stellen, je nach dem Grade der
fungösen Natur der Geschwürsfläche, resp. nach der Ueppigkeit
der vorhandenen Wucherungen, mehr oder weniger reichlich mit
fein pulverisirtem Plumbum nitricum bedeckt, mit Flachs oder
Jute verbunden und über diesen Verband ein passender Leder¬
schuh angezogen. Hierauf tritt alsbald eine auffallende Reini¬
gung der Geschwürsoberfläche ein; die üppigen Granulationen
schrumpfen, indem noch eine mehr oder weniger starke Secre-
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162
X. PÜTZ
tion an der Geschwürsoberfläche kürzere oder längere Zeit hin¬
durch fortbestehen bleibt. Sobald diese geebnet erscheint und
ein frisches Ansehen hat, verbindet man zweckmässig ein oder
einige Mal mit Tannin, um eine zu weit gehende Zerstörung durch
das Plumbum nitricum zu verhindern. Damit das Tannin sich
auf der Geschwürsoberfläche löst, befeuchtet man diese zweck¬
mässig mit etwas Spiritus. Statt des nicht billigen Tannins kann
man auch eine concentrirte Lösung von Kupfer- oder Eisenvitriol
und ähnlicher Metallsalze verwenden. Die Austrocknung resp.
Erhärtung des neugebildeten Hornes wird durch reichlicheres
Aufstreuen von Plumbum nitricum wesentlich beschleunigt. Wäh¬
rend der ganzen Dauer der Cur muss der kranke Huf vor Nässe
und Schmutz möglichst bewahrt werden.
In der ersten Zeit der Behandlung kann eine tägliche Er¬
neuerung des Verbandes nothwendig oder doch zweckmässig sein;
alsbald aber genügt die Erneuerung am 2., 3., 4., 5. Tage u. s. f.,
wobei jedesmal die noch nicht ttberhomten Stellen der Hufleder¬
haut in schonender Weise von allen Zerfallsproducten sorgfältig
und in schonender Weise befreit, alsdann mit Tannin oder Plum¬
bum nitricum bestreut und verbunden werden müssen. Ein eigent¬
licher Druckverband ist nicht erforderlich.
In der im Jahre 1881 erschienenen 2. Auflage seiner spe-
ciellen Arzneimittellehre hat Vogel S. 148—150 das Plumbum
nitricum besprochen und dessen Wirkung bei hartnäckigem, ver¬
altetem Strahl- und Sohlenkrebs, wie überhaupt bei stark secer-
nirenden und luxurirenden Wunden und Geschwüren etc. mit fol¬
genden Worten gerühmt: „Es übertrifft hier den Theer, das
Kreosot, das Eisenchlorid, Bleiacetat, Kupfervitriol u. dergl. weit¬
aus und kann ihm an specifischer Wirksamkeit nur die Salpeter¬
säure selbst an die Seite gestellt werden. Schon nach 1—2
Tagen hört fast jede Secretion und bald auch der käsige Zer¬
fall der Hornzellen auf und es bildet sich ein hellgrauer, kaut¬
schukähnlicher, immer trockner werdender Ueberzug, unter wel¬
chem sich in überraschend kurzer Zeit gesundes Narbenhorn
nachschiebt. Weitere Erfahrungen fehlen zur Zeit noch und sind
abzuwarten. “
Dem Schlusssätze gemäss scheint Vogel meine eingangs
erwähnten Publicationen, welche etwa 1 Jahr älter sind, als seine
bezüglichen Mittheilungen, nicht gekannt zu haben. Ob dies
wirklich der Fall ist, mag hier unerörtert bleiben. Ich will je¬
doch nicht unterlassen zu bemerken, dass auch die Salpetersäure
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Zwei veteräifchirurgische Mittheilungen.
163
bei Behandlung von Hnfkrebs das Plumbum nitricum nicht zu
ersetzen vermag, wie Vogel zu glauben scheint. Ich bemerke
nochmals ausdrücklich, dass ich eine sehr beträchtliche Anzahl
der gegen in Rede stehendes Uebel gepriesenen Mittel während
einer Reihe von Jahren geprüft, aber keines kennen gelernt habe,
welches auch nur annähernd die Wirksamkeit des Plumbum nitri¬
cum gegen Hufkrebs erreicht.
Im Uebrigen scheint Vogel meiner a. a. 0., sowie in Bd. VII
des Jahrganges 1881 dieser Zeitschrift S. 216—223 näher be¬
gründeten Ansicht zu sein, dass dasselbe seinem Wesen nach in
einem Ulcerationsprocesse der Huflederhaut besteht.
2. Operative Heilung einer partiellen Nekrose des unteren
Endes der Hufbeinbeugesehne mit oder ohne Affection des
Hufgelenkes etc.
Welcher einigermaassen erfahrene Thierarzt könnte und fürch¬
tete nicht jene Hufentzündung, welche in Folge von Nagel tri tten
entsteht oder in Folge von vernachlässigten eiternden Steingallen
u. dergl. sich auf die Hufbeinbeugesehne fortsetzt, zu einer aus-
gebreiteteren Phlegmone des Strahlpolsters, zur Eiterung, Perfo¬
ration der äusseren Haut an der Krone, zur Hufknorpelerkran-
kungen, Nekrose der Huf beinbeugesehne, zu Erkrankungen des
Hnfgelenkes und nach langer vergeblicher Behandlung oft zum
Tode führt. Auf S. 191 meines bereits vorhin erwähnten Buches
über „Die äusseren Krankheiten der landwirtbschaftlichen Haus-
säugethiere, Berlin 1880“ habe ich eine von französischen Thier¬
ärzten mehrfach mit gutem Erfolge ausgeführte Operation gegen
dieses sonst so häufig unheilbare Uebel kurz angegeben. An
dieser Stelle möchte ich nun auf Grund eigener Erfahrung diese
Operation im gegebenen Falle nachdrücklichst empfehlen.
Vor einigen Monaten wurden der hiesigen Veterinärklinik
zwei mit chronischer eiteriger Hufentzündung behaftete, von Pri¬
vatthierärzten schon seit längerer Zeit erfolglos behandelte Pferde
zugeführt. Das eine derselben war ein wenig werthvolles Thier
und wurde ohne weitere Curversuche geschlachtet; das andere,
ein erst vor Kurzem vom Eigenthümer für 900 Mark> angekauftes
Pferd wurde in folgender Weise operirt:
Nachdem die Sohle und der Strahl des Patienten ganz dünn
geschnitten worden waren, wurde Patient niedergelegt und dar¬
nach das Sohlenhorn im Bereiche des Strahles, inclusive Eckstre-
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164 X. PÜTZ, Zwei veterinärchirurgische Mittheilungen.
ben, vollkommen entfernt. Um jede Blutung während der Ope¬
ration zu verhüten, legte ich über dem Fesselgelenke einen Es-
march’schen Schlauch fest an. Nach Entferung der Hornsohle
machte ich zu beiden Seiten des Fleischstrahles von der Strahlspitze
aus Einschnitte und löste demnach den Strahl vom Strahlpolster
so weit nach hinten los, dass jener zurückgeschlagen und das
Strahlkissen bis auf die Hufbeinbeugesehne weggeschnitten wer¬
den konnte. Letztere war an ihrer inneren Seite in Grösse und
Form einer plattgedrückten Saubohne nekrotisch. Diese Stelle
wurde excidirt, gründlich desinficirt, die Wunde darnach mit
Jodoform bestreut, mit Carboljute ausgeftillt und darnach der
Strahl in seine frühere Lage gebracht. Ueber diesem und der
ganzen Sohle wurde schliesslich ein antiseptischer Druckverband
angelegt und der Patient entfesselt.
Dieser erste Verband blieb 11 Tage lang unberührt und hätte
noch länger ruhig liegen bleiben können, da Patient von Tag
zu Tag den Fuss mehr benutzte und auch nicht die mindeste
Störung in seinem Allgemeinbefinden erkennen liess. Ohne jede
Unregelmässigkeit war die Heilung nach 6 Wochen eine so voll¬
kommene, dass das Pferd beschlagen und wieder zur Arbeit ver¬
wendet werden konnte.
Als dasselbe der Veterinärklinik übergeben wurde, war eine
Fistel an der inneren Trachte vorhanden, aus welcher nur we¬
nig, aber beständig etwas eiteriges Secret abfloss; die Krone,
namentlich der innere Hufknorpel, war stark aufgetrieben und
die Empfindlichkeit des Hufes so gross, dass das Thier auf 3 Bei¬
nen ging und kaum mit der Zehenspitze den Erdboden leise zu
berühren wagte. Patient wurde am 16. December 1S82 von mir
operirt und am 30. Januar 1883 vollkommen geheilt aus der hie¬
sigen Veterinärklinik entlassen.
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XI.
Angioma cavernosnm bei einem Pferde.
Von
Mag. W. Gutmann
in Dorpat.
Eine am 8. Sept. 1882 in die Klinik des Dorpater Veterinär¬
institutes geführte wohlgenährte, hellbraune, 3 \ -i Jahre alte Stute
des Herrn M. zeigte an der rechten Schulter in der Höhe des
vorderen Winkels des Schulterblattknorpels eine ziemlich scharf
umschriebene faustgrosse Geschwulst, die keine Entzttndungs-
symptome, wohl aber eine undeutliche Fluctuation wahrnehmen
liess. Bei einer Probepunction mit einem runden Troicart ent¬
leerte sich eine nicht geringe Quantität Blut und die Geschwulst
verkleinerte sich scheinbar, weshalb dieselbe für ein Hämatom
erklärt wurde. Nach der Einreibung einer Cantharidensalbe, um
eine Resorption zu erzielen, wurde dem Kutscher anbefohlen, die
Patientin nach 8 Tagen wieder vorzuführen.
Bei dem am 16. Sept. vorgestellten Thiere war keine Ab¬
nahme der Geschwulst bemerkbar. Sie erschien im Gegentheil
grösser und die Fluctuation war etwas deutlicher. Nachdem mit
einem spitzen Bistourri ein 4 Cm. langer Einschnitt in die Ge*
schwulst gemacht war, entleerte sich in continuirlichem Strome
hellrothes Blut in erschreckend grosser Quantität. In circa 5 Mi¬
nuten hatte das Thier etwa 3 Liter Blut verloren. Bei näherer
Untersuchung mit dem Zeigefinger liess sich eine Höhle zwischen
der Nackenportion des M. cucullaris und dem M. levator anguli
scapulae constatiren. In derselben fühlte man zahlreiche, durch
leicht zerreissbare Wände getrennte kleinere Hohlräume oder
Kammern. Ferner fanden sich im vorderen unteren Theile der
Höhle ziemlich grosse Fibringerinnsel, nach deren Entfernung zwei
deutlich pulsirende, etwa federkieldicke Arterien fühlbar wurden,
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166
. XI. GÜTMANN
die nach der Lage als Zweige der Arteria cervicis transversa
angesprochen werden konnten.
Beirats Blutstillung wurde ein Tampon aus Flachs in die
Höhle geschoben und die Patientin in der Klinik behalten. —
Da am Abend noch etwas Blut aus der Wunde tröpfelte, blieb
der Tampon bis zum nächsten Tage sitzen.
17. Sept. Die Umgebung der Wunde stark geschwollen, sehr
empfindlich. Der Tampon entfernt, wonach sich eine ziemlich
starke Blutung einstellt. Die Höhle mit einer concentrirten Alaun¬
lösung ausgespritzt und ein frischer mit Alaunlösung getränkter
Flachstampon eingefUhrt. Der Appetit gut. Die Temperatur nicht
gemessen, weil Patientin sich beunruhigt.
18. Sept. Morgens. Die EntzUndungsgeschwulst in der Um¬
gebung der Wunde grösser, hart. Der Tampon entfernt. Eine
Blutung stellt sich nicht ein. Der Appetit mittelmässig. Tem¬
peratur 38,7, Puls 40, Athmung 20.
Abends. Das sich beim Drücken entleerende schmutzig roth-
braune Wuudsecret schaumig, etwas übelriechend. Injection von
Alaunlösung.
19. Sept. Morgens. Die entzündliche Geschwulst sehr beträcht¬
lich, reicht nach oben bis zum Widerrist und nach unten bis zum
Ellbogengelenk. Das schmutzig rothbraune schaumige Wundsecret
sehr übelriechend. Der Appetit gering. Temperatur 39, Puls 42,
Athemzüge 20. Die Höhle mit 5 proc. wässeriger Carbolsäure-
lösung ausgespritzt.
Abends. Patientin niedergeschlagen, frisst wenig und hält
die rechte Vorderextremität fast beständig in der Flexionsstellung.
Temperatur 38,9.
Innerlich erhielt das Thier Camphora trita 4 Grm. mit Muci-
lago gummi arabici (in 2 Gaben). Mittelst eines Irrigators wurde
die Nacht hindurch sowohl die Wunde wie die Umgebung der¬
selben mit 3 proc. Carbolsäurelösung berieselt.
20. Sept. Morgens. Die EntzUndungsgeschwulst hat sich ver-
grössert. Sie reicht seitlich bis in die Gegend der 9.—10. Bippe
und nach unten erstreckt sie sich bis zum Carpalgelenk. Zwi¬
schen den Vorderextremitäten ein starkes Oedem. Appetit fehlt.
Puls schwach, kaum fühlbar, 62 in der Minute, Temperatur 39,9,
Athmung 18.
Das schmutzig braune, übelriechende Wundsecret entleert sich
spärlich wegen starker Schwellung der Wundränder. Es wird die
Wundöffnung um etwa 2 Cm. erweitert.
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Angioma cavernosum bei einem Pferde.
167
Abends. Die Höhle mit einer 1 proc. wässerigen Lösnng von
Kalinm hypermanganicum und nach einigen Stunden mit 1 proc.
Kreosotlösung ausgespritzt. Temperatur 40.
21 . Sept. Morgens. Appetit gar nicht vorhanden. Temp. 40.
Der Puls fast unfühlbar (40). Das Athmen erschwert (24). Das
Wundsecret spärlich, sehr übelriechend. Patientin liegt. Injection
von Kreosotlösung.
Tod um 272 Uhr Nachmittags.
Die am 22 . Sept. vorgenommene Section ergab Folgendes:
Die Venen des Unterhautbindegewebes, namentlich am Halse,
mit dunklem Blut gefüllt. Das Unterhautbindegewebe der rechten
Schulter und des M. cucullaris blutig infiltrirt, von schmutzig
brauner Farbe, mürbe. Nach Durchschneidung des M. cucullaris
präsentirt sich eine 10 Cm. im Durchmesser haltende, theilweise
unter die Halspartien des M. serratus anticus major reichende
Höhle, die ein Netzwerk ziemlich breiter bingewebiger Balken,
welche kleinere Hohlräume oder Fächer umschliessen, enthält.
Die Fächer sind verschieden gross, die grössten von etwa 1 V 2 Cm.
im Durchmesser. Die in den Fächern sitzenden übelriechenden
Blutgerinnsel beherbergen eine Masse von Mikrococcen, Strepto¬
coccen und Bacterien. Von dem unteren und hinteren Theile der
Höhle lässt sich ein mit Blutgerinnsel angefUllter Kanal unter
das Schulterblatt verfolgen. Nach Entfernung des Blutgerinnsels
konnte bequem ein Finger in das Lumen desselben eingeführt
werden. Dieser Kanal erweist sich als eine Vene. Der Levator
anguli scapulae und der M. serratus anticus major blutig infiltrirt,
missfarbig, mürbe.
Brusthöhle. Die Lungen blutreich. Der Herzbeutel gefüllt
mit röthlichem Transsudat. Das Herz von blasser Farbe, schlaff
und fast blutleer.
In der Bauchhöhle in reichUcher Menge gelbes Transsudat.
Die Nieren von schmutzig brauner Farbe, weich. Die Milz ver-
grössert, blutreich, mürbe. Die Leber gelbbraun, theilweise
verfettet.
In den Transsudaten und im Blute, namentlich der Leber,
Milz und Nieren, Mikrococcen und Bacterien.
Der vorliegende Fall lässt wohl annehmen, dass wir es hier
mit einem arteriellen cavernösen Angiom zu thun gehabt haben.
Dasselbe hatte, wie ich erst später vom Eigenthümer erfuhr,
schon vom ersten Lebensjahre des Thieres fast in derselben Grösse
Deutsche Zeitschrift f. Thiermed. u. vergl. Pathologie. IX. Bd. 12
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168 XI. GUTMANN, Angioma cavernosum bei einem Pferde.
bestanden. Ans Zweigen der Art. cervicis transversa strömte das
Blnt in die vom bindegewebigen Maschennetz umschlossenen
Hohlräume, nach deren Passage es in die erweiterte Vene ab¬
floss. Nach dem Oeffnen der Geschwulst und der Tamponade
mit Flachs trat Gerinnung des Blntes sowohl in den Hohlräumen
wie auch in den zuführenden Arterienzweigen und der abführen¬
den Vene ein. Durch Ausspritzen Hessen sich die Gerinnsel aus
den Räumen des Balkennetzwerkes nicht entfernen und beim Ver¬
such, dieselben mit dem Finger herauszuholen, trat Blutung ein.
Die in der Luft schwebenden Fäulnissorganismen fanden nun in
den festsitzenden Gerinnseln einen äusserst günstigen Boden zu
ihrer Weiterentwicklung. Der letale Ausgang erklärt sich durch
die Annahme einer Vergiftung mit Producten der Fäulnissorga¬
nismen (putride Intoxication).
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XII.
Der „doppelrotirende Hnftrepan“, seine Anwendung
nnd praktische Bedeutung.
Vom
kk. Oberthierarzt Martinak*
Lehrer an der Huf beschlagschule in Prag.
(Hierzu Tafel I.)
Wenn ich mit dem von mir constrairten Hufinstrumente vor
die Oeffentlichkeit trete, so geschieht es nicht etwa in der Ab¬
sicht, die stattliche Zahl dieser Art Instrumente nnd sonstiger
Mechanismen aus eitler Rücksicht blos zu vermehren, sondern,
da mir dieses Instrument nicht ganz unzweckmässig zu sein
schien, glaubte ich es der Oeffentlichkeit nicht vorenthalten
zu .sollen.
Die leitende Idee bei der G'onstruction dieses Hufinstrumentes
war in erster Richtung die, die bisher zur Feststellung von
Hornspalten üblichen Verfahrungsweisen zu vereinfachen und
thunlichst zu verbessern; wie weit mir dies gelungen, wolle aus
dem Nachstehenden resultirt werden.
Ungeachtet des anerkannten und nicht in Abrede zu stellen¬
den Werthes der zur Feststellung der Hornspalten bekannten
Vorrichtungen, als der Eisenplättchen nach weil. Hartmann,
Lehrer in Dresden, sowie des Apparates nach Mayer, Lehrer
des Hufbeschlages an der königlichen Thierarzneischule zu Stutt¬
gart, endlich der Klammern (Agraffen) u. s. w., haben dennoch
diese Mechanismen, wie Jedermann bekannt, den nicht geringen
Nachtheil, dass derlei Pferde hierdurch selbst für den Laien in
einer auffälligen und gewiss sehr unvorteilhaften Weise gekenn¬
zeichnet werden, was auch deren Anwendung bei Luxuspferden
sehr im Wege steht, so dass sie mit Rücksicht dessen blos für
den minderen Pferdestand einigen Werth haben.
Abgesehen hiervon ist auch die Haltbarkeit dieser Mecha-
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170
XII. MARTIN AK
nismen trotz deren richtigen Anlage oft eine ungenügende. Diesen
Uebelständen soll mein Verfahren begegnen und sich ausserdem
hierdurch vorteilhaft gestalten, dass die klaffenden Hornspalt¬
ränder mittelst der in der Hornwand verdeckt angebrachten
Schraube an einander gepresst werden, was besonders hei den
Eisenplättchen nur bedingungsweise der Fall ist; wird beispiel¬
weise das Eisenplättchen hei Ochsenspalten im Momente der
Entlastung des Hufes, sowie dies beim Stutzen des Fusses auf
dem FeilbOcke zum Theil der Fall ist, angelegt, so wird die
Spalte, da in diesem Momente der theilweisen Entlastung die
Trachtenhornwandregionen entgegen der Belastung gegenseitig
an einander rücken, sich somit der Medianlinie des Hufes nähern,
erweitert und sodann in diesem Zustande durch das Eisenplätt¬
chen blos fixirt und nicht, wie dies in solchen Fällen angestrebt
wird, an einander gepresst.
Die Ausführung der Operation mittelst des doppelrotirenden
Huftrepans (Fig. 1, Taf. I) wird auf folgende Art durchgeführt,
und zwar wird der zu operirende Huf durch einen Gehülfen auf
dem Feilbocke fixirt und hierauf zur Seite und zwar in mög¬
lichster Entfernung (Fig. 4a, Taf. I) der Hornspalte eine etwa
2 —3 Mm. tiefe Oeffnung mittelst des Huftrepans gebohrt.
Bei Ochsenspalten wird es ganz gleichgültig sein, ob die
besagte Oeffnung links oder rechts zur Seite der Hornspalte aus¬
geführt wird, bei Trachtenspalten aber empfiehlt es sich, diese
Oeffnung von der Seitenwandpartie aus anzubringen, weil da¬
selbst die Homwand entgegen der Trachte mächtiger ist und
sich schliesslich die Operation von dieser Seite aus viel be¬
quemer als in der entgegengesetzten Richtung ausführen lässt.
Die Zahl der bei einer Homspalte zur Feststellung derselben
benöthigenden Schräubchen ergibt sich von selbst. Bei Seiten-
und Trachtenhornspalten genügt wohl eine Schraube vollkommen,
bei Ochsenspalten dagegen müssen zwei derselben angewendet
werden, um die Spaltränder in ihrer ganzen Länge nach in einer
unverschiebbaren Lage zu erhalten.
Bei dem Gebrauche des doppelrotirenden Huftrepans hat
man diesen an dem an dessen unterem Ende rotirend angebrach¬
ten Handgriffe mit der linken Hand zu fixiren und mit der rech¬
ten Hand das quergestellte und mit der Axe des Trepans in
rotirender Verbindung stehende Heft zu fassen und unter massigem
Druck mit der Hand, welche das Heft zur Rückdrehung nicht
zu verlassen hat, Vierteldrehungen im Handgelenke auszuftthren.
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Der „doppelrotirende Huftrepan“, seine Anwendung u. prakt. Bedeutung. 171
Ist die Oeffnung auf diese Weise hergestellt, so wird zur
Bildung der Seitenfurche (Fig. Ab, Taf. I) geschritten, zu welchem
Zwecke der stumpfe senkrechte Zangenschenkel der Furchen¬
zange (Fig. 2b, Taf. I) in die besagte Oeffnung angesetzt und
der das Rinnenmesserchen tragende Zangenschenkel (Fig. 2a,
Taf. I) in eine zur Bildung der möglichst horizontal herzustel¬
lenden Furche geeignete Stellung gebracht und hierauf die Hand¬
schenkel der mehrerwähnten Zange unter einem mässigen Drucke
derselben gegen den Huf zusammengepresst; bei einem richtigen
Gebrauche dieses Instrumentes gelingt es auch stets, diese für
den Ansatz des Drillbohrers und der Schraube nöthige Furche
durch das einmalige Einzwecken mit der Zange herzustellen,
selten und da speciell nur bei harten Hufen wird ein wieder¬
holter Ansatz mit derselben nöthig, um die hinreichende Tiefe
dieser Furche zu erzielen; nach dieser Procedur wird die Oeff¬
nung für das einzufiihrende Schräubchen (Fig. 3, Taf. I) mittelst
des Drillbohrers (Fig. 5, Taf. I) hergestellt. Die Länge derselben
hat genau der Schraube zu entsprechen.
Sollte das Pferd, wie es vorzukommen pflegt, während des
Bohrens den auf dem Feilbocke fixirten Huf von diesem entziehen,
so bleibt der feine Bohrer in dem Bohrkanälchen stecken und
wird leicht mittelst einer Zange herausgezogen.
Die Tiefe und Richtung des fttr die Schraube bestimmten
Lagers ergibt sich aus der Dicke und der grösseren oder ge¬
ringeren Convexität der Hornwand selbst; eine Gefahr der Ver¬
letzung der Fleischwand bleibt auf Grund der von mir bei der¬
artigen Operationen an lebenden Objecten genommenen Erfahrung
ganz ausgeschlossen.
Als Grundsatz gilt, möglichst in die Tiefe, somit an die zähe
Hornwandschicht vorzudringen, da dies wie gesagt ganz ohne
Gefahr ist, und hierdurch die Haltbarkeit der Schraube wesent¬
lich erhöht wird und deren etwaiger Druck auf die Fleischwand
nicht zu befürchten steht; keinesfalls darf die Schraube so ober¬
flächlich in die Hornwand versetzt werden, dass sie sich nach
ihrer Anlage an der Oberfläche derselben durch Ausbuchtung
des Hornes wahrnehmbar macht.
Den Schlussact der besprochenen Operation bildet die Ein¬
führung der Schraube (Fig. Ab, Taf. I), von welcher, was deren
Länge betrifft, 4 Gattungen erforderlich sind, und zwar Gattung 1 •
24 Mm., 2: 28 Mm., 3: 32 Mm., 4: 36 Mm.
Nach der so bewirkten Manipulation wird die Oeffnung an
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XII. MARTIN AK
der Hornwand entweder mit Hufkitt oder der Defay’schen Horn¬
masse ausgeflillt.
Ungünstige Ereignisse sind mir bei dieser Operation nicht
begegnet und dürfte dieselbe überall mit gleich günstigem Er¬
folge angewendet werden.
Ausser zur Feststellung von Hornspalten kann der doppel-
rotirende Huftrepan vortheilhaft zur Entleerung von Eiter im
Hufe, sowie zur Operation von Tragrand- und bei nur einiger
Vertrautheit in dem Umgänge mit dem Instrumente auch bei
Kronenspalten verwendet werden; in diesem Falle wird das
Männchen der grössten Gattung (Nr. 3) des Trepans an der
Hornspalte, und zwar etwa 10—12 Mm. vom Kronenrande ent¬
fernt, somit unterhalb der Kronenfurche an der vollen Dicke der
Hornwand angesetzt und eine etwa 2—3 Mm. tiefe Oeffnung ge¬
bohrt (Fig. 4c, Taf. I). Hierauf wird das Männchen des Trepans
mit dem flachen Bohrer gewechselt und die Bohrung bei durch¬
dringenden Hornspalten möglichst nahe an die Fleischwand, ohne
aber diese blosszulegen, fortgesetzt; auf diese Weise bleibt in
der runden Oeffnung nur eine dünne Hornschichte und auf dem
Kronenrande der die Kronenrinne bildende Theil der Hornwand zu
beseitigen übrig; dies geschieht mit dem Brenneisen (Fig. 6, Taf. I),
dessen rundgeformtes Ende für die Oeffnung und der schwänz-
chenförmige Fortsatz für das Kronenwandborn bestimmt ist.
Bei dem Gebrauche des Brenneisens sind mit demselben,
nachdem es in die Bohröffnung eingeführt wurde, halbe Drehun¬
gen nach links und rechts auszuführen, um das Kronenwandhorn
in Halbmondsform zu zerstören, beziehungsweise die Homspalte
zu beseitigen.
Bei stark klaffenden Hornspalten, wo ein Ansatz des Trepans
unmöglich ist, habe ich an der zu trepanirenden Stelle mit dem
Brenneisen vorgebrannt und mir hierdurch ein für den Trepan
günstiges Lager geschaffen und hierauf die Operation in der be¬
kannten Weise durchgeführt.
Nach Abnahme des ersten Verbandes, was in 5—6 Tagen
der Fall ist, wird die Brandkruste mittelst des Hufmessers ab¬
gelöst und ein trockener Wergverband erneuert angelegt, der
in etwa 5 Tagen ganz beseitigt und die Operationsstelle mit
dem Hufkitte ausgefüllt werden kann.
Was die Dauerhaftigkeit des besprochenen Instrumentes an¬
betrifft, so lässt dieselbe ob der hierorts mit demselben durch
37 Scholaren vorgenommenen zahlreichen Operationen an todten
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Der „doppelrotirende Huftrepan“, seine Anwendung u. prakt. Bedeutung. 173
Hufen und lebenden Objecten nichts zu wünschen übrig, sowie
auch der Kostenpreis der gesammten Instrumente von 10 fl. ö. W.
als ein mässiger bezeichnet werden kann.
Ausser den genannten Instrumenten übersandte Herr Ober¬
thierarzt Martinak einen von ihm construirten Expanseur an
die Redaction.
Der in Fig. 7, Taf. I abgebildete Expanseur dient als Er¬
satz des Defay’schen Dilatators. Der Expanseur unterscheidet
sich von dem Dilatator hauptsächlich dadurch, dass die Hand¬
habe nicht in der gleichen Richtung mit den Seitentheilen und
Backen liegt, sondern senkrecht zu diesen steht, wodurch eine
genauere und bequemere Handhabung des Instrumentes möglich
ist, als das beim Defay’schen Dilatator der Fall. Einen weiteren
Unterschied bilden die beiden Seitentheile (Fig. 7 e u. /, Taf. I),
indem dieselben durch 2 Fixationsschienen (b u. c) in der Lage
gehalten werden. Die Schraube k ist an einem Ende mit einem
vierfach durchbohrten Knopfe (a) versehen, der zur Aufnahme
des Hebels dient, während die beiden Enden der Schrauben-
spindel durch 2 Nuthen derart mit der Hülse d und dem Seiten-
theil f in Verbindung stehen, dass sich die Schraube ungehin¬
dert darin bewegen kann. Im Seitentheile e befindet sich die
Schraubenmutter.
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XIII.
Amyloide Infiltration bei der Tnbercnlose des Geflügels.
Von
Th. Kitt,
Frosector an der kgl. Thierarzneischule in München.
Bei unseren Hausthieren wird die amyloide Degeneration
als ein seltenes Vorkommen betrachtet und es sind demgemäss
auch in der Veterinärliteratur nur wenige Fälle dieser Gewebs¬
veränderung verzeichnet. Unter den Repräsentanten der Vogel¬
welt, welche auf den Namen Hausthier theilweise Anspruch
machen, theilweise nur in gezähmter oder halbwilder Form dem
Menschen näher treten, ist jene Erscheinung hingegen bei Weitem
häufiger, wenngleich nur Wenige darauf geachtet und Wenige
darüber berichtet haben.
So ist von Röll Amyloidentartung bei Fasanen und von
Paulicki') ein solcher Fall bei der Baumente constatirt worden.
In einer interessanten Abhandlung erstattete weiter Prof. Fried¬
berger 1 2 ) Bericht über eine Massenerkrankung unter den Fasa¬
nen, bei welcher die pathologischen Veränderungen in Leber,
Milz und Darm als ausgebreitete Amyloiddegeneration mit den
gewöhnlichen Complicationen der Ausdruck einer allgemeinen
Ernährungsstörung waren.
Ich möchte dieser letzten Anschauungsweise dadurch Nach¬
druck verleihen, dass ich mir erlaube, von einigen Fällen amy-
loider Degeneration, welche ich bei Hühnern beobachtete, einen
besonders charakteristischen auszuwählen, um das Augenmerk,
oder besser gesagt, die Richtung, in der eine Wachsentartung
zu suchen ist, auf jene beim Geflügel so häufigen dyskrasischen
Zustände zu lenken, welche mit der Tuberculose zusammenge-
1) Vgl. Magazin f. d. gesammte Thierheilkunde von Gurlt & Hertwig.
38. Jahrg. 8. Heft. Berlin 1872.
2) Zeitschrift für praktische Veterinär-Wissenschaften von D. H. Pütz.
IV. Jahrg. 1874. Nr. 6. S. 177.
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Amyloide Infiltration bei der Tubercnlose des Geflügels. 175
worfen oder als lymphosarcomatöse Bildungen (Roloff) aufge¬
fasst worden sind.
Ich habe also nur die Absicht, zu zeigen, dass beim Haus¬
geflügel eine Cachexie, welche mit der Production von Geschwül¬
sten, Eiterungen und Verkäsungsherden einhergeht, ähnlich wie
beim Menschen, Veränderungen mit sich bringt, die zur Abspal¬
tung eines Eiweisskörpers in den betroffenen Organen Veranlas¬
sung geben, der die Eigenthümlichkeiten des Amyloids besitzt.
Damit ist nicht gesagt, dass bei jeder derartigen, chronischen,
dem Geflügel in dieser Form eigentümlichen Tuberculose der
fragliche Infiltrationszustand eintreten müsse, es gibt auch sicher¬
lich genug Fälle, bei denen die Bedingungen zur Entwicklung
der Amyloidmassen nicht vorhanden sind.
Das Object, welches die speckige Entartung in so hohem
Grade darbot, ist ein gewöhnliches Huhn, dessen Cadaver mir
durch die Güte des Herrn Bezirksthierarztes Drechsler dahier
zur Verfügung gestellt wurde. Der Körper dieses Thieres war
sehr abgemagert, die Muscnlatur ausserordentlich blass. Im
Bauchluftsacke fand sich ein 3 Gm. grosser, käsiger, hellgelber,
elastisch weicher Knoten von unregelmässiger, zackiger Form
vor. Die hauptsächlichsten Veränderungen wiesen Leber, Muskel,
Magen und Milz auf. Das ganze Leberparenchym war so brüchig,
dass es eigentlich nur eine bröslige, körnige Masse darstellte, in
der das Drüsengewebe undeutlich in Form blassgelber Züge er¬
kennbar war, zwischen welchen reichlichst runde, hirsekom- und
darunter grosse Knötchen von gelblichem, glänzend durchschei¬
nendem Aussehen zerstreut standen. Der Muskelmagen erschien
durch eine nach vorn gerichtete Neubildung im Umfange von
4—5 Cm. vergrössert. Dieser Tumor ragte als rundlicher, von
einer glasig gequollenen und mit Fettgewebe durchsetzten Mem¬
bran überzogener Knollen hervor. Ein zweiter, etwa haselnuss¬
grosser Knollen sass dicht über der erwähnten Neubildung
genau an der Grenze des Vor- und Muskelmagens. Ein Durch¬
schnitt der Magenwandung zeigte, dass die Muscnlatur in der
hinteren Hälfte in einer Ausdehnung von 2 Gm. noch erhalten
war, äusserlich blass braunroth, und soweit sehnig, bläulich
schimmernd sich anscheinend normal erwies, in der vorderen
Partie hingegen nur auf einen ‘/* Gm. breiten, peripheren Saum
sich beschränkte. An Stelle des Muskels fand sich hier ein im
Ganzen gelbröthliches, jedoch hyalin durchscheinendes Gewebe,
welches so die ganze vordere Halbkugel des Magens einnahm.
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176
XHI. KITT
Mitten aus diesem Gewebe heraus und in demselben wurzelnd
erhob sich die erwähnte, taubeneigrosse Geschwulst, sowie der
kleinere Knoten. Jener frei in die Bauchhöhle ragende Theil
beider Knoten war auf dem Durchschnitte buttergelb, der in das
gelbrothe Gewebe der Magenwandung eingewurzelte Zapfen gran-
weisslich, die gelbe Partie deutlich geschichtet In der Peripherie
der gelbröthlichen Grundmasse fanden sich noch Muskeltheile in
Linsengrösse eingesprengt, die Grundmasse selbst zeigte zahl¬
reiche, punktförmige, auch 2—3 Mm. im Durchmesser haltende
verkäste Zerfallsherde, welche, kenntlich an ihrer weissgelben
Färbung, Uber die Schnittfläche schwach promenirend sich härter
als die Umgebung anfühlen Hessen, im Gentrum dagegen Er¬
weichung und daher schmierige Beschaffenheit zu erkennen gaben.
Die Membran, welche die Neubildung ttberzog, ist die fortgesetzte,
in die Dicke gewucherte und glasig verquollene Serosa des Magens.
Auch die Milz erschien vergrössert und statt des normalen Ge¬
webes traf ich eine aus unzähligen glasig durchscheinenden Kör¬
nern (den amyloid entarteten Follikeln) gebildete Masse als ihren
Hauptbestandteil an, und der bei einer gleichartigen Erkrankung
in der humanen Pathologie gebräuchliche Name „ Sagomilz “ würde
den Zustand auch hier treffend charakterisiren.
Bei der mikroskopischen Prüfung des Lebergewebes und der
in ihm enthaltenen Knötchen wurde mir auf die Anwendung der
violetten Anilinfarben hin sofort klar, dass wir es mit einer aus¬
gebreiteten, amyloiden Degeneration zu thun haben. Wohl an
den meisten Stellen fand ich die centralen Partien der das Paren¬
chym durchsetzenden Knötchen als einen intensiv rothen Klum¬
pen, dessen Zusammensetzung aus geformten Elementen sich
schwer bestimmen liess. Die Leberzellstränge waren in Folge
einer ähnlichen, aber nicht so markanten ßöthung sichtbar, trotz¬
dem die einzelnen Zellen gequollen, nicht scharf contourirt, son¬
dern von verschiedener Grösse und Abrundung beisammen stan¬
den. Das Bindegewebe im Gebiete der Pfortadercapillaren hatte
an der Infiltration noch nicht theilgenommen, weshalb die blau¬
gefärbten Fasern und Zellkerne desselben durch den Gegensatz
der Farbe hervortraten. Solches Verhalten bewiesen die mit
Metylviolett tingirten Schnitte der gehärteten Leber. Theile dieses
Organs, welche früher im frischen Zustande untersucht wurden,
boten ZeUen dar, welche eine mehr oder weniger vollständige
fettige Metamorphose eingegangen haben, eine Structurverände-
rung, die in ihrer einfachen Form als fettige Infiltration beim
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Amyloide Infiltration bei der. Tuberculose des Geflügels.
177
Geflügel nahezu physiologisch vorkommt. Anderseits waren Zel¬
len zngegen,, welche unter Einbusse jeder scharfen Begrenzung,
in der Form höchst variabel, durchwegs als kernlose, stark licht¬
brechende Massen, vielfach mit einander verklebt, kaum mehr zu
erkennen waren. Daneben fanden sich Aggregate von Fetttröpf¬
chen, theilweise als Körnchenkugeln zusammengehalten, theilweise
im Zerfall zu Detritus. Das frische Lebergewebe, unter Zusatz
einer schwach gelben, wässerigen Jodlösung zerzupft, nahm
nach dem Verlaufe weniger Minuten eine schön rothe Färbung
an, welche wiederum an den knotigen Einlagerungen, die bei
schwacher Vergrösserung in toto sichtbar waren, die tiefste
Nuance des Weinroths darbot.
Die für das Amyloid charakteristische Reaction mittelst Jod
und Metylviolett ist, wie ersichtlich, an der erwähnten Leber
eingetreten; ich würde aber dennoch Bedenken haben, mit der
Diagnose Amyloiddegeneration gleich fertig zu sein, wenn nicht
auch die ungefärbten frischen Lebertheile jene eigenthümlichen
hyalinen Massen gezeigt hätten und weiter, wenn nicht die
Magenwandung in gleicher Weise verändert gewesen wäre. Denn
einmal färben sich Zellen, welche einen höheren Gehalt von
Glykogen besitzen, ebenfalls mit Jod mahagonibraun bis dunkel-
roth und zweitens nimmt das Fett und solche Zellen, welche
Fettkömer beherbergen, öfters einen violettrotben Farbenton bei
Verwendung basischer Anilinfarbstoffe an.
Was den Zusatz von Schwefelsäure zur Jodlösung betrifft,
welcher Mischung Viele den Vorzug geben, weil eine Abstufung
der schon vorher durch Jod erzielten rothen Farbe in Violett
oder Blau eintreten soll, so ist dergleichen mit Vorsicht aufzu¬
nehmen, denn, wie ich gesehen habe, tritt wohl eine Aenderung
der Farbe ins Blaugrüne auf, es ist dies aber sicherlich nur die
Folge der Einwirkung von Schwefelsäure auf organische Stoffe
überhaupt; ausserdem habe ich versuchsweise auf dem Object¬
träger öftere Male verdünnte Jodlösung, Glycerin und Schwefel¬
säure zusammengebracht und aus dem gelben Gemisch die schön¬
sten röthlichen, violetten und blauen Töne hervorgehen sehen.
Sehr prägnant ist aber die Färbungsdifferenz an jenen Schnit¬
ten zu Stande gekommen, welche der erkrankten Magenwandung
und der aus ihr hervorgewucherten Neubildung entnommen waren.
Die erwähnte röthlich- gelbe Grundmasse war aus einem sehr
dicht gefügten grobfaserigen Bindegewebe der Hauptsache nach
aufgebaut, dem in Unmasse sehr kleine Rundzellen und kurze
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XIII. KITT
Spindelzellen mit distincter Kernfärbung eingelagert -waren; das
Ganze erinnerte sehr an den Typus des Narbengewebes. Jene
kleinen Kundzellen batten sich an dem peripheren Rande der in
die Grundmasse eingestreuten Zerfallsherde so massig aufgehäuft,
dass sie um den centralen, mit Detritus und glänzenden Schollen
gefällten Raum derselben eine Art Hof oder Saum herstellten.
Gegen die schön blau tingirte Grundmasse mit ihren Kernen
und Zellen differencirte sich in schönster Weise der Gefässver-
lauf und die von der Entartung ergriffenen Partien der Binde¬
substanz. So präsentirten sich die quergeschnittenen Arterien als
breite hell- oder dunkelrothe Ringe, oft vereinzelt in der blauen
Grundmasse, oft durch Zttge von ebenfalls roth tingirtem Binde¬
gewebe begleitet. Diese letzteren Elemente hatten die bei der
Wachsentartung stereotype Verunstaltung durch Zunahme der
Dicke und Aufquellung. Die Gefässe zeigten, wo sie der Länge
nach getroffen waren, förmliche varicöse Auftreibungen.
In der Magenwandung hatte, wie ersichtlich, die Amyloid¬
degeneration keine grossen Fortschritte gemacht und war auf die
Bindesubstanzen beschränkt geblieben, denn auch die Drttsen-
schichte des Magens blieb völlig intact. In der Leber hingegen
waren unzweifelhaft die Drttsenzellen selbst an der Erkrankung
betheiligt und, wie ich glaube, primär, denn nur die Leberzell¬
balken schienen mir verändert, nicht aber der Pfortaderbezirk.
Was nun diese zwei Momente anlangt, ob das Bindegewebe oder
die Abkömmlinge des Entoderms allein oder vorwiegend von
der Degeneration befallen werden, oder ob beide zugleich ver-
quellen, so ist bezüglich der gleichen Erkrankung beim Menschen
gerade in letzter Zeit vielfach hin- und hergestritten worden.
Eberth 1 ), der auf Grund eines reichlichen Materials der
Amyloidfrage näher getreten ist, will den Nachweis beibringen,
dass kein anderes Gewebe als die Bindesubstanz dem Process
der Amyloiddegeneration unterliege, während Kyber 2 ), ebenfalls
auf zahlreichen Beobachtungen fassend, die Verbreitung jener
Veränderung auf die verschiedensten Gewebe darzuthun versucht.
Den letzteren Standpunkt vertritt auch Böttcher 3 ) mit Entschie¬
denheit, wenn er behauptet, dass die Leberzellen für sich er¬
kranken können, und diese Auffassung scheint mir nach dem
Befunde bei Geflägellebem unwiderleglich.
1) Vgl. Virchow’s Archiv. 80. Bd. S. 138. 1880.
2) Ebendaselbst. 81. Bd. 1880.
3) Vgl. Zur Amyloidfrage. Ebendaselbst. 84. Bd. 1881.
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Amyloide Infiltration bei der Tuberculose des Geflügels. 179
Nach Rindfleisch und Orth zeigt sich die Amyloidin¬
filtration zuerst im Gebiete der Leberarterie und ihrer Capillaren,
also in der mittleren, intermediären Zone des einzelnen Läpp¬
chens, von wo aus der Process auf die Leberzellen fortschreitet,
dann den Bezirk der Lebervenen vollständig erfüllt und erst
zuletzt die äussere Zone, das Gebiet der Pfortaderäste, betritt.
Um die Frage, in welches Gebiet die schon eingangs be¬
sprochenen, verkäsenden Geschwulstformen des Geflügels gehören,
endgültig zu entscheiden, habe ich nach der bekannten Ehr lieh -
schen Modification >) der Untersuchungsweise auf Tuberkelbacillen
das neugebildete Gewebe in der Magenwandung des bezeichneten
Huhnes geprüft und glaube darin sicher zu sein, es dürften jene
Tumoren, wie bisher aus dem makroskopischen Befunde fast
immer gemuthmaasst wurde, als echte tuberculöse Processe be¬
zeichnet werden. An dem specifischen Verhalten gegen die Koch-
Ehrlich’sche Färbungsmethode erkannte ich an allen Schnitten
die durch ihre Kleinheit, Standort und Gruppirung charakterisir-
ten Bacillen der Tuberculose, welche so intensiv tingirt
waren, dass sie bereits mit 360facher Vergrösserung deutlich
sichtbar wurden.
Erwähnen möchte ich noch, dass bei diesem Huhn das
spärlich vorhandene Fettgewebe, welches gallertähnliche, durch¬
sichtige Beschaffenheit angenommen hatte, im Zustande schlei¬
miger Metamorphose anzutreffen war.
München, im Februar 1883.
1) Näheres darüber siehe: Mikroskopische Technik von Dr. Carl Fried¬
länder. Kassel und Berlin. Verlag von Th. Fischer. 1882.
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XIV.
Tracheitis verrucosa verminosa der Hönde.
Von
Professor Dr. C. Rabe
in Hannover.
(Hierzu Tafel II.)
Im zweiten Doppelheft des achten Bandes dieser Zeitschrift,
S. 223 macht Herr Professor Blnmberg in Kasan Mittheilnng
über einen bisher unbekannt gewesenen Rundwnrm, welcher in
warzenartigen Knoten der Tracheal- und Bronchialschleimhaut des
Hundes von ihm gefunden worden ist. Vor längerer Zeit habe
auch ich Gelegenheit gehabt, einige denselben Gegenstand be¬
treffende Beobachtungen zu machen, die ich aber ihrer Unvoll¬
ständigkeit wegen bisher nicht veröffentlichen mochte.
Da jedoch die Blumberg’schen Befunde in manchen Punkten
von mir ergänzt, in anderen vollkommen bestätigt werden kön¬
nen, will ich nicht länger zögern, auch meine hierher gehörigen
Wahrnehmungen zu publiciren.
Die Tracheitis verrucosa verminosa wurde von mir zweimal,
und zwar bei Windhunden, beobachtet.
Die erste Beobachtung stammt aus dem Jahre 1877 und be¬
trifft einen einjährigen, unlängst aus England eingeführten Wind¬
hund, der am 24. Februar wegen Staupe dem Spital für kleine
Hausthiere Übergeben wurde und am 1. März daselbst starb
(Nr. 191, 1877). Der Krankenbogen referirt über den bei „ner¬
vöser Staupe “ gewöhnlichen Befund und enthält die Angabe, dass
die Thätigkeit des Respirationsapparates keinerlei Störungen er¬
kennen liess. Es waren 14 Athemzüge pro Minute von normalem
Typus zu zählen. Percussion und Auscultation der Brustwan¬
dungen lieferten normale Ergebnisse.
Das Thier starb, nachdem die Zahl der Athemzüge am
28. Februar bereits auf 5 pro Minute heruntergegangen und die
Mastdarmtemperatur auf 40,5° C. gestiegen war, am 1. März im
Koma.
Bei der Section fanden sich auf der Trachealschleimhaut in
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Tracheitis verrucosa verminosa der Hunde.
181
nächster Nähe der Bifurcation drei warzenartige Knötchen von
Form und Grösse einer Kaffeebohne, die mit breiter, aber etwas
eingeschnürter Basis pilzförmig der Schleimhaut fest aufsassen.
Die Schleimhaut in der Umgebung dieser drei grössten warzigen
Auswüchse ist noch mit zahlreichen kleineren besetzt und finden
sich solche von Hanfkorn- bis Pfefferkorngrösse auch reichlich
in den Anfangstheilen der Hauptbronchien.
Die Tracheal- und Broncbialschleimhaut ist überall intensiv
geröthet und mit zähem Schleim bedeckt.
Die Lungen, bis auf den linken hinteren Lappen, der grau-
roth und milzartig dicht, auch sehr succulent ist, sind lufthaltig
und weich elastisch. Bei genauerer Besichtigung werden in allen
Knötchen ganz dicht unter der übrigens glatten Oberfläche zahl¬
reiche weisse fadenartige Würmer wahrgenommen, deren schlin-
genartige und wellige Windungen durch die äusserste Schicht
der Warzen und Wärzchen hindurch schimmern.
Nach vielfachen vergeblichen Bemühungen gelang es schliess¬
lich, zwei vollständige Exemplare des Fadenwurmes, die in den
Knötchen ausserordentlich fest hafteten, aus denselben zu isoliren.
Die erhaltenen Individuen waren Weibchen und auch alle
Bruchstücke, die Geschlechtsmerkmale besassen, entstammten
ebensolchen.
Ich beschränke mich darauf, die damals notirten Maasse
mitzutheilen: Länge der ganzen Würmer 13—15 Mm., Dicke
0,275 Mm. Die grössten im Fruchthälter befindlichen Eier waren
0,132 Mm. lang und 0,082 Mm. breit. Die Embryonen, die in
einzelnen Schlingen des Uterus sich vorfanden, waren 0,166 Mm.
lang und 0,013 Mm. dick. Männliche Individuen konnten nicht
aufgefunden werden.
Zum zweiten Male beobachtete ich die Wurmknoten gleich¬
falls in der Luftröhre eines (weiblichen) Windspieles, welches
am 11. Juni 1881 dem Spitale für kleine Hausthiere übergeben
und am 12. desselben Monats getödtet wurde (Nr. 450 d. Journals).
Bei diesem Thiere hatte der Eigenthümer seit längerer Zeit
einen sehr hartnäckigen Husten wahrgenommen.
Durch Auscultation wurde lautes Bronchialathmen und un¬
deutliches Knisterrasseln constatirt; ausserdem war ein giemen-
des Geräusch mit Unterbrechungen hörbar. Zahl der Respira¬
tionen 36 pro Minute, Inspiration verzögert, Exspiration stossweise,
Temperatur in ano 39,5° C.
Bei der Section fanden sich auf der Schleimhaut der Trachea
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182
XIV. RABE
and der Bronchien zahlreiche warzenartige graurothe und ziem¬
lich feste Knötchen von Hirsekorn- bis Kirschkerngrösse. Die
grössten Knötchen sitzen in der nächsten Nähe der Luftröhren¬
gabelang. Von hier aus sind dieselben, indem sie allmählich klei¬
ner werden, bis tief in beide Hauptbronchien hinein und nach
aufwärts bis zur Mitte der Trachea zu constatiren.
Eine genauere Betrachtung ergibt, dass haarartige Würm¬
chen aus den Knoten, deren Oberfläche etwas buckelig erscheint,
hervorragen. Vielfach gewundene und schleifenförmig gebogene
Würmer schimmern weisslich durch die äusserste Schicht der
Knoten hindurch und an Durchschnitten wird ersichtlich, dass
das weiche und zähe fibröse Gewebe derselben mit diesen Para¬
siten dicht durchfilzt ist. An anderen Stellen stecken die letzteren
mit dem einen Körperende in feinen Oeffnungen der Tracheal-
schleimhaut [Ausführungsgänge der traubigen Drüsen], während
der längere Rest des Warmkörpers auf der Oberfläche der Schleim¬
haut liegt.
Die durch einzelne Würmer zugestopften Drüsenausführungs¬
gänge sind von einer ganz kleinen wallartigen Anschwellung des
Schleimhautgewebes umgeben.
Im Lungenparenchym sind viele graue Knötchen von der
Grösse eines feinen Sandkörnchens enthalten, welche am häufig¬
sten dicht unter der Pleura sich vorfinden.
Die Isolirung unbeschädigter Wurmexemplare aus den Luft¬
röhrenknoten gelingt auch dieses Mal nur selten, da die Thiere
sehr fest in -der Schleimhaut stecken und bei stärkerem Anziehen
meist abreissen. Die vollständigen Individuen und die Bruch¬
stücke gehören sämmtlich dem weiblichen Geschlecht an.
Von den ersteren habe ich folgende Merkmale feststellen
können: Drehrunder, fadenförmiger, weisslicher Wurm, £>, 9 bis
12 Mm. lang und 0,15—0,27 Mm. dick; vereinzelt kommen auch
Exemplare vor, die etwas länger und dicker sind. Das vordere
und hintere Körperende verjüngen sich nur wenig und ganz all¬
mählich, Kopfende abgestutzt, 0,1 Mm. breit; das hintere Körper¬
ende hat, von der Seite gesehen, fast die Form der bekannten
hakenförmigen Champagnerbrecher.
Die Cuticula lässt bei stärkerer Vergrösserung eine leicht
wellige, sehr feine longitudinale oder im Zickzack verlaufende
Streifung erkennen. Der Hautmuskelschlauch besitzt ringartig
den ganzen Körper umschliessende, etwa 0,02 Mm. breite Ver¬
dickungen, die in reglmässigen Abständen auf einander folgen.
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Tracheitis verrucosa verminosa der Hunde.
183
Kopf vom Körper nicht abgesetzt. Der wie eine Papille
aas dem vorderen Körperende hervorragende Anfangstheil des
Pharynx ist von 2—3 ringförmigen und concentrisch gelagerten
Falten (Lippen) des Leibeswandorgans amgeben, die bei ver¬
schiedenen Exemplaren verschiedene Höhe haben und nicht im¬
mer gleich deutlich erscheinen, ln der Nähe des Mondes ein
grösseres solides und weiter nach rückwärts zwei kleinere ring¬
förmige Wärzchen.
Pharynx flaschenförmig, sehr dickwandig, 0,250 Mm. lang.
In der Leibeshöhle liegen neben dem Pharynx zwei Organe von
der Form eines langgezogenen Beutels. Dieselben sind etwas
länger als der Schlundkopf, lassen einen feinkörnigen Inhalt er¬
kennen, haben aber nicht wie jener, eine musculöse Wandung,
dagegen stülpt die Cuticula sich in dieselben hinein und kleidet
sie vollkommen aus.
Der Darmkanal macht nur vereinzelte, schwach wellige Bie¬
gungen, verläuft übrigens aber in gestreckter Sichtung bis zum
hinteren Körperende und endigt hier dicht unter und vor der
Schwanzspitze. Der mittlere Durchmesser des Darmkanals, wel¬
cher unmittelbar vor dem engen After eine ampullenartige Er¬
weiterung hat, beträgt 0,14 Mm. (am plattgedrückten Wurm ge¬
messen). Der Inhalt des Darmes ist gelblich braun und reichlich
mit glänzenden feinen Körnchen und Tröpfen gemengt. Das
weibliche Genitalrohr besteht aus mehreren schleifenartig in ein¬
ander übergehenden Lagen von wechselnder Weite, die von einem
Leibesende in meist gestreckter Richtung zum anderen verlaufen
und nur ganz vereinzelte, schräge, pfropfenzieherartige Windun¬
gen bilden. Der ganze Genitaltractus ist bei den kleineren Weib¬
chen erfüllt mit Eiern in allen möglichen Entwicklungsstadien.
Die grössten Eier sind 0,08 Mm. lang und 0,05—0,06 Mm. breit.
Ausserdem sind hier in den mittleren Theilen des Uterus zahl¬
reiche Embryonen sichtbar, dieselben sind entweder ringförmig
oder spiralig zusammengerollt. Der Uterus der grösseren Weib¬
chen ist ganz mit Embryonen angefüllt, welche alle von einem
sehr durchsichtigen und feinen Eihäutchen allseitig bedeckt sind.
Die Länge dieser Embryonen, die in grosser Anzahl aus den
Bruchstücken dieser Parasiten frei werden, beträgt 0,230 Mm.,
ihre Dicke 0,015 Mm.
Der Genitalkanal endet unmittelbar vor dem After mit enger
Scheide, in welche, ebenso wie in jenen, die Cuticula von aussen
her sich einschlägt.
Deutsche Zeitschrift f. Thiermed. u. vergl. Pathologie. IX. Bd. 13
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184 XIV. BABE, Tracheitis verrucosa verminosa der Hunde.
Wie bereits erwähnt, wurden männliche Individuen in der
Trachea und in den Bronchien beide Male vergeblich gesucht,
vielmehr erst im zweiten Falle in den submiliaren Knötchen
innerhalb des Lungenparenchyms ganz vereinzelt entdeckt. Die¬
selben sind 5 Mm. lang, am hinteren Körperende stumpf abge¬
rundet. Dicht vor letzterem findet sich an der Bauchseite die
Geschlechtsöffhung. Diese führt zu einer in der Leibeshöhle ge¬
legenen Scheide, in der zwei am hinteren Ende etwas nach ab¬
wärts gekrümmte Spicula sichtbar sind.
Manche grössere Knötchen in der Lunge enthielten auch ein
oder mehrere Weibchen.
Der von Blumberg und mir entdeckte Bundwurm gehört,
wie ich annehme, keiner bis jetzt bekannten Art an, am näch¬
sten verwandt scheint er den Filarien zu sein.
Es würde mich freuen, wenn die, diesem Berichte beige¬
gebene von mir nach der Natur entworfenen Abbildungen von
Kennern der Helminthologie für ausreichend befunden werden
sollten, um darnach die Einreihung des neuen Parasiten in das
zoologische System vorzunehmen.
Erklärungen der Abbildungen.
Fig. 1. Kopf eines vollständig entwickelten Weibchens (gezeichnet bei
Hartnack, Obj. 7, Oc. UI).
a. Pharynx; b. Vorderende des Darmkanals; c. zum Digestionsapparat
gehörige Drüsen (?); d. Mundkapsel.
Fig. 2. Schwanzende eines weiblichen Wurms von der Seite gesehen.
a. Darm; b. Uterus; c. After; «(.Vagina; e. Hautmuskelschlauch mit
dem Profil der ringförmigen Verdickungen; bei f sind an der ab¬
gehobenen Culicula die longitudinalen Streifen sichtbar.
Fig. 3. Embryo.
Fig. 4. Schwanzende eines männlichen Wurms.
a. Spicula.
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XV.
Bericht über die im Jahre 1882 veröffentlichten Arbeiten über:
Die Krankheiten der Vögel.
Von
Prof. Dr. Zürn
in Leipzig.
(Ein Auszug hiervon erscheint im thierärztlichen Jahresbericht von
' Schütz und Ellenberger.)
1) Griffith, Ein sicheres Vorbeugemittel gegen Hühnercholera. Amerikan.
Acker- und Gartenbauzeitung. Dec. 1882.
2) Megnin, Abhandl. über einige kleinere Helminthen. (Koch’s Revue,
1882. S. 49 etc.)
3) Nörner, Krätzmilbe der Hühner (Dermatoryktes mutans). Wien 1882.
4) Nörner, Syringophilus bipectinatus. (Oesterr. Vierteljahrschr. f. wis-
sensch. Veterin. 1882.)
5) Nörner, Analges minor, eine neue Milbe im Innern der Federspulen
der Hühner. (Verhandl. d. k. k. zool.-bot. Gesellsch. in Wien 1882.)
6) Pauly, Krankheits- und Sectionsberichte über Geflügel und Kaninchen.
Nr. 1654—1906. (Geflügelzeitung, allgemeine, Wien 1882, früher österr.-
ungar. Blätter für Geflügel- und Kaninchenzucht; Redaction: Nowotny.)
7) Russ, Krankheiten der Papageien (Russ, Die sprechenden Papageien,
Berlin 1882, S. 75—97).
8) v. Tresckow, Krankheiten des Hausgeflügels und deren Heilung. Kai¬
serslautern 1882.
9) Weiskopf, Medullarsarkom bei einem Huhn (Adam, Wochenschr. für
Viehzucht und Thierheilkunde 1882, S. 209).
10) Zürn, Die Krankheiten des Hausgeflügels. Mit 76 lllustr. Weimar. 1882.
11) Zürn, 492 Krankheits- und Sectionsberichte, Vögel betreffend./ (Dres¬
dener Blätter für Geflügelzucht, 1882. Red. B. Fleck.)
I. Seuchen. Infectionskrankheiten.
Das epizootische Gefltigeltyphoid (Geflügelpest, Ge-
fltigelcholera).
Pauly (6) und Zürn (10 und 11) trugen durch eine sehr
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186
XV. ZÜRN
grosse Zahl von Sectionsberichten wie Beobachtungen dieser dem
Geflügel so verderblichen Krankheit zur genaueren Kenntniss
derselben bei. Zunächst constatiren sie, dass diese Seuche bei
allen Arten des Hausgeflügels Vorkommen kann, insbesondere
auch bei den Tauben. Pauly (6, S. 56) berichtet über an
der Centralthierarzneischule in München angestellte Impf- und
Fütterungsversuche, vorgenommen mit Blut und Herzstücken eines
am Typhoid verendeten Geflügelstückes an zwei gesunden Hüh¬
nern. Das mit Herzstücken gefütterte Thier starb schon am
zweiten Tage nach der Infection, nachdem es etwa 30 Stunden
nach der Impfung sich typhoidkrank gezeigt hatte; das zweite
Versuchsthier, durch eine minimale Verletzung der Hornhaut des
linken Auges geimpft, erkrankte wiederum nach zwei Tagen und
starb rasch. Mit Recht sagt Pauly: „Aus diesen Versuchen
könne man ableiten, mit welcher Heftigkeit das Typhoid in we¬
nig Tagen in einer Geflügelschaar um sich greifen muss, wenn
Thiere auf einen engen Raum beschränkt sind, wo sie einander
inficiren müssen, weil die Besudelung des Futters mit den Ex¬
crementen der Kranken gar nicht zu vermeiden ist.“ Dass die
Krankheit nicht immer so schnell nach der Infection zum Aus¬
bruch kommt, sondern oft erst bis zum 11. Tag, wie aus eben¬
falls in München angestellten Versuchen hervorgeht, und dass
sie nicht immer den sehr acuten Verlauf einhält, sondern auch
bis zu drei Wochen und länger dauert, hat Zürn (10 und 11)
angegeben.
Verzehren des mit dem Contagium vivum des Typhoides
(feinkörniger Micrococcus) verunreinigten Futters ist wahrschein¬
lich die hauptsächlichste Verbreitungsquelle der Seuche.
Klinische Erscheinungen. Beiden hyperacut verlaufen¬
den Fällen gehen kaum deutlich wahrnehmbare Krankheitserschei¬
nungen dem fast plötzlich eintretenden Tod des am Typhoid er¬
krankten Thieres vorher, höchstens durchfällige Ausleerungen,
welche aber nichts Charakteristisches haben. Der Besitzer der
schnell der Seuche zum Opfer gefallenen Geflügelstücke wähnt die¬
selben durch irgend einen Feind vergiftet! Die Kennzeichen des
Typhoides sind: Sichisoliren der Kranken von den Gesunden, Hin¬
fälligkeit; die Kranken sitzen traurig am Boden mit gesträubten
Federn, fressen meist wenig oder nichts (doch kann Fresslust noch
kurze Zeit vor dem Tode vorhanden sein), wohl aber zeigen sie
Durst; die Augen der Patienten thränen; glasiger Schleim fliesst
aus dem Schnabel; der After ist etwas vorgetrieben, oft blauroth;
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J
Die Krankheiten der Vögel.
187
dttnne, anfangs weingelbe, endlich grünliche oder chocoladefar-
bige, znweilen blutige, diarrhöische Excremente werden ansge¬
leert, die die um den Cloakenwulst sitzenden Federn arg be¬
schmutzen and verkleben; der erschöpfende Durchfall bringt
Kräfteverfall, so dass die Kranken taumeln oder sogenannte
Beinschwäcbe beobachten lassen; Erbrechen wird zuweilen wahr¬
genommen; rasches und erschwerteres Athmen fehlen fast nie;
da fast stets in den vorderen Atbmungswegen, besonders in der
Luftröhre, mindestens Katarrh sich eingestellt hat, hört man meist
Rasselgeräusche. Der Tod tritt gewöhnlich unter Convulsionen
(Rückenkrampf) ein; nicht selten stossen die Sterbenden einen
heiseren Schrei aus. Selten sind bei stattgehabter Gehirnblutung,
bei Erguss von Blut in die Maschenräume des knöchernen Schä¬
deldaches, an den Kranken Verdrehungen des Halses und Kopfes
(häufiger bei Tauben als Hühnern) zu beobachten. Kamm und
Kehllappen aller Typhoidkranken blauroth.
Sectionserscheinungen. Cadaver zeigt meist starke
Todtenstarre. Bei schnell verlaufendem Typhoid Körper in gutem
Ernährungszustand; bei langsam verlaufendem: Abmagerung. Um¬
gebung des Afters blauroth. Schleimhaut des Rachens und der
Speiseröhre geröthet oder cyanotisch, mit glasigem Schleim be¬
deckt; Trachealschleimhaut meist mehr oder weniger entzündet,
seltener fehlen alle krankhaften Erscheinungen in der Trachea. In
den Lungen Hyperämie (oft kleine Blutungen) oder Pneumonie mit
Hepatisation (gelb), oder croupöse Lungenentzündung, oder Lun¬
genödem; nur ausnahmsweise findet sich nichts Krankhaftes in der
Lunge. Peri-, Epi-, Endocarditis, oder ein oder das andere. Meist
Trübung des Pericards und des Epicardium, kleine Ekchymosen
unter dem Epicardium. Vorkammern meist mit dunklem geron¬
nenem Blute gefüllt; Ueberfüllung der oberflächlich am Körper
gelegenen Venen mit dunklem Blut. Fleckige Blutungen unter
der Cuticula des Muskelmagens sind in der Regel aufzufinden,
können jedoch fehlen. Darmwandung geschwellt; Darmserosa
zeigt stark injicirte Gefässe auf; mehr oder weniger hochgradige
Darmentzündung mit punktförmigen Blutungen in die Mucosa,
oder mit erheblicheren Darmblutungen. Wo starke Blutung im
Darm, da Hydrämie und Blutarmuth im Allgemeinen. Fehlt die
Darmentzündung in den Dünndärmen, so findet sie sich in den
Blinddärmen oder im ausführenden Darm, oder ist durch einen
Darmkatarrh vertreten. Darminhalt dünnflüssig, schleimig-eiterig
mit eingesprengtem Blut, oder chocoladefarbig oder als ziemlich
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XV. ZÜRN
reines Blnt sich ausweisend. Im Dünndarm oft Prominiren der
Follikel, auch wohl Exulcerationen derselben, sowie linsengrosse
diphtheritische Verschorfungen. Milz meist klein, hyperämisch.
Nieren meist geschwellt, mit Blut überfüllt. Leber oft geschwellt,
die Substanz mürbe, selten miliare oder submiliare Eiterherde
eingesprengt; bei sehr langdauerndem Verlauf fettige Degene¬
ration der Leber. — Blutungen im Schädeldach, am Gehirn sel¬
tener. Das Blut enthält einen feinkörnigen Micrococcus und eine
grosse Zahl kleiner ungefärbter Blutzellen.
Behandlungsverfahren nach Zürn. Die gesunden
Geflügelstücke sind von den Kranken zu separiren; die letzteren
durch besonderes Pflegepersonal, das zu den gesunden Vögeln
nicht gehen darf, zu warten. Die Fress- und Saufgeschirre so¬
wie die Ställe sind öfters gründlich zu reinigen (mit heisser
Lauge auszuscheuern) und durch Nachsoheuern mit 5 —lOproc.
Garbolsäure- oder Eisenvitriollösung, oder mit der zu Desinfec-
tionszwecken in Brauereien und Brennereien gebrauchten Lösung
doppeltschwefligsauren Kalkes (1:5 Wasser) zu desinficiren. Auch
die Laufräume, wenn solche klein und eingegittert, müssen des-
inficirt werden (Uebergiessen des Bodens mit genannten Mitteln
mittelst einer mit Brause versehenen Giesskanne). Der Koth
der gesunden und kranken Thiere ist täglich ein- oder zweimal
zu sammeln und zu vernichten, am besten zu verbrennen. Kräf¬
tiges Futter: Gerste, Weizen, Fleischabfälle, Würmer, von Zeit
zu Zeit etwas Hanf, zu geben ist zweckmässig. Die Kranken
werden mit in Pillenform gebrachtem Eisenvitriol (täglich ein-
bis dreimal für Tauben 0,3, für Hühner 0,6, für Gänse 0,6
bis 0,12, für Puten 0,12 bis 0,18 Grm. pro dosi) behandelt. Wäh¬
rend der Dauer der Behandlung bekommen kranke wie gesunde
Vögel eines Geflügelhofes lediglich eine '/2 proc. wässerige Eisen¬
vitriollösung als Saufen, abgesehen vom gesunden Wassergeflügel
natürlich. — Die Entwicklung von Chlordämpfen in Ställen, wo
typhoidkrankes Geflügel sich aufhielt, scheint nicht oder nur
wenig wirksam zu sein; die Entwicklung schwefligsaurer Dämpfe
ist eher am Platze, wenn man das oben erwähnte Desinfections-
verfahren verstärken will.
Ueber den Werth der Impfungen bei dem Typhoid des Ge¬
flügels nach Pasteur’s Manier sind die Meinungen noch contro-
vers. Thatsächlich richtig scheint zu sein, dass Impfung mit
Material aus älteren Culturen der Mikroorganismen des Typhoids
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Die Kr&nkheitep der Vögel.
189
zu weniger oder weniger heftigen Erkrankungen der Impflinge
führt, als wenn mit frischeren Culturen Impfung vorgenommen
wird. Ob die auf Htthnerbouillon cultivirten Mikroorganismen
nur durch den Einfluss des „Luftsauerstoffes“ mitigirt werden,
oder noch durch andere Verhältnisse (z. B. dadurch, dass nicht
vollkommen sterilisirte Fleischbrühe zur Ernährungsflttssigkeit ge¬
nommen wurde und nun die specifiscben Mikroorganismen im
Kampf um das Dasein mit anderen Spaltpilzen an Lebensenergie
verloren), muss für jetzt dahingestellt bleiben.
Griffith (1) impft zunächst ein Huhn mit Blut eines am
Typhoid erkrankten Geflügelstückes. Nach 8 Tagen tödtet er
den Impfling durch Verbluten, fängt das Blut in einem Gefässe
auf und trocknet - es. Mit diesem getrockneten Blut fuhrt er nun
Schutz- oder Nothimpfungen aus. Jedes Huhn, das geimpft wer¬
den soll, wird mit einer Nadel am Schenkel ein wenig geritzt, so
dass ein wenig Blut aus der Wunde tritt; dann wird ein kleines
Stück reines Papier, das nass gemacht und mit ein wenig ge¬
trocknetem Blut versehen wurde, auf die Stelle, wo der Hautriss
angebracht wurde, aufgeklebt, womit der Impfact als geschehen
angesehen wird. — Griffith behauptet, er habe auf 19 ver¬
schiedenen Höfen, woselbst die Hühnercholera schlimm herrschte,
geimpft und immer einige gewöhnliche Hühner ungeimpft ge¬
lassen; die letzteren starben sämmtlicb, während von 2000 Ge¬
impften nur 11 Stück verendet sein sollen.
Die diphtheritisch-croupöse Schleimhautentzün¬
dung des Geflügels (Diphtheritis; Croup; vulgär: bösartige
Augenkrankheit, Augenschnupfen, ansteckender Schnupfen, Botz,
Niese, Schnörchel, Schwamm, Chanker, Mundfäule, gelbe Mund¬
fäule, Schnipp, gelbe Knöpfchen, Schwämmchen; Pocken und
Krebs ist der Volksausdruck für Gregarinenepitheliome; Geflttgel-
seuche) ist, nach dem Typhoid, die häutigst vorkommende und
gefährlichste Geflügelseuche, gegen welche unsere harten Land-
htthner sich am widerstandsfähigsten erweisen, während alles
feinere und zartere Geflügel leicht ergriffen wird. Uncontrolirte
Geflügelausstellungen, Unreellitäten der Geflügelhändler, Import
kranker Thiere aus dem Auslande sind die hauptsächlichen Be¬
zugsquellen dieser Krankheit. Pauly (6, S. 118, 292, 352, 408,
430) unterscheidet eine echte (durch Spaltpilze erzeugte) diph-
theritisch croupöse Schleimhautenzttndung und eine
solche, welche durch Gregarinen hervorgerufen wird. Zürn
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XV. ZÜRN
(10, S. 104—117 und S. 138—147, ferner 11, S. 33, 76, 111, 112,
193, 215, 224, 225, 234, 235, 245, 255, 264, 273, 281, 345, 369,
376, 385, 410, 425, 433, 441, 449, 464) unterscheidet eine durch
Spaltpilze und eine durch Gregarinen verursachte croupös-diphtbe-
ritische Schleimhäutentzttndung des Geflttgels, aber auch eine
durch Cercomonaden verursachte, die er bei Tauben fand,
während sie von Rivolta (Rivolta und Delperato, L’Orni-
tojatria, 1880) bei Hübnern entdeckt wurde. Rivolta nannte
die Cercomonade Gercomonas gallinarum und gibt von ihr an,
dass sie eine pseudocroupöse Entzündung hervorrufe. In der
That ist die durch sie erzeugte Entzündung nur gering, die Be¬
lagmassen auf den erkrankten Schleimhautstellen sind nur wenig
adhärent, gallertig, gelblich, leicht zerfliessend. — Bei dieser
Krankheit hat man immer daran zn denken, dass alle Vögel auf
Reize, die ihre Schleimhaut treffen, mit exsudativen Entzündungs¬
processen zu antworten pflegen. — Je nachdem diese oder jene
Schleimhaut getroffen wird, ist Stomatitis, Laryngitis, Rhinitis,
Conjunctivitis, Bronchitis, Enteritis etc. vorwiegend zu beobach¬
ten; siedeln sich Pso-rospermien oder Gregarinen auf den
Schwellkörpem des Kopfes (Kamm, Kehllappen) oder auf der
Haut an, so entstehen die warzenartigen Wucherungen, welche
die Wissenschaft Gregarinenepitheliome nennt, die der
Geflügelzüchter mit dem Namen „Pocken oder Krebs“ belegt,
v. Tresckow(8), welcher die in Rede stehende Krankheit als
„Hühnerseuche, Hühnerkrankheit, Hühnertyphus“
bezeichnet, beobachtete 83 Fälle; von den 83 kranken Hühnern
starben 51, 32 genasen. Von denen, welche verloren gingen,
starben 11 in der ersten, 5 in der zweiten, 19 in der dritten,
2 in der vierten Woche ihres Krankseins, 14 nach vier Wochen.
Bei 51 Sectionen fand sich diphtberitisch - croupöser Belag auf
den Kopfschleimhäuten bis zum oberen Kehlkopf bei 31 Proc.,
solcher' bis in die feinsten Bronchien bei 18 Proc., Lungenent¬
zündung bei 14 Proc., Conjunctivis diphtheritischer Art bei 37 Proc.,
Entzündung der Thränendrüse bei (wohl der Schleimhaut der In-
fraorbitalzelle ? d. Ref.) bei 29 Proc., Vergrösserung der Leber und
Gallenblase bei 16 Proc., Geschwüre im Darm bei 25 Proc., Ent¬
zündung der Gehirnhäute bei 1 Proc., Magenerweichung bei 1 Proc.
Zürn (11, S. 377) schildert die Krankheit und das dabei
einzuhaltende Behandlungsverfahren kurz und in populärer Weise
wie folgt: Wenn diese Krankheit rechtzeitig erkannt wird,
d. h. dann, wenn nur ein oder wenig Geflügelstücke
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Die Krankheiten der Vögel.
191
davon befallen, so hat dieselbe nur wenig zu bedeu¬
ten. Wer den kleinen Verlust gut tragen kann, der thut am
besten, die ersterkrankten Thiere sofort zu schlachten, die Ca-
daver zu verbrennen, dann die Ställe und Laufräume, in welchen
die Kranken sich aufgehalten haben, gründlich und wieder¬
holt zureinigen, auszuscheuem und mit 5—lOproc. Carbolsäure-
lösung, oder mit Sublimatlösung (1 : 500), oder mit 5proc. Ver¬
dünnung der zu Brennereizwecken käuflich zu habenden dop¬
pelschwefelsauren Kalklösung (saurer schwefligsaurer Kalk in
concentrirter Lösung von 11 0 Bm.) zu desinficiren. Die übrig
gebliebenen Thiere sind gut zu beaufsichtigen, öfters zu unter¬
suchen ; wenn sich eins erkrankt oder der Krankheit verdächtig
zeigt, so ist es zunächst in einem besonderen Stall — wo möglich
mit Laufraum — unterzubringen, d. h. streng von dem übrigen
Geflügel zu separiren und von einem besonderen Wärter zu be¬
handeln und zu verpflegen. Will man die ersterkrankten Thiere
nicht tödten, so müssen sie sofort von dem übrigen Geflügel
separirt werden.
Folgende Formen zeichnen die in Rede stehende Gefltigel-
krankheit aus.
1. Die Maul - und Gaumenschleimhautentzündung. Kennzei¬
chen. An und unter der Zunge, am Gaumen, innen am Backen:
gelbe, auf der entzündeten Schleimhaut festsitzende, Belagmassen.
Der Krankheitsprocess geht gern auf die Schnabelwinkel, von
da auf Kamm, Kehl- und Ohrlappen und unbefiederte Kopfstellen
über, nimmt aber dann die Gestalt warzenförmiger Wucherungen
(Pocken, Warzen, Krebswucherungen gewöhnlich genannt), von
der Grösse eines Mohnsamenkorns bis zu der einer kleinen Kar¬
toffel an. Fressen und Schlucken der Kranken nur im geringen
Grade gehindert. Traurigsein.
2 . Die croupös - diphtheritische Entzündung des Rachens ,
Schlund köpf es, der Speiseröhre, der Luftröhre und des oberen
Kehlkopfes , der Bronchien und der Luftsäcke. Kennzeichen:
Traurigsein und Hinfälligkeit; erschwertes und beschleunigtes
Athmen, öfteres Oeffnen des Schnabels, der schliesslich immer
aufgesperrt gehalten wird; singenden Ton oder Schnarchen lässt
der kranke Vogel hören; endlich sehr angestrengtes Athmen,
Japsen, Schnappen nach Luft, Erstickungszufälle, schliesslich Er¬
stickungstod.
Nebenbei oft Husten, Auspusten dicken, gelben, unangenehm
süsslich riechenden Schleimes, oftes Schlenkern mit dem Kopfe.
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XV. ZÜRN
Gelbe Belagmassen auf den Schleimhäuten der erwähnten, vom
dem Krankheitsprocess heimgesuchten Theile.
3. Die Nasenschleimhautentzündung. Kennzeichen. Schlen¬
kern mit dem Kopf, Ausscbleudern von Schleim aus den Nasen¬
löchern; gelbgrUner, dicker Schleim dringt aus den Nasenlöchern
und trocknet zu Krusten ein, welche diese Oeffnungen verstopfen..
Oft erkranken die mit den Nasenhöhlen in Zusammenhang stehen¬
den Unteraugenhöhlenzellen. Ist dies der Fall, so findet sich
eine beulenartige Auftreibung am Kopfe, unter dem Auge, nach
dem Schnabel des Vogels zu, gewöhnlich nur auf einer Kopf¬
seite, selten auf beiden. Diese beulenartige Geschwulst bricht
zuweilen von selbst auf und entleert sich dann dicker, übel¬
riechender, grüngelber Schleim und findet man die Höhle von
gelben Croupmassen ausgefüllt. Die Nasenschleimhautentzündung
kommt in der Kegel vereint mit den unter 1 und 2 geschilderten
Krankheitszuständen vor.
4. Die Augenbindehautentzündung (Augenschnupfen, bösartige
Augenkrankheit). Kennzeichen. Lichtscheu, oftes Schliessen
der Augen, Augenblinzeln; Augenlider geschwollen und vermehrt
warm; Augenbindehaut geröthet und aufgedunsen, Ausfluss einer
klebrigen, dicken Flüssigkeit aus der Augenspalte, Verkleben der
Augenlidränder und Bildung von gelben Grindern auf den Augen¬
lidern. Zuletzt Ansammlung von fast trockenen, krümeligen
gelben Croupmassen unter den Lidern, besonders im vorderen
Augenwinkel, an der Nickhaut stark angehäuft; das Auge dann
erheblich geschwollen, oft der Augapfel aus seiner Lage gedrängt
oder durch Druck der angesammelten käsigen Massen verklei¬
nert. Die durchsichtige Hornhaut zuweilen trübe, oder mit Ge¬
schwüren besetzt.
o. Die Darmentzündung; sie folgt in der Kegel anderen
croupös - diphtheritischen Schleimhautentzündungszuständen als
secundäres Uebel nach, bei Wassergeflügel und bei Truthühnern
scheint sie auch als selbständiges Uebel aufzutreten. Kennzei¬
chen. Stark in die Augen fallende Traurigkeit und grosse Mat¬
tigkeit; die Kranken sondern sich von ihren Kameraden ab und
setzen sich an dunkle Stellen. Durchfall; anfangs breiige mit
Schleim gemengte Kothmassen, später sehr dünnflüssiger, mit
Blut oder blutigem Eiter gemischter Koth, der sehr stinkt, werden
abgesetzt, dadurch der hochgradige Verfall der Kräfte, die Ab¬
stumpfung und Gefühllosigkeit, welche die Patienten beobachten
lassen, berbeigefUbrt. Wenn heftiger Durchfall eintritt, so lässt
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Die Krankheiten der Vögel.
193
.der Tod in der Regel nicht lange anf sich warten; zuweilen hört
der Durchfall plötzlich auf, um einer starken Verstopfung Platz
zu machen; dann findet man in der Regel die Blinddärme und
den Mastdarm der crepirten Thiere bei deren Section vollständig
ausgefallt mit gelben, geschichteten, auf der oft geschwungen,
immer stark aufgelockerten und entzündeten Schleimhaut der er¬
wähnten Darmtheile fest aufsitzenden Groupmassen.
Die Krankheit verläuft meist in 14—20 Tagen, dauert aber
auch 2—3 Monate. Oft glaubt man die Patienten geheilt, da
stellt sich ein Rttckfall ein. Besonders häufig ist, dass die crou-
pös-diphtheritischen Zustände im Rachen, in der Nase, an den
Augen geheilt erscheinen und plötzlich die Darmentzündung, die
häufig tödtet, als Folgettbel auftritt.
Behandlung. Separiren der Kranken von den Gesunden
oder umgekehrt. Desinfection der Ställe, beides in strengster
Weise durchgeführt. Die Kranken müssen trockene und warme,
doch mit guter Athmungsluft versehene Aufenthaltsräume bekom¬
men. Jeden Tag ist der Koth der Patienten zu sammeln und
zu verbrennen, oder tief in die Erde zu graben, nachdem er mit
Oarbolsäure Ubergossen wurde.
Arzneiliche Behandlung. Leichtere Fälle dieser Krank¬
heit heilt die gütige Mutter Natur oft allein; daher ist es auch
zu erklären, wie behauptet werden konnte, man könne das Uebel
mit Citronensaft, mit schwachen Garbolsäure- oder Salicylsäure-
lösungen, mit Glycerin, mit Essig, durch Verfüttern von Zwiebeln
und Knoblauch etc. beseitigen. Gar oft werden auch nur Schein¬
heilungen erzielt, Rückfälle der schwersten Art folgen später,;
endlich werden gewöhnliche katarrhalische Zustände mit dieser
diphtheritisch-croupösen Schleimhautentzündung verwechselt und
dann können auch sehr einfache Mittel Hülfe bringen. Der schwe¬
reren Formen dieser Krankheit wird man durch die erwähnten
Mittel nicht Herr, und wer will heim Beginn des Uebels ent¬
scheiden, ob ein leichter oder schlimmerer Fall vorliegt?
Ich empfehle eine Mischung, hergestellt aus einer Abkochung
der Blätter des Wallnusses (15 Grm. auf 1 Liter Wasser; durch¬
zuseihen), und zwar von ihr 150 Grm., welcher zugesetzt wird
20 Grm. reines Glycerin, 5 Grm. chlorsaures Kali, 0,5 Grm. Sali¬
zylsäure in 15 Grm. rectif. Spiritus gelöst. Von dieser Mischung
ist dem kranken Geflttgelstück, wenn es ein grosses ist, täglich
ein- bis zweimal je ein Kaffee- bis Esslöffel voll, einem kleineren
Vogel von der Grösse einer Taube l k bis 'jt Kaffeelöffel voll
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XV. ZÜRN
einzugeben. Mit derselben Mischung bepinselt man täglich zwei-
bis dreimal die mit gelben Belagmassen versehenen Schleimhaut¬
stellen, so weit sie zugänglich sind, wäscht damit die erkrankten
Augen, oder applicirt die Mischung in die kranken Augen, in
den Bachen, in die Nasenlöcher etc. mittelst einer Siebspritze
oder eines Sprayapparates. Wird der Sprühregen 2—3 Minuten
lang in den Rachen angewendet, so ist ein extraes Eingeben der
Mischung meist nicht nöthig, oder kann auf kleinere und nur
einmal täglich zu verabreichende Gabe beschränkt werden.
Zum Bepinseln sehr dicker, hartnäckig festsitzender Belag¬
massen, ferner der am Kamm, Kehl- und Ohrlappen, an den
Augen- und Schnabelwarzen, sich einstellenden warzenartigen
Wucherungen (Pocken, Epitheliome) kann eine Mischung aus
2 Grm. Buchenholztheerkreosot, 5 Grm. Borsäure, 15 Grm. Spi¬
ritus, 20 Grm. Glycerin, 160 Grm. destillirten Wassers oft mit
grossem Nutzen gebraucht werden. Diese Mischung einzugeben
darf man jedoch nicht Wagen. Bemerkt sei noch, dass man
die gelben Belagmassen im Maul, Rachen, in der Gaumenspalte,
an der Zunge, am Kehlkopf etc. zwar mit stumpfem Holzspatel
vorsichtig abzuschaben versuchen, nie aber gewaltsam ab-
reissen soll. Es darf beim Wegnehmen dieser Croupmassen
nie bluten.
Bei Darmentzündungen diphtheritisch-croupöser Natur nützt
das Eingeben der erstgenannten Mischung, auch manchmal (na¬
mentlich bei Gänsen und Enten) das kaffeelöffelweise Eingeben
gleicher Theile Wasser und Glycerin, täglich zwei- bis dreimal,
endlich auch das Eingeben von Pillen, die aus Eisenvitriolpulver,
Butter und Weissbrodkrumen hergestellt wurden (und zwar für
Tauben auf die Gabe 3—6 Centigrm., für Hühner 6—12 Centigrm.,
für Gänse 6, 12 bis 20 Centigrm. Eisenvitriol, täglich zweimal).
Der Darmentzündung halber, welche den übrigen diphtheritisch-
croupösen Krankheitszuständen folgt, soll nie nur eine örtliche
Behandlung des Rachens etc. statthaben. Bei Augenerkrankungen
sind die Krusten auf den Augenlidern zu erweichen und fortzuneh¬
men, die gelben Massen, welche unter den Augenlidern sitzen, vor¬
sichtig auszudrücken oder auszulöffeln, dann die Bindehäute des
Auges mit 3proc. Alaun- oder Kupfervitriollösung, oder mit Chlor¬
wasser oder mit der oben angeführten, ersterwähnten Mischung
zu bepinseln öder zu waschen, oder mit zugespitztem Kupfer¬
vitriolstift zu bestreichen. Kühlen der Augen mit kaltem Wasser
unterstützt diese Behandlung. Geschwülste über der Unteraugen-
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Die Krankheiten der Vögel.
195
höhlenzelle sind aufznschneiden, die käsigen Massen sind auszu¬
löffeln, der Grund mit der aus Buchenholztheer, Borsäure, Spi¬
ritus, Glycerin und Wasser bestehenden Mischung oder mit starker
Carbolsäurelösung zu ätzen. 1 ) ,,
Russ (7) gibt an, dass bei Papageien sowohl die diphthe-
ritisch-croupöse Schleimhautentzündung vorkommt, als auch eine
seuchenhafte Krankheit, welche die grösste Aehnlichkeit mit dem
Geflügeltyphoid hat (S. 83) und mit dem Namen Blutvergiftung
(Sepsis, Hungertyphus) belegt wird.
Pauly (6) beobachtete öfter eine infectiöse Erkrankung der.
Wellensittiche. Die Kranken fielen fast plötzlich von der Sitz¬
stange, nachdem sie 2—3 Tage nicht ganz munter gewesen waren,
um sofort zu sterben, oder sie lagen einige Minuten in den hef¬
tigsten Krämpfen am Boden der Vogelstube, um dann wieder zu
sich zu kommen; während der Krämpfe floss ein wenig Blut aus
dem Schnabel; doch blieben auch diejenigen, welche mehrfach
solche Anfälle tiberstanden, nicht am Leben. Bei der Section
fanden sich die Schädelknochen der gestorbenen Sittiche, beson¬
ders in der Stirngegend, mit Blut durchtränkt; Bluterguss in der
Nase, in der Schnabelhöhle; Gehirn mit Blut überfüllt; Lungen¬
hyperämie oder Lungenentzündung; nur zuweilen Darmkatarrh.
Die Krankheit kam in überfüllten Vogelstuben häufig vor. Trans-
locirung der kranken Vögel in ein anderes Local, Vermeidung
einer Uebervölkerung desselben, Desinfection des Bodens etc. der
Vogelstube, der Sauf- und Fressgeschirre, Käfige etc. konnte Hülfe
bringen.
Die Tuberculose ist eine der am häufigsten zu beobach¬
tenden Krankheiten des Geflügels. Sowohl Pauly (6) als Zürn
(10 und 11) bringen mehrfach Krankheits- wie Sections berichte
von tuberculösen Vögeln. Leber und Milz sind die hauptsäch-
1) Pauly (6) empfiehlt ausser Separation der gesunden von den kranken
Geflügelstücken, ausser Desinfection der Ställe etc. hauptsächlich Glycerin
und Wasser (ana), zum Bepinseln der erkrankten Schleimhautstellen und auch
zum Eingeben zu verwenden, v. Tresckow (8) empfiehlt Reinigung der er¬
krankten Stellen, Bepinseln mit Höllensteinlösung (unter Benutzung eines
Kameelhaarpinsels) oder mit Carbolsäurelösung, oder mit einem Gemisch von
Rosenhonig 30 Grm., Salzsäure 4 Tropfen, Borax 1 Grm., in leichteren Fällen
letzteres; bei Conjunctivitis eine Lösung von chlorsaurem Kali oder Kupfer¬
vitriol; bei Erstickungszufällen soll die Tracheotomie gemacht werden; bei
Bronchitis öftere Inhalationen von Lösungen chlorsauren Kalis (10 : 200) oder
4—5 proc. Carbollösung, neben Eingeben von Pillen, die aus Salmiak und
Süssholzextract gefertigt sind.
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XV. ZÜRN
lichsten Organe, welche von Tuberkeln besetzt werden. In den
Lungen findet man sie seltener; nur ein Fall von hochgradiger.
Lungentuberculose bei einer Taube ist von Zürn (11, S. 457)
beschrieben. Beim starken Durchsetztsein der Leber mit Tuber¬
keln kommt' es leicht zu Gefässanätzungen und Rupturen und
daraus resultirender Verblutung. Luftsäcke, Mesenterium, Magen,
Darm, Peritoneum, Pankreas, Eierstock, Eileiter und Nieren so-:
wie die Lymphdrüsen des Halses können Sitz der tuberculösen
Processe sein. Die Tuberkel können miliar oder submiliar an
.Grösse sein, aber auch Geschwülste bis zu Wallnussgrösse vor¬
stellen. Namentlich die unter und auf den serösen Häuten sitzen¬
den Tuberkeln erreichen nicht selten eine besondere Grösse, kön¬
nen auch gestielt sein, wie Pauly (6) nachwies. In mais¬
korngrossen, gelben, ziemlich harten, tuberculösen Geschwülsten
des Mesenterium und Peritoneum eines Huhnes fand Zürn (11,
S. 5 und 33) Blutextravasate und in diesen grössere Mengen der-
kleinen Eier des Distomum ovatum. Ausserdem konnten in den
Tuberkelgeschwttlsten des Hausgeflügels vielfach Mikroorganis¬
men (Bacillen, Mikrococcen und Reihen von solchen), die sich
auf die K och-Ehrlich’sche Färbemethode specifisch färbten,
nachgewiesen werden. Die makroskopische Beschaffenheit der
grösseren TuberkelgeschWülste haben wohl Zürn veranlasst, für
solche die von Paulicki (Beiträge zur vergleichenden pathol.
Anatomie. Berlin 1878) vorgeschlagene Bezeichnung „Skle-
rome“ zu wählen, während Roloff (Magazin für Thierheilkunde
1868) von multiplen „Lymphosarkomen“ sprach, wenn er
solche grosse Tuberkelgescbwülste bei Vögeln fand, Rivolta
(L’Ornitojatria, 1880) aber den Ausdruck „Sarcoma tubercu-
loso“ wählt. Interessant ist der von Pauly (6) und Zürn (11)
gebrachte Nachweis, dass Knochentuberculose beim Haus¬
geflügel nicht selten ist und dass namentlich jene periarthritischen
Processe der Arm und Handknochen der Tauben, welche vom
Züchter als „Flügelgicht“ angesprochen werden, auf tuber-
culösem Boden stehen.
Die Tuberculose der Vögel ist unheilbar, die Disposition zu
ihr ist vererbbar, wie Pauly besonders nachweist (die nächsten
Verwandten tuberculöser Vögel sind deshalb von der Zucht aus-
zuschliessen), die Ausleerungen kranker Vögel können für gesunde
Infectionsquellen abgeben (deshalb Stalldesinfectionen, vielleicht
mit Sublimatlösungen?).
Die Diagnose der Tuberculose der Vögel ist nicht:
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Die Krankheiten der Vögel.
197
leicht. Pauly gibt als hauptsächlichste klinische Erscheinungen
an: „ Abmagem bei bestem Futter und grösster Fresslust; niedrige
Körpertemperatur; Kamm und Kehllappen blass (weisse Flecken
auf solchen und ödematöse Schwellungen, Anm. des Ref.), blut¬
leer; Schleimhaut der Schnabelhöhle ebenfalls blass und blutleer;
gewöhnlich Durchfall vorhanden. Im Futter sind die Kranken
sehr wählerisch, zeigen Heisshunger nach Fleisch und haben zu¬
weilen capriciöse Gelüste nach bestimmten, aussergewöhnlichen
Nahrungsmitteln; bei Darmtuberculose (namentlich Exulceratio-
nen) Brechen oder Brechneigung. Verlauf langsam, kann viele
Monate in Anspruch nehmen. Die Patienten verlieren oft so sehr
die Kräfte, dass sie sich nicht mehr auf den Beinen zu erhalten
vermögen, sondern lahm gehen oder gar auf den Sprunggelenken
rutschen und dem Laien für fussleidend gelten.“
H. Epi- und Entozoen der Vögel.
Zürn (10) hat in seinem Buche (S. 4—91) alles Bekannte
über diese Parasiten zusammengestellt. Auf diese Abhandlung
muss einfach verwiesen werden. Da der praktische Thierarzt
aber öfters um Rath gefragt wird, was bei den so häufig und
zahlreichen Epizoen des Hausgeflügels, bei den Federlingen und
Milben zu thun sei, so sei hier hervorgehoben: Der schädigendste
und gefährlichste Hautparasit für Hühner und Tauben ist die
Vogelmilbe (Dermanyssus avium). Da diese Parasiten nur des
Nachts auf Raub ausgehen und ihr Blutsaugegeschäft betreiben,
so würden vorbeugend wirken gegen die Gefahren, welche Vogel¬
milben bringen, Sitzstangen in den Geflügelställen, welche von
starken Eisendrähten, die oben mit Vogelleim bestrichen sind und
von der Stalldecke herabgehen, unten aber in Ringen endigen,
gehalten werden, so zwar, dass sie 7* Meter nach allen Richtun¬
gen von den Wänden abstehen. Genügende Reinigung der Ställe,
öfteres Tünchen derselben, öfteres Ausstreuen von Kalkstaub auf
die Stallfussböden, Desinfection des Holzwerkes im Stall mit ver¬
dünntem Benzin, Carbollösung u. dergl. können ebenfalls prophy¬
laktisch wirken; Staubbäder (Sand und gesiebte Asche) dürfen
dem Geflügel niemals fehlen, wenn Ungeziefer auf ihm nicht
überhand nehmen soll. Die gewöhnlichen Federlinge werden
vertrieben durch Einreiben von einem Gemisch ätherischen Anis¬
öles und Rüböles (1:5—10), auch wohl durch Einstäuben von
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XV. ZÜRN
frischem Insectenpulver zwischen die Federn der Vögel, oder
durch Waschungen mit Decocten des Insectenpulvers.
Kalkbeine, Elephantiasis der Hühner ist ein Ana¬
logon der Fussräude unserer Haussäugethiere. Starke Schuppen-
und Borkenbildung, Abgehobensein der Fussepidermisschilder
charakterisiren besonders diesen Ausschlag neben dem vorhande¬
nen Juckgeftihl, auf welches die leidenden Thiere durch Scheuem
Nagen etc. reagiren. Ursache des Uebels ist jene Milbe, welche
Sarcoptes mutans oder Dermatoryctes mutans oder Knemido-
koptes viviparus genannt worden ist.
Pauly (6, S. 193), Zürn (11, S. 23 und 148, sowie 10,
S. 55), Nörner (3) berichten über diese Milbe und den durch
sie hervorgerufenen Hautausschlag, der am besten durch Auf¬
weichen der Borken (mittelst Vaseline oder Seifenbäder), Ab¬
heben derselben, Einreiben von mit Spiritus verdünntem Peru¬
balsam oder mit einem Gemisch von Petroleum und Fett (1:10),
später Aufstreichen eines milden Fettes beseitigt wird. Pro¬
phylaxe: Stalldesinfection unter Zuhülfenahme von Benzin.
Nörner (4) veröffentlichte eine werthvolle Arbeit über die
in den Federspulen vorkommenden, von Heller in Kiel ent¬
deckten Milben, welche Syringophilus bipectinatus genannt wer¬
den. Diese Arbeit ist eine rein zoologische.
Derselbe Autor (5) fand eine neue, in Federspulen und
zwischen den Federn der Hühner parasitirende Milbe, Analges
minor genannt. Sie wird wie folgt beschrieben:
„ Thiere von minimaler Grösse. Körperform bei beiden Ge¬
schlechtern gleich; hinteres Leibesende abgerundet, borstentra¬
gend; Abdomen jederseits mit zwei länglichen Excretionstaschen,
deren Ausführungsgänge auf der Dorsalseite münden. Thoracal-
gliedmassen randständig; Abdominalgliedmassen bauchständig.
Füsse schmal, fünfgliederig, behaart. Am Ende jedes Tarsus
kleine kurzgestielte, tellerförmige Haftscheibe. Drittes Fusspaar
des ausgebildeten Männchens enorm verdickt, in eine Kralle endi¬
gend, gleichsam mit Haftscheibe. Trochanter desselben auf der
inneren Seite zwei kleine fingerförmige Fortsätze. Männchen mit
kleinen Copulationsnäpfen und genitalem Chitingertist, Weibchen
ohne ein solches. Weibliche Geburtsöffnung in Form einer Quer¬
spalte, mit stark gefalteten Seitenrändern, zwischen den hinteren
Extremitäten. Kopf vom Rumpfe deutlich abgegrenzt, mit drei
Kieferpaaren und kleinen zweigliederigen Palpen.
Eier länglich, oval, ohne Befestigungsapparat. Zwei Larven-
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Die Krankheiten der Vögel.
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formen. Erste vierftissig, sehr lang gestreckt, sackförmig; Hinter¬
leib abgerundet, borstentragend. Dicht an dem kleinen Kopfe
zwei Paar kurze, stummelförmige, fünfgliederige Ftisse, der Haft¬
scheiben und Borsten entbehrend. Am Anfang des letzten Leibes¬
drittel an Stelle von Füssen vier kleine ringförmige Erhaben¬
heiten. Zweite Larvenform sechsftissig. Diese und die achtbeinige
Nymphenform analog dem ausgewachsenen Thiere.
Die Farbe von Analges minor ist weisslichgrau.
Was die Grössen Verhältnisse anbelangt, so gestalten sich
dieselben für diese Milbe folgendermaassen:
J, Länge 0,270—0,305 Mm. (im Mittel 0,290 Mm.), Breite 0,078—0,090 Mm.
S, Länge. 0,330—0,351 - - 0,090—0,114 *
Nymphe, Länge. 0,210—0,264 - - 0,060—0,075 *
Sechsbeinige Larve, Länge . 0,138—0,192 = * 0,060—0,067 **
Vierbeinige Larve, Länge . . 0,288—0,302 ** = 0,057—0,060 *
Eier, Länge. 0,126—0,139 - - 0,043—0,053 *
(Eine in Häutung befindliche sechsbeinige Larve erreichte die colossale
Länge von 0,258 Mm., die Breite betrug 0,070 Mm.)“
Zürn (11) erwähnt mehrfach die Unterhautbindegewebs-
milben, welche bei Hühnern häufig (bei 70Proc. aller Hühner)
Vorkommen, und um deren Willen das Fleisch geschlachteter
Hühner oft genug beanstandet wird. Diese Milben, früher als
Sarcoptes cysticola, neuerer Zeit als Laminosioptes gallinarum
M6gnin oder Epidermoptes bifurcatus Rivolta bezeichnet, ver¬
kalken sehr rasch und bilden Concretionen von der Grösse eines
Hirsekornes bis Kanariensamens; selten werden solche so gross
wie Weizenkörner. Die verkalkten Milben sind schon für Ty¬
rosin, Guanin und Gott weis für welche Concremente ausgegeben,
ja sogar für Tuberkeln angesprochen worden. In den stark ver¬
kalkten Concretionen findet man, selbst nach Anwendung von
Säuren, nicht mehr die Milben oder Bruchtheile von solchen;
will man sie in ihren verschiedenen Entwicklungsstadien finden,
so hat man ein grösseres Stück Unterhautbindegewebe auf dem
Objectträger auezubreiten, worauf man unter mittelstarken mikro¬
skopischen Systemen die Milben, welche klein sind, und ihre
nach und nach sich steigernden Einkapselungsstadien auffinden
wird. Die Parasiten scheinen ihren Wirthen keinen erheblichen
Schaden zu bringen, sind auch am lebenden Huhn kaum zu
diagnosticiren.
Auch der Luftsackmilben (Cytoleichus sarcoptoides) ge¬
denkt Zürn (11, S. 449, 481); diese rufen oft Entzündungszu¬
stände in Luftröhre, Bronchien und Luftsäcken der Hühner her-
Dentsche Zeitschrift f. Thiermed. u. vergl. Pathologie. IX.Bd. 14
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XV. ZÜRN
vor und sind, wenn ihr Vorhandensein erkannt wird, durch In-
halirenlassen von Theerwasser- oder Theerdämpfen am besten
zu tödten. Beschleunigtes und erschwertes Athmen bei sonstigem
Muntersein und Ungeschädigter Fresslust, zuweilen ein Ausstossen
eines Tones, als wenn ein fremder Körper in den oberen Kehl¬
kopf des Huhnes gelangt wäre (Jib) charakterisiren allein das
Vorhandensein der Milben bei ihrem Wirthe.
Dermesdes lardarius greift lebende junge Tauben an
und bohrt sich in deren Haut und Fleisch. Vergl. Zürn (11, S. 235.)
Heterakis maculosa, der Taubenspulwurm, vernichtet
oft ganze Taubenhaltungen, sucht auch besonders die zarteren
und feineren Taubenragen auf. Pauly (6, S. 118) und Zürn (10,
und 11, S. 56, 226) berichten über diesen Rundwurm, der oft zu
400—500 Stück in dem Darm einer Taube vorkommt. Bestätigt
wird, was seinerzeit Unterberger (Oesterr. Vierteljahrschr. f.
Veterinärk. *1868) von diesem Parasiten erforschte. Interessant
bleibt es, dass die Eier vom Heterakis mac., von einer gesunden
Taube aufgenommen, zur directen Infection Veranlassung geben,
dass die Embryonen dieses Rundwurmes nicht einen Zwischen-
wirth zu passiren haben. Vorbeugend wirkt vorzugsweise alles,
was verhindert, dass gesunde Tauben nicht den mit Heterakis-
eiern reichlich durchsetzten Koth kranker Tauben zugleich mit
ihrem Futter aufzupicken Gelegenheit haben.
Trichosoma tenuissimum wird nach Pauly und Zürn
häufig genug Erzeuger schwerer Darmkatarrhe und daraus resul-
tirender Anämie und Abzehrung.
Heterakis inflexa, ein bei Hühnern häufiger Eingeweide¬
wurm, erzeugt ebenfalls Dartiakatarrhe und Abzehrung. Hühner,
die diesen Parasiten beherbergen, zeigen nach Zürn (11, S. 473)
Durst, Durchfall, Abmagerung.
Gegen die Rundwürmer des Darmes bei Geflügel braucht
Zürn (10 und 11) Arecanuss (Kücken 0,5 Grm., Vögeln in der
Grösse einer Taube 1 Grm., Hühnern bis 3 Grm., Puten jedoch
nur 1—2 Grm.), jenes vorzügliche Band- und Rundwurm treibende
Mittel, welches auch bei Säugethieren, besonders Hunden, mit so
grossem Erfolg gegeben wird. Pauly scheint Santonin bei rund¬
wurmkranken Vögeln zu benutzen, von dem Tauben, nach An¬
gaben des genannten Autor, enorm grosse Dosen vertragen sollen.
Ein sehr gefährlicher Eingeweidewurm, namentlich für junge
Hühner und Fasanen, ist der schon im Jahre 1797 entdeckte
gepaarte Luftröhrenwurm (Syngamus trachealis, Sclero-
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Die Krankheiten der Vögel.
201
stoma syngamus) über welchen Zürn (10, S. 38 und 49, sowie
11, S. 204, 329 mit Abbildung der Entozoe) mehrfach berichtet.
Dieser Parasit wohnt in der Luftröhre der Hühner, Fasanen,
Puten, Pfauen, Enten, Gänse, Rebhühner, Störche, Elstern, Krähen,
Spechte, Meiseij, Staare, Schwalben, Drosseln, Amseln, Cardinäle,
Webervögel, Rothkelchen, Kanarienvögel. Die von ihm befalle¬
nen Vögel lassen ausser Husten ein öfter geschehendes Aufsperren
und darauf folgendes Schliessen des Schnabels, ferner ein starkes
in die Höherecken des Kopfes beobachten; sie werden schnell
blutarm und gehen so in dem Ernährungszustand zurück, dass
man acht Wochen alte Kücken in der Grösse vier Wochen alter
vorfindet, und dies ist ganz natürlich, da der gepaarte Luftröhren¬
wurm (Männchen 4—5 Mm., Weibchen 12—13 Mm. lang; beide
meist in der Copulation vorzufinden) ein Blutsauger ärgster Art
ist. Das Husten der kranken Vögel geschieht in eigentümlicher
Weise, wobei der Kopf oft hin und her geschleudert wird; schlei¬
mige Massen, die eine Menge der 0,11 Mm. langen, elliptischen,
doch fast cylindrischen Syngamuseier enthalten, werden ausge¬
hustet, meist aber sofort wieder aufgepickt und so wird wieder
für weitere Selbstinfection Sorge getragen. Dass Athemnoth, oftes
und weites Aufsperren des Schnabels, ein nach Luft Schnappen
(Japsen) kundgegeben wird von den Patienten, ist leicht zu be¬
greifen, da die Syngamen auf der Schleimhaut der Trachea sich
festsaugen, entzündliche Schwellung derselben bedingen, aber
selbst auch, wenn in grösserer Zahl vorhanden, durch Verstopfung
des Trachealumen Athmungsbeschwerden bis zur Erstickungs¬
gefahr hervorrufen müssen. Die Infection der Vögel geschieht
lediglich durch Verzehren von Futter, welches mit Syngamus-
eiern, die von Vögeln, welche in ihrem Innern Luftröhren Würmer
beherbergen, ausgehustet oder mit dem Koth abgesetzt wurden,
verunreinigt worden ist. Vernichtung der Syngamen, Zerstörung
der in Ställen und Laufräumen des Geflügels verstreuten Eier
dieses Parasiten ist Hauptaufgabe der Prophylaxis. Durch inner¬
lich zu gebende Arzneien ist der Luftröhrenwurm nicht oder nur
selten aus der Luftröhre der Vögel zu vertreiben. Zwar hat man
Knoblauch und Asa foetida (unter das Futter gegeben) und Sali-
cylsäure ins Saufen neuerdings von Frankreich aus empfohlen,
allein es hilft solches meist so wenig, wie das häufig empfohlene
Umdrehen einer in Terpenthinöl oder in verdünntes Benzin ge¬
tauchten Feder, die man vorsichtig durch den oberen Kehlkopf
in die Luftröhre des Patienten einen Moment lang einführt. Am
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XV. ZÜRN
besten nützt nach Zürn das Einathmenlassen der Dämpfe eines
2—5proc. kreosot- oder theerhaltenden Wassers, welches durch
glühenden Draht umgerührt wird; sonst Tracheotomie. Ein
Herr E. W. Sch. macht in den Dresdener Blättern für Geflügel¬
zucht (1882, S. 287) bekannt, dass die Diagnose über den Sitz
der Syngamen in der Trachea eines Huhnes sehr erleichtert
werde, wenn man dasselbe mit dem Daumen und Zeigefinger
der einen Hand am unteren Schnabel anfasst, wobei die Zunge
etwas hervorgezogen und festgehalten werden muss, und es dann
mit etwas ausgedehntem Halse gegen das Licht der Sonne (oder
ein angebranntes Licht) hält. Haut und Trachea sind, besonders
bei Kücken, so durchsichtig, dass der Sitz der Luftröhrenwtirmer
erkannt werden kann. Sch. heilte von 13 mit Syngamus behaf¬
teten Kücken 11 dadurch, dass er mittelst eines dünnen Stroh¬
halmes einige Tropfen einer 8—lOproc. alkoholischen Sali-
cylsäurelösung vorsichtig durch den oberen Kehlkopf in die
Luftröhre der Patienten laufen liess. Die Würmer wurden sofort
getödtet, dann durch Husten ausgestossen, oft 3—4 Paare auf
einmal. Die behandelten Vögel erlitten durch die Behandlung
keinen anderen Nachtheil, als dass sie 1—2 Tage nach derselben
noch etwas Husten hören Hessen.
Dass die angebliche Trichine in der Magenwand der Hühner,
welche Bakody gefunden hat, wahrscheinlich eine Filarienlarve
ist, hat Zürn, Leuckart’s Angaben folgend (10, S. 49), an¬
gegeben. Mögnin (2) widerlegt die von Rivolta undDelpe-
rato ausgesprochene Ansicht, dass es Htihnertrichinen gebe. Im
intervisceralen und im subcutanen Zellgewebe eines Machetes
fand Mögnin eine Menge kleiner brauner, eiförmiger Cysten,
welche einen winzigen, geschlechtslosen Rundwurm von 2 Mm.
Länge und 0,10 Mm. Breite enthielten, die der genannte Autor
für eine Dispharaguslarve zu halten und sie für identisch anzu¬
sehen mit der von Rivolta und Delperato bei Hühnern ge¬
fundenen sogenannten Trichine (Tr. papillosa) sich berechtigt hält.
m. Epiphyten. Entophyten.
Die Favuskrankheit (weisser Kamm, Hühnergrind), welche
von Gerl ach (Virchow’s Archiv. XVI. 1859) entdeckt wurde,
ist von Pauly (6, S. 107, 207, 325) beobachtet worden. Bei
einem Huhn, bei welchem der Hautausschlag sich nicht, wie ge¬
wöhnlich hur auf Kamm, Kehllappen, Ohrlappen und Kopfhaut
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JDie Krankheiten der Vögel.
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erstreckte, sondern sich auf die Haut des Rumpfes weiter ver¬
breitet hatte, wurde ein auffallend schimmeliger Geruch des
Thieres wahrgenommen. Zürn (10, S. 135; 11, S. 385) rühmt
Einreiben der doppelschwefelsauren Kalklösung (s. oben) auf die
favuskranken Stellen, zugleich empfiehlt er dasselbe Mittel zur
Desinfection der Ställe, in welchen favuskranke Hühner sich auf¬
gehalten haben.
Soor auf der Schleimhaut der Speiseröhre und des Kropfes
der Hühner beschreibt Zürn (10, S. 130 und 11, S. 5, 473); es sei
massenhaft das Oidium albicans vorzufinden. Die daran leiden¬
den Vögel magern ab, obschon sie sehr gefrässig sind, lassen
oft einen saueren Geruch wahrnehmen, haben meist einen auf¬
getriebenen Kropf und sitzen traurig da (wenn es nicht Fütte¬
rungszeit ist, wo sie sich sehr lebendig zeigen), in allen Ecken
und Winkeln herum hockend. lOproc. Boraxlösung, esslöffel¬
weise eingegeben, bringt manchmal Heilung. Eberth’s Beob¬
achtung über das Vorkommen des Soor bei Hühnern (Virchow’s
Archiv. XIH. Bd.) ist sonach bestätigt worden.
Mykosen der Luftwege bei Vögeln sind von Pauly (6),
Russ(7), Zürn (10 und 11) mehrfach beobachtet worden. Letz¬
terer fand Mykose der Lungen und Luftzellen, dnrch Aspergillus
niger hervorgerufen bei einem Gimpel und einem Huhn; Mykose
der Luftzellen durch Aspergillus glaucus bei einer Ente; eine
Bronchopneumonie bei einem exotischen Finken durch feine Mycel-
fäden ohne Conidien oder sonstige Fruchtform erzeugt. Inhaliren-
lassen (festes Arzneiglas, in welches die heissen Flüssigkeiten
gethan werden, wird dem Patienten so unter den Schnabel ge¬
halten, dass er die Dämpfe einathmen muss) von Theerwasser-
dämpfen, Theerdämpfen, Dämpfen einer Mischung von Jodtinctur
und Wasser (ana) sind am Platze, müssen aber vorsichtig ange¬
wendet werden.
IV. Die übrigen Krankheiten der Vögel.
Von Interesse für die pathologische Anatomie dürften fol¬
gende von Zürn (11) beobachtete Fälle sein: Verkrümmung der
Rückenwirbelsäule, Fehlen der rechten Lunge und der rechten
Niere bei einem jungen Huhne; der rechte Hauptbronchus ver¬
kümmert, endete im Brustluftsack (S. 417). Echte Invagination
des Dünndarms bei einem Huhne (S. 172). Dilatation des Drtisen-
und des Muskelmagens bei einem Huhn; der Drüsenmagen war
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204
XV. ZÜRN
90 Mm. lang und hatte einen grössten Umfang von 108 Mm., der
eigentliche Magen 87 Mm. lang, 140 Mm. Umfang aufzeigend;
die Krankheit war durch gieriges Fressen und durch förmliches
Einpressen von Futterstoffen in die ausgeweiteten Verdauungs¬
organe hervorgerufen worden (S. 88). Wirkliche Dilatation des
Dünndarms fand sich bei einem Huhn, das sich und anderen
Hühnern Federn ausgezupft und verzehrt hatte (S. 44). Unge¬
wöhnliche Dilatation der rechten Herzhälfte bei einem Cochin-
buhn; in dem besonders erweiterten Atrium ein 91 Grm. schwerer
Klumpen geronnenen Blutes; Atrioventricularöffnung durchgängig
für einen Mannsdaumen, Ringmuskelklappe atrophirt; Erguss von
bedeutender Quantität gelblichen, gallertige Massen haltenden
Serums in Bauchhöhle und Herzbeutel (S. 56). Bei dem Huhn
eines Restaurateurs wurde eine 324 Grm. schwere Speckleber
gefunden; dieselbe reichte beinahe von der Herzspitze bis zum
Ende der Beckenhöhle, war 17 Cm. lang, besass einen stärksten
Umfang von 24 Cm. (S. 324). Bei einer an Darmkatarrh leidenden
Taube fand sich nach deren Tode auch das Pankreas ungemein
vergrössert und mit einer Anzahl erbsen- bis bohnengrosser, mit
nur wenig getrübter Flüssigkeit versehener Cysten behaftet auf
(S. 297).
Ueber erworbene und angeborene Schnabelmissbildun¬
gen der Vögel handelt ein grösserer, mit Illustrationen ver¬
sehener, Artikel Zürn’s (11, S. 109). Das Vorkommen von Krebs¬
geschwülsten bei Vögeln ist mehrfach erwähnt (S. 14,24,281,298,
438); unter diesen auch ein enormer Ovarialkrebs. Von malignen
Geschwülsten beschreibt Pauly (6) einen Epithelialkrebs unter
der Haut eines Huhnes (multipel); bei demselben Thiere eine
165 Grm. schwere Leber mit Krebsknoten bis zur Kirschengrösse;
anstatt Eierstock eine 96 Grm. schwere Krebsgeschwulst; Darm,
Bauch- und Brustfell mit zahlreichen grösseren und kleineren
Knoten besetzt; die Milz zeigt kleinste Knötchen auf; grosse
Krebsgeschwulst am Kreuz, welche als primärer Herd angespro¬
chen werden musste (S. 134). Ferner bei einem Vogel Medullar-
krebs am Magen, Vormagen und in der Haut, ausgezeichnet durch
hanfkorn- bis haselnussgrosse Knoten (S. 159); diffuse Rundzellen¬
sarkome der Leber (S. 207); Sarkome (S. 417); Leberkrebs bei
einem Huhn (S. 263). Multiple Medullarcarcinome bei einem Huhn
fand Weiskopf (9).
Eingeweidegicht beobachtete Pauly (6) bei einem Huhn;
in diesem Falle zeigten sich die Harnsäureablagerungen in Lunge,
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Die Krankheiten der Vögel.
205
Leber, Milz, Darm, Brust- und Bauchfell, während Muskeln, Kno¬
chen und Gelenke frei von solchen waren (S. 263). Ein anderer
Fall betraf einen Fasan, bei dem die Harnsäureablagerungen in
fast sämmtlichen Organen stattgehabt hatten, besonders auf den
serösen Häuten (S. 278). Es wurde empfohlen, die nächsten Ver¬
wandten dieser Thiere von der Zucht auszuschliessen, da die
Disposition zur Gicht vererbe. Darmgicht bei einem Huhn be¬
schreibt Zürn (11, S. 273); derselbe Autor betont, dass Gicht
an den Gelenken der Arm- und Fussknochen bei Vögeln zwar
vorkommt, dass aber in den meisten Fällen der sogenannten
Flügel- und Beingicht, die besonders bei Tauben häufig
beobachtet wird, tuberculöse Processe vorliegen. Bei veritabler
Gicht (S. 112, 204, 369, 481) der Knochen und Gelenke hat er
früher örtlich Wärme zunächst angewendet, meist in der Form
warmer Sandbäder, hat es aber später für vortheilhaft gefunden,
die frisch entstandenen, noch heissen und bei der Berührung
schmerzenden Geschwülste zu kühlen (Lehmanstriche, Wergum¬
wicklung und Anfeuchten mit Bleiessig und Wasser), später, wenn
vermehrte Wärme und Schmerz verschwunden, von der Jodoform¬
salbe (1: 50) Gebrauch zu machen, auch innerlich Tinct. Golchici
(2—4 Tropfen täglich) zu geben.
Von mehr praktischem Interesse sind folgende Krankheits¬
zustände:
Die Darmkatarrhe des Junggeflügels; sie entstehen durch
ungeeignete Diät (unverdauliches Futter, wie Eierkäse, frisches
Brot, Fleischmehl, sauer gewordenes Weichfutter) oder durch
Erkältung. Wenn die Darmkatarrhe unter vielen Stücken der
Geflügelaufzucht Vorkommen, scheinen sie gern infectiös zu wer¬
den. Leichtes gut verdauliches Futter, besonders Hanf, in Roth-
wein getauchte Brocken altbackner Semmel oder in solchem ein-
geweichte Körner, manchmal zum Anfang der Cur ein Abführ¬
mittel (Ricinusöl), Warmhalten, penible Reinigung der Ställe,
Fress- und Saufgeräthe, unter Umständen Desinfection bringen
Hülfe (vergl. Zürn 11, S. 385, 409, 464).
In Folge übermässiger Gefrässigkeit kommt es oft zum so¬
genannten harten Kropf, d. h. zur vollen Unverdaulichkeit im
Kropf bei Hühnern und Tauben. Zürn (11, S. 473) beobachtete
bei einem Huhn einen Kropf, der nebst Inhalt, welcher aus
Futter, Sand, Steinchen und Erde bestand, nicht weniger als
1348 Grm., also 2 Pfund und 348 Grm. wog. Gegen den harten
Kropf wird Kneten des geschwollenen Kropfes, stündliches Ein-
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206
XV. ZÜRN
geben von Pfeffermiinzthee mit 1—2 Tropfen Salzsäure, oder der
Kropfschnitt angewendet, Uber dessen zweckmässige Ausfüh¬
rung v. Tresckow (8, S. 65) und Zürn (10, S. 174) schreiben.
Diese Operation ist bei Hübnern meist von günstigem Erfolg, bei
Tauben hingegen von letalem Ausgang begleitet.
Eierstocks- und Eileiterentzündungen kommen na¬
mentlich bei Hübnern, die viele und grosse Eier legen, und zu
Beginn der Legeperiode, sehr häufig vor. Sowohl beiPauly(6)
als bei Zürn (11) sind in dieser Beziehung eine Menge von
Sections- und Krankheitsberichten zu finden. Das Legen von
ganz weichschaligen Eiern (Fliess- oder Flösseiern) oder abnor¬
men Eiern zeigt in der Regel Eileiterentzündung an. Die soge¬
nannten Flösseier werden zwar auch producirt, wenn Hühner
übermässig und mit zu proteinreicher Nahrung gefüttert werden,
oder wenn einzelne Hühner vom Hahn bezüglich geschlechtlicher
Cohabitation bevorzugt werden, oder wenn der Nahrung der zum
Eischalenaufbau nothwendige Kalk fehlt, immer aber scheinen
Reizungszustände der Eileiterschleimhaut statt zu haben. Isoliren
des Patienten in einen kühlen, halbdunklen, ruhigen Raum,
knappe Fütterung, besonders Entziehung allzu eiweissreicher Nah¬
rung, gebrannte Austerschalen oder Schlemmkreide und dergl.
unter das Weichfutter, Einspritzungen von Schleim und schwachen
Alaunlösungen können gegen Eileiterentzündung und gegen das
Legen der Flösseier Hülfe bringen.
Bei nicht Offensein der Abdominalöffnung des Eileiters kommt
es nicht selten vor, dass ein Dotterfollikel platzt, der Dotter in
die Bauchhöhle fällt und dadurch Anlass zur Bauchfellentzün¬
dung etc. gegeben wird (P a u 1 y 6, S. 180, 207).
Mit chronischer Ovariumkrankheit behaftete Hühner zeigen
häufig das auf, was der Züchter das „Foppen“ nennt. Sie gehen
zu Neste, als ob sie legen wollen, erheben sich nach einiger Zeit
wieder und gackern dann, als wenn sie gelegt hätten, was nie¬
mals der Fall ist (vergl. Zürn 11, S. 371).
Rupturen des Eileiters sind nicht selten und brauchen keines¬
wegs zum Tode zu führen. Eier treten in die Bauchhöhle aus
und können nicht geboren werden (vergl. Zürn 11); es werden
solche auch zuweilen, wenn auch selten, nicht schädigend und
werden mit Bindegewebe umhüllt oder förmlich eingekapselt,
während die Eileiterwunde heilt, und später kann das Thier wie¬
der Eier legen.
Eine äussere Krankheit, die nicht selten vorkommt bei schwe-
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Die Krankheiten der Vögel.
207
ren Hühnern und auf Erkältung sowie auf mechanische Insulte
zurttckgeflihrt werden muss (Sitzen auf schmalen, scharfkanti¬
gen und eckigen Stangen, harter Fussboden, Kies in den Lauf¬
räumen) ist die Fusssohlengeschwulst (Bomblefoot von den Eng¬
ländern genannt). Es ist das eine Periarthritis, die zunächst
die um das Mittelfussgelenk sitzenden Weichtbeile angeht, aber
auch auf Bänder, Sehnen und deren Scheiden, Gelenkknorpel
und Knochen übergreift. Unter Fieber entsteht diese anfangs
heisse und schmerzende Geschwulst, die nach 36 bis 48 Stun¬
den weich wird und zu fluctuiren beginnt. Oeffnet man sie
jetzt, so fliesst eine gelbe, oft klare, manchmal mit Eiter oder
Blut gemischte Flüssigkeit aus. Wartet man mehrere Tage, ehe
man die Geschwulst aufscbneidet, so findet sich als Inhalt eine
dicke, gallertige, oder eine mehr feste, käsige gelbe Masse. Ne¬
krose der Bänder, Sehnen, Knochen kann Folge dieser Peri¬
arthritis sein. Zürn (11, S. 225) räth anfangs zu kühlen, später
Jodoformsalbe einzureiben, die Geschwulst nur zu öffnen, wenn
es unbedingt nöthig ist, dann den Inhalt vorsichtig auszulöffeln,
bei etwaigen Blutungen die blutstillende Watte einzulegen, sonst
aber warme Fussbäder so oft wie möglich vorzunehmen und
Wachssalbe in den Hohlraum einzubringen und auch mit Wachs¬
salbe und Leinwandstreifen zu verbinden. Pauly(6,
S. 44) empfiehlt die Geschwulst, wenn sie fluctuirt, zu öffnen,
nach und nach den Inhalt auszulöffeln, täglich lauwarme Fuss¬
bäder mit Chamillenthee zu machen und zur Ausfüllung der Ge-
schwnlsthöhle und zum Bestreichen des unteren Endes des zum
Verband dienenden Leinwandstreifens eine Salbe, welche zusam¬
mengesetzt ist aus 1 Theil ungewässerter Butter, */4 Gewichts-
theil rohem Wachs, l k Gewichtstheil Tannenpech (im Wasserbad
zusammengeschmolzen), zu verwenden.
Pauly (6) beobachtete auch bei einer Drossel ein Gelenk¬
leiden an beiden Füssen, welches er als Arthritis deformans
bezeichnet und als durch unzweckmässigen Käfig hervorgerufen
ansieht.
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XVI.
Kleinere Hittheilnngen.
Odontologische Notizen.
Von
Prosector Th. Kitt.
Man trifft bei der Musterung der Zahnformeln, wie sie für die
verschiedenen Säugethierklassqp aufgestellt worden sind, öfters
abweichende Angaben, welche darin ihren Grund haben, dass
ein oder mehrere Zähne, in der Regel sind es Prämolaren, hin¬
fällig geworden sind und daher bei der Feststellung des Zahn¬
typus nicht mit gerechnet wurden. So ist es dem vierten Prä¬
molar des Pferdes ergangen, der oftmals ausfällt, oft nur in einer
Kieferhälfte, in einem Kiefer, oder auch in beiden vorkommt.
Wenn wir die Genealogie des betreffenden Thieres jedoch
verfolgen, so erhellt immer, dass mit der progressiven Entwick¬
lung des Individuums eine Reduction des jeweiligen Zahnes in
der Anpassung an die äusseren Verhältnisse stattgefunden hat.
Nehring bajt in letzter Zeit gelegentlich eines in der Gesell¬
schaft naturforschender Freunde zu Berlin (am 16. Mai 1882) (siehe
deren Sitzungsbericht Nr. 5) gehaltenen Vortrags einige Ganis-
schädel vorgelegt, welche eine geringere Zahl von Zähnen auf¬
zuweisen hatten, als es die gültige Zahnformel ^iyCypym
bestimmt.
Ohne diesem Forscher, der uns die nähere Erklärung dieses
Mangels noch schuldig geblieben, vorgreifen zu wollen, möchte
ich nun die Zahl solcher Angaben vermehren helfen, indem ich
einige Beobachtungen an dem Gebisse diverser, in der anatomi¬
schen Sammlung der Münchener Thierarzneischule befindlicher
Schädel mittheilen werde.
An einer grösseren Anzahl Hundeschädel vermochte ich näm-
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XVI. Kleinere Mittheilungen
209
lieb zu constatiren, dass, während die grösseren Ragen dieses
Hausthieres, ähnlich den wilden Caniden, die volle typische Be¬
zahnung tragen, die kleineren Culturragen (Wachtelhunde,
Bologneser, Rattenfänger) durch den Mangel des letzten
Molaris im Hinterkiefer gekennzeichnet sind.
Weniger bekannt dürfte die Reduction des Prämolar 3
bei Schafen sein, von denen mir drei Exemplare, ein männ¬
liches und ein weibliches bayerisches Landschaf und eine Haid-
schnucke (sämmtlich ausgewachsen) aufstiessen. Letztere hat im
Vorderkiefer noch einen linsengrossen P3 rechterseits, links je¬
doch findet sich nur Pi und P2 ; an Stelle des P3 ist der Kiefer¬
knochen glattrandig, ohne die geringste Spur des einstigen Da¬
seins eines Zahnes. Im Hinterkiefer fehlt beiderseits P3 und ist
wiederum der Knochenrand vollständig eben und ohne lacnnäre
Defecte. Der Widder hat im Vorderkiefer noch die typische Zahl
von 3 Prämolaren, im Hinterkiefer fehlt jedesmal der vorderste
Prämolar, gleichfalls ohne dass die Andeutung seines ehemaligen
Vorhandenseins bestände. An dem dritten, weiblichen, Schädel
fehlt ebenfalls P3, aber nur im Vorderkiefer beiderseits, im Hinter¬
kiefer bestand die gewöhnliche Zahnformel, der P3 beider Aeste
war jedoch nur einwurzelig und entsprechend die Alveole in
Gestalt einer kleinen Lücke vorhanden, während sonst der normal
zweiwurzelige Zahn auch zwei Gruben in Anspruch nimmt.
Jedenfalls Interesse und entschieden wissenschaftliche Be¬
deutung fordert das Verhalten der beiden Pi des Vorderkiefers
an diesem Objecte heraus, denn beide haben so zutreffend das
Gepräge eines Molarzahnes, dass ich anfangs mit Befrem¬
den 4 Molaren statt 3 abzählte.
Es ist charakteristisch für die artiodactylen Ungulaten, dass
die Prämolaren sich in der Grösse und Form wesentlich von den
Molaren unterscheiden (Cuvier und Owen) und bei den Rumi-
nantien sind erstere derart reducirt, dass man sagen kann, in
dem Prämolar ist die ganze hintere Zahnhälfte des Molaren ver¬
loren gegangen, oder mit der vorderen verschmolzen worden.
Diese Concentration des Zahnes lässt sich bis auf die ältesten
fossilen Thiere, bis hinauf zum Ersatzgebiss des Anoplotherium
verfolgen. Nun hat Rütimeyer 1 ) nachgewiesen, dass einzelne
Wiederkäuer, insbesondere Moschus aquaticus, in ihrem Milch-
l) Beiträge zur KenntuUs der fossilen Pferde und zur vergleichenden
Odontographie der Hufthiere überhaupt. Verh. d. anthr. Gesellsch. Basel. III.
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210
XVI. Kleinere Mittheilungen.
gebiss Rückerinnerungen an eine frühere Stammform zeigen, in¬
dem die Milchprämolaren in ihrer Form den Molaren ähnlich
sind, so zwar, dass bei dem genannten Thiere der hinterste Milch¬
prämolar vollkommen einem Molarzahn entspricht, mit dem klei¬
nen, wie er angibt, wichtigen Unterschiede, dass er auf dem
vorderen Querjoch einen kleinen Zwischenhügel besitzt.
Es ist nun gewiss als eine Seltenheit zu betrachten, dass ein
in der Entwicklungsreihe ziemlich entfernt stehendes Thier, unser
zahmes Schaf, eine solche Memoration an frühere Formen, hier in
so ausgeprägter Weise darbietet, indem nämlich die Aebnlichkeit
des Pi beiderseits, und zwar so exquisit und gleichmässig mit
dem Typus eines Molarzahnes sich kundgibt, dass zwei vollstän¬
dige Halbmonde, ein gleich grosses Vor- und Nachjoch an einem
Ersatzprämolar aufgetreten sind. Die Pi des Oberkiefers
beim Schafe bilden sonst nur einen geschlossenen Halbmond.
Eine Reduction des P 3 im Hinterkiefer beobachtete ich auch
an zwei Rindsschädeln der Brachycerosra^e, wobei eine Kinn¬
lade nicht die geringste Alveolenbildung vor dem vorderen Rande
des P 2 zeigte, am zweiten Exemplare eine seichte Usur die Stelle
des verloren gegangenen Zahnes kennzeichnete.
Ein merkwürdiges Beispiel überzähliger Zähne gibt der Hin¬
terkiefer eines Kalbes. Hinter den Incisivis 4 findet sich, be¬
sonders deutlich bei jungen Thieren, der Alveolarrand auf 1 bis
1V 2 Cm. fortgesetzt, und selbst bei alten Schädeln ist hinter
jedem Incisivus 4 der Alveolarrand zu einer, am macerirten Kno¬
chen nicht glatten, sondern spongiös erscheinenden Kante ausge¬
zogen. An dieser Stelle sitzt bei diesem etwa 4 Wochen alten
Kalbe ein ganz wie der Incisivus 4 geformter, fast ebenso grosser
fünfter Zahn jederseits, der vollständig, wie die übrigen Schnei¬
dezähne, in einer Alveole befestigt und am Halse mit Zahnfleisch
umkleidet ist.
2 .
Miliartuberculose bei einer perlsüchtigen Kuh.
Von
Dr. Schmidt-Mülheim,
Kreisthierarzt in Iserlohn.
So weit mir bekannt, ist in der Literatur bisher kein Fall
von wahrer Miliartuberculose beim Rinde verzeichnet. Der nach-
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^XVI. Kleinere Mittheilungen.
211
folgende Obductionsbericht bringt einen solchen und bezieht sich
auf eine Kuh, die unter den Erscheinungen der Perlsucht er¬
krankte und verendete. Das Thier gehörte dem gemischten Land¬
schlage (holl. Kreuzung) an und war 6 Jahre alt. In einer Zeit,
die voll von den Entdeckungen Koch’s ist, könnte es nahe liegen,
das gleichzeitige Vorkommen von Perlsucht und Miliartuberculose
als Beweis für die Identität beider Krankheiten zu betrachten.
Ich bitte jedoch, den Befund rein objectiv als einen Beitrag zur
Kenntniss der Krankheiten des Rindes auffassen zu wollen.
Obductionsbefund. Das Thier ist zum Skelet abge¬
magert.
In der Bauchhöhle findet sich ein sehr massiges Quantum
einer röthlichen Flüssigkeit vor, welche frei von Gerinnseln ist.
Parietales und viscerales Blatt des Bauchfelles zeigen sich mit
äusserst zahlreichen Knoten und Knötchen förmlich tibersät, welche
meistens deutlich abgeplattet erscheinen, einen aschgrauen Far¬
benton besitzen und in ihrem Umfange zwischen der Grösse einer
Linse und derjenigen eines kleinen Apfels schwanken. Die grös¬
seren Neubildungen sind vom Bauchfell abgeschntirt und verbin¬
den vielfach durch starke Bindegewebsfäden die serösen Ueber-
züge benachbarter Organe mit einander. Auf der Schnittfläche der
Knoten treten gelbgefärbte, mörtelartige Einlagerungen hervor,
welche sich mit der Messerspitze ausheben lassen. Sehr umfang¬
reich ist diese Verkäsung in den grösseren Neubildungen nach¬
zuweisen.
Der Dünndarm lässt zahlreiche, mehr oder weniger scharf
abgegrenzte Stellen von 10 —15 Cm. Länge dadurch sofort in
die Augen springen, dass die Darmwandung hier vielfach einge¬
schnürt erscheint und Hunderte von gelben Knötchen zeigt, welche
durch die Serosa hindurch schimmern. Diese Knötchen umgeben
gleichmässig die ganze Darmwandung und haben ihren Sitz vor¬
züglich in der Mucosa und Submucosa. Sie liegen sehr dicht
neben einander, besitzen die Grösse einer Linse und bergen in
ihrem Inneren einen mehr flüssigen als trockenen Brei. Die Mu¬
cosa zeigt an diesen Stellen mehrfach geschwürige Defecte, und
narbige Veränderungen der Darmoberfläche geben Kunde von
früher stattgefundenen geschwürigen Zerstörungen. Die Mesen-
terialdrtisen des Dünndarms repräsentiren einen langen Strang
von der Dicke einer starken Faust. Sie sind dabei ungemein
derb und setzen dem Durchschneiden erheblichen Widerstand
entgegen. Auf der Schnittfläche zeigen sie kleinere und grössere
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XVI. Kleinere Mittheilungen.
käsige Herde, die mit nennenswerthen Mengen von kalkigen Ein¬
lagerungen versehen sind.
Der seröse Ueberzug der Leber trägt Hunderte von linsen-
bis wallnussgrossen Knötchen, durch welche das genannte Organ
zahlreiche Verwachsungen mit der Nachbarschaft eingegangen
ist. Besonders umfangreich ist diese Verwachsung mit dem Cen¬
trum tendineum, welches mit perlstichtigen Neubildungen völlig
ttbersät erscheint. Auch die Serosa der Milz weist zahlreiche
Knoten und Knötchen auf.
Die Brusthöhle birgt eine kleine Menge einer röthlichen
Flüssigkeit. Die Pleura trägt in ihrem ganzen Umfange zahl¬
reiche Neubildungen. Besonders häufig erscheinen wallnussgrosse
Knoten, welche durch mächtig entwickelte Bindegewebsfäden das
Lungenfell mit dem Rippenfell und mit dem serösen Ueberzuge
des Zwerchfells verbinden. Die Knoten, welche sich übrigens
auch am Mediastinum in grösserer Anzahl vorfinden, sind unge¬
mein fest und derb, und ihre Schnittfläche gibt Kunde von nen¬
nenswerthen Verkäsungen.
Die linke Lunge lässt beim Ueberstreichen mit der Hand
viele in der Tiefe gelegene Knoten von derber Consistenz erken¬
nen. Dieselben treten häufiger in dem hinteren Lungenlappen
auf, lassen sich vereinzelt jedoch auch in den oberen Abschnitten
des vorderen Lungenlappens nach weisen, während der untere
Theil des letztgenannten Lappens ungemein zahlreiche steckna¬
delkopfgrosse Knötchen durchftihlen lässt.
Die in der Tiefe liegenden grösseren Knoten erscheinen bis
zur Grösse einer kleinen Kartoffel und grenzen sich durch mässig*
stark entwickelte Bindegewebskapseln von der gesunden Nach¬
barschaft ab. Sie bergen einen trockenen gelben Mörtel, dem
nicht unerhebliche Kalkeinlagerungen beigemengt sind. Beson¬
ders umfangreich in dieser Weise verändert zeigt sich das äusserste
Ende des hinteren Lungenlappens.
Der untere Theil des vorderen Lungenlappens ist mit vielen
Tausenden von stecknadelkopfgrossen, halbdurchscheinenden,
grauweissen Knötchen gleichmässig durchsetzt. Dieselben er¬
scheinen scharf begrenzt und haben ihren Sitz im interstitiellen
Gewebe. Die Knötchen zeigen alle das gleiche Entwicklungs¬
stadium sowie eine auffallende Uebereinstimmung in der Grösse.
Sie besitzen eine mässig derbe Consistenz.
Ganz ebenso verändert erscheint die rechte Lunge, doch ist
hier ein noch grösserer Theil der unteren Lungenabschnitte mit
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XVI. Kleinere Mittheilungen.
213
unzählbaren miliaren Knötchen gleichmässig durchsetzt. Auch
heben sich dieselben von der lebhaft roth gefärbten Lungen¬
substanz stärker ab, als in der blutarmen Lunge der anderen
Seite.
Die bronchialen Lymphdrtisen sind sehr stark vergrössert
und in ähnlicher Weise verändert wie die Mesenterialdrüsen.
Die nicht aufgezählten Organe sind frei von nennenswerthen
pathologischen Veränderungen.
3.
Ein neuer Zuchterfolg in dem Hausthiergarten des
landwirthschaftlichen Instituts der Universität
Halle.
• Von
Prof. Dr. Julius Kühn.
Nachdem die Möglichkeit einer erfolgreichen Paarung von
dem Gayal Indiens und den europäischen Rinderragen in unserem
Hausthiergarten durch die Geburt von 5 männlichen und 4 weib¬
lichen, vortrefflich gedeihenden Bastarden erwiesen worden war,
galt es noch festzustellen, ob auch mit dem in Asien und Afrika
als Hausrind gehaltenen Zebu ein gleiches Resultat zu gewinnen
sei. Dies ist nun ebenfalls gelungen. Es wurde am 29. December
einBastard vom Gayalbullen und einer Kuh der lang-
hörnigen afrikanischen Zeburage geboren. Diese unter
dem Namen Sanga oder Sankä bekannte Zeburage ist noch
gegenwärtig im Sudan, in Abessinien und den Gallaländern all¬
gemein verbreitet, ward früher aber auch in Egypten gezüchtet
und gehört zu den ältesten Rinderra<jen, deren Formen, wie die
Abbildungen auf altegyptiscben Denkmälern zeigen, seit Jahr¬
tausenden sich gleich geblieben sind und die insbesondere durch
lange, balbmond- oder leierförmig aufstrebende, bei Stieren wie
Kühen gleich mächtig entwickelte Hörner sich auszeichnet. Aus
ihr wurde von den alten Egyptern der Apisstier gewählt. Ein
Apisschädel aus den Gräbern von Sakära, dem alten Memphis,
welchen unser landwirtschaftliches Institut der Güte des in Cairo
verstorbenen Dr. Reil verdankt, zeigt ganz dieselbe Horrfform,
wie die Sangakuh, welche den Gayalbastard geboren hat. Der¬
selbe ist weiblichen Geschlechts und wog bei der Geburt 21,5 Kilo
oder genau V 20 des Gewichtes der Mutter. Diese ist roth und
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XVI. Kleinere Mittheilungen.
weiss gefleckt, während das Ealb grösstentheils eine gleichmässig
hellrothbraune Farbe zeigt; nur der Bauch, die innere Seite der
Schenkel und die Fesseln sind weiss gefärbt. An den Vorder-
füssen finden sich tiber den Klauen und am Fesselgelenk noch
einige kleine schwarze Abzeichen. Der für die Zebus charak¬
teristische Höcker am Widerrist ist nur ganz leicht und bei Wei¬
tem weniger angedeutet, als es bei einem, von derselben Kuh
früher geborenen, reinblütigem Kalbe der Fall war. Der Bastard
stand schon 22 Minuten nach der Geburt auf und versuchte zu
saugen; er ist lebhaft' in seinen Bewegungen und lässt eine gute
Entwicklung erwarten. Da noch eine zweite, ebenfalls aus dem
Sudan direct importirte Sangakuh von demselben Bullen tragend
ist, so wird es voraussichtlich möglich sein, auch die Fortpflan¬
zungsfähigkeit dieser Art von Bastarden unter sich zu prüfen.
— Uebrigens zeigt der Umstand, dass der in Hinterindien noch
wild vorkommende Gayal und die in der tropischen Zone Afrikas
verbreiteten, künstlichen Einflüssen so gut wie nicht unterwor¬
fenen Sangas hier im Norden bei ausschliesslicher Stallhaltung
sich fruchtbar zu paaren vermögen, wie wenig die äusseren Ver¬
hältnisse, Klima, Ernährungs- und Haltungsweise die Fortpflan¬
zungsfähigkeit der Thiere bedingen. Wenn daher Darwin
darauf hinweist, dass bedeutende Veränderungen der äusseren
Verhältnisse die Organismen, „welche lange Zeit an gewisse
gleichförmige Lebensbedingungen im Naturzustände gewöhnt wa¬
ren“, in Bezug auf ihre Fruchtbarkeit oft ungünstig beeinflussen,
während solche Rasen der Hausthiere, die „häufig neuen und
nicht gleichförmigen Bedingungen ausgesetzt worden sind“, völlig
fruchtbar seien, so wird dieser Gegensatz in unserem Falle nicht
bestätigt. Derselbe zeigt vielmehr, dass auch Thiere, der primi¬
tivsten Formen, die viele Jahrtausende hindurch gleichförmigen
Lebensbedingungen unterworfen waren, bei angemessener Behand¬
lung in ihrer Fruchtbarkeit ungeschwächt sich erweisen können,
selbst wenn sie in Verhältnisse versetzt wurden, die von denen
ihrer Heimath in extremster Weise abweichend sind.
Halle a/S., den 31. December 1882.
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XVI. Kleinere Mittheilungen.
215
4.
Ueber Milben.
Von
Prof. Dr. Zürn.
Die Zeitschrift „Thierarzt“ bringt in Nr. 12 des Jahrgangs
1882 eine, angeblich den Mittheilungen aus der thierärztlichen
Praxis in Preussen 1880/1881 entnommene Notiz, nach welcher
Kreisthierarzt Möllinger in der Rindslaus eine Milbe ent¬
deckt habe, welche weder zu Dermatocoptes noch zu Dermato¬
phagus gehörte. Dr. Haller in Bern habe diese Milbe als Sym-
biotes spathifer (sic!!) festgestellt. Diese Milbe soll von M6gnin
zuerst beschrieben worden sein und ein Männchen- und
zwei Weibchenformen besitzen.
Der sogenannte Symbiotes spathifer ist nichts Ande¬
res, als Dermatophagus bovis. Mögnin nannte früher
diese Milbe Symbiotes spathiferus oder Symbiote spathifere, nie¬
mals aber — so weit mir bekannt — Symbiotes spathifer. Jetzt
bezeichnet Mägnin den Parasiten als Choriopte spathifere oder
Chorioptes spathiferus und in seinem Werke: „Les parasites
et les maladies parasitaires“, S. 200, gibt er an: »Syn¬
onymie. Sarcoptes bovis (?) (Hering), Symbiotes bovis (Ger-
lach), Dermatophagus bovis (Fürstenberg), Symbiotes spathi¬
ferus (M egnin).
Was die beiden Weibchenformen anlangt, so unterscheidet
Mägnin allerdings eine Femelle ovigöre und eine Jeune
femelle puböre, wie er auch die sechsfüssige Larve von
der achtfÜS8igen Nymphe trennt. Wir Deutschen erkennen der¬
artige Unterscheidungen nicht an, sondern beschreiben nur die
verschiedenen Entwicklungsstadien, die mit Häutungsprocessen
der Thiere Hand in Hand zu gehen pflegen. Von zwei Weibchen¬
formen sprechen wir nicht; was Megnin „Femelle ovigöre“
nennt, ist das, was Fürstenberg als reifes Weibchen be¬
schrieben hat.
Deutsche Zeitschrift f. Thiermed. u. vergl. Pathologie. IX. Bd. 15
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XVII.
Auszüge und Besprechungen.
1.
Ueber die Milzbrandimpfung. Eine Entgegnung auf den von
Pasteur in Genf gehaltenen Vortrag. Von Dr. R. Koch, Geh.
Regierungsrath. Kassel und Berlin, Verlag von Theodor Fischer.
1882.
Vorliegende Schrift enthält die ausführliche Entgegnung
Koch’s auf die Angriffe, welche derselbe von Pasteur auf
dem im September 1881 abgehaltenen internationalen hygieni¬
schen Congress zu Genf erfuhr, und bezeichnet zugleich die Stel¬
lung, welche der bekannte deutsche Bacterienforscher des kaiser¬
lichen Gesundheitsamtes gegenüber den Arbeiten des in der Neu¬
zeit so gefeierten französischen Gelehrten auf dem Gebiete der
Erforschung der Infectionskrankheiten einnimmt. Ein näheres
Eingehen auf den Inhalt dieser Schrift erscheint wünschenswerte
Koch hebt in derselben zunächst hervor, dass der von
Pasteur über die Abschwächung der Ansteckungsstoflfe ange-
ktindigte Vortrag ausser einer Mittheilung über einen von dem¬
selben beim typhösen Fieber des Pferdes neu entdeckten Para¬
siten nur längst Bekanntes über Hühnercbolera und die Nouvelle
maladie de la rage, sowie ganz werthlose Angaben darüber ent¬
halten habe, wie viel Tausende von Thieren bis jetzt der Milz¬
brand-Präventivimpfung unterworfen worden seien. Wissenschaft¬
lich verwerthbare Mittheilungen über letzteres Verfahren und die
hierauf erreichte Widerstandsfähigkeit der Thiere gegen die na¬
türliche Infection habe derselbe aber nicht gebracht.
Koch beginnt seine Widerlegung vor Allem mit einer Dar¬
legung der tiefgreifenden Unterschiede in den von ihm und
Pasteur befolgten Methoden bei der Erforschung der Infections¬
krankheiten. Er meine den wissenschaftlichen Beweis dafür, dass
eine Infectionskrankheit parasitärer Natur sei, nur dadurch führen
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XVII. Auszüge und Besprechungen.
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zu können, dass er sich vor allen Dingen erst durch sorgfältige
anatomische und mikroskopische Untersuchungen (vergl. S. 4 n. 5)
über das constante Vorkommen von Parasiten in den erkrankten
Organen Gewissheit verschaffe. Könne er sich hiervon über¬
zeugen, dann trenne er die Parasiten durch fortgesetzte Reincul-
turen von allen ihren ursprünglich noch anhaftenden Bestand¬
teilen des kranken Körpers und impfe sie zur Ermittelung ihrer
pathogenen Natur wenn möglich auf dieselbe Thierspecies oder
auf eine solche zurück, bei welcher dieselbe Krankheit erfah-
rungsgemäss vorkomme.
Pasteur setze hingegen bei allen Infectionskrankheiten die
Anwesenheit von Mikroorganismen im Körper als selbstverständ¬
lich voraus und scheine deren Nachweis und die Orientirung über
ihre Verbreitung im Organismus für überflüssig zu halten. Er
verwende zu seinen Impfungen auch jedes beliebige Thier, meist
Kaninchen, gleichviel, ob die zu untersuchende Krankheit bei
demselben überhaupt je beobachtet worden, dasselbe also für die¬
selben empfänglich ist oder nicht.
So werde es erklärlich, dass Pasteur auf solchen Arbeits¬
gebieten, auf welchen er das Terrain schon mehr oder weniger
geebnet gefunden — z. B. Milzbrand und Hühnercholera — Er¬
folge zu verzeichnen gehabt habe. Jede neue Frage indess, an
die er herangetreten, habe die Schwächen seiner Methode so¬
fort in eclatanter Weise bewiesen. So sei auch die von ihm
beschriebene Nouvelle maladie de la rage und der vom Pferd
auf das Kaninchen übertragbare Typhus nichts weiter, als die
längst bekannte Kaninchensepticämie.
Im ersteren Falle habe Pasteur, statt vorher die Sublin-
gualis des betreffenden, an Babies Gestorbenen sorgfältig auf das
Vorhandensein specifischer Mikroorganismen zu untersuchen, ohne
Weiteres den Speichel der betreffenden Leiche zu seinen Impf¬
versuchen verwendet. Er habe dabei ferner den unbegreiflichen
Missgriff gethan, zu letzteren an Stelle der notorisch für Wuth
empfänglichen Hunde Kaninchen zu verwenden. Zwar seien die
mit dem Speichel inficirten Kaninchen zu Grunde gegangen; die
Krankheitsberichte und die Gestalt der im Blute der Impfthiere
gefundenen, sehr kleinen, etwas länglichen und in der Mitte
schwach eingeschnürten, einer 8 sehr ähnlichen Mikroben be¬
wiesen indess, dass dieser Parasit kein anderer, als der von Coze
und Feltz, Davaine und Gaffky beschriebene der Kaninchen¬
septicämie sei. Diese wäre bei Kaninchen durch Impfung mit
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XVII. Auszüge und Besprechungen.
den verschiedensten, in Zersetzung begriffenen Substanzen, zu
denen doch wohl auch der Speichel einer Leiche gerechnet wer¬
den müsse, leicht zu erzeugen. Ja Sternberg sei es sogar ge¬
lungen, dieselbe durch seinen eigenen, bei vollkommener Gesund¬
heit secemirten und frisch verimpften Speichel hervorzurufen;
immer habe er auch hier jene 8-förmigen Mikroben im Cadaver-
blut vorgefunden.
Ganz ebenso verhalte es sich mit den Bacillen des sogenann¬
ten Pferdetyphus. Ohne jede gründliche mikroskopische Unter¬
suchung der Cadavertheile habe Pasteur einfach mit dem Na¬
senschleim eines verendeten Pferdes geimpft, der ohne Zweifel,
wie im vorigen Falle der Speichel, mit verschiedenen Bacterien-
formen verunreinigt gewesen sein müsse. Wiederum seien zu
den Impfungen nur Kaninchen verwendet worden, von denen
kein Mensch wisse, ob und in welcher Weise sie am sogenannten
typhösen Fieber des Pferdes erkranken könnten; aber jeder Ex¬
perimentator wisse, dass dieselben auf Impfung mit in Zersetzung
befindlichen organischen Flüssigkeiten stets mit Septicämie ant¬
worteten. Koch zweifelt daher keinen Augenblick daran, dass
auch diese Kaninchen wegen der charakteristischen Form der
Mikroben „en huit“ und des binnen 24 Stunden letal verlaufen¬
den Impfresultates an der gewöhnlichen Kaninchensepticämie ge¬
storben seien.
Nach solchen Erfahrungen bedauere er, die mikroskopischen
Leistungen und die Impfmethode Pasteur’s nach wie vor für
unvollkommen erklären zu müssen, um so mehr, als dieser durch
die Art und Weise, wie der genannte Forscher seine Untersu¬
chungen publicire, die Kritik herausfordere. Wer von der wissen¬
schaftlichen Welt Glauben und Vertrauen beanspruche, der habe
die Pflicht, die von ihm befolgten Methoden so zu veröffentlichen,
dass Jeder in den Stand gesetzt werde, die Angaben zu prüfen.
Dieser Verpflichtung sei Pasteur hinsichtlich der Methode zur
Abschwächung des Virus bei der Hühnercholera erst auf ent¬
schiedenes Drängen Colin’s nachgekommen. Die Methode zur
Abschwächung des Milzbrandvirus sei dagegen bis jetzt von ihm
erst in einer Weise veröffentlicht, die jede Nachprüfung unmög¬
lich mache, während Toussaint und Chaveau dieselbe ohne
jeden Rückhalt veröffentlicht hätten.
Diesen allgemeinen Bemerkungen folgt die Erörterung der
zwischen dem Verf. und Pasteur hinsichtlich der Milzbrand¬
ätiologie und Milzbrandimpfung vorhandenen Differenzen.
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XVII. Auszüge und Besprechungen.
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Hinsichtlich der Milzbrandätiologie wahrt Koch zunächst
seine Prioritätsrechte. Seine ersten Publicationen über Milzbrand¬
sporen und ihre ätiologische Bedeutung seien im Jahre 1876, die
von Pastenr dagegen ein Jahr später erschienen.
Er widerlegt dann weiter die bekannte Pastenr'sehe An¬
sicht, dass Vögel wegen der hohen Temperatur ihres Blutes im¬
mun gegen Milzbrand seien, aber durch permanente Abkühlung
um einige Centigrade für denselben empfänglich gemacht werden
könnten, z. B. Hühner, die man auf ein Brett genagelt in kaltes
Wasser tauche. Koch bezweifelt zwar nicht das Thatsächliche
dieser Experimente, deutet sie aber anders. Abgesehen davon,
dass schon Den der’s Versuche direct gegen die von Pasteur
angenommene Immunität der Hühner sprächen und er selbst ge¬
funden habe, dass bei Sperlingen, trotz deren hohen Bluttempe¬
ratur die Impfung sogar ausnahmslos hafte, stellten auch die
erwähnten Pasteur'sehen Versuche so schwere Eingriffe in die
Lebensbedingungen der Hühner dar, dass deren Lebensenergie
geschwächt und hierdurch wohl eine grössere Empfänglichkeit
für Milzbrand hervorgerufen werden könne. Auch bei der Prä¬
ventivimpfung der Schafe hätte man beobachten können, dass
gewöhnlich die schwächlichen Thiere starben, ohne dass vorher
eine Abkühlung stattgefunden hätte. 1 )
Hinsichtlich des Zustandekommens der natürli¬
chen Infection bleibt Koch aufsfeinem früheren Standpunkte
stehen und begründet diesen durch weitere, hochinteressante
Versuche.
Pasteur vertritt bekanntlich die Ansicht, dass die in den
verscharrten Milzbrandcadavern gebildeten Sporen durch Regen¬
würmer an die Erdoberfläche gebracht würden und mit dem
Staube auf die Futterpflanzen gelangten. Wenn durch* deren
Genuss eine Infection stattfinden solle, müssten diese stachelig
sein und eine Verletzung in der Maulhöhle hervorrufen. Immer
fänden sich als Beweis für diesen Infectionsweg bei den an spon¬
tanem Milzbrand gestorbenen Thieren die zunächst liegenden Un-
terkieferdrttsen geschwollen.
Nach Koch verhält sich die Sache durchaus anders. Ein-
1) Koch befindet sich hier im directen Widerspruch mit Rosenberg
(vergl. Med. Centralbl. 1882. S. 115), welcher die allerdings schwer erklärbare
Beobachtung gemacht haben will, dass die Abschwächung der Thiere ihre
Widerstandsfähigkeit gegen Impfungen, allerdings mit septischem Gifte, erhöhe.
J.
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XVII. Auszüge und Besprechungen.
mal können sich nach seinen Beobachtungen die Milzbrandbacillen
auch unabhängig vom Thierkörper auf abgestorbenen Pflanzen¬
resten vermehren und Sporen bilden. Sie leben daher vermuth-
lich in sumpfigen Gegenden an der Erdoberfläche. Dadurch werde
es erklärlich, dass sehr häufig Thiere an Stellen inficirt werden
könnten, wo niemals ein Milzbrandcadaver verscharrt worden sei.
Schon hiermit wlirde die Thätigkeit der Regenwtlrmer bei der
Verbreitung des Milzbrandes Überflüssig, deren Bedeutung Koch
aber auch noch zwei weitere Gründe entgegenstellt. Zunächst
die niedrige Bodentemperatur mancher Länder, in denen der
Milzbrand erhebliche Verheerungen anrichte, z. B. in Sibirien.
Weiter sprächen nach ihm dagegen die Resultate seiner eigenen
Versuche *), welche er mit Regenwürmern in einem Erdkasten
angestellt habe, dessen Inhalt zahlreiche Milzbrandsporen ent¬
halten hätte.
Auch hinsichtlich des Infectionsmodus beim sponta¬
nen Milzbrand habe er auf Grund seiner Versuche eine durch¬
aus abweichende Ansicht.
Mehrere Schafe, die mit weichem Heu gefüttert worden
seien, hätten in einem Stück einer ausgehöhlten, vorsichtig in
das Maul gesteckten Kartoffel (wodurch der von Pasteur an¬
genommene Infectionsweg vollständig ausgeschlossen gewesen sei)
theils frische Milz eines an Milzbrand gestorbenen Meerschwein¬
chens — die nur Bacillen enthielt —, theils in Sporenbildung
begriffene, auf gekochten Kartoffeln gezüchtete Milzbrandbacillen
erhalten. Die erstere Abtheilung sei gesund geblieben, die Schafe
der letzteren wären nach wenig Tagen sämmtlich am Milzbrand
gefallen.
Denselben tödtlichen Ausgang nahm der Versuch, wenn er
mit über ein Jahr altem, trocken aufbewahrtem, sporenhaltigem
Material wiederholt wurde. Da die natürliche Infection vom
Darme aus gewöhnlich nur durch eine sehr geringe Zahl von
Sporen zu Stande kommen werde, welche sich mit dem Staube
auf den Futterpflanzen abgelagert hätten, so wurde der Versuch
noch in folgender, diesen natürlichen Verhältnissen möglichst an¬
gepassten Weise modificirt.
Zehn Schafe erhielten täglich ein Kartoffelstuck, in welches
ein kaum 1 Gm. langes, ein Jahr vorher nur mit wenig Milz¬
brandsporen imprägnirtes und trocken anfbewahrt gewesenes
1) Vergl. Mittheilungen des Reichsgesundheitsamtes pro 1881.
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XVII. Auszüge und Besprechungen.
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Seidenfädchen eingeklemmt war. Zwei gleich gehaltene und
gefütterte Gontrolschafe erhielten keine solchen. Am 5., 6., 11.
und 19. Tage der Fütterung (länger wurde diese nicht fortgesetzt)
starb je eins, also 4 Schafe; beide Controlthiere blieben gesund.
Aus diesem Versuche folgert Koch, dass die natürliche In-
fection durch mit dem Futter aufgenommene Milzbrandsporen
vom Darme aus erfolge. Die Milzbrandbacillen gingen höchst¬
wahrscheinlich in dem saueren Mageninhalt zu Grunde, während
die Sporen unbeschädigt in den Darm gelangten und in dessen
alkalischem Inhalte zu Bacillen auswüchsen, welche dann in die
Schleimhaut des Darmes — nach den mikroskopischen Unter¬
suchungen wahrscheinlich durch die Lymphfollikel und Peyer¬
sehen Drüsen — einzudringen vermöchten.
Die Thatsache, dass mit dem ein Jahr lang trocken auf be¬
wahrten Kothe von mit Milzbrandsporen gefütterten Schafen noch
erfolgreiche Impfungen vorgenommen worden seien, beweise aber
auch zugleich, dass nicht alle gefütterten Sporen im Darme aus¬
wüchsen, sondern dass ein grosser Theil derselben unverändert
den Darm passire.
Ganz entgegen den Pasteur’schen Angaben habe aber auch
weiter die Section der an spontanem und an Impfmilzbrand ge¬
fallenen Schafe dargethan, dass sich die Anschwellung der Lymph-
drttsen weniger nach der Infectionsstelle, als nach den subcutanen
Sugillationen richtete, welche bei milzbrandkranken Schafen nie
fehlten. Da diese aber ihren Sitz am häufigsten in dem lockeren
Zellgewebe des Halses hätten, so seien auch, gleichviel, ob der
Milzbrand durch Fütterung, oder durch Impfung am Hinterschen¬
kel entstanden wäre, immer die am Brusteingange liegenden
Di'üsen am häufigsten, demnächst die Achsel- und Kieferdrüsen
am meisten geschwollen.
Bezüglich der Abschwächung des Milzbrandvirus und der da¬
mit zu erzielenden Immunität erkennt Koch zwar an, dass es
Pasteur gelungen sei, die Milzbrandbacillen in ihrer Wirkung,
so zu mildern, dass die einer zweimaligen Schutzimpfung mit
einem stark abgeschwächten premier vaccin und einem weniger
abgeschwächten deuxieme vaccin unterworfenen Schafe nicht nur
diese, sondern auch die spätere Infection mit dem stärksten Milz¬
brandgift Uberstanden hätten. Er deckt aber auch zugleich die
Schwächen dieser Präventivimpfung bis zu einem Grade auf,
der wohl geeignet sein dürfte, die an dieselbe geknüpften, hoch¬
gespannten Erwartungen etwas herabzustimmen.
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XVII. Auszüge und Besprechungen.
Zunächst constatirt Koch auf Grund der von Löffler im
Laboratorium des Reichsgesundheitsamtes ausgeftlhrten Versuche,
dass es in der That eine Reihe von Bacterienkrankheiten gäbe,
deren einmaliges Ueberstehen das befallene Individuum für die
Zukunft immun gegen dieselbe Krankheit mache. Umgekehrt
gäbe es aber auch nicht wenige Bacterienkrankheiten, bei denen
dies nicht der Fall sei. Löffler habe bei dieser Gelegenheit
zugleich auf einige beim Menschen vorkommende, erwiesener-
maassen durch Bacterien bedingte Infectionskrankheiten (Erysi-
pelas, Gonorrhoe, Recurrens) hingewiesen, welche denselben wie¬
derholt befallen könnten. Dies sei ferner bei der Tuherculose der
Fall und scheine auch bei Lepra zuzutreffen.
Schon aus diesen Thatsachen gehe hervor, dass Pasteur’s
Bestreben, aus seinen bei Bühnercholera und Milzbrand ge¬
wonnenen Erfahrungen ein allgemeines, bei allen Infectionskrank¬
heiten gültiges Gesetz zu formuliren, als mit den Erfahrungen
der medicinischen Wissenschaft nicht im Einklänge stehend, zu-
rückzuweisen sei. Es müsse das um so mehr geschehen, als auf
Grund seiner Versuche und der anderer Experimentatoren das
Pasteur’sche Immunitätsgesetz nicht einmal für den Milzbrand
im vollen Umfange aufrecht erhalten werden könne.
Hinsichtlich des Milzbrandes beim Menschen sei namentlich
auf die Beobachtungen von J. de Jarnowsky hinzuweisen,
der unter 50 von ihm behandelten Milzbrandkranken 2 erwähne,
von denen der eine im Laufe von 2 Jahren zweimal, der andere
innerhalb 3 Jahren dreimal am Milzbrand erkrankt sei. Ferner
habe Löffler schon gefunden, dass Mäusen, Ratten, Meerschwein¬
chen und Kaninchen keine Immunität gegen Milzbrand zu ertheilen
sei. Zu denselben Resultaten sei Gotti, Guillebeau, Klein
und er selbst bei den Versuchen mit echtem, von Pasteur direct
bezogenem Vaccin gekommen. Sämmtliche hiermit präventiv ge¬
impfte Kaninchen, Meerschweinchen und Mäuse seien der nach¬
träglichen Impfung mit Milzbrandblut erlegen. Auch seien in der
Sitzung der Soci6t6 de med. v6t. vom 8. Juni 1882 viele bei der
Pferdeimpfung eingetretene Misserfolge zur Sprache gekommen.
Eine ausgesprochene, durch Präventivimpfung erzielte Immu¬
nität sei bisher nur bei Schafen und Rindern zu erlangen ge¬
wesen. Diese praktisch schon im weiten Umfange stattgefundene
Präventivimpfung solle nach Pasteur’s Angabe gefahrlos sein
und sicheren und lang andauernden Schutz gewähren. Da nun
die ganze Immunitätsfrage augenblicklich in diesem Punkte gipfle,
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XVII. Auszüge und Besprechungen.
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so hat sich Koch, unterstützt von Löffler und Gaffky, durch
im Keicbsgesundheitsaint angestellte Versuche selbst von der
Richtigkeit desselben zu überzeugen versucht, auch alle übrigen
bisher nach dieser Richtung hin vorliegenden Resultate einer
kritischen Prüfung unterworfen.
Bei den mangelhaften Angaben, welche Pasteur über die
Herstellung des Vaccins, namentlich des deuxifeme vaccin
gemacht, hat Koch zu folgendem Verfahren gegriffen. •
In einem Thermostat (Brütofen), der wochenlang ohne die
geringsten Schwankungen eine gleichmässige Temperatur be¬
wahrte, wurden bei einer Temperatur von + 42,5° C. (Pasteur
gibt + 42 bis 43° C. an) in kleinen, circa 20° enthaltenden Kölb¬
chen in neutralisirter Hühnerbrühe die Milzbrandbacterien unter
Beobachtung aller Cautelen cultivirt. Alle 2 Tage wurden ferner
mit dem Inhalt eines Kölbchens Mäuse, erwachsene Meerschwein¬
chen oder starke Kaninchen geimpft. Im Anfänge starben alle
Impflinge. Nach mehreren Tagen begann aber zunächst die
Impfung bei Karfinchen unsicher zu wirken, noch später auch
bei Meerschweinchen und schliesslich konnten auch Mäuse ohne
alle Gefahr geimpft werden. Die Zeit, in welcher die Abmin¬
derung der Infectiosität ein trat, war aber keine ganz gleichmäs¬
sige. Sie differirte nicht nur bei verschiedenen Gläsern desselben
Versuches, sondern war vor Allem von der Versuchstemperatur
abhängig. Je näher letztere an 43° kam, um so schneller trat
erstere ein und war eventuell in 6 Tagen beendet, beanspruchte
bei 42 0 aber selbst eine Dauer bis zu 30 Tagen. Längeres Auf¬
bewahren des Vaccins bei Zimmertemperatur zerstörte sogar die
Virulenz desselben nach und nach vollständig, ohne dass aber
hierdurch die morphologischen Eigenschaften der Milzbrandba¬
cillen abgeändert wurden.
Nach Koch’s Erfahrungen soll nun diejenige Cultur, welche
Mäuse tödte, aber für Meerschweinchen und Kaninchen unschäd¬
lich sei, den besten Stoff für die erste Impfung, diejenige aber,
welche Meerschweinchen sicher, grosse Kaninchen aber nicht mehr
mit Sicherheit tödte, den besten Stoff zur zweiten Impfung geben.
Pasteur scheine diese Kennzeichen der Abschwächung nicht
zu kennen, da sonst nicht so bedeutende Schwankungen in der
Wirkung seines Vaccins Vorkommen dürften, wie sie thatsächlich
vorkämen. So hätte man beispielsweise in Ungarn laut eines
Berichtes der Wiener landwirthschaftlichen Zeitung 22 Schafe
sofort mit deuxi&ne vaccin geimpft, ohne dass sie, wie dies nach
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XVII. Auszüge und Besprechungen.
Pasteur’s Angaben hätte der Fall sein müssen, erkrankt wären.
Manche Misserfolge des Pasteur’schen Vaccins, die namentlich
bei Pferden beobachtet worden wären, dürften auch auf die Ver¬
unreinigung des ersteren durch fremde Bacterienformen, unter
denen sich wohl auch septisch wirkende eingeschlichen haben
möchten, zurückzuftihren sein.
Theils mit selbst dargestelltem, theils mit direct von Pasteur
bezogenem Impfstoff sind nun von Koch genau nach Pasteur’s
Vorschrift verschiedene Versuche anSchafen angestellt wor¬
den. Diese sollen die Impfung mit premter vaccin fast ohne
jede Reaction ertragen haben, an der mit deuxtäme vaccin hin¬
gegen eine Anzahl von Thieren gestorben sein, deren Procentsatz
den Verlusten in Kapuvar und Packisch entsprochen habe.
In ersterem Orte seien von 50 Schafen 5, in letzterem von 25
3 nach der zweiten Impfung am Milzbrand gestorben. Aehnliche
Resultate hätten auch die zahlreichen anderen Orts ausgeführten
Impfungen ergeben, so dass die Application des deuxi&me vaccin
im Durchschnitt 10 —15 Proc. Verlust ergäbe. Der Versuch
Pasteur’s, diese ungewöhnlich hohen Verluste auf Rechnung
einer grösseren Empfänglichkeit der hiesigen Schafe zu setzen,
werde dadurch widerlegt, dass auch aus Frankreich neuerdings
von Mathieu (Soci6t6 centr. de m6d. v6terin. am 13. Juli) Impf¬
versuche mit grossen Verlusten berichtet worden seien.
Höchst beachtenswerth sind die nun folgenden Mittheilungen
Koch’s über die Resultate der von ihm und Anderen vorgenom¬
menen Controlimpfungen.
Von sechs durch Koch mit Pasteur’chem Vaccin vor-
schriftsmässig präventiv geimpften Schafen sei bei der Control¬
impfung mit ungeschwächtem Milzbrandgift eins, von zwei mit
selbstbereitetem Vaccin geimpften keins an Milzbrand gestorben.
Bei der Controlimpfung in Packisch sei von 22 keins, in Kapuvar
von 24 Thieren nur eins milzbrandig geworden.
Koch erklärt das ungünstigere Resultat seiner eigenen Ver¬
suche dadurch, dass er zur Controlimpfung Milzbrandblut aus
dortiger Gegend verwendet habe, während die Controlimpfungen
in Packisch und Kapuvar mit einem von Pasteur aus Paris
geschickten Milzbrandstoflf bewirkt worden wären, der weniger
virulent gewesen zu sein scheine.
Diese Vermuthung werde einerseits bestätigt durch die zahl¬
reichen, nicht einwurfsfreien Controlimpfungen, welche in Frank¬
reich vorgenommen wurden, andererseits durch die gleichen
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XVII. Auszüge und Besprechungen.
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Misserfolge, wenn man, wie er, zur Controlimpfung direct Milz¬
brandblut verwendet habe.
So seien von Saake auf der Domaine Salzdahlum 82 Schafe
mit Pasteur’schem Vaccin genau nach Vorschrift geimpft wor¬
den, drei davon seien sogar, was für eine besondere Stärke des¬
selben spräche, der zweiten Impfung erlegen. Trotz alledem
seien von 10 präventiv geimpften Schafen bei der Controlimpfung
mit Milzbrandblut 2 an Milzbrand gestorben. — Bassi in Turin
habe bei 6 präventiv geimpften Schafen die Controlimpfung mit
von Pasteur hierzu gesendetem virulenten Stoff vorgenommen;
davon sei keins gestorben. Von 6 anderen in gleicher Weise
präventiv geimpften Schafen seien aber 2 gestorben, als.man sie
mit frischem Milzbrandblut geimpft habe.
Koch folgert nun mit Recht, dass, wenn schon die mit einem
kräftigen deuxi&ne vaccin geimpften Schafe der Impfung mit
unabgeschwächtem Virus in verhältnissmässig nicht geringer Zahl
dem Milzbrand erlägen, die Verimpfung eines schwächeren deu-
xteme vaccin, welches bei der zweiten Impfung noch weniger
Schafe tödte, auch einen noch weit geringeren Schutz gegen die
Infection mit unabgeschwächtem Milzbrandvirus verleihen werde.
Thatsächlich sei nun aber von Pasteur, um die Verluste
bei der zweiten Impfung möglichst zu beschränken, ein sehr
schwaches deuxifeme vaccin abgegeben worden. Hierdurch er¬
klärten sich auch die vielen Tausende von gelungenen, nicht durch
einwurfsfreie Controlimpfungen geprüften Präventivimpfungen in
Frankreich, welche nach Pasteur mit nur 3 pro mille Verlust
angeführt worden seien. Der für den zweiten Versuch in Packisch
verwendete Impfstoff wäre von Pasteur ausdrücklich für weni¬
ger wirksam erklärt, und sei bei der zweiten Impfung von 251
Schafen daher auch nur eins an Milzbrand verloren worden.
Ja Pasteur selbst habe auch, als man ihn in der Sitzung
der Societ. centr. de med. vet. vom 8. Juni 1882 wegen einer
Anzahl solcher Misserfolge interpellirt habe, zugegeben, dass
nicht nur diese, sondern noch viele andere bekannt
geworden wären. Der Grund liege darin, dass die im Laufe
des Winters bis Ende März von ihm gelieferten Vaccins (hierher
gehört also auch das erwähnte zweite, für Packisch gelieferte)
zu schwach gewesen seien. Koch betont nun aber weiter,
dass diese Erklärung für die verschiedenen Misserfolge durchaus
nicht als zutreffend gelten könne, da der nach Ende März 1882
von Pasteur gelieferte Impfstoff noch unzuverlässiger gewirkt
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XVII. Auszüge und Besprechungen.
habe. Einestheils sprächen hierfür schon die erwähnten nach
dieser Zeit von Bassi und Saake gemachten Erfahrungen.
Ferner sei auch die Ende April in Beauchery bei 296 Läm¬
mern mit nur einem Stück Verlust ausgeftihrte zweite Impfung
offenbar mit viel zu schwachem deuxi&ne vaccin ausgeführt wor¬
den, denn vom 22.—24. Juni seien noch 4 der Impflinge, von
80 nicht geimpften Contolthieren keins am spontanen Milzbrand
gefallen.
Anderentheils aber habe man am 18. April 1882 in Montpathier
220 Hammel mit premier vaccin geimpft und hierauf 9 Thiere,
und nach einer am 29. April wiederholten Impfung mit dem¬
selben nochmals 7 Hammel an Milzbrand verloren. Der am
17. Mai mit deuxi&me vaccin ausgeführten Impfung sei ein Ham¬
mel erlegen, trotz der dreifachen Impfung seien aber vom 11.
bis 13. Juni noch 6 Hammel am spontanen Milzbrand verendet.
Ja als man am 17. Juni dieses Misserfolges halber die zweite
Impfung wiederholt habe, seien nochmals 5 Hammel am Milz¬
brand gestorben. — Aehnlich in Pakisch, wo der Impfverlust
in der ersten Versuchsreihe 12 Proc. betragen habe, in der zweiten,
mit dem von Pasteur selbst als schwächer bezeichneten Vaccin
ausgeftthrten gleich Null war.
Alle diese Resultate hätten nun wohl Pasteur selbst die
Ueberzeugung aufgedrängt, dass ein kräftiger, möglichsten Schutz
verleihender Impfstoff sehr viele Impfverluste veranlasse, ein mil¬
der wirkender hingegen nicht genügenden Schutz verleihe. Um
auch aus dieser Verlegenheit zu kommen und die Abgabe eines
milderen deuxfeme vaccin zu rechtfertigen, habe er bei der oben
genannten Gelegenheit zugleich erklärt, dass es gar nicht nöthig
wäre, die Schafe mit einem so kräftigen und grosse Verluste be¬
dingenden Vaccin zu behandeln. Denn der Impfmilzbrand, d. h.
die künstliche Infection, sei viel gefährlicher, als die natürliche
Infection, gegen welche schon die Einimpfung eines schwächeren
Vaccins genüge.
Auch diese durchaus willkürliche Behauptung konnte Koch
widerlegen. Von 8 durch ihn präventiv geimpften Versuchsschäfen
sei eines in Folge der Controlimpfung mit spontanem Milzbrand
gestorben. Trotzdem man nun hätte erwarten sollen', dass die
überlebenden 7 präventiv und einmal mit spontanem Milzbrand
geimpften Thiere nunmehr das Maximum der Immunität hätten
erreicht haben, sollen, seien jedoch noch 2 der dreimal geimpften
und ein nicht geimpftes Schaf, als er demselben auf Kartoffeln
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XVII. Auszüge und Besprechungen.
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gezüchtete Milzbrandsporen mit letzteren verabreichte, sie also
einer quasi natürlichen Infection aussetzte, an Milzbrand gestorben.
Auf Grund dieses Versuches zweifelt Koch nicht daran,
dass durch Fütterung von Milzbrandsporen die nach Pasteur’s
Verfahren nur zweimal präventiv geimpften Schafe sämmtlich
oder doch zum grössten Theil mit Milzbrand zu inficiren und zu
tödten sein würden. Ein sicherer Schutz gegen die spontane
Infection mit Milzbrand würde einen Impfverlust von 20 Proc.
erfordern.
Uebrigens gelange man zu demselben Schluss, wenn man
seine Versuche mit den von Pasteur’s eigenem Assistenten in
Kapuvar und Packisch vorgenommenen vergleiche. Auch hier¬
bei ergebe sich, dass zwar die präventiv geimpften Schafe gegen
den von Pasteur zur Controlimpfung aus Paris geschickten
virulenten Stoff, nicht aber gegen die natürliche Infection auf
Milzbrandweiden immun geworden seien, wohin man sie mit nicht
geimpften Thieren gebracht habe. Trotzdem die Infection hierbei
vielfach vom Zufall abhänge und eigentlich nur Fütterungsver¬
suche die erlangte Immunität zu beweisen geeignet sein würden,
hätte das Resultat, wie nachstehende Tabelle lehrt, doch ent¬
schieden gegen die Pasteur’sche Theorie gesprochen.
Der natürlichen In-
Es starben an Milzbrand |
bß
0
Ort
fection auf der Weide
waren gleichzeitig
ausgesetzt an Schafen
Geimpfte
Nicht¬
geimpfte
0
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Bemerkungen
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0«
0
*03
tsj
Kapuvar . . .
254
220
2 =
0,8 ®/o
3
4 =
1,8 °/o
1
10
Packisch . . .
268
231
4 =
1,6 °/o
2
8 -
3,4 °/o
—
2—3
Beauchery . .
296
80
4 =
1,3 °/o
—
- .
—
3
Montpathier .
203
—
6 =
2,9%
—
—
—
! 1
Nach 3 malig.
Impfung.
Ausserdem sei in Packisch auch von 83 präventiv geimpften
Rindern 1 Stück am spontanen Milzbrand gefallen.
Wenn Pasteur, wie aus seinen eigenen Aussagen zu
schliessen sei, auch noch mehr solcher Misserfolge bekannt sein
würden, so seien die obigen doch die einzigen, die bis jetzt zur
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XVII. Auszüge und Besprechungen.
öffentlichen Kenntniss gekommen, oder wenigstens in wissen¬
schaftlich verwerthbarer Weise publicirt worden seien. Auffällig
und mit den von ihm an die Spitze seines Genfer Vortrages ge¬
stellten Worten („Nous avons tous une passion supörieure, la
passion de v6rit6“) nicht vereinbar sei jedenfalls die von Pasteur
befolgte Taktik, diese Misserfolge in demselben vollständig todt-
geschwiegen zu haben; sie müsse von der Wissenschaft mit Ent¬
schiedenheit zurückgewiesen werden.
Sein Gesammturtheil über den Werth der Pasteur¬
schen Präventivimpfung gibt Koch in folgender Weise ab.
D \e Milzbrandbacillen können zwar durch eine eigentüm¬
liche Behandlung abgeschwächt und als Impfstoff gegen virulen¬
tere Stoffe, als sie in diesem Zustande selbst sind, verwertet
werden. Die Immunität ist aber nicht bei allen Thieren zu er¬
reichen, sondern das Pasteur’sche Verfahren anscheinend nur
bei Schafen und Rindern anzuwenden. Eine zur vollständigen
Immunität gegen die natürliche Infection führende Präventivim¬
pfung bedingt aber bedeutende Verluste; je geringer dieselben
sind, um so geringer ist auch der damit erzielte Schutz. Da nun
ausserdem Pasteur selbst annimmt, dass der Impfschutz nur
für die Dauer von circa 1 Jahr genüge, so würden die Verluste
durch die Impfung grösser sein als die, welche der spontane
Milzbrand selbst in den intensivsten Milzbranddistricten hervor¬
zurufen pflege. Ausserdem ist noch wohl zu beachten, dass nicht
nur das deuxteme vaccin, welches Schafe tödte, auch für den
Menschen nicht ganz ungefährlich sein kann, sondern dass auch
die der Impfung zum Opfer fallenden Schafe die Möglichkeit einer
Infection für Menschen und Thiere vervielfältigt. Die Milzbrand¬
präventivimpfung Pasteur’s ist mit der Schutzimpfung der Schat-
pocken in Parallele zu stellen, die man trotz ihrer notorischen
Schutzkraft verboten habe, weil gerade durch sie die Schafpocken
unterhalten und verbreitet werden.
„Die Pasteur’scbe Präventivimpfung ist demnach wegen
des unzulänglichen Schutzes, welchen sie gegen die natürliche
Infection gewährt, wegen der kurzen Dauer ihrer schützenden
Wirkung und wegen der Gefahren, welche sie für Menschen und
nicht geimpfte Thiere bedingt, als praktisch verwerthbar nicht
zu bezeichnen.“
Trotz dieses ablehnenden Urtheils constatirt Koch 1 ) doch
1) Ganz so ungünstig wie Koch die Gesammtresultate der Milzbrand¬
impfung schildert, scheinen dieselben indess nach neueren Berichten doch
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XVII. Auszüge und Besprechungen.
229
weiter, dass aus dem Paste urschen Impfverfahren die für die
Wissenschaft sehr wichtige Thatsache resultire, dass die Milz¬
brandbacillen abgeschwächt und als Impfstoff benützt werden
können. Dieser Erfolg sei allerdings schon vor Pasteur von
Toussaint durch Erwärmen von Milzbrandblut auf 55° C. und
Zusatz von 1 Proc. Carbolsäure zu erreichen gestrebt worden.
Zwischen beiden Verfahren existire aber der wichtige Unter¬
schied, dass letzterer die Abschwächung des Virus durch Entfer¬
nung oder Tödtung der Bacillen, Pasteur hingegen nur eine
Abschwächung derselben und eine Uebertragung ihrer vermin¬
derten Virulenz auf die Nachkommen zu erreichen gesucht habe.
Hierdurch hätte Pasteur zuerst den exacten und voltständig
einwurfsfreien Nachweis geliefert , dass eine pathogene Bacterien -
art unter ganz bestimmten Bedingungen ihre pathogenen Eigen -
nicht zu sein. Namentlich läuten die letzten Mittheilungen, welche Prof.
Azary in Budapest über die in Ungarn vorgenommenen Impfungen gibt
(vergl. diese Zeitschrift VIII. Bd. S. 277) etwas günstiger.
In Ozara sind beispielsweise vom 11. December 1881 bis 1. April 1882
10000 Stück Schafe geimpft worden. Hiervon gingen 3 Wochen nach der
zweiten Impfung nur 3 Stück an Milzbrand ein. Bis Ende August 1882 sollen
weitere Verluste weder an den Folgen der Impfung noch am spontanen Milz¬
brand vorgekommen sein. In früheren Jahren hingegen machte der Verlust
✓um diese Zeit 500—600 Stück aus.
In Kapuvar hingegen betrug die Differenz zwischen den Verlusten an
spontanem Milzbrand vom 21. Juni bis 1. August 1882 bei den Geimpften
1,6 Proc., bei den Ungeimpften 0,95 Proc., was entschieden zu Ungunsten der
Impfung spricht.
Mit dem Koch’schen Resumd stimmen weiter nicht ganz die Procent¬
sätze überein, welche sich nach einem von Prof. Siedamgrotzky am
27. Januar d. J. in der Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden
gehaltenen Vortrag aus den bisher ausserhalb Frankreich vorgenommenen
Impfversuchen herausrechnen lassen sollen. Nach Siedamgrotzky stellt
sich das Gesammtresultat, wie folgt.
I. In 20 Versuchen wurden primitiv geimpft:
Mit premier vaccin . . 2543 Schafe, wovon 16 starben = 0,6 Proc. Verlust
* deuxieme vaccin . 2527 * - 61 * = 2,4 * _ -
Summa: 3 Proc. Impfverl.
II. Der Controlimpfung wurden unterworfen:
1. Mit Pasteur’s virus, le plus virulent vaccin, in 8 Versuchen
a) 136 geimpfte Schafe, wovon 7 starben = 5 Proc. Verlust
b) 125 nichtgeimpfte ** -115 * =92- *
2. Mit Müzbrandblut in 11 Versuchen
a) 61 geimpfte Schafe, wovon 19 starben = 31 Proc. Verlust
b) 17nichtgeimpfte * * 17 starben = 100 = =
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XVII. Auszüge und Besprechungen.
schäften verlieren kann, ohne dass sie eine morphologische Ver¬
änderung erfahret)
Was endlich die von Pasteur gegebene wissenschaftliche
Erklärung seines Abschwächungsverfahrens und die hierbei dem
Luftsauerstoff zugeschriebene Hauptrolle anbelangt, so ist Koch
abweichender Ansicht. Er glaubt, dass hierbei mehr die höhere
Temperatur und ausserdem eigenthümliche, beim Stoffwechsel
der Bacterien entstehende Producte in Frage kämen.
Für die abschwächende Wirkung der höheren Temperaturen
auf Milzbrandbacillen spreche einmal die schon oben erwähnte
Beobachtung, dass die Abschwächung sich um so rascher voll¬
ziehe, je höher die Temperatur steige, Beobachtungen, wie sie
beim Milzbrand auch von Toussaint und Chauveau gemacht
worden wären. Eine gleiche Schlussfolgerung gestatteten auch
die Versuche von Arloing, Thomas und Carvenin mit den
Sporen der Rauschbrandbacillen, ferner ’die von Feltz mit denen
vom Bacillus butyricus, wobei die Einwirkung des Sauerstoffes
vollständig ausgeschlossen werden müsse.
Hinsichtlich der Producte des Bacterienstoffwechsels habe
Toussaint schon die abschwächende Wirkung eines desselben,
des Phenols, praktisch nachgewiesen. 1 2 ) Ebenso wie dieses wür¬
den aber auch noch andere beim Wachsthum und der Vermehrung
der Bacterien entstehende Stoffe schwächend und das Wachsthum
derselben hindernd auf die Bacterien einwirken. Je langsamer
bei geringen Temperaturgraden die Abschwächung der Milzbrand¬
bacillen vor sich gehe, um so mehr müsste sich daneben die ab¬
schwächende Wirkung ihrer Stoffwechselproducte geltend machen.
Der von Pasteur für seine Abschwächungstheorie ange¬
führte Umstand, dass Milzbrandbacillen bei Sauerstoffabschluss
auf 42—43° erwärmt, ihre Virulenz behielten, erklärt sich nach
Koch dadurch, dass bei Sauerstoffentziehung kein Wachsthum
der Milzbrandbacillen, also auch keine Bildung jener abschwä¬
chenden Stoffwechselproducte erfolge.
Ganz schlagend sei aber die abschwächende Wirkung des
Sauerstoffes durch folgende Beobachtung widerlegt. Werde ein
Vaccin in nicht zu langen Zwischenräumen fortgesetzt in eine
1) Dieser Nachweis wurde übrigens schon vor Pasteur und Toussaint
durch Nägeli und Büchner geliefert. L. Franck.
2) Die abschwächende, resp. sogar bacterientödtende Wirkung der aro¬
matischen Fäulnissproducte (Scatol, Rydrozimmetäure, Indol, Kreosol, Phenil-
essigsäure, Phenol) ist wohl zuerst von Wernich (Virch. Arch. 78. Bd.)
nachgewiesen worden.
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XVII. Auszüge und Besprechungen.
231
neue Nährflüssigkeit übertragen, so behalte er die ihm eigen¬
tümliche Virulenz bei. Belasse man ihn aber in derselben, so
sinke die Virulenz mehr und mehr, vorausgesetzt, dass es nicht
zur Sporenbildung gekommen sei. Dieser verschiedene Effect
werde erzielt, trotzdem in beiden Versuchen der Sauerstoff unge¬
störten Zutritt habe. Hier könne die Abschwächung des Vaccins
absolut nicht auf diesen, sondern nur auf die in der nicht erneuten
Nährflüssigkeit sich anhäufenden Stoffwechselproducte geschoben
werden, mit welchen die Bacillen fortwährend contact bleiben.
Zum Schluss hält es Koch noch unter Hinweis auf eine
schon früher in den Mittheilungen des k. Gesundheitsamtes (S. 74)
enthaltene, nicht misszuverstehende Bemerkung für nöthig, zu
erklären, dass er durchaus nicht, wie vielfach irrthtimlich ange¬
nommen, ein principieller Gegner der Umzüchtung pathogener
Organismen sei, dass er aber bei der ausserordentlichen Trag¬
weite einer solchen Thatsache exacte Beweise für dieselbe ver¬
lange. Für die Umzüchtung der Milzbrandbacillen halte er die¬
selben jetzt für erbracht. Von einem allgemeinen Gesetz der
Abschwächung pathogener Mikroorganismen könne man aber nicht
eher sprechen, bis es gelungen sei, eine grössere Zahl derselben
umzuzüchten. Es sei allerdings zu wünschen, dass sich die auf
diesem Gebiet arbeitenden Forscher in Zukunft einer grösseren
Objectivität befleissigen und mit mehr Selbstkritik zu Werke
gehen möchten.
Auch sei es, und diesem Wunsche darf man sich vollbe¬
rechtigt anschliessen, nach den bisherigen Erfahrungen dringend
zu widerrathen, die wissenschaftlichen Ergebnisse zu voreilig in
die Praxis zu übertragen. Die von Pasteur gegen Htihner-
cholera und Milzbrand empfohlene Präventivimpfung habe we¬
nigstens vorläufig praktisch verwerthbare Resultate nicht aufzu¬
weisen. Wenn Pasteur auf dem Genfer Congress als zweiter
Jenner gefeiert worden wäre, so sei dies wohl offenbar verfrüht
geschehen.
Koch endet seine neueste, trotz ihrer polemischen Form
wieder so vieles hochwichtige Neue enthaltende Arbeit mit der
Behauptung, dass die Präventivimpfung mit abgeschwächten In-
fectionsstoffen in Wahrheit erst dann Triumphe feiern könne,
wenn die Abschwächung der den Menschen unmittelbar angehen¬
den Bacterien, so weit sie jetzt sicher als Ursache ansteckender
Krankheiten bekannt seien (Tuberculose, Lepra, Abdominaltyphus,
Erysipelas, Recurrens) und ihre Verwandlung in schützende Impf-
Deutsche Zeitschrift f.Thiermed.n. vergl. Pathologie. IX. Bd. 16
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232
v
XVII. Auszüge und Besprechungen.
stoflfe gelungen sein werde. Wir können dieser Behauptung nur
im Allgemeinen zustimmen. Vom thierärztlichen und national¬
ökonomischen Standpunkte dürften für uns die grössten Triumphe
der Präventivimpfung in der wirksamen Bekämpfung der furcht¬
barsten Geissei unserer Viehzucht, der Rinderpest, bedingungs¬
weise auch der Lungenseuche, liegen. 1 ) Johne.
2 .
Mittkeilungen aus der pharmakologischen Abtheilung
des Dorpater Veterinärinstituts .
Von
Prof. E. Semmer.
Experimenteller Beitrag zur Lehre über einige Conta-
gien. Von Gustav Grünwald. 2 )
Von G. Grtinwald wurde im Dorpater Veterinärinstitut die
Wirkung einer Reihe antiseptischer Mittel auf das Contagium der
Schafpocken und der contagiösen Pyämie der Kaninchen geprüft
Beide Krankheiten werden durch niedere Organismen aus der
Gruppe der Mikrococcen Verursacht.
Chauveau 3 ) hatte nachgewiesen, dass die obersten Schich¬
ten mit Wasser vermengter Pockenlymphe unwirksam sind, wäh¬
rend die zu Boden gesunkenen festen Partikelchen stets Pocken
erzeugten; Keber 4 ) constatirte in der Pockenlymphe die Gegen¬
wart kleiner Moleküle, die er für Träger des Contagiums hält.
Coze und Felz 5 ) constatirten in dem Pockeneiter und im
Blute Pockenkranker Mikrococcen.
1) In Nr. 5, I. Bd. S. 34 der „Fortschritte d. Med.“ findet sich übrigens
die Mittheilung, dass Pasteur in der Revue scientifique einen Artikel als
Antwort auf die oben referirte Arbeit von Koch veröffentlicht habe. Ohne
neue Gesichtspunkte in derselben zu Felde zu führen, betone er besonders
die Verdienste, welche er sich seit Decennien um die Lehre der Mikroorga¬
nismen erworben habe. Die Redaction der „Fortschritte“ bemerkt hierzu,
dass Pasteur, welcher seine genialen, bahnbrechenden Arbeiten lange Jahre
gegen die heftigsten Angriffe der bedeutendsten Chemiker Frankreichs und
Deutschlands vertheidigen musste, diesen Hinweis nicht nöthig gehabt hätte.
J.
2) Inauguraldissertation. Dorpat 1882.
3) Nature de virus vaccin. Comptes rend. de l’Acad. des Sciences. 1868.
4) Ueber die mikroskopischen Bestandtheüe der Pockenlymphe. Vir-
chow’s Archiv. 42. Bd. 1868.
5) Recherches experimentales sur la presence des infusoires et l’etat
du sang dans les maladies infectieuses. Gazette med. de Strassbourg. 1866.
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XVII. Auszüge und Besprechungen.
233
Ebenso stellten Hallier nnd Zürn 1 ) das constante Vor¬
kommen Ton Mikrococcen in der Lymphe der Schafpocken fest.
Hallier leitet dieselben von der auf Lolium perenm wuchern¬
den Pleospora herbarum ab.
Klebs 2 ) fand in den Pockenpusteln kleine glänzende Körn¬
chen, oft reihenweise zu mehreren vereinigt, und erklärte die¬
selben ihr pflanzliche Gebilde und Träger des Contaginms.
Auch Luginbtthl 3 ) und Erismann 4 ) halten die Mikro¬
coccen der Variola für Träger und Verbreiter des Contagiums.
Nach Weigert 5 ) unterscheiden sich die in den Pocken¬
pusteln vorhandenen Mikrococcen durch ihre gleichmässige Form
und Färbung durch Hämatoxilin von Detritusmassen. Weigert
fand Mikrococcencolonien in der Leber, Milz, den Nieren und
Lymphdrüsen. ln der Umgebung der Mikrococcenanhäufungen
tritt bald eine regressive Metamorphose der Zellen ein. Wenn
in der Umgebung dieser Herde eine entzündliche Reaction ein-
tritt, so vergleicht Weigert dieselben mit der Pockeneruption
auf der Haut.
Cohn 6 ) erklärt die frei in der Pockenlymphe schwimmenden
kleinen kugeligen Körperchen für Kugelbacterien aus der Gruppe
der Schizomyceten und hält sie für Vermittler des Contagiums.
Zülzer 7 ) leitet die Pockenkrankheit von Bacterien ab, die
er in dem Lumen und den Wandungen der Hautgefässe in grossen
Massen vorfand.
Toussaint 8 ), E. Semmer 9 ) und C. Raupach cultivirten
die Schafpockenmikroben in Kaninchen- und Schafbouillon und
erzeugten damit abortive Pocken, die nicht in Eiterung über¬
gingen.
Nach den neueren Forschungsresultaten steht es fest, dass
1) Hallier, Farasitologische Untersuchungen. 1868.
2) Klebs, Handbuch der pathologischen Anatomie. S. 40.
3) Der Micrococcus der Variola. Verband), der Würzburger med. Ge¬
sellschaft. IV. Bd. Heft 2 u. 3.
4) Zur Anatomie der Variola haemorrhag. Sitzungsbericht der kaiserl.
Akademie. Wien 1868. 68. Bd. Abtheil. II.
5) Anatomische Beiträge zur'Lehre von den Pocken. Centralblatt der
medic. Wissenschaft. 1871. Nr. 59.
6) Virchow’s Archiv 1872. 55. Bd. S. 229.
7) Beiträge zur Pathologie und Therapie der Variola. Berliner klin.
Wochenschrift 1872. Nr. 51.
8) Revue v6terinaire. Toulouse, Avril 1881.
9) Beibag zur Lehre von der Immunität und Mitigation. Zeitschrift
für Thiermedicin und vergleichende Pathologie 1881.
16 *
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XVII. Auszüge und Besprechungen.
auch die Pyämie zu den durch Schizomyceten verursachten In-
fectionskrankheiten gehört.
Roser 7 ) erklärte schon 1845 die Pyämie für eine contagiöse
zymotische Krankheit, die durch ein besonderes Miasma ver¬
anlasst wird und von der Septicämie zu trennen ist.
Stromeyer 1 2 ) nimmt bei der Pyämie ein flüchtiges Conta-
gium an; dasselbe haftet aber auch an festen Körpern, wie Ver-
bandstücken u. dergl.
Nach Guerin 3 ), Chassaignac und Litzmann 4 ) kann
das pyämische Puerperalfieber durch Aerzte und Hebammen
verschleppt werden. Dasselbe behaupten Semmelweiss 5 ),
Skoda, Simpson 6 7 8 9 10 11 12 ) u. A.
Rindfleisch 7 ) wies schon 1866 in metastatischen Eiter¬
herden zahlreiche niedere Organismen nach.
Recklinghausen 8 ) fand in den multiplen metastatischen
Herden bei Pyämie und Puerperalfieber Anhäufungen niederer
Organismen, die er für Mikrococcen hält.
Nach Birch - Hirschfeld 9 ) verursacht pyämischer, an
Kugelbacterien reicher Eiter subcutan beigebracht in 7—24 Ta¬
gen den Tod bei Kaninchen, was bei gewöhnlichem Eiter nicht
der Fall ist. An den Injectionsstellen entsteht Vereiterung und
im Eiter, Blut, in der Leber, Milz und den Nieren lassen sich
zahlreiche Mikrococcen nachweisen.
Waldeyer 10 ) fand bei der Pyämie zahlreiche Mikrococcen
in der Leber, den Nieren, Lungen, dem Herzbeutel und anderen
Organen und hält die Mikrococcen für die Ursache der Krankheit.
Nach Burdon-Sanderson u ) sind die pyämischen Eiter¬
körperchen ungleich undeutlich contourirt, stachelig granulirt, mit
Kugelbacterien durchsetzt.
Vogt t2 ) fand in einem metastatischen Eiterherd eines leben-
1) Die specifische Natur der Pyämie. Archiv für Heilk. 1860. Heftl.
2) Stricker, Vorlesungen über allgemeine Pathologie. 1877.
3) Schmidt’s Jahrbücher 1859. 101. Bd. S. 116.
4) Das Kindbettfieber in nosologischer Beziehung.
5) Die Aetiologie, der Begriff u. die Prophylaxis d. Kindbettfiebers. 1861.
6) Edingborgh mouthly Journal 1850.
7) Handbuch der pathologischen Gewebelehre. S. 204.
8) Schmidt’s Jahrbücher 1872. 155 Bd. S. 97.
9) Centralblatt für medicin. Wissensch. 1873. S. 569.
10) Schmidt’s Jahrbücher 1872. 155. Bd. S. 97.
11) Uhle und Wagner, Handbuch der allgem. Pathol. 1876. S. 820.
12) Medicin. Centralblatt 1872. Nr. 44.
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XVH. Auszüge und Besprechungen.
235
den Pyämischen massenhaft Monaden mit lebhafter vitaler Be¬
wegung und vereinzelte auch im Blute.
Hueter 1 ) lässt die Pyämie durch Monaden entstehen.
Koch' 2 ) erzeugte Pyämie bei Kaninchen durch Subcutan-
injection einiger Tropfen Wasser, in dem ein Stückchen Mause¬
fell einige Tage macerirt hatte. Das Thier ging 105 Stunden
nach der Injection zu Grunde. An der Injectionsstelle fand sich
eiterige Infiltration; Peritoneum und Baucheingeweide mit fibri-
nösen Massen überzogen; Milz vergrössert; Leber grau marmorirt,
mit keilförmigen Herden durchsetzt; in den Lungen erbsengrosse
Infarcte. Einige Tropfen Blut aus dem Herzen dieses, einem
anderen Kaninchen subcutan beigebracht, tödteten dasselbe in
40 Stunden. Durch weitere Impfversuche constatirte Koch, dass
7io Tropfen pyämischen Blutes genügt, um Kaninchen in 125
Stunden zu tödten. In allen Fällen lassen sich, namentlich in
den veränderten Körpertheilen, zahlreiche Mikrococcen nachwei-
sen; besonders sind dieselben in den Nierenglomerulis angehäuft.
E. Semmer 3 ) erzeugte contagiöse Pyämie bei Kaninchen
durch Subcutaninjection auf 55° erwärmten Milzbrandblutes. Der
an der Impfstelle gebildete Eiter hatte eminent contagiöse Eigen¬
schaften. Durch Verimpfung der geringsten Mengen davon wurde
bei Kaninchen ausnahmslos der Tod durch Pyämie in 1—3 Tagen
verursacht. An der Impfstelle fand sich an Mikrococcen sehr
reicher Eiter. In der Leber aus farblosen Blutkörperchen be¬
stehende Zellenherde; Leberzellen und Epithel der Harnkanäl¬
chen feinkörnig getrübt; in den Harnkanälchen Detritus und Fett¬
körnchen; die Nierenglomernli enthalten viel farblose Blutkörper¬
chen. Die rothen Blutkörper stechapfelförmig, mit Mikrococcen
besetzt; im Blutserum, in, der Leber und den Nieren grosse
Mengen von Mikrococcen. Die Krankheit führt weder zur Auf¬
lösung der Blutkörperchen, Transsudaten und Imbibitionen, noch
zu schneller Fäulniss der Gadaver, wie die Septicämie. Metastasen
und Infarcte sind dabei nicht wesentlich. An Contagiosität und
Malignität steht die Pyämie der Kaninchen der Septicämie und
dem Milzbrand nicht nach.
1) Schmidt’s Jahrbücher 1874. 164. Bd. S. 217.
2) Untersuchungen über die Aetiologie der Wundinfectionskrankheiten.
Leipzig 1878.
3) Die contagiöse Pyämie der Kaninchen. Centralblatt für med. Wis¬
senschaft. 1881. Nr. 41.
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236
XVII. Auszüge und Besprechungen.
Von Grün wald wurden zu seinen Experimenten die Schaf¬
pocken nnd die contagiöse Pyämie der Kaninchen deswegen aas¬
gewählt, weil keine Impfang dieser Krankheiten anf Thiere, die
sie noch nicht ttberstanden, fehlschlägt and somit ganz zweifel¬
lose Resultate bei der Prüfung der Wirkung der Antiseptica and
Desinficientia anf diese Contagien zu erwarten waren.
Es wurden in ihrer Wirkung auf genannte Contagien geprüft:
Chlorzink, Chromsäure, Chinin, Resorcin, schwefligsaures Natron,
übermangansaures Kali, Tannin, Eisenchlorid, Borsäure, Holz¬
essig, Terpenthinöl, Kochsalz, Aetzkali, Schwefelsäure, Carbol-
säure, Theerwasser und Benzin. Die genannten Mittel kamen
in verschieden starken wässerigen Lösungen zur Anwendung. Um
eine stärkere Chininlösung zu erhalten, wurden derselben einige
Tropfen Schwefelsäure zugefügt. Terpenthinöl und Benzin wur¬
den rein nnd unverdünnt angewandt
Das Desinfectionsverfahren bei den Schafpocken bestand da¬
rin, dass je ein Tropfen wirksamer Pockenlymphe mit einem
gleich grossen Tropfen der desinficirenden Solution zusammen¬
gemischt wurde; mit dieser Mischung wurden gesunde Schafe
an der unteren Fläche des Schwanzes subcutan geimpft.
Bei der contagiösen Pyämie der Kaninchen wurde ein hirse¬
korngrosses Stückchen eiterig infiltrirten Unterhautbindegewebes
auf ein Objectgläschen gebracht, mit Nadeln sorgfältig zerzupft
und darauf mit der zu prüfenden antiseptischen Flüssigkeit über¬
gossen und etwa eine halbe Stunde in Berührung gelassen. Da¬
rauf wurde ein kleines Stückchen des so behandelten mit pyämi¬
schem Eiter infiltrirten Bindegewebes gesunden Kaninchen an
den Glutäen subcutan beigebracht.
Die bei den Operationen verwandten Instrumente wurden
vor jedesmaliger Anwendung sorgfältig desinficirt. Sobald nach
der Impfung eine bedeutendere Temperatursteigerung eintrat,
wurden die Verdächtigen gleich aus der gesunden Heerde aus¬
geschieden, um eine natürliche Ansteckung zu verhüten.
Die Resultate der Prüfungen waren kurz zusammengefasst
folgende:
Das Schafpockencontagium wird vernichtet von
Tannin ....
. in 10 procent. Lösung
Kali hypermangan.
*10 * *
Eisenchlorid . . .
. * 10
Holzessig ....
. * 10 * *
Aetzkali ....
, * 10 * *
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XVII. Auszüge und Besprechungen.
237
Chlorzink.in 5 procent. Lösung
Chromsäure.* 2 V 2 * *
Resorcin.* 2 V 2 * *
Schwefelsäure . . . . * 2 1 /2 * *
Carbolsäure.* IV 4 * *
Chinin ....-...*5 * *
Terpenthinöl.rein.
Concentrirtes Theerwasser in 3facher Verdünnung.
Das Pyämiecontagium wird vernichtet von
Chinin
Resorcin . .
Holzessig
Chromsäure
Schwefelsäure
Carbolsäure .
in 5 procent. Lösung
* 5 * *
*5 * ^
* 1V4 * - *
* 5 /s * #
* 5 /l6 # *
Unwirksam auf das Schafpockencontagium ist:
Schwefligsaures Natron in 10 procent. Lösung
Borsäure.* 5 * *
Concentrirte Kochsalzlösung.
Unwirksam aufs Pyämiecontagium ist:
Tannin.in 10 procent. Lösung
Schwefligsaures Natron * 10 * *
Kali hypermangan. . . * 10 * *
Eisenchlorid . ... * 10 * *
Chlorzink.* 10 * #
Borsäure.* 5 * *
Concentrirte Kochsalzlösung.
Terpenthinöl rein. Benzin rein.
Daraus geht hervor, dass nur die Carbolsäure und Schwefel*
säure auf beide Contagien in stärkeren Verdünnungen sich wirk¬
sam erwiesen.
Schwefligsaures Natron, Borsäure und Kochsalz waren auf
beide Contagien unwirksam.
Die übrigen Mittel verhalten sich sehr verschieden gegen
beide Contagien.
Lösungen von Tannin, Kali hypermangan., Eisenchlorid,
Chlorzink und Terpenthinöl, welche das Schafpockencontagium
vernichten, erweisen sich unwirksam auf das Pyämiecontagium.
Es folgt hieraus, dass sich die verschiedenen Contagien sehr
verschieden gegen die einzelnen Antiseptica und Desinficientia
verhalten.
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238
XVII. Auszüge und Besprechungen.
Ausser den vorliegenden Prüfungen mit Desinficientia in
ihrer Wirkung auf das Contagium der Schafpocken und Pyämie
liegen in der Literatur noch solche vor betreffend den Milzbrand,
die Septicämie, die Cholera, das Erysipel und die Kuhpocken.
In ihrer Wirkung auf den Milzbrand sind geprüft worden: Aetz-
kali und -Natron, Ammoniak, Schwefelsäure, Salzsäure, Chrom¬
säure, Kieselsäure, Salicylsäure, Osmiumsäure, Pikrinsäure, Car-
bolsäure, Borsäure, Benzoesäure, Weinessig, Chlornatrium, Chlor¬
calcium, Chlorzink, Sublimat, Chlor, Jod, Kali hypermanganicum,
Brom, Aether, Terpenthinöl, Eukalyptöl, Kampher, ätherische
Oele.
Auf die Septicämie: Aetzkali und-Natron, Salzsäure, Salpe¬
tersäure, Schwefelsäure, arsenige Säure, Carbolsäure, Chlorkalk,
Sublimat, Chloralhydrat, Alkohol, carbolsaures Natron, Argentum
nitr., Plumbum acet., Eisenvitriol, Kupfervitriol, Jodtinctur, Thy¬
mol, benzoesaures Natron.
Auf die Cholera: Kampher, Carbolsäure, Calomel, Chloral¬
hydrat, Chlorwasser, Chinin, Eisenvitriol, Nux vomica, Opium,
Salpetersäure, Schwefelsäure, Tannin, Chloroform, Theer.
Auf das Erysipel: Carbolsäure, Sublimat, Höllenstein, Kupfer¬
vitriol, Aetzkali, Aetznatron, Chlornatron und Chinin.
Auf die Kuhpocken: Chlor, Carbolsäure, borsaures Chinin,
Kali hypermangan., Eisenalaun, Kupferalaun, Salicylsäure, schwef¬
lige Säure, Terpenthin.
Von all den genannten Mitteln haben sich am meisten be¬
währt:
Gegen den Milzbrand Sublimat in Lösungen von 1 :1000
bis 1: 1000000, Jod 1 :5000 bis 12000, Brom 1 :1500, ätherische
Oele 1: 33000 bis 70000.
Gegen Septicämie Jod 1 :5000 bis 10000, Chromsäure und
Kali hypermangan. 1: 3000, Sublimat 1: 400.
Gegen die Cholera Salzsäure (1:1800), Schwefelsäure und
Salpetersäure (1:240).
Leider hat sich Sublimat, der die Contagien in sehr verdünn¬
ten Lösungen energisch zerstört, bei innerlicher Anwendung nicht
bewährt. Die Antiseptica und Desinficientia wirken demnach
nicht nur verschieden auf die verschiedenen Contagien, sondern
auch verschieden, je nachdem ob sje äusserlich oder innerlich
angewandt werden.
Dorpat, August 1882.
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Digitized by
XVIII.
Das Vogelei. 1 )
Von
Prof. Dr. Bonnet.
Hochverehrliche Versammlung!
Bietet es uns schon einen hohen Reiz, mit dem zergliedern¬
den Messer in den complicirten und wundervollen Aufbau irgend
eines Geschöpfes .einzudringen und einen Blick in die Wechsel¬
beziehungen der Organe und ihre Bedeutung für das Leben zu
thun, so wächst doch unser Interesse noch um Vieles von dem
Augenblicke an, wo wir die Frage aufwerfen: Wie hat sich denn
das Alles gebildet, welche Massen wurden bei der Entwicklung
zum Aufbau des so vollkommenen Organismus verwendet, welche
Stadien und Formen hat er bei seiner Entwicklung durchlaufen?
Gerade dadurch, dass weitaus in der Mehrzahl der Fälle ein
grösserer oder geringerer Theil der Entwicklung sich vor dem
neugierigen Auge des Menschen verborgen vollzieht, hat das plötz¬
liche Hereintreten des jungen Thieres ins Erdenleben etwas Un¬
vermitteltes, Ueberraschendes, Geheimnissvolles. Dies wird mir
gewiss Jeder zugeben, der nach der kurzen Zeit von 3 Wochen
das altkluge und gewandte Küchlein mit lebhafter Energie sein
Gefängniss sprengen sieht und der nun auf einmal Leben und
Bewegung da erblickt, wo wir sonst in den bekannten Theilen
des Hühnereies Formen und Stoffe vor uns haben, die zunächst
weder nach Bau, noch chemischer Zusammensetzung in Zusammen¬
hang mit dem fertigen Küchlein zu stehen, ja sogar noch oben¬
drein völlig leblos und todt scheinen.
In der ganzen Reihe der höheren Wirbelthiere findet sich
aber keine bequemere Gelegenheit, die Geheimnisse ihrer Ent-
1) Vortrag, gehalten im bayerischen Verein für Geflügelzucht in München.
Deutsche Zeitschriftf. Thiermed. u. vergl. Pathologie. IX. Bd. 17
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XYin. BONNET
Wicklung zu belauschen, als gerade bei den Vögeln, wo die Grösse
des Eies, die Leichtigkeit seiner Beschaffung und die Möglich¬
keit der künstlichen Bebrütung jedes beliebige Entwicklungssta¬
dium zu untersuchen erlaubt. So kam es denn, dass seit vor mehr
als 2000 Jahren der Vater der Naturgeschichte und berühmte
Erzieher Alexanders des Grossen, Aristoteles, seine ersten Er¬
fahrungen über einen werdenden Organismus an Hühnereiern sam¬
melte, jahrjährlich enorme Mengen wissenschaftlichen Zwecken
geopfert werden, namentlich seit sich herausgestellt hat, dass die
Grundzüge der Entwicklung beim Vogel, Säugethier und Men¬
schen die gleichen sind. Damit trat natürlich das Vogelei sofort
in die Lücke für das viel schwerer zu beschaffende mikrosko¬
pisch kleine und ausserordentlich leicht verletzliche Säugerei,
und man darf wohl sagen, dass wir von keinem Thier die auf¬
einanderfolgenden Acte der Entwicklung so genau kennen, wie
beim Hühnchen, dass bei keinem auch der Aufbau des Eies selbst,
die Bedeutung seiner einzelnen Theile für den werdenden Vogel
in gleicher Weise mit berücksichtigt wurde.
Die bei diesen Studien gemachten Erfahrungen haben aber
weit über die rein theoretischen Kreise hinaus ihren Wellenschlag
geworfen und haben ein lebhaftes Interesse bei gebildeten Laien,
Naturfreunden und namentlich Züchtern erregt. Sie alle wollen
heute nicht nur allein den fertigen Organismus, mit welchem sie
sich aus diesen oder jenen Gründen beschäftigen, kennen lernen,
sondern auch die verschlungenen Wege, auf welchen die Natur
ihre Werke zu Stande bringt.
Diese Gesichtspunkte veranlassten mich zur Wahl meines
heutigen Themas, welches, die eigentlichen Entwicklungsvorgänge
einstweilen nicht berücksichtigend, das Vogelei, speciell das
Hühnerei, und die Bedeutung seiner einzelnen Theile für den
werdenden Vogel umfasst. Freilich verhehle ich mir nicht, dass
es eigentlich ein kühnes Beginnen ist, für die Schilderung eines
Gebildes Aufmerksamkeit zu verlangen, das Jedem vollauf be¬
kannt ist, das unseren fleissigen Hausfrauen tagtäglich durch die
Hände geht, das fast stündlich zu Tausenden ohne weitere Re¬
flexion zertrümmert und als wichtiges Nahrungsmittel verwendet
wird. Und doch ergibt sich vielleicht da und dort Gelegenheit
zur Beleuchtung nicht uninteressanter, möglicherweise sogar neuer
Punkte.
Bei einer vergleichenden Betrachtung der Fortpflanzung
der Vögel mit der der übrigen Wirbelthiere fällt uns sofort auf,
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Das Vogelei.
241
dass dieselbe nur durch abgelegte Eier stattfindet. Wäh¬
rend bei Fischen, Amphibien nnd Reptilien auch lebendig ge¬
bärende Formen Vorkommen, während die Säugethiere und der
Mensch nur lebendige Junge gebären, sind die Vögel nur eier¬
legend. Freilich sind da und dort Angaben gemacht worden,
dass im Leibe des Muttervogels eine mehr oder minder zur Form¬
ausbildung des Jungen führende Entwicklung des Eies beobachtet
worden sei. Diese Erzählungen sind aber alle entweder unwahr,
oder falsch gedeutete Thatsachen, indem es sich bei ihnen um
einen pathologischen Befund, um sogenannte Federgeschwttlste,
wie sie namentlich am Eierstocke Vorkommen, bandelt. Solche
haben aber mit der Entwicklung eines Küchleins ganz und gar
nichts zu thun. Zweifellos hängt die ausnahmslos präcisirte Art
der Fortpflanzung durch nach und nach abgelegte Eier mit der
Eigentümlichkeit der Bewegung des Vogels zusammen, in dessen
ganzem anatomischen Aufbau uns wie in einem Schiff die grösste
Oekonomie in der Ausnützung des Raumes entgegentritt. Und
haben wir denn nicht in fast allen Vögeln mit nur wenigen Aus¬
nahmen ein Schiff der Lüfte oder des Wassers vor uns, das durch
jede andauernde grössere Belastung und Volumenszunahme in
seinen Bewegungen wesentlich gehemmt würde? Auch in der
Eiablage tritt uns beim Vogel, wohl durch dieselben Gründe be¬
stimmt, die Thatsache vor Augen, dass nicht wie bei Fischen,
Amphibien und Reptilien und den mehrgebärenden Säugern die
ganze Menge der Eier auf einmal oder nahezu gleichzeitig ab¬
gelegt wird, vielmehr legt die Mutter nach und nach, eines nach
dem anderen, ohne durch die einzelnen Eier zu sehr belastet zu
werden, ihr Gelege ab.
Nicht minder tritt uns aber auch in der Anatomie der eibil¬
denden Theile, der Eierstöcke, und ihrer ausfuhrenden Wege, der
Eileiter, diese auf Raumersparnis gerichtete Tendenz entgegen.
Bei allen Vögeln kommt nur der linke Eierstock und Eileiter aus
paariger Anlage zur Entwicklung, während der rechte Eierstock
und Eileiter schwindet. Oeffnen wir ein ausgewachsenes Huhn
während der Legeperiode, so fällt uns nach Beseitigung der Ge¬
därme und der Leber ein unter den Lungen dicht an der Wirbel¬
säule liegendes traubiges Organ, der Eierstock, auf, dessen ein¬
zelne Beeren, die Eisäckchen, Eier von recht verschiedener
Grösse und Farbe bergen. Die grösseren derselben bis zum Aus-
maasse einer Dotterkugel oder des Eigelbes eines gelegten Eies
sind von einer feinen gefässhaltigen Haut überzogen. Sie hängen
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XVIII. .BONNET
wie Beeren durch einen Stiel mit dem Eierstocke zusammen.
Eine ebensolche Hülle umschliesst neben den kleineren nur erbsen-
bis hanf korngrossen auch noch eine Menge kaum sichtbarer neben
völlig mikroskopischen Eisäckchen, wie die genauere mikrosko¬
pische Untersuchung ergibt.
Um nun die Bildung des Eies kennen zu lernen, müssen
wir den Eierstock eines noch jungen, nicht legefähigen Huhnes
untersuchen. Ein nach geeigneter Vorbehandlung des Eierstocks
durch denselben gelegter feiner Schnitt zeigt dann bei der mikro¬
skopischen Untersuchung im eigentlichen Gewebe des Eierstocks
eingelagert eine Menge rundlicher kleiner, kugelförmiger Gebilde
von wechselnder Grösse, in deren Mitte sich immer ein rundes
kleines Bläschen befindet. Dies sind die noch unreifen Eier, deren
jedes einer sogenannten Zelle entspricht. Seit den bahnbrechen¬
den Untersuchungen von Schleiden und Schwann wissen wir
nämlich, dass Thiere und Pflanzen, desgleichen der Mensch aus
kleinen kernhaltigen belebten Kügelchen oder Bläschen aus ei¬
weissartiger Substanz, aus Zellen, sich auf bauen, die durch Thei-
lung aus der Eizelle hervorgehend, sich vermehren und nachträg¬
lich ihre kugelförmige Gestalt vielfach ändernd, als Spindeln,
Fasern, Scheiben u. s. w. die verschiedenen mehr oder minder
complicirten Organismen aufbauen. Nicht lange verweilen nun
diejenigen Vogeleier in diesem mikroskopisch kleinen Zustand.
Indem sie aus den sie umspinnenden Blutgefässen des Eisäck¬
chens Stoffe in ihren Leib aufnehmen, die sie zu den sogenannten
Dotterkörnem umbilden, wird nicht nur ihr Leib vergrössert,
sondern auch durch die Ablagerung der massenhaften Dotter¬
körner im Centrum wird die Hauptmasse des ursprünglichen Ei¬
leibes mit dem in ihm suspendirten Bläschen mehr und mehr an
die Eiperipherie gedrängt. Der ganze neu hinzukommende und
rasch fortwachsende, aus Dotterkörnem bestehende Theil erhält
allmählich eine mehr gelbe Farbe, er wird mit einem Wort zum
EidotteroderEigelb. Die Intensität der Farbe des Eigelbes,
welche vom schwach Gelblichen bis Orangeroth, ja bei manchen
Vögeln bis ins Grünliche schwankt, ist von der Beschaffenheit
der Nahrang abhängig.
Schälen wir uns nun aus einem Eisäckchen eines Legehuhnes
den Inhalt des Eierstockseies vorsichtig aus, so sehen wir, dass
er vollständig dem Dotter des gelegten Eies entspricht, indem er
eine rundliche, gelbe, von einer Dotterhaut überzogene Kugel dar¬
stellt, auf deren Oberfläche eine kreisrunde ca. 3 Mm. im Durch-
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Das Vogelei.
243
messer haltende weisse Scheibe za sehen ist, die sogenannte
Narbe oder Hahnentritt, besser Keimscheibe. Schneidet man
eine solche Dotterkngel nach vorhergegangener Härtung in Al¬
kohol oder nach dem Sieden durch, so findet man, dass von
dieser Keimscheibe aus eine helle, am gesottenen Ei gewöhnlich
grau erscheinende Rindenschicht die Dotterkugel äusserlich
überzieht, während sich unter der Keimscheibe ein flaschen¬
artiger Pfropf ins Dotterinnere einsenkt, der ebenfalls aus weicher
weisser Dottermasse besteht. Auf seinem trichterförmig erwei¬
terten Theil liegt die Keimscheibe auf. In dieser soeben dem
Eisäckchen entnommenen Dotterkngel haben wir das eigent¬
liche Ei des Vogels vor uns. Alles andere, was wir ausser
demselben am gelegten Ei noch bemerken, sind nachträglich
noch hinzugekommene, secundäre Hüllen. Wie gelangt'nun das
Eierstocksei aus dem allseitig geschlossenen Eisäckchen nach
aussen? Wo erhält es seine weiteren Umhüllungen?
Bei einer genaueren Betrachtung der grösseren reiferen Ei¬
säckchen fällt uns eine, ihre grösste Wölbung bogenförmig um¬
greifende, gefässlose Stelle auf, die, weil weniger gut ernährt
als die übrigen Theile des Eisäckchens, dem wachsenden an¬
drängenden Dotter nur bis za einem gewissen Orade Stand zu
halten vermag, dann aber einreisst und den Dotter aus dem
elastischen eingerissenen Säckchen austreten lässt. Dieser würde
nun einfach in die Bauchhöhle fallen, wenn nicht schon vor dem
Einreissen der Eileiter zu seiner Aufnahme bereit wäre. Die¬
ser, ein ziemlich langer, darmähnlicher, gewundener Schlauch
von hirnmarkähnlicher Farbe ist durch ein Gekröse an der Wir¬
belsäule befestigt. Sein unteres Ende mündet gemeinschaftlich
mit dem Mastdarm in die Gloake, sein oberes dagegen stellt
einen freien, dünnen, häutigen Trichter dar, der stets das Ei¬
säckchen schon umfasst hält, ehe es einreisst. Mit saugenden
Bewegungen hilft er das Eisäckchen sprengen und schlürft den
austretenden Dotter sofort ein. Durch das Zusammenzieben der
musculösen Eileiterwand wird dann der Dotter allmählich weiter
geschafft, nachdem schon im oberen Eileiterabschnitt die Be¬
fruchtung stattgefunden hat, indem die dort möglicherweise
vorhandenen Samenfäden in die noch nackte Dotterkngel ein-
dringen. Durch schraubenförmige Bewegungen des Eileiters wird
nun der Dotter fortwährend um seine Axe rotirt und nach ab¬
wärts geschafft. Das Eileiterinnere ist mit einer weichen, blut¬
reichen Schleimhaut austapezirt, auf welche jetzt die Dotterkngel
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XV1I1. BONNET
wie ein Reiz einwirkt und ihre Blntflille noch erhöht. Dabei
schwitzt ans Tausenden von kleinen Drttschen das sogenannte
Ei erklär oder Eiweiss aus und wird vom Dotter wie Schnee¬
lagen von einer Lawine abgeblättert. So sehen wir den in den
oberen Regionen noch von einer geringen Eiweissmenge um¬
hüllten Dotter nach und nach von dicken Eiweissmassen umhüllt
werden, wobei die aufgelagerten Schichten ebenfalls mit der
Dotterkugel rotirend nach oben und unten in zwei zipfelförmige
strickartig gedrehte Fortsätze ausgezogen werden. In etwas mehr
als 3 Stunden passirt der Dotter die oberen ca. 25 Gm. langen
zwei Dritttheile des Eileiters, dann werden etwas langsamer,
ebenfalls in ca. 3 Stunden, der weitere 10 Cm. lange Eileiterab¬
schnitt durchwandert, wobei durch eine eigenthümliche Art von
Eintrocknung der Eiweissoberfläche die Ausbildung einer der¬
ben, weissen, lederartigen Schalenhaut erfolgt. Dies geschieht
durch die Eigenschaft des Eiweisses, da rasch zu gerinnen, wo
es an einen anderen Körper grenzt.
In diesem Zustande hat das Vogelei eine grosse Aehnlich-
keit mit dem Ei der Reptilien, z. B. der Schildkröten, nur ist
bei letzteren die der Schalenhaut des Vogels entsprechende Hülle
viel dicker. Ehe das Vogelei gelegt wird, muss es noch mit
einer festen Hülle versehen werden, die seinen zarten Inhalt
wie ein schützendes Gehäuse aufzunehmen und sicherer'als die
schwache Schalenhaut zu bergen vermag. Im letzten untersten
Abschnitt des Eileiters, in dem sogenannten Eihälter, sehen wir
zu diesem Zwecke das Ei auffallend lange, 12—18—24 Stun¬
den, verweilen. Hier haben wir die Werkstatt vor uns, wo dies
schützende schmuckvolle Gehäuse, die Wiege des jungen Hühn¬
chens, gebildet wird. Die Scbleimhautauskleidung des Eihälters
ist nämlich mit zahlreichen zipfel- oder zottenartigen Erhaben¬
heiten versehen, aus denen sich eine kalkmilchartige Flüssigkeit
ergiesst. Zuerst findet man der Schalenhaut nur einzelne Kalk-
krystalle aufgelagert, die, sich in kurzer Zeit mehrend, endlich
die blendend weisse oder bei manchen Htthnerarten schwach
gelblich oder bräunlich gefärbte glatte elegante Schale des
Eies bilden. Nach ihrer Vollendung wird das Ei meist mit
dem spitzen, seltener mit dem stumpfen Ende voran gelegt
Wer hat nicht schon die einfache und ebenso gefällige Form,
die Eleganz und Reinlichkeit des Gebildes bewundert, in wel¬
chem das sich entwickelnde Vögelchen nicht nur Schutz, son¬
dern auch Speisevorrath und die zur Athmung nöthige Luft
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Das Vogelei.
245
findet, in dem es wie in weichen Kissen rnht, sei es, dass seine
kleine Wiege das kaum über erbsengrosse Ausmaass eines Ko¬
librieies oder das gewaltige, mannskopfgrosse eines Straussen-
eies erreicht.
Im Anschluss an diese Schilderung der Bildung der einzel¬
nen Eitheile ergibt sich die beste Gelegenheit zur Besprechung
sonst schwer verständlicher, mitunter vorkommenderEinschlüsse
von fremden Körpern im Ei. Die anatomischen Beziehungen
der Eileiteröffnung zur Gloake erklären es, wie dann und wann
entweder aus dem Darm, oder von aussen her in die Gloake
gelangte, fremde oder todte Körper von dieser aus in den Ei¬
leiter sich verirren können, in welchem man sie oft ziemlich
weit bis in die Nähe seiner Mitte vorgedrungen finden kann.
Wird nun ein vom Eierstock abgelöster Dotter mit Eiweiss um¬
hüllt, so werden selbstverständlich auch die im zähen Eiweiss
eingebackenen Fremdkörper mit eingeschlossen, um nachträglich
im Eihälter auch noch von der Kalkschale umkapselt zu werden.
So hat man in gänzlich unverletzten Eiern Theile von In¬
sekten, Maikäferbeine, Steinchen, Sandkörner, kleine
Federchen, Rosshaare, ja sogar einmal (Prof. Dr. Leuckart
in Leipzig) eine Kaffeebohne gefunden. Dass die gegebene
Deutung der Art ihres Einschlusses wirklich richtig ist, beweist
eine von Panceri an einem Straussenei gemachte Beobachtung,
wo die mikroskopische Untersuchung zahlreicher im Eiweiss, in
der Schale und an der Dotteroberfläche befindlicher Flecken er¬
gab, dass sie zum Theil aus feinen Körnchen gelben Kiesel¬
sandes, wie er in der afrikanischen Wüste vorkommt, bestan¬
den. Diese Sandpartikel waren zweifellos bei der Begattung in
die Cloake und von da in den Eileiter gelangt. Ausserdem be¬
standen die beschriebenen Flecken noch aus reichlichen Schim¬
melfäden. Spalt- und Schimmelpilze sind ebenfalls sehr
häufig in Eiern mit gänzlich unverletzter Schale gefunden wor¬
den und die Art ihres Einschlusses wird ebenfalls durch die
mikroskopische Untersuchung der Gloaken und Eileiterschleim¬
haut fasslich. Fast bei jedem Huhn findet man nämlich auf
ersteren zahlreiche Spaltpilze und Schimmelsporen, deren Menge,
je weiter in den Eileiter hinein, abnimmt. Je weiter sie im
Eileiter Vorkommen, um so eher werden sie ins Eiweiss mit
eingeschlossen werden können und zur Verderbniss der Eier Ver¬
anlassung geben. Finden sie sich dagegen nur im untersten
Eileiterabschnitt, wo die Kalkschalenbildung erfolgt oder schon
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XVIII. BONNET
vollendet ist, so werden sie keine verderblichen Folgen änssern
können. Viel grösseres Aufsehen als die erwähnten Fremdkörper-
und Pflanzeneinschlüsse machten aber stets die allerdings selte¬
nen, in Hühnereiern gefundenen thierischen Schmarotzer.
Zum Glück stellt sich heraus, dass der grösste Theil der in
Hühnereiern vorkommenden „Rundwürmer“ nur Eiweissge¬
rinnsel sind, während das Vorkommen von den dem Huhne
eigenen Spulwürmern (Heteracis inflexa) in Eiern zu nicht
minderen Raritäten gehört, als der Einschluss eines im Eileiter
des Huhnes lebenden Saugwurms oder seiner Eier, des Disto-
mum ovatum. Früher konnte man sich das Vorkommen solcher
lebender Organismen im Ei nur durch die freie Entstehung der¬
selben aus Eiweiss etc. denken, jetzt wissen wir, dass diese
Schmarotzer vom Darm in die Gloake und den Eileiter verirrt,
dann im Ei incarcerirt werden können. Kleine bis haselnuss¬
grosse Blutgerinnsel, wie man sie manchmal in Eiern findet,
entstammen entweder einer Blutung aus dem Eierstock beim
Einreissen der Eisäckchen oder Blutungen aus der Eileiter¬
schleimhaut.
Auch die als Raritäten bekannten Missbildungen von
Hühnereiern erklären sich sehr einfach im Anschluss an die Bil¬
dungsgeschichte des Eies und seiner Hüllen. Bekanntlich findet
man nicht allzu selten zwei Dotter in einer Schale, ja es gibt
Hennen, hei denen solche doppeldotterige Eier als Regel gelegt
werden. Es sind dann nämlich zwei in kurzen Zeitintervallen
vom Eierstock losgelöste Dotter in eine Eiweissmasse und Schale
eingeschloBsen worden. Seltener sind die sogenannten Wind¬
eier, Hahnen- oder Basiliskeneier, wie sie auch im
Volksmunde heissen. Sie sind auffallend klein, oft nur gut hasel¬
nussgross und enthalten nur Eiweiss, keinen Dotter. Da sie meist
bei krankhaften Processen im Eileiter in der Weise entstehen,
dass ein Eiweissgerinnsel allein in den Eibälter gerätb und dort
seine Kalkscbale bekommt, so ist die Beschaffenheit des Ei-
weisses in solchen Eiern meist eine alterirte. Man findet in ihnen
oft einen wurmartig geschlängelten dichteren Strang — den „Ba¬
silisken.“ Dass diese Eier nicht von Hähnen gelegt werden, ist
wohl eben so selbstverständlich, als dass der „Basilisk“ nur in
der erregten Phantasie des entsetzten Beobachters existirt. Als
ebenfalls krankhafte Producte sind ferner die sogenanntenFliess-
eier zu nennen, d. h. schalenlose oder nur mit sehr dttnner
Schale versehene Eier, wie solches namentlich bei Hühnern und
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Das Vogelei.
247
Tauben in Folge von Eileiterentzttndungen oder Mangel von kalk¬
reicher Nabrang vorkommt.
Aach Abweichungen von der normalen Form finden
sich in den mannigfachsten Variationen. Man kennt bimförmige,
spindelförmige, walzenförmige, kagel- and nierenförmige Diffor-
mitäten der Schale; mitunter sind die Schalen bisqnitförmig ein-
geschnttrt, mitunter ist ein Ende spitz ausgezogen, gerade oder
gebogen, so dass das Ei an eine Retorte erinnert. Oft ist der
Fortsatz schraubenförmig gewunden, oft liegen Dotter und Ei-
weiss gesondert, nur durch einen dünnen Eiweissstiel verbunden,
in zwei durch eine Einschnürung getrennten Abteilungen des
Eies. Namentlich Eier mit mangelhaftem Kalkttberzug liefern
wegen ihrer Nachgiebigkeit ganz unglaubliche Formen.
Bei Tauben, Hühnern und Enten kommen dann mitunter
durch ihre GrOsse auffallende Doppeleier vor. Zerbricht man
die äussere meist wohlgebildete Schale, so findet man in etwas
Eiweiss eingeschlossen ein zweites ganz normales Ei mit Schale,
Eiweiss und Dotter. Solche Eier können aber nicht nur in ein¬
ander, sondern auch nacheinander gefunden werden. Wäh¬
rend sie in letzterem Falle durch Berührung der noch weichen
Enden durch die sich bildenden Schalen einfach verklebt wur¬
den, musste, im Falle ein Ei das andere einschliesst, ein schon
im Eihälter befindliches normales Ei in die hoher gelegenen Ei-
leitertheile binaufsteigen und sich so aufs Neue mit Eiweiss und
dann mit einer Ealkschale umgeben.
Nach einem Princip erfolgt der Aufbau des Eies bei allen
VOgeln, sowohl der Form als auch dem Verhältnis seiner Grosse
zum Mutterthier nach. Bei allem Wechsel an Grosse besitzt das
Ei meist- Vio des Gewichtes der Mutter. Bartgeier, Adler,
Kuckucke legen sehr kleine, Lummen, Alken, Sturmvogel sehr
grosse Eier. Eine noch viel grossere Abwechselung, als in der
Form, zeigt sieb aber in der Farbe der Eier, die keineswegs
auf das anspruchslose Weiss oder Gelbliche des Hühnereies be¬
schränkt ist. Sehr häufig erregt vielmehr die ausserordentlich zarte
and zierliche Bemalung der kleinen Vogelwiege unsere vollste
Bewunderung. Aufs Kunstvollste ist das Ei entweder mit einem
gleichmässig grünlichen, bläulichen oder bräunlichen Grundton
allein betüncht ‘), oder es finden sich auf diesem noch kleine Flecke,
1) Vollständig schwarze Eier kennt man als Seltenheiten bei Enten,
namentlich bei der dunkelgrünen Art der Hausente. Mitunter zeigen solche
Eier auch nur einen bräunlichen Ton oder schwarze Sprenkelung.
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XVIII. BONNET
Strichei und Schnörkel aufgetragen, die bei manchen Vögeln,
z. B. der Zippammer, den Eindruck machen, als wäre irgend
ein schützender Spruch mit geheimnisvoller und abenteuerlicher
Schrift auf das Ei gekritzelt worden.
Aber nicht als eitel Tand oder überflüssigen farbigen Zie-
rath dürfen wir diese oft so bewundernswerthen Färbungen an-
sehen, bestimmt, nur ein menschliches Auge zu erfreuen, wir
müssen vielmehr in ihnen einen sehr wichtigen, für die Existenz
des Eies und die gesicherte Entwicklung des Vögelchens oft un¬
entbehrlichen Schutzapparat bewundern. Ordnet man näm¬
lich die Eier nach Farben und wirft dabei einen Blick auf die
Brutpflege der Vogelart, welcher sie entstammen, und auf den
Ort, wo sie abgelegt werden, so wird klar, dass die Färbungen
in eclatanter Weise der Umgebung angepasst sind, dass das Ei
durch sie oft sehr schwer sichtbar und so den Nachstellungen
seiner zahlreichen Feinde in wirksamster Weise entzogen wird.
Ich würde, um diese längst betonte und bekannte Thatsache im
Detail zu beweisen, viel weiter in die Brutpflege und den Nest¬
bau der Vögel eingehen müssen, als der Bahmen meiner heutigen
Aufgabe gestattet, und will also nur in aller Kürze betonen, dass
die weisse Schalenfarbe vorwiegend bei Hühnervögeln, Raub¬
vögeln, Höhlenbrütern und Frachtvögeln verbreitet ist, also fast
durchweg bei Vögeln, die ihre Eier an verborgenen, oft gänzlich
unzugänglichen Orten oder in einem völlig abgeschlossenen Neste
ablegen. Es sind also ihre Nachkommen schon an und für sich
weniger den spürenden Augen ihrer Feinde ausgesetzt, als z. B.
bei den Erdbrütern. Gerade die Eier dieser letzteren oder der
in offene Nester legenden Baumbrttter liefern den lehrreichsten
Beweis, welch ein Schutz in der Farbe der Eier liegt. Ich erin¬
nere hier nur an die Eier der Kibitze, der Seeschwalben, Strand¬
reiter, Schnepfen, der Falken, der Häher und anderer, die ge¬
radezu in überraschender Weise an die Farbe ihrer Umgebung
angepasst sind. Freilich lassen sich spärliche Ausnahmen fin¬
den, die aber die Regel bestätigen, statt sie zu erschüttern.
Wo und wie, so fragen wir unwillkürlich, wird denn das Ei
mit dieser wichtigen Bemalung ausgestattet?
Der vergleichende Blick des Naturkundigen findet bald, dass
die auf den Grundton aufgetragenen Zeichnungen stets in schwärz¬
licher, brauner, rostfarbener, rötblicher, gelblicher oder grünlicher
Färbung wiederkebren, in Farbennuancen, die ihm als die ver¬
schiedenen Modificationen des rothen Blutfarbstoffes oder
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Das Yogelei.
249
. der mit demselben nahe verwandten Gallenfarbstoffe be¬
kannt sind. Damit ist aber auch ein Anhaltspunkt ttber das
Zustandekommen dieser Verzierungen gegeben. Während wir
nämlich die uniforme Färbung der Eischalen von Farbstoffen
herleiten müssen, die in ziemlicher Verdünnung der Kalkmilch
vor der Schalenbildung beigemischt werden, stammen die inten¬
siver gefärbten fleckigen Zeichnungen von kleinen Blutergüssen
oder Abdrücken der strotzend gefüllten Blutgefässe der Eileiter¬
schleimhaut auf die fertige Schale her.
So sehen wir, wie so häufig in der Natur gerade die schein¬
bar unbedeutendsten und zufälligsten Processe zu den weittragend¬
sten Folgen ausgenutzt werden: mit dem aus kleinen Eileiter¬
blutungen abstammenden Farbstoff verziert die Vogelmutter die
Wiege ihres Lieblings zur Sicherung der Erhaltung ihrer Art.
Aber nicht nur der Form und Farbe, auch der nicht minder
wichtigen Structur der Eischale müssen wir unsere Aufmerk¬
samkeit widmen. Trotz ihrer scheinbaren Sprödigkeit und Zer¬
brechlichkeit besitzt die Eischale eine bedeutende Elasticität
und Festigkeit; so ist es bekanntlich dem kräftigsten Mann
unmöglich, ein unverletztes mit stumpfem und spitzem Pol senk¬
recht zu den beiden Handtellern gestelltes Ei frei zu zerdrücken,
ja Landois will sogar gesehen haben, wie ein Windmüller Eier
aus dem Windmühlenfenster auf den Basen warf, von dem sie
hoch aufschnellten, ohne zu zerbrechen.
Eine bekannte Thatsache ist ferner, dass jedes Ei einige Zeit
nach dem Legen an Gewicht abnimmt. Zertrümmert man ein
frisch gelegtes Ei, so füllt sein Inhalt die Schale fast völlig aus,
zerbricht man das Ei dagegen längere Zeit nach dem Legen, so
fällt uns jedesmal ein am stumpfen Ende durch Auseinander¬
weichen der beiden Blätter der Schalenhaut gebildeter lufthaltiger
Raum, die sogenannte Luftkammer, auf. Dieselbe bildet sich,
indem das durch Wasserverdunstung schrumpfende Eiweiss das
innere Blatt der Schalenhaut nachzieht. Eine solche Wasserver¬
dunstung hat aber auf den ersten Blick bei der scheinbar un¬
durchgängigen Schale etwas sehr Ueberraschendes. Hält man nun
ein Stück Schale nach Entfernung der ihr anhaftenden Schalenhaut
gegen das Licht, so nimmt man alsbald hellere durchsichtigere
und dünnere, mit dickeren undurchsichtigen abwechselnde Stellen
wahr, die schon auf eine eigenthümliche Structur hinweisen, und
betrachtet man vollends senkrechte Schliffe einer Eischale durch
ein Vergrö8sernngsglas, so zeigt sich, dass dieselbe mit einer
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XVIII. BONNET
Menge feiner, verästelter nnd auf Aussen- und Innenfläche offen
mundender Kanälchen versehen ist, die einen Luftaustausch
zwischen dem Eiinnern und der umgebenden Luft gestatten. Sie
sind gleichsam mikroskopisch kleine Fensterchen, durch welche
das Ei ventilirt wird. Wie wichtig eine solche Ventilation
fttr die weitere Entwicklung bei der BebrUtung ist, lässt sich ein¬
fach dadurch nachweisen, dass lackirte Eier durch die Verstopfung
ihrer Poren nur so lange entwicklungsfähig sind, als die in der
Luftkammer vorhandene Reserveluft vom Embryo noch nicht aut-
gezehrt ist. Nach ihrem Verbrauch stirbt das Ei ab. Schabt
man aber an irgend einer Stelle den Lackttberzug ab, so ist die
Ventilation und damit auch die weitere Entwicklung selbst noch
nach monatelangem Liegen wieder ermöglicht. Der brütende
Vogel hilft denn auch dieser Lüftung des Eies durch häufiges
Aufstehen, sowie durch Umwälzung der Eier stets nach. Diese
Tausende von offen stehenden Fensterchen haben aber auch ihre
gefährliche Seite für den Eiinhalt.
Liegen nämlich die Eier in sehr trockener und warmer Luft,
wie z. B. im Hochsommer in Dachkammern, so kann der ganze
Inhalt vertrocknen. An feuchteren und kühleren Aufbewah¬
rungsorten ist diese Gefahr durch den normalen Feuchtigkeits¬
gehalt der Luft beseitigt. Dieselbe Vertrocknungsgefahr schliesst
auch jede noch so minimale Verletzung der Schale in sich. Durch
dieselbe können aber auch die mikroskospisch kleinen, zu Millionen
in der Luft herumschwebenden Fäulnisspilze oder ihre Sporen,
sowie Schimmel ins Eiinnere gelangen und ihre verbängniss-
volle Thätigkeit entfalten. Jedes von diesen befallene Ei verdirbt.
Unter normalen Verhältnissen scheinen die Pilze nicht oder nur
sehr selten durch die Poren ins Ei gelangen zu können. Alle die
kleinen Fensterchen haben nämlich eine Art Läden, die in be¬
stimmten Fällen das Eindringen schädlicher Substanzen ins Ei
verhindern können. Die Poren sind sämmtlich mit einer quell¬
baren Substanz austapezirt, die, wenn das Ei mit schädlichen
Substanzen, z. B. Wasser, in Berührung kommt, quillt und die
Poren wie durch Pfröpfe abschliesst. So erklärt es sich beispiels¬
weise, wie in ein hart gesottenes Ei, dessen Eiweiss doch stark
geschrumpft ist, kein Wasser eindringt, und wie selbst beim fau¬
lenden Ei die eingeschlossenen Gase unter hohem Druck bleiben,
da eine bei der Fäulniss sich bildende, wahrscheinlich ölige Sub¬
stanz auf die Schalenporen verschliessend wirkt. Erst bei unsanfter
Berührung platzt die Schale oft mit lautem Knalle und durch die
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Das Vogelei. 251
plötzlich entweichenden Gase wird der Übelriechende Inhalt oft
weit umhergespritzt.
Im Anschluss an diese Ventilationsvorrichtungen muss noch
die eigentümliche Lage des Dotters im gelegten Ei erwähnt
werden. Im Eiweisse, wie in einem weichen elastischen Kissen,
das nebenbei noch als schlechter Wärmeleiter den Dotter vor allzu
raschen Temperaturschwankungen und Erschütterungen sichert,
liegt die Dotterkugel eingebettet. Durch zwei strangartige, gegen
den stumpfen und spitzen Eipol hin frei verlaufende, mit der
Dotteroberfläche, aber verklebte Gebilde, die sogenannten Hagel¬
schnüre, wird dieselbe in der Mitte des Eiweisses schwimmend
erhalten. Diese Hagelschnüre sind, wie schon gezeigt worden,
als zipfelförmige, strickförmig gedrehte Eiweissmassen durch die
Rotation des Dotters im Eileiter gebildet worden. Sie sind nicht,
wie man früher glaubte, als Saugfransen aufzufassen, die nach
Art eines Dochtes das Eiweiss bei der Bebrütung als Nahrungs¬
stoff in die Dotterkugel einleiten, sondern dienen nur als elastische
Pnffer, welche die Lage des Dotters in der Mitte des Eiweisses
sichern helfen. Unter allen Verhältnissen nun, sei es, dass wir
die Dotterkugel allein oder mit dem gesammten Eierklar aus der
Schale entleeren und in Wasser giessen, wendet der Dotter, ebenso
wie im eröffneten Ei, seine Keimscheibe nach oben. Im un-
eröffneten Ei aber schwimmt er auch stets, nur von einer ganz
dünnen Eiwdissschicht bedeckt, der oberen Schalenwand und da¬
mit den ventilirenden Luftströmen am nächsten. Dies ist eine
für die Entwicklung ausserordentlich wichtige und im Bau der
Dotterkugel begründete Thatsache. Jeder Schnitt durch eine hart
gesottene Dotterkugel erklärt uns dies Verhalten. Der flaschen¬
förmige, im Dotterinnern vorhandene weisse Dotterpfropf
ist nämlich specifisch schwerer als die ihn umgebende gelbe
Dottermasse, und so kommt es, dass die dem trichterförmigen
Hals des Pfropfes aufliegende Keimscheibe stets wie eine Marke
auf der schwimmenden Dotterkugel nach oben sieht und der Luft,
sowie dem möglicherweise, wenn auch nur in sehr geringem Grade
einfallenden Licht zugekehrt ist. Ohne Licht, Luft, Feuchtigkeit
und Wärme gibt es aber keine organische Entwicklung.
Gerade die bis jetzt nur im Vorbeigehen erwähnte Keim-
scheibe ist aber der von allen im Ei vorhandenen Theilen der
zukunftsreichste. In diesem am gelegten Hühnerei 3,5—4 Mm.
im Durchmesser-haltenden kleinen Scheibchen schlummern die
geheimnissvollen Kräfte, die bei entsprechender Temperatur zur
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252
XVIII. BONNET, Das Vogelei.
Entwicklung des Küchleins führen. Das ganze übrige, so com-
plicirt und wunderbar aufgebaute Ei ist nur seinetwegen da, ihm
als Wiege und Vorrathshaus zugleich Schutz und Nahrung liefernd.
Die ganze übrige gelbe Dotterkugel ist nämlich nichts als ein
Speisevorrath, den der mütterliche Organismus dem Keime
mitgibt, dass er von demselben während seiner Entwicklung zehre,
bis das junge Vögelchen entweder nach dem Ausschlüpfen noch
als Nesthocker von seinen Eltern ernährt werden kann, oder als
Nestflüchter sofort selbst seine Nahrung zu suchen im Stande ist.
Man hat deshalb mit ßecht den gelben Dotter als „Nahrungs¬
dotter“ der Keimscheibe oder „Bildungsdotter“ gegenüber¬
gestellt. Auch das Eierklar hat dann noch neben seiner physi¬
kalischen Bedeutung als elastisches, den Keim vor Erschütterung
schützendes Kissen sicher die Bedeutung eines ^ahrungsstoffes.
Vor Allem dürfte es durch seinen hohen Wassergehalt eine wich¬
tige Rolle spielen, während die Schalenhäute und Schale nur
Schutzhüllen und die Luftkammer ein Athemreservoir mit
Reserveluft darstellt, wenn die Poren der Schale vorübergehend
nicht passirbar sein sollten. Aus dieser Luftkammer nimmt auch
bekanntlich das fertige Hühnchen die Luft für seine ersten Athem-
züge, nachdem sich die Lungenathmung eingeleitet bat und ehe
es aus seinem zersprengten Gefängniss den ersten Schritt macht
hinaus in die Welt.
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XIX.
Thoracopagus beim Kalb.
Von
Dr. Paulicki,
Oberstabs- und Regimentsarzt in Strassburg i. E.
Herr Professor v. Recklinghausen hat die Freundlich¬
keit gehabt, mir ein in der Sammlung des hiesigen pathologischen
Instituts befindliches, aus der französischen Zeit stammendes Prä¬
parat zur Beschreibung zu überlassen. Ich erfülle zunächst die
angenehme Pflicht, Herrn v. Recklinghausen hierfür meinen
wärmsten Dank öffentlich auszusprechen.
Das in Rede stehende Präparat stellt das Skelet einer tbie-
rischen Doppelmissbildung dar. Auf dem Holzschnitt (S. 254)
habe ich eine Abbildung des betreffenden Skelets in V« der natür¬
lichen Grösse gegeben. Ein Blick auf die Abbildung lehrt uns,
dass es sich um zwei Körper eines Säugethiers handelt, die eine
gemeinschaftliche Brusthöhle besitzen, dass also ein Thoracopagus
vorliegt. Um uns über die Bezeichnung der einzelnen Tbeile des
Skelets zu verständigen, müssen wir erwähnen, dass das Präparat
nicht in senkrechter Stellung, wie es in der Abbildung der Fall
ist, sondern in horizontaler Stellung zu denken ist, dass wir also
einen oberen und unteren Körper mit vorderen und hinteren Ex¬
tremitäten und nicht einen rechten und linken Körper mit oberen
und unteren Extremitäten zu unterscheiden haben. Das Skelet
ist nicht vollständig. Es fehlen die beiden Schädel, sowie sämmt-
liche Knochen der vorderen und hinteren Extremitäten mit Aus¬
nahme der beiden Becken.
An dem Präparat, so wie es uns vorliegt, sind die beiden
Körper in senkrechter Stellung, das Kopfende der beiden Wirbel¬
säulen nach oben und die Schwänze nach unten gerichtet, an einer
eisernen Stange, die auf einem Brett befestigt ist, aufgehängt.
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254
XIX. PAULICKI
leb bemühte mich nun zunächst festzustellen, wo das Prä¬
parat herstammt, ob die Weichtheile dieser Missbildung in der
Sammlung des hiesigen pathologischen Instituts sieb vorfinden
und welcher Thierspecies das in Rede stehende Präparat ange¬
hört. Das Präparat trägt weder eine Bezeichnung, noch eine
Nummer. Vergeblich versuchte ich, aus den im hiesigen patho-
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Thoracopagus im Kalb.
255
logischen Institut befindlichen schriftlichen Aufzeichnungen und
Abbildungen etwas über das Präparat zu erfahren. Ich schlug
nun den im Jahre 1837 im Druck erschienenen, von Ehr mann
heraasgegebenen Catalog des hiesigen anatomischen Museums
nach und fand auf Seite 187 unter No. 2939 ein Präparat ange¬
geben mit der Bezeichnung „Squelette de deux veaux unis par
le thorax“. No. 2947 trägt die Bezeichnung „Coeur unique de
deux veaux räunis par le Sterne “. Hierauf liess ich mir sämmt-
liche in hiesiger Bibliothek vorhandene Werke der beiden früheren
hiesigen Professoren der pathologischen Anatomie, Lobstein und
Ehrmann, auf das Lesezimmer bringen, um zu sehen, ob von
denselben vielleicht irgend etwas Uber das in Rede stehende
Skelet veröffentlicht worden sei. Das Einzige, was diese Nach¬
forschungen ergaben, ist, dass das in Rede stehende Skelet aller
Wahrscheinlichkeit nach bereits im Jahre 1820 der hiesigen Samm¬
lung angehört hat Der älteste Catalog der hiesigen anatomischen
Sammlung, der mir Vorgelegen hat, ist im Jahre 1820 erschienen
and von Lobstein herausgegeben. Auf Seite 141 unter No. 1126
findet sich hier wieder die Bezeichnung „ Squelette de deux veaux
nnis par le thorax“, während 1130 wieder „Coeur unique de deux
veaux par le Sterne“ lautet. Ich glaube nun mit grosser Wahr¬
scheinlichkeit annehmen zu dürfen, dass das uns beschäftigende
Skelet bereits im Jabre 1820 der hiesigen anatomischen Samm¬
lung angehört hat. Es ist möglich, dass das oben erwähnte Herz
dieser Missbildung angehört hat und dass von den Weichtheilen
derselben Überhaupt nur das Herz aufbewahrt worden ist. In-
dess findet sich darüber keine Notiz vor. Auch passt die Be¬
zeichnung „ reunis par le steme “ auf das vorliegende Skelet nicht.
Aus diesem Grunde werde ich von einer Beschreibung des Herzens
Abstand nehmen.
Die Feststellung der Frage, welcher Thierspecies das in Rede
stehende Skelet angehört, stiess bei dem Fehlen beider Schädel
und sämmtlicher Extremitäten auf einige Schwierigkeit. Wenn
man das Skelet in aufrechter Stellung betrachtet, wie es die Ab¬
bildung wiedergibt, so wird man zugeben müssen, das auf den
ersten Blick an eine Doppelmissbildung bei einem geschwänzten
Affen gedacht werden kann. Eine Vergleichung mit einer An¬
zahl normaler Skelete von Affen und Haussäugethieren, deren
Benutzung ich der Freundlichkeit der Professoren Waldeyer
and Oscar Schmidt verdanke, hat jedoch ergeben, dass das
fragliche Skelet einem Kalb angehört. Die sehr stark entwickelten
Deutsche Zeitschrift f. Thiermed. u. vergl. Pathologie. IX. Bd. 18
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256
XIX. PAUL1CKI
Dornfortsätze der Brustwirbel, sowie die Formverhältnisse der
Becken und der Wirbel Hessen keinen Zweifel darüber, dass das
Skelet einem Affen nicht angehört haben kann. Aach sprach
folgender Umstand hiergegen. Wtlrde das Skelet einem Affen
angehört haben, so musste es sich um ausgewachsene oder min¬
destens längere Zeit am Leben gewesene Thiere gehandelt haben.
Nun ist es aber kaum anzunehmen, dass eine derartige Missbil¬
dung beim Affen eine längere Lebensfähigkeit zugelassen haben
würde. Auch wäre eine derartige Missbildung bei einem Affen
etwas so Unerhörtes gewesen, dass eine Beschreibung derselben
wohl sicher in die Oeflfentlichkeit gelangt wäre, während Miss¬
bildungen bei Haussäugethieren doch im Allgemeinen gerade keine
Seltenheit sind.
Wenden wir uns jetzt zu einer Beschreibung des uns be¬
schäftigenden Skelets.
Das Skelet besteht aus zwei vollständigen, einander direct
gegenüber gestellten, gleichgeformten Wirbelsäulen, aus vier ein¬
ander gleichen Seihen von Rippen und aus zwei einander gegen¬
über gestellten, gleich grossen Brustbeinen. Jede Rippe beschreibt
somit annähernd den vierten Theil eines Kreises. Der eine Kör¬
per steht, wie dies auch aus der Abbildung ersichtlich ist, um
einige Centimeter tiefer als der andere. Man kann wohl an¬
nehmen, dass ursprünglich beide Körper in gleicher Höhe zu
einander gestanden haben und dass erst später an dem bereits
fertigen Präparate der eine Körper sich gesenkt hat. An dem
einen Körper sind mehrere Dornfortsätze mit einander verschmol¬
zen. Wir wollen diesen Körper als den oberen und den anderen
als den unteren bezeichnen. Die Gesammtlänge der Wirbelsäulen
beträgt 76 Cm. An jedem Körper sind vorhanden: 7 Halswirbel,
13 Brustwirbel, 6 Lendenwirbel und 23 Kreuz- und Schwanz¬
wirbel. Die Rippenknorpel der wahren und falschen Rippen sind
in eingetrocknetem Zustand vorhanden. Auch die Rippen sind
mit den Wirbelsäulen durch die eingetrockneten Gelenkkapseln
verbunden. Weiterhin sind die einzelnen Wirbelkörper durch
die eingetrockneten Zwischen wirbelbänder vereinigt. Durch den
Rückenmarkskanal beider Wirbelsäulen sind, um dem Ganzen
den nöthigen Halt zu geben, runde hölzerne Stangen durchge¬
führt. Die beiden Becken sind ebenfalls durch die eingetrock¬
neten natürlichen Bänderapparate mit den Wirbelsäulen vereinigt.
An sämmtlichen Wirbeln ist die Vereinigung des Körpers mit
dem Bogen durch eine senkrecht, etwas gezackt verlaufende
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Tboracopagus im Kalb.
257
Linie ersichtlich. Hieraus, sowie aas der Grösse des Skelets
ist man za dem Schiass berechtigt, dass es sich am ein bald
nach der Gebart verendetes Doppelkalb gebandelt hat. Das
Skelet ist im Ganzen gat erhalten. Nor finden sich an dem
unteren Körper einige Querfortsätze der Lendenwirbelsäule abge¬
brochen. Am oberen Körper sind die Dornfortsätze des 1., 2.
and 3. Brustwirbels ^asammengeflossen za einer Knochenplatte,
in der man in der Nähe der Wirbelkörper noch die Grenze der
einzelnen Dornfortsätze durch Binnen angedeutet findet. In der
Mitte zeigt die Knochenplatte eine sichelförmige Perforation, ent¬
sprechend dem Zwischenraum zwischen Dornfortsatz des 1. und
2. Brustwirbels. An der Spitze sind jedoch die 3 Dornfortsätze
so zu einer 2'/2 Cm. hohen Knochenplatte zusammengeflossen,
dass von einer Trennung der einzelnen Dornfortsätze nichts mehr
zu sehen ist. Weiterhin sind ebenfalls an dem oberen Individuum
die Dornfortsätze des 8. und 9. Brustwirbels zusammengeflossen.
Der gemeinschaftliche Dornfortsatz erscheint an der Spitze etwas
verbreitert. An der Wurzel ist das Zusammenflüssen aus 2 Dorn¬
fortsätzen durch eine Binne angedeutet. Die Brustbeine sind 17 Cm.
lang; noch erkennbare Binnen und Leisten, die quer und schräg
verlaufen, deuten ihr Entstehen aus früher getrennten Abtheilun¬
gen an. Die erste Bippe ist 16'/2 Cm. lang, der Atlas zeigt deut¬
liche Gelenkflächen.
■ IS*
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XX.
Ein fünfbeiniger Frosch.
Von
Dr. Paulicki,
Oberstabs- und Regimentsarzt in Strassburg i. E.
Auf nachstehendem Holzschnitt gebe ich die Abbildung eines
fUnfbeinigen Frosches, der sich als Spirituspräparat in der Samm¬
lung des pathologischen Instituts zu Strassburg befindet. Der
Frosch wurde anfangs der 70 er Jahre in der Umgebung Strass-
burgs eingefangen und an Herrn Professor von Reckling¬
hausen abgegeben. Ich hoffe die Erlaubniss zu erhalten, eine
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XX. PAULICK1, Ein fünfbeiniger Frosch.
2b»
Untersuchung desselben vornehmen zu dürfen und behalte mir
in diesem Falle für eine andere Gelegenheit eine genauere Mit¬
theilung des Verhaltens der überzähligen Skelettheile, Muskeln,
Gefässe und Nerven vor. Der Frosch, der etwa 3 Wochen lang
am Leben blieb, konnte das überzählige Bein bewegen. Der Ober¬
schenkelknochen desselben ist bedeutend verkürzt und nach ab¬
wärts gebogen.
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XXI.
Zur vergleichenden pathologischen Anatomie und
Aetiologie der Mastitis.
Von
Dr. med. Carl Schlftsser,
approb. Arzt aas Mönchen.
(Aus dem pathologischen Institut des Herrn Prof. Dr. Bölling er zu München.)
Die Symptome, den Verlauf und die Therapie der Mastitis
findet man in allen, selbst den ältesten Lehrbüchern der patho¬
logischen Anatomie, der Chirurgie und Geburtshfilfe auf das Ge¬
naueste beschrieben. Um so unbestimmter und oft gänzlich feh¬
lend sind die Angaben über Ursache, Entstehung und histologi¬
sches Bild der Krankheit.
Früher stand es allgemein fest, dass die Mastitis in weitaus
den meisten Fällen durch Unterbrechung des Säugegeschäftes
mit folgender Milchstauung entstehe, und wurde nur für verein¬
zelte Fälle ein mechanischer Insult als Ursache zugegeben. Ich
unterlasse es, hierbei auch die ganz veralteten Anschauungen
näher zu erörtern, welche als Ursachen der Mastitis Erkältungen,
Diätfehler, Gemütsbewegungen etc. annehmen, sowie den Blon¬
dinen eine besondere Disposition zu dieser Erkrankung zuschrie¬
ben, und gehe sogleich zu der Darstellung der jetzt herrschenden
Ansichten.
Alle neueren Beobachter constatiren einen directen Zusam¬
menhang zwischen den Wunden und Schrunden an der Brust¬
warze und der Entstehung der Mastitis beim menschlichen Weibe,
und hat diese Anschauung eine dreifache Deutung erhalten.
Die erste Ansicht auf der alten Theorie der Milch¬
stauung, welche nur insofern angepasst ist, als weniger die
Unterbrechung des Säugegeschäftes, als vielmehr der durch die
Schrunden an der Warze gegebene Verschluss der Milch¬
ausführungsgänge Galaktostase und Mastitis hervorrufen soll.
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Zur vergleichenden patholog. Anatomie a. Aetiologie der Mastitis. 261
Es findet diese Ansicht ihre Vertreter in Veit 1 )» Sichert 2 ),
Klob 3 ), Schroeder 4 ) und Scanzoni 5 ). Ich citire die hierher
gehörenden Worte der beiden letzteren Antoren. Schroeder
sagt: „Gewöhnlich entsteht die eiterige Entzündung der Brust¬
drüse im Anschluss an die kleinen Schrunden an den Warzen,
indem durch den gebildeten Schorf die Ausführungsgänge ein¬
zelner Drüsenlappen verschlossen werden. Hierdurch staut sich
das Secret, die Milchgänge und Drüsenbläschen erweitern sich,
entzünden sich und in ihrer Wand beginnt die Eiterung. Seltener
entsteht sie, wenn nach der plötzlichen Absetzung des Kindes
die Milch in der Brust sich stark anhäuft.“ Scanzoni sagt:
„Als dieser Entzündung in der Mehrzahl der Fälle zu Grunde
liegende Ursache müssen wir alle jene Umstände beschuldigen,
welche der regelmässigen Entleerung der Milchgänge hindernd
in den Weg treten. Deshalb ist die Mastitis eine so häufige
Plage jener Frauen, welche das Selbststillen ihres Kindes ent¬
weder ganz unterlassen, oder als allzu plötzlich aus was immer
für einer Ursache unterbrechen; ferner bei solchen, wo die
geringe Entwicklung der Brustwarzen, die auf denselben sich
bildenden Excoriationen und Geschwüre das Lactatiousgeschäft
ungewöhnlich 'schmerzhaft für die Mutter und beschwerlich für
den Neugeborenen machen. Als nächste Folge der unvollkom¬
menen Milchentleerung und der übermässigen Anhäufung dieses
Secretes in den Milchgängen beobachtet man eine congestive
Anschwellung der Brüste; und wird diese nicht rechtzeitig durch
die Entleerung der angehäuften Milch beseitigt, so bedingt die
fortbestehende Hyperämie die in ihrem anatomischen Charakter
oben geschilderte Exsudation mit all ihren unangenehmen Aus¬
gängen. Unstreitig ist dies die allerhäufigste Entstehungsweise
des in Bede stehenden Leidens, wobei jedoch keineswegs be¬
hauptet werden soll, dass ihm zuweilen nicht auch äussere schäd¬
liche Einflüsse, Traumen, Verkältungen etc., zu Grunde liegen
können. “
Eine zweite Ansicht besteht in der Annahme einer In-
fection von den Warzeuschrunden aus durch die Milchausfüh-
1) Virchow, Pathol. u. Therap. VI. Bd. 2. S. 383.
2) Förster, Pathol. Anatomie. (Siebe rt)
3) Klob, Pathol. Anat. der weibl. Sexualorgane. S. 511.
. 4) Schroeder, Geburtshillfe. S. 806.
5) Scanzoni, Lehrb. der Krankh. d. weibl. Sexualorgane. S. 544. —
Scanzoni, Krankh. der weibl. Brüste. S. 124.
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262
XXI. SCHLÖSSER
rangsgänge and einer directen Einwirkung der entzttndangs-
erregenden Ursachen auf die Drüsensubstanz, wonach also die
Mastitis als parenchymatöser Process aufzufassen wäre.
Es ist diese Ansicht von Klebs 1 2 3 4 ) und Franck 2 ) ausgesprochen
worden.
Eine ..ähnliche Ansicht, nur etwas sehr allgemein gehalten,
spricht Velpeau 3 ) aus, er sagt: „Mille causes pouvant troubler
la fluidite, la liquiditö du lait-le lait s’altöre change de consistance
et de näture; un travail chimique s’ötablit aussitöt entre ses divers
Elements; il n’est bientöt plus pour la mamelle q’un corps ötranger
— les conduits lactes peuvent perdre patience: alors l’inflamma-
tion gagne la glande et prend vite les carractöres de l’inflam-
mation parenchymateuse. “
Eine dritte Anschauung nimmt ebenfalls eine Infec-
tion von den Schrunden der Warze aus an, lässt dieselbe
jedoch durch dieLymphgefässe vor sich gehen. Diese ätio¬
logische Auffassung, durch welche also der Process durch eine
Art Lymphangoitis der Mamma Charakterisirt ist, wird
durch Nölaton 4 ), König 5 ) und Billroth 6 ) vertreten und hat
letzterer Autor zugleich die Histologie der Mastitis genauer be¬
sprochen, weshalb ich seine Ansicht kurz widergeben will: „ Die
Milchstauung als Ursache ist nicht ganz zu verwerfen, aber wegen
der vielen Fälle von Unterbrechung des Säugens ohne folgende
Mastitis auszuschliessen. Die Mastitis entsteht wahrscheinlich in
Folge von Warzenexcoriationen, und zwar entweder durch die
Milchgänge oder durch die Lympbgefässe fortgeleitet; ersteres
hat weniger Wahrscheinlichkeit, da die Bacterien keine Bewe¬
gung haben und dem Secretionsstrom entgegen wohl nicht Vor¬
dringen können, sie müssten denn die Milch durch fermentative
Eigenschaft verändern, dass sie phlogogen wirkt.“ Billroth
gibt nun die Abbildung eines Präparates und sagt dazu: „Die
Acini sind umgeben und verdeckt durch kleinzellige Infiltration.
Die Epithelien scheinen keinen Antheil an der Zellbildung zu
nehmen, man kann nicht erkennen, was aus ihnen wird; schliess-
1) Klebs, Pathol. Anat. II. Bd. S. 1169.
2) Franck, Handb. der tbierärztl. Geburtsh. S. 548.
3) Velpeau, Traite des mal. du sein. p. 74. — Velpeau, Des absc6s
du sein. Bull, ther. 1851.
4) Nölaton, Revue m6dic-chirurgicale de Paris. Tome 13. p. 168.
. 5) König, Lehrb. d. speciell. Chirurgie. I. Bd. S. 652.
6) Billroth, Krankheiten d. Brüste. Deutsche Chirurgie. S. 15.
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Zur vergleichenden patholog. Anatomie u. Aetiologie der Mastitis. 263
lieh scheinen sie mit der Wandung der Drttsenbeeren und dem
infiltrirten Zwischengewebe zu zerfallen. Man hat hiervon den
Eindruck, dass der phlogogene Reiz von den Orttsenacinis aus¬
gehen muss.“ Billroth fuhrt nun einen Fall von künstlich mit
Hindurchziehen eines wollenen Bandes durch die Mamma einer
nicht säugenden HUndin erzeugter Mastitis an und bemerkt dazu:
„Auch hier sind hauptsächlich die Acini und ihre nächste Um¬
gebung kleinzellig infiltrit, also müssen wohl die die Läppchen
umspinnenden Lymph- und Blutgefässe die Uebertragungswege
sein.“
Die Deutung der Mastitis als einer interstitiellen Ent¬
zündung gibt auch Rindfleisch ‘), allerdings bedingungsweise,
mit den Wörtchen „dürfte wohl“ und bemerkt dazu, dass die
Histologie der Mastitis noch so gut wie gar nicht bekannt sei.
Eine Infection durch die MilcbgäDge und die Lymphgefässe
gemeinsam nimmt Spiegelberg 1 2 ) an.
Dies sind, in Kürze wiedergegeben, die Anschauungen über
die Pathogenese der Mastitis, wie sie in der Literatur nieder¬
gelegt sind.
Der Grund, warum bei den meisten Autoren über die Ent¬
stehung und die Histologie der Mastitis so verschiedenartige An¬
gaben, und diese meist nur vermuthungsweise gegeben sind, liegt
offenbar in der Schwierigkeit, ein Präparat von einer möglichst
frisch damit befallenen Mamma zu erhalten. Aus diesem Grund
und in der Ueberzeugung, dass diese Krankheit bei unseren
Haussieren und bei dem Menschen, was ihre Aetiologie sowohl,
als ihre Anatomie und ihren Verlauf betrifft, gänzlich überein¬
stimmend sich verhält, habe ich auf Veranlassung und unter Lei¬
tung des Herrn Prof. Bollinger die anatomischen Verhältnisse
der MastitiB bei der Kuh untersucht und glaube mich aus
folgenden Gründen berechtigt, das hier erhaltene Resultat direct
auf die Mastitis beim menschlichen Weibe zu übertragen.
Der histologische Bau und die Function der Mamma des
Menschen und des Rindes sind gleich. Auch bei der Kuh ent¬
steht die Mastitis nach Angabe sämmtlicher Autoren vorzüglich
während der Zeit der Lactation. Die neueren Autoren, welche
die Mastitis beim Rind beschreiben, haben auch hier einen ursäch¬
lichen Zusammenhang mit Schrunden und Wunden an der Zitze
1) Rindfleisch, Lehrb. d. pathol. Gewebelehre. S. 483.
2) Spiegelberg, Lehrb. d. Geburtshülfe. S. 702.
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XXI. SCHLÖSSER
gefunden. Der Verlauf und der Ausgang der Mastitis ist
beim Menschen und Rind derselbe. Von den meisten Autoren
über Mastitis beim Menschen sind Versuche an Thieren als
gültiges Beweismaterial aufgeführt und angenommen worden.
Das Material, welches mir als Grundlage meiner Arbeit dient,
betrifft im Ganzen 10 Fälle. Es waren hiervon 6 Fälle Von
Mastitis der Kuh in der Sammlung des pathologischen Institutes
zu München als Spirituspräparate aufbewahrt; 3 Fälle von frisch
mit Mastitis befallenem Euter erhielt ich aus dem hiesigen Schlacht¬
hause und den letzten Fall, mit dem scharfen Löffel entfernte
Gewebspartien einer vereiternden menschlichen Mamma, verdanke
ich der Güte des Herrn Privatdocenten Dr. Herzog. Von diesen
10 Fällen sind zwei, nämlich ein Fall von gangränöser — und
einer von tuberculöser Mastitis, als nicht zum vorliegenden Thema
gehörig, auszuschliessen, so dass also noch 8 Fälle restiren. Es
möchte vielleicht erscheinen, als ob diese Zahl zu gering sei,
um daraus einen sicheren Schluss auf das Wesen der Mastitis
zu ziehen, jedoch mache ich darauf aufmerksam, dass bei der
Mastitis niemals die ganze Drüse oder auch nur ein grösserer
Abschnitt gleichmässig befallen wird, sondern der Process kriecht
langsam von einem Drttsenläppchen auf das andere fort, so dass
man besonders bei frischen Fällen an ein und demselben Prä¬
parat alle Stadien der Mastitis von der geringen kleinzelligen
Infiltration bis zum fertigen kleinen Abscess studiren kann.
Bevor ich an die Beschreibung meiner Präparate gehe,
möchte ich noch mit einigen Worten den normalen Bau der
Mamma des Menschen und des Rindes schildern.
Beiderseits ist die Mamma eine zusammengesetzte acinöse Drüse,
welche ans baumförmig verzweigten Ausftthrungsgängen und an
denselben ansitzenden Drüsenbläschen, den Acinis, besteht Die
Acini sind mit einem der structurlosen Basalmembran aufsitzen¬
den kubischen Epithel, die Ausführungsgänge mit Cylinderepithel
bekleidet Beim Rind ist das Euter in vier einzelne Drttsen-
complexe (Viertel) getbeilt und münden die Ausführungsgänge
je eines Viertels in einen gemeinschaftlichen Raum, die Milch-
cisteme, welch letztere ihren Ausführungsgang an dem Strich-
kanal, der an der Spitze der Zitze endigt, findet Beim Menschen
enden die Milchausführungsgänge, 15 — 2o an Zahl, jeder für
sich auf der Brustwarze aus und bildet jeder Ausführungsgang
mit seinen aufsitzenden primären, secundären und tertiären Drü¬
senläppchen eine gesonderte Drüsenpartie. Die Milchgänge com-
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Zur vergleichenden patholog. Anatomie u. Aetiologie der Mastitis. 265
municiren weder beim Menschen, noch beim Rind (vor ihrer Ein¬
mündung in die Cisterne) mit einander. Das Drüsengewebe,
das Parenchym, wird von einem für die Läppchen stärker ent¬
wickelten, für die Acini feineren, bindegewebigen Stützreti-
cnlum, dem Interstitinm, gehalten. In letzterem verlaufen die
Blut- und Lympgefässe, welche so angeordnet sind, dass
zunächst ein Lymphcapillarnetz und um dasselbe herum ein Blut-
capillametz jeden Acinus umspinnt. Bei dem Menschen scheint
das interstitielle Bindegewebe immer auf Kosten des Drüsen¬
parenchyms etwas stärker entwickelt zu sein, was sich durch
die meist lange dauernde Functionsunthätigkeit erklärt. Leider
war es mir nicht möglich, über den klinischen Verlauf, Uber
Beginn und die Dauer meiner Fälle etwas Näheres zu erfahren
und kann ich daher nur das makroskopische Bild, welches sich
mir beim Empfang derselben darbot, schildern.
Anatomische Schilderung.
Zwei frisch aus dem Schlachthaus erhaltene Fälle, bei wel¬
chen die Erkrankung je ein Viertel des Euters betraf, waren,
wie ich später aus den mikroskopischen Präparaten erkennen
konnte, beide nur ganz kurze Zeit von der Erkrankung befallen.
Anf dem Durchschnitt zeigte sich das Gewebe von granröthlicher
Farbe, die Ausftthrungsgänge und die angeschnittenen Drüsen¬
läppchen waren strotzend mit flockiger, dickflüssiger, graulich
gefärbter Milch erfüllt. Die innere Fläche der Milchgänge zeigte
starke (katarrhalische) Röthung. Die sogleich untersuchte Milch
enthielt neben Fetttröpfchen, Caseingerinnsel, einzelnen Epithe-
lien und weissen Blutzellen in einem Falle geringe Mengen, im
anderen eine überaus grosse Anzahl von Bacterien. Die übri¬
gen Präparate waren sämmtlich in Alkohol aufbewahrt und ist
makroskopisch an denselben ausser grösseren und kleineren, im¬
mer von derbem Bindegewebe umgebenen Abscessen nichts zu
sehen.
Nur zwei Fälle möchte ich noch hervorheben, nämlich einen
Fall von chronischer und einen von gangränöser Mastitis.
Während gewöhnlich bei chronischer Mastitis makroskopisch
ansser der derben Consistenz, geringem Milch- und Saftgehalt
and einigen grösseren Abscessen nichts zu bemerken ist, haben
wir hier einen, nur mehr in den Milchgängen sich abspielenden
Krankheitsprocess. Die ganze Drüse ist vergrössert und von
einer derben, an einigen Stellen bis zu 3 Cm. dicken Bindege-
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266
XXI. SCHLÖSSER
websschichte umschlossen. Das Drttsengewebe ist ebenfalls von
derben, breiten Bindegewebszllgen durchsetzt, in welchen kleine,
atrophische, durch ihre etwas röthliche Farbe unterscheidbare
Drüsenläppchen liegen. Auf dem Durchschnitt erscheint das Prä¬
parat in ziemlich regelmässigen Abständen durchlöchert und er¬
weisen sich bei Untersuchung mit der Sonde diese Löcher als
colossal ausgedehnte, mit Eiter erfüllte Milchgänge. Es bietet
somit dieses Präparat das Bild eines chronischen und eiterigen
(specifischen) Katarrhs. (Hierzu Fig. IV.)
Der zweite Fall von gangränöser Mastitis erscheint mir
deshalb erwähnenswerth, weil in den Lehrbüchern der Thier¬
heilkunde bei der Kuh der Ausgang in Brand als etwas verhält-
nissmässig Seltenes angegeben wird. Das ganze Viertel ist blau¬
schwarz, missfarbig. Auf dem Durchschnitt finden sich grössere
und kleinere, mit Brandjauche erfüllte Abscesse. Die über diesem
Viertel liegende Hautdecke, sowie der dazu gehörige Strich ist
stark ödematös infiltrirt. Leider konnte ich über die Entstehung
der Krankheit nichts erfahren. Ich vermuthe, dass vielleicht
eine Infection mit Maul- und Klauenseuche vorliegt.
Von den besprochenen 8 Fällen habe ich etwas über 50
mikroskopische Schnitte gefertigt und will ich dieselben in Kürze
beschreiben. Wie ich schon oben erwähnt habe, sind in ein und
demselben Präparate von Mastitis die verschiedensten Stadien
derselben vertreten, jedoch gilt dies nur für die relativ frischen
Fälle und so lange sich die Krankheit noch in ihrer Entwicklung
befindet; sobald der Process in ein chronisches Stadium oder in
das Stadium der Rückbildung getreten ist, trifft der Satz nicht
mehr zu und haben wir alsdann überall dasselbe Bild. Das
erstere fand ich bei fünf meiner Fälle, das letztere bei dreien
und ist es mir daher nicht möglich, die Beschreibung der Schnitte
für jeden einzelnen Fall zu geben; ebenso würde es zu weit
führen, wenn ich die sämmtlichen 50 Schnitte, jeden einzeln,
besprechen wollte, ich habe deshalb dieselben in Gruppen ab-
getheilt und diese Gruppen wieder nach der zunehmenden Inten¬
sität und Dauer des Krankheitsprocesses geordnet.
Mikroskopischer Befund.
1. Acute Mastitis.
I. Gruppe. Acini ausgedehnt, meist ohne Inhalt, Epithel schwächer.
Spärliche Caseingerinnsel. In einigen Acinis Lamellen oder
Fäden, welche in dem betreffenden Acinus parallel liegen
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Zur vergleichenden patholog. Anatomie u. Aetiologie der Mastitis. 267
(Faltungen der structurlosen Membran ?). An einigen Stellen
scheinen die ein Läppchen bildenden Acini mit jetzt heraus¬
gefallenen Eiterkörperchen angeflillt zu sein und findet sich
auch in dem, die betreffenden Acini umspinnenden Binde¬
gewebe geringe kleinzellige Infiltration.
II. Gruppe. Acini weit, mit niederem Epithel besetzt. Die meisten
Acini mit feinkörniger, Eiterkörperchen und Fett enthalten¬
der Masse erfüllt. Spärliche Caseingerinnsel. Das Intersti-
tium frei von Infiltration.
III. Gruppe. Acini ausgedehnt, mit körniger Masse erfüllt, welche
sich, frisch untersucht, als aus Fetttröpfchen, Epithelien, weis-
sen Blutkörperchen und zahllosen Bacterien bestehend erwies.
Keine Caseingerinnsel. Einige Läppchen zeigen im peri-
acinösen Bindegewebe geringes, kleinzelliges Infiltrat.
IV. Gruppe. Acini klein, meist ohne Inhalt. Spärliche Casein¬
gerinnsel. Das intralobuläre Bindegewebe der meisten Läpp¬
chen mehr oder weniger kleinzellig infiltrirt. Das perilobu¬
läre Bindegewebe frei von Infiltration, jedoch sehr zellenreich.
(Hierzu Fig. I, S. 268.)
V. Gruppe. Acini klein, zum Theil mit Eiterzellen, Epithelien
und Fett erfüllt. Wenig Caseingerinnsel. Ueberall klein¬
zellige Infiltration. Die in den Präparaten befindlichen Ans-
führungsgänge stark ausgedehnt. Interstitielles Bindegewebe
vermehrt.
VI. Gruppe. Acini weit, mit Eiterkörperchen, Caseingerinnseln,
Epithelien und Fett erfüllt. Drüsenläppchen überall stark
kleinzellig infiltrirt. Bindegewebe wenig vermehrt. In der
Mitte eines Präparates ein sehr stark ausgedehnter Milchgang
— Retentionscyste.
VII. Gruppe. Acini klein, ohne Inhalt. Drüsenläppchen sehr stark
kleinzellig infiltrirt. Bei einigen sind die Acini mit ihren
Epithelien im massenhaften Infiltrat untergegangen. Inter¬
stitielles Gewebe hypertrophisch, mit vielen jungen Binde¬
gewebszellen und Fett. Milchgänge stark ausgedehnt, mit
Eiter erfüllt, die Wandung kleinzellig infiltrirt. (Hierzu Fig. II,
S. 269.)
VIII. Gruppe. An Stelle der Drüsenläppchen kleinzellige Massen,
die nur noch durch die Bindegewebsscheiden, welche früher
einen Lobulus umspannen, zusammengehalten Werden und
demnach einen Lobulus repräsentiren. Die Epithelien sind
ganz im Infiltrat untergegangen. Ein einziges Läppchen noch
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XXI. SCHLÖSSER
frei, and wie einige Gaseingerinnsel darin Termathen lassen,
noch in Secretionsthätigkeit.
IX. Gruppe. Zahlreiche Abscesse, von denen znm Theil nnr mehr
die dicke, derbe Bindegewebswandung zu sehen ist, wäh¬
rend der Eiter heraasgefallen. An einigen Stellen noch atro¬
phische Reste des Bindegewebes.
Fig. I.
Fall von acuter Mastitis der Kuh. Präparat aus der Gruppe IY. Mikrotom¬
schnitt. Färbung mit Hämatoxylin, Alkohol, Nelkenöl, Canadabalsam. In
dem nach links liegenden Abschnitt eines Drüsenläppchens a beginnende klein¬
zellige Infiltration. Bei dem in der Mitte liegenden Drüsenläppchen b überall
massige kleinzellige Infiltration des intralobulären resp. periacinösen Bindege¬
webes und ist auf der rechten Seite des Läppchens die Form der in Zerstörung
befindlichen Acini nur sehr schwach durch das massenhafte Bundzellenin¬
filtrat zu erkennen. Unten im Läppchen liegt ein tief violettroth gefärbtes
Caseingerinnsel c. Im interlobulären Bindegewebe d durch zahlreiche Spin¬
delzellen documentirte Bindegewebsneubildung.
Yergrösserung =* Seibert S. II. 0. II.
Die bis jetzt beschriebenen neun Gruppen sind aus Schnitten
meiner fünf Fälle Yon acuter Mastitis beim Rind zusammenge¬
stellt; die folgenden sind drei Fälle Yon chronischer Mastitis und
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Zur vergleichenden patholog. Anatomie u. Aetiologie der Mastitis. 269
kann ich dieselben ans oben angeführtem Grunde, indem ich
sie als zehnte Grnppe aufftlhre, jeden Fall für sich beschreiben.
Fig. IL
klm wmm
*• ' '>*'«** o. t* vH* i'/'VViW 0*V,V.Vi**/*Ä'i»sV»|
Fall von acuter Mastitis der Kuh. Präparat aus der Gruppe VII. Mikro¬
tomschnitt, Färbung mit Hämatoxylin, Alkohol, Nelkenöl, Canadabalsam.
Partie eines sehr stark infiltrirten Drüsenläppchens bei stärkerer Vergrösse-
rung. Hartnack S. 7. 0. III. Die meisten Acini sind im massenhaften In-
filtat untergegangen und zeugen nur mehr verschiedene, in der oberen Hälfte
des Bildes iip Infiltrat liegende Acinusepithelien von ihrer früheren Anwe¬
senheit. Einige Acini a noch in ihrer Form erkennbar, jedoch in Verödung
befindlich. Nach rechts und unten Einleitung zur Abscessbildung b. Die
Rundzellen sind in der Zeichnung etwas zu klein ausgefallen.
2. Chronische Mastitis.
X. Gruppe. 1. Gewebsfetzen aus einer menschlichen
Mamma mit chronischen Abscessen. Die Stellen der
Drüsenlobuli durch kleinzelliges Infiltrat, in welchem sich
viele Epithelien befinden, markirt. Bindegewebe stark hyper¬
trophisch. Einige erhaltene Ausführungsgänge mit Epithel
ausgekleidet.
2. Chronische Mastitis der Kuh. Sehr viel Binde¬
gewebe, kleine atrophische Drüsenläppchen mit hohem cylin-
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270
XXI. SCHLÖSSER
drischem Epithel. Acini ohne Inhalt. Einige Lobnli sind
noch stark kleinzellig infiltrirt. In der Mitte der Präparate
ein Abscess. Die Blutcapillaren sind an einigen Stellen
noch mit Blutkörperchen gefüllt. Im Bindegewebe viele
Zellen. (Hierzu Fig. III.)
Fig. III.
Mikrotomschnitt aus einer eirrhotisch, atrophischen Stelle bei chronischer
Mastitis der Kuh. Gruppe X, 2. Hartnack S. 4. 0. III. Färbung mit Häma-
toxylin, Alkohol, Nelkenöl, Canadabalsam. In massenhaft entwickeltem, zahl¬
reichem Bindegewebe viel grössere und kleinere Stellen a mit kleinzelliger
Infiltration, welche wohl den Ort anzeigen, an dem früher ein Drüsenacinus
sich befand. Die vorhandenen Acini klein, atrophisch, vom Bindegewebe
comprimirt. Die Epithelien sind in der Zeichnung etwas schwächer ausgefallen,
sie sind in Wirklichkeit cylindriseh, was uns darauf hinfuhren dürfte, dass
wir hier keine Acini mehr vor uns haben, sondern zumeist kleinere Milch¬
gänge 6, während die Acini schon grösstentheils zerstört sind. Zwischen den
zusammengedrückten Resten der Milchgänge erscheint das Bindegewebe reicher
an Rundzellen, als an den übrigen Stellen.
3. Chronische Mastitis der Kuh. Massenhaft ent¬
wickeltes, zellreiches Bindegewebe, in welchem sich verein¬
zelte, ganz kleine Drüsenläppchen mit schwächerem Epithel
befinden. Milchgänge weit ausgedehnt, mit Eiter erfüllt und
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Zur vergleichenden patholog. Anatomie u. Aetiologie der Mastitis. 271
rund umschlossen von derbem, ringförmigem Bindegewebe.
Das Epithel derselben zu Grunde gegangen. (Hierzu Fig. IV.)
Fig. IV.
Fall von chronischer Mastitis der Kuh. Gruppe X, 3. Makroskopisches
Bild eines Durchschnittes in natürlicher Grösse. Querschnitte von aus-,
gedehnten, mit Eiter erfüllten Milchgängen a mit ulcerirten Wandungen
und umgeben von derben Bindegewebsringen. Die Hauptmasse des Mamma¬
parenchyms grobkörnig granulirt. Atrophische, nach rechts kaum mehr
vom Interstitium differenzirbare Drüsenläppchen, welche von dicken,
derben Bindegewebszügen umgeben und eingeschnürt sind. Ausgang in
Girrhose mit fortbestehender, chronischer, ulceröser Entzündung der
Milchgänge.
Bei den in der Beschreibung gebrauchten Ausdrücken: kleine,
grosse und weite Acini, habe ich die Grösse und Weite der Acini
einer in Lactation befindlichen, nicht pathologisch veränderten
Mamma als Norm angenommen. Die Gebilde, welche ich als
Caseingerinnsel bezeichnet habe, sind verschieden grosse, aus
homogener Masse zusammengeballte Körper, welche sich mit
Hämatoxylin röthlich färben. Ihre Grösse entspricht gewöhnlich
dem Lumen des Acinus, in welchem sie liegen. Dass es Casein¬
gerinnsel sind, kann ich mit Bestimmtheit nicht behaupten. Die¬
selben finden sich in den mikroskopischen Präparaten einer nor¬
malen Mamma am häufigsten und verschwinden mit zunehmender
Krankheit.
Deutsche Zeitschrift f.Thiermed.u. vergl. Pathologie. IX. Bd. 19
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272
XXI. SCHLÖSSER
Wie schon oben angegeben, geht die jetzt allgemein herr¬
schende Ansicht dahin, dass die Mastitis beim menschlichen Weibe
mit den Schrunden der Warze in ursächlichem Zusammenhänge
steht und ist in einer statistischen Zusammenstellung von Kehrer 1 )
der Nachweis geliefert, dass 25 Proc. aller Fälle von Warzen-
excoriationen Mastitis zur Folge haben. Der Anschauung, als
ob die Mastitis lediglich dadurch entstände, dass die Warzen¬
schrunden die Milchausführungsgänge verschliessen und somit ein
rein mechanisches Hinderniss für das Ausfliessen der Milch bil¬
den, kann ich mich nicht anschliessen; ich pflichte einer anderen
Ansicht bei und nehme an, dass der ursächliche Zusam¬
menhang zwischen Warzenschrunden und Mastitis in
einer Infection besteht. Was nun zunächst die Infection be¬
trifft, so will ich zwar nicht behaupten, dass sie die einzige Ur¬
sache für Mastitis ist, denn ich kann mir eine Entzündung der
Drüse in Folge eines Traumas sehr wohl denken, jedoch bin
ich der UeberzeuguDg, dass die Infection für die überwiegende
Mehrzahl der Fälle zutrifft und die vielbeschuldigte Milch-
stauung keine Ursache für Mastitis sein kann. Letztere An¬
schauung hat zwar, wie ich oben zeigte, noch in der jüngsten
Zeit gewichtige Vertreter gefunden, dürfte sich aber doch bei
genauerer Betrachtung als unhaltbar herausstellen. Es sind vor
Allem die zahlreichen Fälle in Rechnung zu ziehen, in welchen,
was auch die Ursache sei, das Säugen plötzlich unter¬
brochen wird, ohne dass hierdurch Mastitis entsteht; ferner ist
zu bedenken, dass ja doch ein durch Galaktostase hervorgebrachter
Reiz nicht nur auf einen Theil der Drüse allein, sondern auf
alle Drüsen in allen ihren Theilen wirkt und somit auch in
allen Drttsentheilen Mastitis hervorrufen müsste. Dem wider¬
spricht jedoch die Erfahrung gänzlich, denn es wird in allen
Abhandlungen über Mastitis übereinstimmend angegeben, dass
die Entzündung äusserst selten beide Brüste betrifft
und auch nicht die Entzündung einer ganzen Mamma, sondern
die Erkrankung irgend eines Segmentes die Regel bildet. Da¬
gegen sprechen auch einige von Franck 2 ) beobachtete Fälle.
Bei drei Kühen war der Stricbkanal eines Viertels in Folge von
Euterentzttndung verwachsen. In der nächsten Lactationsperiode
schwollen nun zwar die betreffenden Viertel durch die aufge-
1) Kehrer, Beiträge zur Geburtskunde. 1879. II. Bd.
2) Franck, Handb. d. thierärztl. Geburtshülfe. S. 557.
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Zur vergleichenden patholog. Anatomie u. Aetiologie der Mastitis. 27$
staute Milch bedeutend an, jedoch entstand keine Mastitis und
im Verlauf von 8 Tagen kehrten die betreffenden Mammae wieder
auf ihr altes Volumen zurück. Dasselbe zeigen Versuche von
Kehrer, welcher bei Kaninchen vor der Geburt die Mammae
dick mit Collodium überzog und dann bei eintretender Lactation
die gleiche Beobachtung machte.
Für eine Infection dagegen spricht sehr deutlich die Art
und Weise, wie die Mastitis bei Thieren auftritt. Franck (1. c.),
dem ich mich hierin gänzlich anschliesse, sagt: „Bei Thieren,
deren Milchgänge vor ihrer Ausmündung in einen gemeinschaft¬
lichen Milchbehälter münden (Pferd, Wiederkäuer, Schwein etc.),
erkrankt fast ausnahmslos jene Drüsenpartie, deren Milchgänge in
den gemeinschaftlichen Behälter führen, wie dies auch bei künst¬
lichen Injectionsversuchen stattfindet, also bei der Kuh und Stute
mindestens ein Viertel des ganzen Euters. Es erklärt sich diese
Thatsache sehr einfach durch die Annahme, dass der Infections-
stoff zunächst in den gemeinschaftlichen Milchbehälter gelangt
und von da aus in die sämmtlicken in ihn einmündenden Milch¬
gänge eindringt. Ganz anders verhalten sich die Entzündungen
bei jenen Thieren, deren Milchdrüse nach anderem Typus gebaut
ist, nämlich beim Hunde, der Katze und dem menschlichen Weibe.
Bei diesen findet sich kein gemeinschaftlicher Milchbehälter, es
mündet bei ihnen vielmehr jeder Milchgang für sich an der Spitze
der Saugwarze aus. Es erkrankt hier fast niemals primär der
ganze Drtisencomplex, sondern immer nur der zu einem (oder
einigen) Milchgang gehörige Drüsentheil. Bei diesen Thieren
sind bekanntermaassen die partiellen Euterentzündungen die" ge¬
wöhnlichen.“ Dass eine Infection durch septische Stoffe an einer
unverletzten Mamma überhaupt stattfinden kann, hat ebenfalls
Franck durch sehr interessante Versuche mit Einspritzung
von Mastitiseiter in den Zitzenkanal von Kühen bewiesen.
Es entstand darnach binnen 24 Stunden die heftigste Euterent-
ztindung des betreffenden Viertels.
Es fragt sich nun: Was ist das inficirende Agens
und wie hat man sich den Vorgang der Infection zu
denken? Das inficirende Agens besteht jedenfalls aus Bacte-
rien und zwar aus den gewöhnlichen Stäbchenbacterien, deren
Anwesenheit in dem Inhalt der Acini und Milchgänge meiner
frisch untersuchten Fälle gewiss keine zufällige war. Wenn
Billroth meint, die Bacterien könnten dem Secretionsstrom
entgegen nicht eindringen, weil sie keine Eigenbewegung haben,
19*
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XXI. SCHLOSSER
so glaube ich, dass der Secretionsstrom wohl nicht zu allen Zeiten
gleich stark ist und vielleicht auch hier und da ganz sistirt,
ausserdem können ja auch wohl durch Druck auf das Organ
von verschiedenen Seiten Ortsveränderungen in der Milchsäule
entstehen und die Bacterien auf diese Weise weiter befördert wer¬
den. Jedenfalls, sei dem wie ihm wolle, konnte ich die Bacte¬
rien in allen Theilen der entzündlichen Organe nachweisen und
muss sie daher auch als Infectionsträger beschuldigen. Als be¬
günstigende Momente wirken beim Binde, bei dem die
Mastitis zweifellos häufiger als beim Weibe vorkommt, jedenfalls
die übermässige Inanspruchnahme der Milchdrüse, so¬
wie die constante Berührung der Zitzen mit dem Stall¬
boden und dem Dunge, die septische Stoffe fortwährend in
überreicher Menge bergen (Bollinger).
Als Weg für die Infection betrachte ich die Milch und die
Milcbgänge, und spricht hierfür nicht allein der Umstand, dass
die Mastitis fast nur während der Lactation vorkommt,
sondern auch die Thatsache, dass die Veränderung in der
Milch die erste Erscheinung bei Mastitis ist und die
in der Thierheilkunde mit Erfolg gebrauchte Therapie des voll¬
ständigen und oft wiederholten Ausmelkens. Ich führe hier an,
was Franck 1 ) über die Veränderungen der Milch schreibt:
„ Dieselbe ist geronnen und zerfällt demnach in einen festen Theil,
der hauptsächlich aus Käsestoff besteht, und in einen flüssigen
Theil. Der erstere verstopft öfters feinere Milchgänge, den Strich¬
kanal und häuft sich in den weiteren Milchgängen und in der
Milchcisteme in grösseren Mengen an. Diese bröckelige, oft mehr
eiterähnliche Masse, wie sie ausgemolken wird, ist nur zum Theil
als veränderte Milch aufzufassen, zum grossen Theil ist sie ein
Transsudat aus dem Blute. Es gebt dies schon aus der chemi¬
schen Analyse hervor. Es enthält nämlich dieses veränderte
Secret im Ganzen nur wenig Oasein, Milchzucker und Fett, da¬
gegen viel Wasser und rohes Albumin. Die mikroskopische
Untersuchung ergibt körnige Ausscheidung von Gasein, ver¬
einzelte Butterkörperchen, Epithelien der Milchgänge, des Strich¬
kanales und der Drüsenbläschen und in überwiegender Menge
Eiterkörperchen. Zwischen den geformten Bestandtheilen und
die Zellen bedeckend wimmelt es von Mikrococcen und Bacte¬
rien.“ Wie oben erwähnt, verstopft die geronnene Milch die
1) Franck, Handb. d. thierärztl. Geburtshülfe. S. 551.
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Zur vergleichenden patholog. Anatomie u. Aetiologie der Mastitis. 275
Ausfülirungsgänge, dabei dauert jedoch die Secretion der Drüse
noch einige Zeit fort und wird die frisch secernirte Milch durch
die fermentative Wirkung der Bacterien ebenfalls wieder ver¬
ändert, so dass das ganze Organ, resp. eine zu einem Milchaus-
fitthrungsgang gehörige Drüsenpartie von umgewandelter, mit
Bacterien durchsetzter Milch erfüllt ist. Dass diese Milch
quasi einen Fremdkörper (corps ätranger, Velpeau) für die
damit erfüllte Drüsenpartie bildet und auf das umgebende Drüsen-
gewebe phlogogen wirkt, kann nicht Wunder nehmen. Man sollte
nun glauben, dass die phlogogene Einwirkung sich zunächst bei
den Epithelien geltend macht und ist dies auch von Franck 1 )
angegeben worden. Ich habe dies nicht finden können; bei den
von mir untersuchten Fällen sind stets die Epithelien der sich
am längsten erhaltende Theil im ganzen Drüsenläppchen. Feinere
mit dem Mikroskop nicht sichtbare Veränderungen mögen ja wohl
in denselben vor sich gehen, aber eine sichtbare Veränderung
erleiden sie dabei nicht; sie färben sich, wie die normalen Epi¬
thelien, zeigen ausser öfters vorkommenden Fetttröpfchen, welche
ja eine physiologische Secretionserscheinung sind, keinerlei Inhalt
im Protoplasma und überziehen ohne Unterbrechung die ganze
innere Wand der Acini. Ich kann nur, wie Billroth 2 ), sagen,
ich weiss nicht, was aus ihnen wird; zuletzt scheinen sie mit der
ganzen Drüsenbeere im kleinzelligen Infiltrat unterzugehen. Viel¬
mehr richtet sich die phlogogene Wirkung der Milch
zunächst auf das periacinöse Bindegewebe mit seinen
Lymph- und Blutcapillametzen und bewirkt hier eine Auswande¬
rung von weissen Blutkörperchen sowohl in das periacinöse Bin¬
degewebe, als in das Lumen der Acini. Diese Auswanderung
wird immer massenhafter, bis wir, wie ich oben geschildert, den
fertigen Abscess haben, jedoch scheint sich nach meinen Prä¬
paraten der Process lange Zeit im intralobulären Binde¬
gewebe abzuspielen, so dass aus je einem tertiären infiltrirten
Drüsenläppchen ein primärer Abscess entsteht, welcher seine
Wandung in dem umspinnenden Bindegewebe des zu Grunde ge¬
gangenen DrUsenläppchens findet Hand in Hand mit dieser
Auswanderung von Blutzellen etablirt sich im Interstitium der
primären und secundären Drüsenlobuli eine lebhafte Bindegewebs¬
neubildung, die sich sowohl durch absolute Vermehrung des Binde-
1) Franck, Handb. d. thier&rztl. Geburtshülfe. S. 550.
2) Billroth, Krankheiten der Brüste, deutsche Chirurgie. S. 17.
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276
XXI. SCHLÖSSER
gewebes, als durch dessen grossen Zellenreichthum documentirt
und entstehen hieraus die derben, schon makroskopisch sicht¬
baren und fühlbaren Abscesswandungen. Bei längerer Dauer des
Leidens können sich verschiedene kleine Abscesse zu grösseren
vereinigen und bekommen wir sodann das bekannte Bild eines
oder mehrerer Brustdrüsenabscesse mit ihren zerklüfteten Wan¬
dungen und prominirenden nekrotischen Gewebsfetzen.
Diese Abscesse verheilen nun entweder, und wir haben als
Ausgang der Krankheit eine Girrhose der Mamma (dies wird wohl
das Gewöhnliche sein), oder es bleibt, während das eigentliche
Drüsengewebe grösstentheils im wuchernden Bindegewebe unter¬
gegangen ist, ein chronischer, ulceröser Katarrh der
Milchgänge zurück, wie an dem Fall, dessen Abbildung ich
in Fig. IV gegeben habe, deutlich zu sehen ist.
Sobald die Krankheit einmal in das Stadium der Absce-
dirung getreten ist, ist es klar, dass sie sich nicht mehr auf
die ursprünglich ergriffene Drüsenpartie und die Milchgänge als
Verbreitungswege beschränkt, sondern auch durch die Lymph-
gefässe auf zunächst liegende Drüsentheile übergeht und hier
Metastasen bildet. Hierbei verändert sich dann natürlich auch
das mikroskopische Bild insofern, als nicht mehr das intralobu¬
läre und interalveoläre Bindegewebe den Hauptsitz des Processes
bildet, sondern ebenso auch das perilobuläre Bindegewebe mit
ergriffen wird, und haben wir sodann dasselbe Bild, wie es eine
Phlegmone der Mamma in Folge von Erysipel darbietet.
Ich denke mir nun auf Grund vorliegender Befunde den
Anfang und Verlauf der Mastitis folgendermaassen:
Die Mastitis steht in nächstem Zusammenhang mit Wunden
und Schrunden der Warze oder Zitze und erfolgt von hier aus
durch Vermittelung der in den Milcbgängen stehenden Milchsäule
eine Infection. Das inficirende Element sind Spaltpilze, welche
durch fermentative Wirkung die Milch verändern, welch letztere
wieder in ihrer Veränderung phlogogen auf das umgebende Drü¬
sengewebe wirkt. Es erfolgt hierauf bei fortwirkendem Reiz
immer stärker werdende Auswanderung von weissen Blutkörper¬
chen, sowohl in das intralobuläre und interacinöse Bindegewebe,
als in das Lumen der Drüsenacini, bis ein jedes Drüsenläppcben
nur mehr aus einem grossen rundzelligen Infiltrate, in welchem
die Epithelien untergegangen sind, besteht, und wird diese klein¬
zellige Masse, resp. der beginnende Abscess von dem inzwischen
durch Bindegewebsneubildung verstärkten perilobulären Binde-
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Zur vergleichenden patholog. Anatomie u. Aetiologie der Mastitis. 277
gewebe in der Form des früheren Drtisenläppchens gehalten.
Hierauf folgt centrale Erweichung des Infiltrates und Abscedirung.
Von nun ab tritt der Process in ein chronisches Stadium, und je
länger die Eiterung,und die Krankheit dauert, desto vollständiger
wird die Atrophie des eigentlichen Drüsengewebes und um so
mehr hypertrophirt das eigentliche Bindegewebe auf Kosten des
letzteren. Alle diese Vorgänge folgen nur dann auf einander, wenn
nicht zuvor die Heilung, welche ja wohl in jedem der angeführten
Stadien ein treten kann, erfolgt.
Die meisten Autoren sprechen von einer parenchymatö¬
sen und einer interstitiellen Mastitis und scheiden diese
beiden Formen streng von einander. Nach meinen Befunden er¬
scheint jedoch eine derartige Differenzirung nicht berechtigt und
dürfte für die Entzündung der in Lactation befindlichen Brust¬
drüse die Bezeichnung „puerperale Mastitis“ (Billroth)
oder „Mastitis lactantium“, oder, wenn dieselbe lange dauert,
„chronische Mastitis“ zutreffend sein. Auch könnte man, wenn
man die Ursache und das Wesen der Krankheit charakterisiren
will, noch „infectiös“ oder „interstitiell“ hinzufügen, jedoch nie¬
mals „parenchymatös“, denn das Parenchynl ist, wie ich oben
gezeigt habe, nicht erkrankt, sondern spielt sich der ganze Krank-
heitsprocess lediglich im Interstitium ab.
Es erübrigt noch der pathogenen Bedeutung der
Milch, welche aus einer mit puerperaler Mastitis erkrankten
Drüse stammt, zu gedenken. Es ist nämlich derartige Milch be¬
sonders für Säuglinge in hohem Grade gefährlich und können,
ebenso wie bekanntermaassen das Gift von Maul- und Klauen¬
seuche durch die Milch erkrankter Kühe auf den Menschen über¬
zugehen vermag, die infectiösen Stoffe des Secretes einer ent¬
zündeten Milchdrüse schwere Formen von Gastroenteritis und
Tod bedingen.
Auch möchte ich noch auf die zwar bekannte, aber, wie es
scheint, immer noch nicht genügend gewürdigte prophylaktische
Therapie der Mastitis beim Menschen hinweisen und dürfte bei
rationeller Behandlung der ungünstig geformten und besonders
zarten Brustwarzen während der Schwangerschaft und bei ent¬
sprechender Reinhaltung mit Anwendung der Antisepsis bei den
einmal entstandenen Schrunden die Zahl der Erkrankungen an
Mastitis bedeutend reducirt werden.
Was die Art und Weise der Behandlung betrifft, verweise
ich auf alle neueren Lehrbücher der Geburtshtilfe und de Par-
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278 XXI. SCHLÖSSER, Anatomie und Aetiologie der Mastitis.
thologie des Wochenbettes, in welchen dieselbe erschöpfend be¬
handelt ist.
Zum Schluss ergreife ich mit Vergnügen die Gelegenheit,
meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. Bollinger, für die
Anregung und Unterstützung bei dieser Arbeit auch an dieser
Stelle meinen besten Dank auszusprechen.
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XXII.
Kleinere Mittheilnngen.
1.
Beitrag zur Casuistik der Tubo-Ovarialcysten
beim Pferde.
Von
Georg Schneidemühl
in Hannover.
So weit bis jetzt die Untersuchungen reichen, nimmt man
an, dass sich das Ovarium vorne und innen vom Wolff'sehen
Körper aus der sogenannten Keimdrüse entwickelt. Die letztere
ist schon frühzeitig — beim Kaninchen am 14. Tage — als (halb¬
mondförmige) Anhäufung von Epithelzellen zu beiden Seiten der
Wirbelsäule zu erkennen. Jedoch ist aus der frühesten Zeit der
Anlage noch nicht zu ersehen, ob die männliche oder weibliche
Keimdrüse daraus entstehen wird. Erst gegen Ende des zweiten
Monats sieht man beim Menschen das Organ breiter und kürzer
sich entwickeln, wenn daraus die Testes, dagegen mehr länglich
wachsen, wenn die Ovarien zur Entstehung kommen sollen. Die
Tuben dagegen entwickeln sich aus derselben Anlage, wie der
Uterus, nämlich aus den sogenannten Mü 11 er’schen Gängen.
Dieselben entstehen einige Zeit nach der Urnierenanlage in der
ganzen Länge neben dem Wolff’schen Körper.
Die beim ausgebildeten Thiere vorhandene Trennung des
eibildenden von dem eiführenden Organe würde deshalb bereits
in der schon von Anfang an statthabenden gesonderten Anlage
ihre vollständige Erklärung finden. Trotzdem ist die Continuität
beider Organe zuweilen hergestellt, ohne dass man bisher eine
physiologische Erklärung dafür zu geben wusste. 1 ) Nicht weniger
1) Hensen, Die Physiologie der Zeugung. Hermann’s Handbuch d.
Physiologie. VI. Bd. 2. Theil. S. 62.
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280
XXII. Kleinere Mittheilungen.
dunkel in Bezug auf ihre Entstehung sind die unter pathologi¬
schen Verhältnissen vorkommenden Communicationen der ge¬
nannten Organe des weiblichen Genitalapparates.
Insbesondere sieht man bei cystischen Degenerationen eine
unmittelbare Verbindung des Eierstocks mit dem Eileiter zur
Entstehung kommen. Derartige Fälle sind, so weit ich aus der
Literatur feststellen konnte, zuerst von Richard 1 ) beim Men¬
schen beschrieben und von diesem Beobachter Tubo-Ovarial-
cysten genannt worden. Es finden sich bei dieser Erkrankung
des Menschen meist einkammerige Cysten von geringer Grösse
vor, welche theils vom Ovarium, theils von der Tube gebildet
werden. Die eingetretene einfache Höhlung liess dann noch durch
eine Einschnürung an der betreffenden Stelle deutlich erkennen,
wo die Verwachsung beider Organe sich befindet. Der betreffen¬
den Stelle entsprechend sieht man dann die Fimbrien an der
Aussenseite in innigster Verbindung mit den Wandungen der
Cyste. Die Tube, welche den bedeutend kleineren Theil der
Cyste bildet, ist dann meistens nur im äusseren Drittel, seltener
der ganzen Länge nach dilatirt. Neben Richard, der 11 Fälle
gesehen haben will, hat auch Rokitansky 2 ) zwei beschrieben.
Ferner wird von Hennig 3 ) ein Fall von doppelseitiger Tubo-
Ovarialcyste mitgetheilt. In einem von Hildebrandt 4 ) erwähn¬
ten Falle erreichte die Cyste den Umfang einer hochschwangeren
Gebärmutter und enthielt 15 Liter Flüssigkeit.
Bei Thieren habe ich in der mir zugängigen Literatur keinen
derartigen Fall beschrieben gefunden, was sicherlich nicht aus-
schliesst, dass solche Veränderungen schon öfters zur Beobach¬
tung gekommen sein dürften.
Mit Rücksicht auf das im Ganzen seltene Vorkommen dieser
Affectionen und bei dem Interesse, das vielleicht die Genese
derselben bieten könnte, hielt ich es für zweckmässig, einen
solchen Fall beim Pferde, welchen ich im verflossenen Winter
im anatomischen Institut hiesiger Thierarzneischule bei einem
Anatomiepferde zu beobachten Gelegenheit hatte, zu veröffent¬
lichen.
1) Richard, Observations dekystes tubo-ovariens. Bull. g6n.de th^rap.
52. Bd. 1857. p. 152.
2) Allgem. Wiener med. Ztg. 1859. Nr. 35.
3) Monatsschrift für Geburtskde. 1862. XXI. S. 128.
4) Hildebrandt, Die neue gynäkologische V niversitätsklinik zu Königs¬
berg. Leipzig 1875. S. 109.
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XXII. Kleinere Mittheilungen.
281
Im Begriff, die Exenteration des Harn- und Geschlechts¬
apparates ausführen zu lassen, zeigte' sich am linken Eierstock
und dem dazu gehörigen Eileiter folgende Veränderung. Das
ganze Ovarium war in eine einzige birnäbnlich gestaltete Blase
umgewandelt, deren Wände durch Flüssigkeit stark gespannt
waren. Der Längenumfang derselben betrug 26 Cm., während
der grösste Querumfang 18 Cm. ergab. An dem medial gelege¬
nen Theil verjüngte sich dieselbe allmählich und zeigte aussen
an der Stelle, wo normal etwa das Ostium abdominale des Ei¬
leiters zu suchen »ist, eine ganz schwach ausgeprägte Einschnü¬
rung. Der Umfang dieser Stelle betrug etwa 3V2 Cm. Von hier
an setzte sich dann die blasige Erweiterung unmittelbar auf die
Tube fort, wobei der Umfang des erweiterten Eileiters ziemlich
schnell wieder zunahm, um etwa 9 Cm. von der Einmündung in
das Uterushorn die normale Weite wieder anzunehmen. Der am
stärksten erweiterte Abschnitt der Tube hatte einen Umfang von
4 Cm. Eine in gerader Richtung verlaufende Erweiterung des
Oviducts war durch die bekanntlich normal schon vorhandene
Verbindung desselben mit den ihn einschliessenden Blättern des
Bauchfells, welche in ihrer Ausdehnung kürzer sind, als die Länge
des Eileiters, nicht möglich. Vielmehr lag derselbe in allmählich
bis zur Stärke eines Daumens ausgedehnten Windungen zwischen
den genannten Abtheilungen des Peritonäums eingebettet. Die
Wände des letzten Theiles der Tube, in der Nähe des Ueber-
ganges in das Uterushom fühlten sich derb und fest an gegen¬
über der sehr dünnen und glatten Wand des übrigen cystisch
erweiterten Abschnittes und des Ovariums dieser Seite. Eine
Communication des Eileiters mit dem Uterushorn war nicht nach-
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282
XXII. Kleinere Mittheilungen.
zuweisen, vielmehr war das letztere von durchaus normaler Be¬
schaffenheit. Ebenso konnte an sämmtlichen übrigen Theilen
der inneren Geschlechtsorgane, wie insbesondere an dem Ovarium
und der Tuba der anderen Seite keine Spur makroskopisch
wahrnehmbarer Veränderung nachgewiesen werden.
Eine mit Rücksicht auf den abnormen Befund vorgenommene
Inspection der übrigen Eingeweide, speciell des Bauchfelles, auf
das Vorhandensein etwaiger Verwachsungen etc. fiel negativ aus.
Hierauf wurde vorsichtig die Abtrennung des die Tubo-
Ovarialcyste umkleidenden Bauchfelles vorgenommen, was der
meist nur sehr lockeren Verbindung mit den Wandungen wegen
mit Leichtigkeit bis auf einen circa 4 Cm. betragenden Abschnitt
des Ovariums ausgeführt werden konnte. An der genannten
Stelle, welche sich kurz vor Einmündung des Eileiters in den
Eierstock vorfand, war die Verbindung so innig, dass eine Tren¬
nung ohne Verletzung der Wand nicht gut möglich war. Es
wurde deshalb das Bauchfell an dieser Stelle etwas von der
Cystenwand entfernt abgeschnitten. Ferner wurde die Verbin¬
dung mit dem Uterushorn erhalten und dieses 8 Cm. von dem
Ostium uterinum entfernt vom Uterus abgeschnitten. Nach Ent¬
fernung des Bauchfelles war es möglich, die ganze Länge des
Eileiters festzustellen. Dieselbe betrug von jener oben erwähn¬
ten Einschnürung in der Nähe des Ovariums bis zur Einmün¬
dungsstelle in das Uterushom 40V* Cm.
Hierauf wurde das Präparat einige Zeit in Müll er'sehe
Flüssigkeit und darauf in Alkohol gelegt, um später die histo¬
logische Einrichtung der Wand auf Schnittpräparaten untersuchen
zu können.
Bei dem zu diesem Zwecke vorgenommenen Aufschneidep
des Präparates ergab sich Folgendes: Die Cyste war mit einer
klaren hellgelben Flüssigkeit angefüllt, deren nähere Untersu¬
chung nicht zur Ausführung kam. Die innere Wand der Cyste
war vollständig glatt; an derjenigen Stelle, wo wegen der ver¬
änderten Dimensionen der Beginn der Tuba angenommen werden
musste, konnte bis auf eine leichte Verminderung des Dicken¬
durchmessers der Wand da, wo sich aussen eine kleine Ein¬
schnürung gezeigt hatte, nichts weiter wahrgenommen werden,
was auf eine ursprüngliche Trennung beider Theile — Ovarium
und Tuba — hätte schliessen lassen können. Vielmehr ging die
glatte, mattglänzende Beschaffenheit der Innenseite der Wand des
Eierstockes direct in die des Eileiters über. An dem in das
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XXII. Kleinere Mittheilungen.
283
Uterusborn übergebenden Theil der Tuba konnte eine Freilegung
des Lumens nicht ausgeführt werden, da die Wände hier in einer
Ausdehnung von circa 3 Cm. vollständig mit einander verwach¬
sen waren.
Auf Schnitten durch die in obiger Weise gehärtete Wand
zeigte sich dieselbe aus festen, vielfach in Bündeln unter einander
sich kreuzenden Bindegewebsfasern bestehend, deren Festigkeit
durch zahlreich eingelagerte elastische Fasern noch erhöht wurde.
An der äusseren Seite waren ab und zu Cylinderzellen, die sich
auf Zupfpräparaten noch besser präsentirten, in grösseren oder
kleineren Haufen nachzuweisen, jedenfalls noch von dem peri¬
tonealen Ueberzug herrührend.
Es fragt sich nun, wie ist diese Veränderung an dem Ova-
num und der Tuba zur Entstehung gekommen?
Leider war es nicht möglich, Näheres über das hierbei
nicht unwichtige Vorleben des Pferdes zu erfahren, da das Thier
von einem Rossscblächter aufgekauft war. Wohl aber konnte
festgestellt werden, dass das Pferd in den wenigen Tagen,,
welche es kurz vor seiner Verwendung in den hiesigen Ställen
zugehracht, keine irgendwie auffälligen Erscheinungen gezeigt
hatte.
Sehen wir uns in der Literatur nach der bisherigen Auffas¬
sung über die Genese solcher Cysten um, so nimmt Richard
an, dass bei Gelegenheit der Reifung eines Follikels die Tuba
mit dem Ovarium verlöthet, der Follikel erst dilatirt und dann
geborsten sei. Auch Rokitansky nimmt eine primäre, mit
den Vorgängen der Ausstossung des Eies und Aufnahme dessel¬
ben durch die Tuba resultirende Communication mit dem Tubar-
kanal an. Dem gegenüber bemerkt Veit, dass die Anlöthung
der Tuba an das Ovarium, weil dem Process der Ausstossung
des Eies physiologischer Weise nicht zukommend, der Berstung
der ovariellen Cyste vorangegangen sein muss, und dass sich die
Bildung der Tuho-Ovarialcysten wohl am besten durch die An¬
nahme eines Katarrhs der Tube und Follikel erkläre. Darnach
würde ein Katarrh des Eileiters zur circumscripten Peritonitis
und Verlöthung der Tuben führen; der Katarrh eines einzelnen
Follikels zur Dilatation desselben, durch dessen zufällige Berstung
in die Tuba die Tubo-Ovarialcyste hergestellt ist. Mit dieser
Auffassung würde dann auch die Doppelseitigkeit der Verwach¬
sung in den Fällen von Rokitansky und Hennig ihre Erklä¬
rung finden, zumal in dem Falle von Hennig gleichzeitig auch
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284 XXII. Kleinere Mittheilungen.
eine doppelseitige Tubo-Ovarialcyste durch den Process herbei-
geftthrt war.
Anders liegen nun die Verhältnisse in unserem Falle. Hier
war zunächst keine Spur einer vorangegangenen mehr oder we¬
niger circumscripten Peritonitis zu erkennen und eine solche fttr
den ganz kleinen, wenige Centimeter betragenden Bezirk zu sub-
stituiren, wo eine Verwachsung des Bauchfelles mit der Wand
der Tube bestand, nämlich dort, wo dieselbe in das Ovarium über¬
ging, dürfte gegenüber der erwähnten lockeren Verbindung des
grössten übrigen Theiles doch nicht gut zulässig sein. Ferner war
auch eine stattgekabte Verdickung der Cystenwand als Zeichen
einer vorangegangenen, länger bestandenen Entzündung nicht zu
constatiren, vielmehr war die Wand sehr dünn, wenn auch ziem¬
lich fest und derb. Auch eine Erkrankung des anderen Eier¬
stockes und zugehörigen Eileiters, wie der anliegenden Organe,
musste ausgeschlossen werden. Eine weitere Communication der
Tubarcyste mit dem Uterus, wie in den Fällen von Hennig und
Hildebrandt, wo durch den so herbeigeführten permanenten
Abfluss der Cystenflüssigkeit durch den Uterus — Hydrops
ovariorum profluens — eine spätere Erschlaffung der Cyste
eingetreten war, konnte gleichfalls nicht nachgewiesen werden,
da eine Communication mit dem Uterushorn durch Verwachsung
des letzten Tubenabschnittes ausgeschlossen war und deshalb die
Cyste gespannte Wandungen durch den hohen Flüssigkeitsgebalt
zeigte.
Deshalb dürfte es nicht ganz leicht sein, die ganze Verän¬
derung lediglich auf Processe zurückzuführen, welche extrauterin
zur Entstehung gekommen sind. Vielleicht aber findet sich eine
Erklärung, wenn man Störungen schon im intrauterinen Leben
annimmt, welche zur Bildung der Tubo-Ovarialcyste in diesem
Falle geffihrt haben.
Wir haben oben bereits erwähnt, dass nach der herrschen¬
den Ansicht Eileiter und Ovarium getrennt von einander zur Ent¬
wicklung kommen. Diese Auffassung ist besonders von Born-
haupt, Gasser und Sernoff nach ihren Untersuchungen beim
Hühnchen, von M. Braun nach seinen Untersuchungen bei den
Reptilien ausgesprochen und auch durch die Untersuchungen
Kölliker’s 1 ) gestützt worden. Dagegen sagt Waldeyer 2 )
1) Kölliker, Entwicklungsgesetz d. Menschen und d. höheren Thiere.
2. Aufl. 1879. S. 978.
2) Waldeyer, Eierstock und Ei. Leipzig 1870.
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XXII. Kleinere Mittheilungen.
285:
über die Entwicklung der genannten Organe, dass vor und nach
innen vom Wolff'sehen Körper im Mesoderm die längliche her¬
vortretende Keimdrüse entstehe, welche bei beiden Geschlechtern
ursprünglich gleich ist. Ausserdem bildet sich parallel dem
Wolff’schen Gange ein Kanal, der abwärts ebenfalls in den
Sinus urogenitalis mündet, der Müll er'sehe Gang. Die Keim¬
drüse erscheint zuerst als eine längliche Hervorragung und ist
von hohen Epithelien der Mittelplatten, dem Keimepithel Wal¬
deyer’s, überkleidet. Der Müller'sehe Gang entsteht anfangs
als lineare Furche im Keimepithel, die sich dann tiefer einsenkt
und sich zu einem anfangs soliden Strang abschnürt, der später
hohl wird. Die obere Oeffnung des Ganges öffnet sich frei in
die Bauchhöhle; die unteren Enden beider Gänge verschmelzen
eine Strecke weit.
Diese Angaben von Waldeyer werden auch von Foster
und Balfour 1 ) bestätigt, welche gegen Ende .des vierten Tages
beim Hühnchen an der Aussenseite des vom W ol ff'sehen Körper
gebildeten Vorsprunges eine Rinne bemerkten, die gleich unter¬
halb des Wolff’schen Ganges durch Einsenkung des Keimepi¬
thels entsteht. Diese Furche wird dann tiefer, ihre Wälle wölben
sich gegen einander und verwachsen. So entsteht eine Röhre,
die sich vom Keimepithel ablöst — der Müll er'sehe Gang.
Endlich sagt auch Kölliker, dass nach den Untersuchungen
Bornhaupt’s etc. die Angaben Waldeyer’s zwar als nicht
vollkommen zutreffend erachtet werden können, dennoch scheinen
die nicht seltenen mehrfachen Tubenmündungen beim Menschen
zu Gunsten von Waldeyer’s Aufstellung zu sprechen.
Demnach würde neben den oben angeführten Momenten,
welche zur Entstehung der Tubo - Ovarialcysten Veranlassung
geben könnten, auch die Ansicht Berechtigung haben können,
welche entwicklungsgeschichtliche Störungen als Ausgangspunkt
annimmt. Unter Zugrundelegung der Anschauung Waldeyer’s
über die Entwicklung der in Betracht kommenden Organe wäre
leicht denkbar, dass gelegentlich keine freie Bauchöffnung an
der Tuba entsteht, sondern diese innerhalb des Eierstockes endigt,
oder dass schon um dieselbe Zeit eine vollständige Vereinigung
derselben mit der Oberfläche des Ovarium eintritt, so dass die
Fimbriae tubae vollständig fehlen.
Durch dieses Vitium primae formationis würde dann einmal
1) Foster u. Balfour, Grundzüge der Entwicklungsgeschichte der
Thiere. Leipzig 1876. S. 160 u. 161.
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286
XXII. Kleinere Mittbeilungen.
die Erklärung gefunden sein für das beobachtete Vorkommen
einer Verbindung des Eileiters mit der Tuba, wie auch anderer¬
seits der Boden geschaffen sein, um bei Erkrankungen des Ova-
riums, die zur Cystenbildung führen, die Tubo-Ovarialcysten zur
Entstehung zu bringen. Es würde somit die Störung bei der
ersten Anlage der genannten Organe erst durch spätere, vielleicht
erst zur Zeit der Pubertät eintretende Erkrankung derselben zur
Tubo-Ovarialcyste führen können, ohne dass zur letzteren erst
eine, die Verwachsung des Eierstockes mit dem Eileiter veran¬
lassende Peritonitis vorangegangen zu sein braucht. Ohne in der
Lage zu sein, die ßichtigkeit unserer Auffassung in allen Punkten
durch weitere Thatsachen belegen zu können, würden wir mit
derselben zunächst im Stande sein, eine Erklärung für den Be¬
fund in unserem Falle zu finden, wo weder eine vorangegangene
Peritonitis, noch beiderseitige Erkrankung der betreffenden Or¬
gane, noch irgend welche anderen krankhaften Veränderungen
nachzuweisen waren.
Vielleicht gibt aber die Mittheilung dieses Falles zur Ver¬
öffentlichung ähnlicher Veranlassung, um durch weiteres Material
die Entstehungsgeschichte der Tubo-Ovarialcysten dieser Art klar
zu legen.
2 .
Weitere Resultate über die Natur und Wirkung des
in den schädlichen Lupinen enthaltenen Stoffes.
Von
Carl Arnold und Georg Schneidemühl
in Hannover.
Bei den weiter angestellten Versuchen zur Feststellung der
Natur des die Lupinose erzeugenden Giftes, und der Art und
des Weges desselben im thierischen Organismus, sind wir zu
folgendem Resultate gelangt. Ueber das Nähere verweisen wir
auf die in dem demnächst erscheinenden Jahresbericht hiesiger
Thierarzneischule erfolgenden ausführlichen Mittheilungen.
1. Die Trennung des die Lupinose erzeugenden chemischen
Stoffes von den meisten ihn begleitenden anderen Verbindungen
lässt sich auf folgende Art erreichen: Die fein gemahlenen Lu¬
pinen werden mit 1 x ji Proc. wasserfreie Soda enthaltendem
Wasser von 40—50° C. zu einem dünnen Brei angerührt und
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XXII. Kleinere Mittheilungen.
287
nach zweitägigem Stehen ansgepresst. Die gewonnene Flüssig¬
keit wird anf dem Wasserbade bei einer tiO° C. nicht überschrei¬
tenden Temperatur abgedampft, nach dem Erkalten mit Essig¬
säure, bis keine Fällung mehr erfolgt, versetzt, das ausgeschiedene
Legumin abfiltrirt, hierauf der essigsauren Flüssigkeit Bleiacetat-
lösung zugesetzt, vom Niederschlage abfiltrirt*), das Filtrat mit
Schwefelwasserstoffgas gesättigt und das abgeschiedene Schwe¬
felblei durch Filtration entfernt. Alsdann wird das Filtrat bei
40—50® C. zur Consistenz eines dünnen Extractes eingedampft
und in das 10—15 fache Volumen Alkohol von 98 Proc. gegossen.
Der nach 24 Stunden erhaltene Niederschlag wird gesammelt
und zwischen Filtrirpapier getrocknet. Die so erhaltene braune
glänzende, harzartige Masse besitzt die oben besprochene schäd¬
liche Wirkung in solchem Maasse, dass bereits 3—5 Grm. bei
Hunden genügten, um ausgeprägte Lupinose zu erhalten.
2. Als der Weg, auf dem das Gift zur Wirkung gelangt,
müssen die Blutbahnen angesehen werden. Eine primäre Er¬
krankung des Darmkanales, resp. Duodenums und Gallenganges,
von wo aus die weiteren Erkrankungen in der Leber, speciell
der Icterus eingeleitet werden, ist, wie dies bereits Prof. Schütz
näher ausführt, nicht Vorbedingung für den Process in der Leber.
Nach unseren Versuchen nehmen wir an, dass »der Giftstoff, ähn¬
lich anderen chemischen Stoffen, in die Blutbahnen gelangt, in
erster Linie direct auf die Leber wirkt, wobei wir dahingestellt
lassen, ob die langsame Blutströmung in diesem Organe, oder
die physiologisch-chemischen Vorgänge die Entfaltung der Wir¬
kung begünstigen. Mit der intensiven (fast ätzenden) Wirkung
des Giftes und dem schnell tödtlich werdenden Verlauf der Krank¬
heit bei Einführung des Giftes direct in die Bauchhöhle oder
unter die Haut finden wir das bisher und von Neuem geprüfte
chemische Verhalten des Stoffes vollständig in Einklang. Wir
wissen, dass das Gift in alkalischen Flüssigkeiten in seiner Wir¬
kung erhöht, dagegen in sauren in dieser beeinträchtigt wird.
Demnach ist einzusehen, dass das von der Haut oder den serösen
Häuten sogleich in das alkalische Blut gelangte Gift von hier aus
energischer und schneller wirken wird, als der beim Passiren
1) Der entstandene Niederschlag enthält bereits einen Theil der schäd¬
lichen Substanz, wie directe Versuche zeigten. Der giftige Körper ist näm¬
lich durch Bleiacetat fällbar, befindet sich aber dennoch zum grössten Theil
im Fütrate der Bleifällung, da die Verbindung des Giftstoffes mit Blei im
vorhandenen Natriumacetat leicht löslich ist.
Deutsche Zeitschrift f. Thiermed. u. vergl. Pathologie. IX.Bd. 20
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XXII. Kleinere Mittheilungen.
des sauer reagirenden Darmes in der Wirkung geschwächte Gift¬
stoff. Ferner leuchtet ein, dass der in den Darmkanal einge-
ftihrte und von hier aus in das alkalische Blut gelangende giftige
Körper der Lupinen die charakteristischen Erscheinungen an der
Leber und später an der Niere etc. hervorrufen, den Magen und
Darm selbst aber, wo ja die Wirkung, wenn nicht gehoben, so
doch erheblich geschwächt wird, fast intact lassen wird. Es
liegt nahe, hier die Ansicht aufzustellen , dass Verletzungen in
der Maul- und Rachenhöhle , wie auch anderen Stellen der Ver¬
dauungswege, wodurch der directe Eintritt des Giftes in die Blut¬
bahn möglich wird, die Wirkung des Giftes bei der Fütterung der
schädlichen Lupinen erheblich beschleunigen und verstärken können.
3. Die Versuche über das chemische Verhalten des Körpers
geben auch dem Gedanken Berechtigung, dass durch zweck¬
mässigen Zusatz einer Säure zum Tränkwasser vielleicht die
Möglichkeit gegeben wäre, bei der Fütterung schädlicher Lupi¬
nen deren Wirkung zu schwächen oder aufzuheben. Allerdings
darf dabei nicht übersehen werden, dass das alkalische Blut
immerhin noch im Stande sein kann, die schädliche Wirkung
von Neuem herbeizufttbren.
4. Unter den klinischen Erscheinungen der Krankheit bei
Hunden heben wir die im Laufe derselben fast regelmässig be¬
obachtete Schwäche in den Hintergliedmassen hervor, die, wie
wir bei mikroskopischer Untersuchung der Muskeln fanden, auf
einer mit körnigem Zerfall einhergehenden Veränderung der be¬
treffenden Muskeln beruht. Wird der Giftstoff in kleinen Portionen
und allmählich verabreicht, so erholen sich die Thiere nach den
ersten Krankheitserscheinungen wieder, obwohl der Process in
der Leber seinen Fortgang nimmt. Ferner scheinen einzelne
Thiere eine bestimmte Widerstandsfähigkeit unter den genannten
Umständen zu erlangen, welche sie befähigt, recht grosse Dosen
des Giftes später ohne erhebliche äussere Reaction zu ertragen.
5. Was den pathologisch - anatomischen Verlauf betrifft, so
locaUsirt sich der Process, wie erwähnt, in erster Linie in der
Leber, wo zuerst Anfüllung der Zellen mit kleinen Körnchen
eintritt, denen sich bei längerer Dauer der Krankheit Fettkörn¬
chen und Fetttropfen zugesellen. Hat die Krankheit sehr lange
bestanden, bei Hunden nach 8—10 Tagen nach Einführung grös¬
serer Dosen des Giftes, so sieht man eine vollständige Umwand¬
lung des Zellleibes in Fetttropfen erfolgen. Nicht minder werden
auch die Gallengänge ergriffen, die anfänglich mit Zellen stark
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XXII. Kleinere Mittheilungen.
289
gefüllt, später mehr mit Zerfallsproducten verstopft sind. Ebenso
tritt im weiteren Verlaufe der Krankheit eine Nephritis paren-
chymatosa ein. Diese Befunde bestätigen, was Prof. Schütz 1 )
bereits ausführlich mitgetheilt hat.
Wir gedenken fortan den giftigen Stoff der schädlichen Lu¬
pinen mit „Lupinotoxin“ zu bezeichnen, da der seiner Zeit
von Kühn vorgeschlagene Namen „Ictrogen“ als nicht charak¬
teristisch angesehen werden kann und ferner der sichtbare Icterus
keine constante Erscheinung der Lupinose ist.
Die Mittheilungen der Ergebnisse über die weitere Isolirung,
chemische Eigenschaft und chemische Zusammensetzung des Lu-
pinotoxins werden bald nachfolgen. Wir werden alsdann gern
bereit sein, den betreffenden Instituten Präparate des Lupino-
toxins zur Verfügung zu stellen.
Hannover, königl. Thierarzneischule, Ende März 1883.
3.
Rudimente des vorderen Endes der Müller’schen
Gänge beim frisch geborenen Hengstfohlen.
Von
L. Franek.
Bei den zahlreichen Cadavern frisch geborener Fohlen, die
ich jährlich zu anatomischen Zwecken verwende, fand ich, dass
fast durchgehends beim ausgetragenen Hengstfohlen noch Reste
vom vorderen Ende des Müller’schen Ganges deutlich nach¬
weisbar sind. Es findet sich nämlich am vorderen Ende des
Hodens ein etwa linsengrosses, gekraustes röthliches Körperchen,
das der Bauchöffhung und den Fransen des Eileiters der Stute
und damit dem Vorderende der Müller’schen Gänge homolog
ist. An der lateralen Seite des Hodens und etwas unter dem
Nebenhoden zieht sieh von jenem Körperchen ein weisslicher
Streifen nach rückwärts, biegt sich am Ende des Hodens au die
mediale Seite des Mesorchiums zum Anfänge des Samenleiters
und erlischt allmählich. Es stellt dieser Faserzug offenbar einen
Best vom vorderen Theile des Müller’schen Ganges dar und
man könnte ihn, da man ja auch von einem männlichen Uterus
spricht, als verkümmerten männlichen Eileiter bezeichnen.
1) Archiv f. wissensch. u. prakt. Thierheilkunde. IX. Bd. 1. u. 2. Heft.
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XXIII.
Auszüge und Besprechungen.
l.
Demme, R., Uebertragung der Maul* und Klauense uche
auf den Säugling durch den Genuss der Milch eines
erkrankten Thieres. (Neunzehnter medic. Bericht über die
Thätigkeit des Huner’schen Einderspitales in Bern im Laufe des
Jahres 1881 . S. 81 . Bern 1882 .)
Demme berichtet über eine schwere Erkrankung bei zwei
Kindern, verursacht durch den Genuss der Milch, die von einer
maul- und klauenseuchekranken Ziege stammte. Die Zwillings¬
kinder Stöcker wurden auf einem in der Nähe von Bern liegenden
Heimwesen mit Ziegenmilch mit bestem Erfolge aufgefüttert.
Nach Ablauf von drei Wochen beobachtete man bei einem der
Kinder Verlust des Appetites, Erbrechen, Schlingbeschwerden,
Erhöhung der Anustemperatur bis zu 39,5 und am folgenden Tage
(10. Mai 1881) eine Bläscheneruption auf der ganzen Mundschleim¬
haut, namentlich dem harten Gaumen, dem Boden der Mund¬
höhle und an den Lippen. Auch auf den sichtbaren Theilen der
Nasenschleimhaut fanden sich zahlreiche ähnliche Blasen von
Hirsekorn- his Erbsengrösse, mit einer grünlichgelben Flüssigkeit
gefüllt. Am folgenden Tage war die Mehrzahl der kleinen Bläs¬
chen geplatzt und es zeigten sich oberflächliche Geschwüre, stär¬
kere Speichel- und Schleimsecretion, Krustenbildung und mässi-
ges Fieber. Patient lag theilnahmslos meist in leichtem Sopor
im Bettchen. Am 13. Mai Nasenbluten und profuse Diarrhoe,
Koma, Temperatursteigerung auf 41,2, Tod. — Bei der Section
konnte nur die Bauchhöhle untersucht werden. Die Leber war
brüchig, die Milz vergrössert, Nieren geschwellt. Schleimhaut
des Dünndarmes leicht hyperämisch, Follikel geschwellt, stellen¬
weise geplatzt, keine Ulcerationen. Mesenterialdrüsen geschwellt
und hyperämisch.
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XXIII. Auszüge und Besprechungen.
291
Am 10. Mai war auch das andere Zwillingskind, ein Mäd¬
chen, unter denselben Erscheinungen, jedoch bedeutend leichter,
erkrankt. Es fand sich geringe Angina, auf der Mundschleimhaut
einige wenige zerstreute Bläschen, Speichel- und Schleimabson¬
derung vermehrt, Temperatursteigerung bis auf 38,8. Heilung
ohne weitere Störung und ohne besondere Schädigung der Er¬
nährung nach Ablauf von 5 Tagen.
Es konnte nun sicher constatirt werden, dass die Ziege,
deren frisch gemolkene und ungekochte Milch von den beiden
Kindern genossen wurde, alle Symptome der Maul- und Klauen¬
seuche mit Localisationen auf der Maulschleimhaut, an den Klauen
und an den Euterzitzen zeigte. Dabei bestand verminderte Fress¬
lust und etwas verminderte Milchsecretion. Nach 17 tägiger Dauer
der Krankheit war die Ziege wieder genesen. — Weitere Nach¬
forschungen ergaben, dass unter dem Viehstande des ursprüng¬
lichen Besitzers der Ziege unzweifelhafte Fälle von Maul- und
Klauenseuche bei Rindern kurz nach dem Verkaufe der Ziege
an die Stocker’schen Eheleute vorgekommen waren. — Auch die
Mutter der Kinder, die ebenfalls im Kaffee geringe Mengen un¬
gekochter Milch derselben Ziege genossen hatte, liess während
der Krankheit des Knaben Niklaus ebenfalls eine beschränkte
Bläschenbildung auf der Mundschleimhaut mit leichtem Fieber,
Mattigkeit und Abgeschlagenheit der Glieder wahrnehmen.
Offenbar wurde hier in sämmtlichen drei Erkrankungsfällen
die Uebertragung durch die Milch vermittelt; die Incubations-
dauer betrug bei dem Knaben 3—5, bei dem Mädchen 6—7 Tage.
Im Anschlüsse an die vorstehende Mittheilung Demme’s
berichtet Sanitätsrath Dr. Wilkau er 1 ) in Eisenach über vier
Fälle von eigenthümlichen Warzenbildungen an den Händen, die
er auf. einem Gute bei Eisenach bei weiblichen Individuen, die
sich mit Melken der Kühe abgaben, constatirte. Obwohl Allge¬
meinerscheinungen bei den befallenen Patienten fehlten und auch
Maul- und Klauenseuche bei den betreffenden Kühen mit Sicher¬
heit nicht constatirt werden konnte, so nimmt W i 1 k a u e r doch
eine Uebertragung von Maul- und Klauenseuche bei dem Melk¬
geschäfte an — nach der Meinung des Referenten ohne zwingende
Gründe. Eher dürfte hier ein anderweitiger infectiöser Ausschlag
Vorgelegen haben. B.
1) Correspondenzblätter des allg. ärztl. Vereins v. Thüringen. Nr. 10. 1882.
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292
XXIII. Auszüge und Besprechungen.
2 .
Fleischvergiftung in Oberlangenhard-Zell und in Rykon-Zell
(Canton Zürich). Correspondenzblatt für schweizer Aerzte. Nr. 22.
1882 und Blätter für Gesundheitspflege. 1882.
Ende Juni 1882 erkrankten in oben genannten Orten zwei
Familien von je vier Personen unter den Erscheinungen heftiger
Magen- und Darmentzündung. Alle Patienten lagen 2—3 Wochen
krank; das jüngste Kind (2 Jahre alt) einer Familie ist am achten
Tage unter Convulsionen gestorben. Die amtliche Untersuchung
ergab mit Sicherheit, dass bei beiden Familien Ursache der Er¬
krankung der Genuss von Fleisch war, welches von einem offen¬
bar an Krankheit zu Grunde gegangenen Kalbe herrührte. Von
diesem Fleische war unter der Hand an jene Familien verkauft
worden.
Auf Grund der gerichtlichen Untersuchung wurde der Be¬
sitzer des kranken Kalbes mit einer Geldbusse, der Verkäufer des
Fleisches mit 2 Monaten Gefängniss bestraft; nur wenig fehlte, so
wären Beide gänzlich freigesprochen worden. So lässt man Leute,
die crepirte Kälber als Speise verkaufen und dadurch Menschen¬
leben zu Grunde richten, mitleidig laufen, damit sie, der gelinden
Strafe spottend, ihr verhängnisvolles Treiben von Neuem be¬
ginnen. B.
3.
Ueber die Wirkung einiger Antiseptica auf das Milzbrandcontagium.
Von Hugo Warrikow. Inaugural-Dissertation. Dorpat 1883.
Warrikow wendete eine Reihe von Desinfectionsmitteln
auf Milzbrandbacillen an und kam zu etwas anderen Resultaten,
was den Grad der Verdünnung anbelangt, als andere Forscher.
Nach ihm wurden Milzbrandbacillen zerstört durch Jod 1: 56000
(wässerige Lösung); Sublimat 1:20000; Salzsäure 1:600; Kali
hypermang. 1:400; Essigsäure 1:400; Carbolsäure 1:100; Al¬
kohol 40°; reines Terpenthinöl, Terperthinwasser, Kalkwasser;
concentrirte Kochsalzlösung in 20 Tagen.
Unwirksam blieben: Unterschwefligsaures Natron 20 Proc.;
arsenige Säure *) (gesättigte Lösung), Petroleum.
1) B|uchner sprach neuerlich die Ansicht aus, dass länger fortgesetzte
Darreichung von kleinen Arsenikgaben einen Zustand im Körper schaffen
würde, der ihn mehr oder weniger immun für Infectionskrankheiten, beson¬
ders für nicht acut verlaufende, wie z. B. Rotz, Tuberculose, machen würde.
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XXIII. Auszüge und Besprechungen.
293
Bei dieser Gelegenheit dürfte doch daran erinnert werden,
dass der innerliche Gebrauch von DesinfectionsmitteJn bei Infec-
tionskrankheiten bisher den gewünschten Erfolg nicht hatte, ja
dass die meisten Mittel beim innerlichen Gebrauche mehr scha¬
deten, als nützten. Es ist dies begreiflich, wenn man bedenkt,
dass durch jene Mittel die Widerstandsfähigkeit der den thieri-
schen Körper bildenden Zellenmasse noch mehr herabgesetzt wird,
als den pathogenen Pilzen geschadet. Ebenso hat offenbar die
directe Desinfection des Bodens, oder von Zwischenträgern, so¬
bald es sich um eine grössere Ausdehnung handelt, mit Desin-
fectionsmitteln ihre sehr schwache Seite und ist ihr Nutzen jeden¬
falls ein sehr zweifelhafter. Die Zukunft wird sicher daran
denken müssen, bei der Desinfection von Grund und Boden und
ähnlichen Dingen die Verhältnisse in demselben derart zu ändern,
dass sich eben die Bedingungen zur Erzeugung oder Vermehrung
von pathogenen Pilzen nicht mehr gegeben finden. Wie z. B. in
faulenden Flüssigkeiten Milzbrandbacillen (nicht deren Spo¬
ren) rascher und sicherer zu Grunde gehen, wie durch manche
Desinfectionsmittel, so wird es wohl auch gelingen, durch ge¬
eignete Drainage, besondere Düngung, Berieselung oder dergl.
Zustände im Boden zu schaffen, die der Entwicklung pathogener
Pilze ungünstig sind, oder sie gänzlich hindern. Wir müssen
die Bacillen indirect bekämpfen und müssen den
Stier nicht bei den Hörnern packen wollen.
Franck.
4.
Der Milzbrand, seine Entstehung und Bekämpfung. Im Aufträge
des deutschen Landwifthschaftsraths verfasst von Dr. Roloff,
Geh. Medicinalrath, Director an der königl. Thierarzneischule in
Berlin. Berlin, Verlag von Paul Parey. Preis 1 Mark.
Es hat nun Warrikow, obgleich vom Milzbrände als höchst acut verlau¬
fende Infectionskrankheit sich nicht viel erwarten liess, zwei Kaninchen
14 Tage hindurch mit je täglich 7120 Grm. arseniger Säure gefüttert und dann
mit frischem Milzbrandblute geimpft. Beide starben nach 24 Stunden an
Milzbrand. Auch ich habe zwei Schafe 6 Wochen hindurch mit je 0,01 Grm.
arseniger Säure täglich gefüttert und dann mit 1 Jahr alten Milzbrandsporen
geimpft. Sie starben am zweiten Tage an typischem Milzbrand. Diese
Fälle beweisen allerdings noch nichts Entscheidendes für Büchner’s An¬
sicht und müssen zunächst einmal Versuche mit chronischen Infectionskrank-
heiten gemacht werden, wozu sich besonders die Tuberculose eignen dürfte.
Franck.
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294
XXUI. Auszüge und Besprechungen.
Es ist dies eine kurze populäre Darstellung des Milzbrandes,
seiner Zeichen, Ursachen, Verbreitung und Bekämpfung, die wir
bestens empfehlen können. Franck.
5.
Der Hufschmied, Zeitschrift fttr das ganze Hufbeschlagwesen.
Redigirt unter Mitwirkung hervorragender Fachgenossen von A.
Lungwitz, Beschlaglehrer und Vorstand der Lehrschmiede an
der königl. Thierarzneischule in Dresden. I. Jahrgang. 1883. Ver¬
lag: Schönfeld’s Verlagsbuchhandlung, Dresden.
Diese Zeitschrift erscheint monatlich je 1 Bogen stark und
kostet jährlich nur 3 Mark. Sie bezweckt, zunächst die Schmiede,
dann aber auch Alle, die sich um den Hufbeschlag interessiren,
mit den Neuerungen, Verbesserungen und Erfindungen in dem
bezüglichen Fache vertraut zu machen. Man muss sich eigent¬
lich wundern, dass nicht schon längst eine ähnliche Zeitschrift
begründet wurde. Ein BedUrfniss dafür existirt thatsächlich und
so wird denn zweifellos das Unternehmen, das uns sehr sympa¬
thisch ist, eine gute Zukunft haben, um -so mehr, als der Name
des Redacteurs die Garantie bietet, dass die Zeitschrift nur Tüch¬
tiges bringen wird. _ Franck.
6 .
The quaterly journal of veterinary Science in India and army animal
management. Edited by Charles Steel (Bomby army). Super¬
intendent army veterinary school, Poona. Assisted byFred Smith,
v. s. 12th. royal lancers & John Henry Steel, v. s. D/D, royal
artillery, H. S. F. Bangalore. Druck u. Verlag bei Stephenson
& Co. 12, South Parade. October 1882. Preis 3 Rupien (nahezu
6 Mark).
Es liegt uns das erste (October 1882) und zweite Heft (Ja¬
nuar 1883) dieser Zeitschrift vor, die einen Umfang von fast
24 Druckbogen (Octavformat) einnehmen. Wir ersehen daraus,
dass es vorzugsweise die ungünstigen Standesverhältnisse der
Militärveterinäre Indiens sind, die zur Herausgabe vorliegender
Zeitschrift führten. Eine Besserung der bezüglichen Verhältnisse
soll hierdurch angebahnt werden. Es beklagen sich die Militär¬
veterinäre (Veterinärofficiere) Indiens bitter über die ungenü¬
gende Anzahl (einige 60 für ganz Indien, das so gross als
ganz Europa ist), über die unzulängliche Bezahlung, Uber schlechte
Behandlung und Zurücksetzung, über eine unzweckmässige Ein-
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XXIII. Auszüge und Besprechungen.
295
richtung and Mangel an Anerkennung für treue Pflichterfüllung.
Der Inhalt der ersten zwei Hefte ist äusserst reichhaltig. Wir
lernen da Krankheiten und Seuchen bei Kameelen und Elephanten
kennen, bekommen Vorstellungen über die Zustände des Veteri¬
närwesens in Indien, bekommen von Thierarzneischulen dortselbst
erzählt (zu Lahore, Madras, Armeeveterinärschule zu Poona), die
uns zum Theil nicht einmal dem Namen nach bekannt waren.
Der Druck ist deutlich und gut, das Papier sehr stark. Die
künstlerischen Beilagen (Holzschnitte) sind nicht im Texte, son¬
dern auf eigenen Blättern an der bezüglichen Stelle eingeheftet.
Franck.
7.
Die Entwickelung des Militär-Veterinärwesens in Württemberg. Ein
Beitrag zur Geschichte und Statistik. Unter Benutzung der Acten
des königl. Kriegsministeriums heransgegeben von L. Hoffmann,
Oberrossarzt im 2. königl. wtirttemb. Feldartillerie - Reg. Nr. 29.
Ludwigsburg, Selbstverlag des Verfassers; zu beziehen in der Buch¬
druckerei von Greiner u. Ungeheuer. 1883.
Eine recht interessante, 76 Octavseiten starke Brochure, die
sich über das württembergische Militärveterinärwesen und nament¬
lich auch über die wichtigsten Pferdekrankheiten, ihre frühere
Behandlung, Zu- und Abnahme, Wesensänderung u. dergl. ver¬
breitet. Namentlich für unsere Collegen beim Militär dürfte
dieses Schriftchen ein vielseitiges Interesse darbieten.
Franck.
8 .
Kranken- und Geschäftstagebuch für Thierärzte. Von
C. Bauwerker, Bezirksthierarzt in Kaiserslautern. Zweite ver¬
besserte Auflage. Druck und Verlag von C. Thieme in Kirch¬
heimbolanden.
Schon in der ersten Auflage hatte sich dieses Tagebuch
einer sehr guten Aufnahme und starken Verbreitung unter den
Thierärzten zu erfreuen. Die Möglichkeit der ebenso einfachen
und wenig zeitraubenden, wie dabei doch exacten und übersicht¬
lichen Buchführung haben dasselbe als ausserordentlich zweck¬
mässig schätzen gelernt.
Nachdem der Herr Verfasser nicht versäumte, die zweite
Auflage durch Vermehrung der zu benützenden Zeichen etc. so
viel wie thunlich zu verbessern und zu erweitern, so können wir
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296
XXIII. Auszüge und Besprechungen.
nicht umhin, den Herren Collegen dieses Tagebuch wiederholt
aufs Beste zu empfehlen. Friedberger.
9.
Ueber Ursprung und Lebenserscheinungen der tbierischen Organis¬
men. Lösung des Problems tiber das ursprüngliche Entstehen
organischen Lebens in unorganisirter Materie. Von L. Philipp.
Leipzig, E. Günther’s Verlag. 1883.
Ein 12 Druckbogen 8° starkes Buch, Nr. 14 der „Darwinisti¬
schen Schriften“, liegt uns von L. Philipp vor. Verfasser er¬
geht sich alle Seiten des Bandes hindurch in naturphilosophischen
Speculationen, die an manchen Stellen geistreich und fesselnd
geschrieben, uns aber sehr langathmig erschienen sind. Die
Grundgedanken der ganzen Abhandlung finden in der Ableitung
des Organischen vom Mechanischen ihren Ausdruck, indem der
Antor bemüht ist, eine neue Theorie für die Entstehung der Lebe¬
wesen aufzustellen, und sich daher auf einem Gebiete bewegt,
welches aus Mangel au handgreiflichem Material zu sophistischen
Betrachtungen anlockt und daher immer seine Liebhaber findet.
Wenn auch die Frage der Urzeugung durch derartige Anschau¬
ungen nicht gelöst erscheint, so sind die vielen Data, welche
Verfasser aus allen möglichen Zweigen der Naturwissenschaft zur
Begründung seiner Entstehungsidee anzieht, sicherlich von In¬
teresse. Kitt.
10 .
Deila polydactvlia e polymelia nell’ nomo e nei vertebrati. Memoria
del Prof. Giambettista Ercolani. Separatabdruck aus den Me-
morie dell’ Academia delle Zcienze dell’ Istituto di Bologna. Serie IV.
Band III. 1882.
In gewohnter trefflicher und genauer Ausführung hat Er¬
colani ein Werk geschaffen, das an der Hand einer Fülle von
Beispielen die Gründe für jene Missbildungen, die als Polydaktylie
und Polymelie bezeichnet werden, anführen soll. Bei der Reich¬
haltigkeit dieser Schrift (sie umfasst 100 Seiten gross 2°) ist es
schwer, einen" Auszug davon zu bringen. Im I. Capitel wird die
Polydaktylie im Besonderen, zunächst beim Menschen, dann bei
den Säugethieren (Equiden, Schweinen, Wiederkäuern, Fleisch¬
fressern) abgehandelt. Das II. Capitel macht uns mit der Melo-
melie beim Menschen und den Vertebraten bekannt, deren Be-
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XXIII. Auszüge und Besprechungen..
297
sprechung in einzelnen Abschnitten über Rudimentärmelomelie,
über solche der vorderen und der hinteren Glieder erfolgt. Das
III. Gapitel bringt die genannten Missbildungen bei Vögeln und
das IV. bei Reptilien nebst vollständig analogen Beispielen an
den Bewegungsorganen der Fische zur Mittheilung. Indem In¬
teressenten für die Abweichungen der Polymelie bei den verschie¬
denen Thieren auf die Details im Originale verwiesen werden
müssen, mag es hier vielleicht am Platze sein, einige kurze No¬
tizen zu geben.
Nachdem bereits seit den ältesten Zeiten überzählige Zehen
bei Pferden durch Valerius Maximus und Suetorius, sowie
durch Aldrovand bekannt sind, haben Wehenkel, Corne-
vin in der Neuzeit viele solche Fälle gesammelt, ebenso hat
Gurlt 14 Beispiele aufgeführt. Die Mehrzahl dieser Fälle be¬
zieht sich auf überzählige Zehen an den vorderen Extremitäten,
und wie dies bekanntlich sehr häufig beobachtet werden kann,
hatten die Afterzehen ihren Sitz auf der medialen Seite des
Fusses. Cornevin sah dies 37 mal unter 49 Beispielen. Auch
von Marsh liegen instructive Berichte hierüber vor.
Ercolani beschreibt seinerseits ein Vorkommniss am rech¬
ten Vorderfusse eines jungen Pferdes.
Ulna, Radius und die proximale Reihe der Carpalien waren
normal, die distale Reihe war nur von 2 Knochen hergestellt.
Ein Metacarpale 3 repräsentirte sich nur als viereckiges Kno-
chenstück von 3 Cm. Länge. Ausser diesem rudimentären Meta¬
carpale des 3. Fingers bestanden noch zwei,, ein laterales und
mediales, von denen jedes schlecht gestaltete Zehenglieder trug.
Verf. kommt auf die verschiedenen Ansichten der Veterinärana¬
tomen zu sprechen, welche dahin gingen, dass die Einen den
Fuss des Pferdes aus der Verschmelzung des 3. und 4. Fingers
entstanden dächten, Andere, und diese mit Recht, die einzelnen
Glieder für Theile des 3. Fingers ansehen. Die Paläontologie
hat ja hauptsächlich den Nachweis für die letztere Anschauung
erbracht. Ercolani neigt sogar bezüglich seines Falles zur
Ansicht, dass derselbe als unvollständiger Atavismus aufzufassen
sei, weil eben das sonst mächtige Schienbein der 3. Zehe sehr
unentwickelt geblieben ist. Bezüglich der Missbildungen an den
Extremitäten der Wiederkäuer weist die Literatur spärliche No¬
tizen auf. Verf. beschreibt mehrere interessante Fälle von Mehr-
zehigkeit, von den einfachsten bis zu den complicirtesten Formen,
wobei die Extremität 3, 4 und 5 Zehen mit und ohne Verdop-
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XXIII. Auszüge und Besprechungen.
pelung der Metacarpalien, selbst Spaltung in 5 Mittelhand- and
Fassknochen besass.
Fleischfresser zeichnen sich sehr hänfig durch den Besitz
von 1—2 überzähligen Krallen aus (bei uns bekannt als Huber¬
tusklaue), welches Vorkommniss nicht etwa als Atavismus, son¬
dern wirklich als eine excessive Bildung aufgefasst werden muss.
Ercolani hat gegen 25 Fälle von Polydaktylie bei Schwei¬
nen zusammengestellt, aus denen hervorgeht, dass diese Miss¬
bildung fast ausnahmslos an den vorderen Extremitäten zur Schau
getragen wird. Die Ueberzahl an Zehen ist hier ebenfalls sehr
häufig und beläuft sich auf ein Mehr von 1—6 Gliedern, mit
entsprechender Theilnahme der Mittelhandknochen und einem
sehr variablen Verhalten der Handwurzelknochen.
Es scheint, dass selbst bei normalem Zustande die Hand¬
wurzelknochen des Schweines in der Zahlentwicklung individuell
verschieden sind (vielleicht nach der Abkunftrage); so beobachtete
Verfasser abwechselnd 3 und 4 Knochen in der unteren Reihe
des Carpus.
Vorzugsweise ist darauf aufmerksam zu machen, dass in
Ercolani’s Werke durch die getreuliche Zusammenstellung der
deutschen, französischen und italienischen Literatur auf dem Ge¬
biete der Missgeburten das Studium dieses interessanten Kapitels
der Veterinärpathologie sehr gefördert worden ist. Kitt.
11 .
Die Formveränderungen des Pferdehufes bei Einwirkung der Last mit
besonderem Bezug auf die Ausdehnungstheorie. Von F. Peters,
Oherrossarzt am grossherzoglichen Marstall zu Schwerin. Berlin,
bei Paul Parey. 1883.
In vorliegender Arbeit hat sich der Herr Verfasser zunächst
die Aufgabe gestellt, den dunkeln Punkt in der Ausdehnungs¬
theorie des Hufes, nämlich die Art und Weise der Hufbeinsen¬
kung auf Grund angestellter Versuche näher festzustellen und ist
hierdurch zu dem Resultate gelangt, dass beim abstemmenden
Fasse (Hufbeinbeugevoraction nach Lechner) (?) die Beuge¬
sehne am stärksten gestreckt ist und die Trachten und der Strahl
die allerstärkste Belastung in diesem Momente erfahren; hierbei
werden durch den senkrecht auf die schmalen Seitenflächen der
Blättchenschichte der Seitentrachtenwand einfallenden Druck die
freien, aufrecht stehenden Ränder der Blätter umgelegt, ähnlich
wie die Blätter eines Buches. Durch diese Umbiegung tritt eine
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XXIII. Auszüge und Besprechungen.
299
Verlängerungsfähigkeit der Blättcbenscbichte ein und ermöglicht
deshalb die Verschiebbarkeit von Hufbein und Horn wand. Ansser
der Verlängernngsfähigkeit der Blattschichte kommt für die Sen¬
kung des Hnfbeines noch die Elasticität des Kronrandes und das
Stratum vasculosum der Fleischwand in Betracht. Verfasser ge¬
langt deshalb zu dem Schlüsse:
1. Dass das Hufbein und die anhängenden Seitenknorpel
mit dem Strahlbein innerhalb des Hornschuhes Bewegungen aus¬
führen, in dem sie sich kreisförmig um die festgestellte Hufbein¬
spitze drehen.
2. Dass dieses Ergebniss nur für den Fuss, der eine bewegte
Last zu stützen hat, Gültigkeit hat, nicht aber für den still¬
stehenden Fuss.
Hiermit wäre das Thema erschöpft, würden nicht die oben
angeführten Versuche einerseits noch zur Entdeckung bisher un¬
bekannter Erscheinungen am Hufe geführt haben, andererseits
muss, wenn die Voraussetzung richtig ist, dass die Ausdehnung
im Momente der Hufbeinbeugevoraction stattfindet, auch der
Zweck und Nutzen des Hufmechanismus eine bedeutende Aende-
rung erfahren, und gelangt Verfasser zu folgendem Resumä:
3. Die elastische Wand wird durch die Blättchenschichte
gezwungen, diese Bewegungen mitzumachen und verändert hier¬
mit die Seitenansicht des Hufes in der Art, dass der Kronrand
sich nach rückwärts oberhalb der Stützfläche verschiebt und
gleichzeitig sich derselben nähert. Also eine Verminderung der
Höhe des Hufsockels.
4. Die Verminderung der Höhe ist verbunden mit einer Ver¬
breiterung des Quermessers des Hufes. Sowohl am Kronen- wie
am Tragrande wird seitlich so viel Baum wieder gewonnen,
als durch Reduction der Höhe verloren gegangen ist. Die Ver¬
breiterung kommt dadurch zu Stande, dass die Seitenwände, in
einen hohen Grad elastischer Spannung versetzt, nach aussen
weichen, dass die Trachtenwände dem Drucke des Hufbeines
und der Seitenknorpel nach aussen Folge leisten.
5. Der hintere Theil des Sohlengewölbes flacht sich unter
dem Drucke der Last ab und gleicht ebenfalls durch seitliche
Verschiebung der angrenzenden Wandtheile die Raumbewegungen
aus, welche der Druck von oben erzeugt hat.
6. Die Mechanik des Hufes verrichtet ein Stück Muskel-
nnd Sehnenarbeit und gibt den ersten Anstoss zur Beugung des
Hufgelenkes.
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300 XX11I. Auszüge und Besprechungen. — XXIV. Verschiedenes.
Im folgenden Kapitel kommt der Verfasser noch auf die
Anforderungen an den Beschlag and kann aber trotz der neuen
Theorie keine besseren Grundsätze aufstellen. Bezüglich der
blank gescheuerten Reib- oder' Schliffflächen an den Stangen¬
enden alter Eisen erklärt Verfasser die Entstehung derselben auf
Grund der elastischen Verbiegung der Wand. Dieselbe gibt den
Anstoss zu einer Bewegung des Tragrandes auf seine Stützfläche
in der Richtung von hinten nach vom und umgekehrt. In dieser
Richtung findet bei jedem Fusssatz ein Scheuem der Endpunkte
aller mit der Eisenfläche in Berührung stehenden Horafasern statt.
Am Schlüsse der Abhandlung werden die Krankheiten des
Hufes vom Standpunkte der neuen Theorie aus besprochen. Die
Hufbeinsenkung bildet auch hier den Mittelpunkt der Erschei¬
nungen, denn wo eine Senkung desselben verhindert wird, tritt
auch keine Bewegung der Wand ein und hierdurch die bekannten
Folgezustände. Wird der Hemmungsapparat (Sohle) geschwächt,
so werden die Senkungen des Hufbeines zu stark, da der notb-
wendige Widerstand, besonders im Bereiche der Huf beinäste,
fehlt. Die Senkung des Hufbeines wird eine excessive und der
Ausgangspunkt für die grösste Zahl der Hufkrankheiten. Gr.
XXIV.
Verschiedenes.
1.
Thierärztlicher Congress zu Brüssel .
Der IV. internationale Congress wird am 10. September 1. Jahres
in Brüssel eröffnet (vergl. S. 110 d. Bandes).
Das Programm der Verhandlungen ist folgendes:
I. Sind die Beschlüsse und Wünsche, welche in Hinsicht de*
thierärztlichen Unterrichtes vom Züricher Congress festgesetzt wur¬
den, in einer oder der anderen Hinsicht abzuändern und welches*
sind in diesem Falle die einzubringenden Abänderungen?
Grundsätze und Wünsche des dritten thierärzt¬
lichen Congresses in Bezug auf das Unterrichtswesen:
1 . Zum Studium der Thierarzneiwissenschaft bedarf es keiner ge¬
ringeren Vorbildung als zu demjenigen der Medicin. Es ist deshalb
dahin zu streben, dass zum Eintritt in die thierärztlichen Bildungs¬
anstalten Universitätsreife gefordert werde. Da dieses Ziel zur Zeit
aus vielen Gründen noch nicht erreichbar ist, so wird als Minimum
der Vorbildung (das alle Thierarzneischulen fordern sollten) festge¬
stellt die Summe der Kenntnisse der vorletzten Klasse der Gymnasien,
welche zur Universitätsreife bringen. Personen, die ein Gymnasium
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XXIV. Verschiedenes.
301
nicht besucht haben, müssen sich über eine entsprechende Bildung
ausweisen. 2. Zur Ausbildung eines Thierarztes ist mindestens ein
dreijähriges Studium nothwendig. Die Patentirung verschiedener Ab¬
stufungen von Thierärzten, nach dem Grad ihrer Ausbildung, ist
verwerflich. 3. Die Thierarzneischulen können selbständige Anstalten
sein oder mit anderen höheren Lehranstalten verbunden werden;
jedoch soll die Veterinärmedicin selbständig gelehrt werden. Die
Einrichtung einzelner Universitäten , wo ein Lehrer der Thierheil¬
kunde diese Wissenschaft lehrt und Thierärzte ausbildet, ist verwerf¬
lich; sie ist absolut ungenügend. 4. Nur bei einer zweckmässigen
Organisation des Veterinärwesens wird eine derartige nothwendige
Organisation der Thierarzneischulen strenge gefordert werden können.
II. In welchem Punkte lässt die jetzige Organisation des Thier¬
arzneiwesens zu wünschen übrig, sowohl in Bezug auf innere Orga¬
nisation als auf internationale Verbindungen?
Grundsätze und Wünsche des dritten internatio¬
nalen thierärztlichen Congresses über Organisation
des Veterinärwesens: 1. Die Ausübung der Thierheilkunde
wird durch ein Gesetz geregelt. 2. Die Thierheilkunde ist ein selbst¬
ständiger Zweig der Sanitätsverwaltung. 3. Bei den Unter-, Mittel¬
und Centralbehörden ist die Vertretung der Thierheilkunde durch
eigene Sachverständige nothwendig. 4. Zur Ausübung der Thier¬
heilkunde sind nur diejenigen berechtigt, welche die vorschriftsmässi-
gen Studien an einer öffentlichen Thierarzneischule absolvirt und
durch Examen sich das Diplom (Charakter) als Thierarzt erworben
haben. Diese allein sind berechtigt, den Titel Thierarzt zu führen.
5 . Private können sich eines jeden Thierarztes als sachverständigen
Zeugen bedienen; die Gerichtsbehörden sollen jedoch gegebenen Falles
nur den amtlich bestellten Veterinär als Sachverständigen beiziehen.
6 . In veterinärpolizeilichen Angelegenheiten haben sich die Verwal¬
tungsbehörden nur in Ausnahmsfällen anderer als der amtlichen Sach¬
verständigen zu bedienen. 7. Allen Thierärzten ist das Recht des
Selbstdispensirens der Arzneimittel unter angemessener Controle für
den Umfang der eigenen Praxis einzuräumen. 8. Der Ausdruck
„Sachverständiger“ ist in thierärztlichen Angelegenheiten dahin zu
verstehen, dass dies lediglich die patentirten Thierärzte betreffe.
III. Welches sind die Kennzeichen der Differentialdiagnose der
ansteckenden Lungenseuche und welches sind die Mittel, die Ent¬
wicklung und die Verbreitung dieser Krankheit zu verhindern?
IV. Welches ist der Einfluss der Vererbung und der Contagio-
sität auf die Verbreitung der Perlsucht und welches sind die zu
benützenden Vorsichtsmaassregeln zur Verhinderung der schädlichen
Wirkungen, welche der Gebrauch von Milch oder Fleisch von perl¬
süchtigen Thieren nach sich ziehen könnte?
2 .
Zur gefälligen Beachtung! Ich besitze noch je 30 Ex¬
emplare des Vet.-Med.-Wesen8 Bayerns 1875 und 1876, und je
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XXIV. Verschiedenes. — XXV. Personalien.
50 Exemplare des Vet.-Med.-Wesens Deutschlands 1880, 1881 und
1882. Die darin enthaltenen Verordnungen und Gesetze sind noch
gültig und deshalb die Bücher nicht entwerthet. Ich gebe die¬
selben um die Hälfte des Preises, somit pro Jahrgang um 2 Mark
ab und den Erlös hieraus gleichtheilig den Vereinen zur Unter-.
Stützung von Hinterbliebenen deutscher, bezw. bayerischer Thier¬
ärzte. Die Herren Collegen haben hierdurch Gelegenheit, die Bücher
wohlfeil zu kaufen und hierbei ein gutes Werk zum Besten der
Unterstützungsvereine zu üben. Ich ersuche um baldgefällige Be¬
stellung per Postkarte, worauf sofort die Sendung des Gewünschten
durch Postnachnahme erfolgt.
Landsberg a. Lech, Bayern. H. Bürchner,
Bezirksthierarzt.
3.
Anfragen neueren Datums veranlassen mich zu der wiederholten
Erklärung, dass nur Nr. 1—3 des Centralblattes für Vet.-Wissen¬
schaften, im Verlage von Dege u. Haenel, Jena 1882 (jetzt wieder
in Leipzig), unter meiner Redaction entstanden sind. Seitdem stehe
ich zur fragl. Firma nur noch in dem Verhältnisse eines unbefrie¬
digten Gläubigers. Wer nach mir die Redaction fragl. Zeitschrift
besorgt hat, weiss ich nicht. Ich kenne nicht einmal den Inhalt der
nach Nr. 3 erschienenen Fortsetzungen, da mir keine dieser zuge¬
schickt worden, noch sonstwo zu Gesicht gekommen ist.
Prof. Dr. Pütz.
XXV.
Personalien.
Todesfälle.
Prof. Dr. F. Lundberg, Director der Thierarzneischule in
Stockholm, ist gestorben.
Prof. Jeeteles in Wien (bekannt durch seine Schriften über
Domestication der Hausthiere und über die Abstammung des Hundes)
ist gestorben.
Prof. Dr. Andreas Bruckmtiller an dem k. k. Militär-Thier¬
arzneiinstitute in Wien ist am 15. April in seinem 60. Lebensjahre
gestorben. Bruckmüller absolvirte 1850 die Wiener Thierarznei¬
schule, 1853 wurde er als Professor für pathologische Anatomie an
der genannten Anstalt angestellt, welcher Stelle er 30 Jahre lang
Vorstand. Er veröffentlichte während seiner langen und segensreichen
Lehrtätigkeit eine Reihe kleinerer und grösserer Schriften. Unter
letzteren hat sein Lehrbuch der pathologischen Anatomie die weiteste
Verbreitung gefunden. Er war von seinen Collegen des Inn- und
Auslandes hochgeachtet und geehrt; die Wissenschaft verliert an ihm
einen tüchtigen Mitarbeiter. Seiner segensreichen vielseitigen Wirk-
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XXV. Personalien.
303
samkeit wurde auch die äussere, so wohlverdiente Anerkennung zu
Theil; so erhielt er im Jahre 1873 das Ritterkreuz des k. k. öster¬
reichischen Franz-Josephsordens und wurde.im Jahre 1879 zum k. k.
Regierungsrathe ernannt. — Möge ihm die Erde leicht sein!
Prof. Masow am American Veterinary College New-York ist
gestorben.
Der berühmte Pathologe Davaine, mit Braueil der erste Ent¬
decker der Milzbrandbacillen, ist zu Paris, 71 Jahre alt, gestorben.
Pensionirungen.
Zuverlässigen Nachrichten nach hat Prof. Dr. Carsten Harms
wegen andauernder Krankheit um seine Pensionirung nachgesucht.
Der Director und Professor an dem königl. Thierarzneiinstitute
zu Dorpat, Fr. Unterberger, ist in den Ruhestand getreten und
an seine Stelle Professor und Staatsrath Casimir Raup ach zum
Director ernannt worden.
Thiernesse und Görard, Professoren an der Thierarznei¬
schule zu Brüssel, wurden in den Ruhestand versetzt.
Auszeichnungen und Beförderungen.
Dem Prof. Dr. Carsten Harms in Hannover (Thierarzneischule)
ist der königl. Kronenorden IV. Klasse verliehen worden.
. Prof. Begemann an der königl. Thierarzneischule zu Hannover
erhielt den rothen Adlerorden IV. Klasse.
A. Zündel, Strassburg, erhielt das Ritterkreuz des Luxemburg-
schen Ordens der Eichenkrone.
Die Stelle eines Vorstandes der königl. Thierarzneischule zu
Stuttgart wurde dem Verweser derselben, Prof. Fricker, unter der
Verleihung des Titels eines Directors mit dem Range auf der IV. Stufe
der Rangordnung übertragen.
Prof. Dr. Wehenkel wurde zum Director der Thierarzneischule
zu Brüssel ernannt.
Regierungsrath Prof. Dr. Franz Müller wurde für die nächsten
drei Jahre abermals zum Director der k. k. Wiener Thierarzneischule
gewählt und diese Wahl vom Kaiser bestätigt.
Prof. Dr. Bayer an der k. k. Thierarzneischule wurde zum
Docenten der Thierheilkunde an der Hochschule für Bodencultur in
Wien ernannt.
Reserve-Oberarzt Dr. Storch wurde zum Assistenten der de-
scriptiven und pathologischen Anatomie am k. k. Militärinstitute zu
Wien ernannt.
Prosector Dt. Flesch in Würzburg wurde zum ordentlichen
Professor der Anatomie an der Thierarzneischule zu Bern ernannt.
Director Wirtz in Utrecht ist von der dortigen Universität
zum Doctor medicinae h. c. ernannt worden.
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304
XXVI. Briefkasten. — Berichtigungen.
XXVI.
• •
Briefkasten.
Von dem königl. Bezirksthierarzte N. in N. wird mir heute be¬
züglich der Stelle im Handbuche der gerichtlichen Thierheilkunde
vonGerlach, Berlin 1862, S. 445: „Hat die Kuh bei dem Verkäufer
gekalbt, so ist die Gebärmutterentzündung bis zum Besitz des Ver¬
käufers zurück zu datiren , wenn die Uebemahme nicht bald nach
dem Kalben, sondern erst am 3. Tage oder später stattgefunden hat, u
auf welche ich mich in einem von mir schriftlich abgegebenen Gut¬
achten bezogen, erwidert, dass diese hier angeführte G e r 1 a c h’sche
Behauptung unrichtig, überhaupt das in Rede stehende Handbuch
Gerlach’s nicht mehr maassgebend sei. Von allgemeinem Interesse
dürfte also die Beantwortung folgender Fragen sein:
1. Hat Ger lach in oben erwähnter Stelle seines Handbuches
Recht?
2. Ist das Handbuch noch so weit maassgebend, dass man sich
mit Erfolg auf dasselbe beziehen kann? •
3. Gibt es in Bezug auf gerichtliche Thierheilkunde eine andere
resp. bessere Literatur, als das in Rede stehende Handbuch
Gerlach’s, und im Bejahungsfälle, wie heisst diese Literatur?
Die Redaction hat die Beantwortung obiger Fragen Herrn Prof.
Hahn übergeben, der uns Folgendes schrieb:
ad 1. Gerlach hat in der angezogenen Stelle Recht.
ad 2. Das Ger lach’sche Handbuch ist nicht als veraltet zu
erkennen, sondern bleibt noch maassgebend.
ad 3. An Stelle von Gerlach’s Handbuch ist bisher ein bes¬
seres nicht erschienen.
* Berichtigungen (VIH. Bd.).
S. 179, Z. 22 u. 23 v. u. lies räumlichen statt nämlichen.
S. 179, Z. 22 v. u. lies Erweiterung statt Entwicklung.
S. 181, Z. 19 v. o. lies räumlich statt nämlich.
S. 181, Z. 21 v. o. lies räumlich statt nämlich.
S. 184, Z. 16 v. o. lies am belasteten statt unbelasteten.
S. 188, Z. 10 v. u. lies pto stat sito.
S. 189, Z. 16 v. u. lies von Pferden m i t statt von Pferden von.
S. 191, Z. 18 v. u. lies derselben statt desselben.
S. 193, Z. 12 v. o. lies dass statt das.
S. 195, Z. 16 v. u. lies abgedachte statt abgedrehte.
S. 198, Z. 15 v. o. lies nur statt und.
S. 198, Z. 3 v. u. lies Drehen statt Dehnen.
Druck von J. B. HirschfeId in Leiptig.
Digitized by
Google
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CaJJ Number:
N? 854722
Deutsche Zeitschrift
für Thiermedizin
und vergleichende
Pathologie.
HEALTH
SCIENCES
LIBRARY
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
DAVIS
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